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German Pages 256 Year 2019
Zentrum Moderner Orient Geisteswissenschaftliche Zentren Berlin e.V.
Akteure des Wandels. Lebensläufe und Gruppenbilder an Schnittstellen von Kulturen •
Herausgegeben von Petra Heidrich und Heike Liebau
Studien 14
IQI Verlag Das Arabische Buch
Die Deulschc Bibliothek - ClP-Einhcitsaufnahme Akteure des Wandels. Lebensläufe und Gruppenbilder an Schnittstellen von Kulturen / Zentrum Moderner Orient, Geisteswissenschaftliche Zentren Berlin e.V. Hrsg. von Petra Heidrich und Heike Liebau. - Berlin : Das Arab. Buch, 2001 (Studien / Zentrum Moderner Orient, Geisteswissenschaftliche Zentren Berlin e.V.; 14) ISBN 3-86093-298-5
Zentrum Moderner Orient Geisteswissenschaftliche Zentren Berlin e.V. Kirchweg 33 14129 Berlin Tel. 030/80307 228 ISBN 3-86093-298-5 STUDIEN Bestellungen: Das Arabische Buch Motzstr. 59 10777 Berlin Tel. 030 / 3228523 Fax 030/3225183 Redaktion und Satz: Margret Liepach Einbandgestaltung: Jörg Rückmann, Berlin Abbildung: siehe Nachweis der Abbildungen, Abb. 3 Druck: Offset-Druckerei Gerhard Weinert GmbH, Berlin Printed in Germany 2001 Gedruckt mit Unterstützung der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Berlin
Inhalt
Einleitung
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Heike Liebaw. Tamilische Christen im 18. Jahrhundert als Mitgestalter sozialer Veränderungen. Motivationen, Möglichkeiten und Resultate ihres Wirkens
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Katja Füllberg-Stolberg: Transatlantische Biographien. Sarah Margru Kinson und Claudius A. Clements - zwei afro-amerikanische Missionskameren zwischen Sierra Leone und den USA (1840 - 1900)
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Dietrich Reetz: Das „islamische Projekt" als Instrument des Wandels. Die Religionsgelehrten des Islam im kolonialen Indien
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Joachim Oesterheld: Zakir Husain. Begegnungen und Erfahrungen bei der Suche nach moderner Bildung für ein freies Indien
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Petra Heidrich: Tradition und soziale Emanzipation. Bauernführer im spätkolonialen Indien
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Annemarie Hafner: Aufforderung zum Wandel. Zur Botschaft indischer Filmemacher im antikolonialen Umbruch (1935-1947)
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Andreas Eckert: Kulturelle Pendler. Zwei afrikanische Bürokraten im kolonialen Tansania
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Brigitte Reinwald: Die Rückkehr in den kolonialen Alltag. Lebensstrategien und Gruppenprofile von Kriegsveteranen in Obervolta/ Burkina Faso
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Verzeichnis der Abkürzungen
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Nachweis der Abbildungen
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Literaturverzeichnis
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Index
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Einleitung
Die im Band vorgestellten Studien sind ein Ergebnis des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Gruppenprojektes „Akteure des Wandels. Konflikt und Synthese orientalischer und okzidentaler Kulturen in Lebensläufen und Gruppenbildern". Das Projekt war Bestandteil des interdisziplinären Forschungsprogramms „Abgrenzung und Aneignung im Prozeß der Globalisierung: Asien, Afrika und Europa seit dem 18. Jahrhundert" am Zentrum Moderner Orient in Berlin (1996-2000). In diesem Rahmen wurden Auswirkungen des Globalisierungsprozesses auf Individuen und Personengruppen untersucht, die eine vermittelnde Position zwischen den Kulturen einnahmen. In den vorliegenden Fallstudien wird der Blick in historischer Perspektive auf Personen und Gruppen in ausgewählten Regionen Asiens und Afrikas gerichtet, die vor dem Hintergrund globaler Umbrüche, weitgehender gesellschaftlicher Wandlungsprozesse und historischer Zäsuren in der Zeit vom 18. bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zu Mittlem zwischen okzidentalen und orientalischen Kulturen wurden. Der Charakter der Kulturbegegnung, welche die Mittler erlebten und auf ihre Weise mitgestalteten, wurde durch zwei eng miteinander verknüpfte Wesensmerkmale bestimmt. Zum einen war es ein Aufeinandertreffen der ungleichen Art, das mehr oder weniger von Zwang und Gewalt auf der einen und Unterordnung auf der anderen Seite gekennzeichnet war. Ganze Gesellschaften wurden mit westlicher Dominanz oder Kolonialherrschaft konfrontiert. Zum anderen war es die Auseinandersetzung mit der nicht unmittelbar an die Kolonialherrschaft gebundenen Moderne, die tiefgreifende Veränderungen nicht nur in den abhängigen, sondern in allen beteiligten Gesellschaften bewirkte und in diesem Prozeß eine globale Dimension annahm. Die Mittler zwischen den Kulturen wurden unmittelbar mit den gesellschaftlichen Umbrüchen konfrontiert. Indem sie sich nicht nur den neuen Bedingungen anzupassen suchten, sondern sie je nach Interessenlage überwinden, modifizieren oder mitgestalten wollten, betätigten sie sich als Akteure des Wandels. Sie nutzten global vermittelte Ideen, Einflüsse oder Gegenentwürfe individuell, im Interesse ihrer Klientel, oder auch im Rahmen nationaler und sozialer Emanzipationsbestrebungen und trugen dazu bei, den Veränderungen ihren eigenen, unverwechselbaren Charakter zu geben. Damit wirkten sie letztlich auf die globale Ebene zurück. Die behandelte Zeitspanne ist groß, die Art der westlichen Dominanz ebenso unterschiedlich wie die Ausprägung der kapitalistischen Moderne zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlichen Regionen. Heterogen sind auch Herkunft und Wirkungsfelder der vorgestellten Akteure. In den Fallstudien werden die Aktivitäten indigener christlicher Konvertiten zur Zeit der europäischen Expansion nach Asien im 18. oder im Umfeld der Einflußnahme der USA im Gebiet des heutigen Sierra Leone im 19. Jahrhundert untersucht. In bezug auf das koloniale Indien werden sowohl Strategien islamischer Gruppen, sich im Rahmen der westlich-kolonialen Modernisierung zu behaupten, wie auch die Bemühungen von indischen Filmemachern, Intellektuellen und Bauemführem um nationale, soziale und kulturelle Emanzipation analysiert. Anders gelagert war wiederum die Rolle bürokratischer afrikanischer Eliten als kulturelle Pendler im ehemaligen British-Tanganyika und
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Einleitung
heutigen Tansania oder die Art und Weise, in der westafrikanische Veteranen Kriegserfahrungen in der französischen Armee nach ihrer Demobilisierung interpretierten und verwerteten. Die vorliegende Publikation stellt diese Akteure in den Mittelpunkt der Betrachtung. Der entsprechend der jeweiligen zeitlichen und örtlichen Situation äußerst unterschiedliche gesellschaftliche Wandel bildet den historischen Hintergrund. Die Aufmerksamkeit ist jedoch auf die Geschichtssubjekte, die individuelle Situation der untersuchten Akteure, auf ihr subjektives Selbstverständnis, aber auch auf ihre objektive Rolle in den jeweils ablaufenden Prozessen gerichtet. Damit schalten sich die Autoren dieses Bandes auf ihre Weise in die laufende Diskussion um Moderne und Postmoderne, Orientalismus und Postorientalismus ein. Die postmoderne Kritik an der Moderne, an einseitiger Struktur-, Prozeß- und Organisationsgeschichte, lenkte den Blick stärker auf die subjektive Seite der gesellschaftlichen Prozesse. Auch die Orientalismus- und Postorientalismus-Debatten trugen dazu bei, das kulturelle Element in den globalen Interaktionsprozessen in den Mittelpunkt des Interesses zu rücken. Die Möglichkeiten und Grenzen des Kulturkontakts, die interkulturelle Wahrnehmung und das Bild vom Anderen wurden zu zentralen Diskussionsthemen. Damit griff die wissenschaftliche Forschung neue, für ein besseres Geschichtsverständnis wichtige Fragen auf. Die Gefahr erneuter Einseitigkeit und Ausschließlichkeit war damit jedoch nicht gebannt. Während das Wissen über den Anderen und die Bilder, die man sich von ihm machte, die Konstruktion und Dekonstruktion von Traditionen engagiert diskutiert wurden, gerieten die Geschichtssubjekte selbst häufig aus dem Blickfeld. Auf ähnliche Weise verselbständigte sich die Betrachtung der Kulturbeziehungen. Es kam eine Tendenz auf, kulturelle Aspekte gänzlich aus dem gesellschaftlichen Zusammenhang, aus den Macht- und Herrschaftsverhältnissen, in die sie eingebettet sind, herauszulösen. Die Autoren des vorliegenden Bandes wollen das Interesse für die Geschichtssubjekte selbst wieder wecken. Die Kulturmittler und Akteure stehen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, weil sie als wichtige Kettenglieder den Charakter des langfristigen gesellschaftlichen Wandels mitbestimmten. Die individuellen „Lebensläufe" und „Gruppenbilder" werden somit nicht um ihrer selbst willen vorgestellt. Von Interesse ist, inwieweit sich in diesen Einzelfallen der Zustand, die Bedürfnisse und der Veränderungswille ganzer gesellschaftlicher Gruppen und Schichten paradigmatisch widerspiegeln. Durch die Analyse der im konkreten Fall ablaufenden subjektiven Prozesse wollen die Autoren den Ursachen, Triebkräften und Mechanismen eines personen- und gruppenübergreifenden Wandlungsgeschehens auf die Spur kommen. Mikrogeschichte soll letztlich dazu beitragen, makrogeschichtliche und -soziologische Prozesse genauer zu erfassen. So wie die kulturellen Interaktionsprozesse im Rahmen der jeweiligen gesellschaftlichen Zusammenhänge betrachtet werden, sind die Autoren auch bemüht, die Akteure stets in ihrer historischen und sozialen Bedingtheit zu sehen. Die Konzentration auf die lokalen Akteure ermöglicht es, die Prozesse genauer unter die Lupe zu nehmen, die an den Schnittstellen des ungleichen Kulturkontaktes abliefen und langfristige Veränderungen einleiteten. Die Übergangssituation, die sich aus der Kulturbegegnung ergab, der „ Z w i s c h e n r a u m " zwischen verschiedenen Zuständen, wo sich noch alles in der Schwebe befand und die Zukunft ausgehandelt wurde, ist der Ort, an dem die Mittler aktiv wurden. Der Wandel, den sie in dieser Situation selbst erlebten und dessen spezifische Art und Weise sie mit ihrem Agieren wiederum beeinflußten, ist das zentrale Thema der vorliegenden Publikation.
Einleitung
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Forschungsansätze, wie sie in der Ethnologie oder in der Literaturwissenschaft entwickelt wurden, boten die Anregung, den Übergang als wichtiges Stadium für Entscheidungen über den längerfristigen Wandel zu betrachten. Victor Turner hat bereits in den fünfziger Jahren das Konzept des Liminalen entwickelt, um das Verlaufsschema des „sozialen Dramas" in tribalen und frühagrarischen Gesellschaften auch als Modell für komplexere Gesellschaften nutzen zu können (Turner 1995). Er vertrat die These, daß später legitimierte Neuerungen überwiegend an den Nahtstellen, in den liminalen Phasen auftreten (Turner 1995: 69). Bei der Betrachtung der kulturellen Übergangssituation, in der postkoloniale Subjekte heute in den Metropolen agieren, kam Homi K. Bhabha zu ähnlichen Schlußfolgerungen. Die „interstices", die gedachten Zwischenräume, sind für ihn die Orte, wo Positionen zwischen den Beteiligten ausgehandelt werden, wo sich kulturelle Synkretisierung, Aneignung wie Abgrenzung und kreative Innovation vollziehen (Bhabha 1994: 2,9). Bhabhas Beobachtung, daß die handelnden Subjekte in diesem Rahmen Veränderungen anstoßen, deren Ergebnisse sie jedoch nicht mehr beeinflussen können (Bhabha 1994: 12), wird in den Fallstudien dieses Bandes bestätigt. Auch die im Band vorgestellten Akteure des Wandels befanden sich in einer ungewissen Zwischensituation. Sie handelten im Spannungsfeld von westlicher Dominanz oder Kolonialherrschaft und entschlossener Selbstbehauptung, von indigenen Traditionen und fremden Konzepten, Normen und Verfahrensweisen. Sie gerieten in den Strudel der kapitalistischen Moderne und versuchten - auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichem Ergebnis - den eigenen Standort zu bestimmen und in die Entwicklung einzugreifen. In der Übergangssituation, in die sie mehr oder weniger durch äußeren Zwang geraten waren, wurden binäre Polarisierungen zwischen „Altem" und „Neuem", zwischen „Indigenem" und „Westlichem", zwischen „Tradition" und „Moderne" aufgehoben bzw. aufgebrochen. Mehrfache, sich überschneidende und sogar miteinander kollidierende Identitäten wurden zu einem Charakteristikum des Wandlungsprozesses, den sowohl die Individuen als auch die Gesellschaften der Länder Asiens und Afrikas in der Interaktion mit kolonialer Vorherrschaft und westlicher Kultur durchliefen. Die Gegensätzlichkeit der Identitätsbezüge hatte nicht nur destruktive, sondern durchaus auch konstruktive, für den gesellschaftlichen Wandel konstitutive Züge. In der Übergangssituation wurden die Mehrfachidentitäten zu übergreifenden Bindungen zusammengeführt. Für den Interaktionsprozeß waren zwar sowohl Aneignung als auch Abgrenzung, Synkretismen, Pluralismen wie auch Konflikte und erbitterter Widerstand charakteristisch, in der Tendenz blieben die unterschiedlichen bis gegensätzlichen kulturellen Werte jedoch nicht unvereinbar. Langfristig überwog die Suche nach Formen der Koexistenz und Synthese. Die Akteure initiierten oder betrieben eine „Indigenisierung" globaler Einflüsse. Sie versuchten, Tradition und Moderne zu verbinden, wobei zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einem Teil der kolonial beherrschten Welt modifizierte moderne Elemente schon eigene Traditionslinien bildeten. In der gesellschaftlichen Praxis der Übergangssituation wurden die Begriffe „Tradition" und „Moderne" häufig im Dialog bzw. zur Austragung von Konflikten genutzt. Sie wurden von den Akteuren reklamiert, um Einfluß auf soziale und politische Entwicklungen zu nehmen, oder neue gesellschaftliche Werte und Normen auszuhandeln. Während die einen moderne gesellschaftliche Institutionen und Verfahrensweisen nutzten, um überlieferte Strukturen und Lebensweisen zu verteidigen, wollten andere neue gesellschaftliche Vorstellungen und Normen unter Hin-
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Einleitung
weis auf historische Erfahrungen und traditionelle Werte legitimieren und durchsetzen. Im Ergebnis brachte das Agieren der Akteure an den Schnittflächen indigener Kultur und kapitalistischer Moderne neue, eigenständige Kulturformen hervor. In den Verhandlungen der Übergangssituation entstand etwas Eigenes, Neues, nicht im herkömmlichen Sinn Traditionales, aber auch nicht einfach Westliches. Auf diese Weise vermittelten die Akteure des Wandels nicht nur globale Einflüsse in ihren Ländern, sondern brachten die eigene Geschichte in die Globalisierung ein. Trotz ihrer untergeordneten Position trugen auch sie zur Ausgestaltung der Moderne als globalem Projekt bei. Der mit Veränderung und Wandel verbundene Übergang, den die Akteure erlebten und an dem sie mitwirkten, kann mit einer Reise verglichen werden. Die Aufbruchssituation in all ihren Aspekten dient im vorliegenden Band als Brennglas, in dem die unterschiedlichen Gedankenstränge gebündelt werden können. Der Wandel wird hier gleichsam als eine lange Fahrt mit ungewissem Ziel betrachtet, während der die Reisenden sich dem Rhythmus anzupassen und auf die Richtung Einfluß zu nehmen suchen. Die Art der Reise kann dabei je nach Zeit, Region und den konkreten gesellschaftlichen Bedingungen sehr verschieden sein. Auf ihrem Weg gewinnen die Reisenden Einsichten, als Veränderte kommen sie in neuer, meist unbekannter Umgebung an. Dem subjektiven Wandel, den die lokalen Kulturmittler als Individuen oder als Gruppe auf ihrem Weg erfahren, wird in den Fallstudien besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Die Autoren gehen davon aus, daß dieses subjektive Element Wesentliches über den Charakter und die Dynamik des in der Übergangsphase eingeleiteten gesellschaftlichen Wandels aussagen kann. In den Fallstudien wird die Reise ausgewählter Akteure mit all ihren Fährnissen und unerwarteten Wendungen bis zu ihrem vorläufigen Endpunkt beschrieben. Um die Art und Richtung der von den Akteuren angetretenen Fahrt bestimmen, den Weg, den sie zurücklegten, messen und die Ergebnisse einschätzen zu können, wird das Koordinatensystem der sich kreuzenden gesellschaftlichen Bedingungen benannt, unter denen sich der Wandel, oder die Reise, vollzieht. Ausgangspunkt der Betrachtung ist die jeweilige historische Situation, in der sich die Akteure mit fremden Kulturelementen auseinandersetzen mußten, ihre Einbindung in Machtzusammenhänge, Diskurse und Konventionen, die den Handlungsspielraum begrenzten und die Zielsetzung bestimmten. Die Umstände, unter denen die von H. Liebau und K. Füllberg-Stolberg beschriebenen Akteure im 18. und 19. Jahrhundert in Südindien und im Gebiet des heutigen Sierra Leone im Rahmen protestantischer Missionsgesellschaften mit der Moderne und ihren moralisch-ethischen und weltanschaulichen Vorstellungen vertraut gemacht wurden, unterschieden sich wesentlich von denen in der Spätphase der westlichen Dominanz und des Kolonialismus. Obwohl beide Fallstudien davon zeugen, daß die interkulturelle Begegnung auch im Missionskontext eine Begegnung ungleicher Partner war, versuchten die Akteure mit größerem oder geringerem Erfolg - je nach den unterschiedlichen gesellschaftlichen Bedingungen im indischen und afrikanischen Umfeld - Einfluß auf die Umsetzung fremder Kulturelemente im lokalen Kontext zu nehmen. Während sich die Konvertiten in beiden Fällen mit der christlichen Botschaft der jeweiligen europäischen bzw. amerikanischen Missionsgesellschaften identifizierten und im wesentlichen als Mittler bzw. Übersetzer fremder Kulturelemente agierten, überwog bei den vorgestellten Akteuren in der Spätphase der territorialen Auftei-
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lung der Welt im 20. Jahrhundert das kritische Element sowohl gegenüber westlicher Dominanz und Kolonialherrschaft wie auch bei der Auswahl und lokalen Anwendung kulturellen und geistigen Gedankenguts der Moderne. In unterschiedlichem Ausmaß engagierten sich indische Bauemführer (P. Heidrich), die Schöpfer des „Gesellschaftsfilms" (A. Hafner) oder Intellektuelle wie Zakir Husain (J. Oesterheld) in der antikolonialen Bewegung und für Gesellschaftsreformen. Selbst die afrikanischen Bürokraten (A. Eckert), die sich in den Dienst der Kolonialverwaltung gestellt hatten, suchten im eigenen Interesse Möglichkeiten für einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufstieg von Afrikanern und wurden später zu wichtigen Protagonisten des antikolonialen Nationalismus. Die afrikanischen Veteranen des Zweiten Weltkriegs (B. Reinwald) setzten zwar ihre westlichen Kulturerfahrungen eher mittelbar durch praktisches Handeln im lokalen Kontext um. Jedoch entwickelten auch sie mehr oder weniger konkrete Vorstellungen und Forderungen nach Gleichstellung und Befreiung von kolonialen Zwängen. Auch wenn sich indische islamische Religionsgelehrte (D. Reetz) gegen die Moderne zur Wehr zu setzen suchten, bedienten sie sich im 20. Jahrhundert zunehmend ihrer Mittel. Die Autoren widmen den individuellen und gruppenspezifischen Antriebsmomenten besondere Aufmerksamkeit. Bei der näheren Bestimmung der Persönlichkeitsstruktur der Akteure, der Eigenschaften, die sie aufweisen müssen, um Wirkungen zu erzielen, ihrer Motive, Interessen und Einbindungen in personelle und institutionelle Netzwerke, gaben wiederum anthropologische Untersuchungen Denkanstösse. Boissevain z.B. bot mit seiner Untersuchung über soziale Mittler und Netzwerke einen pragmatischen Ansatz, um die Interdependenz gesellschaftlicher Bedingungen und individueller oder Gruppenprofile zu ergründen, die dem Handeln von Akteuren des Wandels unterliegt (Boissevain 1974]. Die Quellen gesellschaftlich relevanten Handelns der „social brokers", die Antriebsmomente der Akteure des Wandels, werden allerdings von den Autoren der Beiträge sehr differenziert gesehen und nicht wie bei Boissevain allein auf das Eigeninteresse und den zu erwartenden „Profit" zurückgeführt. Die Fallstudien bestätigen, daß Persönlichkeitsmerkmale wie persönlicher Ehrgeiz und Selbstvertrauen, Bildungsstreben und kommunikative Fähigkeiten, aber auch Gestaltungswille und Verantwortungsgefühl im Einzelfall notwendig sind, um aus Durchschnittsbürgem Akteure des Wandels werden zu lassen. Die Antriebsmomente für gesellschaftlich relevantes Handeln, die Motive der Akteure, sind jedoch nicht nur entsprechend der jeweiligen Persönlichkeitsstruktur der Handelnden äußerst unterschiedlich, sondern sind auch wesentlich von den jeweiligen sozialen und politischen Rahmenbedingungen abhängig, in denen die Akteure sich bewegen. Vorhandene oder von den Akteuren geschaffene Netzwerke unterschiedlichster Art - Missionsgesellschaften, Kasten- und Berufsnetzwerke, Veteranenvereine, religiöse oder politische Institutionen, Organisationen und Parteien können die Arbeit der Akteure ermöglichen oder befördern. Bei Akteuren, die durch besondere Umstände oder äußeren Zwang aus ihrer eigenen kulturellen Umgebung herausgerissen oder ihr entfremdet wurden, wie die beiden von K. Füllberg-Stolberg beschriebenen afrikanischen christlichen Konvertiten oder die von B. Reinwald untersuchten westafrikanischen Kriegsveteranen, ist es in erster Linie das Bedürfnis nach Selbstvergewisserung oder Bestimmung der eigenen Position, das sie zum Handeln bewegt. Auch die indischen sunnitischen Religionsgelehrten (D. Reetz) entwickelten das „islamische Projekt", um sich und ihre jeweilige religiöse Gemeinschaft unter den veränderten Bedingungen des spät-
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kolonialen Indien behaupten zu können. Die Religion hat im Falle der tamilischen Christen im 18. Jahrhundert (H. Liebau), der afrikanischen christlichen Konvertiten und der islamischen Religionsgelehrten eine Schlüsselfunktion. Wandel bedeutete für sie die Suche nach religiösen Alternativen zu einheimischen kulturellen Praktiken oder die Erneuerung der eigenen Religion. Die betont religiöse Motivation dieser Akteure schließt jedoch weitere, selten explizit artikulierte Antriebsmomente nicht aus. Bei den christlichen Konvertiten in Südindien und Sierra Leone bedeutete der Glaubenswechsel auch die Hoffnung auf Befreiung von sozialer und rassischer Diskriminierung, eine gesicherte Existenz und/oder den gesellschaftlichen Aufstieg. Die islamischen Religionsgelehrten in Indien dagegen nutzten den religiösen Diskurs, um Machtverlust auszugleichen und ihre Positionen unter den neuen Bedingungen zu behaupten. Um den Zugang zu den staatlichen Ressourcen als Schlüssel zu Macht, Einfluß und zur Akkumulation von Reichtum ging es wiederum den tansanischen bürokratischen Eliten (A. Eckert), wenn auch in ihren Bestrebungen Motive, wie die Modernisierung Afrikas durch gemeinsame Anstrengungen von Europäern und Afrikanern, durchaus eine Rolle spielen konnten. Es waren vor allem Zeiten des Umbruchs, wie die letzte Phase der indischen Nationalbewegung oder die unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs erstarkende Dekolonisationsbewegung in den afrikanischen Territorien, die den gesellschaftlichen Wandel zeitweilig gewaltig beschleunigten. Individuen oder soziale Gruppen gerieten in den Sog dieses Stromes und engagierten sich auf sozialem, politischem und kulturellem Gebiet. Das gemeinsame Ringen um politische Emanzipation brachte andere Antriebsmomente hervor. Während sich so unterschiedliche Persönlichkeiten wie der Wanderasket Swami Sahajanand Saraswati und der Bauemsohn N.G. Ranga zu Bauernführern entwickelten, die sich für die soziale Emanzipation einer ökonomisch definierten Gesellschaftsklasse engagierten (P. Heidrich), forderten die Schöpfer des indischen „Gesellschaftsfilms" (A. Hafner) zur Reformierung gesellschaftlicher Praktiken auf. In seinem Bemühen um moderne Bildung für ein unabhängiges Indien konzentrierte sich Zakir Husain (J. Oesterheld) auf die Konzipierung und praktische Eiprobung eines neuen Modells der Grundschulbildung. Einen wichtigen Platz nimmt in den Untersuchungen die Analyse der beim Kulturkontakt entstehenden Mehrfachbindungen der Akteure ein. Die Autoren bemühen sich, den unterschiedlichen kulturellen Loyalitäten ihrer Akteure nachzuspüren und wo möglich, ihren gemeinsamen Nenner zu finden. Die Identifikation mit überkommenen oder als modern empfundenen kulturellen Mustern und Werten kann je nach Situation wechseln oder in der gleichen Person oder Gruppe miteinander konkurrieren. Die daraus resultierende Verunsicherung, Vermischung und Überlappung erzeugt eine Spannung, die in Dynamik umschlagen kann. Durch permanente Grenzüberschreitung wird der Kontakt zwischen den unterschiedlichen kulturellen Erfahrungsbereichen hergestellt und weiter vermittelt. Welche Identitätsbindungen die untersuchten Individuen und Gruppen im Prozeß der Auseinandersetzung mit fremden Kulturelementen eingingen, war abhängig von der jeweiligen historischen Situation, der Intensität des Kulturkontakts und der Position der Akteure in der eigenen Gesellschaft. Sarah Margru Kinson und Claudius A. Clements (K. Füllberg-Stolberg), die als Kinder bzw. Jugendliche in Afrika und den USA unter der Obhut von Missionen in westliche Lebenskonzepte eingebunden wurden, fanden kaum oder nur schwer Zugang zur eigenen Gesellschaft außerhalb des Missionsumfeldes. Nur der Zwang äußerer Umstände - eine langfristige und gleichberechtigte Integration in die Missionsgemeinde wurde ihnen verweigert -
Einleitung
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erinnerte sie immer wieder an ihre afrikanische Identität. Für die voltaischen Kriegsveteranen (B. Reinwald) gab es, mochten sie sich auch der französischen Armee weiterhin loyal verbunden fühlen, keine Alternative zur Reintegration in die eigene Gesellschaft. Dieses existentielle Problem „lösten" sie gewissermaßen praktisch, indem sie multiple Identitäten entwickelten und ständig zwischen den selbst in steter Veränderung begriffenen verschiedenen Lebenswelten hin und her pendelten. In der Regel machten die Veteranen ihre während der Armeezeit erworbenen Kenntnisse und Verhaltensweisen zur Maxime ihres späteren Handelns. B. Reinwald demonstriert, wie diese Bindung an die Armee als dynamisierendes Element postmilitärischer Lebensentwürfe wirkte. Anders gelagert war die Situation der Akteure, die im Rahmen der eigenen Gesellschaft dem fremden Kulturkontakt ausgesetzt waren oder ihn von dort aus aktiv suchten. Der Katechet der Dänisch-Halleschen Mission Rajanaikkan und der Dolmetscher und Berater der dänischen Kolonialadministration in SUdindien Daniel Pullei (H. Liebau) verbanden die Konversion zum Christentum bewußt mit ihrer tamilischen Identität. Die daraus resultierenden Interessenkonflikte bewältigten sie in unterschiedlicher Weise. Die Studienreisenden N.G. Ranga (P. Heidrich) und Zakir Husain (J. Oesterheld) wiederum suchten im europäischen Ausland Anregungen für die Lösung anstehender nationaler Aufgaben. Auch die tansanischen Bürokraten (A. Eckert) befanden sich in einem bewußten Austausch- und Aneignungsprozeß. Obwohl sie in die Ausgestaltung des kolonialen Staates eingebunden waren, mündeten ihre Aktionen in das Streben nach nationaler Unabhängigkeit. A. Eckert vertritt die Meinung, daß sie nicht zwischen Tradition und Moderne hin- und hergerissen waren, sondern sich als „kulturelle Pendler" betätigten, welche die Impulse aus den verschiedenen kulturellen Bereichen kreativ verarbeiteten. Die Lebensläufe der Akteure bzw. die Entwicklung der Akteursgruppen zeigen, daß die Identitätsfindung kein einheitlicher und linearer, sondern ein vielschichtiger, widersprüchlicher, konfliktreicher und offener Prozeß war. Am deutlichsten läßt sich der Einfluß fremder Kulturelemente auf die Akteure nachweisen, die sich durch äußeren Zwang oder auf eigene Faust im wahrsten Sinne des Wortes auf die Reise in die USA oder nach Europa begaben. Das betrifft die afrikanischen christlichen Konvertiten (K. Füllberg-Stolberg) und die Reisenden zu Studienzwecken (J. Oesterheld, P. Heidrich u. a.). Auch die afrikanischen Rekruten der französischen Armee (B. Reinwald) gehörten zu den wenigen Afrikanern, die zur damaligen Zeit das „Mutterland" aus eigener Anschauung kennen lernten. Die Erlebnisse und Eindrücke des Auslandsaufenthalts haben bei ihnen wie bei allen anderen „Reisenden" sowohl die Weltsicht als auch die Lebensplanung und Tätigkeit nach der Rückkehr ins Heimatland nachhaltig beeinflußt. Der intensive Kontakt mit dem Gedankengut oder den Institutionen der Moderne löste aber auch bei jenen Akteure einen Wandlungsprozeß aus, die ihre Heimat nie verlassen haben. Vor allem Akteure, die z.B. in Umbruchzeiten in den Sog großer gesellschaftlicher Bewegungen wie der Nationalbewegung im spätkolonialen Indien gerieten, begaben sich auf eine risikoreiche Reise mit ungewissem Ausgang. So entwickelte sich z.B. der weltentrückte Bettelmönch Swami Sahajanand Saraswati (P. Heidrich) vom Hüter der Tradition und traditionellen Sanskritgelehrten über die Zwischenstationen eines Kastenideologen und eines überzeugten GandhiAnhängers zum engagierten Bauernführer und Verfechter sozialistischer und kommunistischer Ideen. Ohne seine Identität als religiöser Asket aufzugeben, erarbeitete
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er sich in einem mühsamen Erkenntnisprozeß eine neue Sicht auf die traditionellen religiösen Schriften und die ihn umgebende gesellschaftliche Realität. Die durch den Kontakt zwischen den unterschiedlichen kulturellen Erfahrungsbereichen gewonnenen Einsichten wurden von den Akteuren auf verschiedene Weise und mit teilweise Uberraschenden Ergebnissen an ihr unmittelbares gesellschaftliches Umfeld weiter vermittelt. Aus dem Zusammenwirken von europäischen protestantischen Missionaren und tamilischen Christen (H. Liebau) im 18. Jahrhundert entwickelten sich trotz der ungleichen Ausgangsposition neue religiöse Formen und gesellschaftliche Normen. Hier fand ein permanenter Prozeß des Aushandelns von Positionen zwischen den Missionierenden und den Missionierten statt, in dessen Verlauf die fremden Missionare im Hinblick auf das Verständnis der lokalen Gesellschaft selbst zu Missionierten wurden. Die Gestalter des engagierten „Gesellschaftsfilms" im spätkolonialen Indien (A. Hafner) knüpften an eigenes Kulturerbe an und synthetisierten Visionen von swadeshi (einheimisch) und kultureller und sozialer Erneuerung im Sinne der Moderne. Sie schufen damit Raum für eine Kulturdebatte, in der die Filmemacher selbst, aber auch ihr zahlenmäßig wachsendes Publikum die moderne indische Identität verhandeln konnten. Die indischen Religionsgelehrten des Islam dagegen schufen sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen Zwischenraum, den D. Reetz als „islamischen Sektor" bezeichnet. Hier wurde zwischen dem westlich geprägten, bürgerlichen Staat und dem „traditionellen" Sektor vermittelt. Im Ergebnis dessen konnten beinahe unbemerkt Erscheinungen der Moderne im islamischen Milieu Fuß fassen. Als Beispiele werden die Urdu-Presse, die Idee der Massenbildung, die politischöffentliche Massenorganisation und die organisierte ideologische Indoktrination in der Tablighi-Bewegung angeführt. Die eigene Sicht der Akteure auf ihre Funktion während der Reise, auf ihre Rolle in den Wandlungsprozessen, wird in den einzelnen Beiträgen als weiterer Untersuchungsschwerpunkt behandelt. Kann doch die Eigensicht wichtige Aufschlüsse über Art und Charakter der Bewußtseinsbildung, über die Ursachen von Diskrepanzen zwischen Zielvorstellungen und den tatsächlichen Ergebnissen des eingeleiteten Wandels geben. Die Situation ist auch hier unterschiedlich. Während die meisten der vorgestellten kulturellen Mittler klare Zielvorstellungen hatten und sich bewußt als Initiatoren von Veränderungsprozessen begriffen, formulierten einige ihre Absichten nicht explizit, und ihre Ziele können nur indirekt erschlossen werden. Im Allgemeinen verstanden die Akteure ihre Funktion in der Dialog- und Konfliktsituation zwischen Lokalem und Globalem, zwischen überkommenen Werten und westlichen, „modernen" Einflüssen als Bewahrer lokaler Traditionen oder als „Schrittmacher" des Neuen. Klare Zielvorstellungen hatten die südindischen und afrikanischen Konvertiten. Sie betrachteten die Lehren des Christentums als zivilisatorischen Fortschritt gegenüber einheimischen kulturellen Praktiken und fühlten sich dazu berufen, diese Lehren unter ihren Landsleuten zu verbreiten. Sie verbanden mit dem Christentum die Hoffnung auf die Überwindung von Sklaverei oder der hierarchischen Kastentrennung, auf eine gleichberechtigte Stellung oder einen höheren Status in der eigenen Gesellschaft. Der soziale Wandel, den sie erstrebten, schien ihnen nur über einen religiösen Glaubenswechsel möglich. Der südindische Missionshelfer und Katechet Rajanaikkan (H. Liebau) prüfte zu diesem Zweck sogar unterschiedliche europäisch-christliche weltanschauliche Konzepte auf ihre Anwendbarkeit unter den
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Bedingungen Südindiens. Er setzte sich mit verschiedenen Formen des Christentums auseinander, um eine für die tamilische Bevölkerung annehmbare und verständliche Glaubenslehre zu finden. Auch die Akteure, die vom Klima der nationalen Befreiungsbewegung im spätkolonialen Indien inspiriert waren, sahen sich in erster Linie als „Schrittmacher des Neuen" und formulierten ihre Absichten. Zakir Husain (J. Oesterheld) z. B. verfolgte mit der Gründung einer Bildungsinstitution wie der Jamia Millia Islamia ein doppeltes Anliegen. Zum einen wollte er die islamische Bildung und Kultur bei den indischen Muslimen lebendig erhalten. Zum anderen bemühte er sich, einen Beitrag zum Aufbau einer gemeinsamen indischen Nation zu leisten und Verständnis und Toleranz gegenüber Nichtmuslimen, vor allem Hindus und Christen, zu fördern. Er propagierte dabei die Idee einer modernen Volksbildung, die den Richtlinien des Weltbundes für Erneuerung der Erziehung entsprachen. Auch die Bauernführer verstanden sich als Akteure eines im Interesse der werktätigen Bauernschaft eingeleiteten sozialen Wandels. N.G. Ranga z. B. betätigte sich in diesem Zusammenhang nicht nur als Bauernführer, sondern trug als Bauemintellektueller bewußt dazu bei, eine indische Variante des Bauernpopulismus zu entwickeln. Die Schöpfer des „engagierten" Kinos (A. Hafner) wiederum äußerten sich nur selten direkt zu ihren Anliegen. Sie brachten ihre persönlichen Ideale in die Aussage ihrer Filme ein. Entgegen der Tradition bemühten sie sich um „Aktualität", griffen sozio-kulturelle Probleme der indischen Gesellschaft auf und konnten mit ihren Filmen sogar unerwartete Erfolge feiern. Auch die Kriegsveteranen (B. Reinwald) formulierten ihr Selbstverständnis und ihre Zukunftsentwürfe selten explizit. Sie gaben durch ihr Verhalten im Alltag Impulse für langfristige Veränderungen in bezug auf Bildung, Konsum und kulturelle Praktiken in ihrer engeren und weiteren Umgebung. Im Gegensatz zu den anderen vorgestellten Akteuren stellten sich die islamischen Religionsgelehrten im spätkolonialen Indien (D. Reetz) als Hüter und Bewahrer der Tradition dar. Sie wollten den Islam gegen fremde Kultureinflüsse, gegen Atheismus und Materialismus, einen militanten Hinduismus und den Abfall vom Glauben verteidigen. Die an den Idealvorstellungen des Koran und der Prophetentradition ausgerichteten Reformen zur Korrektur des sozialen Verhaltens und der Glaubenspraxis der indischen Muslime, mit denen sie den vermeintlichen Krisenerscheinungen zu begegnen suchten, hatten gerade in ihrem Fall eher unbeabsichtigte Folgen. Handeln bedeutet nicht in jedem Fall absichtsvolles Einwirken auf Verhältnisse, um sie zu verändern. In einigen Fallstudien werden Handlungsweisen als interpretatives Element einer Positionsbestimmung und Selbstvergewisserung in der Situation des Übergangs gewertet. Akteure versuchten in diesen Fällen, ihren Platz in einer sich verändernden Umgebung durch eine gleichsam symbolische Umwandlung oder Interpretation von Realität, durch die Übertragung oder Übersetzung fremder Kulturelemente zu behaupten. Auf diese Weise eigneten sie sich globales Gedankengut bzw. Elemente westlicher Lebensweise mittelbar an. Ob reaktive oder aktive Verhaltens* und Handlungsweisen überwogen, hing wesentlich von der gegebenen historischen und gesellschaftlichen Situation wie auch dem Standort der kulturellen Mittler selbst ab. Akteure, die mehr durch die Macht äußerer Umstände als aufgrund eigener freier Entscheidung zu kulturellen Mittlern wurden, zeigten eher reaktive Verhaltensweisen. Die voltaischen Kriegsveteranen (B. Reinwald) mit ihrer durch „globale Erfah-
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rungen" veränderten Identität versuchten, sich in den traditionellen sozialen Strukturen und den sich wieder verengenden kolonialen Verhältnissen neu zu positionieren. Insbesondere von dem spezifische Lebensstil, den sie entwickelten, sowie von den Kulturmustem und Konsumgewohnheiten, die sie pflegten, gingen eine gewisse Vorbildwirkung und Ausstrahlungskraft auf ihre Umgebung aus. Auch die indischen islamischen Religionsgelehrten (D. Reetz) reagierten auf den schleichenden Verlust von Macht und Einfluß eher reaktiv. Dennoch bewirkten ihre Aktivitäten eine Öffnung des islamischen Milieus. Sie nutzten die religiöse Legitimität, um Anteile im bürgerlichen öffentlichen Raum zu erringen. Was nun konkrete Akte der symbolischen Umwandlung angeht, so verliehen z.B. die Kriegsveteranen ihrer Aneignung der verschiedenen Lebenswelten symbolisch durch ihre Kleidung und neue Gewohnheiten und Verhaltensmuster Ausdruck. Sie nahmen Versatzstücke der Europäer oder Amerikaner wie Tropenhelm, Sonnenbrillen oder Uniformjacken in ihr Kleidungsrepertoire auf, pflegten ein geselliges Leben in lokalen Bierbars und bevorzugten Absolventinnen von Missionshaushaltsschulen als Ehepartner. Auch der afrikanische Absolvent von Missionsschulen Claudius Clements (K. Füllberg-Stolberg) legte sich als unbedeutender Lehrer und Prediger den Titel Reverend Professor zu, um die mangelnde Unterstützung der amerikanischen Missionsschule für seine an westlichen Werten ausgerichteten Lebenspläne in Afrika zu kompensieren. In den Fallstudien wird offensichtlich, daß sich die subjektive, von den Akteuren angestrebte Wirkung selten mit der objektiven gesellschaftlichen Entwicklung, dem sich vollziehenden Wandel, deckte. So blieben den afrikanischen und indischen christlichen Konvertiten, die „zivilisatorische Errungenschaften" in ihren Heimatländern verbreiten helfen wollten, bittere Enttäuschungen nicht erspart. Trotz ihrer Anpassungs- und Eingliederungsversuche in den fremden, christlichen Kulturbereich, die bei den vorgestellten afrikanischen Akteuren noch stärker ausgeprägt waren als bei den indischen, gelang es ihnen nicht, eine gleichberechtigte Stellung im Missionsbereich zu erringen. Zudem hatten sie es weitaus schwerer als Amerikaner und Europäer, in der Missionshierarchie aufzusteigen. Margru und Clements (K. Füllberg-Stolberg) wurden trotz der Aufgaben, die man ihnen übertrug, letztlich immer als Afrikaner, als „Missionierte" behandelt. Außerdem entfremdeten sie sich ihrer afrikanischen Umgebung und waren nur im Missionsrahmen überlebensfahig. Dem südindischen Konvertiten Rajanaikkan (H. Liebau) war es auch im neuen christlichen Umfeld nicht möglich, seine in der hinduistischen Kastenhierarchie verankerte niedere gesellschaftliche Position als Unberührbarer vollständig abzuschütteln. Angesichts der gesellschaftlichen Realität verweigerten ihm die europäischen Missionare letztlich die Gleichstellung mit seinen Glaubensbrüdern. Auch die meisten voltaischen Kriegsveteranen konnten sich nicht aus dem Loyalitätsdilemma lösen, in das sie durch den Militärdienst geraten waren. Sie bildeten ungeachtet ihrer mehr oder weniger erfolgreichen gesellschaftlichen Reintegration eine stark auf sich selbst bezogene und damit auch „einsame" Gruppe und blieben in ihrer ehemals vertrauten Umgebung in gewisser Weise „Fremde". Es kann kaum erstaunen, daß die indischen islamischen Religionsgelehrten (D. Reetz) der Lösung ihrer selbst gewählten Aufgabe, der Reinigung des Islam, der Stärkung des Glaubens und der Zurückdrängung von Materialismus und Atheismus nicht näher kamen. Ihr aus der religiösen Überlieferung abgeleiteter Anspruch, als Avantgarde der muslimischen Gesellschaft anerkannt zu werden, stand in einem krassen Mißverhältnis zu ihrem tatsächlichen Einfluß auf die Entwicklungen, in die
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sie eingreifen wollten. Aber auch bei den Akteuren, die sich bewußt im Strom ihrer Zeit bewegten, entsprach das Ausmaß und die Art des bewirkten Wandels bei weitem nicht ihren hochgesteckten Erwartungen. Das von Zakir Husain (J. Oesterheld) wesentlich mitgestaltete Wardha Scheme, das als Grundlage für eine nationale indische Bildungspolitik dienen sollte, fiel politischen Querelen zwischen dem Indischen Nationalkongreß und der Muslim Liga zum Opfer. Nach seiner eigenen Einschätzung blieb die allgemeine, an modernen Standards ausgerichtete Grundschulbildung in Indien, als deren Vater er später bezeichnet wurde, ein totgeborenes Kind. Inwieweit die indischen Filmemacher (A. Hafner) Einfluß auf den gesellschaftlichen Wandel in ihrem Lande nehmen konnten, bleibt umstritten. Auf sie trifft die Frage zu, ob Kunst überhaupt Menschen „bessern" oder die Gesellschaft verändern kann. Selbst die Bauernführer (P. Heidrich) sahen sich zu Beginn der Unabhängigkeit Indiens von ihrem 1936 auf dem Gründungskongreß des All-indischen Bauernverbandes formulierten Ziel der „vollständigen Freiheit von ökonomischer Ausbeutung und der Erringung voller ökonomischer und politischer Macht für die Arbeiter und Bauern und alle anderen unterdrückten Klassen" ebenso weit entfernt wie zur Zeit der Nationalbewegung. In mancher Beziehung hatten sich die Bedingungen sogar verschlechtert, denn der gesamtindische Bauernverband war zerfallen, und seine Führer hatten sich entzweit. Die Fallstudien belegen jedoch, daß durch die Vermittlung der Akteure unabhängig von ihrem Selbstverständnis - ein Wandel gesellschaftlicher Normen und Werte bis hin zu gesellschaftlichen Veränderungen ausgelöst wurde. Als konkrete Beispiele werden die Ausprägung von religiösen Synkretismen, die Verknüpfung von religiöser kultureller Tradition mit modernen politischen und sozialen Aktionsformen oder die Synthese von eigenen Traditionslinien mit globalem emanzipatorischem Gedankengut angeführt. In einigen Fällen wurde durch das Handeln der Akteure sogar ein Strukturwandel erzwungen. Die südindischen und afrikanischen christlichen Konvertiten trugen dazu bei, über den christlichen Glauben aufklärerische Ideen der Moderne wie Gleichheit aller Menschen nicht nur vor Gott, sondern auch auf Erden und die Freiheit des Individuums in ihren Heimatländern zu verbreiten. Indem sie das Christentum mehr oder weniger an das lokale Umfeld anzupassen suchten und eigene kulturelle Elemente einbrachten, bereiteten sie den Weg für religiöse Synkretismen in einer künftigen einheimischen christlichen Kirche. Während in der Fallstudie von H. Liebau das gesellschaftliche Umfeld es den vorgestellten Akteuren schon im 18. Jahrhundert ermöglichte, im eigenen Interesse unter verschiedenen christlichen Angeboten auszuwählen und Initiativen zu entwickeln, lehnten die von K. Füllberg-Stolberg beschriebenen Konvertiten afrikanische Wertvorstellungen großenteils ab und suchten nur in Einzelfällen nach einer Verbindung zwischen den Kulturen. Als Missionsangestellte bzw. kulturelle Mittler trugen die christlichen Konvertiten außerdem zur Verbreitung von Bildung im allgemeinen und christlicher Bildung im besonderen in ihren Heimatländern bei. Sie selbst rückten in eine „educated elite" auf, eine religiöse oder bürokratische Elite, die sich im Prozeß der Etablierung der britischen Kolonialmacht in Südindien herausbildete oder im späten 19. Jahrhundert intellektuelle und kulturelle Netzwerke entlang der westafrikanischen Küste initiierte. Die indischen islamischen Religionsgelehrten (D. Reetz) demonstrierten mit ihrem „islamischen Projekt", wie religiöse kulturelle Tradition mit modernen politischen Aktionsformen verbunden wurde. Sie brachten große Gruppen gläubiger indi-
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scher Muslime in den durch die Moderne ausgelösten Transformationsprozeß ein, indem sie - mit unterschiedlicher Ausrichtung und umstrittenem Ergebnis - die muslimischen Massen zur Teilnahme an den öffentlichen politischen und sozialen Auseinandersetzungen mobilisierten. Verschiedene Fallstudien belegen, wie auf säkularer Ebene eigene Traditionslinien mit globalem emanzipatorischem Gedankengut verknüpft wurden. A. Eckert beschreibt z.B., wie die tansanischen Bürokraten eklektizistisch Elemente afrikanischer Tradition und europäischer Modernität kombinierten, sich sowohl traditionell als auch modem, reaktionär und progressiv gebärdeten. Seiner Meinung nach stand die unter kolonialen Bedingungen erzogene afrikanische bürokratische Elite für ein Projekt „konservativer Mobilisierung". Sie wollte einerseits Kontinuität bewahren, um die Kontrolle über die sozialen Transformationsprozesse zu behalten, andererseits trug sie zur politischen Modernisierung im Lande bei und beförderte den antikolonialen Nationalismus. Zakir Husain (J. Oesterheld) war im spätkolonialen Indien in all seinen Aktivitäten von dem Bestreben beseelt, die eigenen kulturellen Wurzeln, in seinem Falle der islamischen und darüber hinaus der indischen Kultur, mit den Ideen moderner Pädagogik in einem neuen nationalen Bildungsprogramm zu verknüpfen. Seine Mittlerfunktion zwischen Orient und Okzident im Bereich von Bildung und Erziehung fand ihren Niederschlag in der Institution der Jamia Millia Islamia und seinem Anteil am Wardha Scheme als erstem nationalen Bildungskonzept. Die Ideen zur Grundschulbildung wurden allerdings im unabhängigen Indien nur unzureichend umgesetzt. Die afrikanischen Kriegsveteranen „übersetzten" ihre Erfahrungen im europäischen Ausland den „Daheimgebliebenen" und den Nachkommen mit ihrem Lebensstil und ihrer Lebensplanung. B. Reinwald beschreibt, wie sie sich einerseits anders kleideten, anders konsumierten und anders bauten und damit eine Veränderung von Kultur- und Konsumpraktiken auslösten, und wie sie andererseits ein positives Verhältnis zur Bildung als Mittel zum gesellschaftlichen Aufstieg initiierten. Auf den Dörfern verbanden die Veteranen ihre Reintegration in die örtliche Machtstruktur mit hygienischen und landwirtschaftlichen Neuerungen, wie auch mit aufmüpfiger Kritik an früher sakrosankten Schiedssprüchen der Familienältesten. Kulturwandel und Kultursynthese wurde auch von den Schöpfern des engagierten „Gesellschaftsfilms" im spätkolonialen Indien auf spezifische Weise gefördert. Wie A. Hafner überzeugend darlegt, war Kino nicht nur seinem Wesen nach eine Institution der Moderne, sondern trat auch direkt als .Agens der Moderne" in Erscheinung. Es brach mit der Tradition der bildlichen Darstellung, indem es Maschinen benutzte, die zur mechanischen Reproduktion von Bildem geschaffen worden waren. Aber die Filmemacher des engagierten Kinos schalteten sich auch in die öffentliche Meinungsbildung ein. Der von ihnen geschaffene „populäre" Film bestimmte den Zeitgeist mit, indem er Vorstellungen von nationaler Identität mit sozialem bzw. kulturellem Wandel verband. Die von P. Heidrich vorgestellten Bauernführer trugen einerseits dazu bei, im Rahmen der Nationalbewegung eine spezifische politische Massenkultur zu entwikkeln, die traditionelle Formen von Volkskunst zur Propagierung von politischen und sozialen Botschaften nutzte. Andererseits ebnete die all-indische Bauernbewegung den Weg für weitgehende sozialökonomische Umgestaltungen der ländlichen Gesellschaft und Ökonomie im unabhängigen Indien. Sie nahm Einfluß auf die Zielsetzung der Nationalbewegung, stellte die traditionelle Denkweise auf dem Lande
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in Frage, veränderte soziale Normen, Auffassungen von gesellschaftlichen Rechten und Pflichten, die moralischen Grundlagen der Bauemökonomie. Inwieweit damit ein Mentalitätswandel vorbereitet wurde, ist schwer zu bestimmen. Durchaus meßbar ist der von den Bauemführem angestoßene strukturelle Wandel. Er manifestierte sich in der beträchtlichen Einschränkung des parasitären Grundbesitzes, in der Abschaffung des Samindari-Systems, und in Pachtreformen zugunsten der bäuerlichen Produzenten seit Beginn der Unabhängigkeit. Der vorliegende Band erhebt nicht den Anspruch, den gesamten Komplex des lokalen Wandels abzudecken, der an den Schnittstellen der ungleichgewichtigen Kulturbegegnung eingeleitet wurde und auf das globale Projekt der Moderne zurückwirkte. Die Fallstudien zeugen jedoch davon, wie wichtig das subjektive Element in Veränderungsprozessen ist. Es verleiht ihnen nicht nur Farbe, sondern beeinflußt darüber hinaus die Art und den Charakter der Umgestaltungen. Es bestimmt die Spezifik des eingeleiteten Wandels. Abschließend möchten wir Nadja Schneider und Kishwar Mustafa für ihre vielseitige und langjährige Hilfe bei der Arbeit am Forschungsprojekt, Tobias Fischer und Marie Reetz für die redaktionelle Unterstützung bei der Fertigstellung des Manuskripts und insbesondere Margret Liepach für die redaktionelle und technische Arbeit an der Druckvorlage herzlich danken. Petra Heidrich, Heike Liebau
Tamilische Christen im 18. Jahrhundert als Mitgestalter sozialer Veränderungen. Motivationen, Möglichkeiten und Resultate ihres Wirkens Heike Liebau
Im Mittelpunkt des Beitrages stehen mit Rajanaikkan (1700-1771) und Daniel Pullei (1740-1802) zwei Repräsentanten des südindischen protestantischen Christentums, die im 18. Jahrhundert aufgrund ihrer Funktionen im Missions- bzw. im politischen Kontext zu kulturellen Mittlem wurden. Rajanaikkan war etwa 40 Jahre lang Katechet der Dänisch-Halleschen Mission (DHM), und Daniel Pullei arbeitete ebenso lange als Dolmetscher und Berater (dubash) unterschiedlicher dänischer Gouverneure in Südindien. In ihren Mittlerfunktionen, die beide bewußt als Herausforderung zu eigenständigem Handeln verstanden, durchlebten sie Identitäts- und Loyalitätskonflikte und wurden sowohl mit Schranken, die durch ihre soziale Herkunft bedingt waren als auch mit gesellschaftlichen, religiösen und politischen Grenzen konfrontiert. Beide nutzten ihre Fähigkeiten und sozialen Verbindungen, um eigene Vorstellungen zu entwickeln und einzubringen. Anhand einer vergleichenden biographischen Untersuchung sollen die unterschiedliche Haltung beider Personen, die Möglichkeiten, Ergebnisse und Grenzen ihrer Einflußnahme auf religiöse, politische und soziale Veränderungen unter den beginnenden kolonialen Verhältnissen in Südostindien aufgezeigt und damit verbunden ihre unterschiedliche Wirkung als Akteure des Wandels heraus gearbeitet werden. Einige vorangestellte Überlegungen zur missionarischen Begegnungssituation als einer historischen Schnittfläche beim Zusammentreffen von Kulturen wie auch die biographischen Skizzen beider Akteure sollen zunächst den historischgesellschaftlichen und den jeweiligen individuellen Rahmen dieser Analyse abstekken.
Christliche Missionstätigkeit als interkulturelles Begegnungsfeld Je nach Grad ihrer Verknüpfung mit bzw. Abhängigkeit von kolonialen Bestrebungen europäischer Mächte nahm christliche Missionstätigkeit im Laufe ihrer Geschichte verschiedenartige Grundzüge an. Zwar war die interkulturelle Begegnung missionarischer Provenienz in ihrem Ansatz immer eine Begegnung ungleicher Partner, das Verhältnis von Überlegenheit und Druck auf der einen Seite sowie Unterlegenheit oder gar Wehrlosigkeit auf der anderen war jedoch sehr unterschiedlich ausgeprägt. Mit Sicherheit hätte der frühneuzeitlichen christlichen Missionstätigkeit in Asien ohne die europäischen Expansionsbestrebungen, manifestiert durch Seefahrt, Handel und koloniale Landnahme eine wichtige materielle Basis zur Realisierung ihres religiösen Auftrages gefehlt (Gründer 1992: 276). Über den tatsächlichen Grad der Verflechtung von Mission und Kolonialismus sowie über die gegenseiti-
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gen Abhängigkeiten oder Formen der Symbiose zwischen beiden historischen Erscheinungen sagt diese Feststellung jedoch nicht viel aus. In der Theorie ließ sich christliche Missionstätigkeit von dem im MatthäusEvangelium formulierten globalen Auftrag der Bekehrung „heidnischer" Menschen zum christlichen Glauben leiten (Die Bibel 1981: N 38). Das bedeutete lineare Einflußnahme von Christen auf nichtchristliche Völker, wobei den Missionierten dabei nur die Rolle der dankbaren Abnehmer, nicht aber die von Mitgestaltern zugedacht war. In der Realität mußten sich die Missionare den Zwängen der praktischen Umsetzung des Auftrages beugen. Missionstätigkeit gestaltete sich immer als eine Form andauernder direkter Kulturbegegnung (Bitterli 1992), bei der Repräsentanten unterschiedlicher Religionen und Kulturen aufeinander trafen und in einem Prozeß der Auseinandersetzung über religiöse und soziale Fragen neue Normen und Werte aushandelten. Dabei existierten Globales in Form des weltumspannenden Missionsanspruchs des Christentums und Lokales in Gestalt der über Jahrhunderte gewachsenen, das gesellschaftliche Leben im Missionsgebiet oft allseitig beeinflussenden Glaubensformen der Bevölkerung zeitweise nebeneinander. Beim Zusammentreffen der Kulturen entwickelten sich neue religiöse Formen, in denen Abgrenzungsreaktionen und Aneignungspraktiken miteinander konkurrierten und sich gegenseitig überlagerten. Die Semantik des Begriffspaares Missionierende und Missionierte, mit dem die unmittelbaren Träger dieser Kulturbegegnung benannt werden, drückt zwar die Existenz eines aktiven und eines passiven Teils der Begegnung aus, dies widerspiegelt jedoch nicht immer die Realität im Missionskontext vor Ort. Geht man von einer interkulturellen Konstellation (Dharampal-Frick 1994) als Ausgangspunkt missionarischer Aktivitäten aus, bleibt - je nach Missionsgesellschaft, Missionsmethode und lokalen Gegebenheiten - zu beschreiben, wie das Verhältnis zwischen beiden Parteien aussah. Im permanenten Prozeß des Aushandelns von Positionen wurden viele (lokale) Missionierte in ihrer Funktion als Missionsangestellte zu Helfern bzw. Partnern der Missionare und somit selbst zu Missionierenden. Die (europäischen) Missionierenden hingegen sind nicht selten, insbesondere im Hinblick auf das Verständnis der lokalen Gesellschaft, Philosophie und Literatur zu Missionierten geworden. Auch die christlichen Missionsaktivitäten der Europäer in Indien seit dem 16. Jahrhundert in Indien müssen vor dem historischen Hintergrund der Expansionsbestrebungen jener Länder betrachtet werden, die seit dieser Zeit ihre Niederlassungen auf indischem Boden errichteten. Während im 16. und 17. Jahrhundert Portugiesen und Holländer als Handelsmächte am stärksten vertreten waren und ihre christliche Missionstätigkeit forcierten, traten im 18. Jahrhundert die Franzosen und Briten in Indien auf die politische Bühne, ohne jedoch zunächst die Missionsarbeit in breitem Maße zu fördern. Seit dem Rückgang des politischen Einflusses europäischer katholischer Mächte und dem Verbot des Jesuitenordens im Jahre 1773 kam es zu einem zeitweisen Niedergang katholischer Missionstätigkeit im globalen Maßstab (Obst 1999; Gründer 1992: 291). Das protestantische Christentum reagierte - bis auf wenige Ausnahmen - verzögert auf diese Entwicklungen. Es brachte erst im 19. Jahrhundert Missionsgesellschaften in größerem Umfang hervor. Eine der frühen Ausnahmen war die von pietistischen Kreisen in Dänemark und Deutschland begründete Dänisch-Hallesche Mission in Südostindien im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, nach ihrem wichtigsten Wirkungsort Tran-
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quebar (Tarangambadi) auch Tranquebarmission genannt (Fenger 1843; Lehmann 1956; Nergaard 1988; Jeyaraj 1996). Im 17. und 18. Jahrhundert hatte die vergleichsweise unbedeutende europäische Macht Dänemark ihre Positionen in Übersee neben Besitzungen in Südostasien (Makassar, Bantam) und Ceylon auch durch zahlreiche Niederlassungen in Hafenstädten an der indischen Küste ausgebaut (Krieger 1998; Diller 1999). Den Handelsstützpunkt Tranquebar an der Südostküste Indiens, der von 1706-1845 Schauplatz aktiver Missionstätigkeit war, hatten die Dänen im Auftrag des Königs Christian IV von Dänemark-Norwegen (regierte bis 1648) im April 1620 durch eine Abmachung mit Raghunatha Nayaka (1600-1633), dem Herrscher des NäyakaReiches Thanjavur (Tänjöre), erworben (Diller 1999: 147). Thanjavur war eines von mehreren Mjyafcj-Reichen, die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts aus dem ehemaligen hinduistischen Großreich von Vijayanagara heraus entstanden waren. Die Näyaka von Thanjavur regierten das Land seit etwa 1550 und wurden 1676 durch eine Marathen-Dynastie abgelöst. Tranquebar war bereits fast ein Jahrhundert im Besitz wechselnder dänischer Handelsgesellschaften, als der dänische König Friedrich IV (regierte von 16991730) im Jahre 1705 den Versuch unternahm, in dieser Handelsniederlassung eine protestantische Mission zu errichten. Die ersten Missionare für dieses Unternehmen, Bartholomäus Ziegenbalg (1683-1719) und Heinrich Plütschau (1676-1747), fand der damalige Hofprediger des dänischen Königs, Franz Julius LUtkens (16501712), in Deutschland. Über diese beiden ehemaligen SchUler des Halleschen Pietisten und Professors für orientalische Sprachen an der Universität Halle, August Hermann Francke (1663-1727), wurden die Kontakte zu den Franckeschen Stiftungen in Halle etabliert, die sich sowohl in geistiger als auch in personeller Hinsicht zum wichtigsten Träger der Mission entwickelten. Francke hatte 1695 mit der Errichtung eines Armenhauses den Grundstein für die Entstehung der Franckeschen Stiftungen mit ihren weltweiten Kontakten gelegt und war bereit, die Missionsarbeit in Indien zu fördern. Das dänische Königshaus und seit 1715 das Missionskollegium in Kopenhagen waren eine weitere wichtige europäische Kraft im Hintergrund der Mission. 1709 begann die Zusammenarbeit der Tranquebarmission mit der 1689 gegründeten Society for Promoting Christian Knowledge (S.P.C.K.) in London, einer Gesellschaft, die mit finanzieller Hilfe von Vertretern der englischen Oberschichten den christlichen Glauben durch Unterstützung bereits bestehender Missionsgesellschaften verbreiten wollte. Die mehr als 50 Missionare, die im Verlauf von fast 150 Jahren im Auftrag der Dänisch-Halleschen Mission in Südindien eingesetzt waren, hatten wiederum mehrere Hundert Inder in unterschiedlichen Positionen in ihren Diensten. Diese Gruppe der unmittelbaren Missionsangestellten, von den Missionaren als Nationalarbeiter bezeichnet, umfaßte entsprechend der Infrastruktur des Missionsuntemehmens sowohl technisches Personal (Köche, Wäscher, Glöckner, Totengräber usw.) als auch Personen, die direkt an der Missionstätigkeit beteiligt waren (Gehilfen, Lehrer, Katecheten, Priester). Die Zusammenarbeit mit Indern war aus mehreren Gründen existentiell notwendig für die Mission. Erstens konnten die wenigen Missionare, die zur gleichen Zeit in Südindien an verschiedenen, oft weit auseinander liegenden Orten eingesetzt und für mehrere Hundert Christen zuständig waren, den mit der Leitung von Schulen und Kirchen sowie mit Verwaltung und Schriftwechsel verbundenen Arbeitsaufwand nicht allein bewältigen. Zweitens benötigten die Missionare auf ihren Reisen neben Lastenträgern auch orts-, personen- und landeskundige
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Begleiter, die in lokale Netzwerke eingebunden und besonders in den Anfangsjahren als Berater und Dolmetscher unentbehrlich waren. Und schließlich beruhen viele landeskundliche, wissenschaftliche, historische und politische Informationen, die die Missionare in ihren Berichten und Analysen verarbeiteten, auf einer - nicht immer bekannt gewordenen - Zusammenarbeit mit indischen Gewährsmännern, oftmals den Angestellten der Mission. 1728 wiesen die Missionare in einer Abhandlung über die Probleme der Missionstätigkeit auf die Notwendigkeit der Ordination von indischen Mitarbeitern hin. Sie begründeten ihre Anregung damit, daß dadurch die Zahl der Europäer reduziert werden könnte.2 Auch wenn die Idee einer einheimischen, von lokalen Kräften geleiteten Kirche sowohl von den deutschen Missionaren als auch vom Missionskollegium in Dänemark zunächst nur zurückhaltend geäußert wurde, kam spätestens mit der Ordinierung des ersten einheimischen Pastors Aaron im Jahre 1733 der Gedanke auf, die Inder würden - mit einem indigenen Klerus an der Spitze - ihre Kirchengeschichte eines Tages selbst schreiben. Die bei der Mission angestellten Inder wurden durch die Missionare ausgewählt, geprüft und unterlagen einer regelmäßigen Kontrolle. Die insgesamt 14 ordinierten Inder (Lehmann 1956: 252) wurden in der Regel in einem komplizierten Auswahlverfahren bestimmt. Aus einem ersten, von den europäischen Missionaren unterbreiteten Vorschlag hatte die lokale Gemeinde ihre Favoriten zu benennen. Nach einer schriftlichen Prüfung wurde der endgültige Kandidat in geheimer Wahl durch die Missionare ermittelt. Neben den „Nationalarbeitem", die direkt der Mission unterstellt und von der Mission bezahlt wurden, unterhielt die Mission in einzelnen Fällen enge Verbindung zu Personen, die in Missionsschulen ausgebildet, dann aber in anderem Kontext eingesetzt wurden. Diese Personengruppe trug maßgeblich dazu bei, daß sich der reale Einfluß der Missionspraxis weit über die eigentlichen Missionsstationen hinaus erstreckte, obwohl sich der Bewegungsspielraum der Missionare in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf den Herrschaftsbereich der Dänen beschränkte und erst später darüber hinaus ausgedehnt werden konnte. In Missionsschulen ausgebildete Inder wurden an andere europäische Behörden als Rechnungsführer, Dolmetscher, Soldaten, Lehrer, Hausangestellte oder auch als Handwerker weiter vermittelt (Nargaard 1988: 200), insbesondere seitdem 1777 die Verantwortung für die Kolonie Tranquebar von der Handelsgesellschaft auf den dänischen Staat übertragen worden war (Nergaard 1988: 190). Sofern die ehemaligen Absolventen weiterhin mit der Mission in Kontakt standen bzw. für die Mission von Interesse blieben und daher in den Berichten Erwähnung fanden, lassen sich heute auch über Vertreter dieser Personengruppe wertvolle Informationen aus den Missionsquellen zusammentragen. Für die folgende vergleichende biographische Analyse wurden zwei Personen ausgewählt, die nicht nur diese beiden Gruppen von Missionsangestellten bzw. Missionsfreunden repräsentieren, sondern auch für zwei wichtige soziale Gruppen im Süden Indiens, nämlich die unberührbaren Paraiyar und die sozial und religiös höherstehenden Kasten der Shudra stehen.
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Abb. 2: Kreiseinteilung der Dänisch-Halleschen Mission um 1730
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Indische Angestellte in europäischen Diensten: zwei biographische Skizzen Bisher in einschlägigen Werken zur Geschichte der Dänisch-Halleschen Mission erschienene Bemerkungen zu Rajanaikkan bzw. Daniel Pullei ließen sich nur bedingt als Grundlage für diese Untersuchung verwenden. In früheren Arbeiten finden sich in der Regel keine Belege für Zitate oder Angaben aus Originalquellen (u.a. Germann 1870: 56f.; Lehmann 1956a: 240f., 287f.). Einige quellenkritisch hervorragend angelegte jüngere Darstellungen enthalten entweder keine Hinweise zu diesen Personen (Nergaard 1988) bzw. entsprechend ihrem Anliegen nur thematisch und zeitlich begrenzte Daten (Jeyaraj 1996: 133f., 138,152ff.). Viele Autoren stützen sich immer noch auf bisher erschienene Sekundärliteratur (Hudson 2000: 42-48; 160), wobei einmal getroffene, teilweise unvollständige bzw. nicht eindeutig nachweisbare Aussagen immer wieder unkritisch übernommen werden.3 So zitiert z.B. Hudson Lehmann mit den Worten: Rajanayakkan and his brother Sinappan, whom we had to suspend ..." (Lehmann 156b: 166; Hudson 2000: 48). Lehmann hatte ohne Quellenangabe zitiert. In den Missionsberichten aber erschien 1772 die Meldung: „Von unseren übrigen Land-Catecheten ist der im Cumbagonamschen Kreise gestandene Catechet Schinappen in die Ewigkeit übergegangen. Er war ein Bruder von dem in Arantangi (Arantängi) verstorbenen Catecheten Rajanaicken."4 Aus dieser Bemerkung geht hervor, daß Sinappan entweder nie suspendiert oder aber lediglich kurzzeitig vom Dienst ausgeschlossen wurde. Der vorliegende Artikel beruht maßgeblich auf der Auswertung von Originalquellen. In erster Linie gehören dazu die in Halle herausgegebenen Missionsberichte (HB; NGEMA). Darüber hinaus wurden handschriftliche Quellen des Archivs der Franckeschen Stiftungen in Halle (AFSt), des Rigsarkivet in Kopenhagen (RA) und des Archivs der Brüderunität in Herrnhut (UH) verwendet.
