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German Pages 312
Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Band 212
Aktienrechtliche Aufsichtsverschwiegenheit und Informationsprivileg der öffentlichen Hand Eine aktienrechtsautonome Neubewertung
Von
Konstantin Alexander Knöbber-Griesz
Duncker & Humblot · Berlin
KONSTANTIN ALEXANDER KNÖBBER-GRIESZ
Aktienrechtliche Aufsichtsverschwiegenheit und Informationsprivileg der öffentlichen Hand
Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Herausgegeben von Professor Dr. Holger Fleischer, LL.M., Hamburg Professor Dr. Hanno Merkt, LL.M., Freiburg Professor Dr. Gerald Spindler, Göttingen
Band 212
Aktienrechtliche Aufsichtsverschwiegenheit und Informationsprivileg der öffentlichen Hand Eine aktienrechtsautonome Neubewertung
Von
Konstantin Alexander Knöbber-Griesz
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität des Saarlandes hat diese Arbeit im Jahr 2022 als Dissertation angenommen.
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde vom Promotionsausschuss der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität des Saarlandes im Februar 2022 als Dissertation angenommen. Für den Druck konnten Literatur und Rechtsprechung bis Juni 2022 berücksichtigt werden. An dieser Stelle möchte ich allen danken, die mich während der Promotionszeit unterstützt haben. Ein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Universitäts-Professor Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Michael Martinek, der mir die Promotion mit der Aufnahme an den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung, Institut für europäisches Recht, erst möglich gemacht hat. Dankbar bin ich insbesondere für die vielfältigen Eindrücke und Erkenntnisse, die ich in dieser prägenden Zeit auch aus zahlreichen Gesprächen über Jura und die Welt sammeln durfte. Herrn Professor Dr. Boris Dostal danke ich herzlich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Meinen Eltern danke ich für die finanzielle Unterstützung während des Grundstudiums, ohne die mir die akademische Welt wohl verborgen geblieben wäre. Mein größter Dank gilt meiner Ehefrau, der ich dieses Werk widme. Ihre von Geduld und Verständnis geprägte Unterstützung hat maßgeblich zum Gelingen dieses Projekts beigetragen.
Inhaltsübersicht A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 II. Ziele und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder . . . . . 28 I. Wesensmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 1. Die Bedeutung und Schutzzwecke von Vertraulichkeitsregeln im Aktien- und GmbH-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2. Dogmatik und Rechtsnatur der organschaftlichen Verschwiegenheitspflicht . . . 34 3. Die Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder bei der GmbH . . . . . 52 4. Verhältnis der organschaftlichen Verschwiegenheitspflicht zu weiteren Mitteilungsverboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 II. Die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 1. Zeitliche Reichweite der Verschwiegenheitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 2. Sachlicher Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 3. Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 4. Sekundärinteressen: Gleichheitssatz und Homogenitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . 124 5. Aufsichtsverschwiegenheit im Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 6. Der Aufsichtsrats-Doppelmandatar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 7. Erkenntnisse für die mehrfachverpflichteten Aufsichtsratsmitglieder öffentlicher Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 C. Öffnung der aktienrechtlichen Schweigepflicht durch das Informationsprivileg der öffentlichen Hand nach §§ 394, 395 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 I. Der Status-quo verfassungsrechtlich verpflichteter Unternehmerschaft . . . . . . . . . 200 II. Die Rechtsverfassung der (öffentlichen) Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . 204 1. Das aktienrechtliche Einheitsstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 2. Die Impermeabilität des aktienrechtlichen Einheitsstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 3. Keine Zeichenumkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 4. Weisungen und das Einheitsstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 5. Die Rechtsverfassung der öffentlichen Gesellschaft mbH . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
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Inhaltsübersicht 6. Nullstellensatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 III. Das hoheitliche Informationsprivileg de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 1. Ratio legis der §§ 394, 395 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 2. Geltungsbereich und Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 3. Inhaltlicher Umfang und Grenzen der Berichtspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 4. Berichtsadressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 5. Das berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglied in der Pflichtenkollision . . . . . . . 275
D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 E. Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 I. Zur aktienrechtlichen Schweigepflicht des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 II. Zur funktionalen Systemeigenschaft des aktienrechtlichen Kommunikationswesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 III. Zum Informationsprivileg der öffentlichen Hand nach §§ 394, 395 AktG . . . . . . . 282 F. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
Inhaltsverzeichnis A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 II. Ziele und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder . . . . . 28 I. Wesensmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 1. Die Bedeutung und Schutzzwecke von Vertraulichkeitsregeln im Aktien- und GmbH-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 a) Vertraulichkeit der Informationspolitik des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 b) Integrität des Beratungsgeheimnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 c) Vertraulichkeit des Abstimmungsgeheimnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2. Dogmatik und Rechtsnatur der organschaftlichen Verschwiegenheitspflicht . . . 34 a) Die historischen Etappen der aktienrechtlichen Schweigepflicht . . . . . . . . . 34 b) Schweige-, Sorgfalts- und Treuepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3. Die Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder bei der GmbH . . . . . 52 4. Verhältnis der organschaftlichen Verschwiegenheitspflicht zu weiteren Mitteilungsverboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 a) Kapitalmarktrechtliches Mitteilungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 b) Wettbewerbsrechtliches Mitteilungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 c) Mitteilungsverbot aus GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 aa) Offenlegungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 bb) Anwendungsvoraussetzungen nach GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 cc) Unionsrechtskonforme Umsetzung der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 dd) Berechtigte Offenbarungsinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 ee) Rechtsfolgen nach GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 ff) Konzeptionelle Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 gg) Fehlgehende Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 hh) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 d) Konkurrenzverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
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Inhaltsverzeichnis II. Die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 1. Zeitliche Reichweite der Verschwiegenheitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 2. Sachlicher Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 a) Offenkundigkeitsmangel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 b) Geheimhaltungsbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 c) Gesellschaftsgeheimnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 d) Vertrauliche Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 e) Vertraulichkeitsgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 f) Anwendungsausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 g) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 3. Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 a) Außenwirkung der Verschwiegenheitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 b) Innenwirkung der Verschwiegenheitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 aa) Inter-organschaftliche Verschwiegenheitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 bb) Intra-organschaftliche Verschwiegenheitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 cc) Die GmbH-Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 dd) Die (kommunale) GmbH-Alleingesellschafterin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 4. Sekundärinteressen: Gleichheitssatz und Homogenitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . 124 a) Teilhaberechte in Vertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 b) Grundidee der mitbestimmungsrechtlichen Teilhabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 c) Historische Hintergründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 d) Gesellschafts- und Unternehmensinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 aa) Das Gesellschaftsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 bb) Die (Wieder-)Entdeckung der kapitalistischen Gemeinwirtschaft . . . . . 134 cc) Ein Unternehmens-Ich und sein Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 dd) Interessenmonismus versus Interessenpluralismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 e) Besonderheiten bei der öffentlichen Gesellschaft mbH . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 aa) Die Gemeinwohlbindung großer Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 bb) Kontinuitätsinteressen im Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 cc) Die große Gesellschaft als Kontinuitätsgarant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 dd) Das Eigeninteresse der öffentlichen Ein-Personen-Gesellschaft mbH . . 165 f) Konklusion: Verschwiegenheit im aktienrechtlichen Ermessensbild . . . . . . . 169 5. Aufsichtsverschwiegenheit im Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 a) Aufsichtsrat der Obergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 b) Aufsichtsrat der Untergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 aa) Einheitliche Leitung nach dem Trennungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 bb) Verschwiegenheit im einheitlich geleiteten Vertragskonzern . . . . . . . . . 182 cc) Verschwiegenheit im faktisch einheitlich geleiteten Konzern . . . . . . . . . 184 dd) Zwischenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 c) Konzerninteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
Inhaltsverzeichnis
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d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 6. Der Aufsichtsrats-Doppelmandatar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 a) Aktienrechtliches Kommunikationsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 b) Nichtkommunikative Schweigepflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 7. Erkenntnisse für die mehrfachverpflichteten Aufsichtsratsmitglieder öffentlicher Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 C. Öffnung der aktienrechtlichen Schweigepflicht durch das Informationsprivileg der öffentlichen Hand nach §§ 394, 395 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 I. Der Status-quo verfassungsrechtlich verpflichteter Unternehmerschaft . . . . . . . . . 200 II. Die Rechtsverfassung der (öffentlichen) Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . 204 1. Das aktienrechtliche Einheitsstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 2. Die Impermeabilität des aktienrechtlichen Einheitsstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 3. Keine Zeichenumkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 4. Weisungen und das Einheitsstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 5. Die Rechtsverfassung der öffentlichen Gesellschaft mbH . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 a) Keine Weisungsbindung der Mitglieder des obligatorischen Aufsichtsrats 220 b) Weisungsrechte gegenüber dem fakultativen Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . 223 aa) Typenbilder des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 bb) Einschränkungen im Fall des gemischt wirtschaftlichen Unternehmens 229 cc) Allenfalls eingeschränkte Weisungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 dd) Weisungsrecht bei der Ein-Personen-GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 6. Nullstellensatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 III. Das hoheitliche Informationsprivileg de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 1. Ratio legis der §§ 394, 395 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 2. Geltungsbereich und Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 a) Eigene Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 b) Repräsentantenstatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 c) Bestehende Berichtspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 aa) Gesetzliche Berichtspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 bb) Satzungsrechtliche Berichtspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 cc) Rechtsgeschäftliche Berichtspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 3. Inhaltlicher Umfang und Grenzen der Berichtspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 a) Grenzen des § 394 S. 2 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 b) Sonstige Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 aa) Zwingende und universelle äußere Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 bb) Grenzen gesetzlich begründeter Berichtspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 cc) Grenzen der Berichtspflichten kraft Satzungsregelung . . . . . . . . . . . . . . 254 dd) Grenzen rechtsgeschäftlich begründeter Berichtspflichten . . . . . . . . . . . 255
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Inhaltsverzeichnis 4. Berichtsadressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 a) § 395 AktG als Korrelat des § 394 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 b) Parlamente und kommunale Kollektivorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 c) Andersbewertung bei organisatorischen Schutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . 260 d) Aktienrechtsautonome Neubewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 aa) Keine Vertraulichkeitsgewähr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 bb) Tatbestandslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 cc) Konklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 e) Empfangsberechtigte Berichtsadressaten i. S. d. Tatbestandslösung . . . . . . . 269 aa) Objektiv begründete Gefahrenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 bb) Abstrakte Gefahrenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 f) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 5. Das berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglied in der Pflichtenkollision . . . . . . . 275
D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 E. Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 I. Zur aktienrechtlichen Schweigepflicht des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 II. Zur funktionalen Systemeigenschaft des aktienrechtlichen Kommunikationswesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 III. Zum Informationsprivileg der öffentlichen Hand nach §§ 394, 395 AktG . . . . . . . 282 F. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
Abkürzungsverzeichnis Mit Ausnahme allgemeinverständlicher Abkürzungen der Umgangssprache a. F. abgedr abgk AcP ADHGB AfP AG ALR AöR Art. AuR BaWü BayGO BB Bd. Begr Begr RegE BeschlussEmpf des RechtsA Bespr BGH BHO BOARD BT-Drucks BVerfG BWGO CB CCZ CSR DB DCGK dies. DÖV DrittelbG DStR DVBl EU EWiR FIW
alte Fassung abgedruckt abgekürzt Archiv für die civilistische Praxis Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch Zeitschrift für das gesamte Medienrecht Die Aktiengesellschaft Allgemeines Preußisches Landrecht Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Arbeit und Recht Baden-Württemberg Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern Betriebs-Berater Band Begründung Begründung des Regierungsentwurfs Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses Entscheidungsbesprechung Bundesgerichtshof Bundeshaushaltsordnung Zeitschrift für Aufsichtsräte in Deutschland Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Gemeindeordnung für Baden-Württemberg Compliance Berater Corporate Compliance Zeitschrift Corporate Social Responsibility Der Betrieb Deutscher Corporate Governance Kodex Dieselben Die Öffentliche Verwaltung Drittelbeteiligungsgesetz Wochenschrift für Steuerrecht, Gesellschaftsrecht und Betriebswirtschaft Deutsches Verwaltungsblatt Europäische Union Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Forschungsinstitut für Wirtschaftsverfassung und Wettbewerb e.V.
16 Fn. FS GesellschR GG ggü. GmbHR GO GO NRW GRUR GRUR-Praxis GS GWR Hdb HGrG hrsg. i. S. d. i. V. m. InsO JA JuS JW JZ KonTraG KWI K&R LG LSAKVG m. V. a. m. w. N. MDR MitbestErgG MitbestG Mm MMVO MontanMitbestG n. F. NJW NKomVG NRW NVwZ NZG NZWiSt OLG RAG RdA RegE
Abkürzungsverzeichnis Fußnote Festschrift Gesellschaftsrecht Grundgesetz gegenüber GmbH Rundschau Geschäftsordnung Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht – Praxis im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht Gedenkschrift Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht Handbuch Haushaltsgrundsätzegesetz Herausgegeben im Sinne des/der in Verbindung mit Insolvenzordnung Juristische Arbeitsblätter Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich Kommunalwissenschaftliches Institut der Universität Potsdam Kommunikation und Recht Landgericht Kommunalverfassungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt mit Verweis auf mit weiteren Nachweisen Monatsschrift für Deutsches Recht Mitbestimmungs-Ergänzungsgesetz Mitbestimmungsgesetz Mindermeinung Marktmissbrauchsverordnung Montan-Mitbestimmungsgesetz neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht Oberlandesgericht Reichsarbeitsgericht Recht der Arbeit Regierungsentwurf
Abkürzungsverzeichnis RG RhPfGemO RiLi RLP Rn. SaarlKSVG ThürKO TransPuG TRIPS Urt. UWG v. VerwArch vgl. WM WpHG WRP WWI-Mitteilungen ZGR ZgS ZHR ZIP ZIS ZJS ZNR ZögU ZRP ZVglRWiss
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Reichsgericht Rheinland-pfälzische Gemeindeordnung Richtlinie Rheinland-Pfalz Randnummer Saarländisches Kommunalselbstverwaltungsgesetz Thüringer Gemeinde- und Landkreisordnung (Thüringer Kommunalordnung) Transparenz- und Publizitätsgesetz Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums Urteil Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom Verwaltungsarchiv vergleiche Wertpapier Mitteilungen – Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht Gesetz über den Wertpapierhandel Wettbewerb in Recht und Praxis WWI-Mitteilungen: Zeitschrift des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Gewerkschaften Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht undWirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für internationale Strafrechtsdogmatik Zeitschrift für das juristische Studium Zeitschrift für neue Rechtsgeschichte Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft
A. Einführung Wissen ist Macht1 – ungeachtet des Zuordnungssubjekts. Wissen kann als die Summe aller gesammelten, auf eigener Erfahrung oder Vermittlung beruhenden Informationen definiert werden. Die Weitergabe von Informationen führt im Umkehrschluss immer auch zur Weitergabe von Macht. Für die Nutzung des (Macht-) Potenzials von Informationen ist in erster Linie die (Er-)Kenntnis seiner Existenz erforderlich. Die Berechtigung zur Verwendung von Informationen ist insoweit entbehrlich, weshalb die Herkunft einer Information hinsichtlich ihrer Verwertbarkeit ohne Belang ist. Die sämtlichen Informationen inhärente Gefahr ihrer missbräuchlichen Verwendung lässt sich daher in keiner anderen Weise wirksamer einschränken als durch die Begrenzung des Kreises der Informationsempfänger. Steht die Weitergabe von Informationen nicht exklusiv in der Willkür des Trägers von Geheimhaltungsinteressen und bedingt etwa eine Auskunftspflicht die Informationsweitergabe, ist zur Vermeidung des unkontrollierten Geheimnisverlustes eine Pflicht zur Vertraulichkeit der Informationsempfänger unerlässlich, zu derer Wirksamkeit eine Strafandrohung für Verstöße unabdingbar ist.2 Sind die berechtigten Informationsempfänger ihrerseits zur Informationsweitergabe an Dritte verpflichtet, offenbart sich eine Konfliktsituation zwischen Geheimhaltungs- und Informationsinteressen. Ebendieser Situation sehen sich Aufsichtsratsmitglieder ausgesetzt, die von einer Gebietskörperschaft in das Überwachungsorgan eines privatrechtlich organisierten öffentlichen Unternehmens3 entsandt oder gewählt werden. Zur Erfüllung ihrer 1 Aphorismus, der auf den englischen Philosophen Francis Bacon (1561 – 1626) zurückgeführt wird und als Redewendung Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch gefunden hat; vgl. Meyers Großes Konversations-Lexikon Bd. 11, 6. Auflage 1907, S. 194, Knowledge is power. 2 Schon Feuerbach legt seinen Ausführungen zum psychologischen Zwang im Rahmen der Begründung der Theorie der Generalprävention den Gedanken des Erfordernisses einer Strafandrohung für die Wirksamkeit einer auferlegten Verhaltenspflicht zu Grunde; s. Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts, 1801, S. 15 ff. Demselben Grundgedanken folgend und das Konzept der praktischen Rationalität vertiefend vgl. auch Karamagiolis, Die Struktur eines folgenorientierten Schuldprinzips, 2002. 3 Terminologisch wird die privatrechtlich organisierte Verwaltungsform unterschiedlich als „Verwaltungstrabant“, „Verwaltungsgesellschaft“, „öffentliche Kapitalgesellschaft“, „Tochtergesellschaft“, seltener als „Quago“ (quasi-governmental organization) oder „Quango“ (quasi-non governmental organization) bezeichnet, Stober, Die privatrechtlich organisierte öffentliche Verwaltung, NJW 1984, 449 (450) m. w. N. Nach moderner Terminologie ist allgemein von „öffentlichen Unternehmen“ oder im Fall der Gemeinschaftsunternehmen von öffentlichen und privaten Gesellschaftern von „public private partnerships“ bzw. „private public partnerships“ die Rede, vgl. Bauer, Verwaltungskooperation, KWI 2008, 9 (9 f.); Bös/
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A. Einführung
gesellschaftsrechtlichen Überwachungsaufgabe erhalten sie umfassenden Zugang zu vertraulichen und geheimen Informationen, über die sie kraft ihrer organschaftlichen Bestellung zur Verschwiegenheit verpflichtet sind. Zur Erfüllung ihrer Aufgabe als Repräsentanten der sie entsendenden oder wählenden Gebietskörperschaft soll die Schweigepflicht in diesem Verhältnis nach der Sonderbestimmung des § 394 S. 1 AktG aussetzen. Ob die Bestimmungen zum Schutz von Gesellschaftsgeheimnissen einerseits und zur Berichterstattung an eine beteiligte Gebietskörperschaft andererseits reibungslos ineinandergreifen oder das Aufsichtsratsmitglied sinnbildlich zwischen die Stühle stellen und in eine Pflichtenkollision lenken, ist Gegenstand dieser Untersuchung.
I. Gegenstand der Untersuchung Nach der aktienrechtlichen Kompetenzsystematik bestimmt grundsätzlich allein der Vorstand als „Herr über die Gesellschaftsgeheimnisse“4 die Informationspolitik der Gesellschaft und damit insbesondere über die Weitergabe vertraulicher Gesellschaftsinformationen nach außen. Etwas anderes gilt für sog. öffentliche Unternehmen5, die von der öffentlichen Hand in der Rechtsform der Aktiengesellschaft oder der Gesellschaft mit beschränkter Haftung zur Erledigung vielfältiger Aufgaben der Daseinsfürsorge betrieben werden.6 Schneider, Private public partnership, ZGR 1996, 519 (519); Habersack, Private public partnership, ZGR 1996, 544 (544). In dieser Untersuchung wird einheitlich vom öffentlichen Unternehmen die Rede sein. 4 BGH, Urt. v. 05. 06. 1975 – II ZR 156/73, NJW 1975, 1412 (1413); BGH, Beschl. v. 14. 01. 2014 – II ZB 5/12, NZG 2014, 423 (429); BGH, Urt. v. 26. 04. 2016 – XI ZR 108/15, NZG 2016, 910 (912). 5 Der Rechtsbegriff des öffentlichen Unternehmens wird unterschiedlich definiert, vgl. hierzu Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 5. Aufl. 2020, § 7 Rn. 2 ff. Für die Zwecke dieser Untersuchung wird fortan das Begriffsverständnis aus Art. 2 lit. b RiLi 2006/111/EG (Transparenz-Richtlinie) übernommen, wonach „jedes Unternehmen, auf das die öffentliche Hand aufgrund Eigentums, finanzieller Beteiligung, Satzung oder sonstigen Bestimmungen, die die Tätigkeit des Unternehmens regeln, unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann“ als öffentliches Unternehmen zu verstehen ist. Dazu gehören Unternehmen in alleiniger Trägerschaft einer Gebietskörperschaft sowie öffentlich beherrschte Unternehmen unabhängig ihrer Rechtsform, von denen in dieser Untersuchung lediglich die Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung Beachtung finden, vgl. hierzu sowie weitere Definitionsansätze zusammenfassend Huber/Fröhlich, in: Hopt/Wiedemann, AktG Großkomm, 4. Aufl. 2014, Vor §§ 394, 395, Rn. 4. 6 Typische Betätigungsfelder privatrechtlich organisierter Unternehmen unter Beteiligung der öffentlichen Hand betreffen den Infrastrukturausbau, darunter die Wasser- und Energieversorgung, die Abfallentsorgung sowie die städtebauliche Entwicklung, den Betrieb von Kultur-, Sport-, Freizeit- und Sozialeinrichtungen sowie Einrichtungen zur Förderung der Wirtschaft und der überregionalen Integration der Märkte, vgl. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 18 ff.
I. Gegenstand der Untersuchung
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Über die Sondervorschriften der §§ 394, 395 AktG wird die aktienrechtliche Schweigepflicht für Aufsichtsratsmitglieder, die von einer Gebietskörperschaft (Bund, Bundesland, Gemeindeverband oder Gemeinde) gewählt oder in das Überwachungsorgan entsandt wurden, im Rahmen einer bestehenden Berichtspflicht begrenzt. Die Pflicht zur Berichterstattung kann sich aus einer Satzungsregelung, aufgrund Gesetzes oder Rechtsgeschäfts ergeben, vgl. § 394 S. 3 AktG. Berichterstattungspflichtige Aufsichtsratsmitglieder fungieren als Informationsmittler der beteiligten Gebietskörperschaft, die ihrerseits insbesondere zur wirtschaftlichen und haushaltsrechtlichen Kontrolle des öffentlichen Unternehmens verpflichtet und daher auf eine möglichst umfassende Informationslage angewiesen sind. Die Repräsentanten der Gebietskörperschaft im Aufsichtsrat eines öffentlichen Unternehmens sind Mitglieder des „Innenorgans“ und entgegen dem gesetzlichen Normalfall zugleich Informationsinstrument der privilegierten Gesellschafterin. Dem steht die Bedeutung der Aufsichtsverschwiegenheit für die Gesellschaft gegenüber. Sie erwächst aus der Funktion des Kollegialorgans Aufsichtsrat im gesellschaftsrechtlichen Verwaltungssystem und den zur Erfüllung seiner Aufgaben eingeräumten (Informations-)Rechten. Neben der Personalkompetenz stellt die Überwachung der Geschäftsführung die wesentliche Funktion des Aufsichtsrats dar, zu deren Zweck ihm das Gesetz neben den Informationsrechten nach § 90 AktG insbesondere Einsichts- und Prüfungsrechte nach § 111 Abs. 2 AktG zuspricht.7 Der Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft wird fortlaufend, d. h. mindestens vierteljährlich, über den Gang der Geschäfte in Kenntnis gesetzt und insbesondere über den Umsatz und die Lage der Gesellschaft informiert, § 90 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 3 AktG. In den gesetzlichen Regelungen über die Informationsversorgung des Aufsichtsrats und in Ansehung seines gesetzlichen Aufgabenprofils – primär die Kontrolle und Überwachung der Gesellschaftsleitung – erkennt die ganz überwiegende Ansicht weitergehend die Begründung der Pflicht des Aufsichtsrats zur Informationsbeschaffung.8 Damit kann sich ein Aufsichtsrat, welcher nicht ausreichend vom Vorstand informiert wird, mit dem schlichten Hinweis auf den Verstoß des Vorstands gegen die Informationspflichten aus § 90 AktG nicht von der eigenen Verantwortlichkeit zur Überwachung
7 Zum wachsenden Pflichtenkatalog des Aufsichtsrats und seiner Teilhabe an der Geschäftsführung Habersack, Der Aufsichtsrat zwischen Geschäftsführungsverbot und Überwachungsaufgabe, NZG 2020, 881 (882 ff.); konzise Aufzählung bei Henze, Leitungsverantwortung des Vorstands, BB 2000, 209 (213). 8 Vgl. Kropff, Informationsbeschaffungspflichten des Aufsichtsrats, in: FS Raiser, 2005, S. 225 (231 ff.); Hoffmann-Becking, in: Münch Hdb GesR Bd. 4, 5. Aufl. 2020, § 33 Rn. 79; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Auflage 2006, Rn. 383, spricht von Pflichtrechten; Lutter/Krieger/Verse, in: Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 7. Aufl. 2020, § 3 Rn. 92 ff. zur Kontrolldichte in Abhängigkeit der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft. Dementsprechend stellt auch die Regierungskommission im Corporate Governance Kodex fest, dass der Aufsichtsrat seinerseits sicherzustellen hat, dass er angemessen informiert wird, DCGK vom 07. 02. 2017, Ziff. 3.4.
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A. Einführung
der Geschäftsleitung freizeichnen, sofern er nicht selbst Anstrengungen unternommen hat, um die erforderlichen Informationen zu erhalten. Mit den weitreichenden Informationsbeschaffungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats gehen Gefahren wirtschaftlicher Nachteile für die Gesellschaft einher, deren Konkretisierung in der Veröffentlichung oder Weitergabe gesellschaftsbezogener und geheimhaltungsbedürftiger Inhalte an gesellschaftsfremde Dritte (bspw. Medien, Konkurrenten, Wirtschaftsanalysten, politische Parteien, Organisationen oder Belegschaften) liegen kann. Diametral zur Notwendigkeit der Weitergabe von Gesellschaftsinformationen an den Aufsichtsrat durch die Geschäftsleitung liegt das allgemeine Interesse der Gesellschaft am Erhalt von Wettbewerbsvorteilen, die unter anderem auf der Grundlage überlegenen Wissens gegenüber Mitbewerbern oder der Allgemeinheit beruhen. Damit liegt ein besonderes Augenmerk einer jeden gewinnorientierten Unternehmung auf der Verhinderung einer nicht autorisierten Verbreitung von geheimhaltungsbedürftigen Informationen, mithin an der Begrenzung des Kreises der Informationsempfänger geheimhaltungsbedürftiger Gesellschaftsinformationen auf das gesetzlich vorgeschriebene und betriebswirtschaftlich notwendige Mindestmaß; konkret auf den Vorstand, den Aufsichtsrat und ausgewählte Berater. Diese abstrakten Erwägungen veranschaulichen den vordergründigen Zweck der für Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft in §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 3 AktG statuierten und nach § 116 S. 2 AktG konkretisierten Verschwiegenheitspflicht, die vorbehaltlich einer abweichenden Satzungsregelung gem. § 52 Abs. 1 GmbHG auch den Aufsichtsrat einer Gesellschaft mbH verpflichtet. Im Grundsatz steht die Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder ausweislich des Verweises nach § 116 S. 1 AktG derjenigen für Vorstandsmitglieder der Aktiengesellschaft aus § 93 Abs. 1 S. 3 AktG gleich.9 Im Unterschied zur Tätigkeit als Vorstandsmitglied wird das Aufsichtsratsmandat nach dem Aktiengesetz als Nebenamt behandelt, und auch in der Praxis ist das Tragen einer Mehrzahl von Aufsichtsratsmandaten in verschiedenen Gesellschaften nicht selten.10 Die Übernahme eines oder mehrerer Aufsichtsratsmandate schließt ferner die Möglichkeit nicht aus, zeitgleich als Vorstandsmitglied die Geschicke einer weiteren Gesellschaft zu führen, wodurch sich der Mandatsträger in ein eng verflochtenes Pflichtennetz begibt. Schon damit und ungeachtet einer etwaigen Berichtspflicht gegenüber einer Gebietskörperschaft offenbart sich das in der Person des Aufsichtsmandatars liegende Gefahrenpotenzial für die Gesellschaft und dies erklärt, weshalb gerade
9 Hopt/Roth, in: Hirte/Mülbert/Roth, Großkomm AktG Bd. 5, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 190; Schenk, v., in: Semler/Schenk, v., Der Aufsichtsrat, 1. Auflage 2015, § 116 Rn. 411. 10 Hopt/Roth, in: Hirte/Mülbert/Roth, Großkomm AktG, Bd. 5, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 142 f.; Priester, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, ZIP 2011, 2081 (2082); Bachmann, in: Kremer/Bachmann/Lutter/Werder, v., DCGK, 8. Auflage 2021, Teil 3, G19 Rn. 23; Bank, Die Verschwiegenheitspflicht von Organmitgliedern in Fällen multipler Organmitgliedschaften, NZG 2013, 801 (805).
I. Gegenstand der Untersuchung
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Mitglieder des Überwachungsorgans in das Zentrum der Aufmerksamkeit rücken, sobald Fragen zur Geheimnisintegrität und Verschwiegenheitspflicht aufkommen. Ungeachtet persönlicher Interessen des Aufsichtsratsmitglieds, die der Pflicht zur Wahrung des Gesellschaftsinteresses zuwiderlaufen und dadurch Interessenkonflikte begründen, führen Mehrfachverpflichtungen naturgemäß zu Pflichtenkollisionen. Aus jeder organschaftlich oder rechtsgeschäftlich begründeten Bindung folgt zwingend die Pflicht zur Wahrung der jeweiligen Interessen. Im Fall des öffentlichen Unternehmens tritt dem Geheimhaltungsinteresse der Gesellschaft das Informationsverlangen der Gebietskörperschaft entgegen. Die Vorteile einer privatrechtlich organisierten Aufgabenverwaltung für die öffentliche Hand sind vielfältig und beschränken sich nicht auf die in § 1 Abs. 1 S. 2 AktG für die Aktiengesellschaft, bzw. in § 13 Abs. 2 GmbHG für die Gesellschaft mbH bestimmte Haftungsbegrenzung. Als nützlich erweisen sich insbesondere Lockerungen in den Bereichen des Vergaberechts und der Personalwirtschaft, gerade auch hinsichtlich größerer Freiheiten in den Besoldungs- und Vergütungsstrukturen11.12 Demgemäß zeichnen sich beständig zunehmende Privatisierungstendenzen auf allen Ebenen der Verwaltungsgliederung ab.13 Funktional betrachtet ist die unternehmerische Betätigung der öffentlichen Hand ein Modus staatlicher Aufgabenverwirklichung.14 Das wirtschaftliche Staatshandeln ist mithin an eine effektive haushaltsrechtliche Kontrolle und weitere verfassungsrechtliche Vorgaben gebunden, die das Informationsbedürfnis repräsentieren und durch das Informationsprivileg der §§ 394, 395 AktG Eingang in das Gesellschaftsrecht finden.15 Für den zur Verschwiegenheit und Berichterstattung verpflichteten Organwalter ergibt sich auf den ersten Blick eine unvereinbar wirkende Pflichtenkonstellation. 11
Wimmer-Leonhardt, Weisungsrechte gegenüber kommunalen Aufsichtsratsmitgliedern, in: FS Martinek, 2020, 885 (885 f.), verweist im Zuge dessen auf den Wettbewerb um hochqualifiziertes Spitzenpersonal. 12 Vgl. zu den Vorteilen der privatrechtlichen Organisation staatlicher Aufgaben am Beispiel kommunaler Gesellschaften mbH Altmeppen, Die Einflussrechte der Gemeindeorgane in einer kommunalen GmbH, NJW 2003, 2561 (2562). 13 Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) veröffentlicht jährlich eine Statistik mit der konkreten Anzahl kommunaler Unternehmen, die nach Rechtsformen aufgegliedert werden. Für das Jahr 2021 wurden insg. 1.518 Eigenbetriebe (328), Zweckverbände sowie Wasserund Bodenverbände (139), Anstalten des öffentlichen Rechts (104), Aktiengesellschaften (54) und Gesellschaften mbH (705) sowie sonstige Gesellschaften (68) und öffentliche Organisationsformen (120) gezählt, vgl. VKU, Zahlen, Daten, Fakten, 2022, S. 7. Über die Beteiligungen der Länder und des Bundes informieren die entsprechenden jährlichen Beteiligungsberichte, die im Internet abrufbar sind. Die größten Aktiengesellschaften unter Beteiligung des Bundes sind die Telekom, RWE, VW und die Deutsche Bahn, s. Schmolke, Vertreter von Gebietskörperschaften im Aufsichtsrat zwischen Verschwiegenheits- und Berichtspflicht, WM 2018, 1913 (1913) m. w. N. 14 Wollenschläger, in: Kirchhof/Korte/Magen, Öffentliches Wettbewerbsrecht, 2014, § 6 Rn. 7. 15 Vgl. hierzu sogleich mehr unter C.I.
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A. Einführung
Einerseits verlangt die organschaftliche Gesellschaftszugehörigkeit nach der unbedingten Berücksichtigung der Gesellschaftsinteressen. Auf der anderen Seite nimmt die Gebietskörperschaft das von ihr gewählte oder entsandte Aufsichtsratsmitglied zur Informationsweitergabe in die Pflicht.16 Dabei stellt sich die aus Sicht des Aufsichtsratsmitglieds haftungs- und strafrechtlich relevante Frage nach dem Umfang und der Reichweite der gesellschaftsrechtlichen Schweigepflicht in Ansehung von Umfang und Reichweite der Berichterstattungspflicht. Verstöße gegen die aktienrechtliche Schweigepflicht können gleich dreifach sanktioniert werden. Es drohen eine zivilrechtliche Inanspruchnahme für verursachte Schäden der Gesellschaft, strafrechtliche Konsequenzen und daneben auch gesellschaftsrechtliche Sanktionsmöglichkeiten. Die rechtswidrige Geheimnisoffenbarung oder -weitergabe löst haftungsrechtliche Schadensersatzansprüche nach §§ 93 Abs. 1 S. 3, 116 S. 1 AktG aus, wobei den Organwalter obendrein eine sekundäre Darlegungslast trifft. Soweit die Gesellschaft einen Schadenseintritt nachweisen kann, der zumindest möglicherweise auf ein pflichtwidriges Verhalten des Aufsichtsmandatars zurückgeht, trägt der Anspruchsgegner die Last, den Nachweis über die Einhaltung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsmandatars zu erbringen.17 Der Umfang der Darlegungs- und Beweislastumkehr umfasst neben der Frage nach dem Verschulden auch den objektiven Pflichtwidrigkeitsvorwurf.18 Die Offenbarung von Geheimnissen durch ein Mitglied des Aufsichtsrats stellt zudem § 404 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 AktG unter die Androhung einer Geld- oder Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr, bzw. im Falle der börsennotierten Gesellschaft von bis zu zwei Jahren. Ein Vertraulichkeitsbruch in Eigen- oder Drittbereicherungsabsicht sowie die unbefugte Verwertung von Gesellschaftsgeheimnissen wird mit Geld- oder Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren, bei börsennotierten Gesellschaften nach § 404 Abs. 2 AktG mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren sanktioniert. Infolge eines Vertraulichkeitsbruchs steht der Gesellschaft zudem nach § 103 Abs. 3 AktG die Möglichkeit offen, das pflichtwidrig handelnde Organmitglied aus wichtigem Grund abzuberufen, soweit ein Verbleib des fehlbaren Mandatars im Aufsichtsrat nicht zumutbar ist.19 16 Ob das zweiseitig verpflichtete Aufsichtsratsmitglied eines öffentlichen Unternehmens selbst auch die Inhaberschaft eines durch demokratische Wahlen legitimierten Mandats trägt (auf kommunaler Ebene etwa Mitglieder eines Gemeinde- oder Stadtrats) oder auf Veranlassung der Gebietskörperschaft als externe Fachexpertise ohne politisches Mandat in den Aufsichtsrat beordert wird, nimmt auf die gesellschaftsrechtlich zu würdigende Pflichtenkonstellation aus aktienrechtlicher Schweigepflicht und Berichterstattungspflicht (die auch rechtsgeschäftlich oder satzungsrechtlich begründet werden kann) keinen Einfluss. 17 Äquivalent zur Haftung des GmbH-Geschäftsführers und des Vorstands einer AktG, vgl. dazu BGH, Urt. v. 04. 11. 2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, DStR 2003, 123 (126). 18 OLG Düsseldorf, Urt. v. 24. 03. 2011 – 6 U 18/10, BeckRS 2012, 8418. 19 OLG Stuttgart, Beschl. vom 7. 11. 2006 – 8 W 388 / 06 (Carl Zeiss) NZG 2007, 72 (73 f.), wonach es insbesondere keiner vorherigen Abmahnung bedarf; a. A. Säcker, Aktuelle Probleme der Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder, NJW 1986, 803 (809 ff.).
I. Gegenstand der Untersuchung
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Das berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglied treiben in Ansehung der drohenden Konsequenzen bei Zuwiderhandlungen gegen die aktienrechtliche Schweigepflicht eigene Interessen an, im Falle der Pflichtenkollision pflichtgerecht zu handeln. Zur Pflichtenkollision kommt es, wenn im Einzelfall Informationen, die von der organschaftlichen Schweigepflicht umfasst sind, Gegenstand des Berichts an die Gebietskörperschaft werden sollen und sich das Aufsichtsratsmitglied inkongruenten Handlungspflichten ausgesetzt sieht. Greifbar wird die Konfliktlage des berichterstattungspflichtigen Aufsichtsratsmitglieds, wenn die Gebietskörperschaft (z. B. der Gemeinderat) etwa Informationen über das öffentliche Unternehmen betreffs eines geplanten Übernahmeprojekts in der Verhandlungsphase erfragt, das sodann im Rahmen einer öffentlichen Sitzung zur Diskussion gestellt werden soll. Einer Informationsweitergabe stünde das Geheimhaltungsinteresse der betroffenen Kapitalgesellschaft entgegen, soweit das Bekanntwerden der Pläne die Position der Gesellschaft in laufenden Verhandlungen schwächt. Demgegenüber hat die beteiligte Gebietskörperschaft die jederzeitige haushaltsrechtliche Kontrolle und die Steuerungshoheit über die Beteiligungsgesellschaft zu gewährleisten, insbesondere bei bedeutsamen Entwicklungen und anstehenden Entscheidungen mit Tragweite.20 Die Kollision von Schweige- und Auskunftspflichten kann ihren Wirkungskreis auch auf Interessen sonstiger Dritter, d. h. Nichtgesellschafter, die selbst keine Adressaten von Aufsichtsratsberichten sind, ausweiten. Das ist etwa in solchen Fällen denkbar, in denen ein Stadtratsmitglied ein eigenes wirtschaftliches oder politisches Interesse am Erfolg eines mit dem öffentlich beherrschten Unternehmen konkurrierenden Unternehmens nicht abstreiten kann und durch die Berichterstattung des Repräsentanten der Gebietskörperschaft Kenntnis von Gesellschaftsgeheimnissen erlangt. Damit definiert sich die betroffene Interessenmenge auch über die Interessen privater Gläubiger des öffentlich beeinflussten Unternehmens sowie ggf. über die Interessen von privaten Mitgesellschaftern, die in den Diskussionen im Zusammenhang mit dem Informationsprivileg der öffentlichen Hand angeführt werden. Die besondere Pflichtenkonstellation des berichterstattungs- und schweigepflichtigen Mitglieds des Aufsichtsrats eines öffentlichen Unternehmens offenbart eine Matrix aus mitunter gegenläufigen Interessen (erstens) der Gesellschaft, an der Integrität vertraulicher Informationen, dem gegenüber (zweitens) dem Interesse der Gebietskörperschaft an einer umfangreichen Information zur Aufrechterhaltung der haushaltsrechtlichen Kontrolle sowie des Steuerungsvorbehalts, (drittens) dem dazwischen liegenden Interesse des Aufsichtsratsmitglieds an rechtmäßigem und beidseitig pflichtgemäßem Verhalten und gegebenenfalls (viertens) den Interessen von privaten Mitgesellschaftern und Gläubigern der Gesellschaft. Die Fragen, mit welchen Mitteln das Gesellschaftsrecht die pluralistische Interessenlage in Aus20 Das folgt im Kern aus Art. 20 Abs. 1 u. 2, 28 Abs. 1 GG, vgl. BverfG, Urt. v. 07. 11. 2017 – 2 BvE 2/11, BVerfGE 147, 50 = NVwZ 2018, 51 Rn. 221; zur Bedeutung des Funktionsvorbehalts aus Art. 33 Abs. 4 GG in diesem Kontext Huber/Fröhlich, in: Hopt/Wiedemann, AktG Großkomm, 4. Aufl. 2014, Vor §§ 394, 395 Rn. 20.
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A. Einführung
gleich bringt und welche Position dem berichtspflichtigen Aufsichtsratsmitglied zugeschrieben wird, verleihen dieser Untersuchung den übergeordneten Rahmen.
II. Ziele und Gang der Untersuchung Dieser Beitrag ist als Vorschlag zur konsistenten Lösung von Zielkonflikten zu verstehen, denen sich berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglieder öffentlicher Unternehmen im Zusammenhang mit der aktienrechtlichen Schweigepflicht ausgesetzt sehen. Zu diesem Zweck wird der Betrachtungswinkel der Untersuchung wiederkehrend auf das einzelne Mitglied des Überwachungsorgans eines öffentlichen Unternehmens gerichtet und dessen rechtliche Handhabe zur Weitergabe geschützter Gesellschaftsinformationen an eine beteiligte Gebietskörperschaft untersucht. Die Untersuchungserkenntnisse sollen zuletzt einen Rückschluss auf die übergeordnete Frage erlauben, ob das berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglied im Zentrum der Anziehungskraft zweier Rechtswelten mit ungleicher Umlaufbahn schwebt oder einem linearen Pflichtenprogramm auf dem Boden eines einheitlichen Regimes folgt.21 Die §§ 394, 395 AktG stehen in einem Regel-Ausnahmeprinzip zur aktienrechtlichen Schweigepflicht des Aufsichtsrats aus §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 3 AktG. Die Untersuchung des Informationsprivilegs der öffentlichen Hand kann daher nur auf der Grundlage eines umfassenden Bildes von der Schweigepflicht erfolgen. Dementsprechend ist der Hauptteil dieser Untersuchung zweigeteilt. Im ersten Teil wird ein umfassendes Verständnis von der aktienrechtlichen Schweigepflicht erarbeitet. Zu Beginn wird anhand der historischen Entwicklung des Aufsichtsrats als Gesellschafter-, bzw. später als Gesellschaftsorgan die Bedeutung der Schweigepflicht für das aktienrechtliche Verwaltungssystem untersucht. Die anschließende dogmatische Verortung der Schweigepflicht verdeutlicht die oppositionelle Pflichtenlage des berichtspflichtigen Aufsichtsratsmitglieds und weist die Wirkungsmacht der organschaftlichen Bindung aus, auf die im weiteren Verlauf dieses Beitrags immer wieder Bezug genommen wird. Die Abgrenzung der aktienrechtlichen Schweigepflicht zu weiteren Mitteilungsverboten schließt die abstrakte Wesensbestimmung mit einer Paralleluntersuchung des europarechtlich vorgezeichneten Vertraulichkeitsschutzes nach dem Geschäftsgeheimnisgesetz ab. Die Erkenntnisse dieser Grundlagenuntersuchung sollen Aufschluss darüber geben, ob die aktienrechtliche Schweigepflicht des Aufsichtsrats elementarer Baustein eines von äußeren Einflüssen unbeeindruckten und in sich widerspruchsfreien Kommunikationssystems der Aktiengesellschaft ist, welches sich im Fall der Errichtung eines funktionsgleichen Überwachungsorgans grundsätzlich auch die Ge21 In Anlehnung an Wimmer-Leonhardt, Weisungsrechte gegenüber kommunalen Aufsichtsratsmitgliedern, in: FS Martinek, 2020, 885 (885), die den Kampf der Systeme als „Zusammentreffen zweier Rechtswelten“ beschreibt.
II. Ziele und Gang der Untersuchung
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sellschaft mbH zu eigen macht. Auf Abweichungen und Besonderheiten für Aufsichtsratsmitglieder einer Gesellschaft mbH wird im Einzelnen einzugehen sein. Im zweiten Abschnitt des ersten Hauptteils werden die Möglichkeiten und Grenzen einer Informationsweitergabe durch den Aufsichtsrat an die Gebietskörperschaft-Gesellschafterin untersucht, die aus dem Tatbestand der aktienrechtlichen Schweigepflicht selbst resultieren. Dabei wird ein Schwerpunkt auf die Diskussionen zum Gehalt und der Bedeutung vergeistigter Leitkonzepte für das Aufsichtsratshandeln allgemein sowie im Hinblick auf den Vertraulichkeitsschutz gelegt. Die anschließende Untersuchung konzernrechtlich veranlagter Kommunikationswege komplettiert das Bild von der Wirkungsweise und dem Regelungsgehalt der aktienrechtlichen Schweigepflicht. Der zweite Hauptteil dieser Arbeit ist dem Regelungskonzept der §§ 394, 395 AktG gewidmet. Eine Kurzdarstellung der verfassungsrechtlichen Bindungen staatlichen Handelns in privatrechtlicher Organisationsform führt in den Streitstand zum Einfluss der Grundrechtsverpflichtung staatlicher Gesellschafter auf das verfasste Gesellschaftsrecht ein. Die gesammelten Erkenntnisse fließen sodann in die Untersuchung des Regelungsgehalts der §§ 394, 395 AktG ein. Ob berichterstattungspflichtige Aufsichtsratsmitglieder de lege lata einer Pflichtenkollision ausgesetzt sind, soll abschließend unter Würdigung der Erkenntnisse über das Wesen des Aufsichtsratsamtes im Rahmen einer aktienrechtsautonomen Neubewertung der umstrittenen Anwendungsvoraussetzungen des § 394 S. 1 AktG untersucht werden. Dabei wird ein Schwerpunkt auf die Untersuchung der Gruppe tauglicher Berichtsempfänger aufseiten der Gebietskörperschaft gelegt. Damit ist zugleich ein Vorschlag zur Lösung von Konflikten zwischen den öffentlich-rechtlichen Bindungen staatlicher Gesellschafter und den gesellschaftsrechtlichen Verhältnissen verbunden.
B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder Staatliche Gesellschafter bringen ein gesteigertes Informationsbedürfnis in die Gesellschaft ein und erklären ausgewählte Mitglieder des Überwachungsorgans zum Instrument der Informationsbeschaffung. Dem steht zunächst das aktienrechtliche Kommunikationsverbot aus §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 3 AktG entgegen, wonach Aufsichtsratsmitglieder über vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft Stillschweigen zu bewahren haben. Unter welchen Umständen der gesellschaftsrechtliche Geheimnisschutz dem Anliegen der Gebietskörperschaft außerhalb des Sonderinformationsprivilegs der §§ 394, 395 AktG nicht entgegensteht, richtet sich nach Umfang und Reichweite der organschaftlichen Schweigepflicht, deren Position im aktienrechtlichen Kommunikationswesen die nachfolgend skizzierten Wesensmerkmale bestimmen.
I. Wesensmerkmale Welchen Regelungsgehalt die aktienrechtlichen Bestimmungen zum Geheimnisschutz innehaben folgt aus den Zwecken der Schweigepflicht, die weit über den Schutz der Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats hinausgehen und der Bedeutung der Geheimnisintegrität für den Ausgleich systemimmanenter Spannungen in der aktienrechtlichen Verwaltungsstruktur folgen.
1. Die Bedeutung und Schutzzwecke von Vertraulichkeitsregeln im Aktien- und GmbH-Recht Die Bedeutung der organschaftlichen Verschwiegenheitspflicht für die Gesellschaft offenbart sich bei einer Untersuchung ihrer Schutzzwecke. Diese lassen sich nach der Herkunft der Gesellschaftsinformation bestimmen. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll durch die Vertraulichkeitsregeln nicht weniger als die Funktionsfähigkeit des deutschen Aufsichtsratssystems in seiner Gesamtheit sichergestellt werden.1 Hiervon ist der Schutz der Vertraulichkeit der Informationspolitik des Vorstands und die Integrität des Beratungsgeheimnisses umfasst. Die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsräte verbietet damit die Weitergabe 1
Begr. RegE v. 11. 04. 2002, BT-Drucks. 14/8769, S. 18.
I. Wesensmerkmale
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jener geheimhaltungsbedürftigen Gesellschaftsinformationen, die der Sphäre des Vorstands entspringen und ebenjene mit Ursprung in der Sphäre des Aufsichtsrats selbst. Gerade in Ansehung der besonderen Stellung der Aufsichtsratsmitglieder in der Kapitalgesellschaft, welche in aller Regel ehrenamtlich tätig, parallel hierzu anderweitig beschäftigt und nicht selten auch Organmitglied einer weiteren Gesellschaft sind (sog. multiple Organmitgliedschaften)2, offenbart sich die Bedeutung lückenloser Vertraulichkeit der Organmitglieder als existenziell für eine jede Gesellschaft. Häufig bestimmt gerade Sonderwissen, sei es in Bezug auf exklusive Marktkenntnisse oder technisches Knowhow, über Erfolg und Misserfolg einer wirtschaftlichen Unternehmung im ständigen Kräftemessen mit Marktkonkurrenten. Die Entscheidung zur Weitergabe von geheimhaltungsbedürftigen Gesellschaftsinformationen fällt nach der Konzeption des Gesetzes als Teil der Geschäftsführungsaufgabe ausschließlich in die Zuständigkeit des Geschäftsleitungsorgans, welches die Informationshoheit trägt, mithin exklusiv über die – interne sowie externe – Weitergabe von Gesellschaftsgeheimnissen zu entscheiden hat.3 a) Vertraulichkeit der Informationspolitik des Vorstands Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder wird zutreffend als ein den Gesellschaftsinteressen dienendes notwendiges Gegengewicht zu den umfassenden Rechten des Aufsichtsrats anerkannt;4 der Gesetzgeber selbst spricht hierbei gleichnishaft von einem unlösbaren Zusammenhang zwischen Information und Vertraulichkeit5. Diese „notwendige Korrelation“6 zwischen der Verschwiegenheitspflicht und den umfassenden Informationsrechten des Aufsichtsrats bedingt nicht weniger als die Funktionsfähigkeit der zweigliedrigen Organisation der deutschen Kapitalgesellschaft aus Geschäftsleitungsorgan (Vorstand/ Geschäftsführung) auf der einen und Aufsichts- und Überwachungsorgan (Aufsichtsrat) auf der anderen Seite. Nur bei weitestgehender Abwesenheit eines Anfangsverdachts mangelnder Vertraulichkeit des Aufsichtsrats wird es auch langfristig zum Informationsfluss von Geschäftsleitung an Aufsichtsrat in der vom Gesetz vorgeschriebenen Intensität kommen. Gelangen hingegen vertrauliche Informatio2 Vgl. Bank, Die Verschwiegenheitspflicht von Organmitgliedern in Fällen multipler Organmitgliedschaften, NZG 2013, 801 (803). 3 So erkennt auch der BGH im Vorstand einer AG den „Herrn der Gesellschaftsgeheimnisse“, BGH, Urt. v. 26. 04. 2016 – XI ZR 108/15; bestätigt durch BGH, Urt. v. 26. 04. 2016 – XI ZR 108/15, NJW 2016, 2569 Rn. 35; vgl. auch Reichard, Die Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern, GWR 2017, 72 (74). 4 Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Auflage 2019, § 116 Rn. 52; Hopt/Roth, in: Hirte/Mülbert/Roth, Großkomm AktG, Bd. 5, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 190; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 116 Rn. 99. 5 Begr. RegE v. 11. 04. 2002, BT-Drucks. 14/8769, S. 18. 6 Groß-Bölting/Rabe, in: Hölters/Weber, AktG, 4. Auflage 2022, § 116 Rn. 67.
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
nen nach außen und trägt das zu der Gefahr eines wirtschaftlich messbaren Schadens der Gesellschaft bei, wird die Geschäftsleitung zur Wahrung der Gesellschaftsinteressen nur zögerlich dem Aufsichtsrat, ggf. lediglich ausgewählten Aufsichtsratsmitgliedern (primär dem Aufsichtsratsvorsitzenden)7 Informationen in möglichst geringem Umfang übermitteln. In diesem Falle würde die Arbeit des Aufsichtsrats als Kontrollgremium mangels hinreichender Informationsgrundlage gefährdet und dadurch das gesamte System der aktienrechtlichen Spitzenorganisation aus Leitung und Kontrolle durch zwei institutionell verselbstständigte Organe (sog. Trennungsoder dualistisches System)8 in seiner Funktion ausgehöhlt.9 Die Verschwiegenheit der zwingend zu informierenden Aufsichtsräte ist danach im Grundsatz eine dem dualistischen System immanente notwendige Bedingung. Hieran ändert auch die mehrheitlich angenommene Pflicht des Aufsichtsrats zur selbstständigen Informationsbeschaffung10 nichts, für den Fall, dass der Vorstand seinen Pflichten zur Information des Aufsichtsrats nicht nachkommt. Die Ausweitung der Stellung des Aufsichtsrats als Anspruchsberechtigter hin zu seiner Verpflichtung zur Einholung von Informationen ändert nichts an der systemimmanenten Bedingung einer auf Initiative des Vorstands betriebenen Informationspolitik. Faktisch könnten alle pflichtgemäßen Anstrengungen des Aufsichtsrats ein dauerhaft pflichtwidriges Verhalten des Vorstands nicht hinreichend kompensieren. Trotz der Möglichkeiten, auch aus Eigeninitiative an erforderliche Informationen zu gelangen, trübt die ständige Ungewissheit über die Vollständigkeit der Informationslage das Bild des Aufsichtsrats von der Gesellschaft. Das reibungslose Funktionieren des Führungssystems beruht auf der Vorstellung einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Leitungs- und Überwachungsorgan der Gesellschaft.11 Die aus dem Kreis des Vorstands herrührenden Informationen können entweder die inneren Vorgänge und Entscheidungen des Leitungsorgans betreffen, wie z. B. Personalentscheidungen, Investitionsvorhaben, Vertragsverhandlungen und Übernahmepläne, oder dem operativen Geschäft der Gesellschaft entspringen, was bspw. auf Forschungsergebnisse, Produktentwicklungen und sonstige technische Ge7 Kalss, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Auflage 2019, § 93 Rn. 408; Schenk, v., in: Semler/Schenk, v., Der Aufsichtsrat, 2015, § 116 Rn. 500; vgl. auch Lutter, Defizite für eine effiziente Aufsichtsratstätigkeit und gesetzliche Möglichkeiten der Verbesserung, ZHR 1995, 287 (308). 8 Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 2, 4. Auflage 2019, SE-VO Art. 38 Rn. 3. 9 Zu verschiedenen gesellschaftsrechtlichen Modellen der Leitung und Überwachung Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 2, 4. Auflage 2019, SE-VO Art. 38 Rn. 3 f.; rechtsvergleichend Hopt/Leyens, in: Hopt/Binder/Böcking, Hdb CG von Banken und Versicherungen, 2. Aufl. 2020, § 1 Rn. 72 ff.; Davies, Struktur der Unternehmensführung in Großbritannien und Deutschland, ZGR 2001, 268 (270 ff.). 10 Siehe hierzu bereits oben unter A.I. Fn. 8. 11 Hopt/Roth, Der Aufsichtsrat, 2019, § 116 Rn. 190, bezeichnen das Prinzip zur vertrauensvollen Zusammenarbeit als „Magna Carta der Arbeit im Aufsichtsrat“; vgl. hierzu auch BGH, Beschl. v. 14. 01. 2014 – II ZB 5/12, NZG 2014, 423 (429).
I. Wesensmerkmale
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heimnisse zutrifft.12 Aus Sicht des Aufsichtsrats als Informationsempfänger ist eine Differenzierung insoweit nicht geboten, als letztlich der Vorstand den Aufsichtsrat mittels seiner Berichte von den jeweiligen Umständen in Kenntnis setzt und damit auch solche Daten, deren Herkunft nicht im Leitungsorgan selbst liegt, dem Schutz der Informationspolitik des Vorstands unterliegen. b) Integrität des Beratungsgeheimnisses Neben der Vertraulichkeit der Informationspolitik des Vorstands soll die Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats auch die Integrität des Beratungsgeheimnisses gewährleisten und hierdurch einen offenen Meinungsdiskurs innerhalb des Überwachungsorgans sichern, ohne den eine effektive Arbeit des Kontrollgremiums kaum denkbar ist.13 Wie die inter-organschaftlichen Prozesse zwischen Leitungsund Kontrollorgan schließt die Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder auch die Arbeit innerhalb des Aufsichtsorgans in ihren Schutzkreis mit ein. Bereits der Wortlaut des § 116 S. 2 AktG betont gezielt die Geltung der Schweigepflicht für „vertrauliche Beratungen“.14 Insofern umfasst die Geheimhaltungssphäre neben den vertraulich zu behandelnden externen Informationen, die dem Aufsichtsrat seitens des Vorstands überspielt werden (Berichte), die aus Einsichtnahmen und Prüfungen stammenden Informationen sowie die aus dem Aufsichtsorgan herrührenden (internen) Umstände und Geschehen, mithin den gesamten Ablauf und alle Einzelheiten von Diskussionen im Rahmen vertraulicher Beratungen. Die Einbeziehung der Organinterna in den Tatbestand der Verschwiegenheitspflicht verbrieft den Schutz der einzelnen Organmitglieder vor Druck und Repressionen von außen als Reaktion auf die jeweiligen im Vertrauen geäußerten Ansichten.15 In logischer Schlussfolgerung bereitet das Beratungsgeheimnis erst die Grundlage für eine konstruktive Arbeitsweise innerhalb des Aufsichtsrats, welcher nach Außen mit einem einheitlichen Willen auftritt, sich in seinem Innern vielmehr als eine dem Gesellschaftsinteresse verpflichtete, künstlich geschaffene Einheit darstellt, die aus einer Personenmehrzahl mit heterogenen Ansichten besteht.16 Die 12 Beispiele nach Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 422 ff. 13 BGH, Urt. v. 05. 06. 1975 („Bayer“) – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325 (332) = WM 1975, 678 (679) = NJW 1975, 1412 (1413 f.); Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Hdb börsennotierte AG, 4. Aufl. 2017, § 29 Rn. 13. 14 § 116 S. 2 AktG wurde erst mit Wirkung zum 26. 07. 2002 durch das Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz – TransPuG) vom 19. 07. 2002 eingefügt, BGBl. I S. 2681. 15 Vgl. Veith, Zur Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder, NJW 1966, 526 (528). 16 Nach Spieker handelt es sich erst mit dem unter Berücksichtigung von Mitbestimmungsvorschriften gebildeten Aufsichtsrat um ein „interessenpluralistisch zusammengesetztes Organ“; vgl. Spieker, Die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder, NJW 1965,
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
zielgerichtete Gewähr der Vertraulichkeit organintern generierte Inhalte betreffend bezweckt und bedingt also (auch) die Funktionsfähigkeit des Organs in Ansehung seiner Systemaufgaben.17 So könnten sich Aufsichtsratsmitglieder dem offenen Meinungsaustausch innerhalb des Organs zumindest teilweise, wenn nicht geradezu vollständig enthalten, stünde zu befürchten, dass einzelne Aussagen oder persönliche Ansichten nach außen gelangen und damit der Öffentlichkeit bekannt würden. Bereits die abstrakte und hinreichend wahrscheinliche Gefahr einer Weitergabe von vertraulichen Informationen aus dem Kreis des Aufsichtsrats vermag die offene Auseinandersetzung innerhalb des Gremiums, mithin die Diskussions- oder Aussagefreudigkeit jedes Mitglieds, zu hemmen und damit die Funktionalität des Organs außer Kraft zu setzen. Im Falle der fehlenden Integrität des Beratungsgeheimnisses die Aufsichtsratssitzungen betreffend, müssten seitens der Organmitglieder der Verlust von Anerkennung oder weitergehend sogar Anfeindungen in der Öffentlichkeit zu befürchten sein. So bspw. im Falle der Extrahierung und Bekanntmachung einzelner Aussagen aus dem Kontext einer sachbezogenen Auseinandersetzung innerhalb einer nichtöffentlichen Aufsichtsratssitzung, wobei die konkrete Aussage von der Öffentlichkeit mit einem anderen Bedeutungsinhalt verstanden werden müsste, als sie der Erklärende innerhalb der Organsitzung kontextbezogen und ggf. unter Berücksichtigung von (vertraulichem) Sonderwissen abgegeben hat.18 Es bedarf demnach im Einzelfall nicht einmal einer unpopulären Position als Grundlage, um eine unautorisierte Weitergabe von Informationen aus dem Kreis der Aufsichtsratsmitglieder zu fürchten. Daneben muss dem individuellen Interesse an der Wahrung der Vertraulichkeit auch dann rechtliches Gewicht zuerkannt werden, wenn die Gefahr einer Fehl- oder Andersinterpretation in der Öffentlichkeit einer im Vertrauen geäußerten Ansicht ausgeschlossen ist. Letztlich wird für das Verhalten des Aufsichtsratsmitglieds während der Beratung zum einen nicht absehbar sein, welchen Erklärungsgehalt die Allgemeinheit einer Äußerung im Falle ihrer Veröffentlichung beimessen wird, zum anderen sollte es hierauf auch nicht ankommen. Zu schützen ist die Freiheit der Beratung, mithin die freie und von allen äußeren Umständen unabhängige Meinungsäußerung der Aufsichtsratsmitglieder im Rahmen nichtöffentlicher Sitzungen. Hieraus ergibt sich die besondere Schutzbedürftigkeit des Beratungsgeheimnisses: Für eine nachhaltige Effektivität der Arbeit des Aufsichtsrats ist eine lebendige, unabhängige und von außen unbeeinflusste Diskussion seiner Mitglieder von fundamentaler Bedeutung, die wiederum die Existenz einer Vertrauensgrundlage hinsichtlich der Geheimhaltung organinterner Vorgänge voraussetzt. Den Schutz der 1937 (1937); dem folgend Westermann, Rechte und Pflichten des mitbestimmten Aufsichtsrats und seiner Mitglieder, ZGR 1977, 219 (220). 17 In diesem Sinne auch Lutter/Krieger/Verse, in: Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 7. Aufl. 2020, § 6 Rn. 266 m. w. N. 18 So auch Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 500.
I. Wesensmerkmale
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Integrität dieses Vertrauensverhältnisses bezweckt die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht in ihrer Ausprägung als Beratungsgeheimnisschutz und gewährleistet hiermit wiederum indirekt das Funktionieren des gesamten Systems aus Leitung und Kontrolle durch Vorstand und Aufsichtsrat19. c) Vertraulichkeit des Abstimmungsgeheimnisses Neben den bereits vom Beratungsgeheimnis umfassten Informationen gehören auch die Einzelheiten über Abstimmungen im Aufsichtsrat zu den organintern generierten Gegenständen, die im Grundsatz ebenso unter den Schutz der aktienrechtlichen Schweigepflicht fallen.20 Hierbei kann inhaltlich weiter zwischen Informationen den Gegenstand der Beschlussfassung, das eigene Abstimmungsverhalten des berichtenden Aufsichtsratsmitglieds, das Abstimmungsverhalten anderer Aufsichtsratsmitglieder sowie das Abstimmungsergebnis betreffend differenziert werden.21 Die Vertraulichkeit des Abstimmungsgeheimnisses bezweckt den Schutz der Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats. Eine Offenbarung der genannten Abstimmungsinformationen könnte dazu führen, dass Aufsichtsratsmitglieder von der Öffentlichkeit, politischen Entscheidungsträgern oder Gesellschaftern unter Druck gesetzt werden. Bestünde bereits im Vorfeld einer Abstimmung die Aussicht auf eine Veröffentlichung der Einzelheiten des innerorganschaftlichen Beschlussprozesses, könnten mandatsfremde Erwägungen – wie bspw. die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit – die freie Willensbildung des Aufsichtsratsmitglieds in eine Richtung dirigieren. Der Schutz des Abstimmungsgeheimnisses dient damit auch und gerade dem Schutz des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds. d) Zusammenfassung Die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder soll die Gesellschaft vor Schäden bewahren, die durch den unkontrollierten Verlust von vertraulichen oder geheimen Interna drohen. Der Vertraulichkeitsschutz dient im Grunde zwei Zwecken: Einerseits der Bewahrung von informationsgebundenen Wettbewerbsvorteilen im Außenverhältnis. Zum anderen umfasst der Geheimnisschutz das Prinzip zur vertrauensvollen Zusammenarbeit und schützt die freie Kommunikation innerhalb des Aufsichtsrats sowie im Zusammenwirken mit dem Leitungsorgan der Gesellschaft. Damit liegt ein weiterer Schutzzweck in der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des dualen Verwaltungssystems im Innenver19
Siehe hierzu bereits oben, Fußnote 29. Für eine Trennung zwischen Beratungs- und Abstimmungsgeheimnis auch Lutter/ Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 7. Aufl. 2020, § 6 Rn. 267. 21 Nach Säcker, Aktuelle Probleme der Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder, NJW 1986, 803 (806). 20
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
hältnis der Gesellschaft, wodurch auch den Individualinteressen der Organmitglieder Rechnung getragen wird. Welche konkrete Gefahr der Gesellschaft aus der unberechtigten Weitergabe einer Gesellschaftsinformation erwachsen kann, richtet sich nach der Herkunft der jeweiligen Information. Der Aufsichtsrat gelangt bestimmungsgemäß über zwei Wege in Kenntnis von geheimen und vertraulichen Gesellschaftsinformationen. Einerseits über das Leitungsorgan der Gesellschaft, andererseits aus seiner Mitte heraus. Die aus der Herkunftssphäre des Vorstands entsprungenen Informationen können in operativ-unternehmerische Informationen (Umsatzzahlen, Produktentwicklungen, Herstellungsverfahren, etc.) und organisatorisch-unternehmerische Informationen (Marktkenntnisse, geplante Investitionen, Informationen über geplante Übernahmen, Konkurrenzinformationen) unterteilt werden. Sie verkörpern vorwiegend materielle Werte. Dahingegen kann den Geheimnissen aus der Sphäre des Aufsichtsrats (Abstimmungsverhalten, Meinungsäußerungen, Antragstellung) ein funktioneller Wert für die Gesellschaft zugesprochen werden.
2. Dogmatik und Rechtsnatur der organschaftlichen Verschwiegenheitspflicht Die Bedeutung des Vertraulichkeitsschutzes für die Gesellschaft ist funktionell mit der dogmatischen Beheimatung der Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats verbunden. Der autoritative Rechtsgrund der Pflicht zum vertraulichen Umgang mit Gesellschaftsgeheimnissen steht wiederum im Zusammenhang mit der Entstehung der Aktiengesellschaft, bzw. mit der Entwicklung des Überwachungsorgans. a) Die historischen Etappen der aktienrechtlichen Schweigepflicht Die historischen Ursprünge der modernen Aktiengesellschaft reichen bis in die Anfänge des 17. Jahrhunderts zurück, mithin in eine Zeit, zu der die Rechtszersplitterung in den deutschen Staaten die Zerrissenheit des deutschen Reichs widerspiegelte.22 Der Eroberungszug der ersten Vorläufer der modernen Aktienge22 Nach Lehmann, Das Recht der Aktiengesellschaften Bd. 1, 1898, S. 51 ff., der keinen Zusammenhang zwischen italienischen Banken der Renaissance, die bereits die Merkmale der Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen sowie die Übertragbarkeit von Anteilen kannten und den späteren niederländischen und englischen Handelskompagnien sieht und daher den Ursprung der Aktiengesellschaft nicht nach Italien verortet; ebenso Gmür, Die Emder Handelskompagnien des 17. und 18. Jahrhunderts, in: FS Westermann, 1974, 167 (168). Für die Gegenansicht, wonach die 1407 in Genua gegründete „Banca di St. Giorgio“ als erster Vorläufer der Aktiengesellschaft gilt, siehe Dülfer, Die Aktienunternehmung, 1962, S. 31. Eine weitere Ansicht will in den Fischerei-, Jagd-, Wald-, Heide-, Fähr- und Bergwerks-Genossenschaften des 16. Jahrhunderts direkte Vorläufer der holländischen Aktiengesellschaft sehen, vgl. hierzu Bösselmann, Die Entwicklung des deutschen Aktienwesens im 19. Jahrhundert, 1939, S. 49 ff.;
I. Wesensmerkmale
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sellschaft als bevorzugte Rechtsform zur Kapitalbündelung23 in Europa beginnt in England und den Niederlanden, wo die ersten großen Handelsgesellschaften24 mit staatlicher Genehmigung25 entstehen und diesen Staaten, kraft der hierdurch gewonnenen Kapitalmasse, die Erschließung weit entfernter Handelsgebiete erlaubte.26 Die großen Handelskompanien dieser Zeit waren hinsichtlich ihres Geschäftsfeldes mit Reedereien vergleichbare Interessengesellschaften mit dem primären Gesellschaftszweck einer auf den Überseehandel ausgerichteten Betätigung zum Zwecke der Gewinnerzielung. In der Folge sollten sich hieraus zwei unterschiedliche Typen von Aktiengesellschaften entwickeln, von denen sich letztlich die niederländische Form in weiten Teilen Europas durchsetzen sollte.27 Die Frühzeit der modernen Aktiengesellschaft ging an den damaligen deutschen Staaten weitgehend spurlos vorbei. Wirtschaftlichen wie auch gesellschaftlichen Entwicklungen stand der – in dieser Hinsicht lähmende – dreißigjährige Krieg
Kuske, Die weltwirtschaftlichen Anfänge Sibiriens und seiner Nachbargebiete vom 16.–17. Jahrhundert, Schmollers Jahrbuch 1922, 391 (398). 23 Nach Schnorr, Historie und Recht des Aufsichtsrats, 2002, S. 6, soll nicht die Kapitalsammelfunktion der neuen Trading Companies erster Beweggrund für den Staat zur Erteilung der Genehmigung gewesen sein, sondern die Möglichkeit, durch die Gesellschaften den Überseehandel zu kontrollieren und zu beeinflussen. Die Kapitalansammlung mithilfe der genehmigten Gesellschaften muss aus dieser Perspektive konkretisierend als ein notwendiges Mittel zum Zweck angesehen werden. Aus Sicht der privaten Investoren und Unternehmer war die Möglichkeit der Kapitalbündelung die erste Voraussetzung zur Erschließung neuer Märkte, die für den Einzelnen ansonsten aufgrund des hohen Finanzierungsbedarfs unmöglich war. 24 Als älteste Handelsgesellschaften gelten die Britisch-Ostindische aus dem Jahr 1600 und die Niederländisch-Ostindische von 1602, vgl. hierzu Lehmann, Das Recht der Aktiengesellschaften Bd. 1, 1898, S. 59. 25 Die Handelskompanien waren Korporationen mit eigener Rechtspersönlichkeit, denen mittels staatlicher Konzession, der sog. Octroi, vielfach öffentlich-rechtliche Hoheitsrechte übertragen wurden. Nach dem Ende des Absolutismus wurde das sog. Octroi-System vom Konzessions-System abgelöst, wonach die Gründung einer Aktiengesellschaft trotz der Einführung der Gewerbefreiheit 1789 auch weiterhin von der Genehmigung des Staates abhängig war, vgl. Schnorr, Historie und Recht des Aufsichtsrats, 2002, S. 5 ff.; Gmür, Die Emder Handelskompagnien des 17. und 18. Jahrhunderts, in: FS Westermann, 1974, 167 (182 ff.). 26 Umfassend zu der historischen Entwicklung und den Ursprüngen der Aktiengesellschaft s. Lehmann, Das Recht der Aktiengesellschaften Bd. 1, 1898, S. 19 ff. Zur Bedeutung des Gesetzes über die Eisenbahnunternehmungen vom 03. 11. 1838 für die Entwicklung der Aktiengesellschaft in Preußen Schnorr, Historie und Recht des Aufsichtsrats, 2002, S. 11 f. 27 Hierfür sprechen neben den erstmalig in den Niederlanden verwendeten und noch heute gängigen Fachtermini (bspw. die Bezeichnung des Gesellschaftsanteils als Aktie, im Vergleich dazu share im englischen Sprachgebrauch) auch strukturelle Prinzipien der Verfassung der damaligen niederländischen AG, welche nicht mit denjenigen in England entwickelten Grundsätzen übereinstimmen, ausführlich hierzu Lehmann, Das Recht der Aktiengesellschaften Bd. 1, 1898, S. 62 f.; Bösselmann, Die Entwicklung des deutschen Aktienwesens im 19. Jahrhundert, 1939, S. 53.
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
entgegen.28 Die ersten auf Aktien errichteten Kompagnien deutscher Staaten waren die Brandenburgische-Ostindische aus dem Jahr 1651 und die BrandenburgischeAfrikanische Kompagnie von 1682 – beide endigten letztlich durch Liquidation.29 Erst etwa ein Jahrhundert später hielt die Aktiengesellschaft in ihrer frühesten Form mit der Gründung der Asiatischen Kompagnie (1750) und der privilegierten Bengalischen Kompagnie (1753) auch in Preußen Einzug.30 Während die Vorläufer der heutigen Aktiengesellschaften als bevorzugte Rechtsform zur Bewältigung kostenintensiver wirtschaftlicher Unternehmungen in England und den Niederlanden erfolgreich die Globalisierung des Wirtschaftsverkehrs einläuteten, sollte die Geschichte des Aktienrechts in Deutschland erst im Zusammenhang mit dem Vorhaben der Errichtung eines flächendeckenden Schienennetzverkehrs mit positiven Schlagzeilen aufwarten. Die bis hierher auf Aktien errichteten großen Gesellschaften, insbesondere die deutschen Kompagnien, scheiterten allesamt. Was den Engländern und Niederländern der Überseehandel war, sollte in Preußen erst ca. 200 Jahre später der Schienenverkehr werden: Jener Unternehmensgegenstand, der nach einer bis hierher unerreichten Finanzierungsgröße verlangte und der Rechtsform der Aktiengesellschaft nachhaltig zum Durchbruch verhalf.31 Eine Rechtsvereinheitlichung im deutschen Aktienrecht kam mit der Einführung des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs (ADHGB), die sich zwischen 1861 und 1868 mit der Umsetzung in die jeweiligen Landesgesetze der deutschen Partikularstaaten vollzog.32 Hiermit wurde zugleich – erstmalig in der deutschen Rechtsgeschichte – der Aufsichtsrat normiert, zunächst als fakultatives Überwachungsorgan der Gesellschaft. Die Idee hierzu wurde dem Entwurf zum ADHGB aus dem Jahr 1849 entnommen, der die Funktionen eines solchen Aufsichtsorgans bereits beschrieb (hauptsächlich Kontroll- und nebensächliche Verwaltungsaufgaben). Das Erfordernis einer möglichst unabhängigen Überwachung der Gesellschaftsleitung war auch zu diesem Zeitpunkt schon länger bekannt. Die Gefahren des Missbrauchs der neuen Gesellschaftsform, insbesondere die Möglichkeit der Ausnutzung des 28 Rehme, Die Lübecker Handelsgesellschaften in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, ZHR 1894, 367 (398), der in der Vereinigung von Staatsgläubigern eine frühe Form der AG erkennt. 29 Zu der Organisationsverfassung der ersten deutschen Aktiengesellschaften siehe Bösselmann, Die Entwicklung des deutschen Aktienwesens im 19. Jahrhundert, 1939, S. 58 f. 30 Schnorr, Historie und Recht des Aufsichtsrats, 2002, S. 8, m. V. a. Bösselmann, Die Entwicklung des deutschen Aktienwesens im 19. Jahrhundert, 1939, S. 59; Dülfer, Die Aktienunternehmung, 1962, S. 32 f. 31 Reich, Die Entwicklung des deutschen Aktienrechtes im neunzehnten Jahrhundert, Ius Commune Bd. 2, 1969, 239 (249), bezeichnet die Aktiengesellschaft daher auch als den Organisationstyp des frühkapitalistischen Großunternehmens und die Inhaberaktie als das dessen Finanzierungsmittel. 32 In Preußen galt zuvor das Preußische Gesetz über Aktiengesellschaften vom 09. 11. 1843, in Baden, Rheinhessen und den preußischen Rheinprovinzen galt der Code de Commerce, vgl. hierzu Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 1, 5. Aufl. 2019, Einl. Rn. 15 m. w. N. Ab 1871 galt das ADHGB von 1861 als Reichsgesetz.
I. Wesensmerkmale
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Anlagekapitals „des Publikums“ (gemeint sind damit die Aktionäre), standen schon seit dem frühen Aufkommen der Aktiengesellschaft in der Diskussion.33 Auch um dieser Entwicklung entgegenzuwirken wurde um die Jahrhundertwende zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert zunächst den Hauptpartizipanten (Gesellschafter mit einer festgesetzten Mindestbeteiligung) aufgetragen, die Leitung der Gesellschaft und ihre Geschäfte zu überwachen, ohne hierbei als eigenständiges oder unabhängiges Gesellschaftsorgan zu funktionieren.34 In gewisser Weise wurde den Hauptpartizipanten die bis hierher vom Staat übernommene Beaufsichtigung übertragen. Mit der Einführung des ADHGB konnten sodann Überwachungsaufgaben auf einen aus dem Kreis der Anteilsinhaber zu wählenden Aufsichtsrat übertragen werden, woran sich bis heute auch durch die zahlreichen Aktienrechtsreformen im Grundsatz nichts mehr geändert hat.35 Für die Zwecke dieser Untersuchung relevante Neuerungen im Aktienrecht36 brachte zunächst das Gesetz betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften vom 11. 06. 187037, das auf einen Entwurf zurückging, der in demselben Jahr bereits im Reichstag des Norddeutschen Bundes vorgelegt wurde. Damit einher ging zum einen die einheitliche Abschaffung des Konzessionssystems, welches dem sog. System der Normativbestimmungen wich.38 Hierdurch wurde eine gesetzliche Grundlage für einen Rechtsanspruch auf Eintragung einer Aktiengesellschaft im Fall der Erfüllung gesetzlich festgeschriebener Voraussetzungen begründet, womit die Gründung einer Aktiengesellschaft grundsätzlich für jeden möglich wurde und nicht länger von einer Willkürentscheidung des Staates abhängig 33 Schnorr, Historie und Recht des Aufsichtsrats, 2002, S. 7 Fn. 20, berichtet von Schwindelgründungen des Schotten John Law in Paris (seit 1716) und „Seifenblasengründungen“ zur selben Zeit in England, welche zu einem weitgehenden Verbot (Bubble Act von 1720) führten. 34 Nach Schnorr, Historie und Recht des Aufsichtsrats, 2002, S. 7, waren das Mitaufsichtsrecht und ein Mitbeschlussfassungsrecht in einigen wenigen Angelegenheiten an die Einzahlung von mindestens 5000 Gulden Anteilen gebunden. Im Vergleich dazu sah die niederländische Frühform der Aktiengesellschaft eine Verwaltung (Überwachung) der Regierung (Geschäftsführung) durch sog. Vorsteher vor, die nicht von den Partizipenten (Aktionären), sondern von der Regierung selbst ernannt wurden, vgl. Lehmann, Das Recht der Aktiengesellschaften Bd. 1, 1898, S. 62. 35 Zur Entwicklung des Aktienrechts vom ADHGB von 1861 bis zum ersten Weltkrieg und insb. die Öffnung des Aufsichtsratsmandats für Nichtgesellschafter siehe Hoffmann-Becking, in: Münch Hdb GesR Bd. 4, 5. Aufl. 2020, § 1 Rn. 5 – 7. 36 Konzise Darstellung der weitläufigen Geschichte des deutschen Aktienrechts bei Assmann, in: Hopt/Wiedemann, Großkomm AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2004, Einl. Rn. 13 ff.; Reich, Die Entwicklung des deutschen Aktienrechtes im neunzehnten Jahrhundert, Ius Commune Bd. 2, 1969, 239 (245 ff.). 37 Gesetz Nr. 515 v. 11. 06. 1870, BGBl. des Norddt. Bundes, 1870, S. 375. 38 Das ADHGB v. 1861 sah in seinem Art. 249 vor, dass Landesgesetzgeber von dem Konzessionsgrundsatz aus Art. 208 ADHGB v. 1861 abweichende Regelungen treffen können. Hiervon hatten bis zur Novelle im Jahr 1870 Hamburg, Bremen, Lübeck, Württemberg, Baden, Oldenburg und Sachsen zumindest teilweise Gebrauch gemacht, Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 1, 5. Aufl. 2019, Einl. Rn. 15.
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
war.39 Notwendig ließ die Novelle die signifikant steigende Anzahl an Gründungen neuer Aktiengesellschaften erscheinen, die es dem Staat als Konzessionsgeber unmöglich machten, die Einhaltung aller Bedingungen durch die existierenden Aktiengesellschaften fortwährend zu überwachen. Auch der Aufschwung wirtschaftsliberaler Ansichten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte seinen Anteil an dieser strukturellen und tiefgreifenden Veränderung speziell im Aktien- und darüber hinaus auch im allgemeinen Wirtschaftsrecht.40 Aktiengesellschaften wurden in dieser Zeit als wichtiges Mittel zur Förderung des Volkswohlstands verstanden.41 Zum anderen fand im Zuge der ersten großen Aktienrechtsreform erstmals die Pflicht zur Bildung eines Aufsichtsrats (obligatorischer Aufsichtsrat) Eingang in das deutsche Aktienrecht.42 Anders als heute konnten weiterhin ausschließlich Aktionäre zum Aufsichtsratsmitglied der Gesellschaft gewählt werden. Mit der Schaffung eines von der Geschäftsleitung unabhängigen Aufsichtsorgans korrelierte die zunächst vage Fassung der Aufgaben und Rechte des Aufsichtsrats, der die Einsicht in alle Angelegenheiten der Verwaltung nehmen durfte, vgl. Art. 225 lit. a ADHGB von 1870. Eine Pflicht zur Verschwiegenheit des Aufsichtsrats fehlte dahingegen sowohl den Entwürfen als auch der endgültigen Fassung des ADHGB von 1870. Zwar hatte der damalige Gesetzgeber die Notwendigkeit einer eigenverantwortlichen Kontrolle des Vorstands durch die Aktiengesellschaft erkannt und mit der Einführung des obligatorischen Aufsichtsrats den Aktionären ein geeignetes Instrument mit den dafür erforderlich erscheinenden (Informations-)Rechten zur Hand gegeben; jene Gefahren, die mit der Ausweitung des Kreises der Informationsempfänger von – teilweise besonders schützenswerten – Interna der Gesellschaft einhergingen, wurden von Seiten des Gesetzgebers allerdings vorerst nicht berücksichtigt. Das mag dem Umstand geschuldet gewesen sein, dass der historische Gesetzgeber davon ausging, dass die Aufsichtsratsmitglieder, zu dieser Zeit allesamt gleichsam Aktionäre der Gesellschaft, letztlich ein gesteigertes Eigeninteresse am Erfolg der Unternehmung hätten und daher gesellschaftsschädigendes Verhalten weitestgehend vermeiden würden. Die Einführung einer Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsräte wurde damit wohl für überflüssig erachtet.
39 Reich spricht von der „Freigabe des Aktienwesens“, vgl. Reich, Die Entwicklung des deutschen Aktienrechtes im neunzehnten Jahrhundert, Ius Commune Bd. 2, 1969, 239 (264). Zu den konkreten Anforderungen bei der Gründung einer Aktiengesellschaft nach damaliger Rechtslage vgl. Art. 210a ADHGB von 1870. 40 Insbesondere der Missbrauchsschutz sei nicht wirksam durch den Staat zu gewährleisten, sondern viel mehr durch das eigenverantwortliche Individuum selbst, vgl. Reich, Die Entwicklung des deutschen Aktienrechtes im neunzehnten Jahrhundert, Ius Commune Bd. 2, 1969, 239 (266) mit dem Hinweis auf die dem Gesetzesentwurf beigefügten Motive. 41 So zumindest Schnorr, Historie und Recht des Aufsichtsrats, 2002, S. 17. Gleichwohl war die Kommanditgesellschaft auf Aktien zu dieser Zeit der Aktiengesellschaft zahlenmäßig weit überlegen. 42 Für die Aktiengesellschaft in Art. 209 Nr. 6 ADHGB v. 1870.
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Mit der Reform durch das Gesetz betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften vom 18. 07. 188443 waren nunmehr auch Nichtgesellschafter passiv Berechtigte bei der Wahl des nach Art. 209 f. ADHGB von 1884 obligatorischen Aufsichtsrats.44,45 Der Aufsichtsrat wandelte seine Gestalt damit von der neutralen Kontrollinstanz zum Gremium, das einen inklusiven Interessenausgleich der am Unternehmen beteiligten Gruppen ermöglichen und Einfluss auf die Unternehmenspolitik nehmen sollte. Damit einhergehend wuchs auch die latente Gefahr eines gesellschaftsschädigenden Informationsabflusses, die von nun an systemimmanent auf dem Vertrauensverhältnis zwischen Vorstand und Aufsichtsrat lasten musste. Wenngleich einem Nichtgesellschafter-Aufsichtsrat ein eigenes Interesse am Fortbestand der Gesellschaft nicht gänzlich versagt werden kann, liegt die Wahrscheinlichkeit der Weitergabe von Gesellschaftsgeheimnissen im Konfliktfall als Ergebnis einer Abwägungsentscheidung doch deutlich höher, sofern das Nichtaktionär-Aufsichtsratsmitglied seinen (wirtschaftlichen) Interessenschwerpunkt außerhalb seiner ehrenamtlichen Mandatstätigkeit sieht, was etwa im Fall der Teilhaberschaft an Konkurrenten anzunehmen ist. Die Öffnung des Überwachungsorgans der Aktiengesellschaft für Nichtaktionäre erfolgte nicht kritiklos. Vorbehalten, wonach von Aktionären eine größere Sorgfalt bei der Erfüllung der Überwachungsaufgaben erwartet werden könne, wurde entgegengehalten, dass bereits die Beschaffung einer Aktie ausreichen würde, um die Beschränkung eines passiven Wahlrechts auf Gesellschafter zu umgehen.46 Die fehlende Inhaberschaft eines Gesellschaftsanteils sollte weiterhin keinen Rückschluss auf die fach- und sachkundliche Eignung zum Aufsichtsrat erlauben, schließlich hatte auch die Gesellschafterstellung keine solche zwingend zur Folge. Vordergründig sollte die Befähigung zur Erfüllung der Aufgaben des Aufsichtsrats maßgeblich für den Zugang zum Organ sein, nicht die Art und Weise der Bindung des Bewerbers an die Gesellschaft.47 Hintergrund der Neuerung könnte auch der Umstand gewesen sein, dass Aktiengesellschaften seit der Einführung des obligatori43
RGBl. I 1884, S. 123. Nach dem für die Kommanditgesellschaft auf Aktien geltenden Art. 191 ADHGB v. 1884, der gem. Art. 224 ADHGB v. 1884 auch auf Aktiengesellschaften Anwendung fand. 45 Eine ausführliche und tiefgehende Auseinandersetzung mit der Aktienrechtsreform von 1884, die nicht lediglich Rechtshistorikern, sondern gleichfalls Rechtsanwendern bis heute eine Fülle von Informationen zum Verständnis des damaligen und aktuellen Gesellschafts- und Unternehmensrechts bereitstellt, bietet Schubert, in: Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, ZGR 1985, Sonderheft 4, 1 ff. 46 Aktenstück Nr. 221 des Reichstags (5. Legislaturperiode, vierte Session) in: Stenographische Berichte über Verhandlungen des Reichstages, Bd. 3, S. 215 (287), Allgemeine Begründung zum Gesetzesentwurf, abgedr. bei Schubert/Hommelhoff, in: Fischer/Goerdeler/ Lutter/Wiedemann, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, ZGR 1985, Sonderheft 4, 404 (458). 47 Aktenstück Nr. 221 des Reichstags (5. Legislaturperiode, vierte Session) in: Stenographische Berichte über Verhandlungen des Reichstages, Bd. 3, S. 215 (287), Allgemeine Begründung zum Gesetzesentwurf, abgedr. bei Schubert/Hommelhoff, in: Fischer/Goerdeler/ Lutter/Wiedemann, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, ZGR 1985, Sonderheft 4, 404 (458). 44
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
schen Aufsichtsrats zum Teil Schwierigkeiten hatten, eine ausreichende Anzahl geeigneter Personen zur Erfüllung der gesetzlichen Mindestanzahl zu finden.48 Aber nicht nur auf der Seite der Informationsverarbeitung und -weiterleitung, sondern auch hinsichtlich der Herkunft von Informationen brachte die Aktienrechtsreform Neuerungen. Die Aufgaben- und Kompetenzzuweisungen von Aufsichtsrat und Vorstand wurden präzisiert, insbesondere die klare Trennung von Aufsichts- und Leitungsorgan manifestiert und mithin die Organisationsverfassung der Aktiengesellschaft deutlicher konturiert. Zuvor wurde die Funktion des Aufsichtsrats in der Praxis überwiegend als eine (aktive) Unterstützung der Führung der Aktiengesellschaft fehlverstanden, denn als eine (passive) Überwachung des Vorstands, wie sie der Gesetzgeber dem Aufsichtsrat zuschrieb.49 In personeller Hinsicht hat der Gesetzgeber von 1884 bspw. die zeitgleiche Zugehörigkeit einer Person zu Leitungsund Überwachungsorgan verboten (§ 225a S. 1 ADHGB v. 1884). Mit der Verschärfung der Überwachungspflichten des Aufsichtsrats sollte dessen Mitgliedern die mandatsgebundene Funktionsaufgabe, gerade auch in Abgrenzung zur alleinigen Geschäftsleitungskompetenz des Vorstands, deutlicher vor Augen geführt werden.50 Das Informationsrecht des Aufsichtsrats wandelte sich in eine zu Zwecken der Überwachung der Geschäftsführung in allen Zweigen der Verwaltung51 dienende Pflicht zur Unterrichtung von den Angelegenheiten der Gesellschaft (vgl. Art. 225 Abs. 1 S. 1 ADHGB v. 1884).52 Die Einführung der Informationspflicht des Auf48 Entgegen seinem Entwurf sollte nach dem ADHGB v. 1870 der Aufsichtsrat aus mindestens drei anstatt fünf Mitgliedern bestehen. Hintergrund dessen war der Umstand, dass viele Gesellschaften nicht genügend „geeignete“ Aktionäre finden konnten, denen das Aufsichtsratsmandat übertragen werden konnte, vgl. Aktenstück Nr. 221 des Reichstags (5. Legislaturperiode, vierte Session) in: Stenographische Berichte über Verhandlungen des Reichstages, Bd. 3, S. 215 (287), Allgemeine Begründung zum Gesetzesentwurf, abgedr. bei Schubert/ Hommelhoff, in: Fischer/Goerdeler/Lutter/Wiedemann, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, ZGR 1985, Sonderheft 4, 404 (458). 49 Schubert/Hommelhoff, in: Fischer/Goerdeler/Lutter/Wiedemann, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, ZGR 1985, Sonderheft 4, 54 (91), berichten davon, dass Vorstand und Aufsichtsrat nicht selten als zusammengesetztes, aber einheitliches Entscheidungsorgan handelten. 50 Vgl. hierzu die Erklärungen des Reichs-Oberhandelsgerichts mitsamt einem Vergleich zu der Rechtslage in Frankreich im „Gutachten über die geeignetsten Mittel zur Abhülfe der nach den Erfahrungen des Reichs-Oberhandelsgerichts bei der Gründung, der Verwaltung und dem geschäftlichen Betriebe von Aktienunternehmungen hervorgetretenen Uebelstände“, abgedr. bei Schubert/Hommelhoff, in: Fischer/Goerdeler/Lutter/Wiedemann, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, ZGR 1985, Sonderheft 4, 157 (223, 226). 51 Der Umfang der Informationspflicht, der sich auch noch dem Wortlaut der späteren Norm des § 246 HGB v. 1897 nach auf alle Zweige der Verwaltung erstrecken sollte, wurde nach allgemeiner Ansicht einschränkend verstanden, sodass die möglichst häufige Berichterstattung durch den Vorstand sowie vereinzelte Kontrollen die Überwachungspflicht ausfüllten, vgl. Goldschmidt, Das Recht des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft 1922, S. 168. 52 Die Informationspflicht des Aufsichtsrats ergibt sich seit dem Aktiengesetz v. 1937 nicht mehr unmittelbar aus dem Wortlaut des Gesetzes, wodurch nach allgemeiner Ansicht keine materiell-rechtliche Änderung der Pflichten des Aufsichtsrats einherging. Vielmehr ergibt sich die Pflicht des Aufsichtsrats zur Einholung umfassender Informationen nunmehr aus dem
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sichtsrats wurde flankiert durch die Aufnahme eines allgemeinen Schadensersatzanspruchs der Gesellschaft gegen pflichtwidrig handelnde Aufsichtsratsmitglieder nach Art. 226 Abs. 1 ADHGB v. 1884. In der Normierung einer Organhaftung zulasten des Aufsichtsrats wollten die Entwurfsverfasser lediglich die deklaratorische Erläuterung einer ohnehin aus dem allgemeinen bürgerlichen Recht, genauer dem Auftragsrecht, herrührenden und anerkannten Schadensersatzpflicht sehen.53 Ohne die Notwendigkeit der Reform von 1884 infrage zu stellen, muss den Vorteilen der aktienrechtlichen Neuerungen auch ihre Kehrseite für die Gesellschaft entgegengestellt werden.54 Nachteile sollten sich insbesondere für die Vertraulichkeitsintegrität ergeben. Durch die Sicherung der Position des Aufsichtsrats in der Aktiengesellschaft und den Ausbau seiner Informationsrechte gegenüber dem Vorstand, hat der Gesetzgeber seine Bemühungen zur Begrenzung der Gefahren einer unsorgfältig handelnden Geschäftsführung nicht folgenlos fruchtbar gemacht, sondern neue, nicht weniger existenzbedrohende Gefahren geschaffen. Mit zunehmender Intensität der Überwachung des Vorstands wurde diesem die Kontrolle über den Informationsabfluss weitgehend genommen, ohne dass im Gegenzug ein alternativer Kontrollmechanismus gegriffen hätte. Darüber hinaus sollte sich der Kreis der Informationsempfänger nicht länger auf denjenigen der Gesellschafter beschränken lassen, sondern konnte fortan auch gesellschaftsfremde Dritte umfassen, soweit dies der Wahlentscheidung der Gesellschafterversammlung entsprach. Solange sich Aufsichtsräte noch in die Geschicke der Leitungsangelegenheiten der Gesellschaft einbrachten und damit sowohl vor wie auch nach der Aktienrechtsreform von 1884 entgegen der gesetzgeberischen Konzeption handelten, konnte ihnen noch ein gesteigertes Eigeninteresse am wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmung unterstellt werden. Mit der nachdrücklichen Bekräftigung der zweigliedrigen Organisationsverfassung der Aktiengesellschaft ging aus Sicht des Aufsichtsratsmitglieds eine weitere Hürde zur Geheimhaltung sensibler Gesellschaftsinformationen verloren.55 Die in der Organisationsverfassung angelegten Gefahren des unkontrollierbaren Informationsverlustes waren – soweit ersichtlich – nicht Teil der im Übrigen vielPflichtrecht des Aufsichtsrats aus § 90 Abs. 3 AktG n. F. (§ 95 Abs. 2 AktG v. 1937), vgl. Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, Vorb. §§ 95 ff. Rn. 16. 53 Aktenstück Nr. 221 des Reichstags (5. Legislaturperiode, vierte Session) in: Stenographische Berichte über Verhandlungen des Reichstages, Bd. 3, S. 215 (290 f.), Allgemeine Begründung zum Gesetzesentwurf, abgedr. bei Schubert/Hommelhoff, in: Fischer/Goerdeler/ Lutter/Wiedemann, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, ZGR 1985, Sonderheft 4, S. 404 (461 f.). 54 Ausführlich zu den historischen Hintergründen der Aktienrechtsreform von 1884, insb. zu dem Problem der Gründungsmissbräuche der 1870er Jahre siehe Reich, Die Entwicklung des deutschen Aktienrechtes im neunzehnten Jahrhundert, Ius Commune Bd. 2, 1969, 239 (268 ff.). 55 Von anhaltenden Verstößen gegen die gesellschaftsrechtliche Organisationsverfassung in der Praxis, auch nach der Aktienrechtsnovelle von 1884, berichtet Klein, Die neueren Entwicklungen in Verfassung und Recht der Aktiengesellschaften, 1904, S. 37 f.
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
fältigen Kritik an der Entwicklung des deutschen Aktienrechts.56 Wenig verwunderlich ist daher auch das Ausbleiben von Schutzinstrumenten gegen unautorisierte Informationsverluste nach außen. Die allmähliche (Fort-)Entwicklung des deutschen Aktienrechts musste zunächst nach Antworten auf Grundsatzfragen suchen, wobei die Missbrauchsverhütung und -kontrolle eines liberalisierten Aktienwesens im Vordergrund standen.57 Mit anderen Worten galt es, zunächst die Missstände zu bekämpfen, unter denen das Aktienrecht hinsichtlich seiner Vertrauenswürdigkeit und seinem Ansehen in der Bevölkerung und das Publikum hinsichtlich seines Investitions- und Vermögensschutzes bereits litten. Grundsätzlich möglichen und doch rein fiktiven Problemen, die lediglich auf der vagen Annahme einer zukünftigen Konkretisierung der latenten Gefahr fehlender Integrität im Aufsichtsorgan gründeten, galt schlichtweg keine Aufmerksamkeit. Die Übernahme des gesamten Aktienrechts des ADHGB v. 1884 in das Handelsgesetzbuch (HGB) v. 1897 durch das Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuche vom 10. 05. 189758 blieb hinsichtlich des schwelenden Konflikts zwischen den Aufgaben und Rechten des Aufsichtsrats einerseits und dem Interesse der Gesellschaft an einem wirksamen Geheimnisschutz andererseits, trotz des Fehlens einer ausdrücklichen Verschwiegenheitspflicht für Vorstand und Aufsichtsrat, nicht ohne Bedeutung. Der Rechtsklarheit zum Vorschub verholfen hat allerdings erst die Auslagerung des deutschen Aktienrechts in ein eigenständiges Aktiengesetz durch das Einführungsgesetz zum Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien vom 30. 01. 193759. Hiermit einhergegangen ist die erstmalige Aufnahme der Schweigepflicht in das geschriebene Aktienrecht, die bis heute für Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat verbindlich ist. Nach § 84 Abs. 1 S. 2 AktG v. 1937 hatten Vorstandsmitglieder über vertrauliche Angaben Stillschweigen zu bewahren. Aus dem Fehlen einer ausführlicheren sprachlichen Darstellung der Schweigepflicht im Gesetzestext kann nicht geschlossen werden, dass von den allgemein als vertrauliche Angaben bezeichneten Informationen nicht auch Geheimnisse der Gesellschaft umfasst sind.60 Vielmehr wäre der Wortlaut des Ge-
56 Beispielhaft wird hier lediglich auf grundlegende Diskussionen über die Erforderlichkeit eines eigenständigen Aufsichtsorgans in Abgrenzung zum amerikanischen Modell des Board of Directors einerseits und das unterschiedliche Verständnis des Verhältnisses von Kontroll- und Geschäftsleitungsorgan andererseits verwiesen, vgl. hierzu Schnorr, Historie und Recht des Aufsichtsrats, 2002, S. 31 ff. 57 Vertiefend Reich, Die Entwicklung des deutschen Aktienrechtes im neunzehnten Jahrhundert, Ius Commune Bd. 2, 1969, 239 (273). 58 RGBl. I 1897, S. 219. 59 RGBl. I 1937, S. 107. 60 So aber wohl die damals überwiegende Ansicht, die weiterhin in der allgemeinen Sorgfaltspflicht nach § 84 Abs. 1 S. 1 AktG 1937 den Rechtsgrund für die aktienrechtliche Schweigepflicht gesehen hat, vgl. aus der historischen Literatur Godin/Wilhelmi, AktG, 1. Aufl. 1937, § 84 Anm. 3: „Bisher hielt man eine solche selbstverständliche Bestimmung, die sich aus der allgemeinen Sorgfaltspflicht ohne weiteres ergibt, für überflüssig.“; a. A. Weipert, in:
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setzes unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck so zu verstehen gewesen, dass alle Informationen, die der Normadressat im Zusammenhang mit seiner Mandatstätigkeit erlangt, vertrauliche Angaben im Sinne der Norm sind, soweit deren Geheimhaltung im Interesse der Gesellschaft liegt. Mit § 84 Abs. 1 S. 2 AktG v. 1937 hat der historische Gesetzgeber die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht erstmals gesetzlich niedergeschrieben. Bis dahin fand sie ihre dogmatische Grundlage in der allgemeinen Sorgfaltspflicht aus § 84 Abs. 1 S. 1 AktG v. 1937, was aus dem unmittelbaren systematischen Zusammenhang ersichtlich wird. Über den Verweis des § 99 AktG v. 1937 fand die Schweigepflicht seitdem auch für Aufsichtsratsmitglieder Anwendung.61 Die Diskussion über die kraft Organmitgliedschaft existierende Pflicht zur Verschwiegenheit für Aufsichtsräte beginnt jedoch nicht erst mit der Aufnahme der Schweigepflicht in das Aktiengesetz von 1937. Vielmehr bestand zu diesem Zeitpunkt bereits breiter Konsens darüber, dass Organmitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft aufgrund ihrer organschaftlichen Bindung an die Gesellschaft zur Verschwiegenheit verpflichtet sind.62 Mit der Aufnahme der Sorgfaltspflicht für Vorstand und Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft in das HGB v. 1897 wurde ein erster normativer Ansatz für die Verortung der aktienrechtlichen Schweigepflicht geboten.63 Die Gesetzesgrundlage der Verschwiegenheitspflicht für Vorstandsmitglieder wurde bis 1937 in § 241 HGB v. 1897 erkannt, wonach der Vorstand die Geschäfte der Gesellschaft mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns zu führen hatte.64 Die Vorschrift diente der Sorgfaltspflicht nach § 84 Abs. 1 S. 1 AktG v. 1937 als Vorbild und kann damit als dogmatischer Ursprung der aktienrechtlichen Schweigepflicht bezeichnet werden. Gadow/Heinrich/Schmidt, E./Schmidt, W./Weipert, AktG Bd. 1, 1. Aufl. 1939, § 84 Anm. 11, der auf die Treuepflicht abstellt. 61 In der ursprünglichen Fassung des deutschen Aktiengesetzes vom 30. Januar 1937 (RGBl. I 1937, S. 107) fand die Schweigepflicht für den Vorstand in § 84 Abs. 1 S. 2 AktG (entspricht § 93 Abs. 1 S. 3 AktG n. F.) ihre Rechtsgrundlage, auf die für Aufsichtsräte § 99 AktG (entspricht § 116 Abs. 1 S. 1 AktG n. F.) verwiesen hat. Die zitierten Normen sind im Zuge der Neufassung des Aktiengesetzes durch das Gesetz Nr. 48 vom 06. September 1965 (BGBl. I S. 1089) sinngemäß übernommen worden. Der Inhalt von § 116 des Aktiengesetzes in der Fassung vom 06. September 1965 entspricht § 99 AktG v. 1937 und § 116 Abs. 1 S. 1 AktG n. F. Der Inhalt von § 93 Abs. 1 S. 2 des Aktiengesetzes in der Fassung vom 06. September 1965 entspricht § 84 Abs. 1 S. 2 AktG v. 1937 und § 93 Abs. 1 S. 3 AktG n. F. 62 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Auflage 2019, § 93 Rn. 160; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Auflage 2006, Rn. 13; Dauner-Lieb, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2021, AktG, § 93 Rn. 10; Kühlewein, Die Verantwortlichkeit der Arbeitnehmer-Vertreter im Aufsichtsrat, NJW 1954, 621 (621) m. w. N. aus der Zeit; a. A. Kittner, in: Kittner/Fuchs/Zachert, Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, 2. Aufl. 1982, Rn. 668. 63 Das gesamte deutsche Aktienrecht war bis zur Einführung des Aktiengesetzes v. 1937 als Teil des Handelsgesetzbuchs in den §§ 178 bis 334 HGB v. 1897 enthalten. 64 Stebgut, v., Geheimnisschutz und Verschwiegenheitspflicht im Aktienrecht, 1972, S. 82.
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
Die an Mitglieder des Aufsichtsrats adressierte Schweigepflicht wurde bis zum Jahr 1937, parallel zu derjenigen des Vorstands, aus der Sorgfaltspflicht des Aufsichtsrats nach § 249 Abs. 1 HGB v. 1897 abgeleitet.65 Mit § 312 HGB v. 1897 enthielt das Gesetz eine Strafandrohung für absichtliches und gesellschaftsschädigendes Verhalten durch die Mitglieder des Vorstands und Aufsichtsrats, worunter auch die vorsätzliche Offenbarung von Gesellschaftsgeheimnissen subsumiert werden konnte, sofern der Gesellschaft hieraus ein Schaden entstand.66 Die Entwicklungen rund um den Aufsichtsrat als Gesellschaftsorgan und seine Informationsrechte sind der realtypische Hintergrund der aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht, doch erst die Mitbestimmungsregeln wirkten als Katalysator eines zunehmend kontrovers geführten Diskurses über die erforderliche Intensität einer effektiven Überwachung der Gesellschaftsleitung einerseits und einem erfolgreichen Geheimnisschutz andererseits.67 Mit der Öffnung des Überwachungsorgans der Aktiengesellschaft für Vertreter der Arbeitnehmerinteressen vollzog sich der letzte Schritt zur Umwandlung des Aufsichtsrats, vom ursprünglichen fakultativen Anteilseignerorgan hin zum obligatorischen und interessenpluralistischen Gesellschaftsorgan.68 Das Bedürfnis nach dem Schutz der Gesellschaftsinformationen, deren Kenntniserlangung zur pflichtgemäßen Erfüllung der Aufgaben des Aufsichtsrats erforderlich ist, erlangte angesichts des Wandels der Interessenlage im Aufsichtsrat eine neue Bedeutung. Nachdem zunächst die Öffnung des Aufsichtsrats für gesellschaftsfremde Dritte, in Verbindung mit der Stärkung seiner Informationsrechte, den Vorstand aus seiner Position als alleinigen Informationsträger der Gesellschaftsverwaltung verdrängte, sollten fortan Arbeitnehmervertreter und gewählte gesellschaftsfremde Dritte (Nichtgesellschafter-Aufsichtsräte) in gleichem Umfang Zugang zu Unternehmensgeheimnissen erhalten. Stärker als andere Nichtgesellschafter-Aufsichtsräte verfolgen Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat auch eigene Interessen, die den Gesellschaftsinteressen zuwiderlaufen können.69 Im Falle einer vom Vorstand einer Aktiengesellschaft ge65 Nach § 249 Abs. 1 HGB v. 1897 hatten die Aufsichtsratsmitglieder bei der Erfüllung ihrer Obliegenheiten die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns anzuwenden. 66 Stebgut, v., Geheimnisschutz und Verschwiegenheitspflicht im Aktienrecht, 1972, S. 83 m. w. N. 67 Die Entwicklung der Mitbestimmungsrechte verbucht Reichelt als Ergebnis des gesellschaftspolitischen Klimas insb. in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und verweist dabei auch auf die unnachgiebig geführten Arbeitskämpfe der Bergmänner, Reichelt, Die Institution des Aufsichtsrates in der deutschen Aktiengesellschaft, 1998, S. 80 ff. 68 Vgl. Spieker, Die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder, NJW 1965, 1937 (1937); Westermann, Rechte und Pflichten des mitbestimmten Aufsichtsrats und seiner Mitglieder, ZGR 1977, 219 (220); vgl. hierzu bereits oben Fußnote 37. 69 Kühlwein, Die Verantwortlichkeit der Arbeitnehmer-Vertreter im Aufsichtsrat, NJW 1954, 621 (626), spricht dabei von der Gegensätzlichkeit der Belange von Kapital und Arbeit, die nicht in allen Fällen überbrückbar sind.
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planten Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland könnte damit bspw. die Arbeitnehmervertretung in einer frühestmöglichen Bekanntmachung der Pläne die Chance sehen, den Vorstand durch öffentlichen Druck zum Umdenken zu bewegen. Dem gewinnorientierten Interesse der Gesellschaft auf Reduzierung von Produktionskosten stünde zunächst das Interesse der Arbeitnehmer am Erhalt der Arbeitsplätze entgegen. Das Arbeitnehmerinteresse würde sich in der Regel mit dem generellen Interesse der Öffentlichkeit am Erhalt von Arbeitsplätzen im Inland decken, weshalb eine mediale Berichterstattung und die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit Druck auf die Gesellschaftsleitung ausüben würden. Ohne eine entsprechende Verschwiegenheitspflicht für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat stünde zu befürchten, dass die kapitalorientierten Interessen regelmäßig von den Interessen der Arbeitnehmer zurückgedrängt werden könnten. In der Folge stünde eine Umkehr des gesetzgeberisch vorgesehenen Machtgefüges zu befürchten, die anstelle der unabhängigen Leitung der Gesellschaft durch den Vorstand eine arbeitnehmergesteuerte Leitung „von unten nach oben“ bedingen könnte. Dieser Überlegung Rechnung tragend trat bereits 17 Jahre vor der Normierung der Schweigepflicht im Aktiengesetz v. 1937 mit § 70 S. 3 des Betriebsrätegesetzes vom 04. 02. 192070 erstmalig eine gesetzliche Regelung mit dem Inhalt einer Verschwiegenheitspflicht in Kraft, die sich in ihrem Adressatenkreis lediglich auf Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat bezog. Danach waren diese verpflichtet, über die ihnen gemachten vertraulichen Angaben Stillschweigen zu bewahren. Die Regelung bezog sich unmittelbar auf den ersten Satz der Vorschrift, wonach Arbeitnehmer bei der Bildung eines Aufsichtsrats nach der Maßgabe eines besonderen hierüber zu erlassenden Gesetzes zu beteiligen waren, soweit eine gleichartige Vertretung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat nicht schon auf Grund anderer Gesetze stattfand. Konkrete Bestimmungen über die Art und den Umfang der Mitbestimmung durch die Arbeitnehmer enthielt das Gesetz über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat vom 15. 02. 192271. Durch die nationalsozialistische Gesetzgebung wurde dieses Gesetz 1934 allerdings wieder aufgehoben.72 Mit Aufnahme der ausführenden Regelung des § 116 Abs. 1 S. 2 AktG durch das TransPuG73 im Jahr 2002, wonach (alle) Aufsichtsratsmitglieder insbesondere zur Verschwiegenheit über erhaltene vertrauliche Berichte und vertrauliche Beratungen verpflichtet sind, hat der Gesetzgeber an die seit 1937 bestehende und nunmehr in § 116 S. 1 AktG n. F. i. V. m. § 93 Abs. 1 S. 3 AktG n. F. normierte Verschwiegen70
RGBl. I 1920, S. 147. RGBl. I 1922, S. 209. 72 § 65 Nr. 3 des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. 01. 1934, RGBl. I 1934, S. 45. Zu den Auswirkungen der nationalsozialistischen Ideologie des Führerprinzips auf das Recht der Aktiengesellschaft Reichelt, Die Institution des Aufsichtsrates in der deutschen Aktiengesellschaft, 1998, S. 85 ff. 73 Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz – TransPuG) vom 19. 7. 2002, BGBl. I S. 2681. 71
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
heitspflicht des Aufsichtsrats angeknüpft und beispielhafte Aufzählungen ergänzt, ohne die bestehende Rechtslage zu ändern.74 Diskussionen im Zusammenhang mit der kraft Organstellung entstandenen Verschwiegenheitspflicht bezogen sich, auch nach der Aufnahme der Schweigepflicht in das Aktiengesetz von 1937, hauptsächlich auf Unterschiede in ihrer Herleitung und dogmatischen Verankerung, die für das Gesamtverständnis von Inhalt und Reichweite von Bedeutung ist. b) Schweige-, Sorgfalts- und Treuepflicht Die aktienrechtliche Schweigepflicht wurde vor 1937 überwiegend als Konkretisierung der Sorgfaltspflicht aus § 241 HGB v. 1897 den Vorstand und aus § 249 Abs. 1 HGB v. 1897 den Aufsichtsrat betreffend angesehen.75 Seit ihrer ausdrücklichen Aufnahme in das Aktiengesetz v. 1937 ist die Schweigepflicht für Vorstandsund Aufsichtsratsmitglieder zudem gesetzessystematisch stets im Zusammenhang mit der Sorgfaltspflicht normiert76, was für die Sorgfaltspflicht als dogmatisches Fundament der aktienrechtlichen Schweigepflicht sprechen soll.77 Die Sorgfaltspflicht findet ihre gesetzliche Grundlage heute in § 93 Abs. 1 S. 1 AktG und begründet eine allgemeine Handlungsmaxime, wonach der Vorstand und über den Verweis des § 116 Abs. 1 S. 1 AktG auch der Aufsichtsrat, bei allen organschaftlichen Handlungen die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden haben. Später setzte sich zunehmend die Ansicht durch, wonach die Verschwiegenheitspflicht Ausfluss der Treuepflicht sei,78 die ihrerseits aus der Beziehung des 74 Vgl. BeschlussEmpf des RechtsA, BT-Drucks. 14/9079, S. 18: „Keinesfalls ist die Vorschrift so zu verstehen, als habe der Aufsichtsrat nun höhere, respektive der Vorstand geringere Verschwiegenheitspflichten.“ Im Konsens auch Schenk, v., in: Semler/Schenk, v., Der Aufsichtsrat, 1. Auflage 2015, § 116 Rn. 496, welcher dementgegen oder zumindest missverständlich von einer allgemeinen Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder nach § 93 Abs. 1 S. 3 AktG (Rn. 411 ff.) und einer besonderen Verschwiegenheitspflicht nach § 116 S. 2 AktG (Rn. 496 ff.) spricht. 75 Siehe hierzu bereits oben unter B.I.2.a). 76 Zu den aktienrechtlichen Rechtsgrundlagen der Verschwiegenheitspflicht für Vorstand und Aufsichtsrat siehe bereits oben in Fußnote 61. Die Sorgfaltspflicht fand demgegenüber zunächst in § 241 HGB v. 1897, später in § 84 Abs. 1 S. 1 AktG v. 1937 ihre Rechtsgrundlage und ist wortlautidentisch in den bis heute unveränderten § 93 Abs. 1 S. 1 in das AktG v. 1966 aufgenommen worden. 77 Spieker sieht in der Verschwiegenheitspflicht eine „unselbstständige Nebenpflicht“ als Ausfluss der allgemeinen Sorgfaltspflicht; vgl. Spieker, Die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder, NJW 1965, 1937 (1937); ebenso Nagel, Die Verlagerung der Konflikte um die Unternehmensmitbestimmung auf das Informationsproblem, BB 1979, 1799 (1802); Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 16. 78 Ausführlich hierzu Kittner, Unternehmensverfassung und Information, ZHR 1972, 208 (220); diesem zustimmend Wenninger, Die aktienrechtliche Schweigepflicht, 1983, S. 99; vgl. auch Spindler, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 52 Rn. 662; Ha-
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Organmitglieds zur Gesellschaft, also unmittelbar aus der organschaftlichen Bestellung erwächst.79 Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht wird allgemein als Pflicht zur Wahrung des Wohls der Gesellschaft verstanden, wovon die Pflicht zur Abwehr von Schäden umfasst ist.80 Schäden entstehen einer Gesellschaft, wenn solche Informationen, deren Kenntnis Vorteile im Wettbewerb bedeuten, nach außen gelangen und der Gesellschaft damit der wirtschaftliche Wert der Exklusivität der Information verloren geht. Daneben können auch Informationen, deren exklusive Kenntnis keinen positiven wirtschaftlichen Vorteil bedingt, einer Gesellschaft durch ihre öffentliche Bekanntgabe Schaden zufügen. Die Exklusivität von Gesellschaftsinformationen kann damit einerseits Wirtschaftsvorteile sichern (aktiver Informationsgehalt) und andererseits Nachteile im Wettbewerb verhindern (passiver Informationsgehalt). Die geschäfts- und damit gesellschaftsschädigende Wirkung des passiven Informationsgehalts wird bspw. im Fall der Bekanntgabe von Geschäftskooperationen mit imageschädigender Wirkung (etwa zu unliebsamen ausländischen Regierungen oder in der Kritik stehenden Unternehmen) oder der Bekanntmachung von angewandten Verfahrensarten der Produkttestung an Tieren realisiert. In der Weitergabe vertraulicher Informationen liegt daher oftmals ein gesellschaftsschädigendes Verhalten, weshalb im Umkehrschluss Aufsichtsratsmitglieder als Inhaber von vertraulichen Informationen unmittelbar aus der Treuepflicht zur Verschwiegenheit verpflichtet sind. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht kann hiermit unmittelbar auf die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht zurückgeführt werden. Eine kombinierende Ansicht sieht die Treue- und Sorgfaltspflicht gleichermaßen als dogmatische Grundlage der organschaftlichen Schweigepflicht des Aufsichtsrats an, wobei aus den Ausführungen nicht immer eindeutig hervorgeht, ob die Begriffe kumulativ oder synonym verwendet werden.81 Eine exklusive Ansicht, wonach sich bersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 53; Koch, in: Koch, Aktiengesetz, 16. Aufl. 2022, § 93 Rn. 62; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 93 Rn. 160; Schmidt, U., in: Heidel, NK AktG, 5. Aufl. 2020, § 93 Rn. 60; Hopt/Roth, in: Hirte/Mülbert/Roth, Großkomm AktG Bd. 4 Tb. 2, 5. Aufl. 2015, § 93 Rn. 279 m. w. N.; Hölters/Hölters, in: Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl. 2022, § 93 Rn. 115; Dauner-Lieb, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2021, AktG, § 93 Rn. 10. 79 Zur Entstehung der Treuepflicht bei Aufsichtsratsmitgliedern vgl. Schenk, v., in: Semler/ Schenk, v., Der Aufsichtsrat, 1. Aufl. 2015, § 116 Rn. 177. 80 Zu dem Begriff der „organschaftlichen Treuebindung“ s. Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 84 Rn. 10, 11. 81 Für eine parallele Pflichtenbindung des Aufsichtsratsmitglieds an Treue- und Sorgfaltspflicht Hopt/Roth, in: Hirte/Mülbert/Roth, Großkomm Aktiengesetz Bd. 5, 5. Auflage 2019, § 116 Rn. 144; vgl. auch bereits Veith, Zur Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder, NJW 1966, 526 (527); Säcker, Aktuelle Probleme der Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder, NJW 1986, 803 (803); Bürgers, in: Bürgers/Körber/Lieder, AktG, 5. Aufl. 2021, § 93 Rn. 47; Mertens/Cahn, in: KK AktG Bd. 2/1, 3. Aufl. 2010, § 93 Rn. 113 für den Vorstand, worauf dies., in: KK AktG Bd. 2/2, 3. Aufl. 2013, § 116 Rn. 37, für den Aufsichtsrat verweisen; wohl auch BGH, Urt. v. 05. 06. 1975 („Bayer“) – II ZR 156/73, BGHZ 64,
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
zumindest für Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat weder aus der Sorgfalts- noch aus der Treuepflicht eine Verschwiegenheitspflicht ableiten lässt, konnte sich nicht durchsetzen.82 Das Verhältnis von Schweigepflicht und Treue-, bzw. Sorgfaltspflicht wird nicht einheitlich beurteilt. Die Ursache hierfür liegt auch in einer unterschiedlichen Bewertung der Natur der Sorgfaltspflicht begründet. Zum Teil wird die Sorgfaltspflicht einzig als Verhaltensmaßstab bezeichnet, anhand dessen die Handlungen von Vorstand und Aufsichtsrat im Einzelfall zu beurteilen sind.83 In der Anwendung der Sorgfaltspflicht als Verhaltensmaßstab ist im Einzelfall nicht zu beurteilen, welche Handlung der Vorstand oder Aufsichtsrat konkret hätte vornehmen müssen. Beurteilt wird vielmehr, ob die konkret vorgenommene Handlung auch von einem ordentlichen und gewissenhaften Normadressat in der konkreten Situation vorgenommen werden durfte. Die Sorgfaltspflicht als übergeordneter Verhaltensmaßstab soll sich auf die Art und Weise der Einhaltung der Pflichten des Normadressaten beziehen und diese zu begrenzen geeignet sein.84 Die Sorgfaltspflicht beeinflusst demnach nicht den Inhalt der Treuepflicht, sondern dient lediglich als Maßstab, nach dem die Treuepflicht zu erfüllen ist.85 Wenninger sieht die Sorgfaltspflicht daher auch in einer Rangordnung der Treuepflicht übergeordnet.86 Zusätzlich will eine weitere, wohl überwiegende Ansicht, in der Sorgfaltspflicht auch eine objektive Verhaltenspflicht erkennen (sog. doppelte Funktionsweise)87, die 325 (327) = NJW 1975, 1412 (1412); für den Vorstand offen gelassen bei Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 93 Rn. 62, dagegen für den Aufsichtsrat festgelegt auf die Treuepflicht, ders., in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 116 Rn. 9. 82 Den rechtlichen Einschätzungen Kittners, einem langjährigen Justiziar der heute weltweit größten organisierten Arbeitnehmervertretung, lagen mehr ideologische denn rechtsdogmatische Überlegungen zugrunde, soweit er in vermeintlich unterschiedlichen Auswirkungen der Schweigepflicht für Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat einerseits und für Anteilseignervertreter andererseits die Grundlage für eine gerechtfertigte Ungleichbehandlung der beiden Interessengruppen gesucht hat, vgl. Kittner, in: Kittner/Fuchs/Zachert, Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, 2. Aufl. 1982, Rn. 658 ff., der im Zuge dessen selbst von „idealtypischen Positionen“ hinsichtlich differenzierender Ansichten über die Reichweite der Schweigepflicht spricht; ders., Unternehmensverfassung und Information, ZHR 1972, 208 (218 ff.). Vgl. hierzu auch unten unter B.II.4. 83 Hüffer, Das Leitungsermessen des Vorstands in der Aktiengesellschaft, FS Raiser, 2005, S. 163 (176 ff.), zu den Sorgfaltspflichten der Vorstandsmitglieder; Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münch Hdb GesellR Bd. 4, 5. Aufl. 2020, § 25 Rn. 1. 84 So das Ergebnis der dogmatischen Untersuchung durch Wenninger, Die aktienrechtliche Schweigepflicht, 1983, S. 99. 85 Kittner, Unternehmensverfassung und Information, ZHR 1972, 208 (220). 86 Wenninger, Die aktienrechtliche Schweigepflicht, 1983, S. 99. 87 Koch, in: Koch, Aktiengesetz, 16. Aufl. 2022, § 93 Rn. 7; ders., Das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG), ZGR 2006, 769 (784); Cahn/Mertens, in: KK AktG Bd. 2/1, 3. Aufl. 2010, § 93 Rn. Rn. 10 f.; Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 93 Rn. 21; Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münch Hdb GesellR Bd. 4, 5. Aufl. 2020, § 25 Rn. 1; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 93 Rn. 10; ders., in: Fleischer/Goette, MüKo
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ausweislich der oben genannten Definition gleichermaßen in der Treuepflicht zu sehen ist. Hierin liegt die Schnittmenge zwischen Schweige-, Sorgfalts- und Treuepflicht. Inhaltlich unterscheiden sich die Sorgfaltspflicht in ihrer Funktion einer objektiven Verhaltenspflicht einerseits und die Treuepflicht andererseits nicht.88 Eine Differenzierung zwischen Sorgfalts- und Treuepflicht käme damit nur dann in Betracht, sofern das Gesetz die aus der Sorgfaltspflicht und die aus der Treuepflicht resultierenden objektiven Verhaltenspflichten getrennt behandelt oder eine solche Trennung indirekt voraussetzt, den jeweiligen Pflichten mithin ein voneinander abgrenzbarer Bedeutungsgehalt zugeschrieben werden kann. Weder der Gesetzgeber noch die Literatur lassen allerdings eine trennscharfe Unterscheidung erforderlich erscheinen. Im Ergebnis scheitert jeder Versuch der rechtswissenschaftlichen Literatur, durch eine differenzierende Betrachtungsweise Klarheit zu schaffen. Der Wahrheitsfindung fehlt ein einheitliches Begriffsverständnis von der Treuepflicht auch im Verhältnis zur Rechtsnatur und der Funktionsweise der Sorgfaltspflicht.89 Lediglich dann, wenn die Sorgfaltspflicht ausschließlich als Verhaltensmaßstab angesehen wird, kann die Verschwiegenheitspflicht als Konkretisierung der objektiven Verhaltenspflicht qualifiziert werden, die in dem Fall exklusiv der organschaftlichen Treuepflicht zugeordnet werden kann. Wird dahingegen der Sorgfaltspflicht gleichfalls eine objektive Verhaltenspflicht entnommen, kommt eine Unterscheidung von Sorgfalts- und Treuepflicht bei der Bestimmung der dogmatischen Grundlage der organschaftlichen Verschwiegenheitspflicht nicht in Betracht. In dem Fall wäre jede Differenzierung aufzugeben.90 Ungeachtet der Natur der Sorgfaltspflicht lassen sich für die Ansicht, wonach die Treuepflicht nicht mit der Verschwiegenheitspflicht im Zusammenhang steht und allein auf die Sorgfaltspflicht zurückgeht, keine weiteren Argumente finden. Auch der Verweis auf die Gesetzessystematik vermag letztlich nicht zu überzeugen, indem die aktienrechtliche Schweigepflicht zwar im Zusammenhang mit der Sorgfaltspflicht normiert ist, allerdings auch – und das ist die zweite Seite der Medaille – die GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 43 Rn. 10; ders., Die „Business Judgment Rule“, ZIP 2004 Bd.1, 685 (688); Giedinghagen, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, J., GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2017, § 52 Rn. 177; Ziemons, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, J., GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2017, § 43 Rn. 54. 88 Die Sorgfaltspflicht wird von Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 93 Rn. 10, daher auch als Verschuldensmaßstab und Pflichtenquelle bezeichnet. Unterschieden werden demnach drei große Pflichtenkreise, namentlich die Legalitäts-, Sorgfalts- und Überwachungspflicht, welchen jeweils mitunter konkrete Handlungspflichten zugeordnet werden können, vgl. Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 93 Rn. 12. 89 Bspw. entnimmt Spieker der Sorgfaltspflicht den Inhalt, der nach überwiegender Ansicht die Treuepflicht definiert, vgl. Spieker, Die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder, NJW 1965, 1937 (1937). 90 Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus der Frage nach einem möglichen Ermessensspielraum des Aufsichtsrats bei der Beurteilung einer Information als geheimhaltungsbedürftig.
