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German Pages 386 [387] Year 2010
BEIHEFTE ZUR ZEITSCHRIFT FÜR ROMANISCHE PHILOLOGIE BEGRÜNDET VON GUSTAV GRÖBER HERAUSGEGEBEN VON GÜNTER HOLTUS
Band 355
CHRISTIANE MAASS
Diskursdeixis im Französischen Eine korpusbasierte Studie zu Semantik und Pragmatik diskursdeiktischer Verweise
De Gruyter
*HGUXFNWPLW+LOIHGHU*HVFKZLVWHU%RHKULQJHU,QJHOKHLP6WLIWXQJIU*HLVWHVZLVVHQVFKDIWHQ LQ,QJHOKHLPDP5KHLQXQGGHU.XUW5LQJJHU6WLIWXQJ0DLQ]
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Der letzte Satz in diesem Beispiel (Le deuxième résultat que nous démontrons dans cet article est que cette dernière situation est la pire qui puisse arriver) enthält drei unterschiedliche diskursdeiktische Verweise, die nachfolgend im Einzelnen vorgestellt und anhand derer die unterschiedlichen Verweistypen erläutert werden. Bei diskursdeiktischer Referenz muss zunächst zwischen zwei grundlegenden Verweismöglichkeiten unterschieden werden (cf. die Übersicht in Abbildung 5): Einerseits kann der Diskurs als Ganzer zum Referenten eines diskursdeiktischen Verweisaktes gemacht werden. In diesem Falle handelt es sich um den Verweistyp «Diskursaktualisierung» (1). Dies geschieht in Beispiel (15) durch dans cet article, das sich auf den Gesamttext des dem Leser im Augenblick der Rezeption dieses deiktischen Tokens vor Augen liegenden wissenschaftlichen Fachaufsatzes bezieht. In 1.5 Mentale Räume hatte ich dargelegt, dass sich Fauconniers Theorie der mentalen Räume dazu eignet, das Funktionieren diskursdeiktischer Verweise zu beschreiben, ohne Diskursdeixis als abgeleiteten Fall von Situationsdeixis darzustellen. Diskursdeiktische Wendungen fungieren dabei als space builder: Mit einer diskursdeiktischen Wendung wird ein mentaler Raum im laufenden Diskurs eröffnet. Den Verweistyp «Diskursaktualisierung» kann man folglich unter Rückgriff auf die Theorie der mentalen Räume so beschreiben: Ein diskursaktualisierender Verweis stellt eine Instruktion an den Leser bzw. Hörer dar, einen mentalen Raum zu bilden, der den laufenden Diskurs in seiner Gesamtheit enthält und innerhalb dessen dann weitere Verweise möglich sind. Dans cet article etwa eröffnet einen Verweisraum im Inneren des Textes, den der Leser in den Händen hält. In mündlicher face-to-face-Interaktion ist ein solcher Diskursraum über den R-Raum27 der unmittelbaren Äußerungssituation zugänglich. In schriftlichen Texten wird durch die lokal-temporale Zerdehnung von Abfassungs- und Rezeptionssituation ein weiterer mentaler Raum konzipiert, in dem entweder produzenten- oder rezipientenorientiert eine fiktive face-to-face-Situation konzipiert wird, von der aus dann wiederum der Diskurs in seiner Gesamtheit als weiterer mentaler Raum etabliert wird. Neben Verweisen auf das Diskursganze kann auch im Inneren eines Diskurses verwiesen werden. Dieser Fall wird hier als «Diskursbinnenreferenz» bezeichnet, wobei zwei Grundtypen diskursdeiktischer Verweise unterschieden werden können: die «Positionsbestimmung» (2) und die «Komplexbildung» (3). Letztere wiederum unterteilt sich in zwei Subtypen: «Inkapsulation» (a) und «Aufzählung» (b). Ein Fall von Positionsbestimmung findet sich ganz am Anfang des oben zitierten Satzes aus Beispiel (15): Le deuxième résultat que nous démontrons […]. Damit wird auf eine Stelle im laufenden Diskurs verwiesen, die sich nach dem Äußerungszeitpunkt befindet; ein derartiger Verweis wird als katadeiktisch bezeichnet.28 Auffällig ist dabei, dass der intendierte Referent weit vom deiktischen Zentrum, d.h. dem Token der diskursdeiktischen Wendung, entfernt ist und dass die Position
27 28
Zur Terminologie cf. 1.5 Mentale Räume. Zur Unterscheidung von Ana- und Katadeixis cf. meine Ausführungen weiter unten in 2.2.4 ‘Autodeiktisch’ vs. ‘heterodeiktisch’ und ‘anadeiktisch’ vs. ‘katadeiktisch’.
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des Referenten nur vage angegeben ist. Dennoch ist der Zeigakt erfolgreich. Die Ankündigung des Referenten ist verbindlich, der Hörer kann den angekündigten Referenten an gegebener Stelle einfordern. Die Nichteinlösung des Versprechens, den angekündigten Referenten anzugeben, bedarf einer expliziten Erklärung bzw. kann vom Hörer oder Leser mit Sanktionen belegt werden. Häufig stehen solche katadeiktischen Verweise mit diskursdeiktischem Futur. Dass dies jedoch nicht nötig ist, zeigt Beispiel (15), das mit présent steht.29 Es kann auch auf Stellen vor dem Äußerungszeitpunkt verwiesen werden; diese Verweise werden «anadeiktisch» genannt, es handelt sich also um Verweise auf vorangegangene Diskursteile. Sie treten durch alle hier untersuchten Korpora hinweg häufiger auf als katadeiktische Verweise, d.h. Verweise auf nachfolgende Diskursteile. Beispiel (16) enthält einen anadeiktischen Verweis, also einen Verweis auf einen zurückliegenden Diskursteil: (16) M. le président: Madame Luc, vous vous êtes suffisamment exprimée ce matin {TP} {FA} pour que l’on connaisse votre point de vue! Vous abusez de ma faiblesse à votre égard! (Sourires .) (Sénat)
Ce matin umfasst den gesamten bislang abgelaufenen Diskurs mit Ausnahme des gegenwärtigen Zeitpunktes, denn ein erneutes Eingehen auf die bereits während des Vormittags mehrfach verhandelte Frage wird Senatorin Hélène Luc verwehrt. Der Verweis bleibt wiederum vage, es handelt sich um einen summarischen Verweis auf mehrere Stellen im vorangegangenen Diskurs, nämlich die unterschiedlichen Zeitpunkte, an denen das Thema in der Debatte verhandelt wurde und die bis auf die Tatsache, dass sie vor dem Äußerungszeitpunkt liegen, nicht näher bestimmt werden. Auch dieser Verweistyp kann mit der Theorie der mentalen Räume beschrieben werden: Die diskursdeiktische Wendung ist eine Anweisung an den Leser bzw. Hörer, von der aktuellen Leseposition bzw. vom Äußerungszeitpunkt aus eine andere Stelle im gleichen Diskurs zu fokussieren. Diese andere Stelle wird als lokal oder temporal definierter mentaler Raum aufgebaut, der etwa Argumente für die aktuelle Darstellung enthält. In mündlichen Diskursen erfolgt das grounding30 zum R-Raum hin, in schriftlichen wiederum hin zur produzenten- oder rezipientenorientierten fiktiven face-to-face-Situation. Der 3. Typ diskursdeiktischer Referenz, die Komplexbildung, tritt in zwei Subtypen auf: der Inkapsulation und der Aufzählung. Ein Inkapsulator ist ebenfalls in Beispiel (15) enthalten: Cette dernière situation. Damit werden die vorangegangenen Propositionen zu einem Komplex zusammengefasst und anschließend bewertet – hier durch die Einschätzung, dass das geschilderte Szenario den «worst case» darstellt: cette dernière situation est la pire qui puisse arriver. Durch die Komplexbildung werden die vorangegangenen Propositionen als Referent des dis-
29 30
Zu den diskursdeiktischen Tempora cf. 4.3.2 Diskursdeiktische Verwendung der Tempora. Zum Begriff des grounding im Zusammenhang mit der Theorie der mentalen Räume cf. ebenfalls 1.5 Mentale Räume.
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kursdeiktischen Verweises zugänglich. Die diskursdeiktische Wendung verlässt die Ebene der konsekutiven Abfolge der Propositionen und metaiert diese, indem eine Rückwendung auf den vorangegangenen Diskursteil sowie eine Zusammenfassung desselben erfolgen. Der neu entstandene Referent, der aus den vorangegangenen Propositionen besteht, ist sodann in seiner Gesamtheit als Thema für eine neue Aussage zugänglich. Im Rahmen der Theorie der mentalen Räume kann man den diskursdeiktischen Verweistyp «Komplexbildung» (3) so beschreiben: An der aktuellen Leseposition erfolgt über eine diskursdeiktische Wendung eine Metaierung des Diskursflusses, wobei die Position des diskursdeiktischen Tokens zu einem anderen mentalen Raum gehört als die metaierte/n Proposition/en, denn es werden in diesem mentalen Raum innerdiskursiv Einschätzungen oder Charakterisierungen der berichteten Ereignisse abgegeben. Von diesem Raum aus ist ein Text-Raum zugänglich (d.h. der ablaufende Diskurs), der bereits Vorgebrachtes oder unmittelbar Nachfolgendes enthält. Es werden somit drei Referenztypen unterschieden. Zunächst auf der globalen Ebene des Diskurses die (1) «Diskursaktualisierung» und dann auf der Ebene der Diskursbinnenreferenz die (2) «Positionsbestimmung» und die (3) «Komplexbildung». Dabei können dieselben Deiktika in unterschiedlichen Verweistypen erscheinen, wie in den folgenden Beispielen für das Deiktikon ici belegt wird. Ici kann in einer Diskursaktualisierung stehen, wie etwa im Beispiel (17), wo mit ici der Gesamttext bezeichnet wird, der die Studie der beiden Autoren enthält: (17) Plus exactement, le travail présenté ici {TD} {FV} recourt à l’emploi d’outils d’analyse stylistique pour dégager les caractéristiques des apprenants, selon leur niveau, et les distinguer des locuteurs natifs. (Science-ALSIC)
Ici kann aber auch in einer Positionsbestimmung stehen, wie in Beispiel (18), wo an die Formeln im Text eine Fußnote angefügt wird, in der nämliche Textstelle als Ort im laufenden Diskurs erläutert wird: (18) Par exemple, le générateur d’exercices lacunaires prend comme paramètres les étiquettes morphosyntaxiques utilisées dans l’encodage des textes {base=«er$», ctag=«verb», msd=«IndP SG P1»}.1 1Les
étiquettes d’encodage des textes sont rarement explicite ; elles indiquent ici {TP} {FV} qu’il s’agit d’un verbe à l’indicatif présent, première personne du singulier. (Science-ALSIC)
Schließlich kann ici in einer Komplexbildung stehen (auch wenn das eher die Ausnahme ist), wie im Beispiel (19), bei dem mit ici die vorangegangenen Propositionen zu einem Komplex zusammengefasst werden. Aus dem Blickwinkel der Volontäre bieten die im verhandelten Gesetzesentwurf vorgesehenen Rückkehrregelungen Anlass zu großer Sorge. Der Sprecher lädt die anderen Senatoren dazu ein, ‘hierbei’, also bei der «prise en compte du retour de mission des volontaires», einmal die Position der Betroffenen einzunehmen:
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(19) M. Robert Bret: Un autre grand sujet d’inquiétude concerne la prise en compte du retour de mission des volontaires, qui reste très insuffisante dans ce projet de loi. Il s’agit ici {TK} {FA} {I} de se placer essentiellement sous l’angle des volontaires, bien que les associations et l’Etat doivent jouer un rôle majeur à cet égard. (Sénat)
Das Deiktikon ici, das inventarseitig der Elator-Ebene zugehört, kann folglich in Exemplaren aller drei diskursdeiktischen Verweistypen auftreten.31 Das betrifft auch die anderen Deiktika, denn sie stehen im Wesentlichen für mehr als einen Verweistyp zur Verfügung. 2.2.3
Die Funktionen diskursdeiktischer Referenz
Funktionen diskursdeiktischer Referenz
(1) Verständnissicherung
(2) Referentenstrukturierung
(3) Argumentationsstützung
Abbildung 6: Funktionen diskursdeiktischer Referenz
Die dritte Klassifikationsebene betrifft die Funktionen diskursdeiktischer Referenz. Es können wiederum drei mögliche Funktionen unterschieden werden: (1) (2) (3)
Die Funktion der Verständnissicherung, die Funktion der Referentenstrukturierung sowie die Argumentationsstützung.
Zu (1) Verständnissicherung: Diskursdeiktische Wendungen stellen Salienz her. Darum sind sie geeignet, unter mehreren potentiellen Referenten den intendierten herauszustellen. Diese Funktion wird als «Verständnissicherung» bezeichnet. Sie
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Seine Polyvalenz wird weiter unterstrichen durch die Tatsache, dass es auch mit unterschiedlichen diskursdeiktischen Tempora verwendet werden kann, mit présent: Nous rappelons ici {TP} {FA} (Science-Mathématique), mit futur: Nous n’indiquerons {TP} {FA} ici {TD} {FV} que (Science-Mathématique), mit passé composé: nous nous sommes limités ici {TD} {FA} à une décomposition (Science-ALSIC).
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ist für schriftliche und distanzsprachliche Kontexte typisch. Ihr Anteil an den diskursdeiktischen Verweisen im Korpus Oral ist dagegen eher gering. (20) De même si on imagine une distribution uniforme d’électrons (densité 1) superposée à des ions fixes (de densité 1 également), et si on bouge brutalement une partie des électrons, ces derniers {TP} {FV} vont se mettre à osciller autour de leur position antérieure avec une fréquence İ-1/2 tout en créant un champ électrique d’ordre İ-1/2. (Science-Mathématique)
Hier stehen potentiell mehrere Referenten zur Verfügung, nämlich électrons in distribution uniforme d’électrons (densite 1), ions fixes und das intendierte électrons in une partie des éléctrons. Der Autor entschied sich für eine diskursdeiktische Wendung statt einer anaphorischen Wiederaufnahme, da der intendierte Referent für eine Anapher nicht ausreichend salient ist. Vor allem in wissenschaftlichen Texten werden in solchen Fällen diskursdeiktische Mittel vor anaphorischen bevorzugt, selbst wenn ein anderer Referent – wie dies auch hier der Fall ist – nicht sinnvoll angenommen werden kann. Das ist insbesondere der Fall, wenn der intendierte Referent nicht in Subjekt- oder Objektposition im Satz steht, sondern in einer Präpositionalphrase, hier z.B. mit präpositionalem Genitiv. Durch den diskursdeiktischen Verweis wird das Verständnis gesichert, d.h. es wird sichergestellt, dass der Rezipient den richtigen Referenten identifiziert. Zu (2) Referentenstrukturierung: Diskursdeixis wird zur Referentenstrukturierung eingesetzt, wenn die Oberflächenstruktur des Diskurses beschrieben wird, ohne dass argumentativ darauf Bezug genommen würde. Diese Form kommt ebenfalls häufig in wissenschaftlichen Publikationen vor, beispielsweise in Einleitungen, wo die Oberflächenstruktur des textuellen Referenten – beispielsweise seine Gliederung in Teile, Kapitel, Teilkapitel o.ä. – beschrieben wird. Dies ist etwa im folgenden Beispiel der Fall: (21) L’article est divisé en trois parties {TK} {FR} {A}, la première présente l’analyse sémantique latente, son fonctionnement et ses utilisations. La seconde partie présente Rafales, son architecture et son fonctionnement. Enfin la dernière partie présente les résultats de l’expérimentation du prototype auprès d’apprenants ainsi que les raisons qui nous ont poussées à utiliser cette analyse dans Rafales. (ScienceALSIC)
In diesem Beispiel wird eine Dreiteilung des Aufsatzes angekündigt; Referent der diskursdeiktischen Wendung divisé en trois parties ist die unmittelbar folgende Erläuterung dieser Dreiteilung. Würde diese Erläuterung nicht folgen, d.h. würde der erste Teilsatz L’article est divisé en trois parties, mit Punkt abschließen, so würde man ihn als defektiv empfinden; der erste Teilsatz enthält also eine Anweisung an den Leser, einen mehrteiligen textuellen Referenten zu suchen. Zu (3) Argumentationsstützung: Diese dritte Funktion diskursdeiktischer Verweise dient dazu, die Argumentation zum Äußerungszeitpunkt mit solchen Argumenten abzustützen, die in einem anderen Diskursteil des laufenden Diskurses erscheinen. Dieser Diskursteil kann sich vor oder nach dem Äußerungszeitpunkt befinden. Befindet er sich vor dem Äußerungszeitpunkt (anadeiktischer Verweis), 85
so kann sich der Sprecher oder Autor auf die vorgebrachten Propositionen als bereits im Diskurs verankerte und akzeptierte Argumente berufen. Mit argumentativen Verweisen auf Diskursteile, die sich nach dem Äußerungszeitpunkt befinden (katadeiktischer Verweis), wird die Begründungsverpflichtung des Autors bzw. Sprechers zunächst aufgeschoben. Der Hörer / Leser wird damit aufgefordert, seine definitive Urteilsbildung auszusetzen, bis ihm die Argumente im späteren Diskursteil vorliegen. Im folgenden Beispiel (22) wird eine Äußerung durch Verweis auf den vorangegangenen Abschnitt gerechtfertigt. Der Begründungsverpflichtung des Autors ist dann Genüge getan, wenn der Leser den dort vorgebrachten Argumenten zuvor zugestimmt hatte: (22) Les hypothèses de monotonie sont naturelles au vue du paragraphe précédent {TP} {FA}. (Science-Mathématique).