Rajanaikkan 3 (1700-1771) Der ungewöhnliche Weg, den Rajanaikkan in den mehr als 40 Dienstjahren im Auftrag der Tranquebarmission ging, überrascht bei genauer Betrachtung der Umstände, unter denen er zur Mission kam, kaum. Ursprünglich zu den Paraiyar gehörend, war seine Familie bereits in der dritten Generation katholisch. Rajanaikkans Großvater war im Alter von 30 Jahren zum Christentum übergetreten, sein Vater wurde als Kind getauft. 6 Nach eigener Aussage hatte Rajanaikkan als junger Mann gegen den Willen der Eltem, zumindest aber wohl ohne deren Unterstützung Lesen und Schreiben 7 gelernt und konnte wie viele Katholiken in den Dienst der Armee des MarathenHerrschers von Thanjavur Serfoji (1712-1728) treten, wo er zum Zeitpunkt seines ersten Auftretens in den Quellen (1727) den Posten eines Unteroffiziers (cervai-kkäraaf einnahm. In Thanjavur lernte er später auch die deutsche Sprache. 9 Seine erste Begegnung mit den Ideen der lutherisch-pietistischen Tranquebarmission hatte Rajanaikkan 1726 bei einem Einsatz zum Schutz von Ländereien in der Nähe von Poraiyar (Poraiyär), einem ca. drei Kilometer von Tranquebar entfernten Ort, in dem die Missionare 1709 mit der Einrichtung eines Missionsgartens ihre Tätigkeit begonnen hatten. Vom Buchbinder der Mission ließ sich der interessierte Unteroffizier die für ihn nahezu unbekannte neue Form der christlichen Lehre erklären und
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die Missionsschule des Ortes zeigen. Später wandte er sich schriftlich mit der Bitte um Literatur an die Mission.10 Über ein Jahr lang korrespondierte Rajanaikkan mit den lutherischen Missionaren in Tranquebar, ließ sich christliche Literatur schicken und bat zusätzlich um schriftliche Erläuterungen unverstandener Textstellen.11 Seine Dienststellung sowie Umfang und Charakter der Aufgaben innerhalb der Armee ließen es offensichtlich zu, daß er in größeren Abständen selbst in Tranquebar erschien, wo er direkt mit den Missionaren Gespräche über die Unterschiede zwischen der katholischen und der evangelischen Lehre führen konnte.12 Dabei brachte er manchmal einige seiner Soldaten mit, die er aus eigenem Antrieb und in der von ihm für richtig erachteten Form in Religionsfragen unterrichtet hatte und die nun von den Missionaren getauft werden sollten.13 Als Rajanaikkan Ende Juli 1727 aus Poraiyar mit seinen Soldaten nach Thanjavur zurückkehren sollte, war die Verbindung zu den Missionaren in Tranquebar bereits so eng, daß diese ihn baten, sie regelmäßig über die Lage der Christen im Gebiet Thanjavur zu informieren14, eine Aufgabe, der Rajanaikkan sich mit aller Konsequenz stellte. Er war sich des Interesses der Missionare an seiner Person, wohl aber auch seiner eigenen Fähigkeiten bewußt, als er nicht nur regelmäßig Literatur verlangte, sondern sich auch nachdrücklich für die Vermittlung „seiner" Konvertiten in europäische Dienste einsetzte.15 Am 4. August 1727, zu einem Zeitpunkt, als er offiziell noch nicht in die Lutherische Kirche aufgenommen war16, formulierte er von sich aus ein Angebot an die Mission, künftig in deren Diensten zu arbeiten17. Überrascht, aber durchaus interessiert, schickten die Missionare ihren Katecheten Aaron (1698/99-1745) nach Thanjavur, „vornehmlich auch dieses Rajanajakkens Umstände wegen Kundschaft einzuholen..."18. Auf die ausgehend von Aarons Bericht formulierte Zusage der Mission reagierte Rajanaikkan sofort und sehr selbstbewußt mit weitreichenden Ideen zur Gestaltung seiner individuellen Tätigkeit und mit Forderungen nach zusätzlichen Mitarbeitern vor Ort. Außerdem brauche er eine Kirche „... und zu solchem Zweck das benöthigte Geld"19. In der Regel durchlief ein Katechet das 1715 von der Dänisch-Halleschen Mission gegründete Seminar zur Ausbildung einheimischer Gehilfen, war dann meist einige Zeit als Schulmeister und als Gehilfe tätig, bevor er in das Katechetenamt berufen wurde (Lehmann 1956a: 251). Rajanaikkan war eine Ausnahme. Ohne die reguläre Ausbildung absolviert zu haben, wurde er zu Ostern 1729 der christlichen Gemeinde in Tranquebar als neuer Katechet im Raum Madewipattinam vorgestellt.20 Sein Bruder Sinappan wurde ihm - zunächst auf Probe - als Gehilfe zur Seite gestellt.21 Vermutlich blieb Sinappan bis 1746 Unterkatechet in Thanjavur und wurde dann nach Kumbakonam (Kumbakönam) versetzt, wo er 1772 starb.22 Der jüngere Bruder Tairiappan unterstützte ihn von Zeit zu Zeit als Gehilfe.23 Wegen der besonderen Situation in Thanjavur, die einerseits durch die Abwesenheit von europäischen Missionaren als unmittelbare Ansprechpartner und andererseits durch einen vergleichsweise hohen Anteil von Muslimen und Katholiken gekennzeichnet war, enthielten die Dienstinstruktionen für Rajanaikkan zusätzlich folgende Festlegungen: Römisch-katholische Christen, die zum evangelischen Glauben übertreten wollten, sollten vorher den Missionaren in Tranquebar vorgestellt werden. Ihm war nicht erlaubt, selbständig neue Katecheten zu werben. Wegen der vergleichsweise großen Entfernung zwischen Thanjavur und Tranquebar brauchten er bzw. sein Bruder nicht mehr als einmal im Monat in Tranquebar zur Verlesung der Arbeitsberichte zu erscheinen.24
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Als Katechet war Rajanaikkan für die Betreuung der Christen in einer festgelegten Region verantwortlich. In der ersten Zeit arbeitete Rajanaikkan nicht nur direkt in Thanjavur, sondern auch im Gebiet um Madewipattinam (Mahädev-pattanam), das zum thanjavurischen Reich gehörte.25 Von 1729 bis zum Beginn der fünfziger Jahre waren keine europäischen Missionare in dieser Region zugelassen, ein Umstand, der Konsequenzen für die Arbeit des Katecheten hatte. Wie wichtig der Dänisch-Halleschen Mission die Einbeziehung dieses Gebietes in die Missionstätigkeit war, belegen zahlreiche Versuche, sich dort zu etablieren. Bereits 1709 wollte Ziegenbalg eine Reise in das Thanjavur-Gebiet unternehmen, wurde aber daran gehindert (Lehmann 1956a: 214). Benjamin Schultze (1689-1760) hielt in den zwanziger Jahren intensiven Kontakt zu Telungarasa, einem Vertreter der herrschenden Familie in Thanjavur (ein Onkel des Königs), welcher ihn mehrfach besuchte und mit ihm korrespondierte (Lehmann 1956a: 239). In das thanjavurische Gebiet begab sich jedoch auch Schultze nicht. Im Juli 1728, kurz nachdem Rajanaikkan seine Tätigkeit aufgenommen hatte, reiste der Missionar Christian Friedrich Preßier (1697-1745) nach Thanjavur.26 Im Juli/August 1753 predigte der Missionar Johann Christian Wiedebrock (1713-1767) zum ersten Mal öffentlich in dieser Stadt.27 Erst nach dem Tod Rajanaikkans nahm der Missionar Christian Friedrich Schwartz (1726-1798) 1772 nach mehijährigen Überlegungen und Verhandlungen seinen ständigen Wohnsitz in Thanjavur. Rajanaikkan nutzte seinen Spielraum, um eigene Ideen in der Missionsarbeit umzusetzen. 1742 gründete er eine Schule in Thanjavur28, in der neben Christen auch Hindus und Muslime unterrichtet wurden. Im Tagebuch vom Februar 1743 beschreiben die Missionare diese Schule als „Sammelplatz auch angesehener Heyden, wo ihnen die Christlichen Wahrheiten ohne Scheu gesaget werden"29. Zur Arbeit an der Basis, d.h. auf den umliegenden Dörfern bzw. zur Betreuung der Christen aus anderen Kasten, waren einem Katecheten meist mehrere Gehilfen unterstellt bzw. Hilfskatecheten zugeordnet. Deshalb wurde für Rajanaikkan eine permanente Reise- und Betreuungstätigkeit erforderlich. Bereits 1732 hatte er drei Gehilfen, davon war einer ein Shudra. Rajanaikkan stieß bei seinen Aktivitäten immer wieder auf das Problem seiner Kastenzugehörigkeit. Rajanaikkan entstammte einer Paraiyar-Familie, und obwohl er durch seine Tätigkeit in der Armee zu sozialem Ansehen gelangt war, behielt er in ritueller Hinsicht den Status eines Unberiihrbaren. Da die Schule in einem in erster Linie von Shudras bewohnten Gebiet lag, wurde Gurupadam, ein Sohn des Shudra-Gehilfen Arhagappan, dem Katecheten Rajanaikkan als Schulmeister zur Seite gestellt.31 Offensichtlich genoß Rajanaikkan ein hohes Ansehen unter weiten Teilen der Bevölkerung und war für Paraiyar in vieler Hinsicht eine Vorbild- und Symbolfigur. Noch bevor er als Katechet der Tranquebarmission benannt wurde, folgten Vertreter der Paraiyar seinem Beispiel und schlössen sich dem evangelischen Glauben an. Unter den ersten Bekehrten war der spätere Katechet der Tranquebarmission im Gebiet Majaburam (Mäyavaram), Sattianathan.32 Von Rajanaikkans Ansehen in der Bevölkerung zeugt auch, daß er trotz seiner Religion und trotz seiner Verbindungen zu den europäischen Missionaren von lokalen Dorfoberhäuptem von ParaiyarVorstädten Thanjavurs, darunter auch von Katholiken, bei der Schlichtung von Streitangelegenheiten hinzugezogen wurde.33 Insbesondere von Katholiken - aber auch von Hindus - wurde Rajanaikkan stark angefeindet. Die im Madurai-Gebiet ansässigen Jesuiten-Missionare beobachteten
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die beginnenden Aktivitäten der Tranquebar-Missionare auf dem Territorium des Königreichs Thanjavur mit Argwohn. Sie betrachteten den mit den Missionaren in Tranquebar zusammenarbeitenden Rajanaikkan als Konkurrenten und waren bestrebt - nach einem erfolglosen Abwerbungsversuch ihrerseits34 - die Arbeit des Katecheten wo immer es möglich war zu behindern (Rajamanickam 1999). Auch seitens der lokalen Bevölkerung sah sich Rajanaikkan Verfolgungen ausgesetzt. Nach einem Anschlag auf sein Haus und seine Familie starb der Vater des Katecheten an den Folgen der Gewalt. Von Rajanaikkan wurde verlangt, der protestantischen Lehre abzuschwören und die Bücher der Tranquebarmission zu verbrennen.35 1749 berichtete er in einem Schreiben an das Missionskollegium in Kopenhagen über groß angelegte Angriffe der römisch-katholischen Christen auf seine Person und die durch ihn bekehrten lutherischen Christen in Thanjavur. 36 In der Literatur zur Dänisch-Halleschen Mission ist im Zusammenhang mit der Person Rajanaikkans immer wieder dessen angebliches Alkoholproblem thematisiert worden. In der Tat findet sich in einem Schreiben von Jacob Klein (17211790) vom 16. Oktober 1758 die unmißverständliche Aussage: „Rajanaicken steckt noch in großen Schulden u leider sind die mehresten wie man höret vom Sauffen: Er kann es nicht lassen ..."37 Aktivitäten Rajanaikkans, die über die Missionstätigkeit hinausgingen, sahen die Missionare ebenfalls nicht gern. So hatte sich derselbe Missionar bereits einige Jahre zuvor kritisch über die Arbeit von Diogo und Rajanaikkan geäußert: daß wir sowohl an Rajanaikken als an Landprediger Diogo mehr u mehr irre werden u nicht geringen Kummer und Betrübnis von ihnen bisher gehabt haben, da sie die Hoheit und Wichtigkeit ihres Amtes gar nicht erkennen, wenigstens keinen göttlichen Ernst u Eifer beweisen, sich von allem loszureissen, was ihnen an treuer Ausrichtung ihres Amtes hinderlich seyn könnte, u sich den ihnen anvertrauten Seelen, wie sichs geziemet, anzunehmen. Den Catecheten Rajanaikken haben wir sogar eine gantze Monatl. Besoldung einbehalten, damit er sich gantz los machen möchte, von dem Amte, das ihm der König aufgetragen..." 8 In den sechziger Jahren häuften sich allerdings aus einem anderen Grund die Spannungen zwischen Rajanaikkan und den Halleschen Missionaren. Rajanaikkan hatte Kontakt mit den seit 1760 in Tranquebar ansässigen Vertretern der von Nikolaus Ludwig Zinzendorf (1700-1760) gegründeten Herrnhuter Brüdergemeine. Die 14 Herrnhuter Missionare waren für die Lutheraner unerwartet mit dem Ziel in Tranquebar gelandet, auf den Nikobaren eine Missionsstation zu errichten. Tranquebar sollte als Zwischenstation genutzt werden.39 Versuche, sich auf den Nikobaren zu etablieren, schlugen jedoch fehl. Vierzig Jahre lang lebten und arbeiteten die Herrnhuter in ihrem Brüdergarten bei Tranquebar, ohne dort offensiv und öffentlich missionieren zu dürfen. 1800 mußten sie Tranquebar verlassen. Während sich die Halleschen Missionare sehr zurückhaltend verhielten und erst Ende der 1770er Jahre über eigene Besuche bei den Hermhutem berichteten, hatten Rajanaikkan und Ambrosius (1709-1777), der 1749 ordinierte Landprediger der DHM, die neuen Missionare bereits kurz nach deren Ankunft zu Gesprächen aufgesucht. Rajanaikkan, der sich vor seinem Besuch über die Glaubensinhalte dieser pietistischen Erweckungsbewegung informiert hatte, stellte vor Ort weitere inhaltliche Fragen und verabschiedete sich mit folgendem Gleichnis:
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„Wenn jemand einen Wäscher habe, der ihm die Wäsche nicht rein wasche, so danke er ihm ab und nehme einen andern an, u. wenn der wieder nicht rein wasche, so gebe er sich wieder einen andern. Die Catholiken hätten zuerst die Christliche Lehre in dieses Land gebracht, aber mit vielen Irrthümero beflekt. Darauf wären ihre Missionarien ins Land gekommen, die eine reine Lehre gebracht hätten, und nun wir..."41
Obwohl sich die Herrnhuter - angeblich wegen möglicher Spionage im Interesse der Konkurrenten in Tranquebar - längere Zeit skeptisch gegenüber Rajanaikkan verhielten42, wurde bereits nach einigen weiteren Besuchen im Brüdergarten von einem möglichen erneuten Konfessionswechsel des Katecheten gesprochen43. Über diese verschiedenen Konflikte geben die gedruckten Quellen der DänischHalleschen Mission nur indirekt Auskunft. 1766 wurde über eine Stellungnahme Rajanaikkans wegen nicht genannter Disziplinverstöße und sein anschließendes Versprechen auf Besserung berichtet.44 Als Rajanaikkan wegen politischer Unruhen, hervorgerufen durch die Eroberungszüge des Herrschers von Maisur, Haidar Ali, Thanjavur verlassen mußte und sich 1768 etwa sechs Monate in Tranquebar in unmittelbarer Nähe der Missionare aufhielt, wurden keine Disziplin- oder Alkoholprobleme erwähnt, die evtl. auf einen Bruch mit der Mission hingedeutet hätten 45 Rajanaikkans wachsende Zweifel an der lutherischen Lehre und der Versuch, den ,.reinen" Glauben bei den Herrnhutem zu finden, waren sicher die Hauptgründe dafür, daß er, bereits stark sehschwach46, auf Anraten des Missionars Christian Friedrich Schwartz 1771 - wenige Monate vor seinem Tod - von Thanjavur nach Arantangi versetzt wurde.47 Von dort aus hielt er zwar weiterhin Kontakt zu den Missionaren in Tranquebar, schickte Berichte, machte Besuche, aber die Verbindung war insgesamt nicht mehr so intensiv. Seine Funktion in Thanjavur übernahm, ebenfalls auf Empfehlung von Schwartz, bezeichnenderweise ein Shudra, der „Suttirer-Katechet" (als Suttierer bezeichneten die Missionare einen Shudra) Rajappan (1742-1797).48 Am 20. Oktober 1771 erhielten die Missionare in Tranquebar auf einem Palmblatt die Mitteilung vom Tod ihres Mitarbeiters. Er war am 29. September 1771 im Alter von 71 Jahren gestorben.49 Die nüchterne Art des Berichts über seine letzten Stunden hebt sich auffällig von emotionsgeladenen Darstellungen ähnlicher Anlässe ab50 und ist schwer vereinbar mit dem positiven Bild, das von Rajanaikkan durch die Berichterstattung vermittelt wurde51. Nachrufe, in denen sein Leben beschrieben wird, gibt es faktisch nicht. Die Mission kümmerte sich jedoch um seine Witwe. Man gestand ihr die Stelle einer „Vorbeterin" in einigen Dörfern bis zu ihrem Tod zu. Auch Rajanaikkans Bruder Sinappan stand bis zu seinem Tod 1772 in Missionsdiensten als Landkatechet im Kumbakonam-Kreis53 und war nicht, wie häufig behauptet, vorzeitig wegen Disziplinverstößen entlassen worden. Ein anderer Verwandter Rajanaikkans, Gabriel, dessen Verwandtheitsgrad nicht angegeben ist, wurde 1775 von Christian Wilhelm Gericke (1742-1803) als Katechet in der Missionsstation Cuddalore eingesetzt.34
Abb. 3: Tamilischer Katechet mit Palmblatthandschrift im Gespräch mit einem Soldaten
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Daniel Pullei (1740-1802) Daniel Pullei ist einer der wenigen Vertreter der eingangs beschriebenen Gruppe von Missionszöglingen, die ihren Lebensweg in einem weitgehend weltlichen Kontext fortsetzten. Seiner engen persönlichen Bindung zu einigen Missionaren ist es zu verdanken, daß seine Lebensgeschichte aus den Quellen gut rekonstruierbar ist.55 Daniel Pullei wurde 1740 als Sohn armer christlicher Eltern, die der Missionsgemeinde in Tranquebar angehörten, geboren. Schon sein Großvater, der um 1675 geborene56 blinde Johann d'Almeida war vom Katholizismus zum Protestantismus übergetreten und hatte von 1707 (Lehmann 1957: 63) bis 174457 in der Tranquebarmission als Katechet gearbeitet. Über Daniel Pulleis Eltern ist wenig bekannt. Sein Vater starb früh, die junge Mutter war der Erziehung des Jungen nicht gewachsen58, und so wuchs er bei dem Vater der Mutter auf. Einige Jahre konnte der Großvater seinen Enkel noch im christlichen Geist erziehen, 1744 ließen die Kräfte nach, er konnte nicht mehr als Katechet arbeiten und starb 1746.59 Der Großvater hatte den Enkel trotz seines Amtes zunächst in eine näher gelegene indische Schule statt in die Missionsschule geben wollen. Auf Initiative des Missionars Gottfried Wilhelm Obuch (von 1736-1745 in Indien) gelangte Daniel Pullei jedoch auf die „malabarische" (tamilische) Schule der Mission in Tranquebar, wo er nach dem Tod des Großvaters ständig untergebracht war. Als junger Mann war er Diener verschiedener Missionare, erlernte so die deutsche Sprache und „nützte alle Gelegenheit in dieser Sprache weiter zu kommen"60. Ab 1755 unterrichtete er die Missionare David Poitzenhagen (1726-1756), Petrus Dame (1731-1766) und Ole Maderup (1711-1776) in Tamil und konnte diese Gelegenheit auch für seine eigene sprachliche Qualifikation nutzen. Neben Deutsch lernte er in dieser Zeit Dänisch. Als er später ebenfalls einigen in der Tranquebar ansässigen Hermhuter Missionaren Tamilunterricht erteilte, kam es zu ersten Spannungen mit den Hallenser Missionaren.61 Die Interessen Daniel Pulleis für Sprachlehrer- und Dolmetschertätigkeiten konnten durch den Missionseinsatz nicht umfassend genutzt werden, denn die Missionare kamen nach einer gewissen Einarbeitungszeit ohne Sprachmittler aus, und neue Missionare wurden nicht regelmäßig nach SUdindien gesandt. So nahm Daniel Pullei 1760 auf Ersuchen des dänischen Gouverneurs H. J. Forck (Amtszeit 1760-1761), aber gegen den Willen der Missionare, den Posten eines zweiten Dolmetschers an. Die Missionare hätten ihn gern als Angestellten der DänischHalleschen Mission behalten und hatten ihn vermutlich für die Katecheten- und Predigerlaufbahn vorgesehen. Sie hatten ihrerseits den Bruder Daniel Pulleis, Peter Rajappan, der ebenfalls über gute Sprachkenntnisse verfügte, für das Amt des dubash vorgeschlagen. Dies wurde jedoch vom Gouverneur abgelehnt. Peter Rajappan verblieb zunächst im Dienst der Dänisch-Halleschen Mission62 und war später in Diensten der Hermhuter Missionare. Er starb 1782.63 Unter Peter Hermann Abbest6e (Gouverneur 1761-75, 1779-83, 1785-86, 1786-88) wurde Daniel Pullei - der genaue Zeitpunkt ist nicht nachvollziehbar - zum „Ersten Königlichen Gouvemementsdolmetscher" ernannt.64 Diese Funktion behielt er vermutlich bis an sein Lebensende, wenngleich Peter Anker (Gouverneur von 1788-1806) zeitweise den dubash Pirakaca Pillei zu seinem engsten Vertrauten machte65. Daniel Pullei nahm als dubash eine einflußreiche Position im politischen Leben der dänischen Handelskolonie ein. Ein dubash war mehr als nur ein Dolmetscher. Er gehörte zu den Indem, die als Helfer und Kollaborateure sehr eng mit Europäern zusammenarbeiteten. Susan Neild-Basu bemerkt dazu: „... these groups inevitably
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had a tremendous influence on the development and environment of these colonial urban centers" (Neild-Basu 1984: 1). Als Vermittler und Berater in politischen Angelegenheiten konnten sie großen Einfluß auf ihre Dienstherren ausüben. Als dubash des dänischen Gouverneurs in Tranquebar hatte Daniel Pullei u.a. dänische Regierungsabordnungen an indische Herrscherhöfe zu begleiten. So gehörte er 1764 der dänischen Gesandtschaft zum Raja von Thanjavur Tuljaji (1764 und 1776-1787) bei dessen Thronbesteigung an.66 Da er neben Tamil auch Hindustani sprach und somit für Einsätze unter Muslimen geeignet war, begleitete er mehrfach Gesandte in die Feldlager des maisurischen Herrschers Haidar Ali, dessen Truppen seit den 1760er Jahren Eroberungszüge in Südindien durchführten. Während des zweiten Englisch-Maisurischen Krieges (1779-1784) weilte Daniel Pullei mehrfach in Feldlagern des Eroberers - zum einen als streng bewachte politische Geisel, zum anderen aber auch als geachteter Verhandlungspartner und offizieller Repräsentant der dänischen Kolonialregierung. 1780 begleitete er den Sekretär der dänischen Asiatischen Kompanie bei dessen Mission als Unterhändler zu einem General der Truppen von Haidar Ali.67 Der Sekretär hatte den Auftrag, eine Summe von 140 000 Rupien zu Ubergeben, die Haidar Ali forderte, weil die Dänen dem Nawab von Arcot Waffen verkauft hatten (Diller 1999: 187). Der muslimische Feldherr drohte mit der Geiselnahme des dubash, solange die Forderungen nicht erfüllt würden.6" Am 18. Februar 1781 wurde Daniel Pullei gemeinsam mit dem Persisch-Dolmetscher des Gouvernements zu einer Abteilung von Haidars Armee geschickt, die sich in unmittelbarer Nähe von Tranquebar befand. Er wurde als Geisel genommen und bis Karaikal mitgeschleppt.69 Wenige Tage später wurde erneut von Verhandlungen mit Vertretern der maisurischen Seite berichtet, an denen Daniel Pullei teilnahm.70 Im April 1782 wurde er von Soldaten der Armee Haidars in Poraiyar gefangengenommen und verschleppt. Haidar Ali forderte diesmal die Auslieferung der Familie des Muslimen Murgamia, die angeblich von den Dänen in Tranquebar geschützt wurde.71 Daniel Pullei verblieb mehrere Monate im Feldlager. Nach dem Tod des offiziellen dänischen Repräsentanten bei Haidar Ali, des „Residenten" Surstädt, am 21. Juni 1782 wurde Daniel Pullei zu Audienzen herangezogen72 und übernahm faktisch zeitweise die Funktion des offiziellen dänischen Vertreters. Erst nachdem im August 1782 Friedensverhandlungen begonnen hatten und - auch auf Drängen von Daniel Pullei - der neue dänische „Resident" Olearius in das Lager entsandt wurde, erhielt Daniel Pullei die Erlaubnis, nach Tranquebar zurückzukehren.73 In den Jahren 1782 bis 1785 war der „Königliche Gouvernementsdolmetscher" mehrfach im Auftrag der dänischen Kolonialregierung in Thanjavur. Zwischen dem Raja von Thanjavur und der dänischen Seite gab es des öfteren Unstimmigkeiten wegen Pachtangelegenheiten.74 Als Antwort auf zinsgünstige Kredite, die Dänemark dem Raja gewährte, räumte dieser den Dänen Pachtrechte über Dörfer ein. 1780 hatte Dänemark von Thanjavur für einen derartigen Kredit die Pachterlaubnis über mehrere Dörfer im Distrikt Tirulatschery (Tirukkalachcheri) für einen Zeitraum von 90 Jahren erhalten. Derartige Zusagen mußten jedoch im Laufe des Krieges immer wieder neu verhandelt werden. Am 26. Oktober 1784 ging Daniel Pullei in einer offiziellen Mission zu entscheidenden Verhandlungen nach Thanjavur.75 Einen Monat später wurden die Verhandlungen zunächst für beendet, die Geldangelegenheiten für erledigt erklärt und der Raja von Thanjavur würdigte die Tätigkeit Daniel Pulleis in einem offiziellen Schreiben (Strandberg 1983: 307). Diese Verhandlungsetappe endete mit dem Ergebnis, daß 178S Pachtrechte an 14 Dörfern an
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die Dänen Ubergeben wurden. Im Oktober 1785 war Daniel Pullei bereits wieder in offizieller Mission in Thanjavur. Am 10. Oktober 1785 meldete er dem Missionar Klein, er wisse nicht, wann „seine Sache, wegen der er gekommen abgeschlossen sein wird"76. 1786 erhielt Dänemark die Pachtrechte über das gesamte Gebiet Tiruwidakarhi (Tiruvidakkali?) für 35 000 Pagoden.77 Seine Funktionen in verschiedenen gesellschaftlichen Zusammenhängen und sein diplomatisches Geschick führten dazu, daß er sowohl auf der europäischen als auch auf der indischen Seite hohe Akzeptanz genoß. Davon zeugt u.a. sein Einsatz als Vermittler bei Kastenunruhen im dänischen Gebiet 1787. Im August 1787 war es in Tranquebar zu Protesten der Bevölkerung gekommen, bei denen ganze Familien einzelner Kasten mit ihrem gesamten Vermögen78 den Ort verlassen und sich auf das Gebiet des Königs von Thanjavur begeben hatten. Mit dieser Aktion drückten die Aufständischen ihren Unmut über soziale Mißstände, in erster Linie über Privilegien und Machtbefugnisse einzelner in europäischen Diensten stehenden dubashs der sozial niedrig stehenden Kaste der Saluppan Cetti (Leinenproduzenten/Händler) aus (Liebau 1997; Brimnes 1999: 103). Neben seiner Funktion als dubash war Daniel Pullei als Beisitzer im „Schwarzen Gericht" in Tranquebar tätig, wo Rechtsstreitigkeiten unter der lokalen Bevölkerung von Indern, aber unter Aufsicht von Europäern geschlichtet wurden. In rechtlichen Auseinandersetzungen spielten dubashs oft eine wichtige Rolle (Ahuja 1999: 58). Betroffene Menschen trugen ihre Anliegen dem zuständigen dubash vor, der wiederum leitete die Angelegenheit an die europäische Instanz weiter. Schon durch die sprachliche Monopolstellung konnte er auf den Verlauf der Dinge Einfluß nehmen.79 Daniel Pullei war durch die Kombination seiner politischen Identität als dubash mit seiner religiösen als Christ in den Augen der Missionare besonders für die lokale Rechtsprechung geeignet, vor allem dann, wenn Christen in die Fälle verwickelt waren. Konfliktschlichtung unter den zu den Missionsgemeinden gehörenden Christen war seit Bestehen der Tranquebarmission Thema ständiger Auseinandersetzungen mit der dänischen Kolonialregierung. Aus pragmatischen Gründen und um die Interessen der eigenen Leute zu wahren, war die Mission bestrebt, möglichst viele Fälle in eigener Verantwortung zu verhandeln. Wenn das nicht möglich war, wurden je nach Erfordernissen die weltliche Kolonialobrigkeit oder lokale Gerichte bemüht. Demgegenüber stand das permanente Bestreben der dänischen Handelsgesellschaft bzw. des Gouvernements, die eigene Rechtsprechung der Mission einzuschränken oder zu verhindern. Dies wurde nach der Übertragung der kolonialen Rechte an den dänischen Staat 1777 auch gesetzlich festgeschrieben. In der Praxis setzte sich jedoch immer wieder eine gewisse Eigenständigkeit der Missionsrechtsprechung durch (Nergaard 1988: 164f., 193f.). Daniel Pullei konnte als christlicher Beisitzer im lokalen oder „Schwarzen" Gericht besonders in Zeiten der Rechtsunsicherheit die Interessen der Missionare bei der Schlichtung eines Falles durchsetzen. In den 1790er Jahren kam es noch einmal zu intensiven Auseinandersetzungen um die Missionsgerichtsbarkeit. Die Missionsrechtsprechung war durch eine vom Gouverneur Peter Anker veranlaßte Untersuchung in starke Kritik geraten (Nergaard 1988: 202ff.), und das vom Gouverneur Abbest6e wiedereingeführte Amt eines nättanmei-k-käraa (eigentlich Dorfvorsteher, hier: Verantwortlicher für Rechtsprechung) unter den Missionschristen wurde unter Anker nur noch übergangsweise geduldet. Zu diesem Zeitpunkt griffen die Missionare noch einmal auf „ihre" christlichen dubashs als Mittelsmänner in Rechtsangelegenheiten zurück. In
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einem pro memoria wandten sich die Missionare im November 1794 an die dänische Obrigkeit. Sie forderten, bei Streitigkeiten unter Christen entweder die ursprünglich praktizierte missionsinterne Gerichtsbarkeit weiterzuführen oder aber „zu befehlen, daß die Untersuchungen und Schlichtungen nicht durch die Heiden und Dubaschen sondern durch die als Gerichtspersonen, schon bestätigten königlichen Dollmetscher Daniel Pullei und Pragasa Pillei u durch den Gericht Assessor, Dewapria Pullei mit Zuziehung einiger Häupter aus der Gemeine geschehen mögen" 8 . Der Forderung wurde offiziell nicht nachgegeben. Inoffiziell wurde jedoch trotz des Verbots in vielen Fällen ein missionsinternes Urteil gesprochen (Nargaard 1988: 212). Daniel Pullei nahm aufgrund seines Glaubens eine besondere Stellung unter den meist hinduistischen dubashs ein. Während seines ganzen Lebens war die christliche Religion für ihn ein wichtiger Teil seiner Identität. Seine Tätigkeit als Vorsitzender der tamilischen Gemeinde in Tranquebar, die enge Verbindung zu den dortigen Missionaren und sein Interesse an Übersetzungsarbeiten waren von seiner religiösen Überzeugung geleitet. Seine religiösen Grundsätze hielten ihn jedoch nicht davon ab, als Geldverleiher zu fungieren. Wie viele dubashs verlieh er größere Summen zu einem hohen Zinssatz von 8-12 Prozent. 81 Wegen dieser Aktivitäten wurde er von den Missionaren des öfteren kritisiert. Daniel Pullei hatte sechs Kinder, zwei Söhne und vier Töchter. Eine der Töchter war geistig behindert. Über die anderen geben die Quellen keine Auskunft. Seine Söhne hätte der dubash gern in Missionsdiensten gesehen. Beide gingen in den 1780er Jahren bei dem Missionar Joseph Daniel Jänicke (1759-1800) in Thanjavur zur Schule.82 Mit Unterstützung von Christoph Samuel John (1747-1813) versuchte Daniel Pullei, einen Sohn zur Ausbildung nach Europa zu schicken. Diese Form der Missionarsausbildung, für die sich John generell sehr stark einsetzte, stieß jedoch in Europa nicht auf das nötige Verständnis? 3 Christian, der jüngere Sohn Daniel Pulleis, unterrichtete ab August 1791 in der englischen Schule in Thanjavur Rechnen. 84 Der ältere Sohn wurde ab 1787 bei Christian Friedrich Pohle in Tiruchchirappalli auf den Missionsdienst vorbereitet 85 , wurde jedoch nicht als Missionshelfer eingesetzt, sondern 1790 wegen seiner jguten Dänischkenntnisse zur Unterstützung des Vaters nach Tranquebar geschickt . Die weiteren Lebenswege der Söhne bleiben im Dunkeln. Aus dem Lebenslauf Daniel Pulleis ist lediglich zu erfahren, daß der zweite Sohn jung als Trinker starb. Daniel Pullei war zweimal verheiratet. In den Briefen, die er in den langen Zeiten seiner Abwesenheit schrieb, erkundigte er sich häufig nach der Familie und ließ christliche Literatur weiterleiten. Für seine Frau sollte sie „mit etwas größeren Buchstaben, fein auseinander die Buchstaben gesetzt" sein. Im Januar 1802 starb Daniel Pullei in Tranquebar.
Akteure im Vergleich Kaste und Entwicklungsmöglichkeiten Die unterschiedlichen Lebenswege beider Akteure wurden nicht nur durch zufallige Umstände und individuelle Fähigkeiten, sondern ganz entscheidend durch die jeweilige Kastenzugehörigkeit beeinflußt. Da beide bereits als Christen der dritten Generation geboren wurden, war die Kaste schon von den Großeltern mit der Kon-
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versión offiziell aufgegeben worden. Trotz des Glaubenswechsels beurteilte die lokale Bevölkerung diese Familien im Alltag aber weiterhin nach ihrer ursprünglichen Kastenzugehörigkeit. Diesem gesellschaftlichen Druck hielten auch die „guten" Absichten der frühen Missionare nicht stand, sich Uber die Kastenschranken hinwegzusetzen. Im Missionsalltag wurde immer wieder der Kastenstruktur Rechnung getragen, sei es bei der Gestaltung der Gottesdienste, beim Einsatz des lokalen Personals oder bei der Entwicklung des Schulwesens. Das christliche Ideal der Gleichheit aller Menschen vor Gott ohne Unterschied von Herkunft und Status war unter den Bedingungen der rigiden Kastenstruktur in Südindien nicht umsetzbar. Rajanaikkan blieb - trotz aller Verdienste, die er sich in den 40 Dienstjahren erworben hatte - nicht nur für die Bevölkerung, sondern auch für die Missionare immer ein Paraiyar. Bereits 1729 bezeichnete der Missionar Christian Friedrich Preßier diesen Umstand als „Persönlichkeitsmangel" und konstatierte, daß Rajanaikkan, obwohl neugierig, lernbegierig und aufnahmebereit, aufgrund seiner Herkunft aus einem „niederen Geschlecht" nicht für die Arbeit mit Shudras einsetzbar sei.88 Zwar wurde er wegen seiner Fähigkeiten 1740 für die Ordination des zweiten Landpredigers vorgeschlagen, hatte aber von vornherein keine Chance, ernannt zu werden. Immerhin fühlten sich die Missionare zu einer Rechtfertigung verpflichtet. In einem Schreiben an den Herausgeber der Missionsberichte heißt es, daß Rajanaikkan „nicht eben aus Besorgung eines Mangels seiner Tüchtigkeit, sondern wegen des unter den Tamulern so sehr eingerissenen und dominierenden Unterschieds der Geschlechter" nicht ordininert werden könne, aber wenigstens zum „Oberkatecheten" berufen werden sollte. Als solcher dürfe er allerdings wichtige religiöse Handlungen wie „das Heil. Abendmahl und andere Actus ministeriales"89 nicht verrichten. Für die Ordination eines weiteren Landpredigers 1749 wurde der Paraiyar gar nicht erst in Erwägung gezogen. Rajanaikkan selbst hielt dagegen die Ordination eines Paraiyar nicht nur für möglich, sondern sogar für notwendig. In einem Schreiben an das Missionskollegium in Kopenhagen mahnte er dies indirekt an, indem er auf die Ernennung eines katholischen Paraiyar-Priesters in Thanjavur aufmerksam machte: „Dieser Priester lehret die vom hohen Geschlechte nicht; diese kommen auch nicht zu ihm. Weil bey der heydnischen Obrigkeit das Geschlecht der Pareier sehr gering geachtet ist, so achten vornehme Leute diesen Pareier-Priester nicht, und widersetzen sich ihm nicht. Daher bevestiget sich dieser PareierPriester, und ist ohne Verfolgung. Dieser Priester hat sich mit Geschencken und Presenten bey der heydnischen Obrigkeit insinuiret, und ist unter den Seinigen in grossen Ehren." Wiedebrock, der Übersetzer des Schreibens, ging in seinem Begleitbrief nicht auf die Äußerungen Rajanaikkans ein, betonte statt dessen demonstrativ, daß als künftiger Landprediger derzeit nur der Shudra Ambrosius in Frage komme.91 Daniel Pullei entstammte einer armen christlichen Familie, die innerhalb der Tranquebarmission durch die langjährige Tätigkeit des Großvaters einen festen Platz einnahm. Aus diesem Grund und wegen seiner herausragenden sprachlichen Fähigkeiten genoß er die uneingeschränkte Förderung durch die Mission. Über die Kastenzugehörigkeit der Familie geben die Quellen keine direkte Auskunft. Zwar geht aus seinem Lebenslauf hervor, daß er einer Shudra-Kaste angehörte, weitere Details
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wurden aber nicht für wichtig erachtet. Wenn man in Betracht zieht, daß dubashs im Raum Madras in der Regel den Kasten der Vellala, Yadava oder Kanakkappillai entstammten (Buchanan 1988 repr., Bd. 3: 466-68), läßt sich der Kreis eingrenzen. Eine eindeutige Aussage kann aber nicht getroffen werden. Vermutlich stammte er aus einer Vellala-Familie, einer höherstehenden, landbesitzenden Shudra-Kaste. Während im Zusammenhang mit Rajanaikkans Lebensweg immer wieder bedauernd auf dessen Kastenzugehörigkeit verwiesen wird, scheint dies in Hinblick auf Daniel Pullei kaum eine Rolle zu spielen. Die Kastenzugehörigkeit stellte in seinem Fall kein Hindernis für die Übernahme unterschiedlichster Funktionen dar. Er konnte in der lokalen Rechtsprechung, in der tamilischen Christengemeinde in Tranquebar und als Dolmetscher des Gouverneurs eingesetzt werden. Motivationen der Akteure Als Resultat intensiver religionsvergleichender Überlegungen drängte Rajanaikkan als junger Mann hartnäckig darauf, in den Missionsdienst zu gelangen. Über seine Motive zu diesem Schritt hieß es im Juli 1727: „Es wäre, sagte er, vor langen Zeiten der heilige Thomas in dieses Land gekommen, und hätte viele durch die Predigt des Evangeliums belehret; Hernach wären ihre Priester gekommen (die Katholiken; H.L.); Jetzo wären wir (die Tranquebar-Missionare; H.L.) nun auch zu gleichem Zweck hier; ob denn unsere, oder ihre Lehre älter wäre? Nachdem unsere Bücher ins Land gekommen, lästerten uns dort manche sehr, wir wären Lügen-Priester. Er wäre dadurch bewogen, sich mit uns bekannt zu machen, um zu sehen, ob es wahr wäre, oder nicht."92 Neben diesem religionsvergleichenden Moment war vermutlich auch seine Paraiyar-Identität ein Grund, zum lutherischen Glauben überzutreten. Ob und inwieweit diese sein Bewußtsein als Unteroffizier der Thanjavur-Armee mitbestimmte, läßt sich aus den Quellen nicht entnehmen. Es ist aber anzunehmen, daß er im lutherisch-pietistischen Glauben eine Zukunft für sich als Paraiyar sah. Diese Illusion wurde zerstört, als die Kaste das entscheidende Hindernis für seine Ordination zum Priester wurde. Damit verschärfte sich sein Problembewußtsein für Kastenunterschiede und die damit begründete soziale Benachteiligung. Rajanaikkans Ansehen in der tamilischen Gesellschaft wurde zum einen durch seine Tätigkeit als Katechet der Dänisch-Halleschen Mission begründet. Zum anderen konnte er durch seine frühere Position in der Armee auf weitreichende lokale Verbindungen zurückgreifen. Üblicherweise waren die bei der Dänisch-Halleschen Mission angestellten Inder unter ständiger Kontrolle der Missionare. Sie erhielten regelmäßig Anweisungen und waren zu schriftlicher Berichterstattung veipflichtet. 93 Disziplinverstöße wurden mit Bestrafung bis hin zur Suspendierung geduldet. Rajanaikkan war durch die politischen Umstände und durch die Entfernung zwischen Thanjavur und Tranquebar lange ohne diese Kontrolle. Er hatte angeregt, im Gebiet des Königs von Thanjavur, das zu diesem Zeitpunkt für europäische Missionare nahezu unzugänglich war, selbständig tätig zu werden. 94 Für die Missionare war er damit zunächst eine unentbehrliche Stütze in einem für sie unerreichbaren Missionsfeld. Als Unberührbaren (Paraiyarj konnte man ihn jedoch nicht so fordern wie andere indische Missionsangestellte. Rajanaikkan betonte zwar stets seine Stel-
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lung als Untergebener gegenüber den Missionaren, jedoch nicht, ohne gleichzeitig auf seinen Wert zu verweisen: „Ob ich nun gleich nicht würdig bin, bei der Herde des Herren Dienst zu thun, und einen Diener der Missionarier abzugeben: so wirket doch der Herr einige Messen durch mich" 95 . Im Unterschied zu Rajanaikkan wurde Daniel Pullei in das missionarische Umfeld hineingeboren, konnte sich an Vorbildern innerhalb der eigenen Familie orientieren und wurde nach dem Tod seines Großvaters von Missionaren betreut. Die besonderen Interessen und Fähigkeiten Daniel Pulleis lagen seit frühester Kindheit auf sprachlichem Gebiet. Hier entwickelte er ehrgeizige Ambitionen für eine eigene Karriere, die er durch den Wechsel von der religiösen zur politisch-diplomatischen Tätigkeit verwirklichen konnte. Aufgrund seiner besonderen Eignung wurde er in den Dienst des dänischen Gouverneurs berufen und betrat somit als Christ die politische Arena. Während seiner Einsätze der unterschiedlichsten Art in seinen Funktionen bei der Mission und im Dienste der dänischen Kolonialverwaltung hatte er immer wieder Gelegenheit, sich zwischen europäischen und lokalen Herrschern bzw. zwischen Europäern und der lokalen Bevölkerung zu bewegen. Er spürte, daß er sich „bald von Europäern und noch mehr in der Nation öfters Verdruß und Verläumbdungen zuzog wenn er nicht nach eines jeden Intereße handeln konnte und wollte" 96 . Wenn es nach den Vorstellungen der Missionare gegangen wäre, hätte Daniel Pullei vermutlich auch die Laufbahn eines Katecheten eingeschlagen. Der Wechsel aus dem Missions- in den politischen Kontext verlagerte zwar den Hauptteil seiner Aktivitäten in diesen Bereich, bedeutete aber keinen Bruch mit der Mission. Daniel Pullei blieb mit einigen Missionaren persönlich in Kontakt und setzte seine sprachlichen Fähigkeiten in regelmäßigen Ubersetzungstätigkeiten ein. Hinzu kam, daß er mit seiner Funktion als dubash letztendlich eine gesellschaftliche Stellung innehatte, die ihn für die Mission wieder zu einem interessanten und wichtigen Partner machte. So leistete Daniel Pullei der Mission u.a. logistische Hilfe bei Rechtsstreitigkeiten und Auseinandersetzungen mit der lokalen Bevölkerung. 97 Die engen persönlichen Kontakte zur Mission, die seit seiner Kindheit bestanden, und eine gewisse, nicht zu unterschätzende Dankbarkeit der Mission gegenüber, gehörten zu den Gründen für die andauernde Zusammenarbeit. Seiner Verbundenheit gegenüber der Dänisch-Halleschen Mission verlieh er als wohlhabender Inder in den 1780er Jahren in Form großzügiger Geschenke und Zuwendungen Ausdruck.9*
Wirkungsbereiche und Ergebnisse ihres Handelns Nach diesen vergleichenden Betrachtungen zu Herkunft, Motivation und gesellschaftlicher Position der Akteure soll abschließend versucht werden, die Frage nach den von ihnen initiierten bzw. mitgestalteten gesellschaftlichen Wandlungsprozessen zu beantworten. Zweifellos waren beide nicht Opfer oder lediglich passive Zeugen der tiefgreifenden politischen und kulturellen Veränderungen, die Südindien im 18. Jahrhundert erlebte. Jeder war auf seine spezifische Weise bewußt und intensiv an diesen Entwicklungen beteiligt. Neben ihren persönlichen Fähigkeiten und Interessen war der Umstand, eine Funktion als Angestellter einer europäischen Institution auszuüben, sowohl wesentliche Voraussetzung für ein aktives Eingreifen in gesellschaftliche Ereignisse als auch Anstoß für emanzipatorische Ansätze in ihrem Handeln. Gleichzeitig wurden der Souveränität und Eigenverantwortlichkeit der
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Akteure durch die Integration in ein maßgeblich von Europäern geprägtes System von Normen, Abhängigkeiten und Hierarchien deutliche Grenzen gesetzt, die sie mit ihrem Handeln nicht überschritten. Rajanaikkan sah seine Lebensaufgabe nicht nur in der Verbreitung des Evangeliums im Namen der lutherisch-pietistischen Missionare von Tranquebar, sondern auch im Prüfen unterschiedlicher europäisch-christlicher weltanschaulicher Konzepte auf ihre Anwendbarkeit unter den gesellschaftlichen Bedingungen Südindiens. Er setzte sich mit verschiedenen Formen des Christentums auseinander, um eine für die tamilische Bevölkerung annehmbare und verständliche Glaubenslehre zu finden. Sozialer Wandel war für ihn nur über religiöse Veränderungen denkbar. Der Bevölkerung des Landes mußte die christliche Lehre so vermittelt werden, daß sie ihrem Lebensgefühl und alltäglichen Normen nicht widersprach. Die Vorstellung von einem gekreuzigten Jesus etwa würde den Tamilen diese Religion nicht näher bringen. Demgegenüber empfand Rajanaikkan die Methode der Hermhuter Brüdergemeine, in erster Linie die Verdienste und Taten Jesu herauszuheben, wesentlich erfolgversprechender." Der Gedanke an ein ewiges Leben nach dem Tode, wie er von den Christen gepredigt wurde, mußte seiner Meinung nach bei den an den Kreislauf der Wiedergeburten glaubenden Hindus Unverständnis und Spott auslösen. 100 Im Gegensatz zu anderen indischen Missionsangestellten widmete Rajanaikkan auch öffentlichen religiösen Streitgesprächen mit gebildeten Muslimen oder Hindus viel Zeit und Kraft 1 ', in denen er aufgrund seiner guten Kenntnis der anderen Religionen wirkungsvoll argumentieren konnte. Bei seinen religionsvergleichenden Analysen ging er als Paraiyar selbstbewußt von der Möglichkeit der Mitbestimmung der Tamilen in der Entscheidung über den „wahren" Glauben aus. Obwohl die Tranquebar-Missionare seine Vorgesetzten und Arbeitgeber waren, nahm er deren Lehre nicht unkritisch entgegen. Rajanaikkan sah im Christentum eine Bereicherung, aber auch eine Herausforderung, die die indische Bevölkerung nicht blind annehmen sollte. Wissenschaftliche Neugier in theologischen und historischen Fragen und ein ausgeprägtes Informationsbedürfnis über christliche Werte und Glaubensinhalte wurden von den Missionaren einerseits begrüßt 102 , andererseits lehnten sie den offenen Umgang mit unterschiedlichen christlichen Strömungen in ihrer Missionspraxis entschieden ab. Für Rajanaikkan war der Wechsel vom Katholizismus zum Protestantismus ein aktiver, selbstbestimmter Entschluß. Aus Überzeugung von der Richtigkeit der evangelischen Lehre brach er mit dem katholischen Glauben. 103 Sein Versuch, als dalit die christliche Kirche Indiens mitzugestalten, machte ihn zu einer Ausnahme für seine Zeit und seine Herkunft, scheiterte aber auch am Unvermögen der Missionare, die sozialen Realitäten zu ignorieren und mit einem kastenlosen Priester ein frühes Zeichen innerhalb der Dänisch-Halleschen Mission zu setzen. Obwohl die persönliche Karriere Rajanaikkans innerhalb der Mission abgebrochen wurde und seine Person umstritten ist, gilt er bis heute als Brückenkopf der DänischHalleschen Missionare in Thanjavur und als Begründer der lutherischen Kirche in diesem Gebiet. „Suffice to say that Rajanaicken was the chief means of introducing Protestantism into Tanjore and forming the early church at that Station", konstatierte Agur (Agur 1903, repr. 1990:435). Rajanaikkan hatte von Beginn seiner Missionstätigkeit an eindeutig die Position bezogen, im Interesse der Inder - in erster Linie der indischen Christen - nach einer „reinen" Religion zu suchen. Da er sich aufgrund dieser selbst gestellten Lebens-
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aufgabe verpflichtet und berechtigt fühlte, die unterschiedlichen Varianten des Christentums ohne Rücksicht auf seine unmittelbaren Auftraggeber abzuwägen und sie aus seiner Sicht miteinander zu vergleichen, blieb ein kritischer Abstand zu den Missionaren bestehen. Neben der religiösen Tätigkeit widmete sich Rajanaikkan der Entwicklung des Schulwesens in Thanjavur. Unter dem militärisch aktiven Herrscher Pratab Singh (1739-1763), in einer Zeit ständiger Übergriffe und Angriffe auf Thanjavur, konnte er die Eröffnung einer Schule durchsetzen und sie betreuen. Die 1742 gegründete Schule, in der durchschnittlich fünf bis neun Kinder lernten, scheint zumindest bis 1757 existiert zu haben, dann verschwindet sie aus den Statistiken.'04 Inwieweit politische Umstände, innere Missionsangelegenheiten oder Mangel an Schülern zur Schließung der Schule geführt haben, ist nicht nachvollziehbar. In den vierziger Jahren hatte Rajanaikkan die Aufsicht über die Missionsschulen in Thanjavur, Tirupalaturei (Tiruppälaturai), Rarasalam und Cawastalam inne und betreute die dortigen Lehrer.105 Rajanaikkans Tätigkeit als Dichter und Übersetzer findet in den Quellen wenig Erwähnung. Sein Versuch, eine Passionsgeschichte in der tamilischen AmmäneiVersart zu schreiben, zeugt von dem Bemühen, den christlichen Glauben an lokale Verhältnisse zu adaptieren.106 Elemente seiner Dichtungen wurden später u.a. von dem Katecheten Gabriel in dessen religiöser Arbeit unter der lokalen Bevölkerung verwendet.107 Außer den auf Palmblättern geschriebenen Arbeitsberichten, von denen einige in der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen vorhanden sind, scheint diese Passionsgeschichte das einzige Werk aus Rajanaikkans Feder zu sein. Benjamin Schultze weist 1744 auf eine von Rajanaikkan erstellte Übersetzung des „Paradies-Gärtlein" von Johann Arndt hin.108 Daniel Pullei, den John einmal als einen der „geschicktesten und erfolgreichsten Tamiler in königlichen Diensten"109 bezeichnete, verband seine beratenden Funktionen in der Politik mit aktivem Engagement zur Unterstützung der lutherischen Missionstätigkeit. Sein Hauptwirkungsfeld war ab seinem 20. Lebensjahr die Politik. Auch wenn er offiziell im Auftrag des dänischen Gouverneurs eingesetzt war, hatte er als dubash einen vergleichsweise großen Bewegungs- und Entscheidungsrahmen. Für den Gouverneur war der dubash nicht nur Dolmetscher und politischer Berater, sondern auch enger Vertrauter. Der dubash seinerseits nutzte seinen persönlichen Einfluß auf die Entscheidungen des Gouverneurs, um über seine Aufträge hinaus auch die Interessen anderer gesellschaftlicher Kräfte zu bedienen. Daniel Pullei war im Verlaufe seiner politischen Karriere Mittler zwischen den unterschiedlichsten Gruppierungen. In den militärischen Auseinandersetzungen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vermittelte er zwischen der dänischen Seite und den Beauftragten des Herrschers von Maisur. Während des Einsatzes bei Haidar Ali war er durch den plötzlichen Tod des dänischen Gesandten mehrere Monate auf sich allein gestellt. Über diese Zeit berichtete er später dem Missionar John: „Hier gestund er nachher mußte ich dem Sultan nach dem Munde reden und erdichtete manches wovon ich wußte, daß er es gerne hätte."110 Hinsichtlich territorialer Fragen war er häufig an Verhandlungen mit dem Raja von Thanjavur beteiligt, zu dessen Gebiet ursprünglich auch die dänische Handelskolonie gehörte. Bei derartigen Verhandlungen trafen in der Regel dubashs unterschiedlicher Herrscher direkt aufeinander und hatten weitreichende Handlungsbefu-
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gnisse und Vollmachten. Über den Verlauf der Verhandlungen wurde regelmäßig berichtet, und neue Instruktionen wurden erwartet. Unmittelbarer Verhandlungspartner in Thanjavur war zeitweise der dubash des dortigen Raja Panchaiyappa Mudaliyar (dubash von 1780-1794) (Neild-Basu 1984: 15f.).'" Von diesen Verhandlungen berichtete Daniel Pullei auch regelmäßig dem zweiten Gouvemementsdolmetscher in Tranquebar, Pirasaga Pillai , und forderte ihn auf, seinerseits Einfluß auf Abbestee zu nehmen. Der zweite wichtige Wirkungsbereich Daniel Pulleis war seine Übersetzertätigkeit. Die Missionare schätzten seine sprachlichen Fähigkeiten hoch ein. Sie übertrugen ihm 1782 die Durchsicht und Korrektur der von Johann Philipp Fabricius (1711-1791) fertig gestellten Bibelübersetzung „sonderlich in Absicht, auf die Reinheit und Deutlichkeit der Sprache" 113 zu achten. In seiner freien Zeit, so auch während seines mehrmonatigen (März bis August 1782) Aufenthaltes im Feldlager des maisurischen Herrschers Haidar Ali, übersetzte Daniel Pullei u.a. christliche Erbauungsbücher des mittelalterlichen Klosterpriesters Thomas von Kempen ins Tamil, weil er von diesen Schriften sehr beeindruckt war." 4 Von Kempens Bücher gehörten über viele Jahrhunderte zur meist gelesenen christlichen Literatur in Europa (Kempen 1997: 231). Die Missionare in Tranquebar hatten in den 1720er Jahren mehrere Werke des Thomas von Kempen in portugiesischer Sprache 115 und 1741 in Tamil 116 gedruckt und für den Missionsdienst eingesetzt. Erst nach Daniel Pulleis Tod sind einige seiner Übersetzungen gedruckt worden (Muthuraj 1986: 14, 48; Hudson 2000: 169). Daniel Pullei schrieb selbst ein Erbauungsbuch mit dem Titel „Pakti mancari" (Poem of Devotion), das in Madras 1807 erschien (Muthuraj 1986:14). Rajanaikkan und Daniel Pullei wurden als Beispiele aus der Gruppe von indischen Konvertiten, die im 18. Jahrhundert mit der Dänisch-Halleschen Mission zusammenarbeitete, ausgewählt. Trotz ihrer individuellen Besonderheiten können ihre Biographien im Kontext der südindischen Gesellschaft jedoch nicht als Einzelschicksale betrachtet werden. Zum einen dokumentieren die Lebenswege des Katecheten und des dubash auf unterschiedliche Weise den Beginn der Herausbildung einheimischer religiöser bzw. bürokratischer Eliten im Prozeß der Etablierung der britischen Kolonialmacht in Südindien. Der in europäischen Diensten eingesetzte indische Klerus markierte die Anfänge einer von Einheimischen getragenen christlichen Kirche in Indien. Rajanaikkan, der Unberührbare, hoffte durch den Schritt der Konversion in eine religiöse Gemeinschaft zu gelangen, die ihm als Paraiyar die - zunächst nur religiöse - Gleichstellung mit anderen Glaubensanhängern garantierte. Er mußte erkennen, daß die gesellschaftlich verankerte Marginalisierung auch im neuen religiösen Kontext fortdauerte. Im Rahmen seiner Möglichkeiten als Missionskatechet und unter Nutzung lokaler Kontakte suchte er bewußt und aktiv nach neuen religiösen Inhalten, ohne dabei eigene Traditionen völlig zu negieren. Der Name Rajanaikkans ist jungen südindischen Christen heute nicht unbekannt. Besonders für dalits stellt der Katechet aus dem 18. Jahrhundert eine Symbolfigur dar." 7 Die dubashs des 18. Jahrhunderts wiederum waren oft die direkten Vorgänger einflußreicher Kreise der indischen Bürokratie des 19. Jahrhunderts (Neild-Basu 1984:4/5). Der vom armen Christen zum wohlhabenden und einflußreichen Politikberater aufgestiegene Shudra Daniel Pullei befand sich in einem ständigen Interessenkonflikt zwischen der lokalen Bevölkerung einerseits und verschiedenen euro-
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päischen Kräften (Mission, Kolonialobrigkeit) andererseits. A l s typischer Vertreter der dubash-Schichl betrieb er in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Stellvertreterpolitik für seine europäischen Auftraggeber, nicht ohne dabei e i g e n e Interessen und die ihm nahestehender sozialer Gruppen mit zu bedienen. Zum anderen verbanden beide Akteure ihre tamilische Identität bewußt mit der Zugehörigkeit zum Christentum. Ihr j e w e i l i g e s Identitätsverständnis als tamilische Christen wurde s o w o h l durch ihre ursprüngliche soziale Verankerung i m lokalen Kastensystem als auch durch den unterschiedlichen Charakter ihrer Aufgabenbereiche als europäische Angestellte beeinflußt. Rajanaikkans kritischer und aktiver Umgang mit der christlichen Lehre stellte eine Herausforderung für die Europäer dar. D i e Kastenzugehörigkeit bot unter diesen Umständen einen w i l l k o m m e n e n Vorwand, d e m Paraiyar den Einsatz in höheren Positionen zu verwehren. D i e aus der europäischen Präsenz folgenden politischen und kulturellen Veränderungen wurden von den sich konstituierenden religiösen und bürokratischen lokalen Eliten nicht als bedrohlich für die tamilische Gesellschaft angesehen. Europäer waren zwar Fremde, aber nicht ä priori Gegner. Europäer und indische Eliten befanden sich trotz ihrer andauernden ungleichgewichtigen Position in e i n e m w e c h selseitig geprägten Abhängigkeitsverhältnis.
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Dubash, eigentlich dubhäsiyä (Hindi), bezeichnet ursprünglich einen Menschen, der zwei Sprachen spricht ( Aligarh Aligarh Institute Gazette Oriental Defence Associa- logen College (1877) Universität ence (1886)* Aligarh Muslim UniverOld Boys Association (1899,1907) tion of Upper India (1893); (1920) sity Gazette Muslim League (1906)*
Ahmadlya als Sekte offiz. Wie unter Politik/Öffentlichkeit. AnEigene Bildungseinrichtungen bis Anerkannt (1900) juman-i Ahmadlya (Orgazur Sekundarstufe. nisation der Ahmadis, 1906); Ahmadlya Anjuman Ishä'at Islam (Gesellschaft zur Propagierung des Islam - Lahore-Fraktion, 1914)
Barelwi (Jam'iyat ahl-e sun- Zu Bildungsaufgaben, siehe Seminat) nar und wie unter PoliManzarul Islam (1904); Ma- tik/Öffentlichkeit, Propaganda. drasa Mazhär al-Isläm (1937)
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Die Niederlage des Osmanischen Reichs im Ersten Weltkrieg löste 1918 bei den islamischen Gelehrten in Indien die große Befürchtung aus, daß in den nachfolgenden Friedensverhandlungen nicht nur ein Großreich zerschlagen werden sollte. Die Schwächung oder der mögliche Verlust des türkisch-osmanischen Kalifats zu diesem Zeitpunkt beschwor den Verlust der letzen weltlichen Bastion herauf, über die der Islam in der Welt verfügte und die den Großmächten Paroli bieten könnte. Aus ihrer Minderheitensituation heraus war den islamischen Eliten Indiens der exterritoriale Beistand stets bedeutsam erschienen, auch wenn dies eher eine romantische Vorstellung blieb. Durch den Rückzug der Türkei auf die anatolischen Kernlande verlor ihrer Meinung nach das osmanische Kalifat seinen weltlichen Einfluß, den es brauchte, um den Schutz des Islam und der Muslime in der Welt effektiv durchsetzen zu können. Ihre Furcht wurde durch Gerüchte verstärkt, daß Konstantinopel internationalisiert und der Kalif damit zu einer Symbolfigur degradiert werden sollte. In der Unzufriedenheit der islamischen Gelehrten spiegelte sich der Unmut von ganz Indien wider. Nachdem sich indische Truppen, und unter ihnen Muslime in weit größerer Zahl als es ihrem Bevölkerungsanteil entsprach, an den alliierten Fronten des Ersten Weltkriegs tapfer geschlagen hatten, erwarteten sie auch ihren Anteil an den politischen Früchten dieses Einsatzes. Man wähnte die Unabhängigkeit - oder zumindest Selbstverwaltung im Rahmen des Britischen Empire - unmittelbar bevorstehend. Die Inder sahen sich in ihren Hoffnungen durch die Wilson-Doktrin der Alliierten bestärkt, die allen unterdrückten Völkern der gegnerischen Großreiche die nationale Unabhängigkeit versprach. Man übersah dabei, daß die Auflösung der Großreiche der Alliierten, d.h. Rußlands, Englands und Frankreichs, keineswegs vorgesehen war. Statt neuer politischer Rechte verkündeten die Briten mit dem sogenannten Rowlatt-Gesetz von 1918 die Aufrechterhaltung von Beschränkungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Pikanterweise berief sich die RowlattKommission, auf deren Erhebungen das Gesetz beruhte, zuvorderst auf die panislamischen Verschwörungsaktivitäten. Auch das neue Verfassungsgesetz von 1919 erfüllte die Erwartungen der Inder nicht, sah es doch trotz Einführung von Provinzparlamenten die Aufrechterhaltung offizieller, d.h. kolonialer Verwaltungskontrolle über die Parlamente und die Regierungstätigkeit vor. Der Wahlzens schloß weiter große Teile der Bevölkerung von der Abstimmung aus. Die Ankündigung von Wahlen verstärkte bei den islamischen Geistlichen nur die Befürchtung, künftig von der Hindu-Mehrheit dominiert zu werden, so daß sie den religiösen Charakter ihres islamischen Lebens nicht mehr würden aufrechterhalten können. In ihrer allgemeinen Unzufriedenheit griffen die culamä1 ohne Zögern die Kampagne zur Unterstützung des osmanischen Kalifen auf, die von den Gebrüdern Ali nach ihrer Freilassung im Dezember 1918 in Angriff genommen wurde. Massive Unterstützung erfuhren sie durch Mahatma Gandhi, der die Unzufriedenheit der indischen Muslime nutzte, um eine gesamtindische Bewegung der NichtZusammenarbeit ins Leben zu rufen. Die Teilnahme übertraf alle Erwartungen. Zugleich bauten die 'ulamä* und Gandhi eine straffe Organisation auf, die nicht mit sozialem Druck sparte, um Zögerliche zur Aufgabe der ihnen liebgewordenen Privilegien in Gestalt der Ämter, Titel und Pensionen der Kolonialregierung zu bewegen. Gandhi, der sich der Gewaltlosigkeit verschworen hatte, brach 1922 die Boykottkampagne nach blutigen Unruhen an der Malabarküste und in der Vereinigten Provinz (Chauri Chaura) ab. Auf dem Feld der militanten Taten könnte der oft unbedachte Aktionismus der Gelehrten besonders überraschen. Doch setzten die Gelehrten nur fort, was vor ihnen bereits andere Geistliche zur Verteidigung des Glaubens in Indien und anderswo
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unternommen hatten, eine heilige Mission, die sich nie der Gewaltlosigkeit verschworen hatte. Zugleich waren sie „avantgardistische Modemisierer", bereiteten sie doch die entschiedenen Aktionen der säkularen Nationalbewegung ebenso mit vor wie etwa die radikalen Nationalisten im Umfeld der oben erwähnten „Provisorischen Regierung" oder die bengalischen Terroristen (Hees 1993, Tegart 1997, Kaye 1971). Avantgardistisch deshalb, weil sie wie jene zeitlich vor dem „Haupttrupp" der Nationalbewegung her marschierten, also sich noch vor den zwanziger Jahren radikalisierten. Modernisierer, weil sie zu jenen Akteuren gehörten, die die friedlichen Politikgespräche loyaler Opposition in den Hinterzimmem von Vereinslokalen aufgaben und zu offenen, direkten, zum Teil auch gewalttätigen Aktionen griffen, die zum Kennzeichen neuer, zeitgemäßer und in diesem Sinne „modemer" Politik werden sollten. Die Verknüpfungen zwischen radikalen islamischen Aktivitäten und denen anderer Provenienz bestanden wechselseitig: Die Gelehrten reagierten auf die politischen und sozialen Veränderungen im Lande in einer ähnlichen Abfolge wie andere soziale und politische Kräfte - auch wenn sie andere Punkte als verdammungswürdig ansahen. Zugleich hingen nicht wenige der anderen Akteure, wie z.B. die bengalischen Terroristen, religiösen oder religionsähnlichen Konzepten an, in denen sie Bezugspunkte und Legitimierung ihres Aufbegehrens fanden.
Diskurse über islamische Politik und islamisches Regieren Trotz Gandhis Entscheidung zum Abbruch der Bewegung der NichtZusammenarbeit hatte die Kalifat-Bewegung für die 'ularruV bereits eine hohe Eigendynamik entwikkelt. Aus ihren Strukturen, den Kalifat-Komitees im Zentrum und in den Provinzen, war 1919 die Vereinigung der islamischen Religionsgelehrten Indiens (Janfiyat ai'ulama'-e-Hind - JUH) hervorgegangen. Damit schufen sich die Gelehrten eine öffentliche Organisation, die direkt an die ursprünglichen Ziele der Absolventenorganisation von Deoband, der Jam'iyat al-Ansär, anknüpfte. Sie ermöglichte es ihnen, aus theologischer Sicht Mitsprache in allen Fragen zu fordern, die Indiens Muslime betrafen. Sie folgten damit zugleich einem allgemeinen Trend im öffentlichen Leben Indiens, da sich die meisten Gruppen und Stände bereits ihre Vertretungen geschaffen hatten.38 Von der politischen Strategie her blieb die JUH seit der KalifatBewegung bis auf gewisse Schwankungen im wesentlichen der antikolonialen Einheitsfrontpolitik der Indischen Kongreßpartei verbunden. Als Organisation unterwarf sich die JUH dem bürgerlichen Vereinsrecht. In ihren Diskursen verfolgte sie aber unterschiedliche Absichten. Dabei finden die islamischen Zielvorstellungen der JUH in der historischen Literatur bisher noch zu wenig Beachtung. Dort wird oft ihre Unterstützung für die Kongreßpartei hervorgehoben (Metealf 1982: 14). Der hohe Stellenwert der islamischen Doktrin in den öffentlichen Aktionen der Gelehrtenorganisation wurde bereits daran deutlich, welche besondere Rolle das gemeinsame religiöse Rechtsgutachten (muttahida fatwä) der JUH fUr die KalifatBewegung spielte. Abdul Bari bemühte sich seit 1919 um ein solches Gutachten. Das erwies sich angesichts der zahlreichen theologischen und politischen Differenzen jedoch als schwierige Aufgabe (Bari 1920). Mahmud al-Hasan, der 1919 aus der Intemierung entlassen war, schloß sich der Kampagne mit voller Kraft an. Auf der zweiten JUH-Sitzung im November 1920 in Delhi wurde das Gutachten von den meisten Gelehrten unterzeichnet. Die fatwä argumentierte, daß die religiösen Rechte der Muslime verletzt würden, wenn es zur Einschränkung der Rechte des osma-
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nisch-türkischen Kalifen kommt. Es sei religiöse Pflicht für alle Muslime, die Zusammenarbeit mit den Ungläubigen (der britischen Kolonialverwaltung) einzustellen. Die Gelehrten bekräftigten den Boykottaufruf, darunter auch die nicht unproblematische Forderung an die Muslime, Armee und Polizei zu verlassen. 39 Die Nichtzusammenarbeit, tark muwälät, wurde mit koranischen Bestimmungen und den Traditionen (hadith) begründet. Dabei wurde zwischen den Bedeutungen Liebe 0muhabbat) und Freundlichkeit (murawwat) einerseits, Unterstützung (nusrat) und Hilfe (madad) andererseits, unterschieden, die unter verschiedenen Voraussetzungen gegenüber den Ungläubigen verboten (haram) sind, vor allem, wenn sie wie die Briten gegen die Gläubigen oder ihre Religion vorgehen. 40 Mit jenen, die (wie die Hindus) keinen Angriff gegen die Muslime führen, sei die Zusammenarbeit jedoch zulässig, auch Rat könne von ihnen angenommen werden, nicht jedoch ein Führungsanspruch.41 Als die Briten die Verbreitung des gemeinsamen Gutachtens unter Strafe stellten und einen Strafprozeß gegen Muhammad Ali und andere islamische Aktivsten anstrengten, sahen die Gelehrten die religiöse Freiheit in Gefahr. Da einefatwä eine Auslegung göttlicher Gebote sei, könne kein weltliches Gericht ihre Verbreitung unterbinden. 42 Die Briten gewannen mit Abdul Hamid und Abdul Majid die persönlichen Gegner von Abdul Bari am Nadwa-Seminar dafür, ein islamisches Gegengutachten zu erstellen, das die Nichtzusammenarbeit als Verletzung religiöser Gebote qualifizierte, jedoch wenig Einfluß erlangte (vgl. Robinson 1994: 328). Ernster zu nehmen waren dagegen die Einwände von Ahmad Raza und Maulana Ashraf c Ali Thanawi (1863-1943), die sich vor allem mit der nahezu uneingeschränkten Zusammenarbeit mit den Hindus nicht abfinden wollten 43 Sie konnten jedoch die allgemeine Bereitschaft der Gelehrten zu anti-britischen Aktionen nicht brechen. Doch die Absichten der Gelehrten schlössen auch ferner liegende Ziele ein. In der Satzung der JUH (dastüru'l- Ihm folgte 1939 der Dissolution of Muslim Marriages Act (vgl. IAR 1939: Bd. 1, S. 104, 112) Letzterer war nötig geworden, nachdem gläubige Muslima, vor allem aus den besitzenden Schichten, es vorzogen, zur symbolischen Apostasie zu greifen, um unter Bezug auf das islamische Recht (sharfat) durch den gerichtsnotorischen Abfall vom Glauben den Ehemann zur Scheidung zu zwingen. Der Muslimreformer und Deoband-Gelehrte Thanawi unternahm es darauf hin, sich für eine Novellierung des bürgerlichen muslimischen Scheidungsrechts einzusetzen. Damit vertrat er sowohl reformerische Interessen der islamischen Frauen als auch das praktische Anliegen, einen Anlaß für die Aufgabe einer religiösen Lebensweise aus dem Wege zu räumen, also im direkten Sinne islamische Reform (isläh) zu betreiben.52 In der diskursiven Debatte um die islamische Gesellschaft setzten die Gelehrten Eckpunkte, die ihre volle Wirkung erst in den islamischen Bewegungen der unabhängigen Staaten Pakistan, Bangladesch und Indien zu entfalten begonnen. Die Suche nach politischen Maximen, die mit den religiösen Geboten im Einklang stehen, hat seitdem ständig zugenommen und muß heute auch von ihren religiösen und politischen Opponenten ernst genommen werden. Zugleich offenbart sich darin eine Bereitschaft, die Theologie mit der weltlichen Praxis zu versöhnen. Darin könnte man Zeichen einer vorsichtigen und stillschweigenden Wiederbelebung des ijtihäd, des unabhängigen Ratschlusses in doktrinären Fragen, sehen. Offensive Aktionen für den Glauben und die Gläubigen In seiner Begrüßungsansprache auf der neunten JUH-Tagung 1930 in Amrohi wählte Maulana Abul Nazr Rizvi Amrohwi deutliche Worte, als er seine Zuhörer gemahnte, daß die JUH hunderte Resolutionen diskutiert und verabschiedet, aber kaum eine von ihnen Verwirklichung gefunden habe. (Rozinah 1981: Bd. 2, 523) Das Gefühl, mehr tun zu müssen, wurde offenbar von vielen islamischen Aktivisten in dieser Zeit geteilt. In den dreißiger Jahren legten die Gelehrten den Schwerpunkt deut-
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aiftä, das die göttliche Verehrung der Kuh durch die Hindus verletzte.56 Auch wenn diese Spannungen eine traurige Eigendynamik erlangten, wird immer wieder vermutet, daß Lokalpolitiker dahinter standen, die diese nutzen, um sich zu profilieren, Rechnungen mit Konkurrenten zu begleichen und ihre ersten Sporen als Männer der Öffentlichkeit zu verdienen. Doch die Offensive richtete sich nicht nur auf die Abwehr fremder Gewalt, sondern schritt auch zum Angriff auf Abweichler in den eigenen Reihen. Je mehr die Muslimaktivisten ein Gefühl der Belagerung ergriff, umso radikalere Stimmungen verbreiteten sich bei der Bekämpfung von Spaltungen und vermeintlichen Häresien. Hauptziel dieser Angriffe wurde die Ahmadiya-Sekte. 1930 entstand die Organisation der Ahrär, der Reinen, die sich in Nordindien, vor allem in Punjab, als islamische Speerspitze der Kongreßpartei verstand und ihre theologische Argumentation aus Deoband bezog. Dabei entwickelte und bediente sie sich eines scharfen sunnitischen Radikalismus, der sich gegen die Ahmadis und auch die Shias richtete.57 Ihre Forderung nach dem Ausschluß der Ahmadis aus dem Islam gab ein Thema vor, das nach der Unabhängigkeit Pakistans unter Beteiligung der Ahrär über blutige gewaltsame Unruhen bis hin zum tatsächlichen Ausschluß per Verfassungsänderung 1974 führte. Mit theologischen Argumenten begründeten auch die 1932 gegründeten Khßksär ihre Aufmärsche, auch wenn ihr FUhrer keinen Abschluß als islamischer Gelehrter aufweisen konnte. Sie versuchten, sich der Muslim Liga beizuordnen, obwohl es kurz vor der Teilung des Subkontinents dann doch noch zum Zerwürfnis kam. Militante Ordnungsgruppen und Freiwilligenverbände unterhielten aber auch die Rothemden und die Ahmadiya. Sie waren in unterschiedlicher Form bei fast allen politischen Parteien und religiösen wie ethnischen Bewegungen anzutreffen. Zum einen widerspiegelten sie die politische Konkurrenz unter den Parteien und Organisationen, zum anderen die wachsende Ungeduld der Bevölkerung hinsichtlich der Erlangung der Unabhängigkeit. Die Spannungen in der Gesellschaft, die letztlich zum Bruch des Gemeinwesens und zur Teilung des Subkontinents führten, brachen auch das moralische Rückgrat vieler Muslimaktivisten. Daß Politiker und Aktivisten anderer religiöser und politischer Strömungen ähnlich moralisch versagten, milderte die Situation kaum. Theologische Argumente, die zur Ausgrenzung genutzt wurden, führen seitdem ein trauriges Eigenleben in der islamischen Politik des Subkontinents und zunehmend auch darüber hinaus. Aktion und Wandel Als es zur Teilung kam, marschierten die Reformgeistlichen und die politischen Parteien wieder getrennt. Ihre weitgehende Unterstützung für die Pakistan-Bewegung äußerten nur die Barelwi-Geistlichen, die darin die bestmögliche Garantie für die Erhaltung des religiösen und sozialen Status quo sahen. Dazu trug nicht zuletzt die enge Verbindung der Schreinkultur zum feudalen Landbesitz bei, der bei der Gründung Pakistans ein wichtiger Pate war. Zugleich machten auch die BarelwiGelehrten in der von ihnen geschaffenen Organisation All-India Storni Conference deutlich, daß ihnen ein Pakistan - das wörtlich auch als „Land der Reinen" verstanden werden kann - in ganz Indien, im Sinne einer islamischen Lebensweise, lieber gewesen wäre.58 Das islamische Projekt des Reformislam war jedoch in der Stunde der Wahrheit, als der neue, vorgeblich islamische Staat Pakistan aus der Taufe ge-
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hoben wurde, zunächst praktisch gescheitert. Weder hatten die islamischen Religionsführer eine nennenswerte Mitsprache in der Pakistan-Bewegung erlangen können, noch waren die von Jinnah verkündeten Grundsätze des neuen Staates Pakistan auf den Aufbau einer korantreuen islamischen Gesellschaft gerichtet. Mißtrauen herrschte auf beiden Seiten. Jinnah wollte sich den Bedingungen der JUH nicht beugen. Viele islamische Gelehrte wollten ein Pakistan nicht akzeptieren, dessen islamisch-religiöser Charakter unklar oder ungewiß war.59 Rechtzeitig fand noch ein Flügel der JUH den Weg in das neue Pakistan, um gemeinsam vor allem mit der Islamischen Partei von Maulana Maududi60 und der JUP61, die 1948 aus der Barelwi-Tradition entstand, die Verfassungsdiskussion in ihrem Sinne zu beeinflussen und die berühmte Resolution über die Ziele der Verfassung (objectives resolution) zu verabschieden, die seither im Zentrum zahlreicher ideologischer und politischer Kontroversen in Pakistan steht. Zu resümieren bleibt, welche Resultate die verstärkten Aktionen der Gelehrten und ihr deutlich gewachsener Einfluß unter den Muslimen erbracht haben. Als Akteure haben sie sich selbst für die Avantgarde der muslimischen Gesellschaft gehalten. Diesen Anspruch leiteten sie aus der religiösen Überlieferung ab. Der Anspruch stand jedoch in einem krassen Mißverhältnis zu ihrem tatsächlichen Ginfluß auf die Entwicklungen, in die sie eingreifen wollten. Weder konnten sie den Materialismus noch den Atheismus entscheidend zurückdrängen. Ihre hauptsächlichen Erfolge lagen auf dem Gebiet der Bildungsarbeit. Diese konnten sie sowohl vom Umfang als auch materiell und institutionell erheblich stärken.62 Dabei wurde die religiöse Bildung nur mäßig modernisiert. Ihre größte Wirkung hinterließen die Gelehrten durch die Mobilisierung von Hunderten und Tausenden von Muslimen, die in das Feld der öffentlichen Aktivitäten unter dem Gesichtspunkt der religiösen Befreiung und der Durchsetzung der Gottesgebote hineingezogen wurden. Damit banden sie zwangsläufig Schichten an den antikolonialen Kampf, die sich daran sonst nicht beteiligt hätten. Das waren Schichten gläubiger, praktizierender Muslime, für die nationale Befreiung mit der Erwartung religiöser Befreiung verbunden war. Darunter verstanden sie, oft sehr diffus, die Möglichkeit oder die Chance zur Errichtung einer religiösen Ordnung, oder zumindest die Schaffung von Bedingungen, der Ausübung des Islam in allen seinen Geboten ungehindert nachgehen zu können. Damit war ohne Zweifel auch die Hoffnung auf ein Ende der religiösen Gewalt verbunden. Zugleich unterbreiteten die Gelehrten auch vielen neuen muslimischen Stadtmigranten ein Angebot, sich in der städtischen Gesellschaft zu positionieren und zu engagieren, ohne auf die romantisch-religiösen Werte ihres ländlichen Vorlebens verzichten zu müssen. Schließlich verliehen sie auch dem Zorn und der Ausweglosigkeit von Muslimen in den überfüllten Städten und Vierteln Gehör und Stimme, die in erbitterte soziale Verteilungsund Überlebenskämpfe mit ihren Hindunachbam und anderen verwickelt waren, auch wenn das die Gewaltanwendung gegen Andersdenkende und Anhänger anderer Glaubensrichtungen nicht legitimiert. Viele der Stellungnahmen der Gelehrten machten den psychisch-politischen Druck deutlich, der in der Gelehrtenschicht geherrscht haben muß, dieses Gefühl der Ohnmacht gegenüber dem mal schleichenden, mal rasanten Verlust an Positionen und Einfluß. Das bezog sich besonders auf die ständig sinkende Rolle von Religion und Religiosität im öffentlichen Leben, aber auch auf den Untergang des türkischen Kalifats, den sie als herbe Niederlage und Verschwörung des „Westens" empfanden. Dieses Gefühl bezog sich auch auf den relativen „Erfolg" der als Konkurrenten an-
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gesehenen Hinduorganisationen. Zugleich konnten die Religionsgelehrten ihre Stellung im islamischen Spektrum deutlich stärken, auch wenn sie dies eher als Aufhalten oder Verlangsamung des Verfalls ihrer Positionen empfunden haben. Auf die „große Politik" im Interesse der muslimischen Bevölkerung, die von der Muslim Liga monopolisiert wurde, konnten sie jedenfalls keinen nennenswerten Einfluß gewinnen. Auch auf unterer Ebene waren praktische Erfolge rar. Das betraf besonders die religiösen Konflikte, welche die Gelehrten weder eindämmen noch entschärfen konnten. Eher trugen sie durch ihre Reaktion, verstärkt die religiöse „Flagge zu zeigen", noch zu deren Zuspitzung bei. Zugleich ist ein Anpassungsprozeß an die gesellschaftliche und politische Realität nicht zu übersehen. Das wird u.a. in der aus dieser Entwicklung hervorgegangenen Missionsbewegung der Tablighis sichtbar, die sich im Weiteren deutlich auf ein harmonisches Zusammenleben von Muslimen mit anderen Religionsvertretern, mit dem Staat und untereinander orientierte. Wenn man unter ihrer subjektiven Akteursrolle ihre selbst gewählte Aufgabe und Mission versteht, dann erblickten sie diese in solchen Zielen wie der Reinigung des Islam (Deobandi), der Stärkung des Glaubens (Barelwi), der Abgrenzung gegenüber den Shias, den Ahmadis, auch den Hindus und Christen, im Streben nach einem größeren Anteil am sakralen Raum und - für Muslime insgesamt - am öffentlichen säkularen Raum. Objektiv bestand ihre Rolle in bezug auf die Gesellschaft als ganzes darin, große Gruppen gläubiger indischer Muslime in den Transformationsprozeß einzubinden. Im Zuge dieses Vermittlungsprozesses veränderten sich die Gelehrten selbst. Sie nahmen Elemente des modernen westlichen bürgerlichen Systems auf, um sie mit ihren Weiten zu erfüllen und sich als eigenständiges Segment in diesem System zu formieren. Nicht zufällig gleicht ihr Agieren in vielem dem der Aktivisten anderer regionaler ethnischer und religiöser Bewegungen dieser Zeit.63 Es ist auf der Wandlungsebene wenig spezifisch Islamisches zu finden. Dabei können sie unter bestimmten Voraussetzungen sogar als radikale Modemisierer gesehen werden. Sie verhalfen im (religiösen) Muslimmillieu verschiedenen Erscheinungen der Moderne zum erstmaligen Durchbruch. Das reicht von der Urdu-Presse über die Massenbildung, die politisch-öffentliche Massenorganisation, die militanten Interventionen bis zur organisierten ideologischen Indoktrination in der Tablighi-Bewegung.64 Die islamische Mobilisierung in der Kolonialzeit hat sich auch auf den religiösen Diskurs ausgewirkt. Die theologischen Argumente des südasiatischen Islam haben sich zugespitzt und wurden nachhaltig politisiert. Die Definitionsbreite der Kategorien wurde besonders mit dem Entstehen eines militanten sunnitischen Radikalismus deutlich eingeengt. Es wurden die Grundlagen zur schärferen Abgrenzung von Nichtmuslimen und von liberalen Reformern und theologischen Dissidenten im Islam gelegt, die in den folgenden Jahrzehnten erst ihre eigentlichen Früchte trugen. Doch kann man trotz des Überwiegens des reaktiven Wandels die moderne und in vielem ja auch konstruktive Öffnung des islamischen Milieus nicht negieren. Summarisch haben sich die islamischen Aktivisten, und darunter vor allem die Religionsgelehrten, als eine vergleichsweise moderne ideologische Kraft etabliert. Sie nutzten die religiöse Legitimität, um uneingeschränkt für Anteile am bürgerlichen öffentlichen Raum zu kämpfen. In ihrem Streben, das visionäre Ziel einer islamischen Gesellschaft und der Veränderung der Welt mit dem Anspruch auf eine höhere Wahrheit zu rechtfertigen, waren die islamischen Aktivisten auch weltlichen ideologischen Bewegungen ihrer Zeit, darunter der sozialistischen oder kommunistischen,65 nicht unähnlich. Doch behielten die Islamisten jenseits aller Modernitäts-
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merkmale die Spezifik und Kontinuität ihres Diskurses bei. Argumente, Institutionen und Aktionen, die in diesem Diskurs und zu dieser Zeit entstanden sind, haben sich für die islamisch orientierte Politik in Südasien und darüber hinaus als normsetzend erwiesen. In bezug auf die Konzeption der Mittlerfunktion und der Zwischenräume (Bhabha 1994) könnte man für die indischen Religionsgelehrten des Islam sagen, daß sie sich selbst einen Zwischenraum aktiv schufen und gestalteten, den man bedingt als „islamischen Sektor" bezeichnen könnte. Zu diesem islamischen Sektor würde man nicht nur die seit der Existenz des Islam in Indien bestehenden Strukturen und Institutionen der Ausübung der Religion zählen, sondern auch alle öffentlichen islamischen Institutionen und Strukturen, die sich formal dem bürgerlichen Recht unterwerfen, aber normativ der islamischen Doktrin verpflichtet sehen. Dieser Sektor wäre insofern ein Zwischenraum, als er dazu diente, zwischen dem westlich geprägten, bürgerlichen Staat und dem „traditionellen" Sektor der Qasbah, dem historischen muslimischen Stadtviertel mit seinem eigenen „vormodemen" Lebensstil, oder des islamisch geprägten und lebenden Stammes, etwa der Paschtunen oder Belutschen, zu vermitteln. Diese Doppelgleisigkeit wurde bewußt genutzt, um den Handlungsspielraum der islamistischen Eliten zu vergrößern. Funktional integrierten sie sich weitgehend in den modernen bürgerlichen Sektor, in dem sie sich in bürgerlichen Rechtsformen organisierten und um öffentliche Mittel und andere Ressourcen untereinander und mit nichtislamischen Akteuren konkurrierten. Gleichzeitig bewahrten die islamistischen Eliten ihre diskursive und normative Eigenständigkeit; diese wurde sogar durch mehr oder weniger moderne Theorie- und Institutionsbildung erst erarbeitet und reproduktionsfähig gemacht. Das Anlegen solcher gesellschaftlichen „Reservate" erfüllte eine Doppelfunktion. Es schützte bedingt diejenigen, die sich darin aufhielten, vor dem Ansturm der Moderne. Gleichzeitig setzten sich diejenigen, die sich aus dem sozial und kulturell traditionalen Sektor dahinein bewegten, erst dem Zugriff der Moderne aus. Die islamischen Akteure, Gelehrte wie auch radikale Aktivisten, teilten in vielem die Erwartungen an die Moderne (Partizipation, Wohlfahrtsstaat, öffentliche Bildung), gleichzeitig mißbilligten sie deren Methoden (Individualisierung, kulturelle und religiöse „Entwurzelung"). Sie glaubten, über eine Alternative zu verfügen, um die gleichen Ziele zu erreichen, wurden jedoch bei der Probe aufs Exempel häufig Opfer ihrer „romantisierenden" Vorstellungen, mit denen sie sich den Zwängen der Wirtschafts- und Sozialpolitik bewußt entzogen. Da sie in der Regel keine Verantwortung in Politik und Gesellschaft ausübten, wurden diese Romanzen auch nicht „entzaubert". Sie sorgten durch TabuVorschriften dafür, daß der Abstand zur exekutiven Politik erhalten blieb. So bildeten sie eine Art „permanente Opposition", die ihre Anziehungskraft nicht verlor, weil sie nicht an der Wirklichkeit getestet werden wollte und konnte. In dieser halbherzigen, halb bewußten Verarbeitung der Moderne wird deutlich, daß die islamistischen Akteure ein unmittelbares Produkt der Moderne waren und sind, eher noch deren Begleiterscheinung als ihr Vorläufer oder Antipode. Progressiv- und Regressivpotential, die Möglichkeiten, zur Entwicklung der Gesellschaft oder zu Spannungen und Konflikten beizutragen, vermischen sich im islamischen Sektor aufs engste. Er trägt zur Emanzipation großer Bevölkerungsgruppen bei, die sich als religiöse Minderheit in einer manchmal tatsächlich und mitunter nur scheinbar unterlegenen sozialen oder politischen Lage befinden. Zugleich isoliert er die religiös aktiven Muslime auch von zentralen politischen und sozialen Prozessen, indem er etwa in ihrer Bildung oder in ihrem öffentlichen Engagement Barrieren errichtet, die eine
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Beteiligung an der weltlichen Sphäre des Landes erschweren oder verhindern. Der Wandel, den die islamischen Religionsgelehrten und, in ihrem Gefolge, die islamistischen Aktivisten auslösten, war tiefgreifend. Jedoch war schwer vorhersehbar, in welche Richtung er geht. Meist sind die unbeabsichtigten Folgen noch die weitreichendsten, während die beabsichtigten gar nicht eintreffen. So gesehen bleibt das islamische Projekt ein einflußreicher Faktor, in Südasien und darüber hinaus, aber seine Wirkung erschließt sich nur, wenn man es auf den verschiedenen Ebenen wahrnimmt.
