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German Pages 239 [240] Year 2007
Linguistische Arbeiten
516
Herausgegeben von Klaus von Heusinger, Gereon Müller, Ingo Plag, Beatrice Primus, Elisabeth Stark und Richard Wiese
Dagmar Frohnirig
Kausalmarker zwischen Pragmatik und Kognition Korpusbasierte Analysen zur Variation im Deutschen
Max Niemeyer Verlag Tübingen 2007
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 978-3-484-30516-8
ISSN 0344-6727
© Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2007 Ein Imprint der Walter de Gruyter G m b H & Co. KG http://www.niemeyer.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck und Einband: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten
Danke Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um eine leicht überarbeitete Version meiner Dissertation, die im Frühjahr 2005 von der Philologischen Fakultät der Albert-LudwigsUniversität Freiburg angenommen wurde. Wie alles, so steht natürlich auch diese Arbeit in einem Kontext, der bedeutsam ist. Für die Betreuung der Arbeit danke ich Jürgen Dittmann, sowie Peter Auer und Bernd Kortmann für ihre Bereitschaft, das Zweit- und Drittgutachten zu übernehmen, und für die darin enthaltenen Hinweise. Weit über den akademischen Kontext hinaus gilt Holger Keibel mein ganz besonderer Dank für seine riesige Unterstützung an allen Fronten: von technischen Tipps über geduldige Ohren bis hin zu Formaten und kontroversen Diskussionen, die diese Arbeit mit geformt haben, vor allem aber für seine unermüdliche Bereitschaft und den Duktus, den wir unserer Freundschaft über die letzten Jahre hinweg gegeben haben. Zwei weiteren Personen möchte ich ganz herzlich für den persönlichen Anteil danken, den sie an der Entstehung dieser Arbeit genommen haben. Die Diskussionen mit Jan Nuyts und Hardarik Blühdorn haben die gedanklichen Prozesse an verschiedenen Stellen und auf ganz unterschiedliche Weise begleitet. Nicht alles, was in dem Buch heute steht, wird beiden gefallen, aber beiden gilt mein besonderer Dank für zahlreiche Anregungen, die ich aus unseren Begegnungen mitnehmen durfte. Für die großzügige finanzielle Förderung der Arbeit geht mein herzlicher Dank an die Friedrich-Naumann-Stiftung. Darüber hinaus haben mehrere Menschen das Buch auf die eine oder andere Weise mit geformt. Bedanken möchte ich mich vor allem bei Claudia Schmidt für ihre liebevolle Unterstützung in den letzten Jahren und bei Göz Kaufmann für seine unermüdliche Spiellust mit den Rohdaten. Außerdem danke ich Pia Bergmann, Karin Birkner, Barbara Hemforth und Manfred Stede für teils unfreiwillige aber spannende Schlüsseldiskussionen, Pablo Dummer für seine im besten Sinne des Wortes unaufgeregten Statistik-Tipps und Jan v. Dallwitz, Katrin Hein und Leonie Trefs für ihre Mühe bei der Durchsicht des Manuskripts. Für wertvolle inhaltliche Hinweise danke ich der Konnektorengruppe am Institut für Deutsche Sprache und den Herausgeberinnen dieser Reihe sowie Susanne Mang und Daniela Zeiler vom Max Niemeyer Verlag für ihre Unterstützung bei der Herstellung der Druckvorlage. Und schließlich danke ich allen Lieben, vor allem meiner Mutter und meiner Schwester, für ihre liebevolle Unterstützung und Geduld.
Berlin und Mannheim, Frühjahr 2007 Dagmar Frohning
für darum.
Inhalt Kapitel 1 Theoretischer Ausgangspunkt
3
1.1 Das Label Funktionalismus in der Linguistik
3
1.2 Zwei Dimensionen 1.2.1 Die kommunikativ-funktionale Dimension 1.2.2 Die kognitiv-funktionale Dimension
6 7 9
1.3 Ein Konsens 1.3.1 Dynamik im Gebrauch 1.3.2 Dynamische Verarbeitung
12 13 14
1.4 Die kognitiv-pragmatische Perspektive 1.4.1 Funktionen 1.4.2 Linguistische Analyse 1.4.3 ,Funktionsprofile' versus Bedeutung
15 15 18 19
1.5 Konsequenzen
21
Kapitel 2 Fallstudie: Kausalmarker im Deutschen
23
2.1 Kausale Informationen und Sprache
23
2.2 Formale Variation 2.2.1 Grammatischer Status 2.2.2 Konstruktionstypen 2.2.3 Verbale und nominale Techniken 2.2.4 Grund- und Folgemarker 2.2.5 Auswahl der Marker
26 27 29 31 33 35
2.3 Überblick
36
Kapitel 3 Forschungstendenzen
39
3.1 Vorbemerkungen
39
3.2 Funktionen 3.2.1 Syntax und Semantik der Marker 3.2.2 Diskursbeschränkungen 3.2.3 Kognitive Faktoren 3.2.4 Psycholinguistische Evidenzen
42 42 44 46 47
3.3 Fazit
49
χ Kapitel 4 Korpusanalysen
51
4.1 Vorbemerkungen 4.1.1 Datengrundlage 4.1.2 Methode 4.1.3 Chancen und Grenzen
51 51 53 56
4.2 Ergebnisse I: Funktionale Faktoren 4.2.1 Ikonizität: Grund-Folge-Perspektive 4.2.2 Informationsstatus: Identifizierbarkeit 4.2.3 Aufmerksamkeit: Fokuspotential 4.2.4 Evidenzialität: Subjektivität 4.2.5 Zusammenfassung
59 59 63 68 71 77
4.3 Ergebnisse II: Funktionsprofile im Detail 4.3.1 Koordination mit Grundmarkern: nämlich und denn 4.3.1.1 Ikonizität 4.3.1.2 Informationsstatus 4.3.1.3 Fokussierung 4.3.1.4 Evidenzialität 4.3.1.5 Fazit
80 80 81 83 86 88 94
4.3.2 Koordination mit Folgemarkern: daher, darum, deshalb und deswegen 4.3.2.1 Ikonizität 4.3.2.2 Informationsstatus 4.3.2.3 Fokussierung 4.3.2.4 Evidenzialität 4.3.2.5 Fazit
95 96 102 104 111 116
4.3.3 Subordination: weil und da 4.3.3.1 Ikonizität 4.3.3.2 Informationsstatus 4.3.3.3 Fokussierung 4.3.3.4 Evidenzialität 4.3.3.5 Fazit
117 118 123 128 130 135
4.3.4 Nominale Techniken: aufgrund und wegen 4.3.4.1 Ikonizität 4.3.4.2 Informationsstatus 4.3.4.3 Fokussierung 4.3.4.4 Evidenzialität 4.3.4.5 Fazit
136 137 141 147 149 154
4.3.5 Zusammenfassung: Funktionsprofile im Überblick
155
xi 4.4 Ergebnisse III: Funktionsprofile im Gebrauch 4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.4.4
Trennschärfe der Faktoren Clusteranalyse Generische und spezifische Kausalmarker Kausalmarker im Gebrauch
159 159 163 166 172
4.5 Zusammenfassung
174
Kapitel 5 Diskussion
177
5.1 Interaktionen 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5
Formen und Funktionen Lexiko-Grammatik und Diskurssemantik Empirische Interaktion der Faktoren Theoretische Dimensionen der Faktoren Pragmatik und Kognition
177 177 180 182 184 186
5.2 Theoriebildungen: eine Skizze
188
5.3 Desiderat
193
Anhang A. Kodierte Information
207
Anhang B. Datenübersicht
217
Anhang C. Statistische Trennschärfe der Faktoren
225
Einleitung
Dieses Buch befasst sich mit Begründungen und mit ausgewählten Ausdrucksformen, die sie in der deutschen Sprache annehmen können. Es befasst sich aber auch mit Sprache und damit, wie sie möglicherweise funktioniert. Den sprachlichen Gegenstand fur die folgende Untersuchung liefern zehn Kausalmarker des Deutschen, die im Rahmen einer Korpusanalyse auf ihre Gebrauchsbedingungen hin untersucht werden (nämlich, denn, daher, darum, deshalb, deswegen, weil, da, aufgrund und wegen). Im Zentrum der Untersuchung stehen jedoch zwei allgemeine Fragen, die anhand des Fallbeispiels exemplarisch untersucht werden. Die erste Frage richtet sich auf eine mögliche funktionale Motivation für sprachliche Variation und widmet sich aus linguistischer Sicht dem Bereich der zehn Kausalmarker und den Bedingungen für ihren Gebrauch. Mein Interesse gilt dabei nicht den Kausalmarkern als Wortschatzeinheiten, sondern immer auch den grammatischen Konstruktionen im Diskurs. Das Ziel der Analysen besteht darin, die funktionalen Besonderheiten der Kausalmarker zu erarbeiten, d.h. das Spezifische der Marker in Form von Funktionsprofilen. Die zweite Frage knüpft ausgehend von diesem Fallbeispiel an theoretische Überlegungen zur funktionalen Architektur von Sprache an. Hier wird die Frage verfolgt, welche Konsequenzen sich aus dem Fallbeispiel für die Theoriebildung in der funktionalen Linguistik ergeben. Im ersten Kapitel werden verschiedene Tendenzen innerhalb der funktional orientierten Linguistik vorgestellt und gleichzeitig als Bausteine einer kognitiv-pragmatischen Theorie diskutiert. Die Summe dieser Ansätze liefert sowohl den methodischen Ausgangspunkt für die Analyse der Kausalmarker als auch die Leitlinien für den theoretischen Hintergrund dieses Buches. Das zweite Kapitel widmet sich der lexiko-grammatischen Beschreibung der zehn Kausalmarker und rückt die Form der alternativen Ausdrucksmittel in den Mittelpunkt. Die Variation, die in dieser Arbeit untersucht wird, umfasst strukturelle Optionen auf mehreren Ebenen. Diese liefern eine erste Heuristik zur Unterscheidung der Kausalmarker und gleichzeitig die abhängigen Variablen fur die Korpusanalysen. Im dritten Kapitel folgt eine Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Literatur zum sprachlichen Gegenstand dieser Arbeit. Hierbei werden bereits mehrere Funktionen der Kausalmarker benannt. Die aktuelle Forschung ist jedoch von einer starken Fragmentierung in formale und funktionale Einzelfragen geprägt, die sich auf verschiedene Subdisziplinen verteilen. Konsequenzen hieraus liefern den Ausgangspunkt für eine multifaktorielle Analyse der Kausalmarker, die in dieser Arbeit vorgeschlagen wird. Das vierte Kapitel dokumentiert die Ergebnisse der Korpusanalysen in drei Teilen. Im ersten Teil wird die Aufmerksamkeit auf vier Faktoren gelenkt, die einen systematischen und besonders trennscharfen Einfluss auf die sprachliche Variation haben. Sie knüpfen in einigen Punkten an bestehende Ansätze an, grenzen sich an anderer Stelle aber auch deutlich von ihnen ab. Die Faktoren sind das erste Ergebnis der Analysen und liefern die analytischen Parameter für die mehrdimensionalen Funktionsprofile. Im zweiten Teil werden die Funktionsprofile der einzelnen Kausalmarker systematisch hergeleitet. Dabei zeigt sich, auf welche Weise die Faktoren auf die formale Variation Einfluss nehmen. Aus
2 den Analysen kristallisieren sich die Gemeinsamkeiten zwischen den Markern heraus und das jeweils Spezifische der einzelnen Marker. Der dritte Teil skizziert auf der Grundlage der Funktionsprofile eine multifaktorielle Erklärung fur ihren kontextabhängigen Gebrauch. Das fünfte Kapitel knüpft an den in Kapitel 1 diskutierten Ausgangspunkt an und formuliert vor dem Hintergrund der Ergebnisse und einiger Grammatikmodelle ein paar weiterfuhrende theoretische Konsequenzen. Dabei rücken vor allem verschiedene Interaktionen in den Mittelpunkt, die sich aus den Korpusdaten abzeichnen. Diese Interaktionen stützen die zentrale These dieser Arbeit, dass sprachliche Funktionen weder pragmatisch sind noch kognitiv, sondern dass sie nur als kognitiv-pragmatische Faktoren zu einer sinnvollen Erklärung von sprachlicher Variation beitragen. Die Argumente stützen sich auf die multifaktorielle Analyse des Fallbeispiels, das deutlich zeigt, dass eine funktionale Erklärung für den Gebrauch der Kausalmarker nur dann möglich ist, wenn die Interaktion zwischen Pragmatik und Kognition zentral in den Mittelpunkt rückt.
Kapitel 1 Theoretischer Ausgangspunkt
At a philosophical level, a formalist characterizes a human being mainly as a knowing being, a functionalist as a socially acting being. This is obviously a matter of perspective, for a human being is both. Jan Nuyts (1992: 25)
Im ersten Kapitel werden Grundannahmen der funktional orientierten Linguistik diskutiert. Der Begriff Funktionalismus umfasst im Zusammenhang mit Sprache mindestens zwei Paradigmen, die beide das Phänomen Sprache als Ergebnis eines Zusammenspiels von Kognition und sozialer Interaktion begreifen. Auf der programmatischen Ebene sind sie daher beide interdisziplinär orientiert. In der Praxis ist dies allerdings nicht immer der Fall. Die kognitiv-funktionale und die kommunikativ-funktionale Tradition verfolgen ein gemeinsames Ziel unter verschiedenen Vorzeichen. Diese Vorzeichen dividieren die gemeinsamen Forschungsfragen zu unterschiedlichen Disziplinen auseinander. Dabei tritt die Komplexität der interdisziplinären Frage oft zugunsten von klar formulierbaren Ergebnissen in den Hintergrund. Welche Rolle die linguistische Analyse vor diesem Hintergrund spielt und auf welche Weise sich die Analyse von Sprache aus meiner Sicht am sinnvollsten in den funktionalen Kontext einordnet, ist Gegenstand der folgenden Überlegungen.
1.1
Das Label Funktionalismus in der Linguistik
Die Beziehung zwischen Form und Funktion hat im Zusammenhang mit Sprache eine lange Tradition, die sich in der modernen Linguistik vor allem in dem Begriffspaar Formalismus versus Funktionalismus spiegelt. Diese Dichotomie erfasst auf sehr vereinfachende Weise eine Unterscheidung, die in der Linguistik fast Ausdruck von zwei ideologischen Orientierungen geworden ist und eine vielfach skizzierte Opposition aufmacht, infolge derer sich sowohl Ausgangspunkt und Arbeitshypothesen als auch Gegenstandsbereich und Methoden in mehrfacher Hinsicht und grundsätzlich zu unterscheiden scheinen.1
1
Anstelle des Begriffs Formalismus werden auch die Begriffe Generativismus (Newmeyer 1998: 9) und Strukturalismus (Givon 1984: 33) sowie Deskriptivismus (Langacker 1999: 17) gebraucht. Langacker bezeichnet mit dem Begriff Deskriptivismus die wissenschaftliche Konzentration auf sprachliche Formen und somit alle Ansätze innerhalb der funktionalen Tradition, die stärker an einer systematischen Beschreibung von sprachlichen Strukturen interessiert sind. Darüber hinaus diskutiert Nuyts (1992: 70f.) die Opposition auch vor dem Hintergrund der Formalisierung, die stärker mit der generativen Forschung in Verbindung gebracht wird und oft als Argument gegen den Funktionalismus ins Feld geführt wird (vgl. Newmeyer 1998: 8). Nuyts (1992: 69ff.) und
4 Das vielleicht wichtigste Unterscheidungskriterium in dieser Opposition kreist um die Rolle sprachlicher Strukturen (vgl. z.B. Nuyts 1992: 68ff., Tomasello 1998, Newmeyer 1998: 7ff., Langacker 1999, Croft 1999, Butler 2003: 5ff.). In funktionalen Ansätzen werden sprachliche Strukturen in der Regel als symbolische und bedeutungsvermittelnde Instrumente der menschlichen Kommunikation untersucht. Die Aufgabe besteht aus linguistischer Sicht also darin, die Beziehung zwischen den sprachlichen Symbolen und ihrer Bedeutung (im weitesten Sinne) zu erforschen. Dabei lautet eine Grundannahme, dass die semantisch-pragmatischen Funktionen von Sprache nicht nur sekundäre Effekte des Sprachgebrauchs sind, sondern dass sie ganz im Gegenteil die Form sprachlicher Strukturen entscheidend prägen. In formalen Ansätzen aus der generativen Tradition wird im Gegensatz hierzu eine Position vertreten, die mit dem Stichwort der autonomen Syntax zusammenfallt. Dahinter verbirgt sich - eingebettet in eine komplexe Theorie zur Autonomie und Modularität von Grammatik und menschlicher Sprachfahigkeit allgemein - die These, dass Syntax zum einen weitgehend arbiträr ist und zum anderen von Semantik und Pragmatik unabhängig funktioniert, das heißt also auch, dass sie unabhängig von Kategorien wie Bedeutung oder Gebrauch analysiert und beschrieben werden kann (seif'containedness). Bezeichnend fur den Unterschied zwischen einer primär funktionalen und einer formalen Herangehensweise an Sprache ist die Diskussion um syntaktische Subordination. Während funktional orientierte Arbeiten von dem Interesse geleitet sind, formale Subordination auf konkrete Funktionen wie die Vordergrund-Hintergrund-Gliederung oder globale Diskursfunktionen zurückzuführen (Tomlin 1985, Thompson 1987, Matthiessen & Thompson 1988), liefern Vertreter der generativen Tradition Argumente dafür, dass sprachliche Konstruktionen aus dem Bereich der syntaktischen Koordination einer Subordination auf der konzeptuellen Ebene entsprechen, was auf eine fundamentale Inkongruenz zwischen syntaktischer und semantischer Repräsentation hinweist und den Autonomiegedanken indirekt stützt (Culicover & Jackendoff 1997: 196).2 Weitere Unterschiede betreffen den Gegenstandsbereich und die Methodik linguistischer Analysen und ergeben sich als Konsequenzen aus den Grundannahmen. Aus funktionaler Perspektive ist Sprache keine separate modulare Komponente, sondern ein integratives System, dass unmittelbar an die Funktionsweise der menschlichen Kognition und die Prinzipien der sozialen Interaktion anknüpft. Der semantisch-pragmatischen Analyse kommt dementsprechend eine zentrale Rolle zu, wobei Bedeutungen stark an den Sprachgebrauch gebunden sind. Linguistische Analysen sind konsequenterweise vor allem performanzorientiert und basieren auf umfassenden Daten natürlicher Sprache in ihrer gesamten Variation. Formal orientierte Ansätze aus der generativen Tradition trennen in der Regel dagegen klar zwischen Synchronic und Diachronie sowie zwischen Kompetenz und Performanz. Ihr Ziel besteht darin, Grammatik als ein System aus logischen Regeln zu erfassen und auf der Grundlage eines minimalen Inventars an syntaktischen Regeln einen
2
Croft (1999: 91) vertreten schließlich die Ansicht, dass die Opposition ihre Wurzeln in den methodischen Unterschieden zwischen dem positivistischen amerikanischen Strukturalismus und dem stärker funktional orientierten (Prager bzw.) europäischen Strukturalismus hat und erst seit der Theoriebildung um Chomsky den heute paradigmatischen Charakter angenommen hat. Vgl. weiterführend Jackendoff (1996).
5 mathematisch eleganten Ansatz zu erarbeiten, der maximale Generalisierungen erlaubt (vgl. Tomasello 1998: x). Ihr Hauptinteresse gilt der formalen Analyse, wobei die Grundlage ihrer Arbeit in der Regel Ad-hoc-Sätze sind und Semantik vor allem mit Blick auf die Ermittlung von Wahrheitsbedingungen untersucht wird. 3 Diese oft beschriebenen Unterschiede skizzieren eine scheinbar sehr klare Trennung zwischen funktionalen und formalen Traditionen in der Linguistik, die so scharf sicher nicht ist. Die Optimalitätstheorie aus dem generativen Kontext (McCarthy 2002) teilt sich zusammen mit dem funktionalen Competition Model von Bates & Mac Whinney (1982: 190ff.) und mit DuBois (1985) die Idee der konkurrierenden Motivationen und zwei Schlüsselfiguren der kognitiven Linguistik, George Lakoff und Charles Fillmore, haben ihre wissenschaftlichen Wurzeln in der generativen Semantik. Die Jahrestagung der sowohl generativen als auch funktionalen Construction Grammar umfasste 2004 eine Sektion zur generativen aber formalen Head-driven Phrase Structure Grammar (HPSG). Darüber hinaus ist die ursprünglich stark generativ orientierte psycholinguistische Satzverstehensforschung eine empirisch ausgerichtete Disziplin, die für beide Traditionen gleichermaßen relevant ist (bzw. sein sollte) und schließlich wird zunehmend diskutiert, wo denn nun die theoretische Trennlinie genau verläuft und wo alte Oppositionen möglicherweise überwunden werden müssen (vgl. aus generativer Perspektive Newmeyer 1998, aus funktionaler Perspektive Nuyts 1992), ganz abgesehen davon, dass einige Ansätze auf die Notwendigkeit verweisen, auch einen generativen Funktionalismus für möglich zu halten (Butler 2003: 34). Die Opposition zwischen Formalismus und Funktionalismus sowie die Diskussionen um mögliche Typologien, die hieraus abgeleitet werden könnten, werden in diesem Buch nicht weiter verfolgt (vgl. hierzu Butler 2003:28-31, sowie Croft 1995 und die Beiträge in Darnell et al. 1999). Aus den zahlreichen Debatten ergibt sich allerdings sehr deutlich der Eindruck einer asymmetrischen Diskurstradition. Bei der Bestimmung des linguistischen Funktionalismus spielt die Opposition zu Chomsky eine zentrale Rolle, denn in funktional orientierten Arbeiten wird dem Formalismus aus der generativen Tradition meist die Rolle des Antagonisten zugeschrieben. Dies führt dazu, dass dem Generativismus auf Umwegen der wissenschaftsgeschichtliche Tribut gezollt wird (gerade auch aus kognitiver Perspektive, vgl. 1.2.2). Andererseits werden auf diese Weise die Grundlagen der funktionalen Ansätze fast ausschließlich ex negativo bestimmt. Dabei entsteht sehr stark der Eindruck, eine wie auch immer geartete funktionale Perspektive müsse sich nach wie vor von dem generativen Ansatz emanzipieren und den Beweis für ihre Legitimation erbringen. Dies führt bis heute dazu, dass die Unterschiede - vielleicht aus Gründen der Anschaulichkeit, vielleicht aber auch zu rein wissenschaftspolitischen Zwecken - auch in Texten mit programmatischem Charakter gerne bemüht werden (z.B. Tomasello 1998:vii-xxiii, Croft & Cruse 2004: 14, um nur zwei prominente Beispiele zu nennen). Hierdurch wird eine Opposition gepflegt, die suggeriert, es handele sich um einen Lagerkampf mit klaren Fronten. Der Begriff Funktionalismus steht in diesem Kontext zunächst für nicht viel mehr als eine Ansammlung heterogener Ansätze, die sich nur über die Ablehnung der Autonomie-
3
Vgl. ergänzend hierzu auch die insgesamt sechs Unterscheidungskriterien in Carnie & Harley
(2003: 1-3).
6 these im Sinne Chomskys als Gruppe definieren und im Gegensatz zum Generativismus performanzorientiert sind. Selbstkritische, fast karikierende Kommentare bleiben da auch von einer Vertreterin, an deren funktionaler Orientierung sicher kein Zweifel besteht, nicht aus: „[...] ,functionalism' is like Protestantism: it is a group of warring sects which agree only in the rejection of the authority of the Pope." (Elizabeth Bates, zit. in Newmeyer 1998: 13). Der Eindruck einer enormen Divergenz innerhalb der funktional orientierten Linguistik drängt sich an vielen Stellen auf und führt unmittelbar zu der Frage, „whether functional linguistics as a whole is defined by anything other than a common opposition to generative grammar" (Langacker 1999: 13). Ein solch einfach gestrickter Minimalkonsens kann natürlich wichtige programmatische Ziele erfüllen. Er eröffnet der Vielfalt unter den funktionalen Ansätzen aber nicht den entsprechenden Raum und er verwischt vor allem den positiven Impuls, der sich aus der notwendigen Vielfalt ergibt. Darüber hinaus birgt er die Gefahr, dass die unterschiedlichen Prämissen innerhalb der funktionalen Theoriebildung nicht klar differenziert werden, um gemeinsame Ziele nach ,außen' besser formulieren zu können. Im Folgenden werden daher zunächst zwei wichtige Voraussetzungen des linguistischen Funktionalismus bestimmt.
1.2
Zwei Dimensionen
Viele im weitesten Sinne funktionale Ansätze lassen sich in ihrer Affinität zu zwei linguistischen Traditionen charakterisieren, die auf der einen Seite die pragmatische und auf der anderen Seite die kognitive Dimension von Sprache stärker in den Mittelpunkt rücken. Bei den folgenden Überlegungen nehme ich mit verschiedenen Begriffen auf diese beiden Traditionen Bezug. Die pragmatische Tradition analysiert in erster Linie die kommunikativ-funktionale Dimension von Sprache und deckt sich zu weiten Teilen mit dem, was in der englischsprachigen Literatur unter Functional Linguistics gefasst wird Seit Butler (2003) bietet sich für diese Tradition aus meiner Sicht auch die Bezeichnung Struktur-funktionale Linguistik an (vgl. ergänzend hierzu 1.2.1). Die kognitive Tradition untersucht dagegen die kognitiv-funktionale Dimension von Sprache, die vor allem in der kognitiven Linguistik im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Sie wird aber auch in der psycholinguistischen Forschung untersucht, die sehr stark an die Sprachpsychologie anknüpft (vgl. 1.2.2). Alle Ansätze aus beiden Traditionen sind unter verschiedenen Vorzeichen funktional orientiert. Im Folgenden werden die programmatischen Voraussetzungen dieser Traditionen kurz vorgestellt sowie die methodischen Konsequenzen, die sich an ihre Prämissen knüpfen. Ein wichtiges Ziel dieser Arbeit ist es jedoch zu zeigen, dass die beiden funktional orientierten Traditionen nicht komplementär zueinander stehen, sondern dass sie mit unterschiedlichen Schwerpunkten an zwei Facetten eines Phänomens ansetzen, nämlich des Phänomens Sprache, das letztlich nur integrativ erklärt werden kann. Diese integrative Perspektive bezeichne ich in Anlehnung an Nuyts (1992,2004) als kognitiv-pragmatische Perspektive.
7 1.2.1
Die kommunikativ-funktionale Dimension
Seit der so genannten pragmatischen Wende stehen die Begriffe Kommunikation und Interaktion mit einer neuen Selbstverständlichkeit im Zentrum der funktional orientierten Linguistik. In dieser Tradition steht grundsätzlich der Werkzeugcharakter von Sprache im Mittelpunkt. Die Funktion von Sprache wird hier unmittelbar an den Kontext der menschlichen Interaktion geknüpft. Auf diese Weise wird aus kommunikativ-funktionaler Perspektive das betont, was ganz intuitiv eine fundamentale Funktion von sprachlichem Verhalten ist: die Vermittlung von Informationen und eine wie auch immer geartete Mitteilungsfunktion.4 Mehrere Zitate könnten an dieser Stelle zwei pragmatische Prämissen belegen, die für den linguistischen Funktionalismus und fur die Analysen in dieser Arbeit wichtig sind. Mit der ersten Prämisse wird unterstellt, dass Sprache in erster Linie ein Mittel zur Kommunikation ist. Im Rahmen der Functional Grammar klingt dies bei Dik (1997: 5) folgendermaßen. Α natural language is an instrument of social interaction. That it is an instrument means that it does not exist in and by itself as an arbitrary structure of some kind, but that it exists by virtue of being used for certain purposes. These purposes concern the social interaction between human beings.
Die zweite Prämisse impliziert die Umkehrung der drei traditionellen linguistischen Beschreibungsebenen und schreibt der Semantik und vor allem der Pragmatik eine formund strukturprägende Rolle zu. [...] pragmatics is seen as the all-encompassing framework within which semantics and syntax must be studied. Semantics is regarded as instrumental with respect to pragmatics, and syntax as instrumental with respect to semantics. (Dik 1997: 8)
Was bedeutet es nun aus linguistischer Perspektive, sprachliches Handeln und soziale Interaktion in den Mittelpunkt zu stellen? Methodisch handelt es sich um eine Dimension, die sich im Vergleich zur kognitiven Ausrichtung sehr viel stärker direkt an den sprachlichen Strukturen orientiert und auf das Beobachtbare konzentriert. Es wird implizit davon ausgegangen, dass die Funktionen sprachlichen Handelns unmittelbar an sprachlichen Strukturen beobachtet werden können, da Sprache als Kodierungssystem fur funktionale Kategorien verstanden wird (vgl. Givon 1984: 29). Dies fuhrt dazu, dass der sprachlichen Form vor allem in der konversationsanalytischen Ausrichtung eine zentrale Bedeutung zugeschrieben wird (vgl. 1.2.2). Da sprachliche Strukturen als Medium für soziale Interaktion gelten, wird den Äußerungskontexten in den meisten Ansätzen eine wichtige Rolle zugeschrieben. Aus diesem Kontext werden unter anderem rhetorische oder semantische Diskursfunktionen abgeleitet aber auch die Dialogizität, Prozesshaftigkeit und Multimodalität, die insbesondere die gesprochene Sprache charakterisieren. Diese ausgesprochen dynamischen Mechanismen liefern auch die elementaren Bausteine für eine Interaktions-
4
Während die kognitive Linguistik eine relativ junge Reaktion auf das generative Paradigma ist, hat die funktionale Linguistik insgesamt deutlich ältere Wurzeln, die bis auf den Prager Strukturalismus zurückgehen (vgl. Croft 1996).
δ theorie, in die sprachliches Verhalten sinnvollerweise eingebettet werden sollte. Die Bedeutung einer sprachlichen Äußerung ergibt sich aus pragmatischer Perspektive also immer aus der Einbettung von Sprache in den Kontext. Besonders deutlich ist diese gebrauchsbasierte Orientierung im Rahmen der Emergent Grammar (vgl. Hopper 1987, sowie Hopper & Thompson 1984 für Verben und Nomen). Diese Ansätze beziehen mit Bezug auf die zweite Prämisse auch eine entsprechend radikale Position und treiben den Werkzeugcharakter von Sprache ganz ähnlich wie schon Schneider (1975: 17) auf die Spitze. Der pragmatische Aspekt, auf den die Formel >Sprechen ist Handeln< zielt, läßt sich nicht als >Anwendung< eines unabhängig beschreibbaren >Werkzeugs< fassen. Die These ist vielmehr, daß es gar nicht sinnvoll ist, >Anwendung< und >Werkzeug< in der Beschreibung zu trennen; die Sprache ist nur dann angemessen beschrieben, wenn sie von vorne herein unter dem Aspekt der Handlung gesehen wird, d.h. wenn die Kategorien und Klassifizierungen pragmatisch fundiert sind. Konkreter gesagt: Wenn sich über Bedeutungen nur in Kategorien des Gebrauchs sprechen läßt [...].
Aus pragmatischer Sicht verschwimmen die Grenzen zwischen den drei etablierten linguistischen Beschreibungsebenen (Syntax, Semantik und Pragmatik) zugunsten einer funktionalen Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem, Form und Funktion oder Symbol und Bedeutung. Die methodische Konsequenz besteht darin, dass pragmatische Ansätze stark performanzorientiert sind und dass sie bei der funktionalen Analyse von Sprache die Variation sprachlicher Gebrauchskontexte berücksichtigen. Der Handlungscharakter steht insbesondere in der interaktionsorientierten Gesprächsforschung im Zentrum der Aufmerksamkeit. Interessante Ansatzpunkte für die Analyse der Kausalmarker finden sich in zahlreichen konversationsanalytisch orientierten Untersuchungen zu ihrem Gebrauch in der gesprochenen Sprache (vgl. z.B. Günthner 1993, 2002 und Göhl 2006). Sprachliche Strukturen gelten hier als ebenso emergente Phänomene wie Bedeutungen und mentale Repräsentationen, die sich kontinuierlich den situativen Gebrauchsbedingungen anpassen (Bybee & Hopper 2001: 2f.). Dies fuhrt in letzter Konsequenz dazu, dass der Kontextsensibilität sprachlicher Äußerungen eine derart große Bedeutung zugeschrieben wird, dass jede einzelne Äußerung unter Umständen aus ihrer Gebrauchssituation heraus als funktional einzigartig verstanden wird.5 Vertreter der pragmatischen Tradition plädieren dafür, dass die Form sprachlicher Strukturen durch situative Faktoren festgelegt wird. Methodisch untersuchen sie die Assoziationen grammatischer Strukturen im Kontext und interpretieren die beobachtbaren Korrelationen mehr oder weniger systematisch über statistische Verfahren.6 Bei der Interpretation der Daten stehen als Arbeitshypothesen in der Regel kommunikative Motivationen im Mittelpunkt. Dies ist der Ausgangspunkt für Kritik aus den Reihen der Vertreter kognitiver Ansätze, die ausgehend von den sprachlichen Strukturen versuchen, universale und vor allem relativ stabile Prinzipien zu formulieren. Die pragma-
5
Butler (2003: 60) bezeichnet diese Ansätze als radikalen Funktionalismus. Croft (1995: 509-510) zielt mit der Bezeichnung extremer Funktionalismus darauf ab, dass sprachliche Funktionen in diesen Ansätzen sprachimmanent ermittelt werden und im Gegensatz zu den meisten funktional orientierten Ansätzen keine sprachliche Arbitrarität akzeptiert wird (vgl. hierzu den Begriff der partiellen Autonomie etwa bei Harder 1999).
6
Für eine kritische Diskussion dieses Verfahrens vgl. Givon (1995: 31 Off. und 18ff.).
9 tische Konzentration auf kommunikative Funktionen wird aus kognitiver Perspektive daher als Reduktionismus empfunden, was Langacker (1999: 19f.) exemplarisch so formuliert. However great its functional motivation, the structure of a language cannot be predicted in full and precise detail on the basis of the motivating factors. Moreover, it has some kind of cognitive representation: major aspects of linguistic structure reside in individual minds. Functionalists have sometimes been hesitating to take cognition seriously, but I think they have to if they want to achieve a viable account of the phenomena that most concern them. Inwieweit diese Kritik zutrifft, muss in gründlichen Einzelbetrachtungen geklärt werden. Programmatisch umfasst allerdings auch die kommunikativ-funktionale Tradition des Funktionalismus zunehmend das, was im Rahmen der Role and Reference Grammar die „communication-and-cognition perspective" genannt wird (Van Valin & LaPolla 1997: 11), im Rahmen der Functional Grammar schon früh als psychologische Adäquatheit eingefordert wurde (Dik 1987), und bei (Thompson 1992: 37) aus der Aussage hervorgeht, „that language has COGNITIVE and SOCIAL functions which play a central role in determining the structures and systems that linguists think of as a grammar o f a language". Die pragmatische Tradition des Funktionalismus ist vor diesem breiten Hintergrund am besten als Forschungsstrategie erfasst. Hinter dem Begriff der kommunikativen Funktion verbirgt sich ein umfassendes Programm, das - zumindest fur Vertreter wie Givon (1995: 310) - auch die kognitive Dimension mit einschließt. This [die Ableitung kommunikativer Funktionen aus sprachlichen Daten, D.F.] is where the linguist's grammar-in-text distributional study link up with relevant theories of face-to-face interaction, information processing and mental representation; that is, with social, cognitive and neurological underpinning of language.
