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German Pages 96 [128] Year 1948
Hand und Persönlichkeit Eine Einführung
in die Psychologie
auf Grund der
Hand
Von
Hugo Steindamm und Elsbeth Ackermann
M i t 13 A b b i l d u n g e n n n d 65 H a n d b e i s p i e l e n
2. v e r b e s s e r t e A u f l a g e
1947
A. M A R C U S U N D E. W E B E R ' S B E R L I N W 35
VERLAG
Alle Rechte, besonders das der Übersetzung, vorbehalten Printed in Germany Druck: Hentschel, Heidrich & Co., Berlin, Schulzendorfer Str.
Inhalt
Seite
Vorwort Die Beziehungen zwischen Leib und Seele. Chiromantie — Chirologie. Das symbolische und das verstandesmäßige Denken. Grundsätzliches zur Deutung Carus über das Wirken Charakter.
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13 des Unbewußten.
Körperform und
Die Fingerformen Die konischen Finger Die Spatelfinger Die quadratischen Finger
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Die Fingerglieder
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Der Handrücken
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Die Fingerknoten
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Finger und Handrücken
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Die Gesamthand
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Weichheit und Härte
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Die Bedeutung der einzelnen Finger 27 Der Daumen. Die Verkörperung des Ich. Das Gesetz der Polarität. Der Berg a als Symbol der Ich-Vitalität. Die Beziehungen zu den oberen Bergen. Minderwertigkeitskomplexe. Der Selbsthingebungstrieb im Ichbereich. Jedes starke Ich besitzt eine elementare Gewalt über schwächere Fremdichs . . 27 Der Zeigefinger. Das Symbol des Selbst. Autoritäres und autoritatives Gefühl. Pflichtgefühl. Der Zeigefingerberg verkörpert den Selbsttrieb; er ist das Zentrum aller Täuschunigen über die eigene Person und damit über die Welt. Geltungstrieb und Ehrgeiz 31 Der kleine Finger. Er verkörpert die Umweltsbeziehungen. Aufnahme und Äußerung, Bewegung und Sexualität 32 Der Ringfinger. Das Gefühl für die Form und das Vermögen der Formung 34 Der Mittelfinger. Die Symbolik des kategorischen Imperativs . . . 35 Die Berge 36 Die oberen Berge. Eis sind nur drei, nicht vier vorhanden. Symbolisch stellen sie die „Wunsch-Triebe" dar 36 Der Berg c. Seine Lage auf der Umweltseite der Hand. Er symbolisiert den Kampf für Ideen .38 Die Berge b und d. Die „.Dinge an sich", die intelligible Welt. Abhängigkeit vom Wirken höherer Mächte. Carus, Goethe, Schiller über das Wesen der Gläubigkeit. Es gibt „zweierlei Wahrheiten". Der „dämonische Geist" des Genies. Die schöpferischen Ideen entstammen der Vernunft. Psyche. Göttliche Offenbarung. Jakob Böhme über Ekstase. Die Aufhebung von Raum und Zeit. Vom „Fünklein Seele". Berg b als Symbol des „vitalen Gedächtnisses". Piaton über das Dämonische und die Unsterblichkeit der Seele. Die Verbundenheit des Menschen mit der „Harmonie der reinen Gedankenwelt". Hellsehen und Suggestion. Jung über die Beziehungen zwischen Seele und Verstand 39 3
Seite Das Liniennetz 49 „Gefühl" und „Gesinnung" Im Sinne von McDougall. Der Einfluß der Erbmasse auf den Charakter. Klages über Fähigkeiten und Triebfedern. Die Antriebsbedingungen der Gefühle. Die Linie 1. Regelung der körperlich-vitalen Kräfte. Eine Unterscheidung zwischen der Menge und der Intensität der Ich-Vitalität 51 Die Linie 2. Sie symbolisiert den vom Selbst ausgehenden logischen, berechnenden Verstand. Der Geist „Widersacher der Seele" ? Eine Einschränkung. Der Verlauf der Linie in ostasiatischen Händen. Ihre Beziehungen zur Linie 1 und zu den Bergen b und c . . . 53 Die Linie 3. Trennung der Umweltsgefühle von den Ich-Gefühlen. Ihre Verbindung mit dem Geltungstrieb. Eine Unterscheidung zwischen der Menge und der Tiefe der Gefühle. Der Abstand zwischen den Linien 2 und 3. Die „gesperrte Hand" 56 Die Linie 4. Das Symbol der Zielstrebigkeit und des Verantwortungswillens. Charaktereigenschaften und Verhaltenseigenschaften. Zielstrebigkeit und Tatkraft. Der „Geist" in der schöpferischen Hand 58 Die Linie 6. Die Dreiteilung in Seele, Geist, Körper. Das Kräftespiel im Liniennetz 62 Die Linie 5. Das Streben nach künstlerischer Gestaltung 64 Die Handhaltung Der abgestreckte und der eingezogene Daumen. Gelockerte und gebundene Fingerhaltung.
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Folgerungen Die horizontale und die vertikale Dreiteilung der Persönlichkeit entspricht der alten Symbolik des Baumes mit den drei Wurzeln und den drei Ästen. Mensch und Kosmos. Das der Wahrnehmungswelt und das der lntelligiblen Welt zugewandte Gefühl. Die Theorie von den Drei-Einheiten. Das väterliche und das mütterliche Prinzip. Piaton über die dreigeteilte Seele. Die Hände schöpferischer Künstler. Magische Kraft. Wissen und Können. Der naturnotwendige Kampf zwischen Geist und Seele. Die „eidetische" Erlebnisstruktur. Bewußtlose Weisheit im Sinne von Carus. Berufliche Begabung In der Hand. Die männliche und die weibliche Hand.
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Schluß Die Arbeitsmethode. Typologien sind überholt. Vom praktischen Deuten. Einzel- und Gesamtbefund. Was bedeutet eigentlich „Geist"? Der logische Verstand kann nur verarbeiten, was ihm durch die seelische Aufnahme zugeführt wird. Der praktische Wert der Handdeutung. Das „Formniveau". Ein Urteil Prinzhorns. Ausblick.
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Anhang: Reproduktionen von Handabdrücken.
Sämtliche Handabdrucke wurden von Frau Elsbeth Ackermann, Berlin, hergestellt. Der Nachdruck von Abdrucken ist nur mit Ihrer besonderen Genehmigung gestattet.
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Vorwort zur 2. Auflage Und ist kein Ding in der Natur, das geschaffen oder geboren ist, es offenbart seine innerliche Gestalt auch äußerlich. Denn das Innerliche arbeitet stets zur Offenbarung. Als wir solches an der Kraft und Gestaltnis dieser Welt erkennen: wie sich das ewige Wesen mit der Ausgebärung in der Begierde hat zu einem Gleichnis offenbart, wie es sich hat in so viel Formen und Geständnisse offenbart, als wir solches an Sternen und Elementen, sowohl an Creaturen, auch Bäumen und Kräutern sehen und erkennen. Darum ist in der Signatur der größte Verstand, darinnen sich der Mensch nicht allein lernet selber kennen, sondern er mag auch darinnen das Wesen aller Wesen lernen erkennen. Jakob Böhme Die erste Auflage dieses Buches wurde im Jahre 1941 Von der Gestapo verboten und beschlagnahmt. Die Neuausgabe bietet nunmehr Gelegenheit, auf einige Anfragen einzugehen, die teils in Buchbesprechungen, teils in Zuschriften erfolgt sind. Was die Frage betrifft, warum ich meine Forschungen gerade der Handdiagnostik widmete, so ist zunächst zu bemerken, daß es mir in erster Linie auf den Versuch ankam, eine Methode zu finden und zu entwickeln, die es ermöglichen sollte, in der Wirtschaft, der Verwaltung und der Wissenschaft alle gehobenen Posten mit jeweils dafür besonders geeigneten Kräften zu besetzen und gleichzeitig spezielle Begabungen schon im Jugendalter zu erkennen und entsprechend zu fördern. Denn das erscheint mir angesichts der Tatsache, daß im heutigen Berufsleben so viele an falscher Stelle stehen, von ungeheurer Bedeutung für den Fortschritt und das Wohl der Menschheit. Ein Arzt beispielsweise, der in seinem Beruf nur durchschnittliche Leistungen oder sogar noch weniger erreicht, während er durch die Ausbildung seiner besonderen technischen Fähigkeiten Hervorragendes hätte vollbringen können, stellt wirtschaftlich betrachtet einen Passivposten dar, weil er einmal seinen Patienten nicht helfen kann, wie es einem guten Vertreter seines Faches möglich wäre, und weil zweitens seine technische Begabung brach liegt und der Allgemeinheit nicht zugute kommt. Jeder, der seinen Beruf verfehlt hat, ist zudem unzufrieden und leidet seelisch darunter. Vielleicht noch eindringlicher tritt der Schaden, der sich durch eine falsche Berufswahl für die Allgemeinheit ergeben kann, bei einem Pädagogen 5
zutage; denn ein schlechter Pädagoge wird im Laufe seines Lebens nicht nur das Wissen von Hunderten von Schülern nicht genügend fördern, sondern er wird auch seine erzieherischen Aufgaben nur mangelhaft durchführen und damit seine Schüler unter Umständen für das ganze Leben schwerwiegend beeinträchtigen. Derselbe Lehrer aber hätte vielleicht als Forscher Außerordentliches leisten können, wenn seine Begabungen und charakterlichen Anlagen rechtzeitig festgestellt und seine Ausbildung dementsprechend durchgeführt worden wäre. Das sind nur zwei von Hunderten von Beispielen, die uns im täglichen Leben immer wieder entgegentreten. Eine Änderung dieser Zustände konnte bisher nicht erreicht werden, weil die üblichen Verfahren für Eignungsprüfungen den Nachteil haben, daß sie Einblicke in nur recht begrenzte Gebiete gewähren. So sind z. B. juristische oder medizinische Begabungen, auch wenn sie noch so ausgeprägt vorhanden sind, mit den alten Methoden nicht zu erkennen, und gänzlich unmöglich ist es, den Grad und die Eigenart der verschiedenen künstlerischen Begabungen festzustellen. Dadurch wird der Wert von Eignungsprüfungen unter Umständen außerordentlich eingeschränkt. Aber die Feststellung von Spezialbegabungen allein genügt noch nicht. Bei Personen, die für leitende Posten ausersehen sind, muß auch die Frage nach der Ethik, nach dem Verantwortungsbewußtsein und nach der menschlichen Zuverlässigkeit genauestens beantwortet werden, eine Aufgabe, die mit den bisher üblichen Verfahren ebensowenig gelöst werden kann wie z. B. die Beurteilung der intuitiven Anlagen. Diese sind u. a. von ausschlaggebender Bedeutung, wenn es sich darum handelt, geeignete Kräfte für Forschungsstellen und Konstruktionsbüros der verschiedensten Art auszuwählen. Denn die Praxis hat gezeigt, daß es unter den zahlreichen wirklich tüchtigen Wissenschaftlern und Ingenieuren immer nur einige wenige gibt, die über Ideen für neue, bahnbrechende Erfindungen und Verbesserungen verfügen. Nur mit Hilfe der Handdiagnostik, so hat sich herausgestellt, gelingt es, diese Lücken in den Eignungsprüfungen zu schließen und dadurch die Besetzung aller leitenden Posten mit vollauf qualifizierten Kräften zu gewährleisten, was für den Fortschritt in den verschiedensten Wirtschaftszweigen und für eine erfolgreiche Arbeit der Verwaltung von größter Wichtigkeit ist. Durch die Handanalyse ist es nämlich zum ersten Male möglich, s ä m t l i c h e Charaktereigenschaften und s ä m t l i c h e Begabungen eines Menschen exakt und einwandfrei zu erfassen. Ich habe den Weg, die Hand zum Gegenstand eingehender charakterkundlicher Untersuchungen zu machen, erst beschritten, nachdem eine gründliche Überprüfung aller anderen Methoden keine Aussichten auf wesentliche Fortschritte in der gewünschten Richtung zu bieten schien. Ich tat es nur zögernd und ungern, weil mir von vornherein klar war, daß diese Untersuchungen im Urteil der breiten Öffentlichkeit auf lange Zeit belastet sein würden durch die — wenn auch völlig unangebrachte — Verbindung mit dem Unwesen von Scharlatanen, die behaupten, auf Grund der Handlinien schicksalsmäßige „Prophezeiungen" abgeben zu können. Deshalb sei besonders unterstrichen, daß diese Arbeit nichts mit Chiromantie zu tun hat. Andererseits durften die alten Überlieferungen keineswegs in Bausch und Bogen beiseite geschoben, sondern mußten in dem gleichen 6
Sinne einer Nachprüfung unterzogen werden, wie das neuerdings in der Medizin hinsichtlich der im Volke überlieferten Heilmittel geschieht. Ermutigt wurde ich zu der Arbeit einmal durch die Ergebnisse der kriminalistischen Daktyloskopie, dann vor allem aber durch die Untersuchungen, die vom Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie hinsichtlich der Papillären vorgenommen worden sind. Wenn eine solche Stelle, so sagte ich mir, sich mit Handuntersuchungen beschäftigt, dann stellt dies zweifellos den ersten Schritt dazu dar, die durchaus verständlichen Vorurteile zu beseitigen und den Weg für eine neue Wissenschaft von der Hand frei zu machen. Die vorliegenden Ergebnisse wären ohne das umfassende Rüstzeug, das die moderne Psychologie bietet, nicht möglich gewesen. Insbesondere zu erwähnen sind die mythologischen Forschungen des Kreises um C. G. Jung und Kerenyi, die mich veranlaßten, mich eingehend mit der Bedeutung des Symbols der Hand in der Überlieferung der verschiedensten Völker zu beschäftigen. Leider ist die erste darüber verfaßte Arbeit seinerzeit von der nationalsozialistischen Zensur als „unerwünscht" bezeichnet worden, so daß sie damals nicht erscheinen konnte. Sie stellt, was für die Beurteilung des vorliegenden Werkes ungemein wichtig ist, dar, daß der hier auf Grund der Symbolik der Hand geschilderte Aufbau des menschlichen Charakters bereits den alten Völkern bekannt war, wie dies in ihren Mythen unmißverständlich zum Ausdruck kommt. Besonders verpflichtet bin ich dem Werk von Carl Gustav Carus, der durch seine „Symbolik der menschlichen Gestalt" und vor allem durch das darin enthaltene Kapitel über die Hand zu wichtigen Anregungen verhalf. Systematische Reihenuntersuchungen, wie sie für die Arbeit unerläßlich sind, lagen jedoch nirgendwo vor. Sie wurden zum ersten Male von meiner Mitarbeiterin und mir durchgeführt und wären schon längst veröffentlicht worden, wenn die Zeitumstände es gestattet hätten. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß die Wiedergabe der großen Anzahl von Handabdrücken, die schon bei einer einzigen Reihenuntersuchung herzustellen sind, beträchtliche Kosten verursacht. Trotzdem ist zu hoffen, daß es gelingen wird, das in Jahrzehnten gesammelte Material einem größeren Kreis zugänglich zu machen, weil von Tag zu Tag die Einsicht wächst, daß das Wissen um das Wesen des Menschen nicht nur für die Fortentwicklung, sondern schlechthin für den Fortbestand der Menschheit von grundlegender Bedeutung ist. Die Anschauung, daß zwischen den menschlichen Körperformen und dem Charakter enge, gesetzmäßige Beziehungen bestehen, ist Jahrtausende alt. Lange bevor Aristoteles seine Antlitzkunde schrieb, haben Maler und Bildhauer aller Kulturen die Verbindung zwischen Körper und Wesensart — und damit auch die zwischen Mensch und Kosmos — in ihren Bildern und Skulpturen vielfältig zum Ausdruck gebracht. Und noch heute geschieht in der Kunst nichts anderes. Der Tatbestand des Vorhandenseins einer solchen intuitiven Erkenntnis hätte zweifellos allein schon genügt, um Anlaß zu einer wissenschaftlichen Überprüfung zu geben. Neuerdings ist jedoch noch hinzugekommen, daß die Medizin in immer größerem Umfange die Erfahrung machte, daß körperliche Zustände der verschiedensten Art von seelischen Einflüssen abhängig sind oder, allem Anschein nach, überhaupt von ihnen hervorgerufen werden. Die auf dieser Basis unter7
nominenen Forschungen — erinnert sei vor allem an Kretschmer — sind aber leider bisher über die Anfangsstadien nicht hinausgekommen. Die vorliegende Einführung in die Psychologie auf Grund der Hand bezweckt nun, einen neuen Zugang zu dem Problem zu erschließen, einen Zugang, der wesentlich weiter führt als alles Bisherige. Es ist beabsichtigt, nicht nur der Psychologie und der Philosophie, sondern vor allem der charakterkundlichen Praxis, der Pädagogik, der Medizin, der Völkerkunde, der erbbiologischen Forschung, der Kriminalistik und der Rechtsprechimg neue Unterlagen und neue Anregungen zu bieten. Und zwar ist dies in einem Ausmaße möglich, das die bei Beginn der Untersuchungen gehegten Erwartungen weit übertrifft. Denn zunächst erhoffte ich — als langjähriger Graphologe — im Wesentlichen kaum mehr als eine Bestätigung jener psychologischen Zusammenhänge zu erhalten, die sich aus der Schriftdeutung ergeben. Das führte mich anfänglich auch zu der Annahme, daß die einzelnen Merkmale der Hand ausdruckskundlich den jeweüigen Merkmalen der Schrift entsprächen. Bald mußte ich jedoch — nicht ohne Enttäuschung und Irritation — feststellen, daß diese Hypothese sich nicht bestätigte. Immer klarer hingegen ergab sich, daß die Beziehungen zwischen Körper und Seele sich wesentlich anders darstellen, als mir dies bis dahin auf Grund der physiognomischen und psychologischen Studien anzunehmen berechtigt erschien. Betrifft dieser Tatbestand, dessen Einzelheiten uns im Verlaufe der Untersuchungen beschäftigen werden, vorwiegend die Physiognomik, so gelang für die Psychologie nichts Geringeres als die Auffindung aller wesentlichen Züge des Charakters und der Persönlichkeit. Darüber hinaus aber konnten auch der tektonische Aufbau und die funktionellen Einzelheiten, d. h. die Beziehungen und Wechselwirkungen der einzelnen Gliederungen (Komplexe), eine weitreichende Klärung erfahren. Damit ist für alle Gebiete, die den Menschen zum Gegenstand der Forschung haben, erstmalig ein festes Fundament geschaffen. Wenn ein beträchtlicher Teil der theoretischen Auseinandersetzungen dadurch überholt und beendet ist, so spricht das keineswegs gegen die Theorie. Es ist im Gegenteil hervorzuheben, daß ein wesentlicher Teil der neuen Erkenntnisse der spekulativen Vorarbeit einer ganzen Reihe von Denkern zu verdanken ist. Auch bei der Schließung von mancherlei Lücken und beim weiteren Ausbau wird die Mitarbeit der Theorie unerläßlich sein. Mit dieser Feststellung möchte ich zugleich unterstreichen, daß die vorliegende „Einführung" in jeder Hinsicht der Vervollständigung bedarf. Wenn ich sie trotzdem veröffentliche, so geschieht dies, weil ich allein niemals in der Lage wäre, sie zu vollenden. Dazu wird es vielleicht der Arbeit von Generationen bedürfen. Vielleicht aber ist es überhaupt menschlichem Geist unmöglich, die letzte aller Erkenntnisse zu gewinnen. Als wichtigstes Hilfsmittel bei der Kontrolle hat sich die Graphologie erwiesen, wofür sie wiederum von der Hand her manche Bereicherung erfahren konnte, über die noch zu berichten sein wird. Die mit den Fortschritten der Untersuchung immer klarer heraustretende Systematik des Aufbaus der Persönlichkeit diente schließlich als letzte Prüfungsinstanz. Dabei ist mit besonderer Vorsicht verfahren worden, denn einige Male ergab sich, daß empirisch und experimentell für richtig befundene Deutungsmerkmale in die — im Augenblick noch nicht vollendete — Tektonik des Charak8
ters nicht eingegliedert werden konnten. Bei manchen gelang dies später, bei anderen bisher jedoch noch nicht. Sie sind trotzdem aufgenommen worden, um bei den weiteren Forschungen den rechten Platz erhalten zu können. Neben den symbolisch ableitbaren und zugleich empirisch erwiesenen Merkmalen enthält die vorliegende Arbeit eine Reihe von bisher nur empirisch und experimentell als richtig befundenen, deren symbolische Ableitung noch nicht gelang. Was keinerlei Erstaunen hervorrufen dürfte angesichts der Tatsache, daß die Gabe des symbolischen Schauens im Laufe der Jahrtausende erheblich verkümmerte. Der Rationalist dürfte diesen von uns festgestellten Mangel als solchen kaum empfinden. Deutungswissenschaftlich aber ist er von Wichtigkeit, denn das vorlogische, symbolische oder — wie Klages es nennt — lebensabhängige Denken ist für-uns ebenso erforderlich wie das logisch-analytische. Die hier zutage tretende Verschiedenheit hat Schiller in einem Brief an Goethe mit folgenden Worten gekennzeichnet: „Die neulichen Unterhaltungen mit Ihnen haben meine ganze Ideenmasse in Bewegung gebracht, denn sie betrafen einen Gegenstand, der mich seit etlichen Jahren lebhaft beschäftigt... Mir fehlte das Objekt, der Körper, zu mehreren spekulativischen Ideen, und Sie brachten mich auf die Spur davon. Ihr beobachtender Blick, der so still und rein auf den Dingen ruht, setzt Sie nie in Gefahr, auf den Abweg zu geraten, in den sowohl die Spekulation als die willkürliche und blos sich selbst gehorchende Einbildungskraft sich so leicht verirrt. In Ihrer richtigen Intuition liegt alles und weit vollständiger, was die Analysis mühsam sucht, und nur weil es als Ganzes in Ihnen liegt, ist Ihnen Ihr eigener Reichtum verborgen; denn leider wissen wir nur das, was wir scheiden. Geister Ihrer Art wissen daher selten, wie weit sie vorgedrungen sind, und wie wenig Ursache sie haben, von der Philosophie zu borgen, die nur von Ihnen lernen kann. Diese kann blos zergliedern, was ihr gegeben wird, aber das Geben selbst ist nicht die Sache des Analytikers, sondern des Genies, welches unter dem dunklen, aber sichern Einfluß seiner Vernunft nach objektiven Gesetzen verbindet... Beim ersten Anblick zwar scheint es, als könnte es keine größeren Opposita geben als den spekulativen Geist, der von der Einheit, und den intuitiven, der von der Mannigfaltigkeit ausgeht. Sucht aber der erste mit keuschem und treuem Sinn die Erfahrung, und sucht der letzte mit selbsttätig freier Denkkraft das Gesetz, so kann es gar nicht fehlen, daß nicht beide einander auf halbem Wege begegnen werden..." Wer beide Arten des Denkvermögens in annähernd gleichem Umfange besitzt, dem mag es des öfteren ergehen wie dem Mathematiker Gauß, der einmal erklärte: „Die Lösung habe ich, nur den Beweis habe ich noch nicht." Die Lösung fand er intuitiv, doch die logische Beweisführimg bereitete ihm Schwierigkeiten. Diese gleichen Schwierigkeiten nun bietet die Deutungswissenschaft in ununterbrochener, niemals endender Folge. Deshalb müssen wir häufig an die Stelle der logischen die empirisch-experimentelle Beweisführung setzen. Andererseits ist uns, wie wir bereits ausführten, in einigen Fällen, wo sogar beide Arten der Beweisführung vorliegen, keineswegs die symbolische Ableitung gelungen. Die auf dieser allein beruhenden Deutungsmerkmale — also solche, deren Richtigkeit bisher weder kausal noch (aus Zeitmangel) experimentell erwiesen werden konnte — haben wir nicht aufgenommen. Daß die Symbolik trotzdem Weg9
weiser für unsere Arbeit ist, sei unterstrichen durch die Anführung des folgenden Satzes von Carus: „Alles, was wir Körperform, Züge des Antlitzes, Blick des Auges nennen, es ist ja nur die äußere Symbolik, wodurch das Tiefinnerliche einer in diesen Gestalten unbewußt waltenden Idee sich ausspricht, und wie groß, wie in vieler Hinsicht oft für ein ganzes Leben bestimmend kann die Einwirkung sein, welche diese äußere ohne ihr Zutun und ohne ihr Wissen herangebildete Erscheinung einer Seele auf die bewußte Region einer anderen ausübt!" Damit ist zugleich das Ziel jeder Deutung umrissen: wir wollen den vorhandenen Sinn der Ausdrucksformen, so wie wir ihn täglich bewußt oder unbewußt bei unseren Mitmenschen erleben, einer planmäßigen, in Regeln gekleideten Erfassung zuführen. Nicht aber wollen wir Nichtvorhandenes hineindeuten, sondern wir sehen mit Klages unsere Aufgabe in der „Herausfühlung", nicht in der „Einfühlung". Wie man aus dieser Kennzeichnung unseres Arbeitsgebietes einen Gegensatz zur Naturwissenschaft herauskonstruieren will, ist mir völlig unbegreiflich. Ich bann mir keinen Deutungswissenschaftler vorstellen, der nicht mit dem Leben und mit der Natur engstens verbunden wäre und der aus den Arbeiten der Naturwissenschaft nicht gewaltigen Nutzen für sein eigenes Forschungsgebiet gezogen hätte. Wie ich mir auch umgekehrt nicht denken kann, daß ein Naturwissenschaftler kein Interesse haben sollte für eine Wissenschaft, in deren Mittelpunkt der Mensch steht — selbst wenn die Methoden andere sind als die der eigenen. Denn das liegt doch „auf der Hand": wir können Freude und Zorn, Hoffart und Demut, Willenskraft, Egoismus, Gemüt und Seele ebensowenig mit Zollstock und Zirkel abmessen, wie man dort mit unseren Begriffen: Wollungen, Strebungen, Trieben, Triebfedern usw. auch nur das geringste anfangen könnte. Darüber — über die Berechtigung und Notwendigkeit verschiedener Methoden — gibt es unter ernsthaften Menschen überhaupt keine Diskussion. Eine besondere Erwähnung verdient schließlich noch das Verhältnis unserer Chirologie zur Graphologie, zu der Deutungswissenschaft also, die zweifellos ungleich mehr zu leisten vermag als alle anderen bisher bekannten Methoden, auch wenn sie infolge verschiedener Vorurteile erst in allerjüngster Zeit von der Schulwissenschaft anerkannt und Universitätslehrfach wurde. Wir suchen den Sinn, den Lebensgehalt, die Seele durch die Form zu erfassen, die — das sollte man nicht übersehen — das Ergebnis der natürlichen Wachstumsbewegung ist, der Graphologe durch die fixierte Schreibbewegung. Beide Deutungswissenschaften können sich in vieler Hinsicht ergänzen und gegenseitig bereichern. Hat die Graphologie den Vorteil, daß die zu untersuchende Person nicht anwesend zu sein braucht, so bietet die Chirologie die Möglichkeit, eine ganze Reihe von ungemein wichtigen Eigenschaften und Befähigungen, die sich der graphologischen Analyse entziehen, festzustellen; die Tatsache, daß es mit Hilfe der Chirologie zum ersten Male gelungen ist, ein vollständiges Bild vom Aufbau des Charakters zu gewinnen, wird der Graphologie ebenso wie allen anderen Deutungswissenschaften bei den weiteren Forschungen wichtige Dienste leisten können. Als Anschauungsmaterial und zur Nachprüfung der Regeln ist meinen Ausführungen eine Reihe von Handabdrücken beigegeben, die dem Archiv meiner 10
Mitarbeiterin, Frau Elsbeth Ackermann, entnommen sind. Allen, die ihre Genehmigung für die Veröffentlichung erteilten, sei um so mehr gedankt, als der grobe Unfug, der vielfach mit Handabdrücken getrieben wird, jede Skepsis nur allzu berechtigt erscheinen ließ. Wenn wegen des mangelnden Raumes nur ein ganz kleiner Teil der zur Verfügung stehenden Abdrücke aufgenommen werden konnte, so hat sich trotzdem ein ungemein interessanter Querschnitt durch das Schaffen unserer Zeit ergeben, auch wenn die Auswahl sich auf diejenigen Abdrücke beschränken mußte, die für den hier behandelten Abschnitt der Handforschung, für die Psychologie, besonders illustrativ erschienen. Abschließend sei darauf hingewiesen, daß die vorliegende Arbeit auf einer mannigfachen gegenseitigen Durchdringung der theoretischen Psychologie und der praktischen Chirologie beruht. Die weitreichenden Erfahrungen der Praxis sind besonders meiner Mitarbeiterin zu verdanken, während ich mich bemühte, die vorliegenden Befunde zu einer systematischen, in Regeln gekleideten und wissenschaftlich fundierten Darstellung der Gesamtpersönlichkeit zusammenzufügen. Letzten Endes aber wurde die Theorie von der Praxis, die Praxis von der Theorie in so weitgehender Weise befruchtet, daß dieses Werk in jeder Hinsicht als gemeinsame Arbeit anzusprechen ist. B e r l i n , im Herbst 1947
Hugo Steindamm
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Grundsätzliches zur Deutung Menschen zu beschreiben Ist deswegen bis jetzt unmöglich gewesen, weil man nicht gewußt hat, was ein Mensch ist. Novalis
Das Verdienst, den Boden für die moderne Ausdruckskunde geschaffen zu haben, gebührt Carl Gustav Carus (1789—1869). Im einleitenden Satz seines Werkes „Psyche" legt er sogleich das Fundament seiner Seelenkunde dar: „Der Schlüssel zur Erkenntnis des bewußten Seelenlebens liegt in der Region des Unbewußtseins." Dazu bemerkt er dann später: „Nur wenn wir treu und ausdauernd in uns schauen und dazu gelangen — ich möchte sagen — unser Dasein geistig zu rekonstruieren von dem bewußten Sein ins Unbewußte zurück, dürfen wir hoffen, das zu finden, was ich im Eingange den Schlüssel zur Erkenntnis des bewußten Seelenlebens genannt habe, nämlich das Verständnis des Unbewußten durch das Bewußtsein. Dieser Weg der Betrachtung ist schwer, aber nicht unmöglich. Wir verfahren hier im Geistigen, wie wir im Leiblichen verfahren, wenn wir die organische Entwicklung, die wir selbst durchleben und doch nicht kennen (die als Embryo, d. V.) aus Beobachtung eines Fremden studieren und kennen lernen." Wir wollen aus dieser Darlegung zunächst weiter nichts entnehmen als die Verbundenheit des Bewußten mit dem Unbewußten, doch ziehen wir daraus sogleich die Folgerung, daß jede Forschimg, die sich auf das bewußte Seelenleben beschränkt, Stückwerk bleiben muß, weil sie die aus dem Unbewußten strömenden Einflüsse nicht zu erfassen vermag. Den Beweis für die Richtigkeit dieser Folgerung zu führen, ist eine der Aufgaben dieses Buches. Wen,n wir mit unseren Ausführungen in den allerschärfsten Gegensatz zur mechanistischen Weltanschauung geraten, so hat das keine Bedeutung, denn diese Weltauffassung ist tot. Somit können wir uns eine Auseinandersetzung, wie Ludwig Klages sie noch in seinen ersten Werken zu führen hatte, ersparen; die Naturwissenschaft hat inzwischen selbst ihr Arbeitsgebiet begrenzt und erkannt, daß ein Teil der Lebenserscheinungen alogisch und amechanisch ist. Zu dieser Erkenntnis liefert die Hand, wie wir später sehen werden, den empirischen Beweis. Im folgenden sei zudem eine statistische Feststellung angeführt, aus der hervorgeht, daß sehr maßgebliche in uns wirkende unbewußte Kräfte gar nicht aus dem Individuum, aus dem Ich oder aus der Persönlichkeit stammen, sondern von außen eindringen, von der Umwelt herrühren. Bekanntlich wurde seit langem behauptet, daß nach einem Kriege ein Ausgleich der Verluste dadurch geschaffen werde, daß der Prozentsatz der männlichen 13
Geburten sich so lange erhöhe, bis das vorkriegsmäßige Verhältnis zwischen der Anzahl der Männer und der Frauen wieder erreicht sei. In der Tat war dies nach dem ersten Weltkrieg der Fall. Es ergab sich sogar, daß dieses neue relative Verhältnis zwischen den männlichen und weiblichen Geburten auch in den Jahren konstant blieb, in denen die Gesamtzahl der Geburten infolge der wirtschaftlichen Verhältnisse zurückging oder sich wieder erhöhte! Hier trat also eine Gesetzmäßigkeit zutage, die, unabhängig von dem Willen der Eltern und ihnen sogar völlig unbewußt, sich im ganzen Volk einheitlich auswirkte. Sie erwies nicht nur, daß es keinen Menschen gibt, der nicht zutiefst mit der Gemeinschaft verbunden ist, sondern auch, daß Sippen und Völker mehr als eine Summe von Individuen, daß sie l e b e n d i g e O r g a n i s m e n darstellen. Was unter solchen Umständen für den einzelnen gar die Verknüpfung mit seinen Vorfahren und mit seiner Familie bedeutet, kann man sich wohl vorstellen! Das Verhältnis zwischen Ich und Umwelt innerhalb der Persönlichkeit hat Carus bereits intuitiv erfaßt, wenn er sagt: „Je mehr in der Seele der individuelle selbstbewußte Geist in voller Schärfe des Gedankens hervortritt, um so mehr ist er den Einflüssen des eigenen wie des Unbewußten der Welt enthoben. Je weniger sich dagegen ein klares Welt- und Selbstbewußtsein entwickelt, desto mehr ist die Seele, d. h. die Wesenheit des ganzen Seins, aller und jeder Durchströmung von Kräften und Wirkungen der Welt zugänglich und desto mehr wird sie dadurch bestimmt." Und: „Indem alles Wachsen, alles Bilden, alles Zerstören und alles Sichwiederbilden, mit einem Wort alles das u n b e w u ß t e Werden immer die festesten und allergenauesten Beziehungen des Vorhergehenden auf das Nachkommende und des Nachgekommenen auf das Vorherdagewesene verrät, obwohl es doch selbst nur in steter Flucht zwischen Vergangenheit und Zukunft ohne eigentliche Gegenwart sich erweiset, so muß diese Vorausschau und diese Erinnerung in ihm fester und gewisser als in der b e w u ß t e n Sphäre genannt werden." Auch die Beantwortung der Frage, w e s h a l b denn die Formen des Körpers — und damit die der Hand — den Charakter und die Persönlichkeit symbolisch darstellen, wollen wir Carus entnehmen: „Trennen wir in Gedanken den Stoff, wie ihn Aristoteles nennt, von der Form des Lebens, nehmen wir alle die chemischen Elemente, welche in ewiger Flucht durch die organische Form des Lebens hindurchziehen, gesondert in Betrachtung: den Kohlenstoff, das Kalzium, den Sauerstoff, Stickstoff, Wasserstoff, das Natrium, Eisen, Chlor usw., was hat das an sich und für sich mit dem Leben, was mit den Vorgängen der Seele und des Geistes zu tun ? Alles dies wird erst im menschlichen Sinne lebendig dadurch, daß die Idee es zur organischen Form ordnet; aber alsdann, und solange es in dieser Form dient, ist es auch nicht mehr von dem, was Aristoteles die Form nennt, zu trennen: e s i s t d i e s e F o r m ü b e r a l l L e i b u n d S e e l e z u g l e i c h , und nur die Verschiedenheiten dieser Form sind es, die zuweilen fälschlicherweise als Leib und Seele einander entgegengesetzt wurden." In der modernen Psychologie hat sich diese Anschauung, unterstützt durch die medizinische Forschung, fast auf der ganzen Linie durchgesetzt. So erklärt z. B. Henning: „Zu einem bestimmten Körperbau gehört ein bestimmter Charakter, was Dichter und Volksmund seit jeher betont hatten. Das Psychische modelt 14
sich sein körperliches Gehäuse wie der Leib gemäß seiner Art den Seelenregungen Entfaltungsmöglichkeiten eröffnet. Die leibliche Gestalt und Konstitution werden ebenso von Hormonen bedingt wie die zugehörigen psychophysischen Formen. Ebenso äußere Reize: Klimaeinflüsse ergreifen Leib und Seele zugleich, überall — in Altersstufen, Rassen-, Geschlechts- und individuellen Konstitutionsunterschieden — wandelt sich das Leibliche gemeinsam mit dem Geistigen ab. Und in den psychogenen, d.h. psychisch erzeugten Krankheiten ruft die Seele körperliche Erscheinungen hervor, wie umgekehrt körperliche Umänderungen in Nervensystem, Blutkreislauf, innerer Sekretion usf. das Seelische wandeln." Ludwig Klages, dem wir nicht nur eine ungeheure Vertiefung der wissenschaftlichen Ausdruckskunde, sondern auch die ersten für die Praxis bestimmten Werke dieses Gebiets verdanken, sagt: „Der lebendige Leib . . . ist die Erscheinung der Seele, die Seele der Sinn des lebendigen Leibes." Darum erweist sich auch für ihn „die psychologische Betrachtungsweise nicht etwa nur verwandt der physiognomischen, sondern als in der Tiefe mit ihr identisch." Kam Klages zu dieser Erkenntnis dank seiner vorwiegend von der Sprache und der alten Symbolik inspirierten Intuition — oder wie er selbst zutreffender sagt „Herausfühlung" —, so wollen wir in diesem Buche niederlegen, was sich bei der Untersuchung von Tausenden von Händen als empirischer Beweis ergab, als ein Beweis, der jederzeit und durch jedermann neuer und vielfältiger Nachprüfung zugänglich ist.