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
organschaftliche Treuepflicht nach allgemeiner Ansicht auf denselben Rechtsgrund des § 93 Abs. 1 S. 1 AktG i. V. m. der organschaftlichen Bestellung zurückgeführt wird. Die Gesetzessystematik ist damit keineswegs als Argument dafür anzuführen, dass die Schweigepflicht (allein) der Sorgfaltspflicht entspringt. Für die Doppelfunktionalität der Sorgfaltspflicht und damit für die parallele dogmatische Herkunft der Schweigepflicht aus Treue- und Sorgfaltspflicht spricht der Wortlaut von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG, der sich systematisch auf Satz 1 der Norm, mithin auf die Sorgfaltspflicht bezieht. Hiernach liegt eine Pflichtverletzung nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. In einem argumentum e contrario muss aus der Wortwahl („Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, …“) geschlossen werden, dass § 93 Abs. 1 S. 1 AktG eine abstrakte Verhaltenspflicht aufstellt und nicht lediglich einen Verhaltensmaßstab für die Beurteilung einer sorgfältigen Erfüllung auferlegter Pflichten darstellt. Hätte der Gesetzgeber in der Sorgfaltspflicht einen Verhaltensmaßstab normieren wollen, müsste sich Satz 2 der Vorschrift zumindest neutral verhalten und auf die Sorgfaltspflicht Bezug nehmen („Eine Sorgfaltspflichtverletzung liegt nicht vor, …“). Das Gesetz misst der Sorgfaltspflicht damit indirekt die Funktion einer objektiven Verhaltenspflicht bei. Konkrete Unterschiede in Bezug auf Inhalt und Umfang der Schweigepflicht erwachsen aus den unterschiedlichen Ansichten zu den dogmatischen Grundlagen der aktienrechtlichen Schweigepflicht nicht. Ohnehin ist ein Rückgriff auf eine abstrakte objektive Verhaltenspflicht, obgleich sie der organschaftlichen Treuepflicht und/oder der Sorgfaltspflicht entnommen wird, in der Anwendung dann nicht mehr erforderlich, soweit die Verhaltenspflicht tatbestandlich konkretisiert ist. Die Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder ist heute in § 116 S. 1 AktG i. V. m. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG erfasst und spätestens seit der Einführung des § 116 S. 2 AktG n. F. hinreichend konkretisiert. Aus den unterschiedlichen Ansichten zur dogmatischen Herkunft der Schweigepflicht erwachsen insoweit keine weiteren Folgen. Die Bedeutung der dogmatischen Herkunft bezieht sich stattdessen auf die Unveräußerlichkeit der Schweigepflicht, die untrennbar mit der Organmitgliedschaft verbunden ist. c) Zusammenfassung Die Verschwiegenheitspflicht für Mitglieder des Aufsichtsrats war schon lange vor der Konkretisierung durch § 116 Abs. 1 S. 2 AktG im Jahr 2002 ganz überwiegend anerkannt. Gleichwohl sollte ihre Aufnahme in das Aktiengesetz keinen Selbstzweck rechtspolitischen Ursprungs verfolgen. Vielmehr sah es der Gesetzgeber im Zuge der Novellierung des Aktiengesetzes als erforderlich an, mit der
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Stärkung der Position des Aufsichtsrats91 auch die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder im Gesetz hervorzuheben und hiermit, der gegenseitigen Abhängigkeit von Informationsrechten und Verschwiegenheitspflicht Rechnung tragend, die Bedeutung der Vertraulichkeit für das duale Verwaltungssystem zu betonen.92 Materiellrechtlich hat sich durch die Einführung der Regelung des § 116 Abs. 1 S. 2 AktG nichts geändert. Die Rechtsgrundlage der Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats liegt heute in §§ 116 Abs. 1 S. 1, 93 Abs. 1 S. 3 AktG.93 Indem die aktienrechtliche Schweigepflicht im funktionalen Zusammenhang mit der organschaftlichen Bestellung steht, kann auch synonym von der organschaftlichen Verschwiegenheitspflicht die Rede sein. Die dem Aufsichtsrat und Vorstand gleichermaßen auferlegte Verpflichtung zur vertrauensvollen Zusammenarbeit steht als Ausprägung der gesellschaftlichen Treue- und Sorgfaltspflicht nicht eigenständig neben der organschaftlichen Verschwiegenheitspflicht.94 Vielmehr konkretisiert die Verschwiegenheitspflicht die Pflicht zur vertrauensvollen Zusammenarbeit, die ihrerseits den Oberbegriff für eine Mehrzahl von konkreten Verhaltenspflichten darstellt und der objektiven Verhaltenspflicht aus Treue- und Sorgfaltspflicht eine Bestimmung verleiht. Im Falle einer öffentlichen Äußerung des Aufsichtsrats oder einzelner Aufsichtsratsmitglieder vermag die Feststellung eines Verstoßes gegen die abstrakte Pflicht zur vertrauensvollen Zusammenarbeit bei Außerachtlassung einer spezielleren Vorschrift den Pflichtwidrigkeitsvorwurf nicht zu begründen. Stattdessen ist primär der Verstoß gegen die ausdrücklich normierte Schweigepflicht positiv festzustellen. Gelingt dies nicht, kann die konkrete Äußerung nur ausnahmsweise als pflichtwidrig angesehen werden. Das mag etwa anzunehmen sein, wenn der Vorstand im Rahmen einer konkreten Mitteilung an den Aufsichtsrat ausdrücklich auf sein Geheimhaltungsinteresse hingewiesen hat oder sich das Vertrauen des Leitungsorgans auf die Wahrung der Vertraulichkeit dem Aufsichtsrat aufgedrängt haben musste. Bei dieser Prüfung bleibt ein Interesse der Gesellschaft an der Geheim91 Hierzu ist insbesondere die Stärkung der Rechte des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds durch Änderungen der §§ 90 Abs. 3 S. 2, 110 Abs. 1 AktG zu nennen. Ausführlich zu den Änderungen im Aktienrecht durch das TransPuG: Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 1, 4. Auflage 2016, Einleitung Rn. 56 – 58. 92 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/8769 S. 18. 93 Nach Knigge, Änderungen des Aktienrechtes durch das Transparenz- und Publizitätsgesetz, WM 2002, 1729 (1733), soll dahingegen § 116 Abs. 1 S. 2 AktG als eigenständige Rechtsgrundlage der Verschiedenheit der Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtsrat und Vorstand Rechnung tragen. Die Unterscheidbarkeit der Pflichten soll danach zum einen durch die Herkunft der Informationen bedingt sein, welche in Ansehung des Aufsichtsrats erstrangig in Vorstandsberichten liegt, zum anderen soll die Situation des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds, welches häufig auch in anderen Unternehmen tätig ist, wesensprägend für die konkrete Vertraulichkeitspflicht des Aufsichtsrats sein. 94 Anders aber Volhard, Presseerklärungen von Mitgliedern des Aufsichtsrats einer AG, GRUR 1980, 496 (499).
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
haltung der Informationen zwingend außer Acht. Letzteres findet bereits im Rahmen der vorrangigen Prüfung eines Verstoßes gegen die Verschwiegenheitspflicht aus §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 3 AktG Berücksichtigung. Ein gesellschaftsrechtlicher Geheimnisschutz für Informationen, deren Veröffentlichung durch den Aufsichtsrat einerseits der Gesellschaft nicht schadet, auf deren Kenntniserlangung der Aufsichtsrat andererseits keinen Anspruch hat, kann damit nicht auf dem Prinzip zur vertrauensvollen Zusammenarbeit aufbauend begründet werden. Insofern kann die Weitergabe von Informationen durch den Aufsichtsrat, welche keinen Verstoß gegen die gesetzlich normierte Verschwiegenheitspflicht darstellt, grundsätzlich als pflichtgemäße Ausübung seiner Aufgaben angesehen werden. Handelt es sich streitgegenständlich um eine Information, auf deren Kenntniserlangung der Aufsichtsrat einen Anspruch hatte, bleibt die Art und Weise der Veröffentlichung dem Vorstand als „Herr über die Gesellschaftsgeheimnisse“95 vorbehalten. Allein der Vorstand soll die Geschicke der Gesellschaft leiten und soweit er die Geheimhaltung von Informationen, die nicht unter den Anwendungsbereich der aktienrechtlichen Schweigepflicht fallen, für dienlich hält, hat sich der Aufsichtsrat an einem ausdrücklich geäußerten Geheimhaltungswillen des Vorstands zu orientieren. Dem Aufsichtsrat könnten exakt dieselben Informationen vorliegen wie dem Vorstand, doch nimmt das einzelne Aufsichtsratsmitglied sie nicht durch die Augen und Ohren der Leitungsmacht wahr, weshalb dem Leitungsorgan eine vorrangige Einschätzungsprärogative zuzubilligen ist. Wenngleich der voll informierte und gewissenhafte Aufsichtsrat die Gesellschaft und ihr Unternehmen sieht, wie sie ist, wird nur die Leitung sehen, wie sie zukünftig werden soll. Auf der anderen Seite vermag eine dem geäußerten Vorstandswillen zur Geheimhaltung widersprechende Äußerung des Aufsichtsrats die Pflicht zur vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Vorstand dann nicht zu verletzen, soweit schon die Erklärung des Vorstands einen Verstoß gegen dieselbe abstrakte Kooperationspflicht zwischen den Verwaltungsorganen darstellt. Das kann etwa dann der Fall sein, wenn der Geheimhaltungswille des Vorstands nicht auf sachlichen Erwägungen zum Wohle der Gesellschaft oder ihres Unternehmens gründet und stattdessen Individualinteressen dient.
3. Die Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder bei der GmbH Die Pflicht zur Errichtung eines Aufsichtsrats trifft nicht allein die Aktiengesellschaft, sondern kann sich aus den Regeln der Mitbestimmung auch für die Ge-
95 BGH, Urt. v. 26. 04. 2016 – XI ZR 108/15; bestätigt durch BGH, Urt. v. 26. 04. 2016 – XI ZR 108/15, NJW 2016, 2569 Rn. 35.
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sellschaft mit beschränkter Haftung ergeben (obligatorischer Aufsichtsrat),96 bzw. steht den Gesellschaftern die Bildung eines Aufsichtsrats durch eine entsprechende Satzungsregelung andernfalls frei (fakultativer Aufsichtsrat).97 Bereits an der grundsätzlichen Zwecksetzung des Aufsichtsrats einer Gesellschaft mbH ändert sich im direkten Vergleich nichts.98 Sowohl der fakultative Aufsichtsrat (nach § 52 Abs. 1 GmbHG i. V. m. § 111 Abs. 1 AktG), als auch der mitbestimmte Aufsichtsrat der Gesellschaft mbH (nach den Mitbestimmungsgesetzen i. V. m. § 111 Abs. 1 AktG)99 erfüllen in der Überwachung der Gesellschaftsleitung regelmäßig100 ihre wesentliche Funktion.101 Hierzu stehen dem Aufsichtsrat der Gesellschaft mbH regelmäßig dieselben Rechte zur Seite wie dem obligatorischen Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft.102 Anders als der Vorstand einer Aktiengesellschaft ist die Geschäftsführung der Gesellschaft mbH allerdings von Gesetzes wegen nicht zur fortlaufenden Berichterstattung nach § 90 Abs. 1, 2 AktG verpflichtet, da § 52 Abs. 1 GmbHG hierauf nicht verweist. Statuarisch kann der Geschäftsleitung gleichsam eine fortlaufende Berichtspflicht auferlegt werden.103 Gleichwohl wird der Aufsichtsrat zur Erfüllung seiner Aufgaben zwangsläufig in Kenntnis von mitunter hochsensiblen Gesellschaftsgeheimnissen kommen müssen. Insbesondere verbleibt jedem Mitglied des Aufsichtsrats einer Gesellschaft mbH nach § 90 96 Im Einzelnen verpflichten folgende Bestimmungen die GmbH zur Errichtung eines Aufsichtsrats: § 3 Abs. 1 MitbestG, § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 S. 2 HS. 1 DrittelbG, § 3 Abs. 1 MontanMitbestG, § 3 Abs. 1 MitbestErgG i. V. m. § 3 Abs. 1 MontanMitbestG sowie § 24 Abs. 2 S. 1 MgVG. 97 Eine Pflicht zur Bildung eines Aufsichtsrats ergibt sich für die Gesellschaft mbH außerdem nach § 18 Abs. 2 S. 1 des Kapitalanlagegesetzbuchs (KAGB), soweit ihr Geschäftsbetrieb darauf gerichtet ist, inländische Investmentvermögen, EU-Investmentvermögen oder ausländische AIF zu verwalten (externe Kapitalverwaltungsgesellschaft nach § 17 Abs. 1 S. 1 KAGB). Ausnahmsweise sind die Aufsichtsratsmitglieder der externen Kapitalverwaltungsgesellschaft auch nicht allein dem Gesellschaftsinteresse, sondern primär dem Anlegerinteresse verpflichtet, § 18 Abs. 4 S. 1 KAGB. 98 Hiermit ist nicht die historische Entwicklung des fakultativen GmbH-Aufsichtsrats angesprochen, der – anders als der stets obligatorische Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft – nicht auch als Ersatz für eine staatliche Beaufsichtigung gedacht war, vgl. Spindler, in: Fleischer/ Goette, MüKo GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 52 Rn. 13. 99 Im Einzelnen verweisen § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 MitbestG, § 1 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 HS. 2 DrittelbG, § 3 Abs. 2 MontanMitbestG, § 3 Abs. 1 MitbestErgG i. V. m. § 3 Abs. 2 MontanMitbestG und § 24 Abs. 2 S. 2 MgVG auf den Pflichtenkatalog des § 111 AktG. 100 Für den fakultativen Aufsichtsrat kann nach § 52 Abs. 1 letzter HS GmbHG etwas anderes bestimmt werden, allerdings wird in dem Fall nicht länger von einem Aufsichtsrat und stattdessen von einem Beirat die Rede sein müssen, vgl. hierzu später unter C.II.5.b). 101 Die Kontrolle beschränkt sich dabei nicht auf die Rechtmäßigkeit des Handelns der Geschäftsführung, sondern bezieht auch die Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Unternehmensführung mit ein, vgl. Altmeppen, in: Altmeppen, GmbHG, 10. Aufl. 2021, § 52 Rn. 26; Henze, Leitungsverantwortung des Vorstands, BB 2000, 209 (213 ff.). 102 Etwas Anderes kann durch Satzungsregelung für den fakultativen Aufsichtsrat bestimmt werden, dessen Befugnisse insoweit weitestgehend frei bestimmt werden können, vgl. Spindler, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 52 Rn. 9 f. 103 Noack, in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 52 Rn. 134.
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
Abs. 3 AktG die Befugnis, die Geschäftsführung jederzeit dazu zu veranlassen, über alle Angelegenheiten der Gesellschaft Bericht zu erstatten.104 Entsprechend der Lage bei der Aktiengesellschaft besteht damit auch für die Gesellschaft mbH die abstrakte Gefahr einer unautorisierten und gesellschaftsschädigenden Weitergabe von Gesellschafts- bzw. Unternehmensgeheimnissen durch Mitglieder des Aufsichtsrats. Die Letztgenannten sind kraft ihrer organschaftlichen Bestellung der Gesellschaft mbH zur sorgfältigen Erledigung ihrer Aufgaben sowie zur Treue verpflichtet.105 Damit kann auch hinsichtlich der Schweigepflicht für Aufsichtsratsmitglieder eines fakultativen oder obligatorischen Aufsichtsrats der Gesellschaft mbH im Grundsatz106 nichts anderes gelten, als für Aufsichtsräte der Aktiengesellschaft bereits ausgeführt wurde.107 Die Pflicht der Aufsichtsratsmitglieder zur Vertraulichkeit konkretisiert die abstrakte Pflicht zur Wahrung der Gesellschaftsinteressen sowie zur Abwehr von Schäden von der Gesellschaft, deren dogmatische Gemeinsamkeit in der Treue- und Sorgfaltsbindung des Organmitglieds zur Gesellschaft liegt.108 Die Einbeziehung der Mitglieder des fakultativen Aufsichtsrats einer Gesellschaft mbH in den Adressatenkreis der aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht resultiert heute auch unmittelbar aus dem Verweis des § 52 Abs. 1 GmbHG auf §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 3 AktG,109 soweit der jeweilige Gesellschaftsvertrag nicht etwas anderes bestimmt.110 In Abweichung vom aktienrechtlichen Normalfall steht es den Gesellschaftern nach § 52 Abs. 1 GmbHG frei, die Aufgaben des fakultativen Aufsichtsrats zu bestimmen. Durch entsprechende Regelungen im Gesellschaftsvertrag können dem Aufsichtsrat zusätzlich Funktionen übertragen oder abgespro104
Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 755. Altmeppen, in: Altmeppen, GmbHG, 10. Aufl. 2021, § 52 Rn. 33; Giedinghagen, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, J., GmbHG Bd. 2, 3. Auflage 2017, § 52 Rn. 183; Koch, in: Koch, Aktiengesetz, 16. Auflage 2022, § 116 Rn. 9. 106 Zur Frage nach der Abdingbarkeit der Treuepflicht in der GmbH Merkt, in: MüKo GmbHG Bd. 1, 4. Aufl. 2022, § 13 Rn. 115 f.; rechtsvergleichend Fleischer/Harzmeier, Zur Abdingbarkeit der Treuepflicht, NZG 2015, 1289 (1290 ff.). 107 Vgl. hierzu bereits oben unter B.I.2.b). 108 Für die Verortung der organschaftlichen Schweigepflicht als Teil der Loyalitätspflicht, die wiederum Ausfluss der Sorgfalts- und Treuepflicht ist Giedinghagen, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, J., GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2017, § 52 Rn. 177 u. 183. 109 Konkret verweist § 52 Abs. 1 GmbHG auf § 90 Abs. 3, 4, 5 Satz 1 und 2, § 95 Satz 1, § 100 Abs. 1 und 2 Nr. 2 und Abs. 5, § 101 Abs. 1 Satz 1, § 103 Abs. 1 Satz 1 und 2, §§ 105, 107 Absatz 3 Satz 2 und 3 und Absatz 4, §§ 110 bis 114, 116 des Aktiengesetzes in Verbindung mit § 93 Abs. 1 und 2 Satz 1 und 2 des Aktiengesetzes, § 124 Abs. 3 Satz 2, §§ 170, 171, 394 und 395 des Aktiengesetzes. 110 Die Satzung der GmbH wirkt konstitutiv für den fakultativen Aufsichtsrat, weshalb ihr im Verhältnis zu den Regelungen des Aktienrechts absoluter Vorrang einzuräumen ist, Scholz/ Illner, in: Prinz/Winkeljohann, Beck’sches Hdb GmbH, 6. Aufl. 2021, § 6 Rn. 34; Spindler, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 52 Rn. 9. Zu den satzungsrechtlichen Möglichkeiten der rechtlichen Ausgestaltung des fakultativen Aufsichtsrats vgl. unten unter C.II.5.b). 105
I. Wesensmerkmale
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chen, bzw. können Aufsichtsratsmitglieder von einzelnen Pflichten aus aktienrechtlichen Bestimmungen entbunden werden.111 Aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Sorgfalts- und Treuebindung des wirksam bestellten Organmitglieds zu der Gesellschaft ist eine vollständige Entbindung der Mitglieder des fakultativen Aufsichtsrats von der Schweigepflicht allerdings ausgeschlossen.112 Verstöße gegen die Pflicht zur Vertraulichkeit sind nach § 85 GmbHG, der im Wesentlichen der Strafvorschrift des § 404 AktG entspricht, strafbewehrt. Mitglieder des obligatorischen Aufsichtsrats der Gesellschaft mbH sind auch nach den jeweiligen mitbestimmungsrechtlichen Sondervorschriften zwingend zur Vertraulichkeit verpflichtet, ohne dass eine willkürliche Modifikation der Schweigepflicht möglich ist.113 Unterschiede zwischen dem mitbestimmten Aufsichtsrat der Gesellschaft mbH und einem durch Satzungsregelung errichteten (fakultativen) Aufsichtsrat ergeben sich des Weiteren hinsichtlich der jeweiligen Größe und Zusammensetzung, der Zuständigkeiten (beschränkt)114, der inneren Ordnung und Beschlussfassung, sowie der Art und Weise der Bestellung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsrat.115 Auswirkungen auf die individuelle Vertraulichkeitspflicht des einzelnen Organmitglieds resultieren hieraus allerdings keine. Im Allgemeinen kann damit für die Verschwiegenheitspflicht des GmbH-Aufsichtsrats auf die bisherigen Ausführungen zur Aktiengesellschaft verwiesen werden. Zu beachtende Unterschiede zwischen der Schweigepflicht des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft bzw. Gesellschaft mbH können sich im Einzelnen aus § 52 GmbHG und dem daraus resultierenden Prinzip des absoluten Satzungsvorrangs gegenüber dem Aktiengesetz ergeben.116 Ursachen und Folgen etwaiger Abweichungen und sonstige Besonderheiten werden daher im weiteren Verlauf an
111 Ob (berichtspflichtige) Mitglieder des GmbH-Aufsichtsrats von der Schweigepflicht gegenüber der Gebietskörperschaft-Gesellschafterin befreit werden können ist umstritten, vgl. hierzu unten unter C.II.5. Zu den Möglichkeiten der satzungsrechtlichen Beschränkung der Geltung der Schweigepflicht siehe unten unter C.II.5.b). 112 VG Regensburg, Urteil vom 02. 02. 2015 – RN 3 K 04.01408, S. 6; Giedinghagen, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, J., GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2017, § 52 Rn. 183a m. w. N. 113 Im Einzelnen nehmen folgende Mitbestimmungsregeln im Wege der Verweisung Bezug auf die aktienrechtliche Schweigepflicht: § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 MitbestG, § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 S. 2 HS. 2 DrittelbG, § 3 Abs. 2 MontanMitbestG, § 3 Abs. 1 MitbestErgG i. V. m. § 3 Abs. 2 MontanMitbestG sowie § 24 Abs. 2 S. 2 MgVG. 114 Die Aufgaben des Aufsichtsrats einer Kapitalgesellschaft sind im Grundsatz durch das Aktiengesetz verbindlich vorgegeben und erfahren im Fall des mitbestimmten Aufsichtsrats punktuelle Modifikationen, bspw. hinsichtlich der Festlegung von Zielgrößen und Fristen für das Erreichen des Frauenanteils in Vorstand und Aufsichtsrat der Gesellschaft, vgl. § 111 Abs. 5 AktG. 115 Aufzählung nach Noack, in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 52 Rn. 3. 116 Spindler, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 52 Rn. 9.
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
entsprechender Stelle aufgezeigt.117 Besondere Aufmerksamkeit wird hierbei die Wirkung der Schweigepflicht im Verhältnis von Aufsichtsrat und Gesellschafter im Fall der personalistischen Gesellschaft mbH zuteil. Daneben ist für das Verhältnis von aktienrechtlicher Verschwiegenheitspflicht und Berichterstattungspflicht gegenüber der öffentlichen Körperschaft neben den §§ 394, 395 AktG auch die Konstruktion der Ein-Personen-GmbH von besonderer Bedeutung.118
4. Verhältnis der organschaftlichen Verschwiegenheitspflicht zu weiteren Mitteilungsverboten Neben der aktienrechtlichen Schweigepflicht verpflichten weitere gesetzliche Mitteilungsverbote aus dem Kapitalmarkt-, Wettbewerbsrecht und nunmehr auch aus dem Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) Aufsichtsratsmitglieder zum vertraulichen Umgang mit Gesellschaftsgeheimnissen. Dabei sind Sachverhalte, wonach das zur Berichterstattung gegenüber der öffentlichen Hand verpflichtete Aufsichtsratsmitglied nicht lediglich die Vorgaben der Schweigepflicht aus dem Organschaftsverhältnis zu beachten hat, nicht fernliegend, wie im Folgenden zu zeigen ist. Die aktienrechtliche Schweigepflicht kann im Einzelfall in echter Konkurrenz zu weiteren gesetzlichen Mitteilungsverboten stehen. Für die Zwecke der Untersuchung der Kollision von aktienrechtlicher Schweigepflicht und dem Informationsprivileg der öffentlichen Hand soll die nachfolgende Darstellung der Gemeinsamkeiten, Unterschiede und des jeweiligen Konkurrenzverhältnisses der verschiedenen Mitteilungsverbote zum Zwecke gegenseitiger Abgrenzung ausreichend sein. Aus der Perspektive des zur Berichterstattung gegenüber der öffentlichen Hand verpflichteten Aufsichtsratsmitglieds sind überdies die Existenz und Voraussetzungen etwaiger Ausnahmetatbestände von besonderer Bedeutung. Die hinsichtlich der aktienrechtlichen Schweigepflicht in § 394 S. 1 AktG normierte Ausnahme von der Vertraulichkeitspflicht vermag nicht ohne Weiteres auch von sonstigen gesetzlichen Mitteilungsverboten zu befreien. a) Kapitalmarktrechtliches Mitteilungsverbot Die unberechtigte Weitergabe von Informationen aus dem Kreis des Vorstands oder des Aufsichtsrats kann im Fall der börsennotierten Aktiengesellschaft neben dem Anwendungsbereich der aktienrechtlichen Schweigepflicht auch den Anwendungsbereich des europäischen Kapitalmarktrechts betreffen. Das europäische Ka117
Einen konzisen Überblick über Gemeinsamkeiten und Unterschiede bieten Erker/ Freund, Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern bei der GmbH, GmbHR 2001, S. 463 ff. 118 Vgl. zur Ein-Personen-GmbH unten unter B.II.3.b)dd).
I. Wesensmerkmale
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pitalmarktrecht unterscheidet zwischen Insidergeschäften, der unrechtmäßigen Offenlegung von Insiderinformationen und Marktmanipulation, die gemeinsam den Oberbegriff des Marktmissbrauchs definieren.119 Nach Art. 14 lit. c der Marktmissbrauchsverordnung (MMVO)120 ist die unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen in der von Art. 10 MMVO beschriebenen Weise verboten.121 Das Merkmal der Offenlegung wird bereits mit der Informationsweitergabe an eine Person erfüllt und ist gerade nicht als Veröffentlichung in dem Sinne zu verstehen, dass einer unbestimmten Anzahl von Personen die Kenntniserlangung ermöglicht werden müsste.122 Einschränkungen erfährt das Verbot der Weitergabe von Informationen, sofern die konkrete Weitergabe der Marktsondierung im Sinne des Art. 11 Abs. 1 MMVO gilt und im Gegenzug Dokumentations- und Informationspflichten nach Art. 11 Abs. 3 – 8 MMVO eingehalten werden. Welche Informationen als Insiderinformationen in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen, definiert der ausführliche Katalog in Art. 7 MMVO.123 Verstöße gegen das Offenlegungsverbot aus Art. 14 lit. c MMVO können gem. § 119 Abs. 3 Nr. 3 WpHG n. F. strafrechtliche Konsequenzen in Form einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe nach sich ziehen. Auf tatbestandlicher Ebene verfügen alle natürlichen Personen die Träger von Insiderinformationen i. S. d. Art. 7 MMVO sind über die erforderliche Täterqualität als Insider, unabhängig von der Mitgliedschaft in einem Leitungs- oder Überwachungsorgan der börsennotierten Aktiengesellschaft bzw. den konkreten Umständen der Kenntniserlangung.124 Die Mitglieder von Leitungs- und Aufsichtsorganen gelten jedenfalls gem. Art. 8 Abs. 4 MMVO als sog. Primärinsider.125 Dementgegen sind aus der organschaftlichen Verschwiegenheitspflicht, wie voranstehend beschrieben, 119 Vgl. Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 04. 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/ 124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. EU L 173 v. 12. 6. 2014, Erwägungsgrund 7. 120 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 04. 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. EU L 173 v. 12. 6. 2014, S. 1 ff. Häufig auch mit „MAR“ nach dem englischen „Market Abuse Regulation“ abgekürzt. 121 Das Kapitalmarktrecht hat innerhalb der letzten Jahre zahlreiche Änderungen erfahren und ist heute im Geltungsbereich der Europäischen Union einheitlich geregelt. Für die Zwecke dieser Untersuchung genügt die Darstellung der aktuellen Rechtslage. Zur Entwicklung des Kapitalmarktrechts in jüngerer Vergangenheit s. Kumpan, in: Hopt, HGB, 41. Aufl. 2022, MAR, Vorb. Rn. 1 ff. 122 Kumpan, in: Hopt, HGB, 41. Aufl. 2022, MAR, Art. 10 Rn. 3. 123 Zum Begriff der Insiderinformation des Art. 7 MMVO und weiterführenden Hinweisen zu umstrittenen Auslegungsfragen s. Hopt/Kumpan, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, 6. Aufl. 2022, Kap. 17, § 86 Rn. 42 ff. 124 Klöhn, in: Klöhn, MAR, 2018, Art. 10 Rn. 9 ff. 125 Kalss, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 93 Rn. 410.
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
lediglich Mitglieder von Leitungs- und Überwachungsorgan der deutschen Kapitalgesellschaft verantwortlich, obgleich die Gesellschaft börsennotiert ist oder nicht. Die Anwendungsvoraussetzungen von aktienrechtlicher Schweigepflicht und Insiderverbot aus Art. 14 lit. c MMVO stimmen damit nicht vollständig überein. Allerdings verbindet die aktienrechtliche Schweigepflicht und das Verbot der Veröffentlichung von Insiderinformationen nach europäischem Kapitalmarktrecht sowohl im Adressatenkreis, als auch im sachlichen Anwendungsbereich eine gemeinsame Schnittmenge. Denkbare Fallkonstellationen in diesem Zusammenhang beschränken sich auf börsennotierte Aktiengesellschaften, deren Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder organschaftlich zur Verschwiegenheit verpflichtet sind und denen in ihrer Eigenschaft als Primärinsider zugleich die Offenlegung von kursrelevanten Insiderinformationen nach Art. 14 lit. c MMVO verboten ist.126 In diesen Fällen resultiert die parallele Anwendbarkeit der Mitteilungsverbote aus europäischem Kapitalmarktrecht und deutschem Aktienrecht aus den unterschiedlichen Schutzgütern der Verhaltenspflichten, nach denen auch die Abgrenzung beider Mitteilungsverbote voneinander vorzunehmen ist.127 Das europäische Kapitalmarktrecht ist als Instrument zur Integration der Finanzmärkte dem Schutz der Integrität des unionsweiten Kapitalmarkts zu dienen bestimmt. Konkret sollen die grenzüberschreitenden multilateralen Finanzmärkte zum Wohle des Wirtschaftswachstums vor Missbräuchen geschützt, mithin das reibungslose Funktionieren der Wertpapiermärkte gesichert werden, wodurch das Vertrauen von Investoren in Wertpapiere und Derivate nachhaltig gestärkt werden soll.128 Das Verbot der Offenlegung von Insiderinformationen soll verhindern, dass Inhaber von Sonderwissen zum Nachteil von Dritten einen Nutzen aus Informationen erzielen und damit die Integrität der Finanzmärkte untergraben, was zu einem Vertrauensverlust der Investoren führen würde.129 Art. 14 lit. c MMVO bezieht daher nur solche Informationen in seinen sachlichen Anwendungsbereich mit ein, denen eine sog. Kursrelevanz inhärent ist.130 Hierfür ausreichend ist, dass sich eine Kursbewegung gerade 126 Nicht jede Insiderinformation muss Gesellschaftsgeheimnis sein und umgekehrt, s. dazu Hopt/Roth, in: Hirte/Mülbert/Roth, Großkomm AktG Bd. 4 Tb. 2, 5. Aufl. 2015, § 93 Rn. 283. 127 Für eine parallele Anwendbarkeit auch Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 93 Rn. 132, trotz des Verweises auf Begr. RegE BT-Drs. 14/8769, S. 18. 128 Vgl. Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 04. 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/ 124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. EU L 173 v. 12. 6. 2014, Erwägungsgründe 1, 2, 4, 5 u. 7. 129 Vgl. Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 04. 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/ 124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. EU L 173 v. 12. 6. 2014, Erwägungsgrund 23. 130 Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl. 2019, Art. 7 VO (EU) Nr. 596/2014, Rn. 78.
I. Wesensmerkmale
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der offengelegten Information zuordnen lässt, wobei unerheblich ist, ob die Richtung der Kursbewegung abzusehen war.131 Die Anwendbarkeit der Verschwiegenheitspflicht des deutschen Aktienrechts ist dahingegen unabhängig von etwaigen Einflüssen auf die Finanzmärkte als Folge einer unautorisierten Informationsweitergabe zu bestimmen und richtet sich nach dem Vorliegen eines Gesellschaftsgeheimnisses. Dass der sachliche Anwendungsbereich des § 93 Abs. 1 S. 3 AktG (für Aufsichtsräte i. V. m. § 116 S. 1 AktG) mit demjenigen des Art. 14 lit. c MMVO nicht vollständig übereinstimmt, steht einer parallelen Anwendbarkeit im Einzelfall nicht entgegen. Vielmehr wird in der unautorisierten Weitergabe eines Gesellschaftsgeheimnisses einer börsennotierten Aktiengesellschaft durch ein Mitglied des Vorstands oder Aufsichtsrats regelmäßig auch eine verbotene Offenlegung einer kursrelevanten Information liegen. Beispielsweise müsste in der unautorisierten Weitergabe von geheimen Gesellschafts- bzw. Insiderinformationen, den Abschluss von Beherrschungs- oder Gewinnabführungsverträgen, Erwerbs- oder Pflichtangeboten, Maßnahmen zur Eigen- oder Fremdkapitalisierung oder den Rückzug vom organisierten Markt betreffend, ein von beiden Mitteilungsverboten umfasstes Fehlverhalten gesehen werden.132 Eine Privilegierung des Auskunftsverhaltens von Aufsichtsratsmitgliedern der börsennotierten Aktiengesellschaft, wie sie das Informationsprivileg der §§ 394, 395 AktG hinsichtlich der aktienrechtlichen Schweigepflicht vorsieht, kennt das europäische Kapitalmarktrecht nicht. Stattdessen liegt mit der Informationsweitergabe an einzelne Aktionäre grundsätzlich eine unrechtmäßige Offenlegung nach Art. 10 MMVO vor.133 Eine rechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen liegt nach der Rechtsprechung des EuGH jedoch vor, soweit zwischen der Informationsweitergabe und der Aufgabenerfüllung des Pflichtadressaten ein enger Zusammenhang besteht und die Weitergabe der Information für die Aufgabenerfüllung unerlässlich ist.134 Diese Situation trifft auf die berichterstattungspflichtigen Repräsentanten der Gebietskörperschaft im Aufsichtsrat zu, die gerade durch die Informationsweitergabe ihrer bestimmungsgemäßen Aufgabe nachkommen. Rechtmäßig ist die Informationsweitergabe außerdem, soweit sie aufgrund einer gesetzlichen Berichtspflicht erfolgt.135 Indem auch § 394 S. 1 AktG eine bestehende
131
Kumpan, in: Hopt, HGB, 41. Aufl. 2022, MAR, Art. 7 Rn. 1. Aufzählung nach Kumpan, in: Hopt, HGB, 41. Aufl. 2022, MAR, Art. 7 Rn. 16, mit zahlreichen weiteren Beispielen; vgl. auch Hopt/Kumpan, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, 6. Aufl. 2022, Kap. 17, § 86 Rn. 62. 133 Poelzig, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB Bd. 2, 4. Aufl. 2020, Art. 8 – 14 MMVO Rn. 49; Kumpan, in: Hopt, HGB, 41. Aufl. 2022, MAR, Art. 10 Rn. 6. 134 EuGH, Urt. v. 22. 11. 2005 – Rs. C-384/02 („Groongaard und Bang“), WM 2006, 612 (614); zur Fortgeltung der Rspr. Poelzig, Insider- und Marktmanipulationsverbot im neuen Marktmissbrauchsrecht, NZG 2016, 528 (534). 135 Kumpan, in: Hopt, HGB, 41. Aufl. 2022, MAR, Art. 10 Rn. 5 u. 7. 132
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
Berichtspflicht voraussetzt,136 wird die Berichterstattung an die Gebietskörperschaft regelmäßig auf der Grundlage einer gesetzlichen Berichtspflicht erfolgen.137 Die Weitergabe von Insiderinformationen an die beteiligte Gebietskörperschaft erfolgt unter Einhaltung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 394 S. 1 AktG nicht unrechtmäßig und begründet keinen Verstoß gegen das Offenlegungsverbot aus Art. 10 MMVO. b) Wettbewerbsrechtliches Mitteilungsverbot Bisher verbot § 17 Abs. 1 UWG138 unter Androhung einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder Geldstrafe den in einem Unternehmen beschäftigten Personen die unbefugte Weitergabe von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen zu Zwecken des Wettbewerbs, aus Eigennutz, zugunsten eines Dritten oder in der Absicht, dem Inhaber des Unternehmens Schaden zuzufügen. Mit Wirkung vom 26. 04. 2019 trat das Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (nachfolgend: GeschGehG139) in Kraft, im Zuge dessen § 17 UWG insgesamt aufgehoben wurde. Ein speziell wettbewerbsrechtliches Mitteilungsverbot existiert fortan nicht mehr. c) Mitteilungsverbot aus GeschGehG Bis zur Einführung des GeschGehG wurden Geschäftsgeheimnisse in erster Linie durch die Strafvorschriften der §§ 17 bis 19 UWG und daneben auch von den deliktischen Schadensersatzpflichten der §§ 823 und 826 BGB, gegebenenfalls in Verbindung mit § 1004 BGB analog, geschützt. Ein hinreichendes Schutzniveau für Gesellschaftsgeheimnisse, welches dem der Richtlinie (EU) 2016/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung140 (nachfolgend: GeschGeh-Richtlinie141) entspricht, war hierdurch nicht gewährleistet, weshalb sich der Gesetzgeber zum Erlass eines neuen Stammgesetzes veranlasst gesehen hat.142 Das GeschGehG umfasst materiell-rechtliche sowie prozessuale 136
Oetker, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 2, 4. Aufl. 2020, §§ 394, 395 Rn. 15 m. w. N. Nach § 394 S. 3 AktG kann eine Berichtspflicht auch satzungsrechtlich oder rechtsgeschäftlich begründet werden, vgl. hierzu unten unter C.III.2.c). 138 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Gesetz Nr. 32 v. 03. 07. 2004, BGBl. I S. 1414. 139 Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG), Gesetz Nr. 13 v. 18. 04. 2019, BGBl. I S. 466. 140 ABI. L 157 vom 15. 06. 2016, S. 1. 141 Abk. für Geschäftsgeheimnis-Richtlinie. 142 Anders als bspw. die österreichische Bundesregierung, die sich zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/943 für die Aufnahme konkretisierender Regeln zum Geschäftsgeheimnisschutz in das österreichische Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb 1984 (öUWG), BGBl. Nr. 448/1984, entschieden hat (vgl. §§ 26a ff. öUWG). 137
I. Wesensmerkmale
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Regelungen zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich auf die materiell-rechtliche Schweigepflicht nach § 4 Abs. 2 GeschGehG, die im Anschluss unter Zuhilfenahme praktischer Erwägungen zur aktienrechtlichen Schweigepflicht ins Verhältnis gesetzt wird. Die Untersuchung strittiger Auslegungsfragen des noch jungen Gesetzes ist hierfür unverzichtbar. aa) Offenlegungsverbot Das Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen umfasst insbesondere das Verbot einer unerlaubten Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen.143 Unter dem Begriff der Offenlegung ist jede denkbare Form der Informationsweitergabe zu verstehen, ob in Schrift, Bild oder Ton. Das Offenlegungsverbot unterbindet dieselben Handlungen wie die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht, die sich ebenfalls nicht auf den wortwörtlichen Begriffsgehalt im engeren Sinne beschränkt und auch allgemein als Weitergabeverbot bezeichnet wird. In § 4 Abs. 2 Nr. 3 GeschGehG normiert der Gesetzgeber die Anwendbarkeit des GeschGehG im Grundsatz für alle Fälle, in denen gegen eine Pflicht zur Vertraulichkeit verstoßen wird, wenngleich der Wortlaut der Norm nicht sofort hierauf schließen lässt.144 Damit knüpft der Gesetzgeber den Regelungsgehalt des GeschGehG und dessen Rechtsfolgen unmittelbar an eine bestehende Vertraulichkeitspflicht an. Anwendungsvoraussetzung ist damit die Existenz einer konkreten oder abstrakten Pflicht zur Verschwiegenheit, wie sie sich auch aus anderen Gesetzen (z. B. AktG, BDSG), Rechtsgeschäft (z. B. Arbeitsvertrag) oder Treu und Glauben ergeben kann.145 Weiterhin darf nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 GeschGehG ein Geschäftsgeheimnis nicht offenlegen, wer das Geschäftsgeheimnis durch eine eigene Handlung nach § 4 Abs. 1 GeschGehG unbefugt erlangt hat. Ob die Kenntniserlangung unbefugt erfolgte, richtet sich primär nach dem (entgegenstehenden) Willen des berechtigten Informationsträgers bzgl. der Informationsweitergabe an einen Dritten, vgl. § 4 Abs. 2 Nr. 1 GeschGehG. Nach der Generalklausel des § 4 Abs. 2 Nr. 2 GeschGehG liegt eine unbefugte Kenntniserlangung auch in jedem sonstigen Verhalten, das unter den jeweiligen Umständen nicht dem Grundsatz von Treu und Glauben unter Berücksichtigung der anständigen Marktgepflogenheiten entspricht. § 4 Abs. 3 GeschGehG erweitert den personellen Anwendungsbereich des Offenlegungsverbots und adressiert auch Personen, die ein Geschäftsgeheimnis über eine dritte Person erlangt haben und wussten oder hätten wissen müssen, dass der Informationsmittler selbst unter Verstoß gegen die Vorschriften des GeschGehG in Kenntnis der Information gekommen war. 143 Daneben erfasst das GeschGehG auch den unberechtigten Erwerb sowie die Nutzung von Geschäftsgeheimnissen, vgl. § 4 GeschGehG. 144 Ausdrücklich heißt es dort lediglich, dass ein Geschäftsgeheimnis nicht offenlegen darf, wer gegen eine Verpflichtung verstößt, das Geschäftsgeheimnis nicht offenzulegen. 145 Mit einer Übersicht zu zivilrechtlichen Schweigepflichten Wenninger, Die aktienrechtliche Schweigepflicht, 1983, S. 29 ff.
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
bb) Anwendungsvoraussetzungen nach GeschGehG Welche Informationen unter den Begriff des Geschäftsgeheimnisses fallen, definiert das Gesetz in § 2 Nr. 1 GeschGehG. Hiernach ist ein Geschäftsgeheimnis im Sinne des Gesetzes jede Information (erstens) von wirtschaftlichem Wert, die (zweitens) Gegenstand von angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen des rechtmäßigen Inhabers ist und (drittens) an deren Geheimhaltung ein berechtigtes Interesse besteht. Informationen, die in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich sind, soll kein wirtschaftlicher Wert und damit kein Schutz durch das GeschGehG zukommen, § 2 Nr. 1 lit. a) GeschGehG. Unter den Schutzgegenstand des Geschäftsgeheimnisses können alle Arten von technischen und nicht-technischen Informationen subsumiert werden, soweit die genannten Voraussetzungen des § 2 Nr. 1 GeschGehG erfüllt sind.146 Das Erfordernis des wirtschaftlichen Werts, den eine Information verkörpern muss, um in den Schutzbereich des GeschGehG zu fallen, ist weit zu verstehen.147 Bereits ein potentieller Handelswert soll ausreichen, wobei dieser schon dann anzunehmen ist, wenn die unbefugte Offenlegung, Nutzung oder der Erwerb die Interessen des rechtmäßigen Inhabers bzw. dessen rechtmäßige Verfügungsgewalt aller Voraussicht nach dadurch schädigt, dass das wissenschaftliche oder technische Potenzial, die geschäftlichen oder finanziellen Interessen, die strategische Position oder die Wettbewerbsfähigkeit dieser Person untergraben wird.148 Die abstrakt bestehende Möglichkeit der Vermarktung einer Information ist daher ausreichend, um ihr einen wirtschaftlichen Wert im Sinne des GeschGehG zuzuschreiben. Wer berechtigter Inhaber eines Geschäftsgeheimnisses ist, legen weder das GeschGehG noch die zugrundeliegende Richtlinie fest. In § 2 Nr. 2 GeschGehG heißt es lediglich, dass Inhaber jede natürliche oder juristische Person ist, die die rechtmäßige Kontrolle über ein Geschäftsgeheimnis hat.149 Der Bedeutungsgehalt des Begriffs der Kontrolle ist zunächst unklar, was auf eine Ungenauigkeit bei der Übersetzung des englischsprachigen Originalwortlauts der zugrundeliegenden Richtlinie (EU) 2016/ 943 zurückgeht. Nach dem Originalwortlaut des Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2016/943 ist ein trade secret holder (engl. für Inhaber eines Geschäftsgeheimnisses) any natural or legal person lawfully controlling a trade secret. Das englische con146 147
(443). 148
Hauck, Was lange währt…, GRUR-Prax 2019, 223 (223). So auch Ohly, Das neue Geschäftsgeheimnisgesetz im Überblick, GRUR 2019, 441
Erwägungsgrund 14 der Richtlinie (EU) 2016/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, ABI. L 157 vom 15. 06. 2016, S. 1. 149 Vgl. den weitestgehend identischen Wortlaut der deutschen Fassung von Art. 2 Nr. 2 Richtlinie (EU) 2016/934 v. 08. 06. 2016, ABI. L 157 vom 15. 06. 2016.
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trolling ist in diesem Kontext besser mit dem Rechtsbegriff der Verfügungsgewalt zu übersetzen.150 Die Verfügungsgewalt über Informationen kann neben dem originären Inhaber auch Dritten, wie bspw. Lizenznehmern zustehen. Ob die Verfügungsgewalt einer natürlichen oder juristischen Person auch berechtigterweise zusteht, ist stets einzelfallbezogen festzustellen. Der Begriff der Rechtmäßigkeit aus § 2 Nr. 2 GeschGehG erfährt weder durch die Richtlinie (EU) 2016/943, noch durch das deutsche Umsetzungsgesetz eine Erläuterung, sondern ist nach den jeweiligen rechtlichen und tatsächlichen Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Hinsichtlich der für die Zwecke dieser Arbeit vorzunehmenden Abgrenzung von Geschäftsgeheimnisschutz nach GeschGehG und aktienrechtlichen Gesellschaftsgeheimnisschutz muss für die Frage der Rechtmäßigkeit der Inhaberschaft von Informationen auf die gesetzliche Pflichten- und Rechte-Konzeption des Aktien- und GmbH-Rechts zurückgegriffen werden. Dass die Mitglieder des Leitungsorgans der deutschen Aktiengesellschaft und Gesellschaft mbH originär berechtigte Inhaber von Gesellschaftsgeheimnissen sind, ergibt sich aus den Pflichten von Vorstand und Geschäftsführung, wie oben bereits beschrieben. Auch die Mitglieder des Aufsichtsorgans erlangen bestimmungsgemäße Kenntnis von Gesellschaftsinformationen, soweit diese zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind. Letztlich kann die Frage der Rechtmäßigkeit der Inhaberschaft einer Information nicht allgemeingültig beurteilt werden. Sie richtet sich stets nach der konkret in Rede stehenden Information und in Ansehung der Pflichten und Rechte von Leitungs- und Überwachungsorgan nach Gesetz und Satzung im Einzelfall.151 Welche Anforderungen das GeschGehG an angemessene Schutzvorkehrungen gegen den unfreiwilligen Informationsverlust stellt, kann nicht abstrakt definiert werden, sondern hängt von den jeweiligen Umständen des konkreten Einzelfalls ab.152 Das Merkmal der Angemessenheit bezieht sich auf die Art des Geheimnisses, womit stets ein variabler Maßstab anzulegen ist.153 Anhaltspunkte zur Ermittlung der Angemessenheit von Schutzmaßnahmen halten weder die zugrundeliegende 150
So auch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage der österreichischen Bundesregierung die Gesetzesnovelle zum Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb 1984 betreffend, BGBl. I Nr. 109/2018, S. 3. 151 Die Zuordnung einer technischen Information an einen berechtigten Inhaber kann ggf. die Berücksichtigung der Wertungen des Gesetzes über Arbeitnehmererfindungen (ArbnErfG) erfordern, vgl. hierzu Hauck, Was lange währt…, GRUR-Prax 2019, 223 (223) m. V. a. Klein/ Wegener, Wem gehören Gesellschaftsgeheimnisse?, GRUR-Prax 2017, 394, letztere noch zur Rechtslage vor Einführung des GeschGehG. 152 Die Vornahme angemessener Schutzvorkehrungen gegen den Verlust von Geschäftsgeheimnissen war nach deutschem Recht bisher keine Voraussetzung des Unternehmensgeheimnisschutzes, anders als in Italien, s. Maaßen, „Angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen“ für Geschäftsgeheimnisse, GRUR 2019, 352 (354), wonach der Geschäftsgeheimnisschutz gem. Art. 98 Abs. 1 CPI (Codice della Proprietà) bereits zuvor an den Bestand angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen geknüpft wurde. 153 Maaßen, „Angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen“ für Geschäftsgeheimnisse, GRUR 2019, 352 (354).
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
Richtlinie noch das deutsche Umsetzungsgesetz bereit.154 In die anzustellenden Erwägungen entsprechend einzubeziehen sind jedoch die zur Compliance-Pflicht des Vorstands ausdifferenzierten Erkenntnisse der diesbezüglich umfangreichen Literatur.155 Das folgt daraus, dass die Pflicht zur Vornahme von angemessenen Schutzvorkehrungen gegen den Missbrauch von Geschäftsgeheimnissen und die Compliance-Pflicht jeweils Teilaspekte der übergeordneten Pflicht zur Unternehmensorganisation darstellen.156 Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung zu berücksichtigende Faktoren sind damit neben der Art des Geheimnisses auch dessen Wert und ggf. Entwicklungskosten, seine Bedeutung für das Unternehmen, die Art der Branche, die Größe des Unternehmens sowie dessen Organisationsstruktur und gewöhnlichen Geheimhaltungsmaßnahmen.157 Allgemein sind die Maßnahmen zur Unternehmensorganisation größerer bzw. umsatzstärkerer Unternehmen strengeren Prüfungsmaßstäben zu unterwerfen als kleine und mittlere Unternehmen (KMU), welche in der Regel keine eigene Rechtsabteilung führen und deren finanzieller Rahmen geeigneten Schutzmaßnahmen engere Grenzen setzt.158 Letztlich soll sich der Schutz von Gesellschaftsgeheimnissen durch das GeschGehG nach § 2 Nr. 1 lit. c) GeschGehG allein auf die von einem berechtigten Geheimhaltungsinteresse umfassten Informationen erstrecken. Ein Interesse an der Geheimhaltung kann bereits dann nicht angenommen werden, wenn der rechtmäßige Informationsinhaber keine angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen ergriffen hat. Umgekehrt erlaubt allein schon der Verlust von Geschäftsgeheimnissen keinen Rückschluss auf das Fehlen eines Interesses an der Geheimhaltung. Dahingegen kann aus der objektiv zu beurteilenden Existenz angemessener Schutzmaßnahmen gegen einen unfreiwilligen Verlust von Geschäftsgeheimnissen auf den subjektiven Geheimhaltungswillen geschlossen werden, der insoweit nicht ausdrücklich erklärt werden muss und das Geheimhaltungsinteresse impliziert.159 Das Geheimhal154 Grobe Anhaltspunkte bieten hingegen die Erläuterungen zur Regierungsvorlage der österreichischen Bundesregierung die Gesetzesnovelle zum Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb 1984 betreffend, BGBl. I Nr. 109/2018, S. 3. 155 So auch Apel/Walling, Das neue Geschäftsgeheimnisgesetz, DB 2019, 891 (895). Sinngemäß auch Thiel, Das neue Geschäftsgeheimnisgesetz (GeschGehG), WRP 2019, 700 (701). 156 Vgl. Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 91 Rn. 52 f. 157 Vgl. hierzu auch die Entwurfsbegr. der Bundesregierung, BT-Drs. 19/4724, 24 f. 158 Eine grobe Struktur als erste Orientierungshilfe für eine allgemein gangbare Vorgehensweise für Unternehmen jeder Art bietet Kalbfus, Angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen nach der Geschäftsgeheimnis-Richtlinie, GRUR-Prax 2017, 391 (393 f.), mit einer schrittweisen Prüfung grundlegender Aspekte des Geheimnisschutzes; eingehend auch Maaßen, „Angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen“ für Geschäftsgeheimnisse, GRUR 2019, 352 (355 ff.); Voigt/Herrmann/Grabenschröer, Das neue Geschäftsgeheimnisgesetz, BB 2019, 142 (144 ff.). 159 Bereits die höchstinstanzliche Rechtsprechung hat in früheren Urteilen zum gewerblichen Rechtsschutz geringste Anforderungen an das subjektive Element des Geheimhaltungswillens gestellt. So sollte sich bspw. ein Geheimhaltungswille bereits aus der Natur der Sache der geheim zu haltenden Information ergeben bzw. wurde ein Geheimhaltungswille sogar bei
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tungsinteresse wird als objektiv bestimmbares und voll gerichtlich überprüfbares Tatbestandsmerkmal verstanden.160 cc) Unionsrechtskonforme Umsetzung der Richtlinie Das Wertungskriterium des berechtigten Geheimhaltungsinteresses im Sinne des § 2 Nr. 1 lit. c) GeschGehG ist der GeschGeh-Richtlinie fremd und stellt ein unionsweites Novum dar. Mit der unbestimmten Prämisse des berechtigten Interesses sollte nach dem Willen des Rechtsausschusses des Bundestags lediglich klargestellt werden, dass nicht schützenswerte Interessen nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen.161 Hauptsächlich geht es hierbei um Informationen über Straftaten, die im Betrieb begangen wurden. Hierzu zählen unter anderem Kartellrechtsverstöße, Spionage, Steuerdelikte oder Subventionsstraftaten, deren Offenbarung – bspw. durch investigativen Journalismus – das GeschGehG nicht entgegenstehen soll. Ob allerdings auch der europäische Richtliniengeber Geheimhaltungsinteressen, die nicht als berechtigterweise schützenswert eingestuft werden, aus dem Anwendungsbereich der GeschGeh-Richtlinie ausschließt oder erst auf anderer Stufe im Wege der Schrankentechnik schutzunwürdige Interessen aus dem Schutzbereich aussiebt, ist umstritten. Abweichend von der Definition des Geschäftsgeheimnisses nach dem deutschen Umsetzungsgesetz sind Geschäftsgeheimnisse im Sinne der Richtlinie Informationen, die von kommerziellem Wert sind, weil sie geheim sind, vgl. Art. 2 Nr. 1 lit. b) GeschGeh-Richtlinie. Wann eine Information geheim im Sinne der Richtlinie ist, beschreibt Art. 2 Nr. 1 lit. a) GeschGeh-Richtlinie übereinstimmend mit § 2 Nr. 1 lit. a) GeschGehG. Eine Beschränkung des Geschäftsgeheimnisbegriffs auf berechtigte Interessen scheint die GeschGeh-Richtlinie damit zunächst nicht vorzusehen. Die GeschGeh-Richtlinie gibt einen Mindeststandard für den Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor, der durch nationale Bestimmungen nicht unterschritten werden darf.162 Eine Bestimmung des Umsetzungsgesetzes darf den Anwendungsbereich des Geschäftsgeheimnisschutzes nicht durch definitorische Voraussetzungen verknappen, soweit sich dafür keine Stütze aus der Richtlinie selbst ergibt. Eine Einschränkung der Definition des Geschäftsgeheimnisses ergibt sich allerdings aus Erwägungsgrund 14 der GeschGeh-Richtlinie. Hiernach soll die Definition des Geschäftsgeheimnisses nach den nationalen Bestimmungen der Mitgliedstaaten so fehlenden entgegenstehenden Feststellungen fingiert, vgl. BGH Urt. v. 27. 4. 2006 – I ZR 126/ 03, NJW 2006, 3424 (3426). 160 Scholtyssek/Judis/Krause, Das neue Geschäftsgeheimnisgesetz, CCZ 2020, 23 (25); vgl. auch Hiéramente, in: Fuhlrott/Hiéramente, BeckOK GeschGehG, 12. Ed. 2022, § 2 Rn 71 f., mit Verweis auf die Rspr. zum „berechtigten Geheimhaltungsinteresse“ im Zusammenhang mit dem Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. 161 Begr. Beschlempf. BT-Drs. 19/8300, S. 13, 14. 162 Vgl. Kalbfus, Die EU-Geschäftsgeheimnisrichtlinie, GRUR 2016, 1009 (1011).
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
beschaffen sein, dass der Anwendungsbereich des Geschäftsgeheimnisschutzes nicht eingeengt wird und legitimen Interessen an der Geheimhaltung und Integrität der Vertraulichkeit unionsweit einheitlich entsprochen wird. Worin legitime Interessen begründet liegen können oder wann einer Information ein legitimes Interesse am Schutz vor ihrer Offenbarung nicht mehr zuzusprechen ist, bleibt offen. Davon ist allerdings keinesfalls der Wille des Richtliniengebers abzuleiten, dass Informationen über illegale Vorgänge unter die schützende Hand des Geschäftsgeheimnisschutzes gestellt werden sollen.163 Dem ist auch nicht entgegenzuhalten, dass sich aus dem Wortlaut des Art. 2 Nr. 1 GeschGeh-Richtlinie keine Einschränkung des Anwendungsbereichs auf berechtigte Geheimhaltungsinteressen ergibt.164 Die Erwägungsgründe und Bestimmungen der Richtlinie sind derselben Zielsetzung verschrieben. Alle Teile der Richtlinie formulieren gemeinsam den Auftrag an die nationale Gesetzgebung und sind in ihrer Gesamtheit zu lesen und zu interpretieren.165 Den Bestimmungen der Richtlinie kommt auch keine verbindliche Bedeutung zu, was die Europäische Richtlinie von der Europäischen Verordnung unterscheidet, vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV. Insofern kann sich der nationale Gesetzgeber bei der Einschränkung einer Begriffsdefinition auf die konkretisierenden Erläuterungen der Richtlinie berufen, die sich in den Erwägungsgründen finden lassen, wenn gewährleistet bleibt, dass die Richtlinienziele nicht gefährdet und dem Wortlaut der Bestimmungen der Richtlinie nicht offensichtlich widersprochen wird. Auch Sinn und Zweck der GeschGeh-Richtlinie und das Verständnis des Richtliniengebers vom Wesen des Geschäftsgeheimnisses sprechen gegen den Schutz illegaler Vorgänge in Betrieben. Das Ziel des Richtliniengebers ist die Angleichung des Schutzniveaus für Gesellschaftsgeheimnisse an das europäische Schutzniveau für Immaterialgüterrechte. Der gemeinsame Nenner zwischen Geschäftsgeheimnissen und Immaterialgüterrechten liegt in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung. Der Wert von Immaterialgüterrechten kann sich aus dem zur Erforschung und Entwicklung aufgewendeten Aufwand (insb. in Form von Zeit und Geld), aber auch aus dem zu erwartenden Gewinn oder Marktwert zusammensetzen. Im Vorfeld der Erteilung eines gewerblichen Schutzrechts existiert kein wirtschaftlicher Unterschied zwischen Geschäftsgeheimnissen und geheimen Informationen, die sich etwa auf ein technisches Verfahren beziehen und unter den Anwendungsbereich eines speziellen Schutzgesetzes fallen. Die Konnektivität zwi163 A. A. Ohly, Das neue Geschäftsgeheimnisgesetz im Überblick, GRUR 2019, 441 (444), der auch Informationen über Rechtsbrüche in Betrieben unter den Begriff des Geschäftsgeheimnisses fasst. 164 A. A. Ohly, Das neue Geschäftsgeheimnisgesetz im Überblick, GRUR 2019, 441 (444). 165 Dem steht auch nicht die Rechtsprechung des EuGH, Urt. v. 19. 6. 2014 – C-345/ 13 („Karen Millen Fashions“), EuZW 2014, 703 (704), entgegen, wonach Begründungserwägungen weder herangezogen werden können, um von den Bestimmungen des Rechtsakts abzuweichen, noch, um die Bestimmungen der Richtlinie in einem Sinn auszulegen, der ihrem Wortlaut offensichtlich widerspricht.
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schen Geschäftsgeheimnisschutz und Immaterialgüterschutz stellt der Richtliniengeber in den Erwägungsgründen eins und zwei der GeschGeh-Richtlinie prominent heraus. Geschäftsgeheimnisse können Immaterialgüterrechte sogar ersetzen oder zumindest ergänzen, ohne dass eine gewisse Schöpfungshöhe oder Neuheit nachgewiesen werden müsste oder eine Eintragung in ein Register erforderlich ist. Im Ausgleich zu den geringeren Schutzvoraussetzungen gewähren Geschäftsgeheimnisse allerdings keine absoluten Ausschließlichkeitsrechte wie beispielsweise das Patent oder Gebrauchsmuster.166 Der prägende Knotenpunkt zwischen der GeschGeh-Richtlinie und den Immaterialgüterschutzgesetzen ist der gesetzlich verfolgte Zweck, der in der Förderung von Innovation und Forschung zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und des Markterfolgs europäischer Unternehmen und nicht kommerzieller Forschungseinrichtungen liegt. Mittel zum Zweck ist der Schutz von wissensbasierten Wettbewerbsvorteilen, die gerade in Zeiten zunehmender Digitalisierung der Informationsund Kommunikationswege dem wachsenden Risiko einer rechtswidrigen Aneignung ausgesetzt sind. In bilanzieller Hinsicht steht die Forschung auf der Ausgabenseite und wird als Investition abgeschrieben. Forschungsergebnisse sollen Wettbewerbsvorteile ermöglichen, schaffen oder erhalten und eine nachhaltige Unternehmensrentabilität sichern. Diese Rechnung geht dann nicht mehr auf, sobald die aus Forschungsergebnissen resultierenden Vorteile nicht exklusiv dem Mittelverwender zustehen. Letzteres kann lediglich durch einen starken Geheimnisschutz erreicht werden. Die Forschungsbereitschaft hängt daher unmittelbar auch von einem effektiven Geschäftsgeheimnisschutz ab. Die GeschGeh-Richtlinie ist damit, wie auch das gesamte Immaterialgüterrecht, unumwunden dem Schutz vor Illegalität und nicht dem Schutz von Illegalität zu dienen bestimmt. Die Aufnahme von Informationen über strafrechtlich relevante Unternehmenshandlungen in den Anwendungsbereich der GeschGeh-Richtlinie scheidet damit aus. Das wird auch in Ansehung des Wesens des Geschäftsgeheimnisses deutlich. Wie beschrieben qualifiziert der Richtliniengeber eine Information anhand von zwei Merkmalen zum Geschäftsgeheimnis im Sinne der Richtlinie. Einerseits muss der Information ein wirtschaftlicher Wert beizumessen sein, der sich andererseits auch daraus ergibt, dass die Information geheim ist. Zweifelhaft ist bereits, ob den Informationen über rechtsbrüchiges Verhalten überhaupt ein wirtschaftlicher Wert beigemessen werden kann. Nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung fehlt den Informationen über Straftaten, die in einem Betrieb begangen wurden, der wirtschaftliche Wert, weshalb diese Informationen nicht unter den Begriff des Geschäftsgeheimnisses subsumiert
166 Ernst, Das Geschäftsgeheimnisgesetz, MDR 2019, 897 (897); vgl. auch Apel/Walling, Das neue Geschäftsgeheimnisgesetz, DB 2019, 891 (898).
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
werden könnten.167 Erwägungen, wonach der rechtsbrüchig Handelnde für die Geheimhaltung einer solchen Information vermeintlich geldwerte Leistungen zu erbringen bereit wäre, können hierbei keinen realen oder potenziellen Handelswert begründen, der für Geschäftsgeheimnisse im Sinne der Richtlinie vorausgesetzt wird. Die Kenntnis über das illegale Handeln innerhalb eines Betriebs impliziert aus Sicht der fehlbaren Unternehmung lediglich einen passiven Informationsgehalt.168 Für das strafbare Unternehmen könnte sich der negative Informationswert erst mit Bekanntwerden der Tatsachen in Form eines direkten oder indirekten Vermögensschadens realisieren. So sind im Fall der öffentlichen Bekanntmachung von strafbaren Handlungen beispielsweise aus Imageschäden resultierende Umsatzrückgänge zu erwarten, bzw. wird die Offenbarung eines Kartellrechtsverstoßes Strafzahlungen und Schadensersatzforderungen auslösen. Auf den negativen Wert einer Information, der sich nicht nach den grundlegenden Regeln der Marktwirtschaft aus Angebot und Nachfrage berechnet, sondern nach dem Geheimhaltungsinteresse des betroffenen Betriebs bestimmt werden kann, bezieht sich der Richtliniengeber mit dem Werterfordernis ausweislich der Erläuterungen zur Richtlinie gerade nicht.169 Informationen illegale betriebliche Vorgänge betreffend sind auf legalen Märkten nicht handelbar und verkörpern damit keinen (potenziellen) Handelswert, wie ihn Erwägungsgrund 14 der GeschGeh-Richtlinie für das Merkmal des Geschäftsgeheimnisses fordert.170 Soweit auch Informationen über illegale Vorgänge unter den Begriff des Geschäftsgeheimnisses gefasst werden sollten, stünde einem effektiven Geheimnisschutz § 5 Nr. 2 GeschGehG entgegen. Die Möglichkeit einer Abwägung, wie sie die GeschGeh-Richtlinie und das GeschGehG vorsehen, soll lediglich in Konfliktfällen widerstreitender Rechte zu gerechten Entscheidungen führen. Hierbei werden legitime und berechtigte Interessen an der Geheimhaltung einer Information nur ausnahmsweise aufgrund eines überwiegend berechtigten Offenbarungsinteresses nachrangig behandelt. Keinesfalls soll dahingegen der Illegalität ein Rechtsrahmen verliehen werden, aus dem sie erst durch eine negative Abwägungsentscheidung wieder herausfällt. Ohnedies kann eine Abwägung zwischen dem illegitimen Interesse an der Geheimhaltung einer strafrechtlich relevanten Fehlbarkeit und dem 167 Kalbfus, Die EU-Geschäftsgeheimnis-Richtlinie, GRUR 2016, 1009 (1011); Alexander, Gegenstand, Inhalt und Umfang des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen, WRP 2017, 1034 (1039). 168 Zum Verständnis des aktiven und passiven Informationsgehalts siehe bereits oben unter B.I.2.b). 169 Zu demselben Ergebnis kommt auch Kalbfus, Die EU-Geschäftsgeheimnisrichtlinie, GRUR 2016, 1009 (1011); Alexander, Gegenstand, Inhalt und Umfang des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen, WRP 2017, 1034 (1039); vgl. aber ders., Geheimnisschutz nach dem GeschGehG und investigativer Journalismus, AfP 2019, 1 (5) mit Verweis auf die Regelung zum Whistleblowing, die dafür sprechen könnte, dass im Grundsatz auch Informationen über illegale Vorgänge vom Geschäftsgeheimnisbegriff umfasst sein könnten. 170 Schubert, C., in: Franzen/Gallner/Oetker, EuArbR, 4. Aufl. 2022, RL (EU) 2016/943 Art. 5, Rn. 20.
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berechtigten öffentlichen Interesse an der Offenbarung von strafwürdigem Verhalten unter keinen Umständen zugunsten des rechtsbrüchig Handelnden ausfallen. Insoweit wäre jedem Abwägungsprozess das Ergebnis der fehlenden Schutzwürdigkeit des illegitimen Geheimhaltungsinteresses intendiert, wodurch die gesamte Systematik der GeschGeh-Richtlinie aus weitem Definitions- und Anwendungsbereich mit anschließendem Schrankenmechanismus ad absurdum geführt würde. Der Abwägungsprozess würde in diesen Fällen zum reinen Formalismus degradiert und gerade noch dem Selbstzweck gerecht. Dass Geheimwissen über strafrechtlich relevante Vorgänge in einem Betrieb wegen § 2 Nr. 1 lit. c) GeschGehG keinesfalls in den Anwendungsbereich des GeschGehG fällt und die deutsche Umsetzung auch richtlinienkonform ist, lässt die Frage offen, ob die Vertraulichkeit von sonstigen Informationen mit passivem Informationsgehalt vom Schutzbereich des GeschGehG umfasst ist. Gemeint sind hiermit Informationen, die sich auf einen Betrieb beziehen, deren Gehalt keinen Bezug zu geheimem Fachwissen oder strafrechtlich relevanten Vorgängen aufweist und deren Offenbarung dem Betrieb gleichwohl Schaden zufügen könnte. Zum Beispiel können Forschungs- und Entwicklungsverfahren, die aufgrund eingesetzter Methoden oder Mittel nach dem Verständnis bestimmter Anschauungen moralisch verwerflich oder sozialethisch zu missbilligen sind, mit Ihrer Bekanntgabe in der Öffentlichkeit sogar dann zu gesellschaftlich erzwungenen Umsatzrückgängen führen, wenn der Rückgriff auf alternative Mittel und Methoden ausgeschlossen ist und die Forschung nicht nur den Interessen einzelner Weniger zu dienen bestimmt ist. Hiervon nicht angesprochen ist die konkrete Art und Weise der Durchführung von Forschungsverfahren oder die Anwendung von speziellen Forschungsmethoden, da die Kenntnis diesbezüglich – soweit es sich um Geheimnisse handelt – einen potenziellen Handelswert trägt, wie es im Bereich der Fertigung regelmäßig für das Herstellungsverfahren sowie die hierbei verwendeten Materialien und Methoden gilt. Der Forschungsprozess unterscheidet sich damit im Grundsatz nicht vom Herstellungsprozess und ist ebenso schutzwürdig. Das „Wie“ eines konkreten innerbetrieblichen Prozesses ist, soweit darin eine Geheiminformation mit aktivem (handelbarem) Informationsgehalt, bzw. potenziellem Handelswert liegt, unstreitig vom Anwendungsbereich des GeschGehG umfasst. Fraglich bleibt die Anwendung des GeschGehG hinsichtlich des „Ob“ eines konkreten innerbetrieblichen legalen Vorganges. Es stellt sich die Frage, ob die geheime Information über einen innerbetrieblichen legalen Geschehensablaufs ungeachtet der fehlenden handelsspezifischen Werteigenschaft, in den Anwendungsbereich des GeschGehG fällt. Anschaulichkeit verschafft diesem Problem der Tierversuch, der nach wie vor als empirisches Erkenntnisverfahren unter anderem zur Erforschung neuer Medikamente oder seltener Krankheiten eingesetzt wird und dabei mitunter als alternativloses Übel zur Erreichung allgemein anerkannter Zwecke anzusehen ist. Obschon der medizinische Fortschritt in der Gesellschaft befürwortet wird, sehen sich Forscher und primär die finanzierenden Unternehmen regelmäßig öffentlicher Kritik
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
durch zum Teil international agierende Interessenvertretungen ausgesetzt, deren Werturteilen die Öffentlichkeit Aufmerksamkeit schenkt. Bei entsprechender Strahlkraft der Interessenvertretung und der heutzutage über digitale Kommunikationswege erzielbaren Reichweite, können die aus Sicht des betroffenen Betriebs als Schmutzkampagne bezeichneten Aufklärungsversuche empfindliche und zum Teil nachhaltig negative Folgen für Unternehmen verursachen. Neben Umsatzrückgängen kann ein Imageverlust reellen Unternehmenswert kosten, was im Fall von börsennotierten Unternehmen anhand der getätigten Transaktionen von Investoren nachvollziehbar wird. Der gesamte Vorgang kann letztlich sogar dazu führen, dass sich die ansonsten autonom leitende Geschäftsführung durch das Bekanntwerden von legalen innerbetrieblichen Vorgängen, sogar wenn diese altruistischen Zwecken folgen sollten, zur Vornahme von Unternehmensentscheidungen veranlasst sieht, die sich weder am Wohl des Unternehmens noch am Wohl der Allgemeinheit orientieren, sondern allein als Maßnahme zur Schadensregulierung zu verstehen sind.171 Ein Geheimhaltungsinteresse an legalen innerbetrieblichen Vorgängen ist mit diesen Überlegungen nicht von der Hand zu weisen, obgleich den Informationen hierüber ein positiver bzw. kommerzieller Wert zukommt oder nicht. Mit den bereits getroffenen Feststellungen zum Geheimnisschutz illegale Betriebsvorgänge betreffender Informationen scheint den Geheimnissen über legale innerbetriebliche Vorgänge der Schutz nach dem GeschGehG ebenso verweigert werden zu müssen, sofern ihnen kein potenzieller Handelswert zugesprochen werden kann. Eine solche Ansicht würde allerdings zu kurz greifen und dem Ansinnen des Richtliniengebers widersprechen. Richtlinien- und Gesetzgeber bezwecken mit dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen die Förderung von Forschung und Entwicklung in allen Bereichen legaler Wissenschaften. Damit die Bereitschaft zur Investition in Innovation nachhaltig wächst muss möglichst sichergestellt sein, dass die Forschungsergebnisse als kausale Folgen von Innovationsanstrengungen auch dem finanzierenden Unternehmen exklusiv zustehen. Hiervon muss die Kenntnis über das angewandte Forschungsverfahren selbst umfasst sein. Neu- und Weiterentwicklungen sind von Entwicklungsprozessen abhängig, die insofern nicht isoliert zu betrachten sind, sondern als unverzichtbare erste (Vor-)Stufe der Innovation selbst anzusehen sind. Bereits die Idee der verwendeten Forschungsverfahren kann für sich betrachtet einen Vorteil gegenüber Marktkonkurrenten bedeuten und kann als Wissensvorsprung ebenso Wettbewerbsvorteile begründen bzw. ermöglicht diese erst, ohne dass diesbezüglich ein potenzieller Handelswert berechnet werden könnte. Ein wirksamer Geschäftsgeheimnisschutz muss damit zwingend auch die Informationen über die Art und 171
Ein aktuelles Beispiel hierfür liefert die VWAG, die sich trotz mehrjähriger Planung und entsprechend hohen Planungskosten auch auf den öffentlichen Druck hin gegen den Bau einer industriellen Fertigungsstätte in der Türkei entschieden hat. Dem zugrunde liegt neben der zunehmend irritierenden türkischen Außenpolitik eine anwachsend ablehnende Haltung der westeuropäischen Bevölkerung gegen den türkischen Staatspräsidenten.
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Weise der Forschung umfassen.172 In den Anwendungsbereich des GeschGehG fällt daher auch die Information darüber, „ob“ ein Unternehmen ein konkretes Forschungsverfahren anwendet, soweit die übrigen Voraussetzungen vorliegen, insb. ein Geheimhaltungswille diesbezüglich besteht. In konsequenter Schlussfolgerung sind daher innerbetriebliche Informationen, deren Gehalt keinen Bezug zu geheimem Fachwissen oder strafrechtlich relevanten Vorgängen aufweist und deren Offenbarung eine Schlechterstellung im Wettbewerb verursachen können, nach Sinn und Zweck der GeschGeh-Richtlinie auch unabhängig von einem (potenziellen) Handelswert vom Anwendungsbereich des GeschGehG erfasst. dd) Berechtigte Offenbarungsinteressen Der weite Anwendungsbereich des GeschGehG wird durch § 5 GeschGehG begrenzt. Das erforderliche Geheimhaltungsinteresse muss gem. § 5 GeschGehG mit entgegenstehenden berechtigten Interessen abgewogen werden, die eine Offenbarung von Geschäftsgeheimnissen rechtfertigen können.173 Berechtigte Interessen sind insbesondere das Recht der freien Meinungsäußerung und die Pressefreiheit (§ 5 Nr. 1 GeschGehG), das allgemeine öffentliche Interesse an der Offenbarung rechtswidriger Handlungen oder von sonstigem beruflichen Fehlverhalten durch sog. Whistleblower (§ 5 Nr. 2 GeschGehG). Über § 5 Nr. 3 GeschGehG können auch die Offenlegungsinteressen der Arbeitnehmervertreter den Geschäftsgeheimnisschutz einschränken, was durch die Handlungserlaubnis aus § 3 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG bekräftigt wird.174 Das Merkmal des berechtigten Interesses aus § 5 GeschGehG bezieht sich auf die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen und ist nicht gleich dem berechtigten Interesse an der Geheimhaltung im Sinne des § 2 Nr. 1 lit. c) GeschGehG. Gleichwohl muss auch das berechtigte Interesse an der Offenbarung ebenso objektiv bestimmbar und vollständig gerichtlich überprüfbar sein, wie das auch bei dem berechtigten Geheimhaltungsinteresse der Fall ist.175 172 Dieses Ergebnis stimmt auch mit der Rechtsprechung des EGMR aus der Zeit vor Inkrafttreten des GeschGehG überein, wonach die Verbreitung von Aufnahmen über genehmigte Tierversuche innerhalb eines Betriebs nicht zulässig war, mithin der innerbetriebliche Vorgang dieser Forschungsmethode selbst schützenswert ist, vgl. EGMR (V. Sektion), Urt. v. 16. 01. 2014 – 45192/09 (Tierbefreier e.V./Deutschland). 173 Nach dem Gesetzeswortlaut normiert § 5 GeschGehG Ausnahmen von den Handlungsverboten des § 4 GeschGehG. Der Sache nach handelt es sich um Rechtfertigungsgründe, s. Ohly, Das neue Geschäftsgeheimnisgesetz im Überblick, GRUR 2019, 441 (448). Dem terminologischen Begriff der „Ausnahmen“ liegt die Idee zugrunde, das Handeln investigativer Journalisten und Whistleblower nicht als grundsätzlich rechtswidrig darzustellen, vgl. Beschlempf. Ausschuss f. Recht und Verbraucherschutz v. 13. 03. 2019, BT-Drucks. 19/8300, S. 14. 174 Vgl. Begr. RegE v. 04. 10. 2018, BT-Drs. 19/4724, S. 26; a. A. Oetker, in: Müller-Glöge, ErfKomm ArbR, 22. Aufl. 2022, Nr. 51, § 116 Rn. 6a. 175 Siehe hierzu bereits oben unter Punkt B.I.4.c)bb).
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
Eine Erlaubnis zur Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen soll nach § 3 Abs. 2 GeschGehG weiterhin durch Gesetz, aufgrund eines Gesetzes oder durch Rechtsgeschäft infrage kommen. Dass hierin ein pauschaler Anwendungsvorrang der Erlaubnistatbestände liegt, wird durchaus kritisch gesehen.176 Ein Erlaubnistatbestand im Sinne des § 3 Abs. 2 GeschGehG ist § 394 S. 1 AktG, wonach die auf Veranlassung einer Gebietskörperschaft in den Aufsichtsrat gewählten oder entsandten Aufsichtsratsmitglieder hinsichtlich der Berichte, die sie der Gebietskörperschaft zu erstatten haben, keiner Verschwiegenheitspflicht unterliegen. Innerhalb des Anwendungsbereichs dieser gesetzlichen Ausnahme von der aktienrechtlichen Schweigepflicht sind Aufsichtsratsmitglieder über § 3 Abs. 2 GeschGehG auch von den Bestimmungen des Geschäftsgeheimnisgesetzes befreit. Nur insoweit § 394 S. 1 AktG die Berichterstattung an die Gebietskörperschaft in das Ermessen des berichtspflichtigen Aufsichtsratsmitglieds stellen würde, verbliebe auch die Pflicht zur Berücksichtigung der Zwecke des GeschGehG und der Bedeutung von Geschäftsgeheimnissen.177 ee) Rechtsfolgen nach GeschGehG Das GeschGehG hält auf der Rechtsfolgenseite in seinen §§ 6 – 14 konkrete Sanktionsmöglichkeiten für den Fall des Verstoßes gegen ein Handlungsverbot aus § 4 GeschGehG bereit. Das Sanktionssystem des GeschGehG ähnelt denen des Markenschutzgesetzes178 und Designgesetzes179. Betroffenen stehen Beseitigungsund Unterlassungsansprüche (§ 6 GeschGehG), Ansprüche auf Vernichtung und Herausgabe rechtsverletzender Sachen sowie Ansprüche auf Rückruf und Entfernung derselben wie auch deren Rücknahme vom Markt (§ 7 GeschGehG) zu. Auskunfts- und Schadenersatzansprüche (§ 8 GeschGehG) schließen den Sanktionskatalog. Für die Praxis werden hierbei insbesondere der Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch nach § 6 S. 1 GeschGehG, der Anspruch auf Herausgabe der im Besitz oder Eigentum des Rechtsverletzers stehenden und das Geschäftsgeheimnis verletzenden körperlichen Gegenstände nach § 7 Nr. 1 GeschGehG sowie der verschuldensabhängige Schadensersatzanspruch nach § 10 Abs. 1 S. 1 GeschGehG 176
Ohly, Das neue Geschäftsgeheimnisgesetz im Überblick, GRUR 2019, 441 (448). Zur Kollision von GeschGehG und medienrechtlichen Erlaubnistatbeständen zum Schutze investigativen Journalismus Alexander, Geheimnisschutz nach dem GeschGehG und investigativer Journalismus, AfP 2019, 1 (3 ff.). Zum Regelungsgehalt der §§ 394, 395 AktG s. unten unter C.III. 178 Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen (Markengesetz – MarkenG), Gesetz v. 25. 10. 1994, BGBl. I S. 3082, 1995, S. 156; 1996 I S. 682, zuletzt geändert durch das zweite Gesetz zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts v. 10. 08. 2021, Art. 5, BGBl. I S. 3490 (3496). 179 Gesetz über den rechtlichen Schutz von Design (Designgesetz – DesignG), Gesetz v. 12. 03. 2004, in der Bekanntmachung v. 24. 02. 2014, BGBl. I S. 122, 2014, zuletzt geändert durch das zweite Gesetz zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts v. 10. 08. 2021, Art. 10, BGBl. I S. 3490 (3502). 177
I. Wesensmerkmale
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relevant. Verstöße gegen das GeschGehG können daneben auch strafrechtliche Konsequenzen in Form einer Geld- oder Freiheitsstrafe nach § 23 GeschGehG zur Folge haben. Das Recht aus § 21 GeschGehG, wonach ein Urteil über eine Geschäftsgeheimnisse verletzende Handlung von der obsiegenden Partei veröffentlicht werden darf, wirkt wie eine weitere und letzte Sanktion gegen die rechtsverletzende Person, deren Fehlbarkeit im Nachgang des gerichtlichen Verfahrens öffentlich angeprangert werden darf.180 In seinem Sanktionssystem folgt das GeschGehG der GeschGeh-Richtlinie, ohne dass anderweitig fortbestehende nationale zivil- oder strafrechtliche Normen außer Kraft gesetzt würden. Das wettbewerbsrechtliche Mitteilungsverbot aus § 17 Abs. 1 UWG a. F. wurde im Zuge der Umsetzung der Richtlinie in das GeschGehG überführt und lebt in der Strafvorschrift des § 23 GeschGehG fort. Damit wird die zu § 17 UWG a. F. ergangene Rechtsprechung im Grundsatz nicht an Bedeutung verlieren, soweit sich im Einzelfall nichts anderes aus dem Erfordernis der Existenz eines von einem Geheimhaltungswillen getragenen angemessenen Geheimnisschutzes ergibt.181 ff) Konzeptionelle Einordnung Die Definition des Geschäftsgeheimnisses aus Art. 2 Nr. 1 GeschGeh-Richtlinie gleicht inhaltlich der Begriffsdefinition der sogenannten nichtoffenbarten Information im Sinne des Art. 39 Abs. 2 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (nachfolgend: TRIPS-Abkommen)182. Das im Zuge der Gründung der Welthandelsorganisation in Kraft getretene völkerrechtliche Abkommen definiert einen für seine Mitglieder verbindlichen Mindestschutz für Geschäftsgeheimnisse vor rechtswidrigem Erwerb und rechtswidriger Nutzung oder Offenlegung durch Dritte, vgl. Art. 1 Abs. 1 S. 2 TRIPS.183 Seit dem Jahr 1994 ist die Europäische Union selbst als Mitglied an das TRIPS-Abkommen
180 Hiervon soll eine generalpräventive Wirkung ausgehen, die auch repressiv den durch das gerichtliche Verfahren gegebenenfalls geschädigten Ruf der obsiegenden Streitpartei wiederherstellen soll, Apel/Walling, Das neue Geschäftsgeheimnisgesetz, DB 2019, 891 (898). 181 Zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden von § 23 GeschGehG und §§ 17-19 UWG a. F. Dann/Markgraf, Das neue Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen, NJW 2019, 1774 (1778 f.). 182 Gesetz zu dem Übereinkommen vom 15. 04. 1994 zur Errichtung der Welthandelsorganisation und zur Änderung anderer Gesetze, Gesetz Nr. 40 v. 30. 08. 1994, BGBl. II 1994, S. 1438. 183 Vgl. auch Erwägungsgrund 5 der Richtlinie (EU) 2016/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, ABI. L 157 vom 15. 06. 2016, S. 1.
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
gebunden.184 Die GeschGeh-Richtlinie knüpft unmittelbar an das TRIPS-Abkommen an und dient der weiteren Vereinheitlichung der Rechte rechtmäßiger Inhaber von Gesellschaftsgeheimnissen im Fall rechtswidriger Handlungen Dritter. Der vom TRIPS-Abkommen für alle Mitglieder der Welthandelsgemeinschaft vorgezeichnete Schutzstandard erfährt durch die GeschGeh-Richtlinie eine unionsweite Anhebung, indem der Anwendungsbereich, die Rechtsfolgen bei Verstößen sowie die Regeln der Rechtsdurchsetzung vorgezeichnet werden. Materiell-rechtlich sollen die auf der Tatbestandsseite existierenden Ungleichheiten zwischen den jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften der Europäischen Mitgliedsstaaten durch die Vereinheitlichung der zentralen Begriffsdefinitionen, des Geschäftsgeheimnisses sowie der Handlungsverbote, abgebaut und dadurch ein einheitlicher Anwendungsbereich geschaffen werden.185 Auch auf der Rechtsfolgenseite gilt es, die Rechte von Betroffenen auf einen europäischen Standard anzuheben. Der Fokus liegt dabei auf den Ansprüchen im Fall der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen, insbesondere den vorläufigen und vorbeugenden Maßnahmen gegen den vermeintlichen Rechtsverletzer, Art. 10 GeschGeh-Richtlinie.186 Daneben fordert Art. 14 Abs. 2 GeschGeh-Richtlinie für die Schadensberechnung nunmehr die Berücksichtigung des immateriellen Charakters von Geschäftsgeheimnissen.187 Auch auf der Ebene der Rechtsdurchsetzung verfolgt die GeschGehRichtlinie das Ziel der europäischen Integration mit dem Mittel der Rechtsvereinheitlichung. In der Sache soll das Recht jedes Mitgliedsstaats gewährleisten, dass ein Klagevorhaben wegen Verstoßes gegen die Bestimmungen zum Geschäftsgeheimnisschutz nicht aufgrund prozessrechtlicher Bestimmungen der Effektivität des Geschäftsgeheimnisschutzes entgegensteht, Art. 9 GeschGeh-Richtlinie. Von dem Geschäftsgeheimnis im Sinne des GeschGehG zu unterscheiden sind die in § 93 Abs. 1 S. 3 AktG genannten Geschäftsgeheimnisse, die neben den Betriebsgeheimnissen zu den vom Aktienrecht geschützten Gesellschaftsgeheimnissen gehören. Das Begriffsverständnis von Betriebs- bzw. Geschäftsgeheimnis im Sinne 184
Beschl. 94/800/EG v. 22. 12. 1994 über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986 – 1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche, ABl. L 336 v. 23. 12. 1994, S. 1. 185 Vgl. auch Erwägungsgrund 6 der Richtlinie (EU) 2016/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, ABI. L 157 vom 15. 06. 2016, S. 1. 186 Zur deutschen Umsetzung der Vorgaben in Form eines Unterlassungsanspruchs in § 6 GeschGehG und dem Problem der Verhältnismäßigkeitsabwägung bei der Verletzung absoluter Rechte siehe Ohly, Das neue Geschäftsgeheimnisgesetz im Überblick, GRUR 2019, 441 (449). 187 Vgl. auch Erwägungsgrund 7 der Richtlinie (EU) 2016/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, ABI. L 157 vom 15. 06. 2016, S. 1.
I. Wesensmerkmale
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des Aktienrechts stimmte mit demjenigen des nunmehr entfallenen § 17 Abs. 1 UWG a. F. überein.188 Die Unterscheidung zwischen Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen verdeutlicht in diesem Zusammenhang die Einbeziehung von kaufmännischen und technischen bzw. sonstigen fachlichen Informationen in den Anwendungsbereich der aktienrechtlichen Schweigepflicht.189 Die Unterscheidung zwischen Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ist rein sprachlicher Natur und hat keine praktische Bedeutung.190 Abstrakt wird die herkömmliche Terminologie des Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses als jede in Zusammenhang mit einem Betrieb stehende Tatsache verstanden, die nicht offenkundig, sondern nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt ist und nach dem Willen des Betriebsinhabers aufgrund eines berechtigten wirtschaftlichen Interesses geheim gehalten werden soll.191 Den „kaufmännischen“ Geschäftsgeheimnissen werden beispielsweise Kalkulationen, Absatzplanungen, Finanzpläne, Kundenlisten und vertriebspolitische Zielsetzungen zugeordnet, zu den „technischen“ Betriebsgeheimnissen gehört das Know-how, darunter Forschungs- und Entwicklungserfolge, Herstellungsverfahren oder Kenntnisse über Produkteigenschaften.192 Die Existenz eines Geheimhaltungswillens ist für die Einbeziehung einer Information in den Schutzbereich der aktienrechtlichen Schweigepflicht von geringer Bedeutung, wenngleich diesem eine Indizwirkung für den Geheimnischarakter einer Gesellschaftsinformation nicht gänzlich abgesprochen werden kann.193 Das entscheidende Merkmal des aktienrechtlichen Geheimnisbegriffs ist das objektiv feststellbare Bedürfnis nach Geheimhaltung gemessen am Unternehmens- bzw. 188 Vgl. Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl. 2016, § 17 Rn. 5; Kalbfus, Die EU-Geschäftsgeheimnis-Richtlinie, GRUR 2016, 1009 (1010); zum Geschäftsgeheimnisbegriff des § 17 UWG a. F. zusammenfassend Diemer, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 240. EL April 2022, § 17 UWG, Rn. 8. 189 Vgl. Hölters, in: Hölters, AktienG, 3. Aufl. 2017, § 93 Rn. 136; Erker/Freund, Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern bei der GmbH, GmbHR 2001, 463 (463); Schwintowski, Verschwiegenheitspflicht für politisch legitimierte Mitglieder des Aufsichtsrats, NJW 1990, 1009 (1010); Säcker, Aktuelle Probleme der Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder, NJW 1986, 803 (804). 190 Kalbfus, Die EU-Geschäftsgeheimnis-Richtlinie, GRUR 2016, 1009 (1010) m. V. a. RG, Urt. v. 14. 11. 1913 – V 562/13 („Aluminiumwaren“), RGSt 48, 12 (15); RG, Urt. v. 31. 03. 1898 – 823/98 („Knopfmuster“), RGSt 31, 90 (91). 191 Nach st. Rechtspr., vgl. BGH, Urt. v. 15. 03. 1955 („Möbelpaste“) – I ZR 111/53, GRUR 1955, 424 (425); BGH, Urt. v. 01. 07. 1960 („Wurftaubenpresse“) – I ZR 72/59, GRUR 1961, 40 (43); BGH, Urt. v. 07. 11. 2002 („Präzisionsmessgeräte“) – I ZR 64/00, GRUR 203, 356 (358); BGH, Urt. v. 27. 04. 2006 („Kundendatenprogramm“) – I ZR 126/03, Rn. 19, NJW 2006, 3424 (3425); BGH, Urt. v. 26. 02. 2009 („Versicherungsvertreter“) – I ZR 28/06, GRUR 2009, 603 (604); BGH, Urt. v. 23. 02. 2012 – I ZR 136/10 („MOVICOL-Zulassungsantrag“), GRUR 2012, 1048 (1049). 192 Erker/Freund, Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern bei der GmbH, GmbHR 2001, 463 (463). 193 So bspw. OLG Stuttgart, Beschl. v. 07. 11. 2006 – 8 W 388/06, NZG 2007, 72 (74), wonach das Geheimhaltungsinteresse der Gesellschaft auch dem geäußerten oder zumindest mutmaßlichen Willen der Gesellschaft entsprechen muss.
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
Gesellschaftsinteresse,194 welches insoweit auch vollständig gerichtlich überprüfbar ist.195 Das auch dem Gesellschaftsgeheimnis inhärente subjektive Element beschränkt seine Bedeutung auf Fälle, in denen sich die Vertraulichkeit einer Information erst aus dem ausdrücklich erklärten Geheimhaltungswillen ergibt.196 Dass denknotwendig zu jedem Geheimnis ein (geäußerter oder mutmaßlicher) Wille zur Geheimhaltung gehört, lässt den aktienrechtlichen Geheimnisschutz lediglich im Fall der Veröffentlichung einer Information entfallen, wenn also ein dem Geheimhaltungswillen entgegenstehender und nach außen erkennbarer Offenbarungswille den Geheimnischarakter zerstört.197 In den übrigen Fällen geht die Rechtsprechung sogar so weit, den definitorisch vorausgesetzten Geheimhaltungswillen kraft konkreter Umstände „aus der Natur der geheim zuhaltenden Tatsache“ und ohne nähere Begründung anzunehmen.198 Kommt einem Gesellschaftsgeheimnis eine hohe wirtschaftliche Bedeutung für den berechtigten Inhaber zu oder handelt es sich dabei um einen besonders komplexen Gegenstand, ist der Geheimhaltungswille schlicht zu vermuten.199 Der aktienrechtliche Geheimnisschutz ist damit anhand des objektiven Geheimhaltungsinteresses der Gesellschaft zu bestimmen und nach seinen Anwendungsvoraussetzungen nicht von einer Willkürentscheidung des Leitungsorgans der Gesellschaft abhängig. Die zwischen den Begriffsdefinitionen des Geschäftsgeheimnisses nach GeschGeh-Richtlinie bzw. GeschGehG und § 93 Abs. 1 S. 3 AktG bestehenden Unterschiede resultieren aus der dogmatischen Natur der jeweiligen Rechtsgründe. Die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht ankert in der Treue- und Sorgfaltspflicht von Leitungs- und Aufsichtsorgan.200 Sie konkretisiert ein verbindliches Handlungsleitbild und stellt dabei das Gesellschafts- oder Unternehmensinteresse als oberste Maxime über die Individualinteressen der einzelnen Normadressaten. Mit Annahme der eigenen organschaftlichen Bestellung unterwirft sich jeder Ver194 Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 93 Rn. 63. Zwischen dem Unternehmensinteresse (nach BGH) und Gesellschaftsinteresse differenzierend Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 93 Rn. 160, 164; ders., in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019 § 76 Rn. 24 – 27. Zum Gesellschafts- und Unternehmensinteresse siehe unten unter B.II.4.d). 195 Vgl. insoweit nur BGH, Urt. v. 26. 04. 2016 – XI ZR 108/15, NZG 2016, 910 (912); näheres hierzu unten unter B.II.2. 196 BGH, Urt. v. 05. 06. 1975 – II ZR 156/73 („Bayer“), BGHZ 64, 325 (329) = NJW 1975, 1412 (1413). 197 So stellt der BGH, Urt. v. 26. 04. 2016 – XI ZR 108/15, NZG 2016, 910 (912), fest, dass allein der Vorstand im Einzelfall nach sorgfältiger Abwägung über die Offenbarung einer vertraulichen Angabe oder eines Geheimnisses befinden kann. 198 BGH, Urt. v. 10. 05. 1995 („Angebotsunterlagen“) – 1 StR 764/9, NJW 1995, 2301 (2301). 199 Vgl. die Rspr. zu § 17 UWG a. F., BGH, Urt. v. 18. 02. 1977 („Prozessrechner“) – I ZR 112/75, GRUR 1977, 539 (540); RG, Urt. v. 22. 11. 1935 – II 128/35 („Stiefeleisenpresse“), GRUR 1936, 183 (185); BGH, Urt. v. 10. 07. 1963 – Ib ZR 21/62 („Petromax II“), GRUR 1964, 31 (32). 200 Siehe hierzu bereits oben unter B.I.2.b).
I. Wesensmerkmale
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pflichtete unbedingt und vollständig dem Gesellschaftsinteresse, das exklusiv für die objektive Bestimmung des Geheimhaltungsinteresses maßgeblich ist. Auf der anderen Seite schafft das GeschGehG richtlinienkonform Chancen zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen, deren Annahme und Verwirklichung originären Informationsträgern obliegt. Das GeschGehG hat nicht den Schutz eines überlagernden und objektiv bestimmbaren Gesellschaftsinteresses zum Zweck, sondern verfolgt primär das Ziel der europäischen Integration auf den Gebieten des Innovationsschutzes. Aufsichts- und Leitungsorganen wird hierdurch kein verbindliches Handlungsleitbild aufgezwungen. Die Inanspruchnahme der Vorteile des GeschGehG liegt vollständig in der Hand des originären Informationsinhabers. Allein diesem obliegt die Vornahme angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen zum Schutz vor einem unfreiwilligen Informationsverlust. Der Geschäftsgeheimnisschutz nach GeschGehG ist, in Einklang mit der GeschGeh-Richtlinie und Art. 39 TRIPS-Abkommen, subjektiv steuerbar. In der Praxis wird dieser Unterschied zwischen dem obligatorischen Geheimnisschutz nach § 93 Abs. 1 S. 3 AktG und dem fakultativen Geschäftsgeheimnisschutz nach GeschGehG durch Organisationspflichten egalisiert. Dass Vorstand und Geschäftsführung von Aktiengesellschaft und Gesellschaft mbH ungeachtet des Geschäftsgeheimnisgesetzes zur Vornahme von Schutzvorkehrungen gegen den unfreiwilligen Informationsverlust verpflichtet sind, folgt unter anderem aus der Leitungs- und Organisationsverantwortung des Geschäftsführungsorgans in Verbindung mit der Sorgfaltspflicht des § 93 Abs. 1 S. 1 AktG bzw. § 43 Abs. 1 GmbHG.201 Darüber hinaus bestehen für Vorstände von börsennotierten Aktiengesellschaften weitere konkrete Organisationspflichten, wie bspw. die Pflicht zur Führung von Insiderlisten nach Art. 18 MMVO.202 Auch für Aufsichtsräte von Aktiengesellschaft und Gesellschaft mbH ergeben sich aus der organschaftlichen Bestellung Treue- und Sorgfaltspflichten, die zur Vornahme konkreter Schutzvorkehrungen gegen Gesellschaftsinteressen schädigende Vorgänge verpflichten. Grundsätzlich können dadurch alle Tatsachen, die in den Schutzbereich der aktienrechtlichen Schweigepflicht fallen, auch dem Schutzbereich des GeschGehG unterfallen.203 Der Geschäftsgeheimnisschutz nach dem GeschGehG ist damit regelmäßig zugleich Gesellschaftsgeheimnisschutz.
201 Vgl. nur Beurskens, in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 43 Rn. 29 f.; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 93 Rn. 108 ff. 202 Kalss, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 93 Rn. 411. 203 Zu den Unterschieden zwischen Gesellschaftsgeheimnissen i. S. d. § 93 Abs. 1 S. 3 AktG und Geschäftsgeheimnissen im Sinne der Richtlinie (EU) Nr. 2016/943 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung Ries/ Haimerl, Auswirkungen der EU-Geheimnisschutzrichtlinie auf die Verschwiegenheitspflicht von Vorstandsmitgliedern nach § 93 I 3 AktG, NZG 2018, 621 (621 f.).
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
gg) Fehlgehende Forderungen Die aufgezeigten Unterschiede zwischen den Anwendungsvoraussetzungen von GeschGehG und aktienrechtlichem Gesellschaftsgeheimnisschutz werden von einem Teil der Literatur zum Anlass genommen, den nationalen Gesetzgeber zum Tätigwerden aufzufordern. Die bestehenden Ungleichheiten sollen demnach qua definitione eliminiert, der Anwendungsbereich des aktienrechtlichen Geheimnisschutzes nach § 93 Abs. 1 S. 3 AktG mithin durch eine Legaldefinition des Geheimnisbegriffs dem des GeschGehG angeglichen werden. Erforderlich mache das der Wille des europäischen Richtliniengebers zur Rechtsvereinheitlichung.204 Der durchweg richterrechtlich gefüllte herkömmliche Geschäftsgeheimnisbegriff des Aktienrechts würde überdies den Anforderungen an die rechtsstaatlich zu gewährende Rechtssicherheit nicht genügen.205 Eine gesetzgeberisch initiierte Gleichschaltung des Geschäftsgeheimnisbegriffs im Sinne der GeschGeh-Richtlinie ist mit Nachdruck abzulehnen. Sie würde die Identität des gesellschaftsrechtlichen Vertraulichkeitsschutzes untergraben und das originäre Gesellschaftsinteresse systemwidrig ausschließen. Anders als beim europarechtlich vorgezeichneten Geschäftsgeheimnisschutz, der erst durch eine Willensentscheidung des Leitungsorgans aktiviert wird, richtet sich die Inhaltsbestimmung des aktienrechtlichen Geheimnisschutzes allein nach dem objektiv feststellbaren Gesellschafts- und Unternehmensinteresse. Das resultiert aus der unabhängigen Rechtspersönlichkeit der Gesellschaft, deren Interessen zu wahren und zu fördern sich die Mitglieder der Verwaltungsorgane mit Annahme der organschaftlichen Bestellung verpflichten. Eine Abkehr hiervon stünde dem gesellschaftsrechtlichen Verhältnis der Verwaltungsorgane als treue- und sorgfaltsverpflichtete Exekutivinstrumente der Gesellschaft entgegen. Der Richtliniengeber zielt auf die Schaffung eines unionsweit einheitlichen Schutzniveaus ab, für das die Richtlinie den kleinsten gemeinsamen Nenner vorgibt. Ein weitergehender, weil niedrigschwelliger Geheimnisschutz widerspricht dem Regelungsanliegen des Richtliniengebers nicht. Art. 4 Abs. 3 GeschGeh-Richtlinie verdeutlicht das durch die Einbeziehung sonstiger (gesetzlicher) Vertraulichkeitspflichten, bei deren Verletzung die Rechtsfolgen der jeweiligen Umsetzungsgesetze zur GeschGeh-Richtlinie Anwendung finden sollen. Auch aus Erwägungsgrund 14 der GeschGeh-Richtlinie, der nach einer „homogenen Definition des Begriffs Geschäftsgeheimnis“ verlangt, folgt nichts anderes. Die Forderung nach einer einheitlichen Begriffsdefinition zielt lediglich auf eine einheitliche Rechtslage hinsichtlich des europäischen Geschäftsgeheimnisschutzes ab und beschränkt sich damit ausschließlich auf die nationalen Umsetzungsgesetze zur GeschGeh-Richtlinie. Eine Anspruchshaltung des Richtliniengebers auf eine unionsweit allgemeingültige Begriffsdefinition des Geschäftsgeheimnisses im Sinne der GeschGeh204 205
Kalbfus, Die EU-Geschäftsgeheimnisrichtlinie, GRUR 2016, 1009 (1011 f.). Kalbfus, Die EU-Geschäftsgeheimnisrichtlinie, GRUR 2016, 1009 (1012).
I. Wesensmerkmale
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Richtlinie mit Wirkung über ihren Anwendungsbereich hinaus, kann hierin nicht gesehen werden. Der aktienrechtliche Schutz von Geheimnissen der Gesellschaft greift schlechthin weiter als der Geschäftsgeheimnisschutz durch das GeschGehG. Dem größeren Schutzumfang stehen die Ziele der GeschGeh-Richtlinie nicht entgegen. Höhere Schutzstandards allein dem ideologisch geprägten Gedanken einer europäischen Rechtseinheit zu opfern ist für die europäische Integration weder erforderlich, noch förderlich und widerspricht auch dem Willen des europäischen Richtliniengebers. hh) Zusammenfassung Das GeschGehG setzt die Anforderungen des europäischen Richtliniengebers richtlinienkonform in nationales Recht um. Von praktischer Bedeutung ist das Erfordernis der Vornahme von angemessenen Vorkehrungen durch den berechtigten Informationsinhaber, die der Geheimhaltung des Geschäftsgeheimnisses dienlich sein müssen. Das GeschGehG dient der Angleichung des Mindestschutzniveaus für Geschäftsgeheimnisse auf europäischer Ebene und lässt weitere nationale Vertraulichkeitsregeln für Geschäftsgeheimnisse mit höherem Schutzniveau unberührt. Dahingegen sollen kürzer greifende Bestimmungen, die in ihrem sachlichen Anwendungsbereich oder auf Rechtsfolgenseite hinter den Anforderungen des GeschGehG zurückbleiben, dann nicht anwendbar sein, wenn dadurch das für Geschäftsgeheimnisse durch die Geheimnisschutz-Richtlinie vorgegebene minimale Schutzniveau unterschritten würde. Europäischer Geschäftsgeheimnisschutz, aktienrechtlicher Gesellschaftsgeheimnisschutz und ggf. auch das kapitalmarktrechtliche Mitteilungsverbot teilen eine gemeinsame Schnittmenge im objektiven und subjektiven Anwendungsbereich. Aufgrund der Einbeziehung sonstiger (gesetzlicher) Vertraulichkeitspflichten in den Anwendungsbereich des GeschGehG über § 4 Abs. 2 Nr. 3 GeschGehG, werden aktienrechtlicher und europäischer Geheimnisschutz regelmäßig parallele Anwendung finden. Dass dem Begriff des Geschäftsgeheimnisses, der von § 93 Abs. 1 S. 3 AktG explizit genannt wird, kein einheitliches Begriffsverständnis zugeteilt wird, schadet nicht und ist auf die unterschiedlichen Urheber, Gesetzeszwecke und dogmatischen Rechtsgründe der Vertraulichkeitspflichten zurückzuführen. Der aktienrechtliche Gesellschaftsgeheimnisschutz orientiert sich am objektiv feststellbaren Geheimhaltungsinteresse der Gesellschaft und greift weiter als der europäische Geschäftsgeheimnisschutz, der nach einem subjektiven Geheimhaltungswillen verlangt. d) Konkurrenzverhältnis Die dargestellten Schweigepflichten aus Art. 10 MMVO, §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 3 AktG und § 4 Abs. 2 GeschGehG adressieren allesamt Aufsichtsratsmitglieder
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
der AG, die beiden letztgenannten auch diejenigen der Gesellschaft mbH. Wie aufgezeigt überschneiden sich die Anwendungsbereiche im Adressatenkreis sowie in sachlicher Hinsicht. Berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglieder börsennotierter Aktiengesellschaften, an denen die öffentliche Hand beteiligt ist, trifft jedes der genannten Mitteilungsverbote. Konkurrenzprobleme im Verhältnis der genannten gesetzlichen Schweigepflichten zur aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht entstehen konkret im Anwendungsbereich des § 394 S. 1 AktG, der eine normative Ausnahme zur aktienrechtlichen Schweigepflicht darstellt. Hiernach werden die von der öffentlichen Körperschaft in den Aufsichtsrat entsandten oder gewählten Aufsichtsratsmitglieder einer öffentlichen Aktiengesellschaft oder Gesellschaft mbH partiell von der aktienrechtlichen Schweigepflicht befreit. Im Verhältnis zum Offenlegungsverbot aus Art. 10 MMVO entfaltet das Informationsprivileg aus § 394 S. 1 AktG seine legitimierende Wirkung und lässt den Rechtswidrigkeitsvorwurf einer Informationsweitergabe durch das berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglied an die beteiligte Gebietskörperschaft regelmäßig entfallen. Sollte die Berichtspflicht des Aufsichtsratsmitglieds nicht auf gesetzlicher Grundlage basieren, sind einschränkend die hohen Anforderungen zu beachten, die der EuGH an eine zur Aufgabenerfüllung erforderliche Informationsweitergabe stellt.206 Als Erlaubnistatbestand im Sinne des § 3 Abs. 2 GeschGehG entbindet § 394 S. 1 AktG berichterstattungspflichtige Aufsichtsratsmitglieder auch von den Mitteilungsverboten des § 4 Abs. 2 GeschGehG. Im Anwendungsbereich der Berichterstattungserlaubnis für Aufsichtsratsmitglieder öffentlicher Unternehmen existiert damit grundsätzlich kein Unterschied zwischen den Schweigepflichten aus AktG und GeschGehG. Nach einer Ansicht sollen allerdings auch im Rahmen der Anwendung der Berichterstattungserlaubnis nach § 394 S. 1 AktG die europarechtlich vorgegebenen Mindeststandards für den Schutz von Geschäftsgeheimnissen nicht unbeachtet bleiben, soweit andernfalls ein Widerspruch zum unionsweiten Konsens über den Schutz von Geschäftsgeheimnissen zu befürchten steht.207 Unklar ist bisher die Wirkung des § 5 GeschGehG auf die Verschwiegenheitspflicht nach § 116 S. 1 AktG i. V. m. § 93 Abs. 1 S. 3 AktG. Konkret steht infrage, ob die Offenbarungstatbestände des § 5 GeschGehG zum Vorteil der Belange des Allgemeinwohls auch die (strengere) aktienrechtliche Schweigepflicht aufheben können.208 Dafür soll die ratio legis des § 5 GeschGehG stimmen, Allgemeinwohlbelange dem Geschäftsgeheimnisschutz vorzuziehen, was im Fall der Einschränkung der Wirkung der Offenbarungserlaubnis durch andere Vertraulich206
Vgl. Hopt/Kumpan, in: Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb, 6. Aufl. 2022, Kap. 17, § 86 Rn. 105; vgl. hierzu auch bereits oben unter B.I.4.a). 207 Ries/Haimerl, Auswirkungen der EU-Geheimnisschutzrichtlinie auf die Verschwiegenheitspflicht von Vorstandsmitgliedern nach § 93 I 3 AktG, NZG 2018, 621 (623). 208 Vgl. Oetker, in: Müller-Glöge, ErfKomm ArbR, 22. Aufl. 2022, AktG, § 116 Rn. 6a.
I. Wesensmerkmale
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keitsvorschriften verhindert werden könnte.209 Dem steht jedoch der übergeordnete Zweck der GeschGeh-Richtlinie entgegen, ein unionsweit angeglichenes Mindestmaß für den Geschäftsgeheimnisschutz zu etablieren, ohne weitergehende Vertraulichkeitsvorschriften zu berühren.210 Insbesondere die in § 1 Abs. 2 GeschGehG normierte Vorrangstellung öffentlich-rechtlicher Vorschriften zur Geheimhaltung, Erlangung, Nutzung oder Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen, unterstreicht den generell subsidiären Charakter des Gesetzes und gewährt strengeren Geheimnisschutzregeln den Vorrang.
5. Zusammenfassung Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft oder Gesellschaft mbH gelangen im Zuge der Ausübung ihrer Überwachungsaufgaben zwangsläufig in Kenntnis von teilweise sensiblen Gesellschaftsgeheimnissen. Hieraus erwächst das Erfordernis eines wirksamen Geheimnisschutzes zum Erhalt wissensbasierter Wettbewerbsvorteile. Der Gesetzgeber ist sich der Bedeutung von Gesellschaftsgeheimnissen sowie der wechselseitigen Abhängigkeit von Überwachung und Geheimnisschutz bewusst und stellt der abstrakten Gefahr des Vertraulichkeitsschutzes die Verschwiegenheitspflicht aus §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 3 AktG entgegen. Neben der Verhinderung eines unberechtigten Informationsabflusses von Gesellschaftsgeheimnissen nach außen schützt die Vertraulichkeitspflicht auch die Funktionalität der aktienrechtlichen Verwaltungsspitze aus zwei voneinander unabhängigen Organen sowie die Funktionsfähigkeit des Überwachungsorgans. Die Existenz der organschaftlichen Schweigepflicht war bereits vor ihrer ausdrücklichen Aufnahme in das Aktiengesetz im Jahr 1937 anerkannt und folgt aus der organschaftlichen Pflicht zur Abwehr von Schäden für die Gesellschaft, die der Treue- und Sorgfaltspflicht resultiert. Aufsichtsratsmitglieder adressierende gesetzliche Schweigepflichten gründen auch aus Art. 10 MMVO und § 4 Abs. 2 GeschGehG. Hierbei überschneiden sich die Anwendungsbereiche mit dem der aktienrechtlichen Schweigepflicht in persönlicher und sachlicher Hinsicht, was im Einzelfall zu ihrer parallelen Anwendbarkeit führen kann. Der europarechtlich determinierte Geschäftsgeheimnisschutz nach dem GeschGehG verlangt in Abgrenzung zum aktienrechtlichen Geheimnisschutz insbesondere nach der Existenz angemessener Schutzmaßnahmen gegen den Verlust von Informationen. Dass der Geschäftsgeheimnisschutz regelmäßig Gesellschaftsgeheimnisschutz ist, bedingt die Organisationsverantwortung sowie die Sorgfaltspflicht des Geschäftsführungsorgans aus § 93 Abs. 1 S. 1 AktG bzw. § 43 Abs. 1 GmbHG. Hieraus erwächst unabhängig von den Bestimmungen des Gesch209
Begr. RegE BT-Drs. 19/4724 S. 28. Vgl. Oetker, in: Müller-Glöge, ErfKomm ArbR, 22. Aufl. 2022, AktG, § 116 Rn. 6a; Begr. RegE BT-Drs. 19/4724 S. 24. 210
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
GehG die Pflicht zur Verhinderung von Schäden für die Gesellschaft durch eine gefahrenbewusste Unternehmensorganisation, die sich unter anderem in der Pflicht zur Vornahme effektiver Maßnahmen gegen den unfreiwilligen Informationsverlust konkretisiert. Hierbei werden in qualitativer Hinsicht dieselben organisatorischen Anforderungen an einen effektiven, bzw. angemessenen Geheimnisschutz zu stellen sein, wie sie das GeschGehG voraussetzt. Die Konkurrenz von unterschiedlichen Schweigepflichten wird aus Sicht des berichtspflichtigen Aufsichtsratsmitglieds im Hinblick auf die Reichweite der Erlaubnisnorm des § 394 S. 1 AktG relevant. Untersucht wurde, ob das Informationsprivileg aus § 394 S. 1 AktG auf die Vertraulichkeitspflichten aus Art. 10 MMVO und § 4 Abs. 2 GeschGehG durchschlägt. Das GeschGehG erkennt die gesetzliche Ausnahme von der Schweigepflicht in § 3 Abs. 2 GeschGehG an. Daneben erfolgt eine Berichterstattung im Rahmen des § 394 S. 1 AktG auch regelmäßig nicht unrechtmäßig i. S. d. kapitalmarktrechtlichen Mitteilungsverbots aus Art. 10 MMVO.
II. Die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht de lege lata Die Bedeutung der Informations-Pflichtrechte des Aufsichtsrats für das aktienrechtliche Spitzensystem rechtfertigt die Belastung des Aufsichtsmandats mit einer strafbewehrten Verschwiegenheitspflicht zum Wohle der Gesellschaft nicht nur, sondern setzt die Informationsintegrität gerade strukturell voraus. In welchen Fällen Aufsichtsratsmitglieder auch außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 394, 395 AktG gegenüber einer beteiligten Gebietskörperschaft zur Weitergabe von Gesellschaftsinformationen berechtigt sind, richtet sich nach dem materiellrechtlichen Gehalt der aktienrechtlichen Schweigepflicht. Neben (erstens) der Entstehung der Schweigepflicht ist ihr gegenstandsbezogener Umfang in (zweitens) sachlicher und (drittens) subjektiver Dimension zu untersuchen. Abseits dieser Grenzen wird (viertens) auch die Einflussnahme aktienrechtlicher Handlungsleitbilder auf die Verschwiegenheitspflicht diskutiert. Einfluss auf die Schweigepflicht des Aufsichtsrats sollen (fünftens) außerdem die Bestimmungen des Konzernrechts nehmen. Inwieweit die organschaftliche Schweigepflicht auf die Ausübung weiterer Nebenämter wirkt, soll (sechstens) das Bild von der Schweigepflicht im System des aktienrechtlichen Kommunikationswesens vollenden, ehe die Ausnahme von der Schweigepflicht für berichterstattungspflichtige Aufsichtsratsmitglieder nach §§ 394, 395 AktG im zweiten Hauptteil dieser Untersuchung einer kritischen Kompatibilitätsprüfung unterzogen wird.
