Akkusativobjekt, Akkusativobjektsätze und Objektsprädikate im Deutschen: Untersuchungen zu ihrer Syntax und Semantik 9783111356488, 9783484302518

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German Pages 281 [284] Year 1990

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Table of contents :
0. Einleitung
1. Akkusativobjekte
1.1 Semantische Charakterisierungen
1.1.1 Traditionelle Grammatik
1.1.2 Strukturalistische Grammatik
1.1.3 Inhaltsbezogene Grammatik
1.1.4 Kasusgrammatik
1.1.5 Hierarchiegesetze
1.1.6 Das Prototypenkonzept
1.2 Transitivität
1.2.1 Transitivität als parametrisierter Begriff
1.2.2 "Intransitive" und ergative Verben
1.2.3 Transitivität und Passivierbarkeit
1.2.4 Transitivität und alternative Kodierungsmöglichkeiten
1.3 Syntaktische Charakterisierungen
1.3.1 Akkusativ-NPn in verschiedenen Funktionen
1.3.2 Strukturelle Charakterisierung
1.4 Akkusativobjekte in verschiedenen Kasusrahmen
1.4.1 Verben mit einer Nominativ- und einer Akkusativergänzung
1.4.2 Einstellige Verben mit einer Akkusativergänzung
1.4.3 Verben mit einer Dativ- und einer Akkusativergänzung
1.4.4 Verben mit zwei Akkusativergänzungen
1.4.5 Verben mit einer Genitiv- und einer Akkusativergänzung
1.4.6 Verben mit einer Präpositional- und einer Akkusativergänzung
2. Akkusativobjektsätze
2.1 Matrixsatzprädikate
2.1.1 Verben
2.1.2 Funktionsverbgefüge
2.1.3 Verben mit prädikativen Adjektiven
2.2 Die einzelnen Typen der Akkusativobjektsätze
2.2.1 Daß-Sätze
2.2.2 We-Sätze
2.2.3 Ob-Sätze
2.2.4 W-Sätze
2.2.5 Adverbiell eingeleitete Sätze
2.2.6 Abhängige Verbzweitsätze
2.2.7 Infinitivsätze
2.3 Freie Relativsätze
2.3.1 Syntaktische Beschreibung
2.3.2 Homonymien von abhängigen w-Fragesätzen und freien Relativsätzen
2.3.3 Syntaktische Unterschiede zwischen freien Relativsätzen und abhängigen w-Fragesätzen
2.4 Stellungseigenschaften
2.4.1 Vorfeld
2.4.2 Mittelfeld
2.4.3 Extraposition
2.4.4 Extraktionen
2.5 Satzeinleiter
2.5.1 Die Komplementiererphrase
2.5.2 Enthalten alle Sätze zwei Positionen für Satzeinleiter?
2.5.3 Satzeinleiter als Köpfe
2.6 Zusammenfassung
3. Objektsprädikate
3.1 Definition und Analysevorschläge
3.1.1 Small-Clause-Analyse
3.1.2 Prädikationsanalyse
3.2 AcI-Konstruktionen
3.2.1 Eigenschaften der AcI-Konstruktionen nach Verba sentiendi
3.2.2 Eigenschaften der AcI-Konstruktion nach lassen
3.2.3 AcI-ähnliche Konstruktionen
3.3 Resultative
3.4 Prädikative Attribute
3.5 Objektsprädikative
3.6 Als-Phrasen
3.7 Zusammenfassung
Literatur
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Akkusativobjekt, Akkusativobjektsätze und Objektsprädikate im Deutschen: Untersuchungen zu ihrer Syntax und Semantik
 9783111356488, 9783484302518

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Linguistische Arbeiten

251

Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Herbert E. Brekle, Hans Jürgen Heringer, Heinz Vater und Richard Wiese

Karin Bausewein

Akkusativobjekt, Akkusativobjektsätze und Objektsprädikate im Deutschen Untersuchungen zu ihrer Syntax und Semantik

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1990

D 19 Philosophische Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaft I

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Bausewein, Karin : Akkusativobjekt, Akkusativobjektsätze und Objektsprädikate im Deutschen : Untersuchungen zu ihrer Syntax und Semantik / Karin Bausewein. - Tübingen : Niemeyer, 1990 (Linguistische Arbeiten ; 251) NE:GT ISBN 3-484-30251-8

ISSN 0344-6727

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1990 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt

Inhaltsverzeichnis

0.

Einleitung

l

1.

Akkusativobjekte

6

1.1

Semantische Charakterisierungen

6

1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4 1.1.5 1.1.6

Traditionelle Grammatik Strukturalistische Grammatik Inhaltsbezogene Grammatik Kasusgrammatik Hierarchiegesetze Das Prototypenkonzept

6 8 11 15 16 19

1.2

Transitivität

21

1.2.1 1.2.2 1.2.2.1 1.2.2.2 1.2.2.3 1.2.2.4 1.2.2.5 1.2.2.6 1.2.3 1.2.3.1 1.2.3.1.1 1.2.3.1.2 1.2.3.1.3 1.2.3.1.4 l .2.3.2 1.2.3.2.1 1.2.3.2.2 1.2.3.3 1.2.4 1.2.4.1 1.2.4.1.1 1.2.4.1.2 1.2.4.1.3 1.2.4.2 1.2.4.3 1.2.4.3.1 1.2.4.3.2 1.2.4.4 1.2.4.4.1 1.2.4.4.2

Transitivität als parametrisierter Begriff "Intransitive" und ergative Verben Passivierbarkeit Agensderivationen Perfekthilfsverb sein Attributives Partizip II Topikalisierbarkeit von Subjekt und Partizip II Innere Objekte und Resultative Transitivität und Passivierbarkeit Werden-Passiv Handlungsverb Vorhandensein eines Agens Betroffenheit des Objekts Individuiertheit des Objekts Bekommen-Passiv Agentivität Perfektivität Sem-Passiv Transitivität und alternative Kodierungsmöglichkeiten Akkusativ und Präpositionalphrase Ornative Verben Handlungsverben Bewegungsverben Akkusativ und Partitiv Akkusativ und Nominativ Ergativische Konstruktionen Psychologische Verben Akkusativ und Dativ Verben, die eine Körperberührung oder -Verletzung bezeichnen Synonyme und homonyme Verben

21 23 25 25 26 30 31 32 34 34 35 35 37 38 39 40 41 42 45 45 45 46 47 48 49 49 50 51 51 54

VI 1.3

Syntaktische Charakterisierungen

56

1.3.1 1.3.1.1 1.3.1.1.1 1.3.1.1.2 1.3.1.1.3 1.3.1.2 1.3.1.2.1 1.3.1.2.2 1.3.1.2.3 1.3.1.2.3.1 1.3.1.2.3.2 1.3.1.2.3.3 1.3.1.3 1.3.1.4 1.3.2 1.3.2.1 1.3.2.2

Akkusativ-NPn in verschiedenen Funktionen Akkusativ-NPn in adverbialen Funktionen Akkusativ-NPn mit temporaler Bedeutung Akkusativ-NPn mit lokaler Bedeutung Maßakkusative Akkusativ-NPn als Teil des Prädikats Inkorporierte Objekte Teile von Funktionsverbgefügen Reflexivpronomina Inhärent reflexive Verben Inhärent reflexive Verbvarianten Passivähnliche Konstruktionen Innere Objekte Absolute Akkusative Strukturelle Charakterisierung Struktureller vs. lexikalischer Kasus Topologische Relationen

56 57 58 59 60 62 62 65 67 68 70 72 73 76 80 80 85

1.4

Akkusativobjekte in verschiedenen Kasusrahmen

1.4.1 1.4.2 1.4.3 1.4.4 1.4.4.1 1.4.4.2 1.4.5 1.4.6 1.4.6.1 1.4.6.2 1.4.6.3

Verben mit einer Nominativ- und einer Akkusativergänzung Einstellige Verben mit einer Akkusativergänzung Verben mit einer Dativ- und einer Akkusativergänzung Verben mit zwei Akkusativergänzungen "Didaktische Verben" Fragen und bitten Verben mit einer Genitiv- und einer Akkusativergänzung Verben mit einer Präpositional- und einer Akkusativergänzung Ornative Verben Verben des Gebens und Mitteilens Verben des Veränderns

89 94 95 98 99 100 101 103 103 105 105

2.

Akkusativobjektsätze

107

2.1

Matrixsatzprädikate

109

2.1.1 2.1.2 2.1.3

Verben Funktionsverbgefüge Verben mit prädikativen Adjektiven

110 113 114

2.2

Die einzelnen Typen der Akkusativobjektsätze

115

2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.4.1 2.2.4.2 2.2.5 2.2.6 2.2.7

DajS-Sätze We-Sätze -Sätze ff-Sätze Abhängige w-Fragesätze Abhängige w-Exklamativsätze Adverbiell eingeleitete Sätze Abhängige Verbzweitsätze Infinitivsätze

118 123 125 129 129 131 135 138 147

,

88

VII

2.3

Freie Relativsätze

157

2.3.1 2.3.2

157

2.3.3.1 2.3.3.2 2.3.3.3 2.3.3.4 2.3.3.5 2.3.3.6 2.3.3.7 2.3.3.8 2.3.3.9 2.3.3.10

Syntaktische Beschreibung Homonymien von abhängigen w-Fragesätzen und freien Relativsätzen Syntaktische Unterschiede zwischen freien Relativsätzen und abhängigen w-Fragesätzen Ob-Satz möglich Bezugselemente Komplementtypspezifische w-Elemente Mehrere w-Ausdrücke zugleich möglich IP-Ausdruck vom Matrixsatz unabhängig Modus Satzadverbien Modalpartikeln Aliquanteren Spaltsätze

170 171 171 172 172 172 173 173 174 175 175

2.4

Stellungseigenschaften

177

2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4

Vorfeld Mittelfeld Extraposition Extraktionen

178 180 182 186

2.5

Satzeinleiter

188

2.5.1 2.5.2 2.5.2.1 2.5.2.2 2.5.2.3 2.5.3

Die Komplementiererphrase Enthalten alle Sätze zwei Positionen für Satzeinleiter? Der Unterschied zwischen V/L- und V/l-, V/2-Stellung Sätze mit Verbzweitstellung Sätze mit Verbletztstellung Satzeinleiter als Köpfe

188 189 189 193 194 197

2.6

Zusammenfassung

199

3.

Objektsprädikate

201

3.1

Definition und Analysevorschläge

201

3.1.1 3.1.2

Small-Clause-Analyse Prädikationsanalyse

204 206

3.2

Acl- Konstruktionen

209

3.2. 3.2. .1 3.2. .2 3.2. .3 3.2. .4 3.2. .5 3.2. .6 3.2. .7 3.2.1.8 3.2.1.9

Eigenschaften der AcI-Konstruktionen nach Verba sentiendi Semantische Restriktionen Erfragbarkeit und Anaphorisierbarkeit Skopus der Negation Passivierung Verwendung des Ersatzinfinitivs Kohärenz Stellungseigenschaften Reflexivierung Zusammenfassung

212 212 214 214 216 217 218 220 222 225

2.3.3

167

'.

VIII 3.2.2 3.2.2.1 3.2.2.2 3.2.3

Eigenschaften der AcI-Konstruktion nach lassen Verwendung des Ersatzinfinitivs Passivierbarkeit Acl-ähnliche Konstruktionen

228 230 231 232

3.3

Resultate

236

3.4

Prädikative Attribute

244

3.5

Objektspridikative

250

3.6

^fr-Phrasen

251

3.7

Zusammenfassung

256

Literatur

258

Language as a human creation is useful and meaningful, but the underlying mechanisms are pure form. Their patterns are radically autonomous, rich and beautiful, but lacking in inherent meaning or purpose, like the patterns we find on the wings of butterflies. Jan Koster, Domains and Dynasties, 1987

Every grammatical construction encodes a certain meaning, which can be revealed and rigorously stated, so that the meanings of different constructions can be compared in a precise and illuminating fashion, both within one language and within language boundaries. Anna Wierzbicka, The Semantics of Grammar, 1988

O. EINLEITUNG

Begriffe wie Subjekt, Akkusativobjekt usw. sind relationale Begriffe. Eine Konstituente kann nicht losgelöst von ihrer Umgebung als eine bestimmte grammatische Relation identifiziert werden, sondern sie übernimmt diese Funktion in bezug auf ein Verb oder allgemeiner auf ein anderes Element, Verben bringen die Information darüber mit, wie ihre Umgebung aussieht. Sie legen zum einen fest, welche Rolle ein Mitspieler in dem Sachverhalt übernimmt, den ein Satz beschreibt. Solche Rollen sind z.B. Agens und Patiens. Diese semantischen Rollen, die ein Mitspieler in bezug auf ein Verb einnimmt, werden auch "thematische Rollen" oder kurz "Thetarollen" genannt. Die Konstituenten eines Satzes, die eine solche Rolle übernehmen, werden auch "Argumente" des Verbs genannt. Die einzelnen Thetarollen der Argumente müssen identifizierbar gmacht werden und die richtige Zuordnung der einzelnen Argumente zu ihren Thetarollen muß gewährleistet sein, wenn die Sprache ein geeignetes Mittel zur eindeutigen Beschreibung von Sachverhalten sein soll. So könnte z.B. der Vater in dem Satz der Vater liebt seinen Sohn sowohl Agens wie auch Patiens sein. Die eindeutige Zuordnung des Vaters zu der Thetarolle "Agens" ist hier durch die Nominativ-Markierung dieser NP gewährleistet. Eine wesentliche Funktion von Kasusmarkierungen besteht also darin, die Zuordnung der richtigen Thetarollen zu den einzelnen Argumenten sicherzustellen. Wie wir bis jetzt gesehen haben, bringen Verben zweierlei Informationen darüber mit, wie ihre Umgebung aussieht. Sie spezifizieren, welche Thetarollen ihre Argumente tragen und mit welchen Kasusmarkierungen die einzelnen Argumente versehen werden. Die Kasusmarkierungen sind aber im Deutschen nicht immer als Kennzeichnung ausreichend, da verschiedene Kasusformen identisch sind. In dem Satz Mütter lieben Töchter ist keines der Nomina eindeutig nominativisch oder akkusativisch markiert. Die Kasusmarkierungen fallen also in diesem Fall als Kennzeichnung aus. Trotzdem besteht die starke Tendenz, die Mütter als Agens und die Töchter als Patiens zu identifizieren. In diesem Fall leistet die Abfolge der einzelnen Nomina die Zuordnung der einzelnen Argumente zu den Thetarollen. In Sprachen, die nur noch über ein sehr rudimentäres Kasussystem verfügen, wie z.B. das Englische, übernimmt alleine die Abfolge der Satzglieder diese Funktion. Im Deutschen, das noch über ein vergleichsweise gut ausgeprägtes Kasussystem verfügt, kann die Abfolge in bestimmten

Fällen diese Funktion übernehmen, wenn die Argumente durch ihre Kasusmarkierungen nicht klar gekennzeichnet sind. Thetarollen können also nicht nur durch Kasusmarkierungen, sondern auch durch die Position des Arguments innerhalb des Satzes gekennzeichnet werden. So folgt die Objekts-NP Töchter der Subjekts-NP Mütter. Wenn man davon ausgeht, daß die grundlegende Verbstellung im Deutschen Verbletztstellung ist, was weitgehend Konsens ist, kann man sagen, daß die Objekts-NP näher am Verb steht als die Subjekts-NP. Viele Grammatikmodelle tragen dieser unterschiedlichen Verbnähe von Konstituenten dadurch Rechnung, daß sie den Satz hierarchisch gliedern. Dabei wird in der generativen Syntax davon ausgegangen, daß eine Objekts-NP vom VP-Knoten dominiert wird, d.h. innerhalb der Verbalphrase auftritt. Eine Subjekts-NP dagegen wird im allgemeinen als direkt vom Satzknoten dominiert beschrieben, d.h. sie tritt außerhalb der Verbalphrase auf. Man spricht daher auch von "(VP-)internenH und "(VP-)externen" Argumenten. In der Kategorialgrammatik wird davon ausgegangen, daß das Verb die anderen Konstituenten im Satz der Reihe nach "abbindet", wobei zunächst die verbnächste, in diesem Fall also die Objekts-NP, zuletzt die verbfernste Konstituente, in diesem Fall die Subjekts-NP, abgebunden wird. Nun wäre es aber äußerst kompliziert, wenn jedes Verb separat festlegen würde, welche Thetarolle mit einer bestimmten Kasusmarkierung und einer bestimmten Strukturposition verknüpft wird. Vielmehr gibt es allgemeine Prinzipien, die die Verknüpfung von Thetarollen mit Kasusmarkierungen und Strukturpositionen steuern. Diese Prinzipien werden zur Zeit unter dem Begriff "argument linking" oder "mapping" untersucht. Dabei geht es um die Frage, wie die semantische Struktur von Verben auf die syntaktische Ebene "projiziert" wird. Die Kernfrage ist dabei, nach welchen Prinzipien bestimmte Thetarollen mit bestimmten Kasusmarkierungen und bestimmten Strukturpositionen in Verbindung gebracht werden. Die vorliegende Arbeit versteht sich als Beitrag zu dieser Diskussion. Sie untersucht eine grammatische Relation einer Sprache, nämlich das Akkusativobjekt im Deutschen. Begriffe wie Subjekt, Akkusativobjekt usw. fassen in stark vereinfachender Weise Informationen aus der morpho-syntaktischen und der semantischen Beschreibungsebene zusammen. Nur im Idealfall ist z.B. ein Subjekt eine nominativisch markierte NP, agentisch und das vom Verb am weitesten entfernte Satzglied oder ein Akkusativobjekt eine akkusativisch markierte NP, die Patienscharakter hat und eng an das Verb geknüpft ist. Dabei ist es keineswegs klar, welche von diesen Beschreibungsebenen ausschlaggebend ist, wenn es um die Etikettierung eines Satzglieds geht oder wieviele Merkmale eines typischen Subjekts oder direkten Objekts vorhanden sein müssen, damit diese Klassifizierung gerechtfertigt ist. Unklar ist auch, ob alle Beschreibungsebenen gleichwertig sind oder eine Vorrang

hat. Es wurden ganz verschiedene Vorschläge gemacht, wie diese Fragen zu beantworten sind, meist anhand des Subjekts. Gegenüber dem Subjekt hat das Akkusativobjekt in der einschlä-

gigen Forschung eine zweitrangige Rolle gespielt. Das Grund dafür mag darin liegen, daß das Subjekt als die primäre grammatische Relation am stärksten von bestimmten syntaktischen Regularitäten betroffen ist. Die theoretischen Positionen, die in der Diskussion des Subjektbegriffs eingenommen werden, lassen sich jedoch ohne Schwierigkeiten auf das Akkusativobjekt übertragen. Keenan (1976) versucht, eine universal gültige Definition des Subjekts zu entwerfen und entwickelt das sogenannte "Multifaktor-Konzept", das den Subjektbegriff mithilfe verschiedener syntaktischer, semantischer und pragmatischer Eigenschaften definieren soll und den Begriff "Subjekt" auf diese Weise graduierbar macht. Diese Eigenschaften sollen es ermöglichen, das Subjekt eines beliebigen Satzes einer beliebigen Sprache zu identifizieren. Die Definition des Begriffes mithilfe einer Liste von syntaktischen Eigenschaften bringt es mit sich, daß nicht nur ein Glied eines Satzes Subjekteigenschaften aufweist, sondern daß verschiedene Satzglieder in unterschiedlichem Maße "subjekthaft" sein können. Das Glied, das die meisten Subjektseigenschaften aufweist, ist dann als das Subjekt des Satzes zu klassifizieren. Welche Schwierigkeiten diese Methode nach sich zieht, demonstriert Primus (1987:62ff.) anhand von Sätzen wie Dem Mann fehlt jegliche Erfahrung. Dem Mann weist hier mehr Subjekteigenschaften als jegliche Erfahrung auf und wäre nach Keenans Konzept somit als Subjekt zu werten. Damit verstößt man jedoch gegen eine Regel, die universell auf das Subjekt zu beziehen ist, nämlich, daß das Verb mit dem Subjekt kongruiert. Dies ist ein Hinweis darauf, daß Keenans Konzept, das den Subjektbegriff für universelle Gesetzmäßigkeiten faßbar machen sollte, sein Ziel verfehlt. Primus zieht aus dieser und anderen Beobachtungen den Schluß, daß grammatische Relationen als Beschreibungseinheiten eher hinderlich als nützlich sind und gänzlich durch hierarchische Anordnungen von Kasus, strukturellen Relationen und semantischen Relationen ersetzbar sind. Zuvor hatte Reis (1982) schon dafür plädiert, daß der Subjektbegriff zur Beschreibung von syntaktischen Regularitäten nicht notwendig ist. Sie schlägt vor, ihn durch den Begriff "nominativisch markierte NP" zu ersetzen. Damit wird aber eine Unterscheidung zwischen einer Subjekts- und einer prädikativen NP in Prädikativsätzen erschwert. Zudem bleibt die Tatsache unberücksichtigt, daß Subjektsätze, die selbstverständlich nicht nominativisch markiert sind, teilweise denselben syntaktischen Regularitäten (wie z.B. Wegfall bei Passivierung bzw. Umwandlung in eine von-Phrase) unterworfen sind wie nominativisch markierte NPn. Die Schwierigkeiten, die eine Reduktion von grammatischen Relationen auf NPn mit einer bestimmten Kasusmarkierung mit sich bringt, sind beim Akkusativobjekt noch deutlicher. Zum einen sind wie beim Subjekt auch Akkusativobjektsätze denselben syntaktischen Regularitäten unterworfen wie nominale Akkusativobjekte, beide können bei werben-Passivierung zum Subjekt werden. Zum anderen treten akkusativisch markierte NPn in noch sehr viel mehr Funktionen auf als nominativisch markierte NPn. Sie können unter anderem als Adverbiale, Teile von Prädikaten oder als Objektsprädikative auftreten. Will man also die

Unterscheidung von Objekten, Adverbialen und Prädikatsteilen nicht aufgeben, so erscheint es notwendig, den Begriff Akkusativobjekt beizubehalten. Dieser Begriff läßt sich auch nicht durch den Begriff "subkategorisierte Akkusativ-NF ersetzen, der zwar die Objekte durch ihren Argumentstatus von den Adverbialen abgrenzen würde, aber noch nicht den Unterschied zwischen Objekten und Prädikativen trifft, da auch Prädikative vom Verb subkategorisiert sein können. Der Begriff "Akkusativobjekt" bietet sich für das Deutsche als einer Sprache mit einem relativ stark ausgeprägten Kasussystem eher an als der Begriff "direktes Objekt", der für Sprachen mit einem rudimentären Kasussystem wie das Englische der plausiblere Terminus ist. Außerdem besteht hinsichtlich dessen, was im Deutschen als direktes Objekt zu betrachten ist, keine Einigkeit. Besonders großzügig sind hier Heidolph et al. (1981:712f.). Sie lassen als direktes Objekt alle Objekte gelten, die bei Verbletztstellung in unmarkierter Abfolge vor den Teilen des Prädikats stehen können. Das sind sämtliche Objektarten des Deutschen. In ihrer Definition des direkten Objekts verfahren sie rein topologisch. So sei das Akkusativobjekt dann ein indirektes Objekt, wenn noch ein anderes Objekt darauf folgen kann. Als direktes Objekt muß nach Heidolph et al. jeweils dasjenige Objekt gelten, das sich durch seine Stellung in der unmarkierten Abfolge als das am engsten an das Verb geknüpfte Objekt erweist. Damit unternehmen sie den Versuch, grammatische Relationen auf topologische Relationen (und eventuell damit implizierte strukturelle Relationen) zu reduzieren. Die Topologie ist jedoch nur eine der beteiligten Beschreibungsebenen für grammatische Relationen. Der Terminus "direktes Objekt" kombiniert Intuitionen von "direkter" Betroffenheit des Mitspielers von der Verbalhandlung mit der Idee, daß dieses Objekt besonders eng an das Verb geknüpft ist. In Hierarchien mit universalgrammatischem Anspruch wie der von Keenan und Comrie (1977) rangiert das direkte Objekt an zweiter Stelle nach dem Subjekt, gefolgt vom indirekten Objekt. Diese Hierarchie wurde von ihnen anhand der Zugänglichkeit für Relativsatzbildung in einer Reihe von Sprachen entwickelt. Eine parallele Hierarchisierung findet sich

in

der

Relationsgrammatik.

Diese

Hierarchie

kann

als

allgemeine

Zu-

gänglichkeitshierarchie für syntaktische Regularitäten verstanden werden. Das direkte Objekt ist stets dasjenige Satzglied, das bei Passivierung bevorzugt zum Subjekt angehoben werden kann. Wenn dies für auf der Hierarchie weiter unten liegende Satzglieder möglich ist, dann kann immer auch das direkte Objekt angehoben werden. Im Deutschen ist das eindeutig das Akkusativobjekt. Bei der Untersuchung des Akkusativobjekts wird folgendermaßen vorgegangen. Zur Einführung in die Thematik wird ein Überblick über semantische Charakterisierungen des Akkusativobjekts gegeben. Danach werden die Eigenschaften der prototypischen Akkusativobjekte beschrieben. Es wird gezeigt, daß prototypische Akkusativobjekte in Sätzen auftreten, die nach den Kriterien von Hopper und Thompson (1980) als hochtransitiv zu werten sind. Hochtransitive Sätze weisen stets ein Nominativ-Akkusativ-Muster auf, wie ein Vergleich

mit alternativen Mustern zeigt. Auch die Passivierbarkeit von Sätzen steht in Zusammenhang mit hoher Transitivität. Die Objekteigenschaften der Subjekte "ergativer" Verben sind dagegen auf die vergleichsweise niedrige Transitivität dieser Sätze zurückzuführen. Danach werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Akkusativobjekte mit Akkusativ-NPn in anderen Funktionen herausgearbeitet. Diesen Teil abschließend wird die Syntax und Semantik der Akkusativobjekte in den verschiedenen Kasusrahmen, in denen sie auftreten, untersucht. Anstelle von nominalen Akkusativobjekten können sehr häufig Sätze auftreten. Der zweite Teil der Arbeit beschäftigt sich daher mit den Akkusativobjektsätzen. Die einzelnen Satztypen und ihre Beziehungen zu den Matrixsatzverben werden untersucht. Besondere Aufmerksamkeit

wird

den

freien

Relativsätzen

gewidmet.

Anschließend

werden

die

Stellungseigenschaften der Akkusativobjektsätze beschrieben, die von denen der nominalen Objekte stark abweichen. Dieser Teil wird mit einer Diskussion der internen Struktur dieser Sätze abgeschlossen. Der dritte Teil der Arbeit schließlich behandelt Prädikate, die zu den Akkusativobjekten auftreten können und daher Objektsprädikate" genannt werden. Die Beziehungen zwischen den einzelnen Typen von Objektsprädikaten und ihren umgebenden Sätzen werden untersucht. Dabei wird insbesondere der Frage nachzugehen sein, inwieweit die Akkusativobjekte als "Subjekte" dieser Prädikate zu werten sind.

6 1. AKKUSATIVOBJEKTE

1.1 Semantische Charakterisierungen Bei

der

semantischen

Charakterisierung

einer

grammatischen

Relation

sind

zwei

Betrachtungsweisen möglich. Man kann von einer konkreten sprachlichen Form, in diesem Fall dem Akkusativobjekt oder akkusativisch markierten NPn überhaupt ausgehen und ihre Bedeutung untersuchen. Diese semasiologische Blickrichtung haben traditionelle Grammatiker im 18. und 19. Jh., später strukturalistische Ansätze und die inhaltsbezogene Grammatik verfolgt. Bei der anderen, der onomasiologischen Betrachtungsweise geht man von abstrakten semantischen Rollen aus und versucht zu beschreiben, nach welchen Prinzipien semantische Rollen in bestimmten Kasus kodiert werden. Hier sind vor allem Charles Fillmore und seine Nachfolger zu nennen.

1.1.1 Traditionelle Grammatik Einen ersten Aufschluß kann die Bezeichnung "Akkusativ" selber geben. Im 19. Jh. wurde nachgewiesen, daß casus accusativus, zu deutsch "Klagfall" oder "Anklagfall" auf einer FehlÜbersetzung aus dem Griechischen beruhte und treffendere Übersetzungen casus causativus oder casus effectivus

gewesen wären.

Schon bevor dies bekannt wurde, ist die kausative, verursachende Komponente mit der Kasussemantik des Akkusativs in Verbindung gebracht worden. So bezeichnet schon Adelung den Akkusativ als den Kasus "des leidenden Gegenstandes oder desjenigen Dinges, worauf sich der Begriff eines tätigen Verbi unmittelbar beziehet, worauf es unmittelbar wirkt" (1782;1971/I:391). Die Nachfolger Adelungs im 19. Jh. stimmen mit ihm in diesem Punkt überein, wenn sie den Akkusativ als "Leidefall", "Wirkfall", "ZielfalP oder "Fall eines Gegenstandes einer Handlung" bezeichnen. Als Beispiel sei hier die recht anschauliche Formulierung einer Schulgrammatik zitiert "Er enthält ein Leiden, d.h. er ist der Gegenstand, der Empfänger einer auf ihn schnurstracks wirkenden Handlung."

l

B.S. Cohen: Kurz gefaßte theoretisch-praktische deutsche Sprachlehre, Münster 1832, zit. n. Naumann (1986:230).

Diese Einengung der semantischen Beschreibung des Akkusativobjekts auf Objekte von Handlungsverben findet sich auch später sehr häufig. Dies wird als die prototypische Verwendung des Akkusativobjekts genannt; andere Verwendungen werden oft gar nicht erwähnt. Die Auffassung, daß das im Akkusativobjekt Genannte unmittelbar von der im Verb bezeichneten Handlung betroffen ist, schlägt sich in dem Terminus "direktes Objekt" nieder. Im Gegensatz dazu wird der Referent des "indirekten Objekts" als nur mittelbar getroffen gese-

hen. Wüllner unternimmt 1827 den Versuch, die Kasus der indoeuropäischen Sprachen in ihren Grundbedeutungen zu charakterisieren. Sein Ansatz ist lokalistisch, d.h. er geht davon aus, daß allen grammatischen und logischen Relationen ursprünglich lokale Relationen zugrunde liegen. Er führt Objektsakkusative, adverbiale Akkusative und Akkusative in PPn auf eine gemeinsame lokale Grundbedeutung zurück. Die Grundbedeutung des Akkusativs sieht er darin, daß "er den Gegenstand oder Punkt bezeichnet, in oder auf welchen etwas übergeht. Sie tritt also am deutlichsten und reinsten hervor bei den Verbis der Bewegung, bei welchen dieser Kasus den Endpunkt oder vielmehr das Ziel der Bewegung angibt." (ebd.:99) Transitivität erklärt er wörtlich als das "Hinübergehen" einer Handlung auf den Gegenstand; er zieht eine Parallele zwischen Handlungen und Bewegungen: "Für die Anschauung ist das Wesen jeder Handlung Bewegung und der Gegenstand, den die Handlung trifft, ist der Endpunkt oder das Ziel der Bewegung. Demnach unterscheidet sich der Accusativ in videre Romam in Wahrheit gar nicht von dem in ire Romam." (ebd.:109) Wüllner weist auch an anderer Stelle darauf hin, daß eine scharfe Abgrenzung des Akkusativobjekts von adverbialen Akkusativen gar nicht möglich ist: "Endlich bilden solche Verba, wie [...] beschleichen, ereilen, erreichen, treffen gleichsam die Übergänge zwischen den Verbis, wo der Accusativ das Ziel angibt, und denen, wo er Object ist." Auch der Unterscheidung von transitiven und intransitiven Verben mißt er keine grundsätzliche Bedeutung zu, da auch transitive Verben intransitiv seien, wenn man den "Inhalt jedes Verbum an und für sich" betrachte. In ihrer absoluten Lesart bezeichnen Verben wie sehen, lesen, lieben "Thätigkeiten an und für sich, die in oder an dem Handelnden vorgehen. Soll aber die Handlung von oder aus dem Handelnden heraus treten und einen Gegenstand wirklich treffen, so ist keine andere Anschauung möglich als die des HinQbergehens auf den Gegenstand." (ebd.: 109) Wird diese Blickrichtung gewählt, dann können auch "intransitive" Verben transitiv verwendet werden. Wüllner führt hier Verben mit Inhaltsakkusativen wie den Schlaf schlafen und Resultativkonstruktionen wie er geht sich müde an. Die Bedeutung der Zielgerichtetheit gelte auch für den Akkusativ bei Präpositionen, den Wüllner im Anschluß an die traditionelle Grammatik bei auf, an, in, über und einigen anderen Präpositionen als durch die Zielrichtung bedingt erklärt.

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Auch dem Akkusativ bei Temporalangaben schreibt er eine einheitliche Bedeutung zu, nämlich stets eine Zeitdauer zu bezeichnen, im Gegensatz zum temporalen Genitiv oder Dativ, die eher Zeitpunkte bezeichnen. Diese temporale Semantik des Akkusativs hält er für sehr ausgeprägt, hinzugefügte Adverbien wie (hin)durch verstärkten sie lediglich, (ebd.: 115) Wüllners Versuch, alle Verwendungen des Akkusativs auf eine gemeinsame semantische Grundlage zurückzuführen, ist überzeugend. Die syntaktische Differenzierung und formale Klassifizierung tritt dabei allerdings völlig in den Hintergrund. Behaghel (1923/32) unternimmt nicht den Versuch, dem Akkusativ eine Grundbedeutung zuzuschreiben. Er führt die Differenzierung zwischen einem inneren (oder "berührten") Objekt und einem äußeren oder "erzeugten" Objekt ein. Dieser heute noch üblichen Unterscheidung zwischen einem affizierten und einem effizierten Objekt mißt er jedoch keine grundsätzliche Bedeutung zu. Ansätze zu einer semantischen Charakterisierung des Akkusativobjekts finden sich auch bei Dal (1952:15). Sie weist darauf hin, daß bei einer Reihe von Verben das Akkusativobjekt mit einer PP alterniert. Zum einen sind das Paare wie Steine werfen - mit Steinen werfen, eine Rede anfangen - mit einer Rede anfangen, bei denen die PP im Gegensatz zum Akkusativobjekt stärker instrumentale Bedeutung hat. Daneben registriert sie Paare wie etwas rühren an etwas rühren, einen schelten - auf einen schelten. Zu dieser Opposition stellt sie fest (ebd.:15): "Wenn es heißt an etwas nagen, schneiden, riechen, zerren usw., so wird damit ausgedrückt, daß der Gegenstand nicht in seiner Ganzheit von der Verbalhandlung betroffen wird." Dieser Gedanke findet sich später auch bei Fillmore, der das semantische Charakteristikum des direkten Objekts im Gegensatz zu PPn in der holistischen Betroffenheit sieht. Bei Dal findet sich ein erfolgversprechender Ansatz zur Beschreibung der Kasussemantik, da sie alternative Kodierungsmöglichkeiten vergleicht und anhand dieser Alternativen eine Beschreibung der Semantik anstrebt. Dieser Ansatz wurde u.a. von Moravcsik (1978) zu einer semantischen Differenzierung der einzelnen Objekte unter einem universalen Gesichtspunkt verwendet und soll in 1.2.4 für das Deutsche diskutiert werden.

1.1.2 Strukturalistische Grammatik

Auch die Strukturalisten unternahmen den Versuch, die Kasus in ihren Grundbedeutungen zu charakterisieren. Hjelmslev sieht die Grammatik als eine "Theorie der Grundbedeutungen oder der Werte und der durch sie gebildeten Systeme" (1935/37:84) und fordert ein empirisches Vorgehen bei ihrer Erforschung. Die verschiedenen Kasus werden als ein System aufgefaßt, dessen einzelne Teile nicht isoliert betrachtet werden können, sondern nur in ihrer Beziehung zueinander. Jedem Kasus kommt dabei eine Grundbedeutung zu: "Ein Kasus wie

eine Sprachform bedeutet nicht einige verschiedene Dinge; er bedeutet ein einziges Ding, er trägt einen einzigen abstrakten Begriff, aus dem man die konkreten Verwendungen herleiten kann." (Hjelmslev 1935/37:85) Auf diese Äußerung Hjelmslevs Bezug nehmend entwickelt Jakobson (l936;1967) ein System von Oppositionen und Grundbedeutungen für das Russische, das sich in weiten Teilen auch auf das Deutsche übertragen läßt. Versuche, die Bedeutung der einzelnen Kasus isoliert zu bestimmen, hält er für vergeblich. Dem strukturalistischen Postulat gemäß geht er vom Gesamtsystem der Kasusgegensätze aus. Seine Kasusgegensätze basieren auf der von der Prager Schule entwickelten Merkmalstheorie, nach der merkmalhafte Elemente in Opposition zu merkmallosen Elementen stehen. Merkmalhafte Elemente sind spezifischer, markierter, in ihrer Verwendung und Bedeutung stärker eingeschränkt als merkmallose. In der folgenden kurzen Darstellung von Jakobsons Kasuslehre kommt es nicht darauf an, das ganze System von Oppositionen darzustellen oder seiner Theorie gerecht zu werden. Im Vordergrund steht eine Darstellung des Akkusativs in seinen Bezügen zu anderen Kasus. Der merkmalloseste Kasus ist der Nominativ, dessen Funktion es sei, den Gegenstand zu nennen und das Subjekt zu kennzeichnen. Wie die traditionelle Grammatik schreibt auch Jakobson diesem Kasus eine Sonderrolle zu, da er weder vom Verb noch von einem Nomen abhängig ist. Hier setzt sich die traditionelle Unterscheidung des Casus rectus von den Casus obliqui fort. Gegenüber dem Nominativ ist der Akkusativ merkmalhaltig, da er angibt, daß auf das Objekt eine Handlung gerichtet ist, während der Nominativ in dieser Hinsicht neutral (merkmallos) ist. Eine häufige Beziehung zwischen dem Nominativ und dem Akkusativ ist die des Trägers der Handlung und des Objekts der Handlung. Das Subjekt als Träger einer Handlung bezeichnet typischerweise ein belebtes Wesen und das Akkusativobjekt einen unbelebten Gegenstand. Eine Rollenvertauschung trage den Charakter der Personifizierung wie etwa in der Lastwagen tötete ein Kind, die Fabrik verkrüppelt den Menschen, der Ofen verschlingt viele Kohlen. Die Grundsemantik des Akkusativs sieht Jakobson darin, "daß irgend eine Handlung auf den bezeichneten Gegenstand gewissermaßen gerichtet ist, an ihm sich äußert, ihn ergreift" (ebd.:61). Diese Bedeutung bezieht sich nicht nur auf das Akkusativobjekt, sondern auch auf den adverbialen Akkusativ. Jakobson sieht hier nur einen graduellen Unterschied, wenn er vom "starkregierten" und vom "schwachregierten" Akkusativ spricht. Letzterer bezeichne einen "Raum- oder Zeitabschnitt, der von der Handlung restlos umfaßt ist". Für das Deutsche ist diese Formulierung zu pauschal. Ein adverbialer Akkusativ kann für Zeiträume gebraucht werden, die auf keinen Fall als "restlos umfaßt" gelten können (z.B. er geht jeden Tag in die Kneipe).

10 Auch mit dem Akkusativ bei Präpositionen sei eine "Bedeutung der Gerichtetheit" verbunden. Dies läßt sich im Deutschen für Richtungsadverbiale, aber kaum für Präpositionalobjekte nachvollziehen. Den Unterschied zum Dativobjekt sieht Jakobson darin, daß dieses weniger eng mit der Handlung verbunden ist, was sich u.a. darin zeigt, daß ein Dativobjekt nie ein effiziertes Objekt ist, sondern stets eine von der Handlung unabhängige Größe bezeichnet. Den Akkusativ, Nominativ und Genitiv bezeichnet er als "Vollkasus", Dativ und Instrumental als "Randkasus", da sie eine periphere Rolle ihres Referenten in der Sachverhaltsbeschreibung eines Satzes signalisieren. Nominativ, Akkusativ und Genitiv dagegen seien in dieser Hinsicht merkmallos. Diese hohe Bewertung des Genitivs ist durch das Russische bedingt, wo der Genitiv häufig als Objektskasus mit dem Akkusativ alterniert. Sie kann daher nicht auf das Deutsche übertragen werden. Dieser Einteilung der Kasus in Voll- und Randkasus entsprechend weist Jakobson darauf hin, daß auch oft als synonym aufgefaßte Paare wie Steine werfen - mit Steinen werfen nicht bloß stilistische Varianten, sondern in ihrer Semantik deutlich unterschieden sind. Einmal sind die Steine das Objekt einer Handlung und in einer zentralen Rolle, da die Handlung auf sie gerichtet ist, einmal lediglich Mittel zum Vollzug einer Handlung und somit in einer peripheren Rolle. Ganz anderer Art ist die strukturelle Beschreibung der einzelnen Objekte bei Tesniere, die er 1959 in seinem die Valenztheorie und Dependenzgrammatik begründenden Buch "Elements de syntaxe structurale" gibt. In der Dependenzgrammatik wird das Verb als zentraler Punkt des Satzes betrachtet, von dem alle anderen Satzglieder abhängen. Valenz wird von Tesniere in Analogie zu Eigenschaften von chemischen Elementen als Fähigkeit des Verbs definiert, bestimmte Ergänzungen an sich zu binden. Eine zentrale Unterscheidung ist dabei die zwischen "actants" und "circonstants". Tesniere benutzt hier eine Theatermetapher, die den Unterschied zwischen den Mitspielern, die zentral am Geschehen beteiligt sind und den freien Angaben verdeutlichen soll, die dieses Geschehen lokal, temporal oder in einer anderen Art näher situieren und charakterisieren. Freie Angaben können in beliebiger Anzahl und Art zum Verb hinzutreten, die Art und Zahl der Aktanten wird dagegen vom Verb festgelegt. Indem Tesniere die Aktanten mit Zahlen durchnumeriert und sie alle in gleicher Weise vom Verb abhängen läßt, nimmt er dem Subjekt seine traditionelle Sonderstellung, die durch die Einteilung des Satzes in Subjekt und Prädikat gegeben war. In der Beschränkung der Aktanten auf reine Kasusergänzungen umgeht Tesniere das Problem, das die Klassifizierung von PPn als Präpositionalobjekte oder Adverbiale ergibt (s. dazu Breindl 1989). Auch auf die Problematik der freien Dative geht er nicht ein (dazu Wegener 1985a).

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Tesniere (1959:108f.) definiert für das Französische drei Arten von Aktanten und charakterisiert sie semantisch. Das Subjekt als "prime actant" ist diejenige Größe, die die Handlung ausführt ("qui fait Faction"). Das Akkusativobjekt als "second actant" ist derjenige Mitspieler, der die Handlung erleidet ("qui supporte Faction"). Das Dativobjekt ist der "tiers actant", zu dessen Nutzen oder Schaden die Handlung ausgeführt wird ("au benefice ou au detriment duquel se fait Faction"). Tesniere bleibt mit seiner semantischen Beschreibung in einem sehr traditionellen Rahmen, da er nur die Semantik dieser Aktanten bei dreiwertigen Handlungsverben berücksichtigt.

1.1.3 Inhaltsbezogene Grammatik Auch in der inhaltsbezogenen Grammatik wird die Auffassung vertreten, daß die Kasus eine eigene Grundbedeutung haben. Ein sehr extremer Vertreter dieser Auffassung ist Weisgerber, der sehr deutlich und emphatisch zur Semantik des Akkusativs Stellung genommen hat. Ausgehend von der Beobachtung, daß es im gegenwärtigen Deutschen zahlreiche Wortbildungsprozesse mit verschiedenen Präfixen (darunter be-) gibt, die Verben mit einer Akkusativergänzung bilden, stellt er eine Tendenz zur "Akkusativierung" fest und sieht darin einen Ausdruck modernen, enthumanisierenden Denkens, durch das der Mensch zum Objekt degradiert wird. "Im Dativ ist der Mensch Mittelpunkt des Geschehens, wird er als Person zur Geltung gebracht, im Akkusativ wird er 'erfaßt', wird er Gegenstand einer geistigen Machtausübung." (1957:200) Weisgerber versucht seine Behauptung durch Paare wie einem raten - einen beraten, einem etwas liefern einen mit etwas beliefern, einem telefonieren - einen anrufen zu stärken. Zum letzten Paar bemerkt er: "die Belästigung des Angerufenen wird mir durch den Akkusativ viel leichter gemacht". Seine Beobachtung ist nicht grundsätzlich falsch, da der Akkusativ im allgemeinen einen stärker involvierten Mitspieler bezeichnet als der Dativ, aber die direkte Übertragung auf gesellschaftliche Entwicklungen ist nicht haltbar. Das Akkusativobjekt hat gegenüber dem Dativobjekt oder Präpositionalobjekt eine Reihe syntaktischer Vorteile, die auch Weisgerber sieht. So kann bei jdn. beliefern eine andere Ergänzung weggelassen werden als bei jdm. etwas liefern, das Verb kann als attributives Partizip Perfekt zum Akkusativobjekt stehen und die Person kann mittels des werden-Passivs im Subjekt kodiert werden: (la) (lb)

Er beliefert den Kunden. *Er liefert dem Kunden.

(2a) (2b)

der belieferte Kunde *der gelieferte Kunde (inakzeptabel in der wahrscheinlicheren Interpretation)

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(3a) (3b)

Der Kunde wurde beliefert. *Der Kunde wurde geliefert, (inakzeptabel in der wahrscheinlicheren Interpretation)

Obwohl auch Weisgerber diese syntaktischen Vorteile sieht, hält er an seiner Anschauung vom "inhumanen Akkusativ" fest. Dabei übersieht er auch, daß zahlreiche fce-Verben, die früher gebräuchlich waren, heute ausgestorben sind. Kolb (1960) fuhrt eine lange Liste solcher Verben an, die in der Rechtssprache des ausgehenden Mittelalters und der angehenden Neuzeit gebräuchlich waren, heute jedoch obsolet sind. Zu diesen Verben gehören etwa beadeln, beehelichen, bebotSchäften, bebriefen, begeldern, bemorgengaben, um nur einige zu nen-

nen. Weisgerbers Ansichten sind schon häufig kritisiert worden, da es unhaltbar ist, sprachliche Tendenzen

direkt

auf

gesellschaftliche

Entwicklungen zurückzuführen

und

dabei

sprachimmanente (in diesem Fall syntaktische) Gründe für diese Entwicklungen außer acht zu lassen. Festgehalten werden soll hier aber, daß Weisgerber bei einer im Dativ genannten Person ihre Integrität unangetastet sieht, während bei einer Nennung im Akkusativ stärker auf sie eingewirkt wird, sie mehr zum Objekt einer Handlung wird. Spätere Untersuchungen bestätigen diese Tendenz (z.B. Zubin 1977, s. 1.2.4.4). Eine stark inhaltsbezogene Sichtweise der Kasus findet sich auch bei Glinz. Seine Charakterisierung der Semantik des Akkusativs kann hier deswegen auch dargestellt werden, obwohl er nicht im engeren Sinn zu den inhaltsbezogenen Grammatikern gehört. Glinz (1952:165) bezeichnet die Ergänzung im Nominativ als "Grundgröße", da diese Ergänzung in fast jedem Satz auftritt und den Ausgangspunkt für die Sachverhaltsbeschreibung im Satz bildet. Der Nominativergänzung stehen die Ergänzungen in den obliquen Kasus als "Folgegrößen" gegenüber, die sich durch ihre Semantik voneinander unterscheiden. Den Akkusativ charakterisiert Glinz vor allem in Opposition zum Dativ: "Der Akkusativ gibt seine Größe unmittelbarer, heftiger, verpflichtender, umfassender als Ziel. Das im Dativ gefaßte Ziel erscheint freier, weniger direkt ergriffen, mehr beiläufig berührt. Es wird auch interessiert, aber nicht so direkt getroffen." (ebd.: 163) Die Akkusativergänzung bezeichnet die "Zielgröße", den unmittelbar von der Nominativergänzung aus getroffenen Punkt, während der Dativ als "Zuwendgröße" semantisch weniger eng mit der Nominativergänzung verknüpft ist. Glinz bleibt nicht bei einer Bestimmung der Semantik der Ergänzungen in bestimmten Kasus stehen, sondern geht noch einen Schritt weiter und versucht eine Bestimmung der Semantik der "Fälle an sich" (ebd.:409). Er vertritt die Ansicht, daß dem Akkusativ in den folgenden vier Verwendungsweisen eine gemeinsame Grundbedeutung zukommt. (4a) (4b) (4c) (4d)

Er Er Er Er

berührte den Baum. kletterte auf den Baum. arbeitet den ganzen Tag. ging auf und ab, den Zettel in der Hand.

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Er benennt die gemeinsame Grundbedeutung nicht explizit, sondern deutet sie nur durch seine Benennung der Semantik in den verschiedenen Verwendungsweisen an. Der Objektsakkusativ bezeichne etwas "unmittelbar Beeinflußtes", die "Zielgröße", der Akkusativ in Präpositionalgruppen stehe als "Fall des Zieles oder der Erstreckung", ebenso der adverbiale Akkusativ, der eine räumliche oder zeitliche "Strecke bis zum Ziel" darstelle. Aus diesen Benennungen der Semantik läßt sich schließen, daß Glinz die Zielgerichtetheit als Grundsemantik des Akkusativs in allen seinen Verwendungsweisen betrachtet. Er drückt sich hier letztlich jedoch ziemlich vage aus. Brinkmann versucht die Grundbedeutung des Akkusativs allgemeiner zu fassen, als das in den inhaltsbezogenen Ansätzen von Weisgerber und Glinz getan wird. Er bezieht Vorgangsund Zustandsverben mit einem Akkusativobjekt in die semantische Charakterisierung mit ein, während Glinz' Terminus "Zielgröße" im Grunde nur auf das Akkusativobjekt von Handlungsverben sinnvoll angewendet werden kann. Dem Nominativ als "Kasus der Identität", der zunächst einmal das Subjekt des Satzes benennt, steht der Akkusativ als "Kasus der Alterität" gegenüber, der ein Stück Welt bezeichnet, zu dem der Subjektsreferent in Beziehung tritt (1962:395f., 1959:176). Brinkmann beschäftigt sich insbesondere mit der Frage, wodurch die Subjektfähigkeit von Akkusativobjekten in Passivsätzen bedingt ist. Als transitiv bezeichnet er nur Verben, die ein Passiv bilden können und ein subjektfähiges Akkusativobjekt haben. Die Transitivität wird vermindert oder entfällt ganz, wenn der Akkusativ nicht etwas "außerhalb des Subjektbereichs Liegendes, zu dem das Geschehen in Beziehung tritt" bezeichnet (1959:176). Zu diesen "intransitiven" Akkusativen gehören zum einen adverbiale Akkusative wie auch Akkusative des Inhalts (er schläft den Schlaf der Gerechten). Mit seiner Aussage über die generelle Nicht-Subjektfähigkeit dieser Akkusative verfährt Brinkmann jedoch zu pauschal (s. 1.3.1.3). Ferner seien die Akkusativobjekte der Verben haben, bekommen, erhalten, kriegen, besitzen, behalten, die Brinkmann als Verben der "fcaten-Perspektive" zusammenfaßt, vom Passiv ausgeschlossen. Hier wird etwas dem Menschen (oder einem anderen Subjektsreferenten) Zugehöriges bezeichnet. Es besteht keine echte "Zweiseitigkeit" zwischen Subjekt und Akkusativobjekt. Das Passiv sei ausgeschlossen, weil der "Habende" nicht als tätig Wirkender gesehen wird (1959:178). Damit identifiziert Brinkmann das Vorhandensein einer Handlungsinterpretation als ein Kriterium für Passivierbarkeit. Er weist darauf hin, daß Verben, die sowohl als Handlungsverb wie auch als Zustandsverb verwendet werden können, nur in der ersten Verwendungsweise passivierbar sind, z.B. (5a) (5b)

Die Polizei faßt den Dieb. Der Dieb wurde von der Polizei gefaßt.

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(6a) (6b)

Der Saal faßt hundert Leute. *Hundert Leute wurden von dem Saal gefaßt.

"Kausalität" wird als der Faktor gesehen, der die Subjektfähigkeit des Akkusativobjekts bedingt. Der semantische Prototyp des subjektfähigen Akkusativobjekts sei das effizierte Objekt, aber auch Objekte, deren Form oder Lage verändert wird, sowie die Objekte von Wahrnehmungsverben gehörten zu den subjektfähigen Akkusativobjekten. Brinkmann sieht bei den Wahrnehmungsverben die Wirkung des Subjektsreferenten auf den Objektsreferenten darin, daß die Welt durch die Tätigkeit des Menschen zum Inhalt des Bewußtseins wird. Daß diese Art der "Einwirkung" jedoch zu schwach ist, um Passivierbarkeit zu erlauben und Zusatzbedingungen notwendig sind, wird weiter unten gezeigt werden. Wichtig an Brinkmanns Beobachtungen erscheinen in diesem Zusammenhang vor allem seine Versuche, die semantischen Grundlagen von Passivierbarkeit und Transitivität und deren Zusammenhang aufzuzeigen. In 1.2.3 soll das näher ausgeführt werden. Zusammenfassend kann man feststellen, daß allen diesen Ansätzen zu einer Bestimmung der Semantik des Akkusativs gemeinsam ist, daß sie den Akkusativ zur Bezeichnung des Objekts einer Handlung als die grundlegende Bedeutung sehen. Dabei wird der vom Akkusativobjekt bezeichnete Referent immer als die stärker involvierte Entität begriffen, die typischerweise ein Gegenstand ist, das Dativobjekt bezeichnet dagegen eine mehr beiläufig betroffene Entität, die typischerweise eine Person ist. Brinkmann ist bei seiner Bestimmung der Kasussemantik des Akkusativs noch einen Schritt weiter gegangen als seine Vorgänger, indem er sie so allgemein formuliert, daß nicht nur Akkusativobjekte von Handlungsverben durch seine Charakterisierung beschrieben werden. Er beschäftigt sich zudem mit der Semantik der regierenden Verben und versucht, die semantischen Grundlagen von Transitivität und Passivierung darzustellen. In seinen Beschreibungen wird jedoch die Schwäche all dieser Versuche, eine Semantik des Akkusativobjekts oder des Akkusativs überhaupt zu definieren, am sichtbarsten. Diesen Ansätzen haftet der Mangel an, daß sie nicht alle Vorkommen abdecken können. Je allgemeiner sie gehalten werden, um so größer ist auch die Gefahr, daß die Definition der Semantik zu einer bloßen Leerformel verkommt. Allen bisher dargestellten Ansätzen zur Kasussemantik war gemeinsam, daß sie von einer konkreten sprachlichen Form, in diesem Fall dem Akkusativobjekt oder akkusativisch markierten NPn überhaupt ausgingen und dieser eine möglichst allgemeingültige Semantik zuschreiben wollten. Diesen semasiologischen Ansätzen stehen Ansätze gegenüber, die die umgekehrte Blickrichtung von möglichst universalen und allgemeingültigen Kasusrollen zu ihrer sprachlichen Realisierung hin vornehmen. Alle diese Ansätze haben mit der grundlegenden Schwierigkeit zu kämpfen, wieviele "universale" semantische Rollen festgelegt werden sollen und durch welche Methoden sie zu entdecken sind. Wie wenig gelöst diese Fragen sind, sieht

15 man schon daran, daß es beinahe ebenso viele Vorschläge für Anzahl und Art von semantischen Rollen gibt wie Autoren auf diesem Gebiet oder beinahe noch mehr, weil dieselben Autoren die Zahl und Art ihrer Rollen häufig variieren. Hier sollen stellvertretend für diese Richtung zwei Ansätze dargestellt werden: zunächst der von Fillmore, weil seine Arbeiten auf diesem Gebiet grundlegend sind und man Arbeiten zur Kasussemantik in "vor-fillmoresche" und "nach-fillmoresche" einteilen könnte, da nach Fillmore kaum noch Bezug auf frühere Arbeiten zur Kasussemantik genommen wird, sondern er als alleinige Grundlage herangezogen wird. Danach soll ein Ansatz von Dik besprochen werden, der auf den Ideen Filimores aufbaut.

1.1.4 Kasusgrammatik Da Filimores Gedanken häufig diskutiert und kritisiert worden sind, sollen hier nur kurz seine wichtigsten Grundgedanken zusammengefaßt werden. Bei Fillmore (1977) hat der Kasusrahmen eines Verbs die Funktion, den einzelnen Mitspielern einer "Szene" eine bestimmte syntaktisch-semantische Funktion zuzuweisen. Er geht davon aus, daß jedes Verb eine Situation aus einem bestimmten Blickwinkel zeigt und eine neutrale Darstellungsweise nicht möglich ist. Bestimmte Beteiligte an einer Situation werden durch den Kasusrahmen eines Verbs "in Perspektive" gebracht, sie stehen im Mittelpunkt des Interesses, während andere nur am Rande stehen, "außerhalb der Perspektive" sind. Der Kasusrahmen eines Verbs hat also die Funktion, eine bestimmte Perspektive zu vermitteln. Als zentrale syntaktische Positionen sieht Fillmore das Subjekt und das direkte Objekt an. Er begründet dies aber nicht näher. Soll ein Mitspieler perspektiviert werden, so wird er im Subjekt kodiert, ein zweiter perspektivierter Mitspieler wird im direkten Objekt kodiert. Diese beiden Satzglieder bezeichnen die "in Perspektive gebrachten" Elemente, die im Mittelpunkt des Interesses stehen. Mit der Wahl eines Verbs kann man häufig eine erste Entscheidung treffen, unter welchem Blickwinkel man eine Situation darstellen möchte. So hat man z.B. bei Situationen des Transfers die Wahl, den Gebenden oder den Empfänger in den Mittelpunkt zu rücken (kaufen - verkaufen, geben - nehmen etc). Darüber hinaus lassen viele Verben noch eine Wahl der Perspektive zu, was das folgende Beispiel demonstriert (7a) (7b)

/ smeared mud on a wall. / smeared the wall with mud.

Fillmore nimmt an, daß eine Vorrangshierarchie (säliency hierarchy) entscheidet, welche Mitspieler in Perspektive gebracht werden. Zu den Merkmalen dieser Hierarchie gehören die Merkmale 'menschlich1, 'Zustande- oder Ortsveränderung', 'definit1 und 'holistisch betroffen1. Mitspieler mit diesen Merkmalen werden bevorzugt in Perspektive gebracht. So weckt die

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Perspektive in (7b) die Vorstellung, daß die Wand ganz mit Schlamm bedeckt wird, während sie das in (7a) nicht zu werden braucht. In (7b) kann die Wand deswegen im direkten Objekt genannt werden, weil sie holistisch betroffen ist und daher auf der Vorrangshierarchie höher liegt als in (7a), wo sie das nicht ist. Eine Funktion des direkten Objekts ist also, die holistische Betroffenheit seines Referenten anzuzeigen. Fillmore (1968) hat ein Rollensystem aufgestellt, das seither zahlreiche Modifikationen erfahren hat. Als semantische Rollen für direkte Objekte kommen nach diesem Rollensystem vor allem der Faktitiv (= das Ergebnis der vom Verb bezeichneten Handlung) und der Objektiv in Frage. Der Objektiv ist der semantisch neutralste Kasus, er besagt lediglich, daß der Mitspieler affiziert wird. Fillmore selbst gibt zu, daß dieser Kasus als "Abfalleimer" dient, in den alles kommt, was man in anderen Kasus nicht unterbringen kann. Gruber (1976) und Jackendoff (1972) führen die Bezeichnung "Thema" ein, wobei Gruber ursprünglich einen Unterschied getroffen hat zwischen Entitäten, die bewegt werden und solchen, die in ihrem Zustand verändert bzw. affiziert werden. Den Begriff Thema reservierte er für die ersteren, "Patiens" diente für die letzteren. Diese Unterscheidung wird seither verwischt, indem die Begriffe Patiens und Thema synonym gebraucht werden. Starosta (l978;1981) wählt den Begriff Patiens. Er dient bei ihm als Überbegriff für drei eng verwandte semantische Relationen, die er wie folgt definiert (ebd.:56). Beim Patiens handelt es sich "a) um die Größe, die als von der Handlung des Verbs betroffen eingeschätzt wird, oder b) um die Größe, die sich in einem (abstrakten oder konkreten) Raum bewegt oder bewegt wird, oder c) um die Größe, die als in einem Zustand befindlich oder als seinen Zustand verändernd eingeschätzt wird." Starosta schreibt dem Patiens eine zentrale Funktion zu, das Subjekt einstelliger Verben sei fast immer ein Patiens. Der Begriff soll hier übernommen werden, da er am weitesten verbreitet und am wenigsten mißverständlich ist, ohne allerdings der Auffassung von der universellen Zentralität des Patiens zu folgen. Der sonst häufig verwendete Begriff "Thema" wird hier wegen seiner Mißverständlichkeit nicht verwendet. Patiens dient dabei als Hyperonym für drei verschiedene, aber eng verwandte semantische Rollen: effizierte Entität, affizierte Entität und bewegte Entität.

1.1.5 Hierarchiegesetze

Ein Ansatz von Dik baut auf Filimores Kasusgrammatik auf und entwickelt dessen Ideen weiter. Dik ist in diesem Zusammenhang wichtig, da er eine Hierarchie semantischer Rollen entwirft, auf die in neueren Arbeiten zu grammatischen Relationen Bezug genommen wird.

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Dik (1980) entwickelt seine Ideen im Rahmen der Funktionalen Grammatik. Dieses Grammatikmodell arbeitet mit drei verschiedenen Beschreibungsebenen. Es gibt zum einen die Ebene der semantischen Funktionen, zu denen Agens, Ziel, Rezipient usw. gehören, zweitens die Ebene der syntaktischen Funktionen, wobei allerdings nur Subjekt und ein nicht näher spezifiziertes Objekt berücksichtigt werden und drittens eine Ebene von pragmatischen Funktionen wie Thema und Hintergrund, Topik und Fokus. In diesem Zusammenhang interessiert, wie die Verknüpfung von semantischen mit syntaktischen Funktionen beschrieben wird. Dik (1980) geht von Kasusrahmen ('predicate frames') aus, die in den Lexikoneintragen eines Verbs enthalten sind und folgendermaßen aussehen (hier am Beispiel des englischen Verbs to eat):

(8)

eaty: ( }: animate (*J)) A G (X2: food (*2^GO

Diese Kasusrahmen enthalten die semantische Funktion der Argumente des Verbs sowie Informationen zu deren semantischen Merkmalen. Die semantischen Rollen, die Dik ansetzt, definiert er - zumindest ansatzweise - in bezug auf vier verschiedene Sachverhaltstypen, die er mithilfe der beiden Merkmale [tdynamisch] und [tkontrolliert] beschreibt. Zustände sind [-dynamisch] und [-kontrolliert], Prozesse [4dynamisch] und [-kontrolliert], Positionen [+kontrolliert] und [-dynamisch], Handlungen [^kontrolliert] und [^dynamisch] (1980:33f.). Dik stellt für semantische Funktionen folgende Hierarchie auf, für die er universelle Gültigkeit beansprucht: Agens > Ziel > Rezipient > Benefaktiv > Instrument > Lokativ > Temporal Anhand sprachvergleichender Studien kommt Dik zu dem Schluß, daß jede dieser Funktionen im Subjekt kodiert werden kann und mit Ausnahme des Agens auch jede im Objekt. Bezüglich der Kodierung dieser semantischen Rollen stellt er folgendes Markiertheitsgesetz auf: Je weiter rechts eine semantische Funktion auf der Hierarchie rangiert, um so markierter ist es, wenn sie in einer dieser beiden grammatischen Relationen kodiert wird. Auf Diks Hierarchie semantischer Rollen wird insbesondere von Wunderlich (1985) und Primus (1987) Bezug genommen. Wunderlich (1985) geht davon aus, daß nicht nur semantische Rollen, sondern auch grammatische Relationen und Kasusformen hierarchisch geordnet sind und formuliert die folgende Standardregel für Kasuszuweisung im Deutschen: Die Hierarchie grammatischer Relationen entspricht der Zugänglichkeitshierarchie für syntaktische Prozesse von Keenan und Comrie (1977). Die Kasushierarchie wird von ihm nur erwähnt, Primus (1987) begründet sie ausführlicher.

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Im unmarkierten Fall wird die ranghöchste semantische Rolle in der ranghöchsten grammatischen Relation kodiert und diese im ranghöchsten Kasus. Im unmarkierten Fall ist die Kasusmarkierung also eine Abbildung der drei erwähnten Hierarchien aufeinander Agens > Thema > Rezipient SUBJ > DO

> IO

(Nom) > Akk

> Dat

Auch Primus (1987) geht von einer Hierarchie von semantischen Rollen und Kasusformen aus. Sie verzichtet aber auf grammatische Relationen als Beschreibungseinheiten, die sie gänzlich durch die beiden erwähnten Hierarchien sowie durch eine Hierarchie struktureller Relationen ersetzt. Bezüglich der Unmarkiertheit der Kasuszuweisung formuliert sie das folgende "ikonisch-funktionale" Prinzip: "Eine Kodierungsrelation zwischen einer morpho-syntaktischen Relation R· und einer semantischen Relation R· ist am wenigsten markiert, wenn R: und R; identische Hierarchierelationen fragen." (Primus 1987:232) D.h. eine Verknüpfung von Elementen aus diesen Hierarchien ist um so unmarkierter, je näher der Rang der Elemente auf dieser Hierarchie beieinander liegt. Je weiter die Positionen auf der Hierarchie auseinanderliegen, um so markierter ist ihre Verknüpfung. Für die Markiertheit eines Kasusrahmens gibt es auch formale Hinweise: Abgeleitete Verben sind markiert gegenüber einfachen; Anordnungen, die der Belebtheitshierarchie entsprechen, sind unmarkiert gegenüber solchen, die ihr nicht entsprechen (sog. "Inversionsverben"), was sich häufig in topologischen Besonderheiten äußert. Für die Beschreibung von grammatischen Relationen ergibt sich daraus folgendes. Es fällt auf, daß man bei einer Abbildung der Hierarchien aufeinander jeweils den prototypischen Fall einer grammatischen Relation erhält Agens > Patiens > Rezipient Nom

> Akk

> Dat

Subj

DO

IO

Das Subjekt ist typischerweise agentisch und im Nominativ kodiert, das direkte Objekt trägt die Rolle Patiens und ist im Akkusativ kodiert usw. Bei einer Verschiebung dieser Hierarchien ist es fraglich, ob es sich hier tatsächlich um die jeweilige grammatische Relation handelt. Ein Beispiel für eine solche Verschiebung sind die ergativen Verben. Dies sind Verben

19 ohne Agens, bei denen die rangzweite semantische Rolle aufrückt und im Nominativ kodiert wird. Eine Untersuchung dieser Verben findet sich in 1.2.2. Die Hierarchiegesetze zeigen, daß bestimmte Regeln für die Verknüpfung von semantischen und syntaktischen Funktionen bestehen. Andererseits sind diese semantischen und syntaktischen Funktionen voneinander unabhängig und können in einem gewissen Umfang auch in anderen Verbindungen auftreten.