1.2.2
Die kognitiv-funktionale Dimension
Seit der so genannten kognitiven Wende wird in der Linguistik der Tatsache verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt, dass Sprache und andere komplexe Verhaltensweisen eine kognitive Infrastruktur voraussetzen. 7 Diese Auffassung teilen alle kognitiven Ansätze, wie etwa auch verschiedene Versionen der Construction Grammar, mit der generativen Tradition. 8 Constructionist approaches share certain foundational ideas with the mainstream generative approach. Both approaches agree that it is essential to consider language as a cognitive (mental) system. (Goldberg 2003: 219)
7
8
Mit dem Begriff kognitive Wende wird auf die Revolution Bezug genommen, die Noam Chomsky (1959) durch seine Kritik am Behaviourismus Skinners auslöste. Unter die Bezeichnung kognitive Linguistik fallen Ansätze, die die kognitive Dimension von Sprache unter funktionalen Vorzeichen ernst nehmen (vgl. 1.1). Seit den 1980er Jahren wird der Versuch unternommen, die theoretischen und methodischen Grundlagen zu benennen (RudzkaOstyn 1988, Casad 1996, Janssen & Redeker 1999), wobei auch die Rückbindung an historische Vorläufer gesucht wird (Swiggers 1988).
10 Für die kognitive Linguistik fuhrt dies allerdings weit über die Ermittlung syntaktischer Regeln hinaus. Hier kreist die Forschung um die Annahme, dass sprachliche Prozesse mit visuellen, sensomotorischen und anderen kognitiven Systemen interagieren.9 Talmy bezeichnet die kognitive Linguistik daher als einen umfassenden konzeptuellen Ansatz, der sich mit allen Prozessen befasst, durch die Inhalte mittels Sprache organisiert werden. Dies kennzeichnet aus seiner Sicht den integrativen Anspruch der kognitiven Linguistik (im Unterschied zu formalen und psychologischen Ansätzen). The relatively recent tradition of cognitive linguistics has centered itself within this approach. It has thus addressed the structuring within language of such basic conceptual categories as those of space and time, scenes and events, entities and processes, motion and location, and force and causation. (Talmy, 2003: 2f.)
Der Versuch, Sprache vor dem Hintergrund der menschlichen Kognition zu erforschen, bringt es mit sich, dass eine Erklärung fur ihre Funktionsweise außerhalb des sprachlichen Mediums in einer Art black box gesucht werden muss. Dies hat weit reichende methodische Konsequenzen. Die Struktur dieser black box ist nur indirekt zugänglich und zwingt zu einem ständigen Wechsel zwischen beobachtbaren Daten und theoretischen Modellen, zu einer Art Spirale also zwischen empirischen Ergebnissen und theoretischen Annahmen. Dieser Prozess kann aus heutiger Sicht natürlich nur als Annäherung an die psychologische oder kognitive Adäquatheit möglicher Erklärungen verstanden werden. Nuyts (1992: 9ff.) nennt fur diese Adäquatheit zwei Hauptkriterien. Das erste Kriterium setzt voraus, dass Modelle über die menschliche Kognition mit den Auswirkungen von sprachlichem Verhalten kompatibel sein müssen {external descriptive adequacy). Das zweite Kriterium betrifft die Notwendigkeit, dass sich ein solches Modell zum einen mit Modellen zum menschlichen Verhalten in Bezug setzen lassen muss, und zum anderen in sich logisch und plausibel sein sollte (internal descriptive adequacy). Aus dem ersten externen Kriterium folgt die Aufgabe, sprachliches Verhalten möglichst genau zu beobachten. Mit Bezug auf die interne Adäquatheit werden in der kognitiven Linguistik eine Reihe von Mechanismen vorgeschlagen, die wie shifting, grounding, blending oder die metaphorische Extension zentrale Aspekte der funktionalen Organisation der menschlichen black box modellieren sollen. Sie liefern die Grundlage für Ansätze wie Langackers Cognitive Grammar oder die Mental Space Theory (vgl. hierzu Croft & Cruse 2004) aber auch Bausteine für den Entwurf kognitiver Theorien (etwa bei Talmy 2000).10 Neben theoretischen Modellvorstellungen aus der Tradition der kognitiven Linguistik wird in der Psycholinguistik vor allem experimentell daran gearbeitet, Prozesse der black box aufzudecken, um die Funktionsweise der menschlichen Kognition in die linguistische Repräsentation zu integrieren. Ähnlich radikal wie Schneider das Anliegen der pragmatischen Tradition formuliert (vgl. 1.2.1), formulieren Bates & MacWhinney (1982: 187) das Ziel der funktionalen Linguistik aus kognitiver Perspektive entsprechend so:
9 10
Vgl. zum Attribut kognitiv in dieser Tradition auch Gibbs (1996: 29). Ich zitiere im Folgenden aus Talmy (2000). Die Kapitel beruhen jedoch zu großen Teilen auf seinen früheren Publikationen aus den 1980er Jahren.
11 [...] the grammar or system of representation that mediates the interaction between form and function can be fully described in terms of natural functional categories and performance constraints. [...] A psychologically real description of language can and should be written entirely in terms of cognitive categories and speech processes, without additional symbols.
Die kognitive Tradition liefert mehrere interessante Ansatzpunkte fur die Analyse der Kausalmarker. In der Prototypentheorie werden kognitive Kategorisierungsprozesse in den Mittelpunkt gerückt, und zwar nicht nur im Bereich der lexikalischen Semantik (Geeraerts 1988), sondern auch mit Blick auf syntaktische Strukturen (Rosch 1977) und semantische Systeme (Welke 2005). Hieran schließt sich zum Beispiel die Frage, ob einer linguistischen Kategorie der Kausalität (Schmidhauser 1995) auch eine kognitive Kategorie gegenüber steht, und welcher Vertreter unter den Kausalmarkern möglicherweise die Rolle des Prototypen einnehmen kann (vgl. hierzu 4.4.3). Wahrnehmungspsychologische Ansätze aus der Tradition der Gestaltpsychologie (z.B. Köhler 1971) haben darüber hinaus in verschiedenen Versionen der Construction Grammar eine neue und zum Teil zentrale Rolle bekommen (Lakoff 1977, Croft 2001: Kap. 9). Dies wirft die Frage auf, inwieweit die grammatischen Konstruktionen, in denen die Kausalmarker auftreten, möglicherweise als Gestalten oder als feste slots verarbeitet werden. Die entscheidende Frage nach dem Verhältnis zwischen Sprache und Konzeptualisierung wird in dieser Arbeit im Hintergrund bleiben (vgl. hierzu die Beiträge in Nuyts & Pederson 1997). Sprachliches Verhalten wird allerdings oft als Fenster zur Kognition interpretiert (vgl. Pederson & Nuyts 1997). Es wird daher interessant sein zu verfolgen, welche möglichen Konsequenzen sich aus dem Fallbeispiel der Kausalmarker ableiten lassen (vgl. Kapitel 5). Hieran geknüpft ist auch die Frage nach der sprachlichen Relativität, die hier ebenfalls nur angerissen werden kann (vgl. Gumperz & Levinson 1996). Aus diesen Themen ergibt sich leicht der Eindruck, die kognitive Orientierung habe mit den Zielsetzungen der Pragmatik nichts mehr gemein. Die kognitiven Positionen fuhren zu scharfer Kritik vor allem aus den Reihen der interaktionsorientierten Funktionalisten, die Sprache hier auf ein mentales Phänomen reduziert sehen. In diesem Sinn vertritt etwa Fox (2002) die beinahe schon kulturkritische Position, dass Sprache auch in der funktionalen Linguistik zu sehr als eine rationale Dimension des menschlichen Handelns aufgefasst werde und die körperliche und die soziale Dimension von Sprache wie auch die kontextuelle Einbindung des Sprechens dabei zu wenig berücksichtigt würden: „I think most of us, although we might reject the competence-performance distinction, nonetheless have a very ,competence'-like view of syntax".11 Inwieweit diese Kritik tatsächlich zutrifft, kann wiederum nur in Einzelbetrachtungen entschieden werden. Auf der programmatischen Ebene schließt der Begriff Kognition allerdings bei vielen Vertretern aus der kognitiven Linguistik die soziale Dimension des Sprechens mit ein. So skizzieren Redeker & Janssen die kognitiv-funktionale Tradition wie folgt (1999: 1): „That perspective entails a concern for contextualized, dynamically constructed meanings and for the grounding of language use in cognitive and social-interactional processes". Über programmatische Positionierungen hinaus liefern Nuyts (1992: 1 Iff.) und Harder (1999) auch theoretische Argumente
11
Vgl. ergänzend auch Schönefeld, die sowohl generative und kognitiv-linguistische als auch Modelle aus der funktionalen Linguistik als competence models bezeichnet (2001: 89).
12 fiir ihre These, dass die soziale Dimension des sprachlichen Handelns für die kognitive Dimension unmittelbar relevant ist. Dabei geht es ihnen um die grundsätzliche Verankerung von Sprache und Kognition sowohl in der körperlichen Erfahrung als auch in der sozialen Dimension (vgl. 1.4).12 Mit der sozialen Dimension streift die kognitive Linguistik die Domäne der Pragmatik, mit der sie nach allgemein herrschenden Vorstellungen nur schwer vereinbar ist. Hierin zeigt sich meines Erachtens vor allem, dass sich die kognitive Linguistik innerhalb der funktionalen Linguistik nach wie vor von der generativen Tradition abgrenzen muss, in der Sprache als Kompetenz eines idealisierten Sprachbenutzers - also außerhalb jeder sozialen Dimension - verortet wird.13 Der kognitiv-funktionale Ansatz fußt jedoch in der Auffassung, dass die menschliche Kognition auch pragmatisches Wissen betrifft. Auch die kognitive Linguistik ist daher am besten als Herausforderung umrissen, die auf drei Annahmen beruht. Diese Annahmen decken sich - bezeichnenderweise mit umgekehrten Vorzeichen - fast wörtlich mit der pragmatischen Suche nach kommunikativen Funktionen (vgl. 1.2.1): „Under this approach, linguistic structures are seen as being related to and motivated by human conceptual knowledge, bodily experience and the communicative function of discourse" (Gibbs 1996:27).
1.3
Ein Konsens
Ein Merkmal von Sprache stellt sowohl aus kommunikativ-funktionaler als auch aus kognitiv-funktionaler Perspektive eine besondere Herausforderung dar: ihr dynamischer Charakter. Dieser Charakter manifestiert sich in einer Reihe von Phänomenen, denen Funktionalisten gezielt ihre Aufmerksamkeit schenken. Dabei können allerdings nur selten alle Aspekte gleichermaßen oder gar integrativ berücksichtigt werden und einige treten je nach Schwerpunkt immer wieder deutlich in den Hintergrund.
12
Nuyts (1992: 11) nutzt für seine Argumentation das Bild der zwei Seiten einer Medaille (Individualität und soziale Dimension) und Harder (1999) das Bild der organischen Teil-GanzesBeziehung. Harder (1999: 211) stellt in diesem Zusammenhang durchaus selbstkritisch die Frage: „We all know that language is used in social interaction, and that this in some general sense constraints the properties of language; and we already have a number of traditions that emphasize the social dimensions of language, so what does such a ,me-too' ticket on this point do for cognitive linguistics?". Interessant ist, dass beide die Notwendigkeit sehen, die neurophysiologische Dimension von Sprache zu berücksichtigen, dass sie aber von beiden nicht zu den Kernfragen des Funktionalismus gezählt wird (Harder 1999: 204, Nuyts 1992: 7, 2001a: 11).
13
Die kognitive Linguistik muss sich besonders scharf von der generativen Tradition abgrenzen. Erstens formiert sich in dieser jungen Disziplin erst allmählich ein kleinster gemeinsamer Nenner und zweitens teilt sie sich mit den Generativisten das Schlüsselwort kognitiv. Die pragmatische Tradition hat dagegen von Beginn an die kommunikative Dimension des Funktionalismus geprägt und mit Inhalten besetzt.
13
Die diachrone Entwicklung einer Sprache verläuft in einem dynamischen Prozess. Vor diesem Hintergrund erfordert jede systematische Beschreibung einer Einzelsprache eine künstliche Fixierung fortlaufender Entwicklungsprozesse zu einem gegebenen Zeitpunkt. Die Grammatikalisierungsforschung zeichnet Prinzipien dieser Entwicklungen nach und unterstreicht damit den zeitinstabilen Charakter jeder synchronen Analyse.14 Dynamisch vollziehen sich auch die Entwicklung und der Erwerb sprachlicher Strukturen im Zuge der Ontogenese und ihre Entwicklung im Rahmen evolutionärer Prozesse. Die theoretischen Fragen, die sich an diese Beobachtung anschließen, prägen eine Schlüsseldebatte zwischen Generativisten und Funktionalisten und flankieren ihre unterschiedlichen Positionen (vgl. 1.1). Dynamik prägt aber auch in mindestens zweifacher Weise die synchrone Struktur des sprachlichen Systems, die in dieser Arbeit im Mittelpunkt steht.15
1.3.1
Dynamik im Gebrauch
Das Medium Sprache ist ein kreativ nutzbares, hochflexibles, kontextsensibles und anpassungsfähiges kommunikatives System. Dadurch spielt die situative Einbettung sprachlicher Strukturen für die funktionale Linguistik eine zentrale Rolle. Der Ausgangspunkt für alle hierauf aufbauenden Modellvorstellungen ist die enge Beziehung zwischen Sprachgebrauch und Sprachsystem und die Aufhebung der Trennung zwischen Kompetenz und Performanz (usage-based models of language, vgl. Barlow & Kemmer 2000). Der Sprachgebrauch spielt für die Struktur des Sprachsystems in doppelter Hinsicht eine Rolle: Der Gebrauch resultiert aus den Prinzipien des Systems und formt diese gleichzeitig in einem ständigen Feedback-Prozess. Dabei spielt aller Vermutung nach auch Frequenz eine wichtige Rolle, denn über Frequenzen schreiben sich sprachliche Erfahrungen systematisch in unsere Wissensstrukturen ein (entrenchment). Diese Annahme gilt sowohl für die kommunikativ-funktionale als auch für die kognitiv-funktionale Tradition (vgl. Barlow & Kemmer 2000, Bybee & Hopper 2001). Hieraus ergibt sich auch für beide Traditionen die Konsequenz, Sprache jederzeit als instabiles System zu begreifen (Langacker 1999:21, Bybee & Hopper 2001: 2). Diese Überzeugung liegt allen funktionalen Ansätzen zugrunde und prägt die gemeinsame Arbeitshypothese, dass Sprache nicht unabhängig von ihrer Performanz beschrieben werden kann (vgl. 1.1).16 Hieraus ergibt sich vor allem eine gemeinsame methodische Verpflichtung, denn jede Theoriediskussion sollte auf einer gründlichen Analyse möglichst umfangreicher Daten aus verschiedenen Bereichen sprachlicher Variation aufbauen. Was
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15
16
Die Entwicklungstendenzen in der deutschen Gegenwartssprache zeigen deutlich, dass sich Sprache auf allen Ebenen kontinuierlich verändert (vgl. Braun 1987, Sommerfeldt 1988). Talmy (2000: 8ff.) stellt ergänzend hierzu nicht die dynamischen Phänomene in den Mittelpunkt, sondern die Dynamik der Kognition, für die er drei Zeitskalen ansetzt: Neben diachronen, typologischen und kulturellen Prozessen des Sprachwandels (long-term scale) und der dynamischen Entwicklung in der Ontogenese (mid-term scale) ist auch die on-line Verarbeitung sprachlicher Informationen (short-term scale) mehreren Beschränkungen unterworfen. Auf dieser Position basieren auch Erklärungsansätze für diachrone Entwicklungsprozesse (Croft 2000) und fur den kindlichen Spracherwerb (vgl. Tomasello 2003).
14 früher also als Phänomen einer Randgrammatik in den so genannten Bindestrich-Linguistiken wie der Soziolinguistik thematisiert wurde, wird jetzt zur empirischen Grundlage für theoretische Modelle. Es ist sicher kein Zufall, dass die usage-based models in den 1990er Jahren stark aufkamen, d.h. in einem linguistischen Jahrzehnt, das aus der Sicht von Hopper (2001: 109) durch die Explosion der technischen Möglichkeiten im Bereich der linguistischen Datenverarbeitung als Revolution in die Fachgeschichte eingehen wird.
1.3.2
Dynamische Verarbeitung
Sprache ist ein Medium, dass nicht nur dynamisch gebraucht, sondern auch dynamisch verarbeitet wird. Sie manifestiert sich zwar linear, wird allerdings weder in der Produktion noch in der Rezeption systematisch linear verarbeitet (ein Beispiel hierfür liefern mehrfach eingebettete Relativsatzkonstruktionen). Die Psycholinguistik leistet an dieser Stelle nicht nur einen Beitrag zur Erosion der strukturalistischen Unterscheidung zwischen langue und parole (Bates & Mac Whinney 1982: 173), sondern vor allem auch zur Anbindung von Sprache an die dynamischen Prinzipien der menschlichen Kognition. Hier werden die Prozesse ermittelt, die der Produktion und Rezeption von Sprache zugrunde liegen, beim Abruf aktueller Wissensrepräsentationen relevant werden und Beschränkung bei der Verarbeitung syntaktischer Strukturen erklären können (wie z.B. die Grenzen der Arbeitsgedächtniskapazität). Die Psycholinguistik liegt als experimentelle Disziplin an einer wichtigen Schnittstelle zwischen der kommunikativ-funktionalen und der kognitiv-funktionalen Dimension von Sprache, da sowohl die pragmatische als auch die kognitive Tradition psychologische Adäquatheit anstreben und ihre Ansätze daher mit experimentellen Evidenzen zumindest kompatibel sein sollten. Experimentelle Methoden können dynamische Prinzipien empirisch sichtbar machen und können darüber hinaus für funktionale Ansätze sinnvoll genutzt werden (z.B. Tomlin 1985 oder Kibrik 1999).17 Dies kommt in vielen Fällen allerdings einem schwierigen Übersetzungsprozess gleich. Bei der Konstruktion von Testmaterialien muss zum Beispiel die Komplexität von Korpusdaten oft in die relativ sterilen Prinzipien der Satzverstehensforschung übertragen werden (zur psycholinguistischen Arbeitsweise vgl. verschiedene Beiträge in Hemforth & Konieczny 2000). Der Verbindung zwischen traditionelleren linguistischen und psycholinguistischen Methoden sind somit Grenzen gesetzt. Jede psycholinguistische Evidenz ist stark an die Bedingungen ihrer experimentellen Anordnung geknüpft und vielen Evidenzen stehen Gegenevidenzen gegenüber, die umsichtig interpretiert werden müssen. Experimentelle Anordnungen wie Reaktionszeit-, Lesezeitmessungen oder die Ermittlung von Erinnerungsleistungen verlangen darüber hinaus eine klare Isolierung der zu testenden constraints, was angesichts der Interaktion unzähliger Faktoren in natürlicher Sprache eine Art Abstrak-
17
Schon Anfang der 1980er wurde die Beziehung zwischen Linguistik und Sprachpsychologie diskutiert. Während bei Bates & Mac Whinney (1982: 174) die Linguistik allerdings noch die Domäne der Fo/vwbeschreibung war und die Psycholinguistik die der Funktionen, beklagt Tomasello (1998:ix) die Ignoranz innerhalb der psycholinguistischen Forschung gegenüber neueren kognitiv und funktional orientierten Ansätzen innerhalb der Linguistik.
15
tionsprozess voraussetzt, durch den die Dynamik des Sprachgebrauchs künstlich manipuliert wird. Die Verfahren der Satzverstehensforschung sind daher (noch) sehr stark auf kontrollierbare schriftsprachliche Äußerungen und die Domäne des Satzes ausgerichtet und bieten sich nur für ausgewählte Fragestellungen an. Trotz aller methodischen Schwierigkeiten setzt eine angemessene Repräsentation von Sprache aus meiner Sicht die schwierige Verbindung zwischen Linguistik im engeren Sinn und kognitiver Psycholinguistik voraus. Linguistische Modelle sind oft sehr raffiniert in der Repräsentation von komplexem, dynamischem Sprachverhalten, aber bezüglich ihrer psychologischen Adäquatheit sehr verwundbar. Psycholinguistische Ansätze benennen dagegen dynamische Prinzipien und liefern kognitiv plausible Evidenzen, die in der zunehmend empirisch orientierten Linguistik oft als wissenschaftlich besonders wertvoll eingestuft werden, angesichts einer interdisziplinären Zielsetzung und der Komplexität sprachlichen Verhaltens allerdings einem Tropfen auf dem heißen Stein gleichen. Die Schwierigkeiten, die sich hieraus ergeben, relativieren angesichts des Anspruchs der funktional orientierten Linguistik aber nicht die Notwendigkeit, dass eine funktionale Theorie langfristig dynamische Verarbeitungsprozesse in linguistische Repräsentationen integrieren muss und sich demnach auch an beiden Dimensionen orientieren und messen lassen muss (vgl. Kapitel 5).
1.4
Die kognitiv-pragmatische Perspektive
In 1.2 wurde argumentiert, dass sich viele Ansätze innerhalb des Funktionalismus über ihre Affinität zu den Voraussetzungen der pragmatischen und der kognitiven Wende beschreiben lassen. Letztendlich zeigen sich hierin aber zwei linguistische Traditionen, die innerhalb eines gemeinsamen Forschungsvorhabens lediglich unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Die Integration dieser beiden Traditionen ergibt die kognitiv-pragmatische Perspektive, vor deren Hintergrund die Analyse des sprachlichen Fallbeispiels dieser Arbeit erfolgt. Die theoretischen und methodischen Grundlagen werden im Folgenden skizziert. Dabei wird zunächst der Funktionsbegriff dieser Arbeit erläutert (1.4.1) und der linguistische Ansatz vorgestellt, der sich aus diesem Funktionsbegriff ergibt (1.4.2). Im Anschluss daran wird der Begriff des .Funktionsprofils' erläutert und von der Bedeutung abgegrenzt (1.4.3).
1.4.1
Funktionen
In dieser Arbeit gehe ich davon aus, dass eine funktionale Beschreibung von Sprache nur unter der gleichzeitigen Berücksichtigung der kognitiven und der pragmatischen Dimension möglich ist. Das funktionale Forschungsprogramm stellt aus heutiger Sicht noch keine Theorie bereit, die diesem Anliegen zur Zufriedenheit aller Rechnung trägt, sondern es umfasst vielmehr ein breites Spektrum an Fragen zwischen Kognition und sozialer Interaktion. Die Debatten um die wechselseitige Abgrenzung der Traditionen spielen sich
16 an einer Grenze ab, die keine theoretische Trennschärfe mehr hat. Dies zeigt der Konsens über die dynamische Natur von Sprache, aber auch eine Analyse des sprachlichen Funktionsbegriffs. Interessanterweise verläuft die Trennlinie zwischen der kognitiv-funktionalen und der kommunikativ-funktionalen Tradition mit Bezug auf die dynamische Natur von Sprache besonders unscharf. Die Annahme, dass Sprache (mindestens) im Gebrauch und in der Verarbeitung dynamisch organisiert ist, ist fur beide Traditionen der Ausgangspunkt. Hieraus folgt, dass sich Sprache unter ständig laufenden Anpassungsprozessen zwischen der externen Situiertheit in der kommunikativen Umwelt (Gebrauch) und der internen Situiertheit im Rahmen der menschlichen Sprachfahigkeit (Verarbeitung) vollzieht. Auf der einen Seite funktioniert Sprache also als Werkzeug für die Interaktion. Auf der anderen Seite muss sie systemimmanent derart funktional organisiert sein, dass eben dies sinnvoll möglich wird. Diesem Zusammenhang wird die Unterscheidung in role function und organic function gerecht, die Nuyts in seiner Analyse zum Funktionsbegriff vorschlägt (1992:26-64). Am Beispiel der Funktionen der Augen illustriert er, dass Augen zum einen die konkrete Funktion übernehmen können, bei Gefahr Feinde zu erspähen (role function). Zum anderen erfüllen sie aber auch die Funktion, innerhalb eines Organismus die Sehfahigkeit zu gewährleisten (organic function). Gleichzeitig ist die Aussage wenig sinnvoll, dass eine Axt die Funktion hat, Köpfe zu zerschlagen. Dass sie aber im Zusammenhang von Mord und Totschlag als Werkzeug diese Funktion übernehmen kann, ist plausibel (vgl. 1992:31). Dass der kognitiv-pragmatische Funktionsbegriff anhand von Beispielen aus der Biologie besonders anschaulich wird, ist kein Zufall. Der dynamische Charakter von Sprache, den beide Traditionen voraussetzen, wird sowohl aus kognitiv- als auch aus kommunikativ-funktionaler Perspektive immer wieder anhand von biologischen Metaphern paraphrasiert. So baut Givon (1984: 29ff.) über das tertium comparationis des menschlichen Skeletts eine Analogie zur Biologie auf, wenn er sagt „the study of syntax is rather similar to the study of anatomy-cum-physiology". Croft (2000: 8ff.) stellt einen ausführlichen Vergleich zwischen Sprachwandel und biologischen Evolutionsprozessen an, Harder (1999: 198ff.) nutzt die aus der Biologie bekannten Funktionsabläufe, um die kognitive und die funktionale Dimension von sprachlichem Verhalten zu integrieren und Nuyts (1992:26-62) illustriert (vor ähnlichem Hintergrund) die Komplexität des linguistischen Funktionsbegriffs anhand von biologischen Abläufen im menschlichen Körper. Darüber hinaus heben aber beide Traditionen die dynamische Interaktion zwischen Umwelt und Kognition auch explizit hervor (vgl. sowohl Langacker 1999: 21 als auch Bybee & Hopper 2001:2). Von einer selbstverständlichen Integration von Pragmatik und Kognition ist die linguistische Forschung noch entfernt. Ein wichtiger Unterschied zwischen den Traditionen besteht in der unterschiedlichen Gewichtung der beiden Funktionsbegriffe. Die pragmatische Tradition ist der externen Funktion von Sprache stärker verbunden und fokussiert das Funktionieren von Sprache in der Interaktion. Sie ist stärker in der Analyse konkreter grammatischer Strukturen verwurzelt und erklärt beispielsweise syntaktische Subordination
17 aus der Informationsstruktur im Diskurskontext heraus.18 Die Ansätze aus der kognitiven Tradition, die der organischen, internen Funktion von Sprache stärker verpflichtet sind, operieren meist abstrakter mit Blick auf kognitiv-semantische Fragen. Im Mittelpunkt stehen hier die Konzeptualisierung der Welt durch Sprache und symbolische FormFunktionsverbindungen, die meist als statische slots oder Gestalten analysiert werden. Am Beispiel der Subordination zeigt sich dies sehr deutlich in konstruktionsgrammatischen Ansätzen.19 Auch in den funktional orientierten Ansätzen zu den lexikalischen Kategorien Verb und Nomen zeigt sich dieser Unterschied. Während die sprachlichen Instanzen dieser Kategorien nach Langacker (1987b) auf universale und konzeptuelle Kategorisierungsprozesse zurückgeführt werden können, ist der Unterschied zwischen den lexikalischen Kategorien fur Hopper & Thompson (1984) Ausdruck der prädizierenden bzw. der referierenden Diskursfunktion von Sprache und an den sprachlichen Gebrauch gebunden. Entscheiden zu wollen, welcher Ansatz plausibler ist, ergibt aus linguistischer Sicht weder für die syntaktische Subordination noch fur die lexikalischen Kategorien einen Sinn. Die Positionen stehen nicht einmal im Widerspruch zueinander, denn durch den Gebrauch wird Sprache Teil unseres Wissens und unser Wissen prägt gleichzeitig den Gebrauch. Die Frage, ob die Diskursdimension der kognitiven Repräsentation vorausgeht, erinnert an die Ursprungsfrage von Henne und Ei. Sie betrifft zwei Ebenen, die nur analytisch voneinander getrennt werden können. So wie der Gebrauch und die Verarbeitung von Sprache in direktem Bezug zueinander stehen, so stehen auch die soziale und die individuelle Dimension des Sprechens in Beziehung zueinander und demzufolge auch die kommunikative und die kognitive Tradition innerhalb des Funktionalismus. Deutliche Interdependenzen bestehen auch zwischen den Funktionsbegriffen, die zwar verschieden, aber eng miteinander verwoben sind. Ontologisch betrachtet sind sie, um im biologischen Bild zu bleiben, Teil eines organischen Systems, dessen Architektur in der funktional orientierten Linguistik erarbeitet wird. Die externe und die interne Situiertheit von Sprache stehen lediglich fur zwei Dimensionen eines Merkmals von Sprache, das den Funktionsbegriff in der Linguistik entscheidend prägt: Beide Funktionen, sowohl role function als auch organic function, leisten einen Beitrag zum Gelingen von sprachlichem Verhalten. Und dies ist aus meiner Sicht das entscheidende Moment, das die funktional orientierte Linguistik von einem reinen Formalismus unterscheidet, und zwar egal unter welchen Vorzeichen.20
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Matthiessen & Thompson (1988) analysieren syntaktische Subordination zum Beispiel als Ergebnis eines Grammatikalisierungsprozesses von Nukleus-Satelliten-Relationen. Vgl. hierzu exemplarisch die Analyse von syntaktischer Koordination und Subordination als complex figure bzw. als figure-ground-constructions bei Croft (2001: 320ff.). Hier schließt sich natürlich der Kreis zu der Position von Fox (2002, vgl. 1.2.2), denn dieser Funktionsbegriff ist tatsächlich relativ intentional. Man kann sich an dieser Stelle natürlich auch die (vielleicht neurophysiologische) Frage stellen, ob die automatisierten Aspekte der menschlichen Sprache nicht noch stärker in den linguistischen Funktionsbegriff integriert werden müssten. Ich persönlich folge in diesem Punkt Harder (1999: 204): „The point in this context is that one can be excited about progress in this direction without having to assume that a neural theory of language can ever be a complete theory of language".
18
Zusammenfassend orientiert sich der Funktionsbegriff, der dieser Arbeit zugrunde liegt, an Nuyts (1992). Dies bedeutet, dass die externe Situiertheit von Sprache {role function oder pragmatische Funktionen) von der internen Situiertheit von Sprache (organic function oder kognitive Funktionen) unterschieden wird, obwohl beide als untrennbar miteinander verbunden angesehen werden. Beide Funktionen, so die Annahme, spiegeln sich im Sprachgebrauch. Der Funktionsbegriff dieser Arbeit ist notgedrungen vielschichtig und umfasst unterschiedliche Funktionen auf mehreren sprachlichen Ebenen: kleinräumige lokale Funktionen, die sich im Korpus manifestieren können, sowie elementare Funktionen in Form von Faktoren, die den Sprachgebrauch steuern und eine qualitative Analyse der sprachlichen Oberfläche erforderlich machen.
1.4.2
Linguistische Analyse
Aus dem Funktionsbegriff, dem diese Arbeit verpflichtet ist, ergeben sich zwei Konsequenzen für die linguistische Auseinandersetzung mit dem Phänomen Sprache. Die erste Konsequenz betrifft die Rolle der Linguistik. Sprache ist Verhalten, in dem sich sowohl sprachliche Funktionen als auch Aspekte der Funktionsweise der menschlichen Kognition beobachten lassen. Die sprachliche Oberfläche ist im Sinne der kognitivpragmatischen Perspektive aber nur ein Mosaik, in dem sich kognitive und pragmatische Funktionen auf vielfaltige Weise zeigen. Die Erforschung der Funktionsweise von Sprache kann sich die Analyse dieser sprachlichen Oberfläche zunutze machen: „language structure provides the coherence of cognitive-functional linguistics, for it is the place where these domains all come together" (Langacker 1999: 18). Die Linguistik ist bei der Erforschung der Funktionsweise von Sprache aber zum Blick über die Grenzen des Fachs aufgefordert: „Within this three-step program of studying grammar, discourse and processing, the linguist is uniquely equipped to contribute to the first and second step, but must cooperate with - or learn from - the cognitive psychologist in carrying out the third step of investigation." (Givon 1984:11). Dem interdisziplinären Projekt der Erforschung von Sprache ist aus meiner Sicht am meisten gedient, wenn die Linguistik in ihr Selbstverständnis integriert, dass sie eine Disziplin im Dienste der Kultur- und der Kognitionswissenschaften ist. Ihr wichtiger aber zugleich beschränkter Beitrag liegt in der detaillierten Beschreibung des sprachlichen Phänomens sowie in ihrer Rolle als empirisches Korrektiv, damit ein sinnvoller Dialog mit den Daten gewährleistet ist und sich Modellvorstellungen nicht verselbstständigen. Ihre Aufgabe besteht aus meiner Sicht aber vor allem darin, das Phänomen Sprache mit dem Wissen um die Ausschnitthaftigkeit jeder linguistischen Analyse zu angrenzenden Disziplinen in Relation zu setzen und die Analysen von Beginn an möglichst derart auszurichten, dass dies in weiterfuhrenden Schritten möglich wird. Die zweite Konsequenz ist eng an die erste geknüpft und betrifft die linguistische Methodik. Die Abgrenzung zu den starken Positionen des Generativismus zwingt die funktional orientierte Linguistik zu klaren Gegenhypothesen. Das Verhältnis zwischen sprachlichen Formen und Funktionen ist aber selten eineindeutig und es scheint sinnvoll, die
19
These einer partiellen Autonomie oder einer Teilmotiviertheit von Sprache zu diskutieren.21 Dies bedeutet keine Relativierung funktionaler Prämissen, sondern es ermöglicht eine Annäherung an die entscheidende Frage, wie das Verhältnis zwischen sprachlichen Formen und Funktionen denn tatsächlich aussehen könnte. [...] it is rarely the case that a single surface convention serves one and only one communicative function. Rather, most aspects of the grammar are governed by several competing aspects of the communicative situation (cognitive structures, social goals, perception, and production constraints). (Bates & MacWhinney 1982: 187f.)
Sprachliche Formen sind multifunktional und Funktionen sind nicht immer direkt aus der sprachlichen Form ableitbar. Jeder einseitige linguistische Ansatz sollte daher zugunsten von Mehrdimensionalität vermieden werden. Hierfür steht das Prinzip der converging evidence (vgl. Langacker 1999, Janssen & Redeker 1999, Talmy 2000: 5). Es verpflichtet mindestens dazu, die Gleichzeitigkeit verschiedener Ansätze in den Mittelpunkt zu rücken, da die alleinige Erklärungskraft eines Ansatzes vor dem Hintergrund der sprachlichen Daten in der Regel nicht plausibel ist. Auf diese Weise kann das Ziel verfolgt werden, die Interaktion zwischen verschiedenen Funktionen zu entschlüsseln und der Architektur des sprachlichen Systems schrittweise auf den Grund zu gehen. Detaillierte Analysen zum Sprachgebrauch sind hierbei ein nützliches Instrument. Sie liefern eine unvorhersehbare Fülle an Beobachtungen und erweitern die empirische Basis, die der Theoriebildung unbedingt zugrunde gelegt werden sollte (auch wenn sie mehr Informationen über Sprache bereitstellt, als dem Ziel einer linguistischen Untersuchung lieb sein mag). Ein möglichst theorieneutraler Ansatz, der den Blick nicht zu sehr einschränkt, und die Anwendung explorativer Verfahren scheinen mir dabei zunächst wichtig. Ebenso wichtig werden im Gefolge dieser Prämissen dann allerdings auch konzise Überlegungen zu möglichen theoretischen Konsequenzen.
