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German Pages 328 Year 2018
Martin Heidelberger Korrespondenten des Wandels
Kultur und soziale Praxis
Martin Heidelberger, geb. 1980, arbeitet als freier Autor, Ethnograf und Journalist in Karlsruhe. Sein Interesse an der globalen Nachrichtenindustrie geht auf seine Tätigkeit als Redakteur im Auslandsrundfunk zurück.
Martin Heidelberger
Korrespondenten des Wandels Lokale Akteure der globalen Nachrichtenindustrie
Forschung und Druck mit freundlicher Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung.
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Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: British journalist James Cameron (1911-1985), and a Nepali boy study a map above River Great Ranjit, which divides India, Nepal and Sikkim. Original Publication: Picture Post. 5210. Tibet Dissolves. pub. 1951 Original Publication: People Disc - HC0231 (Photo by Bert Hardy/Getty Images) Satz: Harry Adler Druck: docupoint GmbH, Magdeburg Print-ISBN 978-3-8376-4173-8 PDF-ISBN 978-3-8394-4173-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt a Kurzzusammenfassung/Abstract | 7 b Einleitung | 9 1 Gegenstand, Kontext und Durchführung der ethnografischen Studien | 27 1.1 Zur Teilhabe lokaler Akteure an der globalen Nachrichtenindustrie | 27 1.2 »Europa« als Standpunkt in der globalen Nachrichtenindustrie | 56 1.3 »Indien« als Standpunkt in der globalen Nachrichtenindustrie | 79 1.4 Erkenntnisziel und methodisches Vorgehen | 91
2 Studie I : Standpunkt »Europa« | 115 2.1 Europäische Journalisten mit lokalen Akteuren vor Ort | 115 2.2 Lokale Akteure in europäischen Auslandsredaktionen | 132 2.3 Wandel und Technologie | 149
3 Studie II : Standpunkt »Indien« | 169 3.1 Lokale Akteure als Spezialisten und Generalisten | 169 3.2 Lokale Akteure im Spannungsfeld der Indienberichterstattung | 189 3.3 »Mumbai Fixer« – eine Forschungsreportage | 217 3.4 Lokale Akteure im Konfliktgebiet Kaschmir | 236
4 Studie III : »India Unheard« – Erkundung einer Alternative | 257 4.1 Die Nachrichtenorganisation »Video Volunteers« | 257 4.2 Die Korrespondenten von »India Unheard« | 271
c Fazit und Ausblick | 287 d Interviewverzeichnis | 295 e Literaturverzeichnis | 299
a Kurzzusammenfassung/Abstract
Der Auslandsjournalismus des 21. Jahrhunderts stützt sich in zunehmendem Maße auf lokale Korrespondenten, professionelle lokale Mittler und Helfer sowie gut vernetzte lokale Medienaktivisten. Besonders in Konfliktgebieten oder Regionen, die Nachrichtenorganisationen aus anderen Gründen Zugangsschwierigkeiten bereiten, aber auch aus Kostengründen oder für eine relevantere Berichterstattung kooperieren Auslandsredakteure und reisende Journalisten heute weltweit mit solchen lokalen Akteuren der globalen Nachrichtenindustrie, die häufig als lokale »Stringer« oder »Fixer« bezeichnet werden. In drei Studien, die auf Feldforschungen in Indien und Europa basieren, werden spezifische Praktiken der journalistischen Kooperation ethnografisch beschrieben, analysiert und Formen der lokalen Teilhabe sowie ihre Wirkungsweisen auf die Medienproduktion sichtbar gemacht. Dabei wird gezeigt, wie lokale Akteure Zugänge für reisende Journalisten herstellen, wie sie vor Ort übersetzen, Interviews übernehmen oder Medienprodukte für Auslandsredaktionen autonom produzieren und wie bei der journalistischen Kooperation die lokalen Standpunkte der Akteure wirksam werden. *** Foreign correspondence in the 21st century increasingly relies on local correspondents, professional local mediators and well-connected local media activists on the ground. Especially in regions with access difficulties, such as regions of conflict and crises, but also for reasons of cost or in favor of a more relevant coverage, foreign editors and traveling journalists cooperate with such local actors of the global news industry that are often referred to as local »stringers« or »fixers«. In three studies based on fieldwork in India and Europe, specific practices of journalistic cooperation are ethnographically described and analyzed and the impact of local participation on media production is made visible. The studies show how local actors are creating access for traveling journalists, how they translate on the spot, conduct interviews or autonomously produce media content and they also show how their local standpoints become visible during journalistic collaboration.
b Einleitung
Wer einmal durch ein fremdes Land gereist ist, der weiß, wie hilfreich es sein kann, dabei jemanden zur Seite zu haben, der sich auskennt und sich vor Ort verständigen kann. Ist der Reisende ein Auslandskorrespondent, der im indischen Kalkutta über organisierte Kriminalität recherchiert, dann empfiehlt es sich, jemanden wie den indischen Journalisten Uday Sripathi zu engagieren, der gleich über eine Reihe von weiteren nützlichen Kenntnissen verfügt. Dieser kann etwa mit Kameratechnik umgehen, er weiß auch, wie man sich in der indischen »Unterwelt« bewegt und wann man besser in Deckung gehen sollte. Mit ihm arbeitete der US-Journalist Nicholas Kristof, als er für einen Dokumentarfilm über Menschenhandel und Zwangsprostitution in den Bordellen von Kalkutta nach Kinderprostituierten suchte: »I��������������������������������������den cameras, fixing them on Nick Kristof and also going under cover… doing all this while also handling production« (2016), erinnert sich Uday Sripathi in seinem Blog. Das sei kein ungefährlicher Job gewesen, einmal sei das Filmteam mit Stöcken und Messern angegriffen worden: »I always have a quick exit strategy in place for such situations with vehicles ready to pick up and move away immediately« (2016). Auch Nicholas Kristof macht diese Dreharbeiten zum Thema einer seiner Kolumnen für die New York Times, wobei er Uday Sripathi allerdings gar nicht erwähnt (Kristof, 2011). Auch wenn das in diesem Fall auf eigenen Wunsch geschehen sein mag (und die New York Times in ihren Autorenzeilen lokale Mitarbeiter durchaus aufführt), ist dem Publikum der »westlichen« Massenmedien oft nicht klar, dass Auslandsjournalismus1 ������������������������������������������������������steht. Die Organisation der journalistischen Arbeit vor Ort durch lokale Partner ist heute eine hoch spezialisierte und nachgefragte Dienstleistung in der globalen
1 | Unter Auslandsjournalismus verstehe ich einen Journalismus, der sich mit seinen Produkten in der Hauptsache an ein »westliches« Publikum richtet und sich thematisch – von diesem »westlichen« Standpunkt aus betrachtet – mit einem »fremden« Ort auseinandersetzt. Meine Entscheidung für diesen Begriff (statt etwa internationaler oder globaler Journalismus) basiert auf der hilfreichen Markierung des typischerweise »westlichen« Standpunktes des Auslandsjournalismus.
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Nachrichtenindustrie.2 Denn egal ob es sich um Artikel, TV-Sendungen, Radioprogramme oder Fotoreportagen handelt, zur Realisierung eines journalistischen Projektes im Ausland benötigen Journalisten ortskundige Hilfe. Im Forschungsinterview berichtete mir Uday Sripathi, wie er die Recherchen diverser reisender Journalisten in Indien möglich gemacht hat, indem er ihre Interviews organisiert und übersetzt hat, journalistische Zugänge hergestellt und Genehmigungen eingeholt hat. Medienprofessionelle, die sich wie Uday Sripathi darauf spezialisiert haben, die von ihrem Standpunkt aus betrachtet ortsfremden reisenden Journalisten bei ihrer Arbeit zu unterstützen, werden im Jargon der globalen Nachrichtenindustrie heute meist als »Fixer« bezeichnet (abgeleitet vom englischen Verb »to fix«). Als professionelle Mittler und Helfer, die oft unabhängig von einer Nachrichtenorganisation für ein Honorar arbeiten, bringen sie ihr Wissen, ihre Kontakte und Sprachkenntnisse in journalistische Kooperationen ein. Einige globale Nachrichtenorganisationen3 gehen noch einen Schritt weiter und rekrutieren auch ihre Korrespondenten vor Ort oder entscheiden sich für ein vollständiges Outsourcing der Berichterstattung an lokale Korrespondenten bzw. spezialisierte lokale Agenturen. Statt der »westlichen« Reisenden produzieren dann lokale Journalistinnen4 und Journalisten die Informationen, Bilder und Töne für die Massenmedien der Welt.5 2 | Die globale Nachrichtenindustrie verstehe ich als die interagierende Gesamtheit aller Organisationen und Individuen, die sich an der Herstellung und Verbreitung von Produkten des Auslandsjournalismus beteiligen. 3 | Unter globalen Nachrichtenorganisationen verstehe ich Organisationen, die weltweit vor Ort journalistische Produkte herstellen. Dazu zählen in erster Linie Nachrichtenagenturen wie zum Beispiel Reuters, AFP, AP, aber auch öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten wie die ARD oder die BBC bzw. private Nachrichtenorganisationen, darunter TVSender wie CNN oder Sky News und Zeitungen wie der Guardian oder die New York Times. Auch alternative Produzenten von journalistischen Produkten wie Menschenrechtsorganisationen, deren Tätigkeit sich nicht ausschließlich auf die Medienproduktion beschränkt, verstehe ich im weiteren Sinne als Nachrichtenorganisationen. 4 | Im Folgenden bezeichne ich mit dem Plural »Journalisten« zugunsten einer besseren Lesbarkeit sowohl die »Journalistinnen« als auch die »Journalisten«. Ebenso verfahre ich mit anderen Pluralformen. Wenn also von »Korrespondenten«, »Gesprächspartnern« und »Mitarbeitern« die Rede ist, dann beziehe ich mich auch auf die »Korrespondentinnen«, »Gesprächspartnerinnen«, »Mitarbeiterinnen« etc. 5 | Manchmal werden lokale Mitarbeiter auch als »local stringer«, »local producer« oder ähnlich bezeichnet. Wie der Begriff »Fixer« sind das Bezeichnungen, die in ihrer genauen Bedeutung und historischen Konstruktion im Verlauf dieser Arbeit noch weiter untersucht werden sollen. Hier sei aber bereits darauf verwiesen, dass der heute etablierte Begriff »Fixer« meist eine Zuschreibung von außen ist, die aus den Bedürfnissen einer ortsfremden Nachrichtenorganisation erwächst. Die meisten meiner »lokalen« Gesprächspartner lehnen den Begriff »Fixer« ab, weshalb auch ich ihn hier nur in Anführungszeichen verwen-
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Meiner Auffassung nach kann man alle diese Formen der lokalen Teilhabe am Auslandsjournalismus als ein einziges Phänomen betrachten, indem man die dabei beteiligten Personen mit »lokalem Bezug« unter dem Begriff der lokalen Akteure globaler Nachrichtenindustrie zusammendenkt. Die lokalen Akteure verstehe ich dabei als eine abstrakte Kategorie und nicht als eine natürliche Gruppe. Sie sind erstens für eine (oder mehrere) ortsfremde, global aktive Nachrichtenorganisationen tätig bzw. direkt im Auftrag ortsfremder, reisender Journalisten und zweitens arbeiten sie dabei in einem regionalen Kontext, mit dem sie vertraut sind (oder in dem sie zumindest dem journalistischen Kooperationspartner an Wissen überlegen sind) und werden gerade für diese Arbeit engagiert (statt etwa selbst als reisende Journalisten von dritten Lokalitäten zu berichten). Lokale Akteure sind also weder damit beschäftigt, ein lokales Geschehen als Journalisten lokal zu kommunizieren, noch damit, sich als reisende Journalisten von einem Ort der »Fremde« an ein »Heimatpublikum« zu wenden, sondern sie kommunizieren mit ihrer Arbeit lokale Themen »nach außen« oder unterstützen reisende Journalisten bei ihrer Berichterstattung vor Ort mit ihren Kenntnissen. Lokale Akteure bewegen sich bei ihrer Arbeit zwischen Grenzen, zwischen unterschiedlichen Kulturräumen und weltanschaulichen Positionen, zwischen sozialen Schichten, Sprachräumen und zwischen politischen und militärischen Frontlinien. Sie helfen dabei »Kontaktzonen« (Hannerz, 2004, S. 3) herzustellen, entweder zwischen dem reisenden Journalisten und einer Lokalität oder direkt zwischen einer ortsfremden Nachrichtenorganisation und einer Lokalität, die für reisende Journalisten nur schwer zugänglich ist (z.B. eine Konfliktregion). Sie sind einerseits ein Teil lokaler Lebenswelten und sind vor Ort gut vernetzt, sie verfügen aber andererseits auch über Fertigkeiten, die notwendig sind, um für die globale Nachrichtenindustrie und mit reisenden Journalisten zu arbeiten. Wie Uday Sripathi sprechen sie deshalb meist Englisch und besitzen weitere journalistische bzw. medientechnologische Fertigkeiten. Die Nutzbarmachung dieser Fertigkeiten und der Kenntnisse von professionellen lokalen Akteuren durch die globale Nachrichtenindustrie ist eine wichtige Voraussetzung für den »westlichen« Auslandsjournalismus, wie er heute praktiziert wird. Gerade in den letzten Jahren werden Journalisten nicht müde öffentlich zu betonen, wie wichtig die lokalen Helfer für ihre Arbeit geworden seien: »Foreign journalists know they’d be lost, or even dead, without the locals they hire« (2014), erklärt etwa Andrew Bossone im Columbia Journalism Review, der selbst als reisender Journalist aus Beirut berichtet. Jason Mojica, der als Nachrichtenchef bei VICE-News die Berichterstattung einer Nachrichtenorganisation leitet, die gern mit dem Anspruch auftritt, »anders« zu sein, erklärt bescheiden:
den will, um ihn so als eine Entlehnung der üblichen Sprachnorm im Nachrichtengeschäft zu kennzeichnen.
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Korrespondenten des Wandels »Drop us into the middle of a war zone, natural disaster, or totalitarian state and we’ll get the story – but it won’t be because we’re cleverer or braver than anyone else. It will probably be because we found a great fixer« (2015).
Dies sind zwei Beispiele für dutzende ähnliche Journalisten-Äußerungen zu »Fixern«, deren Tenor meist ist, dass diese für den Auslandsjournalismus immer wichtiger werden würden und die »westlichen« Massenmedien ihnen erst die Fähigkeit zu einer relevanten Berichterstattung verdanken würden.6 Das gleichzeitig anklingende Leitmotiv im Mediendiskurs über »Fixer« ist das des »unsung hero« (Al Jazeera, 2015), der im Verborgenen und ohne Anerkennung und Schutz durch die globale Nachrichtenindustrie seine oft gefährliche Arbeit verrichtet. Beklagt wird dann etwa der »postkolonialistische Beigeschmack« der journalistischen Kooperation, wie in diesem Kommentar des Schweizer Journalisten Tomas Avenarius: Ohne einen fähigen Fixer ist fast jeder verloren, da kann er die Landessprache noch so gut sprechen. Der Einheimische kennt sich aus, hat Telefonnummern, kennt Straßen ohne Checkpoints, bringt einen überall hin. Das Verhältnis zwischen Fixer und Reporter ähnelt dem zwischen Sherpa und Bergsteiger – der eine macht die Arbeit, der andere erntet den Beifall. (Avenarius, 2014)
Insgesamt sehe ich aber den Umstand, dass heute überhaupt ein Mediendiskurs über lokale Akteure geführt wird, durchaus auch mitsamt dem Unbehagen, das bei der Frage des Umgangs mit den lokalen Akteuren durch ihre Auftraggeber sichtbar wird, als Ausdruck einer größeren Teilhabe lokaler Akteure am Auslandsjournalismus.7 Allerdings sind lokale Akteure globaler Nachrichtenindustrie keinesfalls als ein neuartiges Phänomen zu betrachten. Wie noch genauer erläutert 6 | Unterschiede bestehen dabei meist nur in der Einschätzung, welches Ausmaß die Abhängigkeit »westlicher« Auslandsberichterstattung von »Fixern« annimmt: »Usually we are only as good as our local fixers«, findet etwa Maggie O’Kane (zitiert nach Cockburn, 2007), Multimediaspezialistin des Guardian. Für sie besteht also eine Art Equilibrium zwischen »Fixer« und reisendem Journalisten. »The fixer is quite often the more important journalist«, äußert dagegen der reisende Journaliste Graeme Smith in einem Interview (Lee, 2011), der während des Afghanistankrieges dank seiner lokalen Helfer als einer der wenigen »westlichen« Journalisten auch mit den Taliban gesprochen hat. 7 | Verbunden mit dieser gestiegenen Bedeutung ist allerdings auch ein gewisses Misstrauen gegenüber lokalen Akteuren, die manchmal als »parteiisch« betrachtet werden (Murrell, 2015, S. 30-32). Der Umstand, dass ein Journalist aus Afrika in der globalen Nachrichtenindustrie vor allem zur Berichterstattung über Afrika eingesetzt und nicht ohne weiteres als China-Korrespondent tätig sein kann, legt zudem die weiterhin »westliche« Ausrichtung der globalen Nachrichtenorganisationen offen. Die Verwendung von Begriffen wie »Fixer« bedeutet in diesem Sinne die Zuweisung eines bestimmten Stand-
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wird, arbeiteten Nachrichtenorganisationen bzw. reisende Journalisten schon seit der Frühphase der globalen Nachrichtenindustrie im 19. Jahrhundert mit lokaler Hilfe (und »professionelle« Reisende vor ihnen sicherlich auch). Sowohl die Abhängigkeit von lokalen Akteuren als auch das ungleiche Machtverhältnis zwischen lokalen Akteuren und »westlichen« Journalisten haben also bereits zuvor bestanden, sie wurden aber nicht in dieser Form reflektiert. Was sich tatsächlich verändert, sind die Funktionen, die lokale Akteure bei Produktionsprozessen des Auslandsjournalismus »zugestanden« werden (z.B. Fotograf statt Taschenträger). Diese Entwicklung ist im Kontext eines tiefgreifenden Wandels in der globalen Nachrichtenindustrie zu sehen, der sich etwa durch den Einsatz neuer Medientechnologien, durch ökonomische und strategische Umwälzungen im Nachrichtengeschäft sowie den immer größeren Schwierigkeiten beim Zugang in gef ährliche und unübersichtliche Konfliktgebiete äußert. Den Wandel kann man auch als eine »Lokalisierung der globalen Nachrichtenindustrie« begreifen, weil lokale Akteure tendenziell mehr Verantwortung bei der Produktion der Medienprodukte übertragen bekommen und diese auch übernehmen. Auf verschiedene Aspekte dieses Wandels in der globalen Nachrichtenindustrie wird von Journalisten und Wissenschaftlern bereits seit einigen Jahren hingewiesen und er soll im ersten Kapitel auch noch ausführlicher dargestellt werden. Hier sei zunächst darauf verwiesen, dass der ehemalige Journalist und Medienhistoriker John Maxwell Hamilton (gemeinsam mit Eric Jenner) als einer der ersten einen Zusammenhang zwischen der Transformation des Nachrichtengeschäfts und einer größeren Teilhabe lokaler Akteure herstellte und mit dem »Foreign Foreign Correspondent« auch einen analytischen Begriff für Korrespondenten lokaler Provenienz in den wissenschaftlichen Diskurs überführte (2004b; 2003).8 Seine Sicht auf den Wandel in der Nachrichtenindustrie ist von einiger Nüchternheit geprägt und so beginnt er seine etwas später erschienene Geschichte des
punkts in der globalen Nachrichtenindustrie, der sich nach der Herkunft der Medienprofessionellen richtet. 8 | Allerdings ergeben die von ihm entwickelten Kategorien nur von einem US-amerikanischen Standpunkt aus betrachtet einen Sinn. So differenziert John Maxwell Hamilton in einem komplexen Modell »Traditional Foreign Correspondents« (US-Amerikaner), »Foreign Foreign Correspondents« (als »Nicht-Amerikaner«), »Local Foreign Correspondents« (als Fernbeobachter in den USA), »Parachute Foreign Correspondents« (als reisende Journ alisten), »Foreign Local Correspondents« (als »Nicht-Amerikaner«, die für eine ausländische Nachrichtenorganisation arbeiten, deren Medienprodukte aber weltweit verfügbar sind) sowie noch weitere Kategorien (2009, S. 466-467). Problematisch an seinem Modell erscheint mir dabei vor allem die Unterscheidung zwischen »American« und »NonAmerican«, die er nicht weiter ausführt, aber in ihrer inneren Logik aus einem »Foreign Foreign Correspondents« durch den Erwerb der US-Staatsbürgerschaft plötzlich einen »Traditional Foreign Correspondents« entstehen lässt.
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US-amerikanischen Auslandsjournalismus »Journalism’s roving eye« (2009) mit einem Abgesang auf eine »sterbende« (oder bereits »verstorbene«) goldene Epoche: Despite their excellence, first-class foreign services have disappeared. The golden age of foreign correspondence is not today, as one might expect in view of growing global interdependence. It was in the period between the two world wars, when outlets for foreign news swelled and a large number of experienced, independent journalists circled the globe. (Hamilton, 2009, S. 2)
Andere Beobachter und Akteure des Wandels stimmen dagegen ein »Hohelied« der digitalen Vernetzung und Kommunikation an. Ethan Zuckerman, einer der Gründer von Global Voices, einem internationalen Netzwerk von Medienaktivisten, das die Beiträge lokaler Blogger und Journalisten aus verschiedenen Ländern auf einer Internetseite kuratiert und in 44 Sprachen (sowie Esperanto) übersetzt, begreift den Wandel in »Rewire« (2013) entsprechend als einzigartige Chance, einem globalen Publikum lokale Positionen zugänglich zu machen:9 We all need ways to access perspectives from other parts of the world, to listen to opinions that diverge from our preconceptions and to pay attention to the unexpected and unfamiliar. We move from unearthing secrets to unwinding mysteries not just through the force of will. Our understanding of the world comes to us through the tools we use to learn about the world around us. Some of those tools are hundreds of years old, whereas others were invented in the past decade. And all of them can be changed to help us better understand and explore the world. We can build new tools that help us understand whose voices we’re hearing and whom we are ignoring […] With a fraction of the brainpower that’s gone into building the Internet as we know it, we can build a network that helps us discover, understand, and embrace a wider world. (Zuckerman, 2013, S. 6-7)
Doch egal ob man sich nun eher die skeptische Sicht von John Maxwell Hamilton oder den Enthusiasmus eines Ethan Zuckerman zu eigen macht, beide sprechen von einer Hinwendung zu lokalen Korrespondenten. Auch nach meiner Einschätzung ist zu erwarten, dass diese »Korrespondenten des Wandels« zukünftig im Stimmengewirr der globalen Nachrichtenindustrie deutlicher zu vernehmen sein werden, um von ihrem lokalen Standpunkt aus über Ereignisse weltweit zu berichten. Wie wirkt diese Teilhabe lokaler Akteure an der globalen Nachrichtenindustrie aber auf die Medienproduktion und wie verändert sie was und wie wir über die Welt erfahren? In den vorliegenden ethnografischen Studien beschreibe ich die Praxis der Kooperation zwischen »westlichen« Journalisten bzw. Redakteuren 9 | Um mehr über diese Form des »lokalen Auslandsjournalismus« zu erfahren, habe ich im Rahmen meiner Feldforschung auch mit Global Voices-Redakteuren gesprochen (Kapitel: 2.3 Wandel und Technologie).
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und lokalen Akteuren globaler Nachrichtenindustrie und zeige, wie diese lokalen Akteure mit ihrer Tätigkeit auf die Medienproduktion einwirken. Die Studien basieren auf Feldforschung, die ich in Indien und Europa durchgeführt habe: In Indien habe ich dabei die journalistischen Kooperationen zwischen »westlichen« Journalisten und lokalen »Fixern« beobachtet und habe auch selbst mit einem solchen zusammengearbeitet. Außerdem bin ich dort mit ganz unterschiedlichen lokalen Akteuren ins Gespräch gekommen, die etwa Fotojournalisten auf dem Motorrad in die Slums der Megacities bringen, mit Filmteams zu den Rohstoffminen multinationaler Konzerne in entlegene Bergwälder fahren oder im militärischen Sperrgebiet von Kaschmir die richtigen Telefonnummern kennen. Meine Gesprächspartner richten sich als Slum-Korrespondenten mit YouTube-Filmen an eine globale Öffentlichkeit, um Menschenrechtsverletzungen anzuprangern, oder sie arbeiten als lokale Korrespondenten für große US-amerikanischen Zeitungen und TV-Sender und wissen, wie man ein Präsidenteninterview organisiert. In Europa wiederum habe ich mit reisenden Dokumentarfilmern, TV-Korrespondenten, Fotografen, Textjournalisten, Bloggern und Auslandsredakteuren über ihre Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren gesprochen und einige distinguierte Journalisten berichteten mir als »Zeitzeugen« von ihrer Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren in Vietnam, Darfur, Afghanistan und im Irak. Außerdem habe ich in den Redaktionen globaler Nachrichtenorganisationen den Umgang mit lokalen Akteuren erkundet und zudem alternative Nachrichtenorganisationen bzw. Technologieunternehmen besucht, die globale journalistische Kooperationen vereinfachen oder lokalen Korrespondenten den Zugang zu globalen Mediendiskursen ermöglichen wollen. *** Was ist bisher über das Phänomen der lokalen Akteure und dessen Wirkung auf den Auslandsjournalismus bekannt? Eine offensichtliche Quelle sind die »reflektierenden Journalisten«, auf die bereits hingewiesen wurde, die sich in Artikeln, Kommentaren, Büchern, Filmen etc. über den Auslandsjournalismus und ihre Zusammenarbeit mit lokalen »Fixern« äußern. Hervorheben möchte ich in diesem Überblick nur den langen Essay »Vom Versuch nicht weiß zu schreiben. Oder: wie Journalismus unser Weltbild prägt« (2012) der reisenden Journalistin und Autorin Charlotte Wiedemann, weil er für meine Studien von großer Bedeutung ist und ich mit ihr ein vertiefendes Forschungsinterview geführt habe. In diesem Essay reflektiert sie über ihre Zusammenarbeit mit lokalen Recherchepartnern weltweit und setzt sich mit der Frage auseinander, wie lokale Positionen in den Auslandsjournalismus gelangen.10 10 | Ihre eigenen lokalen Partner bei der journalistischen Kooperation nennt sie nicht »Fixer«, sondern bezeichnet sie als Dolmetscher und Mittler (Wiedemann, 2012, S. 43). Das Buch von Charlotte Wiedemann ist nicht nur aufgrund von ausführlichen Beschrei-
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Seit einigen Jahren äußern sich neben den Journalisten auch die lokalen Akteure selbst und reflektieren ihre Tätigkeit und ihre Rolle in der globalen Nachrichtenindustrie, etwa der Sudanese Daoud Hari (ein Pseudonym) mit seinem Augenzeugenbericht »The Translator« (2009), in dem er seine Erfahrungen als »Fixer« für reisende Journalisten während der Jahre des systematischen Massenmordes in Darfur beschreibt oder Mohamed Fadel Fahmy, der in »Baghdad Bound« (2004) über seine Arbeit als Übersetzer im Irakkrieg berichtet. Neben den beteiligten Akteuren der journalistischen Kooperationen im Auslandsjournalismus verfügen außerdem Nichtregierungsorganisationen (NGOs) über ein Spezialwissen, das besonders die große Verwundbarkeit lokaler Akteure betrifft. So dokumentiert das Committee to Protect Journalist (CPJ) in New York nicht nur Angriffe auf Journalisten, sondern auch Fälle, die lokale Helfer betreffen. Genauso treten Reporter without Borders und der britische Rory Peck Trust für die Interessen der lokalen Akteure ein und veröffentlichen global recherchierte Informationen.11 Die wissenschaftliche und empirische Forschung zu lokalen Akteuren wiederum beginnt meines Wissens en passant mit der Ethnografie »War Stories« (1995) von Mark Pedelty, einem Ethnologen aus den USA, der Feldforschung in El Salvador gegen Ende des Krieges 1991 durchführte und sich dabei mit der Praxis der Kriegsberichterstattung beschäftigte. Für ihn bildeten lokale Korrespondenten und Helfer nur einen Teilbereich des von ihm dargestellten salvadorianischen Gesamtpanoramas, doch dieses Buch ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Es ist über ein Jahrzehnt vor den ersten gezielten Feldforschungen zu lokalen Akteuren entstanden und beschreibt ein zutiefst hierarchisches System der Berichterstattung, das lokale Akteure stark benachteiligt. Nach seinen Erkenntnissen arbeiteten lokale Korrespondenten und Helfer in El Salvador für niedrige Honorare und riskierten bei gefährlichen Recherchen ihr Leben für eine relevante Berichterstattung (1995, S. 205), während sich reisende Journalisten aus Nordamerika nach Kurzbesuchen meist an den offiziellen Informationen der US-Verwaltung orientierten, die in El Salvador selbst indirekte Kriegspartei war (1995, S. 109-112). Es ist der »Offenheit« des ethnologischen Forschungsansatzes von Mark Pedelty zu bungen verschiedener journalistischer Kooperationen von Bedeutung, die sie im Iran, verschiedenen Ländern in Afrika, Indonesien, Thailand und Neuguinea durchführte, sondern es enthält auch diverse interessante Reflektionen über den Umgang des kontemporären Auslandsjournalismus mit »Lokalität« im Allgemeinen. 11 | Seit 2007 hat der Rory Peck Trust mit dem »Martin Adler Price« die einzige Auszeichnung gestiftet, die sich speziell an lokale »Fixer«, »Freelancer«, Kameraleute und Übersetzer richtet – mit dem Ziel, diese öffentlich zu würdigen und die Bedeutung ihrer Arbeit vor Auge zu führen. So gewann beispielsweise 2015 der irakische »Fixer« Hassan Ashwor den Preis und in Artikeln und Veranstaltungen hat der Rory Peck Trust über seine Arbeit informiert (Rory Peck Trust, 2015). Benannt ist der Preis nach dem schwedischen Videojournalisten Martin Adler, der 2006 in Somalia bei der Ausübung seiner journalistischen Arbeit getötet wurde (Rice, 2006).
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verdanken, dass er sich mit ganz verschiedenen Aspekten der Berichterstattung in der damaligen Kriegssituation beschäftigte und deshalb auch die Positionen und Erzählungen der lokalen Akteure dokumentierte.12 Ähnlich verhält es sich mit der Ethnografie »Foreign News. Exploring the World of Foreign Correspondents« (2004) des schwedischen Ethnologen Ulf Hannerz, in welcher lokale Akteure wiederum nicht im Mittelpunkt stehen.13 Als er Auslandskorrespondenten in offenen Interviews zu ihrer Arbeitspraxis befragte, stieß er ebenfalls auf das Phänomen der lokalen Akteure und fasste dabei »fixer« gemeinsam mit »bureau manager«, »translator«, »bureau assistant«, »driver«, »messenger« zu der von ihm verwendeten Kategorie »local helpers« zusammen, die seine Gesprächspartner als bedeutsam für ihre Arbeit und als einflussreich für den weltweiten Mediendiskurs beschreiben (2004, S. 152-155). Für meine eigene Forschung ist »Foreign News« (2004) eine wichtige Referenz. Das betrifft auch den multilokalen ethnologischen Forschungsansatz, mit dem Ulf Hannerz sein globales Forschungsfeld bearbeitet, das zu meinem eigenen Forschungsfeld eine Art »Gegenfeld« formt: Während dieser etwa ein Gespräch mit dem am Anfang erwähnten reisenden Journalisten Nicholas Kristof geführt hat, habe ich mit dessen »Fixer« Uday Sripathi gesprochen. Bedeutsam für meine Studien ist aber vor allem eine Analogie, auf die Ulf Hannerz hinweist, die zwischen journalistischen »Fixern« und entsprechenden »local helpers« bei der ethnologischen Feldforschung bestehen würde: »As in anthropology, where over the years the field workers multipurpose local research assistants have mostly been left invisble in the resulting ethnographies […] the critical importance of local helpers in foreign news work tends not to be acknowledged« (2004, S. 154). 12 | Dabei berichteten die lokalen Akteure von Problemen, die auch meine Gesprächspartner beschreiben. Etwa wenn es um die spezifischen Gefahren für lokale Korrespondenten bei einer »offensiven« Berichterstattung geht: »The Salvadorans […] knew they would be left behind after the foreigner completed their relatively short stints in El Salvador, paying the price […]« (1995, S. 205) oder, wie es einer seiner Gesprächspartner unter den lokalen Korrespondenten ausdrückte: »Before killing a gringo, they think 100 times. Before killing a Salvadoran, they think twice or not at all« (1995, S. 205). In der großen Relevanz seines Buches über zwei Jahrzehnte nach dessen Erscheinen zeigt sich für mich die Stärke induktiver ethnologischer Feldforschung. Mark Pedelty ist es ge lungen, bedeutsame Phänomene zu berücksichtigen, obwohl diese gar nicht im Zentrum seines Interesses lagen. 13 | Er selbst hatte den Einsatz von »Fixern« in einem Aufsatz über Auslandskorrespondenten in Jerusalem bereits zuvor beschrieben: »Less visibly for their audiences, the expatriates in larger media organizations tend to have researchers, translators, and ›fixers‹–field assistants and go-betweens–to assist them in various ways, on a full-time basis or occasionally« (Reporting from Jerusalem, 1998).
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Er hält sich nicht weiter mit der Frage auf, ob und wie sich diese Situation in der Fachgeschichte der Ethnologie entwickelt hat und welche Schlüsse daraus für den Auslandsjournalismus gezogen werden könnten.14 Ich habe seinen Impuls aufgenommen und meinen eigenen Studien eine solche vergleichende Darstellung der jeweiligen Strategien und Probleme der Repräsentation lokaler Positionen in Ethnologie und Auslandsjournalismus vorausgestellt. Die aus diesem Vergleich heraus entwickelte Differenzierung von Standpunkten in der globalen Nachrichtenindustrie, mit einer jeweils spezifischen Perspektive auf die journalistische Kooperation, formt die analytische Grundlage meiner Studien. Zwei Jahre nach »Foreign News« (2004) erschien in der Zeitschrift Ethnography die Studie »Local hands, international news. Palestinian journalists and the international media« (2006) von Amahl Bishara, in der sie sich meines Wissens als Erste gezielt mit lokalen Akteuren globaler Nachrichtenindustrie auseinandergesetzt hat. In ihrem Artikel untersucht sie die Bedeutung von palästinensischen Journalisten, die in der globalen Nachrichtenindustrie nach ihrer Erkenntnis als »fixer«, »cameraperson« und »stringer« eingesetzt werden. Auch Amahl Bishara betont die Bedeutung dieser lokalen Akteure: »Palestinian journalists play a critical role in the production of international news, and they bring to their work some skills that non-Palestinians rarely have« (Bishara, 2006, S. 40). Außerdem betont sie die schwierige Situation der lokalen Medienprofessionellen, die als lokal (palästinensisch) »markiert« betrachtet werden würden und die deshalb unter dem Generalverdacht der Parteilichkeit stehen würden (Bishara, 2006, S. 40). Insgesamt scheint es ihr vor allem darum zu gehen, die konstruktive Teilhabe palästinensischer Journalisten an der globalen Nachrichtenindustrie hervorzuheben und die Konflikte aufzuzeigen, die sich aus der eigenen Betroffenheit der Akteure ergeben. Eine ganz andere Sichtweise auf globale journalistische Kooperationen repräsentiert dagegen »›Our ears and our eyes‹: Journalists and fixers in Iraq« (2007), eine Interviewstudie von Jerry Palmer und Victoria Fontan. Die Autoren konzentrieren sich dabei spezifisch auf »Fixer« und weisen vor allem auf die große Abhängigkeit der reisenden Journalisten von »ihren« lokalen Helfern hin, die sie als eine Gefahr begreifen. Als die Studie entstand, hatte die Gewalt im Irak (auch gegen Journalisten) ein solches Maß angenommen, dass lokale Akteure die einzigen Reporter der globalen Nachrichtenindustrie waren, die sich in dem Land (jenseits des embedded-Systems der US-Armee) überhaupt bewegen konnten.15 Dieser Verlust an Souveränität für die »westliche« Berichterstattung, das Delegieren von Aufgaben wie die Interviewführung und Themenrecherche an lokale Akteure, gepaart mit einem gravierenden Mangel an Orts- und Sprachkenntnissen der reisenden Journalisten, wird von den Autoren als ein Hinweis auf einen Qualitätsverlust im 14 | Für Ulf Hannerz scheint die »Unsichtbarkeit« lokaler Akteure insgesamt eher eine Frage der Transparenz und fehlender Würdigung zu sein und kein grundlegendes Problem der Repräsentation lokaler Positionen darzustellen. 15 | Worüber auch Journalisten damals berichtet hatten (Plunkett, 2004; Cockburn, 2007).
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Auslandsjournalismus interpretiert. Die »Fixer« würden wie ein Filter zwischen Thema und Journalist wirken, mit dem auch das Risiko einer Verzerrung gegeben sei (2007, S. 22). Bei Forschungen zu lokalen Akteuren, die sich wie in diesem Beispiel auf »Fixer« und ihre Rolle im Nachrichtengeschäft konzentrieren, kommt es zu typischen Problemen. Diese ergeben sich aus dem Umstand, dass der Begriff »Fixer« aus der Welt des Journalismus übernommen und in der Forschung reproduziert wird, um dann als Kategorie zur Grundlage von Analysen zu werden. Durch dieses Vorgehen geraten Forscher in Schwierigkeiten, weil es sich dabei weder um eine rein funktionale Tätigkeitsbeschreibung handelt noch um natürliche Eigenschaften, die Medienprofessionelle zu »Fixern« machen und sie von anderen Akteuren der globalen Nachrichtenindustrie unterscheiden. Vielmehr sind es, im übertragenen Sinne, die Bedürfnisse der »westlichen« Nachrichtenorganisationen, die »Fixer« erst produzieren. Der Standpunkt als lokaler Akteur in der »westlich« geprägten globalen Nachrichtenindustrie wird durch den Begriff »Fixer« als »fremd« markiert, was durch einen scheinbar rein funktionalen Gebrauch des Begriffs nach außen negiert wird, nach innen aber nutzbar gemacht wird. Dieses grundsätzliche Problem beim Sprechen über »Fixer« betrifft auch die bisher umfangreichste akademische Auseinandersetzung mit lokalen Akteuren, nämlich »Foreign Correspondents and International News Gathering. The Role of fixers« (2015) der australischen Medienwissenschaftlerin Colleen Murrell.16 Ihre Untersuchung (basierend auf Literaturarbeit und Forschungsinterviews) zur Frage, warum und wie reisende TV-Korrespondenten mit »Fixern« zusammenarbeiten, ist aufgrund der großen Fülle an relevanten Informationen und Bezügen zweifellos als ein Meilenstein der Forschung zum Phänomen der lokalen Akteure zu betrachten.17 An keiner Stelle in ihrem Buch reflektiert sie allerdings die Konstruktion der Kategorie »Fixer«, obwohl diese im Zentrum ihres Interesses steht. Ihr Umgang mit dem Phänomen der lokalen Akteure bleibt deshalb, wie ich finde, insgesamt unscharf.18 16 | Zuvor hatte sie bereits einige Ergebnisse ihrer Forschung in Artikeln veröffentlicht (Murrell, 2010; 2009). 17 | Colleen Murrell hat fast gleichzeitig mit mir dieses Thema bearbeitet und ohne Kenntnis voneinander zu haben, haben wir auch beide ein Forschungsinterview mit Adrian Wells geführt, der lange Zeit die Auslandsberichterstattung des britischen Fernsehsenders Sky News leitete (Kapitel: 2.2 Lokale Akteure in europäischen Auslandsredaktionen). 18 | Sichtbar wird diese Unschärfe etwa, wenn sie in ihrer Auseinandersetzung mit »War Stories« (1995) bemängelt, dass Mark Pedelty »Fixer« und deren Bedeutung für die Nachrichtenproduktion weitgehend ignorieren würde (Murrell, 2015, S. 36), ohne aber in Erwägung zu ziehen, dass dieser Begriff sich in seinem heutigen Gebrauch historisch entwickelt hat. Es bleibt also unklar, ob sie Mark Pedelty vorwirft, dass dieser die Rolle lokaler Akteure bei der Kriegsberichterstattung unterschätzt (was sachlich unrichtig ist, weil er diese betont) und »Fixer« dabei als Synonym für lokale Akteure versteht oder ob
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In einer Schlussfolgerung kommt sie (unter anderem) zu dem Ergebnis, dass »Fixer« tatsächlich sehr viel stärker und »kreativ« auf die Inhalte der TV-Berichterstattung einwirken würden, als es in den zuvor veröffentlichten Forschungsarbeiten dargestellt wurde (Murrell, 2015, S. 147). Lokale Korrespondenten, die als Angestellte oder »Freelancer« für die globale Nachrichtenindustrie tätig sind, ignoriert sie in ihrer Forschung aber weitgehend und interessiert sich vor allem für solche lokale Akteure, die von den Auslandskorrespondenten auch tatsächlich als »Fixer« bezeichnet werden. Meiner Auffassung nach sollte eine sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung nicht auf diese Weise die Kategorien eines Forschungsfeldes reproduzieren.19 Die letzten drei Studien, auf die ich in diesem Überblick verweisen möchte, erweitern den Blick wiederum auf lokale Akteure in einem allgemeineren Sinne, nämlich zunächst die Studie »Are Foreign Correspondents Redundant? The changing face of international news« (2010) des ehemaligen BBC-Redakteurs Richard Sambrook, in der er sich mit dem Wandel in der globalen Nachrichtenindustrie auseinandersetzt. Auch er weist dabei auf die wachsende Bedeutung von »diversity and local staff« (Sambrook, 2010, S. 48) für globale Nachrichtenorganisationen hin und in Forschungsinterviews mit Chefredakteuren von Reuters, Associated Press (AP), BBC World News sowie Al Jazeera fragt er nach deren Erfahrungen mit lokalen Akteuren. Sie alle berichten ihm, dass sie die Integration und den Einsatz sie den beschränkten Gebrauch des Begriffs »Fixer« bemängelt, den Mark Pedelty nur im engen Sinne eines praktischen Helfers verwendet. Ähnlich verwirrend ist ihr Verweis auf Ulf Hannerz, der den Gebrauch des Begriffs »Fixer« als eine »polymorphous category« (Hannerz, 2004, S. 154) beschreibt. Colleen Murrell merkt dazu an: »He admits that the category of fixers is ›polymorphous‹ […]. This, he suggests, is perhaps why it is a difficult and overlooked category of people« (Murrell, 2015, S. 39). Bei Colleen Murrell wird also aus Hinweisen zum Gebrauch des Begriffs »Fixer« durch Auslandskorrespondenten (so verstehe ich Ulf Hannerz) eine unabhängig von diesem Begriff existierende »Kategorie von Menschen«. 19 | In ihrer Schlussfolgerung stellt Colleen Murrell fest, dass man »Fixer« im TV-Journalismus eigentlich als »local producers« bezeichnen sollte (wie es die BBC praktiziert), ohne zu erläutern, warum sie dann den Begriff »Fixer« überhaupt verwendet (2015, S. 147). Sie spricht dort außerdem davon, dass sie es für möglich hält, dass immer mehr »Fixer« als eine Art »local reporter« die tägliche Nachrichtenberichterstattung übernehmen könnten. Allerdings hat sie mit keinem lokalen Korrespondenten gesprochen, obwohl diese ja bereits heute diese Aufgabe übernehmen (2015, S. 153-154). Insgesamt scheint es gar nicht ihr Anliegen gewesen zu sein, mit ihrer Forschung beide Seiten globaler journalistischer Kooperationen zu beleuchten. So beschäftigt sie sich fast ausschließlich mit den Positionen von Auslandskorrespondenten zur journalistischen Kooperation und hat nur mit einigen wenigen »Fixern« gesprochen. Im Vergleich dazu haben etwa Jerry Palmer und Victoria Fontan fast die Hälfte ihrer Interviews mit »Fixern« geführt und zielen methodisch gerade auf die Differenz zwischen den jeweiligen Positionen ab (2007, S. 7).
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von lokalen Journalisten als eine Priorität begreifen und nennen Beispiele, die zeigen sollen, inwiefern lokale Teilhabe in ihren Augen in den jeweiligen Organisationen gelungen ist (Sambrook, 2010, S. 48-52). Die ehemalige Journalistin und Medienwissenschaftlerin Mel Bunce wiederum knüpft mit ihrer Studie »The new foreign correspondent at work: Local-national ›stringers‹ and the global news coverage of conflict in Darfur« (2011) direkt an die Thesen von John Maxwell Hamilton und Eric Jenner (2004a; 2004b) an: »One of the most striking trends in this news ›evolution‹ is the increased centrality and importance of local-national foreign correspondents: journalists who report on their home country for a global news audience« (2011, S. 5).
Ähnlich wie meine Studien (wenn auch mit anderen Methoden, wie noch erörtert werden soll), zielt ihre Forschung ������������������������������������ darauf, Wirkungsweisen dieser »Lokalisierung« auf den Auslandsjournalismus zu identifizieren, die Mel Bunce aber in Nachrichtenartikeln sucht. Nach ihren Erkenntnissen stellen demnach etwa lokale Korrespondenten im Sudan weniger oft (als ihre »westlichen« Kollegen) unterschiedliche Standpunkte dar. Sie würden stattdessen die Position der sudanesischen Regierung als Quelle in den Mittelpunkt stellen und insgesamt weniger kritisch berichten (2011, S. 30). Um einer solchen Entwicklung entgegenzutreten, empfiehlt Mel Bunce den globalen Nachrichtenorganisationen wieder mehr in reisende Journalisten zu investieren, statt sich auf lokale Akteure zu konzentrieren. Zuletzt möchte ich noch auf die Ethnografie »Back Stories: US News Production and Palestinian Politics« (2013) verweisen, in der Amahl A. Bishara ihre zuvor erwähnte frühere Auseinandersetzung mit lokalen palästinensischen Journalisten in der globalen Nachrichteindustrie (2006) erweitert und sich ebenfalls sowohl mit »Fixern« als auch mit »Stringern« und lokalen Korrespondenten auseinandersetzt und unterschiedliche journalistische Kooperationen in dieser spezifischen Lokalität beschreibt. Wie auch bereits im Titel der Ethnografie deutlich wird, interessiert sie sich dabei weniger für lokale Akteure als ein globales Phänomen, sondern eher für den Ausdruck der palästinensischen Situation und Politik in der journalistischen Praxis vor Ort. Dennoch ist diese Ethnografie eine wichtige und vielseitige Studie der journalistischen Interaktion zwischen lokalen Akteuren und der globalen Nachrichtenindustrie. Sie beschreibt etwa die Gefahren und Probleme, mit denen palästinensische Journalisten konfrontiert sind, beschäftigt sich mit Motiven, Biografien und beschreibt die Neigung der ortsfremden Nachrichtenorganisationen, im israelischpalästinensischen Konflikt eine »balanced objectivity« (2013, S. 35-67) herstellen zu wollen, womit sie eine »a logic of balance of material« meint, bei der versucht werde, eine Aussage immer durch eine Gegenaussage zu spiegeln: »so that they
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seem to form a mirrow image of each other« (2013, S. 35).20 Aufgrund dieser Eigenheit in der Berichterstattung über den Konflikt würde ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber den palästinensischen Journalisten bestehen, das ihre Integration in »westliche« Nachrichtenorganisationen schwierig mache. Diese würden aufgrund ihrer Herkunft (ein Argument, das oft noch mit dem Hinweis versehen würde, dass dies ja verständlich sei) im »Westen« als »unable to be objective« betrachtet (2013, S. 50). *** Im Folgenden möchte ich nun den Auf bau meiner eigenen ethnografischen Studien erläutern. Vorangestellt habe ich diesen zunächst ein Einführungskapitel (Kapitel: 1 Gegenstand, Kontext und Durchführung der ethnografischen Studien) als eine theoretische, methodologische und thematische Annäherung an den Forschungsgegenstand, den ethnologischen Blickwinkel meiner Forschung sowie den regionalen Kontext der Feldforschung. Dabei beginne ich mit einer historischen Betrachtung der Teilhabe lokaler Akteure an der globalen Nachrichtenindustrie (Kapitel: 1.1 Zur Teilhabe lokaler Akteure an der globalen Nachrichtenindustrie), in der ich zeige, dass lokale Akteure (unter verschiedenen Bezeichnungen) für den Auslandsjournalismus schon seit dem 19. Jahrhundert wichtig waren. Anschließend folge ich der Frage einer lokalen Teilhabe entlang der globalen Debatte um eine gerechte und entkolonialisierte »Informationsweltordnung«, die seit den 1950er Jahren etwa in der UNESCO geführt wird. Eine genaue Charakterisierung des kontemporären Wandels in der globalen Nachrichtenindustrie sowie der von mir vermuteten Ursachen für eine »Lokalisierung der globalen Nachrichtenindustrie« mit einer stärkeren Bedeutung lokaler Akteure beschließt diesen Abschnitt. Im zweiten Abschnitt (Kapitel: 1.2 »Europa« als Standpunkt in der globalen Nachrichtenindustrie) komme ich dann zu einer »qualitativen Operationalisierung« von Standpunkten in der globalen Nachrichtenindustrie, die den ethnografischen Studien als Standpunkt »Europa« und als Standpunkt »Indien« strukturell zugrundeliegen. Ich führe dort aus, was ich unter Standpunkten verstehe und wie sich ein solcher Standpunkt in der globalen Nachrichtenindustrie mit den zugehörigen Rollen der reisenden Journalisten und lokalen Akteure im Kontext der postkolonialen Situation entwickelt hat. Im Zentrum meines Interesses steht der universalistische Anspruch »westlicher« Nachrichtenorganisationen auf eine »objektive« 20 | Das Problem wird auch von reisenden Journalisten reflektiert. Der ehemalige GazaKorrespondent der BBC, Alan Johnston, schrieb etwa über seine Zeit in Jerusalem und Gaza: »But the aim is absolutely not to smother the story with a search for some sort of formulaic, 50/50-style balance. If the truth is that the Israelis, or the Palestinians, have simply acted appallingly, then of course that is exactly what the piece must end up saying« (Johnston, 2007).
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Berichterstattung, Fakten, Neutralität etc. und damit teilweise eine Negation der Existenz von lokalen Standpunkten und ihrer Bedeutung für die mediale Repräsentation einer lokalen Situation. In einer vergleichenden Betrachtung des historisch unterschiedlichen Umgangs mit ganz ähnlichen Fragen im wissenschaftlichen Diskurs der Ethnologie zeige ich, wie der »westliche« Auslandsjournalismus (in seiner konventionellen Ausprägung) bis heute weitestgehend in universalistischen Positionen verharrt. Im nächsten Abschnitt (Kapitel: 1.3 »Indien« als Standpunkt in der globalen Nachr ichtenindustrie) erläutere ich anschließend, warum ich mich dazu entschlossen habe, dem Standpunkt »Europa« in meinen Studien gerade einen Standpunkt »Indien« gegenüberzustellen und Feldforschung in Indien durchzuführen. Heute sind lokale Akteure globaler Nachrichtenindustrie maßgeblich an der »westlichen« Indienberichterstattung beteiligt, was spezifische historische und gesellschaftliche Ursachen hat, die ich beschreibe. Diese spezifisch »indische Situation« macht es attraktiv sich genau dort mit der Teilhabe lokaler Akteure an den Produktionsprozessen der globalen Nachrichtenindustrie zu beschäftigen. Im letzten Abschnitt des Einführungskapitels schließlich (Kapitel: 1.4 Erkenntnisziel und methodisches Vorgehen), präzisiere ich das Erkenntnisziel meiner ethnologischen Untersuchung (Erkenntnisse über Formen lokaler Teilhabe und über ihre Wirkungsweisen auf die Medienproduktion), erläutere die während der Forschung eingesetzten Methoden (teilnehmende Beobachtung, Beobachtungsexkursionen, Forschungsinterviews) und beschreibe die Durchführung der Feldforschungen in Indien (2013) und Europa (2014). Dabei erkläre ich auch, wie ich meinen Fokus auf die Praxis als zentrale analytische Kategorie in meinen Studien umgesetzt habe und verorte diese in einem praxeologischen Forschungsumfeld. In einer Auseinandersetzung mit dem Habitus-Begriff von Pierre Bourdieu (1972/2009) und einer von Stefan Beck entwickelten Sicht auf Praxis (1997) präzisiere ich dann, wie ich den Praxisbegriff für meine Betrachtung des Phänomens der lokalen Akteure und der Suche nach den Formen und Wirkungsweisen ihrer Teilhabe an der globalen Nachrichtenindustrie nutzbar gemacht habe. Schließlich verweise ich auf eine grundsätzliche methodische Nähe meines multilokalen Forschungsansatzes zu dem programmatischen Entwurf einer »Multi Sited Ethno graphy« von George Marcus (1995). Nachdem ich meine Vorgehensweise bei der Analyse der erhobenen ethnografischen Daten (Forschungsinterviews und Feldnotizen) dargelegt habe, begründe ich auch die gewählte Darstellungsweise in den ethnografischen Studien. Einen Schwerpunkt lege ich dabei zuletzt auf eine Präzisierung meines Verständnisses einer Forschungsreportage. In Studie I (Kapitel: 2 Studie I: Standpunkt »Europa«) untersuche ich Praktiken globaler journalistischer Kooperation auf Basis der Positionen und Erzählungen von reisenden Journalisten und Auslandsredakteuren aus Europa, die mit lokalen Akteuren vor Ort zusammenarbeiten und beschäftige mich mit den Auswirkungen des Wandels in der globalen Nachrichtenindustrie auf solche journalistische Kooperationen. Im ersten Abschnitt der Studie (Kapitel: 2.1 Europäische Journalis-
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ten mit lokalen Akteuren vor Ort) beschreibe ich, wie Dokumentarfilmer, TV-Korrespondenten, Fotografen und Printjournalisten aus Europa mit lokalen Akteuren an Orten wie Vietnam, Irak, Darfur, Afghanistan oder Mali zusammenarbeiten. Ich arbeite dabei ihre spezifischen Erfahrungen heraus und vergleiche bzw. kontrastiere sie miteinander. Im zweiten Abschnitt (Kapitel: 2.2 Lokale Akteure in europäischen Auslandsredaktionen) beschäftige ich mich dann mit der redaktionellen Kooperation von europäischen und »lokalen Redakteuren« in europäischen Auslandsredaktionen mit ihren lokalen Korrespondenten über die Distanz. Im dritten Abschnitt (Kapitel: 2.3 Wandel und Technologie) betrachte ich, wie das Internet und der Wandel in der globalen Nachrichtenindustrie die Praxis der globalen journalistischen Kooperationen verändert und lokalen Akteuren neue Möglichkeiten eröffnet, an der globalen Nachrichtenindustrie zu partizipieren. In Studie II (Kapitel: 3 Studie II: Standpunkt »Indien«) untersuche ich anschließend die spezifischen Erfahrungen bei der journalistischen Kooperation von lokalen Akteuren globaler Nachrichtenindustrie in Indien, die ich im Rahmen meiner Feldforschung zwischen Chennai im südlichen Bundesstaat Tamil Nadu und Srinagar im indisch verwalteten Kaschmir getroffen habe. Im ersten Abschnitt der Studie (Kapitel: 3.1 Lokale Akteure als Spezialisten und Generalisten) beginne ich zunächst mit einer Darstellung der historischen Genese des Phänomens der lokalen Akteure globaler Nachrichtenindustrie in Indien, von den improvisierten Anfängen im postkolonialen Indien bis zur großen Heterogenität und Spezialisierung lokaler Akteure, die heute im Zusammenhang mit unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern und Medienformen zu beobachten ist. Grundsätzlich differenziere ich dabei zwei (imaginierte) Gruppen lokaler Akteure, die ich als Spezialisten und Generalisten bezeichne und die unterschiedlich arbeiten. Im zweiten Abschnitt (Kapitel: 3.2 Lokale Akteure im Spannungsfeld der Indienberichterstattung) betrachte ich unterschiedliche Arbeitsverhältnisse sowie die Formen und die Qualität der Integration lokaler Akteure in Indien in die Strukturen der »westlich« geprägten globalen Nachrichtenindustrie und weise auf verschiedene Konflikte hin, die bei der journalistischen Kooperation typischerweise entstehen können. Im nächsten Abschnitt der Studie (Kapitel: 3.3 »Mumbai Fixer« – eine Forschungsreportage) beschreibe ich in Form einer Forschungsreportage, wie ich im Rahmen einer teilnehmenden Beobachtung gemeinsam mit einem lokalen »Fixer« zwei Wochen lang an einem Hörfunkfeature gearbeitet habe. Bei dieser journalistischen Recherche haben wir gemeinsam das urbane Leben rund um eine öffentliche Toilette in der Megacity erkundet. Diese thematische Arbeit bildete den Hintergrund für meine eigentlichen Ziele bei diesem Projekt: In der Rolle des reisenden Journalisten aus Europa hatte ich die Möglichkeit, die journalistische Zusammenarbeit mit einem lokalen »Fixer« aus einer Innenperspektive heraus intensiv zu beobachten. Im letzten Abschnitt der Studie (Kapitel: 3.4 Lokale Akteure im Konfliktgebiet Kaschmir) beschäftige ich mich mit lokalen »Fixern« und lokalen Korrespondenten in Kaschmir, dessen indisch verwalteten Teil ich im März/April 2013 besucht habe. Der bewaffnete Konflikt vor Ort hat dort eine re-
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gelrechte »Fixer«-Industrie geschaffen, die vor allem in den 1990ern florierte (mit dem damaligen atomaren Bedrohungsszenario zwischen Indien und Pakistan), inzwischen aber wieder rückläufig ist. Das schwindende Interesse der globalen Nachrichtenorganisationen steht dabei im Widerspruch zum immer wieder aufflammenden Konfliktgeschehen vor Ort und ich beschreibe, wie lokale Akteure in Kaschmir unter schwierigen Bedingungen, großer Gefahr und schwindenden Ressourcen ihrer Arbeit nachgehen. Im Mittelpunkt der Studie III (Kapitel: 4 Studie III: »India Unheard« – Erkundung einer Alternative) steht schließlich die alternative Nachrichtenorganisation Video Volunteers. Mit lokalen Korrespondenten aus ganz Indien, die meist aus den marginalisierten sozialen Schichten Indiens rekrutiert wurden, betreibt Video Volunteers den Video-Nachrichtendienst India Unheard. In der Studie erkunde ich die Arbeitsweise dieser Organisation, die mit der Zielsetzung antritt, ihre lokalen Korrespondenten zu ermächtigen, mit ihrer »eigenen Stimme« an internationaler medialer Kommunikation zu partizipieren. Im ersten Abschnitt der Studie (Kapitel: 4.1 Die Nachrichtenorganisation »Video Volunteers«) untersuche ich die Produkte, Arbeitsweise und Ziele von Video Volunteers und arbeite heraus, wie sich die Nachrichtenorganisation vom konventionellen Auslandsjournalismus abgrenzt und gegenüber einem »globalen Publikum« positioniert. Dabei identifiziere ich die Finanzierung und die Unabhängigkeit der Berichterstattung als zwei zentrale Faktoren, die ich bei der Etablierung von globalen Strukturen für einen »Auslandsjournalismus von unten« als eine Herausforderung betrachte und stelle dar, wie die Organisation mit diesen umgeht. Im zweiten Abschnitt der Studie (Kapitel: 4.2: Die Korrespondenten von India Unheard) beschäftige ich mich mit den Korrespondenten der Organisation, die ich sowohl im Rahmen eines Trainingsprogramms getroffen habe als auch »zu Hause« in unterschiedlichen Slums in Mumbai. Ich beschreibe dort entlang ihrer Erzählungen, wie sie Digitalkamera und Internet in der Praxis nutzten, um lokalen Problemen mit einer globalen Öffentlichkeit zu begegnen. Die beispielhafte Betrachtung einer alternativen Nachrichtenorganisation in Studie III steht als ethnografische »Nahaufnahme« ergänzend neben den Studien I und II. Diese beiden Studien wiederum fügen sich gemeinsam zu einer Art »Doppelporträt« der kontemporären Praxis globaler journalistischer Kooperation zusammen, das den Standpunkt der jeweiligen Gesprächspartner berücksichtigt. Dieses setzt sich zusammen aus: a) einer Betrachtung der Praxis bei der Zusammenarbeit reisender Journalisten aus Europa mit unabhängigen lokalen Akteuren vor Ort im »nichteuropäischen« Ausland, vom Standpunkt der reisenden Journalisten betrachtet (Studie I). Ergänzt wird diese durch eine weitere Betrachtung dieser Form der Kooperation, diesmal bei der Zusammenarbeit von unabhängigen lokalen Akteuren vor Ort in Indien mit reisenden Journalisten aus dem »Westen«, betrachtet vom Standpunkt der lokalen »indischen« Akteure (Studie II); Außerdem setzt sich dieses zusammen aus: b) einer Betrachtung der Kooperation von Fernbeobachtern in den europäischen Auslandsredaktionen bei
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der Zusammenarbeit über die Distanz mit lokalen Korrespondenten vor Ort an ganz verschiedenen Orten, betrachtet vom Standpunkt der Fernbeobachter (Studie I). Diese steht wiederum neben einer weiteren Betrachtung derselben Form von Kooperation basierend auf der Analyse von Erzählungen und Positionen der lokalen »indischen« Korrespondenten »westlicher« Nachrichtenorganisationen in Indien (Studie II).
1 Gegenstand, Kontext und Durchführung der ethnografischen Studien »It has no meaning to take risks for news stories unless the people who read them will act.« Daoud H ari, A utor und »F ixer« (The Translator, 2009)
1.1 Z ur Teilhabe
lok aler A k teure an der globalen N achrichtenindustrie
Als Henry Morton Stanley, einer der ersten Auslandskorrespondenten1 und außerdem ein Entdecker mit notorischem Geltungsdrang, im Jahr 1870 im Auftrag des New York Herald nach Afrika reiste, um den Missionar und Entdecker David Livingstone zu finden, schlug er sich vor Ort nicht alleine durch den Dschungel. Vielmehr bestand seine Expedition aus etwa 200 Personen, von denen nur zwei europäischer Herkunft waren. Es wurden also dutzendweise Afrikaner als Träger, Handlanger, Übersetzer und Bewacher verpflichtet, um die gefährliche Reise überhaupt möglich zu machen (Hamilton J. M., 2009, S. 80; Sullivan, 2013). An diesem Beispiel wird deutlich: Lokale Akteure wurden im globalen Nachrichtengeschäft von Anfang an benötigt und eingesetzt.2 1 | Eine genauere Darstellung der Genese des Auslandsjournalismus als eine »westliche« Praxis findet sich im nächsten Abschnitt (Kapitel: 1.2 »Europa« als Standpunkt in der globalen Nachrichtenindustrie). 2 | Eine Darstellung der Geschichte lokaler Akteure könnte natürlich noch früher beginnen: So kann man die Präsenz von lokalen Helfern allgemein als ein kulturelles Phänomen betrachten, das historisch an ganz verschiedenen Orten immer wieder auftrat, wenn Menschen unterschiedlicher Herkunft aufeinandertrafen. Die Notwendigkeit zu erklären, zu dolmetschen, Kontakte herzustellen, Transport oder Schutz und Versorgung zu gewähren sind ja nicht spezifisch an das System des Auslandsjournalismus oder die koloniale Situation der »Moderne« gebunden. Vielmehr betreffen sie generell Kontaktsituationen zwischen Menschen aus unterschiedlichen Kulturräumen, bürokratischen Regimen (Staaten) oder sozialen Schichten. Die Ursprünge der Tätigkeit von lokalen Akteuren als »vertraute
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Die lokalen Helfer von Henry Morton Stanley wurden wohl zwangsrekrutiert und viele von ihnen überlebten die auferlegten Strapazen nicht.3 Seine Träger soll er persönlich mit einer Peitsche angetrieben haben (Hamilton J. M., 2009, S. 80), während einer späteren Durchquerung des afrikanischen Kontinents im Auftrag des Daily Telegraph 1874 engagierte er gar die Miliz eines berüchtigten Sklavenjägers als Hilfstruppe, um Menschen vor Ort einzuschüchtern, während der Reise kam es zu mehreren Gefechten mit vielen Toten (Reybrouck, 2010/2012, S. 48). In seiner Verachtung der lokalen Bevölkerung gleicht er anderen »weißen Männern«, die im 19. Jahrhundert als Soldaten, Kolonialbeamte, Entdecker, Missionare oder auch als Wissenschaftler die kolonialisierte »Fremde« bereisten. Doch während es bei manchen Kolonialtruppen durchaus ein Bewusstsein dafür gegeben zu haben scheint, dass eine reibungslose Kommunikation der eigenen Herrschaftsausübung zuträglich ist, reduzierte Henry Morton Stanley die Interaktion mit der lokalen Bevölkerung auf ein Minimum.4 Ein solcher extremer »Kolonialjournalismus« kannte keine inhaltliche Kooperation mit lokalen Akteuren, weil er sich keineswegs für die Lebensweise der Menschen vor Ort interessierte, sondern vielmehr die Vorstellungen des »Heimatpublikums« von unzivilisierten »Wilden« befriedigte bzw. im Falle des frühen Agenturjournalismus sich mit Belangen »westlicher« Herrschaft und vor allem mit der Wirtschaft beschäftigte (Minet, 1977, S. 16). Fremde« lässt sich demnach fast beliebig in die Vergangenheit verschieben – so könnte man den mittelalterlichen Berufsstand der Dragomane im Osmanischen Reich als »Ahnen« der lokalen Akteure globaler Nachrichtenindustrie betrachten; diese arbeiteten als sprachkundige Übersetzer, Mittler, Reiseführer und »Aufpasser«, sie entstammten meist der lokalen griechischen Bevölkerung und wurden vom Sultan akkreditiert (Lewis B., 1999). Ich möchte solche Überlegungen in meiner Betrachtung allerdings ausklammern und mich auf lokale Akteure als ein Phänomen der »Moderne« und auf deren Teilhabe an der globalen Nachrichtenindustrie konzentrieren. 3 | Der Vollständigkeit halber sei hier noch angemerkt, dass unter den Opfern der Expedition auch die einzigen »weißen« Begleiter von Henry Morton Stanley waren (Hamilton J. M., 2009, S. 80). 4 | Besser organisiert waren etwa die französischen Truppen Napoleons, die ihre interprètes militaires schon seit dem Feldzug nach Ägypten 1798 teilweise vor Ort rekrutierten und die strategische Kooperation mit lokalen Übersetzern und Mittlerpersonen vorantrieben. Der französische Orientalist Laurent Charles Féraud beschrieb in einem Buch mit dem Titel »Les interprètes de l’armée d’Afrique« (1876) wie Napoleons Armee etwa darauf achtete, die Loyalität des lokalen Übersetzers Elias Pharaon zu belohnen: »A leur tête nous remarquons Elias Pharaon, de Balbek, qui, en récompense des utiles services qu’il nous avait rendus durant la campagne, reçut plus tard le titre de comte Elias, nom sous lequel il est désigné dans l’histoire de Napoléon. Rentré en France avec les débris de notre armée, il lut nommé consul général des Sept Iles, à Marseille, position que la Restauration lui conserva jusqu’à sa retraite« (1876, S. 44).
Gegenstand, Kontext und Durchführung der ethnografischen Studien
Man könnte die Geschichte der Teilhabe lokaler Akteure an der globalen Nach richtenindustrie deshalb auch ganz anders beginnen, wie es Anthony Borden vorschlägt, der Gründer des »Institute for War & Peace Reporting« (IWPR). Er spricht nicht von lokalen Akteuren, sondern verwendet den Begriff »local journalism«, mit dem er die lokale Teilhabe zu fassen versucht: The roots of emerging local journalism can be traced globally […]. But every story needs a beginning, and in a trend as broad and multifaceted as this one, the choice of where to begin the narrative is inevitably subjective […] it was in Yugoslavia that I learned the extraordinary ability and energy of local journalists. It was there, too, that local journalists put themselves on the map to help drive a global movement. (2009, S. 148)
Auch wenn man die genaue Verortung eines (imaginierten) tipping point lokaler Teilhabe am Auslandsjournalismus in der Berichterstattung über die Jugoslawienkriege Anfang der 1990er Jahre tatsächlich hinterfragen kann (worauf ich noch zurückkommen möchte), so stimme ich ihm grundsätzlich zu, dass die lokale Teilhabe an der globalen Nachrichtenindustrie sich in den letzten Jahrzehnten substanziell verstärkt hat. Diese zunehmende lokale Teilhabe vollzieht sich in Zusammenhang mit einem fundamentalen Wandel in der Arbeitsweise global agierender Nachrichtenorganisationen, eine Entwicklung, die ich als »Lokalisierung der globalen Nachrichtenindustrie« bereits in der Einleitung skizziert habe. Um den Charakter dieses Wandels zu verdeutlichen, kann man sich die journalistische Produktion vereinfacht als eine beliebige Warenindustrie vorstellen (was sie natürlich nicht ist) und in diesem Bild würden heute lokale Produkte oder zumindest »Bauteile« lokaler Produktion global vertrieben, während zuvor vor allem die »Rohstoffe« der Nachrichtenindustrie (also die Ereignisse, aber nur spezifische) lokaler Herkunft waren. Mit einiger Sicherheit kann zunächst festgestellt werden, dass sich die lokale Partizipation am Auslandsjournalismus von einer Art »Nullpunkt« der Integration lokaler Akteure, wie er beim »Kolonialjournalismus« à la Henry Morton Stanley im 19. Jahrhundert zu finden ist, zu einer substanziellen Integration im kontemporären Auslandsjournalismus entwickelt hat, bei der lokale Korrespondenten nun in allen Medienformen präsent sind (auch wenn der Integration von lokalen Korrespondenten aus sprachlichen Gründen oft Grenzen gesetzt sind), lokale Positionen von lokalen Akteuren über das Internet ohne die Beteiligung von »ausländischen« Nachrichtenorganisationen weltweit verbreitet werden und reisende Journalisten routiniert ihre lokalen »Fixer« über das Internet buchen, ohne die sie vor Ort meist gar nicht handlungsfähig wären. Die genaue Form und Geschwindigkeit, mit der sich dieser Prozess über mehr als ein Jahrhundert vollzogen hat, ist allerdings nicht ohne Schwierigkeiten nachvollziehbar. Schon der frühe Auslandsjournalismus darf im Umgang mit lokalen Akteuren nicht als monolithisch begriffen werden und Henry Morton Stanley ist mit
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seinen rassistischen Exzessen eher als ein Extrem zu betrachten. Colleen Murell definiert die Tätigkeit eines »Fixers« (für den kontemporären Auslandsjournalismus) wie folgt: Fixers bring to the team local knowledge, translation capabilities, contacts and access to people and places that will affect the kinds of stories that are told and how they are told. They offer a window into how locals perceive the issues that are being reported, and therefore allow reporters to transcend the limitation of being outsiders in foreign lands. (2015, S. 2)
Bereits aus dem 19. Jahrhundert gibt es Hinweise, dass lokale Übersetzer und Helfer genau aus diesem Grund engagiert wurden. So berichtet etwa Januarius Aloysius MacGahan, ein US-amerikanischer Auslandskorrespondent, in seinem Buch »Campaigning on the Oxus and the fall of Khiva« (1874) von seiner Zusammenarbeit mit seinem »Tartar servant« (1874, S. 16) und »interpreter« (1874, S. 30) Ak-Mamatoff sowie weiteren lokalen Helfern. MacGahan, der später vor allem für seine Berichterstattung über Massaker der osmanischen Truppen während des Russisch-Türkischen Krieges in Bulgarien bekannt wurde (Knightley P., 2004, S. 52-54), beschreibt in diesem Buch eine Reise in das Khanat Chiwa im heutigen Usbekistan, wo er über russische Kriegsführung in Zentralasien recherchierte. Große Sympathien scheint er für seinen lokalen Helfer nicht empfunden zu haben: I may as well state here that Mamatoff was a Tartar from Orenburg, who had been recommended to us by Bekchurin, a civilised Tartar in that place in service of the government. He was about fifty-five years old, spoke all the Central Asian languages as well as Russian, but proved to be the most worthless, lazy, thieving, contrary old idiot I could possibly have found. (1874, S. 26)
Trotzdem wird seine Abhängigkeit von Ak-Mamatoff im Bericht von MacGahan immer wieder deutlich. Einmal zwingt er ihn sogar mit vorgehaltenem Revolver die Reise fortzusetzten, weil er nicht auf ihn verzichten möchte (1874, S. 97). Ein anderes Mal trifft er den Khan von Khiva zufällig auf der Straße, doch weil sein Übersetzer in diesem Moment gerade nicht zur Stelle war, verpasste er die Gelegenheit, mit dem lokalen Herrscher zu sprechen (1874, S. 428).5 Der reisende Journalist und Autor Lafcadio Hearn wiederum schildert in seinem Buch »Glimpses of Unfamiliar Japan« (1894), wie er den Alltag und das spirituelle Leben in diesem Land mithilfe des buddhistischen Tempelnovizen Akira erkundete. Er beschreibt den freundschaftlichen Austausch mit einem jungen Mann, der zu seiner »großen Überraschung« (Hearn, 1894/1919, S. 24) ausge5 | Was er dann später mithilfe von Mamatoff offensichtlich nachholen konnte (Fuhlhage, 2014, S. 158-159).
Gegenstand, Kontext und Durchführung der ethnografischen Studien
zeichnet Englisch sprach. Von ihm ließ er sich Türen öffnen, Zusammenhänge erklären und machte ihn zum Bürgen für das, was er über Japan berichtete: »So machte ich mich unter der Führung Akiras auf den Weg. Er sagt, er könne mir mancherlei seltsame Dinge zeigen« (1894/1919, S. 43).6 Betrachtet man die Bedeutung von Akira für die journalistische Arbeit von Lafcadio Hearn, dann fühlt man sich vielleicht an die Praxis von professionellen Reisenden einer anderen Disziplin erinnert. Ab dem späten 19. Jahrhundert versuchten nämlich auch reisende Ethnologen durch die Kooperation mit lokalen Informanten, »Gewährsleuten« bzw. bezahlten Forschungsassistenten vor Ort die Auseinandersetzung mit einer »fremden Kultur« auf eine empirische Basis jenseits der Sammlung von Objekten zu stellen.7 Sie können als die eigentlichen Pioniere einer systematischen inhaltlichen Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren betrachtet werden.8 Die Arbeitsbeziehungen zwischen Informanten und Ethnologen waren eng und komplex ausgeformt: so arbeitete Franz Boas in Kanada ab 1888 für Jahrzehnte mit einem lokalen Partner namens George Hunt, den er teilweise als Co-Autor seiner Veröffentlichungen aufführt (Sanjek, 1993, S. 13).9 Ebenso der britische Ethnologe Gabriel Seligman, der 1904 malinesische Traditionen in Papua-Neuguinea mithilfe des gelehrten Indigenen Ahuia Ova erforschte (Sanjek, 1993, S. 13).10 Ein Blick in das persönliche Tagebuch des Ethnologen Bronisław Malinowski zeigt allerdings, dass der Umgang mit lokalen Helfern auch bei den Ethnologen nicht immer auf Augenhöhe erfolgen musste. So beschäftigte dieser während 6 | Lokale Helfer bzw. »Aufpasser« haben in Japan eine lange Tradition. Ulf Hannerz berichtet in »Foreign News« von »gaijin handlers« (»gaijin« ist die mit negativen Konnotationen belastete Bezeichnung für »westliche« Fremde in Japan), die offensichtlich bis heute eine wichtige Bedeutung für die Japanberichterstattung haben (2004, S. 86). 7 | Bis heute arbeiten Ethnologinnen und Ethnologen ähnlich wie Journalisten mit bezahlten lokalen Helfern. Mehrere meiner Gesprächspartner, die in Indien als »Fixer« tätig waren, haben mir im Forschungsinterview berichtet, dass sie bereits für Ethnologinnen oder Ethnologen gearbeitet hätten. 8 | Über die grundsätzlichen Ähnlichkeiten zwischen journalistischer und ethnografischer Praxis schrieb Ulf Hannerz: »Like anthropologists, news media foreign correspondents report from one part of the world to another. We share the condition of being in a transnational contact zone, engaged there in reporting, representing translating, interpreting – generally, managing meaning across distances, although (in part, at least) with different interests, under different constraints« (2004, S. 3). Auch wenn er sich dabei auf kontemporäre Praxis bezieht, lässt sich die Analogie zweifellos auch auf eine Ähnlichkeit der Bemühungen früher Auslandskorrespondenten und früher Ethnologen übertragen. 9 | George Hunt hatte sowohl indigene als auch europäische Vorfahren und wurde deshalb meist als sogenannter »metis« bezeichnet (Sanjek, 1993, S. 13). 10 | Ahuia Ova arbeitete Anfang des 20. Jahrhunderts gleich mit einer Reihe weiterer »westlicher« Ethnologen zusammen. Gemeinsam mit F.E. Williams veröffentlichte er 1939 seine Autobiografie »The Reminiscenses of Ahuia Ova« (Sanjek, 1993, S. 13).
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seiner Feldforschung auf den Trobiand Inseln 1917 einen lokalen Helfer namens »Ginger«, über den er, nach seinen eigenen Aufzeichnungen zu schließen, mit deutlicher Herablassung verfügte und den er sogar mit Schlägen traktierte.11 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts finden sich dann Hinweise auf eine inhaltliche Teilhabe von lokalen Akteuren an der journalistischen Berichterstattung. John Maxwell Hamilton präsentiert in »Journalism’s roving eye« (2009) ein internes Bulletin der Nachrichtenagentur AP aus dem Jahre 1912, in dem ein aus den USA entsandter Korrespondent (der von Hamilton nicht weiter benannt wird) die Schwierigkeiten beschreibt, die sich für das AP-Büro in Ciudad Mexico aus der Beschäftigung eines lokalen Korrespondenten in der Provinz Sinaloa ergaben: He was given explicit instructions as to the class of matter wanted, and particularly warned against sending anything in the nature of propaganda for any political fraction or party. In due time this correspondent began filing matter from various points in Sinaloa which at first appeared to be legitimate accounts of clashes between Maderista rurales and insurrectos against the Madero government. Later his despatches [!] aroused suspicion by taking on a viciously partisan tone, and from the fact that notes were appended asking that they be passed along to a certain cabinet minister. (Zitiert nach Hamilton J. M., 2009, S. 63)
Auch wenn die Zusammenarbeit aufgrund des offensichtlich unterschiedlichen Verständnisses von Journalismus nicht reibungslos funktionierte, so zeigt das Beispiel doch bereits ein gewisses Maß an Integration. Lokale Mitarbeiter wurden von der AP offensichtlich bereits damals selbstverantwortlich mit der Berichterstattung über eine Region betraut. Hinreichend belegt erscheint mir damit insgesamt nicht nur die Präsenz von lokalen Akteuren seit den Anfängen der globalen Nachrichtenindustrie, sondern auch die Rollen, in denen sie am Auslandsjournalismus teilhaben: Fast von Anfang an arbeiteten lokale Akteure demnach einerseits als unabhängige Assistenten für reisende Journalisten und Nachrichtenorganisationen (d.h. wie die heutigen »Fixer«) oder sie beteiligten sich andererseits als unabhängige lokale Korrespondenten inhaltlich an der Berichterstattung (eine lokale Partizipationsform, deren 11 | Er berichtet im Tagebuch, dass er einen lokalen Helfer mit dem Namen »Ginger« engagierte, den er mit dem kolonialen »boy« betitelte: »Morgens kam Ginger, ich sprach mit ihm, handelte mit ihm; angeheuert« (Malinowski, 1917/2003, S. 111). Sein »boy« half ihm nicht nur bei der Feldforschung, sondern musste ihm auch den Haushalt besorgen. So hält Bronisław Malinowski fest, dass »Ginger sauber machte« (1917/2003, S. 114), er notiert: »Ginger macht mein Bett« (1917/2003, S. 130) und beschwert sich, dass dieser »ohne eine Erlaubnis fortgegangen war« (1917/2003, S. 120). Er schlug ihn nach eigenen Angaben auch »ein paarmal auf die Backe« (1917/2003, S. 220). Dass Bronisław Malinowski hier herausgegriffen wird, liegt vor allem an seinem »schonungslosen« Tagebuchstil: Er dokumentierte, was andere vielleicht verschwiegen haben.
Gegenstand, Kontext und Durchführung der ethnografischen Studien
Akteure heute oft als lokale »Stringer« bezeichnet werden). Doch die weitere Entwicklung der Partizipation und Integration lokaler Akteure kann für viele Jahre weiterhin nur durch ein Umkreisen von ähnlich fragmentarischen Hinweisen beleuchtet werden, wie sie hier bereits präsentiert wurden.12 Denn seit den Anfängen des modernen Auslandsjournalismus im 19. Jahrhundert bis ins Jahr 1980, als ein Buch des New York Times-Korrespondenten Sydney Schanberg mit dem Titel »Death and Life of Dith Pran« über seinen lokalen Assistenten in Kambodscha erschien, hat sich meines Wissens nach niemand spezifisch mit dem Phänomen der lokalen Akteure globaler Nachrichtenindustrie auseinandergesetzt.13 *** Um diesem »Quellennotstand« zu begegnen, habe ich für meine Studien unter anderem Gesprächspartner ausgewählt, mit denen ich als »Zeitzeugen« über den Ablauf von journalistischen Kooperationen sprechen konnte, etwa während des Vietnamkriegs. Aber um zu verstehen, warum sich niemand für lokale Akteure globaler Nachrichtenindustrie zu interessieren schien, ist es zunächst hilfreich, die Frage nach der Entwicklung lokaler Partizipation am Auslandsjournalismus zu »übersetzen«. Denn erst mit dem Begriff des »Fixers«, der sich nach meiner Einschätzung ebenfalls in den 1980ern etabliert hat, vermutlich gemeinsam mit der spezialisierten Tätigkeit des »Fixers« für »westliche« Nachrichtenorganisati12 | So finden sich weiterhin Hinweise in Erinnerungsbüchern von Journalisten, etwa in »House of Europe« (1945), den Memoiren des US-amerikanischen Auslandskorrespondenten Paul Scott Mowrer. Darin beschreibt er ausführlich seine Suche nach einem geeigneten lokalen Helfer in Marokko in den 1920ern. Er entschied sich schließlich für einen Mann namens »Si Mohammed«, der ihn für sein assignment im Auftrag der Daily News aus Chicago zu den »Berber-Guerilleros« führte, die im Rifkrieg gegen spanische und französische Kolonialtruppen kämpften (1945, S. 447-455). 13 | Lohnend für weitere Forschungsbemühungen wären aus meiner Sicht weitere Recherchen in verschiedenen lokalen Sprachen und außerdem Recherchen in den Archiven von Nachrichtenorganisationen. Der Journalismusforscher und ehemalige AP-Ausland�� skorrespondent Mort Rosenblum differenziert in einem Artikel für Foreign Affairs 1977 das damalige lokale Personal der Nachrichtenagentur AP von den US-amerikanischen Beschäftigten: »It has about 80 US-based correspondents and bureau chiefs who are rotated among its overseas offices; it also has another 750 locally hired support personnel who assist the correspondents or who operate on their own in foreign bureaus unassisted by correspondents assigned from New York. Additionally, there are scores of ›stringers‹, part-time reporters with other jobs, who might contribute fewer then a half-dozen stories a year from the smaller capitals and cities« (Reporting from the third world, S. 817-818). Rosenblum macht (wie bei Foreign Affairs üblich) keine genauen Angaben über seine Quellen, aber offensichtlich hatte er die Möglichkeit, lokale Akteure auf diese Art und Weise zu identifizieren.
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onen, wurde durch die Verknüpfung von Person und Lokalität ein Sprechen über lokale Akteure überhaupt erst möglich, ohne dabei für die lokale »Markierung« auf problematischere Identitätskonzepte wie Nationalität, Hautfarbe, soziale Herkunft, Ethnie etc. zurückzugreifen. Mit dem Begriff »Stringer«14 existierte zwar bereits zuvor eine de facto-Bezeichnung für lokale Akteure. Diese ist aber von ambigem Charakter und bezieht sich nicht zwingend auf lokale Akteure. Im »Handbook of Journalism« der Nachrichtenagentur Reuters wird der Einsatz von »Stringern« wie folgt beschrieben: Reuters, like many news organisations, uses freelance journalists to supplement its network of staff journalists. We use ›stringers‹ in places where the flow of news is not sufficient to justify the presence of a staff correspondent, in countries where the authorities may not allow Reuters to assign a staff journalist or to cover stories of a specialist nature when we do not have the necessary expertise among our own staff. We also occasionally use ad-hoc stringers for individual stories and assignments. (Reuters, o.D.-a)
Hier findet sich der Bezug auf ein freies Beschäftigungsverhältnis und auf eine spezifische Lokalität, nämlich »places where the flow of news is not sufficient« bzw. »where the authorities may not allow Reuters to assign a staff journalist« (Reuters, o.D.-a), also auf Regionen mit Zugangsschwierigkeiten, die in der Praxis hauptsächlich von lokalen Akteuren abgedeckt werden. Auf eine spezifisch lokale »Identität« des Korrespondenten wird dagegen nicht direkt verwiesen. Tatsächlich können sowohl reisende Journalisten als auch lokale Akteure »Stringer« sein, die eigene Inhalte produzieren, während andersherum lokale Akteure in der Rolle des Korrespondenten traditionell als »Stringer« (oder »lokale Stringer«) beschäftigt wurden. 14 | Über die genaue Herkunft des Wortes gibt es unterschiedliche Theorien, in der »Encyclopedia of Journalism« findet sich folgender Eintrag: »[…] an untraceable urban legend has it that such writers used string to measure and bill for their accumulated work, while the online Oxford English Dictionary attributes the term to the figurative saying ›one who strings words together.‹ The usage grew in the 1950s, especially as applied to photographers and foreign correspondents […]« (Polumbaum, 2009, S. 644). Mark Pedelty wiederum versteht den Begriff im Kontext einer »language of team competition« (1995, S. 78), einer hierarchischen Konkurrenz zwischen dem von ihm so bezeichneten »stringer« und »staff correspondent«: »Stringers are reporters who sell articles, radio pieces, and photos to a number of news organizations or ›strings‹. […] Stringers harbor a great deal of animosity towards staff correspondents« (1995, S. 69). Die meisten »Stringer«, mit denen er in El Salvador gesprochen hat, stammen aus Nordamerika, einige waren lokale Journalisten. Da »Stringer« im Gegensatz zu den »staff correspondent« immer vor Ort seien, so Mark Pedelty, würden sie die »staff correspondents« als uninformiert und beeinflussbar empfinden und sich zudem ausgenutzt fühlen, da sie den Korrespondenten bei Besuchen zuarbeiten müssten.
Gegenstand, Kontext und Durchführung der ethnografischen Studien
Die frühste mir bekannte Verwendung des Begriffs »Stringer« stammt von 1947 aus einem Artikel, der in einer Serie mit dem Titel »Behind the Iron Curtain« in der Pittsburg Post-Gazette gedruckt wurde, in dem die Autoren ein Informationsdefizit über Osteuropa beklagen und dafür teilweise die fehlende Präsenz von »American correspondents« in der Region verantwortlich machen, so gab es scheinbar keinen Korrespondenten in Bulgarien: Instead the major American news agencies employ local ›stringers‹ – they are paid 50$ a month – who are afraid to send stories about anything that is not officially announced or approved. Being Bulgarians, they cannot enjoy the protection of American citizenship if they write something which annoys the government. (Kerr, Russell, Hill, & William, 1947, S. 13)
Als Journalisten entlehnen sie den Begriff »Stringer« dabei sicherlich dem bereits damals üblichen Gebrauch in der globalen Nachrichtenindustrie, der damit mindestens seit den 1940ern etabliert war. Der Einsatz von »Stringern« wurde offensichtlich als ein notwendiges Übel begriffen, um eine Berichterstattung in Regionen mit besonderen Zugangsschwierigkeiten für reisende Journalisten zu ermöglichen.15 In einer nur wenige Jahre später erschienenen UNESCO-Studie (der für Kommunikationsmedien zuständigen UN-Organisation) mit dem Titel »News ����� Agencies. Their Structure and Operation« (1953), die mit dem Ziel durchgeführt wurde: »to study the problems involved in the transmission of news and the informing of public opinion« (1953, S. 7), wird der Begriff »Stringer« ebenfalls verwendet, um lokale Korrespondenten verschiedener Nachrichtenagenturen weltweit zu bezeichnen (UNESCO, 1953, S. 45, 49, 50, 52 etc.). Als »conclusion« verweist die Studie auf die unzureichende Integration von lokalen Akteuren in die Strukturen der internationalen Nachrichtenagenturen: Their capital, their directors and chief executives, the majority of the staff they employ, are from the United States, British, French or Russian as the case may be. The news they collect and distribute is chosen, written up and presented almost entirely by United States, British, French or Russian journalists. No newspaper, no broadcasting station anywhere in the world, can obtain news on world events except as seen, selected and edited by these men and women. And however impartial they may be, however strictly they may comply with the professional code of ethics, they will inevitably judge and present news from the viewpoint of the country of which they are citizens. (UNESCO, 1953, S. 200) 15 | Die Sorge der Autoren des Artikels gleicht sowohl den Befürchtungen, wie sie Jerry Palmer und Victoria Fontan 60 Jahre später gegenüber dem Einsatz von »Fixern« bei der Berichterstattung über den irakischen Bürgerkrieg äußerten (2007) als auch den Schwierigkeiten mit lokalen Korrespondenten, von denen der zuvor zitierte AP-Korrespondent in Ciudad Mexico Anfang des 20. Jahrhunderts berichtet hatte (Hamilton J. M., 2009, S. 63).
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Es erscheine ihnen paradox, so die Autoren der Studie, dass sich in einer Zeit der zunehmenden internationalen Kooperation gerade das »field of information« (UNESCO, 1953, S. 200) in eine völlig andere Richtung entwickeln würde. Die Frage einer lokalen Partizipation am Auslandsjournalismus bzw. einer lokalen Teilhabe an der globalen Nachrichtenindustrie wurde damals also durchaus reflektiert. Diese wurde aber in Zusammenhang mit einem vermuteten Machtgefälle zwischen den Ländern des »Nordens« und des »Südens« bzw. zwischen dem »Westen« und dem Rest der Welt gestellt. Statt auf der Ebene individueller Akteure erfolgte die Auseinandersetzung mit lokaler Teilhabe also eher in Hinblick auf einen abstrakten »Informationsfluss«, auf institutionelle Strukturen der globalen Nachrichtenindustrie, auf Bemühungen um Dekolonisierung oder den Nationalstaat. Außerdem erfolgte eine Auseinandersetzung mit lokaler Teilhabe auf Basis einer Betrachtung der produzierten Nachrichteninhalte. Diese Auseinandersetzung wurde nicht nur auf dem Parkett internationaler Organisationen geführt, mindestens seit den 1960er Jahren machten auch Wissenschaftler auf das Problem eines ungleichen »Informationsflusses« bzw. die unzureichende Repräsentation von lokalen Positionen aus ärmeren Ländern in »westlichen« Massenmedien aufmerksam (Galtung & Ruge, 1965; Varis, 1974; Östgaard, 1965; Schiller, 1974; Schramm, 1964; Harris P., 1974). Eine praktische Intervention erfolgte 1964 durch die Medienaktivisten und Journalisten Roberto Savio und Pablo Piacentini, als sie bei Bonn den Inter Press Service (IPS) gründeten, eine alternative Nachrichtenagentur. In seinem Buch »The Journalists Who Turned the World Upside Down« (2012) erinnert sich Roberto Savio an diese Zeit: […] we argued that there was an information imbalance in favour of the North, and that we intended to establish a service produced in the South, to offer a perspective on political, economic and cultural processes from the point of view of those countries (S. 35).
Während in den internationalen Nachrichtenagenturen damals vor allem »westliche« Journalisten tätig waren (bzw. Journalisten aus dem »Norden«), die über »Entwicklungsländer« berichteten, wurde der IPS genau andersherum organisiert: Hier arbeiteten lokale Korrespondenten, deren Meldungen und Artikel weltweit verbreitet wurden. Die etablierten »westlichen« Nachrichtenorganisationen (besonders AP) beobachteten den IPS zunächst äußerst misstrauisch und zeigten kein Verständnis für die Motive einer solchen Unternehmung, sogar das US-State Department und die CIA ermittelten (Savio, 2012, S. 63-66).16 Roberto Savio spricht von vielen emotionalen Debatten, die er mit Politikern, Diplomaten, aber auch mit Journalisten geführt habe. Argumentiert wurde dabei offensichtlich häufig mit einer univer-
16 | Der IPS wurde aber ebenfalls beschuldigt eine geheime Einrichtung des CIA zu sein (Savio, 2012, S. 41).
Gegenstand, Kontext und Durchführung der ethnografischen Studien
sell vorausgesetzten Gültigkeit journalistischer Informationen. So habe sich ein AFP-Redakteur wie folgt geäußert: What is true in Paris is also true in Timbuktu. Therefore, a French journalist can write from Timbuktu without any problem: actually, he will write better than an African journalistst. So the idea of IPS is anti-professional […]. (zitiert nach Savio, 2012, S. 35)
Bis heute setzt der IPS auf diesen »anti-professionellen« Ansatz und arbeitet in über hundert Ländern weltweit weiterhin vorwiegend mit lokalen Korrespondenten.17 Nachdem der IPS einen »lokalisierten« Auslandsjournalismus bereits ein Jahrzehnt in der Praxis erprobt hatte, beschloss die »Bewegung der Blockfreien Staaten« 1976 bei einem Symposium in Tunis, sich auf Regierungsebene der Dekolonisierung internationaler Nachrichtenberichterstattung anzunehmen und sich bei den Vereinten Nationen für eine »new international information order« einzusetzten (MacBride & Roach, 1993). Etwa 60 dieser Staaten gründeten auf dem Gipfeltreffen in Colombo im selben Jahr den »Non-Aligned News Agencies Pool« (NANAP) – mit dem Ziel, eine journalistische Kooperation und den Austausch zwischen den nationalen Nachrichtenagenturen der beteiligten Staaten zu fördern (Minet, 1977, S. 173).18 Indira Gandhi, damals Premierministerin Indiens, soll auf dem Gipfel gesagt haben: »We want to hear Africans on events in Africa. You should similary be able to get an Indian explanation of events in India« (zitiert nach Rosenblum, 1977). Das war sicherlich ein legitimes Anliegen, doch wenn man gleichzeitig ihren repressiven Umgang mit der indischen Presse während des damaligen Ausnahmezustands in Indien betrachtet, dann erscheint es mir auch verständlich, warum diese Intervention von Staatsoberhäuptern in die globale Nachrichtenindustrie von den etablierten Nachrichtenorganisationen mit Skepsis aufgenommen wurde.19 17 | Um mehr über die Arbeit und Tradition des IPS zu erfahren, habe ich mit dem damaligen Generaldirektor der Organisation Ramesh Jaura ein Forschungsinterview geführt (Kapitel: 2.3 Wandel und Technologie). 18 | Eine Schlüsselrolle im NANAP hatte die jugoslawische Nachrichtenagentur »Tanjug« inne, die den Pool organisierte und teilweise auch finanzierte. Mit dem Tod Titos 1980 und dem Krieg zwischen den Non-Aligned-Ländern Iran und Irak verlor NANAP allerdings massiv an Fürsprechern und Glaubwürdigkeit. »Westliche« Nachrichtenorganisationen sahen den Pool als Sprachrohr autokratischer Regime. Der NANAP wurde unter iranischer Führung bis in die 1990er Jahre weitergeführt, dann bis 2005 unter malaysischer Führung und wurde anschließend in das »Non-Aligned Movement News Network« (NNN) als Sprachrohr der blockfreien Staaten umgewandelt, das auch noch heute existiert (Crain, 2011). 19 | Im Jahre 1975 hatte Indira Gandhi in Indien den Ausnahmezustand ausgerufen, welcher die Freiheitsrechte der Presse bis 1977 massiv einschränkte. Nach Ansicht des
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Bei der UNESCO-Konferenz 1978 in Paris kam es zur Konfrontation zwischen Gegnern und Befürwortern einer Neuordnung des globalen Nachrichtengeschäftes. Stein des Anstoßes war eine Änderung der UNESCO-Prinzipien, welche die »Entwicklungsländer« gemeinsam mit den Ostblock-Ländern forderten und schließlich auch durchsetzen konnten: Das Ziel der UN, den »free flow« von Informationen sicherzustellen, wurde ersetzt durch ein »free flow and wider and more balanced dissemination of information« (UNESCO, 1978), was von den »westlichen« Nachrichtenorganisationen wiederum als Attacke auf die Pressefreiheit verstanden wurde. Wie erbittert die Auseinandersetzung geführt wurde, zeigt ein zeitgenössischer Zeitungskommentar, den George Beebe, Herausgeber des Miami Herald und damaliger Vorsitzender des World Press Freedom Committee (WPFC) nach dem Besuch der entscheidenden UNESCO-Konferenz verfasst hat:20 What was billed as a conference on the ›Free and Balanced Flow of Information‹ largely was a series of attacks on the U.S. news agencies and the Western media. This was led by the Communist and leftist who exert great influence on the UNESCO. Two of the three position papers prepared for the conference by UNESCO officials, were biased against the West […] The Associated Press, United Press International and other Western news agencies conceded that there is an imbalance of news in the Third World, but blamed it to a degree on the difficulty of finding dependable native correspondents […]. (Beebe, 1977)
Die Rolle des WPFC in der internationalen Debatte um eine »new international information order« war es, nach Einschätzung von Roberto Savio, mit Fundamentalopposition die »westlichen« Nachrichtenorganisationen gegen jegliche überstaatliche Regulierung zu verteidigen und so deren Vormachtstellung zu bewahren (Savio, 2012, S. 60-61). Der vorläufige Höhepunkt dieser Konfrontation wurde mit der Veröffentlichung des sogenannten »MacBride report« erreicht, den der irische Friedensnobelpreisträger Sean MacBride mit einer Kommission im Auftrag der UNESCO zusammengetragen hatte und 1980 unter dem Titel »Many Voices, one World« in Belgrad vorstellte (MacBride & Roach, 1993, S. 287). Erneut wurde die geringe lokale Partizipation im System der globalen Nachrichtenindustrie kritisiert: The problems raised by the one-way information flow and by the existence of monopolistic and oligopolistic trends in international flows […] have been widely discussed in Kulturwissenschaftlers Adrian Athique ging die Repression so weit, dass die Maßnahmen die Medienkontrolle der britischen Kolonialverwaltung vergleichsweise liberal erscheinen ließen (Athique, 2012, S. 40). 20 | Auf diese interessante zeitgenössische Positionierung des WPFC zur Frage der lokalen Teilhabe am Auslandsjournalismus bin ich durch Mort Rosenblum aufmerksam geworden, der in seinem Artikel ebenfalls aus dem Kommentar von George Beebe zitiert (Rosenblum, 1977, S. 831).
Gegenstand, Kontext und Durchführung der ethnografischen Studien many international instances, gatherings and seminars. It has been frequently stated, in particular, that dew to the fact that the content of information is largely produced by the main developed countries, the image of the developing countries is frequently false and distorted. More serious still, according to some vigorous critics, is the false image, harmful to their inner balance, which is presented to the developing countries themselves. (UNESCO, 1980, S. 37)
Erwartungsgemäß wurde der Bericht von den großen globalen Nachrichtenorganisationen mit Ablehnung aufgenommen, er sorgte außerdem für internationale diplomatische Verwerfungen. So war »Many Voices, one World« wahrscheinlich ein Grund für den (vorübergehenden) Austritt der USA (1984) sowie Großbritanniens (1985) aus der UNESCO (Boyd-Barrett, 2009; Gwertzman, 1983). Jahrzehnte nach dieser Auseinandersetzung um eine »new international information order« hält IPS-Gründer Roberto Savio den Versuch gescheitert, durch überstaatliche Maßnahmen mehr lokale Partizipation in der globalen Nachrichtenindustrie herzustellen. Heute gebe es zwar tatsächlich eine neue globale Informationsordnung, allerdings sei das eine: »New International Market Information Order (NIMIO). The NIMIO has defeated all the actors of this debate but a few: three of the large transnational agencies – AP, AFP and Reuters – have survived« (Savio, 2012, S. 70). ���������������������������������������������������������������� Ehemals wichtige Organisationen wie UPI seien fast in der Bedeutungslosigkeit verschwunden, schreibt er, genauso wie die russische TASS.21 Die wenigen übriggebliebenen Agenturen der »Entwicklungsländer« hätten wenig Einfluss, während die Nachrichtenorganisationen aus aufsteigenden Staaten wie Indien und China trotz massiver Investitionen wenig Verbreitung finden würden: »The press is becoming concentrated in the hands of a small number of very rich owners, who are certainly bent on using their power to persue their own personal agendas.« (Savio, 2012, S. 70). Anthony Borden vom IWPR dagegen spricht von lokalen Akteuren als »local heros« (Bordon, 2009) und scheint zu einer ganz anderen Einschätzung der lokalen Partizipation an der Berichterstattung zu kommen: »Even in countries experiencing the most severe of crisis and violence, there is a journalistic explosion,« schreibt er enthusiastisch und sieht einen fundamentalen Wandel in der Art und Weise,
21 | Allerdings ist hier auf den bemerkenswerten Bedeutungsgewinn des kremelnahen Senders Russia Today (RT) zu verweisen. Der RT-Aussteiger Peter Pomerantsev ist der Ansicht, der internationale Erfolg von RT liege gerade darin, den einseitigen Standpunkt »westlicher« Nachrichtenmedien mit einer »Gegenrealität« aufzubrechen (2014). In einem Artikel für Foreign Policy (2015) erweitert er diese Überlegungen auf andere Länder wie Syrien, die Türkei, China und Venezuela. Er argumentiert, dass es bei den oft völlig abstrusen Behauptungen und Darstellungen von Staatsmedien oder von staatsnahen Massenmedien in diesen Ländern nicht darum gehe, eine tatsächlich glaubwürdige Alternative zu bieten, sondern darum, Verwirrung zu stiften und zu unterhalten.
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wie lokale Akteure am Auslandsjournalismus und internationaler medialer Kommunikation partizipieren: New talent, new institutions, entirely new mentalities of how to communicate within and abroad about countries in transition are transforming the media landscape in Africa, Asia and elsewhere, and even beginning to take up the slack in – if certainly not as yet to replace – international coverage by the established western media. […] local journalism is establishing itself as an increasingly reliable, responsible and indeed creative new force. Even struggling under the worst of circumstances, from bad economies to harsh dictatorships – or in some cases perhaps striving only harder because of them – local media is making a difference. (Bordon, 2009, S. 147)
Doch nur auf den ersten Blick widersprechen sich beide Einschätzungen. Tatsächlich bin ich der Auffassung, dass sie (auf jeweils extreme Weise) verschiedene Aspekte des kontemporären Wandels in der globalen Nachrichtenindustrie adäquat zum Ausdruck bringen. Lokale Akteure werden innerhalb der »westlich« ausgerichteten globalen Nachr ichtenorganisationen wichtiger und gerade deren Konzentration und wirtschaftliche Optimierung sowie die Abwesenheit von global relevanten Nachrichtenorganisationen aus dem ehemals kolonialen »Süden« (sieht man von Al Jazeera aus dem zuvor britischen Protektorat Katar ab) fördert diese Entwicklung. Gleichzeitig partizipieren lokale Akteure aber auch an neuen Formen des Auslandsjournalismus, der außerhalb der konventionellen Nachrichtenorganisationen stattfindet.22 Mediennutzer im »Westen« können also eine Konzentration auf wenige Quellen beobachten, dieselben Informationen und Bilder zirkulieren in fast allen Massenmedien. Gleichzeitig steht den Mediennutzern in manchen Fällen (aber keineswegs in allen) eine kaum überschaubare Masse an alternativen lokalen Quellen zur Verfügung, die über Blogs, lokale Medien, Videoplattformen oder soziale Netzwerke global verbreitet werden. Ich habe bereits erwähnt, dass Anthony Borden vorgeschlagen hat, die Jugoslawienkriege als eine Art tipping point zu betrachten, an dem lokale Akteure bei der Berichterstattung zum ersten Mal von Journalisten als Partner ernst und von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen wurden.23 Tatsächlich scheinen die 22 | Alternative Formen des Auslandsjournalismus haben sich natürlich vor allem im Zuge der späteren Internetkommunikation entfaltet. Die Organisationen Global Voices sowie Video Volunteers möchte ich in den Studien näher vorstellen. Mit dem IPS berücksichtige ich ein frühes Beispiel für alternativen Auslandsjournalismus. 23 | Die besondere Bedeutung der Arbeit lokaler Korrespondenten während der Jugosla wienkriege beschreibt er wie folgt: »While they were not able to reach and influence a mass audience at home, their publications and their personal efforts […] assisting the Western media in every possible way, made a difference. With so much misinformation and confusion […] the local independent media in the Balkans played a vital role directly
Gegenstand, Kontext und Durchführung der ethnografischen Studien
Herausforderungen und Unwägbarkeiten der Jugoslawienkriege in den 1990er Jahren für den oft ahnungslosen reisenden Journalisten eine besonders intensive und exponierte Form der Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren notwendig gemacht zu haben.24 Doch auch zuvor wurden lokale Akteure auf ähnliche Weise sichtbar, am kontinuierlichsten vielleicht im israelisch-palästinensischen Konflikt. »In Jerusalem, News Service Run by Arabs«, titelte etwa die New York Times während der ersten Intifada in einem Porträt des bereits 1977 von Raymonda Tawil gegründeten Palestine Press Service: Time and again Palestine Press Services, a tiny news agency owned and operated by Palestinians, broke the stories about shootings or flareups of rioting all over the West Bank and the Gaza Strip. Western and Israeli news reporters both relied on their bulletins to keep abreast of the fast-breaking story. (Friedman, 1987)
Auch der langjährige Israelkorrespondent Jim Lederman beschreibt in »Battle Lines. The American Media and The Intifada« (1991), wie junge Palästinenser während der ersten Intifada 1987 als »translator, guardian, spokesperson, interviewee, and tour guide« (1991, S. 143) agierten und lokale Positionen erfolgreich in die »westlichen« Medien trugen.25 Ich gehe davon aus, dass lokale Akteure ab den 1970er/1980er Jahren in der globalen Nachrichtenindustrie an Bedeutung und Sichtbarkeit gewannen.26 Als and indirectly in helping explain the conflict to the rest of the world« (Bordon, 2009, S. 150). 24 | So bezeichnet Martin Bell, der als BBC-Kriegsreporter unter anderen in Bosnien gearbeitet hat (und von dem auch im nächsten Abschnitt in Zusammenhang mit dem von ihm propagierten »journalism of attachment« noch weiter die Rede sein wird), die lokale Kontaktperson in seinen Memoiren von 1995 als »most important member of any TV team in an unfamiliar war zone« (1995, S. 85). Ulf Hannerz (2004, S. 155) betont die bisher beispiellosen Verdienstmöglichkeiten für lokale »Fixer« im Balkankonflikt sowie die gleichzeitig bestehenden großen Gefahren. Drew Sullivan (2013) berichtet von Aida Cerkez, einer bosnischen Armeeübersetzerin, die zuerst als »Fixer« arbeitete und am Ende des Krieges AP-Bürochefin wurde. Colleen Murrell (2015, S. 100-101) wiederum berichtet von Pranvera Smith, eine ihrer Informantinnen, die aus dem Kosovo stammt und während des Krieges auf der Straße als Übersetzerin für einen Dreh angeheuert wurde, weil sie Englisch sprach. Nur wenig später arbeitete sie regelmäßig für die BBC. 25 | Zu ihrem Erfolg soll auch beigetragen haben, dass sie ein viel besseres Verhältnis zu den »westlichen« Journalisten entwickelten als die israelische Seite, die damals statt auf gute Beziehungen vor allem auf Zensur und Informationsblockaden setzte (Lederman, 1991, S. 143). 26 | Es sei an dieser Stelle ausdrücklich darauf verwiesen, dass natürlich bereits eine längere Tradition des institutionellen Austausches und der Kooperation zwischen globalen Nachrichtenorganisationen aus den Ländern des »Nordens« und lokalen Nachrichten-
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Sydney Schanberg 1976 den Pulitzerpreis für seine Berichterstattung über den Einmarsch der Roten Khmer in Phnom Penh erhielt, nahm er diesen für sich und seinen Assistenten Dith Pran entgegen.27 Wenige Jahre später (1980) veröffentlichte er sein bereits erwähntes Erinnerungsbuch, mit dem er den zuvor fast unsichtbaren lokalen Akteuren zum ersten Mal ein individuelles Gesicht gab.28 Ohne den genauen Zeitpunkt und Ort bestimmen zu können, war es vermutlich ebenfalls in den 1980er Jahren, dass reisende Journalisten dazu übergingen, ihre lokalen Assistenten als »Fixer« zu bezeichnen.
organisationen des »Südens« bestand. Bereits der UNESCO-Bericht von 1953 zeigt einen hohen Grad an institutioneller Verflechtung, das etwa über den Austausch von Nachrichteninhalten funktionierte (UNESCO, 1953, S. 20-22). Der Medienhistoriker Gerd-Walter Minet berichtete in den 1970ern von einem Programm der dpa: »Eine nicht zu unterschätzende Rolle im Wettbewerb um die Nachrichtenverbreitung in der Dritten Welt spielt die fachliche Ausbildung junger Journalisten und Techniker aus den Entwicklungsländern sowie der Erfahrungsaustausch mit Nachrichtenredakteuren. Ausbildung- und Aufbauhilfen werden von Agenturen aus West und Ost gewährt. Die dpa berichtet darüber. Danach erhielten Agenturen in Asien, Afrika und Lateinamerika, Starthilfe und Hospitanten konnten ihre Ausbildung in Hamburg vervollständigen sowie die dort angewandten Fernschreiber- und Funktechniken kennenlernen« (Minet, 1977, S. 153). Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten (sowie Nichtregierungsorganisationen) engagieren sich ebenfalls in dieser »Medienentwicklungszusammenarbeit«, so trainiert die Deutsche Welle Akademie (damals Deutsche Welle Ausbildungszentrum) der ARD schon seit 1965 lokale Journalisten in Asien, Afrika und Lateinamerika, die aber meist nicht in das Programm der DW eingegliedert wurden (DW-Akademie, o.D.-b). 27 | Der nicht anwesend war, weil er sich damals in Kambodscha vor den Roten Khmer versteckte. Sydney Schanberg selbst gibt an, den Preis für »international reporting« 1975 bekommen zu haben (1980/1985, S. 40), doch das Archiv des Pulitzerpreises führt ihn im Jahr 1976 als Gewinner. 28 | Genauso wie die Veröffentlichung des »MacBride report« (1980), der als umfangreicher Kommissionsbericht eine globale Perspektive aufzeigt, verstehe ich auch das schmale persönliche Buch von Sydney Schanberg als Artikulation der Ungleichheit in den internationalen medialen Beziehungen. Ausgehend von diesen beiden Büchern könnte man den Diskurs noch weiter öffnen. Hinzufügen könnte man beispielsweise auch »Orientalism« (1978) und »Covering Islam« (1981) von Edward Said, in denen er die Schichtungen untersucht, die sich in Jahrhunderten der »westlichen« Machtausübung über »westliche« Literatur, Wissenschaft und Journalismus abgelagert haben. Im nächsten Abschnitt möchte ich entsprechend seiner Kritik am »westlichen« Diskurs über den Orient für ein »Denken mit Standpunkten« in der globalen Nachrichtenindustrie plädieren (Kapitel: 1.2 »Europa« als Standpunkt in der globalen Nachrichtenindustrie).