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Als Beispiel für diese einengende Sicht vgl. die Definition von John O. Voll, der „Islamic fundamentalism" bezeichnet als „the reaffirmation of foundational principles and the effort to reshape society in terms of those reaffirmed fundamentals. This involves, in the words of Muslims, to call Muslims back to the path of Islam, ,an assertive surge of Islamic feeling' which pervades the Islamic world, and .the reliance on Islamic fundamental principles to meet the needs and challenges of contemporary times'." John O. Voll, Fundamentalism in the Sunni Arab World: Egypt and the Sudan. In: Marty 1991, S. 347. Nach der Volkszählung von 1901 betrug der Anteil der Muslime an der Bevölkerung ca. 22 Prozent. Government of India, Census of India, 1901. Bd. 1, Teil II, Kalkutta 1903, S. 397. Sämtliche islamischen und orientalischen Begriffe sind, soweit es nicht anders vermerkt ist, nach dem Urdu transkribiert, auf der Grundlage von John T. Platts, A Dictionary of Urdu, Classical Hindi and English, Delhi 1993. Bei den Eigennamen oder anglisierten Begriffen wurde auf eine Umschrift verzichtet. Die bekanntesten, auch staatlich anerkannten Abschlüsse waren der mauM-yi fijil (Predigerdiplom), der zum Unterricht des Arabischen berechtigte, und munshi-yi fij.il (Persischlehrer-Diplom) für das Persische. Die theologische Ausbildung wurde aus staatlicher Sicht vor allem als Sprachqualifikation behandelt. Auch staatliche Universitäten bieten diese Abschlüsse in modifizierter Form an. J n this city (of Delhi) the Jmäm al-Muslimin wields no authority, while the decrees of the Christian leaders are obeyed without fear (of the consequences)." Shäh 'Abdul 'Aziz, Fatäwä'-i-'Azizi, Majba« Mujtabä'i, Delhi 1311 A.H., Bd. 1, S. 17. In: Mujeeb 1967, S. 391. Während die makätib, Koranschulen, Grundschulbildung vermitteln, wird in den madrasa, Seminaren, theologische Graduiertenbildung vermittelt, während die däru'l 'ulüm den Anspruch auf ein postgraduales Niveau erheben, obwohl auch niedrigere Abschlüsse angeboten werden. Für Details vgl. u. a. Kaur 1990, Qamaruddin 1994. Zum Einflußgebiet Deobands sollen vor allem der Westen der Vereinigten Provinzen (U.P.) und des Punjabs gehört haben, der Barelwis - die Kleinstädte und ländlichen Gebiete in Punjab und den Vereinigten Provinzen, besonders in der Region Rohilkhand, von Firangi Mahall - das Zentrum und der Osten der Vereinigten Provinzen sowie Bihar. Die Ahl-i Hadllh waren in Delhi, in Städten in Punjab und im Ostteil der Vereinigten Provinzen sowie in Bhopal verbreitet. Vgl. Robinson 1994, S. 268; Metealf 1982, S. 290,297. Ein klassisches Werk des Reformislam ist die Schrift von Ashraf 'Ali Thanawi, Hifz al-Imän (Verteidigung des Glaubens). Thanawi 1980. Über den Bildungsstand der zeitgenössischen 'ulamä' äußerten sich besonders kritisch Shibli Numani und seine Kollegen vom Nadwa-Seminar. Shibli Numani, 'ulamä*-e Isläm (Die Gelehrten des Islam). In: Numani 1965, S. 13-18. Vgl. auch die Reden auf den Jahrestagungen der Nadwa, referiert in: Nadwi 1983, bes. Bd. 1. Geschärft durch die Auseinandersetzungen mit den Barelwis und anderen Sekten, hat der Deoband-Gelehrte Maulana Khalil Ahmad (1852-1927) die Ansichten der Deobandis 1927 kurz vor seinem Tode exemplarisch zusammengefaßt, vor allem auch als Antwort auf Ahmad Razas Streitschrift JHusäm al-haramain" (Saharanpuri 1987). Für einen Überblick vgl. Met-
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calf 1982, aber auch Faruqi 1963, die jedoch beide auf die Diskurse nur sehr partiell eingehen. Raza hat dazu verschiedene Streitschriften verfaßt. Am bekanntesten wurde „Husäm alharamain 'ala manhar al-kufr wa'l main" (Arab.: Das Schwert des Haramain an der Gurgel des Unglaubens und der Falschheit), die er 1905/06 verfaßte: Raza Khan 1985, Sanyal 1996, S. 237f. Ein weniger bekannter Vorläufer von Ahmad Raza war das Traktat „Anbä ul-mustafä be häl i-sar o akhfa" (Urdu: Darüber, ob der oberste aller Propheten das Unsichtbare sehen kann). Raza Khan 1895. Für eine zusammenfassende Darstellung aus der Sicht der Ahl-i HadlJh siehe die „Geschichte der Ahl-i Hadlih. von Muhammad Ibrahim Mir Siyalkoti (1874-1956) sowie die Schrift Uber den „Beitrag der Ahl-i Hadiih zum religiösen Wissen in Indien,,, die von dem Ahl-i HadllhGelehrten Abu Yahiya Imam Khan (18917-1966) für die Begehung des 50. Jahrestages der Gründung der Muslim Educational Conference 1937 verfaßt wurde (Sialkoti 1953, Abu Yahya Imam Khan 1970). Vgl. auch Metealf 1982, bes. S. 272. Vgl. Vorwort von Maulana Qari Muhammad Tayyib, Rektor von Deoband, zur Selbstdarstellung des Seminars anläßlich des 100jährigen Bestehens. Rizvi 1980, Bd. 1, S. 2ff. Die Bedeutung des taqfid (Einhaltung des Schulrechts) für die Barelwi wird besonders in ihrer Auseinandersetzung mit den ahl-i hadith deutlich. Ahmad Raza bezeichnete sie als Häretiker {biet ati - jene, die falsche Neuerungen einführen) und Verdammte (jahannami), da nur jene Muslime Erlösung erlangen könnten, die zu einer der vier Rechtsschulen gehören. Ahmad Raza, Fatäwä al-Haramain bi-Rajf Nadwat al-Main, Bareilly 1900, S. 11. In: Sanyal 1996, S. 204. Für eine ausführlichere Polemik der Barelwis mit den ahl-i hadith siehe Jamiyat 1989. Vgl. das Gutachten von Ahmad Raza zu Fürbitten des Segens (barakät): Raza Khan 1921. Sein theologisches Hauptwerk, Barähin-i Ahmadiya (Argumente des Glaubens [eigentl. des Propheten Ahmad]), erschien 1880-1884. Ahmad 1957, Bd. 1. Zu den rationalen Wissenschaften zählten im Lehrplan Logik, Philosophie, Theologie und Mathematik (Algebra), zu den offenbarten Koranexegese (Jafsir), die Prophetentradition (hadith), Jurisprudenz (fiqh), aber auch arabische Rhetorik, Syntax und Grammatik. Vgl. Robinson 1997a, S. 182f. Shibli Numani, Die Gelehrten des Islam, a.a.O. Governor Meston am 6.5.1916 an das Education Department, zitiertin: Malik 1997, S. 400. Für eine zeitgenössische Darstellung eines Teilnehmers siehe die im Westen kaum bekannte Arbeit von Muhammad Adil Abbasi, Die Kalifat-Bewegung, die 1978 zum ersten Mal vom indischen Büro zur Förderung der Urdu-Publikationen verlegt wurde (Abbasi 1982); P.C. Bamford beschrieb die Bewegung 1925 aus der Sicht eines britischen Kolonialbeamten mit akademischem Anspruch (Bamford 1974); für die neuere Zeit ist die Arbeit von Gail Minault als Klassiker zu betrachten (Minault 1982). Vgl. die Biographie von Sayyid Husain Ahmad Madam Ober Mahmud al-Hasan, Naqsh-e Hayät (Urdu: Ein Lebensbild), Delhi 1976, S. 257f. In: Hasan 1998, S. 160. Den Text der/aiwä von Mahmud al-Hasan, die die Studenten von Aligarh in ihrer Haltung der NichtZusammenarbeit gegenüber den Briten bestärkte und den formalen Anlaß für die Gründung der Jamia Millia gab, siehe in: Miyan 1976, S. 70-78. Vgl. u.a. die Arbeit von Shamsur Rahman Muhsini „Die Bewegung der Muslime Indiens für nationale Bildung und die Jamia Millia". Muhsini 1986, zum Auftreten von Hasan bes. S. 1718. Die Aligarh-Vorstandsmitglieder Hakim Ajmal Khan und Dr. M. A. Ansari unterstützten Sindhi darin. Vgl. Minault 1982, S. 30. Rizvi 1980, Bd. 1, S. 234f. Eine ähnliche Warnung vor dem Materialismus der modernen Welt sprach 1942 der Nadwa-Gelehrte Sayyid 'Abü'l Hasan 'Ali Nadwi (1913-2000) bei einer Vorlesung zu Religion und Zivilisation an der Jamia Millia Universität in Delhi aus. Nadwi 1980. Minault 1982, S. 28. Ob Sindhi die treibende Kraft war oder Hasan, ist umstritten. Sindhi selbst stellt es so dar, daß er dem Auftrag Hasans gefolgt ist. Sindhi 1970, S. 67; vgl. auch Sarwar 1967, S. 27-29. Nach Angaben von Robinson 1912 (Robinson 1994, S. 276), laut Minault 1910 (Minault 1982, S. 34). Mir Wilayat Husain, Zäti Diary ke Chand Waräq, Aligarh Magazine, Special Aligarh Number,
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1953, S. 54-55. In: Iqbal 1974, S. 46f. Moin 1976, S. 134f. Zu weiteren Studentenunruhen in Aligarh kam es 1936 anläßlich der Zuspitzung von Gegensätzen zwischen Anhängern der nationalistischen Kongreßpartei und der Muslim Liga. Vgl. Hasan 1998, S. 195. al-Hiläl, 25. März 1914. In: Malik 1997, S. 373. Die Abschaffung von Posten in Aligarh, so des Pro Vice Chancellor, ging eher auf den Zwang zur Einsparung aufgrund knapper Kassen zurück. Jedoch wurde auch dort heftig um Satzungsfragen gerungen. Vgl. Nizami 1995, passim, bes. S. 214f. 1935 wurde nach längeren Auseinandersetzungen in der Vollversammlung der Posten abgeschafft, und Muhammad Ali Thanwi, der diese Funktion seit 1926 innehatte, reichte seinen Rücktritt ein. Rüdäd-e Majlis-e Shüra, 30th Rajab, 1354 AH. In: Rizvi 1980, Bd. 1, S. 209, 222. Maulana Abul Kalam Azad am 8. April 1914 in al-Hiläl. In: Malik 1997, S. 371. Für das Nadwa-Seminar vgl. die Vorgänge um die Satzungsänderungen im Zusammenhang mit dem Rücktritt von Shibli 1913 und dem Studentenstreik 1914, Malik 1997, S. 359ff. Jam'iyat al-Ansär, Qawäid wa maqäsid, Deoband 1912. In: Minault 1982, S. 29. Urdu-e Mu'alla, Aligarh, Mai-Juni 1913, UP Native Newspaper Report 1913, S. 513ff. In: Minault 1982, S. 36. Government of India: Afghanistan: The Silk Letter Case, 1916-1918. Akte des Political and Security Department, No. 4260/16, British Library Oriental Collections (BLOC), London; idem., India Confidential Home Political Proceedings, Jan.-Jun. 1919. Akte des Home Department, BLOC London; Miyan 1976, 1988; Madani 1974; [Government of British-]India. [Rowlatt] Sedition Committee. Report, Kalkutta 1918. Vgl. die Autobiographie von Mahendra Pratap, Pratap 1947. Vgl. Moin 1976, S. 257ff.; zur Kanpur-Agitation vgl. auch: Sandria Freitag, The Roots of Muslim Separation in South Asia: Personal Practice and Public Structures in Kanpur and Bombay. In: Burke 1988, S. 115-145. Auch die anderen islamischen Sekten verfuhren so. Vgl. Tabelle 1 unter Politik/Öffentlichkeit. Die Teilnahme der Muslime an den Sicherheitskräften war vor allem deshalb nicht zu vernachlässigen, weil ihr Anteil dort weit Uber dem an der Bevölkerung lag, wodurch sie in einigen Waffengattungen sogar die Mehrheit stellten. Vgl. Ellinwood 1978, S. 188f. Vgl. die Darlegungen von Maulana Naqshbandi auf der sechsten JUH-Tagung 1925 in Muradabad. In: Rozinah 1981, Bd. 1, S. 282. Das bezog sich auf die Koranverse 60: 8 und 9, in der Koransure al-Mumtahina (Die Prüfung); vgl. auch Endnote 45. Dagegen zogen die Gegner einer Zusammenarbeit mit den Hindus in dieser Kampagne Vers 9: 73 heran, der entschiedene Maßnahmen gegen Ungläubige und Scheinheilige zur Pflicht macht, womit Ahmad Raza argumentierte. Vgl. Sanyal 1996, S. 296. Zum Text des gemeinsamen Gutachten siehe Bamford 1974, S. 25 Iff. Muhammad Ali begründete dies ausführlich in seiner Rede vor dem Gericht in Karachi, vgl. Indian Annual Register 1922, Bd. 1, S. 273-92 (Mitra 1988, im weiteren zitiert als IAR 1919 ... 1947 plus Jahresteilband 1.2 oder 3); Bamford 1974, S. 176f. Sanyal 1996, S. 296. Vgl. auch die Haltung von Thanawi zum Indischen Nationalkongreß. Er glaubte, daß die Muslime mit ihrer Unterstützung den schwachen Kongreß gerettet, sich selber aber geschadet haben. Thanawi 1983, S. 518. Sanskrit: Gesellschaft der Noblen, 1875 von Dayananda Saraswati (1824-1883) gegründet. Ein entsprechendes Rechtsgutachlen (fatwä) hatte Ahmad Raza 1888 unter dem Titel „Bekanntmachung an die Notabein, daß Hindustan ein Land des Islam (däru'l isläm) ist" (riäm al-a'läm bi-anna Hindustan dar al-Isläm) veröffentlicht. In: Sanyal 1996, S. 273; vgl. auch Razas Gutachten Uber die Ablehnung der Kalifat-Bewegung und der NichtZusammenarbeit von 1920: Al-Muhajjat al-Mu'tamanah fi Ayit al-Mumtahanah, Uber „(Den) verläßliche(n) Weg hinsichtlich [der Auslegung] des Koranverses al-Mumtahanah", mit dem die Anhänger der Kalifat-Bewegung ein Zusammengehen mit den Hindus rechtfertigen. In: Ebenda., S. 293ff. In der hadiflj-Sammlung von 'Abd al-Malik Muttaql (gest. 1567), Kanz al-'Ummäl heißt es, die „Die Gelehrten (al-'ulamä') sind das Licht der Erde und die Nachfolger der Propheten und meine Erben und die der anderen Propheten" (Hyderabad 1895-97, Bd. 5, S. 201). Daraus zi-
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tiert auch Amrohwi auf der neunten Tagung der JUH 1930, daß die Gelehrten die Erben des Propheten (waratati - Arab.: meine Erben) sind. Rozinah 1981, Bd. 2, S. 524. Vgl. die Kontroverse Uber einen Auftritt von Ahmad Madani im Dezember 1937 in Delhi. In: Adarawi 1987, S. 240. Aus dieser Debatte entstand seine Schrift Uber den composite nationalism: Madani 1972. Hamidullah 1968. Ausfuhrlich befaßt sich Maulana Sayyid Muhammad Anwar Shah 1927 in seiner Grundsatzrede auf der achten Tagung der JUH in Peshawar mit dem Vertrag von Madina. Rozinah 1981, Bd. 1, S. 404ff. Das bestätigte sein ehemaliger Privatsekretär 'Abdur Razzaq Malihabadi (gest. 1959) in seinen Memoiren. (Malihabadi 1960) Auch Abdul Bari soll entsprechende Ambitionen verfolgt haben, so Robinson 1994, S. 329. wulät-e-umür, abgeleitet vom Arabischen wulät al-umitr - die wichtigen Persönlichkeiten in bestimmten Angelegenheiten. Das Gesetz sollte dazu dienen, muslimischen Frauen entgegen dem häufig angewendeten Gewohnheitsrecht einen Anspruch auf ihr Erbe zu sichern. Vgl. IAR 1937, Bd. 2, S. 95 und 99. Vgl. Masud, Muhammad Khalid: Apostasy and Judicial Separation in British India. In: Masud 1996, S. 193-203. Child Marriage Restraint Act, 1929, eingebracht von Harbilas Sarda, zur Debatte vgl. IAR 1929, Bd. 2, S. 127ff. Nehru verweist auf den Bericht des Ausschuß Uber das Heiratsalter (Age of Consent Committee) von 1928 und die Volkszählung von 1931, denen zufolge Muslime den Hindus in bezug auf die Kinderheirat kaum nachstanden. Vgl. Iqbal 1995. In den Provinzen Bihar und Orissa, worauf sich auch Nehru beosonders beruft, hatten muslimische Bevölkerungsgruppen die Hindus bei der Zahl der Kindfrauen unter zehn Jahren pro 10 000 Einwohner Uberholt. Ihre Zahl betrug dort 1931 unter Muslimen 583, bei Hindus 432. Government of India: Census of India, 1931. Bd. II, Bihar & Orissa, Teil I, Report. Patna: Superintendent Government, Printing, 1933, S. 165. Vgl. Haq 1972, S. 95; S. AbuM-Hasan «Ali Nadwi 1983, S. 28 Iff; Nadwi 1980 (1946). Vgl. Barbara W. Flynn, Cows and Music - Hindu-Muslim Riots as an Instrument of Political Mobilization. In: Crane 1981, S. 39-54 Vgl. die Biografie ihrer Führers, Sayyid 'Ata'ullah Shäh Bukhäri (1891-1967), Hayät-i Amir-i Sharl'at (Das Leben des Führers des Islam bzw. des islamischen Rechts). Vgl. Sayyid Muhammad (1893-1963) auf der Tagung von 1946: „When a community (qaum) becomes pure (päk) in terms of knowledge, deed, (and) in disposition, it transforms whichever place which it sets foot on into a pure land (päkistän)." Qadiri 1978, S. 270f. Vgl. den Schriftwechsel zwischen dem Generalsekretär der JUH, Maulana Hifzur Rahman, und Jinnah im März bis Mai 1947 in: Jinnah 1994, Dokument XI.4, Bd. I, Teil 1, S. 413ff., 486ff., 679f. Jama'ät-i Islam! (Islamische Partei), 1941 von Maulana Maududi (1903-1979) ausdrücklich als politische Partei und nicht als theologische Organisation gegründet und deshalb hier nicht berücksichtigt. Vgl. dazu Seyyed Vali Reza Nasrs Arbeiten Uber Maududi und die Islamische Partei. Nasr 1994, 1996. Jam'iyatu'l 'ulamä'-e Pakistan (Partei der islamischen Rechtsgelehrten Pakistans) So wurden zwischen 1865 und 1899 in den Vereinigten Provinzen, dem Zentrum der hier behandelten Seminare und Bewegungen, 24, sowie in Bihar, dem nächstbedeutenden Zentrum in dieser Hinsicht, 6 madrasa und däru'l'ulüm gegründet, die heute noch bestehen, zwischen 1900 und 1946 aber schon jeweils 98 und 89. Vgl. Qamaruddin 1994, S. 81. Die Zahl der Studenten betrug im Studienjahr 1945/46 am Seminar von Deoband 1160 und an der Nadwa 69 (ebenda, S. 286). Die enorme Steigerung wird deutlich, wenn man berücksichtigt, daß Deoband zwischen 1867 und 1912 rund 1000 Studenten ausgebildet hatte. Rizvi 1980, Bd. 1, S. 174. FUr die Nadwa war die Zahl relativ konstant geblieben. Bereits um die Jahrhundertwende schwankte sie zwischen 50 und 100. Vgl. Malik 1997, S. 325ff. Darin ist auch die relativ begrenzte Akzeptanz des modernisierten Lehrangebots der Nadwa zu erkennen. Für einen Überblick zu ethnischen und religiösen Projekten regionaler Bewegungen der Pakh-
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tunen, der Tamilen und der Sikhs in dieser Zeit vgl. Reetz 1997. Ob die Gelehrten zu Modemisierern wurden oder nicht, bleibt heftig umstritten. Zwei extreme Ansichten dazu werden von Francis Robinson und Christian W. Troll vertreten. Während Robinson den Reformislam als Geburtshelfer einer „diesseitigen" Religion sieht, die sich um die Belange auf der Erde kümmert, gar zur Verantwortlichkeit, Individualisierung und Autonomie der Muslime herausfordert (Robinson 1997b), glaubt Troll, daß die Reformvorhaben gescheitert sind, weil sich die Gelehrten letztlich in bestimmten Fragen allen Modernisienmgsmethoden verweigern, sich vor allem der westlichen Bildung und den neuen Erkenntnissen verschließen, anstatt sie im Sinne des Islam zu interpretieren. Vgl. Christian W. Troll, Muhammad Shibli Numani (1857-1914) and the Reform of Muslim Religious Education. In: Grandin 1997, S. 144-157, hier bes. 156. Zum Einfluß sozialistischen und kommunistischen Gedankenguts unter den Religionsgelehrten vgl. Hasan 1998, S. 194f.
Zakir Husain. Begegnungen und Erfahrungen bei der Suche nach moderner Bildung für ein freies Indien Joachim Oesterheld Als Zakir Husain während einer Zusammenkunft mit Professoren und Dozenten der Friedrich Wilhelms-Universität in Berlin am 17. Januar 1925 der Hoffnung Ausdruck verlieh, einer der anwesenden indischen Studenten und Doktoranden möge eines Tages zu einem „auserlesenen Sohn seines Landes" werden (Husain, Z. 1926: 24) konnte er nicht ahnen, daß er einmal einen solchen Platz einnehmen würde. 1887 in Hyderabad geboren, wo er eine wohlbehütete Kindheit verbracht hatte, war er nach dem Tod des Vaters zu einem puritanischeren Leben an den Ort seiner Vorfahren in Nordindien zurückgekehrt. Noch vor Vollendung des 14. Lebensjahres hatte er beide Eltern verloren. Nach dem Besuch der Islamia High School in Etawah studierte er - wie auch zwei seiner Brüder - am Muhammadan Anglo-Oriental College in Aligarh. Er beendete sein Studium 1920 mit einem Magistergrad in Wirtschaftswissenschaften. Im unabhängigen Indien war er ab 1948 Rektor der Aligarh Muslim University, danach Gouverneur des Unionsstaates Bihar, und er hatte von 1962 das Amt des Vizepräsidenten und ab 1967 bis zu seinem Tode im Jahre 1969 das Amt des Präsidenten der Republik Indien inne. In der folgenden Studie sollen nur jene zweieinhalb Jahrzehnte seines Lebens zwischen 1922 und 1947 näher beleuchtet werden, in denen er in spezifischer Weise durch die Wahrnehmung und Verarbeitung globaler Einflüsse zu einem Akteur des Wandels geworden ist. Seine Mittlerfunktion im kulturellen und sozialen Umfeld von okzidentalen und orientalischen Gesellschaften bezog die Darstellung und Verbreitung indischer Geschichte und Kultur in Deutschland ein, erstreckte sich aber vor allem auf die Vermittlung und Anwendung von Elementen im Westen konzipierter Bildungsvorstellungen im eigenen Land. Im folgenden soll der Frage nach den Umständen und dem Stellenwert der Begegnung zwischen Orient und Okzident nachgegangen werden, in deren Ergebnis aus dem Studenten am Muhammadan Anglo-Oriental College in Aligarh im Verlaufe von weniger als zwei Jahrzehnten ein angesehener Bildungstheoretiker und -praktiker wurde. Zunächst im Rahmen der Jamia Millia Islamia und dann auf gesamtindischer Ebene hat er in vielfältiger Weise einen bleibenden Beitrag zur Konzipierung und Umsetzung einer Grundschulbildung im Lande geleistet.
Khilafat-Bewegung und Non-cooperation - Entscheidung für National Education Die Zeit des letzten Studienjahres von Zakir Husain in Aligarh 1920 war geprägt von einer Zuspitzung der Auseinandersetzung mit der Kolonialmacht, die auch vor den Toren dieser Bildungseinrichtung nicht Halt machte. Zakir Husain war zu diesem Zeitpunkt 23 Jahre alt. In seiner Schulzeit war er mit der Vorstellungswelt des Sufismus vertraut gemacht worden, hatte wie viele andere seiner Altersgenossen Geld zur Unterstützung der türkischen Kriegsopfer gesammelt und die aufrühreri-
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sehen Artikel in Maulana Abul Kalam Azad's Zeitung Al-Hilal verschlungen. Seine Gedanken waren auf den Beitrag gerichtet, den das College und sein Gründer Sayyid Ahmad Khan bisher zur Bildung der indischen Muslime und zur Verbesserung ihrer sozialen Lage geleistet hatten. In einem Artikel in der College-Zeitschrift konstatierte er eine mangelnde Vermittlung humanistischer Wertvorstellungen wie sie im Islam verankert seien und plädierte für ein selbstloses Handeln des Individuums. Das Bildungsziel dürfe nicht in der Bereitstellung unterwürfiger und loyaler Diener der Staatsmacht bestehen, die vom bedauernswerten Zustand ihrer muslimischen Mitbürger unberührt blieben. Bildung sei vielmehr ein Mittel zur Beförderung des Wohls der ganzen Menschheit. Außerhalb der Mauem des prestigeträchtigen Colleges gärte es. Die Hintergründe des Massakers unter britischem Kommando an Zivilisten in Amritsar waren im Frühsommer des Jahres 1920 bekannt geworden. Sie hatten ebenso wie die drakonischen Maßnahmen im Gefolge der ein Jahr zuvor verabschiedeten Rowlatt-Gesetze Protestaktionen unter breiten Schichten der Bevölkerung hervorgerufen. Insbesondere Muslimische Bevölkerungskreise waren beunruhigt über die Konsequenzen, die sich aus dem im August 1920 mit der Türkei in Sèvres abgeschlossenen Friedensabkommen für den Bestand des Kalifats abzeichneten. Die Führung der für seinen Erhalt streitenden Khilafat-Bewegung2 erwog in zunehmendem Maße eine Kampagne der NichtZusammenarbeit mit den Briten. Vor dem Hintergrund dieser beiden vor allem in Nordindien manifesten Entwicklungen war es Gandhi im September 1920 auf einem Sonderkongreß des sich zur führenden Kraft nationaler Bestrebungen profilierenden Indischen Nationalkongresses gelungen, eine knappe Mehrheit für eine Kampagne der NichtZusammenarbeit zu gewinnen. Das bedeutete Boykott der erstmals für einen sehr begrenzten Kreis von Indern möglichen Teilnahme an Wahlen zu den Provinzversammlungen, Verzicht auf die von den Briten verliehenen Auszeichnungen, aber vor allem auch den Boykott der Gerichte und britischer Waren. Unter Rückgriff auf Forderungen der sich mehr als ein Jahrzehnt zuvor im Gefolge der Teilung Bengalens formierenden Swadeshi-Bewegung3 fand besonders das Thema national éducation innerhalb der Bewegung der NichtZusammenarbeit breiten Widerhall. Im Ergebnis der von Gandhi und den Führern der Khilafat-Bewegung im Lande unternommenen Reisen entstanden innerhalb weniger Monate einheimische Bildungseinrichtungen, darunter in den Provinzen Bombay, Bihar, den United Provinces und Bengalen mit Tausenden von eingeschriebenen Schülern und Studenten.4 Der Besuch solcher Colleges und Schulen bedeutete jedoch die Nichtanerkennung des dort erbrachten Abschlusses und damit keinen Zugang zu den Universitäten bzw. zu Arbeitsplätzen in der Verwaltung. Obwohl es in Aligarh bereits seit Anfang des Jahrhunderts Bemühungen um die Gründung einer islamischen Universität gab, die als autonome Einrichtung und frei von britischer Bevormundung die höhere Bildung indischer Muslime in eigener Verantwortung betreiben sollte, sprach sich das Syndikat des Muhammadan AngloOriental Colleges am 10. Oktober 1920 gegen die Bewegung der Nichtzusammenarbeit und die von ihr vertretenen Forderungen aus. Auch Gandhi konnte zwei Tage später keine breite Zustimmung der Studenten erlangen. Er war von sympathisierenden Studenten zusammen mit den ehemaligen Absolventen des Colleges und mittlerweile führenden Repräsentanten der Khilafat-Bewegung, den Brüdern Mohammad und Shaukat Ali, nach Aligarh eingeladen worden. Gandhis provozierende Frage „How can you remain, even for an hour, in an institution in which you are obliged to put up with the Union Jack and profess your loyalty to a Governor or
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other high-ranking official when in fact you are not loyal?" (Gandhi 1990: 345) fand nicht das erwartete Echo. Nicht wenige Studenten äußerten sich anschließend Zakir Husain gegenüber, der an jenem 12. Oktober in Delhi weilte, in sehr abfälliger Weise über den Mahatma. Zakir Husain hatte sich zu diesem Zeitpunkt unter seinen Kommilitonen schon einen Ruf als brillanter Redner von hohem Intellekt erworben und einschlägige Auszeichnungen für sehr gute Studienleistungen erhalten. Er hatte eine Assistentenstelle am College inne, galt als zuverlässig und zugänglich, war kein Bücher- und Strebertyp, und er besaß als Vizepräsident des Studentenvereins Vertrauen und eine gewisse Popularität unter seinesgleichen. Sein Wort zählte besonders, als am 13. Oktober die kontroverse Diskussion unter den Studenten fortgesetzt wurde. Zakir Husain erklärte seinen Verzicht auf die von ihm am College wahrgenommene Assistentenstelle und sprach sich für eine von britischer Vormundschaft und Abhängigkeit freie Bildungseinrichtung aus. Die Befürworter der Kampagne der Nicht-Zusammenarbeit verfaßten eine Resolution, in der sie die britische Haltung gegenüber der Türkei verurteilten und die Leitung des Colleges aufforderten, bis zum 26. Oktober den Verzicht auf finanzielle Unterstützung durch die britischindische Regierung und auf die Anbindung des Colleges an die Universität von Allahabad zu erklären. Von diesem Tag ab blieben die Befürworter der Resolution den Lehrveranstaltungen fern. Sie widerstanden zum großen Teil den Bemühungen der konservativen Kräfte des Colleges, sie mit Druck und Versprechungen von ihren Forderungen und Vorhaben abzubringen. Zakir Husain lehnte ein Angebot des Rektors auf einen lukrativen Verwaltungsposten ab. Zakir Husain und eine Abordnung der Studenten suchten in den folgenden Tagen Gandhi und die führenden Vertreter der Khilafat-Bewegung in Delhi auf. Sie erklärten die Bereitschaft eines Teils der Studenten und des Lehrkörpers, das Muhammadan Anglo-Oriental College unter der Voraussetzung zu verlassen, daß in Übereinstimmung mit dem Anliegen der Bewegung der Nicht-Zusammenarbeit eine nationale Bildungsinstitution geschaffen würde. Geteilte Auffassungen gab es daraufhin unter den Führungskräften der Khilafat-Bewegung, ob das College samt seiner Räumlichkeiten selbst in eine solche Einrichtung transformiert werden sollte oder dafür eine neue Institution zu gründen sei. Am 29. Oktober 1920 war die Entscheidung gefallen. Einige hundert Studenten und einige wenige Dozenten beteiligten sich an der Gründungsversammlung der Jamia Millia Islamia (Nationale Muslimische Universität) in der Moschee des alten Colleges. Die Etablierung dieser Einrichtung war, wie Zakir Husain später rückblickend bemerkte, „die Erfüllung des natürlichen Wunsches indischer Muslime, ihre Erziehung - frei von fremdem Einfluß in die eigenen Hände zu nehmen"5. Langsam und unter großen Schwierigkeiten nahm die Jamia Millia Islamia ab November 1920 Gestalt an. Mit finanzieller Unterstützung des Khilafat-Komitees wurden die notwendigen akademischen und administrativen Strukturen geschaffen. Der bestehende Lehrplan wurde mit wenigen Veränderungen beibehalten. Zakir Husain, der sich als zweiter Student an der neugegründeten Institution eingeschrieben hatte, wurde aufgrund des Mangels an Dozenten in wirtschaftswissenschaftlichen Lehrveranstaltungen eingesetzt und beteiligte sich an der Arbeit diverser Gremien. Im Unterschied zu vielen seiner Mitstudenten nahm er nicht an dem sechswöchigen Kurs über Anliegen und Ziele der Khilafat- und der Nicht-ZusammenarbeitsBewegung teil, ebensowenig an den sich daran anschließenden Aufklärungskampagnen der Seminarteilnehmer unter der Bevölkerung im Lande. Während dieser
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Zeit übersetzte er Edwin Kenans Werk „Elementary Political Economy" ins Urdu und beendete die bereits früher begonnene Übertragung von Piatos ,.Republik" aus dem Englischen (Noorani 1967: 6ff.; Faruqi 1988: 69). Den Kontakt zum Muhammadan Anglo-Oriental College hielt er aufrecht. Begegnungen und Erfahrungen in einem fremden Land Wann und wie konkret sich die Vorstellung bei Zakir Husain festsetzte, seine Ausbildung im Ausland zu vollenden, ist nicht belegt. Der von Gandhi offiziell deklarierte Abbruch der Bewegung der Nicht-Zusammenarbeit im Frühjahr des Jahres 1922 dürfte dabei ebenso eine Rolle gespielt haben wie das unausgesprochene Unbehagen Zakir Husains über die damaligen führenden Vertreter der Jamia Millia Islamia6, die nicht die Sache, sondern ihre Person in den Mittelpunkt allen Denkens und Handelns stellten. Zu seinen Erkenntnissen über deren Unzulänglichkeit gesellte sich der Eindruck, daß unter vielen seiner Glaubensbrüder Qualitäten wie Lebenstüchtigkeit, Wissen und Verständnis nur schwach ausgeprägt bzw. nicht vorhanden waren (Ali 1991: 68 f.). Ausschlaggebend für die Entscheidung war offensichtlich der sanfte Druck seines Freundes K.A. Hamied, der ihm eineinhalb Jahre später nach Berlin folgte. Zakir Husain erinnerte sich: „Being what he is, he took charge of me, of my present, of my future. He decided that I should go to Germany for further study. My objections, my difficulties, my inertia counted for nothing. He had decided, so I had to go. There was no escape. He booked my passage, he accompanied me to Bombay to see that I got safely on board. And he used the few days we were together in Bombay to teach me the elements of civilised living - how to dress, how to eat with knife and fork and, generally, how to conduct myself in European countries." (Husain, Z. 1973: 186)
Studium und Promotion Warum abweichend von der bisherigen Praxis zu jenem Zeitpunkt nicht das koloniale Mutterland für eine Hochschulbildung ausgesucht wurde, ergab sich nicht nur aus dem gewachsenen Renommee der deutschen Wissenschaft. Den meisten patriotisch eingestellten jungen Indern war die Vorstellung fremd, nach dem Boykott britischer Bildungseinrichtungen in Indien anschließend ihren Bildungsweg in Großbritannien fortzusetzen. Ihre politische Entscheidung für ein Studium in Deutschland war auch mit der festen Absicht verbunden, nach Rückkehr in die Heimat das erworbene Wissen zum Wohle der Nation einzusetzen. Man glaubte außerdem, in Deutschland bessere Möglichkeiten für den Erwerb praktischer Fähigkeiten und Fertigkeiten für das spätere Berufsleben anzutreffen. Zudem waren die Kosten für Studium und Ausbildung inflationsbedingt für Ausländer im Vergleich zu England oder den USA gering. Gleichzeitig stellte die Entscheidung für ein Studium in Deutschland auch ein Wagnis dar. Der Ausblick auf die Zeit danach war in jener Zeit für einen indischen Studenten nicht ermutigend:
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„Highest German degrees had not that commercial value which even an ordinary English degree had. To add to it he was hounded by the C.I.D. (Central Intelligence Department - J. Oe.) as the British considered every man retuming from Germany a dangerous revolutionary." (Mirza 1950: XII) Zakir Husain nannte einen weiteren Grund für den Zustrom indischer Studenten nach Deutschland mit Beginn der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts: „Spät erst haben indische Studenten den Weg zu den deutschen Hochsitzen des Wissens gefunden - nicht weil wir ihn verschmäht haben - nein, wir kannten ihn nicht... Indien wußte nicht, daß im europäischen Pantheon mehr als eine Gottheit thronte, eine Reihe von Gottheiten, die trotz ihres ähnlichen Gewandes auffallende Wesensunterschiede aufweisen..." (Husain, Z. 1926: 23) Aufgrund seiner Aktivitäten in Zusammenhang mit der Gründung der Jamia Millia Islamia hatte Zakir Husain nur mit Mühe einen Paß von den Kolonialbehörden erhalten, ein Visum für Deutschland war ausgeschlossen. Entgegen allen bisherigen Darstellungen bestand zumindest zum Zeitpunkt der Abreise offensichtlich doch schon Kontakt zu indischen Landsleuten in Berlin. Dem deutschen Konsulat in Triest lag ein Empfehlungsschreiben des India News Service and Information Bureau aus Berlin vor mit der Bitte um Erteilung der Einreiseerlaubnis für Zakir Husain und neun weitere indische Studenten. Gemäß den Bestimmungen des Versailler Vertrages wurde diese am 20. Oktober 1922 verweigert7. Nur mit einem Touristenvisum versehen, traf Zakir Husain im Herbst 1922 in Deutschland ein. Aus den Beschreibungen seiner Landsleute, die zeitgleich mit Zakir Husain in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre nach Berlin gekommen waren, entsteht das Bild eines attraktiven jungen Mannes von ansehnlicher Statur. Er wird als überzeugter Nationalist und Gefolgsmann Gandhis beschrieben, der gelegentlich auch am Spinnrad zu sehen war. Seine hoher Intellekt stand in scheinbarem Gegensatz zu einer gewissen physischen Lethargie, und gelegentlich vermittelte er das Gefühl von Hilflosigkeit. Die Ausdruckskraft seiner Augen zog zuerst die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich, noch bevor er im Gespräch einen faszinierenden Charme entwickelte (Mujeeb 1997: 32; Mirza 1950: 31). Zakir Husain traf in einer äußerst turbulenten Zeit in Deutschland ein. Wenige Monate vor seiner Ankunft war Außenminister Walter Rathenau ermordet worden. Die Inflation hatte ungeahnte Ausmaße angenommen und führte im Frühsommer des Folgejahres zu Hungerdemonstrationen in ganz Deutschland und zum Generalstreik. Hitlers Putsch in München scheiterte, und in Sachsen und Thüringen wurden für kurze Zeit Arbeiterregierungen aus Vertretern der SPD und KPD gebildet. Nicht nur in Politik und Wirtschaft gab es rasante Entwicklungen während jener dreieinhalb Jahre, in denen Zakir Husain in Deutschland weilte. Sie fanden ebenso im Bereich von Kunst und Kultur ihren Niederschlag und blieben nicht ohne Einfluß auf Zakir Husains ästhetische Auffassungen und Empfindungen8. Das Deutsche Theater unter Max Reinhardt entwickelte sich zum Zentrum der Schauspielkunst mit europaweiter Ausstrahlung. In den Konzertsälen brillierten die Dirigenten Wilhelm Furtwängler und Bruno Walter, Thomas Mann legte seinen Roman „Der Zauberberg" vor, und Alban Bergs Oper „Wozzeck" wurde in Berlin uraufgeführt. Regelmäßige Rundfunksendungen wurden in Berlin ausgestrahlt und der Flughafen Tempelhof eingeweiht. Angesichts der sicher geringen und von antibritischen Vorbehal-
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ten genährten Kenntnisse über die konkreten Verhältnisse in Deutschland glaubte Zakir Husain in ein Land gekommen zu sein, dessen Bevölkerung nach der im Krieg erlittenen Niederlage darum bemüht war, „to make up for all that they had lost in the war. They were aware of their problems, responsive to ideas, almost mad in their urge to discover, to create. They were meticulous in their attention to details, and upon this they built their concept of perfection. They laboured without any feeling of weariness; conscientious work seemed to them the highest form of selfrealisation" (Mujeeb 1997: 38 f.). Zakir Husain verfügte bei seinem Gintreffen über keinerlei Deutschkenntnisse und besuchte zunächst die Sprachkurse des an der Friedrich Wilhelms-Universität eingerichteten Deutschen Instituts für Ausländer, ehe er sich am 18. Mai 1923 an der Berliner Universität immatrikulieren ließ. 9 Im Rahmen seines Promotionsvorhabens belegte Zakir Husain außer in Volkswirtschaftslehre Kurse in Philosophie, Pädagogik und anstelle des geforderten Latein Lehrveranstaltungen in arabischer Sprache und Literatur. Im Doktorandenbuch der Philosophischen Fakultät ist sein Name für das Jahr 1925/26 unter der laufenden Nummer 38 zu finden. Das Thema der Dissertation - „Die Agrarverfassung Britisch-Indiens" - geht auf Veranlassung seines Doktorvaters Prof. M. Sering zurück, ohne dessen Unterstützung und Förderung „diese Arbeit kaum entstanden wäre", wie ihr Verfasser im Vorwort schreibt. An gleicher Stelle heißt es weiter: „Angesichts der zunehmenden Bedeutung Indiens für die - politische und kulturelle - Zukunft der Welt, hoffe ich, daß man diesen meinen Versuch, ein Hilfsmittel zum Verständnis des indischen Wirtschaftslebens zu liefern, nicht für ganz zwecklos halten wird."10 Zu den Lehrern Zakir Husains gehörte auch der berühmte Nationalökonom Wemer Sombart, dem er später die Veröffentlichung seiner am 5., 6. und 7. März 1932 an der Hindustan Academy in Allahabad gehaltenen Vorträge zu Fragestellungen der Wirtschaftswissenschaften gewidmet hat (Husain, Z. 1932)." Beide, Sombart und Sehring haben Zakir Husain „eine sehr beachtenswerte Leistung" bescheinigt. 12 Die eigentliche Bestimmung - Zufall oder Absicht? Über Studium und Promotion hinaus war Zakir Husain bemüht, auch andere Lebensbereiche kennenzulernen. 13 Aufgrund verschiedener Umstände erlangte er unmittelbaren Zugang zu Fragen von Bildung und Erziehung. Zakir Husains Interesse an der Pädagogik könnte durch die öffentlichen Vorträge an der Universität geweckt worden sein, die vom Deutschen Institut für Ausländer angeboten wurden. Einen Überblick Uber das deutsche Bildungssystem und Uber philosophische Aspekte in der Pädagogik vermittelte Eduard Spranger, der seit 1919 den Lehrstuhl für Philosophie und Pädagogik an der Berliner Universität innehatte. Zakir Husain selbst hat in seinem Lebenslauf zur Promotion Spranger als einen der Professoren genannt, bei denen er Vorlesungen belegt hat, „ohne jemals zu fehlen" 14 . Außerdem promovierte Abid Husain, sein Freund, Hausgenosse und späterer Mitstreiter an der Jamia Millia Islamia seit 1924 bei Spranger. Zakir Husain dürfte auf diese Weise und im Rahmen seiner eigenen Studien mit den Namen und Konzepten der führenden Bildungstheoretiker und mit dem Inhalt internationaler bildungspolitischer Debatten vertraut gemacht worden sein. Sie bewegten sich im Hinblick auf eine neue,
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progressive Erziehung vor allem um den Platz des Kindes in der Schule und um Fragen der Überwindung orthodoxer Lehr- und Erziehungsmethoden (Jenkins 2000). Diese neue Richtung in der Pädagogik, die in Deutschland als „Reformpädagogik" bekannt wurde, war Ausdruck einer noch vor dem Ersten Weltkrieg entstandenen „demokratischen Bewegung von unten" (Pehnke 1972: 27). Schon 1920 formierte sie sich auf internationaler Ebene als Weltbund für die Erneuerung der Erziehung (New Educational Fellowship). Ob Zakir Husain 1925 die Gelegenheit genutzt hat, zur Teilnahme am dritten Weltkongreß dieser Organisation, der die Befreiung der schöpferischen Kräfte im Kind zum Thema hatte, von Berlin nach Heidelberg zu reisen, ist ungewiß. Unklar bleibt auch, auf welche Weise Zakir Husain mit den Auffassungen Georg Kerschensteiners (1834-1932) in Berührung gekommen ist, der als Begründer des dualen Systems, d.h. der beruflichen Bildung in Berufsschulen und Betrieben gilt. Der Münchener Stadtschulrat gehört nach dem übereinstimmenden Urteil der pädagogischen Geschichtsschreibung „zu den zentralen Gestalten der pädagogischen Reformbewegung, die zwischen 1890 und 1930 die pädagogische Praxis und Theorie nicht nur in Deutschland, sondern weltweit nachhaltig umgestaltete" (Wehle 1979: 1). Über eine Begegnung Zakir Husains mit Kerschensteiner ist nichts bekannt, aber die Anwesenheit Zakir Husains 1923 in München (Edib 1937: 97), dem Wirkungsort Kerschensteiners, schließt ein solches Zusammentreffen nicht aus.16 Zakir Husain hat immer wieder betont, daß das Gebäude seiner pädagogischen Überlegungen nahezu vollständig auf den Anschauungen Kerschensteiners ruht (Faruqi 1999: 145). Die von Kerschensteiner vertretenen Ideen haben im Wirken Zakir Husains als Lehrer und Erzieher an der Jamia Millia Islamia und darüber hinaus ihren Niederschlag gefunden. Zakir Husain kam aber auch noch auf ganz anderem Wege mit Bildungsfragen in Berührung. Der Umstand hatte es gefügt, daß er in Berlin als Untermieter bei der Familie Wilhelm Schwaner wohnte, einem ehemaligen Volksschullehrer, der seit 1897 die Zeitschrift „Der Volkserzieher" herausgab. 7 Dessen Schwiegersohn Alfred Ehrentreich war ein reformpädagogisch orientierter Lehrer, der ab Herbst 1922 in der Freien Schulgemeinde Wickersdorf, neben der Odenwald-Schule eines der führenden Landerziehungsheime in Deutschland, tätig war. Durch diesen Kontakt dürfte Zakir Husain zuerst mit Schulen der Reformpädagogik in Berührung gekommen sein. Er hat Alfred Ehrentreich in der Schulgemeinde Wickersdorf besucht, und als dieser 1924 an das von dem bekannten Reformpädagogen Fritz Karsen (1885-1951) geleitete Schulprojekt in Berlin-Neukölln wechselte, stattete Zakir Husain auch dieser Schule einen Besuch ab. is Abid Husain bestätigte später aus eigener Erfahrung, daß Zakir Husain Schulen in Deutschland aufsuchte, die mit neuen Bildungstheorien und Unterrichtsmethoden arbeiteten (Husain, A. 1969: 44). Er hat auf diese Weise einen durch praktische Anschauungen und durch die Vorlesungen in Erziehungswissenschaft auch theoretisch verfestigten Eindruck vom Potential der Reformpädagogik erhalten und wurde in der Auffassung bestärkt, daß vom Grundanliegen dieser Ländergrenzen übergreifenden Bewegung Anregungen auch für die Ausgestaltung eines den spezifischen Gegebenheiten Indiens Rechnung tragenden demokratischen Bildungssystems ausgehen könnten. Vieles von dem, was Zakir Husain in Deutschland auf dem Gebiet von Bildung und Erziehung in Theorie und Praxis kennenlernte, begann er nach der Rückkehr an der Jamia Millia Islamia umzusetzen.
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Abb. 10: Zakir Husain als Student in Europa
Engagement fiir Indien Der Erwerb akademischer Bildung war für Zakir Husain vorrangiger Zweck seines Aufenthalts in Deutschland. Die Wahrnehmung und Verarbeitung der Vielfalt des Lebens im europäischen Pantheon, die bewußte Aneignung des Fremden war für ihn untrennbar mit der Vermittlung des Eigenen verbunden. Gleich ihm spürten auch die anderen indischen Studenten das Interesse an ihrem Land in großen Teilen der deutschen Öffentlichkeit.19 Es war durch den Besuch Rabindranath Tagores im Jahre 1921 befördert worden. Interesse an Indiens Entwicklung war zweifellos zunächst in der Familie Schwaner selbst vorhanden.20 Der Sohn des Hauses, Fritz Schwaner, hatte sich an die Vertonung Tagorescher Lieder gewagt. Schwiegersohn Alfred Ehrentreich erstellte mit Hilfe der indischen Untermieter Unterrichtsmaterialien zum Thema England und Indien und verfaßte Beiträge flir die Zeitschrift der Jamia Millia Islamia. Im Hause der Schwaners reifte auch der Plan zur Veröffentlichung einer Auswahl von Gandhis Schriften. Herausgegeben von Zakir Husain und Alfred Ehrentreich erschienen sie in Berlin 1924 im Verlag von Wilhelm Schwaner unter dem Titel „Die Botschaft des Mahatma Gandhi". Kurz zuvor war jedoch Romain Rollands Gandhi-Buch in deutscher Übersetzung erschienen und hatte reißen-
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den Absatz gefunden. So wurde dieses Vorhaben für Zakir Husain und alle Beteiligten ein großes Verlustgeschäft. Diese Erfahrung hielt ihn in der Folgezeit nicht von der Herausgabe einer Sammlung von Versen des berühmten indischen Dichters Ghalib ab, wofür er sich in der Druckerei Kaviani Press selbst mit den Geheimnissen des Buchdrucks vertraut machte.21 Zu Zakir Husains umfangreicher publizistischen Tätigkeit gehören auch die Beiträge bzw. Übersetzungen, die er von Berlin aus für die in Delhi von der Jamia Millia Islamia herausgegebe Monatszeitschrift Jamia verfaßte. Er begann damit unmittelbar nach seiner Ankunft, wie die „Briefe aus Deutschland" vom 19. Dezember 1922 und 23. Januar 1923 belegen.22 Die im Vergleich mit anderen Ausländergruppen nicht allzugroße indische Gemeinde in Berlin, die zu Beginn der zwanziger Jahre vor allem durch den Zuzug von Studenten aus Indien vergrößert wurde, bot Zakir Husain ein weiteres Betätigungsfeld für nichtakademische Aktivitäten. Einen organisatorischen Rahmen stellte der Verein der Inder in Zentraleuropa (Hindustan Association of Central Europe), der sich im Unterschied zu dem im Namen enthaltenen Anspruch in seiner Tätigkeit auf Deutschland, mehr noch aber auf Berlin konzentrierte. Hier trafen Inder unabhängig von Beruf und politischer Auffassung zusammen, die das gemeinsame Anliegen hatten, die englische Herrschaft über Indien eines Tages beendet zu sehen (Hamied 1972: 36). Nach etwas mehr als einem Jahr Aufenthalt in Berlin wurde Zakir Husain zum Präsidenten des Vereins für das Jahr 1924 gewählt (Mirza 1950: 31).25 Er beteiligte sich auch in der Folgezeit an dessen diversen kulturellen und sozialen Aktivitäten. Am 20. Dezember 1925 hielt er im Rahmen eines „Nationalabends" einen Vortrag zum Thema „Das politische Ideal Indiens"26. Über den Inhalt seiner Ausführungen zum Thema und seine diesbezüglichen Auffassungen lassen sich keine konkreten Angaben machen, aber sie sind zumindest partiell aus einem anderen Kontext zu erschließen. Über sein Auftreten bei einem Zusammentreffen mit Abgesandten des Indischen Nationalkongresses am 21. Mai 1923 wird berichtet, er sei der Auffassung, daß der Kampf um Indiens Freiheit unabhängig vom persönlichen Engagement vieler Inder im Ausland nur in Indien selbst entschieden werden kann.27 Ab Ende des Jahres 1924 war Zakir Husain für eine gewisse Zeit auch offizieller Repräsentant des Vereins der Inder in Zentraleuropa bei der Vertretung ausländischer Studierender an der Berliner Universität und kam hier in Kontakt mit Interessenvertretern anderer ausländischer Studenten und Doktoranden.28 Zakir Husain bewegte sich auch im Umkreis der durch den Zustrom junger Araber aus Ägypten, Syrien, Jordanien und dem Irak und nicht zuletzt aus Indien selbst verstärkten islamischen Gemeinde in Berlin. Er nahm an Versammlungen der 1922 von Abdul Jabbar Kheiri gegründeten Islamischen Gemeinde e.V. teil und gehörte zeitweise ihrem Delegiertenrat an. Seine Beteiligung mit einem Beitrag an der seit April 1924 von Sadr-du-Din, einem Vertreter der Ahmadiyya Isha'at Islam herausgegebenen „Moslemischen Revue" ist ebenfalls belegt (Husain, Z. 1924).29 Aus dem Kreis seiner deutschen Freunde und Bekannten, darunter viele jüdischen Glaubens, verdient Gerda Philipsborn besondere Erwähnung. Sie stammte aus wohlhabender jüdischer Familie und bemühte sich darum, jüdischen Flüchtlingskindem aus Osteuropa ein vorübergehendes Zuhause in Berlin zu schaffen. Außerdem sympathisierte sie mit dem Ringen um Indiens Freiheit. Zakir Husain lernte die junge, tatkräftige Frau in der Familie der jüngsten Schwester von Virendranath Chattopadhyaya kennen, eine der zentralen Figuren der indischen Gemeinde in Berlin. Gerda Philipsborn hatte Musik studiert, kannte eine Vielzahl von Künstlern, Pädagogen, Schauspielern und Musikern persönlich und machte Zakir
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Husain mit ihnen bekannt. Durch sie kam er mit dem überreichen Angebot an Kunst und Kultur im Berlin der zwanziger Jahre in Berührung. In ihrer Begleitung sah er die besten Opern und Theaterstücke, besuchte Konzerte und Kunstausstellungen (Mujeeb 1972: 36).30 Der Aufenthalt im europäischen Pantheon, der Zakir Husain auch für jeweils wenige Wochen nach Großbritannien und Skandinavien führte, hatte vielgestaltige Ergebnisse. Eirizubeziehen sind wohl akademische Weihen und publizistische Erfolge, aber nachhaltiger und anregender waren die Begegnung mit der kapitalistischen Moderne und der Aufenthalt in einer ihrer führenden Metropolen. Der ungehinderte Zugang vor allem zu Wissenschaft, Bildung, Kunst und Kultur hinterließ lebenslang Spuren. Als am meisten anregend und für den zukünftigen Lebensweg bestimmend erwies sich die Begegnung mit neuen Inhalten und Formen von Bildung und Erziehung. In diesem Bereich wurden die Grundlagen für Zakir Husains späteres Wirken in Indien als Pädagoge und als Verfechter einer auf erziehungswissenschaftlicher Basis beruhenden allgemeinen Schulbildung gelegt. Diese Phase der Wahrnehmung und der beginnenden partiellen Verarbeitung von Eindrücken in der Fremde war eine der wesentlichen Voraussetzungen für einen neuen Lebensabschnitt, der nach seiner Rückkehr mit der Übernahme der Leitung der Jamia Millia Islamia begann. Vieles von dem, was sich für ihn mit dem Begriff Reformpädagogik verband, wurde erst nach und nach durch Beharrungsvermögen und Engagement umgesetzt, und manches erwies sich als Illusion. Am Ende seines Deutschland-Aufenthaltes aber war er erfüllt von Tatendrang und entschlossen, Neuem zum Durchbruch zu verhelfen. Sein Horizont hatte sich erweitert, seine Sicht auf die Welt verändert. Bildung, Kunst und Kultur schienen durchaus geeignet, die schöpferischen Potenzen des Individuums zu entwickeln. Zakir Husain nahm neben sehr vielem Positiven auch den Eindruck von einem „Zeitalter der äußersten Versachlichung aller Zweige des Lebens" mit. Ihn störte der „Wirbel der Tempo- und Rekord-Psychologie", und zusammen mit einer „allumfassenden Amerikanisierung" registrierte er eine „gefährliche Verflachung des Lebens".31 Bei aller kritischen Sicht auf das Fremde wie das Eigene war da noch die ülusion von der Seelenverwandtschaft zwischen dem deutschen und dem indischen Volk und die Vorstellung, aus dem Zusammentreffen von Ost und West könne eine neue Zivilisation entstehen. Er teilte nicht die Auffassung einiger seiner Landsleute in Berlin, daß eine bessere Zukunft für die Menschheit auf revolutionärem Weg zu erreichen sei und hielt am Gandhischen Glaubensgrundsatz vom gewaltlosen Widerstand fest.32
Jamia Millia Islamia - Theorie und Praxis neuer Bildung Der Abbruch der Bewegung der Nicht-Zusammenarbeit durch Gandhi im Jahre 1922 und die Abschaffung des Kalifats im Jahre 1924 schwächten die KhilafatBewegung nachhaltig, und das Khilafat-Komitee stellte die finanziellen Zuwendungen an die Jamia Millia Islamia ein. Die beabsichtigte Schließung der Einrichtung konnte jedoch durch Gandhis Intervention Anfang des Jahres 1925 verhindert werden. Die Schule übersiedelte im Juni desselben Jahres nach Delhi. Zakir Husain hatte Mitgliedern des Gründungskomitees, die sich für den Erhalt der Jamia Millia Islamia engagierten, noch während seines Europa-Aufenthaltes mitgeteilt, daß er sich entschlossen hätte, an die Jamia Millia Islamia zurückzukehren und auch ande-
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re Studenten für einen solchen Schritt zu gewinnen. Anfang Mai 1925 ließ er diesen Personenkreis in Delhi wissen, daß acht noch zur Ausbildung in Europa weilende Studenten - sechs in Berlin und zwei in London - bereit seien, ihre Kenntnisse und ihre ganze Kraft für die Jamia Millia Islamia einzusetzen (Faruqi 1999: 138). Im Februar 1926 trafen er, Abid Husain und M. Mujeeb in Delhi ein, sicher ohne konkrete Kenntnisse dessen, was sie hier erwartete. Im abgelegenen Stadtteil Karol Bagh war die Jamia Millia Islamia in einem Gebäude untergebracht, das einer Kaserne ähnelte. Hier wohnten die rund 80 Schüler und Studenten und die 25 bis 30 Lehrer. In dem Gebäude befanden sich außerdem die Gebetshalle und der Speiseraum. Drei weitere Häuser beherbergten die Verwaltung, die Bibliothek und die Unterrichtsräume (Mujeeb 1997: 42). Nachdem Zakir Husain gemeinsam mit A. Husain und M. Mujeeb enthusiastisch begrüßt worden war, wurde ihm ohne Formalitäten die Leitung der Einrichtung übertragen.
Ein entscheidender Einschnitt Die Bedingungen für eine kontinuierliche Lehrarbeit waren kaum vorhanden. Belastungen ergaben sich aus den zunehmenden Spannungen zwischen Hindus und Muslimen. Der Tod von Hakim Ajmal Khan, im Jahre 1927, der als Kanzler der Jamia fungiert hatte, hinterließ eine empfindliche Lücke in den Reihen der engagierten Mitstreiter, deren Zahl ohnehin gering war. Abgesehen von den ungenügenden räumlichen Voraussetzungen erschwerte permanenter Geldmangel, der nur durch Bittstellungen - vorrangig bei muslimischen Herrschern vorübergehend gemildert werden konnte, die Arbeit. Zakir Husains Ruf „O God! How long will we have to wait for our saviour who will deliver us from the problem of the lack of resources to some extent. It would enable me to introduce the mission of the Jamia and give proper suggestions, instead of wasting my energy on begging for money" 33 , verhallte noch lange ungehört. Bis in die zweite Hälfte der dreißiger Jahre hinein gehörten Reisen im Land zur Sammlung von Spenden zu seinen permanenten Aufgaben. In seinen Entscheidungen war Zakir Husain entsprechend dem Statut der Jamia Millia Islamia abhängig vom Gründungskomitee, dessen Mitglieder sich Anfang des Jahres 1928 - vor allem angesichts fehlender Finanzen - erneut für die Schließung der Jamia aussprachen. Zakir Husains Engagement für den Erhalt der Einrichtung mündete in den Vorschlag ihrer Übernahme durch den Lehrkörper, dessen Unterstützung er sich ebenso wie deijenigen Gandhis versichert hatte. Der Vorschlag sah die Auflösung der alten Rechtsform der Jamia Millia Islamia und ihre Fortführung durch die Anjuman Talim-i-Milli (Society for National Education; ab 1938 Anjuman Jamia Millia Islamia) vor. Dieser Gesellschaft gehörten die Mitglieder des Lehrkörpers an, die sich zu einer zwanzigjährigen Mitarbeit bei einem äußerst geringen Gehalt verpflichteten. Dieser Schritt wurde am 28. April 1928 vollzogen (Husain, Z. 1999: 3). Der Rechtsstatus einer autonomen Einrichtung war ähnlich dem analoger Bildungsinstitutionen in Europa und den Vereinigten Staaten. Er ermöglichte Zakir Husain und dem Lehrkörper in der kommenden Zeit eine stärker von eigenen Vorstellungen getragene Entwicklung der Jamia Millia Islamia. Um die Minimalanforderungen für den Erhalt der Jamia erfüllen zu können, für die die unregelmäßigen Zuwendungen aus einigen Fürstenstaaten nicht ausreichten, wurde 1932 die Society of Jamia Patrons (Shu'aba-e-Hamdardan-e-Jamia) gegründet, die
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monatliche Spenden unterschiedlicher Größenordnung von Sympathisanten erhielt. Ab Oktober 1936 konnte durch das Journal Hamdard-e-Jamia der Kontakt mit den mehreren Tausend Spendern kontinuierlich gepflegt werden (Ali 1991: 149).34 Mit diesem Vorgehen war ein Weg gefunden worden, der auch weiterhin Wissensvermittlung außerhalb der von den Kolonialbehörden kontrollierten Bildungseinrichtungen ermöglichte. Er gestattete es aber zugleich, Bildung unabhängig vom Einfluß politischer Parteien oder von Personen zu verbreiten, die kein wirkliches Interesse daran hatten.35 Die pädagogische Arbeit hatte bei Zakir Husain absolute Priorität auch gegenüber den unmittelbaren Forderungen der Unabhängigkeitsbewegung. Als die Frage der Teilnahme der Jamia Millia Islamia an Gandhis Salzmarsch und der Bewegung des zivilen Ungehorsams zu Beginn der dreißiger Jahre auf der Tagesordnung stand, stellte er jedem Lehrer und Schüler die Beteiligung frei, machte aber darüber hinaus unmißverständlich klar, „that the Jamia itself is engaged in training soldiers for the war of independence. The work of imparting sound education is a most important one to which this small institution is fully and exclusively devoted" (Noorani 1967:40). Grundlagen einer neuen Schulbildung Nachdem entscheidende Voraussetzungen für einen Neuanfang geschaffen worden waren, machten sich Zakir Husain und seine Mitstreiter mit unbändiger Energie an die Ausgestaltung und Umstrukturierung der Jamia Millia Islamia. Sie erstreckte sich in der Folgezeit von der Etablierung eines Kindergartens über die Einrichtung einer Bibliothek und einer eigenen Druckerei bis zur Aufnahme der Ausbildung von Grundschullehrem. Der Mangel an ausreichender finanzieller Absicherung hinderte Zakir Husain und seine Mitstreiter nicht an Plänen für die Zukunft. Im Jahre 1935 wurde am Stadtrand von New Delhi in der Nähe des Flusses Yamuna der Grundstein für einen Komplex neuer, moderner Lehr- und Verwaltungsgebäude gelegt. Zakir Husains aufopferungsvolle Arbeit blieb nicht ohne Folgen für seinen Gesundheitszustand. Sein Augenleiden hatte sich Anfang 1937 so verschlechtert, daß eine Operation im gleichen Jahr erforderlich wurde. Die Vorschulerziehung lag ab 1. Januar 1933 in den Händen von Gerda Philipsbom, die Deutschland verlassen mußte und in der Jamia Asyl fand. Sie verfügte über pädagogische Erfahrungen, die bald Früchte tragen sollten (Edib 1937: 109). Ihr wurde auch die Leitung des Wohnheims der jüngeren Schüler übertragen. 36 Von grundsätzlicher Bedeutung für die Profilierung der Jamia Millia Islamia war die von Zakir Husain - sicher in Anbetracht seiner Kenntnis der Reformschulen in Deutschland - getroffene Entscheidung, zunächst an der bisher nur als College fungierenden Jamia mit dem Aufbau einer Grundschule zu beginnen und hierauf alle weiteren Anstrengungen zu konzentrieren. Für Zakir Husain bedeutete dies. Wissen und Bildung auf der Grundlage neuester pädagogischer Erkenntnisse und der aus eigener Anschauung in Deutschland gesammelten Erfahrung vermitteln zu können. Der Unterricht basierte aus methodischer Sicht auf Erkenntnissen der Reformpädagogik in Europa und den USA. In den ersten vier Schuljahren wurde die Projektmethode bevorzugt, in der den Schülern neben Schreib-, Lese- und Rechenübungen Vorgänge in Natur und Gesellschaft in anschaulicher Form nahegebracht wurden. In den anschließenden Schuljahren wurde schrittweise die Dalton Plan Methode (Lee 2000) in den Unterricht eingeführt, die dem einzelnen Schüler mehr Verantwortung
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für die Erfüllung gestellter Aufgaben zuwies.37 Der Lehrplan umfaßte je nach Klassenstufe die Fächer Urdu (Persisch und Hindi) Arithmetik/Mathematik, Naturwissenschaften, Geschichte, Geographie, Englisch, Theologie/Islamkunde, Kunsterziehung, Sport und Handarbeit. Unterrichtssprache war Urdu. Die positiven Ergebnisse beider Unterrichtsmethoden im Unterschied zu herkömmlichen Formen der Unterweisung an indischen Schulen widerspiegelten sich in einer stärkeren Ausdruckskraft und Kritikfähigkeit der Schüler. Die Islamkunde (Islamic studies: the study of the Koran, the Traditions, the life of the Prophet, Theology, and Arabic) als Unterrichtsfach stellte ein Spezifikum der Jamia Millia Islamia dar und entsprach der selbst gestellten Aufgabe, indischen Muslimen Bildung auf der Grundlage des Islam und islamischer Kultur zu vermitteln. Die Bedeutung der Religion im Leben des Menschen wurde in diesem Fach besonders hervorgehoben, zugleich aber auch Verständnis und eine tolerante Geisteshaltung gegenüber nichtislamischen Religionen gefördert. Die Jamia Millia Islamia verfolgte im Verständnis Zakir Husains immer ein doppeltes Anliegen. Mit dem Islam verbunden, war sie darum bemüht, islamische Kultur und Bildung lebendig zu erhalten. Zugleich fühlte sie sich Indien als Ganzem verbunden und war deshalb bestrebt, einen Beitrag nicht nur zur Befreiung des Landes, sondern auch zum Aufbau einer gemeinsamen Nation zu leisten (Noorani 1972: 38). Schüler wie auch Lehrer kamen nicht nur aus muslimischen, sondern auch aus christlichen und hinduistischen Familien. Der besondere Bezug auf den Islam war nicht gleichbedeutend mit der Absicht, indische Muslime in der Auffassung einer separaten Identität zu bestärken. Anliegen Zakir Husains war die Vermittlung der allen Religionen innewohnenden humanistischen Werte am Beispiel des Islam und des Lebens des Propheten. Die Religion begriff Zakir Husain als Quelle menschlichen Strebens nach Dienst am Mitmenschen, nach Herstellung von Gleichheit und Gerechtigkeit und der Beseitigung von Unwissenheit, Schmerz und Leid (Ruhela 1997: 49).34 Zakir Husain las regelmäßig den Koran und betete, trat nach außen aber nicht als streng gläubiger Muslim in Erscheinung und bediente sich auch keiner religiösen Sprache.39 Zakir Husains Religiosität war nicht mit Engstirnigkeit und Dogmatismus verbunden, weshalb er auch die Aufnahme von Mädchen, die Einführung des Zeichenunterrichts oder die Aufführung von Theaterstücken an der Jamia Millia Islamia als nicht im Widerspruch zu ihrem Credo stehend betrachtete. Mit den zunehmenden Aktivitäten der Muslim-Liga Ende der dreißiger Jahre und Zakir Husains Engagement für das mit Gandhis Namen verbundene Konzept einer allgemeinen Schulbildung wuchs die kritische Distanz aus den Reihen indischer Muslime gegenüber einem solchen Verständnis von Bildung und Religion. Die Einnahmen der Society of Jamia Patrons sanken dramatisch und die Jamia Millia Islamia mußte nahezu in der Isolation arbeiten (Mujeeb 1972: 87). An Kindergarten und Grundschule schloß sich ein College an, in dem Islamkunde, Urdu, Englisch, islamische, indische und europäische Geschichte, Wirtschaftsund Politische Wissenschaften gelehrt wurden. Da ein College-Abschluß an der Jamia Millia Islamia nicht zum Besuch einer Universität in Britisch-Indien oder zum Eintritt in den öffentlichen Dienst berechtigte, besuchten weniger Studenten das College als Schüler die Schule der Jamia Millia Islamia. Die Zahl der Schüler nahm aus diesem Grund bereits in den oberen Klassen der Grundschule ab.40 Von den Lehrern wurden ausgezeichnete Leistungen bei äußerst geringer Entlohnung gefordert, weshalb es zumeist an einer ausreichenden Zahl von guten Mitarbeitern
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mangelte. Dem verbliebenen Stamm an engagierten Lehrern hingegen wurde von offizieller Stelle bescheinigt, daß sie bestens qualifiziert seien und jeder Institution zur Ehre gereichen würden.41 Zakir Husains Beitrag zum Aufbau dieser neuen Bildungseinrichtung mit dem verpflichtenden Namen erschöpfte sich bei weitem nicht in Verwaltungstätigkeit und eigenem Unterricht. Die schlechte Qualität und der Mangel an Lesebüchern für Kinder in Urdu veranlaßte ihn zum Verfassen didaktisch aufbereiteter Tiergeschichten, die er unter einem Pseudonym veröffentlichte. Sie können als erste Beiträge zur indischen Kinderliteratur gelten und haben einen bleibenden Einfluß auf ihre Leser hinterlassen.42 Neben der seit 1923 erscheinenden Monatszeitschrift „Jamia", deren Ausgaben Zakir Husain aus Mangel an Artikeln unter anderem Namen zeitweise völlig allein füllte, editierte er die vierzehntägig erscheinende Kinderzeitschrift Payam-e-Talim (Message of Education). Eine Abendschule wurde in der Jamia Millia Islamia eröffnet, in der den Erwachsenen mehr als nur Lesen und Schreiben vermittelt werden sollte. Ab 1938 widmete sich das Adult Education Centre der Jamia der Erstellung von Unterrichtsmaterialien für Erwachsene. Die Herausgabe der ,Jamia" und geeigneter Urdu-Literatur für Studenten Ubernahm die unter Leitung Abid Husains ins Leben gerufene Urdu-Academy 43 Ab 1938 wurde in Zusammenhang mit dem Vorhaben einer allgemeinen Grundschulbildung in Indien mit dem Aufbau eines Instituts zur Ausbildung von Grundschullehrern begonnen, auf deren spezifische Berufung als die wirklichen Bewahrer der Zukunft des Landes Zakir Husain immer wieder hingewiesen hat.44 Zakir Husains Ruf als Schulleiter und Bildungsexperte45 erbrachte Einladungen zu Vorträgen und Vorlesungen im ganzen Land. Ständig war er bemüht, sich über die jüngsten Entwicklungen auf dem Gebiet von Bildung und Erziehung in Europa und Übersee auf dem laufenden zu halten, wie umfangreiche Auflistungen und Bestellungen von Neuerscheinungen zu theoretischen und praktischen Bildungsfragen aus der Zeit vor 1947 belegen. Im Jahre 1939 nutzte er den aus Krankheitsgründen bedingen Aufenthalt in Deutschland und der Schweiz zum Besuch der Odenwaldschule. Ab 1933 wurden bekannte Persönlichkeiten aus dem Ausland zu Vorträgen, sogenannten extension lectures, eingeladen. Damit sollten Kontakte zu Persönlichkeiten im Ausland hergestellt und die eigenen Erfahrungen durch das Kennenlernen der Probleme anderer Völker bereichert werden (Edib 1935: I). Die Jamia Millia Islamia fand dank ihrer aufopferungsvollen Arbeit und der vor allem über die Person Zakir Husains bestehenden individuellen Kontakte auch das Interesse von Pädagogen im Ausland. Eine Delegation der „New Educational Fellowship" stattete Indien Ende des Jahres 1937 auf der Rückreise von Australien und Neuseeland einen Besuch ab. Bei ihrem Aufenthalt in Delhi vom 29. November bis 4. Dezember 1937 suchte sie auch die Jamia Millia Islamia auf.4* Die Eindrücke aus diesen persönlichen Begegnungen Mitte der dreißiger Jahre ergänzen und präzisieren das bisher in starkem Maße durch Beschreibungen aus dem Freundes- und Bekanntenkreis vermittelte Bild der Person Zakir Husains und von der Arbeit an der Jamia Millia Islamia in dieser Zeit. Zu Beginn des Jahres 1935 kam die türkische Schriftstellerin Halide Edib - eine enge Mistreiterin Kemal Atatürks - zu einer Reihe von Vorträgen unter dem Titel „Conflict of East and West in Turkey" (Edib 1935) nach Indien. Sie hat ihre Wahrnehmungen und Erfahrungen von dem nahezu dreimonatigen Aufenthalt an der Jamia später in „Inside India" (Edib 1937) wiedergegeben. Halide Edib war erstaunt über den Bekanntheitsgrad Zakir Husains, denn jedesmal wurde sie bei Gesprächen
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mit indischen Intellektuellen gefragt, was sie von ihm halte. Beeindruckt zeigte sie sich davon, wie er seine ganze Kraft und Zeit Bildungsfragen widmete und Führungsqualitäten bei der Leitung der Jamia Millia Islamia offenbarte. Inhalt und Methoden des Unterrichts in der Grundschule waren ihrer Meinung nach - abgesehen von der starken Berücksichtigung islamischer Geschichte und Literatur - nicht von modernen Schulen in westlichen Ländern zu unterscheiden. Zakir Husain habe keine Vorbehalte gegenüber politischen Parteien erkennen lassen, ihr gegenüber aber immer wieder betont, daß Mängel und Versagen in der Politik in erster Linie aus der ungenügenden Kenntnis grundlegender sozialer und ökonomischer Probleme der Gesellschaft bei den Politikern selbst resultieren. Die Vertrautheit mit Verhältnissen im Westen habe bei ihm nicht zu einem Gefühl der Unterlegenheit geführt. Seine Bemühungen und die der Jamia Millia Islamia seien darauf gerichtet, einen Beitrag zum Zustandekommen einer indischen Nation zu leisten, ohne daß Muslime ihre islamischen Identität aufgeben müßten (Edib 1937: 95-113). Andere Besucher nahmen im gleichen Zeitraum wahr, daß an der Jamia ungeachtet der offensichtlich bescheidenen materiellen Ausstattung eine gute pädagogische Arbeit geleistet wurde. Sie sahen Bildungsprinzipien der Reformpädagogik verwirklicht, die in der Theorie zwar unbestritten, aber ansonsten nur sehr langsam Eingang in den Schulalltag gefunden hätten. Fachkollegen würdigten Zakir Husains großes Engagement, seinen Idealismus und das Beharrungsvermögen. 49
Ideen und Ideale Mitte der dreißiger Jahre waren Zakir Husains Vorstellungen über Voraussetzungen, Mechanismen und Aufgaben im Bildungsprozeß unter dem Einfluß verschiedener Denker und Praktiker weitgehend ausgeformt. Er war der Auffassung, daß im Prozeß von Bildung und Erziehung nicht nur Wissen und Informationen an den Einzelnen weitergegeben werden sollten, sondern auch ein Gefühl sozialer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft zu entwickeln sei. Respekt gegenüber der Würde des Anderen müsse dessen Auffassungen und Glauben tolerieren. Bildung solle das Streben nach Wahrheit fördern und zum Instrument des sozialen Wandels werden. Dafür sei es notwendig, die Trennung von Theorie und Praxis zu überwinden. Das bloße Lernen sei zu ersetzen durch eine Ausbildung, die auf das wirkliche Leben und die Herausforderungen der Zukunft vorbereite. Zur Umsetzung dieser Ideen hielt Zakir Husain eine Rekonstruktion des indischen Bildungssystems für unabdingbar. Auf der All India Educational Conference wies er 1934 darauf hin, daß dabei zwei Dinge im Vordergrund stehen müßten. Zum ersten sei es notwendig, das vorhandene Bildungssystem zu „indisieren", d.h. auf ein eigenes, nationales Fundament zu stellen. Es könne nicht länger angehen, Schüler und Studenten auszubilden, die blind gegenüber den Schönheiten indischer Kunst sind und sich der eigenen Sprache und Literatur schämen, aber grundsätzlich alles Ausländische als nobel und erhaben betrachten. Zum zweiten sei es erforderlich, die Schulen selbst zu verändern, sie zu Zentren gemeinsamer Aktivitäten zu machen, in denen ein Gefühl sozialer und politischer Verantwortung in der jungen Generation des Landes geweckt wird. Aus Institutionen reinen Wissenserwerbs müßten die Schulen zu Zentren der praktischen Anwendung von Wissen werden. Die Bewältigung dieser Aufgabe sei in erster Linie Aufgabe der Lehrer, auf deren
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Verantwortung für das Wohl des Landes er immer wieder hinwies (Husain, Z. 1934). Zum Ausgangspunkt seiner Betrachtungen machte Zakir Husain den bildungstheoretischen Ansatz Kerschensteiners, den dieser in seinen Werken „Grundaxiom des Bildungsprozesses" (1917), „Theorie der Bildung" (1926) und in „Theorie der Bildungsorganisation" (posthum 1933) niedergelegt hatte. Danach müsse davon ausgegangen werden, daß Bildung des Einzelnen nur mit Hilfe sogenannter Kulturgüter möglich sei, deren mentale Struktur ganz oder teilweise dem jeweiligen Entwicklungsstadium des Individuums entsprechen muß. Zakir Husain schlußfolgerte daraus, daß Bildung nichts anderes als die individualisierte Wiederauflebung objektiver Kultur sei. Die sprachliche, religiöse, kulturelle und ethnische Vielfalt Indiens gebot es für Zakir Husain zwingend, die Vielfalt der Kulturgüter in Gestalt von Wissenschaft, Religion, Recht, Kunst, Wirtschaft etc., die in ihrer jeweiligen Ausprägung selbst als Produkt individueller oder gemeinschaftlicher mentaler Bemühungen zu verstehen sind, als Fundament im Bildungsprozeß zu verwenden. Bereits 1935 vertrat er den Standpunkt, daß gesicherte pädagogische Kenntnisse und eine vernünftige Politik es erforderten, Muslimen im Rahmen eines zukünftigen nationalen Bildungssystems das Recht zuzugestehen, ihre Kultur zur Grundlage der eigenen Bildung und Erziehung zu machen (Husain, Z. 1993: 25). Die Auswahl der Kulturgüter hinsichtlich ihres Einsatzes als Bildungsinstrumente müsse sorgfältig erfolgen. Man dürfe nicht auf ein reiches kulturelles Erbe verzichten, nur weil Teile davon mit Hinduismus, Islam, Sikkhismus oder Christentum assoziiert werden können. Zakir Husain versuchte auch Antwort auf die Frage zu finden, wie die Kulturgüter im Bildungsprozeß produktiv werden können. Entscheidend für den Prozeß ihrer Aneignung unter Berücksichtigung und in Übereinstimmung mit der individuellen Beschaffenheit des einzelnen Schülers sei die pädagogisch produktive Arbeit. Auf der 2. Nationalkonferenz zur Grundschulerziehung im Jahre 1941 hat Zakir Husain seine Vorstellungen von pädagogisch produktiver Arbeit präzisiert. Eine solche Tätigkeit sei nur dann von erzieherischem Wert für Körper und Geist, wenn sie planvoll unter sorgfältiger Berücksichtigung und Auswahl der zu ihrer Ausführung erforderlichen Materialien und Instrumente erfolge und nach getaner Arbeit die Bewertung und Begutachtung des erarbeiteten Produkts einschließe. In einer solchen als „Arbeitsschule" zu verstehenden Einrichtung würden bei den Schülern zugleich auch Eigenschaften herausgebildet, die Indien dringend brauche, wie z.B. die Fähigkeit zur Zusammenarbeit und ein Verantwortungsgefühl für das größere Ganze (Husain, Z. 1941: 31-34). Zakir Husain hat mit seinen Überlegungen zur Arbeitsschule als einer Schule der „selbständigen und selbsttätigen Erarbeitung der Bildungsgüter" (Röhrs 1980: 191) die Diskussion um die Gestaltung einer Grundschule für ein freies Indien um ein entscheidendes Element bereichert und - vor allem in Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Vorsitzender des Expertenkomitees für ein nationales Grundschulkonzept - gegen Vereinseitigung und Fehlinterpretationen verteidigt. Die Reorganisation und Neugestaltung des Bildungssystems im freien Indien mit dem Ziel „to transform the education of the classes into an education for the people" (Husain, Z. 1942: 4) sah Zakir Husain 1942 als Ausdruck notwendiger Demokratisierung unter Berücksichtigung der kulturellen Vielfalt des Landes. Die den verschiedenen Bevölkerungsgruppen eigenen kulturellen Besonderheiten schlössen die Gefahr von „inneren Kulturkonflikten" nicht aus. Aber bei Zusicherung ihrer Ak-
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zeptanz und Bewahrung bestünde auch die Möglichkeit, daß diese kulturellen Eigenheiten der verschiedenen Gruppen miteinander in Einklang gebracht werden können. Der indische Nationalismus stelle das Symbol einer solchen Eintracht dar (Husain, Z. 1942: 3). Wardha - Akteur auf nationaler Ebene Nach dem Sieg des Indischen Nationalkongresses in den Wahlen zu den Gesetzgebenden Versammlungen der Provinzen Britisch-Indiens und der Bildung mehrerer Provinzregierungen unter seiner Führung, griff Mahatma Gandhi die Bildungsproblematik in der Hoffnung wieder auf, unter veränderten Bedingungen zu greifbaren Ergebnissen zu kommen. Seine als „layman for the lay reader" geäußerten Vorstellungen (Educational Reconstruction 1950: 27) riefen ein breites Echo in der indischen Öffentlichkeit hervor.51 Am 22. und 23. Oktober 1937 wurden sie auf einer Konferenz in Wardha, zu der Gandhi Bildungsexperten und die für Bildung zuständigen Minister der von der Kongreßpartei gestellten Provinzregieningen eingeladen hatte, beraten. Gandhis Vorschläge beinhalteten im Kern einen für alle Kinder verbindlichen siebenjährigen Schulbesuch. In dieser Zeit sollten sie auch manuelle Tätigkeiten lernen und ausführen, wofür er das Spinnen am geeignetsten hielt. Durch den von den Provinzregierungen zu sichernden Aufkauf der hergestellten Produkte sollte sich dieses Schulkonzept mit den erzielten Einnahmen selbst tragen, und auch das Lehrergehalt sollte davon bestritten werden. Gandhi mag dabei vor allem eine Wiederbelebung und Erneuerung des indischen Dorfes und weniger die Einführung einer universalen Grundschulbildung im Auge gehabt haben. Sprach er doch häufig von „rural national education through village handicrafts" und schloß jeden Bezug eines solchen Konzepts zu westlichen Bildungsvorstellungen aus (Basic National Education 1938:1). Zakir Husain war einer der wenigen Anwesenden, der Gandhis Vorstellungen aufgrund eigener Erfahrungen an der Jamia Millia Islamia und aus Kenntnis der internationalen Bildungsdebatten widersprach. Er verwies darauf, daß die Einbeziehung manueller Tätigkeiten in den Bildungsprozeß - einer der Vorschläge Gandhis, der von den meisten Anwesenden als originär empfunden wurde - keinesfalls neu sei. Er verneinte die Notwendigkeit, ein solches Bildungsinstrument mit Gewaltlosigkeit und dörflicher Zivilisation in einen untrennbaren Zusammenhang zu stellen. Das Spinnen sei eine vor allem im indischen Kontext geeignete Tätigkeit, aber nicht alle Bildungsinhalte ließen sich damit vermitteln. Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Gandhischen Vorstellungen würde auch der Mangel an ausgebildeten Lehrern bereiten. Am stärksten aber kritisierte er den Gedanken, Bildung könne sich selbst tragen, d.h. ohne staatliche Unterstützung allen Kindern zuteil werden. Die Gefahr bestehe, daß Lehrer dann zu Ausbeutern von Kinderarbeit werden könnten (Educational Reconstruction 1937: 53-55)." Als ein erstes Ergebnis verabschiedete die Konferenz vier Resolutionen, die auch Zakir Husains Zustimmung fanden. Sie zielten auf eine allgemeine Grundschulbildung von sieben Jahren, die in der Muttersprache erfolgen sollte. Einzubeziehen in den Bildungsprozeß seien Formen manueller und produktiver Tätigkeiten. Die vage Erwartung wurde geäußert, daß ein solches System nach und nach für die Lehrergehälter aufkommen würde (Educational Reconstruction 1937: 82).
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Zum Konferenzabschluß wurde ein Komitee unter dem Vorsitz Zakir Husains ernannt, das auf der Grundlage der vier Resolutionen Überlegungen zur Grundschulbildung zusammen mit einem Lehrplan unterbreiten sollte. Die scheinbar überraschende Berufung Zakir Husains an die Spitze des Expertenkomitees stand möglicherweise nicht nur in Zusammenhang mit seinem Ruf als erfahrener Pädagoge. Sie fallt in eine Zeit, in der er die Nachfolge M.A. Ansaris nach dessen Tod im Jahre 1936 als Ratgeber Gandhis in Fragen der Beziehungen zwischen den beiden großen Religionsgemeinschaften angetreten hatte. In einem langen Brief an Gandhi hatte er erst wenige Monate vor ihrem Zusammentreffen in Wardha zu den zunehmenden Spannungen zwischen Hindus und Muslimen Stellung genommen (Faruqi 1999: 191-194). Zakir Husain erkannte die große Chance, das Konzept einer Schulbildung mitzugestalten, das auf der Grundlage gesicherter pädagogischer Erkenntnisse der Beginn eines Systems nationaler Volksbildung werden könnte. Er wußte, daß er das Vertrauen Gandhis genoß, und Gandhi sah in Zakir Husain die geeignete Person, seinen Ideen in einer modernen Form Ausdruck zu geben. 33
Konzept einer Grundschulbildung Im Verlaufe von nur zwei Monaten lag Anfang Dezember 1937 der unter Federführung Zakir Husains erarbeitete Bericht vor, der in der Folgezeit als Wardha Scheme bekannt wurde. Dem Lehrplan vorangestellt sind die Grundsätze, die zur Klarstellung von im Vorfeld der Wardha-Konferenz aufgeworfenen Fragen angesehen werden können. Man betonte die aus pädagogischer Sicht unbestrittene Bedeutung produktiver Tätigkeit in bezug auf die Überwindung von Vorurteilen gegenüber manueller Arbeit, die Abkehr von reiner intellektueller Instruktion und eine engere Verbindung zur LebensWirklichkeit Keine mechanische, sondern eine aus pädagogischer Sicht produktive Tätigkeit müsse im Schulbetrieb im Hinblick auf erstrebenswerte Fähigkeiten wie Initiative, Verantwortung, Genauigkeit und Kooperationsbereitschaft Anwendung finden. Dem künftigen Staatsbürger sollte Bildung nicht nur zur Ausprägung der eigenen Persönlichkeit vermittelt werden. Er sollte vielmehr in der Schule bereits die Erfahrung seiner Zugehörigkeit zu einer kooperativen Gemeinschaft erhalten, zu deren Fortentwicklung er beizutragen habe (Basic National Education 1938:11-18). Der Lehrplan für eine Giundschulbildung von Mädchen und Jungen im Alter von 7 bis 14 Jahren enthielt unter Berücksichtigung international anerkannter pädagogischer und psychologischer Gestaltungsprinzipien detaillierte Ausführungen zu Inhalt und Umfang eines ausgewogenen Fächerkanons, der auch Sport-, Zeichen- und Musikuntenicht einschloß, aber keinen Religionsunterricht vorsah. In den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern sollte vielmehr auf die verschiedenen Religionen der Erde unter Betonung ihrer Gemeinsamkeiten eingegangen werden, eine Auffassung, die auch Gandhi teilte. Im Geschichtsunterricht sollte Vorsorge getroffen werden, daß der Stolz auf die Vergangenheit des eigenen Landes nicht in einen arroganten und exklusiven Nationalismus mündet (Basic National Education 1938: 23). Detaillierte Hinweise ergingen für die Lehrerausbildung und zur Umsetzung des Lehiplans in den Provinzen vor allem hinsichtlich der dafür notwendigen Voraussetzungen. Für die Einführung der allgemeinen Schulpflicht wurde auch unter Beachtung der finanziellen Möglichkeiten ein Zeitrahmen von 20 bis 25 Jahren ins Auge gefaßt. Vorschläge wurden für die Etablierung einer Bildungsbehörde auf nationaler und Provinzebene und ein Zentralinstitut für Bildung und Erziehung unterbreitet.
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Das zehnköpfige Gremium trat nur zweimal zur Ausarbeitung dieses Dokuments zusammen, das in großen Teilen Zakir Husains Auffassungen von einer modernen, nationalen Erfordernissen entsprechenden Grundschulbildung widerspiegelt. Im Gegensatz zu den von Gandhi vertretenen Vorstellungen, die eine Grundschulbildung mit wirtschaftlichen Aspekten zu verknüpfen suchten, dominierte hier der Bildungsaspekt. Zakir Husain ließ in das Wardha Scheme viele pädagogische Anregungen für eine moderne Volksbildung einfließen, die vom Weltbund für Erneuerung der Erziehung ausgegangen waren. Er hatte die Unterstützung Gleichgesinnter gefunden in dem Bemühen, die Individualität der Schüler davor zu bewahren, uniformiert und nivelliert zu werden. Ihre Neigungen sollten zur Grundlage der Erziehung gemacht und jene Tätigkeiten in Schule und Elternhaus gefordert werden, die ihren persönlichen Interessen entsprachen. Er hoffte, daß sich auch die Lehrer mit einem solchen Konzept identifizieren und darin neue Kraft für ihre Arbeit finden würden (Husain, Z. 1993: 114). In der Folgezeit war Zakir Husain damit beschäftigt, Inhalt und Anliegen des Wardha Schemes in der Öffentlichkeit publik zu machen und zugleich gegen ungerechtfertigte Kritik zu verteidigen. In diversen, von der Regierung eingesetzten Kommissionen zur Prüfung des Wardha Schemes stand er Rede und Antwort, beseitigte Mißverständnisse und Unklarheiten.55 Er verwies darauf, daß Koedukation nicht zur Pflicht gemacht worden war und dem Fehlen des Faches Religionsunterricht im Lehiplan nicht die Intention zugrunde lag, Bevölkerungsgruppen von Religion und Religionsausübung abzuhalten. Auch in den Spalten der Zeitschrift „Jamia" antwortete er Kritikern auf Unterstellungen und Halbwahrheiten und bedauerte, daß der unter seiner Leitung erstellte Bericht nur von wenigen Personen wirklich gelesen worden war.56
Abb. 11: In der Jamia Millia Islamia in New Delhi (1933). 3. Reihe Mitte Zakir Husain, 2. Reihe Gerda Philipsborn und M.A. Ansari (Mitte)
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Enttäuschte Hoffnungen Was ursprünglich die Idee einer Gruppe von Individuen war, wurde in zunehmendem Maße zu einem Gegenstand der politischen Auseinandersetzung. Der Indische Nationalkongreß machte auf seiner Jahrestagung im Frühjahr 1938 das Wardha Scheme zum offiziellen Dokument seiner Bildungspolitik. Zakir Husain war in Haripura anwesend und hatte erst führende Kongreßpolitiker von der Nützlichkeit des Bildungskonzepts überzeugen müssen, bevor sie es zur Abstimmung stellten.57 Die von der Kongreßpartei getragenen Provinzregierungen waren in unterschiedlichem Maße bereit, das Wardha Scheme zur Grundlage ihrer Bildungspolitik zu machen. Anderen Bereichen ihrer Regierungstätigkeit widmeten sie mehr Aufmerksamkeit. Bereits Ende des Jahres 1939 traten sie aus Protest gegen den erzwungenen Eintritt Indiens in den Krieg an der Seite Großbritanniens wieder zurück. Zakir Husain kritisierte, daß einige Provinzregierungen ohne Schaffung der erforderlichen Voraussetzungen und per Anordnung mit der partiellen Umsetzung begonnen und damit auch Personen beauftragt hatten, die Vorbehalte gegenüber einer solchen Grundschulbildung hatten. Kritik am Wardha Scheme kam Ende der dreißiger Jahre in zunehmendem Maße vom politischen Kontrahenten der Kongreßpartei. Die nicht aus pädagogischer Sicht vorgetragenen Einwände von Vertretern der Muslim Liga richteten sich in erster Linie gegen den vermeintlichen antireligiösen Charakter des Wardha Schemes. Sie nahmen in dem Maße zu, wie muslimische Bevölkerungskreise bei der Umsetzung des Wardha Schemes aus seiner vorsätzlichen oder unbewußten Assoziierung mit Elementen des Hinduismus eine Bedrohung von Kultur und Religion des Islam empfanden. Während es Zakir Husain noch gelungen war, Vertreter der All India Muslim Educational Conference im Vorfeld ihrer Jahrestagung zu einer partiellen Zustimmung zum Wardha Scheme zu bewegen,58 sprach sich die Mehrheit im Oktober 1938 gegen das Grundschulkonzept aus (Mujeeb 1997: 113). Das Wardha Scheme tauchte auch im sogenannten Pirpur Report, dem im Auftrag der Muslim Liga 1938 erstellten Bericht über Benachteiligungen und diskriminierende Behandlung von Muslimen seitens der vom Kongreß getragenen Provinzregierungen auf. Ein von Zakir Husain erarbeitetes Schulbuch fand im Jahre 1939 nicht die Zustimmung der Muslim Liga der Provinz Bombay, und im selben Jahr beauftragte die All India Muslim Educational Conference ein Komitee mit der Ausarbeitung eines Bildungskonzepts für Muslime (Basu 1980: 237). Zakir Husain konnte sich 1941 der Einsicht nicht mehr verschließen, daß das Wardha Scheme wegen des nur halbherzigen Engagements und des gedankenlosen und politisch bedenklichen Vorgehens der Provinzregierungen Schaden genommen hatte. Vom kolonialen Staat war zu diesem Zeitpunkt keine Unterstützung zu erwarten. Zakir Husain hielt es dennoch für falsch, die Bemühungen um die Einführung einer Grundschulbildung einzustellen und appellierte an die Pädagogen des Landes, die Arbeit fortzusetzen. 9 Grundbedingung dafür sei jedoch eine Verbesserung der von wechselseitigem Mißtrauen und Verdächtigungen zwischen Hindus und Muslimen geprägten politischen Atmosphäre des Landes, die er bitter beklagte. Er selbst wurde dadurch in zunehmendem Maße in seinem Aktionsradius eingeschränkt, denn sein Engagement für das von Gandhi inspirierte Wardha Scheme und seine Funktion als Präsident des vom Indischen Nationalkongreß 1938 installierten nationalen Bildungskomitees (Hindustani Talimi Sangh) ließen ihn in den Augen vieler Muslime als Verfechter der Politik des Indischen Nationalkongresses erscheinen.