1.4.3
.Funktionsprofile' versus Bedeutung
In dieser Arbeit werden die Funktionsprofile für zehn Kausalmarker des Deutschen erarbeitet. Diese Funktionsprofile erfassen die distributioneilen Besonderheiten der Marker und ihr spezifisches funktionales Potential. Sie werden vor dem Hintergrund einiger theoretischer Modelle bottom-up aus dem Sprachgebrauch, der in einem Zeitungskorpus beobachtet werden kann, erarbeitet. Das Funktionsprofil eines Markers wird gewonnen, indem die Kontextumgebungen, in denen die Marker präferiert auftreten, so weit wie möglich präzisiert und kognitiv-pragmatisch interpretiert werden. Die Profile erfassen also nicht die Bedeutungen der Marker, sondern sie grenzen die Verwendungen der Marker gegeneinander ab. Dabei kann das Funktionsprofil eines Markers sowohl spezifische Gebrauchsmuster als auch generische Verwendungsweisen erfassen, die dann auf die Vag-
21
Diese These diskutieren und vertreten zum Beispiel Knobloch (1991: 87f.), Himmelmann (1997: 123), Tomasello (1998: xii), Harder (1999), Langacker (1999: 19) und Nuyts (2001a: 4).
20 heit oder Unterspezifikation eines Markers hinweisen (zu den methodischen Einzelheiten vgl. 4.1.2).22 Den Funktionsprofilen liegt eine zentrale These zum Verhältnis zwischen den Kontextumgebungen, in denen die Marker auftreten, und den Markern selbst zugrunde. Ausgehend von der Überlegung, dass sich unsere Erfahrungen mit Sprache in unserem Wissen über die Funktionen von sprachlichen Ausdrücken verfestigen können (vgl. 1.4.1), wird unterstellt, dass die Kausalmarker nicht zufällig in bestimmten Kontextumgebungen gebraucht werden, sondern dass ihr Gebrauch aufgrund unseres Wissens funktional motiviert ist. Dies bedeutet, dass die funktionale Beschreibung der Marker und die funktionale Analyse der Kontextumgebungen untrennbar miteinander verbunden sind. Zwischen den Markern und den Kontextumgebungen können verschiedene Beziehungen herrschen. Tomlin (1985) unterscheidet schon lange bevor die Begriffe experience- und usage-based sowie entrenchment in die funktionale Programmatik eingehen zwischen vier Kodierungstypen, die sich hinsichtlich der Korrelationsstärke, die zwischen Form und Funktion besteht, unterscheiden (strength of correlation, vgl. 1985: 97). Der zentrale Gedanke ist auch hier, dass Regelmäßigkeiten im Sprachgebrauch in dem Maße, wie sie wiederholt auftreten, zunehmend als Regeln interpretiert werden und sich zu Bedeutungen verfestigen. Bei fehlender Assoziation zwischen Form und Funktion fehlen Evidenzen für einen systematischen Zusammenhang in der Regel ganz. Bei funktionalen Korrelationen können zwar Kookkurrenzen beobachtet werden, die Funktionen haben sich aber nicht systematisch in der Form kodiert. Bei pragmatischer Kodierung bestehen (auch statistisch gesehen) signifikante Korrelationen zwischen Form und Funktion, die es dem Sprecher ermöglichen, die Funktion aufgrund der Form zu inferieren. Bei syntaktischer Kodierung kann schließlich davon ausgegangen werden, dass eine bestimmte semantisch-pragmatische Funktion den Gebrauch der Form aufgrund der direkten Verbindung zwischen Form und Funktion motiviert. Für die Kausalmarker leite ich aus den Überlegungen von Tomlin (1985) eine These ab, die für die Analysen im vierten Kapitel den Hintergrund liefert. Je nach dem, wie stark sich die Gebrauchsmuster im Funktionsprofil eines Markers verfestigt haben, werden die funktionalen Merkmale der Kontextumgebungen zu einem systematischen Bestandteil der Marker und es kann ein (Grammatikalisierungs-)prozess einsetzen, im Zuge dessen funktionale, d.h. kognitiv-pragmatische Repräsentationen für die Marker festgeschrieben werden. Bei sehr ausgeprägten und spezifischen funktionalen Mustern können die Funktionen zu Bedeutungsbestandteilen der Marker werden. Bei der Erarbeitung von Funktionsprofilen interessieren neben systematischen auch einzelne, variable und kaum kategorisierbare Phänomene, die im Zusammenhang mit dem Gebrauch der Marker beobachtet werden können. Das Ziel besteht darin, die Spezifik der einzelnen Marker so weit wie möglich zu präzisieren. Die Semantik sucht stattdessen Ansatzpunkte für eine invariante Bedeutungsbeschreibung der Marker. Die sprachlichen
22
Auf ganz ähnliche Weise sieht Dittmann (1981: 165) ein Verfahren der kommunikativ-funktionalen Grammatik darin, sprachlichen Ausdrucksmitteln verallgemeinerte Beschreibungen ihrer kommunikativ-pragmatischen Funktionen zuzuordnen. Die Gesamtheit dieser Funktionen bezeichnet er allerdings als Funktionspotential eines Ausdrucksmittels.
21 Ausdrucksmittel, die im vierten Kapitel dieser Arbeit untersucht werden, können im Sprachgebrauch alle eine begründende Funktion übernehmen, die sie als Kausalmarker ausweist (vgl. Kapitel 2). Dabei wird ihr im weitesten Sinne kausaler Bedeutungsbestandteil abgerufen, der in der Semantik mit wahrheitskonditionalen Mitteln beschrieben und differenziert werden kann (vgl. 3.2.1). Die kausale Grundbedeutung der Marker, die im Zuge eines Bedeutungsminimalismus ermittelt wird, gibt allerdings keine befriedigende Antwort auf die Frage, welchen Funktionen die formale Vielfalt an sprachlichen Ausdrucksmitteln tatsächlich dient. Die Analysen dieser Arbeit setzen also dort an, wo eine ausschließlich wahrheitssemantische Beschreibung der Marker an ihre Grenzen stößt.
1.5
Konsequenzen
Die sprachliche Variation im Bereich von zehn Kausalmarkern wird in den folgenden Kapiteln vor dem Hintergrund einer kognitiv-pragmatischen Perspektive untersucht. Kausalmarker bieten sich aus mehreren Gründen fur eine Fallstudie an. Als Wortschatzeinheiten mit satzverknüpfender Funktion stehen sie an der Schnittstelle zwischen Lexik, Grammatik und Diskurs, denn als Funktionswörter stiften sie kausale Kohärenz und stehen für „elementare Verfahrensbereiche der menschlichen Sprachtätigkeit" (vgl. Bickel 1991: 13). Ihre funktionale Beschreibung macht eine detaillierte linguistische Analyse erforderlich und ist unter Ausschluss ihrer kontextuellen Einbettung nicht möglich (vgl. 4.1.2). Eine zentrale Annahme dieser Arbeit besteht darin, dass die Kausalmarker nicht aufgrund einer robusten Bedeutung gebraucht werden, sondern weil sie als sprachliche Werkzeuge in einem gegebenen Kontext eine spezifische Funktion erfüllen. Entsprechend werden bei der folgenden Untersuchung die Instrumente der Wahrheitssemantik kaum eine Rolle spielen. Gleichzeitig übernehmen die Kausalmarker als lexiko-grammatische Ausdrucksmittel wichtige Aufgaben bei der Strukturierung konzeptueller Inhalte: „[...] the basic function of grammatical forms is to structure conception while that of lexical forms is to provide conceptual content." (vgl. Talmy 2000: 24ff.). Die Arbeit zielt nicht auf eine semantische Beschreibung der Marker, sondern auf die Analyse ihrer Funktionsprofile. Das Ziel besteht zunächst darin, bei der Beschreibung der Ausdrucksmittel möglichst viele Aspekte ihres Gebrauchs zu berücksichtigen. Die Arbeit geht von einem funktionalen Minimalkonsens aus, der wie bei Dik (1997: 18) lauten könnte. Whenever there is some overt difference between two constructions X and Y, start out on the assumption that this difference has some kind of functionality in the linguistic system.
Im Verlauf der Analysen stehen im Sinne dieses Minimalkonsens zunächst distinktive Merkmale aus den Kontextumgebungen der Marker im Mittelpunkt. Die Unterschiede werden korpusbasiert ermittelt und im Zuge eines explorativen Verfahrens erarbeitet. Die Interpretation der Daten erfolgt so theorieneutral wie möglich, was nicht den Verzicht auf theoretische Überlegungen bedeutet, sondern den Einbezug möglichst vieler verschiedener
22 Ansätze sowohl aus der pragmatischen als auch aus der kognitiven Tradition. Auf der Suche nach konvergierenden Evidenzen werden unterschiedliche Sichtweisen auf das Phänomen Sprache zur Sprache kommen. Die Analyse folgt aber insgesamt dem Glauben, dass eine sinnvolle Erklärung für die Variation letztlich jenseits der sprachlichen Oberfläche gesucht werden muss.
Kapitel 2 Fallstudie: Kausalmarker im Deutschen
Die Ankündigung, man wolle die Strukturen der Sätze einer Sprache ermitteln, kann nicht das letzte Wort zur Zielsetzung einer Grammatik sein. Denn interessant wird die Beschäftigung mit der Form von Sätzen erst, wenn man sich fragt, warum die Form so ist wie sie ist und was sie leistet. Peter Eisenberg (zit. nach Welke 1992: 14)
Im zweiten Kapitel wird der sprachliche Objektbereich dieser Arbeit vorgestellt. Dabei stehen die linguistischen Grundlagen im Mittelpunkt, d.h. der grammatische Status der Kausalmarker und konstruktionelle Merkmale, die kausal markierte Gesamtkonstruktionen typischerweise kennzeichnen. Aus der lexiko-grammatischen Beschreibung der Ausdrucksmittel ergeben sich mehrere strukturelle Optionen, die in den empirischen Analysen die Rolle der abhängigen Variablen erfüllen werden (vgl. Kapitel 4). Auf der Grundlage dieser Optionen wird dann auch ein Inventar von zehn Markern eingegrenzt, auf dem die empirische Analyse basiert.
2.1
Kausale Informationen und Sprache
Kausale Zusammenhänge sind für unser Denken von zentraler Bedeutung. Ihre Prominenz in den Bereichen der Psychologie und der Philosophie scheint in vielen Fällen auch die linguistische Beschäftigung mit Kausalität zu motivieren, denn viele Linguisten schicken die Besonderheit der kausalen Relation der linguistischen Analyse voraus (Schmidhauser 1995: ix, Meyer 2000: 9f., Degand 2001: ix). Die Besonderheit leiten sie im Wesentlichen daraus ab, dass kausale Zusammenhänge eine relativ komplexe und zugleich fundamentale logische Operation voraussetzen. Mit Bezug auf Sprache ist eine kausale Relation in mehrfacher Hinsicht komplex. In der formalen Semantik wird versucht, der Komplexität mit den Instrumenten der Logik zu begegnen und den Gegenstand über die schwierige Unterscheidung in Ursachen, Gründe und Bedingungen sowie in Folgen, Wirkungen und Konsequenzen zu erfassen (vgl. auch Waßner 2004a). Bei Talmy (1988) werden kausale Zusammenhänge stattdessen in eine Vielzahl kognitiv-semantischer Primitiva ausdifferenziert (vgl. auch 2000: 428—430), da kausale Kräfte sowohl in konzessiven Zusammenhängen wirken, als auch beim Geschehen lassen oder beim Verhindern einer Handlung. An der Semantik des englischen Verbs to break zeigt er exemplarisch: „[...] there is no single situational notion of causation, as many linguistic treatments have it, but a number of types [...]" (Talmy 2000: 474-475, vgl. auch die Analyse von Wierzbicka 1998). Ganz ähnlich formuliert auch Dirven (1995: 95): „[...] cause is a fuzzy and many-faceted concept".
24 Das Ziel dieser Arbeit ist angesichts dieser Komplexität bescheiden. Im Zentrum stehen weder die Semantik der kausalen Relation noch die Relevanz, die kausale Zusammenhänge in unserer Kultur einnehmen. Das Thema der Arbeit sind sprachliche Mittel zur Markierung von kausaler Information oder, um einen alltäglicheren Begriff zu nutzen, zur Markierung von Begründungen. Der Begriff der kausalen Information dient in diesem Zusammenhang als Heuristik und umfasst im engen Sinne kausale Beziehungen zwischen Ursachen und Wirkungen, aber auch Grund-Folge-Relationen und Begründungen für Sachverhalte, die nicht in einem ursächlichen Verhältnis zueinander stehen. Dies hat im Wesentlichen zwei Gründe, die an den kognitiv-pragmatischen Funktionsbegriff, der dieser Arbeit zugrunde liegt, anknüpfen (vgl. 1.4.1). In der Welt vollziehen sich kausale Zusammenhänge innerhalb eines Ereignisrahmens, der eine Sequenz mehrerer Ereignisse umfasst (vgl. den Begriff causal event frame bei Talmy 2000: 271ff.). Das kognitive System, das unsere Aufmerksamkeit steuert, ist dafür verantwortlich, dass in den wenigsten Fällen die vollständige Ereignissequenz sprachlich kodiert wird, sondern dass das Ereigniskontinuum in Teilereignisse segmentiert wird, die kausal miteinander verbunden werden. Diesen Mechanismus nennt Talmy causal-chain windowing. Er basiert im Wesentlichen darauf, dass sich unsere Aufmerksamkeit selektiv danach orientiert, welche Bereiche für die Kommunikation relevant sind (2000: 305). In diesem Prozess kommt in der Regel jenen Teilereignissen besondere Aufmerksamkeit zu, die - ganz allgemein formuliert - den Grund und die Folge einer kausalen Ereigniskette bilden. Mit Sprache wird auf diese Ereignisse verwiesen. Linguistisch betrachtet bestehen kausale Relationen daher aus zwei Sachverhalten, die auf Teilereignisse eines unendlich komplexen Zusammenhangs in der Welt verweisen und zu einer Grund-Folge-Relation verbunden werden.1 Neben dieser kognitiv-semantischen Basis ist aus linguistischer Perspektive ebenso wichtig, dass der kausale Zusammenhang nicht notwendigerweise zwischen Ereignissen in der Welt besteht, sondern dass er im Rahmen einer sprachlichen Handlung konstruiert wird. Für Degand (2001: 34f.) ist daher die sprechende Person selbst ein integraler Bestandteil der kausalen Relation: „The causative situation is an extra-linguistic phenomenon that underlies all linguistic constructions expressing causation. It is composed of a relation between two events that are viewed by the speaker as causally dependent on each other" (2001: 35). Ich würde sogar noch weiter gehen, denn der außersprachliche Ereignisrahmen und die kausale Information sind zwei völlig verschiedene Dinge. In der Welt bestehen kausale Zusammenhänge, die physikalisch und philosophisch untersucht werden können. In einer kausalen Information sind der Grund und die Folge in erster Linie das, was ein Sprecher oder eine Sprecherin als solche ausweist. Kausale Informationen sind daher das Ergebnis einer sprachlichen Handlung, in der zwei Sachverhalte zu einer Grund-FolgeRelation verbunden werden. Aus dieser Perspektive sind Kausalmarker vor allem sprachliche Mittel zur expliziten Markierung von Begründungen. Die sprachlichen Mittel, die zur Markierung von kausalen Informationen genutzt werden können, sind zahlreich (vgl. Schmidhauser 1995: 129-190). Als sprachliche Werkzeuge
1
Talmy betont, dass diese semantische Beschreibung kausaler Situationen auch für komplexe Sätze mit subordinierender Präposition und Nominalphrasen gilt (2000: 481 f.).
25 können beispielsweise Relationsverben wie bewirken, beruhen auf, basieren auf dienen sowie komplexe Prädikate wie der Grund sein für etwas, seine Begründung finden in etwas, etwas als Ursache haben etc. Ein ganz einfaches Mittel ist unter Umständen aber auch die asyndetische Juxtaposition zweier Sachverhalte. In diesem Fall wird über die sprachliche Linearisierung der Sachverhalte ein Inferenzprozess ausgelöst. (1) Er ist skeptisch. Er hat schlechte Erfahrungen gemacht. Neben diesen Ausdrucksmitteln gibt es eine Reihe sachverhaltsverknüpfender Strategien, die explizit die Funktion erfüllen, linear aufeinander folgende Einheiten zueinander in Relation zu setzen und auf diese Weise zu größeren Einheiten zusammenzuordnen (vgl. Raible 1992:30, vgl. auch Talmy 2000: Kap. 6).2 Im Rahmen dieser Strategien übernehmen satzverknüpfende Funktionswörter explizit die Funktion, als Konnektoren (vgl. Pasch et al. 2003), als cues (vgl. Gernsbacher 1997) oder als operative Zeichen (vgl. Schmidhauser 1995: 74) zu signalisieren, dass die Sachverhalte in einem im weitesten Sinne kausalen Verhältnis zueinander stehen. (2) (3) (4) (5)
Er ist skeptisch, denn er hat schlechte Erfahrungen gemacht. Er hat schlechte Erfahrungen gemacht, deshalb ist er skeptisch. Er ist skeptisch, weil er schlechte Erfahrungen gemacht hat. Er ist wegen schlechter Erfahrungen skeptisch geworden.
Wörter wie denn, deshalb, weil oder wegen nenne ich Kausalmarker. Die Bezeichnung Kausalmarker ist keine erschöpfende Beschreibung dieser Wörter, sondern sie greift einen Gebrauchskontext dieser Ausdrucksmittel heraus (zur hohen funktionalen Belegung etwa der Wortform denn vgl. 4.1.1). Da der kausale Gebrauch dieser Marker im Deutschen sehr systematisch mit syntaktischen Konstruktionen korreliert, werden die Kausalmarker nicht als isolierte Wortschatzeinheiten, sondern immer als Signale für unterschiedliche Strategien zur Markierung von kausalen Informationen untersucht. Im Verlauf dieser Arbeit werden zehn solcher lexiko-grammatischen Mittel unter funktionalen Gesichtspunkten verglichen. Das gemeinsame Merkmal dieser Ausdrucksmittel ist, dass sie wie in den Beispielen (2) bis (5) Grund-Folge-Relationen stiften und kausale Informationen markieren. Inwieweit sie über dieses Merkmal hinaus funktional differenziert werden können, ist Gegenstand dieser Untersuchung. Asyndetische Konstruktionen und lexikalische Ausdrucksmittel sind aus dieser Arbeit ausgeschlossen. Degand (2001: 40-44) begründet diesen Ausschluss in ihren Analysen zum Niederländischen damit, dass bei impliziten Kausalrelationen Wissensrepräsentationen inferiert werden, die an Fragen aus der psycholinguistischen Forschung anknüpfen und über
2
Der kognitiv-semantische Ansatz von Talmy und die typologische Arbeit von Raible zeigen interessante Gemeinsamkeiten. Die sprachlichen Ausdrucksmittel, die kausale Informationen bei Talmy kognitiv strukturieren (2000: 345-405) und bei Raible die universale Dimension Junktion strukturieren (1992:35-118), reichen von klassischen Satzverknüpfungen über Sätze mit integrierten Nominalphrasen bis hin zu semantischen Rollen. Lediglich die Reihenfolge der Techniken ist gegenläufig. Talmy beginnt - ohne es natürlich so zu nennen - mit integrativen Techniken, während Raible seine Skala vom Pol der Aggregation aus herleitet.
26 die Zielsetzung ihrer Arbeit hinausweisen. Den Ausschluss kausaler Lexeme begründet sie hingegen damit, dass ihre Abgrenzung problematisch sei und fur eine Korpusanalyse kaum operationalisiert werden könne.3 Ich halte diese Argumente in einer Untersuchung zum Thema Form and Function of Causation für problematisch. Aus meiner Sicht setzt eine solche Analyse einen onomasiologischen Ansatz voraus, der allen empirischen Schwierigkeiten zum Trotz möglichst das gesamte Spektrum an sprachlichen Ausdrucksmitteln in die linguistische Analyse integriert. In der vorliegenden Arbeit werden zehn Kausalmarker des Deutschen untersucht. Dies ist ein deutliches Symptom dafür, dass es in dieser Arbeit nicht um die Semantik der kausalen Relation geht. Kausale Informationen liefern lediglich den groben Rahmen für die funktionale Analyse einiger sprachlicher Strategien, die allesamt kausale Sachverhaltsverknüpfungen stiften. Dabei liegt durch den Einschluss der Präpositionen aufgrund und wegen im Vergleich zur grammatischen Tradition eine vergleichsweise weite Auslegung des Begriffs Kausalmarker zugrunde. Relativ zum sprachlichen Inventar, das die Markierung kausaler Informationen ermöglicht, sind die Analysen aber auf einen kleinen Ausschnitt beschränkt.
2.2
Formale Variation
Kausalmarker wie deshalb, weil oder wegen gehören verschiedenen Wortarten an (2.2.1) und interagieren im Deutschen relativ systematisch mit strukturellen Optionen, die bei der Markierung von kausalen Informationen zur Verfügung stehen. Die wichtigsten Optionen ergeben sich aus den syntaktischen Konstruktionstypen (2.2.2), aus der Unterscheidung in finite und nominale Techniken der Sachverhaltsverknüpfung (2.2.3) und aus der Markierungsstrategie (2.2.4). Diese Optionen werden im Folgenden formal motiviert und liefern die abhängige Variable für die empirischen Analysen. Im Zusammenhang mit grammatischen Strukturen und mit derart schillernden Begriffen wie Koordination und Subordination ist aber natürlich auch eine Auseinandersetzung mit der Literatur notwendig. Es gilt an dieser Stelle also, die strukturellen Optionen vorzustellen und die hier gewählten technischen Begriffe zu erläutern.
3
Degand analysiert neben kausalen Konnektoren und Präpositionen auch analytische Konstruktionen mit den Hilfsverben ,doen + inf.' und Jäten + inf.', da es sich hier - so ihre Argumentation um ein Inventar an Ausdrucksmitteln handelt, bei denen der morphologische Markierungsprozess unproduktiv geworden sei (2001: 42). Diese Konstruktionen sind seit Verhagen & Kemmer (1997) in den Mittelpunkt gerückt.
27 2.2.1
Grammatischer Status
Die kausale Verknüpfung zweier Sachverhalte erfolgt in vielen Fällen mit adverbialen, konjunktionalen oder präpositionalen Kausalmarkern. Adverbien verknüpfen in der Regel zwei Sätze, wobei die Abfolge von Grund und Folge invariant ist. Die adverbiale Markierung steht innerhalb der kausalen Relation immer an zweiter Position und der Kausalmarker entweder im Vorfeld des zweiten Satzes, und somit unmittelbar zwischen den Äußerungen, die er kausal miteinander verknüpft, oder er ist in das Mittelfeld des zweiten Satzes integriert. Pasch et al. (2003: 40) klassifizieren Adverbien wie nämlich oder darum aus diesem Grund als konnektintegrierbare Konnektoren.4 Unter diesen Kausalmarkern nehmen Pronominaladverbien wie daher oder deshalb eine besondere Stellung ein. Morphologisch treten sie als Verbindung einer pronominalen, d.h. referenziellen Komponente mit einer präpositionalen, also relationalen Komponente in Erscheinung (vgl. deswegen, oder des-halb). Als sachverhaltsverknüpfende Operatoren stellen sie über ihre pronominale Komponente immer einen anaphorischen oder kataphorischen Bezug zu einer fur den kausalen Zusammenhang relevanten Proposition her und sind in besonderem Maße kohärenzfördernd.5 Konjunktionen sind im Gegensatz zu Adverbien nicht konnektintegrierbar. Als subordinierende Konjunktionen verknüpfen sie in der Regel einen kausalen Nebensatz mit einem Hauptsatz.6 Diese Kausalverbindungen unterscheiden sich von adverbialen Verknüpfungen unter anderem durch die Stellungsflexibilität der beiden Sachverhalte. Der Nebensatz, der von der subordinierenden Konjunktion regiert wird, kann dem Matrixsatz sowohl folgen als auch vorausgehen. Die Einbettung des Nebensatzes in das Mittelfeld des Matrixsatzes stellt die Ausnahme dar (auch im untersuchten Korpus mit lediglich 3% der Vorkommen). Von den subordinierenden Konjunktionen wie weil und da, die auch als Subjunktoren bezeichnet werden, unterscheiden Pasch et al. (2003) die ebenfalls nebensatzeinleitenden Postponierer wie so dass oder weshalb. Diese Marker zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie trotz der formalen Subordination nicht stellungsflexibel sind. Dies macht sie zu Elementen einer syntaktisch hybriden Klasse.7 Daneben finden sich unter den Konjunktionen natürlich auch koordinierende Konjunktionen, zu denen traditionell das kausale denn zählt (z.B. Schmid-
4
5
6
7
Pasch et al. (2003: 35-41) schlagen eine topologische Klassifikation der Adverbien vor und eine Subklassifizierung der konnektintegrierbaren Adverbkonnektoren in vorfeldfähige und nacherstfahige (vgl. 2003: 297ff.). Zur terminologischen Abgrenzung der konnektintegrierbaren Adverbien gegenüber Konjunktionaladverbien, Junktoren oder Konnektiven vgl. Pasch et al. (2003: 487-494). Zu Pronominaladverbien in satzverknüpfender Funktion vgl. Pasch et al. (2003: 557-561). Schmidhauser (1995: 132-133) bezeichnet Pronominaladverbien wie deshalb und darum aufgrund ihrer morphologischen Struktur als „Proadverien" und „Platzhalter" mit „Stellvertreterfunktion". Zur Hauptsatzstellung nach weil vgl. Pasch et al. (2003: 369ff. und 403^411) sowie den Überblick in Pittner (1999: 238-243). Der subordinierende Marker so dass beispielsweise markiert ausschließlich eine nachgestellte Folge, z.B. Gestern hat es geregnet, so dass ich zu Hause geblieben bin. Aber: *So dass ich zu Hause geblieben bin, hat es gestern geregnet. Postponierer teilen diese syntaktische Beschränkung mit allen koordinierenden Markern.
28 hauser 1995: 141). Diese Ausdruckmittel sind ebenfalls auf den zweiten Sachverhalt beschränkt und verknüpfen ohne syntaktische Einbettung.8 Kausale Präpositionen wie aufgrund oder wegen fordern im Gegensatz zu Adverbien und Konjunktionen Nominalphrasen als Komplemente. Sie regieren eine Präpositionalphrase, die innerhalb der kausalen Information den Grund markiert. Auf diese Weise signalisieren sie in der Regel satzinterne Relationen. Die Position der Präpositionalphrasen ist wie bei den subordinierenden Konjunktionen flexibel. Die Präposition aufgrund ist semantisch transparent und problemlos aus der komplexen Präpositionalphrase auf der Grundlage von rekonstruierbar. Sie erlaubt nach alter Rechtschreibung sogar noch die analytische Schreibweise auf Grund. Dies sind Indikatoren für ihren geringeren Grammatikalisierungsgrad (vgl. diMeola 2000: 109-114). Die eingeschränkte etymologische Transparenz unterscheidet wegen deutlich von aufgrund. Die Präposition hat ihre ursprünglich konkret räumliche Bedeutung zugunsten einer abstrakten kausalen Bedeutung verloren.9 Wegen kann sowohl als Prä- als auch als Postposition auftreten (wegen des Geldes oder des Geldes wegen). Neben dem Kasuswechsel vom Genitiv zum Dativ und der hohen Frequenz interpretiert di Meola auch die Tendenz zur Prä-Position als Hinweis auf einen sehr weit fortgeschrittenen Grammatikalisierungsprozess (2000: 173,192ff.).10 Eine große Anzahl der Kausalmarker fallen in den Bereich der Adverbien, Konjunktionen und Präpositionen. Die terminologische Bestimmung dieser Wortarten ist bezeichnenderweise nicht wortimmanent, sondern immer relational: Eine Präposition zeichnet sich dadurch aus, dass sie nominalen Elementen voran gestellt ist und Konjunktionen verknüpfen Sachverhalte per definitionem. Im Deutschen lassen sich die Kausalmarker besonders systematisch bestimmten syntaktischen Strukturen zuordnen.11 Die Kausalmarker können auch aus diesem Grund kaum unabhängig von ihrer kontextuellen Einbettung untersucht werden, da es systematisch zu einer Korrelation mit funktional relevanten, konstruktionellen Merkmalen kommt. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, das Funktionspotential der Kausalmarker immer vor dem Hintergrund der Gesamtkonstruktionen zu analysieren. Die wichtigsten Unterschiede werden im Folgenden vorgestellt.
8
Zur Sonderrolle des so genannten „Begründungs-ifewj" vgl. Pasch et al. (2003: 584—592 und 591). Ich bezeichne denn im weiteren Verlauf als koordinierenden Marker und beziehe mich damit auf das Merkmal, dass durch denn in der Regel zwei unabhängige Hauptsätze miteinander verbunden werden.
9
Vgl. di Meola (2000: 197) sowie zur etymologischen Herleitung der Präposition wegen aus dem Dativ Plural von Weg (2000: 126). Zur Postposition in stark grammatikalisierten idiomatischen Fügungen wie des Geldes wegen und in Verbindung mit Eigennamen und Pronomen wie in meinetwegen vgl. di Meola (2000: 193— 200). Die Postposition von aufgrund ist nicht möglich und bei wegen die Ausnahme (vgl. auch di Meola 2000: 193-195). Postpositionen wie bei Verbindungen mit -halber oder kausale Ambipositionen wie um...willen werden in dieser Arbeit nicht berücksichtigt (vgl. hierzu Schmidhauser 1995: 186-189).
10
11
Vgl. im Englischen kann dagegen der Marker because als nebensatzeinleitende Konjunktion (He didn 't go out because it was raining) oder in Verbindung mit der Präposition of als nominaler Marker auftreten (He didn 't go out because of the rain).
29 2.2.2
Konstruktionstypen
Eine wichtige strukturelle Option ergibt sich aus dem syntaktischen Kontext der Kausalmarker und aus der einfachen Unterscheidung in koordinierende, subordinierende und integrierende Sachverhaltsverknüpfiingen. Als Koordination bezeichne ich hier die Verknüpfung zweier oder mehrerer Hauptsätze. Mit Subordination beziehe ich mich auf asymmetrische Sachverhaltsverknüpfiingen, die zwischen einem Haupt- und einem Nebensatz bestehen können und durch die Verbletztstellung im Nebensatz formal indiziert sind.12 Mit Integration bezeichne ich den extremen Fall von syntaktischer Integration, bei dem der Grund als adverbiale Angabe in einen Sachverhalt integriert wird, was zum Verlust der Satzwertigkeit der Begründung fuhrt. Mit dieser einfachen Heuristik ist es möglich, zentrale Oberflächenmerkmale der Marker für die empirischen Analysen zu operationalisieren und auf die formalen Optionen theorieunabhängig Bezug zu nehmen. In der Literatur sind vor allem die Begriffe Koordination und Subordination Gegenstand heftiger Debatten und es liegen eine ganze Reihe sehr fundierter Definitionen vor, denen ich keine weitere hinzufügen möchte. An einigen Stellen werden scheinbar alternativ zu diesem Begriffspaar die Begriffe Parataxe und Hypotaxe gebraucht. In anderen Arbeiten werden mithilfe dieser Unterscheidung theoretisch relevante Unterschiede diskutiert. In der Literatur ergibt sich allerdings keine Systematik, die sich für eine erste Annäherung an eine formale Klassifikation der Kausalmarker anbietet. Pasch et al. (2003) unterscheiden zwischen Koordination und Parataxe und sprechen im Zusammenhang mit der traditionell koordinierenden Konjunktion denn ausdrücklich von einer parataktischen Verknüpfung. Als parataktisch bezeichnen sie Verbindungen, die „weder dem Kriterium der Einbettung, noch dem Kriterium der Koordination genügen, die also nicht als syntaktische Beziehungen zwischen Teilausdrücken komplexer Sätze betrachtet werden können" (2003: 305). Mit dem Begriff der Einbettung wird in der Literatur zudem der Grad der Abhängigkeit zwischen den verknüpften Sätzen berücksichtigt. Dieses Kriterium interagiert terminologisch deutlich mit der syntaktischen Subordination. Für die Subklassifizierung von Sätzen ist es nach Pasch et al. jedoch wichtig, dass formale Subordination nicht unbedingt zu einer Einbettung führt, ebenso wenig wie die Einbettung eines Sachverhalts von dem Kriterium der Subordination abhängt (vgl. hierzu Beispiele in Pasch et al. 2003: 241).13 Eine wieder etwas andere begriffliche Wahl trifft Heyvaert (2003:186ff.). Sie bezieht sich auf den system-funktionalen Ansatz von Halliday (1994) und nutzt Subordination als Überbegriff für die Phänomene embedding und Hypotaxe und erfasst damit zum einen den Konstituentenstatus innerhalb eines Satzes und zum anderen die abhängige Verknüpfung zweier
12
Die Stellung des finiten Verbs ist natürlich nur ein formales Kriterium fur syntaktische Subordination (vgl. auch die empirischen Subordinationskriterien in Peyer 1997: 152ff. und Pittner 1999: 206-212). Zum Begriff Subordination schreiben Haiman & Thompson (1984: 510): „[...] it is at best a negative term which lumps together all derivations from some ,main clause' norm, and thus treats as unified a set of facts which we think is not a single phenomenon".
13
Der Begriff der Einbettung wird in der Literatur ebenfalls unterschiedlich gebraucht. Pit (2003: 17-21) unterscheidet zwischen formaler Subordination und funktionaler Einbettung und Pasch et al. (2003: 237-239) definieren Einbettung stattdessen ausschließlich über das formalsyntaktische Kriterium der Vorfeld-Fähigkeit.
30 clauses im Gegensatz zu parataktischen Verknüpfungen, die Elemente gleichen Status verbinden, was im direkten Vergleich zur oben erwähnten Definition für Parataxe von Pasch et al. relativ allgemein gefasst ist. Aus der Vielzahl an Vorschlägen zur begrifflichen Unterscheidung zwischen Koordination und Parataxe bzw. Subordination und Hypotaxe ergibt sich ganz leicht der Eindruck, dass die terminologischen Unterschiede in erster Linie Instrumente theoretischer Positionierungen sind. Die Begriffe lassen sich auch nicht eindeutig der funktionalen oder formalen Linguistik zuordnen. Schulz (1973) spricht in ihrer generativen Analyse von Hypotaxe und Parataxe, Crofi (2001:321-361) in seiner funktionalen Analyse von Koordination und Subordination. Bei Talmy (2000: 347-369) werden die Begriffe schlicht kreuzweise gebraucht und Raible (1992) stellt den Begriff der Para-taxis dem Begriff der Syn-taxis gegenüber. Für die Unterscheidung der Konstruktionstypen setzte ich in dieser Arbeit zunächst nur formale Kriterien voraus: die Formatgleichheit bei koordinierten Hauptsätzen, die Verbletztstellung in subordinierten Nebensätzen und eine integrierte Form der Sachverhaltsverknüpfung ohne finites Verb, die gleichzeitig mit Nominalität zusammenfallt. Mit dieser rein formalen Unterscheidung gebrauche ich die Begriffe Koordination und Subordination bewusst unspezifisch und überlasse alle weiteren Differenzierungen den empirischen Analysen, die der begrifflichen Diskussion aus meiner Sicht ebenso gut vorausgehen können. Die Forschung suggeriert allerdings mit Nachdruck, dass die formalen Konstruktionen verschiedene funktionale Phänomene abdecken. Der Begriff der Integration wird dagegen für einen spezifischen Konstruktionstyp verwendet, um auf die extreme Form eines graduellen Phänomens Bezug zu nehmen. Verschiedene Arbeiten zeigen, dass es eine ganze Reihe hybrider Formen der Sachverhaltsverknüpfung gibt, die sich einer eindeutigen Zuordnung entziehen (vgl. in Ansätzen Fabricius-Hansen 1992, Peyer 1997, vor allem aber Raible 1992:248-252 und Talmy 2000: 345-369).14 Dies ist der Ausgangspunkt für skalare Ansätze, die vor allem in der funktional orientierten typologischen Forschung erarbeitet werden (vgl. Lehmann 1988, Haimann & Thompson 1984, Foley & Van Valin 1984, Cristofaro 1998, Raible 1992, Croft 2001) und linguistische Arbeiten aus unterschiedlichen theoretischen Kontexten zunehmend beeinflussen (Peyer 1997:36ff., Auer 1998, Heyvaert 2003). Fabricius-Hansen (1992) unterscheidet in prototypische und marginale Fälle von Subordination, Cristofaro (1998) diskutiert Subordination auf der Basis einer Deranking-Hierarchie und Lehmann (1982) entwickelt einen funktional-syntaktischen Subordinationsbegriff, der sich kontinuierlich bis in den Bereich der syntaktischen Nominalisierung erstreckt. Alle skalaren Ansätze verfolgen auf die eine oder andere Art die Idee der graduell zunehmenden syntaktischen Integration, die auch der formalen Unterscheidung in drei diskrete Konstruktionstypen (Koordination, Subordination und Integration) zugrunde liegt. Zunehmende Integration bringt bei kausalen Sachverhaltsverknüpfungen vor allem den Verlust des Satzgliedstatus im übergeordneten Satz mit sich, was natürlich nicht nur für den in dieser Arbeit als Integration bezeichneten Konstruktionstypen gilt, sondern auch für kausale Subordination. Raible (1992) ordnet verschiedene Techniken der Sachverhaltsverknüpfung daher entlang einer Junktionsskala an, die an ihren Polen von den konversen
14
Vgl. auch den Begriff der Ρara-Hypotaxe bei Raible (1992: 181ff.).