Die Fingerformeii Das Verständnis für den Sinn der Formen ist die Voraussetzung jeder Deutungswissenschaft. Damit wird nichts Ungewöhnliches verlangt, denn dieser Formensinn ist bei allen Menschen — allerdings mehr oder minder ausgeprägt — vorhanden. Nur er macht es überhaupt möglich, „in der Erscheinungswelt ihren Sinn zu sehen. Den Sinn in ihr sehen aber heißt nichts anderes als die Erscheinung symbolisch sehen" (Klages). Das hat nicht nur Bedeutung für die Naturerkenntnis, sondern auch für das gesamte menschliche Schaffen und Wirken. Ohne Sinn für die Form gäbe es keine Kunst, nicht einmal ein Kunstgewerbe. Denn beginnend mit den täglichen Gebrauchsgegenständen, der Wohnungseinrichtung und mit der Kleidung bis zur architektonischen Gestaltung aller Arten von Rauten, bietet sich uns die äußere Form als Ausdruck des inneren Sinnes dar, mag dieser auch in dem einen Falle mehr Persönlichkeits-, in dem anderen mehr zeitbetont sein. Als ein Beispiel aus der Graphologie führen wir an, was Klages über die „Arkade" < / ^ r r v m v j sagt: „Wie schon die Bezeichnung .Arkade' vermuten läßt, entspringt sie . . . aus der seelischen Wahlverwandtschaft zu solchen Formen, die den Eindruck des Überwölbenden und Verdeckenden machen, und ist deshalb erfahrungsgemäß bedeutungsverwandt den .zugeschlossenen' oder gar .verknoteten' a, o, g: a
^
zugeschlossen
offen 15
Die fragliche Eigentümlichkeit des Raumgefühls wurzelt bald in der positiven Eigenschaft der V e r s c h l o s s e n h e i t , bald in der negativen des M a n g e l s an O f f e n h e i t . " Ebenso einfach und klar wie in der Graphologie ergibt sich der Sinn der Form bei den Fingern der Hand. Doch bevor wir uns mit dem Sinn der Fingerformen befassen, wollen wir ganz kurz auf den Sinn der Finger selbst eingehen. Wenn wir die Hand als Ganzheit betrachten, so sind die Finger im Gegensatz zum Handrücken der Erscheinungswelt am nächsten. Sie symbolisieren somit die Gaben, die uns die Wahrnehmung der Erscheinungswelt ermöglichen. D a s a b e r s i n d d i e G e f ü h l e (Gefühle im psychologischen, nicht im allgemein üblichen Sinne!). Demgegenüber verkörpert der Handrücken symbolisch die inneren Schichten der Persönlichkeit, die nicht der Erscheinungswelt, sondern der intelligiblen Welt zugewandt sind. Da die Erscheinungswelt aber von unserem Erscheinungswelt
Dit symL die ( anla
Abb. 1 Bewußtsein eher begriffen zu werden pflegt als die intelligible Welt, können wir die Finger auch als Symbol des bewußtseinsnahen Teiles der Persönlichkeit und den Handrücken demgegenüber als den bewußtseinsfernen Teil bzw. als Symbol des „Unbewußten" bezeichnen. Daraus geht zugleich hervor, daß normalerweise — es gibt auch Ausnahmen! — die unbewußten Kräfte der einzelnen Persönlichkeit nur über die Gefühle eine Ausdrucksmöglichkeit in der Erscheinungswelt finden können und daß also — generell betrachtet — die Gefühle den unbewußten Kräften die Ausdrucks r i c h t u n g verleihen. — Wir beginnen jetzt unsere Darlegungen mit der Betrachtung der Fingerformen. 16
Die konischen Finger*) sind Fühlern vergleichbar, sie nehmen alle, auch die feinsten Schwingungen der Erscheinungswelt auf und haben auch das Bedürfnis, sie aufzunehmen. Menschen mit solchen Fingern sind daher sehr sensibel, beeinflußbar, labil. Sind keine entsprechenden Hemmungen — sie werden an anderer Stelle besprochen — in der Hand vorhanden, so besteht die Gefahr eines völligen Beherrschtwerdens von den Reizen der menschlichen Umwelt. Diesem passiven Gefühlserleidnis gesellt sich bei dem Vorhandensein mehr oder minder starker Triebe (sie werden, wie wir später sehen werden, durch die „Berge" symbolisiert) ein mehr oder minder starkes triebhaftes Sichauslebenwollen in dem gekennzeichneten Sinne zu. Neben der gefühlsmäßigen Beeindruckbarkeit besteht dann der Trieb, beeindruckt zu werden, also positiv u. a. Abwechselungstrieb, negativ Ausschweifung. Die mehr positive oder mehr negative Bewertung wiederum richtet sich u. a. nach der Menge und der A r t der vorhandenen als Hemmung fungierenden Willenskraft, letzten Endes aber nach der Gesamtheit der übrigen Befunde. Damit erkennen wir gleich zu Beginn, daß ein einzelnes Merkmal eine sehr verschiedenartige Bedeutung besitzen kann, weil sie in jedem einzelnen Falle von der Art sämtlicher anderen Merkmale abhängig ist. Da es sich hier um eine Grundfrage nicht etwa nur der Deutungswissenschaften, sondern der Psychologie handelt, sei noch etwas näher darauf eingegangen. Dies ist um so mehr erforderlich, als dadurch das Verständnis für alle späteren Ausführungen und für die Handdeutung überhaupt wesentlich erleichtert wird. Allerdings sei zugegeben, daß wir uns damit gleich zu Beginn unserer Arbeit einer der schwierigsten Fragen zu nähern versuchen. Aus diesem Grunde ist es ratsam, die folgenden Ausführungen so zu verarbeiten, daß keinerlei Unklarheiten mehr bestehen. Dann wird das weitere Eindringen in die Materie aber auch um so leichter sein. Greifen wir noch einmal auf die G r u n d bedeutung der konischen Form zurück, so hatten wir festgestellt: gefühlsmäßige Einfühlung einerseits und das Bedürfnis, sich einzufühlen, andererseits. Aus der Einfühlung ergeben sich das leichte Mitschwingen, Sensibilität, Beeindruckbarkeit und Beweglichkeit. Das Bedürfnis, sich einzufühlen, entspricht dem Bedürfnis, ständig neue Eindrücke aufzunehmen, was als Neigung zu Abwechslung bezeichnet werden kann. Diese kann führen zu Vorliebe für Geselligkeit, zu Vielseitigkeit, zu Neugier und Flatterhaftigkeit. Tritt uns aus anderen Merkmalen, die wir später kennenlernen werden, ein Mangel an Zielstrebigkeit entgegen, so ergibt die Kombination mit dem Sinn der konischen Form logischerweise Verführbarkeit, Wankelmut, Unselbständigkeit usf. Ist ferner eine starke Vitalität vorhanden, die den Trieb, sich auszuleben, einschließt, so resultiert aus den nunmehr in Frage stehenden drei Grundzügen des Charakters u. a. Ausschweifungstrieb, Mangel an Selbstdisziplin und an innerem Widerstand usw. Die Labilität, die durch die konische Form symbolisiert wird, bringt das Bedürfnis mit sich, "an anderen einen Halt zu suchen; sie wird noch dadurch verstärkt, daß ja auch, wie wir feststellten, das Bedürfnis besteht, sich in andere einzufühlen. Weiter führen die Beeindruck*) Vgl. Abb. 2 2
Steindamm: Hand und Persönlichkeit
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barkeit und die Labilität sowie das Bedürfnis sich einzufühlen, bei Mangel an Zielstrebigkeit und Durchsetzungsvermögen und bei mangelndem Lebensernst (mangelnder Tiefe der Lebensauffassung, die wir wieder an anderen, später behandelten Merkmalen feststellen) zu Oberflächlichkeit und zur passiven (negativen) Selbstaufgabe. Solche Menschen neigen naturgemäß dazu, Kämpfen und Auseinandersetzungen aus dem Wege zu gehen und überhaupt ihr Leben bequem zu gestalten. Sie fühlen sich wohl in der Leichtlebigkeit und im Luxus. Alles Unharmonische wird als abstoßend empfunden. (Die positive, bewußte, willensmäßige Selbstaufgabe, das Sichhingeten an ein höheres Ziel, setzt das Vorhandensein ganz anderer Merkmalsgruppen voraus.) Stellen wir hingegen gleichzeitig mit konischen Fingern starke Zielstrebigkeit und vielleicht noch
Finger
Ol
konisch
D
(0)
spateh'g
quadratisch t
V,'
e Trommelschlegel-Finger
VX»-,
Handrücken
konisch
spatelig
quadratisch
Abb. 2 einen starken Selbstbehauptungstrieb fest, so liegt eine schwere innere Zerrissenheit vor, die je nach den übrigen Befunden zu inneren Konflikten verschiedenster Art führt. Im Rahmen schon der wenigen hier durchgeführten Kombinationen ergibt sich also, daß die konische Form der Finger in bezug auf das Verhalten eine vielfältige Bedeutung besitzen kann. D i e s e F e s t s t e l l u n g h a t g e n e r e l l e B e d e u t u n g , d. h. j e d e s einzelne M e r k m a l b e d e u t e t l e d i g l i c h , daß der von ihm s y m b o l i s i e r t e G r u n d z u g im C h a r a k t e r v o r h a n d e n ist. W i e w e i t er s i c h a b e r t a t s ä c h l i c h i n n e r h a l b des C h a r a k t e r s o d e r a b e r im V e r h a l t e n d e r U m w e l t g e g e n ü b e r a u s w i r k t , h ä n g t d a v o n ab, wie weit die a n d e r e n M e r k m a l e diese A u s w i r k u n g e r l e i c h t e r n und u n t e r s t ü t z e n oder aber hemmen. 18
Fassen wir die wichtigsten Kombinationen der konischen Hand mit anderen Merkmalen nunmehr zusammen, so ergibt sich nach alledem: negativ positiv Beeindruckbarkeit Sensibilität Leichte Erregbarkeit Zartgefühl Anpassungsfähigkeit Genußfähigkeit Schönheitssinn Zärtlichkeitsgefühl Abwechselungsbedürfnis (-trieb) Luxustrieb Geselligkeitstrieb Vielseitigkeitstrieb Leichtlebigkeit Sorglosigkeit Einfühlung Beweglichkeit
Haltlosigkeit Verführbarkeit Mangel an innerem Widerstand „ Selbstdisziplin rt Kritiklosigkeit Zerstreutheit OberflächlicWceit Unselbständigkeit Wankelmut Trägheit unpraktisch Gefallsucht (-trieb) Koketterie Neugier Flatterhaftigkeit Ausschweifungstrieb Selbstaufgabe
Die Vielzahl der Bedeutungen der konischen Finger mag im ersten Augenblick ungewöhnlich erscheinen, sie ist es aber, wie wir gesehen haben, im Rahmen der Ausdruckswissenschaften durchaus nicht. So stellt z.B. Klages 48 Bedeutungen der großen und 45 der kleinen Schrift fest und bemerkt, daß diese Zahlen, wenn es erforderlich schiene, unschwer verdoppelt werden könnten. In diesem Zusammenhang weist er darauf hin, „wie sehr die alte Graphologie fehlging, wenn sie in jedem Merkmal das feste Zeichen (signe fixe) für einen und nur diesen einen Charakterzug erblickte, denn ebenso groß ist die Anzahl möglicher E n t s t e h u n g s g r ü n d e für alle übrigen Schriftmerkmale". Das gleiche gilt für die Handdeutung. Welche von den oben angeführten Eigenschaften für den Einzelfall zutreffen, darüber entscheidet also erst die Kombination mit sämtlichen anderen Befunden. Schon aus diesem Grunde wäre es unangebracht, etwa die Tabelle auswendig lernen zu wollen. Von vornherein wollen wir vielmehr so vorgehen, daß wir uns in jede Form so lange vertiefen, bis wir die Gesamtheit ihres symbolischen Sinnes in uns aufgenommen haben, bis sie gewissermaßen zu uns spricht und uns ihren Sinn offenbart. Ein Auswendiglernen würde sich zudem später — bei den praktischen Deutungen — leicht als verstandesmäßige Hemmung auswirken. Hier sei sogleich eine Warnung angefügt, der wir nachdrücklichste Beachtung wünschen: m a n h ü t e s i c h d a v o r , d i e e i n z e l n e n M e r k m a l e d e r e i g e n e n H ä n d e i r g e n d w i e z u b e w e r t e n ! Aus Gründen, die wir später beim Selbsttrieb darlegen werden, kann dies in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle nur zu Selbsttäuschungen, nicht aber zu einem Sichselbstbegreifen führen. Bis dies verständlich geworden ist, finde man sich mit der Tatsache ab, daß es unmöglich ist, auf chirologischem wie auch auf graphologischem Wege zu einem Gesamturteil über sich selbst zu gelangen; im wissenschaftlichen, exakten 2»
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Sinne gibt es keine Selbstbeobachtung. Sogar die Beurteilung von Persönlichkeiten, die einem besonders nahestehen, wird durch Einflüsse der verschiedensten Art allzu leicht getrübt! Vor allem aber bedenke man immer wieder, daß die Bewertung jedes einzelnen Merkmals vom Gesamtbefunde durchaus abhängig ist und daß jede Deutung eine ungewöhnliche, nur nach umfassender praktischer Schulung zu erringende charakterologische Kombinationsgabe zur unabweisbaren Voraussetzung hat. Man begnüge sich deshalb, wenn man vorwärtskommen will, zunächst damit, die von uns behandelten Merkmale an möglichst vielen Händen zu studieren und halte den Blick offen für die feinen und feinsten Unterschiedlichkeiten. Am besten ist zudem die gemeinsame Durcharbeitung dieses Buches innerhalb eines kleinen Zirkels, weil dann das notwendige Anschauungsmaterial immer vorhanden ist. Doch auch hier hüte man sich vor irgendwelchen Bewertungen! Und wer etwa glaubt, innerhalb von einigen Monaten deuten zu können, wird bitter enttäuscht werden. Er lege das Buch am besten gleich wieder aus den Händen. Die Spatelfinger*) vermitteln uns einen von der konischen Form gegenteiligen Eindruck. Sie sind das Symbol des gefühlsmäßigen Abgesperrtseins gegenüber der Erscheinungswelt, und somit beherrscht Egozentrik die Gefühle. Positiv ist damit eine Sammlung der inneren Kräfte verbunden, weil keine Ablenkbarkeit besteht. Negativ ist ein Mangel an Einfühlung in die Wahrnehmungswelt vorhanden. Die durch die Absperrung sich ergebende i n n e r e S p a n n u n g t r e i b t z u r B e t ä t i g u n g , bei der, je nach den anderen Befunden, das eigenwillige bzw. egozentrische Moment mehr oder minder in den Vordergrund tritt. Je nach der Stärke der Triebe (ihre Symbolik wird später behandelt) finden wir positiv Strebsamkeit, Fleiß, Freiheits- und Unabhängigkeitstrieb sowie Erwerbstrieb, negativ Egoismus, ¡Rechthaberei, Absonderungstrieb. Die Gefühlsabgeschlossenheit Menschen gegenüber führt die Gefühle vor allem zur Natur und damit zur Erdverbuijdenheit sowie zu praktischen Tätigkeitsgebieten. Insgesamt leiten wir aus der Verbindung mit anderen Merkmalen (wie wir sie bei der konischen Form erläuterten) folgendes ab: positiv Selbständigkeit Ursprünglichkeit Formensinn Naturliebe Tätigkeitsdrang (besonders in körperlicher Hinsicht) Fleiß Zähigkeit (Ausdauer) Unabhängigkeitstrieb Strebsamkeit ErwerbstrieU ) Vgl. Abb. 2
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negativ Ich-Betonung (Egozentrik) Gehemmtheit Überempfindlichkeit besonders im Ichgefühl Eigensinn Kritiklust (infolge des Mangels an Einfühlung) Rechthaberei Oppositionslust Aibsonderunigstrieb Berechnung Rastlosigkeit
Die quadratischen Finger'*) verkörpern durch ihre Regularität und ihr Gleichmaß das Gefühl für Systematik, für gesetzmäßige und geregelte Zustände. Es sind ausgeprägt Ordnungsgefühl, Pünktlichkeit, Nüchternheit, Gründlichkeit, Bodenständigkeit, Pflichtgefühl, aber auch Kleinlichkeit, Schwerfälligkeit, Mangel an Pathos. Unter Berücksichtigung der bei der konischen und spateligen Form erwähnten Umstände ergibt sich im wesentlichen: negativ positiv Gefühl für Gesetzmäßigkeit. Im Raihmen dieses Gefühle: Gerechtigkeitsgefühl Wirklichkeitsgefühl Nüchternheit Umsicht Pflichtgefühl Besonnenheit Folgerichtigkeit Gründlichkeit Ordnungstrieb Einteilungstrieb Organisationstrieb Erwerbstrieb
Einseitigkeit Enge Mangel an Pathos ,, Begeisterungsvermögen ,, Einfühlungsgabe Kleinlichkeit
Selten wird man diese drei Grundformen (konisch, spatelig und quadratisch) rein und ungemischt antreffen. Wie die Bindungsformen der Handschrift gehen sie vielmehr häufig ineinander über, und es bedarf einer gründlichen Schulung am lebendigen Anschauungsmaterial, um die ü b e r w i e g e n d e Form zu erkennen. Zu erwähnen sind noch die s p i t z e n F i n g e r , eine Abart der konischen. Sie bedeuten sinngemäß eine Übersteigerung aller bei der konischen Form vorhandenen Eigenschaften, allerdings mit vorwiegend negativem Einschlag. Je nach den anderen Befunden der Hand stellen wir positiv ein ungemein starkes Einfühlungsvermögen und gefühlsmäßige Hingabefähigkeit bis zur Selbstvergessenheit fest, negativ absolute Beeinflußbarkeit, Haltlosigkeit und eine in krankhafte Lebensgier gesteigerte Genußliebe. Eine mit der körperlichen Konstitution zusammenhängende Entartung, deren charakterologische Bedeutung noch nicht eindeutig feststeht, stellen die sogenannten „Trommelschlegel"-Finger dar, auf die wir nur hinweisen, um eine Verwechselung mit der Spatelform zu verhindern. Kommen verschiedene Fingerformen in einer Hand vor, was häufig der Fall ist, dann ist zunächst der ü b e r w i e g e n d e Einschlag zu werten; sodann ist die dem e i n z e l n e n Finger zukommende Form mit der Deutung des Fingers selbst zu kombinieren, wofür wir später einige Beispiele anführen.
Die Fiogerglieder Hier stoßen wir auf die alte Dreiteilung Seele, Geist, Körper (auf die wir später ausführlich zurückkommen werden), und zwar symbolisieren die Nagelglieder das Seelische, die mittleren das Geistige und die unteren das Körperlich-Materielle. *) Vgl. Atob. 2
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Seele J Geist Körper
Abb. 3
Je nachdem, ob die oberen, mittleren oder unteren Fingerglieder in der I n n e n h a n d relativ lang sind, schließen wir auf das Überwiegen der seelischen, geistigen oder körperlich-materiellen Gefühlseinstellung gegenüber der Wahrnehmungswelt. Zur Erläuterung diene folgendes Beispiel: Drei Spaziergänger finden einen schönen Stein. Der erste nimmt daran vorwiegend die Schönheit, Form, Farbe usw. wahr (Betonung des Nagelgliedes); der zweite die Gesteinsart, die geologische Zugehörigkeit usw. (Betonung des Mittelgliedes); und der dritte den materiellen Wert oder Unwert (Betonung des untersten Fingergliedes). Die Richtigkeit dieser Dreiteilung wie auch die Richtigkeit der ihr zukommenden charakterologischen Bewertung ist experimentell von uns festgestellt und — ebenso wie unsere anderen Feststellungen — an jeder Hand nachweisbar.
Der Handrücken Unter Handrücken verstehen wir denjenigen Teil der Außenhand, der sich, etwas oberhalb des Handgelenks beginnend, bis zu den Fingerwurzeln erstreckt. Die Beurteilung seiner Form erfolgt nach den gleichen Grundsätzen wie die der Finger. Die konische Hand ist am Handgelenk breiter als an den Fingerwurzeln, bei der spateiförmigen gilt das Gegenteil, und die quadratische Hand ist rechteckig (nicht immer quadratisch im mathematischen Sinne). Auch für die Deutung gilt das gleiche wie für die Fingerformen. Doch wie der Handrücken bei der Betrachtung der Gesamthand (einschließlich der Finger) den untersten, tiefsten Teil darstellt, so entsprechen ihm bei der Deutung sinngemäß die untersten, tiefsten — symbolisch also vorwiegend körperlich betonten! — Schichten der Persönlichkeit. E s sind die allgemein als ..imbewußt" bezeichneten Kräfte, die uns 22
hier entgegentreten. Im Gegensatz dazu erkennen wir an den Fingern die äußeren, bewußtseinsnahen Schichten, die Gefühlsanlagen, nicht etwa nur das äußerliche Auftreten. Angenommen, wir stellten an einer Hand fest, daß die Finger k o n i s c h , der Handrücken aber q u a d r a t i s c h sei, so bedeutet dies zunächst einmal einen Gegensatz zwischen den bewußtseinsnahen Gefühlen und den unbewußten Kräften der Persönlichkeit. Denn der äußeren Aufnahmefähigkeit und der Labilität der Gefühle •— sei sie charakterlich positiv oder negativ zu beurteilen — steht die innere — unbewußte — Systematik gegenüber. Ihr ist es unmöglich, die ständig hereinströmende Fülle des von den Gefühlen wähl- und kritiklos Aufgenommenen zu verarbeiten und systematisch zu ordnen. Dem steht schon die Gründlichkeit — im negativen Falle die Schwerfälligkeit — entgegen. Doch auch Ordnungssinn und Ethik, wie sie durch die quadratische Handform symbolisiert werden, verlangen innerhalb der Persönlichkeit ihr Recht, ein Recht, das ihnen allerdings unter diesen Umständen niemals voll und ganz werden kann. Darauf nun gründet sich die Unzufriedenheit mit sich selbst und mit einer Welt, deren Vielfältigkeit man im tiefsten Innern vergeblich zu erfassen und — systematisch — zu meistern sucht. Eines muß besonders hervorgehoben werden: die durch die Handform gegebene Grundlage des Charakters bleibt zeitlebens konstant! Hingegen finden wir im Laufe der Jahre bisweilen eine Anpassung der Fingerform an die der Hand, was also in jedem Falle, wo solche Gegensätzlichkeiten zugrunde liegen, zu einem inneren Ausgleich im Sinne der Grundform der Hand führt. Ob es dazu kommt, oder aber ob der Zwiespalt gar bis zur Zermürbung führt, werden wir später an anderen Ausdrucksmerkmalen erkennen. Hier sei nur noch darauf hingewiesen, daß bei unserer Beurteilung sehr viel davon abhängt, ob die Finger ausgesprochen konisch sind oder nur einen konischen Einschlag aufweisen und ob die Handform rein quadratisch ist oder nur quadratischen Einfluß verrät. Auch in der Graphologie ist ja Girlande nicht gleich Girlande, Arkade gleich Arkade und Winkel gleich Winkel, sondern die jeweilige F o r m der Girlande, der Arkade und des Winkels gibt einen gewichtigen Ausschlag bei der Deutung. Betrachten wir nun ganz kurz einen unserem Beispiel entgegengesetzten Befund: quadratische Finger bei konischem Handrücken. Hier sind trotz dem nüchternen und systematischen gefühlsmäßigen Aufnehmen im — unbewußten — Grunde Sensibilität, Beeinflußbarkeit und Mangel an Festigkeit vorhanden. Wir verzeichnen also u. a. die zahlreichen und für die Umwelt des Betreffenden meist enttäuschenden Fälle, wo Menschen, die jähre- und jahrzehntelang ihr Leben nüchtern und systematisch regulierten, plötzlich — zumeist durch die Gewalt irgendeines Erlebnisses — in eine mehr oder minder schwere „Entgleisung" geraten. Positiv gehören alle diejenigen Persönlichkeiten hierher, die unter einem eintönigen, nüchternen Gewand Beeindruckbarkeit, Zartgefühl und Schönheitssinn verbergen. 23
Die Fingerknoten*) Fingerknoten sind sowohl die zwischen dem 1. und 2. und zwischen dem 2. und 3. Fingerglied s e i t l i c h verdickten Gelenke als auch die Fingerknöchel (Fingerwurzeln). Die Stärke der letzteren wird bewertet nach dem mehr oder minder starken Heraustreten bei geballter Hand. Wie für die Fingerglieder und für die Gesamthand gilt auch bei den Knoten die regionale Einteilung nach Seele, Geist und Körper. Sämtliche Knoten stellen — als Symbol der Gliederung — Verkörperungen eines geistigen Prinzips, des O r d n u n g s g e i s t e s , dar. Die unteren gewinnen dadurch eine besondere Bedeutung, daß sie die Finger mit dem Handrücken verbinden, also die Gefühlsanlagen mit dem Triebhaft-KörperlichRealen. Sind die oberen Knoten stark- ausgeprägt, dann ergibt sich in einer seelisch und geistig gut fundierten Hand der Hang zum Philosophieren, negativ ein Sichverlieren in Grübeleien. Sind die mittleren Knoten kräftig entwickelt, so ist das Bestreben vorhanden, den körperlichen mit dem geistigen Teil der Gefühle ordnungsgemäß zu verbinden. Für die Deutung heißt das Sinn für praktische Ordnung schlechthin. Und zwar nur gefühlsmäßigen Sinn, nicht aber schon Durchführung der Ordnung! Die untersten Knoten verkörpern den Sinn für die ordnungsmäßige Vereinigung der Gefühle mit dem Triebhaft-Realen. Sind sie wenig ausgeprägt, so ergießt sich das Triebhafte ordnungs- und hemmungslos in die Gefühle, während zugleich jedes Gefühl spontane triebhafte Reaktionen auslöst. Die Knoten sind allgemein in Männerhänden stärker ausgeprägt. Dies gilt besonders für die oberen Knoten. Starke obere Knoten in einer Frauenhand führen stets zu einer ungesunden Hemmung des Gefühlsablaufs und damit zu mehr oder minder schweren Beeinträchtigungen des Seelenlebens. Bei Kindern und besonders bei Säuglingen sind Knoten selten oder nie vorhanden; an Stelle der Fingerwurzelknoten finden wir sogar zumeist Grübchen. Wie wir später sehen werden, weist die Symbolik der Grübchen auf das mehr oder minder starke Vorhandensein der sogenannten „eidetischen" Lebensform hin, bzw. es spielt dabei eine nicht unwesentliche Rolle.
Finger und Handrücken Hatten wir bereits bei den Fingern die drei Zonen des Körpers, des Geistes und der Seele unterschieden, so gewinnt diese Gliederung jetzt bei der Betrachtung der Gesamthand einschließlich der Finger eine weittragende Bedeutung. Und zwar stellen in dieser übergeordneten Gliederung die Finger das S e e l i s c h e , d i e G e f ü h l s a n l a g e n , dar. Ihnen steht der Handrücken bzw. der innere Handteller als das K ö r p e r l i c h e , Materielle, Reale, Triebhafte gegenüber. Wir hatten darin bereits den üblicherweise als „unbewußt" bezeichneten Teil der Persönlichkeit (die von der Gesamthand dargestellt wird) erkannt, dem wir die Finger als „bewußtseinsnah" gegenüberstellten. Zwischen den Fingern und dem Handrücken bzw. Handteller befinden sich die Fingerwurzeln (Fingerknöchel). Sie verkörpern, wie wir bereits ausführten, ein Prinzip des *) Vgl. A'bto. 3 24
O r d n u n g s g e i s t e s . Halten wir unsere Hände senkrecht vor uns, so stellt sich diese Dreiteilung als h o r i z o n t a l dar. Wir werden ihr später noch eine vertikale gegenüberstellen. Um Unklarheiten aus dem Wege zu gehen, prägen wir uns fest ein: Horizontale Dreiteilung: Finger
Gefühlsanlagen (bewußtseinsnah)
Seele
Fingerwurzeln
Ordnungsgeist
Geist
Handteller (bzw. -rücken)
materielle, reale, triebhafte Zone (unbewußt)
Körper
Sind die Finger, von außen gesehen, länger als der Handrücken, so besteht eine Überbetonung der Gefühle gegenüber dem triebhaften Wirklichkeitssinn. Sehr lange Finger weisen dementsprechend positiv auf idealistische (religiöse) Weitabgewandtheit, negativ auf Illusionsfähigkeit, Phantasterei und Exaltiertheit hin. Ist jedoch der Handrücken länger, so stellen wir ein Überwiegen des natürlichen, triebhaften Wirklichkeitssinns (positiv Realismus, negativ Materialismus) fest. Die Entscheidung über positive oder negative Ausdeutung richtet sich nach den Gesamtbefunden. Hinzuzufügen ist noch, daß die Länge der Finger nach der Länge des Ring- und Zeigefingers ( n i c h t nach der des Daumens, des Mitteloder des kleinen Fingers) beurteilt wird, wobei die untere Grenze durch die untersten Fingerknöchel gebildet wird (nicht etwa durch die Zwischenhaut).
Die Ge8amthand Ihre Beurteilung beginnen wir damit, daß wir sie in Beziehung zu den Erscheinungsformen des Gesamtkörpers setzen. Fällt sie durch Größe oder Kleinheit aus den sonst herrschenden Proportionen heraus, so ergibt sich körperlich, 25
also auch geistig und seelisch, eine Disharmonie und damit sogleich die Aufgabe, ihre Ursachen im Verlaufe der weiteren Untersuchung zu ergründen. Wie auch Klages ausführt, ist es unmöglich, Formen mit irgendeiner Maßeinheit messen und nach dieser in der exakten Naturwissenschaft üblichen Methode das mehr oder minder starke Vorhandensein gewisser Eigenschaften feststellen zu wollen. Entscheidend für die Größenbestimmung in der Ausdruckskunde ist vielmehr immer das r e l a t i v e p r o p o r t i o n a l e V e r h ä l t n i s bzw. das Abweichen von der aus der Praxis sich als „normal" ergebenden Form. Es wäre also falsch, zu sagen, eine Hand sei groß, wenn sie beispielsweise 20 cm lang und 10 cm breit ist. Diese tatsächliche Größe wäre vielmehr nur bei einem kleinen Menschen als groß, bei einem mittelgroßen vielleicht als normal und bei einem großen vielleicht sogar als klein zu bewerten! Unter Berücksichtigung dieses Sachverhaltes deuten wir, und zwar diesmal lediglich auf Grund der Ergebnisse von Reihenuntersuchungen : G r o ß e H a n d : von Einzelheiten ausgehend negativ positiv
Sich in Einzelheiten verlieren den Gesamtüberblick verlieren Pedanterie, Kleinlichkeit
Sinn für Einzelheiten Gründlichkeit Exaktheit
K l e i n e H a n d : von der Gesamtheit ausgehend positiv Rascher überblick Erfassen des Wesentlichen Großzügigkeit
|
negativ Ungenauigkeit übersehen des Details Flüchtigkeit
Man glaube nun nicht, daß man jetzt die Menschheit — nach der beliebten rypenmethode — teilen müsse in zwei Lager, in das der großen und das der kleinen Hände. Das wäre grundsätzlich falsch, weil nämlich die Hände der meisten Menschen normal groß sind und allenfalls nur zu relativer Größe bzw. Kleinheit neigen, so daß die angeführten Eigenschaften nur in modifizierter Form vorhanden sind. Über die mehr positive oder mehr negative Ausdehnung entscheidet wiederum •der Befund s ä m t l i c h e r Merkmale. Daß die Bedeutung eines einzelnen Merkmales niemals für sich bewertet werden darf — zum mindesten nicht in charakterologischer Hinsicht — ergibt sich aus dem ständigen Ringen der verschiedensten Kräfte und Kräftekombinationen innerhalb der Persönlichkeit. „Zeichendeuterei" ist also* unwissenschaftlich und laienhaft. Sie widerspricht unserem Wissen von der seelischen Dynamik. In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, daß es ein gewaltiger Unterschied ist, ob wir männliche Eigenschaften in einer männlichen oder aber in einer weiblichen Hand feststellen, und umgekehrt. An sich ist aus einer Hand nicht zu erkennen, ob sie einem Mann oder einer Frau gehört. Für die Beurteilung von Handabdrücken ist deshalb stets die Angabe des Geschlechts erforderlich (die Schilderung der Fingerformen, Berge usw. ist ohnehin selbstverständlich), ebenso die des Alters, weil nur dann die Reife bzw. Unreife ermessen werden kann. Das gleiche gilt bekanntlich für die Handschriftdeutung. 26
Weichheit und Härte der Hand Die Entscheidung über dieses Ausdrucksmerkmal treffen wir nach folgender Prüfung: wir ergreifen die völlig entspannte Hand des zu Prüfenden so, daß wir die Fingerwurzeln seitlich leicht zusammendrücken. Dabei läßt sich feststellen, ob unserem Druck ein größerer (Härte) oder geringerer (Weichheit, Elastizität) Widerstand entgegenwirkt. Die Deutung dieses Symbols ergibt: W e i c h h e i t : Mangel an passiver Widerstandskraft infolge mangelnder Härte der Struktur Elastizität Anpassung Nachgiebigkeit Duldsamkeit
positiv
negativ Energielosigkeit (Schlaffheit) Haltlosigkeit Beeinflußbarkeit Unentschiedenheit
H ä r t e : passive Widerstandskraft infolge harter Struktur negativ positiv Widerstandskraft Mangel an Elastizität Ausdauer Egozentrik Zähigkeit
Die Bedeutung der einzelnen Finger Der Daumen Wir kommen jetzt zur v e r t i k a l e n Dreiteilung. Wenn wir die Innenflächen unserer Hände in senkrechter Haltung zusammenschließen, offenbart sich uns am leichtesten die Symbolik der einzelnen Finger. Dann verkörpert der kleine Finger den der Umwelt nächststehenden und mit ihr in Berührung tretenden Teil der Persönlichkeit, der Daumen jedoch die tiefste und innerste Schicht. Das aber ist das Ich. Damit kommt dem Daumen eine Sonderbewertung zu, die auch symbolisch durch seine Form sowie durch seine Stellung in der Hand und zu den anderen Fingern ihren Ausdruck findet. Beachten wir, daß er stark in der unbewußten, körperlich-realen Triebzone verwurzelt ist und nur mit einem Teil des Nagelgliedes in die — unterste, körperliche! — Zone der anderen Finger hineinragt. Das dritte Glied gehört bereits völlig der Triebzone an. Die Symbolik läßt keinen Zweifel darüber, daß ein großer und starker Daumen ein großes und starkes Ich, ein kleiner und schwacher Daumen ein kleines und schwaches Ich verkörpert. Hier nun trifft uns zu Recht der Einwand, daß wir bisher die Finger nur als Verkörperung von Gefühlsanlagen gekennzeichnet haben. Die Begründung für die Erweiterung unserer Deutung liegt in folgendem: fühlen kann man nur etwas, dessen man selbst fähig ist, oder, wie Goethe formulierte: „Man begreift nur, was man selbst machen kann, und man faßt nur, was man selbst hervorbringen kann." Ist nun aber nach Klages das Ichgefühl „durch und durch nichts als Gefühl des Daseins", so setzt es voraus das Icherhaltungsvermögen. Und 27
weiter: „Hineingestellt in eine Wirklichkeit des Geschehens, wird das Sein z u r B e h a u p t u n g des Seins" (Klages). Der von Goethe formulierte Tatbestand wird von uns in Zukunft als „Gesetz der Polarität" (zwischen Eindruck und Ausdruck) bezeichnet. Ea gilt nicht nur f ü r die Gefühlsanlagen (Finger), sondern generell. Beim Daumen verkörpert das Nagelglied das seelische, das Mittelglied das geistige und das dritte Glied das körperliche Ich-Erhaltungsvermögen bzw. -Gefühl. Somit zeigt ein starkes bzw. ein schwaches Nagelglied die Stärke bzw.