Gegenstand, Kontext und Durchführung der ethnografischen Studien
*** Dass ein »Fixer« entweder Dinge repariert oder aber einer nebulösen und im schlimmsten Fall auch kriminellen Tätigkeit nachgeht, zu dem Eindruck musste man kommen, wenn von diesen die Rede war, bevor sich der Begriff in der globalen Nachrichtenindustrie etablierte. In Zeitungsarchiven findet sich ein Bezug zur Mafia29, zu windigen Politikberatern30 oder korrupten Rechtsanwälten.31 Die erste Erwähnung von »Fixern« als lokale Akteure globaler Nachrichtenindustrie, von der ich Kenntnis habe, stammt aus dem Jahr 1991 – der Auslandskorrespondenten Glenn Garvin veröffentlichte damals in der Miami New Times eine Reportage über Nicaragua, das ein Jahrzehnt nach der sandinistischen Revolution gerade dabei war, aus dem Bewusstsein der Weltöffentlichkeit zu verschwinden: War-torn, bureaucracy-bound, Third World countries breed a unique species known as fixers. They are essentially gofers who cater to high-octane journalists too busy, or too lazy, to do their own dirty work. Fixers scan the local press for story ideas, penetrate layers of palace guards to arrange interviews, tape press conferences, change money on the black market, and find gasoline and batteries and whatever else is in short supply. (Garvin, 1991)
Glenn Garvin bezieht sich hier auf die Berichterstattung über Nicaragua in den 1980ern, weshalb ich davon ausgehe, dass der Begriff »Fixer« damals bereits etabliert war.32 Spezifisch spricht er über die enge journalistische Kooperation zwischen dem New York Times-Korrespondenten Stephen Kinzer und einem nicaraguanischen Journalisten namens »Isaac«, der deshalb vielleicht als erster »aktenkundiger Fixer« gelten kann.33 29 | Zum Beispiel in Bezug auf den Mafioso William Obront in der Montreal Gazette (Collister, 1977). 30 | Etwa in dem Artikel »Political Fixer Sent to Prison« (Schenctady Gazette), der 1935 erschienen ist. 31 | Der Rechtswissenschaftler Albert W. Alschuler verwies 1975 auf den Gebrauch von »Fixer« unter anderem in Bezug auf die Durchführung von Schmiergeldzahlungen bei Geschäftsverhandlungen: »There is some evidence that offenders themselves have begun to use the term ›fixer‹ to refer, not just to the middleman in a bribery transaction, but to any lawyer wo specializes in bargaining pleas« (The defense attorney’s role in plea bargaining, S. 1197). 32 | Der »gofer« scheint eine weitere typische Bezeichnung für lokale Akteure zu sein, auf die auch meine indische Informantin Shernaz Italia hinweist (Kapitel: 3.2 Lokale Akteure im Spannungsfeld der Indienberichterstattung). 33 | Der Journalist, der in der New York Times etwa als Fotograf in einem Artikel von Stephen Kinzer aufgeführt wird (Nicaragua, land of verse, reverses ›devine poet‹ 1985), hieß vermutlich Isaac Narvaez. In Zusammenhang mit einer Affäre um sowjetische Spio-
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In der wissenschaftlichen Forschungsliteratur wird erst später auf »Fixer« verwiesen, wobei der Ethnologe Mark Pedelty meines Wissens einer der ersten Wissenschaftler ist, der die Verwendung von »Fixer« im Kontext des Auslandsjournalismus dokumentiert und sich dabei auf seine Feldforschung im nahen El Salvador 1991 bezieht (1995, S. 75; 110).34 Er versteht den Begriff interessanterweise im Sinne eines logistischen Helfers, bei dem (wie ja schon beim »Stringer«) nicht zwingend ein »lokaler Bezug« erforderlich ist. So arbeitete offensichtlich auch eine seiner US-amerikanischen Gesprächspartnerinnen mit dem Namen »Tracy« als »Fixer« (War Stories, 1995, S. 75). Seit der Jahrtausendwende etablierte sich dann der Gebrauch von »Fixer« als Begriff in der wissenschaftlichen Forschungsliteratur, um tatsächlich lokale Akteure globaler Nachrichtenindustrie zu identifizieren (Tumber, 2002; Rosen, 2002; Bridge, 2004; Power, 2004). Auch Ulf Hannerz versteht den »Fixer« in »Foreign News« (2004, S. 154) als »local helper« und beschreibt dessen Aufgabe vor allem als Türöffner oder Assistenten, der nicht direkt an inhaltlichen Fragen der journalistischen Arbeit beteiligt ist. In diesem Zusammenhang bringt er die Vorstellung zum Ausdruck, dass durch die Aufnahme einer redaktionellen Tätigkeit ein »Aufstieg« vom »Fixer« zum »regulären« Korrespondenten in der globalen Nachrichtenindustrie erfolgen könne und der entsprechende Journalist in einem solchen Prozess das »local« ablegen würde.35 Es ist aber tatsächlich eher selten der Fall, dass Auslandsnageflugzeuge in Nicaragua berichtet Stephen Kinzer in einem weiteren Artikel über die vorübergehenden Festnahme von Isaac Narvaez, den er diesmal unverbindlich als ein »employee of The New York Times bureau in Managua« (More Reports on Soviet Spy plane, 1986) bezeichnet. Den Stil der Kooperation mit Stephen Kinzer charakterisiert Garvin Glenn wie folgt: »Isaac was such a worker bee that other reporters used to joke that Kinzer was going to get a master’s in journalism from Columbia; Isaac would attend the classes for him« (Garvin, 1991). Die Arbeit von Glenn Kinzer für die New York Times in Mittelamerika erlangte auch international Beachtung, als sie Gegenstand von Noam Chomskys Kritik am »westlichen« Auslandsjournalismus wurde (1988/1994, S. 83, 114, 124 etc.). 34 | Mir ist neben dem Buch von Mark Pedelty nur eine Studie von Brent MacGregor (1995) über aktuelle TV-Krisenberichterstattung bekannt, die im selben Jahr erschienen ist. Darin werden »Fixer« am Rande als journalistische Hilfskräfte erwähnt. 35 | Diese Vorstellung belegt er mit dem Hinweis auf den Daily Telegraph-Korrespondenten Anton La Guardia, einem seiner Gesprächspartner bei dieser Forschung. Anton La Guardia habe seine Karriere als »Fixer« in den Philippinen begonnen, um dann Nahostkor respondent zu werden (Hannerz, 2004, S. 154). Allerdings ist Anton La Guardia, wie Ulf Hannerz selbst berichtet, in Großbritannien aufgewachsen und seine Verbindung in die Philippinen basieren auf dessen philippinischer Mutter (Hannerz, 2004, S. 71). Zum Zeitpunkt meiner eigenen Forschung arbeitete Anton La Guardia als Auslandsredakteur für den Economist, der seinem CV ein wenig anders nuanciert: »He started working as an international correspondent in 1986, when he covered the ›People Power‹ revolution in the Philippines as a freelance journalist« (The Economist, o.D.).
Gegenstand, Kontext und Durchführung der ethnografischen Studien
korrespondenten ihre Arbeit in der globalen Nachrichtenindustrie als »Fixer« begonnen haben – also dass sie aufgrund ihres spezifischen lokalen Wissens, ihrer Sprachkenntnisse, ihrer Zugangsmöglichkeiten und vielleicht sogar aufgrund ihres körperlichen Erscheinungsbildes für die Mitarbeit an einem spezifischen Ort engagiert wurden, nur um sich später von diesem lokalen Bezug zu »emanzipieren« und von ganz anderen Orten zu berichten. Letztendlich ist es unerheblich, ob lokale Akteure von den globalen Nachrichtenorganisationen oder reisenden Journalisten als »Fixer«, »Stringer«, »Local Producer« oder neutral als »Korrespondenten« bezeichnet werden (bzw. sich selbst bezeichnen). Wie Colleen Murrell herausgefunden hat, arbeiten heute etwa auch lokale Journalisten unter der Bezeichnung »Fixer«, die substanziell an der inhaltlichen journalistischen Arbeit beteiligt sind und die Aufgaben eines Korrespondenten übernehmen (2015, S. 88-115). Bedeutsam erscheint mir vielmehr, dass zwischen lokalen Akteuren und den »westlichen« Auftraggebern weiterhin ein mehr oder weniger subtiles Machtgefälle besteht. Auch deshalb bleiben die lokalen Akteure als Medienprofessionelle während ihrer Karriere in der globalen Nachrichtenindustrie meist »lokal markiert«.36 Das Machtgefälle zwischen »westlichem« Korrespondenten und lokalem Partner ist bereits Thema in »The Death and Life of Dith Pran« (1980) von Sydney Schanberg. Dieser arbeitete ab 1972 als Korrespondent der New York Times in Kambodscha, wo er den ehemaligen US-Militärübersetzer Dith Pran als lokalen Assistenten engagierte. ������������������������������������������������������� Ihre Beziehung wurde als ein Beispiel grenzüberschreit36 | Natürlich gibt es Ausnahmen von dieser »Regel«. Die Gesprächspartner von Richard Sambrook bei Reuters, AP und BBC betonen die Vielfalt und »Buntheit« ihrer Organisatio nen sowie die Möglichkeit von »new career paths« (2010, S. 49) und nennen Beispiele für Korrespondenten, die »lokal« rekrutiert und danach international eingesetzt wurden. Doch solche Beispiele sind nach wie vor aufsehenerregend und selten. Einer seiner BBCGesprächspartner nennt die im Libanon aufgewachsene Kim Ghattas, die als Washington-Korrespondentin von BBC World News tätig ist. Ihre Berufung 2008 hat Aufmerksamkeit erregt, ihr libanesischer Hintergrund ermöglichte ihr einen exklusiven Zugang zur damaligen US-Außenministerin Hilary Clinton, die sie immer wieder als Expertin für die arabische Welt um ihre Meinung bat (Sambrook, 2010, S. 49-50). Zuletzt veröffentlichte sie ein Buch, in dem sie die Arbeit der Außenministerin und der US-Außenpolitik von ihrem »kosmopolitischen« Standpunkt aus betrachtet (The Secretary: A Journey with Hillary Clinton from Beirut to the Heart of American Power, 2013). Solche »new career paths« (Sambrook, 2010, S. 49) sind natürlich nur im Kontext einer »westlichen« Sprache möglich und basieren oft auf »kosmopolitischen« Familiengeschichten. Nach Informationen des Monocle-Magazins (2008) ist Kim Ghattas Mutter Niederländerin, Ghattas besuchte in Beirut eine französische Schule und machte ihren Abschluss an der American University, sie spricht also Niederländisch, Arabisch, Englisch und Französisch. Als lokale Korrespondentin arbeitete sie im Libanon sowohl für die holländische Zeitung de Volkskrant als auch für die Financial Times und die BBC (Ghattas, o.D.).
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ender Freundschaft weltweit gewürdigt, aber sie begegneten sich zunächst nicht auf Augenhöhe: »It is difficult to describe how a friendship grows, for it often grows from seemingly contradictory roots – mutual needs, overlapping dependencies, intense shared experiences, and even the inequality of status, with one serving the other« (1980/1985, S. 2). Einer der Dienste, die Dith Pran seinem Arbeitgeber offensichtlich erwiesen hatte, war es, dass er ihm 1975 freiwillig in die Gefangenschaft durch die Roten Khmer folgte und ihm mit unermüdlichen Interventionen bei ihren Bewachern das Leben rettete (1980/1985, S. 22). Doch während Dith Pran anschließend im tödlichen Chaos von Kambodscha zurückbleiben musste (bis zu seiner Flucht 1978), wurde Sydney Schanberg wenig später nach Thailand evakuiert. Als 2009 der New York Times-Korrespondent Stephen Farrell in Afghanistan entführt wurde, verhielt sich sein »Fixer« Sultan Munadi ähnlich »todesmutig« und loyal wie seinerzeit Dith Pran. Doch Sultan Munadi hatte weniger Glück: Bei einer britischen Kommandooperation konnte Stephen Farrell befreit werden, während sein »Fixer« im Kugelhagel starb, als er versuchte, den Korrespondenten zu schützen (Schmitt, 2009; Taylor, 2009). Der »Fixer« als »Held«, als ein selbstloser und ritterlicher Beschützer? Diese Sicht scheint es sowohl unter »Fixern« als auch reisenden Journalisten zu geben, wie Lindsey Palmer in einer Interviewstudie herausfand (Palmer L., 2016).37 In einem essayistischen Nachruf auf Sultan Munadi verweist der US-amerikanische Auslandskorrespondent George Packer wiederum auf das Machtgefälle zwischen »Fixer« und reisendem Journalisten: In spite of the closeness, the relationship is troubled by a kind of imbalance of power. In the course of the work, the fixer is relied on so heavily by the foreign correspondent that an observer who didn’t understand the system might assume that it’s the fixer who is in charge. After all, it’s the fixer’s country, and he or she knows it so much better. And yet the foreigner has the money, the name, the infrastructure, the power to hire and fire, and the ability to come and go, especially if things get sticky. […] In the philosophical terms of master and slave, the former ends up weaker, more dependent, than the latter, and yet remains the master. (2009)
Komplexe Ambivalenzen, Ungleichheit und extreme Emotionen scheinen prägend für die Beziehung zwischen »Fixer« und reisendem Journalisten. Neben der Rolle des »Helden« und des »Sklaven« scheint der »Fixer«, vom Standpunkt des
37 | In ihrer Studie über die Zusammenarbeit von »Fixern« und reisenden Journalisten bei der Berichterstattung über den »Krieg gegen den Terrorismus« schreibt sie: »My interviewees reveal that the association of the fixer with the correspondents' own safety is so normalized within the industry that even the fixers themselves believe that the journalists' safety is more important than their own« (Palmer L., 2016).
Gegenstand, Kontext und Durchführung der ethnografischen Studien
reisenden Journalisten betrachtet, auch Rollen wie die des »Bösewichts«38 oder »Liebhabers« einzunehmen. Wahrscheinlich mit der Verfilmung der Erlebnisse von Sydney Schanberg und Dith Pran im Hollywoodfilm »Killing Fields« (1984) werden lokale Akteure globaler Nachrichtenindustrie zum ersten Mal von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen und seitdem wird das Thema in der Populärkultur immer wieder aufgegriffen. So erschienen Romane39 und Filme40, in denen lokale Akteure der globalen Nachrichtenindustrie als Figuren auftreten. Wie der »Fixer« Neven im Comic »The Fixer« (Sacco, 2003) von Joes Sacco wird der lokale Akteur als »vertrauter Fremder« dabei symbolisch aufgeladen. Neven aus Sarajevo 41 hat eine muslimische Mutter und einen serbischen Vater. Er ist Alkoholiker, Kettenrau-
38 | Der britische Auslandskorrespondent Colin Freeman, der in Somalia bei einer Reportage über Piraten von seinen Bewachern (vermutlich auch von seinen »Fixern«) verraten wurde und über einen Monat als Geisel in einer Höhle verbrachte (Freeman, 2011), verweist auf die manchmal auch weniger harmonischen Beziehungen zwischen lokalen »Fixern« und reisenden Journalisten: »In the interests of journalistic balance, I should point that this cosy buddy relationship by no means covers all journalist/fixer relationships. Quite ������������������������������������������������������������������������������������ the opposite, if anything. In my experience, it’s equally common to hear journalists cursing their fixers with every last breath, denouncing them for being lazy, inept, or unpunctual. Or for having no balls. Or being completely reckless. Or for being moneygrabbing charlatans. Or for not even turning up for work. Or… you get the idea« (2012). 39 | Beispielsweise der Roman »Baghdad Fixer« (2012) von der Journalistin und Autorin Ilene Prusher über einen irakischen »Fixer« und eine amerikanische Reporterin. Neben vielen hintergründigen Beobachtungen über die Bedeutung von »Fixern« für den Auslandskorrespondenten erzählt sie darin eine Liebesgeschichte. Der Lateinamerikakorrespondent Rainer Fabian machte den »Stringer« João zu einer zentralen Figur in seinem Roman »Das Rauschen der Welt« (2003), der als literarische Figur brasilianische Überlebensfähigkeit, »Streetsmartness« und Witz repräsentiert. In »Surface« (2005) des indischen Autors Siddhartha Deb wiederum ist die Hauptperson ein indischer Journalist, der im Auftrag eines deutschen Nachrichtenmagazins in ein düsteres Sperrgebiet reist. 40 | Etwa der Dokumentarfilm »Fixer: The Taking of Ajmal Naqshbandi« (2009) von Ian Olds über die Ermordung des gleichnamigen afghanischen »Fixers« im Jahre 2007. Von Ian Olds erschien außerdem der Spielfilm »The Fixer« (2016), in dem die Geschichte eines entwurzelten afghanischen »Fixers« im US-Exil im Vordergrund steht. In der HBO-Fernsehserie »The Newsroom« erschien die Episode »Amen« (2012), in der die US-amerikanische Nachrichtenredaktion im Zentrum der TV-Serie einen lokalen ägyptischen Blogger engagiert, diesen durch unüberlegtes Handeln gefährdet und schließlich durch ihr Engagement rettet. In der Dokumentation »Facing the Fixer« (2014) berichtet Filmemacherin Jessica Gutch wiederum über die Arbeit von »Fixern« in Kairo. 41 | Die Figur Neven basiert nach Angaben des »Comicjournalisten« Joe Sacco auf einer tatsächlichen Person, die er als »Fixer« in Sarajevo engagierte (Winton, 2010).
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cher, gewalttätig und traumatisiert. Als eine allegorische Figur repräsentiert der lokale Akteur so die schwierige Situation eines Ortes. Einmal, so erzählt Joe Sacco im Comic, habe Neven einen deutschen Fotogra fen an die Front begleitet: I could see a chetnik* (*Chetnik – a perogatory expression for a serb nationalist) so I picked up a sniper rifle and shot him. / ›The German said‹ / I didn’t come here to kill someone / ›And I said-‹ / You didn’t kill him. I did. (2003, S. 32)
Vielleicht ist Neven auch ein zur Selbstbezichtigung neigender Lügner, wenn er solche Geschichten erzählt, die ganze »Wahrheit« erfährt der Leser nicht. Er ist aber auch mutig, gerecht und fürsorglich, kurzum er vereint in sich die Widersprüche einer zerrissenen, zerbrochenen Gesellschaft, die sich nach einer friedlichen und multikulturellen Vergangenheit sehnt. *** Das Bewusstsein der eigenen Abhängigkeit von lokalen Akteuren führe heute zu einer Art »Heiligsprechung der Fixer«, schreibt der Sunday-Telegraph-Auslandskorrespondent Colin Freeman: » […] no award-winning war zone reporter or TV news crew makes an acceptance speech these days without an Oscars-style thank-you to their fixer, the ›unsung hero‹ behind the headlines« (2012). Für mich sind solche rituellen Beschwörungen der Bedeutung lokaler Partner wiederum Ausdruck des Transformationsprozesses, den ich als »Lokalisierung der globalen Nachrichtenindustrie« bezeichnet habe und der das Nachrichtengeschäft bereits tiefgreifend verändert hat. Ich habe argumentiert, dass dieser Wandel etwa seit den 1970er/1980er Jahren sichtbar wird, weil seitdem verstärkt Produktionsverantwortung an lokale Akteure übertragen wird und zum ersten Mal professionelle »Fixer« aufgetreten sind, die sich auf die Arbeit mit reisenden Journalisten spezialisiert haben. Vor allem vier Faktoren befördern die »Lokalisierung«: 1.) Neue Technologien beschleunigen, vereinfachen und verbilligen die Medienproduktion und Distribution. Heute ersetzt eine Digitalkamera und das Internet gleich eine Reihe vormals teurer und schwer zu bedienender Gerätschaften.42 Während reisende Journalisten zur Medienproduktion noch vor wenigen Jahren 42 | Wie Brent MacGregor in einem Artikel anmerkt, den er in einer Zeit veröffentlichte (1995), als internationale TV-Nachrichtensender wie CNN die globale Nachrichtenindustrie mit ihrer technologischen Überlegenheit dominierten, können lokale Akteure auch gerade aufgrund der Komplexität neuer Produktionsabläufe als Assistenten notwendig werden. Dabei handelte es sich aber wahrscheinlich weniger um eine »journalistische Lokalisierung«, weil die redaktionellen Entscheidungen (welche Aufnahmen produziert werden, wer für einen O-Ton befragt wird etc.) weiterhin von reisenden Journalisten getroffen wurden.
Gegenstand, Kontext und Durchführung der ethnografischen Studien
viel Spezialwissen benötigten, können Medientechnologien heute von lokalen Akteuren direkt vor Ort und ohne großes Vorwissen bzw. Kosten eingesetzt werden (Baker, 2009, S. 47-48; Murrell, 2015, S. 14-22).43 Doch vor allem brauchen lokale Akteure zur Distribution von Medieninhalten keinen direkten Zugang zu konventionellen Nachrichtenorganisationen. Günstige digitale Aufnahmegeräte und das Internet machen ca. seit der Jahrtausendwende alternative lokale Nachrichtenquellen zu einem signifikanten Faktor in der globalen Nachrichtenindustrie (Hamilton & Jenner, 2003, S. 134-137; Sambrook, 2010, S. 27-46). Bereits in den 1980er Jahren hatte die Weiterentwicklung von Medientechnologien eine »lokalisierende« Wirkung auf die globale Nachrichtenindustrie. So berichtet Jim Lederman, wie das neuartige und kompakte »Video 8«-Format44 während der ersten Intifada 19�������������������������������������������de (ungelernte) palästinensische »Hilfsjournalisten« mit Kameras auszurüsten, die gern dazu bereit waren, aus den damals durch die israelischen Streitkräfte abgeriegelten Gebieten Filmmaterial zu liefern (1991, S. 131). Heute trägt jeder Smartphone-Besitzer weitaus komplexere Medientechnologien in der Tasche und Plattformen wie Facebook Live, Meerkat und Twitters Periscope ermöglichen lokalen Journalisten globale Live-Übertragungen, was zuvor nur den großen internatio-
43 | Während meiner Feldforschung zu lokalen Akteuren im »Bildermarkt Nahostkonflikt« berichtete mir der Cheffotograf Magnus Johansson der 2005 gegründeten palästinensische Nachrichten- und Bildagentur Ma’an, dass eine solche lokale Agentur nur durch digitale Fotografie möglich wurde: »Before there were only a few big agencies that could afford to have this kind of big operation, because the cost involved for each picture was so big. For Ma’an we could have never afforded that. When I was working for Reuters […] they had three taxi drivers basically on standby all the time moving all around the West Bank, just picking up cassettes and films. […] To have three full employee taxi-drivers, no way we could have afforded that. Plus you have the cost for film: say it’s is a big clash here and you shoot four films. […] In the beginning of the intifada it was like that daily. […] its thousands bucks for films only each month. Then you need the machine to develop it, the chemicals and all these kind of things. It’s too expensive. Now the photographers have their digital camera and the computer with internet connection« (zitiert nach Heidelberger, 2008, S. 61). 44 | Jim Lederman nutzt die Bezeichnung »super-8 video camera« (1991, S. 131) – ein Kameramodell, das nicht existiert. Da er sich im Textzusammenhang auf damals neuartige Videokameras bezog, muss es sich stattdessen um das »Video 8«-Format handeln, das sich zu diesem Zeitpunkt etablierte. Die Super 8-Filmtechnologie der Firma Kodak kann nicht gemeint sein, da diese bereits in den 1960ern entstand (Kodak, o.D.).
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nalen TV-Sendern wie CNN möglich war.45 Auch die »Lufthoheit« der teuren TVHubschrauber ist inzwischen durch Minidrohnen durchbrochen.46 2.) Sparmaßnahmen innerhalb der Nachrichtenorganisationen aufgrund einbrechender Geschäftsmodelle, zur Gewinnoptimierung oder aufgrund des Wegfalls öffentlicher Finanzierung führen tendenziell zu einer Reduzierung einer permanenten Auslandspräsenz »westlicher« Massenmedien und globaler Nachrichtenorganisationen aufgrund der hohen Kosten für Büros und entsandte Auslandskorrespondenten (Palmer & Fontan, 2007, S. 17; Sambrook, 2010, S. 11-22; Willnat & Martin, 2012). Diese Entwicklung begann bereits in den 1970er Jahren, als viele der damals für die globale Nachrichtenindustrie besonders wichtigen US-amerikanischen Nachrichtenorganisationen ihre entsandten Auslandskorrespondenten abzogen und Büros schlossen (Cook, 1978; Eisendrath, 1976).47 Akademische Stimmen beschrieben die sich vollziehenden Veränderungen damals mit Begriffen der »Krise«: Die Rede war von »dearth of world news« (Yoder, 1981, S. 217) oder »international news hole« (Emery, 1989), die gestiegene Abhängigkeit von lokalen Quellen und Agenturen wurde als »borrowed news« problematisiert (Riffe, 1984, S. 142).48 Dieser Trend scheint sich fortgesetzt zu haben, zumindest basiert auch heute die Grundversorgung an Information und Bildern (vor allem in den aktuellen Massenmedien) hauptsächlich auf den großen Nachrichtenagenturen AP, Reuters und AFP (Savio, 2012, S. 70) bzw. dem reinen Bilddienst Getty Images, die 45 | Aufmerksamkeit erregte zunächst der Fall des in den USA von einem Polizisten erschossenen Afroamerikaners Philando Castille. Seine Freundin hatte die Situation kurz nach dem tödlichen Schuss mit Facebook Live aufgezeichnet (The Guardian, 2016). Das erste Mal, dass die Technologie in größerem Maße in der globalen Nachrichtenindustrie eingesetzt wurde, war während des versuchten Militärputsches in der Türkei 2016 (Garcia, 2016) sowie während der Offensive auf die damals von Daesh gehaltene Stadt Mosul im Irak 2016 (Preston, 2016). Es ist zu erwarten, dass zukünftig lokale Akteure und Medienaktivisten weltweit Live-Technologien nutzen werden. 46 | Journalistisch relevant wurden Drohnen zum ersten Mal wohl 2013, als privat hergestellte Luftaufnahmen des Gezi-Park-Protestes in der Türkei weltweit in sozialen Medien und Massenmedien zirkulierten (Schroyer, 2013). 47 | Ein Jahr nach dem Pulitzerpreis für Sydney Schanberg verzichtete das Preiskomitee 1977 wegen mangelnder Qualitätsbeiträge sogar darauf, überhaupt einen Journalisten in der Sparte »international reporting« auszuzeichnen (Pulitzer Prize, o.D.). 48 | Das Phänomen »borrowed news« war allerdings auch schon damals keinesfalls eine neue Erscheinung. Der Journalismusforscher Dieter Paul Baumert sprach in den 1920er Jahren davon (ohne diesen Begriff zu verwenden): »Eine selbstständige regelmäßige Nachrichtensammlung in dem großen auswärtigen Gebiet wäre aber den vielen kleinen Zeitungen gar nicht möglich gewesen. Schon aus diesem Grunde mußte die einzelne Zeitung auf eine auswärtige Originalberichterstattung verzichten und sich auf den Nachdruck beschränken« (Baumert, 1928/2013, S. 139).
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alle lokales Personal einsetzen (Sambrook, 2010, S. 48-52). Falls in den Massenmedien heute eigene Korrespondenten verwendet werden sind das oft ebenfalls lokale Korrespondenten oder so genannte »Parachuter« 49. Das sind professionelle Reisende aus dem »Westen«, die als Freiberufler oder Festangestellte für ein bestimmtes Publikum, für ein spezifisches Mediensegment arbeiten, sich aber eher überall und weniger an einem spezifischen Ort auskennen und bei ihrer Arbeit wiederum stark auf lokale »Fixer« angewiesen sind (Hamilton & Jenner, 2004a). Insgesamt kann man die Entwicklung als ein lokales Outsourcing von Teilen der Berichterstattung verstehen. Auch die Inanspruchnahme von spezialisierten Agenturen wie Assoicated Reporters Abroad (ARA)50 oder die Übernahme von Inhalten alternativer Nachrichtenorganisationen wie Menschenrechts- oder Umweltschutzorganisationen, die wiederum mit lokalen Akteuren arbeiten, helfen Massenmedien dabei, die Kosten der Auslandsberichterstattung zu senken (Ellis, 2012). 3.) Erschwerte Zugangsmöglichkeiten zu Konfliktgebieten (oder bestimmten Bevölkerungsgruppen) für ortsfremde Journalisten stärken weiterhin die Bedeutung lokaler Akteure, was punktuell sogar zu einer Exklusivstellung führt. Selten in der Geschichte des »westlichen« Auslandsjournalismus war es so schwierig (und blutig), eine Berichterstattung in Konfliktregionen zu gewährleisten. Wenn die Jugoslawienkriege in den 1990er Jahren aufgrund des geringen Vorwissens der reisenden Journalisten und schrumpfender Ressourcen der Nachrichtenorganisationen neuartige Chancen für lokale Akteure eröffneten, so ist der Irakkrieg als der erste Konflikt zu betrachten, über den Mediennutzer im »Westen« fast ausschließlich von lokalen Akteuren erfuhren (Bordon, 2009, S. 147).51 49 | Schon die erste mir bekannte Verwendung dieser Metapher für reisende Journalisten bei Don Cook hat einen negativen Grundton: »Publishers may solemnly swear that they intend to sustain things by regularly dispatching topflight assignment men from home to parachute in on the foreign scene. I wonder. Publishers used to have the conviction that their newspapers had to be on top of the news or ahead of the news, not just catching up with the news« (1978, S. 16). Mark Pedelty kommt einige Jahre später zu einem ähnlich negativen Urteil: »Not only is parachute work derivative, it also tends to be highly ethnocentric […]. Travelling from culture to culture, the disoriented parachuters have a greater tendency to return to their own cultural values and social conditions when interpreting the world« (Pedelty, War Stories, 1995, S. 110). Richard Sambrook erklärt den Begriff wie folgt: »Firemen or parachute journalism is generally used as a pejorative phrase indicating a lack of commitment on the part whoever deploys in such fashion« (2010, S. 18). 50 | Die Agentur ARA bietet fertige journalistische Produkte in Form von Texten, Fotografien oder Videos an oder führt Auftragsarbeiten durch und arbeitet dabei in den meisten Fällen mit lokalen Journalisten vor Ort. Mit der ARA-Gründerin Jabeen Bhatti habe ich ein Forschungsinterview geführt (Kapitel: 2.3 Wandel und Technologie). 51 | Einige »westliche« Auslandskorrespondenten haben trotzdem unabhängig vom USMilitär aus dem Irak berichtet – darunter etwa Christoph Maria Fröhder, mit dem ich
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Unter anderem weil sich im Irak Vorfälle häuften, die viele Beobachter zu dem Schluss kommen ließen, die US-Armee würde gezielt Journalisten ermorden, die es vorzogen, außerhalb des »embedded«-Systems der US-Armee zu arbeiten, bezeichnete Phillip Knigthly die Situation im Irak als »most dangerous war for journalist ever« (2003). Doch »westliche« Journalisten wurden bekanntermaßen auch Opfer von Entführungen und Mordanschlägen irakischer Gruppierungen: »War Reporting in Iraq: Only Locals Need Apply«, schrieb der Journalist Patrick Cockburn in Counterpunch: »In the field, an Iraqi can still go to places where a foreigner would be instantly killed« (2007). Für einen »westlichen« Journalisten sei es damals unmöglich gewesen, auch nur die Straße ohne lokalen »Fixer« zu überqueren, berichtet George Packer (2009). Doch der Irak ist nicht der einzige Ort, an dem die Zugangsschwierigkeiten für reisende Journalisten aus dem »Westen« offensichtlich wurden. Egal ob in Gaza52, in Afghanistan53, in Syrien54 oder in Libyen55 – ohne lokale Mitarbeiter ein Forschungsinterview geführt habe (Kapitel: 2.1 Europäische Journalisten mit lokalen Akteuren vor Ort). 52 | Amal A. Bishara nennt das Beispiel der palästinensischen Journalistin Taghreed El-Khodary, die während des Gazakrieges von 2008-2009 direkt vom »Fixer« zur New York Times-Korrespondentin avancierte (2014, S. 50). Allerdings verließ sie die New York Times 2010. Diese Entscheidung traf sie im Zusammenhang mit einer Kontroverse um den damaligen Bürochef der New York Times Ethan Bronner in Jerusalem, dessen Sohn seinen Wehrdienst in der israelischen Armee antrat (Hoyt, 2010). 53 | Wie viele Nachrichtenorganisationen beschäftigen auch etwa die ARD und die dpa nach Auskunft meiner Gesprächspartner keine permanent entsandten Korrespondenten, sondern lokale afghanische »Stringer«, die vor Ort unabhängig arbeiten und Rechercheergebnisse in die jeweilige Berichterstattung einbringen. Solche lokale Mitarbeiter ortsfremder Nachrichtenorganisationen bilden eine wichtige Gruppe der Journalisten in Afghanistan. In der Provinz Helmand haben sich lokale Journalisten unter dem Namen »Helmand Journalists‹ Association« organisiert, von denen fast die Hälfte aus »Stringern« ortsfremder Nachrichtenorganisationen besteht (Judd, 2011). 54 | Über den syrischen Bürgerkrieg erfuhr die Weltöffentlichkeit (wie schon beim Irakkrieg) zum großen Teil durch die Arbeit von lokalen Journalisten. Kontrovers disktutiert wurde der Einsatz von jungen Fotografen, die eng mit Rebellengruppen zusammenarbeiteten und Nachrichtenagenturen wie Reuters exklusiven Zugang zu Kampfhandlungen boten, aber auch immer wieder beschuldigt wurden, Fotografien zu inszenieren. Einige, wie der 18-Jährige Molhelm Barakat, der für Reuters arbeitete, wurden bei ihrer Arbeit getötet (Berbner, 2014; Estrin & Shoumali, 2014). 55 | Verlässliche Informationen und Einordnungen aus Libyen sind seit dem Umsturz 2011 schwierig zu bekommen. Neben den lokalen Korrespondenten der großen Nachrichtenagenturen arbeiten nur einige wenige unabhängige Journalisten als »Stringer« und »Fixer« für »westliche« Massenmedien – beispielsweise Hassan Morajea, der mit 22 Jahren bereits für Al Jazeera, The Telegraph, The Washington Post, The Wallstreet Journal und
Gegenstand, Kontext und Durchführung der ethnografischen Studien
wären »westliche« Nachrichtenorganisationen und reisende Journalisten handlungsunfähig. Zu konstatieren ist dabei, dass die Arbeit für lokale Akteure nicht unbedingt weniger gefährlich ist. Tatsächlich �������������������������������ßen Teil des Risikos bei der Berichterstattung in Krisengebieten und werden am häufigsten Opfer von Gewalt.56 Es ist dabei eher als eine neue Entwicklung zu betrachten, dass reisende Journalisten aus dem »Westen« überhaupt gezielten Angriffen ausgesetzt sind. Der Medienaktivist und Journalist Joel Simon verweist darauf, dass militante oder revolutionäre Gruppen in der Geschichte des »westlichen« Auslandsjournalismus, egal ob es nun kubanische Revolutionäre oder PLO-Kämpfer waren, stets darauf geachtet hätten, sich »westlichen« Journalisten gut zu »verkaufen«, um so ihre Botschaften global zu kommunizieren. Sogar Osama Bin-Laden soll »westliche« Journalisten respektvoll behandelt haben (Simon, 2015, S. 66-71).57 Erst mit der global inszenierten Ermordung des US-Journalisten Daniel Pearl 2002 in Pakistan sei eine neuartige »terror dynamic« losgetreten worden, die ausländische Journalisten zu legitimen Zielen mache und die den Auslandsjournalismus verändert habe: The terror threat has transformed the way large media organizations operate around the world. Journalists, wary of kidnappings and bombings, sometimes had to report from forden öffentlichen Rundfunk von Australien (ABC) eine wichtige Quelle darstellt, wie Marc Herman im Columbia Journalism Review berichtet (2016). 56 | Nach Erkenntnissen des CPJ waren 88% der von 1992 bis 2016 weltweit getöteten Journalisten lokaler Herkunft (Committee to Protect Journalists, o.D.-b). Natürlich haben nicht alle dieser Journalisten auch für ortsfremde Nachrichtenorganisationen oder in Kooperation mit reisenden Journalisten gearbeitet, aber dass lokale Akteure globaler Nachrichtenindustrie, die ja im Gegensatz zu den reisenden Journalisten vor Ort leben, stärker gefährdet sind als ihre ortsfremden Partner, darüber scheint bei den Beobachtern Konsens zu bestehen: »It’s always the Fixer who Dies«, betitelt beispielsweise George Packer seine bereits zitierte Kolumne im New Yorker, um mit dieser Übertreibung auf das Problem hinzuweisen: »The fault may lie with terrorists and extremists, with officials and security forces of the host country, with foreign governments and militaries and intelligence agencies, with news organizations, with the individuals themselves, or with no one at all« (2009). Auch der IPS und die UNESCO machen auf das Problem aufmerksam (Ieri, 2016). 57 | Joel Simon verweist darauf, dass es letztendlich auch die Möglichkeiten der globalen Internetkommunikation und Social Media waren, welche diese Situation herbeigeführt haben: »The proliferation of new forms of communications has undermined the single most important factor that kept journalists safe – the de facto information monopoly that made them usefull to all sides« (Simon, 2015, S. 71). Die hier aufgeführten vier Faktoren, die eine »Lokalisierung« der Nachrichtenindustrie befördern, sind entsprechend nicht streng voneinander getrennt zu betrachten, sondern als ineinander verwoben.
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Korrespondenten des Wandels tified bunkers and were more reluctant to meet with sensitive sources for fear they might be a set up for abduction. (Simon, 2015, S. 65)
Spätestens mit den Terrorinszenierungen von Daesh, denen 2014 etwa die unabhängigen Journalisten James Foley und Steven Sotloff zum Opfer fielen, etablierte sich der Mord an »westlichen« Journalisten als Strategie. Die Kriegsberichterstattung des 21. Jahrhunderts, das scheint immer mehr zu einer Angelegenheit lokaler Akteure zu werden. 4.) Doch auch an Orten mit relativer Stabilität und wirtschaftlicher Entwicklung in Afrika, Südamerika oder Asien kann in den letzten Jahrzehnten eine größere Integration lokaler Akteure beobachtet werden. Auf die wichtige Motivation der Nachrichtenorganisationen, lokale Korrespondenten einzusetzen, um damit Kosten zu senken, wurde bereits verwiesen. Aber vor allem die Fähigkeiten Zugänge herzustellen und Entwicklungen vor Ort richtig einzuschätzen, scheinen für eine relevante Berichterstattung auch außerhalb der Krisengebiete immer wichtiger zu werden. Globale Nachrichtenorganisationen haben heute häufig den Anspruch, ein »translokales«, ein »globales« Publikum anzusprechen (Hannerz, 2004, S. 85; Murrell, 2015, S. 7-9). Damit werden auch Menschen vor Ort oder in derselben Region Zielpublikum von Medienprodukten, die von ortsfremden Nachrichtenorganisationen hergestellt werden. Automatisch entstehen dabei andere und teilweise höhere Anforderungen an die Qualität und Relevanz von Informationen, was wiederum die Bedeutung von lokalen Akteuren erhöht. Doch inwiefern es globalen Nachrichtenorganisationen gelingt, von lokalen Akteuren zu profitieren, hängt auch davon ab, ob die Fähigkeiten lokaler Journalisten mit den Bedürfnissen der entsprechenden Nachrichtenorganisation kompatibel sind. Dabei spielen sprachliche Faktoren eine wichtige Rolle (vor allem die englische Sprache ist hier ein Vorteil), aber auch das Niveau der journalistischen Ausbildung ist von Bedeutung.58 Relative Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung haben in manchen »Schwellenländer« zu einer bemerkenswerten Entwick-
58 | Dabei können Zugangsschwierigkeiten zu einem Konfliktgebiet die Anforderungen senken, während in einer stabilen Situation mit bestehenden journalistischen Freiheiten die Anforderungen an lokale Akteure steigen. Colleen Murell beschreibt diesen Zusammenhang mit Pierre Bourdieus Terminologie als einen Austausch von »embodied capital«: »A fixer also has embodied capital that can be traded on-the-road. These skills of language, contacts and newsgathering, combined with knowledge of the local history and present dangers, can be traded for significant gain: mostly for short-term or daily word-of-mouth contracts. These embodied skills can be traded by a fixer at a higher level when the market is running hot, such as when there is an urgent crisis in the fixer’s country, accompanied by an influx of correspondents and few available fixers. […] In contrast, a fixer’s skills will not be so vital when there is no crisis and, therefore, not many people with whom to trade« (2015, S. 51).
Gegenstand, Kontext und Durchführung der ethnografischen Studien
lung des Mediensektors geführt.59 Etwa seit den 1990er Jahren und verstärkt seit der Jahrtausendwende ist in Ländern des »Südens« eine deutliche Entwicklung und Professionalisierung der journalistischen Ausbildung zu konstatieren (Josephi, 2010, S. 1).60 Seit 2007 engagiert sich auch die UNESCO mit einem »Model Curricula for Journalism Education« (UNESCO, 2007-a), der international kompatibel sein soll.61 Die zunehmende Verfügbarkeit von ausgebildeten lokalen Journalisten und die Notwendigkeit einer auch vor Ort als relevant empfundenen Berichterstattung stärken also genauso die Bedeutung lokaler Akteure der globalen Nachrichtenindustrie wie neue Technologien, Sparmaßnahmen und Zugangsschwierigkeiten für reisende Journalisten durch Krieg und Gewalt. Die Praxis der journalistischen Kooperation und Mitarbeit lokaler Akteure in dieser Situation der »Lokalisierung« und ihre Auswirkung auf den Auslandsjournalismus sind Gegenstand meiner Studien. Doch bereits an diesem Punkt kann konstatiert werden, dass die Entwicklung keinesfalls zu einer vollständigen Integration lokaler Akteure in globale Nachrichtenorganisationen führt. Ersparnisse entstehen in Nachrichtenorganisationen beispielsweise durch die Absenkung von Kosten und deshalb sind lokale Akteure vor allem als jederzeit verfügbare »Freelancer« attraktiv und weniger als vollwertige Angestellte mit teuren Verträgen und schwierigen Versicherungsfragen. Auch von einem Verschwinden des »westlichen« Korrespondenten zugunsten lokaler Akteure kann keine Rede sein. Zwar hat sich ihre Arbeitsweise durch vollberufliche »Fixer« mit journalistischen Fähigkeiten verändert, aber grundsätzlich bleibt das seit dem 19. Jahrhundert bewährte Arbeitsmodell der journalistischen Kooperation reisender Journalisten mit lokalen Akteuren vor Ort bestehen. 59 | Am Beispiel Indiens soll die Medienentwicklung in einem solchen Wachstumsmarkt und deren spezifische Auswirkung auf die Arbeit der globalen Nachrichtenorganisationen im Land noch en détail betrachtet werden (Kapitel: 1.3 »Indien« als Standpunkt in der globalen Nachrichtenindustrie). 60 | Diese Entwicklung verläuft natürlich nicht geradlinig und in verschiedenen Ländern auf einem ganz unterschiedlichen Niveau. Doch auch zum Beispiel in Afrika, wo noch Mitte der 1990er Jahren auf dem ganzen Kontinent nur an ca. 40 Institutionen Journalisten ausgebildet wurden (Kasoma, 1994, S. 78), bildeten 2007 schon über 180 Institutionen Journalisten aus (UNESCO, 2007-b). Außerdem ist natürlich zwischen einer Ausweitung der Journalistenausbildung und einer Ausweitung der Pressefreiheit im »westlichen« Sinne zu unterscheiden. Beate Josephi spricht in diesem Zusammenhang von einer »disconnect[ion] between the paradigm in which journalism education is placed and the reality of media freedom« (2010, S. 2). 61 | Im Jahr 2013 ist eine aktualisierte Form des »Model curricula« erschienen (UNESCO, 2013). Die UNESCO bemüht sich seit 1956 darum, die journalistische Ausbildung weltweit zu verbessern – damals trafen sich Delegierte aus 23 UNESCO-Staaten in Paris zu einer ersten Konferenz zu diesem Thema (Luxon, 1956).
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1.2 »E uropa« als S tandpunk t N achrichtenindustrie
in der globalen
Die ethnografischen Studien zur Praxis der journalistischen Kooperation von reisenden Journalisten bzw. Fernbeobachtern in Europa und lokalen Akteuren der globalen Nachrichtenindustrie sind mit Standpunkt »Europa« bzw. mit Standpunkt »Indien« überschrieben, was einer Erläuterung bedarf: Sowohl »Europa« als auch »Indien« stehen dabei jeweils für mehr als nur für eine beispielhafte Verengung der Untersuchung auf einen Standort, also auf einen geografischen Raum, der den physischen Raum für ethnologische Forschung absteckt. Grundsätzlich untersuche ich vielmehr die Praxis der journalistischen Kooperation mit lokalen Akteuren in einer Industrie, die per se ein globales Unterfangen ist, deren Ursprünge aber in europäischen Traditionen zu suchen sind, mit deren Hilfe Wissen über nichteuropäische oder »nichtwestliche« Regionen produziert und verbreitet wurde. Der Auslandsjournalismus als Produkt und Arbeitsfeld der globalen Nachrichtenindustrie in seiner heutigen modernen Ausprägung basiert auf einer »westlichen« Entwicklung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.62 Die ersten Nachrichtenorganisationen, die eine systematische internationale Berichterstattung organisierten und die noch heute wiedererkennbaren diskursiven Formen und Strategien des Auslandjournalismus entwickelten, deren Produkte also weder einen politischen, literarischen noch wissenschaftlichen Charakter hatten, kamen aus Nordamerika und Europa (Chalaby, 1996, S. 304). James Gordon Bennet, Gründer des New York Herald, begann Ende der 1830er Jahre als einer der ersten damit, ein Netzwerk von Auslandskorrespondenten aufzubauen, die seine Zeitung mit Nachrichten belieferten (Hamilton J. M., 2009, S. 38). Ab Mitte des 19. Jahrhunderts eröffnete dann die Technologie des Telegrafierens einen neuen Übertragungsweg für Informationen (Blondheim, 1994, S. 30-46) und verhalf infolge den spezialisierten Dienstleistern der globalen Nachrichtenindustrie, den internationalen Nachrichtenagenturen (oder kurz »wires«) zu ihrem Aufstieg.63 Vor allem die Nachrichtenagenturen Havas in Frankreich (Vorläufer der heutigen AFP, gegründet 1835 von Charles-Louis Havas), Harbour News in den USA (Vorläufer der heutigen AP, gegründet 1848 von sechs New Yorker Zeitungsverlagen), das Wolffs Telegraphisches Bureau in Preußen (gegründet 1849 von Bernhard Wolff) sowie Reuters in Großbritannien (gegründet 1851 von Paul Julius Reuters) 62 | Vorläufer globaler Nachrichtendienstleister sind vermutlich in einigen kaufmännischen Büros der Republik Venedig zu finden, die bereits im 16. Jahrhundert geschäftsmäßig politische und wirtschaftliche Entwicklungen (»Nachrichten«) im Ausland dokumentierten und Abschriften an Interessenten verkauften (Minet, 1977, S. 15). 63 | Das erste stabile transatlantische Kabel wurde 1866 von der Western Union in Betrieb genommen, nachdem der Pionier Cyrus Fields 1865 mit einem Kabel der American Telegraph Company gescheitert war (Blondheim, 1994, S. 145).
Gegenstand, Kontext und Durchführung der ethnografischen Studien
machten von der neuen Technologie Gebrauch (Segbers, 2007, S. 19-27) und gaben der globalen Nachrichtenindustrie ihre noch heute erkennbare Struktur. Am Ende des 19. Jahrhundert waren diese Agenturen zu den wichtigsten Lieferanten für Auslandsnachrichten geworden (Chalaby, 1996, S. 306). Die Basis für dieses ursprüngliche Kartell »westlicher« Nachrichtenorganisationen waren Verträge von 1870, in denen Havas, Reuters und Wolff die Welt jenseits der USA in Einflusssphären aufteilten. So bekam Wolff den Zuschlag für das kontinentale Europa und Russland, Reuters für das britische Imperium und den fernen Osten und Havas erhielt den Zuschlag für Italien, Spanien, Portugal, die französischen Kolonien und Südamerika (Storey, 1951, S. 53-54). Heute, fast 150 Jahre später, dominieren weiterhin drei dieser »westlichen« Agenturen – Reuters sowie AFP gemeinsam mit der US-amerikanischen AP – das spezialisierte internationale Geschäft mit Auslandsnachrichten (Savio, 2012, S. 70).64 »Europa« im Titel der ersten Studie bezieht sich neben der Verortung meiner Feldforschung in Europa auf diese konstant »westliche« Prägung der globalen Nachrichtenindustrie, auf einen Standpunkt, von dem aus die Welt betrachtet wird, einen Standpunkt in der globalen Nachrichtenindustrie, der spezifische Rollen bei der journalistischen Produktion determiniert, nämlich die der reisenden Journalisten und Auslandsredakteure. Der Standpunkt »Europa« verweist auf ein imaginiertes Feld des Denkens, des Handelns und der Produktions- und Präsentationsweise von Wissen, in dem die epistemologischen Dispositionen des »westlichen« Auslandsjournalismus ihren Ursprung haben und bis heute die Art und Weise prägen, wie Wissen über die Welt von reisenden Journalisten gesammelt, übersetzt und verbreitet wird. »Indien« im Titel der zweiten Studie bezeichnet ebenfalls nicht nur einen beispielhaften geografischen Raum, in dem eine ethnologische Forschung durchgeführt wurde, sondern steht auch für das aus 64 | Betrachtet man die gesamte globale Nachrichtenindustrie, so könnte man natürlich weitere Nachrichtenorganisationen hinzufügen, CNN und Bloomberg News etwa oder Massenmedien, die Auslandsberichterstattung unter anderem betreiben, wie die BBC, CBS, der britischen Guardian, die New York Times oder die ARD. Es ist nicht möglich, eine definitive Liste der bedeutendsten Organisationen der globalen Nachrichtenindustrie zu erstellen, weil die Kriterien dafür nicht eindeutig zu identifizieren sind und eine Nachrichtenagentur nicht einfach mit einem Satellitensender oder mit einem Medienkonzern mit angeschlossener Tageszeitung sowie einem öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem vergleichbar ist. Die ARD etwa betreibt eines der größten Korrespondentennetzwerke weltweit (ARD, o.D.), doch die Reichweite ihrer Berichterstattung ist regional auf den deutschsprachigen Raum beschränkt. Man könnte eine solche Liste auch durch »nichtwestliche« Nachrichtenorganisationen wie Al Jazeera erweitern, die den »westlichen« Journalismus als System übernommen haben oder auch Staatsmedien, wie in China die Xinhua bzw. CCTV, die beide das Ergebnis von massiven Investitionen in internationale Kommunikation sind. Doch suggeriert diese erweiterte Liste eine Art Balance, die gemessen an der globalen »Relevanz« dieser Organisationen so nicht existiert.
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europäischer Sicht »Fremde«, das durch den Akt des Berichtens und Erklärens als Thema der Berichterstattung in »westlichen« Medienberichten zugänglich und paradigmatisch kontrollierbar gemacht wird. Verbunden mit einem Standpunkt »Indien« in der globalen Nachrichtenindustrie sind wiederum spezifische Rollen bei der journalistischen Produktion, nämlich die der lokalen Akteure globaler Nachrichtenindustrie. Die Studien zum Standpunkt »Indien« (bzw. zum alternativen Nachrichtendienst »India Unheard«) und zum Standpunkt »Europa« sind dabei nicht als ein Vergleich zu betrachten, sondern als ein »In-Bezug-Stellen« dieser unterschiedlichen Standpunkte, die dichotome Perspektiven auf eine kooperative Praxis ermöglichen. Das »westliche« (europäische) Sprechen über den Orient (oder explizit über Indien) unterliege häufig subtilen Mechanismen der Ausgrenzung, der Herabsetzung, der Entindividualisierung und der Verallgemeinerung, so verstehe ich das zentrale Anliegen von Edward W. Said in seinem diskursprägenden »Orientalism« (1978/2003), das er bereits vor einigen Jahrzehnten vorgebracht hat.65 Eine Abstraktion des spezifischen Systems des »Orientalismus«, die Edward W. Said selbst immer wieder ermutigt hat66, verweist auf eine Deformation des »Fremden« und 65 | Die Bedeutung von »Indien« für Edward W. Said bei der Identifikation eines »Orientalismus« in den »westlichen« Diskursen sowie bei der Entwicklung seiner Kritik an diesen ist ambivalent: Einerseits schließt er Indien immer wieder explizit in seine Ausführungen ein, etwa in seiner Darstellung der von ihm identifizierten »orientalistischen« Tendenzen bei Karl Marx, der das britische Kolonialsystem in Indien zwar kritisierte, aber die Zerstörung der traditionellen Ordnung als Chance sah, um die von ihm ebenfalls kritisierte Gesellschaftsordnung eines »orientalischen Despotismus« in Indien zu zerstören und eine »westliche« Gesellschaftsordnung zu errichten (Orientalism, 1978/2003, S. 153-154). Gleichzeitig verweist Edward W. Said auf positiv besetzte rassistische Bilder von »Indien«, die in Europa oft mit der Vorstellung einer »aryischen« Herkunft der Bewohner verbunden seien. Diese würden auf die Wirkung von Friedrich Schlegels »Über die Sprache und Weisheit der Indier« (1808) zurückgehen, der ein positives romantisches »Indien« der Vergangenheit einem unterlegenen »semitischen Orient« der Gegenwart entgegenstelle (1978/2003, S. 98-99). 66 | Im Nachwort der 1995er-Ausgabe bemerkt Edward W. Said etwa: »I wanted readers to make use of my work so that they might then produce new studies of their own that would illuminate the historical experience of Arabs and others in a generous, enabling mode« (Said, Orientalism, 1978/2003, S. 340). Eine äußerst interessante und neue Sichtweise auf das System des »Orientalismus« und der ausgerechnet auch von postkolonialen Theoretikern überbetonten Einseitigkeit des europäischen Sprechens über den Orient sowie ein Ignorieren von historischen »außereuropäischen« Quellen über Europa bietet die Studie »The (European) Other in Medieval Arabic Literature and Culture« von Niza F. Hermes (2012). Niza F. Hermes beschäftigt sich mit dem Interesse der »arabischen Welt« an Europa im Mittelalter (9. bis 12. Jahrhundert), das sich in zahlreichen bisher wenig beachteten Quellen zeigt, und sich offensichtlich ähnlicher Mechanismen
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die artifizielle Konstruktion des »Eigenen« aus der Abgrenzung heraus in einer Beziehung, die von einem Machtgefälle geprägt sei und in der die »stärkere« Seite das systematisierte Wissen zur weiteren Machtausübung nutzte; so würden Polarisierungen entstehen, die zwar an sich keine stabile Entsprechung in der Wirklichkeit hätten, aber beim Sprechen über das »Fremde« als bestimmende Kategorien hervortreten würden: […] there is no avoiding the fact that even if we disregard the Orientalist distinction between ›them‹ and ›us‹, a powerful series of political and ultimately ideological realities inform scholarship today. No one can escape dealing with, if not the East/West division, then the North/South one, the have/have not one, the imperialist/anti-imperialist one, the white/colored one. We cannot get around them all by pretending they do not exist; […]. (Said, Orientalism, 1978/2003, S. 327)
In diesem Sinne sind die Polarisierungen zu verstehen, wie ich sie in den Studien durch die Übertragung von Begriffen wie »Europa« bzw. der »Westen« (»westlich«) oder »Indien« bzw. »lokal« auf Standpunkte in der globalen Nachrichtenindustrie zum Ausdruck bringe. Bei diesen Kategorien sowie bei der Unterscheidung des reisenden Akteurs von einem quasi »nativen« (»immobilen«) lokalen Akteur der globalen Nachrichtenindustrie sind keinesfalls Eigenschaften gemeint, die natürlicherweise bestimmten Personen zugehörig sind, sondern ich beziehe mich vielmehr auf eine Funktionalisierung der Fertigkeiten, des Wissens, des Status der lokalen Akteure in ihrer Gesellschaft durch ihre Auftraggeber. Die lokalen Akteure werden durch die Funktionalisierung ihrer spezifischen Beziehung zur Lokalität im System der globalen Nachrichtenindustrie erst produziert. *** Während meiner Auseinandersetzung mit der Praxis der journalistischen Koope ration zwischen »westlichen« Journalisten und lokalen Akteuren der globalen Nachrichtenindustrie bin ich immer wieder auf Probleme der Perspektive und Repräsentation gestoßen, wie sie mir in �������������������������������������schen Debatten vertraut waren. Diese Nähe entsteht dabei nur zu einem Teil in dem gemeinsamen Anliegen einer medialen/textuellen Interpretation und Repräsentation von lokaler Lebensweise und sozialen Zusammenhängen. Eine weitere Dimension von Nähe journalistischer und ethnologischer Arbeit besteht in einem häufig anzutreffenden Machtgefälle in Richtung der jeweiligen lokalen Gesprächspartner. Reisende Journalisten wie Ethnologen, die sich mit Konflikten und globalen Problemen beschäftigen, kommen häufig aus den wohlhabenden Ländern des »Nordens« (bzw. des »Westens«), während ihre lokalen Gesprächsder Abgrenzung und Herabsetzung bzw. Glorifizierung bedient hat wie das »westliche« Sprechen über den Orient.
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partner aus ärmeren Weltregionen (oder marginalisierten Bevölkerungsteilen der eigenen Gesellschaft) stammen und auch kulturell unterschiedlich geprägt sind. Die Differenz wird mit vergleichbaren Mitteln überbrückt (Einsatz von lokalen Dolmetschern, Assistenten und Helfern) und das so gewonnene lokale Wissen wird ähnlich strategisch verwaltet und veröffentlicht. Diese Nähe zwischen Journalismus und Ethnologie im Umgang mit dem »Fremden« besitzt eine historische Dimension, nämlich die Verstrickung in die Mechanismen der europäischen Herrschaftsausübung während des Kolonialismus. In der weiteren Entwicklung einer Haltung beider Systeme der Wissensproduktion in Bezug auf die daraus erwachsenden Probleme der Repräsentation in den journalistischen oder ethnografischen Produkten werden dann aber wichtige Unterschiede sichtbar, deren Betrachtung für eine »Ethnografie der journalistischen Kooperation« in der globalen Nachrichtenindustrie hilfreich und wichtig ist. In diesem Sinne erfolgt der Rückgriff auf Edward W. Said auch, um gerade diese Unterschiede mittels eines weiteren Standpunkts herauszuarbeiten, der im Falle seiner Schriften bzw. der postkolonialen Kritik im Allgemeinen sowohl außerhalb der Ethnologie als auch außerhalb des Auslandsjournalismus liegt. Die Verwerfungen, die Edward W. Said mit seinem Buch vor mehreren Jahrzehnten in der Geistesgeschichte verursacht hat, verliefen mehrfach quer durch das »Gebiet« der Ethnologie67, obwohl diese in »Orientalism« nur am Rande Erwähnung findet. Die Auswirkungen der postkolonialen Kritik am ethnologischen Diskurs über den Orient werden in den fachhistorischen Betrachtungen zwar widersprüchlich beurteilt, nämlich sowohl wohlwollend (Dirks, 2004, S. 42)68 als auch ablehnend (Lewis H. S., 2007, S. 777), aber niemand kommt umhin, die intensiven Debatten zu thematisieren, welche die Ethnologie von Beginn an in 67 | Ich benutze hier den Begriff Ethnologie zusammenfassend für diverse fachliche Strö mung en, wie der social anthropology in Großbritannien und der cultural bzw. der sociocultural anthropology in den USA oder auch der Kultur- und Sozialanthropologie in Deutschland. Die aus der deutschen Volkskunde hervorgegangene, aber von deren Volksbeg riff »emanzipierte« Europäische Ethnologie, an deren fachliche Traditionen mein eigenes Forschungsprojekt anschließt, kann als deutscher »Sonderweg« begriffen werden (Kaschuba, 1999, S. 96-111). In der vergleichsweise jungen Geschichte des Faches spielt die europäische Kolonialgeschichte vor allem im Sinne einer Anthropologie des Kolonialismus und dessen Folgen für die Gegenwart eine wichtige Rolle; verschiedene postkoloniale Theoretiker werden in diesem Kontext rezipiert (Randeria & Röhmhild, 2002/2013). 68 | Der amerikanische Ethnologe Nicholas B. Dirks hat eine eigene Kritik an der kolonialen Ethnologie in Indien in »Castes of Mind« (2001) entlang des »Kasten«-Paradigmas entwickelt. Seine zentrale These ist dabei: »colonialism made caste what it is today« (2001, S. 5). Diese entwickelt er aus einer Untersuchung der Arbeit britischer Ethnologen, namentlich H.H. Risley und Edgar Thurston, die als Teil des britischen Kolonialsystems auftraten, es mit Informationen versorgten und dabei halfen, das Konzept der Kaste in ein rassistisches europäisches Weltbild einzuordnen und nutzbar zu machen (2001, S. 184).
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direktem Bezug zur postkolonialen Kritik gebracht haben. Bedeutend war etwa die Interventionen von Talal Asad, der 1973 in dem Sammelband »Anthropology & the Colonial Encounter« kritische Beiträge verschiedener Autoren zur Frage der kolonialen Verstrickung der Ethnologie veröffentlichte und die Stellung des Ethnologen als neutralen Beobachter infrage stellte: […] the scientific definition of anthropology as a disinterested (objective, value-free) study of ›other cultures‹ helped to mark off the anthropologist’s enterprise from that of colonial Europeans (the trader, the missionary, the administrator and other men of practical affairs); but did it not also render him unable to envisage and argue for a radically different political future for the subordinate people he studied and thus serve to merge that enterprise in effect with that of dominant status-quo Europeans? (Asad, 1973, S. 18)
In ähnlicher Weise begründete auch der britische Ethnologe Bernard Cohn seine ebenfalls bereits in den 1970ern in den wissenschaftlichen Diskurs getragene Kritik am anthropologischen Paradigma während des britischen Kolonialismus.69 Die Arbeiten von Bernhard Cohn und Talal Asad können als frühe Beispiele für Debatten innerhalb der Anthropologie/Ethnologie gesehen werden, die von George E. Marcus und Michael M.J. Fischer unter dem Begriff der »Crisis of Representation« (1986/1999, S. 8)70 zusammengefasst wurden und ihren Ursprung in den 1960er und 1970er Jahren haben, in der Hauptsache aber in den 1980er und 1990er Jahren stattgefunden haben und die die Ethnologie veränderten. Dabei 69 | ������������������������������������������������������������������������������grafischem Wissen: »In order to establish law and order and to collect taxes there were a number of pre-requisites in addition to monopolization of military power. […] Wherever the colonial rulers went the questions were the same, ›Who is in charge?‹, ›Who owns this?‹, ›Who has what rights and duties?‹ In most places the answers which were obtained to these questions did not fit the categories or experience of the European rulers and more information had to be obtained before questions could be effectively asked or answered. Theories were developed to help solicit more information and to classify and fix into meaningful European categories the answers to the questions which the theories generated« (Cohn, African Models and Indian Histories, 1977/1987, S. 205-206). 70 | George E. Marcus und Michael M. J. Fischer verwenden den Begriff »crisis of representation« für einen historischen Moment in den Wissenschaften, den sie als »spiralförmige« Widerkehr von Fragen verstehen, die bereits in den 1920er und 1930er Jahre von Intellektuellen wie Walter Benjamin, Robert Musil oder Ludwig Wittgenstein aufgeworfen wurden. Diese seien durch die Zeit miteinder verbunden durch: »uncertainty about the nature of major trends of change and the ability of social theories to grasp it holistically« (1986/1999, S. 10). Diese »uncertainty« würde sich etwa in einer grundsätzlichen Ablehnung einer vordergründig wertfreien und objektiven Sozialwissenschaft äußern, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg von dem US-amerikanischen Soziologen Talcott Parson betrieben wurde (1986/1999, S. 8).
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wurden die epistemologischen Annahmen bei der Wissensproduktion infrage gestellt 71, Grenzen zu anderen Disziplinen eingerissen 72 und die Ethnologie immer wieder von einem lokalen Standpunkt aus kritisiert.73 Die Konstruktionsweise ethnografischer Texte und die strategische Anwendung des ethnografischen Wissens wurden nun problematisiert: Paradigmatisch wirkte der Essayband »Works and Lives. The Anthropologist as Author« (1988), in dem Clifford Geertz anhand klassischer Ethnografien die Tätigkeit des Ethnologen mit der eines Schriftstellers in Verbindung brachte und damit die sprachliche Konstruktionsweise der ethnologischen Erkenntnisse betonte. So sah Clifford Geertz das methodische Vermächtnis von Bronisław Malinowski weniger in einer teilnehmenden Beobachtung »sozialer Realität« als vielmehr in einer »teilnehmenden Beschreibung« der »sozialen Realität«, die erst in den Texten konstruiert werde, deren Wahrhaftigkeit aber durch ein voriges »Dort-Sein« des Autors legitimiert würde: Malinowski posed the ›Being There‹ question in its most radical, if not necessarily its most productive, form. He projected at once (never mind how fully he practiced it) a mode of research that, at it’s limits anyway, virtually erases, or claims to, the affective distance between the observer and the observed, and a style of analyses (never mind how consistently he pursued it) that, at its limits, renders that distance, or pretends to, near absolute. (1988/1999, S. 83)
Eine ganze Reihe von Ethnologinnen und Ethnologen wie Paul Rabinow, Michael M.J. Fischer oder Marilyn Strathern haben wie Clifford Geertz gegen Denktraditionen in der Ethnologie argumentiert, die auf einer, in ihren Augen, zu einfachen Vorstellung von positivistischer Wahrheit in den ethnografischen Texten als Produkte ethnologischer Forschung basierten; Vorstellungen, die im einflussreichen Sammelband »Writing Culture« von James Clifford wie folgt charakterisiert werden: »claiming transparency of representation and immediacy of experience. �����71 | Eine Kritik an der epistemologischen Konstitution der empirischen Sozialwissenschaft ist im Kontext ihres Sprechens über die afroamerikanische Bevölkerung bereits in den 1960ern von Abd-L Hakimu Ibn Alkalimat in seinem bekannten Essay »The Ideology of Black Social Science« (1969) vorgebracht worden. 72 | Besonders die Geschichte wurde jetzt zu einem wichtigen Bezugspunkt der Anthropologie – ein Phänomen, das manchmal als »historic turn« bezeichnet wird (McDonald, 1996, S. 1). 73 | Etwa durch den indigenen US-amerikanischen Historiker und Bürgerrechtler Vine Deloria Jr., der in seinem Buch »Custer Died For Your Sins« die Arbeit der Ethnologie kari kier t e: »An anthropologist comes out to Indian reservation to make OBSERVATIONS. During the winter these observations will become books by which future anthropologists will be trained, so they can come out to reservations years from now and verify the observations they have studied« (1969/1988, S. 79).
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ing reduced to method: keeping good field notes, making accurate maps, ›writing up‹ results« (1984/2010, S. 2). Edward W. Said selbst hat sich, abgesehen von seinem vorsichtigen Lob für die Arbeit von Clifford Geertz (Said, 1978/2003, S. 326) und vereinzelten anderen Ethnologinnen und Ethnologen, stets äußerst kritisch zur gesamten Unternehmung der Ethnologie gestellt und ihre Arbeitsweise und akademische Konstitution infrage gestellt, detailliert etwa in seinem Aufsatz »Representing the Colonized: Anthropology’s Interlocutors« (1989). Es sprengt hier den Rahmen dieser Darstellung auf die grundsätzlichen Argumente von Edward W. Said einzugehen. Mit Sicherheit kann jedenfalls festgestellt werden, dass auch heute die Probleme nicht plötzlich gelöst sind, die beim Sprechen über »fremde« Gesellschaften oder Lebensweisen entstehen sowie beim Versuch der Ethnologie, die durch Beobachtung und Selbstrepräsentationen (z.B. Forschungsinterviews) gewonnenen Erkenntnisse zu interpretieren – vor allem, wenn die Menschen, mit denen und über die gesprochen wird, von Konflikten, Armut und Elend betroffen sind und ein Machtgefälle besteht. Es ist des Weiteren auch nicht anzunehmen, dass eine finale methodische Lösung für diese Probleme existiert. Schließlich ist aber auch festzustellen, dass heute in der Ethnologie in der Regel kein Anspruch auf Wahrheit angemeldet wird, wie er im Zitat von James Clifford aus den 1980er Jahren kritisiert wird (1984/2010, S. 2). Vielmehr wurden die Reflexion der eigenen Position und Perspektive im Forschungsfeld sowie die Überprüfung von epistemologischen Annahmen ein Bestandteil ethnografischer Praxis.74 Die vielfältig selbstreflexiven und widerständigen Formen des Forschens in der Europäischen Ethnologie mit ihrer methodischen Durchlässigkeit für historische Forschung, für die Text- und Objektanalyse sowie für verschiedene Formen des »Research up«, bei der das zuvor angesprochene Machtgefälle zwischen Ethnologen und Gesprächspartnern durch Elitenforschung auf den Kopf gestellt wird, sind dafür ein gutes Beispiel (Kaschuba, 1999, S. 202-204). Konsultiert man dagegen die Selbstverpflichtungen der einflussreichsten globalen Nachrichtenorganisationen, die etwa als Prinzipien, Leitlinien oder in Form von Handbüchern veröffentlicht werden, als eine Art imaginierte Autorität für einen kontemporären Auslandsjournalismus »westlicher« Prägung (zumindest wie er in den konventionellen Nachrichtenorganisationen praktiziert wird), 74 | In einer Bestandsaufnahme hat die amerikanische Ethnologin Lanita Jacobs-Huey (2002) aus zahlreichen Ethnografien und Stellungnahmen zur ethnografischen Praxis Strategien herausgearbeitet, wie Ethnologen seit den 1980er Jahren versucht haben, dem Anspruch einer solchen »reflexive anthropology« zu genügen. Zu diesem Zeitpunkt wurde offensichtlich üblicherweise viel eher erwartet als zuvor, dass die eigene Position des Forschers im Feld offengelegt wird, dass dargestellt und reflektiert wird, wie Fragen gestellt und wie Beobachtungen und Schlussfolgerungen entstehen sowie dass die eigene Präsenz im Feld nicht verdeckt wird. Es wurde demnach auch verstärkt über die Sprachform reflektiert, mit der über und mit lokalen Gesprächspartnern gesprochen wird (2002, S. 792).
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so finden sich dort gegensätzliche Bestrebungen, nämlich der Bezug auf eine ungebrochene Tradition und Integrität der Nachrichtenorganisationen. Hier ist keine Rede von einem Bruch mit »Vergangenem«, vielmehr werden Idealvorstellung von Neutralität und Wahrheit als Prinzipien journalistischer Arbeit weiter hervorgehoben: »For more than a century and a half, men and women of The Associated Press have had the privilege of bringing truth to the world«, heißt es etwa bei den »AP News Values & Principles« (AP, o.D.): »That means we abhor inaccuracies, carelessness, bias or distortions.« Das Ziel eines Reuters-Journalisten, so steht es im Reuters-»Handbook for Journalism«, sei es: »to search for and report the truth, fairly, honestly and unfailingly« (Reuters, o.D.-c). Unter der Überschrift »AFP’s Values« ist zu lesen: »Providing clear explanation of rigorously checked facts is the surest way of reaching the truth« (AFP, o.D.). Nach der Logik dieser Prosa spielen Fragen des Standpunktes keine Rolle, weil jeder Journalist verpflichtet ist, denselben neutralen Journalismus nach denselben Regeln zu praktizieren, egal, ob er als lokaler Akteur, reisender Journalist oder als Nachrichtenredakteur und professioneller Fernbeobachter arbeitet. Jede unerwünschte Abweichung in den Produkten basiert demnach auf den Fehlern von Autoren innerhalb des neutralen Systems Journalismus, denn ein solches System, so wird auch in den »Standards and Ethics« der New York Times suggeriert, basiert offensichtlich auf festen und objektivierbaren Kriterien, nämlich der Repräsentation von faktischer Wahrheit, die sogar unabhängig von dem jeweils angewendeten Medium ist: »Whatever the medium, we tell our audiences the complete, unvarnished truth as best we can learn it« (The New York Times, o.D.). *** Die Lektüre solcher Selbstverpflichtungen und Selbstinszenierungen ist natürlich nicht mit einer Analyse von tatsächlich produzierten journalistischen Texten (also den eigentlichen Meldungen, Filmen, Reportagen etc.) zu verwechseln. Diese mögen überzeugend, genau und umfangreich recherchiert und sogar herrschaftskritisch sein oder aber sie mögen oberflächlich und einseitig ausfallen. Mich interessiert hier im Kontext meiner Studien, die sich ja mit Aspekten der journalistischen Praxis beschäftigen, vor allem der »Akt«, der vollzogen wird, wenn sich eine »westliche« Nachrichtenorganisation eine solche »Wahrhaftigkeitsverfassung« gibt, eine Art »Vertrag« oder »Gesetzestext«, auf den sich natürlich kein Zuschauer oder Leser vor einem Gericht berufen kann, auf dessen regelhaften, dogmatischen Charakter für die journalistische Praxis aber immer wieder verwiesen wird. Das geschieht etwa, wenn die New York Times das Streben nach journalistischer Wahrheit als ein »fundamental pact with our readers« (The New York Times, o.D.) bezeichnet oder wenn bei Reuters durch die »10 Absolutes of Reuters« (Reuters, o.D.-b), ob zufällig oder nicht sei dahingestellt, gar ein quasireligiöser Charakter entsteht.
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Der Grund für diese Selbstkonstituierungen ist in dem Umstand zu sehen, dass der Anspruch der Nachrichtenorganisationen auf Wahrheit gar nicht anders zu erfüllen ist als durch ein Übereinkommen, das Gehalt und Bedeutung der »Dogmen« als spezifische Form der Praxis festlegt, also die jeweiligen Grundlagen universalistischer »Ideologie«. Häufig betreffen diese »Dogmen« drei Bereiche: 1.) die Konstruktionsweise der Produkte in einer spezifischen Form, basierend auf »Fakten« (d.h. unter Ausschluss von Erfindungen); für die AFP etwa bedeutet Wahrheit, wie bereits zitiert: »Providing clear explanation of rigorously checked facts« (AFP, o.D.); 2.) organisatorische Maßnahmen zur Gewährleistung der eigenen Unabhängigkeit; Reuters garantiert dies mit einer speziellen Unternehmensstruktur, den so genannten Trust Principles, die schon 1941 »in the midst of World War II« (Thomson Reuters, o.D.-a) entstanden seien. Die AFP als wichtigster französischer Nachrichtendienst betont die organisatorische Unabhängigkeit vom französischen Staat (AFP, o.D.); 3.) erwünschte Verhaltensregeln für die journalistische Praxis und Methoden der Berichterstattung; so werden Reuters-Journalisten dazu angehalten, Fehler zu korrigieren, ihre Quellen zu schützen,����������������������������������������zahlen und keine Bestechungsgelder anzunehmen (Reuters, o.D.-b). Gegen solche angestrebten Ideale journalistischer Praxis ist nichts einzuwenden, vielmehr sind sie meiner Auffassung nach zu begrüßen und einer emotional engagierten einseitigen oder gar korrumpierten Darstellungsweise vorzuziehen.75 Inzwischen bemühen sich »westliche« Nachrichtenorganisationen auch darum, einen »Ausgleich« der Perspektiven anzubieten, um die Dominanz eines einzigen Standpunktes abzumildern – etwa durch das Prinzip des »Pluralism« als einer der AFP-»Werte«: »Much of what is reported deals with conflicts and a clash of ideas. Our duty is to present the positions of all parties involved, favouring none« (AFP, o.D.). Allerdings muss der Universalismus des »westlichen« Auslandsjournalismus und seine »Dogmen« trotzdem Glaubensartikel bleiben, sie basieren auf Behauptungen, die sich nicht im Konkreten erfüllen lassen, weil Nachrichten-
75 | Eine Kritik am Wahrheitsanspruch »westlicher« Nachrichtenorganisationen ist etwas anderes, als deren Legitimität grundsätzlich infrage zu stellen. Tatsächlich scheint die Instrumentalisierung eines zynischen Blickes auf den »westlichen« Journalismus, auf seinen universellen Anspruch und die Unfähigkeit vieler »westlicher« Nachrichtenorganisationen, in der jüngeren Vergangenheit eine würdige Position in Bezug auf entscheidende globale Ereignisse einzunehmen (etwa die völkerrechtswidrige US-Invasion im Irak 2003, die internationale Finanzkrise 2007 oder während des sogenannten Arabischen Frühlings ab 2010), heute zur Grundlage eines aggressiven reaktionären Gegendiskurses zu werden. In Deutschland werden die Nachrichtenorganisationen entsprechend etwa als »Lügenpresse« verunglimpft.
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organisation und Nachrichten ja keine natürlichen Phänomene sind, wie Edward W. Said in Covering Islam (1981) in Erinnerung ruft:76 […] they are made, as the result of human will, history, social circumstances, institutions, and the conventions of one’s profession. Such aims of the press as objectivity, factuality, realistic coverage and accuracy are highly relative terms; they express intentions, perhaps, and not realizable goals. (1981/1997, S. 49-50)
Die Produkte des »westlichen« Auslandsjournalismus enthalten dementsprechend trotz aller Regeln und Garantien nicht mehr oder weniger objektive Wahrheit als die positivistische Ethnografie des 19. Jahrhunderts.77 76 | Während Edward W. Said seine Thesen in »Orientalism« (1978/2003) zunächst vor allem entlang von Diskursen der Wissenschaft, Literatur und Politik entwickelt und nur vereinzelt journalistische Beispiele heranzieht, wie etwa zur Berichterstattung über den Arabisch-Israelischen Krieg von 1973 (1978/2003, S. 293), widmet er sich in Covering Islam (1981/1997) ganz den von ihm vermuteten Deformationen in den Texten des »westlichen« Auslandsjournalismus und dem medialen Expertendiskurs. 77 | Ein Anspruch auf eine »faktische Realität« in der Ethnologie kann mit dem damals paradigmatisch einflussreichen britischen Anthropologe Edward Burnett Tylor (18321917) in Verbindung gebracht werden, der Ideen aus den Naturwissenschaften und der Evolutionslehre auf den Bereich der »Kultur« übertrug. Der Wissenschaftshistoriker George W. Stocking Jr. charakterisiert E.B. Tylors Beziehung zur »faktischen Realität« wie folgt: »Tylor seems in practice to have been troubled by no doubts that science was an ever more refined series of empirical statements about an objectively existing external reality« (Stocking, 1968/1982, S. 102). ������������������������������������������������������senschaften gehörten bereits zur Zeit der Wende zum 20. Jahrhundert aber natürlich auch sehr viel differenziertere Ansätze. Da sind auf der einen Seite die »fait social« von Émile Durkheim, der an eine Einheit der wissenschaftlichen Erkenntnis und an übergeordnete soziale Strukturen glaubte (Durkheim, 1895/2013). Eine andere Position vertrat Max Weber, der eine Trennung zwischen objektiver Naturwissenschaft und den historisch verankerten Wissenschaften bevorzugte. In seinem Aufsatz »Die Objektivität sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis« (1904) stellte er sich der Frage nach der Objektivität der Erkenntnisse in den Beiträgen der von ihm herausgegebenen wissenschaftlichen Zeitschrift »Das Archiv« und kam zu dem Ergebnis, dass es eine »haarfeine Linie« sei, die Wissenschaft und Glauben scheide: »Die objektive Gültigkeit alles Erfahrungswissens beruht darauf und nur darauf, daß die gegebene Wirklichkeit nach Kategorien geordnet wird, welche in einem spezifischen Sinn subjektiv, nämlich die Voraussetzung unsere Erkenntnis darstellend, und an die Voraussetzung des Wertes derjenigen Wahrheit gebunden sind, die das Erfahrungswissen allein uns zu geben vermag. Wenn diese Wahrheit nicht wertvoll ist – und der Glaube an den Wert wissenschaftlicher Wahrheit ist Produkt bestimmter Kulturen und nichts Naturgegebenes –, dem haben wir mit den Mitteln unserer Wissenschaft nichts zu bieten« (Weber M., 1904/ 1995, S. 100). Max Weber unterstreicht außerdem die
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Es wird hier nicht behauptet, die Produkte des »westlichen« Auslandsjournalismus seien intrinsisch weniger durchlässig für Selbstreflexionen als die Ethnografie und Journalisten weniger fähig zum kritischen Denken als Ethnologen. Beispiele, die das Gegenteil zu zeigen, werden im Folgenden aufgeführt und auch die Studien beschäftigen sich immer wieder mit Organisationen und Individuen, die in Opposition zu diesem Wahrheitsanspruch stehen und alternative sowie selbstreflexive journalistische Konzepte erproben. Historisch betrachtet hat sich der Auslandsjournalismus zudem wohl schon vor der akademischen Ethnologie für unterschiedliche Standpunkte geöffnet. Verwiesen sei hier auf die Entwicklung eines afroamerikanischen Auslandsjour nalismus in den USA im 19. Jahrhundert, der sich zunächst vor allem in der Berichterstattung über Afrika ausdrückte.78 So reiste der Intellektuelle und Journalist George Washington Williams in den 1880ern in den belgischen Kongo und berichtete von dort für den Boston Globe sowie den New York Tribune mit kritischen Artikeln über das grausame belgische Kolonialregime (Hamilton J. M., 2009, S. 334). Als eine Art »Anti-Henry-Morton-Stanley« war er Pionier einer Reihe von reisenden afroamerikanischen Journalisten, die den Kolonialismus kritisierten und auch Parallelen zur Situation der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA zogen.79 Bedeutung von Standpunkten bei der Definition dessen, was Objektivität für den Einzelnen bedeutet: »Und der uns allen in irgendeiner Form innewohnende Glaube an die überempirische Geltung letzter und höchster Wertideen, an denen wir den Sinn unseres Daseins verankern, schließt die unausgesetzte Wandelbarkeit der konkreten Gesichtspunkte, unter denen die empirische Wirklichkeit Bedeutung erhält, nicht etwa aus, sondern ein: das Leben in seiner irrationalen Wirklichkeit und sein Gehalt an möglichen Bedeutungen sind unausschöpfbar, die konkrete Gestaltung der Wertbeziehung bleibt daher fließend, dem Wandel unterworfen in die dunkle Zukunft der menschlichen Kultur hinein« (Weber M., 1904/ 1995, S. 101). 78 | Die im letzten Abschnitt erwähnten ethnologischen Informanten wurden dagegen meist nicht in den Wissenschaftsbetrieb integriert. Roger Sanjek berichtet von den ersten indigenen Mitarbeitern des Bureau of American Ethnology, die erst im 20. Jahrhundert eigenständig publizierten (1993, S. 14). Damals habe etwa der dem Omaha-Stamm angehörige Ethnologe Francis La Flesche Fachartikel veröffentlicht. 79 | Während es im 19. Jahrhundert eher individuelle Reisende waren, die wie George W. Williams (oder auch William Sheppard, der ebenfalls in den belgischen Kongo reiste) ihre Reisen mit der Produktion von Zeitungsartikeln verbanden (Hamilton J. M., 2009, S. 335), so entwickelte sich der afroamerikanische Auslandsjournalismus im 20. Jahrhundert weiter und war spätestens seit den 1930er Jahren fest etabliert, als Persönlichkeiten wie Joel (Augustus) Rogers und George Schuyler aus Afrika und Homer Smith aus Russland für US-amerikanische Medien und Nachrichtenagenturen berichteten (Hamilton J. M., 2009, S. 336-337). Inwiefern sie dabei vor Ort mit lokalen Helfern zusammenarbeiteten, ist mir nicht bekannt, dies wäre aber eine interessante Fragestellung für weitere Forschung in Archiven.
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Es wird hier ebenfalls nicht behauptet, dass zwischen Ethnologie und Auslandsjournalismus kein Unterschied besteht, vielmehr ist davon auszugehen, dass Ethnologen und Journalisten unterschiedliche Ziele verfolgen und entsprechend auch mit völlig unterschiedlichen Voraussetzungen für einen Widerstand gegen eine Deformation des »Fremden« ausgerüstet sind. Kritische Wissenschaft hat dabei den grundsätzlichen »Vorteil«, reagieren zu können; ein Umstand, auf den David Spurr in »Rhetoric of Empire« hinweist, eine Betrachtung kolonialer Diskurse in den Texten von reisenden Journalisten: This mis en question is relatively easy for persons who write critical studies of colonial discourse, and who have the advantage of being able to contemplate the problem from an abstracted perspective. The journalist who wishes to confront the same questions however, must treat them as an event; he or she must find them in the immediate context of the moment. (1993/2004, S. 189)
Doch auch die diskursiven Zwänge einer aktuellen Berichterstattung und eine unbestrittene kontinuierliche Heterogenität in den Formen80 und Stimmen des »westlichen« Auslandjournalismus erklärt nicht, warum es für die einflussreichsten Nachrichtenorganisationen der Welt auch heute weiter möglich ist, mit großer Autorität einen Anspruch auf Wahrheit oder Objektivität 81 zu vertreten, der im akademischen Diskurs in dieser Form keine Gültigkeit zu besitzen scheint. Neben der von Edward W. Said in Covering Islam (1981) thematisierten Auseinandersetzung »westlicher« Journalisten und »Medienexperten« mit dem Islam scheinen auch andere prominente Untersuchungen zu zeigen, dass eine Deformation des »Fremden« von universalistischen »Dogmen« journalistischer Praxis nicht verhindert wird. T.Z. Mindich beschreibt entlang von Nachrichtenmeldungen ������������������������������������������������������������������������tung über Gewalt zwar scheinbar auf Fakten auf bauen und damit Neutralität suggerieren, aber gleichzeitig entsetzliche Verzerrungen und Fehleinschätzungen in
80 | Die Vielfältigkeit der journalistischen Formen, die zudem nicht nur lineare Texte, sondern auch diverse Rundfunkformate sowie neue Formen des Internetjournalismus umfasst, macht es schwierig, allgemeine Aussagen über »den Journalismus« zu treffen. Doch das Problem ist umgekehrt zu betrachten und entsteht, weil Nachrichtenorganisationen ihrerseits universalistische Zuschreibungen auf ihre Produkte pauschal verwenden. 81 | Tatsächlich scheint Objektivität heute als Begriff innerhalb der globalen Nachrichtenindustrie aus der Mode gekommen zu sein und stattdessen wird von Wahrheit/»truth« gesprochen. Die Objektivität ist als Voraussetzung für Wahrheit allerdings in Form ihres Antonyms, der Meinung/»opinion«, meist weiter präsent, deren Gebrauch ausgeschlossen und sanktioniert wird: »No user of AFP content should detect an opinion contained within the facts presented and AFP journalists resolve to present an account of events free of any form of distortion« (AFP, o.D.).
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sich tragen kann (Mindich, 1998, S. 113-138).82 Noam Chomsky hat zusammengetragen, wie in fast surrealer Einstimmigkeit in den US-Medien etwa hundert Jahre später zwischen »würdigen« (Polen) und »unwürdigen« (Guatemala) Gewaltopfern »unterschieden« wurde, indem letztere nur als Randnotizen Erwähnung finden und die Gewalt gegen sie viel weniger problematisiert wurde (1988/1994, S. 38-86).83 Mit ihrer Analyse von Fotografien auf der Titelseite der New York Times über zwei Jahrzehnte zeigen Jessica M. Fishman und Carolyn Marvin, dass USAmerikaner offensichtlich deutlich weniger häufig bei der Ausübung expliziter Gewalt oder der gewaltsamen Herstellung von Ordnung gezeigt werden als Personen aus anderen Ländern (Fishman & Marvin, 2003). Ohne die in diesen Forschungen im Einzelnen entwickelten unterschiedlichen Erklärungsmodelle oder Methoden des Erkenntnisgewinns hier weiter vertiefen zu wollen, kann man die aufgeführten Beispiele auch mit der Logik von Standpunkten in der globalen Nachrichtenindustrie betrachten. Die Distanz, mit der »westliche« Fernbeobachter und Journalisten über lokale Zusammenhänge berichten und eine gleichzeitige Negation des lokalen Standpunktes (der aber in Form einer spezifischen Rollenverteilung zwischen lokalen und reisenden Akteuren nutzbar gemacht wird) sowie die Legitimation derselben mit universalistischen Argumenten (wie der Behauptung von universeller Wahrheit in der Be82 | Als die afroamerikanische Journalistin Ida B. Wells systematisch damit begann die Fehler der »weißen« Berichterstattung über die Lynchmorde zu widerlegen (etwa die fälschliche Annahme, dass die meisten Lynchopfer selbst Straftaten wie Vergewaltigungen begannen hätten), wurde sie nicht nur von Rassisten mit der Verstümmelung und dem Tod bedroht, sondern auch von der etablierten Informationspresse angegriffen. So entwertete die New York Times ihre Arbeit als emotional, irrational und dogmatisch (Mindich, 1998, S. 128). 83 | Dieses Beispiel ist Teil des empirischen Materials, anhand dessen Noam Chomsky und sein Koautor Edward S. Herman ihr Propagandamodell entwickeln, nach dem Macht interessen aus Politik und Wirtschaft erst die Bedingungen und Voraussetzungen für eine scheinbar objektive und unbefangene Berichterstattung formen würden und diese damit indirekt beeinflussen könnten. Sie gehen dabei nicht von einer direkten Beeinflussung der Berichterstattung aus: Vielmehr schaffe gerade die Behauptung der Wahrheit in der journalistischen Arbeit die idealen Bedingungen für ein öffentliches und freiwilliges Ausrichten der Meinungen nach einer vorgegebenen Richtung: »Perhaps this is an obvious point, but the democratic postulate is that the media are independent and committed to discovering and reporting the truth, and that they do not merely reflect the world as powerful groups wish it to be perceived. Leaders of the media claim that their news choices rest on unbiased professional and objective criteria, and they have support for this contention in the intellectual community. If, however, the powerful are able to fix the premises of discourse, to decide what the general populace is allowed to see, hear, and think about, and to ›manage‹ public opinion by regular propaganda campaigns, the standard view of how the system works is at serious odds with reality« (1988/1994, S. xi).
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richterstattung von Paris bis Timbuktu) liefern die nötige Grobkörnigkeit, mit der solche Deformationen möglich werden. *** Betrachtet man die Ursprünge der heutigen journalistischen Normen oder auch »Dogmen« im »westlichen« Auslandsjournalismus, die als Wurzeln eines Standpunktes »Europa« in der globalen Nachrichtenindustrie verstanden werden können, so verweisen viele medienhistorische Untersuchungen auf den wichtigen Einfluss des US-amerikanischen Journalismus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der insgesamt den »westlichen« Auslandsjournalismus prägte. Ab ca. 1830 wurden in der Massenkommunikation in den USA immer mehr die »Fakten« als die entscheidende Essenz von Ereignissen angesehen (Stephens, 1997, S. 244-264; Mindich, 1998, S. 10-11; Schudson, 1978, S. 4). In dieser Zeit entstand auch das Berufsbild des »Reporters«, der im Unterschied zum damals eher literarisch arbeitenden »Journalisten« seine Aufgabe in der »neutralen« Beobachtung des gesellschaftlichen und politischen Lebens sah, also dem Sammeln von »Fakten« und der genauen und »unverfälschten« Wiedergabe von Ereignissen (Schudson, 1996, S. 94-110).84 Außerhalb der USA wurden das Berufsbild des Reporters und neue journalistische Formen wie die strukturierte Nachricht 85 zunächst skeptisch beurteilt und im Europa des 19. Jahrhunderts nur langsam aufgegriffen (Chalaby, 1996, S. 312-
84 | Für die Ursachen einer Verfestigung gerade dieser Formen des journalistischen Diskurses wird in der Forschungsliteratur mit der Ansprache eines größeren Publikums argumentiert. So verweist Menahem Blondheim darauf, dass die ersten Führungskräfte der AP keine Journalisten, sondern Geschäftsleute waren, die ihre Produkte möglichst umfangreich verkaufen wollten: »It’s structure as a national institution – impersonal, nonlocal, unselfconscious and hidden – gave wire service news, however partisan, the appearance of objectivity« (Blondheim, 1994, S. 195). Der faktische Journalismus war in dieser Sichtweise also vor allem eine wichtige Geschäftsgrundlage. Auch Philomen Schönhagen sieht als wichtigstes Motiv die »Rücksichtnahme auf die unterschiedlichen Informationsund Orientierungsinteressen einer heterogenen Leserschaft« (Schönhagen, 1998, S. 77). 85 | Die »inverted pyramid« ist dabei die am häufigsten verwendete Struktur der Nachrichtenmeldung, bei der nach einem kurzen ersten Satz, dem so genannte »lead«, der die wichtigsten Informationen (who, what, how, when, where) enthält, die weiteren Informationen wie in einer umgekehrten Pyramide folgen, nach ihrer Relevanz gewichtet. Mitchell Stephens zitiert einen Zeitzeugen, der offensichtlich bereits 1892 beim Chicago Globe dieser Struktur begegnet war (1997, S. 246). Der erste belegte Gebrauch des Begriffs »inverted pyramid« stammt nach Informationen von David Mindich (1998, S. 116) aus dem Jahre 1894, nämlich in einem journalistischen Lehrbuch mit dem Titel »Steps into Journalism« von Edwin Shuman.
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318). Das Interview86 wurde als eine unnötige »Belästigung« von Würdenträgern angesehen, bis es sich im frühen 20. Jahrhundert auch international etablierte (Schudson, 1996, S. 78). Die Medienhistorikerin Philomen Schönhagen weist allerdings überzeugend nach, dass in Deutschland schon seit dem frühen 18. Jahrhundert ein journalistischer Diskurs entstanden war, der aus dem Denken der Aufklärung hervorging und sich explizit auf Unparteilichkeit berief (Schönhagen, 1998, S. 1-77). Sie verweist beispielsweise auf die ab 1712 unter dem Namen »der Hollsteinische unpartheyische Correspondente« erscheinende Zeitung aus Hamburg (später der »Hamburgische Correspondent«), die in ganz Europa gelesen wurde und deren Redaktion bereits einige der noch heute üblichen universalistischen »Dogmen« des Auslandsjournalismus entwickelt hatte.87 Natürlich praktizieren »westliche« Auslandskorrespondenten heute weder die »unpartheyische« Berichterstattung des 18. Jahrhunderts noch den US-amerikanischen Faktenjournalismus des 19. Jahrhunderts. Vielmehr haben sich die imaginierten Kriterien für journalistische Wahrheit in einem komplexen Prozess seit dieser Zeit stetig verändert. In »Discovering the News« (1978), einem inzwischen historischen Standardwerk zum Thema, datiert der Soziologe und Medienhistoriker Michael Schudson den Beginn der Objektivitäts-»Obsession« erst auf die 1920er Jahre und argumentiert, dass diese eher als eine Art skeptische Gegenreaktion auf den manipulationsanfälligen reinen Faktenjournalismus des 19. Jahrhunderts zu sehen sei (1978, S. 121-122).88 Was die frühen Formen der universa86 | Michael Schudson verortet die Ursprünge des journalistischen Interviews im amerikanischen Journalismus zur Mitte des 19. Jahrhunderts, wobei die ersten Interviews noch ohne diesen Begriff erschienen. So musste ein Pionier dieser neuen journalistischen Form, der New York Tribune-Verleger und Reporter Horace Greeley, noch 1859 die Struktur seines »Frage-Antwort-Artikels« umständlich erklären (Schudson, 1996, S. 73). 87 | In einem Brief an die Leser betonte die Redaktion 1712 nach Angaben von Philomen Schönhagen die Bedeutung des Sammelns, Vergleichens und Kenntlichmachens von Quellen. Auch eine Auswahl nach dem Kriterium der Relevanz wurde offensichtlich bereits explizit, ein Nebeneinanderstellen unterschiedlicher Standpunkte angestrebt und auf die Strukturierung von Nachrichten hingewiesen, indem diese, so der Wortlaut der Leseransprache, »gleichsam concentrirt« präsentiert werden sollten (Schönhagen, 1998, S. 45-50). 88 | Der US-amerikanische Medientheoretiker Walter Lippmann hat in »Public Opinion« (Lippmann, 1922/2007) als einer der ersten auf den konstruierten Charakter journalistischer »Wahrheit« hingewiesen, von der fälschlicherweise angenommen werde, sie sei »spontaneous« und von den Journalisten einfach nur textuell festzuhalten: »But when you are dealing with an invisible environment, the assumption is false. �������������������� The truth about distant or complex matters is not self-evident« (Lippmann, 1922/2007, S. 100). Er verwies auf Verzerrungen, die etwa durch ökonomische Interessen von Werbekunden entstehen könnten: »This insistent and ancient belief the truth is not earned, but inspired, revealed, supplied gratis, comes out very plainly in our economic prejudices as readers of newspa-
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listischen »Ideologie« und der heutige »westliche« Auslandsjournalismus aber gemeinsam haben, ist die Rechtfertigung der eigenen Praxis mit übergeordneten instabilen universalistischen Konstruktionen. Dazu zählt weiterhin genauso die Vorstellung von neutralen Fakten wie die angestrebte Objektivität ihrer Darstellung. Dabei ist die prinzipielle Unerreichbarkeit der eigenen Ideale meist bereits Bestandteil dieser Rechtfertigung: »I have no thought of saying The Associated Press is perfect. The frailties of human nature attach to it«, wird etwa der AP-Manager Melville Stone mit einem Zitat aus dem Jahr 1914 für die hauseigenen news principles ins Feld geführt: »[…] the thing it is striving for is a truthful, unbiased report« (AP, o.D.). Bei der AFP heißt es im differenzierten Ton des 21. Jahrhunderts: »Objectivity is a difficult goal to achieve. The mere unavoidable organisation of facts can influence a reader’s judgement. However, this does not prevent us from pursuing our policy of rigorous neutrality« (AFP, o.D.).89 Seit ihrer Entstehung wurden universalistische Vorstellungen im Journalismus von alternativen Ansätzen herausgefordert, die darauf zielten, dem eigenen Standpunkt mehr Sichtbarkeit einzuräumen. Der katholische Romantiker Joseph Görres wollte 1814 mit der Gründung des Rheinischen Merkurs ein Gegengewicht zu den »unparteiischen« Zeitungen in den deutschen Ländern schaffen, die nur als »geist- und kraftloser Index« (Görres, 1814/1979, S. 228) das Geschehene wiedergeben würden. Die Autoren im Rheinischen Merkur sollten dagegen in »Zucht und Maß, wie sich geziemt, aber auch äußerlich frei und ungefesselt, das Wort für die öffentliche Meinung fiihren« (Görres, 1814/1979, S. 229), die sich dann entsprechend seiner politischen Ansichten gegen das napoleonische Frankreich richtete. Mit ähnlichen Argumenten wandten sich reisende Journalisten aus den USA in den 1930er Jahren gegen das Prinzip der Objektivität – mit »interpretative reporting« wollten sie die zunehmend komplexe Lage in Europa dem Publikum in den USA erklären (Schudson, 1978, S. 147).90 Auch in den 1960ern wurde die journalistische Objektivität wieder infrage gestellt; Schriftsteller wie Tom Wolfe pers. We expect the newspaper to serve us with truth however unprofitable the truth may be« (Lippmann, 1922/2007, S. 101). 89 | Auch in der von Philomen Schönhagen auf Grundlage einer umfassenden Literaturanalyse entwickelten Unterscheidung zwischen »Subjektivisten« und »Objektivisten« in den Debatten um den Wahrheitsanspruch im Journalismus ist der Standpunkt der »Objektivisten« gerade von dieser prinzipiellen Unerreichbarkeit geprägt: »Die ›Objektivisten‹ dagegen akzeptieren die Objektivitätsnorm als Zielvorgabe und praktikable Berufsnorm, der man sich mittels journalistischer Handwerksregeln nähern kann, die allerdings aufgrund praktischer und struktureller Hindernisse sowie aus erkenntnistheoretischen Gründen in letzter Konsequenz unerreichbar bleiben muss« (Schönhagen, 1998, S. 240). 90 | Im Jahr 1941 verfasste James Agee mit »Let Us Now Praise Famous Men« eines der ersten nichtfiktionalen Reportagebücher, das selbstreflexive Elemente aufweist. Sein Thema waren Pachtbauern im Süden der USA (mit Fotografien von Walker Evans). Aus der Ich-Perspektive erzählt, thematisiert die Reportage die Wirkung der eigenen Präsenz,
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und Hunter S. Thomson begannen damit, »radikal« subjektive Formen des Journalismus zu erproben.91 Auch in Deutschland wurden in dieser Zeit experimentelle Zeitungen und Zeitschriften gegründet, die einen alternativen Standpunkt herausstellten (Holtz-Bacha, 1999).92 Spätestens mit dem Vietnamkrieg wurden Verzerrungen, die durch den dominanten Standpunkt »westlicher« Journalisten in der globalen Nachrichtenindustrie bis heute verursacht werden, überdeutlich sichtbar.93 Wenige Massenmedien waren überhaupt an den Positionen der Nordvietnamesen interessiert und noch weniger reisenden Journalisten aus dem »Westen« gelang eine Berichterstattung aus Nordvietnam. Während die Gegenkultur der 1960er nach neuen selbstreflexiven und subjektivierenden Ausdrucksformen für den Journalismus suchte, wurde die Objektivität zu einem Machtinstrument der Kriegsbefürworter. Wer versuchte, direkt über den »Feind« zu berichten, dem wurde (unter anderem
der eigenen sozialen Herkunft und reflektiert auch über die Nutzbarmachung des eigenen Narratives durch die Leser (Agee, 1941/2005). 91 | Der mit literarischen Mitteln arbeitende und radikal selbstreflexive Journalismus, der in dieser Zeit entstanden ist und auch von Prosa-Autoren wie Norman Mailer oder Truman Capote popularisiert wurde, wird oft als »new journalism« bezeichnet; wobei Tom Wolfe dieser Bezeichnung skeptisch gegenüber stand: »I have no idea who coined the term ›the New Journalism‹ or even when it was coined […] To tell the truth, I’ve never even liked the term« (1973/1996). Hunter S. Thompson prägte den Begriff »gonzo journalism« als seine Art der extremen Interpretation des »new journalism« (Hirst, 2004). 92 | Wobei die tageszeitung (gegründet 1979) mit einer eigenen Auslandsberichterstat tung aus dieser Zeit bis dato überdauert hat (Holtz-Bacha, 1999, S. 343). 93 | Verzerrungen in der »westlichen« Berichterstattung aufgrund ihres Standpunktes in der globalen Nachrichtenindustrie waren auch schon vorher sichtbar geworden. In seinem bekannten »Test of the News« (1920) analysierte Walter Lippmann gemeinsam mit Charles Merz die US-Berichterstattung zur russischen Revolution 1917 bis 1920 und schloss daraus, dass diese mehr dem Wunschdenken der Korrespondenten entsprach als den Tatsachen vor Ort (Hamilton J. M., 2009, S. 350). Einige der prominentesten Chronisten des Zweiten Weltkrieges, wie der spätere Literaturnobelpreisträger Ernest Hemingway, hatten keine Probleme damit, auch selbst zur Waffe zu greifen (Kershaw, 2004, S. 186-187) – ein Verhalten, das bei Korrespondenten im Vietnamkrieg ebenfalls mehrfach dokumentiert ist und dem eine beispiellose rassistische Hetzkampagne gegen Vietnamesen vorausging (Knightley P., 2004, S. 443-445). Auch im Koreakrieg wurden in der »westlichen« Auslandsberichterstattung gezielt rassistische Feindbilder befördert (Knightley P., 2004, S. 424) und als der britische Korrespondent James Cameron über die grausame Behandlung von nordkoreanischen Kriegsgefangenen berichten wollte, kam es zur Selbstzensur der bri tischen Presse (Cameron, 1967/2006, S. 99-149; Knightley P., 2004, S. 377).
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von anderen Journalisten) der Bruch mit den universalistischen journalistischen »Dogmen« vorgeworfen.94 Dass der journalistische Universalismus und seine jeweiligen zeithistorischen Gegenkonzepte aber keine spezifischen politischen Positionen besetzen (etwa zwischen konservativ und liberal), zeigt – wie schon die »nationalromantische« Kritik von Joseph Görres am Journalismus der Aufklärung – eine weitere internationale Debatte um den Standpunkt reisender Journalisten. Diese wurde in den 1990er Jahre von dem BBC-Kriegsberichterstatter Martin Bell ausgelöst, als er seine eigene journalistische Objektivität auf kündigte: I am no longer sure about the notion of objectivity, which seems to me now to be something of an illusion and a shibboleth. […] In place of the dispassionate practices of the past I now believe in what I call the ›journalism of attachment‹. By this I mean a journalism that cares as well as knows; that is aware of its responsibilities; and will not stand neutrally between good and evil, right and wrong, the victim and the oppressor. (Bell, TV News: how far should we go?, 1997, S. 8)
Sein »journalism of attachment« ist im Kontext der Jugoslawienkriege entstanden und wurde damals von einer Reihe anderer Kriegsberichterstatter aus etablierten anglofonen Nachrichtenorganisationen aufgegriffen, die wie Martin Bell eine Emotionalisierung der Kriegsberichterstattung sowie eine de facto-Positionierung mit der »westlichen« Kriegspartei forderten (und praktizierten).95 Attackiert wurde der »journalism of attachment« von alternativer Seite, etwa von dem marxistischen Publizisten und Journalisten Mick Hume aus Großbritannien, der seine Kritik in bester universalistischer Prosa beendet: »It is time somebody took a stand for a journalism that is campaigning yet critical, that takes sides but tells it like it is, and
94 | Ein bekanntes Beispiel ist die Arbeit des Kriegsberichterstatters Harrison Salisbury, der 1966 auf Einladung der nordvietnamesischen Regierung Hanoi besuchte und von dort berichtete, die US-Luftwaffe habe auch zivile Ziele angegriffen, was zuvor bereits kommunistische Nachrichtenagenturen verbreitet hatten. Von anderen Journalisten wurden die Artikel von Harrison Salisbury als fahrlässig, erratisch und irreführend bezeichnet und seine journalistische Sorgfalt infrage gestellt (Hamilton J. M., 2009, S. 392-403). 95 | So etwa der britische Kriegsberichterstatter Ed Vulliamy, der sich in einem Artikel im Guardian dafür aussprach, dass Journalisten die Arbeit des Internationalen Strafgerichthofs aktiv unterstützen sollten und sich nicht auf die Rolle des »neutralen Beobachters« beschränken sollten: »I believe there are times in history […] that neutrality is not neutral but complicit in the crime. This is, by the way, to distinguish between neutrality and objectivity: the first is moral; the second is fact-specific – we describe what we see objectively and that is sacrosanct. But what we objectively report need not lead us to neutral conclusions« (Vulliamy, 2002).
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that will not compromise on the need for full and open discussion of all the facts as our only chance of getting at the truth« (Hume, 1997, S. 28).96 Das kontinuierliche Ringen mit instabilen universalistischen Elementen, ihre Zurückweisung sowie ihre Instrumentalisierung zur Unterdrückung abweichender Standpunkte bedeutet jeweils ein gesellschaftliches und kulturelles Aushandeln dessen, was Auslandsjournalismus bedeuten soll und wer legitimiert ist, diesen zu betreiben. Ob die universalistischen Elemente dabei als Wahrheit oder als Fakten, als Objektivität oder Neutralität identifiziert werden oder ob sie als Distanz und Unparteilichkeit herauf beschworen werden, sie sind eine essenzielle und unentbehrliche Legitimationsstrategie für das Unterfangen der globalen Nachrichtenindustrie, ein hauptsächlich »westliches« Publikum mit Wissen über den »Rest der Welt« zu versorgen.97 Wie bereits festgestellt wurde, praktizieren »westliche« Auslandskorrespondenten heute natürlich nicht den US-amerikanischen Journalismus des 19. Jahrhunderts; die hier dargestellten und viele weitere Strömungen und »Schulen« des Auslandsjournalismus haben vielmehr jeweils 96 | Um Mick Humes Argumentation an dieser Stelle nicht zu verkürzen, ist hinzuzufügen, dass er sich in seinem Themenheft durchaus mit der Frage beschäftigt, wie sich der von ihm kritisierte »journalism of attachment« etwa von einer Parteinahme von Journalisten für die Opfer des Vietnamkrieges unterscheidet, die er ebenso als »campaigning journalists« identifiziert: »The main aim of these campaigning journalists was to expose the misdemeanors of their own societies. ��������������������������������������������ists sought to show how their own government, which claimed to be free and democratic, were in fact acting as colonial dictators against the Third World […]. What characterized many of these journalists was their anti-interventionist outlook […]. The followers of the ›journalism of attachment‹ take a very different line. Instead of exposing the workings of their own societies, today’s radical reporters are searching for signs of evil in other people’s backyards. And far from criticizing the role of the powerful West in creating problems around the globe, they insist that ›we‹ are the only possible solution to the world’s problems« (Hume, 1997, S. 23). Seine Argumentation zielt also auf Standpunkte in der globalen Nachrichtenindustrie – für ihn ist es wichtig, wer spricht. Gleichzeitig verharrt er aber in universalistischen Argumenten und bleibt die Antwort schuldig, wie sich Wahrheit auf der Basis von Fakten in journalistischen Produkten manifestieren soll oder ob er der Ansicht ist, dass über Gräueltaten grundsätzlich nur aus einer »Binnenperspektive« berichtet werden soll. 97 | In ihrem Artikel »Objectivity as Strategic Ritual: An Examination of Newsmen’s Notions of Objectivity« postulierte die Soziologin Gaye Tuchman Anfang der 1970er Jahre, dass es bei der journalistischen Objektivität vor allem um ritualisierte Handlungsweisen geht, die nach außen wirksam sein sollen: »To journalists, like social scientists, the term ›objectivity‹ stands as a bulwark between themselves and critics. ����������������������versial presentation of ›facts‹, newspapermen invoke their objectivity almost the way a Mediterranean peasant might wear a clove of garlic around his neck to ward off evil spirit« (1972, S. 660).
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unterschiedliche Formen journalistischer Arbeit geprägt. Aber anders als in der Ethnologie – und damit erreiche ich auch den Zielpunkt meiner vergleichenden Darstellung des jeweiligen Umgangs mit Problemen der Repräsentation – scheint es der globalen Nachrichtenindustrie nicht zu gelingen, sich von universalistischer »Ideologie« zu lösen. In seinem Essay »Re-thinking Objectivity« schlägt Brent Cunningham (Columbia Journalism Review) vor: Journalisten könnten weiterarbeiten wie bisher, wenn sie ihren Standpunkt deutlich machen würden und darauf verzichten würden, die Objektivität der eigenen Berichterstattung überhaupt erst zu behaupten: Journalists (and journalism) must acknowledge, humbly and publicly, that what we do is far more subjective and far less detached than the aura of objectivity implies – and the public wants to believe. If we stop claiming to be mere objective observers, it will not end the charges of bias but will allow us to defend what we do from a more realistic, less hypocritical position. (2003)
So attraktiv dieser Gedanke vielleicht erscheint, er hat meines Wissens in keinem größeren Umfang Gehör gefunden. Genauso ist die Forderung der Medienwissenschaftlerin Meenakshi Gigi Durham aus den 1990ern verhallt, das Konzept einer Strong Objectivity 98 von Sandra Harding aus den Gender Studies auf den Journalismus zu übertragen: Whereas the stories might take the same shape as articles in the current inverted-pyramid style, the text would make clear the reporter’s social and political location as well as those of other sources; the various standpoints as sites of truth claims would be made apparent. The identification and examination of competing social interests, beginning with the most marginalized, would be at the nucleus of every story. (Durham, 1998, S. 137)
Um als kommerziell oder öffentlich finanzierte Organisationen in der globalen Nachrichtenindustrie bestehen zu können, werden Journalisten und Nachrichtenorganisation weder die eigene Neutralität oder Unparteilichkeit aus ihren Programmen streichen noch infrage stellen, dass sie die »Wahrheit« berichten. 98 | Das Konzept der »strong objectivity« wurde von der US-amerikanischen Philosophin Sandra Harding als ein Ansatz der feministischen Sozialwissenschaft entwickelt und fordert, dass: »the subject of knowledge be placed on the same critical, causal plain as the objects of knowledge. Thus, strong objectivity requires what we can think of as ›strong reflectivity‹. This is because culturewide (or nearly culturewide) beliefs function as evidence at every stage in scientific inquiry: in the selection of problems, the formation of hypotheses, the design of research (including the design of research communities), the collection of data, the interpretation and sorting of data, decisions about when to stop research, the way results of research are reported, and so on« (Harding, 1993/2002, S. 372-373).
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Vielmehr benötigen Journalisten und Nachrichtenorganisationen die »aura of objectivity« (Cunningham, 2003): Sie ist Grundlage ihres Geschäftsmodells, die Basis ihrer Macht – mit dem grundsätzlichen Anspruch, für alle und niemanden zu sprechen.99 *** Ein Verständnis von »Europa« und »Indien« als Standpunkte in der globalen Nachr ichtenindustrie, das in den Studien erprobt wird, steht in Opposition zu universalistischen Vorstellungen von Journalismus, wie sie hier beschrieben wurden. Eine Vorstellung von Standpunkten ist aber auch selbst von ambivalentem Charakter. In den Produkten des Auslandsjournalismus findet sich genauso wenig eine Essenz von indischen und europäischen Standpunkten, wie sie universelle Wahrheit enthalten. Standpunkte in der globalen Nachrichtenindustrie haben aber auch keine natürliche Existenz im Inneren von Personen, vielmehr werden sie in der Praxis von handelnden Personen wirksam und spiegeln in der Wirkung auf den Produktionsprozess von Medieninhalten die komplexere Verwobenheit von Menschen und Lokalität. Durch einen Standpunkt wird beispielsweise das wirksam, was man gemeinhin als »Kultur« bezeichnet oder auch die soziale Stellung und die politischen Einstellungen der Akteure: also Faktoren und Bereiche, die man als »irgendwie« wirksam betrachten kann, bei denen es aber schwierig ist, eine solche Wirkung auch tatsächlich nachzuvollziehen. Ein Standpunkt hat dagegen praktische Auswirkungen: Eine Berichterstattung über die zivilen Opfer US-amerikanischer Drohnenangriffe ist beispielsweise für »westliche« Nachrichtenorganisationen nur mit der Unterstützung von Akteuren möglich, die einen lokalen Standpunkt einnehmen, weil nur sie diese Aufgabe vor Ort tatsächlich erfüllen können.100 In der spezifischen journalistischen Praxis, so mein zentrales Argument für ein Denken mit Standpunkten in der globalen Nachrichtenindustrie, ist auch ein Standpunkt »Indien« entsprechend sehr wohl von einem Standpunkt »Europa« 99 | Natürlich profitiert auch die akademische Wissenschaft von einer solchen »aura of objectivity«. In der Öffentlichkeit werden Wissenschaftler oft als neutrale Experten angesehen, die einem System verpflichtet scheinen, das den eigenen Standpunkt quasi auflöst. So berät eine Gruppe von bekannten Wissenschaftlern die Europäische Kommission, die sich per Definition als »neutral« verstehen (Amos, 2015). 100 | Typisch ist die indirekte Berichterstattung über dieses Thema, wie etwa in einem Artikel, der 2014 im britischen Guardian unter folgendem Titel erschienen ist: »41 men targeted but 1,147 people killed: US drone strikes – the facts on the ground« (Ackerman, 2014). Grundlage dieses Artikels sind dann keine eigenen Recherchen vor Ort, sondern Informationen der britischen Menschenrechtsorganisation Reprieve. Der »kritische Tenor« des Artikels ändert dabei nichts an dem Umstand, dass er vom Standpunkt eines Fernbeobachters verfasst wurde.
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zu unterscheiden. Die Differenz besteht etwa darin, dass lokale Akteure vor Ort gut vernetzt sind, keine Übersetzung bei Interviews oder der Informationsrecherche in indischen Sprachen benötigen, dass sie mit dem kulturellen Kontext vor Ort vertraut sind oder schlicht und einfach eine andere Position zu einem Thema vertreten. Der Standpunkt »Indien« im System der globalen Nachrichtenindustrie bedeutet in den meisten Fällen zudem nicht gleichberechtigter Journalist, sondern »Fixer«, »Stringer«, »local helper«.101 Die Standpunkte »Indien« und »Europa« in der globalen Nachrichtenindustrie sind nicht fein säuberlich zu trennen, denn wie bereits ausgeführt, handelt es sich dabei ebenfalls nicht um natürliche Kategorien. Unweigerlich stößt deshalb jeder Versuch mit ihnen zu arbeiten auf hybride Überlagerungen, etwa reisende Journalisten außereuropäischer oder gar »gemischter« Herkunft mit »kosmopolitischen« Biografien102, die in den globalen Nachrichtenorganisationen selbstverständlich auch zu Regionen arbeiten, mit denen sie gar nicht persönlich »verbunden« sind (bzw. nur teilweise »verbunden« sind) oder auf »Fixer« aus Europa, die reisende Journalisten aus anderen Kontinenten bei ihrer Arbeit in Europa auf ähnliche Weise unterstützen wie die lokalen Akteure in den ehemaligen Kolonien des »Südens«. Außerdem praktizieren Journalisten sowohl in Indien als auch in Europa alternative Strategien und weisen dabei den universalistischen Wahrheitsanspruch der größten und einflussreichsten Nachrichtenorganisationen sowie das in solchen Organisationen übliche Rollenverständnis von lokalen und reisenden Akteuren zurück. Eine starre Zuordnung von Formen der Praxis oder gar von Personen zu jeweils einem Standpunkt »Europa« oder »Indien« müsste willkürliche Elemente besitzen und wird hier nicht versucht. Die Standpunkte dienen vielmehr als analytischer und struktureller Rahmen für die ethnografischen Beschreibungen in den Studien. Durch diese Strukturierung wird sichtbar, wie aus einem spezifischen Verhältnis zur Lokalität auch spezifische Formen journalistischer Praxis entstehen. Dabei berücksichtigt die Studie I zum Standpunkt »Europa« vor allem die Sichtweise reisender Journalisten und Fernbeobachter aus Europa auf die Praxis der journalistischen Kooperation in verschiedenen Ländern und die Studie II zum Standpunkt »Indien« wiederum berücksichtigt vor allem die Sichtweisen lokaler Akteure in Indien auf diese Praxis, die mit reisenden Akteuren aus verschiedenen Ländern zusammenarbeiten. In Studie III »India Unheard« 101 | Meine eigene Feldforschung zur Arbeit von Kriegsfotografen im israelisch-palästinensischen Konflikt hat etwa ergeben, dass in der fotografischen Praxis zwischen lokalen und reisenden Fotografen signifikante Unterschiede bestehen (Heidelberger, 2008). So hat etwa eine »palästinensische« oder eine »jüdische« Zuordnung Auswirkungen darauf, welche Grenzen im Westjordanland überquert werden können oder eben nicht. 102 | Vor allem solche mehrsprachige und biografisch »kosmopolitisch« geprägte Mitarbeiter werden von den globalen Nachrichtenorganisationen beschäftigt (Kapitel: 2.2 Lokale Akteure in europäischen Auslandsredaktionen).