31
Prinzipien der Aggregation und der Integration bestimmt wird. Die sprachlichen Realisierungsformen am aggregativen Pol sind seinem Ansatz zufolge von Verbalität, geringer syntaktischer Kohäsion und hoher Kontextabhängigkeit geprägt. Der integrative Pol ist hingegen der Bereich der Nominalität. Hier herrscht syntaktische Kohäsion und es kommt zu stark grammatikalisierten Formen der Sachverhaltsverknüpfung (vgl. im Überblick Raible 1992: 30f.). Entlang der Skala verlaufen die Parameter abnehmende Finitheit und zunehmende Integration. Typisch für das aggregative Extrem ist die einfache Aneinanderreihung von Einheiten. Hierunter fallen vor allem koordinierende Techniken. Im integrativen Extremfall werden den wichtigsten semantischen Relationen feste semantische Rollen zugewiesen. Dies ist etwa bei der semantischen Rolle des Verursachers der Fall. Die drei rein formalen Optionen, die ich in dieser Arbeit als Variablen nutze, korrelieren sehr deutlich mit zunehmender syntaktischer Integration und diese korreliert wiederum mit der Abnahme des illokutiven Potentials (vgl. z.B. Lehmann 1982: 68). Neben der formalen Unterscheidung in drei Konstruktionstypen wird bei der Analyse der Kausalmarker daher gleichzeitig berücksichtigt, welchen Integrationsgrad die entsprechenden Verknüpfungstechniken zwischen den Polen der Aggregation und der Integration einnehmen. Der Begriff der Integration erfasst also sowohl ein diskretes formales, als auch ein graduelles syntaktisches Phänomen. Inwieweit die Zuordnung der Kausalmarker zu einer diskreten formalen Unterscheidung funktional plausibel ist oder ihre Anordnung entlang einer Integrationsskala, wird in dieser Arbeit empirisch verfolgt (vgl. Kapitel 4).
2.2.3
Verbale und nominale Techniken
Kausale Präpositionen wie aufgrund und wegen fordern Nominalphrasen als Komplemente. Mit diesen Kausalmarkem rücken am integrativen Ende der Junktionsskala die strukturellen Besonderheiten der nominalen Markierung von kausalen Informationen in den Mittelpunkt. Der so genannte Wendepunkt auf der Junktionsskala markiert den Eintritt in den Bereich dieser Konstruktionen (vgl. Raible 1992: 111-117). An diesem Punkt realisiert sich an der sprachlichen Oberfläche auch der prinzipielle Unterschied zwischen infiniten und satzwertigen Sachverhalten. Dieses Merkmal unterscheidet die nominalen Techniken der Sachverhaltsverknüpfung von den verbalen Techniken.15 Die präpositionale bzw. nominale Markierung einer kausalen Information zeichnet sich formal dadurch aus, dass verbale Tempus-, Modus- und Aspektmarkierungen in dem markierten Sachverhalt weitgehend entfallen.16 Dafür können nominale Merkmale und Definitheit auftreten und der Agens tritt normalerweise in den Hintergrund. Präpositionen
15
Der nominale Bereich ist als Fortsetzung des Integrationsprinzips zu verstehen. Auch Lehmann bezeichnet den Übergang vom Satz zum Nomen als graduell (1982: 68): „Der Abbau verbaler Komponenten erfolgt nicht schlagartig, sondern schrittweise und geordnet" und auch Confais stellt fest (1995: 217): „Nominalität ist offenbar graduierbar".
16
Das Kopfnomen der Nominalphrase kann natürlich mehr oder weniger deverbal sein (vgl. z.B. die Beobachtung < beobachten im Gegensatz zu die Akten) und von lexikalisierten bis hin zu Ad-hocNominalisierungen variieren (z.B. die Beobachtung im Gegensatz zu das Hineinfallen).
32 markieren auf diese Weise als stark grammatikalisierte Formen der Begründung in der Regel satzinterne Relationen und zeichnen sich durch hohe syntaktische Flexibilität aus. Die relativ wenigen linguistischen Arbeiten, die diese nominalen Formen der Sachverhaltsverknüpfung analysieren, konzentrieren sich in der Regel auf die Grenzen der Reformulierung solcher Konstruktionen in Form von Sätzen (vgl. Bartsch 1978, Rudolph 1978, im Ansatz auch bei Abraham 1991: 330 und Degand 2000: 696-701). Im Wesentlichen basieren diese Arbeiten auf der Annahme, dass Nominalisierungen sprachliche Alternativen sind, „die beim Verfassen des Textes als sprachökonomisches Mittel des komprimierten Ausdrucks entstanden sein könnten, feststellbar durch im Kontext einsetzbare Paraphrasen" (Polenz 1988: 33).17 Nominalphrasen unterliegen starken syntaktischen und semantischen Beschränkungen, die die Möglichkeiten einer nominalen Kodierung von kausalen Informationen im Vergleich zu satzwertigen Verknüpfungen deutlich einschränken. Eine Nominalisierung etwa von weil zu wegen ist zum Beispiel schwierig, wenn in der Begründung Modalverben auftreten {wollen, müssen), Komparative (besser, schneller), negierte Prädikate (nicht gehen, nicht kommen), reflexive Verben (sich lieben, sich hassen) und Verben, die Aktionsarten aufweisen (erfrieren, erleiden).18 Eine Verbalisierung von wegen zu weil ist dagegen im Kontext längerer Aufzählungen problematisch, im Kontext von Sprechakten (vgl. das Beispiel *Geh doch endlich zum Arzt, weil Du Bauchschmerzen hast! in Bartsch 1978: 13) und wenn als Grund lediglich eine Person angeführt wird (etwa wie in seinetwegen, wegen seiner Mutter). Insgesamt legen die Substitutionstests nahe, dass eine Nominalisierung immer dann problematisch ist, wenn die persönliche Verortung des Sprechers und der Begründungscharakter in den Mittelpunkt rücken. Verbalisierungen sind stattdessen dann kaum möglich, wenn die Informationsteile, die in der Regel über das Prädikat kodiert werden, mehr oder weniger sprachlich implizit bleiben sollen. Der nominale Charakter einer Begründung ist aus funktionaler Perspektive kein Epiphänomen der präpositionalen Markierung. Was in adverbial oder konjunktional markierten Sätzen das finite Verb leistet, wird in Präpositionalphrasen in der Regel über das Nomen kodiert: „The relation between a simple noun and a nominal is directly analogous to that between a simple verb and a finite clause" (Langacker 1991a: 191). Der Unterschied zwischen satzwertigen und nominalen Techniken der Sachverhaltsverknüpfung ist daher eine weitere strukturelle Option, die in dieser Arbeit untersucht wird. Dass zwischen den Wortarten Verb und Nomen nicht nur morphosyntaktische Unterschiede bestehen, zeigen unter anderem die Arbeiten von Gentner (1981), Hopper & Thompson (1984) und Langacker (1987b). Sie analysieren Nomen und Verben als funktionale Kategorien und stellen die Thesen auf, dass mit den Wortarten unterschiedliche kognitive Kategorisierungsprozesse verbunden sind (step by step scanning versus summary scanning bei Langacker), dass sie prototypische lexikalische Kategorien für unterschiedliche Diskursfunktionen
17
18
In der Akademie-Grammatik werden kausale Präpositionalphrasen stattdessen als „abgewandelte" Strukturen einer „primären", satzwertigen Realisierungsform klassifiziert (Heidolph, Flämig & Mötsch 1981: 403). Vgl. zu einigen Transformationsbeschränkungen Chomsky (1970) und speziell zum Deutschen die Untersuchungen von PetriC (1994, 1995).
33 bereitstellen {prädizierend versus referierend bei Hopper & Thompson) und dass sie zu unterschiedlichen Erinnerungsleistungen führen, die auf wahrnehmungspsychologische Unterschiede zurückgehen (object-reference concepts versus relational concepts bei Gentner). Prinzipiell wird den Nomen jedoch immer eine größere Objekthaftigkeit zugeschrieben. Die Substitutionstests sind wichtige Indikatoren für die funktionale Unterscheidung der Konstruktionen und zeigen gleichzeitig sehr deutlich, dass die nominalen Techniken der Sachverhaltsverknüpfung als komprimierte Alternativen für die verbalen Techniken nur unzureichend erfasst sind. Aus diesem Grund vermeide ich den Begriff der Nominalisierung und spreche stattdessen von einer präpositionalen oder nominalen Markierung. Die nominalen Techniken der Sachverhaltsverknüpfung werden weder als reformulierbare, noch als elliptische Sätze untersucht. Ich folge also dem Anliegen von Heyvaert (2003: 58): „Nominalizations [...] should be viewed as constructions in their own right."
2.2.4
Grund- und Folgemarker
Kausale Informationen können unterschiedlich markiert werden. Ist der Grund explizit markiert, so handelt es sich um kausale Relationen im eigentlichen Sinn. Wenn die Folge sprachlich hervorgehoben wird, so spricht man in der Grammatik oft von konsekutiven Relationen. Beide Markierungsstrategien realisieren jedoch eine Grund-Folge-Verknüpfung und markieren kausale Informationen.19 Vor dem Hintergrund der Überlegungen in 2.1 ist der Unterschied daher zunächst nur ein markierungsstrategischer Unterschied und aller Vermutung nach funktional motiviert. Den markierungsstrategischen Unterschied dokumentieren folgende Beispiele. (6) Anna wird heute nicht zu Hause bleiben, denn das Wetter ist gut. (7) Das Wetter ist gut, also wird Anna heute nicht zu Hause bleiben. In (6) leitet der Kausalmarker denn eine Begründung ein, die explizit als Grund ausgewiesen wird. In (7) ist durch den Marker also dagegen die Folge sprachlich hervorgehoben und markiert. In seiner Untersuchung zur Konsekutivität zeigt Konerding (2002), dass Relationen wie in (7) informationsstrukturell motiviert sind, und dass die Kategorie der Konsekutivität eine Variante der kausalen Relation ist, die durch die „pragmatische Funktion der Ereignismotivierung" motiviert ist (2002: Kap. 2). Obwohl er im Titel seiner Arbeit an einer Kategorie der Konsekutivität festhält, fasst Konerding (2002: 334, 338) die Ergebnisse seiner Untersuchung folgendermaßen zusammen.
19
Ein ähnlicher Ausgangspunkt gilt auch für Degand (2001: 44): „The realizations that we consider to be primarily causative in meaning include constructions signaling a cause, reason, ground, result, consequence or purpose. These all express the two causal members and the relation between them and they may emphasize on either of these aspects".
34 Eine eingehende Betrachtung der traditionellen Charakterisierungen zur Semantik des prototypischen konsekutiven Adverbialindikators so dass zeigte, dass hier gegenüber der adverbialen Subklasse der sog. ,Kausaladverbiale' keine selbständige semantische Fundierung festgestellt werden kann. Kausalsätze und Konsekutivsätze erweisen sich als intrakommunikativ bedingte Darstellungsvarianten der gleichen semantisch fixierten, propositional basierten Verhältnisse. [...] Das heißt aber, dass Konsekutivität nicht als „inverse Relation" der „Kausalität" zu betrachten ist. Bei der Kausalität handelt es sich vielmehr um eine rein semantisch spezifizierte Superkategorie der Konsekutivität.
Da die kausale und die konsekutive Relation am besten als Varianten einer Superkategorie zu verstehen sind, unterscheide ich im Folgenden zwischen grundmarkierten und folgemarkierten kausalen Informationen. Die entsprechenden Kausalmarker bezeichne ich in Anlehnung an Schiffrin (1987: 191-227) als Grund- und Folgemarker.20 Das formale Kriterium für ihre Unterscheidung ist die Position des Kausalmarkers innerhalb der Relation. Im Deutschen besteht ein ausgesprochen systematischer Zusammenhang zwischen Markierungsstrategie und syntaktischem Muster. Obwohl Konerding (1998) in einer früheren Arbeit noch versucht, für verschiedene syntaktische Muster kausale und konsekutive Marker systematisch gegenüber zu stellen und an dieser Stelle noch den Eindruck einer formalen Symmetrie pflegt, verteilen sich die folgemarkierenden Strategien fast ausnahmslos auf den Bereich der koordinierenden Sachverhaltsverknüpfungen sowie auf Postponierer, die innerhalb einer kausalen Relation ebenfalls nur im zweiten Sachverhalt auftreten.21 Die Grundmarker verteilen sich stattdessen über das gesamte syntaktische Spektrum und sind mit Blick auf ihre Position sogar linear flexibel. Schließlich bezeichnet auch Konerding (1998: 78) diese Verteilung als „nahezu komplementäre Asymmetrie", deren „tiefer greifende Erklärung" noch aussteht. Konerding (2002) findet hierfür in erster Linie informationsstrukturelle Erklärungen. In 4.3.2.1 werde ich argumentieren, dass die funktionale Besonderheit der Folgemarkierung darüber hinaus auch direkt mit der konstruktionellen Besonderheit dieser Markierungsstrategie zusammenhängt.
20
21
Vgl. die Unterscheidung in backward versus forward, (Pander Maat & Degand 2001, Pit 2003) sowie prospektive versus retrospektive bei Göhl (2002). Während Schiffrin (1985) textorganisierende Funktionen und Göhl die markierungsstrategische Dimension in den Mittelpunkt rücken, ermittelt Louwerse (2001) dagegen kognitive Parameter. Seine Unterscheidung zwischen backward und forward ist daher unbedingt von den terminologischen Entscheidungen bei Pander Maat & Degand (2001) und Pit (2003) abzugrenzen. Konerding (1998: 68ff.) klassifiziert infolge und zu(m) noch als nominale Konsekutivmarker. Bei infolge liegt meinem Eindruck nach ein Fehlschluss vor. Der Marker infolge suggeriert zwar eine konsekutive Interpretation und kann mit Markern wie infolgedessen oder folglich satzwertig reformuliert werden, aber infolge markiert ebenso wie wegen einen Grund, was eines seiner Beispiele sogar zeigt: Wegen/Infolge Nebels konnte das Flugzeug nicht landen (Konerding 1998: 69). Der Unterschied zwischen wegen und infolge ist kein markierungsstrategischer Unterschied, sondern ähnlich wie bei wegen und aufgrund eine Frage der semantischen Transparenz. Ein explizit kausaler präpositionaler Folgemarker ist mir nicht bekannt. Tatsächlich verzichtet Konerding (2002: 55) später auf die Analyse nominaler Ausdrucksmöglichkeiten und schreibt lediglich der Präposition zu(m) in idiomatischen Fügungen den Status eines Konsekutivitätsmarkers zu.
35 2.2.5
Auswahl der Marker
Im Mittelpunkt der folgenden Analysen stehen zehn typisch schriftsprachliche Kausalmarker, die die wichtigsten formalen Optionen besonders gut repräsentieren (vgl. 2.2.1 bis 2.2.4). Allen zu untersuchenden Ausdrucksmitteln ist gemeinsam, dass sie zur Markierung von kausalen Informationen gebraucht werden können. Das Ziel dieser Arbeit besteht darin, die zehn alternativen Marker funktional zu differenzieren. Aus dem Spektrum der Grundmarker wird der Gebrauch der koordinierenden Marker denn und nämlich untersucht. Das Interesse am Gebrauch der Konjunktion denn ist in der Literatur deutlich höher. Von den Analysen zum kausalen Gebrauch von nämlich verspreche ich mir Aufschluss darüber, welche Merkmale tatsächlich für die koordinierende Sachverhaltsverknüpfung typisch sind und welche Funktionen möglicherweise markerspezifisch. Den Bereich der subordinierenden Marker decken die kausalen Konjunktionen weil und da ab, die schon vor dem Hintergrund der Forschung die Vermutung nahe legen, dass ihr Gebrauch unterschiedlich motiviert ist. Den Bereich der Präpositionen vertreten aufgrund und wegen. Aufgrund bietet sich durch die transparente kausale Bedeutung an und im Falle von wegen lenkt die hohe Frequenz dieser Präposition im Alltag die Aufmerksamkeit auf diesen Marker. Neben diesen im engeren Sinne kausalen Markern gehen vier Folgemarker in die Analyse ein. Diese sind daher und deshalb sowie deren scheinbar austauschbare Alternativen darum und deswegen. Unter den Folgemarkern kommt diesen Pronominaladverbien sicher eine Sonderrolle zu. Ein Marker wie deswegen markiert zwar eine Folge, er verweist aber durch seine pronominale Komponente gleichzeitig auch auf eine Proposition und signalisiert explizit, dass diese als Begründung interpretiert werden soll. Der Verweis auf die Begründung ist durch die pronominale Komponente dieser Marker ausdrucksseitig immer markiert. Auf diese Weise bekommt ein Marker wie deswegen im Gegensatz zu also oder dem prototypischen Konsekutivmarker so dass auch intuitiv eine kausale Bedeutung und er ermöglicht einen im engeren Sinne begründenden Gebrauch (insbesondere bei Fokussierung des Markers, die bei diesen Folgemarkern relativ oft möglich ist, vgl. 4.3.2.3). Ein solcher Bezug auf den kausalen Grund findet bei der Grund-Folge-Markierung mit koordinierenden Folgemarkern wie also und folglich nicht statt. Aus der Analyse ausgeschlossen sind auch Postponierer wie so dass und weswegen. Alle Postponierer teilen mit weil und da das Merkmal der Subordination und mit den koordinierenden Markern die Besonderheit, dass sie innerhalb der kausalen Relation nur an zweiter Position auftreten können (vgl. 2.2.1). Sie stützen die These, dass Folgemarkierung nur im Falle einer Grund-Folge-Linearisierung möglich ist. Die Berücksichtigung dieser Konstruktionen wäre ergänzend zu der hier getroffenen Auswahl sicher auch interessant gewesen. Die empirischen Analysen erstrecken sich somit über folgende zehn Kausalmarker des Deutschen: nämlich, denn, daher, darum, deshalb, deswegen, weil, da, aufgrund und wegen. Das Spektrum umfasst Kausalmarker wie weil und denn, die im alltäglichen Gebrauch (und somit auch in der Literatur) durch hohe Frequenz auffallen. Darüber hinaus werden aber ganz bewusst auch seltenere Marker wie darum berücksichtigt, um auch spezifische Funktionen zu ermitteln und verschiedene Grade der formalen Variation zu untersuchen. Durch die Berücksichtigung möglichst vieler, und sowohl typischer als auch peripherer Kausalmarker gewinnt die Fallstudie aus meiner Sicht (innerhalb der Grenzen des Machbaren) an empirischer Substanz.
36 2.3
Überblick
Die Kausalmarker dieser Untersuchung repräsentieren sprachliche Variation auf unterschiedlichen Ebenen. Aus lexikographischer Perspektive handelt es sich um zehn Wortschatzeinheiten, die mehr oder weniger explizit eine kausale Bedeutung stiften (vgl. 2.2.1). Formal-syntaktisch lassen sich die Kausalmarker in einer ersten Annäherung den Konstruktionsmustern Koordination, Subordination und Integration zuordnen, die vor dem Hintergrund einer syntaktischen Integrationsskala noch weiter ausdifferenziert werden müssen (vgl. 2.2.2). Die Kausalmarker repräsentieren darüber hinaus den Unterschied zwischen satzwertigen (verbalen) und infiniten (nominalen) Techniken der Sachverhaltsverknüpfiing (vgl. 2.2.3). Die Variation erfasst zudem den markierungsstrategischen Unterschied zwischen Grund- und Folgemarkern, die traditionell als kausale und konsekutive Marker kategorisiert werden (vgl. 2.2.4). Die Anordnung der Marker in Übersicht 1 orientiert sich an Raible (1992), weicht im Detail allerdings von seinen Beispielen zum Deutschen ab.22
Übersicht 1:
Lexiko-grammatische Merkmale der Kausalmarker
Markierungs Strategie
Qmn(j
Qnjnj
Folge
Folge
Folge
Folge
Grund Grund
Verbal vs. nominal
verbal
verbal
verbal
verbal
verbal
verbal
verbal verbal nominal nominal
Konstruktionstyp
Koord. Koord. Koord. Koord. Koord.
Koord.
Sub.
Sub.
Integ.
Integ.
Marker*
nämlich
darum deshalb deswegen
weil
da
aufgrund
wegen
denn
daher
Grund
Grund
* Die Marker sind in Anlehnung an Raible (1992) nach zunehmender syntaktischer Integration angeordnet.
Übersicht 1 ergibt keine saubere Klassifikation und erfüllt vor dem Hintergrund der Zielsetzung dieser Arbeit rein deskriptive Ziele. Sie dient ausschließlich dem Zweck, die Marker vor der funktionalen Analyse grob zu etikettieren und sie jenen formalen Kontextmerkmalen zuzuordnen, mit denen sie typischerweise auftreten. Die Übersicht lässt sich aus einer markerspezifischen und aus einer gebrauchsorientierten Perspektive interpretieren und diese Differenzierung ist für alle Übersichten mit diesem Format wichtig.
22
Vgl. etwa die Zuweisung von deshalb und einem anaphorisch gebrauchten wegen im Vorfeld auf die zweite von acht Integrationsstufen (Raible 1992: 14). Die Verknüpfung über nämlich vertritt dagegen Integrationsstufe III. In den Beispielen von Raible stehen das Kriterium der Kohäsion und die Stärke der Kohärenz im Mittelpunkt. Ich berücksichtige dagegen (a) die Affinität der Konstruktionen zu den Polen der Aggregation und der Integration, (b) das Integrationspotential des Markers in einen Sachverhalt, (c) die Stellungsflexibilität der Sachverhalte, (d) anaphorische Bezüge zwischen den Sachverhalten und (e) den Grammatikalisierungsgrad der Marker. Die Gruppe der Pronominaladverbien entzieht sich vorerst einer Systematisierung.
37 Jeder Kausalmarker vertritt eine markerspezifische Kombination von formalen Merkmalen, mithilfe derer die Marker lexiko-grammatisch beschrieben werden können. Die Übersicht zeigt, dass die Marker aus der Perspektive verschiedener Kriterien analysiert werden können und dass Teilanalogien auch formal sehr unterschiedliche Marker verbinden können. So verbindet etwa nämlich und da das Merkmal, dass sie im Gegensatz zu wegen beide satzwertige Einheiten verknüpfen, in denen finite Verben auftreten. Hieraus folgt aus meiner Sicht, dass nur strukturell vergleichbare Wortschatzeinheiten wie daher und darum oder weil und da tatsächlich als lexikalische Alternativen verglichen werden können. Die Marker daher und wegen sind formal derart verschieden, dass sie sich einem unmittelbaren Vergleich zunächst entziehen. In vielen Untersuchungen bleibt dies unberücksichtigt (vgl. aber Schiffrin 1985). Neben den aufgeführten Konstruktionsmerkmalen, die in dieser Arbeit systematisch verfolgt werden (vgl. Übersicht 1), könnten die Marker auch nach weiteren Kriterien gruppiert werden, die für die funktionalen Analysen wichtig werden. Die Marker denn, daher, darum, deshalb, deswegen und da haben zum Beispiel eine deiktische Qualität und bilden aus diesem Grund eine Untergruppe. Die Marker weil, da, aufgrund und wegen verbindet stattdessen das Merkmal der Rektion, das bei der Linearisierung der Information zu berücksichtigen sein wird. Diese Merkmale werden zwar in Übersicht 1 nicht erfasst, aber im Zuge der funktionalen Analysen immer wieder zur Sprache kommen. Übersicht 1 lässt sich darüber hinaus auch als ein Inventar an sprachlichen Alternativen interpretieren, die zur Markierung von kausalen Informationen zur Verfügung stehen. Ein Sprecher kann zwischen einer verbalen und einer nominalen Verknüpfimg wählen, er kann aber auch entscheiden, ob er den Grund oder die Folge sprachlich hervorheben will. So gesehen stehen nicht die einzelnen Marker im Mittelpunkt, sondern die Frage nach den Motivationen für ihren Gebrauch. Diese Perspektive ist eng an die Frage nach den Prozessen geknüpft, die die Wahl eines Markers möglicherweise steuern. Zur Veranschaulichung dieser zweiten Perspektive, die den Gebrauch der Marker als Ergebnis eines Selektionsprozesses begreift, werden die Kausalmarker in Übersicht 1 und in weiteren Übersichten in Kapitel 4 in der untersten Zeile aufgeführt. In der funktional orientierten Linguistik gilt die Annahme, dass sprachliches Verhalten funktional motiviert ist. Für die Analyse der zehn Kausalmarker ergeben sich hieraus vier Fragen, die in dieser Arbeit untersucht werden sollen: (i) Welche Gebrauchsbedingungen lassen sich für die einzelnen Marker ermitteln? (ii) Wie robust ist die formale Kategorisierung der Marker aus funktionaler Perspektive? (iii) Welche Funktionen strukturieren das Inventar der Kausalmarker? (iv) Inwieweit erschließt sich eine systematische Erklärung für die Variation? Im zweiten Kapitel habe ich die formale Variation als Inventar an sprachlichen Alternativen beschrieben und zehn Kausalmarker aus formaler Perspektive charakterisiert. Die These lautet, dass diese formale Variation funktional motiviert ist. Die gemeinsame semantische Funktion dieser Marker ist die Markierung von kausalen Informationen. In Kapitel 3 werden nun funktional orientierte Forschungstendenzen vorgestellt, die zur Erklärung der Variation beitragen. In 4.4.2 wird sich dann zeigen, in welchem Verhältnis die formale Beschreibung zu einer möglichen funktionalen Klassifikation der Marker steht.
Kapitel 3 Forschungstendenzen
Es ist höchste Zeit, über die Macht unserer inneren Bilder nachzudenken.
Gerald Hüther (2006: 13)
Kausale Relationen sind in der funktional orientierten Linguistik ein viel diskutierter Gegenstand. Im Folgenden wird vor dem Hintergrund der Überlegungen in Kapitel 1 die Forschungssituation geschildert. Der Überblick, der sich hieraus ergibt, erfüllt weder den Zweck der Literaturverwaltung, noch steht er an dieser Stelle um seiner selbst willen. Er soll vielmehr exemplarisch für den Bereich der Kausalmarker die starke Fragmentierung der Forschungsfragen in der funktional orientierten Linguistik dokumentieren. Diese Situation liefert den Ausgangspunkt fur die empirischen Analysen in Kapitel 4 und bestimmt die Methodik dieser Arbeit, die in 4.1.2 vorgestellt wird.
3.1
Vorbemerkungen
Ob weil nun ein Konnektor, ein cue oder ein Marker ist und ob das syntaktische Umfeld typischerweise als Nebensatz, als hypotaktisches Satzgefüge oder als Nukleus-Satellitenstruktur bezeichnet wird: Die begriffliche Vielfalt zeigt eindrucksvoll, dass die Ansätze zur Erforschung der Kausalmarker theoretisch sehr weit gefächert sind. Mehrere funktionale Teildisziplinen arbeiten vor dem Hintergrund unterschiedlicher Fragestellungen an einer Erklärung für die sprachliche Variation in diesem Bereich. Dies führt zu einer Vielzahl an Evidenzen, die für das Gesamtverständnis des Themas wichtig sind, die in vielen Fällen aber nur wenige Marker beleuchten und sich nur selten zu einer übergreifenden Analyse verdichten. Die Heterogenität der Fragen unterstreicht allerdings auch den Schnittstellencharakter des Themas und ist Indiz dafür, dass die Komplexität des Themas eine Analyse auf mehreren Beschreibungsebenen erfordert. Gleichzeitig zeigt sich in dieser Aufsplitterung, dass die Linguistik auf der Grundlage mehrerer, paralleler Arbeitshypothesen noch an einer Strategie arbeitet, um die Variation unter den Vorzeichen eines Ansatzes funktional zu erfassen. Folgende vier Punkte charakterisieren aus meiner Sicht die Situation in der Literatur. 1. Die Erklärungen für die Variation im Bereich der Kausalmarker setzen auf unterschiedlichen Ebenen an: auf der Ebene der Marker, auf der Ebene der syntaktischen Konstruktion, auf der Ebene des Diskurskontextes und mit Bezug auf die menschliche Sprachverarbeitung. In der Literatur bündeln sich die Beiträge zudem zu vier grundsätzlichen Forschungsfragen. Während die einen das Inventar der Marker als Vorlage begreifen, um einen bisher unzureichend erarbeiteten Teilbereich der Grammatik des Deutschen systematisch zu beschreiben, fragen andere primär nach den Besonderheiten und Funktionen der
40 syntaktischen Konstruktionen, in denen sie auftreten (wobei die Marker keinesfalls im Mittelpunkt stehen müssen). Andere wiederum nutzen die Marker als Fenster in Diskursstrukturen und ermitteln Prozesse, die der Organisation von Texten zugrunde liegen. Schließlich liefern die Marker und die grammatischen Alternativkonstruktionen aber auch einen vielversprechenden Ausgangspunkt, um satz- und textbasierte Verstehensprozesse aus der Perspektive der Sprachverarbeitung zu untersuchen. 2. Neben den vier Forschungsfragen kristallisieren sich meinem Eindruck nach vier Traditionslinien heraus, die nicht direkt mit den Forschungsfragen korrelieren und für meine Ziele unterschiedlich relevant sind: eine lexiko-grammatische Tradition, eine diskursorientierte, eine kognitive sowie eine psycholinguistische (vgl. 3.2.1 bis 3.2.4). 3. Unabhängig von dem jeweiligen Forschungshintergrund besteht in der Literatur Einigkeit darüber, dass Kausalmarker als operative Zeichen eine satzverbindende Funktion übernehmen (neben Pasch et al. 2003 auch Küper 1984: 24, Sweetser 1990, Schmidhauser 1995: 74, Gernsbacher 1997: 15, Caron 1997: 62, Konerding 1998: 31, Knott, Sanders & Oberlander 2001: 199). Uneinigkeit besteht allerdings darüber, ob die Relationen, die die Kausalmarker stiften, semantischer oder pragmatischer Art sind. Vor dem Hintergrund der ersten Annahme wird die Bedeutung der Marker in der Regel auf der Ebene des Satzes erarbeitet. Ausgehend von der zweiten Annahme kommt dem globalen Kontext der Marker eine besondere Bedeutung zu. Dieser Unterschied hat wiederum weit reichende theoretische Konsequenzen. Mit der Zielsetzung einer semantischen Beschreibung der Marker wird etwa die Diskursmarkerfunktion von weil mit Hauptsatzstellung als pragmatische Implikatur analysiert. Die Berücksichtigung solcher Funktionen steht dagegen in gebrauchsbasierten Ansätzen im Mittelpunkt, die Bedeutung aus der Erfahrung im Sprachgebrauch ableiten und auf der Prämisse aufbauen, dass Semantik und Pragmatik nicht voneinander getrennt werden können. Dieser theoretische Unterschied ist fundamental und spiegelt wesentliche Momente der beiden funktionalen Traditionen, d.h. der kognitiv-semantischen Tradition und der diskurs-pragmatischen Tradition (vgl. Couper-Kuhlen & Kortmann 2000: 1 sowie die Überlegungen in 1.2). 4. Über die diversen Forschungsfragen und Disziplinen hinweg nimmt die Arbeit von Sweetser (1990) in der Literatur eine herausragende Stellung ein und beeinflusst die Diskussionen bis heute entscheidend. Ausgangspunkt ihrer Analyse sind die verschiedenen Interpretationen der Konjunktion because, die sie anhand der viel zitierten Sätze in (8) bis (10) vorstellt (vgl. 1990:77).' (8) John came back because he loved her. (9) John loved her, because he came back. (10) What are you doing tonight, because there is a good movie on. Die Kontextflexibilität, die der Marker because in diesen drei Sätzen zeigt, versteht Sweetser als metaphorische Extension einer konzeptuellen Grundbedeutung in den Bereich dreier Gebrauchsdomänen, der Inhaltsebene (vgl. content domain, Bsp. 8), der epistemischen Ebene (vgl. epistemic domain, Bsp. 9) und der Sprechaktebene (vgl. speech act
1
Vgl. die Diskussion des Modells auf der Grundlage deutscher Beispielsätze in Peyer (1997: 196204).
41 domain, Bsp. 10). Ein Marker wie because kann demnach einen kausalen Zusammenhang im Bereich der realen Welt indizieren oder im Bereich der persönlichen Schlussfolgerung des Sprechers. Er kann aber auch die Begründung für einen Sprechakt markieren. Das entscheidende Merkmal dieses Ansatzes ist, dass Sweetser hieraus keine Polysemie ableitet, sondern von pragmatischer Ambiguität ausgeht: „In polysemy, a morpheme has several related semantic values; in pragmatic ambiguity, a single semantics is pragmatically applied in different ways according to pragmatic context" (Sweetser 1990: 76). Für die Prominenz der Arbeit von Sweetser gibt es aus meiner Sicht mehrere Gründe. Ihr Ansatz liefert erstens einen Beschreibungsansatz, auf dessen Grundlage die semantische und die pragmatische Ebene theoretisch gut voneinander isoliert werden können. Zum zweiten bietet er ein sehr überschaubares Raster, mithilfe dessen die verschiedenen Gebrauchskontexte eines Markers zunächst gut verwaltet werden können. Die metaphorische Extension ist drittens ein Mechanismus, der zwar selbst nicht mehr als eine Metapher ist, der aber in der kognitiven Linguistik eine ausgesprochen prominente Rolle spielt (vgl. Lakoff & Johnson 1980 und Lakofif 1987). Darüber hinaus zeigt Degand (2001: 65-92), dass die Vorstellung von den drei Gebrauchsdomänen Analogien zu diskurs- und psycholinguistischen Ansätzen ermöglicht, die sich aus diskurssemantischer Sicht mit Kohärenzrelationen befassen, und fasst die Analogien schließlich folgendermaßen zusammen. All models have in common a level of locutionary content according to which the relation holds because of the related events - the link is said to be semantic, ideational, external or due to subject-matter. Most models also show some (but no complete) overlap in the illocutionary area, where the relation is generally one between a locutionary and an illocutionary content - the relation is then said to be presentational, pragmatic, interpersonal, rhetorical, internal, epistemic or speech-act-bound. (2001: 78)
Linguistische Analysen, die auf Sweetsers Unterscheidung aufbauen, lassen sich also problemlos vor dem Hintergrund verschiedener Modelle kontextualisieren. Der Ansatz kommt verschiedenen Texttheorien entgegen und spiegelt eine weit verbreitete Vorstellung von linguistischen Beschreibungsebenen, die oft zur Unterscheidung der Kausalmarker herangezogen werden. Dem in der Psycholinguistik oft operationalisierten Unterschied zwischen semantischen und pragmatischen Relationen stehen in Ansätzen aus der funktionalen Tradition lediglich Modellvorstellungen gegenüber, die die Textperspektive stärker berücksichtigen und gebrauchsorientierter sind.2 Auf dem Ansatz von Sweetser basieren jedoch eine ganze Reihe unterschiedlicher Arbeiten. Noordman & de Blijzer (2000) übernehmen Sweetsers Unterscheidung, um experimentell zu zeigen, dass die Verarbeitung kausaler Relationen auf der Inhaltsebene leichter ist als in epistemischen Zusammenhängen (vgl. 3.2.4). Lang (2000) bezieht sich zwar direkt auf ihren Ansatz, ergänzt ihn aber um eine vierte Ebene, in der die Diskursperspektive noch stärker eingeblendet wird (vgl. 3.2.1). Pander Maat & Sanders (2000, 2001), Pander Maat & Degand (2001) und Degand & Pander Maat (2003) überwinden Sweetsers Unterscheidung dagegen auf der Grundlage von Korpusdaten zugunsten einer Subjektivitätsskala, auf der die drei Domänen allerdings noch
2
Vgl. auch den Überblick über computerlinguistische Ansätze in Knott, Sanders & Oberlander (2001).