Geist
Abb. 5 Schwäche der seelischen Ich-Erhaltungswallungen an. Nun wird verständlich, warum im Volksmunde ein Daumen mit ungewöhnlich starkem Nagelglied als „Mörderdaumen" bezeichnet wird. Wissenschaftlich ist diese übertreibende Verallgemeinerung dahin richtigzustellen, daß wir bei der Beurteilung des Nagelgliedes auch die Hemmungen der verschiedensten Art in Betracht zu ziehen haben. Als eine solche Hemmung erweist sich bereits ein zu langes, kräftiges Daumen m i t t e l glied, weil es eine besondere Betonung des Denkens (Überlegens) zum Zwecke der Ich-Behauptung darstellt, was sich praktisch in einer Hemmung der seelischen Ich-Erhaltungsaffekte auswirkt. Ist das Mittelglied aber 28
schwach und kurz, so besteht immer die Gefahr brutaler Ich-Behauptungshandiungen, natürlich nur dann, wenn das Nagelglied die Voraussetzungen dafür bietet. Ein kleines und schmales Nagelglied verkörpert schwache Ich-Behauptungsgefühle und -Wallungen. Ist es konisch oder gar spitz (siehe dort), so fühlt sich das Ich mit Recht ständig der Gefahr ausgesetzt, unter die Gewalt eines Fremd-Ichs zu geraten. Diese Gefahr wird, da sie die Ich-Erhaltung von Grund auf bedroht, mit heftiger Reaktion abgewehrt. Daher symbolisiert der spitze Daumen Beeinflußbarkeit und Ängstlichkeit, aber auch leichte reaktive Erregbarkeit. Das dritte Daumenglied ist in seiner ganzen Ausdehnung von einer Polsterung, dem Berg a, besetzt. Ähnliche Polsterungen finden wir auch an anderen Stellen der Innenhand. Jeder dieser Berge verkörpert, worauf die Symbolik der Form hinweist, einen T r i e b . Die auffallende Größe des Berges a nun wird unterstrichen durch seine Lage auf dem dritten Daumenglied, auf dem körperlichen Glied des Ich-Erhaltungsgefühls und -Vermögens. Der Berg stellt somit den IchErhaltungstrieb und zugleich die Ich-Vitalität (körperliche Vitalität) dar. Beachten wir, daß der Berg a fast ein Viertel der inneren Handfläche einnimmt und auch in der Höhe die anderen Berge weit überragt! Umreißen wir den Begriff Vitalität entsprechend der bereits gekennzeichneten Symbolik, so schließt er u. a. ein: ursprüngliche auf Ich-Erhaltung und Arterhaltung (Fortpflanzung) gerichtete Lebenskraft; sie ist vorwiegend körperlich betont und verleiht Freude am Ursprünglichen und am Leben selbst, also Sinnenhaftigkeit in weitester Bedeutung, u. a. auch Freude an Rhythmus, Form und Farbe umfassend. Diese Lebensfreude ist nach dem Gesetz der Polarität sowohl passiv als auch im Sinne eines aktiven, schöpferischen, triebmäßigen Bedürfnisses, zu leben und sich auszuleben, zu verstehen. Das gewissermaßen u n t e r dem Berg liegende dritte Daumenglied symbolisiert demgegenüber das körperlich betonte Vermögen bzw. G e f ü h l der Ich-Erhaltung. Von besonderer Wichtigkeit sind die Beziehungen des Berges a zu den oberen, unter den Fingern gelegenen Bergen. Sie stellen Triebe dar, die darauf gerichtet sind, die ihnen entsprechenden, in den zugehörigen Fingern verkörperten Gefühlsanlagen und Begabungen (Vermögen) gegenüber der Umwelt zur Auswirkung zu bringen. Ein starker Berg unter dem Zeigefinger bedeutet z. B„ wie wir vorwegnehmen, u. a. Geltungstrieb. Dieser Trieb nun wird niemals befriedigt werden können, wenn der Berg a schwach ist. Das hat seinen Grund darin, daß der Trieb bzw. der Wunsch nach Geltung keineswegs genügt, um die gewünschte Geltung auch tatsächlich zu erreichen. Dazu bedarf es vielmehr einer entsprechend starken Vitalität, wie sie eben in einem kräftigen Berg a symbolisiert ist. (Eine ebenso große Rolle spielt natürlich der eigentliche Daumen.) Ebenso liegt das Verhältnis der anderen oberen Berge zum Berg a. Starke obere Berge bei schwachem Berg a weisen also stets darauf hin, daß Wünsche aus Mangel an Vitalität nicht oder nur sehr schwer erfüllt, bestimmte triebmäßige Ziele nicht erreicht werden können. Was immer zu „Minderwertigkeitskomplexen" führt. Ihre tieferen Ursachen können in der Hand also ganz exakt festgestellt werden. 29
Bei näherer Betrachtung des Berges a bemerken wir, daß er in zwei Teile gegliedert ist: einen unteren, der sich unmittelbar über dem dritten Daumenglied befindet, und einen oberen, der, weit weniger ausgebildet, begrenzt wird von dem unteren, von einem Teil der Linie 1 und von einem Teil des inneren Handrandes (Abb. 5). Wir stoßen damit auf eine Polarität: verkörpert der untere eigentliche Berg die ich-gebundene und für die Ich-Durchsetzung erforderliche Vitalkraft, richtet er sich also in diesem Sinne g e g e n die Umwelt, so stellt der obere diejenigen Kräfte dar, die vom Ich zur Erhaltung des Du ausgehen, oder, wie Klages sagt; „Dergestalt tritt dem Behauptungstriebe im Ich-Bereich selber entgegen der Selbsthingebungstrieb, und es muß der letzte Grund aller nur möglichen Willensentscheide entweder auf der Behauptungsseite oder auf der Hingebungsseite zu finden sein." Ohne diese Polarität, beim Vorhandensein nur des unteren Berges, würde alles Leben im Kampfe um die Selbsterhaltung sich gegenseitig vernichten. Je nachdem, ob der obere Berg a kräftig oder schwach ist, ist die gekennzeichnete Tendenz im größeren oder kleineren Maßstabe vorhanden. Bei Frauen stellt ein kräftiger Berg ein mütterliches Sorgenwollen, nicht nur für die eigenen Kinder, sondern für Menschen überhaupt dar. Bei Männern finden wir ihn gut ausgeprägt in den Händen von allen, die ihren Nächsten wahre Kameraden sind. Bei gleichzeitigen Anzeichen zu starker Ich-Betonimg (Daumen, Zeigefinger, unterer Berg a usw.) artet das Sorgenwollen für andere in eine Bevormundung aus, die, obwohl immer gut gemeint, in ihrer Durchführung zumeist als recht unangenehm und oft auch als gewaltsam von dem Umsorgten empfunden wird. Schließlich besteht eine enge Wechselwirkung zwischen dem oberen und dem unteren Berg a insofern, als die Intensität der Vitalität (die Fülle) des unteren Berges, falls ihre Expansion — aus welchen Gründen immer — gehemmt ist, sich nach dem oberen Berg verschieben kann, und also dann im Sinne dieses Berges ausgelebt wird. Hier liegt somit das gesamte Problem der „S u b 1 i m i e r u n g", nicht aber das der Verdrängung, denn als „verdrängt" wollen wir die gehemmte Vitalität bezeichnen, deren Sublimierung nicht gelingt. Greifen wir nochmals zurück auf den eigentlichen Daumen, so verkörpert, wie wir festgestellt haben, ein langer und kräftiger Daumen ein starkes Ich. Das aber bedeutet zugleich ein starkes Ich-Behauptungsvermögen, d. h. eine starke Lebensraumbeanspruchung. Diese Beanspruchung und Behauptung des Lebensraumes wiederum schließt in sich ein die Unterordnung bzw. Vernichtung von schwächeren Fremd-Ichs und zugleich das Vermögen dazu. Somit symbolisiert der lange und kräftige Daumen sowohl Durchsetzungsvermögen als auch Tatkraft sowie u. U. Brutalität. Ist der Berg a unter diesen gekennzeichneten Umständen schwach, so erfolgt zum Zwecke der Ich-Durchsetzung eine übermäßige Inanspruchnahme der vorhandenen körperlichen Vitalität, d. h. die Ich-Behauptung wird durchgesetzt selbst bis zur Erschöpfung, die je nach der Stärke des Berges a früher oder später eintreten muß. Ist der Berg a kräftig entwickelt, so besteht naturgemäß diese Gefahr nicht. Schließlich ist ein langer und kräftiger Damnen, da wir in der Hand n u r h i e r die Verkörperung des Ich-Behauptungsvermögens finden, die Voraussetzung für die Behauptung der Gesamtpersönlichkeit. Unabhängig davon, ob' 30
die Begabung selbst zu einzigartigen Leistungen etwa in der Kunst oder in der Wissenschaft oder auf irgendeinem anderen Gebiete führen, hängt der persönliche Erfolg zu L e b z e i t e n stets von der Länge und Stärke des Daumens und von der Intensität der Vitalität ab. Damit ist, wie wir bereits erkannt haben, keineswegs gesagt, daß die Durchsetzung immer mit Brutalität oder auch nur mit b e w u ß t e r Rücksichtslosigkeit verbunden sein müßte. Vielmehr scheint es so zu liegen, daß ein starkes Ich (unter Einschluß der Vitalität) von jedem schwächeren Fremd-Ich instinktmäßig respektiert wird (unter der Voraussetzung, daß die Äußerimgsmöglichkeit, die wir später behandeln, nicht zu gering oder gehemmt ist.) Oder aber: j e d e s s t a r k e I c h b e s i t z t e i n e e l e m e n t a r e G e w a l t ü b e r s c h w ä c h e r e F r e m d - I c h s. Was man bereits beim Spielen der Kinder beobachten kann. An der Kraft oder Schwäche des Daumens erkennen wir also die in der Natur herrschende Rangordnung, von der schon Paracelsus wußte, als er sagte: „Der sei keines anderen, der ein Selbsteigener sein kann." Der Zeigefinger Der Zeigefinger stellt symbolisch im wesentlichen eine Wiederholung des Daumens in einer höheren Zone dar, die wir bereits als „bewußtseinsnah" kennengelernt haben. E r repräsentiert das Sich-selbst-Fühlen, das Selbstgefühl und damit auch das Selbstbehauptungsvermögen. Demgegenüber verkörpert der Zeigefingerknöchel den Selbst g e i s t , das Sich-selbst-Wissen, das Selbstbewußtsein. Aus ihm entspringt das vom Selbst ausgehende, unterscheidende, logische Denken, wie es durch die Linie 2 symbolisiert wird. Damit findet die bekannte Geste der Selbstdurchsetzung, wie sie uns in dem befehlenden und drohenden Zeigefinger entgegen-, tritt, ebenso eine Erklärung wie das unterscheidende Hinweisen. Ist der Zeigefinger lang (länger als der Ringfinger) und der Knöchel kräftig, so sind das Selbstbehauptungsvermögen und das bewußte Selbstgefühl stark. Das Bewußtsein wie das Gefühl erkennen aber auch die Grenzen der eigenen Kraft, wodurch sich der Sinn für die Unterordnung unter stärkere als auch der für Überordnung über schwächere Individuen ergibt. Entspringt aus dem ersteren das autoritäre, so aus dem letzteren das autoritative Gefühl und Vermögen (auch in religiöser Beziehung). Beide zusammen ergeben Gerechtigkeit in dem Sinne, daß jeder im Leben an den Platz gestellt werden soll, der ihm gebührt, was von einem Unterdrückten u. U. als Güte empfunden werden kann. Eine nähere Differenzierung des Gerechtigkeitsgefühls hängt u. a. von der Proportion der einzelnen Fingerglieder wie auch von der Form des Nagelgliedes ab. Da dem aufmerksamen Leser nicht entgangen sein dürfte, daß die Formen konisch, quadratisch, spatelig unserer Dreiteilung Seele, Geist, Körper entsprechen, geht bei einem konischen Zeigefinger-Nagelglied der Gerechtigkeitssinn mehr vom Seelischen, beim quadratischen mehr vom geistig Gesetzmäßigen und beim spateligen mehr vom naturhaft Körperlichen aus, bzw. er wird dadurch entscheidend beeinflußt und gefärbt. Auch die Art des von der Linie 2 verkörperten logischen Denkens ist bei dieser Beurteilung mit heranzuziehen. Somit bietet die Hand hier wie überall die Möglichkeit einer ungemein mannigfaltigen Differenzierung, die sich kaum noch durch einzelne Begriffe, sondern nur durch zahlreiche Bei-, 31
spiele umspannen läßt, deren Anführung den geplanten Umfang unserer Arbeit allerdings um ein Vielfaches übersteigen würde. Aus einem starken Selbstbewußtsein und -gefühl ergeben sich ferner ohne weiteres das Gefühl für Würde und Tradition wie auch dasjenige Pflichtgefühl, das aus dem Selbstgefühl entspringt. Denn Würde, Tradition und Pflichtgefühl d i e s e r Art ist man seiner Selbstachtung schuldig. Der allzu lange Zeigefinger verkörpert Übersteigerungen, also u. a. Selbstüberhebung, Selbstherrlichkeit, Hochmut und Ehrfurchtslosigkeit. Der zu kurze Finger symbolisiert einen Mangel an Selbstbehauptungsvermögen und -gefühl und dementsprechend Unsicherheit und Ängstlichkeit. Der Berg unter dem Zeigefinger verkörpert den Selbst-Trieb, d. h. den Trieb, das Selbst über andere Selbste zu stellen (wie vielleicht überhaupt das Bewußtsein daraus entstanden ist, daß dem Ich ständig ein Fremd-Ich gegenübertrat, woraus dann die Vorstellung des Fremd-Ichs und damit das Bewußtsein des eigenen Ich, das bewußte Selbst, erwuchs. Bei Kindern, die anfänglich von sich in der dritten Person sprechen, können wir etwas Ähnliches verfolgen). Diesen Trieb, sich überzuordnen, können wir auch als Geltungstrieb bezeichnen, und es ist sehr zu beachten, daß er a l s Z e n t r u m a l l e r T ä u s c h u n g e n ü b e r d i e e i g e n e P e r s o n u n d d a m i t ü b e r d i e W e l t so eng an das nüchterne logische Denken (Linie 2) geknüpft ist! Dadurch ist er in der Lage, das Denken zu übertönen und zu lähmen, was immer dann geschieht, wenn es Tatsachen und Dinge, die dem Trieb zuwider laufen, im Begriff ist zu erkennen oder aber sie bereits zwangsläufig erkennen mußte. Andrerseits kann das Denken an solche Bahnen gefesselt werden, die der Selbstachtung und dem Geltungstrieb genehm sind; dadurch büßt es die Fähigkeit ein, Realitäten unvoreingenommen zur Kenntnis zu nehmen, es verrennt sich hoffnungslos in Gedankengänge, die wünsch- und triebhaft gerichtet sind und alles andere, nur keine objektiven, sondern eben höchst subjektiv erwünschte „Erkenntnisse" vermitteln. Aus einem starken Berg unter dem Zeigefinger, den wir recht häufig antreffen, entnehmen wir deshalb nicht nur starken Geltungstrieb, sondern auch starke Selbsttäuschung; daraus wiederum sind charakterologisch u. a. Anmaßung, Protzerei und Minderwertigkeitsgefühle, Unzufriedenheit mit sich selber und Depressionen abzuleiten. Der normale Berg verkörpert einen normalen Geltungstrieb und damit u. a. Ehrgeiz, ein zu schwacher Berg entsprechenden Triebmangel. Eine große Anzahl von Ableitungen ergibt sich aus der Kombination z. B. eines langen Fingers mit einem schwachen Berg, eines kurzen Fingers mit einem schwachen Berg, eines kurzen Fingers mit einem starken Berg usw. Fügt man die bereits angedeutete Kombination mit dem Berg a und die mit allen übrigen bisherigen Befunden hinzu, so weist die Ich-Seite der Persönlichkeit schon jetzt eine bislang nicht erreichte Feinheit der Differenzierung auf. Der kleine Finger Der kleine Finger ist der sinnlich wahrnehmbaren Umwelt zugewandt und verkörpert dementsprechend — im Rahmen unserer v e r t i k a l e n Dreiteilung — die Umweltsbeziehungen, soweit sie das Gefühl und Vermögen der Aufnahme 32
und Äußerung betreffen. Verstehen wir darunter zunächst einmal nur die Gaben des Klanggefühls und der Sprache (nicht etwa physiologisch das Gehör und den Kehlkopf), so weist ein normal langer, gerader und gutgeformter kleiner Finger auf Klangsinn, Sprachgefühl und Redegewandtheit hin. Der Klangsinn dient dem Vernehmen, das, wie u. a. Klages ausführt, von Vernunft kommt. Weiter sagt er: „Umgekehrt ist ,taub' verwandt mit ,dumm' und geht vom Gedanken der Unempfänglichkeit des Dummen weiter zum Gedanken der Gehaltlosigkeit und Hohlheit; daher ,taube Nüsse'." Diese Charakterisierung bezieht sich, wie nochmals ausdrücklich vermerkt werden muß, für uns nur auf die Umweltsbeziehungen der Persönlichkeit. Die Deutung des normal langen, geraden und gut geformten kleinen Fingers ist also zu erweitern in der Richtung auf Vernunft in der Umweltsbeziehung, d. h. auf p r a k t i s c h e n M e n s c h e n v e r s t a n d . Der kurze und schlecht geformte kleine Finger bedeutet dementsprechend Taubheit gleich Dummheit in bezug auf die Umweltsbeziehungen, also unpraktische Lebensgestaltung, die — nach der obigen Ableitung — in sich einschließt geringes Aufnahme- und Äußerungsvermögen. Über den interessanten Zusammenhang zwischen dem Aufnahme- und Äußerungsvermögen mit der praktischen Lebensgestaltung führt Klages u. a. noch folgende Beispiele aus der Sprache an: „Vom Unausführbaren ,kann keine Rede sein'. Wen wir nicht mögen, auf den ,sind wir nicht gut zu sprechen', und wen wir verachten, dem .sprechen wir Hohn'; der Anbetungswürdige aber wird .heilig gesprochen'. Das gelungene Porträt ist sprechend ähnlich', und durch .sprechende Beweise' überzeugt man." Und: „Wen man gewinnen will, demgegenüber .schlägt man einen freundschaftlichen Ton an'. Zum .guten Ton' gehört Haltung; wer aber in der Gesellschaft eine Rolle spielt, ist .tonangebend' und darf sich erlauben, ,das große Wort zu führen' und den .Vorlauten' .kleinlaut* zu machen." Ist der kleine Finger übermäßig lang, so erfahren die angegebenen Eigenschaften eine Steigerung, die sich dann positiv wie auch negativ auswirken kann, je nach den übrigen Befunden der Hand. Dann reicht die Skala positiv nicht nur bis zu Redegewandtheit, sondern auch bis zu Diplomatie, negativ nicht nur bis zu Geschwätzigkeit, sondern bis zu Schwindel und Betrug. (Für die mehr positive oder mehr negative Beurteilung sind vor allem maßgebend die Länge und Gestalt des Zeige- und Mittelfingers sowie die Art und der Verlauf der Linie 2, letzten Endes aber eben wieder sämtliche Merkmale). Eine Menge von Ableitungen ergibt sich nun, wenn wir jetzt die Fingerformen hinzunehmen. Beispielsweise finden wir bei guter juristischer Begabung u. a., daß der kleine Finger und der Zeigefinger gut geformt und daß entweder beide quadratisch sind oder einer von ihnen. Ist z. B. der kleine Finger quadratisch und der Zeigefinger konisch, so wissen wir jetzt, daß sowohl die Rede als auch die Schriftsätze eine klare und systematische Durcharbeitung erfahren werden, während die Rechtsauffassung beeinflußbar ist und Wandlungen unterliegt, bei denen das Gesetz zugunsten der Rechtsauffassung zurücksteht. Im umgekehrten Falle, wenn also der Zeigefinger quadratisch und der kleine Finger konisch ist, besteht eine Unterstreichung des Gesetzmäßigen gegenüber dem persönlichen Rechtsgefühl, während Schriftsatz und Rede von guter Einfühlung geleitet und gewandt sind. 3 Steindamm: Hand und Persönlichkeit
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(In beiden Fällen haben wir das Vorhandensein aller weiteren erforderlichen Gaben, deren Aufzählung zu weit führen würde, angenommen.) Die ursprünglichste Beziehung zur Umwelt aber stellt die Bewegung dar, und somit verkörpert der kleine Finger sowohl das Vermögen der Bewegung als auch — als Aufnahme gesehen — das Gefühl für Bewegung innerhalb der Umwelt. Die entsprechenden Ableitungen für einen kurzen bzw. langen Finger ergeben sich von selbst. Schließlich wird auch das Vermögen bzw. das Gefühl für sexuelle Äußerung und Aufnahme durch den kleinen Finger symbolisiert. Der Ringfinger Verkörperte der kleine Finger die p r a k t i s c h e n Umweltsbeziehungen, so erschließt sich uns die Bedeutung des Ringfingers durch Darlegungen von Ludwig Klages, wonach „die von uns erwogene Vergrößerung der seelischen Blickweite, die mit dem Übergang von der Vorherrschaft des Empfindens im Tier zur Vorherrschaft des Schauens im ursprünglichen Menschen einhergeht, u. a. darin gesucht werden muß, daß nunmehr die Seele ergriffen und mitbewegt wird nicht mehr bloß von B e w e g u n g s e r s c h e i n u n g e n , sondern überdies von den Erscheinungen bewegungs l o s e r Formen, Gestalten, Linien. Einer so gewaltig gewachsenen .Ansprache' der Erscheinungen aber konnte sie nur in dem Maße sich öffnen, als sie die Mittel zur .Antwort' fand: diese Antwort ist die ursprüngliche Kunst, ja die Kunst überhaupt, soweit sie dem Sinn ihres Ursprungs treugeblieben". Daß es sich hier gegenüber dem kleinen Finger um eine Schicht „von weit verschiedener Tiefe der Innerlichkeit" handelt, geht aus unserer Symbolik ohne weiteres hervor. Der Volksmund hatte somit recht, den Ringfinger als „Kunstfinger" zu bezeichnen (oder auch als „schönen Finger"). Für die Deutung ergibt sich somit, daß wir das Gefühl für die Form — und "damit das Vermögen, der Formung — um so mehr ausgeprägt finden, je länger und schöner geformt der Ringfinger ist. Die Skala dieses Formgefühls und -Vermögens muß allerdings sehr weit gefaßt werden; sie beginnt bei der Kleidung, Dei den Möbeln, bei den täglichen Gebrauchsgegenständen usw. und endet bei der reinen Kunst. Die Entscheidung über die jeweilige künstlerische Qualität hängt von später behandelten Merkmalen ab. — Ein schlecht gestalteter Ringfinger weist auf entsprechendes Unvermögen und damit u. a. auf Ungeschmack hin. Aus unseren Feststellungen läßt sich wieder eine ganze Reihe von charakterologischen Ableitungen entwickeln. So bringt z. B. das Gefühl für die Form (beispielsweise das Beeindrucktwerden durch Kunstwerke) zweifellos Freude und ein Unbeschwertsein vom Materiellen mit sich. Wenn aber über der Form ihr Sinn, der Inhalt, vergessen wird, dann ist ein langer Ringfinger negativ zu bewerten und zeugt von Oberflächlichkeit, Wirklichkeitsfremdheit und Phantastik, und die Freude am Sichschmücken wird zu leerer Eitelkeit. Auf der positiven Seite wiederum steht das Gefühl für die Ästhetik der Körperform, doch auch das Gefühl für ihren Sinn, d. h. das Gefühl für das Wesen anderer Menschen, was wir als „Einfühlung" bzw. als „Herausfühlung" bezeichnen. Und zwar im Gegensatz zur „inneren Intuition", mit der wir uns an anderer Stelle 34
beschäftigen werden. Die Entscheidung über die positive oder negative Bewertung hängt also wieder vom Gesamtbefund ab. Doch sei einmal angedeutet, in welcher Richtung unsere Kombinationen zu erfolgen haben. Ist z. B. der Ringfinger lang und konisch, der Daumen klein und sein Nagelglied spitz, die Hand weich und konisch, sind die Finger w e s e n t l i c h länger als der Handrücken und alle Knoten wenig ausgebildet, dann deuten wir den Ringfinger negativ. Ist hingegen z.B. der Ringfinger lang und spatelig, der Daumen kräftig und sein Nagelglied quadratisch, die Hand mittelhart und spatelig oder quadratisch und sind die Knoten im allgemeinen gut (aber nicht zu stark!) ausgebildet, dann deuten wir positiv. Dieses Beispiel setzt natürlich voraus, daß die späteren, uns noch nicht bekannten Befunde dem nicht widersprechen. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß die Kombination mit jedem einzelnen Merkmal der Deutung des Ringfingers eine bestimmte Färbung verleiht! Wie auch seinerseits wieder der Ringfinger im Rahmen des Gesamtcharakters die Bedeutung jedes anderen Merkmales differenziert! So kann beispielsweise eine generell z u s t a r k e Ausbildung der Knoten auf eine völlige Hemmung jeder künstlerischen Betätigung und auch der künstlerischen Aufnahme hinweisen. Der Mittelfinger Der Mittelfinger stellt innerhalb der v e r t i k a l e n Dreiteilung die Mitte, das Zentrum der Hand dar. Er verkörpert als Prinzip die Konzentration. Doch er verbindet nicht nur, er trennt auch die körperliche von der seelischen Seite^ innerhalb der vertikalen Dreiteilung. Als Grenze und gleichzeitig als Verbindung beider Zonen gibt er somit der Gesamtpersönlichkeit die Richtung des Lebens. Eine Unterstreichung erfährt diese Symbolik durch die h o r i z o n t a l e Dreiteilung insofern, als der Mittelfinger am weitesten in die obere, seelische Zone hineinragt. Man könnte auch sagen, er weise durch die Erscheinungswelt hindurch über sie hinaus und empfange jenseits von ihr das ihm bestimmte seelische Prinzip. Verkörpert er in der vertikalen Dreiteilung als „Geist" die Gliederung und Richtung, so in der horizontalen als „Seele" die innere Weisung, nach der Gliederung und Richtung zu erfolgen haben. Das aber ist, was Kant als „das Sittengesetz in uns" bezeichnet hat. Es tritt als kategorischer Imperativ, als Gewissen, auf und befiehlt dem Menschen: du s o l l s t soundso handeln. In der praktischen Deutung kennzeichnet dementsprechend ein kürzerer oder ein längerer Mittelfinger die mehr oder weniger starke Ausprägung des Verantwortungsgefühls, des Pflichtgefühls und der Konzentration. Die A r t des Pflichtgefühls usw. wiederum ist abhängig von dem proportionalen Verhältnis der einzelnen Fingerglieder, von der Stärke der Knoten, von der Fingerform und schließlich davon, ob der Finger gerade oder krumm ist, wobei feinere Unterscheidungen darüber zu treffen sind, an welcher Stelle sich die Krümmung befindet und wie sie überhaupt beschaffen ist. Dementsprechend ist also auch die Art des Gewissens bzw. des kategorischen Imperativs bei jedem Menschen verschieden. — Die gleiche Vielfältigkeit der Unterscheidungen ist auch bei den durch die anderen Finger symbolisierten Gefühlen bzw. Begabungen zu treffen, worauf wir verschiedentlich hinwiesen. 3'
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Pflichtgefühl, so erinnern wir uns, hatten wir bereits dem Zeigefinger zugemessen. Während ee aber dort der Selbstachtung entsprang und also bedeutete: „ich will meine Pflicht erfüllen, weil ich es meiner Würde als Mensch schuldig bin", beruht das hier in Frage stehende Pflichtgefühl auf dem kategorischen Imperativ. Ein zu kurzer Mittelfinger weist auf Verantwortungslosigkeit und Leichtsinn aus Mangel an Lebensernst, an Ethik, hin (im Gegensatz zum mehr spielerischen „leichten Sinn" des Ringfingers). Ein zu langer Mittelfinger verkörpert eine überstarke Ausprägung des kategorischen Imperativs. Damit erhält u. a. das Verantwortungsgefühl eine solche Härte, daß es weder gegenüber der Persönlichkeit selbst (besonders gegenüber den Trieben und den Gefühlen) noch gegenüber der Umwelt Gnade oder Barmherzigkeit walten läßt. Ständig wird ein solcher Mensch von dem unabweisbaren Drang bewegt, zu erfahren, ob er denn auch wirklich nach den Vorschriften des in ihm lebenden Gesetzes, des G e w i s s e n s , handle, was zu Grübelei (und damit Hang zur Einsamkeit), Selbstquälerei und Unsicherheit führt und sich letzten Endes als eine Lähmung aller Tatkraft erweist. Einen langen Mittelfinger finden wir z. B. in Philosophenhänden. Nietzsche sagt von diesem Pol seines Wesens, der zu den anderen Polen in starker Spannung stand: „Dieser Hang und Drang zum Wahren, Wirklichen, Un-Scheinbaren, Gewissen, wie bin ich ihm böse! Warum folgt m i r gerade dieser düstere und leidenschaftliche Treiber! Ich möchte ausruhen, aber er läßt es nicht zu." Leider ist es unmöglich, jedes Merkmal mit den bereits besprochenen zu kombinieren, weil sonst der Rahmen unserer „Einführung" bei weitem überschritten würde. Deshalb weisen wir nur darauf hin, daß die gekennzeichnete Bedeutung des langen Mittelfingers gewissermaßen unterstrichen wird durch ein langes Mittelglied wie auch durch kräftige Knoten. Im Gegensatz dazu ergibt z. B. die Feststellung eines k u r z e n Mittelfingers bei einem starken Berg a eine hemmungslose, von keinerlei Verantwortung getragene (Ich-) Triebhaftigkeit. Auch diese Deutungen haben selbstverständlich zur Voraussetzung, daß andere Merkmale dem nicht widersprechen.
Die Berge Die oberen Berge
Hatten wir im Anschluß an den Zeigefinger sogleich den auf dem dritten Fingerglied — aber bereits im Handteller — liegenden Berg behandelt, so stellten wir die Betrachtung der anderen oberen Berge bis jetzt zurück. Das hat seinen Grund darin, daß wir normalerweise nur drei Berge unter den Fingern besitzen. Ihre höchsten Erhebungen liegen zumeist unterhalb der Fingerzwischenräume, so daß also auf die Zwischenräume der oberen vier Finger drei Berge entfallen. Beim Daumen lag der Berg a normalerweise direkt über dem dritten Fingerglied; beim Zeigefinger ist dies häufig auch der Fall, wenn auch recht oft eine Verschiebung nach dem Mittelfinger zu stattfindet. Die beiden anderen Berge liegen zumeist direkt unter den Zwischenräumen.
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Betrachten wir zunächst den Berg zwischen dem Ansatz des kleinen und des Ringfingers, so ergibt sich aus der Symbolik, daß die Art des von ihm vorwiegend verkörperten Triebes davon abhängt, ob er sich mehr unterhalb des kleinen Fingers oder mehr unterhalb des Ringfingers befindet. Im ersten Falle liegt die Betonung mehr auf Äußerung, Bewegung (Beweglichkeit) und Sexualität, im zweiten mehr auf Formgefühl usw. Im entsprechenden Sinne deuten wir die Symbolik des zwischen dem Ringund dem Mittelfinger liegenden Berges. Die entscheidende Bedeutung, die einem mehr oder minder starken Berge a bei der Beurteilung der oberen Berge zukommt, hatten wir zu einem Teil bereits gekennzeichnet, und zwar stellten wir fest, daß starke obere Berge bei einem schwachen Berg a insofern zu einer ungünstigen Auswirkung innerhalb der Persönlichkeit führen, als die von ihnen verkörperten (Wunsch-) Triebe infolge
Die oberen Berge
Abb. 6 mangelnder Vitalität nicht genügend ausgelebt werden können, was immer zu Minderwertigkeitskomplexen, Unzufriedenheit und Unsicherheit führt. Dabei ist die Rolle eines starken Zeigefingerberges insofern besonders zu berücksichtigen, als er Selbsttäuschung nicht nur über die eigenen Begabungen und Fähigkeiten, sondern auch über die Vitalität symbolisiert. Im Rahmen dieses Sachverhalts liegen die Dinge jedoch nicht etwa so, als ob nun d a u e r n d 37
Minderwertigkeitsgefühle vorlägen, vielmehr führt die Selbsttäuschung immer wieder zu dem Glauben, daß die Fähigkeiten und die vorhandene Vitalität zur Erreichung der Triebziele genügten. Das Minderwertigkeitsgefühl tritt immer dann erneut auf, wenn die Lebenserfahrung zeigt, daß dies nicht der Fall ist. So wechseln denn ständig hochgespannte Stimmungen mit Depressionen, ohne daß es den davon Betroffenen möglich wäre, den Grund dieses Zustandes verstandesmäßig zu erkennen. Denn auch dafür sorgt, wie wir bereits ausführten, ein kräftiger Zeigefingerberg! Der Berg c Im Gegensatz zu den oberen Bergen sind die Berge c, b und d (Abb. 5 und 7) in der Auswirkung der von ihnen verkörperten Triebe auf die Umwelt nicht vom Berg a abhängig. Innerhalb der Persönlichkeit aber bilden sie den direkten G e g e n p o l z u m D a u m e n . Symbolisierte dieser im Rahmen der v e r t i k a l e n Dreiteilung der Gesamthand zusammen mit dem Zeigefinger die k ö r p e r l i c h b e t o n t e I c h - S e i t e , so stellen die Berge c, b und d zusammen mit dem kleinen und dem Ringfinger die s e e l i s c h b e t o n t e U m w e l t s e i t e (Du-Seite) dar. Zwischen beiden befindet sich der im Mittelfinger und in der Linie 4 verkörperte Geist. Auf der seelischen Seite entspricht somit der Berg c dem auf der körperlichen Seite befindlichen Nagelglied des Daumens, der Berg b dem Daumenmittelglied und der Berg d dem dritten Daumenglied bzw. dem Berg a. (Damit ergibt sich für die Dreiteilung: c = Seele, b = Geist, d = Körper!) Unter Berücksichtigung dieser Symbolik verkörpert der Berg c den Kampftrieb der Seele. Im Gegensatz zum Daumen, dessen Ichbehauptungstendenz nur dann kämpferisch in Aktion tritt, wenn der Kampf um die Existenz des Ich und um den persönlichen Besitz es erforderlich macht (einbezogen sind hier die Familie, die Heimat usw.), symbolisiert der Berg c die Freude am Kampf, e r s u c h t die kämpferische Auseinandersetzung, und zwar um der I d e e n willen, beispielsweise zur Durchsetzung der I d e e der Familie, der Heimat, des Volkes. Immer wird d a b e i di^ P e r s ö n l i c h k e i t , d a s Ich und d a s S e l b s t der G e s a m t h e i t und A l l g e m e i n h e i t untergeo r d n e t , im K a m p f e w i r d — „ s e l b s t v e r g e s s e n " , wie d i e d e u t s c h e S p r a c h e es so t r e f f e n d a u s d r ü c k t — d a s L e b e n dafür eingesetzt. Von den Befunden der Gesamthand hängt es ab, auf welcher Ebene sich dieser Kampftrieb vorwiegend betätigt. Besteht — aus welchen Gründen immer — die Möglichkeit der kämpferischen Auseinandersetzung nicht, dann wird Un : geduld empfunden. Falls keine Linien an den Berg c heran oder von ihm weg führen, kommt es zu einer Stauung der Kampfimpulse, die sich dann jeweilig durch Jähzorn und aufbrausende Heftigkeit entlädt, besonders, wenn irgendein Widerspruch erfolgt, auf den man eigentlich ja nur wartet. In einer triebhaften, primitiven, willensschwachen Hand führt ein starker Berg c zu explosiver Unbeherrschtheit, Streitlust und Krakeelertum. Zusammengefaßt ergibt sich neben der Kampflust ein schnelles und heftiges, aber nicht anhaltendes Reagieren. 38
Ist der Berg c schwach oder fehlt er vollkommen, dann haben wir einen entsprechenden Mangel an den geschilderten Eigenschaften zu verzeichnen. — Weitere Aufschlüsse über die Bedeutung des Berges c ergeben sich noch aus dem folgenden Kapitel. Die Berge b und d Das Wahre war schon längst gefunden, Hat edle Geisterschaft verbunden. Das alte Wahre, faß es an! Goethe
Unterhalb des Berges c, am Grunde der Hand, im körperlich-vitalen Unbewußten, befinden sich die Berge b und d. Und zwar auf der umweltgebundenen Seite der Persönlichkeit. Jede einzelne dieser Feststellungen müssen wir uns genauestens vergegenwärtigen, um aus ihrer Kombination nun unsere Rückschlüsse zu ziehen. Symbolisierten die Finger die Verbindung der Persönlichkeit mit der Erscheinungswelt, so erkennen wir hier die Verbindung mit der intelligiblen Welt, mit den Dingen an sich. Sie ist uns unbewußt. Sie erfolgt — unserer vertikalen und horizontalen Dreiteilung entsprechend — durch die Seele des Vitalen. Die Berge b, c und d bilden symbolisch den Gegenpol zum Daumen, zum Ich. Sie stellen die seelische Vitalität dar, die sich wieder in Seele (c), Geist (b) und Körper (d) gliedert! Dieser Sachverhalt wäre ohne das Symbol der Hand überhaupt nicht zu begreifen. An seiner Klarstellung ist bisher jede Philosophie, jedes Streben nach begrifflicher Erkenntnis gescheitert. Nur das symbolische Denken der alten Völker und einiger genialer Menschen unserer Zeit konnte intuitiv bis hierher vordringen. Ihm verdanken wir unsere Erkenntnis. Die Ausdeutung unseres Befundes erfordert zunächst eine Klarstellung des Begriffes „intelligible Welt". Kant hat erklärt, daß sie vermittels unseres an Raum und Zeit gebundenen Bewußtseins nicht erkennbar sei. Die „Dinge an sich" entziehen sich damit jener Erkenntnis, die auf bewußter Erfahrung aufgebaut ist; wir können ihren Sinn mit unserem zweckedenkenden, logischen Verstand nicht erfassen. Wohl aber, so schalten wir nun ein, nehmen wir ihr Vorhandensein wahr: durch Träume, durch Stimmungen, denen wir „ohne Grund" unterworfen sind, und schließlich durch die Kunst, die mit unerklärlicher Gewalt unser Bewußtsein völlig auszuschalten vermag. „Die Musik ist etwas Schreckliches. Warum, weiß ich nicht. Was ist die Musik, was bewirkt sie und wozu bringt sie hervor, was sie bewirkt? — . . . Die Musik macht mich alles, meine ganze wirkliche Lage vergessen. Sie versetzt mich in eine andere Lage, die nicht mein ist. Unbegreifliche Gefühle erwachen unter dem Einfluß der Musik. Das Unverständliche glaube ich zu verstehen, das Unmögliche vollbringen zu können." (Tolstoi, Kreutzersonate.) Sogar die nüchterne Statistik lehrt, wie wir zu Beginn dieses Buches ausführten, daß das „Unbewußte", die intelligible Welt, einen unsagbar starken Einfluß auf uns besitzt, daß ihre Gesetze über Leben und Tod ebenso entscheiden wie über die Geschlechter. 39
Die Berge b, c und d symbolisieren also Aufnahmeorgane für alles Sein und alles Geschehen im Bereich der intelligiblen Welt, auch für ihren Geist und für ihre Gesetze (vgl. Locke, Essay concerning human understanding, Teil IV). Diese Aufnahme hat den Charakter der teilhabenden Verbundenheit und geschieht unmittelbar mit dem vitalen Kern der Persönlichkeit; er wird zum Mitschwingen gebracht und kann sich willentlich nur bedingt dagegen behaupten. Daraus ergeben sich charakterologische Folgerungen, die, logisch betrachtet, absolute Widersprüchlichkeit in sich tragen. Beginnen wir mit der durch die Berge b und d symbolisierten Abhängigkeit vom Wirken höherer Mächte — diese Abhängigkeit wird unbewußt um so mehr empfunden, je stärker die Berge sind —, so stoßen wir hier auf den Kern aller Gläubigkeit und damit auf die Quelle aller menschlichen Glückseligkeit. Ihr gelten die schönsten und erhabensten Worte, die Carus jemals niederschrieb: „Das Leben ist doch ein wunderbares Gewebe, das, wenn wir es schön und verständig tragen, wohl zu einem wahrhaft großen Gewinn desjenigen Gottesgedankens ausschlagen kann, welcher zuletzt immer in der Brust jedes einzelnen der treibende und wärmende Funke bleibt. Sie haben zugleich . . . in diesen Worten den Kern meiner gesamten Philosophie und fühlen daran, weshalb ich in tausend Unvollkommenheiten des Daseins und in bitteren, blutig einschneidenden Verlusten pie irre werde an dem ewigen Mysterium, welches uns durch einzelne glückliche und durch so viel mehr schwere und oft wahrhaft fürchterliche Lebensaufgaben einesteils prüft und andernteils (wenn wir solchem höheren Walten recht horchen) weiter und weiter fortbildet. Fassen wir daher die Seelenentwicklung in diesem Sinne, so ruhen wir eigentlich im Ewigen selbst . . ." E s i s t d a s a u f f a l l e n d s t e g e m e i n s a m e M e r k m a l in den H ä n d e n a l l e r s c h ö p f e r i s c h e n P e r s ö n 1 i c h k e i t e n , d aß die B e r g e b, d u n d c u n g e m e i n s t a r k a u s g e p r ä g t s i n d ! Dem entspricht es, wenn alle Großen der Weltgeschichte die Abhängigkeit von höheren Mächten innerlich zutiefst empfanden oder sich überhaupt als ihr Werkzeug betrachteten. So dichtet Goethe: In unseres Busens Reine wogt ein Streben Sich einem Höhern, Reinem, Unbekannten Aus Dankbarkeit freiwillig hinzugeben, Enträtselnd sich den ewig Ungenannten: Wir heißen's fromm sein . . . Und Wilhelm Meister läßt er sagen: „Wie kann sich der Mensch gegen das Unendliche stellen, als wenn er alle geistigen Kräfte, die nach vielen Seiten hingezogen werden, in seinem Innersten, Tiefsten versammelt, wenn er sich fragt: Darfst du dich in der Mitte dieser ewig lebendigen Ordnung auch nur denken, sobald sich nicht gleichfalls in dir ein beharrlich Bewegtes, um einen reinen Mittelpunkt kreisend hervortut? Und selbst wenn es dir schwer würde, diesen Mittelpunkt in deinem Busen aufzufinden, so würdest du ihn daran erkennen, daß eine wohlwollende, wohltätige Wirkung von ihm ausgeht und von ihm Zeugnis gibt." 40
Schiller spricht von dem „Gott, der dir im Busen gebeut", von dem stilleren, harmonischen Selbst, das man unentwegt suchen, dem man sich stets anvertrauen müsse, denn „kann . . . wohl der Mensch dazu bestimmt sein, über irgendeinem Zweck sich selbst zu versäumen?" Doch die innere Wahrnehmung offenbart nicht nur das Vorhandensein Gottes, sondern sie nimmt auch seinen Geist, seine Ideen, sein ganzes Wesen auf. Damit haben wir „bei allen Natur- und Geistesvorgängen z w e i e r l e i Wahrheiten zu unterscheiden, die eine, welche an Zahlen und Formen gemessen oder durch das physikalische Experiment bewiesen werden kann oder überhaupt im Geiste den mathematischen Beweis zuläßt, die andere, welche unmittelbar im Gefühl erkannt wird und gleichsam als Blüte der gesamten seelischen Anschauungen hervortritt. Beide haben ihren eigentümlichen Bereich im geistigen Dasein, beide streiten zuweilen auch miteinander um die größere Höhe ihres Erkennens, und beide verhalten sich zueinander wie die Quadratur zum Zirkel. Wer von der einen Art der Wahrheit verlangt, daß sie durch die Mittel der anderen bewiesen werden soll, beweist eigentlich, daß er selbst über beide nie ernstlich nachgedacht hat, und er wird im gelindesten Falle denen verglichen werden können, welche die Quadratur des Zirkels doch irgendeinmal durch fortgesetzte Anstrengungen zu entdecken hofften. Viele der geringsten Wahrnehmungen und Entscheidungen der Seele gehören vor das Forum der zweiten Gattung — allein (wir dürfen es ungescheut aussprechen) auch alle die höchsten Aufgaben des Geistes, sie können nur auf jenem Wege erkannt werden" (Carus). Das gleiche meint Goethe: „Jede Produktivität höchster Art, jedes bedeutende Aperçu, jede Erfindung, jeder große Gedanke, der Früchte bringt und Folge hat, steht in niemandes Gewalt und ist über aller irdischen Macht erhaben. Dergleichen hat der Mensch als unverhoffte Geschenke von oben, a l s r e i n e K i n d e r G o t t e s z u b e t r a c h t e n , die er mit freudigem Dank zu empfangen und zu verehren hat. Es ist dem Dämonischen verwandt, das übermächtig mit ihm tut, wie es ihm beliebt, und dem er sich b e w u ß t l o s h i n g i b t , während er glaubt, er handle aus eigenem Antriebe. In solchem Falle ist der Mensch oftmals als e i n W e r k z e u g e i n e r h ö h e r e n W e l t r e g i e r u n g zu betrachten, als ein würdig befundenes Gefäß zur Aufnahme eines göttlichen Einflusses." Darum will Goethe künstlerisches Schaffen nicht als „Komposition" bezeichnet wissen : „Eine geistige S c h ö p f u n g ist es, das Einzelne wie das Ganze aus e i n e m Geiste und Guß und von dem Hauch e i n e s Lebens durchdrungen, wobei der Produzierende keineswegs versuchte und stückelte und nach Willkür verfuhr, sondern wobei d e r d ä m o n i s c h e G e i s t s e i n e s G e n i e s ihn in der Gewalt hatte, so daß er ausführen mußte, was jenes gebot." Auch Kant hat eine ähnliche Anschauung vertreten : „Nun findet der Mensch in sich wirklich ein Vermögen, dadurch er sich von allen anderen Dingen, ja von sich selbst, sofern er durch Gegenstände affiziert wird, unterscheidet: und das ist die Vernunft. Diese zeigt, indem sie die Ideen hervorbringt, eine so reine S p o n t a n e i t ä t , daß sie dadurch weit über alles, was ihr Sinnlichkeit nur liefern kann, hinausgeht." Kants „intelligibles Ich" entspricht gleichfalls 41
ungefähr dem Sinn der hier behandelten Berge. Seite der Natur, des Kosmos, verbunden.