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Anläßlich des 25-jährigen Bestehens der Jamia Millia Islamia, zu einem Zeitpunkt, da es zwischen Muslim Liga und Kongreßpartei keine Gemeinsamkeiten mehr gab, richtete er einen letzten verzweifelten Appell an die führenden Repräsentanten beider Parteien zur Verständigung (Husain, Z. 1993: 143-159). Die ab 1946 wieder in einigen Provinzen im Amt befindlichen Kongreß-Ministerien und die Interims-Regierung im Zentrum sahen in der Wiederaufnahme des Wardha Schemes keine vorrangige Aufgabe. Wenige Monate nach Erlangung der Unabhängigkeit Indiens trat Zakir Husain vom Amt des Präsidenten des nationalen Bildungskomitees zurück. Für eine Wiederwahl als Rektor der Jamia Millia Islamia stand er im Oktober 1948 nicht mehr zur Verfügung. Zakir Husain fühlte sich nachträglich nicht besonders glücklich, als Vater der Grundschulbildung bezeichnet zu werden, weil es sich dabei seiner Auffassung nach um ein totgeborenes Kind handelte (Husain, Z. 1974: 25). Seine Enttäuschung ist verständlich, dennoch sind Inhalt und Reichweite seines Wirkens nicht zu unterschätzen. Seine Mittlerfunktion zwischen Orient und Okzident im Bereich von Bildung und Erziehung hat institutionell und inhaltlich ihren Niederschlag in der Jamia Millia Islamia und dem Wardha Scheme gefunden. Sein Engagement für eine von pädagogischen Erkenntnissen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägte Grundschulbildung in Indien reicht in Theorie und Praxis weit darüber hinaus. Der Jamia Millia Islamia und Zakir Husain selbst waren am Vorabend der Unabhängigkeit Grenzen bei der Vermittlung und Propagierung modemer Bildung gesetzt. Was sich auf institutioneller Ebene und im lokalen Bereich als möglich erwiesen hatte, war im nationalen Rahmen von einem Einzelnen ungeachtet seiner Tatkraft, Intelligenz und seines Beharrungsvermögen nicht zu erreichen. Bleibende Spuren hat er dennoch auch hier hinterlassen.
Anmerkungen Der Verfasser möchte der Leitung der Dr. Zakir Husain Library an der Jamia Millia Islamia und vor allem den Mitarbeitern der Archival Cell seinen ausdrücklichen Dank für die erwiesene Unterstützung bei der Suche nach Quellenmaterial aussprechen. 1 2 3 4
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Eine Reproduktion des Artikels von Zakir Husain mit dem Titel „Eternity or Toy" veröffentlicht in: The Aligarh Magazine, März-August 1920, S. 50-57, findet sich bei Maheshwari 1998, S. 19-25. Als eine gegen die Briten gerichtete Bewegung wurde die Kalifat-Bewegung unter den indischen Volksmassen auch als Khilafat-Bewegung bekannt. Die Worte Kalif und khilaf (gegen) weisen im Urdu/Hindi eine große akustische Ähnlichkeit auf. Bewegung zur Schaffung einheimischer Institutionen und zur Propagierung einheimischer Produkte (swadeshi: einheimisch). „Thus in the course of less than four months, the National Muslim University of Aligarh, the Gujarat Vidyapith, the Bihar Vidyapith, the Kashi Vidyapith, the Bengal National University, the Tilak Maharahtra Vidyapith, and a large number of National Schools of all grades, with thousands of students on the rolls, were started in all parts of the country as a result of the great impetus given to National Education" (Sitaramaya 1946, S. 211). Zakir Husain, Appeal Jamia Silver Jubilee (1920-1945), New Delhi o.J., S.l. ,Zakir Husain had contemplated going abroad for higher education when he was at Aligarh but that resolve had remained unfulfilled in the hectic days that followed. Now that the Jamia
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was established and working, he reverted to his previous resolve. In his third year at the lamia he began making arrangements for going abroad..." (Noorani 1967, S. 8). An anderer Stelle heißt es: .After Mahatma Gandhi suspended the Non-Cooperation Movement, Zalcir Husain on my insistence (Hervorhebung J. Oe.) left for Germany for higher studies..." (Hamied 1972, S. 30). Zu den Spezifika der Fiihrungspersönlichkeiten, an denen Zakir Husain Anstoß nahm, schreibt M. Mujeeb: Judging from what I saw of them a few years later, these leaders seem to have regarded themselves ... as predestined to be the focal points of all thought and activity... For most of the Muslim leaders of this period, the main consideration was not the tasks themselves but the degree of grateful recognition they received for having undertaken to accomplish them" (Mujeeb 1997, S. 29f.). Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes R 774S8. Unter diesem Aspekt muß die in Publikationen gelegentlich erwähnte Ankunft im September 1922 korrigiert werden. Auf die Frage der Haltung offizieller deutscher Stellen zum Studium indischer Studenten in Deutschland und im weiteren zu den Beziehungen Deutschlands zu Britisch-Indien im Kontext der Bestimmungen des Versailler Vertrages kann an dieser Stelle nicht umfassend eingegangen werden. Eine Behandlung dieses Themas an anderer Stelle ist vom Autor beabsichtigt. „A sensitive Indian like Dr. Zakir Husain could not fail to be influenced by the intellectual ferment and the ceaseless intellectual and aesthetic activity" (Mujeeb 1997, S. 39). Humboldt-Universität zu Berlin, Archiv. Zu seinem Deutschunterricht sagte er anläßlich des 50jährigen Bestehens des Deutschen Vereins an der Universität Poona: „I did not know any German. I took the beginner's course in language at the Auslaender Institute of the Berlin University. My teachers, like most German teachers, were very thorough and made me do a great deal of grammar and translation" (lamia Millia Islamia, Archival Cell, V7.22). Zakir Husain, Die Agrarverfassung Brilisch-Indiens, Berlin 1930. Die Zeitdauer zwischen dem Tag der mündlichen Prüfung (7.1.1926) und dem Tag der Promotion (6.3.1930) erklärt sich aus den offensichtlichen finanziellen Schwierigkeiten, die Zakir Husain die Drucklegung der Arbeit nach seiner Rückkehr bereitete. Die Vorlage der üblichen ISO Exemplare wurde auf Antrag von Prof. Sering auf 75 Exemplare reduziert. Eine gekürzte englische Fassung unter dem Titel .Agrarian Structure in British India" erschien erstmals 1998 in New Delhi, hg. von Anil Maheshwari. .Alles was in diesen Darlegungen Aufmerksamkeit verdient, habe ich von meinem verehrten, liebenswürdigen und wohlwollenden Professor Werner Sombart, dem Lehrer der Berliner Universität, aus Vorlesungen und Veröffentlichungen gelernt. Ihm widme ich mein Streben nach Wissen (knowledge seeking endeavour)" (Husain 1932, Titelblatt). Humboldt-Universität, Archiv. „German scholarship impressed him very deeply, but he also went outside the field of scholarship to study ideas and institutions that had sprung up after the War as a result of the urge to give a healthier orientation to the whole system of thinking and living" (Mujeeb 1997, S. 35 f.). ,4 attended his lectures without fail, but my personal meetings with him could not be frequent. To meet him socially was an aesthetic and moral experience" (Jamia Millia Islamia, Archival Cell). Erinnerungen Abid Husains an Eduard Spranger finden sich in A. Husains Autobiographie (Husain, A. 1984, S.70 ff., 163-164). Das Thema seiner Dissertation lautete „Die Bildungstheorie Herbert Spencers im Rahmen seines philosophischen Systems". Zu Person und Werk A. Husains siehe Ram 1974. Unter A. Husains vielen Übersetzungen aus dem Englischen und Deutschen ins Urdu zählt neben Goethes „Wilhelm Meister" und Kants „Kritik der reinen Vernunft" auch Sprangers 1924 erschienenes Werk .Psychologie des Jugendalters", das dessen internationalen Ruf als Begründer der geisteswissenschaftlichen, verstehenden Psychologie endgültig festigte. Ein direkter Beleg für eine Begegnung zwischen G. K. und Z. H. konnte bisher weder im Kerschensteiner-Archiv der Münchener Stadtbibliothek noch im Archiv der Jamia Millia Islamia gefunden werden. Biografische Angaben zu Wilhelm Schwaner (1863-1944) finden sich in Alfred Ehrentreich ,40 Jahre erlebte Schulreform - Erfahrungen eines Berliner Pädagogen" (Klein, 1985,
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S. 216f.). Aufschluß Uber pazifistische und auf Völkerverständigung zielende Vorstellungen Schwaners enthält ein von Zakir Husain Übersetzter und von der Zeitschrift Jamia abgedruckter Beitrag Schwaners mit dem Titel .faster Ka Khwab". Vgl. Jamia 1 (1923) 5, S. 1-6. „Als im März 1924 die Inder aus dem Hause Schwaner ... die Schule besuchten, wurden sie Mittelpunkt einer solchen Sitzung (des Staatswissenschaftlichen Seminars - J.Oe.), die ihr Land und die Gandhi-Bewegung zur Erörterung stellte" (Ehrentreich 1967, S. 101). Zu Fritz Karsen vgl. Sonja Petra Karsen „Bericht über meinen Vater" (Wiese, Zeuch 1993). „Die Neuköllner Schule war in der erzieherischen Welt allmählich berühmt ...geworden. Der Zustrom von Besuchern riß nicht mehr ab. Es waren Vertreter aller Länder, besonders Engländer, Amerikaner und Russen; auch unsere Inder (Zakir Husain und seine beiden Hausgenossen J. Oe.) fanden sich dort ein" (Ehrentreich 1967, S. 169). „... almost every right-minded Indian student in those days sensed the desire in the Germans to know more about India, a desire that was part of their search for their identity as well as for the higher values" (Mujeeb 1997, S. 39). „Da die Inder ausgezeichnete Köche waren, kam manche indische Geselligkeit, auch von Hindus, ins Haus... Regelmäßig kam auch Gandhis Blatt 'Young India' ins Haus, wo nach des Meisters Anweisung in den Freizeiten auf dem Spinnrad Baumwolle verarbeitet wurde" (Ehrentreich 1967, S. 31). Der Hausherr Wilhelm Schwaner hatte sich von Abid Husain erhofft, daß er ihm „eine ganze Menge Uber die Sadhus in Indien würde vermitteln können. Nachdem ich mich in dieser Hinsicht als unbeschriebenes Blatt entpuppt hatte, war er sehr enttäuscht, und ich sank ganz gewaltig in seinem Ansehen" (A. Husain 1984, S. 72). .Zakir Husain is also said to be interested in the Kaviani Press", berichtete der britische Geheimdienst Mitte Mai 1923 aus Berlin (British Library, Oriental and India Offlee Collections, L/P+J/12/102). Die Ausstrahlung dieser Druckerei erschöpfte sich offensichtlich nicht nur in ihrer großen Bedeutung für das iranische Verlagswesen und die kulturelle Entwicklung im modernen Iran. Die Übersetzungen von Reden und Schriften indischer Patrioten veranlaßte die britisch-indische Regierung noch im Januar 1926, das Verbot der Einfuhr von Druckerzeugnissen der Kaviani Press nach Indien aus Gründen anti-britischer Propaganda aufrecht zu erhalten (vgl. ebenda, L/P+J/12/193). Zu den Beiträgen Zakir Husains in der Zeit seines Deutschlandaufenthaltes für die Zeitschrift Jamia vgl. die Bibliographie der Arbeiten Zakir Husains bei Chrishtis 1967, S. 118. Eine umfassende, aber nicht vollständige Bibliografie der Arbeiten Zakir Husains und der Sekundärliteratur zu seiner Person findet sich bei Khan/Nizami 1998, S. 20-22. Zu den Gründen, die, abgesehen von politischen Erwägungen, eine wachsende Zahl indischer Studenten nach Deutschland brachte, heißt es aus britischer Sicht: „... a growing tendency is noted for students to express a desire to proceed to the United States or Germany, owing to a widespread belief that facilities for practical training are more easily available in America and Germany than in England, whilst the very advantageous exchange value of the mark is a further attraction in the case of Germany" (British Library. Oriental and India Office Collections, V/24/832, Office of the High Commissioner for India. Report of the Indian Students' Department for the Year April 1st, 1920 -March 31st, 1921). Dem Reichskommissar für Überwachung der öffentlichen Ordnung teilte das Berliner Polizeipräsidium mit: „Aus dem im Sommer 1923 eingegangenen Orientklub E.V. ging u.a. der .Verein der Inder in Zentraleuropa' (Hindustan Association of Central Europe) hervor, der seinen Sitz in Berlin hat und zurzeit etwa 40 Mitglieder umfaßt. Der Verein dient indessen nach meinen Ermittlungen nur der Pflege der Geselligkeit. Er hält seine Sitzungen alle Donnerstag im Lokal Flensburgerstraße 19 ab" (Bundesarchiv Berlin, R 1507, RKO Nr. 67116). Das Auswärtige Amt hatte den Reichskommissar für die Überwachung der öffentlichen Ordnung mit Schreiben vom 7. Juni 1926 wissen lassen: „Ein .Verein der Inder in Zentraleuropa' ist unter diesem Namen hier bisher nicht bekannt. Es wird versucht. Näheres Uber seine Existenz und Zusammensetzung in Erfahrung zu bringen" (ebenda). ,Zakir Husain was the president of the Association in 1924. He had a beard, like that of Christ... And by temperament, he is like Christ too. He is a staunch admirer of Gandhiji. I still have a photograph of his, spinning on the charkha in Berlin. A scholar, a strong nationalist, a believer in simple living and high thinking, well, that in brief is Zakir Husain" (Mirza 19S0,
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S. 31). Der Autor verdankt diese Information der freundlichen Erlaubnis der Herren Dr. Y.K. und M. Hamied in Bombay, Ginblick in Unterlagen ihres Vaters K.A. Hamied aus seiner Berliner Studienzeit zu nehmen. British Library, Oriental and India Office Collections, L/P+J/12/102. Humboldt-Universität, Archiv. Vereinigung ausländischer Studierender, Nr. 1. Zakir Husain, Die Zakatsteuer. In: Moslemische Revue, Berlin 1 (1924) 2, S. 73-79. Nähere Angaben zu dieser Zeitschrift bei Gerhard Höpp, Arabische und islamische Periodika in Berlin und Brandenburg 1915-1945. Geschichtlicher Abriß und Bibliographie, Berlin 1994. Zur Mitarbeit Zakir Husains in der Islamischen Gemeinde vgl. Landesarchiv Berlin, Rep. 42, Amtsgericht Charlottenburg und zur Person ihres Gründers Abdul Jabbar Kheiri den Beitrag von Majid Hayat Siddiqi (Siddiqi 1987). Zur Person Gerda Philipsbom und zum Verhältnis zwischen Zakir Husain und Gerda Philipsborn vgl. Noorani 1967, S. 22-23, und Mujeeb 1997, S. 36-37 und 55-56. Vgl. Zakir Husains Beitrag Mashriq-o-Maghrib in: Jamia, Delhi 5 (1927) 3, S. 17 lf. „Dr. Zakir Husain and we all (indische Studenten - J.Oe.) used to look upon these revolutionaries with great admiration and respect. We discussed with them how we could attain freedom of our country. Dr. Husain, being a disciple of Mahatma Gandhi and a believer in nonviolence, did not see eye to eye with the revolutionary tactics suggested by these great sons of India" (Hamied 1969, S. 37). Zakir Husain „did not discuss political questions much, except perhaps with Chatto (Virendranath Chattopadhyaya - J. Oe.), who wanted to convert him, as all other Indians in Germany, to communism. In these discussions, he seems always to have stood for Gandhiji's non-violent methods, as I leam from N.G. Ganpuley, who frequently participated in them" (Mujeeb 1997, S. 41). Zitiert ohne Quellenangabe bei Faruqi 1997, S. 119. In einem nicht datierten Prospekt der Jamia Millia Islamia heißt es: „The Jamia is not financed by the administration, and its degrees are not a stepping stone to government service. But this should not be considered a drawback. It is rather an asset, for it ensures that the Jamia will always train its students to be men and not clerks... The determination to remain unhampered by grants .... its resolve to work for the country's and the community's good will in its own way and not according to instructions, makes the Jamia all the more dependent on the support of the community" (Jamia Millia Islamia, Archival Cell, I 17). Noch 1944 stellte eine von der Regierung beauftragte Kommission hinsichtlich der Finanzlage fest: ,Jt is difficult to speak either with confidence or satisfaction about the financial position of the Jamia. It has hitherto led a hand to mouth existence and is even now largely dependent upon such an undependable factor as public sympathy and generosity" (ebenda, A 6.1.1). „... the setting up of this Anjuman has led to a new opening of non-govemmental education work. The thought of educational freedom which was the soul of Jamia from the first day became much more clear by the establishment of this Anjuman. It is not just education becoming free from governmental influence and from political influence, but it should be free from the influence of unacquainted personalities and from groups with non-educational bent of mind" (Z. Husain 1993, S. 151). Gerda Philipsborn, die 1943 in Delhi an Krebs starb und auf dem Friedhof der Jamia beigesetzt ist, beteiligte sich an der Erarbeitung von Lehrmaterialien für Vorschulkinder, wovon die aus Faltblättern bestehende Publikation „Childrens* Zoo" (o.O. und o.J.) Zeugnis ablegt. Sie erledigte außerdem einen großen Teil der für den Bericht des Zakir Husain Komitees zur Grundschulbildung notwendigen Schreibarbeiten (Educational Reconstruction 1938, S. 140). Zu einer Würdigung ihrer Person und der engagierten Arbeit an der Jamia Millia Islamia, die neben der Vorschulerziehung auch die Krankenbetreuung umfaßte, vgl. Mehdi 1995 und Mujeeb 1970b. Zur Anwendung der Projektmethode in der Jamia Millia Islamia vgl. Mudholi 1946 und Talib 1998. Aus einer solchen Haltung erklärt sich die Unterstatzung Zakir Husains Anfang der vierziger Jahre für das von Maulana Ilyas und der Tablighi Jama'at verfolgte Anliegen der Verbreitung des Islam. Zu den beiderseitigen Gründen für die temporäre Zusammenarbeit vgl. Faruqi
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1999, S. 127-128. , JDr. Zakir Husain himself is religious, though he does not talk much about it. He is a practising Mohammedan. He never eats pork, nor drinks wine, and I believe he prays daily according to Muslim ritual... In spite of his religion, however. Dr. Zakir Husain - like Dr. An sari preserves a scientific attitude of mind in regard to knowledge. They never go to the Koran for corroboration of the scientific discoveries of the last centuries" (Edib 1937, S. 101). Die Charakterisierung der inneren und äußeren Religiosität Zakir Husains bleibt selbst durch Aussagen solcher Personen wie M. Mujeeb vage: „He fasted during Ramazan and read the Quran regularly, but that is traditional practice, and one could well wonder if it really inspired him" (Mujeeb 1970 a). An anderer Stelle heißt es: „One could not say that he was not orthodox, one could not say that he was" (Mujeeb 1997, S. 68). K.G. Saiyidain, der ihn seit seiner Studienzeit in Aligarh kannte, schreibt: he drew his inspiration from religion, without in any way being affected by the narrowness and dogmatism which is often associated with it. Because he was deeply religious, he had reverence for all other religions and their leaders..." (Saiyidain 1970). so long as children are in the lower classes their parents need only look to the quality of education imparted, but as they approach the school leaving stage the parents have necessarily to take note of the fact that the examinations of the Jamia are not recognised for entry into the public services or for admission to the universities" (Jamia Millia Islamia. Archival Cell, A 6.1.1.). „... some of them could occupy a very honourable place in any institution". Ebenda. Die Kindergeschichten erschienen gesammelt erstmals 1963 unter dem Titel „Äbü khän ki bakri aur caudah aur kahäniyäm" in New Delhi. Ihre Wirkung war nachhaltig: „... the Second Reader of Urdu ... contained a lesson entitled ,Aao Ghar Ghar Khelen'... a treasure of wisdom for both homely and worldly affairs. It was this lesson which taught me the basic principles of secularism when I was merely a seven-year old child. It was this lesson which taught me to observing table manners, taking responsibilities of elders, looking after the sick, etc." (Farooqi 1997,S. 111). Zur Geschichte dieser Einrichtung vgl. Hussain 1990. ,Jt is wrong to consider education as one of the trades. Education is one of the vocations and if you have the feeling that it is a mission that you have to perform, it is something without which you would not be satisfied, it is some activity which alone can give you a sense of fulfilment, then you are entitled to be an educator and a teacher" (Z. Husain 1974, S. 23). Zakir Husain galt als „good worker, a good scholar, a good teacher, and a first-class educationist" (W.C. Smith 1985, S. 151). Jamia Millia Islamia, Archival Cell. Zakir Husain Papers. Zakir Husain stattete der 1934 ins Exil in die Schweiz gegangenen Odenwaldschule im Herbst 1939 einen Besuch ab. Am 4.10.1939 schrieb er an Paul Geheeb von Genf aus: „In any case I shall not go back to India without having paid my respect to you". Der Besuch fand am 20.10.1939 statt, und nach seiner RUckkehr formulierte Zakir Husain am 14.12.1939 an seinen Gastgeber: „Es war eine große Ehre und Freude für mich, Ihnen, einem der besten Pädagogen Europas zu begegnen, und es würde sich für mich gelohnt haben, von Indien nach der Schweiz zu fahren, um diesen einen Tag mit Ihnen zu verbringen, an den ich stets gern zurückdenken werde" (Archiv der Ecole d'Humanité, Hasliberg/Schweiz). Der Autor möchte in diesem Zusammenhang den Henen Hartmut Alphei in Heppenheim und Armin LUthi in Hasliberg für ihre freundliche Unterstützung aufrichtig danken. Die Delegation weilte vom 25. Oktober 1937 bis 22. Januar 1938 in 16 Städten Indiens. Die Angaben finden sich im Nachlass des Pädagogen Pierre Bovet (1878-1965), der der Delegation angehörte (Bibliothèque et Archives Institut Jean-Jaques Rousseau, Genf). Vgl. Jamia Millia Islamia Jubilee 1920-1945. Messages and Greetings, o.O. und o.J., unpaginiert. ,J have gained a lot from my German teachers and philosophers and I acknowledge this debt whole heartedly but it does not mean that others have not contributed to the growth of my ideas. I have been influenced in much the same way by the thoughts of Indian, Swiss, English and American teachers and educational philosophers" (Zit. in Faruqi 1999, S. 145).
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Die Beiträge Gandhis finden sich in Educational Reconstruction, 1950, S. 3-42. „Teachers may become slave-drivers and exploit the labour of poor boys. If this happens, the takli will prove even worse than books. We shall be laying the foundations of hidden slavery in our country" (Educational Reconstruction 1950, S. 55). Die zwischen ihnen bestehenden unterschiedlichen Auffassungen zu Fragen von Bildung und Erziehung wurden weder in persönlichen Begegnungen noch in der Öffentlichkeit zum Gegenstand kontroverser Debatten gemacht (Mujeeb 1993, S. 121). „Religious instruction in the sense of denominational religion has been deliberately omitted... I regard it as fatal to the growth of a friendly spirit among the children belonging to different faiths, if they are taught either that their religion is superior to every other or that it is the only true religion... Fundamental principles of ethics are common to all religions. These should certainly be taught to the children and that should be regarded as adequate religious instruction so far as the schools under the Wardha Scheme are concerned" (Educational Reconstruction 1950, S. 160-161). „Dr. Zakir Husain's explanation removed from the minds of some members of the Committee the apprehension aroused by the literature which preceded the formulation of the Wardha Scheme and by some of the phraseology of the Wardha Scheme Report itself and so prepared the ground for a discussion of details" (Report of the Committee of the Central Advisory Board of Education in India appointed to consider the Wardha Education Scheme, Delhi 1939, S. 4). Wardhä ki ta'alimi isklm, Jamia, Delhi, März 1938, S. 235-242. Der Brief Zakir Husains an K.G. Saiyidain vom 28.2.1938 enthält seinen Bericht Uber die Teilnahme an der Jahrestagung in Haripura und zeugt von einem gewissen Maß an Desinteresse in führenden Kreisen des Indischen Nationalkongresses am Wardha Scheme (Jamia Millia Islamia, Archival Cell). „Feeling against the scheme was very strong, largely because of the language policy of the U.P., Bihar and the C.P. Governments, the Vidyamandirs established by Pandit R.S. Shukla in the C.P. and the wide spread suspicion that the majority community was determined to efface Muslim culture by the imposition of a completely secular education" (Mujeeb 1997, S. 113). J n other words, private individuals must bear the burden of work today as well as tomorrow. There will be political changes, but the work of basic education will continue, sometimes with the help of the state, sometimes without it" (Z. Husain 1941, S. 30).
Tradition und soziale Emanzipation. Bauernführer im spätkolonialen Indien Petra Heidrich
Die koloniale Gesellschaft im Umbruch Die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts war eine Periode, in der sich der Gang der Geschichte beträchtlich beschleunigte und die indische Kolonialgesellschaft tiefgreifende Veränderungen erfuhr. So entsprach es durchaus dem Trend jener Jahrzehnte, daß sich Persönlichkeiten mit einem so gegensätzlichen sozio-kulturellen Hintergrund wie der Bettelmönch Swami Sahajanand Saraswati und der Bauernsohn Nidubrolu Gogineni Ranga in der all-indischen Bauernbewegung trafen, um gemeinsam ein Stück Weg zurückzulegen. Die kapitalistische Moderne machte sich in Indien auf jeder Ebene des gesellschaftlichen Lebens bemerkbar, sei es die ökonomische, soziale oder kulturelle Sphäre. Zum einen bewirkten die Kriegsbedürfnisse der Briten ein schnelleres Wachstum der einheimischen Industrie, zum anderen schlug die kapitalistische Marktwirtschaft in der Landwirtschaft endgültig Wurzeln. Die wachsende Einbindung der Bauern in den Markt bot ihnen neue Möglichkeiten, konfrontierte sie aber gleichzeitig mit den verheerenden Folgen der Weltwirtschaftskrise. In dem von gesellschaftlichem Wandel geprägten Klima zwischen den Kriegen erreichte die Suche nach Alternativen zur kolonialen Realität eine neue Qualität. Wenn diese vielfältigen Bemühungen auch von global vermittelten Ideen inspiriert und durch Erfahrungen ermutigt wurden, die schon in anderen Teilen der Welt gesammelt worden waren, so schöpften sie ebenfalls aus einheimischen Quellen. Es war eine Aufbruchssituation, in der detaillierte, teilweise diametral entgegengesetzte Vorstellungen von denkbaren Alternativen zur kolonialen Unterwerfung, zur kapitalistischen Industriegesellschaft des Westens, zur Gestaltung eines unabhängigen Indien in verschiedenen Kreisen der indischen Gesellschaft formuliert wurden. Das bemerkenswerteste politische Phänomen in Indien war zu jener Zeit der gewaltige Aufschwung, den die Unabhängigkeitsbewegung erfuhr. Seit der indische Nationalkongreß (INK) sich nach dem ersten Weltkrieg unter Gandhis Führung zur Massenbewegung entwickelt und mit seiner ersten Kampagne der Nichtzusammenarbeit die Kolonialregierung herausgefordert hatte, war die nationale Emanzipation über ihre traditionellen Befürworter, die gebildeten städtischen Eliten, hinaus auch zum Anliegen der städtischen und vor allem der ländlichen Massen geworden. Die Bewegung übte auf alle Klassen, Schichten, ethnischen und religiösen Gemeinschaften eine elektrisierende Wirkung aus. Die sich schnell verändernde politische Situation erforderte von den beteiligten gesellschaftlichen Kräften flexibles Reagieren, eine kreative Rückschau auf die Vergangenheit, die Formulierung der eigenen Ansprüche und intensives Planen für die Zukunft. Die nationale Unabhängigkeitsbewegung wurde zu einem mächtigen Katalysator gesellschaftlichen Wandels. Ob Individuen oder größere Gruppen, keiner, der in den Sog dieses gewaltigen Stroms geriet, verließ ihn unverändert.
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Sobald die städtischen und ländlichen Massen in die Nationalbewegung einbezogen wurden, gewann der Gedanke, daß es Uber nationale Gleichberechtigung hinaus auch eine soziale Gerechtigkeit geben müsse, eine neue Bedeutung. Die Idee der sozialen Emanzipation hatte seit dem 19. Jahrhundert mit den vielfältigen Bemühungen um Sozialreform in der indischen Gesellschaft Fuß gefaßt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Reformbestrebungen innerhalb von Kasten intensiviert worden, und die Kastenhierarchie selbst geriet mit der Nicht-Brahmanenbewegung, den Emanzipationsbewegungen der Shudra-Kasten und dem Beginn der Unberührbarenbewegung ins Wanken. Die Oktoberrevolution in Rußland mit ihrer über die Landesgrenzen weit hinausreichenden inspirierenden Wirkung fügte dem eine neue Dimension hinzu - die Vision der sozialen Emanzipation ökonomisch definierter, ausgebeuteter Gesellschaftsklassen. Die beiden gegensätzlichen Persönlichkeiten, deren Geschichte Thema dieses Beitrags ist, wurden magisch von der nationalen Unabhängigkeitsbewegung angezogen und von ihrem vorgezeichneten Lebensweg abgebracht. Beide beteiligten sich aktiv an den verschiedenen Kampagnen, versuchten die Richtung und den Verlauf der Bewegung zu beeinflussen und machten dabei Erfahrungen, die ihre Ideen, ihre Haltung und letztendlich die eigene Persönlichkeit veränderten. Nahmen sie zu Beginn nur ihren Auftrag wahr, als Freiwillige im Dienste des Nationalkongresses zur Erweiterung seiner sozialen Basis auf dem Lande beizutragen, waren bald eigene Entscheidungen gefordert. In ihrer Rolle als Mittler zwischen der Führung der Bewegung und den Bauern vor Ort wurden sie mit ernsten, bisher wenig beachteten und von der städtischen Elite vernachlässigten sozialen und ökonomischen Mißständen auf dem Lande konfrontiert. Die Erfahrungen, die sie bei der Arbeit unter den Bauern sammelten, beförderten eine kritische Haltung zu den auf das Nationale begrenzten Anliegen der Unabhängigkeitsbewegung. Ermutigt durch global vermittelte politische Ideen betrachteten sie es von nun an als ihre Aufgabe, auf den mangelnden sozialen Gehalt der nationalen Bewegung hinzuweisen und bäuerliche Forderungen anzumelden. In dem Maße, wie sie zu engagierten BauemfUhrern wurden, gerieten beide in Konflikt mit der politischen Führung des Nationalkongresses. Als Mitbegründer der ersten all-indischen Bauernorganisation, der All India Kisan Sabha, trugen beide Persönlichkeiten zwischen den Weltkriegen aktiv zur Umwandlung der politischen Bauernbewegung in eine klassenorientierte sozialökonomische Bewegung der indischen Bauernschaft bei. Unmittelbar konfrontiert mit dem fortschreitenden Differenzierungsprozeß unter den Bauern mußten sie Partei ergreifen und nach Lösungen suchen. Obwohl sie für einige Zeit Weggefährten waren, entwickelten sie letztlich unterschiedliche Auffassungen von sozialer Emanzipation auf dem Lande. Der Wandel, den sie mit ihrem Handeln bewirken konnten, unterschied sich in vielen Aspekten von der Transformation, die sie erstrebt hatten. In Abhängigkeit von ihren Erwartungen mußten sie mit Beginn der indischen Unabhängigkeit - allerdings in unterschiedlichem Maße - auch bittere Enttäuschungen verkraften. Dennoch trugen sie mit ihren Aktivitäten maßgeblich dazu bei, daß im unabhängigen Indien weitgehende sozialökonomische Umgestaltungen der ländlichen Gesellschaft und Ökonomie eingeleitet wurden. Im Beitrag sollen die Umstände und Persönlichkeitsmerkmale erwogen werden, die beide auf unterschiedliche Weise befähigten, Akteure des Wandels zu werden. Es wird den Veränderungsprozessen nachgespürt, die beide selbst durchliefen, und letztlich sollen die objektiven Ergebnisse ihres Handelns an ihren eigenen Visionen gemessen werden.
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Swami Sahajanand Saraswati: Vom Bettelmönch zum politischen Akteur Swami Sahajanand Saraswati1 (1889 - 1950), der im Aparnath-Kloster von Benares als ein mit dem Bambusstab (danda) ausgerüsteter Samnyasi (weitabgewandter Asket) in den streng orthodoxen hinduistischen Dasnami-Orden aufgenommen worden war, gehörte zu der nicht geringen Zahl hinduistischer Geistlicher, die sich als Individuen von der Atmosphäre der Nichtzusammenarbeit angezogen fühlten. Er war beeindruckt von Gandhis persönlichem Auftreten, das dem eines traditionellen hinduistischen Asketen entsprach, von dessen tiefer, wenn auch unorthodoxer Religiosität. Mit der Hinwendung zur Nationalbewegung gab der Swami die grundsätzliche Weitabgewandtheit hinduistischer Geistlicher auf, die auch Abstinenz von politischer Tätigkeit erforderte. Er ging das Risiko eines Gefangnisaufenthaltes ein, bei dem sich ernsthafte Verstöße gegen die strengen rituellen Reinheitsgebote des Asketen nicht vermeiden lassen würden. Die Hemmschwelle, die der Swami beim Eintritt in die Nationalbewegung zu überwinden hatte, war somit beträchtlich. Die Teilnahme eines hohen Würdenträgers seines eigenen Mönchsordens, des Shankaracharya Swami Bharati Krishna Tirtha, an der Jahrestagung des Indischen Nationalkongresses 1920 ermutigte den Swami jedoch zu seinem Entschluß, sich als Kongreß-Freiwilliger aktiv politisch zu betätigen (Sahajanand Saraswati 1952: 189/190). Der weltentrückte Bettelmönch und traditionelle Sanskritgelehrte Swami Sahajanand Saraswati, einmal in den Sog der Nationalbewegung geraten, entwickelte sich über die Zwischenstation des Ideologen einer Kastenorganisation zum engagierten Bauernführer. Durch seine Arbeit als Kongreß-Freiwilliger auf dem Lande2 wuchs er in die Rolle eines Mittlers zwischen den Funktionären des Nationalkongresses und den Bauern hinein. Die Führung des Indischen Nationalkongresses wurde im wesentlichen von Vertretern der städtischen Intelligenz beherrscht, die zudem vornehmlich den oberen Kastengruppen angehörten. Wo sie einen ländlichen Hintergrund hatten, stammten sie zumeist aus wohlsituierten Familien. Ihre westliche Bildung, ihre Lebensweise, die herausgehobene soziale Position im Rahmen der Kastenhierarchie und häufig auch ihr ökonomischer Hintergrund hoben sie deutlich aus der Masse des indischen Volkes heraus. Die Folge waren beträchtliche Verständigungsschwierigkeiten, als sich der Indische Nationalkongreß eine Massenbasis schaffen wollte. Die unbestreitbar große Kluft, die unter den spezifischen, von der Kolonialherrschaft geprägten Bedingungen zwischen der einheimischen Elite und den Volksmassen entstanden war, bewog Vertreter der Unterschichtenstudien (Subaltern Studies) sogar, von einer „strukturellen Dichotomie" in Kultur und Bewußtsein zwischen den indischen Eliten und den beherrschten Volksmassen zu sprechen (Guha 1982: 6). Die städtischen Eliten unterschiedlicher politischer und ideologischer Richtungen mußten sich deshalb auf Mittelspersonen stützen, wenn sie politischen Einfluß auf dem Lande gewinnen wollten. Swami Sahajanand Saraswati und N.G. Ranga gehörten zu jenen Mittlern, die in der praktischen Arbeit enge Beziehungen zum Dorf knüpften und den Kontakt zwischen den nationalen Führern und den ökonomisch oder politisch zu aktivierenden bäuerlichen Schichten herstellten. Es waren verschiedene, einander ergänzende Faktoren, die Swami Sahajanand Saraswati bei seinem Einstieg in die Politik zu einer Mittlerrolle zwischen den Bauern und den politischen Führungskräften prädestinierten. Zum einen erleichterte die asketische Lebensweise des Samnyasi seine Reisen Uber Land und sein Leben unter Bauern. Er war genügsam, auf gelegentliche Gaben zum Lebensunterhalt und auf
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häufige Ortsveränderung eingestellt. Zum anderen garantierte ihm sein Ruf als Samnyasi, als „heiliger Mann", eine besondere Achtung und Autorität in der indischen Gesellschaft, die er auch für politische Zwecke nutzen konnte. Bis zu seinem Tod im Jahre 1950 bewahrte der Swami seine tiefe, innere Religiosität, blieb er der Mönch im ockerfarbenen Gewand. Die Bauern verfolgten seine Reden mit besonderer Aufmerksamkeit und waren bereit, auch die ungewohnte politische Botschaft zu überdenken. Im Klima der Nationalbewegung blieb der politisch aktive Mönch deshalb kein Einzelfall. Das unmittelbare Vorbild des Swami bewog z.B. einzelne religiöse Würdenträger in Bihar, sich in den dreißiger Jahren in der Bauembewegung zu engagieren. So wurde der Mahant (Vorsteher eines klösterlichen Ashram) Shia Ram Das Präsident des Bauernrates (Kisan Council) im Distrikt Munger. Von 19371939 betätigte er sich in der Pächterbewegung von Barahiya Tal.3 Ein anderer Mahant, Dhanraj Puri, präsidierte 1938 auf Bauernversammlungen im ChamparanDistrikt mit dem Swami als Hauptredner.4 Ein weiterer Faktor, der den Swami in seine Führungsrolle hineinwachsen ließ, war seine zeitweilige Einbindung in das Netzwerk der Bhumihar-Brahmanen. Die Bhumihars waren mit der Kaste des Swami, den Jujhautiya-Brahmanen, verwandt. Saryupari- und Kanyakubja-Brahmanen wiederum wollten die Bhumihars nicht als Brahmanen anerkennen, weil sich deren Mitglieder ausschließlich landwirtschaftlich betätigten. Unter anderem sprachen sie ihnen damit auch das Recht ab, Danda Saipnyäsls zu werden, ein Gesichtspunkt, der das SelbstwertgefUhl des Swami besonders verletzte. Im Jahre 1914 ließ er sich deshalb dazu überreden, die Arbeit der Bhumihar Brahmin Sabha (Vereinigung der Bhumihar-Brahmanen) zu unterstützen. In dieser Organisation hatten sich die Bhumihar-Brahmanen - dem Beispiel anderer Kasten in dieser Zeit folgend - zur Durchsetzung ihrer Kastenansprüche zusammengeschlossen. Eine wohlhabende, in der Landwirtschaft verwurzelte Elite mit politischen Ambitionen rang um soziale Aufwertung durch Anerkennung ihres Brahmanenstatus und bezog auch kleine Bhumihar-Bauern und -Pächter ein. Im Auftrag der Bhumihar Brahmin Sabha setzte der Swami sein umfangreiches Wissen ein, das er beim Studium des Sanskrit und der hinduistischen religionsphilosophischen Schriften in Klosterschulen und bei selbstgewählten Lehrern erworben hatte, um z.B. Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Bhumihars und anerkannten, hochrangigen Brahmanengruppen nachzuweisen (Sahajanand Saraswati 1924, 1928). Später bemühte er sich, Bhumihars für den Priesterberuf zu gewinnen und so zu schulen, daß sie der traditionellen Bestimmung der Brahmanen, ihrem dharma, gerecht werden konnten. Speziell für die des Sanskrit unkundigen Bhumihars verfaßte er das „Karmakalap", eine Rituallehre und Stemenkunde in Hindi, in der nur die formelhaften Leitsätze, die mantras, in Sanskrit verfaßt waren. Er hatte Mitte der zwanziger Jahre wesentlichen Anteil an der Purohit (Hauspriester)-Bewegung der Bhumihars. Seine speziellen Fähigkeiten wie seine Aktivitäten lohnten ihm die Bhumihar-Brahmanen mit Anerkennung und finanzieller Unterstützung. So wurde der Swami im Jahre 1927 von seinen Gönnern zum Geschäftsführer des Sitaram Ashram in Bihta bei Patna bestellt. Hier sollte Bhumihar-Söhnen kostenlos das Studium der heiligen Schriften, insbesondere der Veden, ermöglicht werden. Es war dieser als Sanskrit Mahavidyalay (SanskritSchule) geführte Ashram, der sich in den dreißiger Jahren zum Zentrum der vom Swami geführten Bauembewegung in Bihar entwickelte. Die Autorität, die sich der Swami in der Kastenorganisation der Bhumihars erworben, und die vielfältigen Beziehungen, die er unter den in der Landwirtschaft verwurzelten Bhumihars geknüpft hatte, erleichterten ihm seine spätere Tätigkeit als Bauernführer.
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Abb. 12: Swami Sahajanand Saraswati Es war somit ein Kastenproblem, das den Swami zum ersten Schritt aus seiner Weitabgewandtheit bewogen hatte. Spezielle Charakterzüge begünstigten diesen Schritt und ließen ihn ohne einen Blick zurück vorwärts schreiten. Zum einen war es das leidenschaftliche Unabhängigkeitsstreben, die Abneigung gegen Unterordnung und Zwang und sein starker Wille, die ihn schon bewogen hatten, von zu Hause fortzugehen und das harte Leben eines Samnyasi auf sich zu nehmen. Zum anderen war es das Bedürfnis, sich einer Sache mit ganzem Herzen zu widmen, sei es dem Dienst an Gott oder der Sache der Bauern, und dabei keine Kompromisse einzugehen. Er besaß einen ausgeprägten Stolz verbunden mit einem tiefen Gerechtigkeitsgefühl. So antwortete der Swami in seiner Autobiographie auf spätere Kritik an seinem Engagement für die Kastenbewegung einer wohlhabenden Elite mit den Worten:
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„Ich erlebte, wie eine hochrangige und hochgeborene Brahmanengemeinschaft von anderen herabgesetzt wurde und sah, wie sie schwer getroffen, beleidigt und gekränkt war... Aber sie wehrte sich nicht... Ich versuchte sie zu erheben und ... gab den Beleidigern die richtige Antwort... Was ist schlecht daran?... Dem zu seinem Recht zu verhelfen, der es verloren hat, ist das Geheimnis des Befreiungskampfes meines Volkes und des Dienstes an der Gesellschaft... Aus dem gleichen Grund habe ich später die kleine Gemeinschaft aufgegeben und mich in die Arbeit für das ganze Land gestürzt." (Sahajanand Saraswati 1952: 170) Den einmal eingeschlagenen Weg setzte der Swami unbeirrt fort. Hartnäckig, zuweilen unduldsam, hielt er an einmal erarbeiteten Prinzipien fest. Er stand in dem Ruf, seinen eigenen Kopf zu haben. „Swami Sahajanand is not a man to allow anybody to use him for their own purposes", heißt es in einer Polizeiakte.5 Es lag in seiner Natur, sich Widerstand nicht zu beugen, sich nicht einschüchtern zu lassen. Stolz erwähnte er, daß ihn viele für dickköpfig und einen Tyrannen hielten (Sahajanand Saraswati 1952: 30). Gerade diese Charaktereigenschaften waren es auch, die ihn Zeit seines Lebens zu einem schwierigen Partner fiir seine Kampfgefährten und zu einem unbequemen Gegner für seine Widersacher machten. In den zwanziger Jahren stellte der Swami seine Dienste sowohl der Bhumihar Brahmin Sabha wie dem Indischen Nationalkongreß zur Verfügung. Sowohl die Persönlichkeitsstruktur des Swami wie auch die Logik der Entwicklung ließen ihn jedoch nacheinander in Konflikt mit den Führungsschichten beider Organisationen geraten. Die Kastenorganisation wurde von einer Elite finanziert und organisiert, zu der kleine Fürsten (Rajas), große und mittlere Grundbesitzer (Samindare), wohlhabende Landwirte und eine kleine städtische Bildungsschicht gehörten. Sie war an Sozialprestige, nicht aber an wirklicher Sanskritisierung6 interessiert. So sehr sie die Dienste des Swami schätzte, nahm er es nach ihrer Meinung mit der Wiederbelebung vergessener Traditionen zu ernst und schoß mit der Hauspriester-Bewegung Uber das Ziel hinaus. Auch Sir Ganesh Datta Sinha, einer der einflußreichsten Förderer der Kastenorganisation und Gönner des Swami, empfand es z.B. als Zumutung, Bhumihar-Söhne zu Almosensammlern und Geschichtenerzählern erziehen zu lassen (Sahajanand Saraswati 1952: 278-279). Als brisant erwies sich die wachsende politische Kluft. Während Ganesh Datta als bedeutender Samindar und Politiker der britisch-indischen Regierung in der Provinz Bihar an der Aufrechterhaltung des status quo interessiert war, setzte der Swami seinen Einfluß in der Bhumihar Sabha zunehmend im Interesse des politischen Gegners, des INK, und für die Überwindung der Kolonialherrschaft ein. Hinzu kam das seit Ende der zwanziger Jahre zunehmende soziale Engagement Swami Sahajanands. Die politischen Differenzen führten zum Bruch des Swami mit seinen Gönnern und zur Auflösung der Kastenorganisation im Jahr 1929. Aber auch als Kongreßfreiwilliger nahm der Swami seine Aufgaben sehr ernst und geriet darüber in Konflikt mit der Kongreßführung. Als Swami Sahajanand Saraswati im November 1927 im Auftrag des INK vom Bihta-Ashram aus eine Bauernorganisation, die West Patna Kisan Sabha, ins Leben rief, wollte er noch ganz im gandhistischen Sinne Samindare und Bauern, Grundbesitzer und Pächter im Interesse der nationalen Einheit im Unabhängigkeitskampf zusammenfuhren und die Spannungen zwischen ihnen abbauen helfen. „... I began the organised Kisan Sabha as a staunch class-collaborator..."7, schrieb er später. Die Bauemkonferenz, die am 27. November 1929 auf dem großen Bauernmarkt in Sonepur abgehalten wurde und die Gründung der Bauernorganisation der Provinz Bihar, der Bihar Provincial Kisan
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Sabha (BPKS), beschloß, kam aus ähnlichen Gründen zustande. Kongreßleute wollten mit Hilfe einer Bauernorganisation ihrem Entwurf für eine neue Pachtgesetzgebung im Provinzlandtag größeres Gewicht verleihen. Zu den Gründungsmitgliedern der BPKS gehörten einflußreiche Kongreßfuhrer wie Krishna Singh, der spätere Premierminister der Kongreßregierung von 1937-1939 in Bihar, und Rajendra Prasad, ein Kongreßführer von nationalem Status. Swami Sahajanand Saraswati und Pandit Yamuna Kaiji hatte man als Initiatoren gewonnen. Da die Bauernorganisation zu jener Zeit ganz auf die Bedürfnisse des Indischen Nationalkongresses ausgerichtet war, ließ man auch die Arbeit der Bihar Provincial Kisan Sabha während der vom Nationalkongreß initiierten Bewegung des bürgerlichen Ungehorsams ruhen. Die Organisation wurde erst im August 1933 mit Hilfe des Swami wiederbelebt, um diesmal den Pachtgesetzgebungsplänen der von Samindaren beherrschten United Party entgegentreten zu können. Der unmittelbare Kontakt mit den Bauern brachte den Swami jedoch bald in Konflikt mit der offiziellen Kongreßpolitik. Die Arbeit in einem Komitee der Kisan Sabha, das den Beschwerden der Bauern des Gaya Distrikts nachging, erfüllte den Swami mit Erbitterung gegen die Großgrundbesitzer, zum Teil Bhumihars. Weder die Kolonialverwaltung von Bihar noch die vermögenden Samindare waren gewillt, den von den Folgen der Weltwirtschaftskrise gebeutelten Pächtern Nachlaß zu gewähren. Vermittlungsbemühungen der Kommission stießen bei den Grundbesitzern auf taube Ohren. Die für den Swami bittere Erfahrung, daß die Samindare nicht bereit waren, sich zu ändern, bestätigte sich 1934 bei der Arbeit in einem zur Linderung der Erdbebenfolgen in Bihar gebildeten Notstandskomitee. Angesichts der Tatsache, daß Grundbesitzer erbarmungslos die Pachtrückstände der ruinierten Bauern eintrieben und sogar die Erdbeben-Beihilfen von ihnen einforderten, wandte sich der Swami vollends von der gandhistischen Linie des Ausgleichs ab. Gandhi verlor für ihn seine Glaubwürdigkeit, als er dem Swami den unrealistischen Rat gab, die dem Kongreß nahestehenden Verwalter (amla) der großen Samindare um Hilfe zu bitten. Mit der Abkehr von Gandhi als Leitfigur wurde der Swami empfänglich für die Argumente der KongreßSozialisten, die sich zu jener Zeit innerhalb des INK selbständig organisiert hatten und um Kontakte mit der Bauernbewegung bemüht waren. Aufgrund der eigenen bitteren Erfahrungen und bestärkt durch die Kongreß-Sozialisten begann der Swami sich für die Abschaffung des Samindari-Landveranlagungssystems 8 zu engagieren, das parasitären Grundbesitz hervorgebracht hatte. Im Jahre 1936 wurde er neben N.G. Ranga aus Andhra und Indulal Yajnik aus Gujarat zum Mitbegründer des All-Indischen Bauernverbandes, der All India Kisan Sabha. Als mitreißender Redner und charismatische Führungspersönlichkeit erwarb Swami Sahajanand Saraswati unter den Bauern regionales und in späteren Jahren auch gesamtindisches Ansehen. Der Routinebericht eines Polizeibeamten aus dem Jahre 1935 konstatierte: „He is at present the only agitator who can command an audience and Congress are quite alive to this." 9 Zudem benannte der Swami akute Probleme der Bauern. Er informierte sich vor seinen Auftritten immer über die örtlichen Verhältnisse und der berichtende Beamte mußte einräumen: „I think Swami Sahajanand is genuine in his work for the raiyats and in any case he is extremely careful over the facts which he states."10 Seine Reden waren aufrüttelnd, plastisch, gespickt mit Wendungen und Gleichnissen. H.D. Malaviya beschrieb einen Auftritt des Swami: „Klar und deutlich habe ich gesehen, wie die Augen der Bauern - kaum daß der Swami seine Rede beendet hatte - zu leuchten begannen; man sah förm-
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lieh, wie das Selbstvertrauen in ihnen erwacht war, die Bauern waren tatsächlich wie berauscht. In der Rede des Swami lag sehr viel Kraft. Er sprach mit äußerster körperlicher Anspannung. Seine ganze Seele, seine Persönlichkeit schien vollständig darauf ausgerichtet zu sein, den Bauern eine neue Botschaft zu verkünden. Zu den Bauern sagte er. .Warum schweigt ihr? Ihr werdet ausgeplündert, ihr werdet zermürbt - warum schreit ihr nicht, warum tut ihr nichts dagegen?' Er sagte: .Solange das Kleinkind nicht weint, wird ihm die Mutter keine Milch geben... Ihr müßt anfangen, laut zu klagen - in eurem Wehklagen muß eine große Kraft liegen'."" Wegen ihrer sozialen Zuspitzung beunruhigten diese Reden sowohl die Kolonialverwaltung wie auch die in der Provinz Bihar von 1937 bis 1939 amtierende Kongreßregierung. Der Swami provozierte die Bauern in ihrer eigenen Sprache zum entschiedenen Handeln. Ein Polizeibeamter bemerkte im Jahre 1938 verächtlich: „Speeches of Swami Sahajanand ... were not appreciated by the enlightened and educated persons who heard them... The speeches were devoid of common decency and unworthy of responsible leaders."12 Sein zeitweiliger Weggefährte, N.G. Ranga, sah ihn jedoch in einem ganz anderen Licht: „His speeches in Hindi ... were found to be highly popular and his vitriolic phrases backed by his vibrating and volcanic gestures incited multitudes into reckless explosions. His saffron garb and sanyasin's authority lent special fervour and drive to his exhortations." (Ranga 1976: 241) Als „tempestuous dynamism" charakterisierte N.G. Ranga das Auftreten des Swami. Hatte Swami Sahajanand Saraswati bis in die Mitte der dreißiger Jahre die Bauern für die Anliegen der Nationalbewegung gewonnen und dem INK wertvolle Hilfe bei der Mobilisierung von Stimmen in den regionalen Wahlen geleistet, bewog er sie später, Druck auf den INK auszuüben, gegebene Versprechen einzulösen und strukturelle Reformen zugunsten der bäuerlichen Produzenten in die Wege zu leiten. Seine Gegner hatten allen Grund, seinen Einfluß zu fürchten. „He was cataclysmic in his explosions. He was all consuming in his furies. His dare-devilry did not wince even before Gandhiji's censures. He was indeed a live volcano, emitting terrific lava of revolt and resentment. Is there any wonder, if both the British Government and its zamindari allies, as well as Congress bosses shivered in their shoes at the sound of Swamiji's marchers and the sight of their dandas (Stöcke - P.H.) - consecrated by Swamiji's religious blessings", erinnerte sich N.G. Ranga im Rückblick (Ranga 1976: 242). Der Swami hatte sich zu einem eindrucksvollen Akteur entwickelt, der mit seinem Auftreten Wandel bewirkte.
N.G. Rangas Werdegang zum Bauernintellektuellen N.G. Ranga - er lebte von 1900 bis 1995 - war weit eher als der Swami für die Arbeit unter den Bauern prädestiniert. Er stammte aus einer wohlhabenden Bauemfa-
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milie der Andhra-Region im Südosten Indiens, einem Gebiet mit sich stabilisierender und diversifizierender Warenproduktion. Zeitweilig war er in den Familienbetrieb einbezogen und lernte aus eigener Erfahrung dessen unterschiedliche Probleme kennen. Zudem gehörte Rangas Familie zu einer der dominierenden Bauemkasten der Region - den Kammas - mit einem ihrer langen landwirtschaftlichen Tradition entsprechenden Selbstbewußtsein. In seiner Autobiographie berichtet Ranga von der ausgeprägten Abneigung der älteren Generation gegen Beamte. Während Staatsdiener oder auch Brahmanen gezwungen waren, sich Bildung anzueignen, um ihr Leben fristen zu können, standen Bauern auf eigenen Beinen. Er zitierte seinen Schwiegervater: „Wir Bauern sind die wirklichen Herren. Wir sind frei und unabhängig. Wir verdienen unseren Lebensunterhalt..." (Ranga 1968: 37). Dieses bäuerliche Ethos bestimmte auch Rangas Handeln. Es diente ihm als Leitmotiv für sein lebenslanges Wirken. Rangas Verhältnis zur Bildung unterschied sich allerdings schon grundlegend von dem der älteren Generation. Er, dessen Eltern Analphabeten waren, eignete sich Schulbildung an. Gegen alle Widrigkeiten behauptete er sich schließlich als Bauernsprößling in einer von Brahmanen-Söhnen besuchten regionalen höheren Schule, der English High School in Ponnur. Zum Bruch mit der Tradition der Vorfahren ermutigte ihn das Klima der Nicht-Brahmanenbewegung. Seine autobiographischen Erinnerungen sprechen für die These, daß sich diese Bewegung nicht nur auf die politischen Aktivitäten einer kleinen Oberschicht reduzieren läßt, sich nicht nur als ein „Mythos" erwies, wie Christopher Baker 1971 meinte (Baker 1971: 227), sondern Anteil an einem kulturellen Wertewandel hatte. Die landbesitzenden und -be-arbeitenden Bauernkasten der Vellalas, Kapus, Reddis, Kammas und Velamas wollten den Brahmanen, die hier im Süden 1911 nur drei Prozent der Bevölkerung ausmachten (Census of India 1931: 465) ihre Privilegien streitig machen. Wenn auch diese Kastenbewegungen in erster Linie von privilegierten Oberschichten im Eigeninteresse genutzt wurden, waren sie doch auch mit sozialen und religiösen Reform- sowie Bildungsbestrebungen in den ländlichen Gebieten verbunden. Zum einen ging es um die rituelle Aufwertung der Bauemkasten zu Kshatriyas, dem zweiten angesehenen varija14 in der Kastenhierarchie, um das Recht auf direkten, nicht durch die Brahmanen veimittelten Zugang zu den heiligen Schriften, zum anderen kamen auf den Kastenkonferenzen auch soziale Fragen, das Problem der Unberührbarkeit, der Ausgrenzung der Frau (pardä) und das ruinöse Mitgiftsystem (dahez) zur Sprache. Auf dem Gebiet der Bildung wurden Maßnahmen zur Bekämpfung des Analphabetentums und zur Erwachsenenbildung gefördert und die Einrichtung von ländlichen Bibliotheken propagiert (Ranga 1968: 24). Rangas Sympathien waren aufgrund eigener Erfahrungen auf Seiten der NichtBrahmanenbewegung. Er mißbilligte jedoch die Loyalität der politischen NichtBrahmanenbewegung in Gestalt der Justice Party gegenüber den Briten und fühlte sich mehr zur antikolonialen Nationalist Non-Brahmin Conference hingezogen (Ranga 1968: 28). Schon bevor sich die Nicht-Brahmanenbewegung mit Gründung der Justice Party 1917 auf politischer Ebene manifestierte, hatten Bildungsbestrebungen durch die Andhra Library Movement auf dem Lande Gestalt angenommen. In der Bibliothek seines Heimatdorfes machte sich Ranga mit gehobenem, brahmanischem Telugu und den Grundlagen des Sanskrit vertraut, lernte die Werke des Telugu-Schriftstellers und Sozialreformers Veerasalingam und die Schriften des bengalischen Religionsreformers Vivekananda15 kennen und hörte von Persönlichkeiten der Nationalbewegung wie Tilak und Bepin Chandra Pal. Anhand der Wochenzeitungen „Andhra Patrika" oder
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„Krishna Patrika" verfolgte er die politischen Tagesereignisse. Das Streben nach nationaler Selbstbestimmung sah Ranga auch durch westliches kulturelles und politisches Denken gerechtfertigt, mit dem er Uber die Bibliothek und in der Schule vertraut wurde. Im Jahre 1920 begab sich Ranga mit den bescheidenen finanziellen Mitteln, die sein Vater erübrigen konnte, auf eigene Faust nach Oxford. Mit Hilfe von Landsleuten konnte er am St. Catherine's College unterkommen - damals eine Institution zur Betreuung von Studenten ohne College-Platz. Waren es die unzureichenden schulischen und finanziellen Voraussetzungen des Bauernsohnes oder war es ausschließlich eigene Neigung, wie Ranga behauptete: seinen Vorsatz, sich auf die Beamtenlaufbahn im Indian Civil Service vorzubereiten, gab er in Oxford jedenfalls auf. Statt dessen entschied er sich für eine Ausbildung, die zu jener Zeit für im Ausland studierende Inder zwar äußerst ungewöhnlich war, ihn jedoch bestens auf seine spätere Arbeit unter den Bauern vorbereitete. Ranga schrieb sich am Bamett House16 für einen Kurs in Sozialarbeit ein, der als praktischer Bestandteil eines UniversitätsDiplomkurses in Ökonomie und Politische Wissenschaften gewertet und mit einem Zertifikat anerkannt wurde. Der Kurs in Sozialarbeit am Barnett House umfaßte zum einen das Studium „modemer sozialer Probleme" des damaligen England.17 Neben Vorlesungen zum Thema bedeutete das Besuche und Interviews in einschlägigen Institutionen - Lokalverwaltungen, Gewerkschaften, Genossenschaften oder Wohlfahrtsorganisationen. Zum anderen war eine Periode praktischer Arbeit in einer sozialen Organisation sowie die detaillierte Untersuchung eines ländlichen oder städtischen sozialen Problems vorgesehen. Ranga erhielt die Gelegenheit, im Jahre 1922 an den Sommerschulen der Workers' Educational Association (W.E.A.) in Bangor und des Labour Research Department in Scarborough teilzunehmen. Er war beeindruckt vom Fabianischen Sozialismus und inspiriert von Diskussionen mit C.D.H. Cole und H.N. Brailsford über den Gildensozialismus, einer Idee, von der er glaubte, sie auf indische Verhältnisse anwenden zu können (Ranga 1968: 111). Auf einer Reise durch Europa lernte er in den Semesterferien unterschiedliche Formen des ländlichen Genossenschaftswesens kennen. Rangas Studium in Oxford vermittelte ihm unter „westlichen" kulturellen Bedingungen Kenntnisse in Theorie und Praxis der Sozialarbeit, die er mit einigen Modifikationen auch unter ländlichen indischen Bedingungen, vor allem in dem Klima sozialer und ökonomischer Emanzipationsbestrebungen von Bauernkasten im Süden Indiens, anwenden konnte. Rangas Diplomarbeit „The Social and Economic Conditions of the Indian Villages in Andhra" (Ranga 1926,1929) basierte auf eigenen Dorfstudien in seiner Heimatregion. Gilbert Slater, von 1913 bis 1921 Professor am eigens eingerichteten Lehrstuhl für Indische Ökonomie an der Universität von Madras, wurde Rangas Betreuer. Slater hatte als erster praktische Studien in Dörfern der Provinz Madras angeregt und durchgeführt (Slater 1918). Im Unterschied zu den deduktiven und abstrakten Arbeiten der im Geiste von Ricardo und Mills erzogenen Akademiker zeichnete sich Slaters Methode durch ein realistisches und historisches Herangehen aus, das später auch von Wissenschaftlern wie Harold H. Mann und M.L. Darling wie auch den indischen Pionieren auf diesem Gebiet, K.T. Shah und Radhakamal Mukeijee praktiziert wurde. „Westliche" theoretische Erkenntnisse wurden unter den indischen Bedingungen überprüft und der Realität angepaßt.
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Ranga folgte Gilbert Slaters Beispiel, brachte aber gleichzeitig seine eigenen, durch Erfahrungen der Kolonialherrschaft schon modifizierten kulturellen Bezüge ein. Er konnte die Dorfstudien als Professor für Ökonomie und Politische Wissenschaften am Pachaiyappas College in Madras von 1927 bis 1930 fortführen" und wurde als Experte von der Kolonialverwaltung mit ökonomischen Untersuchungen beauftragt. Mit seinen während des Studiums in England und seiner beruflichen Tätigkeit in Indien erworbenen theoretischen und praktischen Kenntnissen betätigte sich Ranga auf dem Gebiet der ländlichen Rekonstruktion, der dörflichen Selbstverwaltung, der Erwachsenenbildung, der Dienstleistungsgenossenschaften und der Bibliotheksbewegung auf dem Lande. Vertraut mit dem bäuerlichen Leben und vielseitig geschult in der theoretischen und praktischen Handhabung bäuerlicher Probleme war er für seine Rolle als Bauemführer bestens vorbereitet. Es war nur folgerichtig, daß N.G. Ranga 1930 seine bezahlte Anstellung aufgab und sich voll in der politischen Arbeit für die Sache der Bauern engagierte. Persönliche Eigenschaften begünstigten Rangas Einstieg in die Politik. Er war selbstbewußt, zweifelte nicht an den eigenen Fähigkeiten und hatte es gelernt, sich durchzusetzen. In den Akten des Barnett House wurde er anläßlich seiner Registrierung wie folgt charakterisiert: „He is quite a beginner - seems keen, but overconfident of his own knowledge & ability."19 Später tauchte sein Name immer wieder unter den erfolgreichen Absolventen des „Social Training Course" auf. Ranga war lernfreudig und außerdem begierig, das erworbene Wissen weiterzugeben und umzusetzen. Mit seinen zahlreichen Publikationen wollte er in erster Linie aufklären und Standpunkte vertreten. Seine Stärken lagen sicher weniger auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Analyse, dafür um so mehr im praktischen Handeln. Als politischer Aktivist war er unermüdlich. Dinah Stock beschrieb den Eindruck einer Tour mit Ranga im Jahre 1937: „What a whirlwind campaign! Packed into third-class railway compartments we went, or jolting along country lanes in rickety old cars. Everywhere Ranga was at work indefatigably, organising committees, reconciling small differences between local leaders, addressing monster meetings and small village assemblies... I never saw Ranga spare himself or stop for a moment to consider food and sleep when there was work to be done. Ranga verschaffte sich nicht nur unter den Bauern Gehör, sondern war auch als Parlamentarier geachtet. Während seines Studiums in Oxford hatte er im Studentenklub debattieren gelernt. Hiren Mukheijee, ein Zeitgenosse und politischer Gegner, konstatierte: „A capable debater, he could rise something to eloquence, and in spite of a kind of mannered way of speaking ... Ranga never failed to command respect ... there was nothing, subaltern' about Ranga and wherever he would be it was never far from the head of the table."21 Ein anderer Zeitgenosse beschrieb seine Qualitäten als Redner mit folgenden Worten: „Ranga is something of a stagy personality. He is quite imposing on the platform and he can strike an attitude like the leading player of an opera. He makes dramatic pauses in the midst of a speech and asks rhetorical questions. As an orator Ranga has a liAcentury air about him and audiences in India are often impressed by his performances."22
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Über die Motive für Rangas Handeln gab Dinah Stock Aufschluß: „Even in those Oxford days one could see that he stood for something real ... he was serious, not about a career, but about an idea; he knew that the real India was not the intellectual, but the farmer, and that his own true service lay in interpreting and championing that forgotten figure." 23
Die Vision, der er sein Leben verschrieb, prägte seine gesamte Persönlichkeit. Mit Stolz bekannte er sich zu seiner bäuerlichen Herkunft und pflegte einen einfachen Lebensstil. Hiren Mukheijee bemerkte: „There was something delightfully earthy about him, even an endearing rusticity, redolent of the soil of his own dear Andhra with fields of golden corn rolling wavily away to the horizon and a volatile peasantry whose interests remained to the last his prime preoccupation." 24
Wenn Ranga seine Rolle als geachteter Bauempolitiker auch durchaus genossen zu haben scheint, blieb er doch frei von Zynismus. Hiren Mukheijee bescheinigte ihm: „For a politician with long experience he always seemed patently honest, even to an extent almost eccentric... With no hint of ostentation he lived a life of uprightness ... there never was a whisper of scandal against him." 25
Begünstigt wurde dieser Umstand dadurch, daß Rangas Persönlichkeit in der Hochzeit der Nationalbewegung ihre Prägung erhielt. Opferbereitschaft und ein einfacher Lebensstil, wie Gandhi ihn vorlebte, waren zu jener Zeit anerkannte Tugenden, die gerade Politiker dieser Periode bis weit in die Zeit der Unabhängigkeit pflegten. Inspiriert von der Nationalbewegung hatte sich Ranga schon in Oxford das Ziel gesetzt, to serve our peasants and develop for them whatever political leadership might be possible" (Ranga 1968: 89). Unbeirrbar setzte er seine feste Absicht um, später ein Mitglied der zentralen Legislative zu werden und damit Einfluß auf die nationale Politik zu gewinnen (Ranga 1968: 93). Als er 1995 starb, war er der älteste Parlamentarier mit der längsten Dienstzeit. Den Bauern ein entscheidendes politisches Mitspracherecht zu verschaffen, hielt er für seine vordringlichste Aufgabe. Er argumentierte: „Wherever and whenever peasants have gone into any revolution without their own leadership, ideological stand and definite political objectives but under the leadership of other classes, they have uniformly been cheated of the fruits of revolution or been the worst victims of the failure of a revolution." (Ranga 1949: 37)
Eine wesentliche Ursache dafür war seiner Meinung nach der absolute Mangel an Bauemintellektuellen, die eine effiziente Führungsschicht stellen konnten. Zwar stammten die meisten städtischen und industriellen Führungskräfte selbst aus der Bauernschaft. Aber eigene Erfahrungen hatten Ranga gelehrt, daß sie bald begannen, den städtischen Interessen zu dienen, „while rural interests have come to take a back place in their minds" (Ranga 1949: 4). Rangas Argumentation erinnert an Antonio Gramscis Bemerkungen zum gleichen Thema. Gramsci unterschied zwischen „organischen" und traditionellen „professionellen" Intellektuellen. Seiner Ansicht nach bringt jede neu entstehende und größere Klasse aus ihren eigenen Reihen eine Schicht von Intellektuellen hervor, die enge Verbindung zu ihr halten und ihr „Homogenität und Bewußtheit der eigenen Funktion nicht nur im ökonomischem, sondern auch im gesellschaftlichen und politi-
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sehen Bereich geben" (Gramsci 1996: 1497). Der „organische" Intellektuelle zeichnet sich weniger durch seinen Beruf aus, sondern durch seinen intellektuellen wie praktisch politischen Beitrag, die Interessen seiner eigenen sozialen Schicht zu definieren, zu formulieren und wirkungsvoll zu artikulieren. Ähnlich wie Ranga wies Gramsci darauf hin, daß viele Intellektuelle, die aus der Bauernschaft stammten, in der Regel zu „professionellen" Intellektuellen wurden. Er zog daraus den Schluß, daß „die Masse der Bauern, obwohl sie eine wesentliche Funktion in der Welt der Produktion ausübt, keine eigenen .organischen' Intellektuellen heranbildet" (Gramsci 1996: 1498). Das Beispiel Rangas, aber auch anderer Bauemintellektueller wie z.B. seines Zeitgenossen Charan Singh (1979/80 kurzzeitiger Ministerpräsident Indiens) beweist, daß es durchaus Ausnahmen von dieser Regel gibt. Ranga fungierte Zeit seines Lebens als „organischer" Intellektueller der aufstrebenden Bauernschichten, aus denen er selber stammte. Er setzte alles daran, sich nicht nur als echten BauemfUhrer, sondern auch als Bauernintellektuellen darzustellen. Im Laufe seiner politischen Karriere wählte Ranga unterschiedliche Mittel, um die bäuerliche Führung ins Leben zu rufen, deren Fehlen er so bitter beklagte. Als Parlamentarier führte er schon 1935 Abgeordnete zu einer Bauern-Gruppe zusammen. Er wollte damit die Abgeordneten mit ländlichem Hintergrund an ihre Pflichten gegenüber den Bauern erinnern. Sie sollten sich beauftragt fühlen, „to further the interests of Indian peasants through their activities in the Assembly and Country"26. Als Bauernführer und Mitbegründer des All-indischen Bauernverbandes der All India Kisan Sabha - im Jahre 1936 kämpfte er mit Erfolg um die Anerkennung separater Bauernverbände gegen den Widerstand konservativer Kreise im Indischen Nationalkongreß. Er war ein hartnäckiger Befürworter eines kollektiven Anschlusses von Bauern- und Arbeiterorganisationen an den Nationalkongreß und forderte das Recht für den Bauernverband, im Rahmen des Indischen Nationalkongresses eigene Kandidaten für die Wahlen zu nominieren. Diese Rechte verweigerte die Führung des INK der Kisan Sabha mit der Begründung, der Nationalkongreß wäre selber eine Bauernorganisation. Disziplinarische Maßnahmen wurden gegen Ranga ergriffen, als er die Kongreßkandidaten seiner Provinz vor den Wahlen 1936 dazu bewegen wollte, sich schriftlich gegenüber den Bauern zu verpflichten, d.h. ein ,3auerngelöbnis" zu unterzeichnen. Einen wesentlichen Teil seiner Energie verwandte N.G. Ranga darauf, selbst bäuerliche Führungskräfte heranzubilden. Er spendete Familienbesitz, um im Jahre 1934 in seinem Heimatort Nidubrolu ein Baueminstitut zu gründen. Dieses äußerlich bescheidene Institut sollte zu einem Zentrum für die Ausbildung von Bauernführern aus den eigenen Reihen werden. Zu diesem Zweck wurden hier junge Bauernaktivisten aus mittleren Bauemkasten Seite an Seite mit Unberührbaren auf die politische Arbeit vorbereitet. Im Namen des Instituts wurden politische Literatur und ein weithin bekanntes, vielfach neu aufgelegtes Liederbuch für Bauern veröffentlicht. Außer den regulären Veranstaltungen im Bauerninstitut fanden Wochenend- und Sommerschulen in verschiedenen Distrikten der Andhra-Region statt. In der Zeit der Nationalbewegung übten die Aktivitäten dieses Bauerninstituts eine mobilisierende Wirkung aus, die weit über Rangas eigene Kreise hinausging. Das Beispiel des Instituts bewog andere sozialistisch orientierte Kräfte, ähnliche Aktivitäten in Angriff zu nehmen. Es entwickelte sich eine eigene politische Kultur in der Nationalbewegung, die entscheidenden Anteil daran hatte, das nationale Selbstbewußtsein zu stärken und neue Ideen unter den Bauern zu verbreiten.
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Für die Zukunft setzte N.G. Ranga seine Hoffnung auf das Genossenschaftswesen in der Landwirtschaft. Einer der Gründe dafür, daß er Zeit seines Lebens der Verbreitung landwirtschaftlicher Dienstleistungsgenossenschaften eine solche Bedeutung zumaß, bestand darin, daß er sie für die Institutionen hielt, die am besten geeignet waren, „to minimise this drain of rural peasant intellectuals to the towns" (Ranga 1949:4).
Abb. 13: Nidubrolu Gogineni Ranga Kreativer Umgang mit der Tradition Das Verhältnis zur eigenen Tradition und zu der des Landes war bei beiden Bauernführem entsprechend ihrem Werdegang sehr unterschiedlich. Swami Sahajanand Saraswati, der zwar aus eigenem Antrieb, aber unvorbereitet und gänzlich unerfahren in den Strudel der politischen Ereignisse geraten war, verwandte viel Mühe darauf, den eigenen Standort in der Tradition immer wieder zu überdenken. Er hatte sein Leben als Hüter der Tradition begonnen. Zwar besuchte er unter seinem ursprünglichen Namen Navrang Rai seit 1904 die German Mission High English School in Ghazipur und lernte dort Englisch, aber die Begegnung mit Elementen der
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westlichen Kultur rief in ihm vor allem Widerstand hervor. Während der Schulzeit vertiefte sich seine Shiva-Verehrung. Er entwickelte - wie er selbst meinte - einen außerordentlichen religiösen Dogmatismus und provozierte Auseinandersetzungen mit Lehrern, die die Hindu-Religion kritisierten (Sahajanand Saraswati 1952: 37). Kurz vor der Reifeprüfung verließ der Siebzehnjährige Familie und Schule und begann sein Leben als weitabgewandter Asket. Die Abneigung, die der Swami aus seiner orthodox religiösen Haltung heraus gegen die Engländer empfand, äußerte sich in jener Zeit darin, daß er sie und ihre Sprache vollständig zu vergessen suchte (Sahajanand Saraswati 1952:62). Nach seinem Wanderleben als Bettelmönch versenkte sich der Swami für weitere sieben Jahre in die heiligen Schriften der Hindus, die Castros und strebte - der brahmanischen Tradition folgend - Erlösung durch absolutes Wissen an. Erst als er durch die Kastenbewegung der Bhumihars wieder Interesse an weltlichen Angelegenheiten zu nehmen begann, las er neben Hindi auch Englisch und informierte sich Uber die politischen Ereignisse. Zur Leitfigur für den aktiven Einstieg des Swami in die politische Bewegung wurde jedoch Mahatma Gandhi. Gandhis Persönlichkeit, sein asketisches Auftreten, seine tiefe Religiosität und das kritisch positive Verhältnis zur Tradition des eigenen Landes faszinierten den orthodoxen Swami. Das Prinzip der Nichtzusammenarbeit mit der Kolonialregierung sprach wiederum seine antibritischen Gefühle an. Auch ohne politische Bildung empfand der Swami die Fremdherrschaft als nationale Erniedrigung. Die Arbeit in der Nationalbewegung war der entscheidende Einschnitt im Leben des Swami, der ihn zwang, traditionelle Auffassungen in verschiedener Hinsicht neu zu bewerten. Er lernte Menschen aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten in ungewöhnlichen Situationen kennen. Reisen zu Kongreßtagungen und später die Arbeit in der Bauernorganisation führten ihn in verschiedene Regionen des Landes. Die Reisen festigten - wie auch Ranga in seinen Memoiren bemerkte - das Nationalbewußtsein der Beteiligten. Auch die tief verwurzelten Vorurteile, die der Swami als orthodoxer Hindu gegenüber den Muslimen hatte, wurden in der Nichtzusammenarbeitsbewegung abgebaut. Gespräche mit Maulanas, Haftgefährten im Gefängnis, ließen ihn den Islam mit anderen Augen sehen. Im Koran, den er später selbst in der Hindi-Übersetzung las, fand er Gedanken religiöser Toleranz, die er dem Islam ehemals abgesprochen hatte (Sahajanand Saraswati 1952:243-244). Der Swami blieb Zeit seines Lebens ein zutiefst religiöser Mensch, ein sanätani ein orthodoxer Hindu, wie er selbst meinte. Sein anfangs unduldsamer Glaube wurde jedoch allmählich durch die eigenen Lebenserfahrungen gemildert und abgewandelt (Sahajanand Saraswati 1952:17). Mit dem Einstieg in die National- und Bauernbewegung änderte sich deutlich der Blickwinkel, aus dem er die traditionellen religiösen Schriften betrachtete. Seinem eigentlichen Ziel, das er nie aus den Augen verlor, der Annäherung an Gott, sollte ihn nun der uneigennützige Dienst am Volk näher bringen. Seine Aufmerksamkeit wurde unter diesem Gesichtspunkt auf andere als die früher von ihm studierten und bevorzugten religiösen Schriften gelenkt. Während der Swami die im 19. Jahrhundert einsetzenden Bestrebungen zur Religionsreform, wie z.B. die Aktivitäten des Arya Samaj27, mit Mißtrauen beobachtete und sich auch nicht zu den Ideen Vivekanandas äußerte, beeindruckte ihn die Aufwertung des Vedanta, der späten Veden. Dem Trend der Zeit entsprechend gewann auch für ihn das altindische Epos Mahabharata und sein religiös-philosophisches Herzstück, die Bhagavadgita (Gita) mit ihrer auf aktives, leidenschaftsloses und pflichtorientiertes Handeln ausgerichteten Grundidee eine völlig neue Bedeutung. Er machte sich die neue Deutung
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der Bhagavadgita durch Tilak und Gandhi zu eigen. Obwohl er die Kritik Tilaks am Gita-Kommentar des Begründers seines eigenen Samnyasi-Ordens aus dem 8. Jahrhundert, des Shankaracharya, mißbilligte (Sahajanand Saraswati 19S2: 245), kam ihm Tilaks ausdrückliche Aufwertung des Karma-Yoga entgegen. Nach dieser Deutung verlangte die Gita nicht Weltentrücktheit, sondern aktives Handeln. Der selbstlose Dienst an Land und Volk konnte nun als eine Form der Gottesverehrung gelten. Auch für den Swami wurde deshalb die Bhagavadgita zur „Bibel" des Hinduismus. Er trug sie nicht nur seit einem Gefangnisaufenthalt im Jahre 1922 ständig bei sich (Sahajanand Saraswati 1952: 232), sondern verfaßte auch 1942, wieder im Gefängnis, einen eigenen umfangreichen Gita-Kommentar in Hindi. In einem Brief aus dem Hazari Bagh-Gefangnis bekannte er: „... I have begun writing ,Gita Hridaya', a comprehensive commentary on the Gita, which I hope to finish soon. While writing it I very often become so engrossed in it that at times it is impossible to discontinue it even for a while. The philosophy of the Gita and also in general is so engrained in me and it is so favourite to me that I forget politics in toto."2* Der Gita-Kommentar des Swami wurde später unter dem Titel „Gitä-Hfday" in mehreren Auflagen veröffentlicht (Sahajanand Saraswati 1974). Der Swami war sich durchaus bewußt, daß es eine tiefe Kluft zwischen der eigenen tief religiösen Grundhaltung und der Sichtweise seiner politischen Weggefährten in den dreißiger Jahren gab. Er sah sich in eine Verteidigungsstellung gedrängt und mußte die eigene Haltung überprüfen. Obwohl er bis zu seinem Lebensende nicht von seinem brahmanischen Lebensstil abließ, die äußerst streng befolgten Reinheitsregeln des Brahmanen vor allem gegen eigene Zweifel als Regeln der Hygiene verteidigte und auch seinen Lebensstil nicht änderte, verbannte er die Religion in den privaten Bereich. Er betonte immer wieder, daß die Religion eine rein persönliche Angelegenheit und für jeden Menschen von unterschiedlicher Gestalt und Bedeutung sei (Sahajanand Saraswati 1952: 447). Außer dem Hinweis auf die Gleichberechtigung aller Religionen sah er in seinen Reden vor den Bauern davon ab, religiöse Themen oder Beispiele aus der indischen Geschichte für die Vermittlung neuer Ideen zu nutzen. Dennoch war er sich der Wirkung seines Auftretens als Swami auf die gläubigen Bauern durchaus bewußt und setzte seine Persönlichkeit ein, um die neuen politischen Botschaften in einer volkstümlichen, anschaulichen und manchmal drastischen Sprache zu propagieren. Das Verhältnis des Swami zum Kastensystem als wichtigem praktischem Bestandteil des Hinduismus blieb ambivalent. Wie im Falle des Glaubens hatte er sich dazu entschlossen, auch auf diesem Gebiet den gesellschaftlichen und privaten Bereich streng zu trennen. Er schrieb über sich: „Ich halte niemanden wegen seiner Kaste oder seines Standes fttr hoch oder niedrig, berührbar oder unbertihrbar. Ich bin auch nicht so dumm, Muslime oder Angehörige anderer Religionen IUr nicht beriihrbar zu halten." Dennoch bekannte er, nicht immer den Mut zu haben, entgegen rituellen Reinheitsprinzipien Brot aus jedwedes Hand anzunehmen. „Das ist nun zu meiner Natur geworden" (Sahajanand Saraswati 1952: 270), meinte er. Zur religiösen Fixierung des Kastensystems (varnäshrama dharma) äußerte er sich nicht ausdrücklich. Kishori Prasad Sinha erinnert sich jedoch einer persönlichen Bemerkung des Swami im Jahre 1934 ihm gegenüber: „... in meinem Inneren kämpfe ich zur Zeit damit, ob
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das varnashrama-dharma-Systcm in der Hindugesellschaft richtig ist oder nicht" (Hauser/Bashon o.J.: 19). Auf der gesellschaftlichen Ebene, in den sozialen und ökonomischen Bauernbewegungen bezog der Swami jedoch eine klare Position gegen jedwede Kastentrennung. Nachdem er sich von der Bhumihar Brahmin Sabha gelöst hatte, wandte er sich empört gegen Spötter, die ihn einen Kastenfreund und Parteigänger der Bhumihar-Brahmanen nannten. Er führte zu seiner Verteidigung an, daß die begüterten Bhumihar-Gönner aus der Nachbarschaft nicht nur aufgehört hatten, für den Ashram zu spenden, sondern zu seinen Feinden geworden waren, seit die „unter ihrer Willkür stöhnenden Goalas und andere Bauern zu mir kommen und ich ihre Partei ergreife und einen Sturm gegen die Samindare entfacht habe" (Sahajanand Saraswati 1952: 293). In seiner Parteinahme für die Bauern - sowohl Bhumihars als auch Goalas, Kurmis und Koeris (bäuerliche Shudra-Kasten) - spielte die Kastenzugehörigkeit keine Rolle mehr. Religiöse und Kastenschranken verurteilte der Swami in späteren Jahren als „old orthodoxies and social values", die ein ausgesprochenes Hindernis für einen gemeinsamen und organisierten Kampf darstellten (Hauser 1994:53). Der u.a. auch von Girish Mishra und Braj Kumar Pande gegen den Swami erhobene Vorwurf, Zeit seines Lebens eine Doppelrolle gespielt zu haben - die des radikalen Bauemführers und die des Interessenvertreters der Bhumihars (Mishra/Pandey 1974: 166) - ist nicht gerechtfertigt. Der Rückhalt der mit der Landwirtschaft verbundenen Bhumihars und ihr Netzwerk haben dem Swami allerdings geholfen, seine Führungsposition unter den Bauern auszubauen. Swami Sahajanand Saraswati war ohne theoretische Bildung in die praktische politische Tätigkeit eingestiegen. Ranga konstatierte: „He was learned in Hindu scriptures but largely un-initiated into Marxist ideology and intricacies of the ideological disputations between different groups of socialists" (Ranga 1976: 241). Der Swami durchlief deshalb einen mühsamen Erkenntnisprozeß vom Kastenideologen über den Gandhisten bis zu einem Verfechter sozialistischer und kommunistischer Ideen. Die praktischen Erfahrungen im Kontakt mit den Bauern versuchte er durch die Aneignung theoretischen Wissens, das Studium einer umfangreichen englischsprachigen Literatur - vorwiegend im Gefängnis - zu untermauern. War er zunächst von einer einheitlichen indischen Bauernschaft ausgegangen, so wurde er sich im Laufe der Zeit zunehmend ihrer Differenzierung und unüberbrückbarer Interessengegensätze bewußt. Die Bereitschaft zur Aufnahme sozialistischer und kommunistischer Vorstellungen wurde sicher durch seine asketische Neigung, die Ablehnung irdischen Reichtums, wie auch durch seine radikale Ungeduld, die Abneigung gegen Kompromisse begünstigt. Die schriftlichen Reflexionen des Swami lassen keinen Zweifel daran, daß er sich politische Standpunkte hart erarbeitete. Sozialistische Gesellschaftstheorien, mit denen er sich vor allem im Gefängnis beschäftigte, wurden gründlich überprüft und nur dann übernommen, wenn sie eigene Erfahrungen bestätigten oder überzeugend erklärten. Global vermittelte Alternatiworstellungen zur kapitalistischen Moderne wurden verarbeitet und den eigenen Bedürfnissen angepaßt. Als Persönlichkeit wurde der Swami nicht zum Politiker, sondern blieb in erster Linie Bauernführer. In seiner ausgeprägten Individualität verweigerte er hartnäckig jedwede Einbindung in Parteipolitik. Das Taktieren seiner politischen Mentoren beobachtete er mit Mißtrauen. Solange der Swami die Unterstützung politischer Gruppierungen hatte, war er als Bauernführer erfolgreich. Als Einzelkämpfer, der sich keiner Partei anschließen wollte, wurde er jedoch letztlich von der Politik überrollt. Der Swami verlor einen Teil sei-
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nes Einflusses unter den Bauern, als er sich nach dem Überfall Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg die Linie der Kommunistischen Partei Indiens vom „Volkskrieg" gegen den Faschismus zu eigen machte und sich damit gegen die „Quit India"-Bewegung des INK im Jahre 1942 stellte. N. G. Ranga hatte ein völlig anderes Verhältnis zur indigenen Tradition als der Swami. Die Traditionslinie, an die er in seiner Region anknüpfte, hatte schon die Einflüsse und Erfahrungen langjähriger britischer Kolonialherrschaft verarbeitet. Ranga wuchs in einem Klima der Aufklärung, des sozialen und politischen Aufbruchs der eigenen aufstrebenden Bauernkaste, seiner Region Andhra und des ganzen Landes auf. Der eigene bäuerliche Hintergrund, die Einflüsse seiner unmittelbaren Umgebung und die eigene Neigung erleichterten ihm den Weg zum nationalen Bauernführer. Die Schriften des bedeutenden Schriftstellers und Sozialreformers seiner Region aus dem 19. Jahrhundert, K. Veerasalingam (1848-1919), lehrten ihn, das Kastensystem und die Unberührbarkeit abzulehnen. Seine Vorliebe für den Brahmanen Veerasalingam bewahrte ihn vor einer undifferenzierten Begeisterung für die NichtBrahmanenbewegung und die eigene Kastenbewegung. Seine religiöse Grundhaltung war stark beeinflußt von den Religionsreformem seiner Zeit, Swami Vivekananda und Ram Tirtha. Ranga lehnte das hinduistische Kastensystem nicht nur verbal ab, sondern verwandte einen Teil seiner Energie darauf, es aktiv zu bekämpfen. Gegen den Widerstand der Dorfaltesten nahm er in seinem 1934 gegründeten Baueminstitut in Nidubrolu junge Leute aller Kasten auf, „Unberührbare" eingeschlossen. Er drängte auf ungezwungenen Verkehr zwischen den jungen Bauernaktivisten und bestand auf Tischgemeinschaft. Das erste Buch, das in der Reihe „Kisan Publications" des Baueminstituts veröffentlicht wurde, war der von Ranga selbst verfaßte Telugu-Roman über einen harijan29-Fiüaet, „Harijan Nayakudu" (Ranga 1933), in dem er für die Beseitigung jedweder sozialen Ungleichheit plädierte. Rangas Frau, Bharati Devi, organisierte von Gandhi propagierte harijan-Tage in Andhra und setzte sich vor den Frauen der Region dafür ein, den Glauben in die Unberührbarkeit als religiöse Doktrin abzulegen. N.G. Ranga hatte die Sache der selbständigen Bauern zu seiner Lebensaufgabe gemacht. Seit er 1930 seine Anstellung aufgegeben hatte und zum politischen Bauernaktivisten geworden war, bemühte er sich um die Organisierung der Bauern und die Artikulierung ihrer Forderungen. Unter seiner Führung entwickelte sich die Bauernassoziation der Provinz Andhra, die Andhra Provincial Ryots Association, aus einer rein ökonomischen in eine politische Organisation bäuerlicher Produzenten. Ranga griff jedoch auch ein anderes brennendes Problem auf, die Verbesserung der Lage der Pächter in den Samindari-Gebieten Andhras. Während in den Raiyatwari-Gebieten die bäuerlichen Produzenten direkt dem Staat unterstanden, schöpfte in den Samindari-Gebieten eine Schicht von parasitären Grundbesitzern unproduktiv landwirtschaftliche Gewinne ab. Es war die von Ranga mitbegründete Andhra Zamin Ryots Association, die Assoziation der Samindari-Bauern Andhras, die auf ihrer Konferenz in Venkatagiri im Jahre 1931 zum ersten Mal die Abschaffung des Samindari-Landveranlagungssystems durch Gesetzgebung zu ihrem Hauptziel erhob (Ranga/Sarma/Naidu 1933: iv). Während Ranga die Interessenvertretung der Raiyatwari-Bauern seiner Region als sein Hauptanliegen sah, konzentrierte sich die Bauernbewegung in den Kerngebieten des Samindari-Systems im Norden Indiens, in Bihar, aber auch in den östlichen Vereinten Provinzen, von Beginn an auf die Verteidigung der Rechte der Pächter mit unterschiedlichen Besitzrechten gegenüber den Grundbesitzern, den
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Samindaren. Die Entscheidung gegen das Samindari-System wurde jedoch dadurch erschwert, daß es in dieser Region nicht nur große, sondern auch zahlreiche kleine, selbstwirtschaftende Samindare gab. Swami Sahajanand Saraswati machte sich die Forderung nach entschädigungsloser Enteignung der Samindare erst nach reiflicher Überlegung Ende 1935 zu eigen. Als im April 1936 parallel zur Kongreßtagung in Lakhnau mit Unterstützung der Kongreß-Sozialisten der All-Indische Bauernverband, die All India Kisan Sabha, gegründet wurde, machte dieser die Abschaffung des parasitären Grundbesitzes im Interesse der bäuerlichen Produzenten zu einem Die Forderung des Bauernverbandes nach Abschaffung des Samindari-System wichtigen strategischen Ziel, s war zu jener Zeit von hoher politischer Brisanz. Zum einen wollte die Kolonialmacht den status quo nicht verändern, weil sie die Samindare zu den Stützen ihres Systems rechnen konnte. Die Landveranlagungssysteme und alle damit verbundenen Themen wurden deshalb stets aus dem Fragespiegel der periodischen Untersuchungen zur Lage in der Landwirtschaft ausgeklammert. Zum anderen mußte der Widerstand im Nationalkongreß selbst überwunden werden. Gandhi und der Indische Nationalkongreß beschränkten sich im Interesse der nationalen Einheit zu jener Zeit darauf, nur jene Probleme der Bauern aufzugreifen, die sich in direkter Konfrontation mit der Kolonialmacht ergaben. Bei Kritik am Samindari-System drohten jedoch innere Konflikte, die die erwünschte nationale Einheit in Frage stellten. Zudem waren maßgebliche Führungskräfte im Kongreß persönlich mit dem parasitären Grundbesitz verbunden. Während die Bauern in den Raiyatwari-Gebieten unmittelbar der englischen Kolonialregierung gegenüberstanden, waren in den Samindari-Gebieten in Krisenzeiten einheimische Grundbesitzer das Objekt bäuerlicher Proteste. Es ist kein Zufall, daß der INK in erster Linie die Bauern in den Raiyatwari-Gebieten, nicht aber in den Samindari-Regionen als potentielle Massenbasis für die Nicht-Zusammenarbeitskampagnen umwarb. Erst der Druck der all-indischen Bauernbewegung wie auch der zähe Kampf der Bauern auf Provinzebene zwang den Indischen Nationalkongreß in den Folgejahren, seine ablehnende Haltung allmählich aufzugeben. Erst im Jahre 1945 beschloß das Arbeitskomitee des Indischen Nationalkongresses, die Forderung nach der Beseitigung von „intermediaries between the peasant and the State" in das Wahlprogramm der Partei aufzunehmen.30
Globales und Indigenes als konstitutive Elemente individueller Weltsichten Sowohl Swami Sahajanand Saraswati wie auch N.G. Ranga beschränkten sich nicht auf die praktisch-politische Tätigkeit, um Bauerninteressen in der Gesellschaft durchzusetzen; beide bemühten sich auch, ihre Tätigkeit politisch-ideologisch zu begründen. Gerade in ihrer Argumentation wurde offensichtlich, daß sich die Verwurzelung in der Tradition des eigenen Landes und die Aufnahme modemer, in den Industrienationen des Westens entstandener Ideen durchaus nicht ausschlössen. Es waren vor allem Altemativvorstellungen zur kapitalistischen Moderne, die sie ihren Zwecken anzupassen suchten. Sofern diese Ideen den indischen Bedingungen nicht entsprachen, wurden sie abgewandelt und qualitativ verändert. Während der Swami sich die Argumente der Kongreß-Sozialisten und später der Kommunisten in gewissem Umfang zu eigen machte, trug Ranga maßgeblich dazu bei, eine indische Variante des Bauernpopulismus zu entwickeln.