42 deutlich erkennbar sind (vgl. 3.2.3 und 4.2.4). In Kapitel 4 werde ich anhand der hier untersuchten Korpusdaten jedoch argumentieren, dass es nicht in erster Linie die epistemische und die Sprechaktebene sind, die dazu beitragen, den Gebrauch der Kausalmarker zu erklären, sondern dass es die evidenzielle Dimension der Subjektivität ist, die besonders trennscharf und systematisch auf die Variation Einfluss hat.
3.2
Funktionen
Im Folgenden werden verschiedene Erklärungsansätze für die Variation im Bereich der Kausalmarker vorgestellt. Dabei werden mehrere Funktionen aus verschiedenen linguistischen Subdisziplinen benannt, die auf die Variation Einfluss haben. Viele dieser Funktionen werden in Kapitel 4 im Rahmen der Korpusanalysen empirisch wieder aufgenommen. Manche werden auf der Grundlage dieser Analysen allerdings auch kritisch diskutiert und in modifizierter Form berücksichtigt (vgl. 4.1 sowie die Anhänge Α und B).
3.2.1
Syntax und Semantik der Marker
Eine umfassende Darstellung der Kausalmarker des Deutschen wird momentan in der Abteilung Grammatik des Instituts für Deutsche Sprache (IDS) im Zusammenhang mit der Arbeit am Handbuch der deutschen Konnektoren (HdK) erarbeitet. Der erste Teil des Projekts umfasst die ausführliche Analyse der Konnektorensyntax und ist abgeschlossen (Pasch et al. 2003). Hintergrund dieser syntaktischen Klassifikation ist ein lexikographisches Interesse an satzverknüpfenden Ausdrucksmitteln, worunter wie in der Grammatiktradition üblich Konjunktionen, Adverbien und Partikeln gefasst werden. Dies bedeutet, dass im ersten Band des HdK ein formal definiertes Inventar an Ausdruckseinheiten lexikogrammatisch, insbesondere syntaktisch untersucht wird, ohne die semantische und pragmatische Analyse systematisch zu integrieren. Der wichtigste Beitrag des ersten Teils des Handbuchs ist aus meiner Sicht der Vorschlag zur Neuordnung der syntaktischen Klassifikation der Konnektoren. Was die Konnektoren aber funktional leisten und mit welcher Frequenz welche Phänomene tatsächlich auftreten, bleibt im ersten Band offen. An dem zweiten Teil des Handbuchs zur Semantik der Konnektoren wird momentan gearbeitet. Die Forschungsgruppe arbeitet vor dem Hintergrund der Konnektorensyntax an der semantischen Beschreibung der Konnektoren und setzt die Trennung der linguistischen Ebenen damit indirekt voraus. Dem Projekt liegt im Unterschied zur vorliegenden Arbeit ein bedeutungsminimalistischer Ausgangspunkt zugrunde, den Pasch et al. (2003: 187) im ersten Band des Handbuchs explizit formulieren.
43 Auf jeden Fall lässt sich sagen, dass die kommunikative Funktion der Äußerung eines Ausdrucks nicht primär durch die Grammatik festgelegt ist [...], also z.B. nicht zur grammatisch determinierten Bedeutung der Sätze gehört, sondern nur zur Interpretation von deren Äußerungen. [...]. Ob sie noch zu dem zu rechnen ist, was „Äußerungsbedeutuung" genannt wird, ist mehr oder weniger eine Frage der Festlegung des Begriffs der „Bedeutung". [...] Wir schließen dennoch wie Bierwisch die kommunikative Funktion von Äußerungen aus dem Begriff der Bedeutung aus, weil wir sie an das Äußern der sprachlichen Zeichen als Einheit aus Form und Inhalt gebunden betrachten (wobei wir den Inhalt eben als Bedeutung des Zeichens, als das, was die Zeichen über ihre Form „ausdrücken", ansehen).
Durch den bedeutungsminimalistischen Ansatz werden die Prämissen der kognitiv-pragmatischen Perspektive natürlich nur bedingt berücksichtigt, denn der syntaktischen und der semantischen Beschreibung der Konnektoren werden die Ebenen der Äußerungsbedeutung und des kontextuellen Gebrauchs additiv hinzugefugt.3 In neueren Aufsätzen wird aber ergänzend zur bedeutungsminimalistischen Zielsetzung auch ein Modell der differenzierenden Bedeutungsbeschreibung mithilfe von (pragmatischen) Differenzparametern vorgeschlagen (vgl. Breindl, im Druck). Das Projekt befindet sich derzeit in Arbeit und es wird sich zeigen, welche Rolle die Gebrauchsbedingungen der Marker letztendlich spielen. Ein entscheidender Punkt wird sein, wie die Polysemie der Marker zu behandeln ist. Als Konsequenz aus der Trennung von Semantik und Pragmatik ergibt sich zudem die Notwendigkeit, die Schnittstellenbedingungen theoretisch zu formulieren (vgl. Lang 2004). Besonders einflussreich ist in der laufenden Diskussion auch hier das Modell von Sweetser (1990). Durch die Bezugnahme auf dieses Modell gelingt es der Gruppe, Defizite früherer Arbeiten, die sich vor allem auf die sprechakttheoretische Unterscheidung in Lokution und Illokution beschränkten, zu überwinden (vgl. Pasch 1983, Küper 1984).4 Das Interessante an diesem Ansatz besteht für einen bedeutungsminimalistischen Ansatz darin, dass ein analytisches Instrumentarium entwickelt werden kann, auf dessen Basis eine semantische Beschreibung der Konnektoren trotz ihrer notorisch vielseitigen Gebrauchsmöglichkeiten möglich wird (vgl. schon 3.1). Without resorting to the mechanism of including essentially pragmatic phenomena in the sentence semantics (or even in the sentence syntax) it is still possible (unless one insists a priori on a pragmatics-free semantics) to understand and formulate the relationships between semantics and pragmatics, and the effects of both on the interpretation. (Sweetser 1990: 92)
Auf dieser Grundlage können die linguistischen Beschreibungsebenen (Syntax, Semantik, Pragmatik und Diskurs) empirisch und theoretisch voneinander getrennt werden.5 Die
3
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5
Vgl. hierzu die kritische Bemerkung von Dirven (2002: 313): „This view reflects the correction and extension of the generative concept of grammar by means of two other components. Here we are full circle again". Die Unterscheidung in Lokution und Illokution war lange Zeit sehr einflussreich und zeigte vor allem, dass nicht alle sprachlichen Äußerungen über Wahrheitsbedingungen erfasst werden können (vgl. hierzu auch den Einfluss auf die französische und niederländische Forschung im Überblick von Pit 2003: 22-54). Crevels (2000) zeigt, inwieweit den vier Ebenen von Lang (2000) auch Entitäten zugeordnet werden können: „Thus the content level is linked to states of affairs and is evaluated in terms of
44 Grundlagen der Konnektorensemantik sind bereits formuliert (vgl. Blühdorn, Breindl & Waßner 2004 sowie Breindl & Waßner 2006 und Breindl, im Druck). Darüber hinaus liegen zahlreiche Analysen zu einzelnen Konnektoren vor, die sich den Ansatz von Sweetser zunutze machen und nicht nur die semantische Beschreibung der Konnektoren, sondern auch die Disambiguierung mehrdeutiger Konnektoren untersuchen (vgl. Breindl 2004). Interessant sind aus dem Umfeld des HdK vor allem die semantischen Analysen zur Kausalität (Waßner 2004a, 2004b) und Überlegungen aus dem direkten Umfeld des Projekts, die die Semantik kausaler Satzverbindungen zum Gegenstand haben (Blühdorn, im Druck).
3.2.2
Diskursbeschränkungen
Aus diskurs-fiinktionaler Perspektive steht die Interaktion zwischen lexikalischer Semantik, Satzgrammatik und diskursorganisierenden Prinzipien im Mittelpunkt des Interesses, also die Schnittstelle zwischen der mikrostrukturellen und der makrostrukturellen Analyse. Diese Schnittstelle ist für alle gebrauchsbasierten Ansätze zentral und wird in der Literatur aus zwei unterschiedlichen Richtungen erforscht. Zum einen wird aus einer bottom-upPerspektive der informationsstrukturelle Beitrag der Kausalmarker zum Aufbau von lokaler und globaler Kohärenz untersucht (und unter diesen Vorzeichen steht auch die vorliegende Arbeit). Zum anderen werden aus einer top-down-Perspektive die Thesen vertreten, dass ein Netz von Kohärenzrelationen die Diskursebene strukturiert und dass sich Aspekte dieser rhetorisch-semantischen Struktur auf die Ebene der Satzgrammatik abbilden und den Gebrauch der Marker motivieren. 6 Ein wichtiger Faktor ist die Informationsstruktur im Kontext der verschiedenen Kausalmarker. Schiffrin (1985) stellt zum Beispiel die englischen Marker because und so vor dem Hintergrund der Hypothese gegenüber, dass bei „Y because X" der kausal markierte Antezedens aufgrund seiner markierten satzfinalen Position im Diskurskontext eine prominentere Rolle spiele als bei „X so Y". Die Ergebnisse ihrer Analysen bestätigen zwar nicht ihre Ausgangshypothese, sie belegen aber folgenden Zusammenhang: „X so Y is more frequent when X is the prior topic, and Y because X is more frequent when Y is the prior topic" (1985:296). Die Linearisierung der kausalen Information ist also unter anderem dem Kriterium der thematischen Kontinuität unterworfen. Ähnliche Ergebnisse bekommen Schilder & Tenbrink ausgehend von der Annahme: „In functional approaches to language [...] it is a well-established finding that a sentence normally departs from what is known (or given) in the discourse context" (2002:2). Ihre Analyse der englischen Temporalmarker after und before zeigt, dass satzinitiale Marker im Gegensatz zu Markern in eingebetteten oder postponierten Nebensätzen zwei Funktionen erfüllen, denn sie mar-
6
reality status. The epistemic level is linked to propositions and has truth status. The pragmatic level is linked to speech acts and has felicity status. The text level is linked to text units and has thematic continuity criteria" (aus der Rezension in Dirven 2002: 316). Die Inventare an Diskursrelationen werden in den verschiedenen Ansätzen sowohl theoretisch (z.B. Louwerse 2001) als auch empirisch hergeleitet (z.B. Knott & Mellish 1996). Zur Schnittstelle zwischen der top-down und der ioifom-Kp-Perspektive vgl. Bateman & Rondhuis (1997).
45 kieren neben der satzinternen auch eine satzexterne Relation zum vorausgehenden Diskurs. Dabei kann der thematische Bezug auch über große Textspannen hinweg erfolgen. Unter den Kausalmarkern hat in jüngster Zeit die Funktion der Konjunktion weil mit Hauptsatzstellung große Aufmerksamkeit erfahren (u.a. Küper 1991, Günthner 1993, Wegener 1993, Keller 1995, Göhl & Günthner 1999). Während Keller (1995) weil mit Hauptsatzstellung als epistemisches weil bezeichnet, untersuchen Göhl & Günthner (1999) die diskursorganisierende Funktion dieses Gebrauchs in der gesprochenen Sprache. Scheutz (2001) ermittelt zudem semantische und pragmatische Beschränkungen für diese syntaktische Alternative zum subordinierenden weil, das in der Schriftsprache nach wie vor vorherrscht. „The verb final position, indicating a syntactically and pragmatically dependent clause, expresses a stronger cohesion and connection to the previous utterance than the independent we/7-verb-second clause does, since the latter has an illocutionary force of its own" (2001: 130f., vgl. auch Bybee 2002). Weil mit Verbzweitstellung zeichnet sich im Vergleich zu weil mit Verbendstellung also durch geringere syntaktische Integration aus. Scheutz zeigt, dass diese geringere syntaktische Integration von weil mit Hauptsatzstellung mit höherer semantischer und pragmatischer Unabhängigkeit sowie einem höheren illokutiven Potential zusammenhängt. Hieraus schlussfolgert er, dass ein hoher Grad an syntaktischer Integration mit semantischen Beschränkungen korreliert, geringe syntaktische Integration hingegen mehrere funktionale Möglichkeiten eröffnet. Die syntaktische Subordination spielt in der Literatur eine besondere Rolle. Die Korrelation von vorangestellten Nebensätzen mit bekannten Informationen ist nur eine Spielart der These, dass die Information in Nebensätzen informativ weniger zentral oder relevant sei. Aus kognitiver Perspektive wird bevorzugt mit der Figur-Grund-Unterscheidung argumentiert und mit einer wahrnehmungspsychologischen Asymmetrie (vgl. Reinhart 1984, Talmy 2000 und im Überblick Croft 2001: 328-336). Deutlich etablierter sind in der Grammatikforschung allerdings das Begriffspaar Präsupposition und Assertion sowie die These, dass subordinierte Nebensätze durch ihr geringes illokutives Potential kommunikativ untergeordnet seien (vgl. z.B. Bartsch 1978, Lehmann 1982:68, Hartmann 1984, Fabricius-Hansen 1992:468, Lambrecht 1994, Petric 1995:248, Brandt 1996), was in dieser Form auch in der typologischen Forschung vertreten wird (vgl. Lehmann 1982, Raible 1992). In diskurspragmatisch orientierten Arbeiten liefert stattdessen die Unterscheidung in foreground und background-lniormaüonm die analytischen Kategorien für die Beobachtung, dass auch größere Textzusammenhänge rhetorisch strukturiert sind (vgl. Tomlin 1985, Thompson 1987). Dies ermöglicht tiefere Einblicke in die funktionale Organisation von Texten (vgl. auch den Begriff der Reliefgebung bei Hartmann 1984) und hat etwa im Rahmen der Rhetorical Structure Theory Einfluss auf die Ableitung von Kohärenzrelationen, die sich - so die These - in der syntaktischen Subordination auf Satzebene grammatikalisiert haben (vgl. Mann & Thompson 1988:257, Matthiessen & Thompson 1988).7 Die einzelnen Vertreter bemühen sich mehr oder weniger explizit um
7
Zur textstrukturierenden Funktion der Subordination vgl. auch Thompson (1987: 451): „I would suggest that it is also part of what makes a text readable. A strictly lineary organized written narrative text would not only be boring, but hard to attend to, for the well-known reasons discussed in the gestalt-perception literature."
46 die Abgrenzung zu den jeweils anderen Dichotomien, was möglicherweise vor allem eine terminologische Herausforderung ist und auf verschiedene theoretische Erkenntnisinteressen verweist. Allen gemeinsam ist die Annahme, dass syntaktische Subordination als formales Instrument genutzt werden kann, um einer Information ein kommunikatives Format zu geben, ob als pragmatische Präsupposition auf der Satzebene, als rhetorischer background auf der Diskursebene oder als Grund und Bezugspunkt für eine kognitiv hervorgehobene saliente Figur. Die meisten Untersuchungen zur Informationsstruktur von Sachverhaltsverknüpfiingen vergleichen koordinierende und subordinierende Strukturen. Nur an wenigen Stellen wird auch die hohe syntaktische Integration in nominalen Konstruktionen wie wegen des Unfalls oder aufgrund des Regens untersucht. Solche Konstruktionen sind in der Literatur bisher vor allem als Strategien interpretiert worden, um „unliebsamen Rechtfertigungen" auszuweichen (Schmidhauser 1995: 183). Dies knüpft an die Beobachtung von Scheutz an, dass kausale Präpositionen nur eine Interpretation auf der propositionalen Ebene zulassen (2001: 133) oder mit den Worten von Degand ausgedrückt: „[...] the functional potential of the (causal) preposition is restricted to a single discourse level: the ideational one" (2000: 691). Degand liefert jedoch auch empirische Evidenzen dafür, dass die kausalen Präpositionen des Niederländischen (wegens, vanwege) Diskursbeschränkungen unterliegen. Ihre Gebrauchsfrequenz steigt in Diskurskontexten, in denen auf vorerwähnte Informationen Bezug genommen wird, während neue Informationen über verbale Konstruktionen eingeführt werden. Bartsch (1978: 17) benennt zudem eine textorganisierende Funktion der nominalen Techniken: „Auf jeden Fall sind Nebensatzkonstruktionen und Nominalisierungen ein Mittel, die Textperzeption des Hörers zu leiten".
3.2.3
Kognitive Faktoren
Auch in der kognitiven Linguistik wird die Frage verfolgt, welche Faktoren die Wahl zwischen alternativen kausalen Strukturen beeinflussen. Hier wird die Wahl eines Kausalmarkers jedoch eng an kognitive Prinzipien geknüpft, auf deren Grundlage wir Ereignisse in der Welt wahrnehmen und kategorisieren. Dies liefert den Ausgangspunkt für Sweetser (1990), die verschiedene Gebrauchsdomänen als metaphorische Extensionen einer Grundbedeutung voneinander abgrenzt (vgl. 3.1). Auf dieser Annahme basieren aber auch Analysen, die Konzepte der kognitiven Linguistik nutzen, wie die Perspektivierung oder die Mental Spaces (vgl. Fauconnier 1985 und z.B. Verhagen 2000 zur Analyse von Konzessivität und Kausalität). Für empirische Analysen lassen sich diese Konzepte allerdings oft nur schwer operationalisieren (vgl. den Überblick in Pit 2003: 54-56). Die Kausalmarker des Niederländischen, des Englischen, des Französischen und des Deutschen stehen in der kognitiven Linguistik dennoch schon länger im Zentrum der Aufmerksamkeit und mehrere Hypothesen zum Einfluss von Subjektivität konnten sowohl durch Korpusanalysen als auch durch experimentelle Evidenzen gestützt werden (vgl. Pander Maat & Degand 2001, Pit 2003, Degand & Pander Maat 2003). Einige Marker lassen sich nach dieser Methode diskreten Bereichen auf einer speaker involvement scale zuordnen. Entscheidend für dieses Verfahren ist, dass sich die Marker relativ flexibel bestimmten Zonen auf einer Skala zuordnen lassen und dass die hoch frequenten Marker signifikant voneinander abweichen. Evidenzen für die Plausibilität der Subjektivitätsskala liegen sowohl aus
47 mehreren Sprachen vor als auch für kausale und konsekutive Marker. Neuere Daten weisen den Einfluss von Subjektivität auch in der Diachronie (vgl. Stukker 2003) und in gesprochensprachlichen Korpora nach (vgl. Spooren et al., im Druck). Die Sprecherinvolvierung ist unter den kognitiven Prinzipien im Zusammenhang mit dem Gebrauch der Kausalmarker am meisten erforscht. Interessanterweise ergeben sich aber aus den Paraphrasetests, auf denen die Korpusanalysen aufbauen (vgl. Pander Maat & Degand 2001: 243) ganz ähnliche Probleme wie bei der Kategorisierung einer Relation als inhaltlich oder epistemisch.8 Aus meiner Sicht zeichnet sich von der sprechakttheoretischen Unterscheidung in Lokution und Illokution über die drei- bzw. vierteiligen Klassifikationen in Anlehnung an Sweetser bis hin zur speaker involvement scale eine Entwicklungslinie ab, in der zunehmend von einer ausschließlich wahrheitssemantischen Analyse abgerückt wird zugunsten einer (zusätzlichen) pragmatischen Ebene und einer kognitiven Dimension, die letztlich stärker berücksichtigen, dass durch Sprache kausale Informationen konstruiert werden, die nicht zwingenderweise in der Welt bestehen. In der Tradition der kognitiven Linguistik steht auch die Arbeit von Dirven (1995) zur Analyse kausal gebrauchter räumlicher und zeitlicher Präpositionen. Er entwickelt ein System von sehr eng miteinander verknüpften semantischen Unterschieden zwischen den Präpositionen des Englischen. 9 Eine kognitiv orientierte Analyse der Nebensatzsyntax schlägt auch Daalder vor, die über die Verbletztstellung im Niederländischen (wie im Deutschen) sagt: „A finite verb in final position indicates only that the integrated interpretation of the clause functions as a unit of some specific and knowable cognitive kind in the momentary body of knowledge of the speech moment" (1983: 68). An die Besonderheiten der Nebensatzsyntax des Deutschen mit klammeröffnender Konjunktion und klammerschließendem finiten Verb schließen sich eine Reihe von Hypothesen über ihre Verarbeitung an, denen mehr oder weniger explizit die Annahme zugrunde liegt, dass syntaktische Klammerkonstruktionen kognitive Gliederungssignale sind (Heringer 1989: 304, Marschall 1994). Dies ist jedoch keine These der kognitiven Linguistik im engeren Sinne: „Das oberste Gebot ist dieses, daß das geistig Zusammengehörige auch eng zusammengestellt wird" (Behaghel 1932: 4).
3.2.4
Psycholinguistische Evidenzen
In der psycholinguistischen Literatur stehen die kognitiven Prozesse im Mittelpunkt, die für den Aufbau einer kohärenten mentalen Repräsentation verantwortlich sind. Kausalmarker übernehmen aus dieser Perspektive eine zentrale Rolle als cues für die Ableitung von kausalen Informationen (vgl. Sanders, Schilperoord & Spooren 2001). Psycholinguistisch
8
Vgl. hierzu die Diskussion des Faktors Subjektivität in 4.2.4 und die Kritik von Pit (2003: 63). Sie bemerkt zu den fehlenden empirischen Evidenzen aus einer ihrer früheren Untersuchungen auf der Basis der Sweetser'sehen Unterscheidung: "This result is not surprising, because the distinction between content and epistemic relations is very similar to the distinction prominent in the speech act accounts: propositional versus illocutionary linking".
9
Vgl. auch die kognitiv ausgerichtete Analyse zu den kausal gebrauchten Präpositionen durch, von und mit in Persson (1994).
48 betrachtet ist die kausale Relation eine relativ komplexe Verknüpfung zweier Sachverhalte.10 Für die linguistische Analyse der Kausalmarker sind einige experimentelle Evidenzen interessant. Gernsbacher unterscheidet auf der Grundlage experimenteller Evidenzen drei Arten von Kohärenz, darunter kausale Kohärenz, fur deren Aufbau Konjunktionen wie because besonders hilfreich sind (1997: 15), referenzielle Kohärenz, die zum Beispiel durch definite Artikel aufgebaut werden kann (1997: 6, vgl. auch Epstein 2001 und Ariel 2001) und strukturelle Kohärenz, die durch formalen Parallelismus erleichtert wird: „Sentences that maintain the syntactic or conceptual form of a previous sentence are more likely to be mapped onto developing structures" (Gernsbacher 1997: 16ff.). Strukturelle Kohärenz kann durch die formale Koordination zweier Hauptsätze unterstützt werden, referenzielle Kohärenz kann bei präpositionaler Verknüpfung eine Rolle spielen (zum Beispiel durch Definitheit der kausalen Präpositionalphrase) und der Aufbau von kausaler Kohärenz wird empirischen Ergebnissen zufolge besonders erfolgreich durch explizite Kausalmarker unterstützt (Townsend & Bever 1978, Caron, Micko & Thüring 1988, vgl. auch Sanders & Noordman 2000: 41-43). In der Literatur steht der Einfluss der Marker (vor allem der Konjunktionen) auf Sprachverstehensprozesse im Mittelpunkt, obwohl psycholinguistische Arbeiten sich natürlich auch mit impliziten kausalen Informationen beschäftigen (vgl. den Überblick in Sanders & Noordman 2000). Noordman & Vonk (1997) ermitteln drei Funktionen der expliziten Markierung etwa mit because. Zum einen unterstützen Kausalmarker die Segmentierung der Information. Bei der Verarbeitung schriftsprachlicher Texte signalisieren sie dem Rezipienten in satzinitialer Position, dass eine neue syntaktische Struktur aufgebaut werden soll und sie beeinflussen auf diese Weise den Parsing-Prozess (vgl. Townsend & Bever 1978). Zum zweiten unterstützen Konjunktionen wie because die Integration von Informationen in die aktuelle Diskursrepräsentation (was sich in schnelleren Lesezeiten und besseren Erinnerungsleistungen niederschlägt). Darüber hinaus erleichtert die explizite Markierung von kausalen Informationen aber auch Inferenzprozesse, bei denen auf vorhandenes Wissen zurückgegriffen wird. Neben den Konjunktionen können allerdings auch konnektintegrierbare Adverbien wie deshalb und Präpositionen wie wegen satzinitial auftreten. Hier sind Frequenzunterschiede unter Umständen interessant (vgl. vor allem 4.3.2). Weitere Evidenzen aus der Psycholinguistik betreffen die syntaktische Verarbeitung der kausalen Information. Noordman & de Blijzer (2000) belegen über Lesezeiten, dass Relationen, die einen kausalen Zusammenhang ikonisch abbilden (Grund-Folge), schneller verarbeitet werden als anti-ikonische Linearisierungen. Darüber hinaus zeigen sie in Anlehnung an die Unterscheidung von Sweetser (1990), dass epistemische Folge-GrundZusammenhänge für die Verarbeitung schwieriger sind. In ihrer Studie verzichten Noordman & de Blijzer auf die Unterscheidung in Gründe und Ursachen sowie Wirkungen und Konsequenzen und differenzieren stattdessen zwischen der linearen und der konzeptuellen Grund-Folge-Abfolge. Die ikonische Linearisierung wird auch in Kapitel 4
10
Aus entwicklungspsychologischer Sicht werden vier semantische Relationen unterschieden, die gemäß ihrer zunehmenden Komplexität in folgender Reihenfolge erworben werden: additiv, temporal, kausal, adversativ (Caron 1997: 55).
49 dieser Arbeit eine zentrale Rolle spielen, ebenso wie die Suche nach einer notwendigen Erklärung für die Beobachtung, dass kausale Informationen auch hoch frequent antiikonisch kodiert werden (vgl. 4.2.1). Bei der Verarbeitung kausaler Informationen spielen die syntaktischen Muster, in denen die Marker auftreten, eine wichtige Rolle (Jarvella 1971). Besonderes Interesse gilt auch hier der syntaktischen Subordination. Eine weit verbreitete Hypothese lautet, dass Nebensatzstrukturen zu Verarbeitungsproblemen fuhren können (vgl. z.B. Lord 2002: 223). Rummer, Engelkamp & Konieczny (2003) widerlegen auf der Grundlage deutscher Daten diese These, die sie als Mental Effort Hypothesis bezeichnen, und ermitteln einen klaren Verarbeitungsvorteil fur subordinierende Strukturen, der von dem Faktor Linearisierung unabhängig ist (Subordination effect). Gerade im Deutschen spielt hierbei die satzfinale Position des finiten Verbs eine interessante Rolle. Während Gibson (1998) davon ausgeht, dass eine zunehmende Anzahl von Argumenten - also pauschal formuliert die Länge des Nebensatzes - gegen ein Lokalitätsprinzip verstößt und aufgrund der hohen Anzahl an offenen Vorhersagen erhöhte Speicherkosten verursacht und die Verarbeitung erschwert (Integration load hypothesis), zeigen Konieczny und Döring (2003) mithilfe konnektionistischer Modellierungen und eines Blickbewegungsexperiments, dass mit zunehmender Anzahl von Satzargumenten das satzfinale Verb leichter antizipiert wird und die Lesezeiten entsprechend sinken.11 Raible (1992: 219) vertritt in seinem typologischen Ansatz die These, dass die strukturellen Signale der Hypotaxe als „syntaktische Sicherheitsnetze" wirken. Konieczny und Döring ermitteln experimentelle Evidenzen, die als Antworten auf die Frage interpretiert werden können, unter welchen Bedingungen die Nebensatzstruktur des Deutschen tatsächlich als kognitive Klammerkonstruktion wirkt (und vielleicht bei aller Vorsicht als Gestalt oder Konstruktionseinheit interpretiert werden kann). Gleichzeitig stützen ihre Ergebnisse auch die diskurs-fünktionale Annahme, dass subordinierende Konstruktionen nicht nur syntaktisch integrativ, sondern auch besonders enge Verknüpfungen darstellen, indem sie dynamische Prozesse aufdecken, die im Ansatz zeigen, wie genau eine solche Verknüpfung inkrementell funktionieren könnte (vgl. 3.2.2).
3.3
Fazit
Aus der aktuellen Situation ziehe ich folgende Schlüsse. Die Forschung zeigt, dass das Vorkommen der Marker sowohl syntaktischen und pragmatischen als auch kognitiven Beschränkungen unterliegt. Zu den wichtigsten Parametern gehören Linearisierungspräferenzen, die Informationsstruktur im Kontext der Marker und der Einfluss von Subjektivität. Die formalen Merkmale der kausalen Konstruk-
11
Dies konnte für ein zusätzliches Dativ-Argument nachgewiesen werden, nicht aber für zusätzliche Modifikationen. Konieczny & Döring (2003) interpretieren die Ergebnisse dennoch als Argument für eine probabilistische Modellierung der menschlichen Sprachverarbeitung.
50 tionen werden in der Literatur je nach theoretischem Hintergrund mehr oder weniger funktional interpretiert. Eine Reihe von Arbeiten basieren auf den strukturellen Besonderheiten der Kausalmarker des Englischen, des Französischen oder des Niederländischen. Inwieweit die Ergebnisse auf deutsche Daten übertragen werden können, ist aufgrund fehlender Vergleichsdaten unklar. Die Forschungsergebnisse fuhren bis auf Ausnahmen nur selten zu einem systematischen Vergleich der Gesamtvariation in einer Sprache. Es bleibt daher offen, ob einige der Funktionen markerspezifisch sind oder ob sie systematischen Einfluss haben. Dies liegt in erster Linie daran, dass in vielen empirischen Arbeiten nur einzelne Parameter an einzelnen Markern getestet werden. Dabei genießen generell hoch frequente Marker und insbesondere subordinierende Konjunktionen wie weil besondere Aufmerksamkeit. Die Forschungsziele gehen trotz einer gemeinsamen funktionalen Orientierung stark auseinander. Einige arbeiten an syntaktischen Klassifikationen, andere erforschen die Funktionsweise der menschlichen Kognition und wieder andere analysieren die Marker vor dem Hintergrund theoretischer Modelle. Auffällig ist, dass in der Regel deduktiv gearbeitet wird und dass die Marker der Überprüfung von theoretischen Hypothesen dienen. Dies führt jedoch zu einer Auseinandersetzung an zwei Fronten: Auf der einen Seite wird der sprachliche Objektbereich untersucht, auf der anderen Seite werden sehr enge theoretische Prämissen verfolgt. Dabei werden die Kausalmarker an einigen Stellen mehr als Mittel zum Zweck genutzt und ihre Gebrauchsbedingungen eher ausschnitthaft berücksichtigt. Bei der Analyse der Kausalmarker kommt es sowohl bei der Datenerhebung als auch bei der Dateninterpretation nur selten zu einer Integration verschiedener Ansätze. Noordman & de Blijzer (2000) zeigen zum Beispiel, dass eine ikonische Grund-Folge-Linearisierung zu Verarbeitungsvorteilen fuhrt. Subordinierende Nebensätze treten aber in verschiedenen Positionen auf und in der gesprochenen Sprache werden sie nahezu ausschließlich antiikonisch gebraucht (vgl. Ford 1993). Erst unter Hinzunahme der Informationsstruktur ergibt sich hier ein möglicher Erklärungsansatz für markerspezifische Linearisierungspräferenzen. Bei einigen Fragen konvergieren die Evidenzen aus der diskurs-funktionalen und aus der kognitiv orientierten Perspektive dagegen schon sehr deutlich. Eine interdisziplinäre Orientierung ist vor allem für die Textverstehensforschung wichtig, wo sich die unterschiedlichen Forschungsfragen bereits offensichtlich ergänzen. Insgesamt zeichnet sich die Situation aber durch eine starke Fragmentierung der Forschungsfragen aus. In den folgenden Korpusanalysen wird der Versuch unternommen, dieser Fragmentierung entgegen zu wirken. Es werden verschiedene Ansätze auf der Grundlage eines schriftsprachlichen Korpus getestet, um funktionale Faktoren zu bestimmen, die Vorhersagen über den Gebrauch der einzelnen Marker zulassen. Auf diese Weise kann überprüft werden, welche der genannten Beschränkungen für das Fallbeispiel dieser Arbeit greifen, und an welcher Stelle die Funktionen möglicherweise überdacht werden müssen. Den Ausgangspunkt fur die Analysen liefert die Annahme, dass sich in der zu untersuchenden Variation kontextuelle Gebrauchsbeschränkungen lexikalisiert haben, und dass sich die Marker funktional unterscheiden. Die Analysen zielen neben der Beschreibung der markerspezifischen Funktionsprofile auch auf eine systematische Beschreibung der Variation ab.
Kapitel 4 Korpusanalysen
Probably every linguist, while working through some puzzling collection of language phenomena, has had the experience of beginning with the assumption that a given problem will yield to the system of principles that characterize one particular field of linguistics, only to conclude in the end that the explanation really belongs elsewhere. Charles Fillmore (1996: 53)
Das empirische Ziel dieser Arbeit besteht in der funktionalen Beschreibung von zehn Kausalmarkern des Deutschen und in der Ermittlung von Faktoren, die diese formale Variation funktional motivieren. Im Mittelpunkt steht die Frage nach den Selektionsbeschränkungen und Gebrauchspräferenzen, denen die Marker unterliegen, um markertypische Kontextumgebungen zu ermitteln und konstruktionsspezifische Leistungen. Die empirische Voraussetzung hierfür ist eine detaillierte Korpusanalyse. Im Folgenden werden nach ein paar Vorbemerkungen zunächst die Grundlage und die Methodik der empirischen Arbeit vorgestellt und diskutiert (4.1.1). In den folgenden Kapiteln werden dann die Ergebnisse dokumentiert (4.2 und 4.3) und in einen Erklärungsansatz eingeordnet (4.4).
4.1
Vorbemerkungen
Die Argumentation in diesem vierten Kapitel basiert im Wesentlichen auf einer Reihe von Korpusdaten, auf Häufigkeitszählungen und auf Effektstärken. Gleichzeitig wird der Versuch unternommen, die empirischen Ergebnisse vor dem Hintergrund verschiedener Forschungsansätze zu kontextualisieren. Die vollständige Dokumentation der Einzeldaten würde die Kohärenz des Textes unnötig strapazieren. Anhang Β bietet deshalb eine Übersicht über die Rohdaten, die im Zuge der Analysen ermittelt wurden. Im Anhang C sind zusätzlich die wichtigsten Ergebnisse dokumentiert, auf die im Verlauf dieses Kapitels mehrfach verwiesen wird. Im Folgenden wird also nur durch Zahlenwerte auf die formalen Argumente hingewiesen, auch in der Hoffnung, dass auf diese Weise die Lesbarkeit des Textes trotz der nicht besonders lyrischen Ausgangssituation steigt.