Alle drei Funktionen können mit den unterschiedlichen diskursdeiktischen Verweistypen umgesetzt werden (Typ-Funktion-Kombinationen). Die Referentenstrukturierung im Beispiel (21) wird mit einer Aufzählung, d.h. mit einem Verweis vom Typ «Komplexbildung» umgesetzt. Die Verständnissicherung im Beispiel (20) erfolgt, ebenso wie der argumentative Verweis in Beispiel (22), mit einer Positionsbestimmung. Die einzige Kombination, die in den Korpora nicht vorkommt, ist die von Referentenstrukturierung und Diskursaktualisierung. Der Grund hierfür ist, dass der Referent durch eine Diskursaktualisierung gerade in seiner Gesamtheit aufgerufen und eben nicht in seiner internen Struktur erläutert wird. Mithin ergibt sich die folgende Verschränkung von diskursdeiktischen Verweistypen und -funktionen, die auch sämtlich in den Korpora belegt sind, wenn auch in unterschiedlicher quantitativer Präsenz: Typen DD Referenz
Funktionen diskursdeiktischer Referenz
Diskursaktualisierung
Positionsbestimmung
Komplexbildung
Referentenstrukturierung
–
✓
✓
Verständnissicherung
✓
✓
✓
Argumentation
✓
✓
✓
Tabelle 4: Diskursdeiktische Verweistypen und -funktionen im Korpus
Für die Korpusauswertung habe ich alle diskursdeiktischen Verweise nach Typen und Funktionen indiziert. In Folge konnten dann mit einem Konkordanzprogramm die unterschiedlichen Analyseebenen angewählt und auch kombiniert werden: So konnte nach typischen Realisationsformen (Analyseebene «Elator») wie etwa c’est86
à-dire oder ce dernier gesucht werden; es konnten aber auch die einzelnen Typen bzw. alle Typen korpussensitiv oder -übergreifend erfasst werden. Gleiches gilt für die Funktionen und schließlich die Typ-Funktion-Kombinationen. So ergab sich ein differenziertes Bild der diskursdeiktischen Verweise in den Korpora, das auch die Abhängigkeit dieser Verweise von der Textsorte deutlich machte. Die Beschreibungsmöglichkeiten seien an einem Beispiel aufgezeigt: (23) L’analyse de la sémantique latente se fait en deux étapes {TK} {FR} {A}. Dans un premier temps, la matrice d’occurrences est construite. Il s’agit d’une matrice dont les lignes représentent les unités textuelles (l’unité généralement utilisée est le paragraphe) et les colonnes les graphèmes. L’élément (i,j) de la matrice correspond ainsi au nombre d’occurrences du graphème j dans le paragraphe i. L’étape suivante consiste à réduire ces dimensions à environ 200. (Science-ALSIC)
Es handelt sich hier um einen Fall diskursdeiktischer Komplexbildung (Subtyp «Aufzählung») mit referentenstrukturierender Funktion, der im Elator wie folgt umgesetzt ist: – Einleitende Wendung: Numeral (Kardinal) plus Diskursteil benennendes Nomen; – Referent: ebenfalls diskursdeiktisch strukturiert durch Numeral (Ordinal) und im zweiten Referententeil durch das diskursdeiktische Lexem suivant sowie durch die Wiederaufnahme des den Diskursteil benennenden Nomens aus der einleitenden Wendung. Die Analyse mit dem Konkordanzprogramm hat darüber hinaus ergeben, dass diese Typ-Funktion-Kombination (speziell mit dem Subtyp «Aufzählung») im Korpus mit 97 Tokens belegt ist, davon 62 im Korpus Science, 18 im Korpus Sénat, 13 im Korpus LeMonde und nur 4 im Korpus Oral. Hier deutet sich eine textsortenspezifische Ausdifferenzierung an. 2.2.4
«Autodeiktisch» vs. «heterodeiktisch» und «anadeiktisch» vs. «katadeiktisch»
Diskursdeiktische Verweise können autodeiktisch oder heterodeiktisch angelegt sein. Diese Unterscheidung ist in der Literatur etabliert (cf. etwa Sitta 1991, Lenz 1997, 2007 oder Psarudakis 2001), wird in der vorliegenden Studie jedoch in etwas anderem Sinne ausgelegt: Mit «Autodeixis» werden – in meiner Studie und auch bei den genannten Autoren – origoinklusive (bzw. proximale), mit «Heterodeixis» origoexklusive (bzw. distale) Verweise bezeichnet. Dabei wird jedoch meist der Blickpunkt auf die lokale Dimension gelegt. In der vorliegenden Studie steht dagegen die personale Dimension im Mittelpunkt: Referiert der Sprecher auf sich selbst, d.h. auf das ego der Origo, so handelt es sich im engeren Sinne um einen origoinklusiven Verweis. Referiert er auf den Gesprächspartner (bzw. auf dessen Gesprächsbeiträge) und damit auf das tu der Gesprächssituation, so handelt es sich um einen origoexklusiven Verweis. Darum verwende ich diese Begriffe für diskursdeiktische Verweise in dialogischen Diskursen: Mit autodeiktischen Verweisen 87
referiert ein Sprecher auf einen eigenen Redebeitrag, während mit heterodeiktischen Verweisen auf Redebeiträge anderer Diskursteilnehmer verwiesen wird. Der eigene Redebeitrag kann dabei schon länger zurückliegen. D.h. in temporaler bzw. lokaler Hinsicht – bezüglich der hic- und nunc-Koordinaten der Origo – handelt es sich nicht um einen proximalen Verweis. Mit Blick auf die personale Dimension bleiben solche lokalen oder temporalen Fernbereichsverweise jedoch origoinklusiv bzw. proximal, wenn der Sprecher auf eigene Redebeiträge referiert. Parallel zur Unterscheidung von «Anaphorik» vs. «Kataphorik» hat sich die Unterscheidung von «Anadeixis» vs. «Katadeixis» etabliert,32 die in dieser Studie aufgegriffen wird. Als «anadeiktisch» haben solche Verweise zu gelten, die im Diskursraum auf bereits Vorgebrachtes referieren. «Katadeiktisch» sind dagegen Verweise, die auf nachfolgende Diskursteile referieren. Dabei ist eine Parallele zu situationsdeiktischen Verweisen zu sehen: Im Regelfall befinden sich die Gegenstände, auf die deiktisch verwiesen wird, bereits im Perzeptionsfeld der Gesprächsteilnehmer. Durch den deiktischen Verweis wird dann ein Gegenstand herausgehoben, der vorher schon sichtbar, aber noch nicht salient war. Deiktische Verweise in Texten funktionieren ähnlich: Es wird eine Reihe von Propositionen geäußert, dann erfolgt ein diskursdeiktischer Verweis, der eine Proposition oder eine Gruppe von Propositionen als Referenten heraushebt, also in Form eines Verweises auf bereits Geäußertes, eines Rückverweises. Andererseits besteht auch die Möglichkeit der besonderen Aufmerksamkeitslenkung. So kann in einer Gesprächssituation unter Äußerung eines situationsdeiktischen Verweises ein neuer Gegenstand ins Perzeptionsfeld der Gesprächspartner gebracht werden, der vorher noch nicht sichtbar war (ein Gegenstand wird unter begleitendem schau hier! bzw. regarde cela! hervorgeholt). Die deiktische Formel evoziert hier, dass ein Referent zu erwarten ist. Ist dieser noch nicht sichtbar, so wird die Aufmerksamkeit des Hörers entsprechend konditioniert: Er erwartet die Präsentation eines bisher noch nicht sichtbaren Gegenstandes. Auch in diskursdeiktischen Verweisen können Vorverweise zur Aufmerksamkeitslenkung eingesetzt werden. Sie treten häufig in Reliefstrukturen auf und sind rhetorische Mittel, die die Kenntnis der prototypischen Situation voraussetzen. Nicht alle Verweistypen öffnen sich gleichermaßen der Klassifikation nach Verweisrichtungen. So haben Diskursaktualisierungen genau genommen gar keine Verweisrichtung, da sie auf den gesamten Diskurs referieren, einschließlich der diskursdeiktischen Wendung, die ja selbst Teil des Diskurses ist. Es lässt sich jedoch speziell bei Diskursaktualisierungen in Einführungen zu wissenschaftlichen Texten beobachten, dass sie oft unmittelbar mit einem katadeiktischen Positionsverweis verbunden sind, wie etwa im folgenden Beispiel, wo an die Diskursaktualisierungen unmittelbar ein Verweis mit diskursdeiktischem Futur anschließt:
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Cf. u.a. Ahrenholz (2007), Ehlich (1987; 2007, 169), Zifonun (1997), Graefen (1997), Thurmair (2001).
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(24) Dans cet exposé {TD} {FV} nous allons considérer {TP} {FA} le modèle de Nelson confiné […] (Science-Mathématique)
Hier wird zunächst der gesamte Text aktualisiert, die eigentliche Beweisführung liegt aber von der diskursdeiktischen Wendung aus gesehen im folgenden Textteil. Dennoch ist die Diskursaktualisierung selbst gegen eine Zuordnung zur Ana- bzw. Katadeixis immun. Positionsbestimmungen können gleichermaßen anadeiktisch und katadeiktisch verweisen. In konzeptionell mündlichen Kontexten treten anadeiktische Verweise häufiger auf als katadeiktische, was sich durch die Flüchtigkeit und geringere Planbarkeit konzeptionell mündlicher im Gegensatz zu konzeptionell schriftlicher Rede begründet. Das Korpus Sénat nimmt hier allerdings eine Sonderstellung ein, weil die Planbarkeit durch Tagesordnung und Rednerlisten besonders hoch ist. Entsprechend häufig treten katadeiktische Verweise auf. In dialogischen Texten ist zu beobachten, dass autodeiktische Verweise eher als heterodeiktische Verweise beiden Verweisrichtungen offen stehen. Man kann autodeiktisch auf bereits vorgebrachte eigene Diskursbeiträge verweisen, aber auch ankündigen, dass man die entsprechenden Argumente noch «nachliefern» wird. Heterodeiktische Verweise werden hauptsächlich dazu eingesetzt, auf Äußerungen der Gesprächspartner im vorangegangenen Text zu verweisen. Voraussagen über künftige Aussagen der Gesprächspartner sind naturgemäß nur begrenzt möglich. Durch Kombination von Deiktika unterschiedlicher Dimensionen können bisweilen in ein und demselben diskursdeiktischen Verweis unterschiedliche Verweisrichtungen enthalten sein, wie das folgende Beispiel belegt: (25) M. Michel Mercier: […] Nous l’avons dit {TP} {FA}: il n’était pas juste de modifier l’allocation spécifique de solidarité (Sénat)
Es handelt sich bei nous l’avons dit um einen autodeiktischen Verweis, wobei das Tempus anadeiktisch auf einen vorangegangenen Teil des Diskurses verweist, während der Inkapsulator le katadeiktisch auf den unmittelbar folgenden Redeteil verweist, in dem die entsprechende Äußerung wiederholt wird. Das Beispiel belegt überdies die Möglichkeit, mit diskursdeiktischer Inkapsulation katadeiktisch zu verweisen. In den Korpora sind jedoch nur wenige entsprechende Beispiele enthalten. Die reguläre Verweisrichtung einer Inkapsulation ist die anadeiktische. Dagegen sind Aufzählungen katadeiktisch. Die beiden Arten der Komplexbildungen (Inkapsulation und Aufzählung) weisen folglich mit Blick auf die Verweisrichtung eine jeweils unterschiedliche Ausrichtung auf.
2.3
Übergangsbereiche zu benachbarten Phänomenen
In den folgenden drei Unterkapiteln werden die Überschneidungsbereiche diskursdeiktischer Verweise mit benachbarten Phänomenen beleuchtet. Diskursdeiktische Verweise, aber auch Anaphern, Diskursmarker und Satzkonnektoren sind kohäsive 89
Mittel, die die Kohärenz eines Textes bzw. seine diskursive Struktur an der Textoberfläche sichtbar machen. Hinzu kommt, dass es sich bei allen vier Phänomenen um funktionelle Kategorien handelt, wobei sich das bei ihrer Umsetzung verwendete sprachliche Inventar in großen Bereichen überschneidet. Deiktika können anaphorisch und diskursdeiktisch eingesetzt werden;33 ein Großteil der Diskursmarker und Satzkonnektoren ist deiktischen Ursprungs und ein Teil überdies polyfunktional. So kann voilà, neben seiner Lesart als Diskursmarker, auch als Präsentativ im Modus der Situationsdeixis verwendet werden sowie als Inkapsulator im Modus der Diskursdeixis. In letzterem Falle kann voilà eine zusätzliche Lesart als Diskursmarker aufweisen. 2.3.1
Diskursdeixis und Anaphorik (direkte / assoziative)
Zunächst soll auf den Überschneidungsbereich zwischen Diskursdeixis und Anaphorik eingegangen werden. Der typische Fall ist hier der Inkapsulator. In der Tat sind die Tokens mit doppelter (d.h. diskursdeiktischer und anaphorischer) Lesart in der Mehrzahl der Fälle Inkapsulatoren. Bei Positionsbestimmungen tritt im Korpus dieses Phänomen nicht auf. Es ist in den Korpora aber eine Reihe von Beispielen belegt, in denen Diskursaktualisierungen eine anaphorische Lesart aufweisen. Solche Lesartenüberschneidungen zwischen Diskursaktualisierungen und anaphorischen Verweisen sind auf die Korpora Sénat und Science beschränkt. Das verwundert nicht, da die anderen beiden Korpora, LeMonde und Oral, keine bzw. kaum Diskursaktualisierungen enthalten. Im Korpus Science finden sich Beispiele für eine Überschneidung von diskursaktualisierender und anaphorischer Lesart, wenn der wissenschaftliche Fachaufsatz in einem Text mehrfach aktualisiert wird. Dies ist etwa im folgenden Beispiel der Fall, wo der Diskurs zunächst mit dem Lokaladverb ici und kurz darauf noch einmal mit der Nominalphrase cette étude aktualisiert wird: (26) On ne donnera ici {TD} {FV} qu’une idée des démonstrations, qui s’inspirent en partie de [4] ; le lecteur intéressé par de plus amples détails pourra se référer à [16]. Enfin, on terminera cette étude {TD} {FV} par une petite digression numérique rendue possible par les calculs de Child concernant l’exemple de la bouteille de Champagne. (Science-Mathématique)
Dabei ist dieses Beispiel durchaus nicht typisch. Auch wenn in einem Text mehrere Diskursaktualisierungen vorliegen, so folgen sie doch meist nicht so dicht aufeinander wie in diesem Beispiel. Eine anaphorische Lesart ist hier grundsätzlich denkbar, da ein potentieller Antezedent zu cette étude ausgemacht werden kann (ici). Die diskursdeiktische Lesart bleibt dennoch intakt, weil der textuelle Referent
33
Diskursdeixis und Anaphorik sind, wie im ersten Kapitel dargestellt wurde, zwei unterschiedliche Zeigmodi, die sich der Deiktika der unterschiedlichen Dimensionen bedienen (cf. 1.7 Dimensionen und Modi – Überschneidung der Modi).
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nach wie vor im Blickfeld des Lesers steht und der Verweis stets auch direkt vom Deiktikon auf den Referenten geht (und nicht nur indirekt über den Antezedenten). Im Korpus Sénat ist dieser Fall noch häufiger, u.a. mit Verweisen auf cette question orale avec débat, ce document, ce projet de loi. Der Grund dafür liegt in der Spezifik des Korpus Sénat, das eine Äußerungssituation aufweist, in der von den Gesprächsteilnehmern mehr als ein unterschiedlicher diskursiver Referent gewählt werden kann: Einerseits kann auf die aktuelle Senatssitzung oder einen Teil von ihr (z.B. einen Tagesordnungspunkt) referiert werden, andererseits auf schriftliche Texte wie Gesetzesentwürfe und Änderungsanträge, die in dieser Debatte verhandelt werden.34 Zur Sicherung des Verständnisses ruft der Sprecher den Diskurs explizit auf, der in seinem Redebeitrag thematisiert wird. Wird über einen Projektentwurf debattiert, so kann man argumentieren, dass er im Diskurs bereits salient ist. Ein Aufrufen von ce projet de loi wäre damit anaphorisch. Andererseits gibt es keinen unmittelbaren Antezedenten im Text und es stehen, wie eben bereits ausgeführt, auch mehrere diskursive Referenten zur Verfügung. Insofern ist die reguläre Lesart solcher Wendungen diskursdeiktisch. In einigen Fällen ist jedoch auch eine anaphorische Lesart möglich, etwa weil ein Vorredner einen Ausdruck verwendet hat, der als Antezedent bzw. Anker einer Wendung wie ce projet de loi interpretiert werden kann. In diesem Falle liegt auch hier eine Lesartendopplung vor, die dem Übergangsbereich zwischen Diskursaktualisierung und Anaphorik zuzurechnen ist. In der überwiegenden Zahl der Beispiele für solche Lesartenüberschneidungen handelt es sich jedoch um Inkapsulatoren. Was am Inkapsulator ist deiktisch und was ist anaphorisch? In einem domänenbezogenen Ansatz, wie er etwa von Schwarz (2000, 2007) und Consten (2004)35 vertreten wird, handelt es sich bei einem Inkapsulator um eine Anapher. Der Unterschied zwischen deiktischen und anaphorischen Verweisen wird über die Verweisdomäne definiert: Verweist ein indexikalischer Ausdruck auf ein textuelles Objekt, so handelt es sich um einen anaphorischen Verweis, verweist er auf ein Objekt in der außersprachlichen Realität, so handelt es sich um einen deiktischen Verweis. Dabei lassen einige dieser Autoren36 durchaus zu, dass sich die anaphorische und die deiktische Lesart überschneiden können. Ein Inkapsulator verweist auf Propositionen im vorangegangenen (oder nachfolgenden) Text und ist schon aus diesem Grund ein anaphorischer Verweis.
34 35
36
Detailliertere Ausführungen dazu finden sich in 7.4.3 Diskursdeiktische Verweistypen und ihre Umsetzung im Elator im Korpus Sénat. Sowie Consten/Schwarz-Friesel (2008) und weiteren Publikationen dieser Autoren. Consten (2004) spricht von einem «phorischen» Ansatz, weil Anapher und Deixis danach unterschieden werden, wohin der Verweis «trägt»: «endophorisch», d.h. textintern = Anapher, «exophorisch», d.h. aus dem Text heraus = Deixis, cf. dazu 1.2 Verweisdomäne vs. Salienz. Cf. etwa Consten (2004), der konzediert, dass sich in einem gegebenen Kontext deiktische und anaphorische Lesart im selben Token eines indexikalischen Ausdrucks überschneiden können, und diese Erkenntnis systematisch in seinem Ansatz berücksichtigt, indem er ein Kontinuum zwischen deiktischem und anaphorischem «Pol» annimmt. Zum gleichen Ergebnis – wenn auch mit anderem theoretischen Hintergrund – gelangt Socka (2004). Cf. meine Rezensionen beider Monographien (Maaß 2004a und 2005).
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Die Unterschiede dieses Verweistyps zu anderen anaphorischen Verweisen sind damit innerhalb dieses Ansatzes nicht ohne weiteres darstellbar.37 Im Rahmen einer salienzzentrierten Unterscheidung zwischen Deixis und Anaphorik, wie sie hier vertreten wird, handelt es sich jedoch im Falle der Inkapsulatoren eindeutig um (diskurs-)deiktische Referenz, denn der Inkapsulator fasst einen Teil des vorangegangenen oder nachfolgenden Textes zu einem Referenten zusammen, der in dieser Form vorher nicht salient war. Eine Anapher bringt typischerweise zwei nominale Ausdrücke miteinander in Verbindung, wobei die Entschlüsselung einer solchen Anapher auf grammatischem und kontextuellem Wissen sowie auf Weltwissen beruht. Bei einem deiktischen Verweis wird ein (diskursdeiktischer) Ausdruck mit einem Wahrnehmungsinhalt38 in Einklang gebracht. Dieser Wahrnehmungsinhalt war vorher noch nicht als abgegrenzter Gegenstand zugriffsfähig, er wird erst durch den deiktischen Verweis als solcher erkennbar. Bei der Anapher ist der Ausdruck, der wieder aufgegriffen wird, dagegen bereits salient. Das gilt auch für assoziative Anaphern,39 etwa im folgenden fiktiven, oft zitierten Beispiel, das sich schon bei Isenberg (1971) findet (cf. dazu auch Webber 2005): (27) Gestern fand eine Hochzeit statt. Die Braut trug dabei ein langes weißes Kleid.
Die Frage ist, warum die Braut mit definiter Nominalphrase eingeführt werden kann. Isenberg spricht von einer «in Hochzeit enthaltene[n] […] implizite[n] Referenz», die Braut «explizit wieder auf[nimmt]» (Isenberg 1971, 162). In neueren kognitiven Ansätzen geht man von mentalen Schemata aus,40 die aktiviert werden und deren prototypische Bestandteile dann für den direkten Zugriff zugänglich sind. Im «Braut»-Beispiel wird das Schema «Hochzeit» durch den vorangegangenen Satz eingeführt und ist nun für Sprecher und Hörer salient. Alle prototypischen Bestandteile des Schemas gelten damit ebenfalls als salient, weshalb auf sie mit einer definiten Nominalphrase zugegriffen werden kann, obwohl sich für die definite NP die Braut im Vortext kein nominales Element als direkter Antezedent findet. Die Anapher ist darum indirekt (d.h. ohne nominalen Antezedenten) bzw. assoziativ (d.h. erschließbar durch weltwissenbasierte Assoziation zum Schema «Hochzeit»).