Gegenstand, Kontext und Durchführung der ethnografischen Studien
stelle ich den Standpunkt lokaler »indischer« Korrespondenten einer alternativen Nachrichtenorganisation in den Mittelpunkt, die zuvor aus medialen Diskursen ausgeschlossen waren.
1.3 »I ndien « als S tandpunk t N achrichtenindustrie
in der globalen
Die Entscheidung der Studie zum Standpunkt »Europa« in der globalen Nachrichtenindustrie gerade eine Studie zum Standpunkt »Indien« gegenüberzustellen und Feldforschungen im spezifischen geografischen Kontext Indien durchzuführen, erfolgte in Hinblick auf vielfältige Anknüpfungspunkte, die sich aus der Mediengeschichte Indiens und der heutigen Situation der Indienberichterstattung für eine Untersuchung von globalen journalistischen Kooperationen ergeben. Die spezifische indische Nachrichtenindustrie ist mit den Bedürfnissen der »westlich« geprägten anglofonen globalen Nachrichtenindustrie auf vielen Ebenen kompatibel, was etwa die Fähigkeiten und den Ausbildungsstand von lokalen Medienprofessionellen betrifft. Eine lokale Teilhabe am Auslandsjournalismus hat in Indien bereits eine umfangreiche Tradition: Lokale Journalisten arbeiten dort nach Informationen der Medienhistorikerin Chandrika Kaul schon seit der Wende zum 20. Jahrhundert in der Nachrichtenagentur Reuters (Kaul, 2003, S. 43).103 In den letzten Jahren haben »indische« Mitarbeiter zunehmend damit begonnen, die Verantwortung für Medieninhalte oder auch die gesamte Indienberichterstattung für ortsfremde Nachrichtenorganisationen zu übernehmen (Sambrook, 2010, S. 48-52), was in anderen postkolonialen Ländern (noch) nicht in diesem Umfang geschieht. Indien betrachte ich aufgrund dieser Rahmenbedingungen als einen Raum, in dem eine besonders starke Integration lokaler Akteure in »westliche« Nachrichtenorganisationen und die »Arbeitskultur« der globalen Nachrichtenindustrie zu beobachten ist. Die Grenze zwischen einem Standpunkt »Indien«, den lokale Akteure in der globalen Nachrichtenindustrie einnehmen und dem entsprechenden »westlichen« Standpunkt der reisenden Akteure sind verschwischt, ebenso die Grenze zwischen Indienberichterstattung (Auslandsjournalismus) und einem »indischen Journalismus«.104 Verstärkt wird dieser Effekt durch den Um103 | Allerdings differenziert sie nicht, ob es sich bei diesen lokalen Mitarbeitern um »anglo-indische« oder um »indische« Journalisten handelt: »Some were permanent Reuters men, others were journalists working for Anglo-Indian newspapers and paid a fixed stipend. There were, in addition, local stringers employed whenever the need arose to supplement existing services or arrange cover in remote parts« (Kaul, 2003, S. 43). 104 | Eine völlig neuartige Form eines journalistischen Standpunktes ist zudem entstanden, als ein US-amerikanisches Lokalmedium ab 2007 damit begann, die Berichterstattung seiner Onlinezeitung über die kalifornische Kleinstadt Pasadena nach Indien
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stand, dass bereits dieser »indische Journalismus« bei der Berichterstattung über indische Themen große linguistische, kulturelle und soziale Distanzen überbrücken muss. So nehmen Journalisten innerhalb der indischen Nachrichtenindustrie unterschiedliche Standpunkte ein – je nachdem, ob sie in überregionalen Nachrichtenorganisationen in den Megacities arbeiten oder im ländlichen Indien bzw. ob sie auf Englisch oder in einer indischen Sprache arbeiten. Die anglofon arbeitenden Journalisten bewegen sich dabei in einer »ähnlichen Medienkultur« wie ihre »westlichen« Kollegen, mit ihnen haben sie oft mehr mit gemeinsam, als mit Journalisten, die in lokalen Sprachen arbeiten (Udupa, 2012).105 Das anglofone Segment der indischen Nachrichtenindustrie ist zudem auch ohne ortsfremde Nachrichtenorganisationen international wirksam.106 Weiterhin verwischt wird der Standpunkt der lokalen Akteure in Indien mit dem Standpunkt der »westlichen« Journalisten durch die indische Migration. Bereits in den 1990er Jahren hat Arjun Appadurai darauf hingewiesen, dass die indischen Gemeinden in den USA mithilfe des Satellitenfernsehens und des Internets gemeinsam mit Menschen in ganz Indien virtuelle Lokalitäten produzieren würden, durch die Nachrichtenorganisationen auch in den indischen Sprachen eine globale Wirkung entfalten würden (Appadurai, 1996/2005, S. 188-199).107 Einige indische Migranten wiederum haben sich als Journalisten innerhalb »westlicher« Nachrichtenorganisationen vom Thema Indien (und damit von ihrer Rolle als lokale Akteure) »emanzipiert«. Sie arbeiten als reisende Journalisten und neh-
auszulagern, um mithilfe der »günstigeren« indischen Journalisten Lohnkosten zu sparen (Sheffield, 2012). 105 | Die Ethnologin Sahana Upada hat in einer Studie (2012) das professionelle Selbstverständnis der Redakteure in einer Tageszeitung in Bangalore, die in der Lokalsprache Kannada erscheint, mit denen von Redakteuren des englischsprachigen Lokalteils der Times of India für Bangalore verglichen; sie verweist auf Unterschiede zwischen den Positionen von urban und international orientierten, marktliberal denkenden anglofonen Journalisten aus der indischen Mittelschicht und den auf Kannada arbeitenden und eher an hinduistischen Traditionen und Wertvorstellungen orientierten Kollegen aus der Lokalzeitung: Beide Seiten hätten völlig unterschiedliche Vorstellungen von der Funktion eines Journalisten und von dem, was als Nachrichteninhalt von Interesse ist. 106 | Diese doppelte Funktion des anglofonen Journalismus in Indien hat in der Geschichte der Indienberichterstattung eine lange Tradition. So bezog etwa die britische Times ihre Artikel über Indien schon im 19. Jahrhundert oft aus der anglofonen indischen Presse (Finkelstein & Peers, 2000, S. 14). 107 | Etwa als während der landesweiten Unruhen zwischen Hindus und Muslimen im Jahr 1992 die Gewalt auf beiden Seiten weltweit durch Exilgemeinden geschürt wurde. Arjun Appadurai nutzt dieses Beispiel in »Modernity at Large«, um seine Ideen von »translocalities« und »virtual communities« zu entwickeln (1996/2005, S. 188-199).
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men einen spezifischen Standpunkt in der globalen Nachrichtenindustrie ein;108 so etwa der in Ranchi in der indischen Konfliktregion Jharkhand geborene und in Yale ausgebildete Afrikakorrespondent Anjam Sundaran, der seine Karriere ganz an US-amerikanischen, international arbeitenden Nachrichtenorganisationen wie AP oder der New York Times ausgerichtet hat, aber doch immer wieder seine Differenz zu anderen (»westlichen«) Auslandskorrespondenten herausstellt.109 Die hohe Kompatibilität lokaler anglofoner Medienkultur mit den international arbeitenden Nachrichtenorganisationen und damit auch eine gewisse »natürliche Effizienz« der Zusammenarbeit (und den damit verbundenen Integrationsmöglichkeiten der lokalen Akteure) ist die eine Seite der kontemporären Indienberichterstattung, die es Journalisten aus dem Ausland (vor allem aus an glofonen Ländern) dank lokaler Akteure erleichtert, in Indien zu arbeiten. Außerdem existiert aber auch eine problematische und keinesfalls effiziente Seite der journalistischen Arbeit in Indien, die in dem Umstand begründet ist, dass die journalistischen Freiheiten in Indien eingeschränkt sind. So behindern regionale Verwaltungen und die Zentralregierung aktiv die Berichterstattung über »Tabuthemen« – z.B. über die Situation in Kaschmir, den bewaffneten Konflikt zwischen der Zentralregierung und den Naxaliten oder die Korruption.110 Direk108 | Als erster »nichtweißer« Chefredakteur einer überregionalen britischen Tageszeitung schrieb 2013 der in Indien geborene Journalist Amol Rajan »Fleet Street History«, als er als Chefredakteur die Verantwortung für die Berichterstattung von »The Independent« übernahm (Halliday, 2013); in der Fleet Street in London residieren traditionell die britischen Zeitungen. In seinen Kolumnen meldet er sich zu politischen Entwicklungen in Indien zu Wort und nimmt einen kritisch distanzierten Standpunkt ein (Rajan, 2014). 109 | In seinem Buch Stringer (2014-a) beschreibt Anjan Sundaram seine Erfahrung als »indischer« Stringer für die AP in der Demokratischen Republik Kongo, wobei er immer wieder seine indische Herkunft thematisiert, die sowohl vor Ort als auch in der Zusammenarbeit mit der AP offensichtlich von Bedeutung war. Inzwischen scheint er einen Standpunkt eingenommen zu haben, bei dem er seine Differenz innerhalb des Systems des »westlichen« Auslandsjournalismus für seine Arbeit nutzt, ohne mit den Nachrichtenorganisationen insgesamt »zu brechen«. In einem Artikel für die New York Times kritisiert Anjan Sundaram entsprechend die kontemporäre Praxis der Afrikakorrespondenz und beklagt fehlendes Engagement: »Reporters move like herds of sheep, flocking to the same places at the same times to tell us, more or less, the same stories. Foreign bureaus are closing. We are moving farther away. News organizations tell us that immersive reporting is prohibitively expensive. But the money is there; it’s just often misallocated on expensive trips for correspondents. Even as I was struggling to justify costs for a new round of reporting in Congo, I watched teams of correspondents stay in $300-per-night hotels, spending in one night what I would in two months. And they missed the story« (Sundaram, 2014-b). 110 | Diese Probleme betreffen sowohl reisende Journalisten und ihre lokale Helfer, die für indische Nachrichtenorganisationen arbeiten als auch die Journalisten, die für indische
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te Gewalt gegen Journalisten ist dabei vor allem für die lokalen indischen Journalisten ein Problem, so gab es in den letzten Jahren einige gezielte Morde.111 Üblicherweise sind es aber eher »weiche« und indirekte Formen der Unfreiheit, die in Indien die Arbeit der globalen Nachrichtenindustrie einschränken und zugleich ihre Abhängigkeit von lokalen Akteuren erhöhen. Die lokalen Regierungen in Indien sowie die Zentralregierung verhindern unliebsamen Auslandsjournalismus durch verweigerte Visa112, Ausweisungen113, Zugangssperren oder vorübergehende Festnahmen.114 Hinzu kommt, dass journalistische Arbeit in Indien auch jenseits einer direkten Einflussnahme der Regierung durch die Polizei, das Rechtssystem, militante Gruppierungen oder Wirtschaftsinteressen erschwert wird (Malsin, 2015).115 Nachrichtenorganisationen tätig sind. In der Rangliste 2016 von »Reporter ohne Grenzen« belegte Indien nur Platz 133 (von 180) und steht damit noch hinter problematischen Staaten wie Afghanistan, Kambodscha oder dem Tschad (Reporter ohne Grenzen, 2016). 111 | Am 08.06.2015 starb der Freelance-Journalist Jagendra Singh an Brandverletzungen im Bundesstaat Uttar Pradesh, nachdem die Polizei sein Haus durchsucht hatte. Vor seinem Tod hatte er einen Polizisten belastetet; dieser soll ihn mit Benzin überschüttet und angezündet haben (Committee to Protect Journalists, 2015). Zwei Wochen später, am 20.06.2015, wurde die verbrannte Leiche des Journalisten Sandeep Kothari aus dem Bundesstaat Maharashtra gefunden; Sandeep Kothari hatte über illegale Sandminen recherchiert. Seit 2012 wurden fünf weitere Journalisten ermordet (Committee to Protect Journalists, o.D.-a). 112 | Dem designierten Spiegelkorrespondenten Hasnain Kazim wurde 2009 die Einreise nach Indien verweigert (Reporter ohne Grenzen, 2009). Auch mir wurde 2012 ein Visum ohne Angabe von Gründen verweigert, als ich für die Deutsche Welle eine TV-Reportage über Slumbewohner in Mumbai produzieren wollte. Das komplizierte, langwierige und unverlässliche Verfahren zur Beantragung von Journalistenvisa führt zudem dazu, dass viele Medienprofessionelle Touristenvisa zur journalistischen Arbeit missbrauchen und sich damit angreifbar machen; so etwa der Schweizer Regisseur Christoph Schaub, der für Vorrecherchen zu seinem Film »Millions can Walk« (2014) in Chhattisgarh ein Touristenvisum verwendet hatte, woraufhin ihm die Einreise zum Dreh verweigert wurde (Schaub, 2013). 113 | Zum Beispiel die Deportation des US-Journalisten David Barsamian, der 2011 aus gewiesen wurde, als er über die Entdeckung von Massengräbern in Kaschmir recherchieren wollte (Wani, 2011). 114 | Als reisende Journalisten 2013 versuchten, über den Anti-Atom-Protest in Tamil Nadu zu berichten, der sich in der Stadt Kudankulam gegen die dort geplanten Atomkraftwerke richtete, wurden bei mehreren Vorfällen reisende Journalisten sowie ihre lokalen Helfer vorübergehend festgenommen, von der Polizei stundenlang festgehalten, befragt und daran gehindert, mit den Demonstranten zu sprechen (Times News Network, 2013). 115 | Alle diese Schwierigkeiten dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass journalistische Arbeit in Indien durchaus möglich ist. Die Unfreiheit der Presse in Indien ist von diffusem Charakter und unterliegt weniger einem zentral und effizient betriebenen Kon-
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Für die »westliche« Indienberichterstattung stärken heute sowohl diese Schwie rigkeiten ortsfremder Nachrichtenorganisationen in Indien als ein »negativer« Faktor als auch die zuvor beschriebene, aus einem intensiven Austausch mit dem »Westen« hervorgegangene Nähe zwischen indischen und ortsfremden Journalisten als ein »positiver« Faktor die Teilhabe lokaler Akteure.116 Für eine Betrachtung der Praxis der journalistischen Kooperation von lokalen Akteuren mit reisenden Journalisten bzw. Fernbeobachtern aus dem »Westen« ermöglicht die spezifische »indische Situation« deshalb insgesamt einen vielseitigen Blick auf Formen und Wirkungsweisen einer Teilhabe lokaler Akteure an der globalen Nachrichtenindustrie, die ja an vielen anderen Orten weltweit von ebensolchen Faktoren befördert wird. *** Für die Studie zum Standpunkt »Indien« und für die Studie zur Arbeit des alternativen Nachrichtendienstes »India Unheard« halte ich es für unumgänglich, diese spezifische »indische Situation« zunächst aus aus ihrem historischen Kontext heraus zu begreifen. Sowohl der indische Journalismus als auch die »westliche« trollapparat, wie er etwa in China zu finden ist. Allerdings gibt es Hinweise, dass Indien versucht, ein ähnlich umfassendes und effektives Kontrollsystem zu installieren (Freedom House, 2014). 116 | So unterschiedlich diese beiden Faktoren auch wirken mögen, so stehen sie doch beide in engem Zusammenhang mit der historischen Erfahrung der britischen Raj und der daraus erwachsenen postkolonialen Situation. Die starke Verbreitung der englischen Sprache (und damit der wichtigsten Sprache der globalen Nachrichtenindustrie) ist dabei die offensichtlichste Auswirkung kolonialer Vergangenheit, die als »positiver« Faktor eine Zusammenarbeit vereinfacht. Auf der anderen Seite entladen sich in öffentlich ausgetragenen »medialen« Konflikten bis heute Schwierigkeiten in der Beziehung zwischen Indien und Großbritannien, die ebenfalls aus der kolonialen Vergangenheit zu verstehen sind; etwa beim Thema Vergewaltigung und häusliche Gewalt: Die indische Regierung ließ 2015 die Ausstrahlung eines BBC-Dokumentarfilm der britischen Filmemacherin Leslee Udwin über die Vergewaltigung und Ermordung einer jungen Frau 2012 in Neu-Delhi landesweit verbieten, die Verbreitung zudem über YouTube stoppen und begründete dies damit, dass darin der Vergewaltiger zu Wort komme (The Guardian, 2015). Die Spannungen sind meiner Auffassung nach in Zusammenhang mit dem Umstand zu sehen, dass das Thema Vergewaltigungen von indischen Frauen durch britische Kolonialisten ein bis heute von beiden Seiten nicht aufgearbeitetes Thema darstellt. So basierte das indische Strafgesetz zum Thema sexueller Gewalt bis zu einer Korrektur des obersten Gerichtshofes 2013 auf den Vorlagen des britischen Kolonialrechts von 1862, inklusive dem »Two Finger Test«, einer medizinisch sinnlosen, demütigenden Untersuchung weiblicher Opfer. Dieses Gesetz schützte Vergewaltiger, weil sich viele Opfer aus Scham der Untersuchung nicht unterziehen wollten (The Hindu, 2013; Denyer, 2013).
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Indienberichterstattung sind im 19. Jahrhundert entstanden, ihre Entwicklung ist eng miteinander verwoben und an den bereits beschriebenen Aufstieg der Telegrafenbüros und ihre Kartellvereinbarungen gebunden.117 Noch im Jahre 1825 benötigte ein Brief aus Calcutta fast vier Monate (Kaul, 2003, S. 31). Nach Inbetriebnahme der Indo European telegraph line 118, der ersten direkten Verbindungen zwischen dem Vereinigten Königsreich und dessen Kolonie, benötigte eine Nachricht von London nach Calcutta im Jahre 1870 nur noch 28 Minuten (Kiuntke, o.D.) und machte zum ersten Mal einen direkten Informationsaustausch und damit auch eine effektive Herrschaftsausübung der Kolonialmacht über die Distanz möglich. Reuters war ab 1866 in Indien präsent (Kaul, 2003) und begab sich bis zur Unabhängigkeit Indiens 1947 in eine oft symbiotische Zusammenarbeit mit der britischen Kolonialverwaltung (Israel, 1994, S. 99-113). Der Fokus der Berichterstattung lag dabei auf wirtschaftlich relevanten Meldungen (Thomas, 2010, S. 45), ein lokaler Standpunkt wurde nicht berücksichtigt. Im Gegenteil wurden die Korrespondenten ausdrücklich angewiesen, Verbrechen, Aufstände oder ähnliche lokale Angelegenheiten zu ignorieren, solange sie nicht direkt oder indirekt auch Europäer betrafen (Kaul, 2003, S. 43).119 Diese Dominanz eines europäischen Standpunktes war für die Nachrichtenorganisationen des 19. Jahrhunderts keinesfalls ungewöhnlich. Wer im viktorianischen England die »indische Lage« verfolgte, der war vor allem am britischen Imperium interessiert. »Orientalistische« Zeitschriften wie Oriental Herald, Over117 | Die historisch gewachsene und vielfältig komplexe Medienbeziehung zwischen Indien und dem »Westen« zwischen Kolonialzeit und postkolonialem Indien kann im Rahmen dieser Darstellung nur skizziert, also anhand einiger bedeutsamer Eckpunkte dargestellt werden. Die ersten Anfänge eines modernen indischen Nachrichtenwesens sind bereits im kolonialen Indien des 18. Jahrhunderts zu finden, vor allem durch Gründungen von Europäern. Die erste indische Zeitung wurde 1780 von dem Iren James Augustus Hicky gegründet (Israel, 1994, S. 2; Vilanilam, 2005, S. 51). Doch die East India Company schloss die Zeitung nach kritischen Artikeln bereits 1782. Im 18. Jahrhundert folgten noch weitere Versuche, eine unabhängige indische Presse zu etablieren, die zunächst ebenfalls unterbunden wurden (Israel, 1994, S. 2). 118 | Die Telegrafenlinie wurde von der Indo-European Telegraph Company in London betrieben und maßgeblich von der preußischen Siemens & Halske bzw. Siemens Brother Ltd konstruiert (Kiuntke, o.D.). 119 | Zur Unabhängigkeit Reuters bemerkt Chandrika Kaul: »Though Reuters stressed that it was a private company, independent of government, and placed great emphasis upon the objectivity of its news coverage, it is questionable whether it always maintained this impartiality. On occasion it both suppressed and distorted information. It was frequently used by the India Office to telegraph additional words of a meeting or speech which it thought desirable to publish in India, or to counteract articles in the London press« (2003, S. 46).
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land Mail und The Indian Magazine waren speziell für ein Publikum ausgelegt, das als Missionar, Ingenieur oder Militär in Indien und anderen Kolonien tätig war (Finkelstein & Peers, 2000, S. 7). Doch auch erste Zeitungen in indischem Besitz versuchten damals ein Gegengewicht zur Kolonialpresse zu bilden und einen lokalen Standpunkt zu repräsentieren.120 Sie wurden oft von idealistischen Freiheitskämpfern betrieben, etwa The Hindu, der im Jahr 1878 von G. Subramania Iyer gegründet wurde und offen für die Unabhängigkeit Indiens eintrat (Bhargava, 2005, S. 17-18).121 Die Weiterentwicklung eines Journalismus mit indischem Standpunkt war im 20. Jahrhundert weiter eng mit dem Unabhängigkeitskampf und dessen politischen Akteuren verknüpft. Auch Mohandas Gandhi war als Journalist tätig und gründete mehrere Zeitungen, einige auf Hindi und Gujarati, Young India (1919-1932) und Harijan (19331948) erschienen aber auf Englisch und waren so auch einem »globalen Pub likum« zugänglich. In seiner Autobiografie beschreibt er sein Verhältnis zum Journalismus wie folgt:122 In the very first month of Indian Opinion, I realized that the sole aim of journalism should be service. The newspaper press is a great power, but just as an unchained torrent of water submerges whole countrysides and devastates crops, even so an uncontrolled pen serves but to destroy. If the control is from without, it proves more poisonous than want of control. It can be profitable only when exercised from within. If this line of reasoning is correct, how many of the journals in the world would stand the test? But who would stop those that are useless? And who should be the judge? The useful and the useless must, like good and evil generally, go on together, and man must make his choice. (Gandhi, 1948/1983, S. 253)
Gandhis Haltung zum »westlichen« Journalismus gleicht dabei seinem Umgang mit »westlicher« Demokratie: Er nutzte ihre Formen, beanspruchte aber, sie als
120 | Die Asien- und Medienwissenschaftlerin Nadja Christina-Schneider unterscheidet für die weitere frühe Phase der indischen Presse vor der Unabhängigkeit vor allem drei Kategorien von Zeitungsgründungen: eine anglo-indische Presse in britischem Besitz auf »Koloniallinie«, eine nationalistische anglophone Presse in indischem Besitz sowie eine ebenfalls kolonialkritische lokalsprachige Presse (Schneider, 2005, S. 10). 121 | The Hindu veröffentlichte während der späteren Auseinandersetzung um die Unabhängigkeit des Landes mit Großbritannien in einer Art internationaler antikolonialer Medienallianz auch Artikel des US-Journalisten und Gandhi-Biografen Louis Fischer, in denen er die britische Haltung kritisierte (Bhargava, 2005, S. 30). Hier wird weiterhin sichtbar, wie anglofoner Auslandsjournalismus und indischer Journalismus miteinander verschmolzen. 122 | Ausgehend von seiner Erfahrung mit der 1903 in Südafrika gegründeten Indian Opinion (Vilanilam, 2005, S. 80).
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Instrument für ethische Ziele nutzbar zu machen, anstatt universalistischen Prinzipien zu folgen.123 Die Ereignisse um die Teilungskatastrophe im Jahr 1947 sowie die Ermordung Gandhis im Jahr 1948 wurden weltweit medial beachtet, in den nächsten Jahrzehnten war Indien für den »Westen« dann aber weniger interessant.124 »Editors [are] interested evidently in only four broad classifications of news from India,« schrieb der Hindu-US-Korrespondent K. Balaraman 1953: »bizarre or outlandish news, news having some bearing on the East-West struggle and communism, news connected with American economic aid, and news of disasters« (zitiert nach Schramm, 1964, S. 64). Die Aufmerksamkeit »westlicher« Nachrichtenorganisationen richtete sich nun vor allem auf Kolonialkriege an anderen Orten und die damit verknüpfte Konfrontation zwischen »West« und »Ost«, etwa auf Korea, Vietnam und Algerien.125 Die wichtigste mediale Brücke zwischen Indien und dem »Westen« war 123 | Der Journalismus Gandhis kann dabei als ein wichtiges Instrument seiner ganzheitlichen Lehre verstanden werden, die auf dem hinduistischen Prinzip der Gewaltlosigkeit (ahimsa) basiert. Journalismus wird dabei nicht als Selbstzweck verstanden, sondern als ein Instrument, um spezifische gesellschaftliche Vorstellungen zu verwirklichen, erläutern Shakuntala Rao und Hermann Wasserman, die unterschiedliche journalistische Prinzipien jenseits des »westlichen« Nachrichtenjournalismus untersucht haben. Sie vertreten die Auffassung, dass Formen eines solchen »ethischen« Journalismus in einigen indischen Zeitungen auch heute noch praktiziert werden: »Ahimsa, for these newspapers, means adopting an active and radically different approach to news. The focus of news stories becomes the advocacy of communal harmony between the majority Hindus and the minority Muslim, Sikh, and Christian communities. This approach doesn’t fit into traditional Western approaches to journalism which are grounded on principles of objectivity, independence, and impartiality« (Rao & Wasserman, 2007, S. 45). 124 | So zeigt eine Langzeituntersuchung von Inhalten der New York Times sowie der NBC Nightly News von 1950 bis 2006, dass Indien 1950 bis 1973 zu den zehn am meisten erwähnten Weltregionen gehört, während das Land später in dieser Gruppe nicht mehr zu finden ist (Jones, Van Aelst, & Vliegenthart, 2011). Der Europa-Korrespondent von The Hindu betonte 1953 die geringe Berichterstattung über Indien in der deutschen Presse: »He [Der Zeitungsleser] gets occasional glimpses of happenings within, or related to India. These happenings are sometimes of substantial importance, sometimes not. There is scarcely anything that can be regarded as false or misleading in what he is told, but he is not told much. What little he is told does not add up to a coherent and continuing picture of a great country that occupies a place of growing importance in the world« (zitiert nach International Pess Institute, 1972/1953, S. 124-125). 125 | Robert Savio berichtet, dass zur Gründungskonferenz des Non-Aligned-Movement in Bandung (Indonesien) 1955, bei der 29 Regierungschefs unter der Führung von Indien, China und Indonesien eine Allianz schlossen, nur sechs europäische Journalisten und keine US-amerikanischen Medienvertreter angereist waren (Savio, 2012, S. 27-28).
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nun für Jahrzehnte die britische BBC. Sie verband auch indische Migranten in Großbritannien mit ihrem Herkunftsland, was Indien in den Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit zu einem Faktor britischer Innenpolitik machte und der Indienberichterstattung zumindest im Vereinigten Königreich weiterhin eine große Bedeutung verlieh (Franks, 2012). Für die Nachrichtenindustrie innerhalb Indiens wiederum brachte die Unabhängigkeit großes Wachstum, das bis heute anhält. Das betraf zunächst die Zeitungen, die bald zu regulären Unternehmen wurden, in die auch indische Großkonzerne wie Tata einstiegen (Bhargava, 2005, S. 24). Im Jahr 1952 gab es 330 Tageszeitungen mit einer Auflage von insgesamt etwa drei Millionen (Bhargava, 2005, S. 40). Im Jahre 2008 waren nach Angaben des Registrar of Newspaper in India, der zuständigen regulativen Behörde für Zeitungen, 73158 Titel registriert, wobei täglich 250 Millionen Exemplare im Umlauf waren und einige der größten Zeitungen Auflagen von über 20 Millionen Exemplaren erreichten (Registrar of Newspapers for India, o.D.).126 Noch bedeutsamer ist in Indien allerdings das Fernsehen, das 2011 fast die Hälfte aller 1,2 Milliarden Inder erreichte.127 Indien ist im Print- und TV-Journalismus sowie im ebenfalls stark wachsenden Online-
126 | Wobei die größte (»multi-edition daily«) Zeitung »The Times of India« auf Englisch und die zweitgrößte »Eenadu« auf Telugu erscheint (mit jeweils über 20 Millionen Exemplaren). Insgesamt überholte die Gesamtzahl der auf Hindi verkauften Zeitungen bereits im Jahre 1979 die englischsprachigen Tageszeitungen (Jeffrey, 2013, S. 111). 127 | Während es im Jahr 1984 bis 1985 nur ca. 30 Millionen Fernsehzuschauer gab (Ranganathan & Rodrigues, 2010, S. 3), besaßen nach Erkenntnissen aus dem nationalen Zensus im Jahre 2011 bereits 47% aller Haushalte in Indien einen Fernsehapparat, in den Städten erreichte der Anteil an Haushalten mit Fernsehapparat sogar 77% (Government of India, 2011-b). Nach Informationen von Adrian Athique (2012) wurde das indische Fernsehen als ein Teil des staatlichen All India Radio experimentell bereits Ende der 1950er begründet, es wurde aber erst in den 1970ern unter dem Namen Doordarshan in einem relevanten Maßstab ausgebaut. Für zwei Jahrzehnte blieb das Fernsehen mit mäßigem Erfolg staatliches bzw. ein teilweise staatliches Monopol. Das Fernsehprogramm der Ära unter Premierministerin Indira Gandhi sollte vor allem eine ländliche Arbeiterklasse ansprechen, was vollkommen an den Bedürfnissen der tatsächlichen Fernsehzuschauer vorbeiging, die vor allem aus der urbanen Mittelschicht stammten und sich deshalb überhaupt erst einen Fernsehapparat leisten konnten. Im Jahr 1991 gab die indische Regierung dann unter Ministerpräsent P.V. Narasimha Rao im Zuge weitreichender wirtschaftlicher Reformen auch das Fernsehen für kommerzielle Nachrichtenformate und andere Programme frei und ließ auch ausländische Sender zu, was eine starke Wachstumsphase für das indische Fernsehen einleitete, die bis heute andauert (Athique, 2012, S. 37-71; Saeed, 2013, S. 102-108).
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journalismus längst zu einer journalistischen »Großmacht« geworden – die indische Nachrichtenindustrie ist eine der größten und vielfältigsten der Welt.128 Der Übergang zu einem kommerziellen Mediensystem bedeutete allerdings einen Bruch mit den journalistischen Traditionen der Unabhängigkeitsbewegung, etwa dem nach öffentlicher Verantwortung und ethischen Prinzipien ausgerichteten Journalismus eines Gandhis.129 Heute ist der indische Journalismus nach Ansicht vieler Beobachter durch eine oberflächliche, auf Unterhaltung und Quote bzw. auf Werbeeinnahmen und Verkaufszahlen ausgerichtete Nachrichtenberichterstattung geprägt (Vilanilam, 2005, S. 90; Batabyal, 2013, S. 65; Udupa, 2012, S. 823)130 und kämpft zudem mit Problemen wie Korruption sowie einer starken Konzentration von privatem Medienbesitz (Thakurta, 2014; Shah, 2013). Das aus meiner Sicht gravierendste Problem des »indischen Journalismus« ist allerdings die unvollständige Repräsentation der indischen Gesellschaft.131 Über 20% der Bevölkerung Indiens hatte 2011 pro Kopf und Tag weniger als 2 US128 | Der Wirtschaftsprüfer PricewaterhouseCoopers schätzte das Wachstum der Medienbranche in Indien zum Zeitpunkt der Feldforschung im Jahre 2013 auf 19% gegenüber 2012 und errechnete einen Gesamtumsatz von fast 6 Milliarden Euro. Der Online-Sektor ist heute der größte Wachstumsbereich. (PricewaterhouseCoopers, 2014, S. 4). 129 | Die Mediengeschichte Indiens ab 1947 kann im Rahmen dieser Darstellung nicht weiter vertieft werden. Robin Jeffrey (2013), Saima Saeed (2013), Adrian Athique (2012) oder auch G. S Bhargava (2005) geben einen guten Überblick. Insgesamt darf die komplexe Beziehung zwischen dem indischen Staat und marktwirtschaftlich finanzierten Massenmedien nicht zu schematisch verstanden werden, etwa nach der Vorstellung, dass kommerzielle Massenmedien einem staatsnahen »Qualitätsjournalismus« gegenüber gestanden hätten. Im Gegenteil waren die staatlichen Nachrichtenredaktionen meist »li nientreu« und unkritisch, zudem kam es auch immer wieder zu massiver Einflussnahme und Kontrolle der unabhängigen Medien durch den indischen Staat (vor allem während des Ausnahmezustands 1975 bis 1977). 130 | Die Vielfalt der indischen Medien ermöglicht aber auch die Existenz zahlreicher Nachrichtenorganisationen, die einem hohen Anspruch genügen, von denen ich allerdings nur die englischsprachigen selbst einschätzen kann: So stechen für mich etwa The Hindu, The Indian Express, The Times of India als Tageszeitungen oder das mit investigativen Recherchen bekannt gewordene Wochenmagazin Tehelka qualitativ besonders hervor. 131 | Bereits die frühen antikolonialistischen Zeitungen waren Informationsmedien der Elite. So weist D. Ravikumar darauf hin, dass »Unberührbare« in solchen Zeitungen in Artikeln diskriminiert wurden (2007, S. 64). Außerdem verweist D. Ravikumar aber auch auf eine reichhaltige schriftliche und orale »Gegenöffentlichkeit« der tamilischen »Unberührbaren« hin, die offensichtlich auf buddhistische Traditionen weit vor die Ära der Kolonialzeitungen zurückreicht. Etwa zeitgleich mit The Hindu entstanden auf Basis dieser Schriftkultur die heute weitestgehend vergessenen und nicht archivierten DalitZeitungen; so etwa die Parayan (ca. 1878 bis 1900), die von dem Dalit-Aktivisten und Gandhi-Vertrauten Rettamalai Srinivasan gegründet wurde und viele Leser fand, mehr als
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Dollar zur Verfügung (The World Bank, o.D.).132 Diese mehr als 200 Millionen Menschen sowie hunderte von Millionen Menschen, denen es nur unerheblich besser geht, sind auch medial marginalisiert und nehmen (wenn überhaupt) nur als Zuschauer an den Massenmedien teil, ihre Schwierigkeiten werden weder berücksichtigt noch werden diese überhaupt als gravierendes gesellschaftliches Problem dargestellt (Thomas, 2010, S. 102; Fernandes, 2013). Die wenigen Journalisten in Indien, die aus den ärmeren Schichten stammen, werden durch diskriminierende Strukturen innerhalb der indischen Nachrichtenindustrie, etwa in Form von Kastendiskriminierung gegenüber den so genannten Dalit133, massiv benachteiligt (Ashraf, 2013; Human Rights Watch, 2007). Wer in den indischen der frühe Hindu, aufgrund fehlender finanzstarker Unterstützer aber (im Gegensatz zu The Hindu) geschlossen werden musste (Ravikumar, 2007, S. 64-71). 132 | Die Zahlen der Weltbank bewegen sich am unteren Ende verschiedener Schätzungen über die Armut in Indien und es bleibt äußerst fragwürdig, ob ein Einkommen von 2$ pro Tag die Armut beendet und zu einem Aufstieg in Indiens Mittelklasse führt. Die Tatsache, dass die Zahlen der Weltbank hier trotzdem zitiert werden, soll nicht über den Umstand hinwegtäuschen, dass die dabei verwendeten statistischen Methoden mit guten Argumenten infrage gestellt wurden, etwa von Sanjay G. Reddy und Thomas Pogge (How Not to Count the Poor, 2003). Seit 2002 hat sich die Zentralverwaltung in New Delhi mit der so genannten Below Poverty Line zu einem nationalen Wohlfahrtsprogramm verpflichtet, was auch innerhalb staatlicher Statistiken in Indien zu Widersprüchen führt (Betram, 2012). Doch selbst die Zahlen der Weltbank eignen sich gut, um die Dimension der Armut in Indien aufzeigen. Grundsätzlich erscheint mir eine universelle Definition von Armut fragwürdig, die vor allem auf einem durchschnittlichen Einkommen basiert. Im spezifischen Kontext von Indien (bzw. im Kontext des britischen Imperiums) war das Zählen von Indiens Armen spätestens seit dem 19. Jahrhundert zudem auch immer eine koloniale Praxis (Balakrishnan, 2013). 133 | Dalit ist die in Indien übliche Selbstbezeichnung der »Unberührbaren«, die mit anderen diskriminierten Gruppierung wie den indigenen »Adivasi« nach Informationen der indischen Journalistin und Intellektuellen Sagarika Ghose sogar die Mehrheit der indischen Bevölkerung (52%) bilden. Ihr Artikel »The Dalit in India« eignet sich als eine gute Einführung in das Thema der »Unberührbarkeit«, darin findet sich die folgende Erläuterung des Begriffs Dalit: »The word ›dalit‹ or ›crushed underfoot‹ or ›broken into pieces‹ is the contemporary version of the word »Untouchable. ›Dalit‹ owes its genesis to the nineteenthcentury writings Of Jotirao Govindrao Phule as well as to the literature of the Dalit Panthers, a political group formed in 1972 in the state of Maharashtra. British colonial census takers grouped together all those communities‹ neighbors considered ›polluted‹ and called them ›Untouchable‹. ›Harijan‹ or ›children of god‹ was Mahatma Gandhi’s name for dalits. The word ›Untouchable‹ is sometimes still used, but ›harijan‹ is seen as an equivalent of ›Uncle Tom,‹ a paternalistic and condescending categorization of a group doomed to remain in perpetual bondage. […] Today most Untouchable castes would prefer to use the term ›dalit‹ as an identity of assertion« (Ghose, The Dalit in India, 2003, S. 85-86).
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Massenmedien die Themen Armut und Kastendiskriminierung trotzdem aufgreift, gilt schnell als »Nestbeschmutzer« und steht im Verdacht, anti-indische bzw. »westliche« Ressentiments zu bedienen.134 Der medialen Verdrängung von Armut innerhalb des nationalen indischen Mediendiskurses steht eine »westliche« Indienberichterstattung gegenüber, in welcher der Slum, die Armut, die Kasten- oder Frauendiskriminierung und ganz allgemein der Gegensatz zwischen Arm und Reich die üblichen story lines135 darstellen, um Berichte aus Indien zu strukturieren und einzuordnen. Solche Berichte werden oft aus der »Vogelperspektive« konzipiert, es geht um »gesamtindische Fragen«; wenn betroffene Menschen überhaupt zu Wort kommen (statt zum Beispiel nur abgebildet zu werden oder hinter Statistiken zu verschwinden), dann belegen sie entweder als O-Tongeber die Vorrecherche des Medienberichtes oder ihre Armut wird als ein exotischer Raum (neben den vielen anderen exotischen Räumen Indiens) erkundet.136 134 | Es gibt auch Ausnahmen – etwa die journalistische Arbeit von Palagummi Sainath, der lange Zeit für The Hindu und für The Times of India über die indische Armutskatastrophe berichtet hat. In »Everybody loves a good drought« (1996) sind einige dieser heute klassischen Reportagen zusammengestellt. Im Jahre 2013 gründete er das PARI (People’s Archive of Rural India) als eine Mischung aus volkskundlichem Archiv und alternativem Medienprojekt mit lokaler Partizipation (Sainath, Rural India – a living journal, a breathing archive, o.D.). 135 | Der Begriff der story line wurde im Zusammenhang mit dem Auslandsjournalismus von Jim Lederman geprägt: »The story line is a frame into which a journalist can place seemingly random events and give them coherence. It simplifies the narrative thread, reducing it to manageable dimensions by using a single overarching theme so that each dramatic incident can be highlighted as it occurs and each ›chapter‹ of the ongoing story can be slotted in easily and given a context. It gives all who use it, be we hacks, ideologues, area specialists, diplomats, or scholars, a common reference point, a set of agreed bearings from which to set out into the unknown and through which to communicate with our audiences« (Lederman, 1991, S. 12). Die story line wird dabei von Journalisten nicht explizit artikuliert, sondern basiert auf einem impliziten Verständnis darüber, welcher Kontext zu einem Thema »gehört« und welche Zusatzinformationen weniger relevant erscheinen. Die story line als Begriff wurde auch von Ulf Hannerz aufgegriffen und weiterentwickelt, indem er diesen mit den »gatekeeping concepts« von Arjun Appadurai (etwa »Kasten« als ein typisches Thema ethnologischer Feldforschung in Indien) verknüpfte (Hannerz, 2004, S. 103). 136 | Natürlich existieren Ausnahmen von dieser Form der Armutsberichterstattung. Zu nennen ist etwa das mit einem Pulitzerpreis ausgezeichnete Reportagebuch »Behind the Beautiful Forevers« (2012) der US-Amerikanerin Katherine Boo, die aus dem Alltag der Bewohner eines spezifischen Slums in Mumbai berichtet. Sie ist dabei mit einer Langzeitrecherche den Menschen, ihren Positionen und Standpunkten sehr nahe gekommen. Möglich wurde das Projekt durch die enge Zusammenarbeit mit ihren lokalen Partnerinnen
Gegenstand, Kontext und Durchführung der ethnografischen Studien
Mit dem Medienboom und dem wirtschaftlichen Aufschwung in Indien ist in den letzten Jahren das Interesse an Indien bei den globalen Nachrichtenorganisationen wieder gestiegen. Dabei hat sich eine neue story line der »westlichen« Indienberichterstattung etablieren können, die wiederum von einem ganz anderen Land zu handeln scheint, in der die Armut keine entscheidende Rolle mehr spielt und in der es stattdessen um Wachstum, Outsourcing und »Zukunftsindustrien« geht, in der oft ein internationaler Zusammenhang hergestellt wird, etwa mit dem Thema der »BRIC-Staaten«, den globalen Rohstoffmärkten, der globalen Sicherheitspolitik, der Konkurrenz zu China bzw. dem Diskurs um »Globalisierung« im Allgemeinen. Manchmal werden auch Elemente aus beiden Diskursformen kombiniert, nach dem Motto: Indien zwischen Armut und Reichtum, zwischen Hunger und Überfluss, zwischen gestern und morgen. Die Entindividualisierung, Verallgemeinerung und Normalisierung von Armut erfolgt also durch ein zunehmendes Ausblenden der weiterhin katastrophalen Lebensbedingungen und Umweltzerstörungen vor Ort auf »westlicher« Seite sowie eine »traditionelle« Verdrängung und Ausgrenzung großer Bevölkerungsteile auf »indischer« Seite. Eine angemessene mediale Repräsentation von Standpunkten der marginalisierten Bevölkerungsteile gibt es fast ausschließlich in alternativen Nachrichtenorganisationen. In Studie III möchte ich eine solche am Beispiel der Organisation Video Volunteers erkunden.
1.4 E rkenntnisziel
und me thodisches
V orgehen
Ausgehend von der historischen Einordnung des Phänomens der lokalen Akteure und der theoretischen Annäherungen an eine analytische Nutzbarmachung von Standpunkten in der globalen Nachrichtenindustrie sowie der gleichzeitigen Verortung meines Forschungsfeldes möchte ich im Folgenden nun meine drei ethnografischen Studien vorstellen, die auf eigener Feldforschung basieren. Ziel der Feldforschungen war es, die Praxis globaler journalistischer Kooperation mit ethnologischen Methoden zu untersuchen, um Formen und Wirkungsweisen der Arbeit lokaler Akteure auf die Produktionsprozesse des Auslandsjournalismus zu identifizieren. Forschungsgegenstand waren also spezifische Praktiken der Akteure globaler Nachrichtenindustrie bei der journalistischen Kooperation sowie die Bedingungen dieser Praxis, die ich in den Studien beschreibe und analysiere. In meinem Fazit komme ich dann zu einer zusammenfassenden Betrachtung der identifizierten Formen einer (steigenden) Teilhabe lokaler Akteure an der globalen Nachrichtenindustrie und einer Einschätzung ihrer Wirkungsweisen auf die
Mrinmayee Ranade und Unnati Tripathi, die beide aber nicht aus dem Slum stammen, sondern einen akademischen Hintergrund haben und professionell als Rechercheassistenten für viele journalistische Projekte in Indien tätig sind (behindthebeautifulforevers, o.D.).
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Medienproduktion und damit auch zur Frage der Bedeutung lokaler Akteure für den Auslandsjournalismus und das »Weltwissen« in Europa. Meine Forschung zielte entsprechend der ethnologischen Arbeitsweise nicht auf experimentelle Beweise oder quantitative Schlussfolgerungen, sondern auf das Erarbeiten der empirischen Grundlage für ethnografische Beschreibungen und interpretative Einschätzungen. Auf Basis der von mir erhobenen ethnografischen Daten kann ich grundsätzlich keine statistisch repräsentativen Aussagen über lokale Akteure treffen.137 Die im Folgenden vorgestellten Studien repräsentieren zudem keine vollständige oder abgeschlossene Gesamtdarstellung der Praxis globaler journalistischer Kooperation, sondern spezifische und damit im Kern unvollständige Einblicke. George Marcus spricht von einer »Norm of Incompleteness« als einer »positive norm of practice, even a theorem practice« (2009, S. 28) der kontemporären ethnografischen Forschung. Statt nach Vollständigkeit zu streben, habe ich mich entsprechend auf den »strategisch« ausgewählten spezifischen Einzelfall konzentriert, dessen Beschreibung und Kontextualisierung in den Studien Eigenschaften von Praxis offenlegen, die in formalisierten und quantifizieren Darstellungen weniger deutlich sichtbar werden. Die Relevanz meines Erkenntnisziels sowie die vorausgesetzte Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit meines Forschungsansatzes basieren auf drei Annahmen, die bereits ausführlich entwickelt und dargestellt wurden, nämlich dass: a) universalistische Vorstellungen von Journalismus unzutreffend sind und der Standpunkt lokaler Akteure sich auf die Produktionsprozesse des Auslandsjournalismus auswirkt; b) lokale Akteure in steigendem Maße an der globalen Nachrichtenindustrie teilhaben, dass also eine »Lokalisierung« der globalen Nachrichtenindustrie stattfindet und Kenntnisse über Formen und Wirkungsweisen lokaler Teilhabe deshalb an Relevanz gewinnen; c) die Wirkungsweisen von lokalen Standpunkten auf die Medienproduktion sich in Praktiken der Kooperation manifestieren und sich auch dort erforschen lassen. Strukturiert war mein Forschungsprojekt in zwei Feldforschungen, die mir jeweils unterschiedliche Perspektiven auf die Praxis der journalistischen Kooperation eröffnet haben. Zugänglich wurde Praxis dabei in Gesprächen (formelle Forschungsinterviews und informelle Gespräche), die bei persönlichen Begegnungen mit den lokalen Akteuren und ihren Auftraggebern geführt wurden, durch Beobachtungsexkursionen und die Teilnahme an Prozessen der globalen journalistischen Kooperation sowie durch die beispielhafte Betrachtung von Medienprodukten (als eine Form der ethnologischen Beobachtung). In einer ersten Feldforschung von Januar bis Mai 2013 habe ich die Praxis der Kooperation spezifischer lokaler Akteure mit ihren journalistischen Partnern vor 137 | So habe ich keine Kenntnis darüber, wie viele lokale Akteure insgesamt in Indien oder gar weltweit arbeiten, ob sie überwiegend weiblich oder männlich sind, wieviel sie im Durchschnitt verdienen und welche Ausbildung sie genossen haben. Allerdings kann ich solche Aussagen über die spezifischen lokalen Akteure treffen, die ich getroffen habe.
Gegenstand, Kontext und Durchführung der ethnografischen Studien
Ort beobachtet bzw. lokale Akteure zu ihrer Tätigkeit befragt und dabei aufgrund der zuletzt ausgeführten Überlegungen den Standort Indien ausgewählt. In einer zweiten Feldforschung von März bis August 2014 habe ich mich auf den Standpunkt reisender Journalisten und redaktioneller Fernbeobachter in Europa konzentriert, die entweder vor Ort oder über die Distanz mit lokalen Korrespondenten an verschiedenen Lokalitäten zusammenarbeiten bzw. die selbst aufgrund ihrer Biografien als lokale Akteure in Europa eingesetzt werden und nun ihrerseits mit anderen lokalen Korrespondenten über die Distanz vor Ort zusammenarbeiten. Dabei habe ich wiederum die Praxis der journalistischen Kooperation beobachtet und Forschungsinterviews geführt. Während der Feldforschungen habe ich außerdem mittels weiterer Forschungsinterviews die Positionen von Redaktionsleitern und Führungskräften in globalen Nachrichtenorganisationen sowie die Positionen von Akteuren in alternativen globalen Nachrichtenorganisationen und Technologieorganisationen erkundet, die jeweils ein strategisches Interesse an der Arbeit lokaler Akteure bzw. eine spezifische Sicht auf die Arbeit lokaler Akteure haben oder die Praxis der journalistischen Kooperation mit lokalen Akteuren prägen. Mit der Konzentration auf die Praxis als zentrale analytische Kategorie betrete ich kein methodisches Neuland, vielmehr knüpfe ich grundsätzlich an eine bereits seit Jahrzehnten etablierte Ausrichtung der empirischen ethnologischen Forschung an. Schon seit den 1980er Jahren finden praxistheoretische Denkansätze Niederschlag in der Methodologie ethnologischer (bzw. soziologischer) Forschun gen.138 Im Zuge der damaligen, bereits in den Ausführungen zum Standpunkt »Europa« dargestellten theoretischen und methodologischen Neuorientierung der (vor allem US-amerikanischen) Ethnologie, entwickelte sich »praxeologisches Denken« in Opposition zu anderen damals populären kulturtheoretischen Vor138 | Die Genese der Praxistheorie selbst beginnt allerdings bereits früher: für den Kulturtheoretiker Andreas Reckwitz bei Ludwig Wittgenstein und Martin Heidegger im 20. Jahrhundert �����������������������������������������������������������������������ge Stefan Beck die Ursprünge der wissenschaftlichen Hinwendung zur Praxis bereits im Frühwerk von Karl Marx und dessen »Thesen über Feuerbach« (1845) verortet (1997, S. 313-315). In seiner fruchtbaren Darstellung von praxeologischen oder praxeologisch inspirierten Theorieansätze (z.B. von Pierre Bourdieu, Anthony Giddens, Luc Boltanski, dem späten Michel Foucault oder Judith Butler) hat Andreas Reckwitz als wichtiges Kriterium einer praxistheoretischen Orientierung die Art und Weise ausgemacht, wie »das Soziale« verortet wird: »Der ›Ort‹ des Sozialen ist damit nicht der (kollektive) ›Geist‹ und auch nicht ein Konglomerat von Texten und Symbolen (erst recht nicht ein Konsens von Normen), sondern es sind die ›sozialen Praktiken‹, verstanden als know-how abhängige und von einem praktischen ›Verstehen‹ zusammengehaltene Verhaltensroutinen, deren Wissen einerseits in den Körpern der handelnden Subjekte ›inkorporiert‹ ist, die andererseits regelmäßig die Form von routinisierten Beziehungen zwischen Subjekten und von ihnen ›verwendeten‹ materialen Artefakten annehmen« (Reckwitz, 2003, S. 289).
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stellungen (Reckwitz, 2003, S. 285). Einerseits brach diese neue Ausrichtung mit den damals »konservativen« Vorstellungen einer übergeordneten, in einer essentialistischen Identität existierenden »Kultur«, deren Attribute durch Feldforschung identifiziert und Kollektiven als Ganzes zugeordnet werden können.139 Andererseits entwickelte es sich auch in Opposition zu der damals als »progressiv« verstandenen Vorstellung, dass »Kultur« und menschliches Handeln stattdessen vielmehr durch unbewusste, verborgene Strukturen in einem Verhältnis von »Programm und Ausführung« (Beck, 1997, S. 269) zueinander stehen würden, wobei Praxis also ebenfalls durch externe essentialistische Faktoren determiniert werde.140 Ein zentraler Ausgangspunkt dieser historischen (Neu-)Orientierung ethnologischer Forschung in den 1980ern war die Praxistheorie von Pierre Bourdieu, die er aus seiner eigenen ethnologischen Forschungserfahrung in Algerien heraus entwickelte.141 Mit der Adaption des »Habitus«142 als der für Ethnologen zentralen 139 | Wovon etwa die amerikanische Ethnologin Ruth Benedict ausging: »What really binds men together is their culture, – the ideas and the standards they have in common« (1934/1989, S. 16), schrieb sie in »Patterns of Culture« (1934), wobei sie Kultur als gemeinsame Verhaltens- und sogar Wahrnehmungsweise definierte: »The life-history of the individual is first and foremost an accommodation of the patterns and standards traditionally handed down in his community. From the moment of his birth the customs into which he is born shape his experience and behavior« (Benedict, 1934/1989, S. 2-3). 140 | Diese Denkweise wird in der Regel vor allem mit dem Strukturalismus von ClaudeLévi Strauss verbunden. Allerdings ist der präzise Punkt des Widerspruches mit der praxeologischen Denkweise schwieriger zu bestimmen als es etwa die von Pierre Bourdieu betonte Animosität des praxeologischen Ansatzes mit dem strukturalistischen Denken vermuten lässt. So betont Claude Lévi-Strauss ausdrücklich, dass sich sein Strukturbegriff keinesfalls auf die »empirische Wirklichkeit« beziehen würde, sondern auf »die nach jener Wirklichkeit konstruierten Modelle« (1958/1971, S. 301). Der »Vater des Strukturalismus« vermutete also unter Umständen gar keine essenziellen Strukturen. Allerdings widerspricht er diesem Ansatz insofern, als dass er der »Struktur« dann doch eine natürliche Existenz zubilligt: »Entweder hat der Begriff der sozialen Struktur keinen Sinn, oder dieser Sinn hat bereits eine Struktur« (Lévi-Strauss, 1958/1971, S. 301). Zudem geht er von der Existenz »wahrer« Modelle aus, die davon geprägt seien »keine anderen Tatsachen zu benutzen als die beobachteten« (Lévi-Strauss, 1958/1971, S. 303). 141 | Sein »Entwurf einer Theorie der Praxis« (1972/2009) war zwar schon vorher erschienen, das Buch wurde in den 1980er Jahren aber zum ersten Mal in englischer Sprache zugänglich (Beck, 1997, S. 317). 142 | Pierre Bourdieu hat den »Habitus« als sozialwissenschaftliche Kategorie nicht erfund en, sondern sich diesen in neuer Form angeeignet. So verwendet etwa Norbert Elias den Begriff in »Über den Prozeß der Zivilisation« (1936/1981). Er spricht dort vom »psychischen Habitus«, um seine Vorstellungen von gewachsenen und kollektivierten kulturellen Ausdrucksformen zu beschreiben, z.B.: »Mag sein, daß der Gedanke an einen
Gegenstand, Kontext und Durchführung der ethnografischen Studien
Innovation des bourdieuschen Denkens konnte der Fokus empirischer Feldforschung nun von der Suche nach »irgendwie« essenziellen und außerhalb der Zeit existierenden »determinierenden Strukturen« stattdessen auf den »Habitus« verlagert werden, als eine »strukturierte und strukturierende Struktur«: Die für einen spezifischen Typus von Umgebung konstitutiven Strukturen (etwa die eine Klasse charakterisierenden materiellen Existenzbedingungen), die empirisch unter der Form von mit einer sozial strukturierten Umgebung verbundenen Regelmäßigkeiten gefaßt werden können, erzeugen Habitusformen, d.h. Systeme dauerhafter Dispositionen […], strukturierte Strukturen, die geeignet sind, als strukturierende Strukturen zu wirken, mit anderen Worten: als Erzeugungs- und Strukturierungsprinzip von Praxisformen und Repräsentationen, die objektiv ›geregelt‹ und ›regelmäßig‹ sein können, ohne im geringsten das Resultat einer gehorsamen Erfüllung von Regeln zu sein […]. (1972/2009, S. 164-165)
Mit diesem intellektuellen »Kunstgriff« entsteht eine »Theorie des Erzeugungsmodus der Praxisformen« (Bourdieu, 1972/2009, S. 164), also die (zumindest scheinbare) Synthese zwischen der Betrachtung einer spezifischen historischen Situation und zeitlos erscheinenden »kulturellen« Ausdrucksformen. Der »Kunstgriff Habitus« hat allerdings seinen Preis. Während er auf der einen Seite eine bis heute anhaltende sozialwissenschaftliche »Habitus-Manie« auslöste, die teilweise nicht die intellektuelle Tiefe des bourdieuschen Ansatzes nach vollzieht (Lenger, Schneikert, & Schumacher, 2013, S. 13), bestehen auch ernst zunehmende theoretische Bedenken, auf die Stefan Beck schon in den 1990ern aufmerksam machte: Drei Aspekte dieser Konstruktion erscheinen dabei problematisch: Erstens bleibt in diesem Konzept der Begriff der »Situation« weitgehend unbestimmt; zweitens wird der ›Habitus‹ nur formal definiert – als strukturierende Struktur –, doch was diese ›black box‹ enthält (kulturelles Wissen, Konzepte, Modelle etc.), bleibt vage. Sicher ist nur, daß dies er unbepsychischen Prozeß, der sich über viele Generationen hin erstreckt, beim heutigen Stand des geschichtlichen Denkens als gewagt und fragwürdig erscheint. Aber es läßt sich nicht rein theoretisch oder spekulativ entscheiden, ob sich die Veränderungen des psychischen Habitus, die im Lauf der abendländischen Geschichte zu beobachten sind, in einer bestimmten Ordnung und Richtung vollziehen« (1936/1981, S. LXXIII). Der »psychische Habitus« war damals ein etablierter Begriff, der bereits in der psychologischen Forschung des frühen 20. Jahrhunderts zu finden ist; etwa in der deutschen Zeitschrift »Die Kinderfehler, Zeitschrift für Kinderforschung« im Jahre 1901 (Strohmayer, 1901, S. 264). Eine mögliche Inspiration für die Weiterentwicklung des »Habitus«-Begriffs durch Pierre Bourdieu war vermutlich der Begriff »Ethos«, den Max Weber verwendete und den Pierre Bourdieu in frühen Schriften übernahm, um die Einstellung verschiedener sozialer Klassen zu Kunst und Kultur zu beschreiben (Lenger, Schneikert, & Schumacher, 2013, S. 16-17).
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Korrespondenten des Wandels stimmte ›Inhalt‹ gelernt und inkorporiert sein will, soll er die Dispositionen strukturieren. Drittens, und hier am wichtigsten, ist in Bourdieus praxeologischem Modell völlig unklar, nach welcher Logik die situationsunspezifischen und zeitstabilen Dispositionen und das generalisierte, kulturelle Wissen von den Handelnden auf konkrete, situative Handlungsprobleme angewandt werden. (Beck, 1997, S. 324)
Ohne das Problem der hier zu Recht beanstandeten »situationsunspezifischen und zeitstabilen Dispositionen« (Beck, 1997, S. 324), dieser quasi als »Trojaner« sich einschleichenden, essenziell strukturierten determinierenden Strukturen zu »verharmlosen«, sehe ich doch die grundsätzliche Notwendigkeit, Praxis und Akteure (einer Praxis) in der empirischen Forschung als eine Einheit zu betrachten. Während meiner Feldforschungen habe ich Praxis entsprechend nicht als einen hermetisch abgeschlossenen Bereich behandelt, für dessen Untersuchung nur die (»direkte« oder »indirekte«) Beobachtung des »materiellen« Handelns zu lässig war. Um dem Umstand Genüge zu tun, dass ich mich in den Studien zwar mit Praxis, aber gleichzeitig natürlich auch mit den handelnden Personen beschäftige, von denen diese Praxis ausgeht, berücksichtige ich auch die individuellen Biografien, den Geschmack, die Positionen in Bezug zur eigenen Praxis der journalistischen Kooperation. Auch ich gehe also von Dispositionen, von (inkorporierten) Attributen meiner Akteure aus, die, wenn auch nicht zwingend in der genauen Funktionsweise und Form eines »Habitus« im bourdieuschen Sinne, doch die Praxis der globalen journalistischen Kooperation prägen (strukturieren) und von ihr geprägt (strukturiert) werden. Mein praxeologischer Forschungsansatz basiert auf keinem spezifischen Theoriekorpus, vielmehr (wie im Falle der quasi-habituellen »Eigenschaften« der Akteure) greife ich auf einige grundsätzlich praxeologische Annahmen zurück. So verstehe ich Praxis als die »materielle« und historische Ausdrucksform menschlicher Aktivität, die nicht durch essenzielle, übergeordnete Ordnungssysteme (verborgene Strukturen, Kultur, Kapital) oder durch scheinbar stabile Eigenschaften von Personen (»Ethnie/Rasse«, Nationalität, Klasse, Geschlecht) determiniert wird (zumindest habe ich darüber keine Kenntnisse). Vielmehr erzeugt Praxis erst in ihrer Wiederholung/Variation über Zeit das Erlebnis sozialer Stabilität und verhilft dabei in einer spezifischen historischen Situation den als Routinen, Ritualen, als »Sitten und Gebräuche« oder auch als symbolische Ausdrucksformen erlebten und mit der Denkfigur »Kultur« zusammengefassten Phänomenen zu ihrem Ausdruck. In diesem Sinne untersuche und interpretiere ich in meinen Studien die Praxis spezifischer lokaler Akteure globaler Nachrichtenindustrie und nicht etwa »die Kultur der lokalen Akteure« oder auch »die lokalen Akteure« selbst, also Kategorien, auf deren konstruierten Charakter bereits hingewiesen wurde.
Gegenstand, Kontext und Durchführung der ethnografischen Studien
*** Der Grund meiner Beschäftigung mit »Praxis« in den Studien ist keine Erweiterung der praxeologischen Theoriebildung, vielmehr erscheint mir die Betrachtung der Praxis journalistischer Kooperation mit ethnologischen Methoden als ein sinnvoller Weg, die Formen der Teilhabe lokaler Akteure an der globalen Nachrichtenindustrie und ihre Wirkungsweisen auf die Medienproduktion zu erforschen. Um nun auf dieses Erkenntnisziel zurückzukommen und um im Fol genden noch genauer zu erläutern, wie ich methodisch auf Praxis zugegriffen habe, welche Form von Wissen oder Daten dabei erhoben wurden und wie ich in den Studien mit diesem Material arbeite, lohnt es sich zunächst noch einmal, auf einige Beispiele aus der Forschungsliteratur zum Phänomen der lokalen Akteure zurückzukommen und den Blick dabei speziell auf die angewandten Methoden zu richten. So haben Jerry Palmer und Victoria Fontan in ihrer Forschung zur Kooperation von »westlichen« Auslandskorrespondenten mit »Fixern« im Irak (2007) Forschungsinterviews geführt und analysiert. Bis auf wenige Hinweise klammern sie im Text ihres Artikels aber die spezifischen Positionen ihrer Akteure aus und inszenieren ihre Erkenntnisse aus der vergleichenden Analyse (z.B. Qualitätsverlust im Auslandsjournalismus) in einer Aura »maßgeblicher Gültigkeit«.143 Doch das Forschungsinterview als singuläre Methode des Zugriffs auf soziale Zusammenhänge hat meiner Auffassung nach einige entscheidende Begrenzungen.144 143 | Das bedeutet nicht, dass sie ihre Quellen verschweigen (31 Forschungsinterviews) oder eine unbedingte Allgemeingültigkeit ihrer Ergebnisse explizit behaupten. In der »Conclusion« ihres Artikels heißt es demnach einschränkend: »[…] any assessment of the impact upon quality would need some independent data for the purpose of output comparison« (Palmer & Fontan, 2007, S. 22). Die Interviewmethode bietet nach dieser Logik also lediglich die Möglichkeit, »Hinweise« zu identifizieren, während eine tatsächliche Qualitätsüberprüfung in den Medienprodukten stattfinden müsste, ohne dabei aber zu definieren, nach welchen Kriterien eine solche Überprüfung stattfinden könnte und war um darauf verzichtet wurde. 144 | Die qualitative Inhaltsanalyse von Forschungsinterviews stellt heute so etwas wie den methodischen »Mainstream« der qualitativ forschenden Sozialwissenschaften dar. So schreibt der Erziehungswissenschaftler Udo Kuckartz in einer Einführung: »Die methodische Orientierung empirischer Forschung in den Sozialwissenschaften, der Erziehungswissenschaft, den Gesundheitswissenschaften, der Politikwissenschaft und in abgeschwächter Form auch in der Psychologie hat sich seit Beginn der 1990er Jahre verschoben: Qualitative Forschung, noch in den 1980er Jahren weit im Hintertreffen, hat sich zunehmend etablieren können und erfreut sich heute insbesondere beim wissenschaftlichen Nachwuchs großer Beliebtheit. Tagungen und Konferenzen wie das Berliner Methodentreffen oder der International Congress of Qualitative Inquiry repräsentieren die riesige Resonanz, die qualitative Forschung heute weltweit erzeugt« (2014, S. 19). Hinter dieser Prominenz inter-
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Auch ich arbeite mit Forschungsinterviews, lege aber die spezifischen Bedingungen der Gespräche, die Umstände und teilweise auch den Wortlaut der individuellen Erzählungen und Positionen einzelner Akteure innerhalb des ethnografischen Textes offen, um so zu verdeutlichen, dass sie als Äußerungen spezifischer Personen über Praxis verstanden werden müssen und nicht als die spezifischen Praktiken selbst. Wie Jerry Palmer und Victoria Fontan habe ich Wert darauf gelegt – das halte ich für methodisch sinnvoll und notwendig – mit »beiden Seiten« der journalistischen Kooperation ins Gespräch zu kommen, um ihre jeweilige Sichtweise auf Praxis in den Studien kontrastieren zu können. Auch Colleen Murrell (2015) verwendet in ihrer Forschung zur Bedeutung von »Fixern« für die Arbeit von Auslandskorrespondenten ausschließlich Forschungsinterviews. Im Gegensatz zu Jerry Palmer und Victoria Fontan (2007) »versteckt« sie ihre Gesprächspartner dabei nicht hinter der Interviewanalyse, sondern spricht über spezifische Auslandskorrespondenten, macht deren Erzählungen als solche kenntlich und kommt auf dieser Basis zu interessanten Ergebnissen, auf die ja bereits verwiesen wurde. Sie selbst verortet ihre Forschung allerdings in einem praxeologischen Kontext (statt ihre hermeneutische Inhaltsanalyse der Selbstrepräsentationen von Auslandskorrespondenten als solche zu kennzeichnen) und verweist immer wieder auf Werke von Pierre Bourdieu (Murrell, 2015, S. 46-67), was ihrer Arbeitsweise infolge einen deduktiven Charakter verleiht.145 So bemüht viewbasierter qualitativer Sozialforschung, die oft mit strengen methodischen Anforderungen an die Datenanalyse und die Definition von Qualitätsmerkmalen bei der Auswertung auftritt (Flick, 2007; Seale & Silverman, 1997), stehen meiner Auffassung nach Bestrebungen einer Standardisierung des sozialwissenschaftlichen Erkenntnisgewinns zur Befriedigung einerseits der Bedürfnisse des Wissenschaftsbetriebs (Anträge auf Forschungsmittel, Evaluationen und öffentliche Rechtfertigung der eigenen Praxis) und andererseits der Bedürfnisse von Forscherinnen und Forschern, die auf ein erprobtes und öffentlich anerkanntes Instrumentarium zurückgreifen wollen. Die daraus resultierende Dominanz der qualitativen Inhaltsanalyse von Forschungsinterviews, die sich auf eine lose Tradition der Analyse von Medieninhalten von Max Weber bis Siegfried Kracauer beruft (Kuckartz, 2014, S. 26-28) und in ihrer heutigen Form im Wesentlichen in den 1980ern von dem Psychologen Philipp Mayring begründet wurde (1983), hat deshalb meiner Auffassung nach viel mit diskursiver Macht zu tun und weniger mit einem »methodischen Imperativ«. 145 | Sie selbst weist auf ein methodisches Defizit hin und empfiehlt die Durchführung von teilnehmender Beobachtung, die sie als eine Art »Testlauf« zur Verifizierung der Interviews imaginiert: »Where journalists might not always be self-reflexive enough to realise that they have routines, participant obervation is a good method of recording their behaviour over time. ��������������������������������������������������������������������������� If it had been logistically possible for me to interview foreign correspondents, and then observe their actions (to see if they accorded with their beliefs about what they did), then this would have been an ideal method« (Murrell, 2015, S. 60). Dieser Bezug zwischen Forschungsinterviews und teilnehmender Beobachtung erscheint mir wenig plausibel. Ein solcher Bezug würde eine Art »kaskadischen« Erkenntnisgewinn impli-
Gegenstand, Kontext und Durchführung der ethnografischen Studien
sie sich, manchmal durchaus plausibel, aber an vielen Stellen ohne einen substanziellen Erkenntnisgewinn, die Äußerungen ihrer Gesprächspartner in das Modell der bourdieuschen Kapitaltheorie zu »übertragen«.146 In meinen eigenen Studien habe ich induktiv gearbeitet, d.h. ich habe darauf verzichtet, ein prominentes praxeologisches Theoriemodell auf mein Forschungsfeld (bzw. meine Methoden) zu »übertragen«, um dieses dann innerhalb der Studien »anzuwenden«; ich habe stattdessen in einem umgekehrten Prozess qualitative ethnografische Daten erhoben und diese anschließend zur Grundlage von Beschreibungen und analytischen Interpretationen gemacht. Die Medien- und Sozialwissenschaftlerin Mel Bunce schließlich reflektiert in ihrer Forschung ausdrücklich die Probleme von rein interviewbasierten Forschungsansätzen und sie argumentiert dabei ebenfalls praxeologisch. So verweist auch sie auf Pierre Bourdieu und auf die Diskrepanz zwischen einer Äußerung zieren, bei dem Forschungsinterviews auf einer ersten Stufe die Gestalt der Praxis freilegen würden, die dann anschließend in der Beobachtung bestätigt oder wiederlegt werden würde. Teilnehmende Beobachtung und Forschungsinterviews ergeben aber sehr unterschiedlich strukturierte ethnografische Daten, die zwar dieselben Praktiken beschreiben können, aber gleichzeitig den Blick auf unterschiedliche Aspekte von Praxis lenken. In dem induktiven Forschungsprozess meiner eigenen Feldforschungen stehen teilnehmende Beobachtung und Forschungsinterviews stattdessen methodisch nebeneinander und die erhobenen Daten ergänzen sich. 146 | Beispielsweise stellt sie in einer Art »bourdieuschen Ableitung« fest, dass »localized capital« zum Lebensretter werden kann: »A number of other correspondents mentioned having their lives saved by the timely intervention of a fixer. These experiences show that journalistic practice is always under assault from different threats. It appears that fixers are able to address this immediate, practical concern facing journalists by sharing their localized capital« (Murrell, 2015, S. 81). Mit dieser Aussage stellt sie zwar fest, dass die Kapitaltheorie Bourdieus wohl auch in den Arbeitsverhältnissen der globalen Nachrichtenindustrie Gültigkeit besitzt (zumindest basierend auf den Erkenntnissen aus ihren Forschungsinterviews), inhaltlich bedeutet dies aber nichts anderes (neben der sicherlich unfreiwilligen Komik eines rettenden Kapitaltransfers im Angesicht einer Lebensgefahr), als dass »Fixer« ihr lokales Wissen eingesetzt haben, um Journalisten zu helfen – eine Feststellung, die an sich wenig Erkenntniswert hat, weil der »Fixer« zu diesem Zweck vom reisenden Journalisten engagiert wurde. Die Situation des »Fixers« gleicht der Situation eines Rechtsanwalts, der seinerseits sein Spezialwissen nutzt, um einem Klienten zu helfen, der ihn zu diesem Zweck beauftragt hat. In ihrer »conclusion« fasst sie dann zusammen, wie unterschiedliche Kapitalformen (»embodied capital«, »objectified capital« oder »institutionalised capital«) nach ihrer Erkenntnis bei der globalen journalistischen Kooperation eingesetzt und getauscht werden. Dies vollzieht sich in einer Art »Parallelübung«, bevor sie sich wieder ihren eigentlichen Forschungsfragen zuwendet, nämlich »warum« und »wie« Auslandskorrespondenten die Dienste von »Fixern« nutzen (Murrell, 2015, S. 147-149).
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von Gesprächspartnern über die eigene Praxis und dieser Praxis selbst, die sie durch die zusätzliche Analyse von Medieninhalten ausgleichen will: One of the methodological advantages of studying journalists is that the product of their ›behavior‹ – news texts – is performed over again and is in the public domain, easily accessible to the researcher. It is thus possible and practical to run tests on the links between self-reported behaviour/values and practice (Bunce, 2011, S. 15)
In dieser Argumentation identifiziert sie nun aber die Produkte journalistischer Arbeit semantisch mit der Praxis, aus der sie hervorgegangen sind, obwohl doch beide ebenfalls sehr unterschiedliche Dinge sind. Zwar sind spezifische Praktiken und spezifische Medienprodukte zweifellos intrinsisch verbunden, doch meiner Auffassung nach ist es nicht ohne Weiteres möglich, wie es Mel Bunce versucht, die journalistische Praxis von »Stringern« mit einer Inhaltsanalyse aus den journalistischen Produkten herauszulesen oder deren Aussagen im Forschungsinterview durch eine Überprüfung von Artikeln zu »testen«.147 Auch mich interessieren die Medienprodukte lokaler Akteure als Ergebnisse, quasi als virtuelle »Artefakte«, die aus den journalistischen Produktionsprozessen hervorgehen, an denen die lokalen Akteure beteiligt sind. So führen spezifische Praktiken, Technologien und Umstände bei der Medienproduktion sicherlich zu spezifischen Medienprodukten, die aber umgekehrt keine »Beweise« für eine spezifische Praxis sind. Auch ich betrachte in meinen Studien exemplarisch Medienprodukte. Doch dabei folge ich keinem formalisierten System, das Allgemeingültigkeit suggeriert (die meiner Auffassung nach bei qualitativen und letztendlich hermeneutischen Analysen gar nicht erreicht werden kann). Ich verifiziere mit den Medienprodukten keine Aussagen der lokalen Akteure in meinen Forschungsinterviews, vielmehr betrachte ich die Medienprodukte als ein Ergebnis der Arbeit lokaler Akteure und damit als einen organischen Bestandteil einer Untersuchung (Beobachtung) von Praxis. Die in diesen Beispielen eingesetzten hermeneutischen Inhaltsanalysen von Medienprodukten sowie den Einsatz von Forschungsinterviews (um diese anschließend ebenfalls hermeneutisch zu analysieren) lehne ich wie beschrieben methodisch nicht grundsätzlich ab und vor allem Forschungsinterviews habe auch ich selbst intensiv zur Forschung eingesetzt. Alle Gespräche habe ich dabei während eines persönlichen Treffens mit dem jeweiligen Interviewpartner durchgeführt und mit einem Aufnahmegerät dokumentiert. Die Forschungsinterviews dauerten mindestens eine halbe Stunde, maximal drei Stunden und meistens etwa eine Stunde (je nachdem, wie viel Zeit meine Gesprächspartner mir jeweils 147 | Dabei kommt sie, wie auch bereits in der Einleitung dargestellt, durchaus zu interessanten Ergebnissen. Allerdings verweist sie selbst auf die begrenzte Aussagekraft ihrer Untersuchung; ihr erklärtes Ziel »to close the gap between self-reported bahaviour and actual daily practice« (Bunce, 2011, S. 17) scheint mir so jedenfalls nicht erreichbar.
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zur Verfügung stellten). Strukturiert waren die Interviews mit einem Fragenkatalog, den ich für jedes dieser Gespräche individuell erarbeitet bzw. modifiziert habe. Während des Interviews verließ ich diese vorgeplante Struktur häufig zugunsten einer spontanen und offenen Gesprächsführung, um dann an bestimmten Punkten wieder in den Fragenkatalog »einzusteigen«. Die Verwendung der Forschungsinterviews (und die Analyse dieser Interviews) in meinen Studien erfolgt aber unter einem oft grundsätzlich anderem Verständnis ihrer Bedeutung als in den vorgestellten Studien und mit dem Anspruch einer größtmöglichen Transparenz und Reflexivität, indem ich immer wieder direkt im ethnografischen Text auf die spezifischen Umstände im Forschungsprozess eingehe, unter denen Interviews stattfanden (oder andere ethnografischen Daten erhoben wurden). Ich bin der Auffassung, dass die Inhalte eines Gesprächs nicht völlig losgelöst von diesen situativen und sozialen Faktoren als eine »pure« und kontextlose Referenz (Beweis) behandelt werden können, eine Vorstellung, die von der Kommunikationswissenschaftlerin Michèle Koven als »referenzialistisch« identifiziert wird: A referentialist language ideology privileges the content of talk and neglects its more indexical, context-bound functions […]. This perspective holds that individuals‹ minds are discrete containers. Individuals can reflect logically on these containers and transmit their contents to others through language that explicitly names and describes them. (Koven, 2014, S. 503)
Keinesfalls gehe ich von dieser Form von Bedeutungsübertragung während des Interviews aus. Vielmehr verstehe ich die Artikulation von Positionen und Erzählungen als ein sprachliches Verhandeln und Reflektieren von Praxis, das zudem durch den Umstand, dass dieses durch die Akteure selbst ausgeführt wird, immer ein »Momentum der Inszenierung« in sich trägt. Meine Gesprächspartner sind Medienprofessionelle, die mit der Situation des Interviews vertraut sind und sicherlich nicht davor »zurückschrecken«, dieses Wissen auch einzusetzen. Viele von ihnen nutzen die Interviewmethode der Wissensproduktion (in ihrer journalistischen Variante) für ihre tägliche Arbeit.148 Neben den Forschungsinterviews und einigen Medienprodukten habe ich in der Hauptsache noch mit einer weiteren Form ethnografischer Daten gearbeitet, nämlich meinen »Feldnotizen«. Dabei handelt es sich um umfangreiches induktiv erhobenes »Material«, nicht nur im eigentlichen Sinne handschriftliche 148 | Das ethnologische Interview konstituiert sich nicht im leeren Raum, sondern wird als Forschungsmethode natürlich auch durch die mannigfaltigen Verwendungsweisen des Interviews in den Massenmedien beeinflusst. Bereits in den 1990ern prägten die Soziologen Paul Atkinson und David Silverman den Begriff »Interview Society« (Atkinson & Silverman, 1997) und warnten vor einer unkritischen Verwendung der Interviewmethode in der Sozialforschung.
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Notizen, sondern auch Videoaufnahmen, Audioaufnahmen, Fotografien, mit denen ich bei (teilnehmender) Beobachtung vor Ort die Praxis der journalistischen Kooperation dokumentiert habe. Hilfreich war das etwa bei Gelegenheiten zum informellen und situativen Austausch über Praxis oder auch zur Dokumentation von Praxis bzw. eines spezifischen »Raumerlebnisses« (als Begegnung mit dem »Schauplatz« von Praxis) und schließlich auch bei der Durchführung einer eigenen journalistischen Kooperation. Üblicherweise spielt die (teilnehmende) Beobachtung als Forschungsmethode in kontemporären sozial- und kulturanthropologischen Forschungspraktiken eine weit weniger wichtige Rolle als in der »klassischen« Ethnologie, nicht selten wird auch der wissenschaftliche Wert solcher Bemühungen kritisch beurteilt.149 Auch Ulf Hannerz hat während seiner Forschung zu »Foreign News« (2004) auf teilnehmende Beobachtung und ethnologisches Beobachten im Feld fast vollständig verzichtet und führt dafür zunächst persönliche und forschungspraktische Gründe auf. Als einen weiteren Grund nennt er (in einem Aufsatz über die Arbeit an »Foreign News«) die historische Entwicklung der ethnologischen Feldforschungen, die sich nun in weiten Teilen mit Fragen des »modernen« Lebens beschäftigen würde: […] they tend to involve settings of modernity. There are surely a great many activities where it is worthwhile to be immediately present, even actively engaged, but also other which may be monotonous isolated, and difficult to assess. What do you do when ›your people‹ spend hours alone at a desk, perhaps concentrating on a computer screen? (2003, S. 211)
Mit dieser Begründung weicht Ulf Hannerz meiner Auffassung nach allerdings einer klaren Positionierung gegenüber der (teilnehmenden) Beobachtung als Forschungsmethode aus.150 Als Forschungsmethode, wie ich sie für sinnvoll betrachte 149 | Typische Argumentationslinien betreffen die fehlende »Überprüfbarkeit« bzw. »Repräsentativität« der teilnehmenden Beobachtung, wie der Ethnologe Gerd Spittler in einem Artikel herausgearbeitet hat (2001). Teilnehmende Beobachtung wirke heute meist »archaisch« und ihre theoretische Unbefangenheit wirke aus der Zeit gefallen. Gerade das »unsystematische« der teilnehmenden Beobachtung könne aber auch heute noch dabei helfen, Bereiche des menschlichen Lebens für die Forschung zugänglich zu machen, die für systematisierte Forschungsansätze unzugänglich bleiben würden: »[…] die Grenzen sprachlicher Erfassung, die Grenzen systematischer Beobachtung und die Grenzen von Theorie« (Spittler, 2001, S. 7). 150 | Grundsätzlich empfinde ich viel Sympathie für seinen Hinweis auf eine gewisse Monotonie »moderner Arbeitspraxis« im Zeitalter der Computerarbeit, nachdem auch ich Stunden damit verbracht habe, meinen Informanten bei der Arbeit am Computer zuzusehen, etwa wenn sie am Schnittrechner Videoberichte produziert haben. Aber auch hier entstehen Momente, in denen relevante Aspekte von Praxis sichtbar werden. Außerdem
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und wie ich sie selbst angewandt habe, bestand teilnehmende Beobachtung jedenfalls nicht aus einer 24-stündigen Verhaltensbeobachtung (Totalüberwachung), sondern aus »pointierten« Beobachtungsexkursionen an einzelnen Tagen und aus längeren Beobachtungsexkursionen, die ich wochenweise ausgeführt habe. *** In den zwei Jahren meiner Feldforschungsarbeit, von denen ich mit einer Unterbrechung zwischen den Feldforschungen insgesamt 11 Monate »im Feld« verbracht habe, waren die »westlichen« Nachrichtenorganisationen mit mehreren komplexen Themengebieten beschäftigt. Im Jahr 2013 eskalierte der Krieg in Syrien mit dem militärischen Eingreifen des Irans und den Giftgasattacken auf die Zivilbevölkerung. In Ägypten putschte das Militär unter Führung von Abd al-Fattah as-Sisi, in der Türkei protestierten Bürger auf dem Taksim-Platz gegen den zunehmend autoritären damaligen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan und in vielen Ländern sorgten die Enthüllungen des ehemaligen USGeheimdienstmitarbeiters Edward Snowden für Aufmerksamkeit. Im Jahr 2014 folgte ein weiteres Kriegsjahr in Syrien, es ereigneten sich die Maidan-Proteste, die Ukraine-Russland-Krise eskalierte und die Terrorinszenierungen von Daesh wurden zu einem globalen Medienphänomen. Dies sind einige Beispiele für global verzahnte Themen des Auslandsjournalismus, die in dieser Zeit jeweils in einer Art »Sphäre der Aktualität« (d.h. eine spezifische Aktualität, ein Thema zu einer bestimmten Zeit in Bezug zu spezifischen Ereignissen und Lokalitäten) die Aktivitäten der globalen Nachrichtenindustrie prägten. Auch mein eigenes Forschungsfeld ist in solchen Aktualitätssphären zu verorten und wird in seiner Gestalt von ihnen geprägt, weil sich die Praxis der Akteure in spezifischen Kooperationen journalistischer Arbeit manifestiert und diese wiederum in einem (thematischen) Kontext, in einer spezifischen Situation stattfinden.151 In meinen Erläuterungen zu den Standpunkten »Europa« und »Inergeben sich immer wieder fruchtbare »Pausenmomente« mit informellem Austausch, die manchmal von großer Bedeutung sind (Breglia, 2009), oder auch die Möglichkeit, während der Arbeit über die Arbeit zu sprechen. Insgesamt halte ich die von Ulf Hannerz in diesem Zitat indirekt suggerierte Vorstellung einer methodischen Entwicklung von der klass ischen Ethnologie, als teilnehmende Beobachtung noch »Sinn« machte, weil Menschen damals noch »Dinge taten«, bis zu den von ihm erkannten »settings of modernity« (2003, S. 211) als zu kurz gedacht. Auch die Beobachtung einer manuellen Arbeit, etwa das Zersägen eines Baumes, involviert Phasen der Monotonie, in denen nichts »Neues« geschieht. 151 | Die spezifischen Aktualitätssphären, in denen meine Gesprächspartner arbeiteten, als ich meine Feldforschungen durchführte, sind inzwischen natürlich als historisch zu betrachten, d.h. die Aktualität ist verschwunden und die Themen (zumindest in ihrer Konstitution zu diesem vergangenen Zeitpunkt) haben ihre Relevanz für die Arbeit der Nachrichtenorganisationen verloren. Die wissenschaftliche Betrachtung der Praxis
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dien« in der globalen Nachrichtenindustrie habe ich zudem langfristig wirksame situative Eigenschaften des Forschungsfelds beschrieben und auf Verzerrungen in der Berichterstattung hingewiesen – je nachdem, wie die Themen in Bezug zu den entsprechenden Diskursen in »westlichen« Ländern stehen, und ich habe außerdem die spezifischen Bedingungen der Indienberichterstattung erläutert. Im ersten Abschnitt dieses Einführungskapitels habe ich Faktoren wie das Aufkommen von neuen Technologien benannt, die die Arbeitsprozesse des Auslandsjournalismus und die Struktur der globalen Nachrichtenindustrie grundsätzlich verändern. Alle diese Faktoren und Bedingungen sind bei einer Untersuchung der Praxis globaler journalistischer Kooperation zu berücksichtigen, tatsächlich sind sie wohl untrennbar mit ihr verbunden. Gleichwohl ergeben sie weder im Einzelnen noch in ihrer Summe meinen Forschungsgegenstand. Stefan Beck unterscheidet zwei Eigenschaften von Praxis, die hilfreich sind, um zu verstehen, in welchem Bezug eine spezifische Situation zur Praxis steht. Er identifiziert die »Situativität« als eine Kategorie der Praxis, die in direktem Bezug zur »Prozessualität«, einer anderen Kategorie von Praxis stehen würde, die er in ihrem Zusammenspiel als den »Schnittpunkt synchroner Relationen der Akteure zu ihrer Umwelt und diachroner Entwicklungen« (Beck, 1997, S. 339) beschreibt. Ich möchte diese Differenzierung aufgreifen und verstehe die in meinem Forschungsfeld gegebene »Situativität« der Praxis als die spezifischen Eigenschaften der jeweils historisch einmaligen Praktiken von lokalen Akteuren, reisenden Journalisten und anderen relevanten Akteuren in einer spezifischen Aktualitätssphäre. Unter der »Prozessualität« der Praxis verstehe ich den relativ stabilen »unspezifischen« Gehalt derselben Praktiken, also die Art und Weise, wie sich die Praktiken der Akteure in zwar historisch oder geografisch wiederum jeweils unterschiedlichen, aber doch vergleichbaren Variationen wiederholen.152 Dabei können stabile Handlungsmuster entstehen und wieder verworfen werden, wenn Akteure auf Veränderungen reagieren – etwa aufgrund einer neuen Mebeginnt für mich an diesem Punkt, mit dem »Heraustrennen« einer spezifischen Aktualitätssphäre, also quasi ihrer absichtsvollen »Ent-Aktualisierung«. Meine Studien zielen auf einen größeren Zeitzusammenhang als der Nachrichtenjournalismus, eine spezifische Aktualität interessiert mich situativ »nur« in Zusammenhang mit der beobachteten Praxis der journalistischen Kooperation. Bewusst habe ich deshalb auch auf eine nachträgliche Aktualisierung der spezifischen Themenfelder verzichtet, was eine zutiefst journalistische Praxis darstellen würde. 152 | Beispielsweise variieren lokale Akteure an ganz unterschiedlichen Orten in vergleichbaren Situationen Praktiken des Übersetzens. Obwohl dabei je nach Lokalität zwischen ganz unterschiedlichen Sprachen übersetzt wird, entsteht in meinem Verständnis keine isolierte Praxis, sondern es entstehen Variationen, unterschiedliche Übersetzungspraktiken lokaler Akteure. Dies geschieht nicht aufgrund eines essenziellen Gehalts von Praxis, sondern weil lokale Akteure und reisende Journalisten in einer vergleichbaren Si tua tion handeln.
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dientechnologie oder der dynamischen Entwicklung in einem Konfliktgebiet – bzw. können die Akteure selbst kreative Innovationen herbeiführen. Sowohl »Situativität« als auch »Prozessualität« der Praxis globaler journalistischer Kooperation mit lokalen Akteuren sind Bestandteile meines Forschungsthemas, methodisch kann das eine ohne das andere nicht sinnvoll untersucht werden. Eine Ethnografie, die sich ausschließlich mit den situativen Eigenschaften von Praxis beschäftigt, würde einen rein deskriptiven Charakter annehmen. Dabei würde eine Art »Tiefenjournalismus« entstehen, der gänzlich auf analytische und interpretative Schlussfolgerungen verzichtet und damit dem Erkenntnisinteresse von Sozialforschung entgegensteht. Eine Untersuchung wiederum, die sich lediglich auf die »Prozessualität« der Praxis konzentriert, müsste diachrone Entwicklungen und die Bedingungen einer spezifischen Aktualitätssphäre, eines Standortes ignorieren, möglicherweise würden in einer solchen Untersuchung sogar die spezifischen Akteure und ihr individuelles »Innovationspotenzial« hinter den Bemühungen verschwinden, ihre Praxis als »Verhaltensweisen« zu typologisieren. Eine reine »Prozessualitätsforschung« würde also eine »Kultur der Praxis« bzw. eine »Struktur der Praxis« von spezifischer Praxis trennen und müsste dafür essentialistische Annahmen treffen. In meinen ethnografischen Studien zur Praxis der journalistischen Kooperation zwischen lokalen Akteuren und den reisenden bzw. fernbeobachtenden Journalisten sehe ich keine Veranlassung dazu »Situativität« von »Prozessualität« zu trennen: Schließlich bestehen weitere Möglichkeiten, als Praxis nur deskriptiv in Bezug zu einer spezifischen Aktualitätssphäre zu beschreiben oder zu generalisieren, ohne dabei die spezifische Situation zu beachten. Spezifische Praktiken können stattdessen auch in Bezug zu ähnlichen oder unterschiedlichen bzw. komplementären und ergänzenden Praktiken an ganz verschiedenen Orten oder auch zu Praktiken der Vergangenheit gesetzt werden, die sich über die Zeit verändert haben.153 Um die Praxis globaler journalistischer Kooperation in meiner Ethnografie innerhalb eines solchen Bezugsrahmens darstellen zu können, habe ich eine Forschung konzipiert, die insgesamt dem grenzüberschreitenden Charakter des Forschungsgegenstandes gerecht wird. Seine spezifische Struktur erhält mein Forschungsfeld durch den Prozess der journalistischen Kooperation, in dem sich Praxis manifestiert. Dieser Prozess entfaltet sich von den »westlich« geprägten Nachrichtenorganisationen mit Akteuren wie Auslandsredakteuren und reisenden Journalisten, die oft global mobil sind, bis hin zu (aus »westlicher« Sicht) »entlegenen«, »fremden« und sogar »gefährlichen« Standorten mit lokalen Akteuren, die meist weniger mobil sind als ihre »westlichen« Kooperationspartner. Gemeinsam praktizieren beide Seiten komplexe und vielfältige Formen der Zu153 | Um diesen fluiden Charakter von Praxis nachzuvollziehen, habe ich in den Studien »Zeitzeugen« über ihr Wissen zur historischen Praxis journalistischer Kooperation befragt. Dabei entstand eine Art »Oral History«, mit der ich auch diachrone Entwicklungen darstellen kann, um die aktuellen Transformationen nachzuvollziehen.
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sammenarbeit. Eine journalistische Kooperation muss aber nicht auf eine Lokalität beschränkt bleiben, vielmehr kann diese medial vermittelt auch simultan an verschiedenen Orten gleichzeitig stattfinden (wenn beispielsweise Fernbeobachter mit lokalen Korrespondenten über die Distanz zusammenarbeiten). Um diese unterschiedlichen Formen globaler Zusammenarbeit zu beobachten, musste ich während meiner Feldforschungen verschiedene Lokalitäten der Kooperation mit ihren spezifischen Bedingungen berücksichtigen.154 In einigen Aspekten deckt sich dieses Vorgehen bei den Feldforschungen mit den Eigenschaften, die George Marcus seinem Konzept einer »Multi Sided Ethnography« zugeordnet hat. In seinem bis heute methodologisch einflussreichen Artikel »Ethnography in/of the World System: The Emergence of Multi-Sited Ethnography« (1995) postuliert George Marcus diese als einen grundsätzlich neuen Modus ethnologischer Feldforschung, einen methodologischen Paradigmenwechsel, der sich aus der Notwendigkeit ergebe, global zusammenhängende Themenfelder zu erforschen:155 This mode defines for itself an object of study that cannot be accounted for ethnographically by remaining focused on a single site of intensive investigation. It develops instead a strategy or design of research that acknowledges macrotheoretical concepts and nar-
154 | In einigen Fällen war es dabei möglich, beide Seiten einer spezifischen Kooperation mit ihren spezifischen Akteuren oder sogar spezifischen Themen zu beforschen. In den meisten Fällen habe ich den spezifischen Standort aber auf imaginierte Standpunkte in der globalen Nachrichtenindustrie übertragen. In den Studien stehen so etwa »Afrikaredakteure« in Europa in Bezug zu lokalen Korrespondenten in Indien. 155 | Während der Verweis auf die »Multi Sided Ethnography« von George Marcus in ethnografischen Arbeiten nach dessen Veröffentlichung im Jahre 1995 zunächst die Funkt ion einer Abgrenzung gegenüber »klassischer« (»monolokaler«) Feldforschung hatte, besteht diese Notwendigkeit heute nicht mehr in demselben Maße. Vielmehr gehört der multilokale Ansatz heute zum etablierten Repertoire ethnografischer Forschung und folgt manchmal sicherlich auch der Logik voller Terminkalender von global mobilen Wissenschaftlern. In einer Rezension von Ulf Hannerz »Foreign News« (2004) kritisierte Mike Pedelty diesen Forschungsmodus als »Parachute Anthropology« (Pedelty, 2004). Er bringt »multi sited ethnography« also in Verbindung mit der journalistischen Praxis des »Parachute Journalism«: »[…] the book also demonstrates how things can get lost in the multisited imagination. In the case of Foreign News, I often found myself wishing Hannerz had dedicated himself to a place-based study of newswork in Nigeria, where his ethnographic expertise could be more fully exploited. His occasional asides concerning Nigeria provide glimpses into what ethnographers working in the places they know best can accomplish. Anthropologists are at their best when dealing with specific locations. It is the depth of place that differentiates anthropological ethnography from other areas of social inquiry« (Pedelty, Parachute Anthropology, 2004, S. 342).
Gegenstand, Kontext und Durchführung der ethnografischen Studien ratives of the world system but does not rely on them for the contextual architecture framing a set of subjects. (1995, S. 96)
»Multi Sited« ist meine eigene Forschung zunächst infolge der unterschiedlichen Standorte, an denen ich Beobachtungsexkursionen, teilnehmende Beobachtungen sowie Forschungsinterviews durchgeführt habe, um die Praxis globaler journalistischer Kooperationen zu erforschen. Lokale Akteure habe ich in Mumbai, New-Delhi, Chennai, Srinagar und Bardez getroffen und Redakteure sowie reisende Journalisten in Berlin, Bonn, Frankfurt am Main, London und Genua aufgesucht.156 Doch unter »Multi Sited Ethnography«, so verstehe ich das Konzept von George Marcus, ist nicht nur der Umstand zu verstehen, dass unterschiedliche Orte beforscht werden (anstatt klassischerweise zeitintensive Forschungen an einem Ort durchzuführen), vielmehr geht es darum, dass mit der Auswahl verschiedener Lokalitäten durch den Forscher ein imaginierter Raum, ein »multi sited space« (1995, S. 105) konstruiert wird, der selbst eine Lesart, eine Interpretation des »Weltsystems« darstellt und im besten Fall zuvor verborgene oder undeutliche Zusammenhänge (bzw. Wirkungsweisen, wie ich sie beschreibe) sichtbar macht. Unter Bezugnahme auf ethnografische Literatur der 1980er und 1990er identifiziert George Marcus unterschiedliche »Modes of Construction«, mit denen ein solcher Raum in der Ethnografie konstruiert werden kann und zeigt, wie Ethnologen auf Grundlage solcher Konstruktionsmodi entsprechend ihres Forschungsfeldes den Menschen, Objekten, Metaphern, Allegorien, Biografien, Konflikten »gefolgt« sind oder aber einen einzigen strategisch gewählten Ort genutzt haben, an dem sich globale Zusammenhänge verdichten (1995, S. 105-113). Meine Studien können ebenfalls als Konstruktion eines solchen imaginierten multilokalen Raumes begriffen werden, bei dem ich dem Prozess der globalen journalistischen Kooperation folge. Die Formen des dabei konstruierten Raums werden durch die Standpunkte »Europa« und »Indien« bestimmt, die lokale Akteure und reisende Journalisten einnehmen und die jeweils unterschiedliche Perspektiven auf die journalistische Kooperation ermöglichen. Zusätzlich zu dieser »Makrostruktur« meiner Ethnografie kommen innerhalb der Studien weitere Konstruktionsmodi zur Anwendung. So habe ich die Kooperation zwischen lokalen Akteuren und ihren journalistischen Partnern dargestellt, indem ich: a) während der Forschung einzelne Arbeitsschritte bei der gemeinsamen Herstellung von Medienprodukten nachvollzogen habe bzw. in einer teilnehmenden Beobachtung gemeinsam mit einem lokalen »Fixer« selbst durchgeführt habe (etwa die »journalistische Übersetzung«); b) die Akteure selbst (bzw. die 156 | Dabei habe ich nicht nur in verschiedenen Ländern geforscht, sondern auch an Orten unterschiedlicher sozialer Prägung: So besuchte ich Armenvierteln in Mumbai und traf dort Slumreporter an der Peripherie – ich war aber auch im Bankenviertel Canary Wharf in London, um die Zentrale der Nachrichtenagentur Reuters zu besuchen.
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Differenz zwischen spezifischen Akteuren) zum Gegenstand meiner Betrachtung gemacht habe und dabei ihre biografischen Erfahrungen und ihre Erzählungen von Praxis verglichen und in gegenseitigen Bezug gesetzt habe; c) einen spezifischen Standort mit seinen besonderen Herausforderungen fokussiert und dabei die Wirkung eines bewaffneten Konflikts (Kaschmir) herausgearbeitet habe; d) den Wandel in der globalen Nachrichtenindustrie in den Mittelpunkt gestellt habe und die Bedeutung von Technologien bzw. alternativen Konzepten und Ideen in meinem Forschungsfeld untersucht habe. Aufgrund dieser unterschiedlichen Konstruktionsmodi verstehe ich meine Studien als eine multilokale sowie multimodale Ethnografie. *** Die Durchführung meiner beiden Feldforschungen erfolgte in drei Phasen, bestehend jeweils aus einer Planungs-, Forschungs- und Auswertungsphase.157 Die zentrale Herausforderung der Planungsphasen bestand dabei zunächst im Herstellen von Zugängen zur Durchführung von Forschungen mit den genannten Methoden an den ausgewählten Standorten. In Anbetracht der Tatsache, dass dieses Herstellen von Zugängen auch von inhaltlicher Relevanz für meine Studien ist, d.h. das Herstellen von Zugängen gleichzeitig Untersuchungsgegenstand und Forschungspraxis darstellt, möchte ich dabei nicht unerwähnt lassen, dass der Zugang zu meinem Forschungsfeld mit dem Wissen und den Kontakten meiner beruflichen Tätigkeit als Journalist und Rundfunkredakteur erfolgte.158 Professionelle Kontakte und Netzwerke waren mir vor allem beim Herstellen von Zugängen für die Feldforschung für Studie I zum Standpunkt »Europa« von Nutzen und halfen dabei, relevante Nachrichtenorganisationen und Auslandskorrespondenten zu identifizieren und entsprechende Kontakte herzustellen. 157 | Diese Phasen waren teilweise ineinander verschränkt, so habe ich mit der Planung meiner zweiten Feldforschung zum Standpunkt »Europa« bereits während der Auswertung der ersten Forschung begonnen. Zudem gewannen meine Forschungen während der Durchführung immer wieder eine gewisse Eigendynamik (aufgrund praktischer Umstände oder neuer Kontakte bzw. Erkenntnisse) und die Planung weiterer Forschungsschritte war entsprechend mit der Durchführung verschmolzen. 158 | Gerade in Fragen des Zugangs teilen journalistische und sozialwissenschaftliche Veröffentlichungen oft eine fehlende Transparenz. In einigen Fällen mag es dabei tatsächlich um ein berechtigtes Datenschutzinteresse der »betroffenen« Gesprächspartner gehen. Nicht zu leugnen ist aber auch ein gewisser mystifizierender Effekt, der durch die offensichtlich vorhandene Fähigkeit des Journalisten bzw. Forschers hervorgerufen wird, einen schwierigen Zugang herzustellen. Die tatsächlich oft trivialen Umstände des eigenen Zugangs zum Feld werden als ähnlich störend für eine spezifische Vorstellung von Authentizität empfunden wie die »fotografierenden Kollegen« auf den Fotografien von Kriegsfotografen oder die Stimme des eigenen »Fixers« im Radiofeature.
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Dutzende formale Forschungsanfragen bei Nachrichtenorganisationen blieben dagegen unbeantwortet. Auch diverse Telefongespräche mit Pressestellen halfen nicht dabei, direkten und »offiziellen« Zugang zu Nachrichtenorganisationen wie Spiegel, Deutsche Presse-Agentur, Frankfurter Allgemeine Zeitung, dem britischen Guardian oder der BBC in Europa herzustellen. Interessanterweise war es für mich dagegen vergleichsweise einfach, als (weißer, männlicher, europäischer) Wissenschaftler Kontakte zu lokalen Akteuren in Indien herzustellen und die entsprechende Forschung (für Studie II und III) zu planen.159 Dieses »Ungleichgewicht« in der Wirkung meines eigenen Standpunktes bei der Suche nach Zugängen an den verschiedenen Lokalitäten meines Forschungsfelds blieb nicht ohne Folgen für die anschließenden Forschungsphasen: Während ich etwa bei einer Beobachtungsexkursion im zentralen newsroom der Nachrichtenagentur Reuters in London nur wenige Stunden verbringen konnte, wurde mir durch die lokalen Akteure in Indien ein oft umfangreicher Einblick in ihre Arbeitsweise ermöglicht. Ich habe sie bei ihrer Arbeit und im privaten Umfeld besucht und bin mit ihnen und ihren »westlichen« Auftraggebern gereist. Mit einem »Fixer« aus Mumbai habe ich während einer teilnehmenden Beobachtung in der Rolle des reisenden Journalisten zwei Wochen lang zusammengearbeitet (wie in Studie II beschrieben). George Marcus betont, dass eine solche »opportunistische« Heterogenität im Forschungsverlauf dem Ansatz einer »Multi Sited Ethnography« inhärent sei und sogar ihren Charakter präge: But not all sites are treated by a uniform set of fieldwork practices of the same intensity. To do research, for example, on the social grounds that produce a particular discourse of policy requires different practices and opportunities than does fieldwork among the situated communities such policies affects […] To bring these sites into the same frame of study and to posit their relationships on the basis of first-hand ethnographic research in both is the important contribution of this kind of ethnography, regardless of the variability of the quality and accessibility of that research at different sites. (1995, S. 100)
Es kommt also nicht so sehr darauf an, durch eine identische Vorgehensweise bei der Forschung an verschiedenen Orten scheinbar kompatible ethnografische Daten zu erheben oder gar einen Vergleich zwischen diesen Lokalitäten durchzuführen. Vielmehr besteht der »Mehrwert« des multilokalen Ansatzes darin, verschie159 | Darunter auch Kontakte zu lokalen Mitarbeitern der BBC und des Guardian. Vor allem die Kontakte zu den unabhängigen »Fixern« basierten unter anderem auf einfachen Anfragen über das Internet. Die meisten »Fixer« habe ich auf der inzwischen geschlossenen Online-Plattform Lightstalkers gefunden (von der sowohl in Studie I als auch in Studie II noch die Rede sein wird). Der geringere Aufwand bei der Kontaktaufnahme steht allerdings insgesamt »antiproportional« zu den Widrigkeiten der Planung und Durchführung von Feldforschung in Indien.
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dene Aspekte eines global wirksamen Phänomens in einer einzigen Ethnografie »zusammenzudenken«, was ich in den Studien zur globalen journalistischen Kooperation angestrebt habe. Während ich dabei die Perspektive der europäischen Journalisten auf den Prozess der journalistischen Kooperation vor allem in der Retrospektive, auf Basis von Forschungsinterviews rekonstruiert habe (wobei ich einzelne Akteure zu ihrem lokalen Zugang an ganz verschiedenen Orten befragt habe), konnte ich diesen Prozess in Indien (wo ich verschiedene Akteure an einem spezifischen Ort der Praxis getroffen habe) nicht nur indirekt rekonstruieren, sondern diesen auch »direkt« beobachten.160 Möglich wurde eine »direkte« Beobachtung vor Ort beispielsweise in Kaschmir, wo ich im Frühjahr 2013 (unter anderem) die journalistische Kooperation zwischen einem »westlichen« Fotojournalisten und seinem lokalen »Fixer« untersucht habe (wie in Studie II beschrieben). Weder bei dieser noch bei den anderen Beobachtungsexkursionen habe ich mich dabei als eine objektive Beobachtungsinstanz von Praxis betrachtet, sondern entsprechend der in meinen Gedanken zum Standpunkt »Europa« ausgeführten »antiuniversalistischen« Argumentation eine selbstreflexive Position eingenommen. Die erhobenen ethnografischen Daten stehen nicht unmittelbar, sondern nur bedingt durch die Forschungssituation und meine Dokumentation spezifischer journalistischer Kooperationen in Bezug zur Praxis globaler journalistischer Kooperation, weshalb von »direkter« Beobachtung hier auch nur in Anführungszeichen die Rede ist. Dieser Umstand wurde bei der Durchführung der Beobachtungsexkursion in Kaschmir besonders deutlich. Aufgrund der gewissen Unwägbarkeit des Konflikts vor Ort befand ich mich während des Forschungsprozesses gemeinsam mit einem reisenden Fotografen in einer Abhängigkeit von just demselben lokalen »Fixer«, dessen Praxis ich erforschte.161 Zwar habe ich mich nicht so sehr für den Kaschmirkonflikt interessiert, sondern für die Arbeitsweise dieses spezifischen »Fixers«, aber seine Arbeitsweise war »situativ« natürlich mit dem komplexen »Gewaltspektakel« vor Ort verbunden. Einer »dearth of firsthand information« (Nordstrom & C.G.M. Robben, 1995, S. 5) sei der Forscher im Konfliktgebiet ausgesetzt, schreiben Carolyn Nordstrom und Antonius Robben in einer Einführung zu der spezifischen Situation einer Feldforschung im Konfliktgebiet: 160 | Eine Ausnahme bildet dabei die Kooperation von »europäischen« Auslandsredakteuren und lokalen Akteuren als Fernbeobachter, die ich bei einer (teilnehmenden) Beobachtung in den Afrikaredaktionen der Deutschen Welle in Bonn im Frühjahr 2014 ebenfalls »direkt« beobachten konnte (Kapitel: 2.2 Lokale Akteure in europäischen Auslandsredaktionen). 161 | Das betraf beispielsweise meine eigene Sicherheit. So bin ich gemeinsam mit dem Fotojournalisten und seinem »Fixer« in Srinagar am Rande einer gewalttätigen Demonstration gegen die indische Verwaltung in eine Situation geraten, in der ich mich dessen Verhaltenshinweisen untergeordnet habe (Kapitel: 3.4 Lokale Akteure im Konfliktgebiet Kaschmir).
Gegenstand, Kontext und Durchführung der ethnografischen Studien Researching and writing about violence will never be a simple endeavor. The subject is fraud with assumptions presuppositions and contradictions. Like power violence is essentially contested: everyone knows it exists, but no one agrees on what actually constitutes the phenomenon. Vested interests, personal history, ideological loyalties, propaganda and a dearth of firsthand information ensure that many ›definitions‹ of violence are powerful fictions and negotiated half-truths. (Nordstrom & C.G.M. Robben, 1995, S. 5)
Entsprechend hatte ich während meines Besuches in Kaschmir keine Möglichkeit, die Vertrauenswürdigkeit meiner Gesprächspartner, also die »Qualität ihrer Arbeit« (von einem europäischen Standpunkt aus betrachtet) als journalistische Helfer und lokale Korrespondenten anhand von »Tatsachen« zu überprüfen. Stattdessen muss ich mich auf die ethnografische Beschreibung meiner eigenen Beobachtungen der journalistischen Kooperation vor Ort sowie Forschungsinterviews beschränken.162 Doch gerade diese spezifische und durch die Umstände der Forschung bedingte Sicht auf den Einzelfall sehe ich als meinen Beitrag. Beim Nachvollziehen unterschiedlicher spezifischer Praktiken der globalen journalistischen Kooperation werden Formen sowie Wirkungsweisen der Arbeit lokaler Akteure auf die Medienproduktion sichtbar. Mit keiner anderen wissenschaftlichen Methode als dieser »direkten« Beobachtung erscheint es mir möglich, sich einer »tatsächlichen« Praxis weiter anzunähern. Als methodisches Gegengewicht zu den dabei produzierten hochspezifischen ethnografischen Daten, die immer nur in Zusammenhang mit einer bestimmten »Situativität« von Praxis verstanden werden können, stehen die Forschungsinterviews, bei denen Daten entstanden sind (Aufnahmen von formalen Gesprächen), in denen bereits eine sprachliche Reflektion, Analyse und Positionierung zur Praxis stattgefunden hat. Die in den Feldforschungen gesammelten ethnografischen Daten umfassen insgesamt 44 Forschungsinterviews163, Feldnotizen aus (teilnehmender) Beobachtung (Audio-, Videoaufnahmen, Fotografien und handschriftliche Notizen) und ein Forschungstagebuch (mehrere Bände), in dem ich den Forschungsverlauf 162 | Auch einige meiner Gesprächspartner in Kaschmir begegneten mir im Übrigen mit einer gewissen Vorsicht und Skepsis und sie befragten mich ausdrücklich nach meinen Motiven. Jeffrey A Sluka schreibt über das Misstrauen gegenüber dem Anthropologen: »Usually, at least at first, they [die Gesprächspartner] will define the anthropologist with reference to preexisting categories derived from experience with other strangers who have appeared in the community. Spy, journalist, policeman, tax collector, and missionary are common categories often mistakenly applied to anthropologists in the field« (Sluka, 2012, S. 283). 163 | Eine Liste mit den durchgeführten Forschungsinterviews befindet sich am Ende dieser Arbeit (Kapitel: d.Interviewverzeichnis). Dort sind auch die Tätigkeit und soweit vorhanden der Arbeitgeber meiner Gesprächspartner zum Zeitpunkt der Forschung aufgeführt.
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kontinuierlich und detailliert beschrieben bzw. erste »ethnografische Skizzen« ausgearbeitet habe. Die Auswertungsphase, bei der ich diese Daten organisiert und für den Schreibprozess der Studien vorbereitet habe, umfasste dann wiederum mehrere Stufen: Zunächst habe ich alle Forschungsinterviews, Filme und Tonaufnahmen transkribiert. Anschließend habe ich eine Computersoftware benutzt, um diese Transkripte (getrennt nach Interviews und Feldnotizen) zu kategorisieren und zu kommentieren.164 Die verwendeten Kategorien habe ich induktiv aus den Daten entwickelt und dann jeweils relevanten Interviewpassagen zugeordnet, um sie anschließend mit Assoziationen und ersten Analysen zu kommentieren. Die entstandenen kommentierten »Codebäume« gaben mir in einer dritten Analysestufe die Möglichkeit, über Stichwortsuchen mein gesamtes Interviewmaterial »gleichzeitig« zu betrachten, Positionen zusammenzufügen oder zu kontrastieren und neue Querverbindungen oder kategoriale Beziehungen herzustellen. Aufgrund der beschriebenen unterschiedlichen Wirkung meines eigenen Standpunktes als Forscher an verschiedenen Standorten meines Forschungsfelds reflektieren die ethnografischen Daten, die ich dabei erarbeitet habe, ganz unterschiedliche Formen von Nähe und Distanz zu meinen Gesprächspartnern; das habe ich anschließend bei der Ausarbeitung der Studien zum Ausdruck gebracht. Zitate aus den Forschungsinterviews und meine Erkenntnisse aus der Analyse dieser Gespräche verwende ich als Basis für eine distanzierte, analytische Repräsentation und Interpretation der Erzählungen meiner Gesprächspartner, in der ich versucht habe, den spezifischen Positionierungen der Akteure Raum zu geben. Meine Aufgabe bei der Darstellung im ethnografischen Text habe ich vor allem darin gesehen, die spezifischen Erfahrungen und Positionen meiner Gesprächspartner zu beschreiben, sie gegenseitig in Bezug zu stellen und Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede in den dabei zum Ausdruck gebrachten Formen der lokalen Teilhabe herauszuarbeiten sowie eine Einschätzung ihrer Wirkungsweisen auf die Medienproduktion anzubieten. Im Gegensatz hierzu beschreibe ich (teilnehmende) Beobachtung mit den sprachlichen Mitteln der Reportage und stelle meine eigenen Beobachtungen und meine eigene Erfahrung der journalistischen Kooperation in den Mittelpunkt. Unter dem dabei von mir verwendeten Begriff der »Forschungsreportage« verstehe ich entsprechend die Beschreibung von Lokalität und sozialer Interaktion (auch der Interaktion zwischen dem For164 | Insgesamt hat mir die Strukturierung des Materials mit dem Computer dabei geholfen, effektiv mit den großen Datensätzen zu arbeiten, die bei der Transkription der Forschungsinterviews und Medienaufnahmen im Feld entstanden sind. Doch das induktive Entwickeln von Kategorien aus den ethnografischen Daten heraus sowie ein »Zettelkasten« mit Notizen zu bestimmten Gesprächs- oder Filmmomenten, das Suchen von Querverbindungen innerhalb der ethnografischen Daten, alles das sind keine analytischen Innovationen, die auf der Anwendung einer Analysesoftware basieren, vielmehr erleichtert der Computer lediglich diese Arbeit.