4.1.1
Datengrundlage
Die Grundlage für die folgenden Analysen bilden elektronisch aufgearbeitete, schriftsprachliche Textsammlungen des Instituts für deutsche Sprache (IDS) in Mannheim. Die Dokumente entstammen dem Archiv Korpora der geschriebenen Sprache, das bis März
52 2003 unter dem Recherchesystem COS MAS I zugänglich war.1 Aus diesem Archiv wurden die Jahrgänge 1991 sowie 1994 bis 1996 der Tageszeitung Mannheimer Morgen ausgewählt, da diese auch morphosyntaktisch annotiert zur Verfügung standen. Das Ausgangskorpus umfasst somit Zeitungsartikel aus der lokalen Presse und hat einen Gesamtumfang von 17,14 Millionen Wortformen. Die kausalen Korpusbelege wurden zunächst itembasiert ermittelt. Aufgrund der hohen funktionalen Belegung einiger Wortformen (v.a. darum, da aber auch denn) wurde jedoch eine Einzelanalyse der Belege notwendig. Dabei wurden diejenigen Kontexte aussortiert, in denen die Wortformen nicht in begründender Funktion gebraucht wurden. Auf diese Weise wurden aus den Gesamtvorkommen der Zielwörter die Gebrauchsfrequenzen der Wortformen als Kausalmarker ermittelt. Eine ausschließlich begründende Funktion haben der Übersicht 2 zufolge lediglich weil, deshalb und deswegen.
Übersicht 2: Wortform da wegen denn weil deshalb nämlich daher aufgrund darum deswegen
Häufigkeiten der Wortformen und ihr kausaler Gebrauch Vorkommen 14501 9583 9508 8045 4779 2446 1824 1727 999 653
kausaler Gebrauch (in %) 3939 9179 3968 8045 4779 1457 1696 1694 151 653
(27,2) (96,2) (41,7) (100,0) (100,0) (59,6) (93,0) (98,3) (15,1) (100,0)
Wie die Prozentangaben in der folgenden Übersicht 3 zeigen, schwankt auch die relative Frequenz der Kausalmarker in diesem Referenzkorpus sehr stark. Die mit Abstand häufigsten Kausalmarker, die zusammen knapp die Hälfte aller Belege abdecken, sind wegen und weil. Mit relativ hoher Gebrauchsfrequenz folgen deshalb, denn und da und diese hohen Frequenzen sind vermutlich nicht zufallig, denn interessanterweise vertreten die vier häufigsten Kausalmarker wegen, weil, deshalb und denn alle formalen Optionen, die im zweiten Kapitel ermittelt wurden: die koordinierende, die subordinierende, die nominale und die folgemarkierende Kodierung von kausalen Informationen. Die Frequenzen liefern so das erste Indiz für die funktionale Relevanz der formalen Alternativen (und auch die empirischen Analysen werden dies in den folgenden Kapiteln untermauern, vgl. insbesondere 4.4). Es wird sich darüber hinaus zeigen, dass auch die relativ hohe Frequenz von da aus einem sehr klaren Funktionsprofil dieses Markers
'
COSMAS I ist inzwischen außer Betrieb und wurde vom Recherchesystem COSMAS II abgelöst. Ich danke der Arbeitsgruppe fur Korpustechnologie unter der Leitung von Cyril Belica für die Zusammenstellung des Teilkorpus [mmm 1456].
53 ableitbar ist, das sich trotz der formalen Analogien deutlich von dem Funktionsprofil von weil unterscheidet (vgl. 4.3.3).
Übersicht 3:
Frequenzen der Kausalmarker
Marker
kausale Belege
%
wegen •weil deshalb denn da daher aufgrund nämlich deswegen darum
9179 8045 4779 3968 3939 696 1694 1457 653 151
25,8 22,6 13,4 11,2 11,1 4,8 4,8 4,1 1,8 0,4
35561
100,0
Gesamt
4.1.2
Methode
Das Ziel der Korpusanalyse besteht darin, die Funktionsprofile der zehn Kausalmarker zu erarbeiten (vgl. 1.4.3). Dabei sollen neben spezifischen funktionalen Merkmalen der Marker auch Funktionen benannt werden, die systematisch in die Gesamtvariation eingreifen. Die methodische Herausforderung liegt zunächst in der systematischen Analyse der sprachlichen Variation. Dabei erfüllen die folgenden Analysen nicht allein den Zweck, Gebrauchsbeschränkungen für die alternativen Ausdrucksmittel zu ermitteln, sondern auch GebrauchsPräferenzen. Ein wichtiges empirisches Instrument bei der Analyse der Daten ist die Frequenz, mit der distinktive Merkmale im Kontext der Marker auftreten. Die methodischen Entscheidungen in dieser Arbeit ergeben sich direkt aus der kognitivpragmatischen Perspektive und sind eng an die Überlegungen zu den Funktionsprofilen der Marker geknüpft (vgl. 1.4). Die erste Entscheidung ist eine Entscheidung gegen Paraphrase· und Substitutionstests, durch die vor allem die Grenzen der Akzeptabilität ausgetestet werden. Dieses Prinzip prägt neben Arbeiten aus dem Bereich der formalen Logik auch eine Reihe von generativen Systemen etwa in der Computerlinguistik (vgl. aber Sampson 2001: Kap. 10).2 Gegen das Instrument der Substitution spricht vor allem, dass eine Variante aus einer Menge von möglichen Alternativen nach kontextuellen Kriterien
2
Auch in der psycholinguistischen Satzverstehensforschung basieren experimentelle Studien oft auf konstruierten Minimalpaaren (und dies entspricht natürlich der Zielsetzung dieser Forschung). Ich hoffe aber am Ende dieser Untersuchung zeigen zu können, dass die Gleichzeitigkeit mehrerer constraints diesem Verfahren widerspricht. Aus diesem Grund erfüllen konstruierte Minimalpaare in dieser Arbeit nur Dokumentationszwecke.
54 ausgewählt wird. Dies bedeutet, dass die satzsemantische Äquivalenz zugunsten der kontextsemantischen Einmaligkeit in den Hintergrund tritt (vgl. Polenz 1988: 79). Substituierbar sind sprachliche Alternativen streng genommen daher nie. Gegen das Instrument der Substitution spricht zudem das Argument der Nützlichkeit, denn die teilweise sehr geringe formale Variation, die dieser Untersuchung zugrund liegt, wird aller Voraussicht nach zwischen einigen Markern nur zu sehr feinen Unterschieden fuhren (wenn überhaupt). Den möglicherweise etwas romantischen Ausgangspunkt für die folgende Untersuchung liefert die Überzeugung, dass sich jeder Gebrauch eines Kausalmarkers aus einer prinzipiell einmaligen Konstellation ergibt. Bei der Ermittlung der Funktionsprofile spielen distributioneile Informationen dennoch eine wichtige Rolle. Um die Funktionsprofile der Marker maximal zu spezifizieren, werden Distributionsanalysen zur Ermittlung von Kontextmerkmalen durchgeführt, die die Verwendung der Marker voneinander abgrenzen. Das Funktionsprofil eines Marker wird also gewonnen, indem die Gebrauchskontexte, in denen die Marker auftreten, so weit wie möglich präzisiert werden. Methodisch gilt es, kookkurrierende Kontextmerkmale zu sammeln und im Sinne von Tomlin (1985) zu überprüfen, wie systematisch die Korrelationen mit den Kausalmarkern tatsächlich sind. Dabei liefert die Frequenz der Kontextmerkmale ein empirisches Maß für die Stärke der Verbindung zwischen Form und Funktion (vgl. 1.4.3). Die distinktiven Merkmale werden in Form von Variablen erfasst und sind in den Anhängen Α und Β aufgelistet. Ober die distinktiven Merkmale werden in einem weiteren Schritt Generalisierungen abgeleitet. Dabei werden quantitative Methoden und qualitative Verfahren miteinander verknüpft. Aus den qualitativen Analysen ergeben sich schließlich funktionale Faktoren, die besonders trennscharfe Differenzkriterien zur Unterscheidung der Kausalmarker bereitstellen. Mithilfe dieser Faktoren gelingt es dann, die Funktionsprofile der Marker systematisch zu vergleichen. Das Korpus, das für die statistischen Abfragen kodiert wurde, besteht aus einer randomisierten Stichprobe von n=100 für die Kausalmarker nämlich, denn, daher, darum, deshalb, deswegen, weil, da, aufgrund und wegen, das heißt die Arbeit basiert auf einem Korpus von insgesamt 1000 Belegen. An die randomisierte Stichprobe wurden keine Selektionskriterien angelegt, um das Spektrum der Gebrauchskontexte nicht künstlich zu manipulieren. Lediglich einige unvollständige oder für spezifische Kriterien nicht brauchbare Korpusbelege mussten vor oder während der Kodierung aus den Analysen ausgeschlossen werden (1,6%). Die untersuchte Stichprobe umfasst insgesamt 984 Belege. Um die Zufälligkeit der Stichprobe nicht zu gefährden, wurden die 16 ausgeschlossenen Belege nicht durch andere Belege ersetzt. In der ersten, stärker explorativen Phase kam es zur Handkodierung formaler Informationen und zur Ermittlung einer Liste von distinktiven Merkmalen in den Kontextumgebungen der Marker. Diese Merkmale wurden als Korpusvariablen für die Analysen operationalisiert. Für die Kodierung der Variablen wurden Heuristiken entworfen (vgl. Anhang A). Die pilotartige Anwendung der Verfahren führte jedoch zu einer ständigen Überarbeitung der Variablen. Die Analyse konzentrierte sich auf die Domäne des Satzes
55 unter Einbezug des lokalen Kontextes, denn 79,5% aller Vorkommen waren nur unter Berücksichtigung des Kontextes als kohärente Belege erfassbar.3 Bei der Kodierung der Variablen wurden in der ersten Phase sowohl Ansätze aus der Literatur berücksichtigt als auch scheinbar unbedeutende Merkmale, die in der Literatur bisher kaum Aufmerksamkeit erfahren haben. Daneben wurden auch Merkmale kodiert, die sich auf die Spezifik einzelner Konstruktionstypen beziehen und nur für bestimmte Markergruppen informativ sind. Alle Variablen wurden positiv kodiert, das heißt, dass sich das Fehlen eines Merkmals immer nur indirekt erschließt. Zweifelsfälle wurden während der Analysen entweder auf der Grundlage überarbeiteter Variablen neu aufgegriffen oder sie blieben als unklar kategorisiert, wodurch sie in den Übersichten, in denen absolute Zahlen dokumentiert sind, nicht direkt in Erscheinung treten (vgl. Anhang B). Da den explorativen Analysen keine gerichteten Hypothesen zugrunde lagen, konnte die Gefahr eines unbewussten bias bei der Kodierung nahezu ausgeschlossen werden. Bei den qualitativen Variablen erfolgte eine gründliche Überprüfung der Konsistenz meines Verfahrens im Rahmen von stichprobenartigen Kontrollen und Diskussionen im Kreis von Kollegen. Alle Merkmalsausprägungen wurden paar- und gruppenweise verglichen und Frequenzunterschiede auf der Grundlage der Stichprobe auf Signifikanzen getestet. Dabei wurden ausschließlich zweiseitige %2-Tests nach Pearson angewendet, da allen statistischen Abfragen die Nullhypothese einer Gleichverteilung zugrunde lag. Zur Ermittlung der Effektstärke eines Merkmals wurde der Kontingenzkoeffizient nach Cramer's V ab einer Effektstärke von 0.3 als Indikator interpretiert. Dieser Kontingenzeffekt wurde auch genutzt, um vorsichtige Hypothesen über die Zusammenhänge zwischen den Variablen zu formulieren. 4 Der Funktionsbegriff dieser Arbeit ist mehrschichtig (vgl. Kapitel 1). In der zweiten, stärker deduktiven Phase der Analysen verdichteten sich die Einzelevidenzen, die im Korpus beobachtet wurden, zu konvergierenden Merkmalsbündeln, aus denen sich vier funktionale Faktoren ableiten lassen. Die vier Faktoren, die sich aus der qualitativen Faktoranalyse ergeben, betreffen ikonische Motivationen, den Informationsstatus der markierten Informationen, die Steuerung von Aufmerksamkeit und den Einfluss von Evidenzialität (vgl. 4.2). Wie sich in der folgenden Untersuchung zeigen wird, greifen diese vier Faktoren in Form von vier Differenzkriterien (Grund-Folge-Kodierung, Identifizierbarkeit, Fokuspotential und Subjektivität) besonders trennscharf in die untersuchte Variation ein (vgl. Anhang C). Wie genau die Faktoren aus den distinktiven Merkmalen der Kontextumgebungen der Marker abgeleitet wurden, geht aus der Herleitung der einzelnen Funktionsprofile hervor (vgl. 4.3). Die Interaktionen sind in jedem Fall komplex und vielschichtig und werden im Verlauf dieser Arbeit Gegenstand ausführlicher Diskussionen sein. Es sei aber daraufhingewiesen, dass die Faktoren auch unabhängig von den Variablen operationalisiert und kodiert wurden. Anhand der vier Faktoren wurden schließlich die Funktionsprofile der zehn Kausalmarker als Hauptergebnis dieser Arbeit ermittelt.
3
4
Dies unterstreicht vor allem die Notwendigkeit, kausale Informationen als Diskursphänomen zu untersuchen. Eine satzinterne Relation lag auch bei den stark integrativen Markern aufgrund und wegen nur in 32,0% bzw. 47,5% der Fälle vor (s. Variable 29, Anhang B). Die Auswertung des Datensatzes erfolgte mit SPSS, Version 10.0 für Macintosh. Zu den Details der statischen Verfahren vgl. Backhaus et al. (2000).
56 Die Darstellung der Ergebnisse ist wie folgt organisiert: Die funktionalen Faktoren basieren auf verschiedenen Arten von Evidenzen und stehen zum Teil in kritischer Auseinandersetzung mit den Forschungsansätzen in der Literatur (vgl. Kapitel 3). Sie sind das Ergebnis der qualitativen Faktoranalyse und dienen gleichzeitig als Ordnungsraster für die Präsentation der Daten in 4.3. Im Folgenden werden sie daher in 4.2. zunächst theoretisch abgesteckt. Dabei werden die Grundzüge anhand von konstruierten Minimalpaaren vorgestellt (vgl. Ergebnisse I). Wie die einzelnen Variablen letztlich operationalisiert wurden und in welchen Bereichen der Variation die Faktoren zu markerspezifischen oder formgruppenspezifischen Evidenzen fuhren, ergibt sich im Verlauf der hieran anschließenden Darstellung der Korpusdaten. Alle Funktionsprofile, die sich erst aus der Summe der Analysen abzeichnen, werden im Verlauf der Unterkapitel 4.3.1 bis 4.3.5 systematisch hergeleitet (vgl. Ergebnisse II). Ausgehend von den Funktionsprofilen folgt ein dritter Auswertungsschritt, der die Gebrauchsbedingungen der Marker noch stärker in den Mittelpunkt rückt und auf der Grundlage der Faktoren einen multifaktoriellen Ansatz skizziert. Im dritten Ergebnisteil wird weniger aus der Perspektive der Marker argumentiert als aus der Perspektive der funktionalen Faktoren und der kontextuellen Umgebungen, in denen sie auftreten. Die deutlichen Ergebnisse ermöglichen über die Hinzunahme von Wahrscheinlichkeiten eine Antwort auf die Frage, unter welchen Bedingungen ein Marker aus dem Spektrum der zehn Alternativen vermutlich ausgewählt wird. Dabei können in 4.4. Hypothesen über die Bedingungen formuliert werden, unter denen zum Beispiel da gebraucht wird statt weil oder deswegen trotz der hohen Frequenz von deshalb, denn über die Funktionsprofile hinaus gilt es auch Vorhersagen darüber zu formulieren, wann ein niederfrequenter Vertreter einer formalen Option überhaupt selektiert werden könnte. Hierdurch kristallisiert sich in 4.4. auf der Grundlage der Funktionsprofile und der Gesamtvorkommen ein Erklärungsansatz fur die Gesamtvariation heraus, der angesichts der Ausgangsstichprobe von 100 Belegen pro Marker natürlich vorsichtig interpretiert werden muss. Die deutliche Trennschärfe der Faktoren erlaubt es in diesem letzten Ergebnisteil aber, das strukturüberprüfende Verfahren der logistischen Regressionsanalyse zu nutzen, um die Modelltauglichkeit der Überlegungen zu testen. Schließlich kann mittels einer strukturerkennenden Clusteranalyse auch eine Antwort auf die Frage skizziert werden, inwieweit die abhängigen Variablen dieser Untersuchung, d.h. die formalen Unterscheidungsmerkmale aus 2.4., tatsächlich funktional plausibel sind (vgl. Ergebnisse III).
4.1.3
Chancen und Grenzen
Im Rahmen von korpusbasierten Untersuchungen können nur durch sehr umsichtige Analysen Einblicke in sprachliche Funktionen herauspräpariert und vorsichtige Hypothesen formuliert werden. Jede empirische Methode ist mehr als die Summe der Entscheidungen für ein Verfahren, denn sie stellt die Weichen für das Profil der Resultate. Steht man empirischen Instrumenten grundsätzlich kritisch gegenüber, dann bleibt jede linguistische Methode eine Gratwanderung und dies natürlich umso stärker, je mehr Diskussionspotential das gewählte Verfahren mit sich bringt. Dies gilt auch für einige Entscheidungen in dieser Arbeit.
57 Der erste Punkt betrifft die Größe der Stichprobe. Je größer das Korpus ist, desto heterogener ist normalerweise seine Zusammensetzung und desto geringer ist die Gefahr, wichtige Phänomene nicht zu erfassen. Je automatisierter aber die Analyse bei umfangreichen Datenmengen ist, desto größer ist die Gefahr, dass sie den technischen Möglichkeiten anvertraut wird, und dass qualitative Zusammenhänge dabei unaufgedeckt bleiben. Beide Verfahren bergen also Chancen und Risiken. Zudem sind sie den Grenzen der Machbarkeit unterworfen. Eine Stichprobe von 100 Belegen pro Marker bedeutet unter anderem, dass das Generalisierungspotential der Ergebnisse auf die Form einer Hochrechnung von sehr detaillierten, qualitativen Einzelanalysen beschränkt bleibt. Im Gegenzug ermöglicht dieses Verfahren jedoch einen unmittelbaren Vergleich der Funktionsprofile. Durch die Stichprobe wird simuliert, dass die Merkmalsverteilungen bei niederfrequenten Markern mit Bezug auf die Gebrauchsbedingungen ebenso aussagekräftig sind wie die Merkmalsverteilungen bei frequenten Markem. Hierdurch werden sehr feine Unterschiede zum Teil erst greifbar. Diese müssen dann aber natürlich wieder in Relation gesetzt werden zur Gesamtverteilung der Marker. Insgesamt öffnet sich durch die randomisierte Auswahl von 100 Belegen ein überschaubarer Raum für detaillierte, qualitative Analysen. Vor allem jedoch legitimiert die Stichprobe die Anwendung statistischer Verfahren auf die qualitativen Analysen, wodurch bei der Interpretation von Unterschieden der Zufall weitgehend ausgeschlossen werden kann. Ein zweiter Punkt betrifft die kodierte Information und ihre Interpretation. Im Mittelpunkt dieser Untersuchung steht die Schnittstelle zwischen Form und Funktion. Entsprechend berücksichtigen die Analysen sowohl formale als auch funktionale Merkmale. Die systematische Kodierung von unterschiedlichen Variablen für ein relativ breites Spektrum an Ausdrucksaltemativen ermöglicht es, Ergebnisse zu replizieren und einige Hypothesen gleichzeitig vor einem breiteren Hintergrund zu diskutieren (zum Beispiel den Zusammenhang zwischen Linearisierungspräferenzen und Informationsstruktur). Bei der Analyse und Interpretation der Daten ist es jedoch wichtig, den Unterschied zwischen diskreten, formalgrammatischen Variablen einerseits und den funktionalen (nur selten diskreten) qualitativen Variablen andererseits ernst zu nehmen. Dies impliziert aus meiner Sicht vier Überlegungen. Erstens haben die meisten Korpusvariablen keine eindeutige Bedeutung und das Problem der Übersetzbarkeit der Variablen stellt sich spätestens bei der Interpretation der Daten. Neben der quantitativen Analyse scheint mir die Berücksichtigung qualitativer Zusammenhänge daher nicht nur wichtig, sondern methodisch erforderlich. Häufigkeitszählungen führen zweitens lediglich zu deskriptiven Daten, die auch im Falle von statistischen Signifikanzen noch kein unmittelbares Erklärungspotential haben. Formale Evidenzen sind nicht unbedingt die wichtigsten Bausteine einer Theorie. Darüber hinaus bedeutet die hohe Frequenz eines Phänomens natürlich nicht, dass genau dieses Phänomen für die Frage von großer Bedeutung ist, und auch schwache empirische Merkmalsausprägung können unter Umständen starke theoretische Argumente liefern. Es ist aus meiner Sicht drittens eine Illusion zu glauben, dass man bei der qualitativen Analyse ohne Intuitionen auskommt und auch die Introspektion kann in Einzelfallen zu einem wichtigen Instrument werden (vgl. u.a. auch Chafe 1976: 31). Empirische Verfahren sind insofern nicht mit positivistischen Methoden gleichzusetzen. Um nicht der Gefahr der Beliebigkeit zu erliegen, ist es in diesem Zusammenhang wichtig, dass die Operationalisie-
58
rung aller Kriterien so gut es geht nachvollziehbar ist. Auf diese Weise werden empirische Verfahren der Diskussion zugänglich gemacht. Die Herleitung der folgenden Ergebnisse unterliegt daher dem Anspruch, dass die methodischen Entscheidungen transparent und intersubjektiv nachvollziehbar sind. Korpusanalysen erfahren in der funktionalen Linguistik zunehmende Bedeutung. Sie sind aber in dem, was sie zeigen können, beschränkt und der Blick in die Daten fuhrt zu empirischen Evidenzen aber noch lange nicht zu Erklärungen (oder gar zu Theorien). Für die Zielsetzung dieser Arbeit ist daher das globale Muster, das sich aus der Gesamtschau der Korpusdaten ergibt, wichtiger als die einzelnen Evidenzen. Dieses Muster ist im Idealfall mit Ergebnissen aus mehreren linguistischen Teildisziplinen kompatibel, d.h. möglicherweise sowohl mit sprachhistorischen Ergebnissen als auch mit experimentellen Evidenzen aus der Psycholinguistik. Ein letzter Diskussionspunkt betrifft die Korpusgrundlage. Das Zeitungskorpus umfasst Meldungen aus verschiedenen Ressorts (Politik, Wirtschaft und Kultur, aber auch Sport und Anzeigen) und ist in sich heterogen. Die Variation ist relativ zu der Vielfalt an denkbaren (und inzwischen elektronisch verfugbaren) Textsorten aber sehr gering. Bei den folgenden Analysen wurde der Faktor Textsorte vollständig ausgeblendet und lediglich bei der Interpretation der Daten mitberücksichtigt. Die aus meiner Sicht folgenreichste Beschränkung ergibt sich allerdings daraus, dass der Gebrauch der Kausalmarker nur im schriftlichen Medium untersucht wurde. Hieraus folgt, dass die interaktive Dimension von Sprache im Korpus unterrepräsentiert ist und pragmatische Aspekte auf diese Weise nur indirekt beobachtet werden können. Mit der Arbeit von Göhl (2006) liegen allerdings umfangreiche Analysen zum gesprochensprachlichen Gebrauch der Kausalmarker vor. In der vorliegenden Arbeit tritt der mediale Vergleich vor allem hinter dem Interesse zurück, zunächst ein möglichst breites Spektrum an möglichst unterschiedlichen Markern zu untersuchen, das heißt der Verzicht auf mediale Variation erfolgt zugunsten von objektsprachlicher Variation. Der viel zitierte Gedanke vom Primat der gesprochenen Sprache wird auf diese Weise nicht aufgegriffen.5 In der gewählten Korpusgrundlage fehlen angesichts der Grenzen der Machbarkeit also die für die gesprochene Sprache so typischen Spuren der Prozesshaftigkeit und gerade im Zeitungskontext tritt stattdessen das monologische Moment entsprechend stark hervor. Einige Ergebnisse stehen deshalb unter dem Vorbehalt der Textsortenspezifik. Aber die strukturellen Möglichkeiten des Mediums Sprache manifestieren sich natürlich auch im Schriftlichen. Sprache wird auch hier gebraucht und zwar sehr bewusst, denn es muss davon ausgegangen werden, dass sie im Dienste der Informationsvermittlung (gerade im Medium Zeitung) mehrfach redigiert wird. Die Probandengruppe dieser Untersuchung bilden somit unfreiwillig Journalistinnen und
5
Die Vernachlässigung der gesprochenen Sprache in der frühen modernen Linguistik, auf die diese Formel reagiert, entzieht der geschriebenen Sprache meiner Ansicht nach keinesfalls grundsätzlich ihre Bedeutung. Ganze Teildisziplinen der Linguistik sind wie die Textlinguistik und die Diskurssemantik nach wie vor fast ausschließlich an der Schriftsprache orientiert. Unsere Kultur ist trotz der starken Präsenz des Gesprochenen eine ausgeprägte Schriftkultur und zum Sprachgebrauch gehört fur viele Teile der Gesellschaft nach wie vor die ständige Erfahrung mit dem routinebasierten und stark konventionalisierten Schreiben. Noch wichtiger aber erscheint mir, dass sich unsere Erfahrungen mit Sprache immer auch im schriftlichen Medium spiegeln.
59 Journalisten und das bedeutet zumindest - so sollte man meinen - besonders kompetente Sprachbenutzerinnen. Die Konzentration auf Zeitungssprache birgt im Umkehrschluss aber auch eine Chance, denn schriftsprachspezifische Merkmale sind aller Voraussicht nach sehr systematisch vorhanden und die methodische Grenze kann bei der Interpretation der Daten an einigen Stellen indirekt genutzt werden. So werden die Analysen zum Beispiel zeigen, dass sich die auffallend niedrige Gesamtfrequenz von kausalem darum in dem Korpus (n=151, 0,4% der Gesamtvorkommen der zehn Marker) gerade aus dem Funktionsprofil dieses Markers heraus sehr gut kontextuell herleiten lässt.
4.2
Ergebnisse I: Funktionale Faktoren
Im Folgenden werden vier funktionale Faktoren vorgestellt, die mit deutlicher Trennschärfe aus der Korpusanalyse hervorgegangen sind und den Gebrauch der Kausalmarker entscheidend mitbestimmen: Ikonizität, Informationsstatus, Aufmerksamkeit und Evidenzialität. Allen Faktoren ist gemeinsam, dass sie auch jenseits von kausalen Informationen als Funktionen von Sprache diskutiert werden. Empirisch manifestieren sie sich in vier Differenzkriterien und einer Vielzahl an konvergierenden Einzelevidenzen, die erst auf dieser Ebene zu einem sinnvollen Erklärungsansatz gebündelt werden können. Die Faktoren erfassen vier Funktionen, die deutlich zur Unterscheidung der Kausalmarker beitragen. Es wird sich aber zeigen, dass die Faktoren in den Korpusbelegen stark interagieren. Aus Gründen der Anschaulichkeit werden die Faktoren in diesem Ergebnisteil deshalb anhand von konstruierten Beispielen vorgestellt.
4.2.1
Ikonizität: Grund-Folge-Perspektive
Im Faktor Ikonizität wird ein zentraler Aspekt der temporalen Relation fur die kausale Relation relevant und zwar die Möglichkeit einer ikonischen Kodierung von Ereignissequenzen. Die Grundidee dieses Faktors besteht darin, dass eine ikonische Kodierung eine besonders natürliche Form der Kodierung bereitstellt. Dies ist der kleinste gemeinsame Nenner einer ganzen Reihe von funktionalen Besonderheiten, die sich im Korpus zeigen. Der Begriff Ikonizität steht nicht selten unter dem General verdacht eines besonders naiven Funktionalismus, der von einer l:l-Zuordnung von Form und Funktion ausgeht (vgl. auch Givon 1995: 310). Der Begriff wird in der Literatur jedoch breit diskutiert und vor allem auf unterschiedliche Weise gebraucht. 6 Spätestens seit Givon (1985) steht der
6
Vgl. die Debatte zwischen Haiman (1980) und Givön (1985), aber auch Ikonizität bei Kemmer (2003), bei di Meola (2004) oder als Referenzrahmen für die Analyse von Gebärdensprachen in Wilcox (2004). Eine Fülle von Beispielen für ikonische Beziehungen im Sprachsystem diskutiert schon Jakobson (1965).
60 Begriff Ikonizität nicht mehr nur für die „one-to-one-correlation between form and meaning", sondern ausdrücklich auch für die Mechanismen selbst, die Ikonizität ermöglichen, d.h. für die Voraussetzungen unserer Wahrnehmung und Kognition. Dabei gilt die Grundannahme: „All other things being equal, a coded experience is easier to store, retrieve and communicate if the code is maximally isomorphic to the experience" (Givon 1985: 189). Der gleiche Gedanke klingt auch in Jakobsons Peirce-Rezeption an: „the most perfect of signs" are those in which the iconic, indexical, and symbolic characters „are blended as equally as possible" (1965: 26). Ikonizität erfasst also eine Art Ähnlichkeitsbeziehung zwischen außersprachlichen Zusammenhängen und sprachlicher Form. Ikonische Beziehungen zeigen sich auf verschiedenen sprachlichen Ebenen und werden sowohl für lexikalische Kategorien (vgl. Hopper & Thompson 1985) als auch für Phänomene wie der Topikalisierung nachgewiesen (vgl. Givon 1985). Alle Ansätze verfolgen letztlich die Frage, inwieweit sprachliche Form motiviert ist. So paraphrasiert Kirsner (1985: 250) Haimans iconic motivation als „[...] the reflexion in linguistic structure of some aspects of the content of the message". Damit formuliert er explizit eine zentrale Prämisse der funktional orientierten Linguistik (vgl. Kapitel 1). Der Terminus Ikonizität hat sich als paradigmatischer Begriff für den Funktionalismus aber - möglicherweise durch seine begriffliche Nähe zu dem spezifischen Zeichencharakter des Ikons (vgl. Jakobson 1965: 23) - als unglücklich erwiesen.7 Im Folgenden diskutiere ich Ikonizität zunächst vor dem Hintergrund des vielleicht prominentesten Beispiels, und zwar dem Zusammenhang zwischen der Abfolge von Ereignissen in der Welt und der Linearisierung von Sachverhalten in Sprache. Unsere alltägliche Erfahrung mit kausalen Zusammenhängen ist stark davon geprägt, dass der Grund typischerweise zeitlich und logisch der Folge vorausgeht. Diese Erfahrung kann in der sprachlichen Grund-Folge-Linearisierung ikonisch abgebildet werden. Bei kausalen Relationen betreffen ikonische Motivationen allerdings drei Aspekte, die unbedingt voneinander unterschieden werden müssen: zum einen die sprachliche Linearisierung der Ereignisse, zum zweiten die zeitliche Abfolge der Ereignisse und drittens die konzeptuelle Abfolge der Ereignisse, die aus der Literatur auch als konzeptuelle Perspektive bekannt ist. Zeit-ikonische Motivationen wirken dann, wenn die zeitliche Abfolge in der sprachlichen Linearisierung ikonisch abgebildet ist. Das entscheidende Differenzkriterium, das trennscharf zur funktionalen Unterscheidung der Marker beiträgt, ist allerdings die ikonische Abbildung der konzeptuellen Perspektive in Sprache. Zeit-Ikonizität liegt in (11) vor und dieser relativ konkreten Form von Ikonizität gilt das besondere Interesse der Forschung (vgl. Haiman 1980: 533, Givön 1985: 211). (11) Es regnet, deshalb geht Anna heute Abend nicht aus dem Haus. In diesem Beispiel ist der aktuell beobachtbare Regen der Grund für Annas Abendplanung und die zeitliche Abfolge wird in der sprachlichen Abfolge ikonisch abgebildet. In (12)
7
Ein ikonischer Zusammenhang zwischen sprachlicher Struktur und Aspekten ihrer Bedeutung wird aus meiner Sicht in der Idee der Form-Funktionspaare heute wieder sehr systematisch verfolgt und in den verschiedenen Ansätzen der Construction Grammar theoretisch ausbuchstabiert (vgl. Kapitel 5).
61
wird stattdessen die Ereignisabfolge in der Welt sprachlich entgegengesetzt kodiert und es besteht keine Zeit-Ikonizität. (12) Anna geht heute Abend nicht aus dem Haus, weil es regnet. Es wäre jedoch kurzsichtig, den ikonischen Zusammenhang in (11) auf die zeitliche Abfolge zu reduzieren, denn hier wird mittels Sprache auch eine konzeptuelle Perspektive fixiert. Dabei wird ausgehend von einem Grund eine kausale Verbindung zu einer Folge abgeleitet. Diese Grund-Folge-Perspektive entspricht vermutlich einer sehr weit verbreiteten Vorstellung von kausalen Zusammenhängen und deckt sich mit unserer alltäglichen Erfahrung, die in vielen Bereichen nach dem Prinzip funktionieren, dass auf Wolken in der Regel Regen folgt, und dass ein Glas zerspringt, wenn es auf den Boden fallt. Die GrundFolge-Perspektive gilt in der Literatur daher auch als die elementare Abfolge. Noordman & de Blijzer (2000: 36) formulieren dies stellvertretend für viele andere folgendermaßen. Given the fact, that causal relations derive from our experience of the world, where causes temporally precede effects, we assume that causal relations in our representation of the world reflect this experience and that they are represented as cause-effect pairs with the cause preceding the effect.