1.1.6 Das Prototypenkonzept Die Tatsache, daß das Akkusativobjekt nicht eindeutig auf eine bestimmte semantische Relation festgelegt werden kann und daß es nicht immer eindeutig von anderen Funktionen abgegrenzt werden kann, ist allein noch kein Grund, diesen Begriff als wertlos zu verwerfen. Akkusativobjekte weisen verschiedene syntaktische und semantische Eigenschaften auf, von denen jedoch nicht immer alle zusammen auftreten. Die Prototypensemantik hat gezeigt, daß es sich mit vielen alltäglichen Begriffen nicht anders verhält. Jeder hat ein Konzept davon, auf welche Gegenstände ein Begriff wie Stuhl referiert. Mehrere Merkmale müssen vorhanden sein, damit ein Gegenstand als Stuhl bezeichnet werden kann. Einzelne Merkmale können so verändert werden, daß Zweifel auftreten, ob es sich nicht schon um einen Sessel oder um einen Schemel handelt. Ganz parallel verhält es sich mit vielen grammatischen Termini, u.a. auch mit dem Terminus "Akkusativobjekt" oder "direktes Objekt". Es gibt eine große Anzahl von Fällen, wo eine Phrase klar als Akkusativobjekt klassifiziert werden kann und Grenzfälle, bei denen Zweifel auftreten, ob nicht eine andere Klassifizierung eher angebracht wäre. Doch ebenso wie es unsinnig wäre, Begriffe wie Stuhl abzuschaffen, nur weil es Übergangsbereiche gibt, wo eine eindeutige Zuordnung zu dieser Klasse nicht möglich ist, würde es die Verständigung erheblich erschweren, wenn man auf Termini wie "Akkusativobjekt" verzichten müßte. Intuitiv haben die traditionellen Grammatiker in ihren semantischen Beschreibungen des Akkusativobjekts häufig die prototypische Bedeutung beschrieben, nämlich die des Objekts einer Handlung. Da ihnen jedoch das Konzept des Prototyps nicht zur Verfügung stand, haben sie außer acht gelassen, in welcher Beziehung diese "typischen Bedeutungen" zu den "weniger typischen Bedeutungen" stehen. Brinkmann (1962) hat den Versuch unternommen, die Bedeutung des Akkusativobjekts so weit zu fassen, daß alle Akkusativobjekte davon erfaßt werden. Das Ergebnis war jedoch eine vage, nichtssagende Formel. Das Prototypenkonzept geht davon aus, daß die Grenzlinien zwischen verschiedenen Begriffen vage sind, es sieht "fuzzy areas" vor. Auf grammatische Relationen wird das Prototypenkonzept von Bates und MacWhinney (1980), Dahl (1987) und Wierzbicka (1988) angewendet. Wierzbickas Definition des semantischen Prototyps des direkten Objekts faßt das zusammen, was eine Reihe von zitierten Grammatikern postuliert haben: "The semantic prototype of

20

'direct object* combines the idea of 'undergoer of an action' with the idea of, so to speak, 'dependent topicality*." (1988:17) Dabei nimmt sie an, daß diese prototypische Bedeutung für eine ganze Reihe von Sprachen gilt. "... the prototype of direct object formulated earlier is linked in different languages with different sets of extensions [...] and it is as important to establish what these are as to describe the prototype itself." (1988:18) Gemäß dem Prototypenkonzept sind verschiedene einzelsprachliche Erweiterungen der prototypischen Bedeutung möglich. Wierzbicka geht davon aus, daß die prototypische Bedeutung von einer grammatischen Relation einer ganzen Reihe von Sprachen gemeinsam ist. Die einzelsprachliche Variation findet dagegen stets in einiger Entfernung vom Prototyp statt. Die einzelnen Sprachen unterscheiden sich also dadurch, welche Erweiterungen der prototypischen Bedeutung sie vornehmen (cf. Dahl 1987:154). Wierzbicka nimmt an, daß eine Sprache zwischen den prototypischen Fällen und den Bedeutungen unterscheidet, die einzelsprachliche Erweiterungen des Prototyps sind. Ihrer Meinung nach läßt sich mithilfe einer Reihe von Tests eine Kerngruppe ausfindig machen, für die sich eine semantische Invariante finden läßt. "For example, while a 'direct object* defined solely on the basis of the construction 'X V-ed Y* can hardly be assigned a semantic invariant, a 'direct object* defined with reference to a whole battery of syntactic tests probably can." (Wierzbicka 1988:19) Unter den Tests, die sie - für das Englische - vorschlägt, sind Passivierbarkeit, Umformbarkeit des direkten Objekts in eine PP und die Existenz rezessiver Verbvarianten wie etwa John broke the window - the window broke. Hier soll festgehalten werden, daß das Akkusativobjekt generell als die nach dem Subjekt zentralste grammatische Relation gesehen wird und in hierarchischen Anordnungen auf dem zweiten Platz steht. Die prototypische Bedeutung der Akkusativobjekte wird durchwegs in der starken Betroffenheit durch die im Verb bezeichnete Handlung gesehen. Andere Verwendungsweisen des Akkusativobjekts werden meist gar nicht oder nur am Rande erwähnt.

21

1.2

Transitivität

1.2.1 Transitivität als parametrisierter Begriff

Verschiedene Grammatiken erwähnen, daß Verben mit einer Akkusativergänzung transitiv sind, gelegentlich mit der Einschränkung, daß nur Verben mit einer bei Passivierung subjektfähigen Akkusativergänzung als transitiv zu betrachten sind. (Duden 1984, Helbig/Buscha 1986). Von anderen werden alle Verben, die einen zweiten Mitspieler fordern, als transitiv betrachtet. Einen Überblick über die verschiedenen Definitionen von transitiven Verben gibt Vater (1978). In diesem Kapitel soll gezeigt werden, daß Transitivität eine entscheidende Rolle für verschiedene Bereiche der deutschen Syntax spielt. Dabei wird der Transitivitätsbegriff von Hopper und Thompson (1980) zugrundegelegt. Hopper und Thompson unternehmen den Versuch, Transitivität semantisch zu definieren und in verschiedene Komponenten zu zerlegen. Dadurch wird Transitivität zu einem graduierbaren Begriff. Ihre semantischen Parameter für Transitivität stehen in engem Zusammenhang mit der Kodierung eines Mitspielers im Akkusativ, mit der Passivierbarkeit von Sätzen und mit der Ergativität von Verben im Deutschen. Hopper und Thompson setzen folgende Merkmale für hohe und niedrige Transitivität von Sätzen an:

hohe Transitivität

niedrige Transitivität

2 oder mehr Mitspieler

l Mitspieler

Handlung

keine Handlung

Zielgerichtetheit

keine Zielgerichtetheit

punktuell

nicht punktuell

absichtlich

nicht absichtlich

affirmativer Satz

negierter Satz

Agens sehr handlungsfähig

Agens wenig handlungsfähig

Realis

Irrealis

Objekt total betroffen

Objekt nicht betroffen

Objekt stark individuiert

Objekt nicht individuiert

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Ein Satz ist um so transitiver, je mehr Merkmale hoher Transitivität er aufweist. Dabei ist die Zahl der Mitspieler nur ein Kriterium, das den anderen keinesfalls übergeordnet ist. Es ist also durchaus möglich, daß ein Satz mit nur einem Mitspieler transitiver ist als ein Satz mit zwei Mitspielern. So weist z.B. Susanne ißt mehr Merkmale hoher Transitivität auf (Handlung, absichtlich) als Hans mag kleine Kinder (2 Mitspieler). Auch das Vorliegen eines Handlungsverbs allein ist noch kein Hinweis auf hohe Transitivität. Tritt z.B. ein Handlungsverb mit einem Subjekt auf, dessen Referent nicht handlungsfähig ist, so verliert der Satz stark an Transitivität. (9a) (9b)

Otto erschreckt Anna. Das Bild erschreckte Anna.

In (9a) tritt ein Handlungsverb zusammen mit einem handlungsfähigen Subjektsreferenten auf, in (9b) kann der Subjektsreferent dagegen kein Handelnder sein. Das Handlungsverb bezeichnet in diesem Fall keine Handlung, sondern beschreibt im Grunde einen inneren Zustand von Anna, für den das Bild lediglich ein Auslöser ist. Es ist offensichtlich, daß einige der genannten Merkmale für hohe Transitivität eng miteinander verknüpft sind und oft miteinander korrelieren. Dadurch, daß die einzelnen Komponenten der Transitivität bestimmt werden, wird es möglich, eine Unterscheidung zu treffen zwischen Aktionsarten, die sich allein an der Verbsemantik bestimmen lassen und Aspekt, der im Zusammenspiel der Verbsemantik mit anderen Satzgliedern entsteht, also ein kompositionelles Phänomen ist. Hopper und Thompsons parametrisierte Definition von Transitivität läßt es auch zu, bei einstelligen Verben zwischen mehr und weniger transitiven Verben zu unterscheiden. Anders als bei zwei- oder dreistelligen Verben entfällt hier die Notwendigkeit, die einzelnen Argumente und ihre semantischen Relationen durch Kasusmarkierung zu kennzeichnen. Da nur ein Argument vorhanden ist und die semantische Rolle vom Verb festgelegt wird, ist die Kasusmarkierung zur Unterscheidung von Agens und Patiens überflüssig. Für diese Ansicht spricht auch die Tatsache, daß es nur sehr wenige Sprachen gibt, die bei einstelligen Verben zwischen Agens und Patiens unterscheiden. Dabei ergibt sich stets ein gewisser Übergangsbereich, wo die Entscheidung gar nicht so einfach ist. Wenn eine Sprache die Unterscheidung zwischen agentischen und patiensartigen Argumenten bei einstelligen Verben trifft, so wird das meist vom semantischen Gehalt des Verbs bestimmt. In nur sehr wenigen Sprachen hat die Art des Arguments einen Einfluß auf die Kodierung. So gibt es z.B. in der australischen Sprache Bats Verben, bei denen die Kodierung eines Agens oder eines Patiens davon abhängig ist, ob das Argument ein Personalpronomen der 1. oder 2. Person ist und somit eine sehr hohe Position auf einer Agentivitäts- und Belebtheitsskala einnimmt; bei den übrigen Argumenten ist entscheidend, ob eine absichtliche Handlung vorliegt (s. Dixon 1979:80).

23

Die meisten Sprachen vermeiden Schwierigkeiten in diesem Bereich, indem sie das einzige Argument einstelliger Verben unabhängig von der thematischen Rolle einheitlich kodieren. Auch im Deutschen ist das Argument einstelliger Verben bis auf wenige Ausnahmen (z.B. Mich friert.) einheitlich im Nominativ kodiert.

1.2.2 "Intransitive" und ergative Verben Perlmutter (1978) entwickelt im Rahmen der von ihm konzipierten Relationsgrammatik die Idee, daß das Subjekt (gekennzeichnet mit 1) zahlreicher intransitiver Verben ein zugrundeliegendes direktes Objekt (gekennzeichnet mit 2) ist. Perlmutter nennt diese Verben "unakkusative Verben". Einstellige Verben, deren Subjekt lediglich auf einer Schicht, und zwar als l, zu repräsentieren ist, nennt er "unergativ". Die Grundidee der Relationsgrammatik ist, syntaktische Prozesse wie z.B. Passivierung mithilfe von grammatischen Relationen, die hierarchisch geordnet sind und mit l, 2, 3 (3 für indirektes Objekt) gekennzeichnet werden, universell zu charakterisieren. Diese grammatischen Relationen werden als semanto-syntaktische Primitive eingeführt, die nicht weiter analysierbar sind. Das Passiv wird beschrieben als Anhebung einer 2 zu einer l, wobei die ursprüngliche l zum "Chomeur" (= frz. für jdn., der von der Arbeit ausruht) degradiert wird. Für die Bildung von unpersönlichen Passivkonstruktionen wird angenommen, daß ein semantisch leeres Element - im Deutschen es - zum Subjekt angehoben wird. Das sogenannte "1Advancement-Exclusiveness-Law", das universelle Gültigkeit dafür beansprucht, daß pro Satz nur einmal eine Relation zu einer l angehoben werden kann, schließt für die unakkusativen Verben die Bildung eines unpersönlichen Passivs aus.

Er kommt an, *Es wird angekommen. Perlmutter (1978) nimmt an, daß es sprachspezifisch ist, welche Verben unakkusativisch sind. Er versucht jedoch eine semantische Charakterisierung des Kernbereichs, die erkennen läßt, daß es sich im wesentlichen um Verben mit einem Patienssubjekt handelt. Im Rahmen der generativen Syntax taucht diese Idee wieder bei Burzio (1981) auf, der diese Verben als ergative Verben bezeichnet. Diese Verben weisen ihrem Objekt keinen Kasus zu und verfügen über eine leere Subjektstelle, in die das nicht-kasusmarkierte Objekt, das andernfalls durch den Kasusfilter ausgefiltert werden würde, hineinbewegt wird und dort seine Kasusmarkierung erhält.

24

Der Terminus "ergatives Verb" ist etwas irreführend, da der Ergativ in Ergativsprachen üblicherweise ein Agens bezeichnet, während bei diesen Verben gerade kein Agens vorhanden ist. Als ergativ können diese Verben in dem Sinn gelten, daß das Patiens hier in der zentralen grammatischen Relation, dem Subjekt, kodiert wird, was für Ergativsprachen typisch ist (s. Sasse 1978). Die ergativen Verben weisen eine Reihe syntaktischer Eigenschaften auf, zu denen gehören: 1)

die fehlende Passivierbarkeit (*Es wurde angekommen vs. Es wurde gearbeitet)

2)

Perfektbildung mit sein (Er ist gekommen vs. Er hat gearbeitet)

3)

als adnominales Partizip II mit Subjektbezug möglich (die angekommenen Gäste vs. *der gearbeitete Mann)

4)

Topikalisierung zusammen mit dem infiniten Verbteil möglich (Gäste angekommen sind schon viele vs. *Männer gearbeitet haben noch keine)

Es gibt jedoch Verben, die sich nicht in allen Punkten wie ergative Verben verhalten. So gibt es eine Reihe von Verben, die zwar kein Passiv bilden können, aber als Hilfsverb haben selegieren. Zu diesen Verben gehören dauern, stinken, glänzen, gefallen. Eine andere Gruppe von Verben bildet zwar ihr Perfekt mit sein, kann aber nur schlecht als adnominales Partizip mit Subjektbezug stehen. Zu diesen Verben gehören sein, bleiben, werden und die Bewegungsverben. Die ergativen Verben bilden also keine homogene Gruppe. Es ist daher fraglich, inwieweit es sinnvoll ist, alle Eigenschaften der ergativen Verben darauf zurückzuführen, daß die ergativen Subjekte tiefenstrukturelle Objekte sind. Vielmehr läßt sich zeigen, daß unterschiedliche Faktoren für die fehlende Passivierbarkeit und die Perfektbildung mit sein verantwortlich sind, auch wenn diese beiden Eigenschaft in weiten Bereichen miteinander korrelieren. In der einschlägigen neueren Literatur wird häufig die Ansicht vertreten, daß es nicht zufällig ist, welche Verben sich wie ergative Verben verhalten, da es sich in einer Reihe von Sprachen jeweils um semantisch ähnliche Verbgruppen handelt (Perlmutter 1978, Levin 1983, Grimshaw 1987). Pauschal formuliert sind ergative Verben Verben mit einem Patienssubjekt. Die Patienszüge, die ergative Subjekte tragen, sind zum einen die fehlende Kontrolle über das Geschehen sowie die Zustands- oder Lageveränderung, die sie durchmachen. Dies wird im folgenden gezeigt. Ähnlich wie Transitivität läßt sich Ergativität also auf verschiedene semantische Parameter zurückführen, die für bestimmte Eigenschaften der ergativen Verben verantwortlich sind.

l

Cf. Haider (1985a), Wunderlich (1985). Weitere Eigenschaften ergativer Verben werden in Grewendorf (1986) diskutiert.

25

Ergative Verben weisen gegenüber "intransitiven" Verben mehr Merkmale niedriger Transitivität auf.

1.2.2.1 Passivierbarkeit Wunderlich (1985:198) formuliert eine allgemeine Regel für Passivierung im Deutschen, die wie folgt lautet: "Stufe das Agens auf der Hierarchie der thematischen Rollen zurück." Nach dieser Regel ist zu erwarten, daß nur Verben mit einem Agenssubjekt passiviert werden können. Daß es dabei Übergangsbereiche gibt, wo es schwer zu unterscheiden ist, ob ein Agens oder ein Patiens vorliegt, können die folgenden Beispiele demonstrieren: (10)

Es wurde viel gelacht/getanzt/gearbeitet/?gelaufen/??geschwit:t/??ge froren/ * geglänzt/*interessiert/*angekommen/*entstanden/* zugrundegegangen.

Bei den Verben, die eindeutig agentische Subjekte haben, ist Passivierung sehr gut möglich. Bei Verben, die Körpervorgänge bezeichnen, die nicht dem Willen unterworfen sind, sondern nur noch indirekt zu kontrollieren sind (z.B. bei schwitzen und frieren durch eine Veränderung der Temperatur

oder der Bekleidung), ist Passivierbarkeit

kaum noch gegeben.

Ungrammatisch sind die Sätze mit eindeutig nicht-agentischem Subjekt. Daß die Passivierbarkeit tatsächlich von der Agentivität des Subjekts abhängig ist, läßt sich am deutlichsten mit Verben demonstrieren, die sowohl agentische wie auch nicht-agentische Subjekte zulassen. (lla) (lib)

Es wurde geraucht, (von Menschen) *Es wurde geraucht, (von Fabrikschloten)

Natürlich ist es nicht ausgeschlossen, daß ein Verb ohne Agens-Subjekt zu einer Art Handlungsverb uminterpretiert wird. Dies ist insbesondere bei einer iterativen Verwendung der Fall. Häufig wiederholte Vorgänge können als eine Art Aktivität interpretiert werden, wie die folgenden Sätze belegen: (12) (13)

Wo gewartet wird, muß auch angekommen werden. (Brecht) Im Krieg wurde klaglos gestorben.

1.2.2.2 Agensderivationen Wortbildungsdaten sind etwas weniger verläßlich, weil hier andere Faktoren mitbestimmen, welche Wörter als Lexeme einer Sprache existieren. So kann z.B. die Nicht-Existenz von

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*Überleger vs. Denker nur dadurch erklärt werden, daß das schon existierende Lexem ein anderes mögliches, aber weitgehend synonymes Lexem blockiert. Ein Unterschied in der Agentivität scheidet als Grund wohl aus. Im großen und ganzen ist es aber so, daß sich Nomina agentis zu fast allen Verben, die Handlungen bezeichnen, bilden lassen und daß die Akzeptabilität solcher Bildungen abnimmt, wenn keine Agentivität vorliegt. (14)

Tänzer/Arbeiter/Läufer/Verkaufer/Trinker/Fresser/Maler/ * Schwitzer/* Frierer/*Glänzer/% Ankommer/* Entsteher

Agensderivationen sind möglich, wenn das Verb kontrollierbare, absichtlich ausgeführte Handlungen bezeichnet, die oft auch habituell sein können.

1.2.2.3 Perfekthilfsverb sein Die Duden-Grammatik formuliert als Regel für die Auxiliarselektion im Perfekt, daß transitive Verben (bis auf ganz wenige Ausnahmen) haben selegieren. Intransitive Verben selegieren haben nur dann, wenn sie imperfektiv sind. Perfektive Verben, die eine Zustands- oder Ortsveränderung bezeichnen, selegieren sein (Duden 1984:17Iff.). Bekanntlich ist das Perfektauxiliar bei einigen Verben der lokalen Befindlichkeit variabel (ist/hat gesessen, gelegen, gestanden), wobei im Süden sein bevorzugt wird und im Norden haben als korrekt gilt. Variabel ist das Perfektauxiliar auch bei den Bewegungsverben, die hier ein besonderes Problem darstellen. In ihrer intransitiven Verwendungsweise werden sie (im Süden) mit sein verwendet: (15)

Sie ist

gegangen/gelaufen/gerannt/gefahren/geflogen/geschwommen/gekrabbelt.

Werden sie transitiv verwendet, so selegieren diese Verben haben. (16)

Otto hat Anna nach Hause gefahren/sie in die Schule geradelt/ das Auto in die Garage gefahren/den Zug in den Bahnhof gefahren.

Am Beispiel von tanzen wird deutlich, daß nicht allein der Kasusrahmen die Auxiliarselektion steuert, sondern daß eine direktionale Komponente für die sew-Selektion verantwortlich

ist: (17)

Sie haben getanzt /sind durch die Straßen getanzt.

Das läßt darauf schließen, daß bei den Bewegungsverben die ^/«-Selektion von der stärkeren Betonung des Aspekts der Ortsveränderung gegenüber dem Handlungsaspekt dieser Ver-

27

ben abhängig ist. Im Norddeutschen wird dieser Unterschied noch konsequenter durchgehalten: Er ist nach Starnberg geschwommen vs. er hat den ganzen Nachmittag geschwom-

men. Steht der Aspekt der Ortsveränderung im Vordergrund, so trägt das Subjekt eher Züge eines Fattens, es handelt sich um ein ergatives Verb. Wird dagegen der Handlungsaspekt hervorgehoben, so ist das Subjekt agentisch, das Verb ist transitiver und kann nicht mehr als ergatives Verb gelten. Grewendorf (1986) fuhrt hier als strukturelle Erklärung an, daß die Subjektsposition von Bewegungsverben, wenn sie mit einem Direktionaladverbiale auftreten, eine "Theta-Bar-Position" ist, d.h. sie erhält vom Verb keine Thetarolle. Das Patiens erhält in der Objektsposition seine Thetarolle und wird dann in die leere Subjektsposition bewegt. Bei den Bewegungsverben ohne Direktionalangabe dagegen ist die Subjektsposition eine Argumentstelle, das Subjekt erhält dort seine thematische Rolle. Se/n-Selektion ist davon abhängig, daß die Subjektsposition eine Theta-Bar-Position ist. Damit ist aber nicht erklärt, wieso viele Bewegungsverben im Deutschen auch ohne Direktionalangabe mit sein auftreten können. Hier greift Grewendorf auf eine diachrone Erklärung zurück, nämlich daß in der historischen Entwicklung die Einheitlichkeit des Paradigmas den Vorrang gegenüber solchen Unterscheidungen hatte. In anderen germanischen Sprachen, so z.B. im Holländischen zeigt sich der Unterschied direktional vs. nicht-direktional konsequenter in der Auxiliarselektion: (18a)

Hij heeft/*is gelopen. (Er hat/ist gelaufen.)

(18b)

Hij is/?heeft naar huis gelopen. (Beispiele bei Zaenen 1986) (Er ist/hat nach Hause gelaufen.)

Zaenen (1986) geht davon aus, daß im Holländischen z/jn-Selektion von einer perfektiven Komponente des Verbs oder des ganzen Satzes abhängt. Im Deutschen ist das bei den Bewegungsverben nicht konsequent eingehalten. Eine Direktionalangabe zu den Bewegungsverben und damit eine perfektive Komponente ist (vor allem in den süddeutschen Varianten) nicht nötig, um se/n-Selektion zu bedingen. Andererseits aber schließt /iflften-Selektion eine Direktionalangabe aus, die eine Lageveränderung des Subjektsreferenten bezeichnet. Eine Direktionalangabe ist generell nur dann möglich, wenn es eine Entität gibt, deren Lage verändert wird. Diese Thetarolle wird stets an die Objekts-NP vergeben. Bei den ergativen Verben wird diese NP in die Subjektsposition bewegt, was /lufcn-Selektion ausschließt. M.a.W. ist das Auftreten einer entsprechenden Direktionalangabe ein hinreichendes, aber kein notwendiges Kriterium für si/n-Selektion. Auch bei Fehlen der Direktionalangabe kann das

28 Subjekt von Bewegungsverben als Entität, die ihre Lage verändert, gesehen werden. Die regionalen Varianten zeigen, daß hier ein gewisser Interpretationsspielraum besteht. Daß sein bei Verben auftritt, die eine Zustande- oder Lageveränderung des Subjektsreferenten bezeichnen, läßt sich auch bei mehrstelligen Verben zeigen. Oben wurde erwähnt, daß es einige Ausnahmen zu der Regel gibt, daß transitive Verben (Subjekt - Akkusativobjekt) mit haben auftreten (z.B; Er ist die Arbeit durchgegangen. Sie ist eine Verpflichtung eingegangen.). Eine Erklärung dafür ist, daß sich der direktionale Aspekt dieser Verben auch in ihrer metaphorischen Verwendung so stark erhalten hat, daß hier das Subjekt weniger als Agens denn als Patiens gesehen wird, das - in einem übertragenen Sinn - seine Lage verändert. Es gibt eine Reihe von beinahe-synonymen Satzpaaren, bei denen sich die Auxiliarselektion ähnlich erklären läßt. (19a) (19b)

Er ist auf den Fehler gestoßen. Er hat den Fehler entdeckt.

(20a) (20b)

Er ist auf den Gipfel gestiegen. Er hat den Gipfel erklommen.

(21 a) (21 b)

Sie ist ihm zu Hilfe gekommen. Sie hat ihm geholfen.

(22a) (22b)

Sie ist ihm begegnet. Sie hat ihn getroffen.

In den (a)-Sätzen ist das Subjekt weniger agentisch als in den (b)-Sätzen, es wird eher als die Entität gesehen, die ihre Lage (in einem tatsächlichen oder übertragenen Sinn) verändert. Die (b)-Sätze können bewußte Anstrengung, langandauerndes Bemühen und zielgerichtetes Handeln implizieren, während das bei den (a)-Sätzen kaum möglich ist. (23a) (23b)

INach tagelangem Suchen/zufällig ist er auf den Fehler gestoßen. Nach tagelangem Suchen/?zufällig hat er den Fehler gefunden.

(24a) (24b)

Auf vielen Umwegen ist er auf den Gipfel gestiegen. lAuf vielen Umwegen hat er den Gipfel erklommen.

Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Perfektauxiliarselektion der Positionsverben sitzen, liegen, stehen, die die Lage ihrer Subjektsreferenten charakterisieren. In den süddeutschen Varianten werden sie behandelt wie Verben, die eine Lageveränderung bezeichnen, in den nördlicheren Varianten dagegen nicht. Interessant in diesem Zusammenhang sind auch die Verben sein, bleiben, werden. Werden charakterisiert eine Zustandsänderung und selegiert daher sein. Bleiben bezeichnet das Nicht-Eintreten einer Zustands- oder Lageänderung, es gehört in diesem negativen Sinn auch zu der Verbgruppe, die Zustands- und Lageveränderungen bezeichnet. Sein charakterisiert einen Zustand oder eine Lage. Abraham (1989:300) greift hier auf eine diachrone Erklärung zurück, nämlich daß sein ursprünglich eine mutative Semantik hatte, also eine Zustandsveränderung bezeichnete.

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(25a) (25b)

?Durch ihre ständigen Bemühungen ist sie ihm sehr zu Hilfe gekommen. Durch ihre ständigen Bemühungen hat sie ihm sehr geholfen.

(26a) (26b)

?Heute abend will sie ihm begegnen. Heute abend will sie ihn treffen.

Wegener (198Sa, 19SSb) weist darauf hin, daß es zu einem Verb mit einem Subjekt und einem Akkusativobjekt häufig Konstruktionen gibt, in denen der "Handelnde" im Dativ kodiert wird. (27a) (27b)

Ich habe den Krug zerbrochen. Mir ist der Krug zerbrochen.

(28a) (28b)

Ich habe die Hose zerrissen. Mir ist die Hose zerrissen.

(29a) (29b)

Ich habe den Braten anbrennen lassen. Mir ist der Braten angebrannt.

Die Dativkonstruktionen sind nur dann möglich, wenn der Sachverhalt ohne ein absichtliches Zutun eintreten kann: (30a) (30b)

Ich habe die Küche geputzt. *Mir ist die Küche geputzt.

(31 a) (31b)

Ich habe das Fahrrad gerichtet. *Mir ist das Fahrrad gerichtet.

(32a) (32b)

Ich habe die Blumen gegossen. *Mir sind die Blumen gegossen.

Der Dativ kodiert hier also nicht ein Agens, sondern den Träger eines Zustands, der bestenfalls der unwillkürliche Verursacher ist. Auch hier steht die se/'«-Selektion wieder mit der Nicht-Handlungsinterpretation des Satzes in Verbindung. Ähnliches läßt sich für parallele Konstruktionen mit verschiedenen Verben zeigen: (33a) (33b)

Durch glückliche Umstände ist es ihr gelungen. ?Durch glückliche Umstände hat sie es geschafft.

(34a) (34b)

*Ihm ist absichtlich ein Fehler unterlaufen. Er hat absichtlich einen Fehler gemacht.

In den (a)-Sätzen ist weniger eigene Anstrengung bzw. eigene Verantwortlichkeit und Intentionalität ausgedrückt als in den (b)-Sätzen.

30

Als Ergebnis dieses Abschnitts kann man festhalten, daß in Sätzen mit sein stärker der Aspekt der Zustands- oder Lageveränderung im Vordergrund steht, das Subjekt also deutlich Patienscharakter hat. In Sätzen mit haben wird der Handlungsaspekt stärker betont.

1.2.2.4 Attributives Partizip II

Transitive Verben haben als attributive Partizipien II stets Objektbezug: (35a) (35b) (35c)

das gesungene Lied das leergetrunkene Glas der verlassene Freund (= Freund, den jemand verlassen hat, nicht der jemanden verlassen hat)

Folglich ist zu erwarten, daß ergative Verben als Partizip Perfekt ihre Subjekte attribuieren können, und hier zeigt sich ein deutlicher Unterschied zu den intransitiven Verben: (36a) (36b)

der gestorbene Vogel der angekommene Gast

(37a) (37b)

*der gearbeitete Mann *der gesungene Junge

Ein besonderes Problem stellen wiederum die Bewegungsverben dar, die als Attribute kaum akzeptabel sind: *der gekommene Besuch, *die gegangene Freundin. Die Akzeptabilität erhöht sich deutlich, wenn ein Direktionaladverbiale oder eine entsprechende Partikel hinzugefügt wird: der zu uns gekommene Besuch, die weggegangene Freundin. Zaenen (1986) und van Valin (1987) geben als Erklärung an, daß nur Verben, die Handlungen oder Vorgänge bezeichnen, also perfektive Verben, attributiv auftreten können. Grewendorf (1986) führt als Erklärung an, daß bei den Bewegungsverben mit Direktionalangabe das Subjekt eine Theta-Bar-Position ist, es sich also um ein ergatives Verb handelt. Allerdings wird der Erklärungswert in diesen beiden Ansätzen dadurch abgeschwächt, daß attributive Bewegungsverben auch dann voll akzeptabel sind, wenn ein Modifikator eines anderen Typs hinzugefügt wird: (38a) (38b)

der überraschend gekommene Besuch die wütend gegangene Freundin

Man kann daraus schließen, daß die Bewegungsverben ohne Modifikator, gleich welcher Sorte, vielleicht einfach nicht informativ genug sind, um attributiv auftreten zu können. Sie verhalten sich auch in diesem Punkt nicht klar wie ergative Verben. Sie sind aber deutlich unterschieden von den intransitiven Verben, die bei Subjektbezug attributiv auch mit einem Modifikator inakzeptabel sind.

31 (39) (40)

*der lange gearbeitete Mann *der schrill gesungene Junge

1.2.2.5 Topikalisierbarkeit von Subjekt und Partizip II Es ist bekannt, daß sich Objekte zusammen mit ihrem Verb topikalisieren lassen, während dies für Subjekte kaum möglich ist, vgl. den Unterschied in (41 a) (41b)

Den Mann gesehen hat sie nicht, *Die Suppe gekocht hat schon seit Stunden.

Die Subjekte von ergativen Verben verhalten sich in dieser Hinsicht eher wie die Objekte transitiver Verben. (42a) (42b)

Ein Schaden entstanden ist ihr nicht. Linguisten angekommen sind gestern schon viele.

(43a) (43b) (43c)

*Männer getanzt haben noch keine. *Kinder gespielt haben hier noch nie. "WPaare getanzt haben hier schon ganz tolle.

Die Akzeptabilität der Topikalisierung der Subjekte mit ergativen Verben nimmt aber deutlich ab, wenn das Subjekt definit ist: (42c) (42d)

ItDer Schaden entstanden ist ihr schon gestern. IIDiese Linguisten angekommen sind hier schon vorige Woche.

Ein definites Patiens ist stärker individuiert als ein indefinites. Bezüglich des Parameters der "Individuiertheit des Objekts" sind die Sätze mit einem definiten Patiens also transitiver als Sätze mit einem indefiniten Patiens. Die gemeinsame Topikalisierbarkeit von Subjekt und Partizip II steht also in Zusammenhang mit der niedrigeren Transitivität dieser Sätze. Für die ergativen Verben ergibt sich hier kein einheitliches Bild, So ist z.B. für die Bewegungsverben diese Art der Topikalisierung kaum möglich: (44a) (44b)

*Der Junge nach Hause gehen wollte schon lange. *Ich mit dir gehen wollte schon immer.

Das ist möglicherweise darauf zurückzuführen, daß die Subjektsreferenten von Bewegungsverben sowohl Agens- wie auch Patienszüge tragen. Am besten lassen sich indefinite NPn mit Patienscharakter zusammen mit dem Verb topikalisieren. Das spricht dafür, daß solche NPn eng an das Verb geknüpft sind. Dagegen bewirken Definitheit und Agenscharakter, daß eine NP als dem Verb diametral entgegengesetzt angesehen wird und daher nicht mit dem Verb zusammen topikalisiert werden kann.

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1.2.2.6 Innere Objekte und Resultative Man kann zwei weitere Unterschiede bei diesen beiden Verbgruppen als Folge dieses Unterschieds vermuten. Es liegt nahe, daß intransitive Verben "innere Objekte" (s. 1.3.1.3) haben können, während dies bei den ergativen Verben nicht möglich ist. Viele Verben, die ihr Perfekt mit haben bilden, können tatsächlich mit einem inneren Objekt auftreten, doch nicht alle: (45a) (45b) (45c) (45d)

Sie tanzten einen Tango. Sie sang ein altes Volkslied. Sie spielt ein undurchsichtiges Spiel. llDer See glänzte einen schimmernden Glanz.

Bei den meisten ergativen Verben ist dies nicht möglich, doch gibt es hier Ausnahmen: (46a) (46b) (46c) (46d)

Er starb einen Heldentod. 1Er fiel einen tiefen Fall. Sie lief eine hinreißende Kür. Sie geht einen flotten Gang.

In diesem Punkt unterscheiden sich die beiden Verbgruppen also nicht klar. Ein weiterer, etwas klarerer Unterschied ist die Bildung von Resultativkonstruktionen, die bei einer Reihe von intransitiven Verben möglich ist (s. dazu auch 3.3). (47a) (47b) (47c)

Sie spielten sich müde. Er hat sich krank geraucht. Sie hat sich gesund geschlafen.

Bei den ergativen Verben, mit Ausnahme der Bewegungsverben, ist die Bildung von Resultativkonstruktionen nicht möglich: (48a) (48b) (48c) (48d) (48e)

*Er hat sich müde angekommen. *Sie hat sich mausetot gestorben. *Sie hat sich kaputt zugrundegegangen. Sie hat sich müde gelaufen. Er hat sich die Füße wund gegangen.

Der Grund dafür ist in der Verbsemantik zu suchen. Da die Semantik der ergativen Verben normalerweise schon ein Resultat beinhaltet, können zu diesen Verben keine Resultativkonstruktionen gebildet werden. Bei den Bewegungsverben ist das möglich, da sie als Handlungsverben interpretiert werden können. In diesem Abschnitt ist gezeigt worden, daß die Eigenschaften der ergativen Verben auf zwei Faktoren zurückzuführen sind. Einmal bezeichnen die ergativen Verben Vorgänge, über die

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der Subjektsreferent keine Kontrolle hat, die nicht seinem bewußten Wollen unterliegen. Damit korrelieren die fehlende Passivierbarkeit und die Unmöglichkeit, Agensderivationen zu bilden. Zum anderen bezeichnen ergative Verben Zustande- oder Lageveränderungen ihrer Subjektsreferenten. Ergative Subjekte tragen also deutliche Patienszüge. Sie können daher als attributive Partizipien mit Subjektbezug auftreten und mit bestimmten Einschränkungen zusammen mit dem Verb ins Vorfeld gestellt werden. Auch die sem-Selektion steht damit in Zusammenhang. Da es sich um zwei voneinander unabhängige Faktoren handelt, bilden die ergativen Verben keine homogene Gruppe. So weisen Verben, die keine kontrollierbaren Handlungen, aber auch keine Zustands- oder Lageveränderungen ihrer Subjektsreferenten bezeichnen, sowohl Eigenschaften ergativer Verben auf (fehlende Passivierbarkeit und Agensderivationen) wie auch Eigenschaften intransitiver Verben (Haben-Selektion, keine attributiven Partizipien II mit Subjektbezug). Die besonderen Probleme, die die Bewegungsverben bereiten, ergeben sich daraus, daß diese Verben sowohl kontrollierbare Handlungen wie auch eine Lageveränderung bezeichnen und ihre Subjekte daher als Agens oder als Patiens fungieren können.

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1.2.3 Transitivität und Passivierbarkeit Givon (1982) beschreibt Passivierung als einen Zusammenfall von drei verschiedenen Vorgängen. Zum einen dient Passivierung dazu, dem Subjekt bzw. dem Agens des Aktivsatzes seine Topikposition zu nehmen und macht diese Position für ein anderes Satzglied frei. Zum zweiten findet eine "Entpersönlichung" statt, die Identität des Subjekts bzw. des Agens des Aktivsatzes wird unterdrückt. Zum dritten ist Passivierung eine "Detransitivierung", der Passivsatz ist im Vergleich mit dem Aktivsatz weniger transitiv, weniger aktiv, statischer. Diese drei Funktionen des Passivs sind eng miteinander verknüpft und bedingen einander. Wenn das Topik ein Nicht-Agens ist, ist es wahrscheinlich, daß die patiensbezogenen Aspekte im Vordergund stehen, nämlich die perfektiven, resultativen, statischen Aspekte eines Geschehens. Das erklärt den Zusammenfall von Topikwechsel und Detransitivierung. Prinzipiell können diese drei Vorgänge aber auch getrennt stattfinden. So ist z.B. eine Entpersönlichung im Deutschen auch mithilfe des unpersönlichen Pronomens man möglich, ohne daß dabei ein Topikwechsel und eine Detransitivierung stattfindet. Ein Topikwechsel ist auch mithilfe von lexikalischen Konversen möglich, z.B. Sie schenkt ihm ein Buch. - Er bekommt ein Buch. Der entscheidende syntaktische Vorgang beim Passiv ist, daß das Agens unterdrückt wird. Damit wird die Subjektsposition frei und und ein entsprechendes Objekt kann in diese Position angehoben werden: im Deutschen beim werden- und beim iei/i-Passiv ein Akkusativobjekt, beim bekommen-Passiv ein Dativobjekt. Fehlt ein entsprechendes Objekt, dann ist nur ein unpersönliches werden-Passiv möglich. Das unpersönliche Passiv zeigt, daß die Beförderung eines Objekts zum Subjekt keine Voraussetzung für Passivierung ist. Notwendig ist lediglich die Unterdrückung der Agensthetarolle. Für diese Formen des Passivs gibt es zahlreiche Beschränkungen, die semantisch bedingt sind. Diese Beschränkungen sollen in diesem Abschnitt untersucht werden. Passivierbarkeit wird häufig in Zusammenhang mit der Transitivität von Verben oder Sätzen gebracht. Wie gezeigt wurde, ist Transitivität nicht eine Eigenschaft von Verben, sondern von ganzen Sätzen und insbesondere auch durch die Merkmale des Subjekts und Objekts bestimmt. Es ist daher zu erwarten, daß Passivierbarkeit nicht eine Eigenschaft von Verben, sondern von Sätzen ist. Im folgenden wird gezeigt, daß Passivierbarkeit eng mit den Transitivitätsmerkmalen von Hopper und Thompson verknüpft ist.

1.2.3.1 Werden-Passiv Als Ausgangspunkt ist Givons Gedanke sehr nützlich, daß Passivierung immer auch eine Detransitivierung ist. Daraus ergibt sich natürlich, daß die entsprechenden Aktivsätze transitiv sein müssen. In 1.2.1 wurde gezeigt, daß Transitivität ein graduierbarer Begriff ist, der von

35 verschiedenen Parametern bestimmt wird. In diesem Abschnitt gilt es zu zeigen, daß fehlende Passivierbarkeit stets mit einem Merkmal niedriger Transitivität korreliert. Wie Transitivität ist auch Passivierbarkeit nicht eine Eigenschaft nur von Verben, sondern von Verben in bestimmten Sätzen. Auch Passivierbarkeit ist somit ein teilweise kompositionelles Phänomen.

1.2.3.1.1 Handlungsverb Ganz allgemein wird das Vorhandensein eines Handlungsverbs als eine der Voraussetzungen für Passivierung gesehen. Verben, die Zustände oder Vorgänge bezeichnen, sind nur sehr eingeschränkt passivierbar. Der Grund dafür ist Givon folgend unmittelbar einsichtig: Da das Passiv gegenüber dem Aktivsatz einen Wechsel von einer dynamischen Perspektive zu einer stärker resultativen, statischen darstellt, ergibt die Passivierung bei solchen Verben, die von vornherein statisch sind, gar keinen Sinn. Zu diesen Verben gehören etwa Verben, die eine Besitzrelation bezeichnen und Verben, die Eigenschaften bezeichnen. (49) (50) (51)

*Das Auto wird von mir besessen. *90 kg werden von dem Mann gewogen. *Schnaps wird von der Flasche enthalten.

1.2.3.1.2 Vorhandensein eines Agens Entscheidend ist nicht nur, daß ein Handlungsverb vorliegt, sondern auch, daß es in dieser Interpretation gebraucht wird. Einige Handlungsverben können auch als Vorgangsverben verwendet werden, wenn kein agensfähiges Subjekt vorhanden ist. Vgl. dazu die folgenden Beispiele: (52a) (52b)

Viele Leute rauchten. Es wurde von vielen Leuten geraucht.

(53a) (53b)

Viele Fabrikschlote rauchten. *Es wurde von vielen Fabrikschloten geraucht.

In (52) ist ein agentisches Subjekt vorhanden und somit ist auch Passivierung möglich. In (53) ist kein agentisches Subjekt vorhanden, rauchen kann nicht als Handlung interpretiert werden, sondern ist hier ein Vorgang. Dabei ist es aber nicht so, daß nur belebte Referenten agensfähig sind. Die folgenden Beispiele zeigen das: (54a) (54b)

Der Wind stößt die Tür auf. Die Tür wird von dem Wind aufgestoßen.

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(55a) (55b)

Die Sonne bestrahlt die Erde. Die Erde wird von der Sonne bestrahlt.

Man könnte sich also fragen, warum die Fabrikschlote in (53) nicht agensfähig sind. Die Antwort liegt darin, daß die Fabrikschlote nicht den Rauch produzieren, sondern lediglich der Weg sind, auf dem der Rauch ins Freie kommt. Der Wind und die Sonne sind dagegen die Ursache der beschriebenen Wirkungen. Cruse (1973) zeigt, daß eine Einengung des Agensbegriffs auf belebte und absichtlich handelnde Referenten nicht gerechtfertigt ist. Zu den agensfähigen Entitäten rechnet er auch "something which exerts a force (literally or metaphorically), not by virtue of an internal energy source, but because of its position, motion etc." (ebd.: 19). Die Paradebeispiele für diese Entitäten, die durch ihre Position oder Bewegung eine Kraft ausüben, sind der Wind, der die Tür öffnet und fliegende Steine, die Scheiben zertrümmern. Als agensfähige Entität nennt er auch "an object which is regarded as using its own energy in carrying out the action" (ebd.:21). Zu diesen über eine eigene Energiequelle verfügenden Entitäten gehören Lebewesen, manche Arten von Maschinen, wie z.B. Computer, und Naturkräfte. Andererseits hat Fillmore (1968) seine Differenzierung von Agens und Instrument dadurch begründet, daß sich Subjekte in diesen beiden semantischen Rollen nicht kombinieren lassen (*Hans und der Stein zertrümmern die Scheibe.). Als Ausweg bietet sich hier an, einen Sammelkasus zu definieren, in dem alle diese Funktionen zusammengefaßt sind und für die Differenzierungen speziellere Bezeichnungen zu verwenden. Als Sammelbegriff verwende ich hier "Agens", da dies der am meisten verbreitete Terminus ist. Als Kohyperonyme zum Hyponym "Agens" gehören "Handelnder", "Instrument" und "Force". Legt man diesen Agensbegriff zugrunde, dann erhält man die einfache Generalisierung, daß das ursprüngliche Subjekt eines P.assivsatzes ein Agens sein muß. Auch bei einigen Verba sentiendi, die auch als Handlungsverben verwendet werden können, nimmt die Passivierbarkeit ab, wenn kein agensfähiges Subjekt vorhanden ist. (56a) (56b)

Das Gespenst erschreckte das Kind. Das Kind wurde von dem Gespenst erschreckt.

(57a) (57b)

Das Bild erschreckte mich. *Ich wurde von dem Bild erschreckt.

(S8a) (58b)

Anna ärgert Otto. Otto wird von Anna geärgert.

(59a) (59b)

Ottos Verhalten ärgert Anna. *Anna wird von Ottos Verhalten geärgert.

l

Ähnlich geht Pleines (1976) vor, der diese semantischen Relationen unter dem Begriff "Kausalinstanzen" zusammenfaßt, deren Unterscheidung dadurch gewährleistet ist, daß sie in einer "Kausalitätskette" unterschiedliche Ränge einnehmen.

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In (56) und (58) liegt eine mehr oder weniger absichtliche Handlung vor, in (57) und (59) dagegen ein Vorgang, für den der Subjektsreferent nur Auslöser ist. Ein Bild kann von sich aus nicht eine bestimmte Reaktion auslösen. Etwas in Ottos Verhalten ärgert Anna, ohne daß dies von Otto in irgendeiner Weise beabsichtigt sein muß. Ganz ähnliche Beispiele liegen in den folgenden Sätzen vor: (60a) (60b)

Die Firma XY beschäftigt 1000 Arbeiter. 7000 Arbeiter werden von der Firma XY beschäftigt. (häufiger:... sind bei....)

(61 a) (61 b)

Das Problem beschäftigt mich. *fch werde von dem Problem beschäftigt.

Auch hier ist die Passivierbarkeit auf die Agentivität des Subjekts zurückzuführen. Die Existenz einer reflexiven Verbvariante für (61) ist ein Hinweis darauf, daß es sich hier in erster Linie um einen inneren Zustand handelt, für den das Problem nur Auslöser ist: (61c) (60c)

Ich beschäftige mich mit diesem Problem. *Ich beschäftige mich mit der Firma, (inakzeptabel im Sinn von (60))

1.2.3.1.3 Betroffenheit des Objekts Da das Passiv stärker den resultativen Aspekt eines Geschehens betont, also die Wirkungen auf das Objekt (bzw. das Patiens) hervorhebt, ist Passiv nur schlecht möglich, wenn das Geschehen keine Wirkung auf das Patiens hat. Demonstriert werden kann das am Beispiel der Wahrnehmungsverben. Diese Verben kodieren im Deutschen wie in den meisten anderen Sprachen ihre Mitspieler nach einem Agens-Patiens-Muster, obwohl das Objekt nicht notwendigerweise vom Wahrnehmungsvorgang in irgendeiner Weise betroffen sein muß. Brinkmann (1962:406) sieht die Betroffenheit darin, daß der Wahrnehmungsgegenstand "geistig erfaßt" wird. Diese Art des Betroffenseins ist jedoch zu schwach für Passivierung, es müssen besondere Umstände vorliegen, wie die folgenden Beispiele zeigen: (62) (63) (64)

??Sie wurde gesehen, aber niemand beachtete sie weiter. Der Dieb wurde an der Haustür gesehen. Er wurde nachts um halb 3 gehört.

Die Passivierung von Wahrnehmungsverben ist nur dann möglich, wenn die Wahrnehmung eine Wirkung auf den Wahrgenommenen hat, ein Resultat hat: gesehen/gehört werden erhält die Interpretation von 'ertappt werden', das Wahrgenommen werden hat ein Nachspiel für das Patiens.

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1.2.3.1.4 Individuiertheit des Objekts Auch die Individuiertheit des Objekts, einer der Parameter für Transitivität, spielt in verschiedener Hinsicht eine Rolle für die Passivierbarkeit. Individuiertheit kann allgemein verstanden werden als ein klares Unterschiedensein des Objekts von seinem Hintergrund, seiner Umgebung, insbesondere gegenüber dem Agens des Satzes. Nomina mit individuierten Referenten sind tendenziell eher Eigennamen, sie weisen eines oder mehrere der Merkmale [+menschlich], [+belebt], [+konkret], [+Singular], [^zählbar], [+referentiell] und [+definit] auf. Nomina mit nicht individuierten Referenten sind dagegen eher Appellativa und [-belebt], [konkret], [-Singular], [-zählbar], [-referentiell] (cf. Hopper und Thompson 1980:253). Diese Individuiertheit fehlt, wenn die Objektstelle von einem Reflexivpronomen besetzt wird. Das Objekt ist koreferent mit dem Subjekt und somit in seiner Umgebung gar nicht individuiert. Passivierung ist in diesen Fällen nicht möglich. (65) (66)

*Hans wurde (von sich) rasiert. *Maria wurde (von sich) gewaschen.

Agens und Patiens sind in den entsprechenden Aktivsätzen identisch und es gibt keinen Sinn, wenn man das Agens zugunsten desselben Referenten aus seiner Topikposition nimmt. Eine geringe Individuiertheit des Objekts liegt auch bei Objektinkorporation vor. Eine inkorporiertes Objekt referiert nicht auf bestimmte Gegenstände, tritt daher ohne Artikel und Attribut auf und kann in seinem Numerus normalerweise nicht verändert werden. Das inkorporierte Objekt ist gegenüber seiner Umgebung kaum individuiert und verhält sich im großen und ganzen wie ein trennbarer Verbteil. Es ist nur unpersönliches werden-Passiv möglich, bei dem das inkorporierte Objekt als Teil des Prädikats stehenbleibt: (67) (68)

Es wurde Karten gespielt. Es wurde Walzer getanzt.

Ganz ähnlich sind auch die Fälle von unpersönlicher Passivierung zu beurteilen, in denen ein reflexiv verwendetes Verb auftritt. (69) (70)

Jetzt wird sich aber gewaschen! Es wurde sich ausgiebigst erholt.

Da das Objekt nicht individuiert ist, kann das Reflexivpronomen quasi als Verbteil stehenbleiben. Da in den entsprechenden Aktivsätzen Agens und Patiens identisch sind, entfällt hier die Funktion des Passivs, einen anderen Mitspieler in die Topikposition zu bringen. Wahrscheinlich ist aus diesem Grund die Beförderung des Objekts zum Subjekt weniger wichtig.

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Hierher gehören auch Sätze, in denen das Objekt einen Teil des Subjektsreferenten bezeichnet, wie in den Kopf schütteln, die Ohren spitzen, die Augen verdrehen etc. Hier wird häufig stark eingeschränkte Passivierbarkeit registriert (s. z.B. Brinker 1971:63). (71) (72)

*Sein Kopf wurde (von ihm) geschüttelt. *Ihre Ohren wurden (von ihr) gespitzt.

Der Grund für die Nicht-Passivierbarkeit liegt in der geringen Individuiertheit des Objekts gegenüber dem Subjekt.

1.2.3.2 Bekommen-PASsiv Das bekommen-Passiv nimmt seinen Ausgang vom Vollverb bekommen, das in (73b) als Passivhilfsverb reanalysiert wird. (73a) (73b)

Ich habe das Buch bekommen. ich habe das Buch geschenkt bekommen.

Die Auffassung einer Reanalyse von bekommen (s. Reis 1976b:72f.) als Auxiliar wird dadurch bestätigt, daß es auch bei "negativen Besitzwechselverben" auftreten kann, z.B. in Er bekommt sein Fahrrad geklaut. Auch beim bekommen-Pzssiv wird die Agensthetarolle unterdrückt. Statt des Akkusativobjekts wird hier jedoch ein Dativobjekt zum Subjekt. Sätze, in denen scheinbar ein Akkusativobjekt zum Subjekt wurde wie in (74), müssen als Ausnahmen gelten. (74)

Er bekommt

geschimpft.

Ein entsprechendes Muster existiert nicht. Auch die bekommen-Pussivierung bei Verben mit zwei Akkusativobjekten ist auf das parallele Muster Dativobjekt - Akkusativobjekt zurückzuführen (s. 1.4.4). Höhle (1978:45) hält es für eine notwendige syntaktische Bedingung, daß das Verb auch ein Akkusativobjekt fordert (ebenso Haider 1984:34). Diese "Transitivitätsregel" wird von Wegener (1985c:134) abgelehnt, da Sätze wie (75) durchaus auftreten (s.a. Reis 1985b:150). (75)

Er bekommt widersprochen.

Die Diskussion um die Existenz eines Rezipientenpassivs hat ergeben, daß hier tatsächlich ein Passiv vorliegt und bekommen somit in Sätzen, zu denen ein entsprechender Aktivsatz existiert, als Hilfsverb zu werten ist. Allerdings ist das bekommen-Passiv historisch viel jünger als das wm/en-Passiv. Die Eingliederung dieses Verbs ins Auxiliarsystem ist noch nicht voll-

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ständig erfolgt, es besitzt noch eine vergleichsweise starke Eigensemantik. Damit mag es zusammenhängen, daß für das bekommen-Passiv zum Teil recht undurchschaubare semantische Beschränkungen existieren.

1.2.3.2.1 Agentivität

Wie für das Werden-Passiv ist auch für die bekommen-Passivierung die Agentivität des Subjekts im Aktivsatz eine Bedingung. Dabei muß ein erweiterter Agensbegriff zugrunde gelegt werden, der auch die Verursacher von physikalischen Prozessen u.a. einschließt, wie der folgende Satz zeigt: (76)

Die Erde bekommt von der Sonne Wärme zugestrahlt.

Mit der Agentivität geht auch das Merkmal [+dynamisch] einher, statische Verben sind auch hier von der Passivierung ausgeschlossen. (77) (78)

*Der Mann bekommt von der Frau gefallen. *Die Eva bekommt von Otto nicht getraut.

Ein Problem sieht Leirbukt (1987:113) in Sätzen des folgenden Typs, deren Inakzeptabilität durch die Bedingung der Agentivität nicht erklärt sei. Das Subjekt des entsprechenden Aktivsatzes sei hier agentisch: (79) (80) (81)

*Die Frau bekam von dem Vogel zugeflogen. *Der Mann bekommt nachgegangen/gefolgt. *Der alte Mann bekommt ausgewichen.

Dem muß hier widersprochen werden. Es handelt sich hier durchwegs um Bewegungsverben, deren Aktivsatz-Subjekte zwar als Agens auftreten können, in ihrer intransitiven Verwendung aber deutlich Patienszüge tragen ('bewegte Entität'), also ergative Subjekte sind. Damit ist die Inakzeptabilität des bekommen-Passivs, die sich bei den Bewegungsverben durchwegs beobachten läßt, erklärt. Wegener erklärt die Inakzeptabilität dieser Passivierungen damit, daß hier die unmarkierte Abfolge Objekt - Subjekt sei und eine Topikalisierung der Objekts-NP durch Passivierung aus diesem Grund überflüssig sei (1985a:212f.). Auch ihre Erklärung basiert also letztlich auf der Tatsache, daß es sich hier um ergative Subjekte handelt. Die Subjekte von Bewegungsverben haben häufig Patienscharakter, da sie bewegte Entitäten bezeichnen. Aktivsätze mit diesen Verben sind daher weniger transitiv. Folglich ist auch die Passivierbarkeit stark eingeschränkt.

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1.2.3.2.2 Perfektivität Weitere Beschränkungen sieht Wegener (1985a:208ff.) in der Resultativität und Perfektivität des Geschehens. Die Akzeptabilität des bekommen-Passivs wachse mit dem Grad der Betroffenheit des Dativreferenten. (82)

Ihm Ihm Ihm Ihm

wurde wurde wurde wurde

auf den Fuß getreten. - Er bekam auf den Fuß getreten. widersprochen. -Er bekam widersprochen. ins Gesicht gestarrt. - *Er bekam ins Gesicht gestarrt. nachgeschaut. - *Er bekam nachgeschaut.

Für das wercte/j-Passiv ist die Betroffenheit des Dativreferenten kein Kriterium, wohl aber für das bekommen-Passiv. Das entspricht einem der Hopper und Thompsonschen Parameter für Transitivität, nämlich dem der Betroffenheit des Objekts von der im Verb bezeichneten Handlung. Hopper und Thompson legen die Objektart nicht fest. Sätze mit einem stark betroffenen Dativreferenten sind also transitiver als solche mit einem nur wenig betroffenen. Auch hier ist die Bedingung für Passivierung wiederum ein Transitivitätsmerkmal. Die Resultativität ist dann gegeben, wenn die Handlung, z.B. ein Besitzwechsel, tatsächlich zustandegekommen ist. Hier spielt sicher die ursprüngliche Verbbedeutung von bekommen/kriegen/erhalten eine Rolle. In einem Passivsatz mit unpersönlichem wm/e/i-Passiv kann ein Besitzwechsel viel eher nicht zustandegekommen sein als in einem Satz mit dem Dativpassiv (cf. Wegener 1985a:210). (83)

Mir wurde ein Paket geschickt, aber ich habe es nicht bekommen. *Ich habe ein Paket geschickt gekriegt, aber ich habe es nicht bekommen.

Auch hier zeigt es sich, daß ein gewisser Grad an Betroffenheit des Objektsreferenten Voraussetzung für seine Subjektfähigkeit ist. Von einer nicht ausgeführten, oder nicht wirksamen Handlung ist man eben nicht betroffen, zumindest nicht in dem intendierten Sinn. Daß die ursprüngliche Verbbedeutung dieser Passivauxiliare noch nicht ganz verblaßt ist, zeigt sich auch daran, daß unbelebte Dativreferenten eher dann subjektivierbar sind, wenn ein positiver Besitzwechsel vorliegt, wenn der Dativreferent also tatsächlich etwas "bekommt". (84)

Das Haus bekommt einen Balkon angebaut. IDas Haus bekommt einen Balkon abgerissen. *Das Haus bekommt die Fenster gestrichen.

(85)

Der Roman bekam einen Preis verliehen. *Der Roman bekam ein Zitat entnommen. (Beispiele mit den Urteilen aus Wegener 1985a:209)

Abstrakta sind bei dieser Form des Passivs nicht subjektivierbar. (86)

Das Tier wurde der Kälte ausgesetzt.

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*Die Kälte bekam das Tier ausgesetzt. (87)

Dieser Prüfung wurde sie unterzogen. *Diese Prüfung bekam sie unterzogen.

Wegeners Erklärung für die Inakzeptabilität von (86) und (87) ist nicht überzeugend. Sie führt sie darauf zurück, daß hier eine NP mit einem unbelebten Referenten in einer in der Hierarchie höher liegenden grammatischen Relation kodiert ist als eine NP mit einem belebten Referenten. Nach dieser Erklärung müßten auch folgende wrrfen-Passivsätze ungrammatisch sein. (88)

Die Geschichte wurde dem Kind vorgelesen. Der Strom wurde ihm abgedreht. Das Fernsehen wurde dem Kind verboten.

Die Sätze in (88) sind jedoch akzeptabel. Die Erklärung muß also woanders zu suchen sein. Aus ihrem eigenen Beispielmaterial geht hervor, daß die richtige Generalisierung die ist, daß Abstrakta bei diesem Passiv nicht subjektiviert werden können. Angesichts der Tatsache, daß das Dativpassiv schon bei nicht-belebten Dativreferenten sehr stark eingeschränkt ist und die ursprüngliche Verbsemantik hier stärker berücksichtigt wird, also nur "positiver Besitzwechsel" möglich ist (dagegen: Er bekam das Geld gestohlen/seine Wohnung gekündigt.) ist es verständlich, daß Abstrakta aus diesem Passiv völlig ausgeschlossen sind. Sie können eben nichts bekommen, auch nicht in einem eingeschränkten Sinn. Daher können sie in dieser Form des Passivs auch nicht als "Betroffene" agieren und nicht subjektiviert werden.

1.2.3.3 Sein-Passiv Die Existenz eines Zustandspassivs, das mit sein gebildet wird, ist nicht unbestritten. In der traditionellen Grammatik wurden diese Formen als Kopulasätze interpretiert, in denen ein Partizip als prädikatives Adjektiv auftritt. Angesichts der Verwirrung, die der Begriff des Zustandspassivs ausgelöst hat, wird diese Analyse neuerdings wieder von einigen Autoren bevorzugt (z.B. Hermanns 1987). Das Zustandspassiv wurde von Glinz (l 952:381 ff.) als eigenes Genus verbi neben dem Aktiv und Vorgangspassiv verstanden. Zunehmend wurde der Begriff so ausgeweitet, daß bald alle Sätze mit sein + Partizip II als Zustandspassiv galten (Brinker 1971:84ff., 79f., Schoenthal 1976:101 ff.) Heibig (1987) versucht eine Begriffsklärung. Er begrenzt den Terminus "Zustandspassiv" auf solche Sätze mit sein und einem Partizip II, zu denen ein entsprechender Aktivsatz und ein davon abgeleitetes Vorgangspassiv existieren.

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(89a) (89b) (89c)

Er öffnet das Fenster. Das Fenster wird geöffnet. Das Fenster ist geöffnet.

Das Aktiv zeigt einen Sachverhalt aus der Handlungsperspektive. Das Vorgangspassiv zeigt in seiner Agensabgewandheit denselben Sachverhalt als einen Vorgang, das Zustandspassiv dagegen bezeichnet den aus diesem Vorgang resultierenden Zustand. Heibig setzt den Resultatscharakter als ein konstitutives Merkmal des Zustandspassivs fest. Folgende Konversen läßt er daher nicht als Zustandspassiv gelten: (90a) (90b) (90c)

Man bewacht den Gefangenen. Der Gefangene wird bewacht. Der Gefangene ist bewacht.

Hier gibt es zwar einen parallelen Aktivsatz und einen entsprechenden werden-Sztz, (90c) stellt jedoch kein Resultat von (90b) dar. (90b) und (90c) schließen sich nicht aus, wie das bei Vorgangs- und Zustandspassiv der Fall ist, sondern implizieren einander. Zur Verwendung von sein in diesem Kontext bemerkt er, daß sein hier abweichend zur Bezeichnung eines Vorgangs verwendet wird. Ganz ähnlich verhält es sich mit den folgenden Konversen: (91 a) (91b) (91c)

2 Millionen Menschen bewohnen die Stadt. Die Stadt wird von 2 Millionen Menschen bewohnt. Die Stadt ist von 2 Millionen Menschen bewohnt.

Auch hier gibt es einen parallelen Aktivsatz und ein werden-Pzssiv, (91c) stellt aber kein Resultat von (91b) dar. Vielmehr bezeichnen beide Sätze denselben Zustand, werden wird abweichend vom normalen Gebrauch zur Bezeichnung eines Zustands verwendet. Im werden"Passiv" liegt kein Prozeß vor, im sem-"Passiv" kein Resultat. Heibig spricht von einer "allgemeinen Zustandsform" (Heibig 1987:219, Helbig/Buscha 1986:179ff.). Diese Formen sind auf Zustandsverben beschränkt, aber nicht bei allen Verben dieses Typs möglich, z.B. *Wein wird von der Flasche enthalten. Entscheidend ist auch hier wohl eine Agensrolle des ursprünglichen Subjekts. Auch das sogenannte "Zustandsreflexiv" (Helbig/Buscha 1986:177ff.) läßt Heibig (1987) nicht als Zustandspassiv gelten. Ein "Zustandsreflexiv" liegt in Sätzen vor, die nicht auf ein werden-Passiv, sondern auf eine reflexive Konstruktion zurückgehen. (92a) (92b)

Der Student erholt sich. Der Student ist erholt.

In (92b) handelt es sich wie bei einem Zustandspassiv um einen Resultatszustand. Abgesehen davon, daß keine entsprechende werden-Form existiert, ist diese Form schon deswegen kein

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Passiv, weil das Subjekt an seiner Stelle bleibt. Die für das Passiv typische Unterdrückung des Agens unterbleibt. Diese vom Zustandspassiv abweichenden Formen weisen jeweils eine oder mehrere Merkmale des Zustandspassivs auf, aber eben nicht alle. Das bestätigt, daß Passivierung einen Zusammenfall verschiedener Vorgänge darstellt, wie Givon (1982) demonstriert. Bei der allgemeinen Zustandsform liegt zwar ein Topikwechsel und eine Entpersönlichung vor. Es findet aber keine Detransitivierung statt, da der "Passivsatz" nicht statischer als der Aktivsatz ist. Das Zustandsreflexiv ist zwar statischer als der entsprechende Aktivsatz, dafür findet aber kein Topikwechsel und keine Entpersönlichung statt. Der Resultatscharakter dieser Passivform setzt in noch stärkerem Maße als das Werden-Passiv voraus, daß das Patiens von der Handlung betroffen ist. Nicht immer, wenn das Vorgangspassiv möglich ist, kann auch ein Zustandspassiv gebildet werden: (93a) Man bewundert die Frau. (93b) Die Frau wird bewundert. (93c) *Die Frau ist bewundert. Hier ist die Affizierung nicht stark genug, um einen neuen Zustand herbeizuführen, ein Zustandspassiv ist daher nicht möglich. Anders dagegen bei die Frau ist vielbewundert/von allen bewundert, wo der hohe Grad der Bewunderung eine genügend starke Affizierung der Frau herbeiführt. In diesem Abschnitt wurden einige der semantischen Voraussetzungen für verschiedene Formen der Passivierbarkeit untersucht. Dabei hat sich durchwegs die Ausgangsthese bestätigt, daß eine verminderte oder nicht vorhandene Passivierbarkeit stets mit einem Merkmal niedriger Transitivität korreliert. Diese Merkmale waren insbesondere fehlende Agentivität des Subjektsreferenten, fehlende oder zu geringe Affiziertheit des Objektsreferenten, Zustandsverben und fehlende Individuiertheit des Objekts. Nur prototypische Objekte aus hochtransitiven Sätzen sind also subjektivierbar.