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Der Bauernpopulismus ist weltweit vor allem in agrarischen Gesellschaften als Begleiterscheinung des Kapitalismus anzutreffen. Vergleichbare objektive Bedingungen waren die Grundlage für die Entwicklung ähnlicher Konzeptionen. Charakteristisch für die Ideen des Bauernpopulismus ist die Orientierung auf eine undifferenzierte Bauernschaft als gesellschaftliche Hauptkraft, die Leugnung von antagonistischen Gegensätzen in ihren Reihen, das Berufen auf besondere einheimische Traditionen und innere Widersprüche der ideologischen Konstruktion z.B. in bezug auf das Verhältnis von Tradition und Moderne oder von antikapitalistischen und kapitalistischen Vorstellungen. Ranga vertrat einen Bauernpopulismus, der diesem Muster entsprach. Er war auf die Bedürfnisse der für den Markt produzierenden bäuerlichen Eigentümer zugeschnitten, die ihren kleinen oder größeren Überschuß nicht nur gegen den Kolonialstaat, parasitäre Mittler und Grundbesitzer, sondern auch gegen die Ansprüche armer Bauern und Landarbeiter verteidigten. So propagierte Ranga Zeit seines Lebens die These von der Bauernschaft als ewiger und einheitlicher Klasse mit gemeinsamen Interessen. „We believe that peasants are an eternal class", hieß es in seiner Anleitung für politische Studienkurse (Ranga 1946: 16). Die Bauernschaft bildete seiner Meinung nach immer das „demokratische Rückgrat" der indischen Gesellschaft und stand für einen „toleranten Föderalismus" (Ranga 1949: 13). Die indische Geschichte wurde von Ranga als eine Geschichte von Bauerntraditionen interpretiert. Er beschwor eine von den britischen Kolonialherren zerstörte Tradition der selbstgenügsamen Dorfgemeinschaft herauf, dem „village commonwealth", das seine Angelegenheiten mit Hilfe eines gewählten Dorfrates, des Panchayat, geregelt und in Indien und China die volle Entfaltung des Feudalismus verhindert hätte (Ranga 1949: 15). Er erinnerte an Handwerker- und Händlergilden, an Heerführer oder ganze Dynastien von Herrschern und Königen mit bäuerlichem Hintergrund in Südindien. Über die für die Geschichte Andhras und die Telugu-Kultur wichtige Kakatiya-Dynastie vom 12.-14. Jahrhundert u.Z., der er bäuerlichen Ursprung zuschrieb (Ranga 1949: 23-25), verfaßte er eine eigene Abhandlung (Ranga 1971). Ranga war jedoch kein Historiker, sondern ein Bauernpolitiker, der Geschichtsbezüge bewußt zu nutzen gedachte, um die Bauern auf das 20. Jahrhundert vorzubereiten. Obwohl er ein idealisiertes Bild von der Vergangenheit zeichnete, wollte er sie nicht wiederbeleben. Er betonte: „Modern peasantry ... want to regain effective power in modern society and control over the modern State. They no longer think in terms of peasant kings and kingdoms. They do appreciate the high state their forefathers had enjoyed in the ancient village commonwealths. But they know they cannot establish or recapture the bygone past, they wish to achieve the most democratic society possible under modern conditions." (Ranga 1949:1) Seine Geschichtsbezüge sah Ranga selbst als den Versuch, „to link up our modern ideologies and ideas with their (the peasants' - P.H.) traditional moorings and thus enable them to step up into the dynamic movements of their twentieth century world" (Ranga 1949: 67). Sowohl der Indische Nationalkongreß als auch der AllIndische Bauernverband versagten seiner Meinung nach in dieser Beziehung. Zu den modernen Ideologien des 20. Jahrhunderts rechnete Ranga derzeit vor allem den Gandhismus und die verschiedenen Schattierungen des Sozialismus, wobei ihm die Ideen des englischen Gildensozialismus, des Fabianischen Sozialismus und der Genossenschaftsbewegung der skandinavischen Länder besonders zusagten.
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Er reflektierte über den erzieherischen Einfluß, den nach seiner Ansicht der Kapitalismus und marxistische sozialistische Ideen auf die Bauern ausübten. Der Kapitalismus habe die indischen Bauern auf die Weltmärkte gezwungen, meinte er, „to open their eyes to the modem menace of world-wide economic crisis". Die Erfahrung mit dem Kapitalismus brachte ihnen die Erkenntnis, daß sie sich „in sheer selfdefence" organisieren und zudem in den Kategorien „of modern economics" denken müssen (Ranga 1949: 2). Auch die Ideen von Marx und das sowjetische Experiment hielt er trotz starker Vorbehalte für nützlich, weil sie die Position der arbeitenden Menschen stärkten. ,Jt was only since the advent of Marxism that a definite and organised effort has come to be made to help the toilers to regain their power in modern society" (Ranga 1949: 16). Das sowjetische Experiment wiederum habe jedweden Minderwertigkeitskomplex zerstört, „peasants might have had about their right to and capacity for playing their part in the governance of their countries and also their pressing need to capture political power" (Ranga 1949: 2). Er wollte die sozialistischen Ideen, diesen - wie er es nannte - „extraordinarily potent new time spirit, surcharged as it is with the cataclysmic Russian achievements" (Ranga 1936: 14) für sein eigenes Ziel, die Beteiligung der Bauern an der politischen Macht, nutzen. Der von Ranga propagierte Bauernpopulismus erwies sich als eingängige und dauerhafte Ideologie. Man kann sie als durchgängige Linie vom kolonialen Indien bis zu den heutigen „New Farmers' Movements" im unabhängigen Indien verfolgen. Im Gegensatz zum Swami vertrat Ranga von Beginn an betont nationale Positionen und legte Wert darauf, sich nicht grundsätzlich mit den Kongreßführern zu überwerfen. Eines seiner Hauptanliegen war die Veränderung der antiquierten sozialökonomischen Struktur auf dem Lande. Unter kolonialen Bedingungen erforderte dieses Ziel die aktive Beteiligung an der Nationalbewegung. Darüber hinaus war eine gewisse Radikalität vonnöten, um innergesellschaftliche Widerstände gegen strukturelle Veränderungen zu überwinden. Auf dem Höhepunkt der Bauernbewegung verbündete sich Ranga zeitweilig mit Sozialisten und Kommunisten, obwohl er sich von ihnen in der Bauernfrage grundsätzlich abgrenzte. Im unabhängigen Indien entwickelte sich Ranga folgerichtig zum engagierten und beredten Verfechter eines Bauemkapitalismus. Auf diesem Weg rückte er von sozialistischen Ideen ab und suchte seine Bündnispartner je nach den Umständen in unterschiedlichen politischen Lagern. Gerade weil er seiner Leitlinie - der Verteidigung und Förderung des selbständigen Bauern - treu blieb, absolvierte er eine äußerst bunte politische Karriere. Wirkungen Das Ausmaß und die Art des Wandels, den die Bauemfiihrer als Akteure in Gang setzten, entsprach nur bedingt ihren eigenen Erwartungen. Mit Beginn der Unabhängigkeit des Landes sahen sie sich von ihrem auf dem Gründungskongreß der All India Kisan Sabha in Lakhnau am 11. April 1936 beschlossenen gemeinsamen Ziel: „to secure complete freedom from economic exploitation and the achievement of full economic and political power for the peasants and workers and all other exploited classes" (Ranga 1938: 1) weiter entfernt als zur Zeit der Nationalbewegung. In gewisser Hinsicht hatten sich die Bedingungen sogar verschlechtert. Der Bauernverband, in dem die beiden Bauernführer eine prominente Rolle spielten, war am
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Vorabend der Unabhängigkeit des Landes auseinander gefallen, und seine Führer hatten sich entzweit. Zu dieser Entwicklung trugen nicht nur die Belastungen bei, die aus den unterschiedlichen politischen Bündnissen resultierten, sondern der schwer zu fixierende Charakter der Bauernpolitik selbst. Die Bauernorganisationen lebten von der lokalen, oft spontan aufbrechenden Unzufriedenheit bestimmter Bauenigruppen oder schichten. Indem sie sich zum konsequenten Fürsprecher konkreter Anliegen machten, gewannen sie ihre Mitglieder und Anhänger, verloren sie aber wieder, wenn das Problem zumindest teilweise gelöst war. Eine dauerhafte, solide organisatorische Basis ließ sich unter diesen Umständen schwer schaffen. Auch der heterogene Charakter der Bauernschaft stellte den Bauernverband und seine Führung vor schwierige politische Probleme. Außer religiösen, ethnischen und Kastenunterschieden gab es beträchtliche soziale Unterschiede und schon in der Kolonialzeit aufbrechende Interessengegensätze. Die Frage nach der bevorzugten sozialen Basis unter den verschiedenen bäuerlichen Schichten, nach der Politik, die gegenüber der bäuerlichen Oberschicht, den ungeschützten Pächtern und der großen Schicht von völlig rechtlosen Landarbeitern einzuschlagen war, beschäftigte die Bauernorganisationen und ihre Führer in Theorie und Praxis. Konfliktpotential, an dem sich der Streit letztlich auch entzündete, enthielt nicht zuletzt das Problem der Gewichtung von nationaler und sozialer Frage. Ranga verstand es, sich auf die veränderten politischen Bedingungen im unabhängigen Indien einzustellen, ohne dabei sein Ziel aus den Augen zu verlieren. Der Swami bemühte sich bis an sein Lebensende, das verlorene linke Aktionsbündnis wiederherzustellen. In einem Brief vom 27. November 1947 an H.D. Malaviya äußerte er sich zur Frage der linken Einheit: „I... despair of it and yet I am busy with all this. Why? I see clearly that the entire left is bound to be swept off soon if it does not awake in time. I see the writing on the wall."51 Unabhängig von der persönlichen bitteren Enttäuschung, die beim Swami wegen seiner höher gesteckten Gesellschaftsideale größer war als beim eher pragmatischen Ranga, hatten beide BauernfUhrer zu einem spürbaren gesellschaftlichen Wandel beigetragen. Mit ihrer Tätigkeit im Rahmen der Bauernbewegung im spätkolonialen Indien hatten sie eine Veränderung des gesellschaftlichen Klimas bis weit in die Unabhängigkeit hinein bewirkt. N.G. Ranga war nicht nur der Initiator einer erfolgreichen Bauernbewegung in der Andhra-Region. Er förderte den Gedanken der Erwachsenenbildung, des Bibliothekswesens und der Genossenschaftsbewegung auf dem Lande. Ganz wesentlich trug er zum Entstehen einer neuen politischen Massenkultur bei. Seine Initiativen zur Schulung von Bauemführem und zur Wiederbelebung traditioneller Formen von Volkskunst wie Gesang, Tanz und Drama für die Propagierung von politischen und sozialen Botschaften wurden von anderen gesellschaftlichen Kräften aufgegriffen und weiter ausgebaut. Die Bemühungen von Ranga und seinen Zeitgenossen können als zum Teil erfolgreicher Versuch gewertet werden, im spätkolonialen Indien den Gedanken der partizipatorischen Demokratie unter Bedingungen von Massenarmut und Analphabetismus im Kontext indischer kultureller Traditionen umzusetzen. Der Akzent lag auf Formen der informellen Bildung und Erziehung und auf der Erweiterung des Erfahrungshorizonts der Beteiligten im Verlauf der sozialen und politischen Aktion. Swami Sahajanand Saraswati wirkte vor allem durch seine Persönlichkeit. Er setzte seine Autorität als hinduistischer Asket bewußt und erfolgreich für die Sache
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der Bauern ein. Im rückständigen Bihar wurden sich die Pächter unter seiner Führung zum ersten Mal ihrer Rechte bewußt. In der offiziellen Analyse eines Pächterproblems in Bihar aus dem Jahre 1939 heißt es: „The agitation which has sprang up ... is due to ... the increasing knowledge among the cultivators of their rights in the land and the realisation that the landlords are, in many cases, prevenüng them from gaining those rights."31 Noch in der Kolonialzeit bewirkte der Druck der organisierten Bauernbewegung in Bihar die Lösung einiger konkreter Probleme im Interesse der bäuerlichen Pächter. Darüber hinaus brachte der Swami seine Persönlichkeit in die all-indische Bauernbewegung ein. Sein Ruf eilte ihm voraus, und wo immer er in anderen Regionen Indiens auftrat, wirkte er als Publikumsmagnet. Er wurde zum gefürchteten Gegner für seine Widersacher und zu einer Legende unter den Bauern. Die Propagierung sozialistischer Ideen im Rahmen der Bauembewegung stellte traditionelle Denkweisen auf dem Lande in Frage, veränderte soziale Normen, Auffassungen von gesellschaftlichen Rechten und Pflichten, die moralischen Grundlagen der Bauernökonomie. Inwieweit damit ein Mentalitätswandel vorbereitet wurde, ist schwer zu bestimmen. Ein meßbares Ergebnis der Aktivitäten des AllIndischen Bauernverbandes ist jedoch der strukturelle Wandel, der mit der Unabhängigkeit Indiens auf dem Lande eingeleitet wurde. Er manifestierte sich in der beträchtlichen Einschränkung des parasitären Grundbesitzes, in der Abschaffung des Samindari-Systems, und in Pachtreformen zugunsten der bäuerlichen Produzenten. Die Führer der all-indischen Bauernbewegung trugen mit ihrer Tätigkeit entscheidend dazu bei, das gesellschaftliche und politische Klima dafür zu schaffen.
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Während „Swami" hier als Ehrentitel die religiöse Persönlichkeit bezeichnet, wurde ihm der Name Sahajanand Saraswati anlässlich seiner Initiation als Samnyasi verliehen. Als Kongressfreiwillige bezeichnete man die ehrenamtlichen Helfer, die sich in den lokalen Kongressbilros einfanden, um anstehende Aufgaben zu Übernehmen und die Botschaft des Nationalkongresses im Lande zu verbreiten. Bihar State Central Records Office (BSCRO), Patna, Govt, of Bihar and Orissa, Pol. Dept. (Special), File No. 29/39 (II), Agrarian Trouble, Barhaiya Tal (1936 to 1939), S. 4,7. Ebenda, File No. 33/1938 (C), Kisan Sabha Meetings. Ebenda, File No. 16/19351: Activity of Kisan Sabhas, Swami Sahajanand, S. 96. Sanskritisierung ist nach M.N. Srinivas der traditionelle Versuch niederer Kasten, im Rahmen der Kastenhierarchie aufzusteigen, indem sie auf den Genuß von Heisch und Alkohol verzichten und Sitten, Gebräuche und die Glaubensformen der Brahmanen Übernehmen. Vgl. Srinivas 1962, S. 42f. Swami Sahajanand Saraswati Private Papers, Nehru Memorial Museum and Library, New Delhi, Mikrofilm, Rolle No.l, The origin and growth of the Kisan movement in India, unveröffentlichtes Manuskript, S. 10. Die britische Kolonialverwaltung führte Ende des 18. und im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts in verschiedenen Regionen Indiens auf dem Lande unterschiedliche Steuerveranlagungssysteme ein. Das Samindari-System im östlichen und zentralen Indien brachte eine besonders reaktionäre Form des Grundbesitzes hervor. Eine Schicht von wenigen großen und vielen kleineren GrundheiTen (Samindare), die die Eigentümer des Bodens waren und dem Staat eine permanent festgelegte Steuer zahlen mussteo, hatte sich in parasitäre Rentenemp-
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fanger verwandelt. Unterschiedliche Schichten von Pächtern waren die eigentlichen Produzenten, wobei der Boden in der Regel von Unterpachten und Landarbeitern bearbeitet wurde. Unter dem Raiyatwari-System im Süden Indiens zog der Kolonialstaat periodisch erhöhte Steuern direkt von den Produzenten ein. Die raiyats oder Bauern selbst waren Eigentümer des Bodens, der allerdings auch hier meist von Pächtern und Landarbeitern bearbeitet wurde. BSCRO, a.a.O., File No. 16/1935 I: Activity of Kisan Sabhas, Swami Sahajanand, S. 54. Ebenda, File No. 16/1935 I: Activity of Kisan Sabhas, Swami Sahajanand, S. 91. H.D. Malaviya Papers, Nehru Memorial Museum and Library, a.a.O., III. Speeches and Writings by him. File No. 44, Reminiscences of Sahajanand Saraswati and U.P. Kisan Sabha (Hindi), S. 6. BSCRO, a.a.O., File No. 331/1938: Kisan Sabha Demonstrations, S. 30. N.G. Ranga, Homage to Swami Sahajanand Saraswati. In: N.G. Ranga Private Papers, Government of India, National Archives of India, New Delhi, S. 421. varna bezeichnet die vier Stände der ursprünglichen hinduistischen Kastenhierarchie: Die Brahmanen - Priester und Gelehrte - als die Gebildeten an der Spitze, die Kshatriyas - weltliche Machthaber, Politiker und Krieger - als zweiter Stand, die Vaishyas - Händler und obere Bauemkasten - als dritter Stand und die Masse der Produzenten, die Shudras - Arbeiter, Bauern und Dienstleistende - als vierter Stand. Außerhalb des Kastensystems befanden sich die sozial diskriminierten Parias oder Unberührbaren - manuell Tätige und niedere Dienste Leistende - , die von Gandhi zur gesellschaftlichen Aufwertung harijans - Kinder Gottes genannt wurden und die sich selbst im unabhängigen Indien als dalits - Unterdrückte - bezeichnen. Swami Vivekananda (1863-1902) wurde durch seinen Auftritt vor dem Weltparlament der Religionen 1993 in Chicago international bekannt. Er bemühte sich um die Aufwertung des Hinduismus durch radikale Erneuerung. Dazu gehörte der entschlossene Kampf gegen soziale und religiöse Praktiken, die seiner Meinung nach einer modernen auf Freiheit und Gleichheit basierenden Gesellschaft entgegenwirkten und die Nation schwächten. Die Rückbesinnung auf die Veden war auch bei ihm mit der Förderung von moderner Bildung für die Massen und für Frauen, von westlichem technischem Wissen verbunden. Er war nicht Initiator einer Bewegung, begründete aber im Jahre 1897 einen Mönchsorden, die Ramakrishna Mission, die seine Ideen verbreitete. Das Bamett House wurde 1913 im Gedenken an den Domherren (canon) Bamett gegründet, der als Pfarrer der Kirche St. Jude im Londoner Elendsbezirk Whitechapel mit seinen derzeit vielen jüdischen und irischen Immigranten im Jahr 1893 die Toynbee Hall etabliert hatte. In ihrem Ursprung geistig verwandt mit dem christlichen Sozialismus vermittelte diese Einrichtung Universitätsangehörigen das Studium sozialer Probleme in der Praxis und organisierte gleichzeitig Nachbarschafts- und Sozialarbeit unabhängig von der Glaubensrichtung der Klientel. Das Bamett House war seit 1919 im Auftrag der Universität Oxford zuständig für eine Ausbildung in Sozialarbeit, die Theorie und Praxis kombinierte. Die Ausbildung wurde als praktischer Bestandteil des Studiums Ökonomische und Politische Wissenschaften anerkannt. Eine Leihbibliothek mit modemer Literatur zu diesen Fachgebieten war im Bamett House untergebracht. Bamett House Archive, Oxford. Scheme of Training For Social Work, 1922. S. 2. N. Narayanamurti, Prof. Ranga. A Short Biographical Note. In: Ranga 1936, S. xvii. Bamett House Archiv, a.a.O., Register of Social Training, Students 1915-27, S. 31. Dinah Stock, N.G. Ranga. A Friend of Thirty Years. Tribute paid on his 54th birthday. (Reproduced from Vahini, Telugu weekly). Hiren Mukherjee, A Stalwart Departs. Tribute. In: The Hindu, 25.6.1995. R.G.K., Illustrated Weekly of India, 24.11.1963. In: Daruvuri Veerayya, Prof. N.G. Ranga. Souvenir, Hyderabad o.J., S. 15. Stock, a.a.O. Mukherjee, a.a.O. Ebenda. Peasant's Group of M.L.A.'s. Aims and Objects. In: Contemporary India (A National Quarterly), Lahore, I (1935) 4, S. 580.
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Der 187S von Dayanand Saraswati gegründete Arya Samaj war Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts die einflussreichste Bewegung für soziale Reformen in der HinduGesellschaft. Sie verband die Rückbesinnung auf die altindischen Veden mit der Ablehnung von Götzenverehrung, Kinderheirat und dem Prinzip der „Unberiihrbarkeit". Indem der Arya Samaj u.a. moderne Bildung in der Landessprache förderte, machte er größere Bevölkerungskreise mit Elementen der Moderne vertraut. Durch offensive Verteidigung der Hindugesellschaft gegen andere Religionen beförderte er jedoch auch das Klima des Kommunalismus, der bewussten und militanten Abgrenzung der verschiedenen indischen Religionsgemeinschaften voneinander. Swami Sahajanand Saraswati Private Papers, a.a.O., Rolle No. 4, June 1941 - Febr. 1942, Some notes, useful and important, Letter to Jamuna Karji, Central Jail Hazaribagh, 10.12.41, S. 20. Siehe Endnote 14. Vgl. Indian National Congress, Resolutions on Economic Policy Programme and Allied Matters (1924-1969), New Delhi 1969, S. 16. H.D. Malaviya Papers, a.a.O., II. Subject Files, File No. 4, S. 46. BSCRO, a.a.O., File No. 28 (VII)/1939: Note on the nature of the bakasht problem in Bihar: The origin of causes of the present agitation concerning bakasht lands, S. 4.
Aufforderung zum Wandel. Zur Botschaft indischer Filmemacher im antikolonialen Umbruch (1935-1947) Annemarie Hafner
Als im Jahre 1931 der erste Tonfilm aus einheimischer Produktion in Indien die Kinofans begeisterte - nur vier Jahre nachdem in Hollywood die laufenden Bilder sprechen gelernt hatten - durchlebte das Land stürmische Zeiten. Wiederum hatte eine antikoloniale Kampagne des zivilen Ungehorsams den gesamten Subkontinent erfaßt. Gleichzeitig wurden Gespräche am Runden Tisch über die künftige Gestaltung der Beziehungen zwischen der Kolonie und der britischen Krone geführt. Eins war deutlich: Der Kampf um nationale Eigenständigkeit hatte eine Massenbasis gefunden. Das war nicht zuletzt dem Wirken Mahatma Gandhis zuzuschreiben. Sein einfacher persönlicher Lebensstil, die Betonung der Gewaltlosigkeit in seiner politischen Taktik sowie seine sozialen Ideale hatten bei den Menschen in Stadt und Land positive Resonanz gefunden. Allerdings verknüpften die verschiedenen Bevölkerungsschichten äußerst unterschiedliche Interessen mit Gandhis Ideen und Handeln. Handwerker und Kleinunternehmer erwarteten von seinen konstruktiven Programmen wirtschaftlichen Aufschwung. Bauern hofften, daß er der Ausbeutung durch die Großgrundbesitzer ein Ende setzen würde. Plantagenkulis und Industriearbeiter versprachen sich eine Verbesserung ihrer materiellen Lage. Und die große Gruppe der Unberührbaren - Gandhi nannte sie harijans, Kinder Gottes - ersehnte nichts mehr als ein Ende ihrer sozialen Diskriminierung. Doch von all den politischen Kontroversen und Alltagssorgen war in dem ersten indischen Tonfilm nichts zu spüren. „Alam Ära" - der Titel bezog sich auf den Namen der weiblichen Hauptfigur - wollte nur unterhalten. Seine Mischung aus Musik, Gesang und Tanz wurde zum Markenzeichen indischen Kinos. Diese Eigenart kann nur erklärt werden, wenn man sie in den Kontext der indischen dramatischen Tradition einordnet1 (Vgl. Kasbekar 1996: 382,384). Der „Gesellschaftsfilm" und seine Zeit Wie jede andere kulturelle Ausdrucksform stellt auch indisches Kino eine Montage unterschiedlicher Einflüsse und ein vielschichtiges Gemenge von Wertvorstellungen dar. Konventionen des Sanskrit-Dramas sowie verschiedener Formen des Volkstheaters wurden im indischen Kino aufgefangen.2 Der indische Film enthält Sprache, Musik, Gesang, Tanz und dramatische Aktion und stellt damit das moderne Gegenstück des klassischen Schauspiels dar.3 Nicht zuletzt war jedoch die Begegnung mit westlichen Kulturtraditionen für bestimmte Variationen des indischen Kinos verantwortlich.4 So gab es seit der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre Versuche, Tonfilme ohne Musik, Gesang und Tanz zu produzieren, bzw. man wagte es, im Gegensatz zur Gepflogenheit des indischen Dramas eine Tragödie im europäischen Sinne auf die Leinwand zu bringen, d.h. einen Film mit der Niederlage des Helden enden zu lassen.
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Als zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Kino in Indien Fuß faßte, hatte die britische Kolonialherrschaft der indischen Kultur bereits eine neue Dimension verliehen. Das Kino entfaltete sich in einer Situation, die einerseits indische Kulturschaffende veranlaßte, sich westliche Denkweisen anzueignen, und sie andererseits dazu bewog, ihre eigene Identität zu überdenken und neu zu behaupten. Filmemacher blieben davon nicht unberührt. Sie nutzten nicht nur die entwickelte Technologie, sondern bezogen Position und griffen mit ihren Filmen in nicht zu unterschätzendem Maße in den Prozeß des Kulturwandels und der Kultursynthese ein. Deshalb kann man das indische Kino als Agens der Moderne bezeichnen.5 Der namhafte indische Filmhistoriker Ravi S. Vasudevan ist in seiner Abhandlung „Film Studies, New Cultural History and Experience of Modernity" auf das Kino als Produkt und Gestalter der Moderne eingegangen. Er diskutierte die These, daß Kino seinem Wesen nach eine Institution der Moderne sei. Zum einen, weil es Maschinen benutzt, geschaffen zur mechanischen Reproduktion von Bildern. Damit übte das Kino einen fundamentalen Einfluß auf die Art und Weise aus, wie die Tradition der bildlichen Darstellung gebrochen wurde. Zum anderen aber wird Kino auch als Vehikel der Moderne in sozial-institutionellem Sinne verstanden. Vasudevan schrieb: „The cinema's generation of the reproducible image allows for its extended circulation, and with it, the possibility of an extended circulation of subjectivity" (Vasudevan 1995b: 2809). Mit anderen Worten: Eine neue Sphäre von Öffentlichkeit wird eingeführt, die neue Erfahrungshorizonte schafft. Es waren Prozesse der gesellschaftlichen Transformation und des politischen Umbruchs in Indien, die die Genrepalette des indischen Kinos bereicherten. Zwei Aspekte waren vor allem wichtig. Erstens: Prominentes Agens gesellschaftlichen Handelns war das antikoloniale Projekt. Und zweitens: Die kolonial-kapitalistische Entwicklung hatte zu gesellschaftlichen Verwerfungen geführt, mit deren Folgen sich Politiker und Intellektuelle - und zu letzteren gehörten auch die Filmemacher auseinander setzten. Den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts kam in dem lang andauernden Ringen um nationale Eigenständigkeit eine besondere Bedeutung zu. Die Diskussion um den zukünftigen Entwicklungsweg des Landes, um Inhalte der sozialen und kulturellen Wiedergeburt Indiens, wurde mit zunehmender Intensität geführt. An dieser Debatte beteiligten sich auch Filmemacher, vor allem Regisseure und Drehbuchautoren. Ohne sich ausdrücklich mit parteipolitischen Zielen zu identifizieren, schalteten sie sich mit ihren spezifischen Mitteln in die öffentliche Meinungsbildung ein. Ihr Instrument der Kommunikation war der Film. Ihre Wahrnehmung gesellschaftlicher Veränderungen manifestierte sich in ihren cineastischen Produkten. Mit dem von ihnen geschaffenen „populären Film", der Vorstellungen von nationaler Identität mit sozialem bzw. kulturellem Wandel verband, bestimmten sie den .Zeitgeist" mit. Aruna Vasudev beschreibt diese Situation in ihrem fesselnden Buch „Liberty and Licence in the Indian Cinema": „Gradually, in small numbers, young people from good families, finally succumbing to the potential and fascination of this still new medium had started to enter the film world. Educated, cultivated, concerned with poliücal and social behaviour, theirs was an angry response to the complacent assumptions of an unbending morality. Century old ideas, rituals and customs - these were the questions that provided the subjects of many of their films." (Vasudev 1978: 54)
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Während der dreißiger und vierziger Jahre entstand ein Korpus von Filmen, den ich als eine Version „engagierten" Kinos definieren möchte. Die Schöpfer dieser Streifen waren sich der Unterschiede bzw. Spannungen zwischen verschiedenartigen Kulturen und Weltsichten bewußt. Sie benutzten die Kunstform Film, um soziokulturelle Probleme aufzugreifen und führten „Aktualität" ins Kino ein. Ihr Anliegen war es, Filme zu produzieren, deren Aussage mit ihren eigenen, persönlichen Idealen übereinstimmten. In seiner indischen Variante synthetisierte das „engagierte" Kino jener Zeit Visionen von svadesf sowie von kultureller und sozialer Erneuerung. Auf diese Variante der Filmkunst trifft in ganz besonderem Maße die Charakterisierung zu, die Anil Saari auf das indische populäre Kino im allgemeinen anwandte. Er schreibt: „Der Film wurde ein Agent der Befreiung von der dogmatischen idealistischen Welt der Moral und der Religion und von der Erniedrigung durch die Armut" (Saari 1986: 86). Die Identität des indischen Kinos wurde seit Mitte der dreißiger Jahre nicht mehr allein durch überkommene formale dramatische Konventionen, sondern zunehmend auch durch die Aussage seiner Filme bestimmt. Dabei fielen den einzelnen Filmgenres ganz unterschiedliche Aufgaben zu. Da gab es z.B. den mythologischen Film, der Episoden aus den großen Hindu-Epen gestaltete. Wir kennen des weiteren die sogenannten „devotionalen" Filme, die vom Leben bestimmter Heiliger erzählten, oder die Sensationsfilme, die ihren Charakter vor allem durch atemberaubende stunts erhielten. Eine andere Gruppe stellten die Historienfllme dar, deren Handlung sich auf bestimmte geschichtliche Ereignisse stützte. Am deutlichsten zeigten sich die Veränderungen im Aufkommen eines neuen Genres, des „Gesellschaftsfilms" oder des social film, wie er auch genannt wurde. Im Unterschied zu allen anderen Genres waren seine Sujets im Alltag angesiedelt und sein Anliegen war es, Reformvorstellungen oder Prozesse gesellschaftlichen Wandels zu unterstützen. Er basierte ,410t on traditional incidents or historié taies but life as it is lived in the present time", wie der Bombay Chronicle definierte. 7 Ravi Vasudevan, der bereits erwähnte indische Filmhistoriker, beschreibt den „Gesellschaftsfilm" mit folgenden Worten: „Set in modem times, the genre generates societal images that delineate ethical precepts raising questions of dignity, equality, honesty. The social referent is generally the plebeian or the déclassé' (Vasudevan 1989: 30). Die in Bild und Erzählung umgesetzte kreative Gesellschaftsbetrachtung enthielt sowohl Elemente der westlichen Moderne, knüpfte aber auch an eigenes Kulturerbe, z.B. Inhalte der Bhakti-Bewegung* an. Damit bot der „Gesellschaftsfilm" Raum fUr eine Kulturdebatte, in dem Filmemacher die moderne indische Identität verhandeln konnten.
Trends des „Gesellschaftsfilms" Wenn man Themen und Aussagen des „Gesellschaftsfilms" etwa um die Mitte der dreißiger Jahre mit denen gegen Ende der vierziger Jahre vergleicht, dann fällt auf, daß dieses Filmgenre in relativ kurzer Zeit selbst eine bestimmte Entwicklung durchlaufen hat. Während sich der social film in seiner Frühphase vorrangig mit traditionellen Verhaltensweisen auseinander setzte und religiös-orthodoxem Denken gegenüber eine kritische Haltung einnahm, behandelte er später soziale Spannungen in einer radikaleren Art und Weise. Er verwies ohne ein Blatt vor den Mund zu
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nehmen auf soziale Ungerechtigkeit, auf Armut und Elend in Stadt und Land. Häufig behandelte er in seiner späteren Phase Härten des Übergangs von einer agrarischen zu einer industriellen Gesellschaft unter Bedingungen kolonialer Abhängigkeit. In einzelnen Fällen ließ er dabei auch gesellschaftliche Utopien anklingen. Die Probleme, die die Filmemacher zunächst in ihren Werken ansprachen, wurden schon seit längerem in der indischen Öffentlichkeit diskutiert. Sie waren bereits von religiös-reformerischen Bewegungen im 19. Jahrhundert aufgegriffen worden. Solche Strömungen waren in den meisten Regionen Indiens verbreitet, und sie erfaßten alle wesentlichen Religionsgruppen. Zum einen waren sie durch Gedankengut der europäischen Aufklärung inspiriert, zum anderen fühlte sich die einheimische Bildungsschicht herausgefordert, den Lehren und Aktivitäten christlicher Missionare Eigenes entgegenzusetzen. Das Spektrum der Antworten auf diesen „Kulturstreit" reichte von Anstrengungen zu sozialer Reform bis hin zu revivalistischen Reaktionen. Universalistische und nationalistische Tendenzen waren in dem Reformdenken miteinander verquickt. Alle hinduistisch-reformerischen Bewegungen hatten sich im Rahmen der kolonialen Ordnung die Veränderung einzelner Aspekte der sogenannten traditionellen Gesellschaft, wie die Diskriminierung der niederen Kasten, die Verbesserung der Lage der Frauen, insbesondere die der Witwen, sowie die Abschaffung der Kinderheirat auf die Fahnen geschrieben. Oder sie konzentrierten sich im Stil philanthropischer Vereinigungen auf Sozial- und Bildungsarbeit. Häufig sprachen sie sich gegen eine rigide Kastentrennung und gegen die privilegierte Position der Brahmanen aus. Die in der Tradition verankerten gesellschaftlichen Mißstände blieben auch im 20. Jahrhundert ein akutes Problem, und Filmemacher sahen sich veranlaßt, sie in ihren cineastischen Produktionen ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken. Als direktes Bindeglied zwischen den religiös-reformerischen Bewegungen des 19. Jahrhunderts und dem Filmschaffen fast ein Jahrhundert später fungierte die Literatur. So diskutierte der sogenannte Reformroman traditionelle Verhaltensmuster und suchte einen Weg in die Moderne. Bekannte Romanciers dieser Art waren die Bengalen Rabindranath Tagore (1861-1941) oder Sarat Chandra Chatteijee (1876-1938), aber auch der Marathe Hari Narayan Apte (1864-1919). Diese Literaten wollten mit ihren Werken nicht nur unterhalten, sondern verbanden mit ihnen die Absicht, zu erziehen und Veränderungen im Verhalten der Menschen zu stimulieren. Genau das kam den Intentionen bestimmter Filmemacher in den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts entgegen. Sie brachten deshalb solche Romane auf die Leinwand und verliehen ihnen damit eine Resonanz, die sie in diesem Maße in einem Land, in dem die Masse der Bevölkerung Analphabeten waren, niemals gefunden hätten. An dieser Stelle soll auf zwei cineastische Werke verwiesen werden, die für die Verfilmung von Reformromanen beispielgebend waren und zu ihrer Zeit Furore machten. Das war zum einen „Devdas"9, ein Film des Regisseurs Pramatesh Chandra Barua (1903-1951) nach dem gleichnamigen Roman von Sarat Chandra Chatteijee10 im Jahre 1935. Das Buch (geschrieben 1901, veröffentlicht 1917) war seit seinem Erscheinen in Bengalen heftig umstritten. Einerseits enthielt es eine unterschwellige Kritik an der Haltlosigkeit der feudalen Elite. Andererseits verlieh S.C. Chatteijee in ihm einem romantischen, sensiblen Menschen Gestalt, dessen Anlage zur Selbstzerstörung vor allem bei der Jugend auf Verständnis stieß. Sie interpretierte im puritanischen Bengalen jener Zeit Devdas* Griff zur Flasche und sein ausschweifendes
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Leben nicht als Dekadenz, sondern als Zeichen von Rebellion. Und das trifft in gewisser Weise ja auch zu, besteht die Botschaft dieses Films doch letztlich im Protest gegen arrangierte Heiraten sowie gegen rigide soziale Schranken. Das „Devdas"-Thema beinhaltet alle notwendigen Ingredienzien eines Dramas: das Problem reicher Junge - armes Mädchen, die Faszination des verbotenen Alkohols, die Entschlossenheit des armen Mädchens, das Beste aus ihrem traurigen Schicksal zu machen und das Auftreten einer mitfühlenden Prostituierten. Der Film zeigt die Hauptperson Devdas als tragischen Anti-Helden, der zerrissen von inneren Konflikten und Leidenschaften schließlich an den gesellschaftlichen Konventionen zerbricht. Der bekannte Filmkritiker Chidananda Das Gupta artikulierte als intimer Kenner bengalischer Kultur und Psyche seine Sicht zu Reformroman und Film: „The historical importance of both Saratchandra and Barua lies in the fact that the male sex symbol they built up as weak hero in need of feminine domination was not just a creature of their fancy, but embodied a familiar type in real life, particularly in Bengal. It is the adolescent incapable of action to realise his own ambition, seeking Solution in escape, who drowns himself in a lake of unrequited love after writing a lot of puerile verse; the adolescent who has not yet become a man - and will never be." (Das Gupta 1981: 51) Eines steht zweifelsfrei fest: Mit seinem Film „Devdas" hatte P.C. Barua in Indien neue kommerzielle wie künstlerische Erfolgsmaßstäbe gesetzt. Das andere Werk ist der Film „Duniya Na Mane" (Die Welt billigt es nicht) in seiner Hindi- bzw. „Kunku"11 in seiner Marathi-Version aus dem Jahre 1937. Der Regisseur war Shantaram Rajaram Vankudre, der sich selbst V. Shantaram12 nannte (1901-1990). Die Geschichte basiert auf einem Roman von Hari Narayan Apte13 (Vgl. Gokhale 1998: 121), dessen Erscheinen zu Beginn der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts bereits literarisches Aufsehen erregt hatte und der von der hinduistischen Orthodoxie heftig attackiert worden war. Er erzählt vom Schicksal eines jungen Mädchens, das mit einem alten Mann verheiratet wird. Selbst um die Mitte der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts war das Thema des Films noch außerordentlich provokativ. Die Ehe galt als sakrosankt, der Ehemann als der unumstrittene Gebieter und der Ehestand als die Bestimmung einer Frau. Im Film verleiht ein junges Mädchen seinem Protest gegen die Verheiratung mit einem alten Witwer dadurch Ausdruck, daß es den Vollzug der Ehe verweigert. Der Verlauf der Handlung zeigt, wie aus einem sorglosen Teenager eine selbstbestimmte Frau wird. Und der Witwer, der sowohl Phasen der Wut wie der Frustration durchlebt, endet in zerstörerischen Schuldgefühlen durch Selbstmord. Im Drehbuch nahm Shantaram im Vergleich zum Original eine geringfügige, aber schwerwiegende Änderung vor. Während der Roman andeutet, daß das Mädchen vor ihrer Hochzeit einen anderen, jungen Mann liebte, vermied Shantaram diesen Bezug. Die Begründung lieferte er in seiner Autobiographie: „Sie wäre dann eine Heldin gewesen, die nicht gegen die an ihr verübte Ungerechtigkeit Widerstand leistet, sondern sich aufgrund der Enttäuschung über das Scheitern ihrer Liebe zur Wehr setzt. Das gefiel mir nicht. Ich wollte ausschließlich den Kampf nachzeichnen, den sie voller Selbstbewußtsein gegen die an ihr verübte, unverzeihliche Ungerechtigkeit führte." (Shantaram 1987: 221) Shantaram hat diesen Roman verfilmt, obwohl sich seine Partner dagegen aussprachen. Zum einen fürchteten sie, Traditionalisten zu verletzen, und zum anderen,
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kein Publikum zu finden. Sie sollten Unrecht behalten. Der Film wurde ein Kassenschlager und erhielt bewundernde Besprechungen (Vgl. Garga 1996:102). Sujets des späteren „Gesellschaftsfilms" Aber nicht nur die geistige Nähe zu den Reformbewegungen des 19. Jahrhunderts spiegelte sich in den Sujets wider, die Autoren und Regisseure in den „Gesellschaftsfilm" einbrachten. Vor allem waren es die Herausforderungen ihrer realen Lebenswelten, die sie veranlaßten, soziale Themen zu gestalten. Zweifellos waren die späten dreißiger, vor allem aber die vierziger Jahre, durch eine spezifische gesellschaftliche Dynamik geprägt. Die Bewegung für politische Souveränität hatte die Massen ergriffen und mit der Zielstellung purn svaräjya (völlige Unabhängigkeit) und einer sozial-radikalen Perspektive eine neue Qualität gewonnen. Unruhe gärte im städtisch-industriellen Milieu wie in den Dörfern. In der „Quit India"-Bewegung nahm der Kampf um nationale Unabhängigkeit eine neue Dimension an. Hinzu kam die Hungersnot in Bengalen, die etwa drei Millionen Tote forderte. Der Zweite Weltkrieg beschleunigte die eingeleiteten politischen und sozial-ökonomischen Prozesse. Er erzwang einen beachtlichen Industrialisierungsschub, der die Schicht der Wohlhabenden auf der einen Seite wie die der Unterprivilegierten auf der anderen vergrößerte. In der Debatte der Politiker und Intellektuellen um die Reformierung der indischen Gesellschaft spielten nicht mehr nur liberale und demokratische Ideen eine Rolle. Jawaharlal Nehm hatte im Jahre 1929 den Begriff „Sozialismus" in das politische Vokabular des Indischen Nationalkongresses eingeführt, und Politiker, Intellektuelle und Künstler suchten nach gesellschaftlichen Alternativen zum kolonialkapitalistischen Gesellschaftssystem. Indien hatte ein Stadium erreicht, wo es nach eigenen Vorstellungen und in eigener Verantwortung zu einem Einvernehmen mit der modernen Welt kommen wollte. Dabei wollte es sich aber nicht abkapseln. Der Gedanke der Solidarität mit und zwischen den um ihre Unabhängigkeit ringenden Völkern fand seinen Weg aus der Politik in die Öffentlichkeit. Dieses neue Selbstbewußtsein veränderte das gesamte kulturelle Leben. Das spiegelte sich u.a. in der Literaturszene wider. Prominente indische Schriftsteller versammelten sich in der Progressive Writers' Association. Der herausragende Romancier Premchand (1880-1936) präsidierte über die erste Sitzung (1936). Unter den Begriff „progressiv" subsumierten die Literaten „all that arouses in us the critical spirit" (Vgl. Bhatia 1996: 141). Das Gründungsmanifest unterstrich die engen Beziehungen zwischen Kunst und Gesellschaft und rief die Künstler auf, „to bring the arts into closest touch with the people", indem sie sich der Probleme „of hunger and poverty, social backwardness and political subjugation" annahmen (Vgl. Sarkar 1983: 342-343). Ein anderes Ereignis, das ebenfalls direkten Einfluß auf das Kino ausübte, war die Gründung der Indian People's Theatre Association im Jahre 1943, die volkstümliche Formen des Theaters aufgriff und ihnen aktuelle politische Inhalte unterlegte. Die Leidenschaftlichkeit, mit der die Auffuhrungen dieser Vereinigung das nationale Anliegen vertraten und die Schärfe, mit der sie soziale Mißstände zur Sprache brachten, zogen ein breites Publikum in ihren Bann.
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Die wenigen Filme, die an dieser Stelle vorgestellt werden können, stehen paradigmatisch für den „Gesellschaftsfilm" jener Zeit. Mit ihren aus dem Alltagsleben gegriffen Problemen luden sie die Zuschauer ein, sich nach unterschiedlichen Kriterien, z.B. dem Geschlecht, der Klasse oder der Nationalität mit den Filmhelden zu identifizieren (Vasudevan 1995: 307). Eine Reihe von Filmen reflektierte die unterschiedlichen sozialen Spannungen in der indischen Gesellschaft. Indem sie z.B. auf die Ungleichheiten der hinduistischen Kastengesellschaft hinwiesen, griffen sie die Aufforderung Gandhis und anderer reformerischer Kräfte auf, der Diskriminierung der untersten und ausgegrenzten Gruppen entgegenzutreten. Ein herausragendes cineastisches Ereignis war in diesem Zusammenhang der Film „Achut Kanya" (Das unberührbare Mädchen)14 aus dem Jahre 1936. Dieser Film war ein außerordentlicher Erfolg sowohl was die Kasseneinnahmen, die Länge der Laufzeiten wie die Zuschauerzahlen betraf. Er wurde in Indien im Jahre 1937 zum „Film des Jahres" gekürt und gilt heute als der Prototyp des frühen sozialkritischen Hindi-Films (Vgl. Koch 1986: 139). Millionen von Kinobesuchern in ganz Indien vergossen Tränen der Sympathie für ein schönes Mädchen, das der Kastengruppierung der Unberiihrbaren angehörte (die sich heute dalits, d.h. Unterdrückte nennen) und ein Opfer von Fanatismus und Intrige wurde. Dieser Film wird heute als Klassiker betrachtet. Seine Geschichte rankt sich um die Freundschaft zwischen einem Brahmanen und einem „unberiihrbaren" Weichensteller bei der Eisenbahn und der letztlich an den Kastenschranken scheiternden, tragisch endenden Liebe ihrer Kinder. Der Arbeitstitel des Films „Level-crossing" weist auf die „ikonische Resonanz" (Vasudevan 1995b: 2811) des Sujets hin. Er enthält eine Anspielung nicht nur auf das Transportmittel Eisenbahn und seine sich kreuzenden Strecken, sondern auch auf den Ort des Überschreitens sozialer Formen und Normen mit der Funktion eines demokratisierenden Agens. Sowohl der Status der Frau in der indischen Gesellschaft wie die Misere der Bauernschaft wurden in jener Zeit gleichermaßen heftig diskutiert. Ein Film, der diese beiden Problemkreise in beeindruckender Weise thematisierte, war „Aurat" (Die Frau; 1940)15. Regisseur war Mehboob Khan Ramzan Khan (1909-1964), genannt Mehboob oder Mehboob Khan. In ärmlichen Verhältnissen auf dem Lande in Bilimoria (Gujarat) aufgewachsen, verließ er sechzehnjährig sein Elternhaus und ging nach Bombay mit dem Ziel, für den Film tätig zu sein. Er war ein frommer Muslim, und ohne Kommunist zu sein, wählte er Hammer und Sichel als Logo für sein eigenes Studio, das er 1952 gründete. Seine 22 Filme lassen sich unterschiedlichen Genres zuordnen. In einigen (u.a. auch „Roti'VBrot; 1942) prangerte er soziale Mißstände an. „Aurat"16 schildert das mühselige Leben einer Bäuerin, die ihre Söhne allein erhalten muß, nachdem ihr Mann sie verlassen hat. Sie hat mit Dürre und Schulden zu kämpfen. Der Fokus liegt auf dem Wert, den die Frau ihrer Keuschheit selbst während einer Hungersnot beimißt, und der Liebe, mit der sie ihre Kinder großzieht. Diese Qualitäten helfen der Familie und darüber hinaus der Dorfgemeinde, Krisen zu überwinden. Mit zu großer Nachsicht duldet sie zunächst Fehltritte ihres jüngsten Sohnes. Als dieser jedoch zum Banditen und zu einer Bedrohung für das Dorf wird, tötet die Mutter ihn und stirbt an gebrochenem Herzen. „Aurat" war nicht nur ein Hohelied auf die Frau als Mutter. Der Film gestaltete auch die Verbundenheit des Bauern mit seinem Land. Dabei wird in allen Charakteren und Situationen soziale Gerechtigkeit angemahnt. Der Geldverleiher wird zum
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Symbol unrechtmäßig erworbenen Wohlstands und der Ausbeutung der armen Dorfbewohner. Seinetwegen verlor die Frau ihren Ehemann, und er bedrohte ihre Keuschheit. So wird er auch zum Gegenstand der Rache für den Sohn, der als Sozialbandit bezeichnet werden kann. Dennoch stellt die Mutter ihre Pflichten gegenüber der Dorfgemeinschaft über das Leben ihres Sohnes und tötet ihn.
Abb. 14: „Aurat" (Die Frau; 1940) Abb. 15: „Dharti Ke Lal" (Kinder der Erde; 1946) Die Inspiration für den Film ,Aurat" hatte Mehboob Khan durch den MGM-Film „The Good Earth" erhalten, dem ein Roman von Pearl S. Buck über das Leben einer chinesischen Bauemfamilie zugrunde lag (Vgl. Reuben 1994: 68). Er erkannte sofort, daß das Thema und die Geschichte für Indien gleichermaßen relevant waren. Auf eigene Erfahrungen während seiner Kindheit in Gujarat zurückgreifend, gelang Mehboob Khan ein authentischer Film über das Leben der indischen Bauern. Der Streifen gewann sofort die Herzen des Publikums sowie das Lob der Presse. K.A. Abbas schrieb im Bombay Chronicle: „... from the heart of rural India is drawn the story which is familiar because it is elemental, eternal."17 Und die Zeitschrift Filmindia nannte das Werk enthusiastisch „a dynamic document of realistic village life as found in our 700.000 villages ... for its sheer documentary value, this picture will remain a milestone for a long time to come"18. Die indische Filmzeitschrift Star & Style schrieb im Jahre 1970 rückblickend: „Though there had been films on rural life before, this one tore the veil from many of its sordid aspects. Scenes of the dry,
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split earth, the famine with the vultures hovering over the dead bodies and so on created quite a stir." 19 Die beiden anderen Filme, die an dieser Stelle als Beleg herangezogen werden, sind in unterschiedlicher Art und Weise mit dem Schaffen von Khwaja Ahmad Abbas (1914-1987) verbunden. Dieser Journalist, Filmkritiker und Literat war ein Gründungsmitglied der Indian People's Theatre Association. Mit Unterstützung dieser Vereinigung schuf Abbas im Jahre 1946 seinen Film„Dharti Ke Lal" (Kinder der Erde), der die Verschuldung von Bauern im Kontext der Hungersnot in Bengalen im Jahre 1943 zum Gegenstand hatte. In diesem Werk verwirklichte er sein Credo als Filmemacher: „The tradition of social realism - the truthful depiction of society - which, according to my way of thinking, is the final essence and ultimate purpose of the film art." 20 Der Streifen zeigt eine Familie, die zusammen mit anderen Dorfbewohnern nach Kalkutta ging, um dort Arbeit zu suchen. Die Bedingungen, die sie in der Stadt vorfinden, sind menschenunwürdig. Dennoch endet der Film hoffnungsvoll. Einige der Bauern entschließen sich, ins Dorf zurückzukehren. Sie gründen eine Genossenschaft und bringen mit vereinten Kräften eine gute Emte ein. Abbas, der viele Jahre lang als politischer Kolumnist für den Bombay Chronicle tätig war, machte in diesem Film die Ursachen für die Hungersnot in Bengalen deutlich. Sie war - seiner Ansicht nach - nicht nur die Folge einer Dürreperiode, sondern auch der Geldgier der indischen Großhändler und der Gleichgültigkeit der britischen Kolonialadministration geschuldet. Der Film „Dharti Ke Lal" wurde in der indischen Presse sehr gelobt. Als er jedoch in die Kinos kam, waren in Bombay und in anderen Städten heftige kommunalistische Unruhen ausgebrochen. Sperrstunden wurden angeordnet. Mit den geschlossenen Kinokassen war das Schicksal dieses Films besiegelt (Garga 1996: 134). Der bekannte indische Regisseur Satyajit Ray räumte Abbas* Werk sofort einen herausragenden Platz in der indischen Filmgeschichte ein. Schon im Jahre 1948 schrieb er: „There have been rare glimpses of an enlightened approach in a handful of recent films. IPTA's Dharti Ke Lal was an instance of a strong simple theme put over with style, honesty and technical competence" (Ray 1976: 23). Mit seinem Debüt als Regisseur leitete Abbas einen Trend neo-realistischen Kinos in Indien ein, der zu Beginn der fünfziger Jahre seine eigentliche Ausprägung fand. 21 Im Jahr 1946 konnte Abbas auch den Regisseur Shantaram, der sich mit einer Reihe gesellschaftskritischer Werke einen Namen gemacht hatte, dazu überreden, seine Novelle „And One Did Not Come Back" zu verfilmen. Der in den Kinos sehr erfolgreiche Film wurde unter dem Titel „Dr. Kotnis Ki Amar Kahani" (Die unsterbliche Geschichte des Dr. Kotnis) gezeigt. Er erzählte vom Schicksal des jungen indischen Mediziners Dwarkanath Kotnis, der als Mitglied eines Ärzteteams auf Initiative des Indischen Nationalkongresses nach China ging und sich dort der Volksbefreiungsarmee anschloß. Kotnis arbeitete mehrere Jahre lang in Hospitälern an der Front, ständig unter einfachsten und meist auch unter lebensgefährlichen Bedingungen. Er war erst kurze Zeit mit einer chinesischen Krankenschwester verheiratet, als er ums Leben kam. Auch dieses Filmprojekt war eine Pionierarbeit. Zum einen wurde damit in Indien zum ersten Mal die Biographie eines Zeitgenossen verfilmt, zum anderen wurde - ebenfalls erstmalig - auf die Solidarität mit anderen unterdrückten Völkern Bezug genommen, eine Haltung, die in jenen Jahren in politischen, intellektuellen und
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Künstler-Kreisen aufkam.22 Die Filmzeitschrift Star & Style bezeichnete im Jahre 1971 den Streifen rückblickend wegen seiner unterschwelligen politischen Aussage als mutig: „The real motive ... was to make a forceful plea for India's own freedom, under the garb of showing the woes of aggression suffered by another country."23 Der „Gesellschaftsfllm" und sein Produktionsmilieu George A. Huaco legte in seinem Buch „The Sociology of Film Art" dar, daß unter bestimmten sozial-historischen Voraussetzungen eine stilistisch einheitliche Filmwelle mit einer spezifischen Ideologie entstehen kann, die so lange anhält, wie diese Voraussetzungen andauern. Die Bedingungen für das Entstehen und die Dauer einer solchen Filmwelle sind in der entsprechenden politischen Atmosphäre wie in den künstlerischen Traditionen der betreffenden Gesellschaft angesiedelt. Des weiteren erfordert eine solche Filmwelle eine kohärente Gruppe von Regisseuren und Schauspielern, Produktionsstätten, die mit der notwendigen Technik ausgestattet sind sowie eine Organisationsform der Filmindustrie, die mit der politischen Ideologie jener Zeit übereinstimmt. Wenn eine oder mehrere dieser Bedingungen verschwinden, läßt die spezifische Filmwelle nach und verebbt schließlich. Es war eine solche bestimmte historische Situation, die den indischen „Gesellschaftsfilm" der dreißiger und vierziger Jahre hervorgebracht hatte. Gleichzeitig war ein spezifisches Produktionsmilieu entstanden, das es ermöglichte, die technischen Anforderungen und die notwendigen finanziellen und personellen Aufwendungen zu befriedigen sowie die Intentionen der Filmemacher zu verwirklichen. Der australische Historiker Brian Shoesmith untersuchte in seinem Aufsatz „From Monopoly to Commodity: The Bombay Studios in the 1930s" die verschiedenartigen Voraussetzungen für ein erfolgreiches Filmschaffen in jener Zeit und beschrieb in diesem Zusammenhang die Herausbildung von Filmstudios als autarke Produktionseinheiten. Diese Studios, die er als „a creative force in Indian film history" heraushob, charakterisierte er als „product of a discursive formation which emerged from the activities of a group of Indian filmmakers... They sought to organize the film industry along particular lines, through the formation of professional, commercial and industrial organizations designed to regulate film practice in India with the studios as their centre piece" (Shoesmith 1987: 67). Auf zwei unterschiedliche, aber miteinander in Verbindung stehende Faktoren, die für die Herausbildung und die Dominanz der Studios im indischen Filmgeschäft der dreißiger und vierziger Jahre ausschlaggebend waren, soll hier hingewiesen werden. Erstens: Die Gründung von Studios war mit der Einführung des Tonfilms notwendig geworden. Die bisherige Art und Weise der Filmproduktion, die den Bedürfnissen des Stummfilms angepaßt war, genügte den neuen Ansprüchen nicht mehr. Beträchtliche finanzielle Aufwendungen waren für die Ausstattung mit der neuesten Tontechnik, für schalldichte Aufnahmeräume, für künstliche Beleuchtung und vieles mehr erforderlich. In den neuen, gut ausgerüsteten Studios fand sich ein sorgfältig ausgesuchter Technikerstab zusammen, außerdem standen Schauspieler, Autoren, Regisseure, Produzenten und Musiker in großer Zahl auf ihren Gehaltslisten.
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Zweitens: Das Studio-System nach dem Vorbild des Hollywood-Modells (Vgl. Burra 1981: 54) erschien den indischen Filmproduzenten damals das geeignetste, um das Filmgeschäft mit finanziellem Erfolg zu betreiben. Es bot sich an, wenn man alle Aspekte des Unternehmens Film - Produktion, Vertrieb und Vorführung von einem, nämlich dem eigenen Zentrum aus, kontrollieren wollte. John A. Lent schrieb in seinem Aufsatz „Heyday of the Indian Studio System: The 1930s": „Whatever the reason - crass commercialism or high-minded social consciousness the development of production units into closely-knit studios had profound impacts upon Indian film" (Lent 1983: 466). Mit Blick auf die organisatorischen, materiellen und ökonomischen Voraussetzungen konstatierte Brian Shoesmith, „that the studio system in India arose out of a particular stage in the development of capital formation in India" (Shoesmith 1987: 68). In gewisser Weise war die „Studio-Ara" tatsächlich eine der spannendsten Perioden in der indischen Filmgeschichte. Sie legte die Grundlagen für eine gesamtindische potente Filmwirtschaft und bildete zudem eine ganze Generation von Regisseuren und Technikern, von Filmschauspielern und -Schauspielerinnen heran, ein Phänomen, dessen Bedeutung für den kulturellen Wandel in Indien nicht unterschätzt werden sollte. Und sie generierte nicht zuletzt den Dialog indischer Filmemacher mit einem enthusiastischen Publikum. Es ist unbedingt darauf aufmerksam zu machen, daß das industrialisierte Filmstudio keineswegs die Flügel schöpferischer Filmemacher beschnitt. Im Gegenteil belegen die Fakten, daß die besten Werke von P.C. Barua, V. Shantaram, Mehboob Khan und anderen im strukturellen Rahmen des Studiosystems entstanden. Ich möchte deshalb die von diesem spezifischen Produktionsmilieu geprägten Werke des „Gesellschaftsfilms" in die Kategorie des „Autorenfilms" 24 einordnen. Dieses filmtheoretische Konzept versteht den Regisseur als den eigentlichen Schöpfer eines Films, und der Film wird als Ausdruck der Persönlichkeit seines „Machers" betrachtet (Vgl. Knight 1999: 463). Die indischen Streifen dieser Kategorie hoben den Unterschied zwischen populärem Film und Kunstfilm auf. Sie hatten den Beweis erbracht, daß Qualität und kommerzieller Erfolg sich nicht gegenseitig ausschlössen. Es besteht kein Zweifel daran, daß es in Indien während der dreißiger und vierziger Jahre eher die Namen der Filmemacher als die der Stars waren, die die Massen ins Kino zogen. Jedes Studio besaß ein bestimmtes Image und eine spezifische Identität. Nach der Wahl des Sujets und der Art seiner Behandlung und Darstellung ließ sich leicht feststellen, aus welchem „Stall" ein Film kam.
Die „großen Drei" Wenigstens drei der Studios mit ihren herausragenden Filmemachern und ihren besten Produktionen auf dem Gebiet des „Gesellschaftsfilms" sollen näher vorgestellt werden. Sie werden häufig die „großen Drei" genannt: das waren New Theatres Ltd. in Kalkutta, Prabhat Film Company in Pune und Bombay Talkies in Bombay. New Theatres Ltd. wurde in Kalkutta im Jahre 1930 von B.N. Sircar gegründet. Es gelang Sircar, schreibt Rani Burra, „to collect around himself a group of very talented men whose enthusiasm was not easily dampened" (Burra 1981: 55). Die New Theatres waren bekannt für ihren „elitären" Stil, für ihren Ästhetizismus und für ihr kulturelles Selbstverständnis. Es waren weniger Arbeiter wie in anderen in-
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dischen Großstädten, sondern Mittelschichten, vor allem intellektuelle Kreise, die in Kalkutta ins Kino eilten, um diese Filme zu sehen, vermutlich, weil sie ihre eigene Befindlichkeit so treffsicher widerspiegelten. Einem Regisseur dieses Studios gelang es in besonderem Maße, den gesamtindischen Markt zu erobern und landesweit die Zuschauer mit seinen Gegenwartsthemen anzusprechen. Es war der schon erwähnte P.C. Barua, dessen Erfolgsserie mit „Devdas" im Jahre 1935 begann. In seinem Aufsatz „Barua: Legend and Reality" schreibt Chidananda Das Gupta: „No personality in the cinema had established more identity between his private life and the films he created, the roles he played. His films were not objective records or interpretations of the work of others; they were intensely personal. He did not merely make Debdas. He was 'Debdas'." (Das Gupta 1981:49) In einem Rückblick aus dem Jahre 1984 wird „Devdas" als epochemachend und Markstein in der Geschichte des indischen Tonfilms bezeichnet. Es heißt: „A complete departure from the hackneyed path, .Devdas' ushered a new era, gave depth of emotion to our motion pictures and brought film closer to life and literature. This helped revolutionise the public taste. " 2 5 Pramatesh Chandra Barua war der älteste Sohn des damaligen Rajas von Gauripur. Ihm wird ein flamboyanter Lebensstil nachgesagt. So soll er häufig, seinen Lieblingselephanten reitend, in den Dschungeln Assams Tiger gejagt haben bzw. mit einem Sportwagen neuester Bauart, einen Leoparden an seiner Seite, durch die Straßen Kalkuttas gebraust sein. Nachdem er im Jahre 1924 sein Studium am Calcutta Presidency College abgeschlossen hatte, ging er nach Paris, um Kunstgeschichte zu studieren und entdeckte dort sein Interesse für das europäische Kino. Nach Indien zurückgekehrt, war er in den Jahren von 1928-1936 als Mitglied der Assam Legislative Assembly tätig. Im Jahre 1932 schloß er sich dem New TheatresStudio an. Sein zweiter Film für dieses Unternehmen, der schon erwähnte „Devdas", begründete seinen Ruhm in ganz Indien. Der Bombay Chronicle kommentierte: „Reports from the ten cities in every part of India where New Theatres' now famous classic Devdas is being shown are unanimous that this brilliant picture is the highest peak of Indian screen achievement." Und er fügte hinzu: „At Lahore it has run several weeks and still packs the house to capacity as it is doing in Bombay in its twelfth week. People everywhere claim to have seen the picture half a dozen times and look forward to doing so again." 26 Der Film erwies sich als Kassenschlager, aber auch die Kritiken waren des Lobes voll. Zwei Kalkuttaer Kritiker meinten, „Devdas" habe den gesamten „Gesellschaftsfilm" revolutioniert.27 P.C. Barua war es gelungen, in der Öffentlichkeit heiß diskutierte soziale Probleme filmkünstlerisch so umzusetzen, daß er den Nerv seiner Zeitgenossen traf. Darüber hinaus war er offensichtlich ein außerordentlich innovativer und risikofreudiger Filmemacher. So war „Devdas" nicht nur einer der ersten Filme, der den Alltag indischer Menschen abbildete, er ist auch als die erste Tragödie in die indische Filmgeschichte eingegangen. P.C. Barua setzte seine Erfolgsserie mit Filmen fort, die melancholische Liebesgeschichten erzählten und die bengalische Oberschicht in nihilistischer Weise porträtierten. In ihnen warf er wiederholt das Problem der individuellen Freiheit auf. Damit berührte er ein Thema, das für wohlhabende und gebildete Bengalen in einer im wesentlichen vom Gemeinschaftsethos der Kaste oder Großfamilie geprägten
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Gesellschaft auf dem Weg zur Moderne von außerordentlicher Relevanz war. In seinem Streifen „Mukti" (Befreiung; 1937) z.B. wird das Dilemma zwischen Selbstverwirklichung und Konformität durch Verzicht und Tod gelöst.28 P.C. Barua scheute sich nicht, in seinen Filmen geltende Konventionen zu verletzen. So plädierte er z.B. in „Zindagi" (Leben; 1940) - dem letzten Streifen bei New Theatres - für eine nichteheliche Beziehung zwischen Mann und Frau.29 Die Filmzeitschrift Star & Style kommentierte im Jahre 1971 rückblickend die Gestaltung dieses Tabu-Themas: „Though the film portrayed it as a .Platonic' friendship and kept conventionalism partly satisfied by keeping out physical love and finding a solution through eternal separation, yet the suggestion of the shape such relationship would take in a more liberal future was quite obvious."30 Die Prabhat Film Company wurde im Jahre 1929 von vier marathischen Filmemachern in Kolhapur gegründet. Seit 1933 hatte sie ihr Domizil in Pune. Die jungen Männer stammten alle aus armen Familien, und keiner von ihnen hatte eine nennenswerte formale Bildung genossen. Es waren die Universitäten des Lebens, denen sie ihre Kenntnisse und Erfahrungen verdankten. Das Filmgeschäft hatten sie von der Pike auf in Baburao Painter's Maharashtra Film Company in Kolhapur erlernt Als der Meister ihnen zu wenig Spielraum zur Verwirklichung ihrer Ideen ließ, verließen sie ihn und machten sich selbständig. Einer der jungen Leute war V. Shantaram. Er begann seine Karriere als Regisseur wie viele indische Filmemacher jener Zeit mit mythologischen bzw. quasihistorischen Streifen. Im Unterschied zu anderen in diesem Genre war er aber nicht nur um eine erfinderische Kameraführung bemüht, sondern ihm lag auch die soziale Botschaft seiner Produktionen am Herzen. Sein Anliegen war es, nicht nur zu unterhalten, sondern Geschichte und Mythologie im Lichte der zeitgenössischen Realität zu interpretieren und damit zur Lösung von gesellschaftlichen Konflikten beizutragen. Im Jahre 1941 kleidete er seine Befindlichkeit als Zeitzeuge und Künstler in folgende Worte: „No creative artist ... could fail to recognise what was going around him and to reflect in his art something of the burning issues of the day, something of the contemporary scene apart from pure entertainment." Und auf seine cineastische Tätigkeit bezogen sagte er: „A film producer could not reasonably hesitate to take up a theme that deals with an economic or social condition obviously crying for adjustment and correction."31 In einem Interview, das er im Jahre 1980 gab, faßte er seine filmischen Intentionen in folgenden Worten zusammen: „I never produce pictures for escapist entertainment. I thought from the beginning that the cinema medium should be utilised for the good of society, for the good of the people" (Vasudev/Lenglet 1983: 287). Wegen Problemen mit der Produktion eines Farbfilms reiste Shantaram 1933 nach Deutschland. Die Arbeit in den Ufa-Studios und die Begegnung mit dem deutschen „Kammerspiel-Film" haben seine filmschöpferischen Auffassungen zweifellos beeinflußt. Gleichzeitig geht aus seiner Autobiographie hervor, daß ihn das überhebliche, nahezu rassistische Verhalten einiger Deutscher in den Filmwerkstätten gekränkt hatte (Shantaram 1987: 168ff). Nach Indien zurückgekehrt, sprach er in seinen Filmen für das Studio Prabhat ausschließlich sozialkritische Fragen an. Im Jahre 1980 hielt er Rückschau und stellte fest: „My point of view is that unless we inspire not only women, but people
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- untouchables and so many others - unless we create that passion in them to fight, I don't think we can do anything" (Vasudev/Lenglet 1983: 288). Es war vor allem die Frauenfrage, die ihn um die Mitte der dreißiger Jahre stark beschäftigte. Im schon erwähnten Interview faßte er seine lebenslange Haltung dazu mit den Worten zusammen: „... half of the world's population is made up of women and unless their conditions are improved it is not possible to have a happy society" (Vasudev/Lenglet 1983:286). Die Filme „Amar Jyoti" (Die ewige Flamme; 1936), „Duniya Na Mane" (1937) und „Admi" (Der Mann bzw. „Manush" in Marathi; 1939) stellen praktisch eine Trilogie dar, in der er sich mit dem Status der Frau in der indischen Gesellschaft auseinander setzte und dabei Partei für die Rechte des sogenannten schwachen Geschlechts ergriff. In seiner Autobiographie geht Shantaram auf die Überlegungen ein, die ihn veranlaßten, die Forderung nach gesellschaftlicher Gleichstellung von Männern und Frauen in jener Zeit nachdrücklich zu unterstützen. Er schreibt: „Einige Frauen begannen die Berufe der Medizinerin, Professorin und Anwältin auszuüben, manche - wie etwa Sarojini Naidu und Kamala Nehru - gingen sogar in die Politik, dennoch wurden die Vorstellungen von der Befreiung der Frauen zu dieser Zeit keinesfalls von der Gesellschaft akzeptiert. Insofern war es ausgesprochen schwierig, Erfolg mit einem Film zu haben, der so moderne Forderungen artikulierte, wie etwa nach der .Befreiung der Frau aus der Versklavung durch den Mann'." (Shantaram 1987: 199) Es waren diese Gründe, die ihn bewogen, für . A m a r Jyoti" 3 2 einen Hintergrund zu wählen, der nicht in der Gegenwart angesiedelt war und dennoch sein Anliegen deutlich werden ließ. Mit „Duniya Na Mane" ließ er das historische Genre hinter sich. Sein erster „Gesellschaftsfilm" wurde zu einem Fanal des Protestes gegen die Ungerechtigkeit des Mannes gegenüber der Frau. Selten hatte es bisher einen Film gegeben, der begeisterte Kritiken erhielt und gleichzeitig neue Einnahmerekorde verbuchen konnte. Mit „Duniya Na Mane" hat Shantaram zweifellos indische Filmgeschichte geschrieben: Kein Film vorher hatte so vehement ein soziales Übel attackiert, das seinen Platz in der Lebensweise der Orthodoxen, der Reichen und der Mächtigen hatte; kein Film vorher hatte einer Filmheldin eine derart rebellische Rolle gegeben; lind kein Film vorher hatte hilflose Opfer überkommener Traditionen so eindringlich aufgerufen, sich zu wehren und ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Im Jahre 1970 urteilte die indische Filmzeitschrift Star & Style über diesen Film: „If there is one classic of the Indian cinema tackling a burning social problem, that has left an everlasting mark on the pages of film history as well as on the minds of the cinegoers of that generation, it is easily the 1937 film ... about a young woman's determined fight against the cruel system of young maidens being married off to aged men. " M Shantarams nächster Film „Admi" 3 4 mit dem englischen Titel „Life is for Living" behandelt die Beziehung zwischen einer Prostituierten und einem Polizisten. Obwohl auch in diesem Film - wie in „Devdas" - die Liebe an überkommenen gesellschaftlichen Normen und den Vorurteilen der Mitmenschen scheitert, wird hier nicht Verzweiflung zelebriert, sondern im Gegenteil bewußt Lebensbejahung vermittelt.