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40
Cf. meine Rezension Schwarz (2000) in Maaß (2003) und meine Ausführungen im 1. Kapitel dieser Arbeit. Wobei dieser Wahrnehmungsbegriff mit Blick auf die Diskursdeixis nicht vorrangig visuell gefasst ist. Andere gängige Termini sind hier «indirekte Anaphorik», «Kontiguitätsanaphorik» bzw. «antecedentless anaphora»/«anaphore sans antecédent». Der Terminus «indirekte Anaphorik» wurde 1987 von Erkü und Gundel eingeführt und erfreut sich – bei gleichzeitigem Fortbestehen des «klassischen» Terminus «assoziative Anaphorik» – in jüngeren Publikationen steigender Beliebtheit, cf. z.B. die Beiträge von Francis Cornish, z.B. Cornish (2001, 2007) sowie von Schwarz (2000). Cf. Consten (2004, 93ss.) und Schwarz (2000, 133ss.). Schwarz unterscheidet semantisch basierte, meronymie- und schemabasierte indirekte Anaphora, wobei das «Hochzeit»«Braut»-Beispiel den schemenbasierten zugeordnet wird.
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Bei einem Inkapsulator wird nicht auf ein bereits aktiviertes, salientes Schema zugegriffen, sondern es wird aus dem vorher Gesagten ein Komplex gebildet, der zum Referenten des diskursdeiktischen Verweises wird und vorher nicht in dieser Form zugriffsfähig war. Erst durch den diskursdeiktischen Verweis werden die Propositionen im Vortext als «Idee», als «Tatsache» oder als «Ungerechtigkeit» zugriffsfähig. Im Falle der assoziativen Anapher in Beispiel (27) war dagegen das Schema «Hochzeit» als solches schon aktiviert, die Aktivierung erfolgte nicht erst durch den anaphorischen Verweis mit der NP die Braut. Es ergeben sich dann Grenzfälle, bei denen nicht ganz eindeutig zu entscheiden ist, ob es sich um eine Anapher oder einen diskursdeiktischen Inkapsulator handelt. Dabei kann es sich einerseits um alternative Interpretationen handeln: (28) M. Pierre Laffitte: […] Le volontariat de solidarité internationale fait en effet partie des formes d’engagement par lesquelles, de l’avis de ceux qui connaissent bien les jeunes, ceux-ci manifestent leur volonté d’agir et de s’insérer dans la société. Le passage par les associations est naturellement très important. Le Gouvernement veut encourager cette forme d’engagement par ce texte, ce dont nous ne pouvons que nous féliciter. Une telle expérience est en effet très formatrice pour les jeunes volontaires […]. (Sénat)
Hier sind zwei mögliche Lesarten für une telle expérience denkbar: [I] Als Inkapsulator: Une telle expérience fasst in diesem Fall die gesamte vorgängige Argumentation zusammen – das volontariat de solidarité als Möglichkeit, seinen Platz in der Gesellschaft zu finden, sowie seinen konkreten Ablauf, nämlich den passage par les associations. [II] Als Anapher: Une telle expérience kann auch als direkte Wiederaufnahme der Nominalphrase cette forme d’engagement im vorangehenden Satz aufgefasst werden. Darüber hinaus finden sich in den analysierten Korpora Komplexnomen aus dem Bereich der second-order entities (Ereignisse, Prozesse, Situationen) nach Lyons (1977)41, die Schmid (2000, 86) den «less good and peripheral shell nouns» zuordnet, als Grenzfälle zwischen Diskursdeixis und assoziativer Anaphorik. Dabei lässt sich beobachten, dass mit zunehmender Abstraktheit des Nomens die diskursdeiktische, mit zunehmender Konkretheit des Nomens jedoch die anaphorische Lesart gestärkt wird. Der Grund dafür ist, dass bei einem konkreten Komplexnomen das Faktum oder Ereignis etc., das im Inkapsulator bzw. mit der assoziativen Anapher wieder aufgenommen wird, salienter ist als bei einem abstrakten Nomen. D.h. mit einem relativ konkreten Nomen wird tendenziell auf Sachverhalte verwiesen, die aus dem Vortext heraus schon salient sind, wie etwa im folgenden Beispiel (29). Hier werden in einem ausführlichen Bericht die Handlungen der politischen Ent-
41
Cf. dazu 5.2.1 Inkapsulation. Dort gehe ich auch ausführlich auf Schmids Analyse der nominalen Inkapsulatoren des Englischen ein.
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scheidungsträger detailliert beschrieben. Sodann wird der ganze Abschnitt mit dem Nomen cette réforme zusammengefasst: (29) M. Xavier Darcos, ministre délégué à la coopération, au développement et à la francophonie: Monsieur le président, monsieur le rapporteur, mesdames, messieurs les sénateurs, le 21 mars dernier, le Conseil de l’Union européenne, réuni au niveau des chefs d’Etat et de gouvernement, a adopté une décision modifiant les statuts du Système européen de banques centrales et de la Banque centrale européenne. Cette décision vise à adapter les modalités de vote au sein du Conseil des gouverneurs de banques centrales européennes pour tenir compte de l’entrée de dix nouveaux membres dans l’Union européenne le 1er mai 2004 et, ultérieurement, de l’adhésion probable de la majorité d’entre eux à la zone euro. [dann detaillierte Beschreibung der geänderten Bedingungen – C.M.] […] Il convient de souligner que cette réforme {TK} {FV} {I} préserve les conditions satisfaisantes de la représentation de notre pays au sein de la BCE. (Sénat)
Das Beispiel bietet einerseits eine diskursdeiktische Lesart: Mit cette réforme wird auf den vorangegangenen Diskursteil diskursdeiktisch referiert. Andererseits kann cette réforme auch als assoziative Anapher (d.h. ohne direkten nominalen Antezedenten) interpretiert werden, denn die Beschreibung der Handlungen der politischen Entscheidungsträger (sie «modifizieren» das System, sie «adaptieren» die Wahlmodalitäten etc.) aktivieren bereits das Schema «Reform», denn eine politische Reform besteht eben üblicherweise aus den im vorangegangenen Diskurs beschriebenen Handlungen politischer Entscheidungsträger. Die assoziativ-anaphorische Lesart lenkt folglich nicht den Blick darauf, dass die vorangegangenen Propositionen zu einem neuen Referenten zusammengefasst werden, sondern darauf, dass auf ein bereits aktives Schema assoziativ zugegriffen wird. Das Definitionskriterium von Diskursdeixis – nämlich dass mit einer diskursdeiktischen Wendung ein neuer Referent salient gemacht wird – tritt bei dieser Interpretation in den Hintergrund. Wie bereits erwähnt, lässt sich dabei aufgrund des Korpusbefunds die folgende Tendenz festhalten: Je konkreter das Nomen, desto wahrscheinlicher die anaphorische Lesart. – Im Korpus Sénat traten Lesartenüberschneidungen bei den folgenden inkapsulierenden Nominalphrasen auf: cette innovation, ce projet, de telles exigences, ce renvoi, cet argument, ce désir, cette concertation, cet agrément, cet espace. – Im Korpus LeMonde waren es die folgenden: cette vente, cette période, cet incident, ces dernières événements, l’alerte, ces recommandations, ce projet, ce feu vert, ces négociations, cet entretien. – Im Korpus Science finden sich die folgenden Beispiele: cette uniformité, cette invariance, cette décomposition, cette convergence, cette construction, ce type de discrimination, ces compétences morphosyntaxiques, cette réduction, cette association. Sie alle enthalten mehr semantische Informationen über den Referenten als Det+NInkapsulatoren wie ce fait, ce point oder ce cas, oder nichtnominale Inkapsulatoren wie c’est-à-dire, die weniger zur Lesartenüberschneidung mit anaphorischen Ver94
weisen tendieren, wobei letztere mehr zur Überschneidung mit Satzkonnektoren neigen. Zu Lesartenüberschneidungen zwischen Inkapsulatoren und Anaphern kommt es auch darum, weil beide Phänomene normalerweise im Nahbereich verweisen. (Diskurs-)deiktische Verweise sind nicht generell auf den Nahbereich der Origo festgelegt, sondern können auch distal erfolgen; das ist bei Positionsbestimmungen der Fall. Komplexbildungen – ob nun ana- oder katadeiktische – mit Inkapsulatoren erfolgen jedoch, wie die Befunde meiner Korpusauswertung ergeben, fast ausschließlich proximal. Auch Koeppel (1993, 165ss.) gelangt zu ähnlichen Ergebnissen. Er unterscheidet in seiner Studie drei Distanztypen: [I] Bezugselement und Verweisform in direktem Kontakt, [II] Distanz von einem oder mehreren Sätzen, [III] noch größere Distanz. Einige Beispiele erwiesen sich in seinem Modell als nicht klassifizierbar. Grundlage seiner Untersuchung war ein Korpus, bestehend aus drei Teilkorpora unterschiedlicher Textsorten: TG42 I: schriftliche Fachtexte TG II: schriftliche Texte der Alltagswelt, Massenmedien und Literatur TG III: mündliche Texte der Alltagswelt und Massenmedien Abhängig vom Korpus lag die Zahl der Nahbereichsverweise zwischen 68% (für TG III) und 82% (für TG II).43 Hinzu kommen relative Nahverweise (Koeppels Distanztyp 2) im Umfang von 11% für die TG I und II sowie 18% für die TG III. Hier ist allerdings Koeppels unscharfer Satzbegriff zu monieren.44 Für ein mündliches Korpus von «Sätzen» im syntaktischen Sinne zu sprechen, ist nur eingeschränkt möglich bzw. sinnvoll. Die Syntax gesprochener Sprache weicht erheblich von derjenigen schriftlicher Texte ab. In solchen Fällen dürfte es Koeppel schwer gefallen sein, eine «Distanz von einem oder mehreren Sätzen» präzise zu bestimmen, was er jedoch nicht thematisiert. Insofern wären die Distanztypen I und II als Verweise im absoluten und relativen Nahbereich einzustufen und würden insgesamt zwischen 86% (für TG III) und 93% (für TG II) liegen. Verweise auf weiter entfernte Text- bzw. Diskursteile finden in Koeppels Korpus nur in 5% (TG II) bis 8% (TG III) der Fälle statt45 und sind damit deutlich unterrepräsentiert. Nach den Erkenntnissen aus der Auswertung meiner Korpora erscheinen mir selbst diese Zahlen relativ hoch. Zwar können die inkapsulierten Referenten sehr umfangreich sein und z.B. den gesamten Diskurs von seinem Anfang bis zur Origo oder von der Origo bis zu seinem Ende umfassen, dabei handelt es sich aber auch
42 43 44 45
Textgruppe, cf. Koeppel (1993, 144). Diese und die folgenden Prozentangaben: Koeppel (1993, 165). Cf. hierzu den Abschnitt Zur Semantik der Komplexnomen in 5.2.1 Inkapsulation. Differenz zu 100: in Koeppels Modell nicht klassifizierbare Fälle.
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um proximale Verweise, da sie unmittelbar an die Origo angebunden sind. Aus Koeppels Auswertung geht leider nicht hervor, wie er diese Fälle bewertet. Dass distal zur Origo verwiesen wird, d.h. dass der Referent mehrere Propositionen Abstand zur Origo aufweist, ist für Inkapsulatoren in meinen Korpora die Ausnahme und erfordert einen erhöhten Formulierungsaufwand. Eindeutig deiktisch ist, wie bereits ausgeführt, die Eigenschaft der Inkapsulatoren, neue Referenten salient zu machen. Außerdem erfolgt der Sprung auf die Metaebene, denn der Fluss der Propositionen wird unterbrochen, um ein Urteil über die vorangegangenen Propositionen abzugeben. Dabei ist der Hörer aufgerufen, eine kognitive Leistung zu vollziehen – die Komplexbildung –, indem er seinen Wahrnehmungsbereich, d.h. den laufenden Diskurs, nach Aussagen durchforstet, die der Beschreibung entsprechen, welche durch die diskursdeiktische Wendung (den Inkapsulator) gegebenen wird. Er muss also mehr tun, als nur sein semantisches Wissen und seine weltwissenbasierten Kenntnisse (d.h. die Ordnung nach Schemata) einzusetzen: Er muss auch die situationale Positionierung der diskursdeiktischen Wendung relativ zur Origo einbeziehen, denn der Inkapsulator enthält die Anweisung, nach einem textuellen bzw. diskursiven Referenten in seinem unmittelbaren Nahbereich zu suchen und die Grenzen dieses Referenten abzuschätzen. Die aktive Leistung des Rezipienten besteht also auch darin, dass er erkennen muss, wo dieser Komplex anfängt und wo er aufhört, da die Referenten sehr unterschiedlich komplex sind und bisweilen eine unscharfe Anfangsgrenze haben.46 So kann im Deutschen mit soviel dazu ein ganzer Argumentationsschritt zusammengefasst und als abgeschlossen deklariert werden. Diskursdeiktische Inkapsulatoren verlangen damit dem Rezipienten eine ähnlich komplexe Leistung ab wie ein situationsdeiktischer Verweis: Auf den deiktischen Verweis dieser Tisch da muss der Rezipient, um den Referenten zu entschlüsseln, seine (visuelle) Wahrnehmung durchforsten, um in seinem Sichtbereich eine Gestalt zu finden, die der Beschreibung entspricht; gleiches gilt für den Diskursbereich mit Inkapsulatoren. 2.3.2
Diskursdeixis und Diskursmarker
Die Phänomene, die in den beiden folgenden Teilkapiteln behandelt werden (Diskursmarker und Konnektoren), bilden, zusammen mit einem Teil der diskursdeiktischen Wendungen, ein Kontinuum mit breiten Übergangsbereichen, das sich nur tendenziell unterschiedlichen Kategorien zuordnen lässt.47 Der Begriff «Diskursmarker» (und seine Äquivalente48) weist bei den verschiedenen Autoren einen sehr
46 47 48
Cf. dazu meine Ausführungen zu Francis’ (1986) Begriff des X-member im Abschnitt Zur Frage der Terminologie in 5.2.1 Inkapsulation. Zu diesen unterschiedlichen, teilweise nichtdeiktischen Funktionsbereichen der Deiktika vgl. Maaß / Schrott (2010b) und (im Druck). Eine umfangreiche Liste der Termini, die für dieses Phänomen verwendet werden, zitieren Jucker / Ziv (1998, 1) in der Einleitung zu ihrem Sammelband. Cf. auch Del Saz Rubio (2008), van Elmeren (2007), Rehbock (2009) sowie die Beiträge in Weidenbusch (2010).
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unterschiedlichen begrifflichen Umfang auf. Die bekannteste Definition stammt wohl von Schiffrin (1987, 31), die discourse markers als «sequentially dependent elements which bracket units of talk» definierte. Diese Definition umfasst nach Schiffrins Verständnis Diskursmarker im engeren Sinne und Konjunktionen wie and und because, die in der vorliegenden Studie den Satzkonnektoren zugeordnet werden. Auch Fraser (1999) vertritt einen Ansatz, bei dem die Satzkonnektoren als Teilbereich der discourse markers aufgefasst werden. Demgegenüber schließt er Partikeln wie oh oder y’know, die Schiffrin in ihrem Ansatz als Diskursmarker berücksichtigt hatte, explizit aus. Kroons (1995) Ansatz zu den «discourse particles» des Lateinischen weist einen Schwerpunkt auf den Konnektoren auf, zeigt jedoch auch die Übergänge zu den im engeren Sinne als Diskursmarker zu definierenden Verwendungen auf. Gadet (1989, 52) führt in Anlehnung an Vincent (1981 und 1986) eine Binnenklassifikation zwischen phatiques und ponctuants ein (zu diesen Begriffen cf. auch Beeching 2002 und Dostie 2004). Dabei versteht sie unter phatiques sprecheroder hörerseitige Signale zum Eröffnen, Bewahren oder Abschließen des Diskurses bzw. zur Rückmeldung und Turnübernahme, während die ponctuants eine bestimmte Strukturierung des Diskurses unterstreichen. Allen gemein sei jedoch, dass sie nicht in die syntaktische Struktur integriert sind49 und in phonischer Hinsicht eine schwache Intensität und keine melodische Autonomie aufweisen. Mit Blick auf die Zielrichtung ihrer Studie beschränkt sie sich auf die mündliche Sprache. In anderen Studien wird dagegen betont, dass Marker an sich – zumal nach der weiten Markerauffassung – kein ausgesprochenes Mündlichkeitsphänomen sind. So bezieht Hölker (1988) in seine Studie auch solche Marker ein, die durchaus in schriftlichen Texten auftreten; das betrifft vor allem die von ihm als «konnektierend» bezeichneten Marker. In Hölker (1991, 78–79) nennt er vier Eigenschaften pragmatischer Marker: (1) sie betreffen nicht die Wahrheitsbedingungen einer Äußerung; (2) sie fügen dem propositionalen Gehalt nichts hinzu; (3) sie sind mit der Sprechsituation verbunden und nicht mit der Situation, über die gesprochen wird; (4) sie haben emotive, expressive Funktion und keine referentielle, denotative oder kognitive. In Hölker (1988, 11) bestimmt er den Übergangsbereich zu den Konnektoren durch eine Unterscheidung zwischen den interjektionalen (zut, bon sang) und den bereits erwähnten konnektierenden (et, bref, par conséquent) Markern. Die Nähe zu den diskursdeiktischen Wendungen wird bei Hölker (1988) insbesondere durch die Annahme einer metasprachlichen Funktion von Markern deutlich, wobei er die metasprachlichen Marker50 unterteilt «in solche, die kontextuelle Aspekte von Äußerungen markieren (je dois t’/vous avertir que, je trouve que, vraiment) und solche, die kotextuelle Aspekte von Äußerungen markieren (je
49 50
So auch Hölker (1988 und 2010), dessen Definition jedoch auch vorsieht, dass sie «schwach in diese Struktur integriert» (Hölker 2010, 175) sein können. Roulet (1985, 86 et passim) nennt sie «marqueurs métadiscursifs» (so auch u.a. bei Piérard/Bestgen 2006 und Chevalier 2007).