Gegenstand, Kontext und Durchführung der ethnografischen Studien
scher und dem Forschungsfeld), die Repräsentation von Gesprächen sowie einer dabei gewährleistete Selbstreflexivität. Auf den ersten Blick mag es überraschen – vielleicht sogar anstößig erscheinen –, im Kontext wissenschaftlicher Forschung den Begriff der Reportage überhaupt zu verwenden, weil dieser vor allem mit dem Journalismus in Verbindung gebracht wird.165 Weiter oben wurde allerdings darauf hingewiesen, dass auch das Interview eine genuin journalistische Erfindung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts darstellt. Diese Provenienz scheint im Allgemeinen nicht als Hindernis betrachtet zu werden (und auch von mir wird dies nicht als ein Hindernis betrachtet), das Interview mit allen seinen bereits erörterten Ambivalenzen zur Erkundung sozialer Zusammenhänge in der Sozialforschung einzusetzen.166 165 | Die Reportage ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass sich ihr Autor an den Ort der Ereignisse begeben hat und auf Basis der persönlichen Erfahrung seinen »Augenzeugenbericht« verfasst. Abgesehen von den frühen Reisenden der Antike (z.B. Herodot) sind die Ursprünge der modernen Reportage im frühen Zeitungswesen des 16. Jahrh underts zu suchen (Ueding, 1996, S. 145). Ihren historischen Höhepunkt als journalistische Darstellungsweise hatte die Reportage vermutlich in den 1920er bis 1930er Jahren in einem Zwischenraum von Literatur und Journalismus, mit Vertretern wie E.E. Kisch, Alfred Polgar, Joseph Roth, Ernest Hemingway oder George Orwell (Ueding, 1996, S. 145). Auch zeitgenössische Wissenschaftler wie Georg Lukács, Siegfried Kracauer oder Walter Benjamin interessierten sich für diese Form der »Wirklichkeitsbetrachtung«. Auf den engen Bezug zwischen der Tätigkeit des Ethnologen und des Journalisten wurde bereits mehrfach verwiesen; in besonderem Maße manifestiert sich diese Nähe in der Form der Reportage, die sich wie die ethnologische Forschung aus der »direkten« Anschauung speist. Einen faszinierenden fachhistorischen Strang verfolgt der Soziologe und Europäische Ethnologe Rolf Lindner in seinem Buch »Die Entdeckung der Stadtkultur. Soziologie aus der Erfahrung der Reportage« (1990). Darin argumentiert er, dass die von dem Soziologen der »Chicago School« und ehemaligen Zeitungsreporter Robert Parks in den 1920er Jahren vertretene Ausrichtung der Großstadtforschung auf dessen im Großstadtjournalismus geschulte Arbeitsweise basiert habe (Lindner, 1990, S. 116-140). Mit dieser Arbeitsweise habe Robert Parks wiederum Ethnologen wie Robert Redfield und William Lloyd Warner beeinflusst, beides Ethnologen, die sich als Pioniere thematisch der modernen Gesellschaft zuwandten (Lindner, 1990, S. 140-150). 166 | Auch die Ethnologie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verwendete bereits die Befragung (»examination«) von Informanten, allerdings wurde diese Methode als problematisch betrachtet, weil man lokale Informanten meist nicht als gleichberechtigte Gesprächspartner, sondern als »Wilde« mit beschränkten Fähigkeiten der sprachlichen Artikulation ansah (Skinner, 2014, S. 25). Auch Patientenbefragungen in der Psychologie des 19. Jahrhunderts könnte man als eine frühe Form des Forschungsinterviews ansehen. Die Geschichte des Interviews als eine systematisch angewendete sozialwissenschaftliche Methode reicht mindestens bis in die 1920er Jahre zurück, als dieses in Methodenbüchern aus den USA zum ersten Mal erwähnt wird (Platt, 2002, S. 11). Als ein früher
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Es mag natürlich eingewandt werden, dass es sich beim Durchführen von Forschungsinterviews um eine spezifische Methode der Wissensproduktion handelt und nicht um eine Darstellungsweise.167 Dem möchte ich entgegnen, dass ich neben dem Interview auch die (teilnehmende) Beobachtung, die der Forschungsreportage zugrunde liegt, als eine wissenschaftliche Methode begreife, während es meiner Auffassung nach sehr viel weniger deutlich ist, was genau die wissenschaftliche Darstellungsweise einer Ethnografie definiert.168 Insgesamt habe ich die Darstellungsweise in meinen Studien variiert: In einigen Abschnitten habe ich ausschließlich mit Forschungsinterviews gearbeitet und dadurch Distanz hergestellt; in anderen Abschnitten habe ich beide Repräsentationsformen in einem Wechsel aus Distanz und Nähe miteinander verknüpft; meine teilnehmende Beobachtung mit einem »Fixer« in Mumbai wiederum präsentiere ich fast vollständig in Form einer »Forschungsreportage« auf Grundlage meines eigenen Erfahrungshorizontes während der Feldforschung.
Befürworter (wenn auch nicht als ein Praktiker) des ethnologischen Forschungsinterviews gilt Marcel Mauss (Skinner, 2014, S. 25). 167 | Die wörtliche Repräsentation von transkribierten Interviews als Darstellungsweise eines wissenschaftlichen Textes ist zweifellos unüblich. Als Endprodukt der qualitativen Sozialforschung stehen stattdessen häufig die Ergebnisse einer hermeneutischen Inh altsa nalyse auf Basis der Forschungsinterviews. 168 | Wissenschaftlichkeit in den Produkten der Sozialforschung wird für mich unter anderem bestimmt durch die Definition von Erkenntniszielen, durch die Reflexion der Methoden (sowie deren Plausibilität), durch eine Dokumentation der verwendeten Quellen, durch eine einheitlich formalisierte Zitationsweise sowie die Beschreibung von Forschungsverlauf und Ergebnissen. Alle diese Kriterien sehe ich für die Anwendung der »Forschungsreportage« als eine ethnografische Darstellungsform im Gesamtzusammenhang meiner Studien gewährleistet.
2 Studie I: Standpunkt »Europa« »Ich verabschiede mich nach einer Recherche in Dankbarkeit und mit Bedauern. Ein Mensch ist für mich zu einem Fenster geworden auf sein Land.« Charlotte Wiedemann, Autorin und Journalistin (Vom V ersuch, nicht weiss zu schrei b en, 2012)
2.1 E uropäische J ournalisten vor O rt
mit lok alen
A k teuren
Als die Journalistin Charlotte Wiedemann im Jahre 1999 beschloss, ihre bisherige Tätigkeit als Hauptstadtkorrespondentin in Deutschland aufzugeben und stattdessen in Zeitungen und Magazinen über Auslandsthemen zu schreiben, da dachte sie zunächst gar nicht daran, einen lokalen Assistenten zu engagieren. Ihr erster Auftrag führte sie nach Indonesien: Ich hatte mich gerade in Malaysia niedergelassen, da waren in Indonesien die ersten freien demokratischen Präsidentschaftswahlen im Parlament. Ich wollte dort hin, hatte aber noch keine Vorstellung, wie so was eigentlich läuft. […] Ich bin also da hin und stellte fest, dass, alle außer mir hatten irgendwelche Fixer oder wen auch immer bei sich, irgendwelche Adjutanten sozusagen. Und ich lief als Einzige da so herum, was letztendlich ganz interessant war. (Interview in Berlin, 2014)
Die Situation in Indonesien habe sie damals aufgrund der Sprachbarriere vor allem in ihrer sinnlichen Dimension intensiv erlebt. Es sei eine bürgerkriegsähnliche Stimmung gewesen, eine gespannte Ruhe. Es seien viele Sicherheitskräfte auf der Straße gewesen, erinnert sie sich, während die Menschen vor den TVGeräten standen und dabei zusahen, wie die Wahlzettel ausgezählt wurden. In ihrer Reportage habe sie sich dann ganz auf diese Eindrücke konzentriert, als eine Zuschauerin, die von außen auf das Geschehen blickt. Charlotte Wiedemann habe ich für das Forschungsinterview in ihrem Büro in ihrer Berliner Wohnung besucht, damals saß sie gerade an den letzten Korrektu-
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ren für ihr neuestes Buch, in dem sie sich mit dem Konflikt in Mali beschäftigt.1 Seit ihrer ersten journalistischen Reise nach Indonesien waren 15 Jahre vergangen, in denen Charlotte Wiedemann als Journalistin in Afrika, Asien und dem Nahen Osten gearbeitet hat. Sie habe dabei gelernt, den ersten Eindrücken zu misstrauen.2 So kostbar und wichtig diese Erfahrungen auch seien, sie sollten nicht zur Grundlage eines »Verstehens« gemacht werden, wie sie es mit ihrer Arbeit anstrebe: Das Eigentliche ist ja, dass man versteht – dass man etwas versteht. Denn je mehr man wirklich verstanden hat, desto besser kann man nachher schreiben. […] Man muss verstehen, wie die Leute ticken, was sie meinen, wie sie das Problem sehen, das man recherchiert, welche kulturellen Prägungen dabei eine Rolle spielen. Also alles das ist wirklich so, es müssen einem erst mal diese Glühbirnen angehen. (Interview in Berlin, 2014)
Für ein solches »Verstehen« sei eine journalistische Kooperation mit lokalen Akteuren vor Ort notwendig und sinnvoll. Da gebe es zum einen die Übersetzungsarbeit, zum anderen themenbezogene Gespräche und Diskussionen. Außerdem würden die Recherchepartner viele Begegnungen erst ermöglichen. Sie selbst arbeite deshalb regelmäßig mit lokalen Partnern. Manchmal benötigt Charlotte Wiedemann auch einfach praktische Hilfe. So berichtete sie von einem jungen Tuareg in der Stadt Gao in Mali, mit Kontakten ins Rotlichtmilieu, der ihr die Polizei und andere Ärgernisse vom Hals gehalten und sie auf dem Moped sicher durch das Krisengebiet transportierte habe (Interview in Berlin, 2014). Wichtiger sei aber der inhaltlich-thematische Zugang, den sie meist ganz spezifischen lokalen Partnern zu verdanken habe; etwa in Marokko, wo ihr eine junge Frau geholfen habe: Da ging es um Frauen, die schwanger wurden und Kinder bekommen haben, ohne verheiratet zu sein. In der Regel waren das dann eher so Unterschichtenmädchen, ein großes Tabuthema. Und darüber habe ich eine Reportage gemacht. Ich glaube, auch wenn ich jetzt Arabisch gesprochen hätte, hätten die Mädchen mir nicht viel erzählt. Sondern das 1 | Das Buch ist dann unter dem Titel »Mali oder das Ringen um Würde« (2014) ers chien en. 2 | In ihrem Buch »Vom Versuch, nicht weiß zu schreiben« (2012) beschreibt Charlotte Wiedemann einen geradezu fetischistischen Umgang mit dem »ersten Eindruck« in der globalen Nachrichtenindustrie und die Angst vor der Assimilierung, dem »going native« von Auslandskorrespondenten. Sie selbst hat dazu eine andere Position: »Wenn zu viel Wissen einen Auslandskorrespondenten entwertet, dann erzählt das vielmehr von einer tragischen Selbstbeschränkung. Es erzählt, wie sich unsere Gesellschaft Erkenntnis organisiert – und auf organisierte Weise vorenthält« (S. 26). Auch einige meine Gesprächspartner, sowohl unter den reisenden Journalisten und Redakteuren als auch unter den lokalen Akteuren, argumentierten mit dem Blick des »Außenstehenden«, um die Tätigkeit des reisenden Journalisten zu rechtfertigen.
Studie I: Standpunkt »Europa« war wirklich total klasse, dass das ebenfalls eine junge Frau war […] die trug immer ein Kopftuch, und die zu Interviewenden, die trugen auch alle Kopftuch, die kamen also auch jetzt nicht aus so einer säkularen Oberschicht. (Interview in Berlin, 2014)
In den Jahren ihrer Reisetätigkeit sei es zu den unterschiedlichsten Formen der Kooperation gekommen, die keinesfalls nach einem einheitlichen Schema abgelaufen seien. Ihre Erwartungen sowie den Rahmen der Zusammenarbeit musste sie dabei den jeweiligen lokalen Bedingungen anpassen. So arrangierte sie sich im Iran mit einer Frau, die zwar, wie vorgeschrieben, regelmäßig an die Regierungsstellen meldete, dies aber offen kommunizierte, den Inhalt solcher Meldungen sogar mit ihr aushandelte und insgesamt trotzdem vertrauensvoll mit ihr zusammenarbeitete (Interview in Berlin, 2014). Häufig habe sie mit ihren Kooperationspartnern journalistisch sinnvoll und fruchtbar zusammengearbeitet, aber natürlich habe es auch immer wieder weniger günstige Besetzungen gegeben. Als sie beispielsweise über die Situation der Frauen in Saudi Arabien recherchierte, sei es furchtbar schwierig gewesen, eine geeignete Person zu finden. Fast keine saudische Frau würde sich zu dieser Tätigkeit bereit erklären, zudem fast keine saudische Familie die notwendige Erlaubnis hierzu geben. Auch Hochstaplern sei sie aufgesessen, etwa einem Mann in der indonesischen Krisenprovinz Aceh, der sich am Flughafen als BBC-Übersetzer ausgab, aber dann fast kein Englisch sprach. Rekrutiert habe sie ihre Assistenten aus praktischen Gründen oft erst vor Ort und sei dabei auch immer wieder gezwungen gewesen, mit den einzigen verfügbaren Personen zusammenzuarbeiten. In der Türkei habe sie etwa einmal unglücklicherweise ein wichtiges Interview mit einem muslimischen Geistlichen mit dem örtlichen Barkeeper durchführen müssen, weil er als einziger vor Ort Englisch sprach. Es seien oft einfach Zufälle, erklärte Charlotte Wiedemann, die sie mit ihren lokalen Partnern für die Recherchen vor Ort zusammenbrachten. Doch bei komplexeren Reisen würde sie sich bereits von Europa aus um eine Zusammenarbeit bemühen: Zum Beispiel in Jemen, wo ich von hier aus weiß, ich muss dort jemanden haben, da kann man nicht lange rumsuchen, dazu ist die Lage dort viel zu schwierig oder auch möglicherweise gefährlich oder so, da kann man nicht tagelang ohne Dolmetscher einfach nur rumstolpern. Dann versuche ich, das von hier zu machen über Kontakte, über NGOs versuche ich dann das irgendwie hinzukriegen. (Interview in Berlin, 2014)
Solche Kontakte aus den NGOs oder auch aus einem studentisch-akademischen Umfeld zieht sie dabei professionellen »Fixern« vor, weil diese für sie meist zu teuer seien und sie als Printjournalistin zudem wenig logistische Hilfe benötige. Für ihre Art zu arbeiten habe sich zudem ein themenbezogenes inhaltliches Interesse als hilfreich und fruchtbar erwiesen. Das von ihr angestrebte »Verstehen«
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sei am besten in Form einer engen inhaltlichen Kooperation mit dem jeweiligen lokalen Partner zu erreichen. Obwohl sich der britische Dokumentarfilmer Phillip Cox in einem grundsätzlich anderen Produktionsmodus bewegt als die ausgewiesene Printjournalistin Charlotte Wiedemann, sucht auch dieser bei lokalen Partnern auf ähnliche Weise Hilfe beim »Verstehen« einer Lokalität und ihrer Situation. Wie Charlotte Wiedemann benötigt Phillip Cox lokale Hilfe zunächst vor allem dafür, einen Zugang zu seinem Thema zu finden und auch er beteiligt lokale Akteure dann am »inhaltlichen Kern« seiner Arbeit: I think it’s about your ability to explain and collaborate and mold and work with the fixer so they understand you, the job, everything as best as possible before they then take it to the subject or the next issue. Otherwise I’m just hiring manual labor, like, ›do this, do that.‹ Then it’s a different type of film. (Interview in London, 2014)
Das war auch so in seinem Dokumentarfilm »The Darfur War« (2004), durch den die Welt über das Morden im Sudan am Anfang des Jahrtausends erfahren hat und bei dem er eng mit lokalen Kooperationspartnern zusammenarbeitete.3 Seine ersten lokalen Kontakte im Sudan stellte er dabei, ähnlich wie von Charlotte Wiedemann als typische Methode beschrieben, zunächst über eine NGO her, in diesem Fall Amnesty International.4 Er arbeitete dann mit verschiedenen »Fixern« (wie er seine lokalen Partner nennt), die er oft auch erst vor Ort rekrutierte, z.B. in einem Flüchtlingscamp. Es sei dabei grundsätzlich von großer Bedeutung gewesen, wer genau der jeweilige »Fixer« war, zu welcher Familie oder Gruppe er gehörte. Denn sobald er sich nur hundert Kilometer in eine Richtung bewegt habe, so Philip Cox, hätten sich Loyalitäten und Zugehörigkeiten verschoben. Philip Cox lud mich in den Londoner Stadtteil South Hackney ein, wo seine Produktionsfirma Native Voice Films damals ihr Studio in einer Fabriketage betrieb. Dort berichtete er mir von seinen Erfahrungen bei der journalistischen Kooperation an ganz verschiedenen Orten – zum Interviewzeitpunkt produzierte 3 | Philip Cox war der erste »westliche« Journalist, der gemeinsam mit seinem »Fixer« Dawd Abute nach Darfur reiste, um über den organisierten Massenmord und die Vertreibung von mindestens 150.000 Menschen im Auftrag der sudanesischen Regierung zu berichten. Nachdem sein Film »The Darfur War« (2004) von europäischen Sendern ausgestrahlt worden war, wurde Philip Cox vom Europäischen Parlament und von der UNMenschenrechtskommission in Genf eingeladen, um persönlich Zeugnis abzulegen (Native Voice Films, o.D.). 4 | Über das Amnesty International-Büro in London habe er zunächst einen Sudanesen Namens »Raul« kennengelernt, berichtete mir Philip Cox, dieser sei sein erster »Fixer« geworden (Interview in London, 2014). Später arbeitete er auch mit Daoud Hari, dem Autor des bereits erwähnten Buches »The Translator« (2009), der später wiederum mit anderen prominenten Journalisten wie Nicholas Kristof und Ann Currry arbeitete.
Studie I: Standpunkt »Europa«
er seit 15 Jahren Filme in Regionen, deren Sprachen er nicht spricht und deren Situation oft von Gewalt und Unsicherheit geprägt ist. So unterschiedlich der Kontext auch gewesen sei, erklärte er mir, immer sei Erfolg oder Misserfolg eines Projektes davon abhängig gewesen, wen er als »Fixer« engagiert habe: For the beginning who you choose, like Sunni and Shia, male and female, culture, ritual. The fixer brings as much baggage as you do, really. Usually I have a period where it’s just me and them. The more they understand about me and the project, the better our communication will be in an ideal world. But often it’s not possible. (Interview in London, 2014)
Die Arbeit mit »Fixern« sei in der Praxis ein »cultural minefield« (Interview in London, 2014) – an der Wahl des »Fixers« entscheide sich, welchen Zugang er zu seinem Thema haben würde oder eben nicht. Als er 2005 über das Erdbeben in Pakistan berichtete, habe er einen »großartigen Fixer« gefunden, der auch perfekt Englisch sprach. Doch überraschenderweise habe es mit diesem überhaupt nicht funktioniert: »I sent him up into the hills and to the people. But they would never even speak to us. I ask why and then someone told me ›your fixer is a Kahn‹, so he’s aristocracy and people wouldn’t want his presence« (Interview in London, 2014). Doch nicht nur in Bezug auf kulturelle Feinheiten kann die journalistische Kooperation in ein »Minenfeld« führen. Die Gefahren könnten durchaus konkret werden, so Philip Cox. Menschen, die ihr Leben in Konfliktgebieten verbringen, würden Risiken ganz anders bewerten: I did a film in Morocco and I wanted to film the wall between Western Sahara and Morocco, a sand wall of thousands of kilometers. It is one of the most mined areas in the world and I was with a guy, a western guy […]. Our fixer took us to film the wall and we approached the wall, and we could see these little soldiers on top of the wall. They were Moroccans. I asked our fixer where the minefield started, and he said it had started about 200 meters behind me. So we were in the middle of the minefield and the Moroccan soldiers just sat down and they were watching us, thinking who’s going to go first. The fixer did this because he was crazy. He’d lost himself to conflict, so he went through this mine field all the time. (Interview in London, 2014)
Für die gemeinsame Arbeit in einem Krisengebiet sei es deshalb unerlässlich, die Risikobereitschaft des »Fixers« zu kennen. Das Abschätzen von Risiken vor Ort müsse er aufgrund seines fehlenden Wissens meist dem »Fixer« überlassen, was durchaus bedeuten könne, diesem das eigene Leben anzuvertrauen.5 5 | Philip Cox berichtete mir von mehreren Filmprojekten, bei denen es erst ein guter »Fixer« möglich gemacht habe, dass er in schwieriger Umgebung arbeiten konnte – darunter Filmarbeiten über bewaffnete Konflikte, organisiertes Verbrechen und Raubbau an Rohstoffen (Interview in London, 2014). Seinen Erzählungen zufolge ist es dabei insgesamt nicht zu einer einseitigen Übernahme von Risiken durch den »Fixer« gekommen, wie
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Mit ganz anderen Schwierigkeiten in Bezug auf seine Helfer war dagegen der reisende Journalist Sebastian Christ in Afghanistan konfrontiert. Zum Forschungsinterview traf ich ihn in einem Café in Berlin, wo er mir über seine Arbeit in verschiedenen Krisengebieten berichtete. Als er über deutsche Soldaten im längsten Krieg der bundesrepublikanischen Geschichte in Afghanistan recherchierte, sei er vor Ort als »embedded journalist« mit dem Phänomen der bundeswehreigenen »Sprachmittler« konfrontiert gewesen. Diese hätten als eine Art »Fixer« für Soldaten gearbeitet und auch den reisenden Journalisten hätten sie teilweise zur Verfügung gestanden.6 Diese Besetzung sei nicht ideal gewesen, weil die »Sprachmittler« von der Bundeswehr beschäftigt und bezahlt wurden; sie hätten sich zudem stark auf die Übersetzung von Gesprächsinhalten konzentriert und es sei schwierig gewesen, ein Vertrauensverhältnis zu entwickeln. Die meisten »Sprachmittler« habe die Bundeswehr nach seiner Einschätzung von der Universität rekrutiert: »Das waren teilweise auch sehr aufgeweckte Jungs, die über ihr Anglistikstudium eine gewisse Weltsicht bekommen haben« (Interview in Berlin, 2014). Die Arbeit sei für sie ein willkommener Verdienst gewesen, vermutet Sebastian Christ, aber sie hätten in ständiger Angst vor den Taliban gelebt, weil diese sie als Kollaborateure betrachtet hätten: Einer wollte nie in der Nähe seines Hauses rausgelassen werden von der Bundeswehr. Die waren mit einem großen gepanzerten Ding unterwegs, und er hat ausdrücklich Anweisungen gegeben: ›Lasst mich bitte an diesem Kreisel in der Innenstadt raus, und dann gehe ich meines Weges. Aber ich will nicht, dass ihr mit der ganzen Kolonne bei mir vor dem Haus vorbeifahrt‹. (Interview in Berlin, 2014)
Mit sichtlichem Bedauern berichtete mir Sebastian Christ von der seiner Ansicht nach naiven Vorstellung dieser Übersetzer, die Bundeswehr helfe ihnen nach dem Abzug, nach Deutschland zu kommen, um so den Racheaktionen der Taliban zu entgehen.
es etwa Lindsay Palmer beschreibt (Palmer L., 2016). Doch die bereits zitierte Statistik des Committee to Protect Journalists, nach der vor allem lokale Akteure Opfer von Gewalt werden, scheint ihr insgesamt Recht zu geben (Committee to Protect Journalists, o.D.-b). 6 | Wie auch schon im Einführungskapitel beschrieben (Kapitel: 1.1 Zur Teilhabe lokaler Akteure an der globalen Nachrichtenindustrie), haben die militärischen Übersetzer oder interprètes militaires in der französischen Tradition bereits eine längere Geschichte als die journalistischen »Fixer«. Überschneidungen hat es historisch wohl schon lange gegeben. Auch Dith Pran, der bekannte »Fixer« von Sydney Schanberg in Kambodscha, hat nach Informationen der New York Times zunächst als Übersetzer der US-Streitkräfte gearbeitet (Martin, 2008).
Studie I: Standpunkt »Europa«
*** In Genua traf ich Albertina d’Urso, die als reisende Fotografin Länder fotografiert, über die im »Westen« wenig bekannt ist oder aber in bekanntere Regionen reist, um diese von einer weniger beachteten Seite zu zeigen.7 Manchmal benötigt auch sie bei solchen Projekten lokale Unterstützung. Im Forschungsinterview berichtete sie mir von einem Mann, mit dem sie in Haiti gearbeitet habe: »His work was to play drums in the funerals. �����������������������������������������������������ing the people feel good« (Interview in Genua, 2014). Für ihre Reportage sei dieser Mann eine gute Besetzung gewesen: Er habe vor Ort großen Respekt genossen, habe viele Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten gekannt und ein eigenes Auto besessen. Auf ihre Empfehlung hin hätten später auch andere Journalisten damit begonnen, mit ihm zu arbeiten (Interview in Genua, 2014). Immer wieder haben meine Gesprächspartner berichtet, dass sie mit solchen Zufallsbekanntschaften gearbeitet hätten oder auch einen Assistenten über eine NGO bzw. über eine Hochschule gefunden hätten. Journalisten engagieren also nicht zwingend professionelle »Fixer«.8 Entsprechend übernehmen einige lokale Akteure (oder eben »nichtprofessionelle Fixer«) nur temporär bzw. »hin und wieder« die Rolle des lokalen Partners für reisende Journalisten. Das ist von Bedeutung, weil die imaginierte Gruppe lokaler Akteure globaler Nachrichtenindustrie dann entsprechend nicht nur aus den professionellen »Fixern«, »Stringern« oder lokalen Korrespondenten besteht, deren Standpunkt ich in Studie II untersuche.9 Sebastian Christ verlässt sich dagegen nicht auf solche Zufallsbegegnungen und »Amateure«. Er beschreibt es als hilfreich, wenn sein »Fixer« professionelle Gedankengänge versteht und selbst journalistische Arbeitserfahrung besitzt:10
7 | Ihre Fotoreportagen, beispielsweise aus Osttimor, Gabun, Nordkorea oder auch aus einem gewaltgeplagten Vorort von Los Angeles, den Flüchtlingscamps auf Malta und dem ehemaligen Jugoslawien, können online auf ihrer Homepage betrachtet werden (D’Urso, o.D.). 8 | Auch der Tuareg, mit dem Charlotte Wiedemann gearbeitet hat, war kein professioneller »Fixer«: Dieser habe nach ihren Kenntnissen zuvor nur einmal für eine amerikanische Journalistin gearbeitet (Interview in Berlin, 2014). 9 | Den Standpunkt solcher lokaler Akteure, die nur temporär als »Fixer« tätig sind, habe ich in den Studien nicht gesondert differenziert. Aber ihr Standpunkt in der globalen Nachrichtenindustrie ähnelt dem des autodidaktischen »Fixers« Rakesh, mit dem ich in Mumbai im Rahmen meiner teilnehmenden Beobachtung vor Ort zusammengearbeitet habe (Kapitel: 3.3 »Mumbai Fixer« – eine Forschungsreportage). 10 | Im Gegensatz zu den »Sprachmittlern«, von denen nach der Darstellung von Sebastian Christ keine substanziellen journalistischen Anregungen zu erwarten waren (Interview in Berlin, 2014).
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Korrespondenten des Wandels Wichtig ist mir, dass ich mit denen auf einer journalistischen Ebene kommunizieren kann, dass ich weiß, wenn ich über Themen rede, dass diese Leute mir dann Zusammenhänge in einer klaren Argumentationslinie erklären können. Wenn ich eine Geschichte machen will, dann sollte das eine journalistische Geschichte sein, die nach dem ›both sides of the story-Prinzip‹ funktioniert. Es ist auch wichtig, dass ich O-Töne von glaubwürdigen Menschen mit reinbekomme, die ich später zitieren kann. (Interview in Berlin, 2014)
Im Irak habe er mit zwei irakischen Journalisten gearbeitet, die er über ein internationales Medienbüro gefunden habe und die ihm sehr geholfen hätten. Neben den individuellen Motiven der jeweiligen reisenden Journalisten, der Situation vor Ort oder auch der jeweiligen Verfügbarkeit, dürfte bei der Wahl eines geeigneten lokalen Assistenten in diesem Fall auch der Wandel in der globalen Nachrichtenindustrie und wahrscheinlich auch ein Generationswechsel bei den reisenden Journalisten eine Rolle spielen: Sebastian Christ, Jahrgang 1981, hat die Arbeit mit professionellen »Fixern« von Beginn seiner journalistischen Lauf bahn an praktiziert und in seine Produktionsprozesse integriert. Zuvor habe ich die Vermutung geäußert, dass professionelle »Fixer« in den 1980er Jahren zu einem relevanten Phänomen geworden sind.11 Als ich den TVJournalisten Christoph Maria Fröhder dazu befrage, erinnert er sich, dass er in den 1990er Jahren in Somalia das professionelle »Fixer«-Geschäft und auch diesen Begriff zum ersten Mal wahrgenommen habe.12 Einige der heute gängigen Praktiken journalistischer Kooperation mit professionellen lokalen Akteuren bei der Rundfunkberichterstattung betrachtet er aus der Perspektive des »Fernsehveteranen«, der vier Jahrzehnte als Krisenreporter gearbeitet hat, mit einiger Skepsis.13 Er könne es etwa nicht befürworten, wenn »Fixer« selbstständig
11 | Damit ist gemeint, dass sich in dieser Zeit das professionelle »Fixer«-Modell etabliert hat, bei dem ein unabhängiger lokaler Partner von verschiedenen ortsfremden Auftraggebern engagiert wird und dieser sich beruflich deshalb auf die Arbeit in der globalen Nachrichtenindustrie konzentrieren kann (Kapitel: 1.1 Zur Teilhabe lokaler Akteure an der globalen Nachrichtenindustrie). Natürlich ist nicht auszuschließen, dass auch schon vorher lokale Akteure vereinzelt so gearbeitet haben. 12 | Eine Einordnung Anfang der 1990er Jahre deckt sich zeitlich mit der Dokumentation des Begriffs »Fixer« in Mittelamerika bei Mark Pedelty (1995). 13 | Wie bei Colin Freeman, von dem im Einführungskapitel die Rede war, mag dabei auch eine Rolle spielen, dass Christoph Maria Fröhder eine unangenehme Erfahrung mit professionellen »Fixern« machte. In seinem Erinnerungsbuch »Ein Bild vom Krieg« (2003) schildert er einen Entführungsversuch, bei dem Einsatzkräfte des Geheimdienstes von Saddam Hussein versucht hätten, ihn und einen Kollegen in ein Auto zu zerren, um sie zu verschleppen oder sogar zu töten. Nach dem Sieg der Amerikaner traf er einen der nun arbeitslosen Geheimdienstler in der Rolle eines »Fixers« im Auftrag eines amerikanischen TV-Teams wieder (S. 153-166).
Studie I: Standpunkt »Europa«
Gesprächspartner für Nachrichtenbeiträge auswählen: »Wir haben nie jemanden in diese Rolle kommen lassen«, erklärte er mir: Ich habe bestimmt, wen wir treffen, ich meine ein Fixer macht ja eigenständige Termine, unter Umständen auch ohne Absprache. […] Viele sind ja froh darüber, wenn der Fixer morgens an den Frühstückstisch kommt und sagt, ich habe Termine mit dem und dem. Da würde ich mich nie drauf einlassen. (Interview in Frankfurt a.M., 2014)
Das bedeutet aber nicht, dass Christoph Maria Fröhder auf lokale Partner verzichtet hat; auch er setzte nach eigenen Angaben immer auf eine enge Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren. Allerdings habe er fast nie mit professionellen Helfern zusammengearbeitet, die er sprachlich mit dem Begriff »Fixer« zu identifizieren schien. Für das Forschungsinterview lud mich Christoph Maria Fröhder in sein Haus in Frankfurt am Main ein und servierte starken Espresso. Seine Arbeit habe er stets nach den journalistischen Prinzipien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ausgerichtet, stellte er während des Gesprächs immer wieder klar. Dazu gehört es offensichtlich, der Sensation grundsätzlich zu misstrauen: »Schockbilder« von Verletzten wollte er nie drehen. Ein ihm angebotenes Interview mit Saddam Hussein im Irak habe er 1991 ausgeschlagen, weil dieser Vorbedingungen gestellt habe und die Fragen vorab sehen wollte.14 Als er während des sowjetischen Afghanistankrieges am Khaiberpass Osama Bin Laden in einem Zelt entdeckte, sei es ebenfalls zu keinem Interview gekommen – Osama Bin Laden sei so arrogant aufgetreten, dass ein vernünftiges Gespräch nicht möglich gewesen sei (Interview in Frankfurt a.M., 2014). Seine Lauf bahn als TV-Krisenreporter hat Christoph Maria Fröhder in den 1960er Jahren in Biafra begonnen. Anschließend berichtete er über Kriege in Afrika, den Krieg in Vietnam15 und über die Machtübernahme der Roten Khmer in 14 | Dieses Interview hat schließlich Peter Arnett von CNN geführt; in seinen Memoiren behauptet er, Saddam Hussein habe zu ihm gesagt: »Ask me what you like« (1994, S. 399). Nach Angaben von Christoph Maria Fröhder habe er aber die Vorbedingung von Saddam Hussein akzeptiert, die Fragen einzureichen. Das Interview wurde durch das palasteigene Filmteam aufgezeichnet und von Saddam Husseins persönlichem Dolmetscher übersetzt. 15 | Dabei berichtete er nicht nur, wie es die meisten »westlichen« Journalisten praktizierten, über die US-Armee und ihre südvietnamesischen Verbündeten (Kapitel: 1.2 »Europa« als Standpunkt in der globalen Nachrichtenindustrie), sondern organisierte mithilfe seiner lokalen Partner auch mehrfach Gespräche mit Vietkong: »Da haben wir Vereinbarungen getroffen, wo wir von denen abgeholt werden, irgendeine Kilometerbezeichnung auf der Route National. Dann saßen sie dort und in dem Moment, wo wirklich kein Verkehr war, hob sich plötzlich neben Ihnen fast so ein runder Reis-Paddy, der von unten hydraulisch hochgehoben wurde mit dem Wagenheber, der war da schlicht eingebaut. Dort ging
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Kambodscha16. Während dieser frühen Phase seiner Tätigkeit in Afrika und Asien sei es unmöglich gewesen, im Vorfeld Assistenten zu organisieren. Meistens fuhr er deshalb nach eigenen Angaben direkt zu einer lokalen Universität, um dort einen »Studenten« möglichst aus einem sozialwissenschaftlichen Institut gleich vor Ort zu engagieren:17 Ich wollte immer auch über die Region lernen. Das kriegen Sie nur, wenn Sie mit einem Gebildeten arbeiten, der nicht mit Arroganz auf seine Leute guckt. Sie müssen im Dauerdialog bei der Arbeit sein und auch mal, wenn Sie eine Frage nach dem Hintergrund haben, warum jetzt zum Beispiel jemand sich so oder so ablehnend gegenüber Ihnen verhält, dann sollte der das erklären können, aus der historischen und soziologischen Struktur dieser Region. So zu arbeiten hat einen Riesenspaß gemacht. (Interview in Frankfurt a.M., 2014)
Während des Forschungsinterviews erinnerte er sich etwa an die Zusammenarbeit mit dem »Studenten« Khaal in Vietnam, mit dem er auf Französisch kommuniziert habe. Bei diesem habe er sich immer nach den Eigenheiten vor Ort erkundigen können, es sei eine Kooperation auf Augenhöhe gewesen. Mithilfe von Khaal berichtete er als einer der ersten »westlichen« Journalisten über die Kriegsverbrechen der US-Armee in My Lai. Bereits 1969 hätten sie gemeinsam das Dorf besucht, berichtet Christoph Maria Fröhder, und dort hätten sie den Bürgermeister zum Massaker befragt. Seinem Assistenten habe er damals deutlich gemacht, dass sie nun als ein Team funktionieren müssten:
es dann rein in die Kanäle. Und die Vietkongs waren auch recht rigide. Aber wir sind mit denen klar gekommen« (Interview in Frankfurt a.M., 2014). 16 | Neben Sidney Schanberg war Christoph Maria Fröhder einer der wenigen »westlichen« Augenzeugen, der über den Einzug der Roten Khmer berichtete. Seine Filmaufnahmen schmuggelte er in einem falschen Gipskorsett außer Landes (Interview in Frankfurt a.M., 2014). 17 | Lokale Journalisten seien dabei nicht seine erste Wahl gewesen. In Vietnam seien diese in einer Lage gewesen, die es schwierig gemacht habe, im Auftrag einer ausländischen Nachrichtenorganisation zu arbeiten: »Die standen zwischen zwei ganz massiven Polen, das eine war die südvietnamesische Regierung, die extrem übergriffig war und die Vietkongs, die zu Rache neigten und wer sich da allzu weit aus dem Fenster gehängt hat, das wurde uns gesagt, kriegte richtig Ärger, richtig Probleme. Bis hin, dass jemand aus der Familie oder sie selbst umgebracht wurden. Von welcher Seite war nie wirklich für uns nachvollziehbar. Aber ich habe zwei, drei gekannt, die sind verschwunden und da wurde lange gerätselt und mal in einem Fall, glaube ich, auch eine Leiche gefunden, in anderen Fällen gar nichts und das war ein extremes Spannungsgefüge« (Interview in Frankfurt a.M., 2014).
Studie I: Standpunkt »Europa« Khaal, du musst auf eins aufpassen, der Mann ist jetzt in einer hochgradig Erregung, der verdoppelt, der verdreifacht die Zahl derjenigen, die sie überfallen haben, der wird einen möglichen Eigenanteil, dass da aus dem Dorf geschossen worden sein könnte, mal nur als Verdacht, nicht erwähnen, du musst jetzt hier meine Frage so präzise wie möglich übersetzen, und wenn du eigene hast, die sich ergeben, stelle sie, nur übersetze sie mir bitte. Also insofern, das ist einfach eher eine kollegiale Ebene, die ich ganz bewusst von Anfang an versucht habe herzustellen, aber auch mit der ganz klaren Ankündigung, auf der kollegialen Ebene trägst du eine höhere Verantwortung. (Interview in Frankfurt a.M., 2014)
An seiner Erzählung wird deutlich, dass es bei Christoph Maria Fröhders Kritik an der Verwendung von professionellen »Fixern« nicht um eine grundsätzliche Ablehnung einer inhaltlichen journalistischen Kooperation mit lokalen Akteuren geht. Während des Forschungsinterviews nannte er weitere Beispiele für eine vertrauensvolle inhaltliche Zusammenarbeit mit lokalen Partnern.18 Seine Ablehnung professioneller lokaler Helfer richtet sich nach meinem Verständnis vielmehr gegen eine »Lokalisierung« der Produktionsprozesse, die darauf zielt, eine größere Effizienz und Wirtschaftlichkeit bei der Nachrichtenproduktion zu erreichen: »Wenn der Korrespondent grundsätzlich unter Zeitdruck steht, werden stattdessen kurze Geschichten von Stringern produziert« (Interview in Frankfurt a.M., 2014), kritisierte Christoph Maria Fröhder. Ob ein lokaler »Stringer« oder ein reisender Journalist Informationen und Bilder für einen Beitrag zusammenstelle, sei für den Auslandsjournalismus dabei keinesfalls irrelevant: »Der [»Stringer«] produziert nach den soziologischen Gegebenheiten, unter denen er auch groß geworden ist. Also nicht unsere Sicht auf die Dinge, nicht unser kritischer Blick, der wird nicht überall für konstruktiv gehalten« (Interview in Frankfurt a.M., 2014). Die »Stringer« würden mit den Redaktionen, die sie beauftragen, oft nur in lockerer Verbindung stehen, trotzdem würden diese aus Bildern, Bildbeschreibungen und Interviews der lokalen Mitarbeiter ihre TV-Beiträge erstellen: Dann reißt sich der Reporter das Ding unter den Nagel und war wie gesagt nicht vor Ort, wo sie ihre Antennen normalerweise ausstrecken, hinterfragen und auch an der Atmosphäre des Ortes merken, dass da was doch anders ist, als das, was ihnen glaubhaft gemacht werden soll. Und wo sie dann plötzlich hinterfragen und […] sich die Geschichte komplett umdreht. Dieser Arbeitsprozess, der findet dabei nicht statt. (Interview in Frankfurt a.M., 2014)
Aus Sicht von Christoph Maria Fröhder ist die ideale journalistische Produktionsform für reisende Journalisten die gemeinsame Arbeit mit lokalen Assistenten 18 | Beispielsweise habe er in Somalia Anfang der 1990er Jahre mit einem sehr zuverlässigen Studenten gearbeitet. Während andere Journalisten mit ihren professionellen »Fixern« dort häufig in Schwierigkeiten geraten seien, habe er sich auf dessen Informationen verlassen können (Interview in Frankfurt a.M., 2014).
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vor Ort. Die Präsenz des reisenden Journalisten hält er für unverzichtbar, eine vollständige Auslagerung der Berichterstattung an lokale Akteure lehnt er entsprechend ab. Bei einem Besuch des ARD-Hörfunkstudios in New Delhi habe ich den entsandten Korrespondenten Kai Küstner getroffen, der zur Frage der unabhängigen lokalen Korrespondenten eine andere Position einnimmt. Es sei für ihn unerlässlich, ein Netzwerk lokaler »Stringer« zu unterhalten, die zwar keine fertigen Beiträge erstellen, aber alles Notwendige hierfür vorbereiten und liefern:19 Es wäre sehr schwierig, ohne unsere Stringer eine gute Berichterstattung zu machen. Sie sind eine Unterstützung im aktuellen Breaking-News-Fall und können Sachen schnell zuliefern, Zusammenhänge erläutern, Anrufe parallel erledigen und Fakten gegenchecken. Sie ermöglichen es vor allen Dingen aber auch, eigene Themen zu setzen oder ganz neue Ansätze zu entwickeln. Sie können dabei wirklich exklusive Stücke liefern, die anderen Medien nicht haben. (Interview in New Delhi, 2013)
Meist würde die ARD dabei lokale Journalisten engagieren, die bereits viel Arbeitserfahrung hätten. Diese würden teilweise in Kooperation mit der dpa finanziert und mit Exklusivverträgen gebunden werden (Interview in New Delhi, 2013). Die Zusammenarbeit sei sehr vertrauensvoll, im Zweifelsfall würde er seinen »Stringern« mehr vertrauen als den großen Nachrichtenagenturen.20 Zusätzlich, so sagte mir Kai Küstner, würde er viel Zeit mit Reisen verbringen, auch er halte die Präsenz des Korrespondenten vor Ort für wichtig. In Indien
19 | Schon aus organisatorischen Gründen sei es für die entsandten Korrespondenten unmöglich, die gesamte Region persönlich abzudecken, für die sie aufgrund der ARDStruktur verantwortlich sind. Das Hörfunkstudio in Neu-Delhi ist für acht Länder zuständig, neben Indien sind das Pakistan, Afghanistan, Nepal, Bhutan, Bangladesch, Sri Lanka und die Malediven (NDR, o.D.). Zum Zeitpunkt meines Besuches arbeiteten im Studio New Delhi aber nur zwei deutsche Journalisten. Vor allem die Sprachbarriere verhindere allerdings die Eigenproduktion von Beiträgen durch die »Stringer«, erklärte mir Kai Küstner: »In Teilen könnte das sicherlich funktionieren, aber natürlich gibt es das Sprachproblem, gerade für das Radio muss man dann Deutsch schon auf einem hohen Niveau sprechen, zumindest so, dass der Hörer das auf eine angenehme Weise nachvollziehen kann. Also unser Stringer in Afghanistan könnte beispielsweise nur auf Englisch berichten, es müsste dann in Deutschland übersetzt werden« (Interview in New Delhi, 2013). 20 | Die lokalen Korrespondenten (»Stringer«) helfen der ARD also, ein stückweit Unabhängigkeit von den großen Nachrichtenagenturen zu bewahren, wie Kai Küstner berichtete: »Vieles erfahren wir zum Glück durch unsere Stringer, oft sogar früher als andere internationale Medien. Also zum Beispiel unsere Stringer in Afghanistan sind sehr, sehr gut und die wissen das schneller oder gleich schnell wie andere Medien. Auf die verlassen wir uns natürlich mehr als auf die Nachrichtenagenturen« (Interview in New Delhi, 2013).
Studie I: Standpunkt »Europa«
würden sie dabei hauptsächlich im Team mit den lokalen »Producern«21 des ARDHörfunkstudios reisen: Weil man auf dem Land natürlich auch mit Nichtenglischsprachigen kommun izieren muss, dann ist das halt wichtig. Auch die Vernetzung ist bei uns nicht so da. Also bei einem indischen lokalen Mitarbeiter ist das im Zweifelsfall ein Anruf bei einer Behörde oder bei einem Kontakt. Oder wenn es darum geht, einen Teeverkäufer für einen O-Ton anzusprechen, wenn ich da hinkomme, dann versteht er mich vielleicht nicht oder er ist eingeschüchtert. Er will dann vielleicht nicht mit mir reden oder weiß nicht was ich möchte und bei denen funktioniert das einfach gleich auf einer ganz anderen Ebene. (Interview in New Delhi, 2013)
Doch nur der reisende Korrespondent sei dann wiederum ausreichend in seinem »Heimatland« (Interview in New Delhi, 2013) verwurzelt, um letztendlich die redaktionelle Verantwortung zu tragen. Zusammenfassend habe ich Kai Küstner im Forschungsinterview so verstanden, dass er eine Mischung aus lokalen Mitarbeitern und entsandten Korrespondenten am sinnvollsten hält, wobei er den lokalen Akteuren mehr Unabhängigkeit zubilligt, als es beispielsweise Christoph Maria Fröhder für erstrebenswert betrachtet.22 *** Die Fotografin Albertina d’Urso arbeitet am liebsten allein: »I think it’s better to do it without a fixer« (Interview in Genua, 2014). Für ihre fotografische Arbeit sei es immer hilfreich, wenn eine gewisse Intimität zwischen ihr und den Menschen 21 | Diese tragen größere redaktionelle Verantwortung als die »Stringer« und arbeiten direkt an der Seite der entsandten Korrespondenten in New Delhi. 22 | Neben der Themenrecherche, dem Durchführen von Interviews und der Reisebegleitung haben die lokalen »Producer« noch eine weitere wichtige Funktion für die ARD-Indienberichterstattung: Während die Korrespondenten ca. alle fünf Jahre rotieren, sorgen diese für Kontinuität im Betrieb der lokalen Studios. Bei meinem Besuch in New Delhi traf ich den indischen Journalisten Anoop Saxena in der Funktion eines lokalen »Producers«. Er hat den Korrespondentenwechsel schon mehrfach miterlebt, da er bereits seit dem Jahr 2000 für das ARD-Studio arbeitet. Aus journalistischer Sicht befürwortet er das rotierende System: »These new guys come with new ideas. For them it’s exciting and we also get excited« (Interview in New Delhi, 2013). Zudem äußerte er die Einschätzung, dass die indischen Mitarbeiter des Studios den entsandten Korrespondenten nicht ersetzen könnten: »It should be a German reporter. It should be of their eyes. It should be of their thinking« (Interview in New Delhi, 2013). �����������������������������������������gen »Input« zu liefern. Über seine spezifischen Erfahrungen bei der Kooperation mit den Korrespondenten wird in Studie II zum Standpunkt »Indien« noch die Rede sein (Kapitel: 3.2 Lokale Akteure im Spannungsfeld der Indienberichterstattung).
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entstehe, deren Leben sie fotografiert. Eine vermittelnde Person empfindet sie als tendenziell störend und akzeptiert ein solches Arrangement nur, wenn es wirklich notwendig wird: »In some cases it’s impossible to avoid it, like if you don’t speak the language or if you have no access« (Interview in Genua, 2014). Die Printjournalistin Charlotte Wiedemann sieht in der Kooperation mit lokalen Partnern vor Ort dagegen einen »Wert an sich« (Interview in Berlin, 2014); sie beschrieb spezifische Vorteile, die sich direkt aus der Praxis der journalistischen Kooperation heraus ergeben würden. Wenn sie etwa bei Interviews mit lokalen Partnern zusammenarbeite, könne es durch die Arbeitsteilung bei der gemeinsamen Gesprächsführung möglich werden, große kulturelle Distanzen zu überbrücken. In den kleinen Dörfern in Mali, die sie auf ihrer letzten Recherchereise besucht hat, habe sie mit einem sprachgewandten Linguisten gearbeitet, dem sie die aktive Gesprächsführung überlassen konnte. Ihre europäische Direktheit habe dort nicht funktioniert und ihr lokaler Partner habe ihre Fragen in Gespräche überführen müssen, die erst in einer kunstvollen Umständlichkeit angemessen höflich wurden: »Das funktionierte gut, man sitzt dann da vor so einer kleinen Dorfversammlung […] und ich stelle meine Fünf-Worte-Frage und er spricht und spricht und spricht und spricht« (Interview in Berlin, 2014). Ihr lokaler Partner musste dafür nicht nur ihre journalistische Intention verstehen und die lokale Gesprächskultur kennen, sondern auch fähig sein, relevante Rückübersetzungen aus den ausschweifenden Gesprächen zu formulieren. Wenn Charlotte Wiedemann in einer Region arbeitet, deren Sprache sie spricht, ist sie nicht auf eine gemeinsame Gesprächsführung angewiesen. Sie empfindet das aber nicht zwingend als Vorteil: Ich fühle mich dann wie begraben unter den ganzen Worten, die den ganzen Tag über mich ausgeschüttet wurden. […] Weil ich ständig beim Zuhören bin, beim Verstehen, beim Mitschreiben, komme ich kaum dazu, mich auf sinnliche Eindrücke zu fokussieren« (Interview in Berlin, 2014). 23
Während der gemeinsamen Gesprächsführung profitiert sie dagegen von einer Art Aktivitätsschatten: Man hat ja bei dieser konsekutiven Übersetzung immer das Schöne, dass man diese kleinen Pausen dazwischen hat für sich selber. Also ich beobachte dann zum Beispiel, ich beobachte die Leute, während die jetzt der Frage meines Dolmetschers zuhören. [...] Oft sind die Leute eben auch viel stärker auf den Dolmetscher fokussiert, die sprechen 23 | Wobei Charlotte Wiedemann das Mitschreiben auch bei der gemeinsamen Gesprächsführung praktiziert. Dieses versteht sie aber eher als einen rituellen Vorgang: »Ich schreibe schon oft mit irgendwie, weil das wirkt ja auf die Leute auch oft höflicher, auch Analphabeten finden das gut, wenn ich mitschreibe« (Interview in Berlin, 2014).
Studie I: Standpunkt »Europa« immer zum Dolmetscher, die sprechen gar nicht so sehr zu mir hin. Das ist nicht immer so, aber ich erlebe das häufig. Und dadurch habe ich einen anderen Zugang, es ist schwer zu erklären. Das ist vielleicht eine emotionale, sinnliche Sache auch. Ich bin auch weniger hektisch in meiner Art sozusagen des Zuhörens und Fragens, weil ja immer diese kleinen Pausen so dazwischen sind. (Interview in Berlin, 2014)
Durch den Aktivitätsschatten, der von lokalen Akteuren durch die journalistische Arbeitsteilung erzeugt wird, eröffnet sich für den reisenden Journalisten also die Möglichkeit, noch während der tatsächlichen Interaktion zu reflektieren oder gegebenenfalls Aufnahmen durchzuführen. Auch Philip Cox beschreibt das Phänomen des Aktivitätsschattens im Forschungsinterview: »My experience is often dissipated. […] which allows in a way that I can hide a bit, I don’t deal with everything« (Interview in London, 2014). Er ������������ berichtete mir von den Dreharbeiten für seinen Dokumentarfilm »The Bengali Detective« (2011), für den er gemeinsam mit einem »Fixer« drei Jahr lang die Arbeit eines Privatdetektives in Kalkutta begleitete, während dieser Morde, Ehebrüche und Produktfälschungen aufklärte. Der Film sei nur möglich gewesen, weil sein »Fixer« es verstand, den Detektiv in interessante Konversationen zu verwickeln, ihn zum Lachen zu bringen und während der Dreharbeiten glaubhaft dessen Leidenschaft für bengalisches Essen und indische Tanzfilme zu teilen.24 Das hätte er natürlich selbst mit entsprechenden Sprachkenntnissen nicht leisten können, sagte er. Als ich ihn getroffen habe, arbeitete Philip Cox zum ersten Mal an einem englischsprachigen Dokumentarfilm in den USA: »I’m shocked. I can talk straight to the subjects. It’s really strange for me because I’ve been programmed always to be working with a fixer, with a producer, local producer« (Interview in London, 2014). Wie Charlotte Wiedemann vermisste er bei der direkten Gesprächsführung nun plötzlich den Aktivitätsschatten, der es ihm normalerweise ermöglicht hatte, sich auf den »roten Faden« einer Produktion und seine Kamera zu konzentrieren. Zweifellos besteht ein substanzieller Unterschied zwischen den Filmarbeiten von Philip Cox und den journalistischen Interviews, wie sie Charlotte Wiedemann führt. Seine »Fixer« würden vor Ort etwa gar keine Übersetzung liefern, erklärte mir Philip Cox: »You can’t have on the spot translation because then the conversation 24 | Gefunden hat Philip Cox seinen »Fixer« für »The Bengali Detective« (2011) über ein Seminar, das er an einer Filmhochschule in Kalkutta unterrichtete: »He breached the world of an Indian reality […] and that of an Englishman who is a filmmaker, pragmatic, all that« (Interview in London, 2014). Er wusste also bereits, dass dieser auch die Welt der Filmproduktion verstand: »I needed the bridge between the two. The detective would feel very comfortable with someone who is younger, who wouldn’t threaten him. He is the right caste; he understood the street language and everything in Bengali and the food. Everything Bengali is about food. And then also he sort of understood the needs of filmmaking […] He was pivotal for the whole film success« (Interview in London, 2014).
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stops« (Interview in London, 2014). Als Dokumentarfilmer ist er vor allem auf den situativen Ausdruck angewiesen, auch in Gesprächen zwischen Protagonisten. Statt mit Worten arbeitet er deshalb gern mit nonverbalen Zeichen, um mit seinem »Fixer« zu kommunizieren:25 I often developed a sign language with a fixer, because they mustn’t stop the event happening. The documentary or narrative is best when it’s spontaneous. The fixer really has to learn to work with me in a way that he doesn’t ever stop what is unfolding. But also I have to know that a narrative is being achieved at some point. You develop a sign language. It’s about pre-prepping me and the fixer, and often the fixer will know through that sequence we do that day I’m hoping to have two things, two things discussed. The fixer will know after an hour if it hasn’t happened, then he might throw in a question, something. It’s about talking before, having a language between us and knowing what the bigger picture of the film is. (Interview in London, 2014)
Trotz der Unterschiede praktiziert also auch er eine gemeinsame Gesprächsführung, bei der lokale Partner inhaltlich auf die journalistischen Produkte einwirken. Wie bei Charlotte Wiedemann übernimmt der »Fixer« bei Philip Cox unter Umständen die gesamte aktive Kommunikation mit den jeweiligen Protagonisten oder Gesprächspartnern vor Ort. Eine mögliche inhaltliche Mitarbeit lokaler Akteure wurde von allen reisenden Journalisten, mit denen ich gesprochen habe, in der einen oder anderen Form beschrieben. Ich habe aber auch bereits auf Beispiele von Kooperationen verwiesen, bei denen eher ein praktischer Charakter im Vordergrund stand. Charlotte Wiedemann erklärte mir, der Grad inhaltlicher Einbindung hänge in großem Maße von den Fähigkeiten der jeweiligen lokalen Partner ab, was auch eine Frage der Verfügbarkeit sei. Der Tuareg aus Gao in Mali sei etwa sehr »talentiert« (Interview in Berlin, 2014) gewesen, er habe sich beispielsweise selbst Englisch beigebracht, trotzdem sei er nicht unbedingt für eine längerfristige und vertrauensvolle journalistische Zusammenarbeit geeignet gewesen.26 Im Jemen habe sie dagegen mit einer Soziologin zusammengearbeitet, die ihr auch inhaltlich weitergeholfen habe und ihre journalistische Arbeitsweise verstanden habe: »Die hatte wissenschaftliches Arbeiten gelernt, die schrieb auch selber […], es lief wie eine gut geölte Maschine« (Interview in Berlin, 2014). Allerdings bestehe bei den Akademikern, mit denen man gut inhaltlich kommunizieren könne, wiederum eine andere spezifische Gefahr:
25 | So habe der »Fixer« sich etwa an sein Ohr gefasst, um ihn so auf einen entscheidenden Moment in einem Gespräch aufmerksam zu machen (Interview in London, 2014). 26 | Für die schwierigen und unsicheren Verhältnisse beim Besuch in der Krisenregion sei er als Moped-Chauffeur und »Bodyguard« allerdings genau die richtige Besetzung gewesen, erklärte Charlotte Wiedemann im Forschungsinterview (Interview in Berlin, 2014).
Studie I: Standpunkt »Europa« Wenn das Leute sind, die an der Schule oder an der Uni eine Fremdsprache gelernt haben, dann kommen sie ja in der Regel aus einer gehobenen Mittelschicht, wenn nicht gar Oberschicht […]. Wenn ich gesagt habe, ich möchte arme Leute treffen, ich möchte arme Leute besuchen, wenn es sich machen lässt, dann war das immer schwierig. Weil eben oft auch die Landeskultur so ist, dass man das eigentlich nicht möchte. Das wird dann nicht direkt gesagt, aber derjenige, der da für mich dann arbeitet, versteht sich dann schon ein bisschen als Botschafter seines Landes. (Interview in Berlin, 2014)
Manchmal seien interessante »Wechsel« (Interview in Berlin, 2014) zu beobachten, erklärte sie. Viele der Studenten oder Wissenschaftler würden sich nämlich als oppositionell verstehen und dann trotzdem versuchen, die Situation vor Ort gegenüber der ausländischen Journalistin zu relativieren. Sie habe auch schon erlebt, dass ihre lokalen Helfer ganz überrascht darüber gewesen seien, dass bestimmte Zustände in ihrem Land überhaupt existierten (Interview in Berlin, 2014).27 Besonders ungünstig würden journalistische Kooperationen nach ihrer Erfahrung mit Personen verlaufen, die selbst einer »Partei« in dem Konflikt nahe stehen, über den sie berichtet; etwa ein Englischlehrer aus Aceh, der so einseitig für die Sache der dortigen Separatisten eingetreten sei, dass sie ihm nicht vertraute. Ebenso problematisch beschrieb sie die Zusammenarbeit mit einem Mann aus der indigenen Widerstandsbewegung in Papua Neuguinea, der seinerseits kein Vertrauen zu ihr als Europäerin entwickelte (Interview in Berlin, 2014). Lokale Partner sollten, so beschreibt es Charlotte Wiedemann mit einem Bild in ihrem Buch »Vom Versuch, nicht weiß zu schreiben« (2012), im besten Fall zu einem »Fenster« (S. 34) werden, das den Blick auf eine Lokalität und ihre Situation ermöglicht. Öffnet der lokale Partner dagegen keine Verbindung zwischen dem Standpunkt des reisenden Journalisten auf der einen Seite und dem Thema auf der anderen Seite, dann sei er kein »Fenster« und dem reisenden Journalisten bleibe der Blick versperrt. Philip Cox verwendet für denselben Zusammenhang ein anderes Bild: Der lokale Partner solle eine »Brücke« sein zwischen dem reisenden Journalisten und seinem Thema. Um eine Verbindung zu ermöglichen, dürfe der lokale Partner deshalb nicht nur auf der einen Seite stehen. Bei dem dreijährigen Dokumentarfilm-Projekt »We are the Indians« (2004) über ein Dorf von Guarani-Indigenen in Argentinien habe er den Fehler begangen, seine Arbeit vor Ort mithilfe von Ethnologen zu beginnen, die in der Dorfgemeinschaft, wie er erst später erfuhr, einen schlechten Ruf hatten: »It took me about a year and a half to get over arriving
27 | Für den Zugang zu einem spezifischen Milieu seien akademische Assistenten deshalb manchmal unbrauchbar, konstatierte Charlotte Wiedemann, etwa wenn es: »mehr auf Sensibilität, soziale Zugänge oder […] geschlechtsspezifische Sachen, religiöse Sachen ankommt« (Interview in Berlin, 2014).
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with the wrong people« (Interview in London, 2014). Er habe aber auch schon das Problem gehabt, dass seine lokalen Partner zu »lokal« dachten: Immediately they’re not doing their job. They’re not a bridge. They have become the subject or an issue. Someone who’s more acquainted with my way in life understands that. I’m just trying to reach a different way with the filming, so they navigate a way to reinterpret that and pass it on, because they have an understanding of me. But if someone has no understanding and is totally raw, than it’s a very brutal relationship and they can start to get the wrong impression and idea. That’s a real problem that can fester and become something else. (Interview in London, 2014)
Ob mit dem Bild der »Brücke« oder des »Fensters«: Beide reisenden Journalisten verweisen auf ein Modell der journalistischen Kooperation, das sich bewährt zu haben scheint, aber Partner mit spezifischen Attributen erforderlich macht. Im idealen Fall sollten lokale Partner demnach in einer Lokalität oder einem sozialen Milieu mit direkten Kontakten und Spezialwissen verortet sein, um dort einen möglichst »natürlichen« inhaltlichen Zugang zu einem Thema herstellen zu können; dieser ideale lokale Partner sollte sich aber zugleich dem gemeinsamen Projekt verbunden fühlen und die journalistische Arbeitsweise mit ihren Ziele verstehen. In der Praxis tendieren lokale Partner wohl in die eine oder andere Richtung, was – vom Standpunkt der reisenden Journalisten betrachtet – jeweils spezifische Vorteile bzw. Nachteile mit sich führt.28
2.2 L ok ale A k teure
in europäischen
A usl andsredak tionen
Lokale Akteure sind nicht nur als Assistenten für reisende Journalisten und entsandte Korrespondenten tätig, sondern arbeiten auch als Journalisten und Redakteure für globale Nachrichtenorganisationen. Über die längste und umfangreichste Erfahrung bei der Integration von lokalen Akteuren in die redaktionelle Arbeit verfügen wahrscheinlich die internationalen Nachrichtenagenturen. Im Einführungskapitel habe ich bereits ausgeführt, dass bei Reuters (und anderen Wire-Diensten) vermutlich schon im 19. und frühen 20. Jahrhundert lokale Korrespondenten beschäftigt waren, die in Regionalbüros arbeiteten. Wie ich bei einem Besuch in London erfahren habe, sind Journalisten jeglicher Herkunft heute auch in den Zentralredaktionen von Reuters tätig.29 Dort befindet sich das europä28 | Mit der Differenzierung von Generalisten bzw. Spezialisten bei den lokalen Kooperationspartnern reisender Journalisten in Indien wird die jeweils spezifische Wirkungsweise dieser Tendenzen auf die Medienproduktion in Studie II noch genauer beleuchtet (Kapitel: 3.1 Lokale Akteure als Spezialisten und Generalisten). 29 | Wie »durchmischt« die Organisation tatsächlich ist, lässt sich schwer quantifizieren. Dafür fehlen neben einer entsprechenden Erhebung auch sinnvolle Merkmale. Ein
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ische »hub«, weltweit gibt es nur zwei weitere dieser Reuters-Zentralredaktionen in New York und Singapur.30 Wer vor dem markanten Gebäude im Londoner Bankenviertel Canary Wharf steht, der kann auf der Fassade bereits die neuesten Nachrichtenmeldungen lesen, die dort auf großen »Tickerbändern« eingeblendet werden. Weltweit sollen Reuters-Meldungen mehr als eine Milliarde Menschen erreichen (Zappulla, 2016). Über 2900 Journalisten beschäftigt die Agentur insgesamt und betreibt damit eine der größten Nachrichtenorganisationen der Welt (Doctor, 2016). Im oberen Stockwerk des Reuters-Gebäudes betrat ich einen newsroom von der Fläche eines Fußballfeldes, dessen Geschäftigkeit mich an Börsenhandel erinnert. Thomson Reuters sei vor allem ein Wirtschaftsdienstleister, bestätigt mein Gastgeber, der Energiekorrespondent Henning Gloystein: zumindest finanziell betrachtet sei der allgemeine Nachrichtendienst eher eine Nebensache.31 Henning Gloystein führte mich an einigen »Inseln« mit Videoschnittplätzen und an vielen Reihen mit Computer-Arbeitsplätzen vorbei, bis zu seinem eigenen terminal, wo auf zwei großen Tischen mehrere Monitore und Eingabegeräte aufgebaut waren. Eigentlich sei er im Alltag meist mit ähnlichen Fragen beschäftigt wie die Händler in den benachbarten Banken, erklärte mir Henning Gloystein: Was bewegt den Preis von Rohstoffen weltweit? Es sei deshalb eine notwendige Selbstverständlichkeit, sich auch in Bezug auf das eigene Personal international aufzustellen: »Also ich glaube vielmehr Diversität geht eigentlich gar nicht« (Interview in London, 2014). Gleich hier im newsroom könne man das beobachten. »Das dahinten ist meine Chefin, Jamaikanerin und eine Schwarze. Er hier ist Israeli und sie ist aus dem Libanon. Das ist ein gutes Beispiel, die sitzen nebeneinander und sind gute Freunde. Der Kollege dort hinten wiederum kommt aus Indien« (Interview in London, 2014). Anstatt einer spezifischen lokalen Prägung bringen die Reuters-Mitarbeiter in London allerdings meist eine »hybride Sozialisation« in ihre Arbeit ein. Sie entstammen »kosmopolitischen« Familien, sprechen verschiedene Sprachen, sind aber alle durch die englische Sprache und die »westliche« Journalismus- und Unternehmenskultur verbunden. »Reuters ist ein angloamerikanisches Unternehmen, das darf man nicht vergessen«, erklärt Henning Gloystein: »Man sieht es daran, wer unsere Kunden sind und wer unsere Gründer waren und wer unsere Eigentümer solches Vorgehen würde auch dem Gebrauch des Begriffes »lokale Akteure« in den Studien im Sinne einer abstrakten Kategorie und als »Denkhilfe« widersprechen. 30 | Daneben existieren weitere »satellites« (überregionale Büros) sowie ein globales Netzwerk von lokalen Büros (Thomson Reuters, o.D.-b). 31 | Tatsächlich erwirtschaftet Thomson Reuters durch den Nachrichtendienst nur etwa drei Prozent der Einnahmen (Megaw & Evans, 2016). Wichtiger ist etwa die »Eikon«-Software für den Börsenhandel sowie vor allem die Mieteinahmen für die »Elektron-terminals«, die Kunden aus der Finanz- sowie Rohstoffbranche weltweit nutzen, um auf die von Reuters-Korrespondenten generierten Inhalte zugreifen zu können (Thomson Reuters, o.D.-c).
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sind, es gibt einen Fokus auf die englischsprachige Welt« (Interview in London, 2014). Auch er selbst besitzt als Deutschbrite eine solche »hybride Sozialisation«, die den Reuters-Journalisten dabei hilft, Informationen zwischen den lokalen Sprach- und Kulturräumen sowie der angelsächsisch geprägten Nachrichtenorganisation zu transferieren. Nachdem Henning Gloystein als freier Auslandskorrespondent in Afrika, Asien und Südamerika gearbeitet hatte, spezialisierte er sich zunächst auf die Berichterstattung über Bodenschätze in Kolumbien. Für Reuters in London beobachtet er nun schon seit einigen Jahren die Entwicklung des globalen Kohlemarktes. Von Anfang an konnte Henning Gloystein dabei offensichtlich auf ein umfangreiches Netzwerk lokaler Korrespondenten und »Stringer« zurückgreifen: Die ganzen Reuters-Stringer und Fixer sind ganz alte Kontakte, das hat sich über Jahrzehnte aufgebaut. Ich habe da gar nichts neu gemacht, du übernimmst die einfach. Wenn wir irgendwo hingehen und sagen, wir brauchen neue Stringer oder einen Fixer, dann sagt dir der ehemalige Korrespondent oder jemand, der da eh schon mal war, da musst du den anrufen oder die anrufen, hier ist die Nummer. (Interview in London, 2014)
Die lokalen Mitarbeiter von Reuters seien dabei nicht nur für die Wirtschaftsentwicklung in ihrem Berichterstattungsgebiet zuständig (oder gar nur für Kohle). Vielmehr seien diese allgemein dafür verantwortlich, die Ereignisse vor Ort zu beobachten, sie würden einen »full trade«-Journalismus praktizieren, wie Henning Gloystein es ausdrückt. In vielen Ländern gebe es ein Reuters-Büro mit entsandten oder vertraglich gebundenen lokalen Korrespondenten, doch zusätzlich und vor allem in den abgelegenen Regionen und in Konfliktgebieten würden freischaffende »Stringer« zum Einsatz kommen. Grundsätzlich gebe es dabei zwei unterschiedliche Typen, berichtete Henning Gloystein: »Das sind entweder weiße junge Männer mit wohlhabendem Hintergrund oder es sind lokale Leute, die für die lokalen Medien arbeiten und sich ein Extrabrot verdienen wollen und aus Zufall Kontakt mit der Außenwelt haben« (Interview in London, 2014). In Mosambik beispielsweise würden sie mit einem lokalen Journalisten arbeiten, der normalerweise für die größte Tageszeitung im Land schreibt: »Ich weiß nicht genau, was man da verdient, aber es wird nicht viel sein. Und wenn er dann immer ein paar hundert Dollar pro Monat von Reuters kriegt […], dann hilft das. Das finanziert den Kindern die Schule sofort« (Interview in London, 2014). Jeder, der bei Reuters Artikel schreibt, müsse allerdings zunächst ein Basistraining absolvieren, um den »Reuters style« zu lernen bzw. um sich den »ethical code« (Interview in London, 2014) anzueignen, also das als universell gültig verstandene Regelwerk für die journalistische Praxis in der Nachrichtenorganisation. Gerade bei den »Stringern« sei das von großer Bedeutung, weil bei diesen die Ausbildung oft nicht dem erforderlichen Standard entspreche:
Studie I: Standpunkt »Europa« Das liegt in der Natur der Dinge, wenn das ein bettelarmer Staat ist, wo es seit Jahrzehnten Bürgerkrieg gibt, dann ist das Schulsystem kaputt. Das bedeutet, dass es […] fast immer ein linguistisches Problem gibt. Und selbst, wenn es das nicht gibt, dann hast du meistens das Problem, dass die Artikel, die die produzieren und die Faktenrecherche leider einfach dem Standard nicht standhalten. (Interview in London, 2014)
An manchen Orten sei es schlichtweg unmöglich, einen ausreichend qualifizierten lokalen »Stringer« zu engagieren, der selbst Artikel auf Englisch schreiben könne. Bei Berichten aus der Provinz in Kasachstan oder Weißrussland könne es deshalb passieren, dass ein als vertrauenswürdig eingeschätzter lokal rekrutierter »Stringer« im nächsten Reuters-Büro oder in London anruft, um dann mündlich in seiner Muttersprache zu rapportieren: »Das kann man auch an den Meldungen erkennen, wenn da ›reporting by‹ steht und gleichzeitig auch noch ›writing by’, dann heißt das, dass das jemand durchtelefoniert hat« (Interview in London, 2014). Doch egal, ob ein lokaler Reuters-»Stringer« eine Meldung selbst verfasst oder nicht, jeder Artikel werde in einem komplexen Redaktionsprozess zunächst mehrfach überprüft und überarbeitet. Als erstes redigiere meist der entsandte Korrespondent im zuständigen Regionalbüro, Hennings Gloystein nennt das: »give it a first brush« (Interview in London, 2014). Letztendlich sei dann aber eines der »hubs« für die Veröffentlichung verantwortlich. Dort würden journalistische »Veteranen« die Endredaktion übernehmen, der sogenannte »proof reading desk« (Interview in London, 2014). Bei Reuters gebe es dabei eine eiserne Regel, sagte Henning Gloystein: »The desk ist always right, immer« (Interview in London, 2014). Es geht bei den Reuters-Meldungen dabei nicht so sehr um den authentischen Blickwinkel eines lokalen Journalisten, sondern um eine fehlerfreie, sachliche Darstellung von Ereignissen und ihres lokalen Kontexts, abgefasst in der strengen und charakteristischen Reuters-Form. Als ich Henning Gloystein gefragt habe, in welchem Maße ein Reuters-»Strin ger« nun eigentlich in die Nachrichtenorganisation integriert werden kann und inwieweit dieser auch redaktionellen Einfluss nehmen könne, berichtete er mir, es gebe durchaus Aufstiegsmöglichkeiten; wenn sich eine Kooperation bewähre, sei es meistens von Interesse für Reuters, eine möglichst stabile Arbeitsbeziehungen zu entwickeln: »Unsere Politik ist: lieber weniger Stringer als ein Heer an Freien« (Interview in London, 2014). Beispielsweise sei es nicht vorgesehen, dass ein lokaler »Stringer« nur einmalig für Reuters arbeitet, also keine regelmäßige Arbeitsbeziehung eingehe. Das Risiko sei für Reuters dabei einerseits, mit Falschmeldung ungewollt den Markt zu bewegen32, zum anderen müsse man die besten 32 | Fehler würden natürlich passieren, erklärte Henning Gloystein im Forschungsinterview, aber eine der wichtigsten Regeln bei Reuters sei es, in diesem Fall sofort »die Hände hochzureißen« und eine Korrektur zu schicken: »Also wenn ein Stringer auffällt, wie er gepfuscht hat in irgendeiner Form, also dass er irgendjemanden zitiert, mit dem er gar nicht gesprochen hat oder Zahlen erfunden hat oder Plagiatsarbeit macht, dann wirst du
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Journalisten an sich binden, um sie nicht an die Wettbewerber zu verlieren: »Gute Stringer sollte man nicht zu lange als Stringer behalten, weil die werden dir einfach weggeschnappt« (Interview in London, 2014). Deshalb würden beide Seiten früher oder später anstreben, das Verhältnis in eine feste, vertraglich geregelte und gut bezahlte Korrespondentenbeziehung umzuwandeln, die mit redaktioneller Verantwortung einhergeht.33 *** Neben den internationalen Nachrichtenagenturen verfügen auch die »westlichen« Auslandsrundfunkanstalten über eine lange Erfahrung der redaktionellen Integration von lokalen Akteuren, die dort teilweise bis in die Führungsebenen der einzelnen Redaktionen aufsteigen können. Das liegt vor allem daran, dass sich die Programme von Sendern wie dem Worldservice der britischen BBC, dem französischen Radio France International (RFI) oder der US-amerikanischen Voice of America (VOA) vor allem an die Bevölkerung vor Ort richten und die Auslandsrundfunkanstalten deshalb meist darauf angewiesen sind, ihre Korrespondenten lokal zu rekrutieren.34 Die afrikanischen Redaktionen der Deutschen Welle (DW) sofort gefeuert und kommst auf eine schwarze Liste« (Interview in London, 2014). Diese unbedingte Bereitschaft zur Korrektur sei ein Grund dafür, so Henning Gloystein, dass einer Meldung von Reuters so viel Bedeutung beigemessen werde. 33 | Henning Gloystein nannte das Beispiel eines ehemaligen Reuters-»Stringers« aus Litauen, der inzwischen Reuters-Korrespondent in Oslo sei. Allerdings zeigt sein Beispiel meiner Ansicht nach keinen »new career path« (Sambrook, 2010, S. 49), von dem im Einführungskapitel die Rede war (Kapitel: 1.1 Zur Teilhabe lokaler Akteure an der globalen Nachrichtenindustrie); ein Flug von Vilnius nach Oslo dauert weniger als 2 Stunden und dort betreut der zum Korrespondenten aufgestiegene ehemalige »Stringer« nach Angaben von Henning Gloystein weiterhin die baltische Aktualitätssphäre (Interview in London, 2014). 34 | Seine Wurzeln hat der Auslandsrundfunk in den »Propagandaschlachten« des 20. Jahrhunderts, als Nationalsender wie der Weltrundfunksender des deutschen Reiches (ab 1929) oder Radio Moskau (ab 1929) bzw. der BBC Worldservice (ab 1932), VOA (ab 1942) oder Radio Peking (ab 1941) zunächst im Zweiten Weltkrieg und später im Kalten Krieg für ihre Weltsicht warben (Sützl, 2012; Groebel, 2000; Meyen, 2008). Eine besonders Rolle nahmen Auslandsrundfunkanstalten in den ehemaligen Kolonien ein, wo die ehemaligen Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien mit ihren Auslandssendern weiterhin besonders präsent sind. Im letzten Jahrzehnt wurde diese Form der Massenkommunikation, die neben dem Internet weiterhin auf eine Verbreitung über Kurzwelle setzt, mit dem Aufkommen des Satellitenfernsehens und mit der Expansion von Onlinemedien häufig für obsolet erklärt. Allerdings stellt der Auslandsrundfunk für viele Menschen in Afrika und Asien weiterhin die einzige alternative Nachrichtenquelle zu regierungsnahen Massenmedien dar, wie Medienforscher Kai Hafez ausführt: »Auslandsrundfunk übernimmt damit mehrere
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beispielsweise senden seit den 1960er Jahren lokalsprachige Programme, die von afrikanischen Korrespondenten und Redakteuren erstellt werden (Schadomsky, 2015).35 Verantwortlich für die Berichterstattung und die personelle Entwicklung der einzelnen Redaktionen sind bei der DW die meistens (aber nicht immer) deutschen Redaktionsleiter. Als ich das DW-Funkhaus in Bonn besucht habe, leitete der Journalist Daniel Pelz eine Redaktion, die mit einem Radioprogramm und einem Multimedia-Angebot im Internet täglich über Entwicklungen im anglofonen Afrika berichtete. Vor Ort würde er sowohl Journalisten lokaler Herkunft als auch reisende Journalisten damit beauftragen, Inhalte zu erstellen, berichtete Daniel Pelz im Forschungsinterview.36 Insgesamt seien lokale Korrespondenten aber viel besser für diese Aufgabe geeignet. Bei den reisenden Journalisten habe man das Problem, dass die Netzwerke vor Ort fehlen würden und es außerdem an lokalen Sprachkenntnissen oder am Wissen �������������������������������������������� über das politische System������������������ mangele. Die Folge sei, dass diese ortsfremden Korrespondenten manchmal Entwicklungen nicht richtig einordnen könnten und die Beiträge insgesamt nicht so inhaltstief ausfallen würden wie die Recherchen der lokalen Korrespondenten.37 Wie Henning Gloystein verwies aber auch Daniel Pelz auf einen teilweise unzureichenden Bildungsstand der lokalen Korrespondenten. Ihre Beiträge seien deshalb insgesamt deutlich weniger professionell als die ihrer reisenden Kollegen: »Da reicht auch kein dreiwöchiger Korrespondentenkurs aus, da müssen wir dann oft mit Korrespondenten sehr lange ›training on the job‹ machen« (Interview in Bonn, 2014). Man müsse dann manchmal ganz von vorne anfangen und den lokalen Korrespondenten die Grundlagen eines Journalismus nach europäischem Verständnis vermitteln: Aufgaben der Globalisierung im Bereich der Migration, der Krisenintervention und der Schaffung von transnationaler Öffentlichkeit. Einer der ältesten grenzüberschreitenden Med ient ypen schickt sich an, weitgehend unbemerkt vom Publikum des jeweiligen Heimatlandes und daher im Windschatten der Globalisierungsdebatte, Funktionen auszubilden, an denen viele Neue Medien häufig noch scheitern« (Hafez, 2005, S. 159). 35 | Dabei arbeitet die DW manchmal auch Jahrzehnte mit demselben Korrespondenten vor Ort, etwa Subry Govender aus Südafrika. Dieser berichtete für die DW bereits über das Apartheitsregime während der 1970er und 1980er Jahre. Er wurde in dieser Zeit eingesperrt, geschlagen und mit einem Berufsverbot belegt (Subry Govender, o.D.). 36 | Die Möglichkeit, lokale und reisende Journalisten zu beauftragen, besteht hauptsächlich in den Redaktionen, die mit europäischen Sprachen arbeiten, während für DWRedaktionen wie »Hausa« und »Amharisch« nach meiner Einschätzung fast ausschließlich lokale Korrespondenten arbeiten. 37 | Zudem bestehe das Problem, dass es bei den reisenden Journalisten viele Wechsel geben würde, erklärte mir Daniel Pelz. Für die reisenden Journalisten seien die Lebensbedingungen vor Ort manchmal zu schwierig und die Honorare viel zu gering, um ihren Lebensstil zu finanzieren (Interview in Bonn, 2014).
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Korrespondenten des Wandels Zum Beispiel einfach mal, die Trennung zwischen Fakten und Meinung erklären, das ist für uns ja heilig. Das ist in vielen Ländern in Afrika nicht so, sondern da sind die Grenzen sehr, sehr fließend, da wird Journalismus auch oft eigentlich als ein Teil der Politik gesehen, wo man zwar nicht gewählter Abgeordneter ist, aber auch sehr aktiv in der politischen Entwicklung mitmischt. (Interview in Bonn, 2014)
Doch insgesamt, so das Urteil von Daniel Pelz, könne die Integration von lokalen Korrespondenten gut gelingen. Die DW genieße durch ihre unparteiische Haltung vor allem in Konfliktgebieten viel Anerkennung: »Wir haben einen Ruf, und den müssen wir uns erhalten, und das wollen wir auch« (Interview in Bonn, 2014). Aus finanziellen Gründen bindet der deutsche Auslandsrundfunk seine lokalen Korrespondenten allerdings nicht mit einem Festgehalt, es existieren auch keine regulären Aufstiegsmöglichkeiten für lokale Korrespondenten innerhalb der Strukturen der DW. Entsprechend arbeitet der Sender vor Ort möglicherweise jahrelang mit »Freelancern«, die gleichzeitig auch für Wettbewerber tätig sind, die ebenso verfahren.38 Zusätzlich zu den lokalen Korrespondenten vor Ort beschäftigt die DW auch in Deutschland lokale Akteure aus den Berichterstattungsgebieten als Auslands redakteure. In der DW-Redaktion für das anglofone Afrika habe ich den Journa listen Abu Bakarr Jalloh aus Sierra Leone getroffen. Der ehemalige AP-Korrespondent kam ursprünglich für ein Masterprogramm der DW-Akademie nach Deutschland.39 Im DW-Funkhaus in Bonn war es nun seine Aufgabe, die Pro38 | Beispielsweise könne ein DW-Korrespondent nach Angaben von Daniel Pelz auch gleichzeitig für die VOA arbeiten (Interview in Bonn, 2014). Diese Kompatibilität der »westlichen« Auslandssender und weiterer »westlicher« oder lokaler Nachrichtenorganisationen macht die Arbeit von professionellen »Stringern« erst möglich, weil sie sich nicht durch die exklusive Arbeit für die DW finanzieren könnten. Meine Gesprächspartnern bei der DW bezeichneten die freien Korrespondenten allerdings trotzdem durchgehend als »Korrespondenten« und nicht als »Stringer«: »Man spricht von ›Korrespondenten‹, die sind alle frei, es ist also niemand fest angestellt, sondern sie werden auch alle pro Beitrag bezahlt. Wir haben leider nicht die Möglichkeit, was ich mir wünschen würde, Pauschalen zu bezahlen. Und sie sind auch deshalb Korrespondenten, weil sie ganze Beiträge liefern und wir sie im Programm als lokale Experten befragen« (Interview in Bonn, 2014). Die BBC nannte Daniel Pelz als Beispiel für eine Nachrichtenorganisation, die nur exklusive Arbeitsverhältnisse eingehen würde. 39 | Abu Bakarr Jalloh berichtete mir, dass er in Sierra Leone in einfachen Verhältnissen aufgewachsen sei und sein Interesse für den Journalismus vor allem seinem Vater zu verdanken habe: »My father wasn’t a guy who went to school but he used to listen to the news, to BBC especially, everyday. So I think I was at the age of 10 when he bought me my first radio, and then everyday my assignment was to listen to the news and then tell him exactly what they said on the news, and he always knew if I missed it« (Interview in Bonn, 2014). Wie es sich sein Vater gewünscht hatte, wurde Abu Bakarr Jalloh nach einem
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duktion von journalistischen Beiträgen zu planen und die englischsprachigen Korrespondenten in Afrika bei ihrer Arbeit zu koordinieren. Gerade vor unserem Interview habe er mit dem Korrespondenten aus Sierra Leone gesprochen, berichtete mir Abu Bakarr Jalloh: I’m from Sierra Leone; we’re neighbors basically. I know that place because I reported from Liberia a lot. I know what is happening there as well and I follow things there. When he pitches his story we have to discuss it a lot. Especially from planning, I give him a hard time and he knows I know what is happening there. Hard time in the sense, that I challenge him journalistically, professionally for better quality. (Interview in Bonn, 2014)
Für die DW garantieren die »lokalen Redakteure« in Deutschland also Relevanz und Glaubwürdigkeit der Berichterstattung, weil sie die Situation vor Ort von einem lokalen Standpunkt aus einschätzen können. Sie bilden eine Art Relais, das die DW-Redaktionen mit der jeweiligen Herkunftsregion der Redakteure verbindet. Für die lokalen Korrespondenten fungieren die »lokalen Redakteure« in Deutschland wiederum als Ansprechpartner, mit denen die Kommunikation in der Muttersprache in der Regel viel einfacher gelingt als bei der Kommunikation mit den Redakteuren deutscher Herkunft. Obwohl er mit den lokalen Korrespondenten nur über die Distanz (via Telefon, E-Mail oder Social Media) kommuniziere, könnten dabei herzliche kollegiale Beziehungen entstehen, sagte Abu Bakarr Jalloh: »Sometimes I call up and then before we start to talk about the work, we spend 5 minutes just talking about extra things. […] it happens that we haven’t met each other but we already became friends on the phone« (Interview in Bonn, 2014). Als AP-Korrespondent in Afrika habe er selbst erlebt, wie frustrierend die Kommunikation über die Distanz wirken könne, wenn man nicht in das tägliche Redaktionsgeschehen eingebunden sei und man die Arbeit in einem newsroom außerhalb Afrikas nicht aus eigener Anschauung kenne. Frustrierend sei beispielsweise, wenn Themenvorschläge ohne erhellende Erklärung abgelehnt würden. »Now I understand the situation on this other side«, erklärte Abu Bakarr Jalloh: »Now I understand why sometimes you have to turn stories down. Sometimes the story is so good, but still you just cannot run it for one reason or the other« (Interview in Bonn, 2014). Er habe es sich nun zur Aufgabe gemacht, die Entscheidungen der Redaktion so zu kommunizieren, dass sie auch von den lokalen Korrespondenten vor Ort verstanden werden.
Studium Journalist und arbeitete zunächst für den einzigen privaten Nachrichtensender in Sierra Leone. Dort traf er den AP-Korrespondenten des Landes und wurde einige Jahre später selbst AP-Korrespondent. In dieser afrikanischen Journalistenbiografie wird sichtbar, dass es für einige afrikanische Journalisten bereits heute durchaus möglich ist, sich vor Ort ausreichend zu qualifizieren, um in der globalen Nachrichtenindustrie zu arbeiten.
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Allerdings ersetzt auch dieser Kommunikationsvorteil der »lokalen Redakteure« nicht die unmittelbare soziale Interaktion. Sowohl »lokale Redakteure« als auch europäische Fernbeobachter in den DW-Auslandsredaktionen betonten mir gegenüber, dass die journalistische Kooperation über die Distanz von persönlichen Begegnungen profitiere.40 Redaktionsleiter Daniel Pelz organisiert deshalb neben dem Korrespondententraining in Deutschland regelmäßig gemeinsame journalistische Projekte vor Ort: Meine Erfahrung ist, dass man dann besser zusammenarbeitet. Wenn man mal etwas zusammen gemacht hat, sich kennt und sich gegenseitig respektiert […]. Zum Beispiel letztes Jahr war ich nach dem Tod von Mandela in Südafrika und habe da mit unseren beiden Korrespondenten gearbeitet. Und es ist eine ganz andere Erfahrung, wenn man gemeinsam so etwas überlebt hat, dann arbeitet man hinterher auch anders zusammen. (Interview in Bonn, 2014) 41
Vor allem die Glaubwürdigkeit des lokalen Korrespondenten könne man nach einem solchen Erlebnis besser einschätzen, sagte Daniel Pelz, das gegenseitige Vertrauen sei wichtig. Auch bei der journalistischen Kooperation über die Distanz wüsste man dann gegebenenfalls, ob man sich auf Informationen des entsprechenden lokalen Korrespondenten verlassen kann. Zusätzlich trifft die DW aber regulative Vorsichtsmaßnahmen, damit das Fehlverhalten von einzelnen freien lokalen Korrespondenten nicht die Glaubwürdigkeit der gesamten Nachrichtenorganisation diskreditiert. In der frankophonen DW-Afrikaredaktion erklärte mir Redaktionsleiterin Dirke Köpp, dass im Programm der DW in der Regel nur Informationen verbreitet würden, die zuvor von mehreren international anerkannten Nachrichtenquellen bestätigt wurden. Beispielsweise habe eine Korrespondentin in Burundi Anfang April 2014 erfahren, dass die Regierungspartei ihre Nachwuchsorganisation bewaffne und sie wollte darüber berichten. Dirke Köpp entschied abzuwarten, so sagte sie im Forschungsinterview, weil ihre einzige Quelle ein »durchgestochenes« Dokument war.42 40 | Das gilt nicht nur für die DW. Auch Reuters-Korrespondent Henning Gloystein be richtete, er fände es einfacher mit seinem »Stringer« in Mosambik zu arbeiten, seit er diesen in Maputo besucht hat: »Das war eben nur so ein Name vorher und ab und zu habe ich mal seine Sachen gelesen, und jetzt kenne ich den eben. Das ist ein netter Typ, waren auch häufiger mal was trinken abends. Er hat mir unheimlich viele Leute vorgestellt« (Interview in London, 2014). 41 | Mit »überleben« meint Daniel Pelz wohl weniger einer Lebensgefahr entronnen zu sein als die komplexen Arbeitsanforderungen und die Verantwortung für die Berichterstattung der DW über dieses global beachtete Ereignis. 42 | Es ging damals um ein Dokument, das Anfang April 2014 wahrscheinlich vom UN Integrated Office in Burundi (BNUB) absichtlich an lokale Korrespondenten weitergegeben wurde. In diesem internen Bericht dokumentiert die UN-Mission die Weitergabe von Waffen
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Allerdings gibt es hinsichtlich der »Agenturtreue« von Auslandssendern und der Bereitschaft, lokalen Korrespondenten in deren Einschätzung der Situation vor Ort zu folgen, offensichtlich auch einige Varianz: »Wir haben dann aber am Abend festgestellt, dass RFI, unser größter Konkurrenzsender, Radio France International, dass die es dann als ihre Exklusivität verkauft haben« (Interview in Bonn, 2014). Eine zweifelhafte Entscheidung, so Dirke Köpp, weil sich das Dokument zu diesem Zeitpunkt auch noch als Fälschung hätte erweisen können. Zugunsten einer verlässlichen Berichterstattung verzichtet die DW also im Zweifelsfall auf Exklusivität und Geschwindigkeit und riskiert, dass andere Organisationen die Nachrichtenlage prägen. Manchmal stehen die Informationen der eigenen Korrespondenten allerdings in offenem Widerspruch zu den Meldungen der internationalen Nachrichtenagenturen, was eine Positionierung der Redaktion erforderlich macht. Der »lokale Redakteur« Florent Kossivi Tiassou, der sich in der frankophonen DW-Afrikaredaktion auf Umweltthemen spezialisiert hat, berichtete mir von einem solchen Fall: In einem AFP-Artikel habe er gelesen, dass die Republik Kongo und vor allem die Hauptstadt Brazzaville ein Müllproblem habe. Daraufhin habe er einen lokalen Korrespondenten damit beauftragt, der Sache nachzugehen: Danach hat er die Reportage gemacht, und ich höre, dass Brazzaville sauber ist, dass sie dort alles tun, damit es noch besser wird. Ich habe den Mann angerufen: ›Das stimmt nicht! Ich habe jetzt einen Brief von der Agentur hier, AFP, die sagen so und so.‹ Und ich habe auch im Internet gesucht und ein paar Webseiten gefunden, die das Gleiche geschrieben haben wie AFP, aber alle haben AFP zitiert. Unser Mann hat nur gesagt: ›Nein, nein, wenn ich etwas anderes sage, dann ist das falsch‹. (Interview in Bonn, 2014)
Wenn also dieselbe Faktenlage zu so unterschiedlichen Einschätzungen führt, stößt das »harte« Verifizieren mit Agenturmeldungen an seine Grenzen. Außerdem ist zu bedenken, dass die Agenturen unter Umständen ebenfalls mit lokalen »Freelancern« arbeiten, die aufgrund ihrer spezifischen Sprachkenntnisse und Fähigkeiten beruflich zwischen den einzelnen Nachrichtenorganisationen in der globalen Nachrichtenindustrie oft mobil sind, sich aber zumindest kennen und austauschen.43
an die Jugendorganisation Imbonerakure (Bouka, 2014, S. 10-12). Diese Organisation steht der Regierungspartei (CNDD-FDD) nahe und wird verdächtigt, im Auftrag der Regierung Oppositionelle entführt, gefoltert und ermordet zu haben (Antonio & Niyirora, 2015). 43 | In Studie II beschreibe ich, wie lokale Akteure als »Stringer«, »Fixer« und lokale Korresp ondenten solche lokalen Journalistennetzwerke unterhalten und sich spätestens im Foreign Journalist Club begegnen (Kapitel: 3.2 Lokale Akteure im Spannungsfeld der Ind ienb er ichterstattung).
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*** Bisher habe ich entlang der Erzählungen meiner Gesprächspartner beschrieben, inwiefern sich sowohl die internationale Nachrichtenagentur Reuters als auch der deutsche Auslandsrundfunk (bzw. die ARD-Auslandsbüros, wie im letzten Abschnitt beschrieben) auf die direkte journalistische und redaktionelle Mitarbeit von lokalen Akteuren stützen. Ich habe darauf hingewiesen, dass die Mitarbeit lokaler Akteure in Nachrichtenagenturen (als professionelle Dienstleister für Massenmedien) sowie im Auslandsrundfunk bereits eine längere Tradition hat. Die Auslandsredaktionen in den privaten europäischen Massenmedien haben nach meiner Einschätzung dagegen eine viel jüngere Geschichte der Integration von lokalen Akteuren als Korrespondenten oder Auslandsredakteure. Im Forschungsinterview erinnert sich Adrian Wells, der ab 2002 die internationalen Nachrichten beim TV-Nachrichtensender Sky News 44 leitete, an seine ersten Jahre in dieser Nachrichtenorganisation. Damals habe man versucht, möglichst wenig redaktionelle Aufgaben an lokale Journalisten auszulagern: »The organization tended to rely more on foreign journalists« (Interview in London, 2014). Aufgrund des Wandels in der globalen Nachrichtenindustrie habe sich das aber grundsätzlich verändert, lokale Journalisten würden immer wichtiger: As time has gone on we’ve become more reliant on those kinds of journalists because the pressure on the cost of having permanent correspondents abroad or anywhere is obviously very high. And also the advance of technology has allowed you to interact with these people much more easily. (Interview in London, 2014)
Den Aufstieg des lokalen »Freelancers« betrachtet Adrian Wells allerdings mit gemischten Gefühlen: »It’s pretty easy now to become a journalist almost overnight. The dangers of the profession, if you like, being corrupted in that sense, are much higher now. It’s something to be aware of« (Interview in London, 2014). Bei unserem Treffen im Londoner Stadtteil Chiswick berichtete mir Adrian Wells, wie er als BBC-Reporter über den Irlandkonflikt, die erste Intifada und den ersten Irakkrieg berichtet hat. Nach einem Wechsel zu Sky News bereiste er als Nachrichtenchef weitere Krisengebiete. Kurzum: Seine eher nachdenkliche Einschätzung bezüglich des Einsatzes von freien lokalen Akteuren basiert auf praktischer Erfahrung. Er plädiere nicht dafür, auf lokale Mitarbeiter zu verzich44 | Der 24-Stunden-Nachrichtensender Sky News, gegründet und im Besitz der Sky plc von Rupert Murdoch, hat die Sendetätigkeit bereits 1989 aufgenommen und war damit der erste Sender dieser Art in Europa. Heute hat Sky News 450 Mitarbeiter und mehr als ein Dutzend permanenter Auslandsbüros (Sky News, o.D.). Ähnlich wie der allgemeine Nachrichtendienst von Reuters ist Sky News nicht gegründet worden, um mit diesem Profit oder auch nur schwarze Zahlen zu erzielen, sondern als hochqualitatives Aushängeschild für die Sky-TV-Sendergruppe (Grinder, 2011).
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ten, so erläuterte Adrian Wells seine Position, allerdings sei es wichtig, in jedem spezifischen Fall genau zu prüfen, was mit der journalistischen Kooperation bezweckt werde: For example if in Afghanistan when the story was about the Taliban, if you’re employing a local fixer or producer because they have very good links with the Taliban and you’re trying to do a story being with the Taliban to see what their point of view is, then it’s quite unlikely that that kind of local producer is going to have the same view of western styles of reporting, clearly. Does it invalidate you using them or them being useful to you? Of course not. That’s exactly why you’re using them. If you’re employing someone to be on air and to be your surrogate for reporting, then it’s a very different arrangement. You are then applying the same standards you would apply to yourself. (Interview in London, 2014)
Für die direkte Beteiligung an der Berichterstattung seien daher für Sky News fast nur solche lokalen Akteure infrage gekommen, die bereits Erfahrungen in der globalen Nachrichtenindustrie gesammelt hatten und entsprechende Referenzen und Kontakte vorweisen konnten. Die skeptische Haltung von Adrian Wells richtet sich nicht gegen die »lokale Sozialisation« von »Freelancern«, sondern gegen deren oft unzureichende redaktionelle Einbindung. Sky News reagierte auf den Wandel in der globalen Nachrichtenindustrie zwar durchaus mit der Beschäftigung von lokalen »Freelancern«, fokussierte aber mit einer nachhaltigeren »Lokalisierungsstrategie« die arabische Welt. 2012 gründete das TV-Unternehmen gemeinsam mit einem Investor in Abu Dhabi45 den TV-Nachrichtensender Sky News Arabia mit einem kompletten Redaktionsgefüge aus arabischsprachigen Journalisten, also eine Art »privater Auslandsrundfunk«.46 Adrian Wells war damals für die Vorbereitung und den Start des Sendebetriebs verantwortlich: We didn’t know how to do it before we did it. We started off with myself and one colleague, who was sort of the chief technology officer. We flew out on the plane with 2 laptops and that was the beginning and in 18 months we had 400 staff and a building and we’re on the air. It was an incredibly rapid transition. (Interview in London, 2014)
45 | Der lokale Partner von Sky News Arabia ist die Abu Dhabi Media Investment Corporation (ADMIC). Sky News Arabia verfügt heute über ein Netzwerk aus regionalen Büros im Mittleren Osten und Nordafrika (Sweney, 2010). 46 | Dabei war Sky News natürlich nicht der erste TV-Sender, der in die arabische Welt expandierte. Tatsächlich wurden in den letzten Jahren etliche Nachrichtensender mit ortsfremden Eigentümern auf Arabisch gegründet, im »Westen« etwa CNN Arabic (2002), das US-finanzierte Alhurra (2004) oder BBC Arabic Television (2008), finanziert durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Großbritannien (Ayish & Mellor, 2015, S. 72-74).
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In dem Sender seien dabei dieselben journalistischen Standards implementiert worden, so Adrian Wells, wie sie auch bei Sky News gültig seien: »Western standards of reporting and unbiased journalism« (Interview in London, 2014). Die schwierigste Herausforderung sei es gewesen, geeignete lokale Journalisten zu finden. Nicht selten würden TV-Journalisten aus dem arabischen Raum eine professionelle Sozialisation durchlaufen, die für seine Zwecke eher hinderlich gewesen sei: »Some people have worked in organizations where the company has a policy on who the good guys are and who the bad guys are« (Interview in London, 2014). Auch ein starkes Zugehörigkeitsgefühl zu einer spezifischen Strömung des Islams habe zu Konflikten führen können und sollte vermieden werden.47 Nach seinen Angaben versuchte er das Risiko zu minimieren, indem er die redaktionellen Führungspositionen wiederum mit erfahrenen »arabischen« Journalisten besetzte, die vorher bereits für Reuters oder die BBC gearbeitet hatten. Diese hätten dann ihre eigenen Netzwerke eingebracht: »You rely very heavily upon them to recruit the people who they value, […] you have this sort of effect of a pebble being dropped into water« (Interview in London, 2014). Zu Beginn des Sendebetriebs von Sky News Arabia habe ein editorial advisory board 48 noch jede redaktionelle Entscheidung überwacht und falls erforderlich auch korrigiert, sagte Adrian Wells, anschließend sei die Redaktionsverantwortung schrittweise an lokale Journalisten übergeben worden. *** Beim Auf bau der redaktionellen Strukturen von Sky News Arabia hatte Sky die Rückendeckung des lokalen Investors in Abu Dhabi, der nach Angaben von Adrian Wells ausdrücklich eine unabhängige Nachrichtenorganisation nach »westlichem« Vorbild befürwortete und selbst aus der lokalen Machtelite stammt.49 Als ich bei der DW in Bonn die amharische Redaktion besucht habe, berichtete mir Redaktionsleiter Ludger Schadomsky von einer ganz anderen »Gemengelage«, was den Ausbau und die Pflege der lokalen Strukturen des amharischen Nachrichtendienstes der DW in Äthiopien betrifft. Im Forschungsinterview entwarf er das Panorama einer äußerst repressiven äthiopischen Medienregulierung: 47 | In der arabischen Welt gebe es im öffentlichen Meinungsspektrum viel mehr Heterogenität als in Westeuropa, sagte Adrian Wells, dies alles sei zu berücksichtigen gewesen. Unterstützung bei den Personalentscheidungen erhielt Adrian Wells durch seinen arabischen Personalchef (Interview in London, 2014). 48 | Zusammengesetzt war das Kontrollgremium sowohl aus arabischsprachigen als auch aus »westlichen« Experten, für die Inhalte aus dem Programm des Senders übersetzt wurden (Interview in London, 2014). 49 | Die ADMIC ist in Besitz von Mansour bin Zayed Al Nahyan, einem Mitglied der königlichen Familie von Abu Dhabi (Sweney, 2010). Der Sender hatte also keine Repressalien vonseiten der Machthaber Abu Dhabis zu erwarten.
Studie I: Standpunkt »Europa« Das Verständnis von Pressefreiheit dort ist wirklich noch nicht sehr ausgeprägt, Medienvielfalt gibt es im Land de facto nicht. Und weil wir zudem in Amharisch senden und damit die Leute unmittelbar erreichen und nicht nur eine englische Elite in der Hauptstadt, sind die dort sehr nervös. (Interview in Bonn, 2014)
Störungen würden etwa durch das sogenannte Jamming des Kurzwellensignals erfolgen: »Das hat es früher im Kalten Krieg gegeben, das sehen wir fast nur noch in Äthiopien, dass die sich die Mühe machen, unser Kurzwellensignal dort immer wieder abzuschießen« (Interview in Bonn, 2014). Doch das Jamming werde nur punktuell eingesetzt (z.B. vor einer Wahl) und habe insgesamt wenig Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit der Redaktion. Ernster zu beurteilen seien dagegen Maßnahmen, die sich gegen die journalistische Kooperation der DW-Redaktionen mit lokalen Korrespondenten richten. Beispielsweise müssten deren Akkreditierungen jedes Jahr erneuert werden, sagte Ludger Schadomsky – eine Maßnahme, mit der unliebsame Journalisten bei Bedarf einfach ruhig gestellt werden könnten. Zwei seiner Korrespondenten seien bereits ins politische Asyl geflüchtet und neue Korrespondenten dürfe er nicht einstellen: Es gibt sehr viele junge, dynamische Journalisten, die uns regelmäßig anschreiben. Ich erhalte auch viele spontane Bewerbungen, allein, wir dürfen sie nicht gefährden, weil wir brauchen eine offizielle Lizenz, und die bekommen wir nicht. (Interview in Bonn, 2014)
Im ersten Abschnitt dieser Studie habe ich journalistische Kooperationen von reisenden Journalisten und ihren lokalen Helfern beschrieben, die teilweise hohe persönliche Risiken auf sich nehmen, um punktuell aus Krisengebieten zu berichten und Menschenrechtsverletzungen anzuprangern. Die kontinuierliche Berichterstattung mit akkreditierten Strukturen und lokalen Korrespondenten in einem Land, dessen Regierung gegenüber dem Sender eine ambivalente bis feindselige Haltung einnimmt, erfordert ein anderes Vorgehen. Die redaktionelle Praxis der amharischen DW-Redaktion ��������������������������������������ger Schadomsky manchmal einer diplomatischen Mission, bei der versucht wird, sich auf positive Aspekte zu konzentrieren:50
50 | Der deutsche Auslandsrundfunk engagiert sich seit 1965 in Äthiopien; damals noch unter der Regentschaft von Haile Selassie. Die DW berichtete über die Militärdiktatur von Mengistu Haile Mariam, den Krieg mit Eritrea und über die Entwicklung bis hin zur heutigen Situation eines zumindest nominell parlamentarischen Systems. Die DW gilt mit ihrem Informationsprogramm vor Ort als Marktführer (Stockschläder & Blomeyer, 2015) und wird nach Informationen von Ludger Schadomsky in Europa als »Kompetenzzentrum« für Äthiopien wahrgenommen. So werde der Sender vonseiten der deutschen Regierung auch zu Ländergesprächen eingeladen (Interview in Bonn, 2014).
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Korrespondenten des Wandels Die Regierung hat auch ein Grundinteresse in den Bereichen Gesundheit und Bildung, dort flächendeckend Programme auszurollen und hat […] große Fortschritte gemacht. Und das würdigen wir auch entsprechend. Es geht also überhaupt nicht darum, dort in irgendeiner Form nur einzudreschen, sondern wir versuchen, alle Seiten zu beleuchten. (Interview in Bonn, 2014)
Auch weil er sich für die Sicherheit der lokalen Korrespondenten verantwortlich fühle, sagte Ludger Schadomsky, müsse man Kompromisse eingehen. So würden bei der Berichterstattung vor Ort manchmal die heikelsten Themen ausgeklammert, etwa wenn es um Korruption in der Regierung gehe oder um die Verletzungen von Menschenrechten: »Dann nehmen wir die so ein bisschen aus dem Schussfeuer und machen das dann von hier« (Interview in Bonn, 2014). Man könne den aktuellen Bericht entsprechend in Deutschland produzieren und sich dabei auf externe Quellen beziehen oder ein Interview mit einem europäischen Menschenrechtler führen. Ludger Schadomsky und andere Auslandsredakteure in der DW berichteten mir außerdem, dass sie die lokalen Korrespondenten in Ländern wie Äthiopien, Zimbabwe oder �������������������������������������������������������������ten. Abu Bakarr Jalloh verwies etwa auf einen Korrespondenten in Goma: That’s a city in the east DRC [Demokratische Republik Kongo], which is basically the hub of all this rebel activities between different factions. […] So you have this cross-border conflict there, and we have this correspondent who’s always going to this area and who is reporting this conflict. Sometimes when he sends in the story idea, you have to look at it and say […] it is very, very nice to get this story but it’s also very, very important for you to stay safe. So don’t risk your life for the story, because if you risk it, you might not have another opportunity to do another good story. (Interview in Bonn, 2014)
Doch nicht immer genügen redaktionelle Rücksichtnahme und ein vorsichtiger Recherchestil vor Ort, um die lokalen Korrespondenten zu schützen. Immer wieder werden die DW-Redaktionen mit Situationen konfrontiert, in denen sich die Frage der Verantwortung für die lokalen »Freelancer« auf existenzielle Weise stellt. Etwa im Fall des Journalisten Eric Topona aus dem Tschad, den ich in der DWRedaktion für das frankophone Afrika getroffen habe. Dieser hatte das Pech, dass der Präsident des Tschad Ibriss Déby an ihm und anderen kritischen Journalisten ein Exempel statuieren wollte (Hannemann, 2014).51 In N’Djamena hätten ihn im 51 | Eric Topona war sowohl für lokale als auch ortsfremde Nachrichtenorganisationen tätig. Welche der beiden Tätigkeitsfelder für das Regime vor Ort schwerer wogen, wusste auch er nicht genau zu sagen: »Le danger existe partout parce qu’à part la radio, je fais aussi de la presse écrite. Donc du coup, même quand on exerce au plan local, lorsqu’on touche un peu le point rouge comme on dit, des autorités on peut se faire examiner. Tout
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Mai 2013 mehrere bewaffnete Polizisten aus seinem Haus entführt und in ein Gefängnis gesperrt, berichtete mir Eric Topona. Für einen geplanten Schauprozess gegen ihn habe man alle Register gezogen: Il y avait d’autres journalistes qui étaient en prison bien avant, pour des délits un peu plus légers comme diffamation, comme incitation à la haine pour mon ami. Mais pour moi, c’était quand même assez un peu plus fort. En plus de la diffamation, c’était une planification d’une insurrection. C’était quand même un peu fort, quoi. (Interview in Bonn, 2014)
Im Gefängnis habe er sich mit 60 weiteren Gefangenen eine 20qm-Zelle geteilt und wurde geschlagen, doch glücklicherweise hätten sich die DW und andere Organisationen für ihn eingesetzt.52 Als er nach über hundert Tagen wieder freikam, sei ihm bereits klar gewesen, dass er nicht mehr als Journalist im Tschad würde arbeiten können: »J’ai toujours refusé de travailler comme ils le souhaitaient. J’allais continuer à faire comme je le voulais. Et ce qui est sûr, j’allais avoir des problèmes si je restais donc« (Interview in Bonn, 2014). Die DW half Eric Topona schließlich nach Deutschland zu fliehen, bei meinem Besuch lebte und arbeitete er als Redakteur in Bonn.53 Zwar hilft die Deutsche Welle sicherlich nicht allen lokalen DW-Korrespondenten ins deutsche Exil, die vor Ort aufgrund ihrer Arbeit in Schwierigkeiten geraten. Aber zumindest in den Afrikaredaktionen der DW wird nach meiner Einschätzung die Verantwortung für die lokalen »Freelancer« relativ umfangreich ausgelegt. In der globalen Nachrichtenindustrie ist das nicht immer so gewesen. Adrian Wells, der in seiner journalistischen Lauf bahn verschiedene Nachrichtenorganisationen kennengelernt hat, sprach von einem deutlichen Wandel: I think in the last 20 years news organizations have become a lot better at doing the right thing, whereas once upon a time perhaps, if you were left behind, you were left behind; we’re back on a plane to London and see you later. I think these days, people and organizations are a lot more responsible […]. Your obligations if you like, as what’s expected comme quand on travaille pour l’international comme je fais, lorsqu’on touche également un point assez sensible, on peut avoir des problèmes. Donc ça dépend donc de la nature du métier qu’on exerce. Donc que ça soit au niveau local ou international, dès qu’on veut être un peu indépendant, il y a toujours des problèmes« (Interview in Bonn, 2014). 52 | So starteten Reporter ohne Grenzen (2013) und das Committee to Protect Journalists (2013) eine Kampagne. 53 | Redaktionsleiterin Dirke Köpp berichtete, ihr Vorschlag, dem Korrespondenten nach Deutschland zu verhelfen, sei innerhalb der DW auf breite Zustimmung gestoßen. Sie sprach von einer schwierigen Flucht: »Er ist vom tschadischen Geheimdienst bis nach Kamerun verfolgt und bedrängt worden. Und da war es schon großes Glück, dass er es geschafft hat« (Interview in Bonn, 2014).
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Korrespondenten des Wandels of you as an employer, how far your responsibilities extend has broadened. (Interview in London, 2014)
So würden die lokalen Mitarbeiter der großen Nachrichtenorganisationen in Krisenregionen heute meist routinemäßig ein »hostile environment training« und andere Fortbildungen absolvieren. Sie würden zudem meist dasselbe Equipment und dieselbe Infrastruktur nutzen, egal ob sie einen festen Arbeitsvertrag haben oder nicht (Interview in London, 2014). In der BBC sei es ein konkreter Vorfall gewesen, so erinnerte sich Adrian Wells, der den Anstoß gab, das Verhältnis des Senders zu seinen lokalen Mitarbeitern zu klären. Im Jahr 2000 beschoss ein Panzer von einem israelischen Grenzposten aus ein Fahrzeug der BBC auf libanesischem Territorium; dabei wurde der »Fixer« Abed Takkoush getötet, der als einziger im Wagen war. Der BBC-Journalist Jeremy Bowen und Kameramann Malek Kenaan inspizierten gerade einen anderen ausgebrannten Wagen und blieben unverletzt (BBC News, 2000; Committee to Protect Journalists, 2000). Vor seinem Tod arbeitete Abed Takkoush 25 Jahre als Fahrer und lokaler Helfer für die BBC: It presented a problem for the BBC, because we didn’t have a contract with this guy. He was on a day rate. The lines of obligation towards this individual were not clear cut – what was Lebanese law, what was British law – did we as the BBC, have a responsibility towards this person or not? Was the responsibility the same as if he’d been a staff member? Was it less? How much less was it? It wasn’t really clear what the answers to some of those questions were, and so in that particular instance, we had to work out what was the best way of handling the situation. (Interview in London, 2014)
Grundsätzlich gebe es in einer solchen Situation zwei Kräfte, die gegeneinander wirkten, erläuterte Adrian Wells seine Sichtweise auf den Fall: Zum einen gebe es die Neigung jeder Organisation es abzulehnen, die Verantwortung für etwas zu übernehmen, das sie nicht direkt verschuldet habe. Zum anderen bestehe aber eine moralische Verantwortung, der die BBC schließlich gerecht geworden sei.54 Eine allgemeine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für lokale Akteure globaler Nachrichtenindustrie, wie sie Adrian Wells vermutet, mag für lokale Korrespondenten gelten, die regelmäßig mit europäischen Auslandsredaktionen zusammenarbeiten. Es darf allerdings nicht übersehen werden, dass lokale Akteure globaler Nachrichtenindustrie gar nicht zwingend mit den redaktionellen Strukturen der konventionellen »westlichen« Nachrichtenorganisation in Berührung kommen, etwa wenn reisende Journalisten auf eigene Rechnung »Fixer« 54 | Mit der Familie des Opfers sei eine finanzielle Einigung gefunden worden, sagte Adrian Wells (Interview in London, 2014); 2006 initiierte die BBC außerdem ein Trainingsprogramm, das nach Abed Takkoush benannt wurde und auf die Ausbildung von jungen libanesischen Journalisten als BBC-Producer zielt (BBC Press Office, 2006).