II. Die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht de lege lata
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1. Zeitliche Reichweite der Verschwiegenheitspflicht Die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats knüpft in ihrer Entstehung unmittelbar an die organschaftliche Mitgliedschaft an.211 Pflichtbegründend wirkt die Annahme des nach § 101 Abs. 1 S. 1 AktG ordentlich gewählten, des nach § 104 Abs. 1 S. 1 AktG gerichtlich bestellten oder des nach § 101 Abs. 2 S. 1 AktG entsendeten Mitglieds.212 Eine fehlerhafte Bestellung, etwa aufgrund fehlender persönlicher Qualifikation, nimmt auf die organschaftliche Pflichtenbindung keinen Einfluss und lässt dementsprechend auch die Anwendbarkeit des § 116 S. 1 AktG unberührt.213 Die Dauer der Schweigepflicht wird demgegenüber nicht durch die Mitgliedschaft im Überwachungsorgan begrenzt. Die Pflicht zur Verschwiegenheit folgt der organschaftlichen Treuepflicht, die über den Zeitraum der Organzugehörigkeit hinauswirkt. Die Schweigepflicht wirkt in demselben Umfang diejenigen Informationen betreffend nach, die in Zeiten der Organzugehörigkeit erlangt wurden und von der Verschwiegenheitspflicht umfasst waren.214 Andernfalls könnte sich ein Aufsichtsratsmitglied durch das Ablegen des Mandats der Verschwiegenheitspflicht entziehen und der Sinn und Zweck der Treue- und Sorgfaltspflicht, Schäden von der Gesellschaft abzuwenden, könnte nicht erreicht werden. Die Wirkung der organschaftlichen Treuepflicht steht in keinem Zusammenhang mit sonstigen haupt- oder nebenamtlichen Tätigkeiten, sodass etwa die Beendigung der Tätigkeit eines berichtspflichtigen Aufsichtsratsmitglieds für die Gebietskörperschaft nicht automatisch zur Beendigung der Organmitgliedschaft oder zur Suspendierung der Sorgfaltsund Treuepflicht führt.215 Die gegenstandbezogene Schweigepflicht endigt daher erst mit dem Entfall der Voraussetzungen des sachlichen Tatbestands.216 Im Vorfeld der
211
Zur dogmatischen Herkunft bereits oben unter B.I.2.b). Hopt/Roth, in: Hirte/Mülbert/Roth, Großkomm AktG Bd. 5, 5. Auflage 2019, § 101 Rn. 160; Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 10 u. 14; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 491; zur Annahme als konstitutives Element der organschaftlichen Wahl oder Entsendung vgl. Simons, in: Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl. 2022, § 101 Rn. 21. 213 Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl. 2020, § 101 Rn. 31; Spindler, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 07. 2022, § 101 Rn. 115; Habersack, in: Goette/ Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 10. 214 OLG Koblenz, Beschl. v. 05. 03. 1987 – 6 W 38/87, WM 1987, 480 (481); Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 492; Spindler, in: Spindler/ Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 07. 2022, § 116 Rn. 116. 215 Spindler, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 52 Rn. 224; sowie im Umkehrschluss zu Kersting, in: KK AktG, Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 81, wonach die organschaftliche Bindung auch keinen Einfluss auf anderweitige hauptamtliche Pflichtenbindungen nimmt. 216 Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 492; ähnlich, aber zum wettbewerbsrechtlichen Mitteilungsverbot aus § 17 UWG a. F. BGH, Urt. v. 23. 02. 2012 – I ZR 136/10 („MOVICOL“), GRUR 2012, 1048 (1049). 212
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
Bestellung kann das künftige Aufsichtsratsmitglied allenfalls vertraglich zur Verschwiegenheit über vertrauliche Angaben verpflichtet sein.217
2. Sachlicher Tatbestand Die aktienrechtliche Schweigepflicht des Aufsichtsrats aus §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 3 AktG entspricht in ihrem sachlichen Umfang der Verschwiegenheitspflicht des Vorstands einer Aktiengesellschaft.218 Danach ist über vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft, die den Aufsichtsratsmitgliedern durch ihre Tätigkeit im Aufsichtsrat bekanntgeworden sind, Stillschweigen zu bewahren. Vom Gesetzeswortlaut sind im Umkehrschluss jene Tatsachen nicht umfasst, deren Kenntniserlangung nicht im Zusammenhang mit der Amtstätigkeit des Aufsichtsrats stehen, auch wenn die Gesellschaft ein objektives Interesse an der Geheimhaltung hat. Allerdings wird das Aufsichtsratsmitglied in diesen Fällen gleichermaßen aus der allgemeinen organschaftlichen Treue- und Sorgfaltspflicht zur Vertraulichkeit verpflichtet sein.219 Die hiervon abgeleitete Pflicht zur Abwendung von Nachteilen für die Gesellschaft erstreckt sich auf alle mit einem objektiven Geheimhaltungsbedürfnis belasteten Gesellschaftsinformationen.220 Die Art und Weise der Kenntnisnahme oder die Herkunft einer Information beeinflusst die organschaftliche Pflichtenbindung nicht und befreit daher auch das Aufsichtsratsmitglied nicht von der Pflicht zur Achtung der Integrität von Gesellschaftsgeheimnissen und vertraulichen Angaben zum Zwecke der Abwendung von Schäden für die Gesellschaft. Eine Ausnahme gilt auch nicht zwingend für Informationen, in deren Kenntnis das Aufsichtsratsmitglied durch eine „reine Privatangelegenheit“ ohne jeden Bezug zur Amtstätigkeit gelangt ist.221 Damit bedarf es noch nicht einmal der Vermutung einer Kenntniserlangung „im Hinblick auf die Aufsichtsratstätigkeit“222. Ohnehin vermag allein der konkrete 217
Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 14; vgl. Seibt/Scholz, Wahlkandidaten der Gesellschaft für den Aufsichtsrat, AG 2016, 739 (745 f.) zu den Erfordernissen und Grenzen einer zweckgebundenen Weitergabe von vertraulichen Informationen an Wahlkandidaten. 218 Hopt/Roth, Der Aufsichtsrat, 2019, § 116 Rn. 193. 219 Für die Verschwiegenheitspflicht des Vorstands, deren Grundzüge nach dem Willen des Gesetzgebers (vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/8769 S. 18), angepasst um die Besonderheiten der Stellung des Aufsichtsrats, auch auf das Kontrollorgan der Gesellschaft übertragen werden können Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 93 Rn. 139; ders., in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 116 Rn. 122. 220 Vertrauliche Informationen und Gesellschaftsgeheimnisse werden auch als Treugut erkannt, das Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern als Treuhändern anvertraut ist, Grundmann, Der Treuhandvertrag, 1997, S. 103 ff.; Hopt/Roth, in: Hirte/Mülbert/Roth, Großkomm AktG Bd. 4 Tb. 2, 5. Aufl. 2015, § 93 Rn. 283, mit zahlreichen Beispielen. 221 Spindler, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 07. 2022, § 116 Rn. 122. 222 Vgl. Flore, Verschwiegenheitspflichten im Aufsichtsrat, BB 1993, 133 (134).
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Wortlaut der normativen Schweigepflicht die kraft organschaftlicher Pflichtenbindung bestehende organschaftliche Schweigepflicht in ihrer Anwendbarkeit nicht zu beschränken, solange ein dahingehender Wille des Gesetzgebers nicht ersichtlich ist. Der konkrete Wortlaut des § 93 Abs. 1 S. 3 AktG ist daher hinsichtlich des geforderten Kausalzusammenhangs zwischen Kenntniserlangung einerseits und Mandatstätigkeit andererseits dahingehend auszulegen, dass die Schweigepflicht alle Informationen erfasst, die objektiv geheimhaltungsbedürftig sind und deren Weitergabe durch den Schweigepflichtigen dem Geheimhaltungsinteresse der Gesellschaft widerspricht.223 Erforderlich ist zumindest, dass die Information einen hinreichenden Sachbezug zu Gesellschaftsangelegenheiten aufweist. Gesellschaftsangelegenheiten sind alle für die Gewinnermittlung und -verwendung erheblichen Tatsachen sowie sonstige rechtliche und wirtschaftliche Umstände und Verhältnisse innerhalb der Gesellschaft oder gegenüber Dritten, das Gesellschaftsvermögen, die Unternehmensplanung, Forschung und Entwicklung sowie vertragliche Rechtsverhältnisse zu gesellschaftsfremden oder organschaftlich gebundenen natürlichen Personen.224 Andererseits werden nicht alle Informationen mit Gesellschaftsbezug, die dem Aufsichtsrat im Zusammenhang mit seinem Mandat bekannt werden, zwingend von der Verschwiegenheitspflicht umfasst.225 Die Schweigepflicht wirkt gegenstandsbezogen und setzt die Geheimhaltungsbedürftigkeit der jeweiligen Information, von der das Aufsichtsratsmitglied Kenntnis erlangt hat, gemessen am objektiven Geheimhaltungsinteresse der Gesellschaft bzw. des Unternehmens in Ansehung eines negativen Empfängerkreises voraus.226 a) Offenkundigkeitsmangel Allgemein wird ein objektives Geheimhaltungsbedürfnis als primäres Kriterium dafür herangezogen, ob eine Information von der Verschwiegenheitspflicht umfasst ist.227 Vertrauliche Angaben und Gesellschaftsgeheimnisse setzen jedoch – wie auch 223 In diesem Sinn verlangt auch die Rechtsprechung eine Kenntniserlangung nur „in der Eigenschaft als Geschäftsführer“ oder „Mitglied des Aufsichtsrats“ und gerade nicht die Kenntniserlangung „im Zusammenhang“ mit der jeweiligen Organtätigkeit, vgl. für die GmbH: BGH, Urt. v. 20. 05. 1996 – II ZR 190/95, NJW 1996, 2576 (2576); so auch Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 93 Rn. 63. 224 Angelehnt an das Begriffsverständnis von Gesellschaftsangelegenheiten i. S. d. § 51a GmbHG, vgl. Schmidt, M./Nachtwey, in: Prinz/Winkeljohann, Beck’sches Hdb GmbH, 6. Aufl. 2021, § 3 Rn. 73. 225 Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 605; BGH, Urt. v. 05. 06. 1975 – II ZR 156/73 („Bayer“), NJW 1975, 1412 (1413). 226 Zur Unterscheidung zwischen Gesellschafts- und Unternehmensinteresse siehe unten unter B.II.4.d). 227 Vgl. etwa Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 93 Rn. 164; GroßBölting/Rabe, in: Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl. 2022, § 116 Rn. 67.
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
ein Geheimhaltungsbedürfnis – die Unbekanntheit einer Information voraus.228 Ob eine Information geheim ist, richtet sich nicht zwangsläufig danach, ob sie allgemein und damit einem großen, breiten Publikum zugänglich geworden ist. Schon die Möglichkeit des jederzeitigen Zugangs zur Information steht dem aktienrechtlichen Vertraulichkeitsschutz entgegen.229 Die Schutzbedürftigkeit einer Information vor einer unberechtigten Weitergabe entfällt ansonsten mit ihrer Offenbarung in (begrenzten) Personenkreisen bereits dann, wenn hierdurch das objektive Geheimhaltungsbedürfnis des berechtigten Geheimnisträgers entfällt.230 Damit ist für die Frage nach der sachlichen Reichweite der organschaftlichen Schweigepflicht die fehlende Offenkundigkeit einer konkreten Information in dem Personenkreis maßgeblich, dessen Kenntniserlangung die Schweigepflicht gerade verhindern soll (negativer Empfängerkreis). Darüber hinaus kann auch die Ausweitung einer begrenzten Bekanntheit einer Information im negativen Empfängerkreis einen Verstoß gegen die Schweigepflicht begründen, soweit hierdurch der vom Geheimhaltungsbedürfnis abgebildete objektive Zweck vereitelt wird.231 Dabei lässt sich der negative Empfängerkreis einer konkreten Information erst in einem zweiten gedanklichen Schritt nach dem Geheimhaltungsbedürfnis eines konkreten Informationsgegenstands bestimmen. Ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung einer im negativen Empfängerkreis offenkundigen Information scheidet denknotwendig aus, sodass in Bezug auf diese Information auch keine Schweigepflicht bestehen kann.232 b) Geheimhaltungsbedürfnis Ob es der Geheimhaltung einer Information bedarf, richtet sich allein nach objektiven überprüfbaren Kriterien des Gesellschafts- und Unternehmensinteresses und nicht nach dem bekundeten Willen des Vorstands.233 Auch der Aufsichtsrat ist 228 So bereits Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 411. 229 Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 414. 230 Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 413. 231 Hopt/Roth, in: Hirte/Mülbert/Roth, Großkomm AktG Bd. 4 Tb. 2, 5. Aufl. 2015, § 93 Rn. 285. 232 In diesem Sinne auch bereits BGH, Urt. v. 05. 06. 1975 – II ZR 156/73 („Bayer“), BGHZ 64, 325 (329) = NJW 1975, 1412 (1413): „Was bewußt jedermann offenbar ist, ist kein Geheimnis mehr.“; was sich gleichsam auf das Merkmal der „vertraulichen Angabe“ und damit die Schweigepflicht insgesamt beziehen muss; zuvor bereits Stebgut, v., Geheimnisschutz und Verschwiegenheitspflicht im Aktienrecht, 1972, S. 6 f. 233 Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 56 m. w. N.; Schenk, v., in: Semler/Schenk, v., Der Aufsichtsrat, 1. Auflage 2015, § 116 Rn. 501; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 409; 415; BGH, Urt. v. 05. 06. 1975 – II ZR 156/73 („Bayer“), BGHZ 64, 325 (329) = NJW 1975, 1412 (1413); OLG Stuttgart, Beschl. v. 07. 11. 2006 – 8 W 388/06, NZG 2007, 72 (74); absolute Mm. bei Grigoleit/ Tomasic, in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl. 2020, § 93 Rn. 79, wonach der Vorstand im Rahmen
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nicht zur Feststellung des Geheimhaltungsbedürfnisses berufen.234 Zwar kann sich aus konkreten Äußerungen ein Hinweis auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit einer Information ergeben,235 doch lässt sich die aktienrechtliche Schweigepflicht nicht als individuell zu bedienendes Instrument zur Steuerung der Unternehmenskommunikation aktivieren, sondern fußt auf der organschaftlichen Beziehung des Aufsichtsrats- oder Vorstandsmitglieds zur Gesellschaft. Die objektive Betrachtungsweise, „die sich an dem orientiert, was bei vernünftiger und sachkundiger Unternehmensführung im Interesse der Gesellschaft, also im Hinblick auf ihren Nutzen und ihr Ansehen jetzt (noch) unbekannt bleiben sollte“, definiert das Geheimhaltungsinteresse der Gesellschaft.236 Das Gesellschaftsinteresse an der vertraulichen Behandlung einer Information ist daher jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Bekannt- oder Weitergabe der Information materielle oder immaterielle Schäden für die Gesellschaft verursachen würde.237 Soweit die Rechtsprechung – die naturgemäß stets nach einer erfolgten Informationsweitergabe über ihre Rechtmäßig- bzw. Pflichtwidrigkeit urteilen muss – den in § 93 Abs. 1 S. 3 AktG genannten vertraulichen Angaben und Gesellschaftsgeheimnissen ein subjektives Element zuspricht, beschränkt sie sich damit auf die Erkennbarkeit eines objektiven Geheimhaltungsbedürfnisses einer Information, nicht auf das objektive Erfordernis des Geheimhaltungsinteresses.238 Die Erkennbarkeit des Geheimhaltungswillens kann auf sekundärer Ebene Bedeutung erlangen. Ob eine Information als von der Schweigepflicht umfasst zu erkennen war, ist für etwaige Regressansprüche der Gesellschaft im Fall der pflichtwidrigen Weitergabe von objektiv geheimhaltungsbedürftigen Gesellschaftsinformationen relevant und bestimmt neben dem Verschulden auch die strafrechtliche Verantwortlichkeit des objektiv Schweigepflichtigen. Ein ausdrücklich geäußerter Geheimhaltungswille des Vorstands oder Aufsichtsrats, der jeweils durch Beschlussfassung des Organs zustande kommt, begründet die objektive Geheimhaltungsbedürftigkeit einer Information nicht, kann sie im Einzelfall allerdings erst sichtbar machen. Beispielsweise können Informationen seines Leitungsermessens über das Gesellschaftsinteresse und damit auch darüber entscheiden können soll, welche Informationen unter den Schutz der Schweigepflicht fallen. 234 Vgl. nur Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 55 f. 235 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/8769, S. 18; BGH, Urt. v. 05. 06. 1975 – II ZR 156/73, NJW 1975, 1412 (1413); BGH, Beschl. v. 06. 03. 1997 – II ZB 4/96, NJW 1997, 1985 (1987). 236 Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 415. 237 A. A. Stebgut, v., Geheimnisschutz und Verschwiegenheitspflicht im Aktienrecht, 1972, S. 52, der allerdings darauf hinweist, dass ein immaterieller Schaden denklogisch nicht ohne materiellen Schaden für die Gesellschaft entstehen kann. 238 Konkret soll sich das subjektive Merkmal darin erschöpfen, dass „sich die Vertraulichkeit einer Angabe unter Umständen erst aus einem ausdrücklichen Hinweis ergeben kann und zu einem Geheimnis der (geäußerte oder mutmaßliche Wille) zur Geheimhaltung“ gehören kann, BGH, Urt. v. 05. 06. 1975 – II ZR 156/73, NJW 1975, 1412 (1413); vgl. hierzu auch sogleich unter B.II.1.c).
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
über in der Planung befindliche Produktions-, Vertriebs-, Marketing- oder Expansionsstrategien nicht durch den geäußerten Willen des Vorstands zum Gegenstand geheimhaltungspflichtiger Tatsachen erklärt werden, doch kann sich der geäußerte Geheimhaltungswille auf die sachliche Grundlage eines objektiven Geheimhaltungsbedürfnisses beziehen und letzteres erst erkennbar machen. Mangelt es an der Erkennbarkeit eines objektiven Geheimhaltungsbedürfnisses, wird sich das objektiv pflichtwidrig handelnde Aufsichtsratsmitglied nach § 116 S. 1 AktG i. V. m. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG exkulpieren können.239 Die Berufung auf die fehlende Erkennbarkeit eines objektiven Geheimhaltungsbedürfnisses wird jedoch dann nicht gelingen, wenn eine Information als vertraulich zu behandeln, markiert war oder mit anderen objektiv geheimhaltungsbedürftigen Gegenständen in unmittelbaren Zusammenhang steht und der Zusammenhang erkennbar war. Eine objektiv grundlose Markierung einer Information als geheimhaltungsbedürftig lässt im Umkehrschluss die Anwendbarkeit der aktienrechtlichen Schweigepflicht unberührt. Auch mit dem Hinweis auf die Position des Vorstands als „Herr über die Gesellschaftsgeheimnisse“ kann eine Subjektivierung des rein objektiv zu beurteilenden Geheimhaltungsbedürfnisses nicht ohne Weiteres gerechtfertigt werden.240 Hiernach soll allein der Vorstand über den Zeitpunkt sowie die Art und Weise der Kund- oder Weitergabe solcher Gesellschaftsinformationen entscheiden, die geheim und von einem objektiven Geheimhaltungsbedürfnis betroffen sind, also ohne jedes Zutun bereits in den Anwendungsbereich der Schweigepflicht fallen. Über die objektive Notwendigkeit der Geheimhaltung befindet der Vorstand nicht. Als „Herr über die Gesellschaftsgeheimnisse“ verfügt der Vorstand über den Umgang mit vertraulichen Angaben und Gesellschaftsgeheimnissen, die bereits (aufgrund objektiver und gerichtlich nachprüfbarer Umstände) in den Anwendungsbereich der aktienrechtlichen Schweigepflicht fallen. Der Geheimhaltungswille des Leitungsorgans ist keine Tatbestandsvoraussetzung des § 93 Abs. 1 S. 3 AktG. Aus der organschaftlichen Treue- und Sorgfaltsbindung obliegt es dem einzelnen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglied selbst, Informationen nach ihrer Bedeutung für die Gesellschaft zu bewerten und objektive Umstände, die ein Geheimhaltungsinteresse begründen können, zu erkennen.241 Ein Geheimhaltungswille steht beim Vorliegen eines objektiven Geheimhaltungsbedürfnisses zu vermuten und kann sich darüber hinaus auch aus der Natur der Sache ergeben, muss jedenfalls nicht aus239
Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 51 ff. m. w. N.; hingegen greift der Einwand, dem Aufsichtsratsmitglied selbst stünde ein Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Frage zu, ob die Geheimhaltung im Interesse der Gesellschaft liegt, nicht; a. A. Mertens/Cahn, in: KK AktG Bd. 2/2, 3. Aufl. 2013, § 116 Rn. 50, wonach Aufsichtsratsmitgliedern „in engen Grenzen ein gewisser unternehmerischer Beurteilungsspielraum zugebilligt werden“ soll. 240 Ähnlich Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 93 Rn. 136. 241 Wittgens/Vollertsen, Gruppenvorbesprechungen im Aufsichtsrat, AG 2015, 261 (263); etwas anderes gilt für die Geheimhaltungspflicht nach § 79 BetrVG, vgl. Werner, in: Rolfs/ Giesen/Udsching, BeckOK ArbeitsR, 64. Ed. v. 01. 06. 2022, BetrVG, § 79 Rn. 4.
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drücklich oder konkludent geäußert worden sein242. Die Einhaltung der Legalitätspflicht obliegt dem einzelnen Organmitglied selbst und ist nicht von einer vorherigen Willensäußerung eines Gesellschaftsorgans abhängig.243 Die Einschätzung, ob ein Geheimnis oder eine vertrauliche Angabe im Sinne des § 93 Abs. 1 S. 3 AktG vorliegt, hat das Aufsichtsratsmitglied im Rahmen seiner pflichtgemäßen Amtsausübung festzustellen. Ein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum steht ihm hierbei nicht zu.244 Ob eine Information unter den Anwendungsbereich der Schweigepflicht fällt, unterliegt mithin der vollen gerichtlichen Kontrolle.245
c) Gesellschaftsgeheimnisse Unter Geheimnissen der Gesellschaft werden Tatsachen verstanden, die nicht offenkundig sind, d. h. nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt sind und deren Verbreitung vom Berechtigten steuerbar ist.246 Geheimnischarakter tragen daher nur solche Informationen, deren Weitergabe eine gesetzliche oder vertragliche Schweigepflicht unterbindet. Damit schadet auch die Kenntnis von gesellschaftsexternen Personen grundsätzlich nicht, soweit diese wirksam und strafbewährt zur Vertraulichkeit verpflichtet sind und keine Anhaltspunkte darauf hindeuten, dass eine pflichtwidrige Weitergabe gleichwohl wahrscheinlich ist.247 Der Begriff der Tatsache umfasst jedes reale Geschehnis im Sinne eines wirklichen, gegebenen tatsächlichen oder ideellen Umstands und entspricht der Begriffsbedeutung eines Faktums.248 Anders als nach dem Tatsachenbegriff des § 824 BGB sind damit auch bloße Ansichten, Meinungen und Wertungen umfasst.249 Damit entspricht der Ge242
Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 93 Rn. 137. Groß-Bölting/Rabe, in: Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl. 2022, § 116 Rn. 67; vgl. bereits BGH, Urt. v. 05. 06. 1975 – II ZR 156/73 („Bayer“), BGHZ 64, 325 (331) = NJW 1975, 1412 (1413). 244 OLG Stuttgart, Beschl. v. 07. 11. 2006 – 8 W 388/06, NZG 2007, 72 (74); Spindler, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 07. 2022, § 116 Rn. 115; Habersack, in: Goette/ Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 56; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 444; Veil, Weitergabe von Informationen durch den Aufsichtsrat an Aktionäre und Dritte, ZHR 2008, 239 (244); a. A. Mertens/Cahn, in: KK AktG Bd. 2/2, 3. Aufl. 2013, § 116 Rn. 50; Hueck, Zur Verschwiegenheitspflicht der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, RdA 1975, 35 (38 f.); Mertens, Zur Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder, AG 1975, 235 (236). 245 OLG Stuttgart, Beschl. v. 07. 11. 2006 – 8 W 388/06, NZG 2007, 72 (74); Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 116 Rn. 11; Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 56. 246 In Anlehnung an die allgemeine Ansicht, vgl. Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 93 Rn. 64 m. w. N. 247 Ähnlich Stebgut, v., Geheimnisschutz und Verschwiegenheitspflicht im Aktienrecht, 1972, S. 12 ff. 248 Stebgut, v., Geheimnisschutz und Verschwiegenheitspflicht im Aktienrecht, 1972, S. 6. 249 Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 93 Rn. 134; Hopt/ Roth, in: Hirte/Mülbert/Roth, Großkomm AktG Bd. 4 Tb. 2, 5. Auflage 2015, § 93 Rn. 283. 243
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
heimnisbegriff der aktienrechtlichen Schweigepflicht im Wesentlichen auch dem des § 404 AktG sowie des § 17 UWG a. F.250,251 In § 93 Abs. 1 S. 3 AktG unterteilt das Gesetz die Gesellschaftsgeheimnisse in Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, ohne dass dieser Differenzierung eine praktische Bedeutung zukommen könnte.252 Der zugrundeliegende Geheimnisbegriff verlangt neben der Unbekanntheit einer Information auch nach einem Geheimhaltungswillen des berechtigten Informationsträgers.253 Im erklärten Offenkundigkeitswillen des Vorstands als „Herr über die Geschäftsgeheimnisse“ liegt ein negatives Tatbestandsmerkmal der Schweigepflicht, dessen Vorliegen die betroffene Information aus dem Anwendungsbereich der Schweigepflicht suspendiert. Ist eine nicht offenkundige Information von einem Geheimhaltungswillen nicht betroffen, kann es sich um kein Geheimnis handeln und kommt eine (strafbewehrte) Pflicht zur Verschwiegenheit nicht in Betracht. Willentlich kann der Vorstand der Aktiengesellschaft die Anwendbarkeit der organschaftlichen Schweigepflicht damit zumindest bedingt steuern, als er sie durch die Äußerung des Verzichts auf die Vertraulichkeit einer Information ausschließen kann (suspensive Verzichtserklärung).254 Soweit der Vorstand dadurch einem objektiven Geheimhaltungsinteresse der Gesellschaft zuwiderhandelt, liegt hierin allenfalls ein treu-, sorgfalts- und pflichtwidriges Verhalten des Vorstands, der sich ansonsten auf sein Leitungsermessen berufen darf. Das auskunftsfreudige Aufsichtsratsmitglied wird dabei auch in Ansehung einer pflichtwidrigen Handlung des Vorstands grundsätzlich auf dessen Entscheidung vertrauen dürfen.255 Etwas anderes kommt dann in Betracht, wenn sich die Pflichtwidrigkeit des Geheimnisverzichts aufgrund formeller Beschlussmängel oder gravierender Beurteilungsfehler dem sorgfältig handelnden Aufsichtsratsmitglied aufgedrängt haben müsste und damit zu rechnen war, dass die Geheimhaltung der konkreten Information, über deren Geheimnisverzicht Beschluss gefasst wurde, auch bei Missachtung des fehlerhaften Vorstandsbeschlusses gewährleistet sein würde.256 Insofern vermag die Berufung auf einen Geheimnisverzicht des Vorstands das Handeln des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds auch dann nicht zu legalisieren, wenn im Zeitpunkt der Informationsweitergabe Umstände auf ein aufdringlich gewichtiges, entgegenstehendes Gesellschafts- oder Unternehmensinteresse haben schließen lassen. 250
Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 93 Rn. 165. Zum Geheimnisbegriff nach GeschGehG s. o. unter B.I.4.c)bb). 252 Groß-Bölting/Rabe, in: Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl. 2022, § 116 Rn. 67. 253 Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 428. 254 Zur alleinigen Berechtigung des Vorstands einer AG, über die Offenbarung von Gesellschaftsgeheimnissen zu entscheiden Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 429 f. 255 Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 93 Rn. 136. 256 Ähnlich Spindler, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 07. 2022, § 116 Rn. 118, wonach das Vertrauen auf die Einschätzung des Vorstands dann entfällt, wenn sie evident fehlerhaft ist; hier ergänzt um den Gedanken eines hypothetischen Kausalverlaufs im Falle rechtmäßigen Alternativverhaltens. 251
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Derartige Umstände liegen beispielsweise vor, wenn die Einschätzung des Vorstands und der Beschlussgegenstand eines Geheimnisverzichts eine Information betrifft, die allein aus der Sphäre des Aufsichtsrats stammt.257 Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit innerhalb des Aufsichtsorgans bedarf es der konstruktiven und konfliktoffenen, (selbst-)kritikfreudigen Auseinandersetzung, die im besonderen Maße auf eine offene Aussprache zwischen den Organmitgliedern angewiesen ist. Voraussetzung dafür ist die unantastbare Gewissheit darüber, dass die im Vertrauen auf die Integrität der Vertraulichkeit getätigten Aussagen den bestimmten Empfängerkreis nicht verlassen. Die Vertraulichkeit der Äußerungen im Aufsichtsrat gewährleistet erst den offenen Meinungsaustausch. Es würde damit der zweckgebundenen Funktionalität des Aufsichtsgremiums entgegenstehen, könnte der Vorstand die Integrität vertraulicher Beratungen des Aufsichtsrats im Beschlusswege mit Wirkung für alle Organmitglieder außer Kraft setzen. Es kann in diesem Fall auch nicht einmal dem Aufsichtsrat zustehen, per Beschlussfassung über den Verzicht auf die Geheimhaltung der aus seiner Sphäre stammenden Information zu entscheiden.258 Besteht ein objektives Geheimhaltungsbedürfnis der Gesellschaft, würde der Beschluss des Aufsichtsrats über den Verzicht der Geheimhaltung die (objektive) Verschwiegenheitspflicht nicht außer Kraft setzen. Existiert kein objektives Geheimhaltungsbedürfnis, besteht auch kein Vertraulichkeitsschutz nach der aktienrechtlichen Schweigepflicht und bedarf es daher auch keiner Verzichtserklärung. Ein Geheimhaltungsbedürfnis der Gesellschaft liegt sodann bereits in dem berechtigten Vertrauen eines Aufsichtsratsmitglieds in die vertrauliche Handhabung des Aufsichtsrats-Geheimnisses. Dessen Enttäuschung durch einen die Vertraulichkeit aufhebenden Beschluss des Vorstands oder des Aufsichtsrats würde das intra-organschaftliche Vertrauensverhältnis und damit die Arbeitsgrundlage des Aufsichtsorgans beeinträchtigen. Im Umkehrschluss kommt das wirksame Abbedingen der Vertraulichkeit eines Aufsichtsrats-Geheimnisses durch das Aufsichtsorgan im Fall der einstimmigen oder zumindest gegenstimmlosen Beschlussfassung infrage, soweit nicht im Einzelfall aus anderen Gründen die Geheimhaltung im Interesse der Gesellschaft oder des Unternehmens liegt.259
257 Hierzu bereits Nagel, Die Verlagerung der Konflikte um die Unternehmensmitbestimmung auf das Informationsproblem, BB 1979, 1799 (1803). 258 Vgl. Hopt/Roth, in: Hirte/Mülbert/Roth, Großkomm AktG Bd. 5, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 226; a. A. Spindler, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 07. 2022, § 116 Rn. 110, wonach der Aufsichtsrat die „Informationshoheit“ über die aus seiner Sphäre stammenden Informationen trägt. 259 A. A. Hengeler, Zum Beratungsgeheimnis im Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft, in: FS Schilling, 1973, 175 (182); Säcker, Vorkehrungen zum Schutz der gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht und gesellschaftsrechtliche Treuepflicht der Aufsichtsratsmitglieder, in: FS Fischer, 1979, 635 (636), wonach nur der Vorstand über den Verzicht auf die Geheimhaltung des Geheimnisses zu entscheiden berufen ist.
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
d) Vertrauliche Angaben Unter den von § 93 Abs. 1 S. 3 AktG erfassten vertraulichen Angaben werden allgemein alle Informationen zusammengefasst, deren Bekannt- oder Weitergabe nachteilige Folgen für die Gesellschaft verursachen könnten und die von einem objektiven Geheimhaltungsinteresse der Gesellschaft wie auch einem Willen zur Geheimhaltung umfasst sind.260 Das soll unabhängig davon gelten, ob die vertrauliche Angabe (noch) geheim ist.261 In der gesellschaftsrechtlichen Literatur offenbart sich Uneinigkeit um den erträglichen Grad der Bekanntheit einer Information, der einem Schutz durch die aktienrechtliche Schweigepflicht nicht entgegenstehen soll. Teilweise sei eine Information auch nach ihrer allgemeinen Offenbarung noch vom Aufsichtsrats- bzw. Vorstandsmitglied als vertrauliche Angabe zu behandeln, soweit die Gesellschaft ein objektives Interesse an der Verhinderung einer Informationsweiter- bzw. -wiedergabe hat und ein entsprechender Vertraulichkeitswille ausdrücklich oder konkludent geäußert wurde oder sich aus den Umständen beziehungsweise der Natur der Sache ergibt.262 Dem widersprechen neben dem klaren Wortlaut (vertrauliche Angabe) auch Sinn und Zweck der aktien- bzw. organschaftlichen Schweigepflicht. Dass vertrauliche Angaben i. S. d. § 93 Abs. 1 S. 3 AktG solche Informationen sind, deren Ausdruck in wörtlicher oder schriftlicher Form geeignet ist, der Gesellschaft Schaden zuzufügen, stellt nicht das vorrangig für die Anwendbarkeit der Schweigepflicht erforderliche Bedürfnis des Offenkundigkeitsmangels obsolet. Die aktienrechtliche Schweigepflicht konkretisiert die organschaftliche Schweigepflicht, erweitert oder beschränkt diese jedoch nicht. Die ebenfalls aus dem Mandatsverhältnis resultierende Treueund Sorgfaltspflicht verlangt von dem Mandatsträger das Unterlassen gesellschaftsschädigender Handlungen. Damit ist es dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied ohnehin untersagt, gesellschaftsschädigende Informationen nach außen kundzutun, auch dann, wenn sie bereits allgemein bekannt sind. 260
Dauner-Lieb, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2021, AktG, § 93 Rn. 12; Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 93 Rn. 137; Fleischer, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 07. 2022, § 93 Rn. 204; teilweise wurden hierunter Tatsachen aus dem persönlichen Lebens- oder Organbereich von Vorstand und Aufsichtsrat oder aus dem sonstigen Unternehmensbereich verstanden, vgl. Säcker, Informationsrechte der Betriebs- und Aufsichtsratsmitglieder und Geheimsphäre des Unternehmens, 1979, S. 63. 261 Dauner-Lieb, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2021, AktG, § 93 Rn. 13; Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 93 Rn. 63; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 93 Rn. 166. 262 Nach Spindler, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 07. 2022, § 116 Rn. 120, kann eine vertrauliche Angabe auch „allgemein bekannt“ sein; ders., in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 116 Rn. 112; ders., in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 93 Rn. 137. A. A. Dauner-Lieb, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2021, AktG, § 93 Rn. 13, „Informationen, die nicht bekannt sind“; Groß-Bölting/Rabe, in: Hölters/ Weber, AktG, 4. Aufl. 2022, § 116 Rn. 67, „nicht offenkundige Tatsachen“.
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Die gesellschaftsinterne Kommunikation, deren Schutz die Schweigepflicht vordergründlich bezweckt, ist im Zusammenhang mit offenkundigen Informationen nicht berührt. Es entzieht sich dem Sinn der Schweigepflicht, den Anwendungsbereich über das Tatbestandsmerkmal der vertraulichen Angaben auch auf solche Informationen auszuweiten, die im negativen Empfängerkreis bereits allgemein bekannt sind. Ferner kann weder ein Geheimhaltungswille, der allenfalls noch als Wille zum Stillschweigen über die nicht mehr geheime Information fortbestehen könnte, noch ein Geheimhaltungsbedürfnis für solche Informationen infrage kommen, die bereits allgemein bekannt sind.263 Insofern darf eine Information, die bereits in solchen Empfängerkreisen allgemein bekannt geworden ist, deren informationsbedingtes Für- oder Widerhalten den Gesellschaftsschaden begründet, nicht mehr als vertrauliche Angabe im Sinne der aktienrechtlichen Schweigepflicht angesehen werden. Das Merkmal der Vertraulichkeit schließt damit solche Informationen aus dem sachlichen Anwendungsbereich der Schweigepflicht aus, die ohnehin bekannt oder leicht zugänglich sind.264 Hinsichtlich des Bekanntheitsgrades einer Information ist wiederum nicht erst ihre allgemeine Offenkundigkeit tatbestandsüberschießend. Das Merkmal der Vertraulichkeit einer Information richtet sich nach der Bekanntheit im negativen Empfängerkreis, wobei sich letzterer nach dem Geheimhaltungsbedürfnis und damit nach dem objektiven Gesellschafts- bzw. Unternehmensinteresse, letztlich anhand des Zwecks der Erhaltung der Vertraulichkeit definiert.265 Zutreffend ist die Anwendbarkeit des aktienrechtlichen Informationsschutzes nach § 116 S. 1 AktG i. V. m. § 93 Abs. 1 S. 3 AktG damit nicht anzunehmen, soweit die Information allgemein bekannt oder offenkundig ist. Auf eine allgemeingültige Definition der vertraulichen Angabe, auch in Abgrenzung zum Geheimnisbegriff des § 93 Abs. 1 S. 3 AktG, verzichtet die Rechtsprechung,266 die stattdessen das Erfordernis eines objektiven Geheimhaltungsbedürfnisses als gemeinsamen Nenner hervorhebt.267 Das Erfordernis einer Abgrenzung beider Tatbestandsalternativen über ihren sachlichen Anwendungsbereich resultiert jedoch aus der Strafnorm des § 404 AktG, die lediglich die schweigepflichtwidrige Weitergabe von Geheimnissen der Gesellschaft unter Strafe 263
Vgl. hierzu bereits oben unter B.II.1.a) sowie unter B.II.1.b). So bereits Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 453. 265 Vgl. zur Bestimmung des negativen Empfängerkreises einer Information bereits oben unter B.II.2.a). 266 Gleichwohl unternehmen Groß-Bölting/Rabe, in: Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl. 2022, § 116 Rn. 67 den Versuch einer Abgrenzung; vgl. noch in der Vorauflage Hambloch-Gesinn/ Gesinn, in: Hölters, AktG, 3. Aufl. 2017, § 116 Rn. Rn. 63 (Fn. 230) zusätzlich mit Verweis auf die Rechtsprechung. 267 So ist in den Begründungen stets von einer Information „als vertrauliche Angabe oder Geheimnis“ bzw. „vertraulichen Angaben und Geheimnissen“ die Rede, vgl. BGH, Urt. v. 26. 04. 2016 – XI ZR 108/15, NJW 2016, 2569 (2570); OLG Stuttgart, Beschl. v. 07. 11. 2006 – 8 W 388/06, NZG 2007, 72 (73). 264
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
stellt. Eine früher verbreitete Ansicht, wonach den vertraulichen Angaben im Vergleich zu den Gesellschaftsgeheimnissen generell keine eigenständige Bedeutung zukommen sollte, ist damit nicht haltbar.268 Nach Lutter grenzen sich vertrauliche Angaben von Gesellschaftsgeheimnissen i. S. d. § 93 Abs. 1 S. 3 AktG trotz der gemeinsamen Abhängigkeit vom objektiven Geheimhaltungsbedürfnis dadurch ab, dass sie „obwohl bekannt, nicht hervorgezogen und auf dem offenen Markt verhandelt werden“ dürfen.269 Maßgeblich für die Einordnung einer (nicht geheimen) Information unter das Merkmal der vertraulichen Angabe müssen dabei aufgrund der gemeinsamen Grundlage dieselben Kriterien sein, wie sie auch für die Einordnung einer (geheimen) Information unter den Geheimnisbegriff anzustellen sind.270 Auch bezüglich der vertraulichen Angaben muss unter objektiven Gesichtspunkten das Interesse der Gesellschaft an ihrer Geheimhaltung bestehen.271 Damit kann sich das Geheimhaltungsbedürfnis der vertraulichen Angabe neben dem ausdrücklichen oder konkludenten Hinweis auf die Vertraulichkeit auch aus der Natur der Sache ergeben. Bestehen Zweifel an der Vertraulichkeit einer nicht mehr geheimen, aber noch nicht offenkundigen Information, kann eine klärende Entscheidung des Vorstands herbeigeführt werden. Gleichwohl liegt dem aktienrechtlichen Schutz der Informationsintegrität ein objektives Geheimhaltungsbedürfnis zugrunde, weshalb eine Information nicht bereits dann geschützt ist, wenn sie als „vertraulich“ deklariert wird.272 Das Vertraulichkeitsmerkmal verkörpert kein subjektives Element,273 doch wirkt der Vertraulichkeitsverzicht durch den Vorstand suspensiv274. In der Literatur angestrebte Versuche, Informationen nach ihrem jeweiligen Gegenstand entweder den vertraulichen Angaben oder den Gesellschaftsgeheimnissen zuzuordnen, erweisen sich nicht als zielführend. Vertrauliche Angaben sollten danach regelmäßig den Sphären der innergesellschaftlichen Organisation entstammen und damit Tatsachen (im weitesten Sinne) betreffen, die mittelbar oder unmittelbar den Organen, dem Organleben sowie -handeln zuzuordnen seien, wohingegen unter Gesellschaftsgeheimnissen – unter Berufung auf den Gesetzestext, der 268 So sollte die „getrennte Aufführung von ,vertraulichen Angaben‘ und ,Geheimnissen‘ (…) vielmehr als Aneinanderreihung von Synonymen zu bewerten sein“, vgl. hierzu Kittner, Unternehmensverfassung und Information, ZHR 1972, 208 (224 f.) m. w. N. aus der Zeit; i. E. ähnlich Zachert, Anm. zu OLG Düsseldorf, Urt. v. 15. 10. 1973 – 6 U 131/72, AuR 1974, 254 (255 f.), wonach vertrauliche Angaben einen Unterfall der Gesellschaftsgeheimnisse bilden sollen. 269 Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 453. 270 So auch Spindler, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 07. 2022, § 116 Rn. 120; a. A. Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 453. 271 Hopt/Roth, in: Hirte/Mülbert/Roth, Großkomm AktG Bd. 4 Tb. 2, 5. Auflage 2015, § 93 Rn. 286. 272 Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 452. 273 Vgl. hierzu bereits oben unter B.II.1.b) sowie B.II.1.c). 274 Vgl. hierzu ausführlich oben unter B.II.1.c).
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weiter zwischen Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen differenziert – regelmäßig Informationen aus dem Bereich der Unternehmung der Gesellschaft verstanden werden sollten.275 Der Differenzierung sollte keine weitere Bedeutung beigemessen werden,276 können beispielsweise Expansionsplanungen, die wohl den unternehmensbezogenen Gesellschaftsgeheimnissen zugeordnet werden müssten, auch dann noch als vertrauliche Angaben schützenswert sein, wenn sie auch nicht mehr geheim sind.277 Dem entspricht auch die zwischenzeitlich eingetretene allgemeine Einsicht, dass eine Differenzierung zwischen Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen einerseits nicht von Bedeutung und andererseits in der Praxis oftmals nicht möglich ist.278 Versuche einer (tatsachenbezogenen) Abgrenzung der vertraulichen Angaben von Gesellschaftsgeheimnissen nach dem Gegenstand einer Information scheitern letztlich. So sollen vertrauliche Angaben im Einzelfall gar unter den Begriff des Gesellschaftsgeheimnisses fallen können.279 Letztlich soll zumindest eine Konkretisierung der vertraulichen Angaben im Hinblick auf den Vorstand einerseits und den Aufsichtsrat andererseits gelingen. Unter vertraulichen Angaben i. S. d. § 93 Abs. 1 S. 3 AktG, über die der Aufsichtsrat nach § 116 S. 1 AktG zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, sollen einschränkend nur die „für den Aufsichtsrat bestimmten Mitteilungen oder Stellungnahmen der Organmitglieder über Vorkommnisse, die den Organ- oder sonstigen Unternehmensbereich betreffen“280, zu verstehen sein. Im Vergleich dazu werden vertrauliche Angaben über deren Inhalt der Vorstand zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, mit allen Informationen definiert, die das „Vorstandsmitglied in dieser Eigenschaft, nicht notwendig durch eigene Tätigkeit, erlangt hat“281. In Ansehung von Sinn und Zweck der Schweigepflicht des Aufsichtsrats erscheint die einschränkende Interpretation von vertraulichen Angaben als für den Aufsichtsrat bestimmte Tatsacheninformationen kontraproduktiv, trägt doch gerade die Offenbarung von nicht für den Aufsichtsrat bestimmten Informationen tendenziell keine geringere Gefahr für die Gesellschaft. Daneben unterscheidet die Treue- und Sorgfaltsbindung des Mandatsträgers nicht nach der Herkunft einer Information, deren Offenbarung der Gesellschaft Schaden zufügen kann. 275 Indirekt über genannte Beispiele noch immer bei Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 93 Rn. 134, 137. 276 Ähnlich Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 93 Rn. 166 m. w. N. 277 Vorausgesetzt, dass weiterhin ein objektives Geheimhaltungsbedürfnis besteht und den Geheimhaltungswillen vermuten lässt. 278 Ausdrücklich noch in der Vorauflage Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 15. Aufl. 2021, § 93 Rn. 30; oftmals nicht mehr eigens definiert, vgl. Dauner-Lieb, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2021, AktG, § 93 Rn. 12; Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 93 Rn. 134; vgl. zu den Einzelheiten bereits oben unter B.I.4.c)ff). 279 Im Bereich der Strafnorm des § 404 AktG, Hefendehl, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 07. 2022, § 404 Rn. 22. 280 Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 57; Groß-Bölting/Rabe, in: Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl. 2022, § 116 Rn. 67. 281 Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 93 Rn. 63.
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
Es müssen daher sämtliche, nicht mehr geheimen und von einem objektiven Vertraulichkeitsbedürfnis getragenen Gesellschaftsinformationen, die das Aufsichtsratsmitglied in seiner Eigenschaft als Organmitglied erhält, als vertrauliche Angaben von der aktienrechtlichen Schweigepflicht umfasst sein,282 was einer Abgrenzung anhand der fehlenden Offenkundigkeit bei beschränkter Bekanntheit einer Information nach Lutter entspricht und den Informationsgegenstand unberücksichtigt lässt.283 Ein Gegenstand der Verschwiegenheitspflicht i. S. d. § 93 Abs. 1 S. 3 AktG liegt damit auch dann vor, wenn die vertrauliche Behandlung einer Information gegenüber einem Dritten (vertraglich) zugesichert wird, solange sie nicht im negativen Empfängerkreis offenkundig ist und dadurch zur bekannten Tatsache wird.284 Hiervon sind beispielsweise mündliche Absprachen im Vorfeld eines angestrebten Unternehmenskaufs oder unverbindliche Anfragen zu Produktionskapazitäten eines Herstellers umfasst, die im Fall ihres Bekanntwerdens Rückschlüsse auf Unternehmensgeheimnisse erlauben und der Gesellschaft dadurch schaden könnten. So werden zum Beispiel in wiederkehrender Regelmäßigkeit Anfragen des TechUnternehmens Apple an Lieferanten in Asien publiziert, die bereits ein halbes Jahr vor der Veröffentlichung eines neuen Produkts der Öffentlichkeit und Konkurrenten Rückschlüsse darauf erlauben, welche Prozessoren, Chips und Materialien in einem neuen Produkt verbaut oder welche Bildschirmmaße, Auflösung und Anschlüsse angeboten werden. Ob die sich anbahnende Aufnahme einer Geschäftskorporation – soweit hierüber Stillschweigen vereinbart wird – eine vertrauliche Angabe oder ein Gesellschaftsgeheimnis ist, kann sich nach objektiven Maßstäben alleine danach richten, ob der negative Empfängerkreis (Konkurrenten, Öffentlichkeit, bisherige Zulieferer) bereits teilweise Kenntnis von der Tatsache hatte (vertrauliche Angabe) oder es sich um eine geheime, weil insgesamt unbekannte Information handelt (Gesellschaftsgeheimnis). Zwar kann der verhandelnde Vorstand Informationen über mögliche zukünftige Vertragsbeziehungen durch die Abgabe einer Vertraulichkeitsvereinbarung nicht unmittelbar zum Gegenstand der aktienrechtlichen Vertraulichkeitspflicht erklären, allerdings ergibt sich für die Gesellschaft durch die Vereinbarung ihres Vorstands über die vertrauliche Handhabung einer Geschäftszwecken dienenden Kontaktaufnahme ein objektives Geheimhaltungsbedürfnis, das in der Gefahr des Vertrauensverlustes in den Augen des Kontraktpartners für den Fall des abredewidrigen Verhaltens gründet.285 Dabei ist der konkrete Hintergrund einer moralisch verbindlichen, aber rechtlich folgenlosen Gefälligkeitsvereinbarung (sog. Gentlemen’s Agreement) über die vertrauliche Handhabung eines Umstands nicht gänzlich irrelevant und bedarf einer sachlichen Rechtfertigungsgrundlage. Sobald die Gesellschaft durch das 282
Vgl. Spindler, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 07. 2022, § 116 Rn. 120. So wohl auch Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl. 2020, § 116 Rn. 17. 284 Ähnlich Lutter, in: Kremer/Bachmann/Lutter/Werder, v., DCGK 8. Aufl. 2021, Teil 3, G Rn. 18, der in der Kontaktaufnahme zu einem zukünftigen Geschäftspartner im Fall der vertraglichen Zusicherung der Vertraulichkeit hierüber eine vertrauliche Angabe sehen will. 285 Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 458. 283
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Handeln ihrer gesetzlichen Vertretungsberechtigten ein der Rechtsordnung nicht widersprechendes Vertrauen auf die Geheimhaltung eines Umstands im Geschäftsverkehr verursacht, liegt im Scheitern der zweiseitigen Verabredung zunächst ein objektiv gesellschaftsschädigendes Ereignis. Zwar geht mit der Verletzung einer reinen Gefälligkeitsvereinbarung kein direkter Schaden – etwa in Form von Schadensersatzpflichten – einher, doch bedeutet jeder Vertrauensverlust im Geschäftsverkehr eine Verschlechterung der eigenen Verhandlungsposition. Die Grenze der insoweit dem Vorstand zuzusprechenden Macht, ein objektives Geheimhaltungsinteresse der Gesellschaft eigenständig begründen zu können, wird in der rechtsmissbräuchlichen Instrumentalisierung der Schweigepflicht liegen. Dem Vorstand obliegt es daher dem Aufsichtsrat jene Umstände offenzulegen, die das objektive Erfordernis der konkreten Vertraulichkeitsvereinbarung und ihrer Reichweite begründen. e) Vertraulichkeitsgegenstände Nachdem sich die Differenzierung von Gesellschaftsgeheimnissen und vertraulichen Angaben im Kontext des § 93 Abs. 1 S. 3 AktG nur mehr auf die (Un-)Bekanntheit einer Tatsache im negativen Empfängerkreis beschränkt, nimmt die nachfolgende Fallgruppenbildung konkrete Informationsgegenstände in den Fokus. Vertraulichkeitsgegenstände, mit denen der Aufsichtsrat regelmäßig in Kontakt kommt, sind insbesondere Mitteilungen und Stellungnahmen der Organmitglieder über Vorkommnisse, welche den Organ- oder sonstigen Unternehmensbereich betreffen,286 wobei auch Informationen aus dem persönlichen Lebensbereich betroffen sein können.287 In welcher Form ein Vertraulichkeitsgegenstand verstetigt wird, beschränkt den Anwendungsbereich der Schweigepflicht nicht. Neben verkörperten Informationen in Gesellschaftsunterlagen oder Datenträgern können auch mündliche Äußerungen sowie Zeichnungen und Skizzen, Notizen oder technische Zeichnungen vertrauliche Informationen oder Geheimnisse der Gesellschaft vermitteln. Die unternehmensbezogenen Informationen, die je nach dem Grad ihrer Bekanntheit als Geheimnisse oder vertrauliche Angaben in den sachlichen Anwendungsbereich der Schweigepflicht des Aufsichtsrats fallen, entstammen regelmäßig den Berichten und Auskünften des Vorstands an den Aufsichtsrat und betreffen unter anderem Produkt- oder Dienstleistungsinformationen (Produktions- oder Produktplanungen, Herstellungsverfahren, Dienstleistungskonzepte), Finanzdaten (Entwicklungs- und Zukunftspläne, Kalkulationen, Gewinn- und Verlustrechnung), Kundeninformationen und technische Informationen (Erfindungsleistungen, Konstruktionspläne) sowie Informationen über materielle und immaterielle Vermö-
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Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 57. So bereits Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 454; dem folgend Hopt/Roth, Der Aufsichtsrat, 2019, § 116 Rn. 198. 287
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
genswerte der Gesellschaft (z. B. gewerbliche Schutzrechte und ihre verbleibende Schutzdauer sowie ihre Nutzung im Unternehmen, ggf. Lizenzeinnahmen daraus). Der Aufsichtsrat erlangt nicht nur über die Berichts- und Auskunftspflichten des Vorstands gesellschafts- und unternehmensbezogene Informationen, sondern generiert solche bei der Ausübung seiner Pflichten durch Beratungen und Beschlussfassungen selbst. Von der Pflicht zur Vertraulichkeit erfasst sind neben den vom Vorstand bereitgestellten Informationen auch die Beratungen des Aufsichtsrats selbst.288 Die Schutzwürdigkeit der Integrität des Beratungsgeheimnisses als Teil der organschaftlichen Verschwiegenheitspflicht war bis zur klärenden „Bayer“-Entscheidung289 des BGH umstritten.290 Schon die Existenz eines Beratungsgeheimnisses für Aufsichtsratsmitglieder stieß nicht auf allgemeine Anerkennung.291 Aufgeflammt ist die Diskussion um die Existenz und Schutzwürdigkeit der Beratungen im Aufsichtsrat in den 1950er Jahren im Zuge der Einführung von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer durch die Verabschiedung einer Reihe von Gesetzen292 die Zusammensetzung der obligatorischen Aufsichtsräte betreffend. Hintergrund des Disputs in der aktien- und gewerkschaftsrechtlichen Literatur war die Frage nach der Bedeutung der Vertraulichkeit der Beratungen des Aufsichtsorgans für das Organ und die Gesellschaft einerseits und dem Interesse der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat andererseits, die eigene Arbeit gegenüber der Arbeitnehmerschaft darzustellen. Zutreffend lag das Ansinnen des Gesetzgebers bei der Einführung der Mitbestimmung allerdings nicht etwa darin, die Arbeitnehmerinteressen in der Weise zu bevorzugen, dass Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat einer gelockerten oder eingeschränkten Verschwiegenheitspflicht im Verhältnis zu Arbeitnehmern oder Arbeitnehmerorganisationen (Gewerkschaften) unterliegen sollten, sondern den Arbeitnehmerstandpunkt auch in der Gesellschaftsordnung zu verankern.293 Schon für Vorstandsmitglieder ist die Pflicht zur Verschwiegenheit über Beratungen im Leitungsorgan unstrittig, weshalb bei entsprechender Anwendung der Schweigepflicht nach § 116 S. 1 AktG i. V. m. § 93 Abs. 1 S. 3 AktG für den Aufsichtsrat und dessen Beratungen nichts anderes gelten kann, solange der Gesetzgeber hiervon nicht 288
Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 57. BGH, Urt. v. 05. 06. 1975 – II ZR 156/73 („Bayer“), NJW 1975, 1412 (1413). 290 S. Hengeler, Zum Beratungsgeheimnis im Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft, in: FS Schilling, 1973, 175 (188 ff.). 291 Ablehnend bspw. Volhard, Presseerklärungen von Mitgliedern des Aufsichtsrats einer AG, GRUR 1980, 496 (499). 292 Hierzu zählen das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie (sog. Montan-Mitbestimmungsgesetz), Gesetz Nr. 24 vom 23. 05. 1951, BGBl. I S. 347; das Betriebsverfassungsgesetz, Gesetz Nr. 43 vom 14. 10. 1952, BGBl. I S. 681; das Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie (abk. Mitbestimmungsergänzungsgesetz), Gesetz Nr. 38 vom 08. 08. 1956, BGBl. I S. 707. 293 Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 496. 289
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ausdrücklich eine Abweichung für den mitbestimmten Aufsichtsrat vorsieht. Das ist gerade nicht der Fall. Daneben spricht sich auch das weite Begriffsverständnis des Tatsachenbegriffs für die Erstreckung des sachlichen Anwendungsbereichs auf die Beratungen im Aufsichtsorgan aus.294 Die Geheimhaltungspflicht den Verlauf einer Diskussion im Aufsichtsrat betreffend greift auch dann ein, wenn das Ergebnis einer Beratung grundsätzlich nicht der Geheimhaltung unterliegt.295 Andernfalls wäre der offene Meinungsaustausch im Aufsichtsrat und damit auch dessen Funktionalität gefährdet.296 Das Beratungsgeheimnis umfasst alle Äußerungen der einzelnen Organmitglieder, die während einer Aufsichtsratssitzung getätigt wurden. Hieran besteht in jedem Fall auch ein unwiderlegbares Gesellschafts- bzw. Unternehmensinteresse. Ein lückenhaftes Beratungsgeheimnis vermag dem Mandatsträger in keiner Beratung hinreichende Sicherheit für die Integrität der Vertraulichkeit der eigenen Aussagen zu gewähren, womit das Ziel einer offenen und von äußeren Eindrücken unbeeinflussten, auch kontrovers geführten Diskussion im Aufsichtsrat nicht erreicht werden könnte. Zur Klarstellung hebt das Gesetz die Vertraulichkeit von Berichten und Beratungen nunmehr mit § 116 S. 2 AktG hervor, ohne dass hierin eine abschließende Regelung von Vertraulichkeitsgegenständen zu sehen ist.297 Neben dem Beratungsgeheimnis wird traditionell das Abstimmungsgeheimnis als Fallgruppe von Vertraulichkeitsgegenständen verstanden, wenn das bisher auch nicht in dieser Klarheit herausgestellt worden ist.298 Gegenstand der Schweigepflicht können auch die vom Aufsichtsrat als Gremium getroffenen Entscheidungen als solche sein, soweit im Einzelfall ein objektives Interesse an der Geheimhaltung besteht.299 So kann ein konkreter Beschluss des Aufsichtsrats, der das Ergebnis einer Abstimmung über eine vorangegangene Beratung darstellt, in den sachlichen Anwendungsbereich der aktienrechtlichen Schweigepflicht des Aufsichtsrats fallen. Neben dem konkret gefassten Beschluss sind auch die Informationen über das Zustandekommen, also die jeweiligen Stimmabgaben als Tatsachen tauglicher Gegenstand der Fallgruppe des Abstimmungsgeheimnisses und fallen damit in den sachlichen Anwendungsbereich der Verschwiegenheitspflicht, soweit dies objektiv
294
Vgl. hierzu bereits oben unter B.II.2.c). Begr. RegE, BT-Drucks. 14/8769 S. 18; vgl. Groß-Bölting/Rabe, in: Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl. 2022, § 116 Rn. 67. 296 Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 57 m. w. N.; a. A. Nagel, Die Verlagerung der Konflikte um die Unternehmensmitbestimmung auf das Informationsproblem, BB 1979, 1799 (1803). 297 Vgl. Spindler, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 07. 2022, § 116 Rn. 121; Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 57; Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 116 Rn. 9. 298 Beiden Begriffen liegt das herkömmliche Verständnis zugrunde, dass Gesellschaftsgeheimnisse und vertrauliche Angaben nach dem Gegenstand einer Information oder Tatsache zu unterscheiden sein sollen. 299 Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 57; Priester, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, ZIP 2011, 2081 (2083). 295
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
erforderlich ist.300 Um Rückschlüsse auf das Stimmverhalten anderer Organmitglieder zu vermeiden erstreckt sich die Vertraulichkeitspflicht auch auf die eigene Stimmabgabe.301 Ob daneben Informationen über die Art und Weise der Abstimmung (offen oder geheim, durch Meldung oder Stimmzettelauszählung) unter den Vertraulichkeitsschutz des Abstimmungsgeheimnisses fallen, richtet sich allein nach einem objektiven Geheimhaltungsbedürfnis.302 Von der Schweigepflicht umfasst sind auch alle im Zusammenhang mit der Beratung und Abstimmung im Aufsichtsrat verstetigten Informationen in Form von Sitzungsprotokollen, Berichten oder Vorlageschreiben, sowie Ton- und Videoaufzeichnungen, deren Weitergabe oder Verfügbarmachung die Pflicht zur Wahrung der Vertraulichkeit objektiv geheim zu haltender Tatsachen verbietet. Neben konkreten Äußerungen zum Verlauf oder Gegenstand einer Beratung oder Abstimmung können bereits vage Andeutungen pflichtwidrig sein, wenn hieraus Rückschlüsse auf Vertraulichkeitsgegenstände gezogen werden können, bspw. in Verbindung mit allgemein bekannten Tatsachen oder auch anderweitig beschafftem Insiderwissen.303 Die für das Aufsichtsorgan herausgearbeiteten Grundsätze gelten in gleicher Weise auch für seine Ausschüsse.304 f) Anwendungsausschluss Die Pflicht zur vertraulichen Handhabung von Gesellschaftsgeheimnissen und vertraulichen Angaben kann dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied auch unabhängig anderer Pflichtenbindungen (moralische) Interessenkonflikte bereiten. Ausreichend ist bereits die Kenntnisnahme von rechtsbrüchigem Verhalten in der Gesellschaft. Die Weitergabe einer Information über illegale Vorgänge im Gesellschaftsunternehmen, beispielsweise über eine Vorteilsannahme, kartellrechtswidrige Absprachen, strukturelle Verstöße gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften oder Umweltstraftaten, fällt als für die Gesellschaft nachteilige Folgen verursachende Handlung zunächst in den sachlichen Anwendungsbereich der Schweigepflicht. Mit der Bestellung zum Organmitglied wird eine Verbindung des Mandatsträgers zur Gesellschaft hergestellt, die nach einer gegenseitigen Rücksichtnahme und Fürsorge verlangt und damit alle Handlungen ablehnt, die der Gesellschaft Schaden zufügen. Die 300 Stellvertretend für alle Oetker, in: Müller-Glöge, Erfkomm ArbR 22. Aufl. 2022, Nr. 51, § 116 Rn. 6 m. w. N.; zuvor bereits Säcker, Aktuelle Probleme der Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder, NJW 1986, 803 (807 f.); eindeutig auch BGH, Urt. v. 05. 06. 1975 – II ZR 156/73 („Bayer“), BGHZ 64, 325 (332) = NJW 1975, 1412 (1413). 301 Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 116 Rn. 9 m. w. N. 302 Zur Frage der Zulässigkeit der geheimen Abstimmung im Aufsichtsrat grundlegend Schneider, Geheime Abstimmung im Aufsichtsrat in: FS R. Fischer, 1979, 727 ff.; heute allgemeine Befürwortung, vgl. nur Habersack, in: Geotte/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 108 Rn. 18 m. w. N. 303 Ähnlich Groß-Bölting/Rabe, in: Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl. 2022, § 116 Rn. 67. 304 Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 116 Rn. 9.
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Weitergabe einer Information über rechtswidrige Vorgänge in der Gesellschaft oder dem Unternehmen an Strafverfolgungsbehörden oder Medien, wird der Gesellschaft in den meisten Fällen wirtschaftliche Nachteile bereiten, die in Strafzahlungen und Imageschäden liegen können. Doch wird das moralisch gefestigte Aufsichtsratsmitglied dazu geneigt sein, die organschaftliche Pflichtenbindung nicht in jedem Fall dem persönlichen Rechtsempfinden vorziehen zu wollen – soweit ein Exklusivitätsverhältnis zwischen Rechtstreue und Gesellschafts- bzw. Unternehmensinteresse überhaupt bestehen sollte. Aktualität erfährt die Diskussion um die Schutzwürdigkeit von Informationen über gesetzeswidrige Vorgänge zuletzt im Zusammenhang mit sog. Whistleblowern, die als Insider rechtsbrüchiges Unternehmerhandeln gegenüber Recherchekollektiven oder einzelnen Redaktionen offenlegen.305 Anders als in § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG erfolgt nach dem Wortlaut der aktienrechtlichen Schweigepflicht keine Einschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs auf solche Geheimnisse oder vertrauliche Angaben, deren Geheimhaltung berechtigten Interessen dient.306 Geheimen Informationen über Illegalität in der Gesellschaft (sog. „rechtswidrige“ oder „illegale Geheimnisse“)307 soll gleichwohl nach einer Ansicht über das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal eines berechtigten Interesses an der Geheimhaltung der aktienrechtliche Vertraulichkeitsschutz verwehrt sein (sog. Tatbestandslösung)308.309 Damit wird an die zu § 17 UnlWG a. F.310 305 Vgl. hierzu Lutterbach, Die strafrechtliche Würdigung des Whistleblowings, 2010, S. 58 ff.; Erb, Inwieweit schützt § 17 UWG ein ausländisches Bankgeheimnis?, in: FS Roxin, 2011, 1103 (1105 ff.). 306 Zur Frage, ob Informationen über illegale innerbetriebliche Vorgänge in den Anwendungsbereich des GeschGehG fallen bereits oben unter B.I.4.c)cc). 307 Nicht das Geheimnis als faktischer Umstand der Unbekanntheit einer Information ist illegal, sondern der Geheimnisinhalt oder -gegenstand bezieht sich auf ein rechtswidriges Verhalten, weshalb die Bezeichnung als „illegales Geheimnis“ irreführend ist. Dennoch hat sich dieser Terminus durchgesetzt. 308 Nach RAG, Urt. v. 27. 08. 1930 – 156/30, JW 1931, 490 (491), wonach die Information über gesundheitspolizeilich verbotene Milchfälschungen „überhaupt nicht“ als Geschäftsgeheimnis i. S. d. § 17 UnlWG v. 1986 angesehen werden kann; vgl. auch LAG Berlin, Urt. v. 12. 12. 1968 – 5 Sa 52/68, BB 1970, 710 (710), wonach der Information über einen Verstoß gegen das UWG kein schutzwürdiges Interesse i. S. d. § 17 UWG a. F. zugesprochen wurde; BVerfG, Beschl. v. 02. 07. 2001 – 1 BvR 2049/00, NJW 2001, 3474 (3475). 309 Spieker, Die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder, NJW 1965, 1937 (1939); Rützel, Illegale Unternehmensgeheimnisse?, GRUR 1995, 557 (560); v. Gamm, Betriebsgeheimnisse und bilanzrechtliche Publizität, 1998, S. 35; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 415 (Fn. 16); Engländer/Zimmermann, Whistleblowing als strafbarer Verrat von Geschäfts- bzw. Betriebsgeheimnissen?, NZWiSt 2012, 328 (333); Hauck, Grenzen des Geheimnisschutzes, WRP 2018, 1032 (1034); zuletzt Brockhaus, Das Geschäftsgeheimnisgesetz, ZIS 2020, 102 (103) m. w. N. Mitunter ist auch die Rede vom „rechtlich anerkennenswerten“, „wettbewerbsfunktionalen“ oder „schutzwürdigen“ Geheimhaltungsinteresse, vgl. Brammsen, in: Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, 2020, § 17 Rn. 24 m. w. N. 310 Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs v. 27. 05. 1896, RGBl., S. 145, abgelöst durch das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb v. 07. 07. 1909, RGBl., S. 499.
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entwickelte Überzeugung des Reichsarbeitsgerichts angeknüpft, wonach dem Geheimnisbegriff ein normatives Element inhärent sein soll.311 Nach dem zugrundeliegenden Gedanken soll die Rechtsordnung und mit ihr der gesetzliche Vertraulichkeitsschutz rechts- oder sittenwidriges Handeln weder vor einer Offenlegung und Verfolgung schützen, noch soll die (strafbewehrte) Schweigepflicht einer aus staatsbürgerlicher Pflichtgebundenheit entspringenden rechtstreuen Überzeugung des Einzelnen entgegenstehen. Das Gesetz solle nicht dazu dienen, rechtswidrige Zustände aufrechtzuerhalten.312 Die Gegenansicht will in sogenannten Wirtschaftsgeheimnissen, die auch rechtsund sittenwidrige Handlungen betreffen können, kein normatives Element entdecken.313 Zumindest sei eine normative Prüfung eines Geheimnisses nach seinem Inhalt und Gegenstand dogmatisch unsauber.314 Als argumentative Grundlage werden unter anderem Vergleiche mit anderen Vorschriften außerhalb des Gesellschaftsrechts herangezogen, aus denen sich die abstrakte Möglichkeit einer von Gesetzes wegen geschützten Illegalität erweisen soll. Hierbei wird bis heute der Straftatbestand des Diebstahls aus § 242 StGB als Beweis angeführt, wonach auch der Dieb selbst taugliches Opfer eines Diebstahls sein kann und damit der rechtswidrige, weil durch Diebstahl erlangte Besitz von Gesetzes wegen gegen jeden weiteren Diebstahl geschützt wird.315 Den aktienrechtlichen Geheimnisbegriff soll damit eine rein objektiv-ökonomische Natur prägen, die auch der „vermögens-
311 RAG, Urt. v. 27. 08. 1930 – 156/30, JW 1931, 490 (491); historische Gegenansicht zusammengefasst bei Engländer/Zimmermann, Whistleblowing als strafbarer Verrat von Geschäfts- bzw. Betriebsgeheimnissen?, NZWiSt 2012, 328 (329 ff.). 312 Rützel, Illegale Unternehmensgeheimnisse?, GRUR 1995, 557 (560). 313 Vgl. v. Stebut, Geheimnisschutz und Verschwiegenheitspflicht im Aktienrecht, 1972, S. 45 f.; Lutterbach, Die strafrechtliche Würdigung des Whistleblowings, 2010, S. 70 f.; Brammsen, in: Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, 2020, § 17 Rn. 24 m. w. N.; Eufinger, Arbeitsund strafrechtlicher Schutz von Whistleblowern im Kapitalmarktrecht, WM 2016, 2336 (2338); Kittner, Unternehmensverfassung und Information, ZHR 1972, 208 (229); Ignor/Jahn, Der Staat kann auch anders, JuS 2010, 390 (391); Koch, Korruptionsbekämpfung durch Geheimnisverrat?, ZIS 2008, 500 (503); Passarge, Der Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG), CB 2018, 144 (145); Breitenbach, Steuer-CDs, 2017, S. 67 ff.; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl. 2016, § 17 Rn. 12; Azar, Strafrechtliche Implikationen des Whistleblowings unter besonderer Berücksichtigung des § 17 UWG, JuS 2017, 930 (933). 314 Bosch/Sommer, Akteneinsichtsrechte vor Gericht zum Zweiten, K&R 2004, 67 (70). 315 Vgl. für die historische Ansicht Stebgut, v., Geheimnisschutz und Verschwiegenheitspflicht im Aktienrecht, 1972, S. 45 f.; Brammsen, Die Anzeige von Kartellverstößen im Widerstreit mit dem Schutz von Unternehmensgeheimnissen, in: FIW-Schriftenreihe, 1994, 77 (83), wonach ein Anzeigenerstatter „weder Sittenrichter noch das Kontrollorgan gegenüber dem Geheimnisberechtigten“ ist; Beckemper/Müller, Der gute Ruf des Möbelhauses, ZJS 2010, 105 (110); bis heute Rengier, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG Bd. 2, 3. Aufl. 2016, § 17 Rn. 21 m. w. N.
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rechtlichen Ausrichtung“ des § 17 UWG a. F. entsprechen soll.316 Eine Geheimnisoffenbarung soll danach stets tatbestandsmäßig sein und nur mehr aus öffentlichem Interesse an der Offenbarung einer strafbaren oder sittenwidrigen Handlung im Einzelfall der Rechtswidrigkeitsvorwurf entfallen (sog. Rechtfertigungslösung).317 Die Vornahme einer Abwägung setzt zumindest zwei widerstreitende und von der Rechtsordnung im Grundsatz als gleichrangig anerkannte Interessen voraus: Im Fall der Schweigepflicht das Geheimhaltungsinteresse der Gesellschaft einerseits und ein Offenbarungsinteresse andererseits. Bezieht sich das Geheimhaltungsinteresse auf illegale Umstände, kann nur mehr von einem Interesse an der Geheimhaltung eines rechts- oder sittenwidrigen Sachverhalts die Rede sein, dem das Interesse an der Offenbarung desselben entgegensteht. Dabei kann nicht ohne Weiteres angenommen werden, die Rechtsordnung würde stets ein abstrahiertes Geheimhaltungsinteresse gleich jeden Informationsgegenstands schützen. Die aktienrechtliche Schweigepflicht ist stets informationsbezogen, muss also immer im Lichte einer konkreten und nicht offenkundigen Information abgebildet werden. Deshalb steht schon infrage, woraus das von der Rechtsordnung als generell schutzwürdig anerkannte Interesse an der Geheimhaltung illegaler Vorgänge resultieren sollte. Mit dem alleinigen Hinweis auf den Offenkundigkeitsmangel vermag ein schützenswertes Geheimhaltungsinteresse nicht begründet werden zu können. Letztlich soll allein über den ökonomischen Aspekt eines passiven Informationsgehalts einer unbekannten Tatsache über rechtswidrige Handlungen, deren Offenbarung wirtschaftliche Nachteile für die Gesellschaft bedeuten kann, der Grund für die Anwendbarkeit der aktienrechtlichen Schweigepflicht gefunden werden. Das mag auf den ersten Blick auch der dogmatischen Grundlage der organschaftlichen Schweigepflicht entsprechen, die den Mitgliedern der Verwaltungsorgane die Abwendung aller wirtschaftlichen Nachteile für die Gesellschaft und ihr Unternehmen abverlangt. Mit den Erwartungen im Innenverhältnis der Gesellschaft zu ihren Organen ist jedoch keine Aussage darüber getroffen, ob auch das Recht seine Mittel zum Erreichen jedes Geheimhaltungszwecks bereitstellt. Dabei übergeht die oberflächliche Betrachtung des Zwecks der Schweigepflicht, wirtschaftliche Nachteile von der Gesellschaft abzuwenden, die informationsbezogene Ursachen- und Motivationslage zur Geheimhaltung, mithin das konkrete Gesellschafts- und Unternehmensinteresse. Ein von der Rechtsordnung anerkanntes Gesellschafts- und Unternehmensinteresse an der Geheimhaltung von Rechts- und Sittenverstößen wird nur schwerlich zu konstruieren sein. Einerseits kann durch die Erweiterung der aktienrechtlichen Schweigepflicht auf rechtswidrige Geheimnisse nicht die permanente Gefahr einer 316 Rengier, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG Bd. 2, 3. Aufl. 2016, § 17 Rn. 21; ähnlich Heine, Der staatliche Ankauf von strafbar erlangten Steuer-Daten deutscher Steuerhinterzieher, in: FS Roxin, 2011, 1087 (1093). 317 Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl. 2016, § 17 Rn. 12; Rengier, in: Fezer/Büscher/ Obergfell, UWG Bd. 2, 3. Aufl. 2016, § 17 Rn. 21; Sieber, Ermittlungen in Sachen Liechtenstein, NJW 2008, 881 (882 f.); Brammsen, in: Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, 2020, § 17 Rn. 24 m. w. N.
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anderweitigen Aufdeckung des Rechtsbruchs durch Dritte, bspw. Mitwisser, Journalisten, Steuer-, Strafverfolgungs- oder sonstige Behörden, beseitigt werden – soweit hierin die Gefahr eines wirtschaftlichen Schadens für die Gesellschaft oder ihr Unternehmen gesehen wird. Andererseits wird die Gesellschaft im Fall des rechtswidrigen Verhaltens ihrer Organe Regressansprüche gegen die fehlbaren natürlichen Personen nur insoweit geltend machen können, als das konkrete Fehlverhalten nicht geheim bleibt. Dass § 93 Abs. 1 S. 3 AktG keine Einschränkung auf berechtigte Interessen ausdrückt kann nicht als Argument dafür dienen, dass auch illegale Geheimnisse vor einer unberechtigten Offenbarung geschützt werden sollen. Soweit sich eine juristische Person auf den aktienrechtlichen Geheimnisschutz berufen will, liegt dem die Forderung nach Gerechtigkeit sowie die Vorstellung zugrunde, den Status der Exklusivität eigenen Wissens nicht ohne den eigenen Offenbarungswillen zu verlieren. Das geschriebene Recht vermag der Gerechtigkeit jedoch keine feste Form zu verleihen, sondern sieht sich selbst dem Erfordernis eigener Rechtfertigung ausgesetzt und konturiert moralische Vorstellungen von der Rechtschaffenheit als verständliche Handlungsanweisungen in Form von Ver- oder Geboten. Daher liegt dem geschrieben Recht immer auch ein moralisches Verständnis zugrunde, welches nicht durch den Wortlaut einer konkreten Norm verdrängt oder beschränkt werden kann. Ein Gesetz ohne normativen Einfluss würde der unlängst überholten Vorstellung einer Vorschrift göttlichen Ursprungs entsprechen, die heute keine Anerkennung in der Zivilgesellschaft finden würde. Unzweifelhaft wohnt daher auch der aktienrechtlichen Schweigepflicht ein normatives Element der moralischen Gerechtigkeit und der Rechtschaffenheit inne. Dem Gerechtigkeitsgedanken entspringt zudem das Gleichheitsprinzip, das jede Form der Willkür im Sinne einer rechtfertigungslosen Ungleichbehandlung ausschließt.318 Natürlichen Personen steht kein Gesetz zum Schutz vor einer Offenbarung ihrer illegalen Handlungen durch Dritte zur Seite. Sollte für juristische Personen etwas anderes gelten, müsste dies auch sachlich gerechtfertigt sein. Dem Erfordernis nach einer Rechtfertigung wird der Verweis auf einen möglichen finanziellen Schaden für die Gesellschaft im Fall des Bekanntwerdens illegaler Geheimnisse nicht gerecht, gilt in dieser Hinsicht für natürliche Personen und ihre in der Rechtsform der Personengesellschaft oder als Einzelunternehmen geführten Wirtschaftsunternehmungen nichts anderes, die ihrerseits neben strafrechtlichen Sanktionen in Form von Gefängnis- oder Geldstrafen auch mit zivilrechtlichen Schadensersatz- oder Regressansprüchen oder zumindest mit demselben Ansehensverlust zu rechnen haben, wie die Wirtschaftsunternehmen der Kapitalgesellschaften. Daher darf allem voran ein von Gesetzes wegen anzuerkennendes Gesellschaftsinteresse ohnehin nur im Rahmen der Legalität liegen, weshalb ein berechtigtes Gesellschaftsinteresse an der Geheimhaltung rechtswidrigen Verhaltens im Unternehmen oder von Organmitgliedern von vornherein ausgeschlossen ist. Mithin 318
Höffe, in: Görres, Das Staatslexikon Bd. 2, 8. Aufl. 2018, Gerechtigkeit.
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kann dem Interesse der Öffentlichkeit an der Offenbarung eines rechtswidrigen Geheimnisses kein gleichwertiges berechtigtes Geheimhaltungsinteresse entgegengesetzt werden. Anders als dem Interesse der rechtswidrig handelnden natürlichen oder juristischen Person, einer eigenen Verantwortlichkeit zu entfliehen, ist dem Interesse des Aufsichtsrats, den eigenen staatsbürgerlichen und gesellschaftsrechtlichen Pflichten auch im Fall der Aufdeckung illegaler Vorgänge nachzukommen, rechtliches Gewicht zuzusprechen. Eine gesetzliche Schweigepflicht, die einer Aufdeckung und Verfolgung rechtswidrigen Verhaltens entgegenstünde, lässt sich unter keinen Umständen in die aktienrechtliche Konzeption einbinden, ohne groteske Widersprüche zu verursachen. So ist jedes Organmitglied und damit auch das einzelne Aufsichtsratsmitglied der Legalitätspflicht unterworfen und dazu verpflichtet, Illegalität nicht nur präventiv zu verhindern, sondern auch progressiv zu verfolgen und gerade im Unternehmens- und Gesellschaftsinteresse Schadensersatzund Regressansprüche der Gesellschaft durchzusetzen. Eine Pflicht zur Wahrung der Verschwiegenheit über Gesetzesbrüche in der Gesellschaft oder in ihrem Unternehmen würde dem zuwiderlaufen und das einzelne Aufsichtsratsmitglied letztlich zur Beihilfe durch Unterlassen verpflichten, wodurch das Ziel der Legalitätspflicht umgekehrt würde. Das Reichsarbeitsgericht hat hierin zutreffend einen Selbstwiderspruch der Rechtsordnung erkannt,319 der dem Vertraulichkeitsschutz illegaler Geheimnisse entgegensteht.320 Die vielfach zum Vergleich zitierte Strafnorm des § 242 StGB bezweckt auch nicht den Schutz des rechtswidrig erlangten Gewahrsams vor einem weiteren rechtswidrigen Zugriff, schützt also nicht die Sachherrschaft des Diebes vor dem Zugriff durch einen Dritten (Diebes-Dieb).321 Das Diebstahlsdelikt pönalisiert die im objektiven Tatbestand beschriebene Tathandlung unabhängig von der dem Tatobjekt gegebenenfalls anlastenden Historie sowie der sachenrechtlichen Eigentumsverhältnisse. Wäre das nicht der Fall, würde jeder widerrechtlich erlangte Gewahrsam in einen rechtsfreien Raum fallen, in dem der Stärkere über die weitere Zuordnung der tatsächlichen Herrschaftsbeziehung entscheiden würde. Dabei ist die in der Literatur umstrittene Frage danach, ob neben dem Eigentum der Gewahrsam des Nichteigentümers überhaupt ein von § 242 StGB geschütztes Rechtsgut darstellen kann, unerheblich, indem hiervon lediglich die Frage nach der Antragsberechtigung abhängig ist und die Strafverfolgung regelmäßig nicht entgegen dem Willen des Eigentümers in Gang gesetzt wird.322 Das Diebstahlsdelikt schützt nicht den Dieb und 319
RAG, Urt. v. 27. 08. 1930 – 156/30, JW 1931, 490 (491); in diesem Sinne auch LAG Berlin, Urt. v. 12. 12. 1968 – 5 Sa 52/68, BB 1970, 710 (710); dazu Schafheutle, Wirtschaftsspionage und Wirtschaftsverrat im deutschen und schweizerischen Strafrecht, 1972, S. 87 f. 320 In diesem Sinne auch BVerfG, Beschl. v. 02. 07. 2001 – 1 BvR 2049/00, NJW 2001, 3474 (3475). 321 Vgl. Schmitz, in: Erb/Schäfer, MüKo StGB Bd. 4, 4. Aufl. 2021, § 242 Rn. 9 m. w. N.; im Ergebnis auch BGH, Urt. v. 26. 07. 1957 – 4 StR 257/57, NJW 1957, 1933 (1934). 322 Relevanz erlangt diese Frage ohnehin nur im Rahmen des Haus- oder Familiendiebstahls gem. § 247 StGB, dessen ratio legis das Strafverfolgungsinteresse eines untergeordneten Ge-
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begründet keinen Selbstwiderspruch der Rechtsordnung, weshalb hieraus auch kein Rückschluss auf die Anerkennung eines berechtigten Geheimhaltungsinteresses illegale Geheimnisse betreffend gezogen werden kann. Der Gesetzgeber hat dem vormals lauterkeitsrechtlichen Geheimnisschutz nach § 17 UWG a. F. und dem aktienrechtlichen Geheimnisschutz nach § 93 Abs. 1 S. 3 AktG keine eindeutige Regelung zum Schutz von illegalen Geheimnissen getroffen. Aus dem Fehlen einer solchen Regelung kann in Ansehung der von der Gegenmeinung ins Feld geführten Beispiele auch gerade nicht darauf geschlossen werden, dass der Geheimnisbegriff auf die dem geschriebenen Recht inhärenten normativen Wesensmerkmale verzichtet.323 Es bedarf mit alledem keiner Abwägung der Schutzwürdigkeit eines illegalen Geheimnisses auf Rechtfertigungsebene mit entgegenstehenden Offenbarungsinteressen, indem schon der objektive Tatbestand der aktienrechtlichen Schweigepflicht nach § 93 Abs. 1 S. 3 AktG rechtswidrige oder illegale Geheimnisse nicht erfasst. Zweifellos in den sachlichen Anwendungsbereich der aktienrechtlichen Schweigepflicht fallen jedoch Geheimnisse, die nicht nachweislich rechts- oder sittenwidrige Umstände betreffen. Eine entsprechende Vermutung des Aufsichtsratsmitglieds entbindet nicht von der objektiven Verhaltenspflicht des § 93 Abs. 1 S. 3 AktG i. V. m. § 116 S. 1 AktG. Damit liegt die Beweislast dafür, dass eine offenbarte Information objektiv rechtsbrüchiges oder sittenwidriges Verhalten betrifft und dadurch nicht in den Anwendungsbereich der aktienrechtlichen Schweigepflicht fällt bei dem auskunftsfreudigen Organmitglied selbst. g) Zusammenfassung Alle Informationen mit Bezug zur Gesellschaft oder ihr Unternehmen können in den sachlichen Anwendungsbereich der organschaftlichen Schweigepflicht fallen, soweit sie geheim (Gesellschaftsgeheimnisse) oder zumindest im negativen Empfängerkreis nicht allgemein bekannt sind (vertrauliche Angaben) und keine Gesetzes- oder Sittenverstöße zum Gegenstand haben. Vorausgesetzt ist in jedem Fall das Vorliegen eines objektiven Geheimhaltungsbedürfnisses, welches sich nach dem jeweiligen Informationsgegenstand im Hinblick auf den Zweck der Einschränkung seiner Verkehrstauglichkeit bestimmt, mithin am Gesellschafts- bzw. Unternehmensinteresse zu messen ist und vollständig gerichtlich überprüfbar ist. Einem Ermessens- oder Beurteilungsspielraum steht der aktienrechtliche Geheimnisbegriff entgegen. wahrsaminhabers sowie den staatlichen Strafanspruch dem Strafverfolgungsinteresse des Eigentümers unterordnet, vgl. BGH, Urt. v. 26. 07. 1957 – 4 StR 257/57, NJW 1957, 1933 (1934). 323 Den Einwand der Entstehung einer Strafbarkeitslücke durch den Ausschluss illegaler Geheimnisse aus dem Anwendungsbereich des § 17 UWG a. F. stichhaltig widerlegt hat bereits Rützel, Illegale Unternehmensgeheimnisse?, GRUR 1995, 557 (560), wiederlegt; zusammenfassend Hauck, Grenzen des Geheimnisschutzes, WRP 2018, 1032 (1034).
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Der erforderliche Geheimnischarakter geht einer Information bereits dann verloren, wenn sie ohne den Willen des berechtigten Informationsinhabers mindestens einer Person bekannt wird oder jederzeit bekannt werden kann. Ob eine nicht mehr geheime Information vertraulich ist, richtet sich danach, ob der negative Empfängerkreis bereits Zugang zur Information hat oder jederzeit haben könnte. Der alleinige Wille zur Geheimhaltung ist in keinem Fall schweigepflichtbegründend und steht beim Vorliegen eines objektiven Geheimhaltungsbedürfnisses der Gesellschaft zu vermuten. Informationen sind keine Geheimnisse oder vertraulichen Angaben mehr, wenn der Vorstand – soweit es sich nicht um eine Information aus der Sphäre des Aufsichtsrats handelt – ausdrücklich und nicht evident unwirksam den Willen äußert, dass ein Geheimhaltungswille nicht länger besteht (suspensive Verzichtserklärung). Über die Geheimhaltung einer Information entscheidet der Vorstand durch Beschlussfassung. Bezieht sich der Gegenstand einer Information auf eine Tatsache, die allein aus der Sphäre des Aufsichtsrats stammt, ist dem Vorstand die Möglichkeit der Verzichtserklärung mit Wirkung für die Organmitglieder verwehrt und auch der Aufsichtsrat kann den Vertraulichkeitsschutz die Tatsachen aus seiner Sphäre betreffend allein durch einstimmige Beschlussfassung eliminieren, soweit dem im Einzelfall kein objektives Geheimhaltungsinteresse entgegensteht. Informationen zu rechtswidrigen Vorgängen sind keine nach dem Gesellschaftsinteresse schutzbedürftigen Tatsachen und sind weder durch die organschaftliche Pflichtenbindung noch aufgrund der aktienrechtlichen Schweigepflicht in ihrer Verkehrstauglichkeit beschränkt.
3. Subjektiver Tatbestand Der personelle Wirkungsbereich der aktienrechtlichen Schweigepflicht betrifft zum einen den Adressatenkreis der Verhaltenspflicht und definiert zum anderen die Gruppe von Personen, an die eine Auskunft über vertrauliche Angaben oder Geheimnisse der Gesellschaft nicht erfolgen darf. Zur Vertraulichkeit verpflichtet sind nach § 93 Abs. 1 S. 3 AktG die Mitglieder des Leitungsorgans und über den Verweis des § 116 S. 1 AktG auch die Mitglieder des Überwachungsorgans der Aktiengesellschaft bzw. kraft des Verweises in § 52 Abs. 1 GmbHG die Mitglieder des Aufsichtsrats der Gesellschaft mbH.324 Für die Schweigepflicht des Aufsichtsrats
324 Im Vergleich hierzu kann hinsichtlich des Verbots einer Weitergabe von Insiderinformationen nach Art. 14 lit. c MMVO aufgrund des größeren Adressatenkreises der Verhaltenspflicht eine vierte Fallgruppe gebildet werden, indem auch die Weitergabe von einer gesellschafts- bzw. unternehmensexternen an eine weitere unternehmensexterne Person in Betracht kommt, s. Hilgendorf/Kusche, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, 5. Auflage 2019, Art. 14 Rn. 92.
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unerheblich ist, welche Interessengruppe von dem jeweiligen Aufsichtsratsmitglied vertreten wird.325 Informationsempfänger lassen sich in gesellschaftsfremde Personen und Angehörige bzw. Mitglieder der Gesellschaft einteilen. Anhand dieser Unterscheidung bestimmt sich eine von zwei subjektiven Wirkungsrichtungen der informationsbezogenen Verschwiegenheitspflicht, die nachfolgend in Fallgruppen eingeteilt wird. a) Außenwirkung der Verschwiegenheitspflicht In erster Linie soll die Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats ihrem Sinn und Zweck entsprechend den ungeregelten Informationsabfluss aus der Gesellschaft hin zu gesellschaftsfremden Dritten verhindern (Außenwirkung).326 Dem Aufsichtsrat ist daher die Weitergabe von vertraulichen Informationen und Geheimnissen der Gesellschaft an solche Personen grundsätzlich untersagt, die nicht Mitglied eines Verwaltungsorgans sind. Das sind neben dem Kapitalmarkt als Ganzem etwa Journalisten, Konkurrenten sowie Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, obgleich diese dem Betriebsrat angehören.327 Auch die einzelnen Aktionäre bzw. Gesellschafter, Rechtsanwälte, Wirtschafts- bzw. Abschlussprüfer, Finanzanalysten sowie potenzielle Investoren gehören zu der Gruppe gesellschaftsfremder Personen.328 Die nach § 101 Abs. 3 S. 2 AktG ernannten Ersatzmitglieder für den Aufsichtsrat sind kein Organmitglied, bis nicht das Aufsichtsratsmitglied, dessen Position das Ersatzmitglied einnimmt, aus dem Organverhältnis ausgeschieden ist.329 Ersatzmitgliedern stehen damit bis zum Eintritt des Ersatzfalls keine Rechte als Aufsichtsratsmitglied, damit insbesondere keine Informationsrechte zu und sie dürfen als gesellschaftsexterne Personen nicht über vertrauliche Angaben oder Geheimnisse informiert werden.330 Dasselbe gilt auch für Ehrenmitglieder des Aufsichtsrats, die im Einzelfall auf Beschluss an Organsitzungen teilnehmen dürfen und als Sachverständige nur 325 Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 58 m. w. N. 326 Hopt, in: Hirte/Mülbert/Roth, Großkomm AktG Bd. 5, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 201; Giedinghagen, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, J., GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2017, § 52 Rn. 184; BGH, Urt. v. 26. 04. 2016 – XI ZR 198/15, BeckRS 2016, 10412 Rn. 31. 327 BAG, Beschl. v. 23. 10. 2008 – 2 ABR 59/07, NZG 2009, 855 (857 f.); Henssler, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2021, AktG, § 116 Rn. 9; Keilich/Brummer, Reden ist Silber, Schweigen ist Gold, BB 2012, 897 (898) m. w. N.; vgl. auch sogleich unter B.II.4. 328 Ausführlich zu allen Fallgruppen Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 465 ff.; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 116 Rn. 106 m. w. N. 329 Zum Ersatzmitglied und seiner aufschiebend bedingten Bestellung siehe Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 101 Rn. 87 f. 330 Erlangt das Ersatzmitglied dennoch vertrauliche Gesellschaftsinformationen, ist es gleich dem wirksam bestellten Aufsichtsratsmitglied zur Verschwiegenheit verpflichtet, Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 101 Rn. 87.
II. Die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht de lege lata
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insoweit informiert werden dürfen, als es nach den konkreten Umständen erforderlich ist.331 Auch gegenüber künftigen Aufsichtsratsmitgliedern, die bis zur Annahme der organschaftlichen Bestellung zum Organmitglied wie jeder Dritte zu behandeln sind, dürfen keine Gesellschaftsgeheimnisse offenbart werden. Das gilt sogar für den Fall, dass es sich dabei um Informationen handelt, von denen das designierte Aufsichtsratsmitglied unter den zu erwartenden Umständen der Einhaltung aller gesetzlichen Informationspflichten im Rahmen seiner Mandatsausführung Kenntnis erlangen wird, wie zum Beispiel über pflichtwidriges Vorstandshandeln in der Zeit vor dem eigenen Amtsantritt.332 Die Mitarbeiter von Aufsichtsratsmitgliedern sind gesellschaftsfremde Dritte und daher im Grundsatz keine tauglichen Verlautbarungsempfänger von Gesellschaftsgeheimnissen und vertraulichen Angaben. Das gilt auch dann, wenn sie von der Gesellschaft zur Verfügung gestellt werden.333 Gleichwohl werden etwa Büroangestellte oder die persönliche Assistenz eines Aufsichtsratsmitglieds im Rahmen der Ausübung ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten zwangsläufig Kenntnis von vertraulichen Informationen erlangen, etwa bei der Bearbeitung der Korrespondenz des Aufsichtsratsmitglieds oder auch im Rahmen der Vorbereitung von Aufsichtsratssitzungen. Aus der Akzeptanz der faktischen Begebenheiten und mit Verweis auf das Bestreben des Gesetzgebers zur Professionalisierung der Aufsichtsräte schließt eine unangefochtene Ansicht, dass die aktienrechtliche Schweigepflicht nicht gegenüber den persönlichen Mitarbeitern von Mitgliedern des Aufsichtsrats und Leitungsorgans gilt.334 In jedem Fall ist jedoch das einzelne Aufsichtsratsmitglied für die Einhaltung der Vertraulichkeit durch die eigenen Mitarbeiter verantwortlich, die bei der Ausführung ihrer Aufgaben mit Geheimnissen und vertraulichen Angaben in Berührung kommen.335 In keinem Fall dürfen Gesellschaftsgeheimnisse an Hilfspersonen weitergegeben werden, die selbst keiner Verschwiegenheitspflicht unterliegen.336 Alle anderen Mitarbeiter der Gesellschaft, die nicht unmittelbar für Aufsichtsratsmitglieder oder den Vorstand tätig sind, dürfen dementgegen als gesellschaftsfremde
331
Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 487. OLG Düsseldorf, Urt. v. 24. 03. 2011 – I-6 U 18/10, BeckRS 2012, 8418. 333 Ausführlich Lutter/Krieger, Hilfspersonen von Aufsichtsratsmitgliedern, DB 1995, 257 (257 ff.). 334 Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 484; ders., Defizite für eine effiziente Aufsichtsratstätigkeit und gesetzliche Möglichkeiten der Verbesserung, ZHR 1995, 287 (307 f.); Götz, Die unbefugte Weitergabe von Insidertatsachen, DB 1995, 1949 (1952). 335 Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 116 Rn. 106. 336 Ob eine allgemeine schuldrechtliche Schweigepflicht aus dem Anstellungsvertrag ausreicht oder gegenstandsbezogene Vertraulichkeitsvereinbarungen erforderlich sind, wird auch im Zusammenhang mit der Einschaltung externer Berater diskutiert; vgl. HoffmannBecking, in: Münch Hdb GesR Bd. 4, 5. Aufl. 2020, § 33 Rn. 66 m. w. N. 332
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
Dritte nicht von Aufsichtsratsmitgliedern über vertrauliche Angaben oder Geheimnisse der Gesellschaft in Kenntnis gesetzt werden.337 Innerhalb der Gruppe gesellschaftsexterner Personen ist ein Kreis von Informationsempfängern abzugrenzen, der von Gesetzes wegen ausnahmsweise nicht in den subjektiven Wirkungsbereich der Schweigepflicht fällt. Das ist einerseits der von §§ 394, 395 AktG bestimmte Empfängerkreis, dessen Definition umstritten ist.338 Andererseits darf der Aufsichtsrat der Vertraulichkeitspflicht unterliegende Informationen ausnahmsweise auch im Rahmen der pflichtgemäßen Ausübung seiner Überwachungsaufgaben an Abschlussprüfer, Konzernabschlussprüfer oder Sonderprüfer weitergeben, soweit er diese zur Unterstützung heranzieht und dadurch seinen Pflichten nach § 111 Abs. 1 AktG nachkommt.339 Dabei weicht die Schweigepflicht des Aufsichtsrats im Verhältnis zur Hilfskraft im Sinne des § 111 Abs. 2 S. 3 u. 4 AktG einer qualifizierten Auswahl- und Überwachungspflicht. Die Informationsweitergabe setzt damit erstens die sorgfältige Auswahl der Hilfskraft und die Existenz einer Verschwiegenheitspflicht auf Seiten der Hilfsperson voraus, die zumindest vertraglich zu vereinbaren ist.340 Zweitens obliegt dem Aufsichtsrat fortan die Überwachung der Einhaltung der Schweigepflicht durch den Dritten.341 b) Innenwirkung der Verschwiegenheitspflicht Neben der Außenwirkung kommt der Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats in Ansehung der von ihr verfolgten Zwecke auch eine gesellschaftsinterne Wirkung zu. Angesprochen ist damit die Pflicht zur Vertraulichkeit des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds gegenüber anderen Mitgliedern desselben Organs sowie anderer Organe derselben Gesellschaft. aa) Inter-organschaftliche Verschwiegenheitspflicht Inwiefern die Weitergabe von Informationen aus dem Kreis des Aufsichtsrats an die Leitung der Gesellschaft den zu schützenden Gesellschaftsinteressen zuwiderlaufen soll, ist dem ersten Anschein nach fraglich. Ganz im Gegenteil entspricht eine offene und auf Vertrauen basierende Zusammenarbeit zwischen Leitungs- und Kontrollorgan gerade dem gesetzgeberischen Vorstellungsbild von einer funktio337
Stellvertretend für die gefestigte h. M. Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 483. 338 Vgl. hierzu unten unter C.III.4. 339 Hopt/Roth, in: Hirte/Mülbert/Roth, Großkomm AktG Bd. 5, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 252 f.; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 472; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 116 Rn. 106. 340 Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 116 Rn. 9; Hopt/Roth, in: Hirte/Mülbert/Roth, Großkomm AktG Bd. 5, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 252 f. 341 Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 116 Rn. 106; Lutter/Krieger, Hilfspersonen von Aufsichtsratsmitgliedern, DB 1995, 257 (259 f.).
II. Die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht de lege lata
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nierenden zweigliedrig verwalteten Kapitalgesellschaft.342 In der Kommunikationsrichtung vom Leitungs- an das Aufsichtsorgan ist im Zusammenhang mit der Darstellung der Pflichtrechte des Aufsichtsrats bereits das Erfordernis einer weitestgehend ungehemmten Informationsübermittlung hervorgehoben worden. Eine vertrauensvolle und kooperative Arbeitsweise kann ohne eine weitgehend restriktionsfreie Kommunikation nicht stattfinden, weshalb eine Verschwiegenheitspflicht zwischen den Verwaltungsorganen wie eine unnatürliche Barriere für die erfolgreiche Zusammenarbeit wirkt. Aus diesem Grund greift die aktienrechtliche Schweigepflicht innerhalb des Verhältnisses von Aufsichts- und Leitungsorgan auch nur in Ausnahmefällen.343 Das Gesellschaftsinteresse begründet eine inter-organschaftliche Wirkrichtung der Vertraulichkeitspflicht zwischen Aufsichts- und Leitungsorgan bezüglich Informationen aus Aufsichtsratssitzungen die Geltendmachung von Ansprüchen der Gesellschaft gegen Mitglieder des Leitungsorgans betreffend.344 Ebenso verhält es sich mit Informationen zu laufenden Verhandlungen über Vertragsangelegenheiten im Verhältnis der Gesellschaft zu Mitgliedern des Leitungsorgans (z. B. über Anstellungsverträge).345 Allgemein soll dem Aufsichtsrat jede Weitergabe solcher Informationen an das Leitungsorgan verboten sein, deren Kenntnisnahme durch den Vorstand den Gesellschaftsinteressen zuwiderliefe.346 Das Gesellschaftsinteresse umfasst in dieser Konstellation auch das Interesse des Aufsichtsrats. Das Interesse des Aufsichtsrats an der Geheimhaltung einer Information gegenüber dem Vorstand muss sich jedoch am objektiven Gesellschaftsinteresse messen lassen, wodurch ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse des Aufsichtsrats dann nicht in Betracht kommt, soweit ein Interesse der Gesellschaft an der Einhaltung des Grundsatzes der Offenheit zwischen Leitungs- und Aufsichtsorgans besteht. Auch in allen Fällen der Betroffenheit eines der Mitglieder der beiden Verwaltungsorgane greift die Schweigepflicht dem Betroffenen gegenüber ein, gleichgültig ob Aufsichtsratsmitglied oder Vorstandsmitglied.347 Die subjektive inter-organschaftliche Reichweite der aktienrechtlichen Schweigepflicht richtet sich damit streng nach dem Vertraulichkeitsgegenstand und dem objektiven Vertraulichkeitsinteresse der Ge342
Siehe hierzu bereits oben unter B.I.1.a). Hopt/Roth, in: Hirte/Mülbert/Roth, Großkomm AktG Bd. 5, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 237; Mertens/Cahn, in: KK AktG Bd. 2/2, 3. Aufl. 2013, § 116 Rn. 58; mit Beispielen Kalss, in: Goette/Habersack, MüKoAktG Bd. 2, 5. Auflage 2019, § 93 Rn. 408. 344 Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 59. 345 Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 116 Rn. 106; die GmbH betreffend Giedinghagen, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, J., GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2017, § 52 Rn. 184 m. w. N. 346 Für das Verhältnis zwischen Aufsichtsrat und GmbH-Geschäftsführung Erker/Freund, Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern bei der GmbH, GmbHR 2001, 463 (464). 347 Vgl. hierzu das Beispiel von Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 464. 343
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
sellschaft oder – im Fall der Information aus der Sphäre des Aufsichtsrats – dem berechtigten Interesse des Aufsichtsrats an der Wahrung der Vertraulichkeit. Im Verhältnis des Aufsichtsrats zum Gesellschafterorgan der Aktiengesellschaft gilt der Grundsatz zur weitgehend unbeschränkten Offenheit nicht. Die Wirkung der Schweigepflicht des Aufsichtsrats orientiert sich an der aktienrechtlichen Ausgestaltung der jeweiligen Informations- und Auskunftsrechte. Der Hauptversammlung stehen gegen den Aufsichtsrat nur beschränkte Informationsrechte zu, die sich weitgehend in der allgemeinen Berichtspflicht des Aufsichtsrats nach § 171 Abs. 1 S. 1 AktG erschöpfen und daneben besondere Berichtspflichten wie beispielsweise den Nachgründungsbericht im Sinne des § 52 Abs. 3 AktG betreffen.348 Keinesfalls sind hiervon jedoch Informationen umfasst, die nach ihrem Gegenstand unter den sachlichen Anwendungsbereich der aktienrechtlichen Schweigepflicht fallen. Auch die Auskunftsrechte des Aktionärs nach §§ 131, 132 AktG, die gegenüber dem Vorstand und nicht gegenüber dem Aufsichtsrat geltend zu machen sind, verschaffen dem Gesellschafter keine Kenntniserlangung von vertraulichen Angaben oder Gesellschaftsgeheimnissen entgegen dem Geheimhaltungswillen des Vorstands, vgl. § 131 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AktG. Gegenüber den Aktionären ist das einzelne Aufsichtsratsmitglied daher in demselben Umfang zur Verschwiegenheit über vertrauliche Gesellschaftsinformationen verpflichtet, wie gegenüber jedem anderen Dritten.349 Das gilt auch für die vom Alleingesellschafter in den Aufsichtsrat entsandten Repräsentanten gegenüber ihrem Entsender.350 Das einzelne Aufsichtsratsmitglied darf damit beispielsweise keine Informationen über konkrete, vom Vorstand ausgehandelte und im Aufsichtsrat diskutierte Verträge an einen Gesellschafter weitergeben, bzw. Auskunft darüber geben, wie die einzelnen Mitglieder im Aufsichtsrat hierüber abgestimmt haben.351 Die Hauptversammlung als Organ der Aktionäre ist auch nicht befugt, durch Beschluss über die Offenbarung vertraulicher Informationen zu befinden, um dadurch in Kenntnis von vertraulichen Gesellschaftsinformationen zu gelangen.352 Daneben besteht auch kein Weisungsrecht der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft oder des einzelnen Aktionärs gegenüber dem Aufsichtsrat oder seinen Mitgliedern, ungeachtet jedweder sonstiger Pflichtenbin348 Vgl. Hoffmann-Becking, Der Aufsichtsrat der AG und sein Vorsitzender in der Hauptversammlung, NZG 2017, 281 (283 f.). 349 Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 131 Rn. 76; Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 53; Westermann, Rechte und Pflichten des mitbestimmten Aufsichtsrats und seiner Mitglieder, ZGR 1977, 219 (228); Erker/Freund, Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern bei der GmbH, GmbHR 2001, 463 (464) m. w. N. 350 Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 116 Rn. 103; Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 13 u. 60. 351 Deilmann/Messerschmidt, Vorlage von Verträgen an die Hauptversammlung, NZG 2004, 977 (984). 352 BGH, Urt. V. 26. 04. 2016 – XI ZR 108/15, NJW 2016, 2569 (2570); Buck-Heeb, Wissenszurechnung und Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern, WM 2016, 1469 (1471).
II. Die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht de lege lata
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dungen, wodurch die insoweit unabdingbare Schweigepflicht andernfalls durchbrochen werden könnte.353 In Ausnahme zur strikten Schweigepflicht des Aufsichtsrats gegenüber den Aktionären sehen die §§ 394, 395 AktG für die auf Veranlassung einer Gebietskörperschaft gewählten oder entsandten Aufsichtsratsmitglieder eine Lockerung der Schweigepflicht gegenüber der privilegierten Gebietskörperschaft-Gesellschafterin vor.354 bb) Intra-organschaftliche Verschwiegenheitspflicht Die Gefahr eines Geheimnisverlustes liegt insbesondere in der Informationsweitergabe an Dritte, die nicht Mitglied des Aufsichts- oder Leitungsorgans sind. Eine weitere Gefahr für die Gesellschaft besteht in der Beeinträchtigung der Funktionalität ihrer Organe. Für die organinterne Aufgabenerfüllung setzt das Aktienrecht eine korporative Zusammenarbeit der Organmitglieder und damit eine ungehemmte Kommunikation im Verhältnis zwischen den einzelnen Mitgliedern innerhalb des jeweiligen Gremiums voraus. Aufgrund der Informationsrechte des Aufsichtsrats und seiner aktienrechtlich vorgezeichneten offenen Kommunikationsstruktur, müssen einer Aufsichtsratsgruppe durch den Vorstand vorab im Rahmen einer Gruppenvorbesprechung erteilte Informationen sodann auch den übrigen Aufsichtsratsmitgliedern mitgeteilt werden.355 Eine Verschwiegenheitspflicht zwischen den Aufsichtsratsmitgliedern würde dem zuwiderlaufen und ist damit lange Zeit einhellig abgelehnt worden.356 Mittlerweile werden von diesem Grundsatz allerdings Ausnahmen anerkannt, wonach trotz des Grundsatzes der Gesamtverantwortung aller Aufsichtsratsmitglieder bei der Überwachung des Vorstands eine Vertraulichkeitspflicht im Verhältnis der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder untereinander angenommen wird. Zur Ausübung seiner Pflichtrechte hat der Aufsichtsrat selbst für die Effizienz seines Handelns zu sorgen.357 Die innere Ordnung kann der Aufsichtsrat kraft seiner Organisationsautonomie in der Geschäftsordnung nach eigener Vorstellung konzipieren.358 Zum Zwecke der Aufgabenverteilung steht dem Aufsichtsrat nach § 107 Abs. 3 S. 1 AktG die Bildung von Ausschüssen offen. Über den Wortlaut der Norm hinaus können neben vorbereitenden und die Ausführung von Aufsichtsratsbe353
BGH, Urt. v. 29. 01. 1962 – II ZR 1/61, BGHZ 36, 296 (306) = NJW 1962, 864 (865). Siehe hierzu sogleich unter C. 355 Wittgens/Vollertsen, Gruppenvorbesprechungen im Aufsichtsrat, AG 2015, 261 (262). 356 Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 59; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 463. 357 Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, Vorb. §§ 95 ff. Rn. 16; zum Effizienzgedanken Westerfelhaus, Stärkere Kooperation zwischen Aufsichtsrat und Abschlußprüfer, DB 1998, 2078 (2079); Möllers, Professionalisierung des Aufsichtsrats, ZIP 1995, 1725 (1730 f.). 358 Daneben ist auch die ad hoc Bildung von Ausschüssen möglich, dazu weiter Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 107 Rn. 99, 102 und 176 ff. 354
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
schlüssen überwachenden Ausschüssen auch beschlussfähige Ausschüsse mit eigener Regelungskompetenz gebildet werden.359 Die Beschlussfassung eines sogenannten erledigenden Ausschusses mit Beschlusskompetenz wirkt für den Gesamtaufsichtsrat, ohne dass dieser seine Stellung als „Herr über das Verfahren“ einbüßt.360 Der Gesamtaufsichtsrat kann der Beschlussfassung seines beschließenden Ausschusses zuvorkommen,361 gefasste Beschlüsse abändern362, die personelle Zusammensetzung des Ausschusses neu bestimmen363 und Ausschüsse jederzeit auflösen364. Das „Recht zum jederzeitigen Eingriff in die Befugnisse des Ausschusses“ folgt der umfassenden Organisations- und Delegationsautonomie des Aufsichtsrats.365 Die Bildung von Ausschüssen erleichtert den Umgang mit komplexen und gegebenenfalls einer besonderen Vertraulichkeit unterliegenden Angelegenheiten im Aufsichtsrat.366 Die Beschränkung des Kreises von Geheimnisträgern reduziert die Gefahr eines ungewollten Geheimnisverlustes und bietet darüber hinaus die Möglichkeit einer konzentrierten und engen Zusammenarbeit der Mandatsträger. Die aktienrechtliche Systemkonzeption zur haftungsrechtlich gleichen Verantwortlichkeit aller Mitglieder des Aufsichtsrats (Allgemeinverantwortung) scheint dementgegen zu verlangen, dass innerhalb des Aufsichtsrats keine Geheimnisse zwischen den einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern bestehen.367 Nur auf der Grundlage lückenloser Information kann jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied seinen organschaftlichen Pflichten nachkommen. Die von einem beschließenden Ausschuss gefassten Beschlüsse wirken vorbehaltlich anderslautender Beschlüsse des Plenums 359 Mertens/Cahn, in: KK AktG Bd. 2/2, 3. Aufl. 2013, § 107 Rn. 95; Beuthien, Zur Zulässigkeit beschließender Aufsichtsratsausschüsse, NZG 2010, 333 (333 f.). 360 OLG Hamburg, Urt. v. 29. 09. 1995 – 11 U 20/95, BeckRS 1995, 31362317; Meier/Pech, Bestellung und Anstellung von Vorstandsmitgliedern, DStR 1995, 1195 (1195); Lutter/Krieger/ Verse, in: Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 7. Aufl. 2020, § 11 Rn. 749. 361 Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 107 Rn. 95; Erfordernis des besonderen Verfahrensbeschlusses nach OLG Hamburg, Urt. v. 23. 07. 1982 – 11 U 179/80, WM 1982, 1090 (1093); zustimmend Semler, Ausschüsse des Aufsichtsrats, AG 1988, 60 (63); differenzierend Rellermeyer, Aufsichtsratsbeschlüsse, 1986, 81 ff. 362 Für den AR einer GmbH vgl. BGH, Urt. v. 14. 11. 1983 – II ZR 33/83, NJW 1984, 733 (735); Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 107 Rn. 95. 363 Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 107 Rn. 133. 364 Mertens/Cahn, in: KK AktG Bd. 2/2, 3. Aufl. 2013, § 107 Rn. 115; Sünner, Die Bestellung des Finanzexperten im Aufsichtsrat, in: FS Schneider, 2011, 1301 (1303); Rellermeyer, Aufsichtsratsbeschlüsse, 1986, S. 140 f. 365 Habersack, in: Goette/Habersack, AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 107 Rn. 95. 366 Zu den Vor- und Nachteilen der Ausschussbildung Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 107 Rn. 104. 367 Zur Verantwortung des Aufsichtsrats und ihren Grenzen s. Habbe, Interne Untersuchungen durch den Aufsichtsrat, CCZ 2019, 27 (27 ff.); im Zusammenhang mit der aktienrechtlichen Schweigepflicht Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 12 f.
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als solche des Gesamtaufsichtsrats,368 werden also auch in Erfüllung der Mandatspflichten solcher Mitglieder des Aufsichtsrats gefasst, die nicht dem erledigenden Ausschuss angehören. Ob sich ein Aufsichtsrat Ausschüsse gibt, bleibt ohne Folge für die Gesamtverantwortung des Aufsichtsrats. Grundsätzlich sollte zwischen Aufsichtsratsmitgliedern daher keine Schweigepflicht das intra-organschaftliche Kommunikationsverhältnis belasten, insbesondere auch im Falle der Bildung eines beschließenden Ausschusses innerhalb des Aufsichtsrats nicht.369 Eine aufsichtsratsinterne Schweigepflicht könnte nicht nur die offene Kommunikation und damit die Funktionalität des Überwachungsorgans insgesamt beeinträchtigen, sondern auch den Rechten des einzelnen Mandatsträgers auf Information nach § 90 Abs. 3 S. 2 AktG und Kontrolle nach § 111 Abs. 2 S. 2 AktG widersprechen. Eine zweite gesellschaftsinterne Wirkungsweise in der Form einer innerorganschaftlichen Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder wird gleichwohl in Ausnahme zum Grundsatz der offenen Kommunikation innerhalb des Aufsichtsrats in Bezug auf Angelegenheiten eines beschließenden Ausschusses angenommen. Eine vertrauliche Handhabung von Gesellschaftsgeheimnissen im Verhältnis der Aufsichtsräte untereinander soll zumindest dann verpflichtend sein, wenn innerhalb des Aufsichtsorgans ein beschließender Ausschuss geschaffen wurde, soweit hiermit gerade auch der Zweck verfolgt wird, vertrauliche Gegenstände in möglichst kleinem Rahmen behandeln zu können.370 Die intra-organschaftliche Ausprägung der aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht verbietet dem Mitglied eines erledigenden Ausschusses sodann die Informationsweitergabe an solche Aufsichtsratsmitglieder, die nach § 109 Abs. 2 AktG von dem Ausschuss ausgeschlossen sind.371 Objektiv erstreckt sich die Schweigepflicht nach den oben dargestellten allgemeinen Grundsätzen auf die im Zusammenhang mit der Ausschusstätigkeit erlangten Gesellschaftsgeheimnisse, deren Kenntniserlangung durch ausschussfremde Aufsichtsratsmitglieder dem Gesellschafts- bzw. Unternehmensinteresse objektiv zuwiderläuft. Auch die an Ausschussmitglieder übersandten Vorlagen und Prüfberichte nach § 170 Abs. 3 S. 2 AktG können unter den genannten Voraussetzungen von der intra-organschaftlichen Schweigepflicht umfasst sein.372 368
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Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 107 Rn. 94 u.
Ohne Ausnahmen anzuerkennen OLG Hamburg Urt. v. 25. 5. 1984 – 11 U 183/83 = BeckRS 1984, 31365797; Oetker, Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder und Kommunikation im Aufsichtsrat, in: FS Hopt, 2010, 1091 (1093); Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 463; a. A. LG München I, Urt. v. 23. 08. 2007 – 12 O 8466/07 Rn. 79 ff. = WM 2007, 1975 (1977). Differenzierend Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 116 Rn. 106; Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 107 Rn. 59. 370 So das LG München I, Urt. v. 23. 08. 2007 – 12 O 8466/07 Rn. 79 ff. = WM 2007, 1975 (1977). 371 Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 116 Rn. 106. 372 Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 59.
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
Die aktienrechtliche Schweigepflicht ist daneben auch gegenüber dem von einem Gesellschaftsgeheimnis betroffenen Aufsichtsratsmitglied unabhängig einer Ausschusszugehörigkeit zu beachten, soweit der Informationsweitergabe ein objektives Geheimhaltungsbedürfnis entgegensteht.373 Denkbar ist, dass in Fällen der Untersuchung mutmaßlich pflicht- oder gesetzeswidriger Handlungen eines Aufsichtsratsmitglieds durch den Vorstand der Gesellschaft, der zur Vermeidung weiterer schädigender Handlungen oder zum Zwecke der Beweissicherung den Aufsichtsratsvorsitzenden über die Einzelheiten der eingeleiteten internen Untersuchung informiert. cc) Die GmbH-Gesellschafter Im Hinblick auf die Pflichtrechte des fakultativen GmbH-Aufsichtsrats gilt ausweislich des Verweises in § 52 Abs. 1 GmbHG auf § 90 Abs. 3 bis 5 S. 1 u. 2 AktG nichts anderes als für den Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft.374 Es gehört mithin zu den Aufgaben des GmbH-Aufsichtsrats, sich aus eigener Initiative eine hinreichende Informationsgrundlage zur Überwachung der Geschäftsführung zu verschaffen. Dabei profitiert der GmbH-Gesellschafter im Vergleich zum Aktionär von deutlich weiter greifenden (Informations-)Rechten. Die systematischen Unterschiede in der Ausgestaltung von Informations- bzw. Auskunftsrechten der Gesellschafter nach dem Aktienrecht und dem Recht der Gesellschaft mbH nehmen Einfluss auf den subjektiven Tatbestand der Schweigepflicht des Aufsichtsrats im Verhältnis zur GmbH-Gesellschafterversammlung bzw. dem einzelnen GmbH-Gesellschafter. Dem einzelnen GmbH-Gesellschafter liegt mit § 51a Abs. 1 GmbHG ein umfassendes Informationsrecht zur Hand, das grundsätzlich alle Gegenstände der Gesellschaft oder ihres Unternehmens umfasst und insb. vertrauliche Angaben oder Gesellschaftsgeheimnisse nicht ausschließt (global und unbeschränktes Einsichtnahmerecht).375 Dabei sind auch Konzerninformationen, d. h. Informationen die faktisch oder vertraglich abhängigen Gesellschaften betreffend, von dem Gesell373 So bereits Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtstrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 464. 374 Für den obligatorischen Aufsichtsrat gelten indes die Bestimmungen der Gesetze, nach denen die Errichtung eines Aufsichtsrats für die GmbH zwingend vorgeschrieben ist, Unterschiede ergeben sich lediglich in Einzelheiten, vgl. Scholz/Illner, in: Beck’sches Hdb GmbH, 6. Aufl. 2021, § 6 Rn. 25 f. 375 BGH, Beschl. v. 06. 03. 1997 – II ZB 4/96, ZIP 1997, 978 (980); OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 10. 08. 1995 – 20 W 364/92, NJW-RR 1996, 415 (416); Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 20. Aufl. 2020, § 51a Rn. 12 u. 23; einschränkend in der Art und Weise der Geltendmachung Schindler, in: Ziemons/Jaeger/Pöschke, BeckOK GmbHG, 49. Ed. v. 01. 05. 2021, § 51a Rn. 32; Noack, in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 51a Rn. 24, wonach dem bezugslosen Einsichts- oder Auskunftsverlangen nicht nachgegeben werden müsste.