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te/vous réponds que, à vrai dire, donc)» (Hölker 1988, 11). Die genannten Beispiele sind zwar entsprechend den hier angesetzten Kriterien nicht diskursdeiktisch, der Übergang zu diskursdeiktischen Wendungen im engeren Sinne ist jedoch fließend. Einen engeren Diskursmarkerbegriff (sie verwenden den Terminus «punctor») vertreten Vincent / Sankoff (1992). Sie definieren «punctors» als «a class of markers that have usually been classified as nervous tics, fillers or signs of hesitation» (Vincent / Sankoff 1992, 205); sie seien charakterisiert durch «complete prosodic assimilation to the preceding phrase», zeigten «a high degree of phonological reduction» und seien «to a large extent desemanticized [and …] virtually absent from the written language» (Vincent / Sankoff 1992, 205). In ihrer Studie bearbeiten sie là, tu sais, vous savez, n’est-ce-pas, hein, je veux dire, moi, osti,51 vois-tu, il/elle dit, j’ai dit.52 Der Übergang zu den diskursdeiktischen Wendungen ist bei einigen Vertretern dieser Liste wiederum besonders deutlich. Gerade in den letzten Jahren ist für das Französische eine ganze Reihe von Detailstudien zu einzelnen Markern entstanden, von denen nur die einflussreiche Studie von Hansen (1998) und der Sammelband von Drescher/Frank-Job (2006) genannt seien. Da dabei ebenfalls solche Diskursmarker berücksichtigt sind, die auch diskursdeiktisch verwendet werden können,53 soll auf diese Beiträge an geeigneter Stelle in diesem Band eingegangen werden.54 Während in den beiden schriftlichen Korpora sowie im Korpus Sénat, das zwar medial mündlich ist, konzeptionell jedoch der Distanzsprache zugehört, systematisch Überschneidungen zur Anaphorik aufzufinden sind, treten beim Korpus Oral systematisch Überschneidungen zu einem Teil der Diskursmarker auf. In Sénat, Science und LeMonde gibt es auch einige Überschneidungen mit den Diskursmarkern, diese sind jedoch auf wenige Fälle begrenzt. Dabei handelt es sich beispielsweise um die Verwendung von c’est-à-dire zur Reformulierung einer Aussage,55 die in Science zweimal auftritt. Außerdem handelt es sich um textstrukturierende und konnektierende Marker vom Typ d’abord – puis – enfin bzw. d’une part – d’autre part, die zur Strukturierung des diskursiven Referenten von Aufzählungen eingesetzt werden.56
51 52 53 54 55
56
Das von Hostie abgeleitete osti ist im Québec als Marker belegt. Den gleichen Einheiten ist auch Vincents 1993er Band gewidmet (cf. dazu auch Beeching 2002 und Fischer 2006). Beispielsweise der Beitrag zu voilà von Bruxelles/Traverso in Drescher/Frank-Job 2006. In Kapitel 4 Der «Elator» – das diskursdeiktische Inventar. Kotschi (1990, 18) identifiziert «drei prototypische Verwendungsweisen» von c’est-à-dire, die er auf ein einziges Erklärungsprinzip zurückführt: C’est-à-dire kann in (1) «reformulierender», in (2) «argumentativer» oder in (3) «korrigierender» Funktion auftreten. Die besprochenen Beispiele von diskursdeiktischem c’est-à-dire aus Science entsprechen mithin Kotschis erster prototypischer Verwendungsweise dieses Markers: Reformulierung. Dazu mehr in 5.2.2 Aufzählung. Levinson (2006, 119) sieht einen konkreten Zusammenhang zwischen Diskursdeixis und Diskursmarkern in ihrer Verknüpfungsfunktion: «These [i.e. die Diskursmarker – CM] relate a current contribution to the prior utterance or text».
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Im Korpus Oral tritt die Überschneidung von Diskursmarkern und diskursdeiktischen Verweisen aber viel häufiger und in vielfältigerer Weise auf. Es handelt sich dabei naturgemäß um solche Diskursmarker, die eine diskursdeiktische Lesart zulassen, deren deiktischer Ursprung also unmittelbar an der Oberfläche transparent ist, und zwar in einem Maße, dass sie dem ursprünglichen Deiktikon in ihrer Form entsprechen. Das trifft durchaus nicht auf alle zu. Hölker (1988, 166) stellt zwar heraus, «daß alle Marker indexikalisch sind», insofern sie sich «auf Eigenschaften, Relationen oder Funktionen» beziehen, «die Objekte der Situationin betreffen». Allerdings sind nicht alle explizit indexikalisch, denn nicht alle enthalten noch transparente Deiktika bzw. deiktische Morpheme (wie etwa Tempusmorpheme); das gilt etwa für quoi, das bei Hölker (1988) einer ausführlichen Analyse unterzogen wird. Nachgestelltes quoi kann als Schlussmarker eingesetzt werden und diskursorganisierende Funktion übernehmen (eben das Markieren eines [relativen] Schlusspunktes), der aber nicht deiktisch ist. Einerseits ist es kein Deiktikon – das wäre jedoch die conditio sine qua non für eine Einstufung als diskursdeiktische Wendung –, andererseits entspricht es auch keinem/r der hier beschriebenen diskursdeiktischen Typen bzw. Funktionen. Folglich kann man sagen, dass das Feld der Diskursmarker und dasjenige der diskursdeiktischen Wendungen sich überschneiden: Es gibt nichtdeiktische Diskursmarker (z.B. quoi), es gibt andererseits aber auch diskursdeiktische Wendungen, die nicht als Diskursmarker auftreten können. Das trifft auf einen großen Teil der Det+N-Inkapsulatoren zu (u.a. cette dernière situation in Beispiel [15]), aber auch auf diskursdeiktische Positionsbestimmungen wie au vue du paragraphe précédent (cf. Beispiel [22]) oder Diskursaktualisierungen wie dans cet article. Es gibt aber einen Übergangsbereich, in dem es dann auch zu Lesartenüberschneidungen kommen kann. Wenn man das Phänomen der Diskursdeixis vom Standpunkt der Diskursmarker aus betrachtet, so kann die Sachlage wie folgt beschrieben werden: Die betreffenden Diskursmarker haben eine diskursorganisierende Bedeutung, neben die eine diskursdeiktische Lesart treten kann. Es gibt jedoch auch Verwendungen (teilweise derselben Diskursmarker, dazu cf. die folgenden Ausführungen zu voilà und c’est ça), bei denen die diskursdeiktische Funktion in den Hintergrund tritt oder eine diskursdeiktische Lesart sogar ausgeschlossen ist und bei denen folglich allein die diskursorganisierende Funktion hervortritt. Zwischen diesen beiden Polen gibt es ein Kontinuum, wobei nur durch Einzelanalyse eine Entscheidung darüber getroffen werden kann, ob ein Token im Korpus als diskursdeiktisch zu werten ist oder nicht. Als diskursdeiktisch gewertet werden solche Tokens, die eine diskursdeiktische Lesart zulassen, auch wenn daneben eine diskursorganisierende Funktion besteht. Welche diskursdeiktischen Verweistypen weisen Überschneidungsbereiche zu den Diskursmarkern auf? Beispiele für Überschneidungen zwischen diskursaktualisierenden Verweisen und Diskursmarkern sind nur schwer vorstellbar. In den Korpora finden sich keine Beispiele dafür. Überschneidungen mit positionsbestimmenden Verweisen sind jedoch belegt. Das betrifft vor allem là. Là tritt bekanntlich als Diskursmarker auf, so im folgenden Beispiel: 99
(30) *CHA: […] qu’on sait jamais [/] &euh # sait jamais ce qui va se passer // c’est comme on peut jamais dire jamais // ben là voilà // # il y a [/] il y a une petite citation là / qui est sympa / # d’un gars là / # &euh il s’appelle Jean &D’Ormess [/] Jean // (Oral)
Eine deiktische Lesart ist in Beispiel (30) nicht gegeben. Im folgenden Beispiel kann là ebenfalls als Diskursmarker interpretiert werden, die dominierende Lesart ist jedoch die diskursdeiktische (Positionsverweis): (31) *CYR: on consomme l’amour? # ou est-ce que [/] est-ce qu’on subit l’amour? *VAL: non mais attendez là {TP} {FV} // de quel amour on parle? # (Oral)
Als Positionsverweis enthält es die Aufforderung von VAL an CYR, mit seinen Ausführungen «an dieser Stelle», d.h. an genau der Stelle, an der der erklärungsbedürftige Begriff (l’amour) auftritt, einzuhalten und eine Präzision einzufügen. Neben là findet sich im Korpus nur noch ein weiteres Beispiel für eine Überschneidung von diskursdeiktischen Positionsverweisen und Inkapsulatoren, nämlich je vais vous dire, das von VEN als Diskursmarker eingesetzt wird, das jedoch gleichwohl seine diskursdeiktische Lesart behält: (32) *VEN: mais il y a la qualité // # la qualité et puis les clients veulent bon je vais vous dire {TP} {FA} / un maquillage c’est quand même délicat / vous mettez ça sur la peau / # si c’est pour ressortir avec des boutons ou des yeux gonfles / je vais vous dire {TP} {FA} / &euh # il vaut mieux éviter // (Oral)
Ansonsten treten im Korpus ausschließlich Überschneidungen zwischen Diskursmarkern und Inkapsulatoren auf: voilà, c’est ça, tout ça, c’est vrai, je veux dire ça. Von diesen ist voilà mit Abstand das frequenteste Beispiel, gefolgt von c’est ça und tout ça. Auf voilà und c’est ça wird im Folgenden eingegangen. Die Überschneidungsmargen zwischen Diskursmarker- und Diskursdeixisfunktion sind bei voilà erheblich.57 Diese Lesartenüberschneidungen sind besonders typisch für das Korpus Oral, wobei man sagen muss, dass die geringen Tokenzahlen von voilà in den anderen Korpora kein abschließendes Urteil zulassen. Die systematische Überschneidung zwischen Diskursmarkern und diskursdeiktischen Verweisen ist eine Besonderheit mündlicher Rede, was sich auch in der zahlenmäßig starken Präsenz von voilà im mündlichen Korpus niederschlägt. Als Diskursmarker erscheint voilà einerseits als Hörersignal, wobei es oft eine reine Rückmeldung des Hörers («backchannel») darstellt und kein Turn-TakingSignal ist. Man kann es in dieser Verwendung den «acknowledgement tokens» nach Gardner zuteilen, die den «unproblematic receipt of the prior turn» (Gardner 2001, 251) markieren. Oft tritt jedoch eine starke affirmierende Komponente hinzu, wobei dann eine diskursdeiktische Lesart als argumentativer Inkapsulator möglich wird. In diesen Fällen erfolgt dann zumeist eine Turnübernahme und voilà
57
Cf. die quantitative Auswertung der Korpusbefunde und die weiteren Ausführungen zu voilà und seinen unterschiedlichen Funktionen in 4.2.2 Voilà und voici.
100
steht dann am Anfang eines Turns, wobei der vorangegangene Turn oder ein Teil davon affirmierend zusammengefasst und teilweise mit einer Bewertung versehen wird. Im folgenden Beispiel hält CHA zunächst den Turn; ALE unterbricht ihn mit einem Einwurf, den CHA mit einem diskursdeiktischen voilà (das dennoch eine Markerlesart aufweist) ausdrücklich billigt, wobei er versucht, den Turn zurückzuerlangen. ALE behält jedoch den Turn und CHA setzt zu einem weiteren – diesmal erfolgreichen – Versuch an, den Turn zu erlangen, den er mit Diskursmarkern entsprechend kennzeichnet. ALE signalisiert explizit sein Einverständnis mit der Turnübernahme (oui): (33) *CHA: ouais // # à la deuxième lecture / on comprend // enfin # rien n’est donc prévisible / quant au résultat # du mouvement pendulaire inexorable / entre la dépendance et l’indépendance // # synergie et désynchronisation // # et on peut se sentir comme livrée au hasard / # victime d’une destinée / dont l’essentiel nous échappe // # et donc l’amour / ben ça serait une question de [/] de dosage entre intimité et distance quoi // # *ALE: l’éternel équilibre # *CHA: *ALE: / / *CHA: donc l’aventure // *ALE: // # *CHA: parce que c’est pas [/] c’est pas gagner d’avance // donc c’est périssable // (Oral)
Voilà tritt jedoch auch als turnstrukturierendes Sprechersignal auf, wobei häufig das Ende des Turns oder eines Gedankenganges markiert wird, ohne dass eine diskursdeiktische Lesart möglich wäre. Oft tritt voilà dabei in Verbindung mit weiteren Diskursmarkern auf. Frequent im Korpus sind beispielsweise: – – – –
donc (voilà donc, donc voilà donc voilà donc oder gar donc ben ça voilà), quoi (voilà quoi, das häufig das Ende eines Turns markiert), bon ben (bon ben voilà, auch: bon bah voilà) sowie bien (bien voilà).
Dieses Phänomen ist in Arbeiten zu Diskursmarkern wiederholt beschrieben worden. So führt Hansen (1998, 68) aus, die Diskursmarker seien zwar prinzipiell als Klasse hinsichtlich ihrer syntaktischen Position relativ frei, einzelne Diskursmarkertypen bevorzugten jedoch bestimmte Positionen. In diesen Positionen neigten sie dann dazu sich zu häufen, wobei es Restriktionen bezüglich der möglichen Abfolge gebe. Dieses Phänomen ist auch für das Korpus Oral zu beobachten. Dabei ist auch beim Zusammentreffen mehrerer Diskursmarker eine diskursdeiktische Lesart nicht ausgeschlossen. Bei reiner Diskursmarkerlesart ist das gleichzeitige Auftreten mehrerer Diskursmarker jedoch deutlich häufiger als in Fällen, die eine diskursdeiktische Lesart zulassen. Ein weiteres Beispiel für einen Diskursmarker, der oft eine diskursdeiktische Lesart zulässt, ist das eben schon erwähnte c’est ça. Es kommt nur in einem mei-
101
ner Korpora vor, und zwar wiederum im Korpus Oral, dort allerdings 30 Mal.58 Ein Beispiel dafür ist das folgende: (34) *SYL: tu [/] tu [/] tu vis un &a [/] dès le départ c’est un amour pur c’est &euh [/] # &euh c’est la personne que tu attendais depuis *CHR: // (Oral)
Dieses c’est ça ist einerseits ein Diskursmarker, da es diskursorganisierende Funktion übernimmt; es handelt sich um ein Hörersignal («backchannel» vom Typ «acknowledgement token», cf. Gardner 2001). Der Hörer signalisiert dem Sprecher Aufmerksamkeit und Zustimmung. Er übernimmt nicht zwangsläufig den Turn. In diesem Falle hat der Diskursmarker eine diskursorganisierende Hauptbedeutung. Daneben besteht jedoch eine diskursdeiktische Lesart: Im gegebenen Fall wird der Turn des Vorgängers SYL mit dem Deiktikon ce zusammengefasst (= Inkapsulator) und ein Urteil über die vorgebrachten Propositionen abgegeben, die ihren Argumentstatus für die kommenden Diskursteile beeinflussen. Dass die Sprecher die diskursdeiktische Potenz der an sich tautologischen Wendung c’est ça (‘dies ist das’)59 noch erkennen, ist durch die gängige Verwendung in Reliefstrukturen gewährleistet: (35) *ALE: mais est ce que [/] [/] *CHA: // *ALE: / ? *CYR: *ALE: / c’est ça que je veux savoir // # (Oral)
Auch die Verwendung als reiner Diskursmarker ohne diskursdeiktische Lesart findet sich im Korpus, allerdings ist dieser Fall eher rar: (36) *ABU: donc l’agenda / nous parlions / c’est ça / de l’agenda [/] &euh / l’agenda politique // tu as l’A.F.P. # / qui est l’Agence France Presse / (Oral)
Dass es zwischen der diskursdeiktischen Lesart und der Markerlesart einen fließenden Übergang gibt, zeigt das folgende Beispiel: (37) *CHA: // (Oral)
Die Sprecherin CHA führt c’est ça zunächst mit der Hauptbedeutung eines bekräftigenden Diskursmarkers ein, reformuliert dann jedoch zu einer rein diskursdeiktischen Wendung.
58 59
D.h. 30 mal als Diskursmarker; insgesamt ist c’est ça 44 mal im Korpus enthalten, davon 15 mal in Reliefstrukturen und Fragen, d.h. ohne diskursdeiktische Lesart. Eine noch redundantere Wendung – c’est cela que c’est – in ihrer Bedeutung als (diskursdeiktischer) Präsentativ bespricht Narjoux (2003).
102
2.3.3
Diskursdeixis und Satzkonnektor
Wie bereits ausgeführt, werden Satzkonnektoren von vielen Autoren als Teilklasse der Diskursmarker eingeordnet. Es gibt jedoch, trotz eines gemeinsamen Übergangsbereichs, Unterschiede zwischen satzverknüpfenden Einheiten wie etwa Konjunktionen auf der einen, und Diskursmarkern im Sinne von diskursstrukturierenden Partikeln auf der anderen Seite. Da diese Frage das hier behandelte Thema jedoch nur am Rande berührt, wird auf sie nicht weiter eingegangen. Die Abgrenzung zwischen Satzkonnektoren und diskursdeiktischen Verweisen ist nur graduell möglich. Die Abgrenzungsprobleme betreffen im Falle der Konnektoren fast ausschließlich solche diskursdeiktischen Verweise, die mit Inkapsulatoren ausgeführt werden. Diskursaktualisierungen sind als Konnektoren nicht denkbar, weil sie auf den gesamten Diskurs verweisen und nicht auf seine einzelnen Teile. Letzteres ist jedoch eine Voraussetzung, um überhaupt eine Ähnlichkeit mit Konnektoren aufweisen zu können. Positionsverweise werden nur in seltenen Fällen als Konnektoren verwendet. Ein solcher Fall ist mit dem nicht-temporalen Gebrauch von maintenant gegeben, für den Nef (1986) u.a. das folgende Beispiel anführt: (38) Si les poulets rôtis tombaient du ciel, ce ne serait pas mal. Maintenant, hélas, ce n’est pas le cas. (Nef 1986, 204)
Nef (ibid.) bezeichnet diese Verwendung als «annulation d’une implication d’une conditionnelle».60 Maintenant zeigt hier eine diskursive Verbindung zwischen den beiden Aussagen an, und zwar speziell eine kontrastive, denn der zweite Teil hebt die Implikation auf, indem er die Prämisse negiert. Für Nef bleibt der indexikalische Ursprung in diesem Beispiel intakt: «Maintenant non-temporel joue donc ici, comme maintenant temporel, le rôle d’un index», wobei sich die Indexikalität jedoch nicht auf die Relation der Zeiten zueinander, sondern «sur les mondes, qui désigne le monde actuel mo» (Nef 1986, 204) bezieht. In diesem Sinne kann von einer Indexikalität von maintenant auch in nicht-temporaler Verwendung gesprochen werden. Diskursdeiktisch ist maintenant in diesem Beispiel (sowie in den Beispielen in Anm. 60) jedoch nicht. Es wird hier tatsächlich ausschließlich als Satzkonnektor eingesetzt, auch wenn sein deiktischer Ursprung transparent ist. Nefs Ausführungen zeigen aber wiederum die Übergänge und Zusammenhänge zwischen den beiden Bereichen (Diskursdeixis und Satzkonnexion). Wie bereits erwähnt, handelt es sich hierbei jedoch um marginale Fälle, die in den Korpora nicht nachweisbar waren. Bei den tatsächlich auftretenden Fällen von Lesartenüberschneidungen zwischen Diskursdeixis und Satzkonnektoren handelt es sich stets um Inkapsulatoren.
60
Weitere Kategorien sind bei ihm «annulation d’une implicature conversationnelle» wie in Cet écrivain a du succès. Maintenant, a-t-il du talent? und «rectification illocutionnaire», u.a. in Pierre affirme que Paul a volé dans la caisse. Maintenant, moi, je n’en crois un mot.