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engagieren. Hier könnte man vielmehr von einem Outsourcing von Risiken sprechen. Auch lokale Akteure, die als unabhängige Medienaktivisten, Blogger oder Bürgerkorrespondenten arbeiten, genießen nicht den Schutz der großen Nachrichtenorganisationen in der globalen Nachrichtenindustrie und sind damit in besonderem Maße gefährdet.
2.3 W andel
und
Technologie
Bevor der Inter Press Service (IPS) in den 1960er Jahren damit beginnen konnte als Alternative zu den internationalen Nachrichtenagenturen aufzutreten, mussten die Gründer um Roberto Savio zunächst eine technologische Hürde überwinden. Bis in die 1970er Jahre gab es für global agierende Nachrichtenorganisationen via Teleprinter nur zwei Möglichkeiten der globalen Datenübertragung: zum einen das Seekabelnetz, das viel zu teuer war (Savio, 2012, S. 37); zum anderen gab es die Möglichkeit der Funkübertragung von Texten, das sogenannte Radioteletype (RTTY)55, was zwar grundsätzlich preisgünstiger war, aber für das kleine Budget des IPS ebenfalls noch zu teuer. Durch eine innovative Verwendungsweise gelang es der Organisation schließlich, nicht nur den Einsatz der RTTY-Technologie ausreichend zu vergünstigen, sondern der IPS begann sogar als Dienstleister für Datenübertragung aufzutreten, was letztendlich Einnahmen für die redaktionelle Arbeit generierte (Giffard, 1984, S. 42).56 Im Café »Die Eins« im ARD-Hauptstadtstudio in Berlin traf ich mich mit IPS-Generaldirektor Ramesh Jaura. Er selbst sei der Agentur 1983 beigetreten, berichtete er mir, und es sei damals genau diese innovative und auch kosmopolitische Atmosphäre gewesen, die ihn angezogen habe. Als Europakorrespondent
55 | Der IPS nutzte zur Funkübertragung ihrer Teleprinter-Signale die sogenannte singlesideband modulation (Einseitenbandmodulation). Diese Funktechnologie ist von John Ren shaw Carson im Jahr 1915 erfunden worden und wurde zunächst vom US-Militär eing es etzt (Weber P., o.D.). Dem IPS gelang es nach Angaben von Robert Savio, das vorgesehene Preismodell des kommerziellen Anbieters Press Wireless aus den USA (ein Konsortium aus verschiedenen Zeitungsverlagen) zu umgehen, indem die IPS-Korrespondenten eine direkte SSB-Verbindung zwischen Europa und Lateinamerika herstellten. Auf dieser Distanz war dies offensichtlich die erste direkte RTT Y-Übertragung überhaupt und fand am 15. Mai 1965 statt (Savio, 2012, S. 39). 56 | So handelte der IPS Verträge mit den damals relativ demokratisch regierten lateinamerikanischen Staaten Chile, Kolumbien, Venezuela und Peru aus und übernahm als Dienstleister die diplomatische Kommunikation der Botschaften. Der IPS half zudem anderen lokalen Nachrichtenagenturen, wie der jugoslawischen Tanjug, ihre Nachrichteninhalte nach Lateinamerika zu übertragen (Giffard, 1984, S. 43).
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verschiedener indischer Zeitungen in Deutschland57 sei er für die Dominanz »westlicher« Nachrichtenorganisationen in der globalen Nachrichtenindustrie sensibilisiert gewesen – der IPS habe zu diesem Zeitpunkt als einzige Nachrichtenorganisation konsequent von einem lokalen Standpunkt aus berichtet: »That was the strength of IPS, an authentic view of the south« (Interview in Berlin, 2014). Massenmedien weltweit und auch öffentlich-rechtliche Sendeanstalten wie die ARD hätten damals regelmäßig die lokalen Themen der IPS-Journalisten aufgegriffen und auch bei der Berichterstattung über globale Zusammenhänge wie den Klimawandel oder die Arbeit der Vereinten Nationen sei der IPS immer eine wichtige Quelle gewesen.58 In der Zwischenzeit habe sich das Nachrichtengeschäft aber grundlegend verändert, erklärte Ramesh Jaura: »Things started changing in the 90s and 2000 onwards. Now you find almost every media organization which is worth consulting has correspondents from India or from Africa or Latin America. That wasn’t the case before, things have changed« (Interview in Berlin, 2014). Der wichtigste Grund, warum der IPS seine Nische verloren habe, so die Analyse von Ramesh Jaura, sei das Verschmelzen der globalen Nachrichtenindustrie mit dem Internet. Heute gebe es zwar weiterhin die Dominanz der großen Nachrichtenorganisationen aus dem globalen »Norden« sowie eine defizitäre UN-Berichterstattung (deshalb habe der IPS auch weiterhin eine wichtige Aufgabe), gleichzeitig bestehe allerdings aufgrund des Internets kein Mangel mehr an lokalen Stimmen. Tatsächlich hat das Internet die globale Nachrichtenindustrie grundlegend verändert und heute ermöglichen Social Media-Dienste von Technologieunternehmen wie Facebook, Google und Twitter den lokalen Akteuren, direkt von ihrem Standpunkt aus über ihre Lebensumstände zu berichten und ihre eigenen Positionen weltweit zu kommunizieren.59 Zunächst waren es lokale Blogger, meist 57 | Dabei nahm er einen ungewöhnlichen Standpunkt in der globalen Nachrichtenindustrie ein, weil er sich auf osteuropäische Themen konzentrierte und so beispielsweise als einziger indischer Korrespondent 1968 über den Prager Frühling berichtete: »There were no correspondents. No correspondents in the whole of East Europe, except for Moscow and East Berlin. I had the opportunity to write a number of articles and report from all these hotspots« (Interview in Berlin, 2014). Auch in Deutschland knüpfte er umfangreiche Netzwerke und vertrat den Verein der ausländischen Presse. Er berichtete mir, dass er sich mehrfach mit Willy Brandt getroffen habe, um mit ihm über dessen Initiativen für den globalen »Süden« zu sprechen (Interview in Berlin, 2014). 58 | Ramesh Jaura berichtete mir, wie er noch 1997 bei der Weltklimakonferenz in Kyoto fast alleine mit den japanischen Journalisten gewesen sei: »I myself was in Kyoto. There were probably 120-150 correspondents who were covering there, out of which 90% were Japanese and the rest were from everywhere else. If you go to any of these conferences now, you have an army of journalists who are covering« (Interview in Berlin, 2014). 59 | Beispielsweise berichtete mir Henning Gloystein von Reuters, dass er immer häufiger direkt auf lokale Twitter-Nachrichten reagieren würde und dabei manchmal der lo-
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junge technologieaffine Menschen, die ab der Jahrtausendwende das Internet nutzten, um staatliche Zensurbemühungen vor Ort, aber auch das Informationsmonopol der großen Nachrichtenorganisationen in der globalen Nachrichtenindustrie aufzubrechen (Hamilton & Jenner, 2004b). Doch immer, wenn damals lokale Blogger tatsächlich von einem größeren Publikum global wahrgenommen wurden, geschah dies über »mediale Vehikel« in den konventionellen Massenmedien und zwar selbst dann, wenn diese Blogger auf Englisch publizierten.60 In besonderem Maße benötigten (und benötigen) Blogger aber eine Form von journalistischer Kooperation oder zumindest journalistischer Interaktion mit ortsfremden Journalisten und Fernbeobachtern, wenn sie in einer lokalen Sprache arbeiteten. Die nichtkommerzielle Nachrichtenorganisation Global Voices, die im Jahre 2004 von Ethan Zuckerman und Rebecca MacKinnon (einer ehemaligen CNNChinakorrespondentin) gegründet wurde (Boyd, 2005), hat sich auf diese Tätigkeit spezialisiert und trug in dieser frühen Phase maßgeblich zur globalen Sichtbarkale Korrespondent oder »Stringer« als Informationsquelle einfach übersprungen wird. Er nannte mir das Beispiel des kolumbianischen Gewerkschafters Igor K. Diaz Lopez, der am Tag meines Besuches bei Reuters (16.07.2014) einen Tweet veröffentlichte, mit dem er über einen aktuellen Streik in der Kohlemine »El Cerrejón« berichtete (Lopez, 2014). Weil er an seinem Arbeitsplatz in London die richtigen Social Media-Filter benutze, so Henning Gloystein, habe er noch vor dem lokalen Korrespondenten in Kolumbien von dem Streik erfahren: »Das sind Fotos von Minenarbeitern. Die kommen nicht zur Mine, weil sie die Straße blockieren. Und das haben ein paar Händler auch gesehen und da haben wir angefangen zu telefonieren, so was ist denn da los? Weil wenn die Produktion von El Cerrejón beeinträchtigt wird, geht der Kohlepreis global nach oben, und das ist auch passiert: It moved the price. September und August, Kohlepreise sind nach oben gegangen direkt danach« (Interview in London, 2014). 60 | Erst als »westliche« Massenmedien über irakische Blogs wie »Baghdad Burning« oder »Where is Raed?« berichteten, wurde während des Irakkriegs ein größeres Publikum überhaupt darauf aufmerksam, dass auch Iraker eine eigene Stimme haben konnten und Englisch sprachen. Hinter »Baghdad Burning« verbargen sich nach Angaben auf dem anonymen Blog die Berichte und Beobachtungen einer jungen irakischen Frau mit dem Pseudonym »Riverbend«, die über die Invasion der US-Armee im Irak und das anschließende Leben unter der Besatzung berichtete. Die Faszination kannte damals keine Grenzen: Ihre Texte wurden in den USA in Buchform veröffentlicht (Riverbend, 2005) und mit einem Literaturpreis ausgezeichnet (BBC News, 2006), es entstanden Theaterstücke (Pamment, 2006) und sogar Musikkompositionen (Deep Listening Institute, 2006), die von ihren Texten inspiriert wurden. Der Blog »Where is Raed?« wiederum wurde von einem jungen irakischen Architekten und »Fixer« mit dem Pseudonym Salam Pax betrieben, der ebenfalls über die US-Invasion und Besatzung schrieb. Als seine Berichte schließlich das Interesse der Massenmedien weltweit erregten, wurde Salam Pax vom britischen Guardian als lokaler Kolumnist engagiert (Pax, 2003).
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keit von lokalen Blogs bei. Bis heute übersetzen und beobachten die Mitarbeiter von Global Voices Blogs in dutzenden von lokalen Sprachen und veröffentlichen Analysen und Übersetzungen in ihrem Internetportal (Global Voices, o.D.). Außerdem setzen sie sich für Blogger und Medienaktivisten ein, die aufgrund ihrer Arbeit in Schwierigkeiten mit lokalen Regierungen geraten.61 Wie zuvor der IPS mit dem RTTY nutzt Global Voices mit dem Internet eine globale Kommunikationstechnologie, um lokale Stimmen weltweit vernehmbar zu machen. Im Unterschied zum IPS beschäftigt Global Voices aber keine professionellen Journalisten; die Organisation basiert vielmehr auf der Arbeit von ehrenamtlichen Übersetzern, Redakteuren und unabhängigen lokalen Bloggern. Eine dieser Freiwilligen ist Débora Medeiros aus Fortaleza in Brasilien. Sie habe 2007 als Studentin auf dem Portal von Global Voices über die »Safran-Revolution« in Myanmar gelesen, berichtete sie mir, und habe dann beschlossen, sich als freiwillige Übersetzerin zu engagieren. Ihre Aufgabe sei es gewesen, Artikel aus dem Englischen für die portugiesische Seite von Global Voices zu übertragen. Als ich sie für das Forschungsinterview in einem Café in Berlin Mitte getroffen habe, promovierte Débora Medeiros gerade als Sozialwissenschaftlerin an einer Berliner Universität und übernahm inzwischen auch redaktionelle Verantwortung in der Organisation: »Als ich angefangen habe, war es wirklich eher so aus Spaß. Aber mit der Zeit merkt man schon, dass das auch professionelle Kontakte bringt, man lernt viele neue Menschen kennen« (Interview in Berlin, 2014). Freundschaften und Arbeitsbeziehungen entstünden dabei nicht nur online – Global Voices veranstalte auch regelmäßig Treffen und eine Art globales »Gipfeltreffen«, bei dem die Mitarbeiter von Global Voices sich persönlich kennenlernen können. Das BloggerNetzwerk mit ca. 800 Mitarbeitern weltweit, die meisten davon Freiwillige, ist inzwischen offensichtlich zu einer kosmopolitischen Gemeinschaft gewachsen. Débora Medeiros berichtete mir von Fernreisen nach Afrika, von »Fernkooperationen« mit Bloggern aus Ländern wie Kuba, Mosambik, Tunesien oder Kenia und von Gästen aus der ganzen Welt: »Immer, wenn jemand von Global Voices hier in Berlin ist, dann treffen wir uns« (Interview in Berlin, 2014). Im Zentrum der Arbeit von Global Voices stehen die sogenannten »bridge blogger«, erklärte mir Débora Medeiros: »Das sind Menschen, die wirklich eine Brücke bauen zwischen ihrem Gebiet und ihrer Blogosphäre und dem Rest der Welt, zum Beispiel der englischsprachigen Welt. […] Diese kontextualisieren die Diskussionen, die in ihrer Heimat oder in ihrem Gebiet stattfinden« (Interview in Berlin, 2014). Diese Autoren könnten dabei vor Ort leben oder auch im Exil, meist würden sie sich gar 61 | So setzte sich Global Voices beispielsweise für die Zone9 Bloggers aus Äthiopien ein. Das Kollektiv von 9 Bloggern und Menschenrechtsaktivisten wurde 2014 verhaftet, vorgeworfen wurde ihnen: »[…] receiving finance to incite public violence through social media« (Endalk, 2014). Global Voices startete daraufhin diverse Aktionen, um international auf die Gefangenen aufmerksam zu machen und ihre Freilassung zu erwirken (Global Voices advox, 2015).
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nicht auf Grundlage eigener Recherchen mit lokalen Themen beschäftigen, sagte Débora Medeiros, sondern eine Form von »social media curation« betreiben: Es ist praktisch so wie bei Interviews, man liest so einen Artikel und man sieht, ob es da relevante Zitate gibt, und deswegen wird es so gewählt. Aber natürlich, es sind Menschen, die schon die Blogsphäre in ihren Heimatländern oder in ihrer Heimatstadt oder auch in dem Gebiet kennen und die wissen, wofür die Menschen stehen – ob die Menschen eher rechts sind oder eher links, ob sie Verbindungen mit der Regierung haben oder nicht, ob sie Oppositionelle sind. Man kennt die Blogger, die man zitiert. (Interview in Berlin, 2014)
Als beispielsweise im Jahre 2014 die Terrormiliz Boko Haram in Nigeria 200 Mädchen entführt hatte, berichtete Global Voices darüber, wie lokale Blogger das Ereignis einordneten und wie sich deren Sichtweise von der Berichterstattung der globalen Nachrichtenorganisationen oder von den Verlautbarungen der nigerianischen Regierung unterschied (Egbunike, 2014). Innerhalb von Global Voices gebe es ein großes Meinungsspektrum, sagte Débora Medeiros, aber erstaunlicherweise komme es trotzdem nur sehr selten zu Streitereien – und das, obwohl es dazu eigentlich genug Anlässe gebe, etwa wenn israelische und palästinensische Blogger aufeinandertreffen. Diese würden aber sehr sanft und höflich miteinander umgehen. Dasselbe gelte für die Anhänger der Regierung Nicolás Maduros und der Opposition in Venezuela oder den Gegnern und Anhängern des Castro-Regimes in Kuba. Eine Zeit lang sei sogar ein Anhänger von Baschar al-Assad aus Syrien dabei gewesen, dieser habe die Organisation aber inzwischen aus eigener Entscheidung verlassen. Dass es meist ziemlich harmonisch zugehe, sei einer konstruktiven Dialogkultur bei Global Voices zu verdanken, erklärte mir Managing Editor Solana Larson, die zum Zeitpunkt unseres Treffens sieben Jahre lang als eine der wenigen festangestellten Mitarbeiter die Arbeit der Organisation redaktionell verantwortet hatte. Sie ermuntere ihre Autoren immer dazu, unterschiedliche Positionen darzustellen, ohne dabei die eigene Meinung zu sehr in den Vordergrund zu stellen.62 Um was es den Freiwilligen bei ihrem Engagement wirklich gehe, sei nicht so sehr eine bestimmte Sichtweise zu propagieren, sondern Aufmerksamkeit für lokale Themen und die Vielstimmigkeit von Diskursen zu generieren: What draws people to write for Global Voices, like if you’re from Madagascar, why do you write for Global Voices? It’s to help get your country noticed, get it on the map. So if there’s a coup in your country and nobody is paying attention to it and nobody is re62 | Solana Larson sprach dabei zwar nicht von Objektivität, aber durchaus von Neutralität. Die Haltung der Autoren bei Global Voices beschrieb sie wie folgt: »It’s not of course entirely objective but we strive for neutrality and that kind of gentleness. The way we present opinions, is that we’re not banging people on the head, we are not saying you have to think this or that. It’s just very friendly« (Interview in Berlin, 2014).
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Korrespondenten des Wandels porting about it, what do you do when you’re somebody who knows how to use the internet? You write about it on Global Voices and then you cross your fingers that somebody in the media will read it. (Interview in Berlin, 2014)
Gern erinnere sie sich an Momente wie jenen, als es ihren Global-Voices -Autoren mit Artikeln gelungen sei, die New York Times dazu zu bewegen, Nicholas Kristof für eine Recherche nach Gambia zu schicken (Interview in Berlin, 2014). In einer ersten Phase besetzte Global Voices in der globalen Nachrichtenindustrie als ein »Vehikel« für lokale Positionen eine Nische (wie zuvor der IPS). Die konventionellen Nachrichtenorganisationen hätten sich damals gar nicht für das Netz und die Bürgerkorrespondenten interessiert, stellte Solana Larson im Forschungsinterview fest: It was a foreign territory. It wasn’t just another country. It was like another universe. They didn’t know how to navigate it. They didn’t understand it. They didn’t know how to figure out who is the most popular, who is the most trusted. It was just a different culture. Journalism was not something that was dealing very well with the internet. (Interview in Berlin, 2014)
Die Interaktion mit den Massenmedien sei deshalb meist nach einem typischen Schema verlaufen, egal ob für die BBC oder CNN, immer sei Global Voices eine Art zuständiger Ansprechpartner für alle Fragen gewesen, die Blogger oder Social Media betrafen. Die Journalisten hätten dann etwa darum gebeten, sie mit einem russischen oder auch mit einem chinesischen Blogger in Verbindung zu setzen. Den Höhepunkt globaler Aufmerksamkeit erreichten unabhängige Blogger (und damit auch Global Voices) nach Ansicht von Solana Larsen mit den Protesten nach den Präsidentschaftswahlen im Iran 2009, als es für die konventionellen Nachrichtenorganisationen unm������������������������������������������������rücksichtigung lokaler Stimmen im Internet zu verstehen. Auch damals wandten sich die Nachrichtenorganisationen an Global Voices. Mit dem Jahr 2011 habe sich dann aber vieles verändert: The uprisings in Tunisia, nobody was paying attention to that, not even Al Jazeera. Nobody reported on that until the revolution had practically happened. That was really interesting to see how everybody missed the boat on those stories and the bloggers were so clear. We were saying, ›Maybe you should pay attention to this. They say it’s a really big deal‹. (Interview in Berlin, 2014)
Die Revolte in Tunesien markiert nach Ansicht von Solana Larson einen gleichzeitigen Umbruch in der Beziehung der globalen Nachrichtenindustrie mit dem Internet und den Bürgerkorrespondenten. Nun begannen auch die konventionellen Nachrichtenorganisationen umzudenken und sich für lokale Stimmen im Internet zu interessieren.
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Heute gebe es in den Massenmedien Leute, die nichts anderes tun, als YouTubeVideos aus Syrien zu analysieren, sagte Solana Larsen. Das sei natürlich auch viel günstiger und weniger gefährlich, als eigene Reporter zu schicken. Die globalen Nachrichtenorganisationen hätten massiv in Social Media und Online-Teams investiert: »It’s just a new reality of international reporting that wasn’t there for many years. And now they never call Global Voices. They don’t. It was from one day to another, it stopped« (Interview in Berlin, 2014). Für Solana Larsen ist das nicht unbedingt ein schlechtes Zeichen: »In a sense it’s what we’ve been telling them to do all along, to take this stuff seriously, that they can use people as sources, that it’s good to have local voices as part of their reporting« (Interview in Berlin, 2014). Allerdings denke ich, dass es auch mit dem neuen Bewusstsein für die Bedeutung der lokalen Stimmen keinesfalls sicher gewesen wäre, dass die »westlichen« Nachrichtenorganisationen die Ereignisse in Tunesien richtig hätten einordnen können. Nach meiner Einschätzung war es nicht so sehr die geschickte Analyse von Social Media-Inhalten, die Global Voices auf die »richtige« Spur brachte, sondern es waren die jahrelang gepflegten lokalen Strukturen und direkten Kontakte. In seinem Essay »A Small World After All?« (2012) schreibt Global-VoicesGründer Ethan Zuckerman von seiner Hoffnung, dass es vielleicht einmal eine technische Lösung geben werde, eine »serendipity engine«, die als eine Art »AntiFilterblase«63 verhindert, dass auch das nächste Tunesien von Journalisten übersehen wird. Statt tendenziösen oder schlichtweg ignoranten Auslandsredakteuren sollen demnach die Algorithmen in Suchmaschinen und Social Media einem interessierten Publikum dabei helfen, sich unerwarteten, aber trotzdem irgendwie »wichtigen« Orten der Erde zuzuwenden. Eine Aussicht, die Evgeny Mozorov, einem prominenten Kritiker von Ethan Zuckermans medialen Visionen im Speziellen und dem digitalen Wandel im Allgemeinen, doch eher als eine Dystopie erscheint: 64 63 | Die »Filterblase« ist ein Begriff des Netzaktivisten Eli Pariser. In seinem Buch »The filter bubble: What the Internet is hiding from you« (2011) weist er auf die seiner Ansicht nach bestehende Gefahr einer Meinungs-Isolation hin, die durch Personalisierungsbestrebungen von Social Media-Diensten wie Facebook und Google hervorgerufen werde. Demnach würden Nutzer beim Medienkonsum im Internet tendenziell eher mit Informationen konfrontiert, die den ihrigen Meinungen, Positionen und Interessen entsprechen, weil ein Algorithmus (basierend auf personalisierten Daten) darüber entscheide, welche Informationen sie zu sehen bekommen. Ethan Zuckerman hat schon vor Erscheinen des Buches mit Eli Pariser über »Filterblasen« diskutiert und in seinem Blog eine technische Lösung vorgeschlagen: »We need filters – there’s more information created in a single year now than was created from the beginning of human history through 2008. […] We might add a slider to Facebook that lets us see news that’s more or less homogenous« (2010). 64 | Die »serendipity engine« von Ethan Zuckerman dient Evgeny Mozorov als ein Beispiel für eine Geisteshaltung, die er »solutionism« nennt und die er in zunehmend undemokratisch auftretenden Technologieunternehmen verbreitet sieht: »Solutionism, thus,
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Korrespondenten des Wandels Why would anyone want to scrap the system we have now, however imperfect, and replace it with Zuckerman’s system, where Google and Facebook unilaterally decide what counts both as issues of importance and as the right ways to campaign on them? […] We want citizens who care about the war in Syria because they care about peace in the Middle East or the fate of humanity or some other such cause–not because Google and Facebook have manipulated them into embracing such causes. (Morozov, 2013, S. 295)
Ironischerweise bricht er dabei aber nicht nur eine Lanze für die Arbeit von Aus landsredakteuren in konventionellen Nachrichtenorganisationen. Vielmehr bedroht jede Ambition, den Auslandsredakteur durch Algorithmen zu ersetzen, auch die Arbeit der »konventionellen Blogger« und die Relevanz einer Nachrichtenorganisation wie Global Voices, deren Inhalte von gut informierten und vernetzten lokalen Akteuren nach menschlichem Urteilsvermögen ausgewählt werden. *** Wenn Massenmedien in Europa sich auf die Analyse von Social Media-Inhalten konzentrieren und zugleich immer häufiger zu den Angeboten von Nachrichtenagenturen greifen, dann sind es heute oft nur noch die NGOs, die tatsächlich vor Ort über »abseitige« Themen berichten und dabei journalistische Kernaufgaben übernehmen.65 In Berlin besuchte ich die Zentrale der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), die ein globales Netzwerk aus lokalen Mitaris not just a fancy way of saying that for someone with a hammer, everything looks like a nail; it’s not just another riff on the inapplicability of ›technological fixes‹ to ›wicked problems‹ […]. It’s not only that many problems are not suited to the quick-and-easy solutionist tool kit. It’s also that what many solutionists presume to be ›problems‹ in need of solving are not problems at all; a deeper investigation into the very nature of these ›problems‹ would reveal that the inefficiency, ambiguity, and opacity–whether in politics or everyday life–that the newly empowered geeks and solutionists are rallying against are not in any sense problematic. Quite the opposite: these vices are often virtues in disguise« (Morozov, 2013, S. 6). In Bezug auf den Auslandsjournalismus könne man den von Menschen durchgeführten Selektionsprozess bei der Themenauswahl in einer Auslandsredaktion nun entsprechend mit seinen jeweiligen Limitationen und Tendenzen als eine solche »virtue in disguise« verstehen. 65 | Wie Charlotte Wiedemann in »Vom Versuch, nicht weiß zu schreiben« (2012) zu Recht anmerkt, bedeutet auch ein »vor Ort« sein nicht automatisch einen Zugang zu lokalen Perspektiven: »Es wird immer schneller über immer mehr berichtet, was immer weniger Berichterstatter mit eigenen Augen gesehen haben. Wenn indes an den Schauplätzen jener Krisen und Kriege, die als vorrangig gelten, tatsächlich hunderte oder tausende Berichterstatter vor Ort sind, geschieht etwas Erstaunliches: Die Konkurrenz führt in der Regel nicht zu Vielfalt, sondern im Gegenteil zur Einfalt« (S. 71).
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beitern pflegt.66 Sie werden bei HRW als »researcher« bezeichnet und arbeiten wie lokale Korrespondenten in einer Nachrichtenorganisation, erklärte mir der HRWDeutschlanddirektor Wenzel Michalski im Forschungsinterview: »Wenn die vor ein paar Jahren noch mit einem Block und einem Bleistift losgezogen sind, dann ziehen sie jetzt mit einem Block, Bleistift und einem Fotoapparat los, der auch Videos machen kann« (Interview in Berlin, 2014). Mit den anschließend professionell aufgearbeiteten Medieninhalten im Internet könne man heute viel mehr erreichen als mit Protesten auf der Straße.67 Wie die lokalen Korrespondenten bei Reuters oder die »bridge blogger« von Global Voices sind die »researchers« meist Personen, die sowohl lokale Sprachen sprechen und lokal vernetzt sind als auch Fremdsprachen nutzen und Verantwortung in einer globalen Organisation übernehmen. Wenzel Michalski zufolge würde HRW auf den ersten Blick tatsächlich nicht viel von einer konventionellen Nachrichtenorganisation unterscheiden: Human Rights Watch ist eine Organisation, die sehr journalistisch arbeitet. Wir sammeln Fakten wie jeder investigative Reporter, wir haben unsere researcher, so nennen wir die Experten, die haben wir in vielen Ländern auf der Welt, so wie Korrespondenten. Wir haben in dem Sinne mehr Korrespondenten als die BBC und wir veröffentlichen das, was wir machen. Wir schreiben Artikel, Kommentare, wir geben Interviews. (Interview in Berlin, 2014)
Im Vergleich zu einem »Medienhaus« gebe es allerdings wichtige Unterschiede: »Es geht dann noch einen Schritt weiter, und das ist advocacy, also Lobbyarbeit für die Menschenrechte. Wir versuchen, etwas zu verändern« (Interview in Berlin, 2014). Weil man dafür Nachhaltigkeit und Kontinuität brauche, pflege die Organisation seit über 20 Jahren ihre lokalen Kontakte und könne nun auf gewachsene lokale Strukturen zurückgreifen. Im Gegensatz zum »Travelling Village« der Krisenjournalisten, die von Kriegsgebiet zu Kriegsgebiet zögen, auf der Suche nach der neuesten Sensation, sei es immer ein Prinzip von HRW gewesen, ein Thema nicht leichtfertig fallenzulassen: »Ein Bericht ist wie kein Bericht, man muss dran66 | Deutschlanddirektor Wenzel Michalski sprach im Forschungsinterview von einem Netzwerk, das über 90 Länder umfasst, in denen HRW über festangestellte lokale Mitarbeiter verfügt – insgesamt beschäftige HRW ca. 400 Mitarbeiter, von denen fast die Hälfte als »researcher« arbeite (Interview in Berlin, 2014). 67 | So würden die Multimediainhalte von HRW im Internet über Social Media teilweise Millionen Menschen erreichen. Um solche Kommunikationserfolge zu erreichen, arbeiten viele Medienprofessionelle und ehemalige Journalisten innerhalb der Organisation. Auch Wenzel Michalski arbeitete früher als TV-Journalist und Auslandskorrespondent für deutsche Fernsehsender. Chef der Multimedia-Abteilung bei HRW ist Pierre Bairin, ein ehemaliger CNN-Producer, der lange mit Christiane Amanpour zusammengearbeitet hat (Human Rights Watch, o.D.).
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bleiben, sonst verändert sich nichts« (Interview in Berlin, 2014). Die Zugangsmöglichkeiten eines lokalen »researcher«, der mit den Menschen vor Ort auf ihrer Muttersprache kommuniziert und sich über Jahre für ihre Rechte einsetzt, seien nur schwer mit denen der konventionellen Nachrichtenorganisationen zu vergleichen. Wie viel Vertrauen die Menschen vor Ort dem »researcher« entgegenbringen, habe man etwa sehen können, als in Libyen 2011 das Gaddafi-Regime gestürzt wurde und die zuständige lokale HRW-Mitarbeiterin aus Ägypten einreiste: »Sie wurde auf der Straße begrüßt wie eine Heldin, die kannten die alle. Sie hatte sich eingesetzt für die politischen Gefangenen unter Gaddafi. Das war wie ein Triumphzug nach Bengasi« (Interview in Berlin, 2014). Die lokalen Netzwerke würden HRW aber nicht nur zu einem exklusiven Zugang bei der inhaltlichen Arbeit verhelfen, sagte Wenzel Michalski, diese seien auch ein wichtiger Garant für die Sicherheit der Mitarbeiter. Noch nie sei ein lokaler »researcher« aufgrund der Arbeit für HRW getötet worden, obwohl ihre Arbeit in Krisengebieten ebenso gefährlich sei wie die der Journalisten.68 Massenmedien und NGOs befinden sich traditionell in einem komplexen Verhältnis der gegenseitigen Abhängigkeit. NGOs bieten lokale Kontakte, die von reisenden Journalisten als Informationsquelle, Gesprächspartner oder »Fixer« genutzt werden, im Gegenzug greifen Journalisten dann deren Themen auf.69 In einer weiteren klassischen Form der journalistischen Kooperation mit NGOs berichten Journalisten vor Ort direkt über die Arbeit der NGOs.70 Doch im Zuge des Wandels in der globalen Nachrichtenindustrie scheint sich nun eine grundsätz68 | Allerdings liege dies nicht nur an den lokalen Strukturen, so die Vermutung von Wenzel Michalski, sondern auch an einem unterschiedlichen Umgang der Organisation mit Risiken: »Wir würden nie einfach so wie der Jörg Armbruster von der ARD [ein deutscher Journalist, der im Syrienkrieg angeschossen wurde] ein Taxi nehmen in der Türkei und dann nach Aleppo fahren und dann einen Bauchschuss kriegen, also völlig unvorbereitet in so ein Land reinzufahren und eventuell noch einen Fahrer zu haben, der einen vielleicht noch verrät. Wir haben noch nie jemanden in all den Jahren verloren, obwohl unsere Leute größere Risiken eingehen als viele Journalisten. Gleichzeitig gehen sie nicht so verrückte Risiken ein wie viele Journalisten« (Interview in Berlin, 2014). 69 | So entstand auch Philip Cox' Interesse am Konflikt in Darfur durch die Kommunikationsarbeit von Amnesty International in London. Wenzel Michalski berichtete, dass die Erwartungen der reisenden Journalisten an die NGOs allerdings manchmal bizarre Züge annehmen würden: Während des Krieges in Libyen sei es so gewesen, dass die »researcher« morgens angerufen worden seien von amerikanischen, deutschen, englischen, französischen Teams, um dann den ganzen Tag von einem »Konvoi« Journalisten »verfolgt« zu werden, die auf eine gute Geschichte hofften (Interview in Berlin, 2014). 70 | Ein prominentes Beispiel für diese besondere Form des embedded journalism ist die 2014 veröffentlichte Netflix-Serie »E-Team« der Dokumentarfilmer Katy Chevigny und Ross Kaufman (Human Rights Watch, 2014). Darin begleiten diese ein so genanntes »Emergency Team« von HRW bei dessen Arbeit in Krisengebieten.
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liche Neujustierung dieser Beziehung zu vollziehen. Dazu gehören die Medienangebote der NGOs im Internet, die in direkte Konkurrenz zu den Aktivitäten der konventionellen Massenmedien treten: Während NGOs früher in nüchternen Berichten Informationen zusammengetragen haben, aus denen Massenmedien dann zitieren konnten, sind die Internetportale von HRW, Amnesty International, Greenpeace oder Médecins Sans Frontières heute nicht mehr leicht von Nachrichtenportalen zu unterscheiden. Eine noch schwerwiegendere Veränderung in der Beziehung zwischen Massenmedien und NGOs ist aber meiner Auffassung nach das Auftreten der NGOs als Produzenten von Multimediainhalten, die von Massenmedien innerhalb der eigenen Berichterstattung genutzt werden. Wenzel Michalski berichtete, dass die Quellenlage der Massenmedien für eine Einschätzung der Lage vor Ort teilweise so desperat sei, dass sogar renommierte TV-Sender die Angebote der lokalen »Korrespondenten« von HRW nutzen würden, um komplette TV-Produkte zu fertigen:71 Es gibt da zum Teil Beiträge, die nur aus unserem Material bestehen, und der einzige Eigendrehanteil ist dann mal ein 15-Sekunden-Statement, das sie hier [in der Zentrale der Organisation] drehen. Das finden wir natürlich klasse. Unter journalistisch-ethischen Gesichtspunkten würde ich sagen, müssen sie selber damit klarkommen. (Interview in Berlin, 2014)
Als HRW beispielsweise im Oktober 2014 über den Einsatz von Streubomben durch die ukrainische Armee in Donezk berichtete, hätten die ARD-Nachrichtenredaktionen der »Tagesschau« und der »Tagesthemen« hauptsächlich mit Bildsequenzen und sogar O-Tönen gearbeitet, die HRW zur Verfügung gestellt hatte. Als ich während des Forschungsinterviews »nachhakte«, inwiefern HRW das nun »klasse« fände, wurde deutlich, dass es Wenzel Michalski zwar wichtig findet, dass überhaupt über die Inhalte berichtet wird, dass ihm die Entwicklung insgesamt aber unheimlich ist und viele Bedenken die Freude über solche Kommunikationserfolge überschatten: »Das kann ja nicht ewig so weitergehen, die können ja nicht einfach Copy & Paste machen. […] Das ist ein Armutszeugnis, es ist traurig« (Interview in Berlin, 2014). 71 | Allerdings gibt es zur Verwendung von NGO-Material innerhalb der Berichterstattung sehr unterschiedliche Positionen in den Nachrichtenorganisationen. Auf diese Differenz verweist Carrol Bogart (sie hat als Direktorin fast 20 Jahre die »Außenbeziehungen« von HRW organisiert) in ihrem Essay »Whose News?« über den Wandel in der globalen Nachrichtenindustrie: »The answer depends on the country, the media outlet, and the NGO. The BBC, for example, rarely takes material from advocacy groups for broadcast. CBS, in the US, recently tightened up its regulations for taking content from outside sources. […] Time magazine will not accept images from a photographer whose assignment was underwritten by an NGO« (2011).
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Das Problem mit dem Wandel in der globalen Nachrichtenindustrie sei es dabei grundsätzlich nicht, dass es heute zu wenige Auslandskorrespondenten gebe. Tatsächlich würden Massen an freischaffenden jungen »Abenteurern« von Krisengebiet zu Krisengebiet ziehen, sagte Wenzel Michalski, allerdings gebe es nach seiner Beobachtung tatsächlich weniger Journalisten mit der notwendigen »Gravität«: »Die sind jetzt alt und dann verschwinden sie, weil sie pensioniert werden oder etwas anderes machen wollen« (Interview in Berlin, 2014). Es mangele den reisenden Journalisten der neuen Generation oft an einem fundierten Wissen über den Ort, von dem sie berichten und an lokalen Kontaktnetzen. Bisher sei es stets so gewesen, dass auch die »researchers« von einem Austausch mit Auslandskorrespondenten profitiert hätten: »Es war ein Geben und Nehmen. Es gab einen Austausch auf Augenhöhe und jetzt ist es oft so, dass unsere Leute dasitzen, und die Journalisten, die hängen denen an den Lippen« (Interview in Berlin, 2014). Die NGOs bräuchten aber die Stimme von unabhängigen Journalisten, sagte Wenzel Michalski, als kritische Begleiter und um öffentlichen Druck auszuüben. Wenn die Massenmedien gar keine eigene Auslandsberichterstattung mehr machen würden und nur noch den NGOs folgen würden, dann wäre auch der Einfluss der NGOs bedroht. *** Ob der Wandel in der globalen Nachrichtenindustrie tatsächlich die Existenz eines originären Auslandsjournalismus in den »westlichen« Massenmedien bedroht, sei dahingestellt. Für die lokalen Akteure jedenfalls ergeben sich aus einer zweifellos bestehenden Zurückhaltung der Massenmedien������������������� , eigene Korrespondentennetzwerke zu unterhalten, auch neue Chancen. Immer häufiger gelingt es nun den lokalen Korrespondenten, sich in der globalen Nachrichtenindustrie neu zu positionieren und direkt für ortsfremde Massenmedien zu arbeiten, indem sie ihre Arbeit mithilfe des Internets gemeinsam organisieren und global kooperieren.72 Während meiner Forschung bin ich auf die Organisation »Associated Re72 | Meistens sind das, wie auch im Falle der im Folgenden vorgestellten Nachrichtenorganisation ARA, keine Organisationen, in denen sich ausschließlich lokale Akteure organisieren. An dieser Stelle möchte ich wiederum darauf verweisen, dass »lokale Akteure globaler Nachrichtenindustrie« eine abstrakte analytische Kategorie ist. Journalisten organisieren sich gemeinsam, weil sie gemeinsame Interessen haben und nicht aufgrund ihrer »lokalen Sozialisation« oder ähnlichem. Eine wichtige Organisation ist in diesem Sinne das Netzwerk Frontline Freelance Register (FFR), in dem sich sowohl reisende Journalisten als auch lokale Akteure organisieren, die als »Freelancer« in Krisengebieten arbeiten; darunter auch der Kriegsfotograf Karim Ben Khelifa, von dem noch in Studie II die Rede sein wird (Kapitel: 3.4 Lokale Akteure im Konfliktgebiet Kaschmir). Das Ziel der Organisation mit ca. 600 Mitgliedern ist es nach eigenen Angaben: »[…] to support the physical and mental well-being of actively working, international freelance journalists who take physical risks in their work. […] FFR aims to help freelancers by providing them
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porters Abroad« (ARA) aufmerksam geworden – einem Arbeitskollektiv von freien Korrespondenten, die meisten mit einer »lokalen Sozialisation«. Der gemeinsame und hauptsächlich über das Internet organisierte newsroom dieser Nachrichtenorganisation bietet lokalen Korrespondenten weltweit einen exklusiven Zugang in die globale Nachrichtenindustrie.73 Den Massenmedien wiederum bietet er einen exklusiven Zugang on location in Afrika, Asien oder dem Nahen Osten. Die Arbeitsweise von ARA dürfe man nicht mit dem Geschäftsmodell einer Nachrichtenagentur verwechseln, erklärte mir ARA-Gründerin Jabeen Bhatti im Forschungsinterview: »It’s not this traditional news agency model, it’s kind of a boutique« (Interview in Berlin, 2014). Attraktiv sei ARA etwa für Zeitungredaktionen, die über keine eigenen Korrespondenten verfügen. Wenn eine solche Zeitungsredaktion trotzdem exklusive Artikel veröffentlichen wolle, dann könne sie die Dienste des newsroom von ARA on demand anmieten, ohne selbst lokale Strukturen betreuen zu müssen: They’ll throw us the wire-story and they’ll just say, ›Do an original of this same story‹. I mean they want it a little nicer written, a little more feature-y, original quotes of course, and a dateline. They want to put it on their front page and they don’t want AP in their front page. (Interview in Berlin, 2014)
Außerdem sei ARA attraktiv für Zeitungen wie die New York Times, die Washing ton Post oder den Guardian. Obwohl diese selbst Korrespondenten vor Ort beschäftigen, würden sie alle mit ARA arbeiten, um ihre Berichterstattung mit exklusiv recherchierten Stücken zu ergänzen, die auf einem besonderen lokalen Zugang basieren.74 Die Arbeit der nichtkommerziellen Nachrichtenorganisation ARA wird zentral von zwei Auslandsredaktionen in New York und Berlin organisiert, aus denen sich der ARA-newsroom zusammensetzt. Im Mittelpunkt der Redaktionsarbeit steht die intensive redaktionelle Betreuung der lokalen Korrespondenten über das Internet. Das sei notwendig, so erklärte es mir Jabeen Bhatti, weil die lokalen Korrespondenten in der Regel nicht mit dem Vorwissen und den Lesegewohnheiten with a forum, a representative body and a critical mass to face some of these challenges« (Frontline Freelance Register, o.D.). 73 | Die meisten Kunden von ARA sind englischsprachige Tageszeitungen, aber auch Spiegel Online, Al Jazeera, El Mundo oder die taz gehören zu den Auftraggebern (������� Associated Reporters Abroad, o.D.). 74 | Beispielsweise veröffentlichte der ARA-Afrikakorrespondent Tonny Onyulo am 06.09. 2016 in der Washington Times einen Artikel über die im »Westen« nur wenig beachteten gewaltsamen Unruhen in Gabun nach den Präsidentschaftswahlen im August 2016, deren Ergebnisse nach Ansicht internationaler Wahlbeobachter durch den amtierenden Präsidenten Ali Bongo manipuliert wurden (Onyulo & Derulo, 2016). Der Artikel ist in der byline mit dem Hinweis »Special to The Washington Times« versehen.
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ihres Publikums vertraut seien: »They don’t realize that a foreigner maybe doesn’t know what a street looks like in Liberia; all those details of telling a narrative story« (Interview in Berlin, 2014). Besonders, wenn lokale Korrespondenten das Englische als journalistische Fremdsprache verwenden, gebe es viele Besonderheiten zu beachten. Beispielsweise bei der Verwendung von Vox pop: Most of the rest of the world does not want street quotes. They’re like, ›Why do we want to hear from other people that are like us?‹ Whereas in America, that is the number one thing. We don’t want experts. We might have an expert lower in the story but you have to have the real people’s voices and that’s something other reporters just don’t know, because they don’t come from that tradition. (Interview in Berlin, 2014)
Es sei nach ihrer Erfahrung aber gut möglich, die lokalen Korrespondenten mit training on the job zu qualifizieren.75 Um den Prozess effizienter zu gestalten, plant Jabeen Bhatti nach eigenen Angaben eine Stiftung zu gründen, die lokale Akteure mit gezielten Lehrgängen in New York für die Arbeit in der globalen Nachrichtenindustrie qualifizieren soll. Die ARA-Redaktion in Berlin befindet sich in einem kleinen Ladenlokal im Stadtteil Kreuzberg. Bei meinem Besuch saßen dort Dutzende Reporter Schulter an Schulter und arbeiteten konzentriert an ihren journalistischen Projekten. Seit der Gründung im Jahr 2008 wachse ARA ständig, berichtete mir Jabeen Bhatti, jetzt sei es hier eng geworden. Die US-Amerikanerin bereiste damals als »Freelancer« die Welt, als in der globalen Nachrichtenindustrie Auflösungserscheinungen auftraten. Renommierte Publikationen wie das Time Magazine, Newsweek und viele weitere hätten im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts Büros geschlossen. Sie habe sich gefragt: »Who’s going to do the news if the bureaus are closed? They don’t have the money to constantly send correspondents« (Interview in Berlin, 2014) – und tatsächlich sei die Auslandsberichterstattung eingebrochen. Wenn man in dieser Zeit eine amerikanische Zeitung aufgeschlagen habe, dann habe man überall nur AP-Meldungen lesen können. Sie habe zunächst die Idee gehabt, ein Reporterkollektiv zu gründen; mit einigen Kollegen habe sie begonnen, sich redaktionelle Kontakte zu teilen und sich gegenseitig Aufträge zuzuspielen. Als sich dann immer mehr Journalisten auf
75 | Im Forschungsinterview betonte Jabeen Bhatti, dass es dabei von Bedeutung sei, die Journalisten als Kollegen anzusprechen: »We retain loyalty because we’re actually reporters ourselves. We’re not some evil editor sitting up there who won’t respond to email. We’re reporters who are trying to help each other« (Interview in Berlin, 2014). Sie berichtete von einer Tendenz in der globalen Nachrichtenindustrie, lokale Akteure auszubeuten: »A lot of our reporters are also fixers, […]. One of our reporters in North Africa often serves as a fixer and he’s an academic. I mean he’s really smart. […] He’s told me horror stories« (Interview in Berlin, 2014).
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der ganzen Welt dem Kollektiv anschließen wollten, beschlossen sie, gemeinsame redaktionelle Strukturen zu entwickeln: And then with the Arab spring, foreign news really started to heat up […] even though the budgets were so decimated, it really revived interest in American papers to have more foreign coverage again. We were overwhelmed but we were lucky, because we had the people, because we had accepted them. That’s how we kind of became. (Interview in Berlin, 2014)
Inzwischen bestehe ARA aus etwa 120 »assoziierten« Korrespondenten, die über 40 Sprachen abdecken, berichtete Jabeen Bhatti: »We have a reporter in South Sudan who lives there. I don’t think anybody can say that. We have people in Gaza, because we’ve built this over a long time« (Interview in Berlin, 2014). Keiner der Korrespondenten sei dem Kollektiv dabei einfach nur beigetreten, sagte Jabeen Bhatti, es gebe ein strenges Auswahlverfahren. Vor allem die Fähigkeit zur globalen journalistischen Kooperation sei dabei essenziell, auch weil die interessantesten Projekte meist nicht von einem Journalisten oder einer Journalistin alleine verwirklicht werden. Manchmal würden drei verschiedene Korrespondenten in drei verschiedenen Ländern gleichzeitig recherchieren und mithilfe des Internets an einem gemeinsamen Projekt arbeiten. *** Neben der Verbreitung von medialen Inhalten und der Organisation von globaler journalistischer Kooperation innerhalb einer etablierten redaktionellen Struktur in der globalen Nachrichtenindustrie nutzen reisende Journalisten das Internet auch dazu, lokale Partner zu finden (bzw. lokale Akteure ihre Auftraggeber). Während es zuvor vor allem lokale Nachrichtenorganisationen bzw. Hochschulen und NGOs waren, über die reisende Journalisten nach lokalen Partnern suchten, hat sich die Suche seit einigen Jahren ins Internet verlagert und macht diese konventionellen »Praktiken des Zugangs« teilweise überflüssig. Im Jahr 2004 gründeten der US-amerikanische Fotograf Teru Kuwayama und sein Bruder das kostenlose und nichtkommerzielle soziale Netzwerk Lightstalkers mit dem Ziel, eine Plattform für Fotografen, Journalisten, NGO-Mitarbeiter bzw. andere professionelle Reisende zu schaffen (Kuwayama, 2009). In den folgenden Jahren entwickelte sich das Netzwerk mit zwischenzeitlich ca. 40.000 Mitgliedern (Knight Foundation, 2010) zu einem der wichtigsten Orte des Austausches für Krisenjournalisten und »Fixer« im Netz. Es wurden Sicherheitsanalysen und Meinungen »gepostet«, es wurde über Visa-Bestimmungen diskutiert oder auf Ausstellungen hingewiesen, aber vor allem wurden dort lokale Kontakte ausgetauscht. Auch ich habe einige meiner Gesprächspartner in Indien über Lightstal-
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kers gefunden.76 Mit der wachsenden Dominanz anderer sozialer Netzwerke wie Facebook, das ebenfalls 2004 gegründet wurde, oder dem Karrierenetzwerk LinkedIn, verlor Lightstalkers immer stärker an Relevanz und stellte schließlich im Jahr 2014 den Betrieb ein.77 Heute nutzen reisende Journalisten, »Fixer« und lokale Korrespondenten weiterhin Social Media, um zueinander zu finden, allerdings bevorzugen sie die Privatsphäre und Sicherheit ihrer eigenen Kontakte auf den Plattformen bzw. die geschlossene Gemeinschaft einer Facebook-Gruppe.78 Einige Bekanntheit erlangte etwa der sogenannte »Vulture Club«, eine »geheime« Facebook-Gruppe, die von ca. 4000 reisenden Journalisten weltweit ganz ähnlich wie Lightstalkers verwendet wird, um Kontakte und Informationen zu teilen (Murrell, 2015, S. 154).79 Neben solchen selbst organisierten Online-Gemeinschaften erregt die Frage, wie lokale Akteure und ihre Auftraggeber zueinanderfinden, auch die Aufmerksamkeit von Unternehmern. In London besuchte ich im Stadtbezirk Hackney ein Start-up namens worldfixer 80, das den Anspruch anmeldet, erster Ansprechpart76 | So habe ich die indischen »Fixer« Faheem Quadri, Rakesh Agarwal, Tashi Namgyal, Thirulok Chander und Dinesh Dubey über Lightstalkers gefunden, von denen in Studie II die Rede ist. 77 | Lightstalkers-Gründer Teru Kuwayama arbeitet seit 2013 selbst bei Facebook, zunächst als photo community manager beim Mutterkonzern und danach als community manager bei dem inzwischen von Facebook erworbenen einstigen Konkurrenten Instagram (Perdani, 2015). 78 | So berichtete auch die Fotografin Albertina d’Urso im Forschungsinterview, dass sie meistens versuche, lokale Kontakte mithilfe des Internets in sozialen Netzwerken wie Facebook oder LinkedIn zu finden. Dabei suche sie aber nicht aktiv nach professionellen Angeboten, die dort durchaus zu finden seien; vielmehr platziert sie ihr Gesuch offensichtlich so, dass sie über ihre bestehenden privaten oder professionellen Kontakte fündig wird (Interview in Genua, 2014). Der Grund, warum reisende Journalisten meiner Einschätzung nach meistens nicht einfach auf Facebook oder LinkedIn nach einem »Fixer« suchen, liegt an der mangelhaften Sicherheit einer solchen Methode. Während im Fall von Lightstalkers die Kontaktaufnahme meist über einen anderen Journalisten abgewickelt wurde, der seine eigene Reputation in die Waagschale warf, um Empfehlungen auszusprechen, kann die Identität von Personen hinter einem auf Facebook entdeckten »Fixer«-Profil manchmal nur schwer verifiziert werden. In Syrien gab es offensichtlich einige Fälle, in denen »falsche Fixer« oder die von Dritten leichtfertig in offenen Social Media-Foren kompromittierten Informationen dazu genutzt wurden, um reisende Journalisten zu entführen; unter Umständen auch im Fall des (erfahrenen) Journalisten Steven Sotloff, der 2014 von Daesh gefangen gehalten und schließlich hingerichtet wurde (Taub, 2014). 79 | Ein bekanntes »Mitglied« des »Vulture Club« war der britische Kriegsfotograf Tim Hetherington, der 2011 in Misrata in Libyen getötet wurde (Bouckaert, 2011). 80 | Während des Forschungsinterviews diskutierte ich mit Mike Garrot über meine skep tische Haltung gegenüber dem Begriff »Fixer« und er bat mich, meine Gedanken in einem
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ner werden zu wollen, wenn Journalisten einen lokalen Partner suchen – egal, ob das nun eine BBC-Redaktion sei, die lokale Hilfe benötige oder ein reisender »Freelancer«.81 Grundlage des Unternehmens ist eine für registrierte Benutzer frei zugängliche Datenbank von lokalen Akteuren im Internet. Alles, was der Journalist tun muss, um einen »Fixer« zu finden, ist es, den Ort seines journalistischen Projektes in eine Suchmaske einzugeben und schon kann er auf Grundlage diverser geografisch verknüpfter »Fixer«-Profile und ihrer Bewertung durch andere Journalisten einen geeigneten Partner für sein Projekt auswählen und kontaktieren. Im Jahre 2016 hatten nach Angaben auf der Internetseite von worldfixer über 5000 »Fixer« weltweit ein Profil erstellt (worldfixer, o.D.). Firmengründer Mike Garrot hatte zuvor selbst als Produzent in der globalen Nachrichtenindustrie gearbeitet (Reid, 2015). Im Forschungsinterview berichtete er mir, dass er miterlebt habe, wie ineffektiv die lokalen Kontakte sogar in den großen Nachrichtenorganisationen organisiert seien.82 Bei der BBC beispielsweise gebe es keine zentrale Verwaltung und Pflege von lokalen Kontakten:
kritischen Essay den worldfixer-Nutzern zur Verfügung zu stellen (Heidelberger, ›Fixing‹ amongst Argonauts, 2014). 81 | Der Vollständigkeit halber sei hier darauf verwiesen, dass es auf Internetplattformen der Filmindustrie wie thelocationguide bereits schon vorher möglich war, lokale Partner unter Begriffen wie »Line Producer« oder »Government Liaison« für Dokumentarfilmprojekte zu finden (thelocationguide.com, o.D.). Außerdem sei darauf hingewiesen, dass neben worldfixer auch Wettbewerber dieselbe »Nische« bedienen, beispielsweise needafixer.com. Dieses Unternehmen fungiert allerdings als »Broker« für Journalisten und tv-crews, die einen »Fixer« benötigen, sich aber nicht an der Suche und Auswahl beteiligen wollen. Die Möglichkeit einer aktiven Selbstvermarktung für »Fixer« gibt es auf dieser Internetseite dagegen nicht (needafixer, o.D.). 82 | Mein Gesprächspartner Henning Gloystein bei Reuters sprach zwar ebenfalls von einer informellen Kontaktpflege verwies allerdings auch darauf, dass die Nachrichtenagentur meist ein spezialisiertes Sicherheitsunternehmen beauftrage, wenn ein »Fixer« in einem Kriegsgebiet benötigt werde. Die Arbeit dieses Sicherheitsunternehmens beschrieb er wie folgt: »Das sind alles ehemalige Spezialeinheits-Soldaten, die aber in einer gewissen Region Kontakte gepflegt haben […] die organisieren dann zum Beispiel einen Fahrer und einen Übersetzer für dich. […] Die organisieren also Fixer und die gehen zum Beispiel nach Syrien, wo es ja wirklich gefährlich ist oder in die Teile im Irak, wo es wirklich kracht, da geht dieses Unternehmen im Voraus hin. Man sieht diese Fixer und versucht auch einzuschätzen, welche Gegenden absolut off limit sind, wo sogar Reuters sich nicht hintraut, was nicht viele Gegenden sind. Dann erstellen die eine Liste und Fluchtpläne und Fahrpläne und weiß ich was. Dann kommen die und holen dich ab, da wirst du quasi an der Hand hingeführt« (Interview in London, 2014). Die Rekrutierung und Verwaltung der Kontakte von lokalen Helfern hat Reuters also teilweise ausgelagert.
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Korrespondenten des Wandels I’ve been searching every route and rabbit hole I can find in the BBC, to find out whether this actually exists and it doesn’t. There’s no such thing as a centralized fixer database for the BBC. They have regional bureaus, they have people they know. These people get old, quit, die or move overseas. It’s a forever changing landscape and we could position ourselves quite well to service this. (Interview in London, 2014)
Oft würden journalistische Projekte scheitern, sagte Mike Garrot, weil etwa kein geeigneter »Fixer« in Papua Neuguinea gefunden werden könne. Doch auch die »Fixer« in Papua Neuguinea oder in Afrika hätten heute Android-Smartphones, mit denen sie die Seite nutzen könnten. Finanziert werden soll das Angebot weder durch eine kostenpflichtige Mitgliedschaft noch durch Werbung oder eine Gebühr für die Kontaktaufnahme. Vielmehr soll sich worldfixer zu einer Plattform entwickeln, über die lokale »Fixer« und ihre Auftraggeber die geschäftliche Seite ihrer journalistischen Kooperation online abwickeln können und dafür eine Gebühr bezahlen. Mike Garrot sieht worldfixer als das zukünftige Elance 83 für »Fixer«, das die Beschäftigung von lokalen Partnern einfach und transparent gestaltet und die globalen Nachrichtenorganisationen teilweise von dem Problem entlasten könnte, bündelweise Bargeld in Krisengebieten mitzuführen: It provides accountability for the corporate, for the media company, for production houses, because instead of taking a lot of cash out to places and no good feasibility, they’ve got traceability and cost control. On the fixer side they have security of contract, the ability to add overtime which is a big issue, and the ability to get repeat work, based on good performance, which is something that’s completely new in this industry. (Interview in London, 2014)
Zukünftig kann er sich vorstellen, auch Zusatzleistungen anzubieten, etwa den Abschluss einer Versicherung für die lokalen Partner. Die fehlende Absicherung der »Fixer« sei ein weiteres zentrales Problem in der globalen Nachrichtenindustrie, das so mit wenig Aufwand durch die Auftraggeber gewährleistet werden könn���������������������������������������������������������������������� e. Schon heute ermögliche es das Unternehmen den lokalen Akteuren anonym zu arbeiten. Die »Fixer« müssten so kein öffentliches Profil mit Informationen anlegen, die dann möglicherweise von staatlichen oder anderen feindseligen
83 | Das Internetportal Elance ermöglichte es »Freelancern« in ganz verschiedenen Spar ten (auch der Medienproduktion), ab 1999 online nach Aufträgen zu suchen und von der Sicherheit eines Bezahlungssystems zu profitieren (Leonhardt, 1999). Es war das erste größere Unternehmen dieser Art (inzwischen gehört es zu upwork.com). Heute bieten zahlreiche Plattformen solche Dienstleistungen an, die sich wie fiverr.com inzwischen auch an »Endverbraucher« richten.
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Seiten gegen sie verwendet werden könnten.84 In solchen Fällen würde worldfixer nach Angaben von Mike Garrot als eine Art »Broker« auftreten, der sowohl die Identität und Vertrauenswürdigkeit des »Fixers« als auch die des Auftraggebers zunächst überprüft, um dann auf Anfrage einen Kontakt herzustellen oder zu suchen. Wenn worldfixer das Elance für lokale Akteure globaler Nachrichtenindustrie sein möchte, dann könnte man die Berliner Online-Initiative hostwriter vielleicht als couchsurfing für reisende Journalisten bezeichnen. Genau aus dieser Idee ��� heraus sei hostwriter 2014 entstanden, berichtete mir die Co-Gründerin Tamara Anthony.85 Sie erklärte, dass hostwriter eine Plattform sei, die es beispielsweise Journalisten aus Deutschland ermöglicht, gemeinsam mit lokalen Journalisten im Libanon zu recherchieren und während der Reise statt im Hotelzimmer einfach auf der Couch zu übernachten (Interview in Berlin, 2014). Bis ins Jahr 2016 konnten sich so etwas offensichtlich schon über 2000 Journalisten vorstellen und haben ein Profil erstellt (hostwriter, o.D.-a). Mit hostwriter verfolgt Tamara Anthony keine kommerziellen Interessen.86 Für das Forschungsinterview trafen wir uns im Berliner ARD-Hauptstadtstudio, wo sie hauptberuflich als Korrespondentin tätig ist. Sie engagiere sich für eine enge globale Kooperation von Journalisten, sagte Tamara Anthony, weil sie festgestellt habe, dass auf diese Weise der relevanteste Journalismus entstehen würde, der den heutigen »globalisierten« Lebensbedingungen gerecht werde. Heute seien internationale Recherchen oft sogar dann sinnvoll, wenn man vordergründig eigentlich für ein deutsches Publikum über deutsche Themen berichte (Interview in Berlin, 2014). Als Beispiel nannte sie den Fall einer Kleiderfabrik in Bangladesch, in der im Jahr 2013 über 1100 Menschen bei einem Einsturz getötet wurden (AP, 2013). Weil in der Fabrik deutsche Unternehmen Kleider fertigen ließen, sei das Thema natürlich auch ein deutsches Thema gewesen. Etwa ein Jahr nach dem Unglück habe sie für das TV-Politikmagazin Panorama an einem Beitrag über diesen Vorfall gearbeitet, in dem die Frage der Verantwortung der deutschen Textilhersteller für die Opfer in Bangladesch aufgeworfen 84 | Das Problem sei nämlich, erklärte mir Mike Garrot, dass Journalisten gerade in schwieriger Umgebung die meiste Hilfe benötigen würden und es dort gleichzeitig am schwierigsten sei, jemand Geeignetes zu finden: »What we found is that the demand for this is massive. It’s massive across the board in broadcast, NGOs […]. We also hear from a lot of fixers that they are quite interested« (Interview in London, 2014). Die Profile der »anonymen Fixer« würden aus Sicherheitsgründen nicht im Netz verwaltet. 85 | Die beiden anderen Gründerinnen sind die Journalistinnen Tabea Grzeszyk und Sandra Zistl (Köster, 2014). 86 | Das Projekt finanziert sich bisher durch die Unterstützungen von Stiftungen (z.B. der Robert Bosch Stiftung) und profitiert von einer starken Vernetzung mit zahlreichen NGOs, Institutionen und journalistischen Interessensverbänden in Deutschland (hostwriter, o.D.-a).
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wurde. Die Redaktion habe bei dieser Produktion vor Ort kein Visum erhalten, der lokale ARD-Producer sei mit aktuellen Nachrichten beschäftigt gewesen: Darum ist es eben ganz schnell so, dass man einen weiteren Journalisten finden muss. Und das war einfach schwierig, denn man will natürlich lieber jemanden, der schon einmal etwas mit dem Textilbereich zu tun hatte und nicht anfängt, sich dort neu einzuarbeiten. Aber das findet man eben schwer. Und der dann auch noch Englisch spricht und der bereit ist, zu kooperieren. (Interview in Berlin, 2014)
Obwohl sie damals viel telefoniert habe, habe sie am Ende mit ihrem Projekt warten müssen, bis der ARD-Producer wieder eingesetzt werden konnte, berichtete Tamara Anthony. Mithilfe von hostwriter hätte sie vielleicht schneller einen lokalen Recherchepartner finden können. Keinesfalls sehe sie hostwriter aber als eine kostenlose Dienstleistung für »westliche« Journalisten und Auslandsredakteure, die online nach einem günstigsten »Fixer« oder »Stringer« suchen. »Dafür habe ich nicht meine Freizeit da hineingesteckt« (Interview in Berlin, 2014), stellte Tamara Anthony im Forschungsinterview klar. Mit hostwriter wolle sie vielmehr die Idee des »Co-authorship« fördern, also die Zusammenarbeit von Journalisten auf Augenhöhe. Es sollte dabei egal sein, ob die journalistische Kooperation durch reisende Journalisten zustande kommt, die sich mithilfe von hostwriter auf die Suche nach lokaler Unterstützung für ihre Themen machen, oder ob diese durch lokale Journalisten entsteht, die mit ihren Themen einen Zugang in die globale Nachrichtenindustrie suchen. Reisende Journalisten, die mit lokalen Akteuren kollegial und gleichberechtigt an einem gemeinsamen Projekt arbeiten – darin besteht für Tamara Anthony die Zukunft des Auslandsjournalismus.87
87 | Um solche Kooperationen zu ermutigen, hat hostwriter einen Preis ausgeschrieben, mit dem die Organisation regelmäßig ein solches »Co-authorship« würdigt – im Jahr 2015 gewann diesen Preis ein deutsch-chinesisches Rechercheteam, das gemeinsam über die politischen Implikationen der Heavy-Metall-Subkultur in China recherchiert hat (hostwriter, 2015).
3 Studie II: Standpunkt »Indien« »We need to have very good communication skills. We need to be very open to ideas, to meeting people. We should be very people-friendly. We need to have a very positive attitude. We need to carry a smiling face. We need to be very adaptable, efficient, quick reacting and active. We need to be courageous. We need to be physically fit. Recently, I’ve tried to be as fit as possible. It’s important that you run around.« A nand B haskar M orla , D o kumentarfilmer und »F ixer « (I nterview in N ew D elhi , 2013)
3.1 L ok ale A k teure
als
S pezialisten
und
G ener alisten
Auch wenn natürlich keine Indizien für eine tatsächlich belastbare »Skala der Fremdheit« sprechen, so gibt es für reisende Journalisten Orte der Berichterstattung, an denen sie mehr Hilfe benötigen und solche, an denen sie sich besser zurechtfinden. Der spezifische indische Fall, wie er sich für die individuellen Vorkenntnisse der meisten Journalisten aus dem »Westen« 1 präsentiert, fordert ein hohes Maß an lokaler Unterstützung, um unsichtbare Barrieren zu überwinden, die sich aufgrund des eigenen Status als Besucher ergeben. Dabei benötigen »westliche« Journalisten in Indien oft bereits bei ganz grundsätzlichen Arbeitsschritten Hilfe. Das gilt nicht nur für das Sprechen, das Herstellen von Kontakten oder das Verhandeln mit Behörden, sondern auch für die Bewältigung von alltäglichen Aufgaben, wie das Reisen, Zeitungslesen und manchmal sogar für das Einkaufen. Es gibt wenig, was ein Journalist ohne lokale Kenntnisse jenseits der Grenzen der englischen Sprache in Indien allein ausrichten kann. Er braucht meist bereits Hilfe, etwas Außergewöhnliche auch nur zu erkennen und es von Alltäglichem zu unterscheiden.
1 | Die Auftraggeber meiner Gesprächspartner aus der globalen Nachrichtenindustrie stammen zum überwiegenden Teil aus Europa und Nordamerika. Die lokalen Akteure be richt eten aber außerdem von vereinzelten Auftraggebern aus »Schwellenländern« wie Mexiko, Brasilien, China oder den asiatischen Nachbarländern.
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Betrachtet man diese Grundbedingungen der Indienberichterstattung vom Stand punkt des lokalen »indischen« Akteurs, so entsteht aus der einseitig erlebten Fremdartigkeit Indiens durch den »westlichen« Journalisten ein attraktives Arbeitsfeld. Die postkoloniale Situation mit der Präsenz der englischen Sprache sowie einer großen indischen Diaspora im Westen (mit der entsprechenden »kulturellen Flexibilität«) sorgen dabei für eine besonders weitgehende Integration der lokalen »indischen« Akteure in die globale Nachrichtenindustrie.2 Im Einführungskapitel habe ich darauf verwiesen, dass lokale Akteure aufgrund dieser Rahmenbedingungen in der »westlichen« Indienberichterstattung vermutlich schon während der Kolonialzeit eine wichtige Rolle gespielt haben. Besser belegt ist die Zusammenarbeit von »westlichen« Journalisten mit lokalen »indischen« Helfern für die postkoloniale Berichterstattung ab den 1960er Jahren. So berichtete der Auslandskorrespondent und langjährige Indienbeobachter James Cameron3 in seinem autobiografischen Erinnerungsbuch Indian Summer (1975), wie er für geplante Dreharbeiten an einem Dokumentarfilm die Unterstützung eines indischen Intellektuellen suchte, der damals in der Altstadt von Delhi wohnte: Every writer in Delhi knows Nirad Chaudhuri, the most celebrated unknown in the world. I had an acquaintance – I would not dare call it more – with this extraordinarily perverse and touchy little genius for some time before I sought his help recently with a film I was making. This help I received in great measure, with all the engagingly arrogant humility, the wildly immodest self-deprecation for which in middle age he had become famous. (S. 105)
Es scheint mir plausibel, auch wenn eine solche Zusammenarbeit wahrscheinlich gar nicht formalisiert wurde, dass sich für James Cameron in der Person von Nirad Chaudhuri eines jener »Fenster« öffnete, von denen Charlotte Wiedemann spricht (2012, S. 34), durch das für ihn indische Positionen greif bar wurden.4 2 | Zumindest für einige anglofone ortsfremde Nachrichtenorganisationen ist es deshalb heute attraktiver, Inder direkt als Korrespondenten zu beschäftigen, anstatt teure Büros mit entsandten Korrespondenten zu unterhalten. Lokale »indische« Korrespondenten verursachen weniger Kosten und genügen den Anforderungen des indischen Berichterstattungsgebietes effektiver. 3 | James Cameron gilt als einer der profiliertesten »westlichen« Berichterstatter über den Weg Indiens in die Unabhängigkeit und pflegte persönliche Kontakte mit Persönlichkeiten wie Mohandas Gandhi und Jawaharlal Nehru (Cameron, 1975, S. 93-104). Ab 1960 begann James Cameron neben seinen Printarbeiten auch TV-Nachrichtenfilme und Dokumentarfilme zu produzieren, davon viele über Indien (IMDb, o.D.-a). Dabei entstanden Filme sowohl für die BBC als auch für das britische TV-Netzwerk ITV (Vahimagi, o.D.). 4 | Aus den mir zugänglichen Quellen war es allerdings nicht ersichtlich, um welchen Film es sich dabei handelt und auf welche Weise Nirad C. Chaudhuri mitwirkte. Nach
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James Cameron engagierte lokale Helfer auch ad hoc in Arrangements, die eher den Anforderungen entsprechen, wie reisende Journalisten sie heute an lokale »Fixer« stellen.5 Andere Auslandskorrespondenten und Nachrichtenorganisationen haben bei der Berichterstattung über das postkoloniale Indien der 1960er ebenfalls auf lokale Helfer zurückgegriffen; so der im kolonialverwalteten Kalkutta geborene Brite Mark Tully, der ab 1964 drei Jahrzehnte lang die BBC-Indienberichterstattung prägte (BBC News World Edition, 2001), die traditionell eine Art mediale Brücke des postkolonialen Indiens mit dem Westen bildete (Franks, 2012). Im Büro der BBC in New Delhi arbeitete er eng mit seinen indischen Mitarbeiterinnen6 zusammen. Zum Zeitpunkt meiner Forschung war eine dieser Mitarbeiterinnen, die in den 1980er Jahren bei der BBC angefangen hatte, weiterhin in der globalen Nachrichtenindustrie tätig und arbeitete als freie Produzentin mit einer Geschäftspartnerin in einer eigenen Produktionsfirma. Beginnend mit einem Besuch bei dieser »Grande Dame« des »Fixer«-Geschäfts bzw. des Geschäftes mit ausländischen Medienproduktionen möchte ich nun den Standpunkt lokaler Akteure der globalen Nachrichtenindustrie in Indien bei der Praxis globaler journalistischer Kooperation näher betrachten.
meinen Informationen haben weder Nirad Chaudhuri noch James Cameron über ihre Kooperation an anderer Stelle berichtet. Nirad C. Chaudhuri war für die Unterstützung eines britischen Filmprojektes jedenfalls hervorragend qualifiziert, denn er widmete sein intellektuelles Leben der komplizierten Beziehung zwischen der ehemaligen Kolonialmacht und ihren anglisierten indischen »Subjekten«. Sein eigenes Leben verlief in einer Art kulturellem Zwischenraum, was er in seiner »Autobiography of an Unknown Indian« (Chaudhuri, 1964/2007) verarbeitete. 5 | Den Begriff »Fixer« benutze James Cameron dabei nicht. In seiner Autobiografie »Point of Departure« (1967/2006) schreibt er etwa über einen »Tibetan-speaking guide«, der ihm 1949 helfen sollte über den chinesischen Umsturz in Tibet zu berichten. James Cameron thematisiert vor allem die Hilflosigkeit und Abhängigkeit, die er und ein »westlicher« Begleiter gegenüber ihrem lokalen Mitarbeiter empfanden – die Kommunikation habe sich schwierig gestaltet aufgrund dessen unzureichender Englischkenntnisse und des fehlenden Verständnisses für die Anforderungen des Auslandsjournalismus (Cameron, 1967/2006, S. 222-238). 6 | Warum die BBC in dieser Position offensichtlich nur Frauen beschäftigte, war nach Angaben von Shernaz Italia eher Zufall. Auf die Frage, ob die journalistische Arbeit in Indien, in Anbetracht meiner eigenen überwiegend männlichen indischen Gesprächspartner, vor allem eine »Männerwelt« ist, entgegnete sie: »It used to be. You know, the other really difficult thing was when we broke into this, it was that when we started hiring teams from here, local people and camera teams, they found it very difficult to think of a woman who is on top or in high position; very difficult. So that was another first. Now there are several women in the journalistic world, for sure. And now we also have some wonderful women colleagues« (Interview in New Delhi, 2013).
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Shernaz Italia 7 wohnt im Herzen von New Delhi. In ihrer Wohnung, weit weg vom Trubel der Altstadt, mit Blick auf den Connaught Place, den die britische Kolonialverwaltung inklusive strahlend weißer Säulengänge im klassizistischen Stil errichtet hat, berichtete sie mir von ihren professionellen Anfängen. Ihr erstes Engagement in einer ausländischen Filmproduktion habe sie bei Richard Attenborough in dessen Film »Gandhi« (1982) gehabt;8 über eine anschließende Tätigkeit in der BBC-drama-Abteilung habe sie den Weg in das BBC-Auslandsbüro von Mark Tully gefunden: »Mark said, that they really needed somebody who would help with documentary films. About needing permission and things like that. So I fell into it completely by chance« (Interview in New Delhi, 2013). Die Filmarbeiten wurden damals auf Grundlage analoger Produktionsverfahren durchgeführt, die Kommunikation war umständlich und das Reisen in Indien gestaltete sich weit mühsamer als heute. Für lokale Akteure wie Shernaz Italia bedeutete dies lange Engagements und oft »abenteuerliche« und improvisierte Arbeitsbedingungen: There were times when I had to go for three weeks on a production. In 1987 I had to go to the East Coast of India, to the Sundarbans, which is a mangrove forest. There was no way I could contact home or my parents because there were no phones. There was no way. Forget about mobile phones, there was no direct dialing. There was once when they had to do a film in Ladakh, and they realized they didn’t have enough film on stock. So I carried up a 16 mm-film all the way up. And the production manager at that time said that he couldn’t have done that. But I would go up with two rolls of film […] and all I could do at that time was to carry them in my jacket. So those were at the time, the circumstances that you had to do jobs. (Interview in New Delhi, 2013)
Ihre Position wurde zu diesem Zeitpunkt nicht als »Fixer« bezeichnet – sie sei als Büroassistentin engagiert und überall dort eingesetzt worden, wo es notwendig wurde; sie sei keine Angestellte der BBC gewesen, es habe keine Festschreibung ihrer Verantwortungsbereiche existiert. Trotzdem sei das BBC-Büro bald nicht mehr ohne sie ausgekommen: I was never staffed I was always completely freelanced. At that time it used to take three to six months to get permissions for a film. I learned on my own who to go to, where to go to, at which department to inquire […] When you create your own job, when you create 7 | Ihren Namen »Italia« verdankt sie ihrer parsischen und keiner europäischen Abstammung (Feldnotizen vom 01.05.2013). 8 | Damals arbeitete sie noch in der Maske. Es war ein Studentenjob, sie schrieb an einer wissenschaftlichen Arbeit über existenzialistisches Theater (Interview in New Delhi, 2013). Hier und im Folgenden beziehe ich mich, wie in den anderen Studien, auf Angaben, die meine Gesprächspartner innerhalb von Forschungsinterviews getroffen haben und die ich nicht nachprüfen kann.
Studie II: Standpunkt »Indien« your own purpose, you realize that all the time, because not only did I gain permissions but then people began to rely on me with research. Then people began to rely on me to come up with the stories. Then people began to rely on me to do translation, to be there on shoots. (Interview in New Delhi, 2013)
Die Notwendigkeit zur Beschäftigung von lokalen Mitarbeitern ergab sich also offensichtlich organisch aus den Schwierigkeiten der reisenden Journalisten vor Ort. Der bereits beschriebene Boom der indischen Medienbranche bzw. das wachsende Interesse an Indien von außen sowie die kontinuierliche Weiterentwicklung der Medientechnologie haben die Arbeit lokaler Akteure und ihre Position in der globalen Nachrichtenindustrie seit diesen ersten Aufträgen von Shernaz Italia bei der BBC stark verändert, so hat sich etwa die Präsenz von lokalen Akteuren in verschiedenen Rollen standardisiert. Heute ist es für ortsfremde Nachrichtenorganisationen in allen Medienformen selbstverständlich, in Indien mit lokalen Akteuren wie »Fixern«, »Stringern« oder lokalen Korrespondenten zu arbeiten. Wie Shernaz Italia haben auch meine anderen Gesprächspartner ihre Tätigkeit nicht als eine berufliche Karriere geplant, sie kamen teilweise über erhebliche Umwege zur globalen Nachrichtenindustrie.9 Die meisten lokalen Akteure hatten allerdings schon vorher professionellen Kontakt mit Medienberufen und haben schließlich im Auslandsjournalismus eine berufliche Nische gefunden. Zuvor arbeiteten sie typischerweise als Journalisten und Redakteure für indische Nachrichtenorganisationen oder waren wie Shernaz Italia auf die eine oder andere Weise in der Filmindustrie tätig. Solche lokalen Akteure haben meist eine umfangreiche Ausbildung, journalistische Erfahrung und verfügen über professionelle Netzwerke. Sie sind die Generalisten der Indienberichterstattung, die wie ihre Journalistenkollegen aus dem Ausland in der Lage sind, sich auf ganz unterschiedliche Themenfelder und organisatorische Herausforderungen einzustellen. Solche Generalisten können tief in die Strukturen globaler Nachrichtenorganisationen integriert sein und verantworten dabei häufig auch eigene Medieninhalte. Eine andere Gruppe lokaler Akteure steht im Gegensatz hierzu aufgrund ihrer Biografie bestimmten Themengruppen nahe. Sie haben sich darauf spezialisiert, ausländische Journalisten bei der Berichterstattung über bestimmte Regionen oder Themenkomplexe zu unterstützen, dort besitzen sie einen besonderen Erfahrungsschatz und wertvolle Kontakte. Sie müssen dabei über keine umfangreiche formale Bildung oder Vorerfahrungen in der Medienarbeit verfügen. Sie werden auch meist gar nicht aufgrund journalistischer Fähigkeiten engagiert und sind nicht zwingend an der Produktion von Inhalten beteiligt. Ihren Auftraggebern geht es in erster Linie um einen Zugang zu einer bestimmten Region oder 9 | Meine Gesprächspartner waren etwa im Vertrieb bzw. in der Werbung tätig oder hatten einen Job in der IT-Branche. Ich habe auch einen ehemaligen Touristenführer und Straßenverkäufer getroffen, einen ehemaligen Bauern und einen ehemaligen buddhistischen Mönch.
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einem speziellen Wissensbereich, der bei der Berichterstattung besondere Zugangsschwierigkeiten bereitet. Solche Spezialisten10 sind meist weniger stark in die ortsfremden Nachrichtenorganisationen integriert und nur indirekt an der Produktion von Inhalten beteiligt. *** Als der australische Fotograf Adam Ferguson 2011 nach Mumbai reiste, um eine Reportage für die New York Times zu fotografieren, war er dort bereits mit seinem lokalen »Fixer« verabredet, der ihn bei der Arbeit vor Ort unterstützen sollte. Das Thema der Reportage war das Leben in Dharavi, einem der größten Slums Asiens mit einer Millionenbevölkerung, dessen Name in Debatten oft sinnbildlich für den indischen Slum verwendet wird (Jacobson, 2007). Sein »Fixer« Dinesh Dubey, der selbst aus Dharavi stammt, berichtete mir im Forschungsinterview, wie er Adam Ferguson in die Textilfabriken, zu den Müllarbeitern und in die Slumhütten brachte, wo dieser für das Projekt fotografierte.11 Die Praxis der journalistischen Kooperation zwischen reisenden Journalisten und lokalen Akteuren betrifft häufig ein solches Herstellen von Zugängen. Das Herstellen von thematischen und praktischen Zugängen wie in diesem Fall bildet dabei einen ersten großen Praxisbereich (von drei Praxisbereichen) journalistischer Kooperation, von dem nach meiner Einschätzung eine signifikante Wirkung auf die Indienberichterstattung zu erwarten ist. Einmal, so berichtete mir Dinesh Dubey voller enthusiastischer Erinnerungen, habe er Adam Ferguson geholfen, auf das Minarett einer Moschee am Rande von Dharavi zu klettern. Das sei natürlich verboten gewesen, aber der Turm bot ihnen einen Standpunkt mit ausreichender Höhe, um die fehlende Totale des Slums zu fotografieren. Am frühen Morgen hätten sie dort lange ausgeharrt, berichtete mir Dinesh Dubey, bis das Licht die erwünschte Stimmung erzeugte und der Slum erwachte. Dann sei eine Frau genau im richtigen Moment aus ihrer Hütte getreten, um den Tag zu beginnen: »It’s just one woman, because we need one human activity otherwise the photo is not full, you know?« (Interview in Mumbai, 2013) Als die beiden wieder nach unten kletterten, erwartete sie dort die Polizei und nahm sie fest. Es sei ihm aber gelungen, die Speicherkarten mit den Fotografien auszutauschen und so die
10 | Es ist erforderlich, dass der Begriff Spezialist, wie ich ihn hier verwende, von einer fachjournalistischen Spezialisierung wie dem Wirtschaftsjournalismus unterschieden wird. So hat sich der »indische« Korrespondent des Wall Street Journal Nupur Acharya, von dem im nächsten Abschnitt noch die Rede sein wird, auf Wirtschaftsthemen spezialisiert. Dabei ist er aber doch in meinem Verständnis als lokaler Akteur ein Generalist (und eben kein Spezialist). 11 | Einige Fotografien können online in einer slideshow der New York Times aufgerufen werden (Ferguson, 2011).
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Fotografien zu retten, bevor die Kameras konfisziert wurden. Es sei ihm außerdem gelungen, Adam Ferguson und sich selbst aus der Situation herauszureden. Mit seiner Erzählung bringt Dinesh Dubey zum Ausdruck, dass er genau versteht, dass die Auftraggeber aus dem »Westen« nur durch seine Hilfe überhaupt in die Position versetzt werden, als Fotografen zu agieren. Der Fotograf sei vielleicht zu 75% für den Erfolg eines Projektes verantwortlich, sagte er: »But 25% will be mine, and that 25% will make every difference« (Interview in Mumbai, 2013). Als freiberuflicher »Fixer« und Slum-Spezialist hat er sich auf die Assistenz von Dokumentarfotografen spezialisiert und dabei gelernt, was dem Geschmack des »westlichen« Bildermarkts entspricht.12 Im Interview legte er großen Wert darauf, »echten« Fotojournalismus von Laienfotografie zu unterscheiden: »In the real journalism nothing is fixed« (Interview in Mumbai, 2013); außerdem ist für ihn offensichtlich auch die formelle Bildung seiner Kunden wichtig: »I am working with photojournalists who have proper degrees« (Interview in Mumbai, 2013). Das hat sicherlich damit zu tun, dass ihn solche Fotografen aus dem »Westen« für seine Unterstützung bezahlen.13 Aber wie noch gezeigt werden soll, ist dies nicht der einzige Grund, denn auch Dinesh Dubey hat journalistische Ziele. Angefangen als »Fixer« zu arbeiten hat der zum Zeitpunkt der Forschung 41 Jahre alte Dinesh Dubey etwa ein Jahrzehnt zuvor. Er wuchs als Kind von Arbeitsmigranten aus Uttar Pradesh in Dharavi auf und war dort später für eine lokale NGO tätig. Manchmal seien Journalisten gekommen, die Dharavi besuchen wollten; er habe ihnen unentgeltlich dabei geholfen, das Slumviertel zu erkunden. Irgendwann habe er das als eine Form von Ausbeutung wahrgenommen, erklärte er mir. Ein Freund habe ihn dann auf die Idee gebracht, ein Honorar zu verlangen und sich als »Fixer« selbstständig zu machen – in den folgenden Jahren wurde der Slum so zu seiner Geschäftsgrundlage. Zuerst habe er nur eine kleine Aufwandsentschädigung verlangt, doch mit der Zeit habe er sich immer mehr auf professionelle Journalisten konzentriert, anspruchsvollere Aufträge angenommen (auch außerhalb Mumbais) und seine Honorare erhöht.14 Die Zusammenarbeit 12 | Die Megacity Mumbai mit ihren über 18 Millionen Einwohnern (Government of India, 2011-a) ist ein farbenfroher Kosmos verschiedener Kulturen und Lebensweisen, sie ist außerdem Finanzzentrum und Filmmetropole, was alles gute Gründe sind, warum Journalisten aus dem Ausland über die Stadt berichten. Doch einer der wichtigsten »Medienexportschlager« der Stadt sind die ikonografischen »Ansichten« urbaner Armut, Bilder aus den Slums und Flüchtlingslagern, die in der Stadt überall zu finden sind. 13 | So scheint Dinesh Dubey lokale Fotografen als Konkurrenz zu scheuen: »What should the fixer do when the locals are becoming photographers, or are becoming journalists? Should we switch to another profession like media management, event management, where there is lots of money? Or should we impose some bindings on the local photographers or the photojournalists?« (Interview in Mumbai, 2013). 14 | Um die Privatsphäre meiner Interviewpartner zu schützen, habe ich weitestgehend darauf verzichtet, die Honorare so zu nennen, dass sie direkt mit Namen verknüpft sind.
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beschrieb Dinesh Dubey als erfüllend und von gegenseitiger Anerkennung geprägt: »I have a lot of respect for the photojournalists because they trust me a lot. After their wives, we fixers are the most caring people who are with them. And whenever we go sleep in one place, we stay bed to bed, like a family« (Interview in Mumbai, 2013). Die gemeinsame Arbeit mit sehr unterschiedlichen Fotografen und ihren Projekten bildete den Nährboden für eine umfangreiche professionelle Sozialisation, bei der er die Praxis seiner oft weltweit bekannten Auftraggeber vor Augen hatte. Einmal habe er etwa einen solchen renommierten Fotografen bei Arbeiten an einem Projekt zum Kohlebergbau im Bundesstaat Jharkhand begleitet.15 Tagelang seien dabei ihre Anstrengungen missglückt, das Leben der Menschen mit den Minen und deren ���������������������������������������������������������kumentieren. Es schien, als müssten sie unverrichteter Dinge wieder abreisen. Doch weder habe der Fotograf die Nerven verloren, um dann etwa zu versuchen, Dinesh Dubey dazu zu überreden, etwas zu inszenieren, noch habe dieser sein Projekt einfach aufgegeben: »He’s telling me, ›Dinesh, how can I go to my country if I don’t have this photo?‹ « (Interview in Mumbai, 2013) Diese Hartnäckigkeit imponierte Dinesh Dubey – sie arbeiteten bis zum letzten Tag, an dem dann, so berichtete er mir, exzellente Fotografien gelungen seien. Bei einem anderen Auftraggeber habe er dagegen beobachtet, wie dieser seine Fotografien mit Photoshop manipulierte: »He was in the category of some award winning. I was waiting for him. If he brought the award, I would have written a letter to the editor« (Interview in Mumbai, 2013). ���������������������������������������� In einem weiteren Fall habe er einen Fotografen nach einigen Tagen stehen lassen, weil dieser, statt mit eigenen Themen zu arbeiten, von ihm zu Orten gebracht werden wollte, wo zuvor die »Weltklasse« fotografiert hatte: »I said, ›No sir, that is why I’m not working with you, because you don’t have a subject. Every journalist has a subject. If you don’t have a subject then it’s no use. I’m not going to work with you. You have come here to copycat?‹« (Interview in Mumbai, 2013). An dem Umstand, dass Dinesh Dubey mehrfach Aufträge, wie er selbst sagt, trotz eines hervorragenden Honorars auf eine solche Weise abgelehnt oder abgebrochen hat, zeigt sich meiner Auffassung nach, dass er inzwischen spezifische Vorstellungen von journalistischer Praxis verinnerlicht hat. Seine eigene Tätigkeit versteht Dinesh Dubey allerdings als getrennt von der inhaltlichen Arbeit des Journalisten und schreibt ihr fluide, eher informelle Anforderungen zu: »Since we have not any degree in fixing in journalism, it is all about the knowledge of our work. Every time we do it, we have more field experience« (Interview in Mumbai, 2013). Gleichzeitig identifiziert er sich aber mit den spezifischen In einigen Fällen haben meine Gesprächspartner aber einer solchen Zuordnung ausdrücklich zugestimmt. 15 | Inzwischen nimmt Dinesh Dubey auch umfangreichere Aufträge in ganz Indien an. Während er zunächst ausschließlich in Dharavi arbeitete, hat er nun sein Profil kontinuierlich weiterentwickelt. Auch an anderen Orten kann er dabei auf sein biografisch erworbenes Wissen über den indischen Slum zurückgreifen.
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journalistischen Zielen, indem er sich etwa für eine würdevolle Darstellung der Bewohner von Dharavi einsetzt, ein Thema, für das er große Verantwortung zu verspüren scheint.16 Die Abgrenzung seiner eigenen Tätigkeit von der Tätigkeit eines »echten« Journalisten bedeutet in diesem Sinne keine Abgrenzung von der journalistischen Arbeit und ihrer »Aura«, mehr Lebensstil und Dienst im Sinne des Gemeinwohls zu sein als eine »gewöhnliche« Erwerbsarbeit. Wie den Journalisten geht es auch ihm mit seiner Tätigkeit als »Fixer« nicht nur darum, ein erfolgreiches Geschäftsmodell umzusetzen.17 Die Abgrenzung verweist vielmehr auf eine komplexe Vorstellung einer journalistischen Kooperation, einer Zusammenarbeit, die eine spezifische Arbeitsteilung voraussetzt. Als den eigenen Aufgabenbereich versteht Dinesh Dubey dabei vor allem das Herstellen eines thematischen und praktischen Zugangs, also alles, was die tatsächliche Präsenz des Journalisten vor Ort betrifft. Einerseits beschrieb mir Dinesh Dubey diese Tätigkeit als eine �����������������������������������������seitiges Vertrauen und gute Teamarbeit voraussetze. Erst mit seinem Motorrad könne er dem Fotografen etwa die notwendige Mobilität verleihen, um trotz der notorischen Überbelastung der Straßen in Mumbai beweglich zu bleiben.18 Auch das Management des Foto-Equipments beschrieb er als athletische Herausforderung.19 Andererseits hat er im Forschungsinterview aber auch intellektuelle Aspekte seiner Arbeit hervorgehoben – etwa das »Management einer Situation« als komplexe Translations- und Kommunikationsleistung, die zwischen dem Journalisten und den Menschen vor Ort erbracht werden muss, auch um einen Aktivitätsschatten zu erzeugen (von dem bereits in Studie I die Rede war), in dem der Fotograf seine Aufnahmen produzieren kann: »These are skills which we are the 16 | Wie stark er sich mit Dharavi identifiziert, zeigt er etwa mit seinem Alias: »Many journalists in Delhi you know, they call me Double D, but I prefer Tripple D, because DDD is Dinesh Dubay Dharavi, you know?« (Interview in Mumbai, 2013). Er repräsentiert Dharavi (bzw. die Bewohner von Dharavi) auch bei anderen Gelegenheiten nach außen; so gab er an, als Vertrauter und Manager der Familie der Kinderschauspielerin Rubiana Ali aus dem Kinofilm »Slum Dog Millionaire« (2008) tätig zu sein, die ebenfalls aus Dharavi stamme (Feldnotizen vom 09.01.2013). 17 | So berichtete er, bei episodischen Versuchen mit kommerziellen Aufträgen von Fernsehsendern oder Werbekunden unzufrieden gewesen zu sein: »I have gotten good money. But still money doesn’t satisfy me, my head feels not good […] it was lot of money, but happiness was very few times« (Interview in Mumbai, 2013). 18 | Ein wichtiger Test, ob die Zusammenarbeit mit einem Fotografen funktionieren kann, ist für Dinesh Dubey eine Probefahrt auf dem Motorrad: »I reach on the bike. First of all I ask, ›Will you go on the bike?‹ Then if he says yes, we go anywhere« (Interview in Mumbai, 2013). 19 | In seinem Profil auf LinkedIn, das er zur Akquise und als Visitenkarte nutzt, zeigte sich Dinesh Dubey zum Zeitpunkt der Forschung auf seinem Profilbild schwer beladen mit drei großen Spiegelreflexkameras und zusätzlichem Equipment (Dinesh Dubey, o.D.).
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top. We manage the guy and the photojournalist does the work« (Interview in Mumbai, 2013). Die Anforderungen hierfür sind, nach Dinesh Dubeys Erzählungen zu schließen, eine Mischung aus der Fähigkeit, »street-smart« mit Personen aus dem Slum zu interagieren, und dabei zugleich geistig für den »ausgebildeten«, aber sprachbeschränkten Journalisten und seine Bildideen zur Verfügung zu stehen.20 Früher habe er selbst Journalist werden wollen, sagte Dinesh Dubey. Es sei sein Ziel gewesen, dem Slum zu entkommen, um die Welt zu bereisen. Doch Armut und Lebensumstände zwangen ihn nach seiner Darstellung, die Schule schon nach wenigen Jahren zu verlassen. Mit seiner Tätigkeit als »Fixer« habe er nun einen anderen Weg gefunden, als Medienprofessioneller an der globalen Nachrichtenindustrie zu partizipieren und die Grenzen von Dharavi zumindest mental zu überwinden: It was my dream as a child to have a white-skinned pen friend. I had a dream that some white-skinned would want to have my friendship. Now I got the opportunity to go overseas to Canada, Taiwan, Singapore, you know? I didn’t go. I sent my wife, because now I don’t have it in my mind that I should go overseas. I am sitting here and everybody is coming here. (Interview in Mumbai, 2013)
Inzwischen lebt er mit seiner Kleinfamilie in einer Eigentumswohnung außerhalb des Slums, in der wir uns für das Forschungsinterview getroffen haben. Es ist ein kahler Betonrohbau ohne Putz und Innenausstattung, der aus einem Slumentwicklungsprojekt der Stadt hervorgegangen ist. Für ihn bedeutet die Wohnung einen großartigen sozialen Aufstieg, der auch durch die Dollarhonorare aus seiner Arbeit als »Fixer« möglich wurde. Eine wichtige Voraussetzung für dieses Einkommen war die umfangreiche Transformation der Arbeit lokaler Akteure, die seine Arbeitsweise erst möglich gemacht hat. Betrachtet man etwa die Rahmenbedingungen, wie sie Shernaz Italia in der BBC in den 1980ern beschrieben hat, dann war eine vollberufliche Tätigkeit als Spezialist damals wohl gar nicht möglich. Benötigte man Helfer mit Spezialkenntnissen, so wurden diese von den Auslandskorrespondenten vor Ort und ad hoc (aus einem völlig anderen beruflichen Kontext, aus den Universitäten oder aus einer lokalen Tageszeitung) als journalistische Assistenten engagiert – so beschrieb es auch Christoph Maria Fröhder im Forschungsinterview für sei-
20 | Vor allem die Gleichzeitigkeit der Aufgaben erfordere eine große Konzentration, sagte Dinesh Dubey: »When you’re talking with one human being, it is okay. When you’re talking with two human beings, you can manage, but when you’re talking with five human beings at the same time, it means you’re talking with a unique person« (Interview in Mumbai, 2013). Der Praxisbereich des Herstellens von kommunikativen Zugängen durch sprachliches und kulturspezifisches Handeln der lokalen Akteure wird im nächsten Abschnitt noch genauer thematisiert.
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ne journalistischen Reisen in verschiedene Länder ab den 1960ern (Interview in Frankfurt a.M., 2014). In seiner Wohnung zeigte mir Dinesh Dubey einen kleinen Schrein, der in einer Ecke des kahlen Raumes stand und in dem das Bildnis einer indischen Gottheit aufgestellt war: »One god« (Feldnotizen vom 09.01.2013), sagte er, und dann: »Second god«, während er lachend sein kleines rotes Subnotebook tätschelte, auf dem er mir während des Interviews Fotografien seiner Auftraggeber zeigte und nun aus seinem Blog auf Lightstalkers21 zitierte: Technology made the job possible. I was just zero before joining Lightstalkers but I’m a hero now […]. I’m very thankful for Lighstalkers, which has given a platform to expose our work, and we don’t pay a single penny. Around 90% of my clients have seen my profile on Lightstalkers and contacted me for work. Not a single client asked for a reference after seeing my profile in Lightstalkers. (Interview in Mumbai, 2013)
Die direkte Vermarktung seiner Dienste online ermöglicht es Dinesh Dubey, seine Dienstleistung so weit zu streuen, dass er nun als »Fixer« überwiegend zu einem Themenkomplex (Der Slum, indische Armut, Dharavi) für diverse individuelle Auftraggeber arbeiten kann.22 *** Ähnlich funktioniert auch die Selbstständigkeit von ��������������������������nem Dorf bei Leh im Bundesstaat Jammu und Kaschmir stammt und ebenfalls für Fotografen, aber auch für TV-Teams arbeitet. Zum Forschungsinterview traf ich ihn im Hauz Khas Park in New Delhi. Als ehemaliger buddhistischer Mönch schätzte er die Ruhe dieses Ortes in der hektischen Hauptstadt, sagte er. Gerne würde er in einer kleineren Stadt wohnen, aber von New Delhi aus könne er seine Projekte mit ausländischen Journalisten am besten akquirieren und planen. Wie schon Dinesh Dubey arbeitet auch Tashi Namgyal als freier »Fixer« mit ganz unterschiedlichen Auftraggebern zu einem einzigen Themenkomplex: dem Himalayagebiet zwischen Indien, Bhutan, Nepal und China. Tashi Namgyal berichtete, dass er abgeschieden und in ärmlichen Verhältnissen in einem Bergdorf aufgewachsen sei; schon als er zehn Jahre alt war, so begann er mir seine professi-
21 | Wie bereits in Studie I (Kapitel: 2.3 Wandel und Technologie) beschrieben wurde, verändern sich die Plattformen, über die Journalisten und ihre lokalen Akteure zueinander finden, kontinuierlich. Lightstalkers, das zum Zeitpunkt der Forschung noch eine wichtige Position einnahm, hat den Betrieb eingestellt. 22 | Einerseits benutzt er Internetplattformen als eine passive »Annonce«, mit der er seine Dienste bewirbt, er reagiert andererseits aber auch aktiv auf Suchanfragen von Journalisten, die zu seinem Arbeitsprofil passen.
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onelle Biografie darzulegen, habe er den Wunsch empfunden, durch Bildung die engen Grenzen seiner Herkunft zu überwinden: There was a festival in our village and at that time Leh’s people would come to the village, there would be a mass dance, many Buddhist monks and nuns. […] there used to be little businesses […] since I was a kid, I should have gone for a biscuit, but I went for the pen. (Interview in New Delhi, 2013)
Wenig später sei er in ein buddhistisches Kloster eingetreten, das es ihm ermöglicht habe, sein Dorf zu verlassen und eine gute Ausbildung in Südindien zu genießen. Mit dem Schulabschluss verließ er nach seiner Darstellung das Kloster, studierte und jobbte für ein IT-Unternehmen in Bangalore, um schließlich Journalist zu werden. Er habe dann für einige Lokalzeitungen geschrieben, berichtete Tashi Namgyal, damit habe er aber nicht genug Geld verdient. Stattdessen habe er begonnen, für eine Nichtregierungsorganisation zu arbeiten, die sich für das kulturelle Erbe der Bergregion von Ladakh einsetzte. In diesem Zusammenhang sei er einem britischen BBC-Journalisten begegnet, der Unterstützung suchte für Interviews auf Ladakhi, der Muttersprache Tashi Namgyals. Dieser Journalist habe ihn auf das Arbeitsfeld der »Fixer« aufmerksam gemacht und darauf verwiesen, wo Journalisten im Internet nach lokaler Unterstützung suchen. Wie Dinesh Dubey fühlt sich Tashi Namgyal bei seiner Arbeit heute innerlich seiner spezifischen lokalen Herkunft verpflichtet: »India is such a big country, and our people’s representation is very low. You can see many films but you can see nobody from our place. […] I want to show that our philosophy is good, our civilization is equal to what you have« (Interview in New Delhi, 2013). Seine Tätigkeit sieht er als eine Möglichkeit, positive Aufmerksamkeit für die Bergwelt mit ihren Traditionen und ihrer Schönheit zu generieren und auf Probleme aufmerksam zu machen: »I want to bring up important issues, like we have global climate change. �������������ing a documentary film on climate change in the Himalaya. Those are issues I like to take on« (Interview in New Delhi, 2013). Zwischen dem Selbstverständnis von Dinesh Dubey und Tashi Namgyal bestehen aber wichtige Unterschiede. So ist Tashi Namgyal nicht bereit, wie es Dinesh Dubey beschrieben hat, seine eigenen professionellen Ambitionen klar von denen des reisenden Journalisten abzugrenzen.23 Vor einiger Zeit habe er sich eigenes Filmequipment gekauft und versuche nun, seine Fähigkeiten zu erweitern, sich weiterzubilden, um einmal selbst Dokumentarfilme zu produzieren.
23 | Dinesh Dubey bezweifelt sogar grundsätzlich, dass es für einen »Fixer« überhaupt ohne Weiteres möglich sei, als Fotojournalist zu arbeiten: »Very few fixers have changed their passion and gone to the photojournalism. […] Because being a photojournalist, you need a degree. I’m always educating in this« (Interview in Mumbai, 2013).
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Durch diese weniger klare Arbeitsteilung entstehen Konflikte. Einmal sei es etwa zum Streit mit einem Fotografen gekommen – diese Auseinandersetzung habe Tashi Namgyal seinen Auftrag gekostet: I was asking how to take the photos. He must have felt that I didn’t know anything about taking photos and that I was disturbing his work. So maybe, that is my thinking, because of that he dropped me and he took some other person. (Interview in New Delhi, 2013)
Dinesh Dubey wäre nach meiner Einschätzung nicht auf die Idee gekommen, sich in die Arbeit des Fotografen »einzumischen«. Doch trotz dieser Unterschiede gehören beide zu einer relativ »neuartigen« Gruppe von lokalen Akteuren, die als Spezialisten in der globalen Nachrichteinindustrie professionell zu einem Thema arbeiten, mit dem sie biografisch eng verbunden sind. Ihren eingeschränkten Themenkreis gleichen sie durch die Internetakquise von Aufträgen aus. Das ermöglicht ihnen direkten Zugang zu Journalisten verschiedener Nationalitäten und unterschiedlicher Organisationen, die mit ganz verschiedenen Produktionsformen zu diesem Spezialthema arbeiten wollen. *** Die Unterscheidung von Generalisten und Spezialisten darf nicht als Hinweis auf statische Eigenschaften lokaler Akteure missverstanden werden, alle Schattierungen zwischen diesen rein theoretischen Polen sind möglich. Eine Unterscheidung ist analytisch aber insofern hilfreich, als dass sich mit der Nähe zu einem Spezialgebiet die Arbeitspraxis lokaler Akteure sichtbar verändert. So werden Kontakte und Kenntnisse aus privaten Lebensbereichen von Spezialisten für die Arbeitswelt genutzt. Bei Generalisten habe ich dagegen eine tendenzielle Abtrennung dieses »Eigenen« beobachtet. Shernaz Italia, die mit einem parsischen Hintergrund und den daraus erwach senden potenziellen Zugängen in die Welt der zarathustrischen Religionsgemeinschaft selbst ein attraktives Thema für Dokumentation biografisch abdeckt, will diese Nähe keinesfalls für ihre Arbeit nutzen: They planned a BBC film. They wanted to do a film on vultures, because we are disposing our dead in Bombay on the tower of death. They wanted to film that, they wanted to shoot from a building and I said, ›No, it’s going to cause unbelievable problems to you as well as to me‹. (Interview in New Delhi, 2013)
Die Spezialisten Dinesh Dubey und Tashi Namgyal tragen im Gegensatz hierzu die eigene soziale und regionale »Identität« in die globale Nachrichtenindustrie und erleben diesen Transfer von Wissen und die erzeugte Aufmerksamkeit für ihre Themen als sinnstiftend.
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Um thematische und praktische Zugänge für ein Medienprojekt herzustellen, verwenden Generalisten also andere Strategien als die Spezialisten und greifen weniger auf bestehende lokale Kontakte zurück. Ein thematisch besonders wandlungsfähiger lokaler Partner (Generalist) für ortsfremde Nachrichtenorganisationen ist Uday Sripathi, den ich bereits in der Einleitung erwähnt habe. Für das Forschungsinterview lud er mich in seine Wohnung in Versova ein, ein gehobenes Stadtviertel von Mumbai. Als ich dort ankam, war er gerade dabei, seine Koffer zu packen, um nach New Delhi zu fliegen. Für das amerikanische TV-Netzwerk NBC hatte er dort ein Interview mit dem Vater des Opfers eines aufsehenerregenden Sexualmordes organisiert, der damals international die Schlagzeilen dominierte.24 Uday Sripathi erklärte mir, dass er hauptsächlich im Auftrag oder gemeinsam mit den TV-Teams von »westlichen« Nachrichtenorganisationen tätig sei. Die Koordination sei aufreibend, sie erfordere eine komplexe Organisation und viel filmisches Fachwissen. Doch für ihn sei die Arbeit als freiberuflicher Indienkoordinator eine äußerst attraktive journalistische Nische: This is a kind of life that no one has, if you like adventure, if you like the ramble lifestyle, then just do it. The money is good. You are making money that not many people can make in Indian media. You are earning in a foreign-currency and living in India, according to Indian standards you can definitely lead a nice life. And also the adventure is there. More important than the money is the adventure, the interesting topics, the kind of people that you meet, the travel that you are doing. […] I have traveled to so many places. I meet so many different people in different topics which no other person would be able to do it in their lifetime. […] It’s first hand. I’m personally doing it. That is the kick that I get from it. (Interview in Mumbai, 2013)
Uday Sripathi ist ein lokaler Akteur globaler Nachrichtenindustrie in ganz unterschiedlichen Rollen. Er arbeitet sowohl als Journalist redaktionell für verschiedene nordamerikanische und europäische Sender, unterstützt aber gleichzeitig auch TV-Teams bei komplexen Filmprojekten in Indien. Für die NBC arbeitet er als Korrespondent, außerdem hat er auch schon mit der Kamera gearbeitet und betätigt sich als Drehbuchautor (Feldnotizen vom 08.01.2013). Sein Interesse liegt vor allem bei den harten, auch konfrontativen Themen, die von einer Aura der Gefahr umgeben sind: »The more dangerous, the more likely that I will do it« (Interview in Mumbai, 2013). Er berichtete live im US-Fernsehen über
24 | Der sogenannte »Delhi gang rape«-Fall vom Dezember 2012 erregte nicht nur in Indien große Empörung, sondern generierte auch internationale Aufmerksamkeit (Mandhana & Trivedi, 2012). Die »westliche« Indienberichterstattung »entdeckte« damals die Unterdrückung der Frau in der ind is chen Gesellschaft als eine neue, zentrale story line.
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die Terroranschläge in Mumbai 200825, er brachte Journalisten zu den Kämpfern in Naxalitencamps und er half Chris Hansen von CBS bei einer umfangreichen investigativen Recherche über illegale Testreihen »westlicher« Pharmakonzerne in Indien (Sandler, 2012). Schließlich enden seine Ambitionen weder an den Grenzen Indiens26 noch hat er sich gänzlich auf das TV-Geschäft spezialisiert, vielmehr arbeitet er auch mit Fotografen, Textjournalisten und ortsfremden Nichtregierungsorganisationen. Was Uday Sripathi als Generalist zu den genannten Themen und regionalen Kontexten zu bieten hat, sind keine direkten Kontakte. Doch da er ein umfangreiches Kontaktnetz in der Medienbranche sowie in verschiedenen Bereichen der indischen Gesellschaft unterhält, ist es ihm trotzdem möglich, die richtigen Zugänge zu erarbeiten: »Even if you don’t have the contacts, you have to make contacts [...]. You should know how to create a contact. You should know that for this project I have to reach step Z and I’m only at A.« (Interview in Mumbai, 2013). Als die in Studie I vorgestellte italienische Fotografin Albertina d’Urso eine Reportage über Prostitution in Mumbai plante, da suchte sie in Sorge um ihre Sicherheit einen besonders erfahrenen lokalen Partner.27 Sie entschied sich dafür, mit Uday Sripathi zu arbeiten: I could not find a fixer who is actually connected with this subject, it’s impossible. Uday was a really professional person and he had a car. That was very important, because we had to go out especially in the night and if there was some problem you had to […] kind of get away. It was probably the only option, I had to hire someone who’s really professional. I found out that he also worked with TV crews […]; they’re stricter than photographers, so I trusted him. (Interview in Genova, 2014)
Uday Sripathi verfügt über ausreichend soziales Kapital, um Vertrauen bei seinen Auftraggebern herzustellen: Eine Fotografie auf seinem öffentlichen LinkedInProfil zeigt ihn mit dem US-Botschafter (Sripathi, o.D.); als US-Präsident Barack Obama 2010 Indien besuchte, da koordinierte er als eine Art »first fixer« den Besuch des White House Press Corps (Feldnotizen vom 08.01.2013).
25 | Das Beispiel der Berichterstattung über die Terroranschläge zeigt die »Standortvor teile« eines lokalen Akteurs, der wie Uday Sripathi gleich vor Ort ist, wenn er benötigt wird: »I switched on my phone and I got lots of text, emails, voice messages from NBC. It was like, ›Uday where are you? Are you available for interviews? Would you please call us back immediately?‹ […] ITN called at the same time from the UK. […] For two days I was giving live interviews on US-television« (Interview in Mumbai, 2013). 26 | Für Dokumentarfilmprojekte hat er auch schon in Afrika gearbeitet und er berichtete mir von einem geplanten Filmprojekt in China (Feldnotizen vom 08.01.2013). 27 | Die Fotografien ihrer Reportage »Bodies for sale, Mumbai« können auf der Internetseite der Fotografin betrachtet werden (D’Urso, o.D.).
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Doch wie helfen solche Kontaktnetze dabei, einen Zugang zur Unterwelt von Mumbai herzustellen? »So how do I start? I don’t know any sex workers. I don’t know any prostitutes,« erinnerte sich Uday Sripathi im Forschungsinterview: »I was just sitting with my friend and I said, ›I have this project and I don’t know where to start. I need this one breakthrough.‹ » (Interview in Mumbai, 2013). Der »Durchbruch« ließ nicht lange auf sich warten, weil der Freund ein Filmemacher war und Uday Sripathi natürlich wusste, dass dieser kürzlich einen Film über einen ehemaligen männlichen Sexarbeiter produziert hatte. Diese Person wiederum hatte die nötigen Kontakte und stellte Uday Sripathi einer Zuhälterin vor: He introduced me to her saying, ›This is my friend.‹ Then he said, ›Why don’t we all meet up for drinks tomorrow?‹ She agreed, so next evening we met for drinks and you know, I paid for the drinks and stuff. She suggested that next weekend, ›Why don’t we party together?‹ […] She liked my company, that kind of thing. We partied and then I dropped it. I said that, ›I’m doing this project, what do you think?‹ I wanted it to sound like it was her idea, you know. Not as I was convincing her to do it. She said, ›Yes you should. You should talk about our lives.‹ (Interview in Mumbai, 2013)
Aus dieser Erzählung wird deutlich, dass Uday Sripathi sich von außen in den Raum seines Themas begibt, er arbeitet nicht anders als ein investigativer oder reisender Journalist aus dem »Westen«.28 Damit unterscheidet sich sein Standpunkt in der globalen Nachrichtenindustrie beträchtlich von dem des Spezialisten, womit natürlich auch die journalistische Kooperation einen ganz anderen Charakter erhält.29 Der professionelle Lebenslauf von Uday Sripathi führte zwar nicht direkt in eine Tätigkeit in der globalen Nachrichtenindustrie, aber der Einstieg in die globale Nachrichtenindustrie erfolgte aus der Medienarbeit heraus. Als wir uns für das Interview trafen, war er 36 Jahre alt. Er stammt aus Südindien, sein Vater Sripathi Panditharadhyula Rajaram (IMDb, o.D.-b) war Kinoregisseur und Pionier des Telugu-Films: »I was always exposed to filmmaking and stuff like that. I used to visit him on the sets, you know« (Interview in Mumbai, 2013). Nach der Schule begann Uday Sripathi zunächst ebenfalls damit, in der Filmindustrie zu arbeiten. Doch als Regieassistent blieb er in Südindien finanziell erfolglos und entschied 28 | Natürlich ist er im Kontext der globalen Nachrichtenindustrie im weiteren Wortsinn auch ein »Indienspezialist«, was ihn ja gerade zu einem lokalen Akteur in der globalen Nachr ichtenindustrie macht. 29 | Vereinfacht könnte man sagen, im Falle der Zusammenarbeit mit Generalisten handelt es sich um den Eintritt von zwei »Außenseitern« in ein Themenfeld, bei dem der eine den anderen für die Organisation des Besuches bezahlt. Bei der Zusammenarbeit mit einem Spezialisten kann es sich dagegen auch um den Eintritt eines »Außenseiters« hand eln, der gegen Bezahlung oder Gegenleistung (Berichterstattung) mehr oder weniger direkten Zugang zu seinem Themenfeld erhält.