45 1.2.4 Transitivität und alternative Kodierungsmöglichkeiten In einer sprachvergleichenden Studie untersucht Moravcsik (1978) die Kasusmarkierung von Objekten. Sie stellt fest, daß sich die Wahl einer Akkusativmarkierung stets mit bestimmten semantischen Faktoren in Verbindung setzen läßt. Sie untersucht insbesondere die Alternationen Akkusativ und Präpositionalkasus, Akkusativ und Partitiv, Akkusativ und Nominativ. Obwohl die zweitgenannte für das Deutsche nicht relevant ist, ist sie doch im Hinblick auf eine allgemeine semantische Charakterisierung des direkten Objekts von Interesse. In diesem Abschnitt gilt es zu zeigen, daß auch im Deutschen die Alternation Akkusativobjekt vs. eine andere Konstituente meist mit bestimmten semantischen Unterschieden verknüpft ist. Die These ist, daß die Sätze mit einem Akkusativobjekt stets transitiver im Sinne von Hopper und Thompson sind als ihre Gegenstücke mit anderen Konstituenten.

1.2.4.1 Akkusativ und Prlpositionalphrase Diese Alternation kommt vor: 1) bei einer Reihe von ornativen Verben und davon abgeleiteten Verben Er streicht Farbe an die Wand. Er bestreicht die Wand mit Farbe. 2) bei einigen Handlungsverben Sie schreibt ihre Doktorarbeit. Sie schreibt an ihrer Doktorarbeit. 3) bei Bewegungsverben und davon abgeleiteten Verben Das Flugzeug fliegt über der Stadt. Das Flugzeug überfliegt die Stadt.

1.2.4.1.1 Ornative Verben Eine Gruppe von Verben, die diese Alternation zulassen, sind "ornative Verben". Dies sind Verben, die ein Füllen oder Versorgen und sein Gegenteil bezeichnen, wie im Englischen smear, plant, fill oder die deutschen Gegenstücke schmieren - beschmieren, pflanzen bepflanzen, füllen etc. Moravcsik weist darauf hin, daß sich bei einer Alternation Akkusativobjekt - PP nicht eigentlich die semantische Rolle ändert, denn die ist beidemale "bewegtes Ding" und "Ziel oder Herkunft der Bewegung". Die Rolle ist also von der gewählten Perspektive unabhängig und in diesem Sinne "neutral". Der Unterschied liegt im Grad der Betroffenheit. Die statische Entität kann nur dann als Akkusativobjekt kodiert werden, wenn sie von

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der Handlung voll betroffen ist und auf diese Weise eine Patienseigenschaft erwirbt. Vgl. die folgenden Beispiele: (94a) (94b)

Sie pflanzt Blumen in den Garten. Sie bepflanzt den Garten mit Blumen.

(95a) (95b)

Er füllt Wasser in die Flasche. Er füllt die Flasche mit Wasser.

Die (b)-Sätze sind perfektiv und bezeichnen Handlungen, die (a)-Sätze dagegen imperfektiv und bezeichnen Aktivitäten. Die Hinzufügung eines durativen Adverbials wie i« drei Tagen ist nur in den (b)-Sätzen möglich. Mit der perfektiven Komponente der (b)-Sätze geht einher, daß in diesen Sätzen Resultativzustände zu den Akkusativobjekten genannt werden kön-

nen: (94c) (95c)

Sie pflanzt den Garten mit Blumen voll. Er füllt die Flasche mit Wasser voll.

Das belegt die größere Affiziertheit der statischen Entität in diesen Sätzen.

1.2.4.1.2 Handlungsverben Bei einer anderen Gruppe von Verben mit dieser Alternationsmöglichkeit wird durch die Verwendung eines Akkusativobjekts der erfolgreiche Abschluß einer Handlung impliziert. Beispiele aus dem Englischen sind climb the mountain - climb up the mountain, swim Lake Michigan - swim across Lake Michigan. Ähnliches liegt vor bei stab (at), kick (towards), strike (at), catch (at), wo die Verwendung einer PP einen Versuch, das Akkusativobjekt jedoch die erfolgreiche Ausführung der Handlung impliziert. Ganz ähnliches gilt auch für das Deutsche. Der Satz mit einem Akkusativobjekt impliziert stets die vollständige Ausführung einer Handlung, was eng mit einer totalen Affiziertheit des Objekts zusammenhängt. (96a) (96b)

Er schlägt mit dem Stock nach Harry. Er schlägt Harry mit dem Stock.

(97a) (97b)

Er schießt auf die Rose, (am Schießstand) Er schießt die Rose.

(98a) (98b)

Er trinkt an/von dem Bier. Er trinkt das Bier.

(99a) (99b)

Sie schreibt an einem Roman. Sie schreibt einen Roman.

(lOOa) (lOOb)

Er liest in einem Buch. Er liest ein Buch.

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(101 a) (lOlb)

Sie schreinert an einem Schrank. Sie schreinert einen Schrank.

(102a) (102b)

Er las aus seinem Buch vor. Er las sein Buch vor.

Auch hier sind die (b)-Sätze perfektiv und bezeichnen Handlungen, die (a)-Sätze dagegen imperfektiv.

1.2.4.1.3 Bewegungsverben Es gibt eine Reihe von Partikel- und Präfixverben, die einen Ort im Akkusativobjekt kodieren. Zu diesen abgeleiteten Verben existieren stets Basisverben, bei denen der Ort als Lokal- bzw. Direktionaladverbiale kodiert wird. Die Morphologie dieser Verben zeigt, daß es sich hier um Transitivierungen handelt, d.h. aus nicht-transitiven Basisverben werden transitive abgeleitet. Die folgenden Satzpaare können das illustrieren: (103a) (103b)

Er steigt auf den Berg. Er besteigt den Berg.

(104a) (104b)

Er geht auf die Brücke. Er begeht die Brücke.

(105a) (105b)

Er wandert in dieser Gegend. Er erwandert diese Gegend.

(106a) (106b)

Das Auto fährt durch die Stadt. Das Auto durchführt die Stadt.

(107a) (107b)

Die Maschine fliegt über Rom. Die Maschine überfliegt Rom.

Die Tatsache, daß es sich bei den (b)-Sätzen um abgeleitete Verben handelt, ist ein Hinweis darauf, daß die (a)-Perspektive, in der die Basisverben den Sachverhalt darstellen, die näherliegendere, natürlichere ist. Ein Ort wird im unmarkierten Fall als Lokalangabe kodiert. Für die Transitivierung muß ein besonderer Grund vorliegen. Dieser Grund liegt darin, daß der Ort in den (b)-Sätzen als ganzheitlich betroffen dargestellt wird. Wenn man durch die Stadt fährt, kann man nur in einem Teil der Stadt gewesen sein und sich noch immer dort aufhalten. Durchfährt man die Stadt dagegen, so fährt man ganz durch sie durch und läßt sie hinter sich zurück. In diesem Sinn ist der Ort in den (b)-Sätzen ganzheitlicher betroffen als in den (a)-Sätzen. Nach dem Aktionsartensystem von Dowty (1979) handelt es sich in den (a)-Sätzen um Aktivitäten, die potentiell ohne Zeitbegrenzung ausgeführt werden können, in den (b)-Sätzen dagegen um Handlungen, die ein Ziel haben und somit perfektiv sind. Als Test für die

48 Unterscheidung schlägt er die Hinzufügung eines durativen Temporaladverbials wie in drei Tagen vor. Bei Handlungen, die ihrer Natur nach in einem bestimmten Zeitraum vollzogen werden, kann ein solches Adverbial hinzugefügt werden, bei Aktivitäten dagegen kaum. (108a) (108b)

Er durchfuhr das Land in 3 Tagen/* drei Tage lang. Er fuhr durch das Land ?in drei Tagen/ drei Tage lang.

Dieser Test kann die stärkere Zielgerichtetheit der (b)-Sätze belegen. Zielgerichtetheit ist einer der Parameter für Transitivität von Hopper und Thompson, die (b)-Sätze sind bezüglich dieses Parameters und des Parameters der Betroffenheit des Objekts also transitiver. Vereinzelt sind die Sätze mit einem Akkusativobjekt auch hinsichtlich der Intentionalität des Agens transitiver. Das belegt folgendes Beispiel: (109a) (109b)

Er ist auf einen Fehler gestoßen. Er hat einen Fehler entdeckt.

Eine Einbettung unter er wollte ist eher beim (b)-Satz möglich. Das ist ein Hinweis auf die größere Intentionalität des Subjektsreferenten in (109b).

1.2.4.2 Akkusativ und Partitiv In Sprachen, in denen diese Alternation möglich ist, ist der Wechsel Akkusativ - Partitiv mit einem oder mehreren der semantischen Unterschiede definit vs. indefinit, Grad der Betroffenheit, Vollständigkeit des Ereignisses und affirmativ vs. negiert korreliert. Dies soll hier an zwei Beispielen aus dem Russischen illustriert werden (Beispiele bei Moravcsik 1978:260,

268): (HOa)

Peredajte me xleb. Gebt mir das Brot (NOM) (- den Laib, den Teller voll)

(l l Ob) Peredajte me xleba. Gebt mir Brot (GEN) (» eine Scheibe) (lila)

On ne ljubit eti stixi. Er mag diese Verse (NOM) nicht.

(l l Ib)

On ne ljubit stixov. Er mag keine Gedichte (GEN).

Im Deutschen ist der partitive Genitiv obsolet. Eine partitive Bedeutung kann durch Verwendung einer PP statt eines Akkusativobjekts ausgedrückt werden: (112)

Gib mir von dem Brot. Lies mir aus dem Buch vor.

49

Wie im letzten Abschnitt ausgeführt, liegt hier eine partielle Betroffenheit des Objekts vor und somit keine vollständig ausgeführte Handlung.

1.2.4.3 Akkusativ und Nominativ

In vielen Sprachen alterniert der Nominativ mit dem Akkusativ als Objektskasus. Ein Objekt wird dann mit dem Akkusativ markiert, wenn es definit oder belebt ist oder beides. Dies kann am Spanischen illustriert werden, wo nur Objekte mit den Merkmalen [+belebt] und [+definit] im Akkusativ kodiert werden (Beispiele bei Moravcsik 1978:273). (113)

El chico ve la nieve. Der Junge sieht den Schnee. (NOM)

(114)

El chico ve a esta chica. Der Junge sieht dieses Mädchen. (AKK)

Der Kasus hat hier deutlich eine unterscheidende Funktion. Da das Patiens im Normalfall unbelebt und häufig weniger definit ist als das Agens, ist in diesem unmarkierten Fall ein Kasus zur Unterscheidung von Agens und Patiens nicht nötig. Handelt es sich dagegen um ein untypisches Patiens, so muß es durch eine Kasusmarkierung vom Agens unterschieden werden. Im Deutschen spielen Belebtheit und Definitheit für eine Akkusativmarkierung von Objekten keine Rolle, auch unbelebte und nicht-definite Objekte werden mit Akkusativ markiert. Eine Alternation zwischen Akkusativ und Nominativ kommt im Deutschen bei Passivierung vor. Die semantischen Bedingungen dafür wurden in 1.2.3 diskutiert. Daneben tritt diese Alternation noch bei aktiven und ergativen Konstruktionen von Verben auf und bei psychischen Verben und entsprechenden Dativ-Konstruktionen (Ich weiß X. - Mir ist X bekannt.).

1.2.4.3.1 Ergativische Konstruktionen

Eine Akkusativ-Nominativ-Alternation kommt bei aktiven und ergativischen Konstruktionen desselben Verbs vor, z.B. (115a) (115b)

Ich habe den Kuchen anbrennen lassen. Mir ist der Kuchen angebrannt.

(116a) (116b)

Ich habe die Hose zerrissen. Mir ist die Hose zerrissen.

(117a) (117b)

Ich habe die Vase zerbrochen. Mir ist die Vase zerbrochen.

50

Ergativ sind die (b)-Sätze in dem Sinn, daß hier ein Patiens in demselben Kasus kodiert wird wie ein Subjekt intransitiver Verben. Die (a)-Sätze sind nach einem Agens-Patiens-Schema gebaut. Sie setzen eine gewisse Verantwortlichkeit des Agens voraus. Auch Absichtlichkeit ist möglich. Die (b)-Sätze implizieren dagegen, daß der Vorgang quasi von selber eingetreten ist, die im Dativ genannte Person ist nicht verantwortlich. Die (b)-Sätze bezeichnen Vorgänge, zu denen das Dativobjekt eine fakultative Ergänzung ist. Das Dativobjekt hat hier eine starke Affinität zu einem "Dativus commodi/incommodi", es ist grundsätzlich weglaßbar. Nur die (b)-Sätze können Ereignisse bezeichnen, die gänzlich ohne das Zutun des Agens eintreten. In den (a)-Sätzen wird dagegen ein Zutun des Agens vorausgesetzt. Die folgenden Beispiele demonstrieren, daß die AkkKonstruktion nicht gewählt werden kann, wenn ein Vorgang vor allem auf äußere Einflüsse zurückzuführen ist; die ergative Konstruktion ist dagegen nicht möglich, wenn ein bewußtes Handeln nötig ist. (118a) (118b)

*Ich habe die Blumen angewachsen. Mir sind die Blumen angewachsen.

(l 19a) (119b)

Ich habe die Knöpfe angenäht. *Mir sind die Knöpfe angenäht.

(120a) (120b)

Ich habe das Fahrrad repariert. *Mir ist das Fahrrad repariert.

Auch hier sind die Sätze mit einem Akkusativobjekt wieder transitiver und zwar bezüglich der Handlung und Intentionalität des Agens. Das Patiens ist bei dieser Akkusativ-NominativAlternation in beiden Fällen gleich betroffen, doch einmal ist diese Betroffenheit Ergebnis eines wie von selbst eintretenden Vorgangs, das andere Mal Ergebnis einer Handlung des Agens.

1.2.4.3.2 Psychologische Verben Eine Alternation zwischen Akkusativ und Nominativ findet sich auch bei einer Reihe von "psychologischen Verben". Sie bezeichnen Wahrnehmungen und Gefühle. Der Träger des Gefühls oder der Wahrnehmung wird im folgenden als "Experiencer" bezeichnet, das auslösende Moment als "Stimulus". Der Stimulus tritt meist im Akkusativ auf und es gibt einen parallelen Ausdruck, wo der Stimulus im Nominativ steht, der Experiencer im Dativ. (121)

ich weiß - mir ist bewußt ich kenne - mir ist bekannt ich liebe - mir ist lieb ich hasse - mir ist verhaßt ich verabscheue - mir ist zuwider ich finde das zu teuer - mir ist das zu teuer

51

Das sind nur einige Beispiele. Ich verweise dazu auf die reiche Beispielsammlung bei Wegener (1985a:191ff.). Ein semantischer Unterschied zwischen diesen beiden Konstruktionstypen läßt sich etwas schwerer feststellen. Es ist so, daß bei den Konstruktionen mit dem Experiencer im Nominativ das Empfinden und Denken des Experiencers stärker im Mittelpunkt steht; der Experiencer tritt zu seiner Umwelt in Beziehung, sie ist sein Objekt. Bei den Konstruktionen mit einem Dativ-Experiencer steht dagegen der Stimulus im Mittelpunkt. Der jeweilige Gefühls- und Gedankenzustand wird stärker so dargestellt, als sei er durch eine inhärente Eigenschaft des Stimulus verursacht. Der Experiencer im Dativ ist quasi der "Empfänger" des jeweiligen Fühlens/Denkens. Er nimmt keine zentrale Rolle ein. Darauf weist auf syntaktischer Ebene die häufige Weglaßbarkeit dieser Dative hin. Bei den Nominativ-Akkusativ-Konstruktionen wird eine gewisse Kontrolle des Experiencers über sein Fühlen und Denken suggeriert. Er tritt zu seiner Umwelt in Beziehung und ähnelt darin einem Agens. Der Experiencer ist hier stärker agentisch als in den Dativ-NominativKonstruktionen, wo er eher eine Rezipientenrolle einnimmt.

1.2.4.4 Akkusativ und Dativ

Diese Alternation findet sich bei 1) Verben, die eine Körperberührung oder -Verletzung bezeichnen 2) bei einigen homonymen und beinahe synonymen Verben Für entsprechende Alternationen bei einigen psychologischen Verben und einigen be-Verben und ihren Basisverben verweise ich auf Wegener (1985a:171ff.).

1.2.4.4.1 Verben, die eine Körperberührung oder -Verletzung bezeichnen

Eine Akkusativ-Dativ-Alternation findet sich bei einer Reihe von Verben, die eine Körperberührung und Körperverletzung bezeichnen. (122a) (122b) (122c) (122d)

Er tritt mir/mich auf den Fuß Der Hund beißt mir/mich ins Bein. Er küßte ihr die Hand/sie auf die Hand. Er schlägt, haut ihr/sie ins Gesicht.

Die Kasusalternationen dieser Art untersucht Zubin (1977) eingehend. Zubins These ist, daß eine im Dativ bezeichnete Entität aktiver, einflußreicher und stärker persönlich am Geschehen interessiert ist als eine im Akkusativ bezeichnete Entität, die weniger aktiv und einflußreich, sondern eher vom Geschehen betroffen ist:

52

"The dative entity is more active, or more potent, or has a greater personal interest in the event, whereas the accusative entity is less potent or active, and more likely affected in the course of the event." (1977:91) Anhand einer Auswertung von 145 einschlägigen Beispielen aus modernen Literatur- und Zeitungstexten kommt er zu dem Ergebnis, daß der Akkusativgebrauch mit der Stärke des physischen Kontakts wächst. Während Verben wie klopfen, streichen, tippen, die eine sanfte Berührung in freundschaftlicher Absicht bezeichnen, zu 100% mit dem Dativ verwendet werden, werden Verben wie fassen und packen, die ein etwas stärkeres Zugreifen bezeichnen, durch das die Bewegungsfreiheit der Person eingeschränkt wird, nur mit dem Akkusativ verwendet. Die stärkere Intensität der Akkusativ-Konstruktionen zeigt sich u.a. in der Verteilung der Verben, die mit einem Akkusativobjekt auftreten können. Die Verben, die die intensiveren Einwirkungen bezeichnen, lassen alle eine Akkusativ-Konstruktion zu. Zu diesen Verben gehören alle Verben, die eine Körperverletzung bezeichnen. Verben, die nur Körperkontakte bezeichnen, lassen nur zum Teil eine Akkusativ-Konstruktion zu. Einige Verben, die Augenkontakte und sanfte Berührungen bezeichnen, lassen nur eine Dativ-Konstruktion zu: (123a) (123b)

Er sah ihr/*sie in die Augen. Er streicht ihr/*sie übers Haar.

Wenn der Körperteil im Akkusativ kodiert wird, ist der Körperteil der eigentlich von der Handlung Betroffene, er spielt die zentrale Rolle. Ist die Person im Akkusativ kodiert, so ist sie die Betroffene und im Mittelpunkt des Interesses. Das belegt die Weglaßbarkeit: (124a) (124b)

Der Hund biß sie ins Bein. Der Hund biß sie.

(125a) (125b)

Der Schuß traf ihn ins Herz. Der Schuß traf ihn.

(126a) (126b)

Er streichelte sie am Rücken. Er streichelte sie.

(127a) (127b)

Der Hund biß ihr ins Bein. *Der Hund biß ihr.

(128a) (128b)

Er griff ihr an den Arm. *Er griff ihr.

(129a) (129b)

Er streichelte ihr den Rücken. *Er streichelte ihr.

Bei der Dativ-Konstruktion kann die PP nie weggelassen werden, sie bezeichnet das Ziel der Berührung, die Person ist nur mittelbar durch diesen Körperteil betroffen. Bei einer Akkusativ-Konstruktion kann die PP stets weggelassen werden, die Person ist das Ziel der Beruh-

53

rung. Die PP stellt nur eine genauere, zusätzliche Information dar. Der Nachtragstest belegt diesen grundsätzlichen Unterschied der PPn in den beiden Konstruktionstypen: (130a) (130b)

*Er sah ihr, und zwar in die Augen. Der Schuß traf ihn, und zwar ins Herz.

Aus diesem Grund ist es auch nicht sinnvoll, wie Engel/Schuhmacher (1978:56) von einem Pertinenzakkusativ zu sprechen (cf. Wegener 1985:171). Die Tendenz, den Dativ zu verwenden, steigt, wenn das Gesicht einer Person berührt wird. Zubin (1977:96) führt das darauf zurück, daß das Gesicht als Zentrum der Person betrachtet wird und ein Mensch am stärksten als Person betroffen ist, wenn sein Gesicht in irgendeiner Weise berührt wird. Wegen der Egozentrizität von Sprechern wird der Dativ auch dann häufiger verwendet, wenn es sich um ein Pronomen der 1. PS. handelt (Zubin 1977:97). Man ist geneigt, sich selbst als Zentrum der Handlung zu betrachten, während anderen dieses Recht nicht in demselben Umfang zugestanden wird. Zubin (ebd.:91) bringt seine Ergebnisse prägnant auf den Punkt: "The accusative will emphasize the effect on the person, whereas the dative will emphasize his personal involvement." Seine Ergebnisse lassen sich also dahingehend zusammenfassen, daß der Akkusativ gewählt wird, wenn die Person weniger als unangetastete Größe denn als betroffenes Objekt der Handlung gesehen wird. Ein weiterer semantischer Unterschied liegt in der Intentionalität des Agens. Wegener (1985a:168) hat anhand einer Informantenbefragung zu dem Beispielpaar er trat mich/mir auf die Füße herausgefunden, daß bei der Akkusativ-Konstruktion die Handlung für intensiver gehalten wird. Das stimmt mit dem Ergebnis von Zubins Untersuchung überein. Außerdem wird die Handlung auch für absichtlicher gehalten als bei der Dativ-Konstruktion. Die Akkusativ-Konstruktion wird für ungewöhnlicher gehalten, die Dativ-Konstruktion wird als akzeptabler angesehen. Einen Hinweis auf die stärkere Intentionalität bei der Akkusativ-Konstruktion liefert die Hinzufügung von Modaladverbialen wie unabsichtlich, ohne Absicht u.a., die bei Verben mit der Akkusativ-Konstruktion weniger gut möglich ist: (131a) (131 b)

Er trat mir ohne Absicht auf den Fuß. ??£r trat mich ohne Absicht auf den Fuß.

Außerdem setzt die Akkusativ-Konstruktion ein handlungsfähiges Subjekt voraus, sie ist zwar bei Tieren, nicht aber bei Referenten mit dem Merkmal [-belebt] möglich. (132a) (132b) (132c)

Die Biene stach mich ins Gesicht. *Die Sonne stach mich ins Gesicht. *Der Besenstiel schlug mich ins Gesicht.

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(132d) (132e)

*Der Rauch biß mich in die Augen. (Beispiele bei Wegener 1985a:169) Der Gedanke schoß mir/*mich durch den Kopf.

Bezüglich der Handlungsfähigkeit und der Intentionalität des Agens sind die Sätze mit einer Akkusativ-Konstruktion also transitiver.

1.2.4.4.2 Synonyme und homonyme Verben Es gibt einige beinahe synonyme Verbpaare, bei denen eine Dativ-Akkusativ-Alternation auftritt. (133a) (133b)

Ich treffe ihn. Ich begegne ihm.

(134a) (134b)

Ich unterstütze ihn. Ich helfe ihm.

Auf der Basis solcher Satzpaare wird manchmal bestritten, daß der Kasusrahmen überhaupt eine Bedeutung für die Semantik hat. Auch bei diesen Satzpaaren lassen sich aber feine Unterschiede in der Semantik

feststellen. Die (a)-Sätze

haben eine Tendenz,

eher

intentionales Handeln und größere Anstrengung zu implizieren, die (b)-Sätze sind dagegen treffender, wenn es um nicht-absichtliches Handeln geht. (135a) (135b)

Ich treffe ihn heute abend. Ich habe eine Verabredung mit ihm. *Ich begegne ihm heute abend. Ich bin mit ihm verabredet.

(136a) (136b)

IlOhne mir dessen bewußt zu sein, unterstützte ich ihn. Ohne mir dessen bewußt zu sein, half ich ihm.

Die Sätze mit einem Akkusativobjekt sind also hinsichtlich der Intentionalität des Agens transitiver. Ein deutlicher semantischer Unterschied zeigt sich auch bei den wenigen homonymen Verben, die in einer Lesart ein Dativobjekt, in der anderen ein Akkusativobjekt nehmen. (137a) (137b)

Er traut ihr. Er traut die beiden.

(138a) (138b)

Er stellt ihr nach. Er stellt die Uhr nach.

Hier liegt der semantische Unterschied in dem Grad der Betroffenheit der Objektsreferenten: er ist bei den Akkusativ-Konstruktionen deutlich größer.

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In diesem Abschnitt wurde die Alternation zwischen Akkusativobjekt und anderen Konstituenten im Hinblick auf damit verbundene semantische Veränderungen untersucht. Dabei hat sich durchgehend die These bestätigt, daß Sätze mit einem Akkusativobjekt nach den Transitivitätsparametern von Hopper und Thompson transitiver sind als alternative Kodierungsmöglichkeiten. Gelegentlich ließ sich kein Unterschied in der Transitivität von Sätzen mit einem Akkusativobjekt und Sätzen mit anderen Konstituenten feststellen. In keinem Fall waren jedoch die Sätze mit anderen Konstituenten transitiver als die Sätze mit Akkusativobjekten.

56 1.3 Syntaktische Charakterisierungen 1.3.1 Akkusativ-NPn in verschiedenen Funktionen Neben ihrer Hauptfunktion als Objekt kommen Akkusativ-NPn in einer Reihe anderer syntaktischer Funktionen vor. Sie können also nicht nur einmal pro Satz auftreten, wie (139) demonstriert. (139)

Den Ellenbogen (a) aufgestützt und gelangweilt auf die Uhr (b) sehend, läßt Zeus den Sisvohus (c), seinen Untergebenen (d), Jeden Tae (e) zwei Stunden lane (f) den 2 Zentner (g) schweren Felsbrocken (h) den 800 m (i) hohen Berg (i) hinaufrollen.

Akkusativ-NPn können auftreten als (a)

"absolute" Akkusative

(b)

Teile von PPn

(c)

Akkusativobjekte, die zugleich "logisches Subjekt" eines Verbs sind, wie z.B. in AclKonstruktionen

(d)

Appositionen

(e)

Temporaladverbiale (Zeitpunkt)

(f)

durative Temporaladverbiale

(g)

Maßakkusative (zu Adjektiven und Verben)

(h)

Akkusativobjekte

(i)

Akkusative der Strecke

(j)

Richtungsadverbiale

Damit sind die Funktionen von Akkusativ-NPn aber noch nicht erschöpft. Die restlichen Funktionen müssen extra genannt werden, um (139) nicht über Gebühr zu beladen. (k)

als Teil des Prädikats: Eva spielt Klavier, (inkorporiertes Objekt) Sie nahm dazu nicht Stellung. (Teil von Funktionsverbgefügen) Er erholt sich auf seinem Balkon, (inhärente Reflexiva)

(1)

als "innere" Objekte: Sie spielt ein undurchsichtiges Spiel.

(m)

als Prädikativ: Sie nannte ihn einen Idioten.

57

Diese Funktionen von Akkusativ-NPn sollen in diesem Abschnitt erörtert werden, soweit sich Abgrenzungsschwierigkeiten zu den Akkusativobjekten ergeben. Die Diskussion von Akkusativ-NPn als "Subjekte" von Objektsprädikaten und als Prädikative findet sich in Kap. 3 dieser Arbeit.

1.3.1.1 Akkusativ-NPn in adverbialen Funktionen Mit der Abgrenzung von adverbialen zu Objektsakkusativen befaßt sich Saltveit (1968) mit dem Ergebnis, daß keine klare Abgrenzung gezogen werden kann, sondern nur eine graduelle Abstufung möglich ist. In dieser Grauzone zwischen Objekt und Adverbial liegen insbesondere drei semantische Gruppen von Akkusativen:

1)

Akkusativ-NPn mit temporaler Bedeutung

2)

Akkusativ-NPn mit lokaler Bedeutung

3)

Maßakkusative

Ein Hauptunterschied zwischen adverbialen und Objektsakkusativen liegt darin, daß der Kasus von Objekts-NPn vom Verb festgelegt wird, d.h. regiert ist. Der adverbiale Akkusativ ist dagegen nicht regiert, sondern hat eine selbständige semantische Funktion (wie auch der adverbiale Genitiv in eines Tages etc.). Dieser Unterschied in der Regiertheit zeigt sich darin, daß adverbiale Akkusative nicht umgeformt werden können. Sie können bei Passivierung nicht zum Subjekt werden und bei Nominalisierung des Verbs nicht zum Genitivattribut. Es wird sich zeigen, daß sich einfache lokale und einige temporale Akkusativ-NPn in dieser Hinsicht verhalten wie Objekts-NPn. Ein weiteres Kriterium, das zur Abgrenzung der Objekte von den Adverbialen herangezogen werden kann, ist die "grammatische Notwendigkeit". Grammatisch notwendig ist ein Satzglied, wenn es nicht weggelassen werden kann, ohne daß - bei gleichbleibender Interpretation des Verbs - der Restsatz ungrammatisch wird. Eine klare Abgrenzung der Akkusativobjekte von den adverbialen Akkusativ-NPn kann auch dieses Kriterium nicht leisten, schon allein aus dem Grund nicht, daß viele Akkusativobjekte fakultativ sind. Eine Gruppe von adverbialen Akkusativ-NPn, die Maßakkusative, verhalten sich in dieser Hinsicht wie obligatorische Akkusativobjekte. Eine weitere Möglichkeit, Adverbiale von Objekten abzugrenzen, liegt in der Art der Erfragbarkeit und Pronominalisierbarkeit. Akkusativobjekte lassen sich mit wen oder was erfragen und durch Personalpronomina ersetzen. Adverbiale dagegen müssen ihrem semantischen Typ entsprechend erfragt werden (z.B. wie lange, wohin) und können durch ein entsprechendes Adverb ersetzt werden.

58

Als mögliche Abgrenzungskriterien bieten sich also an: a)

Regiertheit des Akkusativs (Tests: Subjektfähigkeit bei Passivierung, Genitivattribut bei Nominalisierung des Verbs)

b)

Grammatische Notwendigkeit (Test: Weglaßbarkeit)

c)

Ersetzbarkeit (Tests: Erfragbarkeit und Pronominalisierung)

1.3.1.1.1 Akkusati v-NPn mit temporaler Bedeutung Als eine wesentliche syntaktische Eigenschaft von adverbialen Akkusativen wird häufig die fehlende Subjektfähigkeit bei Passivierung gesehen (Brinkmann 1962:399). Ein adverbialer Akkusativ trete auch in passivierten Sätzen stets als akkusativisch markierte NP auf: (140a) (140b)

Er arbeitete den ganzen Tag. *Der ganze Tag/den ganzen Tag wurde von ihm gearbeitet.

Für Akkusative mit temporaler Bedeutung trifft dies zu. Auch die anderen Kriterien sprechen für den Adverbialcharakter dieser Akkusative. Sie können nicht wie ein Akkusativobjekt erfragt und pronominalisiert werden, werden bei Nominalisierung nicht zum Genitivattribut und sind bis auf wenige Ausnahmen (z.B. bei dauern) nicht grammatisch notwendig. Auch bei Akkusativ-NPn nach dauern ist der Adverbialcharakter klar daran erkennbar, daß ein duratives Temporaladverb diese NP ersetzen kann (Das dauert 10 Stunden/sehr lange). Anders verhält sich Akkusativ-NPn nach einem Verb wie verbringen, die auch eine temporale Semantik aufweisen. Sie sind nicht durch ein duratives Temporaladverb ersetzbar und auch nicht so erfragbar: (141a) (141 b)

Sie verbrachte ihren Urlaub/*lange hinter dem Schreibtisch. *Wie lange verbrachte sie...?

Es gibt vereinzelte Beispiele für Akkusativ-NPn mit temporaler Bedeutung, die bei Passivierung zum Subjekt werden können: (142)

Drei Minuten sind schon gespielt. (Hörbeleg aus einer Sportreportage)

Es steht zu vermuten, daß diese temporale Akkusativ-NP deswegen zum Subjekt werden kann, weil sie in gewisser Weise ein Resultat der bezeichneten Handlung darstellt und daher als effiziertes Objekt aufgefaßt werden kann.

59

1.3.1.1.2 Akkusativ-NPn mit lokaler Bedeutung Mit einigen Verben der Bewegung können Akkusativ-NPn auftreten, die eine Strecke bezeichnen, so daß eine adverbiale Interpretation naheliegt, bei denen Subjektfähigkeit jedoch nicht ausgeschlossen ist (cf. Folsom 1970). (143a) (143b)

Er geht diesen Weg. Dieser Weg wurde von ihm gegangen.

(144a) (144b)

Sie lief 100m in 9 Sekunden. 700m wurden von ihr in 9 Sekunden gelaufen.

Auch hier ist die Subjektfähigkeit der Akkusativ-NP dadurch bedingt, daß die zurückgelegte Strecke als Resultat der im Verb bezeichneten Bewegung aufgefaßt werden kann und somit in die Nähe eines effizierten Objekts rückt. Obwohl Akkusative der Strecke ihre Subjektfähigkeit mit Objektsakkusativen teilen, handelt es sich bei ihnen doch nicht um lupenreine Akkusativobjekte. Neben der doppelten Erfragbarkeit (was/wie weit?) gibt auch die Wahl des Perfektauxiliars einen Hinweis darauf, denn diese Verben bilden ihr Perfekt mit sein, was für Verben mit einem Akkusativobjekt einen großen Ausnahmefall darstellt. Der Adverbialcharakter dieser Streckenangaben kann durch Hinzufügung eines Adjektivs wie weit verstärkt werden, die Subjektfähigkeit ist dann nicht mehr gegeben: (144c) (144d)

Sie lief 100m weit. *100m weit wurden von ihr gelaufen.

Akkusative, die eine Strecke bezeichnen, treten auch in Verbindung mit Postpositionen auf: (145)

Sie gingen den Fluß entlang/den Berg hinauf/die Treppe hinunter.

Da Direktionalangaben sehr eng an das Verb geknüpft sind (sie stehen bei Verbletztstellung direkt vor dem Verb), besteht die Tendenz, die Postposition als Teil des Verbs aufzufassen, was sich auch in der Zusammenschreibung bei Kontaktstellung zeigt. Das legt es nahe, die Akkusativ-NP als Objekt zu klassifizieren; sie verhält sich jedoch mitnichten so. Bei Passivierung ist sie z.B. nicht subjektfähig: (145a) (145b)

??Der Fluß wurde von ihnen entlanggegangen. IIDer Berg wurde von ihnen hinaufgestiegen.

Diese Akkusativ-NPn sind zudem nicht wie Objekte erfragbar (145c) (145d)

Wo/llwas seid ihr entlanggegangen? Wo/11 was seid ihr hinaufgestiegen?

60

Auch die Umformbarkeit der Akkusativobjekte in Genitivattribute bei Nominalisierung des Verbs ist nicht gegeben: (145e) (145f)

T! das Entlanggehen des Flusses/am Fluß Tidas Hinaufsteigen des Berges/auf den Berg

Auch die Perfektbildung mit sein spricht dafür, daß es sich hier nicht um Objektsakkusative handelt. Lediglich die Pronominalisierbarkeit würde darauf hinweisen, daß hier ein Objektsakkusativ vorliegt, genauso gut ist aber die Einsetzung eines lokalen Adverbs möglich: (145g)

Sie sind ihn/dort hinaufgestiegen, ihn/dort entlanggegangen.

Akkusative, die eine Strecke bezeichnen, sind nicht valenzgebunden in dem Sinn, daß der Satz ohne sie grammatisch unvollständig wäre. Sie sind jedoch nicht, wie Adverbiale das idealtypischerweise sind, "frei hinzufügbar", sondern können nur mit Verben der Bewegung auftreten. Akkusative der Strecke teilen mit den Objektsakkusativen die Passivierbarkeit und Pronominalisierbarkeit. Andererseits zeigen die Erfragbarkeit, Verhalten bei Nominalisierung des Verbs und die Ersetzungsmöglichkeit durch ein Lokaladverb deutlich, daß es sich hier nicht um Objekte handelt.

1.3.1.1.3 Maßakkusative

Neben den Akkusativen der Strecke befinden sich auch die Maßakkusative in einer "fuzzy area" zwischen Objekt und Adverbial. Sie treten nach wiegen, kosten, messen, betragen als obligatorische Ergänzung auf (sind also ganz klar grammatisch notwendig) und sind semantisch meist auf entsprechende Maßangaben festgelegt. (146)

Der Sack wiegt einen Zentner. Das Buch kostet 20 DM. Die Zeche betrug einen Hunderter.

Die Sätze mit Maßakkusativen sind nicht passivierbar (*Einen Zentner wurde von dem Sack gewogen). Das ist darauf zurückzuführen, daß eine statische Verbsemantik Passivierung weitgehend unmöglich macht (das gilt auch für Verben mit Objekten, s. 1.2.3.1). Wiegen kann auch als Handlungsverb verwendet werden und ist dann selbstverständlich passivierbar, doch ist dann ein Maßakkusativ ausgeschlossen (*Er wiegt die Kartoffeln 20 kg).

61

Einen Grund, die Maßakkusative zu den Adverbialen zu rechnen, könnte man in der weitgehenden Beschränkung auf Maßangaben sehen. Bei kosten können aber auch andere NPn im Akkusativ auftreten: (147)

Dieses Unternehmen kostete ihn seinen guten Ruf/das Leben/den Ruhe/sein ganzes Vermögen.

Kopf/seine

In diesen Fällen ist der Sachakkusativ nur mit was, nicht mit wieviel erfragbar und wie ein Akkusativobjekt pronominalisierbar: Das kostete es ihn. Maßangaben dagegen sind sowohl mit was wie auch mit wieviel erfragbar und nicht wie ein Objekt pronominalisierbar: (148a) (148a)

Das kostet 100 Mark/*sie. Der Sack wiegt einen Zentner/*ihn.

Zusammenfassend kann man sagen, daß sich Maßakkusative wie Akkusativobjekte zu statischen Verben verhalten und lediglich die Erfragungsmöglichkeit mit wieviel und die eingeschränkte Pronominalisierbarkeit auf einen adverbialen Status hinweisen. Bei kosten können sowohl Maßangaben wie auch andere NPn, die nur mit was erfragbar sind, als Akkusativergänzung auftreten. Bei letzteren handelt es sich um eindeutige Objektsakkusative und doch sind sie ohne weiteres mit Maßakkusativen koordinierbar: (149)

Das Unternehmen kostete ihn eine halbe Million und seinen guten Ruf.

Die Koordinierbarkeit weist darauf hin, daß Maßakkusative nach kosten und Objektsakkusative nicht zwei prinzipiell unterschiedlichen Satzgliedtypen angehören, sondern daß zwischen ihnen bestenfalls ein gradueller Unterschied in der Objekt- bzw. Adverbialhaftigkeit besteht.

62 1.3.1.2 Akkusatlv-NPn als Teil des Prädikats

Zu den akkusativisch markierten Nomina, die als Teil des Prädikats auftreten, gehören 1)

inkorporierte Objekte z.B. Dank sagen, Walzer tanzen. Zeitung lesen

2)

Teile von Funktionsverbgefügen z.B. Abstand nehmen, Stellung beziehen, Sorge tragen

3)

Akkusativ-NPn in idiomatisierten Wendungen z.B. das Handtuch werfen, den Löffel schmeißen

Es wird hier nichts über die Akkusativ-NPn der Gruppe 3) zu sagen sein, da sie rein syntaktisch betrachtet Objekte sind. Teil des Prädikats sind sie nur deswegen, weil sie mit dem Verb zusammen eine semantische Einheit bilden. Die Semantik läßt sich hier nicht aus der Bedeutung der Einzelteile und der Art ihrer Zusammensetzung erschließen (sog. Frege-Prinzip), sondern muß separat im Lexikon aufgeführt werden. Im dritten Teil dieses Abschnitts werden Reflexivpronomina diskutiert, die obligatorisch zu bestimmten Verben auftreten und in diesem Sinn "Teil des Prädikats" sind. Es wird zu zeigen sein, daß diese Reflexiva Akkusativobjektstellen besetzen, die jedoch über keine eigene Referenzfähigkeit verfügen.

1.3.1.2.1 Inkorporierte Objekte

Mir ist keine Arbeit bekannt, die speziell auf Objektinkorporation oder Inkorporation allgemein im Deutschen eingeht. Es gibt aber einige neuere Arbeiten zur Inkorporation unter sprachvergleichenden Gesichtspunkten. Mardirussian (1975) untersucht phonologische, morphologische, syntaktische und semantische Eigenschaften von Inkorporationen mit einem universalen Blickwinkel. Sasse (1984) untersucht Inkorporationen anhand von einigen Sprachen mit dem Schwerpunkt auf pragmatischen und satzstrukturverändernden Prozessen, die von der Inkorporation ausgelöst werden. Mardirussian definiert Inkorporation als "process whereby a full NP argument of a predicate is physically incorporated into the predicate" (1975:383). Es handelt sich um einen Wortbildungsprozeß (N + V -» V), bei dem das Nomen im Gegensatz zu parallelen syntaktischen Strukturen nicht eine Ergänzung des Verbs ist, sondern ein Teil des Verbs.

1

Die Diskussion bei Holmberg (1976) ist eher kursorisch und zu wenig ergiebig.

2

Weitere neuere Arbeiten zur Inkorporation stammen von Mithun (1983) und Baker (1988).

63

Anhand einer Reihe von Sprachen läßt sich zeigen, daß sich Verben mit ihren inkorporierten Elementen in phonologischer und morphologischer Hinsicht wie ein Wort verhalten (s. Mardirussian 1975). Dies trifft auch für das Deutsche zu. Bezüglich ihrer Stellungsmöglichkeiten verhalten sich die inkorporierten Nomina wie trennbare Verbbestandteile. Sie stehen wie diese bei Distanzstellung als klammerschließendes Element (Sie fährt oft Auto.), bei Kontaktstellung direkt vor dem Verb (..., weil sie oft Auto fahrt.) und wie die trennbaren Verbbestandteile tragen sie den Akzent. Weitere Eigenschaften von inkorporierten Nomina sind, daß sie nicht in den Plural gesetzt werden können und keine Adjektive und Artikelwörter zu sich nehmen. Dies ist darauf zurückzuführen, daß inkorporierte Nomina nicht referentiell sind, was sich auch daran zeigt, daß Eigennamen und Personalpronomen nie inkorporiert werden können. In ihrer fehlenden Referentialität gleichen inkorporierte Nomina den ersten Gliedern in Nominalkomposita, die nicht durch einen Artikel oder ein Adjektiv spezifiziert werden können und von generischer Referenz sind (z.B. in Pferdedoktor, Tierarzt, Opernsänger etc.). In der einschlägigen Literatur gibt es verschiedene Aussagen darüber, welche Satzglieder als Inkorporationen auftreten können. Mardirussian (1975:387) vermutet, daß für Inkorporation die Zugänglichkeitshierarchie direktes Objekt > (nicht-agentisches) Subjekt > indirektes Objekt gilt. Am Deutschen läßt sich diese Vermutung nicht bestätigen, wo die für Inkorporation zugänglichen Relationen nicht einer gängigen Hierarchie grammatischer Relationen entsprechen. Baker (1988) vertritt die Ansicht, daß transitive Objekte und ergative Subjekte inkorporiert werden können. Die Klasse der inkorporierbaren Glieder wäre somit die der tiefenstrukturellen Objekte. Andere Untersuchungen zeigen jedoch, daß auch Instrumente und Ortsangaben inkorporiert werden können. Im Deutschen finden sich Beispiele für inkorporierte Akkusativobjekte, Instrumental- und Lokalangaben: (150)

Objekt: Rad schlagen. Staub saugen. Staub wischen, Klavier/Geige /Saxophon/Karten /Billiard/Schach spielen

3

So werden hier Elemente bezeichnet, die bei Verbzweitstellung in Distanz zum Verb auftreten, bei Verbletztstellung dagegen direkt vor dem Verb stehen (sie fällt gerne auf - .... weil sie gerne auffällt). Das Perfektmorphem ge- und zu bei Infinitiven tritt zwischen dieses Element und das Verb (aufgefallen, aufzufallen).

4

Die Schreibung ist vom Duden recht uneinheitlich geregelt (z.B. radfahren, aber Auto fahren) und variiert z.T. bei Kontakt- und Distanzstellung (maschineschreiben, ich schreibe Maschine).

5

Sapir (1911:258) und Mithun (1983:875f.) belegen dies an einer Reihe von Sprachen.

64

Lokalangabe: Eis laufen, Schlange stehen, Kopf rechnen Instrument: Auto/Zug/Omnibus/fahren, neschreiben

radfahren, Ski/Rollschuh/Schlittschuh laufen, maschi-

Häufig lassen sich inkorporierte Elemente gar nicht eindeutig einem dieser drei Typen zuordnen. Bei Klavier/Geige/Saxophon spielen gibt es zwei Interpretationen: als Objekt und als Instrumental/Lokal: (151a) (151b) (151c)

Sie spielt die Geige. Sie spielt auf dem Klavier eine Mozart-Sonate. *Sie spielt Klavier eine Sonate.

Daß (ISlc) nicht möglich ist, legt es nahe, daß die Objektstelle von Klavier besetzt ist. Zwei Möglichkeiten gibt es auch bei Auto/Zug/Bus fahren. (152a) (152b) (152c)

Er ist Auto gefahren. Er hat das Auto in die Garage gefahren. Er ist mit dem Auto gefahren.

Die Wahl des Perfektauxiliars entspricht der in (152c), nicht der in (152b). Außerdem besteht ein implikatives Verhältnis zwischen (152a) und (152c), nicht jedoch zwischen (152a) und (152b). Man kann Zug/Omnibus /Auto fahren, ohne jemals den Zug/den Omnibus/das Auto gefahren zu haben, also selbst am Steuer gesessen zu sein. Es liegt daher nahe, daß Auto fahren ein Instrumental inkorporiert, nicht ein Objekt. Das inkorporierte Nomen verliert seine eigenständige Referentialität, es wird zu einem integralen Bestandteil einer Aktivität und rückt somit in die Nähe eines Verbmodifikators. Sasse (1984) vermutet, daß die Objektinkorporation neben einer Intransitivierung immer auch einen pragmatischen Effekt hat, nämlich dem direkten Objekt seinen Status als sekundäres Topik zu nehmen und damit eventuell die Stelle des direkten Objekts für andere Argumente freizumachen. Die erste Teilaussage trifft sicherlich auch für das Deutsche zu, wo inkorporierte Nomina wegen ihrer semantischen Abhängigkeit, fehlenden Referentialität etc. kaum als sekundäres Topik gewertet werden können. Die zweite Teilaussage trifft für das Deutsche nicht zu. Die syntaktische Position des direkten Objekts bleibt blockiert, es kann kein neues direktes Objekt auftreten. Eine wichtige syntaktische Eigenschaft der Objektinkorporation ist, daß sie ein transitives Verb zu einem intransitiven Verb macht. Dafür gibt es syntaktische Hinweise: In einer ergativen Sprache, in Chuckchee, wird das Subjekt eines Verbs mit inkorporiertem Objekt

Sasse betrachtet das direkte Objekt als Topik (oder "Thema") des Satzes. Sekundär ist es, weil in erster Linie das Subjekt diese Funktion innehat.

65 wie ein intransitives Subjekt kasusmarkiert. Zudem wird in Sprachen mit Objektkongruenz des Verbs der Kongruenzmarker verändert oder getilgt (Beispiele bei Mardirussian 1975:385). Schon öfters wurde die Beobachtung gemacht, daß indefinite Objekte den Aspekt eines Satzes ändern können. So findet sich bei Dowty (1979) die Feststellung, daß Sätze mit definiten Objekten Handlungen bezeichnen, die auf ein Ziel ausgerichtet sind, während dieselben Sätze mit einem indefiniten Objekt Aktivitäten bezeichnen, die auf kein Ziel ausgerichtet sind und somit keine perfektive Komponente haben. Es scheint generell zuzutreffen, daß Sätze mit einem inkorporierten Nomen Aktivitäten im Sinne von Dowty bezeichnen. Es können keine Objekte und keine Richtungsangaben auftreten: (153) (154) (155) (156) (157)

*Er fährt Auto/Rad/U-Bahn nach Hamburg. *Er fährt den Hans Auto nach Hause. *Anna fährt ihren Freund Rad durch den englischen Garten. *Sie schreibt ihren Brief Maschine. *Sie rechnet ihre Aufgaben Kopf.

Dafür gibt es zwei Erklärungsmöglichkeiten. Einmal entspricht das der öfters registrierten Tendenz zur Intransitivität von Sätzen mit inkorporierten Nomina. Sowohl direkte Objekte wie auch Richtungsangaben sind Ausdruck der Zielgerichtetheit einer Handlung und in diesem Sinn Anzeiger für Transitivität (s. 1.2.1). Zum zweiten wäre es denkbar, daß inkorporierte Nomina, egal ob es sich um ursprüngliche Objekte, Lokalangaben oder Instrumentale handelt, als indefinite Objekte aufgefaßt werden. Damit ist aber noch nicht erklärt, warum auch keine Richtungsangaben dazu auftreten können. Der erste Lösungsvorschlag, daß Sätze mit Inkorporationen intransitiver, weniger zielgerichtet sind, nach Dowty Aktivitäten bezeichnen, ist hier aus diesem Grund adäquater. Inkorporationen wurden hier erklärt als Wortbildungsprozeß, bei dem Akkusativobjekts-NPn oder NPn mit instrumentaler und lokaler Bedeutung zusammen mit dem Verb ein neues Verb bilden. Diese

Verben sind intransitiv, es können keine neuen Objekte

und keine

Richtungsangaben auftreten, da diese Verben nicht-zielgerichtete Aktivitäten bezeichnen.

1.3.1.2.2 Teile von Funktionsverbgefügen

Wie inkorporierte Nomina sind auch Teile von Funktionsverbgefügen nicht attribuierbar, haben keinen Artikel, ihr Numerus kann nicht verändert werden und sie sind nicht erfragbar. Bei einer Inkorporation liegt ein Verlust an Referenzfähigkeit gegenüber einer parallelen syntaktischen Struktur vor, das Verb behält aber seine Semantik. Bei den Funktionsverbgefügen sind die Verben dagegen semantisch so entleert, daß das Prädikat seine Bedeutung erst durch das Nomen oder die PP erhält. Es gibt hier keine parallele syntaktische Struktur, in der dieses Nomen oder die PP volle Referenzfähigkeit besitzt. Deswegen wäre es sinnlos, in

66

diesen Fällen von Inkorporation zu sprechen. Der Großteil von Funktionsverbgefügen hat eine PP als Teil integriert, Funktionsverbgefüge mit einer integrierten Akkusativ-NP stellen eher eine Randgruppe dar, sie sind nicht allzu häufig. Beispiele dafür sind (158)

Sorge/Rechnung tragen Bezug/Rücksicht/Stellung/Platz/Anstoß/Kenntnis/Zuflucht/Abschied nehmen Ausschau/Wache hallen Folge/Verzicht/Hilfe/Widerstand leisten Erwähnung/Berücksichtigung/Verwendung/Anwendung/Anklang/Bei fall finden Ausdruck verleihen Überlegungen/Untersuchungen anstellen Anklage/Vorwürfe/Beschwerde/Zweifel/Protest erheben Schule/Wind/Geschichte/Liebe/Furore/Fisimatenten/Randale/Rambozambo/ Männchen/Epoche machen Wache/Kohldampf schieben

Es muß hier offen bleiben, ob diese Ausdrücke eher idiomatisierten Wendungen ähnlich sind (z.B. Wind/Schule machen) oder ihren Ursprung in einer konkreten referentiellen Verwendung des Nomens haben (z.B. Platz nehmen). Diesen Nomina ist gemeinsam, daß sie nicht referentiell verwendet sind. Das zeigt sich u.a. darin, daß sie keinen Artikel bei sich haben können und kaum bzw. gar nicht durch Adjektive und Relativsätze modifizierbar sind. (159)

Er verlieh seinen Gefühlen Ausdruck. TiEr verlieh seinen Gefühlen lautstarken Ausdruck. *Er verlieh seinen Gefühlen Ausdruck, der kaum zu überhören war.

Daneben gibt es noch eine Reihe von Streckformen mit einer Akkusativ-NP, die mit einem einfachen Verb annähernd synonym sind, bei denen der Akkusativ-NP ein Objektstatus nicht abgesprochen werden kann. (160)

ein Bad nehmen - baden jdm. einen Kuß geben - jdn. küssen jdm. einen Schlag versetzen - jdn. schlagen jdm. einen Tritt geben - jdn. treten jdm. eine Frage stellen - jdn. etw. fragen

Hier ist die Akkusativ-NP durch Adjektive und Relativsätze modifizierbar, der Artikel kann verändert werden. (161) (162) (163)

Sie hat ihm gestern einen Schlag versetzt, den er heute noch spürt. Er gab ihr einen zärtlichen Kuß. Er stellte eine dumme/dreiste/peinliche Frage.

Einer der Vorteile dieser Streckformen liegt gerade in der Modifizierbarkeit des Nomens (Günther/Pape 1976:120), die oft eine kompaktere Ausdrucksweise erlaubt. Die AkkusativNPn bei diesen Streckformen sind referentiell verwendet und verhalten sich wie reguläre Akkusativobjekte.

67

1.3.1.2.3 Reflexivpronomina Reflexiva, die als Teile des Prädikats betrachtet werden, kommen vor bei: 1)

inhärent reflexiven Verben: sich erholen, sich schämen, sich abmühen, sich verflüchtigen, sich nähern,...

2)

inhärent reflexiven Verbvarianten: sich ärgern, freuen, interessieren, erinnern, bewegen, biegen, legen, sich verschieben,...

3)

passivähnlichen Konstruktionen: Das Buch verkauft sich gut. Hier sitzt es sich gut. Hier läßt es sich leben.

Diese Reflexivpronomina werden manchmal als "fester Bestandteil des Verbs" bezeichnet (Helbig/Buscha 1986:213), doch ist dies eher irreführend. Das Reflexivpronomen verhält sich anders als die in den beiden vorigen Abschnitten diskutierten Nomina, die als trennbare Bestandteile des Verbs fungieren. Die Reflexivpronomina sind kein Teil der verbalen Klammer, sie können in Verbletztsätzen in einiger Entfernung zum Verb stehen: (164)

...weil er sich oft wegen seiner Herkunft schämte ...weil sie sich jetzt wieder an ihn erinnerte ...weil es sich hier wirklich gut leben läßt

In diesem Abschnitt werden die Eigenschaften dieser Reflexivpronomina untersucht. Dabei wird die Ansicht vertreten, daß den Reflexivpronomina nicht uneingeschränkt ein Satzgliedstatus abgesprochen werden kann, wie dies verschiedentlich getan wird (z.B. Buscha 1972, Helbig/Buscha 1986:213). Perlmutter (1987) entwickelt am Französischen die Auffassung, daß alle Formen reflexiver Morphologie auf eine strukturelle Gemeinsamkeit der Sätze, die sie enthalten, hinweisen. Reflexiva werden in vielen Sprachen für Koreferenz, bei einer Reihe von intransitiven Verben und in passivähnlichen Konstruktionen vom Typ (165)

Das Buch verkauft sich gut.

verwendet. Er führt alle diese Ausprägungen darauf zurück, daß die Subjektstelle und eine Objektstelle denselben Referenten haben. Bei Koreferenz ist dies unmittelbar einsichtig (z.B. in Er wäscht sich.). Die intransitiven Verben mit Reflexivpronomina zählt Perlmutter zu den unakkusativen Verben, deren Subjekt ein zugrundeliegendes Objekt ist. Im Gegensatz zu einfachen unakkusativen Verben (s. 1.2.2) bleibt das Objekt in der Oberflächenstruktur erhalten. Das Objekt wird zum Subjekt angehoben, macht die verlassene Objektstelle jedoch

68

nicht frei. Perlmutter nennt dies "retroherent advancement". Das Reflexivum bleibt quasi als morphologische Kennzeichnung der verlassenen Objektstelle. Es ist schon öfters bemerkt worden, daß es nicht zufällig ist, welche Verben ergative Verben sind. Vielmehr weisen in einer Reihe von Sprachen immer wieder bestimmte semantisch zu definierende Verbgruppen die typischen Eigenschaften ergativer Verben auf (s. Perlmutter 1978, Grimshaw 1987). Im folgenden zeigt sich, daß die inhärent reflexiven Verben und Verbvarianten im wesentlichen Verben sind, die eine Zustande- oder Lageveränderung ihres Subjektsreferenten bezeichnen sowie einige psychische Verben. Bei allen diesen Verben hat das Subjekt einen starken Patienscharakter.

1.3.1.2.3.1 Inhärent reflexive Verben

Inhärent reflexive Verben müssen stets mit einem Reflexivpronomen auftreten. Sie unterscheiden sich durch eine Reihe von Eigenschaften von den Verben, die reflexiv gebraucht werden können, aber auch andere Verwendungsweisen zulassen. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über diese abweichenden Eigenschaften:

reflexiv gebraucht

inhärent reflexiv

Erfragbarkeit

Wen rasiert er?

•Wen erholt er?

Substitution

Er rasiert den Kunden.

•Er erholt den Freund.

Vorfeldstellung

Sich rasiert er, nicht den Kunden.

•Sich erholt er, nicht den Freund.

Betonbarkeit

Er rasiert SICH.

•Er erholt SICH.

Koordination

Er rasiert sich und seine Kunden.

•Er erholt sich und seine Freunde.

Modifizierbarkeit

Er rasiert nur sich.

•Er erholt nur sich.

In ihrer Semantik ähneln die inhärent reflexiven Verben deutlich den unakkusativen bzw. ergativen Verben, deren Subjekte Patienscharakter aufweisen. Es gibt eine ganze Reihe inhärent reflexiver Verben, die meisten davon Ableitungen mit dem Präfix ver-, die einen Vorgang bezeichnen, der dem Subjektsreferenten zustößt.

69

(166)

sich versprechen, sich verrechnen, sich verlieben, sich verirren, sich irren, sich verlaufen, sich vergehen, sich vertun, sich verzeichnen, sich verschreiben, sich vertippen, sich verlustieren,...

Das Muster sich ver + Handlungsverb ist produktiv, es kann stets verwendet werden, um eine Handlung mit einem nicht beabsichtigten Ergebnis zu bezeichnen. Obwohl dem Subjektsreferenten bei allen diesen Verben eine gewisse Agentivität zukommt, ist er zugleich auch das "Opfer" seiner Handlung. Die Handlung ist nicht intendiert, bzw. sie entspricht nicht der Intention. Einige inhärent reflexive Verben bezeichnen Handlungen, deren Wirkungen nur auf den Subjektsreferenten gerichtet sein können. (167)

sich besaufen/betrinken/bekiffen/ sich einen ansaufen/antrinken/andudeln

etc.

Eine ganze Reihe inhärent reflexiver Verben bezeichnet psychische Vorgänge sowie Handlungen, die solchen psychischen Vorgängen entspringen: (168)

sich etwas einbilden, sich etwas einfallen lassen, sich begnügen, sich nicht entblöden, sich entschließen, sich bedanken, sich erkenntlich zeigen,...

Die sprachliche Kodierung dieser psychischen Vorgänge weist darauf hin, daß der Träger dieser Vorgänge sowohl Züge eines Agens wie eines Patiens besitzt. Er erlebt die Vorgänge nicht passiv, sondern ist mit einem gewissen Maß an eigener Aktivität daran beteiligt. Haider (1985a) vermutet, daß inhärent reflexive Verben aus ursprünglich transitiven Verben entstehen, wobei reflexive Verbvarianten und passivähnliche Reflexivkonstruktionen die Zwischenstufen bilden. Aus unpersönlichen Verben wie in (169a) werden persönliche Verben wie in (169b). (169a) (169b)

Es ärgert mich. Es schämt mich. Ich ärgere mich. Ich schäme mich.

Hier wären noch genauere Untersuchungen nötig, aber für diese Annahme spricht aus diachronischer Sicht immerhin der sprunghafte Anstieg inhärent reflexiver Verben im Lauf der Sprachgeschichte. Es ist zudem auffällig, daß inhärent reflexive Verben mit wenigen Ausnahmen keine Akkusativobjekte bei sich haben. Tritt ein Akkusativobjekt auf, dann ist das Reflexivpronomen dativisch: (170)

Ich bedinge mir etwas aus. Ich maße mir etwas an. Ich bilde mir etwas ein.

70

Außerdem treten inhärent reflexive Verben nie mit dem Perfektauxiliar sein auf. Dies kann als Hinweis darauf gewertet werden, daß bei diesen Verben die Stelle des Akkusativobjekts besetzt ist, denn Verben mit einem Akkusativobjekt selegieren bis auf wenige Ausnahmen das Auxiliar haben. Dies alles spricht dafür, daß das Reflexivpronomen strukturell das Akkusativobjekt repräsentiert. Die Eigenschaften, die diese Reflexivpronomina von denen der reflexiv gebrauchten Verben unterscheiden, sind auf die fehlende eigene Referenzfähigkeit der Stellen, die sie besetzen, zurückzuführen. In einer vereinfachten logischen Darstellung kann man die Argumentstruktur der inhärent reflexiven und der reflexiv gebrauchten Verben folgendermaßen darstellen: (171)

P(x,y) P(x,x)

(reflexiv gebraucht)

P(x,x)

(inhärent reflexiv)

Auch bei den inhärent reflexiven Verben sind zwei Stellen vorhanden, doch handelt es sich bei der zweiten um eine Variable, deren Wert immer dem der ersten Variable enspricht. Damit ist ausgedrückt, daß diese Stelle selbst nicht referenzfähig ist. Alle oben angeführten Eigenschaften der inhärent reflexiven Verben lassen sich darauf zurückführen, daß die Objektstelle zwar strukturell vorhanden, doch selbst nicht referenzfähig ist. Durch die morphologische Füllung der Objektstelle wird sprachlich gekennzeichnet, daß der Subjektsreferent sowohl Agens wie auch Patiens ist.

1.3.1.2.3.2 Inhärent reflexive Verbvarianten Es gibt eine Reihe von Verben, die in verschiedenen Kasusrahmen auftreten können, wobei sie in einem inhärent reflexiv sind. Dazu gehören viele psychische Verben. (172a) (172b)

Ich ärgere ihn. Er ärgert sich (über mich).

(173a) (173b)

Daß Anna kommt, freut ihn. Er freut sich (über Anna).

(174a) (174b)

Der Film interessiert mich. Ich interessiere mich für den Film.

(175a) (175b)

Er erschreckte mich (mit...) Ich erschreckte/erschrak (mich).

(176a) (176b)

Mein Aussehen entsetzte ihn. Er entsetzte sich über mein Aussehen.

71

(177a) (177a)

Er regte mich auf. Ich regte mich über ihn auf.

In den transitiven Varianten ist im Nominativ ein Stimulus oder Agens kodiert, im Akkusativ ein Experiencer oder Patiens. In den reflexiven Varianten ist der Experiencer im Nominativ kodiert, der Stimulus in einer PP. In den reflexiven Varianten wird die Gemütsbewegung als ein innerer Zustand dargestellt; eine Interpretation als Handlungsverb ist im Gegensatz zu den (a)-Sätzen nicht möglich. Interessant ist Variante (175b), die vom Duden als umgangssprachlich gekennzeichnet wird. Hier ist sowohl das Präteritum des intransitiven wie das des transitiven erschrecken möglich. Das ist ein Hinweis darauf, daß hier eine Unsicherheit bezüglich der Transitivität solcher Sätze besteht. Bei einigen Verbvarianten bleibt der Subjektsreferent gleich: (178a) (178b)

Ich treffe ihn. Ich treffe mich mit ihm.

(179a) (179b)

Ich fürchte ihn. Ich fürchte mich vor ihm.

Hier bleibt die semantische Funktion der Subjekts-NP erhalten, doch wird das Patiens einmal als Akkusativobjekt, einmal als PP kodiert und nimmt damit eine weniger zentrale Rolle ein. Die teilweise Weglaßbarkeit zeigt das (Ich fürchte mich.). Eine Reihe von Verben, die eine Zustands- oder Lageveränderung bezeichnen, können sowohl transitiv wie inhärent reflexiv verwendet werden: (180)

sich setzen, sich bewegen, sich legen, sich verbiegen, sich verschieben, sich erinnern, sich entfernen,...

Erfragbarkeit und Koordinierbarkeit sind nur eingeschränkt gegeben: (181)

Der Ast verbog sich. ??Wen verbog er? ??Der Ast verbog sich und den Stamm.

(182)

Ich erinnere mich daran. ??Wen erinnerst du daran? ??Ich erinnerte mich und meinen Nachbarn daran, daß...

In (182) ist es besonders deutlich, daß die Erfragbarkeit und Koordinierbarkeit wegen eines Lesartenwechsels des Verbs eingeschränkt ist. In seiner reflexiven Variante bezeichnet das Verb einen Vorgang, der dem Subjektsreferenten zustößt. In der nicht-reflexiven Verwendung bezeichnet es eine Handlung, also eine Einwirkung eines Agens auf ein Patiens. Veränderung eines Zustands oder einer Lage sind typische Patienseigenschaften, bei den reflexiven

72 Verbvarianten wird den Mitspielern jedoch eine gewisse eigene Aktivität dabei zugesprochen. Auch hier zeigt das Reflexivpronomen an, daß der Mitspieler sowohl Agens wie auch Patiens ist. Verdeutlichen läßt sich das an folgendem Beispielpaar einer reflexiven und einer nichtreflexiven Verwendungsweise eines Verbs: (183a) (183b)

Das Kind rollt den Hügel herunter. Das Kind rollt sich den Hügel hinunter.

In (183a) kann das Kind entweder Agens sein oder aber ein Patiens, das ohne eigenes Zutun bewegt wird. In (183b) bewegt sich das Kind notwendigerweise aus eigenem Antrieb.

1.3.1.2.3.3 Passivähnliche Konstruktionen Perlmutter (1987) erklärt auch das Auftreten von Reflexiva in passivischen Konstruktionen des Typs (184)

Das Buch liest sich gut.

als Beförderung eines Objekts zum Subjekt, wobei die Objektstelle erhalten bleibt. Im Unterschied zum Passiv wird die verlassene Objektstelle durch das Reflexivum gekennzeichnet. Es ist jedoch arbiträr, ob in einer bestimmten Sprache die Objektstelle durch ein Reflexivum gekennzeichnet wird, wie der folgende Vergleich zeigt. (185)

Das Buch verkauft sich gut. Ces livres se vendent bien. Aber: The book sells well.