103
Eine Reihe von Konnektoren hat, auch wenn sie weitgehend grammatikalisiert sind,61 einen mehr oder weniger transparenten deiktischen bzw. anaphorischen Ursprung, man denke etwa an deshalb, indem, dabei im Deutschen oder parce que und ainsi que im Französischen.62 Oft konkurrieren die beiden Lesarten – etwa bei ainsi: Konnexion oder diskursdeiktischer Verweis? – im selben Token. Eine tendenzielle Abgrenzung soll hier dennoch versucht werden. In der Literatur wird der Terminus «Konnektor», wie bereits ausgeführt, mit sehr unterschiedlichem Begriffsumfang definiert. In der vorliegenden Arbeit werden Konnektoren (in der textlinguistischen Literatur oft auch als «Konnektive» bezeichnet) als Realisationen expliziter Konnexion im Sinne des «clause combining» (Fabricius-Hansen 2001, 331) verstanden. In syntaktischer Hinsicht verknüpfen Konnektoren Sätze,63 in semantischer Hinsicht besteht Konnexion64 zwischen Satzinhalten. Auf der Propositionsebene wirken Konnektoren folglich kohärenzund kohäsionsstiftend, ebenso wie anaphorische und diskursdeiktische Verweise oder Diskursmarker. Die funktionale Abgrenzung kann schon aus diesem Grunde nicht trennscharf erfolgen. Es liegt überdies eine Teilüberschneidung beider Kategorien («Diskursdeiktische Verweise» / «Konnektoren») beim Inventar vor. Fabricius-Hansen (2001, 332) unterscheidet grammatische, lexikalische und phrasale Konnektive. Erstere, zu denen die Autorin Konjunktionen und Subjunktionen zählt, sind eine geschlossene Klasse, stellungsfest und stärker grammatikalisiert. Lexikalische Konnektive65 sind dagegen eine offene Klasse und unterscheiden sich nur graduell von phrasalen Konnektiven,66 die wiederum ein Kontinuum mit den Inkapsulatoren bilden. Neuere Studien zu Konnektoren wie diejenige von Pasch et al. (2003) oder auch Wienen (2006) rechnen auch solche syntaktisch komplexen Formationen zu den Konnektoren, die in der vorliegenden Arbeit zu den diskursdeiktischen Inkapsulatoren gerechnet werden. Henschelmann (1999, 125) rechnet auch Konstruktionen wie das ist der Grund dafür, dass zu den «satzwertigen Verknüpfungskonstruktionen». Wienen (2006) belegt im Anschluss an Aijmer (2002,
61 62
63
64 65
66
Zum hohen Grammatikalisierungsgrad von Konnektoren cf. u.a. Schanen (2001), Dostie (2004), Maaß/Schrott (2010b) und Stoye (2010). Zu einigen Konnektoren des Französischen und ihrem deiktischen Ursprung cf. z.B. Bat-Zeev Shyldkrot/Kemmer (1988), Ferrari (1993), Visconti (1994), Le Draoulec/Bras (2007) und Baranzini/de Saussure (2010). Dieser Eigenschaft trägt der Begriff «satzverknüpfende Einheiten» bzw. «Satzverknüpfer» von Brauße / Breindl / Pasch (2000) und Brauße / Breindl / Pasch / Waßner (2003) Rechnung; cf. auch Wöllstein-Leisten (2008). Bzw. «Konnektivität», cf. dazu Marschall (2001), Gohl (2009). Die Autorin nennt sie «Konjunktionaladverbien» und führt für das Deutsche folgende Fälle auf: da[r]+Präposition, dann, dementsprechend, trotzdem, dessenungeachtet, deshalb etc.) und Partikeln wie jedoch, aber, gleichfalls etc.; zu dieser Kategorie, Koeppel (1993, 44). Als Beispiel führt sie u.a. an: «He chopped the trees. After that he shaped them.» Ein weiteres Beispiel: «Fritz ist krank geworden. Aus dem Grunde müssen wir auf die geplante Reise verzichten.»
104
17), wie eng der Übergang parenthetischer Konstruktionen mit Konnektorfunktion (z.B. j’en conviens) zu den Diskursmarkern ist. Ein beträchtlicher Teil dieser Konstruktionen werden in der vorliegenden Studie ebenfalls als diskursdeiktische Verweise eingestuft, wobei diese Einstufung von der konkreten Verwendung im Einzelfall abhängt. Wenn im Einzelfall auch Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen, so wird in der vorliegenden Studie dennoch davon ausgegangen, dass der grundlegende Unterschied zwischen Inkapsulatoren und Konnektoren darin besteht, dass Konnektoren zwei (de facto unabhängige) Propositionen miteinander verknüpfen, Inkapsulatoren dagegen Teil der Folgeproposition sind: Konnektor: Inkapsulator:
p
Konnektor
p, p1, p2
q
q, eingeleitet durch Inkapsulator
In Francis’ (1986) Terminologie67 kann man dies so formulieren: Die Propositionen p, p1 und p2 bilden das X-member, und das A-noun (bzw. exakter: der Inkapsulator) ist Teil des A-members. Konnektoren stehen dagegen zwischen zwei autonomen Propositionen p und q. Das wird durch die folgenden Beispiele verdeutlicht: (39) M. Nicolas Sarkozy, ministre d’Etat: […] nous devrons enfin prendre les mesures indispensables pour rééquilibrer les comptes, car la santé ne se finance pas à crédit. (Sénat)
Zwei Propositionen (p = nous devrons enfin prendre les mesures indispensables pour rééquilibrer les comptes und q = la santé ne se finance pas à crédit) werden durch den kausalen Konnektor car verknüpft, der q als Argument zur Begründung von p einführt. Eine diskursdeiktische Lesart ist in diesem Falle nicht möglich. Im folgenden Beispiel ist dans ces conditions Teil der argumentativen Aussage der Folgeproposition, wobei es gleichzeitig die vorangegangenen Propositionen zu einem Referenten zusammenfasst: (40) M. Xavier Darcos, ministre délégué: […] En en revenant à la préférence de l’indicatif par rapport au subjonctif – du réel par rapport au virtuel –, je préciserai que la plupart de nos volontaires sont déjà Bac + 5. Dans ces conditions {TK} {FA} {I}, les cas d’application concrets dont nous discutons ne seront pas majoritaires. (Sénat)
Ein Teil der hier untersuchten Ausdrücke kann, wie bereits erwähnt, sowohl als Konnektor als auch als Inkapsulator verwendet werden. Das betrifft z.B. ainsi. Eine Verwendung als Konnektor liegt im folgenden Falle vor: (41) Mme Monique Cerisier-ben Guiga: […] Cette caisse assure la continuité de leurs droits. Ainsi, les jeunes qui sont envoyés dans des pays où sévit, par exemple, le sida, doivent être couverts par une assurance […]. (Sénat)
67
Cf. dazu meine Ausführungen in 5.2.1 Inkapsulation.
105
Es werden zwei Propositionen (p = Cette caisse assure la continuité de leurs droits und q = Les jeunes […] doivent être couverts par une assurance) angeführt, wobei ainsi erkennen lässt, dass die zweite als Konsequenz der ersten aufzufassen ist. Es kann durch den Konsekutivkonnektor donc ersetzt werden. Als Inkapsulator wird ainsi im folgenden Beispiel verwendet: (42) M. Xavier Darcos, ministre délégué: […] Le volontariat est une matière vivante ; il faut laisser cette commission fonctionner de manière permanente ; elle suivra alors l’évolution du volontariat et pourra interpréter au mieux les dispositions. Nous créerons ainsi {TK} {FV} {I} en quelque sorte une «commission des bonnes pratiques» qu’il faut encourager. (Sénat)
Die Propositionen vor ainsi fasst die Ausführungen inkapsulierend zusammen, die beschreiben, wie die Kommission idealerweise funktionieren soll. Die Folgeproposition, die ainsi enthält, gibt an, dass wünschenswerterweise eine Kommission der «bonnes pratiques» entstehen kann und gibt auch gleich an, wie das geschehen kann, nämlich ainsi, ‘auf diese Weise’. Es tritt im Korpus jedoch eine Reihe von Grenzfällen auf, bei denen ainsi je nach Lesart als Konnektor oder als Inkapsulator gedeutet werden kann. Darum stellt sich die Frage, ob sich Kriterien für eine sichere Abgrenzung zwischen einer diskursdeiktischen Verwendung und einer Verwendung als Satzkonnektor finden lassen. In diesem Zusammenhang soll hier der Frage nachgegangen werden, ob eine intraphrasale Verwendung, z.B. von ainsi, auf einen Konnektor und eine interphrasale Verwendung auf einen Inkapsulator schließen lässt, und ob das Problem mithin entschärft werden könnte, indem intraphrasale Verweise aus der Untersuchung ausgeschlossen werden, wenn dort die Konnektorenlesart oft besonders ausgeprägt ist. Bezüglich der Frequenz der Tokens in den Korpora liegt dies zunächst nahe. Dieser empirische Befund hat jedoch keinen logischen Rückhalt, schon wegen des unklaren Status des Satzbegriffs in einem transkribierten Korpus wie Sénat.68 Überdies gibt es eine Reihe von Gegenbeispielen. Bei Koeppel (1993) etwa findet sich ein deutsches Beispiel für die intraphrasale Verwendung von darauf als Inkapsulator: (43) Die Russen hatten ihre erste Atombombe gezündet, Joe I, und wir reagierten darauf mit einem nationalen Schock.
Parallele Fälle finden sich auch in den hier analysierten Korpora, im folgenden Beispiel sogar zwei in einem Satz, nämlich le und cela (wobei bei letzterem bezüglich der Interpunktion in der Transkription auch ein Punkt denkbar wäre): (44) M. Xavier Darcos, ministre délégué: […] Je vous l’accorde, les vingt millions d’euros actuellement consacrés à l’ensemble de ces dispositifs mériteraient sans
68
Das Korpus Sénat enthält 145 der 366 im Gesamtkorpus belegten Tokens von ainsi, in Oral ist ainsi dagegen nicht belegt.
106
doute d’être augmentés ; nous verrons cela lors de la prochaine discussion budgétaire. (Sénat)
Beide Inkapsulatoren sind allerdings gegen eine Verwendung als Konnektor immun. Es finden sich jedoch auch einige Beispiele mit ainsi, wie etwa das folgende: (45) M. Jean-Marie Poirier: […] Cette commission est effectivement très importante, car elle est un lieu de concertation et de vigilance. Elle permet de faire travailler ensemble les associations, dont les profils sont très divers, et elle contribue ainsi à l’établissement de règles communes. (Sénat)
Ainsi macht die Proposition im ersten Teilsatz (p1 = Elle permet de faire travailler ensemble les associations, dont les profils sont très divers) zum Referenten des diskursdeiktischen Verweises. Es stellt sich folglich heraus, dass die Abgrenzungsschwierigkeiten durch die Beschränkung auf interphrasale Verknüpfungen nicht behoben werden können. Ein Grund hierfür ist wiederum, dass es um die Verknüpfung von Propositionen im semantischen Sinne geht, die in vielen Fällen nicht mit syntaktischen Satzgrenzen übereinstimmen. Inkapsulatoren und Konnektoren überschneiden sich folglich inventarseitig, wobei nur ein Teil der Konnektoren als Inkapsulatoren verwendbar ist und umgekehrt. Koeppel (1993, 43) hat darauf hingewiesen, dass im Deutschen satzbezogene Verweisformen bzw. Inkapsulatoren, die auch als Konnektor einsetzbar sind, durch satzbezogene Verweisformen mit Abstraktnomen ersetzt werden können. Er führt das am Beispiel von satzbezogenem dagegen vor, das durch gegen diesen Beschluss ersetzt werden kann: (46) Es ist danach klar, dass die Mehrheit des Ausschusses der Atomenergiekommission empfiehlt, die Sicherheitsgarantie an Dr. Oppenheimer nicht zu erteilen. Dagegen/ gegen diesen Beschluss kann Einspruch bei der Atomenergiekommission erhoben werden.
Die Möglichkeit, Konnektoren und Inkapsulatoren durch Ersetzungsproben voneinander zuverlässig abzugrenzen, kann eher zu einer Entscheidung im Einzelfall beitragen als der Ausschluss eines ganzen syntaktischen Typs. Sie kann hier aber nicht abschließend geklärt werden, denn das würde den Rahmen dieser Studie sprengen. Am Beispiel von ainsi wurde gezeigt, dass solche Ersetzungsproben möglich sind und im konkreten Fall eine Abgrenzung beider Phänomenbereiche erlauben. Insgesamt handelt es sich um einen Grenzbereich, der aus dem Thema «Diskursdeixis» herausweist. Es dürfte indes deutlich geworden sein, dass sich Konnektoren und Inkapsulatoren im Prototyp voneinander unterscheiden, dass sie jedoch Überschneidungsbereiche aufweisen. Diese Überschneidungsbereiche treten verstärkt bei den Inkapsulatoren auf, die nicht der Form Det+N entsprechen, sondern bei denen die deiktischen Anteile am Elator durch ein pronominales oder adverbiales Deiktikon gestellt werden. Es gibt jedoch auch Det+N-Inkapsulatoren mit Affinität zum Konnektor (z.B. pour cette raison oder de ce fait). Die systematische Auslotung dieses Grenzbereichs kann hier allerdings nicht geleistet werden. Für die Korpora wurde jeweils im Einzelfall über eine Zuordnung entschieden. 107
3
Zu den Korpora
3.1
Auswahl und Analysemethoden
3.1.1
Auswahl der Korpora
Für die vorliegende Arbeit wurden vier Korpora ausgewertet, die sich vier sehr unterschiedlichen Textsorten zuordnen lassen: [I] ein Korpus aus Texten der französischen Tageszeitung Le Monde: LeMonde, [II] ein Korpus aus wissenschaftlichen Zeitschriftenartikeln unterschiedlicher Disziplinen (Medizin, Mathematik, Linguistik/Spracherwerb): Science, [III] ein Korpus aus Sitzungsprotokollen (comptes rendus intégraux) von Debatten im französischen Senat: Sénat, [IV] die informellen privaten Dialoge und Konversationen des C-Oral-Rom-Korpus1 französisch: Oral. Diese Auswahl wurde getroffen, um diskursdeiktische Phänomene für möglichst unterschiedliche Textsorten der Mündlichkeit und Schriftlichkeit erfassen zu können. Wie erfolgte aber nun die Auswahl des Korpus? In der folgenden Tabelle sind zentrale Eigenschaften der analysierten Korpora dargestellt. Dabei wird deutlich, dass sie ein breites Feld an Eigenschaften abdecken und eine Reihe komplementärer Züge aufweisen. Darum ist diese Auswahl geeignet, das Funktionieren diskursdeiktischer Verweise in sehr unterschiedlichen Kommunikationsbereichen und Textsorten zu beleuchten.
1
Nach dem Raster des C-Oral-Rom: Informal – Family/Private – Conversation / Dialogue.
109
Korpus
Textsorte
Zahl d. Texte
Zahl d. Sprecher/ Autoren
Zahl d. Wörter
Kanal / Medium
Nähe/ Distanz
Spezialisierungsgrad
Dialog/ Monolog
Planungsgrad
LeMonde
Zeitungsartikel
133
107
69.346
schriftl.
Distanz
mittel
Monolog
hoch
Science
wiss. Artikel
30
60
113.650 schriftl.
Distanz
hoch
Monolog
hoch
Sénat
parlament. Kommun.
3
55
65.541
mdl.
Distanz
mittel
Dialog
hoch bis mittel
Oral
Privatgespräch
40
74
82.631
mdl.
Nähe
gering
Dialog
gering
206
296
331.168 2x schr. 3x Dist. 2x mdl. 1x Nähe
1x hoch 2x mittel 1x gering
2x Monolog 2x Dialog
2x hoch 1x hoch bis mittel 1x gering
Gesamt
Tabelle 5: Eigenschaften der Korpora2
3.1.2
Analysemethode
Die Korpusanalyse erfolgte nicht vollständig automatisiert. Das war nicht möglich, weil das untersuchte sprachliche Material polyfunktional ist. D.h. ce, ici, ainsi, voilà etc. treten als direkte oder assoziative Anaphern auf, als Satzkonnektoren, Diskursmarker, in direkter Deixis oder eben in diskursdeiktischen Verweisen. Überdies wurden während der Analyse die Funktionen diskursdeiktischer Verweise erfasst; die pragmatischen Funktionen im Text können jedoch mit automatisierten Erfassungsmethoden nicht ausgewertet werden. Das zeigt sich auch bei Vorgängerstudien: Graefen (1997) erörtert in ihrer Arbeit zunächst ausführlich die Unterscheidungsmöglichkeiten zwischen deiktischen und anaphorischen Prozessen und plädiert für die Bedeutsamkeit von Korpusanalysen. Diese Analysen führt sie dann
2
Grundlage für die Tabelle ist das Vorstellungsraster der Textsorten bei Nogué Serrano (2005).
110
jedoch mit Word Cruncher durch, was ihre Auswertungsmöglichkeiten letztlich auf Aussagen wie die folgende beschränkt: «Rechnet man alle im Korpus vorkommenden Formen von dies- zusammen, so ergibt sich die Zahl von 798 Tokens, womit der Ausdruck mit Abstand die häufigste Deixis ist» (Graefen 1997, 217). Die Binnendifferenzierung zwischen anaphorischen und diskursdeiktischen Verwendungen von dies- und seine Funktionen im Text sind auf diese Weise nicht zu ermitteln. Gleiches gilt für die Studie von Schröder (1997), die im Rahmen ihrer Untersuchung mündlicher und schriftlicher fachsprachlicher Kommunikation im Französischen (Bereich Chemie) eine große Zahl von automatisierten Frequenzanalysen ohne Einbeziehung der kontextuellen Funktionen durchführt. Für die Demonstrativa kommt sie zu der Einschätzung, dass sie nur 0,9% bzw. 1,1% Anteil an der Gesamtzahl aller Wörter ausmachen, was darauf hindeute, «daß sie für die Textkohärenz in dieser Art von Fachtexten unerheblich sind» (Schröder 1997, 107). Eine derart generische Einschätzung ist freilich nicht von hohem Erkenntniswert und im Übrigen auch inhaltlich zweifelhaft, da die reine Tokenfrequenz einer Wortart in einem Korpus kaum Rückschlüsse über ihre funktionale Zentralität oder Marginalität zulässt. Darum wurden die Korpora für die vorliegende Studie zunächst intensiv bearbeitet: der automatischen Auswertung ging eine manuelle Indizierung nach Verweistypen und -funktionen voraus. Neben der Indizierung wurden besondere Phänomene/Auffälligkeiten einer Textstelle in einer direkt angefügten und farblich hervorgehobenen Fußnote erfasst. Der Elator der enthaltenen diskursdeiktischen Wendungen wurde in der elektronischen Fassung des Textes kursiviert und nach Typ bzw. Funktion indiziert: Typ: {TD} Typ Diskursaktualisierung {TP} Typ Positionsbestimmung {TK} Typ Komplexbildung Tokens des Verweistyps Komplexbildung wurden zusätzlich entweder als {I} Inkapsulator oder als {A} Aufzählung klassifiziert. Funktion: {FV} Funktion Verständnissicherung {FR} Funktion Referentenstrukturierung {FA} Funktion Argumentation Die so indizierten Korpora konnten dann mit einem Konkordanzprogramm ausgewertet werden, mit dessen Hilfe auch die Überschneidungen von Typen und Funktionen darstellbar sind und die unmittelbare Umsetzung von diskursdeiktischem Typ und diskursdeiktischer Funktion durch den Elator sichtbar wird. Für die vorliegende Studie wurde das Freeware-Programm AntConc 3.2.0w des Programmierers Laurence Anthony von der School of Science and Engineering der Waseda University 111
(Japan) (http://www.antlab.sci.waseda.ac.jp/) verwendet, das für die hier verfolgten Zwecke hervorragend geeignet ist. Der folgende Screenshot zeigt einen Ausschnitt einer Anfrage nach sämtlichen im Korpus Sénat enthaltenen diskursdeiktischen Verweisen. Überdies ist die Erstellung von Frequenzlisten, das Anzeigen des Kontextes zu einer Stelle in frei wählbarer Länge u.ä. möglich:
Abbildung 7: Screenshot des Konkordanzprogramms Antconc 3.2.0w
Nachfolgend werden die einzelnen Korpora vorgestellt und in ihren Besonderheiten beschrieben.