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sich zunächst, wie so viele seiner Altersgenossen, am IT-Boom in Bangalore der 1990er Jahre teilzuhaben und arbeitete dort für eine Softwarefirma. Als ihn diese Tätigkeit langweilte, zog er nach Mumbai, um als Assistent für Bollywood-Produktionen zu arbeiten. Über die neuen Filmkontakte, so stellte Uday Sripathi seinen Werdegang dar, habe er schließlich den Zuschlag erhalten für einen entscheidenden ersten Job als Produktionsassistent bei einer US-amerikanischen Dokumentarfilmproduktion in Indien; dieser Auftrag habe ihm dann die Tür für weitere lukrative Arbeitsangebote aus dem Ausland geöffnet (Interview in Mumbai, 2013). Heute hat Uday Sripathi durch seine regelmäßige Arbeit für NBC und andere »westliche« Nachrichtenorganisationen ein stabiles Einkommen. Er betonte im Interview, dass es für den Erfolg von lokalen Akteuren in der globalen Nachrichtenindustrie entscheidend sei, früh in journalistische Beziehungen zu investieren und diese langfristig zu entwickeln: There was this unknown journalist who came here and he did not have the money to pay a fixer. I actually processed his journalist visa. I sent him an invitation letter. […] I did all that for him. I brought him here. I gave him contacts. I told him that these are the things you can do. […] He might not have a budget now but maybe in the future he may have a budget. This is kind of like an investment. You must keep investing in people. […] I have done this for you and next time you better come with a big job and take me. Something like that. (Interview in Mumbai, 2013)
Selbst wenn unmittelbar keine lukrative Geschäftsbeziehung entsteht, lohnt es sich für lokale Akteure offensichtlich, in Vorleistung zu gehen. Shernaz Italia investiert ebenfalls auf diese Weise in Beziehungen: »I did that for somebody and then he went on to become a really big producer and then, when he had the money, I could charge what I wanted, because he did have the money now. It’s long term relationships that pay off« (Interview in New Delhi, 2013). Wenn lokale Akteure über die Internetakquise dagegen bei fast jedem Projekt mit einem neuen Auftraggeber zusammenarbeiten, fehlt ihnen diese Kontinuität. Die Spezialisten, mit denen ich gesprochen habe, wechselten bei der Organisation ihres Berufs häufig ihre Auftraggeber und nur selten bestanden stabile Arbeitsverhältnisse mit einem regelmäßigem Einkommen, während die Generalisten angaben, tendenziell enge und langjährige Beziehungen mit wenigen ortsfremden Nachrichtenorganisationen zu pflegen.30 Uday Sripathi berichtete sogar, dass er 30 | Dabei konzentrieren sich die Generalisten weitestgehend auf ein Segment der Medienarbeit, wie TV-Produktion, Fotografie oder die Tätigkeit als Textkorrespondent für jeweils spezifische Nachrichtenorganisationen. Außerdem werden Arbeitsbeziehungen entlang kultureller bzw. sprachlicher Linien entsprechend der jeweiligen Auftraggeber organisiert, wie mir Shernaz Italia erläuterte: »There are some people who only work with French people […]. Japan has a whole entity on its own. There are some people who know Japanese and they will work for them« (Interview in New Delhi, 2013). Die meisten lokalen
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seit einiger Zeit ganz damit aufgehört habe, seine Dienste aktiv auf Online-Plattformen zu vermarkten. Die meisten seiner Aufträge würden stattdessen aus den Auslandsredaktionen stammen, mit denen er regelmäßig arbeitet. Hinzu kämen persönliche Empfehlungen auf Basis der eigenen Reputation31: »I gave my best. I gave my 100% to every project. Each project which I took, I executed successfully. So slowly, slowly my name spread around, my fame grew« (Interview in Mumbai, 2013). Auch Amit Vachharajani, den ich in Mumbai im »Trendbezirk« Bandra für ein Forschungsinterview bei europäischem Cappuccino in der Filiale einer indischen Caféhauskette ������������������������������������������������������������������richtenindustrie tätig ist32, betonte die entscheidende Bedeutung der »Mundpropaganda« für seine Arbeit: »So earlier, say, you worked with 10 people in a year. Now those 10 people go and refer you to other 10 people. So exponentially the number of people who know you increases« (Interview in Mumbai, 2013). ��������������������nalisierte Form von »Mundpropaganda« verwies er außerdem auf interne Listen, mit denen Redaktionen innerhalb der Nachrichtenorganisationen ihre lokalen Kontakte austauschen würden: »Over the years I got on the BBC fixers list, they have an international fixer list. So every time somebody with a BBC production is looking for somebody to shoot in India, they look at that to find out who are the fixers« (Interview in Mumbai, 2013). Seit er den relevanten Auslandsredaktionen bekannt sei und auf solchen Listen präsent sei, betreibe auch er für neue Aufträge als lokaler Produktionspartner keine aktive Akquise mehr.33 »indischen« Akteure aber sprechen mit ihren Auftraggebern Englisch, egal woher diese stammen – so auch alle meine Gesprächspartner, bis auf den Dokumentarfilmer Anand Bhaskar Morla, der in Frankreich studiert hat und hauptsächlich französische Auftraggeber betreute. Für ihn ergab sich daraus ein Wettbewerbsvorteil: »I am very accustomed to their culture. Even if there’s a big problem, I would know how to explain it to them. […] My duty is to make sure the crew is not worried about anything. So I know how to explain them something, reassuring them that it’s going to be okay« (Interview in New Delhi, 2013). 31 | Auch Dinesh Dubey legte in unserem Forschungsinterview großen Wert darauf, zu betonen, dass eine tadellose Reputation entscheidend sei. Allerdings bezieht er sich auf ein öffentliches Referenzsystem im Internet: »I’m working that not a single journalist should go and write bad words. […] I will never make that situation, because this is the asset which I have got. Nothing more, you know?« (Interview in Mumbai, 2013). Bei der »Mundpropaganda« der Generalisten geht es dagegen um eine nicht-öffentliche Reputation, die auf den Erfahrungen einer spezifischen Gruppe von einflussreichen Journalisten beruht. 32 | Heute betreut er meist TV-Produktionen für Auftraggeber wie die BBC, arte, National Geographic oder den Discovery Channel. Er arbeitet aber auch mit Werbekunden wie Deutsche Bank, Ikea, Google oder Nokia, die ihn ebenfalls für ihre Produktionen in Indien engagiert haben (Backpack Films, o.D.). 33 | Allerdings stellt sich die Frage, ob die BBC solche Listen zentral führt, was Mike Garrot von worldfixer für unwahrscheinlich hält (Kapitel: 2.3 Wandel und Technologie). Wahr-
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Bei der Organisation ihrer Arbeit nehmen die Generalisten der Indienbericht erstattung einen Standpunkt ein, der in der globalen Nachrichtenindustrie deutlich näher an den »westlichen« Journalisten und Nachrichtenorganisationen lokalisiert ist, als dies für die Spezialisten zutrifft, die ich getroffen habe.34 Bemerkenswerterweise scheint es dabei irrelevant zu sein, dass der »Westen« biografisch für Amit Vachharajani (im Gegensatz etwa zu Uday Sripathi) nur indirekt erfahrbar wurde: I’ve never lived abroad. Not even gone to any other country. They come here. I understand. I read a lot. You see a lot of Western television film. […] I met so many people whose minds are […] exposed to Western culture. It’s not that odd for me to understand […] I understand cultural references. (Interview in Mumbai, 2013)
Amit Vachharajani wurde in einer postkolonialen Gesellschaft sozialisiert. In seinem Umfeld, er wuchs als Sohn eines Arztes in einer kleinen Stadt im Bundesstaat Gujarat auf, gehörte »westliche« Kultur und im Speziellen die Medienprodukte und Filme aus dem »Westen« zum Alltag und wurden begeistert aufgenommen. Manchmal, so berichtet er mir, sei er mit seinem Vater über hundert Kilometer in einem Taxi zum nächsten Kino gefahren, um einen bestimmten Hollywood-Film zu sehen.35 Heute nützt ihm sein Wissen über die »westliche« Lebensweise und ihre Medienkultur bei der Arbeit in der globalen Nachrichtenindustrie. Es hilft ihm dabei, die professionellen Bedürfnisse und Positionen der »westlichen« Journalisten zu verstehen, die sich in diesem Referenzsystem bewegen. Außerdem ermöglicht es ihm aber auch, grundsätzlicher zu verstehen, warum das Thema »Indien« (und was an diesem Thema) seine Kunden überhaupt interessiert: scheinlicher ist wohl, dass diese in spezifischen Redaktionen geführt werden. Entscheidend ist aber, dass Amit Vachharajani verantwortlichen Programmmachern in der BBC bekannt ist. Als Produzent plant und verwirklicht er inzwischen sogar eigene Dokumentarfilme, die er nun seinerseits den Redaktionen anbietet (Feldnotizen vom 15.04.2013). 34 | In Studie I (Kapitel: 2.1 Reisende Journalisten mit lokalen Akteuren vor Ort) habe ich bereits dargestellt, warum eine gewisse Nähe des Standpunktes, also journalistische Erfahrung und Wissen über die globale Nachrichtenindustrie aufseiten der lokalen Partner, für einige reisende Korrespondenten besonders wichtig ist. Die Nähe eines Standpunktes zum anderen muss dabei natürlich als eine theoretische und bildhafte Formulierung verstanden werden. Mit Nähe verweise ich auf den Umstand, dass diese Generalisten mit den »westlichen« Massenmedien, ihrer »Arbeitskultur« und der »westlichen« Lebensweise vertraut sind. Colleen Murrell verwendet den Ausdruck »people like us« oder kurz »PLU«, um diese Nähe zu beschreiben (2015, S. 150). 35 | Seine Eltern hatten offensichtlich ein ausgeprägtes kulturelles Interesse und berichtete, dass es in seinem Haus auch zahlreiche englische Bücher und Magazine gegeben habe (Interview in Mumbai, 2013).
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Korrespondenten des Wandels I feel that mostly in the West, life is much more regimented, in very clear and precise blocks. […] everything is much more sterile. And you have less people there. Everything always works. Traffic works like this. The government works pretty much efficiently. It goes up and down. But on the whole, everything is much more streamlined. And we would have this huge variety of things in India […]. There’s no end to stories which you can find. […] India has that treasure of stories and characters and issues. That’s what I feel: it attracts. (Interview in Mumbai, 2013)
Amit Vachharajani ist also mit dem »westlichen« Blick auf Indien vertraut und hat gelernt, die eigene Dienstleistung in diesem Sinne zu »verkaufen«. Auf der Homepage seiner Produktionsfirma Backpack Films zitiert er aus den Memoiren des britischen Reiseschriftstellers und Abenteurers Eric Newby. Lamentierend notierte dieser in den 1960ern über die »indische Situation«: »In India even the most mundane inquiries have a habit of ending this way. There may be two answers, there may be five, a dozen or a hundred; the only thing that is certain is that all will be different« (Newby, 1966/2011, S. 136). Die Kontextualisierung dieses Zitats mit dem eigenen Angebot einer journalistischen Partnerschaft vor Ort verstehe ich als eine positive Aneignung einer (im orientalistischen Sinne behaupteten) »indischen Irrationalität«, bei der die Gleichzeitigkeit widersprechender Wahrheiten zu einem Wert, zu einem Abenteuer wird, dessen kontrollierte Erkundung Amit Vachharajani verspricht.36 Gegenüber seinen Auftraggebern präsentiert er sich als routinierter »Manager« einer vom »westlichen« Standpunkt aus empfundenen faszinierenden bis beängstigenden »indischen« Vielfältigkeit. Oft stehen Generalisten vor dem Problem, auch selbst diese »indische« Vielfältigkeit nicht abdecken zu können. Amit Vachharajani pflegt deshalb ein Netzwerk aus weiteren lokalen Akteuren, die noch näher am jeweiligen Themenkontext positioniert sind: »For example, if I need help in Calcutta to set up stuff. For me it would take me 10 days to get a permission. It helps if I have somebody in Calcutta to do that for me« (Interview in Mumbai, 2013). Eine Zusammenarbeit zwischen verschiedenen lokalen Akteuren sei vor allem dann effektiv, wenn wiederum eine klare Arbeitsteilung bestehe: »It’s better to have somebody in that area who might not be very experienced, but could help me do certain things right. […] I will oversee and supervise them« (Interview in Mumbai, 2013). Was er dabei mit »who might not be very experienced« meint, scheint mir ähnliches zu bedeuten wie das, was ich mit dem Spezialisten zum Ausdruck bringe – also lokale Akteure, die selbst keine kontinuierlichen und vielleicht sogar gar keine eigenen Arbeitsbeziehungen in die globale Nachrichtenindustrie pflegen, aber in einem bestimmten Kontext über Spezialkenntnisse verfügen und vor allem deshalb engagiert werden. 36 | Ob die Auswahl des Zitates dabei vielleicht sogar mit einer subtilen Ironie erfolgte, in Hinblick auf den Umstand, dass Eric Newby sich in dieser Passage (1966/2011, S. 136) auf seinen namenlosen lokalen Helfer bezieht, der in seinem Buch nur als »G.« erscheint und eine rätselhafte bis problematische Rolle einnimmt, sei dahingestellt.
Studie II: Standpunkt »Indien«
Unterhalb der Ebene des ortsfremden Auftraggebers kann sich bei größeren Dokumentarfilmprojekten oder bei der kontinuierlichen Nachrichtenberichterstattung eine eigene »indische« Arbeitshierarchie etablieren. Vor allem die Generalisten beschreiben ein Delegationssystem, bei dem das Management von lokalem Wissen durch den ortsfremden Auftraggeber vollständig an den lokalen Produzenten übertragen wird, der dieses Wissen aber nicht selbst besitzt, sondern über die notwendigen Kontakte, Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, dieses effektiv zu akquirieren. So berichtete auch Uday Sripathi im Forschungsinterview, dass er manchmal lokale Helfer engagiere: »You see, sometimes I join with local fixers. […] I definitely need help to go through the bureaucracy process I cannot do it alone. I need someone who could speak the local language« (Interview in Mumbai, 2013). Dass lokale Akteure bei ihrer Arbeit mit anderen lokalen Akteuren zusammenarbeiten, ist aber nicht ausschließlich Praxis der Generalisten – auch Spezialisten unterhalten solche Kontaktnetze, die aber anders funktionieren. Der Slumspezialist Dinesh Dubey beschrieb einen Tauschhandel den er offensichtlich nutzt, um außerhalb Mumbais zu arbeiten: So for example there is a local guy in Tamil Nadu, and he is an illiterate guy. He is an illiterate fixer. But for us, he is our brother. He is the same guy as we are. […] We have a circulation […]. There is no payment, we have some get together. […] like he does my work there, I do his work here. It’s not compensated on the money, it’s compensated on the work, you know? (Interview in Mumbai, 2013)
Die Gesamtkoordination einer Produktion in Indien, bei der lokale Akteure auf verschiedenen noch »regionaleren« Ebenen (z.B. auf der Ebene einzelner Drehorte) weitere lokale Akteure (meist Spezialisten) engagieren und betreuen ist allerdings eher ein Charakteristikum der Arbeitsweise eines Generalisten.
3.2 L ok ale A k teure im S pannungsfeld I ndienberichterstattung
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Neben einer Differenz in der Arbeitsweise unterscheiden sich Generalisten und Spezialisten auch in der jeweiligen Ausgestaltung ihres Arbeitsverhältnisses, das sie mit der globalen Nachrichtenindustrie verbindet.37 Die Spezialisten arbeiten in den mir bekannten Fällen meistens als Freiberufler;38 sie werden in der glo37 | Unterschiede in der journalistischen Kooperation werden aber natürlich auch durch die verschiedenen Medienformen bedingt, in denen lokale Akteure reisende Journalisten bei ihrer Arbeit unterstützen. Ein TV-Team hat ganz andere Anforderungen an die lokalen Partner als ein Printjournalist. 38 | Bei alternativen Nachrichtenorganisationen können Spezialisten allerdings mit einem Gehalt vertraglich gebunden sein. Die Korrespondenten von India Unheard bei-
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balen Nachrichtenindustrie typischerweise als »Fixer« auf Basis eines Honorars tageweise oder für einige Wochen engagiert. Typischerweise erfolgt dabei keine direkte inhaltliche Mitarbeit, bei der kontinuierlichen aktuellen Berichterstattung werden Spezialisten aber auch als »Stringer« zur Produktion von Inhalten (oder Teilen von Inhalten) engagiert. Zwar sind auch viele der Generalisten, die ich getroffen habe, freiberuflich tätig, doch im Unterschied zu den Spezialisten ist für Generalisten auch eine Karriere innerhalb der ortsfremden Nachrichtenorganisationen als lokale Korrespondenten möglich.39 »Are Foreign Correspondents Redundant?« (2010), fragte Richard Sambrook mit seinem bereits im Einführungskapitel erwähnten Buch und spielt damit auf den Umstand an, dass solche lokalen Akteure zukünftig die entsandten Korrespondenten ersetzen könnten. Im Foreign Correspondents‹ Club of South Asia in New Delhi traf ich den Journalisten und TV-Korrespondenten Sanjay Jha, der das durchaus für möglich hält. Das Argument des »ersten Eindrucks«, wie Charlotte Wiedemann es ausdrückt, oder wie er im Forschungsinterview selbst sagte, der »freshness« in der Arbeit eines ortsfremden Korrespondenten, lässt Sanjay Jha dabei nicht gelten: »Where does the freshness come from? I understand that it comes from a different civilization, different culture. Foreigners see things in different light. But they leave this freshness, they become local« (Interview in New Delhi, 2013). Doch vor allem aus wirtschaftlichen Erwägungen hält er das Entsendungsprinzip für wenig nachhaltig: I think in the coming time the whole era of foreign correspondents is going to end. There are a couple of reasons for that. One is, that the higher end organizations will not have the money to fly their own high profile correspondents as they are doing it at the moment. Because of sanctions, because of the sinking economy, advertising revenue is going spielsweise, deren Arbeit in Studie III thematisiert wird, sind von der Nichtregierungsorganisation Video Volunteers auf Vertragsbasis engagiert und betreiben eine »ultralokale« Berichterstattung (Kapitel: 4.2 Die Korrespondenten von »India Unheard«). 39 | Es existieren noch weitere Beschäftigungsmodelle für lokale Akteure, die aber als Varianten verstanden werden können – etwa freie Arbeitsverhältnisse, die eine größere Form der Bindung an einen Auftraggeber beinhalten. Die BBC bezeichnet ihre freien lokalen Mitarbeiter als »local producer« (statt »Fixer«) und bindet diese in die Produktion von Inhalten ein (Murrell, 2015, S. 86). Der indische Fotograf Manpreet Romana, von dem in diesem Abschnitt noch die Rede sein soll, nannte mit dem »retainer« ein Beschäftigungsmodell, das vor allem bei den Nachrichtenagenturen beliebt sei: »A retainer is a sort of a stringer, but you are on a monthly salary. You work like any other staff works. You go to office every day. They give you the equipment and everything. You go to the office every morning and come back. And you can’t work for anyone else. You exclusively work for them. They would put you in staff. You get different perks and different facilities and different salary and different everything. Just like a cheap way of having labor« (Interview in New Delhi, 2013).
Studie II: Standpunkt »Indien« down, subscription money is coming down […] The programs are reducing their budget for the broadcasters. (Interview in New Delhi, 2013)
Als Bürochef des großen amerikanischen TV-Netzwerkes CBS und Korrespondent der britischen ITN in Indien entwarf er diese radikale Prognose allerdings, wie ich glaube, mit einem gewissen rhetorischen Trotz. Denn gleichzeitig erläuterte er im Interview, dass ein lokaler Akteur, der in verantwortlicher Position bei einer ortsfremden Nachrichtenorganisationen tätig ist, heute keinesfalls immer als selbstverständlich wahrgenommen werde. Sowohl in Indien als auch im Ausland komme es vielmehr häufig zu einem typischen Moment der Irritation: »I’m designated the ›bureau chief‹, but if they hear ›bureau chief‹ they expect a tall, white, blonde person in a tie, you know? So what happens is that there usually is this BBC kind of guy, that kind of tall blond white guy coming from London« (Interview in New Delhi, 2013). Auf Grundlage solcher Erwartungen komme es auch immer wieder zu einer gewissen subtilen Diskriminierung. So sei es etwa geschehen, dass ein »westlicher« Besucher erwartet habe, dass er ihm den Koffer trage (Feldnotizen vom 25.04.2013). Schließlich verwies er noch darauf, dass Ungleichheit auch dadurch entstünde, dass er selbst keine Möglichkeit habe, als entsandter Auslandskorrespondent für die CBS im »Westen« zu arbeiten.40 Insgesamt wirkte Sanjay Jha zum Interviewzeitpunkt trotz dieser Einschränkungen zufrieden mit seiner beruflichen Situation. Manchmal könne er die Irritation, die durch seine Person hervorgerufen werde, sogar zu seinem Vorteil und zum Wohle des ortsfremden Senders nutzen: For example the day before yesterday, a daily newspaper correspondent, he’s a white gentleman and a friend of mine. He was like me working on the Delhi gang rape case. We were in the courtroom. And he was spotted, because of his color obviously, that he is a 40 | Er sprach allerdings auch von einem indischen Kollegen, der für die BBC aus China berichtet habe. Als ein weiteres indisches Beispiel für solche »new career path« (Sambrook, 2010, S. 49) kann auch der Afrikakorrespondent Anjam Sundaran angeführt werden, von dem bereits die Rede war (Kapitel: 1.3 »Indien« als Standpunkt in der globalen Nachrichtenindustrie). Das CBS-Büro in New Delhi, das Sanjay Jha leitet, deckt zudem bereits einige weitere Länder in Südasien ab. Als wir uns zum Interview trafen, war er etwa gerade dabei, eine Reise nach Bangladesch zu organisieren. Wie Panorama-Reporterin Tamara Anthony (Kapitel: 2.3 Wandel und Technologie) wollte er über den Einsturz einer Textilfabrik berichten, die auch für westliche Auftraggeber produziert hatte (AP, 2013). Die »westliche« Welt sieht er journalistisch für sich dagegen verschlossen: »I think I’d never get the chance to do that. It’s a sad part of my job. […] why would a European broadcaster bring me to London to work? What is the special capability they can expect from me? Nothing, right? They can hire a local British guy, with similar capability, similar experience and they can get the job done« (Interview in New Delhi, 2013).
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Korrespondenten des Wandels foreign correspondent. The prosecutors objected to his presence in the court, he said that only the Indian media is allowed. And they didn’t notice me. So there are certain advantages of being a foreign correspondent in India as a brown skinned guy. (Interview in New Delhi, 2013)
Doch einen Standpunkt in der globalen Nachrichtenindustrie, mittels dessen er nun die übliche Rollenverteilung zwischen »Europäern« und »Indern« auf brechen kann, musste er erst für sich »erobern« und dabei weit ungünstigere Arbeitsbedingungen überwinden. Zu Beginn seiner journalistischen Tätigkeit stand für Sanjay Jha zunächst eine positive Erfahrung in der globalen Nachrichtenindustrie: Sein erster ausländi scher Arbeitgeber war der britische Economist, der ihn 1997 als freiberuflichen »Fact Checker«41 für die Sonderausgabe zum 50. Jahrestag der Separation zwischen Indien und Pakistan beschäftigte. Bei dieser Aufgabe begegnete er professionellen Werten (oder je nach Sichtweise auch »Dogmen«) wie Präzision und journalistischer Objektivität und er empfand die Zeit als eine »Schule« (Feldnotizen vom 25.04.2013). Danach war er zunächst in der indischen Nachrichtenindustrie tätig42, doch die Arbeitsbedingungen missfielen ihm: »There are some ideological issues […]. Some papers are connected to one political party. Within the organization there’s politics, you know? Trying to prolong each other, trying to be closer to the boss« (Interview in New Delhi, 2013). Er habe keine Lust gehabt auf diese, wie er es ausdrückte, »office politics« (Interview in New Delhi, 2013) und begann, sich nach Alternativen umzusehen. In dieser Situation ergab sich für ihn die Möglichkeit, als Assistent für den Guardian-Korrespondenten in Indien zu arbeiten. Die Aussicht, regelmäßig für eine der renommiertesten globalen Nachrichtenorganisationen zu recherchieren, so sagte Sanjay Jha, sei ihm attraktiv erschienen und habe ihn mit Stolz erfüllt. Doch dann folgte die Ernüchterung: »I wasn’t employed by the Guardian. He had a boss up there, but it was him who used to pay me […]. If something had happened, the Guardian would have had no idea; I didn’t exist in the system of the Guardian« (Interview in New Delhi, 2013). Auch die Arbeitsteilung zwischen ihm und seinem Arbeitgeber bewerte er insgesamt als unausgewogen:
41 | Der »fact checker« kann als eine geradezu mythisch aufgeladene Figur des »westlichen« Journalismus betrachtet werden. Als »Bollwerk der Präzision« schützt er den universalistisch verstandenen Journalismus gegen unerwünschte Abweichungen. Eine der größten Abteilungen dieser Art weltweit wird vom deutschen Nachrichtenmagazin Spiegel betrieben (Silverman, 2010). 42 | So unterstützte Sanjay Jha die India Today Group bei der Neugründung eines Nachrichtensenders und arbeitete einige Jahre als Fernsehreporter (Interview in New Delhi, 2013).
Studie II: Standpunkt »Indien« I would have the ideas, I would do the research, I would find the characters, I would speak to them. And finally this guy would use all that. Although he was very good, he used to give me bylines also. Not always, but sometimes, you know. But I realized that my holidays, my time, everything goes entwined with his. If he is going on a holiday, then I am going on a holiday. […] I didn’t have any say about my own life. So I said look, ›What I’m doing isn’t what journalism is all about. It’s just not what I wanted to be.‹ (Interview in New Delhi, 2013)
Was ihn an dem Arbeitsverhältnis offensichtlich besonders störte und schließlich auch dazu veranlasste, dieses zu beenden, war die Mischung aus erwarteten persönlichen Hilfestellungen und die Übernahme von großer inhaltlicher Verantwortung. Aufgrund seiner Leistungen für die Inhalte des Guardian wollte er als Kollege auf Augenhöhe anerkannt werden und empfand es als unpassend, gleichzeitig als eine Art Privatsekretär für den entsandten Korrespondenten zu arbeiten.43 Ungleichheiten in den Arbeitsverhältnissen lokaler Akteure äußern sich erwartungsgemäß auch bei der Bezahlung. Die Honorare freiberuflicher lokaler Akteure, mit denen ich gesprochen habe, variierten zum Zeitpunkt der Forschung zwischen einem Tagessatz von 20 und 500 US-Dollar.44 In ihrer Verteilung spiegeln sie dabei tendenziell die Gruppen der Spezialisten (niedrigere Einkünfte) sowie die der Generalisten (höhere Einkünfte) wider und zementieren so eine
43 | Sanjay Jha äußerte etwa einigen Unmut über die Delegation der alltäglichen Kommunikation: »I was doing the phone calls; […] I thought that this is not really a journalist’s job. It’s a secretary’s job, you know. So as a journalist why should I be doing his phone calls? He could just make a phone call himself […] I should be working on my own stories« (Interview in New Delhi, 2013). Ich habe versucht, mit dem Guardian in London Kontakt aufzunehmen, um dort verantwortliche Auslandsredakteure ebenfalls um eine Darstellung der Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren zu bitten. Meine Anfragen blieben aber unbeantwortet. 44 | Wie bereits in den methodischen Vorbemerkungen ausgeführt (Kapitel: 1.4 Erkenntnisziel und methodisches Vorgehen), handelt es sich bei meinen Gesprächspartnern nicht um eine repräsentative Gruppe, mit der statistische Aussagen über lokale Akteure in Indien getroffen werden können. Hier stößt die qualitative Sozialforschung an Grenzen und es wäre interessant zu wissen, welche Verdienste für die lokalen Akteure tatsächlich vorliegen und welche Kosten den Nachrichtenorganisationen durch entsandte Korrespondenten entstehen. Aber Erhebungen über die Budgets in der globalen Nachrichtenindustrie sind äußerst selten, die Zahlen sind oft veraltet und schwer zu vergleichen. John Maxwell Hamilton und Eric Jenner schätzen die jährlichen Kosten für einen entsandten Zeitungskorrespondenten (ohne Angabe einer Quelle oder Spezifikation des Einsatzortes) auf 250.000 US-$ (2004a).
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Hierarchie zwischen den Gruppen.45 Diejenigen lokalen Akteure unter meinen Gesprächspartnern, die in Vertragsverhältnissen stehen, wiesen außerdem darauf hin, dass die Vertragsbedingungen in den ortsfremden Nachrichtenorganisationen für Mitarbeiter mit »ausländischem« Pass attraktiver ausfallen als für die »indischen« Mitarbeiter derselben Organisation, was ebenfalls eine Hierarchie erzeugt. Fehlende Versicherungsleistungen und Pensionsansprüche würden für weitere Ungleichheit zwischen den lokalen und den entsandten Mitarbeitern spezifischer Nachrichtenorganisationen sorgen.46 Für Sanjay Jha bringt eine ungleiche Bezahlung dieselbe Geringschätzung gegenüber dem lokalen Akteur zum Ausdruck wie die, nach seiner Erfahrung, von den lokalen Akteuren erwartete Dienstfertigkeit. So erwarte man von ihm in der Regel niedrigere Ansprüche, weil er Inder sei: India is cheap, but I’m not cheap, you know? […] If you come and live here the way I live, the way my status is here, it’s not cheap. Things are as expensive as anywhere else. And secondly, when somebody with a similar background, similar experience, similar language skills works for you in any other country, in London, Australia, or Germany, anywhere, you pay much larger amount. I know the international rate. So why should I be undercutting? Why should I not be receiving the same salary? (Interview in New Delhi, 2013)
Wie bereits erwähnt geht Sanjay Jha davon aus, dass die ortsfremden Nachrichtenorganisationen sich immer weiter in eine Abhängigkeit von lokalen Akteuren bewegen würden. Auf lange Sicht hält er es deshalb schlichtweg für unklug, lokale Akteure durch ungleiche Beschäftigungsverhältnisse zu diskriminieren. Um diesen Zusammenhang zu illustrieren, nannte er mir ein Beispiel: »I was in Mumbai covering 26/11 [gemeint sind hier die Bombenanschläge von Mumbai 2008]. I was the only guy who had the footage of the surviving terrorists being captured. Nobody else in the world had the footage. […] I got it because of my contacts, when I tried to retrace the route which he took« (Interview in New Delhi, 2013). Weil aber keine der ortsfremden Nachrichtenorganisation ihn zu diesem Zeitpunkt mit einem exklusiven Arbeitsvertrag an sich gebunden hatte, »drehte er den Spieß um«, ver45 | Höhere Einkünfte lassen sich kausal auch durch die Komplexität einer Tätigkeit erklären. So verdient der lokale Produzent eines TV-Teams mehr als der lokale »Fixer« eines Fotojournalisten. Aufgrund der umfassenden Komplexität der Tätigkeit arbeiten TV-Teams meistens mit Generalisten. 46 | In Bezug auf die ungleichen Arbeitsbedingungen für »Fixer« äußerte sich Uday Sripathi wie folgt: »Fixers don’t have the kind of insurance backups that the journalists have, who come in. If anything happens to us, they might just give us some hospital money and simply go away and that’s it. But after that, the treatment and everything is their burden, their cost. We are in a very dangerous territory here and when they do a story here, whether it is the trafficking stories or the terrorist stories, we are putting our lives at risk« (Interview in Mumbai, 2013).
Studie II: Standpunkt »Indien«
kaufte das Bild an alle Interessierten und spielte die Nachrichtenorganisationen in seinen Verhandlungen gegeneinander aus: Suddenly everybody was interested and I travelled all over the world. […] I went to London and I said, ›You know, I will initiate the reading process for the UK-market, then USmarket, […] I sold it exclusively for every market. I really became a trader, a news trader. (Interview in New Delhi, 2013) 47
Die am Beispiel von Sanjay Jha beschriebene, aber auch von anderen lokalen Akteuren geäußerten Mängel bei der Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse lokaler Akteure hat meiner Einschätzung nach viel mit dem fehlenden Verständnis der Auftraggeber für den Standpunkt und die Bedeutung lokaler Akteure globaler Nachr ichtenindustrie zu tun. Sie werden von Teilen der »westlichen« Nachrichtenorganisationen offensichtlich nicht als das essenziell notwendige Element der Indienberichterstattung behandelt, das sie de facto durch die Übernahme von inhaltlichen Aufgaben bereits sind. Da sie sich meist ohne eine gemeinsame Interessensvertretung in oft freiberufliche Arbeitsverhältnisse begeben und von ihren Einkünften in der globalen Nachrichtenindustrie finanziell abhängig sind, tendieren die lokalen Akteure bisher dazu, ungünstige Arbeitsbedingungen zu akzeptieren.48 Das fehlende Verständnis für die Bedeutung lokaler »indischer« Akteure und die geringe Kenntnis oder Beachtung ihrer Positionen wird auch an einem bisher ungelösten Sprachkonflikt sichtbar: Sanjay Jha würde keinen Vertrag unterschreiben, in dem er als »Fixer« aufgeführt wird: »If they wrote fixer I’d just say, ›Cut it off. Write anything you want, just not the fixer.‹ They had to do it, if they wanted to hire me« (Interview in New Delhi, 2013). Bei vielen der »indischen« lokalen Akteure,
47 | Allerdings waren offensichtlich nicht alle bereit, Geld für die Fotografie zu bezahlen. Sanjay Jha nannte das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Deutschland als eine Ausnahme: »Germany market rejected the idea which was interesting« (Interview in New Delhi, 2013). 48 | Für »indische« lokale Akteure ist es schwierig, sich gegen ungleiche Arbeitsbedingungen zu wehren. Aufmerksamkeit erregte in Deutschland der Fall von Padma Rao, die nach Kenntnissen der taz ab 1989 für 14 Jahre als Spiegel-Korrespondentin arbeitete, bis das Arbeitsverhältnis durch den Spiegel beendet wurde und ein Deutscher ihre Position übernahm (Kalarickal, 2013). Vorausgegangen war nach Angaben der taz und einer Gegendarstellung durch den Spiegel (Höges, 2013) eine erfolglose Klage von Padma Rao vor dem Hamburger Arbeitsgericht. Sie forderte eine feste Anstellung, weil sie im Gegensatz zu den »deutschen« Spiegel-Korrespondenten als freie Mitarbeiterin beschäftigt war. Um mehr über den Umgang des Spiegels mit lokalen Akteuren zu erfahren, habe ich das Auslandsressort der Nachrichtenorganisation kontaktiert, ich habe trotz mehrfacher Kontaktversuche aber keine Antwort erhalten.
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mit denen ich gesprochen habe, bin ich auf eine solche offene Ablehnung gestoßen: »The word fixer sounds strange«, erklärte etwa auch Amit Vachharajani: It sounds like we are a pimp person, sort of a glorified pimp. […] I’m not attached to that word at all. I don’t use it for myself. Also in my work I hardly use it, just my clients use this term. Over here we hardly use that. We use ›production coordinator‹, ›line producer‹ or something like that. (Interview in Mumbai, 2013)
Während »Fixer« von vielen »westlichen« Journalisten als ein wertneutraler Begriff verstanden und völlig selbstverständlich verwendet wird, weigern sich einige lokale Akteure, die Bezeichnung »Fixer« auch nur passiv zu akzeptieren: »I won’t accept that«, betonte Shernaz Italia. »Because ›fixer‹ is a very derogatory term […] so I said, ›You can call me an assistant, you can call me a location assistant, a production assistant‹« (Interview in New Delhi, 2013). Wenn die Ablehnung des Begriffs »Fixer« teilweise so emotional und absolut ausfällt, wie ich es hier behaupte, wie kann es dann sein, dass er dennoch so häufig verwendet wird? �������������������������������������������������������������tiert: »My colleagues, my friends […] think that fixer is a guy who fixes everything. And the photojournalist from that country comes here and I have fixed for him every photo« (Interview in Mumbai, 2013). Er hat sich allerdings damit arrangiert, dass man ihn als »Fixer« bezeichnet. Er nutzt den Begriff sogar selbst, um von den Journalisten überhaupt verstanden zu werden. Neben radikaler Ablehnung habe ich also auch Pragmatismus im Umgang mit dem Begriff angetroffen. Doch auch die pragmatischen lokalen Akteure wollten sich nicht ohne Vorbehalte mit diesem Begriff identifizieren – allenfalls war es ihnen egal, wie man sie bezeichnet. Die Auseinandersetzungen über die Terminologie basiert meiner Einschätzung nach auf einem grundsätzlich unterschiedlichen semantischen Verständnis: Während die »westlichen« Journalisten und Redakteure unter »Fixer« eine spezifische Position bei einem gemeinsamen Projekt verstehen, die eine oder auch eine andere Person einnehmen kann, begreifen ihn die so bezeichneten lokalen Akteure als Ausdruck einer Hierarchie, die auf ihrer lokalen Herkunft basiert und empfinden ihn deshalb als eine Form der Herabwürdigung: »It implies something that is illegal«, erläuterte Uday Sripathi im Interview: »The question is, what are you fixing? I mean most of them still use it. It is a very respectable term now, but no doubt it has somewhat of a shady connotation with it« (Interview in Mumbai, 2013). Sanjay Jha vermutete, dass der Begriff etwas mit kolonialer Vergangenheit zu tun haben könnte: »I always ask, ›How did this terminology come about? Because if you use the word fixer, what do you actually mean? […] my understanding is that in the Victorian Age the queen needed people to fix things, you know? Fix the tea, fix the bed, fix the slippers« (Interview in New Delhi, 2013). Sharnez Italia bestärkte diese Vermutung. Sie sei sich sicher, der Begriff »Fixer« stamme aus der Arbeitssprache des britischen Broadcasting der 1980er Jahre; in seinem Gebrauch werde ein postkolonialer Standpunkt sichtbar:
Studie II: Standpunkt »Indien« The British television is where that term has come from. And the very interesting thing about it is that you’ll have fixers everywhere except for Britain. In Britain there will be an assistant producer, an associate producer or a researcher. They won’t call you a fixer. So it’s also the kind of relationship that Britain had with its ex-colonies. (Interview in New Delhi, 2013)
Sie berichtete, dass zunächst vielfältige Bezeichnungen für lokale Akteure verwendet worden seien. Amerikanische TV-Teams hätten etwa »runner« oder »gofer«49 verwendet, bevor sich »Fixer« international durchgesetzt habe (Feldnotizen vom 01.05.2015). Ein wichtiges Argument, mit dem lokale Akteure im Interview zum Ausdruck brachten, warum sie »Fixer« als eine pejorative Bezeichnung empfinden, ist die Wahrnehmung, dass »Fixer« eine nur einseitig gültige Bezeichnung sei. »Why does it become fixer in another country?« (Interview in New Delhi, 2013), fragte auch Sanjay Jha. Sollte dies tatsächlich zutreffen, dann ist es nur folgerichtig, dass der Begriff nicht wertneutral und funktional verstanden werden kann. Denn wenn er gleichzeitig wertneutral wäre und nur für z.B. »indische« Mitarbeiter Gültigkeit besitzt50, dann müsste im Umkehrschluss auch eine objektive und wertneutrale 49 | Zur Etymologie dieses Begriffes erklärte Shernaz Italia: »Now gofer actually means, ›go for it.‹ And that became gofer,« (Interview in New Delhi, 2013). Auch diesen Begriff empfand sie als pejorativ: »That’s actually the lowest in the office. That means that if anybody wants something done in a production office, they call the gofer to get the tea, do the photo, anything« (Interview in New Delhi, 2013). 50 | Für die heutige Situation in der globalen Nachrichtenindustrie trifft das nicht mehr vollständig zu, so werden auch lokale Helfer in Europa häufig als »Fixer« bezeichnet. Doch zumindest in Großbritannien scheint der Begriff auch heute im Sinne einer lokalen »britischen« Unterstützung von ortsfremden Journalisten weniger verbreitet zu sein. »Fixer« als ein Begriff der Werbe- und Filmbranche scheint dagegen durchaus häufig verwendet zu werden. Bei »uk fixer« haben sich etwa Medienprofessionelle zusammengetan, die ausländische Medienproduktionen unterstützen, aber in ihren Referenzen ausschließlich auf Kunden im Bereich der Werbung und TV-Unterhaltung verweisen (uk fixer, o.D.). Bei einer Profilsuche bei worldfixer waren diverse journalistische »Fixer« auch in London und Großbritannien zu finden. Doch alle Profile, die ich geprüft habe, scheinen Personen mit »Migrationshintergrund« zu gehören, die ihre Dienste nicht in Großbritannien anboten, sond ern in außereuropäischen Ländern. Sie sind also vermutlich lokale Akteure globaler Nachrichtenindustrie mit Wohnsitz und vielleicht auch Lebensmittelpunkt in Großbritannien. Das Engagement eines britischen »Fixers«, der durch einen indischen Auftraggeber in Großbritannien als »Fixer« bezeichnet wurde, konnte ich nur in einem Fall verifizieren, der ebenfalls nicht direkt etwas mit journalistischer Berichterstattung zu tun hat. Andrew Pavord, der eine Produktionsfirma mit dem Namen »FilmFixer« (FilmFixer, o.D.) betreibt, arbeitete zuvor als »Fixer« für Bollywood-Produktionen in Großbritannien. In einer E-Mail schrieb er mir: »I used to be in the production side of big budget Bollywood musicals. I was produc-
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Definition dieses »Indischseins« existieren, das andere Kandidaten ausschließt. Mit ihrer Ablehnung dieser in der »westlich« geprägten globalen Nachrichtenindustrie üblichen Sprachkonvention bringen lokale Akteure in Indien zum Ausdruck, dass sie eine solche Zuschreibung von außen ablehnen. *** Bisher habe ich vor allem auf Heterogenität hingewiesen, die in der Art und Weise besteht, wie lokale »indische« Akteure ihre Tätigkeit organisieren, in welcher Beziehung sie zum Thema der Berichterstattung stehen und wie die Arbeitsverhältnisse gestaltet sind, die sie mit der globalen Nachrichtenindustrie verbinden. Trotz der Unterschiede gilt für sie in dieser Industrie aber eine gemeinsame Voraussetzung, die ihre Arbeit prägt: Während ein »westlicher« Journalist in Indien meist in Bezug zu einem ebenfalls »westlichen« Publikum in einer »fremden« Umgebung arbeitet, verhält es sich für die lokalen »indischen« Akteure aufgrund ihres Standpunktes tendenziell genau andersherum: Sie helfen dabei, Medienbilder zu formen, die dann von einem, von diesem Standpunkt aus betrachtet, »fremden« Publikum rezipiert werden.51 Der Umstand, dass sie durch ihren Einfluss auf die Medienproduktion auch die Außensicht auf Indien prägen, wurde von den lokalen Akteuren, mit denen ich gesprochen habe, als bedeutsam empfunden. Dies gilt, wie bereits ausgeführt, für Spezialisten wie Dinesh Dubey, dem die Darstellung von Dharavi und der Be wohner des Slums am Herzen liegt oder Tashi Namgyal, dem es wichtig ist, die tion supervisor on ›Khabi Kushi Khabie Gham‹, I was their UK ›fixer‹ getting permission to film on location, sorting out crew, accommodation, equipment and catering etc...I was referred to as their ›fixer‹ though I preferred my credit to be ›Production Supervisor‹. […] I know of a few freelance film location managers/line producers who look after overseas films, but these are big crew feature films, not news or documentary. I think your interviewees might have a point – anyone in the UK in the news trade would be a journalist« (Persönliche Kommunikation vom 23.04.2014). 51 | Als idealtypisches Tableau sind solche Überlegungen eher als eine Form von Denkhilfe zu betrachten und weniger in Bezug auf tatsächliche Personen. Wie im Einführungskapitel bereits betont wurde, kommt es in der Praxis zu hybriden Überlagerungen von Standpunkten (Kapitel: 1.2 »Europa« als Standpunkt in der globalen Nachrichtenindustrie). Sanjay Jha war der Auffassung, dass es viel eher auf den einzelnen Journalisten ankomme als auf dessen Herkunft: »It’s the individual’s ability to be able to meet the requirement or standard of that country’s journalism. What Americans are interested in, it is up to you to deliver that, right? So that has to be that capability. It’s individual. There ������� could be Americans that cannot understand what Americans wanted, you know?« (Interview in New Delhi, 2013). Er selbst habe nie im Ausland gelebt, aber wüsste genau, nach welchen Geschichten etwa die Daily Mail (eine britische Boulevardzeitung) suche, wenn er gelegentlich mit dieser zusammenarbeite.
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Aufmerksamkeit globaler Nachrichtenorganisationen auf die Lebensweise und die Probleme der Himalaya-Region zu richten. Aber auch die Generalisten haben von der Verantwortung gesprochen, die sie für die Darstellung Indiens in den »westlichen« Massenmedien empfinden; so etwa der lokale Indienkorrespondent Sanjay Jha: As a local person you not only represent your own organization, but you also represent the society where you’re living; and India. It is your job, you’re an ambassador of your country, your culture. It is your job […] as a person who is harbinger of the news, to explain the other person, who will not know anything about this. (Interview in New Delhi, 2013)
In dem von ihm verwendeten Begriff des »Botschafters« äußert er aber nicht nur Verantwortungsbewusstsein, sondern er verweist in der Art und Weise, wie er ihn verwendet, indirekt auf die Schwierigkeiten, die der Standpunkt lokaler Akteure in der »westlich« geprägten globalen Nachrichtenindustrie in Bezug auf das »fremde« Publikum, das Thema der Berichterstattung und die jeweilige Nachrichtenorganisation mit sich bringt. Denn von wem und zu welchem Zweck werden lokale Akteure als »Botschafter« ernannt? Ein »Botschafter« repräsentiert in der Regel einen einzigen Auftraggeber, dessen Interessen er nach außen vertritt. Wenn man aber lokale Akteure als »Botschafter« begreifen möchte52, dann sind sie »Botschafter« in zweifacher Hinsicht – indem sie sowohl die ortsfremde Nachrichtenorganisation vertreten als auch 52 | Genauso gut könnte man aber auch den reisenden Journalisten als »Botschafter« begreifen, der mit seinem Auftreten zwar nicht direkt »indische« Berichterstattung über westliche Länder beeinflusst, wie es umgekehrt der Fall ist, aber doch in einen Personenkreis (indische Journalisten und Medienprofessionelle) hineinwirkt, der prägend auf die Außenwahrnehmung des »Westens« in Indien wirkt. Lokale Akteure projizieren ihre individuellen Erfahrungen mit »westlichen« Journalisten auf ganze Nationen, was diese mir gegenüber vor allem in negativen Stereotypen zum Ausdruck brachten. So gab etwa Dinesh Dubey an, nach schlechten Erfahrungen nicht mehr mit »Franzosen« zu arbeiten: »Because of their cunningness and being very arrogant. They are very arrogant, they pay less and their journalism is one of the worst journalism I have seen. They want a fixer who gives them everything« (Interview in Mumbai, 2013). Auch Sanjay Jha fühlte sich vom Auftreten eines französischen Auftraggeber abgestoßen: »He was a flicky guy« (Interview in New Delhi, 2013), dieses Auftreten steht für ihn nun stellvertretend für das »Französische« im Allgemeinen: »So I learned that the French are very immediate, I don’t like the French much« (Interview in New Delhi, 2013). Shernaz Italia dagegen hat mit Österreichern schlechte Erfahrungen gemacht: »Actually the worse experience I’ve ever had was with people from Austria. Horrible, horrible. They did not pay me. I felt terrible […]. It was public television« (Interview in New Delhi, 2013). Nie wieder werde sie Österreichern vertrauen, versicherte sie mir.
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lokale »indische« Positionen, Ideen und Paradigmen in jeweils entgegengesetzter Richtung. Die Repräsentation der »westlichen« Auftraggeber mit ihrem universalistischen Anspruch auf »Objektivität«, »Neutralität« oder »Wahrheit« harmoniert aufgrund der bereits beschriebenen Instabilität solcher Konstruktionen und deren Abhängigkeit von einem Standpunkt aber nur bedingt mit einem Verantwortungsgefühl dafür, wie die lokale indische Situation in Medienbildern »nach außen« dargestellt wird. Tatsächlich sehen sich die lokalen »indischen« Akteure nach meiner Einschätzung weder gegenüber den Zielen und Positionen ihrer »westlichen« Auftraggeber noch gegenüber einer »indischen Seite« vollständig verpflichtet.53 Die lokalen Akteure sind, wie Dinesh Dubey es ausdrückte, stets »in-between, in the barrier« (Interview in Mumbai, 2013), also in einem Raum zwischen den ortsfremden Auftraggebern und einer »indischen Seite«. Das Agieren in diesem Spannungsfeld scheint eine grundlegende Eigenschaft der Arbeit lokaler Akteure zu sein und in der Praxis kommt es zwischen den oft widersprüchlichen Interessen dabei unweigerlich zu Konflikten. Auf der einen Seite kann dabei ein Konflikt zwischen lokalen Akteuren und den Menschen auf brechen, die zum Gegenstand der Indienberichterstattung geworden sind. So kann die Zusammenarbeit mit einer »westlichen« Nachrichtenorganisation feindselige Reaktionen vor Ort gegenüber dem lokalen Akteur hervorrufen.54 Bei meinem Besuch bei der ARD in New Delhi, von dem bereits in Studie I die Rede war, nannte mir der lokale »Producer« Anoop Saxena Beispiele 53 | Was ich hier identifiziere, betrifft keine justiziable Verpflichtung, die sich etwa aus einer Arbeitsvereinbarung heraus ergibt. Eine solche Vereinbarung mag eine fahrlässige oder gar intentionale Schädigung der internationalen Nachrichtenagentur ausschließen. Als ein solcher Fall kann etwa die Manipulation von Fotomaterial durch einen lokalen Fotog rafen in einer Nachrichtenagentur verstanden werden. Ein bekannter Fall ist die Kontroverse um den lokalen libanesischen Fotografen Adnan Hajj, der während des israelischlibanesischen Kriegs 2006 von Reuters beschäftigt wurde. Der von Reuters als »freelance photographer« (Reuters, 2007) bezeichnete Fotograf hatte Rauchwolken über dem brennenden Beirut mit Adobe Photoshop bearbeitet, um sie größer erscheinen zu lassen. Doch auch jenseits eines solchen offensichtlichen Fehlverhaltens ergibt sich natürlich viel Raum, in dem lokale Akteure durch Debatte und Argumente die »westlichen« Journalisten von ihren Ansichten überzeugen können. 54 | Dabei geht es weniger um eine tatsächlich negative Einstellung der lokalen Akteure gegenüber dem, was ich in Ermangelung eines besseren Begriffs hier als die »indische Seite« bezeichne. Gerade in der »kritischen« Berichterstattung können sich lokale Akteure dieser »indischen Seite« gegenüber verpflichtet fühlen, indem sie sich gleichzeitig in hohem Maße mit der Vorstellungen einer freien und unabhängigen Presse im Dienste der eigenen Gesellschaft identifizieren. So sieht beispielsweise Uday Sripathi seine Rolle als »kritischer« Journalist als einen Dienst an der indischen Gesellschaft: »Let’s say a foreign network comes in to cover news and interview politicians. In the future this interview, this
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für solche Konflikte. So beschrieb er, wie »indische« Politiker bei Interviews nach unangenehmen Fragen des Auslandskorrespondenten ihm gegenüber einen äußerst schrillen Ton angeschlagen hätten: They would say that you should understand that you are a South Asian. Have these people allowed you to do this and that in their own country? You are working for them and you’re not showing your loyalty. You must realize that you’re an Indian, you’re a South Asian. You must not give the wrong picture of your country. (Interview in New Delhi, 2013)
Er berichtete auch von geheimdienstlicher Überwachung und der Behinderung seiner Arbeit durch die Polizei und lokale Behörden. Als er etwa mit der deutschen Korrespondentin Sandra Petersmann über das Verhalten ausländischer Bergbauunternehmen im Bundesstaat Orisha recherchierte, seien sie in ihrem Hotel von uniformierten Beamten vorrübergehend festgenommen worden.55 Missbehagen erzeugt seine Kooperation mit »Ausländern« aber nicht nur bei staatlichen Institutionen: Einmal habe er um sein Leben fürchten müssen, weil die aufgebrachten Bewohner eines kleinen indischen Dorfes ihn als Repräsentant einer fremden und feindlichen Macht identifiziert hätten. In diesem Fall, so berichtete er im Forschungsinterview, habe er mit investigativen Journalisten aus Deutschland zu einem »Ehrenmord« recherchiert: When two lovebirds from different castes married, the people of their village killed them. They said it should not happen in our village. […] Then I was in trouble because all the villagers and the police officers said, ›You bloody take them [die deutschen Journalisten] away, otherwise we’ll kill you. How can you destroy our culture? They were destroying our culture and you’re telling us that this was right. This is wrong. These Europeans maybe they can do this, but Indians are not supposed to do that‹. (Interview in New Delhi, 2013)
story will create a benchmark. When the Indian networks are reporting something they can question the politicians based on those interviews« (Interview in Mumbai, 2013). 55 | Begründet wurde dieses Vorgehen ihm gegenüber offensichtlich damit, dass er in Begleitung einer Fremden ein Gebiet betreten habe, das für »Ausländer« gesperrt gewesen sei. Auf den Umstand, dass er selbst als indischer Staatsbürger und Journalist sehr wohl das Recht hatte, diese Zonen zu bereisen, wurde keine Rücksicht genommen und er wurde in eine Art »Sippenhaft« genommen: »They detained us. For about three hours, we were in that police station. There was a senior Indian police officer. […] She said, ›How did you dare come here without informing me. That’s illegal. You can’t go. […] No foreigner is allowed to go into this area because the Maoists are there‹ » (Interview in New Delhi, 2013). Eine kleine Notiz über den Vorfall findet sich in einer Informationsschrift der Menschenrechtsorganisation Amnesty International über die Rolle der britischen Bergbaugesellschaft Vedanta Ressources, die für den Umgang mit indigenen Gemeinschaften in Orisha international in Kritik geriet (2012, S. 20).
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Weder bei seiner Tätigkeit als ARD-Mitarbeiter noch als freier Korrespondent ist Anoop Saxena als besonders oppositionell der indischen Regierung gegenüber aufgefallen oder besonders radikal in einer anderen Frage aufgetreten. Sich selbst beschrieb er als gut vernetzt, sowohl in der Nachrichtenindustrie in Indien als auch im politischen Betrieb in New Delhi. Die Angriffe erfolgten also nicht spezifisch auf ihn oder gar in Hinblick auf ein deutsches Publikum und in Sorge um dessen Reaktion. Vielmehr werden lokale Akteure bei Anfeindungen dieser Art pauschal als Teil einer »westlichen« Einmischung von außen betrachtet. Solche Konflikte, bei denen lokale Akteure in Indien sich in der journalistischen Arbeit durch staatliche Einflussnahme behindert oder von kriminellen, radikalisierten oder xenophob eingestellten Gruppierungen bedroht fühlen, wurden auch von anderen lokalen Akteuren beschrieben und kritisiert.56 Auf der anderen Seite kann ein Konflikt bei der journalistischen Kooperation auch zwischen lokalen Akteuren und den »westlichen« Journalisten auf brechen. Shernaz Italia berichtete mir von einem Fall, bei dem sie mit einem TV-Team der BBC in einen Streit geriet: I was involved in a film about the textile industries in the South of India and the fact that they use child labor in these factories. And we went from factory to factory, but they wouldn’t let us come in. One poor factory manager said yes. He said, ›Come in.‹ He heard BBC and he thought it was something decent. The thing is, child labor is not a subject that you can make a judgement on without looking at its entirety. This was an instance when the child was sitting next to the mother because the mother had nowhere else to keep it. The child wasn’t doing anything, maybe sewing on a button or something, he was just sitting there. But it wasn’t specifically child labor. However, as the cameraman came in the child started crying. And the producer said, ›This is it! A fantastic image, child labor in India, the exploitation of children.‹ And the factory manager was going to lose his job, he came begging them, ›Please don’t do this.‹ […] That poor man jumped from a balcony and he almost died. (Interview in New Delhi, 2013)
Hier stand also das Interesse des TV-Teams an einer »guten« Geschichte dem Interesse von Shernaz Italia als eine Art »Botschafterin der indischen Seite« für einen reflektierten Umgang mit dem Thema der »indischen Kinderarbeit« entgegen. In New Delhi berichtete mir der inzwischen bedauerlicherweise tödlich verunglückte indische Dokumentarfilmer und »Fixer« Anand Bhaskar Morla57 von 56 | Uday Sripathi berichtete von einer ähnlichen Situation im Bundesstaat Telangana: »There was one time […]. I was doing a project in Hyderabad and they knew about me, they just wanted to harass me. They kept me in the police station all night. I was telling them that I am a reporter, I have my credentials« (Interview in Mumbai, 2013). 57 | Anand Bhaskar Morla starb am 20.07.2013 an den Folgen eines Stromschlages. Ein fahrlässiger Ladenbesitzer in New Delhi hatte mit improvisiert verlegten Kabeln das
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ganz ähnlichen Situationen. Für ihn musste der eigene Standpunkt aber nicht zwingend mit den Positionen übereinstimmen, die von den Journalisten vertreten wurden, mit denen er zusammenarbeitete: »It happens often […] Of course it does sometimes personally disturb you, it irritates and it annoys you. But you have to be in control of your personal feelings vis-à-vis your professional job« (Interview in New Delhi, 2013). Professionalität bei lokalen Akteuren beinhaltete für ihn also eine gewisse Unabhängigkeit in Bezug auf lokale Positionen. Die von ihm vermutete Opposition zwischen »personal feelings« und »professional job« könnte man nun dahingehend verstehen, dass er den »westlichen« Auslandsjournalismus im Sinne des journalistischen Universalismus mit einem »objektiven« und rationalen Standpunkt in Verbindung brachte und die lokalen Positionen eher als »subjektiv« und gefühlsbehaftet betrachtete. Nach meiner Einschätzung ging es ihm allerdings gerade nicht darum, die »westlichen« Positionen auf eine solche Weise einfach zu übernehmen, vielmehr beschrieb Anand Bhaskar Morla damit seine Bemühungen, sich in andere Standpunkte einzufühlen und in einen Dialog zu treten: »I could just say if something is not right, but then I would also feel that it’s not completely wrong either. That’s actually reality. Then ultimately it’s my job to show the reality. We’re not here to paint the picture rosy« (Interview in New Delhi, 2013). Die darzustellende »reality« konstituierte sich für ihn nicht aus einer einzigen gültigen Wahrheit, sondern aus der Koexistenz verschiedener Positionen und widersprüchlicher Interessen: »I think all humans are prone to making judgments and prejudgments, prejudices against some things which they really don’t know. […] It can be a point of view for you, which can be different from one to the other. Everything is grey, nothing is black or white« (Interview in New Delhi, 2013). Als wir uns in New Delhi zum Forschungsinterview trafen, war Anand Bhaskar Morla gerade von einer Reise durch Nordindien zurückgekehrt, wo er französische Journalisten bei der Produktion eines Radiofeatures unterstützt hatte. Das Thema ihrer Recherche war die dort in einigen Regionen traditionell verbreitete Polyandrie als Lebensweise: We went to areas where people are known to be quite severe and strict and aggressive. My wife was worried about me, but I reassured her that these people are humans and it’s not a big affair. A lot of times it’s interesting as a job. Also it’s true that we do have judgments about other people. It’s interesting when we go across that line and go meet these people and learn about them. That’s how we learn about others. (Interview in New Delhi, 2013) Auto von Anand Bhaskar Morla unter Strom gesetzt (Sodhi, 2013). Eigentlich plante Anand Bhaskar Morla, die Tätigkeit als »Fixer« Stück für Stück zu reduzieren und mehr eigene Dokumentarfilme für ein indisches Publikum zu produzieren. Zum Interviewzeitpunkt sah er den indischen Markt dafür noch nicht reif, aber er glaubte an die Entstehung einer indischen Dokumentarfilmszene (Interview in New Delhi, 2013).
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Er verstand es demnach als seine Aufgabe, die reisenden Journalisten auch bei der Erkundung lokaler Positionen zu unterstützen, die nicht seine eigenen waren.58 Nicht immer entstehen Konflikte zwischen lokalen Akteuren und ihren Auftraggebern allerdings aufgrund von unterschiedlichen Positionen zu einem spezifischen Recherchethema. Auch das professionelle Verhalten der reisenden Journalisten kann zum Stein des Anstosses werden. So kritisierte Sanjay Jha etwa die Praxis einiger »westlicher« Journalisten, ohne gültiges Journalistenvisum in Indien zu arbeiten: It is not okay that foreign journalists can come here, set up a shop here and start broadcasting to the whole world. What will Indians do? Can we do the same thing in your country? No I cannot, as a freelance journalist, go to your country and work there, no. Why should it not be the same thing for foreigners? I mean I’m not trying to be a nationalistic chauvinist. I’m just asking this question. (Interview in New Delhi, 2013)
Nach seiner Darstellung hätten sich indische Journalisten, die als lokale Korres pondenten tätig sind, in einer ungewöhnlichen Allianz sogar bei der indischen Regierung dafür eingesetzt, die Visabedingungen für die journalistische Arbeit zu verschärfen. Auch andere lokale Akteure, mit denen ich ���������������������sprochen habe, standen diesem Verhalten der ortsfremden Journalisten kritisch gegenüber.59 So sah sich Amit Vachharajani in einigen Fällen mit der Verantwortung alleine gelassen: »They can come here on tourist visas and start filming. They can maybe go back, but I was the fixer, I will get in trouble« (Interview in Mumbai, 2013). In New Delhi traf ich den AFP-Fotografen Manpreet Romana, der ebenfalls die Auffassung ��������������������������������������������������������������onen und Journalisten gegen die Visa-Praxis indischer Behörden werde sichtbar, dass in der globalen Nachrichtenindustrie mit zweierlei Maß gemessen wird:
58 | In seinem Denken über »fremdartige« Lebensweisen habe ich dabei etwas von dem wiederkannt, was auch dem Anliegen ethnologischer Forschung entspricht: das Interesse an einer Betrachtung der Vielfalt menschlicher Lebensweisen, der analytische Blick auf Konflikte und gegensätzliche Positionen sowie die Reflexion des eigenen Standpunktes. 59 | Andere lokale Akteure wiederum nahmen, wie schon beim Gebrauch des Begriffs »Fixer«, eine flexiblere Haltung gegenüber dieser »Borderline«-Praxis »westlicher« Journalisten ein. Dinesh Dubey etwa kritisierte zwar ebenfalls das Verhalten ortsfremder Journalisten und begrüßte strengere Visaregeln. Aber gegenüber den individuellen Journalisten, seinen Auftraggebern also, verhielt er sich pragmatisch: »I know what I’m doing is wrong if I’m working with a guy having a tourist visa, but at the same time it’s not my duty to ask him his passport, visa, I cannot do it because I’m not a government official. I just don’t know« (Interview in Mumbai, 2013).
Studie II: Standpunkt »Indien« I don’t think that if I apply for a freelance journalist visa to Germany or another country, I’ll ever get it. Maybe not even a tourist visa. As a western journalist you’re going to see the world. I’ll be very surprised if a freelance Indian photographer, especially a photojournalist, can go get a visa to the West. So I think as far as them complaining, they should stop. (Interview in New Delhi, 2013)
Für ihn sei es eine Selbstverständlichkeit, dass in Indien gewisse Einschränkungen und Regeln für die Arbeit ausländischer Journalisten bestehen: »You go take permission. Which country doesn’t have that? Will they allow me to shoot everywhere in Germany or in America or England? No. The same is the case here« (Interview in New Delhi, 2013). Durch seine Tätigkeit als Fotograf für einen der weltweit größten aktuellen Wire-Dienste ist Manpreet Romana sowohl der Standpunkt eines lokalen Akteurs als auch der des reisenden Journalisten im Ausland vertraut. So fotografierte er während der Unruhen in Thailand 2010 für ���������������������������������ghanistan eingesetzt.60 Gerade durch diese globale Perspektive reagiert Manpreet Romana nun sensibel auf den laxen Umgang der »westlichen« Journalisten mit den indischen Gesetzen: Some photographers that you see, because you know, white people especially in India are always prioritized, they always get special treatment. People are curious in villages, in small towns about them. […] I think these photographers sometimes, or anybody, not just photographers, like journalists, radio people. Sometimes they don’t show the respect about what they are shooting, because they know that they can take advantage of it. They would not do the same things the same way in their own countries. They would show all kinds of sensitivities. (Interview in New Delhi, 2013)
60 | Allerdings stellt sich im Falle des Arbeitsverhältnisses von Manpreet Romana und dessen Einsatz in Afghanistan (wie schon bei Sanjay Jha und dessen Einsätzen in Südasien) die Frage, ob er dabei wirklich seine Rolle als lokaler Akteur hinter sich gelassen hat oder ob die Zuweisung dieser Rolle durch eine Nachrichtenorganisationen nicht in einem größeren, einem globalen Kontext verstanden werden muss. Für Manpreet Romana glich die Arbeit in Afghanistan jedenfalls seiner Arbeit als »lokaler Fotograf« in Indien: »Afghanistan it’s not that culturally apart from where I grew up. I grew up in North India. I wasn’t important to them because I looked like them. And everybody spoke to me in Dari, the local language, or Pashto, because my resemblance was like Pashto people. So a lot of people would just talk to me in their own language and I would tell them that I don’t know the language« (Interview in New Delhi, 2013). Manpreet Romana erlangte 2009 einige Berühmtheit, von ihm stammt das erste fotografische Zeugnis der Explosion einer IED (improvised explosive device) fotografiert hatte. Seine Rolle als Urheber dieser Fotografie in Afghanistan reflektiert er allerdings kritisch und er wird nicht gern darauf angesprochen (Betty, 2009).
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Die Ursachen für das Verhalten der Journalisten sieht er dabei weder in deren individuellen Rücksichtslosigkeit begründet noch in einer natürlicherweise »westlichen« Eigenschaft: »It’s human nature. […] We all take advantage of things if we can. Some of them here can and they will« (Interview in New Delhi, 2013). Er vermutet also ein Machtgefälle im »westlichen« Auslandsjournalismus, das demnach zwischen den reisenden Journalisten und den Protagonisten ihrer Medienprodukte in ehemaligen Kolonien besteht. *** Die hier thematisierten Konflikte von lokalen Akteuren mit reisenden Journalisten dürfen aber insgesamt nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich beide Seiten meist im Rahmen einer engen professionellen Partnerschaft bewegen und bei der journalistischen Kooperation aufeinander angewiesen sind. Die meisten Konflikte um das Auftreten der »westlichen« Journalisten sowie die Bedingungen und Regeln der Indienberichterstattung entstehen entsprechend auch nicht zwischen reisenden Journalisten und ihren lokalen Partnern, sondern zwischen den Journalisten und den nationalen bzw. regionalen Behörden und Ministerien des indischen Staates, welche die Arbeit ortsfremder Journalisten verwalten und regulieren.61 Tatsächlich benötigen die reisenden Journalisten gerade im Umgang mit dieser Bürokratie besonders viel Unterstützung durch lokale Akteure. Das Herstellen von bürokratischen Zugängen für die journalistische Arbeit verstehe ich, neben dem Herstellen von thematischen und praktischen Zugängen, als einen zweiten großen Praxisbereich der journalistischen Kooperation von reisenden Journalisten und lokalen Akteuren in Indien. Thirulok Chander aus 61 | Beschäftigt mit der Vergabe von Visa und Akkreditierungen sowie der Verwaltung der Arbeit von ausländischen Journalisten in Indien waren zum Zeitpunkt der Forschung gleich eine Reihe von Ministerien und Regierungsabteilungen. So vergab die »External Publicity Division« des »Ministry of External Affairs« das Journalistenvisum, das Beschäftigte einer ausländischen Nachrichtenorganisation sogar dann benötigen, wenn sie als Touristen reisen (Government of India., o.D.-a). Ein Journalist aber, der für eine indische Nachrichtenorganisation arbeitet, benötigte wiederum ein Arbeitsvisum, das von der »Foreigners Division« des »Ministry of Home Affairs« verwaltet wird. Auch wenn es um den Besuch einer so genannten »restricted area« oder »protected area« geht, ist diese Abteilung zuständig (Government of India., o.D.-b). Ein Journalistenvisum für FreelanceJournalisten ohne einen spezifischen Auftrag ist dagegen nicht vorgesehen. Die Akkreditierung von ausländischen Journalisten, die etwa eine Voraussetzung für die Teilnahme an Pressekonferenzen und anderen Privilegien für Journalisten in Indien ist, verläuft wiederum über das »Press Information Bureau« sowie das »Ministry of Information and Broadcasting«. Diese Regularien betreffen nur die zentrale Steuerung der ausländischen Nachrichtenorganisationen, auf Ebene der indischen Bundesstaaten sowie regionalen Verw altung existieren weitere vielfältige Prozesse und Regelwerke.
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dem indischen Bundesstaat Tamil Nadu hat sich, neben der logistischen Unterstützung von »westlichen« TV-Produktionen, auf diesen Umgang mit den Behörden und Regierungsstellen in Südindien und New Delhi spezialisiert, mit denen er über Genehmigungen für »westliche« TV-Produktionen verhandelt. TV-Teams aus Europa oder Nordamerika engagieren ihn, um sicherzustellen, dass sie in Tamil Nadu legal und in geordneter Form arbeiten können.62 Neben dem universellen Begriff »Fixer« wird seine Position in den Arbeitsvereinbarungen mit seinen Auftraggebern deshalb manchmal auch als »government liaison« bezeichnet, tatsächlich fungiert er oft als eine Art persönlicher Verbindungsmann: I personally go there because the government officials are really busy, they get a lot of work so they work five days a week, overtime. So I personally visit the government officials and meet them and whatever queries they ask, I need to convince them and finally I get a permit. Because it’s a long process from one table to the next, so I have to find out all the positions, statuses and then I can get a final permit and I can say … (Interview in Chennai, 2013)
Für unser Forschungsinterview lud mich Thiruluk Chander in die »Kollywood«Produktionsfirma eines Freundes im Stadtteil Kodambakkam ein.63 Nach der Darstellung seiner Arbeit in den Ämtern und Ministerien ließ er sich, statt seinen Satz zu beenden, mit einem tiefen Seufzer in einen der Ledersessel sinken, die dort herumstanden. Er schien mit dem ganzen Körper die Erleichterung zum Ausdruck zu bringen, die das Überwinden von überaus großen Hindernissen und Schwierigkeiten mit sich bringt. Besonders beliebt scheint dieser Praxisbereich bei den lokalen Akteuren nicht zu sein. Für Uday Sripathi etwa ist der Umgang mit der indischen Bürokratie offensichtlich sogar schwerer zu ertragen als eine Recherche in der Welt des organisierten Verbrechens: »It’s the toughest part of the job. […] sometimes I kind of even think about changing my profession, only because of dealing with the Indian bureaucracy. It’s the worst in the world. I had an easier time in Africa dealing with the bureaucracy there« (Interview in Mumbai, 2013). Ineffektiv, überaus komplex und manchmal auch widersprüchlich, so beschrieben lokale Akteure die Organisation der verantwortlichen indischen Behörden. Amit Vachharajani berichtete etwa davon, dass Regeln auf nationaler und regionaler Ebene anders interpretiert würden. So sei es vorgekommen, dass er vor Ort die Auskunft bekommen habe, eine bestimmte Region sei für ausländische 62 | Thirulok Chander arbeitete nach eigenen Angaben mit der BBC, National Geographic oder auch für den Bayrischen Rundfunk. Viele seiner Projekte haben ein Naturthema (Interview in Chennai, 2013). 63 | Die tamilische Filmindustrie wird in Anlehnung an den Stadtteil Kodambakkam in Chennai, wo sich viele Filmstudios und Medienunternehmen befinden, auch als »Kollywood« bezeichnet (The Hindu, 2012).
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Journalisten gesperrt, obwohl dies offensichtlich gar nicht der Fall gewesen sei: »I sent them the link from their own website. The government’s website tells me that these are not restricted areas. Tourists can go there. […] Now they will refer it to Delhi and this will be a long process« (Interview in Mumbai, 2013). Gefragt sind hier viel Geduld und Erfahrung im Umgang mit den zuständigen Beamten: We need to have a huge amount of patience. We know how these things work. And we don’t get irritated. Once I was sitting in an office just waiting for somebody to come and sign, he said 5 minutes. I sat for 5-6 hours. It was like 11 at night when he got out and called me in. He said, ›Okay come in fast, I need to go‹. (Interview in Mumbai, 2013)
In der Praxis scheint es�������������������������������������������������������ßem Aufwand möglich zu sein, wirklich alle Vorschriften und Gesetze bis ins letzte Detail zu beachten: »If I want to take permissions to shoot properly in Bombay, it is nightmarish. From here to here there will be two municipal wards, two different police jurisdictions. I would organize police permissions, traffic police function and municipal ward function« (Interview in Mumbai, 2013). Außerdem bestehe das Problem mit der Korruption: Immer wieder, so berichtete Amit Vachharajani, würden auf verschiedenen Ebenen zusätzliche Zahlungen gefordert, deren Legitimität einzuschätzen schwierig sei. Wer nicht bezahle, für den würde vieles in Indien nicht funktionieren. So könne ein Produktionsplan ins Stocken geraten und aufseiten der »westlichen« Nachrichtenorganisation könnten dann hohe Kosten entstehen. Falls es sich dann aber erweisen sollte, auch von solchen Fällen habe er gehört, dass wirklich Schmiergeld bezahlt wurde, könnten wiederum die Nachrichtenorganisationen den lokalen Akteuren Probleme bereiten.64 Wie bereits am Beispiel der Visa-Problematik dargestellt, sehen aber nicht alle lokalen Akteure die Verantwortung für Schwierigkeiten in der Beziehung zwischen ortsfremden Nachrichtenorganisationen und indischer Verwaltung nur bei den Beamten. Shernaz Italia zumindest hält die »westlichen« Journalisten für mitschuldig: The country has really gone out of its way to try and make things much easier now than what they were. And it wasn’t easy, because they didn’t know how to make things easy. There was none who could tell them that you could make things easier by doing this-thisthis-this. Also I think a lot of people have caused trouble for themselves, by not bothering to go the right way when they could have. Not taking permission when they easily could have got it and didn’t. I think the responsibility is equally on people who have an image of bureaucracy that is not entirely true. (Interview in New Delhi, 2013) 64 | Zum Beispiel, indem der lokale Akteur seiner Aufgaben entbunden werde und Aufträge verliere, berichtete Amit Vachharajani: »Many international news companies and channels have no bribing policies« (Interview in Mumbai, 2013).
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Sie bestätigte zwar, dass Korruption bei der Organisation der Indienberichterstattung verbreitet sei, aber auch hier sieht sie die Verantwortung auf beiden Seiten. Niemand sei gezwungen zu bezahlen: »I have never paid a bribe, I don’t believe in paying bribes« (Interview in New Delhi, 2013). Langfristig habe es sich für sie ausgezahlt, Respekt vor den indischen Institutionen und den Menschen zu zeigen, die dort arbeiten. Dabei sei ein gegenseitiges Vertrauen gewachsen, das ihr nun bei der Arbeit nütze: Over all these years there’s been a very wrong notion in India that everything is done with money, it does not. And the reason that I’ve managed to get so many permissions over the years was because I sat there, I’ve taken the time sit in their offices to talk with them about other things then the films. Over the years they have grown to respect the person at the job. And when people do that, you don’t have to pay a bribe or anything. (Interview in New Delhi, 2013)
Doch was bedeutet eigentlich gegenseitiges Vertrauen beim Umgang mit staatlichen Behörden und wie weit kann (und darf) ein solches Vertrauensverhältnis im Allgemeinen führen? Bedeutet ein Vertrauensverhältnis zwischen lokalem Akteur globaler Nachrichtenindustrie und lokaler Staatlichkeit nicht automatisch ein Weniger an Vertrauen, ja ein Misstrauen im Umgang mit den reisenden Journalisten? Um diesen Grenzbereich weiter zu erforschen, habe ich auch Thirulok Chander in Chennai nach »nützlichen« Beziehungen befragt. In seinem Arbeitsalltag setzt er sich ja besonders umfangreich mit den Prozessen der indischen Bürokratie auseinander und er bestätigte auch gleich, dass er auf Beziehungen angewiesen sei: »In the fixing-world these relationships are mandatory. You need to build rapport, long term relationships. You cannot go on for long without any contacts« (Interview in Chennai, 2013). Im Umgang mit den Beamten beschrieb er wie Shernaz Italia eine kooperative Atmosphäre und gegenseitiges Vertrauen. So empfinde er es als seine Pflicht (statt als eine Überwachungsmaßnahme, wie es vom »westlichen« Standpunkt aus empfunden werden mag), den Behörden, wie offensichtlich vorgeschrieben, Filmmaterial zur Verfügung zu stellen, das die »westlichen« TVTeams in Indien produziert haben: It’s my job to give a final print to the department that gave the permit for the film. It’s my responsibility to get that, because there should be no false predications happen about India, which is then projected on external affairs, so that in foreign countries they will have a wrong perception. I should not do anything bad to my own country. It’s my duty to get a final print and get it to the responsible department or offices to give the permit for the work. (Interview in Chennai, 2013)
Seine »Nähe« gegenüber den Positionen der indischen Beamten änderte Thirulok Chander zufolge allerdings gerade nichts an der Tatsache, dass er auch das
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Vertrauen seiner Auftraggeber genieße.65 Als Spezialist erwartet man von ihm, vielleicht sogar mehr als alles andere, gute Beziehungen für eine reibungslose Arbeit vor Ort.66 *** Von Nupur Acharya, der zum Zeitpunkt der Forschung in Mumbai als lokaler Korrespondent für das Wall Street Journal arbeitete, werden im Gegensatz hierzu weniger Beziehungen als vielmehr journalistische Kompetenzen erwartet. Das sei genau der Grund, so sagte er im Forschungsinterview, warum er die »westlichen« Nachrichtenorganisationen und ihren Journalismus so sehr schätze: »Because journalism was developed in that area, so when they come to us, the checks and balances are very much in place, absolutely in place« (Interview in Mumbai, 2013). Die Regeln und Traditionen seines Arbeitgebers schien er, so zumindest mein Eindruck, als eine Art Bollwerk zu empfinden, das ihn ein Stück weit vor einem »indischen Chaos« schützt: There are sourcing rules. There’s a code of conduct. There’s a corporate governance setup in place, which I really admire. I don’t accept gifts. I don’t do anything like that. I don’t do any hanky-panky. I don’t cater markets. I’m happy doing that. I love to follow rules. (Interview in Mumbai, 2013)
Das Verhältnis zu seinen Kollegen aus den USA beschrieb er als freundschaftlich und herzlich. Er sei für diese auch immer privat ein wichtiger Ansprechpartner, wenn sie etwa ohne eine persönliche Anbindung nach Mumbai kämen. Durch kollegiale »Langzeitbeziehungen« und die direkte inhaltlichen Arbeit unterscheidet sich sein Standpunkt als lokaler Korrespondent in der globalen Nachrichtenindustrie beträchtlich von dem der freischaffenden lokalen Akteure mit ihren projektgebundenen Kooperationen und ähnelt wiederum dem von Sanjay Jha, der
65 | Zumindest äußerte sich Thirulok Chander mit dieser Überzeugung im Interview: »And moreover it is the confidence that they have in me. So I need to make it worth it for them« (Interview in Chennai, 2013). 66 | Natürlich bezieht sich das nicht nur auf die Regierungsstellen. Thirulok Chander verfügte nach eigenen Angaben über ein umfangreiches professionelles Netzwerk: »If a person has good media contact he can accomplish everything. ���������������������������dustry. So I’m getting a lot of contacts which is helpful for my fixing work. The film industry gives me a lot of contacts. I’m also connected to the local media. So I know who to go to because I have a lot of contacts« (Interview in Chennai, 2013). Bei der Organisation von Filmarbeiten würden sich hier attraktive Synergien ergeben, etwa Kontakte zu lokalen Filmcrews oder den Vermietungsunternehmen für Filmequipment.
Studie II: Standpunkt »Indien«
ebenfalls als lokaler Korrespondent für ortsfremde Nachrichtenorganisationen arbeitet.67 Für das Forschungsinterview in Mumbai nahm mich Nupur Acharya in seinem Auto zu einem Termin in der indischen Börse mit. Der National Stock Exchange befindet sich in einem mit neuen repräsentativen Bauten ausgestatteten Finanzviertel, dem Bandra Kurla Complex. Wenn er Interviewtermine oder Pressekonferenzen wahrnehmen wolle, müsse er von seinem Büro oft stundenlange Autofahrten durch die verstopfte Stadt auf sich nehmen, sagte er – wir hatten also viel Zeit für unser Gespräch. Während der Fahrt berichtete er mir von seinen Anfängen bei einer Lokalzeitung in seinem Heimatstaat Madhya Pradesh sowie der indischen Nachrichtenagentur PTI (Press Trust of India). In Mumbai gelang ihm als lokaler Korrespondent beim Wall Street Journal schließlich der Einstieg in die globale Nachrichtenindustrie.68 Journalistische Erfahrung habe er zu diesem Zeitpunkt bereits besessen, trotzdem sei das Schreiben für eine ortsfremde Nachrichtenorganisation eine große Umstellung gewesen. Zwar habe er auch bei den indischen Nachrichtenorganisationen auf Englisch gearbeitet, berichtete er, doch nun musste er lernen, sich so ausdrücken, dass er von einem »globalen Publikum« verstanden wurde. Die US-amerikanischen Redakteure des Wall Street Journal hätten ihm geholfen und nach und nach habe er so eine Sensibilität für die Kenntnisse, Ansichten
67 | Wie auch bereits im letzten Abschnitt ausgeführt, variiert der Standpunkt der Gene ralisten in der globalen Nachrichtenindustrie, zu denen ich auch die meisten lokalen Korrespondenten zählen möchte, im Vergleich zu den Spezialisten bereits grundsätzlich durch eine größere Nähe zum Standpunkt der »westlichen« Mitarbeiter einer globalen Nachrichtenorganisation. Doch auch die Arbeit der freischaffenden Generalisten basiert auf projektgebundenen Kooperationen und ihr Standpunkt in der globalen Nachrichtenindustrie unterscheidet sich deshalb in diesem Punkt von dem der lokalen Korrespondenten. 68 | Ohne viel Vorwissen habe er sich damals beworben, die US-amerikanischen Nachrichtenorganisationen schienen ein besser organisiertes und ansprechenderes Arbeitsumfeld zu bieten als die indischen Nachrichtenorganisationen. Ähnlich wie bei Sanjay Jha waren es negative Erfahrungen mit indischen Arbeitgebern, die Nupur Acharya schließlich in die globale Nachrichtenindustrie brachten: »I don’t want to work for any Indian newspaper. Simply, I like my good night sleep. I like my weekend off. So when you’re done with your work, if your sourcing is correct and everything is in order, nobody bothers you at all. You’ve done the job of the day, you leave […]. Newspapers here evolved in such a random fashion that they could never put in a code of conduct or a structure. Specifically, newspapers in India were started almost always by industrialists« (Interview in Mumbai, 2013). Unbefriedigende Arbeitsbedingungen in der indischen Nachrichtenindustrie wurden von den lokalen Akteuren immer wieder als ein Grund angegeben, warum sie es vorzögen, für »ausländische« Nachrichtenorganisationen zu arbeiten.
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und Bedürfnisse der meist »westlichen« Leser entwickeln können.69 Er erinnerte sich beispielsweise daran, wie der entsandte Bürochef ihm einmal die Abkürzung »ECB« gestrichen habe: ›So what is ECB? Is it European Central Bank?‹ I said, ›No, it’s External Commercial Borrowing.‹ ›What is External Commercial Borrowing?‹ ›This is the funds which they raise over seas.‹ ›Okay, hold it there. So you mean to say they have raised funds overseas? […] Why do you want to tell me what instrument they use? Is it relevant in the story? No. What is relevant? That they raised funds, they raised billion dollars overseas. Dumb it down‹. (Interview in Mumbai, 2013)
Schreiben für »Aunt Agatha in Atlanta« würde man das beim Wall Street Journal nennen, sagte Nupur Acharya: »She should be able to read the story and understand it. So I write for Aunt Agatha in Atlanta. That sort of story which is so dumb down. No jargons please« (Interview in Mumbai, 2013). Erwartet werde von ihm eine »neutrale« Nachrichtensprache.70 Schreiben für ein »globales Publikum« kann bedeuten – wie es auch Jabeen Bhatti im Zusammenhang der Arbeit der lokalen ARA-Korrespondenten beschrieben hat – eine lokale Eigenheit oder eine lokale Position zu erläutern, statt diese als bekannt vorauszusetzen. Wenn die indische Kreditwirtschaft melden würde, dass aufgrund der hinduistischen Herbstfeiertage die Nachfrage nach Krediten gewachsen ist, dann sei das für seine Leser in der Regel nicht selbsterklärend, erläuterte mir Nupur Acharya: »Okay, in festival season, people buy gifts. But why would I take a loan to buy a gift? So I have to put another line which says, that in India during the festival season, it is considered auspicious to buy new homes« (Interview in Mumbai, 2013). Von den lokalen Korrespondenten des Wall Street Journal werde entsprechend erwartet, dass sie ihr lokales Wissen stets reflektieren, mit dem Wissen ihres »westlichen« Publikums abgleichen und mit dem erforderlichen Kontext versehen. Als eine weitere Form der journalistischen Kooperation beschrieb mir Nupur Acharya neben der Arbeit an eigenen Artikeln ein Modell der Mehrautorenschaft mit Kollegen in anderen Ländern. Er nannte das Beispiel eines indischen Unternehmens, das in Europa investiert; in einem solchen Fall übernehme er den 69 | Nupur Acharya selbst sprach von »international audience« (Interview in Mumbai, 2013). Die Leser des Wall Street Journals mögen tatsächlich weltweit zu finden sein, in der Hauptsache stammen sie aber sicherlich aus Nordamerika. 70 | Sanjay Jha begründete ein Zurückstellen der eigenen Position in seinen TV-Berichten ebenfalls universalistisch mit »Neutralität«: »As an Indian I think Kashmir is ours. You know, Kashmir belongs to India. But while I’m writing the story, I’m not an Indian. I’m neutral. So I always write Indian held Kashmir, Pakistani held Kashmir. When I’m working I have to be very, very neutral. My own personal prejudices, my own opinion should not be reflected in my work« (Interview in New Delhi, 2013).
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indischen Teil, während ein europäischer Kollege die »andere Seite« des Artikels bearbeite (Interview in Mumbai, 2013). Auf sprachlicher Ebene erfolge journalistische Kooperation außerdem häufig subtil im redaktionellen Prozess und ohne die ausdrückliche Kennzeichnung einer gemeinsamen Autorschaft.71 *** Eine journalistische Kooperation in der globalen Nachrichtenindustrie kann aber auch dann auf inhaltlicher Ebene wirksam werden, wenn lokale Akteure nicht wie Nupur Acharya direkt an der Produktion der Medieninhalte beteiligt sind. Oft übernehmen lokale Akteure beispielsweise Interviews, wie Shernaz Italia berichtete: »It would actually be me taking interviews very often. The producer has to trust you and know that you’re doing it the right way, asking the right questions« (Interview in New Delhi, 2013). Sie begründete dieses Vorgehen mit der Zeitersparnis und außerdem sei es von Vorteil, die Komplexität zu vermeiden, die durch eine kontinuierliche Übersetzung vor Ort entstehe.72 Bislang habe ich beschrieben, wie lokale Akteure in journalistischen Kooperationen durch das Herstellen thematischer und praktischer sowie bürokratischer Zugänge die Arbeit von reisenden Journalisten in Indien möglich machen und so indirekt auch die Medienprodukte auf vielfältige Weise determinieren. Das Herstellen von kommunikativen Zugängen durch sprachliches und kulturspezifisches Handeln verstehe ich als den dritten großen Praxisbereich der journalistischen Kooperation vor Ort, von dem ebenfalls eine erhebliche indirekte Wirkung auf die Indienberichterstattung ausgeht. Bei der Übernahme von ganzen Interviews durch lokale Akteure handelt es sich sogar um die vollständige Auslagerung einer journalistischen Kerntätigkeit. Hier wird die von mir an der direkten inhaltlichen Mitarbeit gezogene Grenze zwischen lokalen Korrespondenten und »Fixern« sichtbar durchlässig, weil »westliche« Journalisten oder Auslandsredak-
71 | Nupur Acharya berichtete, wie sein Redakteur aus New York ihn einmal beim Redigieren auf eine Analogie hingewiesen habe, die er dann in seinem Artikel aufgegriffen habe: »I did a big story on Bandra Kurla Complex […]. Narinam Point has been the central business district for Mumbai for many years, but for the last 5 or 6 years all the big guys have moved to Bandra Kurla Complex. In Mumbai, just like in Manhattan, you’ve seen the move […] towards the suburbs. And that Manhattan example which I gave you was not clear in my mind. I’ve never been to Manhattan, I didn’t know what was the trend there« (Interview in Mumbai, 2013). 72 | Shernaz Italia war es wichtig zu betonen, dass es ihr dabei nicht um eine Notlösung oder journalistische Nachlässigkeit gehe: »They give you interviews not because they’re lazy. If there is a particular subject, it is easier that I do it in one go, then we speak about what has been said because maybe the person also has not enough time, or it’s going to be more complicated that way. So I take the interview« (Interview in New Delhi, 2013).
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teure als Auftraggeber bei solchen Aufträgen nicht vor Ort sein müssen, ja sie müssen sich nicht einmal auf demselben Kontinent befinden.73 Neben der Übernahme von ganzen Interviews helfen lokale Akteure auch mit Übersetzungen vor Ort, was von meinen Gesprächspartnern als eine komplexe Translationsleistung beschrieben wurde, die oft auch eine »kulturelle« Vermittlung betreffe. Anand Bhaskar Morla sah sich dabei als »Brückenbauer« (und verwendete damit ein ähnliches Bild wie der reisende Journalist Phil Cox): »That’s an integral part of my work, to build a bridge between two different cultures. There are many times that there is some cultural faux pas that happens from either side. It can even be happening from one or the other side« (Interview in New Delhi, 2013). Er berichtete mir von Situationen, in denen er zwischen »westlichen« Journalisten und der »indischen Seite« vor Ort habe vermitteln müssen: Let’s say we are getting late. In the East, we do a lot of hospitality. So even if the crew says we’re fine we need to work, they insist on serving them tea, snacks etc. Then if the crew is worked up, saying, ›No, I don’t want to do a break, we just want to film. We just want to do our interview with you‹. That’s the point when it gets difficult, because that will upset the host who is not only your host, but also your subject. Then there is tension on both sides. I have to make a compromise between the two sides, very softly. Not making one side feel that there is some compromise happening. (Interview in New Delhi, 2013)
Bemerkenswert an dieser kulturellen Mittlerrolle erscheint mir dabei, dass er auch dazu bereit war, Verhaltensänderungen seiner »westlichen« Auftraggeber einzufordern, um den Erfolg des journalistischen Projekts sicherzustellen. Eine solche »kulturelle« Vermittlung durch die lokalen Akteure mag stellenweise von großer Bedeutung sein. Doch entscheidender�����������������������������los die journalistische Übersetzung vor Ort, die mir Anand Bhaskar Morla ebenfalls beschrieben hat:
73 | Manchmal wird es den lokalen Akteuren durch solche Aufträge deshalb auch möglich, den eigenen Standpunkt in der globalen Nachrichtenindustrie nachhaltig zu verschieben und zum lokalen Korrespondenten zu avancieren. Für Uday Sripathi, der zum Zeitpunkt der Forschung regelmäßig Medieninhalte für die NBC produzierte, ergab sich aus der Übernahme eines Interviews der Einstieg in die regelmäßige Arbeit als lokaler Korrespondent für das US-Fernsehen: »There was this one documentary for ›Dateline NBC‹. Everything was set up, the correspondent, the producers and everyone was supposed to come in but no one got their visa except the cameramen. So I’ve been working with this team for a long time. They kind of trusted me and said, ›Uday we are not able to make it why don’t you do it?‹ Of course the cameraman was experienced and he could have done it by himself, but he supported me and through that I grew the confidence that okay, I can handle things alone« (Interview in Mumbai, 2013).
Studie II: Standpunkt »Indien« You have to beat from English, beat from the local language into English or from the local language into French. It has to be done continuously. You have to have a very quick presence of mind. You have to retain a lot of information. Some people speak a lot. You have to remember all that. I give myself keywords. I don’t write a note, it all has to be in your mind. Sometimes, you know that every time you are translating, you’re losing out time of the present, spontaneity, so you have to be very quick. (Interview in New Delhi, 2013)
Die Qualität der journalistischen Übersetzung eines lokalen Akteurs wird zweifellos zum großen Teil durch dessen sprachliche Fähigkeiten determiniert und ähnelt, zumindest hinsichtlich der intellektuellen Anforderungen, der Arbeit von Dolmetschern bzw. Simultandolmetschern. Anand Bhaskar Morla sprach nach eigenen Angaben neun Sprachen, was ihm bei dieser Arbeit sicherlich nützlich war.74 Bei genauerer Betrachtung handelt es sich bei einer journalistischen Übersetzung�������������������������������������������������������������������ze situative Begegnung mit einem Interviewpartner später als Film- oder Tondokument selbst zum Bestandteil eines Medienproduktes werden kann, ist das Interview meist als Kunstform eines Gesprächs inszeniert. Das journalistische Interview ist in diesem Sinne eine hoch artifizielle bzw. ritualisierte Situation, bei der die journalistische Übersetzung als Teil einer Performanz zu betrachten ist, deren Choreografie insgesamt durch die erwünschte rhetorische Ästhetik des Output bestimmt wird. Wie auch andere Forschungen bestätigt haben, ist die journalistische Übersetzung der lokalen Akteure in der Praxis keine wörtliche Übersetzung, sondern eine Paraphrase des Gesagten, die dem Journalisten die Möglichkeit gibt, angemessen auf Aussagen des Gesprächspartners zu reagieren (Palmer & Fontan, 2007, S. 10; Murrell, 2015, S. 83). Was Anand Bhaskar Morla mit »spontaneity« bezeichnete, also der Fluss der Ereignisse bzw. des Gesprächs, steht dabei der Genauigkeit der Übersetzung entgegen. Wenn die Übersetzung zu umständlich gerät, dann bleibt nur wenig Zeit für das sprachliche Handeln des Journalisten und auch der Ausdruck des Interviewpartners wird unterbrochen 74 | Neben Hindi und Englisch sprach Anand Bhaskar Morla nach eigenen Angaben auch Telugu, Tamil, Bengali und Punjabi, darüber hinaus sprach er fließend Französisch und ein wenig Spanisch; zum Interviewzeitpunkt berichtete er, er habe zudem begonnen, Persisch zu lernen (Interview in New Delhi, 2013). Auch andere Gesprächspartner berichteten von ihrer Vielsprachigkeit – das gilt auch für Spezialisten wie Dinesh Dubey, die keine umfangreiche formale Bildung genossen haben: »Mumbais fixers are very unique fixers […] we are staying in such a metropolitan city where from every part of India, every people are staying here. And the city itself teaches people language. It is not you are learning the language. It is the city which is giving you the language because you have friends. One is Gujarati, one is Tamil, one is Panjabi and I know, being a sixth standard fail, I know seven languages. […] ›Mumbai chicote.‹ In Marati I was speaking. It means ›Mumbay teaches’« (Interview in Mumbai, 2013).
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und in seiner emotionalen Entfaltung eingeschränkt. Schnell ist dann der Faden verloren, schon ein falsches Wort kann das Gespräch in eine völlig falsche Richtung lenken oder einen O-Ton »zerstören«. Auch Amit Vachharajani beschrieb im Forschungsinterview, dass es vor Ort vor allem darum ginge, dem Journalisten einen schnellen Zugang zu den Inhalten der Antworten zu ermöglichen: »I don’t have to do the whole literal translation, because that they can do later. My job is just to convey and help the director ask the next question and do it sensitively. Sometimes there are sensitive issues, so how to do that in the best possible manner« (Interview in Mumbai, 2013). Die vielleicht wichtigste Voraussetzung für die journalistische Übersetzung ist deshalb nicht das fremdsprachliche Vokabular, sondern ein grundlegendes Verständnis der Intentionen des Journalisten und der Prozesse bei der Medienproduktion. Bei der journalistischen Übersetzung vor Ort verfolgen lokale Akteure in der Regel zwei sehr unterschiedliche Strategien, je nachdem, in welche Richtung übersetzt wird. Bei der Übersetzung in Richtung des »westlichen« Journalisten ist es wie beschrieben üblich, eine möglichst genaue Paraphrase des Gesprächsinhalts zu liefern – in gebotener Kürze.75 Bei der Übersetzung für den lokalen Gesprächspartner scheint es hingegen Konsens zu sein, die Interviewfragen in manchen Fällen zu modifizieren. Anand Bhaskar Morla beschrieb mir, in welcher Form diese Modifikationen seiner Auffassung nach durchgeführt werden sollten: Some cultures have a more direct way of asking questions, which have to be culturally filtered either in terms of directness or in terms of giving an option. I have to be conscious if needed […]. The sense of the question is important to be guarded, but the language must be modified sometimes. (Interview in New Delhi, 2013)
Die Intention hinter einer solchen Veränderung ist es, eine Antwort herbeizuführen, die nach dem Verständnis des lokalen Akteurs der Intention des fragenden Journalisten entspricht und mit einer wörtlichen Übersetzung der Frage nicht erreicht werden kann. Dabei geht es nicht um inhaltliche Verzerrung, sondern zum Beispiel darum, etwas zu erklären, was für den Befragten offensichtlich nicht verständlich wird 75 | Dagegen würden unerfahrene »Fixer« dazu neigen, so berichtete Uday Sripathi, die Antworten der Gesprächspartner mit zusätzlichen Informationen aus dem eigenen Wissen zu »garnieren«: »In one project we got a translator. […] The journalist asked a question. So the translator asked the question but the person who was interviewed did not answer the question properly […]. Then the translator answered his own questions by rephrasing the answer differently and that is when I stepped in. I told him and even the journalists agreed that this is the case, ›Whatever the answers are the interviewee gives, he has to translate home and not to give his own. Because, based on those answers the journalist will rephrase the next question. He does not need something getting filtered or changed in between« (Interview in Mumbai, 2013).
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oder darum, dessen Rückfragen zu beantworten, statt diese zu übersetzen.76 Etwas kulturell »angemessen« zu fragen helfe außerdem dabei, wie Amit Vachharajani betonte, eine gute Gesprächsatmosphäre herzustellen: Especially with women, so many things can’t be asked. […] There are certain ways to ask. Also you have to go and make contact before you start an interview. Suppose it is a tricky kind of a subject, sensitive. We make sure that you are at ease with the character before. We don’t just land up with the camera on the day of the shoot. (Interview in Mumbai, 2013)
Am Tag vor dem Interview mit Amit Vachharajani hatte ich ein Projekt abgeschlossen, für das ich, wie im nächsten Abschnitt dargestellt wird, in der Rolle des Radiojournalisten mit einem lokalen »Fixer« in Mumbai zusammengearbeitet habe. Dass es in einem ungewohnten Umfeld schnell passieren kann, Fragen auf die falsche Art und Weise zu stellen, daran wurde ich durch das Gespräch mit Amit Vachharajani noch einmal erinnert. Denn auch ich war in diese »Falle« getreten und habe kulturell unangemessene Fragen gestellt.
3.3 » M umbai F ixer « –
eine
F orschungsreportage
Als der Kinofilm Slum Dog Millionaire (2008) einige Zeit das Interesse westlicher Massenmedien für die urbane Armut in Indien und das Leben in den Slums weckte, eröffnete sich für Rakesh Agarwal, der selbst viele Jahre in dem Slum Dharavi in Mumbai gelebt hatte, eine neue Verdienstmöglichkeit: die Arbeit als »Fixer« für Journalisten aus dem Ausland. Seine »Karriere« begann im Jahr 2009 in einem Internetcafé im Stadtteil Colaba in Südmumbai.77 Rakesh, wie er von mir genannt werden wollte, kannte damals weder den Begriff »Fixer« noch hatte er jemals journalistisch gearbeitet – aber ��������������������������������������den reden, darin hatte er bereits Erfahrung.
76 | Sobald größere Korrekturen notwendig werden, ist nach Ansicht von Shernaz Italia aber ein Austausch zwischen lokalem Akteur und fragendem Journalisten notwendig, bei dem der lokale Akteur dann Vorschläge einbringt: »If the questions are not appropriate then I tell the producer, ›That that’s not an appropriate question and I can’t ask that so how about we instead ask this?‹ « (Interview in New Delhi, 2013). Auch Amit Vachharajani berichtete von diesem Vorgehen: »I would change it. I’ll tell him that this is too rude to ask like this. […] Can we change it like this? This is easier. I would get more responses this way. This is culturally totally wrong to ask. It happens all the time« (Interview in Mumbai, 2013). 77 | Hier und im Folgenden beziehe ich mich bei allen biografischen Daten zu seiner Person auf Angaben, die Rakesh Agarwal mir bei verschiedenen Gesprächen gemacht hat. Ich habe keine Möglichkeit, das Gesagte auf seinen Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen.
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Als Jugendlicher kam Rakesh alleine aus einem Dorf in Rajasthan nach Mumbai und hatte immer wieder in Dharavi gelebt und gearbeitet, den Slum kannte er gut und er war dort ausgezeichnet vernetzt. Rakesh, der mit dem Betreiber des Internetcafés in Colaba befreundet ist und dieses mittlerweile als »Büro« nutzt, sprach Touristen an, von denen er die englische Sprache lernte. Manchmal unterhielt er sich einfach mit den Reisenden, aber immer wieder organisierte er für Trinkgelder Stadttouren oder half etwa dabei, eine indische SIM-Karte für ein Mobiltelefon zu registrieren. Als er dann 2009 einen Reisenden aus Großbritannien ansprach, eröffnete ihm dieser, er sei Fotograf; ein Magazin habe ihn beauftragt, einige Orte zu fotografieren, wie sie in Slum Dog Millionaire gezeigt werden. Bisher hatte er noch keine Kontakte in den Slum geknüpft und als Rakesh ihm von seinen Ortskenntnissen in Dharavi erzählte, engagierte er ihn als »Fixer« für das Projekt. Der Fotograf war mit seinen Slumfotografien zufrieden und half Rakesh dabei, ein Profil bei der Internetplattform Lightstalkers anzulegen. In unregelmäßigen Abständen folgten weitere Anfragen und er arbeitete für Fotografen und Journalisten aus Europa und den USA. Er brachte sie in die Slums von Mumbai, organisierte Protagonisten für Reportagen über Müllsammler und Tagelöhner und half den Besuchern dabei, mit Straßenkindern zu sprechen oder traditionelle indische Hochzeiten zu fotografieren. Doch trotz dieser neuen Einkommensquelle ist seine Situation prekär geblieben. Es gelang ihm nicht, wie etwa Dinesh Dubai, durch die Arbeit als »Fixer« seine wirtschaftliche Situation nachhaltig zu verbessern.78 Mit Rakesh arbeiten keine großen Fernsehanstalten oder Journalisten der New York Times, sondern »Freelancer«, zum Beispiel Fotografen oder Magazinautoren. Wann Aufträge an ihn herangetragen werden, könne er nicht beeinflussen, manchmal sei es nur ein Projekt im Monat.79 Ich fand Rakesh über Lightstalkers im Internet und traf ihn dann in seinem »Büro«, dem Internetcafé in Colaba, Südmumbai, um eine teilnehmende Be-
78 | Seine Honorare seien im Allgemeinen nicht starr festgelegt, erläuterte er mir. Während er am Anfang für einen Tagessatz von nur etwa 700 INR (ca. 10€) gearbeitet habe, würde er nun, je nach Schwierigkeit des Projektes, mehr als das Doppelte verlangen. Im Vergleich zu meinen anderen Gesprächspartnern befand sich das Honorar von Rakesh damit am unteren Ende der Einkommensmöglichkeiten eines »Fixers« in Indien. 79 | Seine lukrativsten Aufträge seien interessanterweise Langzeitprojekte von Sozial wissenschaftlern gewesen, die ihn manchmal für Monate finanziell versorgt hätten. Einmal habe er einem Forscher dabei geholfen, die Recycling-Industrie im Slum Dharavi zu untersuchen. Ein anderer Auftrag habe die urbane Landwirtschaft in der Megacity umfasst; er habe einem Forscherteam urbane Bauern vorgestellt, die zwischen den Bahngleisen der Mumbai Suburban Railway Gemüse und sogar Getreide anbauen. Dabei habe er nicht nur Fragen übersetzt, sondern auch aufgepasst, dass alle Forscher sicher über die Gleise gelangten.
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obachtung in Form eines journalistischen Projektes mit ihm zu planen.80 Kurz zuvor hatte ich in der New York Times gelesen, dass in Mumbai offensichtlich Millionen von Menschen auf öffentliche Toiletten angewiesen seien und sich an manchen Orten bis zu 300 Menschen eine einzige Toilette teilen würden (Yardley, 2012). Die öffentlichen Toiletten würden zudem zur Trinkwasserversorgung und als Waschraum genutzt, obwohl sie oft in einem schlechten hygienischen Zustand seien. Dabei komme es zudem zu einer geschlechtlichen Diskriminierung, so las ich dann auch in einem BBC-Artikel (Ahmed, 2012), weil es für Frauen viel teurer sei, die Toiletten zu benutzen. Mit einer zum Forschungszwecke durchgeführten Produktion eines Radiofeatures wollte ich nun an diese Berichte über die öffentlichen Toiletten in Mumbai anknüpfen und eine der tausenden öffentlichen Toiletten in Mumbai als einen urbanen Ort erkunden.81 *** Der Narinam Point befindet sich gleich neben dem südlichen Ende des Marine Drive, der Südmumbai gegen das Arabische Meer begrenzt. Es ist ein großer runder Platz, von der kleinen Madame Cama Road durchschnitten, umrundet von einem Zirkel aus hohen Bürogebäuden an zwei Ringstraßen, die einige vertrocknete Parkflächen einschließen. Als wir den Platz zum ersten Mal betraten, war es früher Vormittag. Die Rush Hour, bei der Abertausende von Menschen in Bussen, Bahnen, Autos, Lastwagen, Motorrädern, Fahrrädern oder zu Fuß zu ihrer Ar-
80 | Rakesh Agarwal erhielt für seine Teilnahme ein reguläres Tageshonorar von 1500 INR (ca. 20€), was für ihn die Voraussetzung für eine Mitarbeit war: »I’m not working only for the money, I’m working also for the experience and the truth, it’s my passion, but I’m also not doing social work. I’m making money as a fixer, because I want to also live my life. So it’s both hands. You can’t clap without both hands« (Feldnotizen vom 08.04.2013), erklärte er mir seine Philosophie. 81 | Der Umstand, dass ein Thema als story line in den »westlichen« Massenmedien bereits etabliert ist, macht es einfacher, ein Projekt mit einem ähnlichen Thema journalistisch zu verkaufen. Tatsächlich ist dies nach meiner Erfahrung eine der üblichen Strategien von Rundfunkjournalisten, ihre Produkte im Programm zu platzieren. In der Regel versucht ein Feature-Autor sein Projekt schon vor der Produktion zu verkaufen. Ich habe in diesem Fall darauf verzichtet, tatsächlich eine Feature-Redaktion in diese Forschungsreportage zu involvieren, weil mein Fokus auf dem Prozess der Produktion vor Ort lag. Insgesamt ist diese Produktion vor Ort aber nur ein erster Arbeitsschritt auf dem Weg zum Radiofeature, danach würde das Erstellen eines Skriptes, die Auswahl und der Schnitt der Aufnahmen sowie die Produktion im Hörfunkstudio erfolgen. Lokale Akteure sind bei diesen Arbeitsschritten in der Regel nicht mehr involviert.
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beit strömten, lag bereits einige Stunden zurück.82 Aber immer noch waren viele Menschen auf den Straßen unterwegs. Noch bis zur Weltfinanzkrise 2007 war der Narinam Point die erste Adresse der indischen Geschäftswelt und einer der teuersten Orte für Büroimmobilien weltweit (Mumbai.org, o.D.). Heute sind das eher Orte wie der Bandra Kurla ����plex, den ich mit dem Korrespondenten des Wall Street Journals besucht habe. Einige der Büros am Rande des Narinam Point standen bereits leer, andere, wie das Hauptquartier der Air India, hielten dem Standort weiterhin die Treue und wie fast überall in Mumbai lebten auch dort viele Menschen auf der Straße. Gerade aufgrund dieser urbanen Vielfalt hatten Rakesh und ich diesen Platz für das Radiofeature ausgewählt. An der Madame Cama Road sah ich Läden, Buden, Restaurants, kleine Mittagsküchen, Bushaltestellen und einen Taxistand. Schließlich erreichten wir ein Toilettengebäude, das am Rande des Parks in einem Bungalow angelegt war. Es stand im Schatten eines riesigen Baumes und sah nicht mehr neu, aber gepflegt aus. Auf der Treppe zum Toilettengebäude, im Schatten des Baumes, hatte sich ein alter Mann mit geschlossenen Augen ausgestreckt. Ich hatte mir vorgenommen, nun in kleinen Gesprächen und Umfragen unter den Gästen der Toilette sowie in atmosphärischen Aufnahmen rund um die Einrichtung den Ort für die Zuhörer erlebbar zu machen. Durch die Angestellten aus den nahen Büros würde so vielleicht eine Art sozialer Querschnitt durch das urbane Mumbai entstehen, weil unsere Gesprächspartner aus ganz unterschiedlichen Schichten stammen würden, die alle die Toilette aus unterschiedlichen Gründen nutzen. Rakesh entdeckte einen Mann mit Locken und einem dunklen Bart, der vor dem Gebäude mit Schläuchen beschäftigt war. »That’s the manager« (Feldnotizen vom 09.04.2013), rief er und sagte dann: »Shake Hands!« Nachdem ich den Manager wie aufgefordert begrüßt hatte, sprachen die beiden auf Hindi. »I told him you came from Germany to learn about public sanitation in India«, erklärte mir Rakesh anschließend, »he is fine with you working here, if you want we can even talk with him later on« (Feldnotizen vom 09.04.2013). Wir können also gleich anfangen, dachte ich, und sprach einige Jugendliche an, die vor dem Gebäude herumstanden und schon eine Weile neugierig zu uns herübersahen. Ich winkte Rakesh zum Übersetzen heran. Doch er war davon nicht sonderlich begeistert: »You shouldn’t talk to those guys« (Feldnotizen vom 09.04.2013), sagte er düster. Dass dies die »bösen Jungs« von Narinam Point sein sollten, fand ich wenig überzeugend. Warum machte er sich Sorgen? Sie wirkten auf mich wie ein paar harmlose Teenager, vielleicht 15, 16, höchstens 17 Jahre alt. Ich war froh, dass ich nun mit der Interviewarbeit begonnen hatte und wollte mich nicht gleich wieder dabei unterbrechen lassen. Einer der Jugendlichen, den die anderen Shiva nannten, trug seine Haare in exzentrischen Fransen. In seinen Ohren steckten mehrere riesige Stachelohr82 | Nur die sonst im Stadtbild von Mumbai charakteristischen Zweitakter-Rikshas sind in Südmumbai zugunsten des Taxiverkehrs und einer besseren Luftqualität verboten.
Studie II: Standpunkt »Indien«
ringe, die in einem eigenartigen Kontrast sein androgynes Äußeres betonten. Er konnte ein paar Brocken Englisch und ����������������������������������������rers: ›Where are you from?‹ ›I am a journalist from Germany. A kind of journalist slash scientist. Can I record your voice?‹ (Feldnotizen vom 09.04.2013)
Mir wurde in diesem Moment nun sehr bewusst, dass ich zwar gegenüber Rakesh erläutern konnte, dass es mir eigentlich um eine Betrachtung unserer eigenen Arbeitsweise ging, dass aber solche Erklärungsversuche gegenüber unseren Gesprächspartnern vor Ort zwangsläufig furchtbar umständlich und auch in ihrer Komplexität ein wenig lächerlich wirken mussten. Doch Shiva und seine Freunde interessierte es nicht weiter, warum ich sie aufnehmen wollte. Sie kicherten und amüsierten sich offensichtlich über mich. »Talk to my friend Rakesh« (Feldnotizen vom 09.04.2013), sagte ich zu ihm und bat Rakesh herauszufinden, ob sie hier wohnten und ob sie die Toilette regelmäßig nutzten. Rakesh übersetzte – weiterhin ein wenig widerwillig –, dass sie aus einem nahen Slum kämen und jeden Tag zum Waschen hierherkämen. »What’s the matter?«, fragte ich Rakesh, der jetzt noch deutlicher mit den Augen rollte, »we want to find out about the social quality of this place, so we have to talk to anyone that comes here! Can you please ask them what they pay and if it’s hard for them to pay the fee every day?« (Feldnotizen vom 09.04.2013) Die Gebühr betrage 5 INR pro Besuch und das fände keiner von ihnen unangemessen, »It’s cheap they say« (Feldnotizen vom 09.04.2013), erklärte Rakesh. Wieder wurde das Lachen lauter und immer mehr Menschen traten heran, um unser Gespräch zu beobachten. Dann kam der Manager aus dem Toilettengebäude und scheuchte die inzwischen zusammengelaufene Menschenmenge wütend auseinander. Shiva kehrte sich mit einer angedeuteten, sicherlich obszön gemeinten Handgeste nur langsam ab und ging mit seinen Freunden kichernd und lachend weg. »Please come inside now« (Feldnotizen vom 09.04.2013), sagte der Manager streng zu mir. Er sah besorgt und verärgert aus. Hatte ich etwas falsch gemacht, warum waren all die Menschen gekommen, um uns zuzusehen? Ein Seitenblick zu Rakesh verriet mir, dass dieser jetzt ganz entspannt war, nun sogar seinerseits amüsiert. Er unterhielt sich auf Hindi mit dem Manager. »Tell him that I am sorry« (Feldnotizen vom 09.04.2013), bat ich Rakesh. ›I didn’t mean to create this mess. I am just interested in the place and its people, tell him that.‹ ›You can tell him in English.‹ (Feldnotizen vom 09.04.2013)
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Aber warum konnte er Englisch und warum wusste Rakesh darüber Bescheid? Später sollte ich es vergessen und dann aber erfahren, dass Rakesh die Toilette tatsächlich schon seit Jahren kannte. In diesem Moment konnte ich das nicht auf klären, also entschuldigte ich mich und das Eis war gebrochen: »I don’t like them«, erklärte der Manager: »Sometimes they sit here and gamble. And then they drink and they regularly get into fights. And also they were making fun of you« (Feldnotizen vom 09.04.2013). Er zeigte uns die Toilettenanlage, sie war in einem annehmbaren Zustand. Dann führte er uns in einen kleinen Nebenraum. Der Manager, der sich als Raju vorstellte, Rakesh und ich ließen uns dort auf geflochtenen Matten auf dem Erdboden nieder. Es waren die Schlafmatten der Mitarbeiter, wie ich nun erfahren sollte, denn in der Toilette lebten und arbeiteten ständig drei Personen, die sich abwechselnd um ihren Betrieb kümmerten. Raju rief seine Kollegen herein, die gerade im Inneren der Toilette putzten und stellte mir diese vor. Einer von ihnen war noch ganz jung, der andere schon älter, beide begrüßten uns ein wenig schüchtern und gingen dann gleich wieder zurück zu ihrer Arbeit. Rakesh streckte sich bequem aus, stützte sich dabei auf seine Ellbogen und mit dieser demonstrativen Geste der Entspannung verbreitete er eine freundliche Atmosphäre, die nach und nach auch auf unser Gespräch wirkte. Ich startete meine Aufnahme und fragte zum »Aufwärmen« zunächst einige Fakten ab. So erfuhren wir, dass die Toilette von einer Organisation namens Sulabh betrieben wurde und von 5 Uhr morgens bis 11 Uhr abends geöffnet war. Die drei Männer wechselten sich bei der Arbeit ab. Jeden Tag kamen so ungefähr 1000 INR (ca. 15€) zusammen, der Manager verdiente jeden Monat etwa 4000 INR (ca. 60€). Sulabh betrieb nach seinen Angaben 800 Toiletten in Mumbai und viele mehr in ganz Indien. Offensichtlich betrieb diese Firma sogar öffentliche Toiletten in Bangkok, Hongkong und Singapur – ich hatte es also mit einem multinationalen Toilettenunternehmen zu tun.83 All diese Informationen waren vielleicht inhaltlich nützlich, um später das Thema in meinem Radiofeature zu etablieren, aber jetzt brauchte ich vor allem O-Töne, die ich direkt verwenden konnte. Dafür musste ich Raju zum Sprechen bringen, ich wollte etwas hören, was ihn emotional bewegte: ›How did you start with that work? Are you from this city?‹ ›I come from Calcutta. Really we are from Bihar but we stayed for such a long time in Calcutta. Our educations and qualifications, everything is coming from Calcutta. My father, my son, myself.‹ (Feldnotizen vom 09.04.2013)
83 | Wie ich später gelesen habe, ist Sulabh eine nichtkommerzielle Organisation, die 1970 von dem Soziologen Bindeshwar Pathak gegründet wurde, mit dem Ziel, die Mitarbeiter aus der Armut zu führen und einen Beitrag zur sanitären Grundversorgung in Indien zu leisten (Sulabh, o.D.).