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Abb. 16: „Achut Kanya" (Das unberührbare Mädchen; 1936)
In seiner Autobiographie skizzierte Shantaram eine Vorstellung vom Helden, die sich prinzipiell vom bisher üblichen Klischee unterschied: „In den gewöhnlichen Filmen verkörpert der Held grundsätzlich den Inbegriff der Tugendhaftigkeit, ist gutaussehend, über alle Maßen mutig und handlungsfähig... In Abgrenzung von diesem fest verankerten Bild des .Helden' sollte der Protagonist in ,Admi' ein ganz durchschnittlicher Mensch sein, in ihm sollten sich die selben Schwächen und Vorzüge zeigen, wie in allen anderen Menschen auch, d.h. also, daß ei ein ,Anti-Held' sein sollte." (Shantaram, 1987: 255) Aber auch seine Protagonistin setzte neue Maßstäbe: „Die weibliche Hauptfigur sollte eine Prostituierte sein, die durch die äußeren Zwänge in diesen Beruf gedrängt worden war. Durch die zahllosen Schicksalsschläge in ihrem Leben hart geworden, ein wenig verschlagen, ein bißchen egoistisch, und dennoch eine unschuldige und stets die Gefühle anderer achtende Frau, die dabei war, ihren Traum vom Familienglück zu verlieren." (Ebenda) Khwaja Ahmad Abbas war von dem Film so bewegt, daß er als Kolumnist des Bombay Chronicle dem Werk wegen seiner „life-like characterisations, the realistic setting of the story, the earthy robust humour, the technical skill and virtuosity ... the underlying philosophical content which was of social significance" eine sieben Spalten lange Besprechung mit der Überschrift „Hats Off to a Great ,Admi' 35 " einräumte.36 In der Zeitschrift Filmindia wurde der Streifen vor allem wegen seines
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sozialen Gehalts gewürdigt: ,„Admi' faces a vital social problem squarely and honestly, fully aware of human weakness and not unmindful of the economic realities." Er wurde als Markstein in der Entwicklung des indischen Kinos bezeichnet, das damit ein Stadium der Reife erreicht habe.37 Ein Film, den Shantaram als letzten für Prabhat gedreht hat, bedarf noch der Erwähnung. Es war der Streifen „Padosi" (Nachbarn bzw. „Shejari" in Marathi) aus dem Jahre 1941. Als dieses Werk entstand, tobte in Europa bereits der Krieg. In Indien war die Stimmung der Kolonialmacht gegenüber bitter und kämpferisch. Gandhi hatte zum zivilen Ungehorsam aufgerufen, und das Verhältnis zwischen Kolonialregierung und Nationalkongress hatte sich verschlechtert. Noch bedrohlicher allerdings waren die Spannungen zwischen Hindus und Muslime, die von Eiferern auf beiden Seiten angeheizt wurden. In dieser aufgeladenen Atmosphäre unterbreitete Shantaram der Öffentlichkeit ein äußerst sensitives Thema. Mit seinem Film wollte er auf die wahren Hintergründe von kommunalistischen Streitigkeiten aufmerksam machen. In seiner Darstellung waren es in erster Linie Macht- und Profitstreben und nicht religiöse Unterschiede, die das harmonische Miteinander von Menschen zerstörten. Am Beispiel des Muslim Mirza und des Hindu Thakur und ihrer Familien wurde gezeigt, wie Hindus und Muslims in Indien in zahllosen Dörfern und Städten friedlich zusammenleben. Die Ursache für den Zwist zwischen ihnen wurde von außen herangetragen. Der Zank endete im tragischen Finale des Films, das beide Männer wieder zusammenführte. Sie starben vereint, als der Damm, der zum Stein des Anstoßes wurde, brach. Die in jenen Jahren weithin bekannte Zeitschrift Filmindia besprach diesen Streifen mit ungewöhnlich enthusiastischen Worten. Sie bezeichnete „Padosi" als Indiens größten Film und als Shantarams persönlichen Triumph.38 Seinen Rang in der indischen Filmgeschichte und seine Bedeutung für das um seine Unabhängigkeit ringende Indien schätzte sie folgendermaßen ein: „Prabhat's .Padosi' is an event not merely in motion pictures but in the present day life of our country. With India becoming more and more politically minded every day and visualising her ultimate goal of freedom, the one thought of every national minded Indian is to brush away with one sweep the numerous obstacles that stand in the way of that goal... With its soothing message through the eyes and the ears .Padosi' therefore becomes a human document of great social and political importance with its tremendous power of propaganda harnessed for the future welfare of our country." 39
Regierungsamtliche Stellen haben von diesem Film und seiner Botschaft ebenfalls Kenntnis genommen. Wegen seines Eintretens für ein friedliches Zusammenleben von Muslimen und Hindus hatten die Provinzregierungen von Sind40 und Assam41 die Vorführungen von „Padosi" von der Zahlung der sonst üblichen Vergnügungssteuer befreit. Rückblickend äußerte sich die Filmzeitschrift Star & Style im Jahre 1970 zum Stellenwert dieses Werkes in der indischen Filmgeschichte: „From among the old films of Prabhat directed by V. Shantaram, one that has been holding topical significance for the country all these years and more than ever in the present times, is Padosi ... It is not merely that its story (by Vishram Bedekar) was about Hindu-Muslim unity, or that it preached the message of communal harmony in an effective manner. The whole film was a depiction
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of Hindus and Muslims living together as neighbours, as they actually do in the countless villages, towns and cities of India."42 Auch nachdem Shantaram sich von Prabhat getrennt und 1942 sein eigenes Studio Rajkamal Kalamandir im Stadtteil Parel (Bombay) gegründet hatte, produzierte er sozialkritische Filme. Mit dem Streifen „Dahej" (Mitgift; 1949) glaubte er sogar, eine meßbare gesellschaftliche Wirkung erzielt zu haben. Der Film prangerte das ruinöse dowry- oder Mitgift-System an, das schon viele junge Frauen ins Unglück gestürzt hat. Shantaram war der Meinung, daß sein Werk die Öffentlichkeit aufgerüttelt und dazu beigetragen habe, daß die legislative Versammlung von Bihar ein Anti-Dowry-Gesetz verabschiedete (Vasudev/Lenglet 1983: 289). Das dritte der drei großen Filmstudios waren die Bombay Talkies. Das Studio wurde als Aktiengesellschaft gegründet, und die Namen seiner Direktoren lesen sich wie das Who's Who der indischen Finanzwelt.43 Ebenso professionell wie das wirtschaftliche Management erfolgte die künstlerische Leitung durch Himansu Rai (1892-1940). Er brachte außerdem als weiteres prägendes Element sein soziales Engagement ein. Rai kam aus einer wohlhabenden bengalischen Familie, die ein eigenes Theater besaß. Zunächst studierte er an der Universität von Kalkutta Jura. In London setzte er zu Beginn der zwanziger Jahre seine Ausbildung zum Rechtsanwalt fort. Gleichzeitig spielte er Rollen am Theater und arbeitete als Berater für Filme orientalischen Zuschnitts. Seit 1934 produzierte er Filme im eigenen Studio zusammen mit deutschen Technikern und Regisseuren, die er aus früheren internationalen Koproduktionen kannte. Die Bombay Talkies waren mit der damals modernsten Technik ausgestattet, und die bald mehr als 400 Mitarbeiter hatten sich einem für indische Verhältnisse rigorosen Arbeits- und Zeitplan zu unterwerfen. Dafür kamen sie in den Genuß einer systematischen Schulung in allen wichtigen Produktionsbereichen. Das Studio war für sein egalitaristisches Ethos bekannt. Kastenvorschriften wurden bei der Arbeit nicht berücksichtigt (Burra 1981: 99). Himansu Rais Bestreben war es von Anfang an, den Trivialfilm als Vehikel zum Transport von sozialen Inhalten zu nutzen. Devika Rani, seine Ehefrau und Star der Bombay Talkies, faßte in einem Interview im Jahre 1980 Rais künstlerisches Credo mit wenigen Worten zusammen: „For him the stage and cinema were means to project and build the culture of the country."44 Vom Zeitgeist der dreißiger Jahre erfüllt, sah er im Film ein Medium zur grundlegenden Erneuerung der indischen Gesellschaft. In diesem Sinne thematisierte auch der Film „Achut Kanya" Probleme, deren Ursachen auf das Kastensystem und das Kastendenken der traditionellen Hindu-Gesellschaft zurückzuführen waren. Dieser Film gilt als der bedeutendste der Bombay Talkies. Nach Rais Tod im Jahre 1940 gewannen in den Bombay Talkies Filmemacher die Oberhand, die auf das Erfolgsrezept „Star, Lied und Tanz" setzten. Im Vergleich der Filme, die in den drei großen indischen Filmstudios in den dreißiger und vierziger Jahren entstanden, wird deutlich, daß der „Gesellschaftsfilm" im spätkolonialen Indien kein monolithisches Filmgenre war. Dazu waren seine „Macher" - d.h. vor allem die Regisseure und Drehbuchautoren - zu unterschiedlich hinsichtlich ihrer kulturellen Wurzeln, ihrer Intentionen und vor allem ihrer Weltsicht. Aber allen war ein Grundanliegen gemeinsam: Sie produzierten ihre Filme weder um ihrer selbst willen, d.h. nach dem Prinzip l'artpour l'art, noch
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hatten sie allein den kommerziellen Erfolg im Auge. Sie wollten mit ihrer Botschaft Massen erreichen und waren damit erfolgreich. Die Menschen, die in den dreißiger und vierziger Jahren in Indien die Kinos besuchten, gehörten unterschiedlichen sozialen Kreisen an. Sie kamen sowohl aus Mittel- wie aus proletarischen und bäuerlichen Schichten. Vor allem in Zeiten rascher Industrialisierung und wirtschaftlichen Aufschwungs - und dazu gehörte partiell auch die Zwischenkriegszeit - nahm die Zahl der Kinobesucher rasch zu. Damit änderten sich aber auch die Sehbedürfnisse, denen die Filmproduzenten Rechnung tragen mußten. Die Nachfrage nach Eigenproduktionen stieg. Das bestätigte der Bericht des Indian Cinematograph Committees von 1927. Das proportionale Verhältnis der gezeigten ausländischen und indischen Filme veränderte sich zugunsten der letzteren. Gleichzeitig ließ die Attraktivität des während der Stummfilmzeit dominierenden mythologischen Films deutlich nach. Vor allem war es das Filmangebot der beiden Studios Prabhat und New Theatres, das einen Geschmackswandel beim Publikum bewirkte. Solche Gremien wie z.B. die Motion Picture Society of India stellten sehr rasch fest, daß sich die Situation auf dem Filmmarkt verändert hatte. Phiroze Sethna, der damalige Präsident dieser Institution, sagte 1936 in einer Rede: „... people demand film dealing with subjects of social life or problems. Mythological pictures are no longer in demand, at any rate, so far as Bombay is concerned. The same, I think, is more or less the case in Bengal too" (Sethna 1936: 8). Diese Veränderung wurde auch von anderen Beobachtern der indischen Filmszene bestätigt. So schrieb die Zeitschrift Filmindia im Dezember 1937: „In the early days when Indian films were a novelty, any trash or nursery tale that was given was joyfully accepted... But now after the rapid progress of technique and the introduction of numerous good stories both Indian and Foreign, people do want serious provocative themes which would not only provide entertainment but also supply food for thought."45
Und noch eines konnte der „Gesellschaftsfilm" bewirken. Es gelang ihm zumindest teilweise, die Klassenteilung der indischen Lichtspielhäuser zu Überwinden. Die meisten der genannten Filme wurden nicht nur in den billigeren, anspruchslosen Kinos gezeigt, in denen vorzugsweise indisches Publikum verkehrte. Sie liefen auch in komfortablen, gut eingerichteten Häusern, die gewöhnlich von Europäern wie von den wohlhabenden einheimischen Schichten frequentiert wurden. So berichtete die Zeitschrift Filmindia im Jahre 1937, daß der Film „Duniya Na Mane" in Bombay im „Excelsior" gezeigt wurde, und sie schrieb: , 3 y doing this they are not only stepping south of Dhobi Talao (ein Stadtteil mit einheimischer Bevölkerung - A.H.) in a zone of exclusive people but they are straightaway introducing an Indian picture amongst people that have perhaps never before, seen an Indian picture. ,M
V. Shantaram erinnerte sich in seiner Autobiographie an das Experiment, diesen Film nicht nur im „Krishna" sondern auch im „Excelsior", in der Gegend des Bombay Forts, zu zeigen: „Die Zuschauer, die den Film dort sehen würden, waren (also) größtenteils Ausländer oder Inder, die mit Wertvorstellungen der westlichen Zivilisation großgeworden waren. Wir hatten unsere Zweifel daran, inwieweit dieser Film, der auf dem Leben der durchschnittlichen Menschen der Mittelschicht basier-
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te, diese reichen und hochmütigen Zuschauer dort ansprechen und berühren würde." Shantarams Optimismus bewährte sich. „Duniya Na Mane" lief im „Excelsior" vier Wochen lang ununterbrochen vor vollem Haus. Im „Krishna" wurde der Streifen ganze 27 Wochen gezeigt (Shantaram 1987: 228). Und die Zeitschrift Filmindia konstatierte in ihrer Dezember-Nummer des Jahres 1937: „,The Unexpected' (das war der englische Titel des Films „Duniya Na Mane" - A.H.J has done the unexpected again by pulling down one more citadel of foreign pictures in Calcutta. Like Bombay, the picture was released at the .Empire* and the .Paradise' simultaneously."47 Auch das ist als ein Aspekt gesellschaftlichen Wandels zu werten, der sich in den dreißiger und vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Indien vollzog. Nach Erringen der Unabhängigkeit Indiens begann für den „Gesellschaftsfilm" eine neue Etappe. Das Studiosystem, das ihm während der dreißiger und vierziger Jahre ein spezifisches Habitat geboten hatte, zerfiel. Unabhängige Produzenten bestimmten fortan das Produktionsmilieu. Aber auch die veränderten politischen und sozialökonomischen Verhältnisse verliehen Inhalt und Charakter des „Gesellschaftsfilms" ein neues Gesicht (Siehe Vasudevan 1994). Bis zu Beginn der sechziger Jahre konnten sich Kinofilme mit der Aufforderung zu gesellschaftlichem Wandel noch behaupten. Dann verflachte der „Gesellschaftsfilm" zum banalen Melodrama, und eine deutliche Trennung zwischen kommerziellem und Kunstfilm setzte ein (Vgl. Vasudevan 2000: 4).
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Die Anatomie des indischen Kinos ist bereits im Sanskrit-Drama erkennbar. Das Natyashastra (allindisches Lehrbuch der Dramaturgie) verlangte von einer szenischen Aufführung, daß sie unterschiedliche Gefühle gestalten, verschiedene Situationen wiedergeben und allen Betrachtern Mut, Unterhaltung und GlUck spenden sollte. Es enthielt außerdem die Anweisung, ein Schauspiel nicht mit der Niederlage oder dem Tod des Helden enden zu lassen. Bhava (Gefühl) und rasa (Stimmung) wurden für wichtiger erachtet als die Handlung oder der Aufbau eines Stückes. Die dramatischen Konventionen des klassischen Theaters wurden nach dessen Niedergang in den verschiedenen regionalen und Volkstheatern weitergeführt. Auch hier sind überschwängliche Gefühle, Tanz und Gesang die wichtigsten Elemente. Der Handlungsverlauf ist eher lose geknüpft und wird durch häufiges Abweichen in Nebenhandlungen bzw. durch Gesangsund Tanzeinlagen unterbrochen. Die Kontinuität von Volkstheater und Kino im indischen Kontext unterstreicht Chidananda Das Gupta: „Yet with the erosion of the traditional forms of folk entertainment and the trek into the cities in search of employment, this cinema (in the absence of television) quickly established itself as the only diversion of the public - fulfilling its diverse needs for drama, music, farce, dancing, escape into illusions of high living, into fantastic dreams of sin and modernity from which to return to the daily grind (Das Gupta 1981, S. 8). Im indischen Theater erfahren alle Konflikte vorzugsweise eine harmonische Auflösung. Dies steht in direktem Gegensatz zur Kinotradition des Westens, die ihre Wurzeln in der antiken griechischen Tragödie hat. Während der Held hier dem Untergang geweiht ist, triumphiert er im Hindu-Drama Uber alle Widrigkeiten. Den Zusammenhang von Kino und Moderne diskutiert auch Kishore Valicha (Valicha 1988,
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S. 1-8). Wörtlich: einheimisch. Zu Beginn des 20. Jahrhunderls von Bengalen ausgehende Bewegung zur Schaffung nationaler Institutionen und Propagierung einheimischer Produkte. Bombay Chronicle, 27. Oktober 1951. Bhakti: „dienende Zuwendung", kennzeichnet die Beziehung zwischen Mensch und Gottheit, die das vedische Opfer ablöst und die intellektuelle Suche nach erlösendem Wissen in eine starke emotionale Beziehung einbindet. Wiederholt traten in der Geschichte Indiens religiöse Bewegungen auf, die sich gegen die dem Kastensystem zugrunde liegende Ideologie der Ungleichheit und Trennung richteten. Innerhalb des Hinduismus waren es seit dem 7. Jahrhundert in SUdindien und seit dem 15. Jahrhundert in Nordindien vor allem die Bhakti-Bewegungen, die gegen die Macht der Tempel und der Priester Stellung bezogen. Devdas, der Sohn eines Großgrundbesitzers, und Parvati, die Tochter des armen Nachbarn, sind seit ihrer Kindheit befreundet und verlieben sich ineinander. Ihr unterschiedlicher sozialer Status sowie Kastendifferenzen stehen jedoch einer Eheschließung im Wege. Devdas wird zum Studium nach Kalkutta geschickt, während Parvati an einen alten, reichen Witwer verheiratet wird. In der Stadt nimmt der Held eine Beziehung zu Chandramukhi, einer mitfühlenden Prostituierten auf. Seine Skrupel bekämpft er mit Alkohol. Schließlich kehrt er aufs Land zurück und stirbt vorm Haus seiner Jugendliebe. In fast allen seinen Romanen prangert Sarat Chandra Chatterjee die Unterwerfung der Frau in der patriarchalisch-bengalischen Gesellschaft an. Sudipto Chatterjee und Hasan Ferdous bewerteten seine Leistung mit folgenden Worten: „Through his writing, Saratchandra was responding to the rising consciousness of women's rights in his own society and forwarding the cause by participating in creating a base of public opinion in favor of suffering Bengali women. Saratchandra's zeal for advancing women's rights was nothing short of the social thinker and political activist" (Chatterjee/Ferdous 1996, S. 49). Rote Markierung am Scheitel verheirateter Frauen. An dieser Stelle gilt mein Dank der Motion Picture Scientific Research and Cultural Foundation beim V. Shantaram Rajkamal Kalamandir Studio, Parel (Bombay), deren Bibliothek ich nutzen durfte. Hari Narayan Apte veröffentlichte insgesamt 21 Romane, von denen zehn soziale Themen behandelten. Sie waren im marathischen Mittelklasse-Milieu angesiedelt und reflektierten insbesondere die Betroffenheit des Autors Uber die Lage der Frauen in der HinduGesellschaft. Nach Ansicht B.G. Gokhales waren diese Romane „stark portrayals of social reality in all its suffocating inequalities, personal tragedies and social Stagnation" (Gokhale 1998, S. 112, 121). Der Film erzählt die unglückliche Liebesgeschichte zwischen der UnberUhrbaren Kasturi, der Tochter eines Weichenstellers, und dem Brahmanen Pratap, dem Sohn eines Händlers. Anfangs wird deutlich, wie Gerüchte und Gewalt inszeniert werden, um eine „traditionelle", grausame Moral aufrecht zu erhalten. Nachdem die beiden Protagonisten sich gefUgt und jeweils den für sie ausgewählten Partner geheiratet haben, stiften boshafte Bemerkungen wiederum böses Blut. Handgreiflichkeiten sind die Folge, denen ein herannahender Zug ein tragisches Ende setzt. Siebzehn Jahre später verfilmte Mehboob Khan den gleichen Stoff unter dem Titel „Mother India" zum zweiten Mal. Radha, eine Bäuerin, arbeitet hart, um dem Geldverleiher Schulden zurückzuzahlen. Ihr Ehemann und sie haben drei Söhne. Als sie wiederum schwanger wird, verläßt ihr Mann die Familie. Nun muß sie allein mit Hunger, Not und den Belästigungen durch den Wucherer fertig werden. Die beiden älteren Söhne sterben. Ihr bleiben der fleißige Ramu und ihr Liebling, der temperamentvolle Briju, der sich jedoch zu einem Banditen entwickelt. Das setzt die Familie der Gefahr aus, aus dem Dorf verstoßen zu werden. Nachdem Briju den Geldverleiher umgebracht hat und versucht, dessen Tochter zu entführen, tötet Radha ihren Sohn. Zitiert nach B.D. Garga, The Feel of the Good Earth. In: Cinema in India, 3 (1989) 2, S. 31. Filmindia, Bombay, 6 (1940) 6, S. 35. Star & Style, Bombay, 19 (1970) 20, S. 9.
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Abbas, K.A., Film and Society. In: Yojana, 18 (1974) 18, S. 4. Hier soll nur an Nemai Ghosh's „Chinnamul" (Die Entwurzelten; 1950) und Bimal Roy's „Do Bigha Zamin" (Zwei Fußbreit Land; 1953) erinnert werden. Bamouw und Krishnaswamy fanden besonders bemerkenswert, wie es Abbas mit diesem Streifen gelungen war, widerstreitende Interessen miteinander zu vereinbaren: "Because the story was anti-Japanese, the British promptly approved The Journey of Dr. Kotnis as a wareffort project. Because it dealt with a Nehru-sponsored mission of mercy, the Congress promptly applauded. Because the Chinese force depicted in the film was the famous Communist Eighth Route Army of Mao-Tse-tung ... the Communist Party likewise applauded. The film even aroused American interest: after the war a contract was signed with Mayer-Burstyn, a distributing company specializing in foreign films, for United States art-theatre distribution of The Journey of Dr. Kotnis" (Bamouw/Krishnaswamy 1980, S. 133). Star & Style, a.a.O., 20 (1971) 24, S. 11. Am Beispiel des Hollywood-Kinos entwickelte Patrick Phillips seine Auffassung von Autorenfilm. Er schreibt: „An auteur director is one who brings to a film signs of their individuality - perhaps in the way the narrative is constructed, the way certain themes are explored or in the visual style. Beyond this, there is an understanding that the auteur is able to function as the main creative force and controlling presence." Und er fahrt fort: „The director...can function much like a star in offering an insurance value to the industry - the guarantee of financial success - and a trademark value to the audience - the guarantee of quality" (Phillips 1999, S. 195-196). Filmotsav 84, Indian Retrospective; Homage to 5 Masters, New Delhi o.J. B.D. Garga, Milestones: Devdas (1935). In: Movie (1983) 9. Bhanja, M./N.K.G., From lamai Sashti to Pather Panchali. In: Film Federation of India, 1956, S. 83. Ein Maler, der weder in seiner Kunst noch in seinem persönlichen Leben Kompromisse eingehen will, entspricht dem Wunsch seiner Frau nach Scheidung, indem er einen Selbstmord vortäuscht und sich in die Dschungel Assams zurückzieht. Nach Jahren begegnet er seiner ehemaligen Frau und deren neuem Ehemann, die sich auf einem Jagdausflug befinden. Der Künstler rettet die Frau aus den Händen eines Kidnappers und stirbt zu ihren Füßen. Mit seinem Tod besiegelt er die Befreiung, die er seiner Frau schon einmal geschenkt hatte. Der vagabundierende Ratan begegnet Shrimati, die ihren brutalen Ehemann verlassen hat. Sie sammeln gemeinsam Spenden für eine fiktive karitative religiöse Stiftung ein. Von dem Geld kaufen sie eine Wohnung und leben zusammen, bis Shrimatis Vater stirbt. Sie erbt dessen Besitz und widmet sich fortan der Sozialarbeit. Sie beschäftigt Ratan als Betreuer für einen adoptierten Waisenjungen. Ratan glaubt, nicht ohne sie leben zu können. Shrimati weist ihn jedoch zurück. Er nimmt sein Leben als Vagabund wieder auf, während sie ihr Vermögen dem Waisenjungen schenkt und ihren früheren Lebenswandel bereuend in einem einsamen Haus ihren Tod erwartet. Um ein happy end anzudeuten, zeigt der Film das Paar an der Schwelle eines zweiten Lebens. Star & Style, a.a.O., 20 (1971) 4, S. 11. Filmindia, a.a.O., 7 (1941) 10, S. 32. Der Film spielt im Piraten-Milieu. Angesichts patriarchalischer Gesetze in einer fiktiven Monarchie, die der Königin Saudamini verbieten, die legale Obhut für ihren unmündigen Sohn wahrzunehmen, wird sie ein Pirat und erklärt dem Staat, und insbesondere dem tyrannischen Justizminister, den Krieg. Schließlich wird ihr Schiff gekapert. Es kommt zu einer Palastrevolte, in deren Verlauf die Heldin zwar unterliegt, in der ihre Position aber durch ihre emanzipatorischen Reden sowie die universellen humanistischen Argumente ihres Beraters beeindruckend vertreten wird. Star & Style, a.a.O., 18 (1970) 12, S. 9. Der Polizist Ganpat rettet Maina, eine Prostituierte während einer Polizeirazzia in einem Bordellviertel. Beide verlieben sich ineinander. Ihr schlechter Ruf und ihre Skrupel sind stärker als seine Versuche, sie zu einer ehrbaren Frau zu machen. Sie schlägt letzten Endes seinen Antrag aus und akzeptiert damit freiwillig das unausgesprochene Schuldurteil der Gesellschaft Uber sie.
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Dieser Satz ist doppeldeutig. Er bezieht sich zum einen auf den Film und seinen Titel zum anderen aber auch auf den Regisseur. Who is the real .hero'? In: Cinema in India, 3 (1989) 1, S. 30. Filmindia, a.a.O., 5 (1939) 10, S. 8. .Padosi' India's Greatest Picture. In: Filmindia, a.a.O., 7 (1941) 2, S. 62ff. Filmindia, a.a.O., 7 (1941) 2, S. 62. Filmindia, a.a.O., 7 (1941) 11, S. 7. Filmindia. a.a.O., 8 (1941) 2, S. 14. Star & Style, a.a.O., 19 (1970) 16. Im Verwaltungsrat saßen u.a. das „Finanzgenie" F.E. Dinshaw, der berühmte Anwalt Sir Chimanlal Setalvad, einer der größten Broker der Bombayer Börse Sir Chunilal B. Mehta, der spätere Direktor der Central Bank of India Sir Phiroze Sethna sowie Sir Cawasji Jehangir (Baghdadi/Rao 1995, S. 350). Siddharth Kak, The Colossus and the Little Flower from India. In: Cinema Vision India, 1 (1980) 2, S. 71. Filmindia, a.a.O., 3 (1937) 8, S. 10-11. Filmindia, a.a.O., 3 (1937) 6, S. 9. Ebenda, S. 53.
Kulturelle Pendler. Zwei afrikanische Bürokraten im kolonialen Tansania1 Andreas Eckert
Staat und Bürokraten In wissenschaftlichen Analysen ebenso wie in Medienberichten ist „Staatszerfall" in Afrika eine häufig gebrauchte Vokabel. Das soll heißen: Der Staat kann nicht einmal ein Mindestmaß an Leistungen und Sicherheit für seine Menschen bieten und wird gleichzeitig von parasitären Staatsklassen ausgeblutet. Die mit vielen Millionen Dollar gefüllten Schweizer Konten afrikanischer Diktatoren sind ein eindrücklicher und oft zitierter Beleg dafür (Klitgard 1990). Jüngst hat ein Autorentrio zudem gar die These vertreten, daß die kriminellen Praktiken politischer Eliten zu einem wesentlichen Charakteristikum staatlicher Systeme in Afrika geworden seien (Bayart/Ellis/Hibou 1999). Diese Entwicklungen müssen allerdings keineswegs das Ende des Nationalstaates in Afrika bedeuten. Im Gegenteil: Alternativen zu diesem Ordnungsmodell sind kaum zu sehen, höchstens Varianten, unterschiedliche Formen der inneren Ausgestaltung. Erkennbar wird hier vor allem der Zusammenbruch einer kolonialen Ordnung, deren primäres Ziel die Aneignung lokalen Reichtums war. Man könnte sogar, ohne die evidenten Krisen zu leugnen oder zu verniedlichen, von einem Aufbruch sprechen, in dessen Gefolge sich ganze Gesellschaften neu erfinden (Bayart 2000). Im übrigen ist das Handeln der afrikanischen Politiker und Militärs weiterhin darauf gerichtet, die Kontrolle über die zentralen staatlichen Instanzen zu erringen bzw. neue Zentren unter ihre Kontrolle zu bringen. Auch etwa die Demokratische Republik Kongo - ein oft angeführtes Beispiel für „Staatszerfall" - will weiterhin ein Nationalstaat sein (Wirz 1999). Die Entstehung und Entwicklung des territorialen Nationalstaates in Afrika zu untersuchen, ist folglich weiterhin eine lohnende Aufgabe für die Geschichtswissenschaft. Hier setzt der folgende Beitrag an, indem er den Versuch unternimmt, die Logik des Machtdenkens in staatlichen Bezügen exemplarisch zu analysieren und auf diese Weise einen historisch orientierten Beitrag zu den aktuellen Diskussionen um „Good Governance" und den vermeintlichen Staatszerfall südlich der Sahara zu leisten versucht. Der Fokus dieses Aufsatzes richtet sich vorrangig aber nicht auf die Institutionen, sondern auf die Träger staatlicher Ordnung. Dabei orientiert er sich am Hinweis Max Webers, der den modernen Staat mit einer Fabrik verglichen und ihn als „anstaltsmäßigen Herrschaftsverband" bezeichnet hat, wo die „wirkliche Herrschaft, welche sich im Alltagsleben auswirkt... unvermeidlich in den Händen des Beamtentums liegt" (Weber 1976: 825). Als Untersuchungsregion dient das tansanische Festland, welches durch eine komplexe interkulturelle Situation charakterisiert ist, die bislang gleichwohl nie zu massiven, ethnisch begründeten politischen Auseinandersetzungen geführt hat. Die nationalistische Bewegung und die Führung des unabhängigen Tansania haben vergleichsweise stark auf „afrikanische Traditionen" rekurriert und doch viele Insigni-
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en des europäischen bürokratischen Staates übernommen. Nicht zuletzt aufgrund seiner marginalen Position im britischen Empire verfügte British-Tanganyika lediglich über eine relativ kleine „bürokratische Elite" gut ausgebildeter Afrikaner. Und im Zentrum der folgenden Ausführungen stehen genau jene einheimischen Männer, die sich in den Dienst der Kolonialverwaltung stellten. Ich bezeichne sie, Feierman folgend, als „afrikanische Bürokraten" (Feierman 1990: Kap. 7). Dieser Terminus erscheint präziser als der in der englischsprachigen Literatur in der Regel benutzte Begriff der „educated elite", zumal er auf die Funktion der Protagonisten innerhalb des kolonialen Staates bzw. Verwaltungssystems abhebt. Diese Funktion setzte wiederum einen gewissen Grad an Schulbildung voraus. Des weiteren geht es hier lediglich um jene Afrikaner, die zumindest den Abschluß in einer „Government Secondary School" vorweisen können. Der von mir gewählte Zugang impliziert, daß Frauen als Akteure so gut wie keine Rolle spielen, denn die Welt der Kolonialadministration in Tansania war (wie überall sonst in Afrika und damals auch in Europa) eine männlich dominierte Welt. Zumindest durch die Hintertür taucht der weibliche Teil der Bevölkerung jedoch wieder auf. Denn die Briten legten in ihren Doktrinen und Programmen Wert auf die Ausbildung von Frauen unter Herausstellung ihrer Positionen als Hausfrauen und Mütter. Solide geschulte Frauen würden sicherstellen, daß „clever boys, for whom higher education is expedient [could] look forward to educated mates" (Colonial Office 1925: 8). Zum von den britischen Kolonialherren entworfenen Ideal eines afrikanischen Bürokraten gehörte also die gebildete Frau an seiner Seite. Freilich gab es bis zum Ende der Kolonialzeit in der Praxis wenig Möglichkeiten fiir Frauen, jenseits von Näh- und Haushaltskursen in den Genuß von höherer Bildung, geschweige denn von administrativen Posten zu kommen. Warum waren jene Personen, die Funktionen im kolonialen Staatsapparat ausübten, so wichtig? Ihre Bedeutung rührt daher, daß sie, obschon eine kleine Gruppe, zu den Trägern der politischen Modernisierung im Lande und später zu den wichtigsten Protagonisten des antikolonialen Nationalismus wurden, ehe sie mit der Unabhängigkeit 1961 das Erbe der Kolonisierenden an der Spitze des Staates antraten. Julius Nyerere (1922-1999), der erste und langjährige Präsident des unabhängigen Tansania, verkörpert paradigmatisch die Transformation der Verwaltungselite in eine Machtelite: Abschluß an der einzigen „Realschule" British-Tanganyikas in Tabora, weiteres Studium am Makerere College in Uganda sowie an der Universität Edinburgh, Tätigkeit als Lehrer, bevor er in die aktive Politik ging und die nationalistische Partei „Tanganyika African National Union" (TANU) mitbegründete.2 Ein ähnliches Profil weisen im übrigen die meisten Minister des ersten Regierungskabinetts Nyereres auf.3 Sicher, in der Kolonialzeit war die Regierung per definitionem europäisch, ebenso die höheren Ränge der Verwaltung. Wegen ihrer äußerst schwachen Präsenz, „the thin white line" (Kirk-Greene 1980), waren die Europäer jedoch auf eine ständig wachsende Zahl von einheimischen Mitarbeitern angewiesen, um die koloniale Verwaltungsmaschinerie in Gang zu halten. Insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg steigerte sich der Bedarf an lokalen Bürokraten beträchtlich. Angesichts seiner rapide zusammengeschmolzenen asiatischen Besitzungen lancierte England (ebenso wie Frankreich) einen „Entwicklungskolonialismus", welcher der Metropole direkten (ökonomischen) Nutzen und den Afrikanern für eine künftige Unabhängigkeit die nötige „Reife" bescheren sollte. Öffentliche Investitionen größeren Ausmaßes wurden getätigt, die koloniale Bürokratie in hohem Maße aufgebläht, neue Organe politischer Mitbestimmung eingeführt, so daß für
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eine wachsende, wenngleich immer noch relativ bescheidene Zahl von Tansaniern administrative Betätigungsfelder offenstanden. Die afrikanischen Bürokraten im kolonialen Tansania konstituierten keineswegs eine homogene Gruppe, diese war vielmehr in sich gespalten und voller Widersprüche. Einerseits waren ihre Vertreter europäischen bürokratischen Idealen wie Aufstieg via Bildung, Arbeitsteilung und Hierarchie verpflichtet, andererseits kamen sie nicht umhin, auf einheimische Formen der Herrschaftsausübung zurückzugreifen. Sie manipulierten und wurden in den Dienst genommen. Sie drängten auf Disziplinierung, auf Bürokratisierung und auf Regimentalisierung und übernahmen doch Verhaltensmuster einheimischer Chiefs. Sie mußten zwischen Außen und Innen, zwischen Altem und Neuem moderieren. Und obschon sie sich durch Schule und Beruf aus ihrer Herkunftskultur lösten, blieben sie doch weiterhin darin verwurzelt. Eine der Hauptaufgaben dieser Bürokraten bestand schließlich darin, zwischen den verschiedenen Welten gleichsam als „cultural brokers", als kulturelle Makler oder auch „kulturelle Pendler" zu vermitteln. Es wäre allerdings falsch, ihre Position als Hin- und Hergerissensein zwischen Tradition und Moderne zu deuten. In der administrativen Praxis, so lautet meine These, befanden sich die afrikanischen Staatsdiener eher in einem Austausch- und Aneignungsprozeß, indem sie sozusagen immer wieder neu aushandelten, was traditionell und was modern, was das Eigene und was das Fremde, was richtig und was falsch war. Schließlich liegt den folgenden Ausführungen die Annahme zugrunde, daß sich jeder Mensch (so auch der afrikanische Verwaltungsmitarbeiter in der Kolonialzeit) mental in den Grenzen eines Gerüsts von Wahrnehmungsmustern bewegt, die er im Laufe seiner Sozialisation erlernt und verinnerlicht. Dieses Gerüst, von Bourdieu (1979) als Habitus bezeichnet, bildet eine Art „Grammatik" des sozialen Verhaltens und determiniert Wahrnehmungs- ebenso wie Verhaltensweisen. Es schafft (über Lem- und Imitationsprozesse) jenes kulturelle „Minimum an Übereinstimmungen", welches notwendig ist, um das Funktionieren sozialer Gemeinschaften und ihr Fortbestehen zu gewährleisten. Der Habitus ist keineswegs statisch, sondern wandelt sich mit den lebensweltlichen Veränderungen. Er begrenzt und determiniert aber die „Wahmehmungsmöglichkeiten" der Individuen und die Anzahl der ihnen in ihrer Selbstreflexion zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen. Geht man von diesem Konzept aus, reflektiert die Praxis des kolonialen Staatsapparates - vermittelt durch die handelnden Akteure - die kulturellen Grundwerte der jeweiligen Gesellschaften. Die Grundwerte der bürokratischen Elite in Tansania sind dabei aus vielerlei Quellen gespeist. Charakteristisch ist ein Nebeneinander und eine Vermischung verschiedener kultureller Normen und Referenzen, eine komplex verwobene Identität, die Impulse aus verschiedenen lebensweltlichen Bereichen erhält und Kooperations- und Loyalitätsnetze ganz unterschiedlicher Kriterien entstehen läßt. Vor diesem Hintergrund werden im vorliegenden Beitrag vornehmlich die Aktivitäten, sozialen Strukturen und Mentalitäten der afrikanischen bürokratischen Elite in Tansania von den 1920er Jahren bis ca. 1960 im Kontext (kolonial-)staatlicher Strukturen, Projekte und Praktiken vorgestellt. Die Gruppe der afrikanischen Staatsdiener repräsentierte den kolonialen Staat und mußte seinen Anspruch durchsetzen. Ihre Vertreter, so soll gezeigt werden, gingen mehrfache Identitätsbindungen ein und agierten im Spannungsfeld von lokalen Herrschaftstraditionen und Normierungssystemen, islamischen und christlichen Doktrinen, westlichen Erziehungs-, Bürokratie- und Modernisierungskonzepten, der Errichtung und Ausgestaltung des kolonialen Staates sowie dem Streben nach nationaler Unabhängigkeit. Die folgen-
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den Ausführungen konzentrieren sich im wesentlichen auf die Biographien von zwei tansanischen Staatsdienern, die in ihrer Generation jeweils die höchsten für Afrikaner zugänglichen Posten in der Kolonialverwaltung einnahmen, heute aber weitgehend vergessen sind: Martin Kayamba (1891-1939) und Thomas Marealle (*1915). Die Darstellung ihrer Lebensgeschichten wird verknüpft mit den wichtigsten politischen Entwicklungen in Tansania seit dem Ende des Ersten Weltkriegs. Kayamba und Marealle sind vielleicht nicht „repräsentativ" für die afrikanischen Bürokraten im kolonialen Tansania - falls es in diesem Kontext so etwas wie Repräsentativität geben kann; in jedem Fall eröffnen ihre wechselvollen Karrieren einen perspektivreichen Einblick in die Aktivitäten, sozialen Strukturen und Vorstellungen dieser Akteursgruppe. Ein umstrittener Modell-Bürokrat: Martin Kayamba im Tansania der „indirekten Herrschaft" Die britische Herrschaft in Tansania war geprägt durch zwei aufeinander folgende Modelle kolonialer Ordnung. Beiden gemein war der Versuch, ein Disziplinarsystem zu entfalten, das Ordnung in das vermeintliche Chaos der lokalen Realitäten bringen sollte. Schule und Verwaltung waren zentrale Instanzen in diesen Systemen, und eine wichtige Adressatengruppe britischer Ordnungsvorstellungen waren jene Afrikaner, die Funktionen in der kolonialen Bürokratie übernehmen sollten bzw. innehatten. Nach dem Ersten Weltkrieg verwaltete Großbritannien das ehemalige DeutschOstafrika unter dem Namen Tanganyika zunächst als Mandatsgebiet des Völkerbundes.4 Während der gut zweieinhalb Jahrzehnte britischer Mandatsherrschaft war Tanganyika ein klassisches „backwater" des britischen Empire. Nicht zuletzt wegen der unsicheren politischen Zukunft des Gebietes und wirtschaftlicher Probleme im „Mutterland" begnügten sich die Briten mit dem, was sie von den Deutschen vorgefunden hatten und hielten sich mit weiteren Investitionen deutlich zurück. Wie alle anderen Mitgliedstaaten des Völkerbundes waren sie gehalten, den „materiellen, moralischen und sozialen Fortschritt" der ihnen anvertrauten Bevölkerung zu fördern. Die britische Herrschaftsphilosophie bestand nun im wesentlichen darin, die als „solide und gesund" angesehenen Bereiche lokaler Gesellschaften mit ausgewählten Elementen westlicher Moderne zu verquicken. Eine umfassende Verwestlichung schien der britischen Verwaltung jedoch „unverantwortlich". Das von den Briten Mitte der 1920er Jahre eingeführte System der indirekten Herrschaft (indirect rule) war der politische Ausdruck dieser Ideologie (Diffe 1979; Austen 1967; Graham 1976; Willis 1993; Cameron 1939). Nach dem Vorbild des Protektorats Nord-Nigeria wurden sogenannten „Native Authorities" in beschränktem Umfang Verwaltungsaufgaben und politische Rechte auf lokaler Ebene übertragen, etwa bei der Steuererhebung, Rechtsprechung und der Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben. Dies bedeutete aber keineswegs die Einbindung vorkolonialer Herrschaftssysteme in einen „modernen" Verwaltungsapparat, sondern „eine Art imaginäre Rekonstruktion von angeblich traditionellen Herrschafitsstrukturen, von denen die Kolonialmacht meinte, sie flir die Verwirklichung ihrer Interessen nutzen zu können" (Deutsch 1996: 32). An der Spitze der „Native Authorities" ernannten die Briten in der Regel lokale Chiefs. Dort, wo es keine gab, setzte die Verwaltung welche ein, in der Hoffnung, ihre Kandidaten mögen rasch „tribale Legitimation" erlangen. Die „progressiven Chiefs", wie
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Iliffe sie nennt, wurden zu Schlüsselfiguren in der Politik der indirekten Herrschaft. Ob das neue System einen einzelnen Chief stärkte oder schwächte, hing nicht zuletzt davon ab, wie effektiv er es zu nutzen wußte. Dank des Anteils, den sie vom lokalen Steueraufkommen erhielten, waren die meisten Chiefs wesentlich wohlhabender als die lokale Bevölkerung (Iliffe 1979:328). Obwohl die Bildungs- und Erziehungspolitik in der Indirect-Rule-Ideologie einen zentralen Platz einnahm, blieb der Bildungssektor in Tanganyika bis zum Zweiten Weltkrieg extrem klein.5 Die bedeutendste Institution in diesem Kontext war die 1925 eröffnete „Boys Central Government School" in Tabora. Diese Einrichtung war nach den Grundsätzen einer englischen Public School organisiert. Die Schüler wurden auf der Basis ihrer Herkunftsdistrikte in verschiedene Gruppen eingeteilt. Jede Gruppe wählte dann einen Jungen als „Head-Chief" sowie einen weiteren oder mehrere Mitschüler als „Sub-Chiefs". Erlasse der Schule wurden dem gewählten Oberhaupt mitgeteilt, der sie an seine Gruppe weiterzugeben hatte und für die Einhaltung bzw. Durchführung verantwortlich zeichnete. Unterrichtsfächer für künftige Verwaltungsmitarbeiter waren „typewriting (touch typing and Pitman's gramophone course); book-keeping; correspondence; précis and indexing; office routine; English and mathematics... Practical instruction in office routine was given when possible also the keeping of ration ledgers, store ledgers and the keeping of meteorological records. Accuracy in typewriting and tidiness was insisted upon both in office and classroom"6. Für Tansanier, die eine höhere Bildungsstufe anstrebten, blieb lange Zeit lediglich das 1922 gegründete Makerere College in Kampala, Uganda (Goldthorpe 1965; MacPherson 1964; Nwauwa 1997). Ab 1934 gingen regelmäßig sechs oder sieben junge Tansanier nach Makerere, so daß 1939 im ganzen knapp fünfzig Studenten aus Tanganyika, zumeist mit kleinen Regieningsstipendien ausgestattet, das College durchlaufen hatten.7
Abb. 17: Tabora School Day, späte 1930er Jahre
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Insgesamt blieb der Anteil gut ausgebildeter Afrikaner im administrativen Apparat British-Tanganyikas bis Mitte der 1940er Jahre gering. Ausbildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten waren relativ rar gesät, potentielle Karrierewege wurden sowohl von britischen Distriktbeamten als auch von Chiefs blockiert. Um die notwendige Rekrutierung und Ausbildung zu gewährleisten, fehlten - so das Standardargument - die finanziellen Mittel. Quantitative Angaben zum Verwaltungsbereich liegen für die Zwischenkriegszeit allerdings kaum vor. Eine Statistik aus dem Jahre 1936 listet 21 ehemalige Tabora-Schüler auf, die in der Kolonialverwaltung einen Posten gefunden hatten, doch es gibt weder Angaben über die Gesamtzahl der Absolventen noch über den genauen Platz der Afrikaner in der Verwaltungshierarchie.8 Die britische Politik blieb widersprüchlich. Einerseits beklagten die Kolonialbeamten permanent den Mangel an qualifiziertem afrikanischen Verwaltungspersonal und forderten etwa: „... getting rid of the uneducated and inefficient natives with whom at first we had to be content, and replacing them with those for whose education and training we have paid."9 Andererseits betonte man immer wieder die begrenzten Fähigkeiten der afrikanischen Verwaltungsmitarbeiter: „Whilst reasonably efficient under supervision, none is sufficiently capable of carrying out the duties performed by the best Asiatic clerks. The conclusion is that the African clerk, except in particular cases, has not yet reached the standard which fits him for higher clerical duties." 10
Bis zur Unabhängigkeit stellten sog. „asiatische" government clerks einen wichtigen Teil der Verwaltungsmitarbeiter und erhielten oft auch höhere Löhne als ihre afrikanischen Kollegen. Daraus resultierten zahlreiche Konflikte." Die mit dem Erziehungswesen betrauten britischen Kolonialbeamten dachten zuallererst an Disziplin und Disziplinierung, wenn sie über koloniale Erziehung und Bildung diskutierten. Entsprechende Maßnahmen wurden unter die Rubrik „character development and training" subsumiert, und die Briten versuchten ihr Ziel zu erreichen, indem sie einfache Tugenden, korrekte Umgangsformen und Gewohnheiten einzuimpfen suchten. Eine Mischung aus militärischem Drill, (körperlichen) Strafen und der immer wiederkehrenden, täglichen Disziplineinübung erschien in diesem Zusammenhang als probates Mittel. Das System der „boarding schools" war in den Augen der Verwaltung der beste Garant für eine vollkommene Erziehung nach britischem Vorbild. Die Zuweisung eines jeden Schülers an einen bestimmten Platz sollte eine umfassende Kontrolle garantieren. Die Einführung eines Hierarchie begründenden Präfektensystems scheint ein wesentliches Element im Rahmen des „character training" gewesen zu sein. Absolventen der Tabora-School strichen wiederholt die Rolle des Präfekten bei der Einhaltung alltäglicher Ordnungs- und Sauberkeitsrituale hervor.12 Der gesamte Tagesablauf in dieser Einrichtung wurde gemäß einer rationalen Planung und einer methodischen Zeiteinteilung gestaltet, die wenig Raum für individuelle Alternativen der einzelnen Schüler ließen.13 Klingeln, Glocken und Pfeifen signalisierten die Aufforderung, bestimmte Tätigkeiten auszuführen oder zu unterlassen. Unpünktlichkeit galt als unverzeihliches Vergehen. Die Freizeit der Schüler war ebenfalls nach europäischem Muster organisiert. Der Samstag war in der Tabora School dem Reinemachen, Sportveranstaltungen, Musik oder der Gartenarbeit vorbehalten. Der Sonntag diente dem Kirchgang und der Vorbereitung auf die kommende Woche. Inwieweit hat das britische „character training" die Aktivitäten der afrikanischen Bürokraten in der Zwischenkriegszeit geprägt? Was wissen wir überhaupt von der
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kleinen Gruppe der tansanischen Verwaltungsmitarbeiter in jenen Jahren? (Auto-) biographisches Material ist dünn gesät, Hinweise in den administrativen Akten der Kolonialmacht sind rar. Dennoch läßt sich zumindest ein skizzenhaftes Portrait zeichnen. Die relativ große Bedeutung von Bildungsfragen für die britischen Kolonisierenden fand ihren Widerhall zunächst einmal in den Aktivitäten der frühen afrikanischen Vereinigungen in British-Tanganyika, wclche größtenteils von government clerks geprägt wurden. Während und unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg fand eine symbolische Auseinandersetzung mit europäischer Bürokratie und Disziplin durch die maßgeblich von tansanischen Verwaltungsmitarbeitern getragenen ,3eni-Ngoma" TanzAssoziationen statt. Diese erlebten vor allem während der deutschen Herrschaft ihre Blüte, sind aber in einigen Regionen Ost- und Zentralafrikas bis heute existent (Ranger 1975). Häufig waren die einzelnen Assoziationen nach Berufsgruppen orientiert. Die jeweiligen Tanzaufführungen variierten in Details beträchtlich, thematisierten aber u.a. bürokratische Hierarchien, Kleidung und Drill der Europäer. Europäer, die diesen Tänzen beiwohnten, waren sich nicht sicher, ob sich die Afrikaner über sie lustig machten oder ihre Bewunderung ausdrückten. Letztendlich war beides der Fall, denn einerseits verhieß die koloniale Ordnung für die clerks ja eine neue Welt, mit der sie sich durchaus arrangieren wollten; andererseits fanden sie bestimmte Auswüchse der neuen Ordnung brutal, unverständlich oder schlicht lächerlich. Den Briten als faktisch neuen Kolonialherren waren diese Praktiken nicht geheuer, zumal sie beizeiten auch eine gewisse Bewunderung für den deutschen Drill zu erkennen glaubten. Aber auch von anderen Afrikanern erfuhren die in den Dance Societies aktiven Elitenvertreter zum Teil heftige Kritik an ihrer Extravaganz. Besonders vernichtend fiel ein (anonymer) Artikel in der Swahili-Zeitschrift Mambo Leo vom März 1928 aus: „But among those who feasted at the dance, how many have denied their children food so as to appear seemingly great? Among those who wore such stupid and dandified clothes, how many have left their wives and children to go in rags?... Among those who danced under the light of pressure-lamps, how many haven't even a single cent to buy a candle-stick or paraffin with which to illuminate their houses? Many brag, saying: 'Wau! last night is worth remembering; even Europeans came to watch our dancing!' Yes true, but what were the Europeans thinking when they were watching the dancing? Come on, gentlemen abandon these nonsensical bankrupting dances. The far-sighted people of the world are laughing at you and looking at you with scorn because of your folly."14 Als dieser Verriß erschien, hatten sich die meisten Verwaltungsmitarbeiter bereits aus den Tanzgesellschaften zurückgezogen und begonnen, neue Formen gesellschaftlicher Organisationen auszubilden. 1922 gründeten afrikanische government clerks in Tanga die „Tanganyika Territory African Civil Services Association". 15 Der erste Bericht der Vereinigung an die Kolonialverwaltung verhieß: „Our Association gives these advantages to every African Civil Servant who joins: (a) Close fellowship (b) Free reading and social advancement in accordance with the ethics of the present civilization (c) Sportsmanship."16 Ihr Präsident, Martin Kayamba, kann als Prototyp der ersten Generation von afrikanischen Bürokraten in British-Tanganyika gelten:
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„A tail, powerful man, elegantly dressed in the European manner, Kayamba's education, travel, and fluent command of English made him a model of the sophistication to which the young men aspired." 17
Kayamba entstammte einer Familie aus Nordost-Tansania, die sowohl der dortigen Aristokratie als auch der neuen, durch die ersten europäischen Missionen geprägten Elite angehörte. Nachdem er eine Missionsschule in Kenia absolviert hatte, arbeitete er ab 1906 auf verschiedenen Posten für die britische Kolonialverwaltung in Kenia und Uganda. Im Januar 1915 geriet er in Tanga in deutsche Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Befreiung durch die englische Armee bekam er rasch - auch dank seiner exzellenten Englischkenntnisse - einen Posten als Government clerk in Tanga (Iliffe 1973: 68ff.). 1929 wurde Kayamba Mitglied des „Advisory Committee on Native Education" und setzte sich vehement - lange Zeit aber erfolglos - für eine bessere Schulbildung der lokalen afrikanischen Bevölkerung ein, wobei er insbesondere den Ausbau der höheren Schulen forderte. Sein Sohn gehörte zu den ersten Tansaniern, die zum Studium ans Makerere College nach Kampala gingen. Kayamba pendelte zwischen einer unkritischen Bewunderung für Großbritannien und einer durchaus positiven Einschätzung vorkolonialer afrikanischer Kulturen. Charakteristisch für ihn wie für viele clerks seiner Generation war der tiefe Glaube an ein Afrika, das durch gemeinsame Anstrengungen von Europäern und Afrikanern modernisiert werden würde. Kayamba wie die meisten anderen afrikanischen Bürokraten fügte sich weitgehend in den von der Kolonialmacht vorgegebenen politischen Rahmen ein, indem sie etwa kulturelle Vereinigungen gründeten oder in staatlichen Zeitschriften wie Mambo Leo vornehmlich ethnographische Texte produzierten.'8 Die circa 1929 in Dar es Salaam gegründete African Association (AA) „was a deliberate attempt to unite civil servants with the leaders of other social groups" (Iliffe 1979: 408). In einem Schreiben an das Colonial Office in London bezeichnete Gouverneur Sir Donald Cameron die AA als eine „social rather than political organization". Die rund 300 Mitglieder seien „some of the better educated natives who are employed in government service or engaged in business and trade in Dar es Salaam"19. Sekretär der Vereinigung war Kleist Sykes, ein muslimischer Geschäftsmann, dessen Vorfahren aus Mosambik stammten (Sykes Buruku 1973). Die AA übernahm elaborierte bürokratische Prozeduren und verschaffte ihren Mitgliedern auf diese Weise die Befriedigung, Entscheidungen zu treffen und auszuführen anstatt immer nur zu tippen und die Ablage zu machen. In gewisser Weise schuf die Assoziation, die in mehreren Regionen des Landes .Zweigstellen" unterhielt, auch ein Pendant zu den europäischen Clubs. Teeparties wurden veranstaltet, Bibliotheken eingerichtet und Feste organisiert. Versuche, bei politischen Problemen zu intervenieren, provozierten jedoch sofort die scharfe Reaktion der Kolonialverwaltung. Der Tanganyika Herald berichtete im Oktober 1930 über die offenbar unverblümte Warnung Camerons an eine Delegation der AA: „His Excellency is said to have warned the members that if the Association has anything to do with the political side as apart from social and economic problems it would be advisable for the Government servants to resign from the same as they are prohibited from taking any part in politics according to service regulations.
Diese Drohung schlug offenbar so ein, daß sich die AA nahezu für eine Dekade von politischen Aktivitäten verabschiedete (Iliffe 1969b: 157ff.).
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Kayamba war nur lose mit der AA assoziiert, gleichwohl fuhr er - zumindest in den Augen der britischen Verwaltung21 - als Repräsentant dieser Organisation im März 1931 nach London. Hintergrund dieser Reise war die damalige Debatte über die vor allem von weißen Siedlern in Kenia geforderte Vereinigung (Closer Union) der britischen Besitzungen in Ostafrika zu einer Kolonie (Callahan 1997). Philanthropische Kreise in England hatten das Colonial Office mit Erfolg überzeugt, zu den entsprechenden Anhörungen des dafür vom britischen Parlament geschaffenen Komitees in London auch afrikanische Vertreter einzuladen. In Tanganyika fiel die Wahl neben Kayamba auf Mtemi Makwaia aus Shinyanga und Mwami Francis Lwamugira aus Bukoba. 22 Kayamba schwang sich, wiederum nicht zuletzt wegen seiner vorzüglichen Englisch-Kenntnisse, 23 zum Sprecher der Gruppe auf. Vor dem Ausschuß führte er nicht nur aus, daß die Afrikaner in Tanganyika eine „Closer Union" mit Kenia und Uganda ablehnten und lieber britisches Mandatsgebiet bleiben wollten. Zudem forderte er die Einrichtung eines „Native Advisory Council". Dieses Gremium stellte er sich folgendermaßen vor: „[It] should be advisory to the Government on all matters affecting natives. Native members of the Advisory Committee should be appointed to all Committees which are appointed by the Governor to consider any matters affecting naüves, directly or indirectly. The members of the Advisory African Council should be selected from Chiefs and well educated Africans. The membership of this Committee should not be confined to Chiefs only. In this way provision will have been made for all sections of the African community to participate in the affairs of their own Government. The object of the Council is to have a channel for airing the views of every section of the African community in regard to matters concerning them. It will thus eliminate as much as possible the possibility of Africans using unconstitutional means in order to air their grievances."24 In frappanter Weise nahm Kayamba hier mit dem Vorschlag, alte und neue Eliten zu verknüpfen, eine Programmatik vorweg, die im Kontext der „neuen britischen Kolonialpolitik" in Tanganyika nach 1945 große Bedeutung erlangen sollte. Auffällig ist zudem die vermittelnde, moderate Haltung Kayambas. Einerseits wird nachdrücklich eine größere Mitsprache von Afrikanern gefordert, wobei nicht zufällig den gut ausgebildeten Personen (wie ihm selbst) eine wichtigere Rolle zukommen soll. Andererseits legt Kayamba Wert darauf, daß Beschwerden gegen das Kolonialsystem gleichsam den Rechtsweg einhalten. Das Londoner Komitee machte sich den Vorschlag für ein Native Advisory Council durchaus zueigen, die Verwaltung in Tanganyika selbst wies die Initiative kurz darauf jedoch als „voreilig" zurück (Iliffe 1973: 80). Weitere Ersuchen, die Kayamba während seines England-Aufenthaltes formulierte, blieben ebenfalls folgenlos. So hatte er bei einem Treffen mit dem Kolonialminister u.a. um den Ausbau des höheren Schulwesens gebeten und verlangt, daß afrikanische Regierungsangestellte die gleichen Vergütungen und Sozialleistungen wie ihre asiatischen Kollegen erhalten sollten.25 Kayambas Rede beim Jahrestreffen der University Mission for Central Africa schließlich sollte ihm später in Tanganyika unter der „educated elite" viele Feinde eintragen, denn hier präsentierte er sich äußerst devot und schien Vorurteile, er sei ein unkritischer, prokolonialer Karrierist, zu bestätigen. Eine Kostprobe:
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„We Africans, you know, are backward people, are the most backward race in the world. We are helpless. We cannot stand alone in the present world. We want your help. I appeal to you on behalf of my brothers and sisters of Africa. We want to co-operate with you, to be friendly with you. We have our African priests, but they cannot do with you. God is working in Africa through them and you." (Perham 1936: 261) Die England-Reise demonstiert noch einmal die bemerkenswerte Ambiguität Kayambas sowie die ambivalenten Konventionen seiner Selbstrepräsentation: Eine positive Haltung zur neuen kolonialen Ordnung war gepaart mit widersprüchlichen Strategien, die „lokale Tradition" als einen konservativen Einflußfaktor auf die afrikanischen Gesellschaften darzustellen, dem man gleichwohl einen Wert als kultureller Ressource beimaß. Nach seiner Rückkehr aus England im Juni 1931 war Kayamba in Tanganyika eine berühmte, wenngleich gerade unter Afrikanern nicht uneingeschränkt geschätzte Figur. Die britische Verwaltung jedoch hielt große Stücke auf ihn und ließ es an Ermutigung und Förderung nicht fehlen. Im Mai 1932 wurde Kayamba der M.B.E. verliehen, kurz darauf ernannte ihn der Gouverneur zum „Assistant Secretary" im Secretariat von Dar es Salaam, dem politischen Zentrum der kolonialen Administration. 26 Hierbei handelte es sich zwar um eine der höchsten Positionen, die ein Afrikaner damals in der kolonialen Verwaltungsmaschinerie Tanganyikas einnahm, dennoch blieben Kayambas Einflußmöglichkeiten äußerst begrenzt (Iliffe 1973: 83). Immerhin agierte er als Mittler zwischen der Administration und afrikanischen Interessengruppen und, so Iliffe (ebenda), „he could influence the Government's attitudes towards particular groups of Africans, but he had no impact on policy". Kayamba erwies sich als durchaus treuer Diener seiner Herren; er versuchte, lokale Initiativen für Schulen und Ausbildung zu fördern, politische Ambitionen oder gar Arbeitskämpfe lehnte er jedoch entschieden ab. So berichtete er über sein Treffen mit Vertretern der African Labour Union, einer Gruppe von Hafenarbeitern in Dar es Salaam: „They say their Union is for the purpose of helping one another when sick and for burial purposes. If they have troubles with their employers they will put up the matter to Government for settlement. I pointed out to them the danger of strikes."27 1936 verschlechterte sich Kayambas Gesundheitszustand und er trat eine längere Europareise an, „for change and education" (Kayamba 1948a: 9). Seine frühere optimistische Vision eines durch die Zusammenarbeit von Afrikanern und Europäern modernisierten Tanganyika wich sukzessive desillusionierten Ansichten. Diese manifestierten sich etwa in seiner Schrift „African Problems" (Kayamba 1948b). 28 Kayamba zufolge war der Einfluß Europas auf Afrika bestenfalls „mixed and complex". Viele positive Elemente der traditionellen Gesellschaften seien voreilig zerstört und durch blanken Materialismus ersetzt worden. Dieser Prozeß habe sich vor allem auf gebildete Afrikaner ausgewirkt, und viele von ihnen hätten westliche Lebensweisen einfach unkritisch übernommen. Dagegen sei es, so Kayamba, notwendig „to pick out what is best from them and dilute it with what we hold". Er forderte u.a. den Aufbau einheimischer Industrien, welcher von den Afrikanern selbst unter Einbeziehung westlicher Technologien und Ideen durchgeführt werden sollte. In diesem Kontext entfaltete Kayamba auch neue Überlegungen zum Erzie-
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hungswesen. Er betonte sehr viel stärker als früher die Notwendigkeit, Ausbildung im dörflichen Zusammenhang zu gewährleisten: J t should be the aim to teach the villagers to be of use to themselves; to train them to build healthy houses, make good village roads, build simple bridges across rivers and understand good food cultivation... This is the education which is civilizing."
Allerdings unternahm es der Autor an keiner Stelle, über mögliche Wege der Umsetzung dieses Programms zu reflektieren. Er huldigte zudem einer recht romantischen Sicht des „einfachen Dorflebens", die stark den Geist des zeitgenössischen europäischen Schrifttums über Afrika atmete. Dennoch ist wohl Iliffe (1973: 86) zuzustimmen, der .African Problems" als „the most important work written by a Tanganyikan of his generation" bezeichnete. Kurz nach Fertigstellung des Manuskripts quittierte Kayamba seinen Dienst in der Kolonialverwaltung und zog sich in seine Heimatregion bei Tanga zurück, um ein Stück Land zu bewirtschaften und sich als Hühnerfarmer zu versuchen. Die Reaktion der britischen Regierung in Tanganyika fiel ambivalent aus: „We are sorry to lose this old and valued Government servant but we are not trying to prevent him from going since I must admit (and I have known him for some years) that he has lost something of his usefulness. We do not propose to fdl the vacancy as Kayamba is quite exceptional and it is likely to be some years before we find another African qualified to step into his shoes." 29
Nur zwei Jahre später, am 31. Dezember 1939, starb er. Die Nachrufe waren gemischt. A.B. Hellier, ein Missionar, pries das Lebenswerk Kayambas in höchsten Tönen: „He believed with all his heart in the future progress of his fellow countrymen and devoted all his energies to assist that progress and to provide them with a conspicuous example to follow."30 Sehr kritisch, ja beleidigend fiel dagegen der Nekrolog aus, den Erica Fiah in der Zeitschrift Kwetu schrieb: „Martin Kayamba will be better remembered as the selfish African who rose to the highest rank (unless Assistant Secretary was something of a mask meaning 'exceptional clerk' only) in Government Service but without being of any use to his race - the detached man whose history finished with poultry-raising in the Tanga District. We are not bitter - all we mean is that he never bothered about his African brothers and knew very little about them... Many of us remember Kayamba as the man who was fond of singing his own praises, the man who had the opportunity to go to London on a political mission but spent his time as he apparently confesses in his book, sight-seeing and teapartying."31
Der aus Kampala/Uganda stammende Fiah gehörte zu den radikalsten politischen Akteuren im Tanganyika der Zwischenkriegszeit. 1934 gründete er die .African Commercial Organisation" (ab 1936: „Tanganyika African Welfare and Commercial Association"[TAWCA]), mit der er einen Gegenpol zur „britisch-indischen Handelsphalanx" schaffen wollte. Diese Vereinigung war zudem als Alternative zur politisch kaum auffälligen AA gedacht. Fiah war stark von panafrikanischen Strömungen, insbesondere den Schriften Marcus Garveys, beeinflußt, zu antiimperialistischen Gruppierungen in England unterhielt er Kontakte. Ab 1937 gab er die Swahili-Zeitung Kwetu (Bei uns) heraus, die mit Unterbrechungen bis 1931 existierte, wobei nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch höchst unregelmäßig Aus-
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gaben erschienen. Das Blatt pflegte einen kritischen Ton gegenüber der Kolonialverwaltung, ohne jedoch subversiv zu sein.32 Zu den engagiertesten Unterstützern Fiahs gehörte zwischen 1938 und 1943 ein junger Government clerk aus der Kilimanjaro-Region: Thomas Marealle bemühte sich um Abonnenten, sammelte Spenden und steuerte zahlreiche Leserbriefe und Artikel bei, in denen er ausgebildete Afrikaner aufrief, aufzuwachen, Fiah und Kwetu zu unterstützen und sich zum Nutzen des Landes zu organisieren.33 Fiah selbst pries in einem Editorial seinen Freund „Tommy" als einen der fähigsten Afrikaner überhaupt.34 Doch je radikaler und offener Fiah die Kolonialverwaltung und politische Rivalen attackierte, desto stärker zog sich Marealle von seinem Engagement zurück. Später erinnerte er sich: „I was very closely associated with it [Kwetu] for some 6 years out of sheer patriotism without payment of any kind for selling the paper and collecting large sums of donations given, all of which I sent on to him at my own postal expenses, and without even knowing him [Fiah] personally. I gave up completely with this paper when I discovered that Erica Fiah was beginning to regard it as his own instrument for personal use and attack against individuals, communities or Government. The paper died soon after." 15
Bürokrat und Chief: Thomas Marealle im Tansania der Dekolonisation Wie sein Verhältnis zu Kwetu und Fiah zeigt, achtete Marealle sehr darauf, sich trotz gelegentlicher Kritik an den Briten stets offizieller Anerkennung sicher sein zu können. Er war in den 1940er und frühen 19S0er Jahren gleichsam der Inbegriff des erfolgreichen afrikanischen Bürokraten. Die Eckdaten seiner politischadministrativen Karriere sind rasch rekapituliert.36 1915 wurde er hineingeboren in eine mächtige „Häuptlingsfamilie" der Chagga am Fuße des Kilimanjaro. Die deutschen Kolonialherren hatten seinen Großvater, Marealle Melyari von Marangu, zum „Oberhäuptling" für das gesamte Kilimanjaro-Gebiet ernannt (Moore 1986; Stahl 1964). Über seine Kindheit und Jugend liegen nur wenige Informationen vor. In jedem Fall gehörte er zu jenen auserwählten „Häuptlingssöhnen", denen im Tanganyika der „indirect rule" eine höhere Schulbildung zugestanden wurde, um sie auf künftige Verwaltungsaufgaben vorzubereiten. Marealle besuchte die Missionsschule der Lutheraner in Marangu und anschließend die Tabora School, bevor er 1934, als 19jähriger, in den kolonialen Verwaltungsdienst eintrat.37 Zehn Jahre lang diente er in sieben verschiedenen Distrikten, u.a. in Moshi, Arusha, Mbeya und Lindi. 1944 konnte er dann dank eines Regierungsstipendiums zwei Jahre in England verbringen, um an der renommierten London School of Economics einen Kurs in „Social Weifare and Government" zu absolvieren.38 Die Jahre des Zweiten Weltkriegs erfuhren die afrikanischen Lehrer und Regierungsangestellten in Tanganyika als eine entbehrungsreiche Periode.39 In den 1930er Jahren genossen sie im Vergleich zum Rest der Bevölkerung einen relativen Wohlstand, den sie ebenso wie ihren höheren Status zu wahren trachteten. Doch die kriegsbedingte Inflation reduzierte den Wert ihrer Gehälter drastisch, Personalmangel erforderte einen erhöhten Arbeitseinsatz, ohne daß es verbesserte Aufstiegs- und Einkommensmöglichkeiten gegeben hätte. Staatliche Zuschüsse zu den Lebenshaltungskosten waren mehr als inadäquat. Britische Verwaltungsbeamte registrierten die wachsende Verbitterung unter afrikanischen Bürokraten, die unmittelbar nach
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Kriegsende noch anstieg, weil zurückkehrende Soldaten finanziell oft besser gestellt waren als die government clerks und zudem über ihre Köpfe hinweg befördert wurden. „Despite all this", hieß es jedoch in Kwetu, „we still have a chance to hope that the new World which is to come out of the chaos and ruins will be a better world of freedom and liberty."40 Ihre während des Krieges (wenn oft auch nur zähneknirschend) gezeigte Loyalität erhöhte bei den afrikanischen Staatsdienern allerdings die Erwartungen an die Nachkriegszeit. Sie Ubernahmen nicht zuletzt die von den Briten propagierte Ideologie des Colonial Development und knüpften daran Forderungen an die Kolonialregierung, endlich Möglichkeiten für den raschen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufstieg von Afrikanern zu schaffen. Allerdings brachte die unmittelbare Nachkriegszeit für afrikanische Bürokraten zunächst kaum Verbesserungen. In den Jahren nach 194S brauchten die Briten angesichts der ausgelaugten britischen Nachkriegswirtschaft, gewaltiger Staatsschulden und dem rasch auseinanderfallenden asiatischen Kolonialreich nun selbst die vergleichsweise mageren Ressourcen Tansanias. Der vom Colonial Office aufgestellte Maßnahmenkatalog beinhaltete etwa den Ausbau der verarbeitenden Industrie, die Expansion des CashCrop-Anbaus, Landwirtschaftsprogramme, die Erweiterung des Bildungssektors sowie eine lokale Verwaltungsreform (Iliffe 1979: 436ff.). Auch Fragen der sozialen Wohlfahrt erlangten in Tanganyika wie in anderen britischen Afrika-Kolonien eine ständig wachsende Bedeutung,41 wobei insbesondere die Einrichtung von „Social Welfare Centres" ins Zentrum kolonialer Aktivitäten rückte. „The function of the centres", hieß es 1945 in einem Rundschreiben des Social Welfare Officers, bestand darin, „to endeavour to bridge the gap between the proletariat and the intelligentsia and to inspire the latter with the ideal of service which it so badly lacks."42 Im Blickfeld der Verwaltung waren insbesondere die zurückkehrenden Soldaten, die „with their wider experience of the world and used to the welfare amenities of army life would find it difficult to settle down in civil life without opportunities for sharing in wider group activities and a social organisation not found in the traditional tribal way of life"43. Allerdings war der Erfolg dieser Einrichtungen bescheiden. 1956 mußte der Social Development Report konstatieren: „... signs are as yet lacking that these buildings are becoming neighbourhood centres where any genuine sense of community is growing amongst the people, or which they regard as their own."44 Finanzielle Restriktionen verhinderten zudem den Ausbau sowie die adäquate Unterhaltung der Zentren. Nach seiner Rückkehr aus London arbeitete Thomas Marealle vornehmlich im Bereich der sozialen Wohlfahrt, zunächst als Assistant Development Officer, dann als Social Welfare Officer mit Verantwortung für mehrere Provinzen und Sitz in Morogoro.45 Zu seinen Tätigkeitsfeldern gehörten etwa Inspektionen von Schulen und Welfare Centres sowie kleinere Erhebungen.46 Ein besonderes Anliegen schienen ihm Sprachkurse für die erwachsene Bevölkerung gewesen zu sein. 7 Bereits vor seinem England-Aufenthalt, insbesondere während seiner Zeit im Labour Office in Mbeya 1942, war Marealle als Förderer der sozialen Wohlfahrt in Erscheinung getreten und hatte sich vehement für Sportplätze und Trainingsmöglichkeiten für die Jugend eingesetzt sowie Freizeitclubs für Erwachsene gefordert. 1949 wurde er schließlich zum Programm-Manager der staatlichen Rundfunkanstalt (Swahili Service) in Dar es Salaam. In dieser Funktion erlangte er landesweit rasch einen relativ großen Bekanntheitsgrad (von Clemm 1962: 228). Politisch betätigte sich Marealle sowohl in der AA bzw. TAA 49 als auch in der Anfang der 1940er Jahre
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revitalisierten TAGSA, deren Präsident er schließlich wurde. Allerdings erwies sich die letztgenannte Organisation als wenig durchschlagskräftig. Die TAA wuchs zwar in den Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg beträchtlich an und zählte 1948 knapp 40 lokale Zweige (Branches) mit rund 1800 Mitgliedern (Iliffe 1979: 426). Doch bald darauf zerfiel die noch immer stark von government clerks geprägte Assoziation nahezu vollständig, um schließlich 1954 durch Julius Nyerere und einige Mitstreiter zur Tanganyika African National Union (TANU) umfunktioniert zu werden, die dann rasch zur nationalistischen Massenpartei aufsteigen sollte.30 Marealle intensivierte in den späten 1940er Jahren seine Kontakte zum Fabian Colonial Bureau (FCB), was sich u.a. in einer intensiven Korrespondenz niederschlug.51 Das im Oktober 1940 ins Leben gerufene FCB war eine .Abteilung" der 1883/84 gegründeten Fabian Society. Diese Gesellschaft versammelte zunächst eine Reformelite von Intellektuellen, Beamten und Politikern in der Absicht, durch das wissenschaftliche Studium ökonomischer Prozesse und sozialer Konfliktbeziehungen die Partizipationschancen aller Gruppen einer Massengesellschaft an den materiellen und ideellen Kulturgütern zu erweitem, dadurch die Klassenkonflikte zu entschärfen und nicht zuletzt die Arbeiterparteien dieser Länder von ihrem revolutionären bzw. syndikalistischen Kurs abzubringen. In den Jahren der „second colonial occupation"52 nach 1945 gewannen die Fabianer relativ großen Einfluß auf die Kolonialpolitik der Labour Regierung (Cowen/Shenton 1991). Dieser Konnex manifestierte sich nicht zuletzt in der Person Arthur Creech-Jones, der von 1946 bis 1950 als Kolonialminister fungierte und zuvor bereits viele Jahre im ExekutivKomitee der Fabian Society aktiv war. Die Entwicklungen in Tanganyika fanden besonderes Interesse im FCB, was sich nicht zuletzt mit der Treuhandschaft der UNO über dieses Land erklärt. Die Treuhandschaft wiederum war ein Ordnungsmodell, dem die Fabianer bereits während des Krieges eine Reihe von Schriften gewidmet hatten (Smith 1985). Marealle war offenbar bereits während seiner Studienzeit in England in Berührung mit den Fabianern gekommen.53 In seinem überlieferten Briefwechsel mit Vertretern des FCB kommt eine weite Palette an Themen zur Sprache. Im Mai 1949 schickte Marealle beispielsweise ein eng bedrucktes fünfseitiges Pamphlet nach London, in welchem er vehement vor der vermeintlich drohenden „closer union" zwischen Südafrika und den britischen Territorien südlich der Sahara warnte.54 In einem anderen Schreiben beklagt er sich über die Zensur beim „Tanganyika Standard", der einen seiner Leserbriefe nicht drucken wollte.55 Permanent mischten sich politische Statements mit privaten Informationen; zudem versäumte es Marealle nicht, das FCB regelmäßig über seine vielfaltigen Aktivitäten in Kenntnis zu setzen. So berichtete er im März 1951 stolz: J have been appointed, nominated or elected to the following Committees and Boards since my transfer to Dar es Salaam in September, last: Patron of the Chagga Association, President of the Tanganyika Civil Servants' Association, Committee member (African and Asians) Promotional Board, Member of the Govt. Employees' Provident Fund, Member of the King George V. Memorial Museum, co-opted member of the Rising Cost of Living Committee and Warden of the Local Lutheran Church of which I am a member... I have been asked to start Tanganyika's B.B.C. right from scratch with means not only the founding of an acceptable system of programmes but making up several stories of local texture for filming; editing original ones from other people, scouting for talent (Musicians, cartoonists for rural development projects, singers, actors and actresses and Heaven only knows what else)..."56
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Die Alltagswelt Marealles erschließt sich in diesen Briefen jedoch nur ansätzweise. Relativ deutlich spiegelt sich dagegen der Kontrast zwischen der gesuchten Nähe zu den Europäern - manifest etwa in der Anrede „My dear Maijorie" - und der gewahrten Distanz zu seinen afrikanischen Mitarbeitern, deren inadäquaten Umgang mit bürokratischen Standards er regelmäßig tadelte.5 Die Art und Weise, in der Marealle Allianzen zu den Europäern aufzubauen sucht, läßt sich besonders deutlich an einem Brief aufzeigen, den Marealle im April 1931 an das Secretariat in Dar es Salaam schreibt, und im dem er um einen Studienaufenthalt für seine Frau bittet. Dabei verknüpft er dieses Anliegen mit der Beschreibung seiner guten sozialen Netzwerke: „... She [Marealles Frau, A.E.] is a qualified Grade II Teacher and has learned some English while at School and during the period when she was teaching. This learning has been considerably accelerated since our marriage as she has had to do a great deal of entertaining of our European friends who, in turn, have also often invited us to their homes... She would be quite ready and willing to go abroad on some 'course' even if that were only to be away in Britain for a year or so in an atmosphere in which the medium of conversation would be English only. We have many friends in Great Britain, some of whom even came to see us at our home in Moshi, so she would at least be seeing some British people that she actually knows and with whom she could spend part of her time."5' 1951 nahmen die politischen Entwicklungen in der Kilimanjaro-Region einen immer größeren Platz in Marealles Schriftwechsel mit dem FCB ein. Zentrales Thema der Briefe waren dabei die Verwaltungsreformen, die hier seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs von den Briten durchgeführt wurden. 59 Zunächst hatten die Kolonialherren die Autorität der sogenannten Divisional Chiefs gestärkt. 1946 wurden die verschiedenen „Häuptlingstümer" drei nach vornehmlich geographischen Kriterien zusammengesetzten administrativen Einheiten zugeordnet: Hai im Westen umfasste fünf Häuptlingstümer, Vunjo im Zentrum sechs, Rombo im Osten vier. Jede dieser Einheiten erhielt ein Oberhaupt (divisional chief), die Chiefs der 15 Häuptlingstümer wurden faktisch zu „Unterhäuptlingen" (sub-chiefs). Die drei Divisional Chiefs verfügten wiederum jeweils über einen sogenannten „divisional council". Dieser setzte sich aus dem stellvertretenden Chief, den Chiefs innerhalb der entsprechenden administrativen Einheit sowie einigen Beratern zusammen, von denen ein Teil vom Divisional Chief bestimmt, ein Teil gewählt wurde. Die Chiefs gerieten jedoch schon bald unter Druck: Immer mehr sogenannte „commoners" vermochten in den Räten mitzumischen, die Regierung drängte, die koloniale Politik, etwa unpopuläre Gesetzesmaßnahmen, durchzusetzen. Schwankende Kaffeepreise sorgten für Unruhe in der Bevölkerung. Zudem machte sich massive Landknappheit bemerkbar. Bei vielen Bewohnern der Kilimanjaro-Region setzte sich das Bewußtsein durch, die lokalen Herrscher immer weniger kontrollieren zu können. Ältere und Clanführer schauten zurück auf eine vermeintlich demokratischere Vergangenheit, als die Chiefs noch stärker unter ihrem Einfluß standen, während jüngere, gut ausgebildete Chagga unter der Herrschaft der Chiefs litten und auf eine demokratischere Zukunft hinarbeiteten (Samoff 1974:21).
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A MODERN PARAMOUNT CHIEF
Thomas Marealle
Marealle the Second.
and his wile. Marealle He complained
was the only Paramount
that clerks
in his court the court
used
Chief to read
to be "elected" DRUM
between
to his post and yet took the their knees,
rather
title
than listen
proceedings.
Abb. 18: Hin „modemer Chief: Thomas Marealle und seine Frau in „traditioneller" Kluft, c. 1958
to
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Bereits in den späten 1940er Jahren begann sich erster Widerstand gegen die Divisional Chiefs zu regen, einmal durch lokale Obere (kleinere Häuptlinge, Clanoberhäupter), zum anderen durch eine Gruppe jüngerer Schulabgänger, die im herrschenden System für sich nur wenig Perspektiven sahen. Politische Gruppierungen entstanden, und insbesondere die Kilimanjaro Chagga Citizens Union (KCCU) forcierte den Kampf gegen die Divisional Chiefs. Ihr gelang es schließlich, bei den britischen Verantwortlichen die Idee durchzusetzen, es solle einen von allen Chagga auf Lebenszeit gewählten „Oberhäuptling" (Mangi Mkuu) geben.60 Sie schlug Thomas Marealle für diesen Posten vor, und der war in der Tat der ideale Kandidat: Es floß „Häuptlingsblut" in seinen Adem, er hatte ein britisches Universitätsdiplom in der Tasche und galt als profilierter Modernisierer mit großer Verwaltungserfahrung. Er gewann die Wahl im November 1951, an der lediglich die Hälfte der 48.000 Wahlberechtigten teilnahmen, mit rund zwei Drittel der abgegebenen Stimmen.61 Wenige Tage nach seiner Wahl schrieb ein leicht pathetisch gestimmter, die Größe der vor ihm liegenden Aufgaben betonender Marealle an Maijorie Nicholson vom FCB: ,4 am therefore by the Grade of God, the wishes of the Chagga people and approval of the Govt. Marealle II, Paramount Chief-elect of the Wachagga. I have come down to hand over and pack up and move to Moshi with my family by the end of the month. The D.C. John Millard is anxious that I should get down to the Borna files and Chagga Council files within December and do a quick trip of the mountain and meet all Chiefs and people so as to have a complete picture of things and if possible get a policy worked out before January, 1952.1 must also see the plans for my House (call it a Palace if you like) and new Council and staff quarters. All that is a lot of work Maij."62 Es gehört zu den interessantesten Aspekten der spätkolonialen Geschichte Tansanias, daß im Verlauf der 1950er Jahre eine Reihe von Personen als Chiefs gewählt und inauguriert wurden, die vorher nicht nur eine vergleichsweise gute Schul- (und teilweise auch Universitäts-) ausbildung genossen und höhere Positionen in der Kolonialverwaltung bzw. im Schuldienst innehatten, sondern zudem eine wichtige Rolle in der Frühphase des tansanischen Nationalismus spielten. Neben Marealle zählten beispielsweise Ernesto Mang'enya und Patrick Kunambi zu dieser Gruppe.63 Aufgrund seines spezifischen Profils konnte Marealle, der sich im übrigen nie zu den Motiven seiner Kandidatur geäußert hat, glaubhaft eine Reihe von Versprechungen machen, etwa den permanenten Fortschritt im ökonomischen und Bildungsbereich, gerechte Lösungen der Landprobleme sowie Respekt vor „traditionellen" Institutionen (Iliffe 1979: 493). Er regierte fortan mit einer Mischung aus Modernisierungsethos und Neotraditionalismus. Die zunächst relativ hohen Einnahmen aus dem Kaffee-Anbau wurden vornehmlich lokal, das heißt in der Kilimanjaro-Region investiert, wobei Marealle besonderen Wert auf das Ausbildungs- und Erziehungswesen legte und zahlreiche entsprechende Maßnahmen tätigte. Der folgende Auszug aus seinem Brief an einen Schulleiter in Moshi vom Januar 1953 mag diesen Befund illustrieren: „The Chagga people are so education-hungry ... that anything that will add to our present measure and to the Central Government's ten year plan will be regarded as a blessing. It is with this fact in view that I recently appointed a Special Education Commission consisting of three Area Chiefs ... and four Councillors including the Secretary to tell the Chagga People what our educational
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problems and suggested solutions were and see if they were prepared to contribute something special to implement those solutions. Although I would not like to be too sure, I think the prospects of raising special funds for an additional slice of education in Chaggaiand are not too bad."64
Die Verwaltung des Distriktes erfolgte ganz nach dem Vorbild der britischen Administration. Dies läßt sich etwa ablesen an der Gründung zahlreicher SubKomitees mit eigenen Finanzhaushalten, aber auch an der genauen formalen Kopie britischer Verwaltungskorrespondenz. Zudem führte Marealle weitere administrative Reformen ein. So wurde die Zahl der Mitglieder des Chagga Council erhöht, die Zahl der gewählten Mitglieder dieses Rates stieg beträchtlich an (Johnston 1933: 135f.; Moore 1986: 143). Marealle genoß das sichtliche Wohlwollen der britischen Verwaltung und durfte wichtige Repräsentationspflichten wahrnehmen, etwa als tansanischer Delegierter bei der Krönung von Queen Elizabeth 1953. Die internationale Presse feierte ihn als modernen Chief, unter dessen Ägide u.a. wichtige Fortschritte in der schulischen und medizinischen Versorgung erreicht wurden.65 Die andere Seite der Medaille war der von Marealle vorangetriebene „kulturelle Nationalismus". Der Tag von Marealles Wahl wurde fortan jährlich als „Chagga Day" zelebriert, die Kreation einer Chagga-Fahne sowie einer Hymne ließen nicht lange auf sich warten.66 Schon früh begann Marealle zudem, seine Legitimation fllr die Position des Mangi Mkuu („Oberhäuptling") zu fundieren. Noch vor seiner Wahl betonte er in einem Vortrag vor der Tanganyika Society, die Geschichte seiner Lineage könne über 13 Generationen zurückverfolgt werden.67 In der Folge unternahm es Marealle, die formale politische Bedeutung der Patrilineages zu rekonstituieren. Er versuchte etwa, vermeintliche frühere Verbindungen zwischen gleichnamigen Lineages in verschiedenen Gebieten der Kilimanjaro-Region zu revitalisieren, obwohl es hier wahrscheinlich nie eine politische Kohärenz gegeben hatte. 1956 gab er die Anordnung, alle Patrilineages sowie die Namen der „Clanführer" zu registrieren. Was hinter diesen Anstrengungen stand, war zweifelsohne der Versuch, die Position des „Oberhäuptlings" aller Chagga zu konsolidieren. In diesem Zusammenhang wurden gleichsam Verbindungen zwischen den vielen verschiedenen, verstreuten Lineages am Kilimanjaro konstruiert, mit dem Hinweis, man müsse lediglich die alte, aber verschüttete große Gemeinschaft aller Chagga wieder freilegen (Moore 1986: 144).68 Eine weitere angebliche Tradition, die Marealle „wiederbelebte", war die Auszeichnung verdienter Bürger mit einem Ehrenband. Er mahnte mehrfach vor dem drohenden Untergang der Chagga-Sprache. Er gründete und agierte als treibende Kraft hinter dem Chagga Trust, welcher sich der Wahrung und Förderung traditioneller Sitten und Gebräuche, Handwerke und historischer Denkmäler widmete.69 Schließlich lancierte er die Idee, das Amt des Mangi Mkuu sei erblich und schickte schon einmal seinen Sohn auf eine angesehene Schule nach Wales, um ihn auf die Position vorzubereiten (von Clemm 1962:233). Mit dieser sehr effektiven Mischung aus administrativer Effizienz und kulturellem Nationalismus entfaltete Marealle eine Form des „tribalen Patriotismus", der es der nationalistischen Partei TANU lange Zeit schwer machte, in der KilimanjaroProvinz Fuß zu fassen. In anderen Regionen war es der TANU unter Nyerere relativ rasch gelungen, die allgemeine Unzufriedenheit in der Bevölkerung Uber die kolonialen „Reformen" für die nationalistische Sache zu mobilisieren. 0 Viele Chiefs, darunter Marealle, standen politischen Reformen und auch der TANU keineswegs grundsätzlich ablehnend gegenüber, sondern unterstützten durchaus einige Forde-
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rungen der radikaleren Nationalisten (Iliffe 1979; Deutsch 1996; Coulson 1982). Marealle agierte zwar in führender Position (Vice Chairman) in der 1957 von Gouverneur Twining initiierten Chiefs Convention71; auf der anderen Seite unterstützte er im Juni 1957 in seiner Rede vor den Vereinten Nationen in New York grosso modo die politischen Ziele Nyereres und verteidigte ihn gegenüber seinen britischen Kritikern . In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre formierte sich am Kilimanjaro - zunächst nur schleppend - Widerstand gegen den Mangi Mkuu. Sinkende Kaffeepreise, zunehmende Fälle von Korruption, die große Nähe zu Twining sowie die wachsende Selbstherrlichkeit Marealles gaben seinen Antipoden langsam Rückenwind. Ein instruktives Beispiel für das autoritäre Gehabe Marealles bietet sein Konflikt mit einer Gruppe von jungen Chagga-Studenten des Makerere-College.73 Diese hatten sich durch vorgeblich respektlose Äußerungen über Chagga-Würdenträger sowie ihre Weigerung, während der Ferienzeiten gemeinnützige Aufgaben etwa zur Heuschreckenbekämpfung zu übernehmen, den ganzen Zorn des Mangi Mkuu zugezogen. Marealles Entscheidung, die Studenten zu relegieren, sorgte jedoch für so viel Wirbel, daß er sich entschied, „Gnade" walten zu lassen, ohne aber darauf zu verzichten, die Missetäter zu einer öffentlichen Entschuldigung und dem Eingeständnis ihrer „Fehlleistung" zu bringen. Jeder von ihnen mußte vor dem Chagga Council erscheinen. Das Protokoll der entsprechenden Sitzung vom 10. Februar 1955 verzeichnete: „The Mangi Mkuu ... asked each Student to come forward and make his own individual plea. Along with the plea of forgiveness each Student was to deliver a leaf of the sacred draceana plant (Masale) as a token of his free admission of the wrong they had done and their request for mercy. This was done by all the Students in turn each saying in his own words how sorry he was." Junge Chagga-Intellektuelle gehörten zu den treibenden Kräften der Opposition gegen Marealle. 1958 wurde die Chagga Democratic Party gegründet, der es bald gelang, in zahlreichen Einrichtungen der Lokalverwaltung die Mehrheit zu stellen und Marealles Politik effektiv zu bekämpfen. Nach langem Hin und Her entschied sich die Regierung, im Februar 1960 ein Referendum abzuhalten, um zu klären, ob die Position des Mangi Mkuu abgeschafft werden solle, um statt dessen einen auf vier Jahre gewählten Präsidenten einzuführen. Die große Mehrheit der Wähler entschied sich für diese Option, und im August 1960 wurde der TANU-Kandidat Solomon Eliufoo zum Präsidenten gewählt.74 Marealle hatte sich bereits nach dem Referendum schwer beleidigt ins „Exil" zurückgezogen und auf eine Kandidatur verzichtet. Seinem alten Freund Vickers-Haviland schrieb er: „TANU has won so much local support as a Territorian Body, that it was difficult to discredit these selfsame Officers in any other movement, however bogus."75 Marealle erwies sich als schlechter Verlierer. Er schien zum Beispiel nicht bereit, zahlreiche Utensilien seiner Amtszeit zurückzugeben. Als Eliufoo etwa nach dem ihm zustehenden Dienstwagen fahndete, mußte ihm der District Commissioner in Moshi mitteilen: spoke to the ex-Mangi Mkuu who claimed categorically that the car was his and that he intended to keep it..."76 Schließlich verklagte Marealle den Kilimanjaro District Council wegen Vertragsbruch und behauptete, die Lokalverwaltung schulde ihm die Einnahmen aus seiner Position als Mangi Mkuu auf Lebenszeit. Im Oktober sprach ihm der Oberste Gerichtshof eine beträchtliche Geldsumme zu. Doch bereits sechs Wochen später kassierte die Regierung das Urteil wieder ein. „Government", so ließ
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Premierminister Rachidi Kawawa verlauten, „must have the power to stop a few people who want to suck the blood of many others"77. Marealle galt fortan für lange Zeit als Prototyp des dekadenten, raffgierigen Kollaborateurs, der mit den Kolonialherren gemeinsame Sache gemacht hatte. * *
*
Der koloniale Staat in Afrika war ein autoritärer bürokratischer Kontroll-Apparat, der nicht als Schule der Demokratie intendiert war. Die europäischen Offiziellen glaubten von sich, sie seien Vertreter einer überlegenen Zivilisation, ausgestattet mit dem Recht, über Menschen vermeintlich „niederer Kultur" zu herrschen und sie patemalistisch zu einem höheren Grad sozialer Entwicklung zu führen. Obwohl die Realität staatlicher Macht im kolonialen Afrika von Willkür geprägt und äußerst morsch war, bemühten die europäischen Kolonialherren eine Fassade von Omnipotenz und Allwissenheit. Ihr Bewußtsein, die legitime und einzig fähige herrschende Klassen zu sein, gaben sie an die afrikanische Elite weiter, durch Schulen und vereinzelt auch durch Universitäten, in denen eine Auswahl potentieller afrikanischer Nachfolger ausgebildet wurde. Diese Ausbildung war jedoch nicht dahingehend ausgerichtet, um kapitalistische Unternehmungen zu führen, sondern den Apparat eines bürokratischen Staates. Die afrikanischen bürokratischen Eliten der Kolonialzeit lernten, daß der Zugang zum Staat und seinen Patronage-Ressourcen der Schlüssel für die Akkumulation von Reichtum war, und daß der hier gewonnene Mehrwert genutzt werden konnte, um in soziale Netzwerke zu investieren und sich eigene Klientel aufzubauen. Diese Lektion haben sie an ihre Nachfolger im unabhängigen Afrika weitergegeben. In den in diesem Beitrag vorgestellten tansanischen Bürokraten spiegelt sich zudem der auffallend duale Charakter der Kulturen und Identitäten im Afrika des 20. Jahrhunderts: Sie waren sowohl traditionell als auch modem, reaktionär und progressiv; sie kombinierten eklektizistisch Elemente afrikanischer Tradition und europäischer Modernität. Sie standen für ein Projekt konservativer Modernisierung, welches die Bedingungen sozialen Wandels kontrollieren und gleichzeitig Kontinuität bewahren wollte, ein Projekt, welches den kolonialen, vor allem aber nachkolonialen Staat entscheidend prägt(e).