3.2
Korpus LeMonde: Zeitungsartikel
Das Korpus LeMonde wurde aus Zeitungsartikeln des Online-Auftritts von Le Monde unter www.lemonde.fr entnommen. Le Monde ragt unter den französischsprachigen Tageszeitungen hinsichtlich seiner internationalen Verbreitung und seines journalistischen Anspruchs heraus. Die Zeitung ist in gedruckter Form in 120 Ländern zugänglich, erscheint mit einer Auflage von 400.000 Exemplaren und erreicht in Frankreich täglich mehr als zwei Millionen Leser.3
3
Angaben aus dem 2003 erschienenen Dossier Portrai d’un quotidien, im Netz zu-
112
Das Online-Angebot von www.lemonde.fr ist bereits seit Dezember 1995 im Netz vertreten und gehört damit zu den Pionieren der frankophonen Zeitungsangebote im Internet. Mit Blick auf die Zahl der Zugriffe ist www.lemonde.fr der Marktführer unter den französischsprachigen Newsportalen: Im Januar 2010 wurden mehr als 5,2 Millionen Einzelnutzer gezählt, die den Webauftritt von LeMonde innerhalb eines Monats 46,7 Millionen Mal besuchten und 148 Millionen Seiten ansteuerten.4 Die Artikel, die in das Korpus LeMonde aufgenommen wurden, sind mehrheitlich auch in der gedruckten Ausgabe erschienen. Das Korpus enthält keine Leitartikel, Kolumnen, Interviews o.ä., sondern ausschließlich Nachrichten und Berichte5 aus den unterschiedlichen thematischen Rubriken. Das Korpus umfasst 133 einzelne Zeitungsartikel, von denen 54 zwischen dem 18. Februar und dem 1. April 2006 erschienen sind. Die übrigen 79 wurden zwischen dem 15. und dem 28. November 2006 publiziert. Für das Korpus wurden 107 unterschiedliche Autoren angenommen. Diese Zahl ergibt sich wie folgt: 48 der 133 Zeitungsartikel des Korpus hat die Redaktion von Le Monde von Nachrichtenagenturen übernommen (AFP, AP bzw. Reuters), 78 stammen von eigenen Korrespondenten, die unter dem Artikel auch jeweils namentlich angegeben sind. Für sechs der Artikel ist keine Autorschaft oder Quelle genannt, bei einem Artikel ist «Le monde.fr» als Quelle angegeben. Als unterschiedliche Autoren wurden die anonymen Artikel, die der Nachrichtenagenturen und die namentlich ausgewiesenen eingestuft. Die Differenz von 133 Texten zu 107 Autoren ergibt sich daraus, dass einige namentlich genannte Autoren mehrere Texte im Korpus verfasst haben. Die Texte sind schriftlich, distanzsprachlich und monologisch konzipiert. Zwar wird in einigen Passagen mündliche Rede wiedergegeben, sie sind jedoch insgesamt monologisch verfasst, da der Leser keine unmittelbare Reaktionsmöglichkeit hat und dialogisch verfasste journalistische Texte wie Interviews aus dem Korpus ausgeschlossen wurden.
4 5
gänglich unter http://a1692.g.akamai.net/f/1692/2042/1h/medias.lemonde.fr/medias/ pdf_obj/200305.pdf. Schmitt (2004, 72) nennt die Zahl von durchschnittlich 2.255.000 Lesern, «was etwa 4,8% der französischen Bevölkerung im Lesealter entspricht». Der Guide de la presse von 1990 ging dagegen von nur 1 Millionen Lesern in Frankreich aus (diese Zahl findet sich bei Bohnacker 1994, 147, Anm. 1). Nach den Erhebungen von Grosse / Seibold (1996, 7) lag Le Monde 1992 hinsichtlich seiner Verbreitung in Frankreich auch nur auf den dritten Platz nach Le Parisien und Le Figaro. Le Parisien hat eine Auflage von 450.000 Exemplaren (Grosse / Seibold 1996, 9). Lt. Schmitt (2004, 56) ist dagegen Ouest-France mit fast 800.000 Stück die auflagenstärkste französische Tageszeitung, während Le Figaro leicht hinter Le Monde rangiert. Informationen von http://www.lemonde.fr/web/article/0,1-0@2-3386,36-261391,0.html. Zu den Besonderheiten von Zeitungsartikeln und den unterschiedlichen journalistischen Textsorten, die in einer Zeitung enthalten sind, cf. 7.2.1 Die Textsorte «Zeitungsartikel/ Nachrichtentext» und das Korpus LeMonde.
113
3.3
Korpus Science: Wissenschaftliche Artikel
Das Korpus Science besteht aus drei Teilkorpora – Chirurgie, ALSIC und Mathématique – mit je 10 wissenschaftlichen Fachaufsätzen aus Fachzeitschriften der jeweiligen Disziplin, die vergleichend auf die Präsenz von Diskursdeixis hin untersucht wurden. Mit 113.650 Wörtern ist es das größte der vier analysierten Korpora. Die beiden Teilkorpora Chirurgie (34.000 Wörter) und Mathématique (33.000 Wörter) weisen einen ähnlichen Umfang auf, das Teilkorpus ALSIC ist mit 49.000 Wörtern das größte der drei Teilkorpora. Die dreißig Texte wurden jeweils von unterschiedlichen Autoren verfasst, teilweise auch von mehreren Autoren, so dass sich eine Gesamtautorenzahl von 60 ergibt. Die Zahl der Autoren pro Artikel erweist sich als fachspezifisch unterschiedlich: So wurden die 10 Fachaufsätze des Teilkorpus Mathématique von 12 Autoren verfasst; nur bei zwei Aufsätzen war mehr als ein Autor beteiligt (nämlich jeweils zwei). Im Teilkorpus ALSIC wurden sieben der zehn Fachaufsätze von Einzelautoren verfasst, zwei Beiträge von zwei Autoren und einer von fünf Autoren, woraus sich eine Gesamtzahl von 16 Autoren für dieses Teilkorpus ergibt. Im Korpus Chirurgie ist Einzelautorschaft dagegen die Ausnahme: Nur zwei der zehn Texte firmieren unter dem Namen eines einzigen Autors. Üblicher sind Teams von bis zu fünf Autoren, was zu einer Gesamtzahl von 32 Autoren für dieses Teilkorpus führt. Die Texte gehören sämtlich der konzeptionellen Schriftlichkeit an und weisen einen hohen Planungsgrad auf. Es folgen die Angaben zu den Teilkorpora. Teilkorpus Chirurgie: Das Teilkorpus Chirurgie enthält sechs Artikel der Zeitschrift Chirurgie de la main aus dem Jahr 2006 und vier Artikel der Zeitschrift Annales de chirurgie aus den Jahren 2005 und 2006. Beide Zeitschriften erscheinen bei Elsevier France und sind online zugänglich, teilweise jedoch gebührenpflichtig. Die Zeitschrift Chirurgie de la main (http://france.elsevier.com/direct/CHIMAI) erscheint seit 1981 und ging aus der Fusion der beiden Zeitschriften Annales de Chirurgie de la main et du membre supérieur sowie La main hervor. Es handelt sich um die offizielle Zeitschrift der Société française de chirurgie de la main, der Société suisse de chirurgie de la main und der Belgian Hand Group. Sie wird im Zitierindex der einschlägigen internationalen Datenbanken geführt. Die Adressaten sind Chirurgen, Mikro- und Neurochirurgen. Die Zeitschrift Annales de Chirurgie (http://france.elsevier.com/direct/ANNCHI) erscheint bereits seit 1743 und wird von der Académie nationale de chirurgie, der Association française de chirurgie, der Association francophone de chirurgie endocrinienne, der Société de chirurgie de Lyon, der Société française de chirurgie digestive sowie der Société française de chirurgie laparoscopique publiziert. Es handelt sich um eine Zeitschrift, in der Chirurgen unterschiedlichster Spezialgebiete ihre Erfahrungen mit bestimmten Behandlungs- und Operationsmethoden vorstellen und die sich mithin innerhalb der Chirurgie als «pluridisciplinaire» begreift (so auf der Homepage von Elsevier France). Die Adressaten sind nach Angabe der Her114
ausgeber u.a. Chirurgen von allgemeinen Krankenhäusern und Universitätskliniken sowie freie Chirurgen. Teilkorpus ALSIC: Das Teilkorpus ALSIC enthält zehn Artikel der Online-Zeitschrift Apprentissage des langues et systèmes d’information et de communication (ALSIC) von 2005. Sie ist frei im Netz zugänglich unter http://alsic.u-strasbg.fr/Alsic.html. Die Zeitschrift begreift sich als interdisziplinär und vereint u.a. Beiträge aus den Bereichen Didaktik, Angewandte Linguistik, Psycholinguistik, Erziehungswissenschaft und Informatik. Es werden theoretische sowie auf die Unterrichtspraxis bezogene Beiträge publiziert; die Zeitschrift richtet sich folglich an Wissenschaftler und an Lehrende. De facto überwiegen jedoch die theoretischen Arbeiten wissenschaftlicher Autoren. Teilkorpus Mathématique: Das Teilkorpus Mathématique enthält zehn Artikel der periodischen Publikation Journées équations aux dérivées partielles aus den Jahren 1996–2003. Die gleichnamige Tagung findet jedes Jahr im Juni in Saint-Jean-de-Monts statt; die Akten werden elektronisch sowie als Papierversion publiziert. Die Jahrgänge ab 1974 sind frei im Netz zugänglich unter http://www.numdam.org/numdam-bin/feuilleter?j=JEDP&sl=0 Die Beiträge richten sich an ein Fachpublikum von Mathematikern.
3.4
Korpus Sénat: Debatten im französischen Senat
Das Korpus Sénat besteht aus den endgültigen und vollständigen Transkripten (comptes rendus intégraux) der Debatten im französischen Senat an drei zusammenhängenden Sitzungstagen im April 2004. Die Sitzungen des französischen Senats finden in einem Saal statt, über dem sich für die interessierte Öffentlichkeit Tribünen mit ca. 400 Plätzen befinden, von denen ein Teil der akkreditierten Presse zur Verfügung steht. Der Sitzungssaal hat die Form eines Halbkreises (L’Hémicycle), die Senatoren schauen also auf den Kreismittelpunkt, in dem sich das Rednerpult befindet. Hinter dem Rednerpult sitzen der Senatspräsident und diejenigen Senatoren,6 die die Funktion des «secrétaire du Senat» innehaben. Die Stenographen (les fonctionnaires des comptes rendus) sitzen im französischen Senat vor dem Rednerpult mit Blick auf die Senatoren; dem Rednerpult wenden Sie den Rücken zu. Sie wechseln sich alle drei Minuten ab.7
6 7
Das ist nötig, damit sie die Zwischenrufe lokalisieren können. Im Bundestag erfolgt der Wechsel alle fünf Minuten, dazu Burkhardt (2003, 470).
115
Seit 1848 gibt es ein gemeinsames amtliches Stenographenbüro für beide Kammern des französischen Parlaments (Burkhardt 2003, 458). Die Veröffentlichung der Parlamentsprotokolle ist in der französischen Verfassung festgeschrieben (Artikel 33, Absatz 1): «Les séances des deux assemblées sont publiques. Le compte rendu intégral des débats est publié au Journal officiel». Die vollständigen Transkripte (les comptes rendus intégraux) sämtlicher Senatsdebatten sind darüber hinaus mit einer Verzögerung von ca. 48 Stunden nach dem entsprechenden Sitzungstag online unter http://www.senat.fr zugänglich. Noch vor Veröffentlichung der vollständigen Transkripte werden direkt während der laufenden Debatte die comptes rendus sommaires zur Verfügung gestellt, die es gestatten, den Fortgang der Debatte live zu verfolgen. Sie werden bereits einige Stunden nach Ende des Sitzungstags von den comptes rendus analytiques abgelöst, die eine immer noch verkürzte, aber im Vergleich zu den vorher genannten doch ausführlichere Fassung des Transkripts enthalten. Das Korpus Sénat enthält die comptes rendus intégraux der Senatssitzungen vom 5., 6. und 7. April 2004. Es ist mit 65.541 Wörtern das kleinste der untersuchten Korpora. Insgesamt sind Redebeiträge von 55 unterschiedlichen Sprechern enthalten. Diese Zahl ergibt sich wie folgt: Am ersten der drei analysierten Sitzungstage sind 15 verschiedene Sprecher im Protokoll aufgeführt, am zweiten Tag sind es 16 und am dritten Tag sind es 36 verschiedene Sprecher. Mehrere Sprecher treten an mehr als einem Sitzungstag im Korpus mit Redebeiträgen auf und wurden folglich nur einmal gewertet. Der Planungsgrad des Korpus wurde zu Beginn dieses Kapitels mit «hoch bis mittel» beschrieben. Diese ungenaue Beschreibung erklärt sich durch eine interne Varianz im Korpus: Einige Teile weisen einen hohen Planungsgrad auf, z.B. schriftlich ausgearbeitete Reden. Andere Teile enthalten mündliche Debatten, die einen niedrigeren Planungsgrad aufweisen. Auf diese internen Differenzen im Korpus wird im Zuge der Korpusauswertung im 7. Kapitel genauer eingegangen.
3.5
Korpus Oral: Informelle gesprochene Dialoge und Konversationen
Das Korpus Oral ist ein Teil des C-Oral-Rom-Korpus, das 2005 in einer reduzierten Fassung von Benjamins publiziert worden ist (Cresti / Moneglia 2005). Neben einem einführenden Band, in dem das Projekt und einige Anwendungsmöglichkeiten vorgestellt werden, enthält es eine DVD mit Sprachdaten zu vier romanischen Sprachen (Französisch, Italienisch, Portugiesisch und Spanisch), wobei für jede Sprache Transkripte und Aufnahmen im Umfang von ca. 300.000 Wörtern vorliegen. Die Transkription zu jedem Text enthält Informationen zur Zahl der Gesprächsteilnehmer, ihrem Alter, Bildungsstand und ihrer regionalen Herkunft. Die Sprachdaten sind mit den Transkriptionen durch ein Alignment-Programm verbunden, so dass nach Strings automatisch gesucht werden kann, die dann durch Mouseklick auf den Text direkt als Audiodatei abgespielt werden können. Das ist für eine Untersuchung phonologischer Phänomene besonders hilfreich. 116
Die transkribierten Texte sind nach diaphasischen Gesichtspunkten sowie nach den Beschaffenheiten der Gesprächssituation unterteilt. Für alle Sprachen ist dabei die folgende Aufgliederung vorgesehen: Korpus Frz., Ital., Portug., Span.
Informell
Familie / Privat
Formell
Öffentlich
Telephon
Medien
Monolog
Monolog
MenschMaschine
Dialog
Dialog
Private Konversation
Konversation
Konversation
Natürlicher Kontext
Abbildung 8: Gliederung der erhobenen Daten im C-Oral-Rom
Die kursivierten Bereiche: «Dialog» und «Konversation» in «Familie / Privat» des Bereichs «Informell» habe ich für meine Analyse unter dem Titel «Korpus Oral» verwendet. Diese Auswahl begründet sich wie folgt: Im Sinne einer zumindest annähernden quantitativen Vergleichbarkeit zwischen den Korpora konnte nicht das gesamte COral-Rom für Französisch einbezogen werden, das im Wortumfang der Summe aller vier analysierten Korpora gleichkommt. Da ich eine möglichst große Varianz innerhalb des Gesamtkorpus erzielen wollte, boten sich darum die privaten Konversationen als Kontrast zu den öffentlichen Debatten im französischen Senat an. Um eine ausgewogene Situation bezüglich der monologischen und dialogischen Korpora zu erzielen, war wiederum ein Ausschluss der monologischen nähesprachlichen Texte des C-Oral-Rom sinnvoll. So umfasst das Korpus Oral die nähesprachlichen Texte mit mindestens zwei Gesprächspartnern aus dem französischen Teil des COral-Rom. Damit liegt das Korpus Oral mit 82.631 Wörtern im Korpusmittel (Ø 82.792 Wörter). Die Angabe zur Zahl der Wörter habe ich den Metadata-Angaben zu den C-Oral-Rom-Transkripten entnommen. Der Ausschnitt des C-Oral-Rom, der in das Korpus Oral eingegangen ist, enthält Beiträge von 74 Sprechern. Dabei habe ich eine Liste aller Sprecher erstellt, in der jeder Sprecher nur einmal berücksichtigt wurde, auch wenn er in mehreren Gesprächen Redebeiträge übernommen hat.
117
118
4
4.1
Der «Elator» – das diskursdeiktische Inventar
Zur Kategorie des Elators: Deiktische und nichtdeiktische, verbale und nonverbale Anteile des Elators
Im Kapitel 2 wird der Begriff «Elator» als Gegenstück zum Salienzbegriff eingeführt.1 «Salienz» bezeichnet eine Eigenschaft des Referenten – ist dieser «salient», d.h. ‘hervorstehend’, so ist er für eine anaphorische Wiederaufnahme geeignet; ist er es nicht, wird ein deiktischer Verweis benötigt. Deiktische Verweise stellen folglich Salienz her; d.h. sie befördern den Referenten in eine saliente Position. Der Begriff «Elator» greift dies auf: Zurückgehend auf lat. efferre ‘herausbefördern, hervortragen’ wird die Eigenschaft eines diskursdeiktischen Verweises bezeichnet, Referenten salient zu machen. Mit «Elator», gefasst als abstrakte Kategorie, bezeichne ich die Ebene der inventarseitigen Realisierung deiktischer und folglich auch diskursdeiktischer Verweise. Der Elator umfasst alle verbalen und nonverbalen Elemente, die zur Realisierung des deiktischen Prozesses eingesetzt werden. Dies sei mit der folgenden, bereits in Kapitel 2 vorgestellten Abbildung veranschaulicht:
Elator
nonverbal
verbal
– Gesten – Intonation – Zeichensetzung
deiktisch – lokale / temp. Adv. – deiktischer Tempusgebrauch – etc.
nichtdeiktisch – Inform. zur Verweisdomäne – Inform. zur Art des Referenten
Abbildung 9: Bestandteile des Elators
1
Zum Salienzbegriff cf. 1.2 Verweisdomäne vs. Salienz.