Im Unterschied zu anderen Formen des Passivs ist eine Agensangabe nicht möglich: (186) (187) (188) (189)

Das Buch verkauft sich gut (*von den Händlern). Hier lebt es sich gut (*von den Einwohnern). Hier läßt sich's ausholten (*von den Urlaubern) Im 20. Jh. lebt es sich sehr komfortabel (*von den Leuten in den Industrienationen).

Eine mögliche Erklärung dafür ist, daß die Agens-Thetarolle irgendwo gebunden ist. Haider (1985a:245f.) nimmt an, daß sich diese Thetarolle trägt, da die Objektsthetarolle vom Subjektsreferenten getragen wird (ebenso Chomsky 1981:270). Dies ist jedoch m.E. wenig plausibel, da es keine Passivkonstruktionen gibt, bei denen die Thetarolle des Subjekts an ein Kasusobjekt weitergegeben wird. Es ist vorstellbar, daß diese Sätze nach einem Agens-PatiensMuster gebildet sind und wegen fehlender Handlungsfähigkeit des Subjektsreferenten zu Sätzen uminterpretiert werden, die inhärente Eigenschaften des Subjektsreferenten bezeich-

nen.

73

Bei intransitiven Verben in diesen Konstruktionen wird die Subjektstelle durch ein inhaltsleeres es gefüllt, das als Antezedens für das ebenfalls inhaltsleere sich fungiert. Sich verlangt hier wie ein Argument-i/cA ein Antezedens, d.h. es muß vorhanden sein. Rein formalsyntaktisch sind also die Subjekt- und Objektstelle besetzt. Daneben tritt in diesen Sätzen obligatorisch mindestens ein Adverbial auf. Im Fall der unpersönlichen Konstruktionen mit es - sich wird eine inhärente Eigenschaft eines Ortes bzw. einer Zeit bezeichnet. Es wird nicht gesagt, daß bestimmte Personen an einem Ort gut leben können, sondern es ist eine Eigenheit des Ortes, daß man dort gut leben kann. Das Agens spielt dabei keine Rolle, und diese Agensabgewandtheit haben diese Konstruktionen mit dem Passiv gemeinsam. Man beachte die Paraphrasen, in denen das Agens relativ bedeutungsleer realisiert ist. (190)

Man kann das Buch gut verkaufen. Man kann hier gut leben. Man kann es hier gut ausholten.

Zusammenfassend ist festzustellen, daß das Refiexivum in den hier diskutierten Konstruktionen rein formal-syntaktisch eine Objektstelle besetzt. Dafür sprechen a) die historische Entwicklung der inhärenten Reflexivverben aus koreferenten und unpersönlichen Konstruktionen, b) die Tatsache, daß bei Verben mit akkusativischem sich keine Akkusativobjekte auftreten, c) die Perfektauxiliarselektion im Deutschen und d) die Tatsache, daß in den passivischen Konstruktionen ein Antezedens für das Refiexivum vorhanden sein muß. Alle Eigenschaften, die diese Reflexivpronomina von denen der reflexiv gebrauchten Verben unterschieden, sind dadurch bedingt, daß die Objektstelle über keine selbständige Referenzfähigkeit verfügt. Semantisch gesehen ist den Mitspielern dieser Verben gemeinsam, daß sie sowohl Agens- wie auch Patienseigenschaften haben. Die inhärenten Reflexiva sind also kein bedeutungsloses morphologisches Merkmal, sondern von der Semantik der hier diskutierten Verben und Konstruktionen her motiviert.

1.3.1.3 Innere Objekte

Als innere Objekte werden Akkusativ-NPn bezeichnet, die inhaltlich in einer engen Beziehung zum Verb stehen. (191) (192) (193)

Sie träumte einen schweren Alptraum. Beide kämpften einen schrecklichen Kampf. Die Sache ging ihren bürokratischen Gang.

Zur Transitivität und Passivierbarkeit von reflexiven Verben s. 1.2.3.1.4.

74

Da diese Formulierungen eher literarisch wirken, werden sie in der Standardsprache gerne vermieden, indem man sie durch einfachere Formulierungen mit haben (Sie hatte einen schweren Alptraum.) oder durch Funktionsverbgefüge (Die Sache nahm ihren Gang.) ersetzt. Die wohl engste Definition dieser inneren Objekte wird durch die Bezeichnung "figura etymologia" gegeben, nach der ein Nomen nur dann als inneres Objekt zu einem Verb gewertet wird, wenn beide denselben etymologischen Ursprung haben (Bußmann 1983:15). Eine etwas weitere Definition findet sich bei Halliday (1967:59), der eine enge semantische Verbindung zwischen Verb und Nomen ansetzt und nicht etymologische Verwandtschaft, wie dies der englische Terminus "cognate object" nahelegt. Als einen möglichen Test zur Abgrenzung der inneren Objekte von anderen Akkusativobjekten schlägt Halliday die Bildung von Komposita vor. Ein Verb kann zusammen mit seinem Inhaltsobjekt kein Kompositum bilden. (195)

*Liedsänger vs. Opernsänger, Schlagersänger *Kampfkämpfer vs. Karatekämpfer *Spielspieler vs. Kartenspieler. Roulettespieler *Tanzlänzer vs. Tangotänzer, Walzertänzer

Ein inneres Objekt läge demnach vor, wenn das Nomen in bezug auf das Verb keine neue Information bringt, sondern normalerweise in der Bedeutung des Verbs als Ergebnis enthalten ist. Dieses wird nun extra spezifiziert, um es näher zu charakterisieren. Nach dieser Definition handelt es sich bei den inneren Objekten um Entitäten, die normalerweise in der Bedeutung der Verben enthalten sind und als Ergebnis einer Tätigkeit oder eines Vorgangs mitverstanden werden. Auch Hallidays Definition ist angesichts von Sätzen wie in (196) inadäquat: (196a) (196b) (196c)

Herr, laß es Hirn regnen! (Graffiti bei der Münchner Uni) Es regnet Gold. Es hagelt Verrisse.

Eine Definition der inneren Objekte, die eine enge semantische Beziehung zwischen Verb und innerem Objekt ansetzt, kann diesen Sätzen nicht gerecht werden. Es besteht keine enge semantische Beziehung zwischen regnen und Hirn oder Gold, zwischen hageln und Verrissen. Der Sprachgebrauch ist hier häufig stark metaphorisch: Gold fällt wie Regen auf einen herab, Verrisse treffen einen wie Hagel. Die inneren Objekte müssen daher noch weiter gefaßt werden, als dies bei Halliday geschieht. Innere Objekte bezeichnen effizierte Entitäten, die normalerweise in der Bedeutung des Verbs enthalten sind und meist nur deswegen explizit gemacht werden, weil sie in irgendeiner Weise außergewöhnlich sind Bei dieser weiteren Definition der inneren Objekte, die angesichts von (196) adäquater ist, ergibt sich das Problem, wie die inneren Objekte von fakultativen Akkusativobjekten zu un-

75

terscheiden sind. Die Unterscheidung zwischen Verben mit einem fakultativen Akkusativobjekt und solchen, die gelegentlich mit einem inneren Objekt auftreten können, ist nur über eine genaue Untersuchung der Kasusrahmen und der darin enthaltenen Selektionsbeschränkungen möglich. In den einschlägigen Arbeiten häufig genannte Beispiele für Verben mit einem fakultativen Akkusativobjekt sind essen und trinken. Auch bei essen und trinken ist das Objekt in einem gewissen Sinn im Verb enthalten, da das Verb bestimmte semantische Merkmale des fehlenden Objekts mitliefert: bei essen [+eßbar], bei trinken [+flüssig]. Es gibt eine sehr große Palette an Referenten, die diese Eigenschaften haben. Wird das Verb ohne Objekt verwendet, so scheint eine genauere Information nicht notwendig, allein auf die Tätigkeit kommt es an. Anders dagegen bei den Verben mit einem inneren Objekt. Die Bedeutungen dieser Verben enthalten genau spezifizierte effizierte Entitäten: bei regnen Regen, hageln Hagel usw. Objekte dieser Art extra zu spezifizieren, wäre absolut redundant. Sie werden nur genannt, wenn sie in irgendeiner Weise vom Normalfall abweichen. Diese Art von Inkorporierung ist keineswegs auf Objekte beschränkt, sondern ist u.a. bei den sog. "instrumentalinkorporierenden Verben" anzutreffen, wie z.B. hämmern, radeln, sägen, bohren, pinseln, löffeln, hobeln. Auch hier kann das inkorporierte Argument explizit gemacht werden, um es näher zu spezifizieren: (197)

Er sägt mit einer alten Laubsäge. Sie hämmert mit den Fäusten an die Tür. Er bohrt mit dem Finger in der Nase.

Dabei braucht das Nomen nicht in einer engen semantischen Beziehung zum Verb stehen, wie die letzten beiden Beispiele zeigen. Dennoch handelt es sich auch hier um die explizite Benennung eines inkorporierten Arguments. Hinsichtlich Passivierung verhalten sich die inneren Objekte wie reguläre Akkusativobjekte, öfters wurde den inneren Objekten die Subjektfähigkeit bei Passivierung abgesprochen (Brinkmann 1962:400, Helbig/Buscha 1972:143). Prinzipiell spricht jedoch nichts dagegen, da die inneren Objekte effizierte Objekte sind und mit Handlungsverben auftreten können. Entsprechende Belege sind aber ziemlich schwer zu finden, da schon die Aktivsätze nicht allzu häufig sind. Daher muß hier folgender genügen: (198)

Nun weinte es das bitterste Weinen, das Kinder weinen können: jenes, das innerlich geweint wird und das man nicht hört. (Kurt Tucholsky, Schloß Gripsholm, Rowohlt, S. 64, s. Faucher 1987 für weitere Belege)

Bei transitiven Verben zeigt sich, daß das Auftreten eines inneren Objekts das Auftreten eines anderen Akkusativobjekts blockiert.

76

(199a) (199b)

Er schlug einen fürchterlichen Schlag. (Beispiel nach Höhle 1978:179) *£r schlug sie einen fürchterlichen Schlag.

In (199a) entfällt die affizierte Entität, die üblicherweise als Akkusativ-NP auftritt, stattdessen wird eine in der Verbbedeutung enthaltene effizierte Entität spezifiziert. Beide zusammen können nicht auftreten. Die inneren Objekte besetzen die Strukturstelle für Akkusativobjekte, weshalb kein zusaätzliches Akkusativobjekt auftreten kann. Die inneren Objekte unterscheiden sich auch in diesem Punkt nicht von anderen Akkusativobjekten. Es ist generell nicht möglich, die affizierte und die effizierte Entität zugleich im Akkusativobjekt zu kodieren, auch wenn das Verb prinzipiell beides zuläßt: (200)

Er bindet die Blumen. Er bindet ein'« Kranz. *Er bindet die Blumen einen Kranz.

Austin (1982) weist in seiner Untersuchung von Sätzen mit inneren Objekten in verschiedenen australischen Sprachen nach, daß diese Sätze ihr Subjekt fast durchweg im Absolutiv, also als intransitives Subjekt kodieren. Im Deutschen weist lediglich die Perfektauxiliarselektion auf eine verminderte Transitivität dieser Sätze hin. Bei Verben, die sein selegieren, wird dieses Auxiliar auch bei Auftreten eines inneren Objekts gewählt: (201)

Er ist einen Heldentod gestorben. Sie ist einen Rekord gelaufen.

Innere Objekte wurden hier erklärt als normalerweise in der Verbbedeutung enthaltene effizierte Entitäten, die dann explizit gemacht werden, wenn sie näher charakterisiert werden sollen oder vom Normalfall abweichen. Syntaktisch verhalten sie sich wie reguläre Akkusativobjekte. Erwähnenswert ist hier auch, daß es keine "inneren" Dativ- oder Präpositionalobjekte gibt. Ebenso können sie im Gegensatz zu Akkusativobjekten auch nie ins Verb inkorporiert werden. Das sind Indizien dafür, daß das Akkusativobjekt in einer engeren Verbindung zum Verb steht als die anderen Objektarten.

1.3.1.4 Absolute Akkusative

Als "absolut" wird der Akkusativ in Konstruktionen bezeichnet, in denen er nicht regiert ist und auch kein adverbialer Kasus ist. Absolute Akkusative treten in Konstruktionen mit adverbialem Charakter auf. Diese Konstruktionen bestehen aus einer Akkusativ-NP (ganz selten auch Nominativ-NP) und einem Adjektiv, einem Partizip, einer PP oder einem Adverb als zweitem Glied. Semantisch lassen sie sich in drei Gruppen einteilen:

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(202)

Den Hut in der Hand, ging er auf und ab. Er sprang den Kopf nach vorne ins Wasser.

(modal)

(203)

Dies verrichtet, begab ich mich zum Grafen, (temporal) Dies getan, wandte er sich der nächsten Aufgabe zu.

(204)

mich einmal ausgenommen (konditional im weiteren Sinn) gesetzt den Fall, daß Den Tod schon im Herzen, kämpfte er tapfer weiter, dein Wort in Ehren

Wie die Beispiele erkennen lassen, treten diese Konstruktionen vor allem in einem gehobenen, leicht archaischen Stil auf, der konditionale Typ vor allem in formelhaften Ausdrücken. Der temporale Typ ist im Gegensatz zu einigen anderen europäischen Sprachen im Deutschen sehr selten. Häufig werden diese Konstruktionen als elliptisch erklärt (vor allem der modale Typ), wobei man annimmt, daß ein Verb wie haben, halten oder sein getilgt wurde (so Helbig/Buscha 1972:571). Diese Analyse hat den Vorteil, daß damit das Auftreten des Akkusativs als Objektsakkusativ erklärt wird. Die dabei zugrundegelegten Sätze sind jedoch eher unplausibel: o

??den Hut in der Hand haltend, ??den Kopf nach vorne haltend.

Eine andere Möglichkeit ist die, daß eine prädikative Konstruktion vorliegt, wobei das zweite Glied ein Prädikativ zur Akkusativ-NP (oder Nominativ-NP) ist. Der Akkusativ hat dabei die Funktion, die syntaktische Unterordnung der Konstruktion zu kennzeichnen. Für diese Analyse spricht vor allem auch, daß das Partizip in diesen Konstruktionen im Althochdeutschen ursprünglich kongruierte. Dittmer (l 988:71 f.) nimmt an, daß Konstruktionen mit absolutem Akkusativ die schon im Althochdeutschen vorhandenen Konstruktionen mit absolutem Dativ fortsetzen, für die wiederum der lateinische absolute Ablativ Vorbild war. Auf den fremden Einfluß weist auch die Tatsache hin, daß diese Konstruktion fast nur in der Urkunden- und Obersetzungsliteratur auftrat. Der Dativ schien eine geeignete Übersetzung des Ablativs zu sein, da er wie dieser im Althochdeutschen adverbiale Funktionen innehatte. Der Wechsel zum Akkusativ mag dadurch motiviert gewesen sein, daß der Dativ seine adverbialen Funktionen verlor und immer mehr zum Kasus der Person wurde. Dies gilt für den temporalen und konditionalen Typ. Für den modalen Typ ist es sehr wahrscheinlich, daß er auf französisches Vorbild zurückgeht, da er gehäuft erst im 18. Jh., also in einer Zeit mit starkem französischen Einfluß auftritt. Im Neuhochdeutschen ist der Akkusativ der einzige Kasus, der in Strukturen dieser Art auftritt, von einigen seltenen Vorkommen von einem absoluten Nominativ einmal abgesehen.

8

Auch aus diachronischer Sicht spricht nichts dafür (Dittmer 1988:65).

78

Das weist den Akkusativ als weitgehend von einem regierenden Element unabhängigen Kasus

aus. Ob in diesen Konstruktionen ein Objektsakkusativ vorliegt, oder ob der Akkusativ "absolut", also unregiert ist, und lediglich die syntaktische Unterordnung kennzeichnet, läßt sich nicht pauschal entscheiden. Beide Analysemöglichkeiten haben ihre Berechtigung. Wenn ein transitives Verb in der Konstruktion auftritt, liegt es nahe, einen Objektsakkusativ anzunehmen. Fehlt ein solches Verb, so liegt eher ein "absoluter" Akkusativ vor. Bei dein Wort in Ehren oder den Kopf vor ist eine Analyse als Objekt nicht sehr naheliegend, da man dann Tilgung eines Verbs annehmen müßte. Dagegen zeigen absolute Konstruktionen mit einem Präpositionalobjekt wie abgesehen von, angefangen mit, daß in solchen

Partizipialkonstruktionen

durchaus Objekte auftreten können. Auch die Verhältnisse im Italienischen, wo der temporale Typ sehr häufig ist, belegen, daß beide Analysemöglichkeiten ihre Berechtigung haben. In (205a) liegt ein Präpositionalobjekt vor, in (205b) weist die Kongruenz darauf hin, daß eine Prädikativkonstruktion vorliegt. (205a)

Telegrafato alia zia, Luisa parti subito. Nachdem sie an die Tante telegrafiert hatte, reiste Luise plötzlich ab.

(205b)

Mona io, letta la lettera. Nachdem ich gestorben bin, lest den Brief. (Beispiele bei Dittmer 1988)

Unregierte Akkusative treten auch in satzwertigen Phrasen auf. Auch hier ist eine Analyse als Ellipse prinzipiell möglich. Demnach liegt hier kein absoluter Akkusativ, sondern ein Objektsakkusativ zu einem getilgten Verb vor. (206)

(Hängt) Den König an den Galgen! (Nehmen sie die) Hände hoch! (Nimm) Die Füße vom Tisch!

Auffällig ist aber, daß der Akkusativ hier immer eine bewegte Entität bezeichnet. Möglicherweise hat der Akkusativ eine so starke Eigensemantik in dieser Hinsicht, daß er auch ohne ein entsprechendes Verb in dieser Bedeutung auftreten kann. Denkbar ist auch, daß das Direktionaladverbiale alleine die Fähigkeit besitzt, die Thetarolle "bewegte Entität" zuzuwei-

sen. In diesem Abschnitt wurden Akkusativ-NPn untersucht, die sich in verschiedenen Hinsichten von Objekts-NPn unterscheiden. Bei adverbialen Akkusativ-NPn zeigen sich Übergänge zu Objekten, da auch adverbiale NPn teilweise bei Passivierung subjektiviert werden können. Dies ist dann möglich, wenn diese Akkusativ-NPn als effizierte Objekte interpretiert werden können. Regierte und unregierte Kasus sind nicht immer klar voneinander zu unterscheiden.

79

Akkusativ-NPn, die als Teile des Prädikats fungieren, ob als inkorporierte Objekte, Teile von Funktionsverbgefügen oder Reflexivpronomen, unterscheiden sich von Objekts-NPn dadurch, daß sie nicht referentiell sind, wie die fehlende Erfragbarkeit, Anaphorisierbarkeit und Austauschbarkeit zeigen. Allen diesen Elementen ist gemeinsam, daß sie die Strukturstelle des Akkusativobjekts blockieren. Es kann kein Akkusativobjekt auftreten. Die sogenannten inneren Objekte unterscheiden sich von regulären Akkusativobjekten dadurch, daß hier in der Verbbedeutung implizit enthaltene effizierte Entitäten wegen ihrer Abweichung vom Normalfall spezifiziert werden. Hinsichtlich Passivierung verhalten sie sich wie reguläre Akkusativobjekte. Ein zusätzliches Akkusativobjekt kann nicht auftreten, da diese Strukturstelle besetzt ist. "Absolute" Akkusative können in adjungierten Strukturen mit adverbialem Charakter auftreten. Absolute Akkusative liegen vor, wenn kein Regens vorhanden ist, das den Akkusativ zuweisen könnte. Ihr Auftreten ist ein Indiz dafür, daß es sich beim Akkusativ um einen vom Verb relativ unabhängigen Kasus handelt.

80

1.3.2 Strukturelle Charakterisierung 1.3.2.1 Struktureller vs. lexikalischer Kasus Seit den Anfängen der Transformationsgrammatik werden grammatische Relationen als bestimmte Positionen im Strukturbaum definiert. Im Aspekte-Modell (Chomsky 1965) ist das Subjekt die unmittelbar vom S-Knoten dominierte NP und das direkte Objekt die unmittelbar vom VP-Knoten dominierte NP. Begriffe wie Subjekt und Objekt werden innerhalb dieser Grammatiktheorie daher im Grunde nur als verkürzte Ausdrücke für diese Strukturpositionen verwendet. Der Kasus des Subjekts und des direkten Objekts wird in Abhängigkeit von bestimmten Strukturpositionen, also strukturell zugewiesen. Ein zentraler Unterschied in diesem Zusammenhang ist der zwischen strukturellen und lexikalischen bzw. inhärenten Kasus. Haider (1985a:231f.) beschreibt ihn wie folgt: "Strukturelle Kasus treten in einem bestimmten strukturellen Kontext auf und alternieren in Abhängigkeit von solchen Kontexten. Lexikalische Kasus sind determiniert durch ein lexikalisches Element und sind rigide, d.h. keiner Alternation fähig." (Hervorhebungen vom Autor) Bevor auf diese Unterscheidung näher eingegangen wird, möchte ich an dieser Stelle kurz die Grundgedanken der Kasustheorie, eines Teils der GB-Theorie, darstellen. Als regierende Elemente können die vier lexikalischen Hauptkategorien Nomen, Adjektiv, Verb und Präposition auftreten, die mithilfe der beiden Merkmale [inominal] und [±verbal] definiert werden:

N: [+N, -V] A: [+N, +V] V: [-N, +V] P: [-N, -V] Diese Merkmale sollen generalisierende Regeln erlauben. Ist z.B. von einem verbalen Regens die Rede, dann sind damit Verben und Adjektive zusammengefaßt. Als Regeln für strukturelle Kasuszuweisung nennt Chomsky (1981:170): Eine NP erhält den Nominativ, wenn sie vom Merkmal AGR (= "Agreement") des INFL-Knotens regiert wird. An dieser Grundkonstellation hat sich bis heute wenig geändert. Der S-Knoten wird in der Barriers-Version (Chomsky 1986) durch einen IP-Knoten (= "Inflectional Phrase") ersetzt, da Sätze als eine Projektion der Verbflexion gesehen werden. Dieser Knoten dominiert das Subjekt, das direkte Objekt ist von VP dominiert. Allerdings gibt es Versuche, das Deutsche im Rahmen dieser Theorie als Sprache darzustellen, die über keine VP als maximale Projektion verfügt (sog. "nicht-konfigurationale" Sprache), s. dazu Haider (1982), Oppenrieder (1987), dagegen argumentiert Fanselow (1987).

81 Eine NP erhält den Akkusativ ('Objektive'), wenn sie von einem transitiven Verb regiert wird. Eine NP erhält einen obliquen Kasus, wenn sie von einer Präposition regiert wird. Eine NP erhält den Genitiv, wenn sie innerhalb der maximalen Projektion eines Nomens auftritt. Es fällt auf, daß der Genitiv und der Dativ strukturell nur innerhalb von einer NP bzw. PP zugewiesen werden können. Diese Regeln werden durch eine Regel für inhärente Kasuszuweisung ergänzt Eine NP kann in Abhängigkeit von einem verbalen Regens inhärent kasusmarkiert sein. Aus diesen Regeln folgt, daß der Dativ und der Genitiv als Objektskasus im Deutschen stets inhärent, d.h. in Abhängigkeit von dem speziellen Subkategorisierungsrahmen des regierenden Elements zugewiesen werden. Daß die notwendige Information über den Subkategorisierungsrahmen stets zugänglich ist, stellt das Projektionsprinzip (s. Chomsky 1981:29) sicher. Auf jeder syntaktischen Ebene müssen die Subkategorisierungseigenschaften der Lexeme eingehalten werden. Das Projektionsprinzip wird durch das Theta-Kriterium (Chomsky 1981:36) ergänzt, das die Beziehungen zwischen Thetarollen und Argumenten definiert: Jedes Argument eines Prädikats trägt genau eine thematische Rolle, und jede thematische Rolle gehört zu genau einem Argument. Wichtig ist dabei in diesem Zusammenhang, daß Chomsky (1981:171) annimmt, daß Positionen mit strukturellem Kasus von bestimmten Thetarollen ziemlich unabhängig sind, während inhärenter Kasus eng mit einer thematischen Rolle verbunden ist. Zur Kasustheorie gehört schließlich noch ein Kasusfilter, der bestimmt, daß nicht-kasusmarkierte NPn nicht phonetisch realisiert werden dürfen (Chomsky 1981:49). Soweit die Prinzipien der Kasustheorie. Eine Umsetzung der Unterscheidung zwischen strukturellem und inhärentem Kasus auf das Deutsche unternimmt Haider (1985b:71). Ihm zufolge sind im Deutschen der Nominativ und der Akkusativ strukturelle Kasus. Als ein Argument dafür führt er an, daß diese beiden Kasus bei demselben Verb und in derselben Thetarolle alternieren können. Einmal ist dies der Fall bei Aktiv-Passiv-Diathesen transitiver Verben und zum anderen bei der Alternation von t/aj3-Sätzen und AcI-Konstruktionen (Ich sehe, daß &

kommt. - Ich sehe ihn^^ kommen). Bei inhärent zugewiesenen Kasus

seien solche Alternationen nicht möglich.

82

Als Beispiel dafür, daß der Akkusativ strukturell zugewiesen ist, während der Dativ ein inhärenter Kasus ist, kann die werrfew-Passivierung angeführt werden. (207)

Ich unterstütze ihn. Er wird unterstützt.

(208)

Ich helfe ihm. Ihm wird geholfen.

Es wird ein lexikalischer Prozeß angenommen, durch den das Verb das Merkmal [+verbal] verliert und somit auch seine Fähigkeit, den Akkusativ zuzuweisen, da der von einem verbalen Regens abhängig ist. Man spricht hier von einer "Absorption" dieses Kasus. Die SubjektsThetarolle wird unterdrückt; die Objekts-NP erhält in der VP eine thematische Rolle, würde aber mangels Kasusmarkierung vom Kasusfilter ausgefiltert werden, was das Theta-Kriterium aber nicht zuläßt. Die NP wird in die nicht-thetamarkierte Subjektsposition bewegt und erhält dort ihren Kasus. Chomsky (1981:113) stellt folgende Regel auf: Ein verbales Element weist einer NP, die es regiert, einen Kasus zu, wenn und nur wenn es seinem Subjekt eine Theta-Rolle zuweist. Diese Regel ist bekannt als "Burzios Generalisierung", da sie von Burzio (1981) als Erklärung für Passivierung wie auch für die Objekteigenschaften der Subjekte von ergativen Verben herangezogen wird.2 Haiders zweites Argument bezieht sich auf die Kasusalternation Nominativ-Akkusativ bei AcI-Konstruktionen, oder allgemeiner Objektsprädikaten und entsprechenden

daß-S&tzen.

Eine ausführliche Diskussion dieser Strukturen findet sich im dritten Teil dieser Arbeit. In diesem Zusammenhang genügt es festzuhalten, daß der Akkusativ als "Subjekt" von Objektsprädikaten unbestritten gegenüber den anderen Objektskasus eine Vorrangstellung hat. Bis auf wenige Ausnahmen (einige Beispiele von prädikativen Attributen, die sich auf das Dativobjekt beziehen, s. 3.4) ist ihr "Subjekt" eine Akkusativ-NP. Ein weiteres Argument, das sich für den Akkusativ als strukturell zugewiesenen Kasus anführen läßt, ist die regelhafte Umformbarkeit von Akkusativobjekten zu Genitivattributen bei Nominalisierungen: (209)

Abwässer verschmutzen den Rhein, die Verschmutzung des Rheins

Eine offenkundige Schwierigkeit für diese Generalisierung stellen Sätze wie Es gibt hier keine Eisbaren dar, die trotz eines thematisch leeren Subjekts ein Objekt aufweisen. Diese Regel läßt sich angesichts solcher Sätze nur unter der Zusatzannahme aufrechterhalten, daß das Subjekt hier eine semantisch leere Thetarolle erhält (vgl. Chomsky 1981:37).

83

(210)

Bergsteigen erhöht den Blutdruck die Erhöhung des Blutdrucks

Zu dieser Regularität gibt es nur ganz wenige Ausnahmen, so z.B. bei lieben: (211)

Er liebt seine Frau. *die Liebe seiner Frau (inakzeptabel als Genitivus objectivus)

Der adnominale Genitiv ist im Gegensatz zum Genitiv als Objektskasus nicht inhärent zugewiesen, sondern entsteht durch regelhafte Umformungen, ist also ein struktureller Kasus. Dativ- und Genitivobjekte sind nicht in einer regelhaften Weise in Attribute umformbar: (212)

Er teilt ihm das mit die Mitteilung an ihn

(213)

Sie verspricht ihm den Himmel ??Ihr Versprechen an ihn

(214)

Sie nennt ihm einen Titel *das Nennen an ihn

Daß der Akkusativ ein struktureller Kasus ist, ist ziemlich unumstritten. Umstritten ist dagegen, wie der Dativ einzustufen ist. Haider rechnet den Dativ den lexikalischen Kasus zu. Tatsächlich fehlen Dativobjekten einige Eigenschaften, die Akkusativobjekte auszeichnen. Wie oben erwähnt wurde, treten Dativobjekte nur in Ausnahmefällen als "Subjekte" zu Objektsprädikaten auf und sind bei Nominalisierungen nicht in regelhafter Weise umformbar. Andererseits weisen Dativobjekte eines der Merkmale von strukturellen Kasus auf, nämlich die Fähigkeit, mit anderen Kasus zu alternieren. Dies ist beim sogenannten Rezipientenpassiv der Fall. (215)

Sie hat ihm eine runtergehauen. Er bekam von ihr eine runtergehauen.

Wie beim werden-Passiv wird hier die Thetarolle des Subjekts unterdrückt. Die thetamarkierte Objekts-NP kann innerhalb der VP keinen Kasus erhalten und wird in die Subjektsposition bewegt. Im Gegensatz zum werden-Passiv wir hier jedoch nicht der Akkusativ, sondern der Dativ "absorbiert". Das Entscheidende am Passiv ist also nicht die Absorption eines bestimmten Kasus oder Kasusabsorption überhaupt, sondern die Unterdrückung der Thetarolle des Subjekts, die alles weitere nach sich zieht. Die Existenz des Rezipientenpassivs stellt jedoch die Zuordnung des Dativs zu den lexikalischen Kasus in Frage, da hier der Dativ des entsprechenden Aktivsatzes mit dem Nominativ in einer ähnlichen Weise alterniert wie Akkusativ und Nominativ im Vorgangspassiv. In der Diskussion um das "Rezipientenpassiv" hat sich als Mehrheitsmeinung ergeben, daß hier

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wirklich eine Passivdiathese vorliegt (Reis 1985, Wegener 198Sc, s.a. Fanselow 1987).^ Andererseits ist unbestritten, daß das Rezipientenpassiv historisch jünger ist (erste Belege davon tauchen im 16. Jh. auf) und stärkeren semantischen Einschränkungen unterworfen ist. Es ist daher sicherlich nicht falsch, diese Form des Passivs gegenüber dem Vorgangspassiv als markiert anzusehen. Sprachvergleiche und Untersuchungen von Kindersprache haben ergeben, daß der Kernbereich des Passivs die Passivierung von transitiven Verben ist, während alle anderen Formen der Passivierung sprachspezifische Erweiterungen sind, die stärkeren Restriktionen unterliegen. Man kann das Rezipientenpassiv daher als eine Möglichkeit sehen, den Bereich der Passivierung zu erweitern. Topologisch-strukturelle Argumente bemüht Czepluch (1988), um die Frage der Klassifikation des Dativs zu lösen. Ihm zufolge ist der Dativ als Objektskasus für das zweite Objekt in der Abfolge Dativ-Akkusativ ein struktureller Kasus. Damit erhält er die Generalisierung, daß alle strukturellen Kasus der Akkusativ-NP und NPn links von ihr zugewiesen werden. Struktureller Kasus wird also im Deutschen generell an der linken Peripherie des Rektionsbereichs von Verben zugewiesen. Alle lexikalischen Kasus dagegen treten rechts von der Akkusativ-NP auf. Strukturell sind Czepluch zufolge alle Objektskasus in (a), lexikalisch dagegen alle Kasus außer dem Akkusativ in (b). (a)

Nom - Dat - Akk Nom - Akk - Akk

(b)

Nom Nom Nom Nom -

Akk - Dat Akk - Gen Akk - PO Akk - PP

Diese Regularität sei dadurch motiviert, daß "idiosynkratisch spezifizierte Argumente [...] in 'besonderer Nähe' zum regierenden Lexem auftreten" müssen (1988:294). Czepluch unterscheidet zwischen unmarkierten Abfolgen, die die "'reinen* syntaktischen Projektionen lexikalischer Strukturen" sind und natürlichen Abfolgen, "für die neben rein syntaktischen auch die extra-syntaktischen Faktoren eine Rolle spielen" (1988:283). Der Zusammenhang von topologischer Abfolge, Konstituentenstruktur und "extra-syntaktischen Faktoren" wird im nächsten Abschnitt zu diskutieren sein.

Haider (1984, 1987) geht davon aus, daß in diesem Fall kein Passiv vorliegt, sondern entwickelt ein Konzept von "parasitären Verben", um diese Vorgänge zu erklären.

85

1.3.2.2 Topologische Relationen Bezüglich topologischer Relationen gibt es zwei konträre Auffassungen. Eine besagt, daß es eine bestimmte Grundabfolge von Satzgliedern gibt, die durch die Konstituentenstruktur determiniert ist. Bestimmte extra-syntaktische Faktoren können diese Reihenfolge abändern. Lenerz (1977) und einige der gängigen Grammatiken (Duden 1984:721, Heidolph et al. 1981:204) nennen für das Deutsche als Grundserialisierung folgende Abfolge: Subjekt vor valenzunabhängigem Adverbial vor indirektem Objekt vor direktem Objekt vor Präpositionalobjekt oder Genitivobjekt vor valenzgebundenem Adverbial oder Prädikativ. Lenerz arbeitet heraus, daß bestimmte Faktoren wie z.B. Agentivität diese Grundabfolge verändern können. Nimmt man an, daß eine zugrundeliegende Abfolge durch semantische und pragmatische Faktoren abgeändert werden kann, dann braucht man Umstellungstransformationen, um die Abfolge zu ändern. Daneben wird häufig die Auffassung vertreten, daß die Abfolge unabhängig von einer Konstituentenstruktur ist und durch semantische und pragmatische Faktoren determiniert wird. So schreibt z.B. Lötscher (1981) den grammatischen Relationen und den mit ihnen verbundenen morphosyntaktischen Merkmalen nur eine sehr geringe Rolle bei der Abfolge der Satzglieder im Mittelfeld zu. Er zeigt, daß im wesentlichen semantische Faktoren wie z.B. Belebtheit für die Abfolge bestimmend sind. Gewisse Grundabfolgen wie indirektes Objekt vor direktem Objekt erklärt er dadurch, daß das indirekte Objekt üblicherweise einen belebten Referenten, das direkte Objekt dagegen häufig einen unbelebten Referenten hat. Nicht eigentlich die Abfolge indirektes Objekt vor direktem Objekt ist entscheidend, sondern die Abfolge [+belebt] vor [-belebt]. Er nimmt an, daß die Reihenfolge der Satzglieder im wesentlichen durch bestimmte wahrnehmungspsychologische Kriterien determiniert wird. Er hält es für psychologisch realistischer, daß Sprecher die zunächst ungeordneten Satzglieder nach bestimmten Kriterien in eine bestimmte Abfolge bringen. Umstellungstransformationen lehnt er auch deswegen ab, weil es unklar ist, wie die Basisstellung ermittelt werden sollte. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Uszkoreit (1986, 1987), der verschiedene semantische und pragmatische Regeln für die Abfolge der Satzglieder formuliert. So stehen agentische vor Topologische Relationen werden sehr häufig mithilfe von grammatischen Relationen oder allgemein bestimmten Satzgliedtypen beschrieben. So stellt z.B. Greenberg (1963) fest, daß das Subjekt universell eine starke Tendenz hat, vor dem Objekt aufzutreten. Pullum (1977) geht davon aus, daß die topologische Abfolge der grammatischen Relationen ein genaues Abbild ihrer Hierarchie ist, d.h. das Subjekt steht vor dem direkten Objekt, das wiederum vor dem indirekten Objekt steht. Die Abfolge DO vor IO ist aber im Deutschen der Ausnahmefall, Pullums Auffassung kann daher nicht zugestimmt werden.

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nicht-agentischen Satzgliedern, Pronomina vor Nicht-Pronomina, nicht-fokussierte vor fokussierten Satzgliedern. Die genaue Gewichtung der einzelnen Regeln und ihr kompliziertes Zusammenspiel legt er nicht fest, da es hierzu noch genauerer Untersuchungen bedürfte. Diese Regeln operieren auf der unmarkierten Abfolge Subjekt vor indirektem Objekt vor direktem Objekt. Diese Regeln sind unabhängig von der Konstituentenstruktur des Deutschen. Uszkoreit nimmt für das Deutsche eine flache Struktur an, in der alle Konstituenten in gleicher Weise vom Satzknoten abhängen, also Schwesterkonstituenten sind. Eine hierarchische Gliederung des Satzes, wie sie etwa durch einen VP-Knoten angezeigt wird, gibt es nicht. In dem GPSG-Modell, das er benützt, werden die Abfolgeregeln (LP-Regeln, LP für "linear precedence") unabhängig von den Regeln für die Konstituentenstruktur (ID-Regeln, ID für "immediate dominance") formuliert. Anders als in früheren Phrasenstrukturgrammatiken, deren Phrasenstrukturregeln gleichzeitig Dominanz und Abfolge festlegten, werden in der Generalisierten Phrasenstrukturgrammatik (GPSG, das Modell von Gazdar et al. 1985) Schwesterkonstituenten als ungeordnete Elemente einer Menge genannt. Die ID-Regeln sagen also nichts über die Abfolge von Konstituenten aus. Die Abfolge der einzelnen Satzglieder wird erst über die LP-Regeln festgelegt, Transformationen oder ähnliche Änderungen der Konstituentenstruktur sind in diesem Modell für eine Beschreibung der Abfolge also nicht notwendig. Im wesentlichen vertritt das eine Lager also die Ansicht, daß die Abfolge das Ergebnis einer hierarchisch gegliederten Konstituentenstruktur ist, die durch Umstellungstransfomationen abgeändert werden kann. Das andere Lager geht von einer flachen Struktur aus, in der die Konstituenten ungeordnet sind und durch semantisch-pragmatische Faktoren in eine bestimmte Reihenfolge gebracht werden. In dieser Arbeit wird davon ausgegangen, daß eine hierarchisch gegliederte Konstituentenstruktur das geeignete Mittel ist, um die unterschiedliche Verbnähe von Konstituenten darzustellen. Die thematische Information der Verben wird nach bestimmten Regeln auf die Syntax projiziert. Dabei erheben sich zwei Fragen: 1.

Nach welchen Gesetzmäßigkeiten wird eine bestimmte Thetarolle mit einem bestimmten morphologischen Kasus verknüpft?

2.

Wodurch wird die Abfolge der einzelnen Satzglieder geregelt?

5

Für ähnliche Ansätze in anderen theoretischen bin/Köpcke (1985), Jacobs (1988).

Rahmen s. Haider (1982), Zu-

87

Untersucht werden soll in dem folgenden Abschnitt der Zusammenhang zwischen der lexikalischen Struktur von Verben, also ihrer Semantik und insbesondere ihrer thematischen Information, und dem morphologisch-syntaktischen Rahmen der Verben. Bei der Untersuchung der Abfolge werden nur die unmarkierten Abfolgen untersucht, d.h. Abfolgen, die einen neutralen Satzakzent aufweisen und somit in den meisten Kontexten auftreten können. Faktoren wie Thema-Rhema-Bedingungen, Definitheit sowie Pronominalisierung bleiben außer Betracht.

88 1.4

Akkusativobjekte in verschiedenen Kasusrahmen

Akkusativobjekte treten im Deutschen in folgenden Kombinationen auf:

Akk Nom Nom Nom Nom Nom

- Akk - Dat - Akk - Akk - Akk - Akk - Gen - Akk - PO

Zu den Kombinationen Nom-Akk, Dat-Akk und Akk-PO existieren jeweils auch die umgekehrten Grundabfolgen. Die Abfolge Akk-Gen erweist sich dagegen als außerordentlich rigide. Ziel ist es, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Verben in den jeweiligen Kasusrahmen aufzuzeigen. Dabei wird insbesondere der Frage nachgegangen, nach welchen Prinzipien eine Thetarolle im Akkusativobjekt kodiert wird. Gibt es semantische Gemeinsamkeiten der Verben, die in einem bestimmten Kasusrahmen auftreten? Damit eng verknüpft ist die Frage, wodurch die Grundabfolge der einzelnen Konstituenten bedingt ist. Die Wahl eines bestimmten morphosyntaktischen Kasusrahmens ist nicht unabhängig von der Perspektive, aus der ein Geschehen gesehen wird. Die Bedeutung von Kasusrahmen für die Semantik eines Satzes wird häufig aus dem Grund bestritten, daß beinahe-synonyme Verben ganz unterschiedliche Kasusrahmen haben können. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß diese Verben die Mitspieler der dargestellten Situationen anders anordnen, denselben Sachverhalt unter einem anderen Blickwinkel, in einer anderen Perspektive zeigen. Kohyponyme Verben haben zusammen mit ihren Hyperonymen häufig den gleichen Kasusrahmen und lassen den gleichen Perspektivenwechsel zu. Als Beispiel können hier die ornativen Verben angeführt werden, die alle eine Differenzierung von etwas mit etwas versehen bezeichnen und über die gleichen Kasusrahmen verfügen. (216a) (216b)

Er beklebt die Wand mit Plakaten. Er klebt Plakate an die Wand.

(217a) (217b)

Er füllt die Flasche mit Schnaps. Er füllt Schnaps in die Flasche.

(218a) (218b)

Sie bepflanzt den Garten mit bunten Blumen. Sie pflanzt Blumen in den Garten.

Das läßt darauf schließen, daß der Kasusrahmen eine wichtige Rolle für die Semantik eines Satzes spielt, da er das Geschehen oder den Zustand aus einer bestimmten Perspektive zeigt. Der Perspektivewechsel in den Varianten in (216), (217) und (218) geht damit einher, daß in den (a)-Varianten die Wand, die Flasche und der Garten als holistisch betroffen gesehen

89

werden und dadurch eine Patienseigenschaft besitzen, die ihre Kodierung im Akkusativobjekt möglich macht. Im folgenden wird gezeigt, daß die Kodierung eines Arguments im Akkusativobjekt stets damit einhergeht, daß das Argument die Rolle Patiens in einer ihrer Ausprägungen affizierte Entität, effizierte Entität oder bewegte Entität trägt. Andere Rollen wie Experiencer oder Stimulus können dann im Akkusativobjekt kodiert werden, wenn gewisse Patienseigenschaften vorliegen. Hier handelt es sich um Erweiterungen des Kernbereichs der Akkusativobjekte, weswegen hier auch beträchtliche Variationen vorhanden sind. Das Akkusativobjekt bezeichnet in der Regel das sekundäre Topik eines Satzes. Ebenso wie prototypische Subjekte Agens und Topik sind oder über wichtige Eigenschaften der beiden verfügen, sind prototypische Akkusativobjekte Patiens und sekundäre Topiks. Dafür gibt es einige syntaktische Hinweise. Akkusativobjekte sind in der Regel nicht eliminierbar, insbesondere dann nicht, wenn ein weiteres Objekt auftritt. Außerdem können Akkusativobjekte durch Passivierung zum primären Topik werden. Es erscheint daher gerechtfertigt, die Akkusativobjekte als gegenüber den anderen Objektarten ausgezeichnet zu betrachten (cf. Czepluch 1987). Das Akkusativobjekt hat innerhalb der VP-internen Argumente eine ähnliche Sonderstellung wie das externe Argument unter allen Argumenten des Verbs.

1.4.1 Verben mit einer Nominativ- und einer Akkusativerglnzung

Verben mit einer Nominativ- und einer Akkusativergänzung kodieren im Nominativ typischerweise ein Agens und im Akkusativ ein Patiens. Als eine grundlegende Funktion der Kasusmarkierung (oder anderer Mittel, die grammatische Relationen kennzeichnen) kann eine formale Unterscheidung von Agens und Patiens gesehen werden (Dixon 1979:69, Comrie 1981:117ff.). In der Tat sind Sprachen, die Agens und Patiens formal nicht unterscheiden, relativ selten. Es ist theoretisch denkbar, daß eine Sprache Agens und Patiens formal gleich behandelt, während sie das Subjekt intransitiver Verben anders kennzeichnet. Daß diese Sprachen kaum auftreten, erhärtet die These, daß eine wesentliche Funktion der Kasusmarkierung die formale Unterscheidung des Agens und Patiens transitiver Verben ist. Auch sind diejenigen Sprachen sehr selten, die die drei zentralen grammatischen Relationen Agens und Patiens transitiver Verben und Subjekt von intransitiven Verben gleich behandeln, was einem Fehlen von Kasusmarkierungen gleichkommt und meist durch andere Mittel, wie Wortstellung oder Kongruenzmarkierungen am Verb, kompensiert wird. Je weiter oben eine Entität auf einer Agentivitäts- und Belebtheitsskala rangiert, um so eher ist sie Agens, je weiter unten, um so eher Patiens. Die Belebtheits- und Agentivitätshierarchie, die in diesem Zusammenhang häufig zitiert wird (z.B. Comrie 1981:121 und Dixon 1979:85), sieht wie folgt aus:

90

1. PS. > 2. PS. > 3. PS. > Eigenname > menschlich > belebt > unbelebt Eine unmarkierte Verteilung von Agens und Patiens liegt vor, wenn das Agens auf einer Belebtheitsskala höher liegt als das Patiens. Unmarkiert ist es auch, wenn das Agens definiter ist als das Patiens. In vielen Sprachen werden Agens und Patiens nur dann eigens markiert, wenn eine Abweichung von diesen unmarkierten Fällen vorliegt. Dixon (1979:103) weist darauf hin, daß in fast allen Sprachen Verben, die eine intensive Einwirkung auf einen Objektsreferenten bezeichnen, ihre Ergänzungen als Agens und Patiens markieren. Zu diesen Verben gehören die Verben für 'schneiden', 'geben', 'nehmen', 'tragen*, 'kochen'. Das führt ihn dazu, Agens und Patiens (von ihm als Objekt bezeichnet) als universelle semanto-syntaktische Primitive zu betrachten und sie zur Grundlage seiner typologischen Studien zu machen. Kasusmarkierungen bieten sich hier nicht als Ausgangspunkt an, da z.B. Deutsch als eine Nominativ-Akkusativsprache das Agens im Nominativ, das Patiens im Akkusativ kodiert, während eine Ergativsprache das Patiens im Absolutiv, das Agens im Dativ, Lokativ oder Ergativ kodiert. Auch Begriffe wie Subjekt und Objekt sind als Ausgangspunkt nicht geeignet. Sasse (1978) hat gezeigt, daß der Absolutiv in Ergativsprachen die primäre grammatische Relation kennzeichnet und hier somit das Patiens als zentrale Relation gelten muß. Primus (1987), die grammatische Relationen als Beschreibungskategorien durch Hierarchien von semantischen Relationen, Kasus und strukturellen Relationen ersetzt, charakterisiert ergative Sprachen durch Änderungen in den Hierarchien von Kasus und semantischen Rollen, wie sie für Akkusativsprachen aufgestellt wurden. Auf der Hierarchie der semantischen Rollen rangiert das Patiens vor dem Agens, auf der Kasushierarchie ist der ranghöchste Kasus der Absolutiv, gefolgt vom Ergativ. Der Unterschied von Akkusativ- und Ergativsprachen läßt sich also wie folgt darstellen: Nom-Akk-Sprachen:

Abs-Erg-Sprachen:

Agens > Patiens > Rezipient Nom > Akk > Dat

Patiens > Agens > Rezipient Abs > Erg > Dat

Nach der Defaultregel, die Wunderlich (1985:192) für Kasuszuweisung aufgestellt hat, wird die ranghöchste semantische Rolle in der ranghöchsten grammatischen Relation und diese im ranghöchsten Kasus kodiert. Verben mit einem Agens im Nominativ und einem Patiens im Akkusativ stellen also einen Standardfall der Kasuszuweisung im Deutschen dar. Im Deutschen als einer NominativAkkusativ-Sprache ist zu erwarten, daß die transitivsten Sätze eine Nominativ- und eine Akkusativergänzung haben. Bekanntlich ist es aber durchaus nicht so, daß alle Verben mit einer Nominativ- und einer Akkusativ-Ergänzung sehr transitiv sind. Dixon, der Agens und Patiens als universelle linguistische Primitive sieht, schlägt vor, weniger transitive Verben, die

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ihre Mitspieler wie ein Agens und ein Patiens kodieren, als einzelsprachliche Erweiterungen der Agens-Patiens-Relation zu sehen. Bei diesen Erweiterungen des universell gültigen Kernbereichs der Agens-Patiens-Relation kann es sich nach Dixon (1979:106) um metaphorische Erweiterungen handeln (z.B. Diese Arbeit frißt meine Energie.) oder um kulturell wahrgenommene Ähnlichkeiten mit einer Agens-Patiens-Relation. Als Beispiel einer solchen Ausdehnung einer Agens-Patiens-Beziehung auf andere Bereiche können die Wahrnehmungsverben dienen. Obwohl hier nicht mehr unbedingt ein Agens absichtlich handelt und der Wahrnehmungsgegenstand auch nicht in irgendeiner Weise von der Wahrnehmung betroffen sein muß, ist doch der Wahrnehmende derjenige Mitspieler, der eher einen Einfluß auf die Situation ausüben kann und hierin einem Agens gleicht. Zudem muß der Wahrnehmende menschlich oder zumindest belebt sein, während der Wahrnehmungsgegenstand unbelebt sein kann. Der Wahrnehmende liegt also höher auf der Agentivitätshierarchie. Im Deutschen können auch Besitzrelationen als Agens-Patiens-Beziehung dargestellt werden. Haben, besitzen, bekommen, behalten, erhalten etc. nehmen eine Nominativ- und eine Akkusativergänzung. Auch hier ist es so, daß der Besitzende mehr Einfluß auf die Besitzrelation hat als der Besitz und darin einem Agens gleicht. Deutlich ist das bei behalten, das eine willentliche Entscheidung beinhaltet und auch bei erhalten, das eine gewisse Aufnahmebereitschaft voraussetzt. Zudem ist der Besitzer typischerweise belebt, während der Besitz typischerweise unbelebt ist. Anders als die Wahrnehmungsrelation wird die Besitzrelation in vielen Sprachen nicht als Agens-Patiens-Relation aufgefaßt, sondern ganz anders kodiert. Der Besitzer kann im Dativ oder Lokativ kodiert sein, was hier an jeweils einem Beispiel aus dem Russischen (219a) und dem Lateinischen (219b) belegt werden kann (s. Allen 1964, Benveniste 1966; 1974): (219a)

U mena est kniga. (Bei mir ist ein Buch.)

(219b)

Puero est liber. (Dem Jungen ist ein Buch.)

Und tatsächlich gibt es diese Möglichkeit auch im Deutschen, z.B.: Mir gehört das Buch. Doch im Deutschen überwiegen die Verben, die Besitzen als eine Agens-Patiens-Relation kodieren. Auch Enthaltensein kann nach einem Agens-Patiens-Muster kodiert sein:

Dixon (1979) nimmt an, daß hier auch eine Analogie zu Verben, die eine absichtliche Wahrnehmung bezeichnen (z.B. look und listen im Englischen, im Gegensatz zu see und hear) eine Rolle spielen kann.

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(220) (221)

Die Kiste enthält alte Klamotten. Das Stadion faßt 50000 Leute.

Hier ist eine Verbindung zu einer Agens-Patiens-Beziehung schon ziemlich schwierig herzustellen. Einen Hinweis auf eine solche Verbindung kann fassen liefern, das auch als Handlungsverb auftritt (Die Polizei faßte die Bankräuber.) und auf ein Enthalten übertragen wird. Diese Kodierung des Enthaltenseins stellt jedoch eher einen Ausnahmefall dar, wohingegen die Kodierungsmöglichkeiten, die den lokalen Aspekt hervorheben, überwiegen: (222) (223) (224)

In der Kiste sind alte Klamotten. In das Stadion passen 50000 Menschen. In die Kirche gehen 300 Leute.

Auch die psychischen Verben kodieren den Experiencer und den Stimulus häufig nach einem Agens-Patiens-Schema. In Übereinstimmung mit der Belebtheits- und Agentivitätshierarchie wird bei einer Gruppe dieser Verben der Experiencer im Nominativ, der Stimulus im Akkusativ kodiert. Zu diesen Verben gehören mögen, lieben, hassen, fürchten, schätzen, anhimmeln, achten, verachten usw. Bei einer Reihe von anderen Verben dieser Gruppe dagegen ist der typischerweise belebte Mitspieler, der Experiencer, im Akkusativ kodiert, während der häufig unbelebte Stimulus im Nominativ steht. Zu diesen Verben gehören interessieren, langweilen, ermüden, aufregen u.a. Hier ist die Kodierung in bezug auf die Agentivitäts- und Belebtheitshierarchie invers, d.h. der Mitspieler, der auf dieser Hierarchie höher rangiert (bis auf Fälle wie Er interessiert/langweilt/ermüdet sie.) ist im rangniederen Kasus kodiert. Comrie (1981:121 ff.) weist darauf hin, daß in einigen Sprachen eine solche inverse Beziehung durch morphologische Mittel eigens gekennzeichnet wird und tatsächlich geschieht dies auch im Deutschen, und zwar durch topologische Mittel. Die Grundreihenfolge Nominativ- vor Akkusativergänzung ist hier umgekehrt, d.h. sie folgt der Agentivitätshierarchie. (225) (226) (227)

..., weil Otto das Konzert schrecklich langweilt. .... weil Otto der Western sehr interessiert. ?..., weil Otto das Spazierengehen ermüdet.

In diesen Beispielen liefert die umgekehrte Abfolge auch keine inakzeptablen Sätze, sie sind aber nach meiner Intuition markierter. Deutlicher ist der Unterschied in den folgenden Satzpaaren: (228a) (228b)

.... weil Otto die Müdigkeit überwältigte. ??..., weil den Riesen der Held überwältigte.

(229a) (229b)

.... weil Otto das Schicksal besiegte. ??..., weil den Riesen der Held besiegt.

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Sind beide Mitspieler belebt, so ist Akkusativ vor Nominativ als unmarkierte Abfolge ausgeschlossen, während es bei belebter Akkusativ- und unbelebter Nominativ-Ergänzung die unmarkiertere Abfolge zu sein scheint. Dies zeigt, daß sich auch im Deutschen die Markiertheit der Kombination unbelebtes "Agens" und belebtes "Patiens" in einer formalen Markierung niederschlägt. Entscheidend

ist also nicht die Abfolge Nominativ- vor Akkusativergänzung. Diese

Grundabfolge ergibt sich vielmehr daraus, daß die Nominativ-NP typischerweise einen belebten Referenten hat, die Akkusativ-NP dagegen einen unbelebten. Die topologische Abfolge von Subjekt und Akkusativobjekt wird im Deutschen also weitgehend durch die Belebtheitshierarchie bestimmt. Interessant ist, daß die psychischen Verben den Stimulus teilweise in der Nominativ-NP, teilweise in der Akkusativ-NP kodieren. Dies hängt damit zusammen, daß zwar einerseits der Experiencer meist höher auf der Belebtheitshierarchie rangiert, andererseits aber der Stimulus der Auslöser für die psychischen Vorgänge ist und somit unter einen weiten Agensbegriff (Agens im Sinn von 'kausative Entität') fällt. Stimulus und Experiencer sind daher beide weder ein prototypisches Agens noch ein prototypisches Patiens, weisen jedoch Eigenschaften von beiden auf und können daher als Erweiterungen von beiden Thetarollen aufgefaßt werden. Verben mit einem Stimulus im Nominativ können oft auch als Handlungsverben verwendet werden, wobei anstelle des Stimulus ein eindeutiges Agens auftritt (z.B. Sie erschrickt/ärgert ihn/regt ihn auf etc.). Bei den Verben mit einem Experiencer im Nominativ wird

dagegen

ein

gewisses

Maß

an

eigener

Aktivität

vorausgesetzt

(Sie

liebt/haßt/fürchtet/verachtet ihn etc.). Das Nominativ-Akkusativ-Muster wurde hier in seiner prototypischen Bedeutung als AgensPatiens- Muster erklärt, das verschiedene Erweiterungen dieser prototypischen Bedeutung zuläßt.

Siehe dazu auch Pesetsky (1987), der es in Erwägung zieht, für den Stimulus in (i) und (ii) verschiedene Thetarollen anzusetzen: (i) John feared the article, (ii) The article worried Mary. In (i) ist der Stimulus "object of emotion", in (ii) dagegen "cause of emotion". Einen Vorteil dieser Unterschiedung sieht er darin, daß verschiedene Thetarollen auf verschiedene Positionen projiziert werden und damit einfachere "mapping principles" formuliert werden können.

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1.4.2 Einstellige Verben mit einer Akkusativergänzung Akkusativ-NPn mit einstelligen Verben bezeichnen einen Experiencer. V. Seefranz-Montag (1983:160) verzeichnet einen Abbau der einstelligen Verben mit einem obliquen Experiencer. Sie weist darauf hin, daß heute zahlreiche Konstruktionen mit einem Akkusativ-Experiencer entweder a) nur noch als archaische oder regionale Variante existieren, b) in der alten Konstruktionsform inakzeptabel sind oder c) lexikalisch obsolet geworden sind. a) b) c)

mich hungert, dürstet, verlangt, jammert, gelüstet, dauert, dünkt, ekelt, schwitzt, juckt (es) mich begehrt, ahnt, denkt, leidet, liebt, sehnt mich lächert, tanzen, schläfert, lüstert

Sofern diese Verben noch geläufig sind, können sie mit einem Nominativ-Experiencer verwendet werden. V. Seefranz-Montag setzt für diesen Übergang von Akkusativ- zu Nominativ-Experiencer-Konstruktionen rein syntaktische Gründe

an, wie Kasussynkretismus,

Grammatikalisierung der grammatischen Relationen und Übergang von einer Sprache, in der vor dem Verb thematisches Material steht (TVX-Sprache) zu einer SVO-Sprache, in der das Subjekt vor dem Verb stehen muß. Daneben gibt es semantische Deutungsversuche. Man kann in diesem Konstruktionswechsel einen Wandel von einem fremdbestimmten zu einem stärker selbstbestimmten Umgang mit Gefühlen sehen, wie es in der inhaltsbezogenen Grammatik und wohl in ihrem Gefolge vom Duden gemacht worden ist: Der Wechsel von einem Akkusativ- zu einem Nominativ-Experiencer hänge mit "der veränderten, selbstbewußteren Einstellung des Menschen gegenüber der Natur" (Duden 1973:457) zusammen. Es ist jedoch sicherlich nicht richtig, daß die Konstruktionen mit einem Akkusativ-Experiencer am Aussterben sind, da dem Abbau eine Produktivität dieser Konstruktion in der Gegenwartssprache gegenüber steht (cf. Wegener 1985:194). (230)

mich mich mich mich mich mich

haut (es) um geht es (hart) an kommt es (hart) an trifft es (hart) läßt es kalt stinkt/kotzt es an

Beide Konstruktionen müssen also als synchron nebeneinander bestehend beschrieben werden. Es scheint ein Bedürfnis nach beiden Ausdrucksmöglichkeiten zu bestehen, was die Verhältnisse bei den zweistelligen Verben bestätigen, bei denen auch sowohl Nominativ- wie Akkusativ-Experiencer auftreten.

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Wie im vorigen Abschnitt dargelegt wurde, ist die Variation in diesem Bereich dadurch bedingt, daß ein Experiencer weder ein prototypisches Agens noch ein prototypisches Patiens ist, sondern Züge von beiden besitzt. Daher ist sowohl eine Kodierung als Agens wie als Patiens möglich, wobei diese beiden Möglichkeiten unterschiedlichen Ausdrucksbedürfnissen Rechnung tragen. Mit einem Akkusativ-Experiencer kann ein Gefühl stärker als von außen auf einen eindringend dargestellt werden, man ist ihm stärker ausgeliefert als bei einer Konstruktion mit einem Nominativ-Experiencer, die stärker eine eigene Kontrolle und Handlungsmöglichkeit suggeriert. Für diese Auffassung spricht auch, daß es sich bei den neugebildeten Konstruktionen mit einem Akkusativ-Experiencer häufig um stark expressive Ausdrücke handelt, die eine intensive Einwirkung auf den Experiencer bezeichnen. Die hohe Verschleißrate dieser Ausdrücke entspricht der anderer stark expressiver Ausdrücke, wie sie vor allem in der Jugendsprache auftreten, z.B. (ober-), (turbo-)affengeil,

sau-, bärenstark

etc.

1.4.3 Verben mit einer Dativ- und einer AkkusativergMnzung

Die Verben mit diesem Kasusrahmen sind im wesentlichen Verben des Gebens und des Nehmens und Verben des Mitteilens. Das Dativobjekt kodiert den Rezipienten der übermittelten Sache oder Mitteilung, das Akkusativobjekt kodiert das Übermittelte, ein Patiens vom Typ affizierte oder effizierte Entität. Bei den Mitteilungsverben ist dies meist abstrakt, was seinen syntaktischen Reflex darin hat, daß das Akkusativobjekt bei diesen Verben häufig satzförmig realisiert ist (s. 2.1). Das Akkusativobjekt kann weniger gut weggelassen werden als das Dativobjekt. Meist wird der Restsatz bei Wegfall des Akkusativobjekts ungrammatisch. (231)

* Er gibt mir. *Er teilte uns mit. *Er sagt mir.

(232)

Er Er Er Er

gab 1000 DM. schrieb einen Brief. schenkte ein Buch. teilte den Preis mit.

Mit der Weglaßbarkeit von Akkusativobjekten beschäftigt sich Heuer (1977) eingehend. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, daß der Grad der Weglaßbarkeit eines Objekts in direktem Zusammenhang steht mit der Zahl der semantischen Merkmale, die das Verb für dieses Objekt festlegt. Er formuliert folgende Gesetzmäßigkeit: "Je enger der PAT-Bereich [= Patiensbereich, Bereich der möglichen Objekte, K.B.], umso größer die Eliminierbarkeit, je weiter der PAT-Bereich, umso geringer die Eliminierbarkeit." (Heuer 1977:101)

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Bei Verben wie stricken und bügeln, die die Referenten ihrer Objekte stark festlegen, ist Weglaßbarkeit ohne weiteres gegeben. Sie bilden ein Ende der Skala der Eliminierbarkeit. Am anderen Ende der Skala der Eliminierbarkeit von Objekten stehen Verben wie fabrizieren und ändern, die nur sehr wenige bzw. gar keine semantischen Merkmale ihrer Objekte festlegen. Dementsprechend sind die Objekte zu diesen Verben nicht eliminierbar, der Satz wirkt ohne sie unvollständig. In der Mitte der Skala stehen Verben wie schnitzen, polieren, sortieren, die zwar einige semantische Merkmale ihrer Objekte festlegen, doch noch eine ziemliche Breite an Objektsreferenten zulassen. Die Begriffe "obligatorisch" und "fakultativ" sind hier nicht sinnvoll anwendbar, sie bezeichnen Endpunkte der Skala mit einer breiten Zwischenzone mit verschiedenen Abstufungen. Aus semantischen Gründen ist die Korrelation von starker inhaltlicher Spezifiziertheit des Objekts durch das Verb und Eliminierbarkeit unmittelbar einsichtig. Ein Satz mit einem Verb, das sein Objekt sehr eng spezifiziert, verliert nicht viel an Information, wenn sein Objekt nicht auftritt. Ein Satz mit einem Verb, das sein Objekt relativ wenig spezifiziert, verliert einiges an Information, wenn dieses Objekt weggelassen wird. Der Satz wird als unvollständig empfunden. Auch ein weiteres Satzglied kann eine ganz bestimmte Interpretation der leeren Objektstelle herbeiführen. (233)

Sie schreibt (Romane, Artikel, Drehbücher, Gedichte etc.)

(234)

Sie schreibt mir (einen Brief, nicht: einen Roman, eine Kurzgeschichte, Gedichte etc.)

Dieser Unterschied weist darauf hin, daß schreiben bei einer Verwendung als zweiwertiges Verb seinen Objektsreferenten nicht stark eingrenzt. Bei einer Verwendung als dreiwertiges Verb mit einem Rezipienten handelt es sich im Normalfall um einen Brief, dies wird mitverstanden, es ist in der Semantik des Verbs in diesem Kasusrahmen enthalten. Handelt es sich um einen anderen Objektsreferenten, so muß er spezifiziert werden. In der Regel wird nur der Referent eines Akkusativobjekts vom Verb derart spezifiziert. Wenn Dativobjekte weggelassen werden, werden sie in der Regel als "irgendjemandem" mitverstanden. Wo weggelassene Dativobjekte spezifiziert sind, geschieht dies durch die Situation z.B. in er gibt (den Spielern) (Karten). Dies ist ein Hinweis darauf, daß das Akkusativobjekt in diesem Kasusrahmen die perspektivierte Entität bezeichnet. Auch die topologische Reihenfolge, die bis auf wenige Ausnahmen (s.u.) Dativobjekt - Akkusativobjekt ist, könnte man so deuten. Bei der Diskussion der anderen Kasusrahmen wird sich zeigen, daß die Perspektivierung einer Entität und topologische Verbnähe (ausgehend von Verbletztstellung) oft gar nicht zusammenhängen. Vielmehr sind l

Daneben gibt es den Fall, daß ein weggelassenes Akkusativobjekt als "irgendjemanden" oder "irgendetwas" mitverstanden wird. Bei dieser sog. "absoluten Lesart" ist nur die Tätigkeit an sich von Interesse, wie z.B. in er liebt, sie trinkt, er ißt.