II. Die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht de lege lata
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schafterinformationsrecht nach § 51a Abs. 1 GmbHG umfasst.376 Ausweislich des eindeutigen Wortlauts in § 51a Abs. 3 GmbHG sind Regelungen im Gesellschaftsvertrag, die das Informationsrecht beschränken oder aufheben, unwirksam.377 Das Auskunftsrecht steht als Individualrecht jedem Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft zu und flankiert das von der Gesellschafterversammlung im Kollektiv wahrzunehmende Recht, sich von anderen Gesellschaftsorganen uneingeschränkt unterrichten zu lassen.378 Das Auskunfts- und Einsichtsrecht umfasst auch alle Informationen zur Tätigkeit des Aufsichtsrats, mithin seine Protokolle, sonstigen Mitschriften und Vermerke.379 Unerheblich ist insoweit, ob die Gesellschaft mbH einen mitbestimmten oder fakultativen Aufsichtsrat konstituiert.380 Beschränkt wird das Informationsrecht durch allgemeine Rechtsprinzipien des Missbrauchsverbots und der Verhältnismäßigkeit,381 die ihrerseits aus der Treuebindung zwischen der Gesellschaft und ihrem Gesellschafter hervorgehen.382 In der Ausübung des Auskunftsanspruchs liegt ein Eingriff in die Rechtssphäre der Gesellschaft, der nach einer Abwägung der Gesellschafterinteressen mit den Gesellschaftsinteressen verlangt. Dabei sind die Eigeninteressen des Gesellschafters den Gesellschaftsinteressen nicht grundsätzlich unterzuordnen.383 Gleichwohl soll das auf § 51a Abs. 1 GmbHG gestützte Einsichtnahme- oder Auskunftsverlangen das schonendste Mittel zur Befriedigung der Eigeninteressen des Gesellschafters sein.384 Konkret verbietet sich dadurch einerseits die nicht zum Zwecke der sach376 Schmidt, M./Nachtwey, in: Prinz/Winkeljohann, Beck’sches Hdb GmbH, 6. Aufl. 2021, § 3 Rn. 73. 377 Zulässig sind dagegen konkretisierende Bestimmungen zur Verfahrensweise der Geltendmachung des Informationsrechts sowie in Grenzen auch zeitliche Begrenzungen, vgl. Altmeppen, in: Altmeppen, GmbHG, 10. Aufl. 2021, § 51a Rn. 59 f. 378 Vgl. Römermann, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, J., GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2017, § 51a Rn. 17 ff. 379 Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 20. Aufl. 2020, § 51a Rn. 14. 380 Schmidt, M./Nachtwey, in: Prinz/Winkeljohann, Beck’sches Hdb GmbH, 6. Aufl. 2021, § 3 Rn. 73. 381 Wicke, in: Wicke, GmbHG, 4. Aufl. 2020, § 51a Rn. 2. Nach BGH, Beschl. v. 26. 03. 1997 – III ZR 307/95, BGHZ 135, 48 (54) = NJW 1997, 1985 (1985); sowie BGH, Urt. v. 08. 01. 2019 – II ZR 364/18, NZG 2019, 505 (510), liegt die Grenze des prinzipiell unbeschränkten Auskunftsanspruchs in seiner zweckfremden Geltendmachung. 382 Vgl. zur Diskussion in der Literatur über weitere ungeschriebene Schranken des Informationsrechts Hillmann, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 51a Rn. 77; eingehend Tietze, Die Informationsrechte des GmbH-Gesellschafters, 1985, S. 105 ff. Für die kapital. strukturierte GmbH einschränkend Mertens, § 51a GmbHG und die kapitalistisch strukturierte GmbH, in: FS Werner, 1984, 557 (568 ff.). Speziell den Diskurs über das ungeschriebene Erfordernis eines Informationsbedürfnisses zusammenfassend Schindler, in: Ziemons/Jaeger/Pöschke, BeckOK GmbHG, 49. Ed. v. 01. 05. 2021, § 51a Rn. 37 – 39. 383 Strohn, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2021, GmbHG, § 51a Rn. 19 m. w. N. zu den dogmatischen Begründungsansätzen einer einschränkenden Auslegung der Norm. 384 OLG Jena, Beschl. v. 14. 09. 2004 – 6 W 417/04, NZG 2004, 1156 (1156); Thür OLG, Beschl. v. 14. 09. 2004 – 6 W 417/04, ZIP 2004 Bd. 2, 2003 (2003); Götze, Auskunftserteilung
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
gerechten Ausübung der Mitgliedschaftsrechte erforderliche Geltendmachung der formalen Rechtsposition. Andererseits wird ein angemessener und verantwortungsbewusster Umgang mit dem Auskunftsanspruch vorausgesetzt.385 Missbräuchlich ist beispielsweise ein Auskunftsersuchen eines Gesellschafters, dessen Anteilserwerb nur der Eigeninformation zu dienen bestimmt ist, das weit in der Vergangenheit liegende Umstände ohne Bezug zur Gegenwart zum Gegenstand hat oder durch ein Zuwarten auf eine turnusgemäße Berichterstattung an die Gesellschafter das Informationsverlangen des Gesellschafters in verhältnismäßiger Weise ebenso gut befriedigt.386 Neben den ungeschriebenen Schranken, die einer Auskunftserteilung auch ohne entsprechenden Gesellschafterbeschluss entgegenstehen, kann die Geschäftsführung dem Auskunftsverlangen des Gesellschafters auf der Grundlage eines Gesellschafterbeschlusses und unter den Voraussetzungen des § 52 Abs. 2 S. 1 GmbHG eine Absage erteilen.387 Das Gesetz erlaubt die Informationsverweigerung, wenn zu besorgen ist, dass die verlangte Auskunft gesellschaftsfremden Zwecken zu dienen bestimmt ist und dadurch der Gesellschaft oder einem verbundenen Unternehmen einen nicht unerheblichen Nachteil zufügen wird. Die Geschäftsführung muss dem Informationsverlangen nicht in persona nachkommen und kann die Auskunftsgewähr an zuständige Mitarbeiter oder sogar an außenstehende Personen delegieren, soweit das Informationsbedürfnis des Gesellschafters hierdurch nicht beeinträchtigt wird und die Geheimhaltung von vertraulichen und geheimen Gesellschaftsangelegenheiten gewährleistet bleibt.388 Eine den Umfang betreffend gleichsam weitgehende und in den Anspruchsvoraussetzungen niedrigschwellige Möglichkeit, sich als Aktionär jederzeit ohne Mitwirkung des Gesellschafterkollektivs über die Geschäfte der Aktiengesellschaft und ihres Unternehmens zu informieren, hält das Aktienrecht gerade nicht vor. Das Aktienrecht schreibt in den §§ 76 ff. AktG sowie §§ 111 ff. AktG eine klare Kompetenzabgrenzung die Wahrnehmung von Leitungs- und Überwachungsaufgaben in der Aktiengesellschaft betreffend vor, auf die der einzelne Aktionär nur eingeschränkt Einfluss nehmen kann, vgl. § 119 Abs. 2 AktG.389 Die Informationsrechte der Aktionäre beschränken sich hauptsächlich auf das nach § 131 AktG eingeschränkte Fragerecht in der Hauptversammlung und verschaffen weder einen Andurch GmbH-Geschäftsführer im Rahmen der Due Diligence beim Beteiligungserwerb, ZGR 1999, 202 (221 f.); Wicke, in: Wicke, GmbHG, 4. Aufl. 2020, § 51a Rn. 3. 385 Hillmann, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 51a Rn. 80. 386 Beispiele nach Strohn, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2021, GmbHG, § 51a Rn. 19 m. w. N. 387 Ausführlich Schindler, in: Ziemons/Jaeger/Pöschke, BeckOK GmbHG, 49. Ed. v. 01. 05. 2021, § 51a Rn. 36 ff. 388 Schmidt, M./Nachtwey, in: Prinz/Winkeljohann, Beck’sches Hdb GmbH, 6. Aufl. 2021, § 3 Rn. 75. 389 BGH, Urt. v. 05. 04. 1993 – II ZR 238/91, BGHZ 122,211 (236 f.) = ZIP 1993, 751 (753 f.); BGH, Beschl. v. 06. 03. 1997 – II ZB 4/96, ZIP 1997, 978 (980).
II. Die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht de lege lata
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spruch auf Erteilung einer schriftlichen Auskunft noch das Recht zur Einsichtnahme in die Bücher und sonstigen Unterlagen der Aktiengesellschaft. Die Existenz des § 51a GmbHG ist Ausgangspunkt einer Diskussion über die Geltung der Verschwiegenheitspflicht für Mitglieder des GmbH-Aufsichtsrats gegenüber den GmbH-Gesellschaftern. In dem GmbH-spezifischen Auskunftsrecht könnte eine Ausnahme zum prinzipiellen Gleichlauf der Verschwiegenheitspflicht für den Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft und den Aufsichtsrat der Gesellschaft mbH liegen, den im Übrigen der Verweis in § 52 Abs. 1 GmbHG bedingt. Soweit dem einzelnen Gesellschafter ohnehin die Möglichkeit offensteht, jegliche Informationen und sogar Gesellschaftsgeheimnisse zu erfragen und in alle Unterlagen der Gesellschaft – insbesondere die Protokolle des Aufsichtsrats – Einsicht nehmen zu können, könnte sich eine strafbewehrte Schweigepflicht des Aufsichtsrats gegenüber dem Gesellschafter ihrem Sinn und Zweck entledigen.390 Einige Kommentatoren in der rechtswissenschaftlichen Literatur wollen in den tiefgreifenden Strukturunterschieden von Aktiengesetz und GmbHG die Gesellschafterrechte betreffend, allem voran in § 51a Abs. 1 GmbHG, einen Grund zur Modifikation der aktienrechtlichen Schweigepflicht im subjektiven Tatbestand für die Mitglieder des fakultativen GmbH-Aufsichtsrats sehen und die GmbH-Gesellschafter als Verlautbarungsempfänger in den Kreis der berechtigten Kommunikationspartner des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds aufnehmen, gegenüber denen auch vertrauliche Angaben und Gesellschaftsgeheimnisse offenbart werden dürfen.391 Eine strafbewehrte Schweigepflicht über Tatsachen, die jederzeit über die Möglichkeit der Einsichtnahme in die Unterlagen des Aufsichtsrats in Erfahrung gebracht werden können, wäre danach reiner Formalismus, der keinem Zweck der aktienrechtlichen Schweigepflicht gerecht zu werden vermag. Zudem sind die GmbH390
Dabei wird schon die Frage nach der Reichweite des § 51 a GmbHG nicht einheitlich beurteilt. Nach Ansicht der Rechtsprechung und überwiegenden Ansicht in der Literatur erstreckt sich das Auskunftsrecht auch auf alle Unterlagen des Aufsichtsrats, mithin seine Protokolle sowie Beratungs- und Entscheidungsunterlagen, vgl. BGH, Beschl. v. 06. 03. 1997 – II ZB 4/96, NJW 1997, 1985 (1986 f.); OLG Karlsruhe, Urt. v. 08. 02. 1984 – 15 W 42/83, GmbHR 1985, 59 (60.); Erker/Freund, Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern bei der GmbH, GmbHR 2001, 463 (465); Schmidt, M./Nachtwey, in: Prinz/Winkeljohann, Beck’sches Hdb GmbH, 6. Aufl. 2021, § 3 Rn. 73; Hommelhoff, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 20. Aufl. 2020, § 52 Rn. 106; Hillmann, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 51a Rn. 54; ausführlich Schmidt, K., in: Scholz, GmbHG Bd. 2, 12. Aufl. 2021, § 51a Rn. 19. A. A. für den mitbestimmten Aufsichtsrat Stimpel/Ulmer, Einsichtsrecht der Gesellschafter einer mitbestimmten GmbH in die Protokolle des Aufsichtsrats?, in: FS Zöllner, 1998, Bd. 1, 589 (602 ff.); auf den fakultativen Aufsichtsrat erweiternd Noack, in: Noack/ Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 51a Rn. 22. 391 Heermann, in: Habersack/Casper/Löbbe, Großkomm GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2020, § 52 Rn. 143; Hommelhoff, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 20. Aufl. 2020, § 52 Rn. 25; Peres, in: Saenger/Inhester, GmbHG, 4. Aufl. 2020, § 52 Rn. 101; Erker/Freund, Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern bei der GmbH, GmbHR 2001, 463 (465); Schneider, U. H., in: Scholz, GmbHG Bd. 2, 11. Aufl. 2014, § 52 Rn. 499; vgl. aber mit nunmehr a. A. in der Neuauflage Schneider, U. H./Seyfarth, in: Scholz GmbHG Bd. 2, 12. Aufl. 2021, § 52 Rn. 581.
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
Gesellschafter selbst aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht zur Verschwiegenheit verpflichtet, weshalb ein Abfluss von Gesellschaftsgeheimnissen und vertraulichen Angaben an Dritte nicht zu befürchten sei.392 Allgemein sei für eine innergesellschaftliche Verschwiegenheitspflicht bei der Gesellschaft mbH kein Raum, da es „zwischen der GmbH und ihren Gesellschaftern keine Geheimnisse gibt“.393 Die Gegenansicht hält dem zutreffend entgegen, dass dem einzelnen GmbHGesellschafter der Zugang zu allen Gesellschaftsinformationen auch nach den Regelungen des GmbH-Gesetzes nicht bedingungs- und schrankenlos gewährt wird und insbesondere GmbH-Aufsichtsratsmitglieder nicht zur Weitergabe von Gesellschaftsgeheimnissen und vertraulichen Angaben an die Gesellschafter berechtigt oder berufen sind.394 Die Geltendmachung des Auskunfts- bzw. Einsichtsrechts ist an die Einhaltung des Verfahrens nach § 51a Abs. 1 GmbHG gebunden und ist nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm ausschließlich gegenüber der Geschäftsführung geltend zu machen. Dabei ist unerheblich, dass die Gesellschaft originäre Anspruchsgegnerin des Gesellschafter-Informationsverlangens ist und die Geschäftsführung in ihrer Funktion als organschaftliche Vertretung der Gesellschaft fungiert.395 Der Gesetzeswortlaut lässt gerade keinen Zweifel daran, dass eine Auskunft nicht auch durch den Aufsichtsrat erfolgen soll, was im Übrigen den Aufgaben des Überwachungsorgans innerhalb der Gesellschaft in keiner Weise entsprechen würde.396 Das Informationsrecht aus § 51a Abs. 1 GmbHG beinhaltet kein Frageund Auskunftsrecht gegenüber sonstigen Personen als den organschaftlichen Vertretern der Gesellschaft.397 Eine Umgehung des gesetzlich bestimmten Verfahrens durch ein Auskunftsverlangen gegenüber dem Aufsichtsrat würde zudem Sinn und Zweck des Informationsverweigerungsrechts nach § 51a Abs. 2 GmbHG zuwiderlaufen. Das Gesellschafter-Informationsrecht vermag nicht das Vorstellungsbild vom allmächtigen GmbH-Gesellschafter zu stützen, zu dessen Vorteil gesetzlich eindeutig bestimmte Verfahren außer Kraft gesetzt werden könnten. Im Gegensatz zur Geschäftsführung sind der fakultative oder obligatorische Aufsichtsrat und seine Mitglieder gegenüber der Gesellschafterversammlung auch grundsätzlich nicht weisungsgebunden.398 Mit dem Informationsrecht des GmbH-Gesellschafters geht 392 Erker/Freund, Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern bei der GmbH, GmbHR 2001, 463 (465). 393 Schmidt, M./Nachtwey, in: Prinz/Winkeljohann, Beck’sches Hdb GmbH, 6. Aufl. 2021, § 3 Rn. 73. 394 Noack, in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 52 Rn. 67; Jaeger, C., in: Ziemons/Jaeger/Pöschke, BeckOK GmbHG, 52. Ed. v. 01. 06. 2022, § 52 Rn. 72. 395 A. A. Erker/Freund, Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern bei der GmbH, GmbHR 2001, 463 (465). 396 Als Schuldner des GmbH-Gesellschafter Informationsrechts wird demgemäß auch allgemein die GmbH erkannt, die bei der Erfüllung (allein) durch die Geschäftsführung handelt, Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 20. Aufl. 2020, § 51a Rn. 7. 397 Schmidt, M./Nachtwey, in: Prinz/Winkeljohann, Beck’sches Hdb GmbH, 5. Aufl. 2014, § 3 Rn. 75. 398 OVG NRW, Urt. v. 24. 04. 2009 – 15 A 2592/07, openJur 2011, 63035 Rn. 58.
II. Die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht de lege lata
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auch kein impliziertes Auskunfts- und Einsichtsrecht gegenüber dem Aufsichtsrat als Minus zu einem fiktiven „Hauptanspruch“ gegen die Gesellschaft einher, sondern müsste als gleichrangiger Anspruch neben § 51a Abs. 1 GmbHG ausdrücklich gesetzlich vorgesehen sein und durch eine dem § 51a Abs. 2 GmbHG entsprechende Systematik eingeschränkt werden. Dementgegen findet der Aufsichtsrat im Wortlaut des § 51a Abs. 1 GmbHG gerade keine Erwähnung, die erst für eine passive Pflichtenbindung auch des Aufsichtsorgans sprechen würde. Daneben stimmt auch die nach zutreffender und überwiegender Ansicht bestehende Möglichkeit des Gesellschafters zur Einsichtnahme in die Bücher und Schriften des Aufsichtsrats nicht für eine Aufhebung der Schweigepflicht in diesem Verhältnis. Einerseits soll die Einsichtnahme erst nach dem Verfahren des § 51a Abs. 1 GmbHG erfolgen, andererseits würde eine generelle Absage an die Schweigepflicht in diesem Verhältnis neben den Inhalten der Protokolle des Aufsichtsrats auch alle anderen Gesellschaftsgeheimnisse und vertraulichen Angaben umfassen, die durch die Büchereinsicht gerade nicht offenbart würden. Damit würde das einzelne Aufsichtsratsmitglied zur Auskunft über Gesellschaftsgeheimnisse und vertrauliche Angaben verpflichtet, die nicht aus der Sphäre des Aufsichtsrats selbst stammen und über deren Gefahrenpotenzial eines Bekanntwerdens im negativen Empfängerkreis das einzelne Aufsichtsratsmitglied keine abschließende und umfassende Einschätzung zu bilden in der Lage wäre. Im Zweifel würde das Mitglied des Überwachungsorgans vor das Dilemma gestellt, entweder den Gesellschaftsinteressen zuwider Auskunft zu erteilen und damit seine organschaftlichen Pflichten zu verletzen oder die Rechtspflicht aus § 51a Abs. 1 GmbHG zu verletzen. Insoweit wäre dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied auch nicht dadurch geholfen, den Grundsatz der Verschwiegenheit im Verhältnis zum GmbH-Gesellschafter umzukehren und nur in solchen Fällen eine Ausnahme in Form eines Auskunftsverweigerungsrechts zuzulassen, wenn sich aus den konkreten Umständen des Einzelfalls und bedeutenden Gesellschaftsinteressen berechtigte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Auskunftserteilung ergeben. Eine begründete Einschätzung der Bedeutung von Gesellschaftsgeheimnissen und vertraulichen Angaben kann einzig der Geschäftsführung zuzusprechen sein, die trotz weitreichender Informationsrechte des Aufsichtsrats dessen einzelnen Mitgliedern gegenüber stets kraft Wissens um die vollständigen Überlegungen zur (zukünftigen) Geschäftspolitik überlegen ist und nur dadurch in die exklusive Lage versetzt wird, allen Gesellschaftsinteressen hinreichende Berücksichtigung durch eine Entscheidung nach § 51a Abs. 2 S. 1 GmbHG zu verleihen. Eine gesetzliche Ausweitung des Kreises berechtigter Geheimnisempfänger auf die Gesellschafter einer Gesellschaft mbH geht mit § 51a Abs. 1 GmbHG nicht einher, sodass entsprechend der Situation in der Aktiengesellschaft das einzelne Aufsichtsratsmitglied auch innergesellschaftlich gegenüber den einzelnen GmbHGesellschaftern zur Verschwiegenheit verpflichtet ist. Dabei ist insoweit unerheblich, ob es sich um einen obligatorischen oder fakultativen Aufsichtsrat handelt.
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
Auch für die Vertreter öffentlich-rechtlicher Körperschaften im Aufsichtsrat gilt vorbehaltlich der §§ 394, 395 AktG nichts anderes.399 Im Verhältnis zur Gesellschaftergesamtheit besteht ungeachtet der Natur des GmbH-Aufsichtsrats als willentlich oder aufgrund Gesetzes statuierten Aufsichtsorgans nach ganz überwiegender Ansicht keine Verschwiegenheitspflicht.400 Als zentrales Entscheidungsorgan der Gesellschaft mbH profitiert die Gesellschafterversammlung von uneingeschränkten Informationsrechten gegenüber allen anderen Organen der Gesellschaft. Die Gesellschaftergesamtheit fasst im Gegensatz zur Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft die wesentlichen Beschlüsse und lenkt dadurch die Geschicke der Gesellschaft mbH, ist gegenüber der Geschäftsführung weisungsbefugt (§ 37 GmbHG) und nimmt obgleich der fakultativen Existenz eines Aufsichtsrats umfassende Prüfungs- und Überwachungsrechte gegenüber der Geschäftsführung wahr (§ 46 Nr. 6 GmbHG). In der nicht mitbestimmten Gesellschaft mbH entscheidet die Gesellschafterversammlung zudem über die Entlastung der Geschäftsführer oder die Geltendmachung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft. Dem Aufgabenfeld der Gesellschafterversammlung entsprechend darf es im Verhältnis der Verwaltungsorgane der Gesellschaft mbH zur Gesellschaftergesamtheit keine Beschränkungen der Kommunikation geben, die eine umfassende Information des wichtigsten Entscheidungsorgans beeinträchtigen könnte.401 Das einzelne Aufsichtsratsmitglied ist daher bei einem entsprechenden Gesellschafterbeschluss auch zur Auskunft jeder geheimen oder vertraulichen Information verpflichtet, gleichwohl aus welcher Sphäre die jeweilige Tatsache stammt. Ein Auskunftsverweigerungsrecht existiert gegenüber der hierarchisch an oberster Stelle stehenden Gesellschafterversammlung nicht und kann auch nicht mit der Berufung auf etwaige Gesellschaftsinteressen begründet werden. Die GmbH-Geschäftsführung ist im Unterschied zum Vorstand der Aktiengesellschaft nicht Herr über die Gesellschaftsgeheimnisse. Die Strukturunterschiede zwischen den beiden Rechtsformen verleiht der Gesellschafterversammlung die „Macht über die Gesellschaft“. Nur insoweit kann daher davon die Rede sein, 399
Jaeger, C., in: Ziemons/Jaeger/Pöschke, BeckOK GmbHG, 52. Ed. v. 01. 06. 2022, § 52 Rn. 72; Noack, in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 52 Rn. 67, mit weiterer Einschränkung für die Einpersonen-GmbH. 400 BGH, Beschl. v. 06. 03. 1997 – II ZB 4/96, NJW 1997, 1985 (1986); Jaeger, C., in: Ziemons/Jaeger/Pöschke, BeckOK GmbHG, 52. Ed. v. 01. 06. 2022, § 52 Rn. 71; Zieglmeier, Die Systematik der Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern gegenüber der Gesellschaft, ZGR 2007, 144 (161); Altmeppen, in: Altmeppen, GmbHG, 10. Aufl. 2021, § 52 Rn. 30; Erker/ Freund, Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern bei der GmbH, GmbHR 2001, 463 (465); vgl. Hommelhoff, Unternehmensführung in der mitbestimmten GmbH, ZGR 1978, 119 (143 f.), der anhand des mitbestimmten Aufsichtsrats die Rechte der Gesellschaftergesamtheit herausarbeitet. A. A. Noack, in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 52 Rn. 67. 401 Daran ändert auch die Anwendung der Mitbestimmungsgesetze nichts, vgl. BGH, Beschl. v. 06. 03. 1997 – II ZB 4/96, NJW 1997, 1985 (1987); vgl. dazu Anm. Westermann, WiB 1997, 858 (860).
II. Die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht de lege lata
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dass es zwischen der Gesellschaftergesamtheit und der Gesellschaft keine Geheimnisse gibt. dd) Die (kommunale) GmbH-Alleingesellschafterin Der Alleingesellschafter einer Gesellschaft mbH handelt unweigerlich immer auch in seiner formalen Position als Gesellschafterversammlung und nimmt damit eine außerordentliche Machtposition im Gesellschaftsgefüge ein. Wortlautgetreu mag das widersprüchlich klingen, doch führt der Mangel an einer Gesellschaftermehrheit nicht zur Abschaffung der Gesellschafterversammlung, vielmehr tritt mit dem Alleingesellschafter auch zwangsläufig das Gesellschafterorgan auf, dessen einziger Repräsentant die singuläre Gesellschaftergesamtheit ist. Einzig für den alleinigen GmbH-Gesellschafter kann daher ein allumfassendes Auskunftsrecht gegenüber seinem Aufsichtsrat auch indirekt aus § 51a Abs. 1 GmbHG entnommen werden.402 Verlangt der Alleingesellschafter Auskunft von der Geschäftsführung, ist eine Beschlussfassung nach § 51a Abs. 2 S. 2 GmbHG faktisch ausgeschlossen. Den Alleingesellschafter auf den Wortlaut des § 51a Abs. 1 GmbHG und ihn mit seinem Informationsverlangen an die Geschäftsführung zu verweisen, entbehrt dem Kontrollzweck, dem der Verfahrensgang des Auskunfts- und Einsichtsrechts nach § 52 GmbHG gewidmet ist.403 Der Schutz des Gesellschafterkollektivs vor gesellschaftsschädigenden Informationsverlangen eines einzelnen Gesellschafters kann im Fall des Informationsverlangens des GmbH-Alleingesellschafters unmöglich erreicht werden. Der Alleingesellschafter kann sich damit der ratio legis des Auskunfts- und Einsichtsrechts entsprechend mit seinem Informationsverlangen auch unmittelbar an den Aufsichtsrat oder einzelne seiner Mitglieder wenden, die zur Übergabe aller Gesellschaftsgeheimnisse und vertraulichen Angaben verpflichtet sind und denen auch aus der Treue- und Sorgfaltspflicht kein Auskunftsverweigerungsrecht zugesprochen werden kann.404 Mit der Aufhebung der Eigenständigkeit der juristischen Person bei einer Ein-Personen-GmbH kann auch kein Gesellschaftsinteresse dem Auskunftsverlangen entgegenstehen.405 Die Rechtslage den GmbH-Alleingesellschafter betreffend ist nicht mit der Rechtslage den Mehrheitsgesellschafter betreffend gleichzusetzen. Zwar vermag der Mehrheitsgesellschafter eine Beschlussfassung im Sinne des § 51a Abs. 2 S. 2 GmbHG entscheidend zu beeinflussen, allerdings wird dadurch nicht die 402
Ausführlich Spindler, Kommunale Mandatsträger in Aufsichtsräten, ZIP 2011, 689 (692) m. w. N. 403 Vgl. hierzu Jaeger, C., in: Ziemons/Jaeger/Pöschke, BeckOK GmbHG, 52. Ed. v. 01. 06. 2022, § 52 Rn. 72; Noack, in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 52 Rn. 67. 404 Schmidt, M./Nachtwey, in: Prinz/Winkeljohann, Beck’sches Hdb GmbH, 6. Aufl. 2021, § 3 Rn. 73; Schneider, U. H./Seyfarth, in: Scholz GmbHG Bd. 2, 12. Aufl. 2021, § 52 Rn 581. 405 Altmeppen, Zur Rechtsstellung der Aufsichtsratsmitglieder einer kommunalen GmbH, in: FS Schneider, 2011, 1 (7 f.); Spindler, Kommunale Mandatsträger in Aufsichtsräten, ZIP 2011, 689 (692).
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
Kontrolle des Informationsflusses durch die Gesellschaftergesamtheit ausgehöhlt, die damit auch auf dem Rechtsweg erfolgen kann. Gesellschaftsgeheimnisse und vertrauliche Angaben sind dem Mehrheitsgesellschafter nicht durch den Aufsichtsrat oder seine Mitglieder, sondern stets nach dem Verfahren des § 51a GmbHG durch die Geschäftsführung zu übermitteln.406 Der Alleingesellschafter der Gesellschaft mbH fällt nicht in den subjektiven Tatbestand der aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats, sondern ist der Gruppe von berechtigten Verlautbarungsempfängern von vertraulichen Angaben und Gesellschaftsgeheimnissen zuzurechnen.407 Für die öffentliche Hand als privatwirtschaftlich tätige Unternehmerin bedarf es daher im Hinblick auf ihr Informationsverlangen gegenüber den Mitgliedern des Aufsichtsrats keiner weiteren Untersuchung der §§ 394, 395 AktG, soweit sie sich der Rechtsform der Gesellschaft mbH bedient und Alleingesellschafterin ist. Das einzelne Aufsichtsratsmitglied ist der kommunalen GmbH-Alleingesellschafterin gegenüber nicht zur Verschwiegenheit verpflichtet. Der Anwendung der §§ 394, 395 AktG lässt § 51a Abs. 1 GmbHG im Fall der öffentlichen Ein-Personen-GmbH keinen Raum. Stattdessen kann die in privater Rechtsform wirtschaftlich tätige Gebietskörperschaft ihr Auskunftsverlangen gegenüber dem Aufsichtsratsmitglied unmittelbar auf ihr Informationsrecht als Gesellschafterin stützen.
4. Sekundärinteressen: Gleichheitssatz und Homogenitätsprinzip Bereits an anderer Stelle mit inbegriffen aber ohne explizite Würdigung geblieben ist die etwaig bestehende Bindung des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds an einen von ihm vertretenen Interessenträger und die daraus resultierenden Auswirkungen auf die organschaftliche Schweigepflicht. Interessenträger in diesem Sinne können ein einzelner Gesellschafter oder eine Gruppe von Gesellschaftern sein. Beispielsweise eine Konzernobergesellschaft, die einzelne Mitglieder in den Aufsichtsrat der konzernierten Untergesellschaft gewählt oder entsendet hat. Auch die von einer Gebietskörperschaft entsandten oder gewählten Aufsichtsratsmitglieder können dieser aufgrund vertraglicher oder beamtenrechtlicher Bindung verpflichtet sein. Welchen Einfluss eine anderweitige Pflichtenbindung auf die aktienrechtliche Schweigepflicht des Aufsichtsrats nimmt, muss auch anhand der bereits erörterten aktienrechtlichen Grundlagen untersucht werden. Das Arbeitsprogramm führt über die Grundlagen zu Teilhaberechten im Überwachungsorgan und der Idee einer mitbestimmungsrechtlichen Teilhabe über die historischen Hintergründe zur Ent406 Jaeger, C., in: Ziemons/Jaeger/Pöschke, BeckOK GmbHG, 52. Ed. v. 01. 06. 2022, § 52 Rn. 72; in diesem Sinne auch BGH, Beschl. v. 06. 03. 1997 – II ZB 4/96, NJW 1997, 1985 (1986). 407 Zur Frage nach dem Weisungsrecht der kommunalen GmbH-(Allein-)Gesellschafterin gegenüber dem Aufsichtsrat s. unten unter C.II.5.b).
II. Die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht de lege lata
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stehung des Unternehmensinteresses, woraus unterschiedliche Definitionsansätze des umstrittenen Rechtsbegriffs hervorgegangen sind. a) Teilhaberechte in Vertretung Die aus der Organmitgliedschaft erwachsenden Sorgfalts- und Treuepflichten kennen in der Entstehung keine Unterschiede zwischen den Verpflichteten. Die organschaftliche Bindung liegt als dogmatische Verfassung der Rechtsbeziehung eines jeden Organmitglieds zur Gesellschaft zugrunde und ist auf abstrakt-genereller Ebene stets identischen Gehalts. Damit sind der Gesellschaft im Grundsatz alle Aufsichtsratsmitglieder unterschiedslos zur gesellschaftsrechtlichen Treue und Sorgfalt verpflichtet (Gleichheitssatz),408 obgleich sie als Anteilseignervertreter (z. B. Groß- bzw. Kleinaktionärsvertreter) oder Arbeitnehmervertreter einem sozialen Lager angehören (Homogenitätsprinzip)409 sowie ungeachtet jeder anderweitig bestehenden Rechtsbeziehungen.410 Das hat grundsätzlich zur Folge, dass auch die konkretisierende organschaftliche Vertraulichkeitspflicht alle Aufsichtsratsmitglieder adressiert und gleichbehandelt.411 Nichts anderes kann allgemein in Fällen angenommen werden, in denen Organmitglieder aufgrund von anderweitigen Tätigkeiten außerhalb ihres Organmandats auch gesellschaftsfremde Belange zu berücksichtigen verpflichtet sind (mehrfache Pflichtenbindung) und hieraus Interessengegensätze entstehen.412
408 Vgl. stellvertretend für die allgemeine Ansicht Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 58; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 116 Rn. 103 m. w. N.; BGH, Urt. v. 05. 06. 1975 – II ZR 156/73 („Bayer“), BGHZ 64, 325 (330) = NJW 1975, 1412 (1413); so auch schon Kühlwein, Die Verantwortlichkeit der Arbeitnehmer-Vertreter im Aufsichtsrat, NJW 1954, 621 (621 f.). Vgl. für die überholte Ansicht weniger nur Kittner, Unternehmensverfassung und Information, ZHR 1972, 208 (232 f.) wonach die Schweigepflicht des Arbeitnehmervertreters nicht gegenüber dem „berechtigten Informationsinteresse der Arbeitnehmer“ bestehen soll. 409 Drygala, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2020, § 116 Rn. 29; BGH, Urt. v. 05. 06. 1975 – II ZR 156/73 („Bayer“), BGHZ 64, 325 (330) = NJW 1975, 1412 (1413); OLG Stuttgart, Beschl. v. 07. 11. 2006 – 8 W 388/06 („Carl Zeiss“), NZG 2007, 72 (74). 410 Hierin liegt gleichwohl keine absolute Gleichschaltung aller Rechte und Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder. So kommen dem Aufsichtsratsvorsitzenden mit der Sitzungsleitung und dem Stimmrecht zur Vermeidung eines Patts exklusive Verwaltungs- und Exekutivrechte zu, s. Kalss, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Auflage 2019, § 107 Rn. 192 f.; Giedinghagen, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, J., GmbHG Bd. 2, 3. Auflage 2017, § 52 Rn. 175. 411 Es gibt keine „gespaltene Vertraulichkeit“, s. Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 116 Rn. 11; vgl. auch Giedinghagen, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, J., GmbHG Bd. 2, 3. Auflage 2017, § 52 Rn. 183; Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 58; OLG Stuttgart, Beschl. v. 07. 11. 2006 – 8 W 388/06 („Carl Zeiss“), NZG 2007, 72 (74). 412 Vgl. Schenk, v., in: Semler/Schenk, v., Der Aufsichtsrat, 2015, § 116 Rn. 229.
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
Auch für die Mitglieder des mitbestimmten Aufsichtsrats darf nichts anderes gelten.413 Gegen die absolute Geltung des Gleichheitssatzes ist auch nicht einzuwenden, dass gesetzlich zugestandene Teilhaberechte als solche nur anzuerkennen wären, wenn sie dem Berechtigten die Durchsetzung seiner Vorstellung gewährleisteten.414 Der Vorteil der Mitbestimmung muss in der Möglichkeit der Mitgestaltung im Rahmen der geregelten Organisationsverfassung des Mitbestimmungsorgans liegen. Unweigerlich setzen Gestaltung und Mitbestimmung Entscheidungen des Teilhabeberechtigten voraus, die als Ergebnis eines Denkprozesses auf der Grundlage von Wissen beruhen.415 Wissen kann nur aufgrund eigener Erfahrung oder der Informationsvermittlung durch Dritte erlangt werden. Teilhabe setzt damit ein Mindestmaß an geregeltem Informationsfluss voraus, sofern die Interessenwahrnehmung in eigener Person erfolgt. Der erforderliche Informationsfluss wird in dem Fall durch die dargestellte kapitalgesellschaftliche Kommunikationsstruktur gewährleistet. Anders liegt es bei der Einschaltung eines Interessenvertreters, der als Mittelsmann die vertretenen Interessen im Aufsichtsrat repräsentiert und Teilhaberechte als Vertreter wahrnimmt. Hierbei profitiert der zum Aufsichtsratsmitglied gewählte oder entsandte Interessenvertreter von den Informationsrechten als Mitglied des Aufsichtsorgans. Innerhalb des Vertretungsverhältnisses muss insoweit der informatorische Austausch über Richtlinien, Wünsche, Zielvorstellungen und Ängste genügen, ohne dass es einer detaillierten Auseinandersetzung mit konkreten Gesellschaftsgeheimnissen bedarf. Ein Durchreichen von Gesellschaftsgeheimnissen vom informierten Vertreter im Aufsichtsrat an seine Entsender ist kein Bestandteil von Teilhabe- und Mitbestimmungsrechten, die sich insoweit in der Möglichkeit zur Bestimmung und Entsendung eines oder mehrerer Vertreter in den Aufsichtsrat erschöpfen. Das mehrfach verpflichtete Aufsichtsratsmitglied repräsentiert die fremden Interessen bei jeder Handlung im Rahmen seiner organschaftlichen Rechte und nicht 413 Spätestens seit BGH, Urt. v. 05. 06. 1975 – II ZR 156/73 („Bayer“), BGHZ 64, 325 (331) = NJW 1975, 1412 (1413) besteht weitgehend Einigkeit hierüber. 414 Vgl. nunmehr auch aus der mitbestimmungsrechtlichen Literatur Schubert, C., in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, MitbestR, 5. Aufl. 2017, § 25 Rn. 333; a. A. in der Vorauflage Koberski, in: Wlotzke/Wißmann/Koberski/Kleinsorge, MitbestR, 4. Aufl. 2011, § 25 Rn. 100, unter Verweis auf Gruppeninteressen, die als „Sonderinteressen“ über das Unternehmensinteresse Einfluss auf die Beurteilung der Schweigepflicht nehmen sollen; zuvor bereits Kittner, in: Kittner/Fuchs/Zachert, Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, 2. Aufl. 1982, Rn. 2, unter Verweis auf den Wortsinn von „paritätisch“, woraus sich eine gleichberechtigte Einflussnahme auf Unternehmensentscheidungen ableiten lässt; Zachert, Anm. zu OLG Düsseldorf, Urt. v. 15. 10. 1973 – 6 U 131/72, AuR 1974, 254 (255 f.). 415 So auch Kittner, Unternehmensverfassung und Information, ZHR 1972, 208 (214) m. w. N.: „Es ist unstreitig, daß, um zielgerichtet und erfolgreich handeln zu können, Information erforderlich ist.“ Allerdings zieht dieser aufgrund seines Verständnisses von der gesetzlichen Konzeption der Mitbestimmung unzutreffende Schlussfolgerungen für die Schweigepflicht der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, vgl. Kittner, Unternehmensverfassung und Information, ZHR 1972, 208 (218 f.).
II. Die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht de lege lata
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lediglich in der Funktion eines Informationsempfängers und -übermittlers. Sein gesellschaftsrechtliches Mandat berechtigt und verpflichtet ihn zur eigenständigen, unabhängigen und weisungsfreien Mitarbeit im Aufsichtsrat.416 Dem Vertreter werden auch keine solchen Treuepflichten gegenüber der vertretenen Person oder Personengruppe zuzuschreiben sein, die eine Einschränkung des freien gesellschaftsrechtlichen Mandats zu begründen in der Lage wären.417 Der Interessenvertreter ist kein Bote der vertretenen Interessenträger, weshalb die ungefilterte Information des Teilhabeberechtigten durch das Aufsichtsratsmitglied nicht erforderlich und hinsichtlich vertraulicher Gesellschaftsinformationen auch unzulässig ist. Die Teilhaberechte werden durch die Einschaltung eines Vertreters sowie mit dessen Handeln im Aufsichtsrat ausgeübt und nicht über das Aufsichtsratsmitglied als verlängerter Arm des Mitbestimmungsberechtigten. Mitbestimmungsrechte sind auch nicht derart zu verstehen, dass beispielsweise jeder Arbeitnehmer den Geschäftsgang mitbestimmt und daher bis in jedes Detail informiert sein müsste. Der einzelne Arbeitnehmer bestimmt durch seine Wahl den eigenen Interessenvertreter und nur dieser muss im Rahmen der geregelten Organisationsverfassung des Mitbestimmungsorgans informiert werden, damit er sein Handeln entsprechend der vertretenen Interessen zielgerichtet ausrichten kann. Für eine vollumfängliche, insb. Gesellschaftsgeheimnisse umfassende Unterrichtung des teilhabeberechtigten Kreises durch seine Vertretung fehlt es neben dem Rechtsgrund bereits am Erfordernis. Die Berücksichtigung der vertretenen Interessen wird dabei nicht vom Vorrang des Gesellschaftsinteresses ausgeschlossen, sondern bleibt dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied im Rahmen seiner Entscheidungen dem unternehmerischen Ermessen als Abwägungskriterium erhalten.418 Hieraus wird der Oberbegriff des Unternehmensinteresses gebildet, welcher neben dem Gesellschaftsinteresse auch das Interesse der vertretenen Person, Personengruppe oder Körperschaft beinhaltet.419
416
Zur Rechtsstellung des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds, insb. seiner Unabhängigkeit siehe Oetker, in: ErfKomm ArbR, 22. Aufl. 2022, Nr. 51, § 111 Rn. 19; Noack, in: Noack/ Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 52 Rn. 130, mit Einschränkung für den fakultativen Aufsichtsrat der Einpersonen-GmbH, vgl. dazu bereits oben unter B.II.3.b)dd). 417 Generell keine Treuepflichten zwischen dem Entsender und Entsandten anerkennend und damit weitergehend Schneider, U. H./Seyfarth, in: Scholz GmbHG Bd. 2, 12. Aufl. 2021, § 52 Rn. 497. 418 Giedinghagen, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, J., GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2017, § 52 Rn. 174; BGH, Urt. v. 29. 01. 1962 – II ZR 1 /61, NJW 1962, 864 (867). 419 So bereits Fernau, Die Rechte und Pflichten der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat beim Arbeitskampf, 1966, S. 27 ff.; vgl. heute Spindler, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 52 Rn. 224; zum Interesse der öffentlichen Hand als ein zur Berücksichtigung geeignetes Anteilseignerinteresses Schneider, U. H./Seyfarth, in: Scholz GmbHG Bd. 2, 12. Aufl. 2021, § 52 Rn. 499.
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
b) Grundidee der mitbestimmungsrechtlichen Teilhabe Die Grundzüge der kapitalgesellschaftsrechtlichen Kommunikationsstruktur zwischen Leitungs- und Aufsichtsorgan sind bereits mit der Darstellung der Bedeutung der organschaftlichen Verschwiegenheitspflicht ausführlich beschrieben worden. Weitgehend unberücksichtigt geblieben ist dahingegen die Bedeutung der organschaftlichen Teilhabe für die im Aufsichtsrat vertretenen Gruppen oder die Gebietskörperschaft. Das Aufsichtsorgan wurde voranstehend als interessenpluralistisches Gebilde erkannt, welches natürliche Personen mit teilweise unterschiedlichen Motiven und mitunter gegenläufigen Zielen zu einer dem Gesellschaftsinteresse dienenden Handlungseinheit vergemeinschaften soll.420 Die Bedeutung der Integrität der Vertraulichkeit des Aufsichtsrats für die Gesellschaft muss daher auch im Zusammenhang mit der Bedeutung des Aufsichtsrats für die jeweils durch ihn repräsentierten Interessengruppen verstanden werden.421 Für die zur Entsendung von Interessenvertretern in den Aufsichtsrat Berechtigten stellt die Mitbestimmung nicht nur die Möglichkeit der Überwachung der Geschäftsleitung sowie der Förderung und Wahrung eines abstrakten Gesellschaftsinteresses dar. Vielmehr soll hiermit die Einflussnahme auf die Gesellschaft und ihr Unternehmen im Sinne des eigenen Vorteils vorangetrieben und damit der unbestimmte Begriff vom Unternehmensinteresse durch die eigenen Interessen ausgefüllt werden. Die Umsetzung dieses Vorstellungsbildes muss sich jedoch in den Rechtsrahmen des Aufsichtsorgans fügen, der bisher vorwiegend hinsichtlich der Erlangung von Informationen behandelt wurde. Die von Gesetzes wegen dem Aufsichtsrat neben den bereits dargestellten Informationsrechten zur Einflussnahme zugestandenen Mitsprache- und Mitentscheidungsbefugnisse betreffen auch Angelegenheiten der Geschäftsführung.422 Im Zusammenhang mit der Einflussnahme auf die alltägliche Geschäftsleitung ist die bedeutendste Kompetenz des Aufsichtsrats der Zustimmungsvorbehalt nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG.423 Hierüber erhält er die Möglichkeit, bestimmte Handlungen der Gesellschaftsleitung an seine Zustimmung zu binden.424 Der Aufsichtsrat erstellt hierfür durch seine Satzung einen Katalog von Rechtshandlungen, die seiner Zu-
420
Vgl. hierzu bereits oben unter B.I.1.c), Fn. 37. Zutreffend beschreibt Kittner, Unternehmensverfassung und Information, ZHR 1972, 208 (212), dass erst die Würdigung der unterschiedlichen Interessen „das Bild der gesamten durch §§ 93, 116 AktG geregelten Kommunikationsstruktur“ vervollständigt. 422 Dem Aufsichtsrat werden jedoch ausweislich der ausdrücklichen Regelung des § 111 Abs. 4 S. 1 AktG keine exklusiven Befugnisse der Geschäftsführung übertragen, die ausschließlich im Aufgabenbereich des Leitungsorgans liegen und der Möglichkeit einer Delegation entzogen bleiben. 423 Entsprechendes gilt aufgrund der Verweisung des § 52 Abs. 1 GmbHG für den fakultativen Aufsichtsrat der GmbH. 424 Die Bedeutung des Zustimmungsvorbehalts hervorhebend Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 111 Rn. 14. 421
II. Die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht de lege lata
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stimmung vorbehalten bleiben.425 Das Gesetz konstituiert mit dieser Durchbrechung der strikten Rollentrennung zwischen Leitung und Aufsicht eine partielle Gewaltenverschränkung.426 Der Aufsichtsrat ist damit in der Lage, Maßnahmen der Geschäftsleitung, die möglicherweise nicht mehr rückgängig gemacht werden können, vorbeugend zu unterbinden.427 Setzt sich der Vorstand im Einzelfall über den Zustimmungsvorbehalt hinweg, droht ihm neben der Abberufung aus wichtigem Grund auch die zivilrechtliche Haftung für Schäden, die der Gesellschaft infolgedessen entstehen.428 Dennoch verharrt der Aufsichtsrat in der Rolle der Opposition, die ihrem Willen nur durch den erklärten Widerspruch Gehör verschaffen kann und hiermit letztlich doch – wenngleich einseitig – gestaltend auf die Rechtshandlungen der Gesellschaft wirkt. Ein aktives Gestaltungsrecht in Form einer Initiativkompetenz für Geschäftsleitungsaufgaben trägt der Aufsichtsrat nicht.429 Weitere Rechte des Aufsichtsorgans die Angelegenheiten der Geschäftsführung betreffend existieren nicht. Nach § 84 AktG wird dem Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft die Personalkompetenz für die Bestellung und Abberufung des Vorstands der Gesellschaft zugesprochen. Hiervon umfasst ist die korporationsrechtliche Ebene, mithin die organschaftliche Bestellung und Abberufung der Vorstandsmitglieder sowie die Freistellung von den Organpflichten, als auch die dienstvertragsrechtliche Ebene das konkrete schuldrechtliche Anstellungsverhältnis betreffend.430 Daneben übernimmt der Aufsichtsrat Aufgaben im Zusammenhang mit der Abschlussprüfung, trifft beispielsweise die Auswahl des Abschlussprüfers und besorgt nach dem Beschluss der Hauptversammlung die Vertragsunterzeichnung, vgl. § 111 Abs. 2 S. 3 AktG.431 Soweit die Rede von Rechten des Aufsichtsrats ist, soll damit allein das (Kollegial-)Organ als solches gemeint sein.432 Das einzelne Aufsichtsratsmitglied ist selbst kein Gesellschaftsorgan, sondern als dessen Mitglied ein Teil dessen.433 425
Vgl. Lutter, in: Krieger/Schneider, Hdb Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, § 1 Rn. 1.13. Einen gesetzlichen Zustimmungsvorbehalt sieht daneben auch § 59 Abs. 3 AktG für die Abschlagszahlung auf den Bilanzgewinn vor. 427 Vgl. BGH, Urt. v. 01. 12. 2006 – II ZR 243/05, NZG 2007, 187 (188). 428 St. Rechtspr., vgl. BGH, Urt. v. 26. 03. 1956 – II ZR 57/55, NJW 1956, 906 (907); BGH, Urt. v. 13. 07. 1998 – II ZR 131/97, NZG 1998, 726 (727); OLG Stuttgart, Beschl. v. 28. 05. 2013 – 20 U 5/12, BeckRS 2013, 12075 = AG 2013, 599 (600). 429 Hopt/Roth, in: Hirte/Mülbert/Roth, Großkomm AktG Bd. 5, 5. Aufl. 2019, § 111 Rn. 634. 430 Pentz, in: Fleischer, Hdb Vorstandsrecht, 1. Aufl. 2006, § 16 Rn. 7. 431 § 111 Abs. 2 S. 3 AktG ist erst durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) vom 27. 04. 1998, BGBl. I 1998, 786 in das Aktiengesetz eingefügt worden. Speziell hierzu Theisen, Vergabe und Konkretisierung des WP-Prüfungsauftrags durch den Aufsichtsrat, DB 1999, 341 (343 ff.). 432 Vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 01. 10. 2007 – 20 W 141/07, FGPrax 2008, 118 (119); OLG Stuttgart, Urt. v. 30. 05. 2007 – 20 U 14/06, NZG 2007, 549 (550). 433 Giedinghagen, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, J., GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2017, § 52 Rn. 172. 426
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
Aufsichtsratsmitglieder können ihre Rechte nur innerhalb des Kollegialorgans geltend machen, nicht aber als einzelnes Aufsichtsratsmitglied persönlich.434 Daraus folgt die Erkenntnis, dass die über das Mitgliedschaftsrecht im Aufsichtsrat zur Teilhabe berechtigte Interessengruppe durchaus Minderheitenschutz genießt, wenngleich hiermit nicht die Vorstellung der unbedingten Durchsetzung allein der eigenen (Minderheits-)Interessen zu verbinden ist.435 Der Minderheitenschutz im Aufsichtsrat geht im Teilhaberecht auf und gewährleistet überhaupt erst die Existenz der Minderheit im Aufsichtsrat und die damit verbundenen wesensgleichen Mitgliedschaftsrechte. Dass der Aufsichtsrat nach Außen gleichwohl nur im Ganzen durch seinen im Wege der Beschlussfassung eruierten einheitlichen436 Organwillen auftritt, ändert daran nichts.437 Die Überwachung und Kontrolle bleibt die Hauptaufgabe des Aufsichtsrats.438 Daneben wird er zunehmend in sachkundig begleitender, die Gesellschaftsleitung beratender Funktion tätig.439 In diesem Zusammenhang sind gerade die bisher nicht hervorgehobenen (Mit-)Gestaltungsrechte des Aufsichtsrats von besonderer Bedeutung, die insoweit auch ein Mittel zur direkten Einflussnahme auf den Willensbildungsprozess der Mitglieder des Leitungsorgans darstellen. Die zur Teilhabe an der Geschäftsführung berechtigenden Rechte verschaffen den zur Teilhabe an der Besetzung des Aufsichtsrats berechtigten Interessengruppen konkrete Möglichkeiten der Einflussnahme auf das Leben des Gesellschaftsunternehmens. Innerhalb des
434 Nach st. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 28. 11. 1988 – II ZR 57/88, NJW 1989, 979 (981); OLG Celle, Urt. v. 09. 10. 1989 – 9 U 186/89, NJW 1990, 582 (583); OLG Stuttgart, Urt. v. 30. 05. 2007 – 20 U 14/06, AG 2007, 873 (875); vgl. auch Lutter/Krieger/Verse in: Lutter/Krieger/ Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 7. Aufl. 2020, § 1 Rn. 43. Nach Fallgruppen und m. w. N. – auch zur älteren Literatur – Hoffmann-Becking, in: Münch Hdb GesR Bd. 4, 5. Aufl. 2020, § 33 Rn. 90 – 98. 435 Giedinghagen weist daraufhin, dass die in der Beschlussfassung unterliegenden Aufsichtsratsmitglieder der Mehrheit zur Unterordnung verpflichtet sind und schlussfolgert daraus auf das Fehlen eines Minderheitenschutzes im Aufsichtsrat, vgl. Giedinghagen, in: Michalski/ Heidinger/Leible/Schmidt, J., GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2017, § 52 Rn. 172. 436 Selbstredend kann ein Wille nicht uneinheitlich sein. Mit der gewählten Formulierung soll auf die hinter dem Organbeschluss stehende Mehrzahl von Willenserklärungen hingewiesen werden, deren pluralistisches Wesen im Beschlusszeitpunkt im Mehrheitswillen untergeht. 437 Die Existenz eines Minderheitenschutzes in einer parlamentarischen Demokratie ist derweil auch nicht damit in Zweifel zu ziehen, dass die Regierung im Wege der Mehrheitsbeschlussfassung über Anträge befindet. 438 Dazu gehört auch die Überwachung von Einzelgeschäften hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit, soweit sie für die Liquidität und Rentabilität der Gesellschaft von Bedeutung sind, s. Altmeppen, in: Altmeppen, GmbHG, 10. Aufl. 2021, § 52 Rn. 26; Kort, Umfang der Überwachungspflicht des Aufsichtsrats, zugl. Anm. zu LG Stuttgart, Urt. v. 29. 10. 1999 – 4 KfH O 80/98, EWiR 1999, 1145 (1145). 439 Dem Wandel der Pflichten in Ansehung der Konzeption und Zusammenstellung des Aufsichtsrats kritisch gegenüberstehend Peltzer, Handlungsbedarf in Sachen Corporate Governance, NZG 2002, 593 (594).
II. Die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht de lege lata
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Kollegialorgans Aufsichtsrat existiert ein echter Minderheitenschutz, der allerdings im Zeitpunkt der Beschlussfassung mitsamt dem Pluralismus untergeht. c) Historische Hintergründe Noch zu Zeiten der Weimarer Republik drängten sich in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit der Erstarkung der Arbeiterbewegung auch vermehrt Forderungen nach einer arbeitnehmerorientierten Ausrichtung der Unternehmensleitung in die rechtswissenschaftlichen Diskussionen.440 Soziale Aspekte wurden mit dem Beginn der betrieblichen Mitbestimmung im Jahre 1920 gesellschaftsrechtlichen Regelungen so dominant wie sonst zu keiner Zeit gegenübergestellt.441 Gesellschaftspolitische Vorstellungen sollten über das Wesen des Unternehmens beherrschenden Eingang in die Anwendung des Gesellschaftsrechts finden. Die mit der Einführung der Mitbestimmung aufkommenden rechtstheoretischen Auseinandersetzungen mit dem Gleichheitssatz werden seitdem paradigmatisch anhand der Gruppe der Arbeitnehmervertreter geführt.442 Arbeitnehmervertreter sollen mehr als Anteilseignervertreter auf eine aktive Mitgestaltung der Unternehmenspolitik abzielen. Zumindest die mittelbar oder unmittelbar mit dem Personalwesen in Zusammenhang stehenden Unternehmensentscheidungen betreffend kann hiervon die Rede sein, sofern damit die Gefahr eines kurz-, mittel- oder langfristigen Stellenabbaus einhergeht. Mitursächlich für die einseitig geführte Debatte war auch das Bestreben der Arbeitnehmervertreter, die persönliche Arbeit im Aufsichtsrat gegenüber den eigenen Wählern, also der Arbeitnehmerschaft, darzustellen und damit die Chancen auf eine Wiederwahl als Vertreter im Aufsichtsrat positiv zu beeinflussen. Das offen kommunizierte Ziel der Eigenwerbung musste zwangsläufig Fragen nach der organschaftlichen Verschwiegenheitspflicht aufwerfen. Naheliegend ist damit, den Urheber des Problems im Speziellen zu thematisieren und die zugrundeliegenden allgemeinen Fragen nach dem Wesen und den (dogmatischen) Grundsätzen der organschaftlichen Verschwiegenheitspflicht nicht etwa anhand der Depotbanken als Anteilseignervertreter zu diskutieren. Zeitgleich musste sich ein Bild von der nunmehr mitbestimmten 440 Einen Überblick über die Entstehung der sogenannten Gemeinwirtschaft verschafft Spindler, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel Bd. 1, 2007, 13. Kap. Rn. 9 ff. 441 Der Einzug der Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat in das geltende Recht erfolgte durch das Betriebsrätegesetz v. 04. 02. 1920, RGBl. I 1920, S. 147 und das Gesetz über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern v. 15. 02. 1922, RGBl. I S. 209. 442 Kittner, Unternehmensverfassung und Information, ZHR 1972, 208 (209 ff.), setzt sich eingehend damit auseinander, weshalb die Diskussionen zur gleichsamen Verpflichtung aller Aufsichtsratsmitglieder zur organschaftlichen Vertraulichkeit häufig auf die Gruppe der Arbeitnehmervertreter reduziert wird. Ursächlich sei der realtypische Hintergrund des Bekanntwerdens jedes Verstoßes eines Arbeitnehmervertreters gegen die Vertraulichkeit, der in allen Fällen einer Veröffentlichung gleichkommt, wohingegen Verstöße von Anteilseignervertretern „hinter verschlossenen Türen“ geschehen und damit regelmäßig unentdeckt blieben.
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
Kapitalgesellschaft etablieren, das auch von den sozial-gesellschaftlichen Anschauungen der Zeit gezeichnet sein sollte.443 Anteilseignervertreter vertreten dementgegen das Interesse an einer sicheren Dividende und damit an einer Maximierung der Gesellschaftsgewinne, wodurch sie insbesondere risikobehaftete Investitionsentscheidungen regelmäßig als kritisch und der maximalen Renditeerwartung entgegenstehend bewerten werden.444 Arbeitnehmerbelange werden dabei regelmäßig nachrangige Berücksichtigung finden. Die seither beinahe unüberschaubare Meinungsvielfalt zum Einfluss der Mitbestimmung auf die Grundsätze des Aktienrechts lässt sich heute hinsichtlich der organschaftlichen Schweigepflicht auf die Geschichte und Begriffsbedeutung des Unternehmensinteresses reduzieren. Die apodiktische Sozialisation des Unternehmensbegriffs, dem fortan ein genuines Wesen zugesprochen werden sollte, gibt nunmehr das Leitbild dafür vor, welche Interessen Vorstand und Aufsichtsrat aufgrund der Treue- und Sorgfaltspflicht zu berücksichtigen und zu fördern verpflichtet sind. Über den dogmatischen Knotenpunkt spannt sich der Bogen vom Unternehmensinteresse zur organschaftlichen Schweigepflicht des Aufsichtsrats. Ein gemeinsames Interesse finden alle im Aufsichtsrat vertretenen Gruppen in der Kontinuität, hinsichtlich des Erhalts der Arbeitsplätze einerseits bzw. des wirtschaftlichen Unternehmenserfolgs andererseits sowie ein gleichlaufendes Interesse am Erhalt der Gesellschaft und ihrer wirtschaftlichen Unternehmung als Organisationsstruktur. Das saldierte Kontinuitätsinteresse gibt Arbeitnehmern und Anteilseignern die Korporationsgrundlage und eröffnet dem Rechtsbegriff vom Unternehmensinteresse einen gestaltungsfreien Ergebnisraum. d) Gesellschafts- und Unternehmensinteresse Das andauernde Tauziehen zwischen Arbeit (Arbeitnehmern) und Kapital (Aktionären) im Aufsichtsrat um Einfluss auf die Kapitalgesellschaft wird in der rechtswissenschaftlichen Diskussion anhand aktienrechtlicher Leitbilder und Zielvorgaben für die Exekutive der Kapitalgesellschaft veranstaltet. Konkret steht dabei infrage, welche Interessen im Rahmen des Organhandelns zu berücksichtigen sind und nach welchem Modell Interessenkonflikte zu bewältigen sind. Analog dazu sollen die Handlungsmaximen auch Einfluss auf den Inhalt und Umfang der organschaftlichen Verschwiegenheitspflicht ausüben.
443 Umfassende zeitgenössische Untersuchungen in: Das deutsche Handwerk, Verhandlungen und Berichte des Unterausschusses für Gewerbe, Industrie, Handel und Handwerk (III. Unterausschuss), Bd. 1 Generalbericht, 1930. 444 Rathenau, Vom Aktienwesen: Eine geschäftliche Betrachtung, 1917, S. 26 f., differenziert im Lager der Anteilseigner zwischen Daueraktionären und deren Erwartung an eine angemessene Verzinsung und sog. Spekulationsaktionären, die auf einen schnellen und gewinnbringenden Verkauf setzen.
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Die organschaftliche Schweigepflicht blieb dabei lange Zeit ein kaum beachteter Gegenstand und war doch ständiger und zwingender Bestandteil der anhaltenden Diskussionen über die Leitlinien für das Handeln von Vorstand und Aufsichtsrat. Es sind gerade die bereits als mannigfaltig beschriebenen Interessen innerhalb einer unternehmerischen Gesellschaft, die das Vorstands- und Aufsichtshandeln richtungsweisend zu leiten geeignet sind. Rechtsdogmatisch sollen die unterschiedlichen Ansichten zum Wirkungsgrad der Zielvorgaben ihre Legitimation und Wahrheit im vergeistigten Begriff des Unternehmensinteresses finden, das als ideelles Leitbild für das Aufsichtshandeln generell und auch für die Schweigepflicht der Aufsichtsratsmitglieder im Speziellen wesensprägend werden soll. Nach dem sachlichen Tatbestand der Schweigepflicht aus §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 3 AktG bestimmt sich die Geheimhaltungsbedürftigkeit vertraulicher oder geheimer Gesellschaftsinformationen nach dem Unternehmensinteresse.445 Die Diskussion über die Inhaltsbestimmung des Unternehmensinteresses gehört jedoch zu den umfangreichsten im Themenkomplex der aktienrechtlichen Schweigepflicht. Für ein umfängliches Verständnis von der Schweigepflicht ist die Entwicklung der Diskussion von ihren Anfängen bis zu den heutigen Ansichten in Etappen zu skizzieren. Welcher Einfluss dem Unternehmensinteresse auf die Schweigepflicht zuzusprechen ist, bestimmt sich nach der Funktionsweise und dem Gehalt des Rechtsbegriffs. Maßgeblichen Einfluss könnte das Unternehmensinteresse in der Folge auch auf das Handeln des berichtspflichtigen Aufsichtsratsmitglieds und den Regelungsgehalt der §§ 394, 395 AktG nehmen. aa) Das Gesellschaftsinteresse Enger als das Unternehmensinteresse, dessen Wesen und Gehalt es nachfolgend zu untersuchen gilt, bildet das Gesellschaftsinteresse den kleinsten Kreis im Mengenbild aller Interessen innerhalb einer gewinnorientiert wirtschaftenden unternehmerischen Kapitalgesellschaft. Abstrakt umfasst das Gesellschaftsinteresse alles, was den Fortbestand, die Funktionsfähigkeit und die satzungsrechtlich zweckgebundene Aufgabenerfüllung des (Gesellschafter-)Verbands gewährleistet und fördert.446 Es soll eine abstrakte, „von den konkreten Interessen der einzelnen Verbandsmitglieder abgelöste und für alle Gesellschaftsorgane gleichermaßen verbindliche Leitmaxime“447 darstellen. Das Gesellschaftsinteresse orientiert sich am Verbandszweck und umfasst für die privatrechtlich strukturierte und gewinnorientiert unternehmerische Aktiengesellschaft die kumulierten Anteilseignerinteressen, die darauf gerichtet sind, am Markt zu überleben (Bestands- bzw. Kontinuitätsin-
445
Vgl. hierzu oben unter B.II.2.b). In Anlehnung an Krämer, Das Unternehmensinteresse als Verhaltensmaxime der Leitungsorgane einer Aktiengesellschaft im Rahmen der Organhaftung, 2002, S. 47. 447 Mülbert, Shareholder Value aus rechtlicher Sicht, ZGR, 1997, 129 (141). 446
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teresse).448 In der Hauptsache verlangt die Wahrung des Gesellschaftsinteresses nach einem nachhaltigen Wirtschaften im Sinne einer beständig wachsenden und Konjunkturschwächen überwindenden Rentabilität des gesellschaftseigenen Unternehmens.449 Das Gesellschaftsinteresse deckt sich damit regelmäßig mit den Gesellschafterinteressen.450 Der Wahrnehmung und Wahrung des Gesellschaftsinteresses sind nach § 76 Abs. 1 AktG der Vorstand der Aktiengesellschaft, bzw. nach § 43 Abs. 1 GmbHG die Geschäftsführung der Gesellschaft mbH verpflichtet. Das Wesen des Unternehmens eines Verbands von Kapitalgebern vermag das Gesellschaftsinteresse allerdings nicht einzufangen. Die innerhalb einer wirtschaftlichen Unternehmung aufkommenden Interessen gesellschaftsrechtlich abzubilden wird dem Unternehmensinteresse zugeschrieben. Welche Interessen Eingang in das Unternehmensinteresse finden und in welchem Verhältnis die gegeneinander abgrenzbaren Partikularinteressen stehen, ist nicht gesetzlich normiert und daher Gegenstand anhaltender wissenschaftlicher Diskurse. Auch die Fragen, ob und inwieweit das Unternehmensinteresse von den Leitungs- und Aufsichtsorganen zu berücksichtigen ist, wird nicht einheitlich beurteilt. Für ein grundlegendes Verständnis vom Wesen und der Position des Unternehmensinteresses im Gesellschaftsrecht und seiner Wirkung auf die aktienrechtliche Schweigepflicht bedarf es einer Grundlagenuntersuchung, die bereits im ideellen Ursprung der Begriffsprägung ansetzt. bb) Die (Wieder-)Entdeckung der kapitalistischen Gemeinwirtschaft Als ideologischer Vater der Idee eines genuinen Unternehmensinteresses gilt Walther Rathenau451, der mit seiner Abhandlung „Vom Aktienwesen: Eine geschäftliche Betrachtung“ aus dem Jahr 1917 einen Diskurs über die gemeinwirt448
Nach Pöschke, in: Ziemons/Jaeger/Pöschke, BeckOK GmbHG, 52 Ed. v. 01. 06. 2022, § 43 Rn. 125; vgl. auch Weber, in: Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl. 2022, § 76 Rn. 19. 449 Dauerhafte Rentabilität als Verbandsziel, was mit Einfügung des § 87 Abs. 1 S. 2 AktG das Leitungsermessen des Vorstands auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung lenken soll, vgl. Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 76 Rn. 72 f.; ähnlich Weber, in: Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl. 2022, § 76 Rn. 19. 450 Vgl. die gelungene Verknüpfung von Gesellschafts- und Gesellschafterinteresse über den satzungsmäßigen Unternehmensgegenstand bei Fendt, Der Aufsichtsrat in der Mitverantwortung einer interessenpluralistischen Formalzielbestimmung, AG 2017, 99 (100 f.). Hiervon sind jedoch die Interessen jener Gesellschafter ausgeschlossen, die durch den An- und Verkauf der Gesellschaftsanteile Gewinne erzielen wollen und damit individuelle, vom Gesellschaftsinteresse unabhängige Gewinnerzielungsabsichten mit ihrer Gesellschafterstellung verfolgen (Spekulanten-Gesellschafter). 451 Walther Rathenau war promovierter Physiker, studierter Chemiker und Philosoph. Der Sohn des deutsch-jüdischen Industriellen und Gründers der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft (AEG) Emil Rathenau muss nach den bibliografischen Untersuchungen von Fleischer, Wiedergelesen – Walther Rathenau: Vom Aktienwesen, JZ 2017, 991 (991), ein wahrer Tausendsassa gewesen sein. Fleischer beschreibt Rathenau als „Grenzgänger zwischen Wirtschaft, Kultur, Publizistik und Politik“.
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schaftliche Bedeutung von Großunternehmen angestoßen hat.452 Mit seiner grundlegenden Vorstellung von der Wirtschaft, die „nicht Privatsache, sondern Gemeinschaftssache, nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Absoluten, nicht Anspruch, sondern Verantwortung“453 sei, etablierte er nicht weniger als ein interdisziplinär einsetzbares Leitbild von einer Großunternehmung für Praxis und Theorie, dessen Dasein schon im geltenden Recht der Weimarer Zeit angelegt sein sollte. Seine zugrunde gelegte wirtschaftssystematische Idee einer Gemeinwirtschaft454 infizierte in der Folge neben Volkswirten, Philosophen und Politikern insbesondere Rechtswissenschaftler, auch über den deutschsprachigen Raum hinaus,455 und lebt aktuell wieder neu auf.456 Großunternehmen, und nach Rathenau gerade nicht alle Aktiengesellschaften, seien danach „nicht mehr lediglich Gebilde privatrechtlicher Interessen“, sondern „einzeln wie in ihrer Gesamtzahl, ein nationalwirtschaftlicher, der Gesamtheit angehöriger Faktor, der zwar aus seiner Herkunft […] noch die privatrechtlichen Züge des reinen Erwerbsunternehmens trägt, während er längst und in steigendem Maße öffentlichen Interessen dienstbar geworden ist und hierdurch sich ein neues Daseinsrecht geschaffen hat“.457 Mit dieser Kernaussage ebnete Rathenau den Weg für die Berücksichtigung von solchen Interessen im Rahmen von Ermessensentscheidungen des Leitungsorgans der Gesellschaft, die inhaltlich von den originären Gesellschafterinteressen abweichen können. Rathenaus Grundanliegen bestand dabei primär darin, dem Interesse an der Erhaltung des Unternehmens eine Eigenständigkeit und im Vergleich zu den Gesellschafterinteressen auch ebenbürtige Wertigkeit zu verschaffen.458 Ziel und Motivation Rathenaus, der in der Großunternehmung das Unternehmen der Zukunft sah,459 war die Förderung des Gemein452 Vertiefend hierzu Fleischer, Unternehmensinteresse und intérêt social, ZGR 2018, 703 (706 ff.); ders., Wiedergelesen – Walther Rathenau: Vom Aktienwesen, JZ 2017, 991 (991 ff.); ders., Corporate Social Responsibility, AG 2017, 509 (511). 453 Rathenau, Von kommenden Dingen, 1917, S. 95. 454 Loesch, v., Die gemeinwirtschaftliche Unternehmung, 1977, S. 56, bezeichnete Walter Rathenau als den „Vater der Gemeinwirtschaft“. Rathenaus wirtschaftspolitische Konzeption einer Verbindung aus Staatsverwaltung und Privatwirtschaft verbindet Elemente der freien (kapitalistischen) Marktwirtschaft mit planwirtschaftlichen (sozialistischen) Eigenheiten, wodurch eine ideologisch reine Zuordnung zu einem der klassischen Wirtschaftssysteme nicht angebracht ist; vgl. Rathenau, Die neue Wirtschaft, 1918, S. 27; ders., Autonome Wirtschaft, 1919, S. 7. 455 Vgl. die Übersetzung einiger Passagen Rathenaus Schrift „Vom Aktienwesen“ in: Berles/Means, The Modern Corporation and Private Property, 1932, S. 352 f. 456 Fleischer, Corporate Social Responsibility, AG 2017, 509 (516) erkennt zutreffend Rathenaus Idee von der Gemeinwirtschaft in der Debatte um die gesellschaftliche Verantwortung unternehmerischen Handelns (Corporate Social Responsibility, abgk. CSR). 457 Rathenau, Vom Aktienwesen: Eine geschäftliche Betrachtung, 1917, S. 38 f. 458 Fleischer, Unternehmensinteresse und intérêt social, ZGR 2018, 703 (707). 459 Im Gegensatz zu Familienunternehmen sei der fortwährende Mittelzufluss nur bei der Großunternehmung gewährleistet und dieser als Garant und Voraussetzung für ein fortdauerndes Dasein des Unternehmens am Markt anzusehen, Rathenau, Vom Aktienwesen: Eine geschäftliche Betrachtung, 1917, S. 1.
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wohls.460 Rathenau hatte nicht vordergründig im Sinn, das Handlungsprogramm der Vorstände zu revolutionieren oder Minderheitsinteressen zu stärken bzw. zu schwächen.461 Ihm war vielmehr daran gelegen, seine gesamtwirtschaftspolitischen Vorstellungen zum Wohle der Gemeinschaft und des Staates umzusetzen.462 Hierdurch versprach er sich für die Entwicklung der Wirtschaft des Kaiserreichs in der Nachkriegszeit ebenjene Erfolge, die er während des ersten Weltkriegs als Leiter der Kriegsrohstoffabteilung im preußischen Kriegsministerium verzeichnen konnte.463 Welche Entwicklung die Hervorhebung des Unternehmensinteresses im Recht der Kapitalgesellschaften angestoßen hatte, blieb ihm mutmaßlich unbekannt. Die Idee eines aktienrechtlichen Gemeinwohlpostulats war unterdessen bereits dem Octroi-System des Preußischen Allgemeinen Landrechts (ALR) von 1794 zu entnehmen.464 § 25 Abs. 2 S. 6 ALR setzte der Verleihung von Korporationsrechten die Verfolgung eines fortdauernden gemeinnützigen Zwecks voraus.465 Gesellschaftszwecke wurden dabei als gemeinnützig in diesem Sinne erkannt, sobald sie allgemeine staatswirtschaftliche Interessen verfolgten.466 Im preußischen Gesetz über Aktiengesellschaften von 1843 und im ADHGB von 1861 lebte das Gemeinwohlpostulat als Negativmerkmal fort und konnte den Entzug der Konzession be460 Rathenau, Vom Aktienwesen: Eine geschäftliche Betrachtung, 1917, S. 62; ausführlich zu den Hintergründen Spindler, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel Bd. 1, 2007, Kap. 13 Rn. 9 f. 461 Demgegenüber musste sich Rathenau gegen Vorwürfe zur Wehr setzen, Aktionäre und dabei insbesondere Minderheitsaktionäre zugunsten einer „starken Verwaltung“ entmachten zu wollen, vgl. hierzu Lehmann, Gutachten in: Verhandlungen des 34. Deutschen Juristentages 1926, Bd. 1, 258 (259); vgl. auch Haußmann, Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, S. 370 (370). 462 Zentrale Charakteristika seiner Ideologie von der kommenden Wirtschaft sind die Autonomie des Unternehmens als Mischform aus Staatsverwaltung und Privatwirtschaft und die daraus zu schließende Abweichung vom herkömmlichen Verständnis von Privateigentum, vgl. Rathenau, Von kommenden Dingen, 1917, S. 145 f. 463 Spindler, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel Bd. 1, 2007, Kap. 13 Rn. 10; vgl. auch Fleischer, Wiedergelesen – Walther Rathenau: Vom Aktienwesen, JZ 2017, 991 (991). Zur preußischen Rüstungswirtschaft allgemein Rohlack, Kriegsgesellschaften (1914 – 1918), 2000, S. 26 – 30. 464 Fleischer, Corporate Social Responsibility, AG 2017, 509 (510); ders., Unternehmensinteresse und intérêt social, ZGR 2018, 703 (707). 465 Diesbezüglich ist bereits auf die Entstehungsgeschichte der Aktiengesellschaft zu verweisen, vgl. hierzu bereits oben unter B.I.2.a). Die großen Handelskompagnien als Vorläufer der modernen Aktiengesellschaft wurden gerade zum Zweck der Bewältigung größerer Unternehmungen errichtet, deren Umsetzung höhere Kapitalsummen erforderten, als sie einzelne privilegierte Unternehmerfamilien hätten aufbringen können. Das Kultivieren des Überseehandels lag im staatlichen Interesse und kam letztlich auch den Staatsfinanzen sowie dem Staatsvolk zugute, das von der Verfügbarkeit exotischer Handelswaren auf dem heimischen Markt profitierte. Damit weisen schon die Vorläufer der modernen Aktiengesellschaft eine feststellbare faktische Gemeinwohlbindung auf. 466 Baums, Gesetz über die Aktiengesellschaften für die Königlich Preußischen Staaten vom 9. 11. 1843 in: Neudrucke privatr. Kodifikationen und Entwürfe Bd. 5, S. 54 f.
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gründen. Mit der Einführung des Normativsystems ging der Gemeinwohlgedanke der Aktiengesellschaft bis zu Rathenaus Wiederentdeckung verloren.467 cc) Ein Unternehmens-Ich und sein Interesse Rathenaus visionärer Ansatz von der gemeinwirtschaftlichen (großen) Aktiengesellschaft wird in der Literatur häufiger als „Lehre vom Unternehmen an sich“ bezeichnet.468 Tatsächlich geht die Namensgebung allerdings auf Rathenaus größten Kritiker Fritz Haußmann zurück, der im Schutz des „Unternehmens an sich“ gegenüber der Mehrheit in der Hauptversammlung die zwingende Schlussfolgerung der Ideologie Rathenaus sieht.469 Die beiden Hauptkritikpunkte, auf die Rathenau nicht mehr erwidern konnte,470 beziehen sich auf sein exklusives Vorstellungsbild eines zu etablierenden Wirtschaftssystems und die hieraus der Aktiengesellschaft zugeteilten gemeinwohldienlichen Funktionen, die ihr in der Gegenwart nicht zuzusprechen wären.471 Kritiker sahen in den Veröffentlichungen Rathenaus über die Aktiengesellschaft den Versuch, das „Unternehmen an sich“ von seinen Gesellschaftern zu emanzipieren und mit einer verabsolutierten Verwaltung Minderheiten aus den Entscheidungsprozessen zu verbannen, daneben auch Mehrheiten zugunsten der Verwaltung zu entmachten.472 Bereits vor dem begriffsprägenden Angriff durch Haußmann hatte Lehmann die Arbeit Rathenaus auf den Konflikt zwischen dem Bestreben der Gesellschaft nach größtmöglicher Selbstbestimmung und der Erwartung der Aktionäre reduziert, die 467
Zu den historischen Hintergründen siehe bereits oben unter B.I.2.a). Vgl. Fleischer, Corporate Social Responsibility, AG 2017, 509 (511); Spindler, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel Bd. 1, 2007, 13. Kap. Rn. 77. 469 Wörtlich schreibt Haußmann, Die Aktiengesellschaft als „Unternehmen an sich“, JW 1927, 2953 (2953): „Die Ausführungen von Rathenau in seiner Schrift ,Vom Aktienwesen‘ (…) führen ihn über dies hinaus zum Schutz des Unternehmens an sich gegenüber der Mehrheit in der GenV.“; vgl. hierzu die Untersuchung Riechers, Das „Unternehmen an sich“, 1996, S. 5. 470 Zwischen dem Zeitpunkt der Veröffentlichung von Rathenaus „Vom Aktienwesen“ im Jahr 1917 bis zum Frontalangriff Haußmanns mit „Die Aktiengesellschaft als ,Unternehmen an sich‘“ im Dezember 1927 sind etwas mehr als zehn volle Kalenderjahre vergangen. Walther Rathenau verstarb jedoch bereits am 24. Juni 1922 in Berlin, erschossen von rechtsradikalen Studenten. 471 Vgl. nur Haußmann, Die Aktiengesellschaft als „Unternehmen an sich“, JW 1927, 2953 (2953): „Die Einreihung der großen Aktiengesellschaft (…) in das Ideengebilde der Planwirtschaft ist das letzte Ziel seiner Betrachtung über das Wesen der AktG. und leitet damit seine scheinbar realistisch eingestellte Betrachtungsweite in seine Ideenwelt über.“ Die Unterschiede zwischen der Konzeption Rathenaus und den Schlussfolgerungen Haußmanns noch aus der Zeit erfassend Netter, Zur aktienrechtlichen Theorie des „Unternehmens an sich“ in: FS Pinner, 1932, 507 (545 ff.). 472 Vgl. Nußbaum, Zur neuen Entwicklung der Lehre vom Unternehmen, in: Wirtschaftsrecht, 1931, 492 (501 f.), der gar von einer „Verwaltungsherrschaft“ spricht; ähnlich bereits zuvor Passow, Der Strukturwandel der Aktiengesellschaft im Lichte der Wirtschaftsenquete, 1930, S. 5. 468
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Unternehmensleitung ausschließlich nach ihrem Interesse auszurichten.473 Mit der später als „Lehre vom Unternehmen an sich“ bezeichneten Kritik verfestigten sich neben dem Namen auch planwirtschaftliche Schreckensbilder, gegen die Rathenau nur schwerlich mit seinen Anliegen ankam.474 Die Reduktion der konzeptionellen Ideologie Rathenaus auf die an ihr ausgeübte Kritik führte zur vorrübergehenden Unkenntlichmachung ihrer Errungenschaft.475 Zutreffend wird man den Ausführungen zur gemeinwirtschaftlichen Aktiengesellschaft nach Rathenau auf abstrakter Ebene entgegnen, dass sie die Aktiengesellschaft nicht nur auf der Grundlage tatsächlicher Lebens- sowie Rechtsverhältnisse und nicht aus sich heraus beschreibt. Rathenau mischt seiner Vision offenherzig auch ein Maß an Fiktion bei, soweit er Bezüge zu künftigen Wirtschaftsordnungen herstellt, die in der Form bis heute nicht existieren. Rathenaus Schriften behandeln nicht lediglich das, was war oder ist, sondern das, was sein könnte und veranschaulichen dadurch, welche gesamtökonomische Wirkung die Aktiengesellschaft erzielt, und erlauben daraus resultierende Schlussfolgerungen für die Gegenwart. Die Implementierung unumstößlicher Fakten in eine neue, teilweise fiktive Rechts- und Wirtschaftswelt förderte mit der (Wieder-)Entdeckung der Interessenpluralität in der unternehmerisch tätigen Aktiengesellschaft gleichwohl etwas zutage, dessen Existenz keiner hinzugedachten Parameter bedurfte und bis heute breite Anerkennung findet – wenngleich nicht einheitlich beurteilt wird, inwieweit die Interessendiversität auf das Pflichtengebilde der Verwaltungsorgane moderner Kapitalgesellschaften wirkt.476 Rathenau hat über das formaljuristisch skizzierte Wesen der Aktiengesellschaft hinaus auch die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der großen Kapitalgesellschaften erkannt. Von größerer Bedeutung bleibt jedoch sein Bestreben, die nach allen Seiten verschlossenen Vorstellungen von einer im verfassten Recht liegenden unumstößlichen Wahrheit über die Rechtsform der Aktiengesellschaft zu sprengen. Mit seinen visionären wirtschaftstheoretischen Gedankenspielen konnte das Wesen des gewinnorientiert zweckgebundenen Verbands von Kapitalgebern neu durchdacht und die Aktiengesellschaft als interessenpluralistische Gemeinschaftsform wiederentdeckt werden. Vollkommen frei von den tradierten Gedankenmustern jener Zeit erkannte Rathenau das stereotype Wesen der jedem Rechtsgebiet zugrundeliegenden theoretischen Denkfiguren. Jene gedanklichen Schlüsselkonzepte wirken als ideologische Verfassung hinter der Rechtsdogmatik gedankenführend; einerseits als konturenschaffendes Leitbild, andererseits als 473
Lehmann, Gutachten in: Verhandlungen des 34. Deutschen Juristentages 1926, Bd. 1, 258 (260). 474 Fleischer, Unternehmensinteresse und intérêt social, ZGR 2018, 703 (707), spricht davon, dass Rathenau „diesen Schlagwortschatten vom ,Unternehmen an sich‘ (…) fortan nicht mehr los“ werden konnte. 475 Eingehend Fleischer, Unternehmensinteresse und intérêt social, ZGR 2018, 703 (706 ff.) m. w. N. 476 Vgl. die Rezension von Tecklenburg, ZgS 1917, 539 (541): „R. wollte seine Gedanken vom Kommenden fest im Bestehenden verankern“.
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grenzgebietender Käfig. Rathenaus Arbeit offenbarte und öffnete den ideellen Horizont des Aktienrechts und wirkt heute wie ein Einfallstor für gesellschafts- und wirtschaftspolitische Vorstellungen in das verfasste Gesellschaftsrecht, ohne dabei im Einzelnen die Bedeutung der anerkannten rechtsdogmatischen Grundsätze zu schmälern oder gar infrage stellen zu müssen.477 Inwieweit einem kapitalgesellschaftseigenen Unternehmen unabhängige Eigenständigkeit im Sinne eines freudschen „eigenen Ichs“, zugesprochen werden kann, welchem sich Leitung und Aufsicht des Kapitalverbands in ihren Handlungen zumindest auch widmen dürfen, oder ob etwa ausschließlich die Gesellschafter- bzw. Gesellschaftsinteressen das Handlungs- und Pflichtenprogramm der Verwaltungsorgane diktieren, wird parallel zu den Streitfragen nach der Existenz und dem konkreten Gehalt eines Unternehmensinteresses im Rahmen einer Grundsatzdebatte über das Wesen der Kapitalgesellschaft als interessenmonistischer oder interessenpluralistischer Verband geführt. dd) Interessenmonismus versus Interessenpluralismus Ausgehend von Rathenaus Verständnis vom Wesen der Großunternehmung und der absoluten Unternehmensinteressen sollte sich erst im Laufe der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts ein Paradigmenwechsel im kapitalgesellschaftsrechtlichen Handlungsleitbild für den Vorstand und Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft manifestieren.478 Schon im vorangegangenen Jahrzehnt konnten mit der Gründung von Gewerkschaftsbanken sowie Konsum- und Wohnungsgenossenschaften gemeinwirtschaftliche Ideen realisiert werden,479 wovon jedoch keine Auswirkungen auf das normative Pflichtengebilde der Verwaltungsorgane der Aktiengesellschaft ausgingen.480 Durch die Aktienrechtsreform im Jahre 1937 wurde mit § 70 Abs. 1 AktG 1937 erstmalig eine gemeinwohldienende Unternehmenszielbestimmung in
477
Zum Einfluss der wirtschaftspolitischen Vorstellungen Rathenaus die Gemeinwirtschaft betreffend und insb. auf die Weimarer Reichsverfassung Spindler, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel Bd. 1, 2007, Kap. 13 Rn. 11 ff. 478 Die Relation der Arbeit Rathenaus zu der aktienrechtlichen Reformdiskussion hervorhebend Fleischer, Unternehmensinteresse und intérêt social, ZGR 2018, 703 (708). 479 Spindler, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel Bd. 1, 2007, Kap. 13 Rn. 13. 480 Obschon die Aktiengesellschaft seit jeher gemeinwohldienliche Zwecke mit dem Betrieb eines wirtschaftlichen Unternehmens verfolgen konnte und hiervon nicht ohne weiteres auch auf eine interessenpluralistische Zielkonzeption nach innen, also die kapitalgesellschaftliche Pflichtenbindung im Innenverhältnis betreffend geschlossen werden kann, tauchen in der Diskussion regelmäßig Parallelen zwischen Unternehmenszweck und kapitalgesellschaftlichem Handlungsleitbild auf, was auf die fachgebietsübergreifenden Anschauungen der Zivilgesellschaft zurückzuführen ist, die einem steten Wandel unterliegen und im Sinne der Lehre von der Interessenjurisprudenz auf natürliche Weise Einfluss auf die Gedanken der Rechtstheoretiker zur Auslegung interpretationsoffener Gesetze nehmen, vgl. Heck, Das Problem der Rechtsgewinnung, 1968, S. 17.
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das geschriebene Gesellschaftsrecht aufgenommen.481 Hiernach hatte „der Vorstand (…) unter eigener Verantwortung die Gesellschaft so zu leiten, wie das Wohl des Betriebs und seiner Gefolgschaft und der gemeine Nutzen von Volk und Reich es fordern.“482 Das Reichsjustizministerium hatte seinerzeit die Aufnahme des Gemeinwohlpostulats in die Präambel des AktG v. 1937 als allgemeine Zielbestimmung verhindert und stattdessen eine Verlagerung in § 70 Abs. 1 AktG 1937 erreicht.483 Das aktienrechtliche Handlungsleitbild für Vorstände und Aufsichtsräte sollte nach dem neuen Verständnis nicht länger nur die Wahrung der Interessen der Gesellschafter bedienen. Zwischenzeitlich hatte sich das Bild einer Aktiengesellschaft gefestigt, die als Rechtsgewand ausschließlich die Interessen der Aktionäre vereinigte.484 Fortan sollten daneben auch die Interessen der Öffentlichkeit und später auch der Arbeitnehmer Berücksichtigung finden. Hierin liegt der Anfang für eine Diskussion über die „oberste Handlungsmaxime“, der sich Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder mit Annahme ihrer organschaftlichen Bestellung unterwerfen. In der Zeit des NS-Regimes traten die Gefahren einer unbestimmten Gemeinwohlklausel hervor, die ideologischen Brandstiftern Tür und Tor zur Unternehmensverfassung öffnete und die Verfolgung von Partikularinteressen zum Unternehmensziel erheben konnte.485 Trotz der Kenntnis um die Missbrauchsgefahr, die einer bezugslosen Gemeinwohlklausel inhärent ist, sollte sie zunächst auch in der Nachkriegszeit weiterhin Geltung beanspruchen. Die fehlende Bezugnahme der Gemeinwohlformel auf die Aktionäre als „maßgebliche Interessenträger“486 wird damit teilweise als Beleg für eine nationalsozialistisch idealisierte Wandlung im Aktienrecht verklärt.487 Davon würden jedoch der historische Hintergrund sowie die
481 Das Aktiengesetz von 1937 (RGBl. 1937, S. 107, berichtigt S. 588, 1140) trat mit dem Einführungsgesetz v. 30. 01. 1937 (RGBl. 1937, S. 166) am 01. 10. 1937 in Kraft. 482 Hiermit einhergegangen ist die Stärkung der Rechtsposition des nunmehr in voller Eigenverantwortung handelnden Vorstands, der fortan nicht mehr gegenüber der Hauptversammlung weisungsgebunden sein sollte, vgl. Bayer/Engelke, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel Bd. 1, 2007, Kap. 15 Rn. 63. 483 Damit ist nach der Vorstellung des Reichsjustizministeriums ein Bedeutungsverlust einhergegangen, vgl. Fleischer, Gesetzliche Unternehmenszielbestimmungen im Aktienrecht, ZGR 2017, 411 (413) m. w. N. 484 Vgl. Lehmann, Das Recht der Aktiengesellschaft Bd. 1, 1898, S. 242: „Die Aktiengesellschaft dient regelmässig zur Erreichung rein wirthschaftlicher Zwecke ihrer Mitglieder.“ 485 Eingehende Auseinandersetzung bei Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, 1974, S. 76 ff.; einen gelungenen Abriss aus neuerer Zeit liefert Thiessen, in: Görtemaker/Safferling, Die Rosenburg: Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Vergangenheit, 2. Aufl. 2013, S. 204 (236 ff.). 486 Fleischer, Gesetzliche Unternehmenszielbestimmungen im Aktienrecht, ZGR 2017, 411 (413); ders., Unternehmensinteresse und intérêt social, ZGR 2018, 703 (708). 487 In erster Linie fußt die Argumentation auf der Übereinstimmung der Gemeinwohlklausel mit dem parteipolitischen Grundsatz der NSDAP „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“, vgl. Mertens, Das Aktiengesetz von 1937, ZNR 2007, 88 (92 ff.); Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, 1974, S. 76 ff.; aus zeitgenössischer Sicht Danielcik, AktG
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ideelle Herkunft der Gemeinwohlbindung gewinnorientierter Kapitalgesellschaften zu Unrecht in den Hintergrund gerückt. Die Verknüpfung des aktienrechtlichen Pflichtenprogramms von Vorstand und Aufsichtsrat mit einer gemeinwohldienlichen Funktion lässt sich vielmehr als eine länger währende und von gemeinnützigen Gedanken beeinflusste Überlegung darstellen, wie sie gerade dem erklärten Feindbild des Nationalsozialismus entsprungen ist, namentlich der Forderung nach einer Anerkennung und Gewährleistung pluralistischer Muster innerhalb einer Gemeinschaft im Gegensatz zur totalitären Erhebung von einem Teil der Mitglieder in eine höherwertige Klasse zum Nachteil der Übrigen.488 In der jüngeren Nachkriegszeit wurde die aktienrechtliche Pflichtenbindung an das Gemeinwohl sodann auch als natürlicher Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft verstanden,489 was im Kern dem Anliegen Rathenaus entspricht und damit wieder an den Ursprung der Idee eines gesellschaftsrechtlichen Gemeinwohlstrebens anknüpfte. Trotz der umstrittenen490 Löschung der Leitungsformel aus § 70 Abs. 1 AktG 1937 durch die Reform des Aktienrechts von 1965 und der Einführung des § 76 Abs. 1 AktG 1965, wonach der Vorstand die Gesellschaft „unter eigener Verantwortung“491 zu leiten hat, soll die mit dem Gemeinwohlpostulat einhergehende interessenpluralistische Zielkonzeption des § 70 Abs. 1 AktG 1937 nach einem überwiegenden Meinungsstand in der Literatur weiterhin Geltung beanspruchen.492,493 Vereinzelt wird dies damit begründet, der Gesetzgeber habe durch die 1937, § 70 Rn. 6; vgl. auch Westermann, Die Verantwortung des Vorstandes der Aktiengesellschaft, in: FS Vits, 1963, 251 (252). 488 In diesem Sinne wurde die geistige Kontinuität der Gemeinwohlklausel auch zuvor bereits erkannt, vgl. Riechers, Das „Unternehmen an sich“, 1996, S. 166 f. Auch Ernst Gessler, als Referatsleiter im Reichsjustizministerium an der Aktienrechtsnovelle von 1937 beteiligt, verknüpfte mit der neuen Gemeinwohlklausel eine „sozialpolitische“ sowie eine „wirtschaftspolitische“ Forderung, Gessler, Vorstand und Aufsichtsrat im neuen Aktiengesetz, JW 1937, 497 (498). Weiterhin spricht die Fortgeltung der Gemeinwohlklausel über die nationalsozialistische Herrschaft hinaus gerade in Ansehung der Arbeit der alliierten Kontrollbehörde zur Reform des deutschen Rechts gegen eine nationalsozialistische Prägung, nach Bayer/ Engelke, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel Bd. 1, 2007, Kap. 15 Rn. 122. 489 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 76 Rn. 22 m. w. N. 490 Die Lebhaftigkeit der Diskussion um den Verzicht auf eine Gemeinwohlklausel aus der Zeit darstellend Rittner, Zur Verantwortlichkeit des Vorstands nach § 76 Abs. 1 AktG 1965, in: FS Gessler, 1971, 139 (142 ff.); rückblickend Schmidt-Leithoff, Die Verantwortung der Unternehmensleitung, 1989, S. 31 ff. 491 Zu den historischen Hintergründen des aktienrechtlichen Führerprinzips Schnorr, Historie und Recht des Aufsichtsrats, 2002, S. 85 ff. 492 Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 76 Rn. 28, 30 f.; Fleischer, Gesetzliche Unternehmenszielbestimmungen im Aktienrecht, ZGR 2017, 411 (415). 493 Die Diskussion um die Fortgeltung einer Gemeinwohlklausel wird auch unabhängig von der Diskussion über die Anerkennung eines interessenpluralen Handlungsleitbildes für Vorstand und Aufsichtsrat geführt. Gegen die Annahme der Fortgeltung einer Gemeinwohlklausel im Aktienrecht trotz Anerkennung der interessenpluralen Verpflichtung von Vorstand und Aufsichtsrat Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 76 Rn. 64 f., wonach eine Gemeinwohlklausel allenfalls im Unternehmensverfassungsrecht Platz finden
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Neuregelung keine materiell-rechtliche Änderung herbeiführen wollen,494 nach anderer Auffassung fungiert die Sozialpflichtigkeit des Eigentums als Einfallstor der Nichtaktionärsinteressen in den gesellschaftsrechtlichen Pflichtenpool von Vorstand und Aufsichtsrat,495 bzw. treten die zuletzt genannten Interessen durch die Pflicht der Verwaltung zur Berücksichtigung des Unternehmensinteresses durch die Hintertür neben die Aktionärsinteressen und erweitern den Interessenkreis, zu dessen Beachtung und Harmonisierung Leitungs- und Aufsichtsorgane der Kapitalgesellschaft verpflichtet sein sollen.496 Die Figur des Unternehmensinteresses soll nach überwiegender Auffassung als oberste Leitmaxime jedes organschaftliche Verwaltungshandeln lenkend beeinflussen und synonym für die im Rahmen von Ermessensentscheidungen der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder in Ausgleich zu bringende Meinungsvielfalt innerhalb der unternehmerisch tätigen Kapitalgesellschaft stehen.497 Damit wird das Unternehmensinteresse zentrales Instrument einer interessenpluralistisch verpflichteten Verwaltung und verlangt konkret die Gegenüberstellung der Ansicht vom Unternehmen aus dem Blickwinkel der Gesellschafter, Arbeitnehmer, Gläubiger und der Öffentlichkeit.498 Die konkrete Ausgestaltung des Unternehmensinteresses folgt durch die Würdigung aller berechtigten Belange im Rahmen eines Abwägungsprozesses unter Bewahrung der unternehmerischen Freiheit von Vorstand und Aufsichtsrat, allerdings innerhalb der Grenzen einer langfristigen Bestandssicherung im Sinne nachhaltig rentablen Wirtschaftens. Die inhaltliche Einfassung des Unternehmensinteresses in ein interessenpluralistisch verpflichtendes Handlungsprokönnte, indem eine Allgemeinverpflichtung unabhängig von der konkreten Rechtsform jede Unternehmung adressieren sollte. 494 Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 76 Rn. 30; Kort, Vorstandshandeln im Spannungsverhältnis zwischen Unternehmensinteresse und Aktionärsinteressen, AG 2012, 605 (606); OLG Frankfurt, Urt. v. 17. 08. 2011 – 13 U 100/10, AG 2011, 918 (919 f.); a. A. Mülbert, Soziale Verantwortung von Unternehmen im Gesellschaftsrecht, AG 2009, 766 (770 f.) m. w. N. 495 Raiser, Recht der Kapitalgesellschaften, 2. Aufl. 1992, S. 90; ders., Unternehmensziele und Unternehmensbegriff, ZHR 1980, 206 (224 f.); mit Verweis auf die Regeln zur Unternehmensmitbestimmung Ballerstedt, Das Mitbestimmungsgesetz zwischen Gesellschafts-, Arbeits- und Unternehmensrecht, ZGR 1977, 133 (136); Schilling, Das Aktienunternehmen, ZHR 1980, 136 (138 f.). 496 Der Aufsichtsrat ist grundsätzlich nicht befugt unternehmerisch zu handeln, überwacht allerdings die interessengerechte Arbeit des Vorstands und ist in seiner Aufsichtsfunktion denselben aktienrechtlichen Handlungsleitbildern unterworfen wie das originäre Leitungsorgan, vgl. Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, Vorb. § 76 Rn. 55. 497 Vgl. Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 76 Rn. 24, nach dem das Unternehmensinteresse „dogmatischer Bezugspunkt“ einer „kaum mehr zu entwirrenden Meinungsvielfalt“ ist; ausführlich Krämer, Das Unternehmensinteresse als Verhaltensmaxime der Leitungsorgane einer Aktiengesellschaft im Rahmen der Organhaftung, 2002, S. 27 ff. 498 Teilweise wird das Unternehmensinteresse in der Sache als rein materielle Konzeption verstanden, verbreiteter ist die Auffassung, wonach das Unternehmensinteresse inhaltliche und prozedurale Aspekte verbindet, vgl. Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 76 Rn. 67 m. w. N.; Krämer, Das Unternehmensinteresse als Verhaltensmaxime der Leitungsorgane einer Aktiengesellschaft im Rahmen der Organhaftung, 2002, S. 27.
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gramm für Leitung und Aufsicht kann auch unter der Bezeichnung StakeholderValue geführt werden.499 Der Begriff wurde aus der Ökonomie übernommen und steht dort für eine in der Management-Theorie entwickelte Systematik zur Unternehmensführung, die sich den Interessen aller an einer wirtschaftlichen Unternehmung beteiligten Anspruchsgruppen öffnen muss.500 Darunter fallen die Interessen der Eigen- sowie Fremdkapitalgeber, Arbeitnehmer, Kunden, Gläubiger, allgemeinen Öffentlichkeit und sogar eigene Verwaltungsinteressen,501 wobei die zuletzt genannten Verwaltungsinteressen in der rechtswissenschaftlichen Literatur keine eigenständige Anerkennung erfahren. Ein allgemeiner Konsens über ein einheitliches Verständnis vom Unternehmensinteresse ist trotz einer Flut an rechtswissenschaftlicher Literatur zu diesem Thema auch nach über vierzigjähriger Diskussion bis heute nicht feststellbar.502 Das Meinungsspektrum in der rechtswissenschaftlichen Literatur spannt einen weiten Bogen zwischen im Detail widersprüchlichen Ansichten zur Funktion und zum Inhalt des Unternehmensinteresses und umfasst neben der bereits erläuterten vorherrschenden Ansicht im Grunde zwei weitere Modelle.503 Eine unmittelbar an Rathenaus Idee vom Unternehmen anknüpfende Ansicht wollte das Unternehmensinteresse als ein von den Unternehmensbeteiligten unabhängiges Interesse des Unternehmens im Sinne eines eigenständigen Rechtssubjekts verstehen, das den eigenen Fortbestand zum Gegenstand hat. Das konstruierte Unabhängigkeitsstreben der juristischen Person im Sinne eines subjektivierten Selbsterhaltungstriebs sollte nach einer Unteransicht über die Abwägung gegenläufiger Interessen von Shareholdern und Stakeholdern entscheiden504, oder nach 499 Teilweise wird der Begriff vom Unternehmensinteresse im Sinne des Stakeholder-Value verwendet, an anderer Stelle wird das Unternehmensinteresse als Leerformel genutzt, die erst durch die Anwendung eines in Rede stehenden Handlungsleitbilds definiert wird. Für diese Untersuchung wird das Unternehmensinteresse nachfolgend als Systembestandteil eigener Art interpretiert. 500 Erste Ansätze von Rappaport, Creating Shareholder Value, 1986, 1; Interpretationen aus heutiger Sicht bei Bea/Haas, Strategisches Management, 10. Aufl. 2019, 82 ff.; Wöhe/Döring/ Brösel, Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 27. Aufl. 2021, S. 64 f. 501 Aufzählung nach Wöhe/Döring/Brösel, Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 27. Aufl. 2020, S. 64 f. 502 Die immense Masse an juristischen Beiträgen zum Unternehmensinteresse bis in die heutige Zeit wirkt erdrückend, vgl. auch Fendt, Der Aufsichtsrat in der Mitverantwortung einer interessenpluralistischen Formalzielbestimmung, AG 2017, 99 (99), der von „über 40 Jahren abstrakter und ermüdender Theoriedebatten über die oberste Handlungsmaxime von kapitalmarktorientierten Aktiengesellschaften“ abgekämpft zu sein scheint. 503 Einen konsistenten Überblick verschafft Mülbert, Shareholder Value aus rechtlicher Sicht, ZGR 1997, 129 (142 f.), der allerdings vier Modelle unterscheidet. 504 Teilweise wurde das Institut des Unternehmensinteresses zugunsten einer Individualisierung der juristischen Person und vollständigen Trennung ihrer Interessen von denen ihrer Gesellschafter verabsolutierend interpretiert, vgl. Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 1/2, Die juristische Person, 1983, S. 59; Mertens/Cahn, in: KK AktG Bd. 2/1, 3. Aufl. 2010, § 76 AktG Rn. 9 f. u. 15 ff.
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
anderer Auffassung zumindest als eigenständiger Gesichtspunkt in die Gesamtabwägung neben die Stakeholder-Interessen treten505. Eine derartige Verselbstständigung des Unternehmens und dessen Emanzipation vom Kapitalverband konnte sich nicht durchsetzen.506 Nach einer dritten Ansicht vom aktienrechtlichen Abbild des Interessenpluralismus soll das Unternehmensinteresse schlicht prozedurale Funktionen verkörpern, mithin die Verwaltung der Aktiengesellschaft zur prozessgesteuerten Integration verpflichten.507 Hinsichtlich des konkreten Gehalts des Unternehmensinteresses wird weiter darüber spekuliert, innerhalb welcher Grenzen der Vorstand im Rahmen seines Leitungsermessens aus § 76 Abs. 1 AktG selbst zur Konkretisierung des unbestimmten Unternehmensinteresses berufen ist, soweit keine vorrangig zu berücksichtigenden Unternehmensleitlinien existieren.508 Zumindest einem von den vereinigten Aktionärsinteressen als Verbandszweck losgelösten Ermessensspielraum wird jedoch insoweit widersprochen, als dass dem Vorstand hierdurch ein Entlastungstatbestand mit unbeschränkter Reichweite geschaffen würde, solange das Unternehmensinteresse bezugs- oder schrankenlos bliebe.509 Damit wird nicht nur über die Bedeutung des Unternehmensinteresses in einer interessenpluralistischen Umwelt verhandelt, sondern darüber hinaus über Systemfragen diskutiert, die sich neben dem Verhältnis zwischen den zu berücksichtigenden Belangen auch mit dem Verfahren zur Umsetzung der Zielvorstellung von dem Einfluss der StakeholderInteressen auf Leitungsentscheidungen auseinandersetzen. Soll das Unternehmensinteresse mit alledem als eigenständige Leitmaxime für den Vorstand und Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft verstanden werden, ist dieser als Mindestgehalt nicht mehr als das Verbot zu entnehmen, Stakeholder-Interessen im Rahmen von Organhandlungen strukturell unberücksichtigt zu lassen, bzw. kann hieraus die organschaftliche Pflicht gelesen werden, die zuletzt genannten Interessen mitsamt dem Gesellschaftsinteresse in Abwägungsprozesse aufzunehmen.510 505 Raiser, Recht der Kapitalgesellschaften, 2. Aufl. 1992, S. 89 f.; in der Tendenz auch Würdinger, Aktienrecht, 4. Aufl. 1981, S. 123. 506 Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 76 Rn. 67. 507 Reuter, Der Einfluß der Mitbestimmung auf das Gesellschafts- und Arbeitsrecht, AcP 1979, 509 (519 f.), nach dem das Unternehmensinteresse letztlich das Resultat eines Verfahrens sein muss; Brinkmann, Unternehmensziele im Aktienrecht, AG 1982, S. 122 (128); ders., Unternehmensinteresse und Unternehmensrechtsstruktur, 1983, S. 223 ff. 508 Vgl. u. a. Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 76 Rn. 67 m. w. N. 509 Spindler, Corporate Social Responsibility in der AG, in: FS P. Hommelhoff, 2012, 1133 (1139), der von einer „carte blanche“ spricht; ders., in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 76 Rn. 68, wonach die Gefahr bestünde, dass der Vorstand eine bezugslose Konzeption des Unternehmensinteresses als „carte blanche“ missbrauchen könnte. 510 Mit Hinweis auf den faktisch fehlenden Wert dieser Erkenntnis aus Sicht der Stakeholder, welchen keine Möglichkeit zur aktiven Durchsetzung ihrer Berücksichtigung offensteht, indem Vorstand und Aufsichtsrat nur gegenüber der Gesellschaft zur Berücksichtigung des interessenpluralen Unternehmensinteresses verpflichtet sind Fleischer, Gesetzliche Unternehmenszielbestimmungen im Aktienrecht, ZGR 2017, 411 (423 f.).
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Weitere Versuche einer Erfassung des Unternehmensinteresses durch die Rückbesinnung auf den sozialistischen Gehalt des Gemeinwohlgedankens gelten heute allgemein als überholt. Die bereits umschriebene Bedeutung der Wirtschaftsunternehmung für die Allgemeinheit, die nunmehr unter dem Schlagwort der Sozialbindung aufgegriffen wird, steht in enger Verbindung mit dem Unternehmensinteresse,511 vermag dieses jedoch nicht inhaltlich auszufüllen. Ungeachtet der Frage nach dem Fortbestehen einer gesellschaftsrechtlichen Gemeinwohlklausel folgt die Sozialpflichtigkeit der Kapitalgesellschaft als Inhaberin eines erwerbswirtschaftlichen Unternehmens schon aus den in Art. 14 Abs. 2 GG normierten Inhalts- und Schrankenbestimmungen der Eigentumsfreiheit nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG, ohne dass hierdurch dem Vorstand oder Aufsichtsrat ein Handlungsleitbild aufgegeben wird.512 Die soziale Verantwortung kapitalgesellschaftsrechtlichen Organhandelns (corporate social responsibility, abgk. CSR) als Abwägungskriterium und Unterfall des Unternehmensinteresses wird heute vorwiegend im europäischen Regulierungsrahmen der sog. CSR-Richtlinie513 behandelt.514 Daneben greifen die Grundsätze des CSR Verhaltenspflichten auf, die bislang aus allgemeinen Sorgfalts- und Haftungsmaßstäben hergeleitet worden sind.515 Rückschlüsse aus der Sozialbindung auf den Inhalt des Unternehmensinteresses sind obgleich punktueller Gemeinsamkeiten ihrer ideellen Herkunft ausgeschlossen. Auch aus den Regeln zur Unternehmensmitbestimmung, die selbst einem Gemeinwohlgedanken folgen und damit Ausfluss der Sozialpflichtigkeit von Gesellschaftseigentum sind, kann keine Erkenntnis zum Unternehmensinteresse als Handlungsmaxime für Vorstand und Aufsichtsrat gewonnen werden.516 Der Entscheidung des Gesetzgebers, Arbeitnehmern mitbestimmter Gesellschaften Teilha511
Vgl. Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 76 Rn. 67, wonach das Unternehmensinteresse erst in den Kontext der Sozialbindung einzuordnen ist und eine Konkretisierung der Sozialgebundenheit aktienrechtlicher Verantwortung darstellt. 512 Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 76 Rn. 66 m. V. a. BVerfG, Urt. v. 07. 08. 1962 – 1 BvL 16/60 („Feldmühle“), BVerfGE 14, 263 (282); BVerfG, Urt. v. 01. 03. 1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 („Mitbestimmung“), BVerfGE 50, 290 (315 f.); a. A. Weber, in: Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl. 2022, § 76 Rn. 21; Mülbert, Soziale Verantwortung von Unternehmen im Gesellschaftsrecht, AG 2009, 766 (769 f.); ohne weitere Begründung Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 76 Rn. 32. 513 RL 2014/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. 10. 2014 zur Änderung der Richtlinie 2013/34/EU im Hinblick auf die Angabe nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Unternehmen und Gruppen, ABl. 2014 L 330, S. 1. 514 Kompakt zusammengefasst Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 76 Rn. 35 ff. m. w. N. 515 Vgl. Fleischer, Corporate Social Responsibility, AG 2017, 509 (514 f.). 516 Vgl. hierzu bereits Rittner, Zur Verantwortlichkeit des Vorstands nach § 76 Abs. 1 AktG 1965, in: FS Gessler, 1971, 139 (149); Westermann, Die Verantwortung des Vorstandes der Aktiengesellschaft, in: FS Vits, 1963, 251 (264 f.), mit einer Betrachtung der Rechtslage nach § 70 Abs. 1 AktG v. 1937 und zur Unvollständigkeit der Gemeinwohlklausel.
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berechte zu gewähren, hängt keine Verpflichtung des Vorstands an, Nichtgesellschafterinteressen im Rahmen von Leitungsentscheidungen zu berücksichtigen.517 Das wird nicht zuletzt an den Beschränkungen des Anwendungsbereichs der Mitbestimmungsgesetze deutlich, die einem Rückschluss auf einen allgemeingültigen Grundsatz im Sinne einer interessenpluralistischen Verpflichtung der Leitungsorgane aller Aktiengesellschaften entgegensteht.518 Auch nach ihrem Sinn und Zweck, Arbeitnehmern im Verband einen begrenzten Einfluss auf Leitungsentscheidungen und insbesondere die Möglichkeit zu gewähren, über die Teilhabe im Aufsichtsorgan den eigenen Interessen Gehör zu verschaffen, berühren die Mitbestimmungsregelungen nicht die grundlegenden kapitalgesellschaftsrechtlichen Leitbilder für die Leitungs- und Aufsichtsorgane aller Kapitalgesellschaften.519 Daneben steht die Sozialbindung von Kapitalgesellschaftseigentum in keiner direkten Beziehung zur aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht, deren konkretes Wesen nicht zuletzt davon abhängig gemacht wird, ob die grundlegenden Handlungsmaximen des Kapitalgesellschaftsrechts einem interessenmonistischen oder interessenpluralistischen Leitbild folgen. Der überwiegenden Ansicht in der Literatur folgend erkennt auch die Rechtsprechung die Bedeutung von Nichtaktionärsinteressen für das aktienrechtliche Pflichtenprogramm von Vorstand und Aufsichtsrat an. Dementsprechend hat das Unternehmensinteresse als Rechtsfigur durch das „Bayer-Urteil“ des Bundesgerichtshofs im Jahr 1975 Anerkennung gefunden.520 Das Gericht bezog in der Urteilsbegründung zu Inhalt und Tragweite der aktienrechtlichen Schweigepflicht des Aufsichtsrats insbesondere auch zu der Frage Stellung, inwiefern die Interessen der am Unternehmen beteiligten Nichtgesellschafter auf das Pflichtenprogramm des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft wirken. Die darauf bezogenen Ausführungen des Gerichts zum Unternehmensinteresse, das „sich vielfach, aber nicht immer, mit den Interessen der im Aufsichtsrat repräsentierten Gruppen decken wird“521, worauf sich später ohne weitere Erläuterungen auch das Bundesverfassungsgericht bezog,522 skizzierten jedoch ein kaum konturiertes Leitbild für das Aufsichtsratshandeln. Gleichwohl trägt die höchstrichterliche Anerkennung der Interessenpluralität in der
517 Nach Mülbert, Soziale Verantwortung von Unternehmen im Gesellschaftsrecht, AG 2009, 766 (771). 518 Nach Mülbert, Soziale Verantwortung von Unternehmen im Gesellschaftsrecht, AG 2009, 766 (772). 519 Nach Mülbert, Soziale Verantwortung von Unternehmen im Gesellschaftsrecht, AG 2009, 766 (771). 520 BGH, Urt. v. 05. 06. 1975 („Bayer“) – II ZR 156/73, NJW 1975, 1412 (1413). 521 BGH, Urt. v. 05. 06. 1975 („Bayer“) – II ZR 156/73, NJW 1975, 1412 (1413). 522 BVerfG, Urt. v. 01. 03. 1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78, 1 BvL 21/78, NJW 1979, 699 (703); den Einfluss der Eigentumsfreiheit nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG auf das Aktienrecht hervorhebend bereits BVerfG, Urt. v. 07. 08. 1962 – 1 BvL 16/60 („Feldmühle“), BVerfGE 14, 263 (269 ff.); NJW 1962, 1667 (1667 ff).
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kapitalmarktorientierten523 Kapitalgesellschaft bis heute einen Diskurs über Inhalt und Systematik des Unternehmensinteresses sowie seine Stellung im Recht der Kapitalgesellschaften, wobei das Unternehmensinteresse als moralisches Bindeglied zwischen dem Verband der Gesellschafter und dem Unternehmen zeitweise in einer zunehmend trüberen Grauzone versank. Klarheit hat insoweit auch die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 17. 08. 2011524 nicht verschafft, wonach der Vorstand im Unternehmensinteresse auch entgegen den Interessen eines (Haupt-) Aktionärs einer Aktiengesellschaft handeln durfte.525 Hiermit im Einklang steht auch die Aufgabe der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Rechenschaftspflicht des Vorstands gegenüber den Aktionären auf Grundlage des § 666 BGB.526 Der Vorstand ist nach der allgemeinen innerverbandlichen Haftungsordnung des Aktienrechts nicht dem Interesse einzelner Aktionäre, sondern dem Kapitalverband und seinem Interesse verpflichtet, was sich insbesondere aus § 93 Abs. 2 AktG ergibt.527 Welche konkreten Anforderungen das Unternehmensinteresse an die obersten Verwaltungsorgane der Kapitalgesellschaft stellt, lässt sich aufgrund der zahlreichen und in vielen Punkten uneinheitlichen Meinungen nicht feststellen. Die Suche nach der definierbaren Gestalt des Unternehmensinteresses erweist sich als echte Sisyphusarbeit528. Nach den traditionellen Gegenvorschlägen zur interessenpluralistischen Zielkonzeption der zahlenmäßig überwiegenden Meinungsgruppe in der rechtswissenschaftlichen Literatur soll das individuelle Aktionärswohl bzw. das Verbands- oder Gesellschaftsinteresse – bei erwerbswirtschaftlich tätigen Kapitalgesellschaften entspricht das regelmäßig den gewinnorientierten Mitgliederinteressen529 – die priorisierte530, wenn nicht sogar alleinige531 Zielvorgabe für das Ver-
523 In den Theoriedebatten zum Unternehmensinteresse wird nicht einheitlich zwischen kapitalmarktorientierten Kapitalgesellschaften i. S. d. § 2 Abs. 11 WpHG und sonstigen Kapitalgesellschaften unterschieden. Die zitierte BGH-Entscheidung wird regelmäßig für die Anerkennung des interessenpluralistischen Konzepts angeführt, wenngleich sie sich lediglich auf die kapitalmarktorientierte Aktiengesellschaft bezieht. 524 OLG Frankfurt, Urt. v. 17. 08. 2011 – 13 U 100/10, AG 2011, 918 (919 f.). 525 Kritische Anm. bei Kort, Vorstandshandeln im Spannungsverhältnis zwischen Unternehmensinteresse und Aktionärsinteressen, AG 2012, 605 (606 f.). 526 BGH, Urt. v. 30. 03. 1967 – II ZR 245/63, NJW 1967, 1462 (1463). 527 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 93 Rn. 118. 528 Redewendung, die auf eine Erzählung aus der griechischen Mythologie zurückgeht und eine Arbeit beschreibt, die niemals zum Erfolg führt und damit eine für die Ewigkeit sinnlose Anstrengung bleibt. Sísyphos, Sohn des Aiolos und König zu Korinth, soll von den Göttern zur Strafe aufgetragen worden sein, einen Felsbrocken auf den Gipfel eines Berges heraufzuwälzen; kurz vor dem Erreichen der Bergspitze rollte der Stein bei jedem Versuch wieder herab ins Tal und Sísyphos musste von Neuem beginnen, Hotz, Duden – Berühmte Zitate und Redewendungen, 2013, S. 166. 529 Gesellschaftsinteresse im Sinne eines langfristigen Rentabilitätsziels, Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 76 Rn. 76; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, 1963, S. 23 ff.; Grigoleit, in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl. 2020, § 76 Rn. 14.
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waltungshandeln darstellen.532 In der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur wird hierunter ein nachhaltiges Wertsteigerungsmanagement im Sinne einer den Unternehmensmarktwert steigernden Unternehmensführung verstanden (ShareholderValue)533, wobei sich der Unternehmenswert nach dem Eigenkapital bemisst.534 In der rechtswissenschaftlichen Literatur hat sich der Shareholder-Value-Ansatz zum interessenmonistisch auf die Kapitalinteressen beschränkten Handlungsleitbild für Leitungs- und Aufsichtsorgane entwickelt.535 Ob sich die zu bevorzugenden Shareholder-Interessen nur auf den Idealtyp eines Aktionärs im Sinne der finanzökonomischen Portfoliotheorie536 nach Markowitz beziehen oder das Verbandsinteresse als zusammengeführte Zielvorstellung aller Verbandsmitglieder den Nichtgesellschafterinteressen gegenübergestellt wird, bleibt letztlich ohne Bedeutung. Belange der Allgemeinheit, Gläubiger, Arbeitnehmer, Kunden oder der Öffentlichkeit tragen für die Führungsorgane der Aktiengesellschaft jedenfalls keinen zwingenden Einfluss auf konkrete Organhandlungen, wenn nicht Vorschriften außerhalb des Aktienrechts die Wahrung von Stakeholder-Interessen gebieten.537 Interessen des „Unternehmens an sich“ beziehungsweise Eigeninteressen der Verwaltung dürfen in Entscheidungsprozessen nicht in Konkurrenz zu den Gesell530 Moderne Interpretationen des Shareholder-Value-Ansatzes erkennen das interessenpluralistische Wesen der Wirtschaftsunternehmung an, räumen den Gesellschafterinteressen jedoch den Vorrang vor sonstigen Interessen ein, vgl. Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 76 Rn. 37 ff.; Weber, in: Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl. 2022, § 76 Rn. 22. 531 Vgl. Reiner, Shareholder Value und Nachhaltigkeit: Zur obersten Leitungsmaxime des Vorstands, ZVglRWiss 2011, 443 (473 u. 475); Mülbert, Marktwertmaximierung als Unternehmensziel der Aktiengesellschaft, in: FS Röhricht, 2005, 421 (427) erhebt die langfristige Unternehmenswertsteigerung zum ungeschriebenen Unternehmensziel und damit zur obersten Unternehmensderogative, die sowohl im Anlegerinteresse liegt und indirekt auch StakeholderInteressen speist; ders., Soziale Verantwortung von Unternehmen im Gesellschaftsrecht, AG 2009, 766 (772), spricht der Figur des Unternehmensinteresses die rechtliche Legitimation ab und sieht in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG die Pflicht des Vorstands, sein „Handeln zum Wohle der Gesellschaft (…) zur langfristigen Ertragsstärkung und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens“ im Sinne des Gesellschaftsinteresses auszurichten; in diese Richtung auch Seibt, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2020, § 76 Rn. 40; das Unternehmensinteresse leugnend Wiethölter, Interessen und Organisation der Aktiengesellschaft im amerikanischen und deutschen Recht, 1961, S. 137. 532 Vgl. auch Hopt/Roth, in: Hirte/Mülbert/Roth, Großkomm AktG, Bd. 5, 5. Aufl. 2019, § 111 Rn. 79. 533 Begriffsprägend Rappaport, Creating Shareholder Value, 1986, im Jahr 1995 in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Shareholder Value“ erschienen. 534 Aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive Pohl, in: Höfner, Wertsteigerungsmanagement, 1994, S. 59. 535 Zur Transkription des Shareholder-Value-Konzepts in das deutsche Aktienrecht s. Groh, Shareholder Value und Aktienrecht, DB 2000, 2153 (2157 f.). 536 Historisches Standardwerk zur Portfoliotheorie nach Markowitz wiedergegeben bei Elton/Gruber/Brown/Goetzmann, Modern Portfolio Theory and Investment Analysis, 7. Ed. 2007, S. 41 ff.; in deutscher Sprache zusammenfassend Mülbert, Shareholder Value aus rechtlicher Sicht, ZGR 1997, 129 (134 f.). 537 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 76 Rn. 38.