Es ist mit der intelligiblen
Wie ein Mosaik formt sich hier ein Teil unseres Weltbildes: „Jene tausendfältigen Beziehungen nämlich, welche schon in den Reichen des Unbewußten, in Steinen und Pflanzen sich betätigen und welche ebenso, gleichwie von einer unbewußten Weisheit diktiert, die Organe unseres Körpers untereinander verbinden, ja, welche überhaupt den innigen Zusammenhang begründen, in dem alles Leben und so auch der Mensch zum Dasein der Welt steht, so daß ihm nur hierdurch möglich wird, im tiefsten subjektiven Empfinden zuweilen auch das Objektive unmittelbar zu erschauen und zu erfassen, sie geben den deutlichen Beweis für d a s V o r h a n d e n s e i n e i n e s g r o ß e n , a l l g e m e i n e n o r g a n i s c h e n B a n d e s , w e l c h e s a l l e s D a s e i n in t i e f e r u n z e r r e i ß l i c h e r W e i s e u m s c h l i n g t . . ." Carus gibt mit diesen Worten die Begründung für das N a t u r g e f ü h l , für die tiefste seelische und organische Verbundenheit mit der Natur. Ihm selbst war sie bekanntlich im höchsten Maße zu eigen — wie allen wahrhaft großen Menschen: „So sehr war von jeher meine Seele dem großen göttlichen Naturleben verschwistert, daß ich am besten die Mythe vom Antäos, dem Sohne des Tellus, verstand, als dem sogleich neue Kräfte die Adern durchströmten, sowie er nur irgend den mütterlichen Boden berührte." Diese Hingabe des intelligiblen Ich an die intelligible Welt schließt ein die Hingabe, das völlige „Aufgehen in einer anderen Seele"; Carus nennt es „die erste Erlösung aus dem Einzelsein und der erste Schritt zur Wiederkehr in das All". Schließen wir diesen Kreis mit Goethe: Wem die Natur ihr offenes Geheimnis zu enthüllen anfängt, der empfindet eine unwiderstehliche Sehnsucht nach ihrer würdigsten Auslegerin, der K u n s t . Die Kunst ist eine Vermittlerin des Unaussprechlichen", „das Schöne ist eine Manifestation geheimer Naturgesetze, die uns ohne dessen Erscheinen ewig wären verborgen geblieben". Bei Bachofen erkennen wir den Sinn der Symbolik unserer Berge in Psyche: „Wie der Mond der reinste der irdischen, der unreinste der himmlischen Körper, so nimmt auch Psyche dieselbe Mittelstellung auf der Grenze zweier Welten ein. Sie verbindet die Stofflichkeit der einen mit der Reinheit und ruhigen K'arheit der andern, zwingt den Körper zur Teilnahme an dem Licht, das Licht zur Verbindung mit dem Körper, und hält sich so gleich fern von der Unstofflichkeit der einen wie von der Unreinheit der andern. Sorna und Nus kommen in Psyche zur unlösbaren Verbindung und geben so einem Wesen Entstehung, das den Stoff bis zu der äußersten Grenze der Veredlung, deren er fähig ist, erhebt. Dieser Stufe ist der Gedanke der geschlechtlichen Liebe nicht fremd." Etwas weiter sagt Bachofen vom Symbol des Mondes: „Ewig befruchtet, ist er zugleich ewig jungfräulich, als Mutter Jungfrau, als Jungfrau Mutter. Mit dem Monde verbindet sich notwendig der Begriff der E h e u n d G e s c h l e c h t s m i s c h u n g . Er ist seiner Natur nach die Verbindung beider Potenzen, seiner Natur nach hermaphroditisch, seiner Natur nach Lunus und Luna, Eros und Psyche. Er sucht das Licht, wie das Licht sich in ihn zu versenken nie aufhört." Tragen wir noch nach, was er in anderer Hinsicht zu unserem Gebiet zu sagen 42
hat: „Die Unterordnung des Geistigen unter physische Gesetze, die Abhängigkeit der menschlichen Entwicklung von kosmischen Mächten erscheint so seltsam, daß man sich versucht fühlt, sie in das Reich philosophischer Träume zu verweisen oder ,als Fiebergesicht und höheren Blödsinn' darzustellen. Und doch ist sie keine Verirrung alter oder neuer Spekulation, keine grundlose Parallele, überhaupt keine Theorie, vielmehr, wenn ich mich so ausdrücken darf, objektive Wahrheit, Empirie und Spekulation zugleich, eine in der geschichtlichen Entwicklung der alten Welt selbst geoffenbarte Philosophie. Alle Teile des alten Lebens sind von ihr durchdrungen, auf allen Stufen der religiösen Entwicklung tritt sie als leitender Gedanke hervor, jeder Erhebung des Familienrechts liegt sie zugrunde. Sie trägt und beherrscht alles . . ." Nach alledem ist es nur selbstverständlich, wenn auch Bachofen die Gläubigkeit als ein inneres, kräftespendendes Zentrum betrachtet: „Der Religion einen tiefgehenden Einfluß auf das Völkerleben einräumen, ihr unter den schöpferischen, das ganze Dasein gestaltenden Kräften den ersten Platz zuerkennen, in ihren Ideen Aufschluß über die dunkelsten Seiten der alten Gedankenwelt suchen, erscheint als unheimliche Vorliebe für theokratische Anschauungen, als Merkmal eines unfähigen, befangenen, vorurteilsvollen Geistes, als beklagenswerter Rückfall in die tiefe Nacht einer düstern Zeit. Alle diese Anklagen habe ich schon erfahren, und noch immer beherrscht mich derselbe Geist der Reaktion, noch immer ziehe ich es vor, auf dem Gebiete des Altertums antik als modern, in seiner Erforschung wahr als den Tagesmeinungen gefällig zu sein, und um das Almosen ihres Beifalls zu betteln. E s g i b t n u r e i n e n e i n z i g e n m ä c h t i g e n Hebel a l l e r Z i v i l i s a t i o n : die Religion. Jede Hebung, jede Senkung des menschlichen Daseins entspringt aus einer Bewegung, die auf diesem höchsten Gebiet ihren Ursprung nimmt. Ohne sie ist keine Seite des alten Lebens verständlich, die früheste Zeit zumal ein undurchdringliches Rätsel." So rührt denn jeder große Gedanke, ob er sich in der Religion, in der Kunst oder in der Wissenschaft offenbare, von der Verbundenheit mit der Natur, mit dem Kosmos, mit Gott her. Er kommt zu uns als Offenbarung, als Erleuchtung; oder er überwältigt uns im Rausch, in der E k s t a s e : „Die Sylben sind nicht alle genug ausgestrichen und nicht nach der Grammatica. Es mögen wohl auch in vielen Worten Buchstaben fehlen, auch öfter ein gemeiner Buchstabe für einen Versal gesetzt sein, denn die Kunst hat hier nicht geschrieben. Es hat auch keine Zeit zu bedenken nach dem rechten Verstand des Buchstabens, sondern alles nach dem Geiste gerichtet, welches öfter in Eile gegangen, daß dem Schreiber öfters die Hände wegen der Ungewohnheit gezittert", berichtet Jakob Böhme. Und er wundert sich, „daß sich Gott in einem so einfältigen Mann will also ganz und gar offenbaren, und treibet ihn noch dazu, solches aufzuschreiben, da doch viel bessere Skribenten wären, die es viel höher könnten schreiben und ausführen als ich, der ich nur der Welt Spott und Narr bin". Wir werden später, bei der Behandlung der Linie 2, erkennen, warum gerade „einfältige" Menschen und nicht „bessere Skribenten" vorzugsweise dazu berufen sind, die Offenbarungen Gottes aufzunehmen, davon überfallen zu werden „als ein Platzregen". 43
Raum und Zeit, so hat Kant gelehrt, sind an unser Bewußtsein gebunden und haben keine Geltung in der intelligiblen Welt („Soweit Du Dich von Dir selbst abwendest und von allen geschaffenen Dingen, soweit wirst Du geeint und beseligt in dem Fünklein Seele, a n d a s Z e i t u n d R a u m n i e r ü h r e n " , sagt Ekkehart). Jede Ekstase, jedes „Außer-sich-sein" läßt in der Tat Raum und Zeit hinter sich. Wer „des Gottes voll" ist, vergißt Ort und Zeit. In den Theatern, in den Kunstmuseen und besonders in den Konzertsälen erfahren es täglich Hunderttausende. Und Millionen und aber Millionen erleben es in der Natur. Damit geben wir allerdings dem raumzeitlosen Sein eine ganz andere Auslegung als Kant. Wir meinen den phänomenalen, er den mathematischen Raum, er die „gedachte", wir die tatsächliche, wirkliche Zeit. Dann aber bedeutet die Fähigkeit, sich über Raum und Zeit zu erheben, die innere Wahrnehmung von Zuständen und Geschehnissen, die entweder waren oder aber kommen werden: die Gabe des Zweiten Gesichts, des Hellsehens oder -träumens. Ohne daß wir bisher in der Lage wären, den Sinn der Berge b und d in anderer Hinsicht genauestens gegeneinander abzugrenzen, hat sich aus unseren Untersuchungen ergeben, daß die Gabe des Hellsehens ausschließlich durch den Berg d symbolisiert wird. Sie liegt — mehr oder weniger ins Bewußtsein gelangend, der Entfaltung fähig oder durch andere Kräfte gehemmt — im Unbewußten alles organischen und wohl auch des anorganischen Lebens, s i e i s t d e r G r u n d d e s v i t a l e n G e d ä c h t n i s s e s , das wir im Berg b verkörpert sehen. Somit besitzt jeder Mensch diese Fähigkeit, auch wenn sie heute nur wenigen zum Bewußtsein kommt. Sie umschließt — ebenso wie die im Berg a symbolisierte Ich-Vitalität — das Geheimnis der Arterhaltung und Fortpflanzung, und ihre Verkümmerung bedeutet das Absterben, den Tod! „So deuten die ersten Teilungen des Pflanzenkeims auf die Art und Stellung späterer Blätter, so die Blätter auf die Art und Stellung der Blumenkrone, und so zeigt schon die erste Anlage der Blüte die bestimmte Gliederung eines Gebildes, aus welchem bei ihrem Lebensanfange die ganze Pflanze hervorging und welches ihr, obwohl unbewußt, doch so gut im G e d ä c h t n i s g e b l i e b e n ist, um es auf ihrer Lebenshöhe wieder ganz zu reproduzieren, d. i. des Samenkorns. Ja, beobachten wir das Leben näher, so sehen wir, es müsse durchaus in seiner Fortstrebung eine unbewußte Erinnerung von dem vorhanden bleiben, was früher vorhanden war, sonst erklärte sich nicht, wie auf der Spitze einer Entwicklung, nach mannigfaltig durchlaufenen Phasen etwas wiederkommen könne, gerade so wie der Keim gestaltet war, von welchem die Bildung anhub . . . ; und hinwiederum erkennen wir, es müsse eine bestimmte, wenn auch unbewußte Vorahnung von dem in ihm leben, wohin sein Bildungsgang sich richten und was es anstreben solle . . . Je mehr man sich nun in alles dieses hineindenkt, je bestimmter man erkennt, daß mit einer außerordentlichen Festigkeit das Nachgefühl des Vorherdagewesenen und das Vorgefühl des Kommenden sich hier unbewußt ausspricht, desto mehr muß man die Überzeugung gewinnen, daß alles, was wir im b e w u ß t e n Leben Gedächtnis, Erinnerung nennen, und noch weit mehr alles, was wir in dieser Region Voraussehen, Vorauswissen nennen, doch gar weit zurückbleibe hinter der Festigkeit und Sicherheit, mit welcher in der Region des u n b e w u ß t e n Lebens dieses epimetheische und prometheische Prinzip . . . noch ohne alles 44
Bewußtsein einer Gegenwart sich geltend macht" (Carus). Und Novalis sagt: „In uns oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten, die Vergangenheit und Zukunft." Alles, was wir hier anführten, gehört zu jener uralten Erkenntnis, die wie ein roter Faden das menschliche Denken von Beginn an durchzieht. Nur drückte man das, was wir heute nach Möglichkeit mit Fremdwörtern belegen, klarer und verständlicher durch Symbolik aus. Erklärt doch schon Piaton — und er wieder hat die Weisheit unzähliger Generationen übernommen — im „Gastmahl": „Was wäre also, sprach ich, Eros? etwa sterblich? — Keineswegs. — Aber was dann ? Ein Mittelding zwischen Sterblich und Unsterblich. — Was also, Diotima ? — Ein großer Dämon, Sokrates. Denn alles Dämonische ist ein Mittelding zwischen Gott und Sterblichem. — Und worin besteht seine Bedeutung, fragte ich. — Es verdolmetscht und übermittelt den Göttern, was von den Menschen, und den Menschen, was von den Göttern kommt, der einen Gebete und Opfer und der anderen Befehle und Vergeltung der Opfer. In der Mitte zwischen beiden bildet es ihre Ergänzung, so daß nun das Ganze mit sich verbunden ist. Und durch dies Dämonische geht auch alle W e i s s a g u n g und die Kunst der Priester in bezug auf Opfer und Weihungen und Besprechungen und allerlei Wahrsagung und Bezauberung. Denn ein Gott verkehrt nicht mit Menschen; sondern aller Umgang und Gespräch der Götter mit den Menschen geschieht durch dieses, sowohl im Wachen als im Schlaf. Wer sich nun hierauf versteht, ist ein dämonischer Mann . . . Solcher Dämonen nun gibt es viele und von vielerlei Art, einer aber von ihnen ist auch Eros." Als „in der Mitte zwischen den Weisen und den Unwissenden" stehend, strebt Eros nach Weisheit, nach jener Weisheit, die wir als „Vernunft" bezeichnet haben. Auch unser Begriff „vitales Gedächtnis" ist nichts Neues. Sagt doch Piaton in „Menon": „Weil nun die Seele unsterblich ist und oftmals geboren und alle Dinge, die hier und in der Unterwelt sind, geschaut hat, so gibt es nichts, was sie nicht in Erfahrung gebracht hätte, und so ist es nicht zu verwundern, daß sie imstande ist, sich der Tugend und alles anderen z u e r i n n e r n , WEIS sie ja auch früher schon gewußt hat. Denn da die ganze Natur unter sich verwandt ist und die Seele alles innegehabt hat, so hindert nichts, daß, wer nur an ein einziges erinnert wird, was bei den Menschen lernen heißt, alles übrige selbst auffinde, wenn er nur tapfer ist und nicht ermüdet im Suchen. Denn das Suchen und Lernen ist demnach ganz und gar Erinnerung." Wohlgemerkt: das s e e l i s c h e Suchen und Lernen! Und das Verhältnis zwischen Körper und Seele, wie es durch unsere vertikale und horizontale Dreiteilung der Hand so überaus klar zutage tritt, schildert bereits Piaton in „Timaos" folgendermaßen: „Nachdem nun nach dem Sinne des Meisters die ganze Zusammenfügung der Seele erfolgt war, bildete er hierauf alles, was körperlich ist, i n n e r h a l b derselben und fügte es so zusammen, daß es dieselbe mitten durchdrang. Sie selbst aber, die nicht nur das ganze Weltgebäude überall von der Mitte bis zum Umkreis durchflocht, s o n d e r n e s a u c h v o n a u ß e n h e r r i n g s h e r u m e i n s c h l o ß , und die rein in sich selber ihren Kreislauf vollbrachte, nahm in dieser Weise den göttlichen Anfang eines unvergänglichen und vernunftbegabten Lebens für alle Zeiten. Und 45
der Körper der Welt ward, wie gesagt, sichtbar, sie selbst aber zwar unsichtbar, aber, was sie eben erst zur Seele macht, d e r V e r n u n f t u n d H a r m o n i e der reinen G e d a n k e n w e l t und des ewig Seienden teilh a f t i g und so durch den edelsten Schöpfer das Edelste von allem Geschaffenen." Erinnern wir uns jetzt unseres Gesetzes von der Polarität, so ist hinzuzufügen, daß wir auch innerlich nur wahrnehmen können, was wir selbst zu erzeugen imstande sind. Ein Teil im Menschen ist also göttlich, wir haben Gottes Odem in uns, können Ideen hervorbringen, besitzen schöpferische Kraft. Doch sind wir erklärlicherweise völlig außerstande, hier, im tiefsten Unbewußten, klar zu scheiden, zwischen dem eigenen Vermögen und den von außen kommenden Kräften. Wir stehen an der Grenze des dem Bewußtsein möglichen Erkennens. Aus den sich hieraus ergebenden Folgerungen seien nur die das Hellsehen und die Suggestion betreifenden herausgegriffen. Beim Hellsehen wird uns nun verständlich, warum sich wirkliches Hellsehen ständig mit der Phantasie mischt, so daß die Gabe des zweiten Gesichts hinsichtlich der Verläßlichkeit zu Recht als fragwürdig zu betrachten ist. Denn es ist weder den Hellsehenden selbst noch aber anderen Personen möglich, Dichtung und Wahrheit auseinanderzuhalten. Unter Suggestionskraft verstehen wir das Vermögen, Erzeugnisse der eigenen vitalen Phantasie (als „Vorstellungsvermögen" wollen wir demgegenüber in Übereinstimmung mit Klages die „Fähigkeit zur g e i s t i g e n Vergegenwärtigung eines anschaulichen Denkinhalts" bezeichnen) auf andre Menschen mit Hilfe der Tatkraft (Daumen) zu übertragen. Das wäre niemals möglich, wenn wir nicht die Gabe besäßen, entsprechende eigene Ideen hervorzubringen und wenn diese nicht vitaler und schöpferischer Art wären. Durch eine n i c h t vitale und n i c h t schöpferische Vorstellung des Verstandes würde niemals eine suggestive Beeinflussung anderer erfolgen können! Fassen wir den Inhalt unserer Ausführungen nunmehr zusammen mit den aus der Erfahrung erlangten Deutungsbefunden, so ergibt sich als Sinn eines kräftigen Berges b u. a.: Liebe zur Natur, seelische Umweltverbundenheit, seelische Du-Beziehung, Ideenreichtum (Inspiration), Abhängigkeit von Stimmungen und Zeitströmungen, Sensibilität, Suggestibilität, innere Unruhe (mit Sammlung und Konzentration wechselnd), Gläubigkeit, schöpferische Intuition, starke vitale Phantasie, Neigung zu Übersteigerungen, Weltfremdheit („verträumter Idealist"), Aufnahmefähigkeit für Symbolik und Kunst, Einbildungskraft (da sie vitaler Art ist, kann sie u.a. Krankheiten hervorrufen), starkes vitales Gedächtnis und somit Gedächtnis (nicht Erinnerungsvermögen!) schlechthin, Rauschzustände (und auch die Neigung, sie durch Narkotika — Alkohol, Nikotin, Opium usw. — herbeizuführen), ausgesprochene Vorliebe für Wasser oder Angst davor (wieder lassen wir Carus die Brücke schlagen: „Alle Entstehungen eines organischen Ganzen [sind] nur aus dem Element des Flüssigen möglich"), Unzuverlässigkeit infolge der starken Beeindruckbarkeit und Ablenkbarkeit und schließlich Abwechselungsbedürfnis (Trieb, den Ideen und Phantasien nachzugehen, sie in der Erscheinungswelt zu erleben). Bei allen Menschen mit einem starken Berg b fanden wir ferner einen ausgeprägten Humor, über dessen Färbung (harmlos, satirisch, sarkastisch usw.) die anderen Merkmale entscheiden. Wie wir später darlegen, besitzen alle großen Persönlichkeiten einen 46
starken Berg b, womit sich also auch die psychologische Unterlage für ihren vielfach durch Anekdoten belegten Humor ergibt. Ein schwacher Berg b symbolisiert dementsprechend Mangel an Phantasie und Ideen, Nüchternheit, Naturfremdheit, Überwiegen des Verstandes, Mangel an innerem Gefühl, an Gläubigkeit, an seelischer Du-Beziehung, an seelischer Umweltverbundenheit usw. Wohl stärker als jemals erkennen wir hier die absolute Unmöglichkeit, e i n Merkmal für sich allein zu bewerten, wenn es sich darum handelt, das V e r h a l t e n eines Menschen zu beurteilen. Denn dieses Verhalten wird immer bestimmt durch die gegenseitige Steigerung bzw. Hemmung der verschiedenen Charakteranlagen, hängt also vom Gesamtbefund ab. Im besonderen sei noch vermerkt, wie ungenügend sich das rein begriffliche Ergebnis unserer in diesem Kapitel durchgeführten Ableitung mit dem umfassenden, komplexen Sinn des Symbols deckt. Bachofen hat bereits auf eine der hier vorliegenden Schwierigkeiten hingewiesen: „Das Symbol erweckt Ahnung, die Sprache kann nur erklären. Das Symbol schlägt a l l e Seiten des menschlichen Geistes z u g l e i c h an, die Sprache ist genötigt, sich immer nur einem einzigen Gedanken hinzugeben. Bis in die geheimsten Tiefen der Seele treibt das Symbol seine Wurzel, die Sprache berührt wie ein leiser Windhauch die Oberfläche des Verständnisses. Jenes ist nach innen, diese nach außen gerichtet. Nur dem Symbol gelingt es, das Verschiedenste zu einem einheitlichen Gesamteindruck zu verbinden (was in diesem Kapitel am stärksten zutage tritt! D. Verf.). Die Sprache reiht einzelnes aneinander und bringt immer nur stückweise zum Bewußtsein, was, um allgewaltig zu ergreifen, notwendig mit e i n e m Blick der Seele vorgeführt werden muß." Auf ein wichtiges Moment sei, obgleich es in der Darstellung eingeschlossen ist, noch etwas ausführlicher hingewiesen: die Berge b, c und d verkörpern ebenso wie der Berg a ursprüngliche, vitale Lebensfreude. Der letztere die Freude am Seienden, Körperlich-Realen, die anderen die Freude am Vergangenen und Werdenden, an der kosmischen Verbundenheit, an der Hingabe an die Bilder, Ideen, an das Göttliche. Aber auch an das Du und an die Umwelt. Freude heißt die starke Feder In der ewigen Natur. Freude, Freude treibt die Räder In der großen Weltenuhr. (Schiller) Als H e m m u n g der in den Bergen b, c und d verkörperten Kräfte erweist sich vorwiegend ein übermächtiger logischer Verstand (symbolisch eine linealartig gerade, lange Linie 2). Der dann eintretende seelische Zustand entspricht, wenn die Berge stark sind, dem Tatbestand, den Jung bei einer k l u g e n , k r i t i s c h e n , a t h e i s t i s c h e n Studentin beobachtete, die er wegen einer h y s t e r i s c h e n N e u r o s e (!) in Behandlung hatte. Er versuchte vor allem, dabei dem sogenannten „Übertragungsphänomen" auf die Spur zu kommen, wagt es jedoch zunächst nicht, den nach unseren Befunden ganz eindeutigen Tatbestand als solchen zu formulieren, sondern kleidet ihn — pädagogisch sehr geschickt — vorsichtig in eine Anzahl von Fragen: „Eine genaue Analyse der 47
Träume ergibt eine ausgesprochene Tendenz — entgegen der bewußten Kritik, die auf menschliches Maß zurückführen möchte — die Person des Arztes mit ü b e r m e n s c h l i c h e n Attributen auszustatten — riesengroß, uralt, größer als der Vater, wie der Wind, der über die Erde streicht — er soll offenbar noch zu einem Gott gemacht werden? — oder, sagte ich mir, sollte am Ende der Fall umgekehrt liegen, daß nämlich das Unbewußte versucht, aus der Person des Arztes einen Gott zu s c h a f f e n , gewissermaßen eine Gottesanschauung aus den Hüllen des Persönlichen zu befreien, daß mithin die Übertragung auf die Person des Arztes ein im Bewußtsein begangenes Mißverständnis, ein dummer Streich des ,gesunden Menschenverstandes' (diese Anführungszeichen sind, wie wir bereits bei der Behandlung des Zeigefingerberges erkannt haben, sehr berechtigt. D. Verf.) war? Sollte der Drang des Unbewußten vielleicht nur scheinbar nach der Person greifen, in tieferem Sinne aber nach einem Gotte? Könnte das Verlangen nach einem Gott eine unbeeinflußter, dunkelster Triebnatur entquellende Leidenschaft sein? Vielleicht tiefer und stärker als die Liebe zur menschlichen Person? Oder vielleicht der h ö c h s t e und e i g e n t l i c h s t e Sinn dieser unzweckmäßigen Liebe, die man Übertragung nennt? Vielleicht ein Stück wirklicher .Gottesminne', die seit dem 15. Jahrhundert dem Bewußtsein entschwunden ist? — Niemand wird die Wirklichkeit eines leidenschaftlichen Begehrens nach der menschlichen Person in Zweifel ziehen, aber daß in der ärztlichen Sprechstunde, dargestellt an der prosaischen Figur des Doktors, ein längst historisch gewordenes Stück religiöser Psychologie, sozusagen ein mittelalterliches Kuriosum so ganz unmittelbar als lebendige Wirklichkeit zutage treten sollte, erscheint wohl zunächst zu phantastisch, als das man es ernst nehmen könnte." „Zunächst", schreibt Jung, und in Anbetracht unserer beinahe hoifnungslos rationalisierten Zeit mit Recht. Dann aber zieht er unerbittlich die Konsequenz, die wir auf Grund der Befunde der Hand gleichfalls ziehen müssen: „Lassen wir die Idee eines ,Göttlichen' ganz aus dem Spiel und reden wir nur von autonomen Inhalten, so bleiben wir zwar intellektuell und empirisch korrekt, aber wir v e r t u s c h e n damit eine Note, die psychologisch nicht fehlen darf. Gebrauchen wir persönlich die Vorstellung eines .Göttlichen', so drücken wir damit die eigentümliche Art und Weise, wie wir die Wirkungen autonomer Inhalte erleben, treffend aus. Wir könnten uns auch des Ausdrucks .dämonisch' bedienen, insofern wir damit nicht andeuten, daß wir uns irgendwo noch einen konkretisierten Gott, der unseren Wünschen und Vorstellungen restlos entspricht, reserviert haben. Unsere intellektuellen Taschenspielerkunststücke helfen aber nicht, ein Wesen nach unsern Wünschen in die Wirklichkeit zu setzen, sowenig wie sich die Welt unseren Wünschen anbequemt. Belegen wir daher die Wirkungen autonomer Inhalte mit dem Attribut .göttlich', s o a n e r k e n n e n w i r d a m i t d e r e n r e l a t i v e Ü b e r m a c h t . Und diese Übermacht ist es, welche die Menschen zu allen Zeiten gezwungen hat, selbst das Undenklichste zu ersinnen und sich sogar die größten Leiden aufzuerlegen, um jenen Wirkungen gerecht zu werden. Diese Macht ist wirklich wie Hunger und Todesangst." In der Symbolik der Hand kommt das alles klar und umfassend zum Ausdruck. E s t r i t t u n s in j e d e m e i n z e l n e n F a l l a l s T a t b e s t a n d 48
g e g e n ü b e r , ohne danach zu fragen, ob diese Erkenntnis unserm Verstand angenehm ist oder nicht. Nach unseren Befunden symbolisieren die Berge c, b und d den — mehr oder weniger entwickelten — H i n g a b e t r i e b a n e t w a s „ H ö h e r e s", zunächst also an etwas Göttliches. Generell aber an jedes Wesen, das eine stärkere magische Gewalt besitzt als wir selbst. Somit kann das „Höhere" ebensogut ein Mensch sein, und zwar entweder an Stelle eines Gottes oder neben einem Gott. Dennoch aber, das zeigt das Leben, ist der einzelne den stärkeren magischen Kräften nicht ohne weiteres ausgeliefert. Dem widerspricht sein Selbstbehauptungswillen (Daumen) und die Kraft seiner Erkenntnis (Linien 2 und 4). Sind beide schwach, der Hingabetrieb aber stark, dann findet naturgemäß jede Suggestion leicht Einlaß. Magie und Suggestion (und damit auch Massensuggestion) hängen also von einem komplizierten Spiel der Kräfte ab, wie es uns in der Hand eindeutig und für jeden einzelnen Fall feststellbar offenbart wird. Wir werden darauf noch zurückkommen. Die Schwierigkeit, die Symbolik der Berge b, c und d klarzulegen, ließ es uns ratsam erscheinen, den Tatbestand einer vielseitigen Beleuchtung auszusetzen und durch die Anführung zahlreicher Zitate besonders zü unterstreichen, daß es sich hier nicht um neue, wohl aber um zu wenig beachtete Erkenntnisse handelt. Zu betonen bleibt: das, was wir als Sinn der in diesem Kapitel behandelten Symbolik kennzeichneten, ist n i c h t m e h r T h e o r i e , s o n d e r n ein an j e d e r H a n d n a c h w e i s b a r e r T a t b e s t a n d !