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für die lineare Abfolge andere Faktoren, von denen das Belebtheitskriterium einer der wichtigsten ist, entscheidend. Da das Dativobjekt vorzugsweise einen belebten Referenten hat, das Akkusativobjekt dagegen einen nicht-belebten, entspricht hier die topologische Reihenfolge der beiden Objekte dem Belebtheitskriterium. Eine ganze Reihe von Verben weisen die umgekehrte Abfolge Akkusativ-Dativ auf. Zu diesen Verben gehören zum einen Verben mit dem Zusatz gleich- (gleichsetzen, gleichstellen, gleichmachen). Zum anderen sind es Verben mit einem Zusatz, der auch als dativregierende Adposition auftritt, z.B. angleichen, angliedern, annähern, aussetzen, entgegenführen, entgegenhalten, gegenüberstellen, überordnen, unterordnen, vorstellen, vorziehen (s. Matzel 1988). Die Grundabfolge ist bei allen diesen Verben Akkusativ vor Dativ. (235)

Er setzt das Ergebnis einer Niederlage gleich. Sie gleicht die Kopie dem Original an. Sie stellt den Freund dem Hausmeister vor. Sie zieht den Urlaub der Arbeit vor. Er setzt das Kind der Kälte aus.

Zum einen ist hier festzustellen, daß das Belebtheitskriterium in einigen Sätzen entfällt. In den Fällen, wo beide NPn entweder belebt oder unbelebt sind, muß also ein anderes Kriterium für die Voranstellung der Akkusativ-NP verantwortlich sein. Wegener (1985a:250f.) schlägt vor, daß in diesen Fällen die stärkere Involviertheit ausschlaggebend ist. Der stärker involvierte Referent ist in jedem Fall der der Akkusativ-NP. Sie ist der Dativ-NP vorangestellt, die den weniger involvierten Referenten bezeichnet. Auffällig ist, daß die Dativobjekte zu diesen Verben durchwegs nicht den Rezipienten bezeichnen. Im Fall der Verben des Angleichens wird in den Dativobjekten ein Resultatszustand bezeichnet. Da Resultatszustände stets nach dem Satzglied auftreten, dessen Zustand sie bezeichnen (s. 3.3), liegt hier eine thematische Motivation für diese Abfolge vor. Bei den Verben vorstellen, vorziehen, aussetzen usw. besitzt die Dativ-NP eher eine direktionale Semantik als die sonst typische Rezipientenrolle. Ihre Stellung direkt vor dem Verb steht damit in Einklang, daß Direktionaladverbiale direkt vor dem Verb stehen.

Czepluch (1988, Anm. 11) vertritt die Ansicht, daß die "Vergleichsverben" ihre internen Argumente thematisch nicht differenzieren. Beide seien in gleicher Weise geeignet, "syntaktisch als DO oder 'Referent* des Vergleichs" aufzutreten. Dabei übersieht er m.E. jedoch, daß jeweils ein Argument dem Vergleich unterzogen wird, das andere dagegen nur als Bezugspunkt dient. Eroms (1978:386) spricht davon, daß dieser Verbtyp "eine grammatikalisierte Topikalisierung eines von zwei Aktanten im gleichen KASUS [im Fillmoreschen Sinn, K.B.] erfordert". Diese Topikalisierung ist jedoch durch die größere Involviertheit eines Arguments bedingt, weswegen die Annahme verschiedener Thetarollen (Wegener 1985) durchaus gerechtfertigt erscheint.

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1.4.4 Verben mit zwei Akkusativergänzungen Verben mit zwei Akkusativergänzungen sind im heutigen Deutschen sehr selten. Die meisten Verben, die ursprünglich zu dieser Gruppe gehörten, sind zu dem gängigen Muster Dativ der Person und Akkusativ der Sache übergegangen. (Ebert 1978:53) Da zwei gleiche Kasus ihrer unterscheidenden und charakterisierenden Funktion in bezug auf die Mitspieler des Verbs nicht gerecht werden können, besteht hier eine starke Tendenz zu Ausweichkonstruktionen. Den alten Rektionstyp beibehalten haben 1) einige "didaktische" Verben, zu denen lehren, abhören und abfragen gehören, sowie 2) bitten, fragen und heißen in der Bedeutung 'befehlen, auffordern', das ziemlich archaisch ist. Bei lehren wird das Sachobjekt häufig als Infinitiv realisiert, bei heißen immer: (236) (237)

Sie lehrten ihn segeln /alleine einen Katamaran zu segeln. Wir heißen euch hoffen.

Plank (1987) beobachtet eine "diffuse Objektunterscheidung" bei Verben mit zwei Objekten in einer Reihe von Sprachen und stellt fest, daß zu diesen Verben stets bestimmte semantische Gruppen gehören, nämlich vor allem Verben des Lehrens und der Wissensvermittlung sowie ferner bestimmte Verben der Informationsübermittlung und Verben des Gebens und Nehmens. Für die Anomalien dieser Verben gibt es im wesentlichen zwei Erklärungsmöglichkeiten. Im Fall der Lehrverben sind "die beiden Objekte unweigerlich referenzsemantisch so unterschieden [...] daß von vornherein keine Gefahr der relationalen Ambiguität besteht" (ebd.:54). Da der Adressat ein belebtes, meist menschliches Wesen, das Patiens dagegen eine Fertigkeit oder ein Kenntnisbereich ist, bestehen hier keine Verwechslungsmöglichkeiten, weswegen die Kasusmarkierung von ihrer unterscheidenden Funktion entlastet ist. In diesem Fall kommt die Kasusmarkierung eher ihrer charakterisierenden Funktion nach, indem sie auch den Adressaten als Patiens kennzeichnet. Die von den didaktischen Verben bezeichneten Handlungen erfassen in besonderem Maß die Gesamtperson der Schüler, die sich unter der Kontrolle des Lehrers verändern. Plank (1987:57) verweist darauf, daß diese Verben meist ein positives Resultat implizieren. (238)

?? Prof. Sommer lehrte die Studenten zwei Semester lang Tocharisch, aber keiner von ihnen konnte danach ein Wort.

In diesem Abschnitt sollen die syntaktischen Eigenschaften der beiden Objekte untersucht werden im Hinblick auf die Frage, ob sie auf einen unterschiedlichen syntaktischen Status der beiden Objekte schließen lassen.

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1.4.4.1 "Didaktische Verben" Zu den didaktischen Verben existieren umgangssprachliche Varianten, in denen die Person im Dativ, das Sachobjekt im Akkusativ kodiert ist. Diese Varianten finden sich immer häufiger auch in der Schriftsprache und stellen eine Angleichung an das gängige Muster Dativ der Person und Akkusativ der Sache dar. Bei Passivierung kann das Sachobjekt zum Subjekt werden, die Beibehaltung des Akkusativs des personalen Objekts ist dabei ungrammatisch. Es wird auf die Dativkonstruktion ausgewichen. (239)

Dem Schüler/*Den Schüler waren die Vokabeln gelehrt/abgefragt/abgehört

worden.

Diese Ausweichkonstruktion ist hier wegen des alternativen Musters Dat-Akk möglich. Eventuell spielt auch eine Analogie zu Passivsätzen mit beibringen eine Rolle. Auch das be/co/wmen-Passiv ist möglich: (240)

Der Schüler bekommt die Vokabeln gelehrt/'>'abgefragt//'abgehört'.

Es liegt hier also keine Ausnahme zu der Regel vor, daß nur Dativ-NPn durch das bekommen-Passiv subjektiviert werden können. Dies bestätigen die Verhältnisse bei fragen und bitten, bei denen sowohl das Ausweichen auf eine Dativkonstruktion wie auch das bekommenPassiv nicht möglich ist (s.u.). Bei den didaktischen Verben kann auch das personale Objekt subjektiviert werden. Natürlich kann hier für das Sachobjekt nicht auf eine Dativkonstruktion ausgewichen werden, da der Dativ im allgemeinen für Referenten mit dem Merkmal [+belebt] reserviert ist. Was passiert also mit dem Akkusativ, der ja eigentlich nicht auftreten dürfte? Er wird in diesem Fall behandelt wie ein invarianter lexikalischer Kasus, der bei Passivierung unverändert bleibt. (241)

Er war von der Lehrerin ?den Katechismus /die Grammatik/das Gedicht/die Vokabeln abgefragt/gelehrt/abgehört worden.

(242)

Das Kind ist gelehrt worden, daß dies seine Pflicht ist.

Beide Objekte können bei Nominalisierung des Verbs zum Genitivattribut werden.

Plank (1987:43) führt zwei gegenteilige Belege an, die jedoch weitgehend ungrammatisch sind: (i) ...verhindern wir, daß junge Menschen das Falsche gelehrt wird, (ii) Diese Geflogenheit widerspricht den Gesetzen der deutschen Sprache, wie sie mich gelehrt worden sind. Askedal (1980:7) nimmt an, daß die Akzeptabilität dieser Passivierungen dann abnimmt, wenn die verbleibende Akkusativ-NP eindeutig als solche markiert ist. Der Unterschied in der Akzeptabilität scheint jedoch eher marginal zu sein.

100

(243)

das Unterrichten/Lehren der Kinder das Unterrichten/Lehren der deutschen Sprache das Abhören/Abfragen der Schüler das Abhören/Abfragen der Vokabeln

Beide Objekte verhalten sich also in dieser Hinsicht wie strukturelle Akkusative. Uneingeschränkt subjektivierbar ist jedoch nur das personale Objekt. Das Sachobjekt kann beim Vorgangspassiv nur dann subjektiviert werden, wenn das personale Objekt nicht auftritt. Dies zeigt, daß jeweils nur ein struktureller Akkusativ vorhanden ist, nämlich der des personalen Objekts oder bei dessen Fehlen der des Sachobjekts.

1.4.4.2 Fragen und bitten Bei fragen und bitten ist das Sachobjekt häufig ein Präpositionalobjekt. Ein Akkusativobjekt steht vor allem dann, wenn es realisiert ist als a)

Pronomen (es, das, dies)

b)

substantiviertes Adjektiv (folgendes)

c)

neutrales Pronomen mit quantifizierender Bedeutung (zuviel, manches, eines, etwas)

d)

NP mit quantifizierender Bedeutung (tausend Sachen, eine Menge, den ganzen Quatsch).

Wie bei den didaktischen Verben ist auch hier das Sachobjekt nicht subjektivierbar, wenn das personale Objekt vorhanden ist: (244a) (244b) (244c)

*Das wurde mich gefragt. *Tausend Sachen wurden mich auf einmal gefragt. *Das wurde mich gebeten.

Das personale Objekt ist dagegen auch bei Vorhandensein des Sachobjekts subjektfähig.

Askedal (1980:10ff.) siedelt diese Realisierungsformen in einer Übergangszone zwischen Objekt und Adverbial an, wobei a)-c) stärker objekthaft, d) dagegen stärker adverbialartig ist. (vgl. den graduellen Übergang zum Adverbial bei Er redet großen Unsinn. Er redet zuviel.). Askedal (1980) geht auch hier davon aus, daß wie bei den didaktischen Verben die Akzeptabilität dieses Passivs abnimmt, wenn das Sachobjekt eindeutig akkusativisch markiert ist (i) ?Jetzt bin ich noch einmal den ganzen Quatsch gefragt worden.

101 (245a) (245b) (245c)

Das wurde ich auch gefragt. Ich wurde auf einmal tausend Sachen gefragt. Das bin ich auch gebeten worden.

Bei Weglassung des personalen Objekts kann das Sachobjekt subjektiviert werden: (246a) (246b) (246c)

Tausend Sachen wurden gefragt. Der ganze Quatsch wurde noch einmal gefragt. Folgendes wurde gefragt.

Da hier die Ausweichkonstruktion nicht Dativ - Akkusativ, sondern Akkusativ - PP ist (jdn. fragen nach, bitten um) ist das Rezipientenpassiv hier nicht möglich: (247)

*Er fragte/bat mir das. *Ich bekam das gefragt/gebeten.

Keines der beiden Objekte kann bei Nominalisierung des Verbs zum Genitivattribut werden: (248) (249) (250) (251)

Fragen *der Frau/an die Frau Bitten *der Frau/an die Frau Bitten *der Hilfe/um Hilfe Fragen *der Ergebnisse/Fragen nach den Ergebnissen

In (250) und (251) steht die Attribuierung in Einklang mit der Ausweichstruktur dieser Verben, in (248) und (249) ist die Inakzeptabilität des Genitivattributs wahrscheinlich dadurch bedingt, daß hier eine zu große Verwechslungsmöglichkeit des Genitivus subjectivus mit dem Genitivus objectivus bestehen würde (vgl. die Liebe *seiner Frau/zu seiner Frau). Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Reihenfolge der beiden Objekte wie bei anderen Mustern [+belebt] vor [-belebt] ist. Beim Vorgangspassiv ist nur das personale Objekt uneingeschränkt subjektivierbar. Der Sachakkusativ bleibt erhalten wie ein invarianter lexikalischer Kasus. Nur bei Fehlen des personalen Objekts kann er beim Vorgangspassiv subjektiviert werden. In diesem Fall wird er als struktureller Kasus behandelt. Es ist also nur jeweils ein struktureller Akkusativ möglich. Das bekommen-Passiv ist für die didaktischen Verben wegen des Ausweichmusters Dativ - Akkusativ möglich.

1.4.5 Verben mit einer Genitiv- und einer Akkusativerginzung Zu den Verben mit einer Genitiv- und einer Akkusativergänzung, die heute noch gebräuchlich sind, gehören im wesentlichen folgende beiden Gruppen: 1)

"juristische Verben": anklagen, beschuldigen, bezichtigen, verdächtigen, überführen

2)

"privative Verben": entbinden, entheben, befreien, entledigen, berauben

102

Außerdem wird manchmal verweisen und versichern mit Genitiv verwendet: Man verwies ihn des Landes. Er versicherte mich seines Wohlwollens. Geläufiger ist bei versichern aber die Konstruktion mit Dativ und Akkusativ: Er versicherte mir sein Wohlwollen. Im Akkusativobjekt ist stets eine belebte Entität bezeichnet. Bei den juristischen Verben bezeichnet das Subjekt eine Person oder Institution, das Genitivobjekt, meist ein Nomen actionis, das Vergehen. Bei den privativen Verben bezeichnet das Genitivobjekt die Sache, von der die im Akkusativ kodierte Person befreit wird. Ein Wechsel der Perspektive ist nur bei berauben/rauben möglich: (252a) (252b)

Er beraubte sie ihres ganzen Hab und Guts. Er raubte ihr ihr ganzes Hab und Gut.

Diese Umformung stellt eine Angleichung an das gängige Muster Dativ der Person und Akkusativ der Sache dar; zugleich findet ein Wechsel von der Perspektive der affizierten Entität (die Bestohlene) zu der der bewegten Entität (das Hab und Gut) statt. Weglaßbar ist das Dativ- und Genitivobjekt, das Akkusativobjekt ist dagegen für die grammatische Vollständigkeit des Satzes unerläßlich. Dies ist neben der Subjektfähigkeit bei Passivierung und den infiniten Zitierformen ein weiterer Hinweis darauf, daß das Akkusativobjekt die perspektivierte Entität bezeichnet. (253)

*£r beraubte ihres Hab und Guts. Sie wurde beraubt. jdn. berauben/Deiner Sache berauben *Er raubte ihr. Ihr ganzes Hab und Gut wurde geraubt. etwas rauben/*jdm. rauben

In der topologischen Grundreihenfolge kommt das Akkusativobjekt stets vor dem Genitivobjekt: (254)

weil er sie ihres Hab und Guts beraubte weil sie ihn des Landes verwiesen weil sie den Angeklagten des Mordes bezichtigten

Von verschiedenen Autoren ist beobachtet worden, daß die Abfolge Akkusativobjekt vor Genitivobjekt außerordentlich fest ist (Haider I985b, Czepluch 1987:10, Czepluch 1988:282, Jacobs 1988a:108). Selbst solche Prinzipien wie 'definit vor indefinit' und 'Pronomen vor NP' können diese Abfolge nicht abändern, wie folgendes Beispiel demonstriert, in dem beide Prinzipien gleichzeitig verletzt sind. (255)

..„daß der Staatsanwalt einen Unschuldigen dessen verdächtigt

103

Die besondere Verbnähe des Genitivobjekts in diesem Muster zeigt sich auch daran, daß es nach der Satznegation auftritt (cf. Czepluch 1987:11). (256)

..., weil sie ihn nicht des Diebstahls bezichtigten. ..., weil sie ihn des Diebstahls nicht bezichtigten, (markiert)

Heidolph et al. (1981:712f.) sehen in dieser Reihenfolge einen Hinweis darauf, daß das Genitivobjekt hier enger an das Verb geknüpft ist und als direktes Objekt zu gelten habe. Dieser Ansicht kann hier aus den oben angesprochenen Gründen nicht zugestimmt werden. Vielmehr entspricht auch hier die Reihenfolge dem Belebtheitskriterium. Die grammatische Notwendigkeit und die Subjektfähigkeit bei Passivierung sowie die infiniten Zitierformen der Verben sprechen dafür, daß das Akkusativobjekt die perspektivierte Entität bezeichnet.

1.4.6 Verben mit einer Akkusativ- und einer Präpositionalergänzung In diesem Kasusrahmen treten im wesentlichen drei Verbgruppen auf: 1)

Ornative Verben wie bemalen, bekleben usw.

2)

Einige Verben des Gebens und Mitteilens wie sagen, liefern, schreiben usw.

3)

Verben des Veränderns wie machen, herstellen, erzeugen usw.

1.4.6.1 Ornative Verben Die ornativen Verben bezeichnen alle eine Spezialisierung von etwas mit etwas versehen. Diese Verben sind fast durchwegs fte-Prämierungen: benähen, bemalen, besetzen, bekleben, bestreichen, belabern, bequatschen, bekochen usw. Das Akkusativobjekt bezeichnet bei diesen Verben ein Patiens vom Typ "affizierte Entität". Bei den Basisverben dagegen bezeichnet das Akkusativobjekt die bewegte Entität, die affizierte Entität erscheint als Direktionalangabe. (257a) (257b)

Klaus klebt Plakate an die Wand. Klaus beklebt die Wand mit Plakaten.

(258a) (258b)

Otto streicht Marmelade auf das Brot. Otto bestreicht das Brot mit Marmelade.

(259a) (259b)

Anna näht Pailletten auf das Kleid. Anna benäht das Kleid mit Pailletten.

Auch einige Simplexverben treten in den gleichen Kasusrahmen auf. (260a) (260b)

Hans füllt Wein in die Flasche. Hans füllt die Flasche mit Wein.

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(261 a) (261 b)

Max gießt Wasser auf die Blumen. Max gießt die Blumen mit Wasser.

Daß die Simplexverben in den (a)-Sätzen erscheinen, die abgeleiteten Verben dagegen in den (b)-Sätzen, ist ein Hinweis darauf, daß das (a)-Muster die natürlichere Perspektive darstellt, bei der die bewegte Entität im Akkusativobjekt erscheint. In beiden Kasusrahmen ist jeweils das Akkusativobjekt nicht weglaßbar, während die PP weglaßbar ist. Außerdem kann nur die Akkusativ-NP durch Passivierung in die Topikposition gerückt werden. Das zeigt, daß jeweils die Entität, die im Akkusativ kodiert wird, ins Zentrum des Interesses gerückt wird. Eroms (1980) nennt die Überführung der (a)-Sätze in die (b)-Sätze eine Topikalisierungsoperation" und verweist auf die Ähnlichkeit mit dem Passiv. Er spricht von einem "Lokalphrasenpassiv", da die lokale PP in die Objektsposition bewegt wird, während die ursprüngliche Akkusativ-NP als PP erscheint. Ähnlich wie durch das Passiv eine Objekts-NP in die Topikposition angehoben wird, heben die 6e-Konversen eine PP in die sekundäre Topikposition. Wie es für Passivierung semantische Restriktionen gibt, liegen auch hier bestimmte semantische Vorbedingungen für diese sekundäre Topikalisierung vor. Das (b)-Muster kann nur dann gewählt werden, wenn die affizierte Entität in hohem Maß affiziert ist. Sie muß holistisch betroffen sein. Wenn keine holistische Betroffenheit vorliegt, wirkt diese Perspektive unnatürlich, wenn nicht geradezu falsch. (262) (263) (264)

??? Er beklebt den Umschlag mit einer Briefmarke. ??? Sie bekochte ihren Gast mit einem Frühstücksei. ??? Er bemalte die Hauswand mit einem kleinen Punkt.

Die holistische Betroffenheit ist also die Voraussetzung dafür, daß die affizierte Entität im Akkusativobjekt kodiert werden kann. Da es hier zwei Kandidaten für die sekundäre Topikposition gibt, nämlich die affizierte und die bewegte Entität, liegen diese beiden im Wettstreit miteinander. Es erscheint natürlicher, die bewegte Entität in den Vordergrund zu stellen, da dies mit der Wahrnehmungsreihenfolge "bewegt vor unbewegt" kompatibel ist. Die affizierte Entität kann dagegen nur dann in den Vordergrund gerückt werden, wenn sie so stark affiziert ist, daß sie eine stärkere Patienshaftigkeit aufweist als die bewegte Entität. Daher wirkt diese Perspektive so unnatürlich, wenn diese starke Affiziertheit gar nicht vorliegt.

7

Wunderlich (1985) und (1987) arbeitet die Gemeinsamkeiten der fe-Konversen mit dem Passiv heraus. Günther (1987) bringt Argumente dafür, daß diese Vorgänge lexikalische Prozesse sind, die nicht in der Sytax dargestellt werden sollten.

105

1.4.6.2 Verben des Gebens und Mitteilens Zu den Verben mit diesem Kasusrahmen gehören auch einige Verben des Mitteilens und des Gebens. Das Übermittelte wird im Akkusativ kodiert, der "Empfänger" erscheint in der Richtungsangabe: (265)

etwas zu jdm. sagen/schicken etwas an jdn. verkaufen/senden/liefern/schicken/abgeben/abtreten

Zu diesen Kasusrahmen gibt es durchwegs eine Konverse, bei der der Rezipient im Dativ kodiert wird. (266a) (266b)

Der Händler liefert dem Kunden seine Ware. Die Firma liefert ihre Ware an alle Kunden.

Da es sich in beiden Fällen um das gleiche Verb handelt, liefert die Morphologie hier keinen Anhaltspunkt dafür, daß eine Perspektive grundlegender oder natürlicher ist als die andere. Die perspektivierte Entität ist in beiden Varianten die bewegte Entität, das Übermittelte. Dafür sprechen die Subjektfähigkeit bei Passivierung und die grammatische Notwendigkeit. Es bestehen aber semantische Differenzen zwischen den beiden Kasusrahmen. Die (a)-Perspektive ist natürlicher, wenn der Empfänger eine Person ist, die (b)-Perspektive liegt dagegen dann näher, wenn es sich bei dem Adressaten um eine Gruppe von Personen oder um o eine Institution handelt.

1.4.6.3 Verben des Verinderns Eine weitere Gruppe von Verben mit diesem Kasusrahmen sind die Verben des Veränderns. Bei diesen Verben sind zwei Perspektiven möglich. Bei verarbeiten, machen, sich entwickeln zu wird im Akkusativ die affizierte Entität gekennzeichnet, im Präpositionalobjekt die effizierte Entität. (267) (268)

Er macht die Wolle zu fertigen Pullovern. Diese Fabrik verarbeitet Rohöl zu Benzin.

Bei machen, herstellen, erzeugen aus liegt die entgegengesetzte Perspektive vor. Die effizierte Entität wird im Akkusativ kodiert, die affizierte Entität erscheint als Präpositionalobjekt. (269) (270)

8

Sie macht aus Schurwolle Pullover. Die Maschine stellt aus Rohmaterial fertige Produkte her.

Zu weiteren Bedeutungsunterschieden dieser beiden Konversen s. Wegener (1985:225ff.)

106

Es ist sicherlich kein Zufall, daß hier in beiden Fällen Präpositionen verwendet werden, die in Lokalangaben auftreten, aus in Herkunftsadverbialen, zu in Richtungsadverbialen. Verändern wird metaphorisch als "etwas in einer bestimmten Richtung bewegen" dargestellt, wobei zwei Blickrichtungen möglich sind, die zu der Herkunft und die zum Ziel hin (vgl. auch das nicht-kausative Veränderungsverb werden aus - werden zu). Unabhängig von der gewählten Blickrichtung steht in der unmarkierten Abfolge stets das "Ausgangsmaterial" vor dem "Endprodukt": (271 a) (271 b)

Diese Maschine stellt aus Rohmaterial fertige Produkte her. Diese Maschine verarbeitet Rohmaterial zu fertigen Produkten.

Es fällt auf, daß in (271 a) die unmarkierte Reihenfolge Präpositionalobjekt - Akkusativobjekt ist, während sie bei allen anderen Verben mit diesem Kasusrahmen Akkusativobjekt Präpositionalobjekt ist. Die Topologie folgt hier der normalen Wahrnehmungsreihenfolge, in der zuerst das Ausgangsmaterial, dann das Endprodukt wahrgenommen wird (cf. Lötscher 1981:52). Dies ist ein sehr deutliches Beispiel dafür, daß grammatische Relationen, in diesem Fall Akkusativobjekt und Präpositionalobjekt, nicht entscheidend für die topologische Abfolge sind. Diese wird vielmehr durch semantische Kriterien bestimmt, die mit außersprachlichen wahrnehmungspsychologischen Gesetzmäßigkeiten übereinstimmen.

107

2. AKKUSATIVOBJEKTSÄTZE

In diesem Abschnitt sollen Gliedsätze untersucht werden, die in bezug auf ihren Matrixsatz als Akkusativobjekt fungieren.

Als Einleitungselemente treten daß, ob, und w-Ausdrücke

auf. (1) (2) (3)

Unsere Generation wird nicht mehr erleben, daß man auf so einem Laserstrahl een Süden geschossen wird. Ob sich das Gesetz so segensreich auswirkt, wie sein Name verspricht, weiß natürlich auch Blüm nicht. Nun muß man sich fragen, wie er das machen wird.

Akkusativobjektsätze können ferner als zu-Infinitivphrasen und abhängige Verbzweitsätze realisiert werden. (4) (5)

Er wagte nicht, ihr in die Aueen zu sehen. Er versicherte, er habe sie noch nie gesehen.

AcI-Konstruktionen werden in Zusammenhang mit den Objektsprädikaten in Kap. 3 dieser Arbeit besprochen. Hier werden auch Teilsätze eines Typs untersucht werden, die oft gar nicht als Komplementsätze, sondern als Attributsätze analysiert werden: die freien Relativsätze. (6) (7)

Prognosen halten selten, was sie versprechen. Was technisch machbar ist, werden wir produzieren.

Zint-Dyhr (1982:68) klammert die freien Relativsätze aus ihrer Untersuchung der Ergänzungssätze im Deutschen aus und bemerkt, daß freie Relativsätze Attributsätze seien. In der Grundzüge-Grammatik (Heidolph et al. 1981:831) werden die freien Relativsätze als "restriktive Relativsätze zu generellem, substantivisch verwendetem derjenige oder jeder" erklärt, wobei das Pronomen unter bestimmten Bedingungen weggelassen werden kann. Da freie Relativsätze jedoch per definitionem kein Bezugselement im Matrixsatz haben und sie alleine

Das meiste des in diesem Abschnitt Gesagten läßt sich auch auf andere Typen von Ergänzungssätzen übertragen, vgl. hierzu die neueren Untersuchungen von Oppenrieder (1987) zu den Subjektsätzen und von Breindl (1989) zu den Präpositionalobjektsätzen.

108

die Akkusativobjektstelle eines Verbs füllen, können sie als Gliedsätze gewertet werden und fallen somit in den Bereich dieser Arbeit. Auch die adverbiellen Konjunktionen wenn und als können als Einleitungselemente zu Akkusativobjektsätzen fungieren. Belege für wenn-und c/s-Sätze in Akkusativobjektsfunktion sind nicht sehr häufig, aber sie treten auf. (8) (9)

So falsch finde ich es nicht, wenn Menschen ihre Entscheidung auch an der Glaubwürdigkeit von Personen ausrichten. Dem Schreiber dieser Zeilen nahm man es ausgesprochen übel, als er es. um unterwees einen interessanten Käfer zu besehen, im 100-Meter-Lauf nur auf 27.7 Sekunden brachte.

Diese durch wenn und als eingeleiteten Gliedsätze lassen sich durch einen daß-Satz in Akkusativobjektsfunktion ersetzen. Da diese Sätze eine mögliche Variante eines durch daß eingeleiteten Akkusativobjektsatzes sein können, sollen sie hier auch untersucht werden. Die durch adverbielle Konjunktionen eingeleiteten Gliedsätze zeigen aber ein von den übrigen Realisierungsformen der Akkusativobjektsätze stark abweichendes syntaktisches Verhalten, das auf eine adverbielle Komponente dieser Gliedsätze hinweist. So können sie z.B. nur im Extrapositionsfeld

auftreten. Inwieweit eine Zuordnung dieser Teilsätze zu den Ak-

kusativobjektsätzen sinnvoll ist, soll in einem eigenen Abschnitt untersucht werden. Gliedsätze werden auch als "Inhaltssätze" (Sitta 1971), "Ausbausätze" (Engel 1977:164), "Ergänzungssätze" (Zint-Dyhr 1981), "Komplementsätze" und "Konstituentensätze" bezeichnet. Die Extension der gewählten Begriffe ist von Fall zu Fall verschieden. Die freien Relativsätze werden dabei von den drei hier erwähnten Autoren ausgeklammert. Sitta rechnet sie nicht zu den Inhaltssätzen, Engel zählt sie nicht zu den Ausbausätzen, sondern gibt ihnen den Namen "indefinit generalisierende Nebensätze" (1977:189). Zint-Dyhr klammert sie, wie schon erwähnt, aus ihrer Untersuchung der Ergänzungssätze aus. Da die freien Relativsätze in den neueren Untersuchungen der Komplementsätze oft nur am Rande erwähnt werden, gilt ein besonderes Interesse der vorliegenden Arbeit den syntaktischen Eigenschaften der freien Relativsätze im Vergleich zu anderen Komplementsätzen. Insbesondere sollen die freien Relativsätze mit den abhängigen w-Fragesätzen verglichen werden, da diese beiden Komplementsatztypen formgleich sind. Gemäß ihrer Satzgliedfunktion können Gliedsätze den Subjektsätzen, Objektsätzen oder Adverbialsätzen zugeordnet werden. Die Abgrenzung der Akkusativobjektsätze von anderen Gliedsatztypen dürfte im Normalfall keine Schwierigkeiten bereiten.

Im Extrapositionsfeld stehen Teilsätze, die nach rechts an das Ende des Matrixatzes verschoben worden sind.

109

Akkusativobjektsätze besetzen diejenige Argumentstelle eines Verbs, die durch eine akkusativisch markierte NP in Objektsfunktion besetzt sein kann. Sie sind durch wen oder was erfragbar. Als Platzhalter für extraponierte Akkusativobjektsätze kann im Matrixsatz es auftreten. Das Platzhalter-« für einen Akkusativobjektsatz unterscheidet sich vom Platzhalter-« von einem Subjektsatz dadurch, daß das erstere nicht im Vorfeld stehen kann. (lOa) (lOb)

Ich finde es gut, daß du kommst. *Es finde ich gut, daß du kommst.

Es als Platzhalter zu Subjektsätzen steht in der Regel im Vorfeld. (11)

£5 ist gut, daß du kommst.

Der Platzhalter zu Subjekt- und Akkusativobjektsätzen darf nicht auftreten, wenn diese Gliedsätze im Vorfeld stehen. (l la) (lOc)

*Daß du kommst, es ist gut. *Daß du kommst, finde ich es gut.

Daß das Auftreten des Korrelats es nicht bei Vorfeldstellung des Subjekt- oder Akkusativobjektsatzes möglich ist, zeigt, daß es reine Platzhalterfunktion hat. Akkusativobjektsätze, zu denen ein Platzhalter-« im Matrixsatz auftritt, sind daher Gliedsätze, nicht Gliedteilsätze. Als Kriterien zur Identifizierung von Akkusativobjektsätzen können zunächst gelten: 1) Die Substitution des Teilsatzes durch eine akkusativisch markierte NP in Objektsfunktion ist möglich. 2) Zu extraponierten Akkusativobjektsätzen kann ein Platzhalter-« in das Mittelfeld des Matrixsatzes eingesetzt werden. Eine Vorfeldstellung dieses Platzhalters ist nicht möglich.

2.1 Matrixsatzprädikate

In den Matrixsätzen zu Akkusativobjektsätzen können Verben, Funktionsverbgefüge und Konstruktionen mit prädikativen Adjektiven als Prädikate auftreten. Diese Prädikatsausdrücke müssen eine Sachverhaltsbeschreibung als Realisierung der Akkusativergänzung zulassen. Eine Ausnahme bilden lediglich die Prädikatsausdrücke zu freien Relativsätzen, da freie Relativsätze bei fast allen Verben als Ergänzungen zugelassen sind.

Als "Platzhalter" werden semantisch leere Elemente bezeichnet, die rein formal-syntaktisch die Stelle für einen extraponierten Gliedsatz im Matrixsatz besetzen.

no 2.1.1 Verben

Die semantisch definierten Verbklassen der Verba dicendi und der Verba sentiendi stellen einen großen Teil der Matrixsatzverben zu Akkusativobjektsätzen. Verba dicendi werden diejenigen Verben genannt, die eine Sprechhandlung bezeichnen. Zu ihnen gehören die Verben des Sagens, des Fragens und des Aufforderns. Bei den meisten Verba dicendi hat ein angeschlossener Akkusativobjektsatz den syntaktischen Status einer obligatorischen Ergänzung. Bei einer kleinen Gruppe der Verba dicendi steht der Akkusativobjektsatz als fakultative Ergänzung. Zu dieser Gruppe gehören die Verben brüllen, rufen, schreien, flüstern, antworten. Diese Verben bezeichnen meist eine bestimmte Klangstärke und -Qualität des Sprechens. Sie können "absolut" gebraucht werden, d.h. ohne Objekt auftreten. Die Matrixsätze, in denen Verba dicendi auftreten, haben redeeinleitende Funktion. Die daran angeschlossenen Gliedsätze geben den Inhalt einer Rede wieder. Eine Redewiedergabe liegt vor, wenn ein zitierender Sprecher den Inhalt einer anderen Äußerung wiedergibt. (12a) Gestern habe ich meine Uhr verloren. (12b) Er sagte: "Gestern habe ich meine Uhr verloren." (12c) Er sagte, daß er gestern seine Uhr verloren habe. Der Inhalt einer Äußerung (12a) kann als direktes Zitat wiedergegeben werden wie in (12b). Der zitierende Sprecher kann aber auch aus seiner Sicht den Inhalt referieren, wie in (12c). Bei indirekter Redewiedergabe werden die Personal- und Possessivpronomina aus der Sicht des referierenden Sprechers gewählt. Bei der Umwandlung direkter Rede in indirekte Redewiedergabe findet also eine Pronominalverschiebung statt. Auch die Raum- und Zeitdeiktika können aus der Sicht des referierenden Sprechers gewählt werden, dies ist aber nicht obligatorisch (s. 2.2.6). (13a) (13b)

Er sagte: "Hier bin ich heute schon einmal gewesen." Er sagte, daß er dort gestern schon einmal gewesen sei.

Bei indirekter Redewiedergabe hat der Sprecher die Möglichkeit, nur sinngemäß zu zitieren oder nur das wiederzugeben, was ihm wichtig erscheint, bis hin zu einer globalen Inhaltsangabe. Dabei sollte eine Äußerung so wiedergegeben werden, daß die ursprüngliche Äußerung daraus rekonstruiert werden kann und ihr Sinn nicht verfälscht wird. Die syntaktischen Merkmale der Redewiedergabe sollen im Zusammenhang mit den betroffenen Realisierungsformen der Akkusativobjektsätze (vor allem abhängige Verbzweitsätze, aber auch daß-, ob- und w-Sätze) aufgezeigt werden. Kaufmann (1976:121) weist darauf hin, daß eine Reihe von Verben, die früher nicht redeeinleitend waren, jetzt als redeeinleitende Elemente verwendet werden. Beispiele für solche

Ill

Verben, die erst sekundär die Funktion eines redeeinleitenden Elements übernehmen, sind bemängeln, kritisieren, rügen, tadeln, loben. Der Vorgang soll an folgendem Beispiel veranschaulicht werden. (14a) (14b)

Strauß kritisierte Brandts Ostpolitik. Strauß kritisierte, daß Brandt in seiner Ostpolitik schwerwiegende Fehler unterlaufen seien.

In (14a) bezeichnet das Akkusativobjekt den Gegenstand der Äußerung (affizierte Entität), in (14b) dagegen wird der Inhalt der Äußerung wiedergegeben (effizierte Entität). Dies ist eine im heutigen Deutschen sehr produktive Erweiterung des Verwendungsumfangs einiger Verben, die vor allem von der Zeitungssprache vorangetrieben wird. Kaufmann zieht die Möglichkeit in Erwägung, für diese "sekundär redeeinleitenden" Elemente generell eine Akkusativobjektstelle anzusetzen, da sie in Analogie zu dem Verb sagen verwendet werden. Eines seiner Beispiele dazu ist das Verb prahlen, das redeeinleitend verwendet werden kann (1976:41): (15a) (15b)

Er prahlte mit seiner Körperkraft. Er prahlte (* sagte prahlerisch), daß er der stärkste Mann sei.

Den Gliedsatz in (ISb) als Akkusativobjektsatz zu analysieren, ist jedoch sehr problematisch, da prahlen auf keinen Fall eine akkusativisch markierte NP bei sich haben kann: (16) Er prahlte *seine Körperkraft/*es. Auch der Erfragungstest spricht gegen eine Einstufung des Komplementsatzes in (I5b) als Akkusativobjektsatz. Möglich ist nur die Frage Womit prahlte er?, nicht aber *Was prahlte er? Es spricht aber nichts dagegen, den Gliedsatz in (ISb) als Präpositionalobjekt zu analysieren, da im Matrixsatz als Korrelat das Pronominaladverb damit eingesetzt werden kann. Eine zweite wichtige Gruppe von Matrixsatzprädikaten zu den Akkusativobjektsätzen bilden die Verba sentiendi. Die Verba sentiendi dienen nicht nur der Kennzeichnung von Gefühlen, sondern sie bezeichnen auch Vorgänge der sinnlichen Wahrnehmung, des Glaubens, Meinens und Denkens. Verba sentiendi bezeichnen unterschiedliche Grade des Fürwahrhaltens. Das Emotionelle spielt nur insofern hinein, als einige Verba sentiendi Affekte bezeichnen, die mit einem solchen Fürwahrhalten verbunden sein können. Die Verba sentiendi lassen sich in drei Gruppen aufteilen: 1)

Verben der sinnlichen Wahrnehmung, wie sehen, hören, fühlen, riechen etc.

112

2)

Verben, die ein FOrwahrhalten ohne gleichzeitige emotionale Stellungnahme ausdrücken, wie annehmen, glauben, vermuten, feststellen.

3)

Verben, die ein Fürwahrhalten mit einer emotionalen Komponente bezeichnen, wie fürchten, hoffen, bedauern (auch "emotive" Verben genannt).

Diese semantischen Unterscheidungen haben Auswirkungen auf die Syntax. So ist z.B. der Konjunktiv nach Verben der Gruppe 2) und 3), nicht jedoch nach denen der Gruppe 1) möglich (s. 2.2.1). Auch die Verba sentiendi können als redeeinleitende Elemente fungieren. Es handelt sich bei der an sie angeschlossenen Redewiedergabe nicht unbedingt um die Erwähnung eines akustisch wahrgenommenen Redeinhalts, sondern um die Formulierung eines eigenen oder fremden Gefühls- oder Gedankeninhalts. An dieser Stelle soll nur noch kurz darauf hingewiesen werden, daß einige Verba dicendi et sentiendi eine doppelte Rektion haben. Sie können entweder ein Akkusativobjekt oder ein Präpositionalobjekt als Ergänzung realisieren. etwas/nach etwas fragen etwas/an etwas denken etwas/auf etwas hoffen Wenn Matrixsätze mit diesen Verben kein Korrelat enthalten, das die syntaktische Funktion des angeschlossenen Gliedsatzes verdeutlicht, kann der Gliedsatz prinzipiell als Akkusativobjektsatz oder als Präpositionalobjektsatz analysiert werden. Bei einigen Verben können zwei Leerstellen als Gliedsätze realisiert werden. In den "Grundzügen" werden diese Verben "Relationsverben" genannt, da sie zwei Sachverhalte zueinander in Relation setzen können (Heidolph et al. 1981:824). Sie werden hier im Anschluß an Oppenrieder (1987) "Doppelgliedsatzverben" genannt. Die freien Relativsätze als eine mögliche Realisierungsform müssen dabei ausgeklammert werden, da eine Vielzahl von Verben die Subjekt- und Objektstelle als freie Relativsätze realisieren können. Um einen freien Relativsatz als Ergänzung zuzulassen, braucht ein Verb nicht für einen Komplementsatz subkategorisiert zu sein, da freie Relativsätze eine mögliche Realisierungsform fast jeder Ergänzung sind. Freie Relativsätze brauchen nicht Sachverhalte zu bezeichnen, sondern sind Terme mit generischer oder spezifischer Referenz. Um als Doppelgliedsatzverb gelten zu können, muß ein Verb also in der Lage sein, zwei Sachverhaltsbeschreibungen zueinander in Relation zu setzen. Doppelgliedsatzverben, die eine Akkusativergänzung haben, sind bewirken, bedeuten, beweisen, verursachen, begünstigen, be-

Terme sind die nicht-wahrheitswertfähigen Bestandteile von Aussagen.

113

dingen, zeigen, erklären, verdeutlichen. Auch die Funktionsverbgefüge zur Folge haben und unter Beweis stellen gehören zu dieser Gruppe.

2.1.2 FunktionsverbgefQge Auch Funktionsverbgefüge können als Matrixsatzprädikate zu Akkusativobjektsätzen fungieren:

(17) (18)

Der Künstler will dem Menschen in Erinnerung bringen, wer er eigentlich ist. Er stellte in Abrede, daß er irgendetwas mit der Sache zu tun hat.

Funktionsverbgefüge bestehen aus einer Präpositionalphrase, die ein Verbalabstraktum enthält, und aus einem Bewegungsverb, das als Funktionsverb dient. FunktionsverbgefQge können in der Regel durch ein Vollverb ersetzt werden, aus dem das Verbalabstraktum abgeleitet ist: in Zweifel ziehen vs. zweifeln. Bei den Funktionsverbgefügen sind Pluralbildung und Attribuierung des Nomens nicht möglich, ein Artikel kann nicht eingesetzt bzw. ausgetauscht werden, das Nomen ist nicht pronominalisierbar. Diese Merkmale zeigen, daß das Nomen in Funktionsverbgefügen kein eigenständiges Satzglied ist, sondern Teil der idiomatisierten Wendung. Diese Nomina können daher

nicht

als Bezugs-NPn

für

Gliedteilsätze

fungieren.

An

Funktionsverbgefüge

angeschlossene satzförmige Ausdrücke haben also den syntaktischen Status von Gliedsätzen. Beispiele für Funktionsverbgefüge, an die Akkusativobjektsätze angeschlossen werden können, sind zum Ausdruck bringen, zur Kenntnis nehmen, in Erwägung ziehen. Daneben gibt es jedoch eine Reihe von Verbalkomplexen, die auch aus einem Verbalabstraktum und einem Verb bestehen. (19) (20) (21)

Er war der Meinung, daß Salat gesund sei. Der Kanzler gab die Erklärung, daß er zu weiteren Verhandlungen bereit sei. Er hegt die Hoffnung, daß das Wetter wieder normal wird.

Obwohl auch bei diesen Verbalkomplexen die Pluralfähigkeit und Attribuierbarkeit des Nomens und die Austauschbarkeit des Artikels teilweise eingeschränkt sind, weisen die daran angeschlossenen satzförmigen Ausdrücke das Verhalten von Gliedteilsätzen auf. Formale Eigenschaften von Gliedteilsätzen sind, daß sie nur mit ihrem Bezugselement im Vorfeld stehen können und auch im Mittelfeld direkt hinter dem Bezugselement auftreten können. Beides trifft für die Teilsätze in (19), (20) und (21) zu. (19a) (20a) (21 a)

Der Meinung, daß Salat gesund sei, war er schon immer. Die Erklärung, daß er zu weiteren Verhandlungen bereit sei, gab der Kanzler gestern. Die Hoffnung, daß das Wetter besser wird, hegt er schon lange.

114

(21b)

Er hol die Hoffnung, daß das Wetter besser wird, schon gehegt, als es noch vergleichsweise gut war.

Diese Stellungseigenschaften zeigen, daß die NPn in diesen Verbalkomplexen selbständige Satzglieder sind, die als Bezugselemente für die daran angeschlossenen satzförmigen Ausdrücke fungieren. Diese sind somit als Attributsätze einzustufen. Die Nomina von Funktionsverbgefügen können nicht mit dem Gliedsatz zusammen im Vorfeld auftreten: (22)

*Zum Ausdruck, daß er das alles für einen großen Unsinn halte, brachte er gestern.

Daß an Funktionsverbgefüge angeschlossene satzförmige Ausdrücke Gliedsätze sind, zeigt ihre Vorfeldfähigkeit: (22a)

Daß er das alles für einen großen Unsinn halte, brachte er gestern zum Ausdruck.

Auch die Fragemöglichkeiten können den Unterschied zwischen Funktionsverbgefügen und ähnlichen Verbalkomplexen verdeutlichen. Es ist möglich zu fragen Was brachte er zum Ausdruck? oder Was brachte er zur Kenntnis?, dagegen kann man nicht fragen *Was hegt er die Hoffnung?, da das Verbalabstraktum selbst die Akkusativergänzung zu dem Verb ist.

2.1.3 Verben mit prädikativen Adjektiven Als letzte Gruppe der möglichen Matrixsatzprädikate sind einige Wendungen zu nennen, die aus einem Verb und einem prädikativen Adjektiv bestehen, das eine Akkusativobjektleerstelle hat. Dazu gehören es wert sein, es satt haben, es müde sein. Diese Adjektive hatten früher Genitivrektion. Durch den Zusammenfall der Genitiv- und der Akkusativform von es entstand eine Indifferenzform. Zunehmend wurde sie als Akkusativobjektsform interpretiert, da das Genitivobjekt immer seltener wurde (s. dazu Ebert 1978:51). Heute können bei'« satt haben und es wert sein akkusativisch markierte NPn stehen, bei es müde sein ist das nicht möglich: (23) (24) (25)

Sie hatte den Laden satt. Er ist sein Geld wert. Er war *das viele Wandern/des vielen Wanderns müde.

Es stellt sich daher die Frage, ob ein an es müde sein angeschlossener Gliedsatz ein Akkusativobjektsatz oder ein Genitivobjektsatz ist. (26)

Er war es müde, ständig zu arbeiten.

115

Im Matrixsatz tritt das Korrelat es und nicht das Korrelat zu Genitivobjektsätzen, nämlich dessen, auf. Das könnte man als Argument für eine Zuordnung zu den Akkusativobjektsätzen anführen. Bei Linksversetzung zeigt sich allerdings, daß sich der Gliedsatz in (26) eher wie ein Genitivobjektsatz verhält: (26a)

Ständig zu arbeiten, dessen/*das war er müde.

Eine Zuordnung des Teilsatzes in (26) zu den Genitivobjektsätzen scheint daher sinnvoller zu sein.

2.2 Die einzelnen Typen der Akkusativobjektsitze Eingangs wurde schon darauf hingewiesen, daß zum Standardbereich der Akkusativobjektsätze durch daß, ob und ein w-Element eingeleitete Gliedsätze gehören, außerdem Infinitivund abhängige Verbzweitsätze. Es geht hier insbesondere darum, die Beziehungen zwischen den Matrixsatzverben und den jeweiligen Komplementsätzen darzustellen. Das Verb bringt nicht nur Informationen über die Art und Zahl seiner Ergänzungen mit, sondern auch darüber, wie diese realisiert werden können, also z.B. als NP, daß, ob-, w-Satz usw. Ebenso, wie es nicht zufällig ist, welche thematische Rolle in einem bestimmten Kasusobjekt auftritt, sondern die Semantik Einfluß darauf nimmt, ist auch die Wahl einer bestimmten satzförmigen Realisierung von der Semantik bestimmt. Eine Voraussetzung für das Auftreten einer satzförmigen Realisierung ist, daß das Verb für diese Ergänzung eine Sachverhaltsdarstellung zuläßt (Ausnahme: freie Relativsätze). Der morphosyntaktische und der semantische Rahmen sind nicht voneinander unabhängig. In bezug auf die Akkusativobjektsätze ist dabei zunächst von Interesse, wie die einzelnen Komplementsatztypen mit bestimmten Eigenschaften in propositional-sachverhaltsdarstellender Hinsicht zusammenhängen. Ein Ziel ist es also herauszuarbeiten, wie die Wahl einer bestimmten Realisierungsform mit bestimmten semantischen Eigenschaften des jeweiligen Komplementsatzes zusammenhängt. Ein nächster Schritt besteht darin, zu untersuchen, ob diese propositionalen Eigenschaften in irgendeiner Weise mit bestimmten Merkmalen der Matrixsatzverben in Verbindung stehen. Ansätze zu einer solchen Verbindung finden sich in verschiedenen Grammatiken, die z.B. "indirekte Fragesätze" mit Verben des "Fragens und des Zweifeins" in Verbindung bringen. Eine systematische Beschreibung fehlt jedoch auch hier. Die durch ob und ein ^-Element eingeleiteten Gliedsätze werden von der traditionellen Grammatik als "indirekte Fragesätze" bezeichnet. Durch daß eingeleitete Gliedsätze werden manchmal als "indirekte Aussagesätze" bezeichnet. Bei Helbig/Buscha (1972:548) wird zudem noch erwähnt, daß auch "indirekte Aufforderungssätze" durch daß eingeleitet sein können.

116

Die Beziehungen der einzelnen Realisierungsformen abhängiger Satze zu den Satzmodi selbständiger Sätze werden jedoch in keiner der gängigen Grammatiken systematisch dargestellt. Von einem "indirekten Wunschsatz" oder einem "indirekten Ausrufesatz" zum Beispiel ist nie die Rede. Neuere Ansätze zur Satzmodusforschung bieten hier ein wesentlich differenzierteres Bild. Zaefferer (1983:473) stellt ein Schema für selbständige Satztypen und ihre abhängigen Gegenstücke auf und belegt sie jeweils mit Beispielen. Er unterscheidet Deklarativsätze, Interrogativsätze, Exklamativsätze, Imperativsätze und Wunschsätze. Ihre abhängigen Gegenstücke nennt er zur Unterscheidung von selbständigen Sätzen Sententiale. Altmann (1984a:137, 1987) unterscheidet sieben Grundtypen von Satzmodi im Deutschen. Diese sind Aussagesatz, Satzfragesatz, »v-Fragesatz, Wunschsatz, Imperativsatz, Satzexklamativsatz und w-Exklamativsatz. Diese Satztypen werden durch eine begrenzte Anzahl syntaktischer Mittel konstituiert, wie Stellung des Verbs, Auftreten eines w-Elements, Verbmorphologie usw. Hinzu kommen intonatorische Merkmale. Mit der Benutzung eines dieser Satztypen druckt der Sprecher eine bestimmte propositionale Einstellung aus. Die propositionalen Grundeinstellungen entsprechen weitgehend den traditionellen Satzmodi. Sie lassen sich umschreiben als 'sagen/mitteilen, daß* für Aussagesätze, 'wissen wollen/fragen, ob/w-' für Fragesätze, 'sich wundern, daß/wie sehr' für Exklamativsätze, 'wünschen/verlangen, daß1 für Wunsch- und Imperativsätze. Es ist leicht zu erkennen, daß die subordinierenden Konjunktionen ihren Teil zur Charakterisierung einer propositionalen Grundeinstellung beitragen. Diese Konjunktionen sind zu einem gewissen Grad bestimmten Satzmodi zugeordnet. Eindeutig einem Satzmodus zugeordnet ist nur die Konjunktion ob, die nur die propositionale Grundeinstellung einer Frage bezeichnen kann. Durch ob eingeleitete Komplementsätze sind immer abhängige Entscheidungsfragesätze. W-Elemente können in Frage- und den Exklamativsätzen stehen. Es ist also zu erwarten, daß durch w-Elemente abhängige Ergänzungsfrage- und Exklamativsätze eingeleitet sein können. Die Konjunktion daß schließlich ist am vielfältigsten verwendbar. Sie kann Aussagesätze, Exklamativsätze, Wunsch- und Imperativsätze einleiten. Zu jedem dieser Grundtypen selbständiger Satzmodi gibt es die sogenannten "Indirektheitstypen"5, nämlich die Komplementsätze, die durch die einschlägigen Konjunktionen eingeleitet sind. Wenn im folgenden von abhängigen Aussage-, Frage- und Exklamativsätzen die Rede ist, dann ist damit nicht auf die Sprechhandlungen Bezug genommen, die mit diesen Sätzen ausgeführt werden können. Wie sich zeigen wird, können mit den abhängigen Satztypen zwar dieselben Sprechhandlungen ausgeführt werden. Der systematische Zusammenhang zwischen 5

So die Bezeichnung bei Altmann (1984a), der zu den "Indirektheitstypen" auch die selbständigen Verbletztsätze zählt, die ebenfalls durch Konjunktionen eingeleitet sind.

117

den selbständigen Satzmodi und ihren abhängigen Gegenstücken besteht jedoch darin, daß sie jeweils denselben Propositionstyp enthalten. Im Zusammenhang mit den Akkusativobjektsätzen stellt sich die Frage, wie ein Matrixsatz beschaffen sein muß, damit ein bestimmter abhängiger Satztyp eingebettet sein kann. Die Vermutung liegt nahe, daß das Matrixverb in einer mehr oder weniger engen Beziehung zu einer der propositionalen Grundeinstellungen steht, die der jeweiligen Konjunktion zugeordnet sind. Außerdem stellt sich die Frage, wie man die einzelnen abhängigen Satztypen unterscheiden kann, die durch die gleiche Konjunktion eingeleitet sind. Woran erkennt man zum Beispiel, daß ein abhängiger tf-Satz ein abhängiger Fragesatz oder ein abhängiger Exklamativsatz ist? Bei den abhängigen w-Sätzen ergibt sich zudem das Problem, daß auch freie Relativsätze, die gar kein abhängiges Gegenstück eines selbständigen Satzmodus sind, durch w-Elemente eingeleitet sind. Bei der Behandlung dieser Fragen wird auf die Beziehung der einzelnen Konjunktionen zu dem propositionalen Gehalt der einzelnen Satzmodi eingegangen, da dieser zum Beispiel für die Abgrenzung abhängiger w- Fragesätze von abhängigen w-Exklamativsätzen wesentlich ist. Die Auswahl und die Interpretation der einzelnen Einleitungselemente wird dadurch bestimmt, mit welchem Propositionstyp die jeweiligen Verben kompatibel sind.

118 2.2.1 öajS-SItze Bei den durch daß eingeleiteten Akkusativobjektsätzen handelt es sich in der Mehrzahl um abhängige Aussagesätze. Zaefferer (1983:473) bezeichnet sie in Abgrenzung zu den selbständigen Deklarativsätzen als Deklarativsententiale. Durch daß eingeleitete Komplementsätze können aber auch die abhängigen Gegenstücke verschiedener anderer Satzmodi sein. So können abhängige Exklamativsätze als daß-S&tze realisiert sein: (27) (28)

Ich finde es erstaunlich, daß du so groß bist. Man kann es kaum glauben, daß der das alles gelesen hat.

Die daß-S&tze dieses Typs können immer durch einen abhängigen w-Exklamativsatz ersetzt werden. (27a) (28a)

Ich finde es erstaunlich, wie groß du bist. Man kann es kaum glauben, was der alles gelesen hat.

Ein Exklamativsatz kann auch als selbständiger daß- Verbletztsatz realisiert sein: (29)

Daß der das alles gelesen hat!

Gelegentlich können cfajS-Sätze abhängige Imperativsätze sein, wie etwa in (30), wo sich im rfcj3-Satz das Modalverb sollen findet. Die Äußerung, auf die hier Bezug genommen wird, kann als Imperativsatz realisiert gewesen sein. Auch zu Imperativsätzen existiert eine selbständige daß- Verbletztvariante. (30) (31) (32)

Paul sagte zu Peter, daß er nach Hause gehen soll. Geh jetzt nach Hause! Daß du bloß rechtzeitig heimkommst!

Ein letzter Funktionstyp des do/J-Satzes, zu dem eine selbständige Verbletztvariante existiert, ist der abhängige Wunschsatz: (33) (34)

Daß er doch käme! Ich wünsche mir, daß er kommt.

Abhängige v-Exklamativ- und w-Fragesätzen liegt in ihren

Propositionstypen. Erstere enthalten Propositionen mit einem geschlossenen Wahrheitswert, letztere Propositionen mit einem offenen Wahrheitswert.

135

2.2.5 Adverbiell eingeleitete Sätze Es ist verschiedentlich bemerkt worden, daß auch bestimmte durch "adverbielle Konjunktionen" eingeleitete Sätze als Ergänzungssätze fungieren können (z.B. Boettcher/Sitta 1972:118, Bergenholtz/Ulvestad 1983:5). Dabei sind vor allem die adverbiellen Konjunktionen wenn und als zu nennen. (96) (97) (98)

Ich halte es für richtig, wenn mein Unternehmen diese Aufträge entgegennimmt. Die CSU nahm es eher amüsiert hin, als ein Parteimitglied bei Ortsversammlungen zum "Grüß Gott" den Hitlergruß zeigte. Dem Schreiber dieser Zeilen nahm man es übel, als er das Rennen verlor.

Intensiver befassen sich u.a. Fabricius-Hansen (1980), Metschkowa-Atanassowa (1983), Schmid (1987) mit dieser Erscheinung. Dabei wird meistens vermerkt, daß diese Sätze ein von den anderen Typen der Komplementsätze abweichendes Verhalten aufweisen. Deswegen werden sie oft nur mit Vorbehalten zu den Komplementsätzen gerechnet. Die Autorin der ausführlichsten Untersuchung zu den wwi-Sätzen, Metschkowa-Atanassowa, spricht hier von w««-Sätzen in "Quasisubjekt- bzw. Quasiobjektfunktion" (1983:150). Der Unterschied zu den Adverbialsätzen besteht darin, daß diese Sätze eine Subjekt- bzw. Objektstelle des Matrixverbs füllen. Wenn und a/5 lassen sich meistens durch daß ersetzen. Bei diesen rfajS-Sätzen handelt es sich zweifelsfrei um Ergänzungssätze. (99) (100)

Ich halte es für richtig, wenn/daß mein Unternehmen diese Aufträge entgegennimmt. Man nahm es ihm sehr übel, als/daß er das Rennen verlor.

Bei Adverbialsätzen ist diese Ersetzung der Konjunktion durch daß selbstverständlich nicht möglich. (101) (102)

Wenn/*Daß er kocht, stinkt es sehr nach Knoblauch. Als/*Daß er gewonnen hatte, war er fix und fertig.

Metschkowa-Atanassowa bemerkt, daß diese Ersetzbarkeit der >mm-Ergänzungssätze durch daß nicht immer gegeben ist, sondern nur bei den Sätzen, die eine faktische Interpretation des wenn-Satzes zulassen (1983:139ff.). In Sätzen, die durch den Konjunktiv als irreal gekennzeichnet sind, ist das z.B. nicht möglich: (103)

Man würde es ihm sehr übel nehmen, wenn/*daß er das Rennen verlieren würde.

Die Ersetzbarkeit durch daß ist also nicht in allen Fällen ein notwendiges Kriterium zur Identifizierung eines adverbiellen Ergänzungssatzes. Ein weiteres Kriterium ist der Kasusrahmen des Matrixverbs. Realisiert der wenn- oder a/5-Satz eine obligatorische Ergänzung, dann muß er als Ergänzungssatz interpretiert werden. Realisiert er dagegen eine fakultative

136

Ergänzung, dann bleibt ein gewisser Interpretationsspielraum, ob hier eher ein Adverbialoder ein Ergänzungssatz vorliegt (Schmid 1987). In allen Belegsätzen tritt der wenn- oder /s-Satz in Extrapositionsstellung auf. Als Platzhalter zu diesen Sätzen in Akkusativobjektsfunktion tritt fast immer es auf. Stellt man den Satz ins Vorfeld, dann fällt es nicht wie ein gewöhnlicher Platzhalter weg. (104) (lOOa)

Wenn man ihn krault, mag *0/?es/das der Hund. Als er das Rennen nicht gewann, nahm man ihm *0/?es/das übel.

Es verhält sich hier nicht wie ein gewöhnlicher Platzhalter, der bei Vorfeldstellung des Akkusativobjektsatzes nicht auftreten kann, sondern eher wie ein eigenständig referierendes Pronomen. Auch die Tatsache, daß es bei diesen Sätzen fast immer auftritt, stützt diese Annahme, denn ein reiner Platzhalter kann meist auch weggelassen werden. Auch das Verhalten bei Linksversetzung zeigt, daß hier keine gewöhnlichen Ergänzungssätze vorliegen. Diese Sätze können nämlich sowohl wie Ergänzungssätze (also mittels der Proform das) und wie Adverbialsätze mit einer entsprechenden Proform linksversetzt werden. (104a) (lOOb)

Wenn man ihn krault, das mag der Hund. Wenn man ihn krault, dann mag das der Hund. Als der das Rennen nicht gewann, das nahm man ihm übel. Als er das Rennen nicht gewann, da nahm man ihm das übel.

Die Einsetzbarkeit der Proformen dann bzw. da zeigt, daß die adverbielle Semantik dieser Sätze durchaus auch vorhanden ist, wenn sie als Ergänzungssätze fungieren. Metschkowa-Atanassowa weist darauf hin, daß für die wenn-Sätze in "Quasisubjekt- und Quasiobjektfunktion" dieselben Tempusregeln wie für Adverbialsätze gelten (s. 1983:134). Auch für die c/s-Sätze gilt dies. Wie bei den entsprechenden Adverbialsätzen muß der Matrixsatz und der eingebettete Satz in einem Vergangenheitstempus stehen.

/s-Sätze können

sich nicht auf Gegenwärtiges oder Zukünftiges beziehen. (lOOc)

*Man wird es dir übelnehmen/nimmt es dir übel, als du nicht gewinnst.

Außerdem ist es so, daß diese Ergänzungssätze - obwohl sie formal-syntaktisch als Komplementsätze zu klassifizieren sind - die adverbielle Semantik ihrer Konjunktionen aufweisen. Wenn-Sätze können sowohl temporal wie konditional interpretiert werden, wobei häufig beide Bedeutungen mitschwingen: (104b)

Der Hund mag es, wenn man ihn krault.

Hier spielt sowohl die temporale Komponente ('sooft...') wie auch die konditionale ('falls...') eine Rolle.

137

Wenn schließt eine faktische Interpretation der Komplementproposition nicht aus, es ist aber nie mit einem daß-Satz völlig äquivalent. Folgendes Beispiel aus einem Peanuts-Comics soll das illustrieren (s. Schmid 1987). (105)

(Snoopy schaut sauer.) Charlie Brown: ich hasse es, wenn er mich so ansieht.

Hier ist die Komplementproposftion eine sichtbare, gegenwärtige Tatsache. Wenn ist hier faktisch zu interpretieren, ist gegenüber daß nicht auf eine einmalige Tatsache festgelegt, sondern hat eher iterative Bedeutung. Es weist darauf hin, daß Snoopy häufiger Charlie Brown in bestimmten Situationen so ansieht. Wegen der Unsicherheitskomponente von wenn werden in wenn-Sätzen Tatsachen unbestimmter, allgemeiner, weniger einmalig-konkret bezeichnet als in entsprechenden rfo/8-Sätzen. Auch als hat seine adverbielle Bedeutung in Ergänzungssätzen, was man schon daran sieht, daß es nur in Sätzen mit Vergangenheitstempus auftreten kann. Boettcher/Sitta sehen den Unterschied zu einem daß-Satz in der "erzählenden Präsentation" (1972:118). Es wird stärker auf den vergangenen Zeitpunkt eingegangen, der Satz erhält einen narrativen Charakter, der bei einem faktischen do/3-Satz entfällt. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß es sich bei diesen adverbiellen Ergänzungssätzen um eine "Zwittererscheinung" handelt. Einerseits behalten die Konjunktionen ihre adverbielle Semantik bei, die Vielfalt der Interpretationsmöglichkeiten von wenn ist auch hier gegeben. Zudem gelten die Tempusregeln, die auch für die entsprechenden Adverbialsätze gelten. Andererseits müssen diese Sätze vom Kasusrahmen des Matrixverbs her als Ergänzungssätze gewertet werden, bei einer faktischen Interpretation ist ein entsprechender dajS-Satz einsetzbar. Die Besonderheiten des Korrelats es zeigen, daß es sich hier nicht um einen regulären Ergänzungssatz handelt. Auch bei Linksversetzung wird der "Zwitterstatus" dieser Sätze deutlich.

138

2.2.6 Abhängige Verbzweitsätze Eine Reihe von Verben lassen einen abhängigen Verbzweitsatz als Akkusativergänzung zu. Es handelt sich dabei meist um Verba dicendi et sentiendi, abhängige Verbzweitsätze enthalten eine tatsächliche oder "innere" Rede. (106) (107) (108) (109)

"Das ist jetzt auch meine Kneipe", sagt Gisela Kraft. Ich weiß, ich weiß, an uns Deutschen lieet's nicht, wir würden sofort katalysieren und normen. Er versicherte, es eehe nicht darum, über den Präsidenten herzufallen. Als Motiv gab er an, er habe mit den sowjetischen Führern über Frieden und Abrüstung sprechen wallen.

Laut Duden (1984:688) geben abhängige Verbzweitsätze das "Ergebnis des geistig-seelischen Verhaltens" wieder, das das Matrixverb bezeichnet. Doch auch Verben, die normalerweise keinen Redeanschluß erlauben, können Verbzweitsätze als Akkusativobjekte nehmen. Die Verbzweitstellung und häufig zusätzlich der Konjunktiv kennzeichnen den abhängigen Satz als Redewiedergabe: (110) (111) (112)

Die "Kuckeritis" sei auf dem Vormarsch, entnahmen wir unlängst der Leserbriefspalte einer Münchner Tageszeitung. Mit dem neuesten Benehmen der Deutschen beschäftigt sich eine Allensbacher Umfrage und bekam heraus, der Umeaneston sei wieder förmlicher geworden, nur noch iunee Leute seien schnell per "Du". Sie lächelte, das sei doch nicht so schlimm.