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schafterinteressen treten.538 Ein langfristiger Unternehmenswertzuwachs ist in der freien Marktwirtschaft nur durch eine anhaltende Stärkung und Sicherung der Position des Unternehmens am Markt im Vergleich zu den Mitbewerbern zu erreichen, wodurch das Überleben des Unternehmens gesichert wird, Gläubigerforderungen bedient werden können und auch Arbeitsplätze langfristig erhalten bleiben.539 Ein nachhaltig unternehmenswertorientiertes Handeln liegt damit erkennbar oftmals auch im Interesse der am Unternehmen beteiligten Nichtgesellschafter. Andererseits kann ein Leitungshandeln nach dem Shareholder-Value-Gedanken längerfristig auch gemeinwohlschädliche Folgen haben. Indem beispielsweise Investitionsentscheidungen rein rechnerisch nach der zu erwartenden Rendite, gemessen an den durchschnittlichen Eigenkapitalkosten des Gesamtunternehmens, getroffen werden, können rein Gesellschafterinteressen orientierte Leitungsentscheidungen insbesondere in rezessiven Wirtschaftsphasen zu einer Stagnation der volkswirtschaftlichen Innovationskraft führen, wodurch die inländische Ökonomie und dadurch auch der Arbeitsmarkt mittelfristig belastet und nicht zuletzt die Arbeitsplätze im jeweiligen Unternehmen langfristig gefährdet würden. Eine rein ökonomieorientierte Ausrichtung des Handelns der obersten Verwaltungsorgane am Interesse der Aktionäre stößt daneben noch nicht einmal in der betriebswirtschaftlichen Fachliteratur auf ein ungeteiltes Echo.540 Nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass jeder gestrichene Arbeitsplatz einen Verlust von Humankapital und damit auch den Verlust von Unternehmenswerten bedingt. In unterschiedlichen Stufen zwischen dem Shareholder- und Stakeholder-Value werden systematische Zusammenhänge konstruiert und prozedurale Aspekte einbezogen541 oder ausgeschlossen542, mitunter das interessenpluralistisch interpretierte Unternehmensinteresse in den vom Verbandszweck als Formalziel vorgegeben Rahmen eingelassen, welcher regelmäßig in einer (langfristigen) Gewinnmaximierung liegt und die oberste Prärogative für die Verwaltungsorgane der erwerbs538 Nach Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 76 Rn. 36 ist das Unternehmen „selbst“ bereits kein geeigneter Interessenträger und eine Emanzipation des Unternehmens von der Gesellschaft abzulehnen; a. A. Birke, Das Formalziel der Aktiengesellschaft, 2005, 139 ff.; Zöllner, Unternehmensinnenrecht, AG 2003, 2 (5 ff.). 539 So auch Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 76 Rn. 37; vgl. auch Mülbert, Marktwertmaximierung als Unternehmensziel der Aktiengesellschaft, in: FS Röhricht, 2005, 421 (424 ff.): „Maximierung des Marktwerts im Anlegerinteresse als Unternehmensziel“. 540 Einen guten Überblick zur Kritik der Ökonomik am Shareholder Value-Ansatz verschafft Janisch, Das strategische Anspruchsgruppenmanagement, 1992, S. 94 ff. 541 Vgl. die prozeduralen Überlegungen des OLG Düsseldorf, Urt. v. 22. 06. 1995 – AZ 6 U 104/94, AG 1995, 416 (418 f.), zur Berücksichtigung maßgeblicher Interessen durch den Aufsichtsrat; dazu Dreher, Das Ermessen des Aufsichtsrats, ZHR 1994, 614 (616 f.); ders., Das unternehmerische Ermessen des Aufsichtsrats, ZIP 1995, 628 (628 f.); Fischer, Der Entscheidungsspielraum des Aufsichtsrats, BB 1996, 225 (227 f.). 542 Nach Grossmann, Unternehmensziele im Aktienrecht, 1980, S. 61 ff., kann kein Handlungsleitbild zielführende Ergebnisse liefern, weshalb eine auf den Unternehmensgegenstand bezogene sorgfältige Ermessensausübung die alleinige Maßvorgabe darstellen könne.
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wirtschaftlichen (normtypischen) Kapitalgesellschaft darstellt.543 Aufwind bekam der Shareholder-Value-Ansatz zuletzt zu Beginn der 2000er Jahre mit Einführung erleichterter Bestimmungen zur Gewährung von Aktienoptionen und dem Rückerwerb eigener Aktien durch das KonTraG544. Als Instrumente zur Marktwertmaximierung erkannt, wurde hieraus von Teilen der Literatur der Rückschluss auf eine vom Gesetzgeber gewollte vorrangige Wertigkeit von Aktionärsinteressen geschlossen.545 Ganz überwiegend wird die Vorrangstellung der Aktionärsinteressen im Sinne des traditionellen Shareholder-Value-Ansatzes heute jedoch abgelehnt.546 Nach einer modernen Interpretation, die dem herkömmlichen (streng interessenmonistischen) Shareholder-Value-Ansatz in zentralen Punkten widerspricht und die zunehmend Anerkennung gewinnt547, sollen (langfristige) Aktionärsinteressen (Gewinn- oder Rentabilitätsmaximierung) den Stakeholder-Interessen regelmäßig vorgezogen werden können (sog. moderates Stakeholder-Value-Konzept)548.549 Mit diesem Versuch einer verschachtelten Kombination aus Shareholder-Theorie und der interessenpluralistischen Sichtweise entnommenen grundsätzlichen Anerkennung von Nichtgesellschafter- bzw. Unternehmensinteressen, wird dem Vorstand zumindest die Berücksichtigung solcher Stakeholder-Interessen ermöglicht, die nicht dem Ziel der nachhaltigen Gewinnmaximierung entgegenstehen. Die zunehmend undurchsichtige Gemengelage rund um das Wesen und den Gehalt des Unternehmensinteresses verkompliziert sich zusätzlich, soweit die Verpflichtung von Leitungs- und Aufsichtsorgan in Abgrenzung zum Verbandsinteresse an Aktionärsinteressen gebunden wird, die sich in Ansehung der potenziellen Vielzahl von In-
543 Nach Mülbert, Shareholder Value aus rechtlicher Sicht, ZGR 1997, 129 (141 ff.) m. w. N.; ders., Marktwertmaximierung als Unternehmensziel der Aktiengesellschaft, in: FS Röhricht, 2005, 421 (424 ff.). 544 Vgl. hierzu bereits oben, Fn. 452. 545 Mülbert, Marktwertmaximierung als Unternehmensziel der Aktiengesellschaft, in: FS Röhricht, 2005, 421 (434). 546 Insb. wird in Ansehung der Weisungsunabhängigkeit des Vorstands nach § 119 Abs. 2 AktG ein Auftragsverhältnis zwischen Aktionären und Vorstand abgelehnt, vgl. Kort, Vorstandshandeln im Spannungsverhältnis zwischen Unternehmensinteresse und Aktionärsinteressen, AG 2012, 605 (609). 547 Teilweise wird der moderate Shareholder-Value bereits als überwiegend anerkanntes und in der Praxis hauptsächlich angewandtes Leitungskonzept bezeichnet, vgl. Ritter, in: Schüppen/Schaub, Münchener AnwaltsHdb AktR, 3. Aufl. 2018, § 22 Rn. 41. 548 Im englischen Rechtsraum wird die Rückbesinnung auf eine Gesellschafterorientierung unter der Bezeichnung des enlightened shareholder value geführt, rechtsvergleichend Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2004, S. 211. 549 Nach Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 76 Rn. 78; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 76 Rn. 38; Weber, in: Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl. 2022, § 76 Rn. 22; vgl. dazu schon Seibert, Corporate Governance, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, 1101 (1102); Kutscher, Organhaftung als Instrument der aktienrechtlichen Corporate Governance, 2017, S. 30.
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vestoren in eine vielschichtige (pluralistische) Interessenlage verwandeln kann und in ihrer Differenziertheit nicht zum Handlungsmaßstab taugt.550 Da sich insoweit individuelle Aktionärsinteressen und Verbandsinteressen gerade unter dem gemeinsamen Bezugspunkt einer unternehmerischen Handlung regelmäßig kaum voneinander getrennt bewerten lassen, verläuft die unnatürliche Differenzierung letztlich ergebnislos.551 Etwas anderes kann auch nicht angenommen werden, soweit auf sich unterscheidende Aktionärstypen Bezug genommen wird. Insoweit muss allen Überlegungen zum Verbandsinteresse als Summe aller gleichläufigen Einzelinteressen der Gesellschafter ein standardisierter Aktionärstyp zugrunde gelegt werden, dessen Motiv zur Kapitalhingabe in einer langfristigen Renditeerwartung liegt und erst den Fortbestand des Verbands gewährleistet.552 Zur Vereinfachung der Diskussionen rund um das Unternehmensinteresse trägt sodann auch die Einführung eines „Unternehmenswohls“ nicht bei, worunter ein „unspezifischer Leitgedanke“ verborgen liegen soll, dem Vorstandsmitglieder zu folgen hätten, „ohne dass sich allein daraus konkrete Anforderungen ableiten ließen“.553 Eine derart unspezifizierte und gehaltlose Richtschnur verliefe im Kreis und entbehrt jeder Daseinsberechtigung. Sofern der Vorstand einer Handlungsmaxime unterworfen werden soll, könnte dies im Wege einer Satzungsregelung, ferner sogar durch die Aufnahme einer entsprechenden Klausel in einen individuellen Anstellungsvertrag erreicht werden, was auch Voraussetzung dafür wäre, dass der „Leitgedanke“ rechtliches Gewicht trägt und nicht zum stumpfen Schwert wird, mit
550
Zum kapitalverbandsinternen Interessenpluralismus bereits Rathenau, Vom Aktienwesen, 1917, S. 26, wonach die Anleger anhand ihrer Interessenlage in zwei Untergruppen unterteilt werden können (Anleger mit langfristiger Renditeerwartung bzw. Spekulationskäufer mit Hoffnung auf einen Kursgewinn); vgl. Raisch, Begriff und Bedeutung des Unternehmensinteresses, in: FS Hefermehl 1976, 347 (349), der zwischen drei Typen von Gesellschaftern differenziert; zu diversifizierten Aktionärstypen auch Mertens/Cahn, in: KK AktG Bd. 2/1, 3. Aufl. 2010, § 76 Rn. 16. 551 Insoweit kann zwischen der dauerhaften Rentabilität oder der Gewinnmaximierung einerseits und der „individuellen Wohlfahrt des Aktionärs“ andererseits kein rechter Unterschied ausgemacht werden, Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 76 Rn. 76. 552 Die ökonomischen Grundlagen des Shareholder Value-Ansatzes, insbesondere den sog. Portfolioansatz zusammenfassend Mülbert, Shareholder Value aus rechtlicher Sicht, ZGR 1997, 129 (135 f.); zum Erfordernis der „Komplexitätsreduzierung“ in Ansehung der Vielfalt unterschiedlicher Aktionärsinteressen Seibert, Corporate Governance, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, 1101 (1102). 553 Nach Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 76 Rn. 36. Teilweise wird das „Wohl des Unternehmens“ auch synonym zum Unternehmensinteresse verwendet, vgl. Fendt, Der Aufsichtsrat in der Mitverantwortung einer interessenpluralistischen Formalzielbestimmung, AG 2017, 99 (99); Werder, v., in: Kremer/Bachmann/Lutter/Werder, v., DCGK, 8. Aufl. 2021, Teil 3, Präambel Rn. 18 f.
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
dessen Hilfe der Vorstand im Einzelfall sein Verbands- oder Gesellschafterinteressen missachtendes Handeln gar rechtfertigen könnte.554 Ein bisher kaum gewürdigter Unterschied zwischen dem Shareholder ValueAnsatz, wonach das Leitungshandeln exklusiv in ein Konzept zur risikogerechten dynamischen Investitionsrechnung anhand kapitalmarktorientierter Gleichgewichtsmodelle integriert wird555 und einem interessenpluralistisch ausgerichteten Organhandeln im Sinne des Stakeholder-Value, liegt in der unterschiedlichen Wertung des Verhältnisses zwischen dem Verband der Kapitalgeber, dessen oberster Erhaltungszweck ausschließlich im Renditeerfolg seiner Eigentümer liegen soll, und dem von ihm betriebenen Unternehmen. Die Kapitalgesellschaft „an sich“ ist ein interessenmonistisch gewinnorientierter Verband von Kapitalgebern, wohingegen das von ihr betriebene Unternehmen persönliche und sachliche Werte in einer erwerbswirtschaftlich sowie sozialgebundenen Einheit zusammenfasst, deren Erfolg letztlich das Ergebnis einer fruchtbaren Korporation von Stakeholdern und Unternehmensbeteiligten abbildet und die für ihre Unternehmensgläubiger – und mit zunehmender Größe auch für die Allgemeinheit eine wachsende – Bedeutung erlangt.556 Nur auf den ersten Blick scheinen sich dabei der interessenmonistisch verpflichtende Shareholder-Value-Ansatz und der interessenpluralistische Stakeholder-Value-Ansatz als widersprüchliche Handlungsmaxime in jeder Hinsicht gegenseitig auszuschließen. Ökonomieorientierte Leitungsgrundsätze, wie das Rentabilitätskonzept und das Ziel der Gewinnmaximierung, können dagegen problemlos als Teile eines Anteilseignerinteressen bedienenden Leitungssystems dem Shareholder-Value-Ansatz zu- bzw. untergeordnet werden. Mit dem „moderaten Shareholder-Value“ wird erstmals ein Ansatz beschrieben, der Aktionärs- bzw. Verbandsinteressen einerseits und Stakeholder-Interessen andererseits in einem prozeduralen System zusammenführt und damit die bisher untersuchten und als konfligierend bewerteten Leitungsmaxime durch ein kombinatorisches Modell zu einem geschlossenen Handlungsrahmen zusammenfügt, ohne sich dem Vorwurf der fehlenden Greifbarkeit aussetzen zu müssen. Mit der Suche nach einer Verfahrensart zur konklusiven Berücksichtigung von Stake- und Shareholder-Interessen durch die Verwaltungsorgane der Aktiengesellschaft wird das Verhältnis des Kapitalverbands zu seinem Unternehmen in den Mittelpunkt organschaftlichen Handelns gestellt. Das beiderseitige Überlebensstreben im Sinne eines Kontinuitätsinteresses spiegelt sich bei der unternehmerischen Kapitalgesellschaft allein in der langfristigen Rentabilität wider und liegt damit nicht lediglich im Interesse der Aktionäre, denen ein priorisiertes Gewinn554 Sowohl Satzungsverstöße als auch die Verletzung von Pflichten aus dem Anstellungsvertrag können Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegen den pflichtwidrig handelnden Vorstand auslösen und einen wichtigen Grund zur Abberufung darstellen, vgl. Dauner-Lieb, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2021, AktG, § 93 Rn. 29. 555 Nach Mülbert, Shareholder Value aus rechtlicher Sicht, ZGR 1997, 129 (134). 556 Nach Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 76 Rn. 66.
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streben zum Motiv für die Kapitalhingabe gemacht wird.557 Hierfür spricht auch die Einführung des § 87 Abs. 1 S. 2 AktG, wonach der Aufsichtsrat einer börsennotierten Aktiengesellschaft bei der Festsetzung der Gesamtbezüge des Vorstands an eine nachhaltige Unternehmensentwicklung gebunden ist.558 Insoweit unterscheiden sich die als moderater Stakeholder-Value bzw. Unternehmensinteresse bezeichneten Konzepte nicht. Ihnen liegt im Kern ein moderates, weil die Interessenpluralität und grundsätzliche Gleichwertigkeit von Stake- und Shareholder-Interessen anerkennendes, Rentabilitäts- oder Kontinuitätsinteresse zugrunde. Hierdurch wird andererseits ein regelmäßig einseitig bevorzugendes Organhandeln, wie es der Verbandszweck der unternehmerischen Aktiengesellschaft vielleicht vorgibt, nicht pönalisiert oder ausgeschlossen. Die Natur der aktienrechtlich gewährleisteten unternehmerischen Freiheit verbietet die Belastung des Leitungs- und Aufsichtsmandats mit konkreten Handlungsanweisungen durch den Kapitalverband oder seine Mitglieder, weshalb auch kein aktienrechtliches Handlungsleitbild den Anspruch darauf erhebt, die im Leben der unternehmerisch tätigen Kapitalgesellschaft anfallenden Entscheidungen berechenbar vorgeben zu können. Nur mit einer dem widersprechenden und damit falschen Erwartungshandlung wird das Unternehmensinteresse als Handlungsleitbild als „vage, diffus, unbestimmt und (ggf. generisch) nicht operational“559 kritisiert und zur „Leerformel“560 degradiert. Soweit ein einheitliches Leitbild demgegenüber mehr als nur einen Selbstzweck verfolgen soll, muss es neben dem Verbandszweck und Aktionärsinteressen auch das Unternehmensinteresse in Gestalt des StakeholderValue abbilden, ohne dabei eine vorgegebene und allgemeingültige Werterangfolge zu konstruieren. Dabei muss eine verständliche und umsetzbare Regelungslinie zur Verhinderung unternehmerischer Willkür der Adressaten aktienrechtlicher Leitbilder einerseits Grenzen schaffen, innerhalb derer andererseits die Aufrechterhaltung international konkurrenzfähig leitbarer Wirtschaftsunternehmungen durch die Ermessens- und Beurteilungsfreiheit der Verantwortungsträger ermöglicht wird. Ein ideales konturenschaffendes Leitbild, das sich außerhalb der Legalitätspflicht nur zur Leitungsfreiheit nach § 76 Abs. 1 AktG oder zu der Unabhängigkeit des Auf557
Kort, Vorstandshandeln im Spannungsverhältnis zwischen Unternehmensinteresse und Aktionärsinteressen, AG 2012, 605 (609) erkennt im Streben nach nachhaltiger Rentabilität das regelmäßige Aktionärsinteresse. 558 Für die nicht börsennotierte Aktiengesellschaft gilt indes nichts anderes, indem die generelle Ausrichtung des Leitungshandelns der Organe jeder Aktiengesellschaft nach überwiegender Ansicht in Literatur und Rechtsprechung ohnehin nach einer langfristigen Rentabilität auszurichten ist und eine Ausweitung der klarstellenden Regelung des § 87 Abs. 1 S. 2 AktG auf alle Aktiengesellschaften schlicht für nicht erforderlich erachtet wurde, vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 22. 07. 2004 – XIV 5/03, NJW 2004, 3275 (3278); Spindler, in: Goette/ Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 87 Rn. 78 m. w. N. 559 Fendt, Der Aufsichtsrat in der Mitverantwortung einer interessenpluralistischen Formalzielbestimmung, AG 2017, 99 (100) m. w. N. 560 Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, Vorb. § 76 Rn. 51 sowie § 76 Rn. 67 ff.
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sichtsmandats nach §§ 101 Abs. 3, 111 Abs. 6 AktG positioniert, muss insoweit über die satzungsrechtlich qua Verbandszweck feststellbaren Ge- oder Verbote hinaus inhaltliche Zielsetzungen aufgeben, deren Verfolgung auch ex-ante positiv feststellbar sein muss.561 Hiermit tritt neben den unternehmerische Freiheiten gewährleistenden prozeduralen Aspekt eines idealen Leitbildes auch ein materiell-inhaltliches Element zur (zielgeleiteten) Steuerung organschaftlichen Leitungs- und Überwachungshandelns. Aktienrechtliche Handlungsleitbilder setzen Handlungsgrenzen und schaffen keine Schritt-für-Schritt-Anleitung für jede denkbare Situation. In Abkehr vom überholten Verständnis eines streng monistisch beschränkten Handlungsleitsystems im Sinne rein rechtsökonomischer Modelle und in Anerkennung eines interessenpluralistisch ausgeprägten Handlungsleitbildes, liegt ein breiter Konsens in der Anerkennung der Gleichwertigkeit berechtigter Interessen.562 Dies entspricht auch dem für kapitalmarktorientierte Aktiengesellschaften vorgezeichneten Handlungsleitbild nach dem Deutschen Corporate Governance Kodex, der in seiner Präambel563 sowie in Ziff. 4.1.1 DCGK564 neben der Gleichrangigkeit aller berechtigten Interessen die Bindung des Unternehmensinteresses an das übergeordnete Ziel der nachhaltigen Wertschöpfung vorsieht, und damit das eingangs erwähnte Kontinuitätsinteresse als gemeinsame Interessenschnittmenge von Gesellschaftern, Stakeholdern und der Allgemeinheit herausstellt und dadurch regelmäßig dem Verbandsziel entspricht.565 Unabhängig von einer geistlichen Fortgeltung der Gemeinwohlklausel des § 70 Abs. 1 AktG 1937 reduziert § 76 Abs. 1 AktG n. F. das Pflichtengebilde des Vorstands jedenfalls nicht auf die Berücksichtigung nur der Aktionärsinteressen.566 561 Vgl. insofern die Pflicht des Aufsichtsrats zur Überwachung des Vorstands aus § 111 Abs. 1 AktG, die auch die stetige Prüfung der Rentabilitätsförderung durch die Aktivitäten des Vorstands umfasst und den Aufsichtsrat in dieser Weise ökonomieorientierten aktienrechtlichen Zielvorgaben oder Handlungsleitlinien unterwirft. 562 Fendt, Der Aufsichtsrat in der Mitverantwortung einer interessenpluralistischen Formalzielbestimmung, AG 2017, 99 (101); Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 76 Rn. 30 m. w. N.; a. A. Hennsler in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2021, AktG, § 116 Rn. 9, wonach der Vorstand „mit seiner Geschäftsführung und Unternehmenspolitik“ das Unternehmensinteresse allein bestimmen soll. 563 Im Wortlaut: „Der Kodex verdeutlicht die Verpflichtung von Vorstand und Aufsichtsrat, im Einklang mit den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft für den Bestand des Unternehmens und seine nachhaltige Wertschöpfung zu sorgen (Unternehmensinteresse)“. 564 Im Wortlaut wird das Unternehmensinteresse aus Belangen der Aktionäre, der Arbeitnehmer und der sonstigen dem Unternehmen verbundenen Gruppen (Stakeholder) gebildet. 565 Vgl. Werder, v., in: Kremer, Deutscher Corporate Governance Kodex, 7. Aufl. 2018, 3. Teil Rn. 805 f. 566 Hommelhoff, Die OECD-Principles on Corporate Governance, ZGR 2001, 238 (250) verlangt nach keiner „Materialisierung“ des Handlungsprogramms des Vorstands durch Aufnahme der Aktionäre, Arbeitnehmer sowie sonstiger Unternehmensbeteiligter als berechtigte Interessenträger in den Tatbestand des § 76 Abs. 1 AktG, da das geltende Recht bereits ein-
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Damit kann die Löschung der ehemaligen Leitungsformel zumindest keine Aussage über eine auf das Shareholder-Value komprimierte Leitbild entnommen werden. Über die seitens der unternehmerisch tätigen Aktiengesellschaft eigenverantwortlich aufgebaute Verbindung zum Unternehmen fallen die Stakeholder-Interessen in das Gesellschaftsrecht ein und füllen gemeinsam mit den ökonomiegebundenen Gesellschafterinteressen ein Ideal, dem Vorstand und Aufsichtsrat innere Entscheidungsprozesse unterwerfen.567 Innerhalb der weitestgehend verbliebenen Freiheit wird jede vom unternehmerischen Ermessen geleitete Organhandlung unter Einhaltung der Sorgfalts- und Treuepflicht jene Interessen im Einzelfall entscheidungslenkend zum Wohle einer ökonomisch nachhaltigen Unternehmenspraxis bevorzugen, die zu keinem andauernden und unumkehrbaren Ausschluss berechtigter Interessen führen. Das hiermit ausgebreitete Argumentationsspektrum dient nicht lediglich der Aufrechterhaltung unternehmerischer Freiheiten und der Verteidigung eigenen Organhandelns, sondern bietet auch Stakeholdern die Grundlage einer Anspruchstellung auf vorrangige Berücksichtigung. Indem nicht jeder Organhandlung ein Abwägungsergebnis als Produkt kollusiver Vermischung von Interessenüberschneidungen verschiedener Anspruchsgruppen im Sinne der Herstellung praktischer Konkordanz vorausgehen muss, bleiben auch unauflösbare Dilemmata der Sozialwahltheorie aus.568 Zwar ist jeder Entscheidung eine sorgfaltsmaßstabsgerechte Abwägung aller gleichwertig anerkannten Interessen zugrunde zu legen, doch muss nicht jeder Handlung auch ein Restwert unterliegender Gesichtspunkte entnommen werden können. Insoweit muss eine hinreichend begründete Entscheidungsfindung ex-post erkennen lassen, dass nicht einzelne Interessen vollständig und strukturell unberücksichtigt geblieben sind, wenngleich ihnen eine Entscheidungserheblichkeit letztlich nicht zugekommen ist.569 Zugleich wird damit verhindert, dass in der Gesamtschau unternehmerischer
hellig in diesem Sinne interpretiert wird und einer Gesetzesnovellierung die Erforderlichkeit abspricht. 567 Vgl. Schilling, Das Aktienunternehmen, ZHR 1980, 136 (141 ff.), der bereits von einer Integration von Gesellschaft und Unternehmen spricht; dazu auch Raiser, Unternehmensziele und Unternehmensbegriff, ZHR 1980, 206 (221 f.). 568 Müsste dahingegen jede Organhandlung die gemeinsame Schnittmenge der gesamten Interessendiversität aller berechtigten Interessenträger eines Verbands sowie seines Unternehmens abbilden und sollte gleichermaßen der Sozialpflichtigkeit unternehmerischen Handelns einerseits und dem Gewinnstreben der Kapitalgeber – zur Sicherung des Fortbestands der Unternehmung – andererseits entsprechen, stünde dem Entscheidungsträger in keinem Einzelfall der Weg in die Legalität offen; angelehnt an das sog. Allgemeine Unmöglichkeitstheorem nach Kenneth Arrow, vgl. hierzu bereits Kuhner, Unternehmensinteresse vs. Shareholder Value als Leitmaxime kapitalmarktorientierter Aktiengesellschaften, ZGR 2004, 244 (245 ff.), in Reaktion auf die ökonomische Betrachtung des „Arrow-Paradoxon“ durch Bernholz/Breyer, Grundlagen der politischen Ökonomie, Bd. 2, 3. Aufl. 1994, S. 23 ff. 569 Innerhalb dieses Handlungsrahmens bleibt die Möglichkeit zur tendenziellen Aufwertung der Gesellschafterinteressen bestehen, soweit nicht die Grenzen der homogenen Interessenpluralität des Unternehmensinteresses gesprengt werden; in diesem Sinne auch Hüffer,
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Leitentscheidungen unablässig dieselben Interessengruppen systematisch bevorzugt werden und damit das interessenpluralistische Wesen des Unternehmens verleumdet wird, was sich andernfalls in der Rückschau als pflichtwidrige Außerachtlassung des Unternehmensinteresses offenbaren würde. Hiermit verbleibt das Handlungsleitbild nicht konturenlos, sondern verhindert die strikte und voreingestellte Außerachtlassung anerkannter Interessengruppen im Sinne einer linear auf die Shareholder-Interessen konzentrierten Organleitlinie und schafft ein maximal erträgliches Mindestmaß an Rechtssicherheit, ohne die aktienrechtlich gewährte Ermessensfreiheit der Verantwortungsträger zu limitieren. Das Aktienrecht setzt weite Grenzen innerhalb derer die Verwaltung unter größtmöglicher Eigenverantwortlichkeit und nach den Maßstäben gewissenhafter Geschäftsführung handeln darf, soweit nicht im Einzelfall außerhalb des Aktiengesetzes liegende Rechtspflichten intendierte Entscheidungen zugunsten einer Interessengruppe provozieren. Damit ist auch nicht von einem aktienrechtlichen Grundsatz eines gemäßigten Vorrangs der Aktionärsinteressen im Sinne eines „moderaten“, aber gleichsam verpflichtenden Shareholder-Value-Konzepts zu sprechen, wodurch die unternehmerische Freiheit im Sinne der Business-JudgmentRule nach § 93 Abs. 1 S. 2 AktG künstlich und entgegen jeder gesetzlichen Anordnung eingeschränkt würde. Ein regelmäßig Shareholder-orientiertes Handeln wird damit andererseits nicht verhindert und kann immer nur als Resultat einer Auswertung der Zielrichtung von Organhandlungen ex-post festgestellt werden, nicht aber zukünftiges Handeln normativ anleiten.570 Im Unterschied zum moderaten Shareholder-Value-Konzept sind die Gesellschafter- oder Gesellschaftsinteressen nicht als oberes Handlungsziel verpflichtend vorrangig zu berücksichtigen, sondern der Shareholder-Value fakultatives Handlungsziel (fakultativ-moderater Shareholder-Value). Die äußeren Grenzen legalen Organhandelns bildet neben indisponiblen Rechtspflichten letztlich auch der statuarisch bestimmte Gesellschaftszweck, den es unter Berücksichtigung aller anerkannten Interessen fortwährend zu fördern gilt.571 Damit wird die unternehmerische Freiheit in das Bild eines interessenpluralistisch und auf die Gleichrangigkeit berechtigter Interessengruppen bezogenen Unternehmensinteresses gesetzt, ohne dass hierdurch jedes Organhandeln per se gerechtfertigt werden könnte.
Aktienbezugsrechte, ZHR 1997, 214 (217 f.); ähnlich Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 76 Rn. 78 ff. 570 In diesem Sinne wird der Shareholder-Value zum zulässigen „Subziel“ erklärt, dessen Verfolgung der freien Entscheidung der Organe obliegt, vgl. Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 76 Rn. 76. 571 Inwieweit der Shareholder-Value durch Satzungsbestimmung aufgewertet werden kann ist umstritten, vgl. hierzu Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 76 Rn. 39 m. w. N.; mit der überwiegenden Ansicht dafür Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 76 Rn. 80 m. w. N.; dagegen Mertens/Cahn, in: KK AktG Bd. 2/1, 3. Aufl. 2010, § 76 Rn. 18; Paefgen, Unternehmerische Entscheidung und Rechtsbindung der Organe in der AG, 2002, 65.
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Das Aktienrecht bietet nur ein einheitliches Handlungsleitbild für die obersten Verwaltungsorgane der Kapitalgesellschaft. Dennoch wirkt sich das Handlungsideal in Ansehung der unterschiedlichen Aufgaben für den Vorstand einerseits und den Aufsichtsrat andererseits unterschiedlich aus. Unabhängig von einer finalen Entscheidung über die exklusive Geltung einer obersten Handlungsmaxime für die Leitung der Kapitalgesellschaft wird sich jedenfalls der Aufsichtsrat bei der Überwachung des Vorstands nach einer interessenpluralistischen Handlungsleitlinie unter Anerkennung der Gleichwertigkeit aller berechtigten Interessen richten dürfen. Damit werden sowohl die regelmäßig langfristigen Aktionärsinteressen im Sinne des moderaten Shareholder-Value sowie Stakeholder- und Allgemeininteressen im Sinne des Unternehmensinteresses angesprochen. Durch den sinngemäßen Verweis des § 116 S. 1 AktG auf die Business Judgment Rule des § 93 Abs. S. 2 AktG obliegt es letztlich jedem Aufsichtsratsmitglied, bei der Ausübung seiner Organpflichten das ihm zugestandene Ermessen zur Förderung des Verbandszwecks und unter Berücksichtigung der genannten Interessen auszuüben. Dass die entsandten oder gewählten Aufsichtsratsmitglieder der öffentlichen Hand angehalten werden, die Interessen der Gebietskörperschaft zu vertreten, wie es § 65 Abs. 6 BHO für Gesellschaften des Bundes ausdrücklich bestimmt und was über entsprechende landesrechtliche Bestimmungen auch für Repräsentanten in kommunalen Gesellschaften geregelt wird, stellt keinen Widerspruch zum voranstehend skizzierten aktienrechtlichen Handlungsleitbild dar, solange in der Unternehmenspraxis nicht andere berechtigte Interessen strukturell ausgeschlossen werden.572 Zur pflichtgemäßen Ausübung der Überwachungstätigkeit zählt allem voran die Einhaltung der Verschwiegenheitspflicht, gleich der Herkunft des einzelnen Organmitglieds, anderweitiger Pflichtenbindungen oder dem Grund der organschaftlichen Teilhabe. In Ansehung der Schutzzwecke der aktienrechtlichen Schweigepflicht bedient die Verschwiegenheit des Aufsichtsrats in der Abwehr von Schäden für die Gesellschaft und ihr Unternehmen sowohl die Belange der Gesellschafter als auch diejenigen, der vom Unternehmensinteresse nach der hier vertretenen Interpretation umfassten Gruppen. Die Weitergabe eines Gesellschaftsgeheimnisses an einen nicht empfangsberechtigten Empfänger kann demgemäß in keinem Fall nach der Schrankensystematik des Unternehmensinteresses gerechtfertigt sein. e) Besonderheiten bei der öffentlichen Gesellschaft mbH In Gesellschaften mbH werden regelmäßig mehr entsandte Aufsichtsratsmitglieder zu finden sein als in Aktiengesellschaften.573 Das liegt an den zumeist familiengeprägten Strukturen, die lediglich bei den seltenen als Publikumsgesellschaft 572
Vgl. Schneider, U. H./Seyfarth, in: Scholz GmbHG Bd. 2, 12. Aufl. 2021, § 52 Rn. 499, wonach § 65 Abs. 6 BHO als „verwaltungsinternes Recht“ keinen Einfluss auf die gesellschaftsrechtliche Bindung des Aufsichtsratsmitglieds nimmt. 573 Spindler, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 52 Rn. 224.
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
ausgestalteten Gesellschaften mbH aufgebrochen werden.574 Öffentliche Gesellschaften mbH verfügen aufgrund der Vorgaben landesrechtlicher Bestimmungen zwangsläufig zumindest über einen fakultativen Aufsichtsrat,575 in den die Gebietskörperschaft Mitglieder entsendet oder wählt und der in seltenen Fällen auch mitbestimmt ist. Grundsätzlich begegnen alle Mitglieder des GmbH-Aufsichtsrats den gleichen Rechten und Pflichten, die auch den Mitgliedern des obligatorischen Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft obliegen.576 Ausnahmen hiervon liegen Unterschiede in der Organisationsverfassung der Gesellschaft mbH zugrunde. Das nach § 45 GmbHG weithin disponible GmbH-Recht erlaubt den Gesellschaftern eine stärkere Einflussnahme auf die rechtliche Ausgestaltung der Gesellschaft mbH und ihre Geschäftsführung577, weshalb in Abgrenzung zur kapitalistischen Struktur der Aktiengesellschaft auch von einer personalistischen Gesellschaftsstruktur der Gesellschaft mbH die Rede ist.578 Für den fakultativen Aufsichtsrat der Gesellschaft mbH bedingt das Organisationsrecht zudem weitere Unterschiede. Kraft der weitreichenden satzungsrechtlichen Gestaltungsfreiheit im Recht der Gesellschaften mbH können einzelnen Mitgliedern des nach der Satzung zu bestellenden Aufsichtsorgans besondere Kontroll- und Einberufungsrechte oder sonstige Berechtigungen gewährt werden.579 Die im Zusammenhang mit der Aktiengesellschaft ausgiebig diskutierte Frage nach den Grenzen der für das Handeln der Verwaltungsorgane maßgeblichen Leitinteressen und der Einbeziehung von Sekundärinteressen in den Begriff des Unternehmensinteresses hat für die Gesellschaft mbH nie an gleichwertiger Bedeutung
574 Die Satzungsautonomie im Recht der GmbH und § 15 Abs. 5 GmbHG erlauben die Anteilsvinkulierung und damit die statutarische Stärkung der Bindung von konkretem Gesellschafterbestand an die Gesellschaft, vgl. hierzu Heckschen/Weitbrecht, Überfremdungsschutz im GmbH- und Aktienrecht, NZG 2019, 721 (723). 575 Vgl. §§ 128 Abs. 1, 129 LSAKVG; §§ 107 Abs. 1, 108 GO NRW; Art. 86 Nr. 3, 87 Abs. 1 und 92 BayGO; §§ 102 Abs. 1, 103 BWGO; §§ 136 Abs. 1 u. 2, 137 NKomVG; §§ 85 Abs. 1, 87 Abs. 1 Nr. 3 RhPfGemO; §§ 71 Abs. 2, 73 Abs. 1 ThürKO, §§ 108 Abs. 1, 110 Abs. 1 SaarlKSVG. 576 Giedinghagen, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, J., GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2017, § 52 Rn. 175 u. 183; Spindler, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 52 Rn. 224; Hommelhoff, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 20. Aufl. 2020, § 52 Rn. 54; Habersack, in: Habersack/Henssler, MitbestR, 4. Aufl. 2018, § 25 Rn. 76. 577 Insb. sieht § 37 Abs. 1 GmbHG die strenge Weisungsgebundenheit der Geschäftsführung gegenüber der Gesellschafterversammlung vor. Das dispositive Recht abbedingende Satzungsbestimmungen bleiben an dieser Stelle außen vor. Zum Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung s. Lenz, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, J., GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2017, § 37 Rn. 16 ff. 578 Vgl. dazu Liebscher, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 45 Rn. 18 f. Zum Informationsrecht des GmbH-Gesellschafters nach § 51a GmbHG und der Bedeutung für die Schweigepflicht des Aufsichtsrats bereits oben unter B.II.3.b)cc). 579 Giedinghagen, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, J., GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2017, § 52 Rn. 176.
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gewonnen.580 Aufgrund der über das Weisungsrecht nach § 37 Abs. 1 GmbHG untrennbar engen Bindung der GmbH-Geschäftsführung an den Gesellschafterwillen und der damit einhergehenden Macht einer stärkeren Einflussnahme durch die Gesellschafter, sind den Leitungs- und Kontrollorganen bei der Berücksichtigung von Sekundärinteressen engere Grenzen gesetzt.581 Durch die Vorgaben der Gesellschafterversammlung sollen sich die Handlungsmaximen der Verwaltung auf den konkreten Gesellschafterwillen beschränken, wodurch der Berücksichtigung sonstiger Interessen der Raum genommen werden soll.582 Die Gleichstellung von Gesellschafter- und Gesellschaftsinteresse soll damit zugleich jeden Interessenkonflikt final ausschließen, der einer Regulierung durch die Treue- und Sorgfaltspflicht bedarf.583 Ob für die öffentliche Gesellschaft mbH obgleich ihrer Größe im Einzelfall nicht doch etwas anderes gilt, muss im Lichte der gesellschaftsrechtlichen Grundlagen untersucht werden. Einer kritischen Prüfung können die gesellschaftsrechtliche Sorgfalts- und Treuepflicht in Kombination mit der Wirkungsmacht des Verbandsversprechens zur Grundlage gemacht werden. aa) Die Gemeinwohlbindung großer Gesellschaften Den Ausgangspunkt für die nachfolgenden Überlegungen setzt Fleischer mit seinen Ausführungen zur rechtsformunabhängigen Gemeinwohlbindung großer Gesellschaften, den zuerst Rathenau formulierte584. Unter Bezugnahme auf Rathenaus berühmtes Gedankenspiel zur Bedeutung eines Großunternehmens für das Gemeinwohl585 folgt zunächst die Feststellung, dass der Reformgesetzgeber die im Regierungsentwurf eines GmbH-Gesetzes von 1973 enthaltene Gemeinwohlklausel für Gesellschaften mbH586 nicht übernommen hat.587 Dem Entwurf einer amtlichen Begründung zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung v. 1939 zufolge hätte die Gesellschaft mbH dem § 70 AktG v. 580 Spindler, Unternehmensinteresse als Leitlinie des Vorstandshandelns, Kurzgutachten 2008, S. 3. 581 So auch Fleischer, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 43 Rn. 72. 582 „Der Wille der Gesellschaft und der Wille ihres Alleingesellschafters sind grundsätzlich identisch“, vgl. BGH, Urt. v. 28. 09. 1992 – II ZR 299/91, NJW 1993, 193 (193 f.); ähnlich OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 07. 02. 1997 – 24 U 88/95, NJW-RR 1997, 736 (737 f.); Merkt, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG Bd. 1, 3. Aufl. 2018, § 13 Rn. 106. 583 Lieder, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, J., GmbHG Bd. 1, 3. Aufl. 2017, § 13 Rn. 146. 584 Vgl. hierzu bereits oben unter B.II.4.d)bb). 585 Rathenau, Vom Aktienwesen: Eine geschäftliche Betrachtung, 1917, S. 39. 586 RegE zu § 2 GmbHG v. 1939: „Die Gesellschaft ist so zu leiten, wie das Wohl des Betriebs und seiner Gefolgschaft und der gemeine Nutzen von Volk und Reich es fordern.“, abgedr. in Schubert (Hrsg.), Entwurf des Reichsjustizministeriums zu einem Gesetz über Gesellschaften mit beschränkter Haftung von 1939, 1985, S. 94. 587 Fleischer, Corporate Social Responsibility, AG 2017, 509 (516).
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
1937588 entsprechend ihre Daseinsberechtigung erst durch ihre Eingliederung in die Volkswirtschaft erreichen können, wodurch die besondere sozial- und wirtschaftspolitische Bedeutung der Gesellschaft einerseits und die unmittelbare Gemeinwohlverpflichtung aller mit der Leitung der Gesellschaft befassten Verwaltungsträger andererseits hervorgehoben werden sollte.589 Das Gesetz über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung v. 1939 ist letzten Endes nie verabschiedet worden, weshalb es einer einfachgesetzlichen Bestimmung der Gemeinwohlverpflichtung aller Gesellschaften mbH heute ermangelt. Eine pauschale Gemeinwohlbindung oder interessenpluralistische Verpflichtung der Gesellschaft mbH scheidet damit aus. In der Berichterstattungspflicht nach § 289b Abs. 1 HGB, die auch kapitalmarktorientierte Gesellschaften mbH trifft, soweit diese die Größenanforderungen nach § 267 Abs. 3 HGB erfüllen und im Jahresdurchschnitt über 500 Arbeitnehmer beschäftigen, sucht Fleischer einen normativen Hinweis auf die größenabhängige soziale Bindung des „Großunternehmens an sich als soziale Organisation wegen seiner umfassenden volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung“590. Potthoff hatte bereits 1954 gefordert, das „Unternehmen als Gegenstand eines einheitlichen Rechts“ anzuerkennen und sich dabei auf die „Entwicklung der Aktiengesellschaft in Richtung einer ökonomischen, steuerlichen und sozialen Verselbstständigung“ bezogen.591 Fleischer mahnt den Gesetzgeber letztlich zur Zurückhaltung bei jeder „weiteren Indienstnahme von Großunternehmen für das Gemeinwohl“ an, da mit „ihr eine zunehmende Erosion mitgliedschaftlicher Strukturen und privatrechtlicher Ordnungsprinzipien einhergeht“.592 In diesen Äußerungen schwingt die Annahme mit, dass „große“ Gesellschaften als „sub specie ,überprivater Erheblichkeit‘593 (…) der öffentlichen Erwartungshaltung“594 entsprechend dem Gemeinwohl verpflichtet sind. Ein anderer Ansatz zur Begründung der Geltung des aktienrechtlichen Interessenpluralismus in der „großen“ Gesellschaft mbH wird nachfolgend innerhalb des privatrechtlichen Ordnungsrechts gesucht. Es ist unlängst allgemein anerkannt, dass 588
Zum aktienrechtlichen Gemeinwohlpostulat nach § 70 Abs. 1 AktG v. 1937 siehe bereits oben unter B.II.4.d)dd). 589 Entwurf einer amtlichen Begründung zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, § 2, abgedr. in Schubert (Hrsg.), Entwurf des Reichsjustizministeriums zu einem Gesetz über Gesellschaften mit beschränkter Haftung von 1939, 1985, S. 153. 590 Fleischer, Corporate Social Responsibility, AG 2017, 509 (517) unter Verweis auf Potthoff, Die „große“ Aktiengesellschaft, WWI-Mitteilungen 1954, 93 (99); ders., Neue Unternehmensform vordringlicher als Aktienrechtsreform, DB 1957, 49 (50). Größenabhängige Sondervorschriften finden sich außerdem im Bilanzrecht und dem Mitbestimmungsrecht. 591 Potthoff, Die „große“ Aktiengesellschaft, WWI-Mitteilungen 1954, 93 (99). 592 Fleischer, Corporate Social Responsibility, AG 2017, 509 (517). 593 Krüger, öffentlich-rechtliche Elemente der Unternehmensverfassung, in: Planung V, 1971, S. 21. 594 Fleischer, Corporate Social Responsibility, AG 2017, 509 (517).
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auch die GmbH-Gesellschafter (vertikal)595 bzw. untereinander (horizontal)596 zur Treue verpflichtet sind.597 Diese gesellschaftsrechtliche Bindung, die „nicht bloß den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) beinhaltet“598, unterscheidet sich von den Treuebindungen innerhalb einer Aktiengesellschaft599 und folgt nach Art und Umfang weitgehend den Grundsätzen zur Treuebindung im Personengesellschaftsrecht600. In der entgegengesetzten Richtung soll auch die Gesellschaft mbH zur treuepflichtigen Berücksichtigung der Gesellschafterinteressen verpflichtet sein.601 bb) Kontinuitätsinteressen im Gesellschaftsrecht Unabhängig von ihrer Qualifikation602 werden der Treuepflicht methodologisch drei Grundfunktionen zugeschrieben603 : Erstens dient die Treuepflicht der Konkretisierung gesellschaftsrechtlicher Rechtspflichten im Rahmen der wechselseitigen Verpflichtung der Gesellschafter zur Förderung des Verbandszwecks. Zweitens steuert sie die wechselseitige Wahrnehmung der gesetzlichen oder statuarischen Möglichkeiten der Mehrheit und Minderheit in der Gesellschaft, (drittens) hinsichtlich eines von Loyalität geprägten gemeinschaftlichen Strebens nach dem Erreichen der Verbandsziele. Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht soll allgemein 595
BGH, Urt. v. 09. 06. 1954 – II ZR 70/53, BGHZ 14, 25 (39); BGH, Urt. v. 01. 04. 1953 – II ZR 235/52, NJW 1953, 780 (781); Wicke, in: Wicke, GmbHG, 4. Aufl. 2020, § 13 Rn. 19; ausführlich Hueck, Der Treuegedanke im modernen Privatrecht, 1947, S. 18 f. 596 Überblick m. w. N. bei Lieder, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, J., GmbHG Bd. 1, 3. Aufl. 2017, § 13 Rn. 141 ff.; BGH, Urt. v. 05. 06. 1975 – II ZR 23/74, NJW 1976, 191 (192) m. Anm. Ulmer; BGH, Urt. v. 23. 03. 1987 – II ZR 244/86, NJW 1987, 3192 (3193). 597 Die horizontale Treuepflicht und die vertikale Treuepflicht werden zur sog. allgemeinen Treuepflicht der Gesellschafter zusammengeführt, vgl. Fastrich, in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 13 Rn. 20. 598 BGH, Urt. v. 01. 04. 1953 – II ZR 235/52, NJW 1953, 780 (781). 599 Zur gesellschaftsrechtlichen Treuebindung in der AG s. BGH, Urt. v. 01. 02. 1988 – II ZR 75/87, DNotZ 1989, 14 (16 ff.); BGH, Urt. v. 20. 03. 1995 – II ZR 205/94, NJW 1995, 1739 (1741). 600 Richtungsweisend BGH, Urt. v. 23. 03. 1987 – II ZR 244/86, NJW 1987, 3192 (3193). Auf die Unterschiede zur Rechtslage bei der (seltenen) kapitalistisch strukturierten GmbH mit zahlreichen, anonymen Gesellschaftern sowie der AG verweisend Lieder, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, J., GmbHG Bd. 1, 3. Aufl. 2017, § 13 Rn. 143. 601 Seibt, in: Scholz, GmbHG Bd. 1, 12. Aufl. 2018, § 14 Rn. 73. 602 Teilweise wird die Treuepflicht zur mitgliedschaftlichen Hauptpflicht erhoben, vgl. Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 20. Aufl. 2020, § 14 Rn. 29; so auch Stimpel, in: Pehle/Stimpel, Richterliche Rechtsfortbildung, 1969, S. 15, 18 ff. („einklagbare Hauptpflicht“); zustimmend Lutter, Treupflichten und ihre Anwendungsprobleme, ZHR 1998, 164 (166 f.). A. A., wonach es sich um eine gesellschaftsrechtliche Generalklausel handeln soll, die der Konkretisierung im Einzelfall bedarf, bei Merkt, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG Bd. 1, 3. Aufl. 2018, § 13 Rn. 88; ebenso Fastrich, in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 13 Rn. 20. 603 Nach Lutter, Treupflichten und ihre Anwendungsprobleme, ZHR 1998, 164 (166 f.).
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
die Wahrnehmung aller wechselseitigen Rechte und Pflichten der Gesellschafter und Gesellschaft steuern und eine loyalitätsgebundene sowie gemeinschaftliche Zweckverfolgung zur Abwehr von Schäden für die Gesellschaft gewährleisten.604 Die Pflicht zur Förderung des Verbandszwecks, die nicht nur die Gesellschafter sondern auch die Mitglieder der Verwaltungsorgane der Gesellschaft mbH trifft, schlägt die Brücke zu den bereits beschriebenen interessenpluralistischen Leitmotiven des Aktienrechts. Im Zeitpunkt der Gründung einer Gesellschaft, deren Zweck der Betrieb einer wirtschaftenden Unternehmung ist, verpflichten sich die Gesellschafter zu einer unbefristeten und gemeinsamen Zweckverfolgung. Dem Verbandsversprechen ist daher automatisch auch ein Kontinuitätsinteresse der Gesellschafter hinsichtlich der konkreten Organisationsstrukturen inhärent.605 Je nach Gesellschafterstruktur tragen die Eigentümer das Kontinuitätsinteresse anteilig oder die Gesellschaft selbst wird zur Interessenträgerin. Dass die Gesellschaft selbst Trägerin von Gemeinschaftsinteressen sein kann, bedingt das Verbandsversprechen der Gesellschafter, nach dessen Inhalt mehrere Personen gerade in der gewählten Organisationsstruktur gemeinsam unternehmerisch tätig werden wollen. Mit der Selbstverpflichtung geben die Gesellschafter das gemeinschaftliche Versprechen ab, das eigene Interesse an unternehmerischen Aktivitäten unbefristet oder kontinuierlich in und mit der gewählten Organisationsform auszuleben. Durch die Gesellschaftsgründung wird dem Verbandsversprechen eine Rechtsträgerin gegeben, die sich die Verbandsinteressen zu eigen macht und nicht lediglich als interessenneutrales Vehikel zur Haftungsbegrenzung verstanden werden darf. Die Gesellschaft selbst ist Gegenstand des Verbandsversprechens und nicht nur ein Instrument zur Umsetzung des Verbandszwecks. Dem Denkmodell der rechtsfähigen juristischen Person, die auch nur mittelbar vom Handeln einer natürlichen Person gesteuert werden kann606, liegt immer ein Kontinuitätsinteresse zugrunde. Das Kontinuitätsinteresse trägt das Interesse am wirtschaftlichen Erhalt des Unternehmens der Gesellschaft als Grundlage für den Fortbestand der Gesellschaft und wird schon durch die Definition des Verbandszwecks im Zeitpunkt der Gesellschaftsgründung perpetuiert. Dass die Rechtsordnung jeder gesellschaftsrechtlichen Organisationseinheit ein Kontinuitätsinteresse zuerkennt, tritt in zahlreichen Normen mit Bezug zum privaten Organisationsrecht hervor oder liegt diesen immanent zugrunde. Im Bereich des Kapitalgesellschaftsrechts sind das vornehmlich die Bestimmungen zum Verkehrs- und Gläubigerschutz, darunter die Regeln zur Kapitalerhaltung (insb. § 30 GmbHG) und insbesondere die Normen des Insolvenzrechts, die sich nach einem vorhandenen und wirtschaftlich 604 In diesem Sinne bereits Hueck, Der Treuegedanke im modernen Privatrecht, 1947, 18 f.; ausführlich bereits oben unter B.I.2.b). 605 Zu dem „auf Bestandserhaltung und Rentabilität gerichteten Gesellschaftsinteresse“ Pöschke, in: Ziemons/Jaeger/Pöschke, GmbHG, 52. Ed. v. 01. 06. 2022, § 43 Rn. 125 f. 606 Bei einer konzernierten Gesellschaft, deren Gesellschafter ihrerseits rechtsfähige juristische Personen sind, die wiederum im Eigentum natürlicher Personen stehen.
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realisierbaren Kontinuitätsinteresse richten (vgl. § 19 InsO)607. Wenngleich den einzelnen Normen jeweils spezielle Normzwecke zugeschrieben sind, die etwa dem Gläubiger- oder Minderheitenschutz zuzuordnen sind, schwingt das Formalziel der Aufrechterhaltung des Haftungsträgers immer mit. Im Bereich des Personengesellschaftsrechts erfährt das gesellschaftseigene Kontinuitätsinteresse besonderen Ausdruck, indem das Leben der Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit dem Fortbestand des konkreten Gesellschafterbestands im Zeitpunkt der gemeinschaftlichen Verbandsverpflichtung korreliert (vgl. § 727 BGB). Wird der Gesellschaftsvertrag dagegen um eine Fortsetzungsklausel erweitert, verpflichten sich die Gründungsmitglieder gemeinsam zur personenunabhängigen Fortführung der Gesellschaft und übertragen dadurch einen Teil ihres Kontinuitätsinteresses auf die Gesellschaft selbst. Dass die Gesellschafter durch Beschluss jederzeit die Liquidation herbeiführen können, widerspricht dem Konzept vom Kontinuitätsinteresse nicht. Wenngleich der Gesellschaft ein Interesse am eigenen Überleben zugesprochen wird, das dem Verbandszweck entspricht und dem Verbandsversprechen entspringt, obliegt es immer den Gesellschaftern, das gemeinschaftliche Kontinuitätsziel durch Beschluss in ein Liquidationsvorhaben zu verwandeln, dem auf Fortführung gerichteten Gesellschaftsinteresse die Grundlage zu entziehen und die Gesellschaft mitsamt ihrem Unternehmen zu beerdigen.608 cc) Die große Gesellschaft als Kontinuitätsgarant Für die konkrete innergesellschaftliche Verteilung des Kontinuitätsinteresses sind die Anzahl der Gesellschafter und die Anteilsverteilung entscheidend. Umso größer die an der Größe des Geschäftsanteils gemessene gesellschaftsrechtliche Verantwortlichkeit und das wirtschaftliche Eigeninteresse des einzelnen Gesellschafters am Unternehmenserfolg ist, desto größer ist sein Interesse am Erhalt des Unternehmens und dessen Organisationsstruktur. Hält eine Vielzahl von Eigentümern jeweils nur einen kleinen Geschäftsanteil, wie das bei großen Gesellschaften mit breiter Anteilsverteilung der Fall ist, wächst das im Verbandsversprechen enthaltene Kontinuitätsinteresse aufseiten der juristischen Person an. In der Summe kommt dem Kontinuitätsinteresse dadurch immer derselbe absolute Wert zu. Die Vorstellung von der absoluten Konstanz des Kontinuitätsinteresses im GmbHRecht würdigt die Ergebnisse sozialpsychologischer Studien zu Gruppenprozessen und Gruppendynamik im Kontext des gemeinschaftlichen Unternehmertums. For607 Gerade nicht von Bedeutung ist die nachhaltige Ertragsfähigkeit der Gesellschaft, maßgeblich ist allein die hinreichend wahrscheinliche Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit, ggf. durch finanzielle Hilfen seitens Dritter, vgl. Wolfer, in: Fridgen/Geiwitz/Göpfert, BeckOK InsO, 28. Ed. v. 15. 07. 2022, § 19 Rn. 10. 608 Zur Bindung der Gesellschafter an den Gesellschaftszweck und dem fehlgehenden Rückschluss auf den Ausschluss eines Eigeninteresses der Gesellschaft Winter, Eigeninteresse und Treuepflicht bei der Einmann-GmbH in der neueren BGH-Rechtsprechung, ZGR 1994, 570 (582 f.).
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
schungsarbeiten zum prosozialen Verhalten zeigen auf, dass die Aufteilung von Verantwortung auf eine Personenmehrheit den Handlungswillen der einzelnen Gruppenmitglieder schwächt (sog. Bystander-Effekt).609 Der Zuschauereffekt wird regelmäßig im strafrechtlichen Zusammenhang der unterlassenen Hilfeleistung von Zeugen beschrieben, deren Bereitschaft zum Einschreiten mit steigender Anzahl weiterer Zeugen sinkt. Auf den Bereich des Gesellschaftsrechts umgemünzt treten an die Stelle von moralischen oder strafrechtlichen Handlungsgeboten die gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten, die den Gesellschaftern aufträgt, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Die vom Geschäftsanteil abhängigen Rechte und Pflichten des Gesellschafters, die Geschicke der Gesellschaft zu steuern oder Prozesse zu blockieren, bestimmen die persönliche Verantwortlichkeit der einzelnen Person gegenüber der Gesellschaft. Neben der Aussicht auf Teilhabe am wirtschaftlichen Erfolg der Gesellschaft nimmt auch die mitgliedschaftliche Verantwortung Einfluss auf das Kontinuitätsinteresse, das die Handlungsbereitschaft des Gesellschafters und sein Interesse an einer aktiven (Mit-)Gestaltung steuert. Gesellschafter mit einem kleinen Geschäftsanteil, der keine Sperrminorität verschafft, eine maßgebliche Beeinflussung des Geschäftsbetriebs nicht erlaubt und mit einer niedrigen wirtschaftlichen Beteiligung an den Unternehmensgewinnen einhergeht, werden in die Gesellschaft mangels Kompensation regelmäßig weniger Eigeninteresse einbringen als die Gesellschafter, die Kraft eines größeren Geschäftsanteils stärker von einer positiven Geschäftsentwicklung profitieren und durch ihre Machtposition in der Gesellschaft einer größeren Verantwortlichkeit ausgesetzt sind. Liegen die Geschäftsanteile einer Gesellschaft mbH im breiten Streubesitz und beschränken sich die gesellschaftsrechtliche und treupflichtige Verantwortlichkeit aller Gesellschafter auf ein kleines Maß, lebt das gemeinsame Kontinuitätsinteresse des Verbands in der Gesellschaft selbst auf. Diese Annahmen beruhen auf der Beobachtung der Situation in „großen“ Aktiengesellschaften, auf deren Hauptversammlungen regelmäßig nur ein Bruchteil des Stammkapitals vertreten ist und daraus auf die mangelnde Eigenmotivation der Minderheitsaktionäre zur aktiven Mitgestaltung geschlossen werden darf. Anders als der Ansatz von Fleischer knüpft die These von der Gemeinwohlbindung der „großen“ Gesellschaft mbH über das dem Verbandsversprechen innewohnende absolute Kontinuitätsinteresse nicht an die Bilanz oder Mitarbeiteranzahl an, sondern bezieht sich auf die Anzahl von Gesellschaftern mit geringem Geschäftsanteil. Auch im Zusammenhang zwischen der „Größe“ der Gesellschaft und der Gemeinwohlbindung unterscheiden sich die Begründungsansätze. Während der umsatz- und mitarbeiterstarken Gesellschaft eine volkswirtschaftliche Bedeutung beigemessen wird, der im Sinne Rathenaus eine Gemeinwohlverpflichtung anhängen soll, ist das aus dem Verbandsinteresse geschlussfolgerte Kontinuitätsprinzip als Brücke zu den pluralistischen Interessen von Gläubigern, Arbeitnehmern und der 609 Vgl. Levine/Manning, in: Jonas/Stroebe/Hewstone, Sozialpsychologie, 6. Aufl. 2014, Kap. 10, S. 367 f.
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Allgemeinheit zu verstehen, die ihrerseits ein Interesse am Fortbestand des Unternehmens in seiner Organisationsstruktur tragen. Nach beiden Begründungsansätzen kann die interessenpluralistische Zielkonzeption des Aktienrechts damit auch auf Gesellschaften mbH übertragbar sein, deren Anteile ähnlich einer Publikumsgesellschaft auf eine größere Anzahl von Eigentümern verstreut liegen oder die aufgrund ihrer Wirtschaftskraft, gemessen am Umsatz und der Mitarbeiteranzahl von volkswirtschaftlicher Bedeutung ist610. Die Grundlage dafür ist schon in den Ursprüngen des privatrechtlich organisierten Gemeinschaftsunternehmens angelegt und resultiert daneben aus dem Eigeninteresse der Gesellschaft am Erhalt ihres Unternehmens.611 Bei wachsender Gesellschafteranzahl verschiebt sich ein Teil des Gesellschafterinteresses an der Aufrechterhaltung des wirtschaftenden Unternehmens teilweise auf die Gesellschaft und lebt in dem Fortführungsinteresse der Gesellschaft auf, das dem Verbandsversprechen entspringt und vom Gesellschafterinteresse gelöst existiert. dd) Das Eigeninteresse der öffentlichen Ein-Personen-Gesellschaft mbH Der Anteilsbesitz öffentlicher Unternehmen ist gegenüber den „großen“ Gesellschaften mbH regelmäßig auf einen kleinen Gesellschafterkreis verteilt. Viele kommunale Unternehmen werden als Ein-Personen-Gesellschaft (mbH) betrieben und erreichen auch die Bilanz- und Mitarbeitergrenzen nicht, um als große Gesellschaft qualifiziert werden zu können. Ob auch die Ein-Personen-GmbH selbst Trägerin von (Unternehmens-)Interessen sein kann, die als Maßstab für die Tätigkeiten ihrer Verwaltungsorgane taugen, wird heute kaum infrage gestellt.612 In Ermangelung eines zweiten Gesellschafters kommt bei der Ein-Personen-GmbH eine Treuepflicht zwischen Gesellschaftern selbsterklärend nicht in Betracht.613 Auch eine Treuepflicht zwischen dem Alleingesellschafter und der Gesellschaft wird auf Grundlage der weitestgehenden Verfügungsmacht des Alleingesellschafters, der jederzeit den Verbandszweck ändern614 oder die Gesellschaft auflösen615 kann, abgelehnt.616 Die Grenzen für die ansonsten unbeschränkte Macht des Alleingesell610
In diesem Sinne Fleischer, Corporate Social Responsibility, AG 2017, 509 (517). Vgl. zu den historischen Ursprüngen gemeinschaftlicher Wirtschaftsunternehmen und den Bezügen zum Gemeinwohl oben unter B.I.2.a). 612 Offen zeigt sich noch Fastrich, in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 13 Rn. 20: „(…) nach derzeitiger Erkenntnis“. Historische Gegenansicht Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person, 1981, S. 330 ff.; ders., Konzernrecht und allgemeines Haftungsrecht, DB 1986, 2113 (2117 f.); ähnlich Schulze-Osterloh, Gläubiger- und Minderheitenschutz bei der steuerlichen Betriebsprüfung, ZGR 1983, 123 (158 f.). 613 Für alle Fastrich, in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 13 Rn. 20. 614 §§ 3 Abs. 1 Nr. 2, 53 GmbHG. 615 § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG. 616 BGH, Urt. v. 10. 05. 1993 – II ZR 74/92, BGHZ 122, 333 (336); BGH Urt. v. 21. 06. 1999 – II ZR 47/98, BGHZ 142, 92 (95); Lieder, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, J., GmbHG Bd. 1, 3. Aufl. 2017, § 13 Rn. 146; Merkt, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG Bd. 1, 611
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schafters werden alleine im Gläubigerschutz der Kapitalerhaltungsvorschrift des § 30 GmbHG gesehen, die von der Rechtsprechung zum existenzvernichtenden Eingriff flankiert wird. Von einer Anerkennung der Alleingesellschafter-Treuepflicht durch die Rechtsprechung kann heute jedenfalls nicht mehr die Rede sein. Der Bundesgerichtshof hatte seine Entscheidung zur Haftung des Alleingesellschafters einer Gesellschaft mbH wegen Eingriffen in das Gesellschaftsvermögen, die den Bestand der Gesellschaft gefährdeten, zunächst auf die Pflicht des Gesellschafters zur Rücksichtnahme auf die Belange der Gesellschaft gestützt und damit eine Treuepflicht des Alleingesellschafters gegenüber der Gesellschaft zunächst anerkannt.617 In der nachfolgenden Trihotel-Entscheidung618 wurde jedoch § 826 BGB zur Haftungsgrundlage der sog. Existenzvernichtungshaftung erhoben und ist seitdem als dogmatischer Rechtsgrund anerkannt.619 Nach den bisherigen Erkenntnissen scheiden gewichtige Eigeninteressen der EinPersonen-Gesellschaft auch auf Grundlage des Kontinuitätsinteresses aus, das insoweit ganz überwiegend von den Eigentümern und im Fall der öffentlichen EinPersonen-Gesellschaft von der Gebietskörperschaft allein getragen wird. Die Gebietskörperschaft ist allerdings hinsichtlich ihrer Interessen nicht mit privaten Gesellschaftern vergleichbar. Die Gebietskörperschaft ist im Unterschied zu einer privaten Person interessenpluralistisch indoktriniert und vertritt die gemeinsamen Interessen der Gesellschaft. Dabei ist sie verfassungsrechtlich zum wirtschaftlichen und sparsamen Umgang mit ihren Haushaltsmitteln und zur Förderung des Gemeinwohls verpflichtet.620 Überführt sie ihre Verwaltungsaufgaben in eine privatrechtliche Organisationsstruktur, folgen ihr auch die von ihr zu vertretenden pluralistischen Interessen der Bevölkerung in die gewählte Organisationsform.621 Die konkrete Interessenlage in der öffentlichen Ein-Personen-Gesellschaft unterscheidet sich damit von der privaten Ein-Personen-Gesellschaft und ähnelt vielmehr der Situation einer großen Gesellschaft, deren Anteile im Streubesitz liegen. Liegen kraft des Verbandszwecks die Interessen der Bevölkerung in der Gestalt des Gemeinwohls 3. Aufl. 2018, § 13 Rn. 106; Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 20. Aufl. 2020, § 14 Rn. 29; Seibt, in: Scholz, GmbHG Bd. 1, 12. Aufl. 2018, § 14 Rn. 74; Fastrich, in: Noack/ Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 13 Rn. 20 m. w. N. Für eine Treuepflicht des Alleingesellschafters zuletzt Wimmer-Leonhardt, Weisungsrechte gegenüber kommunalen Aufsichtsratsmitgliedern, in: FS Martinek, 2020, 885 (898); Priester, Die eigene GmbH als fremder Dritter, ZGR 1993, 512 (520 f.); Ulmer, Der Gläubigerschutz im faktischen GmbH-Konzern beim Fehlen von Minderheitsgesellschaftern, ZHR 1984, 391 (418); zu den Widersprüchen der früheren BGH-Rspr. s. Winter, Eigeninteresse und Treuepflicht bei der Einmann-GmbH in der neueren BGH-Rechtsprechung, ZGR 1994, 570 (580 ff.). 617 BGH, Urt. v. 17. 09. 2001 – II ZR 178/99 („Bremer Vulkan“), NJW 2001, 3622 (3623). 618 BGH, Urt. v. 16. 07. 2007 – II ZR 3/04 („Trihotel“), NJW 2007, 2689 (2690). 619 Vgl. die nunmehr st. Rspr. BGH, Urt. v. 28. 04. 2008 – II ZR 264/06, („Gamma“), NJW 2008, 2437 (2438 f.); BGH, Beschl. v. 02. 06. 2008 – II ZR 104/07, NZG 2008, 597 (598), BGH, Urt. v. 09. 02. 2009 – II ZR 292/07 („Sanitary“), NJW 2009, 2127 (2128 f.). 620 Ausführlicher unten unter C.I. 621 Vgl. Katz, Demokratische Legitimationsbedürftigkeit der Kommunalunternehmen, NVwZ 2018, 1091 (1094 f.).
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im Gesellschafts- und Unternehmensinteresse, zählt die öffentliche Gesellschaft mbH zur Gruppe der denkbar größten Gesellschaften mbH. Die Bindung staatlichen Handelns an das Grundgesetz lebt in der privatrechtlich organisierten Verwaltung fort und umfasst neben den Grundfreiheiten622 den Verfassungsauftrag zur Förderung der Zivilgesellschaft mitsamt und in Ihrer Vielfalt. Die Gemeinwohlbindung der unternehmerisch tätigen Gebietskörperschaft verlangt mithin auch im Rahmen einer privatrechtlich organisierten Ein-Personen-Gesellschaft mbH nach der Berücksichtigung vielfältiger Gemeininteressen. Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht füllt sich mit den vom Satzungszweck der öffentlichen Gesellschaft mbH umfassten Gemeinwohlinteressen. Das Korrektiv vom Verbot der Flucht in das Privatrecht gebietet daher auch in der öffentlichen Ein-Personen-GmbH die Anerkennung der interessenpluralistischen Zielkonzeption des Aktienrechts. Ihre Gemeinwohlbindung macht die Gebietskörperschaft der Gesellschaft mbH durch den Gesellschaftszweck zur Existenz- und Interessengrundlage und verpflichtet sich dadurch gleichsam selbst, das Gemeinwohl mit und durch die Gesellschaft mbH zu fördern.623 Einer ausdrücklichen Erwähnung der Gemeinwohlbelange in der Art eines Gemeinwohlpostulats624 im Gesellschaftsvertrag bedarf es im Fall der Ein-Personen-Gesellschaft nicht.625 Die Gemeinwohlbindung der Gebietskörperschaft und der von ihr gewählten Organisationsform besteht ipso iure. Mit der Pflicht der öffentlichen Gesellschaft mbH zur Berücksichtigung des Gemeinwohls sind gleichsam ihre Verwaltungsorgane den interessenpluralistischen Leitmotiven unterworfen, die in dieser Abstraktheit auch von Vorstand und Aufsichtsrat der öffentlichen Aktiengesellschaft berücksichtigt werden müssen.626 Die öffentliche Ein-Personen-Gesellschaft mbH unterscheidet sich damit in zwei zentralen Punkten von einer privaten Ein-Personen-Gesellschaft mbH. Trotz der singulären Gesellschafterstruktur ist die öffentliche Gesellschafterin kraft Ihrer satzungsrechtlichen Eigenverpflichtung (erstens) der Gesellschaft mbH zur Treue und Sorgfalt verpflichtet, womit unumgänglich (zweitens) die Gesellschaft selbst als Rechtsträgerin eines Gemeinwohl gebundenen Eigeninteresses anzuerkennen ist. Wenngleich auch die öffentliche Alleingesellschafterin ihrerseits dem Gemeinwohl verpflichtet ist und das Interesse der Alleingesellschafterin und das Gesellschaftsinteresse bei abstrakter Betrachtung identisch zu sein scheinen, ist im Un622 Vgl. BVerfG, Urt. v. 22. 02. 2011 – 1 BvR 699/06 („Fraport“), NJW 2011, 1201 (1202 f.); BverfG, Urt. v. 07. 11. 2017 – 2 BvE 2/11 („Deutsche Bahn“), NVwZ 2018, 51 (59). 623 Zum Zusammenhang von Verbandszweck und Treuepflicht vgl. Grigoleit, in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl. 2020, § 1 Rn. 50 ff. m. w. N. 624 Vgl. § 70 Abs. 1 AktG 1937, hierzu bereits oben unter B.II.4.d)dd); RegE zu § 2 GmbHG v. 1939, hierzu soeben. 625 Für gemischt-wirtschaftliche Unternehmen soll eine Gemeinwohlklausel dahingegen obligatorisch sein, vgl. Habersack, Private Public Partnership, ZGR 1996, 544 (556 ff.). 626 Zur Bindung der Verwaltungsorgane an den Gesellschaftszweck als „Richtschnur für sämtliches Organ- und Mitgliederhandeln“ s. Habersack, Private Public Partnership, ZGR 1996, 545 (552 f.).
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
terschied zur privaten Ein-Personen-GmbH der Gleichlauf von Gesellschafts- und Gesellschafterinteresse im Einzelfall nicht garantiert. Identisch ist insoweit lediglich die abstrakte Zielbestimmung. Das Gemeinwohl wirkt gerade nur als Beurteilungsmaßstab und seine Förderung ist das Handlungsziel. Die konkreten Interessen der Gebietskörperschaft einerseits und der öffentlichen (Ein-Personen-)Gesellschaft mbH andererseits, die vom Gemeinwohl umfasst und diesem dienlich sein müssen, richten sich nach dem Aufgabenprofil der Gesellschaft und nach einer konkretisierten Interessenlage im Einzelfall. Dabei obliegt es nicht exklusiv der Gebietskörperschaft, das Gemeinwohl für die Gesellschaft und ihre Verwaltungsorgane zu bestimmen. Mit der Überführung von staatlichen Aufgaben der Daseinsvorsorge in die privatrechtliche Organisation und der damit verbundenen Indienstnahme von fachlichen Leitern für die Geschäftsführung und die Bestellung von Experten in das Aufsichtsorgan, gibt die Gebietskörperschaft Teile ihrer Entscheidungsprärogative an die Gesellschaft ab. Die demokratische Legitimationskette halten die Gesellschafterrechte der Alleingesellschafterin aufrecht, die zur Bestellung und Abberufung der Mitglieder von Geschäftsführung und Aufsichtsrat berufen ist und dadurch jederzeit steuernden Einfluss auf die Gesellschaft nehmen kann. Daneben liegt der Gebietskörperschaft das Weisungsrecht gegenüber der Geschäftsführung gem. § 37 Abs. 1 GmbHG als milderes Mittel zur gezielten Steuerung der Gesellschaftsangelegenheiten zur Hand, wodurch automatisch eine das Gemeinwohl konkretisierende Angleichung der Interessen der Gebietskörperschaft einerseits und derjenigen der Gesellschaft andererseits erreicht werden kann.627 Für die öffentliche Gesellschaft mbH bedeutet das zusammenfassend zweierlei: Das aktienrechtliche Handlungsleitbild vom pluralistischen Gemeinwohlinteresse wirkt (bedingt) auch als Handlungsmaßstab für die Verwaltungsorgane der öffentlichen Gesellschaft mbH, sogar wenn sie im Alleineigentum einer Gebietskörperschaft steht. Die öffentliche Alleingesellschafterin ist grundsätzlich auch Ihrem privatrechtlich organisierten Verband zur Treue verpflichtet, wobei das Gemeinwohl, zu dessen Förderung der Staat verpflichtet ist, die Schrankensystematik628 konkretisiert. Es ist die zwingende und unauflösbare Bindung staatlichen Handelns an das Gemeinwohl, das einer grundlegenden Andersbewertung organisationsrechtlicher Rechte und Pflichten der öffentlichen Gesellschafterin allein aufgrund der im GmbH-Recht bestehenden Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die Geschicke der Gesellschaft entgegensteht. Davon unberührt bleibt allerdings die Möglichkeit der Gebietskörperschaft, der Treuepflicht im Rahmen der staats- und verwaltungsrechtlichen Grenzen der öffentlichen Unternehmerschaft durch Regelungen im Gesellschaftsvertrag klare Konturen zu verleihen.
627
Einschränkend und zur Zurückhaltung mit dem Weisungsrecht mahnend Wimmer-Leonhardt, Weisungsrechte gegenüber kommunalen Aufsichtsratsmitgliedern, in: FS Martinek, 2020, 885 (900). 628 Zum Unternehmensinteresse als Schrankenregelung bereits oben unter B.II.4.d)dd).
II. Die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht de lege lata
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Für das Aufsichtsratsmitglied der öffentlichen Ein-Personen-Gesellschaft mbH ergibt sich hinsichtlich der zu berücksichtigenden Interessen die Erkenntnis, dass über die organschaftliche Treuebindung zur Gesellschaft das Gemeinwohl das pluralistische Interessenspektrum definiert, welches Ermessenentscheidungen zur Grundlage zu machen ist. Das Aufsichtsratsmitglied der öffentlichen Ein-PersonenGmbH ist damit indirekt auch dem Gemeinwohl zu dienen verpflichtet. f) Konklusion: Verschwiegenheit im aktienrechtlichen Ermessensbild Der zeitlose Diskurs darüber, ob die Leitungs- und Aufsichtsorgane der Kapitalgesellschaft lediglich den Interessen der Gesellschafter (Shareholder Value) oder auch denen der Nichtgesellschafter (Stakeholder Value) verpflichtet sind, überlagert die ohnehin überladene Debatte zu aktienrechtlichen Leitmaximen. Aufgrund der unübersichtlichen Vielschichtigkeit der Thematik ist häufig vom „juristischen Ei des Kolumbus“ die Rede.629 Dementgegen steht eine einfache Lösung dieser komplexen Gemengelage – anders als beim metaphorischen Gleichnis – keinesfalls in Aussicht. Weder die Idee eines dem Unternehmensinteresse zugrundeliegenden Rechtskonzepts als Mittel zur Bewältigung etwaiger Interessengegensätze zwischen Gesellschafter-, Arbeitnehmer- und Allgemeininteressen oder die Ergründung dogmatischer Ansätze für jedwede Sichtweise, noch Konzeptionen zur statuarischen Festlegung eines primär zu beachtenden Handlungsleitbildes zugunsten auserwählter Interessen vermögen eine Lösung, geschweige denn eine einfache und im Allgemeinen Anerkennung erfahrende Kombination aus stringenten Antworten auf die jahrzehntelang angereicherte Sammlung von Fragen anzubieten.630 Nach modernem Begriffsverständnis verbirgt sich hinter dem noch immer vorherrschenden aktienrechtlichen Leitbild des interessenpluralistischen Unternehmensinteresses die Pflicht von Vorstand und Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft zur Berücksichtigung vielfältiger Gesellschafter- und Nichtgesellschafterinteressen im Rahmen von Ermessensentscheidungen.631 Konkret verbergen sich hinter dem Sammelbegriff des Unternehmensinteresses die Interessen der Anteilseigner, Arbeitnehmer, Verbraucher und des Staates sowie – im Fall der öffentlichen Kapitalgesellschaft – die Interessen der öffentlichen Hand als Sonderform einer Anteilseignerin, die gegenüber den Interessen des Kapitalverbands – in erster Linie dem 629
Begriffsprägend Mertens, Der Aktionär als Wahrer des Rechts, AG 1990, 49 (54). Ohne praxistaugliche Ergebnisse auch Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 76 Rn. 68; Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 76 Rn. 36. 631 Auch die Rechtsprechung bedient sich dem Begriff des Unternehmensinteresses, jedoch ohne den als rechtsverbindlich anerkannten Gehalt oder eine Definitionshilfe zu benennen, vgl. BGH, Urt. v. 05. 06. 1975 – II ZR 156/73 („Bayer“), BGHZ 64, 325 (331) = NJW 1975, 1412 (1413); Fleischer, Unternehmensinteresse und intérêt social, ZGR 2018, 703 (719 f.) führt dazu aus, dass der Bundesgerichtshof jeweils die von einer konkreten Maßnahme im Sinne der Stakeholder-Theorie betroffenen Interessen und Interessenträger würdigt und beruft sich dabei auf mündliche Äußerungen eines ehemaligen Bundesrichters. 630
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
dauerhaften Rentabilitätsinteresse – in Ausgleich zu bringen sind.632 Davon mitumfasst ist insbesondere das Gemeinwohl(-interesse). In das Unternehmensinteresse sollen die dem pluralistischen Wesen der Aktiengesellschaft immanenten Zielbestimmungen einfließen und diese letztlich durch das Vorstands- und Aufsichtsratshandeln insbesondere mit dem satzungsgemäßen Gesellschaftszweck in Einklang gebracht werden. Für die aktienrechtliche Schweigepflicht des Aufsichtsrats soll das Unternehmensinteresse als Freiraum für die Ausübung der Sorgfalts- und Treuepflichtkonkretisierung fruchtbar werden. Diese Darstellung soll jedoch nicht weniger als ein „zahnloses Ideal“633 auf dem Rücken einer moralethisch definierten Wunschvorstellung sein. De lege lata steht eine justiziable Verwirklichung dieser Indoktrination auf Betreiben der Nichtgesellschafter nicht in Aussicht und sollte sich ehrlicherweise besser als Aufforderung an den Gesetzgeber verkleiden lassen, normative Bestimmungen zum Schutz von Nichtgesellschafter-Interessen zu erlassen und der bisher an den Verbandszweck gebundenen Aktiengesellschaft eine tiefgreifende Neuausrichtung aufzulegen.634 Nachdem allgemeine Ernüchterung über die Werthaltigkeit aktienrechtlicher Leitbilder für die Praxis der Unternehmensleitung eingetreten ist und bis heute keine konkreten und insbesondere nicht justiziablen Handlungsanforderungen an die obersten Verwaltungsorgane der Aktiengesellschaft nur unter Heranziehung unbestimmter Leitmaxime gestellt werden, verbleibt dennoch die Frage nach einem Restwert der Diskussion um vergeistigte Konzepte zur Bewältigung aller Organpflichten.635 Tatsächlich bieten sich den Stakeholdern keine Möglichkeiten, die eigenen Belange im Rahmen der Entscheidungen der obersten Verwaltungsorgane der Aktiengesellschaft einzuklagen.636 Insoweit stellt sich eine entsprechende Verpflichtung ebendieser Organe zur Berücksichtigung von Stakeholder-Interessen als rein idealistische Zielvorstellung dar, deren Erfüllung letztlich nur durch eine freibleibende Selbstverpflichtung eintreten kann.637 Zu keiner anderen Ansicht wird die 632 Zusammenfassend auch Spindler, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel Bd. 1, Kap. 13 Rn. 76. 633 Freie Übersetzung von Fleischer, Gesetzliche Unternehmenszielbestimmungen, ZGR 2017, 411 (424). 634 Kritisch Fleischer, Gesetzliche Unternehmenszielbestimmungen, ZGR 2017, 411 (425). 635 Zur ausbleibenden Relevanz der Debatte über aktienrechtliche Leitbilder für die Praxis bereits früh Grossmann, Unternehmensziele im Aktienrecht, 1980, S. 61 f.; vgl. auch das Resümee von Fleischer, Gesetzliche Unternehmenszielbestimmungen im Aktienrecht, ZGR 2017, 411 (425): „Viel Lärm um wenig“. 636 Vgl. Fleischer, Gesetzliche Unternehmenszielbestimmungen im Aktienrecht, ZGR 2017, 411 (423 f.). 637 Windbichler, Gesellschaftsrecht, 24. Aufl. 2017, § 27 Rn. 23, hält unter Verweis auf das von den Aktionären zu tragende wirtschaftliche Ausfallrisiko nur die langfristigen Aktionärsinteressen für prioritär; vgl. zur Rechtslage nach § 70 Abs. 1 AktG 1937 Danielcik, AktG 1937, § 70 Rn. 6, wonach die Gemeinwohlklausel des § 70 Abs. 1 AktG 1937 nicht lediglich ethische Forderung, sondern verbindliche Rechtsvorschrift sei und im Fall der Missachtung Schadensersatzforderungen der Gesellschaft begründen und sogar zu ihrer Auflösung führen könne, beziehungsweise einen Grund zur Abberufung des Vorstands begründen würde.
II. Die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht de lege lata
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Erkenntnis führen, dass die übrigen Gesellschaftsorgane (Gesellschafterversammlung und Aufsichtsrat) die Berücksichtigung von Stakeholder-Interessen einklagen könnten.638 Der Mehrwert eines aktienrechtlichen Idealbilds ist daher nicht in indeterminierten positiven Handlungsvorgaben zu suchen, sondern in der Prozesssteuerung organschaftlicher Ermessensausübung in den Grenzen der Gesetze und mit dem Formalziel der satzungsrechtlich definierten Zweckorientierung.639 Gerade mit Blick auf das normative Verschwiegenheitsgebot für Aufsichtsratsmitglieder stellt sich sodann die Frage, inwieweit aktienrechtliche Leitvorgaben die prozessgesteuerte Interessenabwägung mit dem Ergebnis einer vertretbaren Entscheidungsfindung beeinflussen. Hiervon strikt zu unterscheiden ist die Einhaltung der Legalitätspflicht, mithin die Einhaltung der einfach-gesetzlichen Bestimmung des aktienrechtlichen Verschwiegenheitsgebotes nach § 116 S. 1 AktG – auch in Ansehung der Vorschriften der §§ 394, 395 AktG. Eine gemeinsame Schnittmenge finden aktienrechtliche Handlungsleitbilder einerseits und die Legalitätspflicht andererseits im sachlichen Anwendungsbereich der organschaftlichen Verschwiegenheitspflicht, der im Grunde nach objektiven Kriterien zu bestimmen ist.640 Bricht man die Grundlagendiskussion rund um das Unternehmensinteresse auf die aktienrechtliche Schweigepflicht herunter, gelangt man zu dem Ergebnis, dass allein dem Vorstand kraft seiner Leitungsfreiheit die Möglichkeit verbleibt, Gründe zu schaffen, die eine Geheimhaltung einer Information objektiv erforderlich machen.641 Dem Vorstand steht damit faktisch die Konkretisierung des Unternehmensinteresses im Hinblick auf das Geheimhaltungsinteresse frei. Der Vorstand trägt als weisungsunabhängiges Leitungsorgan die Macht, bestimmte Informationen durch Schaffung einer Tatsachengrundlage zielgerichtet einem objektiven Geheimhaltungsbedürfnis zuzuführen und eine Informationsweitergabe steuernd zu unterbinden. Das (wenngleich berichtspflichtige) Mitglied des Aufsichtsrats muss sich an den vom Vorstand geschaffenen Tatsachen orientieren, soweit dem Vorstandshandeln kein zielgerichteter Wille zum Missbrauch der Schweigepflicht für solche Zwecke zugrunde liegt, die nicht dem Unternehmensoder Gesellschaftsinteresse dienen und nicht darauf abzielen, die Gesellschaft vor Schäden zu bewahren. Das Unternehmensinteresse kann in diesem Kontext nur mehr als Schrankenregelung verstanden werden, die als Maßstab für die Bewertung des Handelns der Verwaltungsorgane geeignet ist, abstrakte Ge- oder Verbote demge638
So bereits Fleischer, Gesetzliche Unternehmenszielbestimmungen im Aktienrecht, ZGR 2017, 411 (424). 639 In diese Richtung auch Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 76 Rn. 77, wonach auch die Berücksichtigung sog. „weicher Faktoren und die Notwendigkeit von Prognoseentscheidungen“ die Frage nach der Rechtmäßigkeit organschaftlichen Handelns von der Frage nach ihrer Vertretbarkeit verdrängt wird. 640 Vgl. hierzu bereits oben unter B.II.2. 641 Vgl. Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 76 Rn. 67, wonach „dem Vorstand [die] praktisch zugewiesene Kompetenz zur Konkretisierung eines unbestimmten Rechtsbegriffs“ zuerkannt werden soll; a. A. Fendt, Der Aufsichtsrat in der Mitverantwortung einer interessenpluralistischen Formalzielbestimmung, AG 2017, 99 (101).
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
genüber jedoch nicht aufzustellen vermag. Das Unternehmensinteresse regelt als Schrankenbestimmung nur den Handlungsbereich, der nicht bereits von der Legalitätspflicht erfasst wird. Mit diesem Verständnis erübrigt sich die Kritik aus der Literatur, wonach das als Leerformel missverstandene Unternehmensinteresse einem Freibrief gleichkommen soll. Soweit das (Aktien-)Gesetz Verantwortungsträger in eine Pflichtenkollision lenkt, ohne eine für die Bewältigung der Abwägungsaufgabe praktikable Leitformel bereitzustellen, gebietet die Rechtssicherheit die Zuerkennung eines nach außen begrenzten und nach innen freien Entscheidungsraums, innerhalb dessen eine Entscheidung auf der Grundlage besten Wissens und Gewissens und nach dem Grundsatz von Treu und Glauben unter Abwägung aller maßgeblichen Interessen getroffen werden darf. Die Regelungslücke der Legalitätspflicht im Einzelfall gewährt den Zugang zu dem Raum, das Unternehmensinteresse definiert die Abwägungsgewichte für die zu fällende Ermessensentscheidung. Das vorgebrachte Scheinproblem der mangelhaften Justiziabilität von Entscheidungen im Sinne des Unternehmensinteresses lässt zwei vollständig justiziable Vorfragen außer Acht. In einem konkreten Einzelfall ist in einem ersten Schritt die Frage nach dem Zugang in den Ermessensraum anhand der Legalitätspflicht objektiv nachprüfbar. An zweiter Stelle kann objektiv nachgeprüft werden, ob alle für die Ermessensentscheidung maßgeblichen Interessen, die vom Unternehmensinteresse umfasst sein müssen, Berücksichtigung gefunden haben und sonstige Eigen- oder Fremdinteressen unberücksichtigt geblieben sind. Es mag der mitunter unzureichend klaren Abgrenzung zur Legalitätspflicht geschuldet sein, dass der Rechtsbegriff vom Unternehmensinteresse durch eine überladene Diskussion in ein Schattendasein gedrängt wurde. Dem entgegen sollte in zukünftigen Untersuchungen die Daseinsberechtigung des Unternehmensinteresses der dargestellten Anwendungslogik folgend nicht in Zweifel gezogen werden und der Fokus auf die Konkretisierung der Inhaltsbestimmung gelegt werden. Im Rahmen dieser Arbeit konnte es bei der Rekapitulation der grundlegenden Ansichten zum Gehalt des Unternehmensinteresses sein Bewenden haben, da eine Lösung des Konflikts zwischen der organschaftlichen Verschwiegenheitspflicht einerseits und dem Informationsprivileg der öffentlichen Hand andererseits nicht im Ermessen des Aufsichtsratsmitglieds liegt, sondern im volljustiziablen Wirkungsbereich der Legalitätspflicht. Die Aufsichtsratsmitglieder staatlich beherrschter Gesellschaften mbH sind dem Gemeinwohl verpflichtet und dürfen im Rahmen von Ermessensentscheidungen Interessen berücksichtigen, die von der (Allein-)Gesellschafterin nicht oder nicht rechtmäßig von den Ermessensgründen ausgeschlossen wurden. Die Ausführungen zur Verschwiegenheit im aktienrechtlichen Ermessensbild sind insoweit auf die öffentliche GmbH übertragbar. Mit der Gemeinwohlverpflichtung bringt die staatliche Gesellschafterin durch den Verbandszweck auch den Interessenpluralismus in das Gesellschafts- und Unternehmensinteresse mit ein. An den Grundlagen der aktienrechtlichen Schweigepflicht ändert das jedoch nichts. Der objektivierte
II. Die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht de lege lata
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Pflichtenkäfig des Aufsichtsratsmitglieds öffnet auch in den vom – nach wie vor unbestimmten – Unternehmensinteresse getrübten Tiefen keine Tür für den Einfluss von Ermessensgesichtspunkten, wenngleich das Gemeinwohl im Fall der öffentlichen Gesellschaft mbH definierbare Konturen anzubieten vermag. Ein Verstoß gegen die Vertraulichkeitspflicht ist keinesfalls unter Berufung auf das Unternehmensinteresse zu entschuldigen, da das schützenswerte Geheimhaltungsinteresse der Gesellschaft im Gegenteil zu allen abstrakten (Handlungs-)Leitbildern objektiv bestimmbar und insoweit exklusiv zur Vorgabe konkreter Handlungsvorgaben geeignet ist. Die Weitergabe einer vertraulichen und objektiv schützenswerten Information kann daher auch nicht durch das Unternehmensinteresse gerechtfertigt sein.642 Unter welchen Voraussetzungen berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglieder Gesellschaftsgeheimnisse an die Gebietskörperschaft weitergeben dürfen, richtet sich allein nach Maßgabe der §§ 394, 395 AktG. Etwas anderes kann für Aufsichtsratsmitglieder öffentlicher Unternehmen eines Unternehmensverbunds gelten.
5. Aufsichtsverschwiegenheit im Konzern Seit dem Urteil des Bundesgerichtshofs im Fall VEBA/Gelsenberg643 aus dem Jahr 1977 wird die Unternehmenseigenschaft von Gebietskörperschaften im Sinne der §§ 15 ff. AktG nicht mehr angezweifelt, weshalb auch die konzernrechtlichen Bestimmungen des Aktienrechts auf öffentliche Unternehmen Anwendung finden. Das Rechte- und Pflichtengebilde des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds bleibt im Grundsatz auch dann unverändert, wenn die Kapitalgesellschaft Teil eines konzernierten Unternehmensverbunds ist.644 Damit ist jedoch keine finale Aussage darüber getroffen, ob Aufsichtsratsmitglieder auch konzernintern, d. h. gegenüber Mitgliedern der Verwaltungsorgane verbundener Gesellschaften zur Verschwiegenheit verpflichtet sind oder die Informationsweitergabe ausnahmsweise auch innerhalb des Unternehmensverbunds gegenüber gesellschaftsfremden Dritten rechtmäßig sein kann. Nach den konzernrechtlichen Bestimmungen verlaufen die Kommunikationsbahnen im Unternehmensverbund zwischen den Leitungsorganen von herrschenden und abhängigen Gesellschaften.645 Für die Zwecke der Konzernrechnungslegung und 642 In diesem Sinne OLG Stuttgart, Beschl. v. 07. 11. 2006 – 8 W 388/06, NZG 2007, 72 (74); vgl. aber Dauner-Lieb, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2021, AktG, § 93 Rn. 15, wonach dem Vorstand bei der Weitergabe von Gesellschaftsgeheimnissen ein Ermessensspielraum zustehen soll; aufgeschlossen auch Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 93 Rn. 67 m. w. N. 643 BGH, Urt. v. 14. 10. 1977 – II ZR 123/76, NJW 1978, 104. 644 Vgl. Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 111 Rn. 63 f. 645 Das entspricht dem Verständnis vom Leitungsorgan als „Herr über die Gesellschaftsgeheimnisse“, das auch im Unternehmensverbund fortlebt, ausführlich hierzu Wittmann, Informationsfluss im Konzern, 2008, S. 44 ff.
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
Prüfung sieht etwa § 294 Abs. 3 HGB einen Informationsanspruch des Leitungsorgans der Muttergesellschaft gegen das Leitungsorgan verbundener Unternehmen vor. Die Überwachungsorgane der Konzerngesellschaften übernehmen insoweit grundsätzlich keine Funktion in der konzernrechtlichen Kommunikationsstruktur.646 Faktisch liegt es jedoch nahe, dass auch die Mitglieder des Aufsichtsrats eines herrschenden Unternehmens und Mandatsträger von Überwachungsorganen abhängiger Unternehmen miteinander kommunizieren.647 Probleme im Zusammenhang mit der beidseitig bestehenden organschaftlichen Schweigepflicht treten dann auf, wenn die Gespräche vertrauliche Informationen und Geheimnisse der herrschenden Gesellschaft, der abhängigen Gesellschaft oder anderer Konzernunternehmen (Konzerngeheimnisse) zum Gegenstand haben. Die Wirkung der organschaftlichen Verschwiegenheitspflicht im Unternehmensverbund ist nach ihrem sachlichen Tatbestand und der subjektiven Reichweite einer gesonderten Untersuchung für den Aufsichtsrat der Obergesellschaft einerseits und den Aufsichtsrat der abhängigen Gesellschaft andererseits zu untersuchen und danach zu bewerten, ob und an wen eine Mitteilung von vertraulichen und geheimen Informationen erfolgen darf. a) Aufsichtsrat der Obergesellschaft Der Aufsichtsrat der Obergesellschaft überwacht die Geschäftsführung der Obergesellschaft, nicht auch die Geschäftsführung verbundener Unternehmen, er ist kein „Konzern-Aufsichtsrat“.648 Eine konzernbedingte Ausweitung der Pflichten des Aufsichtsrats der Obergesellschaft erstreckt sich insoweit auch auf verbundene Unternehmen, als mit der Pflicht der Geschäftsleitung der Obergesellschaft, einen Konzernabschluss nebst Konzernlagebericht aufzustellen, die Pflicht des Aufsichtsrats zur Prüfung dieser Konzernberichte einhergeht und damit zwangsläufig auch eine indirekte Überwachung und Prüfung der Geschäftsleitung der Untergesellschaft(en) verbunden ist, § 171 Abs. 1 S. 1 AktG.649 Das Korrelat aus Rechten 646
Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 111 Rn. 15; vgl. auch Singhof, Zur Weitergabe von Insiderinformationen im Unterordnungskonzern, ZGR 2001, 146 (156) Rn. 38: „Der Vorstand wirkt danach als Relaisstelle für die auf das konzernweite Geschehen bezogenen Informationen, da für einen unmittelbaren Informationsaustausch zwischen Tochteraufsichtsrat und Mutteraufsichtsrat die rechtliche Grundlage fehlt.“ 647 Davon zu unterscheiden ist die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Nutzung von vertraulichen Informationen aus der Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied einer abhängigen Gesellschaft im Rahmen der Ausübung organschaftlicher Pflichten im Vorstand der herrschenden Gesellschaft. Zur Thematik der multiplen Organstellung siehe unten unter B.II.6. 648 Hopt/Roth, in: Hirte/Mülbert/Roth, Großkomm AktG Bd. 5, 5. Aufl. 2019, § 111 Rn. 348; Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 111 Rn. 15; Mertens/Cahn, in: KK AktG Bd. 2/2, 3. Aufl. 2013, § 111 Rn. 28 ff. m. w. N. 649 Zum Maßstab und Umfang der Überwachungspflicht des Aufsichtsrats der Obergesellschaft Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 111 Rn. 64.
II. Die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht de lege lata
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und Pflichten, insb. im Hinblick auf den Schutz von Konzerninformationen, deren Kenntniserlangung der Pflichtenpool des Aufsichtsrats der Obergesellschaft voraussetzt,650 wirft sodann Fragen zur sachlichen und subjektiven Reichweite der aktienrechtlichen Schweigepflicht in Konzernangelegenheiten auf. Im Zusammenhang mit der aktienrechtlichen Schweigepflicht wird – soweit ersichtlich – nicht explizit thematisiert, dass auch die Aufsichtsratsmitglieder der Obergesellschaft einer Verschwiegenheitspflicht gegenüber den Verwaltungsorganen einer konzernierten Untergesellschaft betreffend den aus ihrer Sphäre stammenden Gesellschaftsgeheimnissen und vertraulichen Angaben unterliegen könnten.651 Das mag sich mit der gesetzlich vorgesehenen Kommunikationsstruktur im Konzern erklären lassen, die eine Kommunikation zwischen dem Aufsichtsrat einer Obergesellschaft mit den Verwaltungsorganen verbundener Unternehmen nicht vorsieht. Der Aufsichtsrat der Obergesellschaft erhält seine (Konzern-)Informationen regelmäßig vom Vorstand der Obergesellschaft und kann nicht etwa (auch) eigene Informationsrechte gegenüber den Verwaltungsorganen abhängiger Gesellschaften geltend machen.652 Die gesetzlichen Bestimmungen zum Informationsfluss im Konzern schließen allerdings nicht aus, dass sich Aufsichtsratsmitglieder verbundener Gesellschaften in der Praxis zur gegenseitigen Verständigung und konzerninternen Synergiegewinnung austauschen. Im Hinblick auf die sachliche Dimension der Schweigepflicht tragen Informationen, deren Bekanntwerden im negativen Empfängerkreis einen Schaden für die Tochtergesellschaft verursachen würden, dasselbe Gefahrenpotenzial für die Obergesellschaft – wenn auch indirekt. Schäden der Untergesellschaft sind immer auch Schäden für den Unternehmensverbund und fallen letztlich der Obergesellschaft zur Last. Objektiv liegt die Geheimhaltung einer nicht öffentlich bekannten Information aus der Sphäre einer Untergesellschaft damit immer auch im Interesse der Obergesellschaft. Aufsichtsräte einer Obergesellschaft sind daher allgemein auch zur Verschwiegenheit über Gesellschaftsgeheimnisse und vertrauliche Angaben einer verbundenen (Tochter-)Gesellschaft verpflichtet. Jede vertrauliche Angabe und jedes Gesellschaftsgeheimnis einer Untergesellschaft ist im selben Maße auch eine
Siehe auch die RegBegr., BT-Drucks. 13/9712, S. 15 zum KonTraG, wonach die Überwachungs- und Organisationspflicht bei Mutterunternehmen „konzernweit“ gilt. 650 Zu den Informationsrechten des Aufsichtsrats verbundene Unternehmen betreffend Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 149 f. 651 Einer Weitergabe aller sonstigen vertraulichen Angaben und Gesellschaftsgeheimnisse, die nicht aus der Sphäre der betreffenden Gesellschaft selbst stammen, also geschützte Informationen aus der Sphäre der Obergesellschaft oder einer anderen mit ihr verbundenen (Tochter-)Gesellschaft (Konzerngeheimnisse), steht die aktienrechtliche Schweigepflicht unbestritten entgegen. Insofern sind die Organwalter verbundener Unternehmen als gesellschaftsfremde Dritte keine rechtmäßigen Informationsempfänger, vgl. Spindler, in: Spindler/ Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 116 Rn. 123; s. hierzu auch oben unter B.II.3.a). 652 Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 111 Rn. 15.
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
vertrauliche Angabe bzw. Gesellschaftsgeheimnis der Obergesellschaft.653 Insoweit besteht kein Unterschied zu den voranstehenden Ausführungen über die sachliche und subjektive Reichweite der organschaftlichen Schweigepflicht des Aufsichtsrats einer Obergesellschaft.654 Mitglieder der Verwaltungsorgane einer Tochtergesellschaft sind aus der Perspektive des Aufsichtsratsmitglieds der Obergesellschaft gesellschaftsfremde Dritte, die über vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Obergesellschaft nicht in Kenntnis gesetzt werden dürfen und damit keine tauglichen Kommunikationspartner. Anders kann es sich gegenüber den Aufsichtsratsmitgliedern derjenigen Gesellschaft verhalten, auf die sich ein Geheimnis oder eine vertrauliche Angabe bezieht, beziehungsweise aus deren Sphäre die geschützte Information stammt. Soweit der Aufsichtsrat der verbundenen Gesellschaft Kenntnis von den vertraulichen Informationen hat, scheidet eine pflichtwidrige Offenbarung schon nach dem Begriffsverständnis aus, wonach eine fehlende Kenntnis von der übermittelten Information auf der Seite des Erklärungsempfängers vorausgesetzt wird.655 Etwas anderes gilt für den Fall, dass das Aufsichtsratsmitglied über vertrauliche Angaben oder Geheimnisse aus der Sphäre der Gesellschaft, der er organschaftlich verpflichtet ist, keine Kenntnis hat. Einerseits darf ein Aufsichtsratsmitglied der Obergesellschaft die vollumfängliche Information der Mitglieder des Überwachungsorgans der Tochtergesellschaft voraussetzen und muss sich über den Wissensstand einzelner Aufsichtsratsmitglieder nicht gesondert vergewissern. Andererseits kann ein objektiv zu bestimmendes Gesellschaftsinteresse an der Geheimhaltung einer Information gegenüber den Mitgliedern des Aufsichtsrats nur in wenigen Ausnahmefällen der Informationsübermittlung schweigepflichtbegründend entgegenstehen. Drittens kann und muss der Aufsichtsrat der verbundenen Gesellschaft seinen Pflichtrechten entsprechend selbst aktiv werden, soweit der Vorstand den Informationspflichten nicht gerecht wird. Im letzteren Fall macht es keinen Unterschied, ob sich der Aufsichtsrat mittels seiner Informationsrechte selbst durch Informationsbeschaffung in Kenntnis setzt oder Informationen – wenn auch zufällig – durch Gespräche mit dem Aufsichtsrat der Obergesellschaft erhält. Erst die vollumfängliche Information des Aufsichtsrats der Untergesellschaft ermöglicht die wirkungsvolle Überwachung des Leitungsorgans derselben, was dem Gesellschaftsinteresse der (Unter-)Gesellschaft, dem Konzerninteresse und auch 653
Mertens/Cahn, in: KK AktG Bd. 2/2, 3. Aufl. 2013, § 116 Rn. 52; Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 57; Hopt/Roth, Der Aufsichtsrat, 2019, § 116 Rn. 203. 654 Vgl. hierzu die Ausführung zum objektiven und subjektiven Tatbestand der Schweigepflicht oben unter B.II.2. und B.II.3.a). 655 Dass die Mitglieder des Vorstands keine Kenntnis über vertrauliche Angaben und Gesellschaftsgeheimnisse aus der Sphäre der verbundenen Gesellschaft haben, der sie organschaftlich verpflichtet sind, ist nahezu ausgeschlossen und kann lediglich Sachverhalte einer möglichen Anspruchstellung seitens der Untergesellschaft gegenüber einem ihrer Organwalter betreffen.
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dem Interesse des Vorstands der Obergesellschaft entspricht. Nur soweit eine vertrauliche Angabe oder ein Gesellschaftsgeheimnis die Geltendmachung von Ansprüchen gegen ein Mitglied des Aufsichtsrats selbst oder diesbezüglich vorbereitende Maßnahmen betrifft, darf einerseits das Aufsichtsratsmitglied der Obergesellschaft nicht voraussetzen, dass der betroffene Organwalter der Untergesellschaft informiert ist und andererseits nicht verkennen, dass eine Informationsoffenbarung die Durchsetzung der Ansprüche der (Tochter-)Gesellschaft gefährden und dadurch letztlich auch der Obergesellschaft ein Schaden entstehen könnte. Diese seltenen Ausnahmekonstellationen ausgenommen ist das Aufsichtsratsmitglied der Obergesellschaft stets dazu berechtigt mit den Mitgliedern des Überwachungsorgans einer untergeordneten Gesellschaft über vertrauliche Angaben und Gesellschaftsgeheimnisse zu diskutieren, soweit sie aus der Sphäre konkret dieser Untergesellschaft stammen und keine Rückschlüsse auf vertrauliche Angaben und Gesellschaftsgeheimnisse der Obergesellschaft gezogen werden können. In der Kommunikationsrichtung „von oben nach unten“ kann daher in Bezug auf die geschützten Informationen „von unten“ eine Lockerung der organschaftlichen Schweigepflicht angenommen werden.656 Das gilt unabhängig davon, dass in der Beziehung von Aufsichtsratsmitgliedern verbundener Unternehmen im Über-/Unterordnungsverhältnis nach den Bestimmungen des Aktienrechts keine Kommunikation verpflichtend vorgesehen ist. b) Aufsichtsrat der Untergesellschaft Für die Mitglieder des Aufsichtsrats einer abhängigen Gesellschaft existieren mit den Verwaltungsorganen der Obergesellschaft zwei konzerninterne Kommunikationsbahnen zu gesellschaftsfremden Dritten, die dem Grundsatz der aktienrechtlichen Schweigepflicht nach § 116 S. 1 AktG i. V. m. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG entsprechend nicht über vertrauliche Informationen und Gesellschaftsgeheimnisse in Kenntnis gesetzt werden dürfen. Für die Übermittlung von geschützten Gesellschaftsinformationen durch Aufsichtsratsmitglieder einer konzernierten Untergesellschaft in Richtung der Verwaltungsorgane der Konzernobergesellschaft kann nicht dasselbe angenommen werden wie für die entgegengesetzte Kommunikationsrichtung. Das einzelne Aufsichtsratsmitglied ist immer der „eigenen“ Mandatsgesellschaft zur sorgfältigen und treuegerechten Ausübung aller organschaftlichen Pflichten verschrieben. Es folgt aus den aktienrechtlichen Bestimmungen zum Recht des Unternehmensverbunds insbesondere keine allgemeine Pflicht zur vordergründigen Berücksichtigung der 656
Ein Über-/Unterordnungsverhältnis zwischen einer abhängigen und einer herrschenden Gesellschaft ist keine zwingende Voraussetzung. Die Wortwahl dient der bildlichen Veranschaulichung und beschränkt die Ausführungen inhaltlich nicht auf den Über-/Unterordnungskonzern, sondern umfasst auch den Gleichordnungskonzern. Über beidseitig bekannte Tatsachen – ob geheim oder vertraulich – darf diskutiert werden.
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
Interessen einer Obergesellschaft durch die Organe einer Untergesellschaft. Den oben ausgeführten Grundsätzen folgend erstreckt sich die Verschwiegenheitspflicht über objektiv geheim zu haltende Informationen aus der Sphäre der Untergesellschaft in subjektiver Reichweite auch auf die Organmitglieder einer weiteren Tochter- bzw. der Obergesellschaft, die lediglich als konzerninterne, aber gesellschaftsfremde Dritte den Kreis berechtigter Geheimnisempfänger nicht betreten. Aufsichtsratsmitglieder einer Untergesellschaft sind damit grundsätzlich nach §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 3 AktG auch konzernintern gegenüber gesellschaftsfremden Dritten, die Organen einer anderen Tochter- oder Obergesellschaft desselben Unternehmensverbunds angehören, zur Verschwiegenheit verpflichtet. Dieses Zwischenfazit stellt allerdings keine allgemeingültige Regel auf. Den zahlreich ausgemachten Problemen und detailreich diskutierten Fragestellungen zum Informationsfluss im Konzern widmen sich mitunter umfangreiche Forschungsarbeiten.657 Für die Zwecke dieser Untersuchung soll eine auf die Schweigepflicht des Aufsichtsrats einer Untergesellschaft reduzierte Darstellung einen Überblick darüber verschaffen, inwieweit die Konzernierung zur Lockerung der Schweigepflicht im Unternehmensverbund beiträgt. Die Darstellung soll um wenige eigene Gedanken ergänzt werden, die sich an die Ausführungen zum Unternehmensinteresse anschließen. Die Frage nach der Rechtmäßigkeit einer Weitergabe von geheimen oder vertraulichen Gesellschaftsinformationen an Verwaltungsorgane der herrschenden Obergesellschaft wird in Abhängigkeit zu den Informationsrechten der Obergesellschaft gegenüber der Untergesellschaft behandelt. Die ganz überwiegende Ansicht in der Literatur spricht alleine dem Leitungsorgan der herrschenden Gesellschaft Informationsrechte gegenüber der abhängigen Gesellschaft zu, nicht jedoch dem Aufsichtsrat, der seine Informationen allein von dem Leitungsorgan der Mandatsgesellschaft bezieht.658 In konsequenter Schlussfolgerung kann daher der Aufsichtsrat der Obergesellschaft auch im Unternehmensverbund für die Verwaltungsorgane der abhängigen Gesellschaft kein tauglicher Empfänger von geschützten Gesellschaftsgeheimnissen der Untergesellschaft sein. Ob das Leitungsorgan der Obergesellschaft tauglicher Empfänger von vertraulichen und geheimen Informationen der Untergesellschaft ist und insoweit durch den Aufsichtsrat der Untergesellschaft abweichend vom oben dargestellten Zwischenfazit informiert werden darf, wird unterschiedlich beurteilt. Zur Untersuchung der Frage wird nachfolgend einerseits für Unternehmensgruppen allgemein auf die einheitliche (Konzern-)Leitung nach § 18 AktG Bezug genommen und im Anschluss 657
Zuletzt etwa Mader, Der Informationsfluss im Unternehmensverbund, 2016; Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014; Grundmeier, Rechtspflicht zur Compliance im Konzern, 2011; Wittmann, Informationsfluss im Konzern, 2007, S. 28 ff. 658 Stellvertretend für viele Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 60 m. w. N.
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für die faktisch konzernierte Unternehmensgruppe einerseits und den Vertragskonzern andererseits auf unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen einzugehen sein. aa) Einheitliche Leitung nach dem Trennungsprinzip Die in der organschaftlichen Beziehung dogmatisch streng verhaftete Pflichtenbindung versperrt die ungehemmte konzerninterne Kommunikation zwischen Aufsichtsratsmitgliedern verbundener (Unter-)Gesellschaften in Richtung der Obergesellschaft wie eine Mauer. Ein Durchbruch zugunsten eines unbeschränkten Informationsflusses im Konzern wurde sowohl für den Vertragskonzern als auch für den faktisch konzernierten Unternehmensverbund auch im Lichte der einheitlichen Leitung i. S. d. § 18 AktG diskutiert.659 Die alleinige Tatsache einer (faktischen) Abhängigkeit einer (Unter-)Gesellschaft vermag auf die Verschwiegenheitspflicht ihrer Organwalter keinen Einfluss zu nehmen.660 Die Vermutungsregeln aus § 18 Abs. 1 S. 2 u. 3 AktG für das Vorliegen einer Unternehmensgruppe löst konzernrechtliche Sonderbestimmungen aus, die unter anderem die herrschende Muttergesellschaft zur Aufstellung einer Konzernrechnungslegung nach den Vorschriften der §§ 340i ff. HGB verpflichten.661 Die dafür erforderliche Informationsgrundlage verschafft dem Mutterunternehmen der hierfür vorgesehene Informationsanspruch gegen die Tochterunternehmen aus § 294 Abs. 3 S. 2 HGB. Damit die konzernrechtliche Verbundenheit nicht lediglich in einer Wirtschaftseinheit mit gemeinsamer Rechnungslegung aufgeht, sondern auch eine einheitliche Leitung zentraler Bereiche unternehmerischer Aktivitäten (Einkauf, Personalwesen, Organisation, Verkauf)662 möglich wird, soll es aufseiten der Konzernleitung einer erweiterten Informationslage über die Geschehnisse innerhalb der Tochterunternehmen bedürfen, die vertrauliche Angaben und Gesellschaftsgeheimnisse der Tochter nicht ausschließt. Das Konzept der einheitlichen Konzernleitung konfligiert mit dem tief im Kapitalgesellschaftsrecht verankerten Trennungsprinzip, wonach die eigene Rechtspersönlichkeit der Aktiengesellschaft (§ 1 S. 1 AktG) bzw. der Gesellschaft mbH (§ 13 GmbHG) nicht im konzernierten Unternehmensverbund untergeht, sondern trotz Zusammenfassung unter eine einheitliche Leitung i. S. d. § 18 AktG grund659
Weitere Ansätze zusammengefasst bei Wittmann, Informationsfluss im Konzern, S. 29 ff. 660 Vgl. nur Schneider, H., Informationspflichten und Informationssystemeinrichtungspflichten im Aktienkonzern, 2006, S. 179 ff. m. w. N. 661 Zur Diskussion über das Vorliegen eines Konzerns unabhängig von der gesetzlichen Vermutung nach dem engen bzw. weiten Konzernbegriff Bayer, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 1, 5. Aufl. 2019, § 18 Rn. 28 ff. 662 Aufzählung nach Bayer, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 1, 5. Aufl. 2019, § 18 Rn. 30.
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
sätzlich unverändert fortbesteht.663 Greifbar wird die Konfliktlage am Beispiel von Gesellschaftsinformationen ein Tochterunternehmen betreffend, die unter den Anwendungsbereich der aktienrechtlichen Schweigepflicht fallen und an gesellschaftsfremde Dritte nicht weitergegeben werden dürfen, an deren Kenntniserlangung die herrschende Muttergesellschaft dahingegen interessiert ist und ggf. für die Zwecke der einheitlichen Konzernleitung für unabdingbar hält. Das Trennungsprinzip scheint insofern der praktischen Umsetzung einer vonseiten des Gesetzgebers eingeräumten einheitlichen Konzernleitung entgegenzuwirken. Tatsächlich nähern sich die vermeintlich unvereinbar gegenüberstehenden Grundsätze am Ereignishorizont an, ohne sich je zu berühren.664 Allgemein schaffen die konzernrechtlichen Bestimmungen kein konzernweites Informationssystem in dem Sinne, dass Gesellschaftsgeheimnisse und vertrauliche Angaben umfassende Berichte von abhängigen Unternehmen jederzeit und ohne Weiteres an das Leitungsorgan der Obergesellschaft weiterzugeben sind, wie es in Ansehung des Gruppenziels der einheitlichen Leitung auf den ersten Blick erwartet werden dürfte.665 Das im Aktienrecht kodifizierte Konzernrecht verdrängt nicht den Grundsatz der rechtlichen Selbständigkeit von unter einheitlicher Leitung zusammengefassten Unternehmen. Der Konzern an sich ist kein (neues) Unternehmen, das gegenüber Gläubigern als einheitliche Gewinn- und Verlusteinheit oder Haftungsschuldner auftritt.666 Das Konzernrecht ist als Organisationsrecht anzusehen, in dem die gesellschaftsrechtlichen Grundsätze auf- und nicht untergehen. Dass die einheitliche Leitung einer Unternehmensgruppe eine allumfassende Information des Leitungsorgans der Obergesellschaft eines Unternehmensverbunds voraussetzt und insbesondere nach einem Geheimnisse umfassenden Informationsfluss verlangt, der zwingend auch mittelbar über den Aufsichtsrat der Untergesellschaft gewährleistet bleiben müsse, wird hauptsächlich mit Erfordernissen der Konzernpraxis begründet. Eine Verschwiegenheitspflicht im Konzern sei „so lebensfremd, dass man aus ihr kein Rechtsgebot machen sollte“667. Zurecht wird man in diesem Zusammenhang auf die wechselseitige Beziehung zwischen den Haftungsgefahren der Muttergesellschaft für das (Fehl-)Verhalten ihrer Tochtergesellschaft(en) und ein daraus erwachendes, berechtigtes Informationsinteresse der Muttergesellschaft verweisen. Eine wirtschaftliche Risikoverlage663
Vgl. Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 154. Im Bilde eines Teilchens, das auf ein schwarzes Loch zufällt und aus der Perspektive eines außenstehenden Beobachters unendlich viel Zeit benötigt, um den Ereignishorizont zu erreichen, vgl. zur Bedeutung und den Eigenschaften des Ereignishorizonts eines Schwarzen Lochs D’Inverno/Schäfer, Einführung in die Relativitätstheorie, 2. Aufl. 2009, S. 321 ff. 665 Prägnant zusammengefasst von Singhof, Zur Weitergabe von Insiderinformationen im Unterordnungskonzern, ZGR 2001, 146 (155 ff.). 666 Singhof, Zur Weitergabe von Insiderinformationen im Unterordnungskonzern, ZGR 2001, 146 (154). 667 Mertens/Cahn, in: KK AktG Bd. 2/2, 3. Aufl. 2013, § 116 Rn. 42. 664
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rung von einer eingegliederten Gesellschaft zulasten der Hauptgesellschaft durch Konzernierung veranlasst § 322 AktG, der die Haftungssystematik der §§ 421 ff. AktG modifiziert.668 Haftungsgefahren der Hauptgesellschaft resultieren nicht lediglich aus den Bestimmungen des Aktienrechts, bleiben letztlich über das Merkmal des bestimmenden Einflusses dennoch im Konzernrecht verankert.669 Soweit konzernrechtliche Haftungsfiguren im Zusammenhang mit der einheitlichen Leitung einer Unternehmensgruppe, bzw. der Ausübung eines bestimmenden Einflusses auf abhängige Gesellschaften diskutiert werden, muss zugunsten der haftenden Gesellschaft zwingend die Möglichkeit vorgehalten werden, einer eigenen Inanspruchnahme durch ein Hinwirken auf legales und sorgfältiges Verhalten in abhängigen oder beherrschten Unternehmen zuvorzukommen. Setzt ein präventives Einwirken zur Gefahren- bzw. Haftungsabwehr die Kenntnis von Geheimnissen oder vertraulichen Angaben die Tochter betreffend aufseiten der Mutter voraus, darf das Aktienrecht – um einen Widerspruch des Gesetzes zu vermeiden – keine den Informationsfluss hemmende Verhaltenspflicht auferlegen. Insoweit ist die aktienrechtliche Schweigepflicht, die sich rein nach objektiven Kriterien richtet, für den konzerninternen Kommunikationsfluss dergestalt in subjektiver Reichweite teleologisch reduzierend zu interpretieren, dass Informationen, deren Bekanntheit im Leitungsorgan der herrschenden Obergesellschaft notwendige Voraussetzung für die abstrakte Möglichkeit der Begrenzung einer eigenen, aus dem Verhalten der Tochter resultierenden Haftungsgefahr ist, gegenüber den Verwaltungsorganen der Obergesellschaft geäußert werden dürfen.670 Die Verbindung zwischen der fortdauernden rechtlichen Selbständigkeit der Tochter im Unternehmensverbund und dem Grundsatz einheitlicher Leitung durch die herrschende Gesellschaft nach § 18 Abs. 1 S. 1 AktG, lebt in der konzernbedingten Haftungsgefahr der Obergesellschaft auf. Sie wirkt zugunsten einer vereinfachten Konzernkommunikation auf die subjektive Reichweite der aktienrechtlichen Schweigepflicht aus § 93 Abs. 1 S. 3 AktG im Hinblick auf solche Gesellschaftsgeheimnisse und vertrauliche Angaben der Tochter, deren Kenntnis der Obergesellschaft die Abwehr eigener Haftung erst ermöglicht. Über den Verweis des § 116 S. 1 AktG gilt entsprechendes für den Aufsichtsrat der Untergesellschaft, der unter den genannten Voraussetzungen gegenüber den Verwaltungsorganen der Obergesellschaft ebenso wenig zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, wie der Vorstand der Tochter. Eine Haftung der Mutter auf der Grundlage einheitlicher (Kon668 Streitstand zur Interpretation der Norm und den Folgen für die Hauptgesellschaft bei Singhof, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 07. 2022, § 322 Rn. 3 f. 669 In etwa bei der Diskussion einer Haftung der Konzernmutter für Datenschutzverstöße ihrer Töchter, vgl. Bergt, in: Kühling/Buchner, DSGVO BDSG, 3. Aufl. 2020, Art. 83, Rn. 28; bzw. für Kartellrechtsverstöße ihrer Töchter, vgl. EuGH Urt. v. 10. 9. 2009 – C-97/08 P, EuZW 2009, 816 Rn. 60; EuGH Urt. v. 26. 1. 2017 – C-625/13 P, BeckRS 2017, 100499 Rn. 147 f. 670 I. E. auch Wittmann, Informationsfluss im Konzern, 2007, S. 48 ff., der im Fall der Eingliederung einer Gesellschaft nicht in § 322 AktG, sondern in §§ 323 Abs. 1 S. 2, 309 Abs. 1 AktG die Begründung einer konzerninternen Durchbrechung der Schweigepflicht sieht (S. 59).