119
Ebenso wie die beiden anderen Analyseebenen ist der Elator in hohem Maße abhängig von Textsorte und Realisationsart des Textes bzw. Diskurses, in dem sich diskursdeiktischer Verweis und Referent befinden. Gesten und Intonation etwa sind für medial schriftliche Textsorten ausgeschlossen, während mündlich realisierte Textsorten keine Zeichensetzung aufweisen. Selbiges trifft jedoch auch auf die verbalen Anteile des Elators (deiktische wie nichtdeiktische) zu. So steigt der unternommene Formulierungsaufwand tendenziell mit dem Planungsgrad eines Textes; Inkapsulatoren werden in konzeptionell schriftlichen Texten mit Nominalphrasen ausgeführt, während in informeller mündlicher Rede Inkapsulatoren überwiegen, die pronominale oder adverbiale deiktische Elemente enthalten. Auch die Deiktika im engeren Sinne sind von der Textsorte, in der sie auftreten, beeinflusst. Jedoch trifft dies nicht in so umfassendem Maße zu wie bislang angenommen. In der Literatur überwiegt die Auffassung «schriftlicher Text = lokale (und teilweise temporale) Deiktika vs. mündlicher Text = temporale Deiktika». Diewald (1991, 124) etwa vertritt die Auffassung, die lokale Dimension trete dann auf, «wenn der Text schriftlich vorliegt, d.h. wenn er in räumlicher Linearität wahrnehmbar ist», während Deiktika der temporalen Dimension bei mündlichen wie schriftlichen Texten auftreten könnten. Lenz (1997, 63) führt aus, es sei «nicht verwunderlich, daß wir im Rahmen der mündlichen Diskursdeixis in erster Linie Ausdrücke finden, die ansonsten temporaldeiktisch gebraucht werden. Lokaldeiktische Ausdrücke kommen eigentlich nur in schriftlichen Texten vor». Die Korpusbefunde bestätigen diese Annahme allerdings nicht. Im nähesprachlichen, dialogischen Korpus Oral sind 66 positionale diskursdeiktische Verweise belegt, von denen 12 mit temporalen Deiktika, 17 aber mit lokalen Deiktika, weitere 12 mit objektalen Deiktika und weitere 25 allein über das Tempus ausgeführt werden.2 Ein diskursdeiktischer Verweis mit lokalem Deiktikon ist im folgenden Beispiel enthalten: (1) *MAR: ça / quand même / (Oral)
Durch die Reliefstruktur und die Wiederaufnahme mit où wird deutlich, dass là (paraphrasierbar mit à ce point) hier auch tatsächlich einen lokalen Verweis darstellt. Der Sprecher referiert damit auf eine Stelle im Turn seines Vorredners. Das Gros der diskursdeiktischen Verweise in den Korpora – wobei im Korpus Oral der Abstand besonders deutlich ist – wird jedoch weder mit Deiktika der temporalen noch der lokalen Dimension ausgeführt, sondern mit solchen der objektalen und modalen Dimension.3 Objektale Deiktika finden sich, wie eben gezeigt wurde, sogar in positionalen Verweisen. Den frequentesten Verweistyp (Komplex-
2
3
Die Eigenschaft, diskursdeiktische Verweise über das Tempus auszuführen, hatte Conte (1999, 12) als Spezifik wissenschaftlicher Texte ausgemacht. Dort sind solche Verweise zwar in der Tat häufig, aber sie sind, wie man sieht, nicht auf wissenschaftliche Texte festgelegt. Zum Terminologischen bezüglich der deiktischen Dimensionen cf. 1.7.1 Dimensionen und Modi.
120
bildung) dominieren dann gänzlich die objektalen Deiktika; gleiches gilt für die modalen Deiktika. Es gibt jedoch einige Verweise bzw. einige Deiktika, die in bestimmten Textsorten tendenziell nicht vorkommen. So ist im Korpus Oral kein Token von cela und keines von ainsi enthalten, beide gehören der distanzsprachlichen Kommunikation an. Eine generelle Aussage wie «keine lokalen diskursdeiktischen Verweise in mündlicher Kommunikation» hält dagegen einer Überprüfung anhand eines Korpus nicht stand. Bei derartigen Fragen zeigt sich auch, dass die Unterscheidung von Verweistyp und Elator von Bedeutung ist. Hier können leicht Verwechslungen auftreten, denn der Verweistyp ist relativ eng mit dem Elator verbunden: Die Zugehörigkeit zu einem der drei diskursdeiktischen Referenztypen ist im Elator ablesbar. Aus diesem Grunde werden im 7. Kapitel die diskursdeiktischen Verweistypen und ihre Umsetzung im Elator im Korpus auch in einem gemeinsamen Abschnitt behandelt. Zur kategorialen Unterscheidung werden beide Ebenen aber in diesem und dem folgenden Kapitel getrennt behandelt. Ein großer Teil der Deiktika ist verweistypübergreifend polyvalent, z.B. ici und andere Kerndeiktika, die in allen drei Verweistypen eingesetzt werden können.4 Das vorliegende Kapitel nimmt entsprechend vorrangig die deiktischen Anteile des Elators in den Fokus. So ergibt sich eine Ordnung des Materials nach deiktischen Dimensionen, der ein kurzes Teilkapitel über die nichtdeiktischen Anteile des Elators folgt. Damit soll herausgearbeitet werden, dass für die Untersuchung der tatsächlichen Realisation diskursdeiktischer Verweise in den Korpora eine Ordnung nach Verweistypen zwar durchaus angemessen ist, dass der Elator jedoch nicht im «Verweistyp» aufgeht. Die deiktischen Anteile am Elator verlangen eine gesonderte Behandlung: Zwar werden zum korrekten Auffinden des Referenten mehr Informationen benötigt, als die Deiktika enthalten, jedoch handelt es sich ohne diese Deiktika gar nicht um deiktische Verweise. Trotz der Einbeziehung nichtdeiktischer und gar nonverbaler Elemente kommt den Deiktika damit eine besondere Position zu. Außerdem wurde die bisherige Diskussion in der Deixisforschung stets mit Blick auf die deiktischen Dimensionen geführt («lokaler oder temporaler Verweis»), so dass sich die nachfolgenden Ausführungen in die Debatte einfügen. In den folgenden Teilkapiteln wird auf allgemeine Eigenschaften des Elators in diskursdeiktischen Wendungen eingegangen. Detaillierte Ausführungen zu den korpusspezifischen Ausprägungen finden sich in Kapitel 7 dieser Arbeit.
4
Die Ablesbarkeit des Verweistyps im Elator begründet sich auch nicht in erster Linie über die Deiktika, sondern über die nichtdeiktischen Anteile des Elators.
121
4.2
Lokale Verortung des Referenten
4.2.1
Lokaldeiktische Mittel in diskursdeiktischen Wendungen
Es seien zunächst die Adverbien aufgeführt, die innerhalb der Korpora in diskursdeiktischer Verwendung belegt sind. Dazu sind jeweils Belege aus den Korpora angeführt: Deiktikon
Zahl der Tokens
Beispiel
Là là
47
-là
5
là-dessus
2
voilà
122
L’histoire de ce mot ne se termine pas là: […] (ScienceALSIC); Nous sommes là au coeur du débat (Sénat); ce que tu dis là (Oral) dans ce cadre-là (LeMonde), cette histoire-là (Oral), ce terme-là (Oral) moi je suis pas très savante là-dessus (Oral); il y a un Belge qui a fait un livre là-dessus (Oral) voilà un geste bienvenu (LeMonde); Voilà une impasse qui était annoncée (Sénat); voilà ce qu’ils arrivaient à se payer (Oral)
Ici/ci ici
69
ci-dessus
5
ci-dessous
6
ci-après celui-ci
1 38
voici
7
plus haut
2
plus loin
2
On ne donnera ici qu’une idée (Science-Mathématique); On compare ici nos résultats avec une étude (Science-Mathématique); «Noncaractéristique» veut dire ici (Science-Mathématique) analogue au cas modèle présenté ci-dessus (Science-Mathématique); les mêmes notations que ci-dessus (ScienceMathématique); la cohorte de patients décrite ci-dessus (Science-Chirurgie) voir (III. 7) ci-dessous (Science-Mathématique); les quelques exemples ci-dessous (Science-ALSIC); une des cinq langues présentées ci-dessous (Science-ALSIC) Les graphiques ci-après (Science-Chirurgie) entré en contact direct avec l’ambassadeur d’Iran à l’ONU, Jawad Zarif. Celui-ci a indiqué […] (LeMonde) Voici donc les principales conclusions (Science-ALSIC); Voici un exemple de motifs (Science-ALSIC); Voici quel sera l’ordre du jour de la prochaine séance (Sénat) le cas modèle présenté plus haut (Science-Mathématique); Comme nous l’avons indiqué plus haut (Science-Mathématique) la représentation de Fock, défini plus loin (Science-Mathématique), nous y reviendrons plus loin (Science-ALSIC)
Tabelle 6: Lokaldeiktische Mittel in diskursdeiktischen Verweisen
122
Die lokaldeiktischen Mittel für diskursdeiktische Verweise sind in ihrer Varianz beschränkt. Vom ternären Paradigma ici – là – là-bas sind nur die beiden ersteren in diskursdeiktischen Verweisen verwendbar. Auch die Verteilung der Formen von ici und là ist in den Korpora sehr unterschiedlich. Smith (1995) weist in seinem Aufsatz darauf hin, dass im Französischen der Gegenwart eine generelle Tendenz zu beobachten ist, wonach die distalen Deiktika die Verwendungen der proximalen übernehmen.5 Sprecher bevorzugen also die distalen Varianten selbst in Verweisen auf Referenten in Proximität der Origo. Dieser Trend lässt sich auch in den hier verwendeten Korpora ablesen. Die dominierende Verwendung von là ist – auf die Gesamtheit der Korpora gerechnet – jedoch nicht die diskursdeiktische, sondern diejenige als Diskursmarker. Dafür ist Oral bestimmend: Von 517 Tokens von là in den Korpora sind 450 in Oral belegt. Nur 47 der 517 Tokens – also weniger als 10% – sind diskursdeiktisch. Die Beobachtung von Große (2006), dass là in diskursdeiktischer Verwendung häufig und zunehmend in Verbindung mit dem Diskursmarker alors auftrete, wird durch die Befunde in meinem Korpus nicht gestützt. Alors là tritt nur 27mal in den Korpora auf (d.h. 27 von 517 Tokens), alle davon in Oral. Nur drei dieser Tokens sind Teil eines diskursdeiktischen Verweises, alle anderen sind reine Diskursmarker. Die Aussage «(c)ette combinaison des marqueurs tend de plus en plus à se fixer en français parlé» (Große 2006, 127) spiegelt sich folglich nicht im hier analysierten Teil des C-Oral-Rom wider. Die Distribution der Formen von ici und là in den Korpora ist aber darüber hinaus auch von den Eigenschaften der Textsorte abhängig, in der sie verwendet werden: Die Deiktika der Gruppe là (là, ce N-là, là-dessus, voilà) weisen eine Affinität zum nähesprachlichen Diskurs auf und sind mithin überproportional in Oral vertreten. Am wenigsten textsortenmarkiert ist dabei là selbst, das in allen Korpora außer in LeMonde auftritt, wenn auch mit der höchsten Tokenzahl in Oral. Die Formen von ce N-là sind mit nur fünf Tokens vertreten, vier davon in Oral. Formen von celui-là in diskursdeiktischer Verwendung sind im Korpus nicht enthalten; die belegten Tokens sind sämtlich situationsdeiktisch oder anaphorisch. Im Korpus Sénat wird mit dieser Konstruktion ein temporaler Verweis ausgeführt (À ce moment-là [Sénat]), der folglich nicht unter die diskursdeiktischen Verweise aufgenommen wurde. Beide Tokens von là-dessus sind in Oral belegt. Voilà ist in drei der vier Korpora belegt (in allen außer in Science), allerdings finden sich 109 der 122 Token von voilà in diskursdeiktischer Verwendung in Oral.6 Die Realisierungsformen von ici/ci weisen dagegen eine distanzsprachliche Fixierung auf. Keine von ihnen ist in diskursdeiktischer Verwendung in Oral belegt. Vor allem in dem Korpus, das am stärksten dem distanzsprachlichen Bereich
5
6
Das Verhältnis beider Formen zueinander sowie zu weiteren lokaldeiktischen Adverbien im Mittelfranzösischen hat Perret (1988) beschrieben. Bereits im Mittelfranzösischen wies là (bzw. la) demnach eine größere Funktionsbreite auf als die proximalen Formen; einen Überblick zu là bietet Große (2006) und zu ici Kleiber (2010); zu englisch here vgl. Bamford (2004). Zu voilà cf. das sich anschließende Teilkapitel 4.2.2 Voilà und voici.
123
zugehört, nämlich Science, sind Formen von ici in diskursdeiktischen Verweisen frequent. Die als typische Diskursdeiktika geltenden Kombinationen aus Deiktikon und Präposition (ci-dessus, ci-dessous, ci-après) sind sogar ausschließlich in Science belegt. Formen von celui-ci sind auch im Korpus LeMonde frequent; in Oral fehlen sie ganz. Interessant ist, dass auch die Form ce N-ci im Korpus Oral nicht belegt ist. Hier zeigt sich die bereits in 1.3 Lokalismus erwähnte Tendenz, dass im gegenwärtigen Französisch die distalen Varianten (also -là, aber auch cela) die proximalen zurückdrängen. Die in den Beispielsammlungen der Sekundärliteratur oft als typische Diskursdeiktika angeführten Adverbien des Typs oben und unten etc. sind im Korpus dagegen rar: Science enthält zwei Tokens von plus haut,7 Formen von bas sind in diskursdeiktischer Lesart gar nicht belegt. Hinzu kommt die lokale Präposition après, die mehrfach in der senatstypischen Formulierung après les mots […] insérer […] auftritt und hier das deiktische Element im Elator der diskursdeiktischen Wendung darstellt. Ci-dessus ist mit fünf, ci-dessous mit sechs und ci-après mit nur einem Token in den Korpora belegt, alle in Science. Einen Sonderfall stellt das folgende Beispiel, ebenfalls aus Science, dar: (2) Ainsi on a
]e = O (f)
dans
C 0 ([0, T0], H
d 2
) + L2 ([0, T0], H ),
-1
d 2
et donc on peut transformer l’équation (3) de la manière suivante, où le membre de droite {TP} {FR} est séparé en trois fonctions qui différent par leur dépendance en e. (Science-Mathématique)
Mit membre de droite wird auf die rechte Seite der direkt zuvor angeführten Gleichung verwiesen. Allerdings ist membre de droite ein mathematischer Terminus (dt.: ‘rechte Seite der Gleichung’), der nicht in jedem Fall deiktisch verwendet wird (z.B. in le membre de droite d’une équation…). Die Deiktizität ist im konkreten Fall jedoch gegeben, da auf die rechte Seite der oben stehenden Gleichung verwiesen wird, die damit zum diskursiven Objekt des Verweises wird. Es handelt sich jedoch um ein isoliertes Beispiel. 4.2.2
Voilà und voici
Wegen der hohen Zahl der Tokens von voilà, das mit Abstand das frequenteste lokale Deiktikon in diskursdeiktischer Verwendung in den für die vorliegende Studie analysierten Korpora ist, möchte ich in diesem Abschnitt einen genaueren Blick auf dieses Deiktikon und sein scheinbares Pendant, voici, richten. Die Präsentative voici und vor allem voilà haben von Seiten der Forschung großes Interesse auf sich gezogen,8 wobei voilà noch weitere Verwendungsmöglichkeiten aufweist. Schwie-
7 8
Sowie ebenfalls zwei Tokens von plus loin. Cf. u.a. Bergen / Plauché (2005), Dassi (2003), Bouchard (1988), Morin (1985 und 1988) und Anquetil-Moignet (1980), sowie eine ganze Reihe weiterer Autoren, die voilà
124
rigkeiten bereitet bereits die Einordnung in die Wortarten. Wie Morin (1985, 781) ausführt, wurden voici/voilà in grammatischen Abhandlungen des 19. Jahrhunderts sowie in lexikographischen Arbeiten bis hin zu den modernen Ausgaben des Petit Robert meist als Präpositionen eingestuft. Andere Autoren rechnen sie zu den Interjektionen, den Adverbien, den Präsentativen oder zu den verbalen Elementen bzw. Verben, wobei Morin die letztgenannte Kategorie favorisiert und dies in seiner Studie mit syntaktischen Argumenten nachweist. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die von Morin aufgeführten Kategorien nicht auf derselben Ebene liegen: Eine funktionale Einstufung als Präsentativ steht meiner Ansicht nach der Einstufung als Adverb nicht entgegen. Gleichwohl zeichnet sich ab, dass die genaue Einordnung problematisch ist, zumal die möglichen Verwendungen so stark voneinander abweichen, dass eine Klassifikation aller Verwendungen von voici/voilà in derselben Kategorie von Wortart oder Funktion unmöglich erscheint. Beide Präsentative erscheinen vereinzelt bereits seit dem 13. Jahrhundert als Lexeme.9 Ihre Verwendung als Präsentativ entspricht der Bedeutung der Morpheme, aus denen voici und voilà zusammengesetzt sind: Da ist zunächst der imperativische verbale Anteil voi-, der den Hörer auffordert, einen Perzeptionsakt zu vollziehen, d.h. einen Gegenstand wahrzunehmen. Hinzu kommt eine Angabe zur Entfernung des Referenten: -ci für einen proximalen bzw. -là für einen distalen Referenten.10 Voici und voilà sind folglich in ihrer ursprünglichen Bedeutung erkennbar situationsdeiktisch. Dennoch sind sie hinsichtlich ihrer möglichen Funktionen und der Frequenz ihres Vorkommens alles andere als gleichwertig. Eine gekoppelte Verwendung beider Formen, die bei ce livre-ci et ce livre-là immerhin grammatisch ist (wenn auch im Korpus nicht belegt), im Sinne von *voici un livre bleu et voilà un livre rouge ist nicht möglich. Stärker noch als voici ist voilà polyfunktional. Drei mögliche Funktionen von voilà benennen Bruxelles / Traverso: «un voilà déictic-présentatif / ‘eurêka’, à valeur fondamentalement ostentative; un voilà marqueur de structuration, attesté dans les phases de transition locale ou globale; un voilà exhibant l’accord, caractérisé par sa position réactive» (2006, 71). Dabei handelt es sich lt. den Autorinnen bei den beiden letztgenannten um zwei Typen der Verwendung als Diskursmarker.11 Die hier vorgenommene Unterteilung weicht von derjenigen in Traverso /
9 10 11
und voici neben anderen Präsentativen behandeln, so z.B. Iliescu (2010) und Maiworm (2003). Bergen / Plauché (2001). Zu ihrer Entwicklung bis zum 15. Jahrhundert cf. OppermannMarsaux (2006) und Iliescu (2010). Dass dies nicht der aktuellen Verwendung entspricht, wird nachfolgend noch ausgeführt. Cf. auch die Ausführungen zu voilà als Diskursmarker in 2.3.2 Diskursdeixis und Diskursmarker. Eine noch detailliertere Funktionsanalyse von voici und voilà als diejenige von Bruxelles / Traverso (2006) findet sich in Iliescu (2010) und Bergen / Plauché (2000 und 2001). Es handelt sich in letzterem Falle um einen lokalistischen Ansatz, der nicht mit den hier angesetzten Kategorien kompatibel ist. Darum werden die von den beiden Autoren vorgeschlagenen Kategorien hier nicht detailliert beschrieben. Eine weitere Liste möglicher, teilweise sehr ungewöhnlicher Verwendungen von voilà (und voici) liefert Mo-
125
Bruxelles (2006) ab, denn bei der von den Autorinnen «voilà déictic-présentatif» genannten Verwendung wird hier zwischen einer diskursdeiktischen, einer situationsdeiktischen und einer anaphorischen Verwendung unterschieden. Auch ein Teil der Fälle von «voilà marqueur de structuration» werden von mir als diskursdeiktisch eingestuft. Bei voilà tritt heute die situationsdeiktische Verwendung deutlich hinter anderen Verwendungen zurück, auch hinter der diskursdeiktischen. Von der diskursdeiktischen Verwendung, d.h. vom Verweis auf Elemente des Diskurses, ist der Übergang zu textstrukturierenden Elementen ohne primär deiktische Lesart fließend. Dies wird in der Studie von Bruxelles / Traverso (2006) besonders klar, die nicht zwischen diskursdeiktischer und Diskursmarkerverwendung unterscheiden, wodurch implizit gerade die Übergangsbereiche zwischen beiden Verwendungen deutlich werden (das gilt auch für Iliescu 2010). In ihren Beispielen zeigt sich überdies, dass es selbst zwischen situationsdeiktischer Verwendung und Verwendung als Diskursmarker zu Lesartenüberschneidungen kommen kann. Auch der Übergang von diskursdeiktischer Verwendung zum Diskursmarker ist kein Automatismus, wie man daran sieht, dass voici, anders als voilà, neben einer situationsdeiktischen Verwendung zwar auch diskursdeiktisch verwendet werden kann, jedoch keine Verwendung als Diskursmarker zulässt. Im Falle von voilà existiert demgegenüber eine ausgeprägte Dominanz des Vorkommens als Diskursmarker, die in Oral quantitativ die anderen Verwendungen eindeutig übersteigt. Das wird in der folgenden Tabelle illustriert, in der die unterschiedlichen Verwendungen von voilà in ihrer quantitativen Verteilung in den Korpora vorgestellt werden: diskursdeiktisch
gesamt
situationsdeiktisch
anaphorisch
Diskursmarker
LeMonde
3
2
0
1
0
Science
0
0
0
0
0
Sénat
13
11
2
0
0
Oral
273
109
0
0
164
Gesamt
289
122
2
1
164
Tabelle 7: Voilà in den Korpora
rin (1985, 788–90). Dabei betreffen von 17 unterschiedlichen Verwendungsmöglichkeiten in seiner Liste 14 Beispiele voilà und nur 4 voici. Dieses Ungleichgewicht thematisiert er jedoch nicht und zieht vielmehr seine Schlussfolgerungen für beide Präsentative, obwohl zu untersuchen bliebe, ob sie tatsächlich auch für voici zutreffen.