Für diese Verben mit Verbzweitsätzen, die nicht eigentlich redeeinleitende Verben sind, werden verschiedene Vorschläge gemacht. Der Duden (1984:688) vermerkt, daß in (112) lächeln die Bedeutung 'lächelnd sagen1 erhält. Dies ähnelt einem Vorschlag in der älteren Transformationsgrammatik, für diese Konstruktionen in der Tiefenstruktur ein Verbum dicendi anzusetzen, das bei der Überführung in die Oberflächenstruktur getilgt wird (Wunderlich 1969). Eine andere Lösung ist, daß das Matrixverb durch den angeschlossenen Verbzweitsatz uminterpretiert wird und das Merkmal t+kommunikativ] erhält. (Wunderlich 1969, Kaufmann 1976). Engelen (1975/1:103) nimmt an, daß diese Uniinterpretation zu einem redeeinleitenden Verb bei jedem Verb möglich ist. Breindl (1989) weist dagegen darauf hin, daß diese Uminterpretation auf Verben beschränkt ist, die perfektive Handlungs- oder Vorgangsverben sind. Sätze wie (113) sind noch marginal akzeptabel, (114) ist dagegen eindeutig inakzeptabel: (113)

Man möee sie endlich mit diesem Unsinn in Ruhe lassen, schälte sie die weiter.

(114)

*Er solle sie nicht vergessen, liebte sie ihn/schlief sie//'entschlief sie. (Beispiele bei Breindl 1989)

Kartoffeln

139

Gegenüber eingeleiteten

Akkusativobjektsätzen besitzen

abhängige

Verbzweitsätze eine

größere syntaktische und semantische Selbständigkeit. Der abhängige Verbzweitsatz ist ein potentiell selbständiger Satz, nichts deutet auf syntaktische Unterordnung hin. Ein abhängiger Satz liegt nur deswegen

vor, weil eine Argumentstelle des Matrixverbs durch den

Verbzweitsatz gefüllt ist. Es ist ein Extremfall denkbar, wo einem kurzen Matrixsatz wie er sagte o.a. eine Reihe von Verbzweitsätzen folgt, die den Inhalt der Rede wiedergeben. Diese müßten konsequenterweise alle als Akkusativobjektsätze zu dem einleitenden "Matrixsatz" gewertet werden. Eine Reihe von syntaktisch selbständigen Sätzen als Akkusativobjekt eines Verbs zu klassifizieren, ist sicherlich keine sehr gute Lösung. Hier ist die Unterscheidung von syntaktischer und semantischer Valenz nützlich. Diese "Akkusativobjektsätze" sind syntaktisch selbständige Sätze, sie füllen die Valenzstelle des Matrixverbs nicht in einem syntaktischen Sinn, da sie in ihrer Form nicht durch den Matrixsatz determiniert werden. Sie gehören jedoch zur semantischen Valenz dieses Verbs, weil sie das Ergebnis der vom Verb bezeichneten Tätigkeit sind. Wegen der großen syntaktischen Selbständigkeit dieser Sätze können Unklarheiten auftreten, welcher Satz - der redeeinleitende oder der redewiedergebende Satz - als Matrixsatz fungiert. Diese Zweifelsfälle treten insbesondere bei einer "Mittelfeldstellung" des redeeinleitenden Satzes auf, der vom redewiedergebenden Satz umrahmt wird. (115) (116)

"Wir reden hier immer über Politik", erklärt er. "obgleich wir nichts zu saeen haben." Es eibt Familien hier, sagt Georgios, der es wissen muß, über deren Bankkonten ihr staunen würdet.

Es liegt nahe, die redeeinleitenden Sätze als parenthetisch eingeschoben zu betrachten. Die Pausenintonation vor und nach diesem Teilsatz spricht dafür. Zudem besetzt dieser Satz eine typische "Parenthesennische", da er meist nach dem ersten Satzglied und vor dem finiten Verb des redewiedergebenden Satzes steht. Diese Sätze können überall eingeschoben werden, wo Parenthesen möglich sind. Untypisch für Parenthesen ist allerdings, daß eine Leerstelle dieser eingeschobenen Parenthese durch den umrahmenden Satz gefüllt wird. Obwohl der redeeinleitende Satz also in einem semantischen Sinn übergeordnet ist, ist er syntaktisch und intonatorisch in den umrahmenden Satz integriert. Topologisch bildet der erste Teil der Redewiedergabe das Vorfeld für den eingeschobenen "Matrixsatz", der Verbzweitstellung aufweist. Die beiden Sätze sind topologisch ineinander integriert. Auch das ist untypisch für Parenthesen. Häufig nehmen die Proformen 50 oder wie, selten auch das Bezug auf den umrahmenden Satz. (117) (118) (119)

Das Modell der Lehrerstudenten Dies sei, wie er in keinem Fall,

Universität, so erläutert Professor Ilse Lichtenstein-Rother, zwinet nicht von vornherein, ihr Berufsziel aufzugeben. verlauten ließ, nicht mehr länger tragbar. das weiß Zimmermann genau, seien Menschenrechte verletzt worden.

140

Bei Verwendung von so oder wie als Proform wird deutlich, daß der umrahmende Satz nicht als Akkusativobjekt zum redekommentierenden Satz begriffen wird. Es wird hier eine vage Proform gewählt, die lediglich einen allgemeinen Bezug zu dem umrahmenden Satz herstellt. Die Proform steht nicht für ein Modaladverbiale, denn ein Adverbiale dieses Typs kann zusätzlich auftreten: (120)

Dies wäre, so die Studenten lautstark, eine Verletzung ihrer Rechte,

So ist als Proform vielseitig verwendbar und gleicht in dieser Hinsicht dem Adverb da, das nicht nur lokaldeiktisch verwendet werden kann, sondern auch auf andere Umstände verweisen kann. Einige Beispiele für die Verwendungsmöglichkeiten von so sind: Proform für einen Konditionalsatz: Regnet es, so bleibt Anna zu Hause. Proform für einen Relativsatz in satzadverbialer Funktion: W as Peter betrifft, so hat er noch mal Glück gehabt. Proform für ein Gleichsetzungskonditional: Wann du auch kommst, so melde dich bei uns. Oberflächlich betrachtet haben die Konstruktionen in (117) - (119) eine Ähnlichkeit mit Linksversetzungskonstruktionen. Ein klarer Unterschied besteht darin, daß diese eingeschobenen Sätze relativ frei bewegt werden können, was bei echten Linksversetzungen nicht möglich ist. (121)

Über Dinge, (sagte mein Großvater) die man nicht ändern kann, (sagte mein Großvater) ist es sinnlos, (sagte mein Großvater) zu jammern (sagte mein Großvater).

Die Redekommentierung kann auch ganz ohne Verb auftreten, sie ist hier eindeutig parenthetisch in einen selbständigen Satz eingeschoben bzw. daran angehängt. (122a) (122b)

"Blüm hat Lösuneen präsentiert", so der erste Teil eines Spruchs, der derzeit in Bonn die Runde macht. "Aber". Teil 2, "die Lösungen passen nicht zu dem Problem."

In (122) kann der redewiedergebende Satz nicht mehr als Ergänzung zu dem redeanführenden Satz beschrieben werden. Es ist kein Verb vorhanden, das eine Ergänzung verlangen würde. Der Verbzweitsatz ist hier ein völlig selbständiger Satz, in den eine Parenthese eingeschoben oder an ihn angehängt wird. Das zeigt, daß abhängige Verbzweitsätze so wenig syntaktisch subordiniert sind, daß sie auch als völlig selbständige Sätze auftreten können. Auf die verschiedenen Grade von Subordinierung wird abschließend noch einmal einzugehen sein.

141

Vom redekommentierenden Satz völlig unabhängige Verbzweitsätze treten nicht nur in Rahmenstellung, sondern auch vor und nach dem Redekommentar auf. (123) (124) (125) (126)

(Niemals hätte ihm Heise das Husarenstück zugetraut.) Denn: "Er war ein richtig braver Junge" Siegfried Heise: "Er machte alles nur nach Plan." "Wir waren völlig überrascht von dieser Entscheidung", zitierte ein Journalist des Magazins die Mutter. "Könnt ihr nicht irgendwo auch noch Pommes Frites auf treiben?", wurden die jungen "Kaufleute" zu neuen Geschäften animiert.

Steht der Redekommentar vor der Redewiedergabe, so genügt eine Namensnennung oder eine Partikel, um die Rede einzuleiten. Insbesondere Boulevardblätter machen von diesem Muster ausgiebig Gebrauch. Steht die Redewiedergabe vor dem Kommentar, dann enthält der Kommentar meist ein Verb. Dabei braucht es jedoch keineswegs so zu sein, daß die Redewiedergabe eine Leerstelle des Verbs im Redekommentar füllt. Das belegen die Sätze (125) und (126). Zitieren ist ein zweistelliges Verb, dessen Leerstellen innerhalb des Redekommentars gefüllt werden. Animieren ist ein dreistelliges (hier im Passiv zweistelliges) Verb, dessen Leerstellen ebenfalls innerhalb des Redekommentars gefüllt sind. Für die Redewiedergabe bleibt in diesen beiden Sätzen also keine subkategorisierte Position des Verbs übrig. Der Schluß daraus ist, daß Verbzweitsätze (oder im Fall von wiedergegebenen Fragen auch Verberstsätze) in allen Positionen unabhängig vom redekommentierenden Satz auftreten können. Eine Anbindung an die Valenz des Verbs im redekommentierenden Satz ist keine Bedingung. Im Vergleich zu rfajS-Sätzen sind abhängige Verbzweitsätze syntaktisch und semantisch selbständiger. Die größere syntaktische Selbständigkeit der Verbzweitsätze zeigt sich darin, daß Verbzweitsätze in keinem Formmerkmal vom Matrixsatz bestimmt werden - sie sind potentiell autonome Sätze. Eingeleitete Ergänzungssätze zeichnen sich dagegen durch Verbletztstellung als abhängige Sätze aus, ihr Einleitungselement wird vom Matrixverb selegiert. Es wurde schon gezeigt, daß Verbzweitsätze wegen ihrer größeren syntaktischen und semantischen Selbständigkeit auch dort auftreten können, wo gar kein passendes Matrixverb vorhanden ist. Für eingeleitete Sätze, die eine Rede wiedergeben, ist das nicht möglich. (127a) (127b)

Er kann nicht kommen, er sei krank. *Er kann nicht kommen, daß er krank sei.

In (127a) kann ein passendes Matrixverb ergänzt werden. Weil es mitgedacht wird, ist der Satz verständlich. In (127b) ist das nicht möglich, der Satz ist ungrammatisch. Z)ajß-Sätze werden von ihrem Matrixverb selegiert und können nur in Verbindung mit diesem Verb auftreten. Abhängige Verbzweitsätze werden dagegen in ihrer Form nicht vom Matrixverb bestimmt und besitzen eine starke Eigensemantik. Daher braucht ein entsprechendes Matrix-

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verb nicht aufzutreten, durch ihre Eigensemantik erzwingen diese Sätze eine Ergänzung oder Uminterpretation des Matrixverbs. Ein weiterer Unterschied zu den c/o/3-Sätzen liegt darin, daß abhängige Verbzweitsätze Rede direkt wiedergeben können. Dies ist bei daj8-Sätzen nicht möglich. (128a) (128b)

Er sagte, er habe keine Zeit. Er sagte. "Ich habe keine Zeit."

(128c) (128d)

Er sagte, daß er keine Zeit habe. *£> sagte, daß ich keine Zeit habe, (inakzeptabel im Sinn von (128a))

Außerdem können Verbzweitsätze dann nicht auftreten, wenn der Matrixsatz verneint ist. In dieser Umgebung werden eingeleitete Sätze bevorzugt. (129a) (129b)

Er sagte nicht, daß er kein Geld habe. *Er sagte nicht, er habe kein Geld.

Da der Verbzweitsatz ein sprachliches oder gedankliches Produkt bezeichnet, kann er dann nicht verwendet werden, wenn eben gerade nichts produziert wird. Dies spricht dafür, daß abhängige Verbzweitsätze auch dann der direkten Redewiedergabe mit ihrem Zitatcharakter ziemlich nahe stehen, wenn sie durch Deixisverschiebung und Konjunktiv als indirekte Rede gekennzeichnet sind. Zitiert kann nicht werden, wenn gar nichts gesagt wurde. Hier ist allerdings noch eine weiterreichende Erklärung denkbar, daß nämlich abhängige Verbzweitsätze überall dort angeschlossen werden können, wo die Komplementproposition assortiert wird, d.h. ihre Wirklichkeit behauptet wird. Auch eine Beobachtung, die Oppenrieder (1987) macht, kann auf diese Weise erklärt werden. Oppenrieder registriert, daß nach bewertenden Sätzen wie Es ist besser..., Es wäre gut... u.a. abhängige Verbzweitsätze auftreten können. Das ist jedoch nur nach positiven Bewertungen möglich. (130) (131)

Es ist besser, du gehst. Es wäre gut, du ließest mich jetzt allein.

(132) (133)

*Es wäre schlecht, du gehst. *Ich fände es schlecht, du bliebst hier.

In (130) und (131) wird ein Wunsch ausgedrückt, die Komplementproposition wird vorsichtig als Realität assertiert. Bei einer negativen Bewertung ist die Komplementproposition nicht erwünscht und es besteht daher auch nicht die Tendenz, sie als wirklich zu assertieren. Ein Verbzweitsatz ist auch dann nicht möglich, wenn ein real eingetretenes Ereignis bewertet wird. (134a) (134b)

*Es war besser, du bist gegangen. Es war besser, daß du gegangen bist.

143

Hier kann nur ein daß-S&tz angeschlossen werden, der das Ereignis als Faktum benennt. Hier wird die Komplementproposition nicht assortiert, sondern präsupponiert, ein Verbzweitsatz ist daher nicht möglich. Handelt es sich bei der Komplementproposition um eine unbestreitbare Tatsache, dann ist ein Verbzweitsatz nicht möglich. (135) (136)

*Sie bekam heraus, zwei mal zwei ist vier. *Er wies nach, die Erde ist rund.

Obwohl hier durchaus eine gedankliche Anstrengung vorausgeht und ein mentales Produkt vorliegt, kann kein Verbzweitsatz angeschlossen werden. Entscheidend für die Anschlußmöglichkeit eines Verbzweitsatzes ist also nicht, daß es sich um ein gedankliches oder sprachliches Produkt handelt, sondern daß etwas assertiert wird. Und Assertion ist dort nicht möglich, wo etwas als unbestreitbare Tatsache gilt. Dafür sprechen im übrigen auch die Verhältnisse bei den Verba sentiendi. An diese Verben können Verbzweitsätze angeschlossen werden, wenn sie ein subjektives Gefühl bezeichnen. Wenn eine objektive Wahrnehmung wiedergegeben wird, ist das nicht möglich. (137) (138)

Er träumte, er wäre in der Karibik. Sie dachte, sie ist bald fertig und kann gehen.

(139) (140)

*Sie sah (=nahm wahr), der Himmel war voller Wolken. Sie sah (=sah ein), es wäre umsonst, ihm zu helfen.

(141) (142)

*Anna hörte (=nahm wahr), Otto kam heim. Anna hörte (=hörte reden), Otto sei heimgekommen.

Verbzweitsätze können also nicht an alle Verba dicendi et sentiendi angeschlossen werden, sondern nur an diejenigen, die eine subjektive Meinung bezeichnen, also eine Assertion der Komplementproposition zulassen. Bei indirekter Redewiedergabe werden die deiktischen Ausdrücke - zumindest teilweise auf den wiedergebenden Sprechakt verschoben. Plank (1986) weist darauf hin, daß dies in verschiedenen Graden geschehen kann. Er zeigt, daß der Grad der Deixisverschiebung mit der syntaktischen Integration des redewiedergebenden Satzes korreliert. Je stärker dieser in den redeeinleitenden Satz integriert ist, um so stärker ist er auch semantisch an diesen gebunden, um so stärker werden also die deiktischen Ausdrücke aus der Sicht des wiedergebenden Sprechers gewählt. Die stärkere syntaktische Integration findet ihre Parallele in einer stärkeren semantischen Integration bzw. Kohärenz mit dem Matrixsatz. Konkret bedeutet das, daß in rfajö-Sätzen die Pronominalverschiebung obligatorisch ist, weil diese Sätze stärker in den Matrixsatz integriert sind, während die Pronominalverschiebung in

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Verbzweitsätzen nicht vorgenommen zu werden braucht. Aber auch in daj3-Sätzen ist die Verschiebung der Temporal- und Lokaldeiktika nur fakultativ. Plank zieht daraus den Schluß, daß die traditionelle Dichotomic "direkte vs. indirekte Rede" stark simplifizierend ist und den tatsächlichen Verhältnissen nicht gerecht werden kann. Er beschreibt verschiedene Grade der "Indirektheit" von Redewiedergaben. Auch "direkte Rede" ist nie völlig direkt, weil gewisse Eigenarten des Sprechers, wie Stottern, Selbstkorrekturen, Versprecher, Dialekt usw. meist ausgefiltert werden, da sie für den Inhalt der Mitteilung nicht relevant sind. Plank bezeichnet dies als "Sprecher-Indexikalität", da es Rückschlüsse auf die Verfassung des Sprechers erlaubt. Stottert, lispelt, oder verspricht sich ein referierender Sprecher, so wird man diese Eigenarten im allgemeinen ihm zuschreiben und nicht annehmen, daß diese auf den wiedergegebenen Sprecher zu beziehen seien. "Direkte" Redewiedergabe ist in dieser Hinsicht also nicht völlig direkt. Der nächste Schritt zur indirekten Rede ist, daß die Personalpronomina aus der Sicht des referierenden Sprechers gewählt werden. Bei eingeleiteten Sätzen ist das obligatorisch. Verdeutlicht werden soll dies hier anhand der Anreden du und Sie, die die soziale Distanz zum Angesprochenen bezeichnen. (143a) (143b)

Er bat dich, ob du kommen möchtest. ??Er bat dich, ob Sie kommen möchten.

Diese Sätze zeigen, daß die Kennzeichnung der sozialen Distanz durch die S/e-Anrede auf den referierenden Sprecher bezogen werden muß. (143b) ist semantisch abweichend, da der Matrixsatz eine «/«-Anrede zwischen referierendem Sprecher und Angesprochenem enthält, der abhängige Satz dagegen eine Sie-Beziehung signalisiert. Es ist unmöglich, dies als Zeichen sozialer Distanz zum wiedergegebenen Sprecher zu interpretieren. Das zeigt, daß Pronomina in indirekter Rede aus der Sicht des referierenden Sprechers gewählt werden und auch so interpretiert werden müssen. Auch der Gebrauch wertender Bezeichnungen zeigt, daß in Verbzweitsätzen diese eher dem ursprünglichen Sprecher zugeschrieben werden, in eingeleiteten Sätzen stammt die Wertung dagegen vom wiedergebenden Sprecher. (144a) (144b)

Er sagte: "Diese Mistkiste fährt schon wieder nicht." Er sagte, daß diese Mistkiste schon wieder nicht fährt.

(145a) (145b)

Er sagte zu ihr: "Dieser faule Hund hat noch immer nicht das Geschirr gespült." Er sagte zu ihr, daß dieser faule Hund immer noch nicht das Geschirr gespült hat.

Bei Lokal- und Temporaldeiktika besteht die starke Tendenz, diese in eingeleiteten Sätzen aus der Sicht des wiedergebenden Sprechers zu wählen (s. dazu Plank 1986:290ff.). Dies ist aber - im Gegensatz zu den Verhältnissen bei Personalpronomina - nicht obligatorisch.

145

Ausdrücke, die epistemische Distanz zum Gesagten innerhalb des abhängigen Satzes ausdrükken, werden eher auf den ursprünglichen Redeakt bezogen. (146) (147)

Er sagte, daß der Chef heute kommen soll. Sie meinte, daß es heute vielleicht regnen wird.

Plank stellt anhand seiner Beobachtungen zur Deixisverschiebung in Redewiedergaben eine deiktische Hierarchie auf. > ist dabei zu interpretieren als "wird zuerst aus der Sicht des referierenden Sprechers gewählt". Diese Beziehung ist implikativ, wird eine Deixisart verschoben, dann werden auch alle links davon verschoben. (148)

"Sprecher-Indexikalität" > Personalpronomina und wertende Ausdrücke > Lokal- und Temporaladverbiale > Ausdrücke epistemischer Distanz

Plank nimmt an, daß die Kategorien, die zuletzt verschoben werden, die mental komplexen sind, wofür auch Spracherwerbsdaten sprechen. Diejenigen Kategorien, die zuerst verschoben werden, werden auch zuerst erlernt. Das bedeutet, daß man sich bei den "komplexen", schwerer zu verarbeitenden deiktischen Kategorien nicht die Mühe macht, sie aus der Sicht der Wiedergabesituation zu sehen. Genauso wie der Gegensatz direkte vs. indirekte Rede weniger als eine Dichotomic als eine Skala mit verschiedenen Abstufungen aufzufassen ist, bezeichnet auch die traditionelle Unterscheidung von Koordination vs. Subordination, Parataxe vs. Hypotaxe eher die Endpunkte einer Skala mit vielen Zwischenstufen als absolute Gegensatze. Allein für "Matrixsätze" mit "abhängigen" Verbzweitsätzen gibt es mindestens sechs verschiedene Abstufungen, die hier zusammenfassend noch einmal illustriert werden sollen. (149) (149a) (149b) (149c) (149d) (149e) (149f)

Er sagte, daß er kommen wird/werde. Er sagte, er werde kommen. Er werde, meinte er, noch heute kommen. Er wird, so meinte er, noch heute kommen. Er sagte: "Ich werde heute kommen". "Ich werde heute kommen", sagte er. "Ich werde", Teil 2 seiner Aussage, "noch heute kommen".

In (149a) folgt der rede wiedergebende Satz dem redeanführenden Satz und ist zudem durch den Konjunktiv als abhängig gekennzeichnet. In (149b) ist der "Matrixsatz" parenthetisch eingeschoben, der umrahmende Satz ist aber durch den Konjunktiv als abhängig gekennzeichnet. In (149c) ist der redekommentierende Satz parenthetisch eingeschoben und nimmt mit so vage Bezug auf den redewiedergebenden Satz, der zunächst einmal als selbständig interpretiert wird. In (149d) folgt der redewiedergebende Satz dem einleitenden, er füllt dessen Leerstelle, ist jedoch deutlich als selbständiger Satz, der zitiert wird, gekennzeichnet. Steht das Zitat vor dem redekommentierenden Satz wie in (149e) so wird es als selbständiger Satz

146

gewertet, dem der Redekommentar als Parenthese folgt. Ganz eindeutig selbständig ist die direkte Rede in (149f) mit einem parenthetisch eingeschobenen Redekommentar, der jedoch kein Verb mit einer zu füllenden Leerstelle enthält.

147

2.2.7 Infinitivsätze Zahlreiche Verben lassen eine Infinitivphrase als Akkusativobjekt zu. (150) (151) (152)

Er wagte es nicht, ihr in die Augen zu sehen. Sie versuchten, einen Tango zu tanzen. Max fordert Moritz auf, das Geschirr zu spülen.

Obwohl Infinitivsätze kein oberflächensyntaktisch realisiertes Subjekt haben, wird stets ein Subjekt mitverstanden. In der generativen Grammatik wird dieses logische Subjekt durch die leere Kategorie PRO gekennzeichnet. In älteren Versionen der generativen Grammatik werden die Infinitivsätze durch Equi-NP-Tilgung gebildet, d.h. eine mit einer NP im Matrixsatz korreferente Subjekts-NP des Infinitivsatzes wird getilgt. In der GB-Version, die als einzigen Transformationstyp "move alpha" - also Bewegungstransformationen - ansetzt, wird PRO basisgeneriert. Die Festlegung der Referenz von PRO wird als Kontrolle bezeichnet; die Matrixverben zu diesen Infinitivkomplementen werden daher auch als Kontrollverben bezeichnet. PRO ist meist mit einer NP im Matrixsatz referenzidentisch. Folgende Beispiele sollen die Kontrolle veranschaulichen: (153) (154a) (154b)

Sie^ versprach mir· PROj/*: nach London zu fliegen. Sie^ bat mich·, PRO*j/j nacn London zu fliegen. Sie· bat mich-, PRO: ,+ · nach London fliegen zu dürfen.

Die naheliegendste Annahme ist zunächst, daß die Referenz von PRO vom Matrixverb gesteuert wird. (154) zeigt bereits, daß das Matrix verb allein nicht entscheidend ist, sondern daß zusätzliche Faktoren bestimmend sein können, wie z.B. Modalverben im Infinitivkomplement. Zur

Erklärung der Kontrollphänomene wurde eine

Reihe

von formal-syntaktischen

Lösungsversuchen angeboten, angefangen vom "Prinzip der minimalen Distanz", nach dem die dem Infinitivkomplement naheliegendste NP die Kontroll-NP ist, bis zu Chomskys Versuchen, Kontrolle auf syntaktischer Basis zu erklären. Die Idee, Kontrolle auf syntaktischer Basis zu erklären, ist nicht neu. Schon Bech (1955;1983) versucht die "Orientierung" der Infinitivphrasen, wie er es nennt, durch den Kasusrahmen des Matrixverbs zu erklären. Hat das Matrixverb außer der Infinitivergänzung nur noch eine Nominativergänzung, dann ist der Infinitivsatz auf diese hin orientiert. Regiert das Matrixverb außer der Infinitivphrase noch eine Objekts-NP, so ist der Infinitivsatz auf diese hin orientiert. Da die Objekts-NPn gewöhnlich näher beim Infinitivsatz stehen als die Subjekts-NP, ähnelt Bechs Beschreibung im Effekt dem Prinzip der minimalen Distanz.

148

Daß alle diese Versuche mehr oder minder inadäquat sind, zeigt Siebert-Ott (1983). Sie weist darauf hin, daß semantische Eigenschaften der Matrixverben sowie andere Faktoren wie Weltwissen häufig die Referenz des leeren Subjekts bestimmen. Das Kontrollverhalten eines Verbs wie versprechen kann mit den hier erwähnten Ansätzen nicht erfaßt werden. Hier übernimmt gewöhnlich die Subjekts-NP die Kontrolle, obwohl das Verb dreiwertig ist. (155)

£ | versprach mir·, PRO;/*· zu kommen.

Geht man jedoch nicht von einer rein formal-syntaktischen Erklärung der Kontrolle aus, sondern bezieht die Semantik der Matrixverben mit ein, dann erweist sich dieses Verb als völlig regelhaft in bezug auf Kontrolle. Ein erfolgversprechender Ansatz in dieser Richtung ist eine Klassifizierung von Verben nach ihrem Sprechakttyp, wie Searle sie vorgeschlagen hat. Während das Kontrollverhalten von Verben wie (156) (157) (158)

Stej riet mir·, PRO*:/: zu kommen. Sie^ befahl mir·, PROij/j zu kommen. 5i>j versprach mir·, PRO· ,*· zu kommen.

unter rein syntaktischen Gesichtspunkten inkonsistent ist, da es sich in allen drei Sätzen um Matrixverben

mit

identischem

Kasusrahmen

handelt,

kann

eine Einbeziehung von

Sprechakttypen sowie deren grundlegende Charakterisierung ein Licht auf diese Kontrollphänomene werfen. In (156) und (157) handelt es sich um Matrixverben, die direktive Sprechakte bezeichnen, in (158) steht dagegen ein Matrixverb, das einen kommissiven Sprechakt bezeichnet. Das unterschiedliche

Kontrollverhalten ergibt sich unmittelbar aus der Definition der

Sprechakttypen. Über direktive Sprechakte schreibt Searle: "Ihr illokutionärer Witz besteht darin, daß sie Versuche des Sprechers sind, den Hörer dazu zu bekommen, daß er etwas tut [...]." (Searle 1975; 1982:32) Über kommissive Sprechakte schreibt er : "Kommissive sind demnach solche illokutionären Akte, deren Witz es ist, den Sprecher [...] auf ein bestimmtes Verhalten festzulegen. (Searle 1975;1982:33) Bei direktiven Sprechakten ist das Ziel, den Hörer zur Ausführung einer Handlung zu bewegen, bei kommissiven Sprechakten verpflichtet sich der Sprecher selbst zu einer Handlung. Die hier zitierten Definitionen von Searle sind eine Beschreibung der logischen Struktur von Verben, die diese Sprechakte bezeichnen. In der Abbildung der logischen auf die syntaktische Struktur entspricht der Sprecher dem Subjekt, der Hörer dem Objekt und die zukünftige Handlung, die Teil dieser beiden Sprechakttypen ist, wird im Infinitivkomplement

149

bezeichnet. Die Definition dieser Sprechakttypen sagt voraus, wer Subjekt des Infinitivsatzes ist, oder genauer ausgedrückt, von welchem Satzglied PRO kontrolliert wird. Etwas komplizierter ist die Lage, wenn der Infinitivsatz ein Modalverb enthält, doch ist auch dieser Fall nach denselben Prinzipien erklärbar: (155a)

Sie- versprach mir·. PRO*·/· kommen zu dürfen.

Das Matrixverb bezeichnet einen kommissiven Sprechakt und es wäre demnach zu erwarten, daß das Subjekt mit der leeren NP im Infinitivsatz korreferent ist. Das Modalverb dürfen bringt aber das Element der Erlaubnis mit ins Spiel. Das Wesen des Erlaubens, eines permissiven Sprechakts, ist es, dem Hörer (also dem Objektsreferenten) den Weg für eine bestimmte zukünftige Handlung freizugeben. Diese kommissive Bedeutung des Matrix verbs wird gewissermaßen durch die permissive Komponente des Infinitivsatzes überlagert, die in diesem Fall die Kontrolle steuert. Kontrolle ist also kaum ohne Rekurs auf die Ebene der logischen Struktur in den Griff zu bekommen. Die zitierten Beschreibungen der Sprechakte von Searle sind ein Beispiel einer gelungenen Beschreibung der logischen Struktur von Verben. Der Bezug der Kontrolle auf die Ebene der logischen Valenz erklärt auch, warum oberflächensyntaktisch gar kein Element vorhanden zu sein braucht, das mit der leeren Subjekts-NP korreferent ist. In (159) ist ein syntaktisch nicht realisiertes Objekt die Kontroll-NP, in (160) ein durch unpersönliche Passivierung getilgtes Objekt. (159) (160)

Die Plakate forderten auf, die Regierung zu stürzen. Es wird gebeten, den Rasen nicht zu betreten.

Bei den Verben, die assertive Sprechakte bezeichnen, ist Searles Definition zur Bestimmung des Kontrollverhaltens nicht so unmittelbar anwendbar wie im Fall der Direktiva und Kommissiva. Ziel der assertiven Sprechakte ist, "den Sprecher (in unterschiedlichem Maß) darauf festzulegen, daß etwas der Fall ist, daß die zum Ausdruck gebrachte Proposition wahr ist" (Searle 1975;1982:31). Komplexen Sätzen mit assertiven Verben schreibt Searle (l975; 1982:40) eine Tiefenstruktur der Form "I verb (that) + S" zu, sie haben für ihn also eine grundlegende Struktur mit zwei Argumenten. Neben der Infinitivergänzung (oder einem anderen Satzkomplement) tritt nur noch das Subjekt auf. Da kein anderes Argument in der logischen Struktur der assertiven Verben verankert ist, liegt es nahe, daß Sätze mit assertiven Verben im allgemeinen Subjektkontrolle aufweisen. Dies ist auch tatsächlich der Fall: (161)

£ | behauptete/bestätigte/versicherte/vermutete/antwortete/entgegnete, gesehen zu haben.

PROj sie nie

150

Siebert-Ott (1983) weist darauf hin, daß bei Einführung einer belebten PP diese die Kontrolle ausüben kann: (162)

A/ajCj behauptete von Moritz·, PRO: nie die Masern gehabt zu haben.

Fakultative PPn dieser Art bezeichnen das Thema (in einem normalsprachlichen, nicht in einem linguistischen Sinn) des assertiven Sprechakts. Eine NP, die den Adressat eines assertiven Sprechakts bezeichnet, ist dagegen im Normalfall nicht die Kontroll-NP: (163)

7c/ij sagte/versicherte/bestätigte ihr·, PROj/*: ihn noch nie gesehen zu haben.

Eine scheinbare Ausnahme wie in (164)

Ich· habe dem Kellner· gesagt, PRO: noch einen Tee zu bringen.

ist damit erklärbar, daß sagen wegen seiner in bezug auf Sprechaktklassen relativ vagen Semantik auch eine Interpretation im Sinn von 'auffordern' zuläßt. Es verhält sich in dieser Bedeutung in seinen Kontrolleigenschaften konform mit anderen Verben, die direktive Sprechakte bezeichnen. Zw-Infinitivphrasen sind nicht satzförmig, sie haben kein realisiertes Subjekt. Daß jedoch ein Subjekt verstanden wird und auf welche Weise die Referenz dieses Subjekts festgelegt wird, wurde oben bereits diskutiert. Auch die Reflexivierung zeigt, daß Infinitivkomplemente ein leeres Subjekt enthalten. Reflexivpronomina beziehen sich auf das leere Subjekt des Infinitivsatzes: (165) (166)

OttOj hat Anna· empfohlen, PRO: Sich ·/* sich·/* sie -/ihn^ zu waschen. 0//0j hat Anna· versprochen, PROj sich^/* sich·/ sie -.^ihn^ zu waschen.

In bezug auf Reflexivierung verhalten sich Infinitivkomplemente im Gegensatz zu AclKonstruktionen wie eigene Teilsätze. Auch andere syntaktische Eigenschaften sprechen dafür, daß den Infinitivkomplementen ein Gliedsatzstatus zukommt. Im Gegensatz zu den AcI-Konstruktionen bestehen bei den rw-Infinitivphrasen keine Beschränkungen hinsichtlich des Auftretens von Modalverben und verschiedenen Tempusformen. (167)

Er versprach ihr, singen zu dürfen. Er bescheinigte ihr, eine Erlaubnis gehabt zu haben.

(168)

*Er hörte sie singen dürfen. *Er hörte sie gesungen haben.

151

Außerdem sind bei Sätzen mit zu-Infinitivphrasen zwei getrennte Negationen sowie zwei Adverbiale desselben Typs möglich: (169a) (169b)

Die Mutter erlaubte dem Kind nicht, nicht in die Schule zu gehen. Die Mutter erlaubte dem Kind gestern, heute nicht in die Schule zu gehen.

Bei einer entsprechenden Stellung der Negation oder eines Adverbials können in gesprochener Sprache Ambiguitäten auftreten, die in der Schriftsprache durch die Kommasetzung beseitigt werden: (169c) (169d)

Die Mutter erlaubte dem Kind (,) nicht (,) in die Schule zu gehen. Die Mutter erlaubte dem Kind ( , ) heute (,) zu Hause zu bleiben.

Die hier angesprochenen Eigenschaften der Infinitivkomplemente zeigen, daß diese sich wie eigene Teilsätze verhalten. Zu-Infinitivphrasen treten nicht nur als Komplementsätze, sondern auch zusammen mit den sogenannten "Modalitätsverben" auf. Zu dieser Gruppe zählen Verben wie pflegen, scheinen, wissen, vermögen etc. (s. Neugeborn 1976). Diese Verben haben mit den Modalverben gemeinsam, daß sie wie diese die Grundaussage eines Satzes in einer bestimmten Weise modifizieren, selbst jedoch nicht satzkonstituierend sind. Wie bei den Modalverben hängen auch in Sätzen mit diesen Verben alle Komplemente vom Vollverb ab, Modalitätsverben sind lediglich eine Erweiterung des regierenden Verbs und bilden mit diesem zusammen ein Prädikat. Wie die Modalverben verfügen auch die Modalitätsverben teilweise nur über ein unvollständiges Paradigma, Perfektbildung ist bei einigen Verben ausgeschlossen. Bei Modalitätsverben ist die Infinitivphrase nicht extraponierbar: (170)

*...weil Otto pflegt, häufig ein Bier zu trinken. *...weil Anna scheint, sich nicht wohlzufühlen. *...weil Erna weiß, sich ins rechte Licht zu setzen.

Dies bestätigt, daß diese Infinitivphrasen keine Komplemente sind und somit auch nicht satzwertig. Darauf weisen auch die weiteren Eigenschaften dieser Konstruktionen hin. Bei den Infinitivphrasen von Modalitätsverben ist kein eigenes, vom Subjekt des Matrixsatzes verschiedenes Subjekt möglich. Die Modalitätsverben zeigen kaum Selektionsrestriktionen im Hinblick auf die Subjekts-NP, diese Restriktionen gehen vielmehr vom Vollverb aus. (171a) (171b)

Ein Gewitter/ein Gast/eine Katastrophe kommt. Ein Gewitter/ein Gast/eine Katastrophe scheint zu kommen.

(172a) (172b)

*Ein Gewitter/ein Gast/eine Katastrophe schneit. *Ein Gewitter/ein Gast/eine Katastrophe scheint zu schneien.

152

Außerdem kommutiert die Infinitivphrase bei diesen Verben nicht mit anderen Komplementsatztypen, und sie ist auch nicht durch ein Pronomen ersetzbar. (173)

*Anna weiß es/das. (in der Modalitätsverb-Lesart) *Sie pflegt es/das. *Sie scheint es/das. ?Sie vermag es/das.

Diese Eigenschaften zeigen deutlich, daß die Infinitivphrasen hier nicht die Realisierung einer bestimmten Ergänzung sind, sondern daß die infiniten Verben zusammen mit den finiten Modalitätsverben einen Verbalkomplex bilden. Allerdings läßt sich die Gruppe der Modalitätsverben nicht klar abgrenzen. Es gibt einige Verben, die sowohl als Modalitätsverben wie auch als Vollverben verwendet werden können, so z.B. drohen und versprechen. (174a) (174b)

Das Wetter versprach schön zu werden. Das Kind versprach, brav zu sein.

(175a) (175b)

Das Gitter drohte zu verrosten. Der Lebensmüde drohte, sich umzubringen.

In den (a)-Sätzen, der Modalitätsverb-Lesart, liegt keine Selektionsrestriktion des flektierten Verbs in bezug auf das Subjekt vor, in der Verwendung als Vollverb in den (b)-Sätzen selegieren die Verben dagegen eine NP mit dem Merkmal [+belebt], die als Agens fungieren kann. Auch bei den eindeutig den Modalitätsverben zuzurechnenden Verben zeigt sich eine Abstufung. Vermögen z.B. ist weniger modalverbartig als scheinen und pflegen, die den Modalverben sehr nahe stehen. Bei vermögen ist die Infinitivphrase besser extraponierbar und anaphorisierbar als bei scheinen und pflegen. (176)

l...weil Hans es vermag, die Leute zu begeistern. *...weil Hans scheint, die Leute zu begeistern. *...weil Hans es pflegt, die Leute zu begeistern.

Diese Beobachtungen stehen in Einklang mit der These von Reis (1976b), daß eine scharfe Trennung von Hilfsverben und Vollverben nicht möglich ist. Diese Verben sind auf unterschiedlichen Stufen auf der Skala zwischen "Verbhaftigkeit" und "Auxiliarität" anzusiedeln. Neugeborn (1976) rechnet auch die Verben sich weigern und nicht umhin können zu den Modalitätsverben. Dagegen spricht jedoch die Extraponierbarkeit der Infinitivphrasen zu diesen Verben. Mittelfeldstellung ist hier eher ungewöhnlich: (177)

Er konnte nicht umhin, sie anzusehen. ?...,weil er sie anzusehen nicht umhin konnte.

153

(178)

Er weigerte sich, sie anzusehen. ?....weil er sie anzusehen sich weigerte.

Aus diesem Grund sind diese Verben eher den Vollverben zuzurechnen. Es ist allerdings so, daß sich die Infinitivkomplemente zu diesen Verben kaum pronominalisieren und erfragen lassen. Daher sind diese Infinitivsätze nicht die Realisierung einer bestimmten Ergänzung. Das liegt am Kasusrahmen dieser Verben, der nur Infinitivergänzungen an dieser Stelle zuläßt: (179)

jmd. weigert sich, etwas zu tun/*'etwas jmd. kann nicht umhin, etwas zu tun/*etwas

Da diese Infinitivergänzungen nicht durch eine nominale Ergänzung oder ein Pronomen ersetzbar sind, läßt sich die Art der Ergänzung nicht ermitteln. Dies spricht jedoch nicht gegen den Ergänzungsstatus dieser Infinitivkomplemente. Ein ähnlicher Fall liegt vor bei jdn. beschwören etwas zu tun. Diese Verben verfügen über eine zu starke Eigensemantik, um den Modalitätsverben zugerechnet zu werden. Außerdem üben sie Selektionsrestritionen auf das Subjekt aus, es muß in allen drei Fällen agentisch sein. Bis jetzt wurde gezeigt, daß zu-Infinitivkomplemente im Gegensatz zu den Infinitivphrasen bei Modalitätsverben sich wie eigene Teilsätze verhalten. Eine Reihe von Verben mit Infinitivkomplementen läßt eine Integration der Infinitivphrase ins Mittelfeld zu. Zu diesen Verben gehören versuchen, versäumen, versprechen, erlauben, vergessen, wagen. Bech (1955;1983:78) spricht in diesem Zusammenhang von "kohärenten Verbalfeldern". Als einen Beweis für die Kohärenz von Verbalfeldern sieht er die "Kohäsion zweier Elemente, die zu verschiedenen Verbalfeldern gehören". Illustriert werden soll das hier am Beispiel der Verschmelzung von Negation und Indefinitpronomen: (180a) (180b)

Er hat nicht gewagt, sich jemandem anzuvertrauen. Er hat sich niemandem anzuvertrauen gewagt.

Dieses Satzpaar liefert einen Beweis dafür, daß ins Mittelfeld integrierte Infinitivphrasen sich nicht mehr wie eigene Teilsätze verhalten. Es handelt sich hier um monosententiale Strukturen, denn die Infinitivphrasen sind völlig in ihren Matrixsatz integriert. Dafür spricht auch die Intonation. Es ist nicht möglich, die ins Mittelfeld integrierten Infinitivphrasen intonatorisch vom umgebenden Satz abzugrenzen, d.h. sie sind völlig in den Intonationsbogen des umgebenden Satzes integriert. Außerdem ist es so, daß die zur Infinitivphrase gehörenden Glieder bei einer Integration ins Mittelfeld nicht mehr als Block auftreten zu brauchen. Elemente des Matrix- und des abhängigen Satzes können nach den Regeln, die für einfache Satze gelten, angeordnet werden. (181 a)

?Du hast ihm es zu besorgen versprochen.

154

(181b)

Du hast ej. ihm zu besorgen versprochen.

Daß hier monosententiale Strukturen vorliegen, erkennt man auch am Skopus der Negation. Negierte Sätze mit integrierten Infinitivphrasen sind ambig: (182)

.... weil Otto von ihr nicht abzuschreiben versucht hat.

Entweder hat Otto versucht, nicht abzuschreiben oder er hat nicht versucht, abzuschreiben. Diese Ambiguität fällt weg, wenn zwischen die beiden Verben ein Adverb tritt: (182a)

.... weil Otto nicht abzuschreiben oft versucht hat.

Haider (1986:25) weist darauf hin, daß zu kohärenten Infinitivphrasen eine besondere Passivvariante gebildet werden kann. Es ist nicht nur das normale Passiv für sententiale Strukturen möglich (183a), sondern auch das sogenannte "lange Passiv", bei dem das Akkusativobjekt aus der Infinitivphrase herausgelöst wird und zum Subjekt wird (183b): (183a) (183b)

Den Wagen zu reparieren wurde versucht. Der Wagen wurde zu reparieren versucht.

Die hier aufgezeigten Eigenschaften der Infinitivphrasen im Mittelfeld sprechen alle dafür, daß hier monosententiale Strukturen vorliegen. Eine Konsequenz daraus ist, daß hier auch nicht zwei getrennte Verben auftreten können, sondern daß sich diese Verben zu einem Verbalkomplex verbinden. Haider (1986) nennt die Matrixverben in diesen Konstruktionen "parasitäre Verben". Darunter versteht er Verben, die keine eigenen Thetarollen vergeben. Er nimmt an, daß hier ein Mechanismus am Wirken ist, der die Thetarollen der zwei Verben zu einem einzigen "Thetakomplex" vereinigt. In Übereinstimmung mit Chomsky (1981:55ff.) könne hier auch kein eigenes PRO-Subjekt auftreten. Vielmehr werde die Thetarolle für das Subjekt des infiniten Verbs an das Subjekt des Matrixverbs weitergeleitet. Haiders Analyse hat zwei Konsequenzen: 1) die Matrixverben von kohärenten Infinitivkonstruktionen müssen Subjektkontrolle aufweisen, 2) sie dürfen keine eigenen Objekte realisieren. Ad 1) Bei Verben mit kohärenten Infinitivkonstruktionen besteht tatsächlich eine starke Tendenz zu Subjektkontrolle. Andererseits scheinen erlauben und verlieren, beides Verben mit Objektkontrolle, durchaus kohärente Infinitivkonstruktionen zuzulassen. (184) (185)

.... weil sie ihm auf Besuch zu kommen erlaubt hat. .... weil sie ihm heute abend wegzugehen verboten hat.

(184) und (185) sind zumindest nicht so inakzeptabel, wie das Haiders Analyse vermuten läßt. Ad 2) Objekte zu den Matrixverben sind nicht ganz ausgeschlossen. Am häufigsten ist die Integration von Infinitivphrasen dann, wenn sie relativ wenige Ergänzungen hat und das Matrixverb zweiwertig ist.

155

Regiert das Matrixverb ein weiteres Objekt, dann wird die Mittelfeldstellung eher gemieden, da die syntaktischen Beziehungen zu unüberschaubar werden. (186) (187) (188)

Fritz hatte ihr bald anzurufen versprochen. ??Er hat Otto dem Vater nichts von dieser Sache zu erzählen versprochen. ??Er hat mir ihm nichts von dieser Sache zu erzählen versprochen.

Es ist zu vermuten, daß die Inakzeptabilität von (187) und (188) nicht an einer Überfrachtung des Mittelfelds liegt, sondern eher darin zu suchen ist, daß die Zuordnung der Objekte zu den beiden Verben nicht mehr eindeutig geleistet werden kann. Eine größere Akzeptabilität weist Satz (189) auf, der auch ein sehr beladenes Mittelfeld hat, wo jedoch die Glieder eindeutig der Infinitivphrase zugeordnet werden können. (189)

Eva hat morgen abend zu mir nach München zu kommen versprochen.

Völlig akzeptabel ist eine Integration ins Mittelfeld auch dann, wenn das Matrixverb weitere Objektsergänzungen aufweist, die Infinitivphrase aber nicht. (190) (191)

Sie hat ihm zu gehen versprochen. Sie hat ihm zu kommen erlaubt.

Hier realisieren die Matrixverben Objekte, obwohl es sich um kohärente Konstruktionen handelt. Das spricht gegen Haiders Annahmen. Er macht in diesem Zusammenhang die Annahme, daß Infinitive nur dann kohärent sind, wenn sie nach den Abfolgeregeln, die für einfache Sätze gelten, angeordnet sind. Er hätte also gar keine Möglichkeit zu entscheiden, ob in (190) und (191) kohärente oder inkohärente Konstruktionen vorliegen, da keine Elemente vorhanden sind, die umstellbar wären. Er versucht seine Annahme durch folgendes Argument zu stützen (1986:25): "Interessant ist nun, daß adverbielle Einschübe nur dann auftreten können, wenn keine Voranstellung, also keine monosententiale Struktur vorliegt." Dazu bringt er folgende Beispiele: (192a) (192b)

*daß es ihm die Frau nicht nachzutragen öfters versprach daß die Frau es ihm nicht nachzutragen öfters versprach

Abgesehen davon, daß die Akzeptabilitätsurteile keineswegs ganz so eindeutig sind, bringt diese Annahme weitere Schwierigkeiten mit sich. Man kann bei ins Mittelfeld integrierten Infinitivphrasen ohne voranstellbare Pronomina nicht mehr unterscheiden, ob eine kohärente oder eine inkohärente Konstruktion vorliegt. Außerdem bleibt unklar, warum Infinitivphrasen ins Mittelfeld integriert werden können, wenn sie nicht zusammen mit dem Matrixverb einen Verbalkomplex bilden. Haider entwickelt sein Konzept der parasitären Verben für das von ihm abgelehnte Rezipientenpassiv und führt die kohärenten Infinitive als unabhängige

156

Evidenz dafür an. Es ist hier aber aus den hier angeführten Gründen nicht ganz überzeugend.

157

2.3 Freie Relativsätze 2.3.1 Syntaktische Beschreibung Die freien Relativsätze unterscheiden sich von den bisher besprochenen Komplementsatztypen dadurch, daß ihre Matrixsatzprädikate nicht Komplementsätze subkategorisieren müssen. Freie Relativsätze können unabhängig vom jeweiligen Matrixsatzprädikat anstelle einer NP auftreten. Wenn bei einem Matrixsatzprädikat kein ofr-Satz und kein daß-Satz als Realisierung der Akkusativobjektstelle zugelassen ist, kann ein angeschlossener w-Komplementsatz in Akkusativobjektfunktion nur ein freier Relativsatz sein. Belege für freie Relativsätze in Akkusativobjektfunktion weisen meistens das Einleitungselement was auf: (193) (194) (195)

Soll Reagan doch nach Deutschland gehen und dort machen, was er will. Prognosen halten selten, was sie versprechen. Mildred Scheel reizte in der Öffentlichkeit aus, was sie an natürlichen Gaben mitbrachte: drastische Fröhlichkeit, hartnackigen Optimismus, Freude am Helfen.

Engel (1977) formuliert die Regel, daß ein freier Relativsatz und sein Relativum von der gleichen Ergänzungsklasse sein müssen. Das Einleitungselement eines freien Relativsatzes muß außerdem die Selektionsbeschränkungen des Matrixsatzverbs erfüllen. (196a) (196b)

Er beschenkt, wen er will. *Er beschenkt, was er will.

Beschenken erfordert ein Akkusativobjekt mit dem Merkmal [-»-menschlich]. Als Einleitungselement eines freien Relativsatzes in Akkusativobjektsfunktion zu beschenken kommt nur ein w-Wort in Frage, das einen Leerstellenumriß für eine Person gibt. (196b) ist daher ein unsinniger. Satz, wenn man nicht annehmen will, daß auch Gegenstände und Abstrakta beschenkt werden können. Zwei der gängigen Grammatiken analysieren freie Relativsätze, obwohl sie ohne Bezugselement auftreten, als verkappte Attributsätze: "Sogenannte verallgemeinernde Relativsätze sind eigentlich restriktive Relativsätze zu generellem, substantivisch verwendetem derjenige oder jeder. [...] Unter bestimmten Bedingungen kann das Pronomen eliminiert werden. [...] Ein verallgemeinernder Relativsatz ohne Bezugselement füllt zwar allein die Position eines Satzgliedes (z.B. des Subjekts) aus, ist aber nur als Attributsatz erklärbar." (Heidolph et al. 1981:831 f.) "Dieser [der freie Relativsatz, K.B.] ist 'eigentlich* noch immer Attribut, denn das Bezugsnominal ist über die Bedingung der Kasusidentität latent vorhanden." (Eisenberg 1986:220)

158

Auch in generativen Darstellungen der freien Relativsätze wird häufig ein leeres Element angesetzt und auf diese Weise der Intuition Rechnung getragen, daß bei freien Relativsätzen ein Element fehlt. Die verschiedenen Vorschläge zur Struktur der freien Relativsätze sollen hier kurz skizziert werden. Ein erster Vorschlag stammt von Bresnan und Grimshaw (1978). Sie führen die "matching effects", also das Passen des Satzeinleiters in den Kasusrahmen des Matrixverbs darauf zurück, daß der Satzeinleiter nicht in seiner üblichen Position, der Komplementiererposition, sondern im Matrixsatz als Bezugselement steht. Die COMP-Position wird dabei als leer oder nicht vorhanden betrachtet. Diese Analyse hat den Vorteil, daß sie die "matching effects" erklärt. Wenn das w-Element im Matrixsatz steht, ist es natürlich der Rektion und den Selektionsrestriktionen des Matrixverbs unterworfen. Die Nachteile dieser Analyse überwiegen aber. Man muß eine völlig unmotivierte Bewegung des w-Elements in den Matrixsatz annehmen und einen leeren bzw. nicht vorhandenen COMP-Knoten. Das sind Ad-hoc-Annahmen, die diese Lösung unplausibel erscheinen lassen. Ein zweiter Vorschlag stammt von Groos und van Riemsdijk (1981). Sie vertreten die Ansicht, daß das w-Element der freien Relativsätze in der Komplementiererposition

steht,

während der Kopf leer bleibt. Die "matching effects" werden damit erklärt, daß COMP für die Subkategorisierung und Kasusforderung des Matrixverbs erreichbar ist ("COMP-accessibility"-These). In Sprachen, die dieses "matching" nicht aufweisen, ist COMP nicht für das Matrixverb erreichbar. Der Unterschied zwischen Sprachen mit und ohne matching wird auf diese Weise parametrisiert und seither in der einschlägigen Literatur als "matching parameter" diskutiert. Ein dritter Vorschlag wurde von Harbert (1983) und Sufter (1984) gemacht. Sie setzen als Bezugselement der freien Relativsätze die leere Kategorie "pro" an. Zwischen pro und dem w-Element in COMP bestehe Kongruenz in bezug auf Kasus und Selektionsmerkmale. Dabei werde nur ein schon vorhandener Kongruenzmechanismus, der zwischen dem Bezugselement und dem Relativpronomen besteht, auf den Kasus erweitert. Auch in attributiven Relativsätzen stimmen das Bezugselement und das Relativpronomen in Genus und Numerus überein (z.B. der Mann, der..., die Männer, die..., aber: *die Männer, der). Im folgenden soll gezeigt werden, daß diese Analyse aus verschiedenen Gründen die adäquateste Darstellung der freien Relativsätze ist. Zunächst einmal ist es so, daß als leere Kategorie für das Bezugselement in einem generativen Rahmen nur pro ("kleines pro") in Frage kommt. Kleines pro besitzt die Merkmale [anaphorisch] und [^pronominal], es ist also das unhörbare und unsichtbare Gegenstück eines Pronomens und besitzt dieselben Bindungseigenschaften. Im Gegensatz zu PRO ("großes PRO") ist es regiert. Großes PRO besitzt die Merkmale [+anaphorisch] und [-«-pronominal] und daraus ergibt sich ein gewisser Widerspruch, weil PRO in seiner regierenden Kategorie zugleich frei und ge-

159

bunden sein müßte. Deswegen ist es so, daß PRO nur an unregierten Positionen auftritt, insbesondere als Subjekt von Infinitivsätzen. Als Bezugselement für freie Relativsätze kann es nicht fungieren, weil diese vom Verb regiert werden. Auch die leere Kategorie "NP-Spur", die das Ergebnis einer NP-Bewegung ist, kommt hier nicht in Frage, eben weil keine NP bewegt worden ist. Ebenso verhält es sich mit der durch w-Bewegung entstehenden wh-Spur, sie kann nicht Bezugselement des freien Relativsatzes sein, weil kein w-Element aus dieser Position bewegt worden ist. Es bleibt also nur pro. Es ist auch tatsächlich sinnvoll, hier pro mit seinen pronominalen Eigenschaften einzusetzen, weil an dieser Stelle auch ein Pronomen stehen könnte. Kleines pro wurde zunächst als Subjekt in den sog. "Pro-drop-Sprachen" eingeführt. In diesen Sprachen braucht ein pronominales Subjekt nicht lexikalisch realisiert zu werden, es wird normalerweise weggelassen und nur im Falle einer besonderen Hervorhebung realisiert. Das soll dieses italienische Beispiel illustrieren. (197) (198)

pro ho telefonato. (Habe telefoniert.) ho telefonato. (Ich habe telefoniert.)

Chomsky (1982) geht davon aus, daß die Referenz von pro in irgendeiner Weise determiniert werden muß und zieht es in Erwägung, daß dies im Italienischen durch die reiche Verbmorphologie geschieht (1982:85f.). Harbert nimmt an, daß die Determination von pro im Fall der freien Relativsätze durch die Übereinstimmung in Kasus und Selektionsmerkmalen mit dem leeren pro-Kopf geschieht. Als einen Vorteil dieser Analyse erwähnt er, daß ein schon bestehender Kongruenzmechanismus zwischen Bezugselement und Relativelement im Fall der freien Relativsätze auf den Kasus ausgeweitet wird. Die Beschreibung der Relativsätze wird auf diese Weise vereinfacht und vereinheitlicht, da die freien Relativsätze mit demselben Instrumentarium wie die attributiven beschrieben werden können und eine Strukturgleichheit zwischen freien und attributiven Relativsätzen vorliegt. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch Lehmann (1984), wenn er schreibt: "Man kann also die Beschreibung der RSe [» Relativsätze, K.B.] vereinheitlichen, wenn man das Relativpronomen, gleich im RS mit oder ohne Bezugsnomen, in den klassifikatorischen Merkmalen mit dem höheren Nominal kongruieren läßt." (ebd. 1984:299) Man kann sich die Bildung von Relativsätzen so vorstellen, daß die Merkmale des Bezugsnomens (Genus, Numerus) auf das Relativum übertragen werden. Wenn der Kasus von Bezugsnomen und Relativum identisch ist, braucht das Bezugsnomen nicht realisiert zu werden, sofern es keine weitere, spezifischere Information enthält. Der leere Kopf kann nicht-spezifisch, generisch interpretiert werden, in diesem Fall wird ein w-Element gewählt, das in sei-

160

ner Semantik nicht-spezifisch ist. Handelt es sich um spezifische Referenz, dann wird ein t/Element gewählt. W-Elemente treten überall dort auf, wo die Referenz nicht festgelegt wird, also z.B. in Fragesätzen oder umgangssprachlich auch als Indefinitpronomen (z.B. Da hat wer die Tür

offen

stehen lassen.). Was wird als Relativpronomen nur dort eingesetzt, wo auf etwas noch nicht Identifiziertes, noch nicht Erwähntes Bezug genommen wird. Die folgenden Beispiele sollen das illustrieren. (199)

(Anna war neulich in Amerika.) Das Schönste, was sie gesehen hat, war der Grand Canyon.

(200)

(Anna hat Kleider angeschaut.) Das schönste, das sie gesehen hat, hat sie gekauft.

In (199) charakterisiert das Adjektiv nur allgemein, es wird nicht spezifisch referiert oder ein bestimmter Referent identifiziert. Hier wird was als Relativpronomen gewählt. In (200) dagegen, wo das Adjektiv einen bestimmten Referenten identifiziert, wird das als Relativpronomen gewählt. Das zeigt, daß die Wahl von das oder was nicht vom Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein einer NP bestimmt wird, denn als NP muß das Schönste in (199) ja auch gelten. Vielmehr wird was unabhängig vom Auftreten einer Bezugs-NP bei unspezifischer Referenz gewählt, das dagegen bei spezifischer. Ebenso verhält es sich in freien Relativsätzen. Referieren sie spezifisch, so steht ein ^-Element, sind sie dagegen generalisierend, dann sind sie durch ein w-Element eingeleitet. Allerdings gilt dieser Unterschied zunächst nur für das/was. Die entsprechenden femininen und maskulinen Pronomina verhalten sich oberflächlich betrachtet anders: (201)

(Anna war gestern auf der Leopoldstraße.) Den Verrücktesten, den sie gesehen hat, hat sie fotografiert. Die Verrückteste, die sie gesehen hat, hat sie fotografiert.

(202)

(Anna hat Röcke und Blusen angeschaut.) Den verrücktesten, den sie gesehen hat, hat sie gekauft. Die verrückteste, die sie gesehen hat, hat sie gekauft.

Das feminine und maskuline rf-Relativum wird also auch dann gewählt, wenn der Kontext nur einen relativ vagen Anhaltspunkt gibt, worauf referiert wird, wie in (201) (vgl. dagegen (199)). Andererseits wird durch die Wahl eines femininen oder maskulinen Genus natürlich schon viel spezifizischer referiert als beim Neutrum, was das Auftreten der rf-Elemente in diesem Kontext erklärt. Das merkt man auch daran, daß die Kohärenz in diesen Beispielen deutlich schlechter ist als in (199) und (200). Folgende Sätze sollen diesen Punkt bestätigen. Sie demonstrieren, daß in Prädikativsätzen NPn im Neutrum verwendet werden können, um feminine und maskuline Referenten zu charakterisieren (203), nicht jedoch umgekehrt (204):

161

(203)

Das Verrückteste, was sie sah. war ein Mann/eine Frau, der/die auf den Händen ging und dabei Saft trank.

(204)

*Die/den Verrückteste/n, die/den sie sah, war ein Tier, das Gummibälle fraß.

Das zeigt, daß feminine und maskuline Referenz per se spezifischer ist als das neutrale Genus. Damit ist erklärt, warum zu ansonsten relativ unspezifizierten Bezugsnomina mit femininem und maskulinem Genus ein ^-Element als Relativum gewählt wird und nicht ein wElement, wie bei unspezifizierten Bezugsnomina mit neutralem Genus. Dieser Unterschied in den Relativanschlüssen von (199) und (201) ist also darauf zurückzuführen, daß das neutrale Genus gegenüber dem femininen und maskulinen unmarkiert und unspezifiziert ist. Nur bei «/-Elementen ist es möglich, zwischen verschiedenen grammatischen Genusformen zu wählen. Das w-Element wer ist grammatisch maskulin (vgl. den Kalauer Wer hat seinen Lippenstift liegen lassen?) und in seiner Referenz eher neutral, also hinsichtlich der Unterscheidung maskulin/feminin eher unspezifiziert. Eine entsprechende feminine Form existiert nicht. Bei «/-Elementen muß das passende Genus gewählt werden, falls das Matrixsatzprädikat eine entsprechende Selektionsrestriktion ausübt. Wer kann dagegen auf jeden Fall eingesetzt werden, da eine entsprechende feminine Form nicht existiert. (205a) (205b) (205c)

*Der da kommt, ist schwanger. (Beispiel aus Lehmann 1984:298) Die da kommt, ist schwanger. Wer da kommt, ist schwanger.

Rein grammatisch ist wer maskulin, wie die syntaktische Referenz darauf zeigt: (205d) (205e)

Wer hierherkommt, der ist schwanger. ??Wer hierherkommt, die ist schwanger.

(20Se) klingt zumindest sehr ungewohnt, wenn es auch sachlich richtiger ist. Es ist also auch bei wer so, daß sich Frauen als subsumiert unter maskuline Formen verstehen müssen. Eine mögliche Lösung wäre in diesem Fall, daß wer tatsächlich als nicht-distinktiv in bezug auf die Unterscheidung feminin/maskulin betrachtet wird. Es müßte dann also durchaus möglich sein, zu sagen Wer hat ihren Lippenstift vergessen? Eine andere Möglichkeit wäre, eine entsprechende feminine Form zu kreieren. Das ist aber kaum möglich, da diese Form analog zu der/wer wie lauten müßte und hier eine verwechslungsträchtige Homonymie vorliegen würde. Außerdem ist es vielleicht generell wünschenswert, tatsächlich neutrale Formen zu haben, wie z.B. bei einer Reihe von Berufsbezeichnungen im Englischen, wo viele Probleme erst gar nicht entstehen, eben weil die Form geschlechtsneutral ist. Nach diesem kurzen Ausflug in die feministische Linguistik wieder zurück zu den freien Relativsätzen. Hier wurde also gezeigt, daß w-Elemente stets bei unspezifizierter Referenz,

162 4-Elemente dagegen bei stärker spezifizierter Referenz gewählt werden. In freien Relativsätzen kann durch die Wahl des jeweiligen Relativums die Referenz der leeren Bezugs-NP (also pro) determiniert werden. Durch Kongruenz zwischen der leeren Bezugs-NP und dem Relativum wird die jeweilige Semantik an die Bezugs-NP übermittelt. Ebenso wird der Kasus durch Kongruenz zwischen dem Relativum und pro übermittelt. Die Regel, daß der Kasus des Kopfs von freien Relativsätzen mit dem des Relativums übereinstimmen muß, operiert auf Kasusformen, nicht auf dem abstrakten Kasus. Dies gilt nicht nur für das Deutsche, sondern auch für das Englische und eine Reihe von anderen Sprachen. (206a) (206b)

Die (Nom/Akk) da stehen, kennen wir nicht. *Wer da steht, kennen wir nicht.

(207a) (207b)

Sie ißt, was (Akk/Nom) übrig bleibt. *Er zerstört, wer (Akk/Nom) ihm in die Quere kommt.

(208a) (208b)

She'll hit whoever (Akk/Nom) tries anything. She'll eat whatever (Akk/Nom) comes her way.

Nicht nur Übereinstimmung in der Kasusform, sondern auch im Adverbialtyp ist eine Regel. Auch in freien Relativsätzen mit adverbialen Funktionen läßt sich ein Bezugselement einfügen, das mit der Adverbialklasse des Relativums übereinstimmen muß. Engel (1977) hat für die Bildung von freien Relativsätzen die Regel geschickt formuliert, wenn er schreibt, daß das Relativum und der gesamte freie Relativsatz von derselben Ergänzungsklasse sein müssen. (209) (210) (211) (212)

Sie spielt (so) wie ein Profi. Er wohnt (dort), wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Der arme Kerl geht (dorthin), wohin er gehen muß. Sie kommt und geht (dann), wann sie will.