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
zern-)Leitung setzt zumindest insoweit auch ein einheitliches Wissen um haftungsbegründende Tatsachen voraus. Soweit das Trennungsprinzip im Unternehmensverbund durch Haftungsdurchgriffe zulasten der herrschenden Gesellschaft eine Aufweichung erfährt, kommt ein Beharren auf die Integrität des Trennungsprinzips im Unternehmensverbund im Kontext der subjektiven Reichweite der aktienrechtlichen Schweigepflicht zumindest insoweit nicht in Betracht. Sonstige vertrauliche Angaben und Gesellschaftsgeheimnisse, die in keiner Verbindung zu konzernbedingten Haftungsgefahren der Obergesellschaft stehen, vermögen den Anwendungsbereich der aktienrechtlichen Schweigepflicht nicht unter Berufung auf § 18 AktG, bzw. aus Erwägungen der „Konzernwirklichkeit“ zu modifizieren. Dem steht die rechtliche Selbstständigkeit der Tochter im Unternehmensverbund entgegen. Abseits der Diskussion um den Einfluss der Konzernleitungsmacht aus § 18 AktG auf die Wirkung des Trennungsprinzips im Unternehmensverbund, am Beispiel der aktienrechtlichen Schweigepflicht des Aufsichtsrats, soll auch die Natur der konkreten Rechtsbeziehung konzernierter Gesellschaften zueinander auf den subjektiven Wirkungsbereich der Schweigepflicht einwirken. Die jeweiligen Voraussetzungen, unter denen eine Geheimnisoffenbarung gegenüber dem Leitungsorgan der Obergesellschaft vonseiten des Aufsichtsrats der Untergesellschaft möglich sein soll, werden nach der Natur des Unternehmensverbunds und den davon angesprochenen Rechtsvorschriften diskutiert. Durchbrechungen konzerninterner Kommunikationshemmnisse werden beim Vertragskonzern anhand der Weisungsrechte und beim faktischen Konzern auf der Grundlage der Regelungen zum Nachteilsausgleich verhandelt. bb) Verschwiegenheit im einheitlich geleiteten Vertragskonzern Die Leitungsmacht des kraft Beherrschungsvertrags herrschenden Unternehmens konkretisiert § 308 Abs. 1 S. 1 AktG zu einem klagefesten Weisungsrecht gegenüber der Leitung des abhängigen Unternehmens.671 Der Gegenstand einer Weisung im einheitlich geleiteten Vertragskonzern darf insbesondere Leitungsangelegenheiten betreffen und grundsätzlich auch nachteilige Wirkungen für das abhängige Unternehmen verursachen, wenn im Gegenzug das herrschende Unternehmen, bzw. ein anderes konzernverbundenes Unternehmen, profitiert (§ 308 Abs. 1 S. 2 AktG) und ein Nachteilsausgleich gewährleistet ist. Rechtmäßigkeitsgrenzen für nachteilige Weisungen im Vertragskonzern ergeben sich aus gesetzlichen Bestimmungen672 und können sich daneben aus statuarischen Bestimmungen und dem Beherrschungsvertrag selbst ergeben. Eine ungeschriebene Grenze für die Rechtmäßigkeit von Weisungen im Vertragskonzern bringt die jedem Beherrschungsvertrag inhärente 671
Veil/Walla, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 07. 2022, § 308 Rn. 19. U. a. §§ 66, 71 ff., 89, 113, 300, 302 AktG, vgl. hierzu Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 308 Rn. 14. 672
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Rücksichtnahmepflicht mit sich. Danach verbieten sich Weisungen, deren Befolgung die Existenz des abhängigen Unternehmens gefährdet.673 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Pflicht des herrschenden Unternehmens zur Leistung eines Nachteilsausgleichs nach § 302 Abs. 1 AktG. Weisungen, die auf ein Verhalten abzielen, das die dauerhafte Überlebensfähigkeit eines Unternehmens – gerade auch über den Zeitraum eines Beherrschungsvertrags hinaus – gefährdet, sind unmöglich zu bestimmen. Dadurch kann auch die existenzgefährdende Einflussnahme auf die beherrschte Gesellschaft nicht entsprechend der gesetzlichen Regelung des § 302 Abs. 1 AktG ausgeglichen werden. Eine Verlustübernahme revidiert existenzbedrohende Eingriffe nicht nachhaltig. Adressat der Weisung nach § 308 Abs. 1 S. 1 AktG ist der Vorstand des beherrschten Unternehmens. In vormals einhelliger und nach wie vor weit überwiegender Auffassung wird einer Einbeziehung von Aufsichtsratsmitgliedern der vertraglich beherrschten Gesellschaft in den Kreis Weisungsverpflichteter widersprochen.674 Der ausdrückliche Gesetzeswortlaut steht einer überdehnenden Auslegung des Kreises von Weisungsempfängern entgegen, und ein Weisungsrecht gegenüber dem Vorstand der beherrschten Gesellschaft enthält auch kein Weisungsrecht gegenüber sonstigen Gesellschafts- oder Unternehmensangehörigen im Sinne eines „wesensgleichen Minus“. Demnach vermag allein das Weisungsrecht kraft Beherrschungsvertrag nach § 308 Abs. 1 S. 1 AktG die organschaftliche Schweigepflicht des Aufsichtsratsmitglieds gegenüber der Leitung der Mutter nicht zu liquidieren.675 Das gilt unabhängig von der Frage nach der Reichweite des gegen den Vorstand der Untergesellschaft bestehenden Informationsrechts. Im Vertragskonzern ist damit keine generelle Abweichung vom Grundsatz der Schweigepflicht des Aufsichtsratsmitglieds gegenüber gesellschaftsfremden, wenngleich vertragskonzernrechtlich verbundenen, Dritten anzuerkennen.676 673 Überwiegende Ansicht in Rspr. und Lit., vgl. nur OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17. 12. 1985 – 18 AktE 4 /79, AG 1990, 490 (492) = BeckRS 1990, 31003557; Clemm, Die Grenzen der Weisungsfolgepflicht des Vorstands der beherrschten AG bei bestehendem Beherrschungsvertrag, ZHR 1977, 197 (204); Gessler, Bestandsschutz der beherrschten Gesellschaft im Vertragskonzern?, ZHR 1976, 433 (436 ff.); Hommelhoff, Die Konzernleitungspflicht, 1982, 150 f.; Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 308 Rn. 19 m. w. N.; a. A. Veil/Walla, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 07. 2022, § 308 Rn. 34 mit Verweis auf die Ausgleichspflicht nach § 302 AktG. 674 Stellvertretend für fast alle Spindler, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 07. 2022, § 116 Rn. 129 m. w. N.; a. A. Falkenhausen, v., Weisungen an den Aufsichtsrat der abhängigen Aktiengesellschaft?, ZIP 2014, 1205 (1207 f.), wonach der Aufsichtsrat vertraglich beherrschter Gesellschaften einem beschränkten Weisungsrecht Folge zu leisten hätte. 675 A. A. hinsichtlich geheimer oder vertraulicher Informationen, die in einem funktionellen Zusammenhang mit der Konzernleitung stehen Hopt/Roth, in: Hirte/Mülbert/Roth, Großkomm AktG Bd. 5, 5. Auflage 2019, § 116 Rn. 204; Mertens/Cahn, in: KK AktG Bd. 2/2, 3. Aufl. 2013, § 116 Rn. 42; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 478. 676 Hopt/Roth, in: Der Aufsichtsrat, 2019, § 116 Rn. 204.
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cc) Verschwiegenheit im faktisch einheitlich geleiteten Konzern Dem Vorstand eines Unternehmens, das kraft Anteilsmehrheit die Geschicke einer anderen Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien zu beeinflussen imstande ist, verbietet § 311 Abs. 1 AktG jede nachteilige Einflussnahme auf die i. S. d. § 17 Abs. 1 S. 1 AktG abhängige Gesellschaft, wenn nicht die Wahrung ihrer Vermögensinteressen durch einen materiellen oder zumindest rechtsverbindlich zugesagten Nachteilsausgleich gewährleistet bleibt.677 Anders als § 308 Abs. 1 S. 1 AktG statuiert § 311 Abs. 1 AktG keine „rechtlich fundierte Leitungsmacht“678. Ein rechtsverbindliches Weisungsrecht zugunsten der Leitung der Mutter besteht weder gegenüber der Leitung der Tochter und nichtsdestoweniger gegenüber dem Aufsichtsrat der abhängigen Gesellschaft.679 Aus der faktischen Konzernierung folgt auch kein allgemeines Auskunftsrecht der Hauptgesellschaft.680 Insoweit bedingt die faktische Eingliederung einer Aktiengesellschaft in eine Unternehmensgruppe keine Aufhebung der Grundfeste der aktienrechtlichen Schweigepflicht des Aufsichtsrats, dessen Mitglieder alleine der Mandatsgesellschaft zum uneingeschränkt sorgfaltsund treuegemäßen Verhalten verpflichtet bleiben.681 Verwaltungsorgane einer faktisch herrschenden Obergesellschaft können das Aufsichtsratsmitglied der Tochter nicht rechtsverbindlich zur Weitergabe von Geheimnissen oder vertraulichen Angaben anhalten.682 Jede Form der Veranlassung zur Weitergabe geschützter Gesellschaftsinformationen setzt den Nachteilsausgleich nach § 311 Abs. 1 S. 2 AktG voraus und damit insbesondere die Einwilligung des
677 Einen eingängigen und leicht bekömmlichen Überblick über systematische Zusammenhänge und den Zweck der §§ 311 ff. AktG verschafft Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 10. Aufl. 2022, § 311 Rn. 4 ff. 678 Altmeppen, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 5, 5. Aufl. 2020, § 311 Rn. 404; so auch Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 10. Aufl. 2022, § 311 Rn. 23; vgl. auch Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 116 Rn. 122 m. w. N., der mit Bezug auf das Gesellschaftsinteresse jedoch einschränkt, vgl. hierzu unten unter B.II.5.c). A. A. Lutter, Information und Vertraulichkeit, 3. Aufl. 2006, Rn. 480 unter Berufung auf die einheitliche Leitung nach § 18 AktG und § 311 AktG. 679 Spindler, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 07. 2022, § 116 Rn. 130. 680 Mader, Der Informationsfluss im Unternehmensverbund, 2016, S. 268 f.; Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 90 Rn. 7a; Altmeppen, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 5, 5. Aufl. 2020, § 311 Rn. 425 m. w. N. 681 A. A. Dittmar, Weitergabe von Informationen im faktischen Aktienkonzern, AG 2013, 498 (500 f.), wonach die aktienrechtliche Schweigepflicht im faktischen Konzern zugunsten der Obergesellschaft beschränkt sein soll. 682 Hopt/Roth, in: Hirte/Mülbert/Roth, Großkomm AktG Bd. 5, 5. Auflage 2019, § 116 Rn. 205; Altmeppen, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 5, 5. Aufl. 2020, § 311 Rn. 426 f. m. w. N. A. A. hinsichtlich funktionell im Zusammenhang mit der Konzernleitung stehenden Informationen und soweit Nachteile ausgleichsfähig sind Mertens/Cahn, in: KK AktG Bd. 2/2, 3. Aufl. 2013, § 116 Rn. 42; Drygala, in: Schmidt K./Lutter; AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2020, § 116 Rn. 37; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 480.
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Vorstands der abhängigen Gesellschaft. Ob eine freiwillige683 Weitergabe geheimer Gesellschaftsinformationen durch das Leitungsorgan der Tochter selbst oder mit dessen Zustimmung durch ein Aufsichtsratsmitglied erfolgen kann, muss sich auch anhand der §§ 311, 317 AktG messen lassen. Danach ist eine partiell schweigepflichtentlassende Einwilligung des Tochtervorstands zur Weitergabe geschützter Gesellschaftsinformationen an das herrschende Unternehmen pflichtverletzend, wenn sie die aktuelle oder zukünftige Vermögenslage der Tochtergesellschaft beeinträchtigt.684 Ein anderes Ergebnis soll nach einer Ansicht in Ermangelung der faktischen Möglichkeit, einen mit der Informationsweitergabe zu erleidenden wirtschaftlichen Nachteil der Untergesellschaft quantifizierbar zu konkretisieren, generell nicht denkbar sein.685 Zweifellos lässt ein nicht quantifizierbarer Nachteil die Möglichkeit der Anwendung des Nachteilsausgleichs entfallen, der einen ausgleichsfähigen, weil bestimmbaren Anspruch voraussetzt.686 Eine Regel, welches Verhalten jeweils nicht berechenbare Nachteile mit sich bringt, lässt sich unmöglich in abstrakter Form aufstellen. Die Frage nach der Quantifizierbarkeit eines Nachteils ist eine Frage der Informationsverwendung im konkreten Einzelfall. So kann die Weitergabe eines Gesellschaftsgeheimnisses der Tochter an die herrschende Gesellschaft einen quantifizierbaren Nachteil aufseiten der abhängigen Gesellschaft verursachen, soweit die Mutter in Kenntnis der Information von der Erteilung eines lukrativen Auftrags an die Tochter absieht und ein konkreter Gewinn aufseiten der Tochter ausbleibt. Andererseits kann die Auskunft über eine konkrete Geschäftschance, die sich der Tochtergesellschaft bietet und die sich erst durch das Zuvorkommen der Muttergesellschaft zerschlägt, einen Nachteil besorgen, der nur unter äußerst günstigen Umständen konkret beziffert werden kann. Unbestimmbare Faktoren wie die Zuschlagswahrscheinlichkeit oder ein etwaiger Imagegewinn, der sich für die Tochter aus der Auftragsdurchführung hätte ergeben können, stehen einer angriffsfesten Konkretisierung eines Schadensersatzanspruchs dann regelmäßig entgegen. dd) Zwischenstand Die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsratsmitglieds steht de facto einer einheitlichen Leitung i. S. d. § 18 AktG nicht entgegen. Es fehlt bereits ein Nachweis darüber, dass Geschäftsentscheidungen in der Unternehmensgruppe 683 Im Sinne einer eigenverantwortlich getroffenen, wenngleich veranlassten und im Hinblick auf die fehlende Unabhängigkeit der faktisch fremdbestimmten Gesellschaft, determinierten Entscheidung. 684 Altmeppen, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 5, 5. Aufl. 2020, § 311 Rn. 425. 685 Vgl. zur vermeintlich objektiven Unmöglichkeit des Nachteilsausgleichs Altmeppen, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 5, 5. Aufl. 2020, § 311 Rn. 308 ff. 686 Vgl. hierzu Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 10. Aufl. 2022, § 311 Rn. 43, 58, 60 u. 64 ff.
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nur auf der Grundlage einer konzernweiten Kenntnis über alle geheimen oder vertraulichen Informationen ergehen könnten. Zu einer Kollision zwischen der gesetzlichen Zielbestimmung der einheitlichen Leitung i. S. d. § 18 AktG und der organschaftlichen Schweigepflicht kommt es damit – entsprechend dem astronomischen Bild einer ewig andauernden Annäherung am Ereignishorizont – niemals. Die unantastbare Rechtspersönlichkeit unter einheitlicher Leitung zusammengefasster Unternehmen hält auch die jeweils getragenen Betriebsrisiken aufrecht. Ein allgemeines und allumfassendes konzernweites Auskunftsrecht einer herrschenden Gesellschaft gegenüber den Mitgliedern des Überwachungsorgans verbundener Tochterunternehmen existiert weder im vertraglich einheitlich geleiteten, noch im faktischen Unternehmensverbund. Ein Weisungsrecht nach § 308 Abs. 1 S. 1 AktG richtet sich allein an den Vorstand der abhängigen Gesellschaft und beeinflusst die Pflichten des Aufsichtsrats nicht unmittelbar. Die Schweigepflicht gilt damit konzernintern auch für alle Aufsichtsratsmitglieder einer konzernverbundenen Untergesellschaft gegenüber dem Verwaltungsorgan der Obergesellschaft.687 Ausnahmsweise muss immer dort eine konzerninterne Ausnahme von der Schweigepflicht im Verhältnis der Verwaltungsorgane einer Untergesellschaft in Richtung der Leitung der Hauptgesellschaft anerkannt werden, wo eine Informationskenntnis aufseiten der Hauptgesellschaft Voraussetzung für die Abwehr oder Minderung eigener oder fremder Schäden ist, für die gerade aufgrund der Ausübung eines beherrschenden Einflusses oder einheitlicher Leitung die Obergesellschaft eine Haftungsgefahr trägt – wenngleich allein das Verhalten der Tochtergesellschaft schadensbegründend ist.688 Die Haftungsgefahr muss in diesen Fällen im Zusammenhang mit der konkreten (Geheim-)Information stehen und eine Kenntniserlangung muss für die Vermeidung einer eigenen Inanspruchnahme erforderlich sein.689 Anders liegen die Verhältnisse bei der faktisch konzernierten Gesellschaft mbH, auf die das herrschende Unternehmen obschon seiner Informationsrechte aus
687 Ausführlich Wittmann, Informationsfluss im Konzern, 2008, S. 28 ff.; Spindler, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 07. 2022, § 116 Rn. 129; Altmeppen, in: Goette/ Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2020, § 311 Rn. 424; Ziemons, Rechtsanwälte im Aufsichtsrat, ZGR 2016, 839 (855). A. A. Drygala, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2020, § 116 Rn. 37; Mertens/Cahn, in: KK AktG Bd. 2/2, 3. Aufl. 2013, § 116 Rn. 42; vgl. auch Hoffmann-Becking, in: Münch Hdb GesR Bd. 4, 5. Aufl. 2020, § 33 Rn. 60, nach dem im faktischen Konzern und im Vertragskonzern jene Mitglieder des Aufsichtsrats der Untergesellschaft von der Schweigepflicht gegenüber dem Vorstand der Obergesellschaft befreit sein sollen, die diesem selbst angehören oder Angestellte der Obergesellschaft sind. 688 Zu den Haftungsmodellen mehrstufiger vertraglicher und nichtvertraglicher Konzernformen ausführlich Lakner, Der mehrstufige Konzern, 2005. Zur Haftung innerhalb von Konzernstrukturen auf horizontaler Ebene der Konzerne vgl. Möller, Haftung innerhalb von Konzernstrukturen, 2004. 689 Weitergehend Drygala, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2020, § 116 Rn. 37, wonach jede Information, die der einheitlichen Konzernleitung dienlich ist, übermittelt werden darf.
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§ 51a GmbHG einwirken kann.690 Durch eine flankierende Satzungsbestimmung soll der fakultative Aufsichtsrat auch gegenüber der herrschenden Gesellschaft, die nicht Alleingesellschafterin ist, von der Schweigepflicht befreit werden können.691 Weitere Ausnahmen von der aktienrechtlichen Schweigepflicht könnten sich für den Aufsichtsrat einer konzernierten Aktiengesellschaft aus der Schrankensystematik des Unternehmensinteresses ergeben, soweit die Interessen eines herrschenden Unternehmens oder einer anderen Tochtergesellschaft über die konzerngeborene Verbindung Eingang in die dogmatische Pflichtenverfassung der Mandatsträger einer abhängigen Gesellschaft finden.692 c) Konzerninteresse Die Schweigepflicht nach § 93 Abs. 1 S. 3 AktG ist kein Instrument, das der Vorstand durch seine Willensbildung bespielt, sondern ein objektiv eingestellter Schutzmechanismus aus dem Recht der Kapitalgesellschaften zum Schutz der Gesellschaft vor dem Verlust vertraulicher und geheimer Informationen. So obliegt es auch nicht dem Vorstand, den Aufsichtsrat oder seine Mitglieder von objektiven Verhaltenspflichten pauschal und eigenmächtig zu befreien, die in der organschaftlichen Beziehung einer natürlichen Person zur Gesellschaft gründen. Eine (konkludente) Einwilligung in die Weitergabe einer objektiv von der aktienrechtlichen Schweigepflicht umfassten Information durch das Aufsichtsratsmitglied der Untergesellschaft an die herrschende Obergesellschaft ist im Einzelfall rechtmäßig, soweit der Vorstand seinerseits mit einer Wissensübertragung an die Konzernobergesellschaft nicht selbst gegen seine Treue- und Sorgfaltspflichten gegenüber der Untergesellschaft verstoßen würde. Die Rechtmäßigkeit einer Geheimnisoffenbarung gegenüber der Obergesellschaft ist damit von einer Einzelfallprüfung abhängig, die widerstreitende Gesellschaftsinteressen der beherrschten und herrschenden Gesellschaften einerseits und auch das Unternehmensinteresse hinreichend berücksichtigt. Interessen der Obergesellschaft könnten dann entscheidungserhebliche Berücksichtigung finden, soweit ihnen ein maßgeblicher Einfluss auf das Unternehmensinteresse der Untergesellschaft zugestanden wird. Das mag dann der Fall sein, wenn konzernierte Untergesellschaften über das eigene Unternehmensinteresse die Belange der herrschenden Obergesellschaft assimilieren und daraus ein Konzerninteresse erwächst, welches den Unternehmensverbund auch parallel zu rechtlichen
690 Vgl. hierzu bereits oben unter B.II.3.b)cc) und für den GmbH-Alleingesellschafter unter B.II.3.b)dd). 691 Giedinghagen, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, J., GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2017, § 52 Rn. 188a. 692 Vgl. hierzu Schneider, U./Seyfarth, in: Scholz GmbHG Bd. 2, 12. Aufl. 2021, § 52 Rn. 498.
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
oder faktischen Einflussmöglichkeiten ideell eint.693 Aus konzernrechtlichen Gesichtspunkten muss die Frage aufgeworfen werden, ob die Informationsweitergabe „von unten nach oben“, also vonseiten des Aufsichtsrats der beherrschten Untergesellschaft an die Obergesellschaft mit einem konzernierten Unternehmensinteresse auch dann gerechtfertigt werden kann, wenn der Untergesellschaft durch die Informationsübermittlung ein Schaden droht. Mit der unbestimmbaren Interessenmenge des Unternehmensinteresses, deren Existenz die Rechtsprechung insgesamt und die Literatur zum ganz überwiegenden Teil annimmt, steht ein assoziativer Interpretationsraum auch für Interessen bereit, die nicht aus der Gesellschaft selbst erwachsen und doch nicht gesellschaftsfremd sind. Mit dem Prinzip der Gefahrtragung wirtschaftlicher Risiken im Unternehmensverbund durch die Obergesellschaft und dem Element der einheitlichen Leitung beim faktischen Konzern bzw. dem Gedanken einheitlicher Leitung beim Vertragskonzern, billigt der Gesetzgeber die intravenöse Aufnahme konzernorientierter Interessen der Obergesellschaft und ihrer Töchter in den Interessenkreislauf verbundener Untergesellschaften. Soweit die Organe der Untergesellschaft damit allein unter den Gesichtspunkten des Interesses der Untergesellschaft über die Weitergabe von geheimen und vertraulichen Angaben zu entscheiden haben,694 kann das Organ der konzernierten Untergesellschaft jeder Abwägungsentscheidung auch Konzerninteressen und damit ebenso Interessen der Obergesellschaft entscheidungserhebliche Bedeutung beimessen. Damit geht keine – zwangsweise durchsetzbare – Anspruchsposition der Obergesellschaft einher (das Unternehmensinteresse als dogmatische Grundlage ist nicht bestimmt genug, um einen solchen Anspruch begründen zu können)695, doch kann eine wider den Grundsätzen der aktienrechtlichen Schweigepflicht vorgenommene Informationsweitergabe im Konzern „von unten nach oben“ dann gerechtfertigt sein, soweit ein entsprechendes Konzerninteresse im Zeitpunkt der Auskunftsgewähr nachweisbar vorgelegen hat und ein Schaden für die Mandatsgesellschaft nicht zu erwarten ist oder ein angemessener Ausgleich in Aussicht steht.696 Dabei sind an den Ausgleich keine zu hohen Erwartungen zu stellen, sofern mit der Informationsweitergabe überwiegende Konzerninteressen bedient werden. Umso größer der zu erwartende Vorteil für den Unternehmensverbund ausfällt, den eine Geheimnisoffenbarung gegenüber dem Verwaltungsorgan der Obergesellschaft verspricht, desto niedriger darf der für einen absehbaren Nachteil der Untergesellschaft erwartete Ausgleich ausfallen – solange der Nachteil nicht die Existenz der Mandatsgesellschaft gefährdet. Dabei darf das Konzerninteresse nicht allein das 693
Sinngemäß Martinek, Moderne Vertragstypen Bd. 2, 1992, S. 304. So ausdrücklich Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 481. 695 Vgl. hierzu bereits ausführlich oben unter B.II.4.d). 696 Ähnlich Schneider, U./Seyfarth, in: Scholz GmbHG Bd. 2, 12. Aufl. 2021, § 52 Rn. 498, wonach die Vorgaben des herrschenden Unternehmens zumindest im Rahmen von Ermessensentscheidungen Berücksichtigung finden dürfen. 694
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Interesse der Obergesellschaft abbilden, sondern muss maßgeblich von einem konzernierten Kontinuitätsinteresse bestimmt werden, das auf das Fortbestehen des Unternehmensverbunds in seiner Form im Zeitpunkt der Informationsweitergabe abzielt und damit auch die langfristige Existenzsicherung der geheimnisoffenbarenden Untergesellschaft verfolgt – worin bereits ein ausgleichender Vorteil für den konzerninternen Geheimnisverlust liegen kann. Für die Mitglieder des Aufsichtsrats der Untergesellschaft ist diese Erkenntnis allerdings auf streng begrenzte Sonderfälle einzuschränken.697 Auch in der konzernierten Untergesellschaft bleibt der Vorstand bzw. die Geschäftsführung „Herr über die Gesellschaftsgeheimnisse“, insoweit rüttelt die konzerngeborene Binnenstruktur nicht an den Grundfesten innergesellschaftsrechtlicher Aufgaben- und Kompetenzzuweisungen. Eine dem Konzerninteresse dienende Auskunft von vertraulichen oder geheimen Informationen durch das Aufsichtsratsmitglied der Untergesellschaft an die Obergesellschaft ist denkbar, soweit eine Auskunftserteilung durch das Leitungsorgan nicht ebenso gut erfolgen kann, wenn also besondere Umstände eine Dringlichkeit der Informationsbeschaffung begründen und ein verzögerter Informationsfluss mit hinreichend konkreter Wahrscheinlichkeit Schäden für die Obergesellschaft und oder den Konzern insgesamt verursachen würde und mittelbar Schäden für die Untergesellschaft entstehen könnten. Daneben muss eine konzerninterne Geheimnisoffenbarung „von unten nach oben“ durch den Aufsichtsrat auch dann möglich sein, soweit der Vorstand der Auskunft ausdrücklich widerspricht und dabei ein konkret für die Informationsweitergabe streitendes Konzerninteresse außer Acht lässt, ohne seine Entscheidung anhand objektiver und ganz überwiegender Gesellschaftsinteressen begründen zu können, woraus sich der Eindruck einer willkürlich pflichtwidrigen Entscheidung aufdrängen muss. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn sich der Vorstand einer vertraglich konzernierten Untergesellschaft entgegen einer offensichtlich rechtmäßigen und insb. ausgleichsfähigen Weisung der Leitung der Obergesellschaft weigert, geheime oder vertrauliche Gesellschaftsinformationen konzernintern offenzulegen und ein Zuwarten auf die klageweise Anspruchsdurchsetzung durch die Obergesellschaft mit der Gefahr des Eintritts erheblicher Schäden für die Obergesellschaft oder den Unternehmensverbund einhergeht. Eine konzerninterne Informationsweitergabe liegt dann im Unternehmensinteresse der vertraglich beherrschten Gesellschaft, wodurch die organschaftlich bestimmte Schweigepflicht des Aufsichtsratsmitglieds einer konzerninternen Auskunft nicht entgegenstehen kann.698
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Insgesamt ablehnend Ziemons, Rechtsanwälte im Aufsichtsrat, ZGR 2016, 839 (855). Über das vom Mandatsträger zu wahrende Unternehmensinteresse finden Konzerninteressen unmittelbaren Zugang in die Verfassung der organschaftlichen Schweigepflicht. Hieraus folgt insbesondere nicht die Ausweitung des Weisungsrechts des Vorstands der Mutter nach § 308 Abs. 1 S. 1 AktG, da ein klageweise durchsetzbarer Anspruch auf Befolgung der Weisung gleichwohl allein gegenüber der Leitung der Untergesellschaft besteht. 698
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
Soweit der Vorstand das einzelne Aufsichtsratsmitglied ausdrücklich zur Weitergabe geheimer oder vertraulicher Informationen an die Obergesellschaft berechtigt, darf eine Auskunft nur dann nicht erfolgen, wenn hierin ein die Sorgfaltsund Treuepflichten verletzendes Verhalten liegt. Das ist beim Vorliegen einer hinreichend konkreten Gefahr des Eintritts erheblicher Schäden für die Untergesellschaft der Fall, wenn also in Kauf genommen werden muss, dass ein adäquater Schadensausgleich durch die Obergesellschaft nicht hinreichend wahrscheinlich zu erwarten steht. Auch hierbei muss dem Umstand Rechnung getragen werden, dass ein Vorteil im Hinblick auf die mittel- oder langfristige Existenzsicherung des Unternehmensverbunds einerseits und der geheimnisoffenbarenden Untergesellschaft andererseits unmöglich quantifizierbar ist, wie es teilweise für die gesellschaftsschädigende konzerninterne Geheimnisweitergabe gefordert wird. Einen wahrhaften und ex post auf einen konkreten Betrag berechenbaren Ausgleichswert setzt das Aktiengesetz gerade nicht voraus und wird damit den Gegebenheiten der Wirtschaftsrealität gerecht. Die Unwägbarkeiten des Unternehmertums verlangen auch außerhalb konzernierter Unternehmensgruppen nach unternehmerischen Freiheiten, die nicht im Nachhinein als richtig oder falsch bewertet werden dürfen, sondern danach zu beurteilen sind, ob ein vernünftiger und gewissenhaft handelnder Geschäftsmann nicht anders hätte handeln müssen.699 Eine derart engen Grenzen unterworfene Lockerung der aktienrechtlichen Schweigepflicht für den Aufsichtsrat einer konzernierten (Unter-)Gesellschaft durch die Anerkennung einer Wirkung von Konzerninteressen auf das Unternehmensinteresse bedingt keine weiteren Ausnahmen von der Schweigepflicht, etwa gegenüber dem Betriebsrat.700 Die ausnahmsweise Einbeziehung von gesellschaftsfremden Konzernangehörigen, namentlich der Konzernleitung, in den Kreis berechtigter Geheimnisempfänger, steht unter der strikten Schrankenkontrolle des Unternehmensinteresses in seiner aktienrechtlich gebilligten Gestalt, die auch (Kontinuitäts-) Interessen des Unternehmensverbunds verkörpert. Ein konkreter Gegenstand oder Bezugspunkt eines anerkannten Konzerninteresses übt keinen Einfluss auf die dargestellten Annahmen aus.701 Es darf daher keinen Unterschied machen, ob es sich bei der herrschenden Gesellschaft um eine Gesellschaft der öffentlichen Hand handelt, die ihrerseits öffentliche Aufgaben erledigt.702 Der Aufsichtsrat der abhängigen Gesellschaft darf unter den genannten engen
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Sinngemäß Langenbucher, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 308 Rn. 29. 700 A. A. Ziemons, Rechtsanwälte im Aufsichtsrat, ZGR 2016, 839 (855), der keine (dogmatischen) Unterschiede zwischen dem Konzerninteresse einerseits und Arbeitnehmerinteressen andererseits erkennt. 701 Nicht anerkannte Konzerninteressen erschöpfen sich in rechts- oder treuwidrigen Zielen und Motiven. 702 Für ein Weisungsrecht des herrschenden öffentlichen Unternehmens gegenüber der Leitung der abhängigen Tochter Veil/Walla, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 07.
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Voraussetzungen auch gegenüber dem herrschenden öffentlichen Unternehmen Auskunft über vertrauliche und geheime Informationen erteilen.703 Einzelinteressen des Aufsichtsratsmitglieds können – anders als das aktienrechtlich gebilligte Konzerninteresse – keinen Einfluss auf die aus dem organschaftlichen Verhältnis zur Gesellschaft folgende Treue- und Sorgfaltsbindung nehmen. Dasselbe gilt für alle anderen (Korps-)Interessen, die ihrerseits keinen dogmatischen Anker im Aktienrecht setzen, wie beispielsweise Arbeitnehmerinteressen, die ihre rechtliche Anerkennung und Ausgestaltung zurecht grundlegend durch Bestimmungen außerhalb des Aktienrechts finden. Im Vergleich dazu ist das Konzerninteresse im Herzen des allgemeinen Teils des Aktienrechts in den §§ 17, 18 AktG angelegt und kommt daneben auch in der Regelung des § 308 Abs. 1 AktG zum Ausdruck.704 Eine Rechtmäßigkeitsgrenze sorgfaltsgetreuen und treuepflichtigen Aufsichtsratshandelns wird dort zu finden sein, wo eine konzerninterne Geheimnisweitergabe „von unten nach oben“ nicht ausgleichsfähige Nachteile für die abhängige Gesellschaft mit sich bringt oder ersichtlich nicht dem Zweck der Konzernleitung dienlich wird.705 Eine nachhaltige, ggf. existenzbedrohende Schädigung einer abhängigen Gesellschaft kann nicht im Konzerninteresse liegen, sodass sich ein auskunftsfreudiger Mandatsträger der Untergesellschaft auf ein Handeln im Konzerninteresse nicht stützen kann. Das gilt selbstverständlich auch dann, wenn die Weitergabe vertraulicher oder geheimer Gesellschaftsinformationen aus der Untergesellschaft allein das Unternehmensinteresse der Obergesellschaft bedient, ohne einen Sachzusammenhang zur einheitlichen Konzernleitung aufzuweisen. d) Zusammenfassung Die Unterwerfung einer Gesellschaft unter eine herrschende Obergesellschaft bzw. unter einheitliche Leitung i. S. d. § 18 Abs. 1 S. 1 AktG ist kein Zungenlöser für den Aufsichtsrat der Untergesellschaft gegenüber den Verwaltungsorganen anderer Konzerngesellschaften. Die Konzernierung ändert nichts am Grundsatz der Verschwiegenheit des Aufsichtsrats gegenüber gesellschaftsfremden Dritten. Soweit Gesellschaftsgeheimnisse oder vertrauliche Angaben einer eingegliederten Gesell2022, § 308 Rn. 30; a. A. Altmeppen, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 5, 5. Aufl. 2020, § 308 Rn. 113. 703 Vgl. zur Körperschaft des öffentlichen Rechts als Unternehmen im konzernrechtlichen Sinne BGH, Beschl. v. 17. 03. 1997 – II ZB 3/96, NJW 1997, 1855 (1856 f.). 704 Altmeppen, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 5, 5. Aufl. 2020, § 308 Rn. 110; Langenbucher, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 308 Rn. 27 f., letztere spricht von Konzernbelangen. A. A. Veil/Walla, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 07. 2022, § 308 Rn. 26. 705 Aus „systematischen Erwägungen“ auch Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 475 ff.; Altmeppen, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 5, 5. Aufl. 2020, § 311 Rn. 427; Mertens/Cahn, in: KK AktG Bd. 2/2, 3. Aufl. 2013, § 116 Rn. 42.
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
schaft im Zusammenhang mit Haftungsgefahren der Hauptgesellschaft stehen und die Kenntnis davon Voraussetzung für die Verhinderung oder Minderung einer eigenen Inanspruchnahme ist, muss hinsichtlich dieser Informationen eine konzerninterne Lockerung der aktienrechtlichen Schweigepflicht angenommen werden – sowohl im Verhältnis vom Tochtervorstand zur Leitung der Hauptgesellschaft, als auch vom Aufsichtsorgan der Untergesellschaft „nach oben“. Eine Modifikation der Schweigepflicht im Unternehmensverbund löst auch das Konzerninteresse aus, das über das Unternehmensinteresse Eingang in die Verfassung der Treue- und Sorgfaltsbindung des Mandatsträgers einer abhängigen Gesellschaft findet und in engen Grenzen die konzerninterne Geheimnisoffenbarung gegenüber der Hauptgesellschaft rechtfertigen kann. Restriktionen einer rechtmäßigen Auskunft im Unternehmensverbund sind insbesondere die Position des Leitungsorgans der Untergesellschaft als „Herr über die Gesellschaftsgeheimnisse“ der Untergesellschaft, dessen Mitglieder vorrangig über eine Informationsweitergabe zu entscheiden haben. Allem übergeordnet bleibt die Frage nach der theoretischen Möglichkeit und faktischen Realisierbarkeit eines wirtschaftlichen Ausgleichs für nachteilige Auskünfte zugunsten der Untergesellschaft, wobei ein existenzgefährdendes Verhalten unter keinen Umständen hinreichend kompensiert und damit auch nicht unter Berufung auf Konzerninteressen legitimiert sein kann. Eine Erlaubnis zur konzerninternen Geheimnisweitergabe soll der Tochtervorstand dem Aufsichtsrat auch konkludent erteilen können.706 Eine Befreiung von der organschaftlichen Treue- und Sorgfaltspflicht ist jedoch nicht möglich, sodass das einzelne Aufsichtsratsmitglied einen rechtswidrigen Vertraulichkeitsbruch nicht unter Berufung auf das Vorstandshandeln rechtfertigen kann. Eine Auskunftspflicht des Aufsichtsratsmitglieds einer abhängigen Gesellschaft vermag das Konzerninteresse keinesfalls zu begründen.
6. Der Aufsichtsrats-Doppelmandatar Mehrfach organschaftlich verpflichtete Mandatsträger (Doppel- oder Multimandatare) führen vertrauliche Gesellschaftsinformationen über die von der aktienrechtlichen Schweigepflicht gezogenen Grenzen zwischen den Wissenssphären unterschiedlicher Gesellschaften hinweg. Die Pflicht zum vertraulichen Umgang mit geschützten Gesellschaftsinformationen wirft drei Problemkreise im Zusammenhang mit gleichzeitig bestehenden organschaftlichen Pflichtenbindungen auf. Dazu zählt (erstens) die Frage nach der Rechtmäßigkeit einer kommunikativen Offenbarung von Gesellschaftsgeheimnissen im Verwaltungsorgan einer Obergesellschaft, von denen der Organwalter bei der Ausübung seines Mandats in der Untergesellschaft Kenntnis erlangt hat. Davon zu unterscheiden ist (zweitens) die Frage nach der 706 Bank, Die Verschwiegenheitspflicht von Organmitgliedern in Fällen multipler Organmitgliedschaften, NZG 2013, 801 (806); Altmeppen, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 5, 5. Aufl. 2020, § 311 Rn. 427.
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Rechtmäßigkeit der Nutzung solcher Informationen bei der Ausübung des Mandats in einer anderen (Konzern-)Gesellschaft. Zuletzt wird (drittens) unabhängig von Konzernverhältnissen infrage gestellt, ob die aktienrechtliche Schweigepflicht einer Wissenszurechnung entgegensteht. a) Aktienrechtliches Kommunikationsverbot Die aktienrechtliche Schweigepflicht fußt auf dem konkreten Rechtsverhältnis zwischen dem Mandatsträger einerseits und der Gesellschaft mitsamt ihren Kollektivinteressen andererseits. Auf das jeweilige organschaftliche Pflichtengebilde nehmen anderweitig bestehende und in der Person des Mandatsträgers liegende Pflichtenbindungen keinen Einfluss. Weder berührt die konkrete Anzahl bestehender organschaftlicher Bindungen die Treue- und Sorgfaltsverfassung im Einzelnen, noch wirkt sich das (Konzern-)Rechtsverhältnis verschiedener Mandatsgesellschaften zueinander grundlegend auf die jeweilige Treuebindung der Organwalter aus. Auch die unmittelbar aus der organschaftlichen Bindung erwachsende und in den §§ 93 Abs. 1 S. 3, 116 S. 1 AktG hervorgehobene Schweigepflicht des Aufsichtsrats unterscheidet nicht zwischen einfach und mehrfach organschaftlich gebundenen Mandatsträgern. Es ist damit dem dargestellten Grundsatz entsprechend auch einem Multimandatar untersagt, geschützte Gesellschaftsinformationen im Kreis eines Verwaltungsorgans einer anderen Gesellschaft offenzulegen.707 Etwas anderes kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht aus einer individuellen Unzumutbarkeitserwägung pflichtgemäßen Schweigeverhaltens ergeben.708 Ausnahmen von der Schweigepflicht des Aufsichtsratsmitglieds, das dem Verwaltungsorgan einer gesellschaftsrechtlich mit der zweiten Mandatsgesellschaft nicht verbundenen Gesellschaft angehört, werden für die Due Diligence bei Veräußerung eines Geschäftsbereichs oder eines Unternehmens diskutiert.709 Für den Konzerndoppelmandatar, der einerseits Mitglied des Aufsichtsrats einer abhängigen Gesellschaft ist und gleichzeitig dem Leitungsorgan der Obergesellschaft angehört, darf nichts anderes gelten als für das einfach pflichtengebundene Aufsichtsratsmitglied der konzernierten Untergesellschaft.710 Eine konzerninterne kommunikative Wissensübertragung von unten nach oben ist daher nach der hier 707
Vgl. Bank, Die Verschwiegenheitspflicht von Organmitgliedern in Fällen multipler Organmitgliedschaften, NZG 2013, 801 (803). 708 Zur Befreiung von der Schweigepflicht zur Abwendung der eigenen Inanspruchnahme s. Giedinghagen, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, J., GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2017, § 52 Rn. 188; Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 93 Rn. 150; Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 116 Rn. 10 m. w. N. 709 Ausführlich zum Geheimnisschutz bei der Due Diligence Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 93 Rn. 154 ff. 710 Ähnlich Altmeppen, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 5, 5. Aufl. 2020, § 311 Rn. 427;„zumindest“ auf die AG beschränkt Bank, Die Verschwiegenheitspflicht von Organmitgliedern in Fällen multipler Organmitgliedschaften NZG 2013, 801 (803).
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
vertretenen Auffassung unter Einhaltung der dargestellten Rechtmäßigkeitsgrenzen im Konzerninteresse auch dem Konzerndoppelmandatar möglich.711 Eine weitere Ausnahme kann sich aus der Rechtsform der (Unter-)Gesellschaft ergeben, deren Schutz die aktienrechtliche Schweigepflicht bezwecken soll.712 Außerhalb der dargestellten Verbotsgrenzen stellt eine Übermittlung vertraulicher oder geheimer Gesellschaftsangelegenheiten durch den Konzerndoppelmandatar an Organmitglieder einer anderen (Konzern-)Gesellschaft einen Verstoß gegen die aktienrechtliche Schweigepflicht dar.713 b) Nichtkommunikative Schweigepflichtverletzung Der Doppelmandatar wandelt zwischen den Wissenssphären unterschiedlicher Gesellschaften und trägt deren vertrauliche Angaben und Geheimnisse zusammen, von denen er jeweils in Ausübung seiner Mandatspflichten Kenntnis erlangt. Neben der kommunikativen Weitergabe von Wissen existiert mit der Nutzung vertraulicher Gesellschaftsinformationen nur eine weitere Möglichkeit der aktiven Informationsverwendung. Die Nutzung von Gesellschaftsgeheimnissen zum persönlichen Vorteil des Aufsichtsratsmitglieds verbietet die aus der organschaftlichen Treuepflicht erwachsende Geschäftschancenlehre.714 Neben der direkten oder indirekten verbalen Geheimnisoffenbarung gegenüber Organmitgliedern anderer (Konzern-)Gesellschaften wirft auch der kommunikationslose intergesellschaftliche Wissenstransfer Fragen zum Wirkungsraum der aktienrechtlichen Schweigepflicht auf. Kommunikativer Wissenstransfer im Kontext der organschaftlichen Vertraulichkeitspflicht bezieht sich auf alle denkbaren Arten menschlicher Gedankenübertragung und umfasst die wörtliche Rede, die schriftliche Äußerung – analog oder elektronisch – sowie jedes konkludente Verhalten, aus dem Rückschlüsse auf einen konkreten Erklärungswert mit Bezug zu geschützten Gesellschaftsinformationen gezogen werden könnten. Streitbar ist daher, ob die ak-
711 Insb. die Ausnahme solche – grundsätzlich geschützte – Gesellschaftsinformationen betreffend, die aufseiten der Obergesellschaft eine (konzernbedingte) Haftungsgefahr begründen, hierzu bereits oben unter B.II.5.b)aa). 712 Eine Aktiengesellschaft als Alleingesellschafterin der Mandatsgesellschaft mbH, deren Aufsichtsrat der Doppelmandatar angehört, gehört zum Kreis der berechtigten Geheimnisempfängerinnen, vgl. hierzu bereits oben unter B.II.3.b)cc). In Persona ist in dem Fall einzig der Vorstand rechtmäßig über Gesellschaftsgeheimnisse in Kenntnis zu setzen, dem der Doppelmandatar dann regelmäßig selbst angehört. 713 A. A. hinsichtlich derjenigen Aufsichtsratsmitglieder der vertraglich konzernierten Untergesellschaft, die dem Leitungsorgan der Obergesellschaft angehören und für die einheitliche Leitung der Untergesellschaft „verantwortlich“ sind, zumindest solche vertraulichen und geheimen Gesellschaftsinformationen betreffend, die der einheitlichen Leitung dienlich sind, vgl. Hopt/Roth, Der Aufsichtsrat, 2019, § 116 Rn. 204 m. w. N. 714 Bachmann, in: Kremer/Bachmann/Lutter/Werder, v., DCGK, 8. Aufl. 2021, Teil 3, G19, Rn. 13.
II. Die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht de lege lata
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tienrechtliche Schweigepflicht im Einzelfall der Ausübung von Mandatsaufgaben in dem Organ einer von zwei Mandatsgesellschaften entgegensteht. Das ist denkbar, wenn die pflichtgemäße Aufgabenausübung in einer Gesellschaft die Nutzung von geschützten Informationen einer anderen Mandatsgesellschaft bedingt oder nicht ausschließt und hierdurch dem Sinn und Zweck der organschaftlichen Schweigepflicht zuwidergehandelt wird. Es stellt sich damit konkret die Frage, wann sich der Doppelmandatar in einer Kollision gleichwertiger – weil beidseitig organschaftlich begründeter – Pflichten aus Handlungsgebot gegenüber einer Gesellschaft einerseits und dem Kommunikationsverbot gegenüber einer anderen Mandatsgesellschaft andererseits befindet und wie die Situation im Einklang mit den Mandatspflichten zu lösen ist. Mit der Teilnahme an Diskussionen und Abstimmungen im Leitungsorgan einer Gesellschaft konkretisiert sich die abstrakte Gefahr einer treu- und sorgfaltswidrigen Geheimnisoffenbarung. Das gilt zumindest dann, wenn der Diskussions- oder Beschlussgegenstand einen Sachzusammenhang zu den Belangen einer anderen Gesellschaft aufweist, deren Aufsichtsorgan das Vorstandsmitglied angehört. Mit der Einnahme einer festen Position im Diskurs oder durch ein konkretes Abstimmungsverhalten könnte das Verhalten des Doppelmandatars den übrigen Organmitgliedern Rückschlüsse auf geschütztes Sonderwissen erlauben, ohne dass dafür eine verbale Offenbarung von Gesellschaftsgeheimnissen erforderlich wäre. Das würde den Sinn und Zweck der aktienrechtlichen Schweigepflicht – die Kenntniserlangung von Gesellschaftsgeheimnissen im negativen Empfängerkreis zu verhindern – konterkarieren. Der pflichtgemäßen Aufgabenausübung im Leitungsorgan wohnt damit zumindest die abstrakte Gefahr eines Verstoßes gegen die Schweigepflicht als Aufsichtsratsmitglied einer zweiten Mandatsgesellschaft inne. Einen – auch ungewollten – Verstoß gegen die Schweigepflicht kann der Doppelmandatar mit dem Verzicht auf gedankenübertragende (konkludente) Verhaltensweisen vorbeugen. Soweit sich Tagesordnungspunkte einer Organsitzung inhaltlich mit Gesellschaftsgeheimnissen einer anderen Gesellschaft überschneiden, der gegenüber das einzelne Organmitglied zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, sollte von einer Teilnahme an den Beratungen hierüber abgesehen werden. Jedenfalls würde die bloße Anwesenheit die generelle Gefahr eines Verstoßes gegen die Schweigepflicht nicht ausschließen, die in der Möglichkeit nonverbaler Kommunikation fortbesteht. Von der Stimmabgabe schließt die organschaftliche Schweigepflicht den Doppelmandatar nicht aus, soweit sie für das gesamte Gremium geheim erfolgt und damit die vom Doppelmandatar vertretene Position für niemanden ersichtlich wird. Dem Verhalten bei der geheimen Stimmabgabe liegt kein kommunikatives Element zugrunde, das einen Erklärungswert zu tragen imstande ist, der Erkenntnisse über vertrauliche Angaben oder Geheimnisse einer anderen Gesellschaft vermittelt. Die geheime Stimmabgabe berührt daher den Anwendungsbereich
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
der organschaftlichen Schweigepflicht nicht.715 Es gibt keine nichtkommunikative Schweigepflichtverletzung. Mit dem Verbot einer Vermischung von Wissensmengen unterschiedlicher Gesellschaften durch die Tätigkeit eines Multimandatars kommt auch eine Wissenszurechnung nicht in Betracht.716 Dogmatisch steht die aktienrechtliche Schweigepflicht der Entstehung einer (Wissens-)Organisationspflicht entgegen, die Voraussetzung für die Zurechnung von Aufsichtsratswissen bzw. Organmitgliederwissen ist.717 Die Arbeit von Mehrfachmandataren bringt mitunter komplexe Fragestellungen im Zusammenhang mit der aktienrechtlichen Schweigepflicht hervor.718 Das Gesetz setzt ausweislich der persönlichen Anforderungen an Aufsichtsratsmitglieder nach § 100 Abs. 2 AktG die Möglichkeit einer mehrseitigen organschaftlichen Verpflichtung voraus und nimmt sowohl die beschriebene Pflichtenkollision als auch die bestehende Missbrauchsgefahr in Kauf.719 Dem mehrfachverpflichteten Organmitglied wird im Vergleich zum einfach verpflichteten Aufsichtsmandatar seitens der organ- oder aktienrechtlichen Schweigepflicht kein erhöhter Sorgfaltsmaßstab auferlegt, bzw. muss sich der Multimandatar bei der Ausübung seiner Mandatsaufgaben keinen Restriktionen hingeben, die seine Person von der Ausübung konkreter Organpflichten im Einzelfall ausschließen können. Mit der zahlenmäßigen Beschränkung zeitgleich bekleideter Aufsichtsratsmandate im Regelungsgefüge des § 100 Abs. 1 bis 3 AktG soll ein hinreichender Schutz für Gesellschaften vor dem Informationsverlust durch gesellschaftsübergreifend tätige Mehrfachmandatare gewährleistet sein.720 In vielen deutschen Großunternehmen definiert die Anwe715
I. E. auch aber unter Bezugnahme auf das sog. Konzernprivileg nach § 100 Abs. 2 S. 2 AktG Mader, Der Informationsfluss im Unternehmensverbund, 2016, 491 ff. („keine chinese wall im Kopf des AR“); dem folgend Hüffer, in: Hüffer/Koch, AktG, 15. Aufl. 2021, § 116 Rn. 12. 716 BGH, Urt. v. 26. 04. 2016 – XI ZR 108/15, NJW 2016, 2569 Rn. 32; Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 477; Buck-Heeb, Private Kenntnis in Banken und Unternehmen, WM 2008, 281 (284); Koch, Wissenszurechnung aus dem Aufsichtsrat, ZIP 2015, 1757 (1760 f.); a. A. Schwintowski, Die Zurechnung des Wissens von Mitgliedern des Aufsichtsrats in einem oder mehreren Unternehmen, ZIP 2015, 617 (620 ff.). 717 Buck-Heeb, Private Kenntnis in Banken und Unternehmen, WM 2008, 281 (282). 718 Zur Frage der Wissenszurechnung, am Beispiel personeller Verflechtungen im Volkswagenkonzern bei der Übernahme der Porsche AG, Schwintowski, Die Zurechnung des Wissens von Mitgliedern des Aufsichtsrats in einem oder mehreren Unternehmen, ZIP 2015, 617 (617 ff.); vgl. dazu die Kritik von Koch, Wissenszurechnung aus dem Aufsichtsrat, ZIP 2015, 1757 (1760 f.). 719 Kritisch dazu Spindler, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 52 Rn. 658, der im Einzelfall die Mandatsniederlegung als alleinigen Ausweg aus der Pflichtenkollision des Mehrfachmandatars sieht. 720 Anders als es der DCGK für börsennotierte Unternehmen festlegt, gilt ansonsten keine strengere Restriktion im Hinblick auf die Bekleidung von Aufsichtsratsposten in Konkurrenzunternehmen, vgl. zu den bisherigen Reformbestrebungen im Lichte der Entstehungsge-
II. Die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht de lege lata
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senheit von Multimandataren in den Verwaltungsorganen den Regelfall, der gerade in einheitlich geleiteten Unternehmensgruppen Ausnahmen missen lässt. Was für die Gesamtorganisationen zahlreiche Vorteile birgt, ist auf den einzelnen Mandatar konzentriert vor allem ein Haftungsrisiko.
7. Erkenntnisse für die mehrfachverpflichteten Aufsichtsratsmitglieder öffentlicher Unternehmen Es sind im Sinne des Gleichheitssatzes alle Aufsichtsratsmitglieder unterschiedslos zur Verschwiegenheit verpflichtet, ungeachtet der Zugehörigkeit zu einem obligatorischen Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft, einem fakultativen721 oder obligatorischen Aufsichtsrat einer Gesellschaft mbH sowie unabhängig davon, ob sie als Vertreter von Interessengruppen in den Aufsichtsrat entsandt wurden oder unabhängig eigene Teilhaberechte wahrnehmen.722 Dasselbe gilt grundsätzlich auch für die von einer öffentlichen Körperschaft entsandten Aufsichtsratsmitglieder, die sich gleichsam mit der Annahme der organschaftlichen Bestellung zur primären Förderung und Wahrung der Interessen derjenigen Gesellschaft verpflichten, deren Organ sie fortan angehören (Mandatsunternehmen). Die Belange der entsendenden Körperschaft rücken infolgedessen in den Hintergrund, soweit sie nicht durch die §§ 394, 395 AktG privilegiert werden.723 Die aktienrechtliche Schweigepflicht aus §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 3 AktG bezieht sich inhaltlich auf Geheimnisse und vertrauliche Angaben und nimmt nach § 116 S. 2 AktG insbesondere vertrauliche Berichte und vertrauliche Beratungen in ihren Schutzumfang auf, die der zur Vertraulichkeit verpflichtete Normadressat nicht im Zusammenhang mit seiner Mandatstätigkeit erlangt haben muss. Von der Einordnung einer Information unter den sachlichen Anwendungsbereich der aktienschichte des § 100 AktG Spindler, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 07. 2022, § 100 Rn. 9 f. 721 Der Grundsatz kennt allerdings für den fakultativen Aufsichtsrat der Gesellschaft mbH Ausnahmen, vgl. hierzu unten unter Punkt B.II.4.e). 722 Den Grundsatz der Gleichheit aller Aufsichtsratsmitglieder beschrieben und auf die Schweigepflicht übertragen hat bereits Kühlwein, Die Verantwortlichkeit der ArbeitnehmerVertreter im Aufsichtsrat, NJW 1954, 621 (621 f.); dem folgend und in diesem Zusammenhang den Begriff „Gleichheitssatz“ etablierend und dennoch Ausnahmen bejahend Spieker, Die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder, NJW 1965, 1937 (1937 f.). Speziell zu Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat auch Westermann, Rechte und Pflichten des mitbestimmten Aufsichtsrats und seiner Mitglieder, ZGR 1977, 219 (228); Edenfeld/Neufang, Die Haftung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, AG 1999, 49 (52). 723 Spindler, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 52 Rn. 224; Schenk, v., in: Semler/Schenk, v., Der Aufsichtsrat, 2015, § 116 Rn. 231 f. Zum Informationsprivileg der öffentlichen Hand und der Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht nach §§ 394, 395 AktG siehe sogleich unter C.
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B. Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder
rechtlichen Schweigepflicht strikt zu unterscheiden ist die Qualifikation von Gesellschaftsinformationen als geheimhaltungsbedürftig, die nicht der Geschäftsleitung oder dem Aufsichtsrat obliegt, sondern eine anhand des Unternehmensinteresses objektiv feststellbare und dem Beweis zugängliche Tatsache ist. Gleichwohl vermag der Vorstand kraft seiner Leitungshoheit im Einzelfall Tatsachen zu schaffen, die ein objektives Geheimhaltungsbedürfnis begründen können. Äußert der Vorstand einen begründeten Geheimhaltungswillen, muss sich das einzelne Aufsichtsratsmitglied hieran gebunden sehen. Wird die sachliche Grundlage, die dem Geheimhaltungsbedürfnis im konkreten Fall zugrunde gelegt wird, infrage gestellt, sind zunächst weitere Nachforschungen zum Bestehen objektiver Kriterien anzustellen. Mithin muss das auskunftswillige Aufsichtsratsmitglied im Hinblick auf die einzelne Information Rücksprache mit dem Vorstand halten und kann im diesem Zusammenhang nach einer Darlegung sämtlicher Umstände verlangen, die ein objektives Geheimhaltungsbedürfnis im Interesse der Gesellschaft begründen sollen. Aktienrechtliche Leitideale vermögen materiell-rechtlich keinen justiziablen Rahmen für Handlungen des Aufsichtsrats zu begründen. Das Unternehmensinteresse ist nicht geeignet, die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht inhaltlich auf einen über den sachlichen Anwendungsbereich hinausgehenden Handlungsraum zu erweitern. Dabei ist unerheblich, ob das Gemeinwohlpostulat aus § 70 Abs. 1 AktG 1937 fortgilt, dem Unternehmen „an sich“ ein verselbstständigtes Interesse zugestanden wird, wonach sich der konkrete Gehalt des (ggf. auch die unternehmensbeteiligten Gruppen umfassenden) Unternehmensinteresses bestimmen lässt, wer zur Konkretisierung des Unternehmensinteresses berufen ist und allgemein; inwiefern Vorstand und Aufsichtsrat interessenmonistischen oder interessenpluralistischen Konzeptionen unterworfen sind. „Grau, theurer Freund, ist alle Theorie“724, denn praxistaugliche und hinreichend konkrete Handlungsvorgaben für die alltäglichen Aufgaben mehrfachverpflichteter Aufsichtsratsmitglieder öffentlicher Unternehmen ergeben sich aus den untersuchten Leitkonzepten nicht. Das Unternehmensinteresse, anhand dessen sich die Geheimhaltungsbedürftigkeit einer Tatsache objektiv bestimmen lassen soll, kann als Schrankensystematik für die Berücksichtigung pluralistischer Interessen beschrieben werden und stellt keinen Rechtfertigungsgrund für die Weitergabe von vertraulichen oder geheimen Gesellschaftsinformationen dar. Dem Aufsichtsratsmitglied wird insoweit auch kein Ermessens- oder Beurteilungsspielraum eingeräumt.
724
Goethe, Faust Theil 1, 1808, Studirzimmer, S. 124.
C. Öffnung der aktienrechtlichen Schweigepflicht durch das Informationsprivileg der öffentlichen Hand nach §§ 394, 395 AktG Die öffentliche Hand als Inhaberin einer Unternehmung in privatrechtlicher Organisationsform zielt mit der Wahl oder Entsendung von Mitgliedern in den Aufsichtsrat auf die Überwachung der Aktiengesellschaft oder Gesellschaft mbH ab. Das ist einerseits Voraussetzung für das privatwirtschaftliche Tätigwerden von Gebietskörperschaften und steht andererseits im Widerspruch zur aktienrechtlich geschützten Vertraulichkeitssphäre der Gesellschaft, soweit das Aufsichtsratsmitglied nicht lediglich als Gesellschaftervertreter eingesetzt wird, sondern als Informationsmittler, welcher der Gebietskörperschaft umfassende Auskünfte erstatten soll. Neben den teleologischen Ausnahmen und Beschränkungen der aktienrechtlichen Schweigepflicht entbindet § 394 S. 1 AktG die kraft Satzung, Gesetz oder Rechtsgeschäft einer Gebietskörperschaft zur Berichterstattung verpflichteten Mitglieder des Aufsichtsrats von ihrer Schweigepflicht. Damit bricht das Aktienrecht zugunsten der öffentlichen Hand mit dem Prinzip, dass eine Weitergabe vertraulicher oder geheimer Gesellschaftsinformationen durch Mitglieder des Innenorgans Aufsichtsrat nicht oder zumindest nicht ohne Zustimmung des Vorstands erfolgen darf. Dem aktienrechtlichen Informationsprivileg im Regelungsgefüge der §§ 394, 395 AktG werden zweierlei Funktionen zugesprochen. Einerseits ermöglicht das Instrument mit der Modifikation der kapitalgesellschaftsrechtlichen Kommunikationsstruktur erst der öffentlichen Hand die Nutzung der Aktiengesellschaft als Rechtsform für das öffentliche Unternehmen. Andererseits soll dem schweige- und berichterstattungspflichtigen Aufsichtsratsmitglied ein Rechtsrahmen für die Lösung der damit begründeten Pflichtenkollision vorgegeben werden. Die Bedeutung des Informationsprivilegs für die in der Rechtsform der Aktiengesellschaft oder Gesellschaft mbH tätige öffentliche Hand offenbart sich mit der Beleuchtung der verfassungs- und (wirtschafts-)verwaltungsrechtlichen, insb. haushaltsrechtlichen Bestimmungen für die unternehmerisch tätige Gebietskörperschaft (zugleich unter C.I.). Die Inhaltsbestimmung des Informationsprivilegs der öffentlichen Hand kann dahingegen nicht durch öffentlich-rechtliche Normen zur Gesetzmäßigkeit staatlicher Unternehmensbeteiligung erfolgen, sondern ist – auch unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der §§ 394, 395 AktG – mit Blick auf das aktienrechtliche Kommunikationswesen anzustellen (sogleich unter C.III.). Die gesellschaftsrechtlichen Anforderungen an das zweiseitig verpflichtete Aufsichts-
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C. Öffnung der aktienrechtlichen Schweigepflicht
ratsmitglied eines öffentlichen Unternehmens wären jedoch wirkungslos, soweit sie aufgrund eines Anwendungsvorrangs hinter höherrangige Rechtsvorschriften zurücktreten müssten (sogleich unter C.II.).
I. Der Status-quo verfassungsrechtlich verpflichteter Unternehmerschaft Regelungen über die wirtschaftliche Unternehmerschaft des Bundes in Privatrechtsform hält das Grundgesetz in Art. 87e Abs. 3 und Art. 87f Abs. 2 vor; zu Bundesbetrieben und Sondervermögen verhält sich Art. 110 Abs. 1 GG, für die Bundes- und Landesvermögen inklusive der Beteiligung an Unternehmen zeichnen die Art. 134, 135 Abs. 6 GG den Rechtsrahmen. Wenngleich aus der Existenz der genannten Grundrechtsnormen allgemein noch nicht auf die verfassungsrechtliche Erlaubnis wirtschaftlichen Staatshandelns geschlossen wird,1 ist das unternehmerische Tätigwerden von und mit Staatsvermögen in privater Rechtsform verfassungsrechtlich auch nicht ausgeschlossen. Den Bundesländern, Gemeinden und Kommunen steht die Wahl der (privaten) Rechtsform zur Organisation hoheitlicher Aufgaben grundsätzlich frei.2 Selbst eine rechtswidrige, bspw. gegen Verwaltungsvorschriften verstoßende Gründung oder Beteiligung an einer Aktiengesellschaft durch die juristische Person des öffentlichen Rechts steht der wirksamen Entstehung der Gesellschaft nicht entgegen.3 Die staatliche Organisationsprivatisierung in Eigen- oder Beteiligungsgesellschaften, gemischt-öffentlichen und gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen entlässt die handelnde Gebietskörperschaft allerdings in keinem Fall aus der Grundrechtsbindung. Nach Art. 1 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 GG ist „alle staatliche Gewalt“ an die Grundrechte gebunden. Damit wird der Staat bei jeder hoheitlichen und fiskalischen Aufgabenbewältigung ungeachtet der konkret gewählten Organisationsform oder Beteiligung zur Achtung und Wahrung der Verfassung verpflichtet. Das Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 u. 2 GG) und der Funktionsvorbehalt (Art. 33 Abs. 4 GG) stellen dieselben Bedingungen an das staatliche Handeln ungeachtet der Rechtsform der jeweiligen Organisationseinheit. Das Verwaltungshandeln in privatwirtschaftlicher Rechtsform steht unter dem Vorbehalt der demokratischen Legitimation und verlangt nach der ununterbrochenen Organisationshoheit der Gebietskörperschaft, die auch als demokratischer Steuerungsvorbehalt bezeichnet wird.4 Darunter werden 1
Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 5. Aufl. 2020, § 78 Rn. 28. Zur Formenwahlfreiheit der öffentlichen Hand s. BVerwG, Urt. v. 06. 04. 2005 – 8 CN 1/ 04, NVwZ 2005, 1072 (1073 f.) m. w. N.; ausführlich Kempen, Die Formenwahlfreiheit der Verwaltung, 1989, S. 91 ff., Mann, Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft, 2002, S. 69. 3 Heider, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 1, 5. Aufl. 2019, § 2 Rn. 14. 4 Huber/Fröhlich, in: Hopt/Wiedemann, AktG Großkomm, 4. Aufl. 2014, Vor §§ 394, 395 Rn. 19. 2
I. Der Status-quo verfassungsrechtlich verpflichteter Unternehmerschaft
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Steuerungs- und Cotrollingrechte der Gebietskörperschaft verstanden, die eine parlamentarische Verantwortung für „alles Handeln mit Entscheidungscharakter“5 gewährleisten und mit der Wahrnehmung von (Mit-)Entscheidungsbefugnissen und der Ausübung von Vorschlagsrechten realisiert werden.6 Weniger das Europarecht7 und stärker das Verfassungsrecht legen die privatwirtschaftlich organisierte Unternehmerschaft in Zügel, die dem Grunde nach den Verlust der demokratischen Legitimation durch die Volkssouveränität einerseits und der Finanzverfassung andererseits verhindern. Oberste Maxime verfassungsgemäßen Unternehmerhandelns der öffentlichen Hand bleiben danach obligatorische Kontroll- und Einwirkungspflichten8 der Gebietskörperschaft auf die gewählte (private) Organisationsform als Kompensation für die Einschränkung der parlamentarischen Kontrolle.9 Neben die Ingerenzpflichten10 oder das verfassungsrechtliche Erfordernis der Organisationshoheit11 der unternehmerisch handelnden Gebietskörperschaft treten Gesetzes- und Parlamentsvorbehalte, die dazu führen, dass auf staatlicher Ebene ein Gesetz und auf kommunaler Ebene die Gemeindeordnung die Legitimationsgrundlage für das privatwirtschaftlich organisierte öffentliche Unternehmen bereiten müssen.12 Die wirtschaftsunternehmerische Betätigung des Staates bespielt mit dem Rechtsstaatsprinzip, dem Demokratieprinzip, dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz und nicht zuletzt dem Zweckbindungsgrundsatz öffentlicher Unternehmen als Legitimation staatlichen Handelns in privater Rechtsform ein buntes Konfliktfeld, das mit
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St. Rspr. seit BVerfG, Beschl. v. 15. 02. 1978 – 2 BvR 134, 268/76, BVerfGE 47, 253 (273); BVerfG, Urt. v. 31. 10. 1990, BVerfGE 83, 60 (73); BVerfG, Beschl. v. 24. 05. 1995 – 2 BvF 1/92, BVerfGE 93, 37 (68); BVerfG, Beschl. v. 05. 12. 2002 – 2 BvL 5/98, 2 BvL 6/98, BVerfGE 107, 59 (87). 6 Huber/Fröhlich, in: Hopt/Wiedemann, AktG Großkomm, 4. Aufl. 2014, Vor §§ 394, 395 Rn. 21. 7 Eine kurze Übersicht zur Frage der Europarechtskonformität staatlichen Handelns in privater Rechtsform nach der sog. Golden-Share-Rspr. des EuGH, u. a. EuGH RS C-98/01 Kommission gegen GB (British Airport Authority), BB 2003, 1524; mit weiteren Verweisen Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 17. Die GoldenShare-Rspr. betrifft lediglich börsennotierte Aktiengesellschaften. 8 Nach Püttner, Das Recht der kommunalen Energieversorgung, 1967, S. 55; ders., Die Einwirkungspflicht, DVBl. 1975, 353 (353 ff.). 9 Vgl. Huber/Fröhlich, Öffentliche Unternehmenstätigkeit, in: FS Coester-Waltjen, 2015, 1127 (1127), die vom „demokratischen Steuerungsvorbehalt“ sprechen. 10 Nach Ossenbühl, Erweiterte Mitbestimmung in kommunalen Eigengesellschaften, 1972, S. 55 ff. 11 So die Bezeichnung des Bundesverwaltungsgerichts, vgl. nur BVerwG, Urt. v. 06. 04. 2005 – 8 CN 1/04, NVwZ 2005, 1072 (1073). 12 Für die kommunalen Unternehmen verbrieft das Selbstverwaltungsrecht aus Art. 28 Abs. 2 GG die Entscheidungshoheit der Gemeinden.
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C. Öffnung der aktienrechtlichen Schweigepflicht
schwergewichtigen und – jedes für sich betrachtet – unantastbaren Verfassungsrechtsprinzipien geschmückt ist.13 Ungeachtet des jeweiligen Gehalts der dogmatischen Grundlagen der Ingerenzpflichten14 ergeben sich konkretere Grenzen für die Unternehmenstätigkeit einer kommunalen Gebietskörperschaft aus den Kernbereichsbeschränkungen der Selbstverwaltungsgarantie15 sowie aus den Bestimmungen des Haushaltsrechts. Die Haushaltsordnungen der Länder lassen entsprechend § 65 BHO16 eine Beteiligung im Grundsatz nur zu, wenn (erstens) der angestrebte Zweck nicht besser und wirtschaftlicher in anderer Weise als durch die Beteiligung an einem privatrechtlich organisierten Unternehmen erfolgen kann, (zweitens) die Haftung der Gebietskörperschaft begrenzt, (drittens) ein angemessener Einfluss der öffentlichen Hand gewährleistet und (viertens) ein Jahresabschluss nach den Regeln für große Kapitalgesellschaften aufgestellt und geprüft wird.17 Die kommunalrechtlichen Bestimmungen sehen weitere hiervon und auch untereinander abweichende Restriktionen vor, knüpfen die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinde beispielsweise an strengere oder gelöste Zweckbindungs-, Verhältnismäßigkeits- sowie Subsidiaritätsklauseln für die Beteiligung an Unternehmen in der Rechtsform der Aktiengesellschaft.18 Teilweise wird in der Literatur sogar die Ansicht vertreten, eine Gründung oder Beteiligung durch die öffentliche Hand an einem Unternehmen in der Rechtsform der Gesellschaft mbH sei aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten generell der Rechtsform der Aktiengesellschaft vorzuziehen.19 Faktisch werden kleine und mittelgroße öffentliche Unternehmen regelmäßig als Gesellschaft mbH organisiert, die Rechtsform der Aktiengesellschaft findet lediglich bei den seltenen großen öffentlichen Unternehmen Anwendung.20 13
Die rein erwerbswirtschaftliche öffentliche Unternehmung ist mit dem Erfordernis der Bindung staatlicher Unternehmertätigkeit in privater Rechtsform an die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben ausgeschlossen, vgl. BVerfG, Beschl. v. 08. 07. 1982 – 2 BvR 1187/80, NJW 1982, 2173 (2174 f.); Mann, Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft, 2002, S. 96. 14 Hierzu ausführlich Traut, Die Corporate Governance von Kapitalgesellschaften der öffentlichen Hand, 2013, S. 12 ff.; konsistenter Überblick bei Danwitz, v., Vom Verwaltungsprivat- zum Verwaltungsgesellschaftsrecht, AöR 1995, 595 (604 f.). 15 Vgl. hierzu die st. Rspr. seit BVerfG, Urt. v. 20. 03. 1952 – 1 BvR 267/51 – 1 BvR 267/51, BVerfGE 1, 167 (174 ff.); bestätigt in BVerfG, Beschl. v. 23. 11. 1988 – 2 BvR 1619, 1628/83, NVwZ 1989, 347 (348 f.). 16 Bundeshaushaltsordnung (BHO) v. 19. 08. 1969, BGBl. I S. 1284, zuletzt geändert durch Artikel 21 des Gesetzes vom 20. 08. 2021, BGBl. I S. 3932. 17 Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, Vorb. Zu §§ 53, 54 HGrG Rn. 4 m. w. N. 18 So kann die Beteiligung an die Bedingung geknüpft sein, dass eine Zweckerfüllung nicht in gleicher Weise auch in einer anderen Rechtsform möglich ist, vgl. etwa § 108 Abs. 4 GO NRW; § 87 Abs. 2 GO RLP, § 122 Abs. 3 GO Hessen. 19 So Huber/Fröhlich, in: Hopt/Wiedemann, AktG Großkomm, 4. Aufl. 2014, Vor §§ 394, 395, Rn. 34; dies., Öffentliche Unternehmenstätigkeit, in: FS Coester-Waltjen, 2015, 1127 (1135 f.). 20 Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 5. Aufl. 2020, § 7 Rn. 12.
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Die Vorteile einer von der handelnden Gebietskörperschaft vollständig verselbstständigten Aufgabenerfüllung in privatrechtlich organisierter Rechtsform liegen in einem verringerten Verwaltungs- und Kostenaufwand im Vergleich zu den öffentlich-rechtlichen Organisationsformen des Eigenbetriebs, der rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts oder des Zweckverbands. Vorbehaltlich einer Beleihung agieren die privatrechtlich organisierten öffentlichen Unternehmen primär innerhalb betriebswirtschaftlich und kaufmännisch bestimmter Rahmenbedingungen und mitunter gelöst von den Bindungen des öffentlichen Dienstes, wie etwa den Besoldungs-/Vergütungs- und Personalvertretungsregelungen.21 Mit der Verlegung der öffentlichen Aufgabenverwaltung vom öffentlich tagenden Parlament oder auf kommunaler Ebene vom Gemeinderat in den zur Vertraulichkeit verpflichteten Aufsichtsrat der öffentlichen Gesellschaft mag die demokratische Legitimationskette zum Vorteil einer effizienten und insbesondere kostengünstigeren Verwaltung geöffnet werden.22 Gegenstand, Inhalt und Voraussetzung des Effizienzstrebens ist die unternehmerische Autonomie privater Gesellschaften, also die Verselbstständigung des öffentlichen Unternehmens, mit der zwingend eine Loslösung der Organisationseinheit vom Willen der politischen Leitungsorgane einhergeht.23 Ein – je nach konkreter privatrechtlicher Organisationsform mehr oder weniger – einschneidender Nachteil gegenüber öffentlich-rechtlichen Organisationsformen liegt daher auch in einer für (politisch) Verantwortliche erschwerten Informationsbeschaffung.24 Dem Informationshindernis der aktienrechtlichen Schweigepflicht soll über den Einsatz berichtspflichtiger Aufsichtsratsmitglieder abgeholfen werden. Ob dadurch ein „demokratischer Steuerungsvorbehalt“25 der Gebietskörperschaft gewährleistet bleibt, betrifft die nicht in dieser Untersuchung zu beantwortende Frage nach dem verfassungs- und verwaltungsrechtsgemäßen Unternehmerhandeln einer Gebietskörperschaft, die sich allerdings nicht zuletzt auch am pflichtgerechten und rechtmäßigen Verhalten des berichterstattungspflichtigen Aufsichtsratsmitglieds selbst zu entscheiden hat. Die Ingerenzpflichten verhindern, dass sich die demokratisch legitimierten Entscheidungsträger der eigenen Verant-
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Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 5. Aufl. 2020, § 7 Rn. 12. Kritisch Spannowsky, Der Einfluss öffentlich-rechtlicher Zielsetzungen auf das Statut privatrechtlicher Eigengesellschaften in öffentlicher Hand, ZGR 1996, 400 (412). 23 Dahingegen ist der Eigenbetrieb organisatorisch und haushaltsrechtlich noch stärker an den Willen demokratisch gewählter Vertreter gebunden, worin im Vergleich zu den privatrechtlich organisierten öffentlichen Unternehmen aus ökonomischer Sicht ein Mangel an Flexibilität kritisiert wird, vgl. Schroeder, Geschäftsführungsrechte und Einwirkungsbefugnisse bei öffentlichen Unternehmen, ZögU 1979 Bd. 2, 149 (150 ff.), der von einem „Dilemma zwischen Autonomie und Kontrolle“ spricht. 24 Vgl. zu den besonderen Informationsrechten der GmbH-GesellschafterIn, insb. § 51a GmbHG, bereits oben unter B.II.3.b). 25 Huber/Fröhlich, Öffentliche Unternehmenstätigkeit, in: FS Coester-Waltjen, 2015, 1127 (1127). 22
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C. Öffnung der aktienrechtlichen Schweigepflicht
wortung durch die Wahl einer privaten Organisationsform entziehen und stellen die nach dem öffentlichen Recht zu gewährleistende Kontrolle sicher.26 Wonach sich das berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglied des öffentlichen Unternehmens richtet, hängt nicht zuletzt auch davon ab, ob öffentlich-rechtliche oder konkreter verfassungsrechtliche Vorgaben bis in das private Organisationsrecht wirken. Diesem Thema widmet sich die rechtswissenschaftliche Literatur unter dem Titel des „Verwaltungsgesellschaftsrechts“. Welches Meinungsbild von der Bedeutung öffentlich-rechtlicher Unternehmen in privater Rechtsform im Hinblick auf die Geltungsstufe des Gesellschaftsrechts dahinter verborgen liegt und welcher Anspruch vornehmlich von der verwaltungsrechtlichen Literatur erhoben wird, darf nachfolgend anhand der gefestigten Fronten und eindeutigen Kräfteverhältnisse in gebotener Kürze zusammengefasst werden.
II. Die Rechtsverfassung der (öffentlichen) Kapitalgesellschaften Der Rechtsrahmen für Aufsichtsratsmitglieder von Aktiengesellschaft und Gesellschaft mbH hinsichtlich der Wahrung von Gesellschafts- und Unternehmensinteresse sowie der Integrität von Gesellschaftsgeheimnissen wurde bereits ausführlich im Zusammenhang mit den Aufgaben des Aufsichtsrats und mit der Beleuchtung der Funktionsweise des aktienrechtlichen Organisationssystems behandelt.27 Neu- oder Andersbewertungen von Rechten und Pflichten des Aufsichtsrats, die in der organschaftlichen Beziehung zur Gesellschaft gründen, setzen aktienrechtliche Sonderbestimmungen oder eine Modifikation der Rechtsverfassung der Gesellschaft voraus. Für die Aktiengesellschaft unter Beteiligung einer Gebietskörperschaft steht in wiederkehrender Diskussion, ob die aktienrechtlichen Bestimmungen im Einzelfall hinter Normen des öffentlichen Rechts zurücktreten oder im Lichte höherrangigen Rechts zu modifizieren sind. In beiden Fällen wird in Zweifel gezogen, ob sich die Beteiligung der öffentlichen Hand an einer Aktiengesellschaft oder Gesellschaft mbH auf deren Rechtsverfassung auswirkt. Für die Bestimmung der Rechtsverfassung öffentlicher Aktiengesellschaften ist daher zu untersuchen, ob (erstens) die Regelungen des Aktienrechts im Fall des öffentlichen Unternehmens hinter höherrangigen Bestimmungen des Staats- oder Verwaltungsrechts zurücktreten. Daran anknüpfend ist (zweitens) der Einfluss von Verwaltungsvorschriften auf die Gestalt der Rechtsverfassung öffentlicher Unternehmen in privatrechtlicher Organisationsform zu untersuchen. Erst vor kurzem wurde die These aufgestellt, dass das Gesellschafterinteresse eines öffentlich26
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Danwitz, v., Vom Verwaltungsprivat- zum Verwaltungsgesellschaftsrecht, AöR 1995, 595 Vgl. oben unter B.II.
II. Die Rechtsverfassung der (öffentlichen) Kapitalgesellschaften
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rechtlichen Anteilseigners dessen gesellschaftsrechtliche Befugnisse einzuschränken vermag. Der dahinter liegende Gedankengang soll (drittens) aufgegriffen und an den voranstehenden Untersuchungsergebnissen gemessen werden. Die Erkenntnisse aus diesen drei Komplexen zur Rechtsverfassung der Aktiengesellschaft müssen in den Kontext der aktienrechtlichen Schweigepflicht des berichtspflichtigen Aufsichtsratsmitglieds eines öffentlichen Unternehmens eingeordnet werden und bilden (viertens) den Maßstab für Weisungsrechte in der Aktiengesellschaft. Im Unterschied dazu lassen sich (fünftens) erhebliche Unterschiede in der Rechtsverfassung der Gesellschaft mbH ausmachen. Die abschließende Zusammenfassung soll (sechstens) den Nullstellensatz für den Abschluss dieser Untersuchung definieren, der sich der Einordnung des aktienrechtlichen Informationsprivilegs der öffentlichen Hand nach §§ 394, 395 AktG unter den Ordnungsrahmen der aktienrechtlichen Schweigepflicht für Aufsichtsratsmitglieder widmet.
1. Das aktienrechtliche Einheitsstatut Aus der Perspektive des Grundgesetzes ist die öffentliche Aktiengesellschaft oder Gesellschaft mbH von Kapitalgesellschaften mit ausschließlich privaten Anteilseignern zu unterscheiden und hinsichtlich ihrer Grundrechtsverpflichtung sowie -berechtigung anders zu behandeln.28 Das Aktienrecht als einfaches Bundesrecht vermag die rechtsstaatliche Pflichtenbindung der Gebietskörperschaft nicht zu berühren, bzw. wird die Indienstnahme einer privatrechtlichen Organisationsform die Körperschaft-Gesellschafterin von der Grundrechtsbindung nicht befreien.29 Überlegungen zur Degradierung des Aktienrechts bei konfligierenden öffentlich-rechtlichem Transparenzgebot und dem Grundsatz der Integrität vertraulicher Gesellschaftsinformationen finden in der Anerkennung einer Sonderstellung der öffentlichen Hand als Gesellschafterin ihren Ausdruck. Anlass für eine Wiederbelebung der bereits überwunden geglaubten Thematik war das Deutsche Bahn-Urteil des Bundesverfassungsgerichts30, das in Anknüpfung an die Fraport-Rechtsprechung31 die Grundrechtsbindung von öffentlichen Unternehmen in privatrechtlicher Organisationsform bestätigt und eine Grundrechtsberechtigung ebendieser versagt. Der Einfluss von Verwaltungsvorschriften, der Grundsatz der öffentlichen Aufgabenbindung und allem voran die Ingerenzpflicht sollen nach einer minderheitlich in der Literatur vertretenem Konzept des Verwaltungsgesellschaftsrechts32 die 28 BVerfG, Urt. v. 22. 02. 2011 – 1 BvR 699/06 („Fraport“), NJW 2011, 1201 (1202 f.); BverfG, Urt. v. 07. 11. 2017 – 2 BvE 2/11 („Deutsche Bahn“), NVwZ 2018, 51 (59). 29 Ausführlich Traut, Die Corporate Governance von Kapitalgesellschaften der öffentlichen Hand, 2013, S. 30 ff. 30 BverfG, Urt. v. 07. 11. 2017 – 2 BvE 2/11 („Deutsche Bahn“), NVwZ 2018, 51 (59). 31 BVerfG, Urt. v. 22. 02. 2011 – 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226 = NJW 2011, 1201. 32 Zuerst Ipsen, Kollision und Kombination von Prüfungsvorschriften des Haushalts- und des Aktienrechts, JZ 1955, 593 (598); die Idee von der Umsetzung des Verwaltungsgesell-
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C. Öffnung der aktienrechtlichen Schweigepflicht
Rechtsverfassung öffentlicher Unternehmen indoktrinieren.33 Sollte die privatrechtlich organisierte Gebietskörperschaft in der Durchsetzung ihrer Organisationshoheit durch aktienrechtliche Bestimmungen gefährdet sein und die demokratische Legitimationskette dadurch zu zerfallen drohen, müssten die Bestimmungen des privaten Organisationsrechts unberücksichtigt bleiben.34 Die aktienrechtliche Schweigepflicht des Aufsichtsrats aus §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 3 AktG müsste demzufolge im Einzelfall hinsichtlich solcher Gesellschaftsgeheimnisse, deren Kenntnis die Aufrechterhaltung des Steuerungsvorbehalts aufseiten der Gebietskörperschaft bedingt, zumindest im Verhältnis des berichtspflichtigen Aufsichtsratsmitglieds zum Träger der Ingerenzpflicht durchbrochen werden.35 Mit den zuvor erarbeiteten Grundsätzen des aktienrechtlichen Geheimnisschutzes steht diese Ansicht in Widerspruch.36 Dogmatisch fußt die Vertraulichkeitspflicht des Aufsichtsrats in der organschaftlichen Pflichtenbindung und gilt für jedes Aufsichtsratsmitglied gleichermaßen im Grundsatz gegenüber allen gesellschaftsfremden Personen und einzelnen Aktionären.37 Aufgrund der Gesellschafterstellung der öffentlichen Hand und ihrer Grundrechtsverpflichtung eine Ausnahme zuzulassen, würde unabhängig einer gesetzlichen Grundlage38 voraussetzen, dass die aktienrechtliche Unternehmensverfassung von (höherrangigen) öffentlich-rechtlichen Bestimmungen verdrängt oder partiell durchbrochen wird.39 Die Rechtsgrundlage dafür wird in dem Vorrang der Verfassung vor einfachem Recht nach Art. 20 Abs. 3 GG gesucht.
schaftsrechts im Kontext gesellschaftsrechtlicher Regelungen konzeptionell erschließend dargestellt bei Kraft, Das Verwaltungsgesellschaftsrecht, 1982, S. 128 ff., der letztlich für eine Neuordnung der innergesellschaftlichen Kompetenzstruktur zur Realisierung „der Einflusspflicht“ der Gebietskörperschaft votiert. 33 Zu den historischen Hintergründen des „dogmatischen Konzepts des Verwaltungsgesellschaftsrechts“ Mann, Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft, 2002, S. 270 f. m. w. N. 34 Danwitz, v., Vom Verwaltungsprivat- zum Verwaltungsgesellschaftsrecht, AöR 1995, 595 (603 ff.), wonach die jeweilige Verwaltungsaufgabe, die rechtsstaatliche Pflichtenbindung und die spezifischen Legitimationsbedürfnisse der öffentlichen Verwaltung die gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen modifizieren, ergänzen und sogar überlagern können sollen. 35 Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, 2. Aufl. 1985, S. 137; ausführlich Engel, Grenzen und Formen der mittelbaren Kommunalverwaltung, 1981, S. 150 ff.; zuletzt Katz, Demokratische Legitimationsbedürftigkeit der Kommunalunternehmen, NVwZ 2018, 1091 (1096). 36 Vgl. insb. oben unter B.I.2. und B.II.4. 37 Hierzu bereits oben unter B.II.3. 38 Zum aktienrechtlichen Informationsprivileg der öffentlichen Hand sogleich unter C.III. 39 Vgl. Ipsen, Kollision und Kombination von Prüfungsvorschriften des Haushalts- und des Aktienrechts, JZ 1955, 593 (598 f.); Vogel, Öffentliche Wirtschaftseinheiten in privater Hand, 1959, S. 170 ff.; Berkemann, Die staatliche Kapitalbeteiligung an Aktiengesellschaften, 1966, S. 242 f. u. 250, der seine Arbeit als Schüler von Ipsen verfasste; vgl. auch Stober, Die privatrechtlich organisierte öffentliche Verwaltung, NJW 1984, 449 (455).
II. Die Rechtsverfassung der (öffentlichen) Kapitalgesellschaften
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Dem zugrunde liegt die Annahme, dass das gebietskörperschaftlich (mit-)bestimmte Unternehmen nicht nur hinsichtlich der Grundrechtsverpflichtung sowie -berechtigung, sondern im Rückschluss auch aus aktienrechtlicher Perspektive eine Sonderrolle einnimmt. Schlussfolgernd forderten vereinzelte Stimmen – überwiegend aus der öffentlich-rechtlichen Literatur – die Anerkennung des Vorrangs der Verfassung vor dem Aktienrecht. Eine andere Bewertung, insbesondere ein Festhalten an organisationsrechtlich verfassten Prinzipien würde die Gewährleistung eines umfassenden Informationsflusses vom öffentlichen Unternehmen hin zum Träger des Steuerungsvorbehalts zu lösen drohen und die demokratische Legitimationskette staatlichen Handelns zum Vorteil des aktienrechtlichen Geheimnisschutzes durchbrechen. Die Sondernormen der §§ 394, 395 AktG könnten insoweit keine ausreichende Kompensation für den drohenden Steuerungsverlust der Gebietskörperschaft darstellen. Der Forderung nach einer aktienrechtlich gebilligten Sonderstellung öffentlicher Anteilseignerinnen tritt die heute gefestigte Literaturmeinung in Einklang mit der Rechtsprechung40 mit der Theorie vom Vorrang des Gesellschaftsrechts entgegen. Die nach wie vor überwiegende Gegenansicht zum Verwaltungsgesellschaftsrecht erkennt zwischen dem allgemeinen Aktienrecht einerseits und dem Staats- und Verwaltungsrecht andererseits kein Konkurrenzverhältnis, sondern geht davon aus, dass diese auf gleichem Rang nebeneinander stehen.41 Die Gegenbewegung zum Verwaltungsgesellschaftsrecht tritt am stärksten in den späten 1970er Jahren auf und gründet ihr Konzept auf der Vorstellung von einer universellen Geltung der abschließend verfassten gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen.42 Der Theorie vom Vorrang des Gesellschaftsrechts zufolge richtet sich die Binnenorganisation der öffentlichen Kapitalgesellschaft allein nach den Bestimmungen des Gesellschaftsrechts.43 Normen außerhalb des Aktienrechts, gleichwohl welcher Herkunft, sollen danach keinen bestimmenden Einfluss auf die Rechtsverfassung der öffentlichen
40 BVerfG, Urt. v. 07. 11. 2017 – 2 BvE 2/11, NVwZ 2018, 51 Rn. 225; die Frage nach dem steten Vorrang des Gesellschaftsrechts gegenüber öffentlich-rechtlichen Vorschriften noch offen gehalten BGH, Urt. v. 29. 01. 1962 – II ZR 1/611, BGHZ 69, 332 (339) = NJW 1962, 864 (866 f.). 41 Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, Vorb. § 394 Rn. 25 f.; Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 4 m. w. N. 42 Aus der Zeit Nesselmüller, Rechtliche Einwirkungsmöglichkeiten der Gemeinden auf ihre Eigengesellschaften, 1977, S. 75 f.; Fischer, Das Entsendungs- und Weisungsrecht öffentlich-rechtlicher Körperschaften, AG 1982, 85 (90 ff.); Schmidt-Aßmann/Ulmer, Die Berichterstattung von Aufsichtsratsmitgliedern einer Gebietskörperschaft nach § 394 AktG, BB 1988, Beilage 13, S. 15; Lutter/Grunewald, Öffentliches Haushaltsrecht und privates Gesellschaftsrecht, WM 1984, 385 (394 ff.). 43 Schwintowski, Verschwiegenheitspflicht für politisch legitimierte Mitglieder des Aufsichtsrats, NJW 1990, 1009 (1015); Kann, v./Keiluweit, Verschwiegenheitspflichten kommunaler Aufsichtsratsmitglieder, DB 2009, 2251 (2253).
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Aktiengesellschaft oder die Bestimmungen zur Binnenorganisation der Kapitalgesellschaft nehmen.44 Die Bezeichnung dieser Ansicht als Theorie vom Vorrang des Gesellschaftsrechts kann irreführend sein.45 Sie reklamiert keine allgemeine Vorrangstellung des Gesellschaftsrechts gegenüber dem Staats- oder Verwaltungsrecht im Sinne eines hierarchischen Über-/Unterordnungsverhältnisses. Lediglich in Bezug auf die Binnenorganisation der Gesellschaft wird festgestellt, dass die gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen zu den organschaftlichen Pflichten und dem Verhältnis zwischen der Gesellschaft und ihren Gesellschaftern nicht durch öffentlich-rechtliche Normen ergänzt, modifiziert oder verdrängt werden. Auf die aktienrechtliche Schweigepflicht und die Perspektive des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds eines öffentlichen Unternehmens in der Rechtsform der Aktiengesellschaft oder Gesellschaft mbH umgemünzt, bleibt es bei den dargelegten Grundsätzen. Das privatrechtliche Organisationsrecht gibt jedem Aufsichtsratsmitglied über die organschaftliche Pflichtenbindung den Auftrag zur Berücksichtigung des Unternehmensinteresses und zur Wahrung der Integrität und Vertraulichkeit der Gesellschaftsgeheimnisse. Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich im Einzelfall um eine sog. Bundesgesellschaft handelt, also eine Gesellschaft, die von der Bundesrepublik beherrscht wird, oder um ein öffentliches Unternehmen, an dem Land oder Kommune beteiligt sind. Weder den Bestimmungen der Bundeshaushaltsordnung noch den haushaltsrechtlichen Bestimmungen der Länder und ihres Kommunalrechts kann auf Ebene der Gesetzeskonkurrenzen eine Vorrangstellung gegenüber dem Aktienrecht zuerkannt werden. Die Sollvorschrift des § 65 Abs. 6 BHO, wonach das zuständige Bundesministerium auf die entsandten oder gewählten Aufsichtsratsmitglieder auch zur Berücksichtigung der besonderen Interessen des Bundes einwirken sollen, konfligiert nicht mit der Unterwerfung aller Aufsichtsratsmitglieder unter das Unternehmensinteresse. Einerseits richtet sich die Norm an den zuständigen Minister und zielt andererseits nicht auf einen Eingriff in das Korporationsrecht ab.46 Dass die entsandten oder gewählten Aufsichtsratsmitglieder bei ihrer Tätigkeit insbesondere
44 Wegweisend Püttner, Die Vertretung der Gemeinden in wirtschaftlichen Unternehmen, DVBl. 1986, 748 (751); zustimmend Spannowsky, Der Einfluss öffentlich-rechtlicher Zielsetzungen auf das Statut privatrechtlicher Eigengesellschaften in öffentlicher Hand, ZGR 1996, 400 (423 f.); eingehend Mann, Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft, 2002, S. 280 f.; vgl. auch Schwintowski, Gesellschaftsrechtliche Bindungen für entsandte Aufsichtsratsmitglieder in öffentlichen Unternehmen, NJW 1995, 1316 (1319); Möller, Die rechtliche Stellung und Funktion des Aufsichtsrats in öffentlichen Unternehmen der Kommune, 1999, S. 46 f.; Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 394 Rn. 2b. 45 Missverständlich daher Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 18, mit Kritik an der Wortwahl Müller-Michaels, in: Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl. 2022, § 394 Rn. 1, der – wie viele – vom „Vorrang des Gesellschaftsrechts“ spricht. 46 Lutter/Grunewald, Öffentliches Haushaltsrecht und privates Gesellschaftsrecht, WM 1984, 385 (395).
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die Interessen der Gebietskörperschaft berücksichtigen dürfen, entspricht auch dem hier entwickelten Verständnis vom Unternehmensinteresse.47 Soweit in diesem Zusammenhang landesrechtliche Bestimmungen über die Informationsweitergabe des berichtspflichtigen Aufsichtsratsmitglieds eines öffentlichen Unternehmens an die beteiligte Gebietskörperschaft mit der organschaftlichen Schweigepflicht des Aufsichtsratsmitglieds kollidieren, muss die landesrechtliche Bestimmung nach der allgemeinen Kollisionsregel des Art. 31 GG zugunsten des Bundesrechts unberücksichtigt bleiben.48 Ob das der Fall ist, kann sich jedoch erst in Ansehung der §§ 394, 395 AktG entscheiden. Dagegen kann der Einwand, dass etwa kommunalrechtliche Bestimmungen auf die mit den Ingerenzpflichten angesprochenen legitimatorischen Anforderungen an das privatwirtschaftliche Handeln der öffentlichen Hand zurückgehen, zu keiner anderen Bewertung führen.49 Die Ingerenzpflichten der öffentlichen Hand und die verfassungsrechtlichen Vorgaben für das Handeln der Exekutive stellen einen Gestaltungsauftrag an die öffentliche Verwaltung. Einfachrechtliche Bestimmungen der Länder können insoweit „keine Bekräftigung verfassungsrechtlich fundierter Maßgaben sein“50, wenngleich die Umsetzung des Gestaltungsauftrags ihr Zweck ist. Die Anforderungen der Verfassung an das Handeln der öffentlichen Hand beziehen sich nicht auf konkrete Handlungsformen und sie bestimmen keine konkreten Folgen für den Konfliktfall zwischen Bundesrecht (Gesellschaftsrecht) und Landesrecht (insb. Kommunalrecht). Entsteht im Konfliktfall in Folge des Anwendungsvorrangs des Gesellschaftsrechts ein Informationsdefizit der Gebietskörperschaft, das Zweifel an dem Erhalt demokratischer Legitimation im Sinne des Steuerungsvorbehalts begründet, erwächst daraus keine Rechtfertigung für eine Neubewertung der aktienrechtlichen Pflichten, etwa der organschaftlichen Pflichten des Aufsichtsratsmitglieds, sondern wirft die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Verhaltens der Gebietskörperschaft auf.51 Die vonseiten der Gegenansicht hervorgehobene Sonderrolle der öffentlich beherrschten Gesellschaft betrifft lediglich die Bindung der Gebietskörperschaft an die Grundrechte im Außenverhältnis zu den Bürgern, die ohnehin für jedes staatliche 47
Vgl. hierzu oben unter B.II.4.d). Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 394 Rn. 2 f.; Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, Vorb. § 394, Rn. 23; Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 4; Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 62. 49 A. A. Mann, Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft, 2002, S. 271; Danwitz, v., Vom Verwaltungsprivat- zum Verwaltungsgesellschaftsrecht, AöR 1995, 595 (616 f.); Gersdorf, Öffentliche Unternehmen im Spannungsfeld, 2000, S. 258 f. 50 So ausdrücklich Mann, Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft, 2002, S. 271 m. w. N. 51 Huber/Fröhlich, in: Hopt/Wiedemann, AktG Großkomm, 4. Aufl. 2014, Vorb. §§ 394, 395, Rn. 17; dies., Öffentliche Unternehmenstätigkeit, in: FS Coester-Waltjen, 2015, 1127 (1135) halten die Aktiengesellschaft für eine unzulässige Handlungsform für die öffentliche Aufgabenbewältigung. 48
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Handeln gilt und nicht durch die Wahl einer (privaten) Organisationsform zur Erledigung öffentlicher Aufgaben umgangen werden kann.52 Dass sich daraus eine Sonderrolle der Gebietskörperschaft in ihrer Eigenschaft als Anteilseignerin hinsichtlich der aktienrechtlichen Bindungen ergibt, muss mit Nachdruck abgelehnt werden.53 Das Aktienrecht kennt keine unterschiedlichen Gesellschaftertypen und knüpft die Geltung des Organisationsstatuts nicht an sonstige Rechtsbindungen der Gesellschafter, die außerhalb des Gesellschaftsrechts liegen. Insoweit bildet das Aktienrecht ein abschließendes und einheitliches Regelungsgefüge für alle Aktiengesellschaften, obgleich der jeweiligen Gesellschafterstruktur oder beteiligten Rechtspersonen.54 Die Grundrechtsberechtigung der Anteilseigner einer Aktiengesellschaft ist keine immanente Voraussetzung für die Anwendbarkeit des für alle geregelten aktienrechtlichen (Einheits-)Systems. Ein Zusammenhang zwischen den verfassungsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen für das unternehmerische Wirken einer Gebietskörperschaft einerseits und den aktienrechtlichen Organisationsregeln andererseits besteht nicht. Jede Abweichung vom aktienrechtlichen Einheitsstatus zugunsten der öffentlichen Verwaltung würde die Aktiengesellschaft zu einer staatlichen Institution verwandeln, wofür es keine Rechtsgrundlage und keinen Anlass gibt.55 Die Formenwahlfreiheit und die Vielzahl an Organisationsformen, die der Verwaltung zur Verfügung stehen, machen die öffentlich-rechtlich modifizierte Aktiengesellschaft im Sinne eines Verwaltungsgesellschaftsrechts obsolet. Auch das oftmals zur Legitimation eines Verwaltungsgesellschaftsrechts herangezogene Verwaltungsprivatrecht56 betrifft lediglich die Außenrechtsbeziehung zwischen der Verwaltung und dem Bürger und dient daher nicht als Vorlage für ein ungeschriebenes Verwaltungsgesellschaftsrecht, das seinerseits ausschließlich die Binnenorganisation der privatrechtlich organisierten Verwaltung regeln soll.57 Die Trennung zwischen der Außenrechtsbeziehung des Staates zu seinen Bürgerinnen und Bürgern auf der einen Seite und der Binnenorganisation eines privatrechtlichen Vehikels zur Erledigung von Staatsaufgaben andererseits, erklärt sich anhand der unterschiedlichen Wirkrichtungen und Gesetzeszwecke des Gesellschaftsrechts und des öffentlichen (Wirtschafts-)Verwaltungsrechts sowie der Grundrechte. 52 St. Rspr., vgl. nur BVerfG, Urt. v. 22. 02. 2011 – 1 BvR 699/06 („Fraport“), NJW 2011, 1201 (1202 f.); BverfG, Urt. v. 07. 11. 2017 – 2 BvE 2/11 („Deutsche Bahn“), NVwZ 2018, 51 (59). 53 Dass die Grundrechtsverpflichtung der öffentlichen Hand auf das gesellschaftsrechtliche Innenverhältnis Einfluss nimmt, wurde vom Bundesverfassungsgericht gerade nicht bestätigt, Schall, in: Spindler/Stilz BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 4; in diesem Sinne auch Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 59 f. 54 Das Gesellschaftsrecht wird gemeinhin als geschlossenes Regelungsgefüge erkannt, vgl. nur Traut, Die Corporate Governance von Kapitalgesellschaften der öffentlichen Hand, 2013, S. 9; Mann, Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft 2002, S. 281 f. 55 Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395, Rn. 59. 56 Wegweisend und namensgebend Wolff, Verwaltungsrecht Bd. 1, 6. Aufl. 1965, § 23 II b. 57 Mann, Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft, 2002, S. 284.
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In der gleichen Weise wie der Rechtsverkehr auf die (Fort-)Geltung derselben Regeln für alle Aktiengesellschaften ungeachtet der jeweiligen Gesellschafter vertrauen dürfen muss, darf die Organisationswahl der öffentlichen Hand keinen Einfluss auf den Grundrechtsstatus der Bürger ausüben. Aus dem Grund wird auch jene Gesellschaft unmittelbar selbst grundrechtsverpflichtet, an der eine Gebietskörperschaft allein oder mehrere Gebietskörperschaften gemeinsam mehr als die Hälfte aller Anteile halten.58 Die Trennung von Außen- und Innenverhältnis hinsichtlich der Einflussnahme öffentlich-rechtlicher Bindungen rechtfertigt der Umstand, dass das Verwaltungsprivatrecht innerhalb der Grenzen des Privatrechts die Handlungsmöglichkeiten der Körperschaften beschneidet, das Verwaltungsgesellschaftsrecht hingegen zum Vorteil der Körperschaften die gesellschaftsrechtlich gezogenen Grenzen, auf deren Einhaltung der Rechtsverkehr vertraut, verwischen und übertreten würde.59 Eine Anerkennung der Gesamtkonzeption vom Verwaltungsgesellschaftsrecht durch die Rechtsprechung ist dementsprechend bisher ausgeblieben.60 Die Autoren Huber und Fröhlich bezeichnen die Theorie vom Vorrang des Gesellschaftsrechts zynisch als „petitio principii, deren vorrangiges Ziel es ist, die fach(bruderschaft)liche Integrität des Gesellschaftsrechts so weit wie möglich vor Irritationen zu schützen“61. Gleichwohl gelangen die Autoren zuletzt auch zu dem Ergebnis, dass der öffentlichen Hand keine gesellschaftsrechtliche Sonderrolle zukommt, die über die aktienrechtlichen Sonderbestimmungen der § 101 Abs. 2 AktG (Entsendungsrecht), § 103 Abs. 2 AktG (Abberufungsrecht) und das Informationsprivileg der öffentlichen Hand nach §§ 394, 395 AktG hinausgehen und das Rechtstatut der privatrechtlichen Organisationsform nicht berühren.62 Im Einklang mit der weit überwiegenden Ansicht in der Literatur verstummt die zuvor lebendig vorgetragene Kritik der Autoren am Vorrang des Gesellschaftsrechts mit der Feststellung, dass das aktienrechtliche Informationsprivileg der öffentlichen Hand im Zweifelsfall der verfassungsgemäßen Auslegung zugänglich ist. In einem Zwischenfazit kann damit festgestellt werden, dass das Aktienrecht ein Organisationsstatut für alle Aktiengesellschaften und ihre Organe normiert. Für eine öffentlich-rechtlich modifizierte Aktiengesellschaft bietet das aktienrechtliche Einheitsstatut keinen Spielraum. Staats- und Verfassungsrecht verdrängen die ak58
Vgl. Traut, Die Corporate Governance von Kapitalgesellschaften der öffentlichen Hand, 2013, S. 30 ff. 59 So bereits Mann, Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft, 2002, S. 285. 60 Anders Traut, Die Corporate Governance von Kapitalgesellschaften der öffentlichen Hand, 2013, S. 9 u. a. mit Verweis auf BFH, Urt. v. 29. 03. 2000 – I R 32/99, BFHE 192, 59 (vgl. Fn. 22); dementgegen Mann, Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft, 2002, S. 285. 61 Huber/Fröhlich, Öffentliche Unternehmenstätigkeit in: FS Coester-Waltjen, 2015, 1127 (1131); in diesem Sinne bereits zuvor Mann, Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft, 2002, S. 282. 62 Huber/Fröhlich, Öffentliche Unternehmenstätigkeit in: FS Coester-Waltjen, 2015, 1127 (1134): „Vorrangiges Steuerungsinstrument für die unternehmerische Betätigung der öffentlichen Hand in Kapitalgesellschaften ist das Gesellschaftsrecht.“
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tienrechtlichen Bestimmungen auch nicht zum Vorteil öffentlicher Unternehmen. Dazu stellt das BVerfG klar: „Die Wahl privater Unternehmensformen für die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben kann daher zu einem Kontroll-, Steuerungsund Legitimationsdefizit führen. Dies bedeutet aber nicht, dass das Gesellschaftsrecht an die Steuerungsbedürfnisse des Staates als Anteilseigner anzupassen ist, sondern dass dieser selbst die Rechtsform für die ihm obliegende Aufgabenwahrnehmung zu wählen hat, die die erforderlichen Einwirkungsmöglichkeiten gewährleistet.“63 Neben die Diskussion über den Geltungsrang des Aktienrechts treten Fragen zur Durchlässigkeit des Organisationsrechts für (aktienrechtsfremde) Interessen oder Rechtsbindungen. Konkret wird darüber gestritten, inwieweit öffentlich-rechtliche Bestimmungen und Bindungen innerhalb der Grenzen des aktienrechtlichen Einheitsstatuts in einem Abwägungsverfahren Einfluss auf die gesellschaftsrechtliche Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Unternehmens in der Rechtsform der Aktiengesellschaft nehmen können.
2. Die Impermeabilität des aktienrechtlichen Einheitsstatuts Der Einfluss des öffentlichen Rechts auf das Organisationsrecht der Aktiengesellschaft wird analog zu der Frage nach dem Geltungsrang aktienrechtlicher Bestimmungen thematisiert. Anders als in dieser Arbeit findet die Untersuchung dieser Fragestellung der stufenlosen Fortentwicklung des Konzepts vom Verwaltungsgesellschaftsrecht entsprechend dort statt, wo die Konkurrenz zwischen dem Gesellschaftsrecht und dem öffentlichen Recht auf eine Vorrangstellung eines Regimes gegenüber dem anderen reduziert wird. Im Anschluss an die hier vertretene Auffassung vom Vorrang des Gesellschaftsrechts kann gleichwohl infrage gestellt werden, ob nicht öffentlich-rechtliche Bindungen durch das aktienrechtliche Einheitsstatut Eingang in die Rechtsverfassung öffentlicher Aktiengesellschaften finden können. Untersucht wird damit nicht der Vor- oder Nachrang des Gesellschaftsrechts, sondern die Durchlässigkeit des Organisationssystems für öffentlich-rechtliche Bindungen und die verfassungs- und haushaltsrechtlichen Anforderungen an öffentliche Unternehmen in privater Rechtsform. Inwieweit Gesellschafterinteressen bei der Arbeit des Aufsichtsrats und insbesondere beim Umgang mit Gesellschaftsgeheimnissen Berücksichtigung finden dürfen, wurde bereits ausführlich im Abschnitt zu den Sekundärinteressen und dort unter dem unbestimmten Rechtsbegriff des Unternehmensinteresses untersucht.64 Ob das Aktienrecht auch unabhängig von der Schrankensystematik des Unternehmensinteresses aufgrund öffentlich-rechtlicher Bindungen der Gebietskörperschaft öffentlichen Interessen eine Einflussnahme auf die Aufsichts- und Leitungsorgane 63 64
BVerfG, Urt. v. 07. 11. 2017 – 2 BvE 2/11, BVerfGE 147, 50 = NVwZ 2018, 51 Rn. 225. Vgl. oben unter B.II.4.d).
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gewährt, wird von den Befürwortern einer erneuerten Konzeption vom Verwaltungsgesellschaftsrecht angenommen. Nach neueren Begründungsansätzen soll sich das Verwaltungsgesellschaftsrecht aus der Summe verfassungskonform ausgelegter Bestimmungen des Gesellschaftsrechts und den öffentlich-rechtlichen Bestimmungen ergeben.65 Dieser Vorstellung vom Verwaltungsgesellschaftsrecht ist nicht zwangsläufig auch die Vorstellung vom (Anwendungs-)Vorrang öffentlich-rechtlicher Vorschriften gegenüber dem Gesellschaftsrecht inhärent. Das gleichrangige Konkurrenzverhältnis erlaubt und erfordert erst die gegenseitige Abwägung im Einzelfall zur Herstellung praktischer Konkordanz zwischen den konfligierenden Bestimmungen; hier dem aktienrechtlichen Geheimnisschutz einerseits und den öffentlich-rechtlichen Bestimmungen zur Aufrechterhaltung des Kontroll- und Verantwortungszusammenhangs andererseits, die mit den §§ 394, 395 AktG auch Eingang in das aktienrechtliche Systemgefüge gefunden haben. Insoweit gründet die moderne Vorstellung vom Verwaltungsgesellschaftsrecht dogmatisch auf der aktienrechtlichen Anerkennung öffentlicher Interessen, woraus auf die Durchlässigkeit des aktienrechtlichen Einheitsstatuts für originär aktienrechtsfremde Handlungsmotive der öffentlichen Hand geschlossen wird. Zumindest für Eigengesellschaften und Mehrheitsbeteiligungen der öffentlichen Hand sollen danach die gesellschaftsrechtlichen Bindungen durch die Einflüsse verfassungsrechtlicher Ingerenzpflichten gelöst werden und der Gebietskörperschaft erweiterte Interventionsrechte zur Einflussnahme auf die Gesellschaft zur Verfügung stehen. Konkrete Forderungen beziehen sich unter anderem auf Weisungsrechte der Gebietskörperschaft gegenüber den Verwaltungsorganen der Aktiengesellschaft und den Ausschluss der Arbeitnehmermitbestimmung im Aufsichtsrat.66 Die traditionelle Gegenmeinung schließt an die oben genannten Grundsätze zur Theorie vom Vorrang des Gesellschaftsrechts an und entwickelt den zugrundeliegenden Gedanken vom aktienrechtlichen Einheitsstatut weiter: Als Produkt eines abschließenden Regelungsgefüges, das wie ein geschlossenes System aus vielfältigen wechselseitigen Beziehungen besteht, erweist sich das aktienrechtliche Einheitsstatut gegenüber Eingriffen in die Grundfeste der Organisationsstruktur als inkompatibel, soweit diese im aktienrechtlichen System nicht bereits veranlagt sind. Die Unternehmensverfassung der Aktiengesellschaft gründet eigens auf der konsequenten Trennung zwischen der juristischen Person als abstrahiertes Denkmodell einerseits und ihren Eigentümern andererseits, die sich zur gemeinschaftlichen Verfolgung des Satzungszwecks verpflichten und dabei von der institutionellen 65 Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, Vorb. § 394 Rn. 24 m. w. N. 66 Zu den Weisungsrechten sogleich unter C.II.4. sowie die Gesellschaft mbH betreffend unter C.II.5. Zur Frage nach der Suspendierung der Arbeitnehmermitbestimmung in öffentlichen Unternehmen vgl. Ossenbühl, Mitbestimmung in Eigengesellschaften der öffentlichen Hand, ZGR 1996, 504 (516 f.); Becker, Mitbestimmung in organisationsprivatisierten Unternehmen der öffentlichen Hand, ZögU 2001, 1 (18 f.).
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Haftungsbeschränkung profitieren.67 Die Anerkennung der Rechtspersönlichkeit der Aktiengesellschaft und der davon abhängige Schutz des Rechtsverkehrs erodierten, würden Gesellschafterinteressen an der Hauptversammlung vorbei das Gesellschaftsinteresse infiltrieren. Das abgrenzbare Eigeninteresse der Gesellschaft würde seine Bedeutung verlieren und das aktienrechtliche Führungsmodell zweier eigenverantwortlich handelnder Verwaltungsorgane (§§ 76 Abs. 1, 93, 116 S. 1 AktG) würde ausgehebelt. Die in privatrechtlicher Organisationsform tätige Gebietskörperschaft muss sich danach im Grundsatz denselben Bestimmungen zum gesellschaftsrechtlichen Innenverhältnis unterwerfen, die auch für Aktiengesellschaften mit ausschließlich privaten Gesellschaftern den Rechtsrahmen vorgeben.68 Eine unbeschränkte Begünstigung des Informationsinteresses einer Gebietskörperschaft würde die verletzliche Binnenkommunikation zwischen Vorstand und Aufsichtsrat belasten, den innergesellschaftlichen Informationsfluss gefährden und letztlich einen schwerwiegenden und folgenreichen Eingriff in das aktienrechtliche Spitzensystem darstellen, auf dessen vielfältige Auswirkungen das Gesellschaftsrecht nicht vorbereitet ist und die von öffentlich-rechtlichen Bestimmungen de lege lata nicht erkannt oder im Einklang mit dem aktienrechtlichen Einheitsstatut gelöst werden können.69 Sollte die unternehmerisch tätige Gebietskörperschaft mit Verweis auf ihre Grundrechtsbindung aktienrechtsfremde Sonderrechte im Hinblick auf die Informationsbeschaffung geltend machen können, wäre das aktienrechtliche Informationsprivileg nach §§ 394, 395 AktG schlichtweg überflüssig.70 Zutreffend wird auch auf eine Benachteiligung privater Aktionäre hingewiesen, die eine Übervorteilung öffentlicher Belange gegenüber sonstigen Stakeholder Interessen mit sich bringen würde.71 Private Aktionäre eines gemischtwirtschaftlichen Unternehmens unter Beteiligung einer Gebietskörperschaft könnten etwa privilegierten Weisungen nichts entgegenhalten und würden durch die Suspendierung des gesellschaftsrechtlichen Gleichheitssatzes an Gesellschafterrechten einbüßen. Das aktienrechtliche Informationsprivileg der öffentlichen Hand nach §§ 394, 395 AktG begründet zwar für Gebietskörperschaften den Zugang zur Aktiengesellschaft, allerdings ohne eine 67 Zur GmbH Wimmer-Leonhardt, Weisungsrechte gegenüber kommunalen Aufsichtsratsmitgliedern, in: FS Martinek, 2020, 889 (900). 68 Huber/Fröhlich, Öffentliche Unternehmenstätigkeit in: FS Coester-Waltjen, 2015, 1127 (1129 f.); Kann, v./Keiluweit, Verschwiegenheitspflichten kommunaler Aufsichtsratsmitglieder, DB 2009, 2251 (2253); Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 394 Rn. 2b. 69 Belcke/Mehrhoff, Aktienrechtsnovelle 2016, GmbHR 2016, 576 (579 f.). 70 Ausführlich Mann, Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft, 2002, S. 272, 281 f.; vgl. auch Huber, Die unternehmerische Betätigung der öffentlichen Hand, in: FS Badura, 2004, S. 897 (906). 71 Vgl. bereits BGH, Urt. v. 13. 10. 1977 – II ZR 123/76, NJW 1978, 104 (105); Habersack, Private public partnership, ZGR 1996, 544 (555 ff.) m. w. N. in Fn. 54; Schön, Der Einfluß öffentlich-rechtlicher Zielsetzungen auf das Statut privatrechtlicher Eigengesellschaften der öffentlichen Hand, ZGR 1996, 429 (432 ff.); Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, Vor § 394, Rn. 26.
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vollständige Durchseuchung des aktienrechtlichen Einheitsstatuts durch die öffentlich-rechtlichen oder verfassungsrechtlichen Bindungen des Staates vorauszusetzen. Auch die oft umschriebene Durchbrechung eines ohnehin hypothetischen Realideals vom Gleichlauf der Aktionärsinteressen wird durch die Beteiligung der öffentlichen Hand im Vergleich zum Unternehmensaktionär keine anderen Formen annehmen. In beiden Fällen besteht die Gefahr, dass dem Gesellschaftsinteresse im Einzelfall die Individualinteressen eines Gesellschafters entgegenstehen. Im Fall des öffentlich-rechtlichen Gesellschafters sind das vornehmlich Interessen, die unmittelbar aus der Gemeinwohlbindung der Gebietskörperschaft resultieren, die sich allerdings im Vergleich zu den – regelmäßig gewinnorientierten – Interessen eines Unternehmensaktionärs durch das Wirtschaftlichkeitsprinzip der öffentlichen Hand leiten lassen und den Gesellschaftsinteressen nur in seltenen Ausnahmefällen gegenüberstehen sollten. „Öffentliche und unternehmerische Belange, staatliche Wirtschafts- und private Unternehmenspolitik schließen einander nicht aus, sondern können sich durchaus decken oder überschneiden“72, stellte der BGH bereits im Jahr 1978 fest und erteilte damit einer Sonderposition des öffentlich-rechtlichen Aktionärs aufgrund gesellschaftsrechtsfremder Pflichtenbindungen eine eindeutige Absage. Auf diese Rechtsprechung gründen die Vertreter der Theorie vom Vorrang des Gesellschaftsrechts zurecht ihre Ablehnung gegenüber einer Modifikation des aktienrechtlichen Systems im Sinne des Verwaltungsgesellschaftsrechts. Die Konzepte zum Verwaltungsgesellschaftsrecht können abschließend ad acta gelegt werden. Die Grenzen des privaten Organisationsrechts überschießende Ideen von einer Stärkung der Gesellschafterposition der öffentlichen Hand aufgrund des Verfassungsauftrags zur Aufrechterhaltung der demokratischen Legitimation staatlichen Handelns oder hinsichtlich verwaltungsrechtlicher Bindungen, ordnen sich einer postfaktischen Forderung nach einem Verwaltungsgesellschaftsrecht unter und gehen de lege lata nicht mit der Verfassung der Aktiengesellschaft konform. Insbesondere liegt kein Konkurrenzgefälle zwischen dem allgemeinen Aktienrecht und dem Verwaltungsrecht vor. Das Verfassungsrecht verpflichtet alle staatliche Gewalt, nicht jedoch das Aufsichtsratsmitglied eines öffentlichen Unternehmens, nimmt keinen Einfluss auf die Rechtsverfassung der privaten Organisationsform oder die organschaftliche Pflichtenbindung im Einzelnen. Um Missverständnissen vorzubeugen, sollte das Konzept vom Vorrang des Gesellschaftsrechts fortan unter der Bezeichnung des aktienrechtlichen Einheitsstatuts behandelt werden. Dem aktienrechtlichen Einheitsstatut unterwirft sich das einzelne Aufsichtsratsmitglied vorrangig durch die Annahme seiner Bestellung. Das Aktienrecht gilt danach als abschließend kodifiziertes Organisationsrecht, das systemfeindlichen Interessen und Handlungsmotiven impermeabel gegenübertritt. Systemfremde Eingriffe in das austarierte Regelungsgefüge aufgrund anderweitiger Rechtsbeziehungen einzelner Organwalter oder etwaigen (Grund-)Rechtsbindungen einzelner Gesellschafter 72
BGH, Urt. v. 13. 10. 1977 – II ZR 123/76, NJW 1978, 104 (105).