Das Liniennetz Die vorwissenschaftliche Chiromantie hat bekanntlich die Linien in den Mittelpunkt der Deutung gestellt und sie, wie auch die anderen Merkmale, vorwiegend als e i n z e l n e Signaturen beurteilt. Demgegenüber müssen wir ihre Abhängigkeit von allen anderen Befunden betonen. Der des öfteren erhobene Einwand, daß die Linien mit dem Charakter nicht in Beziehung stehen könnten, weil sie lediglich durch die Bewegung der Finger hervorgerufen würden, entbehrt jeder Begründung. Das geht zunächst daraus hervor, daß alle Hauptlinien bereits bei Neugeborenen ausgeprägt sind. (Sie entwickeln sich, wie Würth nachgewiesen hat, bereits bei den 2 bis 3 Monate alten Embryonen.) Dann aber müßten s o l c h e Hände am stärksten von Linien durchfurcht sein, die infolge der beruflichen Tätigkeit Tag für Tag zuzupacken haben. Das ist nun durchaus nicht der Fall. Vielmehr finden wir ein reiches Liniennetz immer nur bei Menschen, die man als „durchgeistigt", bzw. „durchseelt" zu bezeichnen pflegt, während andernfalls selbst nach jahrzehntelanger praktischer Arbeit wohl Schwielen, aber keine neuen Linien auftreten. Dementsprechend zeugen zu viele Linien (Hand 1) von einer ungemeinen Steigerung der geistigen bzw. seelischen Sensibilität, besonders dann, wenn das Bild der Hauptlinien sich nicht mehr klar heraushebt, wenn Nebenlinien nicht genügend zurücktreten und an der Stelle einer klaren, wenn auch vielfältigen Raumgliederung 'ein wirres Durcheinander vorhanden ist. Die Bedeutung des Liniennetzes läßt sich mit Hilfe weniger Begriffe nicht festlegen. Doch erhalten wir ein ungefähr zu4 Steindamm: Hand und Persönlichkeit
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treffendes Bild, wenn wir sie den Gefühlen gegenüber als G e s i n n u n g bezeichnen, eine charakterologische Unterscheidung, wie sie von A. T. Shand und umfassender von Mc Dougall durchgeführt wurde. Nach der Ansicht des letzteren bilden sich im Verlauf der Entwicklung der Persönlichkeit gewisse Reäktionsstrukturen heraus, die als d a u e r n d e Dispositionen wirken und somit dem Charakter — wenigstens in der hier zugrunde gelegten Hinsicht — eine gewisse Beständigkeit verleihen. „Eine Gesinnung", so sagt Mc Dougall, „ist eine dauernde Struktur innerhalb der Gesamtstruktui; der Seele oder der geistigen Organisation, während die Emotion eine vorübergehende Phase oder besser: einen Aspekt einer Phase im seelischen Geschehen darstellt". Demgegenüber ist zu unterstreichen, daß die Hauptlinien, wie wir bereits ausführten, schon beim Neugeborenen vorhanden sind, daß sie also zur Erbmasse gehören, nicht aber erst im Verlaufe der individuellen Reifung entstehen. (Alle Menschen besitzen also von Geburt an d u r c h a u s v e r s c h i e d e n e A n l a g e n ! ) Im übrigen aber dürften die Ausführungen McDougalls ungefähr dem Sachverhalt entsprechen, wenigstens einer Seite desselben. Hinzuzufügen wäre noch, daß die im Verlaufe der individuellen Reifung eintretenden Veränderungen der Hauptlinien gegenüber dem angeborenen Bilde von relativ geringfügiger Bedeutung sind. Der Charakter und damit das ganze Leben jedes einzelnen hängen somit in einem Umfange von der Erbmasse ab, wie dies bisher nirgendwo so klar und eindeutig wie in der Hand zutage tritt. (Wobei natürlich zu berücksichtigen ist, daß hier letzten Endes u n b e k a n n t e kosmische E n t w i c k l u n g s g e s e t z e mit hineinspielen.) Auch Klages geht bei der Herausarbeitung des hier zu erörternden charakterologischen Sachverhalts von den Gefühlsanlagen aus (die wir in den Fingern verkörpert sehen). Er nennt sie Triebfedern oder Richtungseigenschaften und sagt: „Unter einer Triebfeder verstehen wir die innere Ursache einer Strebung im allgemeinen, einer Wollung im besonderen; und da nun zur Kennzeichnung dessen, was jemand zu wollen pflegt, nicht die Stärke, Heftigkeit, Ausdauer seines Strebens, welches alles Begabungseigenschaften sind, sondern durchaus nur die Angabe seiner Z i e l e taugt, so muß es genauer heißen: jede Triebfeder ist die bleibende Bedingung einer Richtung des Wollens. Ebenso wie das Wort Ziel steht auch das Wort Richtimg keineswegs etwa in übertragener, sondern in eigentlicher, obschon wesensbezogener Bedeutung, wann immer wir kundgeben, die Aufmerksamkeit, das Streben, der Wille jemandes sei auf das oder das g e r i c h t e t ; und genau wie in der Welt der Dinge Richtungen miteinander Winkel bilden und, wenn es Kraftrichtungen sind, sich gegenseitig verstärken oder hemmen oder aufheben, so verstärken oder hemmen einander die Triebfedern, die den Richtungen des Wollens zugrunde liegen. Der Erwerbssinn etwa hat für gewisse Fälle die gerade entgegengesetzte Richtung wie das Pflichtgefühl, und die ihm entspringende Tat ist daher unter Umständen mit einer Niederlage des Gewissens erkauft. Nennen wir danach die Triebfedern R i c h t u n g s e i g e n s c h a f t e n , wie wir soeben die Fähigkeiten Mengeneigenschaften genannt haben, so dürfen wir hoffen, mit folgender Abgrenzung auch deQ anspruchsvollsten Genauigkeitswünschen genugzutun: Mengenunterschiede der Charaktereigenschaften (lange oder kurze Finger, bzw. Fingerglieder! 50
D. Verf.) führen uns zum Begriif spezifischer Fähigkeiten, Richtungsunterschiede (des ihnen entspringenden Strebens) zum Begriff spezifischer Triebfedern." Das klingt beinahe, als ob Klages hier dem Symbol der Hand gefolgt wäre. Denn die Fähigkeiten, so merkten wir an, werden durch die Länge der Finger bzw. Fingerglieder verkörpert, während wir die Richtungsunterschiede — rein wörtlich genommen -r- an der Lage erkennen, die jeder einzelne Finger innerhalb der Gesamthand bzw. innerhalb des Raumes einnimmt. Abweichend von Klages müssen wir feststellen, daß die Empfänglichkeit des Gefühls nicht in Beziehung steht zu der Intensität der Wünsche nach Geltendmachung des Gefühls innerhalb der Persönlichkeit oder gegenüber der Erscheinungswelt. Denn die Intensität dieser Wünsche wird durch die oberen Berge symbolisiert, und die Stärke dieser Berge ist von der Empfänglichkeit des Gefühls, d. h. von den Fingern, durchaus unabhängig. Und wenn nach Klages z. B. Pflichtgefühl bedeutet „keineswegs etwa nur eine besondere Empfänglichkeit für den Pflichtbegriff, sondern ebensosehr eine Antriebsbedingung zur Durchführung pflichtmäßiger Obliegenheiten", so fügen wir hinzu, daß wir den A n t r i e b .selbst — je nach der Art des Pflichtgefühls — in dem Berg unter dem Zeigefinger oder unter dem Mittelfinger verkörpert sehen. Die Linien wiederum symbolisieren die „dauernde Struktur", die richtungsbestimmten Bahnen des Strebens und Wollens, wie sie im Verlauf von Generationen auf Grund unbekannter Entwicklungsgesetze entstanden sind. In der Chiromantie werden die Linien häufig mit Strömen oder Kanälen verglichen, die nicht nur die Kräfte ihrer Ausgangspunkte in die Hand hineintragen, sondern auch die Kräfte der Endungen zu den Anfangspunkten hinführen und außerdem während ihres Verlaufs andere Kräfte aufnehmen. Auch diese generelle Auslegung trifft in gewisser Hinsicht zu. Damit sei der Theorie Genüge getan und die weitere Erkenntnis der praktischen Deutung zugewiesen. Die Linie 1 Der gesamte Berg a wird — generell gesehen — durch die Linie 1 von der übrigen Harid abgegliedert. Beachten wir, daß diese Linie normalerweise vom Zeigefingerknöchel bis in die Tiefe des Handgelenks reicht (Anhang, Hand 9), dann ergibt schon diese Beziehung zu den Knöcheln einen Fingerzeig für ihren Sinn, der danach irgendwie mit dem Begriff Ordnung verknüpft sein muß. Die Abgliederung des Berges a von der übrigen Hand weist symbolisch ayf das gleiche hin und wird noch dadurch unterstrichen, daß die meisten der den oberen und unteren Berg in etwa horizontaler Richtung durchziehenden Linien an der Linie 1 ihr Ende finden. Die Erfahrung zeigt zunächst, daß die Linie 1 eine Regelung der körperlichvitalen Kräfte insofern bedeutet, als sie ihr ungehindertes Abströmen nach der Innenhand unmöglich macht. Es müssen ihr also Kräfte innewohnen, aus normalerweise stärker sind als die der Vitalität. Sind sie zu stark und werden die von dem Berg nach dem Handinnern zustrebenden vitalen Linien schon v o r der Linie 1 in ihrem Lauf aufgehalten (Hand 11), so müssen wir also eine 4*
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anormale Hemmung des vitalen Ablaufs verzeichnen. Bei dem o b e r e n Berg a ergibt sich damit, daß der Trieb zum Du gehemmt ist. Beim u n t e r e n Berg a ist die Hemmung normal und bedeutet, daß die Vitalität an einem direkten Überströmen zur Umwelt gehindert wird, damit sie gewissermaßen gezwungen ist, den Weg über das Du einzuschlagen. (Fortpflanzung.) Diesem Weg dienen dann — symbolisch gesehen — die die beiden Berge in v e r t i k a l e r Richtung durchziehenden .Linien. Läuft die Linie 1 in einem weiten gerundeten Bogen und greift sie tief in die Innenhand hinein (Han4 13), dann ist die M e n g e der vorhandenen Vital-
Abb. 7 kraft entsprechend groß (über die Intensität der vitalen Spannimg entscheidet die Stärke [Fülle] des unteren Berges a). Damit geht einher eine Vergrößerung der körperlichen Ich-Zone und somit eine Vergrößerung des Gesamt-Ichs. Ist die Linie zerfasert und schwach oder unterbrochen (Hand 4, 7, 9), dann kann sie dem Abströmen der vitalen Kräfte nicht genügend Widerstand entgegensetzen, und es entsteht eine übermäßige Abgabe von Ich-Vitalität (nicht von Intensität!), die eine entsprechende körperliche Schwächung zur Folge hat. Auch wenn die Linie breit und flach (wie ausgewaschen) erscheint (Hand 8), kann sie ihre Aufgabe nicht erfüllen, weil sie gewissermaßen nicht tief genug, 52
nicht intensiv genug ist. Die Praxis ergibt in solchen Fällen, daß bei einer wohlgeformten und gut gestalteten Gesamthand Dekadenz vorliegt. In primitiven Händen (Hand 2 und 14), deren Gesamtgestaltun« eine niedere Form aufweist, ist diese Linie immer breit und flach. In dem ersteren Falle haben wir ea also mit einer Rückbildung zu tun, im zweiten mit einer noch nicht erfolgten Ausbildung. Aus der Bedeutung des Berges a für die Fortpflanzung und Vererbung ergibt sich, daß eine kraftvolle, geschwungene (nicht flache) und unten um den Berg a herumlaufende Linie 1 ein Zeichen von gesunder körperlich-vitaler Erbmasse darstellt. Reicht die Linie 1 bis in den Zeigefingerberg hinauf oder sendet sie eine Abzweigung (Hand 6, 10) dahin, dann liegt eine vitale Abhängigkeit vom Geltungstrieb vor. Wird er auch nur im geringsten verletzt, dann fühlen sich solche Menschen, wie es die Sprache treffend ausdrückt, bis ins Innerste, „bis ins Mark" getroffen, sie fühlen, daß ihr „Lebensnerv" bedroht ist. Die Linie 2 Gemeinsam mit der Linie 1 beginnt die Linie 2 (im Gegensatz zur Linie 1, die von einem Knöchel zu einem anderen läuft und deren Beginn wir sowohl beim Zeigefingerknöchel als auch beim Handwurzelgelenk annehmen können, ist der Anfang der Linie 2 durch den Zeigefingerknöchel gegeben). Symbolisierte die Linie 1 durch ihre Verbindung mit dem Körperlich-Vitalen ein k ö r p e r l i c h e s Element, so muß die Linie 2 entsprechend unserer Dreiteilung ein g e i s t i g e s Element versinnbildlichen, und zwar das vom Selbstbewußtsein und damit von der Erscheinungswelt ausgehende, unterscheidende, logische Denken, den Verstand. Eine klar ausgeprägte, l i n e a l a r t i g g e r a d e verlaufende Linie 2 (Hand 2) ergibt einen streng logischen, nüchternen, berechnenden, selbstbezüglichen Verstand, der um so mehr Bezirke der Persönlichkeit durchdringt, je länger die Linie ist. E i n e ü b e r d i e g a n z e H a n d reichende Linie 2 (Hand 8) bedeutet demgemäß ein starkes H e r v o r t r e t e n der logisch-bewußten, selbstbezüglichen Kräfte. Das kann sich positiv als Gegengewicht gegen zu heftige gefühlsmäßige und triebmäßige Einflüsse auswirken; negativ aber erfolgt durch! eine solche überlange Linie immer auch eine Zurückdrängung und Hemmung von Gefühlen und Trieben, was u. U. zu den dadurch bedingten psychischen Konflikten führt, tn einer gefühls- und triebmäßig schöpferischen Hand wird das schöpferische Moment durch eine a l l z u l a n g e und zu g r a d l i n i g verlaufende Linie 2 stark behindert, sie lähmt die seelische Schwungkraft. Geht sie gradlinig unterhalb des Berges c b i s z u m H a n d r a n d , so wird durch ihren Einfluß auch die Triebkraft dieses Berges geschwächt bzw. lahmgelegt. Ist die Linie zudem noch scharf ausgeprägt und linear-geradlinig, schneidet sie damit die Hand scharf durch, dann hat sich der übermäßig-logische Verstand zum „Widersacher der Seele" entwickelt, allerdings — das muß besonders hervorgehoben werden — n u r i n d e m S i n n e , daß die gesamte seelische Kraft durch kalte, nüchterne, verstandesmäßige, selbstbezügliche Erwägungen unter53
drückt wird, w e i l d e r V e r s t a n d n u r d a s g e l t e n l ä ß t , w a s d u r c h d i e f ü n f S i n n e in d e r E r s c h e i n u n g s w e l t wahrgenommen werden kann ! Hier finden wir somit Gründe für tiefste innere Konflikte vor, deren besondere Bedeutung für die Psychiatrie auf der Hand liegen. Wir werden sie bei späterer Gelegenheit im Rahmen einer speziellen Abhandlung würdigen. Anders haben wir zu deuten, wenn .die Linie nicht scharf und tief, sondern breit und flach erscheint. Dann erkennen wir auch daran — wie an der Linie 1 — entweder Primitivität oder Dekadenz, die aber diesmal den Verstand betreffen (Hand 2). Endet die Linie 2 nach einem leicht und schön geschwungenen Bogen auf dem oberen Teil des Berges b, so ergibt sich gegenüber dem vorher gekennzeichneten linearen Verlauf Elastizität des Verstandes, zugleich aber auch die Fähigkeit, die intuitiven Einfälle des Berges b verstandesmäßig leicht zu verarbeiten. Wir finden eine solche Linie daher bei allen Menschen, denen g e i s t i g e Neuschöpfungen gelingen. Die Ausmaße und die Qualität» dieser geistig-schöpferischen Tätigkeit hängen selbstverständlich von der Beschaffenheit des Berges b ebenso ab wie von der Linie selbst, sowie schließlich von den durch die anderen Merkmale gegebenen Veranlagungen und Begabungen. Wir können also einen solchen Verlauf sowohl in einer primitiven als auch in einer ungemein fein durchformten Hand finden, ebenso beim künstlerisch wie beim technisch begabten Menschen. Läuft eine gute Linie 2 zu einem starken Berg c, so werden die logischen Schlüsse in scharfer, aggressiver Form vorgebracht. Verläuft sie zwischen einem kräftigen Berg c und einem gut ausgeprägten Berg b oder aber endet sie bei kräftigem Berg c auf dem oberen Teil des Berges b, dann ist eine Kombination von klarer und schneller Logik, Intuition (Einfällen) und Kampflust vorzunehmen, was u. a. Schlagfertigkeit ergibt. Ist dje Linie 2 aber primitiv oder dekadent (breit und flach), dann fällt bei dieser Kombination die logische geistige Frische und Schärfe aus, so daß das intuitive Moment bei der Schlagfertigkeit überwiegt. Weiter sind in unsere Überlegungen miteinzubeziehen der Zeigefinger und der Zeigefingerberg. Ist der Z e i g e f i n g e r lang, so tritt zu der übrigen Kombination die Sicherheit des Selbstgefühls; ist hingegen der B e r g stark ausgeprägt, dann sind die Unsicherheit Und Heftigkeit des Geltungstriebes einzuschließen. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, ob die Linie 2 mit der Linie 1 verbunden ist oder aber ob sie auf dem Zeigefingerberg entspringt. Letzten Endes ist wieder der Gesamtbefund ausschlaggebend. Denn man braucht sich ja nur einmal klarzumachen, welche wesentlichen Einflüsse noch von der guten oder schlechten Beschaffenheit des kleinen und des Mittelfingers, des Daumens, des Berges a, der Handform und der anderen Merkmale ausgehen, um wieder zu erkennen, daß jede Zeichendeuterei zu Fehlresultaten führen muß. Je tiefer die Linie 2 nach unten führt (Hand 3),'in eine um so tiefere Schicht der unbewußten seelischen Vitalität führt sie hinein. Damit bekommt das Denken eine ftichtung, die sich — innerhalb des europäischen Kulturkreises — wesentlich von der der Allgemeinheit unterscheidet. Als Folge davon ergibt sich das Nichtverstehen der meisten anderen Menschen, aber auch das Nichtverstandenwerden und somit das, was wir als „depressive Veranlagung" (infolge Isolie54
rung) bezeichnen. Eine Unterstreichung erfährt dieser Tatbestand dadurch, daß eine solche Linie von einem Denken zeugt, das weniger auf die Erscheinungswelt als auf die intelligible Welt gerichtet ist. Alle sich hieraus ergebenden Schwierigkeiten sind um so stärker zu bewerten, wenn die Hand noch weitere Anzeichen von Labilität aufweist (z.B. einen konischen Handrücken), während sie bei vorwiegender Stabilität (z. B. quadratischer oder spateiförmiger Handrücken, Härte, gute Linie 1, kräftiger Berg a usw.) minder schwer wiegen. Finden wir, wie z. B. im ostasiatischen Kulturkreis, derartige Linien in der überwiegenden M e h r z a h l der Hände, ist also die Innenschau das Generelle, so fällt der einzelne damit aus dem Rahmen der Allgemeinheit nicht heraus und der gekennzeichnete Grund der Depressivität existiert nicht. Endet die Linie 2 -r- unabhängig von der Art ihres Verlaufes — mit einer Gabelung (Hand 4 und 6), schlägt das Denken gewissermaßen zwei Wege ein und kann alles Geschehen somit von zwei Seiten betrachtet werden, so ergibt sich daraus Kritikfähigkeit und -neigung, aber auch geistige Vielseitigkeit. Setzt die Gabelung bereits vor der Handmitte ein und sind die eipzelnen Äste lang (Hand 11), dann führt die Vielseitigkeit zu einer Überbeanspruchimg der geistigen Kraft. Eine Gabelung gleich am Beginn der Linie (Hand 12) zeigt eine krankhafte Spaltung des bewußten Denkens, die im allgemeinen als Bewußtseinsspaltung bezeichnet wird. Ähnlich^ist eine d o p p e l t e Linie 2 zu deuten, wobei hinzutritt, daß zwischen den beiden Linien keip Zusammenhang mehr besteht, weil die zweite Linie stets nur von einem Bruchstück dargestellt wird. Deutungsmäßig erkennen wir daran geistige Unzuverlässigkeit, woraus sich u. a. Täuschurigsabsichten, Selbsttäuschungen, Unaufrichtigkeit und Lüge ergeben. Eine ähnliche Bedeutung hat eine wellenförmige Linie. — Eine m e h r f a c h gegabelte Endimg weist auf geistige Verworrenheit hin. Wie wir bereits vermerkten, soll die Linie 2 zusammen mit der Linie 1 normalerweise vom Zeigefingerknöchel ausgehen, d. h. sie soll entweder ein kleines Stück mit der Linie 1 zusammenlaufen (Hand 6) oder aber nur um ein weniges höher beginnen. Läuft sie eine längere Strecke mit der Linie 1 (Hand 5) zusammen, so wird der Verstand zu sehr von der Regelung der Vitalität beeinflußt, es fehlt ihm die Freiheit, der eigene Schwung, er ermangelt der Unabhängigkeit, und zwar insofern, als das Denken immer nur Wege gehen wird, die der Erhaltung des Ich, der Lebenserhaltung, nicht entgegenstehen. Befindet sich am Beginn der Linien 1 und 2 ein relativ großer Zwischenraum (Hand 7), so erhält das Handeln — soweit es überhaupt vom Verstand beeinflußt wird — eine Richtung, die unabhängig davon eingeschlagen wird, ob auch die Existenz darüber in Gefahr gerät, •unterzugehen. Über dem Selbst wird das Ich vergessen. Leiten wir im ersten Falle (zu lange Verbundenheit) Zaghaftigkeit, Unsicherheit, Unentschlossenheit und Egozentrik ab, so weist die zu hoch ..— auf dem Zeigefingerberg — gelegene Linie 2 auf Kühnheit und auf Impulsivität zum Zwecke der Geltendmachung des Selbst hin. Um unseren Befund etwas näher zu erklären, erwähnen wir von den zahlreichen erforderlichen Kombinationen die mit dem Mittelfinger. Ist er relativ kurz, so deutet eine hoch liegende Linie 2 auf verantwortungslose Sorglosigkeit, Übereilung und Miß55
achtung von Gefahren sowie generell darauf hin, daß den vom Verstand gesetzten Zielen zuviel Lebenskraft gewidmet wird. Ist der Mittelfinger hingegen lang, so werden das Leben und die Lebenskraft nur dort eingesetzt, wo es in einem höheren — aber immer das Selbst miteinbeziehenden — Sinne erforderlich ist. Als Symbol des logischen Denkens verkörpert die Linie 2, was wohl nicht weiter begründet zu werden braucht, auch das Erinnerungsvermögen (nicht das vitale Gedächtnis). Störungen der Linie weisen also auch auf entsprechende Störungen des Erinnerungsvermögens hin. Als besonders schwere Störung erweist sich die Endung der Linie in einer Insel oder in zwei mehr oder minder voneinander entfernten Parallelen sowie schließlich das Versickern in den Papillären. Die Linie 3 Symbolisch gesehen führt die Linie 3 eine Gliederung durch, die die Umweltsgefühle von den Ichgefühlen und vom Kern der Persönlichkeit trennt. Sie geht vom Knöchel des kleinen Fingers aus. Wie die Linie 1 soll sie normalerweise einen schön geschwungenen Bogen aufweisen, was beide Linien von dem mehr geraden Verlauf der Linie 2 abhebt. Reicht der Bogen der Linie 3, die nach unserm Schema der Dreiteilung ein s e e l i s c h e s Prinzip verkörpert, tief in die Innenhand hinein (Hand 3), so ist der Gefühlswelt (Gemütswelt) und den oberen Bergen ein großer Raum zugeteilt, d. h. sie besitzen einen entsprechend starken Einfluß innerhalb der Gesamtpersönlichkeit. Dementsprechend deuten wir auf starke Gefühlsbetonung (die mit der Tiefe der Gefühle nicht zu verwechseln ist!). Weist die Linie keine straffe Führung auf, sondern erweckt sie vielmehr den Eindruck des Herabhängens (der Graphologe vergleiche die straffe mit der schlaffen Girlande), dann erweist sich ihre Kraft nicht als genügend stark, um die Gefühlseindrücke ordnungsgemäß verarbeiten zu können, und es gelingt infolgedessen nicht, sich durch eine solche Verarbeitung von den Gefühlserlebnissen frei zu machen. Vielmehr finden wir einen Zustand vor, den wir wohl am besten mit „gefühlsverfallen" bezeichnen. Demgegenüber schließt eine hoch geführte, relativ dicht unter den Fingern verlaufende Linie (Hand 6) einen verhältnismäßig kleinen Gefühlsraum ein, d. h. das Gefühlsleben spielt im Rahmen der Gesamtpersönlichkeit eine untergeordnete Rolle. Hinsichtlich der Konsistenz der Linie gilt das gleiche wie bei den andern Linien. Auch hier deutet eine breite und flache Linie auf Dekadenz bzw. Primitivität (Hand 2). Wesentlich für die Beurteilung ist ferner, wo die Linie endet. Führt sie in einem schön geschwungenen Bogen nach dem Zwischenraum. zwischen dem Mittel- und Zeigefinger, so schließt sie jede Beeinflussung der Gefühle bzw. des Gemüts durch das bewußte Selbst aus. Infolgedessen ist die jedem Gefühl eigene „Wärme" in den Beziehungen zur Erscheinungswelt ungestört vorhanden. (Ob sie im Verhalten geäußert werden kann, hängt von anderen Befunden ab!) 56
Endet die Linie 3 auf dem Zeigefingerberg (Hand 2 und 10), so ist die daran zu knüpfende Kombination zunächst davon abhängig, ob dieser Berg stark oder schwach ausgeprägt ist. Im ersteren Falle wird das Gemüt mehr vom Geltungstrieb, im zweiten Falle mehr von der Eigenart des Selbstgefühls beeinflußt. Da zur Geltendmachung des Geltungstriebes umfangreiche Beziehungen zur Umwelt, der man sich überordnen will, vorhanden sein müssen (Extraversion), weist der anfänglich gekennzeichnete Fall darauf hin, daß das Gemüt die Tendenzen des Geltungstriebes in sich aufnimmt. Das bedeutet eine Verbreiterung des Gemütslebens, die wiederum von zwei Seiten zu betrachten ist: einerseits werden die Gefühle für den engeren Kreis, also vornehmlich für die Familie, dadurch beeinträchtigt, andererseits führt diese Verbreiterung zu allgemein menschlichen (sozialen) Gefühlen. Doch werden sie immer dazu benutzt werden, auch dem Geltungsdrang Genüge zu tun. Ist der Zeigefingerberg hingegen schwach, dann weist die hier einlaufende Linie 3 auf vom Geltungsdrang unbeeinflußte Umweltsgefühle hin, also auf Altruismus und soziale Einstellung, wie man sie seinem Selbst und seiner Selbstachtung für schuldig hält. Diese Gefühle nehmen innerhalb der Persönlichkeit einen um so größeren Raum ein, je* tiefer die Linie 3 verläuft. Die T i e f e der Gefühle aber hängt von der mehr oder minder starken Ausprägung der Berge a, b, c und d ab. Hier spielen also die Triebe mit hinein. Ist die Linie 3 — abgesehen von ihrem Verlauf und ihrer sonstigen Beschaffenheit — gebrochen, so ist dies auf traumatische Gefühlserlebnisse zurückzuführen, die nur dann als überwunden gelten können, wenn sich zwischen den Bruchstücken der Linie eine — zumeist schwächere — Verbindungslinie gebildet hat. Eine Gabelung der Linie derart, daß z. B. der eine Ast in den Zwischenraum zwischen Mittel- und Zeigefinger, der andere auf den Zeigefingerberg läuft (Hand 3), weist darauf hin, daß beide Endungen die bereits geschilderten Einflüsse besitzen. Aus der Länge und Stärke des einen bzw. des anderen Astes ist der v o r w i e g e n d e Einfluß leicht zu erkennen. Zu erwähnen ist noch der Abstand zwischen den Linien 2 und 3. Ein enger Zwischenraum (Hand 10) ergibt eine gegenseitige Behinderimg von Verstand und Gemüt und damit eine gewisse Unentwickeltheit, eine gewisse Enge der Lebensauffassung, was im extremen Falle zu Kleinlichkeit, Ängstlichkeit, Pedanterie, Geiz usw. führt. Ein relativ großer Abstand (Hand 9)' deutet auf Großzügigkeit, aber auch — je nach den übrigen Befunden — auf Nachlässigkeit, Schlamperei, Maßlosigkeit usw. Entscheidend für die genaue Beurteilung ist ferner die Feststellung der Lage beider Linien innerhalb der Hand. Wir müssen also in die Kombination miteinbeziehen die relativ hohe bzw. tiefe Lage sowohl der Linie 2 als auch der Linie 3. Weiter ist zu berücksichtigen der Verlauf dieser Linien, d. h. insbesondere, ob sie nur auf eine relativ kurze oder aber auf eine relativ lange Strecke einen engen bzw. weiten Abstand aufweisen. Als „gesperrt" bezeichnet man eine Hand, in der der ulnare, an der Außenhand liegende Teil der Linie 3 sich mit der vom Daumen kommenden Linie 2 so vereinigt, daß der Eindruck entsteht, als ob nur eine einzige Linie quer durch die Hand führe. Eine reine Sperrung der geschilderten Art ist selten anzutreffen, denn zumeist befinden sich unterhalb dieser Querlinie noch Bruchstücke der 57
Linie 2 (Hand 13), über ihr noch solche der Linie 3. Selbst in diesen Bruchstücken können wiederum noch Störungen, wie Inseln, vorhanden sein. Wichtig ist für die Diagnose ferner, ob diese Segmente kräftig oder nur schwach ausgebildet sind, sowie selbstverständlich die Beschaffenheit der Linie an sich (ausgewaschen oder scharf usw.). In jedem Falle stellt eine Sperrung ein Zusammenfließen der durch die Linien 2 und 3 verkörperten Kräfte dar und ist — wenn sie in b e i d e n Händen vorhanden ist — als schwere seelische bzw. geistige Störung zu betrachten. Die mannigfachen Variationen, die bei der gesperrten Hand anzutreffen sind, erfordern genaueste Untersuchungen — auch mit der Lupe — und stellen ein Spezialgebiet der medizinischen Handdiagnostik dar. Die Linie 4 Wie die horizontale, so geht auch die vertikale Gliederung der Linien vom Ich, d. h. von der Linie 1, aus. Damit wird diese entsprechend ihrer Bedeutung besonders betont. Wir erkannten bereits, daß sie ein körperliches Prinzip symbolisiert. Das nach unserer Gliederung folgende geistige Prinzip wird durch die Linie.4 dargestellt. Sie beginnt in der Handwurzel (nicht immer in der Mitte) und läuft auf den Mittelfinger zu. Symbolisch erblicken wir darin das S t r e b e n , den durch diesen Finger gegebenen Richtlinien Folge zu leisten, sowohl innerhalb der Persönlichkeit als aueh gegenüber der Umwelt. Somit verkörpert die Linie 4 das Streben nach Konzentration, zugleich aber das Streben nach Durchführung und Verwirklichung der der Gesamtpersönlichkeit eingeprägten Richtung des Lebens. Diese ist, wie wir bei der Behandlung des Mittelfingers gesehen haben, vor allem von der Länge dieses Fingers abhängig. Ist er normal oder lang, so symbolisiert die Linie 4 das Streben, den Charakter wie die Lebensführung nach den Grundsätzen des Gewissens (der E t h i k ) zu ordnen. Ob das gelingt und wieweit es gelingt, hängt ebenso wie das Maß der erreichten Zielstrebigkeit vom Verlauf der Linie ab. Beginnt sie tief unten und reicht hoch hinauf, vielleicht sogar bis in den Mittelfinger hinein, so deutet sie auf eine Z i e l s t r e b i g k e i t , K o n s e q u e n z und V e r a n t w o r t u n g s w i l l e n getragene Lebensführung hin. In einer zarten Hand führt das zu einer lastenden Schwere, weil bei der Durchführung dieses Strebens alle Lebenskräfte aus innerem Zwang darauf konzentriert werden müssen, was V e r k r a m p f u n g und innere Unfreiheit nach sich zieht. Schon daraus ist ersichtlich, daß die Linie 4 jenes innere Getriebenwerden symbolisiert, das man als Arbeitsamkeit oder Fleiß zu bezeichnen pflsgt. Hinter den Menschen mit einer langen und tiefen Linie 4 steht als unablässig treibende Kraft das: du sollst! Es verleiht nicht nur Konsequenz, sondern auch den Drang, Verantwortung zu übernehmen. Eine wesentliche Beeinträchtigung der Zielstrebigkeit und Konsequenz liegt vor, wenn der untere Teil der Linie fehlt. Dies führt stets zu einer entsprechenden Verminderung der Zuverlässigkeit, der Selbständigkeit und des Persönlichkeitswertes. ist der Mittelfinger kurz, das Gewissen also gering, so schlägt bei einer gut durchgeführten Linie ihre Bedeutung in das Gegenteil um. Auch dann zwar stellt sie das Bemühen dar,' die Gaben des Mittelfingers zielstrebig zu verwerten. In diesem Falle ergibt sich jedoch sinngemäß Zielstrebigkeit ohne genügende sittliche Verantwortung. 58
Eine kurze (Hand 4) oder zerstückelte (Hand 7) sowie auch eine schwache (Hand 6) Linie 4 stellt eine Beeinträchtigung der Zielstrebigkeit dar. Daraus folgt ein Mangel an innerem Halt und ein Mangel an Rückgrat gegenüber der Umwelt. Solche Menschen wissen nicht, was sie wollen, sie sind wandelbar und nicht in der Lage, ihr Leben w i l l e n t l i c h zu regeln. In welchem Grade das der Fall ist, hängt von dem Umfang der Störungen bzw. der Anormalität ab. Der Ursprung der Linie 4 im Grunde der Hand, im Grunde des Daseins, zwischen den Bergen a und d (Hand 6) symbolisiert die Verwurzelung im Grunde des Seins, in der R e a l i t ä t und stellt dementsprechend eine Bindung an das Erdhafte im weitesten Sinne, vor allem Liebe zur Scholle, zu Heimat und Vaterland dar. Beginnt die Linie 4 hingegen im Berg b oder d (Hand 5), so geht die Zielsetzung aus einer Veranlagung hervor, die von der engen Bindung an die Familie (und an ihre Anschauungen und Überlieferungen) abweicht. Zugleich aber nimmt sie in sich auf alle jene Kräfte, die den genannten Bergen zu eigen sind. Läuft die Linie 4 im Grunde der Hand sehr dicht an der Linie 1 entlang oder ist sie mit ihr auf eine Strecke verbunden (Hand 3 und 11), so besteht eine besonders starke, durch das ganze Leben wirkende Gebundenheit an das Elternhaus, die auch immer ein entsprechend spätes Einsetzen der eigenen Entwicklung zur Folge hat. Häufig finden wir eine gegabelte Linie, deren einer Ast in der Nähe der Linie 1 entspringt, während der andere in den Bergen b oder d beginnt. Das ergibt eine gewisse Zwiespältigkeit, die nur dann gemildert ist, wenn eine der Endungen durch die Länge und die Konsistenz eine Überbetonung des einen der beiden gegensätzlichen Faktoren zum Ausdruck bringt. In einer Hand, die auf eine starke Ausprägung der eigenen Persönlichkeit hinweist, bedeutet die zu starke Bindung an Familie und Tradition stets eine übermäßige zwangsläufige Rücksichtnahme und damit eine gewisse Hemmung der Eigenentwicklung; in einer schwachen Hand, deren Kräfte nicht ausreichen, eine von, den Bergen b oder d diktierte Lebensgestaltung durchzuführen, stellt der der Linie 1 zugewandte Ast jedoch einen aus der Familie und Tradition sich ergebenden Halt dar. Endet die Linie 4 an der Linie 2, so wird die Zielstrebigkeit durch die Erwägungen des Verstandes, endet sie an der Linie 3 (Hand 9), durch das Gemüt behindert. Auch eine Unterbrechung an den genannten Stellen deutet auf ähnliche Störungen hin, die aber schwächer sind. Wie schon aus den hier aufgeführten Kombinationen hervorgeht, ist auch die Beurteilung der Linie 4 von den übrigen Merkmalen abhängig, wenn es sich darum handelt, das V e r h a l t e n eines Menschen darzustellen. Eine gute lange, aus der Mitte kommende, kräftige Linie 4 bedeutet also stets, daß Zielstrebigkeit als C h a r a k t e r a n l a g e vorzüglich ausgeprägt ist; d a s b e s a g t a b e r k e i n e s w e g s , d a ß d i e s e Z i e l s t r e b i g k e i t a u c h im V e r h a l t e n d e s M e n s c h e n e n t s p r e c h e n d s t a r k zum A u s d r u c k kommt. D a s V e r h a l t e n e r g i b t sich v i e l m e h r a u s dem dynam i s c h e n K r ä f t e s p i e l z w i s c h e n W i r k u n g e n und G e g e n w i r k u n g e n . Bei konischen Fingern oder gar bei konischer Handform wirkt 59
z. B. bereits die dadurch gegebene Beeinflußbarkeit einem zielstrebigen Verhalten entgegen. Sind zudem z. B. die Berge b und d sehr kräftig und der Daumen sowie der Berg a schwach, so wird das stärkste Bestreben, sich konsequent und zielstrebig zu verhalten, dadurch übertönt. Das geht aber nicht so vor sich, daß nun etwa die Zielstrebigkeit nicht mehr bestände, sondern bei einer kräftigen Linie 4 ist der dadurch symbolisierte Charakterzug durchaus stark ausgeprägt. Doch vermag er nicht, das V e r h a l t e n genügend zu beeinflussen, weil die Gegenströmungen zu stark sind. Im L a u f e u n s e r e r w e i t e r e n U n t e r s u c h u n g e n w e r d e n w i r , o h n e d a ß im e i n z e l n e n d a r a u f h i n g e w i e s e n w i r d , e r k e n n e n , daß die innere H a r m o n i e , das „in g l e i c h e r W a a g e S t e h e n " , w i e J a c o b B ö h m e s a g t , d i e G r u n d l a g e j e d e r c h a r a k t e r l i c h e n B e u r t e i l u n g i s t . Sobald einzelne Züge oder ein Komplex von Merkmalen a l l z u s t a r k ausgeprägt und somit die Gegenkräfte außerstande sind, das G l e i c h g e w i c h t auch nur einigermaßen zu halten, ergeben sich wesentliche Abweichungen vom Normalen. Es muß aber berücksichtigt werden, daß nicht nur diejenigen Eigenschaften, die wir generell n e g a t i v bewerten, sondern auch die ungewöhnlichen Begabungen durch solche Anormalität verkörpert werden. Dabei wiederum müssen wir uns darüber klar sein, daß die Art und die Stärke jedes einzelnen Merkmals zwar nicht die anderen Grundzüge des Charakters, wohl aber ihre Auswirkung auf das Verhalten beeinflußt. Ein starker logischer und kritischer Verstand z. B. ändert nichts daran, daß eine gegensätzliche Charakteranlage, die Phantasie, auch vorhanden ist. Vom Standpunkt des Verhaltens aber wird die Phantasie abgedämmt, wie natürlich auch der kritische Verstand dann im Verhalten nicht so zum Ausdruck kommt, als wenn die Phantasie weniger stark ausgeprägt wäre. Vergessen wir aber nicht, daß der logische Verstand nicht nur in einem Spannungsverhältnis zur Phantasie, sondern auch zu anderen Merkmalen steht und daß das gleiche für die Phantasie gilt. Bezeichnen wir in der folgenden Darstellung, die wir zum besseren Verständnis anführen — obwohl sie wie jeder andere Vergleich und wie jede Schematisierimg „hinkt" —, den Verstand als a, die Phantasie als b und andere Grundzüge des Charakters mit c, d, e, f, g und h, so ergibt sich ein entgegengesetztes Kräftespiel zwischen a und b, c und d, e und f usw. Auch zwischen a und f und a und g ist die Spannung weit stärker als zwischen a und c oder a und d, und sie wird noch geringer zwischen a und h und a und e. Als Komplex betrachtet wirken g, b und f gegensätzlich wie e, a und h; c, f und b gegensätzlich wie d, e und a usw. Einer Gruppe von einzelnen Charakterzügen kann also eine andere Gruppe gegenüberstehen, was nicht hindert, daß auch unter den Zügen der einzelnen Gruppen wieder mehr oder weniger starke Spannungen vorhanden sind. So beeinträchtigt z. B. auch ein allzu kräftiger Zeigefingerberg selbstverständlich die Zielstrebigkeit, weil der dadurch symbolisierte überstarke Geltungstrieb das Verhalten so beeinflußt, daß die Konsequenz darunter leidet. Umgekehrt beeinflußt wieder die Zielstrebigkeit alle anderen Charakteranlagen und wirkt z. B. generell hemmend besonders auf die Triebe und Gefühle. 60
Jedes Merkmal der Hand stellt somit einen Grundzug des Charakters dar. Wieweit er aber i m V e r h a l t e n zum Ausdruck kommt, hängt von den übrigen Charakteranlagen, von dem dynamischen Spiel der sich gegenseitig z. T. hemmenden, z. T. aber auch fördernden und steigernden Charakterzüge ab. Abschließend sei noch bemerkt, daß das, was der Laie üblicherweise unter „Willenskraft" versteht, psychologisch betrachtet aus den beiden Komponenten Zielstrebigkeit und Tatkraft besteht. Das muß hervorgehoben werden, um die zahlreichen Mißverständnisse, die in dieser Hinsicht vorhanden sind, nicht noch zu vermehren. In der Hand wird Tatkraft durch einen großen und kräftigen Daumen (unter Einschluß des Berges a) und Zielstrebigkeit durch eine gute
a
b Abb. 8 Linie 4 symbolisiert. Schon jetzt sei darauf hingewiesen, daß jede s c h ö p f e r i s c h e F ä h i g k e i t logischerweise eine starke Ausprägung nicht nur der. seelischen Gaben (insbesondere der Berge b, c, d) und der Tatkraft, sondern auch der Zielstrebigkeit zur Voraussetzung hat. E s g i b t k e i n e n g r u n d l e g e n d e r e n I r r t u m a l s die b e s o n d e r s in n e u e r e r Z e i t v i e l f a c h v e r t r e t e n e T h e o r i e , d a ß d e r G e i s t — trete er uns symbolisch als Linie 2, als Linie 4 oder in einem anderen Merkmal entgegen — d i e s c h ö p f e r i s c h e K r a f t b e h i n d e r e ! Eine solche Behinderung tritt, worauf nochmals nachdrücklichst hingewiesen sei, nur dann ein, wenq der Geist ü b e r m ä ß i g s t a r k ausgebildet und damit d i e H a r m o n i e g e s t ö r t ist. Umgekehrt ist aber auch dann jede schöpferische Tätigkeit völlig ausgeschlossen, wenn der Geist zu s c h w a c h ausgebildet oder gestört ist. Schöpferische Tätigkeit in der Kunst wie auf allen anderen Gebieten stellt vielmehr, wie wir später noch deutlicher erkennen werden, stets eine Verschmelzung von seelischen, geistigen und körperlichen Kräften zur Einheit dar! 61
Da die aus dem Mittelfinger und der Linie 4 bestehende Mittelachse von außerordentlicher Bedeutung für die charakterologische Beurteilung ist, seien die Ergebnisse unserer Untersuchungen im folgenden nochmals zusammengefaßt. Ein l a n g e r Mittelfinger deutet auf die Betonung folgender Grundanlagen hin: Überlegung, Vertiefung, Abwägen, Urteilskraft, Weitblick, Grübelei, nach Wahrheit forschen, Planung, Voraussicht, Verantwortungsgefühl, Pflichtgefühl, Ethik, Gewissen, Richten im Sinne der Ethik, Distanz, Ungeselligkeit, Einsamkeit. Eine lange und gute Linie 4 bedeutet: Zielstrebigkeit, Konzentrationsvermögen, Fleiß, Ausdauer, Freude an der Arbeit, Konsequenz, Willensfreiheit, Selbständigkeit. Ist der Mittelfinger lang und gleichzeitig die Linie 4 lang und gut, dann ergibt die Kombination u. a.: Haltung, „Charakter", Selbstdisziplin, Streben nach Übernahme von Verantwortung im Interesse einer Sache, „Treue", Gründlichkeit, Unerbittlichkeit und Härte (im Sinne von Ethik und Konsequenz). Eine ungenügende Ausprägung der beiden Merkmale weist auf entsprechende charakterliche Mängel hin. In der Praxis handelt es sich vorwiegend darum, die feinen und vielfältigen Abstufungen zwischen dem Plus und dem Minus zu erkennen und herauszuarbeiten, um dadurch der Analyse die der jeweiligen Individualität entsprechende Prägung zu verleihen, eine Aufgabe, die weitreichende diagnostische und charakterologische Schulung und Erfahrung voraussetzt. Schließlich sei noch vermerkt, daß eine gute Ausprägung der Mittelachse in gewisser Hinsicht einem Vorherrschen derjenigen Eigenschaften entspricht, die wir bei „schizothymer" Anlage (Kretschmer) wie auch bei „Introversion" (C. G. Jung) antreffen. Die Linie 6 Die Linie 6 verkörpert das Streben nach Anwendung (Übung) und Verwertung dkr durch den kleinen Finger symbolisierten Fähigkeiten. Des weiteren -nimmt sie, entsprechend ihrem Anfang, ihrem Verlauf und ihrer Endung, die von denjenigen verschiedenen Merkmalen ausgehenden Einflüsse auf, die an ihrem Weg liegen. Bei dieser Linie wollen wir auch einmal als Beispiel auf die Dreiteilung in Seele,,Geist, Körper eingehen; und zwar efttspricht der obere Teil dem seelischen, der mittlere dem geistigen und der untere dem körperlichen Prinzip. Unter Berücksichtigimg dieses Tatbestandes symbolisiert eine kräftige und lange Linie 6 (unter Voraussetzung eines gut proportionierten und nicht zu kurzen kleinen Fingers) ungewöhnliche Gewandtheit in der Gestaltung der Umweltbeziehungen, was eine hervorragende Gabe der praktischen Aufnahme und Äußerung einschließt. Zur nochmaligen Klarstellung unserer Differenzierung wiederholen wir hier im Speziellen: Ist der kleine F i n g e r gut geformt, so erkennen wir daran eine gute Befähigung; ist der B e r g kräftig ausgeprägt, so symbolisiert er die entsprechenden Triebe bzw. Wünsche; demgegenüber zeigt die L i n i e an, ob das — bewußte oder unbewußte — Streben zur V e r w e n d u n g und zum Gebrauch der gegebenen Fähigkeiten besteht. Wenn wir (im theoretischen Teil) gesagt hatten, daß das Liniennetz im wesentlichen vererbt wird (womit selbstverständlich nicht gemeint ist, daß Kinder die 62
Linien des einen oder anderen Elternteila besitzen müßten, sondern, daß diese Vererbung im Rahmen der Vererbungsgesetze erfolgt), so läßt sich bei den Linien 5 und 6 feststellen, daß liier gegenüber anderen Linien im Verlauf des Lebens die relativ stärksten Veränderungen zu beobachten sind. Der obere Teil der Linie entspricht nach dem Prinzip unserer Dreiteilung der Übung des Sprachgefühls (nicht etwa des p h y s i s c h e n Sprachvermögens!); der mittlere symbolisiert die Übung des praktischen Verstandes; der untere die Übung der körperlichen Bewegung. Doch das ist erst die eine Seite eines ungemein komplizierten Sächverhaltes. Nehmen wir jetzt noch Aufnahme von Kräften innerhalb der Hand bzw. der Persönlichkeit hinzu, so symbolisiert eine von den Bergen b oder d kommende Linie die Aufnahme der dort verkörperten Kräfte. Die Kombination ist zunächst abhängig davon, ob die Linie selbst oder aber nur ein Ast hier entspringt, ob sie lang und klar bzw. kurz und zerrissen, ob die Berge b und d schwach oder normal oder kräftig und ob sie durch „Inseln" gestört sind oder nicht. Greifen wir aus dieser großen Zahl von Kombinationsmöglichkeiten den Fall heraus, daß die Linie lang und klar geführt ist und aus einem kräftigen Berg b entspringt, so fließen alle die Gaben, die hier kurz als starke Phantasie zusammengefaßt seien, in sie ein. Damit werden im praktischen Leben alles andere als praktische Dinge getan, der Sinn der Linie wird also ins Gegenteil verkehrt. Denn was zur Äußerung gelangt, und zwar ohne Rücksicht darauf, Ob es im Rahmen der Erscheinungswelt praktisch ist, sind in diesem Falle die Einflüsse der intelligiblen Welt. Bei der Detaillierung der Auswirkungen einer solchen Linie sind in die Kombination nicht nur der kleine Finger, sondern auch der Mittelfinger und die Linie 4, der Daumen und der Berg a, die Linie 2 und 3 vorwiegend, letzthin natürlich wieder sämtliche Befunde miteinzubeziehen. Allgemein gesprochen, werden eine starke Ichseite und eine kräftige Ausprägung des Mittelfingers und der Linie 4 den Einflüssen des Berges b entgegenwirken, während die Form des kleinen Fingers darüber entscheidet, wie der Ausdruck selbst vorwiegend geschieht. Hinsichtlich der Linien 2 und 3 ist zu beachten, ob die Linie 6 diese durchschneidet oder aber selbst von der einen öder anderen oder aber von beiden durchschnitten wird. Im ersten Falle geschieht die Äußerung, was diese beiden Linien anbetrifft, ungehemmt. Im zweiten Falle treten Hemmungen durch den logischen Verstand bzw. das Gefühl (Gemüt) ein. Diese gegenseitige Behinderung der durch die Linien symbolisierten Kräfte gilt, dies sei bei dieser Gelegenheit gleich festgehalten, für s ä m t l i c h e Linien, u n d zwar werden gehemmt s t e t s die K r ä f t e der unterb r o c h e n e n durch die K r ä f t e der u n t e r b r e c h e n d e n Linien. Die weitreichende Bedeutung dieses Befundes ergibt sich, wenn man an praktischen Beispielen verfolgt, daß solche Unterbrechungen in allen Händen sehr zahlreich und damit für den charakterologischeü Befund von ungemeiner Wichtigkeit sind. Die Zahl der Differenzierungen wird somit wiederum gewaltig vermehrt. Zugleich damit steht fest, daß die wissenschaftliche Durcharbeitung der chirologischen Befunde ganz im Gegensatz zum „Wissen" der Chiromantie eine Exaktheit und Genauigkeit verlangt, die den Anforderungen anderer Wissenschaften in keiner Weise nachsteht. 63
Abschließend wäre noch zu bemerken, daß eine lange Linie 6 infolge der dadurch symbolisierten vermehrten Eindrucksoffenheit zur Häufung von Eindrücken und damit zu einer Art von Sensibilität führt, der der Begriff der „Feinnervigkeit" am nächsten kommt. Fehlt die Linie 6, so wird davon das Ausdrucks- bzw. Eindrucksvermögen als solches nicht betroffen, doch liegt keine willentliche bzw. übungsmäßige Anwendung vor. Als Beispiel verweisen wir auf die Hand Nr. 14. Hier fällt die ungemeine Länge und Gradheit des kleinen Fingers auf, also eine ungewöhnliche Begabung, die gewissermaßen spielerisch, ohne Übung und willentliche Anstrengung (die Linie 6 fehlt vollkommen) alle entsprechenden. Ziele erreichen kann. Es ist die Hand eines bekannten Langstreckenläufers. Die Linie 5 Die Linie 5 stellt das auf die Verwendung der durch den Ringfinger verkörperten Begabungen gerichtete Streben dar. Gemäß unserer bei diesem Finger angeführten Befunde schließen wir also auf (bewußte oder unbewußte) willentliche Übung und Ausübung der künstlerischen Gestaltung (zunächst im Rahmen der bei der Betrachtung des Fingers angegebenen Begrenzung) und der auf die Erscheinungswelt bezogenen Intuition. Entspringt die Linie im Berg b, so nimmt sie dort alle „mit den Dingen an sich", mit dem „Unbewußten" in Verbindung stehenden Kräfte auf, vornehmlich also die vitale Phantasie, den Enthusiasmus und die „innere Intuition". Entscheidend ist auch hier die Art der Linie, worauf wir schon bei der Linie 6 hinwiesen. Beginnt die Linie 5 im oder am Berge a, so nimmt sie ursprüngliche vitale Kräfte in sich auf, deren Intensität von der Stärke des Berges a abhängt. Für die Deutung ergibt sich eine Durchflutung der künstlerischen Werke mit den Elementen Körper, Rhythmus, Form, Farbe usw. Wir finden eine solche Linie vielfach bei schöpferischen Künstlern, soweit ihre Kunst den geschilderten Charakter aufweist. *
* *
Entscheidend für die Beurteilung aller Linien ist noch, welche von ihnen durch Länge und besonders klare Ausbildung auffällt. In Künstlerhänden treffen wir z.B. häufig eine stärkere Betonung der Linie 5 gegenüber der Linie 4 an, wasgemäß unseren Darlegungen aber keineswegs eine stärkere künstlerische Begabung anzeigt, sondern vielmehr darauf hinweist, daß der bewußte oder unbewußte Wille bzw. das Streben sich in der Richtung der am meisten hervortretenden Linie am stärksten konzentriert. Die Beziehungen zwischen den Linien und den Bergen haben wir verschiedentlich gestreift. Hier sei noch nachgetragen, daß Linien — seien es Haupt- oder Nebenlinien —, die zu den Bergen oder von ihnen fort führen, als Abflußmöglichkeiten des Triebhaften anzusehen sind. Fehlen sie, ist ein Berg, wie es dann heißt, „gestaut", so treten Triebstauungen ein, die durch plötzliche und heftige Entladungen zu einer Auslösimg kommen. „Inseln" kennzeichnen stets eine schwere Störung, gleichgültig, ob sie innerhalb einer Linie oder aber für sich, z. B. auf einem Berg, auftreten. Die Unterscheidung inselartiger Büdungen von solchen quadratischer oder rhombischer 64
Form dürfte nicht schwerfallen. Zwar deuten auch die letzteren auf Störungen hin, doch sind diese weniger schwerwiegend. Ein näheres Eingehen auf die sog. „Runen", d. h. auf a l l e i n s t e h e n d e Bildungen von Inseln, Quadraten, Dreiecken, Rhomben, Kreisen, Spiralen usw. muß einer späteren Arbeit vorbehalten bleiben, da dieses Gebiet noch eingehender Untersuchungen bedarf.