126
Wie die Tabelle zeigt, kann voilà durchaus noch immer situationsdeiktisch verwendet werden, dieser Typ ist jedoch den anderen Verwendungen gegenüber marginal. Im Übrigen enthält das Korpus Oral interessanterweise kein einziges Beispiel für situationsdeiktisches voilà, obwohl es den mit Abstand größten Teil aller Okkurrenzen von voilà in den Korpora stellt und obwohl die face-to-face-Situation eine solche Verwendung prinzipiell möglich macht. Situationsdeiktische Verwendungen von voilà sind lediglich im Korpus Sénat sporadisch nachweisbar. Das als «anaphorisch» ausgewiesene Token von voilà in LeMonde bezieht sich auch auf die Wiedergabe eines situationsdeiktischen Verweises in der ursprünglichen face-toface-Situation: (3) A nouveau, la forme noire bondit hors de la rivière, face au torrent d’écume qui dévale du barrage. ‹C’est formidable, je n’en ai jamais vu si souvent. Regardez, le voilà encore!› (LeMonde)
Die Position der Sprechenden in der Situation am Rande des Wehrs sowie des Fischstroms sind bereits schriftlich eingeführt, so dass Regardez, le voilà encore den (salienten und, wie à nouveau suggeriert, bereits mehrfach im Diskurs thematisierten) Fischstrom im Wehr als Antezedenten (wenn auch ad sensum) hat. Ursprünglich war es dagegen ein situationsdeiktischer Verweis.12 In den letzten Jahrzehnten rückte zunehmend das Interesse an der Verwendung von voilà als Diskursmarker in den Vordergrund, wofür stellvertretend die Studie von Hansen (1998) sowie die in Roulet et al. (1985) zu diesem Thema publizierten Arbeiten der Genfer Schule zitiert seien. Dieses Interesse ist durch die Verteilung der Verwendungen von voilà gerechtfertigt, was sich auch an den hier analysierten Korpora nachvollziehen lässt: Auf die Gesamtkorpora gerechnet ist die Verwendung von voilà als Marker mit 164 von 289 Tokens mit Abstand am frequentesten. Alle diese Tokens sind im Korpus Oral belegt. Das bestätigt, dass dieser Diskursmarker vor allem in konzeptionell mündlichen Kontexten vorkommt. Diese müssen nicht dem privat-familiären Bereich zugehören, wie die Studie von Bruxelles / Traverso (2006) belegt, die die Verwendung von voilà in einer Arbeitssitzung dreier Architekten untersuchen. Bruxelles / Traverso sehen, wie bereits erwähnt, die Verwendung von voilà in der Funktion eines «marqueur de le structuration de l’interaction» als eine der beiden Hauptverwendungsmöglichkeiten neben der situationsdeiktischen an. Die Verwendung als Diskursmarker ist nach den beiden Autorinnen dadurch gekennzeichnet, «[que l]es voilà de cette catégorie ne sont pas liés à la monstration d’un objet» ( Bruxelles / Traverso 2006, 80). Das trifft natürlich auch auf die diskursdeiktische Verwendung zu, die bei Bruxelles / Traverso (2006) nicht als eigenständige Verweisart angesehen wird. Für die Diskursmarkerlesart konstatieren die Au-
12
Es handelt sich um ein Beispiel fingierter Mündlichkeit, auf die weiter unten in 4.6.3 Comme ça / comme cela sowie in 7.2.2.1 Komplexbildungen im Korpus LeMonde und ihre Realisierung eingegangen wird.
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torinnen eine häufige Ko-Okkurrenz weiterer Marker, wie sie bei Diskursmarkern oft auftritt. Die von den Autorinnen als eine typische Verwendung des Markers voilà herausgestellte Markierung einer «frontière entre […] deux activités» (2006, 81) zeigt den diskursdeiktischen Ursprung dieser Verwendung: Es wird ein Thema bzw. ein Argument abgeschlossen und mit voilà resümierend zusammengefasst. Im Anschluss daran kann ein neues Argument eingeführt werden. Das ist im folgenden Beispiel der Fall, an dem sich der Übergang von der diskursdeiktischen Lesart zum Diskursmarker nachvollziehen lässt. Sprecherin VAL fasst ihren eigenen Turn bestätigend mit pour moi / c’est ça zusammen. Es folgen einige Marker, die den Abschluss des Arguments bezeichnen: donc, zweimal euh und voilà. Dann folgt ein neuer Gedanke: (4) *VAL: oui // # pour moi / c’est ça {TK} {FA} {I} // donc &euh *CYR: // *VAL: # voilà / toi quand tu parles de truc idéal [/] mais ton truc à toi / c’est quoi? # parce que tu en penses quoi de l’amour est-il une denrée périssable? # (Oral)
Dabei hat pour moi / c’est ça gleichfalls die Funktion, bestätigend das Argument abzuschließen. Die diskursdeiktische Lesart überwiegt hier jedoch, nicht zuletzt wegen pour moi, das diese Lesart nahelegt, weil es den Geltungsbereich des zuvor Gesagten auf die Sprecherposition beschränkt und damit eine argumentative Funktion aufweist. Voilà hat als Inkapsulator ebenfalls bestätigende Funktion; diese ist in wenig ausgeprägter Form auch im vorliegenden Fall noch enthalten. Die Lesart als Diskursmarker überwiegt jedoch deutlich. Bei der zweiten von Bruxelles / Traverso unterschiedenen Kategorie – «voilà marqueur exprimant l’établissement d’un accord» (2006, 82) – ist der Übergang zur diskursdeiktischen Lesart ebenfalls deutlich. Voilà ist hier reaktives Hörersignal zum Ausdruck des Einverständnisses, dem oft eine «demande de confirmation» (2006, 82) vorausgeht. Damit resümiert voilà den vorangegangenen Beitrag. Erfolgt keine weitergehende Stellungnahme, so wurden die entsprechenden Beispiele in Korpus Oral als reine Diskursmarker eingestuft und folglich nicht indiziert. War voilà jedoch Teil einer Einschätzung des Gesagten, die sich als eigener Turn des Hörers gestaltete, so wurde von einer diskursdeiktischen Lesart ausgegangen (die Lesart als Diskursmarker bleibt in solchen Fällen aber trotzdem gewahrt). Das ist im folgenden Beispiel der Fall, wo CHA mehrfach versucht, den Turn zu übernehmen, was ihr mit dem voilà enthaltenden, resümierend-zustimmenden Beitrag schließlich gelingt: (5) *EMM: c’est que tu prends conscience / et que tu [/] tu es attaché à la personne // # *CHA: exactement // *EMM: si tu en a rien à péter / tu [/] &t # // *VAL: // *CHA: // *EMM: // *CHA: voilà // c’est clair {TK} {FA} {I} // /
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*ALE: // *CHA: prends la peine de te remettre en question machin / en plus déjà // # (Oral)
Diese Ausführungen dürften deutlich gemacht haben, dass im Falle von voilà die Abgrenzung der Lesarten gewisse Probleme bereitet und eine genaue Betrachtung des Einzelfalls erfordert, weil es sich um einen kontinuierlichen Übergang zwischen diskursdeiktischer Lesart und derjenigen als Diskursmarker handelt. Zu Beginn dieses Abschnitts hatte ich bereits darauf hingewiesen, dass voici und voilà in der Frequenz ihres Vorkommens nicht gleichwertig sind. Bergen / Plauché (2000) haben nachgewiesen, dass diese Asymmetrie bereits seit dem 16. Jahrhundert besteht (Aussagen über frühere Jahrhunderte waren anhand ihres Korpus13 nicht möglich), und zwar stets mit einem deutlichen quantitativen Vorsprung von voilà. In situationsdeiktischer Verwendung ist überdies eine Übernahme der Funktionen von voici durch voilà zu konstatieren.14 Eine ähnliche Tendenz war auch in den hier analysierten Korpora zu beobachten. Die beiden Formen sind allerdings nicht funktionsgleich: Voilà verweist im Allgemeinen anadeiktisch, während voici katadeiktisch referiert. Gleiches – d.h. dass die proximale Form kata- und die distale Form anadeiktisch verweist – ist auch für andere Sprachen gezeigt worden.15 Dabei handelt es sich für voilà allerdings nur um eine Tendenz: In meinen Korpora ist – in Übereinstimmung mit den bisherigen Beschreibungen16 – auch eine Reihe katadeiktischer Verweise mit voilà belegt, etwa im folgenden Beispiel: (6) Voilà {TP} {FR} les défis qui nous sont posés: défi ancien et peu traité de la démographie, défi plus nouveau de la cohésion sociale et, enfin, défi européen, qui est un défi politique. (Sénat)
Voilà steht hier am Anfang einer ohne weitere deiktische Mittel ausgeführten Aufzählung. Voici wäre hier auch möglich, es wird jedoch vermieden, wobei voilà – ganz wie in situationsdeiktischer Verwendung – seine Funktion übernimmt. Die oft anzutreffende Formel «voici annonce alors que voilà conclut» (Guillon 2001, 32) greift folglich zu kurz, wenn sie auch der Majorität der Fälle entspricht, denn voilà ist (wie bereits gezeigt wurde) hinsichtlich der Verweisrichtung nicht festgelegt. Voici ist durch die Beschränkung auf katadeiktische Verweise folglich syntaktisch eindeutiger festgelegt; gleiches gilt für seine Verteilung in den einzelnen Textsorten. Voilà dagegen ist polyvalent. Diese Verwendungsbeschränkungen von voici schlagen sich auch in der Zahl der Tokens in den Korpora nieder: Es sind
13 14
15 16
Die Autoren arbeiten mit den ARTFL Datenbanken: http://humanities.uchicago.edu/ARTFL/. Das stellt sich in historischer Perspektive anders dar, cf. die Beobachtung von Iliescu (2010), dass in den Werken Chrétien de Troyes ausschließlich voici und kein voilà enthalten ist. Eine Kurzdarstellung und Literatur hierzu findet sich in Bergen / Plauché 2000. Cf. Bergen / Plaucher (2000) und Grenoble / Riley (1996).
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in den Korpora nur 8 Tokens von voici enthalten, davon 7 in diskursdeiktischen Verweisen und eines in einem situationsdeiktischen Verweis in der Form voici un an, wobei unter expliziter Aktualisierung des Sprechzeitpunktes um ein Jahr zurückverwiesen wird. Dieser situationsdeiktische Verweis findet sich in LeMonde, wo er mit dem intendierten Lesezeitpunkt des Artikels zusammenfällt. Vor genau einem Jahr hatte Chirac eine Initiative angekündigt (Voici un an […] le président Jacques Chirac lançait l’idée de distribuer des préservatifs […]), von deren verzögerter Umsetzung nun berichtet wird. Vier der sieben diskursdeiktischen Verweise finden sich im Korpus Science, wo sie zum Einführen neuer Evidenzen verwendet werden: – – – –
Voici un exemple […] Voici l’exemple […] Voici donc les principales conclusions voici quelques mots «aventuriers». (Science)
Die drei übrigen Tokens sind alle im Korpus Sénat belegt, und zwar sämtlich in der senatstypischen Wendung Voici quel sera l’ordre du jour de la prochaine séance. Zusammenfassend lässt sich zu voici folglich sagen, dass seine Funktionen im Vergleich zu voilà eingeschränkt sind. Es ist die markierte Variante der beiden Präsentative: Voici ist auf distanzsprachliche Diskursbereiche festgelegt; im Text referiert es ausschließlich katadeiktisch und es ist in seinen diskursdeiktischen Verwendungen durch voilà ersetzbar.17 Seine Deiktizität ist nach wie vor stark ausgeprägt; eine «Ausbleichung» der deiktischen Komponente in Richtung Diskursmarkerlesart ist nicht zu beobachten.
4.3
Temporale Verortung des Referenten und diskursdeiktische Verwendung der Tempora
4.3.1
Temporaldeiktische Mittel in diskursdeiktischen Wendungen
Die Varianz temporaldeiktischer Verweise in den Korpora ist größer als diejenige der Verweise mit lokalen Mitteln. Temporaldeiktische Verweise dominieren in Positionsverweisen, mit denen auf Stellen im laufenden Diskurs verwiesen wird. Aber auch Diskursaktualisierungen können mit temporalen Deiktika erfolgen, auch wenn hier lokale und objektale Mittel häufiger eingesetzt werden. Ein Beispiel für eine Diskursaktualisierung mit temporalem Deiktikon ist das folgende:
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Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangen Grenoble / Riley (1996, 837), die u.a. den folgenden Grund angeben, warum voici der markierte Vertreter des Präsentativpaars ist: «while voici can be replaced by voilà in its functioning as an opening, voici cannot be used to replace voilà as a closing». Außerdem sei voici «in French virtually nonexistant, and in colloquial settings always replaceable with voilà». Mit Blick auf meine Korpusergebnisse ist es nicht gerechtfertigt, von «virtually nonexistent» zu sprechen, aber voilà überwiegt, wie oben gezeigt wurde, doch deutlich.
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(7) *MIR: alors bonjour monsieur // donc aujourd’hui nous allons un petit peu vous interviewer {TD} {FV} / &euh sur votre vie / votre passé / votre région // # donc d’abord présentez-vous // # (Oral)
Auffällig ist dabei, dass MIR futur proche verwendet (nous allons […] vous interviewer), obwohl der einleitende Satz bereits Teil dieses Interviews ist, wie aus dem Fortgang des Turns unmittelbar deutlich wird. Die Diskursaktualisierung steht ganz am Anfang des Referenten, dessen Erstreckung in die Zukunft hinein durch das Tempus unterstrichen wird. Diskursdeiktische Verwendung der Tempora ist für alle drei Verweistypen zu beobachten. Das betrifft sowohl Futur als auch die Vergangenheitstempora. Bei Komplexbildungen sind temporaldeiktische Mittel ansonsten eher marginal. Nachfolgend werden auf Seite 132/133 im Überblick die wichtigsten temporaldeiktischen Mittel vorgestellt, die in den Korpora im Elator diskursdeiktischer Verweise erscheinen. In den folgenden Teilkapiteln wird dann auf diese Mittel im Detail eingegangen. 4.3.2
Diskursdeiktische Verwendung der Tempora
4.3.2.1 Zur Deiktizität des présent Die diskursdeiktische Verwendung der Tempora ist eines der wichtigsten und präsentesten Mittel diskursdeiktischen Verweisens und tritt – mit Ausnahme von LeMonde – in allen Korpora auf. Dabei sind diskursdeiktische Futura und Vergangenheitstempora gleichermaßen präsent. Vor allem das diskursdeiktische Futur weist einige Besonderheiten gegenüber seiner situationsdeiktischen Verwendung auf. Es stellt sich nun die Frage, ob das présent diskursdeiktisch verwendet werden kann. Um die Deiktizität des présent hat es in der Vergangenheit immer wieder Diskussionen gegeben. Benveniste (1966, 262) stuft das présent als deiktisch ein, da es die «subjectivité dans le langage» markiere und mithin für die «coïncidence de l’événement écrit avec l’instance de discours qui le décrit» stehe. Auch Guillaume (1970) gesteht dem présent Deiktizität zu, ebenso wie Diewald (1991, 178), die in ihrem binären Proximität-Distanz-Modell zwischen «Präsens vs. Nicht-Präsens» unterscheidet, wobei Präsens als «origoinklusiv» angesehen und den «origoexklusiven» Tempora (Präteritum und Futur) entgegengesetzt wird (ebenso Bredel/Töpler 2009, 836 ss.). Andere Theoretiker wie Serbat (1988) und Nef (1986) sprechen dem présent diese Eigenschaft ab. Nef (1986) beschreibt das présent als unmarkiert, was sich unter anderem dadurch zeige, dass es die markierten Tempora ersetzen könne, wie er am Beispiel des présent historique erläutert. Überdies geht er detailliert er auf die «emplois dits intemporels ou a-temporels du présent» (1986, 104) ein. Schrott (1997) setzt sich sehr ausführlich mit der Möglichkeit des praesens pro futuro auseinander und stellt heraus, dass das présent «nicht nur temporal definiert, sondern […] in all seinen Verbindungen zur Origo verstanden werden» muss (1997, 145). In diesem Sinne stehe das présent für eine «Identität des Sachverhalts mit 131
Sprechsituation und Sprecher» und etabliere damit «einen verstärkten Bezug auf die in der Origo gegebene Sprecherinstanz». Dieser Bezug trete dann «zur temporalen Bedeutung der Lokalisierung im ego-hic-nunc hinzu» (1997, 145). Damit beinhalte das présent auch «nicht-temporale Werte wie Gültigkeit und Aktualität für den Sprecher». Diese Ausführungen machen deutlich, dass dem présent durchaus Deiktizität zukommt. Es stellt sich aber die Frage, ob diese Deiktizität ausreicht, um im konkreten Fall Aufschluss über die Positionierung des textuellen bzw. diskursiven Referenten zu gewinnen. Das ist meiner Erkenntnis nach nicht der Fall. Die Verwendung des présent mag eine situationsdeiktische Relevanz (möglicherweise im Zusammenhang mit der Konstellation der Gesprächsrollen zueinander und folglich mit Blick auf die personale Dimension deiktischen Verweisens) aufweisen; eine diskursdeiktische Verweiskraft kommt dem présent dagegen nicht zu. Diskursdeiktisch können nach meiner Ansicht allein die Futura und Vergangenheitstempora verwendet werden. Darum wurden solche Verweise, bei denen zwar auf Diskursteile verwiesen wurde, deren Elator aber keine deiktischen Elemente und ein Verb im présent enthielt, aus der Klassifikation ausgeschlossen.
Tempus Futura Vergangenheitstempora Futur simple Passé composé – On supposera par la suite que […] – Nous avons constaté (cf. 4.1) que […] (Science-Mathématique) (Science-ALSIC) – vous l’avez rappelé vous-même (Sénat) – Je commencerai par dire pour quelles raisons […] (Sénat) – François Hollande vous l’a dit: […] – Je citerai deux exemples: l’un […] (Sénat) (Sénat) – comme nous l’avons déjà mentionné […] (Science-ALSIC) – c’est par rapport à une histoire mais je te raconterai tout à l’heure (Oral) – comme je l’ai expliqué avant (Oral) – justement comme vous l’avez dit (Oral) Imparfait Futur périphrastique – […] nous allons construire des solutions – vous le disiez tout à l’heure, monsieur Pelletier (Sénat) locales […] (Science-Mathématique) – comme tu disais tout à l’heure (Oral) – Nous allons démontrer […] (Science– parce que tu parlais des gestes là (Oral) Mathématique) – […] je vais vous donner lecture de la – et comme je te le disais / tout à l’heure (Oral) déclaration […] (Sénat) – parce que tu me racontais à propos de –