Neben der zeitlichen Abfolge ist in (11) also auch diese konzeptuelle Perspektive in der linearen Abfolge der Sachverhalte ikonisch abgebildet. Wie man an (12) nun aber sehen kann, ist nicht nur die zeitliche Abfolge, sondern auch die konzeptuelle Abfolge von der sprachlichen Abfolge prinzipiell unabhängig. Es ist daher wichtig, die zeitliche Abfolge und die kognitive Perspektive jeweils von der linearen Abfolge zu trennen. In dem untersuchten Korpus dominiert die konzeptuelle Grund-Folge-Perspektive deutlich und nur in insgesamt vier Belegen ist konzeptuell eine eindeutige Folge-GrundPerspektive kodiert (s. Variable 3, Anhänge Α und B). Dieser Befund kann trotz der bemerkenswert hohen Anzahl an Belegen, die dieser Unterscheidung nicht eindeutig zugeordnet werden können, als weitere Evidenz fiir die Dominanz der kognitiven Grund-FolgePerspektive interpretiert werden. Die Ergebnisse verleihen der Annahme Nachdruck, dass diese konzeptuelle Form im Zusammenhang mit kausalen Informationen kognitiv präferiert ist (vgl. auch Noordman & de Blijzer 2000:40, Talmy 2003: 34ff). Konzeptuelle Situationen wie in dem konstruierten Beispiel (13), bei denen der Grund ausgehend von einem Sachverhalt erst abgeleitet oder gefolgert wird, haben in dem untersuchten Zeitungskorpus absoluten Ausnahmestatus. In der Literatur wird diese konzeptuelle Folge-Grund-Perspektive auch als reduktiver Schluss diskutiert, obwohl es sich aus logischer Sicht wohl nicht so sehr um einen echten Schluss als vielmehr um das handelt, was einem Alltagsverständnis von Logik zufolge als Umkehrschluss bezeichnet werden könnte. Diese konzeptuelle Perspektive steht dem epistemischen Modus sehr nahe, da eine Sprecherin bei dieser Perspektive immer auch eine Begründung für eine Annahme liefert. (13) In Hamburg wird es wohl wieder den ganzen Tag geregnet haben, denn Anna hat beschlossen, heute Abend zu Hause zu bleiben. In (13) wird also aus einem Sachverhalt ein Grund abgeleitet, wobei die Begründung mithilfe von Weltwissen aus den Beobachtungen gefolgert wird. Beispiel (14) belegt nun, dass
62 es wichtig ist, zwischen zeit-ikonischen Motivationen und konzeptuell-ikonischen Motivationen zu unterscheiden. (14) Anna muss nächste Woche jeden Abend zu Hause bleiben, deshalb hat sie gestern nochmal ordentlich gefeiert. Hier liegt keine zeit-ikonische Abfolge der Ereignisse vor, denn Annas Feiern liegt zeitlich vor dem Beginn der nächsten Woche. Sprachlich wird die Aufmerksamkeit auf die mit deshalb markierte Feststellung in satzfinaler Position gelenkt. Dadurch wird eine zeitikonische Kodierung verhindert. Unabhängig hiervon wird in diesem Beispiel aber natürlich auch eine konzeptuelle Abfolge kodiert. Dabei dient das Wissen über die anstehende Woche dem Sprecher als Ausgangspunkt für die Schlussfolgerung, dass dieser Umstand der Grund für Annas Feiern am Abend zuvor gewesen ist. Zeit-Ikonizität liegt in (14) nicht vor. Die konzeptuelle Grund-Folge-Perspektive wird in (14) jedoch in der sprachlichen Linearisierung ikonisch abgebildet und durch den Gebrauch des Markers deshalb explizit signalisiert (vgl. weiterführend 4.3.2.1). Die zeitliche und die lineare Abfolge sind empirisch leichter zu bestimmen als die konzeptuelle Abfolge. Die konzeptuelle Abfolge ist für die Erfahrung kausaler Zusammenhänge aber mindestens ebenso zentral. Es wird sich zeigen, dass die ikonische Kodierung der konzeptuellen Grund-Folge-Perspektive für die Unterscheidung der Kausalmarker bedeutender ist als die ikonische Kodierung der zeitlichen Abfolge (vgl. die Ergebnisse zu den Variablen 1 und 5 im Anhang B). In einigen Fällen schließt diese spezifische Form der Ikonizität auch Zeit-Ikonizität mit ein. In diesen Fällen entsteht besonders eindringlich der Eindruck einer natürlichen Abfolge, was die Bedeutung von Ikonizität fur den Informationsfluss in kausalen Informationen insgesamt unterstreicht (vgl. z.B. die Analysen zu weil in 4.3.3.1).8 Um Missverständnissen vorzubeugen, sei an dieser Stelle eine Bemerkung zur Funktion von ikonischen Kodierungen ergänzt. Dieser Arbeit liegt die These zugrunde, dass der Gebrauch von Sprache prinzipiell funktional motiviert ist. Dies bedeutet, dass sowohl für die ikonische als auch für die anti-ikonische Kodierung funktionale Motivationen gefunden werden können. Ikonische Kodierungen unterscheiden sich von anti-ikonischen Kodierungen keinesfalls prinzipiell in der Qualität. Sie machen sich lediglich den Vorteil ikonischer Kodierungen zunutze und bereiten den Weg für einen besonders natürlichen Informationsfluss, der im Dienste kleinräumiger Funktionen stehen kann. Diese werden vor allem in 4.3.1.1 diskutiert. Die ikonische Kodierung deshalb als kognitiv leichter zu verarbeiten darzustellen wäre aus meiner Sicht aber missverständlich (vgl. Noordman & de Blijzer 2000), denn ebenso wie für die ikonische Kodierung lassen sich auch für die antiikonische Kodierung spezifische funktionale Motivationen ermitteln, die diese Kodierungs-
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Zwischen der temporalen und der kausalen Relation bestehen eine Reihe von Zusammenhängen. Temporalität und Kausalität sind kognitiv-semantisch miteinander verwoben. Auch die Semantik der Kausalmarker geht etymologisch oft auf raum-zeitliche Bedeutungen zurück (vgl. di Meola 2000, Blühdorn 2002). Darüber hinaus diskutiert Schmidhauser (1995: 191 ff.), wie temporale Informationen kausal interpretiert werden können.
63 form zur situativ angemessenen Kodierungsform machen. Beispiele hierfür werden vor allem in 4.3.3.1 diskutiert. Bei der empirischen Untersuchung steht die sprachliche Linearisierung zunächst im Zentrum der Aufmerksamkeit, denn sie stellt die sprachliche Bedingung für den Einfluss von Ikonizität. Die Analysen werden zeigen, dass ikonische Motivationen sehr systematisch mit der Folgemarkierung interagieren, da die sprachlichen Bedingungen in diesem Bereich syntaktisch verankert sind (vgl. 4.3.2.1). Beim Gebrauch von Kausalmarkern wie darum und deshalb spielt sie deshalb vermutlich eine wichtige Rolle. Bei Kausalmarkern wie weil oder wegen kann eine ikonische Kodierung durch die flexible Linearisierung erzeugt werden. Dies kann wie in (15) zu einer ikonischen, aber leicht markierten Oberflächenlinearisierung führen. (15) Weil es regnet, wird Anna heute Abend nicht aus dem Haus gehen. Ikonizität in diesen Fällen nicht syntaktisch verankert, sondern eine pragmatische Option. Die ikonische Kodierung ist hier in der Regel kontextuell motiviert und liefert die Plattform für markerspezifische Funktionen, die sich die Natürlichkeit der Grund-Folge-Perspektive zunutze machen. Dies gilt auch für die Präpositionen, bei denen allerdings oft eine detaillierte Analyse der Linearisierung erforderlich ist, da die Grund-Folge-Relation durch die Einbettung der Präpositionalphrase in den Matrixsatz formal aufgebrochen werden kann. Ikonizität ist ein Faktor, der vor allem im Bereich der koordinierenden Marker zu sehr deutlichen Unterschieden führt. Der Faktor erweist sich in der untersuchten Variation aber auf mehreren Ebenen als einflussreich. Beim vorangestellten Gebrauch von Nebensätzen mit weil spielen zum Beispiel zeit-ikonische Motivationen eine Rolle. Das Differenzkriterium, das jedoch systematisch zur Unterscheidung der Marker beiträgt, ist aber die ikonische Beziehung zwischen der linearen Abfolge und der konzeptuellen Grund-FolgePerspektive. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit beziehe ich mich deshalb mit dem Faktor Ikonizität, sofern nicht anders markiert, auf diese Form der Kodierung. Wie stark diese Bedingung beim Gebrauch von welchem Markern erfüllt ist und welche Funktionen damit interagieren, ergibt sich aus den Einzelanalysen in 4.3.
4.2.2
Informationsstatus: Identifizierbarkeit
Jemanden zu informieren bedeutet, den Wissensstand einer Person zu verändern. Dabei spielt Sprache natürlich eine wichtige Rolle. Im Unterschied zur Bedeutung, die eine relativ konstante Funktion von sprachlichen Zeichen ist, sind Informationen von den bereits verfügbaren Wissensrepräsentationen der Kommunikationspartner abhängig und dynamischer Natur. Informationen betreffen daher nicht unbedingt die Ebene der Semantik, sondern die ständig wechselnden und wechselseitigen Annahmen der Interaktionpartner über ihre mental verfügbaren Repräsentationen. Die pragmatische Struktur solcher Annahmen zeigt sich in der Informationsstruktur von Texten. Lambrecht grenzt diese ausgesprochen dynamische Dimension von Sprache an mehreren Stellen explizit von der Ebene der Wahrheitssemantik ab: „What we are concerned with is the fit between states of minds and sentence structures, not between states of affairs and propositions" (1994: 45).
64 Zunächst soll geklärt werden, was dieser dynamische Informationsbegriff für eine linguistische Untersuchung bedeutet und wo der zweite Faktor vor diesem Hintergrund einzuordnen ist. Der dynamische Charakter von Sprache macht unter anderem die wiederholte Referenz auf Informationen erforderlich, deren Aktivationsstatus sich aufgrund der Grenzen unserer Arbeitsgedächtnisbelastung ständig ändert. Dies wird vor allem durch Anaphern geleistet, die nicht direkt, sondern mittels Koreferenz auf vorerwähnte Entitäten Bezug nehmen. Sie signalisieren den identifizierbaren Informationsstatus von Sachverhalten und erfüllen die Funktion, auf bereits angelegte files (Lambrecht 1994: 77) aus dem aktuellen Diskursmodell zu referieren. Nach Consten (2004: 38-42) verlangen Anaphern nach einem psychologischen Referenzbegriff, der sich dadurch auszeichnet, dass er Referenz als dynamischen Prozess begreift, bei dem „das mentale System des Sprachbenutzers als Schnittstelle zwischen sprachlichem Ausdruck und Referenten berücksichtigt wird".9 Jenseits dieser psychologischen Dimension von Anaphern formuliert Almor (1999:748) gleichzeitig ihre interaktive Funktion, wenn er zusammenfasst: „speakers and writers use anaphoric form as a cue to aid listeners and readers in identifying referents." Dabei ist nicht entscheidend, ob die entsprechenden Sachverhalte tatsächlich aktiv, vorerwähnt oder bekannt sind, sondern die Annahme seitens des Sprechers, dass der entsprechende Referent im Rezeptionsprozess identifiziert werden kann (vgl. auch Chafe 1976: 30). Identifizierbarkeit ist demnach kein Merkmal von Referenten, sondern ein graduelles Phänomen, das bei Lambrecht (1994) nur noch das Akirvaiionspotential erfasst, das eine Äußerung in ihrer Präsuppositionsstruktur suggeriert. Sofern ein Sachverhalt also durch die Sprecherin als besonders leicht zugänglich markiert ist, ist die Wahl der grammatischen Struktur als eine Art Einladung an den Rezipienten zu verstehen, die sprachliche Information zu kontextualisieren. I would like to argue that accessibility (semi-activeness) of a referent [...] does not have to entail that the accessible referent is somehow present, indirectly or peripherally, in the hearer's consciousness, as Chafe seems to assume. Rather what seems to make a referent accessible is the fact that, due to the existence of certain semantic relations between an invoked schema, due to presence in the situational context, or due to other contextual factors, the referent is easier to conjure up in the addressee's mind than a referent which is entirely inactive. (Lambrecht 1994: 104)
Über den Aktivationsstatus einer Information kann aus linguistischer Sicht kaum etwas gesagt werden. Die Identifizierbarkeit einer Information kann aber sprachlich signalisiert werden. Der zweite Faktor gibt Aufschluss darüber, inwieweit ein Kausalmarker im Kontext seiner Umgebung die Funktion übernimmt, auf die Identifizierbarkeit einer Information hinzuweisen. Mit anderen Worten erfasst das zweite Differenzkriterium ihre Rolle als sprachliche Kontextualisierungshinweise im Dienste von kausaler Kohärenz. In der Literatur gibt es mehrere Ansätze zur Operationalisierung dieser Funktion (vgl. 3.2.2). Die meisten Untersuchungen kreisen um die Dichotomie ,alte' und ,neue' Information und entwickeln weitere Klassifikationen, mittels derer verschiedene Formen der Zugänglichkeit unterschieden werden. Die Daten in Abraham (1991) und Degand
9
In seiner Untersuchung grenzt er diesen Referenzbegriff von der Vorstellung einer statischen Beziehung Sprache-Welt ab, die in der logischen Semantik vorherrscht.
65 (2000) basieren auf der Unterscheidung in situativ, diskurskontextuell oder inferenziell zugängliche Informationen. Biber, Conrad & Reppen (1998: 11 Off.) schlagen vor, Informationen mit ,altem' Informationsstatus nach referenziellen Untertypen zu differenzieren (d.h. nach Anaphorik, Exophorik und Inferenz). Lambrecht hält auf der Basis von Anaphorik, Deixis und Inferenz ebenfalls an einer ähnlichen Unterteilung fest, vermeidet es aber zugunsten von psychologischen Kategorien bewusst von ,alter' und ,neuer' Information zu sprechen. Theoretisch argumentiert er gegen den segmentation view und unterstellt Informationen immer einen relationalen Charakter, der unmöglich an einzelnen Konstituenten untersucht werden kann (1994: 43-50). Neu ist eine sprachliche Information vielmehr dann, wenn sie eine relevante Relation zu einer gegebenen Proposition herstellt. Vor diesem Hintergrund argumentiert Lambrecht weiter, dass die Begriffe ,alt' und ,neu' auf unterschiedlichen theoretischen Ebenen ansetzen. Der erste erfasst das kontextuelle Aktivationspotential eines Ausdrucks, der zweite betrifft Assertionen, die immer relational sind, indem sie ,neue' und relevante Informationen in eine bestehende Präsuppositionsstruktur einbinden (1994: 210). In Anlehnung an diese Überlegungen werde ich die Begriffe ,alt' und ,neu' vermeiden und im Zweifelsfall durch Anfuhrungszeichen als Kompromiss markieren.10 Jenseits von theoretischen Überlegungen spricht auch die empirische Praxis gegen eine allzu wörtliche Auslegung der Rede von der ,alten' und ,neuen' Information, denn in kausalen Zusammenhängen sind kohärenzbedingt immer sowohl ,alte' als auch ,neue' Elemente vorhanden, ebenso wie in der Informationsstruktur eines Satzes Präsuppositionen und Assertionen immer ko-existieren. So diskutiert auch Abraham (1991:331) in ihrer Studie über englische Kausalkonstruktionen einige Schwierigkeiten und kommt schließlich zu folgender Operationalisierung: „an occurence of,because' or ,because of was scored as new if it contained any new information". Hier ergibt sich nun allerdings ein prinzipielles Problem, denn sogar Wiederholungen können ,neue' Informationen enthalten. Darüber hinaus kann eine Assertion allein aus der kausalen Verknüpfung zweier bislang unverbundener Präsuppositionen bestehen - eine Assertion besteht bei kausalen Zusammenhängen daher immer - und spätestens an dieser Stelle drängt sich dann die Frage auf, inwieweit Informationen überhaupt als ,alt' und ,neu' kategorisierbar sind, geschweige denn ihr Informationsstatus durch Korpusanalysen quantifizierbar. Im Folgenden wird es darum gehen, eine möglichst sinnvolle Operationalisierung für den zweiten Faktor zu entwickeln. Den Ausgangspunkt hierfür liefert die Beobachtung, dass Identifizierbarkeit in einem Teilbereich der Variation ausdrucksseitig eindeutig kodiert ist. Dies gilt flir die Pronominaladverbien daher, darum, deshalb und deswegen, die durch ihre morphologische Struktur immer als Kontextualisierungshinweise interpretiert werden. Typischerweise handelt es sich wie in (16) um Anaphern, daneben ergeben sich in Korrelatkonstruktionen aber auch kataphorische Bezüge wie in (17) (vgl. 4.3.2.2).
10
Vgl. zur Diskussion dieses Begriffspaares auch Dahl (1976) und Chafe (1994) sowie schon Chafe (1976: 30) mit seiner Ankündigung „Terms like already activated and newly activated would convey this distinction more accurately, but are awkward; we will probably have to live with the terms .given' (or old) and ,new'" (kursiv von D.F.).
66 (16) Es regnet, deshalb geht Anna heute nicht aus dem Haus. (17) Anna geht deshalb nicht aus dem Haus, weil es regnet. Während referenzielle Verweise in kontaktanaphorischer Position durch die Pronominalisierung oft eindeutig markiert sind, erfordern sie in vielen Fällen die Analyse größerer sprachlicher Zusammenhänge. Dabei können verschiedene Formen der Anaphorik beobachtet werden. (18) Es regnete in Strömen und es war kein Ende abzusehen. Auf dem Schreibtisch häufte sich die Arbeit und seit Tagen wollte sie endlich mal wieder Wäsche waschen. Dies alles war jedoch nicht entscheidend, denn Anna beschloss schließlich nur wegen des schlechten Wetters zu Hause zu bleiben. In diesem konstruierten Beispiel (18) wird die kausale Präpositionalphrase anaphorisch gebraucht und der referenzielle Verweis kann in diesem Kontext nur über eine nominale Vollform gelingen. Bei solchen Komplex-Anaphern ist der Antezedens mindestens satzförmig und der Referent propositional strukturiert. In der Literatur werden verschiedene Faktoren diskutiert, die den Gebrauch solcher nominaler Formen determinieren, darunter eine Art raum-zeitliche Distanz im Textmodell (Biber et al. 1998: 1 lOff.), die Vermeidung von referenzieller Ambiguität (Chafe 1976:31), der Aktivationsstatus des Referenten (Schopp 1997) sowie der konzeptuell-semantische Abstand (Almor 1999). Im Gegensatz zu den Pronominaladverbien können kausale Präpositionalphrasen allerdings sowohl referenziell als auch prädikativ gebraucht werden und sie sind diesbezüglich unmarkiert (vgl. Lambrecht 1994: 106). Hier gilt es, Gebrauchskontexte zu differenzieren und Frequenzunterschiede im Auge zu behalten, um zu ermitteln, inwieweit Identifizierbarkeit im Funktionsprofil der Präpositionen pragmatisch kodiert ist (vgl. 4.3.4.2). Vor diesem Hintergrund wird Identifizierbarkeit in dieser Untersuchung nach einem kombinierten Verfahren ermittelt, bei dem in Anlehnung an Abraham (1991) und Degand (2000) sowie Biber et al. (1998) die Identifizierbarkeit innerhalb der Textdomäne sowie zuverlässige Formen von Inferenzen im Zentrum stehen. Der Einfluss von Identifizierbarkeit wird unter zwei Bedingungen als empirisch nachweisbar eingestuft. Die Kausalmarker signalisieren erstens dann Identifizierbarkeit, wenn die Information, auf die der Marker verweist, anaphorisch oder kataphorisch identifizierbar ist. Dies ist dann der Fall, wenn die Information im Diskursmodell bereits präsent ist, was pronominale und nominale Ausdrücke signalisieren können, aber auch bei wörtlichen Wiederholungen oder Paraphrasen, da sich die Informationen hier zu einem hohen Grad entsprechen. Eine vergleichsweise vage Form der Identifizierbarkeit liegt zweitens auch Inferenzen zugrunde, die durch sprachliche Ausdrücke ausgelöst werden können. Inferenzen knüpfen natürlich stark an Weltwissen an und sind ausgesprochen flüchtig. Sie werden daher nur dann als solche kategorisiert, wenn keine Seltenheit unterstellt werden muss und wenn prinzipiell davon augegangen werden kann, dass die Meldung bei der Leserschaft einer Zeitung auch heute noch den Inferenzprozess auslöst. Andere Formen von Identifizierbarkeit spielen in dem untersuchten Zeitungskorpus keine entscheidende Rolle. Eine ergänzende Bemerkung zu diesem Verfahren ist erforderlich. Bei den Kausalmarkern mit verbaler und nominaler Rektion (weil, da, aufgrund und wegen) dient die gesamte syntaktische Figur, die der Marker regiert (also der Kausalmarker mit Nebensatz bzw. Präpositionalphrase) als analytische Einheit. Bei allen anderen Markern unterscheide
67 ich zwischen der referenziellen Funktion des Markers auf der einen Seite und der Identifizierbarkeit, die im Kontext signalisiert werden kann, auf der anderen Seite. Das Differenzkriterium kann also durch den Marker selbst oder in seiner Kontextumgebung kodiert sein. Im Sinne von Kapitel 1 gehe ich davon aus, dass Marker, die gehäuft in solchen Kontexten auftreten, Identifizierbarkeit in ihrem Funktionsprofil als pragmatische Kodierung speichern (vgl. 1.4.3). Dieses Verfahren erfasst das Zielphänomen natürlich ebenfalls nur approximativ. Es erhebt aber den Anspruch, auf die Besonderheiten der zehn Kausalmarker zugeschnitten zu sein (s. Variablen 19,20 und 23 im Anhang A). Die linguistische Analyse des zweiten Faktors bleibt eine Gratwanderung, was die Operationalisierung zeigt, was aber auch fur die Theoriebildung Konsequenzen hat. Sprachpsychologische Ansätze nähern sich dem Phänomen unter den Begriffen der accessibility (Ariel 2001) und der Verankerung (Schopp 1994: 166ff.) sowie der These des informational load (Almor 1999). In der kognitiven-funktionalen Linguistik werden ähnliche Konzepte unter den Begriffen der recoverability (Halliday zit. nach Chafe 1976: 32) und der referential distance diskutiert (vgl. ergänzend Lambrecht 1994: 93-105) sowie im Zusammenhang mit den verschiedenen Formen von Deixis (vgl. Fillmore 1975). Hier rücken auch die referenziellen Prozesse, die an der Auflösung von Anaphern beteiligt sind, in den Mittelpunkt (vgl. Schwarz 2000, Schwarz-Friesel, Consten & Marx 2004). Das Differenzkriterium, das in der untersuchten Variation entscheidend zur Unterscheidung der Kausalmarker beiträgt, ist die Funktion, die Identifizierbarkeit einer Information sprachlich zu signalisieren. Für diese Funktion nutze ich den Begriff der Identifizierbarkeit, um mich maximal an den Begriff der „frame-linked reference identification" anzulehnen (vgl. Lambrecht 1994: 87-92). Dieser Begriff wird den Prozessen, die im Zusammenhang mit der linguistischen Funktion berücksichtigt werden müssen, aus meiner Sicht am meisten gerecht. Anhand des folgenden konstruierten Satzes lassen sich einige dieser Prozesse veranschaulichen. (19) Anna blieb gestern wegen eines dieser typischen Regenfälle zu Hause. In diesem konstruierten Satz übernimmt der Kausalmarker wegen im syntaktischen Verbund mit der Präpositionalphrase die Funktion, dem Rezipienten zu signalisieren, dass die Information, die er markiert, kontextuell identifizierbar ist. Die Information aus der Präpositionalphrase, die der Marker regiert, wird unter anderem aufgrund der sprachlichen Form des Artikelworts dieser als ,bekannt' präsupponiert. Der Bezugspunkt fur die Nominalphrase eines dieser typischen Regenfälle ist in diesem konstruierten Beispiel aber nicht explizit, und nicht fiir jeden muss die Information damit automatisch auch bekannt sein. Ein textlinguistisch orientierter Leser könnte nun anmerken, dass in diesem isolierten Satz eine Identifizierung ohne den vorangegangenen Kontext nicht möglich ist. Aus psychologischer Perspektive wäre dagegen die kognitive Zugänglichkeit nicht gewährleistet. Dieser Satz dokumentiert allerdings auch die These, dass Bedeutung überhaupt erst im Kontext entsteht, denn im November assoziiert man diesen Satz vermutlich mit der typischen Großwetterlage, unter Meteorologen kann er bedeuteten, dass Anna über ein typisches Fallbeispiel für ihre Studien eine Verabredung vergessen hat, und unter Touristen nahe des Äquators läge der Schluss nahe, dass die Äußerung bei strahlendem Sonnenschein vor dem Hintergrund der für die Tropen so typischen Regenfalle kontextualisiert wird. Ein Kind hingegen wird, egal unter welchen Umständen, vermutlich noch gar keine proto-
68 typische Konzeptstruktur fur das Phänomen Regen entwickelt haben. Das Beispiel (19) wirft also die Frage nach dem Bezugsrahmen für den sprachlichen Hinweis auf, der textintern funktionieren kann, aber auch individuelle, soziale oder kulturelle Erfahrungsschemata voraussetzen kann, d.h. also subjektgebunden und den Mechanismen der kognitiven Architektur unterworfen ist (und hier verschwimmt dann spätestens die Grenze zwischen Pragmatik und Kognition). Der zweite Faktor ist ein Sammelbecken für verschiedene Formen von referenzieller Zugänglichkeit und Deixis, die integrativ modelliert werden müssen und langfristig eine adäquate Kontexttheorie erforderlich machen. Dabei ist die Zugänglichkeit aus der Textdomäne ebenso wichtig wie deren Verwobenheit mit Formen der mittelbaren Zugänglichkeit aus der Domäne individueller, kultureller oder sozialer Schemata (vgl. Consten 2004). Aus der Sicht eines Korpus lassen sich die kognitiven Prozesse, die solche Bezüge auslösen, nicht beobachten, geschweige denn der Status, den Informationen in den Köpfen der Menschen haben. Was sich allerdings beobachten lässt, sind die Hinweise, die die sprachliche Oberfläche bereitstellt. Die Analysen in 4.3 werden zeigen, inwieweit die Funktion, auf die Identifizierbarkeit einer Information hinzuweisen, in den Funktionsprofilen der einzelnen Marker kodiert ist. Es wird sich auch zeigen, dass die Wahl der Kausalmarker mit der Funktion interagieren kann, dem Rezipienten einen Sachverhalt mittels Sprache lediglich als identifizierbar bzw. als pragmatisch präsupponiert zu präsentieren (vgl. 4.3.3.2). Mehrere Gebrauchskontexte werden unvermeidlich die Diskussion auslösen, inwieweit die empirischen Kategorien für diesen Faktor tatsächlich funktionieren. Konsequenzen hieraus werden in 5.1.4 formuliert.
4.2.3
Aufmerksamkeit: Fokuspotential
Neben dem Informationsstatus und dem Differenzkriterium der Identifizierbarkeit spielt auch die Steuerung von Aufmerksamkeit für die funktionale Unterscheidung der zehn Kausalmarker eine wichtige Rolle. Hier liegt das entscheidende Kriterium in der Möglichkeit, dass der Fokus der Aufmerksamkeit auf den Kausalmarker fallt. Da der Terminus Fokus in der funktionalen Linguistik ein besonders schillernder Begriff ist, wird an dieser Stelle vor dem Hintergrund einiger Konzepte aus der Literatur zunächst jener Fokusbegriff umrissen, der sich während der Korpusanalysen für die Differenzierung der Funktionsprofile als relevant herauskristallisiert hat. Unter Fokussierung verstehe ich in dieser Arbeit zwei eng miteinander verwobene Aspekte, die die kognitiv-pragmatische Dimension der Aufmerksamkeit illustrieren. Erstens verstehe ich darunter ein sprachliches Verfahren, mithilfe dessen die Aufmerksamkeit gezielt gesteuert werden kann. Dieses Verfahren bewirkt die Hervorhebung von Informationselementen (etwa durch grammatische Mittel wie Wortstellung, Fokuspartikeln, syntaktische Konstruktionen etc.). Es macht sich die Selektivität von Aufmerksamkeit zunutze und leistet einen wichtigen Beitrag zur Informationsstruktur von sprachlichen Äußerungen. Durch die Steuerung der Aufmerksamkeit wird erreicht, dass sich einzelne Informationselemente vor dem Hintergrund der Gesamtäußerung als kognitiv salient hervortun. Im Falle einer Hervorhebung handelt es sich also immer um einen relationalen Fokus der Aufmerksamkeit. Für die Kausalmarker bedeutet dies, dass ihre Fokussierung immer mit ihrer informationsstrukturellen Einbettung verschränkt ist und nur vor diesem
69 Hintergrund sinnvoll eingeordnet werden kann. Dies bedeutet auch, dass der so genannte Informationsschwerpunkt einer Äußerung nicht auf einzelne Konstituenten fällt, sondern relationales Format hat.11 Neben dieser kognitiven Dimension der Aufinerksamkeit verstehe ich unter Fokussierung zweitens auch ein sprachliches Verfahren, mithilfe dessen eine Sprecherin einzelne Informationselemente als aus ihrer Perspektive besonders relevant markieren kann. Ein Fokus ist in diesem Sinne immer subjektiv, expressiv und deiktisch aus der Sicht von Zubin (1979) sogar Ausdruck eines egocentric bias - und nicht zuletzt aus diesem Grund ein gleichzeitig pragmatischer Faktor, der auf die Wahl zwischen alternativen Ausdrucksmitteln Einfluss haben kann. Das wichtigste sprachliche Mittel zur Hervorhebung der Kausalmarker ist der Akzent. Bei der folgenden Analyse wird also ein Phänomen der gesprochenen Sprache auf den Prozess des leisen Lesens übertragen. Unterstützung findet dieses Verfahren in psycholinguistischen Arbeiten über den engen Zusammenhang zwischen phonologischer Subvokalisation und leisem Lesen (vgl. Kleiman 1975, Steinhauer & Friederici 2001, Steinhauer 2003, vgl. auch die Diskussion in Fery 2006). Jenseits der gesprochenen Sprache bleibt die Analyse der Akzentstruktur aber auf konstruierte Minimalpaare beschränkt und hinterlässt einen unvermeidlichen Rest an Vagheit. Der Begriff der Fokussierung, der den folgenden Analysen zugrunde liegt, basiert im Wesentlichen auf den theoretischen Bausteinen der Akzenttheorie von Lambrecht (1994). Dies bedeutet, dass der Satzakzent, d.h. der Hauptakzent einer satzwertigen Einheit, prinzipiell informativ ist. Seine Funktion besteht darin, einen Referenten dafür zu aktivieren, entweder eine Topik- oder eine Fokusrelation zu einer Proposition zu etablieren. Als TopikElement sind der sprachliche Ausdruck und sein Denotat Teil der Präsuppositionsstruktur, als Fokus-Element Teil der Assertion. Informativ ist der Hauptakzent allerdings immer, denn im Falle einer Hervorhebung ist davon auszugehen, dass der Einschätzung des Sprechers zufolge der Aufbau der mentalen Repräsentation besondere Aufinerksamkeit verlangt. So ist der Satzakzent „an instruction from the speaker to the hearer to establish a relation between a denotatum and a proposition" (1994: 325). Diese generelle Anweisung bezeichne ich in dieser Arbeit als Fokussierung und fasse den Begriff für meine Zwecke damit deutlich weiter als Lambrecht. Als sprachliche Handlungsanweisung lenkt dieser Fokus das Zentrum der Aufinerksamkeit auf sprachliche Elemente, die innerhalb einer Informationsstruktur spezifische Funktionen übernehmen. Die fehlende Akzentuierung ist mit Lambrecht immer der unmarkierte Fall und bedeutet, dass ein Referent als aktiv und sein Topikstatus als bereits etabliert gilt. Was bedeutet dies nun für die Analyse der Kausalkonstruktionen? Das Zentrum eines Satzes liegt im unmarkierten Fall auf dem Prädikat oder auf einem seiner Argumente. Kausalmarker sind Funktionswörter und für den Satzakzent in den seltensten Fällen prädestiniert. Man vergleiche als Vorspann zu den empirischen Daten die konstruierten Beispiele (20) bis (22), in denen der Hauptakzent nicht auf den Marker fällt. (20) Anna geht heute nicht aus dem Haus, weil es REGnet. (21) Anna geht wegen des REGens heute nicht aus dem Haus. (22) Es regnet, deswegen geht Anna heute nicht aus dem HAUS.
11
Vgl. Lambrechts Kritik am segmentation
view (1994: 43-50).
70 Im Unterschied zu diesen Beispielen zeigt der fokussierte Gebrauch von deswegen in (23) deutlich, dass die Möglichkeit der Fokussierung der Kausalmarker mit ihrer Rolle als Kontextualisierungshinweise interagiert. (23) Es regnet, DESwegen geht Anna heute nicht aus dem Haus. Was genau die Fokussierung eines Kausalmarkers in den unterschiedlichen Kontextumgebungen bewirkt, welche Kontextmerkmale sich fokus-steuernd und fokus-beschränkend auf eine mögliche Fokussierung auswirken und mit welcher Frequenz die Fokussierung der Marker tatsächlich möglich ist, geht aus den Ergebnissen hervor, die in 4.3 vorgestellt und diskutiert werden. Die Fokussierung eines Kausalmarkers wird in dieser Untersuchung mit der Hervorhebung durch den Satzakzent gleichgesetzt, der den Kausalmarker beim leisen Lesen zum Informationszentrum macht. Dieser Fokusbegriff unterscheidet sich trotz zahlreicher Interaktionen sehr deutlich von den teilweise sehr raffinierten Fokusbegriffen, die im Zusammenhang mit Begriffspaaren wie Thema und Rhema, Topik und Kommentar oder Vordergrund und Hintergrund entworfen wurden. 12 Der Hauptunterschied besteht darin, dass diese Begriffspaare darauf ausgerichtet sind, die Prinzipien der funktionalen Organisation von Sätzen generell zu erfassen, und dass sie Elemente von theoretischen Gesamtarchitekturen sind. Dieser Anspruch wird hier nicht verfolgt. Der Begriff der Fokussierung wird lediglich als Überbegriff gebraucht, um einige empirische Beobachtungen für die Ziele dieser Arbeit in ihrem kleinsten gemeinsamen Nenner zu erfassen. Dabei sprechen einige dieser Beobachtungen allerdings deutlich dagegen, den Begriff des Fokus enger zu fassen und etwa über den Begriff der ,neuen' Information zu definieren (vgl. die Bezeichnung traditional focus-apprehension von Jacobs 1984 und Klein 1991 sowie die Diskussion der focus-newness-correlation bei Lambrecht 1994). Auch auf den Begriff der Kontrastivität lässt sich das Phänomen der Hervorhebung meines Erachtens nicht reduzieren (vgl. die Begriffe des Kontrast- bzw. des Alternativenfokus, z.B. bei Pasch et al. 2003: 128ff.). 13 Gerade Kontrastivität wird in der logischen Semantik gerne als Fokussierung im engeren Sinn definiert. Aus der Perspektive von Lambrecht ist Kontrastivität allerdings kein semantisches, sondern ein graduelles Phänomen von Sprache im Allgemeinen (1994: 290f.). Ein semantischer Kontrast ist ihm zufolge immer das Ergebnis von konversationellen Implikaturen, denn prinzipiell steht jede sprachliche Information zu möglichen Alternativen, aus deren Menge sie ausgewählt wird, im Kontrast. Je stärker diese Lesart allerdings sprachlich evoziert wird (etwa durch die Hervorhebung), desto stärker entsteht der Eindruck eines kontrastiven Gebrauchs, was natürlich auch bei der Fokussierung eines Kausalmarkers oft der Fall ist.
12
13
Vgl. den Überblick in Sgall (1991) und den Vergleich in Klein (1991). Ein Überblick zum Fokusbegriff in der logischen Semantik ergibt sich auch aus der Diskussion in Schopp (1994). Der Fokus einer Äußerung wird in den meisten Arbeiten durch Fragetests ermittelt, die sich den Gedanken der Kontrastivität explizit zunutze machen, denn eine Frage eröffnet einen Alternativenraum, aus dem eine relevante Auswahl getroffen wird (vgl. Schopp 1994: 173f., Pasch et al. 2003: 120ff.).
71
Der fokussierte Gebrauch eines Kausalmarkers ist eher selten und die empirischen Analysen bleiben im schriftlichen Medium aus zwei Gründen approximativ. Zum einen ist Aufinerksamkeit keine diskrete Kategorie und trotz verschiedener Verfahren zur Bestimmung von fokalen Satzelementen eigentlich nur bedingt empirisch erfassbar (vgl. Chafe 1976, Lambrecht 1994: 297ff., 305, Nuyts 2001a: 43). Es bleibt also immer ein fokusspezifisches Moment der Vagheit. Darüber hinaus manifestiert sich die Fokussierung in erster Linie in der prosodischen Struktur der gesprochenen Sprache, d.h. in einem sehr flexiblen und flüchtigen sprachlichen Bereich, der im schriftlichen Medium nicht beobachtet werden kann. Ob der Hauptakzent tatsächlich auf dem Kausalmarker intendiert war und inwieweit die Hervorhebung im Prozess der Textrezeption tatsächlich stattfindet, kann im schriftlichen Medium oft nur hochgerechnet werden. Angesichts dieser methodischen Grenze kann es bei den folgenden Analysen immer nur darum gehen, die mögliche Akzentuierung der Marker zu untersuchen, um distributionelle Informationen zu ermitteln, die Aufschluss über fokus-steuernde und fokus-kontrollierende Faktoren in den Kontextumgebungen geben. Hierzu werden für jeden einzelnen Beleg Minimalpaare konstruiert, die eindeutig fokussierte Fälle ermitteln, zweitens Kontexte, in denen eine Fokussierung denkbar ist, sowie drittens Kontextumgebungen, die die Fokussierung des Markers nicht lizensieren (s. Variablen 38 und 39, Anhang A). Diese Operationalisierung erfasst das Akzentpotential eines Markers. Empirisch gesehen lautet die Frage also, mit welcher Frequenz und unter welchen Bedingungen der Fokus der Aufmerksamkeit, d.h. der Hauptakzent, auf die Kausalmarker fallen kann und welche Funktionen diese Hervorhebung im Einzelfall erfüllt.