Die Handhaltung Die Haltung der Hand ist Symbol für den a u g e n b l i c k l i c h e n Zustand eines Menschen. Besonders maßgebend ist dabei der Daumen als Symbol des Ich. Wird er in die Innenhand gleichsam eingezogen, so ist das eine Geste des Schutzsuchens, der Angst vor dem Leben und dem Kampfe. Sie wird sowohl bei kräftigem, häufiger aber bei schwachem Daumen angetroffen; im ersteren Falle ist der dadurch gegebene Hinweis natürlich bei der Gesamtbeurteilung des seelischen Zustandes schwerwiegender. Wird der Daumen von der Hand weit abgestreckt, so beansprucht das Ich einen entsprechend großen Raum in der Umwelt. Das bedeutet Freiheitsbedürfnis, keinen Zwang ertragen können und sich auf Grund des Machtanspruchs von der Umwelt isolieren, was bis zum Antisozialen reichen kann, weil nicht der Wille besteht, sich in die Allgemeinheit einzuordnen. Zwischen beiden Extremen finden wir den normalen Damenabstand von zirka 30 bis 60 Grad, der entsprechend mehr oder weniger große Selbständigkeit bzw. Anpassungsneigung bedeutet. Auch die übrigen Finger können dicht zusammen oder ziemlich getrennt voneinander, „gelockert", gehalten werden. Stehen sie dicht beisammen, gleichsam aneinander angelehnt, sind sie „gebunden", so besteht eine gewisse Abhängigkeit der Gefühle voneinander, eine gewisse i n n e r e Unfreiheit (die gern an Konvention und Tradition einen Halt sucht), aber auch — infolge der Gleichgerich tetheit — verhaltensmäßig Konzentration auf ein Ziel (falls nicht andere Befunde dem widersprechen). Bei der gelockerten Hand sind größere Vielseitigkeit und größere innere Sicherheit vorhanden, beim Extrem jedoch zu große Ungebundenheit und Mangel an Konzentration. Dieses allseitige Aufnehmen und Ausstrahlen ist je nach der übrigen Hand mehr positiv oder mehr negativ zu deuten. Werden die Nagelglieder der Finger nach innen gekrümmt, so zeigt dies ein mehr nach innen Gerichtetsein der Gefühle. Diese Haltung kann sich auch auf die Gesamtfinger ausdehnen und verstärkt dann den Eindruck der Verinnerlichung, der Abkehr von der Erscheinungswelt. Sind die Fingerspitzen nach oben gebogen, so ist das Gegenteil der Fall; Leichtsinn und Oberflächlichkeit können die Folge sein, doch liegt hier wieder die Entscheidung bei der Kombination aller Anzeichen. Bei der Haltung der Hand lassen sich, je nach dem a u g e n b l i c k l i c h e n seelischen Zustand, große Schwankungen feststellen, so daß die Deutung auch nur hierauf bezogen werden kann. Auf die umfangreiche und schwierige Differenzierung von momentanen und länger anhaltenden Zuständen der angegebenen Art kann hier nicht eingegangen werden. 5 Steindamm: Hand und Persönlichkeit
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Folgerungen Die Sinnenwelt erkennen wir, in der übersinnlichen leben wir. Fichte
Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist so alt wie die Menschheit selbst. Stets stand sie im Mittelpunkt alles Denkens. Doch niemals vermochte man sie zu lösen, niemals gelang es, wenigstens die unerläßliche Vorstufe zu erreichen: zu wissen, was denn der Mensch selbst eigentlich sei, welche Kräfte ihn bewegen und zum Handeln und Schaffen treiben. Zwar fehlte es nicht an Spekulationen und Theorien, dafür um so mehr an Beweisen. So blieb der Mensch, „trotz des Namens, den er trägt, doch eigentlich ein sehr anonymes Wesen" (Bachofen). Nun hat uns das Symbol der Hand erstmalig den Weg zu grundlegenden und in ihren Folgerungen noch gar nicht zu überblickenden Erkenntnissen frei gemacht. Das wesentlich Neue, die Gliederung der Persönlichkeit, wie sie unserer Darstellung zugrunde liegt, sei jetzt zusammengefaßt und noch etwas erläutert. Bei der v e r t i k a l e n Dreiteilung trennt der durch den Mittelfinger symbolisierte Geist die Ich-Seite von der Umwelt-Seite. Diese Gliederung ist, das lehrt ein Blick auf die Hand, die hervortretendste und somit von besonderer Bedeutung. Unter Ich-Seite verstehen wir hier sinngemäß den Daumen (einschließlich des Berges a) und den Zeigefinger, unter der Umwelt-Seite den kleinen Finger und den Ringfinger sowie die Berge b, d und c. Bei der h o r i z o n t a l e n Gliederung schied der durch die Fingerwurzelknöchel symbolisierte Geist die triebhaft-vitale von der Gefühlszone. Hier nun lag der Schluß nahe, die innere Handfläche bis zur Linie 2 als Symbol des Unbewußten, den oberen Teil und die Finger aber als Symbol des Bewußten aufzufassen. Wenn wir im letzteren Falle stattdessen von „bewußtseinsnah" gesprochen haben, so deshalb, weil die mit der Erscheinungswelt verbundenen Gefühle (Finger) wohl häufig, aber nicht immer bewußt sind; in jedem Falle jedoch können sie im allgemeinen eher bewußt werden als jene inneren Vorgänge, die der vitalen Zone entspringen. Eine Teilung der Hand in eine absolut bewußte und eine absolut unbewußte Zone ist also nicht möglich. Der üblichen und auch von uns aus mancherlei Gründen übernommenen Unterscheidung zwischen dem Bewußten und dem Unbewußten ist daher nur ein entsprechend begrenzter Wert beizumessen. Als absolut bewußt können wahrscheinlich nur diejenigen Vorgänge bezeichnet werden, die im Augenblick gerade vom bewußten logischen Verstand (Linie 2) verarbeitet werden. In diesem Zusammenhang sei nochmals besonders darauf hingewiesen, daß der im Zeigefingerberg verkörperte Trieb, der o b e r h a l b der Linie 2 liegt, zumeist nicht bewußt ist! Wohl aber kann seine Auswirkung zum Bewußtsein gebracht werden, allerdings schwerlich durch eigene Bemühungen. Vergegenwärtigen wir uns jetzt nochmals die Dreiteilung der F i n g e r , die in ihrer Gesamtheit wiederum — als seelisches Prinzip —, der horizontalen Dreiteilung der Hand angehören; beachten wir die horizontale Dreiteilung der H a n d f l ä c h e und bedenken wir ferner, daß die vertikale und hori66
r Tagesbewußtsein (,Erscheinungswelt)
Nachtbewußtsein
bzw.„ Unbewußtes" % (jntelligibele Welt")
c ^
Abb. 9
Eontale Dreiteilung der Gesamthand nicht etwa übereinander, sondern i n e i n a n d e r ruht, dann wissen wir, daß es mit dem schönen und bequemen Schema der charakterlichen Schichten endgültig vorüber ist, jedenfalls soweit man sie sich lediglich als horizontale Schichten vorstellte. Ein weit komplizierterer Sachverhalt hat sich uns aufgetan, eine Ordnung der Dinge, die überhaupt unbegreiflich wäre, wenn das Symbol der Hand sie nicht erschlösse. „Die W e l t e n s e e l e i s t an d a s K r e u z d e s W e l t e n l e i b e s ges c h l a g e n " , sagt Piaton. Ebenso weist die menschliche Seele eine vertikale und eine horizontale Achse auf. Beide werden vom Geist, vom Geist der Ordnung, der Gliederung, gebildet. Wir verweisen noch auf die Polarität zwischen dem Berg a und dem kleinen und Ringfinger einerseits und zwischen den Bergen b, c, d und dem Zeigefinger andererseits. Damit ergibt sich für die Struktur der Persönlichkeit vorstehendes Bild (Abb. 9).
Abb. 10
Abb. 11
Es ist, wie jeder Kenner der Vorgeschichte weiß, d e r B a u m m i t d e n d r e i W u r z e l n u n d d e n d r e i Ä s t e n , das uralte, allumfassende Symbol. Damit stoßen wir auf eine ungeheure Erweiterung der Symbolik, die die Hand bietet. Bevor wir kurz darauf eingehen, sei noch auf eine grundsätzliche Erkenntnis hingewiesen: durch die horizontale oder vertikale Teilung 5*
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eines Kreises werden nicht, wie vielfach angenommen wird, zwei, sondern vielmehr d r e i Kräfte symbolisiert! Schon Piaton sagte: „Zwei Elemente allein ohne ein drittes können nicht gut zusammengesetzt werden, denn nur ein vermittelndes Band kann zwischen den beiden die Vereinigung bilden." Bei der horizontalen Dreiteilung der Hand haben wir dies an den Fingerwurzelknöcheln, bei der vertikalen Dreiteilung an dem Mittelfinger und der Linie 4 Sommersonnenwende Norden
5 üden Wintersonnenwende (Jahresanfang) Abb. 12
nachgewiesen. In der alten Symbolik kommt es, wenigstens in der vertikalen Teilung, dadurch zum Ausdruck, daß sie uns nicht nur wie in Abbildung 10, sondern auch wie in Abbildung 11 entgegentritt. In der Überlieferung stellt das Symbol zunächst den Jahreslauf der Sonne dar (Abb. 12). Weiter aber entspricht das Bild des J a h r e s bei den alten atlantischen Völkern nicht nur dem Bilde der W e l t , sondern auch dem des M e n s c h e n ! Das gleiche gilt für das 8speichige (Abb.9) und das 6speichige Rad (Abb. 13). Das bedeutet, wie wir in einem späteren Werk nachweisen werden, nichts anderes, als daß die alte Welt alles, was wir in den vorausgegangenen Kapiteln darlegten — und noch weit mehr! — i n t u i t i v e r f a ß t h a t t e , weil die Intuition entweder stärker ausgebildet oder aber wesentlich weniger durch den Verstand gehemmt war als heute (man berücksichtige das bei der Linie 2 Gesagte!). D a s w i e d e r u m h e i ß t , d a ß w i r z u m W i s s e n n u r g e l a n g e n k ö n n e n , wenn w i r v e r s u c h e n , den S i n n d e r M y t h o l o g i e zu e r f a s s e n . #
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Wenn wir den Daumen als Symbol des „Ich" bezeichneten, so könnte man statt dessen auch vom „Ur-Ich" sprechen und den Begriff „Ich" symbolisch für den Handteller vorbehalten, dem dann die Finger symbolisch als Bereich des Selbst gegenüberzustellen wären. — Damit erhielten natürlich diese Begriffe einen anderen Inhalt. Dies sei nur angeführt, weil in der psychologischen Literatur ähnliche Begriffsbildungen vorliegen. Ferner müssen wir auf die verschiedene Anwendung des Wortes „Trieb" hinweisen. Wir verstehen unter Trieben sämtliche Berge, doch deuteten wir an, daß die oberen, da sie keine vitale Kraft besitzen, auch als Wünsche oder Wunschtriebe gelten könnten. Demgegenüber verzeichnet Klages als Triebe lediglich die vorwiegend durch die Berge b, c und d verkörperten Kräfte. Auch der Begriff „Gefühl" hat in der Psychologie insofern eine verschiedene Bedeutung, als einmal das der Erscheinungswelt, das andere Mal das der intelligiblen Welt zugewandte Gefühl darunter verstanden wird. Das erstere wird im Rahmen der horizontalen Dreiteilung der Gesamthand durch die Finger, das zweite im Rahmen der vertikalen Dreiteilung der Handfläche durch die Berge b, d und c symbolisiert. Entsprechend können wir auch von einer auf die Erscheinungswelt gerichteten Wahrnehmung (Finger) und von einer solchen sprechen, die sich auf die intelligible Welt bezieht (Berge b, c, d). Im letzteren Falle empfiehlt es sich, sie als „innere Wahrnehmung" zu bezeichnen. Ähnlich liegt es bei der Intuition, bei der wir zwischen dem Symbol des Ringfingers und den Bergen b, c und d („innere Intuition") zu unterscheiden haben. Besonders wichtig erscheint uns die Erweiterung unserer Erkenntnisse auf einem Wege, den Wundt als „quantitative Transzendenz" bezeichnet hat. Wenn alles Vergängliche nur ein G1 e i c h n i s, ein Symbol, ist, dann müsse, so nehmen wir an, a l l e s S e i n in d e r F o r m v o n e i n h e i t l i c h e n , d r e i e l e m e n t i g e n W e s e n b e s t e h e n , die von der Seele die motorische Lebendigkeit, vom Geist die Gliederung und vom Körperlichen den materiellen Aspekt erhalten. A l l e D r e i - E i n h e i t e n müssen — ins U n e n d l i c h e a n w a c h s e n d — in i m m e r g r ö ß e r e n D r e i - E i n h e i t e n s i c h b e f i n d e n und nicht neben-, sondern i n e i n a n d e r e x i s t i e r e n . Jede D r e i E i n h e i t a b e r w ä r e ein S p i e g e l des U n i v e r s u m s .
Abb. 13. Das 6speichige Rad 69
Eine umfassende Darstellung dieser Theorie und ein Vergleich mit der monadologischen Lehre von L e i b n i z (unter Einschluß der prästabilierten Harmonie) oder der synechologischen von F e c h n e r muß Abhandlungen vorbehalten bleiben, die die philosophische Seite unserer von dem Symbol der Hand gelieferten Erkenntnis in den Vordergrund stellen. Nur Carus sei noch zum Problem der Drei-Einheit, die er im Sinne von Aristoteles auffaßt, zitiert: „Nennen w i r . . . das Göttliche, welches den Urgrund eines individuellen Daseins enthält, die Idee oder das Urbild; das Mögliche, an welchem diese Idee sich abbildet, d. h. zur Erscheinung kommt, den Stoff oder Äther; und sodann die Wirklichkeit, als welche sie sich seelisch und leiblich darlebt, die Form: so haben wir allerdings d r e i M o m e n t e e i n e s l e b e n d i g e n D a s e i n s , von welchem wir aber wohl bedenken müssen, daß wir sie nur im Verstand als verschiedene zu unterscheiden vermögen, daß wir aber eine objektive Trennung nie und nirgends unter ihnen annehmen dürfen. Eine Form ohne irgendeinen Stoff, in welchem sie sich ausprägte, und ohne irgendeine Idee, wodurch sie bestimmt würde, ist ein Unding; ein Stoff, der überhaupt da wäre, ohne in irgendeiner Form da zu sein, ist abermals ein Unding; und eine Idee, ein Urbild, welche nicht in irgendeiner Form sich betätigte, sich abbildete, kann überhaupt kein Dasein haben." (Vgl. auch die Voluspa: Seele gab Odin, Hönir gab Sinn, Blut gab Lodur und blühende Farbe.) Carus hat auch, wie es aus unserer Theorie der Drei-Einheiten ebenfalls hervorgeht, bereits erkannt, daß es absurd sei, nach einem Sitz der Seele zu suchen, „als ob nur an einem Punkte — gleich der Spinne inmitten ihres Netzes — die Seele im Organismus fixiert wäre". Denn ihm erscheint „jeglicher Organismus in Wahrheit als eine Welt rastlos entstehender und vergehender Monaden", als eine Welt von Einheiten, „welche jedoch stets wieder einer höheren Einheit untergeordnet sind". So wird ihm der Leib zum Mikrokosmos. Und das Besondere geht im Allgemeinen, im höheren Ganzen unter. „Die Idee vom Mikrokosmos ist die höchste für den Menschen", sagt Novalis. In der Handwurzel, am Grunde der vitalen Zone der horizontalen Drei-Teilung, hat auch die vertikale Drei-Teilung ihren Urgrund. Vergegenwärtigen wir uns, daß wir in dem Daumen und dem Berg a das Symbol des a u g e n b l i c k l i c h e n Seins, und in den Bergen b, c und d das schöpferische, Vergangenheit und Zukunft in sich tragende W e r d e n erkannt hatten, so kommen wir zu neuen Aspekten, wenn wir, e n t s p r e c h e n d u n s e r e n b i s h e r i g e n B e f u n d e n , in jenem das v ä t e r l i c h e , in diesem das m ü t t e r l i c h e Prinzip erblicken. Damit wären wir wieder im Bereiche der Forschungen B a c h o f e n s : „Wie in dem väterlichen Prinzip die Beschränkung, so liegt in dem mütterlichen das der Allgemeinheit; wie jenes die Einschränkung auf engere Kreise mit sich bringt, so kennt dieses keine Schranken, so wenig als das Naturleben. Aus dem gebärenden Muttertum stammt die allgemeine Brüderlichkeit aller Menschen, deren Bewußtsein und Anerkennimg mit der Ausbildung der Paternität untergeht. Die auf das Vaterrecht gegründete Familie schließt sich zu einem i n d i v i d u e l l e n O r g a n i s m u s ab, die mutterrechtliche dagegen trägt jenen t y p i s c h - a l l g e m e i n e n C h a r a k t e r , mit dem alle Entwicklung beginnt, und der das stoffliche Leben vor dem höheren geistigen auszeichnet. Der Erdmutter Demeter sterbliches Bild wird jedes Weibes Schoß den Ge70
burten des anderen Geschwister schenken, das Heimatland nur Brüder und Schwestern kennen, und dies so lange, bis mit der Ausbildung der Paternität die Einheitlichkeit der Masse aufgelöst und das Ununterschiedene durch das Prinzip der Gliederung überwunden wird." (Gliederung ist hier nicht im Sinne von „Geist", sondern als Bildung von Individualitäten zu verstehen!) Weiter charakterisiert Bachofen: „Zu allen Zeiten hat das Weib durch die Richtung seines Geistes auf das Übernatürliche, Göttliche, der Gesetzmäßigkeit sich Entziehende, Wunderbare den größten Einfluß auf das männliche Geschlecht, die Bildung und Gesittung der Völker ausgeübt. Die besondere Anlage der Frauen Eusebeia, ihren vorzugsweisen Beruf zur Pflege der Gottesfurcht, macht Pythagoras zum Ausgangspunkt seiner Anrede an die Krotoniatinnen, und nach Piaton hebt es Strabon in einem beachtenswerten Ausspruche hervor, daß von jeher alle Deisidaimonia, ,Götterfurcht', von dem weiblichen Geschlecht über die Männerwelt verbreitet, mit dem Glauben jeher Aberglaube von ihm gepflegt, genährt, befestigt worden sei. Geschichtliche Erscheinungen aller Zeiten und Völker bestätigen die Richtigkeit dieser Beobachtungen. Wie die erste Offenbarung in so vielen Fällen Frauen anvertraut worden ist, so haben an der Verbreitung der meisten Religionen Frauen den tätigsten, oft kriegerischen (Berg c! d. V.), manchmal durch die Macht der sinnlichen Reize geförderten Anteil genommen. Älter als die männliche ist die weibliche Prophetie, ausdauernder in der Treue der Bewahrung, ,steifer im Glauben' die weibliche Seele; die Frau, wenn auch schwächer als der Mann, dennoch fähig, zuzeiten sich weit über ihn emporzuschwingen, konservativer insbesondere auf kultischem Gebiet und in der Wahrung des Zeremoniells. Überall offenbart sich der Hang des Weibes zur steten Erweiterung seines religiösen Einflusses, und jene Begierde nach Bekehrung, welche in dem Gefühl der Schwäche und in dem Stolze der Unterjochung des Stärkeren einen mächtigen Antrieb besitzt . . . Zurückgeführt auf Demeters Vorbild, wird die irdische Mutter zugleich der tellurischen Urmutter sterbliche Stellvertreterin, ihre Priesterin und als Hierophantin mit der Verwaltung ihres Mysteriums betraut . . . das Mysteriöse bildet das wahre Wesen jeder Religion, und wo immer das Weib auf dem Gebiet des Kultus und dem des Lebens an der Spitze steht, wird es gerade das Mysteriöse mit Vorliebe pflegen. Dafür bürgt seine Naturanlage, die das Sinnliche und Übersinnliche stets unlösbar verbindet; dafür seine enge Verwandtschaft mit dem Naturleben und dem Stoffe, dessen ewiger Tod in ihm zuerst das Bedürfnis eines tröstenden Gedankens und durch den tieferen Schmerz auch die höhere Hoffnung erweckt; dafür insbesondere das Gesetz des demetrischen Muttertums, das sich in den Verwandlungen des Saatkorns offenbart, und durch das Wechselverhältnis von Tod und Leben den Untergang als die Vorbedingung höherer Wiedergeburt, als die Verwirklichung des .höheren Gewinns der Weihe' darstellt." Das Wesen der P a t e r n i t ä t , von Bachofen besonders am Hellenismus studiert, schildert er wie folgt: „Dort stoffliche Gebundenheit (beim weiblichen Prinzip, d. V.), hier geistige Entwicklung; dort unbewußte Gesetzmäßigkeit, hier I n d i v i d u a l i s m u s ; dort Hingabe an die Natur, hier Erhebung über dieselbe, Durchbrechung der alten Schranken des Daseins, das Streben und Leiden des prometheischen Lebens an der Stelle beharrender Ruhe, friedlichen 71
Genusses und ewiger Unmündigkeit im alternden Leibe. Freie Gabe der Natur ist die höhere Hoffnung des demetrischen Mysteriums, das in dem Schicksal des Samenkorns erkannt wird; der Hellene dagegen will alles, auch das Höchste, sich selbst erringen. Im Kampfe wird er sich seiner Vaternatur bewußt, kämpfend erhebt er sich über das Muttertum, dem er früher angehörte, kämpfend ringt er sich zu eigener Göttlichkeit empor. Für ihn liegt die Quelle der Unsterblichkeit nicht mehr in dem gebärenden Weibe, sondern in dem männlichschaffenden Prinzip, dieses bekleidet er nun mit der Göttlichkeit, die die frühere Welt jenem allein zuerkannte." Noch tiefer als Bachofen führt uns J a k o b B ö h m e : „Also ist das große Mysterium aller Wesen in der Ewigkeit in sich selber Ein Ding; aber in seiner Auswicklung und Offenbarung tritt's von Ewigkeit zu Ewigkeit in z w e i Wesen, als in Böses und Gutes ein. Was einem Ding böse ist, das ist dem andern gut. Die Hölle ist den Engeln bös, aber den höllischen Creaturen ist sie gut. Was da Leid machet, das machet auch in der Gleichheit Freude." Und: „ E s i s t e i n e S c h e i d u n g e n t s t a n d e n z w i s c h e n d e r L i e b e im L i c h t u n d d e m a n g e z ü n d e t e n Z o r n i n d e r F i n s t e r n i s . Eins kann nicht das andere begreifen und hängen doch aneinander wie e i n Leib. In allem ist Gift und Bosheit, es muß auch so sein, sonst wäre kein Leben nach Beweglichkeit, keine Farbe, Tugend, Empfindung, alles wäre ein Nichts. Das Böse gehört zur Bildung und Beweglichkeit." Doch erst, wenn Gott sich „zur Dreifaltigkeit gebiert", kommt es zur Bildung des „guten" und des „bösen" Prinzips (besser: des Lichts und der Finsternis, denn Gott steht jenseits unserer Wertung von Gut und Böse). Zwischen beiden steht der Mittler, der Sohn (Mittelfinger, Linie 4). Im „ruhenden Ungrund" (Handwurzel) jedoch ruht l a t e n t in sich, was in der Dreifaltigkeit Gestalt gewinnt. Als natura naturans ist der Mensch also schöpferisch und zerstörerisch zugleich. Wenn wir — vom streng Begrifflichen einmal abgehend — unter „Seele" das Symbol der gesamten inneren Handfläche verstehen, wissen wir, daß schon Piaton Ähnliches erkannte: „Der Athener: Wenn nun aber die Seele die letzte wirkende Ursache von allem ist, muß sie da nicht ebensowohl die des Guten wie des Schlechten, des Schönen wie des Häßlichen, des Gerechten wie des Ungerechten und überhaupt alles Entgegengesetzten sein? Kleinias: Freilich muß sie das." (Die Gesetze.) Im „Phaidros" aber vergleicht Piaton die d r e i t e i l i g e Seele mit einem Gespann. Es wird von einem edlen Roß, das die höheren Strebungen darstellt, und einem schlechten, dem Symbol der körperlichen Begierden, gezogen. Die Zügel hält der Wagenlenker, der Geist. Auch diese Symbolik entspricht dem Symbol der g e s a m t e n inneren Handfläche, während w i r wie bisher so auch weiterhin als Verkörperung des seelischen Zentrums der Persönlichkeit nur die Berge b, c und d betrachten wollen. Doch wir haben diesen Umweg nicht nur im Hinblick auf die philosophische Betrachtung der Hand eingeschlagen. Er soll uns vielmehr behilflich sein bei der Ableitung praktischer psychologischer Erkenntnisse. Ist der Mensch nicht 72
nur Gottes Ebenbild — ein symbolisches Bild, ein Gleichnis! —, sondern hat er auch Gottes Odem in sich („Warum lassest du dich den Teufel äffen, als wärest du nicht Gottes Kind aus seinem eigenen Wesen?", fragt Böhme), dann müssen ihm auch göttliche Kräfte innewohnen. Beim Berg b hatten wir bereits davon gesprochen und beim „Ich" darauf hingewiesen, daß ihm eine elementare Gewalt über schwächere Fremd-Ichs zukomme. Damit gelangen wir in das Gebiet der Suggestion und der Magie (der Begriff „Magie" wird hier nicht, wie wir sehen werden, im orientalischen Sinne benutzt), dessen Tatbestände wohl als bekannt vorausgesetzt werden dürfen. Die experimentellen Untersuchungen mußten sich notwendigerweise auf solche Fälle erstrecken, die in genügender Anzahl zur Verfügimg standen, also auf schöpferische Künstler wie überhaupt auf Persönlichkeiten, deren Wirken unserer Zeit in einem mehr oder minder großen Umfange ein Gepräge verleiht. Wir, fanden bei allen folgende Merkmale s t a r k ausgeprägt: den Daumen, die Berge a, b, c, d und die Linie 4. Die Handformen waren vorwiegend quadratisch oder spatelig, niemals aber konisch. Je nachdem, ob das eine oder andere Merkmal mehr hervortritt, kann die A r t und S t ä r k e der magischen und suggestiven Beeinflussung anderer Menschen aus der Deutung entnommen werden. Künstler weisen z.B. fast immer eine Betonung und besonders gute Gestaltung des Ring- und des kleinen Fingers auf; zudem besitzt der Ringfinger häufig Spatelform. Bei führenden Persönlichkeiten der Verwaltung, der Wirtschaft usw. tritt zumeist der Zeigefinger stärker hervor und mit ihm die Linie 2. A l l e n g e m e i n s a m a b e r i s t d i e S t ä r k e d e r v i t a l e n Z o n e u n d d e s D a u m e n s . Das ist der wesentlichste Befund, denn er ermöglicht es, nunmehr den Kern aller großen Persönlichkeiten zu erfassen, und besonders jene bisher ziemlich unerklärbare Seite, die dem Symbol der Berge b, d und c entspricht. Alle magischen Kräfte wären wirkungslos, wenn andere Menschen keine Empfänglichkeit dafür besäßen. Die Möglichkeit der natürlichen, magischen („interpsychischen") Führung eines Volkes nimmt also ab beim Nachlassen der durch die Berge b, d und c verkörperten Eigenschaften. Als äußere Anzeichen einer solchen Gefahr wären gemäß unseren Befunden Rückgang der Naturverbundenheit, der Kunstliebe, der Gläubigkeit, des Gemeinschaftsgefühls usw. anzusehen. „Flucht des Gemeingeistes ist Tod", sagt Novalis mit Recht! Da bei j e d e m Menschen die Bedingungen der magischen Wirkung wie die der Suggestibilität vorhanden sind, wenn auch in noch so geringem Maße, so f i n d e t s t ä n d i g e i n e u n b e w u ß t e g e g e n s e i t i g e B e e i n flussung aller untereinander statt. Der gewaltigen Bedeutung der bewußten wie vor allem der unbewußten Suggestion wird deshalb neuerdings in der Pädagogik, der Medizin, der Kriminalistik und der Rechtspflege besondere Beachtung geschenkt, zumal der posthypnotischen und postsuggestiven Beeinflussung. F ü r u n s i s t v o n W i c h t i g k e i t , daß die Hand die M ö g l i c h k e i t b i e t e t , die s u g g e s t i v e n F ä h i g k e i t e n und die S u g g e s t i b i l i t ä t j e d e s M e n s c h e n g e n a u so zu b e u r t e i l e n w i e a l l e a n d e r e n A n l a g e n , was n i c h t nur für die B e r u f s b e r a t u n g , sondern 73
für einen viel umfassenderen Komplex ausschlaggebend i s t . Suggestionskraft bedeutet, darüber kann kein Zweifel bestehen, im praktischen Leben weit mehr als die Summe derjenigen verstandesmäßigen Fähigkeiten, die man generell als „Begabung" zu bezeichnen pflegt. Das lehrt nicht nur die Hand, sondern ebenso die tägliche Erfahrung, auch wenn man größtenteils bisher daran vorüberging. Hier liegt einer der Gründe, warum so häufig trotz guter und auch bester Schulleistungen im späteren praktischen Leben verhältnismäßig geringe oder überhaupt keine Erfolge, sondern Mißerfolge zu verzeichnen sind. Alles Leben ist Selbstbehauptung, das heißt Unterordnung der Fremd-Ichs, elementare Herrschaft in dem durch die übrigen Begabungen gekennzeichneten Kreise. Ein Schüler, bei dem folgende Merkmale gut ausgeprägt sind: Mittelfinger, kleiner Finger, mittlere Fingerglieder, Linie 2, 4 und 6, wird gute geistige Leistungen und eine gute praktische Begabung aufweisen. Ist aber der Daumen klein, dann fehlt es an der elementaren, suggestiven Kraft, die später, im Lebenskampf, unabweislich erforderlich ist für die Ich-Durchsetzung und für die Beherrschung von Fremd-Ichs, d. h. für eine f ü h r e n d e Stellung in der Gemeinschaft. Sind hingegen der Daumen und der Berg a groß und kräftig, so sind wohl die Kräfte zur Durchsetzimg vorhanden, sie geschieht aber ohne Rücksicht auf andere und auf die Allgemeinheit, falls nicht der obere Berg a (unbewußte IchHingabe) oder die Berge b, c und d (unbewußte Verbundenheit mit den Ideen und Lebensinteressen der Allgemeinheit) gleichfalls gut ausgeprägt sind. Wieder anders liegen die Dinge bei der b e w u ß t e n Hinwendung zur Allgemeinheit, wie wir sie beim Zeigefinger und bei der Linie 3 behandelt haben. — Eine Ü b e r b e t o n u n g der Berge b, d und c ergibt, besonders, wenn die Linien 2 und 4 nicht genügend lang und klar sind, eine „Flucht in das Nurschauen und Nurbelauschen des Daseins" (Simoneit). Dann ist wohl schöpferische Intuition, aber nicht die Möglichkeit vorhanden, das Geschaute in die Wirklichkeit zu bannen, es zu g e s t a l t e n . Dieses Beispiel diene zugleich als nähere Erläuterung zum Begriff jenes Geistes, wie er in der Linie 2 verkörpert ist. Als „Widersacher der Seele", das hatten wir bereits hervorgehoben, wirkt er sich nur in solchen Ausnahmefällen aus, die durch eine ü b e r l a n g e und l i n e a l a r t i g g e r a d e Linie 2 gekennzeichnet sind. Generell aber ist die in der Linie 2 verkörperte Gegenwirkung des Verstandes gegen die durch die Berge b, d und c symbolisierten Kräfte der Seele d u r c h a u s e r f o r d e r l i c h . Was schon aus den Folgerungen zu entnehmen ist, die einer mangelnden Ausbildung oder gar einer Störung dieser Linie entsprechen! Ähnlich liegen die Dinge bei der Linie 4. Mit dieser Feststellung bekennen wir uns zu der Tatsache eines naturgegebenen und n a t u r n o t w e n d i g e n K a m p f e s z w i s c h e n G e i s t u n d S e e l e innerhalb der Persönlichkeit. Das Übergewicht der einen oder der anderen Kraft aber, das dürfte wohl nun klar liegen, ist eine Anormalität. Solche Menschen stehen nicht „in gleicher Waage" (Böhme). Diese Waage war in den letzten Jahrzehnten allzu stark nach der Seite des Geistes (Verstandes) ausgeschlagen. Darauf hingewiesen und die Menschheit — wenn auch durch z. T. überspitzte Formulierungen — aufgerüttelt zu haben, ist eines der wesentlichsten Verdienste von Ludwig Klages. Er war 74
und ist — das wollen wir auch bei unserer Einstellung nicht vergessen — ein Vorkämpfer gegen die Befangenheit im Intellektualismus. Und die Kenntnis seiner c h a r a k t e r o l o g i s c h e n Arbeiten ist und bleibt, trotz vieler Bedenken gegen seine Philosophie, Voraussetzung für jedes charakterologische Studium. Somit auch für das hier behandelte Gebiet. Kehren wir zum Thema zurück. In Anbetracht ihrer Bedeutung für die Ontogenese sei im folgenden noch kurz auf die chirologische Diagnostik von Kinderhänden hingewiesen. In frühester Jugend sind sie „mollig", die Polsterungen nicht nur der Innen-, sondern auch der Außenhand übertönen jede Gliederung. Allmählich aber gehen diese Polster zurück, die Knochen und damit die Knoten werden härter und treten klarer hervor: dem „bewußtlos bildenden Leben" tritt der Geist immer stärker gegenüber. E. R. J a e n s c h hat über „die Vorstellungswelt der Jugendlichen und den Aufbau des intellektuellen Lebens" systematische Untersuchungen angestellt und die kindliche — „eidetische" — Erlebnisstruktur eingehend gewürdigt, besonders auch ihre Aufspaltung vor der Pubertät. Hans H e n n i n g wies darauf hin, „daß der Künstler überaus häufig die eidetische Erlebnisart z e i t l e b e n s behält, woraus erst die eigentümliche innere Schau oder das innere Hören erklärlich wird". Im allgemeinen aber, führt er sehr richtig aus, hemmen und hindern wir Erwachsenen viele freisteigende Erlebnisse bereits im Entstehen durch vorstellungsmäßige Gegeninstanzen. Weiter erklärt Henning, daß dort, „wo ein anschauliches Schmerzbild reproduziert wird", dieser „eingebüdete" Schmerz ebenso weh tut wie ein wirklicher. Und wenn er des ferneren sagt: „Natürlich existieren auch eidetische P h a n t a s i e b i l d e r " , dann wissen wir, daß die Eidetik sich Vornehmlich bezieht auf das Verhältnis der durch die Berge b, c und d zu den durch die Knoten und die Linie 2 verkörperten Kräften. Ob allerdings das „Heringsche Nachbild" als Rudiment der ursprünglichen inneren Schau anzusehen ist, erscheint uns mehr als zweifelhaft. Denn sie ist nach unseren Erfahrungen vom optischen Sehen völlig unabhängig. Vielmehr ist das im Berg b verkörperte vitale Gedächtnis in der Lage, Raum und Zeit zu überwinden und somit auch solche Vorgänge aufzunehmen, dié niemals vordem von dem einzelnen Individuum optisch bemerkt wurden. Auch sind die eidetischen Bilder nicht etwa die „Frühform des Bewußtseins", wie Henning meint, sondern sie entspringen ja gerade dem Zentrum des vitalen Unbewußten und werden je nach dem Stärkegrad der Bewußtseinswachheit mehr oder minder verdrängt! Ohne auf nähere Einzelheiten einzugehen, die wir einer späteren Veröffentlichung vorbehalten müssen, sei hier nur kurz darauf hingewiesen, daß Kalziumzufuhr die „tetanoiden Bilder" (W. Jaensch) eindämmt oder ganz unterbindet. „Interessanterweise fehlt . . . in der Tat dort, wo das Trinkwasser stark kalkhaltig ist oder die Ortschaften auf Kalkformationen liegen, der tetanoide Typus fast ganz", stellt Henning fest. Übertragen wir das auf die Hand, so ergibt sich u. a. ein aufschlußreicher Zusammenhang zwischen Knochenbau (Knoten) und Nervensystem (u. a. Linie 2!), worüber im Rahmen medizinischer Untersuchungen noch ausführlich zu berichten sein wird. 75