Anmerkungen 1
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In diesem Beitrag nutze ich auch einige Materialien, die ich zwischen 1995 und 1998 im von der DFG geförderten und am Seminar für Afrikawissenschaften der Humboldt Universität Berlin angesiedelten Projekt „Körper, Raum und Zeit der Herrschaft. Studien zur historischen Anthropologie und Mentalitätsgeschichte in Ostafrika" sammeln konnte. Zu den Ergebnissen dieses Projektes vgl. demnächst Becher/Bromber/Eckert/Pesck/Wirz 2000 (i. Dr.). Ein Stipendium der Fritz-Thyssen-Stiftung, Köln, ermöglichte die Beschaffung zusätzlichen Materials speziell zu den England-Aufenthalten und -Kontakten der hier vorgestellten Akteure. Zu Nyerere vgl. u.a. Hatch 1976; Smith 1973; Duggan/CiviUe 1976; Legum/Mmari 1995; Pratt 1999; Stöger-Eising 2000. Von den siebzehn Kabinettsmitgliedern Tansanias 1963 waren z.B. fünf Personen Lehrer, vier waren Verwaltungsangestellte, drei waren Funktionäre von Ko-Operativen, zwei von Gewerkschaften, zwei waren Farmer, einer Geschäftsmann. Vgl. Nye 1965, S. 32; allgemei-
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ner Hopkins 1971. Die deutsche Herrschaft in Tansania/Deutsch-Ostafrika, das als wichtigste deutsche Kolonie galt, kann hier nicht weiter thematisiert werden. Vgl. dazu u.a. Koponen 1995; Iliffe 1969a; Uiffe 1979. Vgl. Buche« 1994. Vgl. Rhodes House Library, Oxford (RH), MSS Brit.Emp. s.322: Annual Report of the Education Department 1936: Appendix B: Report by the Headmaster of Government School Tabora, S. 20. Vgl. Tanzania National Archives, Dar es Salaam (TNA) 25103: Director of Education an Chief Secretary, 20.6.1941. TNA 21079: Liste „Tabora School Boys in Government Service in 1.10.1936". Über die Tätigkeiten der kleinen Schar der Makerere-Absolventen waren mir für die Zwischenkriegszeit Uberhaupt keine statistischen Angaben zugänglich. Ebenda; Provincial Commissioner Westem Province an District Officer Tabora, 18.6.1934. TNA 22068: Memorandum Department of Agriculture: „The Employment of African Staff and their Training", o.J. [1934], S.l. Ober die Geschichte der asiatischen Verwaltungsmitarbeiter in Tansania ist bisher wenig bekannt. Für eine erste Skizze vgl. Gregory 1993. Vgl. u.a. Interviews mit Hamisi Akida, 26.2.1996; Charles Hisis, 11.3.1996; Thomas Marealle, 20.8.1999; Elias Peter Ngowa, 18.8.1999. Vgl. RH MSS Brit.Emp. S. 322: Annual Report of the Education Department 1937. Appendix D: Report by the Headmaster Tabora School, S. 37. Timetable; vgl. auch die Interviews (Anm. 12). Zit. nach Ranger 1975, S. 97f. Vgl. dazu Uiffe 1979, S. 226ff.; Austen 1964. TNA 3715/4: Report of the Tanganyika Territory African Civil Service Association, Tanga, for 1922. Iliffe 1973, S. 73. Vgl. auch Kayambas autobiographische Skizze „The Story of Martin Kayamba, Mdumi, M.B.E., of the Bondei Tribe, written by himself*. In: Perham 1936, S. 173-272. Mambo Leo (Heutige Angelegenheiten) war die wahrscheinlich wichtigste Swahilipublikation während der britischen Herrschaft in Tanganyika. Das zwischen 1923 und 1963 monatlich erschienene Printmedium wurde ursprünglich vom Department of Education in Dar es Salaam ediert und später in den Verantwortungsbereich des „Public Relations Department" Oberstellt. Vgl. Stürmer 1995; Geider 1997. TNA 19325: Cameron an Colonial Office, 22.8.1930. Zu den „bürokratischen Eliten" in Dar es Salaam während der späten 1920er und 1930er Jahre vgl. Anthony 1983, S. 158-223. Tanganyika Herald, 28.10.1930. Vgl. auch Iliffe 1979, S. 410. TNA 19443: Notiz P.E. Mitchell, o.D. Hier wird Kayamba als „African Association candidate" bezeichnet. Vgl. zu diesen Personen Iliffe 1979, S. 214. „(Kayamba) spoke English as nearly perfectly as I have ever heard an African speak it". Mitchell 1954, S. 119. Joint Committee on Closer Union in East Africa, Bd.II: Minutes of the Evidence and Index, London 1932, Para. 4048. Vgl auch IUffe 1973, S. 78f. Vgl. TNA 19534: Note of the Secretary of Stale's interview with the Tanganyika Native witnesses, 12.5.1931. Zu Konflikten zwischen afrikanischen und asiatischen Verwaltungsangestellten Uber Gehälter, Sozialleistungen etc. kam es bis zum Ende der Kolonialzeit (und zum Teil auch danach) in regelmäßigen Abständen. Vgl. PRO CO 691/126/12: Governor Tanganyika an Secretary of State for the Colonies, 22.11.1932. In diesem Schreiben lobt der Gouverneur Kayamba u.a. als „remarkably able and valuable public servant". In der Zeitschrift „East Africa" (23.2.1933), einer in London erscheinenden Publikation, die vor allem europäische Siedlerinteressen vertrat, wurde diese Entscheidung jedoch kritisiert, und ein anonymer Autor warf der britischen Verwaltung „favouritism of one race" vor: „... we are confident that Mr. Kayamba, had he been a European,
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would not have been judged qualified for the post to which he has been advanced... By Africa's standards, as we read them, Mr. Kayamba's clerical efficiency affords quite inadequate qualification for his being placed in authority over chiefs and elders." Die Entscheidung, Kayamba diesen Posten anzuvertrauen, ist insofern erstaunlich, als daß die Kolonialverwaltung in Tanganyika 1931 entschieden hatte, wegen der Weltwirtschaftskrise die Beförderung afrikanischer Verwaltungsangestellter auszusetzen. Diese Maßnahme wurde bis nach dem Zweiten Weltkrieg nicht wieder revidiert (Iliffe 1979, S. 357). TNA 25201/10: Minute Kayamba, 26.8.1937. Zur African Labour Union vgl. Iliffe 1975, S. 55f. Diese Schrift entstand in den späten 1930er Jahren, wurde aber erst 1948 publiziert. Das Buch war Teil einer Reihe, in der Reflexionen afrikanischer Christen Uber die Probleme ihres Kontinents veröffentlicht wurden. PRO CO 691/166: Secretariat Dar es Salaam an E.B. Boyd, Colonial Office, 31.1.1938. Zit. nach Iliffe 1973, S. 92. Kwetu, 29.6.1940. Kopien dieser sowie einiger anderer Ausgaben der Zeitung befinden sich in TNA 23754. Zu Kwetu und Erica Fiah vgl. u.a. Westcott 1981; Scotton 1978; Sturmer 1995, S. 49ff.; Anthony 1983, S. 174ff. Vgl. z.B. Kwetu vom November 1940, August 1941, September 1941, November 1941. Vgl. Kwetu, Special N°, November-Dezember 1941. Zit. nach Geiger 1972, S. 863. Eine erste kurze biographische Skizze Uber Marealle habe ich vorgelegt in Eckert 1998. Interviews mit Marealle, 4.2.1996; 20.8.1999; vgl. femer Geiger 1972, S. 862; von Clemm 1962, S. 227; Whitlamsmith 1955, S. 3. Sein Diplom ist abgedruckt in Whitlamsmith 1955, S. XI. Marealle selbst erwähnt in einem Brief, er sei auch Student am Trinity College Cambridge gewesen (RH MSS Brit.Emp. s.365/121: Marealle an Rita Hinden, Fabian Colonial Bureau, 25.5.1949). Bates 1957, S. 216, und Listowell 1965, S. 213, schreiben, Marealle sei Absolvent der University of Wales gewesen. Über seine Jahre in England ist so gut wie nichts bekannt, aber er scheint wähnend dieser Zeit Kontakt zu Vertretern des Fabian Colonial Bureau aufgenommen zu haben. FUr die folgenden Ausfuhrungen vgl. vor allem die ausgezeichnete Darstellung von Westcott 1982, S. 299ff. Kwetu, Dezember 1941. Vgl. etwa Colonial Office: Social Welfare in the Colonies. April 1945, revised 1948. Dort heißt es u.a.: J t is, however, fair to say that all these countries [British Colonies], in a greater or less degree, need the application to their particular problems of the new techniques of social welfare which have been worked out recently in more „advanced" countries. In some cases this is because effective communal measures have never existed. In other cases it is because they have broken down" (S. 3). TNA 540/3/70: Circular from the Social Welfare Office to DC, Dar es Salaam, Oktober 1945. CO 822/675: W.H. Chinn, Social Welfare Adviser: Report on a tour of Tanganyika, 1951. Social Development Department. Annual Report for 1956, S. 3. Vgl. Interview mit Marealle, 4.2.1996. Vgl. TNA 46/41/39: T. Marealle, A Survey of Trades and Crafts in which Africans are selfemployed in the Morogoro Township, 27.11.1947; ebenda: ders.. Report of the Singida Welfare Centre, 20.2.1947. Vgl. z.B. TNA 26/236/111: Marealle an Major R.W. Blaxland, Social Welfare Organizer Dar es Salaam. 1.5.1947. Vgl. RH MSS.Afr. s.1598: Marealle an Padre Lean. Mbeya School. 24.2.1942; Marealle an District Commissioner Mbeya, 24.2.1942. Die AA bekam 1948 den Zusatz „Tanganyika". Vgl. Iliffe 1979, S. 433 Vgl. dazu ausführlich Iliffe 1979; Pratt 1976. Leider sind nur Teile dieser Korrespondenz erhalten. Sie finden sich in RH MSS Brit.Emp. s.365/121. Diesen Begriff haben geprägt Low/Lonsdale 1976, S. 12.
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Vgl. RH MSS Brit.Emp. s.365/121: Marealle an Marjorie Nicholson, 10.12.1949. RH MSS Brit.Emp. s.365/121: „Whither, East Africa". Ob dieses Pamphlet je gedruckt wurde, ist nicht zu ermitteln. In seinem Begleitschreiben an Rita Hinden vom 25.5.1949 (ebenda) schrieb Marealle: J am sure that you can make use of the attached information. I fust thought of using the local Press to reply to the several articles by Europeans here on federation, amalgamation, the apartheid policy (which they are now openly advocating for East Africa) etc. but as a Civil Servant, I am precluded from doing so, and there are very few educated Africans outside the service just now, which is a great pity." RH MSS Brit.Emp. S365/121: Marealle an Marjorie Nicholson. 31.3.1951. RH MSS Brit.Emp. s.365/121: Marealle and Marjorie Nicholson, 14.3.1951. So notierte Marealle handschriftlich unter sein Schreiben an Rita Hinden vom 25.5.1949: „PI. forgive my clerk's many typing mistakes." In seiner Korrespondenz mit dem britischen Verwaltungsbeamten Vickers-Haviland aus den 1930er und frühen 1940er Jahren (vgl. dazu ausfuhrlicher Eckert 1998) wird ebenfalls regelmäßig die Distanz Marealles zu afrikanischen und asiatischen Kollegen deutlich. So beklagte Marealle häufig das ,/unny English" der anderen Clerks. TNA 23140, VolJII: Marealle an Secretariat, 24.4.1951. Zu den Reformen der Lokalverwaltung in Tanganyika nach 1945 vgl. den Überblick von Eckert 1999. Vgl. Geiger 1972. Vgl. Tanganyika Standard, 17.11.1951. RH MSS. Brit.Emp. s.365/121: Marealle an Marjorie Nicholson, 23.11.1951. Mang'enya, Absolvent der Tabora School und des Makerere College, hatte viele Jahre im höheren Schuldienst gearbeitet, bevor er 1959 zum Chief der Bonde gewählt wurde. Vgl. seine Erinnerungen: Mang'enya 1984. Zur seiner Inauguration als Chief vgl. diverse Dokumente in TNA 481/A2/8. Zum Kontext auch Willis 1993. Kunambi, ebenfalls Absolvent in Makerere, gehörte zu den Mitbegründern der TANU, war Mitglied im Legislative Council, hatte sich dann aber mit Nyeiere bereits iiberworfen, als er 1959 Chief in Uluguru wurde. Vgl. Eckert 2000. TNA 5/24/13: Mangi Mkuu an Principal, K.N.C.U. School, 9.1.1953. Vgl. Artikel in Drum (Sept. 1958) und Time (August 1958). Vgl. TNA 5/23/57: Tribal Ngomas, Moshi. Vgl. Marealle 1952, S. 58. Marealle war der erste Europäer, der vor der Tanganyika Society einen Vortrag halten durfte. Vgl. von Clemm 1962, S. 230. Der Regierungssoziologe Henri Fosbrooke verfaßte mehrere, leider nicht komplett erhaltene Abhandlungen, in denen er der vermeintlichen alten Einheit aller Chagga nachzugehen suchte. Vgl. University Library Dar es Salaam. Nachlaß Fosbrooke: „The Chagga - A Study in Unification" (Draft, 25.1.1956); „Marealle I and Marealle II" (o.J., c. 1955). 1956 beauftragte der Chagga Trust die britische Historikerin Kathleen M. Stahl aus Oxford, eine Geschichte der Chagga zu schreiben, die schließlich 1964 in Buchform erschien (Stahl 1964). Zur Rolle der TANU vgl. u.a. Pratt 1976; Iliffe 1979; Iliffe 1997. Vgl. TNA 471/L.5/23 für diverse Unterlagen zur Chiefs* Convention. Angesichts des rapide wachsenden Erfolges der TANU hatte sich Twining, offenbar auf Anraten von Marealle, entschieden, stärker auf die Chiefs zu bauen. Auf dem ersten Treffen der Chiefs' Convention warnte er, das tribale System und die Position der Chiefs seien durch jene bedroht, „who base their appeal on the emotional attractions of extreme nationalism, which in effect is nothing more than racialism". Ebd, First convention of representative chiefs, 1957, Dar es Salaam 1957, 1. Doch obwohl einige Chiefs bereit waren, die TANU zu bekämpfen, sah die Mehrheit doch ihre Zukunft nur in einem Arrangement mit der Partei. Auszüge von Marealles Rede finden sich in PRO CO 822/1459. Vgl. zu dieser Rede auch Listowell 1965, S. 295f.; Hatch 1976, S. 115f. Für die folgenden Ausführungen vgl. diverse Dokumente in TNA 5/9/6/II sowie von Clemm 1962, S. 233f. Vgl. diverse Dokumente in TNA 5/L5/1. Vgl. RH Mss.Afr. s. 1598: Marealle an Vickers-Haviland, 27.2.1960. TNA 5/L5/1: District Commissioner Moshi an President of the Wachagga, 3.11.1960. Zit nach Martin 1975, S. 57f.
Die Rückkehr in den kolonialen Alltag. Lebensstrategien und Gruppenprofile von Kriegsveteranen in Obervolta/Burkina Faso Brigitte Reinwald
Bobo-Dioulasso, März 1999 - Momentaufnahmen. Auf der Suche nach Interviewpartnern, die sich bereit erklärt hatten, mit mir darüber zu sprechen, wie sie als Soldaten der französischen Armee den Zweiten Weltkrieg und/oder anschließende Kolonialkriege auf Madagaskar, in Indochina und Algerien erlebt und sich in ihrem späteren zivilen Leben eingerichtet haben, werde ich mit sehr unterschiedlichen Biographien konfrontiert. Ein ehemaliger Oberfeldwebel, der 1932 in Marokko seine ersten Ehren bei der ,3efriedung" der letzten Rif-Aufständischen erworben, in amerikanischer Uniform unter General Montgomery in Tunesien gegen die Divisionen Rommels gekämpft hat und sein langes Leben als verarmter Bettlägeriger in einem dunklen vernachlässigten Zimmer beschließt; ein ihm an Jahren und Rang Gleicher, der in Tunesien in italienische Kriegsgefangenschaft geraten, nach seiner Entlassung aus der Armee als politischer Aktivist auf seilen des Rassemblement Démocratique Africain für die Dekolonisation eingetreten ist, trotz unnachgiebiger Schikane seitens der Kolonialverwaltung als Angestellter der Wasser- und Forstbehörde Karriere machte, vier Frauen ehelichte, seinen zahlreichen Nachkommen den Aufstieg in die obere Mittelschicht bahnte und als passionierter Landwirt bis heute sein Feld bestellt; der frustrierte Algerienkämpfer, dessen jüngste Ehefrau Hirsebier braut und einen Ausschank betreibt, wo auch er sich ab dem Nachmittag regelmäßig einfindet und im Kreise alter Kameraden das hinunterspült, was ihm den Mund verschließt; oder schließlich der Gefreite, den fünf grausame Jahre als Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter der Deutschen in Nordfrankreich zum überzeugten Pazifisten werden ließen und zugleich einer der wenigen, der seine Ehefrau zum Interview hinzuzieht. Respektierte Familienväter und Nachbarn, Gründer florierender Geschäfte, Besitzer stattlicher Häuser in Neubausiedlungen, aber auch körperlich und seelisch Erschöpfte und Kranke, Alkoholabhängige - verbindendes Element dieser diversifizierten Lebensverläufe scheint zunächst lediglich der Umstand, daß alle kontaktierten Veteranen mehr oder weniger lange Zeit in der französischen Armee gedient haben. Während die Geschichte der „afrikanischen Armee Frankreichs" in militärhistorischer Perspektive mittlerweile verhältnismäßig gut erforscht und bearbeitet worden ist und mehrere sozialhistorische Studien Kriegserfahrungen und -erinnerungen afrikanischer Soldaten in Diensten des „Mutterlandes" thematisieren,' fanden deren weniger spektakuläres postmilitärisches Alltagsleben sowie generationsübergreifende Aspekte ihrer zivilen Aktivitäten bislang nur wenig Beachtung.2 Die auf einer regionalen Untersuchung in Burkina Faso basierende Studie, deren Ergebnisse im folgenden präsentiert werden, versucht diesbezüglich eine Lücke zu schließen, indem sie die aus den militärischen Erfahrungen hervorgegangenen Verhaltensweisen und Handlungsorientierungen afrikanischer Veteranen thematisiert und danach
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Brigitte Rein wald
fragt, in welcher Weise diese temporären Migranten auf die sozialen, politischen und kulturellen Verhältnisse in ihrem Heimatland eingewirkt haben und somit als „Akteure des Wandels" bezeichnet werden könnten.3 Im Einklang mit den Untersuchungszielen und Fragestellungen des gleichnamigen Gruppenforschungsprojektes, im Rahmen dessen diese Analyse durchgeführt worden ist, konzentrieren sich die folgenden Ausführungen auf die eigene Perspektive und das Selbstverständnis von Veteranen bezüglich ihrer Mittlerrolle und auf die von ihnen angestoßenen Veränderungen im familiären, dörflichen und städtischen Bereich einer Gesellschaft im Übergang von der Kolonie zum Nationalstaat.4 Die Untersuchung stützt sich auf Lebensberichte5 afrikanischer Veteranen des Zweiten Weltkrieges sowie deijenigen, die in den Reihen der französischen Armee 1947/48 zur Aufstandsbekämpfung auf Madagaskar, im Indochina- (1945-1954) und Algerienkrieg (1954-1962) eingesetzt waren.6 Im Mittelpunkt stehen die mit der „Reise" dieser Männer in und durch den Krieg verbundenen transkulturellen Wahrnehmungen und Erfahrungen und deren Niederschlag auf ihre spätere Lebensgestaltung, ihre beruflichen, sozialen und politischen Aktivitäten. Die Auswertung orientiert sich an folgenden Leitfragen: Welche Bewußtseinsprozesse haben afrikanische Soldaten während ihrer Armeezeit durchlaufen, und wie schlugen sie sich nach ihrer Rückkehr nieder? Inwiefern und in welchen Bereichen haben Veteranen erworbene Wissensbestände, Kultur- und Konsumgewohnheiten sowie Verhaltensstrategien im familiären Bereich und ihrem weiteren sozialen Umfeld verbreitet, und haben sie dabei einen eigenen Lebensstil geprägt? Von welchen Idealen waren Veteranen als Ehemänner, Familienväter, Dorf- und Stadtbewohner, Wähler und spätere Bürger geleitet, welche Zukunftsprojekte verfolgten sie, und wie haben sich diese auf die nächsten Generationen ausgewirkt? Unter welchen Voraussetzungen ließe sich schließlich bei diesen Männern - jenseits der im Verlauf der letzten fünfzig Jahre kursierenden Einschätzungen und Werturteile, denenzufolge sie mal als ausgemusterte Söldner Frankreichs, mal als Opfer des Kolonialsystems bzw. als mehr oder weniger geistesgestörte Außenseiter galten - von Akteuren des gesellschaftlichen Wandels in Obervolta/Burkina Faso sprechen? Sind sie in diesem Zusammenhang als soziale Neuerer mit expliziten Wirkungsabsichten hervorgetreten, bzw. hat ihre Existenz als „Grenzgänger" zwischen Kolonie und Metropole mittelbar längerfristige Veränderungen ausgelöst? Untersuchungsregion ist die ehemalige französische Kolonie Obervolta (heute Burkina Faso), die - abgeschnitten vom Zugang zum Meer und mangels bedeutender Rohstoffvorkommen - im Rahmen der kolonialen Arbeitsteilung als „Reservoir" für Arbeitskräfte fungierte. Dementsprechend war hier nicht nur das System der kolonialen Zwangsarbeit weit verbreitet, sondern auch die Quote der Rekruten vergleichsweise hoch.7 Zusammen mit Mali und Guinea stellte Obervolta das Gros der afrikanischen Soldaten für die beiden Weltkriege. Als Untersuchungszeitraum wurde die mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges eingeleitete und für die meisten afrikanischen Kolonien Frankreichs 1960 formal abgeschlossene Periode des Übergangs vom französischen Imperium zur staatlichen Unabhängigkeit gewählt, innerhalb derer insbesondere die Südwestregion Obervoltas stark politisiert und von den Aktivitäten der Dekolonisationsbewegung gekennzeichnet war.
Kriegsveteranen in Obervolta/Burkina Faso
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„Halbgebildete" oder „Intellektuelle per praktischer Erfahrung"? Erfahrungsräume und Bewußtseinsprozesse afrikanischer Soldaten Beunruhigt durch verschiedene im Verlauf der Repatriierung und Demobilisierung afrikanischer Weltkriegssoldaten aufgetretene Konflikte und Zusammenstöße mit der Militär- und Kolonialverwaltung in Französisch-Westafrika (Reinwald 2000: 235f.) sowie den Umstand, daß ehemalige Mannschaftssoldaten und Unteroffiziere Kommandopositionen innerhalb der madagassischen Aufstandsbewegung von 1947 innehatten, begannen sich militärische und zivile Dienststellen ab Ende der 1940er Jahre für die „Geisteshaltung" und den soziopolitischen Einfluß von afrikanischen Veteranen auf ihre Umgebung näher zu interessieren. Abgesehen vom paternalistischen Duktus, der die in diesem Zusammenhang entstandenen Dokumentationen allgemein charakterisiert, lassen sich daraus aufschlußreiche Einblicke in die Armeesozialisation, Wahrnehmungsmuster und Verhaltensorientierungen der ehemaligen Soldaten gewinnen. So äußert sich ein Offizier der französischen Kolonialinfanterie detailliert über die Auswirkungen des Armeedienstes auf afrikanische Zeitsoldaten: „Sie haben die Meere überquert, ziemlich häufig die Einheit gewechselt, mit anderen Rassen als der eigenen sehr enge Berührung gehabt, sich manchmal einen ziemlich starken Individualismus sowie gewisse Kenntnisse des Französischen in Lektüre und Schrift angeeignet, sind solchen Europäern sehr nahegekommen, für die sie keinerlei Wertschätzung hegen, ja, die sie manchmal als ihnen selbst weit unterlegen betrachten konnten, haben eine gewisse materialistische Einstellung gewonnen. Es wird ihnen manchmal gelungen sein, Eingang in besümmte französische, arabische und vietnamesische Kreise zu finden, sie werden gewissen Propagandaströmungen ausgesetzt gewesen sein, die bei ihnen die Keime eines .stark vereinfachten Antikolonialismus' legten. Kurzum, bei einer Dienstzeit zwischen drei und zehn Jahren steckt der Zeitsoldat naheliegenderweise voller Forderungen und ist von zweifelhafter Geisteshaltung. Er hat sich von den Sitten und Gebräuchen seiner Vorfahren gelöst und sich einen gewissen Anstrich erworben, der ihn zum Halbgebildeten macht. Schließlich wird die Gewohnheit der Disziplin wieder die Oberhand gewinnen, die Explosion seines alten Glaubens sich abschwächen, und er wird ohne weitere Geschichten seine 15 Jahre Dienstzeit beenden, diszipliniert, als Vorbild für die Rekruten; aber der Keim der Entwicklung wird in ihm immer lebendig bleiben, ungeachtet seiner Loyalität gegenüber der Armee und einer gewissen Anhänglichkeit gegenüber seinen ehemaligen Vorgesetzten, deren Wert und Güte, ja deren Väterlichkeit bei all der strengen Disziplin er häufig anerkennt. Er hat ein Gefühl für Verantwortung und Pflichten erworben, und, in einem gewissen Sinne, vor allem dann, wenn er in die Ränge aufgestiegen ist, für das Allgemeinwohl, und gleichzeitig trägt er eine fest in seinem Kopf verankerte hohe Meinung von seinem eigenen Wert und seinen im Dienst erworbenen Rechten mit sich. Und so kehrt er nach seiner Demobilisierung nach Hause zurück."* Diese in vielen Aspekten mit den Selbstzeugnissen von Veteranen übereinstimmenden Beobachtungen dürften in der Sache - nicht aber im Ton - von ihnen überwiegend als treffende Beschreibung ihres durch die Armeezeit gewachsenen Selbstbewußtseins gewertet werden. So bezeichnen viele von ihnen insbesondere die Erwei-
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terung ihres transkulturellen Begegnungs- und Berührungsraums als einschneidende Erfahrung, durch die sich ihre Sichtweise grundlegend änderte: „Vorher wußte ich vieles nicht, als ich in die Aimee eingetreten bin, habe ich viele Dinge gesehen, die, ehm, ganz anders waren als die zuhause. Das hat mir ein wenig die Augen geöffnet. Ja. Man lernte sehr gut, die, ehm, Unterschiede, Unterschiede zwischen Afrikanern und Europäern kennen, ehm, zwischen ... sie waren nicht in derselben Lage."® „Also dadurch hat sich mein Leben sehr verändert, wirklich sehr... Also das, was ich früher gedacht habe und was ich heute denke, ist nicht mehr dasselbe. Und das Innere der Armee hat mir auch viel gezeigt. Ich habe (Uber vieles) mehr nachgedacht als meine Freunde, die nicht in der Armee waren."10 Wird die Armeezeit unter diesem Aspekt von den meisten Veteranen also durchaus positiv erinnert, so betonen viele unter ihnen - und dies gilt insbesondere für diejenigen, die zum Zweiten Weltkrieg eingezogen worden sind, vom Obergefreiten bis zum General a.D. - allerdings im gleichen Atemzug, daß sie die „Reise" damals nicht aus freien Stücken angetreten hatten: .Also jetzt erinnern wir uns auf jeden Fall daran, daß es bitter war. Es hat nicht viele gegeben, die sagen konnten, sie wollten in die Armee, weil Krieg war. Viele sagten, sie wollten sie gar nicht machen... Als man sie damals einfing (rekrutierte), weinten sie, als wäre jemand gestorben. Wirklich, als wäre jemand gestorben..."" Vor diesem Hintergrund läßt sich die an anderer Stelle der oben erwähnten Dokumentation aufgestellte Behauptung, afrikanische Rekruten wären in der Regel bereitwillig zum Militärdienst angetreten, hätten zum Teil gar eine freiwillige Verpflichtung angestrebt, 12 in den Bereich des Wunschdenkens französischer Militärbehörden zurückverweisen. Den Veteranen ist durchaus eine differenzierte Sichtweise zu bescheinigen, was die Hintergründe ihrer Eingliederung in die französische Armee betrifft. Weitaus die meisten von ihnen begannen ihre „Karriere" unter dem .Zwang der Umstände" - seit 1912 galt die dreijährige Wehrpflicht für alle tauglich befundenen Männer ab zwanzig Jahren in den Kolonien FranzösischWestafrikas. Aus den mehr oder weniger beredten Schilderungen dieser „Umstände" geht deutlich hervor, daß die meisten ihre Rekrutierung als Übergang von einem gewaltgeprägten System in ein anderes erlebt haben: Viele erblickten im Armeedienst eine Version der kolonialen Zwangsarbeit - im Rahmen derer sie ab ihrem zehnten Lebensjahr in regelmäßigen Abständen zu Straßenbau-, Rodungs- und Plantagenarbeiten herangezogen werden konnten und wurden - bzw. meldeten sich nicht selten zum Militär, in der Annahme, damit das kleinere von zwei Übeln zu wählen. 13 Andere wiederum landeten aufgrund von Schikane und Willkür von Dorf- oder Kantonschefs vor der Rekrutierungskommission. Einziges Motiv für eine freiwillige Verpflichtung war in vielen Fällen die Zahlung einer kleinen Prämie, welche so manchen appelé dazu bewog, als engagé zu zeichnen und sich damit zunächst für vier Jahre zu verpflichten. Darüber hinaus kommt in den Stellungnahmen von Veteranen zum Ausdruck, daß ihnen im Zuge der weiteren Etappen - Grundausbildung, Kriegseinsätze, Gefangenschaft, Internierung in Übergangslagern und Rückkehr in die Kolonie - im Punkte Gewalterfahrung in der Regel nichts erspart geblieben ist. In Abhängigkeit vom jeweiligen Einzelschicksal läßt sich hier allerdings eine grö-
Kriegsveteranen
in Obervolla/Burkina
Faso
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ßere ,3andbreite" an Lebensverläufen und damit verbundenen Selbsteinschätzungen feststellen. Diese reichen von der Verbitterung der durch mehrjährige Kriegsgefangenschaft und Zwangsarbeit Gezeichneten oder auch durch Kriegsverletzungen physisch und psychisch stark Beeinträchtigten, die, soweit sie es vermögen, ihren Klagen über die Vernachlässigung seitens der Militärbehörden freien Lauf lassen, bis hin zur stolzen Zufriedenheit derer, die in die Ränge des Unteroffizierskorps aufgestiegen waren, sich nicht selten auf 15 Jahre oder mehr verpflichtet hatten und deren materielle Bedürfnisse und gesellschaftliches Ansehen durch eine angemessene Altersrente gesichert werden.
Abb. 19: Afrikanische Soldaten vor der Abreise nach Frankreich (1939) auf der Pier des Hafens von Dakar Weltkriegsveteranen schildern ihren zweitklassigen Status im hierarchisierten Mikrokosmos der französischen Armee und erinnern sich an vielfältige Diskriminierungen, denen sie aufgrund ihrer Herkunft und Hautfarbe im Armeealltag ausgesetzt waren. Sie hatten sich damit abfinden müssen, samt und sonders als Tirailleurs Sénégalais bezeichnet zu werden, obgleich sie ebenso wie die meisten ihrer Kameraden in den Verbänden gar nicht aus Senegal, sondern aus den westafrikanischen Kolonien Soudan (Mali), Guinea und Elfenbeinküste bzw. aus den zentralafrikanischen Territorien Tschad, Gabun und Kongo-Brazzaville stammten. Diese ethnische Vielfalt der Truppenverbände, die nicht nach Herkunftsterritorien
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getrennt, sondern absichtlich gemischt wurden, um Faktionsbildungen zu vermeiden, ebenso wie die durch den Kriegsverlauf bedingten Begegnungen mit anderen Nationalarmeen veranlaßte die Soldaten aber auch, ihre Selbst- und Fremdwahrnehmung zu verfeinern und in ihren horizontalen und vertikalen Beziehungen zu Kameraden und Vorgesetzten differenzieren und neue Kategorien bilden zu lernen. Sie bezeichneten sich als Ivorer, Voltaer, Afrikaner im Gegensatz zu Senegalesen, Guineern, Franzosen, Engländern sowie Amerikanern und - im Rahmen einer für sie spektakulären Begegnung - Afroamerikanern. Im Unterschied zur strikten Ségrégation gegenüber metropolitanen Truppenteilen und der Abschottung von Tirailleurs-Einheilen gegenüber der französischen Zivilbevölkerung, wie sie während des Ersten Weltkrieges betrieben wurden (Lunn 1999: 105f„ 163-173), weiteten sich durch den Kriegsverlauf ab 1940/41 die Kontaktmöglichkeiten afrikanischer Soldaten bedeutend aus. Dies galt insbesondere für diejenigen, welche in die Forces Françaises de Libération de Gaulles, die britische oder US-Armee hinübergewechselt bzw. aufseiten der Résistance in den Untergrund gegangen waren, aber auch für die afrikanischen Kriegsgefangenen der Deutschen, welche in der Regel als Zwangsarbeiter in französischen Fabriken oder in der Landwirtschaft eingesetzt wurden. Die dadurch ausgelösten Lernprozesse, d.h. die Unterscheidung zwischen Militärpersonal und Zivilpersonen, zwischen Franzosen und Französinnen in Frankreich und deren Landsleuten in den Kolonien schufen eine wichtige Voraussetzung für Afrikaner, sich ein realistischeres Bild von denen zu machen, angesichts deren Vormachtstellung in der Kolonie sich jede Nähe verboten hatte. Sinnbild für die Afrikanern innerhalb der Armee zuteil gewordene unterscheidende Behandlung gegenüber französischen Soldaten und die Festschreibung ihrer .Andersartigkeit" war die eigens fUr afrikanische Soldaten entworfene, „orientalisch" inspirierte Tirailleur-Umfona mit rotem Fez, breitem roten Flanellgürtel und Wickelgamaschen (siehe Abbildung Nr. 1).IS Wie sehr diese von ihnen mehr und mehr abgelehnt wurde, belegen die euphorischen Schilderungen derer, die später bei Eingliederung in die Allierten Truppen US-Uniformen bekamen: „Ja! Das war's. Die Kleidung war jetzt dieselbe. Die Kleidung war jetzt eben dieselbe. Denn vor ihnen (den Amerikanern) hat der Franzose halt einen Unterschied gemacht (...) Als der Amerikaner gekommen ist, hat er gesagt: Alle sind gleich."1 Dieser Kleiderwechsel wurde für sie zum Symbol einer lange überfälligen Anerkennung ihrer Gleichheit innerhalb der Kampfverbände: „Wir haben alle zusammengearbeitet, da gab es keinen Unterschied."17 Geschärft wurde dieses Unrechtsbewußtsein durch ein weiteres, die Gruppe der Afrikaner selbst betreffendes Beispiel für die Ungleichbehandlung in der französischen Armee, welches insbesondere diejenigen, welche vor ihrer Einziehung eine der höheren Bildungseinrichtungen in Französisch-Westafrika besucht und im zivilen Alltag als évolués gewisse Vorrechte genossen hatten, empörte. Sie mußten verblüfft und verbittert zur Kenntnis nehmen, daß man sie innerhalb der - während des Zweiten Weltkrieges zunehmend gemischten - Einheiten nicht nur aufgrund ihrer Hautfarbe und kolonialen Herkunft benachteiligte, sondern daß darüber hinaus ihren ehemaligen senegalesischen Mitschülern und Kommilitonen aus den quatre communes Dakar, Gorée, Rufisque und Saint-Louis zahlreiche Privilegien bzw. ein den Franzosen gleichkommender Status eingeräumt wurden. Dies ging zurück auf die von Frankreich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts praktizierte Assimilationspolitik, in deren Genuß der senegalesische Küstenstreifen als frühester französischer ,3e-
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sitz" in Westafrika gekommen war, und derzufolge alle in den vier genannten Städten Geborenen als originaires französisches Bürgerrecht hatten, weswegen ihre männlichen Nachkommen nicht als Tirailleurs, sondern als Soldaten der regulären französischen Armee dienten.18 Über die praktischen Auswirkungen dieses Sachverhaltes beklagte sich z.B. der Voltaer Joseph Conombo, welcher kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs an der École de Médecine in Dakar sein Examen als Aizt abgelegt hatte: „Wir, wir werden .indigene' Sanitäts-Sergeanten mit 48 Francs alle 14 Tage und unsere beiden .Biirger'-Kameraden im selben Rang mit 500 Francs alle 14 Tage! (...) Aus Gefälligkeit bekommt der Sanitäts-Sergeant die Übliche Verpflegung eines französischen (Mannschafts)soldaten, während unsere beiden .Biirger'-Kameraden in der Unteroffiziersmesse speisen. Rede mir einer von Gerechtigkeit! Da gibt es kein Reglement, auf das man sich berufen könnte, und niemand kann daran etwas ändern."19 Hatten die afrikanischen Soldaten somit zum einen die Armee als ein weiteres fein abgestuftes System von Über- und Unterordnung von innen her kennen gelernt und deren Tragweite am eigenen Leibe gespürt, so gelangten sie andererseits aber auch zur Überzeugung, daß es sich in einigen für sie wesentlichen Punkten vom kolonialen System zuhause unterschied. Vorausgesetzt, sie hatten sich seine obersten Wertmaßstäbe - Disziplin, Gehorsam gegenüber den Vorgesetzten, Kameradschaftsgeist und „tapfere Bewährung" in Kampfhandlungen - zu eigen gemacht, konnten sie sich mit einiger Berechtigung vor Willkürakten und Schikanen seitens ihrer Vorgesetzten sicher fühlen bzw. damit rechnen, daß solche sanktioniert würden. Gemeinsame Grenzerfahrungen schienen ihnen Rassen- und Klassenunterschiede gleichsam aufzuheben: „Im Feuer standen wir alle auf demselben Fuß ... im Moment des Kampfes töteten die Kugeln jeden, ohne Unterschied. Da stellte sich die Frage nicht, ob das da ein Afrikaner, das da ein Europäer war."20 Überdies zollte ihnen die Armee Anerkennung für ihre Leistungen, indem sie ihnen Auszeichnungen verlieh, sie beförderte und ihnen, im Gegensatz zu den in der Kolonie Verbliebenen, berufliche Aufstiegsmöglichkeiten bot, auch wenn diese für die weitaus meisten sehr begrenzt bleiben sollten. In diesem Zusammenhang heben Veteranen insbesondere ihre in der Armee erworbenen französischen Sprachkenntnisse hervor, von denen die meisten auf ausdrücklichen Wunsch auch in den Interviewgesprächen Gebrauch machen. Während manche auf Abendkurse in der Armee verweisen, innerhalb derer sie nach und nach Französisch sprechen, lesen und ansatzweise schreiben gelernt hätten,21 bekennen sich andere scherzhaft zum „CoulibalyFranzösisch" - und spielen damit an auf das von Franzosen geprägte, auf einem in Mali häufig vorkommenden Familiennamen basierende abwertende Synonym für den „Durchschnitts"firai//eur. Als umgangssprachliche Begriffe aus dem französischen Militäijargon bezeichneten français-Coulibaly oder petit nègre die stark von Nominalphrasen geprägte, als Verkehrssprache innerhalb der afrikanischen Truppenteile angeordnete Kunstsprache des français tirailleur. Aber die konnte man sich, wie der folgende Interviewpartner in einer Mischung aus Stolz und Selbstironie berichtet, auch ohne Sprachkurs aneignen: .Also ich, ich spreche die Sprache von Coulibaly ... Coulibaly. Derjenige), der ABC nicht versteht, der spricht so... Derjenige), der (das) ABC kennt, der konnte (richtig) sprechen... Ich, ich bin Coulibaly, ich weiß nichts. Also das ist
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Coulibaly. Leg' los, sieh' zu, wie du zurecht kommst!... (Einer) der sich durchwurstelt, um französisch zu sprechen."22 Angesichts der Sprachenvielfalt, welche die überregional gemischten TirailleursEinheiten allgemein charakterisierte, machten sich insbesondere jene, die beim Eintritt in die Armee bereits Französischkenntnisse hatten, aber auch Bambara 23 beherrschten - inoffizielle lingua franca der afrikanischen Mannschaften und Unteroffiziere - als Übersetzer und Intermediäre unentbehrlich und hatten zudem höhere Chancen auf die Unteroffizierslaufbahn (Echenberg 1991: 115). Im gleichen Sinne wie gemeinsame Kampferfahrungen „reduzierten" wachsende Sprachkenntnisse die von den afrikanischen Soldaten empfundene Kluft zwischen ihnen und den metropolitanen Kameraden und beförderten ihr Gleichheitsgefühl. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, daß die meisten der befragten Veteranen, obwohl sie Schikane und rassistisch motivierte Willkür von Vorgesetzten sowie ihre zweitklassige Stellung im Mikrokosmos Armee durchaus reflektieren, sich der französischen Armee anhaltend loyal und in Dankbarkeit verbunden fühlen, ja diese Beziehung auf Wechselseitigkeit gegründet betrachten: .Aber die Armee hat uns etwas zurückgegeben. Unsere Landsleute heute hier in den Dörfern sind nicht (solche Landsleute) wie wir, denn diese Einstellung, die wir in der Armee dort entdeckten, die war uns nützlich, und wir sind, im Vergleich zu unseren Kollegen in den Dörfern wirklich immer aktiv. Das, was wir heute in der Lage sind zu machen, das können sie nicht. Also das verdanken wir der Einstellung der Armee. Das hat uns wirklich einen ... großen Dienst erwiesen. Da haben Sie's!"24 In diesem Statement eines ehemaligen Oberfeldwebels kommt darüber hinaus zum Ausdruck, wie die Bindung an die Armee über ihre kommemorativen Funktionen hinaus als dynamisierendes Element postmilitärischer Lebensentwürfe wirkte, insofern Veteranen ihre während der Armeezeit erworbenen Kenntnisse und Verhaltensweisen zur Maxime ihres späteren Handelns gemacht und damit, generationsübergreifend betrachtet, gewisse Maßstäbe gesetzt haben. Dies implizierte unter Umständen aber auch, daß sie sich selbst, nach Maßgabe ihrer Identifikation mit der „Einstellung der Armee", als von den Daheimgebliebenen sich abhebende, wenn nicht gar ihnen überlegene Gruppe betrachteten bzw. von letzteren als solche wahrgenommen wurden. Der Schluß liegt nahe, besagte Selbsteinschätzung als Ausdrucksform des universell zu beobachtenden Phänomens der „korporierten Identität" zu deuten, d.h. auszugehen von einer im Zuge der militärischen Sozialisation durch Drill, Befehlsstrukturen und hierarchisierte Handlungsbefugnisse erzielten Gleichförmigkeit von Verhaltensweisen und Handlungsmustern. Für die vorliegende Untersuchung erweist sich weniger diese Feststellung von Interesse als die Frage, inwiefern den Veteranen die damit verknüpfte Prägung bzw. Veränderung ihrer Persönlichkeit bewußt geworden ist. In welchem Maße haben sie sich nicht nur verbal gegenüber „zivilen" - stärker individualisierten und von ihnen unter Umständen als wenig zielgerichtet empfundenen - Lebensweisen und Verhaltensmaßstäben ihrer Umgebung abgegrenzt, sondern auch ihr .Anderssein" zum Ausgangspunkt von postmilitärischen Lebensstrategien machen können, innerhalb derer sich ihr spezifisches Wirkungspotential entfaltete? Obwohl ich angesichts der im folgenden noch zu erörternden Heterogenität von Lebensverläufen und Sichtweisen von Veteranen keine allgemeine, d.h. für die gesamte Gruppe zutreffende Antwort geben, sondern lediglich Facetten eines solchen
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Wirkungspotentials am Beispiel individueller Biographien herausarbeiten kann, scheint mir diesbezüglich doch ein Aspekt von ausschlaggebender Bedeutung: Die in der Mehrzahl aus „einfachen" ländlichen Verhältnissen stammenden Rekruten gehörten im Zeitraum 1930 bis 1946 zu den wenigen Afrikanern, bzw. waren die einzigen ihres gesellschaftlichen Umfeldes überhaupt, die das „Mutterland" aus eigener Anschauung kennenlernen konnten. Daß sie Erfahrungen mit dem europäischen System gesammelt hatten, über die nicht einmal afrikanische Beamte und Angestellte der Kolonialverwaltung verfügten, verlieh ihnen gegenüber den Daheimgebliebenen „eine gewisse Vorrangstellung, eine gewisse Bildung"25. Was nun die Beschaffenheit dieser „Bildung" angeht, so läßt sich, vor dem Hintergrund ihrer oben beschriebenen untergeordneten Stellung innerhalb der Armee und der unterscheidenden Behandlung, der sie dort als Kolonialuntertanen ausgesetzt waren, für die Mehrzahl afrikanischer Soldaten davon ausgehen, daß sie sich Kenntnisse und Fähigkeiten weitestgehend durch Imitation und Erfahrungslernen angeeignet haben, sieht man einmal von den begrenzten beruflichen Qualifikationen ab, die afrikanische Soldaten vor 1946 innerhalb der Armee erwerben konnten (Echenberg 1991: 112-117). Handelte es sich also bei ihnen, schlicht gesagt, nicht um ,3ildungs"- oder „Studienreisende", und blieb ihr Erfahrungswissen umständehalber in vielerlei Hinsicht lückenhaft und begrenzt, so aktivierte die Grenzüberschreitung doch grundsätzlich ihr Potenzial, Situationen, Handlungs- und Verhaltensweisen vergleichen und beurteilen zu können und gab ihnen somit das Rüstzeug an die Hand, sich nach der Rückkehr in die Kolonie aktiv in die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen einzuschalten bzw. ihr an der Front erworbenes Anrecht auf Gleichbehandlung einzufordern. Für diejenigen unter den Veteranen, welche auf diese Weise aus ihren Erfahrungen weitergehende Folgerungen ableiteten und mit ihren Stellungnahmen und Aktivitäten auf ihre (daheimgebliebenen) Landsleute einwirkten, scheint mir die Charakterisierung Joseph Ki-Zerbos zutreffend, der als Gewerkschafts- und Parteigründer im Kontext der Dekolonisation mit ihnen kooperierte und der sie insofern als Elite unter den Veteranen begreift, als sie „über finanzielle Mittel verfügten, finanziell und wirtschaftlich unabhängig waren, das Räderwerk des Systems kannten, also vermittelnd eingreifen konnten, um gewisse Probleme zu lösen. Man konnte sie folglich als Intellektuelle betrachten, welche (jedoch) auf dem Wege praktischer Erfahrung zum geistigen Verständnis gelangt sind."26 Wie jedoch auch Ki-Zerbo an anderer Stelle betont, handelte es sich dabei wohlgemerkt um eine kleine Gruppe, deren Handlungsmaximen zum einen nicht ohne weiteres auf das Gros der Veteranen übertragbar sind und zum anderen auch nur eine Facette des postmilitärischen Lebens dieser .»Elite" zeigen. Wie im folgenden Abschnitt erörtert werden soll, stellte die Wiedereingliederung ins zivile Leben unter (spät)kolonialen Bedingungen die Kriegsheimkehrer vor zahlreiche Probleme verschiedenster Art, denen sie mit der Entwicklung diverser Strategien begegnet sind, um sich wieder zurecht zu finden, einen Status zu erringen, den sie ihren Lebensumständen für angemessen hielten, und auf deren Grundlage sie Optionen auf die Zukunft aufnahmen.
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Neuerer und Statuskämpfer - Kriegsveteranen zwischen Innovation und Readaptation Vergleicht man zeitgenössische Einschätzungen von Veteranen vonseiten der Vertreter der Kolonialadministration, katholischer Missionare oder Repräsentanten der westafrikanischen Dekolonisationsbewegung erhält man ein uneinheitliches und ambivalentes Bild. Je nach Blickrichtung und strategischem Interesse des jeweiligen Betrachters wünschte man sich die ehemaligen Soldaten mal als loyale Garanten kolonialer Ordnung (vgl. Reinwald 2000: 228-231), mal als Massenbasis politischen Protestes und Wählerpotential zur Umsetzung der Unabhängigkeitsbestrebungen (vgl. ebd.: 235-240), mal als Vorreiter christlicher Lebensführung und Multiplikatoren zivilisatorischer Werte. Nun zeigten sich die solcherart Umworbenen bis zu einem gewissen Grad zwar empfanglich fUr die in sie gesetzten Hoffnungen und Verhaltensanforderungen bzw. viele von ihnen erkannten durchaus den Nutzen der ihnen angebotenen Interessenbündnisse für die Bewältigung ihrer mit der Wiedereingliederung ins zivile Leben verbundenen materiellen und sozialen Probleme. Aber ebensowenig, wie sie willens bzw. in der Lage waren, die Distanz, die sich im Zuge ihrer Abwesenheit und ihrer „fremden" Erfahrungen zwischen sie und ihre Familien geschoben hatte, zu überspringen und umstandslos in ihrem Herkunftsmilieu aufzugehen, so sehr enttäuschten sie durch ihre praktische Lebensführung und ihren „Eigensinn" häufig auch solche weitgespannten politischen und sozialen Erwartungen bzw. betrieben Lebens- und Zukunftsplanung auf ihre eigene Weise. Zieht man nun die Lebensberichte von Veteranen heran, um individuelle Lebensentwürfe und Gruppenprofile zu rekonstruieren, so erhält man wiederum ein uneinheitliches und ambivalentes Bild, charakterisiert durch multiple Identitätskonstruktionen und sehr heterogene, sich in ein und derselben Person vereinigende Handlungs- und Verhaltensorientierungen, sowohl was die Bereiche Ehe und Familie als auch weiterreichende soziale und politische Aktivitäten von Veteranen betrifft. In Übereinstimmung mit den Untersuchungsergebnissen anderer Autoren (Echenberg 1991: 135-139; Lawler 1994: 244 f.) sind auch die meisten der von mir befragten Veteranen nach ihrer Entlassung aus der Armee zunächst in ihre Heimatorte zurückgekehrt. Als Motive dafür nennen sie ihre engen familiären Bindungen und ihre Verpflichtungen gegenüber Eltern und jüngeren Geschwistern bzw. in einigen Fällen auch die während ihrer Abwesenheit für sie arrangierten Verlobungen oder Ehen. Zwar betonen die meisten, auch auf Nachfragen, daß ihre eigene Heimkehr und familiäre Wiedereingliederung ohne größere Probleme verlaufen sei, wissen aber fast immer von anderen zu erzählen, denen man zuhause „alle Schwierigkeiten dieser Welt" bereitet habe.27 Manche aber begnügen sich nicht mit diskreten Andeutungen, sondern berichten offen über ihre Abrechnung mit Dorfchefs, unter denen ihre Familien während ihrer Abwesenheit zu leiden hatten,28 oder über heftige Konflikte mit den Eltern wegen der für sie in absentia arrangierten Heirat. Die Vermutung, daß es sich dabei nicht um Einzelfälle gehandelt haben dürfte, wird durch die Lektüre der Missionstagebücher der Pères Blancs bestätigt. In ihnen finden sich insbesondere für die Jahre 1946 bis 1949 zahlreiche Eintragungen über die Verwicklung von Veteranen, aber auch aktiver Soldaten, in familiäre Auseinandersetzungen: über diejenigen, die ihre mittlerweile ihren Brüdern zugesprochenen Bräute oder Ehefrauen zurückzuerobern versuchten, jene, die im Gegenteil eine Auflösung ihrer Ehe anstrebten, oder gar solche, die, sehr zum Mißfallen der katho-
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lischen Missionare, eine Zweit- oder Drittehe eingehen wollten und sich dabei bevorzugt um junge Frauen bemühten, welche die sixa, eine Art christliche Elementar- und Haushaltsschule für Mädchen besuchten, und darüber hinaus als Katechumnen oder Getaufte für die Mission selbst von hohem Wert waren.30 Den Berichten der - in diesen Angelegenheiten nicht unbefangenen - Missionare zufolge wurden die Veteranen und Soldaten in der Verfolgung ihrer Anliegen schnell handgreiflich, bzw. setzten von Anfang an auf Selbstjustiz, um sich ihr Recht zu verschaffen. Ein markanter Aspekt der Lebensplanung von Veteranen, den Missionare und Kolonialadministratoren geneigt waren, als Rückfall in die „Sitten und Gebräuche der traditionellen Gesellschaft" zu interpretieren, ist ihre allgemeine Tendenz zur Polygynie. Mit Ausnahme der Christen unter ihnen haben die meisten der Interviewten - Muslime wie „Animisten", Mannschaftssoldaten wie Unteroffiziere, Landwirte wie Angestellte der Kolonialadministration - im Durchschnitt drei bis vier Ehefrauen genommen. Angesichts der damit verbundenen Versorgungspflichten für Ehepartnerinnen und Nachkommen war das Eingehen einer Vielehe überhaupt nur unter Einsatz größerer Geldmittel realisierbar und deswegen bis dahin den Angehörigen der gesellschaftlichen Elite - einheimischen Chefs, hohen Beamten des Kolonialapparates und religiösen Würdenträgern - vorbehalten geblieben. Viel spricht dafür, daß die Veteranen hier eine bewußte Investition getätigt haben, insofern sie ihre Ersparnisse, Entschädigungszahlungen und Pensionen einsetzten, um sich einen Status zu „erkaufen" bzw. zu versuchen, sich als Quereinsteiger in eine höhere Statusgruppe wieder in die „traditionelle" Gesellschaft einzugliedern. Ob nun bewußte Strategie oder nicht, das mit der Polygynie verknüpfte soziale Prestige eines Mannes dürfte auch dem Bedürfnis von Veteranen, sich als virile, potente Gesellschaftsmitglieder zu inszenieren, allemal entgegengekommen sein. Dies gilt umsomehr, als in beruflicher Hinsicht der Handlungsspielraum für die meisten sehr begrenzt war, d.h für die große Mehrheit der ehemaligen Soldaten hat es keine Alternative zur Rückkehr nach „Haus und Hof' d.h. zur Wiederaufnahme ihrer landwirtschaftlichen Aktivitäten gegeben. Nur schätzungsweise etwa 10 Prozent aller Weltkriegsheimkehrer in gesamt Französisch-Westafrika dürften in den Genuß einer der von Militärbehörden und Kolonialverwaltung nach dem Zweiten Weltkrieg für Veteranen reservierten Arbeitsstellen gelangt sein (Echenberg 1991: 138). Während des Armeedienstes erworbene Zusatzqualifikationen - und vor allem Französischkenntnisse waren entscheidende Kriterien dafür, ob sie nun, wie die meisten ehemaligen Mannschaftssoldaten als plantons für Botendienste und Hilfsarbeiten in verschiedenen Bereichen der Kolonialverwaltung beschäftigt wurden, oder auf eine Anstellung als Chauffeur, Mechaniker, Buchhalter, Übersetzer, Krankenpfleger oder Veterinärassistent hoffen konnten. Ehemalige Sergeanten oder Feldwebel - in der Regel Langzeitverpflichtete, die bereits innerhalb der Armee mehrere Beförderungsstufen genommen hatten bildeten vielerorts den Grundstock für örtliche Polizeikräfte, sei es als gardes de cercle (Bezirkspolizisten) oder als gardes forestiers (Waldhüter). So setzte sich z.B. die im Zuge der „Wiedererstehung" der Kolonie Obervolta 1948 neu konstituierte, 134 Mann starke Polizeitruppe von Ouagadougou sämtlich aus ehemaligen voltaischen „KarriereSoldaten" zusammen (Echenberg 1991:134).31 Obwohl die aus den Angaben der von mir interviewten Veteranen erstellte nachfolgende Liste ihrer beruflichen Aktivitäten weder im Hinblick auf die Jahrgänge noch auf die regionale Verteilung der Beteiligten repräsentativ ist,32 lassen sich aus ihr doch bestimmte Trends ablesen. So läßt sich zum einen eine grobe Übereinstimmung ihrer „Karrieren" mit dem oben skizzierten Gesamtbild feststellen: Von
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insgesamt 40 Befragten sind 19 nach ihrer Entlassung aus der Armee in die Landwirtschaft zurückgekehrt, fünf erhielten eine Anstellung als Chauffeur, Polizist oder Gardist, neun verblieben als Berufssoldaten bis zur Pensionierung in der französischen bzw. wurden nach der staatlichen Unabhängigkeit in die voltaische Armee überführt. Unter den fünfen, denen der Aufstieg ins Offizierskorps gelang, befinden sich der ehemalige Oberkommandierende der voltaischen Streitkräfte und spätere Staatspräsident Sangoule Lamizana sowie ein für die Versorgung der voltaischen Truppen zuständiger Generalstabsoffizier und späterer Wirtschafts- und Entwicklungsminister des Landes. Ein Veteran eröffnete ein Geschäft für den Verkauf von Kleinkrafträdern und Ersatzteilen, ein weiterer betrieb zeitweilig einen Stand auf einem der Tagesmärkte von Bobo-Dioulasso. Einer wurde Arbeiter beim Ölkonzern AGIP in Cöte d'Ivoire, und einer beendete seine berufliche Laufbahn als Angestellter und Ausbilder im Wasser- und Forstwesen. Tabelle: Berufliche Profile der interviewten Veteranen 33 Beruf, Arbeitsbereich Landwirtschaft Chauffeur Polizei Republikgarde Wasser- und Forstwesen
Ouagadougou (7) 1 1
Händler, Geschäftsinhaber Arbeiter 1 Armee (davon im 4 ( 4 ) Offizierskorps) Minister, Staats- 2 präsident Keine Angaben
Bobo-Dioulasso (16) 4 1 1 2 1
Torna (4) 3
Tougan (13) 11
1
1 (1 vorübergehend)
5(1)
1
1
1
Darüber hinaus zeigen sich markante Unterschiede, was berufliche Optionen und Gruppenprofile von Veteranen im ländlichen Bereich (Tougan, Torna) und im Einzugsgebiet der Städte Ouagadougou und Bobo-Dioulasso betrifft. So geben, von einer Ausnahme abgesehen, alle Befragten aus Tougan und Torna - in ihrer überwiegenden Mehrheit Langzeitverpflichtete, welche 15 Jahre und mehr in der französischen Armee waren - , nicht nur an, nach ihrer Entlassung aus der Armee Landwirtschaft betrieben zu haben; sie erklären darüber hinaus, dazu direkt in ihre Heimatorte zurückgekehrt und bis auf den heutigen Tag dort auch geblieben zu sein. Demgegenüber zeichnen sich die postmilitärischen Biographien der Befragten in Bobo-Dioulasso und Ouagadougou sowohl hinsichtlich beruflicher Aktivitäten als auch räumlicher Mobilität durch starke Differenzierungen aus. In dieser Gruppe sind nicht nur sämtliche Berufsfelder vertreten; die überwiegende Mehrheit der Interviewten gibt darüber hinaus auch an, sich zwar vorübergehend in ihrem Heimatdorf aufgehalten, es dann aber vorgezogen zu haben, in der Stadt zu leben. Abgesehen von denjenigen, welche ihr Beruf zu wiederholtem Ortswechsel veranlaßte, war
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der Umzug in die Stadt beim Gros der Befragten das Ergebnis einer bewußten Entscheidung zugunsten der schulischen und beruflichen Zukunft ihrer Kinder: „Das war wegen der Kinder. Ich habe sehr viele Kinder. Hätte ich sie nun dort im Dorf gelassen, dann hätten sie, dann hätten sie nicht das lernen können, was man hier in der Stadt lernen kann. Also habe ich es vorgezogen, hier in der Stadt zu bleiben, um, um meine Kinder dazu zu bringen, in die Schule zu gehen. (B.R.: Ach so.) Denn wenn du sie im Dorf da unten läßt, jeder, der sich ein bißchen mit der Schule auskennt, weiß, daß man, statt sich mit einem Umstand abzufinden, doch etwas tun kann, um seine Lage zu verbessern. Deswegen habe ich sie nicht dort im Dorf gelassen. So war das also, wegen der Ausbildung meiner Kinder. Aber Gott sei Dank ist das heute so, daß auch wenn jemand keine Stelle bekommen hat, wenn er wenigstens ein bißchen Französisch kann, wenn er schreiben kann, sich zu helfen weiß. (B.R.: Mmhmm.) Der kommt also mit seinem Leben zurecht."34 Nun gehen zwar nicht alle so weit wie dieser Veteran, der die schulische Ausbildung der Kinder von ehemaligen Soldaten als kategorischen Imperativ begreift: „Aber immerhin haben wir, die wir in der Armee waren, ja doch etwas von der Welt gesehen. Ein Veteran, der dann seine Kinder nicht in die Schule schickt, also der, der hat nichts gesehen, der hat nichts gelernt." 35 Dennoch erklären alle Befragten die aufs Land zurückgekehrten eingeschlossen - mit Nachdruck, alles dafür getan zu haben, damit ihre Söhne und Töchter zumindest die Grundschule besuchen. In den Motiven, die sie dafür angeben, klingen häufig Erinnerungen an ihren eigenen Lebensweg an: Sei es, daß sie ihren Kindern zu einem besseren Start verhelfen wollten, als sie ihn selbst gehabt hatten36, sei es, daß sie dies als Teil einer Strategie begriffen, ihre Kinder einem familiären Milieu zu entziehen, mit dem sie sich nicht mehr identifizieren konnten bzw. das sie als rückschrittlich oder als unvereinbar mit den Anforderungen betrachteten, welche in Zukunft auf ihre Kinder zukommen würden, 37 oder sei es, daß sie der Schulbildung für die künftige Entwicklung ihres Landes einen so hohen Stellenwert einräumten, daß sie dafür bereit waren, in eine politische Partei einzutreten. 38 Dieses - angesichts ihrer zahlreichen Nachkommenschaft filr die Veteranen mit beträchtlichem finanziellem Aufwand verbundene - Engagement ist umso bemerkenswerter, als die meisten Voltaer bis in die 1940er Jahre mit allen Mitteln versucht hatten, ihre Kinder vor den von der Kolonialadministration eingerichteten Schulen zu „schützen", und dies nicht zuletzt aufgrund der rabiaten Einschulungskampagnen, die sie in den Augen der Bevölkerung in die Nähe von Zwangsarbeit und Zwangsrekrutierung rückten (Kargougou 1995: 341-350; Compaorö 1995: 351-360 und 361-378). Können die Veteranen also in diesem Punkt als Avantgarde eingeschätzt werden, welche nicht nur die Zeichen der Zeit erkannt hatte, sondern durch ihr Vorbild auch einen Sinneswandel in ihrer Umgebung mitbewirkte, was die Bedeutung von Schulbildung für das gesellschaftliche Fortkommen anbelangte, so läßt sich ihnen im Rückblick darüber hinaus bescheinigen, daß sich ihre Investition in die Zukunft mittelfristig „ausgezahlt" hat, gehören die Kinder ehemaliger Soldaten als mittlere und leitende Verwaltungsangestellte, Lehrerinnen, Krankenpfleger und -schwestern in der Regel heute dem gebildeten Mittelstand in Burkina Faso an, bzw. hoffen als Kolleg- oder Studienabgänger auf eine künftige Anstellung. 39
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Mit ihrem Entschluß, sich dem familiären und dörflichen Einfluß zu entziehen und sich in der Stadt eine neue Existenz aufzubauen, haben Veteranen z.B. dem Stadtbild von Bobo-Dioulasso in mehrfacher Hinsicht eine eigene Prägung gegeben. Dort entstanden im Zuge eines nach dem Zweiten Weltkrieg von Veteranen und Eisenbahnern der Linie Régie Abidjan-Niger (RAN) ausgelösten Baubooms Neubausiedlungen und ganze Stadtteile, wie Accartville,40 wo insbesondere Veteranen in größerem Umfang Parzellen erworben und Häuser nach ihren Vorstellungen gebaut haben. 1958 erkannte auch die Kolonialadministration den Wert solcher Vorhaben: „... um zu verhindern, daß die häufig beträchtlichen Ersparnisse der aus dem Krieg zurückgekehrten Soldaten sich im Abgrund familiärer Begierden auf immer verlieren", entsprach sie den vielfach an sie herangetragenen Wünschen von Veteranen und unterstützte die Bauherren durch Einrichtung von Sparkonten und Gewährung von Darlehen.41 In den nach 1945 in allen Stadtteilen Bobos eröffneten cabarets, in denen zunächst Hirsebier (dolo), auf Betreiben von Veteranen aber auch bald europäisch gebrautes Bier ausgeschenkt wurde, erklang live-Musik vom Balafon oder wurden Schallplatten abgespielt, welche die Soldaten aus dem Ausland mitgebracht hatten. Im Repertoire war nach dem Zweiten Weltkrieg arabische Musik, nach dem Indochinakrieg mehr und mehr abgelöst von kubanischen Rhythmen, die sich auch anläßlich der in jenen Jahren dort jedes Wochenende abgehaltenen Bälle allgemeiner Beliebtheit erfreuten.42 Diese cabarets, die es auch in kleineren Ortschaften gibt, und die hier wie da bis heute bevorzugte Treffipunkte für Veteranen sind, die hier ihre Kriegserinneningen auffrischen, können in einem weiteren Sinne als Ausdruck einer von den ehemaligen Soldaten gepflegten Freizeitkultur verstanden werden, ein Novum in einer bäuerlich geprägten Gesellschaft, in der sich das Brauen und der Ausschank von dolo bis dahin auf die Zeit nach der Ernte beschränkt hatte, und der eine Unterscheidung von Arbeitszeit und Freizeit nicht geläufig war.43 Neben dieser Einführung populärer Formen von Freizeitgestaltung setzten die Veteranen auch Maßstäbe, was die Verbreitung von Gebrauchs- und Luxusgütern sowie Konsumgewohnheiten anbelangte. Waren es unter den Weltkriegsveteranen noch einzelne gewesen, die ihre Umgebung mit den mitgebrachten Nähmaschinen, Fahrrädern und Kleidungsstücken beeindruckt hatten, so gehörte solches bald zur „Grundausstattung" der Heimkehrer: Repatriierte Indochina-Kämpfer durften u.a. folgende Waren zollfrei einführen: 20 Meter Stoff, zwei bis drei Paar Schuhe, zwei Regen- oder Sonnenschirme, einen Fotoapparat, ein Fahrrad sowie einen Plattenspieler.44 Daß sie zudem ihre während der Armeezeit erworbenen Gewohnheiten beibehielten, also in größerem Umfang alkoholische Getränke konsumierten und für ihre Familien importierte Kleidung und Schuhe kauften, erfreute nicht nur libanesische und französische Handelshäuser in Bobo-Dioulasso, sondern weckte allgemein das Bedürfnis der Daheimgebliebenen, es ihnen gleich zu tun.45 Schon Mitte der 1950er Jahre beklagten die Missionare die Auswirkungen der um sich greifenden „Genußsucht" der Bevölkerung in der Diözese: „Man kann und will nicht mehr arm sein. In weiten Teilen der Diözese besaß früher überhaupt niemand Kleidung: mit frischen Baumblättern befriedigte man sowohl das Bedürfnis zu gefallen wie auch die Scham zu bedecken. Heute zieht man sich an, man braucht ein Fahrrad und andere Gegenstände, die jetzt (plötzlich) notwendig sind. Man muß sich also das nötige Familieneinkommen beschaffen, um diese neuen Ausgaben tätigen zu können. So geht man woanders hin, um das Geld zu verdienen, das der Anbau von Nahrungsmitteln nicht
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abwirft; daher rühren weitläufige und dauerhafte Abwanderungen, und das in einem Alter und zu einer Jahreszeit, wo man eigentlich den Katechismus lernen sollte." 44
Bei den temporären Arbeitsmigrationen junger Männer und Frauen nach Côte d'Ivoire und in die britische Kolonie Gold Coast (heute Ghana), auf welche hier Bezug genommen wird, handelte es sich in Wirklichkeit um ein „altes" Phänomen, das durch die geschilderten materiellen Anreize nach dem Zweiten Weltkrieg wiederbelebt worden ist. Waren deren Hauptmotive bis in die 1940er Jahre vor allem die Flucht vor Zwangsarbeit und Rekrutierung für die Armee bzw. die Erwirtschaftung der zur Entrichtung der jährlichen Kopfsteuer nötigen Geldmittel (Cordell/Gregory/Piché 1996: 60-85), so zogen die Migrantinnen nunmehr aus, um, wie die Missionare richtig erkannt haben, ihr Bedürfnis nach Teilhabe an einer sich modernisierenden Gesellschaft finanzieren zu können. In diesem Zusammenhang zeichnete sich auch eine generelle Trendwende ab, was die Einstellung zum Militärdienst betrifft. Mehrere Indochina- und Algerienveteranen geben an, dem Vorbild ihrer Onkel und Großväter, zumeist Veteranen des Ersten Weltkriegs, nachgeeifert und sich freiwillig zur Armee gemeldet zu haben.47 Aus ihren selbstbewußten Schilderungen wird deutlich, daß sie den Armeedienst als „Job" begriffen haben, der ihnen materielle Ressourcen und Prestigegewinn hinsichtlich ihrer Umgebung einbringen sollte. Nicht alle Erscheinungsformen dieses von den Veteranen mit vorangetriebenen Prozesses waren den Missionaren indes so unlieb, wie es in der oben angeführten Stellungnahme den Anschein hat. So begrüßten sie es als Zivilisationsschub, daß die Bewohnerinnen der Dörfer des Südens und Südwestens ihre „Blätter" und Penishüllen ablegten und sich mehr und mehr in den von den Kriegsheimkehrern propagierten Baumwollgewändern zeigten.48 Den Erinnerungen von Zeitzeugen zufolge wurde auch die Herrenmode in den Städten nach dem Zweiten Weltkrieg in weiten Teilen von Veteranen inspiriert, insofern sie eine Symbiose militärischer Versatzstücke wie Uniformjacken, Käppis und - von der US-Armee übernommene - schwarzverspiegelte Sonnenbrillen mit kolonialen Accessoires wie Tropenhelmen (siehe auch Abbildung Nr. 2) und dem traditionell muslimischen boubou kreierten. Höhepunkte waren die alljährlichen Aufmärsche zum 14. Juli sowie die militärischen Gedenktage, an denen manche Anciens Combattants - bestückt mit sämtlichen Orden - sich der Öffentlichkeit als stattliche, stets einwandfrei gekleidete Männer präsentierten und damit ein Image pflegten, für das zunächst General de Gaulle das Vorbild lieferte und das ab Ende der 1940er Jahre dann mi t den Figuren der RDA-Repräsentanten Félix Houphouët-Boignv und Daniel Ouézzin Coulibaly zu einem neuen Idealtypus „verschmolzen" wurde. 9 Die hier skizzierten Entwicklungen und Verhaltensmuster können als Indikatoren für eine spezifische Lebensweise betrachtet werden, mit der die Veteranen versucht haben, die Distanz zwischen den Lebensumständen, aus denen sie aufgebrochen und dem Neuen, mit dem sie während ihrer Armeezeit konfrontiert waren und das sie sich in Teilen angeeignet hatten, zu überbrücken. Dieser Prozeß scheint im städtischen Umfeld sehr stark geprägt durch eine Tendenz zur Autonomisierung und Individualisierung von Lebensentwürfen einerseits und durch eine „Monetarisierung" des täglichen Lebens andererseits. Wie eng diese Phänomene miteinander verknüpft sind, zeigt sich nicht zuletzt an den Investitionen in die „materielle Kultur" und den Konsumgewohnheiten von Veteranen. Sie ließen Geld zirkulieren, um
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sich und ihren Familien ein - von der Großfamilie unabhängiges und angenehmeres - Leben zu bereiten, aber auch um sich als Neuankömmlinge, die sie sowohl im räumlichen wie auch im Hinblick auf die soziale Schichtung der Gesellschaft waren, einen Status aufzubauen und zu erhalten. Dies gilt ungeachtet dessen, daß längst nicht alle über die dafür notwendigen finanziellen Ressourcen verfügten bzw. sie nicht gewinnbringend einzusetzten verstanden, weil sie dem Alkoholismus erlagen oder durch physische und psychische Kriegsverletzungen von vornherein beeinträchtigt waren.
Abb. 20: Kriegsveteran im Kreise seiner Familie Nun haben auch diejenigen, die in die Dörfer zurückkehrten, dort hygienische und landwirtschaftliche Neuerungen angeregt, wie z.B. Trinkwasser zu filtern, neue Feldfrüchte anzubauen und Zugtiere zum Pflügen zu verwenden, oder auch neue Konsumgewohnheiten verbreitet.50 Eine nähere Betrachtung ihrer Lebenswege zeigt jedoch, daß die Arenen der Auseinandersetzungen hier andere waren als in den Städten, bzw. daß die Veteranen hier anders gelagerte Arrangements zwischen den Lebenswelten, in denen sie sich bewegten, finden mußten. Eine vollständige Absetzung von der Großfamilie war aus wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Gründen in der Regel nicht denkbar. Doch gibt es Hinweise, daß sich Veteranen nicht mehr widerspruchslos in die Schiedssprüche der Familienältesten fügten, was ihre Ansprüche auf Ackerland und Wasserstellen anbelangte, was in manchen Fällen zur Ausweitung innerfamiliärer Streitigkeiten auf Dorfebene führte.51 Hier wie in den
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vielfältig dokumentierten Auseinandersetzungen zwischen ehemaligen Soldaten und lokalen Amtsinhabem nahmen die schon früher geäußerten Befürchtungen der Kolonialregierung, Kriegsheimkehrer könnten den kolonialen Frieden stören, insofern sie „ihre Unabhängigkeit gegenüber Dorf- und sogar Kantonschefs bewiesen"52, vielerorts reale Formen an. Von der Bevölkerung wegen ihrer Sprachkenntnisse, aber auch des ihnen in Fleisch und Blut übergegangenen Gefühls fiir Ordnung, Organisation und Disziplin als Intermediäre sehr geschätzt, intervenierten sie auf verschiedene Arten und Weisen gegen den Machtmißbrauch der Amtsinhaber bei der Steuereintreibung und Heranziehung von (Zwangs)Arbeitskräften sowie den jährlichen Rekrutierungskampagnen. Brach sich hier in vielen Fällen ihr geschärftes Unrechtsempfinden Bahn, so scheinen sie manches Mal schlichtweg Konkurrenzkämpfe mit - tatsächlich oder vorgeblich - inkompetenten Chefs ausgefochten zu haben. Aufgrund der ingesamt fragmentarischen Aktenlage und der häufig sehr verkürzten Darstellung einzelner Fälle in den Berichten der Kolonialverwaltung bleiben sowohl Hintergründe als auch genauere Abläufe solcher Konflikte oft im Dunkeln. Als gesichert kann lediglich gelten, daß Veteranen in den Nachkriegsjahren mancherorts zu Dorfchefs gewählt worden sind, obwohl sie nicht den dieses Amt traditionell ausübenden Familien entstammten, und daß diese „Quereinsteiger" die Auseinandersetzung mit den - von der Kolonialverwaltung mit weitreichenden Befugnissen ausgestatteten - Kantonschefs nicht gescheut haben, oder gar Ambitionen hegten, deren Amt selbst zu bekleiden. Über den Erfolg solcher Unternehmungen entschieden allerdings letztlich nicht nur die von den Kontrahenten mobilisierte Anhängerschaft und die ins Feld geführten - mitunter durchaus handgreiflich unterstützten - Argumente, sondern die jeweiligen strategischen Erwägungen der Kolonialadministration.53 Wie sich allerdings u.a. am Beispiel der Ernennung von Mitgliedern des Conseil des Notables - eines aus Würdenträgern und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zusammengesetzten Gremiums mit beratender und juristischer Funktion - zeigt, war den Repräsentanten der Kolonialregierung nicht nur bewußt, daß Veteranen in den verschiedenen Unterbezirken von Bobo-Dioulasso einen potentiellen Machtfaktor darstellten, sondern sie strebten durchaus danach, sich diesen zu kooptieren: So bestätigte der Bezirkskommandant Anfang 1953 eine Liste, in der ehemalige Soldaten erstmals neben Kantons- und Dorfchefs, Schuldirektoren, Geschäftsleuten und Verwaltungsangestellten auftauchten.54 Die politischen Aktivitäten und Orientierungen voltaischer Kriegsveteranen und ihrer Verbände, den Associations des Anciens Combattants, sowie ihr - letztlich erfolgloser - Kampf um Gleichstellung mit ihren metropolitanen Kameraden in Fragen der Entschädigungszahlungen und Renten sind im Rahmen einer anderen Studie ausführlich erörtert worden (Reinwald 2000: 228-240). Zusammengefaßt sei hier lediglich angemerkt, daß die zwischen 194S und 1960 von verschiedenen Seiten stark umworbenen Veteranen - von einzelnen Ausnahmen abgesehen - sich letztlich keiner politischen Partei oder Interessengruppe ganz und gar verschrieben haben. Die Vertreter der Kolonialregierung erblickten in ihnen eine Schlüsselgruppe zur Aufrechterhaltung der kolonialen Ordnung und wandten sich ihnen in einer Geste wohlwollenden Patemalismus zu, um sich mit zahlreichen - häufig symbolischen Gratifikationen ihrer Loyalität gegenüber der mère-patrie (Mutter-Vaterland) zu versichern. Dafür zeigten sich die Veteranen, vor allem ehemalige Langzeitverpflichtete, die sich mitunter „mehr als Franzosen fühlten" 55 denn als Voltaer, zwar durchaus empfänglich. In dem Maße aber, wie ihre Ansprüche auf Entschädigungs-
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Zahlungen für Kriegsgefangenschaft, Invaliditäts- und Altersrenten verschleppt und ihre Forderungen nach Gleichstellung mit französischen Veteranen unbeantwortet blieben, fühlten sie sich von Frankreich verraten und suchten sich andere Bündnispartner.