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kommen auch für Eigengesellschaften in öffentlicher Trägerschaft und öffentlich beherrschte Unternehmen nicht infrage, die in gleicher Weise an die gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen gebunden sind. Privilegien für die in der Rechtsform der Aktiengesellschaft tätige Gebietskörperschaft ergeben sich aus dem Aktiengesetz selbst, konkret aus den Bestimmungen zum Informationsprivileg der öffentlichen Hand nach §§ 394, 395 AktG.73
3. Keine Zeichenumkehr Die Impermeabilität des einheitlichen Rechtstatuts für Kapitalgesellschaften wird nicht mehr nur mit Blick auf die Ingerenzpflichten der öffentlichen Hand als Anteilseignerin angegriffen. Kersting greift unter der Bezeichnung „Verwaltungsgesellschaftsrecht mit umgekehrten Vorzeichen“74 die Frage auf, ob ein (unterstellter) Mangel an wirtschaftlichen Eigeninteressen einer Körperschaft die Beschränkung ihrer gesellschaftsrechtlichen Befugnisse bedingt. Kersting begründet seine anschließende Zustimmung damit, dass Vertreter der öffentlichen Hand in öffentlichen Unternehmen ohne wirtschaftliche Eigeninteressen handelten und die Intermediärstruktur in öffentlichen Unternehmen nicht vergleichbar sei mit privaten Aktiengesellschaften und Gesellschaften mbH. Letztlich würde die fehlende Verbindung von politischer Verantwortlichkeit und wirtschaftlicher (Eigen-)Berechtigung im öffentlichen Unternehmen das Einfluss- und Kontrolldefizit verursachen,75 das zum Bruch in der Corporate-Governance-Struktur eines öffentlich beherrschten Unternehmens in privater Rechtsform führen soll76. Unabhängig von der Annahme, dass Eigentümerinteressen einer Gebietskörperschaft durch ihre Vertreter in anderer Weise und im Ergebnis schlechter, später, mit weniger Nachdruck und Zielstrebigkeit durchgesetzt würden, als das in anderen Intermediärstrukturen der Fall sein soll,77 kann die Forderung nach einer Einschränkung der Gesellschafterrechte der öffentlichen Hand einzig an die Legislative gerichtet werden.78 In Ermangelung einer gesetzlichen Grundlage für die Andersbehandlung der öffentlichen Hand als Eigentümerin einer privatrechtlich organisierten Gesellschaft kommt weder eine Privilegierung im Sinne des Verwaltungsgesellschaftsrechts, noch eine Übervorteilung durch eine Vorzeichenumkehr infra73 Daneben auch aus den §§ 53, 54 HGrG, vgl. zu Zustimmungsvorbehalten im Kontext des § 311 AktG Götz, Leitungssorgfalt und Leitungskontrolle, ZGR 1998, 524 (538). 74 Kersting, Verwaltungsgesellschaftsrecht, in: FS Krieger, 2020, 465 (468 ff.). 75 Kersting, Verwaltungsgesellschaftsrecht, in: FS Krieger, 2020, 465 (467 f.) bezeichnet die Situation als „Prinzipal-Agenten-Problematik“. 76 Kersting, Verwaltungsgesellschaftsrecht, in: FS Krieger, 2020, 465 (468). 77 Kritisch Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 394 Rn. 2e. 78 Im Ergebnis wohl auch Kersting, Verwaltungsgesellschaftsrecht, in: FS Krieger, 2020, 465 (470); vgl. auch Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 394 Rn. 2e.
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ge.79 Die Impermeabilität des aktienrechtlichen Einheitsstatuts bezieht sich nicht auf die Folgen einer Andersbehandlung nach dem Gesellschaftertypus, sondern verhindert die Andersbehandlung allgemein und unabhängig von der Eigentümerstruktur. Die von Kersting angesprochenen Gefahren, die mit der privatrechtlichen Rechtsform öffentlicher Unternehmen einhergehen und sich auf mangelhafte Kontrollmöglichkeiten oder eine ausbleibende Interessendurchsetzung beziehen,80 berühren nicht das gesellschaftsrechtliche Organisationsstatut. Die beschriebene Gefahr einer treue- und sorgfaltswidrigen Handlung der Unternehmensleitung im Fall einer Interessenkollision beschränkt sich nicht auf Unternehmungen der öffentlichen Hand. In diesem Zusammenhang spielt die Motivation der Kontrolle in letzter Instanz, ob intrinsisch oder (kraft Amtsübernahme oder öffentlich-rechtlichen Angestelltenverhältnisses) extrinsisch, keine Rolle. Damit werden vielmehr Aspekte genannt, die im Zusammenhang mit der Frage nach der Rechtmäßigkeit privatrechtlich organisierter (Unternehmens-)Tätigkeiten der öffentlichen Hand zu würdigen sind. Soweit die öffentliche Aufgabenbewältigung in der Rechtsform der Aktiengesellschaft oder der Gesellschaft mbH bedingen, dass die oben genannten verfassungsrechtlichen Prinzipien faktisch unterlaufen würden, wenn etwa Vertreter der Gebietskörperschaft die öffentlichen Haushaltsmittel nicht nach den Prinzipien der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit behandeln und eine effektive Rechtsdurchsetzung gerade aufgrund der Rechtsformwahl nicht zu erwarten steht, würde das gegen die Rechtmäßigkeit der Rechtsformwahl sprechen und keine Andersbewertung gesellschaftsrechtlicher Grundsätze rechtfertigen. Insofern wiederholen sich die Argumente gegen die Konzeptionen vom Verwaltungsgesellschaftsrecht, lediglich mit anderem Vorzeichen und doch mit demselben Ergebnis. Verfassungsrechtliche Bindungen oder verwaltungsrechtliche Voraussetzungen privatrechtlich organisierten Handelns der öffentlichen Hand bedingen keine Modifikation gesellschaftsrechtlicher Regeln.
4. Weisungen und das Einheitsstatut Öffentlich-rechtliche Bindungen einer Gebietskörperschaft-Gesellschafterin berühren damit auch die organschaftliche Pflichtenbindung des Aufsichtsratsmitglieds nicht. Ob die öffentliche Hand mit den Rechten als Eigentümerin das Aufsichtsratsmitglied zur Auskunftsgewähr über geheime oder vertrauliche Gesellschaftsinformationen befehligen kann, richtet sich daher allein nach den Bestimmungen des rechtsformbezogenen Organisationsrechts. 79 Zu den Möglichkeiten legislativer Eingriffe in das Gesellschaftsrecht zur Umsetzung von Privilegien für Gebietskörperschaften im wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Leitbild Schön, Der Einfluß öffentlich-rechtlicher Zielsetzungen auf das Statut privatrechtlicher Eigengesellschaften der öffentlichen Hand, ZGR 1996, 429 (431 ff.). 80 Kersting, Verwaltungsgesellschaftsrecht, in: FS Krieger, 2020, 465 (467 f.).
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C. Öffnung der aktienrechtlichen Schweigepflicht
Seinen Aufgaben muss das Aufsichtsratsmitglied einer Aktiengesellschaft nach §§ 101 Abs. 3 S. 1, 111 Abs. 6 AktG persönlich und in eigener Verantwortung nachkommen. Das gilt für jedes Aufsichtsratsmitglied, obgleich des Wahl- oder Entsendungsberechtigten oder einer Gruppe mit Teilhaberechten im Aufsichtsrat, da allen Mitgliedern des Aufsichtsorgans dieselben organschaftlichen Pflichten auferlegt werden.81 Das entsandte Aufsichtsratsmitglied einer Aktiengesellschaft ist dementsprechend nicht weisungsgebunden und hat den Belangen der Gesellschaft den Vorzug gegenüber denen des Entsendungsberechtigten zu geben.82 Weisungen auf Auskunftsgewähr an den Entsendungsberechtigten darf nicht Folge geleistet werden, soweit dadurch den Interessen der Gesellschaft zuwidergehandelt werden müsste.83 Handelt das Aufsichtsratsmitglied im Sinne einer treuwidrigen Weisung des Entsendeberechtigten und verletzt dadurch seine organschaftlichen Pflichten gegenüber der Gesellschaft, kommt eine (Mit-)Haftung des Anweisenden aufgrund der eigenverantwortlich ausgestalteten Rechtsposition des Aufsichtsmandats nicht in Betracht.84 Das pflichtwidrig handelnde Aufsichtsratsmitglied sieht sich in dem Fall allen zivil- und strafrechtlichen Konsequenzen ausgesetzt, ohne seinerseits Regressansprüche geltend machen zu können. Der Konflikt zwischen den Informationsinteressen der öffentlichen Hand und den gesellschaftsrechtlichen Schranken, der nach dem aktienrechtlichen Einheitsstatut im Sinne des aktienrechtlichen Schutzes der Gesellschaftsgeheimnisse zu lösen ist, wird letztlich durch das Handeln des entsandten Aufsichtsratsmitglieds entschieden. Sollte das entsandte Aufsichtsratsmitglied weitestgehend den „Wünschen des Entsendungsberechtigten“ zur Vermeidung einer Abberufung nach § 103 Abs. 2 S. 1 AktG nachkommen,85 würde hierin ein schwerwiegender Systembruch zulasten der Gesellschaft liegen. Auf der anderen Seite verbietet sich auch der öffentlichen Eigentümerin die Erteilung von Weisungen an entsandte Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft aufgrund ihrer Treuepflicht als Gesellschafterin.86 Das aktienrechtliche Einheitsstatut rüstet den Vorstand und den Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft mit Kompetenzen aus, die, vor der Einwirkung durch die Aktionäre geschützt, ein eigenverantwortliches Organhandeln im Sinne des Unternehmensinteresses der Ge-
81
Zum Gleichheitssatz bereits oben unter B.II.4.a). BGH, Urt. v. 29. 01. 1962 – II ZR 1/61, NJW 1962, 864 (866). 83 Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 116 Rn. 85. 84 Keine Haftung des Entsendungsberechtigten für das Verhalten Dritter nach § 31 BGB bei rechtlich fehlender Möglichkeit zur Einwirkung auf das Handeln des Dritten bei eigenverantwortlicher Amtsausübung, zusammenfassend Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 87 f.; s. auch BGH, Urt. v. 26. 03. 1984 – II ZR 171/83, NJW 1984, 1893 (1897). 85 So die Mutmaßung von Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 116 Rn. 85. 86 Möller, Die rechtliche Stellung und Funktion des Aufsichtsrats in öffentlichen Unternehmen der Kommunen, 1999, S. 124. 82
II. Die Rechtsverfassung der (öffentlichen) Kapitalgesellschaften
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sellschaft gewährleisten sollen.87 Soweit der Aktiengesellschaft ein von der Gesellschafterstruktur unabhängiges Unternehmensinteresse zugestanden wird,88 das die Gemeininteressen der Aktionäre übersteigt, kann auch für die im Alleineigentum einer Gebietskörperschaft stehende Aktiengesellschaft nichts anderes gelten.89 Das Aktienrecht lässt Weisungen der Aktionäre an die Mitglieder des Aufsichtsrats schlechthin keinen Raum. Ganz anders können dagegen die Verhältnisse bei der Gesellschaft mbH liegen.
5. Die Rechtsverfassung der öffentlichen Gesellschaft mbH Das GmbH-Recht legt seine Zügel weniger eng um die Gesellschaft mbH und erlaubt den Gesellschaftern eine deutlich stärkere Einflussnahme. Neben dem Informationsrecht nach § 51a GmbHG90 nehmen auch das Weisungsrecht der Gesellschafter nach § 37 Abs. 1 GmbHG und die Satzungsfreiheit nach § 45 GmbHG maßgeblichen Einfluss auf die Rechtsverfassung der Gesellschaft mbH, die aufgrund der weitgehenden Disponibilität der Bestimmungen des GmbH-Gesetzes erst durch den jeweiligen Gesellschaftsvertrag konkretisiert wird. Das Recht für die Gesellschaften mit beschränkter Haftung unterscheidet sich damit in maßgeblichen Punkten von den aktienrechtlichen Bestimmungen und vermag öffentlich-rechtlichen Bindungen Eingang in den gesellschaftsrechtlichen Pflichtenkatalog des berichtspflichtigen Aufsichtsratsmitglieds zu gewähren.91 Welche Auswirkungen öffentlich-rechtliche Bindungen der öffentlichen Hand in ihrer Rolle als GmbH-Gesellschafterin auf die Schweigepflicht des GmbH-Aufsichtsrats verursachen, wird nicht nur im Hinblick auf die vor- oder nachrangige Geltung des Gesellschaftsrechts diskutiert. Umstritten ist auch, ob berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der Gebietskörperschaft, die sie entsandt oder gewählt hat, einem Weisungsrecht unterworfen werden können und eine Weisung auf Erteilung einer Auskunft die organschaftliche Schweigepflicht durchbricht. Praxisrelevanz erlangt die Frage nach der Weisungsgebundenheit, sobald die (politischen) Interessen der Gebietskörperschaft und das Gesellschaftsinteresse der von ihr beherrschten Eigen- oder Beteiligungsgesellschaft nicht deckungsgleich sind. Neben der gesellschaftsrechtlichen Fragestellung über die Möglichkeit einer Weisungsbindung des Aufsichtsrats eröffnet sich der in Privatrechtsform tätigen 87 Hierzu zählen insb. die Weisungsfreiheit des Vorstands der AG und die strenge Bindung der Verwaltungsorgane an das Unternehmensinteresse nach §§ 76 Abs. 1, 93, 116 AktG; vgl. Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 111 Rn. 3. 88 Hierzu bereits oben unter B.II.4.d). 89 In diesem Sinne Möller, Die rechtliche Stellung und Funktion des Aufsichtsrats in öffentlichen Unternehmen der Kommunen, 1999, S. 124. 90 Vgl. hierzu bereits oben unter B.II.3.b).cc). 91 Zur Aufnahme der Gemeinwohlbindung in den Pflichtenkatalog des Aufsichtsratsmitglieds einer öffentlichen Ein-Personen-Gesellschaft mbH s. oben unter B.II.4.e)dd).
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C. Öffnung der aktienrechtlichen Schweigepflicht
Gebietskörperschaft die Pflichtaufgabe, den verfassungsrechtlichen Ingerenzpflichten nachzukommen und insbesondere die Kontrolle und Steuerung der Organisationseinheit selbst in den Händen zu halten. Nach wie vor enthalten einige Gemeindeordnungen neben Berichtspflichten und Auskunftsrechten auch Weisungsrechte der Gebietskörperschaft gegenüber den gewählten oder entsandten Aufsichtsratsmitgliedern.92 Der hier vertretenen Auffassung vom „Vorrang des Gesellschaftsrechts“ folgend ist zu klären, ob und ggf. in welchen Grenzen die Rechtsverfassung der Gesellschaft mbH eine Weisungsbindung des Aufsichtsrats zulässt und inwieweit öffentlich-rechtliche Bestimmungen der Gemeindeordnungen Eingang in das Gesellschaftsrecht und die Rechtsverfassung der Gesellschaft finden. Sodann ist die Frage zu klären, welche Auswirkungen hiervon auf die Schweigepflicht des berichtspflichtigen Aufsichtsratsmitglieds ausgehen. a) Keine Weisungsbindung der Mitglieder des obligatorischen Aufsichtsrats Für den gesetzlich verpflichtend einzurichtenden Aufsichtsrat der Gesellschaft mbH gelten kraft des vollumfänglichen Verweises in § 52 Abs. 1 GmbHG die aktienrechtlichen Bestimmungen, ohne dass hiervon abweichende Regelungen des Gesellschaftsvertrags Einfluss auf die organschaftliche Pflichtenbindung berichtspflichtiger Aufsichtsratsmitglieder nehmen könnten. Die dem obligatorischen Aufsichtsrat übertragene Überwachungsaufgabe knüpft an die in §§ 101 Abs. 3, 111 Abs. 6 AktG vorausgesetzte Unabhängigkeit der Mandatsträger an und schließt die weisungsgebundene Aufgabenerfüllung funktionsbedingt aus.93 Im Gleichlauf damit konkretisiert auch der Grundsatz der höchstpersönlichen Mandatsausübung nach § 101 Abs. 3 S. 1 AktG die Rechtsstellung des Aufsichtsratsamtes, wonach dem Aufsichtsratsmitglied die Aufgabenübertragung auf Stellvertreter nicht gestattet ist.94 Das Aktienrecht verhindert dadurch ein Auseinanderfallen von Organzugehörigkeit und faktischer Mandatsausübung und unterstreicht die systemimmanente 92 U. a. § 88 Abs. 1 S. 6, Abs. 3 GO RLP; § 25 Abs. 1 i. V. m. § 104 GO SH; § 104 Abs. 1 S. 3 GO BaWü; § 108 Abs. 5 Nr. 2 i. V. m. § 113 Abs. 1 S. 2 GO NRW; § 131 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 S. 6 KVG LSA; s. auch Wimmer-Leonhardt, Weisungsrechte gegenüber kommunalen Aufsichtsratsmitgliedern, in: FS Martinek, 2020, 885 (887) m. w. N.; Möller, Die rechtliche Stellung und Funktion des Aufsichtsrats in öffentlichen Unternehmen der Kommune, 1999, S. 93 (Fn. 40). 93 Giedinghagen, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, J., GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2017, § 52 Rn. 174; Noack, in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 52 Rn. 130; Spindler, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 52 Rn. 216 f.; ausführlich ders., in: Kommunale Mandatsträger in Aufsichtsräten, ZIP 2011, 689 (690 ff.); speziell zu kommunalen Gesellschaften Lieschke, Die Weisungsbindungen der Gemeindevertreter in Aufsichtsräten kommunaler Unternehmen, 2002, S. 39 ff.; für die AG stellv. für viele Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Aufl. 2019, § 111 Rn. 137 m. w. N. 94 Noack, in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 52 Rn. 66; Spindler in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 52 Rn. 218; Giedinghagen, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, J., GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2017, § 52 Rn. 173 m. w. N.
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221
Verknüpfung der organschaftlichen Bindung sowie der damit einhergehenden Inhaberschaft von Pflichtrechten einerseits mit der tatsächlichen Amtsausübung durch dieselbe Person andererseits. Dadurch wird verhindert, dass Dritte in der Weise eines Aufsichtsratsmitglieds auf die Unternehmensführung einwirken können, ohne in demselben Umfang einer zivil-, straf- und gesellschaftsrechtlichen Verantwortung zu unterliegen oder in derselben Weise den Gesellschafts- und Unternehmensinteressen verpflichtet zu sein. Dementsprechend hat der BGH im Jahr 1962 für die Mitglieder des Aufsichtsrats eines städtischen Elektrizitätsversorgungsunternehmens, das in der Rechtsform der Aktiengesellschaft betrieben wurde, festgestellt, dass entsandte Aufsichtsratsmitglieder dieselben Pflichten wie gewählte Aufsichtsratsmitglieder treffen und primär zur Förderung der Gesellschaftsbelange und dem Unternehmensinteresse verpflichtet sind, ohne an Weisungen des Entsendungsberechtigten gebunden zu sein.95 Gerade in diesem Regelungszusammenhang liegt ein tragender Grundstein für die kooperative Zusammenarbeit von Vorstand bzw. Geschäftsführung auf der einen und dem Aufsichtsrat auf der anderen Seite. Wie zuvor beschrieben, lebt das duale Verwaltungssystem zweier selbstständig und unabhängig agierender Verwaltungsorgane von einer von gegenseitigem Vertrauen geprägten Zusammenarbeit.96 Die Systemvoraussetzung der Korrelation von Information und Vertraulichkeit bedingt auch die Vereinigung von organschaftlichen Pflichtenrechten und ihrer faktischen Ausführung in derselben Person. Ein Weisungsrecht eines Dritten würde das weisungsgebundene Aufsichtsratsmitglied zum fremdgesteuerten Handlungskörper verklären und einen tiefgehenden Eingriff in die aktienrechtliche Verwaltungsstruktur darstellen.97 Die damit einhergehenden Folgen für die Funktionsfähigkeit des dualen Führungssystems in der Praxis sind nicht in Gänze absehbar. Das Aktienrecht hält jedenfalls keine geeigneten Mittel zur Aufrechterhaltung geregelter Überwachungsprozesse für den Fall bereit, dass der Aufsichtsrat durch seine Mitglieder zum Handlungsgremium Dritter wird. Das erforderliche Vertrauen des Vorstands in die Vertraulichkeit und Integrität des Aufsichtsrats erschöpft sich nicht in einem (gesellschaftsrechtlichen) Rechtsverhältnis und wird nicht abstrakt an eine Organzugehörigkeit, sondern an konkrete natürliche Personen gebunden, von deren Verhalten die Entstehung einer individualisierten Erwartungshaltung abhängt. Das weisungsgebundene Aufsichtsratsmitglied wäre als Fremdinteressen gesteuerter Repräsentant kein geeignetes Subjekt, an dessen Willensbekundungen und Handlungen sich eine Erwartungshaltung der Geschäftsführung anknüpfen ließe.98
95 BGH, Urt. v. 29. 01. 1962 – II ZR 1/61, BGHZ 36, 296 (306) = NJW 1962, 864 (866); in der Sache gleich BGH, BGH, Urt. v. 18. 09. 2006 – II ZR 137/05, NZG 2006, 945 (947); BGH, Urt. v. 26. 03. 1984 – II ZR 171/83, BGHZ 90, 381 (398) = NJW 1984, 1893 (1897). 96 Ausführlich dazu oben unter B.I.1.a). 97 Vogt, in: Prinz/Winkeljohann, Beck’sches Hdb GmbH, 6. Aufl. 2021, § 21 Rn. 46, spricht von „weisungsfesten“ Rechten des obligatorischen Aufsichtsrats. 98 Noack, in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 52 Rn. 130.
222
C. Öffnung der aktienrechtlichen Schweigepflicht
Neben der Funktionsfähigkeit des dualen Verwaltungssystems gewährleistet die Unabhängigkeit des Aufsichtsmandats auch die integrative Arbeit innerhalb des pluralistisch zusammengesetzten Kollegialorgans, das nicht nur zur Beschlussfassung, sondern auch zur gemeinsamen Willensbildung zusammenkommt.99 Würden die Aufsichtsratsmitglieder stattdessen mit (fremd-)bestimmten und endgültigen Anund Absichten in die Sitzungen eintreten, würden die organinternen Diskussionen zwecklos und mit dem Ende der Freiheit der Willensbildung ein bedeutender Teil der Aufsichtsratsarbeit entfallen. Die von den Mitgliedern des obligatorischen Aufsichtsorgans zwingend in freier Unabhängigkeit zu erbringende Amtsausübung wird damit nicht nur ausdrücklich von den mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften beschrieben,100 sondern ergibt sich daneben auch aus der Funktion des Aufsichtsrats im Gesamtgefüge der zweigliedrig organisierten Gesellschaftsverwaltung und folgt einem körperschaftlichen Strukturprinzip. Auch die Existenz der §§ 394, 395 AktG begründet kein Sonderweisungsrecht der öffentlichen Hand, sondern setzt nach § 394 S. 3 AktG eine bestehende Berichtspflicht voraus und regelt den Kommunikationsweg vom berichtspflichtigen Aufsichtsratsmitglied zur wahl- oder entsendungsberechtigten Gebietskörperschaft. Wie die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht bezweckt auch das Verdikt der höchstpersönlichen und unabhängigen Mandatsausübung die Sicherung der Funktionsfähigkeit des dualen Führungssystems einerseits sowie der Gewährleistung einer ergebnisoffenen organinternen Auseinandersetzung andererseits und bildet einen elementaren Baustein des gesellschaftsrechtlichen Struktursystems. Abseits der Grundlagenargumentation, die deutlich gegen eine Ausnahme von den allgemeinen Regeln zugunsten der öffentlichen Hand stimmt, werden formale Argumente mit Verfassungsrang vorgetragen, die für einen stärkeren Einfluss der öffentlichen Hand auf den obligatorischen Aufsichtsrat sprechen sollen. Ohne auf den davon betroffenen vielfältigen Themenkomplex näher eingehen zu müssen, kann für die Zwecke dieser Untersuchung unter Bezugnahme auf die obenstehenden Ausführungen zum kolportierten Verwaltungsgesellschaftsrecht festgestellt werden, dass an der Unabhängigkeit des aktienrechtlichen Aufsichtsratsmandats auch unter verfassungsrechtlichen Wertungen festzuhalten ist.101 99
Raiser, Weisungen an Aufsichtsratsmitglieder, ZGR 1978, 391 (393). § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 MitbestG; § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG; anders in § 4 Abs. 3 MontanmitbestG, weil der Gesetzgeber von einem allgemeingültigen aktienrechtlichen Grundsatz ausging und eine deklaratorische Regelung für obsolet erachtet hat, s. Raiser, Weisungen an Aufsichtsratsmitglieder, ZGR 1978, 391 (393) m. w. N. 101 In diesem Sinne auch BVerfG, Urt. v. 07. 11. 2017 – 2 BvE 2/11, BVerfGE 147, 50 = NVwZ 2018, 51 Rn. 225; vgl. hierzu auch Raiser, Weisungen an Aufsichtsratsmitglieder, ZGR 1978, 391 (401 ff.); vgl. auch OVG Koblenz, Urt. v. 10. 06. 2016 – 10 A 10878/15.OVG, NJWSpezial 2016, 529 (529): „Außerhalb des Anwendungsbereichs von § 394 AktG gilt die Verschwiegenheitspflicht umfassend und uneingeschränkt“, wobei die Besonderheiten für den Unternehmensverbund unberücksichtigt geblieben sind; zusammenfassend Wimmer-Leon100
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b) Weisungsrechte gegenüber dem fakultativen Aufsichtsrat Gesellschafter der mitbestimmungsfreien Gesellschaft mbH profitieren von einer weitgehend freizügigen gesellschaftsrechtlichen Organisationsautonomie. Ihnen steht insbesondere die Möglichkeit offen, ein gesetzlich nicht vorgesehenes Organ zu schaffen und mit sonst den Gesellschaftern zustehenden Rechten auszustatten.102 Dabei wird ein Organ, das im Wesentlichen die Aufgaben eines Aufsichtsrats nach aktienrechtlichem Vorbild wahrnimmt, unabhängig von seiner konkreten Bezeichnung als fakultativer Aufsichtsrat behandelt.103 Dem in § 52 Abs. 1 GmbHG aufgegriffenen Grundsatz von der gleichen Rechtsposition aller Aufsichtsratsmitglieder (Gleichheitssatz)104 folgend wird auch der fakultative Aufsichtsrat der Gesellschaft mbH nicht anders behandelt.105 Nach allgemeiner Ansicht übt auch der fakultative GmbH-Aufsichtsrat seine Tätigkeit im Regelfall unabhängig aus und ist insbesondere nicht an Weisungen Dritter (z. B. Gesellschafter) gebunden.106 Allerdings hält das weitgehend dispositive GmbH-Recht den fakultativen GmbH-Aufsichtsrat betreffend die Möglichkeit offen, durch Satzungsbestimmungen abweichende Regeln aufzustellen. Wie bereits festgestellt, löst sich die Schweigepflicht der Mitglieder des fakultativen Aufsichtsrats einer Gesellschaft mbH auch ohne entsprechend lautende Satzungsregelung gegenüber der GmbH-Alleingesellschafterin, da insoweit die Schweigeflicht begründende Treue- und Sorgfaltspflicht einer Auskunftsgewähr nicht entgegensteht.107 Damit geht jedoch nicht zwingend auch ein umfassendes Weisungsrecht der GmbH-Alleingesellschafterin gegenüber dem fakultativen GmbH-Aufsichtsrat einher. Ob der fakultative Aufsichtsrat ggf. auch unabhängig von der Gesellschafterstruktur weisungsgebunden statuiert werden kann, betrifft eine grundsätzliche Systemfrage, die im Lichte der dogmatischen Grundlagen des Gesellschaftsorgans einerseits und der organschaftlichen Schweigepflicht andererseits hardt, Weisungsrechte gegenüber kommunalen Aufsichtsratsmitgliedern, in: FS Martinek, 2020, 885 (889 ff.). 102 Mit Ausnahme der wenigen, nach indisponiblen Vorschriften zwingend durch die Gesellschafter selbst wahrzunehmenden Rechte und Funktionen. 103 Für den Fall, dass ein Aufsichtsgremium als Beirat oder Verwaltungsrat bezeichnet wird, ist von einem fakultativen Aufsichtsrat auszugehen, Altmeppen, in: Altmeppen, GmbHG, 10. Aufl. 2021, § 52 Rn. 3 m. w. N.; Mertens, Der Beirat in der GmbH, in FS: Stimpel, 1985, 417 (418). 104 Hierzu bereits oben unter B.II.4. 105 Zu den allgemeinen Grundsätzen der entsprechenden Anwendung aktienrechtlicher Normen auf den fakultativen GmbH-Aufsichtsrat s. Spindler, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 52 Rn. 13. 106 Jaeger, C., in: Ziemons/Jaeger/Pöschke, BeckOK GmbHG, 52. Ed. v. 01. 06. 2022, § 52 Rn. 70; Spindler, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 52 Rn. 217; Noack, in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 52 Rn. 130; Schön, Der Einfluß öffentlich-rechtlicher Zielsetzungen auf das Statut privatrechtlicher Eigengesellschaften der öffentlichen Hand, ZGR 1996, 429 (452). 107 Hierzu bereits oben unter B.II.3.b)dd).
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C. Öffnung der aktienrechtlichen Schweigepflicht
zu beantworten ist. Dafür ist unerheblich, auf welcher Grundlage Aufsichtsratsmitglieder einer Weisungsbindung unterworfen sein sollen, da eine Unterscheidung zwischen einem ggf. weisungsunabhängigen gesellschaftsrechtlichen Außenverhältnis und einer kommunal-, arbeits- oder auf sonstige Weise schuldrechtlich begründete Weisungsgebundenheit im Innenverhältnis nicht infrage kommt.108 Im Rahmen dieser Untersuchung muss sich die umfassend diskutierte Problematik rund um die Weisungsbindung des fakultativen GmbH-Aufsichtsrats auf den Bereich des Schutzes von Gesellschaftsgeheimnissen und die dogmatischen Grundlagen dazu fokussieren. Anders gewendet wird untersucht, ob eine gesellschaftsrechtliche Weisungsbindung des fakultativen GmbH-Aufsichtsrats – soweit möglich – zumindest gegenstandsbezogen den Beschränkungen der §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 3, 394, 395 AktG unterliegt. aa) Typenbilder des Aufsichtsrats Für den Fall des generellen Ausschlusses der aktienrechtlichen Bestimmungen durch den Gesellschaftsvertrag liest das BVerwG die Weisungsbindung des fakultativen Aufsichtsrats einer kommunalen Gesellschaft mbH in den Gesellschaftsvertrag hinein.109 Einschränkend bindet das BVerwG das Ergebnis seiner ergänzenden Auslegung des Gesellschaftsvertrags an die konkreten Umstände des zur Entscheidung vorgelegten Einzelfalls, wonach eine Weisungsgebundenheit des fakultativen Aufsichtsrats ohne die ansonsten obligatorische Satzungsbestimmung kraft der verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Bindungen der öffentlichen Hand anzunehmen sei.110 Ein entscheidungstragender normativer Umstand, den das Gericht seiner Vertragsauslegung zur Grundlage gemacht hat, war § 108 Abs. 4 S. 2 GO NRW a. F.111, der die Erlaubnis zur Beteiligung der nordrhein-westfälischen Gemeinden an privatrechtlich organisierten Unternehmen in der Rechtsform der Gesellschaft mbH unter den Vorbehalt der satzungsrechtlich bestimmten Weisungsbindung entsandter oder gewählter Aufsichtsratsmitglieder stellt.112 Die mit dieser Entscheidung umgangene Grundsatzfrage bezieht sich auf die Wesensgleich- oder Ungleichheit von einem frei ausgestalteten fakultativem GmbHAufsichtsrat einerseits und dem aktienrechtlich definierten Aufsichtsrat anderer-
108 Giedinghagen, in: Michalski/Heidinger/Lieble/Schmidt, J., GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2017, § 52 Rn. 174a; Spindler, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 52 Rn. 217; vgl. auch bereits Raiser, Weisungen an Aufsichtsratsmitglieder, ZGR 1978, 391 (399 ff.). 109 BVerwG, Urt. v. 31. 08. 2011 – 8 C 16/10, NVwZ 2012, 115 Rn. 28. 110 Spindler, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 52 Rn. 220. 111 § 108 Abs. 4 S. 2 GO NRW a. F. entspricht § 108 Abs. 5 Nr. 2 GO NRW n. F. 112 BVerwG, Urt. v. 31. 08. 2011 – 8 C 16/10, NVwZ 2012, 115 Rn. 28 f.
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seits.113 Das Urteil wird vornehmlich in der gesellschaftsrechtlichen Literatur kritisch gesehen. Danach hätte sich das BVerwG mit dem Kunstgriff der ergänzenden Vertragsauslegung darum gewunden, die vieldiskutierte Frage der Weisungsgebundenheit von Mitgliedern des fakultativen Aufsichtsrats kommunaler Unternehmen dem Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vorzulegen.114 Neben weiteren Folgefragen konzentrieren sich die gegenläufigen Ansichten über die Rechtsstellung, Aufgaben, Rechte und Pflichten der von der öffentlichen Hand entsandten oder gewählten Mitglieder des fakultativen GmbH-Aufsichtsrats auf einen organisationsrechtlichen Streitpunkt mit gesamtstruktureller Tragweite. Infrage steht, ob das Wesen des aktienrechtlich vorgezeichneten Aufsichtsrats zwangsläufig auf den fakultativen GmbH-Aufsichtsrat durchschlägt. Nur, wenn das nicht der Fall ist, können Mitglieder des fakultativen GmbH-Aufsichtsrats einer Weisungsbindung gegenüber der sie wählenden oder entsendenden Gebietskörperschaft unterworfen werden.115 Anders gewendet kommt eine Weisungsbindung von Aufsichtsratsmitgliedern unter keinen Umständen infrage, sofern das aktienrechtliche Ideal von der unverletzlichen Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmandats für jede Aufsichtsratsform wesensbestimmend ist und damit kein Gegenstand individueller Vertragsgestaltung sein kann. Gegen eine derartige Einschränkung der GmbH-rechtlichen Satzungs- und Gestaltungsfreiheit wird vonseiten einiger Stimmen in der Literatur eingewendet, dass das GmbH-Recht den Gesellschaftern freistellt, alle aktienrechtlichen Bestimmungen pauschal durch eine entsprechende Satzungsregelung abzubedingen.116 Damit 113
Einen Überblick über die historische Entwicklung des Streitstandes verschafft Fischer, Das Entsendungs- und Weisungsrecht öffentlich-rechtlicher Körperschaften, AG 1982, 85 (87 ff.). 114 Heidel, Zur Weisungsgebundenheit von Aufsichtsratsmitgliedern bei Beteiligung von Gebietskörperschaften und Alleinaktionären, NZG 2012, 48 (50). 115 Ob die Weisungsgebundenheit des Aufsichtsrats weiterhin eine ausdrückliche Satzungsbestimmung voraussetzt oder mit der Ansicht des BVerwG im Einzelfall auch in den Gesellschaftsvertrag hineingelesen werden kann, betrifft eine für diese Untersuchung nicht relevante Folgefrage; für einen konzisen Überblick s. Heidel, Zur Weisungsgebundenheit von Aufsichtsratsmitgliedern bei Beteiligung von Gebietskörperschaften und Alleinaktionären, NZG 2012, 48 (50) m. w. N.; gegen eine Weisungsbindung im Fall der fehlenden ausdrücklichen Bestimmung im Gesellschaftsvertrag Schodder, Kommunale GmbH, zugl. Anm. zu OVG Münster, Urt. v. 24. 04. 2009 – 15 A 2592/07, EWiR 2009, 715 (715 f.); Weckerling-Wilhelm/ Mirtsching, Weisungsrechte in kommunalen Gesellschaften mit beschränkter Haftung, NZG 2011, 327 (330); weitergehend als das BVerwG das OVG Münster, Urt. v. 24. 04. 2009 – 15 A 2592/07, ZIP 2009, 1718 (1720), wonach schon die alleinige Abbedingung der aktienrechtlichen Vorschriften zur Verdrängung des Unternehmensinteresses zum Vorteil gemeindlicher Interessen führen soll, ohne dass es einer ergänzenden Vertragsauslegung bedürfe. 116 Insb. Altmeppen, in: Altmeppen, GmbHG, 10. Aufl. 2021, § 52 Rn. 3 f.; ders., Zur Rechtsstellung der Aufsichtsratsmitglieder einer kommunalen GmbH, in: FS Schneider, 2011, 1 (3 ff.); ders., Die Einflussrechte der Gemeindeorgane in einer kommunalen GmbH, NJW 2003, 2561 (2564 f.); Kraft, Das Verwaltungsgesellschaftsrecht, 1982, 254 ff.; Danwitz, v., Vom Verwaltungsprivat- zum Verwaltungsgesellschaftsrecht, AöR 1995, 595 (620); Mann, Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft, 2002, S. 245; Nachweise zur früheren Literatur bei Lieschke,
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C. Öffnung der aktienrechtlichen Schweigepflicht
stünde den Gesellschaftern der fakultative GmbH-Aufsichtsrat zur freien Definition, ohne dass die aktienrechtliche Historie und Dogmatik Einfluss auf den individualvertraglich bestimmten Aufsichtsrat nehmen könnte. Für die Möglichkeit der Weisungsbindung von Aufsichtsratsmitgliedern spreche auch die unbestrittene Fähigkeit der Gesellschafter, der Gesellschafterversammlung oder einzelnen Gesellschaftern Direktionsrechte gegenüber der Geschäftsführung einzuräumen.117 Die Argumentation der Gegenansicht bezieht sich mit dem Verweis auf den Verkehrsschutz sowie auf dogmatische Anknüpfungspunkte im Grunde auf zwei voneinander unabhängige Ebenen. Der Rechtsverkehr erwarte von einem als Aufsichtsrat bezeichneten Gesellschaftsorgan, dass eine seiner Hauptaufgaben in der von Dritten unbeeinflussten Überwachung der Geschäftsführung liegt.118 Insoweit sei der Wesensunterschied zum obligatorischen Aufsichtsrat nicht ersichtlich, weshalb eine Abkehr vom Gebot der Unabhängigkeit des Aufsichtsrats nicht infrage komme. Eine vermittelnde Ansicht trägt dem Rechnung und sieht in der öffentlichen Anzeige der satzungsrechtlich bestimmten Weisungsabhängigkeit des fakultativen GmbH-Aufsichtsrats die Lösung des Problems, wodurch die andernfalls anzunehmende Täuschung des Rechtsverkehrs vermieden werden könne.119 Aber auch aus einer funktionellen Sichtweise soll es keinen (fakultativen) Aufsichtsrat geben, der nicht vorrangig dem Gesellschaftswohl und damit auch dem Unternehmensinteresse verpflichtet ist.120 Die Bindung an das Unternehmensinteresse stellt danach den prägenden Wesenskern eines Überwachungsorgans dar, auf den sich alle den Organmitgliedern übertragene Rechte zumindest mittelbar zurückführen lassen. Eine Die Weisungsbindungen der Gemeindevertreter in Aufsichtsräten kommunaler Unternehmen, 2002, S. 40. 117 Altmeppen, Die Einflussrechte der Gemeindeorgane in einer kommunalen GmbH, NJW 2003, 2561 (2564 ff.). 118 So soll die mit der Bildung eines Aufsichtsrats einhergehende seriöse Außenwirkung dafür sprechen, dass Kernfunktionen und korrespondierende Pflichten des Aufsichtsrats nicht derogiert werden können, meinungsstark etwa Schürnbrand, Überwachung des insolvenzrechtlichen Zahlungsverbots durch den Aufsichtsrat, NZG 2010, 1207 (1211); Vetter, Zur Haftung im fakultativen Aufsichtsrat der GmbH, GmbHR, 2012, 181 (184 f.); Spindler, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 52 Rn. 13; Lutter, Weisungsbefugnis des Gemeinderats gegenüber Ratsmitgliedern im Aufsichtsrat einer kommunalen GmbH, ZIP 2007, 1991 (1992); für ein aktienrechtlich geprägtes „Typenbild“ vom Aufsichtsrat auch Müller/Wolff, Freiwilliger Aufsichtsrat nach § 52 GmbHG und andere freiwillige Organe, NZG 2003, 751 (753); a. A. BVerwG, Urt. v. 31. 08. 2011 – 8 C 16.10, ZIP 2011, 2054 (2056); Rodewald/Wohlfahrter, Gesellschafterweisungen in der GmbH, GmbHR 2013, 689 (690 ff.); Ziche/Herrmann, Weisungsrechte gegenüber Aufsichtsratsmitgliedern, DÖV 2014, 111 (113). 119 Weber-Rey/Buckel, Corporate Governance in Aufsichtsräten von öffentlichen Unternehmen, ZHR 2013, 13 (25 f.); Hommelhoff, K., Der Public Governance Kodex des Bundes, in: FS P. Hommelhoff, 2012, 447 (459 f.). 120 Spindler, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 52 Rn. 217; Lieschke, Die Weisungsbindungen der Gemeindevertreter in Aufsichtsräten kommunaler Unternehmen, 2002, S. 107 ff.; Schwintowski, Verschwiegenheitspflicht für politisch legitimierte Mitglieder des Aufsichtsrats, NJW 1990, 1009 (1013); ders., Gesellschaftsrechtliche Bindungen, NJW 1995, 1316 (1318 f.).
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Weisungsbindung würde dementgegen die Interessen des Weisungsberechtigten über das Gesellschaftswohl stellen. Mit der Bezugnahme auf den „Charakter des Organs Aufsichtsrat“ wird in zweiter Linie auf die historisch gewachsene und im aktienrechtlichen Verwaltungssystem angelegte Dogmatik des insoweit zwingend unabhängigen Gesellschaftsorgans hingewiesen. Danach verlange die einem Aufsichtsrat übertragene Überwachungstätigkeit als solche nach der Unabhängigkeit der mit der Tätigkeit betrauten Personen, insb. könne andernfalls von einer Überwachung im engeren Sinne nicht die Rede sein.121 Dieser Ansicht ist die Vorstellung von einem aktienrechtlich geprägten Wesen des Aufsichtsrats inhärent, das unbeschrieben und doch zwingend auch dem fakultativen GmbH-Aufsichtsrat innewohnen muss, wenngleich die aktienrechtlichen Vorschriften durch den Gesellschaftsvertrag insgesamt abbedungen werden sollten. Diese Annahme – die Richtigkeit der Schlussfolgerung unterstellt – bedarf jedoch einer dogmatischen Begründung, die über die gleichlautende Organbezeichnung hinausgeht. Erforderlich ist ein struktureller und im Gesetz angelegter Zusammenhang zwischen dem gesetzlich vorgeschriebenen Aufsichtsrat einerseits und dem autonom bestellten GmbH-Aufsichtsrat andererseits. Grundsätzlich führt die normative Brücke vom fakultativen GmbH-Aufsichtsrat über § 52 Abs. 1 GmbHG zur Anwendbarkeit der zitierten aktienrechtlichen Bestimmungen. Für den Fall, dass der Gesellschaftsvertrag die Geltung der Bestimmungen des Aktienrechts pauschal ausschließt, wird der einen fakultativen Aufsichtsrat konstituierende Gesellschaftsvertrag gleichwohl die Verknüpfung zum Wesen des aktienrechtlichen Aufsichtsorgans nicht kappen. Umgekehrt begründet ein Gesellschaftsvertrag, der einen fakultativen GmbH-Aufsichtsrat vorsieht, regelmäßig die Anwendbarkeit der hergebrachten und anerkannten Wesensgrundsätze des obligatorischen Aufsichtsrats, auch wenn § 52 Abs. 1 GmbHG insgesamt abbedungen wird. Etwas anderes wäre nur dann anzunehmen, wenn der Gesellschaftsvertrag die Rechte, Pflichten und Rechtsposition des Gremiums sowie seiner Mitglieder im Verhältnis untereinander und in den Rechtsbeziehungen zu den Gesellschaftern und der Gesellschaftergesamtheit hinreichend konkret verfasst, sodass sich hieraus ein – vom Typus des aktienrechtlich geprägten Aufsichtsrats wesensungleiches – Individualorgan ableiten lässt. Führt ein Regelungsdefizit im Gesellschaftsvertrag zu einer mit der Rechtslage beim gesetzlichen Regelfall eines fakultativen Aufsichtsrats nach § 52 Abs. 1 GmbHG verglichen größeren Rechtsunsicherheit, ergibt sich schon aus dem Gesetzeswortlaut die Übertragung der ak121 Giedinghagen, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, J., GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2017, § 52 Rn. 9 u. 174; Schneider, U. H./Seyfarth, in: Scholz GmbHG Bd. 2, 12. Aufl. 2021, § 52 Rn. 497; Spindler, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 52 Rn. 220; ders., Kommunale Mandatsträger in Aufsichtsräten, ZIP 2011, 689 (694 ff.); Vetter, Corporate Governance in der GmbH, GmbHR 2011, 449 (457); vehement gegen eine Unterspülung der Unabhängigkeit des Aufsichtsrats auch Säcker, Die Anpassung der Satzung der Aktiengesellschaft an das Mitbestimmungsrecht, DB 1977, 1791 (1793); frühere Literaturnachweise bei Lieschke, Die Weisungsbindungen der Gemeindevertreter in Aufsichtsräten kommunaler Unternehmen, 2002, S. 40.
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C. Öffnung der aktienrechtlichen Schweigepflicht
tienrechtlichen Typengrundsätze auf den fakultativen GmbH-Aufsichtsrat.122 Ausweislich des Wortlauts in § 52 Abs. 1 letzter HS GmbHG kann an die Stelle einer Regelung nur eine Individualbestimmung, aber keine Regelungslücke treten. Insoweit ist im Gesellschaftsvertrag nicht nur zu regeln, welche aktienrechtlichen Bestimmungen und damit verbundene Wesensgrundsätze für den fakultativen Aufsichtsrat nicht gelten sollen, sondern auch, was anstelle der gesetzlich bestimmten Fälle gelten soll.123 Mit dem Verweis auf die Organbezeichnung, wonach ein fakultativer GmbHAufsichtsrat kraft seiner Benennung auch denselben Wesenskern wie ein obligatorischer Aufsichtsrat tragen soll, wird nicht lediglich auf die Namensgebung des Gremiums Bezug genommen. Der Aufsichtsrat ist ein originär aktienrechtliches Gesellschaftsorgan, dessen historisch gewachsenes Wesen exklusiv mit der Entwicklung des Aktienrechts verbunden ist.124 Das GmbHG nimmt in seinem § 52 Abs. 1 hierauf Bezug, ohne etwa durch ergänzende Bestimmungen ein abstraktes Typenbild von einem GmbH-Aufsichtsrat zu zeichnen, das eine ansonsten strukturfeindliche Weisungsbindung seiner Mitglieder vorsieht oder freistellt.125 In der Folge konnte sich kein genuin GmbH-spezifisches Typenbild vom fakultativen Aufsichtsrat entwickeln, auf dessen geschichtlich gewachsene Grundlagen heute zum besseren Verständnis des fakultativen GmbH-Aufsichtsrats zurückgegriffen werden könnte.126 Es entspricht daneben auch ganz dem Sinn und Zweck der Satzungsautonomie, dass der Wille der Gesellschafter im Zweifelsfall zur Grundlage für den Rückgriff auf den aktienrechtlichen Standard der Unabhängigkeit des Überwachungsorgans auch für den fakultativen GmbH-Aufsichtsrat gemacht wird. Insoweit genügt es für die angestrebte Rechtsklarheit und Rechtssicherheit nicht, zu bestimmen, was nicht gelten soll, wenn nicht gleichzeitig die damit aufgerissene Regelungslücke durch 122 Nach § 52 Abs. 1 GmbHG gelten die aktienrechtlichen Bestimmungen, „soweit nicht im Gesellschaftsvertrag ein anderes bestimmt ist“; in diesem Sinne auch Spindler, in: Fleischer/ Goette, MüKo GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 52 Rn. 10 f.; Giedinghagen, in: Michalski/ Heidinger/Leible/Schmidt, J., GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2017, § 52 Rn. 22. 123 In diesem Sinne Ziche/Herrmann, Weisungsrechte gegenüber Aufsichtsratsmitgliedern, DÖV 2014, 111 (113 Fn. 16). 124 Demgemäß wirken auch die Mitbestimmungsgesetze nicht auf das Wesen des Aufsichtsrats ein, vgl. hierzu Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 12. 125 Ähnlich Jaeger, C., in: BeckOK GmbHG, 49. Ed. v. 01. 05. 2021, § 52 Rn. 8; a. A. Müller/Wolff, Freiwilliger Aufsichtsrat nach § 52 GmbHG und andere freiwillige Organe, NZG 2003, 751 (753), der im Allgemeinen kein zwingendes Typenbild vom Aufsichtsrat erkennen möchte und mit Blick auf die dem Aufsichtsrat typischerweise zugeschriebenen Überwachungsaufgaben gleichwohl ein mit § 52 Abs. 1 GmbHG indiziertes aktienrechtliches Leitbild nicht ausschließt. 126 Ganz im Gegenteil schlagen die aktienrechtlichen Bestimmungen auf den fakultativen GmbH-Aufsichtsrat durch, soweit im Gesellschaftsvertrag nur lückenhafte Regelungen getroffen werden, vgl. Scholz/Illner, in: Prinz/Winkeljohann, Beck’sches Hdb GmbH, 6. Aufl. 2021, § 6 Rn. 34 f.
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individuelle Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags gefüllt wird.127 Verursacht der Gesellschaftsvertrag durch ein ersatzloses Abbedingen der aktienrechtlichen Bestimmungen ein Regelungsdefizit, kann sich aus dem Willen der Gesellschafter zur Errichtung eines GmbH-Aufsichtsrats nichts anderes ergeben, als dass die aktienrechtlichen Grundlagen auch dem fakultativen Überwachungsorgan einen auslegungsfähigen und belastbaren Identitätskern stiften. Wenn das nicht dem Willen der GmbH-Gesellschafter entspricht, die ihrerseits ein Interesse an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit haben, stünde es ihnen frei, stattdessen einen Beirat zu schaffen oder den willkürlichen GmbH-Aufsichtsrat mit einem hinreichend ausführlichen Regelwerk auf ein rechtssicheres Fundament zu heben und dadurch ein neues, vom aktienrechtlichen Typenbild abweichendes GmbH-Aufsichtsorgan zu errichten. Das erforderliche Regelungsminimum würde sich dabei nach den konkreten Rechten und Pflichten des freiwillig geschaffenen Gesellschaftsorgans im Systemgefüge der individuellen Gesellschaftsstruktur sowie danach richten, ob durch den Gesellschaftsvertrag strukturelle Abweichungen von der Organisationsverfassung des Aufsichtsrats nach dem aktienrechtlichem Typenbild vorgenommen werden sollen.128 Eine systemmodifizierende Individualbestimmung würde etwa in der Bindung der Mitglieder eines freiwillig geschaffenen Gesellschaftsorgans an den Gesellschafterwillen liegen, die etwa der Weisungsbindung des Organs bzw. seiner Mitglieder inhärent wäre. Im Bild der GmbH-rechtlichen Typenfreiheit könnte die Errichtung eines solchen Organs möglich sein.129 Allerdings sollte ein derart tiefgreifender Eingriff in die herkömmliche zweispurige Verwaltungsstruktur nicht dadurch verschleiert werden, dass das Organ als Aufsichtsrat bezeichnet wird, wenngleich seine Hauptaufgabe in der Überwachung der Geschäftsführung liegen sollte.130 Ehrlicherweise müsste ein derartiges Gesellschafter- oder Repräsentantenorgan dann auch dem Rechtsverkehr als solches vorgestellt werden. bb) Einschränkungen im Fall des gemischt wirtschaftlichen Unternehmens Auch mit der Annahme einer durch das GmbH-Recht gewährleisteten Typenfreiheit für den fakultativen Aufsichtsrat müssen im Fall der staatlich beherrschten Gesellschaft mbH besondere Umstände im Hinblick auf die Bestimmung eines 127
In diesem Sinne auch BVerwG, Urt. v. 31. 08. 2011 – 8 C 16/10, NVwZ 2012, 115 (116). Ob ein vom gesetzlichen Normalfall des aktienrechtlichen Typenbildes abweichendes Aufsichtsorgan der GmbH gleichsam als Aufsichtsrat bezeichnet werden dürfte, betrifft wiederum eine Folgefrage, die nicht an dieser Stelle zu erörtern ist; vgl. dazu etwa Spindler, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 52 Rn. 220. 129 Scholz/Illner, in: Prinz/Winkeljohann, Beck’sches Hdb GmbH, 6. Aufl. 2021, § 6 Rn. 35, empfehlen die Organisationsverfassung des Organs im Fall der Abweichung von § 52 Abs. 1 GmbHG umfassend zu regeln. 130 Noack, in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 52 Rn. 130, mit dem Verweis auf die Erwartung des Rechtsverkehrs; differenzierend Müller/Wolff, Freiwilliger Aufsichtsrat nach § 52 GmbHG und andere freiwillige Organe, NZG 2003, 751 (753 ff.), wonach der Erwartung des Rechtsverkehrs keine Bedeutung zukommen soll. 128
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Mindestkompetenzen umfassenden Rechtekatalogs Beachtung finden. Dass der fakultative GmbH-Aufsichtsrat die Überwachung der Geschäftsführung nicht wie bei der Aktiengesellschaft exklusiv, sondern parallel zu den Gesellschaftern übernimmt,131 kann sich durch die Beteiligung einer Gebietskörperschaft faktisch ändern. Dem von Kersting unterstellten Mangel an wirtschaftlichen Eigeninteressen liegt die berechtigte Annahme zugrunde, dass die öffentliche Hand hinsichtlich der Verfolgung wirtschaftlicher Eigeninteressen nicht mit privaten Gesellschaftern vergleichbar ist, was zu einer „Prinzipal-Agenten-Problematik“ führt.132 Die schwächelnde Zielstrebigkeit bei der Verfolgung wirtschaftlicher Eigeninteressen kann gerade durch die Unabhängigkeit des Aufsichtsrats ausgeglichen werden. Die aus einer strukturfremden Weisungsbindung resultierende fehlerhafte Verwaltungsorganisation bedingt eine unklare Zuständigkeits- und Verantwortungsverteilung, die wiederum den Effekt der Verantwortungsdiffusion auslöst. Danach können fehlerhafte Organisationsregeln dazu führen, dass Einzelpersonen einer verantwortlichen Mehrheit im Vertrauen auf die Verantwortung der anderen von der Vornahme einer erforderlichen Handlung absehen.133 Auf den Fall der öffentlichen Gesellschaft mbH übertragen begründet das die Gefahr, dass weisungsgebundene Aufsichtsratsmitglieder von organschaftlich gebotenen Handlungen im Vertrauen auf die Steuerungsmacht der Gebietskörperschaft absehen.134 Gerade für öffentliche Unternehmen in der Rechtsform der Gesellschaft mbH ist eine den fakultativen Aufsichtsrat betreffende Typenfreiheit und eine daraus interpretierte Möglichkeit zur Weisungsunterwerfung der entsandten oder gewählten Organwalter kritisch zu sehen. Von einer nach Kersting geschlussfolgerten Beschränkung der Gesellschafterrechte der öffentlichen Hand könnte daher zumindest insoweit die Rede sein, als dass die Satzungsautonomie im Hinblick auf die Typenbestimmung des fakultativen GmbH-Aufsichtsrats begrenzt wird, sodass die aktienrechtlich gewährleistete institutionelle Unabhängigkeit auch beim fakultativen GmbH-Aufsichtsrat des öffentlichen Unternehmens unangetastet bleibt. Dem fakultativen GmbH-Aufsichtsrat der öffentlichen Hand müssten außerdem dieselben Informationspflichtrechte garantiert sein, die auch dem Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft zugeschrieben werden. Um die Funktionalität des zweispurigen Verwaltungssystems zu schützen, darf 131 Giedinghagen, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, J., GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2017, § 52 Rn. 9. 132 Kersting, Verwaltungsgesellschaftsrecht, in: FS Krieger, 2020, 465 (467 f.); hierzu auch bereits oben unter C.II.3. 133 Levine/Manning, in: Jonas/Stroebe/Hewstone, Sozialpsychologie, 6. Aufl. 2014, Kap. 10, S. 367; vgl. auch Weber-Rey, Verantwortungsdiffusion als unerwünschter Nebeneffekt weiterer Regulierungsbemühungen in der Corporate Governance, ZRP 2013, 151 (151 f.). 134 Vgl. Weber-Rey, Verantwortungsdiffusion als unerwünschter Nebeneffekt weiterer Regulierungsbemühungen in der Corporate Governance, ZRP 2013, 151 (152), die ein Streben nach wachsender Diversität im Aufsichtsrat international agierender Unternehmen an der Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmandats einerseits und der abstrakten Gefahr von Interessenkollisionen andererseits abwägt.
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dann auch für den fakultativen GmbH-Aufsichtsrat des öffentlichen Unternehmens hinsichtlich der organschaftlichen Verschwiegenheitspflicht nichts anderes gelten, als für den mitbestimmten Aufsichtsrat. Eine gleichwohl im Gesellschaftsvertrag vorgesehene Weisungsbindung der Mitglieder des fakultativen GmbH-Aufsichtsrats würde jedenfalls Grundlagenbestimmungen erforderlich machen, die als Auslegungshilfe in Konfliktlagen herangezogen werden könnten und die Lücke der insoweit hinfälligen aktienrechtlichen Grundlagen füllen. Soll vom Leitsatz der Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder abgewichen werden, müssen die Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags etwa auch Regelungen zum Haftungsregime der Aufsichtsratsmitglieder enthalten, um etwaig auftretenden Widersprüchen entgegenzuwirken, die eine Auflösung der Verbindung von Überwachungs- sowie Schweigepflichten und (Informations-) Rechten bedingt.135 Von größerer Bedeutung als die Haftungsfrage ist jedoch die Würdigung der funktionsnotwendigen Korrelation zwischen der Vertraulichkeit und den Informationsrechten des Aufsichtsrats.136 Zusätzlich müsste eine konsistente Zuständigkeits- sowie Verantwortlichkeitsverteilung gewährleistet bleiben, um einer drohenden Verantwortungsdiffusion und Handlungshemmnissen entgegenzuwirken. Eine willkürliche Weisungsbindung von Mitgliedern eines fakultativen GmbHAufsichtsrats soll hiernach nicht per se ausgeschlossen sein.137 Gleichwohl kann eine freiwillige Typenbestimmung durch den Gesellschaftsvertrag nicht schrankenlos erfolgen. Neben den systemimmanenten Erwägungen setzen auch zwingende gesetzliche Bestimmungen der Satzungsautonomie grenzen. cc) Allenfalls eingeschränkte Weisungsmacht Mit der Annahme, dass der fakultative GmbH-Aufsichtsrat rechtswirksam dem Verdikt der Gesellschafterweisung unterworfen werden kann, geht nicht zwangsläufig auch die Anerkennung eines selbstgeschaffenen Instruments der weisungsberechtigten Gesellschafter zur unbeschränkten Informationsbeschaffung durch den Aufsichtsrat einher. Vielmehr könnte auch das Weisungsrecht nur innerhalb der gesetzlichen und systemimmanenten Grenzen ausgeübt werden.138
135 Vgl. hierzu Lieschke, Die Weisungsbindungen der Gemeindevertreter in Aufsichtsräten kommunaler Unternehmen, S. 41. 136 Hierzu bereits oben unter B.I.1.a). 137 An dieser Stelle offen bleiben kann die Frage, ob Weisungen im Gesellschaftsinteresse Bindungswirkung entfalten können und ob dem Aufsichtsratsmitglied diesbezüglich ein Beurteilungsspielraum einzuräumen wäre, vgl. hierzu Hopt/Roth, in: Hirte/Mülbert/Roth, Großkomm AktG Bd. 5, 5. Auflage 2019, § 101 Rn. 147 ff. 138 Zu den „Schranken satzungsrechtlich verankerter Weisungsrechte“ s. Wimmer-Leonhardt, Weisungsrechte gegenüber kommunalen Aufsichtsratsmitgliedern in: FS Martinek, 2020, 885 (893 ff.).
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Auf § 51a Abs. 1 GmbHG können die Gesellschafter ihr Auskunftsverlangen auch gegenüber einem weisungsabhängigen Aufsichtsrat nicht stützen.139 Der in § 51a Abs. 2 GmbHG bestimmte Verfahrensgang würde unterlaufen, wenn die Gesellschafter den Aufsichtsrat über ihr Direktionsrecht zur Übermittlung von Gesellschaftsgeheimnissen umfassenden Berichten veranlassen könnten. Nach § 51a Abs. 3 GmbHG kann hiervon auch durch den Gesellschaftsvertrag nicht abgewichen werden. Damit greift das Argument, der GmbH-Gesellschafter könne sogar der Geschäftsführung Weisungen erteilen, nicht auf den Aufsichtsrat durch. Soweit mit einer gesellschaftsrechtlichen Weisungsbindung eine Verpflichtung unter das Gesellschafterinteresse verbunden sein soll,140 könnte damit weder die organschaftliche Pflichtenbindung des Aufsichtsrats als Gesellschaftsorgan noch die Verpflichtung zur Wahrung des Gesellschafts- bzw. Unternehmensinteresses suspendiert werden.141 Es wäre widersprüchlich, ein Gesellschaftsorgan einzurichten und mit weitreichenden Rechten auszustatten, ohne dass die Organwalter der Gesellschaft zur Treue und Sorgfalt verpflichtet werden. Eine im Gesellschaftsvertrag vorgesehene Unterwerfung des fakultativen Aufsichtsrats unter die Gesellschafterinteressen kann zwangsläufig nur neben, nicht jedoch anstelle der organschaftlichen Loyalitätspflichten gegenüber der Gesellschaft aufleben. Die Wirkung könnte sich nur auf solche Bereiche erstrecken, die nicht abschließend durch indisponible Pflichtenbeziehungen erfasst und geregelt werden.142 Damit lebt im Funktionszusammenhang des Gesellschaftsorgans Aufsichtsrat auch zwingend die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht in der Person des Organwalters auf, die als konkretisierte Verhaltenspflicht aus der Treue- und Sorgfaltspflicht gegenüber der Gesellschaft erwächst und nicht durch etwaige kraft Gesellschaftsvertrag oder schuldrechtliche Abrede bestimmte Interessenbindungen überlagert werden kann. § 113 Abs. 1 S. 4 GO NRW stellt zudem klar, dass auch die kommunalverfassungsrechtliche Bindung des Aufsichtsrats aus § 113 Abs. 1 S. 1 GO NRW nicht gilt, soweit durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist.143 Mit der aktienrechtlichen Schweigepflicht des Aufsichtsrats nach §§ 93 Abs. 1 S. 3 i. V. m. § 116 S. 1 AktG hat der Gesetzgeber die vertrauliche Kommunikation des berichtspflichtigen Auf139
Vgl. hierzu bereits ausführlich oben unter B.II.3.b)cc). Vgl. Keßler, Gesellschaftsrechtliche Grenzen politischer Instrumentalisierung, GmbHR 2000, 71 (77). 141 Spindler, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 52 Rn. 217; Lieschke, Die Weisungsbindungen der Gemeindevertreter in Aufsichtsräten kommunaler Unternehmen, 2002, S. 107 ff.; Schwintowski, Verschwiegenheitspflicht für politisch legitimierte Mitglieder des Aufsichtsrats, NJW 1990, 1009 (1013 f.); ders., Gesellschaftsrechtliche Bindungen für entsandte Aufsichtsratsmitglieder, NJW 1995, 1316 (1318 f.). 142 Entgegen der früheren Ansicht nunmehr pauschal gegen jede Möglichkeit einer satzungsrechtlich begründeten Weisungsunterwerfung des auf Veranlassung einer Gebietskörperschaft entsandten oder gewählten Aufsichtsratsmitglieds Schneider, U. H./Seyfarth, in: Scholz GmbHG Bd. 2, 12. Aufl. 2021, § 52 Rn. 499. 143 Entsprechendes regeln auch andere kommunalverfassungsrechtliche Bestimmungen, vgl. etwa Art. 93 Abs. 2 S. 3 BayGO. 140
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sichtsratsmitglieds einer abschließenden Regelungssystematik unterworfen, die mit der Bereichsausnahme nach §§ 394, 395 AktG eine Öffnung zugunsten der öffentlichen Hand vorhält. Dass § 394 S. 1, 3 AktG auch dem Landesgesetzgeber die Möglichkeit offenbart, eine Berichtspflicht der Körperschaftsvertreter in der Gemeindeordnung zu begründen, berührt nicht die Frage nach der Möglichkeit und der Reichweite der Weisungsbindung von Aufsichtsratsmitgliedern. Im Lichte des § 394 AktG ist zwar die aktienrechtliche Schweigepflicht aus §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 3 AktG kein Gesetz im Sinne der § 113 Abs. 5 S. 1 GO NRW sowie Art. 93 Abs. 2 S. 2 BayGO.144 Dasselbe kann jedoch für die in § 113 Abs. 1 S. 4 GO NRW sowie Art. 93 Abs. 2 S. 3 BayGO unter dem Vorbehalt anderslautender gesetzlicher Bestimmungen vorgesehene Weisungsbindung gerade nicht angenommen werden.145 Die Weisungsbindung des berichtspflichtigen Aufsichtsratsmitglieds ist keine (ungeschriebene) Voraussetzung und auch keine vorgesehene Rechtsfolge des Informationsprivilegs nach §§ 394, 395 AktG. Informationen, die den sachlichen Anwendungsbereich der aktienrechtlichen Schweigepflicht berühren, könnten danach nur insoweit tauglicher Gegenstand einer öffentlich-rechtlichen Weisung an das berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglied sein, soweit sie auch Gegenstand der Berichterstattung des entsandten oder gewählten Aufsichtsratsmitglieds i. S. d. §§ 394, 395 AktG sind. Der Sinn und Zweck der §§ 394, 395 AktG würde andernfalls durch ein vertrauliche Gesellschaftsinformationen umfassendes Direktionsrecht ausgehebelt.146 Soweit der Gesetzgeber die Möglichkeit einer unbeschränkten gesellschaftsrechtlichen Weisungsbindung des fakultativen GmbH-Aufsichtsrats vorgesehen hätte, müsste ein entsprechender Hinweis im Gesetz zu finden sein. Die Aufnahme der §§ 394, 395 AktG in den Verweis des § 52 Abs. 1 GmbHG spricht gerade dagegen. Das Abbedingen des aktienrechtlichen Informationsprivilegs der öffentlichen Hand durch den Gesellschaftsvertrag entkräftet die partielle Einschränkung der Schweigepflicht und stärkt den Gesellschaftsgeheimnisschutz. Indem der Gesetzgeber die Anwendbarkeit des Sonderrechts der öffentlichen Hand nicht lediglich auf den obligatorischen GmbH-Aufsichtsrat beschränkt, bringt er zum Ausdruck, dass 144
Nach Will, Informationszugriff auf AG-Aufsichtsratsmitglieder durch Gemeinden, VerwArch 2003, 248 (254) und Zieglmeier, Die Systematik der Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern gegenüber der Gesellschaft, ZGR 2007, 144 (160), steht § 394 AktG den Art. 93 Abs. 2 S. 2 BayGO sowie § 113 Abs. 5 S. 1 GO NRW gerade nicht entgegen, bezogen auf die kommunalverfassungsrechtlich begründete Berichtspflicht der Repräsentanten der Gebietskörperschaft im Aufsichtsrat öffentlicher Unternehmen, vgl. hierzu auch Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 23. 145 Vgl. hierzu auch Bäcker, Weisungsfreiheit und Verschwiegenheitspflicht kommunal geprägter Aufsichtsräte, in FS: Schwark, 2009, 101 (117 f.); Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 394 Rn. 43; Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395, Rn. 181 m. w. N. 146 Von der Frage nach der gesellschaftsrechtlichen Wirksamkeit eines unbeschränkten Weisungsrechts der Gebietskörperschaft gegenüber dem fakultativen GmbH-Aufsichtsrat sind die Fragen nach der Berichterstattung gem. § 394 S. 1 AktG, die auch auf der Grundlage eines gesetzlich begründeten Weisungsrechts erfolgen kann, zu unterscheiden. Zu letzterem s. unter C.III.2.
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C. Öffnung der aktienrechtlichen Schweigepflicht
die Wertung der §§ 394, 395 AktG auch für den fakultativen GmbH-Aufsichtsrat gelten soll. Mit dem gesetzlichen Normalfall der entsprechenden Anwendbarkeit der §§ 394, 395 AktG hat der Gesetzgeber indessen auch den fakultativen Aufsichtsrat in seine Wertungsentscheidung mit einbezogen, das aktienrechtliche Verschwiegenheitssystem im Ganzen analog auf das GmbH-Recht zu übertragen. Das Informationsprivileg der öffentlichen Hand nach §§ 394, 395 AktG zeigt die äußeren Grenzen der vertraulichen Kommunikation des Aufsichtsrats an. Damit unterstreicht der Gesetzgeber den geschlossenen Systemcharakter der aktienrechtlichen Aufsichtsverschwiegenheit zum Schutz von Gesellschaftsgeheimnissen auch im Hinblick auf das Gesellschafts- und Unternehmensinteresse einerseits und das Informationsbedürfnis der öffentlichen Hand andererseits. Auch die vermittelnde Ansicht, wonach die Offenlegung der Weisungsbindung des Aufsichtsrats durch den Gesellschaftsvertrag dem Schutz des Rechtsverkehrs hinreichend Rechnung tragen könnte, schränkt die Möglichkeit der Weisungsbindung insoweit ein, als dass dadurch nicht das Unternehmensinteresse als oberste Handlungsmaxime von Partikularinteressen der Gesellschafter verdrängt werden könnte.147 Vielmehr bliebe es bei der organschaftlichen Treuebindung des Aufsichtsratsmitglieds gegenüber der Gesellschaft, die etwaige Weisungsrechte zumindest gegenstandsbezogen auszuschließen vermag. Das ganzheitliche Ordnungssystem der Aufsichtsverschwiegenheit schließt mit seinen vielseitigen Wechselwirkungen eine individualvertragliche Beerdigung der Schweigepflicht auch beim fakultativen GmbH-Aufsichtsrat aus.148 Der Rechtsverbindlichkeit einer auf die Auskunft von Gesellschaftsgeheimnissen gerichteten Weisung stünde auch im Fall der satzungsrechtlich wirksam bestimmten Direktionsbefugnis der Gesellschafter das Gesellschaftsinteresse entgegen. Existiert keine Satzungsbestimmung, die die Weisungsbindung des Aufsichtsrats bestimmt, scheitert zumindest eine die Grenzen der aktienrechtlichen Schweigepflicht sowie derjenigen des Informationsprivilegs nach §§ 394, 395 AktG überschießende Auslegung des Gesellschaftsvertrags an den indisponiblen Grundfesten aktienrechtlicher Aufsichtsverschwiegenheit. Bestimmt der Gesellschaftsvertrag die Weisungsabhängigkeit der entsandten oder gewählten Aufsichtsratsmitglieder, richtet sich die Frage nach der Bindungswirkung einer im Einzelfall auf Auskunft von Gesell-
147 Weber-Rey/Buckel, Corporate Governance in Aufsichtsräten von öffentlichen Unternehmen, ZHR 2013, 13 (25 f.); Hommelhoff, K., Der Public Governance Kodex des Bundes, in: FS P. Hommelhoff, 2012, 447 (459 f.); ähnlich Weckerling-Wilhelm/Mirtsching, Weisungsrechte in kommunalen Gesellschaften mit beschränkter Haftung, NZG 2011, 327 (330). 148 Von der Satzungsautonomie ermöglicht werden jedoch Modifikationen der Schweigepflicht des Aufsichtsrats hinsichtlich bestimmter Gegenstände, des Umfangs und der Dauer der Schweigepflicht sowie des Verfahrens der Offenlegung, vgl. Jaeger, C., in: Ziemons/Jaeger/ Pötschke, BeckOK GmbHG, 52. Ed. v. 01. 06. 2022, § 52 Rn. 74.
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schaftsgeheimnissen gerichteten Weisung ebenfalls nach dem Regelungsgehalt der §§ 394, 395 AktG.149 dd) Weisungsrecht bei der Ein-Personen-GmbH Eine Ausnahme hiervon muss konsequenterweise für die GmbH-Alleingesellschafterin anerkannt werden, da der Rechtsverkehr nicht von einer Weisungsfreiheit der Organmitglieder ausgehen wird und die Vorschriften zur Kapitalerhaltung dem Gläubigerschutz hinreichend Rechnung tragen.150 Es wäre auch widersprüchlich, ein Weisungsrecht gegenstandsbezogen im Hinblick auf vertrauliche Gesellschaftsinformationen auszuschließen, obwohl die ansonsten weisungsberechtigte Alleingesellschafterin auch in den Kreis der berechtigten Geheimnisempfänger fällt.151 In dieser Konstellation ist das Gesellschafterinteresse weitgehend identisch mit dem Unternehmensinteresse und dadurch der Treuepflicht basierten Schweigepflicht in diesem Verhältnis die Grundlage entzogen. Insofern leiten die korporationsrechtlichen Prinzipien der organschaftlichen Schweigepflicht auch die Interpretation des aktienrechtlichen Typenbilds vom Aufsichtsrat an.
6. Nullstellensatz Zwischen dem öffentlich-rechtlich interpretierten Verwaltungsgesellschaftsrecht und einem zum Nachteil der unternehmerisch tätigen Gebietskörperschaft gereichenden Vorzeichenwechsel bestimmt die Wirkungsrichtung des Ingerenzprinzips den Nullstellensatz für das öffentliche Unternehmen und seinen Aufsichtsrat. Die dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip innewohnende Steuerungspflicht formuliert den Auftrag an den Gesetzgeber, unternehmerische Aktivitäten der Gebietskörperschaften dergestalt zu regulieren, dass sich konkrete Rechtsfolgen für die Körperschaft, das öffentliche Unternehmen und seine Organe ableiten lassen.152 Der Gesetzgeber stellt Gebietskörperschaften eine breite Vielfalt an Organisationsfor149 Für eine gegenständlich beschränkte Weisungsmacht auch beim obligatorischen Aufsichtsrat sprechen sich auch Huber/Fröhlich, in: Hopt/Wiedemann, AktG Großkomm, 4. Aufl. 2014, Vor §§ 394, 395 Rn. 31, aus und beziehen sich dabei auf die Reichweite der beamtenrechtlichen Berichtspflicht. 150 Noack, in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 52 Rn. 130; Altmeppen, Die Einflussrechte der Gemeindeorgane in einer kommunalen GmbH, NJW 2003, 2561 (2565); a. A. Bäcker, Weisungsfreiheit und Verschwiegenheitspflicht kommunal geprägter Aufsichtsräte, in: FS Schwark, 2009, 101 (109); Vetter, Corporate Governance in der GmbH, GmbHR 2011, 449 (457 f.); Spindler, Kommunale Mandatsträger in Aufsichtsräten, ZIP 2011, 698 (692); Zieglmeier, Die Systematik der Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern, ZGR 2007, 144 (161). 151 Vgl. hierzu oben unter B.II.3.b)dd). 152 Vgl. Mann, Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft, 2002, S. 286 f., wonach dem Verwaltungsgesellschaftsrecht die „Rechtsfolgenklarheit“ fehlt, die aber Voraussetzung für eine „privatrechtsüberlagernde Wirkkraft“ ist.
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men zur Verfügung.153 Im Fall der privatrechtlichen Beteiligung der öffentlichen Hand an einer Aktiengesellschaft oder Gesellschaft mbH müssen öffentlich-rechtliche Bindungen im Rahmen der gesellschaftsrechtlich gezogenen Grenzen der Einflussnahme Berücksichtigung finden. Mit dem Informationsprivileg der öffentlichen Hand nach §§ 394, 395 AktG hat der Gesetzgeber aktienrechtliche Sonderrechte für öffentliche Eigentümerinnen statuiert und die Aktiengesellschaft dadurch zur wählbaren Rechtsformalternative für das Verwaltungshandeln ernannt. In privater Organisationsform agierende Gebietskörperschaften dürfen sich zweierlei Fakten Gewiss sein: Es existiert kein Verwaltungsgesellschaftsrecht gleich welchen Vorzeichens und das allein maßgebliche (Innen-)Organisationsrecht resultiert aus den allgemeinen kapitalgesellschaftsrechtlichen Bestimmungen von Aktiengesetz und GmbHG. Frage- und Problemstellungen rund um das weite Themenfeld verfassungsrechtsgemäßen staatlichen Unternehmerhandelns in den Rechtsformen der Aktiengesellschaft und der Gesellschaft mbH, wie insb. das „Spannungsfeld zwischen Demokratie- und Wirtschaftlichkeitsprinzip“154, entfalten allenfalls mittelbare Bedeutung für das einzelne Aufsichtsratsmitglied, für das primär die aktienrechtlichen Regeln zur Verschwiegenheitspflicht die Optionen rechtmäßigen Verhaltens vorgeben. Spiegelbildlich verbleiben der Gebietskörperschaft einzig die Werkzeuge des Gesellschaftsrechts zur Korrektur etwaig auftretender Beeinträchtigungen des Steuerungsvorbehalts.155 Auftretende Konflikte mit den Ingerenzpflichten der Gebietskörperschaft können sich jedenfalls nicht auf die organschaftlichen Pflichten des Aufsichtsratsmitglieds eines öffentlichen Unternehmens auswirken. Der Steuerungsvorbehalt stellt vielmehr eine der Gesellschaftsbeteiligung vorgeschaltete Zugangsbeschränkung auf, die das körperschaftliche Handeln auf solche Rechtsformen beschränkt, auf die sie hinreichend Einfluss nehmen kann.156 Das berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglied eines öffentlichen Unternehmens muss sein Verhalten nach dem privaten Organisationsrecht und den organschaftlichen Pflichten ausrichten, insb. die Treue- und Sorgfaltspflicht gegenüber der Gesellschaft beachten. Aus einer rechtsgeschäftlich, durch Satzungsbestimmung oder kraft Gesetzes auferlegten Berichtspflicht gegenüber der entsendenden Gebiets153
S. Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, Rn. 25. Ausführlich dazu Gersdorf, Öffentliche Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratie und Wirtschaftlichkeitsprinzip, 2000, S. 134 ff. 155 Mit der h. L. auch Traut, Die Corporate Governance von Kapitalgesellschaften der öffentlichen Hand, 2013, S. 6 ff. m. w. N. 156 Ausdrücklich BVerfG, Urt. v. 07. 11. 2017 – 2 BvE 2/11, NVwZ 2018, 51 Rn. 225: „Dies bedeutet aber nicht, dass das Gesellschaftsrecht an die Steuerungsbedürfnisse des Staates als Anteilseigner anzupassen ist, sondern dass dieser selbst die Rechtsform für die ihm obliegende Aufgabenwahrnehmung zu wählen hat, die die erforderlichen Einwirkungsmöglichkeiten gewährleistet.“ In diesem Sinne bereits zuvor Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 109 ff.; Engellandt, Die Einflußnahme der Kommunen auf ihre Kapitalgesellschaften über das Anteilseignerorgan, 1995, 24 ff.; Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 394 Rn. 2b m. w. N. 154
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körperschaft resultiert insbesondere keine gegenläufige (Mandats-)Pflichten verdrängende Verpflichtung des Aufsichtsratsmitglieds. Die aktienrechtliche Schweigepflicht nach §§ 93 Abs. 1 S. 3, 116 S. 1 AktG folgt nach den Erkenntnissen dieser Untersuchung einem allgemeinen Strukturprinzip, das für jedes zweigliedrige Verwaltungssystem von Aktiengesellschaften einerseits und über die Verweisung in § 52 Abs. 1 GmbHG auch für Gesellschaften mbH gilt. Dass auch ein globaler satzungsrechtlicher Ausschluss der aktienrechtlichen Normen in Verbindung mit einer Weisungsunterwerfung die Schweigepflicht der Mitglieder des fakultativen GmbH-Aufsichtsrats gegenüber den GmbH-Gesellschaftern nicht pauschal ausschließt, ergibt sich aus der organschaftlichen Treue- und Sorgfaltsbindung der Organwalter, aus der Überwachungsfunktion des Gesellschaftsorgans, aus der Systematik des § 51a GmbHG und indirekt auch aus dem Informationsprivileg der öffentlichen Hand nach §§ 394, 395 AktG. Die Rechtmäßigkeitsgrenzen gesellschaftsvertraglicher Bestimmungen zur Weisungsgebundenheit berichtspflichtiger GmbH-Aufsichtsratsmitglieder richten sich nach dem Wesen der aktienrechtlichen Schweigepflicht. Eine im Gesellschaftsvertrag vorgesehene Weisungsbindung von Aufsichtsratsmitgliedern des fakultativen GmbH-Aufsichtsrats kann allenfalls insoweit rechtswirksam sein, wie das Treue- und Sorgfaltsverhältnis der Organmitglieder zur Gesellschaft nicht verletzt oder der Anwendungsbereich der §§ 394, 395 AktG nicht verlassen wird. Beteiligen sich öffentliche Träger an einer Aktiengesellschaft, begeben sie sich in die Rolle des Aktionärs, der sich von privaten Gesellschaftern aus gesellschaftsrechtlicher Perspektive grundsätzlich nicht unterscheidet. Hoheitliche Sonderbefugnisse ergeben sich jedoch direkt aus dem Aktienrecht. Maßgeblich für die Informationsweitergabe vom berichtspflichtigen Aufsichtsrat an die Gebietskörperschaft sind daher Umfang und Reichweite des aktienrechtlichen Informationsprivilegs der öffentlichen Hand nach §§ 394, 395 AktG. Für das berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglied, das auch über kommunalverfassungsrechtlich begründete Weisungsrechte der entsendenden Gebietskörperschaft zu ggf. Schweigepflicht widrigen Handlungen veranlasst wird, relativiert sich die Konfliktlage hinsichtlich der zivilrechtlichen Inanspruchnahme durch den Freistellungsanspruch gegenüber der Weisungsgeberin.157 Das in dem Versuch, die Widersprüche zwischen Gesellschafts- und Kommunalrecht durch einen Freistellungsanspruch auszugleichen, „gesetzlich verordnetes Unrecht“158 liegt, wird kaum diskutiert. Dabei liegt dahinter eine offenkundige Missachtung essenzieller Systemgrundsätze verborgen, die der Ingerenzpflicht zuwider einen Kontrollverlust der öffentlichen Hand bedingen kann. Eingriffe in das ausbalancierte Verantwortungsund Zuständigkeitsgefüge von Überwachung und Leitung tragen die Gefahr von
157 Vgl. § 25 Abs. 3 GO SH; § 88 Abs. 6 GO RLP; § 104 Abs. 4 GO BaWü; § 131 Abs. 4 KVG LSA. 158 Raiser, Weisungen an Aufsichtsratsmitglieder, ZGR 1978, 391 (403).
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Rechtsunsicherheit, die nur im Fall der Gesellschaft mbH durch Satzungsbestimmungen kompensiert werden kann. In der Summe bereiten die Grundlagen der organschaftlichen Schweigepflicht der Aufsichtsratsmitglieder den Ordnungsrahmen für die Gesellschaftsgeheimnisse umfassende Berichterstattung an die Gebietskörperschaft-Gesellschafterin, die abschließend durch das Informationsprivileg nach §§ 394, 395 AktG geregelt wird.
III. Das hoheitliche Informationsprivileg de lege lata An die untersuchten Grundsätze der aktienrechtlichen Aufsichtsverschwiegenheit anknüpfend sehen die §§ 394, 395 AktG Sonderregelungen für Aufsichtsratsmitglieder vor, die auf Veranlassung einer Gebietskörperschaft in den Aufsichtsrat gewählt oder entsandt wurden. Das Auskunftsverhalten des berichtspflichtigen Aufsichtsratsmitglieds gegenüber der entsendenden Gebietskörperschaft wird durch das aktienrechtliche Informationsprivileg der öffentlichen Hand nach §§ 394, 395 AktG modifiziert. Während § 394 AktG die Schweigepflicht des Aufsichtsrats bedingt lockert, kompensiert § 395 AktG den Eingriff in das aktienrechtliche Vertraulichkeitssystem durch die Begründung einer Schweigepflicht für Berichtsempfänger.
1. Ratio legis der §§ 394, 395 AktG Unter Bezugnahme auf ihre Entstehungsgeschichte werden die §§ 394, 395 AktG gemeinhin als Kollisionsregeln mit fragmentarischer Systembedeutung verstanden.159 Die Rechtsstellung der Gebietskörperschaft und ihrer Repräsentanten in den Gesellschaftsorganen bildet das Informationsprivileg freilich nicht ab, sondern bildet erst in Verbindung mit den allgemeinen aktienrechtlichen Bestimmungen ein regulatives Gesamtbild für die staatliche Beteiligung an privatrechtlichen Rechtsformen.160 Die erstmalige Aufnahme der §§ 394, 395 AktG in das Aktiengesetz v. 1965 ist zeitlich mit Forderungen zur Aufnahme von haushaltsrechtlichen Prüfungsrechten in das Aktiengesetz zusammengefallen, welche sich nicht durchsetzen konnten und erst zwei Jahre später mit den §§ 53, 54 HGrG v. 19. 08. 1967161 umgesetzt wurden. In Abgrenzung zu den haushaltsrechtlichen Kontrollrechten wurde mit der Aufnahme der §§ 394, 395 AktG nicht das Ziel verfolgt, der öffentlichen 159 Rachlitz, in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl. 2020, § 395 Rn. 2; Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 3; Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, Vor § 394, Rn. 2. 160 Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, Vor § 394, Rn. 2. 161 Gesetz über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder (Haushaltsgrundsätzegesetz – HGrG) v. 19. 08. 1969, BGBl. I 1273.
III. Das hoheitliche Informationsprivileg de lege lata
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Hand eine haushaltsrechtliche Kontrollmöglichkeit zu gewähren, sondern sollte den besonderen Umständen der auf Veranlassung einer Gebietskörperschaft gewählten oder entsandten Aufsichtsratsmitgliedern Rechnung getragen werden.162 Damit hat der Gesetzgeber vorausschauend auf eine Konfliktlage zwischen aktienrechtlicher Verschwiegenheit und öffentlich-rechtlichen Pflichtenbindungen reagiert, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal aktuell war.163 Wenn der primäre Zweck des Informationsprivilegs auch nicht in der Sicherstellung der haushaltsrechtlichen Kontrolle von öffentlichen Unternehmen liegt, bereitet das Sonderinformationsrecht zumindest auch die Basis dafür. Das Informationsprivileg der §§ 394, 395 AktG ermöglicht der öffentlichen Hand erst die Nutzung der Aktiengesellschaft als Rechtsform für die staatliche Aufgabenverwirklichung. Der Gesetzgeber öffnet dadurch das aktienrechtliche System der Aufsichtsverschwiegenheit zugunsten der Gebietskörperschaften, die andernfalls ihren verfassungs- und haushaltsrechtlichen Bindungen nicht nachkommen könnte. Dadurch nimmt das Aktienrecht den gesteigerten Informationsbedarf der öffentlichen Hand als billiges Interesse in sich auf und unterstreicht zugleich die Bedeutung der aktienrechtlichen Integrität von Gesellschaftsgeheimnissen, die einem geschlossenen Regelungswerk folgt.164 Im Einklang mit den bisherigen Untersuchungsergebnissen, insb. zum aktienrechtlichen Einheitsstatut und zur Impermeabilität des Aktienrechts, wird die Zurückhaltung des Gesetzgebers im Hinblick auf die wenigen aktienrechtlichen Sondervorschriften zugunsten der öffentlichen Hand als weiterer Hinweis darauf gedeutet, dass einerseits das allgemeine Aktienrecht auch im Fall der Beteiligung einer Gebietskörperschaft uneingeschränkte Anwendung findet und diese andererseits mit den Mitteln des privaten Organisationsrechts die Aufgabenerfüllung gewährleisten kann und muss.165 Aus dem Informationsprivileg kann gerade nicht auf den gesetzgeberischen Willen geschlossen werden, die §§ 394, 395 AktG in ihrer rudimentären Ausstattung und partikulären Zweckrichtung zur Grundlage eines weitreichenden Paradigmenwechsels für die Organisationsverfassung öffentlicher Unternehmen zu erklären. Ein derartiger Systembruch würde jedoch in der Anerkennung einer aus dem Informationsprivileg resultierenden Weisungsbindung berichtspflichtiger Aufsichtsratsmit162 Schriftlicher Bericht zu BT-Drucks. IV/3296, S. 53: „Die neuen Vorschriften beschränken sich darauf, die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht den besonderen Verhältnissen der auf Vorschlag von Gebietskörperschaften in den Aufsichtsrat gewählten oder entsandten Mitglieder anzupassen.“ 163 Vgl. Huber/Fröhlich, in: Hopt/Wiedemann, AktG Großkomm, 4. Aufl. 2014, Vor §§ 394, 395, Rn. 3. 164 Huber/Fröhlich, in: Hopt/Wiedemann, AktG Großkomm, 4. Aufl. 2014, Vor §§ 394, 395, Rn. 19 sprechen von einer „Absage an ein situatives ,Rosinenpicken‘, welches dem öffentlichen Anteilseigner gestattete, seine gesellschaftsrechtlichen Bindungen je nach Lage der Dinge unter Verweis auf die Verfassung zu überspielen“. 165 Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, Vor § 394 Rn. 2; kritisch aber i. E. auch Huber/Fröhlich, in: Hopt/Wiedemann, AktG Großkomm, 4. Aufl. 2014, Vor §§ 394, 395 Rn. 18 f.
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glieder liegen. Mit einer derart regelungsüberschießenden Lesart der §§ 394, 395 AktG würde nicht nur das interne Verhältnis zwischen Aufsichtsrat und Gebietskörperschaft berührt, sondern die aktienrechtliche Verwaltungsstruktur insgesamt auf den Kopf gestellt.166 Dass aus den §§ 394, 395 AktG i. V. m. „substanziellen öffentlich-rechtlichen Grundsätzen“167 ein paralleles, speziell öffentliche Unternehmen betreffendes Organisationsrecht hervorgehen soll, lässt sich weder der Entstehungsgeschichte, dem Regelungszweck oder dem Wortlaut entnehmen.168 Auch § 394 S. 3 AktG, wonach selbst außerhalb des Aktienrechts begründete Berichtspflichten anerkannt werden, spricht für die abschließende Natur des Aktienrechts im Hinblick auf die Kommunikationsstruktur. Mit der Privilegierung der öffentlichen Hand geht die Sicherung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Hinblick auf die Mitglieder des Aufsichtsrats einerseits und bei gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen auch hinsichtlich der Gesellschafter andererseits einher. Zusätzlich zum Schutz privater Gesellschafter bezwecken die §§ 394, 395 AktG damit auch den Schutz des Vertrauens des Rechtsverkehrs auf die Geltung zentraler Prinzipien des privaten Korporationsrechts. Neben dem Axiom der Gleichheit der Gesellschafter wird die Selbstständigkeit der juristischen Person vor einer aktienrechtsfremden Lenkung durch die Verwaltung geschützt.169 Es ist auch gerade diese vor Eingriffen geschützte unternehmerische Unabhängigkeit der Kapitalgesellschaft, die sich im Vergleich zu den öffentlich-rechtlichen Handlungsformen der Verwaltung als vorteilhaft erwiesen hat. Erträge der privatrechtlichen und dadurch unabhängigen Organisation sind etwa eine Steigerung der Effizienz im Zusammenspiel mit dem Abbau von Vollzugsdefiziten und eine höhere Flexibilität im Bereich der Personalwirtschaft sowie bei der Beteiligung Privater oder anderer Verwaltungsträger. Soll das Informationsprivileg der öffentlichen Hand im Regelungsgefüge der aktienrechtlichen Aufsichtsverschwiegenheit auf einen zentralen Regelungszweck reduziert werden, ist dieser im Brückenschlag zwischen der aktienrechtlichen Schweigepflicht des Aufsichtsrats und den verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Bindungen der Gebietskörperschaft zu sehen, deren Binnenstruktur insb. nach dem Erfordernis haushaltsrechtlicher Kontrolle ausgerichtet sein muss.170 Aus Sicht der öffentlichen Hand fügt sich das Informationsprivileg als ein Teilaspekt neben weitere 166 So aber Heidel, Zur Weisungsgebundenheit von Aufsichtsratsmitgliedern bei Beteiligung von Gebietskörperschaften und Alleinaktionären, NZG 2012, 48 (54 f.). 167 Heidel, Zur Weisungsgebundenheit von Aufsichtsratsmitgliedern bei Beteiligung von Gebietskörperschaften und Alleinaktionären, NZG 2012, 48 (48). 168 A. A. Heidel, Zur Weisungsgebundenheit von Aufsichtsratsmitgliedern bei Beteiligung von Gebietskörperschaften und Alleinaktionären, NZG 2012, 48 (53), wonach die von § 394 AktG vorausgesetzte Berichtspflicht ihren Zweck in der weisungsgebundenen Einflussnahme der Gebietskörperschaft auf die Gesellschaft finden soll. 169 Lutter/Grunewald, Öffentliches Haushaltsrecht und privates Gesellschaftsrecht, WM 1984, 385 (395 f.). 170 Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 2.
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aktienrechtliche und haushaltsrechtliche Bestimmungen zu einem Regime zusammen, das die Aktiengesellschaft zur möglichen Handlungsform für die staatliche Aufgabenerfüllung erklärt.171 Dem berichtspflichtigen Aufsichtsratsmitglied zeigen die §§ 394, 395 AktG hingegen den Weg durch die Pflichtenkollision auf. Dabei ist zwischen den berechtigten Geheimnisempfängern einerseits und den vom Informationsprivileg umfassten Informationen im sachlichen Anwendungsbereich andererseits zu unterscheiden. Zuvor bestimmt § 394 S. 1 AktG die Anwendbarkeit des Sonderrechts der Gebietskörperschaft.
2. Geltungsbereich und Voraussetzungen Vom Geltungsbereich des Informationsprivilegs sind unabhängig davon, ob es sich um eine Aktiengesellschaft oder eine Gesellschaft mbH handelt, nach allgemeiner Ansicht alle verpflichtend einzurichtenden Aufsichtsräte umfasst.172 Obwohl eine Anpassung der Mitbestimmungsvorschriften unterblieben ist, besteht an der Anwendbarkeit des Informationsprivilegs im Fall des mitbestimmten Aufsichtsrats kein Zweifel.173 Dass auch der fakultative GmbH-Aufsichtsrat von der Regelung erfasst ist, wurde im Zuge der Aktienrechtsnovelle 2016 mit der Aufnahme der §§ 394, 395 AktG in die Aufzählung des § 52 Abs. 1 GmbHG klargestellt.174 a) Eigene Beteiligung Von der aktienrechtlichen Schweigepflicht werden lediglich berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der Gebietskörperschaft befreit, auf deren Veranlassung sie in das Überwachungsorgan bestellt worden sind. Über den Wortlaut von § 394 S. 1 AktG hinaus wird aus der Position der Norm im ersten Teil des vierten Buches (Sondervorschriften bei Beteiligung von Gebietskörperschaften) geschlussfolgert, dass die Gebietskörperschaft neben der Möglichkeit zur Einflussnahme auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats auch an der Gesellschaft beteiligt
171
Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, Vor § 394 Rn. 2; Huber/Fröhlich, in: Hopt/Wiedemann, AktG Großkomm, 4. Aufl. 2014, Vor §§ 394, 395 Rn. 22. 172 Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 99 m. w. N. 173 Stellvertretend für alle Oetker, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 394 Rn. 11 m. w. N.; Schockenhoff, in: MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 12. 174 Gesetz zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2016) v. 22. 12. 2015, BGBl. I Nr. 55 v. 30. 12. 2015, 2565 (2567); vgl. zur Begr. RegE v. 18. 03. 2015, BT-Drs. 18/ 4349, S. 34.
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sein muss.175 Eine Differenzierung zwischen einer mittelbaren oder unmittelbaren Beteiligung der Gebietskörperschaft nimmt Bezug auf ihre rechtlichen Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die Besetzung des Aufsichtsrats, trägt für die Anwendung des Informationsprivilegs allerdings keine praktische Bedeutung.176 An die erforderliche Beteiligungshöhe stellt der Wortlaut des § 394 AktG keinen Anspruch. Aus dem Telos des Informationsprivilegs der Einräumung einer erweiterten Kontroll- und Steuerungsmöglichkeit der beteiligten Gebietskörperschaft wird mitunter eine „spürbar“ oder „ins Gewicht fallende“ Kapitalbeteiligung gefordert.177 Danach sei die „Beherrschung“ des Unternehmens durch die öffentliche Hand ungeschriebene Voraussetzung der §§ 394, 395 AktG, die, in Anknüpfung an die Rechtsprechung des BVerfG zur Grundrechtsbindung gemischt wirtschaftlicher Unternehmen,178 einer einfachen Mehrheitsbeteiligung nach Kapitalanteilen folgt. Dem tritt eine andere Ansicht unter Verweis auf den Willen des Gesetzgebers, das Informationsprivileg als verfassungsrechtlich gebotenes Instrument zur Sicherung des staatlichen Steuerungsvorbehalts bei privatrechtlich organisierter Aufgabenerfüllung nicht nur als kleinstmöglichen Eingriff in das gesellschaftsrechtliche Systemgefüge zu konzipieren, entgegen.179 Indem die §§ 394, 395 AktG nach ihrem Wortlaut – anders als § 53 Abs. 1 HGrG – kein Mehrheitserfordernis voraussetzen, soll das Informationsbedürfnis der Gebietskörperschaft auch bei niedrigschwelligen Beteiligungsformen ein Durchbrechen des aktienrechtlichen Geheimnisschutzes legitimieren.180 Danach ist das Informationsprivileg grundsätzlich auch bei einer reinen Finanzbeteiligung einer Gebietskörperschaft anwendbar.181 Eine Einschränkung des Anwendungsbereichs des Sonderinformationsrechts der öffentlichen Hand wird ohnehin durch den Tatbestand erzielt. Faktisch kommt der 175 Oetker, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 394 Rn. 11; Rachlitz, in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl. 2020, § 395 Rn. 17; Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 394 Rn. 33. 176 Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 19 weist zudem darauf hin, dass alle Beteiligten bei der Entsendung oder Wahl eines Repräsentanten der beteiligten Gebietskörperschaft ein eigenes Interesse an der Offenlegung aller tatsächlichen Hintergründe tragen. 177 Für Mehrheitsbeteiligung etwa Martens, Privilegiertes Informationsverhalten von Aufsichtsratsmitgliedern einer Gebietskörperschaft nach § 394 AktG, AG 1984, 29 (36); Schmidt, Der Übergang öffentlicher Aufgabenerfüllung in private Rechtsformen, ZGR 1996, 345 (352); für eine „ins Gewicht fallende Beteiligung“ Schmidt-Aßmann/Ulmer, Die Berichterstattung von Aufsichtsratsmitgliedern einer Gebietskörperschaft nach § 394 AktG, BB 1988, Beilage 13, S. 5. 178 Vgl. hierzu BVerfG, Urt. v. 22. 02. 2011 – 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226 (246 f.). 179 Vgl. Huber/Fröhlich, in: Hopt/Wiedemann, AktG Großkomm, 4. Aufl. 2014, § 394 Rn. 20, wonach „der Gesetzgeber über den Minimalstandard hinausgegangen ist.“ 180 Oetker, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 394 Rn. 11; Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 6; Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 394 Rn. 33; Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 14. 181 Huber/Fröhlich, in: Hopt/Wiedemann, AktG Großkomm, 4. Aufl. 2014, § 394 Rn. 20.
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Frage nach einer Mindestbeteiligung einer Gebietskörperschaft daher keine Bedeutung zu. Das privatrechtlich organisierte Handeln der öffentlichen Hand steht unter dem Vorbehalt der Gewährleistung eines angemessenen Einflusses auf das Unternehmen. Dass nicht jede Beteiligung zur Privilegierung der öffentlichen Hand führen kann, ergibt sich indirekt aus dem Erfordernis der Veranlassung der Wahl oder Entsendung eines Repräsentanten in den Aufsichtsrat der Gesellschaft nach § 394 S. 1 AktG. b) Repräsentantenstatus Entscheidend ist, dass das berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglied nach den äußeren Umständen erkennbar als Repräsentant der Gebietskörperschaft in den Aufsichtsrat befördert wurde.182 Dabei soll bereits jede kausale Einflussnahme der Beteiligungskörperschaft auf die organschaftliche Bestellung genügen, etwa durch die Stimmabgabe, die Ausübung eines Entsenderechts oder die Einwirkung auf die Geschäftsführung eines zwischengeschalteten Glieds im Fall der mittelbaren Beteiligung.183 Einschränkend ist § 394 S. 1 AktG jedoch so zu verstehen, dass der Ursachenhandlung der Gebietskörperschaft zusätzlich ein nach außen erkennbar entscheidungserheblicher Charakter zukommen muss. Das folgt aus dem Wortlaut der Norm („auf Veranlassung einer Gebietskörperschaft (…) gewählt oder entsandt“), der neben einer initialen Ingangsetzung einer kausalen Ereignisfolge durch die Gebietskörperschaft, an deren Ende die Bestellung des Aufsichtsratsmitglieds steht, auch ein voluntatives Element umfasst. Der Status eines Repräsentanten im Aufsichtsrat setzt danach voraus, dass die Bestellung nicht lediglich infolge der Veranlassung, sondern auf Veranlassung der Gebietskörperschaft erfolgte und das gesamte Verfahren der organschaftlichen Bestellung von einem sichtbaren Willen der Gebietskörperschaft getragen wurde.184 Von der Hauptversammlung gewählte Aufsichtsratsmitglieder fallen daher regelmäßig aus dem Anwendungsbereich des Informationsprivilegs heraus, sofern sie nicht auch mit der Stimme der Gebietskörperschaft gewählt wurden. Dementsprechend kann das Informationsprivileg im Grundsatz auch nicht bei gerichtlich bestellten Aufsichtsratsmitgliedern greifen, wenngleich die Gebietskörperschaft den für die Bestellung kausalen, aber die
182
Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 16. Oetker, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 394 Rn. 12; Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 8 f. 184 In diesem Sinne auch Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 394 Rn. 39, der sich bezüglich des Merkmals der Veranlassung für eine höhere Transparenz ausspricht und mit der Aufnahme der Veranlassung der Gebietskörperschaft in den Wahlvorschlag bzw. mit einer Protokollierung der Veranlassung nach § 130 Abs. 1 AktG im Fall des § 121 Abs. 6 AktG (Vollversammlung) zwei konkrete Möglichkeiten für eine praxistaugliche Umsetzung anbietet. 183
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konkret bestellte Person betreffend nicht maßgeblichen Antrag bei Gericht gestellt hat.185 Etwas anderes muss jedoch für den Fall gelten, dass die Bestellung des Aufsichtsratsmitglieds nach außen ersichtlich der Umsetzung des erkennbaren Willens der Gebietskörperschaft dient. Das kann etwa auch für das gerichtlich bestellte Organmitglied angenommen werden, soweit das Gericht ausweislich seiner Entscheidungsbegründung dem Vorschlag der Gebietskörperschaft folgt. Im Fall eines durch die Hauptversammlung und ohne die Stimme der Gebietskörperschaft gewählten Aufsichtsratsmitglieds wird zumindest eine widerlegbare Vermutung gegen den erforderlichen Willen der Gebietskörperschaft sprechen, das gewählte Organmitglied als ihr Repräsentant anzuerkennen. Der Gegenbeweis kann etwa dann gelingen, wenn der Gebietskörperschaft bei der konkreten Wahl kein Stimmrecht zustand oder sie an der Stimmabgabe gehindert war und die Hauptversammlung mit der Wahlentscheidung dem zuvor erkennbaren Willen der Gebietskörperschaft gefolgt ist, wobei jedem Stimmberechtigten im Zeitpunkt der Stimmabgabe bewusst gewesen sein muss, dass die gewählte Person als Repräsentant der Gebietskörperschaft in den Aufsichtsrat einzieht. c) Bestehende Berichtspflicht Dass mit dem aktienrechtlichen Informationsprivileg keine Berichtspflicht statuiert wird und stattdessen eine bestehende Berichtspflicht zwischen dem Aufsichtsratsmitglied und der Gebietskörperschaft tatbestandliche Voraussetzung ist, tritt nunmehr in § 394 S. 3 AktG erkennbar hervor.186 Dadurch wird weiter klargestellt, dass das auf Veranlassung der Gebietskörperschaft in den Aufsichtsrat bestellte Organmitglied einer auf Gesetz, auf Satzung oder auf einem dem Aufsichtsrat in Textform mitgeteilten Rechtsgeschäft beruhen kann.187 185 Auch einschränkend, aber unter Verweis auf die Wertung des § 104 AktG nur einen Sonderfall anerkennend Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 119, wonach gerichtlich bestellte Aufsichtsratsmitglieder allenfalls als „auf Veranlassung der Gebietskörperschaft“ bestellt anzusehen sind, soweit sie im Aufsichtsrat die Position eines ausgeschiedenen Repräsentanten der Gebietskörperschaft einnehmen. 186 Oetker, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 394 Rn. 15; Huber/Fröhlich, in: Hopt/Wiedemann, AktG Großkomm, 4. Aufl. 2014, § 394 Rn. 26; vgl. auch Begr. RegE v. 18. 03. 2015, BT-Drs. 18/4349, S. 33. 187 Damit ist der Gesetzgeber der vornehmlich in der gesellschaftsrechtlichen Literatur vertretenen Auffassung entgegengetreten, wonach § 394 S.1 AktG a. F. eine auf gesetzlicher Grundlage basierende Berichtspflicht vorausgesetzt hätte, vgl. hierzu Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 10; vgl. zur vormals überwiegenden Ansicht in der gesellschaftsrechtlichen Literatur zusammenfassend Kropff, in: Kropff/Altmeppen/Semler, MüKo AktG Bd. 9/2, 2. Aufl. 2006, § 395 Rn. 22 ff.; Oetker, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 394 Rn. 16 m. w. N.; a. A. Land/Hallermayer, Weitergabe von vertraulichen Informationen durch auf Veranlassung von Gebietskörperschaften gewählte Mitglieder des Aufsichtsrats gem. §§ 394, 395 AktG, AG 2011, 114 (116 f.); zustimmend Wilting, Wei-
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aa) Gesetzliche Berichtspflicht Gesetz i. S. d. § 394 S. 3 kann jedes formelle und materielle Gesetz, also jede Rechtsnorm i. S. d. Art. 2 EGBGB sein.188 Mitunter fordern Stimmen aus der Literatur gleichwohl speziell auf § 394 AktG zugeschnittene Rechtsnormen, wie sie einigen kommunalrechtlichen Bestimmungen189 sowie den Regelungen vereinzelter Landeshaushaltsordnungen190 entnommen werden können.191 Ausschlaggebend soll insoweit die Adressierung der Organmitglieder sein, die von der Gemeinde entsandt oder gewählt wurden und ihr gegenüber zur Berichterstattung verpflichtet werden.192 Ob nach der überwiegenden Gegenansicht auch allgemeine Rechtsnormen eine Berichtspflicht i. S. d. § 394 S. 3 AktG begründen können bzw. die allgemeine beamtenrechtliche Weisungsbindung aus § 62 Abs. 1 S. 2 BBG, aus § 35 S. 2 BeamtStG oder entsprechenden landesrechtlichen Bestimmungen eine gesetzliche Grundlage darstellen,193 ist für die heutige Verwaltungspraxis nicht weiter von Belang.194 Soweit sich die Berichtspflicht nicht bereits aus der Gesellschaftssatzung ergibt, liegt der Gebietskörperschaft mit der regelmäßig genutzten Möglichkeit zum Abschluss einer rechtsgeschäftlichen Nebenabrede ein unkompliziertes Werkzeug zur Begründung einer rechtssicheren Berichtspflicht zur Hand.195 bb) Satzungsrechtliche Berichtspflicht Der Satzungsbegriff des § 394 S. 3 AktG entspricht ausweislich der Gesetzesbegründung dem gesellschaftsrechtlichen Satzungsbegriff und umfasst nicht etwa tergabe von vertraulichen Informationen im Rahmen der §§ 394, 395 AktG, AG 2012, 529 (530 f.). 188 Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 125; Oetker, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 394 Rn. 18; vgl. auch die Begr. RegE v. 18. 03. 2015, BT-Drs. 18/4349, S. 33, die von „Gesetz“ und „Rechtsverordnung“ spricht. 189 Etwa § 115 Abs. 1 S. 1 u. 2 SaarlKSVG; § 113 Abs. 5 S. 1 GO NRW; Art. 93 Abs. 2 S. 2 BayGO; s. hierzu Will, Informationszugriff auf AG-Aufsichtsratsmitglieder durch Gemeinden, VerwArch 2003, 248 (253 ff.). 190 Für Schleswig-Holstein in § 65 Abs. 5 LHO SH, für Hamburg in § 65 Abs. 6 LHO HH. 191 Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 127. 192 Oetker, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 394 Rn. 18 fordert, dass sich die Berichtspflicht auf die Aufhebung der Verschwiegenheitspflicht beziehen muss; ähnlich restriktiv Mann, Die Aufhebung der Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern einer kommunalen GmbH, in: FS Tettinger, 2007, 295 (304 f.). 193 So etwa Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 24; Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 11; Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 394 Rn. 40; Schmidt-Aßmann/Ulmer, Die Berichterstattung von Aufsichtsratsmitgliedern einer Gebietskörperschaft nach § 394 AktG, BB 1988, Beilage 13, S. 8. 194 Zur Sache sogleich im Zusammenhang mit der rechtsgeschäftlich begründeten Berichtspflicht unter C.III.2.c)cc). 195 Oetker, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 394 Rn. 18; Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 127;
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auch kommunale Satzungen.196 Auf eine satzungsrechtliche Berichtspflicht kann sich ein Repräsentant der Gebietskörperschaft im Aufsichtsrat des öffentlichen Unternehmens nur berufen, soweit die betreffende Satzungsbestimmung im Zeitpunkt der Informationsweitergabe in Kraft stand.197 Unerheblich ist insoweit, ob die Satzungsbestimmung mit der Errichtung der Gesellschaft oder nachträglich durch die Änderung der Satzung eingefügt worden ist, soweit die Bestimmung selbst keine davon abweichende Regelung enthält.198 Durch die Satzung lässt sich ferner der Umfang der Berichtspflicht konkretisieren, nicht jedoch erweitern.199 cc) Rechtsgeschäftliche Berichtspflicht In der Verwaltungspraxis bereits seit längerem gelebt und nunmehr auch gesetzlich klargestellt werden der Möglichkeit zur rechtsgeschäftlich begründbaren Berichtspflicht heute vorwiegend Vorteile für die Gebietskörperschaft sowie die Gesellschaft entnommen. Demnach erlaubt die Alternative der rechtsgeschäftlichen Vereinbarung einer Berichtspflicht unabhängig von beruflichen bzw. beamtenrechtlichen Positionen die Berufung der nach ihrer individuellen Fachkenntnis am besten geeigneten Person zur Repräsentantin der Gebietskörperschaft.200 Der Zweck und Umfang der Berichtspflicht wird dadurch nicht vollständig zur Disposition der am Rechtsgeschäft beteiligten, der Gebietskörperschaft und des designierten Aufsichtsratsmitglieds,201 gestellt.202 Einer Gefährdung des Gleichlaufs der Gesellschaftsinteressen an der Vertraulichkeit von Gesellschaftsgeheimnissen einerseits und des Informationsinteresses der öffentlichen Hand andererseits stehen die Schranken der §§ 394, 395 AktG ungeachtet des Rechtsgrunds der Berichtspflicht gleichermaßen entgegen. An das Tatbestandsmerkmal der rechtsgeschäftlich vereinbarten Berichtspflicht sind keine hohen Anforderungen zu stellen, sodass grundsätzlich jede Vereinbarung zwischen der Gebietskörperschaft und dem Aufsichtsratsmitglied eine Berichts196
Vgl. Begr. RegE v. 18. 03. 2015, BT-Drucks. 18/4349, S. 33 („Gesellschaftssatzung“); Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 129. 197 Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 132. 198 Näher Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 132. 199 S. hierzu sogleich unter C.III.3.b) Zu den Vorteilen einer satzungsrechtlichen Begründung der Berichtspflicht Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 130. 200 Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 22; Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 394 Rn. 37; kritisch ggü. der rechtsgeschäftlich begründeten Berichtspflicht Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 134; Oetker, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 394 Rn. 17 f. 201 Einer Beteiligung der Gesellschaft am Rechtsgeschäft bedarf es nicht, Vereinbarungen zwischen einzelnen Dritten und dem Aufsichtsratsmitglied sind allerdings nicht ausreichend, Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 135; Schockenhoff, in: Goette/ Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 26. 202 Kritisch Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 134.
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pflicht i. S. d. Informationsprivilegs begründen kann.203 Davon umfasst sind auch Berichtspflichten kraft kommunaler Satzung.204 Im Gleichlauf damit wird auch jede allgemeine objektiv-rechtliche Pflicht als hinreichende gesetzliche Grundlage einer Berichtspflicht i. S. d. § 394 S. 3 AktG anerkannt.205 Konsequenterweise muss daher im öffentlich-rechtlichen Sonderverhältnis auch eine beamtenrechtliche Weisungsbindung nach landesrechtlichen Bestimmungen oder § 35 S. 2 BeamtStG bzw. § 62 Abs. 1 S. 2 BBG genügen, um den Repräsentanten der Gebietskörperschaft im Aufsichtsrat des öffentlichen Unternehmens einer Berichtspflicht zu unterwerfen.206 Die weisungsbezogen auf eine gesetzliche Grundlage zurückzuführende Berichtspflicht setzt im Einzelfall eine entsprechende Anordnung der Vorgesetzten voraus, deren Wirksamkeit – wie im Fall der rechtsgeschäftlich begründeten Berichtspflicht – von den allgemeinen zivil-, dienst- und beamtenrechtlichen Bestimmungen abhängt.207 Dass dadurch die Unabhängigkeit des Repräsentanten der Gebietskörperschaft im Aufsichtsrat eingeschränkt wird, sieht § 394 AktG nur hinsichtlich der Berichtspflicht vor. Hieraus erlaubt sich gerade kein Umkehrschluss auf die ansonsten unabhängig zu erbringende Aufsichtsarbeit im engeren Sinn, da sich insoweit gegenüber den anderen Möglichkeiten zur Begründung einer Berichtspflicht kein Nachteil für den Aufsichtsrat, die Gesellschaft oder die Funktionalität der zweigliedrigen Verwaltungsstruktur im Ganzen ergibt.208 Zum Ausgleich des weit gefassten Tatbestands und zum Schutz der Gesellschaft stellt § 394 S. 3 AktG formelle Anforderungen an die rechtsgeschäftlich begründete Berichtspflicht.209 Danach bedarf das Rechtsgeschäft der Textform nach 203 Begr. RegE v. 18. 03. 2015, BT-Drs. 18/4349, S. 33: „Der neue § 394 Satz 3 AktG-E spricht ganz allgemein von ,Rechtsgeschäft‘, um alle denkbaren Varianten abzudecken.“ 204 Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 394 Rn. 38; Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 22. 205 Einer spezial-gesetzlichen Grundlage bedarf es gerade nicht, vgl. zur ganz überwiegenden Ansicht Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 10 m. w. N.; noch zur Rechtslage vor der Aktienrechtsnovelle mit a. A. Will, Informationszugriff auf AG-Aufsichtsratsmitglieder durch Gemeinden, VerwArch 2003, 248 (252). 206 Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 11; Lutter/ Grunewald, Öffentliches Haushaltsrecht und privates Gesellschaftsrecht, WM 1984, 385 (397); Schockenhoff, Geheimnisschutz bei Aktiengesellschaften mit Beteiligung der öffentlichen Hand, NZG 2018, 521 (526); ders., in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 24; Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 394 Rn. 40; Will, Informationszugriff auf AG-Aufsichtsratsmitglieder durch Gemeinden, VerwArch 2003, 248 (252). 207 Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 26. 208 Vgl. hierzu noch Kropff, in: Kropff/Altmeppen/Semler, MüKo AktG Bd. 9/2, 2. Aufl. 2006, § 395 Rn. 31 (Fn. 72). 209 Hierdurch soll gewährleistet bleiben, dass die Funktion des Repräsentanten der Gebietskörperschaft im Aufsichtsrat sichtbar gemacht wird, vgl. hierzu die Forderungen des DAVHandelsrechtsausschusses im Vorfeld der gescheiterten Aktienrechtsnovelle 2012, Stellungnahme des DAV zum Regierungsentwurf der Aktienrechtsnovelle 2012, NZG 2012, 380 (383); in diesem Sinne sodann die BeschlEmpf des RechtsA v. 11. 11. 2015, BT-Drs. 18/6681, S. 12; dazu Stellungnahme des DAV zum Referentenentwurf „Aktienrechtsnovelle 2014“, NZG 2014, 863 (865).
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C. Öffnung der aktienrechtlichen Schweigepflicht
§ 126b BGB und ist dem Aufsichtsratsvorsitzenden weiterzuleiten.210 Eine formwidrig auferlegte Berichtspflicht ist aus Gründen der Transparenz, Nachweisbarkeit und Rechtssicherheit für alle Beteiligten nach § 125 S. 1 BGB nichtig.211 Aus demselben Schutzgedanken ist im Fall der beamtenrechtlichen Weisung auch das berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglied kraft seiner organschaftlichen Treue- und Sorgfaltspflicht zur Offenlegung der Anordnung gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden bzw. dessen Stellvertretung verpflichtet.212 Während die Bindung der rechtsgeschäftlich begründeten Berichtspflicht erst mit der Mitteilung an den Aufsichtsrat auflebt und erst ab diesem Zeitpunkt die Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats einschränkt,213 sieht § 394 S. 3 AktG entsprechendes für die auf die gesetzlichen Bestimmungen zum beamtenrechtlichen Sonderverhältnis zurückreichende Weisung als Rechtsgrund der Berichtspflicht nicht vor.214 Den Nachteil dieses Regelungsdefizits trägt das berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglied, das seinerseits der Gesellschaft zur Offenlegung verpflichtet bleibt und sich insoweit nicht durch einen Verweis auf das Verhalten der Gebietskörperschaft der eigenen organschaftlichen Pflichtenbindung entziehen kann. Der Gesetzgeber nimmt die aus dem jeweiligen Rechtsgrund der Berichtspflicht resultierende Ungleichheit in der Folge ausweislich des weit formulierten Tatbestands des § 394 S. 3 AktG in Kauf. Der Gesellschaft erwächst daraus auch kein Nachteil, weshalb einer restriktiven Interpretation der Norm aus Gesichtspunkten einer defizitären Transparenz aufseiten der Gesellschaft im Fall der weisungsgebundenen Berichterstattung des Aufsichtsratsmitglieds die Grundlage entzogen wird.215 Mit der Anzeigepflicht gegenüber der Gesellschaft konkretisiert sich die 210
Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 10. Belcke/Mehrhoff, Aktienrechtsnovelle 2016, GmbHR 2016, 576 (579); Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 143; Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 26; nach a. A. soll das Formerfordernis „lediglich als aus Praktikabilitätsgründen naheliegende Empfehlung, nicht aber als zwingende Vorgabe“ zu verstehen sein, Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 394 Rn. 38; ders., Aktienrechtsnovelle 2016, Board 2016, 251 (254); Paschos/Goslar, Die Aktienrechtsnovelle 2016, NJW 2016, 359 (364). 212 Schürnbrand, Verschwiegenheitspflicht versus Informationsprivileg, Board 2014, 225 (227), womit der Verpflichtung, die gegenüber dem Gesamtorgan Aufsichtsrat besteht, nachgekommen wird. 213 Vgl. zum Mitteilungserfordernis und dem hin und her im Gesetzgebungsverfahren Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 394 Rn. 38 m. w. N.; vgl. auch Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 10; Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 144. 214 Einer nach Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 28 tendenziell zu begrüßenden Rechtsfortbildung im Sinne einer Gleichstellung der weisungsgebundenen und kraft Rechtsgeschäfts auferlegten Berichtspflicht hinsichtlich des Mitteilungserfordernisses steht der insoweit eindeutige Gesetzeswortlaut entgegen. 215 Letztlich beschränkt sich die Kritik der Vertreter einer restriktiven Auslegung seit der Einfügung des § 394 S. 3 AktG auf ein vermeintlich auftretendes Transparenzdefizit aufseiten der Gesellschaft, welches allein im Fall der Anerkennung einer allgemeinen gesetzlichen 211
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ohnehin bestehende organschaftliche Treue- und Sorgfaltspflicht des Repräsentanten der Gebietskörperschaft im Aufsichtsrat zur Berücksichtigung der Gesellschaftsinteressen und besorgt den Letztgenenannten im Verhältnis zum Informationsinteresse der Gebietskörperschaft denselben Ausgleich, der im Fall der rechtsgeschäftlichen Berichtspflicht durch die formellen Anforderungen des § 394 S. 3 AktG gewährleistet wird.