Berührt sich die Eidetik in wesentlichen Punkten mit dem, was Klages die „Lehre von der Wirklichkeit der Bilder" nennt, so greifen wir auf Henning nochmals zurück, um unsere Befunde über das „Unbewußte" zu unterstreichen. „In einem Augenblick", so sagt er, „durchschauen wir ein ganzes Menschenschicksal, ein Moment genügt zum geistesgegenwärtigen Entschluß, der in weitgreifender Kombination sämtliche Möglichkeiten berücksichtigt, und ein einziges Wort vermag umfangreiche Gedankensysteme zu durchleuchten. Hier sind weite Dispositionsbezirke in wundervoller Struktur sinnvoll verbunden, welche dem Bewußtsein mit einem Schlag alles Erforderliche s c h o n geordnet l i e f e r n . Die Verflechtung übertrifft an ungeheurer Vielfältigkeit alles, was der Mensch technisch bilden kann. . . . Das Unbewußte- arbeitet fieberhaft auf der ganzen Linie und keineswegs nur, wie die Psychoanalyse vorgibt, im erotischen Feld." Carus meint sogar, „daß im ganzen Bereich des unbewußten Seelenlebens d e r B e g r i f f d e r E r m ü d u n g g a r n i c h t e x i s t i e r t " und sagt zum Thema der bewußtlosen Weisheit, der Vernunft: „Wer gesehen hat, wie durch unendliche Wiederholungen der einzigen Urgestalt des mikroskopischen ersten Eibläschens eine eigentümliche Zellenbildung entsteht, welche überall die Grundlage ist, aus welcher dann Gefäße, Nerven, Muskeln, Knochen . . . hervorgehen, dem muß allmählich verständlich werden, welch eine Weisheit, Macht und Schönheit, n o c h o h n e a l l e s S e l b s t b e w u ß t s e i n , ein sich individualisierendes Göttliches zu offenbaren vermag." Er weist auch darauf hin, daß z. B. das einfache Sichschließen eines verletzten Gefäßes und die Stillung der Blutung ebenso wie die Heilung eines Knochenbruches die im Unbewußten waltende Weisheit erkennen läßt und daß bereits im Embryo „unbewußterweise alle jene später sich kundgebenden Geistesrichtungen des bewußten Lebens schon wirklich vorgebildet sind!" Seine bis heute grundlegenden Anschauungen über die Beziehungen zwischen dem Bewußten und dem Unbewußten sind für die Deutungswissenschaften so richtunggebend, daß sie in seiner „Psyche" nachgelesen werden müssen. Angeführt sei nur, daß er jede Einübimg als ein Bestreben kennzeichnet, „etwas, das dem Bewußtsein angehört, wieder in die Region des Unbewußtseins zu bringen"; er nennt es das relativ oder sekundär Unbewußte. Durch das Einverleibtsein mit dem Allgemeinen oder Höheren erfolge „das Reifwerden" der künstlerischen Ideen. In diesem Zusammenhange kennzeichnet er auch die Wichtigkeit des Schlafes. *
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Um über das Allgemeine hinaus auch zum Speziellen zu gelangen, seien im folgenden die Ergebnisse von Reihenuntersuchungen auf einigen Spezialgebieten kurz angedeutet. Eine alte weitverbreitete Überlieferung sagt, daß die musikalische Hand unter dem Ringfinger eine oder auch mehrere senkrecht nebeneinander laufende Linien aufweise. Das ist so ziemlich alles, was man bisher über diese Frage wußte, und zudem ist es, wie unsere Befunde ergeben, nur sehr bedingt richtig. Hingegen hat sich unsere Vermutung, daß Musikalität nur aus der 76
Kombination von mehreren Merkmalen ersichtlich sein dürfte, bei den systematischen Untersuchungen in jeder Hinsicht bestätigt. E s schien uns schon deshalb ausgeschlossen, ein einzelnes Merkmal als ausschließliches Symbol zu betrachten, als die Musikalität eine ganze Reihe von Färbungen aufweisen kann. Zunächst haben wir schöpferische Musiker auf der einen, reproduzierende auf der anderen Seite, haben solche, die mehr das Melodische, andere, die mehr das Rhythmische betonen. Neben dem virtuosen Könner steht der technisch durchschnittlich oder mäßig begabte Instrumentalist, der aber dafür vielleicht aus tieferen seelischen Tiefen schöpft, oder, praktisch gesagt: Musikalität bewegt sich ja nicht nur auf der Linie eines Joh. Seb. Bach, sondern äußert sich in grundverschiedener Art. Wir brauchen nur einmal gegenüberzustellen die Namen von Wagner und Brahms, Verdi und Schubert, Händel und Johann Strauß, dann wird uns klar, wie ungeheuer weit der Begriff Musikalität zu spannen ist. Und nicht vergessen wollen wir, daß neben den Komponisten die Dirigenten und ausübenden Musiker stehen, die wiederum eine ungeheure Vielfältigkeit der musikalischen Gaben darbieten. Wenn es also nicht oder kaum möglich ist, für Musikalität eine allgemein gültige Formel zu finden, wenn gerade auf diesem Gebiet der eine verwirft, was dem anderen als Offenbarung gilt, dann kann man zu dem gewünschten Ergebnis nur dadurch kommen, daß man jede einzelne Gabe, die zur Gesamtheit. der Musikalität gehört, auch einzeln beurteilt. Dieses Verfahren erweist sich bei der Ausdeutung und Beurteilung einer Hand als das Gegebene. Carus hat die Musik als die mystische Ursprache der Seele bezeichnet und damit vorausempfunden, was unsere Forschungen bestätigen. Wir überprüften zuerst die Berge c, b und d und stellten fest, daß sie bei allen Musikern ungewöhnlich kräftig hervortreten. Eine Betonung erfährt der Berg d dadurch, daß die so ungemein wichtige Linie 4 (Willenskraft im Sinne von Zielstrebigkeit!) von dorther kommt oder aber daß von dort einer oder mehrere Äste oder feine Linien auf sie zulaufen. D a s i s t a u s u n s e r e n A b d r ü c k e n e r s i c h t l i c h . A u s s c h l a g g e b e n d a b e r b l e i b t die S t ä r k e des B e r g e s d selbst. Ein weiteres Merkmal besteht darin, daß häufig die Linie 2 entweder selbst zum Berg b führt oder aber einen Ast dorthin sendet bzw. daß mehrere Nebenlinien vom Berg b in der Richtung auf die Linie 2 verlaufen. Eine sehr wesentliche Rolle kommt der Handform zu. Sie ist vorwiegend quadratisch, teilweise mit konischem Einschlag, niemals aber konisch oder spatelig, während der Ringfinger, besonders bei schöpferischen Musikern, fast immer Spatelform aufweist. Als ein Merkmal von besonderer Bedeutung, für das wir aber bisher keinerlei Gründe anzugeben in der Lage sind, erwies sich der Bogen, der durch den Ansatz der oberen vier Finger gebildet wird. Und zwar spielt die H a r m o n i e dieses Bogens eine entscheidende Rolle. Was wir damit meinen, läßt sich kaum beschreiben, ist aber durch Vergleichen der Abdrücke wohl einwandfrei ersichtlich. Schließlich fanden wir, daß der kleine Finger immer gut proportioniert und meistens lang ist, und daß die dorthin laufende Linie 6 über die Beurteilung der technischen Fähigkeiten Auskunft gibt. (Hier 77
stoßen wir auf die bereits von H e r d e r festgestellten Beziehungen zwischen Musikalität und Bewegung!) Über Hemmungen, die evtl. durch den Verlauf der Linie 2 symbolisiert sind, ist das Erforderliche bereits dort ausgeführt. Die Frage, ob und in welchem Umfange es gelingt, die vorhandenen Fähigkeiten im Leben durchzusetzen, beantwortet der Daumen. Von unseren Musikerhänden weist nur die Hand Nr. 15 auf eine überragende schöpferische Begabung hin. Als stärkste Polsterungen der Innenhand wurden bei der Aufnahme die Berge d, b, c und a festgestellt, und zwar in der hier angegebenen Reihenfolge. Dies besagt, daß der Berg d am stärksten, der Berg b am zweitstärksten, der Berg c am drittstärksten usw. ausgeprägt waren. Da die Linie 4 und eine Anzahl von feineren Linien vom Berg d herkommen und gleichzeitig die Linie 2 zum Berg b verläuft, wissen wir, daß das musikalische Schaffen im Zeichen revolutionärer Ideen und Einfälle von großer Mannigfaltigkeit steht. Dem ungewöhnlich hohen Formniveau der Außenhand entspricht die ungewöhnliche Qualität der schöpferischen Leistung. (Interessant ist übrigens bei dieser Hand, daß das Liniennetz, wenn man es bildmäßig auf sich wirken läßt, eine so vollendete Harmonie aufweist, daß man etwa an die Zeichnung eines kunstvoll geschliffenen Glases erinnert wird.) — Auch die Hand Nr. 16 verrät eine starke Musikalität, erreicht aber die vorher geschilderte bei weitem nicht, weil der Berg d erst hinter den Bergen a, c und b folgt. Außerdem ist die Linie 4 nicht besonders gut ausgeprägt und die Linie 2 weist nicht die schöne geschwungene Form auf. Trotzdem handelt es sich um einen Komponisten, der internationale Geltung besitzt und der auch zweifellos über eine überdurchschnittliche Begabung verfügt. In der Hand Nr. 17 ist der Berg d gleichfalls nicht so stark (wenn auch wieder wie bei den beiden anderen die Linie 4 hier ihren Ursprung hat und zudem auch zahlreiche kleine Linien in der gleichen Richtung verlaufen). Damit ist das Schaffen nicht so revolutionär, sondern bewegt sich mehr in althergebrachten Bahnen. Die Geschlossenheit und Unmittelbarkeit der Komposition wird zudem beeinträchtigt durch die beträchtliche kritische Einstellung, auf die die weite Gabelung am Ende der Linie 2 hinweist. Noch stärkere verstandesmäßige Hemmungen liegen bei Nr. 18 vor, wo die Linie 2 bis zum Handrand verläuft und damit eine die Geschlossenheit der Persönlichkeit beeinträchtigende Überwachheit des Verstandes anzeigt, die durch die weite Gabelung am Ende noch unterstrichen wird. Ferner entspricht die Stärke der Berge den beiden vorhergehenden Beispielen, Berg d steht also nicht an erster Stelle. Schließlich ist auch das Formniveau bei den Händen 16, 17 und 18, wenn auch gut, so doch nicht so überragend wie bei der Hand Nr. 15. Handelte es sich bei den bisher besprochenen Händen um solche von Musikern mit vorwiegend schöpferischer (kompositorischer) Begabung, so bei den folgenden vier um solche von Dirigenten. Bei allen vieren fällt auf, daß die Linie 2 fast linealartig gerade ist, während die Linie 4 ungefähr ebenso verläuft wie in den Händen der Komponisten. Die durch den Verlauf der Linie 2 angezeigte Schärfe des Verstandes verhindert zwar nicht die eigenschöpferischen Möglichkeiten, verurteilt sie aber, was Originalität und Lebensfülle anbelangt, zur Geringfügigkeit. 78
Am stärksten sind sie noch in der Hand Nr. 19, weil die Untersuchung eine ungewöhnliche Fülle des Berges d ergab, von dem aus sich auch eine Linie in der Richtung auf die Linie 4 hin bewegt. Hier ist auch der Zeigefinger nicht sehr lang, so daß das Bedürfnis, als Dirigent in der Öffentlichkeit eine Rolle zu spielen, nur gering ausgeprägt ist, zumal auch die Linie 3 nicht zum Zeigefinger hin verläuft, sondern zwischen diesem und dem Mittelfinger endet. Die Leitung eines Orchesters geschieht also aus reiner Freude am Dirigieren selbst. Bei den anderen drei Dirigenten läuft entweder die Linie 3 oder aber ein Ast auf den Zeigefingerberg hinauf und weist damit auf den Wunsch hin, im öffentlichen Leben eine Rolle zu spielen. Bei den Instrumentalisten macht im Gegensatz zu den Dirigenten die Fülle des Linienbildes einen manchmal etwas verwirrenden Eindruck. Bei ihnen ist also der bei den großen Dirigenten ausgeprägte Überblick, den die Leitung eines Orchesters erfordert, weniger vorhanden, und auch von der — wenn auch anders gearteten — Klarheit des Liniennetzes bei den Komponisten hebt sich das Innenbild dieser Hände wesentlich ab. Die weitreichende Verschiedenartigkeit der Begabung bei den Händen 23 bis 26 ist nicht nur aus den Linien ersichtlich, sondern sie wird auch durch die Unterschiedlichkeit bei den Merkmalen der Außenhand und der Polsterungen der Innenhand unterstrichen. Es handelt sich um zwei Geiger (Nr. 23 und 25), einen Cellisten (Nr. 24) und einen Pianisten (Nr. 26). Die lange gerade Linie 2 bei Nr. 25 weist auf eine kühle, wenn auch technisch vollendete (Linie 6!) Interpretation der Werke hin, während Nr. 23 zwar auch einen kritischen Verstand erkennen läßt, der aber, wie der Verlauf der Linie 2 zeigt, die Quellen des Lebens nicht verschließt, sondern in sie eindringt, zumal die Berge a, c, b und d in dieser Hand besonders kräftig und plastisch hervortreten. Musikalität bei stark kritischer Einstellung finden wir bei Musikwissenschaftlern (Hand Nr. 27) und Musikkritikern (Hand Nr. 28). In beiden Händen ist der Berg d stark, zu dem hin auch die Linie 4 verläuft. Der Wunsch, in der Öffentlichkeit zu wirken, wird gekennzeichnet durch das Ende der Linie 3 (bzw. eine3 Astes) auf dem Zeigefingerberg, und die starke kritische Begabung kommt in der langen Gabelung am Ende der Linie 2, die aber zum Berg b hin verläuft, zum Ausdruck. Es würde über den Rahmen dieses Buches hinausgehen, wenn wir uns noch ausführlicher mit den verschiedenen Merkmalen der Musikalität und der individuellen Prägung der einzelnen Musiker beschäftigen würden. Dies muß einer Spezialarbeit vorbehalten werden. Wir wollten lediglich darauf hinweisen, daß mit Hilfe der Handdiagnostik Feststellungen getroffen werden können, die weit über das hinausreichen, was mit anderen Methoden möglich ist. Es muß ausdrücklich betont werden, daß wir in diesem Zusammenhang lediglich die Art der B e g a b u n g gestreift haben, während die charakterlichen Eigenschaften unberücksichtigt blieben. Sie sind selbstverständlich gleichfalls genauestens festzustellen. Zur noch klareren Herausarbeitung des Problemes der Musikalität diene ein kurzer Vergleich mit Bildhauerhänden. Hier fällt besonders die Länge des 79
Mittelfingers auf. Ferner macht sich beim Gesamtbild der Linien ein wesentlicher Unterschied gegenüber den Musikern bemerkbar. Zunächst treten die Hauptlinien mehr hervor. Das Liniennetz als solches aber ist irgendwie geordneter und klarer, was sich nur durch Vergleiche an unseren Abdrücken feststellen, nicht aber näher beschreiben läßt. Ganz auffallend ist, daß die Linie 4 zumeist aus der Handmitte (nicht aus dem Berg d, wie bei den Musikern), in einigen Fällen auch in der Nähe der Linie 1 entspringt. Die meisten Bildhauer weisen überdies auch musikalische Begabung auf. Doch ist es dem geübten Chirologen möglich, das Überwiegen der einen oder anderen B e g a b u n g festzustellen (womit aber n i c h t gesagt ist, daß auch ein der größeren Begabung entsprechender Beruf gewählt wurde!). Gemeinsam mit den Musikern besitzen die Bildhauer zumeist quadratische Handform (z.T. mit konischem Einschlag). Ebenso ist der kleine Finger gut proportioniert und lang. Im Gegensatz zu den Musikern ist bei den Bildhauern der Berg unter dem Ringfinger besonders betont. Soweit unsere Angaben das Liniennetz betreffen, sind sie aus den Abbildungen Nr. 29 bis 32 ersichtlich. Bei Nr. 32 zeigt der Verlauf der Linie 4 an, daß die musikalische Begabung hier ungewöhnlich betont ist, zumal die Linie auf einem recht kräftigen Berg d entspringt. Trotzdem aber hebt sich die Klarheit und Eigenart des Liniennetzes, wie ein Vergleich zeigt, beträchtlich von den Befunden bei den nur musikalisch Begabten ab. — Ähnliche Merkmale wie die Bildhauerhände weisen die von künstlerischen Architekten auf. Ein kurzer Vergleich mit Malerhänden ergibt bei diesen einen zumeist längeren Ringfinger. Die Handformen sind wieder quadratisch (z. T. mit konischem Einschlag), diesmal aber auch die Finger. Maler, die kräftige leuchtende Farben bevorzugen, weisen einen besonders starken Berg a auf. Im Vergleich zu Durchschnittshänden sind aber auch stets die Berge b, c und d ungemein plastisch und zudem — ein sofort auffallendes Merkmal — „gestaut", d. h. ohne Linien. Bei Nr. 36 zeigen der Verlauf der Linie 4 und die Belebung des Berges d durch feine Linien gleichzeitige musikalische Begabung an, zumal der Berg d plastisch ist. Man vergleiche die Abdrücke der Malerhände immer wieder mit denen der anderen Künstler, denn nur so kann man lernen, trotz aller individuellen Abwandlungen des Liniennetzes das Typische herauszufinden. Bei allen Künstlern ist auch der Berg a kräftig. Je nachdem, ob innerhalb der vertikalen Dreiteilung die seelische oder die körperliche Seite mehr Betonung aufweist, findet eine entsprechende Färbung des künstlerischen Schaffens statt. Das gilt auch für Dichter und Schriftsteller. In ihren Händen fällt die Betonung der Linie 2 auf; je nach der Art der schriftstellerischen Tätigkeit ist sie entweder mehr gerade (aber niemals linealartig) oder mehr geschwungen und weist manchmal — zumal bei kritischer Einstellung — am Ende eine Gabelung auf. Bei einigen Dichtern läuft die Linie 2 auffallend tief in den Berg b hinein. Bemerkenswert ist ferner, daß der Ringfinger entweder quadratische oder spatelige Form zeigt, während alle übrigen Finger zumeist konisch sind! Was den kleinen Finger betrifft, so ist er lang und gut proportioniert, oder aber, falls dies nicht der Fall ist, fällt die Linie 6 durch ihre Länge und klare Führung auf. In einer ganzen Anzahl von Händen fanden wir beide Merkmale vor. Bei den Dichtern treten gleichfalls die Berge c, b und d hervor. Typisch für die 80
Dichter ist ein Verlauf der Linie 2, wie ihn die Hände 37 und 38 aufweisen. Bei Romanschriftstellern sinkt die Linie nicht so scharf ab, wie Nr. 39 zeigt. Die individuelle Verschiedenheit tritt vor allem bei Nr. 40 zutage, wo die Linie 2 durch die ganze Hand hindurchgeht und ziemlich gerade verläuft. Im Zusammenhang mit dem besonders langen Mittelfinger werden dadurch die verstandesmäßigen und grüblerischen Elemente hervorgehoben. E s handelt sich um einen Autor, der sich vor allem mit historischen, religiösen und ethischen Problemen auseinandersetzt. Das bei den Künstlern festgestellte Überwiegen der quadratischen Form (beim Handrücken wie bei den Fingern) weist darauf hin, daß die durch die Berge a, b, c und d symbolisierten Kräfte hier insofern eine Abbremsung erfahren, als sie im schöpferischen Vorgang reguliert und in eine systematische Form gebracht werden. Natürlich resultiert aus diesem Gegensatz auch eine s t a r k e i n n e r e S p a n n u n g , deren Art von dem gegenseitigen Kräfteverhältnis abhängig ist. Z. B. wäre die k o n i s c h e Form infolge der dadurch bestehenden Labilität gar nicht in der Lage, das durch die Berge a, b, c und d Gegebene in eine gesetzmäßige Form zu kleiden. Sie ermangelt damit eines wesentlichen Merkmals des Schöpferischen. Andrerseits kann bei q u a d r a t i s c h e r Handund Fingerform und einer mangelnden Ausbildung der Berge a, b, c und d natürlich gleichfalls nicht von schöpferischen Kräften gesprochen werden, vielmehr offenbaren sich in diesem Falle die durch das Quadratische symbolisierten Kräfte in einem Mangel an Pathos, in Enge, Kleinlichkeit usw., weil ihm keine Gegenströmungen gegenüberstehen. D a s W e s e n t l i c h e a l l e s S c h ö p f e r i s c h e n i s t f o l g l i c h die i n n e r e d y n a m i s c h e Spann u n g , von der wir hier nur nochmals die eine Seite hervorgehoben haben, weil sich alle anderen Spannungen nach dem bisher Gesagten von selbst ergeben. Bei Journalisten ist der Wunsch, unmittelbar auf die öffentlichkeit zu wirken, im allgemeinen stärker als bei Dichtern und Schriftstellern. Dementsprechend läuft die Linie 3 oder ein Ast von ihr zum Zeigefingerberg. Häufig offenbart eine Gabelung am Ende der Linie 2 die kritische Einstellung, während die zum Ringfinger laufenden Linien das gute Einfühlungsvermögen symbolisieren. Die kleinen Finger sind gerade, lang und gut proportioniert, und zumeist ist auch die Linie 6, besonders im mittleren Teil, gut ausgeprägt. Bei Journalisten von Rang ist der Mittelfinger niemals kurz, was auf eine gründliche Auseinandersetzung mit den Problemen, denen sie sich jeweils widmen, hindeutet. In der Hand Nr. 44 weist die linealartige und lange Linie 2, die am Ende gegabelt ist, auf besonders exakte logische und kritische Arbeit hin. E s ist die Hand eines Journalisten und Literaturhistorikers. Die Stauung der Berge c und d in Nr. 41 zeigt malerische Interessen. E s ist ein Journalist, der durch kritische Würdigung der Malerei (Linie 2 am Ende gegabelt) ebenso bekanntgeworden ist wie durch die Herausgabe einer ausgezeichneten illustrierten Zeitschrift und durch die Veröffentlichung eigener Bildartikel. Die Hände von zwei Schauspielerinnen sollen unsere Betrachtungen über künstlerische Begabungen abschließen. Hier wird der Wunsch, eine Rolle im öffent6 Steindamm: Hand und Persönlichkeit
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liehen Leben zu spielen, nicht nur durch den Verlauf der Linie 3 nach dem Zeigefingerberg, sondern auch durch ein Hervortreten dieses Berges symbolisiert. Die kleinen Finger sind gut proportioniert und zumeist lang, und die Linie 6 ist zumeist stärker ausgeprägt als die Linie 4. Die ausgezeichnete Konsistenz und die Länge der Linie 2 in der Hand 45 zeigt an, daß das Auswendiglernen der Rollen nicht nur präzise durchgeführt wird, sondern auch leicht fällt, während bei Nr. 46 in dieser Hinsicht Schwierigkeiten bestehen. Die Linie 5 deutet auf gute Einfühlung hin und die Zartheit des ganzen Liniennetzes auf Sensibilität und Feinfühligkeit. Die Form der Außenhände von Juristen (Nr. 47 bis 50) ist quadratisch. Der kleine Finger ist lang und — ebenso wie der Zeigefinger — gut proportioniert. Auch der Mittelfinger ist lang, und in den Formen aller Finger überwiegt das Quadratische. Bei den Bergen steht zumeist a an erster Stelle. Ebenso finden wir im Liniennetz einige charakteristische Merkmale. Die Ausrichtung des Lebens auf die Öffentlichkeit kommt auch hier wieder dadurch zum Ausdruck, daß die Linie 3 oder ein Zweig auf den Zeigefingerberg läuft. Die Linie 4 entspringt in der Handmitte und weist damit auf die Verwurzelung im Realen hin. Besonders charakteristisch aber ist der schnurgerade Verlauf der Linie 2, die zudem relativ hoch in der Hand liegt, ein Zeichen für die außerordentliche Systematik und Nüchternheit des logischen Denkens. Auffallend ist ferner, daß die Berge c, b und d gar nicht oder nur wenig belebt sind. Die Qualität der Begabung hängt stets davon ab, daß die hier angeführten Merkmale gut ausgeprägt sind. J e geringer also die juristische Begabung ist, um so mehr Abweichungen von den hier aufgeführten Merkmalen werden wir feststellen. So stellt z. B. schon die etwas nach unten verlaufende Linie 2 in der Hand Nr. 48 eine Beeinträchtigung der Nüchternheit des Denkens dar. Bei Nr. 49 handelt es sich übrigens um einen Inder und bei Nr. 47 um einen amerikanischen Neger. Die Hände von Pädagogen (Nr. 51 bis 54) sind quadratisch mit mehr oder minder konischem Einschlag. Das gleiche gilt für die Finger. Die Berge a, b, c und d treten plastisch hervor; b und d sind entweder durch Linien belebt oder aber die Linie 4 (bzw. ein Ast dieser Linie) kommt dort her. Das Interesse für das Wirken in der Öffentlichkeit wird wiederum dadurch angezeigt, dal? die Linie 3 (oder ein Ast) nicht zwischen Ring- und Zeigefinger führt, sondern unterhalb des Zeigefingers endet bzw. in Richtung auf den Zeigefingerberg verläuft. Besonders interessant ist in diesen Händen der Verlauf der Linie 2. Sie ist zunächst mehr oder minder linealartig, um dann in einem Bogen zum Berg b abzusinken. Damit symbolisiert sie die Verbindung zwischen der Systematik des logischen Denkens mit dem anschaulichen Denken oder bildhaften Denken, wie es den Kindern zu eigen ist. Besonders typisch ist der Verlauf dieser Linie in Nr. 51. In Nr. 52 ist die Systematik weniger ausgebildet, in Nr. 53 ist der gerade verlaufende Teil der Linie etwas zart, und in Nr. 54 verläuft der eine Zweig der gegabelten Linie 2 ziemlich starr, während der andere den Bogen nach unten durchführt. Die gute Einfühlung tritt überall durch die zum Ringfinger führende gute Linie 5 hervor. Die Hände von guten Ärzten (Nr. 55 bis 58) haben vieles mit denen der Musiker gemeinsam. Die Handformen sind vorwiegend quadratisch, gelegentlich mit 82
Spatel-, seltener mit geringem konischen Einschlag. Der Mittelfinger und der kleine Finger sind lang und gut proportioniert. Bei den Bergen der Innenhand stehen a, oberer Berg a und d im Vordergrund. Der letztere ist stets belebt, häufig kommt die Linie 4 oder ein Ast von dort her. Die Linie 2 ist meist lang und ziemlich gerade, wenigstens streckenweise. Sie führt zumeist zum Berg b, bei Ärzten im Verwaltungsdienst auch zum Berg c hin (Hand Nr. 58). Je besser die Linie 6 ausgebildet ist, um so größer ist die chirurgische Gewandtheit. Die mehr oder minder gute diagnostische Intuition hängt von der mehr oder minder guten Konsistenz der Linie 5 ab. Über die Untergründe der Zusammenhänge zwischen Musik und Medizin wird in einem anderen Rahmen mehr gesagt werden. Die Hand Nr. 59 könnte die eines begabten Musikers sein, wenn wir nur nach dem Liniennetz urteilen würden. Denn die Linie 4 kommt, ebenso wie ein langer Ast dieser Linie, vom Berg d her, der zudem außerordentlich belebt ist. Die Linie 2 läuft in einem schönen Bogen zum Berg b und weist damit auf gute Einfälle hin und die lange Linie 5 auf eine ausgezeichnete Intuition. Die besonders im unteren Teil recht gute Linie 4 zeigt Fleiß an. Die Form der Hand ist quadratisch, die der Finger jedoch konisch. Musiker von Bedeutung haben aber niemals konische Finger. Betrachten wir nun noch die dazugehörige Außenhand (Bild a der Tafel I ) , dann erkennen wir sofort, daß das geringe Formniveau dieser Hand nicht dem Format eines Künstlers entspricht. Und da der Berg d hinsichtlich der Stärke fast an letzter Stelle steht (Berg b ist der kräftigste), wird nochmals bestätigt, daß es sich nicht um die Hand eines begabten Musikers handeln kann. Wohl aber ist eine gewisse Musikalität vorhanden. Es ist die Hand eines fleißigen und geschickten Buchbinders, der in seinem Beruf einen guten Geschmack und viele Einfälle entwickelt und der infolge seiner Ideen und manuellen Gewandtheit auch auf anderen Gebieten erfolgreich herumbastelt. Daß die Einfälle mit systematischem Denken verbunden sind, zeigt sich daran, daß die Linie 2 anfänglich fast linealartig gerade verläuft. Die Betonung der Mittelachse deutet auf Gründlichkeit und Konsequenz hin. Da Zeigefinger und Daumen kurz und konisch sind, fehlt es an Dispositionsgabe, Selbstbewußtsein und Durchsetzungsvermögen. Dementsprechend sind weder der Drang noch das Vermögen zu beruflicher Selbständigkeit vorhanden. — An diesem Beispiel sollte noch einmal mit aller Deutlichkeit gezeigt werden, daß eine Beurteilung der Fähigkeiten und des Charakters auf Grund der Linien allein völlig unmöglich ist, daß vielmehr stets die Befunde der Außenhand und die Stärke der Berge bei der Analyse mit dem Verlauf der einzelnen Linien kombiniert werden müssen. Der Abdruck Nr. 60 stammt von einer primitiven Hand. Wie man sieht, zeigt auch das Liniennetz alle Merkmale dieser Primitivität, d. h. die Linien sind breit und „ausgewaschen". Es ist die Hand eines ungelernten Arbeiters. Völlig verfehlt wäre es jedoch, nun anzunehmen, daß die Hände von allen ungelernten Arbeitern primitiv wären. Wir finden unter ihnen vielmehr auch solche, die gute Begabungen der verschiedensten Art anzeigen, Begabungen, deren Auswertung den Betreffenden jedoch infolge der sozialen Umstände nicht möglich war. 6*
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Diese wenigen Beispiele aus den zahlreichen von uns durchgeführten Reihenuntersuchungen sollen nur einen kleinen Begriff davon geben, wie stark die Verschiedenartigkeit der Begabung und des Charakters in der Hand ausgeprägt ist. Wir hoffen, daß es möglich sein wird, die Ergebnisse der einzelnen Reihenuntersuchungen zu veröffentlichen, sobald die Zeitumstände die Drucklegung dieser umfangreichen Arbeiten gestatten. Abschließend sei zur Vermeidung von Mißverständnissen noch bemerkt, daß es selbstverständlich sehr viele Komponisten, Dirigenten, Maler, Schauspieler, Journalisten, Juristen, Ärzte usw. gibt, bei denen die Außenhand, die Berge und das Liniennetz mehr oder minder andere Merkmale aufweisen, als wir sie hier aufgeführt haben. Das hat seinen Grund darin, daß die Begabung in den einzelnen Berufen außerordentlich verschieden ist und von der Spitzenleistung bis zum Nichtkönner reicht, was wiederum darauf zurückzuführen ist, daß für die Berufswahl häufig nicht die entsprechende Begabung ausschlage gebend ist. Zudem gab es bisher ja auch keinerlei Möglichkeit, die Art und den Grad der Begabung gerade bei geistigen Berufen festzustellen, weil nur mit Hilfe der Handdiagnostik die notwendigen Aufschlüsse hierüber zu erlangen sind. Auch der ewige Streit über den Wert oder Unwert künstlerischer Leistungen würde sehr schnell verstummen, wenn man Analysen der betreffenden Künstler auf Grund der Hand durchführen würde. Denn schon die wenigen von uns gemachten Angaben über die Außen- und Innenhand schöpferischer Künstler lassen erkennen, daß sich jede Begabung in ihrer ganzen Mannigfaltigkeit in den verschiedenen Befunden der Hand widerspiegelt.
Hatten wir unter Bezugnahme auf Bachofen bereits das väterliche und mütterliche „Prinzip" (das „Ewig-Weibliche" und das „Ewig-Männliche") einander gegenübergestellt, so seien im folgenden diejenigen Befunde zusammengefaßt, die bei der praktischen Deutung — also in bezug auf die heutige Generation — auf das Überwiegen männlicher bzw. weiblicher Charaktereigenschaften hinweisen. Eine männliche Betonung erhält eine Hand u. a. durch folgende Merkmale: quadratische oder spatelige Hand- und Fingerform, harte Hand, stark gelockerte Hand, großer Daumen, kräftiges Daumennagelglied, Betonung der Länge der mittleren Fingerglieder, langer Mittelfinger, kräftiger Berg c, lange und gut ausgeprägte Linien 2 und 4, Linie 3 nach dem Zeigefingerberg laufend. Demgegenüber tritt in weiblichen Händen hervor: die konische oder spitze Hand- und Fingerform, die Weichheit der Hand, die Gebundenheit der Hand, ein kleiner Daumen, ein schwaches Daumennagelglied, eine Betonung der Fingernagelglieder, kräftige Berge b, c, d, eine schön geschwungene Linie 3, eine gut ausgeprägte Linie 5. Vom Standpunkt der seelischen Harmonie betrachtet, weist die z u s t a r k e Betonung einzelner oder gar mehrerer als männlich gekennzeichneter Merkmale in einer F r a u e n h a n d auf entsprechende Schwierigkeiten hin. Das gleiche gilt für die zu starke weibliche Betonung einer männlichen Hand. 84
Diese Feststellung betrifft, das sei unterstrichen, nur den Charakter, die Sexualität hingegen nur bedingt. — Rein weibliche oder rein männliche Hände gibt es nur in der Theorie, nicht aber in der Wirklichkeit.
Schluß Alle
Wahrheit
ist
u r a l t . Der Reiz
der Neuheit liegt nur In den des Ausdrucks.