Abb. 21: Feldwebel mit seiner Ehefrau Daß die Veteranen im Kontext der Dekolonialisierung zu einer bevorzugten Adressatengruppe politischer Parteien und Gewerkschaften geworden sind, erklärt sich aus dem Zusammenwirken verschiedener Faktoren, angefangen von der Unzufriedenheit der Demobilisierten über ihre ungerechte Behandlung, ihrer Feststellung, daß sich in der Kolonie während ihrer Abwesenheit nichts zum Besseren gewendet hatte, bis hin zu ihrem während der Militärzeit geschärften Gerechtigkeitsempfinden und gewachsenen Selbstbewußtsein, und nicht zuletzt der zahlenmäßigen Stärke dieser Gruppe, der Frankreich das Wahlrecht zuerkannt hatte. Auf diesem Wege fanden die Forderungen der etwa 30 000 potentiellen Wähler 56 nach angemessenen
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Renten und rechtlicher Gleichstellung mit ihren französischen Kameraden Eingang in die Agenda politischer Parteien, allen voran des 1946 gegründeten und bis 19S0 mit der Kommunistischen Partei Frankreichs affiliierten Rassemblement Démocratique Africain (RDA), geführt von dem ivorischen Arzt, Kakaopflanzer und chef traditionnel Félix Houphouët-Boigny. Vor allem dessen erfolgreiche Kampagne zur Abschaffung der kolonialen Zwangsarbeit, die am 11.4.1946 Gesetzeskraft erlangte, verschaffte ihm bei den Veteranen hohes Ansehen. Was nun ihre Partizipation am Prozeß der politischen Willensbildung zwischen 1945 und 1960 insgesamt angeht, so ist diese in regionaler Hinsicht und im Punkte ihrer politischen Loyalität sehr unterschiedlich zu bewerten. Insbesondere für den Südwesten - mit dem Zentrum Bobo-Dioulasso - kann davon ausgegangen werden, daß Veteranen, vor allem zwischen 1946 und 1952, durch ihre aktive Teilnahme an Demonstrationen und Kundgebungen, als Parteigänger und Wähler des RDA die Dekolonisationsbewegung entscheidend gestärkt haben, was sich nicht zuletzt darin zeigte, daß das zeitweilig stark ins Wanken geratende Gouvernement der Côte d'Ivoire (ab September 1947 Obervolta) mit scharfen Repressionsmaßnahmen reagierte (Lawler 1992: 214-230, Echenberg 1991: 155-159) und dabei auch die von RDA-Mitgliedern geführte Veteranenvereinigung von Bobo-Dioulasso verfolgte.57 Im entgegengesetzten Lager befanden sich die Veteranen aus dem Zentrum Obervoltas, dem „Mossi-Plateau" um die Hauptstadt Ouagadougou, die der 1946 gegründeten Union Voltaique (ab Dezember 1954 Parti Social d Éducation des Masses Africaines, PSEMA) nahestanden. Diese Partei war sowohl der monarchistischen Tradition, verkörpert durch den Mogho Naba, als auch der katholischen Kirche verpflichtet und focht - in enger Kooperation mit der Kolonialregierung - erbitterte Kämpfe mit ihrem politischen Gegenspieler, dem RDA, aus (Englebert 1996: 27.32). Im Westen und Norden - vor allem in den Einzugsgebieten von Tougan und Ouahigouya - schlössen sich zwischen 1951 und 1956 viele ehemalige Soldaten dem Rassemblement Patriotique Français (RPF, ab 1956 Mouvement Démocratique Voltaique, MDV) an, das sich unter der Führung des französischen Hauptmanns Dorange ihrer Belange angenommen hatte.58 Von allen politischen Formationen in Obervolta konnte diese Bewegung wohl die größten langanhaltenden Erfolge bei den Veteranen verzeichnen, so daß sie bald über diese Regionen hinaus als die „Veteranenpartei" galt, ja ehemalige Soldaten als ihre treibende Kraft angesehen wurden. Der Erfolg des RPF liegt vor allem darin begründet, daß er sich „keiner Ideologie verpflichtet erklärte und über keinerlei politische Theorie, geschweige denn nationalistische Zielsetzung verfügte"; er „forderte lediglich mehr Gerechtigkeit und Gleichheit für die Voltaer" und war insofern „auf die Befreiung gerichtet, weil er den Voltaern die Mittel für ihre Entwicklung an die Hand geben wollte.' 9 Mit diesem pragmatischen Profil aber kam er einer Gruppe am nächsten, deren unerfüllte Ansprüche und Forderungen nach Mitbestimmung und Befreiung von Zwängen und Bevormundung sie zum Handeln drängten, die sich in ihrem Aufbegehren aber gleichzeitig einem vielschichtigen Loyalitätskonflikt ausgesetzt sah: Hatte man ihnen während ihrer Armeezeit nicht eingeschärft, einem Militär stehe es nicht an, Politik zu treiben? (In der Tat erklären viele der darauf hin befragten Veteranen, bis heute unbeirrt an diesem Grundsatz festgehalten zu haben.) Waren sie nicht letztlich bereit gewesen, für Frankreich zu sterben? Und schließlich - so sagten sich vor allem die Langzeitverpflichteten - waren und blieben sie nun mal Soldaten und kannten sich im „Zivilen" halt einfach nicht aus!60 Diesen Veteranen
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baute die Bewegung des französischen Offiziers Dorange eine ,3rücke", auf der sie sich bewegen konnten, in ihrem - großenteils vergeblichen Bemühen, ihren Wunsch nach Freiheit und Gerechtigkeit mit ihrem Selbstverständnis als Militärs, ihrer corporate identity innerhalb der französischen Armee, mit ihren Beziehungen zum „zivilen" Frankreich und ihrem Verhältnis zu einem sich im Umbruch befindenden Land, dessen künftige Gestalt noch kaum zu ahnen war, in Einklang zu bringen. In diesem Punkt kann dem Argument Ki-Zerbos zugestimmt werden, der vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen als politischer Akteur der Unabhängigkeitsbewegung erklärt, die meisten Veteranen seien in diesem Geflecht von einander sich ausschließenden Rollenerwartungen und Verhaltensanforderungen langfristig verfangen geblieben. Lediglich einer Minderheit seien ihre Begegnungen, Auseinandersetzungen und die Widersprüche, die sie während ihrer Armeezeit hatten aushalten müssen, insofern eine Lehre gewesen, als sie in der Umbruchsituation der 1950er Jahre ein tieferes Verständnis für Zusammenhänge und Interessenkonflikte entwikkelt und begriffen hätten, was durch die anhaltende französische Präsenz für Afrika auf dem Spiel stand. Und eben jenen, die in diesem Prozeß nicht nur persönlich, sondern auch politisch gereift seien, und unter denen sich nicht zwangsläufig die militärisch Höherrangigen befunden hätten, sei in jeder Hinsicht der Status einer politischen Elite zuzuerkennen: „Denn sie waren Nationalisten, sie hatten verstanden, worum es ging, und sie waren fähig zu organisieren, eine disziplinierte Organisation aufzubauen. Sie hatten auch den Mut, mit uns gemeinsam zu marschieren und in der Öffentlichkeit das Wort zu ergreifen, um zu erklären, worum es ging." 61
Dieser entschiedenen Stellungnahme eines aufrechten Demokraten läßt sich wenig entgegenhalten. Mit Blick auf die mir vorliegenden Lebensberichte vielleicht nur dies: Ein Prozeß der persönlichen und politischen Reifung muß nicht zwangsläufig in parteipolitisches Engagement einmünden, sondern kann sich auch in wenig spektakulären - und für Außenstehende häufig kaum wahrnehmbaren - darum aber nicht weniger souveränen Lösungen äußern, zu denen Einzelne z.B. in Bewältigung ihrer Grenzerfahrungen und Traumata gelangten und dank derer sie ihr späteres Leben auf ein neues Fundament zu stellen in der Lage waren. Zwei Beispiele seien hier genannt: Der frisch ernannte - und sofort wieder fristlos entlassene - Polizist, der seine Leidenserfahrungen in deutscher Kriegsgefangenschaft in die Waagschale warf und den Befehl verweigerte, einen Verhafteten krankenhausreif zu schlagen; der zudem, um einen Schlußstrich unter die Spirale der Gewalt und des Leids zu ziehen, seine Söhne vom Militärdienst abhielt; und der RDA-Aktivist und Angestellte im Forst- und Wasserwesen, der seit seiner Gefangennahme durch italienische Truppen in Tunesien „wußte", was es heißt, anderen völlig ausgeliefert zu sein, und über diesen Erfahrungen fast den Verstand verloren hätte. Eben dieses „Wissen" hat ihn später auf den verlorenen und gefahrlichen Posten, auf die man ihn wiederholt strafversetzte, bei geistiger Gesundheit bleiben und unbeirrt an seinen politischen Überzeugungen festhalten lassen.62
Voltaische Veteranen als „Akteure des Wandels"? Weder fügsame Kolonialuntertanen noch hehre Unabhängigkeitskämpfer, gewiß zukunftsorientierte und vorsorgende Familienväter, aber auch „unvernünftige Ver-
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schwender" ihrer bescheidenen Ressourcen - aus der Betrachtung verschiedener Aspekte des (nach)militärischen Lebens voltaischer Veteranen ergibt sich ein uneinheitliches, in vielen Punkten noch vorläufiges Bild, zu dessen Vervollständigung weitere Untersuchungen beitragen müssen.63 Aus den oben skizzierten Lebensläufen und Gruppenbildern läßt sich schließen, daß es sich bei den (voltaischen) Veteranen, von denen hier nur eine von mehreren Generationen näher betrachtet worden ist, nicht um einen homogenen Block handelt, sondern um eine äußerst heterogene soziale Gruppe. Verhaltensorientierungen und Handlungsstrategien, mit denen die Kriegsheimkehrer ihre familiäre und weitergehende soziale und politische Reintegration betreiben, scheinen auf den ersten Blick widersprüchlich und stark von Interessenkonflikten beeinflußt, durch welche der spätkoloniale Alltag in Obervolta geprägt ist. Individuelle Lebenspläne und handlungsleitende Motive zeugen von einem permanenten Übergangsstadium bzw. einem ständigen Pendeln zwischen verschiedenen, ebenfalls in Veränderung begriffenen Lebenswelten. Multiple Identitätskonstruktionen und heterogene, sich in einund derselben Person vereinigende Handlungs- und Verhaltensorientierungen sind ein deutlicher Ausdruck dieses vielschichtigen und unabgeschlossenen Prozesses. Im Gegensatz zu anderen im Gruppenprojekt untersuchten individuellen und kollektiven .Akteuren des Wandels" läßt sich hier mit einiger Sicherheit davon ausgehen, daß Veteranen nicht bzw. nicht vorrangig von einer „Mission" getragen waren. Weder die Umstände, unter denen sie aufgebrochen, noch jene, unter denen sie ihre Erfahrungen in der „Fremde" gemacht, geschweige denn diejenigen, unter denen sie sich in ihrem alten Umfeld wieder einzugliedern versucht haben, waren dazu angetan, sie in diesem Sinne zu inspirieren. Wie sich aus ihren späteren Lebensverläufen erschließt, sind sie aber deswegen weder als „Spielbälle" kolonialer Willkür noch als die gescheiterten Existenzen zu betrachten, als die sie häufig bezeichnet werden. Für die Mehrzahl der Veteranen ging es darum, sich in den für sie wieder verengenden kolonialen Verhältnissen emeut zurechtzufinden, aber auch sich auf der Grundlage ihrer während der Militärzeit erweiterten Weltsicht und ihres veränderten Selbstverständnisses neu zu positionieren. In diesem Zusammenhang haben sie Lebenspläne entwickelt sowie Kulturmuster und Konsumgewohnheiten gepflegt, mit denen sie sich als soziale und Statusgruppe in der Umbruchsituation der 1950er Jahre einrichteten und in denen sie einen spezifischen Lebensstil zum Ausdruck brachten. Dabei haben sie einerseits in absichtsvoller Einwirkung „Neues" in ihre engere und weitere Umgebung eingetragen; andererseits hat aber auch ihre Existenz als permanente „Grenzgänger" Impulse für Veränderungen gegeben, wie sie hier am Beispiel des sozialen Aufstiegs ihrer Nachkommen in die bildungsorientierte Mittelschicht skizziert worden sind. Beide Aspekte dieses „Wirkens" lassen sich aus den Lebensverläufen erschließen, wenn auch in persönlich sehr unterschiedlicher Gewichtung und häufig nur analytisch trennbar. Als have beens - als einzige ihres sozialen Milieus, die in Europa waren, „übersetzten" Veteranen ihre Erfahrungen den „Daheimgebliebenen" und Nachkommen, machten sie ihren Wissensvorsprung und ihre Weitläufigkeit geltend: sie kleideten sich anders, konsumierten anders und bauten anders und lösten damit mittelfristig allgemeine Veränderungen von Kultur- und Konsumpraktiken aus. Ihr Lebensstil als Anciens Combattants, unterstützt durch die schillernden Erzählungen ihrer Abenteuer an der Front und ihrer „Spaziergänge" durch europäische Städte verfehlte auch seine Wirkung auf junge Männer nicht - eine neue Generation von nunmehr
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Freiwilligen für Indochina und Algerien folgte ihrem Beispiel. Eine Reihe von diesen wiederum sollten später als hohe Offiziere die wechselnden Geschicke des unabhängigen Staates Obervolta/Burkina Faso mitlenken. Das Gros der Veteranen handelte auf „eigene Rechnung", angetrieben von eigenen oder das Fortkommen ihrer Nachkommen betreffenden existenziellen, materiellen und sozialen Bedürfnissen und dem Interesse nach Statussicherung und Verbesserung. Als soziale Aufsteiger entwickelten sie mitunter Strategien, in denen sie „Tradition" und ,.Moderne" zur originellen Synthese verquickten, wie ihre Praxis der Vielehe bei gleichzeitiger Einschulung ihrer Kinder oder ihre Versuche, Chef-Ämter zu erringen, zeigen. Ihre unerfüllten Forderungen nach gleicher und gerechter Behandlung als ehemalige Soldaten haben - zeitweise viele, langfristig wenige - dazu gedrängt, sich öffentlich - auf der Straße, an der Wahlurne, innerhalb politischer Parteien oder ihrer Veteranenvereine - zu artikulieren. Die meisten von ihnen haben sich dabei aus dem Loyalitätsdilemma, in das sie durch den Militärdienst geraten waren, nicht lösen können. Und hier zeigt sich ein weiterer Aspekt ihrer Existenz: Ungeachtet ihrer - mehr oder weniger erfolgreichen - familiären, sozialen und gesellschaftlichen Reintegration sind Veteranen eine deutlich unterscheidbare und sich unterscheidende - in ihrer „militärischen" Alltagskultur und den von ihnen praktizierten Gemeinschaftsformen stark auf sich selbst bezogene - Gruppe geblieben. Ist dies einerseits Ausdruck der von ihnen betriebenen individuellen und kollektiven Selbstinszenierung, so zeugt es andererseits aber auch von ihrer „Einsamkeit" innerhalb einer ehedem ihnen vertrauten Umgebung, der sie „fremd" geworden waren.
Anmerkungen 1
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Zur Geschichte der „Tirailleurs Sénégalais", wie die westafrikanischen Soldaten der französischen Armee ungeachtet ihrer jeweiligen Herkunft allgemein bezeichnet worden sind, siehe insbesondere Michel 1982; Echenberg 1991, die bislang einzige und hervorragende Gesamtdarstellung in sozialhistorischer Perspektive; Clayton 1988; Rives und Dietrich 1993; darüber hinaus die Fallstudien von Lunn 1999, Valensky 1995 und Lawler 1992. Vgl. auch die Beiträge in Riesz und Schultz (1989). Bedingt durch z.T. sehr lange Sperrfristen hinsichtlich militärrelevanter französischer Archivdokumente läßt sich ein starkes Gefälle zwischen den relativ gut beforschten Perioden der Weltkriege und den bislang kaum bearbeiteten Einsätzen afrikanischer Soldaten in den anschließenden französischen Kolonialkriegen auf Madagaskar (1947/48), in Indochina (1946-1954) und Algerien (1954-1962) feststellen. Zum französischen Indochinakrieg siehe Bodin 1997, vor allem S. 88-94,119-123 und 162-164, und Bodin 1998, S. 123-134. Bei den wenigen diesbezüglich vorliegenden Untersuchungen handelt es sich ausnahmslos um unveröffentlichte universitäre Abschlußarbeiten, darunter die vorzügliche zweibändige Magisterarbeit von Olivier Luciani, Les conséquences de l'appel à l'Afrique. Le devenir des anciens combattants dans l'empire colonial français 1945-1958, Aix-en-Provence 1991/92 (Université de Provence, Centre d'Aix-en-Provence, Institut d'Histoire des Pays d'Outre-Mer), die auf einer sorgfältigen Ausweitung von Archivquellen basiert, sowie mehrere am Département d'Histoire et d'Archéologie der Universität Ouagadougou angefertigte Magisterarbeiten, welche Archivquellen und mündliche Zeugnisse aus diversen burkinischen Regionen herangezogen haben, so z.B.: Paul Perre Bayili, Recrutement militaire et anciens combattants en pays Lela. 19121955, année universitaire 1986/87; Séni Kouraogo, Le recrutement militaire dans la Subdivision
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de Tougan. 1919-1960, année universitaire 1989/90; Saidou Siniguesba Traoré, Le recrutement militaire et les anciens combattants du Canton de Garango de 1912 à 1958, année universitaire 1988/89 und Adama Sanou, Dorange et le Dorangisme en Haute-Volta (Burkina Faso) 19451959, année universitaire 1993 (sic!). Im Rahmen der Untersuchung wurden einerseits die Archive des Centre des Archives d'Outre-Mer (im folgenden CAOM) in Aix-en-Provence, die dem Musée des Troupes de Marine angeschlossenen Archivbestände des Centre d'Histoire et d'Études des Troupes d'Outre Mer (CHETOM) in Fréjus, die Archives Nationales du Sénégal (ANS) sowie das Archivio Generale di Missionari di Africa (Weisse Väter) in Rom konsultiert. Dieser französische katholische Orden hat im Westen und Südwesten der ehemaligen Kolonie Obervolta, des heutigen Staates Burkina Faso, seit Beginn der 1920er Jahre mehrere Missionsstationen unterhalten; eine Auswertung der jeweiligen Missionstagebücher erlaubt aufschlußreiche Einblicke in den gesellschaftlichen Alltag dieser Region. Neben der Konsultation der Archive des Centre National de la Recherche Scientifique et Technologique (CNRST) in Ouagadougou sowie der Archives du Haut-Commissariat (AHC) in Bobo-Dioulasso wurden darüber hinaus während eines Feldaufenthaltes im Frühjahr 1999 insgesamt 43 Interviews mit burkinischen Weltkriegs-, Indochina- und Algerienveteranen aus der Hauptstadt Ouagadougou, BoboDioulasso, Tougan und Torna (Südwest- und Westregion Burkina Fasos) sowie zivilen Zeitzeugen durchgeführt, auf deren Grundlage insbesondere die Eigenperspektive dieser Anciens Combattants erschlossen werden sollte. Zur Synopsis von Archivbeständen, Forschungsverlauf und -ergebnissen siehe Brigitte Reinwald, Les anciens combattants africains, la vie quotidienne et la citoyennété. Une étude socio-historique sur la vie post-militaire d'anciens soldats voltaïques/burkinabès ayant servis dans l'armée française (1945-1960). In: Clio en Afrique. L'histoire africaine en langue française (2000) 6 (www.up.univ-mrs.fr/~wclio-af/). Zu hier nicht bzw. nur am Rande thematisierten Aspekten wie Front- und Lagererfahrungen, Armeesozialisation, Konflikte im Kontext von Repatriierung und Démobilisation sowie die Diskriminierung afrikanischer Veteranen hinsichtlich ihrer Versorgungs- und Rentenansprüche siehe Reinwald (2000). Der Datenkorpus basiert auf 40 nan-ativen und situationsflexiblen, d.h. nicht-standardisierten, auf qualitative Datenerhebung (Erzählungen) abzielenden Interviews, von denen die weitaus meisten auf ausdrücklichen Wunsch der Gesprächspartner in französischer Sprache durchgeführt wurden. Émile Adama Ky aus Ouagadougou, selbst Sohn eines Weltkriegsveteranen und bei fast allen Gesprächen anwesend, baute mir wertvolle Brücken zur „Männerwelt" und stand mir als Forschungsassistent, Übersetzer und Transkribent zu Seite. Zum Konzept des auf der Grundlage der mikroanalytisch ausgerichteten interpretativen Sozialforschung entwickelten narrativen Interviews siehe Schütze 1976,1987. Damit wird zum einen der Kontinuität und Ambivalenz der afrikanischen Kriegsbeteiligung nach 1945 Rechnung getragen. Im Unterschied zu den Massenrekrutierungen der beiden Weltkriege zwar zahlenmäßig weniger bedeutend und zumindest theoretisch von der Einwilligung der afrikanischen Wehrpflichtigen in die jeweiligen Einsätze abhängig, wurde den meisten Soldaten jedoch erst im Nachhinein bewußt, daß es sich hier nicht einfach um eine Fortsetzung ihres vorherigen Engagements zur Befreiung Frankreichs gehandelt hat, sondern um eine Niederschlagung von Unabhängigkeitsbewegungen, von deren Existenz im eigenen Land sie sich spätestens nach ihrer Demobilisierung Uberzeugen konnten. Zum anderen lassen sich daran intergenerationelle Bezüge erkennen, insofern viele spätere Indochina- und Algeriensoldaten als Söhne, Neffen oder Enkel von Weltkriegsveteranen fUr den Militärdienst optierten. Zwischen 1920 und 1930 rekrutierte die Kolonialverwaltung insgesamt 25 000 Voltaer für den Eisenbahnbau in Senegal, bzw. 55 000 für die Arbeiten an der Strecke Abidjan-Niger. Zahlreiche andere wurden als Landarbeiter nach Soudan (Mali) und Senegal bzw. als Holzarbeiter nach Elfenbeinküste geschickt. Berücksichtigt man dazu die rund 45 000 Rekruten, die per annum in die französische Armee eingezogen wurden, so scheint der Ruf Obervoltas als „Arbeitskräftereservoir" gerechtfertigt (Englebert 1996, S. 23f.). („Iis ont traversé les mers, ont changé d'unité assez fréquemment, se sont frottés de très près à d'autres races que la leur, ont acquis parfois un individualisme assez poussé, certaines no-
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tions de français (lecture, écriture), ont approché intimement des Européens, pour lesquels ils ont pu n'avoir aucune estime, qu'ils ont même parfois pu considérer comme bien inférieurs ä eux, ont acquis un certain idéal matérialiste. Us auront parfois pu pénétrer dans certains milieux français, arabes ou vietnamiens, auront été soumis à certaines propagandes qui auront pu déposer en eux des ferments d'un .anti-colonialisme simpliste*. En bref, entre 3 et 10 ans de service, l'engagé sera assez facilement revendicateur, d'esprit douteux. Il sera affranchi des coutumes ancestrales et aura acquis un certain vernis qui fera de lui un semi-évolué. Ensuite l'habitude de la discipline reprendra le dessus, l'explosion de ses croyances anciennes s'atténuera et il terminera sans histoire ses quinze ans de service, discipliné, exemple pour les recrues; mais le ferment d'évolution sera toujours vivace en lui, en dépit de son loyalisme envers l'armée et d'un attachement certain envers ses anciens chefs, dont il aura reconnu la valeur, la bonté souvent, on peut même dire le paternalisme en dépit d'une discipline assez rigide. Il aura acquis le sens de la responsabilité, du devoir, et dans un certain ordre d'idées, surtout s'il est gradé, du bien public, tout en ayant ancré dans son esprit une haute conception de sa propre valeur et des droits qu'il s'est acquis par son service. Et c'est alors que, démobilisé, il rentrera dans ses foyers.") Capitaine Lous Copère, Le problème des anciens combattants en Afrique noire. Importance de leur rôle politique et social. Le problème des réserves, o.O., o.J. [Centre Militaire d'Information et de Spécialisation pour l'Outre-Mer, etwa 1953, ANS bibliothèque et documentation], S. 7f. (Übersetzung B.R.). („Avant ce que je ne connais pas, quand je suis rentré dans l'année j'ai vu beaucoup de choses euh que ne sont pas comme la même chose que je suis ä la maison. J'ai un peu ouvert les yeux. Oui. On connaît très bien les, euh différences, différences, entre Africains et Européens, euh entre ... leur situation c'est pas pareil.") T.B., Jahrgang 1946, Tougan 16.5.1999. Die Wiedergabe dieser wie aller im folgenden zitierten Aussagen orientiert sich an der gesprochenen Sprache; Wiederholungen, Sprechpausen, grammatische und lexikalische Besonderheiten der Originalversion wurden beibehalten und bei der Übersetzung ins Deutsche berücksichtigt. Sofern nicht anders angegeben, wurden alle Übersetzungen von mir vorgenommen. Unter .Jahrgang" ist der Zeitpunkt der Eingliederung in die Armee zu verstehen. („Ah ça a changé beaucoup de vie, même c'est beaucoup [...] Alors ce que je pensais avant et aujourd'hui ce n'est pas le même. J'ai réfléchi plus long que les amis qui ont pas fait l'armée.") B.B., Jahrgang 1953, Bobo-Dioulasso 24.3.1999. („Ah maintenant, en tout cas, ce que nous, on connaît du passé, c'était amer. Il n'y a pas beaucoup qui peuvent dire qu'ils vont faire l'armée à cause de la guerre. Il y a beaucoup qui disent qu'ils ne vont pas le faire [...] Avant, quand on les attrapait, ils pleuraient comme s'il y avait un décès. Comme s'il y avait un décès vraiment [...]") G.Z., Jahrgang 1936, Tougan 17.5.1999 (Original in Juula, französische Übersetzung Émile A. Ky). So auch der spätere General und Staatspräsident Sangoulé Lamizana, Jahrgang 1936, Ouagadougou 2.10.1999: ich bin gezwungenermaßen in die Armee gegangen. Ich hatte Schwierigkeiten mit dem Chef von, mit dem Bezirkskommandanten, meines, meines Verwaltungsbezirks (...) Man zog mich ein und ich war in der Armee, auf amtliche Anordnung." („...je suis parti dans l'armée par la force des choses. J'ai eu des problèmes avec le chef de, avec le commandant de cercle de mon, de ma conscription administrative. [...] Je me suis trouvé enrôlé et dans l'armée d'office.") Aber auch nach 1945 ist nicht von einer grundsätzlich gestiegenen Bereitschaft zum Eintritt in die Armee auszugehen. So A.T., Jahrgang 1949, Bobo-Dioulasso 10.3.1999: .Aber ich sollte 1948 eingezogen werden. Weil ich aber leider nicht in die Armee wollte, bin ich geflohen. In der Tat. als ich 49 wieder zurückkam, haben sie mich dann, kaum daß sie mich entdeckt hatten, sofort gegriffen und rekrutiert." („Mais je devais être incorporé en 1948. Malheureusement, comme je ne voulais pas être dans l'armée, j'ai fui. Vraiment, en 49, quand je suis venu, dès qu'on m'a vu seulement, on a mis la main sur moi, et on m'a recruté.") Ähnlich lautend auch J.Z., Jahrgang 1957, Ouagadougou 5.3.1999. „C'est assez volontiers que le Noir part pour effectuer son service... La plupart des ,bons pour le service' désignés par tirage au sort seraient assez désireux de s'engager..." (Copère o.J., S. 6). Siehe nähere Ausführungen dazu in Reinwald 2000, S. 237, Anm. 43 und 44, S. 249f. Daß mit der gesetzlichen Abschaffung der kolonialen Zwangsarbeit im Oktober 1946 keinesfalls
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ihr tatsächliches Ende gekommen war, zeigt der erschütternde Bericht von S.Y, Jahrgang 1947, Tougan 16.5.1999. Er schildert sein Schicksal als Angehöriger der „zweiten Portion", also derjenigen unter den fUr tauglich Befundenen, die als „Überschüssige" nach Erreichen der jeweiligen Rekrutenquote zum Bau der Bewässerungssysteme für das großangelegte Reisanbauprojekt in Nioro/Mali (Offlee du Niger) abkommandiert worden sind. Die inhumanen Arbeitsbedingungen bewogen ihn schließlich dazu, sich als Freiwilliger für den Indochinakrieg zu melden. Daß es sich hier nicht um einen Einzelfall gehandelt hat, sondern Uber den „Umweg" Uber das Office du Niger eine ganze Reihe der insgesamt 1017 Rekruten aus dem Unterbezirk von Tougan fUr den Vietnamkrieg „gewonnen" wurden, zeigt Seni Kouraogo (Le recrutement militaire dans la Subdivision de Tougan (1919-1960), unveröffentliche Magisterarbeit, Universität Ouagadougou 1989/90, S. 87f„ 111). I.G., Jahrgang 1937, S.B., Jahrgang 1934 und H.S., Jahrgang 1938, Ouagadougou 5.3.1999. Die hier beschriebene Uniform ist eine an das europäische Klima angepaßte Variante der Aufmachung der ersten afrikanischen „Schützen", die ab 1857 als Hilfstruppen der Franzosen zur Eroberung und „Befriedung" von Territorien rekrutiert wurden und deren erste Einheiten sich großenteils aus Sklaven zusammensetzten (Echenberg 1991, S. 11-14). Ihre verschiedenen Versatzstücke lassen sie als typisches Abbild des französischen kolonialen Imaginären erkennen: Der Fez war den Mützen abgeschaut, welche die Kabylen in Algerien um 1830 getragen hatten, und wurde zusammen mit der „orientalischen" weiten Pluderhose und dem mit Posamenten und Messingknöpfen besetzten Oberteil unter dem Zweiten Empire zur Uniform maghrebinischer und westafrikanischer Truppen (Informationen aus der Uniformabteilung des Musée des Troupes de Marine, Fréjus). Im Original kann sie noch heute, leicht abgeändert. bei den senegalesischen Wachposten am Präsidentenpalast in Dakar bewundert werden. („Ah! Voilà. L'habillement, c'est la même chose. L'habillement c'était même chose quoi... Parce que avant, avant eux, le Français il a distingué quoi... Quand l'Américain est venu, il dit: Tout le monde même chose.") I.G., Jahrgang 1937, Ouagadougou 5.3.1999. („On est collaboré ensemble. Il n'y a pas distinction.") S.B., Jahrgang 1934, Ouagadougou 5.3.1999. Vergleichbare „Privilegien" genossen auch die Soldaten schwarzer Hautfarbe aus den französischen Übersee-Departements Martinique und Guadeloupe, was im Armeealltag aufgrund der daraus resultierenden Manifestationen von Superioritätsdenken gegenüber den .indigenen' afrikanischen Truppenteilen vielfach zu Zusammenstößen führte und u.a. im Juli 1945 in einer schweren Schlägerei zwischen Antillanem und „Senegalesen" eskalierte, die einen Toten und 19 Verletzte forderte. (Fernand Poujolat, Évolution de la mentalité des tirailleurs Sénégalais au cours de la guerre 1939-1945. Mémoire de l'École Nationale de la France d'Outre-Mer, ENFOM, 1945/46. In: CAOM, 3 Ecol/56/9, S. 2. („Nous, nous serons sergents-infirmiers .indigènes' à 48 francs par quinzaine et nos deux autres camarades .citoyens' de même grade à 500 francs par quinzaine!... Par faveur, le sergent-infirmier, médecin auxiliaire, mange à l'ordinaire du soldat français, alors que nos deux camarades .citoyens', mangent au mess des sous-officiers! Parlez-moi de justice! Il n'y a pas de règlement i invoquer et personne n'y peut rien.") Conombo 1989, S. 41. („Nous étions tous sur le même pied d'égalité au feu ... aux moments de combat, les balles tuaient tout le monde, sans distinction. Il n'y a pas question que ça c'est un Africain, ça c'est un Européen.") A.T., Jahrgang 1949, Bobo-Dioulasso 10.3.1999. Regulären Sprachunterricht erwähnen insbesondere Veteranen der Jahrgänge ab 1945, die sich entweder an Alphabetisierungskurse während der dreimonatigen Grundausbildung (P.K., Jahrgang 1952, Bobo-Dioulasso 19.3.1999) erinnern oder angeben, nach dem Abzug ihrer Einheiten aus Kampfgebieten unterrichtet worden zu sein (D.D., Jahrgang 1956, BoboDioulasso 19.3.1999) Andere wiederum berichten von der, bereits unter Weltkriegssoldaten üblichen informellen Weitergabe von Kenntnissen durch Kursabsolventen an andere (K.K., Jahrgang 1948, Bobo-Dioulasso 23.3.1999). (, Je parle, je parle les paroles de Coulibaly ... Coulibaly. Lui qui comprend pas ABC, c'est lui qui parle ça... Lui qui connaît ABC, qui savait parler de ces mots là... Moi c'est Coulibaly, je connais rien. Alors donc, c'est Coulibaly. Vas-y, débrouiller! Il se débrouiller alors pour parler mots de français.") J.B., Jahrgang 1951, Bobo-Dioulasso 19.3.1999.
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Das Gros der Französischsprecher waren zumeist ehemalige Schiller der katholischen Missionsschule wie z.B. O.Z., Jahrgang 1938, Bobo-Dioulasso 19.3.1999. Die Bedeutung von Bambara geht auf die Zusammensetzung der allerersten, fast ausschließlich aus Bamanan zusammengesetzten lirailleurs-EinheHen im 19. Jahrhundert zurück. Ein Paradoxon, insofern deren bäuerliche Abkunft bzw. ihr sozialer Rang als ehemalige Sklaven sie noch während des Ersten Weltkriegs als niedrigste Statusgruppe auszeichnete. („Mais l'armée nous a rendu quelque chose. Nos compatriotes qui sont dans les villages aujourd'hui, c'est pas des compatriotes comme nous parce que nous avec l'attitude qu'on a vue dans l'armée là, ça nous rendu service et vraiment on est toujours en actif par rapport à nos confrères qui sont aux villages. Ce que nous, on peut faire aujourd'hui, eux ils peuvent pas le faire. Donc, c'est grâce ä l'attitude de l'armée. Vraiment ça nous rend un ... grand service. Voilà!") A.T., Jahrgang 1949, Bobo-Dioulasso 10.3.1999. So das Argument des Historikers Joseph Ki-Zerbo, Ouagadougou 22.2.1999: „Si bien que ils finissaient par avoir une, une euh expérience du système européen que n'avaient pratiquement pas ... même les fonctionnaires qui n'avaient pratiquement pas bougé, qui n'allaient pas en France. Si bien qu'ils avaient une sorte de prééminence, de formation". Ebenda. („Mais l'élite justement avait un rôle formidable, parce qu'ils avaient les moyens financiers, ils avaient une indépendance financière, ils étaient indépendants économiquement, ils comprenaient les rouages du système, ils pouvaient donc s'entremettre pour régler certains problèmes. Donc on pouvait les considérer comme des intellectuels, mais qui sont arrivés à la compréhension intellectuelle à travers la pratique.") So z.B. A.T., Jahrgang 1949, Bobo-Dioulasso 10.3.1999. K.D., Jahrgang 1930, Bobo-Dioulasso 16.3.1999, der nach Uber lSjühriger Abwesenheit den Chef seines Dorfes dafür ins Gefängnis gebracht hatte und darauf hin seinem Heimatort den Rücken kehrte. K.K., Jahrgang 1948, Bobo-Dioulasso 23.3.1999, der sich sofort wieder scheiden ließ und seine Ehefrau später selbst auswählte. Diaires de Tounouma (Tagebücher der Missionsstation von Tounouma, einem Ortsteil von Bobo-Dioulasso) Bd. 2, April 1938-29.8.1946 und Bd. 3.10.6.1946-20.7.1954 (Archiv» Generale di Missionari di Africa, Rom). Die 1919 gegründete französische Kolonie Haute-Volta war 1932 aufgelöst und ihre verschiedenen Provinzen den Nachbarkolonien Côte d'Ivoire, Soudan und Niger zugeschlagen worden. Mit ihrer Rekonstitution im September 1947 versuchten die Franzosen zum einen die während der 1940er Jahre erstarkte Dekolonisationsbewegung einzudämmen, die insbesondere in der mit Côte d'Ivoire verbundenen SQdwestregion breite Bevölkerungsschichten erreicht hatte. Angesichts der Wahlerfolge des Rassemblement Démocratique Africain, der für eine sofortige Unabhängigkeit der westafrikanischen Kolonien eintrat, entsprach die Kolonialmacht schließlich den Forderungen der Frankreich treuen politischen Eliten des „MossiBlocks" nach einer Wiedererstehung Obervoltas. Vgl. dazu Y. Georges Madiéga in Massa/Madiéga (Hg.) 1995, S. 429-448, und Bougouraoua Ouédraogo in ebenda, S. 449-458. Wie oben bereite erwähnt, setzte sich die Zielgruppe sowohl aus Veteranen des Zweiten Weltkrieges wie auch der in den nachfolgenden Kolonialkriegen eingesetzten Jahrgänge zusammen; regional - und zahlenmäßig sehr ungleich repräsentiert sind hier lediglich die Hauptstadt Ouagadougou, sowie der Westen (Tougan, Torna) und Südwesten (Einzugsgebiet von Bobo-Dioulasso) von Burkina Faso. Hinter den Ortsangaben in Klammern jeweils angegeben ist die Gesamtzahl der dort Befragten. Aufgrund von Mehrfachnennungen, berufliche Aktivitäten betreffend, sind die Einzelangaben nicht mit dieser Gesamtzahl identisch. („C'est ä cause des enfants. J'ai eu beaucoup d'enfants. Alors, les enfants, si j'amène ça au village là-bas, il peut avoir, il peut pas avoir le savoir qu'il peut avoir en restant ici. Donc, j'ai préféré rester en ville-là pour que, pour pousser mes enfants, arrivent quand même à suivre l'école, [B.R.: C'est ça.] parce que au village là-bas, si tu vas les amener là-bas, donc celui qui, qui se connaît un peu à l'école, il sait qu'au lieu de rester dans une situation, on peut quand même pousser, qu'on peut améliorer son sort. C'est pour ça que je ne les ai pas amenés. Voilà. C'est pour l'éducation de mes enfants. Mais Dieu merci, aujourd'hui, même celui
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qui n'a pas pu avoir la place, mais quand même il sait parler français, il sait écrire pour se défendre. [B.R.: Mmhmm.] Il arrive à faire sa vie.") A.T., Jahrgang 1949, Bobo-Dioulasso 10.3.1999. Übereinstimmend damit: L.Y, Jahrgang 1935, Bobo-Dioulasso 16.3.1999; K.D., Jahrgang 1930, Bobo-Dioulasso 16.3.1999; M.T., Jahrgang 1947, Bobo-Dioulasso 16.3.1999; O.D., Jahrgang 1953, Bobo-Dioulasso 18.3.1999; J.B., Jahrgang 1951, Bobo-Dioulasso 19.3.1999; K.K., Jahrgang 1948, Bobo-Dioulasso 23.3.1999; Z.I., Jahrgang 1956, BoboDioulasso 23.3.1999; J.B.B., Jahrgang 1953, Bobo-Dioulasso 24.3.1999. („Mais nous qui ont fait l'année, quand même, on a vu l'extérieur quand même. Un ancien combattant qui n'envoie pas ses enfants à l'école, bien lui, il n'a rien vu, il n'a rien suivi.") A.T., Jahrgang 1949, Bobo-Dioulasso 10.3.1999. So M.T., Jahrgang 1947, Bobo-Dioulasso 16.3.1999: „Aus ihnen sollten zivilisierte Leute werden. Wenn ich das sage, daß man sie da hin bringt, dann meine ich, daß sie privilegiert sein sollen, wir haben uns eigentlich dafür aufgeopfert, unseren Kindern Möglichkeiten zu geben, die wir selbst nicht hatten." (J1 faut qu'ils soient civils. Quand je dis ça, qu'on les amène pour des, c'est ça qu'ils doivent être privilégiés, nous, notre sacrifice actuel, c'est de voir nos enfants arriver ä des procédés que nous on n'a pas pu.") Im gleichen Sinne I.G., Jahrgang 1937, Ouagadougou 5.3.1999. So M.T., der das dörfliche Milieu insgesamt als „sauvage" (unzivilisiert, wild) bezeichnet; Z.I., Jahrgang 1956, Bobo-Dioulasso 23.3.1999, der erklärt, daß er zahlreiche Auseinandersetzungen mit den Alten seiner Familie wegen der coutume (etwa „traditionelle Sitten und Gebräuche") führte, die für ihn nicht mehr akzeptabel waren und die er seinen Kindern ersparen wollte; oder L.Y., Jahrgang 1935, Bobo-Dioulasso 16.3.1999, der sich nach eigenem Bekunden entscheiden mußte, ob er den Anforderungen eines Lebens in der ländlichen Großfamilie nachkommen oder seinen Kindern ermöglichen wollte, ihre Zukunft zu meistern. So G.O.D., Jahrgang 1949, Tougan 17.5.1999: .Ja, wenn ich mich für diese Partei entschieden habe, dann war wegen der Zukunft der Kinder... Denn für die Kinder bedeutet die Schule ihre Zukunft... Und aus diesem Grund bin ich im MLN ..." („Oui, si j'ai choisi ce parti, c'est pour d'avenir des enfants ... Parce que les enfants l'école, c'est leur avenir ... C'est pour ça que je suis dans le M.L.N. ...") Die von Joseph Ki-Zerbo 1958 mitbegrUndete sozialistische Parti des Mouvement de Libération Nationale verfocht nicht nur eine stringente Politik der Ablösung von Frankreich und des föderativen Zusammenschlusses afrikanischer Staaten, sondern setzte sich insbesondere auch für eine effiziente Schul- und Bildungspolitik ein. Diese Berufsangaben basieren auf den Aussagen der Veteranen selbst. Soweit mir bekannt, wurde dieses Phänomen des sozialen Aufstiegs der Nachkommen von Veteranen im frankophonen Westafrika bislang nicht systematisch untersucht. Zu vergleichbaren Ergebnissen im Falle von Benin siehe Grätz in Höpp/Reinwald 2000, S. 226ff. Im Diaire de Bobo-Dioulasso-Ville (Nr. V - 1.1.1947-4.10.1955, Archivio Generale di Missionari di Africa, Rom) wird Accartville im Eintrag vom 9.3.1955 erwähnt als „nouveau quartier qui débute derrière la gare". Die meisten der in Bobo-Dioulasso interviewten Veteranen haben hier bzw. im später entstandenen Viertel Secteur 21 gebaut (A.T., Jahrgang 1949, L.Y., Jahrgang 1935, K.D., Jahrgang 1930, M.T., Jahrgang 1947,0.Z., Jahrgang 1938, D.D., Jahrgang 1956, P.K., Jahrgang 1952, S.T., Jahrgang 1939, J.B., Jahrgang 1951, K.K., Jahrgang 1948, und Y.D., Jahrgang 1954, im Secteur 21: T.D., Jahrgang 1948, und Z.I., Jahrgang 1956). Über sein gescheitertes Bauprojekt in Bobo berichtet der jetzt in Tougan ansässige S.Y., Jahrgang 1947, dem ein mit besseren Beziehungen ausgestatteter Unteroffizier das Grundstück vor der Nase weggeschnappt hatte, und dem dann keine andere Wahl blieb, als nach Tougan zurückzukehren. („... pour éviter que ne se diluent en pure perte dans le gouffre des appétits familiaux les économies souvent substantielles réalisées par les militaires retour de campagne.") Commandant de Cercle de Bobo-Dioulasso, Bulletins mensuels de renseignement, dossier: Fiches 1958, Nr. 22 - Habitat africain, juin 1958 in AHC Bobo-Dioulasso. Diese Maßnahme blieb offensichtlich nicht auf die Stadt begrenzt, sondern erstreckte sich auch auf Bauvorhaben in Dörfern (Chef de Subdivision de Houndé, Bulletin mensuel de renseignement, 12 juin 1958, in ebenda). So die Erinnerungen des Erzbischofs der Diözese von Bobo-Dioulasso, Monseigneur Ansei-
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me Sanon (Bobo-Dioulasso, 22.3.1999). Darüber hinaus gibt es ebenfalls in allen Stadtvierteln in Bobo-Dioulasso eine Art informelle, zumeist von den Ehefrauen von Veteranen betriebene cabarets. Eine solche Kleinbrauerei für Hirsebier, in der alte Kriegskameraden aus dem Viertel unter einer provisorischen Dachplane in feucht-fröhlicher Stimmung miteinander plauderten, habe ich während meiner Interviewrunden kennengelernt. Basierend auf: Note de Service du Commandant Supérieur des Forces Armées de la Zone AOF-Togo, Etat-Major, Général Nyo, Dakar 8.12.1951 (in ANS 10 N/305, Dokument Nr. 79, 11.1.1952). Monseigneur Sanon erinnert sich daran, daß die Caves Girondins, ein französischer Weinimporthandel in Bobo-Dioulasso, in den frühen 1950er Jahren ihren Absatz erheblich steigern konnten und daß der Inhaber eines französischen Handelshauses etwa um 1950 der erste Millionär in Bobo war. Die Veteranen wurden insbesondere um ihre Fahrräder beneidet, so daß die Kolonialadministration bereits 1949 die Schullehrer offiziell mit solchen ausstattete (Bobo-Dioulasso, 22.3.1999). („On ne peut plus et on ne veut plus être pauvre. Jadis, en de vastes régions du diocèse, personne n'avait d'habits; les feuilles d'arbre fraîches, satisfaisaient également la coquetterie et la pudeur. Actuellement on s'habille; il faut une bicyclette et d'autres objets devenus nécessaires. II faut donc se procurer le budget familial correspondant à ces nouvelles dépenses. Aussi s'expatrie-t-on pour trouver ailleurs l'argent que la culture des produits vivriers ne procurerait pas; d'où les éxodes lointains et durables et celà à un âge et à une époque de l'année où devrait s'enseigner le catéchisme.") Société des Missionnaires d'Afrique (Pères Blancs), Rapport annuel, Nr. 46/1955-56, S.282. So M.T., Jahrgang 1947, Bobo-Dioulasso 16.3.1999, der bei seinem Großvater, Soldat 1914/18 aufwuchs; N.T., dessen Militärkaniere durch den Besuch der École des Enfants de Troupes bereits vorgezeichnet war (Jahrgang 1950, Bobo-Dioulasso 10.3.1999); P.K., Jahrgang 1952, Bobo-Dioulasso 19.3.1999, dessen Onkel, Soldat 1939/45, ihn zur Armee geschickt hat; B.B., Jahrgang 1953, Bobo-Dioulasso 24.3.1999, dessen Motive ein wenig anders gelagert sind, insofern er seinen Altersgenossen, die bereits die Uniform trugen, nicht nachstehen wollte; schließlich B.S., Jahrgang 1938, Tougan 17.5.1999, als Sohn eines Soldaten in Marrakesch aufgewachsen, der sich gegen den ausdrücklichen Willen seines Vaters freiwillig meldete. Eintrag vom 20.2.1948 im Diaire de Tounouma, 10.9.1946-20.7.1954 (handschriftliches Exemplar ohne Seitenzählung), Archivio Generale di Missionari di Africa, Rom. Sowohl M.S., Jahrgang 1955, Ouagadougou 1.3.1999, als auch Monseigneur Sanon, Bobo-Dioulasso 22.3.1999, führen diese Veränderungen auf das Werk von Veteranen zurück. Anselme Sanon, Bobo-Dioulasso 22.3.1999. Der ivorische Arzt, Kakaopflanzer, Parteigründer und afrikanische Abgeordnete der französischen verfassungsgebenden Versammlung Félix Houphouët-Boigny, eine - inzwischen stark umstrittene - politische Persönlichkeit der westafrikanischen Dekolonisationsbewegung, war insbesondere durch seine erfolgreiche Initiative zur Abschaffung der kolonialen Zwangsarbeit (siehe unten) bei der Bevölkerung im Südwesten Obervoltas zur charismatischen Figur geworden. Nach der Rekonstitution Obervoltas im September 1947 gelang es dem Voltaer Daniel Ouézzin Coulibaly aus dem Schatten dieses „Volkstribuns" zu treten. Er galt als besonnener und brillanter Politiker, der den RDA aus der Isolation herausführte, in die diese Partei durch die unerbittliche Verfolgung durch die Kolonialadministration geraten war. Zur ambivalenten Rolle Houphougts in der Dekolonisationsbewegung siehe Tiémoko Coulibaly, Elites „évoluées" et populations „indigènes" en Côte d'Ivoire pendant la colonisation (1946-1960), Paris 1997 (unveröffentl. Diss., Universität Paris I Panthéon-Sorbonne). M.S., Jahrgang 1955, Ouagadougou 1.3.1999; S.Y. (Jahrgang 1947, Tougan 16.5.1999) berichtet von seinen Versuchsfeldern und seiner culture attelée, ein absolutes Novum in dieser Region, wo die Bauern dem Pflügen mit Zugtieren lange Zeit sehr ablehnend gegenüberstanden. Mein Forschungsassistent, selbst Kind eines Veteranen aus dem Zweiten Weltkrieg aus dem ländlichen Torna, erinnert sich daran, daß sich seine Familie im Hinblick auf Lebenshaltung, Kleidungs- und Konsumgewohnheiten von anderen abhob und daß er inbesondere als
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Grundschüler sehr stolz auf seinen Anzug aus Khakistoff und seine Lederschuhe war (Émile Adama Ky, Ouagadougou, 26.2.1999). Uber einen solchen, besonders langwierigen Konflikt berichtet ein Administrator des Bezirks von Bobo-Dioulasso im April 1951: „... nachmittags Aussprache in den Dörfern von Sakabi und Dogona wegen des alten Streits Uber den Flußarm von OUE. Der Aufwiegler ist wie im vergangenen Jahr der ehemalige Sergeant Toungo, von der (Veteranen)vereinigung des Oberleutnants Niandegue, der, obwohl schon letztes Jahr auf Bewährung verurteilt, auch in diesem Jahr seine gegenstandslose Forderung aufrecht erhält..." ( „... l'après-midi, palabre aux villages de SAKABI et DOGONA pour la vieille querelle du marigot OUE. Le meneur est, comme l'an dernier, l'ancien sergent TOUNGO, de l'association du Lieutenant NIANDEGUE, qui, bien que déjà condamné (avec sursis) l'an dernier, persévère cette année dans une revendication sans objet ...") Adm. Morand au Gouverneur de la Haute-Volta, n° 258-sc, 28.4.1951: Tournée du mois d'avril 1951, S. 2 (21.4.1951) CNRST Ouagadougou Série BV-2. ( les anciens tirailleurs qui font preuve d'indépendance vis à vis des chefs de village et même des chefs de canton ...") Cercle de Bobo-Dioulasso, Subdivision Centrale, Année 1942: Rapport annuel - rapport politique et social - Indigènes - État d'esprit, Bobo-Dioulasso 24.2.1943 in: AHC Bobo-Dioulasso. nicht klassifiziert. So berichtet der Bezirkskommandant von Bobo-Dioulasso anläßlich einer Rundreise im April 1949, dem Chef eines Dorfes und ehemaligen Feldwebel sei es gelungen, die Bevölkerung von vier Dörfern gegen den autoritätsschwachen Kantonschef aufzubringen, so daß - nach einem gescheiterten Versöhnungsversuch seinerseits - der gesamte Kanton der Überwachung bedürfe (Etat des tournées effectuées par l'Administrateur, Commandant le cercle pendant le mois d'avril 1949, Canton de Berefadougou. In: CNRST Ouagadougou, Série B IV-1). Der wohl prominenteste Fall dieser Art ereignete sich bereits 1939 im Kanton von Sourou im Westen Obervoltas, wo sich Oberleutnant Issa Boro, Veteran des Ersten Weltkrieges und einer der allerersten aus der Kolonialarmee hervorgegangenen voltaischen Offiziere, um das Amt des Kantonschefs bewarb. Vom französischen Gouverneur abschlägig beschieden, da Boro nicht aus einer „Chef-Familie" stammte, leitete der Offizier eine Kampagne gegen den amtierenden Chef ein und rief die Bevölkerung zum Ungehorsam auf. Er sicherte zu, im Falle seines Amtsantritts den von der Kolonialverwaltung angeordneten und von den Bauern nur widerwillig betriebenen Baumwollanbau wieder abzuschaffen und benahm sich, glaubt man den aufgebrachten Administratoren, wie ein Chef, d.h. ließ sich in der Sänfte tragen, andere seine Felder bestellen und sich wie ein Chef grüßen. Das letzte Wort behielt in seinem Fall allerdings die Kolonialverwaltung, die ihn zur Unterwerfung unter die dekretierte Ordnung zwang und ein Exempel statuierte, um vergleichbar ambitionierte Veteranen zu entmutigen. Zur detaillierten Analyse dieses Falles siehe Seni Kouraogo, Recrutement militaire, a.a.O., S. 151 ff. Commandant de Cercle de Bobo-Dioulasso, Bemadec, an Gouverneur Haute-Volta, 6.1.1953, vertraulich. In: AHC Bobo-Dioulasso, Dossier Conseil des Notables, partis politiques 1939, 1949, 1952. Der Liste zufolge waren 5 von 20 Ratsmitgliedern in der Stadt Bobo-Dioulasso, 4 von 14 im Unterbezirk von Houndé und 2 von 14 im Unterbezirk von Orodara Anciens Combattants, vom Rang des einfachen Soldaten bis zum Oberfeldwebel. Wie z.B. O.D., Jahrgang 1953, Bobo-Dioulasso 18.3.1999: en tout cas, je sentais plus français..." Diese Zahl ist eine grobe Schätzung, basierend auf den Angaben des französischen Hauptmanns Henri Liger CAOM: 1 äff pol 2219/1/chemise 4: „Mission Liger", Rapport d'ensemble, Dakar 20.5.1950, bilan de la prospection concernant l'ensemble des Territoires de l'A.O.F. au 15 mai 1950, n°2.066). Er hatte im Laufe einer zweijährigen Prospektionskampagne durch Französisch-Westafrika 5 010 Veteranen des Ersten und 26 031 des Zweiten Weltkrieges erfaßt und registriert, mit dem Ziel, ihre Versorgungsansprüche einer Bearbeitung zuzuführen. Seinen eigenen Angaben zufolge war es ihm nicht gelungen, sämtliche Veteranen aufzuspüren; ebenso sind die zu diesem Zeitpunkt auf Madagaskar oder Indochina stationierten Soldaten nicht berücksichtigt. Entsprechende Spitzelberichte und Verhörprotokolle befinden sich in CAOM affpol/2194, Dossier 1, incidents publiques Haute-Volta 1947-1953. Eine zusammenfassende Darstellung
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der Verleumdungskampagne, mit der die Führung dieser Vereinigung „ausgetauscht" werden sollte, gibt Echenberg 1991, S. 157f. Für den hier eingangs erwähnten L.Y. (Bobo-Dioulasso 16.3.1999), zu diesem Zeitpunkt Aktivist des RDA, war dies z.B. mit einer Reihe von Nachstellungen und Strafversetzungen verbunden. Dorange's Erfolge bei den Veteranen beruhten in erster Linie auf seiner Unterstützung ihrer Rentenforderungen gegenüber der französischen Armee, seinen humanitären Einsätzen für Kriegswaisen sowie der Einrichtung der marchés Dorange, wo Produkte des täglichen Bedarfs und Importwaren zu erschwinglichen Preisen angeboten wurden. Eine Reihe der interviewten Veteranen von Tougan und Torna gaben sich als Anhänger von Dorange zu erkennen bzw. erklären, mit ihm zusammengearbeitet zu haben so T.K., Jahrgang 1939, Tougan 14.5.1999; K.Z., Jahrgang 1932, Tougan 16.51999; P.Z., Jahrgang 1937, Tougan 16.5.1999; T.B., Jahrgang 1940, Tougan 17.5.1999; B.S., Jahrgang 1947, Tougan 17.5.1999. Zur umstrittenen Person und Rolle von Dorange im politischen Geschehen Obervoltas siehe Balima 1995, S. 483-494. („Le mouvement, de façon générale, ne demandait que plus de justice et d'égalité pour les Voltaïques. Il ne se réclamait d'aucune idéologie et ne disposait d'aucune théorie politique voire même nationaliste. Il était émancipateur car il voulait donner aux Voltaïques des moyens d'évolution.") Adama Sanou, Dorange et le Dorangisme en Haute-Volta (Burkina Faso) 1945-1959, Université de Ouagadougou, Studienjahr 1992/93, S. 45 (unveröff. Magisterarbeit). So O.D., Jahrgang 1953, Bobo-Dioulasso 18.3.1999: .Alors, nous vraiment, on a l'esprit de là, à l'âge de 20 ans ... vraiment on a l'esprit de l'aimée plus que du civil. C'est sOr, dans le civil, vous ne connaissez rien, on ne connaît rien dedans, on ne connaît rien. Mais l'armée vraiment, tout ce qu'ils nous ont dit dans l'armée c'est ça qui est rentré, c'est ça qui est resté. Voilà! Vous voyez?" (.Parce qu'ils étaient nationalistes, ils avaient compris de quoi il s'agissait; et ils étaient capables d'organiser, d'installer une organisation disciplinée. Ils avaient aussi la bravoure pour marcher avec nous, et prendre la parole en public pour expliquer de quoi il s'agit.") Joseph Ki-Zerbo, Ouagadougou, 22.2.1999. O.Z., Jahrgang 1938, Bobo-Dioulasso, 19.3.1999 und L.Y., Jahrgang 1935, Bobo-Dioulasso, 16.3.1999. So bedarf insbesondere die Frage der Vertiefung, inwieweit die militärische Option, angefangen von den Rekrutierungen für den Ersten Weltkrieg, Uber die von Frankreich in den 1950er Jahren eingeleitete „Afrikanisierung der Kommandostrukturen" bis hin zu den wiederholten Militärputschen der 1960er und 1980er Jahre als einer der ausschlaggebenden Faktoren der postkolonialen Entwicklung in Obervolta/Burkina Faso betrachtet werden kann. Von besonderem Interesse in diesem Zusammenhang ist die dabei zu beobachtende intergenerationelle Kontinuität der in diesen Ereignissen hervorgetretenen politischen und militärischen Akteure.
Verzeichnis der Abkürzungen
AA AFSt/M AHC A.M.A. ANS BPKS BSCRO CAOM C.I.D. CHETOM CNRST CO D.C. DHM ENFOM FCB HB
INK IPTA JUH JUP KB KCCU K.N.C.U M.B.E. MDV M.L.A. MLN NGEMA PRO PSEMA
African Association Archiv der Franckeschen Stiftungen/Missionsarchiv, Halle/Saale Archives du Haut-Commissariat American Missionary Association Archives Nationales du Sénégal Bihar Provincial Kisan Sabha (Bauernorganisation der Provinz Bihar Bihar State Central Records Office Centre des Archives d'Outre-Mer Central Intelligence Department Centre d'Histoire et d'Études des Troupes d'Outre Mer Centre National de la Recherche Scientifique et Technologique Colonial Office District Commissioner Dänisch-Hallesche Mission. École Nationale de la France d'Outre-Mer Fabian Colonial Bureau (Hallesche Berichte). Der Königl. Dänischen Missionarien aus Ost-Indien eingesandte Ausführliche Berichte. 9 Bde., 108 Continuations. Halle, in Verlegung des WaysenHauses, 1710-1772 Indischer Nationalkongress Indian People's Theatre Association (Jam'îyat al-'ulam&'-e-Hind) Vereinigung der islamischen Rechtsgelehrten Indiens (Jam'Iyatu'l-'ulamä'-e-Pakistän) Partei der islamischen Rechtsgelehrten Pakistans Det Kongelige Bibliothek (Königliche Bibliothek), Kopenhagen Kilimanjaro Chagga Citizens Union Kilimanjaro Native Co-operative Union Member of the Order of the British Empire (britischer Verdienstorden) Mouvement Démocratique Voltaïque Member Legislative Essembly Mouvement de Libération Nationale Neuere Geschichte der Evangelischen Missions-Anstalten zu Bekehrung der Heiden in Ostindien. 8 Bde., 95 Stucke. Halle, in Verlegung des Waisenhauses, 1770-1848 Public Record Office Parti Social d'Éducation des Masses Africaines (von 1946 bis Dezember 19S4: Union Voltaique)
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RA RAN RDA RH RPF S.P.C.K. TAA TAGSA TANU TAWCA TNA U.B.C. UH W.E.A.
Verzeichnis derAbkiirzungen
Rigsarkivel (Nalionalarchiv), Kopenhagen Régie Abidjan-Niger Rassemblement Démocratique Africain Rhodes House Library, Oxford Rassemblement Patriotique Français (ab 1956: MDV) Society for Promoting Christian Knowledge Die AA bekam 1948 den Zusatz "Tanganyika" Tanganyika Territory African Civil Services Association Tanganyika African National Union Tanganyika African Welfare and Commercial Association Tanzania National Archives United Brethren in Christ Archiv der Briiderunität Herrnhut Workers' Educational Association
Nachweis der Abbildungen Abb. 3: HB, 31. Cont, S. 748 Abb. 4: Christopher Fyfe, A History of Sierra Leone, Oxford 1962 Abb. 5: Beinecke Library, Yale University Abb. 6: J.S. Mills, 1898: Africa and Mission Work in Sierra Leone, West Africa, Dayton, Ohio, 1898 Abb. 7: Foto des Autors, Abb. 8: Foto des Autors, Abb. 9: Foto des Autors, Abb. 10: A.G. Noorani, S. 17
1996 1996 1996 President Zakir Husain. A Quest for Excellence, Bombay 1967,
Abb. 11: Syeda Saiyidain Hameed (Hg.), Zakir Husain. Teacher who became President, New Delhi 2000. Abb. 12: Swami Sahajanand Saraswati, Merä Jivan Samghars, Bihta (Patna) 1952, S. 5 Abb. 13: N.G Ranga, Towards World Peace, New Delhi 1955, Innentitel Abb. 14: Filmindia, 6 (1940) 6, S. 54 Abb. 15: Cinema in India, 3 (1992) 9, S. 12 Abb. 16: B.D. Garga, So Many Cinemas; The Motion Picture in India, Bombay 1996, S. 107 Abb. 17: Foto im Besitz des Autors Abb. 18: Annie Smith/Adam Seftel(Hg-), The Story of Julius Nyerere, Africa's Elder Statesman, Dar es Salaam, Kampala 1998 Abb. 19: G. Labitte, Dakar/Senegal 1944. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Institut Fondamental d'Afrique Noire (IFAN) Dakar Abb. 20: Cissé, Dakar/Senegal (nicht datiert). Abdruck mit freundlicher Genehmigung des IFAN Dakar Abb. 21: Adandé, Founzan, Diébougou (Obervolta), 12.4.1954. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des IFAN Dakar
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Index Ahmadïya, Ahmadis 76,79,96,98,101 Ahrär 96 Aaron 22,25 Abbas, Khwaja Ahmad 164,165,171,176,177 Abolitionisten 46,49,50,52 Administration / Verwaltung Lokalverwaltung 197,201 Verwaltungsapparat 182 Verwaltungsreform 191,193,196 Afghanistan 80,85,102 African Association (AA) 186 Afrikaner 48-51,54,57-59,64-70 Afro-Amerikaner 52,63, 66,70 ahl-i hadlüj 75,76,78 ahl-i qur'än 76 Ahmad, Hafiz Mohamed 82 Ahmad, Mirza Ghulam 76 al-Hasan, Mahmud 80,82,85,89,92,101 al-Hiläl 83,85,102 Ali, Muhammad 82, 84, 85,90,102, 106 Ali, Shaukat 82,84,85,106 AUgarh College,-Universität 73,79-83,101,102, 105 All India Educational Conference 119 All India Muslim Educational Conference 124 All-India Sunni Conference 96 al-Wahhab, Muhammad ibn Abd 72,74 Ambrosius 27,34 American Missionary Association (A.M.A.) 52, 53,58,59,61,65,66,69,70 Amerikaner 49,51,60,65,66 Amiru'l Hind 93 Amlru'l Isläm 93 Amiru'l Shari'at 93 •Amistad 45,48-51,53,54,65,68,69 Amrohwi, Maulana Abul Nazr Rizvi 94 Anciens Combattants Siehe Kriegsveteranen, voltaische Andhra 137,139,140,142,143,148,150,152 Anjuman-e Isläh-ye Nadwa 83 Anjuman-i-Khuddam-i-Ka'ba 84 Ansari, M. A„ Dr. 82, 84, 101 Ansaris 80 Apostasie (irtidäd) 74,91,94 Apte, Hari Narayan 160,161,176 Arantangi 24,28 Arbeitsmigranten, voltaische 217 Armee Thanjavur 24-26,35,41 vonHaidarAli 31 französische 204-209,215,217 Assam 168,172
Associations des Anciens Combattants siehe Veteranenvereinigung, voltaische Atheismus (dahriyat) 74,95,97 Autorenfilm 177 Azad, 'Abu'l Kalam 82,83,85,93,102 Aziz, Shah Abdul 72,75 Barelwi 75,76,78,92,96.98.101 Bari. Abdul 80,82.84,85.89,103 Barkatullah, Maulvi 85 Barua, Pramatesh Chandra 160,161,167-169 Bauembewegung, indische 16,131,132,134, 137,145,147-149,151-153 Bauemführer, indische 5,9-11,13,15,16,131134,141, 143, 144,147,148,151, 152 Baueminstitut 143,148 Bauemintellektuelle 13,138,142,143 Bauempopulismus 13,149-151 Bauernschaft, indische 132,142,143,147,150, 152,163 Bauernverband, All-Indischer siehe Kisan Sabha, All India Bengalen 160,162,165,168 Bhagavadgita 145,146 Bhumihar Brahmin Sabha 134,136,147 Bihar 93,100,103,134,136-138,148,153,155 Bildung 10,13,15,16,105.106,110,111,114, 116-122,125 Berufsschul- 111,122 Grundschul- 15,16.105, 118,120-122,124, 125 Hochschul- 108 industrial education 59,61 Bildungseinrichtungen 105-107,115,118,121 komitee, nationales 124 sektor 183,191 system 110,111,119,120 Vorstellungen 105,121 Bobo-Dioulasso (Obervolta) 214,216,221 Bombay 159,163-168,171,173,174,176 Bombay Chronicle 159,164,165,168,171,176 bundu 48,57,68,69 Bürokraten afrikanische 179-186,190,191,198 Government clerks 184,185, 191, 192 Staatsdiener 181,182,191 Chagga 190,193,195,196,201 -Association 192 - Council 195-197 - Democratic Party 197
250
- Kilimanjaro Chagga Citizens Union (KCCU) 195 Chatterjee, Sarat Chandra 160,176 Chief 181-184,187,190,193,195-197,199-201 Chiefs'Convention 197 Christentum 11-13,15,19,20,24,37,38,40,45, 46,58,67 indisches 74,93,98 Clements, Claudius A. 10,14,45,46,58-60,6270 Cöte d'Ivoire 214,217,221 Creech-Jones, Arthur 192 Creoles 46,61,64.68 Cuddalore 28 dars-enizämi 79 däru'lisläm 102 de Gaulle, Charles, General 208,217 Delhi College 73 DevikaRani 173 Diogo 27 Disziplin Disziplinarsystem 182 Disziplinierung 181, 184, 185 Dorange, Michel, Hauptmann 221 Dorfgemeinschaft, indische 150 Dorfstudien 140,141 Drama, indisches 175 dubash 19,30-33,35,36,38-40 Ehrentreich, Alfred 111,112,126 Elite afrikanische 5,198 bürokratische 10,15, 16,39,40,180,181, 198, 199 educated elite 15,45,59,66,180, 187 Macht- 180 politische 222 religiöse 39,40 Verwaltungs- 180 Emanzipation nationale 131 politische 10 soziale 10, 132,140 Erfahrungswissen 211 Erweckungsbewegung, pietistische 27 Erziehungswesen 184,189,195 Fabian Society 192 Fabian Colonial Bureau (FCB) 192,200 Fiah, Erica 189,190,200 Film, indischer 157,160,161,163-165,168-170, 172,173,175 Filmindia 176-178 Filmstudios 166-169,174 Bombay Talkies 173 New Theatres Ltd. 167
Index
Prabhat Film Company 167, 169 Rajkamal Kalamandir 173 Filmzeitschriften, indische 164,166,169-172, 174-178 Frau, Stellung der 163,170 Freetown 46,48,50,51,58,62,65,68-70 Friedrich Wilhelms Universität Berlin 105,110 Fundamentalismus, islamischer 71 Gabriel 28,38 Gandhi, Mohandas Karamchand (Mahatma) 11, 80,88,89,93,106-109,112,114-117,121-124, 126-129,131,133,137,138,142,145,146, 148,149,154,157,172 Gangohi, Rashid Ahmad 73 Geheimgesellschaft 48,57 Genossenschaftswesen, ländliches 140,144 Gesellschaftsfilm 9,10,12,16,157,159,162, 163,166,168,170,173-175 Gujarat 163,164 Haidar Ali 28,31,38,39 Hamied. K.A. 108,128 Hampton 45,58-60,63,66,67 Hampton Normal and Agricultural Institute 69,70 Häuptling Siehe Chief Heiliger Krieg, islamischer (jihäd) 72,76 Heimhuter Brüdergemeine 21,28,30,37,42,43 Hinduismus 13,73,74,76,91,95,145,146,154 Hindus 78,90,95,98,102,103 Houphouët-Boigny, Félix 217,221 Husain, Zakir 9-11,13,15,16,105,107-125 Identität 7,10-12,14,16,19,32,33,35.223 tamilische 40 Ilyas, Muhammad 95 Indian People's Theatre Association (IPTA) 162, 165 Indirekte Herrschaft / indirect rule 182,183 Indischer Nationalkongress (INK) 89,92,96, 102,121,124,125,131-133,136-138,143, 148-150,162,165 Individualisierung 99,104,217 Interview, narratives 204 Iqbal 95.102,103 Islam in Südasien 71.79,80.89.93,94,96.98100 shari'at 85,90,91,94 shürä 84 sunna 76,93 tasawwuf 74,76 tabligh 90,95 tajjdid 74 tanzim 90,91,95 taqlid 75,101 Wahhabiten 72
251
Index
Islamische Partei, jamä'at-i isläml 97 Ismail Shahid, Shah 75,84 Jamia Millia 13, 16,80, 101. 105, 107-119,121, 125 Jam'Iyat al-Ansär 82,84,89,102 Jam'Iyat al-Talabah 83 Jam'Iyat al-'ulamä'-e-Hind (JUH) 89-94,97,103 Jam'Iyatu'l 'ulamä'-e-Pakistän (JUP) 97 Jinnah, Muhammad Ali 97,103 Johann d'Almeida 30 Kalifatbewegung, Kalifat, Kalif, siehe auch Khilafatbewegung 80,88-93,97, 101.118 Kalkutta 165,167,173,176 Kanpur 85,102 Kasten Bauemkasten 139, 140, 143,154 Kamma 139 Vellala 35 Yadava 35 Brahmanen 134, 139, 146,153. 154, 160, 163, 176 Bhumihar 134, 136, 137, 147 Jujhautiya 134 Kshatriyas 139 Saluppan Cetti 32 Shudras 22,26,28,34,35,39, 132, 147 Unberührbare/Harijans 143,148,154,157 Paraiyar 22,24,26,34,35,37,39,40 Kastenbewegung 139 Bhumihars 145 Nicht-Brahmanen 132, 139, 148 Unberührbare 132 Kastensystem, hinduistisches 14,73,146,148 Kastenunruhen 32 Kayamba, Martin 182,185-189,199,200 Kerschensteiner, Georg 111 Kfcaksär 96 Khan, Abdul Ghaffar 95 Khan, Ahmad Raza 75,90,101,102 Khan, Ajmal Hakim 82,84,101,115 Khan, Mehboob 163,164,167,176 Khan, Sayyid Ahmad 72,73,74,79,106 Khilafatbewegung, siehe auch Kalifatbewegung 105, 106,107, 114, 125 Komitee 107,114 Kilimanjaro 190, 193,195,196,197 Kino, indisches 157-159, 162,167, 168, 175 Kinos, indische 157-159,165,172,174,175,177 Kirche indische 22,37,39 lutherische 25,37,41 Kisan Sabha AU-India (AIKS) 132, 134,136,137,143, 149,151 Bihar Provincial (BPKS) 137
WestPatna 136 Ki-Zerbo, Joseph 211,222 Kolhapur 169 Kolonialbehörden 109,116 herrschaft 5 , 7 , 9 , 4 5 , 1 5 8 kriege, französische, Indochina, Algerien 204 macht 15,45,46,64,68,105 obrigkeit 32,40 Kolonialpolitik, französische 208,213,215,221 Kolonialregierung dänische 31,32 indische 131 Kolonialverwaltung 9 dänische 11,36 französische 212,216,219 Kommunalismus kommunalistische Unruhen 165,172 religiöse Konflikte 91,95 Kongress-Sozialisten 137,149 Konstantinopel 88 Konversion 11,34,39 Konvertiten 5,8-12.14.15,25,39,45,46,57,60, 65,67 Koran 71-76.78,84,93.94 Kriegsveteranen, voltaische 5,9,11,13,14,16, 204,205,212-224 Krio 46,68 Kultur materielle 217 politische 143 westliche 145 Kumbakonam 25,28 Kunambi, Patrick 195,201 Kwetu 189-191,200 Lamizana, Sangouli, General, Staatspräsident (Obervolla) 206,214 Landveranlagungssystem Raiyatwari 148,149,154 Samindari 17,137, 148,149,153 Lichtspielhäuser Siehe Kinos Lucknow 79,82 Lujnat al-Ittehäd 83 Madewipattinam 25,26 Madni, Husain Ahmad 92,103 Madrasa Nizam'Iya 80 Madrasa-yi 'Aliyah 73 Madurai 26 Maisur 28,31,38.39 Englisch-Maisurische Kriege 31 Majaburam 26 Majlis Mu'aiyidu'l-Isläm 82 Majlis-e-Isläh 82 Makerere College 180,183,186,197,201 MamboLeo 185,186,199
252
Mang'enya, Ernesto 195,201 Mangi Mkuu 195-197,201 Marealle, Thomas 182,190-193,195-201 Margru (Sarah Margru Kinson) 10,14,45,46, 48-58,60,65-69 Materialismus (mädiyat) 74,81,95,97,101 Maududi, Maulana 'Abu'l-A'la 97,103 Mekka 84,85 Mende 45,46,48,50,51,64 Mende Tax War 64,68,70 Mendi Mission 50,52,55-59,61,69 Meston, J. S., Gouverneur der Vereinigten Provinzen 79,101 Mission 10,11,19-22,25,28,30-32,34,36,5052,54-58,61-65,68.69 Dänisch-Hallesche / Tranqebar 19-21, 24-28, 30,32,34-37,39 katholische, Obervolta 212,213,216, 217 lutherisch-pietistische 24,37 Missionare 12, 14,45,46,50-52,54-59,61,6370,91 Missionsgesellschaften 8,9,45,46, 59, 67 rechtsprechung 32,33 schulen 14,22,38,44 schulerziehung 54,68 station 51,54,58,60,64,66 Mittler 5,6,8,9,12,15.31,32,38,67 kulturelle 13,19,216 politische 219,222 Moderne 5-9,11,12,15-17,98,99,150,158160,169,175 kapitalistische 7,8,114, 131,147 Modemisierer 71,73,89,98 Moshi 190,193,195,197,201 Motion Picture Society of India 174 muhadithin 76 Muhammad, Prophet und Religionsstifter des Islam 72,75,76,93 Verfassung von Madina 93 Muhammadan Educational Conference 78 Muhammedan Anglo Indian College 105 Muradabad 102 Muslim-Liga 15,71,81,92,96,98,124,125 Muttaqi, *Abd al-Malik 102 Nazärat al-Ma'ärif al-Qur'än'iya 81 Naidu, Sarojini 170 Nanotawi, Muhammad Qasim 73 Naqshbandi, Maulana Abul Hasan Muhammad Sajjad 92,93,102 „Nationalarbeiter" 21,42 Nationalbewegung, indische 10,11,15, 16,80, 89,93, 132-134, 138, 139, 142, 143, 145, 151 Nationalismus antikolonialer 9, 16, 180 kultureller 196
Index
nationale Partei 192 nationalistische Partei 180,196 radikale Nationalisten 85.89 tansanischer 195 Nationalität (qaumîyat) 90,92 Nationalstaat 179,204,222 Natyashastra 175 Nehru, Jawaharlal 95,103,162,177 Nehru, Kamala 170 Netzwerke, soziale 193,198 Nicholson, Marjorie 195,200,201 Nichtzusammenarbeitsbewegung 80,88-90,101, 106,131,133,145,149 Nizamuddin, Mulla 79 Nu'mani, Maulana Shibli 79,83,100-102,104 Nyerere, Julius 180,192,196-198,201 Oberlin 51-55,59,66,69 Obervolta 203,215,221,224 Öffentlichkeit 158,160,162,168,172,173 bürgerliche 71,74,82-85,92,96,102 koloniale, in Indien 81 öffentlicher Raum 78,95,98 Oktoberrevolution 132 Orientalismus 6 Osmanisches Reich 84,88 Sultan 85 Ouagadougou (Obervolta) 214,221 Pachtrechte, dänische in Thanjavur 31,32 Pädagogik 110,111 Reformpädagogik 111,114,116 Painter, Baburao 169 Pakistan 93,94,96,103 Pères Blancs (Weisse Väter) Siehe Mission, katholische, Obervolta Philipsbom, Gerda 113,116,128 Pillei, Pirakaca (Pragasa) 30,33 Poraiyar 24,25,31 poro 48,68 Postmodeme 6 Postorientalismus 6 Premchand 162 Progressive Writers* Association 162 Prophetentradition (hadijlü 68,71,72,75,76,78, 84,86,90,93,95,97 Pullei, Daniel 11,19,24.30-36,38,39 Pullei, Dewapria 33 Pune 167,169 Punjab 96, 100 Qalat 80 „Quit India"-Bewegeung 148,160 qasbäh 80 Radical Brethren in Christ 63 Radikalisierung, islamische 84
Index
Rahman, Maulana Hifzur 103 Rai, Himansu 173 Rajanaikkan 11,12,14,19,24-28,34-40 Ranga, Nidubrolu Gogineni 10,11,13,131,133, 137-145,147-152,154 Rassemblement Démocratique Africain (RDA) 217,221 Rassemblement Patriotique Français (RPF) 221 Ratschluß (ijtihâd) 75 Ray, Satyajit 165 Recaptives 46,64 Rechtsgutachten, islamisches (fatwâ) 72,82,89, 90 Rechtsschule, islamische (fiqh) 72,75,76 Reform - gesellschaftliche 9, 10, 49, 159 -politische 196 -religiöse 13,139,145, 148, 160 -soziale 132,139,148,160, 162 -strukturelle 138 Reformislam (isläh) 71,74,79,81,91,92,94,96, 100, 104) Reformroman 160, 161 Rekonversion 74,95 Rcligionsgelchrte, islamische ('ulamä') 9, 10, 1315,71,72-76,79, 80-82, 84,85, 88-95,97,99, 100, 103 Religionsseminare, islamische 72,79,80,82,83 Absolventenorganisationen 81,82,84,89 däruM 'ulüm Deoband 73,75,80-83,89,96, 98,101-103 Firangi Mahall 79,80,82,100 madrasa 72, 80,82,83, 100, 103 Nadwatu'l *ulüm Lucknow 79,82-84,100, 103 Rothemden-Bewegung 95 Rowlatt-Gesetz 88 Sahajanand Saraswati, Swami 10,11,131,133138,144-149,151-155 Säkularismus, säkular 80,89,91,93,98 Samindare 136,137,147,149,153 Samnyasi 133-135,146 Sanskrit-Drama Siehe Drama, indisches Sarda-Gesetz 95,103 Sattianathan 26,41 Schule 106,110,111,114,117-119,120,122, 123,180-183,186-188, 190,191,196,198 französische Kolonialschule 215 Sommerschulen 140,143 Secret societies 48 Secrétariat Dar es Salaam 188,193,200,201 Seidenbrief-Affare 85 Sethna, Phiroze 174,178 Shaiüj al-Hind 80 Shantaram 161,167,169,172,174 Sharif von Mekka 85
253 Sherbro 48,58-61,63,64,68-70 Shia 92,96,98 Sierra Leone 45,46,51,54,60„ 61,63-70 Sinappan 24,25,28 Sind 172 Sindhi, Maulana Ubaidullah 81,82,84,85,101 Singh, Mahendra Pratap 85 Sircar, B.N. 167 Sklaven 45,46,48,50,51,59,66 -handel 45,51,64,69 Slater, Gilbert 140,141 Society for National Education 115 Society for Promoting Christian Knowledge (S.P.C.K.) 21 Soldaten, afrikanische 204-211,213,222 Sozialarbeit 140, 154 Soziale Wohlfahrt/Social Welfare 190,191,200 Sozialisation, militärische 210,221,224 Sozialismus 162 Fabianischer 140,150 Gilden- 140, 150 Staat bürokratischer 180,198 kolonialer 124, 180, 181, 198 Staatsapparat 180, 181 Staatszerfall 179 Studentenstreiks 82,84 Subhani, Maulana Azad 85 Sufismus, Sufi-Orden, sufisch 71,76,105 swadeshi 12,106,125,159 Sykes, Kleist 186 Tablighi Jamä'at 95 Tablighis 95.98 Tabora 180.183,184,199 Tabora School 184,190,199,201 Tagore, Rabindranath 160 Tairiappan 25 Tanga 185,186,189,199 Tanganyika - African National Union (TANU) 180,192, 196, 197 - Territory African Civil Servants Association 199 - Territory African Servants Association 185 Tappan, Lewis 49-55,57,66,69 Tayyib, Maulana Qari Muhammad 81,83,101 Terrorismus, bengalischer 89 Thanawi, Maulana Ashraf 'Ali 90,94,100,102 Thanjavur 21,24-28,31-35,37-39 Tirailleurs Sénégalais 207-210 Tiruchchirappalli 33 Tirupalaturei 38 Torna (Obervolta) 214 Tonfilm 157 Tougan (Obervolta) 214.221
Index
254
Tradition 6, 7,11-13, 15, 16, 131, 139,144, 148150,157, 158,160 brahmanische 145 Traditionalisten 71,79 Tragödie 157,168,175 Tranquebar 21,22,24,25,27-33,35,37,39 Türkei 80,84,85,88,92 Twining, Edward 197,201 Ufa 169 Unabhängigkeitsbewegung in Französisch-Westafrika 204,212,221,222 indische 131,132 Unberiihrbare Siehe Kasten United Brethren in Christ (U.B.C.) 61-64,66,70 USA 45,49,52-54,58-60,62,65-67,70 Vereinigte Provinzen 88,100, 103 Verfassungsgesetz von 1919 88,92 Veteranenvereinigung, voltaische 221 Völkerbund 182
Volkstheater 175 WaliuUah, Shah 74,75,84 Wandel 5-10,12,14-17.45,46,67,132,138, 151,157,158,167,175 Akteure des 65,105.222,223 gesellschaftlicher 6 , 7 , 8 , 1 0 , 15,131,152, 217 sozialer 12,13,119 struktureller 15,17,153 Wardha Scheme 16,122-125,130 Weltkrieg Erster 80,88,217 Zweiter 9,10, 162,204 Weltwirtschaftskrise 131,137 Westafrika 46,57,59,66 Wilberforce, Daniel Flickinger 61-66 Willensbildung, politische 221 Wilson-Doktrin 88 Wohlfahrtsstaat 99 Zwangsarbeit, koloniale 204,206,215,221
ZENTRUM MODERNER ORIENT
ARBEITSHEFTE Nr. 1
ANNEMARIE HAFNER/JOACHIM HEIDRICH/PETRA HEIDRICH: Indien: Identität, Konflikt und soziale Bewegung
Nr. 2
HEIKE LIEBAU: Die Quellen der Dänisch-Halleschen Mission in Tranquebar in deutschen Archiven. Ihre Bedeutung für die Indienforschung
Nr. 3
JÜRGEN HERZOG: Kolonialismus und Ökologie im Kontext der Geschichte Tansanias - Plädoyer für eine historische Umweltforschung (herausgegeben von Achim von Oppen)
Nr. 4
GERHARD HÖPP: Arabische und islamische Periodika in Berlin und Brandenburg 1915 -1945. Geschichtlicher Abriß und Bibliographie
Nr. 5
DIETRICH REETZ: Hijrat: The Flight of the Faithful. A British file on the Exodus of Muslim Peasants from North India to Afghanistan in 1920
Nr. 6
HENNER FÜRTIG: Demokratie in Saudi-Arabien? Die Ä1 Sa'üd und die Folgen des zweiten Golfkrieges
Nr. 7
THOMAS SCHEFFLER: Die SPD und der Algerienkrieg (1954-1962)
Nr. 8
ANNEMARIE HAFNER (Hg.): Essays on South Asian Society, Culture and Politics
Nr. 9
BERNT GLATZER (Hg.): Essays on South Asian Society, Culture and Politics ü
Nr. 10 UTE LUIG/ACHIM VON OPPEN (Hg.): Naturaneignung in Afrika als sozialer und symbolischer Prozess Nr. 11 GERHARD HÖPP/GERDIEN JONKER (Hg.): In fremder Erde. Zur Geschichte und Gegenwart der islamischen Bestattung in Deutschland Nr. 12 HENNER FÜRTIG: Liberalisierung als Herausforderung. Wie stabil ist die Islamische Republik Iran? Nr. 13 UWE PFULLMANN: Thronfolge in Saudi-Arabien - vom Anfang der wahhabitischen Bewegung bis 1953 Nr. 14 DIETRICH REETZ/HEIKE LIEBAU (Hg.): Globale Prozesse und "Akteure des Wandels": Quellen und Methoden ihrer Untersuchung Nr. 15 JAN-GEORG DEUTSCH/INGEBORG HALENE (Hg.): Afrikabezogene Nachlässe in den Bibliotheken und Archiven der Bundesländer Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern Nr. 16 HENNER FÜRTIG/GERHARD HÖPP (Hg.): Wessen Geschichte? Muslimische Erfahrungen historischer Zäsuren im 20. Jahrhundert Nr. 17 AXEL HARNETT-SIEVERS (Hg.): Afrikanische Geschichte und Weltgeschichte: Regionale und universale Themen in Forschung und Lehre Nr. 18 GERHARD HÖPP: Texte aus der Fremde. Arabische politische Publizistik in Deutschland, 1896-1945. Eine Bibliographie (im Druck) STUDIEN Bd. 1
JOACHIM HEIDRICH (Hg.): Changing Identities. The Transformation of Asian and African Societies under Colonialism
Bd. 2
ACHIM VON OPPEN/RICHARD ROTTENBURG (Hg.): Organisationswandel in Afrika: Kollektive Praxis und kulturelle Aneignung
Bd. 3
JAN-GEORG DEUTSCH: Educating the Middlemen: A Political and Economic History of Statutory Cocoa Marketing in Nigeria, 1936-1947
Bd. 4
GERHARD HÖPP (Hg.): Fremde Erfahrungen: Asiaten und Afrikaner in Deutschland, Österreich und in der Schweiz bis 194S
Bd. 5
HELMUT BLEY: Afrika: Geschichte und Politik. Ausgewählte Beiträge 1967-1992
Bd. 6
GERHARD HÖPP: Muslime in der Mark. Als Kriegsgefangene und Internierte in Wilnsdorf und Zossen, 1914-1924
Bd. 7
JAN-GEORG DEUTSCH/ALBERT WIRZ (Hg.): Geschichte in Afrika. Einführung in Probleme und Debatten
Bd. 8
HENNER FÜRTIG: Islamische Weltauffassung und außenpolitische Konzeptionen der iranischen Staatsfiihrung seit dem Tod Ajatollah Khomeinis
Bd. 9
BRIGITTE BÜHLER: Mündliche Überlieferungen: Geschichte und Geschichten der Wiya im Grasland von Kamerun
Bd. 10 KATJA FÜLLBERG-STOLBERG/PETRA HEEDRICH/ELLINOR SCHÖNE (Hg.): Dissociation and Appropriation: Responses to Globalization in Asia and Africa Bd. 11 GERDIEN JONKER (Hg.): Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei in Deutschland Bd. 12 REINHART KÖßLER/DIETER NEUBERT/ACHIM V. OPPEN (Hg.): Gemeinschaften in einer entgrenzten Welt Bd. 13 GERHARD HÖPP/BRIGITTE REINWALD (Hg.): Fremdeinsätze. Afrikaner und Asiaten in europäischen Kriegen, 1914 -1945 SCHRIFTEN DES ARBEITSKREISES MODERNE UND ISLAM Bd. 1
ZEYNEP AYGEN (Hg.): Bürger statt Städter. Bilrgerbeteiligung als Strategie der Problemlösung und der sozialen Integration
Bd. 2
STEPHAN ROSINY: Shi'a Publishing in Lebanon. With Special Reference to Islamic and Islamist Publications
In Vorbereitung: STUDIEN DIETRICH REETZ (Hg): Sendungsbewußtsein oder Eigennutz. Zu Motivation und Selbstverständnis islamischer Mobilisierung SCHRIFTEN DES ARBEITSKREISES MODERNE UND ISLAM Berlin für Orientalisten. Ein Handbuch