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Sein Vater sei Bauunternehmer gewesen, berichtete er uns, er selbst habe zunächst eine gute Schule besucht, bis der Vater sein Geschäft aufgeben musste und sie alle zurück in das Dorf im Bundesstaat Bihar zogen. Dort habe er geheiratet, doch um seine Familie mit zwei Kindern und seine Eltern ernähren zu können, habe er weggehen müssen, um eine Arbeit zu finden. Er habe es in New Delhi und vielen anderen Städten versucht und vor etwa drei Jahren sei er dann nach Mumbai gekommen. Seine Antworten wurden jetzt umfangreicher, er hatte sich an uns gewöhnt. Er berichtete uns, dass viele der Toiletten in Mumbai von Bengalen betrieben würden, sein älterer Kollege arbeite schon 20 Jahre hier und sei ebenfalls aus Kalkutta gekommen. Keiner in seiner eigenen Familie wüsste allerdings, dass er hier in einer Toilette arbeitete. In seiner Kaste sei dies eine Schande, behauptete er – deshalb erzähle er ihnen von einer Arbeit in einem Büro (Feldnotizen vom 09.04.2013). Das Interview funktionierte gut auf Englisch, nur manchmal musste Rakesh eingreifen, wenn Raju nicht weiter wusste und etwas auf Hindi erklärte. Genau an solchen Stellen wurden die O-Töne dann leider für die weitere Verwendung im Radiofeature praktisch unbrauchbar. Denn Rakesh wollte ich als Stimme eigentlich nicht einführen, so hatte ich zumindest überlegt, er sollte also nicht unbedingt zu hören sein. Bisher hatte ich allerdings nur eine grobe Idee von einer schwebenden Form der Zuhöreransprache, eine Montage, bei der weder Rakesh noch ich eigentlich eine Rolle spielen sollten. Ich musste unbedingt mit Rakesh darüber sprechen, wie er sich während eines Interviews verhalten sollte, aber dafür war natürlich nicht der richtige Moment. Schließlich kamen wir darauf zu sprechen, was die Toilette für die vielen obdachlosen Menschen bedeutete, was ja so etwas wie den Kern unseres Themas darstellte. Raju berichtete, dass er ihnen Trinkwasser verkaufe und dass es besonders am Morgen hier einen großen Andrang von Menschen gebe, die sich waschen wollten. Ich frage ihn nach dem in den Medienberichten beschriebenen Problem der Frauendiskriminierung, doch er wies das zurück. Natürlich konnte ich nicht erwarten, dass er einfach zugibt, dass Frauen bei der Bezahlung benachteiligt werden. Allerdings überraschten mich die Argumente, die er nun vorbrachte, warum er auf einer Bezahlung gar nicht bestehen könne: ›The local ladies don’t pay us. Anybody is my guest, they can come any time, it’s okay if they don’t have money. If they have some money they will pay 5 rupees only. They will bring all their clothes and start washing it in the bathroom.‹ ›And you can’t do anything?‹ ›We can’t say anything. We’re hopeless because if I say something, his society will come and start beating us. They are also oppressed. They can’t do anything. So what can we do? We are from the outside. We can’t fight with them. So why should I get beaten up? Better to leave them alone.‹ (Feldnotizen vom 09.04.2013)
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Nach etwa einer Stunde signalisierte Raju uns, dass er nun weiterarbeiten musste. Als ich mich schon bedankt hatte, stieß Rakesh mich in die Seite: »Don’t forget to give him a little tip for his effort« (Feldnotizen vom 09.04.2013). Sofort tat ich, was mein »Fixer« mir auftrug. Schon nach so kurzer Zeit fühlte es sich für mich an, als würden wir als Team handeln und dazu gehörte auch, dass ich jetzt alles so machen wollte, wie mein »Fixer« es mir sagte. Später kam mir der Gedanke, dass ich an diesem Punkt ein Stück Souveränität aufgegeben hatte, weil er mich streng genommen aufforderte, Raju für seine Partizipation an dem Radiofeature zu bezahlen. Es war für mich in diesem Moment aber vielmehr als eine Frage lokaler Gepflogenheiten erschienen, für die Rakesh sicherlich ein besseres Gefühl hatte als ich. Wir machten eine Pause und aßen in einer der kleinen Mittagsküchen an der Madame Cama Road. Ich redete die ganze Zeit auf Rakesh ein und fragte ihn immer wieder, ob er wirklich an das glaubte, was Raju gesagt hatte. Wir müssten nun versuchen, direkt mit den Frauen zu sprechen, um sie selbst nach den Gebühren zu fragen. Aber Rakesh blieb in diesem Punkt skeptisch: »Well, you can try and talk to them. If I talk to them they will find that frightening, with you they might be okay« (Feldnotizen vom 09.04.2013). Als wir zurück zum Toilettengebäude kamen, versuchte ich einige Frauen anzusprechen. Doch die Situation war tatsächlich zu seltsam für sie und ich erhielt nicht mehr als ein paar erschrockene und verständnislose Blicke als Antwort, die meisten der Frauen flohen einfach, sobald ich versuchte, mit ihnen zu sprechen. Ohne weibliche Hilfe kamen wir an diesem Punkt nicht weiter. »You can come back«, rief ich Rakesh zu, der sich versteckt hatte, um meine Bemühungen zu beobachten. »I promise I will stop talking with the ladies at once!« (Feldnotizen vom 09.04.2013). Wir führten nun stattdessen noch einige kurze Interviews mit den männlichen Gästen der Toilette, die mir gern Auskunft gaben. Ich stellte die Fragen, Rakesh übersetzte sie auf Hindi und gab mir dann wieder, was sie antworteten. Alle fanden sie die Gebühr angemessen. Doch unsere Unfähigkeit, auch nur mit einer einzigen Frau ins Gespräch zu kommen, ließ mir keine Ruhe und ich sprach ihn später noch einmal darauf an. Doch unser Gespräch nahm eine unerwartete Wendung: ›Did you have this problem before, that it’s hard for journalists to find opportunities to interview women?‹ ›Well, if it’s really important I can always ask help from Indian women. But actually I have another problem. I am not sure why, but I have a lot of business coming in from women journalists.‹ ›Why is it a problem for you?‹ ›It’s not a problem for me that they are women. I feel more responsible, that is the problem, for them to be safe. Because I’m not from an organization and I’m not doing work for a company, if something happened, it’s me. They think I have done something, even if I
Studie II: Standpunkt »Indien« have done nothing. But they really think that because I’m a guy. They will definitely think that. So I’m worried all the time. The culture is different. People are nice, Indian people. I don’t say they are bad people. But you never know what happens. I’m afraid about myself. Like, if something happened with her, people will think about me, you know? That fear is inside me.‹ (Feldnotizen vom 09.04.2013)
Vor Kurzem sei er mit der Fotografin Lynda Laird aus Großbritannien durch den Bundesstaat Maharashtra gereist, in dem sich die Metropolregion Mumbai befindet. Sie recherchierten dort vor Ort über die Auswirkung von gentechnisch veränderten und durch Patente geschützte Baumwollpflanzen auf die lokale Landwirtschaft (Laird, 2014). Rakesh machte für dieses Projekt die Witwen von Bauern ausfindig, die nach Missernten Selbstmord begangen hatten.84 Es sei eine sehr eindrucksvolle Reise gewesen, aber auch eine sehr anstrengende, weil die Fotojournalistin seiner Darstellung nach äußerst ambitioniert gearbeitet habe und er sich oft Sorgen um sie gemacht hatte: »It was a really nice experience working with that photographer. We had a lot of argument as well, but it was really nice. Happy ending«, er musste über seine eigene Formulierung lachen, »Like Indian Bollywood movies, they have a happy ending« (Feldnotizen vom 09.04.2013). Kurz nach unserem Projekt tauschte Rakesh sein Profilfoto bei Lightstalkers aus. Vielleicht sollte er eine andere Fotografie einstellen, sagte er damals bei unserem Gespräch, damit sich eher männliche Journalisten angesprochen fühlen. Das alte Foto zeigte einen lächelnden, hübschen, aber etwas verträumt wirkenden jungen Mann mit geschlossenen Augen; das neue zeigte ihn breitbeinig auf einem Sofa sitzend. *** Als ich am nächsten Tag wieder zum Narinam Point kam, begrüßten mich die Mitarbeiter der Toilette bereits wie alte Bekannte. Alles war wie am Tag zuvor, sogar der Alte lag wieder auf seinem Platz auf der Treppe, ausgestreckt im Schatten des großen Baumes. Rakesh stellte mir einen Mann vor, mit dem er sich unterhalten hatte, während er auf mich gewartet hatte. Er war Barbier und vor der Außenwand des Toilettengebäudes betrieb er sein Geschäft, das aus einem Plastikstuhl bestand. Seine Scheren und Klingen trug er in einer Tasche mit sich herum. Wir verabredeten, seinen »Laden« mit dem Aufnahmegerät zu besuchen, sobald er einen Kunden gefunden hatte. Für eine Lagebesprechung setzten Rakesh und ich uns in der Zwischenzeit zu dem Alten auf die Treppe zum Toilettengebäude. Am Abend zuvor hatte ich mir 84 | Das Geschäftsmodell ist von dem Gentechnikunternehmen Monsanto so angelegt, dass die Bauern jedes Jahr neue Samen und spezielle Chemikalien kaufen müssen, da die Pflanzen in der zweiten Generation keine Erträge mehr erbringen. Für diese Investitionen fehlt ihnen allerdings oft das Geld, was viele verzweifeln lässt (Shiva, 2014).
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die Aufnahmen vom letzten Tag angehört und wie ich schon befürchtet hatte, waren unsere Gespräche mit den Gästen der Toilette teilweise zu einsilbig ausgefallen. Nur in dem Interview mit Raju fanden sich O-Töne mit genügend Freiraum, um den »luftigen« Charakter zu erzeugen, den ich mir für das Radiofeature gewünscht hatte: ›Do you have any idea what our final product will look like, Rakesh?‹ ›Not really.‹ ›Did you do radio before?‹ ›No, never‹ (Feldnotizen vom 10.04.2013)
Die Antworten der Interviewpartner müssten länger sein, erklärte ich Rakesh, wir müssten sie zum Sprechen bringen. Mir fehlten dafür die Worte, also müsste er mir dabei helfen, das umzusetzen. Das Radiofeature stelle ich mir wie ein Bild zum Hören vor, versuchte ich ihm meine Idee zu erläutern, ein Hörbild, mit dem die Zuhörer diesen Ort kennenlernen. Ein Spiel mit den Gesprächen und Geräuschen, die wir hier aufnehmen, die vielleicht durch einen unpersönlichen Erzähler strukturiert werden. Unsere Aufgabe sei es nun, viele Aufnahmen zu sammeln, auch ganz gewöhnliche Geräusche, beispielsweise den Verkehr auf der Straße. Mit den Menschen müssten wir nicht nur sprechen, sondern ihnen auch bei ihrer Tätigkeiten zuhören. Wir gingen die Madame Cama Road entlang und fingen gleich mit unseren atmosphärischen Aufnahmen an. Vor dem Taxistand an der Straße sahen wir während unserer Bemühungen, den Klang der Straße am Narinam Point einzufangen, einen kleinen, zierlichen Mann, der dort sein Taxi polierte. Er trug den für Mumbai typischen weißen Taxifahrer-Anzug und da auch sein Bart und sein schütteres Haupthaar weiß waren, hatte seine ganze Erscheinung eine für mich eigenartig weiße Note. Rakesh sprach ihn an und fand heraus, dass er sein Taxi offensichtlich schon seit Jahrzehnten dort parkte. Wir beschlossen, eine Fahrt mit dem Mann zu machen, sicherlich konnte er einiges über den Narinam Point berichten. Rakesh setzte sich nach vorne und hielt das Aufnahmegerät, ich saß auf dem Rücksitz und stellte zunächst einige Fragen. Der Mann stellte sich als Manohar vor, er sei in den 1970ern aus Uttar Pradesh nach Mumbai gekommen. Nach einiger Zeit übernahm Rakesh das Gespräch und paraphrasierte nur immer wieder kurz, über was sie sprachen. Manohar berichtete uns, wie er sich sein erstes Taxi gekauft habe. Seine große Liebe habe aber seinem zweiten Taxi gegolten, einem Hindustan Ambassador, den er noch bis vor Kurzem und insgesamt über 20 Jahre lang gefahren habe. Er berichtete, dass sich der Narinam Point während dieser ganzen Zeit immer wieder verändert habe, neue Gebäude seien hinzugekommen, anderes sei entfernt worden. Heute sei der Platz insgesamt viel sauberer und viel gepflegter als früher. Dann gerieten sie aber in ein ganz anderes Gespräch, über ethische Werte und die Voraussetzungen für menschliches Glück. »All depends on heart«, sagte Manohar irgendwann auf ���� Eng-
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lisch. »Heart is everything. Lots of money, no matter« (Feldnotizen vom 10.04.2013). Ich ließ die beiden sprechen, allerdings war ich mir noch nicht sicher, wie und ob ich diesen Diskurs mit dem Taxifahrer in das Radiofeature integrieren konnte. Ich dachte, dass ich vielleicht Rakesh mein Aufnahmegerät doch nicht hätte überlassen sollen. Als wir wieder beim Narinam Point angekommen waren, fühlte Rakesh sich offensichtlich von einer Art »Jagdfieber« gepackt. Gleich begann er damit, ein weiteres Interview zu führen. Wir gingen zu einem Mann, der an der Ecke Chai in kleinen Plastikbechern verkaufte. Rakesh fragte nach den Kunden und dem Geschäft und übersetzte. Er dachte sogar daran, Geräusche aufzunehmen – so begleitete er den Mann dabei, wie er an der Straßenecke seine Kessel schrubbte, er hielt das Aufnahmegerät vor den Gaskocher und schnitt mit, wenn der Mann einen Kunden bediente. Als wir mit dem Chai-Verkäufer fertig waren, machten wir uns wieder auf den Weg Richtung Toilettengebäude. Doch dann entdeckte er einen jungen Tellerwäscher, der hinter einem der Restaurants mit einem gewaltigen Berg von Töpfen beschäftigt war und er begann auch mit ihm ein Interview. Ich beobachtete ihn während dieser Gespräche und es funktionierte gut. Er vergaß nie, immer wieder kurze Inhaltsangaben auf Englisch in das Aufnahmegerät zu sprechen. Rakesh war von seiner Arbeit so vereinnahmt, dass er zunächst gar nicht bemerkte, wie nun einige Männer zu mir kamen und mich umstellten. Sie waren offensichtlich betrunken und einer spuckte den Saft seiner Betelnuss neben mir auf den Bordstein, sodass dort ein großer roter Fleck entstand. Er kam auf mich zu und öffnete fordernd die Hand, als Rakesh schließlich zwischen uns stürmte und laut schimpfend versuchte, die Männer von mir wegzuschieben. Der Barbier, den wir am Morgen kennengelernt hatten, rettete die Situation. Er hatte uns beobachtet und jetzt brachte er mich in Sicherheit, indem er das Durcheinander nutzte, um mich zu seinem Plastikstuhl zu ziehen, und dort damit begann, mir eine Rasur zu verpassen. Rakesh nutzte die Gelegenheit nun seinerseits dafür, ein Interview mit ihm zu führen. Das »Geschäft« des Mannes am Narinam Point habe Tradition, übersetzte Rakesh für mich. Schon sein Vater habe vor über 20 Jahren angefangen, hier Haare zu schneiden. Dann machten die beiden Witze und lachten über Dinge, die ich nicht verstand und die Rakesh nicht übersetzte. *** Rakesh begrüßte mich am nächsten Tag mit einer neuen Idee, wie wir weibliche Stimmen für unser Radiofeature bekommen könnten. Wir dürften die Frauen nicht direkt vor dem Toilettengebäude ansprechen, schlug er vor, sondern wir müssten uns im Gegenteil ein wenig von diesem entfernen. Seiner Auffassung nach sei das Problem nicht gewesen, dass die Frauen grundsätzlich nicht mit mir über die Toilette sprechen wollen. Vielmehr sei die Ablehnung aus der Situation entstanden, in der ich sie angesprochen hätte.
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Alle, die hier auf der Straße leben, würden die Toilette ja früher oder später benutzen, sagte Rakesh. Man müsse bei den »indischen Menschen« manchmal ein wenig um die Ecke denken. Im Allgemeinen würden die Journalisten ihre Fragen viel zu direkt stellen und dann würden Gespräche regelmäßig ���������������������������� ins Stocken geraten: »Then I ask in another way, my own way, nice way. Because in India, it’s different culture, you have to respect people, if you ask them straight, it’s not good. You have to be nice, you know, then you come to the right point« (Feldnotizen vom 11.04.2013). Wir näherten uns an diesem Tag dem Narinam Point also von der Hinterseite und gingen in einen kleinen Park. Dort stand eine Statue von Jawaharlal Nehru, der Vaterfigur des modernen Indiens und dessen erster Ministerpräsident. In seiner Hand hielt er einen Stab, sein Bronzekleid und seine bronzene Gandhi cap waren von den Tauben besudelt und um seinen Hals hingen verwelkte Blumenkränze. Sein Blick entrückt, einem fernen Ziel zugewandt, übersah er die Menschen, die zu seinen Füßen auf dem Erdboden lebten und die Stufen seines Denkmals für ihre Habseligkeiten nutzten. Rakesh fand unter den Landflüchtlingen, die in dem Park lebten, bald eine Frau, die bereit war, mit uns zu sprechen. Sie war gerade gemeinsam mit ihrem Mann dabei, ihren kleinen Sohn einzuseifen, um ihn dann mit Wasser aus einem Plastikkanister abzuwaschen. Das Wasser hätten sie am Morgen in der Toilette gekauft, bestätigten sie. Als sie fertig waren, bat die Frau Rakesh und mich, auf einer Decke Platz zu nehmen, sie stellte sich uns als Sarash vor. Sie zündete ein Räucherstäbchen an, das sie vor ein buntes Bild der Göttin Kali stellte und begann ihr Kind anzuziehen. Am Ende drückte sie ihm einen schwarzen Kajal-Punkt auf die Stirn. Ihr Mann hatte in der Zwischenzeit eine Tasse Chai für uns gekauft und so erschuf die Familie einen indischen Wohnraum auf der Straße und empfing uns darin. Ich wollte sie nun zu ihrem Leben befragen, aber Rakesh wusste die Antworten, noch bevor Sarash gesprochen hatte. Das Leben der Armen, das war auch sein Thema. »Stop talking for her Rakesh, I am asking to make her talk, I want to record what she has to say« (Feldnotizen vom 11.04.2013), ermahnte ich ihn. Diesmal wollte ich ein längeres Interview nach meinen eigenen Vorstellungen führen und selbst die Fragen stellen. Es funktionierte dann sehr gut, wie am letzten Tag, als er Gespräche führte, ließ er auch diesmal unsere Gesprächspartnerin sprechen und gab dann eine kurze Inhaltsangabe, damit ich die nächste Frage anschließen konnte. Offensichtlich war die Familie vor etwa zehn Jahren aus Solapur nach Mumbai gekommen, sie hatten insgesamt drei Kinder. Normalerweise verdiene ihr Mann ein wenig Geld als Rikshafahrer, aber er habe nach einem Unfall seinen Job verloren und bisher noch keine neue Arbeit gefunden. »So one more question about the bathroom«, komme ich nach etwa einer Viertelstunde dazu, unser Thema anzusprechen. »I heard that for men it’s very easy to go, but women they always have to pay?« (Feldnotizen vom 11.04.2013) Wieder artikulierte Rakesh meine Fragen und übersetzte mir ihre Antwort: »’She said she had to pay because they’re using water every time« (Feldnotizen vom 11.04.2013). Aber ob sie denn glaube, das sei in Ordnung, frage ich. Rakesh übersetzte ihre kurze
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Antwort: »Nahim« (nein). So entstand aber leider kein O-Ton, den ich für das Radiofeature verwenden konnte. »I want her to explain«, versuchte ich nachzuhaken. Wieder sprachen sie und Rakesh paraphrasierte ihre Antwort: »She’s saying that women do not go just to the urinal. They use the toilet. So they have to pay, so it’s tricky« (Feldnotizen vom 11.04.2013). Um herauszufinden, wie Rakesh unser Gespräch über dieses potenziell schambesetzte Thema umgesetzt hat, bat ich später eine Kommunikationswissen schaftlerin aus Mumbai, mir bei einer genaueren Analyse des Interviews zu helfen.85 Sie wies mich zunächst darauf hin, dass innerhalb der Familie Mahrathi gesprochen wurde, während Rakesh und Sarash auf Hindi sprachen, was mir vor Ort nicht aufgefallen war. Ich bat sie um eine wörtliche Übersetzung der Antwort von Sarash auf meine Frage nach der geschlechtlichen Diskriminierung: Whatever you do, you have to tell them. Then accordingly pay money. Many people lie. They shouldn’t. Money should be given, because however you use it, they have to clean it. That takes efforts. And they should be paid for that. (Feldnotizen vom 11.04.2013)
Insgesamt lobte die Wissenschaftlerin Rakesh für seine einfühlsame Wortwahl und Kommunikationsweise während des Interviews. Allerdings wird aus ihrer Übersetzung für mich offensichtlich, dass die Paraphrase von Rakesh, zumindest in diesem Fall, nicht ausreichen würde, um sie ungeprüft in einem Radiofeature für ein Voiceover 86 zu verwenden. Unser Interview unter der Nehru-Statue wurde von einem Mädchen unterbrochen, das lachend zu Sarash gelaufen kam. Das sei ihre große Tochter, erklärte sie. Als das Mädchen mich entdeckte, erschrak sie und verstummte, versteckte sich im roten Sari ihrer Mutter. Doch Rakesh scherzte mit ihr und das Lächeln kehrte bald auf das Gesicht des Kindes zurück. Dann begann Sarash damit, die Haare ihrer Tochter zu frisieren. Staunend sah ich dabei zu, wie sich das Mädchen mithilfe einer Schuluniform, die ihre Mutter in einer Plastiktüte auf bewahrte, in ein ordentliches indisches Schulmädchen verwandelte. Ein ums andere Mal traf ich in Indien Menschen, die in den schwierigsten Situationen die Ausbildung ihrer Kinder wie eine Religion praktizierten. Ich fragte sie danach und Rakesh übersetzte: »She’s saying education is everything. Without 85 | Die Studentin Sharvi Mewada vom St. Xavier College in Mumbai hat mir auch dabei geholfen, ein Interview mit dem India-Unheard-Korrespondenten Amol Lalzare in Mumbai für Studie III vor Ort zu übersetzen. 86 | Ein voiceover bezeichnet im Kontext des Rundfunkjournalismus die eingesprochene Übersetzung eines fremdsprachigen O-Tons, die so über den Originalsprecher montiert wird, dass dieser noch zu hören ist. Der Begriff etablierte sich im journalistischen Sinne wahrscheinlich in den 1980er Jahren. Er wurde vermutlich aus der Filmsprache übernommen, wo er allgemein für einen Sprecher verwendet wird, der visuell nicht zu sehen ist (Franco, Matamala, & Orero, 2010, S. 19).
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education it’s nothing« (Feldnotizen vom 11.04.2013). Gleich würde sie ihr obdachloses Mädchen zum Schulbus bringen, dachte ich. In diesem Moment beschloss ich, den Fokus des Radiofeatures zu erweitern: Ich wollte in meinem Hörbild nun das Leben der Menschen am Narinam Point darstellen, ohne mich auf die Diskriminierung der Frauen in der Toilette zu beschränken. Am Ende unseres Gesprächs erinnerte ich mich an das, was Rakesh mir das letzte Mal aufgetragen hatte und ich wollte dem Vater 100 INR (ca. 1,50 €) geben, doch Rakesh fiel mir in den Arm. Wieder hatte ich etwas falsch gemacht, »Give it to her«, sagte er bestimmt. Als Rakesh und ich danach wieder in einer der kleinen Mittagsküchen an der Madame Cama Road saßen, sprachen wir über Geld: ›Have this food. This taka is 30 and really good‹ ›Thank you, Rakesh – why did you make me give the money to her and not to him?‹ ›She will take care of it.‹ ›That is very sharp thinking, because I would have thought I have to give it to the man because of your culture. But you know, some journalists think that you should never give anybody money.‹ ›I don’t think that way. Why should poor people do everything for free? The journalist can afford to give them a little tip and it is a lot of money for them‹ ›Because they think that the money is corrupting the way people talk.‹ ›If you meet somebody in a fancy café for an interview and you are buying them $4 Cappuccino and they still can talk the truth to you, then you can also give a poor person a little tip.‹ ›The 100 Rupies… how much is it for them?‹ ›I think they can have like two times lunch for the whole family.‹ ›I thought that they were a very nice family. I would have loved to help them more. So is it not a strange thing for you to navigate the foreigner-money-world? Did you ever ask yourself how much money I actually have to spend in one month?‹ ›No I don’t like that question. I never asked anybody that, it is a very stupid question. In my experience I never wanted to know how much money the visitors make.‹ ›But it must be interesting for you? How do you come up with the figure for your own fees – how do you know what money is reasonable?‹ ›I have a feeling for it. I never talk lots about the money because it makes them feel uncomfortable. In fact nobody really taught me lots about this work.‹ (Feldnotizen vom 11.04.2013)
Gespräche wie dieses ließen mir den Standpunkt von Rakesh Agarwal weit entfernt von der »westlichen« Medienwelt erscheinen. Meine anderen Gesprächspartner unter den lokalen Akteuren globaler Nachrichtenindustrie in Indien hatten sich in ihrem Auftreten und Sprechen als Generalisten ja oft viel näher
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am eigentlichen Mediengeschäft positioniert.87 Sie begegneten den »westlichen« Journalisten als »Kollegen«, als lokale Partner im selben Geschäft. Rakesh, der Slum-Spezialist, hatte dagegen nie die Möglichkeit, eine journalistische Ausbildung zu absolvieren, er hat nie in einer Redaktion gearbeitet, wo er sich entsprechende Verhaltensweisen hätte aneignen können. Ich wollte seine Ambivalenz gegenüber der globalen Nachrichtenindustrie, seinen eigenen Standpunkt noch genauer verstehen: ›Why do you do this work, Rakesh? I mean what do you like about it?‹ ›Sometimes I don’t even know if like the media.‹ (Feldnotizen vom 11.04.2013)
Aber dann lachte Rakesh: Das sei natürlich nur die halbe Wahrheit, sagte er; er sei innerlich an die Medien gefesselt, wie an das Leben in Mumbai, das auch nicht immer leicht sei. Sein Traum sei es, in einer eigenen TV-Dokumentation die Geschichte seines Heimatdorfes in Rajasthan zu erzählen. Er saß dort in Mumbai an einem kleinen Plastiktisch der Mittagesküche am Narinam Point und entwickelte im Geiste die visuelle Gestaltung dieser Dokumentation. Ganz am Anfang des Filmes sollte die Sonne groß und rot über dem Dorf aufgehen, überlegte er. Dann würde sich langsam das erste Leben regen, die wilden Hunde, die Frauen auf dem Weg zum Brunnen. Er erzählte von Menschen, die er interviewen wollte, von Straßen und Läden, die er gern zeigen mochte, von besonderen Kamerapositionen, die er verwenden wollte. Mit dieser Sehnsucht nach dem Erzählen der eigenen Geschichte ist er nicht alleine: Viele der »Fixer«, die ich getroffen habe, berichteten mir von ihrem Wunsch, ihre eigene Geschichte medial zu verarbeiten. *** Wenn wir die Vielfalt dieses Ortes in unserem Radiofeature darstellen wollen, sagte ich zu Rakesh am nächsten Tag, dann müssten wir nun versuchen, auch mit Menschen aus den wohlhabenderen Schichten zu sprechen. Wir mussten uns nun auch den Bankangestellten, den Rohstoff händlern oder dem Personal der Fluggesellschaften am Narinam Point nähern: 87 | Obwohl auch Generalisten das Bezahlen für Filmaufnahmen durchaus nicht grundsätzlich ablehnen. So ermutigte auch Anand Bhaskar Morla »westliche« TV-Teams, etwas zu bezahlen: »I think even if it is prohibited from western standpoint, it’s written black and white. But a lot of times we do end up paying because the people on the ground, the crew, sees the situation and they are actually able to do something about it. Because people, lawyers, and stuff, sitting in the offices, maybe they’re not seeing the subjects. So they of course have to talk about rules, but when you are in front of the people, if you see the way life, if you see that they have taken time off, that they have a loss of work income. Then you are able to do something« (Interview in New Delhi, 2013).
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Korrespondenten des Wandels ›Do you have any idea how we could do that?‹ ›Let’s go try it at the parking lot!‹ (Feldnotizen vom 12.04.2013)
Neben einer der Ringstraßen, die rund um den Narinam Point führen, dem Jeevan Bima Mag, ist ein großer Parkplatz angelegt, auf dem Mitarbeiter der Büros ihre Fahrzeuge abstellen. Viele dieser oft teuren Autos werden den ganzen Tag von einem Privatchauffeur bewacht. Rakesh hoffte, nun mittels dieser Chauffeure auch die Besitzer der Autos zu treffen. Es war scheinbar eine besonders langweilige Tätigkeit, wir sahen die Chauffeure schlafen, rauchen, sitzen, stehen und es fiel Rakesh nicht schwer, »uns« mit einem jungen Mann namens Kisan anzufreunden. Er war sichtlich stolz auf seine Stellung, er trug eine dunkle Anzughose und ein gebügeltes weißes Hemd. Er zeigte uns das Auto, mit dem er seinen Chef durch Mumbai fuhr, eine Mittelklasse-Limousine eines japanischen Herstellers. Er öffnete die Tür und legte eine Musik-CD für uns ein. Dann startete er den Motor und ließ die Klimaanlage blasen, um uns eine Abkühlung zu verschaffen. Doch als Rakesh ihm schließlich von unserem Ansinnen erzählte, mit ihm gemeinsam auf seinen Chef zu warten und ihn dann am besten mit seiner Hilfe mit unserem Aufnahmegerät anzusprechen, da wurde er plötzlich einsilbig und erklärte uns schließlich, das sei auf keinen Fall möglich. Wir gingen weiter und ich hatte die Hoffnung, vielleicht einen anderen der Chauffeure für unser Projekt gewinnen zu können, noch nicht aufgegeben. Doch dann zeigte Rakesh auf eine Straßenecke, wo eine kleine Grünanlage angelegt war: »I slept right here on this corner. For two years« (Feldnotizen vom 12.04.2013). Das wusste ich nicht. Ich war überrascht, sogar ein wenig verletzt, dass er mir das nicht erzählt hatte. Schließlich war die Toilette und der Narinam Point unser Thema: ›You knew this particular bathroom already back then?‹ ›Of course, I did suggest it to you, no? It was all over for me. I didn’t have food, I didn’t have water. It is hard to get a job in Mumbai if you don’t know anybody. I was sitting and thinking what to do all the time and my condition got worse and worse.‹ (Feldnotizen vom 12.04.2013)
Er sei zum ersten Mal 1995 nach Mumbai gekommen, berichtete er. Sein Vater sei Bauer gewesen und als die Ernte einige Jahre schlecht war, schickte die Familie den jungen Rakesh auf die lange Zugreise nach Mumbai. Er sollte dort bei einem Onkel wohnen, der sich bereit erklärt hatte, ihm die Schule zu bezahlen. Doch in Mumbai und im Haus des Onkels konnte er nicht bleiben, es sei et was vorgefallen und mit dem Onkel kam er nicht aus. Voller Heimweh nach dem ländlichen Rajasthan floh er zurück nach Hause. Als er aber in Rajasthan über Jahre keine Arbeit und keinen Ausbildungsplatz finden konnte und seine Familie nicht weiter für ihn aufkommen konnte, beschloss er, es nun alleine in Mumbai
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zu versuchen. Er arbeitete dort zunächst in einer Textilfabrik, dann in einem Finanzunternehmen, das Überweisungen in ganz Indien betreute. Doch schließlich scheiterten alle seine Versuche, aus eigener Kraft in der großen Stadt Fuß zu fas sen. Nun begann seine Zeit auf der Straße am Narinam Point. Diesen Tiefpunkt konnte er nach seiner Darstellung überwinden, als er am nahen Marine Drive einen Mann kennenlernte, der dort damals seinen mobilen Straßenkiosk betrieben hatte. Er ließ Rakesh in seinem Geschäft mitarbeiten und dieser machte sich bald unentbehrlich. Schließlich nahm der Mann Rakesh als eine Art Pflegesohn auf und stellte ihm auch einen Platz zum Schlafen in seiner Slumhütte in Dharavi zur Verfügung, die für die folgenden Jahre sein Zuhause wurde. Am Marine Drive in Colaba, wo die »Glitzerwelt« der Bollywood-Stars mit der »Unterstadt« der Slumbewohner aufeinandertrifft, brachte Rakesh dem Kiosk durch seine Kommunikationsfreude offensichtlich gute Einnahmen. Er hatte keine Angst vor Kultur- und Klassengrenzen und verwickelte seine Kunden in Gespräche, berichtete Rakesh, viele seien immer wieder zu ihm gekommen, um Zigaretten oder Süßigkeiten zu kaufen. Dort nahm seine Selbstausbildung zum »Fixer« ihren Anfang, weil er zum ersten Mal auf Ausländer, auf Touristen aus Nordamerika und Europa traf, die ihn faszinierten, mit denen er Englisch sprach und die seine Sehnsucht nach fernen Ländern weckten (Feldnotizen vom 12.04.2013). Der Werdegang von Rakesh kann meiner Auffassung nach aber nicht als eine Art (Selbst-)Rettung von einem Leben auf der Straße gelesen werden, an deren Endpunkt eine mit Prestige aufgeladene Tätigkeit an der Seite von ausländischen Journalisten steht. Das innovative Element, das seiner Tätigkeit anzuhaften scheint, die Anwendung von Internetkommunikation durch einen Slumbewohner, die internationalen Kontakte in den »Westen«, mit denen er soziale und kulturelle Grenzen überwindet, die Leidenschaft, die er in seine Arbeit legt und die sich sicherlich auf die Möglichkeiten der reisenden Journalisten überträgt – alles das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass seine unregelmäßigen und nur geringfügig honorierten Aufträge als »Fixer« ihm kein stabiles Leben ermöglichen. Immer wieder kamen wir während unserer Zeit am Narinam Point auf die grundsätzliche Ambivalenz zu sprechen, die er seiner Arbeit gegenüber empfand. So auch an diesem Ort, der ihn an das Leben auf der Straße erinnerte: »Honestly, I cannot really trust anyone«, vertraute er mir an. »Sometimes I want to become a Sadu and go away« (Feldnotizen vom 12.04.2013). Die Motivation der »westlichen« Journalisten, die nach Indien kommen, um über die Armut in »seinem« Land zu berichten, sah er, im Gegensatz beispielsweise zu Uday Sripathi, der Journalismus als Voraussetzung für Veränderung begreift, äußerst kritisch: Sometimes I think they also have a lot of problem in their own countries, you know? Not only India has problems. But they’re not focusing on their own places instead they come to a different country and focus on that different country. So I feel like… do they just want to live from the problems that exist in different countries? Because that is what they do,
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Korrespondenten des Wandels they sell their stories about problems from many different countries. (Feldnotizen vom 12.04.2013)
Doch eine Anziehungskraft, die meiner Einschätzung nach aus der Faszination für einen imaginierten Lebensstil als Journalist, aus einer kritischen Haltung gegenüber der eigenen Gesellschaft sowie aus der Hoffnung auf ein besseres Leben bestand, fesselte ihn sowohl an die große Stadt als auch an das Nachrichtengeschäft. Auch der »Fixer« Rakesh aus Mumbai ist ein Akteur der globalen Nachrichtenindustrie. Er partizipiert, indem er sein Wissen über und seine Kontakte zu den Armen in Mumbai und an anderen Orten Indiens nutzt, um den reisenden Gästen Zugang zu verschaffen und so Honorare erwirtschaftet. Dass auch er deshalb vom Thema Slum lebte, bereitete ihm kein Kopfzerbrechen, aber seinen eigenen Standpunkt in dieser Industrie empfand er oftmals als schmerzhaft; etwa wenn er versuchte, mit den ausländischen Besucher nach ihrer Abreise Kontakt zu halten. Oft habe er das Gefühl, so berichtete er, dass während der Arbeit eine Form von Beziehung entstanden sei, an deren Ende aber immer wieder ein harter und endgültiger Bruch stehen würde: »Over here they are really friendly and interested, but once they have taken what they needed, the shutter goes down« (Feldnotizen vom 12.04.2013). Ein journalistisches Projekt in Indien sei für die meisten seiner Auftraggeber ein einmaliges und langwierig geplantes Abenteuer. *** Wir legten einen Ruhetag ein, den ich nutzte, um das Material zu sichten, das wir bisher zusammengetragen hatten. Meinen Plan, gemeinsam mithilfe von Rakesh auch mit den wohlhabenderen Nutzern des öffentlichen Raumes am Narinam Point ins Gespräch zu kommen, gab ich nach unseren Versuchen mit dem Chauffeur vorerst auf. Ich entschied mich dafür, den besonderen Zugang und die Kenntnisse von Rakesh weiter dafür zu nutzen, den Platz aus Sicht der Armen darzustellen. Entweder konnte ich den Fokus des Radiofeatures anschließend insgesamt auf die Landflüchtlinge, Wanderarbeiter, Straßenunternehmer, Küchenjungen und anderen Angehörige der Schattenwirtschaft lenken, die wir getroffen hatten, oder ich musste mir eben mit der Hilfe eines anderen »Fixers«, mit einem Generalisten, Zugang zu den Büros am Narinam Point verschaffen. Am nächsten Tag sprachen Rakesh und ich einen Schuhputzer an, der seinen kleinen mobilen Laden an der Ecke der Babubhai M. Chinai Road mit dem Marine Drive aufgestellt hatte. Wir durften uns zu ihm setzten, doch zunächst sprach er nicht viel. Sein Schweigen war aber nicht feindselig, er war offensichtlich einfach ein ruhiger und besonnener Mensch. Wir sahen ihm dabei zu, wie er geschickt einige Schuhe reparierte. Nach und nach gelang es Rakesh, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, in dem er uns erzählte, wie er aus Kalkutta nach Mumbai gekommen war. Rakesh übersetzte, dass der Schuster in einem nahen Slum wohne und dass
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er sich das Geld für Werkzeuge, Materialien und seinen Handwagen jahrelang zusammengespart habe (Feldnotizen vom 14.04.2013). Etwas fiel mir während unseres Gesprächs mit dem Schuster auf: Immer, wenn wir versuchten, die Armut in einer Person zu »fassen«, dann entzog sie sich uns, um nicht mehr dieselbe zu sein, als die sie von außen betrachtet zunächst erschienen war. Natürlich fehlte es diesem Schuster in seinem Slumleben an vielem. Natürlich waren etwa Sarash und ihre Familie auf der Straße in einer furchtbaren und wahrscheinlich ausweglosen Situation. Wie werden sie während der Monsunzeit leben? Aber trotz dieser, im europäischen Vergleich, krassen Armut schien keiner von ihnen das »nackte Elend« zu repräsentieren, das ich in Mumbai doch täglich auf der Straße sah und das auch am Narinam Point überall sichtbar �����������������������������������������������������������������������gen ihre Kinder groß, sie hatten offensichtlich zu essen und manche hatten sogar ein Dach über dem Kopf, auch wenn es eine Slumhütte war. Aber was war mit den Straßenkindern, die mit tastenden Händen und wispernden Stimmen meine Aufmerksamkeit zu erregen versuchten? Was war mit dem Teenagermädchen, dessen vor Hitze stummes Baby im Dreck lag, während es mit einem Lumpen die Fliegen verscheuchte? »Lets invite somebody for lunch« (Feldnotizen vom 14.04.2013), schlug Rakesh vor, als ich das Thema in unserer üblichen Mittagsküche ansprach. Er winkte gleich einen Mann herbei, der in zerrissenen Lumpen und ohne Schuhe die Straße entlang humpelte. Ich musste an unser Gespräch über die Bezahlung für OTöne denken und es wurde mir klar, dass wir mit einer solchen Einladung nun an eine ganz neue ethische Grenze stießen, weil wir uns das Recht, ihm Fragen zu stellen, mit Essen erwerben wollten, das der Mann vielleicht für sein nacktes Überleben brauchte. Der Mann setzte sich zunächst folgsam zu uns und wir bestellten ihm ein Essen. Doch dann widersetzte er sich unserem »Bestechungsversuch«, mit dem wir hätten dokumentieren können, dass auch am relativ reichen Narinam Point die wirklich existenzielle Armut existiert. Die Situation erschien ihm nicht geheuer, er murmelte etwas und ging weg. »He has a problem« (Feldnotizen vom 14.04.2013), fand Rakesh. Und was ist mit der Frau, die sich vor allen entblößt und sich mit dem dreckigen Wasser aus einem Eimer wäscht? »Not just one problem. Many problems, big big problems« (Feldnotizen vom 14.04.2013). Komm, sagte Rakesh und wir gingen zurück zum Toilettengebäude. Wir könn ten doch mit dem alten Mann sprechen, schlug er vor. Dort lag er wieder im Schatten unter dem großen Baum und hielt seine scheinbar endlose Siesta. Aber auch dieser Versuch einer Annäherung an die äußeren Ränder der Armut in Mumbai endete in einer Sackgasse: Der Mann hatte keine Geschichte zu erzählen, er antwortete nur kurz mit einer dünnen Stimme auf die Übersetzung meiner Fragen durch Rakesh und artikulierte weder Hoffnung noch Verzweiflung:
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Korrespondenten des Wandels ›Are you receiving a rent?‹ ›He is saying no.‹ ›Who provides for you?‹ ›Nobody he says.‹ (Feldnotizen vom 14.04.2013)
Für den alten Mann gab es keine Bewegung, keine Entwicklung, über die in einer journalistischen Narration hätte gesprochen werden können. Seine Augen waren trübe, vielleicht der Star. Dann waren wir plötzlich wieder von einer Menschenmenge umringt, die unserem Interview interessiert zusah und unseren Gesprächspartner beunruhigte das sichtlich. Wir ließen ihn in Frieden. In meinem Radiofeature würde ich nicht versuchen, seine Ruhe zu stören. Ich würde schreiben, dass dort ein alter Mann unter dem großen Baum im Schatten lag und schlief. Aber was für ein Baum war es eigentlich? Es wäre sicherlich gut für das Skript, so überlegte ich, wenn ich zumindest präzise beschreiben könnte, unter was für einem Baum er dort regelmäßig im Schatten lag und schlief. Rakesh kannte diese Art Baum nicht, er befragte einige Frauen, die sich an der Ecke des Toilettengebäudes unterhielten. Die Frauen einigten sich darauf, dass es ein Peepal-Baum sei. Doch damit gab sich Rakesh nicht zufrieden und er pflückte einige Äste. Wir liefen damit durch die Straßen, bis wir zu einem Regierungsgebäude kamen, in dessen Garten ein Gärtner beschäftigt war. Rakesh zeigte ihm die Zweige, und der behauptete nun, es sei eindeutig ein Takla-Baum. Auch dieser Antwort misstraute Rakesh, er war offensichtlich wild entschlossen, die Frage des Baumes ein für alle Mal zu klären. Auf unserem Weg fragte er nun alle möglichen Leute nach den Ästen, bis ich eine ganze Reihe von möglichen Baumnamen notiert hatte. Auch eine Polizeistreife mit einem Schnellfeuergewehr hielt er an, die uns aber keine neuen Namen nennen konnte. Er schlug mir vor, in seinem »Büro« nach der richtigen Pflanze mithilfe von Bildvergleichen zu suchen, die wir dem Google-Algorithmus entlocken würden. Es schien, als würde sich dieser Sachverhalt der Klärung durch meinen indischen »Fixer« entziehen.
3.4 L ok ale A k teure
im
K onflik tgebie t K aschmir
Auf der Fahrt vom internationalen Flughafen des indischen Bundesstaates Jammu und Kaschmir in die Hauptstadt Srinagar musste mein Taxi mehrere Checkpoints der indischen Armee durchqueren. Hinter Sandsäcken, die am Straßenrand aufgetürmt waren, sah ich in die Gewehrläufe von MG-Stellungen, und einmal stand dort ein Straßenschild, das mit dem Hinweis »Avoid Fear« versehen war. Ich bin mir nicht sicher, wie effektiv diese Methode ist, um Angstreaktionen zu vermeiden, jedenfalls schien die indische Regierung äußerst bemüht, der Bevölkerung des von ihr verwalteten Teils des Kaschmirgebietes Ruhe, Normalität und Sicherheit zu verordnen.
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Es wurde gerade Frühling im Kaschmirtal. Die Senf blüte tauchte ganze Ebenen in ein leuchtendes Gelb, die Safranfelder standen in sattem Lila und vor den Schneegipfeln des Himalaya blühten die Kirschbäume. Doch unter der lieblichen Oberfläche lebt die Bevölkerung hier mit dem ungelösten Kaschmirkonflikt, dessen Spannungen seit über 60 Jahren immer wieder blutig an die Oberfläche brechen und in der Vergangenheit zu mehreren Kriegen in der Region geführt haben.88 Mein Besuch im März 2013 überschnitt sich mit neuen Unruhen, nachdem die indische Justiz kurz zuvor das Todesurteil gegen Mohammad Afzal Guru aus Kaschmir vollstreckt hatte, der nach Erkenntnissen der indischen Justiz in die Planung des Anschlags auf das indische Parlament 2001 verwickelt war (Joshi & Kumar, 2013). Vermutlich als eine Vergeltungsmission wurden dann am 13. März 2013 bei einem Selbstmordanschlag auf einen indischen Militärposten fünf Menschen getötet und elf verletzt. Insgesamt gab es zwischen Februar und April 2013 nach Informationen des investigativen indischen Nachrichtenmagazins Tehelka über 1000 gewalttätige Zusammenstöße zwischen den Sicherheitskräften und hauptsächlich jungen Demonstranten (Wani, 2013).
88 | Unter dem Kaschmirkonflikt versteht man in der Regel den Konflikt zwischen Indien, Pakistan und teilweise China um ein Gebiet im Nordwesten des indischen Subkontinents. Nach der Unabhängigkeit und Teilung des britischen Kolonialreichs 1947 versuchte Kaschmir, wie einige andere Fürstentümer, die Unabhängigkeit von sowohl Pakistan als auch Indien zu bewahren. Als dann die pakistanische Armee mit Söldnerverbänden in Kaschmir einmarschierte, rettete sich die damals hinduistische Herrscherdynastie von Kaschmir mit einem Anschlussvertrag an Jawaharlal Nehrus Indien (Kulke & Rothermund, 1998, S. 388-389). Als dieser unterzeichnet war, marschierte auch die indische Armee in Kaschmir ein und drängte die pakistanische Armee im Ersten Indisch-Pakistanischen Krieg (1947-1949) bis zur noch heute geltenden UN-Waffenstillstandslinie (»line of control«) zurück (United Nations, o.D.). Es folgte der Zweite Indisch-Pakistanische Krieg 1965, ein weiterer Krieg 1971 sowie später der sogenannte Kargil-Krieg 1999, bei dem es jeweils um die militärische Infiltrierung des vorwiegend von Muslimen bewohnten indisch verwalteten Gebietes ging. Ab 1989 legten sich über die Feindseligkeiten zwischen Indien und Pakistan (und teilweise China, das ebenfalls Gebiete beansprucht und militärisch agiert) Aufstände und Proteste der lokalen Bevölkerung, die sich gegen die indische Militärpräsenz und schlechte Lebensbedingungen richteten. Der Einsatz von tödlicher Gewalt gegen oft unbewaffnete Demonstranten wie beim sogenannten Gaw Kadal Massaker von 1990 (Mirza, 2007) oder dem Bijbehara Massaker von 1993 (Amnesty International, 1994, S. 159) verstärkten seit den 1990er Jahren das Misstrauen der Bevölkerung. Seitdem kommt es in unregelmäßigen Abständen weiterhin zu Protesten, etwa den Unruhen von 2010 (Polgreen & Khwaja, 2010) oder zuletzt im Sommer 2016, als jeweils dutzende Demonstranten getötet wurden (Kumar & Najar, 2016). Außerdem kommt es immer wieder zu Zwischenfällen und Schießereien an der »line of control« sowie zu Anschlägen islamistischer Organisationen auf indischem Gebiet.
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Nach Kaschmir war ich mit der Vorstellung von einem eingefrorenen Konflikt gereist. Was ich dann vor Ort zur Kenntnis nehmen musste, war zunächst, dass der Kaschmirkonflikt keinesfalls so erkaltet war, wie es die (fehlende) Berichterstattung in den »westlichen« Massenmedien vor meinem Besuch hatte vermuten lassen.89 Wie kommt es zu dieser Wahrnehmung? Der lokale »Fixer« Faheem Quadri erklärte mir während meines Besuches in Srinagar, dass es zunächst darauf ankomme, wer über Kaschmir berichte bzw. wer den Journalisten helfe über Kaschmir zu berichten. Denn Journalisten, die vor Ort recherchieren, stünden vor ganz unterschiedlichen Herausforderungen – je nachdem, welchen Standpunkt sie in der globalen Nachrichtenindustrie einnehmen würden und wie »ganzheitlich« sie ihr journalistisches Vorhaben planen (könnten): Indians have a good access with the national set up here, like the army, the police. If you are an Indian you have a good access with them, at the same time you don’t have the good access with the separatist groups […] if you are a foreigner you have a good access on the separatist side and not good access with the national set up here in Kashmir. (Interview in Srinagar, 2013)
Eine Berichterstattung, bei der die Journalisten den Versuch unternehmen, während einer Recherche mit (mindestens) diesen beiden von Faheem Quadri identifizierten Seiten des komplexen Konfliktgeschehens in Kontakt zu stehen, kann demnach ohne professionelle Helfer vor Ort oder ohne lokale Korrespondenten nicht gewährleistet werden. Wie häufig bei der Berichterstattung über einen bewaffneten Konflikt, der über einen längeren Zeitraum andauert, haben sich dabei auch im indisch verwal89 | Die Gewalt der 1990er Jahre sowie die Verknüpfung des Kaschmirkonflikts mit den Feindseligkeiten zwischen den Atommächten Indien und Pakistan machte die Stadt Srinagar zwischenzeitlich zu einem Hotspot der globalen Nachrichtenindustrie, wo zeitweise etliche Nachrichtenorganisationen eigene Büros betrieben und intensiv über den Konflikt berichteten. Inzwischen hat das Interesse aber merklich nachgelassen und neue Kriege okkupieren die Aufmerksamkeit der globalen Nachrichtenorganisationen. Nach den Informationen und der Analyse des Journalisten und ehemaligen lokalen DW-Korrespondenten Shujaat Bukhari aus Srinagar wurden viele Büros geschlossen oder verkleinert, ohne dass aber der Konflikt selbst seine grundsätzlichen Dynamik verändert habe: »As of now there are apparently no takers for the news from Kashmir. People’s alienation has not gone down, nor has been any let up in the hard measures the government has continued for the last over four years. Slapping of Public Safety Act (PSA) even on minors is routine, and the cry for impartial probes into the massacres, allegations of rape and unmarked graves has grown louder. But the media seldom picks up the Kashmir dateline stories. While Srinagar remained one of the busiest media capitals in India for nearly two decades, today the media organizations have shut their bureaus« (Kashmir – Losing Its Charm, 2013).
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teten Kaschmir lokale Akteure als Journalisten, »Fixer« oder »Stringer« auf die Unterstützung der Berichterstattung globaler Nachrichtenorganisationen spezialisiert und im Laufe der Zeit vor Ort ihre eigenen Strukturen etabliert.90 Faheem Quadri bietet ein »Rundumpacket« (bevorzugt für Fotografen), bei dem er sich von der Unterkunft und Versorgung der Journalisten bis hin zur inhaltlichen Arbeit um alles Notwendige kümmert. Doch vor allem bietet Faheem Quadri seinen Auftraggebern mit einem umfangreichen Kontaktnetz einen Zugang zu beiden Seiten der Konfliktlinien: »Some of them are like trusted friends so, I have worked with them, they were my colleagues and […] others work for the money. So you have to just spend some more money in building that trust« (Interview in Srinagar, 2013). Zunächst habe er als Fotograf für eine lokale Urdu-Zeitung gearbeitet, berichtete er mir. Sein dortiger Chefredakteur sei außerdem für den BBC-Worldservice tätig gewesen und habe ihn als Assistenten für Radioarbeiten engagiert, unter anderem für die Produktion von Vox pop. Als dann 2010 eine neue Welle der Gewalt das Tal überzog, machte sich Faheem Quadri als »Fixer« selbstständig. Für ihn habe sich damals die Gelegenheit ergeben, für den belgisch-tunesischen Kriegsfotografen Karim Ben Khelifa zu arbeiten, der im Auftrag des Time Magazine die Unruhen dokumentierte (Interview in Srinagar, 2013). Wie die anderen »Fixer«, mit denen ich gesprochen habe, versteht auch Faheem Quadri seinen Beruf nicht nur als ein Geschäft zum Broterwerb, sondern als einen Lebensstil.91 Ihm schien es vor allem um die Erfahrung zu gehen, mit weitgereisten und, wie auch im Falle von Karim Ben Khelifa, oft weltweit bekannten und respektierten Journalisten zusammenzuarbeiten, von ihnen als Fotograf zu lernen und gleichzeitig auch seine eigene Sicht auf die Situation vor Ort nach außen zu vermitteln. Als Spezialist fühlt er sich (ähnlich wie bereits am Beispiel von Dinesh Dubey beschrieben) einerseits als eine Art »Botschafter« für die Probleme der Menschen vor Ort verantwortlich und identifiziert sich andererseits aber auch in hohem Maße mit dem journalistischen Wertesystem seiner »westlichen« Besucher. So 90 | Für die globalen Nachrichtenorganisationen sind sie unersetzliche Spezialisten für die Region Kaschmir. Anoop Saxena, der lokale Mitarbeiter des ARD-Büros in New Delhi, sprach von einem »Kartell«: »Kashmir is a place of fixers and stringers and it is a cartel. All Kashmiri journalists are involved. Suppose if I speak to some A, and A says I need a $250 per day, and it is too much for me, then I go to B. […] He would say the same thing« (Interview in New Delhi, 2013). Außerdem sind sie Spezialisten der Konfliktberichterstattung im Allgemeinen, was sie auch für die Berichterstattung in anderen Konfliktgebieten qualifiziert. Weltweit ist es eine gängige Praxis der Nachrichtenorganisationen, dass lokale Akteure aus Konfliktregionen wiederum in anderen Konfliktregionen eingesetzt werden; etwa palästinensische Journalisten im Irak, Libanon oder in Syrien (Heidelberger, 2008, S. 52). 91 | In diesem Zusammenhang verwies er auf die hohen Risiken seiner Arbeit, die sich nicht alleine durch seine Einnahmen rechtfertigen lassen würden: »This is not the conventional way of earning the money. This is the thing where you risk your life for somebody else, not even for yourself« (Interview in Srinagar, 2013).
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ist er auch bereit, »Borderline-Methoden« anzuwenden, um journalistische Ziele zu erreichen: »If you are experiencing some obstacles and you are overcoming that with some different approach […]. I feel that it’s okay to do that, because ultimately you are going to reveal the truth« (Interview in Srinagar, 2013). Bei Menschen, die bereit sind zu töten, sei es manchmal einfach notwendig zu täuschen: Once we were doing a story on the extrajudicial killings in Kashmir. We told both parties that we are in favor; we’re doing a story in favor of you. The reason was only that we can get access inside and we got that. We acted like we were doing a story that was totally in favor of them but actually we were doing something different, the stuff was something different. We modified the interviews, we modified the angle of shooting to that extent that it seemed like they are doing a positive story but, ultimately what we were doing, we were digging the truth out of that. (Interview in Srinagar, 2013)
Als ich Faheem Quadri in Srinagar traf, arbeitete er gerade mit einem kanadischen Fotojournalisten an dessen Fotoreportage. Nathaniel (wie der Fotograf hier genannt werden will) ging es dabei nicht so sehr um einen investigativen Faktenjournalismus, sondern er verfolgte eine subtilere Auseinandersetzung mit dem Konflikt. In seiner Fotoreportage wollte er ein Gefühl für den Alltag der »normalen« Menschen mit Gewalt und Chaos transportieren und plante deshalb für einen längeren Zeitraum mit Faheem Quadri zu arbeiten. Beide waren damit einverstanden, dass ich einen Abschnitt dieser journalistischen Kooperation begleitete. *** Faheem Quadri fand ich über Lightstalkers; wie viele meiner Gesprächspartner nutzte er damals diese Internetplattform, um neue Aufträge zur akquirieren. Vor Ort war die Kontaktaufnahme dann zunächst überraschend schwierig, weil die indische Regierung in Kaschmir nicht nur den Kurznachrichtendienst SMS deaktiviert hatte, sondern es auch technisch unmöglich machte, eine SIM-Karte in meinem Mobiltelefon zu verwenden, die ich außerhalb des Bundesstaates erworben hatte.92 Sobald Faheem Quadri mich dann aber mit seinem schweren Geländewagen an unserem Treffpunkt am Dal Gate in Srinagar abgeholt hatte, befand ich mich im Wirkungskreis eines äußerst effektiven Helfers, der nicht nur die Verantwortung für alle Fragen der Fortbewegung und Kommunikation übernahm, sondern, soweit ich das beurteilen kann, auch den äußeren Ablauf des Shootings mit seinen Vorschlägen weitestgehend zu strukturieren schien. Faheem Quadri und Nathaniel hatten sich zunächst vorgenommen, einige Siedlungen im Vorgebirge über dem Dalsee zu besuchen, wo die Häuser immer 92 | Die Sperre für SMS-Nachrichten war seit den Unruhen von 2010 in Kraft (Express News Service, 2014).
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kleiner werden und das Stadtgebiet von Srinagar bis an den Bergwald heranreicht. Nachdem wir für einige Zeit auf steilen Schotterpisten bergauf gefahren waren, kamen wir mit dem Geländewagen nicht mehr voran und wanderten schließlich zu Fuß weiter. Auf dem Weg sahen wir ein Mädchen, das an einer Bergwiese eine Schafherde bewachte. Faheem Quadri plauderte mit der jungen Schäferin und brachte sie zum Lachen. Schließlich durfte Nathaniel sie mit den Tieren fotografieren. In dieser Gegend, so berichtete Faheem Quadri, sei es in der Vergangenheit immer wieder zu Schießereien zwischen der indischen Armee und radikalen Jugendlichen gekommen. Hier würden Familien wohnen, deren Angehörige einfach verschwunden seien. Seit den letzten Unruhen habe die indische Armee ein effektives Spitzelsystem etabliert und verfolge und verschleppe vermeintliche Terroristen – junge Männer, die verschwinden und nicht zurückkehren. In den nahen Wäldern wiederum würden hunderte Kämpfer leben, die Angriffe auf das indische Militär organisieren: »And in between those lines the lives of ordinary people are crushed« (Feldnotizen vom 31.03.2013). *** Die Berichterstattung der globalen Nachrichtenindustrie über den Kaschmirkonflikt erfüllt eine doppelte Funktion: Da die lokale Bevölkerung im indisch verwalteten Kaschmir, nach der übereinstimmenden Einschätzung meiner Gesprächspartner zu urteilen, kein großes Vertrauen in die konventionellen indischen Massenmedien zu haben scheint, sind es, neben einigen lokalen Nachrichtenangeboten auf Urdu und Englisch, vor allem die global agierenden Nachrichtenorganisationen, die nicht nur einem globalen Publikum, sondern auch der lokalen Bevölkerung Nachrichtendienste über die Situation vor Ort zur Verfügung stellen.93 Die Ursache für diese größere Vertrauenswürdigkeit in den Augen der lokalen 93 | Wie bereits in Studie I dargestellt, produzieren Auslandssender gerade zu diesem Zweck Programme auch in lokalen Sprachen. So betrieben sowohl die BBC als auch die DW zum Zeitpunkt der Forschung ein Radioprogramm auf Urdu, das über die Region berichtete. Die internationalen Angebote der Nachrichtenagenturen auf Englisch wurden ebenfalls vor Ort rezipiert. Vor Ort gab es außerdem einige Urdu-Zeitungen, die indische Regierung hat aber seit 2008 lokale TV-Nachrichtensender verboten (Indo-Asian News Service, 2008). Manchmal sperrte diese auch den Zugang zum Internet (Reporters Without Borders, 2015). Der Journalist und Medienwissenschaftler Rashid Maqbool, von dem im Weiteren noch ausführlicher die Rede sein soll, stellte die Haltung der lokalen Bevölkerung zu den indischen Nachrichtenorganisationen im Forschungsinterview wie folgt dar: »People would listen to the local news bulletins on television, but they would not believe a word of it, not a word. It was just habitual that they would. Maybe just to laugh at it, they would listen. They would not trust any local thing. So if you want to send a word, if you want to tell the real story, you know that people in the evenings would tune into Deutsche Welle, or they would tune into BBC, or they would tune into Voice of America. These were the three primary main
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Bevölkerung ist dabei meiner Auffassung nach vor allem in dem Umstand zu suchen, dass das Angebot globaler Nachrichtenorganisationen in der Hauptsache von lokalen Akteuren produziert wird, die vor Ort leben und die Sprache, Kultur sowie auch die Probleme der Bevölkerung teilen. Ein solcher lokaler Korrespondent ist Parvaiz Bukhari, der zum Zeitpunkt der Forschung das Büro der Nachrichtenagentur AFP leitete, wo wir uns für ein Forschungsinterview trafen. Aufgewachsen ist Parvaiz Bukhari in Kaschmir, er hat an der University of Kashmir in Srinagar studiert, doch seine journalistische Karriere begann in den 1990er Jahren im indischen Fernsehen. Später schrieb er für internationale Auftraggeber als Printjournalist aus verschiedenen Ländern in Asien. Besonders prägte ihn aber seine Erfahrung als Kriegsberichterstatter in Afghanistan und im Irak, wo er auch selbst mit lokalen »Fixern« arbeitete und so den Standpunkt eines reisenden Journalisten kennenlernte. Seine eigene Sozialisation, die offensichtlich stark durch den omnipräsenten Kaschmirkonflikt geprägt wurde, sei ihm bei diesen Aufenthalten in Kriegsgebieten durchaus nützlich gewesen.94 Doch als er 2004 als erfahrener Kriegsberichterstatter nach Srinagar zurückkehrte, sei diese Erfahrung umgekehrt weniger nützlich gewesen. Denn die Berichterstattung über den Konflikt in seiner »eigenen Heimat« sei von einem ganz anderen Standpunkt aus erfolgt und diesen erlebte er offensichtlich als eine neue und ungewohnte Herausforderung: I’m a Kashmirian myself and although I used to visit home twice or thrice every year and would spend a couple of weeks every time, one believed and I thought that, you know, I understood what was happening around, in this place. But because most of my understanding also came from what appeared in the main stream mass media, when I actually returned here I found out to my shock and surprise that these are two different worlds. One world that appeared in the newspapers and magazines and mainstream media and what actually was on the ground. So, it took a while to deal with that shock and bring those two together. (Interview in Srinagar, 2013)
Nachdem Parvaiz Bukhari diese »Anpassungsschwierigkeiten« überwunden hatte und er sich der Herausforderung stellte, über den »eigenen« Konflikt journalistisch zu arbeiten, widmete er sich diesem mit einiger Vehemenz und Ausdauer. Zum Zeitpunkt der Forschung berichtete er seit über einem Jahrzehnt für die AFP sowie für weitere Zeitungen und Nachrichtenportale über die Situation vor Ort. services which people would listen to. And they would trust a German radio and an American radio and a British radio more than their own services« (Interview in Srinagar, 2013). 94 | Ich habe Parvaiz Bukhari gefragt, inwiefern seine biografische Erfahrung mit dem Kaschmirkonflikt seine Arbeit als Kriebgsberichterstatter geprägt hat: »It does become an advantage when you go into another conflict situation because there are some things that are similar, there are some instincts that you developed in a conflict that are very very useful« (Interview in Srinagar, 2013).
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Stets habe er dabei versucht, gegen eine »nationalistic mediation« (Interview in Srinagar, 2013) »anzuschreiben«, die er in der Berichterstattung der konventionellen indischen Massenmedien vermutet. Was er als Verzerrung empfinde, seien nicht so sehr die Positionen, die von indischen Journalisten in die Medieninhalte getragen werden; mit den unterschiedlichen Sichtweisen auf den Konflikt und mit der üblichen Terminologie sei er bereits vertraut gewesen, schließlich habe er selbst zuvor in Indien als Journalist gearbeitet: »For the Indian mainstream media […] Kashmir is an integral part of India, for the International media it is an international dispute. But, the two should not make any difference when it comes to reporting the actuality here, you know what I mean?« (Interview in Srinagar, 2013). Doch in den indischen Massenmedien komme es immer wieder zu problematischen Kontextualisierungen der aktuellen Entwicklungen, die für ihn erst durch eine kontinuierliche Präsenz und Arbeit als Journalist vor Ort sichtbar geworden seien.95 Bei einem internationalen Agenturdienst wie der AFP werde im Gegensatz hierzu auf die sorgfältige Etablierung von Kontext besonders viel Wert gelegt, gerade weil nicht viel Wissen über den Konflikt vorausgesetzt werden könne: »Every time you file a report you have to keep in mind the reader who would read about this place for the first time. So you have to provide all that entire context every time you report facts about this« (Interview in Srinagar, 2013). Auf diese Weise sei 95 | Was er damit meint, beschreibt er in einem Meinungsbeitrag für das indische Nachrichtenmagazin scroll.in. Dort vergleicht er die Reaktion der indischen Massenmedien auf die Festnahme eines pakistanischen Kämpfers 2015 in Udhampur (einem Gemeindebezirk an der »line of control« im indischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir) mit deren Reaktion auf die gezielte Tötung eines separatistischen Kämpfers aus Kaschmir, der die indische Staatsbürgerschaft besaß. Während der pakistanische Gefangene in den indischen Massenmedien als Trophäe gefeiert worden sei und zwar: »[…] in primetime TV debates that hyperventilatied a vengeful nationalism because it ›nailed‹ Pakistan’s involvement in ›cross-border terrorism‹« (Bukhari P., 2015), sei die Tötung des »indischen« Kaschmiris nur eine Randnotiz gewesen. Die indischen Massenmedien würden die Unzufriedenheit und Nöte der »eigenen« Bevölkerung in Kaschmir zum großen Teil einfach ignorieren oder den unbewaffneten Protest bzw. das Steinewerfen der Jugendlichen denselben »terroristischen« Aktivitäten Pakistans (also der etablierten story line) zuordnen und so deren Unterdrückung durch die indische Armee Vorschub leisten: »Media consumers in India rarely get to know what happens after a Kashmiri militant like Talib Hussain Shah gets killed. Thousands mourned the killing as they took Shah’s body in funeral procession shouting, ›We want freedom.‹ The army, using powerful explosives, blew up three houses near the encounter site and five were damaged to the extent that it would be impossible to live in them. [...] There is no intimate minute-to-minute reportage around such incidents of armed violence in Kashmir because it might reveal the ground realities and generate a certain amount of empathy with the Kashmiri people among average Indians« (Bukhari P., 2015).
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die Gefahr einer redaktionell verursachten Verzerrung weniger groß: »That basically enhances the accuracy of your reporting because every time you have to situate what you are reporting, the facts, but also the […] context of this place in which those facts are happening« (Interview in Srinagar, 2013). Interessant an dieser Argumentation erscheint mir, dass Parvaiz Bukhari die Vorteile der »westlichen« Berichterstattung weniger mit universalistischen Konzepten wie einer nur in einer ortsfremden Nachrichtenorganisationen zu gewährleistenden Objektivität oder einer größeren Faktentreue bei der Berichterstattung über den Konflikt begründet. Die Grundlage für die von ihm vermutete größere Resilienz ortsfremder Nachrichtenorganisationen gegenüber Verzerrungen sieht er vielmehr in der kontinuierlichen und umfangreichen Kontextualisierung der jeweiligen Inhalte der Berichterstattung: There is absolutely, absolutely no contextual manipulation applied to your reportage. So, it’s definitely better journalism, purer journalism, compared to many reporting for and in the mainstream media in India, where the editors look at the reports that you’re filing in a particular context, from a particular nationalistic point of view. That takes away a lot of things from reportage. (Interview in Srinagar, 2013)
Als lokaler Korrespondent ermöglicht ihm die Kontextualisierung immer wieder, grundsätzliche Zusammenhänge zu thematisieren, zu erläutern und auf diese Weise auch lokale Positionen in Artikel und Agenturmeldung einzubringen. Parvaiz Bukhari bemüht sich also um einen Gegendiskurs, der durch den lokalen Standpunkt des Korrespondenten in der globalen Nachrichtenindustrie nicht nur für das globale Publikum, sondern auch für die Bevölkerung vor Ort relevant ist. *** An einem Vormittag während meines Besuches in Kaschmir besuchte ich den Tulpengarten von Srinagar, um mich mit der Eintrittskarte bei eventuellen Problemen mit den indischen Sicherheitskräften in Kaschmir als Tourist ausweisen zu können. Im Mittelalter haben die Mogulherrscher am Ufer des Dalsees prächtige Gärten geschaffen, die heute ein wenig zerfallen sind, aber weiterhin als wichtige touristische Orte Besucher aus ganz Indien anziehen. Mit dem Tulpengarten hat die indische Verwaltung diese Tradition aufgegriffen und eine weitere Gartenattraktion geschaffen, die ebenfalls dabei helfen soll, Touristen aus Indien anzulocken. Die Präsenz der Touristen ist für die indische Zentralregierung von überaus großer Bedeutung, weil sie sich für ein normales und friedliches Erscheinungsbild der Region einsetzt. Zwischen den Tulpenfeldern waren Hinweisschilder angebracht, auf denen Aufschriften wie »Plucking Flowers Strictly Prohibited« oder »Plucking flowers will be punished with 500 Rupees fine« zu lesen waren. Umrahmt wurde das Ensemble von einem hohen Zaun, der ohne Weiteres auch einer Staatsgrenze würdig gewe-
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sen wäre. Neben zahlreichen indischen Touristen war an diesem Morgen auch eine Gruppe Schüler im Garten, die ich aufgrund der Kopftücher der Mädchen als lokale Besucher einordnete. Zwei Schüler, vielleicht 14 oder 15 Jahre alt, die mich ihrerseits schon eine Weile beobachtet hatten, kamen schließlich auf mich zu, um mich auf Englisch anzusprechen und neugierig auszufragen. Sie würden in Srinagar wohnen, sagten sie, und heute würden sie den Garten mit einem Schulausflug besuchen. Nach einer Weile lenkten sie das Gespräch auf die indischen Besucher. Sie schimpften auf den indischen Tourismus, der ihnen offensichtlich ein Dorn im Auge war. Ganze Menschenmassen würden in die Berge fahren und überall Massen von Müll hinterlassen und so die Natur zerstören. Nachdem sie eine Weile in diesem Stil gesprochen hatten, schienen sie Vertrauen gefasst zu haben und berichteten mir vom Steinewerfen nach der Schule, von erschossenen Kindern und bezeichneten die indische Armee als brutale Besatzungsmacht. Sie erzählten von Internetblockaden, von Vergewaltigungen und verschwunden Menschen. Sogar von einer Hundestaffel hätten sie gehört, die jede Nacht einige Rudel durch die Straßen von Srinagar hetzen würde, um Sprengstoff zu suchen und Menschen zu jagen. Kurzum: Sie ergingen sich in den typischen Erzählungen, wie man sie ähnlich in vielen Krisenregionen weltweit hören kann, bei denen tatsächliche Gräueltaten und persönlich erlebtes Unrecht von den Gerüchten, von der eventuellen eigenen Täterschaft und von den allgemein kursierenden Desinformationen nur schwierig zu unterscheiden sind. Ich habe sie gefragt, aus welchen Quellen sie ihre Informationen beziehen, ob sie das aus dem Fernsehen wüssten. Entschieden wiesen sie dies von sich, den indischen Massenmedien sei nicht zu glauben: »Yesterday there was a demonstration«, rief der eine aufgebracht »Hundreds of students were on the street throwing stones at the police and they started firing live rounds, people were injured!« (Feldnotizen vom 30.03.2013) Über so etwas werde in den indischen Medien nicht berichtet, die Welt würde darüber nichts erfahren. »Of course not«, gab ihm der andere recht: »They are already busy covering this« (Feldnotizen vom 30.03.2013) und er zeigte mit den Armen auf die Blumenfelder, wo zwischen den Tulpen die Touristen spazierten.
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*** Faheem Quadri und Nathaniel fuhren mit dem Geländewagen in die Altstadt von Srinagar, um Stellungen der indischen Armee zu fotografieren. In den Stadtvierteln rund um den Lal Chowk, einem Platz in zentraler Lage, der traditionell umkämpft ist, wollte Nathaniel die ständige Präsenz der kampf bereiten Militärpolizei dokumentieren.96 Immer wieder komme es hier zu Zwischenfällen und dann werde es sehr gefährlich, erklärte uns Faheem Quadri. Dutzende Menschen seien in diesen engen Straßen gestorben. Auch die Soldaten hätten Angst, weil sie dort nicht viele Möglichkeiten hätten, die oft riesigen Menschenmassen zu kontrollieren. Einmal habe er gesehen, wie ein Soldat von einem Fahrzeug fiel und in einem Steinhagel getötet wurde. Er habe noch ein paar Jugendliche wegscheuchen können, die nicht verstanden hätten, was passiert sei, bevor die indischen Soldaten mit scharfer Munition das Feuer auf die Steinewerfer erwidert hätten. Nachdem wir schon eine Weile herumgefahren waren, ohne etwas zu sehen, entdeckte Faheem Quadri in einem zerstörten Haus schließlich ein gepanzertes Fahrzeug, das hinter einem Tarnvorhang versteckt war und von Soldaten bewacht wurde. Ohne anzuhalten fuhr er vorbei und brachte das Auto hinter der nächsten Straßenecke zum Stehen. Er schlug Nathaniel vor auszusteigen, um dann zu Fuß an der Stellung vorbeizulaufen und dabei seine Bilder zu machen. Doch als der Wagen bereits gewendet hatte und Nathaniel schon aussteigen wollte, entdeckte Faheem Quadri einige weitere Fahrzeuge der Militärpolizei, die in einer kleinen Seitenstraße parkten: »Oh wait! You can’t go alone, something is wrong here.« (Feldnotizen vom 31.03.2013), rief er Nathaniel zu und gab wieder Gas. Faheem Quadri fuhr zur nächsten Kreuzung, wo die Straße sich plötzlich mit Menschen füllte, die aus allen Richtungen herbeiliefen. Einige vermummte Jugendliche waren auf eine Straßenlaterne gestiegen und hielten Ausschau. Faheem Quadri ließ sein Fenster herunter und fragte nach den Neuigkeiten. »Stone pelting is happening right now!« (Feldnotizen vom 31.03.2013), rief er Nathaniel dann zu: ›You want to go there?‹ ›Yes, that’s an opportunity‹ ›Okay listen, don’t shoot if I tell you not to!‹ 96 | Das Wort »Lal« bedeutet »Rot« auf Urdu und »Chowk« ist der »Markt« oder einfach »Platz«. Der »Rote Platz« von Srinagar wurde von revolutionären Sympathisanten der russischen Revolution nach dem »Roten Platz« in Moskau benannt, die in den 1940ern gegen die Herrschaft des letzten Maharadschas von Kaschmir Hari Singh kämpften. Auf dem Lal Chowk hatte Jawaharalal Nehru 1948 die indische Flagge präsentiert und der Bevölkerung ein Referendum versprochen, das nie durchgeführt wurde. Seit den Unruhen der 1990er haben nationalistische Hinduorganisationen auf dem Platz immer wieder protestiert und demonstrativ die indische Flagge gehisst, was teilweise blutige Auseinandersetzungen zur Folge hatte (Nandal, 2011).
Studie II: Standpunkt »Indien« ›Of course, I will absolutely do what my fixer tells me to!‹ ›Tear gas might be fired, are you ready for that?‹ ›Okay…‹ ›You won’t do anything crazy?‹ ›Yes, I will be careful.‹ ›Okay, let’s go!‹ (Feldnotizen vom 31.03.2013)
Faheem Quadri fuhr zunächst weiter bis in eine ruhige Seitenstraße und parkte dort den Wagen. Mir befahl er, im Auto zu bleiben, er könne dort keine Verantwortung für mich übernehmen. Mit zwei Kameras verschwanden sie zu Fuß um die Straßenecke. Ich öffnete die Autotür und hörte eine große Menschenmenge. Parolen wurden gerufen, die dann mit einem anschwellenden Grölen verschwammen. Etwa eine halbe Stunde wartete ich im Auto, einmal sah ich einige vermummte Jugendliche in der Seitenstraße, wo wir geparkt hatten, sie verschwanden in einem Hauseingang. Dann kamen Faheem Quadri und Nathaniel zurück. Sie rannten, bis sie außer Atem vor dem Auto stehen blieben. Die Steinewerfer hätten aggressiv auf ihre Präsenz reagiert, berichteten sie. Die boys, wie Faheem Quadri sie nannte, seien sehr jung: »They are maybe 12, 13 years old. That makes it very risky. They don’t know about the press or anything. And then one of them voiced an opinion about us and all the others joined in« (Feldnotizen vom 31.03.2013). Als Nathaniel versucht habe zu fotografieren, sei die Situation so bedrohlich geworden, dass sie fliehen mussten. Es seien noch halbe Kinder und das Steinewerfen würden sie wie ein großes Spiel empfinden. Die boys würden entweder für eine Partie Cricket nach draußen gehen oder sich eben für das »Stone Pelting« entscheiden. Leider sei es aber alles andere als ein Spiel: »Last year I was standing right next to a boy who got shot by a live bullet. He was shot in the chest, right next to me« (Feldnotizen vom 31.03.2013). Nathaniel fragte, ob niemand versucht habe, ihn zu retten. »Yes, that’s what they tried. They rushed him to the hospital, but it’s no use when you are shot like this« (Feldnotizen vom 31.03.2013). *** Wer in Jammu und Kaschmir Journalist werden möchte, der schreibt sich meist an der University of Srinagar für den Studiengang Mass Communication ein. Der Videokorrespondent und Menschenrechtsaktivist Sajad Rasool, dem ich zuvor in Zusammenhang mit meiner Feldforschung bei der alternativen Nachrichtenorganisation Video Volunteers begegnet war (wie in Studie III dargestellt), ist ebenfalls diesen Weg gegangen und als ich Kaschmir besuchte, stand er kurz vor seinem Abschluss.97 Er organisierte für mich einen Besuch an der Universität und stellte 97 | Heute leitet er als Redakteur, Korrespondent und Koordinator das speziell auf den Bundesstaat Jammu und Kaschmir ausgerichtete Projekt Kashmir Unheard von Video Vo-
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mich dort einigen Nachwuchsjournalisten vor. Es waren junge Männer Anfang 20, die fast alle nach ihrem Studium als »Stringer«, »Fixer«, aber am liebsten als feste Korrespondenten für ausländische Nachrichtenorganisationen arbeiten wollten.98 An einem Tisch der Universitätscaféteria hatte ich also so etwas wie die zukünftigen lokalen Akteure globaler Nachrichtenindustrie im indisch verwalteten Kaschmir versammelt, um mit ihnen über ihre ersten beruflichen Erfahrungen und ihre Pläne zu sprechen. In der indischen Nachrichtenindustrie könnten Journalisten aus Kaschmir nur schwer ein Auskommen finden, berichteten sie mir, auch deshalb hätten viele hier das Ziel, für globale Nachrichtenorganisationen zu arbeiten.99 Außerdem wollten sie ihre eigene Geschichte artikulieren, was nur in den globalen Nachrichtenorganisationen möglich sei. Zu groß sei die Diskrepanz zwischen ihrer eigenen Wahrnehmung und der Berichterstattung in den indischen Massenmedien; dort mitzuarbeiten sei schon deshalb für sie keine Option, sogar wenn sich eine solche Gelegenheit ergebe. Mir gegenüber äußerten sie sich in dieser Diskussionsrunde zwar auch in einigen Punkten kritisch dem gegenüber, was »westliche« Nachrichtenorganisationen über Kaschmir veröffentlichen, aber grundsätzlich scheinen sie sich die »Dogmen« des »westlichen« Journalismus angeeignet zu haben und argumentierten universalistisch. Einer zitierte etwa den New York Times-Journalisten Bill Kovach, demzufolge journalistische Objektivität als eine Methode der Berichterstattung verstanden werden müsse, als eine Form spezifischer Praxis und nicht als die Abwesenheit eigener Positionen in den Medienprodukten.100 lunteers, das eine ultralokale Videoberichterstattung über die Region produziert (Kashmir Unheard, o.D.). 98 | Die Studenten waren durchweg männlich. Es gab auch einige Frauen an der Kashmir University, die planten, Journalistinnen zu werden. Ich habe Sajad Rasool nachträglich per E-Mail nach dem Verhältnis gefragt: »The ratio of women studying Mass Media etc. is not so good. We were 30 boys and 7 girls in the batch. So the ratio usually remains 75:25. Women don’t prefer going in the media studies here, various factors are responsible for it. Kashmir has a conservative society and parents don’t allow their women folk to go for it also it has no job security in the future« (Persönliche Kommunikation vom 22.02.2016). 99 | Fast alle äußerten dieses Ziel, aber nicht alle. Ein junger Mann, der als einziger einen traditionellen Vollbart trug, sagte, er plane eine Laufbahn in einer lokalen UrduTageszeitung (Feldnotizen vom 04.04.2013). 100 | Bill Kovach ist für »Elements of Journalism« (2001) bekannt, in dem er Prinzipien entwickelt, die auf universalistischen Vorstellungen beruhen. Eines dieser Prinzipien für die journalistische Praxis ist die »discipline of verification«, die den Journalismus, wie von dem Nachwuchsjournalisten in Kaschmir angeführt, zu einer objektiven Methode mache und die er wie folgt definiert: »The original meaning of this idea [concept of objectivity] is now thoroughly misunderstood, and by and large lost. When the concept originally evolved, it was not meant to imply that journalists were free of bias. Quite the contrary….
Studie II: Standpunkt »Indien«
Bei ihren ersten eigenen journalistischen Erfahrungen mussten sie auf die eine oder andere Weise bereits erleben, dass die Arbeit als lokale Journalisten im Konfliktgebiet Kaschmir für sie nicht ohne Risiken ist. Ein Student berichtete von den Dreharbeiten für seinen ersten Dokumentarfilm, mit dem er auf das Phänomen der »Fake Encounters« 101 aufmerksam machen wollte, das ihm aber stattdessen große Schwierigkeiten mit der Militärverwaltung eingebracht habe. Ein anderer berichtete, wie er bei einer Demonstration von Polizisten verprügelt worden sei, obwohl er sich dort als Journalist identifiziert habe. Nun hoffen beide, sich als lokale Akteure globaler Nachrichtenindustrie in den vermeintlichen Schutz der Weltöffentlichkeit stellen zu können. Außerdem glauben, sie dem eigenen Auftreten als Journalisten so mehr Autorität verleihen zu können. In der Universität war ich eigentlich mit ihrem Dozenten, dem Journalisten und Medienwissenschaftler Rashid Maqbool, Mitte 30, zum Forschungsinterview verabredet. Als er mich in der Cafétaria abholte, verband er seinen freundlichen Händedruck mit einer spitzen Bemerkung: »Let’s hope it’s not like in Iraq«, sagte er: »You know, first they send the anthros and then the soldiers. And now more and more anthropologists are coming to Kashmir. I don’t know why« (Feldnotizen vom 04.04.2013). Natürlich mache er Witze, aber ein Körnchen Wahrheit sei schon dabei: »Anthros do this deep study of culture and society. It tells you who these people are and then the occupation becomes easy. I mean, who are you helping with your research for instance?« (Feldnotizen vom 04.04.2013). So kritisch hatte bisher keiner meiner Gesprächspartner nach meinen Motiven gefragt. Doch ich erläuterte ihm mein Forschungsprojekt, versicherte ihm, dass ich nicht für einen Geheimdienst arbeite und er ließ meine Ausführungen gelten. Er lud mich dann ein, für ein ausführliches Gespräch mit ihm nach draußen zu gehen, wo wir uns auf die große Grünfläche des Universitätscampus setzten. Die Arbeit globaler Nachrichtenorganisationen in Kaschmir habe bereits eine Tradition, berichtete Rashid Maqbool: »It was in the 1990s when the armed rebellion started in Kashmir and the global market for Kashmir news got created« (Interview in Srinagar, 2013). Mindestens so lange gebe es in Srinagar auch schon professionelle »Fixer«, die den ausländischen Journalisten helfen: »By the time our generation came to this field, it was an established trend and we only picked up the traces othObjectivity called for journalists to develop a consistent method of testing information–a transparent approach to evidence–precisely so that personal and cultural biases would not undermine the accuracy of their work…. In the original concept, in other words, the method is objective, not the journalist. The key was in the discipline of the craft, not the aim« (Kovach & Rosenstiel, 2001, S. 13). 101 | Dabei wurden mehrfach Männer aus Grenzdörfern vom indischen Geheimdienst entführt, getötet und ihre Leichen in Grenznähe platziert, um diese dann offiziell als pakistanische Invasoren auszugeben (Hussain, 2010). Sogar die indische Armee hat solche Fälle nach Angaben von Amnesty Internation inzwischen bestätigt (Amnesty Internation, 2015).
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ers had left« (Interview in Srinagar, 2013). Heute sei er vor allem für seine Arbeit in der Urdu-Presse bekannt, aber wie viele Journalisten in Kaschmir habe auch er als »Fixer« und Assistent für diverse reisende Journalisten aus Europa und Nordamerika gearbeitet (und außerdem mehrfach auch für Ethnologen). Angefangen habe das während seiner eigenen Studienzeit Anfang des 21.Jahrhunderts. Wie heute seine eigenen Studenten suchten offensichtlich auch Rashid Maqbool und seine Kommilitonen gezielt nach Arbeitsmöglichkeiten in der globalen Nachrichtenindustrie: »Being a fixer is kind of an opportunity that we would vie for because it’s a way of earning a quick buck, a quick bunny. Those who come from outside pay you in dollars and then you exchange them and it brings you a lot of money« (Interview in Srinagar, 2013).102 �������������������������������������������������������������� Seine erste längerfristige Beschäftigung in der globalen Nachrichtenindustrie begann er dann 2007, als ihn der lokale DW-Korrespondent in Srinagar als Assistent engagierte; später arbeitete er auch als lokaler Assistent im Büro von Al Jazeera. Eigentlich habe er vorgehabt, Filmemacher zu werden, doch dann sei er bei den »hard news« und dem bewaffneten Konflikt hängengeblieben. Wenn sich ein junger Mensch in Kaschmir für den Journalismus interessiere, dann habe das häufig mit einer intensiven und persönlichen Auseinandersetzung mit dem Konflikt zu tun. Der Journalismus sei dann eine gute Möglichkeit, sich ganz diesem Thema zu widmen: It just involves you. It involves you the way it never leaves you. You may even leave it but it doesn’t leave you. In a way it becomes a significant part, and then you develop this interest in it. It becomes your habit. Like smoking, an addiction […]. It became one with me and I couldn’t imagine myself anything else but a reporter, a journalist from a conflict area. (Interview in Srinagar, 2013)
Den Enthusiasmus seiner Studenten sieht er mit gemischten Gefühlen. Gerade für die Journalisten vor Ort sei diese Arbeit äußerst gefährlich. Wer es damit ernst meine, müsse mit vielen Einschränkungen leben: »Because they have a social life there. They are living their lives in this place« (Interview in Srinagar, 2013). Ständig müsse man auf der Hut sein, auch was die Fähigkeiten, die Auffassungsgabe und die Vertrauenswürdigkeit der reisenden Journalisten betreffe. Denn wenn diese ihre Geschichten veröffentlichen, dann seien sie schon lange wieder weg: But then the dynamics of conflict might be touched by a story. And once that happens, it goes in favor of certain actors, but against other actors. And those who it goes against,
102 | Für drei Tage Arbeit als »Fixer« habe er damals 12.000 INR (ca. 160€) erhalten. Dabei seien es vor allem die bereits etablierten lokalen Akteure gewesen, die ihnen die Jobs besorgten: »A foreign correspondent would come to them for doing a story of 3 days. And they would not have time. So they would call one of us« (Interview in Srinagar, 2013).
Studie II: Standpunkt »Indien« they are not going to spare you. They are going to react. And most of the times […] very harshly. (Interview in Srinagar, 2013)
Ein Journalist könne von einem beliebigen Ort dieser Erde kommen, so erläuterte er mir weiter seine Haltung gegenüber den Besuchern, er könne ganz unterschiedliche Ansichten haben, solange er sich nur wirklich darum bemühe, den Konflikt zu verstehen. So erinnere er sich gern an eine Zusammenarbeit mit einem Reporter des Christian Science Monitor, der sich Zeit genommen habe und mit der notwendigen Genauigkeit über die Situation berichtet habe. Gern habe er für ihn deshalb Interviews organisiert. Für reisende Journalisten aber, die nur auf einen Kurzbesuch nach Kaschmir kommen, ihre Recherchen vorplanen oder diese sogar mit den indischen Truppen abstimmen, habe er dagegen kein Verständnis: If people are sent as parachute journalists, that’s not going to work. Embedded journalism is not going to work. Then you are failing the cause of journalism, I’m sorry, you’re not helping anybody. You are contradicting the purpose of journalism by sending those parachute journalists. […] At the end of the day, they’ll come up with whatever stories suit them. The way they select the facts, the way they are selective about whom to talk to – and most importantly, their decision whom not to talk to. (Interview in Srinagar, 2013)
Besonders anfällig für Verzerrungen sieht er dabei, wie schon der AFP-Korrespon dent Parvaiz Bukhari, die Kontextualisierung der Fakten: »It’s all about knowing context. It’s all about proper contextualization. Most of the time, we have problems in understanding the issues because we lack understanding of the context« (Interview in Srinagar, 2013). Einmal sei eine Reporterin der BBC aus New Delhi an der Universität zu Besuch gewesen, als es in Kaschmir gerade relative ruhig war. Er habe ihr von den omnipräsenten tiefen Verletzungen und gefährlichen Spannungen berichtet, die auch damals deutlich zu erkennen gewesen seien. Doch weil sie mit einer vorgefertigten Meinung nach Srinagar gekommen sei, habe sie seine Analyse als einen politischen Meinungsausdruck missverstanden und ihm nicht geglaubt: »She painted a very rosy picture in which it seemed as if the preferences of Kashmiri youth had changed. They have forgotten about freedom and they are more concerned about their careers and their personal lives« (Interview in Srinagar, 2013). Noch bevor ihr Artikel veröffentlicht wurde, seien dann aber erneut schwere Unruhen in Srinagar losgebrochen, die ihre Darstellung widerlegten:103 103 | Statt ihren Artikel umzuschreiben, hat die BBC-Reporterin Geeta Pandey einen Absatz angehängt, in welchem sie auf die neuen Entwicklungen einging. Dort heißt es im letzten Absatz: »In recent days, Kashmir has erupted again with angry protests against plans to build facilities for Hindu pilgrims in the mainly Muslim state. This, say some, shows how fragile the peace is. It needs just a spark to set the place on fire again« (Pandey, 2008).
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Korrespondenten des Wandels This is a deep conflict. Everything is momentary here. Don’t let yourself be caught by some illusion about peace. As one of our very nice poets Shahid Ali has said in one of his lines, ›They make desolation and they call it peace‹. Desolation is not peace, it has never been, and it will never be. We have had these moments of lull and calm here, but then it erupts again. They don’t know our history, they don’t know our culture. They don’t know anything about this conflict. They come and find one, they talk to a couple, a few, they went with them to cafés, and they make a story. And just for the sake of balance, they may quote a couple of radicals, which they call radicals, hardliners. At the end of the paragraph somewhere they put a quote, ›However, there are some fringe elements’, nonsense. (Interview in Srinagar, 2013)
Um dagegen einen tatsächlichen Einblick von der Situation vor Ort zu bekommen, sei es unvermeidbar, eng mit lokalen Akteuren zusammenzuarbeiten. Von einem Menschen, der vor Ort lebt, solle und könne man aber keine vollständige Neutralität erwarten, sondern vielmehr Wissen um lokale Positionen und Stimmungen. *** Faheem Quadri brachte Nathaniel zum »Friedhof der Märtyrer« im Zentrum von Srinagar. Hier würden die militanten Gegner der indischen Militärpräsenz ihre Toten bestatten, erklärte er, auch die Opfer unter den jugendlichen Demonstranten würden teilweise hier begraben. Faheem Quadri hatte Gerüchte gehört, nach denen dort bereits ein Grab für den in Indien erhängten Mohammad Afzal Guru vorbereitet wurde und das wollte Nathaniel fotografieren. Wir gingen also zwischen den Gräbern umher und suchten nach der richtigen Stelle, fanden sie aber nicht.104 Der Friedhof war leer bis auf zwei Männer und zwei Kinder, die kurz nach uns gemeinsam eingetroffen waren. Einer der Männer trug einen langen Bart und traditionelle Kleidung, der andere ein Karohemd. Ein kleiner Junge, vielleicht zwei Jahren alt, trug Schuhe in Form eines Entchens, die bei jedem seiner Schritte laut quietschten. Gemeinsam mit einem Mädchen, kaum älter, aber schon mit Kopftuch, spielte er zwischen den Gräbern. Nathaniel wollte die Familienszene fotografieren, seine Kamera hatte er schon erhoben, doch Faheem Quadri griff ihm in den Arm: »Stop it Nathaniel!« (Feldnotizen vom 31.03.2013) Nathaniel wollte aber wirklich gern fotografieren und schlug vor, dass er sie doch gleich um Erlaubnis fragen könne, er wolle jetzt nicht 104 | Tatsächlich wurde Mohammad Afzal Guru wohl innerhalb des Gefängniskomplexes in New Delhi bestattet, wo die Todesstrafe durchgeführt wurde. Die kontroverse Entscheidung, seinen Körper nicht seinen Angehörigen auszuhändigen, sei bewusst getroffen worden, so wurde in Medienberichten ein Sprecher des Innenministeriums zitiert. So sollten Unruhen verhindert werden, die ein Begräbnis auf dem »Friedhof der Märtyrer« in Srinagar hätte auslösen können (Joshi & Kumar, 2013).
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die Spontanität der Situation zerstören, das sei ein gutes, ein wichtiges Motiv. Doch Faheem Quadri blieb dabei: Die Männer hätten uns doch schon lange bemerkt und würden jeden unserer Schritte beobachten. »I will talk to them now«, entschied er endlich, um die Situation zu entspannen, »Let’s see what I can do. Remember, this time you are not a tourist and if they ask, go tell them about your project« (Feldnotizen vom 31.03.2013). Während Faheem Quadri mit den Männern sprach, betrachteten sie uns »westliche« Besucher schweigend und, wie mir schien, auch feindselig. Erst nach diesen prüfenden Blicken begann der Mann mit den traditionellen Kleidern zögernd auf Urdu zu sprechen. Er besuche hier das Grab seines Bruders, übersetzte uns Faheem Quadri. Der Bruder sei bei einem missglückten Bombenanschlag auf die indische Armee getötet worden. Dann mischte sich der Mann mit dem Karohemd ein, der einige Brocken Englisch sprach. Er sei ebenfalls ein Verwandter des Getöteten, berichtete er, und redete sich dann immer weiter in eine Erregung hinein. Er sprach vom bewaffneten Widerstand als einzigem Weg, die Situation vor Ort zu verbessern – Kaschmir müsse für seine Freiheit kämpfen, aber sie hätten keine Waffen. Irgendwann legte der Mann mit den traditionellen Kleidern seine Hand mit einer beschwichtigenden Geste auf dessen Schulter. »The people of Kashmir are very peaceful«, sagte er plötzlich selbst auf flüssigem Englisch, »We don’t want problems« (Feldnotizen vom 31.03.2013). Nathaniel vermutete jetzt seine Gelegenheit und fragte, ob er sie für seine Reportage fotografieren darf, aber sie lehnten das ab und wechselten wieder ins Urdu. Sie hätten Angst, dass die Fotos in den Datenbanken der CIA oder des Mossads landen würden, übersetzte Faheem Quadri ihre Bedenken. Doch dann durfte Nathaniel die Kinder fotografieren. Als wir bereits zum Ausgang gingen, rief uns der Bruder des toten Militanten plötzlich noch einmal zurück. Während des Gesprächs hatte ich einfach dabeigestanden und nur zugehört, beobachtet und nicht gesprochen. Nun kam er direkt auf mich zu und musterte mich eindringlich. Die Situation verwirrte mich und ich erschrak sehr, was vor allem daran lag, dass ich gar nicht wusste, wie ich erklären sollte, wer ich bin und warum ich dort war. Doch bevor ich sprechen konnte, bückte sich der Mann und schlug mir den Staub von der Hose. *** Nach vielen vergeblichen Versuchen, für diese Forschung mit der BBC-Zentrale in London Kontakt aufzunehmen, gelang es mir schließlich���������������������� , den lokalen BBC-Korrespondenten in Kaschmir Riyaz Masroor zu treffen. Seit etwa einem Jahrzehnt leitete dieser zum Zeitpunkt meines Besuchs den Urdu Service des britischen Senders in Kaschmir, er ist so etwas wie die »Stimme der BBC« und gleichzeitig deren wichtigste Quelle vor Ort. Er hatte mich eingeladen, das BBC-Studio in Srinagar zu besuchen. Doch als ich ihm dort mein Forschungsprojekt erläuterte, blieb er skeptisch und gestattete mir nicht, unser Interview mitzuschneiden; er
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müsse vorher in London um Erlaubnis bitten. Riyaz Masroor ging zwar auf meinen Vorschlag ein, das Gespräch mit einem BBC-Aufnahmegerät selbst mitzuschneiden, um es dann »gegebenenfalls freizugeben«. Doch leider habe ich trotz mehrerer Versuche nie wieder etwas von ihm gehört. Wie viele meiner Gesprächspartner war Riyaz Masroor bereits ein erfahrener Journalist, als er begonnen hat, für die globale Nachrichtenindustrie zu arbeiten. So erklärte er gegenüber dem »Doha Center for Media Freedom«, dass er als Korrespondent der Tageszeitung Greater Kashmir tätig gewesen sei und außerdem die Urdu-Zeitung Rodade Jehan herausgebracht habe (Bashir, 2011). Seine Arbeit unterscheidet sich aber von der des AFP-Korrespondenten Parvaiz Bukhari, indem Riyaz Masroor zwar wie dieser ein Publikum sowohl innerhalb als auch außerhalb Kaschmirs erreicht, aber in der Hauptsache auf Urdu arbeitet, also primär ein lokales Publikum anspricht.105 Ein »globales Publikum« erreicht er dagegen meist nur indirekt, etwa wenn die anglofonen Nachrichtenredaktionen der BBC auf seine Expertise zurückgreifen und ihn zum Gesprächspartner von Sendungen machen. Weil ich diesen spezifischen Standpunkt in der globalen Nachrichtenindustrie verstehen wollte, fragte ich Riyaz Masroor zunächst nach den Hierarchien, die zwischen der BBC in London und dem lokalen Büro in Srinagar bestehen. Dazu wollte er keine Auskunft geben und fragte dagegen misstrauisch, warum ich so etwas wissen möchte. Ich versuchte ihm zu erklären, dass ich das Verhältnis zwischen den Fernbeobachtern in den zentralen Nachrichtenredaktionen und den lokalen Akteuren vor Ort untersuchen wolle. Dieses Verhältnis sei ausgesprochen gut, sprach er in sein BBC-Mikrofon (was auch sonst): »It’s the culture oft the BBC that London never knows better« (Feldnotizen vom 05.04.2013). Man schätze seine Arbeit wert und vertraue ihm, wenn es um eine Einschätzung zum Kaschmirkonflikt gehe. ��������������������������������������������������������������������tion: »I didn’t even know that we had a Nepali service untill they came by to greet us here in Srinagar one day« (Feldnotizen vom 05.04.2013). Als Spezialist garantierte Riyaz Masroor zum Zeitpunkt meines Besuchs das Wissen und die Handlungsfähigkeit der BBC in Kaschmir und er repräsentierte das journalistische Selbstverständnis des Senders als »westliche« Nachrichtenorganisation in einer lokalen Sprache.106 Gleichzeitig ist der Urdu Service ein 105 | Dass er dieses erreicht, bestätigte mir Rashid Maqbool, der den BBC-Korrespondenten Riyaz Masroor als einen »houshold name« für Menschen in Kaschmir bezeichnete (Interview in Srinagar, 2013). 106 | Dass es ihm trotz der oft angespannten Situation gelang, eine gewisse journalistische Unabhängigkeit zu wahren, wird vielleicht am besten an dem Umstand deutlich, dass Riyaz Masroor auf der einen Seite von lokalen Polizisten verprügelt wurde sowie seine Büroräume von pro-indischen Schlägertruppen zerstört wurden, er aber auf der anderen Seite auch von militanten Separatisten mit einem Bombenattentat attackiert wurde (Bashir, 2011).
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Sprachrohr für lokale Positionen, die wenig Chancen haben, in den indischen Massenmedien repräsentiert zu werden. Die BBC und Riyaz Masroor befinden sich also in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis, dessen genauen Charakter ich nicht ergründen konnte. Was mir das Gespräch aber deutlich gezeigt hat: Es gibt gewisse Grenzen, über die ich mit direkten Befragungen lokaler Akteure nicht ohne Weiteres blicken konnte.107 *** Nathaniel fotografierte vor der schiitischen Shah Hamdan Moschee in Srinagar, die im 14. Jahrhundert zum Andenken an einen persischen Sufi errichtet wurde. Dieser soll maßgeblich dazu beigetragen haben, den Islam in Kaschmir heimisch gemacht zu haben. Faheem Quadri hatte ihn an diesen Ort gebracht, weil hier traditionell Kriegswitwen, die ihre Männer aufgrund des Konfliktes verloren haben, um Almosen bitten. Nathaniel fotografierte die schwarzverschleierten Frauen vor dem mit kunstvollen Holzschnitzereien und mit grünen Balustraden versehenen Eingang der Moschee. Es war später Nachmittag und das Licht schien mir gerade richtig für Nathaniels Fotografien, bereits ein wenig schräg fallend, verlieh es den Konturen Plastizität. Immer wieder flogen Taubenschwärme auf, die das Bild belebten. Als wir wieder zum Auto gingen, sprach Nathaniel davon, dass er schon jetzt wisse, dass ihm gerade visuell äußerst interessante Ergebnisse gelungen seien. Aber er befürchte, dass sich bei diesen Fotografien die Schönheit des Ortes in den Vordergrund dränge. Er war wirklich bedrückt, weil sein ernstes Thema in Kaschmir seiner Ansicht nach immer wieder von Schönheit überlagert wurde; schnell entstehe dann Touristenfotografie und deshalb sei er nicht hierhergekommen (Feldnotizen vom 31.03.2013). Faheem Quadri lachte über diese Sorgen und empfahl ihm, die Schönheit als einen Teil Kaschmirs zu begreifen, der unentwirrbar mit den Problemen verbunden sei. Dann sagte er, ihm sei gerade die Idee gekommen, einen Bekannten zu besuchen, der gleich in der Nähe einen kleinen Laden habe. Aber er müsse Nathaniel schon jetzt warnen, auch dort könne er zweifellos nur schöne Bilder machen. Zu Fuß brachte er uns zu einem Haus und über eine kleine Treppe betraten wir einen halbdunklen Raum mit einem lieblichen Geruch. Überall an den Wänden waren große Regale, in denen hunderte alte Glasflaschen standen, einige massiv und groß, andere filigran, sämtliche mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt. Das sei Rosenwasser, erklärte uns Faheem Quadri, und Abdul habe es gemacht. Er stellte uns einen Mann vor, der vor dem einzigen kleinen Fenster stand und dort mit großen Glaskondensatoren hantierte. Abdul sei der letzte Destillateur 107 | Nach meiner persönlichen Einschätzung ist es in der BBC-Zentrale in London all gemein nicht erwünscht, dass lokale Akteure sich zu ihrer Arbeit für die BBC öffentlich äußern.
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in der Stadt, der das berühmte Kaschmir-Rosenwasser und Kaschmir-Rosenöl in Handarbeit herstellen könne, erklärte uns Faheem Quadri. Seine Familie sei vor über 300 Jahren aus dem Osmanischen Reich nach Kaschmir gekommen und seitdem hätten sie dieses Handwerk ausgeübt. Der Duft der Rose werde traditionell bei Festen in den Moscheen und den Schreinen der Sufis versprüht (Feldnotizen vom 31.03.2013). Vor einiger Zeit sei ein US-amerikanisches Filmteam hier gewesen und er fände es wundervoll, sagte Faheem Quadri, dass sie die Geschichte von Abdul in einem kleinen Dokumentarfilm erzählt hätten. Denn seine Aufgabe als »Fixer« verstehe er keinesfalls nur darin, den Journalisten den Konflikt zu zeigen: »It’s not only the violence here, Kashmir is also beautiful. ���������������������������������������mir. Its culture is rich, it’s traditionally rich, it has a great architecture, it has a great history, it has a great legacy« (Feldnotizen vom 31.03.2013). Inzwischen stand die Abendsonne so tief, dass sie direkt durch das kleine Fenster auf die Glasflaschen fiel. Nathaniel, der entweder diesem Motive nicht widerstehen konnte oder aber höflich sein wollte, fotografierte Abdul inmitten seiner schimmernden Flaschen.
4 Studie III: »India Unheard« – Erkundung einer Alternative »It is like a sword to me with which you can cut the evil« Sulochena Pednekar, Videokorrespondentin (Interview in Siolim, 2013)
4.1 D ie N achrichtenorganisation »V ideo V olunteers « »It is like a sword to me with which you can cut the evil« (Interview in Siolim, 2013), rief Sulochana Pednekar und zückte ihren Minicamcorder, als wollte sie dessen Einsatzmöglichkeit als Waffe gleich demonstrieren. Sulochana Pednekar, die ich für ein Forschungsinterview in einem kleinen Dorf im Norden des indischen Bundesstaates Goa besuchte, ist Videokorrespondentin. Das »Böse«, das sie beschwört, begegnet ihr im Gewand der grassierenden Umweltverschmutzung vor Ort, einer unzureichenden Gesundheitsversorgung oder der Korruption im dörflichen Bauwesen. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, es mit ihrer Kamera zu bekämpfen. Die Kamera, die Sulochana Pednekar während des Interviews nicht mehr aus der Hand legte, war eine Flipcam1 der Firma Cisco, die ein wenig an ein altmodisches Mobiltelefon erinnerte. Mit sichtlichem Stolz demonstrierte sie mir die Funktionen, am wichtigsten sei der große rote Knopf in der Mitte, mit dem die Aufnahme gestartet und gestoppt werde. Dann zeigte sie noch, wie unauffällig sie in ihrer Handtasche verschwinden kann. Das sei nützlich, sagte sie, denn wenn 1 | Der Flip Video Pocket Camcorder wurde von der US-Firma Pure Digital Technologies entwickelt, 2009 wurde die Produktion von Cisco übernommen. Aufgrund der einfachen Bedienbarkeit, der kompakten Größe und des niedrigen Preises war die Kamera ideal für die Anforderungen von Video Volunteers. Im Jahre 2011 beschloss Cisco, die Produktion einzustellen – für viele Beobachter ein überraschender Schritt, weil die Flipcam mit über fünf Millionen verkauften Geräten auch wirtschaftlich erfolgreich war (Pogue, 2011; Reardon, 2011). Zum Zeitpunkt meiner Feldforschung gab es für Video Volunteers noch keine wirkliche Alternative zur Flipcam, einige Restbestände hat Cisco der Organisation aber wohl zur Verfügung gestellt.
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sie im Alltag etwas beobachte, dann habe sie die Kamera immer gleich dabei. Einmal habe sie etwa ihren Onkel zu einer Operation in ein öffentliches Krankenhaus begleitet. Ihnen sei damals entgegen den geltenden Vorschriften keine Wäsche ausgegeben worden und auch anderen Patienten sei es dort so ergangen, berichtete sie, Unfallopfer hätten dort in ihren schmutzigen und blutigen Fetzen gelegen. Mit ihrer Flipcam habe sie dann die Situation vor Ort für ein Video dokumentiert, die Angehörigen befragt und auch das Krankenhauspersonal vor laufender Kamera zur Rede gestellt (Going to the Hospital? Carry Your Own Linen, 2013). Sulochana Pednekar ist überzeugt von der Wirkungsmacht solcher Bildbeweise, die anschließend auf YouTube-Videos im Internet zu finden sind: »It’s live proof. Nobody can deny it once they’re caught on this!« (Interview in Siolim, 2013). Sulochena Pednekar ist keine Bloggerin, sie ist auch keine ehrenamtliche Medienaktivistin oder Bürgerjournalistin, vielmehr arbeitet sie für ein Honorar als lokale Korrespondentin im Auftrag des Nachrichtendienstes India Unheard, der seit 2010 von der NGO Video Volunteers betrieben wird.2 Diese Nachrichten- und Menschenrechtsorganisation wurde im Jahr 2003 vom indischen Menschenrechtsverteidiger und Filmemacher mit dem ungewöhnlichen Namen Stalin K.3 sowie der TV-Journalistin Jessica Mayberry gegründet, die aus New York stammt. Im Mittelpunkt der Organisation stehen die Korrespondenten von India Unheard, die wie Sulochena Pednekar mit Videos über lokale Ereignisse und Probleme in ganz Indien berichten und diese über das Internet weltweit sichtbar machen. Diese Videos sind jeweils wenige Minuten lang und sowohl »Beweisbilder«4 als auch 2 | Bewusst vermeidet die Organisation den Begriff des Bürgerjournalisten, weil dieser die professionelle (bezahlte) und oft hauptberufliche Arbeit der India-Unheard-Korrespondenten diskreditiere. Sie werden vielmehr als Community Correspondents (CC) bezeichnet. Zum Begriff des Bürgerjournalisten äußerte sich Video-Volunteers-Gründer Stalin K. wie folgt: »We consciously don’t call them citizen journalists. The reason is that the word ›citizen journalism‹ or ›citizen journalist‹ is somewhat looked down in the journalism framework or in the journalism sector. The feeling is that these are lesser human beings. These are lesser mortals, unqualified, opinionated, they are untrained people reporting on things they are facing. As if there’s something wrong. You know, it doesn’t have the stamp of the Colombia School of Journalism on it or whatever, you know, it doesn’t have the brand of a newspaper on it. And the assumption is that the brand assures factualism and accuracy which we all know is not the case« (Interview in Bardez, 2013). 3 | Stalin (oder auch Lenin) als Vorname ist in Indien kein Einzelfall, sondern ein Phänomen der Jahre des kalten Krieges (Raman, 2005). In einem Gespräch mit dem afroamerikanischen Bürgerrechtler Ellis Cose erklärte Stalin K., warum er seinen Nachnamen abgelegt habe: Auf diese Weise habe er sich vom indischen Kastensystem lösen wollen, das ihn mit Kraft des Namens gesellschaftlich zuordne (Cose, 2009). 4 | Solche Bildbeweise haben etwa zur Befreiung von zwölf Gastarbeitern geführt, deren Situation von der India-Unheard-Korrespondentin Shanti Baraik in Goa aufgedeckt wurde (12 Rescued from Bonded Labour, 2014). Die Gastarbeiter waren aus Jharkhand
Studie III: »India Unheard« – Erkundung einer Alternative
Themenbilder werden dabei zu einem gesprochenen Skript geschnitten und mit Interviewpassagen oder O-Tönen kombiniert. India Unheard ist im Kontext der indischen Armutskatastrophe zu verstehen, die international und auch in Indien medial kaum beachtet wird. Seit einigen Jahren rekrutiert Video Volunteers systematisch Mitarbeiter aus allen indischen Bundesstaaten und den sozial schwächsten Bevölkerungsteilen des Landes, bildet sie für die Arbeit mit der Kamera aus und beschäftigt sie als Korrespondenten. Zum Zeitpunkt meiner Feldforschung verfügte India Unheard über ein Netzwerk von über 200 Korrespondenten, die teilweise in Vollzeit als Reporter arbeiteten.5 Möglich wurde dies vor allem durch den Entwicklungssprung und den Preisverfall der digitalen Medientechnologie sowie durch die Armut vieler Korrespondenten, die sehr viel geringere Honorare beziehen als konventionelle Journalisten.6 Die Berichte der Korrespondenten von India Unheard verweilen in der lokalen Perspektive gesellschaftlich benachteiligter Bevölkerungsgruppen, das Partikulare und Individuelle ihrer Themen steht im Vordergrund. Für Sulochana Pednekar, wie für die anderen Korrespondenten, stehen die Inhalte ihrer Videos7 also in einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang zu ihrer eigenen Alltagserfahrung, der für einen reisenden Journalisten natürlich nicht auf dieselbe Weise gegeben ist: »I know, because I’ve also suffered that problem. I know what people are suffering along with me in my community, I am there. […] I don’t think the foreign journalist would have found the story until he is in that situation« (Interview in Siolim, 2013). Die Korrespondenten von India Unheard verstehen sich entsprechend nach Goa gekommen, um als Hilfsarbeiter das Überleben ihrer Familien zu sichern. In Goa wurden sie dann bis zu ihrer Befreiung von einem Privatunternehmer unter sklavenartigen Bedingungen gefangen gehalten und zur Ausführung öffentlicher Arbeiten in der Kanalisation eingesetzt. 5 | Die globalen Nachrichtenorganisationen sind mit ihren Korrespondentennetzwerken in Indien vergleichsweise gering ausgestattet und das Netzwerk von Video Volunteers gleicht inzwischen eher den großen nationalen Nachrichtenagenturen in Indien. Der Press Trust of India (PTI) hat das größte Mitarbeiternetz mit 400 Korrespondenten und 500 »Stringern« (Press Trust of India, 2014). Die zweite große Nachrichtenagentur United News of India (UNI) beschäftigt nach eigenen Angaben 325 Korrespondenten und ca. 250 »Stringer« (United News of India, o.D.). Globale Nachrichtenorganisationen wie die BBC oder Reuters haben kleinere Netzwerke und kooperieren mit den indischen Nachrichtenaggregatoren, so unterhält die dpa Geschäftsbeziehungen mit der UNI. 6 | Die Korrespondenten erhalten 1500 Rupien pro Film, nach einigen Jahren bekommen sie dann höhere Honorare, erklärte mir Jessica Mayberry (Interview in Bardez, 2013). 7 | In einem »field guide«, den die Korrespondenten als Handbuch verwenden, werden die Produkte von India Unheard als »community video« definiert »It is a video reported by people who live in the community where the story takes place, and who are personally affected by it. […] It tells the ›unheard stories,‹ the new and unique stories that are not being reported by others« (Video Volunteers, 2011).