Variationen Novalis
Die Durchführung der ursprünglichen Absicht, das Material der Chiromantie experimentell nachzuprüfen und nach den Gesetzen der Charakterologie zu ordnen, konnte, so schien es, keinerlei Schwierigkeiten bereiten. Der Beginn, die Nachprüfung der einzelnen Merkmale, gab dieser Auffassung auch recht, obgleich er, zumal durch die Anfertigung der graphologischen Vergleichsdeutungen, viel Zeit erforderte. Bedenklich in die Ferne gerückt aber wurde die Erreichung des Zieles, als eine ganze Anzahl von einwandfreien und beweisfähigen Sachverhalten allen Bemühungen, sie irgendwie in eines der charakterologischen Systeme einzureihen, widerstand. Folglich mußten irgendwo schwerwiegende Lücken oder Fehler vorliegen. Wir suchten sie in der eigenen Arbeit und kamen zunächst nicht auf die Idee, daß sie ebensogut in den Systemen enthalten sein konnten. So ergab sich eine monatelange Stockung, der erste „tote Punkt". Die ganze zeitraubende Nachprüfung schien vergeblich zu sein. Es blieb weiter nichts übrig, als nach neuen Wegen zu suchen und unsere Hoffnung auf die „rationelle Imagination" (Dühring) zu setzen. Denn der Sinn des Symbols der Hand war uns damals bei weitem noch nicht erschlossen. Allmählich aber öffnete er sich uns, wenn auch nur sehr zögernd und schrittweise. Immer aber geschah es durch „Ein-Fälle", deren logische Begründung sich oftmals erst weit später ergab oder aber z. T. bis heute noch nicht gefunden werden konnte. Bis schließlich das Verhältnis sich umkehrte, bis das Symbol Führer auf unserem Wege wurde. Mit Hebeln und mit Schrauben — diese Erfahrung wurde gründlich ausgekostet — ist der Natur nichts abzuzwingen. Hier muß noch der grundlegenden Hilfe gedacht werden, die uns von Seiten der alten Symbolik zuteil wurde. War es uns anfänglich nicht möglich, das Symbol der Hand, des Lebens selbst, zu begreifen, so geschah dies dennoch im Laufe der Zeit zum Teil auf dem Umwege über die Mythen der alten Völker. Und über die alten Symbole. So erging es uns ähnlich wie Klages, der am Schluß seines Werkes „Vom Wesen des Bewußtseins" bemerkt: „ . . . d a ß alle im vorigen gegebenen Hinweisungen wie Widerlegungen nur die gedankliche Folge des Wahrheitsgehalts weniger Symbole sind . . . " Wir nun konnten von den von Menschen geschaffenen Symbolen zum Symbol des Menschen selbst vordringen und die Richtigkeit des uralten Wissens von der Symbolik der menschlichen Gestalt, wenn auch nur für ein Teilgebiet der Physiognomik, experimentell nachweisen. Damit ist zugleich gesagt, daß wir weiter nichts taten, als jenes Wissen, das jeder Mensch und jede Kreatur besitzt, ohne sich dessen immer bewußt zu sein, den Denk- und Erkenntnisformen unserer Zeit zugänglich zu machen — ein Wissen, das zum Urgrund
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alles Seins und damit zur Voraussetzung des Lebens selbst gehört und das Klages in die Worte kleidete: „Der lebendige Leib ist die Erscheinung der Seele, die Seele der Sinn des lebendigen Leibes." Wobei der Begriff „Seele", wie es sich von selbst ergibt, nicht im exakten Sinne unserer Feststellungen, sondern weiter und genereller aufzufassen ist. Als recht hindernd empfanden wir bei dieser Arbeit, daß die Bedeutung jedes Merkmals in charakterologischer Hinsicht einer Vielfalt von Differenzierungen unterlag, daß er durch das mehr oder minder starke Hervortreten jedes anderen Merkmals eine besondere Färbung erhielt und letzten Endes von allen B:fundon abhängig war. Die aber lagen eben nicht vor! Und als der Aufbau der Persönlichkeit schließlich doch auf wunderbare und kaum erklärliche Art im wesentlichen von uns erfaßt wurde, ergab sich für die Darstellung eine nicht leicht zu lösende Aufgabe: wie konnte man die charakterologische Bedeutung eines einzelnen Merkmals schildern, wenn dies die Kenntnis der anderen, aber eben noch nicht bekannten, zur Voraussetzung hatte? Das schien beinahe unmöglich, aber der Versuch mußte dennoch unternommen werden. E r führte zu den zahlreichen Vorbehalten, die anfänglich vielleicht merkwürdig anmuteten, weil sie alle Feststellungen einer Einschränkung und Relativität unterwarfen, deren Gründe nicht so klar zutage traten, wie dies jetzt der Fall ist. Darunter mußte zweifellos die Darstellung leiden. Dennoch halten wir den eingeschlagenen Weg für richtig, weil es nur so möglich war, die ungeheuren Schwierigkeiten unseres Gebietes nach und nach begreiflich zu machen, anstatt den Anfänger gleich zu Beginn vor einen Sachverhalt zu stellen, den zu verstehen ebenso schwierig gewesen wäre, wie ihn zu schildern. Wir nehmen deshalb gern den Vorwurf in Kauf, daß die Anfangskapitel von unserer Materie nur die Oberfläche behandeln. Der Einwand, daß wir die Schwierigkeiten mit Hilfe einer Typologie hätten besser meistern können, dürfte angesichts der nun vorliegenden Gesamtdarstellung kaum erhoben werden. Denn das ist wohl klar: nachdem der Aufbau der Persönlichkeit sich als ein so. ungeheuer komplizierter Sachverhalt erwiesen hat, . k a n n v o n T y p o l o g i e n k e i n e R e d e m e h r s e i n . Schon Klages hat ihre Unhaltbarkeit dargelegt, und Henning meint: „Leider zeigt jedes bisherige System eine Tendenz, sich immer weiter in Unterabteilungen aufzuspalten. Lief dieser Prozeß zu weit, dann tritt meistens — nicht ganz ohne Beteiligung der Mode — eine neue Typenlehre in den Vordergrund, welcher es nicht besser ergeht." Ein grundsätzlicher Irrtum der modernen Typenlehren besteht darin, daß die meisten von ihnen im wesentlichen von der Gegenüberstellung von nur zwei Polen ausgehen, was im Gegensatz steht zu der alten Lehre von der Dreigliederung alles Seins. Und zwar entspricht zumeist der eine „Typ" etwa dem überwiegen derjenigen charakterlichen Anlagen, die durch unser Prinzip der Mitte (Mittelfinger und Linie 4) verkörpert werden, während eine Unterscheidung zwischen den anderen beiden Prinzipien, der „Ich-Seite" und der „Umwelt-Seite", überhaupt nicht getroffen wird. So wird beispielsweise in der Kretschmerschen Typologie in der Hauptsache der „Zyklothyme" dem „Schizothymen" gegenübergestellt. Das hat zunächst zur Folge, daß keine klare Unterscheidung zwischen den Anlagen der beiden äußeren Pole getroffen wird und daß ferner eine ganze Reihe von Eigenschaften, die wesentlich zur individuellen Färbung des Charakters bei86
tragen, überhaupt keine Berücksichtung finden, so z. B. die Stärke oder Schwäche des Selbstgefühls, Geltungsdrang, Machthunger, Brutalität, Egoismus, irdisches Rechtsgefühl, patriarchalische Fürsorge, Widerspenstigkeit, persönliches Durchsetzungsvermögen, Selbstbehauptungskraft usw. ferner wird das logische Denkvermögen des Verstandes häufig mit dem planenden, konstruktiven Denken des Prinzips der Mitte zusammengeworfen. Für die Psychologie individueller Differenzen, deren Ziel es ist, die spezifische persönliche Färbung des Individuums in jedem einzelnen Falle genauestens festzustellen, sind Typologien schon deshalb nicht brauchbar, weil mit ihrer Hilfe die feinen Differenzierungen einfach unmöglich sind. Wir müssen beispielsweise die Frage beantworten können: warum ist dieser Zyklothyme ein Idealist und begabter Dichter, jener Zyklothyme hingegen ein gänzlich unbedeutender, unschöpferischer, haltloser und diebischer Mensch? Oder, um ein anderes Beispiel anzuführen: warum ist dieser Schizothyme ein Immanuel Kant, jener Schizothyme aber ein Robespierre? Solche Fragen können mit Hilfe der Typenlehren jedoch nicht beantwortet werden, weil diese es nicht ermöglichen, die Qualität und die Quantität der e i n z e l n e n GrundanJagen genau festzustellen. Denn sie gehen immer von einem Bündel von Anlagen, eben vom Typ, aus und berücksichtigen nicht genügend, daß sämtliche Grundanlagen des Charakters in Beziehung zueinander stehen. Was nutzt also in der Praxis die Feststellung, ein Mensch sei schizothym? Wir wissen damit lediglich, daß das Prinzip der Mitte bei ihm besonders stark ausgeprägt ist. Wir wissen aber nicht einmal, ob der obere oder der untere Pol dieses Prinzips am schizothymen Gepräge entscheidend mitwirkt, der grüblerische, philosophische oder der zielstrebige, willensmäßige. Und welche Anlagen der beiden anderen Prinzipien gleichfalls stark vorhanden sind — seien es Tatkraft, Selbstgefühl, Hingabefähigkeit, Ideenreichtum usw. —, wissen wir überhaupt nicht. Wir kennen auch die Qualität und die spezifische Färbung dieser Anlagen nicht. Damit aber ist es völlig unmöglich, zu beurteilen, was aus dem Zusammenwirken der schizothymen Grundanlagen mit den anderen beiden Prinzipien entsteht, d. h. wir kommen mit Hilfe der Typenlehren niemals zu einem geschlossenen Charakterbild der einzelnen Individualität. Wir erfahren allenfalls, was dieser einzelne mit anderen ungefähr gemeinsam hat, können aber die notwendige Differenzierung nicht vornehmen. Sie ist nur dann möglich, wenn jede einzelne Anlage in ihrer Quantität und Qualität bei jedem einzelnen genauestens festgestellt werden kann, wie dies jetzt mit Hilfe der Handdiagnostik zum erstenmal durchführbar ist. Es sei nochmals unterstrichen, daß es unmöglich ist, eine Hand S c h e m a t i s c h nach unseren Feststellungen zu deuten. Vielmehr müssen stets sämtliche Befunde mit- und gegeneinander abgewogen werden, was selbstverständlich umfassende psychologische Kenntnisse und jahrelange praktische Erfahrung voraussetzt. Denn wir beurteilen den Menschen im täglichen Leben ja nicht nach seinen — zum Teil völlig gegensätzlichen — Wesensinhalten, sondern nach dem aus ihnen sich ergebenden dynamisch bedingten Verhalten. Bei einer nicht genügenden theoretischen und praktischen Schulung wird es z.B. völlig unmöglich sein, einen starken Berg b mit einer quadratischen Handform zu kombinieren, geschweige denn weitere gegensätzliche Befunde in die Deutung ein87
zubeziehen (z. B. konische Finger, eine lange und starre Linie 2, eine weiche Hand, eine klare und lange Linie 4 usw.). Die Tatsache, daß die einzelnen Merkmale und Merkmalskomplexe sich ständig gegenseitig beeinflussen, ist sowohl der Komplex- und- Gestaltspsychologie als auch der Assoziationspsychologie seit langem bekannt. Hans Henning hat diese Erkenntnis folgendermaßen formuliert: „Die psychischen Einzelheiten addieren sich nicht zur Einheit wie zusammenfließende Wärmemengen, vielmehr ergeben sie ein Konstitutionsbild nach Analogie chemischer Reaktionen, wo aus bestimmten Elementen ein neuer Körper mit neuen Eigenschaften entsteht. Mit anderen Worten: das Erlebnisganze ist nicht identisch mit der Summe seiner elementaren Teile, sondern es ist in gewissem Sinne mehr, in gewissem Sinne anders." Er weist darauf hin, daß schon Laotse lehrt: „die Summe der Teile ist nicht das Ganze", und erklärt mit Recht, daß die Persönlichkeit ja überhaupt nicht aus einzelnen Elementen oder Bestandteilen zusammengesetzt sei, sondern daß „ein mannigfaltig verflochtener einheitlicher Erlebniskomplex" vorliege. Eine weitere Schwierigkeit bot die auf dem Gebiete der Psychologie herrschende und kaum zu beschreibende Begriffsverwirrung. Nicht einmal die Hauptbegriffe wie „Seele" und „Geist" sind hier scharf umrissen! Seit Jahrhunderten wird der eine für den anderen gesetzt! Seit Jahrhunderten reden wir vom „Charakter" und jeder Forscher versteht etwas anderes darunter! Von den übrigen Begriffen ganz zu schweigen! Gewiß, auch wir hätten, wie es anderweits geschehen ist, pompös klingende Fremdworte für viele neue Befunde bilden können. Stattdessen bemühten wir uns, alles auf einfachste Weise zu sagen. Wir durften das allerdings um so eher, als das Symbol der Hand dem aufmerksamen Leser stets Aufschluß darüber gibt, welche Bedeutung diesem oder jenem Begriffe i m R a h m e n d e s Z u s a m m e n h a n g e s zukommt. Einige Male haben wir auch besonders darauf hingewiesen, so z. B. auf die innere Unterschiedlichkeit des Wortes „Leichtsinn" beim Ringfinger und beim Mittelfinger und auf die des Begriffes „Pflicht" beim Zeigefinger und beim Mittelfinger. In Anbetracht der hinsichtlich des Begriffes „Geist" bestehenden Verwirrung, die nicht nur die Philosophie, sondern auch die Psychologie lahmzulegen droht, sei noch in knappen Umrissen dargelegt, was darüber im Symbol der Hand unmißverständlich zum Ausdruck kommt. Geist, so zeigten wir, nimmt überall seinen Platz ein z w i s c h e n Seele und Körper. Auch darüber kann kein Zweifel sein, daß der Geist, wie er sich in den Fingergliedern, im Mittelfinger oder im Berg b offenbart, etwas grundlegend anderes darstellen muß als jener Geist, der uns symbolisch in den Knöcheln entgegentritt. Sind die Mittelglieder der Finger im Verhältnis zu den oberen und unteren Fingergliedern relativ lang, so überwiegt i n d e n G e f ü h l e n die geistige Zone gegenüber der seelischen umd der körperlich-materiellen. Da nun aber mit Hilfe der Gefühle die Eindrücke der Erscheinungswelt aufgenommen werden — es sei nochmals daran erinnert, daß wir den Begriff „Gefühl" nicht im allgemein üblichen, sondern im psychologischen Sinne verwenden —, so bedeuten lange Fingermittelglieder ein Überwiegen der geistigen Aufnahme, wie wir dies in dem entsprechenden Kapitel an einem Beispiel erläutert haben. Demgegenüber 88
zeigt die Linie 2 die Beschaffenheit des Verstandes und damit u. a., welche logischen Folgerungen aus dem gefühlsmäßig Aufgenommenen gezogen werden. Sie symbolisiert das logische, folgerichtige Aneinanderreihen von Gedanken. Zum Unterschied davon wiederum verkörpern die Knoten den ü b e r l e g e n d e n (bzw. g r ü b l e r i s c h e n ) Ordnungsgeist. Schließlich sind noch zu unterscheiden der r i c h t u n g g e b e n d e und der z i e l s t r e b i g e Geist (siehe Mittelfinger und Linie 4) und der i n t u i t i v e Geist, die V e r n u n f t (Berg b). Das Wort Geist besitzt also eine ganze Anzahl von grundverschiedenen Bedeutungen, und solange darin fortgefahren wird, es generell und ohne genaueste Beschreibung anzuwenden, werden die fruchtlosen Auseinandersetzungen, die schon zahllose Regale der Bibliotheken füllen, kein Ende nehmen. Ein anderes Moment, das gleichfalls zu mancherlei Unklarheiten geführt hat, sei, obgleich es aus unseren Feststellungen bereits hervorgeht, nochmals gestreift. E s handelt sich um gewisse Beziehungen des logischen, bewußten Geistes zur Seele. Nach unserer vertikalen wie nach der horizontalen Dreiteilung ist stets das Seelische der Erscheinungswelt wie der gesamten Umwelt zugewandt, einmal symbolisiert durch den kleinen und den Ringfinger und die Berge b, c und d, das andere Mal durch sämtliche Finger bzw. die Nagelglieder. D a r a u s e r g i b t s i c h , d a ß d e r l o g i s c h e V e r s t a n d nur v e r a r b e i t e n k a n n , w a s ihm d u r c h die s e e l i s c h e A u f n a h m e z u g e f ü h r t w i r d . Krumme Finger weisen also nicht nur auf eine Störung der seelischen Aufnahme (und auch des Vermögens), sondern auch darauf hin, daß das in der Linie 2 verkörperte Denken nur von entsprechenden Voraussetzungen ausgehen kann, was selbstverständlich auf den Gesamtbefund von weitreichendem Einfluß ist. Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß die ungeheure Vielfältigkeit der Gestaltung der Linie 2 bezeugt, daß jeder Mensch durchaus einmalige Gaben des Verstandes und damit auch eine nur ihm eigene Art des logischen Denkens besitzt. Eine Gleichartigkeit besteht nur insofern, als wir die Linie 2 in jeder Iland etwa an der gleichen Stelle antreffen. Ihre Form und Art aber ist in allen Händen durchaus verschieden. Wenden wir uns nun der Deutung selbst zu, so steht fest, daß wir dem Symbol der Hand Aufschlüsse über das Wesen des Menschen verdanken, die weit über alles bisher Bekannte hinausführen. Mehr noch als vordem ist deshalb die praktische psychologische Beratung in der Lage, helfend einzugreifen, sei es bei der Erziehung im Elternhaus oder in der Schule, bei der Berufsberatung, bei der Wahl des Ehepartners oder bei sozialen und wirtschaftlichen Entscheidungen aller Art. Vor allem können die Begabungen und Fähigkeiten mehr als bisher differenziert und Fehler in der Lebensführung grundsätzlich klargelegt werden. Die neuen Erkenntnisse vom Aufbau des Charakters lassen sich natürlich ohne weiteres in der Graphologie anwenden. Somit kann auch überall dort, wo nicht die Hand, sondern nur die H a n d s c h r i f t zur Verfügung steht, eine Entscheidung über die Eignung von Mitarbeitern, über die Auswahl von leitenden 89
Persönlichkeiten usw. naturgemäß jetzt noch weit sicherer getroffen werden als bisher. Die Unterstützung, die der Philosophie, der Pädagogik, der Kriminalistik, der Rechtspflege, der Völkerkunde und der Medizin aus der Handdeutung zufließt, ist so weitreichend, daß Spezialarbeiten darüber erforderlich sind. Einwandfreie und exakte Ergebnisse aber können nur dann erzielt werden, wenn die betreffenden Wissenschaften diesem Arbeitsgebiet ihre Unterstützung leihen. Z. B. liegt schon jetzt eine große Anzahl von Befunden, die die medizinische Diagnostik betreffen, vor, doch halten wir sie für eine Veröffentlichung so lange für ungeeignet, aJs sie nicht, wie wir dies bei den charakterologischen Befunden durchgeführt haben, an einer genügenden Anzahl von Fällen einwandfrei als zutreffend nachgewiesen sind. Die Hilfe der Fachkreise ist schon deshalb erforderlich, weil es beispielsweise hinsichtlich der medizinischen Diagnostik nur dann möglich ist, einige hundert Fälle von Erkrankungen der Leber, der Nieren, der Lunge, des Herzens, der Sexualorgane, der Nerven usw. nachzuprüfen, wenn durch Mitarbeit von Kliniken wie von Heil- und Pflegeanstalten die Gelegenheit besteht, solche Fälle überhaupt erst der chirologischen Untersuchung zuzuführen. Was bisher von Ärzten auf diesem Gebiet unternommen worden ist, hat bereits wichtige Fingerzeige ergeben. So haben an der Poliklinik für Erb- und Rassenpflege in Berlin-Charlottenburg eingehende Untersuchungen über das Vorkommen der sogenannten „gesperrten" Hand bei Kranken mit Mongolismus stattgefunden (vgl. Deutsches Ärzteblatt, Heft 25 vom 19. Juni 1937). Das Ergebnis, wonach diese Merkmalsanomalie bei etwa 60% aller Fälle vorlag, ist wissenschaftlich außerordentlich interessant, aber selbstverständlich, solange die Zahl der Abweichungen noch so groß ist, für die praktische Diagnostik nicht verwendbar. Generell sei noch betont, daß die medizinische Handdiagnostik vor allem dadurch einen besonderen Wert erhalten dürfte, daß sie eine Anzahl von bisher wenig oder gar nicht bekannten organischen Zusammenhängen aufdecken und auch in die Beziehungen zwischen Charakter und Organismus ganz neue und weitreichende Einblicke gewähren wird. E s w i r d s i c h n a c h a l l e m , was wir b e r e i t s davon w i s s e n , z e i g e n , daß die Art und K o n s i s t e n z j e d e s e i n z e l n e n k ö r p e r l i c h e n O r g a n e s der Art und A u s p r ä g u n g e i n e s b e s t i m m t e n C h a r a k t e r z u g e s e n t s p r i c h t ! Das dürfte u. a. für die Zwillingsforschung und die von ihr befruchteten Gebiete von ungemeiner Wichtigkeit sein. Hat man doch am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik, Berlin-Dahlem, bereits jetzt „den Nachweis des hohen Grades der Erbbedingtheit der Finger- und Handlinienmuster erbracht" und ist ferner darauf gestoßen, daß die gleiche Erbanlage auch ein ähnliches Lebensschicksal bedingt. Mit Hilfe unserer chirologischen Forschungen ist es nunmehr möglich, in verhältnismäßig kurzer Zeit zu Erkenntnissen zu gelangen, die weit über alles hinausführen, was bisher über die Erbstruktur der menschlichen Persönlichkeit bekannt ist. In diesem Zusammenhang erscheint es a u ß e r o r d e n t l i c h w ü n s c h e n s w e r t , daß Handabdrücke mit e n t s p r e c h e n d e r 90
B e s c h r e i b u n g der A u ß e n h a n d in die S t a m m b ü c h e r und Familienarchive a u f g e n o m m e n werden. Was andere wissenschaftliche Gebiete betrifft, so erweisen sich die Befunde der Hand von ungemeiner Wichtigkeit für die Rechts- und Kriminalpsychologie, für die Massenpsychologie, für die Heilpädagogik, die Neurologie, Anthropologie, Ethnologie, funktionelle Anatomie wie auch — auf wirtschaftlichem Gebiet — für die Psychotechnik und die Sozialpsychologie. Auch auf diesen Gebieten aber ist die chirologische Forschung auf die Hilfe der Fachkreise angewiesen, denn alle privaten Versuche ermangeln des für die Untersuchungen erforderlichen umfangreichen Spezialmaterials, während im umgekehrten Falle die Vertreter der einzelnen Fachgebiete bisher nicht über die notwendigen handdiagnostischen Kenntnisse verfügen. — Was im besonderen die Psychotechnik betrifft, so teilen wir mit anderen Forschern die Ansicht, daß es unmöglich ist, a l l e i n mit Hilfe von Apparaten zum gewünschten Ziel zu kommen. Vielmehr glauben wir, daß die Deutung der Hand wie auch der Handschrift nicht nur als Kontrolle herangezogen werden sollte, sondern daß gerade die Deutungswissenschaften im allgemeinen sicherer, schneller und weitreichender zur Feststellung individueller Differenzen führen als alle anderen Methoden. Charakterkundlich liegt eine sehr beträchtliche Anzahl von weiteren Erkenntnissen vor, die wir mit Rücksicht auf die noch nicht genügend durchgeführte Nachprüfung hier nicht aufgenommen haben. Sie betreffen sowohl die weitere Ausdeutung der angeführten als auch ganz neue Befunde. Zu den letzteren gehört z. B. die Frage der Feststellung des Lebensrhythmus, wie sie u. a. von Burdach und Fließ — unabhängig von der Chirologie — in Angriff genommen worden ist. Aus den gleichen Gründen sind nähere Ausführungen über die Nebenlinien fortgelassen worden. Ungeachtet dieser Beschränkung hat bereits das von uns bearbeitete Material sich als so umfangreich erwiesen, daß wir zahlreiche Merkmale nur streifen konnten und ihre endgültige Darstellung — zumal daran nur Fachkreise interessiert sind — speziellen Arbeiten vorbehalten mußten. Was wir hier bieten, ist deshalb weiter nichts als eine recht bescheidene Einführung, aber dennoch die Grundlage aller weiteren Forschungen. Das Bestreben, wenigstens einige der grundsätzlichen Probleme eingehend genug darzustellen, veranlaßte uns, andere, die als bekannt vorausgesetzt werden können und müssen, nur anzudeuten. Dahin gehört z. B. die Unterscheidung der sogenannten „echten" von den „unechten" Charaktereigenschaften. Der psychologisch Geschulte ist ohne weiteres in der Lage, Eigenschaften wie Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Anständigkeit, Tugend, Treue, Vertrauenswürdigkeit usw. aus unseren Befunden abzuleiten. Bestimmte Anzeichen gibt es selbstverständlich dafür nicht, da es sich hier um Kombinationen handelt, die auf völlig verschiedenen charakterologischen Befunden beruhen können. Gleichfalls kombinatorisch abzuleiten ist das gesamte W i l l e n s p r o b l e m , das durch die Hand erstmalig seine unbeschreibliche, über alles Begriffliche hinausgehende Mannigfaltigkeit offenbart, und trotzdem einfach und klar vor uns liegt. Ausschlaggebend bei der Beurteilung sind, das liegt auf der Hand, der Daumen (einschließlich des Berges a) und die Linie 4. Dann aber auch die 91
Handform; und die Fingerformen; und die Stärke der Berge b, c und d; und schließlich wieder, wenn wir weiter denken, der Gesamtbefund! Bis ins Feinste differenziert offenbart sich eine völlig neue Lehre vom Willen, die allein eine umfassende Darstellung erforderte, wenn sie eben nicht, wie es jetzt möglich ist, in allen Einzelheiten ohne weiteres ableitbar wäre! Wer unseren eingangs gegebenen Rat befolgt und jedes einzelne Merkmal an einer Anzahl von Händen studiert hat, wird sich darüber klar sein, daß die Durcharbeitung dieses Buches keineswegs zur Ausübung der praktischen Deutung befähigt; er wird erkannt haben, daß allein die unendliche Mannigfaltigkeit der Differenzierung jedes einzelnen Befundes ein umfangreiches Arbeitspensum darstellt, und daß von irgendeiner psychologischen Auswertung so lange überhaupt nicht die Rede sein kann, als ihre Voraussetzung, die Diagnostik, nicht einwandfrei beherrscht wird. Sie ist jedoch nur erlernbar am l e b e n d e n Material, nicht aber an Abdrücken, weil diese ja im wesentlichen nur den Verlauf der Linien zeigen. Weiter dürfte klar sein, daß jede diagnostische Beurteilung nur möglich ist durch den Vergleich mit den durchschnittlichen, also als „normal" zu betrachtenden Befunden. So muß, bevor auch nur die geringste psychologische Auswertung erfolgen kann, an Hunderten und aber Hunderten von Händen zunächst darauf hingearbeitet werden, aus der Mannigfaltigkeit gewissermaßen das Urbild der unserer Zeit — und der jeweiligen Nationalität — entsprechenden Normalhand i n d e r V o r s t e l l u n g zu gewinnen (denn in Wirklichkeit existiert ja eine solche Normalhand nicht). Erst dann sind wir in der Lage, bei der einzelnen Hand einwandfrei festzustellen: der Berg a oder b oder c ist stark oder normal oder schwach ausgebildet usw. Das mag im Augenblick schwierig erscheinen, ist aber nur eine Frage der Schulung. Genau so, wie wir auf Grund unserer täglichen Erfahrung bei einem Menschen feststellen: der Kopf, die Nase, die Ohren sind groß, die Augen, der Mund, die Hände klein, so können wir nach hinreichender Beobachtung der einzelnen Merkmale der Hand entsprechend differenzieren und sind nach einiger Zeit sogar in der Lage, diese Differenzierung auf allerfeinste Unterschiede zu erstrecken. Über diese Art der deutungswissenschaftlichen Diagnostik, wie sie entsprechend auch auf graphologischem Gebiet zur Anwendung gelangt, hat Ludwig Klages bereits alles Notwendige ausgeführt. Im Vergleich zu den Bergen bietet die Feststellung der Linien so gut wie gar keine Schwierigkeiten, weil das Zweidimensionale weit besser miteinander verglichen werden kann als dreidimensionale Körper; zudem stehen hier immerhin unsere Abdrücke, auch wenn es nur wenige sind, helfend zur Seite. Andere Merkmale wie konisch, spatelig, quadratisch, hart, weich usw. sind eindeutig und beinahe ohne Vergleich mit anderen Händen feststellbar; das gleiche gilt von dem proportionalen Längenverhältnis der Finger zum Handrücken, der einzelnen Fingerglieder untereinander usw. Um die genaueste Feststellung der Berge aber kommen wir nicht herum. D e n n wenn wir nur ein e i n z i g e s Merkmal f a l s c h beu r t e i l e n , mag es uns im Anfang auch noch so nebensächlich erscheinen, d u r c h s e t z t d i e s e r F e h l e r die g a n z e Deutung. Und sie ist 92
v ö l l i g u n b r a u c h b a r ! Hier genügt schon der geringste Irrtum. Wer beispielsweise einen Handrücken als quadratisch beurteilt, während der exakte Befund „quadratisch mit konischem Einschlag" lauten müßte, gelangt, auch wenn alle anderen Merkmale richtig bewertet werden, unweigerlich zu einer schiefen und damit unrichtigen Gesamtdarstellung des betreffenden Charakters. Die Diagnostik kann gar nicht sorgfältig genug durchgeführt werden und kann für den Anfänger gut eine Stunde dauern. Wohlgemerkt: nur die Diagnostik, nicht etwa schon die Kombination und psychologische Auswertung! Es dürfte nun wohl klar sein, daß allein das Studium der einzelnen Befunde viele Monate erfordert. Andererseits aber steht ebenso fest, daß die Diagnostik von jedem erlernt werden kann. E s handelt sich lediglich um eine Frage der Zeit, der Energie und der Schulung der Beobachtungsgabe. Nicht so leicht hingegen ist die Kombination der einzelnen und schließlich aller Merkmale. Dazu gehören nicht nur umfangreiche psychologische Vorkenntnisse, sondern auch eine j a h r e l a n g e praktische Erfahrung. Genau wie in der Graphologie. Wer glaubt, nach der Lektüre dieses Buches nun einfach drauflos deuten zu können, handelt im höchsten Maße fahrlässig an seinen Mitmenschen, und wird schließlich, weil bei einer solchen Art von „Deutung" der größte Unsinn herauskommen muß, mit Recht Zielscheibe des Spottes werden. — Vor allem muß man erfaßt haben, daß das einzelne Merkmal nicht nur im Rahmen der einen Persönlichkeit positiv, im Rahmen der anderen negativ zu beurteilen ist, sondern daß es auch bei ein und derselben Persönlichkeit in gewisser Hinsicht positiv, in anderer negativ wirkt, daß weiterhin zwischen diesem Positiv und Negativ zahlreiche Schattierungen bestehen und daß letzten Endes nicht nur das einzelne Merkmal von der Gesamtheit, sondern auch die Gesamtheit von dem einzelnen Merkmal eine bestimmte Färbung erhält. In diesem umfassenden Sinne ist die Feststellung Hennings zu unterstreichen: „Ein Zug, der sich im Kopfe eines Gauß vorteilhaft äußert, könnte den Geist Schillers zum Unterdurchschnittlichen herabdrücken, und umgekehrt." Als Grundlage für die Diagnostik sind stets beide Hände heranzuziehen. Erst aus der Kombination der Anzeichen in beiden Händen ergibt sich das tatsächliche Bild der Persönlichkeit, so wie es sich uns in unlösbarem Zusammenhang mit der Erbmasse darstellt. Gerade die Tatsache, daß man bisher glaubte, das Individuum an sich, unter Loslösung von den erbbedingten Anlagen, beurteilen und darstellen zu können, ist der Grund dafür, daß fast die gesamte Psychologie sich Einflüssen und Gegebenheiten gegenüber fand, deren Gründe sich jeder Feststellung entzogen. Eine exakte Deutung nimmt beim augenblicklichen Stand unseres Wissens — von dem unsere Einführung nur die Grundlagen vermitteln kann — etwa eine Stunde Zeit in Anspruch, was allerdings die absolute Beherrschung der Diagnostik und der Kombination voraussetzt. Sie erfordert, darüber besteht wohl kein Zweifel, allerstärkste geistige Konzentration. Jede Ablenkung, zumeist schon die bloße Anwesenheit einer dritten Person, wirkt als Störung. Übungen hingegen, das sei nochmals empfohlen, werden am besten in einem Kreis von Studierenden und nicht allein vorgenommen. Das ist besonders wichtig für die Feststellung eines Ausdrucksmerkmals, das nur an lebenden Händen, nicht aber an Abbildungen 93
erlernt werden kann: des F o r m n i v e a u s . Es handelt sich hier um etwas ganz Ähnliches wie in der Graphologie. Klages schreibt darüber u. a.: „Die Stärke der Form erscheint als T i e f e n g e h a l t d e s A u s d r u c k s , aber auch als Fülle, Flackerpracht, Dichtigkeit, Wärme; die Schwäche der Form gleichermaßen als Flachheit, Leerheit, Armut, Magerkeit, Kälte." Das niedrige Formniveau erkennt man in der Innenhand und dementsprechend an den Abdrücken aus der groben Zeichnung der Papillären und aus den breiten, „ausgewaschenen" Hauptlinien. Man vergleiche den Abdruck Nr. 2 (Anhang). Gegenüber dem niederen Formniveau erscheinen bei den höheren die Papillären und die Linien feiner, ziselierter und klarer. Auch bei der Betrachtung der Außenhand ist die entsprechende Beschaffenheit der Haut eines der entscheidenden Merkmale für die Bestimmung des Formniveaus. Hinzu kommt aber noch eine Übertragung dieses Zustandes auf die gesamte Struktur der Hand, die sich nicht beschreiben läßt, die aber vielleicht doch auf unseren drei im Anhang veröffentlichten photographischen Aufnahmen zum Ausdruck kommt. Dort steigert sich das Formniveau in der Reihenfolge der Bilder. Ein höheres Formniveau bringt gegenüber dem niederen immer eine differenziertere Struktur und dementsprechend eine größere Zartheit und Sensibilität mit sich. Die beste Unterlage für Reihenuntersuchungen, die für die Forschungsarbeit auf unserem Gebiet unerläßlich sind, bildet die Herstellung von Abgüssen oder von Plastiken, weil dabei sowohl die Formen der äußeren Hand als auch die Polsterungen und Linien der Innenhand fast naturgetreu wiedergegeben werden. Als Ergänzung wären nur Vermerke über die Härte bzw. Weichheit der Hand, über die Handhaltung und über die relative Größe und Proportionalität aufzunehmen. Da aber ein solches Verfahren verhältnismäßig teuer ist und auch die Aufbewahrung von Tausenden von Abgüssen und Plastiken aus Raumgründen Schwierigkeiten bereitet, können wir uns behelfen durch die Herstellung von Handabdrücken. Man fertigt sie an, indem man zunächst schwarze Wasserfarbe mit einer kleinen Gummiwalze auf einer Glasplatte unter Zusatz von einigen Tropfen Wasser verreibt und die Farbe dann mit Hilfe der Walze möglichst gleichmäßig auf die Hand aufträgt. Dann wird die Hand mit nur ganz leichtem Druck auf schmiegsames Papier aufgelegt und vorsichtig hochgehoben, wobei das Papier haften bleibt. Nun fährt man leicht über drvs Papier, um es weiter anzudrücken und insbesondere der Höhlung in der Handmitte anzupassen. Schließlich zieht man das Papier von der Hand ab. Bei einiger Übung lassen sich so sehr gute Abdrücke erzielen. Unbedingt notwendig ist allerdings, daß über alle Merkmale der Außenhand sowie über die Stärke der Polsterungen der Innenhand genaue Angaben gemacht werden. Ein Schema, das alle in diesem Buch behandelten Merkmale berücksichtigt, müßte etwa wie folgt aussehen: Schema der Handaufnahme Name: Hans Müller Datum des Abdrucks: 2. 1. 1947 Beruf: Ingenieur Alter: 35 Jahre Proportion der Hand: normal bis klein. Formniveau: untermittel. Konsistenz: mittelweich. Haut: sehr zart. Längenverhältnis von Handrücken und Fingern: Finger etwas länger. 94
Form des Handrückens, rechts: quadratisch; links: quadratisch. Stellung der Finger: gelockert. Handhaltung: Finger etwas nach innen gekrümmt, Daumen etwas eingezogen. Zeigefinger, rechts: Form: quadratisch, gerade. Länge: etwas kurz. Links: Form: quadratisch, gerade. Länge: etwas kurz. Ringfinger, rechts: Form: etwas spatelig, gerade. Länge: normal. Links: Form: etwas tpatelig, gerade. Länge: normal. Längenverhältnis der beiden Finger: Ringfinger etwas länger. Mittelfinger,, rechts: Form: quadratisch, gerade. Länge: sehr lang. Links: Form: quadratisch, gerade. Länge: sehr lang. Kleiner Finger, rechts: Form: quadratisch mit etwas konischem Einschlag. Nagel-' glied etwas krumm. Länge: ziemlich lang. Links: Form: konisch mit quaidratische.n Einschlag. Nagelglied etwas krumm. Länge: ziemlich lang. Daumen, rechts: Form: konisch. Länge: etwas kurz. Verhältnis der Fingerglieder: Mittelglied ziemlich lang, Nagelglied etwas kurz und schwach. Elastizität: sehr biegsam. Abstandswinkel: sehr weit möglich, eng gehalten. Links: Form: konisch. Länge: etwas kurz. Verhältnis der Fingerglieder: Mittelglied ziemlich lang, Nagelglied etwas kurz und schwach. Elastizität: sehr biegsam. Abstandswinkel: sehr weit möglich, eng gehalten.. Knoten: obere: etwas vorhanden; mittlere: stark ausgeprägt. Berge allgemein: kräftig in schlanker Hand; rechts: b, d, a, kl. a, c, kl. Fingerberg, Zeigefingerberg nach Mittelfinger zu verschoben, Mittelfingerberg nach Ringfinger zu verschoben. Links: a, b, d, kl. a, c, kl. Fingerberg, Zeigefingerberg nach Mittelfingerberg verschoben, Mittelfingerberg nach Ringfinger verschoben. Bemerkungen: alle Finger nicht sehr kräftig, Härude etwas ungeformt und ausdrucksarm. Kein Geringerer als Prinzhorn sagt: „Und dies wäre zu allen Bemühungen um die Erfassung leibseelisch deutbarer Lebenserscheinungen zu sagen: obgleich an der allseitigen Beziehung jedes einzelnen persönlichen Details derselben Person nicht zu zweifeln ist, so daß i n d e r I d e e bereits eine Zelle, eine Bewegung, eine seelische Regung die gesamte Persönlichkeit eindeutig repräsentiert — so ist doch unser Bewußtsein keineswegs und unser Unbewußtes nur in dem Maße, als es ganz rein elementar wäre, zu einer sicheren Rückdeutung des Ganzen aus seinen Teilen befähigt. Das Problem liegt also durchaus nicht darin, ob die Zusammenhänge prinzipiell richtig angesetzt werden, sondern darin, ob sie mit zureichenden geistigen Mitteln und für diesen Zweck richtigen Methoden in Angriff genommen werden. Das Unternehmen etwa, aus der H a n d eines Menschen seine Eigenart zu erschließen, l ä ß t s i c h m i t d e n b e s t e n G r ü n d e n als das a u s s i c h t s r e i c h s t e der s o g e n a n n t e n P h y s i o g n o m i k e r w e i s e n (eindrucksvolle Mannigfaltigkeit dieses nur-menschlichen Organs, dabei Unfähigkeit zum Lügen, wie es das Gesicht, der Kampfplatz des Geistes, vermag, u. ä. mehr). Aber für einen Ausbau der Handkunds innerhalb der Wissenschaft sind wenige Ansätze vorhanden (wiederum noch am besten bei Carus) und die intuitiven Deuter haben bislang zu wenig wissenschaftliche Methodik, um hier Abhilfe schaffen zu können." Wir glauben, mit dem Vorliegenden den ersten Ansatz zu einer wissenschaftlichen, methodischen Chirologie geschaffen zu haben. Ihre Grundlage erwuchs aus der Praxis: a l l e s , w a s ü b e r d i e A u s d e u t u n g d e r v e r s c h i e 95
denen Merkmale g e s a g t wurde, hat p r a k t i s c h e , j e d e r z e i t b e w e i s f ä h i g e U n t e r l a g e n . Alles hingegen, was als organisches Denkgebäude darüber aufgerichtet wurde, erhebt nur den Anspruch, Denkkonstruktion zu sein. Allerdings ist es aus einem Denken entstanden, das durch die Praxis geschult wurde. Oft genug hat sie erbarmungslos alles zum Einsturz gebracht, was der Geist errichtet hatte. Oft genug erwiesen sich die wunderbarsten logischen Schlüsse deutungsmäßig als nicht zutreffend. Immer wieder mußte eingerissen, immer wieder neu aufgebaut werden. Jetzt glauben wir, daß diese mühselige Arbeit sich gelohnt hat, brachte sie uns doch nicht nur dem Verständnis des Menschen, sondern auch dem des Kosmos näher. Neue philosophische Ideen aber, darüber müssen wir uns klar sein, liegen in dieser Arbeit nicht vor. Alles, was wir entdeckten, war schon gedacht, gehörte schon vor Jahrhunderten und Jahrtausenden zum Wissen. Darauf haben wir immer wieder hingewiesen. Neu ist nur der von uns erbrachte u n u m s t ö ß l i c h e B e w e i s , daß dieses Wissen den Tatsachen entspricht, daß Mensch und Kosmos nicht mechanistisch, sondern organisch miteinander verbunden sind und daß das Wesen der Natur nicht nur von logischen, sondern auch von dämonischen und magischen Kräften erfüllt ist. Durchaus neu ist ferner ein umfassender Teil der chirologischen und der charakterologischen Befunde. E s h a n d e l t s i c h d a b e i — das sei nochmals betont — n i c h t u m T h e o r i e n , s o n d e r n um e i n w a n d f r e i e r w i e s e n e u n d j e d e r z e i t w i e d e r zu b e w e i s e n d e T a t b e s t ä n d e , die bei j e d e m e i n z e l n e n Mens c h e n u n d d a m i t g e n e r e l l G ü l t i g k e i t b e s i t z e n . Somit war es uns vergönnt, das Fundament der wissenschaftlichen wie der praktischen Psychologie wesentlich zu erweitern und zu festigen. Man kann an den Befunden der Hand nicht mehr vorübergehen. Doch halten wir das, was wir fanden, obgleich es beweisfähig ist, durchaus nicht für die letzte Weisheit. So konnten wir beispielsweise schon vor Jahren an Hunderten von Händen nachweisen, daß eine nach den Bergen b und d verlaufende Linie 2 auf eine depressive Veranlagung hinweist. Erst beim Studium der o s t a s i a t i s c h e n H ä n d e aber kam uns die Erkenntnis, daß dies wohl nicht der letzte Sinn der Deutung sein könne, weil diese Hände nämlich zu einem hohen Prozentsatz die genannte Eigenart besitzen. Unser Beweis war, obgleich an Hunderten von Beispielen nachweisbar, erschüttert. Und es hat viele Monate gedauert, bis wir Beweis und Gegenbeweis in der Lösung vereinbaren konnten, wie wir sie bei der Behandlung der Linie 2 geben. In diesem Sinne wird, so glauben wir, in der Symbolik noch mancherlei verborgen sein, was wir bisher nicht zu erschließen vermochten. Was aber immer die weitere systematische Arbeit, die sich mit der Vertiefung unseres Wissens und der Ausfüllung der Lücken beschäftigen wird, auch ergeben mag, immer wieder wird sich die alte Weisheit bestätigen: Ohne Kann Ohne Kann 96
aus der Tür zu gehen, man die Welt erkennen, aus dem Fenster zu blicken, man des Himmels Sinn erschauen. Laotse.
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