Bei Einfügung eines Bezugselements in diese Sätze wird besonders deutlich, daß die Sätze dann stilistisch unschön und unnötig redundant werden. Die Bildung von freien Relativsätzen kann daher als ein spezieller Fall der Konversationsmaxime "Fasse dich kurz!" gesehen werden, nach der Redundanz möglichst vermieden werden soll. Auch bei adverbialen freien Relativsätzen besteht also Kategorienidentität zwischen der Funktion des freien Relativsatzes und dem Relativum. Auch hier stößt die Lösung von Groos und van Riemsdijk an eine Grenze, denn hier ist es ganz offensichtlich, daß nicht das Verb die Kategorie des freien Relativsatzes bestimmt, da es sich teilweise gar nicht um subkategorisierte Adverbiale handelt. Groos und van Riemsdijk können die Bildungsregeln für adverbiale Relativsätze nicht beschreiben, da hier nicht das Verb das w-Element regiert. Die pro-Kopf-Analyse hat den Vorteil, die Gemeinsamkeiten von attributiven und freien Relativsätzen in diesem Punkt besser zu beschreiben. Auch bei attributiven Relativsätzen, die durch ein tv-Adverb eingeleitet sind, besteht häufig eine enge semantische Verbindung zwischen dem Bezugsnomen und dem w- Ad verb:

163

(213) (214) (215)

der Ort, wo/*wann/*wie die Art, wie/*wo/*wann der Grund. warum/*wie/*wann

Wo dient dabei ähnlich wie das vielseitig verwendbare Adverb da als relativ unmarkierte Anschlußform, die auch für andere adverbiale Typen eingesetzt werden kann und dialektal auch für Kasusergänzungen: der Moment, wo...; der Mann, wo... etc. Eine Art semantische Übereinstimmung ist also auch bei attributiven Relativsätzen in Adverbialfunktion verlangt. Analog dazu lassen sich freie Relativsätze in der pro-Kopf-Analyse beschreiben: Die Übereinstimmung im Adverbialtyp besteht zwischen pro (das sich durch ein entsprechendes Lexem ersetzen läßt) und dem w-Element der freien Relativsätze. Sufier (1984) führt einige - eher theorieinterne - Gründe an, die für die pro-Kopf-Analyse sprechen. Zum einen ist das das Thetakriterium, welches besagt, daß jedem Argument eine thematische Rolle entspricht und umgekehrt. Das Relativum erhält eine Thetarolle vom Verb in dem freien Relativsatz. Nimmt man einen leeren Kopf an, dann erhält das w-Element zusätzlich vom Matrixverb eine Thetarolle. Das ist ein klarer Verstoß gegen das Thetakriterium. Allerdings ist dieses Problem auch dann beseitigt, wenn der ganze freie Relativsatz die Thetarolle vom Matrixverb erhält. Sufier erwähnt außerdem noch, daß bei der pro-Kopf-Analyse das Projektionsprinzip beachtet ist, welches besagt, daß die Subkategorisierungseigenschaften von lexikalischen Elementen auf allen Ebenen (Oberflächenstruktur, Tiefenstruktur usw.) erfüllt sein müssen. Da das w-Element erst durch w-Bewegung in die Satzeinleiterposition gelangt, steht es als Ergänzung für das Verb vor der w-Bewegung (also in der Tiefenstruktur) noch nicht zur Verfügung. Auf dieser Ebene ist das Projektionsprinzip nicht eingehalten, wenn man annimmt, daß das w-Element die Kasusforderung des Matrixverbs erfüllt, wie das Groos und van Riemsdijk vorschlagen. Dieses Problem entsteht für die pro-Kopf-Analyse nicht, da auch in der Tiefenstruktur pro oder - falls man eine Tilgung ansetzt - eine lexikalische NP als Ergänzung zur Verfügung steht. Auch die topologischen Eigenschaften der freien Relativsätze sprechen für eine pro-KopfAnalyse. Eine Mittelfeldstellung ist für freie Relativsätze gut möglich. Sie verhalten sich in dieser Hinsicht wie Teilsätze mit einem Bezugselement (216a) (216b)

Sie hat, was sie geschenkt bekommen hat, sofort in den Schrank gestellt. Sie hat alles, was sie geschenkt bekommen hat, sofort in den Schrank gestellt.

Diese Stellungsmöglichkeit spricht dafür, daß freie Relativsätze ein latentes Bezugselement haben. Es ist anzunehmen, daß bei einer Extraposition der freien Relativsätze pro - ähnlich wie ein lexikalisches Bezugselement - an seiner ursprünglichen Stelle verbleibt. Die Extraponierbarkeit der freien Relativsätze zeigt, daß ihr "Bezugselement" nicht in den freien

164

Relativsatz integriert ist, da freie Relativsätze extraponiert völlig normal sind, Relativsätze mit ihrer lexikalischen Bezugs-NP im Nachfeld dagegen eher ungewöhnlich sind. (216c) (216d)

Sie hat in den Schrank gestellt, was sie bekommen hat. ??Sie hat in den Schrank gestellt alles, was sie bekommen hat.

Die topologischen Eigenschaften der freien Relativsätze sprechen also dafür, daß freie Relativsätze ein latentes Bezugselement haben, und daß dieses Bezugselement nicht in den freien Relativsatz integriert ist, sich also außerhalb befindet. In zahlreichen Sprachen brauchen die Einleiter von freien Relativsätzen nicht in den Kasusrahmen des Matrixverbs zu passen, sie weisen also kein "matching" auf. Harbert (1983) zeigt für das Gotische, daß die freien Relativsätze in Übereinstimmung mit der Kasushierarchie Nominativ > Akkusativ > Genitiv/Dativ gebildet werden. > ist dabei zu lesen als "kann eher unrealisiert bleiben als". Bei einem Kasuskonflikt zwischen Nominativ und Akkusativ setzt sich der Akkusativ durch, egal, ob er im Matrixsatz (217) oder im freien Relativsatz (218) zugewiesen wird. (217)

jäh po - ei (=po so-ei) ist us Laudeikaion jus ussiggwaid und Akk-Kompl (Akk-Nom) ist aus Laodicea du lies 'Und lies den, der aus Laodicea kommt1

(218)

pan-ei (*sa pan-ei) frijos siuks ist Akk-Kompl (Nom-Akk) du liebst krank ist 'Der, den du liebst, ist krank' (Beispiele bei Harbert 1983)

Paralleles gilt für einen Kasuskonflikt zwischen Akkusativ und Genitiv oder Dativ. Hier bleibt stets der Akkusativ unrealisiert. Harbert erwähnt außerdem, daß eine ähnliche Hierarchie für das Griechische gilt, mit dem Unterschied, daß der Nominativ nicht daran beteiligt ist.' Bei Groos und van Riemsdijk wird das Deutsche als eine Sprache beschrieben, die bei freien Relativsätzen immer "matching" aufweisen muß. Dies ist auch die Meinung der meisten Grammatiker zu dem Thema.

Bei der Mehrzahl der Belege von freien Relativsätzen paßt

tatsächlich das Relativum in den Kasusrahmen des Matrixverbs. Schriftliche Belege für freie Relativsätze ohne "matching" sind jedoch auch zu finden. In den folgenden Belegen wird statt des vom Matrixverb geforderten Kasus ein anderer Kasus vom Relativum realisiert. McCreight (1987) weist darauf hin, daß die Kasushierarchie auch bei der Bildung freier Relativsätze in einer Reihe von anderen Sprachen wirksam ist. Eine Ausnahme ist Engel (1988), der einräumt, daß es auch freie Relativsätze geben kann, deren Relativum nicht in den Kasusrahmen des Matrixverbs paßt.

165 PP statt AKK: (219) (220)

Jeder muß tun. wofür er bestimmt ist. (Spiegel 36/88, 217) Er zerstört, wovon er abhängig ist. (Wieck, Männer lassen lieben, 115)

DAT statt AKK: (221) (222)

Sie lädt ein, wem sie zu Dank verpflichtet ist. Ich suche aus, wem ich mich unterwerfe. (Spiegel 36/88, S. 210)

PP statt NOM: (223) (224)

Ihm wird gelingen, wozu ich es sende. (Jes. 55:11) Erforscht wird, wofür's Geld gibt. (AZ)

AKK statt NOM: (225)

Wen es zum Lehrerberuf hinzieht, bevorzugt eher die geisteswissenschaftlichen und philologischen Fächer. (ZEIT 41/89, 87)

DAT statt NOM: (226)

Wem die ätherischen Öle zu scharf sind, greift zu der leicht salzig schmeckenden Solezahnpasta. (Medizin) Punkte machte, wem es gelang, auf dem Spielstock den Ball durch das gegnerische Tor zu balancieren. (Zeit-Magazin 44/89, 27)

(227)

Nicht alle Kombinationen sind möglich: (228) (229)

*Er zerstört, wer ihm in die Quere kommt. (NOM statt AKK) *Er vertraut, wen er kennt. (AKK statt DAT)

Diese Beispiele zeigen, daß auch im Deutschen eine Kasushierarchie eine Rolle für die Bildung von freien Relativsätzen spielt. Die Regel für die Bildung von freien Relativsätzen ohne "matching" lautet folgendermaßen: Bei der Bildung eines Relativsatzes kann der vom Matrixverb geforderte Kasus unrealisiert bleiben, wenn er dem vom Relativum realisierten Kasus auf folgender Kasushierarchie vorangeht Nominativ > Akkusativ > Dativ > Präpositionalkasus Die Möglichkeit, freie Relativsätze ohne ein in den Matrixsatz passendes Relativum zu bilden, spricht sehr gegen die COMP-Accessibility-These von Groos und van Riemsdjik, nach der die Relativa direkt vom Matrixverb regiert werden. Wenn es sich bei diesen unpassend eingeleiteten Relativsätzen auch um ein - vielleicht aus Unsicherheit vermiedenes - Randgebiet handelt, so ist doch nicht abzustreiten, daß diese Sätze viel akzeptabler sind als entsprechend kasusmarkierte NPn. (230a) (230b)

Er lädt ein, wem er zu Dank verpflichtet ist. *Er lädt ein allen seinen Freunden, seiner Familie...

166

(23la) (231 b)

Sie kocht, worauf sie Appetit hat. *Sie kocht auf ihr Lieblingsgericht.

Das zeigt deutlich, daß die Relativelemente in freien Relativsätzen nicht vom Matrixverb regiert sein können, denn dann müßten die Relativsätze in den (a)-Sätzen ebenso inakzeptabel sein wie die NPn in den (b)-Sätzen. Die pro-Kopf-Analyse ist auch hier die adäquatere. Das Verb regiert pro, das mit dem Relativum in einer Kongruenzbeziehung steht, aber nicht das Relativum selber. Da die unpassend eingeleiteten freien Relativsätze hauptsächlich extraponiert vorkommen können, kann man annehmen, daß die Kongruenz bei Adjazenz besteht, wenn also der freie Relativsatz direkt neben pro steht. Die Kongruenz wird schwächer bei Distanzstellung, bestimmte Abweichungen sind eher möglich. Es wurde gezeigt, daß eine Reihe von Gründen gegen die COMP-Accessibility These von Groos und van Riemsdijk angeführt werden können. Eine pro-Kopf-Analyse, wie sie hier vertreten wurde, erweist sich durchwegs als die adäquatere. Sie trägt zu einer einfacheren und konsistenteren Beschreibung der Relativsätze bei. Aus einem ganz anderen Grund kann diese Beschreibung auch universell die brauchbarere sein. Cole (1987) beschäftigt sich mit sogenannten "internally headed free relatives", also freien Relativsätzen, die ihren "Kopf" nicht satzinitial, sondern in einer internen Position haben. Auch er kommt zu dem Ergebnis, daß diese "Köpfe" keine sind und nur zur Determination eines leeren pronominalen Kopfes dienen. Cole setzt nicht pro als Kopf an, aber er spricht von einem "null anaphoric pronominal head", was der hier befürworteten Analyse sehr nahe kommt. Auch hier ist die Annahme einer Zugänglichkeit der Komplementiererposition für das Matrixverb eine völlig inadäquate Lösung.

167 2.3.2

Homonymien von abhängigen w-Fragesätzen und freien Relativsätzen

In bestimmten Umgebungen lassen sich durch ein H>-Element eingeleitete Komplementsätze als abhängige w-Fragesätze und als freie Relativsätze interpretieren. Zaefferer (1982) beschäftigt sich mit dem Phänomen der konstruktionellen Homonymie von freien Relativsätzen und abhängigen w-Fragesätzen. Zur Identifizierung dieser Homonymien schlägt er folgenden Substitutionstest vor: "Besteht bezüglich eines Satzes die Vermutung, daß ein Teilsatz sowohl als Interrogativsentential, wie auch als relativsatzförmiger Ausdruck der Kategorie gelesen werden kann, so ersetze den fraglichen Teilausdruck a) durch ein zweifelsfreies Interrogativsentential, wie z.B. einen 02>-Satz, sowie b) durch einen Ausdruck, der zweifelsfrei der Kategorie angehört, also z.B. einen rfa/J-Satz, wenn die Kategorie Sentential ist. Ergeben beide Einsetzungen einen grammatisch korrekten Satz, so ist die Vermutung bestätigt." (Zaefferer 1982:10) Dieser Test kann zur Klärung der Anschlußmöglichkeiten eines Verbs dienen. Welche Lesart bei einer Homonymie von Interrogativsententialen und freien Relativsätzen (im folgenden IS/RS-Homonymie) die plausiblere ist, kann nur aus dem Sinnzusammenhang heraus entschieden werden. Abhängige >v-Fragesätze in Akkusativobjektsfunktion können mit freien Relativsätzen in Adverbialfunktion homonym sein. Diese Homonymie kann bei denjenigen Matrixsatzverben auftreten, die sowohl abhängige Fragesätze wie auch Adverbiale als Ergänzungen zulassen. (232)

Peter liest, wie er arbeitet.

In Satz (232) kann der abhängige w-Satz entweder als Modaladverbialsatz oder als abhängiger w-Fragesatz gelesen werden. In der Modaladverbiallesart wird in (232) Peters Art zu lesen mit seiner Arbeitsweise verglichen. In den Matrixsatz kann so oder auf dieselbe Weise als Bezugselement eingesetzt werden. In der Lesart als abhängiger w-Fragesatz muß (232) so interpretiert werden, daß Peter eine Beschreibung seiner Arbeitsweise liest. Als Bezugselement wäre eine NP in Akkusativobjektsfunktion einfügbar, zum Beispiel (232a)

Peter liest einen Bericht darüber, wie er arbeitet.

Ambig ist auch der folgende Satz: (233)

Hans schreibt, wo Maria wohnt.

Der Komplementsatz in (233) kann als Lokaladverbialsatz oder als abhängiger w-Fragesatz in Akkusativobjektsfunktion gelesen werden. In der Lesart als Lokaladverbialsatz kann dort oder an dem Ort als Bezugselement in den Matrixsatz eingesetzt werden.

168

In der Lesart als abhängiger w-Fragesatz kann eine NP in Akkusativobjektsfunktion in den Matrixsatz als Bezugselement eingesetzt werden: (233a)

Hans schreibt eine Notiz, wo Maria wohnt.

Für freie Relativsätze in Adverbialfunktion gilt die von Engel (1977:234) aufgestellte Regel, daß ein freier Relativsatz zu derselben Ergänzungsklasse gehört wie das Relativum innerhalb des Relativsatzes. Ein Relativsatz-Lokaladverbiale kann nur durch einen Leerstellenumriß für einen Ort (wo, woher, wohin), ein Relativsatz-Modaladverbiale kann nur durch einen Leerstellenumriß für eine Modalangabe (wie) eingeleitet sein. Homonymien von abhängigen w-Fragesätzen mit freien Relativsätzen in Adverbialfunktion können also nur bei den Relativa, die w-Adverbien sind, auftreten. Da diese Homonymien zudem auf einige wenige Verben beschränkt sind, sind sie sehr selten. Häufiger sind Homonymien von abhängigen vf-Fragesätzen und freien Relativsätzen in Akkusativobjektsfunktion. Homonymien dieser Art können nach Verba dicendi et sentiendi auftreten, an die ein abhängiger w-Fragesatz angeschlossen werden kann. (234)

Paul fragt, was er will.

Der abhängige w-Satz in (234) kann als abhängiger w-Fragesatz oder als freier Relativsatz gelesen werden. In der Fragesatzlesart wird im w-Komplement eine Frage von Paul wiedergegeben. In der Lesart als freier Relativsatz wird Pauls Art zu fragen charakterisiert, nämlich daß er alles das fragt, was er fragen will. Bei einigen Verben ist mit diesem Lesartenwechsel zwischen freiem Relativsatz und abhängigem w-Fragesatz auch ein Lesartenwechsel des Matrixsatzverbs verbunden. (235)

Was wir essen wollen, besprechen wir, mit den Fingern deutend, in der Küche.

Das Verb besprechen hat in (235) zwei Lesarten, bei denen das Verb unterschiedliche Komplementtypen als Akkusativobjekt bei sich haben kann. In der weitaus üblicheren Lesart bedeutet das Verb 'etwas bereden'. In dieser Lesart ist ein abhängiger w-Fragesatz als Akkusativobjekt möglich. In der zweiten Lesart, die allerdings sehr ungewöhnlich ist, denotiert das Verb eine magische Handlung, durch die jemand oder etwas verzaubert werden soll. In dieser Lesart kann besprechen einen Relativsatz der Kategorie Term bei sich haben, der die Person oder die Sache bezeichnet, die durch die magische Handlung beeinflußt werden soll. Auch im nächsten Beispielsatz ist die IS/RS-Homonymie mit einem Lesartenwechsel des Matrixsatzverbs verbunden. (236)

Gott prüft, wen er liebt.

169

Das Matrixsatzverb prüfen läßt Relativsätze der Kategorie Term und abhängige w-Fragesätze als Akkusativobjektsergänzungen zu. Liest man den Komplementsatz als freien Relativsatz, dann besagt (236), daß Gott alle diejenigen prüft, die er liebt. Liest man (236) als abhängigen w-Fragesatz, dann ist das Matrixsatzverb reflexiv verwendet und man kann sinngemäß das Reflexivum sich ergänzen. Man müßte den Satz dann so interpretieren, daß Gott nicht weiß, wen er nun eigentlich liebt und sich selbst prüft, um es herauszufinden. Zaefferer (1982:10) weist auf besondere Schwierigkeiten hin, die bei einer IS/RS-Homonymie im Zusammenhang mit dem Verb wissen entstehen. Sein Beispielsatz dazu ist: (237)

Mia weiß nicht, was Hans wissen will.

Bei dem fraglichen Teilsatz kann es sich um einen abhängigen w-Fragesatz oder um einen freien Relativsatz handeln. Da ein freier Relativsatz meist derselben Kategorie wie sein Relativum angehört, ergeben sich hier zwei Möglichkeiten der Kategorisierung. Da wissen Interrogativsententiale und Deklarativsententiale als Akkusativobjekt zuläßt, kann was Hans wissen will ein Relativsatz-Sentential oder ein Relativsatz-Interrogativsentential sein. Aus semantischen Gründen schließt Zaefferer die erste Möglichkeit aus, da man im allgemeinen nicht wissen will, daß, sondern ob etwas der Fall ist. Hier liegt ein besonderer Fall der IS/RS-Homonymie vor, da der fragliche Gliedsatz einmal als Interrogativsentential und einmal als Relativsatz-Interrogativsentential zu kategorisieren ist. Die einzige Möglichkeit zur Unterscheidung liegt hier in den verschiedenen Funktionen von was. Bei einer Interpretation als einfaches Interrogativsentential ist was ein Fragewort, bei einer Interpretation als Relativsatz-Interrogativsentential ist was ein Relativpronomen. Das Denotat des Frageworts ist indeterminiert, das Denotat des Relativpronomens ist dagegen determiniert und läßt sich konkretisieren: (237a)

Mia weiß (das) nicht, was Hans wissen will, nämlich ob es Wolpertinger gibt.

Die Interrogativsententiallesart kann man sinngemäß so umschreiben: (237b)

Mia weiß nicht, was es ist, das Hans wissen will.

Den Bedeutungsunterschied zwischen diesen beiden Interpretationen beschreibt Zaefferer (1982:12) als einen Skopusunterschied des Matrixsatzprädikats wissen: "Bei der einfachen IS-Lesart stehen die Sachverhalte der Form Hans will P wissen im Skopus von Mias Unwissen (weiterer Skopus), bei der RS-Lesart hingegen diejenigen Sachverhalte P, für die gilt: Hans will P wissen (engerer Skopus)."

170

Ich möchte diesen Unterschied noch einmal anhand eines ähnlichen Beispiels konkretisieren und daran den Bedeutungsunterschied zwischen abhängigen ^-Fragesätzen und freien Relativsätzen allgemein aufzeigen. (238)

Der Kandidat weiß nicht, was der Prüfer wissen will.

Liest man den Gliedsatz in (238) als Interrogativsentential, dann besagt der Satz, daß der Kandidat keine Ahnung hat, wonach er gefragt (werden) wird. Im Skopus von wissen stehen die Sachverhalte der Form Der Prüfer will P wissen. Das Verb wissen hat hier den weiteren Skopus, der Matrixsatz drückt eine Prädikation zum gesamten abhängigen Satz aus. Liest man diesen Komplementsatz dagegen als Relativsatz-Interrogativsentential,

dann be-

deutet (238), daß der Kandidat nicht die Antwort auf konkrete Fragen des Prüfers weiß. Der Kandidat weiß nicht die Sachverhalte P, von denen gilt: Der Prüfer will P wissen. Das Verb wissen hat hier den engeren Skopus. Der Matrixsatz drückt keine Prädikation zum ganzen abhängigen Satz aus, sondern nur zu einzelnen Individuen, die mit Hilfe des abhängigen Satzes beschrieben werden. Der Relativsatz bezeichnet ein bestimmtes Individuum oder eine bestimmte Menge von Individuen, für die die im Relativsatz ausgedrückte Prädikation wie auch die Prädikation des Matrixsatzes zutrifft. In freien Relativsätzen wird der w-Ausdruck extensionalisiert, d.h. es steht fest, auf welche Individuen er referiert. In abhängigen w-Fragesätzen geht es um die Auswahl von geeigneten Individuen, für die die Prädikation des abhängigen Satzes zutrifft.

Im Unterschied

zu freien

Relativsätzen

bezeichnen abhängige w-Fragesätze eine Intension (Wunderlich 1976:243). Obwohl die hier aufgezeigten Homonymien nicht allzu häufig sind und durch den Kontext meistens die Lesart festgelegt ist, sind sie doch von einigem theoretischem Interesse. Sie zeigen, daß freie Relativsätze und abhängige w-Fragesätze in Verbindung mit ihren Matrixsätzen unterschiedlich interpretiert werden. Wenn dem nicht so wäre, könnten diese Homonymien gar nicht auftreten.

2.3.3

Syntaktische Unterschiede zwischen freien Relativsätzen und abhängigen w-Fragesätzen

Bei Heidolph et al. (1981: 824) findet sich der Hinweis, daß abhängige w-Fragesätze von freien Relativsätzen "syntaktisch streng zu scheiden sind". Diese syntaktischen Unterscheidungskriterien werden aber nirgends ausführlich diskutiert. In diesem Abschnitt sollen die syntaktischen Unterschiede zwischen abhängigen w-Fragesätzen und freien Relativsätzen aufgezeigt werden. Einige dieser Unterschiede wurden bereits erwähnt, einige noch nicht erwähnte werden hinzugefügt.

171

Das unterschiedliche Verhalten in den verschiedenen Stellungsfeldern wird im Zusammenhang mit den Stellungseigenschaften der Akkusativobjektsätze in 2.4 dargestellt. Eine Reihe von Unterschieden zwischen abhängigen w-Fragesätzen und freien Relativsätzen sind dadurch bedingt, daß abhängige ^-Fragesätze (und abhängige w-Exklamativsätze) der Indirektheitstyp eines Satzmodus selbständiger Sätze sind, freie Relativsätze dagegen nicht.

2.3.3.1 O*-Satz möglich Die Matrixsatzverben, nach denen abhängige w-Fragesätze stehen, müssen auch 06-Sätze anschließen können. Verben, die w-Exklamativsätze anschließen, können auch Akkusativ > Dativ > Präpositionalkasus sind möglich. Anhand der Homonymien zwischen freien Relativsätzen und anderen H>-Komplementsätze n wurden semantische Unterschiede zwischen diesen Satztypen aufgezeigt. Mit diesen unterschiedlichen syntaktischen und semantischen Eigenschaften gehen einige Unterschiede einher in bezug auf die Ersetzbarkeit durch andere Komplementsatztypen, die Art der w-Elemente, die Modusunabhängigkeit, das Auftreten von Satzadverbien, Modalpartikeln und bestimmten Quantoren sowie die Paraphrasierbarkeit durch Spaltsätze.

177

2.4 Stellungseigenschaften

Die satzförmigen Akkusativobjekte weichen in ihren Stellungseigenschaften stark von den nominalen Objekten ab. Während nominale Akkusativobjekte meist im Mittelfeld stehen, gelegentlich im Vorfeld und unter besonderen Bedingungen im Nachfeld, sind Akkusativobjektsätze meist extraponiert. Die Grundabfolge der verschiedenen Sprachtypen (SOV, VSO, SVO) ist häufig nur für nominale Ergänzungen gültig. Dryer (1980) zeigt, daß universell für satzförmige Ergänzungen bestimmte Stellungstendenzen bestehen. Er stellt folgende "hierarchy of preferred positions for sentential NPs" auf, die dann gilt, wenn die Stellung satzförmiger Ergänzungen von der nominaler Ergänzungen abweicht. > bedeutet hier "wird bevorzugt vor". satzfinale Position > satzinitiale Position > satzinterne Position Diese Hierarchie ist durch Beispiele aus zahlreichen Sprachen sehr gut gestützt. Es finden sich nur sehr wenige Gegenbeispiele darunter. Als Erklärung für die Stellungstendenzen von satzförmigen Ergänzungen bringt Dryer vor allem Argumente aus der Sprachverarbeitung. Dabei geht er davon aus, daß ein Teilsatz (clause) eine Verarbeitungseinheit darstellt, was auch experimentell nachgewiesen wurde. Aus diesem Grund sei es sehr ungünstig, wenn ein Teilsatz durch einen anderen unterbrochen wird. Der erste, noch nicht ganz verarbeitete Teilsatz kann noch nicht abgespeichert werden, sondern muß im Kurzzeitgedächtnis behalten werden, während der zweite verarbeitet wird. Dies führt zu einer Überlastung des Kurzzeitgedächtnisses. Eine Stellung an der Peripherie des Satzes ist also günstiger als eine Mittelfeldstellung, braucht doch dann die Verarbeitung der einzelnen Teilsätze nicht unterbrochen zu werden. Am günstigsten sei es, wenn der Ergänzungssatz rechts, also extraponiert, steht, weil dann der Bezugsrahmen durch den Matrixsatz bereits etabliert ist. Bei einer Anfangsstellung des Ergänzungssatzes muß der Bezugsrahmen nachträglich hergestellt werden. Dryer erwähnt in diesem Zusammenhang Experimente, die zeigen, daß Sätze besser behalten werden, wenn der Ergänzungssatz dem Matrixsatz folgt und nicht umgekehrt. Er leitet aus dieser und ähnlichen Beobachtungen eine perzeptuelle Strategie ab, daß Hörer dazu tendieren, den ersten Satz als Hauptsatz zu betrachten. Diese "Main Clause Strategy" kommt vor allem dann zum Tragen, wenn kein subordinierendes Element vorhanden ist. Grosu und Thompson (1977) führen die Schwierigkeit, satzinterne Ergänzungssätze zu verarbeiten, darauf zurück, daß es sich um exozentrische Konstruktionen handelt. Es ist kein Element vorhanden, das den Teilsatz "vertreten" könnte, das also erst einmal stellvertretend für den ganzen Satz abgespeichert werden könnte. Zwei Teilsätze parallel zu verarbeiten stellt jedoch eine Überlastung dar.

178

Dryer übernimmt diese Erklärung für die Unmöglichkeit der internen Stellung von Ergänzungssätzen von Grosu und Thompson (1977). Er bestreitet aber, daß diese Stellungstendenzen nur für Sätze mit einem Komplementierer gelten, wie diese behaupten. In etwas schwächerer Form gelte sie auch für uneingeleitete Sätze. Außerdem bestreitet er, daß der Satzeinleiter die Verarbeitung erschwert. Seiner Meinung nach müßte er sie erleichtern, weil er einen bestimmten Konstruktionstyp anzeigt. Auf die umstrittene Rolle der Komplementierer in diesem Zusammenhang wird vor allem im Zusammenhang mit dem Mittelfeld einzugehen sein. Für das Deutsche, das nicht zu den von Dryer untersuchten Sprachen gehört, lassen sich die von ihm beobachteten Tendenzen voll bestätigen. Alle Typen von Akkusativobjektsätzen können extraponiert auftreten, ein Großteil von ihnen auch im Vorfeld und nur eine kleine Gruppe, die sich durch besondere Eigenschaften auszeichnet, im Mittelfeld.

2.4.1

Vorfeld

Der Grund für die Vorfeldstellung eines Akkusativobjektsatzes ist in der Thema-RhemaStruktur eines Satzes zu suchen. Akkusativobjektsätze stehen bevorzugt dann im Vorfeld, wenn sie an im Vortext gegebene Information anknüpfen und ihre Vorfeldstellung auf diese Weise zu einer größeren Textkohärenz beiträgt. Im Vorfeld können fast alle Typen der Akkusativobjektsätze stehen. (274) (275) (276) (277)

Daß sie mit dem Schreiben und Publizieren aufhören könnte, glaubt Gisela Kraft nicht. Ob sein Fernbleiben den innerdeutschen Beziehungen auf längere Sicht förderlich ist, muß man bezweifeln. Wie weit der Weg für die deutschen Jugendtheater noch ist, werden die internationalen Vergleiche zeigen. Ihr in die Augen zu sehen, hat er nicht gewagt.

Anders ist das Stellungsverhalten der Verbzweitsätze zu beurteilen. Abhängige Verbzweitsätze, die ihren "Matrixsätzen" vorangestellt sind, werden zunächst einmal als unabhängige Sätze interpretiert. Die syntaktische Unterordnung ist wesentlich schwächer, als wenn die Verbzweitsätze dem Matrixsatz folgen. In diesem Fall werden sie von vornherein als abhängige Sätze interpretiert. Da abhängige Verbzweitsätze ohnehin nur sehr schwach subordiniert sind, kommt bei ihrer Voranstellung die "Main Clause Strategy" zum Tragen. Sie werden als selbständige Sätze interpretiert, an die ein Redekommentar parenthetisch angeschlossen wird. Von einer Vorfeldstellung der Verbzweitsätze kann daher nicht gesprochen werden.

179

Für die freien Relativsätze ist die Vorfeldstellung vor allem dann möglich, wenn sie "matching" auf weisen, also in den Kasusrahmen des Matrixverbs passen. (278)

Was Forscher an Ratten beobachteten, übertrugen die Vitamin-E-Hersteller kurzerhand auf den Menschen. ??Wem er noch zu Dank verpflichtet ist, ladt er ein. ??Worauf sie Appetit hat, kocht Anna. ??Wozu er Lust hat, macht er.

(279) (280) (281)

Im Extrapositionsfeld ist die Toleranz gegenüber falsch eingeleiteten freien Relativsätzen größer. Die freien Relativsätze in (279), (280) und (281) sind extraponiert voll akzeptabel. (279a) (280a) (28la)

Er lädt ein, wem er noch zu Dank verpflichtet ist. Anna kocht, worauf sie Appetit hat. Er macht, wozu er Lust hat.

Im Extrapositionsfeld ist die Toleranz gegenüber den freien Relativsätzen ohne "matching" wahrscheinlich deswegen größer, weil durch das Verb die Leerstelle, die der freie Relativsatz füllen soll, bereits angezeigt ist. Der Leser oder Hörer kann also vom Satzeinleiter bezüglich der Funktion des freien Relativsatzes nicht mehr irregeleitet werden, wie das bei einem Relativsatz ohne "matching" im Vorfeld der Fall ist. Zu den Akkusativobjektsätzen im Vorfeld sind auch die linksversetzten Konstruktionen zu rechnen. Bei Linksversetzungen tritt im Matrixsatz eine wiederaufnehmende Proform auf, die unbetont bleibt. Der Akkusativobjektsatz trägt einen thematischen Akzent, die Intonation verläuft progredient, d.h. der Tonhöhenverlauf ist gleichbleibend. Wegen dieser intonatorischen Integration des linksversetzten Elements stellt die Linksversetzungskonstruktion eine doppelte Vorfeldbesetzung dar (Altmann 1981:48). Linksversetzt können alle Typen der Akkusativobjektsätze auftreten, die auch im Vorfeld stehen können. Darüber hinaus sind auch freie Relativsätze ohne "matching" linksversetzt voll akzeptabel. (282) (283) (284)

Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt. Worauf sie Appetit hat, das kocht sie. Wer nur zum Baden will, dem ist auch mit diesem See gedient.

Hier wird die syntaktische Funktion des freien Relativsatzes durch die Proform explizit gemacht, eine Irreführung des Hörers durch das Einleitungselement ist daher nicht möglich. Überdies wird in der Linksversetzung auch explizit gemacht, ob ein w-Satz ein freier Relativsatz oder ein abhängiger Fragesatz ist, wenn der freie Relativsatz auf Personen referiert.

Es gibt auch schriftliche Belege für freie Relativsätze ohne "matching" im Vorfeld (s. 2.3.1), doch werden diese von meinen Informanten deutlich schlechter beurteilt als die entsprechenden extraponierten Relativsätze.

180

(285a) (285b)

Wer dieses Kunstwerk geschaffen hat, der ist unbedeutend. Wer dieses Kunstwerk geschaffen hat, das ist unbedeutend.

(286a) (286b)

Wer fehlte, den entdeckte er. Wer fehlte, das entdeckte er.

Bezeichnet ein freier Relativsatz Personen, dann kann nur eine passende Proform (der oder die) gewählt werden. Bei abhängigen Fragesätzen kann, unabhängig vom w-Element, stets die Proform das verwendet werden. Durch wenn und als eingeleitete Ergänzungssätze können im Vorfeld nur dann auftreten, wenn ihre Funktion durch ein Pronomen im nachfolgenden Matrixsatz verdeutlicht wird. Das Pronomen kann im Mittelfeld des Matrixsatzes auftreten oder im Vorfeld als wiederaufnehmende Proform für eine Linksversetzung. Bei Linksversetzung kann auch eine adverbielle Proform gewählt werden, das muß jedoch auf jeden Fall auch auftreten. In der Linksversetzung kann man deutlich den "Zwitterstatus" dieser adverbialen Ergänzungssätze erkennen. (287)

Wenn man ihn krault, das mag der Hund. Wenn man ihn krault, mag das der Hund. Wenn man ihn krault, dann mag das der Hund.

(288)

Als er das Rennen verlor, das nahm man ihm übel. Als er das Rennen verlor, nahm man ihm das übel. Als er das Rennen verlor, da nahm man ihm das übel.

Daraus ergibt sich das Bild, daß untypische Ergänzungssätze, also die adverbiell eingeleiteten und freie Relativsätze ohne "matching", im Vorfeld nur dann stehen können, wenn ihre Funktion durch ein Pronomen im nachfolgenden Matrixsatz verdeutlicht wird. Weil die primäre Aufgabe bei der Satzverarbeitung die Identifikation des Verbs und seiner Argumente ist (Grosu und Thompson 1977), wirken diese Teilsätze störend, da sie zu stark von den üblichen subkategorisierten Sätzen abweichen. Sie würden den Leser/Hörer zu stark irreführen, wenn sie ohne ein funktionsmarkierendes Pronomen alleine im Vorfeld stehen würden. Anders dagegen bei Extraposition, in der diese Art von Teilsätzen fast immer auftritt. Hier ist der Kasusrahmen des Matrixverbs bereits etabliert, weswegen "untypisch" eingeleitete Ergänzungssätze nicht mehr störend wirken können.

2.4.2 Mittelfeld Eine Stellung im Mittelfeld ist für fast alle Typen von Akkusativobjektsätzen ausgeschlossen. (289) (290) (291) (292)

*lch weiß, daß er kommt, schon seit gestern. *Ich wußte, ob er kommt, schon seit gestern. *Ich wußte, wann er kommt, schon vorige Woche. *Er hat mir, ich komme morgen, vorgestern mitgeteilt.

181

Es ist kaum möglich, das "Mittelfeldverbot" für Ergänzungssätze mit dem "Gesetz der wachsenden Glieder" zu erklären, dem zufolge gewichtige Glieder weiter hinten stehen oder extraponiert werden müssen. Denn auch sehr kurze Ergänzungssätze können nicht im Mittelfeld stehen, wie (289) - (292) illustrieren. Außerdem können Gliedsätze im Mittelfeld stehen, wenn sie kein subkategorisiertes Satzglied sind, wie folgende Belege zeigen: (293) (294)

Ich schritt, als eben mit Vogelgezwitscher der Frühling sich ankündigte, durchs Stadttor. Ich würde selbst gern, wenn ich Zeit hätte, nach Mexiko oder nach Kuba fahren und mir dort meine Stoffe suchen.

Hier kann der Gliedsatz im Mittelfeld stehen, da er kein Komplement des Verbs ist. Wenn man Grosu und Thompson (1977) darin folgt, daß die primäre Aufgabe bei der Verarbeitung eines Teilsatzes die Identifikation des Verbs und seiner Argumente ist, dann ist anzunehmen, daß Adverbialsätze bei der ersten Verarbeitung einfach unberücksichtigt bleiben können und daher auch im Mittelfeld nicht störend wirken. Komplementsätze können bei der ersten Verarbeitung nicht unberücksichtigt bleiben und wirken daher im Mittelfeld störend. Das wird dadurch bestätigt, daß Argumentsätze, die diese Verarbeitung unterbrechen, inakzeptabel sind. Nicht-subkategorisierte Sätze können dagegen bei der ersten Verarbeitung einfach unberücksichtigt bleiben. Anders verhalten sich die freien Relativsätze. Freie Relativsätze in Mittelfeldstellung sind möglich, auch wenn sie ein Argument eines Verbs realisieren. Belege für freie Relativsätze in dieser Position sind relativ häufig. (295)

Hier stellte sie, was ihr unten beschert worden war, auf das oberste Brett ihres Schranke s.

Die Möglichkeit der Mittelfeldstellung der freien Relativsätze ergibt sich daraus, daß es sich um verkappte Attributsätze handelt, da die freien Relativsätze über eine leere Bezugs-NP verfügen. Attributsätze können generell nach ihrem Bezugs-Element, also auch im Mittelfeld auftreten. Auch die Infinitivsätze zu einigen Matrixverben können im Mittelfeld auftreten. Das kann als eine Bestätigung von Grosu und Thompsons These aufgefaßt werden, daß Komplementierer im Mittelfeld das eigentlich störende Element seien. Es spielen hier jedoch sicher auch andere Faktoren mit. Infinitivsätze sind, wegen ihres fehlenden lexikalisch realisierten Subjekts und der fehlenden Person-, Numerus- und Tempusmarkierung ihres Verbs weniger satzhaft als Sätze, die alle diese Merkmale aufweisen. Dieses Fehlen der Finitheitsmerkmale beim Verb ist sicher eine Bedingung für die Bildung eines Verbalkomplexes zusammen mit dem Matrixverb. Eine weitere Bedingung, die die Integration einer Infinitivphrase in das Mittelfeld erleichtert, ist Subjektkontrolle des Verbs. Infinitivsätze können eher als Einheit mit ihren Matrixsätzen aufgefaßt werden, wenn ihre Subjekte identisch sind. Auf welche

182

Weise die beiden Verben ihre separaten Thetastrukturen aufgeben und einen neuen Thetakomplex" (Haider 1986) bilden, ist noch nicht im Detail geklärt.

2.4.3 Extraposition Alle Typen von Akkusativobjektsätzen treten am häufigsten in Extrapositionsstellung auf. Als Platzhalter zu extraponierten Akkusativobjektsätzen kann es auftreten. Daß es sich dabei wirklich nur um einen Platzhalter handelt und nicht um einen Bezugsausdruck für einen Gliedteilsatz, zeigen die Stellungseigenschaften. Gliedteilsätze können zusammen mit ihrem Bezugsausdruck im Vorfeld und im Mittelfeld auftreten. Beides ist für Akkusativobjektsätze mit es nicht möglich. (296a) (296b)

*Ich habe es, daß das nicht geht, schon immer gewußt. *Es, daß er fünf Kinder hast, hast du doch gewußt.

(296a) und (296b) zeigen, daß es nicht als Bezugsausdruck fungieren kann. Tritt zu einem extraponierten Akkusativobjektsatz es als Platzhalter auf, dann ist dieser zweifelsfrei ein Gliedsatz. Der Platzhalter kann nur auftreten, wenn der Akkusativobjektsatz extraponiert ist. Ansonsten verhält sich der Platzhalter zu Akkusativobjektsätzen topologisch wie ein pronominales es, das als Akkusativobjekt fungiert. Anders verhält sich das. Das Demonstrativum kann zusammen mit dem Gliedsatz im Vorfeld und im Mittelfeld auftreten. Das verhält sich im Vorfeld und im Mittelfeld wie ein Bezugsausdruck: (296c) (296d)

Ich habe dir das, daß das nicht geht, schon immer gesagt. Aber das, daß er fünf Kinder hat, hast du doch gewußt.

Die dfljS-Sätze in (296c) und (296d) müssen als Gliedteilsätze zu dem Bezugsausdruck das gewertet werden. Obwohl diese Sätze stilistisch nicht ganz einwandfrei sind, sind sie doch weit akzeptabler als (296a) und (296b). Der Grund für die Inakzeptabilität von (296a) und (296b) liegt in der Unbetonbarkeit von es. Da es keinen Satzakzent tragen kann, kann es keine Intonationsbrücke zu einem nachfolgenden Gliedteilsatz herstellen. Dieser Unterschied in der Betonbarkeit von das und es zeigt sich auch im Zusammenhang mit Gradpartikeln. Es kann nicht den durch eine Gradpartikel induzierten Fokusakzent tragen, das dagegen schon. (296e) (296f)

*Sogar es habe ich gewußt. Sogar das habe ich gewußt.

Wegen seiner Unbetonbarkeit ist es als Bezugsausdruck für einen Gliedteilsatz völlig ungeeignet. Es dient auch als Platzhalter für Subjektsätze und kann auch dort nicht als Bezugs-

183

ausdruck verwendet werden. Die Unbetontheit ist eine Eigenschaft, die alle Platzhalter aufweisen. Auch die Platzhalter zu den Präpositionalobjektsätzen sind unbetont. Sie tragen den Wortakzent auf dem präpositionalen Teil, der pronominale Teil bleibt unbetont, der Vokal kann ganz weggelassen werden (cf. Breindl 1989). (297)

Sie hat sich wahnsinnig gefreut darüber/d'rüber, daß er sie besucht hat.

Liegt der Wortakzent dagegen auf dem pronominalen Teil da, dann hat das Pronominaladverb die Funktion eines Bezugselements und kann entsprechend zusammen mit dem angeschlossenen Satz im Vorfeld und im Mittelfeld auftreten. (297a) (297b)

DArüber/*darÜber, daß er sie besucht hat, hat sie sich wahnsinnig gefreut. Sie hat sich DArüber/*darOber, daß er sie besucht hat, wahnsinnig gefreut.

Platzhalter sind also generell schwache pronominale Elemente. Als Bezugselement zu Subjektund Akkusativobjektsätzen kann das betonbare das fungieren, als Bezugselement zu Präpositionalobjektsätzen dienen auf dem pronominalen Teil betonte Pronominaladverbien. Die Funktion und das Auftreten der Platzhalter zu Akkusativobjektsätzen soll im folgenden beleuchtet werden. Köhler (1976:186ff.) teilt die Verben, die Akkusativobjektsätze anschließen können, in drei Gruppen ein: - Verben, bei denen es obligatorisch steht - Verben, bei denen es fakultativ stehen kann - Verben, bei denen es nicht auftreten kann Er stellt fest, daß Verben, bei denen es obligatorisch steht, bestimmte Eigenschaften aufweisen. Eine ganze Reihe dieser Verben läßt neben einem Akkusativobjekt noch ein Präpositionalobjekt oder ein Objektsprädikativ als Ergänzung zu. Beispiele dafür sind die Verben finden, halten für, aufnehmen. Auch Verben, die mehrere Lesarten haben, von denen eine keinen Akkusativobjektsatz zuläßt, stehen obligatorisch mit es. Köhlers Beobachtungen sind zutreffend. In Belegsätzen, die ein Objektsprädikat im Matrixsatz haben, tritt fast immer auch der Platzhalter auf. (298) (299)

Ich halte es für richtig, daß mein Unternehmen diese Aufträge entgegennimmt. Wir finden es besser, wenn der M.A. der erste akademische Grad ist, der erworben wird.

Auch bei Matrixsatzprädikaten, die aus einem Verb und einem prädikativen Adjektiv bestehen, tritt es fast immer auf. (300) (301)

Er hat es satt, ihr den ganzen Tag zuzuhören. Ich bin es leid, dauernd zu arbeiten.

184

Diese Adjektive können auch in anderen Kontexten verwendet werden (Er ist satt. Es tut ihm leid), in denen kein Akkusativobjektsatz angeschlossen werden kann. Der Platzhalter verdeutlicht hier die Lesart, in der das Adjektiv verwendet ist. Obwohl Köhlers Beobachtungen zutreffend sind, ist seine Einteilung der Verben in solche mit obligatorischem oder fakultativem Platzhalter und Verben ohne Platzhalter sicher eine Vereinfachung der Sachlage, wie die Statistiken bei Ulvestad/Bergenholtz (1983:18) zeigen. Es steht nur bei sehr wenigen Verben obligatorisch, bei den meisten Verben aber fakultativ, wobei alle Abstufungen von "fast immer" bis "fast nie" auftreten. Köhler nimmt an, daß bei Verben mit obligatorischem es die Fähigkeit, einen Akkusativobjektsatz anzuschließen, erst durch den Platzhalter geschaffen wird. Da diese Verben mehrere Objektsergänzungen haben oder ein zusätzliches Objektsprädikat oder mehrere Lesarten zulassen, ist es sicher so, daß der Platzhalter die Funktion des angeschlossenen Satzes verdeutlicht. Dafür spricht auch, daß die wenn- und /s-Sätze fast durchwegs mit einem Platzhalter auftreten. Da es sich hier um recht untypische Ergänzungssätze handelt, muß ihre Funktion durch einen Platzhalter verdeutlicht werden. Daneben gibt es eine Reihe anderer Faktoren, die das Auftreten von Platzhaltern beeinflussen. Kiparsky und Kiparsky (1968:165) sehen in der Faktivität des Matrixsatzprädikats einen Faktor, der das Auftreten des Platzhalters begünstigt. Sie setzen einen grundlegenden Unterschied in der Tiefenstruktur von faktiven und nicht-faktiven Komplementsätzen an. Die Komplement-NPn nach faktiven Verben dominierten nicht nur S, sondern daneben auch die NP fact bzw. Tatsache, die zu it bzw. es abgeleitet wird. Bei faktiven Verben trete der Platzhalter obligatorisch auf, bei nicht-faktiven Verben könne er nicht auftreten. Sie selbst schränken ihre These dahingehend ein, daß diese Regel sich nur auf faktives es, das aus der NP Tatsache abgeleitet ist, nicht aber auf rein expletives es, also den semantisch leeren Platzhalter, bezieht. Abgesehen davon, daß diese Unterscheidung zwischen faktivem und expletivem es in der Praxis kaum durchzuführen ist, gibt es noch andere Einwände gegen diese These. So gibt es z.B. faktive Verben, bei denen es nur selten auftritt, wie z.B. wissen oder feststellen. Eine Reihe von nicht-faktiven Verben dagegen fordern es obligatorisch, so z.B. vermeiden, fertigbringen, in die Hand nehmen. Trotzdem ist es nicht ganz von der Hand zu weisen, daß die Faktivität des Komplementsatzes das Auftreten des Platzhalters begünstigt. Es kann bei bezüglich Faktivität neutralen Verben faktivierende Wirkung haben. (302a) (302b)

Ich habe erwartet, daß er zum Essen da ist. Ich habe es erwartet, daß er zum Essen da ist.

185

(302a) wird eher so interpretiert, daß er nicht zum Essen gekommen ist, (302b) eher so, daß er gekommen ist. Auch emotive Verben, die zugleich faktiv sind, tendieren dazu, mit einem Platzhalter aufzutreten (z.B. bedauern, bereuen). Verba sentiendi und dicendi, die weitgehend nicht faktiv sind, stehen dagegen nur selten mit dem Platzhalter. Faktivität scheint also durchaus das Auftreten von es zu begünstigen. Eine generelle Regel, wie sie Kiparsky und Kiparsky aufstellen, läßt sich daraus aber nicht ableiten. In etwas anderer Form als Kiparsky und Kiparsky sehen auch Ulvestad/Bergenholtz (1983:23) in der Faktivität des Matrixsatzes einen Faktor, der das Auftreten von es begünstigt. Es trete häufiger in der Umgebung von Ausdrücken auf, die dazu dienen, "die Faktizität des im Folgesatz ausgedrückten Inhalts zu betonen oder zu verdeutlichen". Dazu zählen sie Partikeln wie bereits, schon, oft, genug, ja, doch. Die Partikeln, die Ulvestad/Bergenholtz anführen, sind jedoch nicht eindeutige Faktivitätsanzeiger. Vielmehr können diese Partikeln - neben anderen Funktionen - oft auch dazu verwendet werden, an das Vorwissen des Hörers zu appellieren, dem im nachfolgenden Objektsatz bereits bekannte Information geboten wird. Wird diese Information im Vortext angesprochen, dann trägt ein Platzhalter Züge eines anaphorischen Pronomens, das auf vorher erwähnte Sachverhalte Bezug nimmt. In dem folgenden Beispiel ist es nicht eindeutig als Platzhalter oder als anaphorisches Pronomen zu klassifizieren, sondern verbindet bis zu einem gewissen Grad beide Funktionen. (303)

A: Rita ist bei der Prüfung durchgefallen. B: Ich habe es ihr ja oft gesagt, daß sie es mit dieser schlechten Vorbereitung nicht schaffen wird.

Dieses Beispiel zeigt, daß es für eine Funktionsbestimmung von es nicht genügt, isolierte Sätze zu betrachten. Es ist hier ein Mittel zur Textkohärenz bzw. "Dialogkohärenz", das zugleich als Platzhalter für den nachfolgenden Objektsatz und als anaphorisches Pronomen fungiert, das auf den Vortext Bezug nimmt. Das Auftreten von es ist also oft dann begünstigt, wenn die im folgenden Objektsatz gegebene Information im vorhergehenden Text schon angesprochen wird. Es hat dann zugleich eine rückgreifende und eine vorausweisende Funktion (vgl. Ulvestad/Bergenholtz 1983:23). Nach Beobachtungen von Ulvestad und Bergenholtz (1983:21) schränkt das Auftreten von Gradpartikeln im Matrixsatz den Gebrauch von es ein. Die Gradpartikel signalisiert dem Hörer, daß das von ihr fokussierte Satzglied nachkommt. Sie eröffnet damit in gewissem Sinn die Stelle für den nachfolgenden Objektsatz und macht auf diese Weise einen zusätzlichen Platzhalter überflüssig. Andererseits klingen Matrixsätze, in denen sonst es steht, auch bei Auftreten einer Gradpartikel mit dem Platzhalter akzeptabler:

186

(304)

Ilse Lichtenstein-Rother hielt es/? 0 in diesem Zusammenhang auch für angebracht, hier nicht jene Bereiche auszusparen, die im Moment teilweise mit Wehrdienstverweigerern besetzt seien.

Das Auftreten von Gradpartikeln dürfte sich also vor allem dann einschränkend auf den Gebrauch von es auswirken, wenn beim Matrixsatz das Auftreten von es ohnehin nicht der Normalfall ist.

2.4.4

Extraktionen

Aus Komplementsätzen können einzelne Satzglieder extrahiert und an die Spitze des Matrixsatzes gestellt werden. (305) (306)

Südlich der Main-Linie meinte er, daß er jeden verstehen würde. Oberarbeiten glaube ich nicht, daß sich da einer tut. (Hörbeleg)

Solche Konstruktionen kommen in gesprochener Sprache sehr häufig vor, sind aber auch in schriftlichen Belegen zu finden. In (306) wird das Verb an die Spitze des Matrixsatzes gestellt, in den Komplementsatz wird das "Pro-Verb" tun eingesetzt. Der Grund für diese Umstellung ist die Topikalisierung eines Glieds aus dem Komplementsatz. Die eingehendste Untersuchung zu diesen Konstruktionen stammt von Kvam (1983). Er bezeichnet diese Art von Satzverschränkung als "Linksverschachtelung", da nur aus extraponierten Sätzen, also nach links heraus, ein Element bewegt werden kann. Kvam stellt fest, daß Linksverschachtelung eher bei rffljö-Sätzen als bei ob- und vc-Sätzen auftritt. Das extrahierte Element ist in der Mehrzahl der Fälle ein Adverbiale, aber auch subkategorisierte Satzglieder sind davon nicht ausgeschlossen. Unter Kvams Belegen finden sich vor allem Matrixverben wie zweifeln, meinen, finden, annehmen, hoffen, rechnen, sagen, also Verba dicendi et sentiendi, die eine vorsichtige Bezeichnung der Wirklichkeit einer Proposition kennzeichnen. Das ist in Einklang mit einer Beobachtung von Mikame (1986). Mikame zeigt, daß rfajS-Sätze dann eine Insel bilden, aus der nichts herausbewegt werden kann, wenn der Sprecher eine "starke Einstellung" zu der Komplementproposition hat, d.h. wenn er eine Kenntnis von ihrer Wahrheit oder Falschheit hat und dazu Stellung nimmt. Sehr viel weniger inselhaft und wesentlich transparenter seien -Sätze nur annähernd semantisch äquivalent wiedergegeben werden. Sie sind hinsichtlich der Faktizität des wahrgenommenen Ereignisses neutral und können gerade deswegen weder durch einen daß-Sztz noch durch einen oft-Satz semantisch äquivalent wiedergegeben werden. Als weiteres Argument für die zugrundeliegende Satzhaftigkeit führt Pütz die Reflexivierung an. Sein Beispiel dazu ist (12)

Peter^ hört den Vater· zu sichy· sprechen.

In (12) kann als Antezedens für das Reflexivum entweder das Subjekt oder das Akkusativobjekt fungieren. Hier hat Primus (1987) überzeugend nachgewiesen, daß AcI-Konstruktionen keine Besonderheiten der Reflexivierung aufweisen, sondern sich in dieser Hinsicht wie einfache Sätze verhalten. Sie führt die Präferenzen für Reflexivierung auf verschiedene Hierarchien zurück, darunter auf eine Hierarchie semantischer Rollen, an deren Spitze das Agens rangiert. Ein Kriterium für die Wahl eines Reflexivums ist Primus zufolge, daß Agentien bevorzugt als Antezedentien fungieren. Sollte hier also eine größere Unsicherheit bezüglich des Antezedens bestehen als in einfachen Sätzen mit vergleichbarer Konstellation, dann ist das sehr wahrscheinlich durch die Agensrolle von Vater zu erklären. Ein Beweis für die Subjekthaftigkeit von Vater und die damit verbundene Satzstruktur ist es nur, wenn man Subjekt und Agens gleichsetzen möchte. Akkusativkomplemente sind nach Nominativkomplementen die bevorzugten Antezedentien. Diese Ambiguität kann sich daher auch in einfachen Sätzen finden (s. 3.2.1.8).

204

Als letztes Argument schließlich führt Pütz AcI-Konstruktionen mit passivischer Bedeutung

an. (13) (14)

Peter hörte in der Wartehalle seinen Namen rufen. Der Diener ließ den Gerichtsaal räumen.

Hier liegt keine ausreichende Evidenz für Passivierung vor, da es sich hier auch um elliptische Strukturen handeln könnte, aus denen die Agens-NP weggelassen wurde. Folgende Struktur weist dagegen eine große Ähnlichkeit mit dem Passiv auf, da das Agens in einer PP genannt wird: (15)

Peter ließ Paul von Emma rasieren.

In diesem Zusammenhang muß aber berücksichtigt werden, daß passivähnliche Vorgänge nicht auf Sätze beschränkt sind (z.B. der von Emma rasierte Paul). Außerdem liegt auch hier letztlich wieder ein Kriterium für eine Agens-Phrase vor. Zusammenfassend kann man sagen, daß alle Argumente, die Pütz für eine zugrundeliegende bisententiale Struktur von Sätzen mit Objektsprädikaten anführt, lediglich Tests für AgensPhrasen darstellen, soweit es sich überhaupt um valide Kriterien handelt. Ob deswegen auch Subjekte und zugrundeliegende Sätze vorliegen, ist damit nicht ausreichend nachgewiesen. Bevor auf die einzelnen Typen der Objektsprädikate näher eingegangen wird, sollen hier neuere generative Beschreibungen dieser Strukturen dargestellt werden.

3.1.1 Small-Clause-Analyse Chomsky (1981) schlägt für die hier interessierenden Strukturen eine Analyse als "Small Clauses" vor. Hierbei handelt es sich um nicht-maximale Projektionen ohne INFL , die aus einem Subjekt und einem Prädikat bestehen. Da kein INFL-Knoten vorhanden ist und folglich auch nicht AGR , das den Nominativ zuweisen könnte, kann das Subjekt des Small Clause innerhalb des Satzes keinen Kasus erhalten. Seinen Kasus erhält das Subjekt vom Matrixverb, wobei es prinzipiell zwei Möglichkeiten gibt. Chomsky (1981:107) nimmt eine Tilgung des Satzgrenze (S'-Tilgung) an. Die Entfernung der Satzgrenze erlaubt es, daß das Matrixverb in den abhängigen Satz hineinregiert. Eine andere Möglichkeit ist, anzunehmen, daß die regierenden Verben einen S' subkategorisieren, aber in ihrem Lexikoneintrag vermerkt ist, daß dieser für Kasuszuweisung des Verbs transparent ist. Für diese Lösung entscheiden

In diesem Zusammenhang genügt es zu wissen, daß Verbflexion nur bei Vorhandensein eines INFL(ection)-Knotens möglich ist. AGR(eement) ist ein Merkmal des INFL-Knotens, das in finiten Sätzen die Kongruenz zwischen Subjekt und Verb steuert und den Nominativ zuweist.

205

sich van Riemsdijk/Williams (1986:237). Wegen der Besonderheiten der Kasuszuweisung werden die Verben mit Objektsprädikaten auch "Exceptional Case Marking"-Verben (ECM-Verben) genannt. Chomsky führt als eine wichtige Motivation für die Small Clause-Analyse an, daß diese Strukturen auf der Ebene der Logischen Form als Satz repräsentiert sind und daher in Übereinstimmung mit dem Projektionsprinzip auf allen Ebenen als Satz repräsentiert sein sollten. Außerdem erhält der ganze Satz vom Verb eine Thetarolle, ist also als Gesamtheit eine Ergänzung zu dem Verb, die NP und das jeweilige Prädikat stellen keine einzelnen Argumente dar. Auf der Ebene der Logischen Form ist eine Proposition als Argument repräsentiert, das Argument sei daher der ganze Small Clause. Diese Sätze in Argumentfunktion sind von jenen zu unterscheiden, die lediglich Adjunkte sind, also nicht in irgendeiner Form zum Subkategorisierungsrahmen des Verbs gehören. Ein Beispiel für ein solches Adjunkt ist warm in (16)

Er trinkt das Weißbier warm.

Hier ist auf der Ebene der Logischen Form keine Proposition als Argument zu repräsentieren, weil man Propositionen nicht trinken kann. Das Verb subkategorisiert lediglich ein direktes Objekt, wobei warm als Adjunkt zu dem Satz zu betrachten ist. Chomsky setzt hier gemäß seiner Small Clause-Analyse PRO als Subjekt zu warm an. Ihm zufolge handelt es sich in diesen Fällen also um eine Objektkontrollstruktur, analog zu entsprechenden Infinitivkomplementen. Die Small Clause-Analyse wird insbesondere von Stowell (1983) befürwortet und ausgearbeitet. Stowell stellt die These auf, daß die maximalen Projektionen aller lexikalischen Kategorien ein Subjekt enthalten können. Im Gegensatz zu Chomsky nimmt er an, daß die Small Clauses nicht von der Kategorie S sind, sondern die maximalen Projektionen der jeweiligen lexikalischen Kategorien. Es gibt in Sätzen AP-, VP-, PP- und NP-Knoten, die Subjekte haben, also Small Clauses sind. Stowell sieht seine Analyse durch Konstituententests bestätigt, da zwischen die Objekts-NP und das Prädikat keine Elemente treten können. Er führt folgende Beispiele an (Stowell 1983:300): (17) (18)

*/ consider [the mayor myself very stupid]. */ want [him very much off my ship].

Zwischen das Objekt und das Prädikat sollte nach der Small Clause-Analyse kein Element treten können und dies ist auch in der Tat der Fall. Im Deutschen entfällt diese Motivation für eine entsprechende Analyse. Es läßt sich nämlich durch keinen Konstituententest bestätigen, daß es sich bei den fraglichen Strukturen um Konstituenten handelt.

206

Objekte und ihre Prädikate können im Mittelfeld getrennt auftreten und sie können einzeln, aber nicht gemeinsam topikalisiert werden: (19a) (19b) (19c) (19d)

Er hält den Bürgermeister schon lange für sehr dumm. Für sehr dumm hält er den Bürgermeister. Den Bürgermeister hält er für sehr dumm. ??Den Bürgermeister für sehr dumm hält er schon lange.

Die empirische Hauptmotivation für die Small Clause-Analyse ist also im Deutschen nicht vorhanden.

3.1.2 Prädikationsanalyse Eine konkurrierende Theorie ist die von Williams entwickelte Prädikationsanalyse (Williams 1980, 1983). Williams bestreitet, daß in Strukturen wie (20) her intelligent von einem Satzknoten dominiert wird oder eine Konstituente irgendeiner anderen Kategorie bildet. (20)

John considers her intelligent.

Auch er geht davon aus, daß das Objekt hier als Subjekt fungiert, ändert die Subjektdefinition aber grundlegend. Er sieht nicht länger das unmittelbare Dominiertsein durch den SKnoten als Kriterium, was die seit den "Aspects" (Chomsky 1965) gängige Subjektsdefinition war. Subjekt ist eine Konstituente nach Williams wegen ihrer Relation zu einem Prädikat, nicht aufgrund einer bestimmten Strukturposition. Williams (1981) schlägt vor, in der Argumentstruktur von Verben ein Argument als externes Argument auszuzeichnen. Das externe Argument ist dasjenige Argument eines Verbs, das außerhalb der maximalen Projektion des Verbs auftritt und dessen Kasus extern realisiert wird, also nicht von dem Verb zugewiesen wird. In der Argumentstruktur im Lexikoneintrag eines Verbs wird das externe Argument durch Unterstreichung gekennzeichnet (Williams 1981:83). (21)

schlagen: (ARens. Patiens)

Das Agens ist hier dasjenige Argument, das seinen Kasus nicht vom Verb erhält und extern realisiert wird. Haider (1985b) wendet dieses Verfahren auf das Deutsche an. Er sieht dabei drei Möglichkeiten der externen Realisierung von Argumenten. Sie können realisiert werden als Nominativ-NP, also als "Subjekt" von Sätzen, oder als Akkusativ-NP, die "Subjekt" einer AcI-Konstruktion ist und drittens als leere pronominale Anapher PRO in Infinitivsätzen. Alle externen Argumente erhalten von ihrem Prädikat eine Thetarolle, werden aber von ihm nicht kasusmarkiert. Als "Subjekte" von Sätzen erhalten sie den Kasus von AGR, das den Nominativ

207

zuweist, und als "Subjekt" von AcI-Konstruktionen wird ihnen vom AcI-Verb der Akkusativ zugewiesen. Den Begriff "Subjekt von" will Williams dabei nur als Kennzeichnung einer semantischen Relation verstanden wissen, nicht als einen bestimmten syntaktischen Status, da er in seinem Modell auf grammatische Relationen verzichtet. Er schlägt vor, diese Beziehung zwischen einem Prädikat und seinem Subjekt durch Koindizierung zu kennzeichnen (Williams 1980, 1983): (22)

John considers [ Np /

]

[

proud of herself]^

Hier ist Mary das externe Argument der AP und seine semantische Zugehörigkeit zu dieser Phrase ist durch den Index gekennzeichnet. Es handelt sich bei diesen beiden Konstituenten nicht um einen Satz in einem syntaktischen Sinn. Williams führt zur Unterstützung dieser Analyse ein Skopusargument an. In Satzeinbettungen können Existenzquantoren sowohl engen wie weiten Skopus haben: (23)

Someone seems [o e to have left]

Dieser Satz könne sowohl interpretiert werden als 'es gibt jemanden, der krank zu sein scheint' (weiter Skopus) wie auch als 'es scheint jemanden zu geben, der krank ist' (enger Skopus). Folgende Sätze dagegen ließen nur eine Lesart mit weitem Skopus zu: (24a) (24b)

Someone seems sick. John considers someone sick.

Diese Sätze können nicht interpretiert werden als 'es scheint, daß jemand krank ist' oder 'Hans denkt, daß jemand krank ist' (enger Skopus), sondern nur als 'es gibt jemanden, der krank zu sein scheint' und 'es gibt jemanden, den Hans für krank hält' (weiter Skopus). Die fehlende Lesart mit engerem Skopus führt Williams darauf zurück, daß hier kein Satzknoten vorhanden ist, der diese Lesart mit engerem Skopus bedingen könnte. Diese Annahme ist aus zweierlei Gründen problematisch. Zum einen bedingt eine Satzgrenze nicht unbedingt eine enge Skopus-Lesart von Existenzquantoren. Ein weiter Skopus ist auch möglich in We thought that someone was sick (cf. Primus 1987:142). Zum zweiten sind die syntaktischen Repräsentationen dieser beiden Lesarten für (24), wie sie in van Riemsdijk/Williams (1986:327) gegeben werden, nicht ohne Probleme, was auch dort zugegeben wird. Dort wird auch zugegeben, daß die Debatte um diese beiden Analysevorschläge - Small Clause- oder Prädikationstheorie - noch in keinem fortgeschrittenen Stadium ist; es gibt kaum allgemein akzeptierte Ergebnisse.

208

Festhaltenswert ist hier zweierlei. Die Prädikationsanalyse geht davon aus, daß Objekt und Objektsprädikat keine Konstituente bilden, sondern daß sie lediglich durch die semantische Relation der Prädikation miteinander verknüpft sind, die durch Koindizierung gekennzeichnet wird. Es handelt sich daher bei diesen Sätzen aus syntaktischer Sicht um monosententiale Strukturen. Lediglich nach der Definition für Sätze in einem logischen Sinn, nach der ein Satz aus einem Prädikat und seinen Argumenten besteht, sind zwei Sätze enthalten. Dies impliziert, daß diese Sätze sich in syntaktischer Hinsicht wie einfache Sätze verhalten sollten und die Evidenz für Bisententialität eher semantisch-interpretativer Natur sein sollte.

209

3.2 Acl-Konstruktionen AcI-Konstruktionen stehen im heutigen Deutschen im wesentlichen nach den Verba sentiendi sehen, hören, fühlen und spüren sowie nach lassen mit kausativem oder permissivem Sinn. Im folgenden werden diese Verben als "AcI-Verben" bezeichnet. Die "accusativus cum infinitivo"-Konstruktionen enthalten per definitionem eine Akkusativ-NP und ein infinites Verb. Das infinite Verb kann selbst Ergänzungen zu sich nehmen. Typische Beispiele für AclKonstruktionen sind die folgenden: (25) (26) (27) (28) (29)

Sie spürte ihr Herz heftig pochen. Hans hörte die Diva eine Arie singen. Sie fühlte die Nässe auf ihre Hand durchsickern. Sie sah die Kinder in ihrem Garten spielen. Man ließ ihn schon wieder das Geschirr abspülen.