3. Inhaltlicher Umfang und Grenzen der Berichtspflicht Liegen die Anwendungsvoraussetzungen des § 394 S. 1 AktG vor, ist das berichtspflichtige und auf Veranlassung einer beteiligten Gebietskörperschaft in den Aufsichtsrat des öffentlichen Unternehmens gewählt oder entsandt worden, erweitert das Informationsprivileg den Kreis der berechtigten Geheimnisempfänger im Allgemeinen auf die Gebietskörperschaft. Von der Bereichsausnahme nach § 394 S. 1 AktG können im Grundsatz alle Gesellschaftsinformationen umfasst sein, die auch in den sachlichen Anwendungsbereich der Schweigepflicht des Aufsichtsratsmitglieds aus §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 3 AktG fallen.216 Neben den vertraulichen Angaben und Geheimnissen der Gesellschaft sind auch die in § 116 S. 2 AktG hervorgehobenen vertraulichen Berichte und vertraulichen Beratungen umfasst. a) Grenzen des § 394 S. 2 AktG Die Lockerung der Schweigepflicht des berichtspflichtigen Aufsichtsratsmitglieds im Verhältnis zur Gebietskörperschaft wird durch § 394 S. 2 AktG beschränkt. Damit stellt der Gesetzgeber klar, was schon mit dem in § 394 S. 1 AktG hergestellten Kausalzusammenhang der partiellen Entlassung aus der Schweigepflicht „hinsichtlich der Berichte“, die der Gebietskörperschaft zu erstatten sind, angelegt ist: Kommt den grundsätzlich vertraulichen Gesellschaftsinformationen für die Zwecke des Berichts keine Bedeutung zu, besteht die Vertraulichkeitspflicht fort.217 Der Zweckmäßigkeitsvorbehalt schließt inhaltlich an den Normzweck des Informationsprivilegs an.218 Insoweit kann beim Fehlen eines legitimen Informationsbedürfnisses der öffentlichen Hand auch kein Konflikt zwischen den Interessen der Gebietskörperschaft und dem Interesse der Gesellschaft an der Integrität und VerBestimmung als hinreichende gesetzliche Grundlage einer Berichtspflicht auftreten würde, vgl. Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 127. 216 Rachlitz, in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl. 2020, § 395 Rn. 27; Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 12; Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 394 Rn. 44. Zum sachlichen Anwendungsbereich der aktienrechtlichen Schweigepflicht s. o. unter B.II.2. 217 Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 31. 218 Schmidt-Aßmann/Ulmer, Die Berichterstattung von Aufsichtsratsmitgliedern einer Gebietskörperschaft nach § 394 AktG, BB 1988, Beilage 13, S. 9.
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C. Öffnung der aktienrechtlichen Schweigepflicht
traulichkeit ihrer Geheimnisse entstehen.219 Die Weitergabe oder Offenbarung von Geheimnissen und vertraulichen Angaben der Gesellschaft, die nicht von der Berichtspflicht des hoheitlichen Vertreters im Aufsichtsrat umfasst werden, ist treu-, sorgfalts- und pflichtwidrig. Anerkannte Berichtszwecke liegen der ratio legis der §§ 394, 395 AktG entsprechend in der haushaltsrechtlichen Beteiligungsverwaltung sowie der Betätigungsprüfung i. S. d. § 44 HGrG und § 92 BHO begründet.220 Über ihre Tätigkeit als Gesellschafterin hinaus umfasst die Betätigungsprüfung ausweislich des Wortlauts von § 44 HGrG (Betätigung „bei“ statt „in“ Unternehmen) alle Tätigkeiten des öffentlichen Unternehmens mit Bezug zur Beteiligung der Gebietskörperschaft221, indes auch das Handeln ihrer Repräsentanten im Aufsichtsrat.222 Im allgemeinen beschreiben die Autoren Schmidt-Aßmann und Ulmer den gegenständlichen Anwendungsbereich des Informationsprivilegs als Summe aller Informationen, die für die sachgerechte Verwaltung des Beteiligungsbesitzes unter Berücksichtigung der „Möglichkeiten planender und auf die Unternehmensziele einwirkender Tätigkeiten“ erforderlich sind.223 Dazu gehören etwa Informationen die Wirtschaftsplanung und die Einwirkung auf die Unternehmensleitung im Rahmen des anwendbaren Organisationsrechts betreffend,224 Informationen im Zusammenhang mit der Entlastung von Organträgern225 sowie etwaiger Haftungsrisiken226. Das Erfordernis der Zweckgebundenheit der Unternehmensinformationen steht einer darüber hinaus konkretisierenden Begrenzung zulässiger Berichtsgegenstände entgegen,227 weshalb vereinzelte Stimmen nach einer einschränkenden Lesart des Informationsprivilegs verlangen. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen dem Geltungsbereich und der Anwendbarkeit des Informationsprivilegs einerseits und 219
Ähnlich Oetker, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 394 Rn. 28. Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, Vor § 394 Rn. 100; zu den Regelungszwecken des Informationsprivilegs der §§ 394, 395 AktG bereits oben unter C.III.1. 221 Zu den möglichen Anknüpfungspunkten Breitenbach, in: Wurzel/Schraml/Gaß, Rechtspraxis der kommunalen Unternehmen, 4. Aufl. 2021, Kap. E Rn. 240. 222 Ausführlich Huber/Fröhlich, in: Hopt/Wiedemann, AktG Großkomm, 4. Aufl. 2014, Anh §§ 53, 54 HGrG Rn. 33; zuvor bereits Kropff, Aktienrechtlicher Geheimnisschutz bei Beteiligung von Gebietskörperschaften, in: FS Hefermehl 1976, 327 (338). 223 Schmidt-Aßmann/Ulmer, Die Berichterstattung von Aufsichtsratsmitgliedern einer Gebietskörperschaft nach § 394 AktG, BB 1988, Beilage 13, S. 9; zust. Schall, in: Spindler/ Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 13; Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 32. 224 Schmidt-Aßmann/Ulmer, Die Berichterstattung von Aufsichtsratsmitgliedern einer Gebietskörperschaft nach § 394 AktG, BB 1988, Beilage 13, S. 6. 225 Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 32. 226 Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 13. 227 Mit dem Hinweis auf die Gefahr einer „ausufernden“ Geschäftsführungsprüfung aber ohne Versuch dem entgegenzuwirken Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, Vor § 394 Rn. 101. 220
III. Das hoheitliche Informationsprivileg de lege lata
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dem gegenständlichen Umfang der Berichtspflicht andererseits. Während Martens die Anwendbarkeit der §§ 394, 395 AktG vor dem „haushaltsrechtlichen Hintergrund“ der Bestimmungen teleologisch auf Fälle der eigenen Beteiligung der Gebietskörperschaft beschränken möchte,228 sympathisiert Kersting unter Berufung darauf mit einer „auf das zur Befriedigung des (…) Informationsbedarfs der öffentlichen Hand erforderliche Maß“ begrenzten „restriktiven Auslegung“229 der Bestimmungen. Dass die Anwendbarkeit der §§ 394, 395 AktG eine Beteiligung der Gebietskörperschaft an der betreffenden Gesellschaft voraussetzt, ist heute allgemein anerkannt.230 Die von Kersting angedachte Verhältnismäßigkeitsprüfung im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Informationsweitergabe unterscheidet sich in der Anwendung inhaltlich nicht von dem Erfordernis der Zweckbindung. Eine weitergehende Einschränkung des Anwendungsbereichs oder inhaltlichen Umfangs zeigt sich aus dem Wortlaut sowie Sinn und Zweck des Informationsprivilegs nicht an.231 Für den Umfang der Berichtspflicht ist auch die Form der Berichterstattung unerheblich, die schriftlich oder mündlich und nach ganz überwiegender Ansicht auch durch die Vorlage vertraulicher Dokumente erfolgen kann.232 Entscheidend bleibt aber der Zweckmäßigkeitsvorbehalt des § 394 S. 2 AktG, der auch hinsichtlich der Vorlage vertraulicher Dokumente zu beachten ist.233 Letztlich nimmt die Anzahl von Repräsentanten im Aufsichtsrat eines öffentlichen Unternehmens keinen Einfluss auf die Berichtspflicht jedes Einzelnen. Eine Mehrzahl berichtspflichtiger Aufsichtsratsmitglieder desselben öffentlichen Unternehmens vergrößert nicht die Gefahr des ungewollten Abflusses von Gesellschaftsgeheimnissen an Dritte im Vergleich zum Aufsichtsrat, dem lediglich ein Repräsentant einer beteiligten Gebietskörperschaft angehört. Die Gefahrenlage ist der realtypische Hintergrund der aktienrechtlichen Schweigepflicht des Aufsichts228 Vgl. Martens, Privilegiertes Informationsverhalten von Aufsichtsratsmitgliedern einer Gebietskörperschaft nach § 394 AktG, AG 1984, 29 (30 f.). 229 Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 5. 230 S. hierzu bereits oben unter C.III.2. 231 Mit anderer Begründung aber i. E. ähnlich Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 165, wonach rechtsgeschäftliche Berichtspflichten die gesetzgeberisch gesetzten Grenzen den Umfang der Berichterstattung betreffend nicht verschieben können sollten, sondern lediglich den Anwendungsbereich des § 394 AktG erweitern solle. 232 Eingehend Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 34; Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 16; Oetker, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 394 Rn. 30; Müller-Michaels, in: Hölters/ Weber, AktG, 4. Aufl. 2022, § 394 Rn. 28; Eibelshäuser, Anteilseignerinformation und Verschwiegenheitspflicht, in: Neues öffentliches Rechnungswesen, 2000, 693 (709); Zavelberg, Die Prüfung der Betätigung des Bundes bei Unternehmen durch den Bundesrechnungshof, in: FS Forster, 1992, 724 (732); a. A. Martens, Privilegiertes Informationsverhalten von Aufsichtsratsmitgliedern einer Gebietskörperschaft nach § 394 AktG, AG 1984, 29 (36 ff.), unter Berufung auf einen Umkehrschluss zum Wortlaut des § 394 AktG. 233 Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 16.
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rats, der auch die §§ 394, 395 AktG gerecht werden. Der Kreis berechtigter Berichtsempfänger hängt nicht von der Anzahl berichterstattungspflichtiger Aufsichtsratsmitglieder ab. Stattdessen sichert eine Mehrzahl berichtspflichtiger Mitglieder im Aufsichtsrat die Befriedigung des nach §§ 394, 395 AktG legitimierten Informationsbedürfnisses der Gebietskörperschaft ab, etwa im Fall der Erkrankung eines Repräsentanten. b) Sonstige Grenzen Die verschiedenen Rechtsgrundlagen der Berichtspflichten stehen ausweislich des Wortlauts des § 394 S. 3 AktG nach der Vorstellung des Gesetzgebers im Verhältnis zueinander auf derselben Stufe.234 Nach welchen Grenzen ein berichtspflichtiges Mitglied des Aufsichtsrats sein Auskunftsverhalten ausrichten muss, ist im Fall multipler Berichtspflichten unterschiedlichen Gehalts unklar. Damit wird die Frage aufgeworfen, welche Regelungen unterschiedlicher Berichtspflichten sich im Verhältnis untereinander durchsetzen. Umgekehrt steht infrage, an welche Grenzen die Gesetzgebung von Bund oder Land, die Gesellschafter bei Errichtung der Satzung oder die Gebietskörperschaft und das Aufsichtsratsmitglied beim Abschluss eines Rechtsgeschäfts i. S. d. § 394 S. 3 AktG gebunden sind. Für die Beurteilung der zwingenden Grenzen des Umfangs der Berichtspflicht im Einzelnen sind neben der Rechtsnatur der Berichtspflicht den inhaltlichen Umfang betreffende und personelle Aspekte zu unterscheiden.235 aa) Zwingende und universelle äußere Grenzen Bei der inhaltlichen Ausgestaltung einer zu begründenden Berichtspflicht sind unabhängig von ihrer Rechtsnatur die funktionserhaltenden Grenzen des § 394 AktG zwingend. Eine Ausweitung der Berichtspflicht auf Informationen außerhalb des indisponiblen Zweckmäßigkeitsvorbehalts des § 394 S. 2 AktG ist damit nicht möglich. Dasselbe gilt für die Definition der Berichtszwecke, die nicht zur freien Disposition steht und durch die „funktionale Zweckbindung“236 des Informationsprivilegs an die Aufgaben der Gebietskörperschaft anknüpft.237 Insoweit hat der Bundesgesetzgeber von seiner Gestaltungsmacht abschließend Gebrauch gemacht und dem Geheimhaltungsinteresse der Gesellschaft ein indisponibles Mindestschutzniveau zugesprochen, das dem System der aktienrechtlichen Schweigepflicht bei gleichzeitiger Öffnung der Aktiengesellschaft für öffentliche Unternehmen ausgleichende Berechtigung verschafft. Eine darüberhinausgehend die Berichts234
Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 29. Nach Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 155 ff. 236 Oetker, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 394 Rn. 28. 237 Vgl. Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 138. Zu den anerkannten Berichtszwecken bereits oben unter C.III.3.a). 235
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pflicht erweiternde Satzungsbestimmung ist wegen Verstoßes gegen § 23 Abs. 5 AktG nichtig. Eine gesetzliche Berichtspflicht auf Landesebene, die die Schranken des § 394 S. 2 AktG missachtet, ist nach Art. 31 GG nichtig und kann für die Informationsweitergabe des Repräsentanten an die Gebietskörperschaft nicht zur Grundlage gemacht werden. Eine rechtsgeschäftliche Berichtspflicht, die dem unveräußerlichen Kerngehalt des § 394 S. 2 AktG widerspricht, entzieht sich dem Gestaltungsraum der Vertragspartner und läuft ins Leere. Eine gleichsam erfolgte und Gesellschaftsgeheimnisse umfassende Berichterstattung an die Gebietskörperschaft wird dann nicht durch § 394 S. 1 AktG privilegiert und begründet einen Verstoß gegen die aktienrechtliche Schweigepflicht aus §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 3 AktG, der im Schadensfall die Haftung des berichterstattenden Aufsichtsratsmitglieds und nach § 117 Abs. 1 AktG die Haftung der Gebietskörperschaft begründen kann.238 Innerhalb des gesteckten Rahmens verbleiben dem Gesetzgeber, der Gesellschaft und der Gebietskörperschaft in Absprache mit dem Aufsichtsratsmitglied Möglichkeiten zur näheren Ausgestaltung der Berichtspflicht. Aufziehende Fragestellungen zum Rangverhältnis unterschiedlicher Berichtspflichten lassen sich unter Würdigung der aktienrechtlichen Schweigepflicht im Wechselspiel mit dem Informationsprivileg der öffentlichen Hand und anerkannter Rechtsgrundsätze lösen.239 Die Ausgangssituation beschreibt jeweils das Bestehen einer restriktiven Berichtspflicht kraft Gesetzes (bb)), kraft Satzungsregelung (cc)) bzw. kraft Rechtsgeschäft und widmet sich der Frage, ob eine zweite, parallel bestehende Berichtspflicht eine inhaltlich, ggf. personenbezogen darüberhinausgehende Berichterstattung legitimiert. Die gewonnenen Erkenntnisse geben gleichzeitig Aufschluss über die jeweils entgegengesetzte Fragestellung einer möglichen Einschränkung einer gesetzlichen, satzungsrechtlichen oder rechtsgeschäftlichen Berichtspflicht durch eine zweite Berichtspflicht ungleicher Rechtsnatur. bb) Grenzen gesetzlich begründeter Berichtspflichten Eine inhaltlich begrenzte gesetzliche Berichtspflicht vermag innerhalb der indisponiblen Grenzen des § 394 S. 2 AktG durch Satzungsbestimmung wirksam erweitert werden zu können. Wie weit eine Berichtspflicht gleich welcher Rechtsgrundlage greifen darf, hat der Gesetzgeber in § 394 S. S AktG bestimmt und nur insoweit reicht auch seine Abwägungsentscheidung zwischen dem Geheimhaltungsinteresse der Gesellschaft und dem Informationsinteresse der Gebietskörperschaft. Kersting stellt zutreffend fest, dass eine die beschränkte gesetzliche Berichtspflicht erweiternde Satzungsregelung von den Trägern der betroffenen Inter238
Näher zur Haftung der Gebietskörperschaft Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 141. 239 Auch Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 155 ff. greift in Ermangelung anderweitiger Erkenntnisquellen auf Grundsatzgedanken zurück.
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essen getroffen wird, die insoweit über die Rückstellung der eigenen Belange auch selbst verfügen können sollen.240 Eine andere Bewertung soll sich aus derselben Erwägung für die erweiternde rechtsgeschäftliche Berichtspflicht ergeben. Die am Rechtsgeschäft Beteiligten, die Gebietskörperschaft und das Aufsichtsratsmitglied, sollen eine das Gesellschaftsinteresse beeinträchtigende Abrede nicht entgegen einer restriktiveren und das Interesse der Gesellschaft stärkenden gesetzlichen Regelung treffen können.241 Dem ist jedoch für den Fall, dass die restriktive gesetzliche Berichtspflicht dem Landesrecht angehört, zu widersprechen. Die Abwägungsentscheidung des Bundesgesetzgebers zeigt in § 394 S. 2 AktG das Mindestschutzniveau für das Gesellschaftsinteresse auf.242 Weichen demgegenüber landesrechtliche Berichtspflichten durch einen begrenzten inhaltlichen Umfang oder begrenzten personellen Anwendungsbereich zugunsten der Gesellschaft vom Normalbild des § 394 S. 2 AktG ab, steht der Gebietskörperschaft nach der Wertung des § 394 S. 3 AktG offen, durch Rechtsgeschäft mit dem Aufsichtsratsmitglied einen Zustand zu besorgen, der die Berichtspflicht im Verhältnis zur landesrechtlichen Bestimmung erweitert und das Gesellschaftsinteresse zumindest nach Maßgabe des Zweckmäßigkeitsvorbehalts gem. § 394 S. 2 AktG entsprechend berücksichtigt.243 Das ergibt sich unmittelbar aus der Gleichstellung der unterschiedlichen Rechtsgrundlagen für Berichtspflichten des Aufsichtsratsmitglieds in § 394 S. 3 AktG und in Ansehung der damit verbundenen Interessenabwägung des Bundesgesetzgebers nach § 394 S. 2 AktG. cc) Grenzen der Berichtspflichten kraft Satzungsregelung Eine beschränkte Berichtspflicht kraft Gesellschaftssatzung244 soll gegenüber einer weiter gefassten gesetzlich begründeten Berichtspflicht zurücktreten, was daher rühre, „dass die Gestaltungsmacht des Gesetzgebers nicht durch Regelungen in einer Gesellschaftssatzung eingeschränkt werden kann“245. Dem ist jedoch entge240
Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 157. Vgl. Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 157, wonach eine Ausweitung des Kreises berichtspflichtiger Personen durch die Aufnahme von Beamten der Gebietskörperschaft (keine Angestellte oder Dritte) durch Rechtsgeschäft möglich sein soll, nicht jedoch eine inhaltliche Ausweitung der Berichtspflicht. 242 Gebot der Zweckmäßigkeit als Rückausnahme von der Berichtspflicht zur Stärkung des Schutzes von Gesellschaftsgeheimnissen, vgl. hierzu auch Thode, Parlamentskontrolle und Geheimnisschutz bei öffentlichen Unternehmen, AG 1997, 547 (548), der von einem „Grundsatz-Ausnahme-Unterausnahme-System“ spricht. 243 Mit Verweis auf die Gleichrangigkeit der drei Rechtsgrundlagen Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 29. 244 Zu möglichen satzungsrechtlichen Beschränkungen der Berichtspflicht Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 131. 245 Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 155 u. 158, zumindest hinsichtlich der Gestaltungsmacht des Bundesgesetzgebers auch endgültig, nicht gänzlich verschlossen im Fall der landesrechtlich begründeten Berichtspflicht. 241
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genzuhalten, dass sich der Geltungsbereich der §§ 394, 395 AktG auf Gesellschaften beschränkt, an denen die öffentliche Hand beteiligt ist. Als Aktionärin ist die Gebietskörperschaft an die Bestimmungen der Satzung gebunden. Mit der Berufung auf eine weitergehende gesetzliche Berichtspflicht würde die Gebietskörperschaft entgegen ihrer satzungsrechtlichen Selbstverpflichtung handeln und dadurch ihre Treuepflicht als Gesellschafterin gegenüber der Gesellschaft verletzen. Insoweit verfängt auch das von Kersting vorgebrachte Argument nicht, dass eine Modifikation einer gesetzlichen Bestimmung durch „die einseitige Entscheidung eines Trägers der gegeneinander abgewogenen Interessen […] dem nicht gerecht würde“246. Die Satzung wird nicht von der Gesellschaft, sondern durch die Gesellschafter bestimmt und beschlossen, sodass auch in diesem Fall die Gebietskörperschaft als Gesellschafterin bei der Begründung einer restriktiven Berichtspflicht ihrer Repräsentanten im Aufsichtsrat über ihr eigenes Informationsinteresse verfügt. Auch hinsichtlich einer zwischen der Gebietskörperschaft und dem Aufsichtsratsmitglied durch Rechtsgeschäft begründeten Berichtspflicht gilt die Bindung an die Gesellschaftsatzung. Eine satzungswidrige Abrede stellt für beide Seiten einen Verstoß gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht dar, der zwar nicht die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts bedingt.247 Allerdings wird sich eine auf das Rechtsgeschäft gestützte Berichterstattung des Aufsichtsratsmitglieds an die Gebietskörperschaft als ggf. Schadensersatzansprüche auslösende Pflichtverletzung darstellen.248 dd) Grenzen rechtsgeschäftlich begründeter Berichtspflichten Eine restriktive rechtsgeschäftlich begründete Berichtspflicht privilegiert das Gesellschaftsinteresse am vertraulichen Umgang mit Geheimnissen und stellt das Interesse der Gebietskörperschaft an einer möglichst umfangreichen Berichterstattung entsprechend zurück. Hierbei handelt die vom Rechtsgeschäft betroffene Gebietskörperschaft als Interessenträgerin im Rahmen der ihr zugestanden Verfügungsmacht.249 Mit der Berufung auf eine weitereichende gesetzlich oder satzungsrechtlich begründete Berichtspflicht würde sich die Gebietskörperschaft entgegen ihrer Selbstverpflichtung widersprüchlich verhalten und vertragsbrüchig handeln.250
246 Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 155, wonach die Satzungsregelung bei weiterreichender gesetzlicher Berichtspflicht bedeutungslos würde. 247 Vgl. Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 29. 248 Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 160 hält eine gesetzgeberische Rückstellung vertraglich begründeter Berichtspflichten im Verhältnis zur Satzungsregelung für erforderlich. 249 Insoweit gilt dasselbe wie oben unter C.III.3.b)cc). 250 Ebenso Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 159.
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4. Berichtsadressaten Anders als den Geltungsbereich, die Anwendungsvoraussetzungen und den Umfang der Berichtspflicht betreffend, lässt sich weder dem Wortlaut, noch dem Gesetzeszweck des § 394 AktG eine Konkretisierung der Empfangszuständigkeit hinsichtlich der Aufsichtsratsberichte entnehmen.251 In § 394 S. 1 AktG wird lediglich abstrakt die Gebietskörperschaft zur Berichtsempfängerin ernannt.252 Eine Konkretisierung der Berichtsadressaten erfährt das Informationsprivileg nach allgemeiner Ansicht aus dem öffentlichen Organisationsrecht der Gebietskörperschaft, das teilweise zur primären Eingrenzung253 oder zur Konkretisierung eines zuvor über den Telos der §§ 394, 395 AktG ermittelten Kreises potenzieller Empfangsberechtigter254 herangezogen wird. Praktische Relevanz kommt dieser Unterscheidung nicht zu, weshalb hierauf nicht weiter einzugehen ist.255 Der maßgebliche Konsens bezieht sich auf das Erfordernis, die Berichtsadressaten auch unter Würdigung der Wertung des § 395 AktG zu bestimmen, dessen Funktion und Regelungsgehalt bei der Auslegung des § 394 S. 1 AktG zu berücksichtigen ist.256
251 A. A. Wilting, Weitergabe von vertraulichen Informationen im Rahmen der §§ 394, 395 AktG, AG 2012, 529 (533). 252 Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 37; Oetker, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 394 Rn. 31; Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395 Rn. 176. 253 Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 394 Rn. 42; Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 15; Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 37; Wilting, Weitergabe von vertraulichen Informationen im Rahmen der §§ 394, 395 AktG, AG 2012, 529 (533). 254 Oetker, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 394 Rn. 32; Land/Hallermayer, Weitergabe von vertraulichen Informationen durch auf Veranlassung von Gebietskörperschaften gewählte Mitglieder des Aufsichtsrats gem. §§ 394, 395 AktG, AG 2011, 114 (118); Schmidt-Aßmann/Ulmer, Die Berichterstattung von Aufsichtsratsmitgliedern einer Gebietskörperschaft nach § 394 AktG, BB 1988, Beilage 13, S. 9. 255 Dasselbe gilt für die rein sprachliche Unterscheidung hinsichtlich der Rechtsfolge des § 394 S. 1 AktG, die als Durchbrechung der aktienrechtlichen Schweigepflicht im Verhältnis zur Gebietskörperschaft oder als gesetzlich veranlasste Ausweitung des Empfängerkreises vertraulicher und geheimer Gesellschaftsinformationen bezeichnet werden kann; vgl. Kann, v./ Keiluweit, Verschwiegenheitspflichten kommunaler Aufsichtsratsmitglieder in privatrechtlich organisierten Gesellschaften, DB 2009, 2251 (2253); Oetker, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 394 Rn. 27; Weber-Rey/Buckel, Corporate Governance in Aufsichtsräten von öffentlichen Unternehmen, ZHR 2013, 13 (17 f.), wonach die Verschwiegenheitspflicht „nach oben verlagert“ wird. 256 Schmidt-Aßmann/Ulmer, Die Berichterstattung von Aufsichtsratsmitgliedern einer Gebietskörperschaft nach § 394 AktG, BB 1988, Beilage 13, S. 9; Oetker, in: Schmidt, K./ Lutter, AktG Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 394 Rn. 31; Land/Hallermayer, Weitergabe von vertraulichen Informationen durch auf Veranlassung von Gebietskörperschaften gewählte Mitglieder des Aufsichtsrats gem. §§ 394, 395 AktG, AG 2011, 114 (117); für eine auf den Wortlaut des § 394 S. 1 AktG beschränkte Auslegung einzig Wilting, Weitergabe von vertraulichen Informationen im Rahmen der §§ 394, 395 AktG, AG 2012, 529 (533).
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a) § 395 AktG als Korrelat des § 394 AktG Nach § 395 Abs. 1 HS. 1 AktG werden alle Personen, die mit Aufgaben im Zusammenhang mit der Beteiligung einer Gebietskörperschaft an einer Gesellschaft betraut sind, zur Verschwiegenheit über vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft verpflichtet, die ihnen aus Berichten nach § 394 AktG bekanntgeworden sind. Was bereits aus dem Wortlaut hervorgeht, erkennt auch die ganz überwiegende Ansicht in § 395 Abs. 1 AktG zutreffend, namentlich ein notwendiges Korrelat zu § 394 AktG, das einer andernfalls ins Leere laufenden Schweigepflicht des berichtspflichtigen Aufsichtsratsmitglieds die erforderlichen Grenzen setzt, ohne die der Schutz von vertraulichen Gesellschaftsinformationen infolge der Beteiligung der öffentlichen Hand dauerhaft gefährdet würde.257 Dem Ansatz der Autoren Schmidt-Aßmann und Ulmer folgend ist nach ganz überwiegender Ansicht der Adressatenkreis der Verschwiegenheitspflicht gem. § 395 Abs. 1 AktG identisch mit dem Kreis der nach § 394 S. 1 AktG berechtigten Berichtsempfänger.258 Davon angesprochen sind etwa Beamte, Minister und Verwaltungsangestellte der Beteiligungsverwaltung sowie der Rechnungsprüfungsämter, unabhängig von ihrer dienstlichen Stellung.259 Ausweislich der Entstehungsgeschichte des aktienrechtlichen Informationsprivilegs der öffentlichen Hand sollte mit § 394 S. 1 AktG keine Lücke in das System der Aufsichtsverschwiegenheit gerissen werden, sondern der öffentlichen Hand unter Anerkennung ihres Informationsinteresses Zugang zur Rechtsform der Aktiengesellschaft gewährt werden.260 Im Gegenzug sollte durch die Begründung einer Schweigepflicht für Berichtsempfänger nach § 395 AktG dem Gesellschaftsinteresse am Erhalt der Integrität vertraulicher Informationen ausgleichend Rechnung getragen werden.261 Zuerst haben SchmidtAßmann und Ulmer dem Zweckzusammenhang der §§ 394, 395 AktG das Erfor257 Stellvertretend für fast alle Rachlitz, in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl. 2020, § 395 Rn. 47; Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 395 Rn. 1; a. A. nur Wilting, Weitergabe von vertraulichen Informationen im Rahmen der §§ 394, 395 AktG, AG 2012, 529 (533), wonach § 395 AktG „lediglich als eine Norm zur Statuierung einer Verschwiegenheitspflicht“ ohne weitere Bedeutung für das Informationsprivileg der öffentlichen Hand aus § 394 AktG zu verstehen wäre. 258 Schmidt-Aßmann/Ulmer, Die Berichterstattung von Aufsichtsratsmitgliedern einer Gebietskörperschaft nach § 394 AktG, BB 1988, Beilage 13, S. 9; Rachlitz, in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl. 2020, § 395 Rn. 29; Oetker, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 394 Rn. 31 m. w. N.; a. A. Wilting, Weitergabe von vertraulichen Informationen im Rahmen der §§ 394, 395 AktG, AG 2012, 529 (533 f.). 259 Müller-Michaels, in: Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl. 2022, § 395 Rn. 1; Rachlitz, in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl. 2020, § 395 Rn. 29; Oetker, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 394 Rn. 32. 260 Schmidt-Aßmann/Ulmer, Die Berichterstattung von Aufsichtsratsmitgliedern einer Gebietskörperschaft nach § 394 AktG, BB 1988, Beilage 13, S. 6 u. 9. 261 Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 395 Rn. 1; Rachlitz, in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl. 2020, § 395 Rn. 47; Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 395 Rn 1.
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dernis entnommen, nach dem die Wahrung der Vertraulichkeit auch infolge der Berichterstattung gewährleistet sein muss.262 Obgleich seit ehedem der konzeptionellen Einordnung der Verschwiegenheitspflicht nach § 395 Abs. 1 AktG als Gegenstück zu § 394 S. 1 AktG ein allgemein einheitliches Verständnis zugrunde liegt, gehen die Ansichten in der Literatur über die konkret daraus erwachsenden Folgen für die Berichterstattung nach § 394 S. 1 AktG auseinander. Eine historisch starke Ansicht liest den Normzweck des § 395 AktG als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Informationsprivilegs in § 394 S. 1 AktG hinein und knüpft die Erlaubnis zur Berichterstattung an das Erfordernis der Wahrung anhaltender Vertraulichkeit, die infolge der Berichterstattung gewährleistet bleiben muss.263 Damit wird dem berichterstattungspflichtigen Aufsichtsratsmitglied die Verantwortung aufgebürdet, im Vorfeld der Berichterstattung abzusehen, ob die Informationsweitergabe an die Berichtsadressatin eine abstrakte Gefahr für die Vertraulichkeit des Berichtsgegenstands begründet. Als Entscheidungshilfe soll eine vergleichsweise Betrachtung mit der Vertraulichkeitsgewähr im Aufsichtsrat selbst dienen: Ein Anknüpfungspunkt soll etwa die Anzahl der Personen sein, die im Wege der Berichtserstattung des Aufsichtsratsmitglieds nach der konkreten Berichtspflicht und den Regeln des öffentlichen Organisationsrechts aufseiten der Gebietskörperschaft zu informieren sind.264 Eine zunehmende Größe des Empfängerkreises widerspreche danach der erforderlichen Annahme, dass die Gesellschaftsgeheimnisse
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Schmidt-Aßmann/Ulmer, Die Berichterstattung von Aufsichtsratsmitgliedern einer Gebietskörperschaft nach § 394 AktG, BB 1988, Beilage 13, S. 9. 263 Zuerst Schmidt-Aßmann/Ulmer, Die Berichterstattung von Aufsichtsratsmitgliedern einer Gebietskörperschaft nach § 394 AktG, BB 1988, Beilage 13, S. 9; zustimmend Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395, Rn. 177; Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 394 Rn. 42; Oetker, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 394 Rn. 32; Koch, Die hoheitlich beherrschte AG nach der Deutsche Bahn-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, ZHR 2019, 7 (24); Weber-Rey/Buckel, Corporate Governance in Aufsichtsräten von öffentlichen Unternehmen, ZHR 2013, 13 (17); Land/Hallermayer, Weitergabe von vertraulichen Informationen durch auf Veranlassung von Gebietskörperschaften gewählte Mitglieder des Aufsichtsrats gem. §§ 394, 395 AktG, AG 2011, 114 (118 f.); Kann, v./Keiluweit, Verschwiegenheitspflichten kommunaler Aufsichtsratsmitglieder in privatrechtlich organisierten Gesellschaften, DB 2009, 2251 (2253); Schwintowski, Verschwiegenheitspflicht für politisch legitimierte Mitglieder des Aufsichtsrats, NJW 1990, 1009 (1014); ähnlich aber für Parlamentsausschüsse anders Früchtl, in: Wachter, AktG, 4. Aufl. 2022, § 394 Rn. 12 f.; vgl. auch Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 38, 39 ff., wonach dem Erfordernis regelmäßig durch verfahrenstechnische Maßnahmen entsprochen werden kann. 264 Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395, Rn. 179; Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 394 Rn. 42; Oetker, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 394 Rn. 32; früher auch Schürnbrand, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 4. Aufl. 2017, § 394 Rn. 37; jetzt offener Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 39 ff.; zur Berichterstattung an kommunale Kollektivorgane Möller, Die rechtliche Stellung und Funktion des Aufsichtsrats in öffentlichen Unternehmen der Kommunen, 1999, S. 160.
III. Das hoheitliche Informationsprivileg de lege lata
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infolge der Berichterstattung in einer von §§ 93 Abs. 1 S. 3, 116, 395 AktG bezweckten Weise geschützt werden. b) Parlamente und kommunale Kollektivorgane Nach diesem denkbar restriktivsten Verständnis vom Regelungsgehalt der §§ 394, 395 AktG der vormals überwiegenden Ansicht kommt eine Berichterstattung an Parlamente, Gemeinde- und Stadträte, bzw. dementsprechende kommunale Kollektivorgane nicht infrage.265 Das berichterstattungspflichtige Aufsichtsratsmitglied könne in diesem Fall keine Gewähr für die Integrität und Vertraulichkeit der Berichte übernehmen, vielmehr würde eine faktische Veröffentlichung von Gesellschaftsgeheimnissen drohen. Das soll ungeachtet der Tatsache gelten, dass die Mitglieder des Gremiums, das zur Berichtsadressatin ernannt wurde, nach § 395 AktG zur Verschwiegenheit verpflichtet sind.266 Sinngemäß setze § 394 S. 1 AktG die Verschwiegenheitspflicht der Berichtsadressatin zwar voraus, sie stünde der zusätzlich geforderten Vertraulichkeitsgewähr aber nicht gleich. Solange die Wahrung der Schweigepflicht nicht auch tatsächlich gesichert sei, dürfe eine Auskunft auf der Grundlage des § 394 S. 1 AktG nicht erfolgen. Mit dem Verweis auf den Geltungsvorrang des Bundesrechts vor Landesrecht nach Art. 31 GG sollen deshalb Berichtspflichten aus den Gemeindeordnungen der Länder nichtig sein, sofern Sie die unmittelbare Berichterstattung an den Stadt- oder Gemeinderat vorsehen.267 Die Gegenansicht erkennt darin eine ungerechtfertigte Überlagerung des öffentlichen Rechts durch das Gesellschaftsrecht sowie einen Verstoß gegen das Gebot zur Herstellung praktischer Konkordanz.268 Der Tatbestand des § 394 S. 1 AktG sei auch unter der Wertung des § 395 AktG nicht derart stark einzuschränken, dass er die verfassungsrechtlichen (Ingerenz-)Bindungen der öffentlichen Hand aussperren könnte.269 Die von der Gegenansicht durch Auslegung ermittelte Verschärfung der 265 So bspw. die Berichtspflichten aus § 113 Abs. 5 S. 1 GO NRW; weitere bei Will, Informationszugriff auf AG-Aufsichtsratsmitglieder durch Gemeinden, VerwArch 2003, 248 (253 ff.). 266 Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 394 Rn. 43. 267 Oetker, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 394 Rn. 32 m. w. N.; Kann, v./Keiluweit, Verschwiegenheitspflichten kommunaler Aufsichtsratsmitglieder in privatrechtlich organisierten Gesellschaften, DB 2009, 2251 (2253), m. V. a. „ausreichende Informationsrechte der Gemeinde“ bei Nutzung einer GmbH. 268 Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 15; nunmehr auch Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 43; Rachlitz, in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl. 2020, § 395 Rn. 30; Land/Hallermayer, Weitergabe von vertraulichen Informationen durch auf Veranlassung von Gebietskörperschaften gewählte Mitglieder des Aufsichtsrats gem. §§ 394, 395 AktG, AG 2011, 114 (119). 269 Vgl. die insoweit kompatiblen Mehrheitsansichten in der gesellschaftsrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Literatur bei Koch, Die hoheitlich beherrschte AG nach der Deutsche Bahn-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, ZHR 2019, 7 (16).
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C. Öffnung der aktienrechtlichen Schweigepflicht
Tatbestandsvoraussetzungen des Informationsprivilegs würde das gesellschaftsrechtlich anerkannte Informationsbedürfnis der Gebietskörperschaft zu weit zurückstellen und zugleich das Risiko erhöhen, dass sich die öffentliche Hand mit der Rechtsformwahl von ihren Ingerenzpflichten löst.270 Faktisch liefe eine Verschärfung der Voraussetzungen des § 394 S. 1 AktG darauf hinaus, dass die rechtsstaatlich gebotene Kommunikation zwischen dem entsandten oder gewählten Aufsichtsratsmitglied und der beteiligten Gebietskörperschaft ad infinitum gestört würde, sollte nach der Berichtspflicht und dem Organisationsrecht ein Gremium Berichtsadressatin sein.271 Dadurch würde die demokratische Legitimationskette durchbrochen und der öffentlichen Hand die Befriedigung öffentlich-rechtlicher Auskunftsansprüche unmöglich.272 Weiterhin wird angeführt, dass eine abstrakte Gefahr des Geheimnisverlustes realtypischer Hintergrund der §§ 394, 395 AktG sei, die sich auch im Fall der Berichterstattung an das Parlament oder den Gemeinderat nicht selbständig und zwingend realisiert.273 Schließlich würde auch keine Einschränkung der Informationsrechte mitgliederstarker Aufsichtsräte gefordert.274 Die Diskussion über die nach § 394 S. 1 AktG legitimierten Berichtsadressaten dreht sich im Kern um die Abwägung des Interesses der Gesellschaft am Schutz von vertraulichen und geheimen Gesellschaftsinformationen mit dem Interesse der öffentlichen Hand an einer umfassenden Information. Neben den Grundlagenerwägungen verlagert sich die Diskussion auch in den Bereich verfahrenstechnischer Vorkehrungen für die Berichterstattung im Einzelfall, worüber eine höhere Schutzwirkung zugunsten von Gesellschaftsgeheimnissen erzielt werden soll. c) Andersbewertung bei organisatorischen Schutzmaßnahmen Eine direkte Berichterstattung an ein Gremium wird auch unter den Vertretern einer restriktiven Auslegung des § 394 S. 1 AktG für möglich gehalten, soweit organisatorische oder verfahrenstechnische Maßnahmen den Schutz der Gesellschaftsgeheimnisse gewährleisten.275 Das ungeschriebene Erfordernis der Vertraulichkeitsgewähr soll der Berichterstattung an ein Gremium der Gebietskörperschaft 270 Rachlitz, in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl. 2020, § 395 Rn. 30; Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 15. 271 Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 15; Rachlitz, in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl. 2020, § 395 Rn. 30; Müller-Michaels, in: Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl. 2022, § 395 Rn. 3 u. 5a; Traut, Die Corporate Governance von Kapitalgesellschaften der öffentlichen Hand, 2013, S. 131 f. 272 Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 15. 273 Rachlitz, in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl. 2020, § 395 Rn. 30. 274 Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 15. 275 Vgl. Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 39 ff.; Müller-Michaels, in: Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl. 2022, § 395 Rn. 5a; Schmolke, Vertreter von Gebietskörperschaften im Aufsichtsrat zwischen Verschwiegenheits- und Berichtspflicht, WM 2018, 1913 (1919).
III. Das hoheitliche Informationsprivileg de lege lata
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dann nicht entgegenstehen, solange verfahrensbezogene Strukturbestimmungen die Begrenzung des Kreises der Berichtsempfänger gewährleisten und damit eine vertrauliche Handhabung der Aufsichtsratsberichte sichergestellt ist. Dieselben Gesichtspunkte „feingesteuerter Anpassungsmaßnahmen“276 führen auch die Vertreter einer wenigen restriktiven Auslegung des § 394 S. 1 AktG an.277 Der allgemeine Konsens der differenzierenden Meinungsströmung, die seit der Deutsche Bahn-Entscheidung278 des Bundesverfassungsgerichts erstarkt,279 liegt in einer einzelfallbezogenen Prüfung der Gefahr eines Geheimnisverlustes durch die Berichterstattung der Repräsentanten an die Gebietskörperschaft. Ob eine direkte Berichterstattung an ein kommunales Kollektivorgan nach § 394 S. 1 AktG privilegiert ist, richte sich damit nach dem zur Anwendung berufenen öffentlichen Organisationsrecht und den verfahrensrechtlichen Vorkehrungen zum Schutz von Gesellschaftsgeheimnissen, woraufhin auf die Unterschiede für Gesellschaften an denen der Bund, ein Land oder eine Gemeinde beteiligt ist, eingegangen wird.280 Sodann wird der verwaltungsinterne Laufweg von Aufsichtsratsberichten umfassend nach rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen geprüft und untersucht, inwieweit die Gefahr besteht, dass letztlich der Bundestag, ein Landesparlament, der Stadt- oder Gemeinderat zum Ort einer – ggf. öffentlichen – Diskussion von Gesellschaftsgeheimnissen werden könnte und dadurch ein mittelbarer Vertraulichkeitsverlust drohe. Im Rückschluss sollen die Untersuchungsergebnisse Aufschluss darüber geben, ob das berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglied im Einzelfall dem Erfordernis gerecht werden kann, die Gewähr für die Berichtsvertraulichkeit übernehmen zu können.
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Rachlitz, in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl. 2020, § 395 Rn. 31. Huber/Fröhlich, in: Hopt/Wiedemann, AktG Großkomm, 4. Aufl. 2014, § 394 Rn. 45 f.; Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 15; Koch, Die hoheitlich beherrschte AG nach der Deutsche Bahn-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, ZHR 2019, 7 (26 f.); Land/Hallermayer, Weitergabe von vertraulichen Informationen durch auf Veranlassung von Gebietskörperschaften gewählte Mitglieder des Aufsichtsrats gem. §§ 394, 395 AktG, AG 2011, 114 (119); Kerst, Pflichten- und Interessenkollisionen bei der Verwaltung von Staatsbeteiligungen an Aktiengesellschaften, 2016, S. 177 f.; Wilting, Weitergabe von vertraulichen Informationen im Rahmen der §§ 394, 395 AktG, AG 2012, 529 (533 ff.). 278 BverfG, Urt. v. 07. 11. 2017 – 2 BvE 2/11 („Deutsche Bahn“), BVerfGE 147, 50 = NVwZ 2018, 51 Anm. Poschmann. 279 Vgl. seitdem die Einsicht von Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 39; außerdem die Einschätzung von Koch, Die hoheitlich beherrschte AG nach der Deutsche Bahn-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, ZHR 2019, 7 (26 f.); Schwill, Die Begrenzung des parlamentarischen Anfragerechts durch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sowie Verschwiegenheitsregelungen, NVwZ 2019, 109 (110); die Tendenz hervorhebend Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 15. 280 Ausführlich Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 40 ff. 277
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C. Öffnung der aktienrechtlichen Schweigepflicht
d) Aktienrechtsautonome Neubewertung Mit den zunehmend ausdifferenzierenden Betrachtungen und der Einbeziehung verfassungsrechtlicher Bindungen der öffentlichen Hand, die zu einer Behandlung von Gesellschaftsgeheimnissen öffentlicher Unternehmen in einem Plenum oder Gremium führen könnten,281 geht der Blick für die Verantwortlichkeit des berichtspflichtigen Aufsichtsratsmitglieds abhanden. Letztere soll jedoch der Ausgangspunkt für die Untersuchung der Tatbestandsvoraussetzungen des Informationsprivilegs gem. § 394 S. 1 AktG sein. Zur Konkretisierung des Kreises zuständiger Berichtsempfänger muss die Frage im Vordergrund stehen, welche konkreten Anforderungen die §§ 394, 395 AktG an das einzelne Aufsichtsratsmitglied stellen können, um ihren Zwecken noch gerecht werden zu können. Es handelt sich dabei um eine rein gesellschaftsrechtliche Fragestellung, die weitgehend ohne die Berücksichtigung der konkret aus den verfassungsrechtlichen Bindungen resultierenden Folgen für die jeweilige Gebietskörperschaft zu untersuchen ist. Damit wird auch der mitunter geforderte Interessenausgleich im Wege der Herstellung praktischer Konkordanz zwischen den gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen zum Schutz von Gesellschaftsgeheimnissen nach §§ 116 S. 1, 93 Abs. 3 S. 1, 395 AktG einerseits und den öffentlich-rechtlichen Bestimmungen zur Sicherung des Steuerungsvorbehalts des Staates sowie den parlamentarischen Informationsansprüchen andererseits zumindest für die Frage obsolet, welche Anforderungen § 394 S. 1 AktG an das berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglied stellt. Der Regelungsgehalt des § 394 S. 1 AktG ist aktienrechtsautonom unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Berichtspflicht, in Anerkennung des funktionalen Zweckzusammenhangs mit der Schweigepflicht nach § 395 AktG und im Kontext der Zuständigkeits- und Verantwortungsanforderungen an das berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglied zu ermitteln. Wie zu zeigen ist, kann damit den Anforderungen der staatlichen Aufgabenbewältigung in privatrechtlicher Organisationsform Rechnung getragen werden, ohne die zur Berichterstattung verpflichteten Aufsichtsratsmitglieder einem überhöhten Verantwortungspostulat auszusetzen oder das Interesse der Gesellschaft am Erhalt der Integrität und Vertraulichkeit objektiv schützenswerter Informationen weiter zurückzustellen, als dies nach dem Willen des Gesetzgebers erforderlich wird. Die nachfolgenden Grundlagenüberlegungen sollen allgemeine und rechtsformunabhängige Erkenntnisse über den Erklärungswert des funktionalen Zweckzusammenhangs der §§ 394, 395 AktG im Hinblick auf den Tatbestand des § 394 S. 1 AktG zutage fördern, ohne dass hierfür näher auf spezielle landesrechtliche Berichtspflichten einzugehen oder deren Wirksamkeit zu prüfen ist. 281 Vgl. etwa Schmolke, Vertreter von Gebietskörperschaften im Aufsichtsrat zwischen Verschwiegenheits- und Berichtspflicht, WM 2018, 1913 (1917 ff.), der eine umfassende rechtliche Würdigung des parlamentarischen Auskunftsanspruchs unternimmt.
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aa) Keine Vertraulichkeitsgewähr Den Ausgangspunkt markiert im Einklang mit der allgemeinen Ansicht die Einflussnahme der Schweigepflicht aus § 395 AktG auf den Tatbestand des § 394 S. 1 AktG. In Abkehr von der bisher noch überwiegenden Ansicht kann hieraus jedoch nicht auf das Tatbestandsmerkmal der Vertraulichkeitsgewähr geschlossen werden. Die weithin aus dem funktionalen Zweckzusammenhang der §§ 394, 395 AktG geschlussfolgerten Anforderungen an das berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglied, die Gewähr für die anhaltende Integrität der geheimen und vertraulichen Berichtsgegenstände zu übernehmen, ist zu weitgehend und lädt die Gesamtverantwortung für die Aufrechterhaltung der absoluten Vertraulichkeit der Berichte durch Dritte auf die Schultern des zur Berichterstattung verpflichteten Mandatars. Der insoweit konstruierte Zusammenhang zwischen der Verpflichtung Dritter und einer daraus geschlussfolgerten Ausweitung der Verantwortlichkeit des Aufsichtsratsmitglieds aus § 394 S. 1 AktG konnte bisher nicht hinreichend belegt werden. Eine dahingehende Wertung kann weder dem Informationsprivileg der öffentlichen Hand, der Schweigepflicht für Berichtsempfänger, dem dazwischenliegenden Funktionszusammenhang oder dem Willen des Gesetzgebers entnommen werden. Ganz im Gegenteil spricht sich der Wortlaut des § 394 S. 1 AktG dafür aus, dass die Verantwortung des berichtspflichtigen Aufsichtsratsmitglieds beim Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen im Zeitpunkt der Berichterstattung endet. Auch nach dem Regelungszweck der Schweigepflicht gem. § 395 AktG geht die Verantwortung für die Aufrechterhaltung der Integrität vertraulicher Berichtsgegenstände auf die Berichtsempfänger über, womit die Verantwortung des Aufsichtsratsmitglieds im Hinblick auf die Geheimhaltung der Berichte im Zeitpunkt der rechtmäßigen Berichterstattung endet. Die von § 394 S. 1 AktG veranlasste Zäsur für die Garantenstellung des Aufsichtsratsmitglieds verlangt zur Kompensation nach erhöhten Sorgfaltsanforderungen an die Berichterstattung selbst. Das kann einerseits mit der allgemeinen Ansicht aus dem funktionalen Zweckzusammenhang mit § 395 AktG gelesen werden, ergibt sich daneben aber auch schon aus der organschaftlichen Treue- und Sorgfaltspflicht des Aufsichtsratsmitglieds. Das berichterstattende Mitglied des Aufsichtsrats soll sich nicht unter Berufung auf § 394 S. 1 AktG und mit dem pauschalen Verweis auf das Verhalten Dritter der eigenen Verantwortung zur Abwehr von Schäden für die Gesellschaft entziehen können. Den Tatbestand des Informationsprivilegs einschränkend ist vielmehr zu verlangen, dass die Berichterstattung in einer Weise erfolgt, die den von § 395 AktG verfolgten Zweck nicht gefährdet. bb) Tatbestandslösung Auf den Schultern berichtspflichtiger Aufsichtsratsmitglieder kann nicht die Gesamtverantwortung für die absolute und andauernde Integrität der geheimen und
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vertraulichen Berichtsgegenstände lasten. Genau das bringt das Verständnis vom Regelungsgehalt des Sondertatbestands nach § 394 S. 1 AktG aber mit sich, soweit die Rechtmäßigkeit der Berichterstattung davon abhängen soll, ob im Voraus die Einhaltung der Schweigepflicht seitens der Berichtsempfänger sicher garantiert werden kann. Dieser zu weitgehenden Ansicht ist zu widersprechen. Die Schweigepflicht nach § 395 AktG wird zutreffend als notwendiges Korrelat zur Ausnahme des § 394 S. 1 AktG erkannt und soll verhindern, dass die Berichterstattung an die Gebietskörperschaft in einer direkten oder indirekten Geheimnisoffenbarung mündet. Nach der Wertung des § 395 AktG kommt die Privilegierung einer Auskunft nach § 394 S. 1 AktG daher nicht infrage, soweit die Informationsübermittlung an den oder die Berichtsempfänger einer Geheimnisoffenbarung im negativen Empfängerkreis gleichsteht oder die dementsprechende Gefahr objektiv begründet.282 Dieses Verständnis von einer Einschränkung des § 394 S. 1 AktG steht auch der allgemein anerkannten organschaftlichen Pflicht des Aufsichtsratsmitglieds gleich, wonach die Weitergabe von geschützten Informationen zu unterlassen ist, soweit der Gesellschaft daraus unmittelbare oder mittelbare Schäden entstehen. Das daraus erwachsende und im Tatbestand des Auskunftsprivilegs nach § 394 S. 1 AktG auflebende Anforderungsprofil an das berichterstattungspflichtige Aufsichtsratsmitglied richtet sich dabei – der Schweigepflicht entsprechend – allein nach objektiven Gesichtspunkten des Geheimnisschutzes. Der Zweck des § 394 S. 1 AktG bedingt die Gewährleistung einer umfassenden Information der Gebietskörperschaft durch ihre Repräsentanten im Aufsichtsrat des öffentlichen Unternehmens.283 Die tatbestandliche Beschränkung des Informationsprivilegs gefährdet die Sicherung des staatlichen Steuerungsvorbehalts und widerspricht dem telos des § 394 S. 1 AktG. Sollte der Gesetzgeber das Berichtsverhalten der auf Veranlassung einer Gebietskörperschaft in den Aufsichtsrat gewählten oder entsandten Repräsentanten daran knüpfen wollen, dass eine Gewähr für das Verhalten der Berichtsempfänger übernommen wird, müsste er das im Wortlaut des § 394 AktG zum Ausdruck bringen. Stattdessen verhält sich der Gesetzeswortlaut nicht zur Reichweite der Verantwortung des Repräsentanten hinsichtlich des weiteren Umgangs mit den vertraulichen Berichten, sodass diesbezüglich auf den allgemeinen Pflichtenkatalog des Aufsichtsratsamtes zurückzugreifen ist. Auch das Wesen der organschaftlichen Schweigepflicht des Aufsichtsrats spricht gegen eine Auslegung des § 394 S. 1 AktG im Sinne der bisher überwiegenden Ansicht. Mit dem geforderten Tatbestandsmerkmal der Vertraulichkeitsgewähr würde dem berichterstattungspflichtigen Aufsichtsratsmitglied aufgebürdet, für das 282
Vgl. zum negativen Empfängerkreis bereits oben unter B.II.2.a). So entnimmt Katz, Demokratische Legitimationsbedürftigkeit der Kommunalunternehmen, NVwZ 2018, 1091 (1092), der Deutsche Bahn-Entscheidung des BVerfG, Urt. v. 07. 11. 2017, zutreffend, dass die „sachgerechte und effiziente Wahrnehmung der Legislativund Kontrollfunktionen durch die Volksvertretungen (…) einen öffentlichen, rechtlich und umfangmäßig abgesicherten Informationszugang“ erfordert. 283
III. Das hoheitliche Informationsprivileg de lege lata
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Verhalten Dritter einzustehen, worin eine systemwidrige Ausweitung des Pflichtenkreises zu sehen ist. Demgegenüber beschränkt sich die aktienrechtlich konkretisierte Schweigepflicht als individualisierte Verhaltenspflicht auf die Regulierung des Verhaltens des Mandatars selbst und bezieht sich ansonsten nicht auf das Verhalten Dritter, die ebenso bestimmungsgemäß über Gesellschaftsgeheimnisse in Kenntnis gesetzt werden. Faktisch wird das berichterstattungspflichtige Aufsichtsratsmitglied durch das kolportierte Tatbestandsmerkmal der Vertraulichkeitsgewähr in die Position eines Geschäftsherrn gehoben, mit der eine eigene verschuldensunabhängige Haftung für alle vertraulichkeitsschädigenden Handlungen der Berichtsempfänger einhergeht. Beispielsweise würde die Gesellschaftsgeheimnisse umfassende Informationsweitergabe durch das berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglied der bundeseigenen Deutsche Bahn AG an die zuständige Dienststelle nach der bisher überwiegenden Ansicht aus dem Anwendungsbereich des Informationsprivilegs herausfallen und das Auskunftsverhalten zur pflichtwidrigen und ggf. schadensersatzpflichtigen Handlung qualifizieren, da nicht auszuschließen ist, dass die zuständige Behördenleitung hausintern weitergeleitete Gesellschaftsgeheimnisse im deutschen Bundestag zur Befriedigung eines parlamentarischen Informationsanspruchs offenlegen muss.284 Im Rückschluss stünde die von § 394 S. 1 AktG bezweckte Befriedigung des Ingerenzpflichten gebundenen Informationsbedürfnisses der Gebietskörperschaft dauerhaft in Gefahr. Berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglieder werden eher dazu neigen, die Abberufung aufgrund einer als unzureichend bewerteten Berichterstattung in Kauf zu nehmen, als durch eine umfassende Information der Gebietskörperschaft das Risiko der eigenen Inanspruchnahme in Kauf zu nehmen. Auch im Verhältnis zu sonstigen Dritten, die bei Ausführung der Mandatsgeschäfte über vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft in Kenntnis gesetzt werden dürfen, folgt nichts anderes.285 Das aktienrechtliche Kommunikationswesen sieht die Informationsweitergabe an Dritte durch Vorstand und Aufsichtsrat auch im Fall der Einholung von Expertenrat vor.286 Diesbezüglich wird die Ausnahme von der Schweigepflicht aus § 93 Abs. 1 S. 3 AktG, für den Aufsichtsrat i. V. m. § 116 S. 1 AktG, auch nicht an das Erfordernis der Vertraulichkeitsgewähr gebunden. Stattdessen werden an die Auswahl und Überwachung287 der Hilfsper-
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Vgl. Schockenhoff, Geheimnisschutz bei Aktiengesellschaften mit Beteiligung der öffentlichen Hand, NZG 2018, 521 (527). 285 Zur Zulässigkeit der Indienstnahme von Dritten bei der Ausübung der Mandatsgeschäfte Drygala, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2020, § 111 Rn. 83 m. w. N. 286 Etwa bei der Indienstnahme von Rechts-, Wirtschafts- und Steuerberatung, vgl. Hopt/ Roth, in: Hirte/Mülbert/Roth, Großkomm AktG Bd. 4 Tb. 2, 5. Aufl. 2015, § 93 Rn. 302; dies., in: Hirte/Mülbert/Roth, Großkomm AktG Bd. 5, 5. Auflage 2019, § 116 Rn. 252, hier einschränkend unter Verweis auf die Angemessenheit. 287 Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 116 Rn. 10.
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C. Öffnung der aktienrechtlichen Schweigepflicht
sonen erhöhte (Sorgfalts-)Anforderungen gestellt.288 Weshalb eine pauschale Ungleichbehandlung der nach dem jeweiligen Organisationsrecht zu Vertretern der Gebietskörperschaft berufenen Dritten im Vergleich zu den als Hilfspersonen eingesetzten Dritten angezeigt sein soll, erschließt sich nicht. Soweit die Gesellschaftsgeheimnisse umfassende Information von Dritten unter die Bedingung gestellt wird, dass die Empfangspersonen selbst zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, liegt hierin lediglich ein aus der Treue- und Sorgfaltspflicht des Aufsichtsrats resultierendes Erfordernis, dem auch die Mitglieder eines Parlaments oder Kollektivorgans gerecht werden können. Wird die Gruppe geeigneter Hilfspersonen auf Berufsgeheimnisträger begrenzt oder sollen diese bevorzugt als externe Expertise herangezogen werden,289 können dieser Voraussetzung auch die Vertreter der Gebietskörperschaft entsprechend gerecht werden. Die Verschwiegenheitspflicht für Berichtsempfänger aus § 395 Abs. 1 AktG kommt in ihrer Zwecksetzung und Funktionsweise berufsrechtlich begründeten Schweigepflichten gleich.290 Berichtsempfänger aufseiten der Gebietskörperschaft gelangen im Zuge der Ausübung ihrer Mandatspflichten über die Berichterstattung der auf Veranlassung der Gebietskörperschaft in den Aufsichtsrat beförderten Person in Kenntnis von Gesellschaftsgeheimnissen, wie auch Wirtschaftsprüfer oder Angehörige der Rechtsberatung durch die berufliche Tätigkeit zwingend in Kenntnis über vertrauliche Informationen gesetzt werden.291 Soll eine Geheimnisweitergabe an Hilfspersonen im Einzelfall den Abschluss einer gegenstandsbezogenen Verschwiegenheitsvereinbarung erfordern,292 kann dieselbe Bedingung auch durch das berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglied und jeder zur Vertretung der Gebietskörperschaft auf Empfängerseite berufenen Person erfüllt werden. Von dem Grundsatz, dass sich die Offenlegung schützenswerter Gesellschaftsinformationen gegenüber Hilfsperson durch den Aufsichtsrat als letzte Möglichkeit erweisen muss und andernfalls der Weg 288
Vgl. Mertens/Cahn, in: KK AktG Bd. 2/2, 3. Aufl. 2013, § 116 Rn. 59; Schneider, U. H./ Seyfarth, in: Scholz GmbHG Bd. 2, 12. Aufl. 2021, § 52 Rn. 583; Drygala, in: Schmidt, K./ Lutter, AktG Bd. 1, 4. Aufl. 2020, § 116 Rn. 41; Hopt/Roth, in: Hirte/Mülbert/Roth, Großkomm AktG Bd. 5, 5. Auflage 2019, § 116 Rn. 252. 289 Mertens/Cahn, in: KK AktG Bd. 2/1, 3. Aufl. 2010, § 93 Rn. 120; Hopt/Roth, in: Hirte/ Mülbert/Roth, Großkomm AktG Bd. 4 Tb. 2, 5. Aufl. 2015, § 93 Rn. 302. 290 Am Beispiel der Verschwiegenheitspflicht aus § 43a Abs. 2 BORA für den Anwaltsberuf, der das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien des Mandatsvertrags schützt (vgl. Träger, in: Feuerich/Weyland, BRAO, 10. Aufl. 2020, § 43a Rn. 12), schützt § 395 Abs. 1 AktG zumindest auch das Vertrauensverhältnis zwischen der Gebietskörperschaft im Ganzen und den zu ihrer Vertretung berufenen Personen. 291 Daneben sind die Berichtsempfänger aufseiten der Gebietskörperschaft regelmäßig neben § 395 AktG auch aus weiteren gesetzlichen, ggf. kommunalrechtlichen Bestimmungen zur Verschwiegenheit verpflichtet und auch insoweit ergibt sich kein Unterschied zu Berufsgeheimnisträgern. 292 Das ist als verfahrenstechnische Maßnahme etwa für die Weitergabe von Geheimnissen denkbar, an deren Geheimhaltung die Gesellschaft ein besonders hohes Interesse trägt; vgl. Hopt/Roth, in: Hirte/Mülbert/Roth, Großkomm AktG Bd. 5, 5. Auflage 2019, § 116 Rn. 252, die dafür streiten, auch gesetzlich zur Verschwiegenheit verpflichtete Hilfspersonen zusätzlich schuldrechtlich zu verpflichten.
III. Das hoheitliche Informationsprivileg de lege lata
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über das Leitungsorgan zu wählen ist,293 macht das Aktienrecht mit § 394 S. 1 AktG gerade eine Ausnahme. Dass die Berichtsempfänger der Gebietskörperschaft im Verhältnis zu sonstigen Dritten, an die Gesellschaftsgeheimnisse unter den genannten Voraussetzungen weitergegeben werden dürfen, anders zu behandeln sind, ergibt sich aus dem Normzusammenhang der §§ 394, 395 AktG nicht. Ebenso wenig kann daraus eine Ausweitung des Pflichtenkreises von berichterstattungspflichtigen Aufsichtsratsmitgliedern im Vergleich zu den nicht berichterstattungspflichtigen Aufsichtsratsmitgliedern geschlussfolgert werden, worin andernfalls eine Umkehr des Gleichheitssatzes liegen würde, für die das Informationsprivileg keine Anhaltspunkte bietet. Sinn und Zweck der §§ 394, 395 AktG, die organschaftliche Treue- und Sorgfaltsbindung und das aktienrechtlich vorgezeichnete Kommunikationswesen für Verwaltungsorgane insgesamt, vermögen das beharrlich eingeforderte Merkmal der Vertraulichkeitsgewähr nicht zu begründen. Das ungeschriebene Erfordernis der Vertraulichkeitsgewähr ist in der Gesamtbetrachtung eine zweckwidrige Einschränkung des Informationsprivilegs auf der einen Seite und eine exzessive Ausweitung der Verantwortlichkeit des berichtspflichtigen Aufsichtsratsmitglieds auf der anderen Seite. Die Pflicht, für das (Auskunfts-)Verhalten Dritter einzustehen, kann weder dem Wortlaut des § 394 S. 1 AktG, noch dem funktionalen Zweckzusammenhang mit § 395 AktG entnommen werden. Stattdessen gebieten der Wortlaut und der Gesetzeszweck des § 394 AktG und des § 395 AktG, im Einklang mit der organschaftlichen Schweigepflicht des Aufsichtsratsmitglieds, im Einzelfall die Einhaltung erhöhter Sorgfaltsanforderungen hinsichtlich absehbarer und hinreichend wahrscheinlicher Gefahren einer Geheimnisoffenbarung infolge der Berichterstattung. cc) Konklusion Die §§ 394, 395 AktG entlassen das berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglied nicht aus den organschaftlich begründeten Pflichten. Das Auskunftsprivileg des § 394 S. 1 AktG ordnet sich der gesellschaftsrechtlichen Treue- und Sorgfaltspflicht und als Ausnahme zu der nach §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 3 AktG konkretisierten Schweigepflicht des Aufsichtsratsmitglieds derselben unter. Die Gesellschaftsgeheimnisse umfassende Berichterstattung an die Gebietskörperschaft nach dem Privileg des § 394 S. 1 AktG setzt zunächst voraus, dass der von § 395 AktG verfolgte Schutz von Gesellschaftsgeheimnissen auch infolge der Informationsweitergabe erreicht werden kann. Die privilegierte Berichterstattung an die Gebietskörperschaft ist dadurch an die Bedingung geknüpft, dass die nach dem jeweiligen Organisationsrecht zu Empfangsberechtigten erklärten Personen im Einzelfall nicht zum negativen Empfängerkreis der vertraulichen Angaben und Gesellschaftsgeheimnisse zählen und selbst nicht zur Auskunft gewillt oder absehbar 293
Schneider, U. H./Seyfarth, in: Scholz GmbHG Bd. 2, 12. Aufl. 2021, § 52 Rn. 584.
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C. Öffnung der aktienrechtlichen Schweigepflicht
dazu verpflichtet werden. Allgemein steht die Berichterstattung unter dem Vorbehalt, dass eine Veröffentlichung oder Kundgabe der Berichtsgeheimnisse im negativen Empfängerkreis nicht nach objektiv erkennbaren Umständen bereits im Zeitpunkt der Berichterstattung droht. Ebendas ist vom berichterstattungspflichtigen Aufsichtsratsmitglied im Vorfeld der Berichterstattung an die Gebietskörperschaft zu prüfen. Dem Informationsprivileg des § 394 S. 1 AktG ist damit der ungeschriebene Ausschlusstatbestand zu entnehmen, wonach eine Auskunft trotz bestehender Berichtspflicht nicht erfolgen darf, sofern nach tatsächlichen oder rechtlichen Umständen die Aufrechterhaltung des Geheimnisschutzes infolge der Berichterstattung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit objektiv gefährdet ist. Im Gegenzug zum postulierten Erfordernis der Vertraulichkeitsgewähr wird der Gesellschaftsgeheimnisschutz im Rahmen des Informationsprivilegs – dem Wesen der aktienrechtlichen Schweigepflicht entsprechend – objektiviert und dem berichtspflichtigen Aufsichtsratsmitglied nicht entgegen dem Wortlaut der Erlaubnisnorm des § 394 S. 1 AktG die Verantwortung für das Verhalten Dritter übertragen. Der Bezugspunkt für die Rechtmäßigkeitsprüfung der Berichterstattung an die Gebietskörperschaft bleibt das Verhalten des Aufsichtsratsmitglieds selbst. An die Informationsweitergabe i. S. d. § 394 S. 1 AktG sind gleichwohl in Ansehung der potenziellen Gefahren für die Gesellschaft erhöhte Sorgfaltsanforderungen zu stellen. Nach diesem Verständnis vom Regelungsgehalt des Informationsprivilegs ist im Übrigen unerheblich, ob eine gesetzliche Berichtspflicht im Einzelfall dem Landesoder Bundesrecht entspringt.294 Die §§ 394, 395 AktG stellen einheitliche Kriterien für die Berichterstattung durch Aufsichtsratsmitglieder öffentlicher Unternehmen des Bundes und der Länder bzw. der Kommunalunternehmen auf. Beachtung muss das berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglied in jedem Einzelfall den tatsächlichen und rechtlichen Umständen, die sich auch nach den Bestimmungen des anwendbaren Organisationsrechts und der Rechtsgrundlage der Berichtspflicht richten, im Rahmen der sorgfaltsgerechten Rechtmäßigkeitsprüfung im Vorfeld der Berichterstattung schenken. Fragen zur Informationsversorgung von kommunalen Kollektivorganen entscheiden sich damit auch nicht anhand oder unter Berücksichtigung der §§ 394, 395 AktG, die eine Berichterstattung an Gemeinderäte und entsprechende Organe nicht allgemein ausschließen.295 Dem Informationsprivileg ist jedoch der Gestaltungsauftrag an die Gebietskörperschaft inhärent, durch organisatorische Vorkehrungen Bedingungen zu schaffen, die eine Berichterstattung i. S. d. § 394
294 A. A. bei Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 39 ff. m. w. N. 295 Nach a. A. sind Landesgesetze, die eine Berichterstattung an ein kommunales Kollektivorgan vorsehen, unwirksam. Dem liegt die einschränkende Auslegung des Anwendungsbereichs des § 394 S. 1 AktG zugrunde und wird im Übrigen mit dem Vorrang des Bundesrechts nach Art. 31 GG begründet, s. Oetker, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 394 Rn. 32 m. w. N.; vgl. hierzu auch bereits oben unter C.III.4.b).
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S. 1 AktG ermöglichen. Die Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung des § 394 S. 1 AktG entfällt mithin.296 e) Empfangsberechtigte Berichtsadressaten i. S. d. Tatbestandslösung Die Bestimmung der nach § 394 S. 1 AktG legitimierten Berichtsempfänger hat sich nach der konkreten Gefahrenlage für vertrauliche und geheime Gesellschaftsinformationen zu richten. Hinsichtlich der Berichterstattung an ein Parlament oder ein kommunales Kollektivorgan, aber auch im Allgemeinen, ist im Einzelfall zwischen einer objektiv begründeten und einer lediglich abstrakten Gefahrenlage für den Schutz vertraulicher Gesellschaftsinformationen zu unterscheiden, wobei eine Berichterstattung nur im letzteren Falle nach § 394 S. 1 AktG privilegiert sein kann. aa) Objektiv begründete Gefahrenlage Eine generelle Reduzierung von Empfängern vertraulicher oder geheimer Gesellschaftsinformationen auf eine kleinstmögliche Mindestanzahl ist aus praktischen Erwägungen des Geheimnisschutzes wünschenswert. Aus den §§ 394, 395 AktG ergibt sich jedoch kein allgemeiner Grundsatz, wonach die Gruppe der empfangsberechtigten Personen kleinstmöglich oder auf wenige Personen beschränkt sein müsste.297 Insoweit obliegt es dem öffentlichen Organisationsrecht oder der Gebietskörperschaft, die auch durch das Rechtsgeschäft oder die Satzungsregelung, mit der die Berichtspflicht begründet werden kann, Einschränkungen zum Schutz vertraulicher Gesellschaftsgeheimnisse hinsichtlich der empfangsberechtigten Personen oder des Berichterstattungsverfahrens zu bestimmen. Damit ist eine Auskunft an Gremien nach § 394 S. 1 AktG nicht per se ausgeschlossen, soweit dessen Mitglieder zur Verschwiegenheit verpflichtet sind und keine tatsächlichen oder rechtlichen Anhaltspunkte die hinreichend konkrete Gefahr eines Vertraulichkeitsverlustes begründen.298 296
Anders Schmolke, Vertreter von Gebietskörperschaften im Aufsichtsrat zwischen Verschwiegenheits- und Berichtspflicht, WM 2018, 1913 (1917), der im Hinblick auf den parlamentarischen Auskunftsanspruch des Bundestags eine verfassungsrechtliche Untersuchung der §§ 394, 395 AktG vornimmt und gleichwohl zu dem Ergebnis gelangt, dass zumindest im Falle der Minderheitsbeteiligung des Staates eine Neuinterpretation des aktienrechtlichen Informationsprivilegs nicht angezeigt sei. 297 Rachlitz, in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl. 2020, § 395 Rn. 30, erkennt in der Möglichkeit einer Befassung von Parlamenten und Gemeinderäten gar den „realtypischen Hintergrund der §§ 394 f. AktG“; a. A. Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 394 Rn. 43 m. w. N.; differenzierend nach der Größe des Gremiums Mann, §§ 394 f. AktG im Geflecht von Individual- und Kollektivinteressen, AG 2018, 57 (61). 298 Mit teilweise abweichender Begründung Rachlitz, in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl. 2020, § 395 Rn. 30; Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 15; mit der Einschränkung des Erfordernisses der Vertraulichkeitsgewähr auch Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 39, wonach zumindest lan-
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Die personelle Zusammensetzung des Gremiums kann etwa die objektive Annahme begründen, dass der von § 395 AktG bezweckte Geheimnisschutz mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gefährdet wird und einer treue- und sorgfaltsgerechten Berichterstattung entgegenstehen.299 Das ist beispielsweise anzunehmen, soweit dem Gremium, an das Bericht erstattet werden soll, Personen angehören, die für ein direktes Konkurrenzunternehmen des öffentlichen Unternehmens tätig sind.300 Ausgeschlossen ist eine Privilegierung nach § 394 S. 1 AktG auch dann, wenn sich der Kreis der Berichtsempfänger nicht auf den Adressatenkreis des § 395 AktG beschränkt oder insgesamt nicht bestimmbar ist, wie das bei der Berichterstattung an ein Gremium im Rahmen einer öffentlichen Sitzung der Fall ist (Verbot der mittelbaren Veröffentlichung von Gesellschaftsgeheimnissen).301 bb) Abstrakte Gefahrenlage Davon zu unterscheiden ist die abstrakte Möglichkeit, dass im Wege der Berichterstattung an die Gebietskörperschaft übermittelte vertrauliche Gesellschaftsinformationen in der Folge auf recht- oder unrechtmäßige Weise an Dritte weitergegeben werden. Die generelle Gefahr eines schweigepflichtwidrigen Vertraulichkeitsbruchs durch Berichtsempfänger kann kein Maßstab für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Aufsichtsratshandelns nach § 394 S. 1 AktG sein. Hätte der Gesetzgeber jedem Abfluss von Gesellschaftsgeheimnissen an Dritte infolge der Berichterstattung einen Riegel vorschieben und damit jede pflichtwidrige Geheimnisoffenbarung durch gesellschaftsfremde Dritte ausschließen wollen, hätte er von der Schaffung des Informationsprivilegs nach § 394 S. 1 AktG absehen müssen. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber dafür entschieden, eine Erhöhung des ohnehin existierenden unternehmerischen Risikos eines Geheimnisverlustes im Gegenzug für die Nutzbarmachung privatrechtlicher Organisationsformen für die staatliche Aufgabenbewältigung in Kauf zu nehmen. Daher kann auch die Berichterstattung an einen geheimen Ausschuss, die lediglich aufgrund der implizierten Ausweitung des Kreises von Berichtsempfängern desrechtliche Berichtspflichten aufgrund des vorrangigen Bundesrechts den aktienrechtlichen Geheimnisschutz nicht betreffen könnten; vgl. auch Schmolke, Vertreter von Gebietskörperschaften im Aufsichtsrat zwischen Verschwiegenheits- und Berichtspflicht, WM 2018, 1913 (1919) zu der „Form der Informationsvermittlung“ durch berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglieder gegenüber dem Deutschen Bundestag. 299 Vgl. hierzu Möller, Die rechtliche Stellung und Funktion des Aufsichtsrats in öffentlichen Unternehmen der Kommunen, 1999, S. 160. 300 So auch Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395, Rn. 181; Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 47. 301 Mit anderer Begründung auch Rachlitz, in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl. 2020, § 395 Rn. 30. Insoweit bleibt unbestritten, dass das Aufsichtsratsmitglied keine Öffentlichkeitsarbeit zulasten des Vertraulichkeitsschutzes leisten darf, vgl. Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 15.
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eine abstrakte Gefahrenlage zu begründen vermag, nach § 394 S. 1 AktG legitimiert sein.302 Etwas anderes könnte sich nur beim Vorliegen objektiver Umstände ergeben, die eine hinreichende Gefahr für den Schutz des Aufsichtsratsberichts im Einzelfall begründen. Das könnte bspw. gegenüber einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss anzunehmen sein, soweit ein Mitglied in der Vergangenheit bereits wiederholt durch pflichtwidriges Verhalten auffällig geworden ist und vertrauliche Informationen weitergegeben wurden oder im Vorfeld der Berichterstattung durch öffentliche Aussagen der Anschein erweckt wird, dass vertrauliche Angaben bekanntgegeben werden sollen.303 In derselben Weise verhält es sich mit der Möglichkeit, dass vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft, die im Rahmen der Berichterstattung an die Gebietskörperschaft übermittelt werden sollen, Gegenstand einer Anfrage auf der Grundlage eines parlamentarischen Auskunftsanspruchs werden. Ein solcher Vorgang entzieht sich dem Verantwortlichkeitsbereich des berichterstattungspflichtigen Aufsichtsratsmitglieds und hängt von zahlreichen Unwägbarkeiten ab.304 Dem zur Berichterstattung verpflichteten Aufsichtsratsmitglied kann nicht abverlangt werden, die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die Berichtsempfänger nicht ihrerseits aufgrund öffentlich-rechtlicher Pflichtenbindungen zur Weitergabe von geschützten Gesellschaftsinformationen in Anspruch genommen werden. Andersherum kann die abstrakte Möglichkeit einer Verpflichtung zur Informationsweitergabe nicht dazu führen, dass die Kommunikation zwischen dem Aufsichtsrat und der Gebietskörperschaft entgegen dem Regelungsanliegen der §§ 394, 395 AktG strukturell gestört wird. Als Berichtsempfänger aufseiten der Gebietskörperschaft ist nach § 394 S. 1 AktG daher auch abstrakt geeignet, wer gegebenenfalls als Adressat eines parlamentarischen Informations- oder Auskunftsanspruchs zur Weitergabe von Gesellschaftsgeheimnissen verpflichtet werden kann.305 Zumindest mittelbar ergibt sich das auch aus der jüngeren Rechtsprechung des BVerfG zum Frage- und Informationsrecht des Deutschen Bundestags und seiner 302
Mit anderer Begründung auch Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 15; Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 39; mit verfassungsrechtlicher Argumentation Wilting, Weitergabe von vertraulichen Informationen im Rahmen der §§ 394, 395 AktG, AG 2012, 529 (536 ff.). 303 Ähnlich bezüglich der Kommunikation zwischen Vorstand und Aufsichtsrat Kalss, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 2, 5. Auflage 2019, § 93 Rn. 408. 304 Neben tatsächliche Unwägbarkeiten treten die zahlreichen rechtlichen Unwägbarkeiten, bis es zu einer Auskunft von vertraulichen Berichten in einem Plenum kommt, die von der gesellschaftsrechtlichen Schweigepflicht des berichtspflichtigen Aufsichtsratsmitglieds nicht mehr erfasst werden kann und sich nach den Pflichten des Berichtsempfängers sowie den Anforderungen des BVerfG an die Befriedigung parlamentarischer Informationsansprüche richtet, vgl. hierzu Schwill, Die Begrenzung des parlamentarischen Anfragerechts durch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sowie Verschwiegenheitsregelungen, NVwZ 2019, 109 (110 ff.). 305 Kritisch Schockenhoff, Geheimnisschutz bei Aktiengesellschaften mit Beteiligung der öffentlichen Hand, NZG 2018, 521 (527).
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Abgeordneten gegenüber der Bundesregierung aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG.306 Zwar können die einfachgesetzlichen Regelungen zum Geheimnisschutz aus §§ 93 Abs. 1 S. 3, 116 S. 1, 395 Abs. 1 AktG dem parlamentarischen Informationsanspruch nicht ohne Weiteres entgegengehalten werden,307 wonach Unternehmen im Allein- oder Mehrheitsbesitz des Staates eine erhöhte abstrakte Gefahr für die Erhaltung der Integrität vertraulicher Gesellschaftsinformationen hinnehmen müssen. Wie Schockenhoff jedoch ausführlich darlegt, stellt das BVerfG gleichsam hohe Voraussetzungen an die öffentliche Behandlung von Gesellschaftsgeheimnissen im Parlament.308 Außerdem existieren auch insoweit verfahrenstechnische oder organisationsrechtliche Möglichkeiten, dem Schutz von Gesellschaftsgeheimnissen Rechnung zu tragen. Es besteht etwa die Option, parlamentarische Informationsersuchen in einem nicht öffentlich tagenden Parlamentsausschuss zu behandeln oder nach der Geheimschutzordnung zu verfahren.309 Daneben stellt das BVerfG den parlamentarischen Auskunftsanspruch unter die Bedingung der Zumutbarkeit310 und das Erfordernis der bedarfsorientierten Informationsbeschaffung311. Letzteres ist mit dem Zweckmäßigkeitsvorbehalt des § 394 S. 1 AktG vergleichbar und bedeutet, dass lediglich über die nach dem konkreten Informationsbedürfnis erforderlichen Informationen Auskunft erstattet werden muss und nicht etwa alle mit einer erfragten Thematik zusammenhängenden Gesellschaftsgeheimnisse preisgegeben werden müssten. Zuletzt wird auch eine Auskunftsverweigerung nicht ausgeschlossen, wenngleich sie nicht pauschal unter Verweis auf den aktienrechtlichen Geheimnisschutz und ansonsten unbegründet erfolgen darf.312 Deutlich wird jedenfalls, dass die reine Existenz eines parlamentarischen Informationsanspruchs nur eine abstrakte Gefahr für einen künftigen Geheimnisverlust begründet und die Kommunikation zwischen Aufsichtsrat und Gebietskörperschaft nach hier vertretener Auffassung nicht berührt. Der Annahme einer objektiv begründeten Gefahr eines drohenden Geheimnisverlustes stehen bereits tatsächliche Unwägbarkeiten entgegen. So wird im Zeitpunkt der Berichterstattung an die Ge306
BVerfG, Urt. v. 07. 11. 2017 – 2 BvE 2/11, NVwZ 2018, 51 ff.; vgl. hierzu auch die Schlussfolgerung von Burgi, Die Deutsche Bahn zwischen Staat und Wirtschaft, NVwZ 2018, 601 (603), wonach infolge der Entscheidung auch im Zusammenhang mit den §§ 394, 395 AktG „ein verändertes Informationsflussmanagement“ zwischen der Bundesregierung und ihrem Unternehmen zu etablieren ist. 307 BVerfG, Urt. v. 07. 11. 2017 – 2 BvE 2/11, NVwZ 2018, 51 Rn. 211 ff. 308 Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 43. 309 Hillgruber, Inhalt und Grenzen des parlamentarischen Informationsanspruchs, JA 2018, 238 (240); Schockenhoff, Geheimnisschutz bei Aktiengesellschaften mit Beteiligung der öffentlichen Hand, NZG 2018, 521 (527); tendenziell auch Werner, Auskunftsansprüche der Öffentlichkeit gegenüber Aktiengesellschaften unter Beteiligung der öffentlichen Hand, NVwZ 2019, 449 (452). 310 BVerfG, Urt. v. 07. 11. 2017 – 2 BvE 2/11, NVwZ 2018, 51 Rn. 249 f. 311 BVerfG, Urt. v. 07. 11. 2017 – 2 BvE 2/11, NVwZ 2018, 51 Rn. 251 ff. 312 BVerfG, Urt. v. 07. 11. 2017 – 2 BvE 2/11, NVwZ 2018, 51 Rn. 296.
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bietskörperschaft regelmäßig ungewiss sein, ob eine vertrauliche Angabe zukünftig überhaupt zum Gegenstand einer parlamentarischen Anfrage wird, bzw. unter Berücksichtigung des Gebots der bedarfsorientierten Informationsbeschaffung Teil der Antwort werden muss. Dazu gesellen sich rechtliche Unwägbarkeiten, gerade auch im Hinblick auf die vom BVerfG offen gehaltene Möglichkeit einer verfassungsrechtlich legitimierten Auskunftsverweigerung. Die Frage nach der Reichweite parlamentarischer Informationsansprüche im Konflikt mit dem Schutz von Gesellschaftsgeheimnissen ist rein verfassungsrechtlich zu würdigen und kann für die hier vorgenommene Untersuchung der Tatbestandsvoraussetzungen des Informationsprivilegs der öffentlichen Hand gem. § 394 S. 1 AktG keine Wirkung entfalten.313 Das gilt zumindest dann, wenn man dem hier entwickelten Ansatz folgt, dass eine durch die Berichterstattung des Aufsichtsratsmitglieds bedingte und rein abstrakte Gefahrerhöhung für den Verlust von Gesellschaftsgeheimnissen einer nach § 394 S. 1 AktG privilegierten Berichterstattung nicht entgegensteht.314 f) Zusammenfassung Wer Adressat von Aufsichtsratsberichten i. S. d. §§ 394, 395 AktG ist, bestimmt sich in zwei Schritten. Primär konkretisiert das anwendbare Organisationsrecht den Kreis der Berichtsempfänger aufseiten der Gebietskörperschaft, bzw. kann sich aus dem Berichtspflicht begründenden Rechtsgeschäft mit dem Repräsentanten oder einer entsprechenden Satzungsbestimmung etwas anderes ergeben. Wer im Einzelfall nach § 394 S. 1 AktG empfangsberechtigt ist, richtet sich im zweiten Schritt nach dem Berichtsgegenstand und den tatsächlichen und rechtlichen Umständen der Berichterstattung. Hierbei finden auch etwaige verfahrenstechnische bzw. organisatorische Vorkehrungen zum Schutz vertraulicher Gesellschaftsinformationen Berücksichtigung. Prüfungsmaßstab ist das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des § 394 S. 1 AktG, das aktienrechtsautonom unter Würdigung der Regelungszwecke von §§ 394 S. 1, 395 AktG und der organschaftlichen Treue- und Sorg313
A. A. Schockenhoff, Geheimnisschutz bei Aktiengesellschaften mit Beteiligung der öffentlichen Hand, NZG 2018, 521 (527); vgl. auch Bracht, Der Anspruch von Rats- und Kreistagsmitgliedern auf Auskunft über die kommunale GmbH, AG und Sparkasse, NVwZ 2016, 108 (111), der einer kommunalverfassungsrechtlich vorgesehenen Berichterstattung an einzelne Rats- oder Kreistagsmitglieder mit der bisher überwiegenden Ansicht das Merkmal der Vertraulichkeitsgewähr entgegenhält. 314 Mit der Anerkennung der gesellschaftsrechtlich in § 394 S. 1 AktG vorgesehenen weiten Öffnung der aktienrechtlichen Schweigepflicht berichtspflichtiger Aufsichtsratsmitglieder zugunsten einer umfassenden Berichterstattung an den von der Gebietskörperschaft bestimmten Adressatenkreis, verlagern sich die verfassungsrechtlich determinierten Diskussionen zum Konflikt zwischen dem Vertraulichkeitsschutz und parlamentarischen bzw. kommunalverfassungsrechtlichen Informationsbegehren auf die Ebene des öffentlichen Rechts. Das berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglied wird zugleich aus dem Kreis der Konfliktbeteiligten ausgeschlossen, an dessen Stelle die tatsächlichen Berichtsadressaten treten.
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faltspflicht des Aufsichtsratsmitglieds zu definieren ist. Danach steht die privilegierte Informationsweitergabe unter dem Vorbehalt, dass die Aufrechterhaltung der Integrität vertraulicher Berichtsgegenstände nach den tatsächlichen und rechtlichen Umständen des Einzelfalls nicht infolge der Berichterstattung objektiv gefährdet wird. Keine Voraussetzung ist demgegenüber, dass das berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglied auch die sichere Gewähr für die Aufrechterhaltung der Vertraulichkeit übernehmen kann. Für die vom Aufsichtsratsmitglied vorzunehmende Prüfung ist daher auch nicht von genereller Bedeutung, ob gegenüber einer Einzelperson der Beteiligungsverwaltung respektive der Abschlussprüfung Bericht erstattet werden soll oder die Informationsweitergabe an ein parlamentarisches oder kommunales Kollektivorgan vorgesehen ist. Unerheblich ist, ob die organisationsrechtliche Bestimmung der Berichtsadressaten auf bundes- oder landesrechtlicher Ebene erfolgt. Maßgeblich ist, dass eine Berichterstattung dann nicht unter Berufung auf § 394 S. 1 AktG erfolgen darf, soweit im Zeitpunkt der Berichterstattung aufgrund objektiver Tatsachen auf eine hinreichende Wahrscheinlichkeit eines vertraulichkeitsbrüchigen Verhaltens der Berichtsempfänger geschlossen werden kann. Eine objektive Gefahr für die Aufrechterhaltung des Geheimnisschutzes besteht etwa, wenn nicht alle Berichtsempfänger zumindest aus § 395 AktG zur Verschwiegenheit verpflichtet sind (Berichterstattung in einer öffentlichen Sitzung) oder durch ihr Verhalten erwarten lassen, ihrer Schweigepflicht nicht nachkommen zu wollen. Koch verabschiedet sich im Rahmen seiner Abhandlung zum Deutsche-Bahn Urteil des Bundesverfassungsgerichts von einer am Gesetzestext haftenden linearen Betrachtungsweise und sucht eine praxisnahe Konfliktlösung im Einverständnis des Vorstands.315 Es würde bereits der gelebten Konzernwirklichkeit entsprechen, dass Geheimnisse in Absprache mit dem Vorstand als „Herr der Gesellschaftsgeheimnisse“ durch den Aufsichtsrat weitergegeben werden.316 Nach der hier vertretenen Auffassung bedarf es einer solchen Verfahrensweise nicht. Das berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglied kann sich seiner organschaftlichen Treue- und Sorgfaltspflicht auch nicht restlos durch die Absolution des Vorstands entledigen, weshalb die Berichterstattung an die Gebietskörperschaft streng nach Maßgabe der §§ 394, 395 AktG erfolgen sollte.317 Liest man entgegen der noch überwiegenden Ansicht in den Tatbestand des § 394 S. 1 AktG nicht die zu weitgreifende Voraussetzung der Vertraulichkeitsgewähr hinein und orientiert sich in Ansehung der – vom Gesetzgeber in Kauf genommenen – Risikoerhöhung an objektiven Gesichtspunkten des 315 In diesem Sinne auch Rachlitz, in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl. 2020, § 395 Rn. 31, der die „intensive Kooperation“ innerhalb des Aufsichtsrats und mit dem Vorstand anmahnt. 316 Koch, Die hoheitlich beherrschte AG nach der Deutsche Bahn-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, ZHR 2019, 7 (26 f.) m. w. N.; s. dazu auch Schockenhoff, in: Goette/ Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 45. 317 Zur Bedeutung des Geheimnisverzichts durch den Vorstand und etwaig verbleibende Pflichten zur vertraulichen Handhabung der betroffenen Information durch das Aufsichtsratsmitglied s. oben unter B.II.2.c).
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Vertraulichkeitsschutzes, bedarf es auch keines Rückgriffs auf Instrumente zur Herstellung verfassungsrechtlich gesteuerter Konkordanz. Vielmehr wird über die Tatbestandslösung zu § 394 S. 1 AktG jedem berichtspflichtigen Aufsichtsratsmitglied derselbe Weg durch den zweiseitig, weil gesellschafts- und öffentlich-rechtlich, beeinflussten Pflichtenkatalog aufgezeigt, ohne das Gesellschaftsinteresse dem Informationsinteresse der öffentlichen Hand vorzuziehen oder umgekehrt, das Gesellschaftsrecht weiter zurückrückzustellen, als es nach Sinn und Zweck der §§ 394, 395 AktG erforderlich wird.
5. Das berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglied in der Pflichtenkollision Auf den ersten Blick stehen sich die Anforderungen an die von einer Gebietskörperschaft in den Aufsichtsrat eines öffentlichen Unternehmens gewählten oder entsandten Repräsentanten entgegen. Zur Überwindung der vermeintlichen Pflichtenkollision von aktienrechtlicher Schweigepflicht nach §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 3 AktG und dem Informationsprivileg der öffentlichen Hand aus §§ 394, 395 AktG wird teilweise auf Instrumente zurückgegriffen, die dem berichtspflichtigen Aufsichtsratsmitglied einen Handlungsspielraum eröffnen sollen. Analog zu der Diskussion über den Einfluss von Sekundärinteressen auf den Tatbestand der Schweigepflicht,318 wird auch in den Anwendungsbereich des § 394 S. 1 AktG ein Ermessens-319 bzw. Beurteilungsspielraum320 hineingelesen. Ob der konkrete Zweck der Berichterstattung die Mitteilung einer vertraulich zu behandelnden Gesellschaftsinformation erforderlich macht, soll danach von der pflichtgemäßen Abwägungsentscheidung des Aufsichtsratsmitglieds abhängig sein. Dem ist im Einklang mit der starken Gegenansicht321 zu widersprechen. Die andernorts ausgebreitete Begründung322 soll nur um die eigenen Untersuchungser318
S. hierzu bereits oben unter B.II.4.d) und B.II.4.f). Oetker, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 394 Rn. 28; Schmidt-Aßmann/Ulmer, Die Berichterstattung von Aufsichtsratsmitgliedern einer Gebietskörperschaft nach § 394 AktG, BB 1988, Beilage 13, S. 10; Müller-Michaels, in: Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl. 2022, § 394 Rn. 32. 320 Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395, Rn. 187 m. w. N.; Schenk, v., in: Semler/Schenk, v., Der Aufsichtsrat, 2015, § 116 Rn. 185; vgl. auch Rachlitz, in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl. 2020, § 395 Rn. 31, der von einer „Einzelfall- und Abwägungsfrage“ spricht. 321 Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 33; ders., Geheimnisschutz bei Aktiengesellschaften mit Beteiligung der öffentlichen Hand, NZG 2018, 521 (527); Schall, in: Spindler/Stilz, BeckOGK AktG, Ed. v. 01. 09. 2021, § 394 Rn. 14; Koch, in: Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 394 Rn. 44; Huber/Fröhlich, in: Hopt/Wiedemann, AktG Großkomm, 4. Aufl. 2014, § 394 Rn. 52. 322 Ausführlich Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 33; Huber/Fröhlich, in: Hopt/Wiedemann, AktG Großkomm, 4. Aufl. 2014, § 394 Rn. 52. 319
276
C. Öffnung der aktienrechtlichen Schweigepflicht
gebnisse zum Tatbestand des Informationsprivilegs und dessen konzeptioneller Stellung im System der aktienrechtlichen Aufsichtsverschwiegenheit ergänzt werden. Wie dargelegt, richtet sich der aktienrechtliche Schutz von vertraulichen Angaben und Geheimnissen der Gesellschaft nach rein objektiv und vollständig gerichtlich überprüfbaren Kriterien.323 Dementsprechend muss auch die Ausnahme von der Schweigepflicht nach § 394 S. 1 AktG zu verstehen sein. Ein eigenverantwortlicher Entscheidungsspielraum würde den Anwendungsbereich des zweckgebundenen Informationsprivilegs ausweiten und dem Sinn und Zweck der Schweigepflicht zuwiderlaufen. Das ergibt sich auch aus der systematischen Positionierung der §§ 394, 395 AktG, die sich als Ausnahme zur Schweigepflicht derselben unterordnen und nicht etwa als eigenständig zu lesender Regelungskomplex auf derselben Stufe mit den aktienrechtlichen Bestimmungen zum Schutz von Gesellschaftsgeheimnissen in Konkurrenz treten. Die funktionale324 Zweckbindung der Berichtspflicht entspricht gerade auch dem Wesen der objektiven Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder und reguliert die Intensität und Reichweite der Privilegierung von Kontrollund Auskunftsinteressen der Gebietskörperschaft abschließend. Das Auskunftsverhalten des Repräsentanten der Gebietskörperschaft bleibt damit vollständig justiziabel. Zu einem anderen Ergebnis könnte gelangen, wer die Vertraulichkeitsgewähr als Voraussetzung einer Berichterstattung an die Gebietskörperschaft nach § 394 S. 1 AktG verlangt und nach der Berichtspflicht oder dem anwendbaren Organisationsrecht ein Kollektivorgan zur Berichtsadressatin ernannt wird. In dem Fall wird dem Repräsentanten der Gebietskörperschaft abverlangt, hinsichtlich des Zwecks der Berichterstattung „einen unbestimmten Rechtsbegriff auszulegen und anzuwenden“325. Ohne die Anerkennung eines Ermessensspielraums würde die objektive Falschbewertung der Vertraulichkeitsgewähr aufseiten der Berichtsadressatin die gleichsam vorgenommene Berichterstattung aus dem Anwendungsbereich des § 394 S. 1 AktG herausdrängen und das Handeln des Aufsichtsratsmitglieds unter das Verdikt der Pflichtwidrigkeit stellen. Damit würde die Forderung an das berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglied gestellt, die objektive Rechtslage im Einzelfall auch unter Berücksichtigung verfassungsrechtlich geschützter Werte zu ermitteln. Eine solche Erwartungshaltung würde zumindest voraussetzen, dass die Rechtsprechung und eine gefestigte Ansicht in der Literatur praxistaugliche Entscheidungshilfen für auftretende Problemfälle anbieten. Andernfalls wird dem Aufsichtsratsmitglied mit der Forderung nach Herstellung praktischer Konkordanz zwischen widerstreitenden Geheimhaltungs- und Informationsinteressen etwas ab323 324 325
Hierzu bereits oben unter B.II.2. Oetker, in: Schmidt, K./Lutter, AktG Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 394 Rn. 28. Schockenhoff, in: Goette/Habersack, MüKo AktG Bd. 6, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 33.
III. Das hoheitliche Informationsprivileg de lege lata
277
verlangt, was selbst die Rechtswissenschaft nicht einvernehmlich zu leisten imstande ist.326 Ausweislich der stark umstrittenen Ansichten innerhalb der gesellschaftsrechtlichen und ansonsten auch gegenüber der verwaltungsrechtlichen Literatur, kann davon nicht die Rede sein. Vielmehr kursieren zahlreiche unterschiedliche Ansichten dazu, welchem Kreis von Berichtsadressaten im Einzelfall vertrauliche Informationen weitergegeben werden dürfen. Diese Gemengelage spricht wiederum für die Aufgabe des einschränkenden Tatbestandsmerkmals der Vertraulichkeitsgewähr. Mit einem weiten Verständnis vom Tatbestand des § 394 S. 1 AktG, der einer Berichterstattung an die Gebietskörperschaft nach dem Zweck des § 395 AktG unabhängig von den konkret zu Berichtsadressaten berufenen Personen(gruppen) lediglich bei objektiv drohenden Gefahren der Geheimnisoffenbarung entgegensteht, kommt auch die Einräumung eines Ermessens- oder Beurteilungsspielraums zugunsten des Aufsichtsratsmitglieds nicht mehr infrage. Das verhilft der allgemeinen Rechtssicherheit zur Geltung und wird der vom Gesetzgeber vorgenommen Abwägungsprärogative gerecht.
326 Kersting, in: KK AktG Bd. 7, 3. Aufl. 2016, §§ 394, 395, Rn. 187, sieht es damit als gerechtfertigt an, das „Subsumtionsrisiko auf der Ebene des § 394 S. 2 AktG der Gesellschaft aufzuerlegen“.
D. Ergebnis Wissen ist Macht und ihr Erhalt Bedingung staatlicher Aufgabenprivatisierung. Der Gewährleistung des staatlichen Steuerungsvorbehalts sind die als Informationsprivileg der öffentlichen Hand bezeichneten Bestimmungen der §§ 394, 395 AktG gewidmet. Mit der Sondererlaubnis des § 394 S. 1 AktG bricht der Gesetzgeber mit zwei Grundsätzen des aktienrechtlichen Kommunikationswesens. Zum einen wird der Verwaltungsspitze der Gesellschaft entgegen dem Prinzip der zentralistischen Geheimnisherrschaft die exklusive Verfügungsgewalt über die Gesellschaftsgeheimnisse entzogen und im Gegenzug berichtspflichtigen Mitgliedern des Innenorgans Aufsichtsrat im Verhältnis zur beteiligten Gebietskörperschaft die Hoheit über die Kommunikationspraxis übertragen. Zum anderen wird die GebietskörperschaftGesellschafterin zur beschränkt berechtigten Geheimnisempfängerin und insoweit als Sondergesellschafterin bevorrechtigt. Die organschaftliche Pflichtenbindung des berichtspflichtigen Aufsichtsratsmitglieds und die daraus resultierende Rücksichtnahme- und Schadenverhütungspflicht bleiben davon jedoch unberührt. Berichterstattungspflichtige Aufsichtsratsmitglieder, die als Repräsentanten einer beteiligten Gebietskörperschaft in den Aufsichtsrat eines öffentlichen Unternehmens gewählt oder entsandt worden sind, müssen sich gleichwohl de lege lata keiner Pflichtenkollision ausgesetzt sehen. Stattdessen fügen sich die Schweigepflicht aus §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 3 AktG und das Informationsprivileg der öffentlichen Hand aus §§ 394, 395 AktG zu einem systematisch abschließenden Pflichtenkatalog auf der dogmatischen Grundlage der gesellschaftsrechtlichen Sorgfalts- und Treuepflicht zusammen. Mit dem hier vertretenen aktienrechtsautonomen Verständnis vom Regelungsgehalt des § 394 S. 1 AktG löst sich die Vorstellung von zwei inkongruent gegenüberstehenden Rechtswelten auf, die beidseitig auf das berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglied wirken. In diesem Sinnbild steht das berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglied vielmehr innerhalb einer kongruenten Schnittmenge des Gesellschaftsrechts auf der einen und des öffentlichen Rechts auf der anderen Seite, deren einheitlichen Nenner das Informationsprivileg aus § 394 S. 1 AktG bestimmt und die zur Lösung der linearen Pflichtenkonstellation erforderlichen Instrumente bereitlegt. Neben der Zweckmäßigkeitsschranke des § 394 S. 2 AktG bedingt der funktionale Zweckzusammenhang zur Verschwiegenheitspflicht für Berichtsempfänger nach § 395 Abs. 1 AktG ein Hemmnis für die Mitteilung von vertraulichen und geheimen Gesellschaftsinformationen, das den allgemeinen Anforderungen der organschaftlichen Sorgfalts- und Treuebindung an das Verhalten des Aufsichts-
D. Ergebnis
279
ratsmitglieds entspricht. Während § 394 S. 2 AktG den inhaltlichen Umfang der rechtmäßigen Berichterstattung definiert, ist der Gesetzeszweck des § 395 AktG im Lichte des Berichterstattungsverfahrens zu würdigen. Bedingt die Informationsweitergabe, die sich nach den öffentlich-rechtlichen Bestimmungen des Organisationsrechts der Gebietskörperschaft richtet, eine objektiv hinreichend wahrscheinliche Gefährdung der von § 395 Abs. 1 AktG bezweckten Aufrechterhaltung der Vertraulichkeitsintegrität, kommt eine nach § 394 S. 1 AktG privilegierte Ausnahme von der aktienrechtlichen Schweigepflicht des Aufsichtsrats nicht infrage. Nur insoweit treten berichtspflichtige Aufsichtsratsmitglieder in die Verantwortung für die Geheimnisintegrität übermittelter Gesellschaftsgeheimnisse ein. Andererseits gebietet der von § 394 S. 1 AktG verfolgte Zweck, der Gebietskörperschaft eine hinreichende Informationsgrundlage über ihre Beteiligung zu verschaffen, den Informationsfluss nicht durch eine Ausweitung des Pflichtenkreises berichtspflichtiger Aufsichtsmandatare zu beschränken. Die §§ 394, 395 AktG stellen keine Anforderungen an das Auskunftsverhalten berichtspflichtiger Aufsichtsratsmitglieder, die nicht auch in der Kommunikation zu sonstigen Dritten, die etwa als Hilfspersonen über Geheimnisse in Kenntnis gesetzt werden dürfen, beachtet werden müssen. Das Informationsprivileg der öffentlichen Hand erweitert die Verantwortlichkeit berichtspflichtiger Aufsichtsratsmitglieder nicht. Dem auf Veranlassung der beteiligten Gebietskörperschaft in den Aufsichtsrat bestellten Aufsichtsratsmitglied wird insbesondere nicht die Verantwortung für die anhaltende Vertraulichkeitsgewähr auferlegt. Stattdessen steht die Informationsweitergabe unter dem Vorbehalt einer treu- und sorgfaltsgerechten Prüfung der durch die Berichterstattung verursachten Gefährdung der Vertraulichkeit. In der Gesamtschau ergibt sich daraus der Auftrag an die rechtssetzende Gebietskörperschaft die Berichterstattung verfahrenstechnisch dergestalt zu strukturieren, dass eine Aufrechterhaltung der Geheimnisintegrität infolge der Informationsübermittlung nicht objektiv gefährdet wird. Gelingt ihr das nicht, ist eine nach § 394 S. 1 AktG privilegierte Berichterstattung ausgeschlossen.
E. Thesen I. Zur aktienrechtlichen Schweigepflicht des Aufsichtsrats 1.
Die organschaftliche Verschwiegenheitspflicht fand ihre ausdrückliche Erwähnung im Gesetz erstmals in § 84 Abs. 1 S. 2 AktG v. 1937 für die Mitglieder des Vorstands und i. V. m. § 99 AktG v. 1937 für die Mitglieder des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft.
2.
Die aktienrechtliche Schweigepflicht ist dogmatisch gleichermaßen in der Sorgfalts- und Treuepflicht zu verankern, deren einheitliche objektive Verhaltenspflicht zur Abwehr von Schäden für die Gesellschaft sie konkretisiert.
3.
Alle Tatsachen, die in den Anwendungsbereich der aktienrechtlichen Schweigepflicht fallen, können im Grundsatz auch dem Geheimnisschutz nach GeschGehG unterfallen. Entscheidend ist insoweit die Existenz von angemessenen Schutzmaßnahmen gegen einen unfreiwilligen Informationsverlust, die von einem Geheimhaltungswillen getragen werden.
4.
§ 394 S. 1 AktG ist eine Erlaubnisnorm im Sinne des § 3 Abs. 2 GeschGehG.
5.
Der Geschäftsgeheimnisschutz nach GeschGehG verdrängt, ersetzt oder modifiziert den aktienrechtlichen Geheimnisschutz nicht. Vielmehr ist von einer parallelen Anwendbarkeit auszugehen, soweit dies nicht dem Sinn und Zweck der GeschGeh-Richtlinie widerspricht.
6.
Geschäftsgeheimnisse im Sinne des GeschGehG sind nicht gleichzusetzen mit den in § 93 Abs. 1 S. 3 AktG genannten Geschäftsgeheimnissen.
7.
Der sachliche Tatbestand der aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats umfasst alle Gesellschaftsinformationen, die von einem nach objektiven Kriterien und in Ansehung des Unternehmensinteresses zu beurteilenden Geheimhaltungsbedürfnis umfasst sind.
8.
Informationen über rechtswidrige Vorgänge unterfallen nicht dem sachlichen Anwendungsbereich der aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht. Das ergibt sich aus dem Schutzzweck und Wortlaut des § 93 Abs. 1 S. 3 AktG.
9.
Den aus der Sphäre des Aufsichtsrats stammenden Geheimnissen kann ausschließlich der Aufsichtsrat durch Beschlussfassung das Geheimhaltungsinteresse absprechen, soweit dem nicht ein objektives Geheimhaltungsbedürfnis entgegensteht.
II. Zur funktionalen Systemeigenschaft d. aktienrechtlichen Kommunikationswesens 281
10. Das Unternehmensinteresse ist ein unbestimmter Rechtsbegriff und zur Rechtfertigung der Weitergabe einer geheimhaltungsbedürftigen Gesellschaftsinformation an nicht empfangsberechtigte Dritte nicht geeignet. 11. Dem Unternehmensinteresse kann eine Schrankensystematik zur Berücksichtigung pluralistischer Interessen im Rahmen von Ermessensentscheidungen entnommen werden. 12. Große Kapitalgesellschaften und Kapitalgesellschaften unter Beteiligung der öffentlichen Hand sind dem Interessenpluralismus verpflichtet. Das resultiert aus der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung der großen Kapitalgesellschaften i. V. m. der Sozialbindung des Eigentums nach Art. 14 Abs. 2 GG und der Gemeinwohlbindung staatlichen Handelns. 13. Es gibt keine konzernrechtlich veranlagte Durchbrechung der aktienrechtlichen Schweigepflicht. 14. Konzerninteressen können über die Schrankensystematik des Unternehmensinteresses den Anwendungsbereich der aktienrechtlichen Schweigepflicht berühren.
II. Zur funktionalen Systemeigenschaft des aktienrechtlichen Kommunikationswesens 1.
Die Schweigepflicht des Aufsichtsrats aus §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 3 AktG ist ein zentrales Element der aktienrechtlichen Kommunikationsstruktur, die wiederum wesentlicher Bestandteil der aktienrechtlich vorgezeichneten Organisationsstruktur aus zwei unabhängigen Verwaltungsspitzen (Vorstand und Aufsichtsrat) ist.
2.
Der obligatorische Aufsichtsrat der (öffentlichen) Gesellschaft mbH ist denselben Pflichten unterworfen wie der Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft.
3.
Dem fakultativen Aufsichtsrat der Gesellschaft mbH wird ausweislich des Verweises in § 52 Abs. 1 GmbHG das Wesen des aktienrechtlich vorgezeichneten Aufsichtsrats zur Grundlage gemacht, wenn nicht aus den Satzungsbestimmungen eine individualisierte Wesensbestimmung erkennbar wird. Damit gelten für den fakultativen GmbH-Aufsichtsrat grundsätzlich dieselben grundlegenden Organprinzipien wie für den obligatorischen GmbH-Aufsichtsrat.
4.
Soll der Gesellschaft mbH ein fakultatives Organ gegeben werden, dessen Hauptaufgabe in der Überwachung der Geschäftsführung liegt, ist im Zweifel von einem Aufsichtsrat nach aktienrechtlichem Vorbild auszugehen.
282
E. Thesen
5.
Ein Verwaltungsgesellschaftsrecht nach herkömmlichen Begriffsverständnis kann es in Ansehung der Systemeigenschaft des verfassten Gesellschaftsrechts nicht geben.
6.
Das Verwaltungsgesellschaftsrecht kann als Teildisziplin des Gesellschaftsrechts aufleben, nicht aber als Unterfall des Wirtschaftsverwaltungsrechts. Der dogmatische Anker des Verwaltungsgesellschaftsrechts liegt im gesellschaftsrechtlichen Einheitsstatut der jeweiligen Rechtsform.
7.
Auftrag und Ziel des Verwaltungsgesellschaftsrechts ist die gesellschaftsrechtskonforme Transformation von Interessen der öffentlichen Hand in den Handlungsrahmen des Unternehmens.
8.
Das Verwaltungsgesellschaftsrecht findet seine Gestaltungsgrenzen im Satzungsrecht.
9.
Aufsichtsratsmitglieder können keiner allgemeinen Weisungsbindung im Hinblick auf die Ausübung aller Mandatspflichten unterworfen werden. Das gilt zur Vermeidung der Verantwortungsdiffusion ungeachtet einer anderslautenden Satzungsbestimmung auch für Mitglieder des fakultativen GmbH-Aufsichtsrats öffentlicher Unternehmen.
10. Öffentlich-rechtliche Bestimmungen über die Weisungsgebundenheit von berichtspflichtigen Aufsichtsratsmitgliedern öffentlicher Unternehmen, wie etwa beamtenrechtliche Weisungsbindungen, können im Rahmen des § 394 S. 1 AktG Wirkung entfalten. Das folgt aus § 394 S. 3 AktG. 11. Den Informationsinteressen der in privatrechtlicher Organisationsform unternehmerisch tätigen öffentlichen Hand tragen die §§ 394, 395 AktG hinreichend Rechnung. Einer Modifikation gesellschaftsrechtlicher Bestimmungen bedarf es auch in Ansehung der Ingerenzpflichten der öffentlichen Hand nicht.
III. Zum Informationsprivileg der öffentlichen Hand nach §§ 394, 395 AktG 1. Das Informationsprivileg der öffentlichen Hand aus § 394 S. 1 AktG verschafft Gebietskörperschaften einen beteiligungsgebundenen Zugang zur Rechtsform der Aktiengesellschaft. 2. Der Tatbestand des § 394 S. 1 AktG ist hinsichtlich seiner Anwendungsvoraussetzungen weit zu verstehen und in aktienrechtsautonomer Auslegung um einen Ausschlusstatbestand zu ergänzen. 3. Die Einschränkung des § 394 S. 1 AktG auf Tatbestandsebene resultiert aus der Treue- und Sorgfaltspflicht des berichtspflichten Aufsichtsratsmitglieds und aus dem funktionalen Zweckzusammenhang mit der Schweigepflicht für Berichtsempfänger nach § 395 AktG.
III. Zum Informationsprivileg der öffentlichen Hand nach §§ 394, 395 AktG
283
4. Der Berichterstattungserlaubnis nach § 394 S. 1 AktG ist ein ungeschriebener Ausschlusstatbestand inhärent, wonach eine Berichterstattung ausnahmsweise nicht privilegiert ist, soweit in Ansehung des Empfängerkreises oder des Verfahrens der Berichterstattung die Integrität vertraulicher oder geheimer Gesellschaftsinformationen objektiv mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gefährdet wird. 5. Die Berichterstattungserlaubnis aus § 394 S. 1 AktG ist nicht an die Bedingung geknüpft, dass das berichterstattungspflichtige Aufsichtsratsmitglied die Gewähr für die anhaltende Vertraulichkeit der Berichtsgegenstände bieten kann. 6. Das Informationsprivileg der öffentlichen Hand aus §§ 394, 395 AktG stellt den Gestaltungsauftrag an die Gebietskörperschaft, das organisationsrechtliche Informationswesen ggf. durch Verfahrensbestimmungen dergestalt zu strukturieren, dass die bestimmungsgemäße Berichterstattung keine hinreichend wahrscheinliche Gefahr eines Vertraulichkeitsverlustes bedingt. 7. Die Schweigepflicht für Berichtsempfänger aus § 395 Abs. 1 AktG entspricht einer berufsrechtlichen Verschwiegenheitspflicht für Vertreter einer Gebietskörperschaft, die im Rahmen der Ausübung ihrer Mandatspflichten als bestimmungsgemäße Berichtsempfänger über vertrauliche Angaben und Geheimnisse eines öffentlichen Unternehmens in Kenntnis gelangen.
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Sachverzeichnis Abberufungsrecht 211, 218 Abstimmungsgeheimnis 33 Allgemeinverantwortung 114 Angestellte 109, 257 Arbeitnehmervertreter 44, 98, 125, 128 ff. Ausschlusstatbestand 268 Ausschüsse 100, 114 ff. Außenwirkung 108 ff. Bayer-Entscheidung 31, 47, 76, 85 f., 98 f., 125 f., 146 Beratung 31 Beratungsgeheimnis 32, 90 Berichtsgegenstand 249 ff. Berichtspflicht 112, 244 ff. Beteiligungsverwaltung 257, 274 Betriebsrat 45, 108, 190 Beurteilungs- und Ermessensspielraum 49, 88 f., 153, 155, 169 ff., 198, 275 Compliance-Pflichten 64 Corporate Governance im öffentlichen Unternehmen 216 f. Corporate Social Responsibility 145 Daseinsfürsorge 20 Demokratieprinzip 200 Diskussionen im Aufsichtsrat 31 Dogmatik – der Ingerenzpflicht 200 ff. – der Schweigepflicht des Aufsichtsrats 43, 46 ff., 50, 196 – des Aufsichtsorgans 226 ff. – des Konzerninteresses 187 f. – des Unternehmensinteresses 139 ff. – des Verwaltungsgesellschaftsrechts 213 Doppelte Funktionsweise 48 Dualistisches Verwaltungssystem 30, 214, 221 f.
Einsichtsrecht 21, 40, 116 ff., 122 f. Entsenderecht 211 Existenzvernichtungshaftung 166 Fakultativer Aufsichtsrat 53 Fehlerhafte Bestellung 83 Fraport-Entscheidung 167, 205 Funktionale Zweckbindung der Berichterstattung 252 Funktionsvorbehalt 200 f. Funktionszusammenhang 263 Gefahren des Vertraulichkeitsverlustes 22 Geheimhaltungsbedürfnis 86 ff., 94, 171, 198 Geheimhaltungswille 52, 64, 71, 75 f., 87 f., 93, 198 Gemeinwirtschaft 134 ff. Gemeinwohlbindung 159 f. – Öffentlicher Unternehmen 166 ff. Gemeinwohlpostulat 136, 140 f., 159 f., 167 Gentlemen’s Agreement 96 Geschäftsgeheimnis 60 ff. Geschichte der Aktiengesellschaft 36 Gesellschaftsinteresse 86, 133 f. Gestaltungsauftrag 268 Gewaltenverschränkung 129 Gleichheitssatz 125, 223 Handelskompagnien 34 ff. Handlungsmaxime 46, 133, 139 ff. Herr über Gesellschaftsgeheimnisse 20, 88, 122, 173 – im Konzern 189 Hilfspersonen 109 Homogenitätsprinzip 125 Illegales Geheimnis 67 ff., 101 Immaterialgüterrecht 66 f. Immaterieller Schaden 74 Ingerenzpflicht 201 f., 213, 242, 259 f. Innenorgan 21
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Sachverzeichnis
Innerbetriebliche Vorgänge 69 ff. Integrität des Beratungsgeheimnisses 31 Interessenkonflikt 23 Interessenpluralismus 138 ff., 147 ff., 156 Konkurrenzen 79 ff. Konsumgenossenschaft 139 Kontinuitätsinteresse 133, 153 f., 161 ff. Kontrolle – der Geschäftsleitung 21, 38, 53, 130 – des Haushalts 21, 23, 240 – im Konzern 173 ff. Konzerngeheimnis 174 ff. Konzerninteresse 176, 187 ff. Konzernleitung 174 Konzessionssystem 37 Korrelation 29 Leitungsermessen 90, 134 f., 144 Leitungsmacht 182 f. Mandatsunternehmen 197 Marktmissbrauch 57 Minderheitenschutz 130,137 Missbrauchsverbot 117 f. Mitarbeiter 109 Mitbestimmung 52, 126, 128 ff., 145, 241 Mitteilungsverbot 56 Multiple Pflichtenbindung 125, 192 ff. Nachteilsausgleich 184 f., 190 Nebenamt 22, 83 Negativer Empfängerkreis 86, 93, 108 Obligatorischer Aufsichtsrat 44, 53 f. – der GmbH 55 – Weisungsbindung 220 ff., 235 – Zusammensetzung 98 Octroi-System 35 Offenbarungsinteresse 71 ff. Öffentliches Unternehmen 20 Organisationsautonomie 113 f. Organisationsprivatisierung 200 Organwalter 23 Parlamentsausschuss 272 Personalkompetenz 21, 129 Pflichtenkollision 23, 25
Pflichtenkonstellation 23 Pflichtennetz 22 Pflichtrecht 21, 30 Portfoliotheorie 148 Praktische Konkordanz 155, 213 Privatisierung 23, 200 Prüfbericht 115 Prüfungsrecht 21 Publikumsgesellschaft 157 f. Rechtfertigungslösung 102 f. Rechtsfolgen bei Verstößen gegen die Schweigepflicht aus – AktG 24, 44 – GeschGehG 72 f. – MMVO u. WpHG 57 Satzungsautonomie 219 ff., 224 ff. Schadensverhütungspflicht 84 Sekundärinteressen 124 ff., 158 f., 275 Selbstverwaltungsgarantie 202 Shareholder Value 148 ff., 156, 169 ff. Sorgfaltspflicht 43, 46, 88, 120, Sozialbindung des Eigentums 145 Sozialwahltheorie 155 Stakeholder Value 142 ff., 169 ff. Steuerungsvorbehalt 200 f., 203, 207, 242 Trennungsprinzip 181 f. Trennungssystem 30 Treue- und Sorgfaltspflicht 46 f., 76, 83 f., 95, 123, 166, 187, 191, 232, 248 f., 255, 263, 266 Trihotel-Entscheidung 166 Unabhängigkeit des Aufsichtsrats 32, 36 f., 153 f., 220 f., 227 Unternehmensinteresse 127, 134 ff., 142, 146 ff., Unternehmenswohl 151 Untersuchungsausschuss 271 Überwachung der Geschäftsführung 21, 122 Veranlassung 243 Vertrauensvolle Zusammenarbeit 30, 110, 221 Vertrauliche Angaben 92 ff. Vertraulichkeitsgegenstand 97 ff., 115
Sachverzeichnis Vertraulichkeitsgewähr 258 ff., 263 ff. Verwaltungsgesellschaftsrecht 205 ff., 213 Verwaltungsprivatrecht 211 ff. Vorrang des Gesellschaftsrechts 207 ff. , 213 Weisungsrecht 112, 122, 159 – im Konzern 182 ff. – im öffentlichen Unternehmen 214, 217 ff. – in der öffentlichen GmbH 220 ff., 224, 231 ff., 235 Wertsteigerungsmanagement 148 Wesensmerkmale 28 Whistleblower 71, 101 f. Wirtschaftsgeheimnis 102 Wirtschaftsverwaltungsrecht 210, 217 Wissenszurechnung 193 ff.
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Zuschauereffekt 163 f. Zusicherung 96 Zustimmungsvorbehalt 128 Zweckbindungsgrundsatz 201, 250 f. Zwecke – der aktienrechtl. Schweigepflicht 22, 28 ff., 32 f., 84, 92 f., 108, 119 – der Aufsichtsratsberichte 250 – der GeschGeh-RiLi 66 f., 70, 81 – der Schweigepflicht für Berichtsempfänger 266 – des GeschGehG 77 – des Informationsprivilegs 238 ff., 264, 267 Zweckzusammenhang 257 ff., 272