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weniger als Informationsvermittler, die von außen auf ein Geschehen blicken, sondern beziehen vielmehr eine mitunter sehr deutliche Position zum Thema ihrer Videos oder sind selbst in das Geschehen verwickelt. Sie sind Spezialisten für das Leben in Armut in einer spezifischen Region. Das übergeordnete Ziel von Video Volunteers ist es, eine Verbesserung der lokalen Lebensbedingungen zu unterstützen, die den Ausgegrenzten in Indien mehr Rechte und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen soll.8 Am Ende eines Videos steht deshalb häufig ein Aufruf an die Zuschauer, den Protest der Korrespondenten zu unterstützen. Die Korrespondentin Mamata Patra beispielsweise hat mit einem Video auf die Trinkwasserknappheit in einem kleinen Dorf im Bundesstaat Odisha aufmerksam gemacht, die aufgrund eines defekten Brunnens entstanden war. Ihr Bericht über die Situation mit eingebettetem Protestaufruf war Anlass für die Behörden, einen neuen Brunnen für die ca. 4000 Dorf bewohner zu bauen (IU Impact: Video Brings Water to 800 Families, 2013). Schon eine ganze Reihe lokaler Probleme scheinen mithilfe solcher Videos erfolgreich behoben worden zu sein, zumindest präsentiert die Organisation sogenannte »Impact Videos« auf ihrer Internetseite, in denen solche Veränderungen dokumentiert sein sollen.9 Formal verweilt die Berichterstattung von India Unheard in einem Spannungsfeld zwischen klassischem Informationsjournalismus, Medienaktionismus und einem Community Media-Projekt mit Berichten zu lokalen Problemen.10 Die India-Unheard-Korrespondenten konzentrieren sich dabei tendenziell auf eine »weiche« Berichterstattung, anstatt direkt »harte« Nachrichtenthemen zu bear8 | Insgesamt definiert Video Volunteers sechs Ziele, die auf der Homepage der Organisation aufgeführt sind: »+Give the poor a voice. ���������������������������������������able communities to take action on their issues, and provide critical information to people who don’t have it. +Advocate for democracy and an end to corruption, encourage governments and authorities to take action. +Expand the scale and reach of social programs and campaigns. +Transform the community members we work with into community leaders and in turn inspire others as role models. +Create sustainable solutions and new business models for the base of the pyramid. +Redefine the paradigms of news and media control, impact the mainstream media and the NGO Landscape« (Video Volunteers, o.D.-c). 9 | Die Videos können in der Kategorie Impact im Online-Archiv von Video Volunteers abgerufen werden (Video Volunteers, o.D.-c). Um die Reporter zusätzlich zu motivieren, lokale »Problemlöser« zu werden, vergütet die Organisation die Impact Videos mit einem erhöhten Honorar. 10 | Manchmal produzieren die Korrespondenten von India Unheard in ihren Filmen auch fantasievolle Formen dokumentarischer Narration. Die Korrespondentin Basanti Soren etwa hat im Nachrichtenformat von weniger als drei Minuten einen kunstvoll fotografierten Dokumentarfilm geschaffen (Abundance in Nature, 2014). In einem ruhigen, fast langsam anmutenden Rhythmus erklärt und zeigt sie darin, wie nützlich und schön der Bambuswald ist, der in der Nähe ihres Dorfes in Jharkhand wächst und setzt sich so für dessen Erhalt ein.
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beiten.11 Das hat sicherlich praktische Gründe, einige der befragten Korrespondenten verwiesen zudem auf Sicherheitsaspekte im Zusammenhang mit der Themenwahl. Für den India-Unheard-Korrespondenten Sajad Rasool aus Kaschmir, von dem bereits in Studie II die Rede war, ist es außerdem eine journalistische Strategie: I go to those places where you will not find a road and not find electricity in this time and this age because they were not covered by regular journalists. They don’t prefer those stories; they don’t make money out of them. […] For example if we found a village in Kashmir or any part of the country which is not electrified yet, that’s shocking, but at the same time you will not find any newspaper who will be ready to carry this news. Particularly in Kashmir the preference of the journalists is violence. (Interview in Bardez, 2013)
Statt sich auf Themen zu beschränken, die ein »globales Publikum« interessieren könnten, versucht er also, auf systematisch unterrepräsentierte Themen aufmerksam zu machen. India Unheard bietet ihm dafür redaktionelle Unterstützung und ein Honorar. Bislang war in dieser Studie von Akteuren der globalen Nachrichtenindustrie die Rede, die Medienprodukte herstellen (oder dabei helfen), die dann in einem oder mehreren anderen Ländern rezipiert werden, weshalb ihr »Metier« als Auslandsjournalismus gelten kann. Bei India Unheard handelt es sich dagegen um eine hybride Form der Berichterstattung, die Eigenschaften eines ultralokalen Community-Media-Projektes mit denen einer globalen Nachrichtenorganisation zusammenbringt.12 Der hybride Charakter der India-Unheard-Berichterstattung zeigt sich bereits im Format und den Distributionswegen der Medienprodukte: 11 | Manchmal fällt den Korrespondenten aber auch die Rolle zu, ein konkretes Thema von überregionalem Interesse in den Diskurs der Massenmedien zu überführen: so geschehen zum Beispiel im Fall eines 15-jährigen Mädchens namens Magdalene Mundu aus Jharkhand. Dieses wurde 2011 von der Polizei entführt, misshandelt und für fast ein Jahr gefangen gehalten, weil man sie beschuldigte, eine maoistische Revolutionärin zu sein. Erst nachdem die lokale India-Unheard-Korrespondentin Amita Tuti den Fall in einem Video aufgriff (Innocent Student Falsely Accused of Being Maoist, 2012), berichtete auch die Tageszeitung The Times of India und bezog sich dabei vor allem auf die Recherche von India Unheard (Deogharia, 2013). 12 | Das Verschwimmen der Grenzen zwischen Publikum, Aktivisten und Reportern, wie es bei Video Volunteers zu beobachten ist, wird in der Forschungsliteratur als eine typische Eigenschaft lokaler Community-Media-Initiativen beschrieben, so betont die Medienwissenschaftlerin und Community-Media-Expertin Susan Forde: »The process of producing alternative journalism and the interactions and participation of audience in this process […] is something as important as the content it creates« (2011, S. xvi). Das Phänomen aufweichender Grenzen zwischen Reporter, Publikum und Thema wird von dem US-amerikanischen Mediensoziologen Michael Schudson aber auch ganz allgemein als
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Die Videos werden von den Korrespondenten in einer lokalen Sprache eingesprochen. Um sicherzugehen, dass die fertigen Produkte dann aber auch in einer Umgebung sichtbar werden, in der nur die wenigsten einen Zugang zum Internet haben, werden systematisch öffentliche Vorführungen veranstaltet.13 Gleichzeitig werden die Videos einem »globalen Publikum« zugänglich gemacht, indem sie mit englischsprachigen Untertiteln versehen über den Internetdienst YouTube verbreitet werden. India Unheard will eine Stimme sein, die sowohl nach innen als auch nach außen spricht. Die hybride Ausrichtung der Medienprodukte von India Unheard wird von den Korrespondenten selbst ganz unterschiedlich wahrgenommen. Der Korrespondent Amol Lalzare, der in einem Slum in Mumbai lebt und arbeitet, produziert seine Stücke auf Hindi, er selbst spricht, wie viele der India-Unheard-Korrespondenten, kein Englisch.14 Sein Publikum sieht Amol Lalzare aber in der ganzen Welt: »I want everyone to see my films, because it’s not only Mumbai that has certain specific problems« (Interview in Mumbai, 2013). Seine Begründung, warum sich Menschen in anderen Ländern seine Berichte ansehen sollten, ähnelt dabei den universalistischen Positionen, die auch Auslandskorrespondenten gern einnehmen, wenn sie es etwa für produktiv halten, lokale Probleme in größere und abstraktere globale Zusammenhänge einzuordnen: There is no difference in my message. Everyone, whichever country they are in, they are all human beings. If there is a slum here, there must be a slum in America. If there is drought or flood here, there will be one in America as well. They have water and electricity issues as well. So many countries have that kind of problems. (Interview in Mumbai, 2013)
Seine Kollegin, die Korrespondentin Zulekha Sayyed, die ebenfalls in Mumbai in einem anderen Slum lebt, sieht ihr wichtigstes Publikum dagegen vor Ort: »Of course my community’s area«, erklärt sie im Forschungsinterview. Vor allem die Vorführungen für ihre Slumgemeinschaft seien ihr wichtig, diese seien beliebt und gut besucht: »They say that somebody is there to take the initiative, to take the pictures, and who is showing them to everyone« (Interview in Mumbai, 2013). ��� Indem Video Volunteers den lokalen Standpunkt der Korrespondenten global sicht-
ein Phänomen der global wirksamen digitalen Medienwelt identifiziert (2011, S. 207). Die Arbeit von Video Volunteers verbindet Elemente beider Welten. 13 | Nach Angaben von Video Volunteers wurden bis 2016 insgesamt bereits über 2000 solcher Vorführungen in kleinen Dörfern und Slums organisiert, bei denen bereits mehr als 300.000 Menschen zugesehen haben sollen (Video Volunteers, o.D.-a). 14 | Im Folgenden zitiere ich daher aus einer englischen Übersetzung unseres Interviews, die zunächst on-the-spot erfolgte und dann bei den zitierten Passagen noch einmal in schriftlicher Form von einer Übersetzerin wortgetreu überarbeitet wurde.
Studie III: »India Unheard« – Erkundung einer Alternative
bar macht, arbeitet die Nachrichtenorganisation daran, die Grenzen von »lokaler« und »globaler« Berichterstattung aufzuweichen. *** »One of our guys is missing in action«, rief eine India-Unheard-Redakteurin, als sie auf die Veranda der portugiesischen Kolonialvilla in Bardez gestürmt kam. Die Villa in Goa diente bei meinem Besuch als Zentrale von Video Volunteers, von hier aus betrieb die Organisation ihren Nachrichtendienst India Unheard und die Redakteurin war auf der Suche nach einem ihrer Kollegen, mit dem ich mich gerade auf der Veranda unterhalten hatte. »A local correspondent. He dissappeared! He’s supposed to do a video«, erklärte sie atemlos und sagte, dass sie mein Gespräch nun leider unterbrechen müsse: »He said he’s getting on a train and after that we didn’t hear anything« (Feldnotizen vom 15.01.2013).15 Zuvor hatte die Redakteurin sich mir als TV-Journalistin aus San Francisco vorgestellt. Sie sei als Kind indischer Einwanderer in den USA aufgewachsen und habe nun ihren Job bei einem TV-Sender in Kalifornien für einige Zeit hinter sich gelassen, um für India Unheard lokale Korrespondenten zu betreuen. Etwa 20 Vollzeitkräfte sowie Freiwillige und Praktikanten arbeiten in Goa für India Unheard. Ich habe in der Redaktion Medienprofessionelle aus Indiens Mittelschicht und junge Freiwillige aus aller Welt getroffen: Ich möchte sie hier als die »kosmopolitischen« Mitarbeiter der Organisation bezeichnen, die wie diese US-amerikanische Redakteurin oft mehrere Sprachen beherrschen. Sie waren mit einem großen Idealismus ausgestattet, was die Sinnhaftigkeit ihrer eigenen Tätigkeit bei Video Volunteers betrifft und untereinander schienen sie sich trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft oft erstaunlich ähnlich. Die lokalen Korrespondenten, die ich getroffen habe, aus den Dörfern in Armutsstaaten wie Odisha und Chhattisgarh oder den Slums der indischen Megacities, waren ebenfalls deutlich zu erkennen – an ihren fehlenden Englischkenntnissen etwa, an ihrer Kleidung oder an der Art und Weise, wie sie vor allem untereinander Kontakt suchten. Ohne Zweifel ist es ein Spagat, den Video Volunteers dabei als Organisation zwischen so unterschiedlichen Mitarbeitergruppen vollführen muss. Doch gerade diese Vielfältigkeit korrespondiert mit den weiter oben beschriebenen hybriden Eigenschaften der Berichterstattung zwischen lokalem und globalem Anspruch. Der NGO ist es nach meiner Einschätzung gelungen, ihre eigene Heterogenität zu nutzen und die Organisation zu einem Umschlagsort von Ideen und Kontakten zu machen, von dem beide Seiten in einer vertrauensvollen journalistischen Kooperation profitieren. Wie die Filmproduktion bei India Unheard üblicherweise funktioniert und was sie dabei gegenüber der konventionellen TV-Produktion auszeichnet, soll 15 | Später tauchte der Korrespondent dann unversehrt wieder auf (Feldnotizen vom 16.01.2016).
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an folgendem Beispiel illustriert werden: Am 15.01.2013 wurde auf der Redak tionskonferenz ein Video vorgestellt, das auf dem YouTube-Kanal veröffentlicht werden sollte: In dem »impact video« aus dem Bundesstaat Chhattisgarh zeigte die Korrespondentin Bhan Sahu, wie der lokalen Schule in einem Dorf namens Machandur dank ihres Protestaufrufs geholfen wurde (IU Impact: One Video Brings Change in Dysfunctional School, 2013). In der üblichen Vorgehensweise von Video Volunteers hatte sie zuvor in einem anderen (problemzentrierten) Beitrag auf einen Lehrermangel in dieser Schule aufmerksam gemacht, der durch den Abzug der Lehrkräfte für andere öffentliche Aufgaben entstanden war (Census Work Interrupts Education, 2011) und hatte zu Protest aufgefordert. In ihrem »impact video« berichtete sie nun, wem sie das erste Video vorgeführt hatte, nachdem es auf YouTube verfügbar war.16 Außerdem verwendet sie Intervieweinstellungen mit Lehrern sowie Bilder aus der Schule. Beide Videos hat sie in (telefonischer) Zusammenarbeit mit der India-Unheard-Redaktion erstellt. Auch Bhan Sahu hat von Video Volunteers eine Flip Cam erhalten, mit der sie vor Ort eigenständig die Beitragsbilder in der Schule filmte und die Interviews führte. Bis zu diesem Punkt gleicht ihre Arbeitsweise durchaus dem typischen Vorgehen eines TV-Journalisten bei konventionellen TV-Sendern in Europa. In der klassischen Produktionsweise würden nun die Konzeption des Beitrags und das Schreiben eines Skriptes erfolgen. Doch während das schriftliche Konzipieren von Beiträgen für einen konventionellen TV-Journalisten als natürliche Vorgehensweise erscheinen mag, weil er das geschriebene Wort täglich nutzt, um Inhalte sprachlich zu präsentieren, ist dies für viele der Korrespondenten von India Unheard besonders schwierig, da sie oft keine Gelegenheit hatten, ausreichend lange eine Schule zu besuchen. Inzwischen nutzt India Unheard direkt das gesprochene Wort, um die aufgenommenen Textbausteine dann im Filmschnitt zu einer stringenten Struktur zu arrangieren. Jessica Mayberry nennt diese Methode im Interview video dive: »You just talk to the camera and send it to us. And from that, we can pull out stuff that is useful. It’s also interesting knowledge for us« (Interview in Bardez, 2013). Dieses Vorgehen war offensichtlich ein wichtiger Durchbruch im workflow der Nachrichtenorganisation. Vorher hatte Jessica Mayberry lange an dem Problem der Korrespondenten gearbeitet, ein Skript zu erstellen: They have a very hard time with that. I’ve never understood why it is so difficult for them. I think we’ve made it really easy. It’s just like two sentences what they are supposed to say.
16 | Ich zitiere Bhan Sahu in der Übersetzung der eingeblendeten Untertitel: »I showed this video to the teacher at the school. In turn, the teacher showed this video to the Block Development Officer and the Education Officer. This video has definitely made an impact. After seeing this video, the concerned officials appointed a new teacher in our school« (IU Impact: One Video Brings Change in Dysfunctional School, 2013).
Studie III: »India Unheard« – Erkundung einer Alternative This is the story. This is my connection to the story, but they just want to get so flowery and poetic. (Interview in Bardez, 2013)
Für ihren video dive zum Video über die Dorfschule positionierte sich Bhan Sahu direkt vor der Kamera, sie trug einen Sari in weiß-lila Farben und stand vor einem gewaltigen Baum. Wie sich die Korrespondenten vor der Kamera präsentieren, ist von Bedeutung, weil für ein abschließendes piece to camera17 in den IndiaUnheard-Videos immer ein Ausschnitt des video dive verwendet wird, in dem die Korrespondenten ihre Zuschauer direkt ansprechen. Die fertigen Aufnahmen überspielte Bhan San anschließend auf ihren Laptop18 und brannte sie auf eine DVD. Das Material wurde dann mit einem Paketdienst verschickt und erreichte einige Zeit später Video Volunteers in Goa.19 An diesem Punkt übernahm der professionelle Videocutter Raviraj Naik, der auf Honorarbasis für India Unheard arbeitete. Er schnitt das Stück auf Grundlage ihres Bildmaterials und des piece to camera auf eine Länge von 2:09 Minuten. Nachdem die englischsprachigen Untertitel durch die India-Unheard-Redakteure erstellt und dem Video hinzugefügt wurden, konnte es via YouTube veröffentlicht werden. Die technische Realisierung der Ton- und Filmaufnahmen ist nach meiner Einschätzung ein Grund, warum ein europäischer TV-Sender oder eine Rundfunkanstalt den Beitrag in dieser Form wahrscheinlich nicht gesendet hätte. Die visuelle Struktur vermittelt mir als europäischem Zuschauer aber einen sehr direkten und emotionalen Zugang zu einem so abstrakten Zusammenhang wie dem indischen Bildungssystem. Zu sehen ist vor allem eine kleine Dorfschule, weitab von den üblichen Reiserouten westlicher Journalisten. Es geht dabei nicht um die größtmögliche filmische Authentizität, Schüler und Lehrer haben sich für das Video sicherlich »herausgeputzt«, sondern um eine lokale Repräsentation. Besonders eindrucksvoll sind für mich einige Einstellungen, in denen die neue Lehrerin und die Schulkinder im Klassenraum gezeigt werden. Die Kinder bewegen sich vor Bhan Sahus Kamera völlig unbefangen, das Design der Lernmaterialien erscheint ebenso plastisch und greif bar, wie die Sauberkeit der Schuluniformen und der möbellose Klassensaal, durch den ein ständiger Wind weht.
17 | piece to camera bezeichnet eine Sequenz im Nachrichtenfilm, bei der ein Korrespondent sich im Bild zeigt und die Zuschauer direkt anspricht. Mindestens seit den 1980er Jahren gehört dieses Element der personalisierten Berichterstattung zum festen Bestandteil des anglofonen TV-Journalismus und ist dabei gerade aufgrund einer vermuteten unerwünschten »Subjektivität« der direkten Zuschaueransprache in die Kritik geraten (Taylor, 1993). 18 | Video Volunteers stellt den Korrespondenten einen Computer oder organisiert eine gemeinschaftliche Nutzung. 19 | Eine digitale Übertragung war aufgrund der fehlenden Infrastruktur noch nicht möglich.
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Im Forschungsinterview betonte Jessica Mayberry, dass es ihr bei den Videos insgesamt nicht so sehr auf die perfekte Qualität des einzelnen Videos ankomme, sondern auf eine gewisse kritische Masse und Regelmäßigkeit der Produktion: There are quite a lot of participatory video projects that are like: Help us raise a million dollars to produce five youth films over the next one year, each one with an academy award winning kind of director. It is a very different kind of model, right? It’s putting quality before everything. We’re interested in breadth. We’re interested in a model that enables every village in the world, or in India at least, or every district, to have a media representative who represents their needs (Interview in Bardez, 2013).
Das wichtigste sei für Video Volunteers die Skalierbarkeit des Modells, sagte Jessica Mayberry, denn langfristig solle das Korrespondentennetzwerk möglicherweise tatsächlich weltweit ausgebaut werden. Grundsätzlich sei Video Volunteers nicht als eine indische, sondern als globale Nachrichtenorganisation konzipiert.20 *** Bevor aber eine »globale Version« von Video Volunteers Wirklichkeit werden kann, in der Medienvertreter aus marginalisierten Gemeinschaften weltweit als bezahlte lokale Korrespondenten arbeiten, steht die Organisation vor grundsätzlichen Herausforderungen. Ein großes Problem ist die Finanzierung eines solchen »Auslandsjournalismus von unten«. Augenblicklich finanziert sich Video ������teers durch die Hilfe einer Vielzahl von gemeinnützigen Stiftungen, internationalen Organisationen sowie privaten Spendern.21 Allerdings stößt dieses Modell immer wieder auf Schwierigkeiten:
20 | Auch wenn der Fokus bisher auf Indien lag, war Video Volunteers mit Projekten und Partnerschaften bereits in Ländern wie Brasilien, den USA, Mexiko, Rwanda und Kenia aktiv und berät Community Media-Organisationen auf der ganzen Welt (Video Volunteers, o.D.-e). 21 | Im Zentrum des Finanzierungsbedarfs stehen für Video Volunteers die Bezahlung, das Training und die Betreuung sowie die weitere Rekrutierung von Korrespondenten. Spenden, Preise oder Projektfinanzierungen erhielt Video Volunteers bisher etwa von Creative Visions Foundation, Echoing Green Foundation, Goethe Institut, HIVOS, International Youth Foundation, Knight News Challenge, NYU Stern Business School, Pangea Day, Sir Dorabji Tata Trust, Tech Museum Award, The Art Action Foundation of Singapore, The Fledgling Fund, The Global Fund for Children, UNDP, UNESCO, USAID, Witness sowie von Cisco, die der Organisation einige hundert Flip Cams zur Verfügung gestellt hat (Video Volunteers, o.D.-b). Etwa 30% des Budgets entstammt externen Beratungen und Trainingsangeboten, die Video Volunteers für andere Organisationen durchführt (Pain, 2013).
Studie III: »India Unheard« – Erkundung einer Alternative This is not video for AIDS or video for water and sanitation. It’s voice. That also, you know, that can in that month or on that issue be about water. But really the number one thing is putting […] the whole process of community media up front and center. And that’s really challenging for almost everyone who does participatory video because of the funding structure. There’s money for water and wells, but there’s no money for alternative media structures. Especially in the developing world where there are all these other greater needs, there’s no money for this kind of thing. (Interview in Bardez, 2013)
Es ist deshalb eines der zentralen Ziele von Video Volunteers, ein Finanzierungsmodell zu entwickeln, das möglichst auf den Medienprodukten selbst basiert. So experimentierte Video Volunteers damit, als Agentur Filme für andere Organisationen zu produzieren. Es gab auch bereits Kooperationen mit konventionellen TV-Sendern wie MTV, Nickelodeon und dem Nachrichtensender CNN (Video Volunteers, o.D.-d). Doch bisher hat dieses Modell in der Praxis offensichtlich nicht gut funktioniert. Die Partnerschaften waren lediglich temporär und auch eine auf einen längeren Zeitraum angelegte Kooperation mit dem privaten indischen TV-Nachrichtensender News X wurde nach kurzer Zeit wieder eingestellt: They accepted to pay us the stringer rate for six videos, which they made into a half-hour kind of citizen journalism show. They ran it for 13 weeks and then they canceled it. The ratings were bad. And that’s an issue of the quality. That’s an issue of where the stories are coming from. They packaged it beautifully. […] But the main problem was in our view, that there was nothing about community media. They hid the fact that these were poor people, because they wanted to make it work for their urban audience. So in those videos our correspondents were just reporters. (Interview in Bardez, 2013)
Für Jessica Mayberry erscheint das Vorgehen des indischen Nachrichtensenders im Rückblick aufgrund dieser Ausrichtung zum Scheitern verurteilt: »From that it loses all of the interestingness. The interest comes from the behind the scene story, you can even argue that this is more interesting than the story that is up and center« (Interview in Bardez, 2013). Als langfristiges Finanzierungsmodell für Video Volunteers favorisiert Jessica Mayberry die Selbstsuffizienz als alternative Nachrichtenagentur: »We want to turn this into some kind of world news wire with one reporter in every district of the country pushing out stories into some kind of news feed« (Interview in Bardez, 2013). TV-Sender in Indien und weltweit könnten dann als Abonnenten eines Dienstes gewonnen werden, der mit einer Gebühr die erforderliche Grundfinanzierung der Organisation sicherstellt.22 Wahrscheinlicher ist nach meiner Einschätzung allerdings, dass Video Volunteers und andere internationale partizipatorische 22 | Allerdings ergibt sich hier aus meiner Sicht das Problem der Exklusivität: Die Orga nisation müsste für diesen Dienst zumindest einen Teil ihrer Produkte exklusiv vertreiben,
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Nachrichtenorganisationen mit einem globalen Anspruch weiterhin auf einen Flickenteppich unterschiedlicher Finanzierungsmodelle zurückgreifen werden müssen.23 Eine weitere Herausforderung, vor der Video Volunteers steht und vor der eine partizipatorische Organisation mit einem globalen Korrespondentennetzwerk wohl in noch stärkerem Maße stehen würde, ist es, nachhaltig sicherzustellen, dass die lokalen Korrespondenten tatsächlich selbstbestimmt und unabhängig arbeiten können. Video Volunteers betritt als Nachrichtenorganisation in diesem Punkt Neuland, weil die Organisation zwei Faktoren zusammenführt, die von anderen Organisationen bisher nur gesondert verfolgt werden: die Veränderung der sozialen Schichtung innerhalb der Nachrichtenorganisation durch die gezielte Einbindung marginalisierter Bevölkerungsschichten vor Ort sowie die strukturelle Ausrichtung als eine global agierende Nachrichtenorganisation. Das in der ersten Studie vorgestellte Blogger-Netzwerk Global Voices ist ebenfalls eine global agierende partizipative Nachrichtenorganisation. Doch die Inhalte stammen in der Regel von Autoren, die ihre Arbeit selbstständig produzieren, was eine gewisse Bildung und den Zugang zum Internet voraussetzt.24 Die Autoren in einem solchen System müssen sich zudem unabhängig finanzieren, weil ihre Arbeit meist unbezahlt bleibt. Der IPS wiederum bezahlt zwar die Arbeit seiner lokalen Korrespondenten, beschäftigt aber professionelle »Freelancer«. Zahlreiche durch Rundfunkanstalten oder andere spezialisierte Organisationen durchgeführte Programme richten sich wiederum erklärtermaßen an medial »benachweil vermutlich keine TV-Organisation für Inhalte oder Informationen bezahlen würde, die bereits im Internet frei verfügbar sind. 23 | Eine weitere Einnahmequelle könnte sich in Zukunft auch aus Verhandlungen mit Google oder anderen Videoplattformbetreibern ergeben, sagte Video-Volunteers-Gründer Stalin K.: »For the platforms [YouTube] it’s a business. So it’s like saying that there is a crowd sourced factory that makes soaps. It’s asking everybody to create little soap bars in their free time which everybody is doing; sending them to this one factory and this factory is packaging it and selling it and making money and not employing it back and making us all feel very good that my rose scented soap really made it to the factory. […]It’s an exploitative business. We want to keep a percentage. It’s as simple as that. Yeah, and I think that will happen, too« (Interview in Bardez, 2013) . 24 | An dieser Stelle muss der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen werden, dass Global Voices schon seit 2007 das Programm »Rising Voices« betreibt, das ebenfalls lokale Korrespondenten aus benachteiligten Gemeinschaften fördert: »Rising Voices, the outreach initiative of Global Voices, aims to help bring new voices from new communities and speaking endangered or indigenous languages to the global conversation by providing training, resources, microgrant funding, and mentoring to local underrepresented communities that want to tell their own digital story using participatory media tools« (Rising Voices, o.D.)��������������������������������������������������������������������������jekte und nicht um den systematischen Aufbau einer Nachrichtenorganisation.
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teiligte« Bevölkerungsteile in südlichen Ländern. Sie haben aber in der Regel das Ziel, Personen für die Arbeit im öffentlichen oder privaten Mediensektor der entsprechenden Region zu qualifizieren und bieten nicht selbst Strukturen, in denen solche Personen dann mit dem Ziel beschäftigt werden, ihre eigenen Themen zu bearbeiten und einem globalen Publikum zugänglich zu machen.25 Um die unabhängige Arbeit der Korrespondenten sicherzustellen, ist es nicht nur notwendig, redaktionelle Strukturen bereitzustellen, sondern es bedarf zusätzlich einer intensiven redaktionellen Betreuung sowie eines umfangreichen Trainings. Die Korrespondenten von India Unheard stimmen ihre Arbeit an den Beiträgen eng mit Mentoren in der Redaktion in Goa ab. Nachdem sie ihr Material produziert haben, übergeben sie es der Redaktion, die meist professionelle Honorarkräfte für den Filmschnitt einsetzt. Das erscheint auf den ersten Blick im Widerspruch zu dem partizipatorischen Leitgedanken der Organisation zu stehen. Doch die Produktion von professionell gemachten Videos ist trotz einer zweifellos fortschreitenden Vereinfachung26 weiterhin ein komplexer Vorgang. Auch in den konventionellen TV-Sendern in Europa ist die Produktion häufig noch von spezialisierten Tätigkeitsbereichen geprägt, etwa Kamera, Filmschnitt und Tonbearbeitung sowie das professionelle Sprechen der Skripte.27 Bei der gemeinsamen Arbeit eines Journalisten mit dem Kamerateam oder der Arbeit mit dem »Cutter« entsteht das filmische Produkt wie bei India Unheard in Arbeitsteilung. Zukünftig sollen die Korrespondenten bei India Unheard ihre redaktionellen Fähigkeiten aber weiterentwickeln, erklärte mir Manish Kumar, der bei India Un25 | In diesem Bereich sind vielfältige Organisationen »nördlicher« Länder tätig, etwa öffentlich-rechtlichen Sender in Europa wie die bereits im Einführungskapitel erwähnte Deutschen Welle Akademie (DW-Akademie, o.D.-a) oder die BBC mit dem Programm Media Action (BBC Media Action, o.D.), aber auch NGOs wie Journalists for Human Rights aus Kanada (Journalists for Human Rights, o.D.). Der IPS beteiligt sich ebenfalls an Trainingsmaßnahmen (Inter Press Service, o.D.). Solche Entwicklungsprogramme können sich dabei auch auf den Aufbau von Strukturen und nicht nur auf das Training individueller Journalisten richten; so unterstützt beispielsweise die DW-Akademie in Sierra Leone den Aufbau des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems (DW-Akademie, 2012). Aber sie betreibt diese Strukturen nicht selbst und diese betreffen auch keine internationale Berichterstattung. 26 | Etwa mit der von den YouTube-Gründern Chad Hurley und Steve Chen seit 2013 betriebenen Plattform MixBit, die es ermöglicht, Videos in einem Gruppen-Workflow zu schneiden und online zu stellen (MixBit, o.D.). 27 | Die in »westlichen« Nachrichtenorganisationen bereits seit der Jahrtausendwende im Zuge der medientechnologischen Entwicklung sowie aufgrund von Sparmaßnahmen eingeleitete Verschmelzung der technischen Arbeit mit der redaktionellen Arbeit, etwa zur Tätigkeit des »Videojournalisten« (Samlowski, 2004), führt innerhalb der konventionellen Nachrichtenorganisationen im Gegenteil regelmäßig zur Sorge, dass die eigentlich journalistische Tätigkeit mit technischen Vorgängen überlastet werde (Stoppacher, 2014).
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heard in Goa so etwas wie den Programmdirektor und Cheftrainer in einer Person darstellte, und der auch selbst viele Beiträge aus dem Material der Korrespondenten erstellt hat. Gemeinsam mit Manish Kumar saß ich bei meinen Besuchen in der Redaktion häufig vor dem Schnittrechner. Wir sahen uns dann die »rohen« Bildsequenzen von den Kameras der Korrespondenten an. Er entschied bei seinem Schnitt letztendlich über die Präsentationsweise dieser Bilder und damit gewissermaßen auch über den Sinnzusammenhang der Gesamtkomposition. Dabei musste er immer wieder dafür sorgen, dass die Stücke für ein »globales Publikum« verständlich werden. Entsprechend erstellte er Untertitel und auch erklärende Texte, die in den Beiträgen eingeblendet wurden. Zuvor habe er einen sicheren Job im Staatssender Doordarshan gehabt, berichtete mir Manish Kumar im Forschungsinterview. Er habe den Sender aber verlassen, weil ihm die Arbeit bei Video Volunteers viel sinnvoller erschienen sei. Er sei sehr stolz auf die Korrespondenten und ihre Unabhängigkeit hätten sie journalistisch immer wieder unter Beweis gestellt – etwa als Rohini Pawar aufdeckte, dass Frauen bei der Bezahlung von Feldarbeit in ihrem Dorf systematisch benachteiligt werden (Gender Bias in Wages, 2010); oder Gunjan Singh, die mit einem Film eigenhändig nachwies, wie Kinder und junge Frauen in Uttar Pradesh auch im 21. Jahrhundert weiterhin mit kulturellen Rechtfertigungen systematisch in die Prostitution gezwungen werden (Prostitution Enforced By Tradition, 2010). Als Trainer leitet Manish Kumar Kompaktkurse, durch welche die Korrespondenten mit den Fähigkeiten ausgerüstet werden sollen, ihre eigenen Videos zu konzipieren und auch die Produktion selbstständig durchzuführen. Für diese Aufgabe habe er sich grundsätzlich von der Vorstellung frei machen müssen, dass der Umgang mit Medientechnologie und Armut zueinander in einer Art inneren Widerspruch stehen würde: Sometimes I think that they will not be able to understand what you develop with them, because as you know they come from such isolated places. So sometimes I think of this lady or those girls that they are not too able to understand, but after two or three days they are able to produce the video. We are surprised because we trainers maybe did a two-year course in college […] and they are taught a lot of same things. We give only twelve days of training, I think this is good. (Interview in Bardez, 2013)
Mithilfe weiterer Trainingsmaßnahmen könne er sich deshalb gut vorstellen, so sagte Manish Kumar, dass zukünftig immer mehr lokale Korrespondenten ihre Beiträge auch selbst schneiden und in der India-Unheard-Zentrale in Goa dann nur noch eine Endredaktion stattfindet.
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4.2 D ie K orrespondenten
von
»I ndia U nhe ard «
Manchmal kooperiert Video Volunteers mit anderen Nachrichtenorganisationen, um die Korrespondenten weiter zu qualifizieren. Eines dieser Trainingsprogramme, das durch die Bildagentur Magnum Photos im März 2013 in Goa durchgeführt wurde, konnte ich während meiner Forschung besuchen; dabei hatte ich die Gelegenheit eine Gruppe von 20 India-Unheard-Korrespondenten zu treffen.28 Diese wurden von den Magnum-Fotografen Olivia Arthur und Sohrab Hura zu diesem Zeitpunkt bereits seit mehreren Monaten bei einem fotografischen Projekt begleitet, das den »Videofotografen« dabei helfen sollte mit Bildern zu arbeiten.29 Eine faszinierende Erfahrung, sagte Olivia Arthur im Forschungsinterview: They have a completely different take on photography and journalism. You know, there’s a lot of colleges and schools that teach photography, and everybody like researches what all the other photographers have done. These people – they don’t have any concept of that. They just come with a completely fresh view on it, which is really interesting. (Interview in Bardez, 2013)
Unter anderem war Bhan Sahu aus Chhattisgarh angereist, von deren Video über eine Dorfschule weiter oben bereits die Rede war. In ihrem fotografischen Projekt hatte sie einen alten blinden Mann portraitiert.30 Ich sah Olivia Arthur dabei zu, wie sie gemeinsam mit Bhan Sahu durch die Fotografien blätterte, während Sohrab Hura übersetzte. 28 | Darunter auch Sajad Rasool aus Kaschmir (Kapitel: 3.4. Lokale Akteure im Konfliktgebiet Kaschmir), der eine tagelange Zugreise auf sich genommen hatte. In seinem Projekt dokumentierte er die Zerstörung des Dal-Sees in Srinagar und er brachte nun die dabei entstandenen Fotos mit. 29 | Magnum Photos und Video Volunteers ergeben eine interessante Kombination. Die Agentur Magnum Photos wurde 1947 von den Fotografen Robert Capa, David Seymour, Henri Cartier-Bresson und anderen gegründet (Kershaw, 2004, S. 234) und war stilprägend für die »klassische« Epoche der dokumentarischen Fotografie. Die Arbeit dieser Fotografen basierte im Großen und Ganzen auf der seit 1925 im Leitz-Werk hergestellten Kameraserie mit dem Namen Leica. Solche Kameras können, gemeinsam mit den damals ebenfalls neuartigen lichtempfindlichen Filmen, als eine technologische Voraussetzung für den modernen mobilen Fotojournalismus gesehen werden (Freund, 1974/1977, S. 134). Mit ihrer Aneignung der Digitalkamera beteiligen sich die Korrespondenten von India Unheard heute an einem ebenso tiefgreifenden Umbruch: Lokale Personen, die bisher vor allem als Motive der Auslandsreportage in Erscheinung getreten sind (etwa als Slumbewohner in Indien), werden dank der massenproduzierten Digitalkamera nun selbst zu lokalen »Videofotografen«. 30 | Bhan Sahu und die anderen Korrespondenten nutzten die ViviCam X029 von Vivitar (Vivitar, 2010).
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Der Mann auf den Fotografien von Bhan Sahu war auf dem ganzen Körper mit engen Schriftzeichen tätowiert. Auf einer der Fotografien saß er mit geschlossenen Augen, dann wieder lief er, lag er, jede der Fotografie blieb nur für Sekundenbruchteile stehen, denn Olivia Arthur blätterte und blätterte, es wirkte, als könnte sie nicht finden, was sie suchte. »The problem is that because he is blind you have to try harder to make gentle pictures«, riet sie Bhan Sahu, während sie einzelne Bilddetails vergrößerte und dann wieder schloss, »Not just like, ›Oh you know, that is a blind man‹. Try and be thoughtful […] When you were sitting with him, did you first have conversation with him?« (Feldnotizen vom 11.03.2013). Das hatte Bhan Sahu sicherlich getan; sie war bereits eine erfahrene Videojournalistin und hatte für India Unheard viele schwierige Interviews geführt.31 Doch für sie und für die meisten der Korrespondenten, die von Magnum Photos geschult wurden, ging es nun um etwas gänzlich Neues, nämlich um die Frage, wie etwas ausschließlich durch Bilder erzählt werden kann, also die Beschäftigung mit den visuellen Eigenschaften eines dokumentarischen Themas und der Qualität des einzelnen Bildes. »These are people who have not been chosen necessarily for their photographic skills, but for their position in the community. I mean, in a way, more for their activism« (Interview in Bardez, 2013), betonte Olivia Arthur: We’ve tried to encourage them to do slightly slower stories [...] which I think is quite good for them, because a lot of the video work they do is very hard hitting. It’s all about getting that bit of evidence. And we’re not interested in encouraging evidence gathering. We want to kind of show the human side of things basically. (Interview in Bardez, 2013)
Besonders beim redaktionellen Erkennen und Herauslösen eines visuell »starken« Bildes haben die Korrespondenten offensichtlich spezifische »Defizite« zu überwinden. Olivia Arthur sprach dabei als Trainerin zwar nicht von »Defiziten«, aber benannte die Schwierigkeiten: »They might even have shot really good pictures, but when they come to edit […] quite often they’re not taking the pictures that we would consider to be the strongest pictures. Like really quite often« (Interview in Bardez, 2013). Mit dieser Sichtweise löst die Magnum-Fotografin den unmittelbaren Produktionszusammenhang der fotografischen Arbeit von der redaktionellen Fertigkeit, einen bestimmten Blick auf bereits produziertes Material zu werfen. Bei der Bildselektion geht es für sie um einen »look«, um ���������������������������������lich um ein visuelles Geschmacksurteil. Olivia Arthur wollte die Korrespondenten aber keinesfalls in einer spezifischen Ästhetik unterrichten, die dann bereits 31 | In ihren Nachrichtenfilmen für India Unheard berichtet Bhan Sahu etwa über komplexe und schwierige Themen, wie die Kastendiskriminierung (Good Deeds over ›Good Caste’, 2014), die Korruption (Corruption Undermines MNREGA, 2011-b) oder über die Gewalt aufgrund des Konflikts zwischen Naxaliten und der Zentralregierung in Chhattisgarh (Adivasis Under Attack From State, 2012).
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beim Fotografieren einfach reproduziert werden kann, um die Fotografien für den globalen Bildermarkt absichtsvoll interessant zu machen. Sie wolle kein Epigonentum fördern, sagte sie mir, sondern den Korrespondenten dabei helfen, eine eigene Bildsprache zu entwickeln und die »richtigen« Fotografien auszuwählen. Die vermeintliche Authentizität der India-Unheard-Korrespondenten, die Olivia Arthur zuvor mit »fresh view« (Interview in Bardez, 2013) bezeichnet hatte, manifestiert sich für sie also bereits vor der Bildselektion. Dieser entsteht für sie aus der Nähe der Korrespondenten zu einem Thema und oft auch gerade aus einer ungewissen Bestimmtheit: »One of the things with them is they’re not necessarily all that aware of their audience and they are not thinking about their audience all that much« (Interview in Bardez, 2013). Eine solche Vorstellung eines »unverstellten« oder »ursprünglichen« Blickes kann als Exotismus abgetan werden, als die Imagination einer »lokalen«, also quasi »nativen« Fotografie, die sich eine (fremde) Technologie aneignet, um dann scheinbar spielerisch zu eigenen Ausdrucksformen zu finden. Doch das ist nur der Fall, wenn man die Suche nach dem »fresh view« auf die Fotografien selbst beschränkt. Die Praxis der Fotografie (oder Videofotografie) ist aber natürlich noch viel mehr als nur ihre Produkte; vielmehr umfasst sie zugleich auch den sozialen Prozess ihrer Produktion, der die Existenz von Aufnahmen erst herbeiführt. In diesem Sinne erscheint mir die Vorstellung einer spezifischen Qualität der Fotografie der India-Unheard-Korrespondenten, die durch eine unmittelbare Nähe zu einem Thema oder einem Ort entsteht, durchaus einleuchtend. Dieser Zusammenhang von Nähe und Qualität muss natürlich nicht immer gegeben sein: Bei den Portraitaufnahmen des alten blinden Mannes, der auf den Fotografien von Bhan Sahu zu sehen ist, verhält sich die Sache beispielsweise komplizierter. Mit der faszinierenden Ästhetik der tätowierten Schriftzeichen »inspirierten« die Träger solcher Tätowierungen, die der sogenannten Ramnami-Bewegung marginalisierter Dalit angehören32, bereits vielfältige Arbeiten reisender Journalisten; etwa aufwendige Schwarzweißporträts von Yannick Cormier (Cormier, o.D.) oder auch Olivia Arthurs eigene Arbeiten für Magnum Photos.33 Die 32 | Die Ramnami Samaj gehören nach Erkenntnissen des amerikanischen Ethnologen Ramdas Lamb zu den im Ausland weniger bekannten Traditionen des Hinduismus, die seit mindestens tausend Jahren in Zentralindien nichtbrahmanische oder sogar antibrahmanische religiöse Bewegungen hervorgebracht haben, die vor allem von Kastenlosen unterstützt wurden (2002, S. 25). Die Tätowierungen der Ramnami (mit dem Gottesnamen »Rama«) entstanden dabei offensichtlich als ein Akt der Rebellion gegen die Kastendiskriminierung. 33 | Wer sich über Ramnami informiert, der stößt über eine Google-Suche schnell auf Olivia Arthurs Fotografien für Magnum Photos; ihre Bildbeschreibungen auf Englisch im Internet sind wohl das im Ausland am besten zugängliche Wissen über die Ramnami überhaupt: »[…] a group of untouchables in central India whose tattoos represent a unique protest against the oppression of the caste-system« (Arthur, 2005). Auch die erste Be-
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Beschäftigung mit den Ramnami ist also ein etabliertes Thema der ReportageFotografie und die Perspektive eines »beliebigen« lokalen Fotografen aus derselben Region oder einer ähnlichen sozialen Schicht (Bhan Sahu gehört dieser Gemeinschaft nicht an) kann dem bestehenden visuellen Diskurs nur schwer etwas hinzufügen, sie darf auch nicht mit Selbstrepräsentation gleichgesetzt werden. Doch neben einem gewissen »Standortvorteil«, wie er auch für Bhan Sahu durchaus gegeben sein mag, existiert vor allem dort eine weitere subtile Wirkung der Nähe zum fotografischen Thema, wo sich das Thema erst aufgrund dieser besonderen Nähe manifestiert. Der India-Unheard-Korrespondent Amit Topno aus Jharkhand hat den Magnum-Fotografen Fotografien seines Vaters mitgebracht, allerdings keine konventionelle Familienfotografie, wie er später in einem Kommentar zu seiner Arbeit auf der Internetseite von Video Volunteers erklärte: In my community, the men like a good dose of mahua [local liquor made from the mahua flower] and I often see the ill effects of this on their lives and those of their families. While looking for a subject I didn’t have to go far. A few days before I started taking photos, my father broke his leg in a drunken spell. (Video Volunteers, 2013)
Sein Projekt war es also, den Absturz seines eigenen Vaters als Alkoholiker zu fotografieren, um ihn dann weltweit zur Schau zu stellen.Bei den Magnum-Trainern stieß das zunächst auf einige Skepsis. Sohrab Hura erklärte mir, dass er sich für das Aufeinandertreffen der Korrespondenten mit dem globalen Bildermarkt verantwortlich fühle: »They come from a part of India where there is no room for privacy as such. Everything is community ways, […] anything that happens, everyone knows and you know, I think it’s a luxury even to have your own space, to have your own dignity, to have all those things« (Interview in Bardez, 2013). Viele der Fotografien, welche die India-Unheard-Korrespondenten mitgebracht hatten, seien wohl deshalb entsprechend direkt. Doch wer mittels Fotografien mit einem globalen Publikum kommunizieren möchte, der solle diese im Ausland oft als schockierend empfundene lokale Erfahrung der indischen »Realität« verantwortungsvoll visualisieren: It just becomes a barrier when they have this kind of a baggage of insensitivity, or something which might be perceived as insensitivity to other people. […] If you really want to work on an important story, you have to bring people in, you can’t build walls to push people out, you know. I think in the long run they’ll encounter these things very often. (Interview in Bardez, 2013)
gegnung und Begeisterung des hier als Quelle angeführten Ethnologen Ramdas Lamb für das Thema erfolgte über die Reisefotografie, nämlich mittels des Covers des National Geographic Magazine vom Oktober 1971 (Lamb, 2002, S. 19), das eine tätowierte Ramnami-Frau zeigte.
Studie III: »India Unheard« – Erkundung einer Alternative
Was Sohrab Hura den Korrespondenten rät, ist die Darstellung von Gewalt einer »Ökonomie der Grausamkeit« zu unterwerfen, wie sie in der Regel auch innerhalb des professionellen Bildermarkts praktiziert wird (Heidelberger, 2008). Sie verhindert, dass besonders drastische oder ����������������������������������darstellung verwendet werden. Auf einer Fotografie, die Sohrab Hura für Magnum Photos ausgewählt hat, ist der Vater auf ein Lager gebettet, in Tücher gewickelt und mit einer Mütze ausstaffiert (Community Photographers, o.D.). Es ist ein warmer Blick auf das Krankenlager, der die unvorteilhafte Situation zwar nicht beschönigt, aber viel mehr Raum für die Assoziationen des Betrachters lässt als einige der drastischeren Aufnahmen. Seinen Blick hat der Vater vom Betrachter abgewandt und in die Ferne gerichtet. Im Interieur des Wohnraums, in den Details, wie der Struktur der Steckdosen, wird auf intime Weise das einfache Leben der Familie im ländlichen Jharkhand greif bar. In einem kleinen Spiegel, der an der Wand über dem Vater hängt, wird erst beim genauen Hinsehen in einer Reflexion auch der Sohn mit seiner Kamera sichtbar, als Fotograf und Motiv einer Familienfotografie, die gleichzeitig zur Reportagefotografie bestimmt ist. *** Der Sathe Nagar Slum von Mankhurd liegt an einer großen Straße, die in einer für Mumbai typischen Melange die Autobahn gleich mit dem Fußweg vereint. Unaufhörlich ergießt sich dort eine laute, stinkende Verkehrslawine und bildet eine natürliche Barriere: Dort kann der Slum nicht mehr wachsen. Eine andere Seite des Slums wird durch eines der berüchtigten Abwässer von Mumbai begrenzt, die als offene Kloake die Stadt durchziehen. Dieses Abwasser hat die Ausmaße eines Flusses, vielleicht ist es einmal einer gewesen. Dahinter sind bereits einige höhere Bürokomplexe des angrenzenden Stadtviertels zu sehen. Diese Grenzen bestimmten lange Zeit das Leben des Filmemachers und India-Unheard-Slumkorrespondenten Amol Lalzare, den ich dort im Januar 2013 im Osten Mumbais besuchte. Mit dabei waren zwei Übersetzerinnen (quasi lokale Akteure der ethnologischen Forschung), da Amol Lalzare kein Englisch spricht.34 Zum ersten Mal habe ich Amol Lalzare 2011 in einem seiner Videos gesehen, das er kurz nach der gewaltsamen Zerstörung eines Slumviertels in der Nachbarschaft durch die Polizei produziert hat. Er zeigt darin Menschen, die in den Überresten ihrer von Bulldozern zerstörten Häuser herumstochern und Verletzungen zeigen, die ihnen die Polizei zugefügt haben soll. ��������������������������������mera: »Mumbai is called the city of dreams,« beginnt er seine Reportage35, »but in this city of dreams, the dreams of some come true and some people’s dreams are broken« (Police Lathis Strike Mumbai Homeless, 2012). �������������������������������34 | Zwei Studentinnen des St. Xavier College in Mumbai. 35 | Hier zitiere ich die englischen Untertitel aus seinem Video.
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nem Gesicht unwillkürlich nach Härte, als Spur dieser Lebensumstände. Doch als ich ihn dann traf, da überraschte er mich als eine Person von großer Sanftheit. Wie es schon im Zusammenhang mit Dinesh Dubey und Rakesh Agarwal in der Studie II dargestellt wurde, ist auch Amol Lalzares Lebensweg36 eng mit dem Slum verbunden und aus seiner Nähe zum Thema Armut ist für ihn ein Kapital erwachsen, das er für seine mediale Arbeit nutzt. Doch Amol Lalzare arbeitet mit dem Slum auf ganz andere Weise als die »Fixer«: Statt sein Wissen für die reisenden Journalisten einzusetzen, verwendet er dieses für seine eigene (filmische) Auseinandersetzung mit dem Thema Slum. Für die Tätigkeit des »Fixers« wäre er zudem aufgrund seiner fehlenden Englischkenntnisse ungeeignet. Hier im Slum ist Amol Lalzare durch seine internationalen Kontakte eine »Anomalie« und wenn jemand wie ich aus dem Ausland nach Sathe Nagar kommt, dann sicherlich, um ihn zu treffen. Von überall schienen Menschen und Kinder herbeizuströmen, um uns zu begrüßen. Die AFP berichtete über ihn (AFP, 2012) und einige Zeit nach meinem Besuch kam ein Reporter, um für den Economist über seine Arbeit zu schreiben (Scudamore, 2014). Die Geschichte, die mithilfe von Amol Lalzare erzählt wird, ist die eines jungen Mannes aus dem Slum, der mittels neuer Medientechnologien die Limitationen seiner bescheidenen Herkunft überwindet und dabei zur Stimme des Slums wird.37 Für Video Volunteers ist Amol Lalzare auf diese Weise zu einem wichtigen »Botschafter« geworden, eine Rolle, die er gern annimmt: »I feel happy that there are people who are coming to meet me and give me attention. I think that if someone is coming from somewhere abroad, that they will take back something from me that they’ve learned« (Interview in Mumbai, 2013). Während unseres Gesprächs saßen wir im einzigen Raum des Slumhäuschens seiner Familie auf dem Fußboden. Amol Lalzare startete sein Notebook, während des obligatorischen Chai wollte er uns Videos vorführen. Auf seinem Computerdesktop sah ich, dass er auch eine Schnittsoftware installiert hatte. Er bestätigte mir, dass diese bei seinen persönlichen Filmprojekten bereits zum Einsatz komme: »It is extremely important for me to know how to edit film« (Interview in Mumbai, 2013), betonte er, denn nur wer die Grundlagen des filmischen Arbeitsprozesses kenne, könne auch einen guten Film machen.38 In seinen handwerk36 | Hier und im Folgenden stütze ich mich, soweit nicht anders gekennzeichnet, auf die Angaben, die Amol Lalzare in unserem Interview gemacht hat (Interview in Mumbai, 2013). Ich habe nicht die Möglichkeit alle genannten Details auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. 37 | Dabei wird ein »positiver Mythos« bedient, der auf der Vorstellung beruht, dass digitale Medientechnologien und das Internet eine emanzipatorische gesellschaftliche Wirkung hätten. 38 | In der Art und Weise, wie Amol Lalzare über Filmproduktion sprach, wurde deutlich, dass er trotz seiner Kindheit und Jugend im Slum über eine Sozialisation mit filmischen Medien verfügt. Als ich nachfragte, berichtete er mir, dass er als Kind als Filmvorführer
Studie III: »India Unheard« – Erkundung einer Alternative
lichen Fähigkeiten schien Amol Lalzare sich eine gewisse Unabhängigkeit von dem in der Produktionsweise stark gelenkten India-Unheard-System erarbeitet zu haben. Zuerst zeigte er eine seiner Reportagen, die er für India Unheard produziert hatte. In dieser begleitete er blinde Bewohner aus einem Slum auf ihrem Weg zu ihrer Arbeit (Indian Railways Blind to Disability, 2012). Die auch für Sehende gefährliche und herausfordernde Fahrt mit dem öffentlichen Nahverkehr von Mumbai wird für sie zu einem täglich wiederkehrenden und lebensgefährlichen Albtraum. In der nächsten Reportage, die er uns vorführte, ging es um den Machismo in Indien (‚What Happened to Chivalry, Mumbai?‹, 2012). In seinem Video lässt er Frauen zu Wort kommen, die über alltägliche sexuelle Belästigungen berichten. Es sei schwer gewesen, für dieses Projekt angemessene Bilder zu finden, erklärte er, in einer Art reenactment nutzte er bei der Produktion deshalb teilweise szenisch inszenierte Sequenzen. Wann immer möglich würde er das typische Nachrichtenformat von India Unheard hinter sich lassen: »When I choose a topic it often isn’t the Video Volunteers NGO topic. I think about what concerns my life. I think about what I am passionate about and then make a film« (Interview in Mumbai, 2013). Er zeigte uns auch eine kurze selbst konzipierte Komödie, in der er sich erneut mit den Geschlechterverhältnissen in Indien beschäftigt – eine Rollentausch-Satire, die bei meinen Übersetzerinnen für einige Heiterkeit sorgte. Sie handelte von einer Gruppe Frauen, die auf der Straße Cricket spielen. Die Ehemänner im Film fühlen sich von diesem Spiel bei der Hausarbeit gestört und kassieren schließlich den Ball ein, was in Indien offensichtlich gemeinhin als die Ultima Ratio der Hausfrau gegen ihre Cricket-spielenden Ehemänner gilt. Später sahen wir uns noch den Slum an, in dem Amol Lalzare wohnte. Er führte uns zu einigen hohen Häuserblöcken des sozialen Wohnungsbaus, die im Zentrum von Sathe Nagar standen. Mit rohen Betonplatten, ohne Fenster, Türen und bar jeglichen Innenausbaus wird der Slum dort sechs Stockwerke in die Vertikale gehoben. Einmal, so berichtete Amol Lalzare, sei er mit seiner Kamera auf das Dach geklettert, auf der Suche nach einer neuen Perspektive, um seinen Slum zu zeigen. In allen diesen Slumhütten, die Amol Lalzare von dort oben gefilmt hat, wird in der einen oder anderen Form der Traum vom sozialen Aufstieg geträumt. Auch Amol Lalzare sollte studieren, berichtete er, doch als es seiner Familie 2006 in einem Gemeindezentrum gearbeitet habe und sich dort mit VHS-Systemen vertraut gemacht habe. Seine Mutter habe damals in der »Women’s Liberation Organization« gearbeitet, einer indischen NGO, die ihm diesen Job vermittelt habe (Stree Mukti Sanghatana, o.D.). Später habe ihn ein Regisseur, der an einer Filmhochschule im nahen Pune als Trainer arbeitete, offensichtlich sogar in die Welt des manuellen Filmschnitts eingeführt (Interview in Mumbai, 2014) – eine Initiation, die vordergründig zwar mit »nutzlosem« und »veraltetem Wissen« durchgeführt wurde, die Amol Lalzare aber über die Kenntnis der historischen filmischen Mittel bei der Suche nach einer eigenen Bildsprache durchaus helfen könnte.
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finanziell besonders schlecht gegangen sei, habe er stattdessen die Schule ohne Abschluss verlassen müssen.39 Anschließend habe er als Bauarbeiter gearbeitet, berichtete er mir im Forschungsinterview, danach als Gelegenheitsjobber und Rikscha-Fahrer. Damals habe er auch damit begonnen, kurze Filme zu drehen, und fand einen neuen Traum: eine Karriere als Filmemacher. Gemeinsam mit einigen Gleichgesinnten aus dem Slum gründete er zunächst das Medienkollektiv Apna TV. Dann begann er damit als Korrespondent für India Unheard die Kamera gezielt zu nutzen, um sich für Veränderungen in seiner Umgebung einzusetzen. In einem Video dokumentierte er etwa den vernachlässigten Zustand des lokalen christlichen Friedhofs, wo nach seinen Bildern zu urteilen Müll, Gebeine und Totenschädel offen herumlagen (From Death to Dereliction, 2012). Da der Friedhof eigentlich von der Stadt betreut werden sollte, konfrontierte er den Verantwortlichen der Stadtverwaltung mit diesen Bildern und filmte diese Konfrontation, um sie dann ins Internet zu stellen. In dem Video ist zu sehen, wie der Beamte das Telefon ergreift und Anweisungen gibt, offensichtlich, um die Sache »in Ordnung zu bringen«. In einem weiteren Video begleitet Amol Lalzare filmisch die tatsächlich durchgeführten Handwerkerarbeiten auf dem Friedhof (IU Impact: Citizen Journalist Brings Change to Derelict Graveyard, 2012). Die Angst, dass persönliche Versäumnisse auf Filmaufnahmen »eingefangen« und weltweit öffentlich zur Schau gestellt wird, hat seine YouTube-Kampagne hier also wirksam gemacht.40 Seine Arbeit als Reporter funktionierte bis zum Interviewzeitpunkt allerdings nur im »geschützten« Raum von Video Volunteers, er wollte es aber ohne Hilfe schaffen. Als er sich auf eine »richtige« journalistische Ausbildungsstelle bei dem Marathi TV-Nachrichtensender »Zee 24 Taas« bewarb, bekam er eine Absage: »Since I have only passed 10th grade they didn’t even consider me for the job. That was very disappointing for me. I thought they would consider my experience and not the formal education« (Interview in Mumbai, 2013). Noch hatte Amol Lalzare seinen Traum nicht aufgegeben, den Sprung in die Medienbranche zu schaffen; eines Tages wolle er großformatige Filme vorlegen: »I decided I want to stand on my own 39 | Im Jahr 2011 habe sich für ihn nach etwa fünf Jahren in der Schattenwirtschaft die Möglichkeit ergeben, seinen Schulabschluss nachzuholen, doch seine Schule habe ihn nicht wieder aufnehmen wollen und dies mit einer Vorschrift begründet, die offensichtlich gar nicht existierte. Amol Lalzare wehrte sich mit einem Video, für das er den Schulleiter mit einer versteckten Kamera konfrontierte sowie Interviews mit anderen Schülern führte, denen es ähnlich ergangen war (Tyrant Principal Caught on Candid Cam, 2011). An einer anderen Schule, so erklärt er in dem Video, habe er seinen Abschluss schließlich nachgeholt. 40 | Das funktioniert sogar unabhängig vom öffentlichen Interesse, das den einzelnen Beiträgen tatsächlich entgegengebracht wird. Amols Reportage über den Friedhof hatte etwa nur wenige hundert Zuschauer auf YouTube erreicht (From Death to Dereliction, 2012-a).
Studie III: »India Unheard« – Erkundung einer Alternative
feet and become a filmmaker. I want to be a voice of the common people« (Interview in Mumbai, 2013).41 Es ���������������������������������������������������������������� könnte aber natürlich sein, dass die von ihm so bitter ironisierte »Stadt der Träume« auch für ihn weitere Ernüchterungen parat hat. *** Die unberechenbaren Folgen, die der Druck der Megastadt Mumbai auf das lokale Ökosystem auslösen kann, kennt Zulekha Sayyed aus eigener Erfahrung: 2005 gab es in Mumbai nach starkem Monsunregen eine Flutkatastrophe mit über 370 Todesopfern (Sturcke, 2005), die Slumbewohner waren am stärksten betroffen. Die Hütte im Vikhroli Park Site Slum im Osten Mumbais, in der die India-Unheard-Korrespondentin mit ihrer Mutter und Großmutter damals lebte, stand ungünstig an einem Berghang. Vor Ort gab es kein nennenswertes Abwasserkonzept und die abgeholzten Hügel waren nicht gegen die Erosion geschützt. Sie selbst kamen bei der Naturkatastrophe nicht zu Schaden, aber ein Sturzbach, der für eine Zeit durch ihre Hütte führte, zerstörte ihren wenigen Besitz.42 Als ich Zulekha Sayyed im Januar 2013 im Vikhroli Park Site Slum besuchte, empfing sie mich in einem kleinen Betonhäuschen, in dem sie und ihre Familie jetzt im selben Slum lebten. Es bestand aus rohen Gussbetonplatten, die einen einzigen winzigen Raum ohne Fenster umschlossen. Sehr komfortabel schien es nicht, aber stabil genug, um einer weiteren Flut standzuhalten. Weiterhin waren sie quasi besitzlos, doch inzwischen war die 24-jährige Zulekha Sayyed zu einer angesehenen Persönlichkeit im Slum geworden, zu der die Menschen aus der Nachbarschaft kamen, um sie um Rat zu bitten. Sie war außerdem dabei, an einer lokalen Hochschule einen Bachelor in Medienwissenschaften zu erwerben. Das Geld für ihr Studium verdiente sie mit den Videos für India Unheard. Zuvor hatten Zulekha Sayyed und ihre Familie in Armut gelebt. Die gesundheitlich angeschlagene Mutter verdiente als Haushaltshilfe etwa 35$ pro Woche, als sie noch ein Kind war, mussten sie manchmal hungern oder Abfälle von der Straße essen (Mayberry, 2010). Als Dalit war sie zeitlebens mit der »Unberührbarkeit« und der damit einhergehenden Diskriminierung konfrontiert. Als Tochter einer Witwe war sie zusätzlicher gesellschaftlicher Ausgrenzung ausgesetzt, die ebenfalls kulturell begründet war und in einer weiteren Steigerung dieser geradezu bizarr kulminierenden Diskriminierungserfahrung lebte sie als junge 41 | Sein wichtigstes Vorbild sieht er in dem sozialkritischen Autorenfilmer Madhur Bhandarkar (IMDb, o.D.-c), der in Indien für seine Milieustudien im Kinoformat wie Traffic Signal (2007) oder Jail (2009) bekannt ist. Amol Lalzare möchte ebenfalls mit einer Mischung aus fiktionalen und dokumentarischen Mitteln arbeiten: »I want to focus on social issues, but portray that through a feature film, not a documentary. That ����������������������� way I can successfully convey my message« (Interview in Mumbai, 2013). 42 | Die biografische Darstellung folgt hier und im Folgenden, soweit nicht anders gekennzeichnet, dem Forschungsinterview mit Zulekha Sayyed (Interview in Mumbai, 2013).
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Frau und verschleierte Muslima in einer mehrheitlich hinduistischen, teilweise islamfeindlichen sowie stark patriarchal geprägten Umgebung. Doch Zulekha Sayyeds Mutter fand eine Arbeit als Putzfrau und bezahlte eine Schule, auf der ihre Tochter Englisch lernte. Später entschied Zulekha Sayyed, ihren Schleier abzulegen und ihre Kleidung den Kommilitoninnen aus der Mittelschicht anzupassen, die in Indien für gewöhnlich einige traditionelle Elemente mit »westlichen« Kleidungsstücken kombinieren. Als ich sie traf, schien sie mir selbstbewusst und vertraut im Umgang mit Fremden und fest entschlossen, das Beste aus ihrer Lebenssituation zu machen. Die Initialzündung für Zulekha Sayyeds Ausbildung und Selbstbildung zur Videokorrespondentin kam mit der Flutkatastrophe: Damals half eine lokale NGO vor Ort beim Wiederauf bau und warb sie für ein Community Video-Projekt an (YUVA, o.D.). Dort habe sie nach eigenen Angaben zum ersten Mal mit der Kamera gearbeitet. Die Medienarbeit gefiel ihr gut, aber statt eigene Themen aufgreifen zu können, waren die Videoproduktionen themenzentriert und stark von der NGO gelenkt. Außerdem waren die Projekte nicht zum »Broterwerb« der Teilnehmer konzipiert und von den Honoraren konnte sie sich nicht finanzieren. Sie bewarb sich bei Video Volunteers und wurde als India-Unheard-Korrespondentin ausgewählt und trainiert. Nach ihren Angaben finanziere sie sich inzwischen selbst, Teile ihres Einkommens stelle sie sogar der Haushaltskasse ihrer Mutter zur Verfügung. Über alles das schien sie selbst sehr erstaunt: »I never thought that I’ll become a journalist. I never thought of having a camera […]. Now I do know how to shoot camera, I know editing, scripting, everything« (Interview in Mumbai, 2013). Ein Camcorder der Marke Canon 43, den sie mit anderen India-Unheard-Korrespondenten teilte sowie ihr Mobiltelefon waren die einzigen elektronischen Geräte, die in der Hütte zu sehen waren. Trotzdem nutzte sie Medientechnologien und das Internet offensichtlich mit derselben Selbstverständlichkeit wie ihre Altersgenossen aus der Mittelschicht: »We can directly shoot and upload it onto YouTube and give the link to everyone. And there is Facebook, social networking. So advanced technology is very important and very good« (Interview in Mumbai, 2013). In ihren Filmen berichtet sie über die Probleme der Bewohner verschiedener Slums in Mumbai. Sie nutzt dabei den Kampagnen-Duktus von India Unheard und hat mit einem Video etwa erreicht, dass die Stadtverwaltung ihren Verpflichtungen gegenüber dem Slum Rahul Nagar nachkam und die Trinkwasserversorgung sicherstellte (SUCCESS: Clean water supply made possible in a Mumbai slum, 2014). Jenseits einer reinen Illustration von Armut ist es allerdings unwahrscheinlich, dass sich jemand im Ausland für den Rahul-Nagar-Slum in Mumbai interessiert. Doch wie Amol Lalzare wird auch Zulekha Sayyed in verschiedenen Berichten und Reportagen selbst zum Thema der Berichterstattung und bedient
43 | Zulekha Sayyed nutzte den Canon HD Camcorder HV40 (Canon, o.D.).
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so den positiven Mythos der Selbstbehauptung mithilfe der Medientechnologie.44 Obwohl die YouTube-Klickzahlen ihrer Beiträge nur selten die 1000-BesucherMarke überschreiten, übernimmt sie für Video Volunteers (wie Amol Lalzare) eine wichtige Rolle als »Botschafterin«. In dem dunklen Zimmerchen im Slum verbreitete sich während wir sprachen der Geruch des kleinen Holzfeuers, auf dem ihre Mutter Chai kochte. Auch alles andere müssten sie so auf dem offenen Feuer zubereiten, erklärte mir Zulekha Sayyed. Sie zeigte mir auch die Decke, mit der sie gewöhnlich ohne eine Matratze auf dem Betonfußboden schlief. Mir saß natürlich kein Mythos gegenüber, sondern eine reale Person, die in realer Armut lebte und dabei aber die Eigenschaft hatte, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, wenn es darum ging, die herrschenden Zustände zu kritisieren. In einem ihrer Filme dokumentierte sie die Vertreibung von Slumbewohnern, die Zerstörung ihrer Häuser und die dabei eingesetzte Polizeigewalt (Scenes From Mumbai’s Class War: Builders Vs. People, 2013-a). »Nobody dares to come on the forefront because of being scared. So I made that video« (Interview in Mumbai, 2013), sagte Zulekha Sayyed. ����������������������������wesen, das zu filmen, aber sie habe mit dem Film zeigen wollen, wie Bauunternehmer auf der Jagd nach den besten Grundstücken gemeinsame Sache mit der Polizei und lokalen Schlägerbanden machen. Als einzige Journalistin in ganz Mumbai habe sie dabei Betroffene zu Wort kommen lassen. Die konventionellen Nachrichtenmedien hätten sich, wie offensichtlich üblich, wenn ein Slumviertel illegal abgerissen wird, an einen Schweigekodex gehalten: »No one else from media came forward. We called TV9 and every other media organization but they refused. They said, ›We are strictly prohibited from any coverage against the builders.‹ ����������ded to shoot« (Interview in Mumbai, 2013). Von dem kleinen Häuschen ausgehend stiegen wir über kleine Treppen, durch Gassen und Durchschlupfe, von Hütte zu Hütte weiter hinauf, quer durch das Leben der Bewohner, die etwa beim Essen saßen oder ihre Kinder wuschen, damit ich selbst sehen konnte, wie sie hier lebten. Immer wieder kamen wir dabei an offenen Abwässern vorüber, in denen sich Müllberge stauten. Wir sahen Hunde, Katzen, Schweine und einmal sogar einige große Wasserbüffel auf dem Weg in den Stall, irgendwo in der Nachbarschaft. Wir stiegen auf, bis wir auf eine kleine Terrasse kamen. Hier würden sich die Slumbewohner versammeln, erklärte mir Zulekha Sayyed. Jetzt spielten dort ein paar Kinder mit ihren Murmeln auf dem Betonboden. Auch ein alter Mann saß dort auf einer Mauer, reglos auf seinen 44 | So wurde sie von der Global Post (Ingber, 2010) und weiteren Massenmedien portraitiert, die ihre Leistungen angesichts der Herausforderungen ihrer Biografie hervorheben und den Zusammenhang mit der Aneignung digitaler Medientechnologien herstellen. Der neuseeländische Medienwissenschaftler Ben Lenzner, der Zulekha Sayyed nach meinem Besuch 2013 ebenfalls getroffen hat, interpretiert dieses Zusammenspiel mit der Formation von »Assemblagen« (nach Gille Deleuze), die sich aus menschlicher Praxis und Technologien zusammenfügen würden (Lenzner, 2014).
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Stock gestützt. Wir blieben stehen, um den Park Site Slum von oben zu überblicken. Die Topografie des Armenviertels ist ungewöhnlich für Mumbai, das weitestgehend auf einem flachen Sumpfland errichtet ist. Unter uns breiteten sich sanfte bis steile Hügel aus, dicht bebaut mit bunten Hütten. Während unseres Interviews hatte ich sie einmal missverstanden und dachte für einen Moment, sie wolle den Park Site Slum verlassen. »Leaving this village? », fragte sie erstaunt. »No. I don’t have such a plan. […] I never thought of moving« (Interview in Mumbai, 2013). Nach außen hin mag Zulekha Sayyeds Biografie als eine Narration der Selbstbehauptung und Emanzipation durch digitale Medientechnologie und globale Vernetzung wirksam geworden sein. Für sie selbst scheint ein abstraktes Publikum im Ausland dagegen nicht weiter von Bedeutung. Mit der Hand wies sie auf den Mann auf der Mauer: »Look at him. He almost can’t walk anymore and he has such a long way to the hospital« (Feldnotizen vom 27.01.2013). Für sie entsteht so ein unmittelbarer Sinnzusammenhang: Weil eine bessere Option für den Park Site Slum benötigt werde als das weit entfernte Krankenhaus, plane sie seit einiger Zeit ein Video darüber zu produzieren. Auf den ersten Blick scheint das einleuchtend. Doch bei näherer Betrachtung ist hier kein klarer Zusammenhang zu erkennen, denn es ist ja keinesfalls klar, an wen (oder gegen wen) sich ein solches Video richten könnte. Ähnlich bleibt auch der Hilferuf von Zulekha Sayyed am Ende ihres Videos über die gewaltsamen Vertreibungen seltsam in der Schwebe, ein »Helfen Sie uns«, ein »Bitte«, ein erbetener Anruf bei der Slum Rehabilitation Authority45 (Scenes From Mumbai’s Class War: Builders Vs. People, 2013-a), an wen ist das gerichtet? Vielleicht setzt sie wie Amol auf Schamgefühle durch ein öffentliches (weltweites) Zurschaustellen, das bei den richtigen Personen in den zuständigen Behörden gezielt provoziert werden soll. Dann wäre es also ein Hilferuf mit einem doppelten Boden, der eigentlich eine Konfrontation mit den herrschenden Machtstrukturen ist. Es könnte auch sein, dass sie auf die Hilfe der Zuschauer aus der indischen Mittelklasse hofft, die nach Informationen von Manish Kumar für India Unheard immer wichtiger werden.46 Oder aber es geht ihr vielmehr um eine 45 | Ein lokales Regierungsorgan mit dem selbst erklärten Ziel: »To survey and review existing position [!] regarding Slum areas in greater Mumbai. To formulate schemes for rehabilitation of slum areas. To get the slum rehabilitation scheme implemented. To do all such other acts and things as may be necessary for achieving the objective of rehabilitation of slums« (Slum Rehabilitation Authority, o.D.). 46 | Er würde beobachten, so berichtete Manish Kumar im Forschungsinterview, dass sich die Zuschauerstruktur bei India Unheard verändere. Im Jahr 2012 seien es zum ersten Mal mehr indische Zuschauer gewesen als Zugriffe von außerhalb Indiens. Vor allem das mobile Internet habe dazu beigetragen, vermutete Manish Kumar (Interview in Bardez, 2013). Die Daten von Pricewaterhouse Coopers bestätigen, dass ab 2013 das mobile Internet in Indien stark gewachsen ist: »Mobile Internet access revenue grew by 95% to 177 billion INR in 2013« (2014, S. 35).
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Versicherung nach innen, in die Gemeinschaft ihres Slums hinein, die mithilfe der »transzendierenden Kraft« einer zumindest theoretisch möglichen Weltöffentlichkeit vollzogen wird. Jenseits der englischen Untertitel, deren Existenz ihr als ein Garant globaler Reichweite genügen, beachtet sie dieses »globale Publikum« bei der Konzeption der Beiträge jedenfalls kaum. Sie spricht es auch primär nicht an. »They can gain an understanding from just the visuals, that’s easy« (Interview in Mumbai, 2013), winkt sie ab. Aber einen Mehrwert für interessierte Zuschauer aus dem Ausland gegenüber traditioneller Indienberichterstattung, den sieht sie durchaus gegeben: If I am approaching the topic it would mean I know it very well. And you wouldn’t know it very well. I’m doing coverage of my own issues, so I’m fully aware of them. A foreign journalist […] is not well aware of the issues. (Interview in Mumbai, 2013)
Mir scheint, dass die Videos von Zulekha Sayyed an keinen bestimmten Zuschauer gerichtet sind, sondern das Erheben der Stimme in Form der YouTube-Filme vielmehr als eine symbolische Handlung verstanden werden kann, die sich der effektivsten verfügbaren Technologie bedient. Symbolisch sind ihre Videos aber nur insofern, als dass ihre Produktion ohne eine konkrete Vorstellung oder Verengung von Öffentlichkeit geschieht. Denn auch wenn sie vielleicht nicht viele Gedanken auf den genauen Mechanismus verschwendet, gelingt es ihr doch, die Lebensbedingungen in ihrem Slum mit ihren Videos zu verbessern. Einige Zeit nach meinem Besuch erreichte sie etwa mit einer Videokampagne, dass endlich das Problem der müllverstopften Abwasserkanäle in ihrem Slum gelöst wurde.47 *** Für den Video-Volunteers-Gründer Stalin K. fängt die eigentliche Arbeit meist erst nach der Medienproduktion an: »You wanted to shake up the government, correct? Now the government is shaken up. This is how the government will respond«, rief er gerade in sein Mobiltelefon, als ich ihn für das Forschungsinterview in seinem Büro in der Video-Volunteers-Zentrale in Bardez besuchte. »Don’t expect any smooth and nice things to happen. Everything will happen in a very shady and macabre way« (Feldnotizen vom 12.03.2013). Einer der Korrespondenten habe angerufen, erklärte er mir anschließend, dieser fühle sich im Kontext von Recherchen von einer lokalen Behörde bedroht. Trotz des Versuchs, die Probleme der Armen in Indien möglichst indirekt über weiche Themen aufzugreifen, gerät Video Volunteers unweigerlich immer 47 | Nach meinem Besuch produzierte Zulekha Sayyed ein Video über das Abwasserproblem in ihrem Slum (When the Drains Come Home, 2013-b). In einem Impact Video dokumentierte sie zwei Jahre später, wie sie mit dieser Kampagne erreicht hat, dass mehrere neue Abwasserkanäle gebaut wurden (IMPACT: Making Mumbai Sewage Free, 2015).
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wieder in Konflikt mit den Interessen lokaler Verwaltungen, multinationaler Konzerne oder sogar des organisierten Verbrechens; Stalin K. sitzt mitten in diesem Strudel »indischer Probleme«, die er gemeinsam mit den lokalen India-UnheardKorrespondenten zu lösen versucht: »We are not just about videos, right? We cannot just say we don’t do anything after the video is done. We are also trying to solve the issues that we come across. In fact the whole idea is to create impact« (Interview in Bardez, 2013). ������������������������������������������������������������������������nen zusammenarbeiten, sie müssten sich mit sozialen Bewegungen koordinieren und falls notwendig auch mit Behörden verhandeln. Bei Video Volunteers sei eine ganze Reihe von Mitarbeitern auf diese Arbeit spezialisiert: »So it’s got two ways, two distinct sides to it, the media and the human rights« (Interview in Bardez, 2013). Der Journalismus stellt für Stalin K. entsprechend keinen Selbstzweck dar, sondern ein Werkzeug zur Verteidigung von Menschenrechten.48 Der auf einer Zusammenstellung von Fakten basierende konventionelle Auslandsjournalismus ermöglicht seiner Auffassung nach dagegen nur eine sehr begrenzte Sichtweise auf lokale Zusammenhänge. Mit der Anhäufung von Fakten werde häufig eine gewisse Ahnungslosigkeit über die tatsächliche Situation vor Ort überdeckt: »It’s the Chinese whispering game […]. There is no perspective by the time it reaches to the top, all you get is facts« (Interview in Bardez, 2013). Ein India-Unheard-Korrespondent würde dagegen selbst in dem Dorf in Chhattisgarh leben, über das berichtet wird. Der Auf bau von Video Volunteers, der »größten Community-Media-Struktur der Welt« (Think, 2013), ist���������������������������������������������������gem Experimentieren mit partizipatorischen Medienstrukturen.49 Bereits 1993 gründete er gemeinsam mit Partnern das Drishti Media Collective, wo verschiede48 | In seinem Internetblog schreibt Stalin K. über seine Überzeugungen: »Many choose to look the other way even when they know of gross human rights violations. Many just don’t care enough to find out. But many, like us at VV, are committed to expose it and amplify the voices of those defending our rights. You can be a human rights defender too. All you have to do is empathize, speak out and stand by those speaking out« (Anybody with conscience is a human rights defender, 2014). 49 | Stalin K. organisierte außerdem internationale Menschenrechtskampagnen (etwa für die UNO) und setzte sich als einer der zentralen Aktivisten der indischen Community Radio-Bewegung für die Rechte der freien Radiostationen ein. Auch als Filmemacher ist Stalin K. in Erscheinung getreten, vor allem auf den Dokumentarfilm »India Untouched: Stories of a People Apart« von 2007 (IMDb, o.D.-d) sei hier verwiesen. Diese »filmische Forschung« ist wohl die bis dato umfangreichste Bestandsaufnahme der kontemporären Kastendiskriminierung in Indien. Stalin K. hat mit seiner Medienarbeit auch in die Dynamik der Staatsaffäre nach Gewaltexzessen 2002 in Gujarat eingegriffen. Offensichtlich filmte er vor Ort und dieses Filmmaterial war Teil des Beweismaterials, auf Grundlage dessen er und eine Gruppe von Journalisten und Aktivisten eine direkte Mitverantwortung des Staates in Person des damaligen Regierungschefs in Gujarat (und späteren indischen Premierministers) Narendra Modi sowie einiger anderer Regierungsmitglieder für die sys-
Studie III: »India Unheard« – Erkundung einer Alternative
ne Formate erprobt wurden. Anschließend entwickelte er ein Radioprogramm, das die BBC als »revolutionary« (BBC News, 2005) bezeichnete. Die Reporter seiner Radioshow waren Bauern und Tagelöhner aus der verarmten Landbevölkerung im Bundesstaat Gujarat, die über Korruption und Misswirtschaft in der indischen Verwaltung berichteten. Mit Video Volunteers hat er diese Vorgehensweise nun weiterentwickelt und beschäftigt die India-Unheard-Korrespondenten nicht nur als Journalisten, sondern gleichzeitig als Menschenrechtsverteidiger. Die Aneignung und Nutzbarmachung von Medientechnologien durch diejenigen Bevölkerungsteile, die sonst üblicherweise aus medialen Diskursen ausgegrenzt bleiben, ist für ihn ein notwendiger Akt auf dem Weg zu einer gerechteren und demokratischeren Gesellschaftsordnung.50 Video Volunteers ermöglicht es den Korrespondenten von India Unheard Themen aufzugreifen, die ihnen tatsächlich wichtig sind, ohne ���������������� ����fluss auf die Inhalte zu nehmen. An einem letzten Beispiel möchte ich dies noch einmal aufzeigen: Sulochana Pednekar aus Goa, von der am Anfang dieser Studie die Rede war, protestiert in einem ihrer YouTube-Videos gegen den achtlosen und illegalen Bau eines Mobilfunk-Sendemastes in ihrem Dorf. Sie schließt ihr Stück mit einer kämpferischen Note: »I hope through this video I have raised awareness about the ill effects of the cellphone towers so that other communities facing similar situations can rise and act« (Cell Phone Tower Radiation Puts Goan Community At Risk, 2012).51 Mit ihrer Stimme, die sie mithilfe von India Unheard erheben konnte, stellt sie sich also gegen den unbedachten Ausbau eben jener technologischen Infrastruktur, von der im Grunde genommen auch Video Volunteers abhängig ist.52
tematische Ermordung und Vergewaltigungen hunderter Menschen bewiesen sahen (Tehelka, 2007). 50 | Die Medientechnologien betrachtet Stalin K. allerdings nicht aus Perspektive eines Cyber-Utopisten, wie ihn Evgeny Mozorov kritisiert (2013). Als Menschenrechtsaktivist hat sich Stalin K. vielmehr eine ambivalente Haltung bewahrt. So müssten die Kameras für die vielen Korrespondenten vor Ort paradoxerweise möglichst preisgünstig sein. Er wollte nicht ausschließen, dass diese unter ausbeuterischen Bedingungen gefertigt wurden, nur verhalte es sich mit diesen Produkten wie mit fair gehandelter und biozertifizierter Kleidung – für arme Menschen seien diese keine Option: »I have to pick my fight […]. If people are being killed and raped and displaced on a race-based level and I get cheap cameras from some place for whatever reason, I have no choice today but to go with it« (Interview in Bardez, 2013). 51 | Ich zitiere hier wörtlich die Übersetzung in den Untertiteln auf YouTube. 52 | Der Widerstand per YouTube-Video war offensichtlich im Sinne der Korrespondentin erfolgreich. In einem »Impact Video« berichtet India Unheard, der Sendemast sei schließlich nicht gebaut worden (Community Media Triggers Change in North Goa Village, 2012).
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c Fazit und Ausblick
Betrachtet man die in den Studien beschriebenen Praktiken der journalistischen Kooperation in ihrer Gesamtheit, so können die dabei identifizierten unterschiedlichen Formen der Teilhabe lokaler Akteure an der globalen Nachrichtenindustrie entlang ihrer jeweiligen Wirkungsweise auf die Medienproduktion differenziert werden. Die Partizipation von lokalen Akteuren, die autonom Medieninhalte für Auslandsredaktionen produzieren und auch selbst die Initiative für Recherchen ergreifen, hat in dieser Betrachtungsweise eine »direktere« (inhaltliche) Wirkungsweise auf die Medienproduktion als beispielsweise die Partizipation lokaler Akteure, die reisenden Journalisten vor Ort Drehgenehmigungen organisieren oder übersetzen. Der Übergang zwischen solchen »direkten« und »indirekten« Wirkungsweisen ist fließend. Die Form der lokalen Teilhabe mit der »direktesten« Wirkungsweise auf die Medienproduktion ist die autonome Produktion von Medieninhalten für ein »globales« Publikum. Sie wird etwa von lokalen Akteuren praktiziert, die als Korrespondenten für »westliche« Auslandsredaktionen arbeiten. Diese können regulär mit einem Vertrag beschäftigt werden, sie arbeiten aber häufiger als »Freelancer« (oft werden sie als »Stringer« bezeichnet), was den Nachrichtenorganisationen dabei hilft, Kosten zu senken oder die Berichterstattung über eine schwer zugängliche Region temporär zu gewährleisten, ohne sich dabei langfristig zu verpflichten. Solche »Freelancer« übernehmen in der Regel weniger redaktionelle Verantwortung als festangestellte Korrespondenten, können aber ebenfalls Themen in der Berichterstattung platzieren und redaktionelle Entscheidungen beeinflussen. Die »direkte« lokale Teilhabe durch die Produktion von eigenen Inhalten wird traditionell (teilweise bereits seit dem 19. Jahrhundert) in den Redaktionen der internationalen Nachrichtenagenturen (Reuters, AP, AFP etc.) sowie im Auslandsrundfunk (BBC, Deutsche Welle etc.) praktiziert. Wie am Beispiel des Wall Street Journals und des TV-Senders Sky News bzw. seines Schwestersenders Sky News Arabia gezeigt wurde, greifen heute auch private Massenmedien auf lokale Korrespondenten zurück (vor allem dann, wenn diese die »richtigen« europäischen Sprachen bzw. Englisch sprechen). Befördert wird diese Form der lokalen Teilhabe durch innovative Formen der Selbstorganisation. So wurde in den Studien beschrieben, wie das globale Korrespondentennetzwerk Associated Reporters
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Abroad (ARA) den Kostendruck der Auslandsredaktionen und das Internet nutzt, um lokalen Korrespondenten über einen unabhängigen newsroom einen direkten Zugang zur globalen Nachrichtenindustrie zu ermöglichen. Den Erfahrungen vieler meiner Gesprächspartner nach zu urteilen, sind lokale Korrespondenten in der globalen Nachrichtenindustrie heute also fast eine Normalität. In den Studien wurde dargestellt, wie Auslandsredakteure häufig mit großer Wertschätzung über solche lokale Korrespondenten sprachen und darauf verwiesen, dass diese im Vergleich zu den reisenden Journalisten relevantere Inhalte produzierten. Die Partizipation von lokalen Korrespondenten an der Berichterstattung in »westlichen« Nachrichtenorganisationen bleibt aber häufig auf den einen spezifischen geografischen (oder sozialen) Raum beschränkt, mit dem sie biografisch verbunden sind. Natürlich gibt es Ausnahmen, doch in der Regel scheinen weiterhin vor allem die »mobilen« Akteure aus dem »Westen« dem mit universalistischen Argumenten (Neutralität, Balance, Unparteilichkeit, Objektivität etc.) begründeten Anspruch der insgesamt »westlich« geprägten globalen Nachrichtenorganisationen zu genügen, »unabhängig« über die ganze Welt zu sprechen. Wenn es darum geht, afrikanische Stimmen über Ereignisse in Europa zu hören oder indische Erklärungen über Ereignisse in den USA, dann wirkt in den konventionellen Nachrichtenorganisationen der globalen Nachrichtenindustrie offenbar weiterhin eine unsichtbare Grenze. Es kann demnach nicht die Rede davon sein, dass lokale Standpunkte heute in der globalen Nachrichtenindustrie irrelevant geworden sind und lokale Korrespondenten zu quasi »regulären« Korrespondenten mit besonderen Sprachkenntnissen avanciert sind. Zum einen werden diese oft gerade aufgrund ihrer »lokalen Sozialisation« und ihres lokalen Wissens engagiert; zum anderen berichteten mir die europäischen Auslandsredakteure von umfangreichen Bemühungen, den lokalen Standpunkt der Korrespondenten bei der Medienproduktion »auszugleichen« – beispielsweise mittels Ausbildungsmaßnahmen, sprachlichen Vorgaben sowie redaktionellen Strukturen (proof reading oder das Verifizieren der Berichterstattung eigener Korrespondenten mit Agenturmeldungen). Einige europäische Gesprächspartner äußerten sich grundsätzlich kritisch zum Einsatz lokaler Korrespondenten und verwiesen auf die Gefahr einer Verzerrung. Nach ihrer Argumentation sollte europäische Auslandsberichterstattung am besten von einem europäischen Standpunkt aus erfolgen, ein Korrespondent sollte demnach von »außen« auf ein Geschehen blicken und sein Publikum von »innen« ansprechen, während lokalen Partnern die Rolle zufallen sollte, vor Ort die Zugänge für diese Berichterstattung herzustellen oder auch inhaltlich gemeinsam mit einem reisenden Journalisten an einer Recherche zu arbeiten, der aber weiterhin die re daktionelle Verantwortung trägt. Die lokalen Korrespondenten in Indien wiederum berichteten zwar teilweise von Erfahrungen der Diskriminierung und Ausbeutung durch ihre »westlichen« Auftraggeber, aber eine gegenteilige Kritik an einer Verzerrung durch den »westlichen« Auslandsjournalismus wurde zumindest durch meine indischen
Fazit und Ausblick
Gesprächspartner, die als Korrespondenten für konventionelle Nachrichtenorganisationen arbeiten, nicht in den Vordergrund gestellt. In den Studien konnte vielmehr dargestellt werden, dass diese lokalen Korrespondenten den »westlichen« Standpunkt ihrer Auftraggeber im Gegenteil oft als hilfreich betrachten, um die »indische Situation« in ihrer Berichterstattung kritisch zu beleuchten und sich von einem als problematisch empfundenen lokalen Journalismus abzusetzen. In der Konfliktregion Kaschmir berichteten mir lokale Korrespondenten etwa, dass sie die Arbeit für die globalen Nachrichtenorganisationen als die einzige Möglichkeit betrachten würden, lokale Positionen zu kommunizieren (auch in die eigene Gesellschaft hinein) und Ereignisse in einen angemessenen Kontext einzuordnen, was in den indischen Massenmedien unterdrückt werde. Bei einem Besuch in der amharischen Redaktion der Deutschen Welle wurde allerdings auch deutlich, dass Auslandsredaktionen nicht immer Interesse daran haben, dass ihre lokalen Korrespondenten vor Ort als Oppositionelle wahrgenommen werden und dabei sich selbst und die lokalen Strukturen der Nachrichtenorganisation gefährden. Von den Redakteuren in Deutschland werden die lokalen Korrespondenten deshalb eher auf einen »diplomatischen« Kurs eingeschworen, während kritische Berichterstattung redaktionell umgesetzt wird, indem man sich auf externe Quellen bezieht (Menschenrechtsorganisationen, Nachrichtenagenturen etc.). Lokale Korrespondenten können lokale Positionen heute auch unabhängig von den konventionellen journalistischen Strukturen und europäischen Auslands redakteuren weltweit kommunizieren. Das liegt in erster Linie an den Möglichkeiten der Internetkommunikation. Doch damit lokale Stimmen tatsächlich global wahrgenommen werden, sind auch lokale Korrespondenten außerhalb der konventionellen Nachrichtenorganisationen auf journalistische Kooperationen angewiesen. In den Studien habe ich das Beispiel des Bloggernetzwerks Global Voices vorgestellt, das seit 2004 die Positionen von unabhängigen lokalen Bloggern, Journalisten und Social Media-Aktivisten durch Übersetzungen weltweit sichtbar macht und sich mit deren Positionen auseinandersetzt. Inzwischen greifen auch konventionelle Massenmedien immer häufiger direkt auf Bildmaterial und Informationen zurück, die von sehr unterschiedlichen lokalen Quellen direkt über Twitter, Facebook oder YouTube verbreitet werden und deren Urheber mit Bildmaterial und Informationen ebenfalls »direkt« auf die Medienproduktion einwirken (egal, ob Terrororganisation, Propagandaabteilung einer Armee oder lokale Gewerkschaft). Zugunsten eines solchen, nicht redaktionell produzierten, sondern unter Anwendung der Algorithmen von Technologieunternehmen gefilterten Materials sowie zugunsten der Angebote großer Nachrichtenagenturen, verzichten heute viele Massenmedien auf eine originäre Auslandsberichterstattung. Dabei ist eine Leerstelle entstanden, in die die NGOs vorstoßen. In den Studien habe ich das am Beispiel der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch beschrieben, die basierend auf der Arbeit eines globalen Netzwerks lokaler »Menschenrechtskorrespondenten« (»researcher«) einen redaktionell begleiteten, nachhaltigen und engagierten Quasi-Auslandsjournalismus
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betreibt, der sich vor allem auf lokale Positionen konzentriert. Am Beispiel der NGO Video Volunteers wiederum wurde dargestellt, wie ein alternativer Auslandsjournalismus funktionieren kann, der ebenfalls redaktionell betreut wird, aber Korrespondenten beschäftigt, die zuvor aufgrund gesellschaftlicher Ausgrenzung (Armut, Kastendiskriminierung etc.) von einer aktiven Teilhabe an Mediendiskursen ausgeschlossen waren. Meiner Auffassung nach ergibt sich die Relevanz des von Video Volunteers betriebenen Video-Nachrichtendienstes India Unheard für ein globales Publikum dabei nicht direkt aus den einzelnen Beiträgen mit oft trivialen Themen; vielmehr entsteht die Bedeutung im Kontext einer Vielzahl von solchen Berichten eher »weicher« Beschaffenheit, aber großer Nähe zum Gegenstand. Indem die Korrespondenten von India Unheard an ganz unterschiedlichen Orten aus einer Innenperspektive über das Gesundheitswesen, das Bildungssystem oder über Infrastrukturdefizite berichten, schaffen sie insgesamt einen »Bedeutungsüberschuss«, der die Relevanz der einzelnen Beiträge übersteigt. Gelänge es Video Volunteers oder einer ähnlichen Organisation, das Prinzip eines solchen »Auslandsjournalismus von unten« zu einem globalen Nachrichtendienst weiterzuentwickeln, dann könnten sich Auslandsredakteure, Menschenrechtsverteidiger oder Wissenschaftler dort zukünftig über die Situation der verarmten und marginalisierten Bevölkerungsteile an spezifischen Lokalitäten »aus erster Hand« informieren. Neben der »direkten« Wirkungsweise der Arbeit lokaler Korrespondenten auf die Medienproduktion innerhalb und außerhalb der konventionellen Nachrichtenorganisationen habe ich in meinen Studien noch weitere Formen der lokalen Teilhabe an der globalen Nachrichtenindustrie beschrieben, die eher »indirekt« auf die Medienproduktion einwirken. So haben mir die lokalen Akteure davon berichtet, wie sie als professionelle Mittler und Helfer (»Fixer«) die reisenden Journalisten vor Ort dabei unterstützen, sich in »fremder« Umgebung zurechtzufinden, Gefahren zu vermeiden und ihre journalistischen Ziele zu verfolgen. Diese Form der lokalen Teilhabe ist heute von wachsender Bedeutung, weil sich reisende Journalisten einer jüngeren Generation offensichtlich weniger mit nur einer spezifischen Region auseinandersetzen, lokale Sprachen lernen oder eigene Netzwerke knüpfen, sondern stattdessen global mobil sind und entsprechend an spezifischen Orten noch mehr lokale Unterstützung benötigen. In den Studien habe ich drei Praxisbereiche journalistischer Kooperation vor Ort in Indien identifiziert, die jeweils unterschiedlich auf die Medienproduktion einwirken. Diese Praxisbereiche wurden im Wesentlichen von den europäischen reisenden Journalisten, mit denen ich gesprochen habe, bei der journalistischen Kooperation vor Ort in verschiedenen anderen regionalen Kontexten bestätigt und betreffen das Herstellen von: a) thematischen und praktischen Zugängen. Die Medienproduktion wird oft erst durch die Arbeit der lokalen Partner überhaupt möglich, weil sie die reisenden Journalisten an den »Ort des Geschehens« bringen, ihren Aufenthalt und ihre Reisen organisieren sowie ihnen dabei hel-
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fen, Menschen zu treffen; b) bürokratischen Zugängen. Meistens schon bevor die reisenden Journalisten zum Beispiel mit der Arbeit an einer TV-Produktion vor Ort beginnen, haben die lokalen Partner bereits Drehgenehmigungen eingeholt und das Journalistenvisum organisiert. Sie übernehmen auch weitere Verhandlungen mit der lokalen Staatlichkeit und Bürokratie; sowie: c) kommunikativen Zugängen durch sprachliches und kulturspezifisches Handeln. Die lokalen Partner unterstützen ihre Auftraggeber etwa dabei, die richtigen Gesprächspartner zu finden, sie helfen mit Übersetzungen bei den Interviews oder übernehmen diese teilweise vollständig. Doch nicht nur während des Interviews stehen lokale Kooperationspartner als Kommunikationshelfer zwischen den reisenden Journalisten und ihren lokalen Gesprächspartnern. Diese unterstützen meist die gesamte Interaktion und vollbringen eine komplexe Translationsleistung, die auch kulturelle Vermittlung und Interessensmediationen umfasst. Diese kommunikative und kulturspezifische Mittlerrolle lokaler Akteure globaler Nachrichtenindustrie halte ich für den wichtigsten Praxisbereich der journalistischen Kooperation vor Ort, der weniger als eine Hilfestellung, sondern vielmehr als ein gemeinsamer journalistischer Produktionsmodus betrachtet werden sollte. Einige Gesprächspartner berichteten mir entsprechend von spezifischen Vorteilen einer gemeinsamen Gesprächsführung (gegenüber dem direkten Interview von Person zu Person), bei der lokale Akteure durch ihre Kommunikationsleistung einen Aktivitätsschatten erzeugen, der dem reisenden Journalisten Freiraum verschafft, sich auf die Medienproduktion oder die weitere Gesprächsführung zu konzentrieren. In den Studien wurde außerdem dargestellt, wie sich die »indirekte« lokale Teilhabe (und damit auch ihre Wirkungsweise auf die Medienproduktion) aufgrund der Internetkommunikation im 21. Jahrhundert verändert hat. »Zeitzeugen« einer historischen Praxis der journalistischen Kooperation aufseiten der reisenden Journalisten berichteten davon, mit Zufallsbekanntschaften zusammengearbeitet zu haben oder in lokalen Zeitungen, NGOs und Hochschulen vor Ort nach ihren Assistenten gesucht zu haben. »Zeitzeugen« aufseiten der professionellen lokalen Akteure berichteten von langfristigen Arbeitsbeziehungen. Diese beiden konventionellen Kooperationsformen werden weiterhin praktiziert, aber kontemporäre Praktiken basieren außerdem häufig auf der »Selbstvermarktung« von professionellen freischaffenden Kooperationspartnern sowie kurzfristigen gemeinsamen Produktionsphasen. Um teilweise bereits vor der Abreise geeignete lokale Partner zu finden, nutzen reisende Journalisten heute entsprechend Social Media, um sich etwa auf Facebook-Gruppen über »Fixer« auszutauschen, oder sie nutzen Internetportale, die es ihnen ermöglichen, online nach »Fixern« zu suchen. Durch solche internetbasierten »Praktiken des Zugangs« wurde eine Differenzierung des professionellen lokalen Assistenten (des »Fixers«) als berufliche Tätigkeit vorangetrieben. In den Studien unterscheide ich bei den lokalen Akteuren, die ich getroffen habe (als eine Denkhilfe und ohne zu behaupten, dass diese
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Gruppen natürlicherweise existieren), zwischen Spezialisten und Generalisten, die mit einer jeweils unterschiedlichen Arbeitsweise auf die Medienproduktion einwirken. Die Generalisten verstehe ich als gut ausgebildete Medienprofessionelle, die mit der Arbeits- und Lebensweise ihrer meist »westlichen« Auftraggeber vertraut sind und gleichzeitig die Fähigkeiten besitzen, multiple Zugänge vor Ort herzustellen. Solchen Generalisten erleichtert das Internet die Arbeit, doch sie benötigen es nicht, um kontinuierlich neue Auftraggeber zu finden, weil sie meist konventionelle, also langfristige Arbeitsbeziehungen und umfangreiche Netzwerke in den globalen Nachrichtenorganisationen pflegen. In den Studien habe ich dargestellt, wie Auftraggeber den lokalen Mitarbeitern ihres Vertrauens teilweise die gesamte Organisation von Produktionen vor Ort übergeben (oder Teile einer Produktion) und zudem weitere journalistische Kernaufgaben vollständig an solche Generalisten auslagern, etwa die Interviewführung oder die Themenrecherche. Die Grenze zum lokalen Korrespondenten ist bei den Generalisten entsprechend dieser »indirekten« und »direkten« Wirkungsweise ihrer Partizipation an der globalen Nachrichtenindustrie verwischt. Für die zweite Gruppe lokaler Kooperationspartner dagegen, die Spezialisten, eröffnet das Internet, das sie mit vielen unterschiedlichen Auftraggebern zusammenführt, überhaupt zum ersten Mal einen aktiven (wenn auch oft instabilen) Zugang zur globalen Nachrichtenindustrie. Die Spezialisten besitzen meist weniger journalistische oder produktionstechnische Kompetenzen als die Generalis ten und vermitteln an erster Stelle den spezifischen und »authentischen« Zugang zu einem Themenkomplex, mit dem sie selbst biografisch verbunden sind und der meist gewisse Zugangsschwierigkeiten bereitet. In Mumbai habe ich entsprechend etwa Slumbewohner getroffen, die es zu ihrem Beruf gemacht haben, »westliche« Journalisten als »Fixer« in ihre Stadtviertel zu bringen. Für den reisenden Journalisten verkörpert der Spezialist quasi das Thema seiner Recherche, von ihm lernt er alles Notwendige und dieser öffnet ihm auch Türen, die bei der journalistischen Kooperation mit einem Generalisten unter Umständen verschlossen geblieben wären. Vor dem Hintergrund meiner eigenen Erfahrung während der teilnehmenden Beobachtung mit dem »Slumspezialisten« Rakesh in Mumbai erscheint es mir durchaus einleuchtend, vom Standpunkt des reisenden Journalisten aus betrachtet, dass vor allem eine journalistische Kooperation, bei der lokale Partner mit vorhandenem medialen Wissen und Können quasi auf einem »ebenen Spielfeld« mit reisenden Journalisten für eine Recherche zusammenfinden, von einigen meiner Gesprächspartner als ideale Kooperationsweise beschrieben wurde. Eine solche »Koproduktion« hätte mir sicherlich dabei geholfen, die ursprünglichen journalistischen Ziele entsprechend des geplanten Themas (eine Recherche über Frauendiskriminierung bei der Benutzung öffentlicher Toiletten in Mumbai) effizienter umzusetzen als die Arbeit mit einem Slumbewohner, der mir stattdessen einen »tiefen«, aber unkontrollierbaren Zugang zur Dynamik des Straßenlebens in Mumbai eröffnet hat. Allerdings mit einer klaren Einschränkung: Die Arbeit
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mit einem Generalisten (etwa einem lokalen Journalisten) hätte wohl nicht dieselbe Intimität und dasselbe Vertrauen im Umgang mit den obdachlosen Protagonisten unseres journalistischen Projektes ermöglicht; tendenziell hätten wir vermutlich eher die Vorrecherche in ein journalistisches Produkt »umgesetzt«. Formen der lokalen Teilhabe mit einer »direkteren« Wirkungsweise auf die Medienproduktion durch die Übernahme von umfangreicherer Produktionsverantwortung müssen also nicht zwingend eine größere »Tiefenwirkung« haben, bei der etwa zuvor unterdrückte lokale Positionen oder verborgene Zusammenhänge sichtbar werden, sondern sie dienen manchmal eher dazu, die Effizienz der Medienproduktion zu steigern und deren Kosten zu senken. Die Wirkung der Partizipation eines Spezialisten auf die Medienproduktion wiederum erfolgt zwar »indirekt«, nämlich durch die Zugänge, die er dem reisenden Journalisten eröffnet, aber sie besitzt das Potenzial, ohne dass dieses zwingend wirksam werden muss, bei der gemeinsamen Medienproduktion solche lokalen Positionen sichtbar zu machen. Dieses Potenzial steigt dabei mit der Distanz, die den Standpunkt des lokalen Kooperationspartners von dem des reisenden Journalisten trennt. Auch bei den unterschiedlichen Partizipationsformen mit einer »direkten« Wirkung auf die Medienproduktion kann diese »Tiefenwirkung« der lokalen Teilhabe differieren: So »überbrücken« die lokalen Korrespondenten von India Unheard eine größere Distanz als die englischsprachigen, mit universalistischen Regelwerken geschulten und oft eher »kosmopolitischen« lokalen Korrespondenten einer großen Zeitung oder Nachrichtenagentur. Ob eine Partizipationsform also »direkt« auf die Medienproduktion einwirkt oder ob sie »nur indirekt« und diffus wirksam wird, ist kein Gradmesser für deren »Tiefenwirkung«. Es gibt keine objektiven Kriterien, um zu beurteilen, ob eine größere Sichtbarkeit von lokalen Positionen grundsätzlich überhaupt wünschenswert ist oder nicht. Die Antwort mag von Fall zu Fall unterschiedlich ausfallen und variiert zudem je nach Standpunkt des Betrachters. Eine größere »Tiefenwirkung« lokaler Teilhabe garantiert also keinen »besseren« Auslandsjournalismus. Doch in Anbetracht der gesellschaftlichen Bedeutung von Auslandsjournalismus als eine wichtige (oder die wichtigste) Quelle für das aktuelle »Weltwissen« von Menschen in einer zunehmend global verwobenen und interdependenten Welt, die konfrontiert wird mit Umstürzen, Wandel, technologischen Sprüngen, blutigen Konflikten sowie einer wachsenden Polarisierung aufgrund von materieller Ungleichheit, schwindenden Ressourcen und ökologischer Zerstörung, ist eine umfassende lokale Teilhabe an der globalen Nachrichtenindustrie sogar unbedingt geboten. Von meinem »europäischen« Standpunkt aus betrachtet ist die enge Kooperation mit lokalen Akteuren der globalen Nachrichtenindustrie die beste Methode, um Verzerrungen entgegenzuwirken und um zukünftig die Legitimität eines Auslandsjournalismus nach »westlichem« Modell zu gewährleisten. Denn wie in den Studien beschrieben wurde, partizipieren lokale Akteure als »Korrespondenten des Wandels« ja nicht nur an der globalen Nachrichtenindustrie, sondern gestalten auch deren Transformation.
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Die Alternative zu einer angemessenen Berücksichtigung von lokalen Standpunk ten in den internationalen Mediendiskursen wird heute weltweit auf beunruhigende Weise sichtbar: Radikale und antidemokratische Gruppierungen sowie repressive Staaten und Terrororganisationen nutzen die Geste der Zurückweisung des universalistischen Anspruchs der weiterhin zweifellos meist »westlich« dominierten globalen Nachrichtenorganisationen und verweisen auf deren Unterstützung für die bestehende wirtschaftliche, politische oder militärische Weltordnung, um dann einem zunehmend skeptischen Publikum weltweit ihre Version einer absichtsvoll und kunstvoll verzerrten »alternativen Wahrheit« zu präsentieren oder auch um einen »westlichen« Journalisten vor laufender Kamera zu enthaupten. Die universalistischen »Dogmen« der Neutralität, Balance, Unparteilichkeit, Objektivität etc. sind, wie eingangs ausgeführt, auch aus einer wissenschaftlichen Sichtweise zurückzuweisen. Aber gerade weil sie in keinem »natürlichen« Bezug zu den Medienprodukten stehen, sondern vielmehr als Legitimationsstrategien und Chiffren für die journalistische Arbeit nach »westlichem« Modell betrachtet werden können, lenkt die Geste ihres Zurückweisens nur den Blick ab von dem, was in der journalistischen Praxis wirklich von Bedeutung ist: Reisende Journalisten und Auslandsredakteure sollten ihren eigenen Standpunkt reflektieren, eng mit lokalen Akteuren kooperieren und lokale Positionen in den Medienprodukten nicht negieren. Die beschriebene kontemporäre »Lokalisierung der globalen Nachrichtenindustrie« mit der vermutlich auch quantitativ wachsenden Beteiligung von lokalen Akteuren (Daten wurden in den Studien nicht erhoben und sind auch nicht sinnvoll zu erheben) bedeutet entsprechend der Erkenntnisse aus den Studien nicht, dass lokale Positionen automatisch angemessen berücksichtigt werden. Doch der Wandel in der globalen Nachrichtenindustrie eröffnet lokalen Akteuren, reisenden Journalisten und Auslandsredakteuren mit all seinen Herausforderungen die Möglichkeit, gemeinsam Verantwortung für den Auslandsjournalismus zu übernehmen.
d Interviewverzeichnis
Die Positionsbeschreibung in Klammern bezieht sich auf die Tätigkeit meiner Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner zum Zeitpunkt des Forschungsinterviews. Einige dieser Personen arbeiten inzwischen in anderen Organisationen oder anderen Positionen bzw. sind inzwischen verstorben. Acharya, Nupur (Korrespondent / Wall Street Journal) Interview in Mumbai, 22.01.2013 Anthony, Tamara (ARD-Korrespondentin und Gründerin / hostwriter) Interview in Berlin, 03.04.2014 Arthur, Olivia (Fotografin / Magnum Photos) Interview in Bardez, 11.03.2013 Bhatti, Jabeen (Journalistin und Gründerin / Associated Reporters Abroad) Interview in Berlin, 30.10.2014 Bukhari, Parvaiz (Korrespondent / AFP) Interview in Srinagar, 04.04.2013 Chander, Thirulok (»Fixer« / Freelancer) Interview in Chennai, 07.02.2013 Christ, Sebastian (Journalist und Autor / Freelancer) Interview in Berlin, 05.03.2014 Cox, Phillip (Journalist, Filmemacher und Gründer / Native Voice Films) Interview in London, 15.07.2014 D’Urso, Albertina (Fotografin / Freelancer) Interview in Genua, 18.08.2014 Dubey, Dinesh (»Fixer« / Freelancer) Interview in Mumbai, 09.01.2013 Fröhder, Christoph Maria (TV-Journalist / ARD) Interview in Frankfurt a.M., 20.05.2014 Garrod, Mike (Gründer / worldfixer) Interview in London, 15.07.2014 Gloystein, Henning (Korrespondent / Reuters) Interview in London, 16.07.2014
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Korrespondenten des Wandels
Hura, Sohrab (Fotograf und Menschenrechtsaktivist / Magnum Photos) Interview in Bardez, 12.03.2013 Italia, Shernaz (Lokale Produzentin / filMatters) Interview in New Delhi, 01.05.2013 Jalloh, Abu Bakarr (Redakteur / Deutsche Welle) Interview in Bonn, 29.04.2014 Jaura, Ramesh (Director General / Inter Press Service) Interview in Berlin, 31.10.2014 Jha, Sanjay (Korrespondent / CBS New Delhi) Interview in New Delhi, 25.04.2013 Köpp, Dirke (Redaktionsleiterin / Deutsche Welle) Interview in Bonn, 28.04.2014 Kumar, Manish (Redakteur und Trainer / Video Volunteers) Interview in Bardez, 15.01.2013 Küstner, Kai (Korrespondent / ARD New Delhi) Interview in New Delhi, 18.04.2013 Lalzare, Amol (Korrespondent / India Unheard) Interview in Mumbai, 20.01.2013 Larsen, Solana (Managing Editor / Global Voices) Interview in Berlin, 04.06.2014 Maqbool, Rashid (Hochschullehrer, »Fixer« und Journalist / Central University of Kashmir), Interview in Srinagar, 04.04.2013 Mayberry, Jessica (Menschenrechtsaktivistin und Gründerin / Video Volunteers) Interview in Bardez, 14.01.2013 Medeiros, Débora (Redakteurin und ehrenamtliche Übersetzerin / Global Voices), Interview in Berlin, 02.06.2014 Michalski, Wenzel (Deutschlanddirektor / Human Rights Watch) Interview in Berlin, 29.10.2014 Morla, Anand Bhaskar (Dokumentarfilmer und »Fixer« / Freelancer) Interview in New Delhi, 24.04.2013 Namgyal, Tashi (Umweltaktivist und »Fixer« / Freelancer) Interview in New Delhi, 19.04.2013 Pednekar, Sulochana (Korrespondentin / India Unheard) Interview in Siolim, 16.01.2013 Pelz, Daniel (Redaktionsleiter / Deutsche Welle) Interview in Bonn, 29.04.2014 Quadri, Faheem (»Fixer« und Fotograf / Freelancer) Interview in Srinagar, 31.03.2013 Rasool, Sajad (Redakteur und Menschenrechtsaktivist / India Unheard) Interview in Bardez, 11.03.2013 Romana, Manpreet (Fotograf und Landwirt / Freelancer) Interview in New Delhi, 23.04.2013
Inter viewverzeichnis
Saxena, Anoop (Lokaler Mitarbeiter / ARD New Delhi) Interview in New Delhi, 18.04.2013 Schadomsky, Ludger (Redaktionsleiter / Deutsche Welle) Interview in Bonn, 30.04.2014 Sripathi, Uday (»Fixer« und Korrespondent / Freelancer) Interview in Mumbai, 08.01.2013 Stalin K. (Filmemacher und Menschenrechtsaktivist / Video Volunteers) Interview in Bardez, 12.03.2013 Tiassou, Florent Kossivi (Umweltaktivist und Redakteur / Deutsche Welle) Interview in Bonn, 29.04.2014 Topona, Eric (Redakteur im Exil / Deutsche Welle) Interview in Bonn; 29:04:2014 Vachharajani, Amit (Lokaler Produzent und Gründer / Backpack Films) Interview in Mumbai, 15.04.2013 Wells, Adrian (Head of International Development / Sky News) Interview in London, 14.07.2014 Wiedemann, Charlotte (Journalistin und Autorin / Freelancer) Interview in Berlin, 06.03.2014 Zulekha, Sayyed (Korrespondentin / India Unheard) Interview in Mumbai, 27.01.2013
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