Neben den Verba sentiendi und lassen können noch machen, finden und haben mit AclKonstruktionen auftreten. Machen ist jedoch im heutigen Deutschen als Acl-Verb kaum noch vertreten

und tritt

nur in einigen wenigen Verbindungen auf wie z.B. jdn.

la-

chen/weinen/zittern machen und jdn. elw. glauben machen. Die AcI-Konstruktionen nach haben und finden beschränken sich auf einige intransitive Infinitive von Positionsverben (z.B. sitzen, stehen, liegen) oder Verben, die eine bestimmte Position implizieren, wie z.B. schlafen. (30) (31) (32) (33)

Der hat vielleicht ein Boot in der Werft liegen! Ich habe die Milch noch auf dem Herd stehen. Sie fand ihn in der Sonne liegen. Man fand ihn auf dem Sofa schlafen.

Neben diesen Zustandsverben können auch einige "stato-motorische" Verben angeschlossen werden, die eine Bewegung ohne Direktionalangabe bezeichnen. (34)

Er hat in diesem Rennen ein tolles Pferd laufen.

Nach finden kann statt einer AcI-Konstruktion auch eine Partizipialkonstruktion angeschlossen werden. (35)

Ich fand ihn in der Sonne liegen/liegend.

Trotz der oberflächensyntaktischen Ähnlichkeit ist der syntaktische Status der Acl- und der Partizipialkonstruktion völlig verschieden. Die AcI-Konstruktion kann nur mit den obengenannten Verben auftreten, während Partizipialkonstruktionen zu vielen Verben auftreten können, z.B. (36)

Ich traf ihn unruhig auf und ab gehend in der Schalterhalle.

210

(37)

Man beobachtete sie in der Sonne liegend am Strand.

Im Gegensatz zu Acl-Konstruktionen sind Partizipialkonstruktionen nicht Komplemente des Verbs, sondern Adjunkte. Dies haben sie mit den prädikativen Attributen gemeinsam (s. 3.4). Ein Argument dafür, daß Partizipial- und AcI-Konstruktionen tatsächlich einen unterschiedlichen syntaktischen Status besitzen, liefert folgendes Beispiel: (38)

Man fand ihn sanft schlummernd in der Sonne liegen.

Eine AcI-Konstruktion kann pro Matrixsatz nur einmal auftreten (abgesehen von Koordinationen). Eine Partizipialkonstruktion kann dagegen zusätzlich zu einer AcI-Konstruktion auftreten, da sie keine Argumentstelle des Verbs besetzt. Reis (1976a) zieht es in Erwägung, auch Verben wie wissen, glauben, vermuten, wünschen zu den Acl-Verben zu rechnen, "sofern man Partizip II-, Adjektiv- und bestimmte NP/PPKomplemente [...] tiefenstrukturell auf einen Vollsatz mit Kopula zurückführt" (1976a:9). Demnach könnten Sätze wie die folgenden auch als AcI-Konstruktionen gelten. (39) (40) (41)

Er glaubte sich von allen verlassen. Man vermutete ihn in Österreich. Sie wußte ihn in Sicherheit.

Die Kopula, die man in der Tiefenstruktur ansetzen kann, ist obligatorisch getilgt. Da es hier um eine möglichst genaue Klassifizierung der verschiedenen Typen von Objektsprädikaten gehen soll und alle Objektsprädikate auf einen Vollsatz zurückgeführt werden können, werden diese Erscheinungen in 3.2.3 behandelt, um ein syntaktisch möglichst einheitliches Erscheinungsbild der AcI-Konstruktionen zu bewahren. Ganz ähnliche Sätze wie (39)-(41) treten auch bei einigen typischen Acl-Verben auf. (42) (43)

Sie sah sich in großer Gefahr. Er fühlte sich ganz allein.

Es besteht die Tendenz, daß in Konstruktionen dieses Typs das Wahrnehmungsverb weniger auf objektiv überprüfbare Wahrnehmungen als auf subjektive Gefühle referiert und damit semantisch zu den in 3.2.3 beschriebenen Matrixverben gezählt werden kann. Als AcI-Konstruktionen werden hier also nur Konstruktionen mit einer Akkusativ-NP und einem infiniten Verb bezeichnet. Die grundlegenden Vorschläge, die zur Analyse von Sätzen mit AcI-Konstruktionen gemacht wurden, fallen im wesentlichen unter folgende drei Gruppen: 1) Ein Acl-Verb subkategorisiert neben einem Subjekt ein Objekt, das als satzwertige AcIKonstruktion realisiert werden kann.

211

2) Ein AcI-Verb subkategorisiert neben dem Subjekt ein Akkusativobjekt und eine Infinitivphrase. 3) Das AcI-Verb bildet zusammen mit dem infiniten Verb einen Verbalkomplex, der über eine entsprechende Anzahl von Argumentstellen verfügt. Die einzelnen Vorschläge variieren in Details oder stellen Kombinationen aus diesen drei Möglichkeiten dar. Evers (1975) geht für die hier interessierenden Sätze von einer "Verbraising-Operation" aus, bei der das infinite Verb in den Matrixsatz angehoben wird, dort rechts an das AcI-Verb adjungiert wird und mit ihm zusammen einen Verbalkomplex bildet. Er nimmt an, daß dieser Verbraising-Prozeß die Satzgrenze des eingebetteten Satzes entfernt. Nach dieser Verbbewegung liegt statt einer bisententialen eine monosententiale Struktur vor, es findet eine Vereinigung der beiden Sätze ("clause union") statt. Verbraising und ein daraus resultierender Verbalkomplex wird auch in jüngerer Zeit in modifizierter Form vertreten. Zaenen (1979) zeigt, daß es im Holländischen Verbraising ohne Clause Union gibt. Grewendorf (1988) vertritt diesen Vorschlag für das Deutsche. Verbalkomplexbildung ist ihm zufolge als Adjunktion des infiniten Verbs an das AcI-Verb möglich, ohne daß dadurch die "Input-Struktur" zerstört wird. M.a.W., der eingebettete Satz bleibt erhalten. Der Vorschlag stellt somit eine Kombination aus 1) und 3) dar. Die Eigenschaften der AcI-Konstruktionen veranlassen eine Reihe von Autoren dazu, verschiedene Strukturierungen anzusetzen, die gleichzeitig für syntaktische Prozesse verfügbar sind. Die simultane Zuweisung von verschiedenen Strukturen wird als "Koanalyse" (DiSciullo/Williams 1987) oder "Reanalyse" (Haegeman/van Riemsdjik 1986) bezeichnet. Die beiden nebeneinander bestehenden Analysemöglichkeiten sind dabei 1) und 3). DiSciullo/Williams (1987) weisen französischen Kausativkonstruktionen simultan zwei Strukturen zu. Der einen Struktur zufolge liegt ein komplexes Verb vor, wobei sie annehmen, daß dieser Verbalkomplex durch einen morphologischen Prozeß, nämlich Komposition, zustande kommt. Im anderen Fall liegt ein Vollverb vor, das ein Komplement nimmt. Innerhalb dieses Komplements weist das eingebettete Verb seine Thetarollen zu. Haegeman/van Riemsdjik (1986) gehen davon aus, daß Sätze mit Modalverben im Westflämischen zwei Strukturen aufweisen. Im einen Fall liegt ein Verb vor, das ein S-Komplement nimmt. Durch Reanalyse, die auf die bisententiale Struktur in (a) angewendet wird, ergibt sich die monosententiale Struktur in (b), in der die beiden Verben einen Verbalkomplex bilden.

Zaenens Analyse wird auch von Kroch/Santorini (1987) übernommen.

212

(a)

^

, NP

S

NP

V VP2

I /^s^ e NP

V

Im folgenden Abschnitt soll gezeigt werden, daß es keinen Hinweis dafür gibt, daß AclKonstruktionen in der Syntax als Sätze zu repräsentieren sind. Das syntaktische Verhalten der Sätze mit AcI-Konstruktionen liefert Hinweise für die Korrektheit von Annahme 2) und 3). Die Eigenschaften, die für Annahme 1) sprechen können, sind rein semantischer Natur und sollten daher auch auf einer entsprechenden Ebene repräsentiert sein. Wegen ihrer Besonderheiten müssen /assen-Konstruktionen extra behandelt werden.

3.2.1 Eigenschaften der AcI-Konstruktionen nach Verba sentiendi 3.2.1.1 Semantische Restriktionen Clement (1971) untersucht die semantischen Restriktionen, die für die Bildung von AcIKonstruktionen nach Verben der Sinneswahrnehmung gelten. Sie stellt fest, daß AcI-Konstruktionen nur "echte Sinneswahrnehmungen" wiedergeben können. Der Anschluß einer AclKonstruktion ist nicht möglich, wenn es sich um eine "intellektuelle Wahrnehmung" handelt. (44)

*Ich sehe das Argument zutreffen. *Ich sehe zwei und zwei vier sein.

Eine weitere semantische Beschränkung sieht sie darin, daß die Sinneswahrnehmung gleichzeitig mit dem wahrgenommenen Ereignis stattfinden muß. Es ist nicht möglich, durch Temporaladverbiale für den in der AcI-Konstruktion bezeichneten Vorgang eine andere Zeit zu spezifizieren (ebd.:248). (45)

*Ich fühle es bald regnen.

Außerdem beobachtet Clement, daß AcI-Konstruktionen nur Vorgänge, nicht aber Zustände bezeichnen können. Aus diesem Grund treten die Verben sein und haben nicht in AcI-Konstruktionen auf. (46) (47)

*lch sehe ihn krank sein. *Ich sehe ihn einen Husten haben.

213

Als einen Test zur Identifizierung von Vorgangsverben schlägt sie (Clement 1971:256f.) eine Einbettung unter einen Matrixsatz mit dabei sein zu vor. (46a) (46b)

*Er ist dabei, krank zu sein. */cA sehe ihn krank sein.

(47a) (47b)

Er ist dabei, zu husten. Ich sehe ihn husten.

Andererseits sind die statischen Verben sitzen, stehen, liegen, die nicht unter einen entsprechenden Matrixsatz eingebettet werden können, in AcI-Konstruktionen durchaus möglich. Clements Test erfaßt also wohl die meisten Acl-fähigen Verben, aber eben nicht alle. Weitere Restriktionen in den AcI-Konstruktionen bestehen darin, daß innerhalb der AclKonstruktionen keine Modalverben und keine Auxiliare auftreten können. (48)

*Er spürt es heute noch schneien werden. *Sie sieht den Hund Spazierengehen wollen.

Auch Passivierung innerhalb der AcI-Konstruktion ist nicht möglich. (49)

*Sie hörten von der Diva eine Arie geschmettert werden.

Als Argument für die Satzhaftigkeit der AcI-Konstruktionen wird häufig angeführt, daß sie durch einen daß- bzw. w/e-Satz paraphrasierbar seien. Clement stellt zu diesen Umformungsmöglichkeiten ein Schema auf, das die starke Eingeschränktheit der AcI-Konstruktionen verdeutlicht. Dieses Schema wurde im Zusammenhang mit den w/e-Sätzen schon erwähnt und wird hier zur Erinnerung wiederholt. daß-Satz

-*

± Gleichzeitigkeit ± Passiv ± Vorgang

wte-Satz

-»·

+ Gleichzeitigkeit ± Passiv + Vorgang

AcI-Konstruktion + Gleichzeitigkeit - Passiv + Vorgang

DajB-Sätze sind in ihren Verwendungsmöglichkeiten vielfältiger. Sie können auch "intellektuelle Wahrnehmungen" bezeichnen, sind nicht auf gleichzeitig stattfindende Vorgänge eingeschränkt und auch nicht hinsichtlich Passivierung und Erweiterung durch Modal- und Hilfsverben. Wie-S&tze betonen stärker den Verlauf und die Intensität der Wahrnehmung und sind daher den AcI-Konstruktionen semantisch äquivalenter. Aber auch sie unterscheiden sich darin, daß sie durch Modalverben und Auxiliare ergänzt werden können und separat negiert werden können. Keine dieser Paraphrasemöglichkeiten ist also wirklich äquivalent mit den AcI-Konstruktionen. Das Charakteristikum der AcI-Konstruktionen besteht also darin, daß

214

sie die Wahrnehmung und das wahrgenommene Ereignis nicht als zwei getrennte Vorgänge darstellen, sondern als einen einheitlichen. Die größere syntaktische Dichte und Kompaktheit der Konstruktion ist Ausdruck einer engen semantischen Verbindung.

3.2.1.2 Erfragbarkeit und Anaphorisierbarkeit Heidolph et al. (1981:237) führen die Erfragbarkeit der AcI-Konstruktionen als Argument dafür an, daß Acl-Verben ein "einziges einheitliches Objekt" selegieren. Das AcI-Komplement sei nur geschlossen erfragbar. (50a)

Was sieht man? - Die Demonstranten vorbeimarschieren.

Allerdings ist die Erfragbarkeit ein sehr fragwürdiges Argument dafür, daß die AkkusativNP und das infinite Verb hier eine syntaktische Einheit bilden. Denn schließlich läßt sich die Akkusativ-NP auch allein erfragen und mit Hilfe des Proverbs tun auch das Verb. (50b) (50c)

Wen sieht man vorbeimarschieren? - Die Demonstranten. Was sieht man die Demonstranten (tun)? - Vorbeimarschieren.

Die AcI-Konstruktion kann als Einheit anaphorisiert werden. (50d)

Man sieht die Demonstranten vorbeimarschieren. Man sieht es.

Auch dies ist nicht besonders aussagekräftig, da die Akkusativ-NP auch allein anaphorisierbar ist. Bei Verben ist die Anaphorisierung generell schwierig. Eventuell könnte man hier die Substitution durch ein Proverb wie tun oder machen vornehmen. In diesem Fall lassen sich die Akkusativ-NP und das infinite Verb alleine anaphorisieren. (50e)

Man sieht sie es tun.

Nach den Kriterien Anaphorisierung und Erfragbarkeit können also sowohl die gesamte AclKonstruktion wie auch ihre Teile als Konstituenten gewertet werden.

3.2.1.3 Skopus der Negation Weiter oben wurde schon darauf hingewiesen, daß nur ein Temporaladverbial und nur eine Satznegation in Sätzen mit AcI-Konstruktionen auftreten können. Die Negation bezieht sich stets auf das Wahrnehmungsverb, nicht auf das beobachtete Ereignis. (51)

Ich habe sie nicht kommen sehen. »7cA habe nicht gesehen, daß sie gekommen ist.

215 \lch habe gesehen, daß sie nicht gekommen ist. Daß die Negation in Sätzen mit AcI-Konstruktionen fast immer in der Lesart mit weitem Skopus interpretiert wird, wurde schon öfters als Argument gegen eine S-Analyse der AclKonstruktionen vorgebracht (z.B. Lerner/Sternefeld 1984). Hier ist allerdings Vorsicht geboten, dann es ist durchaus möglich, daß von der Syntax Skopusmöglichkeiten gegeben sind, die aus semantischen Gründen nicht genutzt werden. Bayer (1986) versucht die Präferenz für diese Lesart auf semantische Gründe zurückzuführen. Seine Argumentation ist, daß Verba sentiendi einen Ereignis-Ausdruck verlangen, unmarkierte Formen der Negation aber diesen Ereignis-Aspekt einer ansonsten als Ereignis charakterisierbaren Entität neutralisieren. Die Lesart mit engem Skopus sei daher semantisch anomal, weswegen die Lesart mit weitem Skopus gewählt wird (cf. Grewendorf 1988:288). Haegeman/van Riemsdjk (1986) führen Skopusambiguitäten in Sätzen mit Modalverben im Westflämischen

als

Argument

dafür

an,

daß

reanalysierte

Strukturen

vorliegen.

Kroch/Santorini (1987) zeigen, daß bei Sätzen mit Modalverben im Englischen dieselben Ambiguitäten auftreten. (52)

The patient may eat nothing. a. 'There is nothing that the patient is permitted to eat.' b. 'The patient is permitted not to eat anything.'

Kroch/Santorini schließen daraus, daß Skopusambiguitäten kein Hinweis auf Reanalyse sind, da Sätze mit Modalverben im Englischen allgemein nicht als reanalysierte Strukturen aufgefaßt werden. Auch im Deutschen sind negierte Sätze mit Modalverben ambig, wie folgendes Beispiel zeigt: (53)

Er kann nicht kommen. a. 'Er hat nicht die Fähigkeit/Möglichkeit, zu kommen.' b. 'Er hat die Fähigkeit/Möglichkeit, nicht zu kommen.'

Die Lesart mit weitem Skopus der Negation in (a) ist die weitaus natürlichere. Sie fällt einem Sprecher des Deutschen sofort ein, während die Lesart mit engem Skopus in (b) etwas ferner liegt und einen geeigneten Kontext erfordert. Von der Syntax sind beide Skopusmöglichkeiten gegeben. Jacobs (1989a) zeigt, daß sich Sätze mit Acl-Verben und Modalverben in bezug auf den Skopus von semantisch komplexen Negationsträgern wie kein, niemand, nichts völlig parallel verhalten, da sie dieselben Strukturen aufweisen. Deswegen kann man davon ausgehen, daß auch die Skopusmöglichkeiten von nicht in Sätzen mit Acl-Verben die gleichen sind wie in Sätzen mit Modalverben. Die fehlende Lesart mit engem Skopus hat daher rein semantische Gründe. Jacobs geht davon aus, daß alle diejenigen Konstituenten im Skopus eines Elements stehen, die in seinem syntaktischen Einflußbereich sind, also von ihm c-kommandiert werden.

216

(54)

Sie sah ihn nichts tun.

In einem Satz wie (54) kann das Negationselement nichts sowohl mit engem Skopus (nur über tun) wie auch mit weitem Skopus (über beide Verben) gelesen werden. Die Lesart mit engem Skopus ist eine Evidenz dafür, daß nichts tun eine Konstituente bildet, da in diesem Fall nur tun von nichts c-kommandiert wird. Stehen dagegen beide Verben im Vorfeld, dann ist nur noch die Lesart mit weitem Skopus möglich. (55)

Tun sehen hat sie ihn nichts. = 'Sie sah nicht, daß er etwas tat.1 =f 'Sie sah, daß er nichts tat.'

Jacobs weist damit nach, daß Sätze mit Acl-Konstruktionen strukturell ambig sind und durch entsprechende Umstellungen desambiguiert werden können. In (55) ist nur noch die Verbalkomplexanalyse möglich, folglich c-kommandiert das Negationselement beide Verben, die daher beide in seinem Skopus stehen. Die Skopusverhältnisse liefern also Evidenz für eine strukturelle Ambiguität der Sätze mit AcI-Konstruktionen. Ein Argument dafür, daß es sich bei den AcI-Konstruktionen um SKomplemente handelt, stellen sie jedoch nicht dar.

3.2.1.4 Passlvierung Passivierung von Verba sentiendi mit AcI-Konstruktionen wird in der einschlägigen Literatur als inakzeptabel eingestuft (Clement 1971:248, Höhle 1978:171 f., Hyvärinen 1984:312). (56) (57)

*Er wurde eine Arie singen gehört. *Sie wurde in der Fußgängerzone einkaufen gesehen.

Hyvärinen (1984), die sich in ihrer Untersuchung der Struktur von AcI-Konstruktionen auf das Mannheimer Korpus stützt, findet unter allen Belegen keinen einzigen für eine Passivierung des Verbum sentiendi oder innerhalb der AcI-Konstruktion. Hier handelt es sich um eine neuere Entwicklung. Ebert (1976), der ein Korpus frühneuhochdeutscher Texte auswertet, findet darin Belege für passivierte Matrixsätze wie auch für passivierte AcI-Konstruktionen (ebd.: 130). Allerdings waren die AcI-Konstruktionen auch noch mit einer größeren Anzahl von Verben kompatibel, darunter Verben des Denkens und Fühlens. Sie waren im Gegensatz zum heutigen Deutschen extraponierbar. Außerdem waren sie nicht auf Vorgänge eingeschränkt, sondern konnten auch Zustände benennen, wie sie durch Adjektive plus Kopulaverben bezeichnet werden. Dieses Konstruktionsmuster ist also seither insgesamt in seinen Verwendungsmöglichkeiten stark eingeschränkt worden.

217

Zur fehlenden Passivierbarkeit des Wahrnehmungsverbs ist noch zu bemerken, daß auch die entsprechenden Sätze ohne AcI-Konstruktion nur sehr eingeschränkt passivierbar sind, da das Patiens durch die Wahrnehmung im allgemeinen nicht stark genug affiziert ist (s. 1.2.3.1.3). Da weder die Anhebung der Akkusativ-NP in einer AcI-Konstruktion zu einer NominativNP möglich ist noch eine Umwandlung einer agentischen Akkusativ-NP in eine von-/durchPP, gibt die Passivierung letztlich weder ein Argument für den Objekt- noch für den Subjektstatus der Akkusativ-NP ab (anders dagegen bei lassen) und kann daher nicht als Argument für oder gegen eine Satzwertigkeit der hier interessierenden AcI-Konstruktionen angeführt werden.

3.2.1.5 Verwendung des Ersatzinfinitivs

Manche AcI-Verben treten häufig mit dem sogenannten Ersatzinfinitiv auf, d.h. das Perfekt wird nicht mit dem entsprechenden Partizip, sondern mit der infiniten Verbform gebildet. Bei den Modalverben ist die Verwendung des Ersatzinfinitivs meist obligatorisch, bei den AcI-Verben ist die Verwendung des Ersatzinfinitivs dagegen fakultativ. Am häufigsten wird der Ersatzinfinitiv mit sehen und hören verwendet. Edmondson (1980) nimmt hinsichtlich der Verwendung des Ersatzinfinitivs die Gradienz "Mod&\-brauchen-lassen-sehen-hören" an. In der Verwendung des Ersatzinfinitivs sieht er ein Kriterium für Auxiliarität. So teilen "Modalverben, brauchen, lassen und die Verba sentiendi die syntaktischen Eigenschaften eines Auxiliars in unterschiedlichem Maße: Modalverben am meisten, sehen/hören am wenigsten" (1980:78). Bei den Verben fühlen und spüren ist die Tendenz zum Ersatzinfinitiv eher schwach ausgeprägt. (58) (59)

Eben hatte er noch ihren Blick auf sich ruhen ?fühlen /gefühlt. Er hatte ihr Herz wie wild pochen ??spüren/gespürt.

Die seltener auftretenden AcI-Verben lassen den Ersatzinfinitiv überhaupt nicht zu. (60) (61) (62)

Er hatte sie glauben gemacht/*machen, daß es nur Spiel sei. Ich hatte ein schönes Essen vor mir stehen gehabt/*haben. Sie hatten ihn im Walde liegen gefunden/*finden.

Die Verwendung des Ersatzinfinitivs korreliert also mit der Häufigkeit der entsprechenden AcI-Konstruktionen. Hyvärinen (1984) findet bei ihrer Auswertung des Mannheimer Korpus die weitaus meisten Belege für AcI-Konstruktionen mit sehen, gefolgt von hören. Unter 337 Belegen für AcI-Konstruktionen mit Verba sentiendi finden sich nur 9 für fühlen und 4 für spüren. Daraus läßt sich folgern, daß der Grad der Auxiliarisierung eines AcI-Verbs von seiner Häufigkeit abhängt.

218

Mit der Verwendung des Ersatzinfinitivs geht auch die Umstellung des finiten Verbs einher. Wie Lange (1982:182) zeigt, ist diese Umstellung bisher nur für einen Teil der Modalverben obligatorisch (müssen, sollen, dürfen), aber auch die anderen weisen eine starke Tendenz dazu

auf. Werden die Acl-Verben mit dem Ersatzinfinitiv verwendet, so wird auch bei ihnen das finite Verb umgestellt. (63)

...weil sie ihn kommen ? sehen/gesehen hat. ...weil sie ihn hat kommen sehen/*gesehen.

(64)

...weil er sie kommen Phören/gehört hat. ...weil er sie hat kommen hören/*gehört.

(65)

...weil er ihr Herz pochen * spüren/gespürt hat. ?...weil er ihr Herz hat pochen spüren/??'gespürt.

(66)

...weil sie das Gewitter nahen * fühlen/gefühlt hat. ?...weil sie das Gewitter hat nahen fühlen/??'gefühlt.

(67)

...weil sie den Kuchen stehen lassen/gelassen hat. ...weil sie den Kuchen hat stehen lassen/*gelassen.

Diese Sätze

zeigen,

daß die Umstellung des Finitums

mit der

Verwendung des

Ersatzinfinitivs einhergeht. Bei den seltener auftretenden Acl-Verben fühlen und spüren ist wegen der Ungebräuchlichkeit des Ersatzinfinitivs die Voranstellung des finiten Verbs Überhaupt fraglich. Diese Eigenschaften der Acl-Verben sprechen für eine Auxiliarisierung, die mit der Häufigkeit ihres Gebrauchs einhergeht.

3.2.1.6 Kohärenz

Der Begriff der Kohärenz geht auf Bech (l957;1983) zurück und ist seither unterschiedlich interpretiert worden. Teilweise wird es als ausreichendes Kriterium für Kohärenz angesehen, daß eine Infinitivkonstruktion innerhalb des Satzrahmens auftritt und nicht in Rattenfängerkonstruktionen auftreten kann (so bei Kvam 1982). Inkohärenz liegt demnach vor, wenn eine Infinitivkonstruktion in Extrapositionsstellung auftritt (68a) oder in einer Rattenfängerkonstruktion (68b): (68a) (68b)

Er hatte vor, alle Aufsätze zu lesen. Da lagen die Aufsätze, die zu lesen er sich vorgenommen hatte.

Die Kohärenz einer Konstruktion geht damit einher, daß kein satzwertiger Infinitiv eingebettet ist. In inkohärenten Konstruktionen liegen dagegen satzwertige Infinitive vor (cf. Stechow/Sternefeld 1988:407).

219

Die Kohärenz von Sätzen mit AcI-Konstruktionen ist daher ein Hinweis darauf, daß monosententiale Strukturen vorliegen. AcI-Konstruktionen sind weder extraponierbar noch können sie in Rattenfängerkonstruktionen auftreten: (69)

*...daß sie hörte den Papagei sprechen. *...daß sie gesehen hat ihn skifahren. *...daß sie schon lange hörte Rubinstein spielen.

(70)

*Das ist der Papagei, den sprechen sie hörte. *Das ist der Mann, den skifahren sie gesehen hat. *Das ist der Pianist, den spielen sie hörte.

Daneben gibt Been Hinweise auf weitere Kriterien für die Kohärenz einer Konstruktion (cf. die Diskussion der Kohärenz in Grewendorf 1987, 1988:269ff.). So bilden kohärente Konstruktionen eine rhythmische Einheit. Eine intonatorische Abgrenzung der Infinitivkonstruktion ist daher nicht möglich. Verbumstellungen wie die im letzten Abschnitt beschriebenen sind auch nur in kohärenten Konstruktionen möglich. Auch nach diesen Kriterien sind Sätze mit AcI-Konstruktionen kohärent. Von einigen Autoren wird die Auffassung vertreten, daß die bloße Mittelfeldstellung einer Infinitivkonstruktion noch kein eindeutiges Kriterium für Kohärenz darstellt. Eindeutig kohärent ist die Konstruktion ihrer Auffassung nach nur dann, wenn die Elemente aus dem Matrixsatz und dem abhängigen Satz topologisch miteinander verflochten sind. Demnach liegt in (71 a) nicht unbedingt eine kohärente Konstruktion vor, in (71b) dagegen ist Kohärenz eindeutig gegeben: (71a) (71 b)

...weil Regine mich anzurufen versucht. ...weil mich Regine anzurufen versucht.

Damit einher geht die Annahme, daß Scrambling über Satzgrenzen hinweg nicht möglich ist. In (71 a) kann demnach eine Satzgrenze involviert sein, in (71b) dagegen nicht. Grewendorf (1988:283ff.) verfolgt eine ähnliche Argumentation bei seinem Versuch, nachzuweisen, daß in Sätzen mit AcI-Konstruktionen eine Bildung von Verbalkomplexen vorliegt, bei der die "Input-Struktur" nicht zerstört wird. Einen Hinweis auf das Vorhandensein eines Satzknotens, der die AcI-Konstruktion dominiert, sieht er darin, daß ein pronominales "AclObjekt" nicht vor ein (nicht-pronominales) "Matrixsatz-Subjekt" gestellt werden kann. (72a) (72b)

...weil die Mutter den Vater es (das Baby) wickeln läßt ...*weil es die Mutter den Vater wickeln läßt.

Diese Annahme ist deswegen problematisch, weil Scrambling über Satzgrenzen hinweg im Deutschen nicht ausgeschlossen ist (s. 2.4.4).

220

Dies als Hinweis für das Vorhandensein eines Satzknotens zu werten wirft jedoch einige Probleme auf. Es läßt nämlich unerklärt, warum pronominale "AcI-Subjekte" vor nicht-pronominale "Matrixsatz-Subjekte" treten können, wie Grewendorf selber zeigt: (73a) (73b)

...weil der Vater es (das Kind) den Lehrer grüßen läßt. ...weil es der Vater den Lehrer grüßen läßt.

(74a) (74b)

...*weil die Freundin der Student tanzen sieht. ...weil sie der Student tanzen sieht.

Wenn die AcI-Konstruktion von einem Satzknoten dominiert wäre und dies ein Scrambling mit "Matrixsatzkonstituenten" unterbinden würde, dann dürften Sätze wie (73b) und (74b) ebensowenig möglich sein. Für die Umstellbarkeit der Konstituenten in diesen Sätzen gilt wie in einfachen Sätzen, daß Pronomina tendenziell vor Nicht-Pronomina stehen. Deswegen ist z.B. (74b) wesentlich akzeptabler als (74a). Außerdem ist auch die Voranstellung von "AcI-Objekten" vor "Matrixsatz-Subjekte" möglich, wenn es sich um ein klitisiertes Pronomen handelt. (75)

...weil's (das Lied) der Lehrer die Schüler singen hörte

Daß die Teile der AcI-Konstruktion und des umgebenden Satzes miteinander verflochten werden können, zeigt sich auch an der Stellung der Satznegation und bestimmter Adverbiale, die sich auf das Verbum sentiendi beziehen. (76) (77)

Ich habe dich nicht kommen hören. Sie ließ ihn nur uneern weggehen.

Auch nach dem Kriterium der topologischen Verflechtung der Konstituenten liegen hier also kohärente Konstruktionen vor.

3.2.1.7 Stellungseigenschaften Im letzten Abschnitt wurde gezeigt, daß Sätze mit AcI-Konstruktionen kohärent sind. Die AcI-Konstruktionen können nicht extraponiert werden und nicht in Rattenfängerkonstruktio-

Die Abfolge "AcI-Subjekt" vor "AcI-Objekt" ist dagegen ziemlich rigide: (i) *Max sah den Laternenpfahl den zottigen Hund besudeln. (ii) *Max sah ihn den zottigen Hund besudeln. Da die Kasusmarkierung die beiden Argumente des infiniten Verbs nicht unterscheiden kann, ist hier ein neutrale Abfolge nötig, um die richtige Zuordnung der einzelnen Konstituenten zu den Thetarollen zu gewährleisten (cf. Oppenrieder 1987:147f.) Eine SAnalyse der AcI-Konstruktionen trägt nichts zur Erklärung dieser Abfolgebesonderheiten bei.

221

nen auftreten. Eine topologische Integration der Elemente der AcI-Konstruktionen mit denen des umgebenden Satzes ist möglich. Diese Kohärenzeigenschaften sind ein Hinweis darauf, daß AcI-Konstruktionen nicht satzwertig sind. Auch in bezug auf die übrigen Stellungseigenschaften verhalten sich Sätze mit AcI-Konstruktionen wie einfache Sätze, d.h. alle Elemente können wie in einfachen Sätzen umgestellt werden. Von besonderem Interesse sind hier die Möglichkeiten der Vorfeldbesetzung, da im Vorfeld in der Regel nur eine Konstituente stehen kann. Die Akkusativ-NP kann alleine im Vorfeld stehen. (78) (79) (80) (81)

Rubinstein hat sie noch nie spielen hören. Die Kinder läßt sie den ganzen Tag spielen. Den Kater hörte sie miauen. Den Papagei hörte er zum ersten Mal sprechen.

Bei besonderer Hervorhebung kann auch das infinite Verb allein im Vorfeld auftreten. (82) (83)

Singen hat sie ihn schon oft gehört. Ski fahren wollte er sie sehen.

Dagegen lassen sich die Akkusativ-NP und das infinite Verb kaum zusammen in das Vorfeld stellen und gerade dies sollte besonders gut möglich sein, wenn die AcI-Konstruktion eine Konstituente bildet. (82a) (83a) (81 a)

??Ihn singen wollte sie schon lange hören. ??Sie skifahren wollte er sehen. ??Den Papagei sprechen hat sie noch nie gehört.

Das zeigt deutlich, daß die Akkusativ-NP zusammen mit dem infiniten Verb keine Konstituente bildet, wie vielfach angenommen wird. Topikalisierbar ist die Akkusativ-NP zusammen mit dem infiniten Verb nur, wenn das Wahrnehmungsverb mit in das Vorfeld gestellt wird. (82b) (83b) (81b)

Ihn singen hören wollte sie schon lange. Sie skifahren sehen wollte er unbedingt. Den Papagei sprechen gehört hat er noch nie.

Auch das infinite Verb und das Wahrnehmungsverb können zusammen topikalisiert werden. (82c) (83c)

Singen hören wollte sie ihn schon lange. Skifahren sehen wollte er sie unbedingt.

Angesichts dieser Daten ließe sich eine Analyse der AcI-Konstruktionen als satzwertig nur unter Zusatzannahmen aufrecht erhalten. Eine mögliche Erklärung wäre, daß Prädikative zusammen mit ihren Subjekten nicht im Vorfeld, einer Nicht-Argumentposition, auftreten können.

222

(81c)

Sprechen gehört hat er den Papagei noch nie.

Die Möglichkeiten der Vorfeldbesetzung werden am besten von der Verbalkomplexanalyse erfaßt. Die beiden Verben können zusammen im Vorfeld auftreten, da sie eine Konstituente bilden. In bezug auf die Topikalisierung der übrigen Konstituenten verhalten sich diese Sätze wie einfache Sätze. Alle Elemente können in ihrer Grundabfolge zusammen mit den Verben in Endstellung ins Vorfeld gestellt werden. Die Stellungseigenschaften dieser Sätze deuten also in allen Punkten auf monosententiale Strukturen hin. Daneben geben die Möglichkeiten der Vorfeldbesetzung einen Hinweis darauf, daß das infinite Verb mit seinen internen Argumenten und Adjunkten eine Konstituente bildet: (84) (85)

Eine Arie schmettern habe ich ihn gehört. Rasant skifahren habe ich ihn gesehen.

Diese Daten sind mit der Verbalkomplexanalyse nicht vereinbar. Sie müssen als Evidenz dafür gewertet werden, daß eine alternative Analysemöglichkeit besteht, bei der das infinite Verb und seine internen Argumente eine Konstituente bilden.

3.2.1.8 Reflexivierung

Hier ist es nötig, etwas weiter auszuholen und die Diskussion um die Reflexivierung in AclKonstruktionen aus den letzten 15 Jahren zumindest in ihren wichtigsten Punkten wiederzugeben. Für weitere Details verweise ich auf die Zusammenfassung in Primus (1987) sowie auf die im folgenden zitierten Aufsätze. Folgende Asymmetrie, die Reis schon 1973 beobachtet, veranlaßt sie 1976 dazu, von einem "transformationsgrammatischen Dilemma" zu sprechen. Sie geht dabei davon aus, daß AclKonstruktionen von einem S-Knoten dominiert sind. (86) (87)

//ortSj läßt [s den Freund *sich-/ihm-x helfen]. Hans-t läßt [s sich/*ihm-l den Wein schmecken].

Sätze bilden universell eine Lokalitätsbeschränkung für Reflexivierung, d.h. im allgemeinen kann über eine Satzgrenze hinweg nicht reflexiviert werden. Unklar ist also, warum die Reflexivierung in (87) völlig akzeptabel ist. Zwei Auswege sind denkbar: Entweder gibt man die Lokalitätsbeschränkung für Reflexivierung auf oder man macht einen Unterschied in der Satzwertigkeit dieser beiden AcI-Konstruktionen. Für die erste der beiden Lösungen gibt es keine guten Gründe, da es im Deutschen keine Evidenz für Reflexivierung über Satzgrenzen hinweg gibt. Die zweite Lösung wird von Grewendorf (1983, 1984) angestrebt. Er versucht nachzuweisen, daß die AcI-Konstruktionen, die für Reflexivierung durchlässig sind, nicht als S, sondern als VP zu kategorisieren sind. Als VPn müßten sowohl passivische (88) wie auch ergativische (89) AcI-Konstruktionen gelten.

223

(88a) (88b)

Hans· läßt sich-v/*ihm- von seinem Freund Wein besorgen. Anna^ läßt sich-^ihr^ von Maria das Bild zeigen.

(89a) (89b)

Sisyphus^ läßt sich-l/*ihm-l den Felsbrocken auf die Füße rollen. £ | läßt sicAj/*/A»ij seinen Schneider kommen.

Als Argumente für den VP-Status von diesen AcI-Konstruktionen führt er die fehlende Passivierbarkeit bei einigen idiomatischen Wendungen sowie Verben mit Maßakkusativen an (Grewendorf 1984:18). (90) (90a)

*Der Lehrer ließ von dem Schüler eine Mücke machen. *Eine Mücke wurde von dem Schüler gemacht.

(91) (91 a)

*Der Dauerregen ließ von der Zisterne WO Liter mehr enthalten. *Von der Zisterne wurden 100 Liter mehr enthalten.

Dieses Argument ist jedoch nicht stichhaltig. Denn Passivierung ist bei diesen eingebetteten Phrasen einzig und allein aus dem Grund nicht möglich, daß auch die entsprechenden einfachen Sätze nicht passivierbar sind. Niemand würde diese Sätze wegen ihrer fehlenden Passivierbarkeit als VPn klassifizieren. Sein zweites Argument ist die fehlende Koordinierbarkeit von passivischen und aktivischen lassen- Einbettungen. (92) (93)

*Hans läßt das Auto reparieren und Peter arbeiten. *Der Dirigent läßt den ersten Satz wiederholen und den zweiten Geiger den Solopart spielen.

Abgesehen davon, daß diese Sätze nicht ganz inakzeptabel sind, ist Koordination ohnehin kein sehr stichhaltiges Kriterium für oder gegen Kategorienidentität der Konjunkte. Eine doppelte Kategorisierung der AcI-Konstruktionen - entweder als S oder als VP - ist durch kein unabhängiges syntaktisches Kriterium gerechtfertigt. Neben diesen syntaktischen Lösungsversuchen gibt es semantische Erklärungsversuche für Reflexivierung. Jackendoff (1972) stellt für Refiexivierung eine semantische Beschränkung dahingehend auf, daß das Reflexivum auf der Hierarchie Agens > Ort/Quelle/Ziel > Thema seinem Antezedens nicht vorangehen dürfe. Höhle (1978:56f.) zeigt, daß eine Akkusativ-NP die Reflexivierung mit dem Nominativkomplement nur dann blockiert, wenn sie ein Agens bezeichnet. Diese Annahme ist ein Schritt in die richtige Richtung, da sie mit der Tatsache übereinstimmt, daß passivische und ergativische AcI-Phrasen, deren Verben keine Agensrolle zuweisen, für Reflexivierung durchlässig sind. Auch dativische Inversionsverben sind damit erfaßt.

Zu einer Kritik an Grewendorf s.a. Fanselow (1987:132ff.).

224

(94)

Hans· läßt sich-/*ihm-l den Wein schmecken. Er· ließ sich-/*ihm· etwas einfallen.

Primus (1987) schließlich zeigt, daß die Reflexivierung in AcI-Konstruktionen in allen Punkten denselben Prinzipien folgt, die auch für Reflexivierung in einfachen Sätzen gelten. Sie entwirft eine Reflexivierungstheorie, die alle zu berücksichtigenden Faktoren empirisch adäquat in einem theoretischen Rahmen erklärt, für den unabhängige Evidenzen sprechen. Sie zeigt, daß Refiexivierung von verschiedenen Faktoren gesteuert wird, wie c-Kommando , lineare Präzedenz und eine Hierarchie von Komplementen, die mit der Kasushierarchie Nom > Akk > Dat übereinstimmt. Durch eine richtige Gewichtung dieser und anderer Faktoren kommt sie zu einer genauen Beurteilung der Akzeptabilität von Reflexivierungen. Da die beteiligten Faktoren relativ komplex sind, muß ich mich hier auf einige wichtige Punkte beschränken, die für die Reflexivierung in Acl- Konstruktionen relevant sind. Zunächst einmal können Akkusativobjekte als Antezedentien fungieren, auch wenn sie nicht Teil einer AcI-Konstruktion sind (entgegen der Annahme von Reis 1976a). (95) (96)

Die Bitte brachte den Mann· außer sich^ Man multipliziere den Quotienten· mit sich·.

Es ist also nicht nötig, die Akkusativ-NPn mit einem Subjektstatus zu versehen, damit sie als Antezedentien fungieren können. In diesem Zusammenhang interessiert, unter welchen Bedingungen das möglich ist. Einer der Faktoren, die die Reflexivierung steuern, ist, daß bevorzugt solche NPn als Antezedentien fungieren, die auf der Hierarchie

der Komplemente Nom > Akk > Dat > PP an-

deren vorangehen, also möglichst weit links stehen. Als Antezedens kann jeweils eine höher auf der Hierarchie stehende Ergänzung fungieren. Nominativ-NPn können für alle anderen Komplemente als Antezedentien fungieren, Akkusativ-NPn für Dativ-NPn, aber nicht umgekehrt. Letzteres soll hier illustriert werden. (97) (98) (99) (100)

Hans· überläßt die Schwester· sich-/*ihr·. Der Psychoanalytiker^ hat den Patienten· wieder an sich-/*ihn- gewöhnt. Die Leute schlugen dem Fragenden· ihn·/* sich· als Vernandlungsführer vor. Er bietet ihm· ihn·/* sich -an. J J (Beispiele bei Grewendorf 1984:22)

Außerdem wird bei Koreferenz einer Akkusativ- oder Dativ-NP mit einer PP die PP dann reflexiviert, wenn sie ein Präpositionalobjekt ist. Dagegen wird pronominalisiert, wenn es sich um eine freie PP handelt, wie Grewendorf (1984) beobachtet.

Primus (1987:133) legt folgende Definition von c-Kommando zugrunde: Ein Knoten A c-kommandiert einen Knoten B gdw. der erste verzweigende Knoten, der A dominiert, auch B dominiert und A und B einander nicht dominieren.

225

(101) (102) (103)

Peter konfrontiert Maria· mit sich·/*ihr·. Ich öffnete ihr· die Augen über sich·/*sie·. Den Quotienten^ multipliziere man mit sicn-l/*ihm-l.

(104) (105) (106)

Hans· erwartet Maria· bei ihr-/*sich·. //ansj hilft dem Freund- bei ihm·/* Sich· Maria· verläßt ihren Mann· wegen ihm·/*sich·. (s. GrewendorT 1984:23f.)

Primus faßt das in der Präferenzregel zusammen, daß Argumente vor Nicht-Argumenten eines Verbs reflexiviert werden. Die in AcI-Konstruktionen bestehende Unsicherheit bezüglich Reflexivierung in PPn läßt sich auch in anderen Umgebungen beobachten, in denen keine Acl-Konstruktion involviert ist, wie Primus (1987:211) an englischen Beispielen demonstriert. (107) (108) (109)

John^ has a lot of money on *himself-1/fiim-l. Mary· pulled the blanket around herself -/her·. Maryi sent the book to herself^her^.

Dies führt Primus darauf zurück, daß Reflexivierung in PPn als markiert angesehen wird, da es sich um auf der Hierarchie tief rangierende Phrasen handelt. In diesen Umgebungen wird daher von manchen Sprechern eher pronominalisiert, insbesondere dann, wenn es sich um adverbiale PPn handelt. Bei der Erklärung der Reflexivierung in Acl-Konstruktionen ist es in keinem Fall notwendig, Sonderregeln für AcI-Konstruktionen einzuführen oder den Akkusativ-NPn darin einen Subjektstatus zuzuschreiben. Die Verhältnisse bei Reflexivierung liefern also kein Argument dafür, daß AcI-Konstruktionen von einem S-Knoten dominiert sind. Im Gegenteil, man kommt zu einer einfacheren und schlüssigeren Erklärung der Reflexivierungsdaten, wenn man eine monosententiale Struktur ansetzt.

3.2.1.9 Zusammenfassung In diesem Abschnitt wurde gezeigt, daß die syntaktischen Eigenschaften der AcI-Konstruktionen dafür sprechen, diese Sätze als monosententiale Strukturen zu analysieren. Zu diesen Eigenschaften gehören die Kohärenz dieser Konstruktionen und ihre sonstigen Stellungsmöglichkeiten sowie die Verwendung des Ersatzinfinitivs und die damit einhergehende Verbumstellung. Wie gezeigt wurde, ist diese Analyse darüberhinaus mit den Reflexivierungsdaten kompatibel. Diese Eigenschaften werden von einer Verbalkomplexanalyse erfaßt. Es stellt sich die Frage, auf welche Weise der Verbalkomplex zustandekommt. Da es Einwände sowohl gegen die An-

226

nähme der Bildung durch morphologische Prozesse wie auch gegen die Annahme von Vero

braising gibt , wird hier davon ausgegangen, daß der Verbalkomplex durch eine Extraktion der internen Argumente und Adjunkte des infiniten Verbs nach links entsteht: (110)

weil [ sie [ ihn [ einen Walzer ([ e tanzen ] sah ]]]]

Allerdings ist es nicht obligatorisch, AcI-Verb und infinites Verb als Verbalkomplex zu analysieren. Die Verwendung des Ersatzinfinitivs und die Verbumstellung gehen miteinander einher, sie können aber beide unterbleiben. Bestimmte Vorfelddaten sowie Skopusphänomene liefern Evidenz für die folgende Klammerung: (111)

weil [ sie [ ihn [[ einen Walzer tanzen ] sah ]]]

In keiner der beiden Strukturen bildet das infinite Verb zusammen mit der "höheren" Akkusativ-NP eine Konstituente. Diese Akkusativ-NP wird zwar vom infiniten Verb selegiert und thetamarkiert, aber vom Ad-Verb kasusmarkiert. Die Akkusativ-NP ist also das externe Argument des infiniten Verbs und in diesem Sinn sein Subjekt. Wie das Subjekt in anderen Sätzen trägt die Akkusativ-NP die Thetarolle, die im Lexikoneintrag dieses Verbs als extern ausgezeichnet ist und bekommt ihren Kasus von außen zugewiesen, da sie sich außerhalb der maximalen Projektion des Verbs befindet. Dadurch sind die Selektionsrestriktionen, die zwischen dem infiniten Verb und dieser Akkusativ-NP bestehen erklärt, ohne daß man deswegen von einer Satzwertigkeit der AcI-Konstruktion ausgehen muß. Es bleibt noch zu klären, an welche Konstituenten das AcI-Verb Thetarollen vergibt. Der Intuition der meisten Autoren auf diesem Gebiet nach sind diese Verben semantisch zweiwertig. Das Objekt und das vom Verb bezeichnete Ereignis sind nicht zwei separate Wahrnehmungen, sondern die einheitliche Wahrnehmung eines Ereignisses. Dies bedeutet, daß die Wahrnehmungsverben in allen ihren Verwendungsweisen zwei Thetarollen vergeben, nämlich Experiencer und Stimulus. In ihrer Verwendung als AcI-Verben selegieren die Wahrnehmungsverben Propositionen als Komplement. Wie gezeigt wurde, sind nur Ereignis-Komplemente möglich. Das gesamte Ereignis sollte also die Thetarolle "Stimulus" erhalten. Üblicherweise wird angenommen, daß eine Thetarolle jeweils an Elemente vergeben wird, die zusammen eine Konstituente bilden. Das infinite Verb bildet jedoch nach (110) und (111) keine Konstituente mit der höheren Akkusativ-NP. Was passiert also mit dieser Thetarolle?

Siehe die Kritik in Kroch/Santorini (1987). Höhle (1989) führt hier Koordinationsdaten an, die mit einer Extraktion des infiniten Verbs nicht kompatibel sind, wie z.B daß ich Karl den Hund sowohl streicheln lasse als auch füttern lasse.

227

Die Antwort liegt darin, daß für die Thetamarkierung nicht entscheidend zu sein scheint, ob das Argument, das sie erhalten soll, eine Konstituente ist. Entscheidend scheint vielmehr zu sein, daß das Argument vom richtigen semantischen Typ ist. Da, wie gezeigt wurde, der Stimulus ein Ereignis sein muß, also dem Typ Proposition zuzurechnen ist, kann die Thetarolle "Stimulus" nur an eine Proposition vergeben werden. Eine Proposition besteht aus einem Prädikat und seinen Argumenten. Die Thetarolle wird also an das infinite Verb und seine Argumente, also alle von ihm thetamarkierten Glieder, vergeben. Es ist erkennbar, daß die Akkusativ-NP ein Argument zu dem infiniten Verb ist. Es ist also eine vollständige Proposition vorhanden, die die Thetarolle vom AcI-Verb erhält. Entscheidend für die Thetarollenvergabe ist hier also nicht, daß ein Satz in irgendeinem syntaktischen Sinn vorliegt, sondern daß eine Proposition vorhanden ist. Die Sätze mit AcI-Konstruktionen sind also nur in semantischer Hinsicht bisentential, da sie zwei Verben und deren Argumente, also zwei Propositionen, enthalten. Die Erfragbarkeit und Anaphorisierbarkeit der AcI-Konstruktionen mittels was/es/das schien einen Hinweis darauf zu liefern, daß die gesamte AcI-Konstruktion eine Konstituente bildet. Aber auch das läßt sich damit erklären, daß diese Pronomina sich auf Propositionen beziehen können, die nicht notwendigerweise Sätze in einem syntaktischen Sinn sind.

228

3.2.2

Eigenschaften der AcI-Konstruktionen nach lassen

Die detaillierteste neuere Untersuchung der Syntax von lassen- Konstruktionen stammt von Huber (1980), der im Rahmen einer älteren Version der generativen Syntax arbeitet. Huber unterscheidet kausative von nicht-kausativen /imin-Konstruktionen. Den nicht-kausativen fehlen zwei typische kausative Merkmale: Zum einen findet das "Matrix-Ereignis" nicht vor dem "Komplement-Ereignis" statt und zum zweiten hat das "Matrix-Ereignis" keinen direkten Einfluß auf das "Komplement-Ereignis" (Huber 1980:35ff., cf. Shibatani 1976). Die kausativen Konstruktionen haben zwei Grundbedeutungen. Die eine läßt sich als "Faktivität" umschreiben, wozu Huber Zwang, Veranlassung, Hervorrufung u.a. rechnet. Auf diese Bedeutung spezialisiert ist das abgeleitete Verb veranlassen. Die zweite faßt er unter dem Stichwort "Permissivität" zusammen, wozu er Genehmigung, Erlaubnis eines Geschehens oder Nichtwidersetzung rechnet (cf. Nedjalkov 1976). Auf diese Bedeutung spezialisiert ist das abgeleitete Verb zulassen. Von Nedjalkov (1976) wird eine andere semantische Klassifizierung der /asse«-Konstruktionen vorgenommen. Er rechnet die nicht-kausative Lesart zur permissiv-kausativen Bedeutungsvariante. Huber bestreitet die syntaktische Relevanz der Klassifizierung von Nedjalkov und weist anhand einer Reihe von Tests die Relevanz der Unterscheidung kausativ vs. nichtkausativ nach. Die einzelnen Bedeutungsvarianten von kausativem lassen betrachtet er als von rein lexikalisch-pragmatischem Interesse ohne syntaktische Folgen. Seine erste Beobachtung zur Unterscheidung von kausativem und nicht-kausativem lassen ist, daß ersteres das Perfekt nur mit dem Ersatzinfinitiv bilden kann, während das für nichtkausatives lassen optional ist. (112) (113)

Ich habe mir Kaffee und Kuchen bringen lassen/*'gelassen. Ich habe Kaffee und Kuchen stehen gelassen/lassen. (Huber 1980:35)

Huber vermerkt, daß nicht-kausatives lassen nur mit statischen Verben auftritt. Allerdings sind nach dem Kriterium der Perfektbildung mit ge- auch Verben wie fallen (Wir haben die Idee fallengelassen.)

und laufen (Sie haben den Gefangenen laufen gelassen.) hierher zu

rechnen. Auch Vorgangsverben sind also eher der nicht-kausativen Variante zuzurechnen. Außerdem erlaubt nicht-kausatives lassen "Matrixsatz-Passivierung". (112a) (113a)

Kaffee und Kuchen wurden von uns stehen gelassen. ·Kaffee und Kuchen wurden von uns bringen gelassen. (Huber 1980:60)

Die Passivierung der AcI-Konstruktion ist dagegen nur mit kausativem lassen möglich: (114)

Auch wenn ich es nicht veranlaßte/genehmigte, ließ ich ihn die Wand streichen/*'ließ ich von ihm die Wand streichen.

229

(114a)

Ich ließ von ihm die Wand streichen.

(Huber 1980:59)

Daneben beobachtet Huber noch eine Reihe von Unterschieden im topologischen Verhalten der beiden lassen-Varianten. So kann bei kausativem lassen das Vollverb alleine linksversetzt werden, bei nicht-kausativem dagegen nicht. (115) (116) (117) (112b)

Einsteigen, das ließen wir den Verletzten. Verbinden, das ließen wir den Verletzten. *Liegen, das ließen wir den Verletzten. *Stehen, das ließen wir Kaffee und Kuchen.

Auch die Bildung von Spaltsätzen ist nur bei kausativem lassen möglich. (115a) (116a) (117a)

Was der Autofahrer ließ, war den Verletzten einsteigen. Was der Autofahrer ließ, war den Verletzten verbinden. *Was der Autofahrer ließ, war den Verletzten liegen.

Die syntaktische Relevanz der beiden /ajse«-Varianten ist m.E. durch diese Tests ausreichend nachgewiesen. Huber zieht aus seinen Beobachtungen den Schluß, daß kausatives lassen ein AcI-Verb, nicht-kausatives lassen dagegen ein Kontrollverb ist. Hier ist allerdings zu bedenken, daß /assen-Konstruktionen immer kohärent sind, Sätze mit Kontrollverben dagegen nicht. Huber selbst weist diese Kohärenz nach, die sowohl kausative wie nicht-kausative /asjen-Konstruktionen aufweisen. Er zeigt, daß weder Extraposition (119) noch eine Rattenfängerkonstruktion (121) möglich ist, bei Kontrollverben ist dagegen beides möglich. (118) (l 19)

Man erzählt sich, daß sie ihn beschuldigt, ein Betrüger zu sein. (Kontrollverb) *Man erzählt sich, daß er sie läßt sitzen. (Huber 1980:111)

(120) (121)

Das ist der Bericht, den zu ignorieren der Vizepräsident veranlaßte. (Kontrollverb) *Das ist der Bericht, den ignorieren der Vizepräsident ließ. (Huber 1980:118)

Huber bemerkt auch, daß aus Kontrollinfinitiven das Verb nicht herausbewegt werden darf (außer bei den fakultativ kohärenten). Bei lassen ist das dagegen möglich. Hier übersieht er allerdings, daß sowohl kausatives wie nicht-kausatives lassen eine Vorfeldstellung des infiniten Verbs erlauben. Ein Argument dafür, daß in einem Fall ein Kontrollverb vorliegt, ergibt sich daraus also nicht. (122) (123) (124) (125)

*Zu schreiben hat er mich den Bericht ermuntert. Schreiben hat er mich den Bericht lassen. (Huber 1980:130f.) Stehen hat er den Kuchen lassen. Sitzen hat sie ihn lassen!

230 Ferner versucht Huber nachzuweisen, daß bei kausativem lassen, also dem AcI-Verb, die Akkusativ-NP mit dem infiniten Verb eine Konstituente bildet, bei nicht-kausativem lassen dagegen nicht. Seine Beispiele dazu sind äußerst irreführend. (112b) (113b)

*Den Kaffee und Kuchen stehen hat der Gast gelassen, nicht aber Eis. Kaffee und Kuchen bringen hat der Gast lassen, nicht aber Eis. (Huber 1980:81)

Huber übersieht, daß in (112b) die topikalisierte Akkusativ-NP "Subjekt" zu dem infiniten Verb ist, in (113b) dagegen Objekt". Die Topikalisierung von Verben zusammen mit ihrem Akkusativobjekt ist meist ohnehin problemlos möglich. Eine korrekte Gegenüberstellung müßte folgendermaßen aussehen: (112b) (113c)

*Den Kaffee und Kuchen stehen hat der Gast lassen, nicht aber Eis. ??Den Kellner Kaffee und Kuchen bringen hat der Gast lassen, nicht aber Eis.

Hier ist der Akzeptabilitätsunterschied nicht mehr deutlich und reicht nicht mehr aus, die topikalisierten Glieder in (113c) als Konstituente auszuweisen. Trotz der Mängel in seiner Argumentation hat Huber sicherlich darin recht, daß hier zwei syntaktisch relevante lassen-Varianten vorliegen. Nur sein Schluß ist nicht gerechtfertigt. Aus seinen Daten läßt sich etwas ganz anderes folgern, nämlich daß kausatives lassen sich stärker modalverbhaft verhält als nicht-kausatives lassen. Das soll im folgenden gezeigt werden.

3.2.2.1 Verwendung des Ersatzinfinitivs Sowohl kausatives lassen wie auch die Modalverben müssen ihr Perfekt mit dem Ersatzinfinitiv bilden. (126) (127)

Sie hat Kaffee Sie hat Kaffee

und Kuchen bringen lassen/*gelassen. und Kuchen bringen müssen/*'gemußt.

Anders verhalten sich Konstruktionen mit nicht-kausativem lassen. Schon die Möglichkeit der Perfektbildung mit ge- zeigt, daß sich nicht-kausatives lassen stärker wie ein Vollverb verhält. Hier treten viel festere Verbverbindungen auf, die sehr häufig sind und deswegen oft auch zusammengeschrieben werden (z.B. stehenlassen, liegenlassen, fallenlassen, laufenlassen). Wie bei den Verba sentiendi geht auch hier die Verwendung des Ersatzinfinitivs mit der Voranstellung des finiten Verbs einher. (128a) (128b)

...weil er ihn hat laufen lassen/*gelassen. ...weil er ihn laufengelassen hal/*hat laufengelassen.

(129a) (129b)

...weil er den Kuchen hat stehen lassen/*gelassen. ...weil er den Kuchen stehengelassen hat/*hat stehengelassen.

231

3.2.2.2 Passivierbarkeit Kausatives lassen und die Modalverben lassen keine Passivierung zu, bei der die AkkusativNP zum Subjekt wird. (126) (126a)

Sie hat Kaffee und Kitchen bringen lassen. *Kaffee und Kuchen wurde bringen gelassen.

(127) (127a)

Sie hat Kaffee und Kuchen bringen müssen. *Kaffee und Kuchen wurde bringen gemußt.

Nicht-kausatives lassen kann dagegen passiviert werden. Die Akkusativ-NP wird in die Subjektsposition angehoben. Diese Passivierung ist nur möglich, wenn das #e-Partizip verwendet wird. (112d) (130)

Der Kuchen wurde stehen gelassen/*lassen. Der Gefangene wurde laufen gelassen/*lassen.

Nicht-kausatives lassen verhält sich also wie ein Vollverb, das zusammen mit dem anderen Vollverb eine mehr oder minder stark lexikalisierte Einheit bildet. Bei kausativern lassen kann Passivierung innerhalb der AcI-Konstruktion stattfinden. Die externe Akkusativ-NP wird dabei zur von/durch-Phrase etc. oder entfällt ganz. (131) (132) (133)

Sie ließen den Tisch (von dem Diener) abräumen. Er ließ den Wagen (von einem Fachmann) reparieren. Sie ließ sich die Wäsche (von der Reinigung) bügeln.

Bis jetzt wurde nicht erklärt, wodurch diese unterschiedlichen Passivierungsregeln bedingt sind. Bei nicht-kausativem lassen ist die fehlende Passivierbarkeit der AcI-Phrase wohl darauf zurückzuführen, daß sie kein Agens enthält. Da nicht-kausatives lassen fast nur mit Zustandsverben vorkommt (stehen, sitzen, liegen) und mit Verben ohne agentisches Subjekt wie laufen

ist es nicht notwendig, zu erklären, warum Passiv hier nicht möglich ist. Dagegen

kann die nicht-agentische Akkusativ-NP zum Subjekt befördert werden, da sie Patienszüge trägt. Es stellt sich noch die Frage, warum die Akkusativ-NP bei kausativem lassen nicht zum Subjekt werden kann. Auch hier ist eine thematische Steuerung möglich. Bei Passivierung wird in der Regel eine Agens-Phrase aus ihrer Subjektsposition entfernt und eine andere Ein Passivauxiliar kann in den AcI-Konstruktionen nicht auftreten. Eine Ausnahme bilden lediglich die AcI-Konstruktionen zu dem sogenannten "auktorialen" lassen: Der Autor ließ die Gefangenen getötet werden. In der transitiven Verwendung dieses Verbs ist das Subjekt agentisch. Passivierung innerhalb der Acl-Phrase ist dann möglich: Der Verein ließ die 800 m von seinem besten Sportler laufen.

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Konstituente wird in diese Position angehoben. Da die Akkusativ-NP in AcI-Konstruktionen nach kausativem lassen ein Agens bezeichnet, kann sie bei Passivierung nicht zum Subjekt befördert werden. Außerdem ist kausatives lassen stärker auxiliarisiert, verfügt über kein gePartizip und kann daher ohnehin kein Passiv bilden. Die Passivierung innerhalb der AcI-Konstruktion bei kausativem lassen ist auf jeden Fall kein Grund dafür, hier eine Satzstruktur anzunehmen. Passivierung kann nicht auf Sätze beschränkt werden. Passivische von-Phrasen kommen auch als Ergänzung zu attributiven Partizipien vor und es wäre auch hier keine günstige Lösung, diese aus Sätzen abzuleiten. (134)

die von den Soldaten getöteten Bauern die vom Wind verwehten Blätter die von den Wächtern laufengelassenen Gefangenen.

Wie die Regeln für Passivierung exakt zu formulieren sind, muß hier offen bleiben. Die Beispiele in (134) zeigen jedenfalls, daß Passiv nicht auf Sätze beschränkt ist. In diesem Abschnitt wurde gezeigt, daß sich kausatives und nicht-kausatives lassen unterschiedlich verhalten. Hinsichtlich Prefektbildung, Verbumstellung und Passivierbarkeit verhält sich kausatives lassen stärker modalverbhaft als nicht-kausatives lassen. Die AcI-Verben teilen die Eigenschaften der Mdoalverben also in unterschiedlichem Maß. Die Ergebnisse lassen sich in folgender Skala der "Modalverbhaftigkeit" zusammenfassen: Modalverben - kausatives lassen - nicht-kausatives lassen - Verba sentiendi

3.2.3 Acl-ihnliche Konstruktionen Nach einigen Verba sentiendi, die ein subjektives Gefühl bezeichnen, können Acl-ähnliche Konstruktionen auftreten. Im Gegensatz zu den AcI-Konstruktionen ist das Objektsprädikat hier kein infinites Verb, sondern ein Adjektiv, ein Partizip oder eine PP. Ein Kopulaverb kann nicht auftreten. (135) (136) (137) (138)

Da er sich beobachtet wähnte, suchte der Goldfisch ein anderes Glas. Er wollte diese Zeugnisse des intimen Lebens zerrissen wissen. Mit Ladendieben klassenweise sah sich die Polizei in Schwangau konfrontiert. Sie sähe ihre Kinder lieber erfolgreich.

Ebert (1976:126) vermerkt, daß im Frühneuhochdeutschen Adjektive und infinite Kopulaverben als AcI-Konstruktionen auftreten konnten. Wegen der Einengung der AcI-Konstruktionen auf Vorgänge ist dies heute nicht mehr möglich. Das zeigt, daß die hier interessierenden Konstruktionen den gleichen historischen Ursprung haben wie die AcI-Konstruktionen.

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Diese Konstruktionen weisen parallele Eigenschaften zu Acl-Konstruktionen auf. Wie bei den AcI-Konstruktionen ist auch hier das Objektsprädikat nicht getrennt negierbar. (139)

Er weiß sie nicht in Sicherheil. \ Er weiß, daß sie nicht in Sicherheit ist. Jf Er weiß nicht, daß sie in Sicherheit ist.

(140)

Sie fühlt sich nicht gesund. + Sie fühlt, daß sie nicht gesund ist. + Sie fühlt nicht, daß/ob sie gesund ist.

Weder eine Paraphrase mit negiertem Verb noch eine mit negiertem Objektsprädikat kann den Sinn von (139) und (140) genau wiedergeben. Sich gesund fühlen und jdn. in Sicherheit wissen werden als Gesamtheit negiert, wobei es offenbleibt, ob die Wahrnehmung mit der Realität übereinstimmt oder nicht. Dies spricht dafür, daß auch hier das Objektsprädikat zusammen mit dem Verb einen Prädikatskomplex bildet. Das Besondere dieser Konstruktionen ist, daß die Wahrnehmung und das Wahrgenommene als Einheit wiedergegeben werden, das Wahrgenommene besitzt also keine von dem Gefühl unabhängige Existenz in der Realität. Diese Konstruktion tritt auch mit dem Verb sich zeigen auf, das zwar kein Verb der subjektiven Wahrnehmung ist, die angeschlossene Acl-ähnliche Konstruktion bezeichnet aber etwas, das von anderen wahrgenommen wird. (141)

Er zeigte sich stets aufgeschlossen und hilfsbereit.

Im Gegensatz zu einem daß-Satz gibt die Komplementkonstruktion auch hier ihre Proposition weniger faktisch, weniger als Tatsache denn als subjektive Wahrnehmung, die auch täuschen kann. Sie ist eins mit der vom Verb bezeichneten Handlung und besitzt keine davon unabhängige Existenz in der Realität. Wie bei kausativem lassen kann auch in diesen Konstruktionen Passivierung stattfinden. Das ursprüngliche "Subjekt" kann dabei als von-/durch-Phrzse etc. realisiert sein. (142) (143) (144)

Sie sahen sich eines besseren belehrt. Der Landesbischof sieht die Christen durch Aids herausgefordert, neu über den Stellenwert der Gebote Gottes in ihrem Leben nachzudenken. Er fühlte sich von allen im Stich gelassen.

Schon bei den /assen-Konstruktionen wurde darauf hingewiesen, daß die Möglichkeit eines passivischen Objektsprädikats nicht voraussetzt, daß ein Satz zugrundeliegt. Partizipien im Perfekt haben oft passivische Bedeutung und können auch in adnominaler Verwendung mit von-/