4.2.4
Evidenzialität: Subjektivität
Kausale Informationen werden aus sprachlicher Perspektive durch eine sprechende oder schreibende Person (S) konstruiert (vgl. 2.1). Dabei spielt als vierter Faktor auch der Einfluss von Evidenzialität eine Rolle. Der zentrale Gedanke bei diesem Faktor besteht darin, dass mit der Markierung von Evidenzialität auch die Markierung von Subjektivität interagieren kann, die als entscheidendes Differenzkriterium trennscharf zur Unterscheidung der zehn Marker beiträgt. Subjektivität zeigt sich dann, wenn S sich über sprachliche Verfahren als einzige Quelle für die Evidenz ausweist und gleichzeitig seine persönliche Einstellung zur Qualität der Evidenz in Form von Bewertungen, Meinungen oder Gefühlen markiert.14 Der hier entwickelte Subjektivitätsbegriff zeigt einige Analogien zu scheinbar ähnlichen Konzepten aus der Literatur. Mit Subjektivität verwandte Begriffe sind zum Beispiel seif expression oder speaker foregrounding (Langacker 1990), subjectification (Traugott 1995) und aus erzähltheoretischer Sicht die Begriffe perspective und point of view (Sanders & Spooren 1997, sowie Chafe 1976: 54). Der system-funktionale Ansatz von Halliday (1994) thematisiert in der interpersonal metafunction die Involvierung des Sprechers, ebenso wie
14
Vgl. einführend zur Evidenzialität Dendale & Tasmowski (2001) sowie Mushin (2001: 18-34). Besondere Aufmerksamkeit erfährt in der Literatur seit Chafe & Nichols (1986) die typologische Perspektive, die auch bei Aikhenvald (2003) im Vordergrund steht.
72 Pander Maat & Degand (2001) in der speaker involvement scale. Auch bei der Unterscheidung zwischen der epistemischen und der Sprechakt-Ebene bei Sweetser (1990) und zwischen semantischen und pragmatischen Kohärenzrelationen bei Knott (2001) spielen ganz ähnliche Vorstellungen eine Rolle (vgl. auch 3.1).15 Trotz gewisser Analogien ist Subjektivität als evidenzielle Teildimension aber natürlich anders theoretisch verortet. Der Grund für den hier gewählten Subjektivitätsbegriff ist zunächst empirischer Natur, denn Subjektivität präsentiert sich vor allem aus Sicht des Korpus als evidenzielle Dimension. In Anlehnung an Nuyts (2001b: 393f.) ist die entscheidende Opposition hier subjektiv versus intersubjektiv, wobei InterSubjektivität nicht mit Objektivität und Faktizität gleichgesetzt werden kann. Der hier zugrunde gelegte Subjektivitätsbegriff erfasst weder die Qualität einer Evidenz noch den Wahrheitsgehalt einer Äußerung, sondern er betrifft lediglich die Frage, wie Evidenzen in der sprachlichen Interaktion präsentiert werden (und möglicherweise auch warum). „In the present understanding of the dimension, then, the position of the interaction partner is likely to become critical" (Nuyts 2001b: 394). In der Literatur besteht Uneinigkeit darüber, in welchen empirischen Kategorien sich Evidenzialität manifestiert (vgl. schon Chafe 1986: 261 ff.) und auch der Begriff der Subjektivität ist empirisch vielschichtig. Man vergleiche also zunächst anhand von vier konstruierten Beispielen, wie unterschiedlich sich S zu einer Evidenz sprachlich verhalten kann. (24) Ich habe gesehen, dass es draußen schon wieder in Strömen regnet, darum sollte Anna meiner Meinung nach heute besser zu Hause bleiben! (25) Da die Teilnahme am Straßenverkehr bei Regen als gefahrlich gilt, bleibt Anna heute wahrscheinlich zu Hause. (26) Wegen Regens bleibt Anna heute zu Hause. (27) Paul sagt, dass Anna heute wegen Regens zu Hause bleibt. In (24) übernimmt S fur die Schlussfolgerung persönlich die Verantwortung. Die Evidenz (der strömende Regen) wird visuell erfahren und erweist sich als ein für S guter Grund, denn er ist ausreichende Evidenz fur einen Ratschlag, den er oder sie selbst äußert. Der Gebrauch des Markers darum ist subjektiv. Auch in (25) ist S involviert, der kausale Schluss basiert jedoch auf einer Evidenz, deren intersubjektive Gültigkeit herausgestellt wird, das heißt im Unterschied zu (24) vor allem, dass sie nicht nur persönlichen Erfahrungen entspringt. Stattdessen verweist S mittels Sprache auf eine allgemein gültige Evidenz und weist die alleinige Regresspflicht dadurch von sich. Als schlussfolgerndes Subjekt ist S natürlich betroffen, der Gebrauch des Kausalmarkers da ist aber intersubjektiv. In (26) und (27) ist S nur noch insofern involviert, als dass er oder sie berichtet. Auf den im weitesten Sinne kausalen Zusammenhang wird neutral Bezug genommen und die Evidenz wird weder beurteilt noch thematisiert.
15
Der theoretische Hintergrund ist fur eine saubere Abgrenzung der Begriffe natürlich entscheidend. Dies liegt jedoch jenseits der Zielsetzung dieser Arbeit (vgl. hierzu Überblicksdarstellungen von Sanders & Spooren 1997: 92, Finegan 1995, die Beiträge in Stein & Wright 1995 und den ausführlichen Überblick in Pit 2003: 8 3 - 1 0 6 sowie die Diskussion aus der Sicht von Nuyts 2001a, 2001b, an dessen Überlegungen ich hier anknüpfe.
73 Wie lassen sich solche Unterschiede nun fur die Ziele einer Korpusanalyse systematisch erfassen? Der Einfluss des vierten Faktors wird in dieser Arbeit anhand von zwei qualitativen Variablen, die eine Reihe von kleinräumigen Korpusergebnissen berücksichtigen, operationalisiert. Sie erfassen zwei unabhängige Voraussetzungen, die bei einem subjektiven Gebrauch eines Kausalmarkers beide erfüllt sein müssen. Die erste Voraussetzung betrifft die Quelle der Evidenz (s. Variable 49, Anhang A). Subjektivität setzt voraus, dass S eine kausale Information äußert, ohne dass ein zusätzlicher Regressträger im Kontext des Kausalmarkers genannt wird. Die einzige Quelle fur die Evidenz ist im Falle eines subjektiven Gebrauchs S. Dies ist beim Gebrauch der Kausalmarker denn und wegen in den Beispielen (24) und (26) der Fall. In der Äußerungsstruktur von (25) ist durch das Prädikat gelten ein nicht näher spezifiziertes Kollektiv als zusätzlicher Regressträger markiert und der Gebrauch von da ist aus diesem Grund nicht subjektiv. In (27) wird die Verantwortung durch die indirekte Rede ebenfalls einer weiteren Person zugeschrieben. Die zweite Voraussetzung betrifft die Qualität der Evidenz (s. Variable 50, Anhang A). In der Äußerungsstruktur einer kausalen Information können Subjektivitätsmarker auftreten, die Rückschlüsse über die persönliche Einstellung von S zulassen. Ist S die einzige Quelle der Evidenz, so markieren solche Subjektivitätsmarker seine oder ihre Einstellung zur Evidenz. Einige sprachliche Mittel können einer solchen Markierung entgegen wirken. Hierzu zählen zum Beispiel der Konjunktiv und die Referenz auf Gemeinplätze, aber auch juristische Kontexte als versteckte Formen einer reported evidence (vgl. Palmer 1986). Die Liste der sprachlichen Ausdrucksmittel, die als Subjektivitätsmarker interpretiert werden können, ist prinzipiell offen, einige Ausdrucksmittel sind jedoch für subjektive Kontexte prädestiniert. Hierzu zählen der Indikativ, Tempora mit Präsens-Komponente (vgl. Rauh 1983) oder auch das modale Futur, das Faktizität unterbinden kann. Wichtig ist jedoch, dass solche Ausdrucksmittel nicht als eindeutige Hinweise interpretiert werden können. Auch Schlussfolgerungen, bewertende Ausdrücke, Superlative, Imperative und Aufforderungen sind mögliche Subjektivitätsmarker, ebenso wie die erste Person Singular und lexikalische Marker unterschiedlicher Art. Eine besondere Rolle spielen auch epistemische und deontische Markierungen in der Umgebung der Marker, die Aspekte der Einstellung von S transparent machen (vgl. Palmer 1986, Pasch et al. 2003: 184ff.). Zur systematischen Differenzierung der Kausalmarker trägt jedoch die evidenzielle Markierung bei (s. Anhang C). Sie ist dem epistemischen und dem deontischen Modus in dieser Arbeit daher übergeordnet.16 Empirisch lässt sich die zweite Voraussetzung folgendermaßen beobachten: In der Äußerungsstruktur von (24) sorgen der Aufforderungscharakter und die explizite Markierung einer Meinung für die Markierung von Subjektivität. In (25) markiert der epistemische Marker wahrscheinlich, dass die Schlussfolgerung aus der Sicht von S außerhalb des Bereichs der Faktizität liegt. In der Äußerungsstruktur von (26) und (27) ist die zweite Voraussetzung aufgrund fehlender Subjektivitätsmarker dagegen nicht erfüllt.
16
Es wird sich zeigen, dass epistemische Markierungen (insbesondere bei denn) und deontische Markierungen (etwa beim Gebrauch von daher und darum) einen deutlichen Einfluss auf die evidenzielle Struktur und die Markierung von Subjektivität haben (vgl. 4.3.1.4 und 4.3.2.4).
74 Aus den möglichen Kombinationen beider Voraussetzungen ergeben sich für die Kontextumgebungen der Marker vier evidenzielle Typen (s. Variablen 51-55, Anhang A). Subjektiv ist ein Gebrauchskontext dann, wenn S ihre persönliche Einstellung zur Evidenz markiert, ohne auf externe Regressträger zurückzugreifen (=Typ 1). Um die Regresspflicht von sich zu weisen hat S prinzipiell zwei Möglichkeiten: Sie kann zum einen zwar ihre persönliche Einstellung markieren, die Evidenz aber wie in (25) einer externen Quelle zuweisen. Hierdurch wird Intersubjektivität markiert (=Typ 2). S kann aber auch als einzige Quelle auf die Markierung einer persönlichen Meinung verzichten, wodurch wie in (26) Neutralität zum Ausdruck kommt (=Typ 3). Als vierte Möglichkeit kann S schließlich auch die Evidenz als eine Evidenz markieren, die sie nicht alleine vertritt, und sich in der Äußerungsstruktur gleichzeitig als dieser Evidenz gegenüber neutral ausweisen (=Typ 4). In diesen Kontexten berichtet S ohne persönlich involviert zu sein, und die Äußerung ist hinsichtlich des Faktors Evidenzialität neutral. Subjektiv ist nach diesem Verfahren nur der Gebrauch von darum in (24). Hier äußert S eine Aufforderung, die sie explizit bewertet und für die sie ohne Bezug auf weitere Quellen alleine die Verantwortung übernimmt (vgl. zu weiteren Details 4.3.1.4 und 4.3.2.4). Der Gebrauch des Markers da in (25) ist intersubjektiv. Die Kontexte (26) und (27) sind neutral. Das Verfahren, das hier zur Ermittlung von Subjektivität vorgeschlagen wird, unterscheidet sich von einigen alternativen Ansätzen aus der Literatur. Bei Pander Maat & Degand (2001) spielen fünf Paraphrasen eine zentrale Rolle, die als Indikatoren für sechs Kohärenzrelationen interpretiert werden. Die Relationen werden entlang einer speaker involvement scale angeordnet, die den Grad der Sprecherinvolvierung als ordnendes Kriterium zugrunde legt. Das Spektrum der Relationen reicht von der schlichten Berichterstattung in (26) über epistemische Relationen wie in (25) bis zu Sprechakt-Relationen wie in (24). Die kontextuelle Präferenz eines Kausalmarkers wird auch hier als Erklärung für seinen Gebrauch interpretiert. Trotz zahlreicher Ergebnisse zu den Kausalmarkern des Englischen, Französischen und Niederländischen erweist sich die Anwendung der Paraphrasen meiner Erfahrung nach als schwierig, was neben dem Verfahren auch den Subjektivitätsbegriff in Frage stellt (vgl. auch Pit 2003: 168). Man vergleiche die ersten drei Beispiele (24) bis (26) mit einigen Modifikationen. (28) Paul hat gesagt, dass es in Strömen regnet, darum sollte Anna meiner Meinung nach heute besser zu Hause bleiben! (29) Weil ich die Teilnahme am Straßenverkehr bei Regen gefahrlich finde, bleibe ich heute wahrscheinlich zu Hause. (30) Aha! Wegen Regens bleibt Anna heute zu Hause. Auf der Grundlage der vorgeschlagenen Paraphrasen entsprechen sich nach meinem Verständnis die Relationstypen in den Beispielen (24) bis (26) und die Relationstypen in den Beispielen (28) bis (30), wobei in (30) unklar ist, welche Äußerungseinheiten die Paraphrasen in ihren Skopus nehmen. Sowohl (24) als auch (28) reagieren auf die Paraphrase „Dies ist der Grund für folgende Sprechhandlung" und können als volitional relation kategorisiert werden. (25) und (29) können beide mit der Paraphrase „Dies führt zur folgenden Schlussfolgerung" erfasst und als epistemic relation bezeichnet werden. Schließ-
75 lieh könnten auch (26) und (30) prinzipiell beide mit der Paraphrase „Dies hat folgende Konsequenz", die fur non-volitional relations ein Indikator ist, erfasst werden.17 Die Gegenüberstellung etwa von (24) und (28) dokumentiert aber wichtige Unterschiede bezüglich der Sprecherinvolvierung: Während S in (13) eine sprachliche Handlung auf der Grundlage von persönlichen Evidenzen vollzieht, bezieht sich S in (16) auf die Evidenz einer anderen Person, was als weniger subjektiv empfunden wird. Durch die Paraphrasen wird dies aber nicht erfasst. Die Beispiele zeigen aus meiner Sicht, dass die Paraphrasen weniger den Grad der Sprecherinvolvierung erfassen, als vielmehr das, was Chafe mode of knowing nennt (1986: 263), d.h. zum Beispiel Glaube, Schlussfolgerung und Deduktion. Tatsächlich liefern diese Wissensmodi auch die Schlüsselwörter für die vorgeschlagenen Paraphrasen. Da in den Beispielen (24) und (28) jeweils der Wissensmodus der Schlussfolgerung vorliegt, kann der evidenzielle Unterschied nicht erfasst werden, ebenso wenig jedoch der deutliche Unterschied hinsichtlich der Involvierung von S. Die Wissensmodi sind von der Dimension der Subjektivität unabhängig, denn eine Schlussfolgerung kann sowohl auf sehr persönlichen Evidenzen basieren als auch auf allgemein gültigen Fakten. Es ist daher problematisch, den sechs Relationstypen eine Subjektivitätsskala zugrunde zu legen, denn die Relationstypen sind von der persönlichen Einschätzung der Reliabilität des kausalen Zusammenhangs durch S unabhängig, ebenso wie sie keine zuverlässige Auskunft darüber geben, ob sich 5 fur die kausale Information subjektiv verbürgt oder welche Position sie persönlich vertritt (vgl. auch Chafe 1986: 263).18 Auch bei Pit (2003) ist der Einfluss von Subjektivität fur den Gebrauch verschiedener Kausalmarker verantwortlich. Den entscheidenden Unterschied zu domänenspezifischen Ansätzen, die auf Sweetser (1990) basieren, sieht sie in der Bedeutung des causally primary participant, der bei ihren Analysen im Mittelpunkt steht. In Anlehnung an Talmy (1988) bezeichnet sie jene Person als causally primary participant, auf die eine verursachende Kraft einwirkt, d.h. den „locus of effect" (vgl. Pit 2003: 113). Auf der Grundlage von neun Hauptvariablen (z.B. semantische Rolle, Redewiedergabe, referenzielle Pro- und Vollformen, Negation und Tempus etc.) vertritt sie die These, „that it is this participant whose subjectivity correlates with the use of connectives" (2003: 108). Die empirischen
17
Die Paraphrasetests sind in Pander Maat & Degand (2001: 243) in der sechsten Fußnote dokumentiert. Sie zeigen trotz der ausdrücklichen Entscheidung zugunsten eines skalaren Subjektivitätsbegriffs sehr deutliche Analogien zu den Domänen von Sweetser (vgl. auch Kapitel 3), denn sie funktionieren allesamt nach dem Muster „Dies hatte folgende Konsequenz", „Dies fuhrt zu folgender Schlussfolgerung" oder „Dies war der Grund folgende Sprechhandlung durchzuführen". Ganz ähnliche Paraphrasen nutzt auch Blühdorn (im Druck), der sich allerdings explizit auf Sweetsers Domänen bezieht, zur Unterscheidung kausaler Lesarten.
18
Die Paraphrasetests erfassen meiner Ansicht nach folgenden Zusammenhang: Im Bereich der epistemic relations (d.h. im Wissensmodus der Schlussfolgerung) ist die Wahrscheinlichkeit, dass Subjektivität vorliegt, höher. Ein skalarer Subjektivitätsbegriff berücksichtigt, dass Sprecherinvolvierung nicht diskret messbar ist und kommt einer graduellen Vorstellung von Reliabilität entgegen. Wichtig für die Analyse der Kausalmarker scheint mir aber folgende Aussage von Chafe (1986: 266): „[...] mode of knowing implies something about reliability, but not vice versa". Die Ergebnisse der Paraphrasetests sind für die evidenzielle Analyse Indikatoren, aber keine zuverlässigen analytischen Instrumente.
76 Ausprägungen dieser Variablen ordnet sie nach zunehmender Subjektivität und nutzt dieses Verfahren zur Überprüfung ihrer Vorhersagen. Trotz einiger Analogien unterscheidet sich ihr Ansatz in drei Punkten von dem hier vorgeschlagenen Verfahren. Zum einen unterliegt ihr Korpus relativ starken Selektionskriterien, darunter auch der Beschränkung, dass sie nur Kontexte untersucht, in denen die Marker denn, weil und da substituierbar sind (2003: 176). Dies steht in starkem Kontrast zu den methodischen Entscheidungen in dieser Arbeit (vgl. 4.1.2). Ihre Variablen erfüllen zweitens eine analytische Schlüsselrolle, denn die Ausprägungen einer Variablen markieren diskrete Punkte auf einer Subjektivitätsskala. Ich gehe im Unterschied hierzu davon aus, dass empirische Verteilungen in einem Korpus keine unmittelbaren Rückschlüsse auf den Einfluss des Faktors zulassen (vgl. 1.4.2). Der entscheidende dritte Unterschied ist allerdings theoretischer Art. Aus meiner Sicht ist S fur den Gebrauch eines Kausalmarkers verantwortlich. Sie enkodiert die Nachricht, äußert Begründungen zwischen Berichterstattung und Meinung und S wählt auch den Marker. Der Einfluss von Subjektivität wird in dieser Arbeit daher mittels eines Verfahrens analysiert, dass den Schreiber oder die Schreiberin einer Äußerung in den Mittelpunkt stellt und seine oder ihre persönliche Einstellung zur kausalen Evidenz.19 Der entscheidende Unterschied zwischen der hier vorgeschlagenen Methode und den Ansätzen von Pander Maat & Degand (2001) und Pit (2003) besteht darin, dass in den folgenden Kapiteln weder den Relationstypen noch empirischen Merkmalen ein Subjektivitätsgrad zugeordnet wird. Subjektivität ist zwar möglicherweise graduell konzipierbar, dies bedeutet aber nicht, dass auch die Kategorien einer linguistischen Analyse einer graduellen Ordnung unterliegen. Aus diesem Grund wird Subjektivität in den folgenden Kapiteln qualitativ erfasst. Die quantifizierbaren Oberflächenmerkmale werden lediglich als formale Indikatoren berücksichtigt. Subjektivität und Evidenzialität stehen in engem Zusammenhang mit Deixis und werden in der Literatur vor allem dann miteinander in Verbindung gebracht, wenn es um das Inventar an sprachlichen Ausdrucksmitteln geht (vgl. Palmer 1986, Mushin 2001:5-15, 33f.).20 Bei der sprachlichen Markierung von Evidenzialität interagieren grammatische Kategorien und Merkmale der Äußerungsstruktur, so dass sich die Funktionsweise des Faktors nur unter Berücksichtigung beider erschließt. Bei den definiten Kausalmarkern ist das mögliche Deuten auf die Quelle der Evidenz ausdrucksseitig grammatikalisiert, denn diese Kausalmarker haben eine deiktische Qualität und stellen eine Art Leerstelle fur die Quelle der Evidenz bereit (daher, darum, deshalb, deswegen aber auch da und denn). Unabhängig hiervon signalisieren aber Subjektivitätsmarker auf der Ebene der Äußerungsstruktur, ob ein Marker subjektiv oder intersubjektiv gebraucht wird. Bei Kausalmarkern, in deren morphologischer Struktur Evidenzialität nicht grammatikalisiert ist (vgl. nämlich, weil, aufgrund und wegen) bestehen zwar Affinitäten zu bestimmten Gebrauchskontexten, prinzipiell sind diese Marker hinsichtlich evidenzieller Informationen aber neutral. Letztlich entscheidend ist die Äußerungsstruktur der Marker und diese steht bei den Korpus-
19 20
Die Unterschiede schlagen sich besonders in der Analyse der Konjunktion da nieder (vgl. 4.3.3.4). Deixis ist auch in der Operationalisierung der Variablen von Pit (2003) implizit oder bei Pander Maat & Degand (2001: 228): „[...] a given relation may be placed at different distances from the present speaker and at different distances from the moment of speaking".
77 analysen daher auch im Mittelpunkt. So unterscheiden sich zum Beispiel die Kausalmarker darum und daher in ihrer evidenziellen Struktur sehr deutlich. Dies lenkt die Aufmerksamkeit auf feine funktionale Unterschiede zwischen diesen scheinbar so ähnlichen Alternativen und hilft die überraschend niedrige Frequenz des Pronominaladverbs darum zu erklären, das als Kausalmarker mit einem sehr subjektiven Funktionsprofil in dem untersuchten Korpus kaum vorkommt (vgl. 4.3.2.4). Kausale Zusammenhänge basieren auf Evidenzen, doch der sprachliche Verweis auf diese Evidenzen wird in Abhängigkeit von der Wahl des Kausalmarkers jeweils anders organisiert. Konsequenterweise werden kausale Informationen auch hinsichtlich dieses vierten Faktors jenseits der Wahrheitssemantik analysiert. Die formale Variation wird vielmehr als ein sprachliches Inventar an Möglichkeiten untersucht, mithilfe dessen Regresspflichten und Reliabilität, aber auch die Möglichkeit der Lüge und scheinplausibler Evidenzen geschickt konstruiert werden können.
4.2.5
Zusammenfassung
In den folgenden Kapiteln werden die Ergebnisse der korpusbasierten Analysen vorgestellt. Dabei werden eine Reihe von Oberflächenmerkmalen aus den Kontextumgebungen der Marker zu vier Differenzkriterien gebündelt, die auf den Einfluss von vier Faktoren hinweisen. Den methodischen Ausgangspunkt fur die Analysen liefern formale und funktionale Merkmale aus den Kontextumgebungen der Marker, die in Form von linguistischen Variablen erfasst werden. Zur Ermittlung der Differenzkriterien und Faktoren werden komplexe Merkmalsbündel aus den Kontextumgebungen der Marker interpretiert. Die Faktoren sind das Ergebnis einer qualitativen Analyse, bei der quantitative und qualitative Ergebnisse aus dem Korpus mit theoretischen Argumenten integriert werden. Aus den Analysen ergeben sich vier funktionale Faktoren, die miteinander interagieren und die Gesamtvariation in weiten Teilen differenzieren. Es ist aber nicht sinnvoll auszuschließen, dass zusätzliche Faktoren auf den Gebrauch der Marker Einfluss haben. Zwischen den Variablen, den Differenzkriterien und den Faktoren bestehen in mehrfacher Hinsicht Interaktionen. Über die Variablen lassen sich Korpusphänomene, die sich an der sprachlichen Oberfläche zeigen, quantifizieren. Die Differenzkriterien, die trennscharf zur Unterscheidung der Marker beitragen, ergeben sich aus der umsichtigen Analyse der Merkmalskonstellationen, die sich als für die Marker spezifisch abzeichnen. Die Faktoren wiederum liefern den Kontext zur tieferen Einordnung der Differenzkriterien. Sie manifestieren sich zwar über Umwege in Sprache, sind aber Elemente einer kognitivpragmatischen Gesamtarchitektur, die sprachliches Verhalten ermöglicht, ohne ausschließlich für sprachliches Verhalten von Bedeutung zu sein. Der erste Faktor betrifft die Möglichkeit von Ikonizität, die sich insbesondere auch in Sprache manifestieren kann. Das Kriterium, das hier entscheidend zur Differenzierung der Marker beiträgt, erfasst den ikonischen Zusammenhang zwischen der Oberflächenlinearisierung und der konzeptuellen Grund-Folge-Perspektive. Sprachlich manifestiert sich dieser erste Faktor vor allem in Linearisierungspräferenzen, in der Abfolge der Konnekte und in den Details der syntaktischen Umgebung der Marker.
78 Der zweite Faktor betrifft den Informationsstatus einer Äußerung, der für linguistische Ziele nicht unmittelbar operationalisierbar ist. Identifizierbarkeit - verstanden als sprachlicher Hinweis auf die Zugänglichkeit einer Information - ist aber ein Merkmal der sprachlichen Oberfläche, das linguistisch untersucht werden kann. Das zweite Kriterium erfasst also die Identifizierbarkeit einer Information, die Bekanntheit nicht voraussetzen muss. Ob die Identifizierbarkeit zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht wird und welche Prozesse an der Auflösung von referenziellen Bezügen beteiligt sind, steht auf einem Blatt geschrieben, das einer Korpusanalyse nicht zugänglich ist. In Sprache manifestiert sich Identifizierbarkeit unter anderem in Anaphorik, (pro-)nominalen Formen und Korrelatkonstruktionen und kann darüber hinaus nur über qualitative Verfahren ermittelt werden. Der dritte Faktor betrifft die Steuerung von Aufmerksamkeit, die an die Voraussetzungen unserer Kognition anknüpft und auch die Interaktion entscheidend beeinflusst. Das Differenzkriterium ist hier die mögliche Fokussierung der Marker, die nicht nur die Informationsstruktur beeinflusst, sondern auch die Semantik der Marker selbst. Sprachlich manifestiert sich der Fokus der Aufmerksamkeit vor allem in der Prosodie der gesprochenen Sprache. Bei der Analyse von geschriebener Sprache kann anhand von Minimalpaaren das Akzentpotential der Marker ermittelt werden. Formale Hinweise auf fokussteuernde Faktoren und das Fokuspotential eines Markers liefern kookkurrierende Partikeln und Besonderheiten in der lokalen syntaktischen Umgebung. Der vierte Faktor erfasst den Einfluss von Evidenzialität und die Bedeutung der Teildimension der Inter-Subjektivität. Das Differenzkriterium zur Unterscheidung der Kausalmarker ist ihr subjektiver Gebrauch, der sich dadurch charakterisieren lässt, dass die schreibende oder sprechende Person die einzige Quelle der Evidenz ist und ihre persönliche Einstellung explizit markiert. Ein grammatischer Hinweis auf Evidenzialität ist Deixis. Weitere sprachliche Hinweise sind Redemarkierungen und Subjektivitätsmarker unterschiedlicher Art, wie zum Beispiel Modalpartikeln, bewertende Ausdrücke, Gefühlsäußerungen und Kommentare. Die folgende Übersicht 4 dient einer ersten groben Orientierung entlang der Informationen, die für die Herleitung der Faktoren kodiert wurden und in 4.3 mehrfach zur Sprache kommen werden. Dabei handelt es sich sowohl um diskrete formale Merkmale (z.B. Position des Markers, syntaktischer Kontext, indirekte Rede etc.) als auch um Merkmale, die qualitativ ermittelt wurden (z.B. Subjektivitätsmarker, konzeptuelle Perspektive etc.). In den Anhängen Α und Β sind alle Daten ähnlich wie in Übersicht 4 in etwa nach ihrem Einfluss auf die vier Faktoren angeordnet. Anhang Α stellt zudem ergänzende Informationen zur Operationalisierung der Variablen bereit. Eine saubere oder gar eindeutige Zuordnung der Variablen zu den Faktoren ist aufgrund der starken Interaktionen nicht möglich (vgl. 4.1.2). Der informelle Charakter dieser Übersicht liegt also in der Natur des Verfahrens. Wie genau die kodierten Informationen zur Herleitung der Faktoren beitragen, geht aus den Einzelanalysen in 4.3 hervor.
79 Übersicht 4:
Informelles Raster zu Variablen, Differenzkriterien und Faktoren
Faktor und Differenzkriterium
Kodierte Information
Ikonizität: Qrund-Folge-Perspektive
-
Lineare Abfolge der Konnekte Konzeptuelle Abfolge der Sachverhalte Temporale Markierungen Adjazenz Ellipsen Inversion Position des Markers Syntaktische Einbettung der Marker Direktivität Skopus
Informationsstatus: Identifizierbarkeit
- Verweisrichtung der Marker (anaphorisch, kataphorisch) - Diskursreferenzielle Bezüge der markierten Information (anaphorisch, kataphorisch, Inferenzen) - Given-new-management in Anlehnung an die Verfahren in Abraham (1991) und Degand (2000) sowie in Biber, Conrad & Reppen (1998) - Prädikativer Gebrauch - Korrelatkonstruktionen - Derivationsmorphologie (für Nominalphrasen) - Ereignistypen (für Nominalphrasen) - Determinierer (für Nominalphrasen) - Position des Markers im Text (z.B. in Überschriften)
Aufmerksamkeit: Fokuspotential
- Hauptakzent(potential) der Marker - Fokuspartikeln - Syntaktische Einbettung der Marker - Negationsmarker
Evidenzialität: Subjektivität
-
Quelle der Evidenz Qualität der Evidenz Evidenzielle Strukturen Modale Umgebung: epistemisch, deontisch Konjunktivvorkommen Verbale Kategorien (Tempus, Diathese) Subjektivitätsrelationen nach Pander Maat & Degand (2001) - Redekontext (direkt, indirekt) - Juristischer Kontext
80 4.3
Ergebnisse II: Funktionsproflle im Detail
Im Folgenden werden die Funktionsprofile der zehn Kausalmarker systematisch hergeleitet. Dabei werden nämlich und denn als koordinierende Kausalmarker vorgestellt (4.3.1), die ebenfalls koordinierenden Pronominaladverbien daher, darum, deshalb und deswegen in ihrer Funktion als Folgemarker (4.3.2), weil und da als Vertreter für syntaktische Subordination (4.3.3) und die Präpositionen aufgrund und wegen als Stellvertreter für nominale Techniken der Sachverhaltsverknüplung (4.3.4). Dies entspricht gleichzeitig einem Durchlauf entlang einer Skala zunehmender Integration. Nach der theoretischen Abgrenzung der Faktoren in 4.2 werden hier nun alle empirischen Ergebnisse vorgestellt, auf denen die funktionalen Faktoren basieren. Die wichtigsten Variablen und Daten sind in den Anhängen Α und Β dokumentiert, die sich unmittelbar ergänzen. Im Laufe der Analysen wird an mehreren Stellen auf diese Übersichten verwiesen. Alle Signifikanzen, die den Einfluss der vier Faktoren auf einzelne Markerpaare betreffen, sind zusätzlich im Anhang C aufgeführt.
4.3.1
Koordination mit Grundmarkem: nämlich und denn
Das Adverb nämlich und die Konjunktion denn sind unter lexikographischen Aspekten sehr unterschiedlich und vertreten dennoch die erste formale Gruppe (vgl. Kapitel 2). Trotz wichtiger Unterschiede verbindet sie die Gemeinsamkeit, dass sie als koordinierende Marker sehr aggregative Techniken der kausalen Sachverhaltsverknüpfungen vertreten. Darüber hinaus treten sie systematisch in satzwertigen Konstruktionen auf, was sie im Unterschied etwa zu den Präpositionen als verbale Marker qualifiziert. Schließlich stehen sie im Gegensatz zu den Pronominaladverbien für eindeutig kausale Markierungsstrategien, da sie in einer kausalen Information explizit den Grund markieren (vgl. 2.2).
Übersicht 5:
Typische Merkmale der koordinierenden
Grundmarker
Markierungsstrategie
Grund
Grund
Folge
Folge
Folge
Folge
Grund Grund
Verbal vs. nominal
verbal
verbal
verbal
verbal
verbal
verbal
verbal verbal nominal nominal
Konstruktionstyp
Koord. Koord. Koord. Koord. Koord.
Koord.
Marker*
nämlich denn
Sub.
daher darum deshalb deswegen weil
Grund
Grund
Sub.
Integ.
Integ.
da
aufgrund
wegen
Die folgenden Analysen verfolgen nun aus funktionaler Perspektive die Frage, inwieweit die Marker tatsächlich Vertreter einer Gruppe sind. Dabei stehen ihre Gemeinsamkeiten vor allem dann im Mittelpunkt, wenn es darum geht, den Gruppencharakter im Vergleich zu
81
den anderen Markern herauszuarbeiten. Das Hauptinteresse gilt jedoch der Frage, inwieweit sich für diese Alternativen markerspezifische Besonderheiten ermitteln lassen.
4.3.1.1 Ikonizität Der erste Faktor dieser Untersuchung erfasst die ikonische Beziehung zwischen einer konzeptuellen Grund-Folge-Perspektive und der sprachlichen Linearisierung und hat auf den Gebrauch von nämlich und denn keinen positiven Einfluss. Sowohl die konzeptuelle Abfolge als auch die lineare Abfolge der Sachverhalte ist beim Gebrauch dieser Marker sehr systematisch organisiert, eine ikonische Kodierung ergibt sich dabei allerdings nicht. Ein positiver Verarbeitungseffekt wie ihn Noordman & de Blijzer (2000) im Falle einer ikonischen Kodierung vermuten, kann hier also nicht unterstellt werden. Auch eine ikonische Abbildung der zeitlichen Ereignis-Abfolge ist beim Gebrauch von nämlich und denn sehr selten. Eine temporale Information ist zwar in 44,9% der nämlich-Belege und in 32,0% der denn-Belege klar gegeben (und unter allen Markern damit relativ häufig, s. Variable 4, Anhang B), zu einer ikonischen Abbildung dieser Information an der sprachlichen Oberfläche kommt es aber nur in 12,2% bzw. 11,3% der Belege. Die konzeptuelle Grund-Folge-Perspektive ist in dem Zeitungskorpus der unmarkierte Fall und dominiert auch bei nämlich und denn (s. Variable 3, Anhang B). In 86,8% bzw. 90,7% der Belege dient ein Sachverhalt eindeutig als Grund und konzeptueller Ausgangspunkt, von dem aus eine Folge abgeleitet wird.21 Ebenso eindeutig ist bei diesen Markern allerdings auch die Oberflächenlinearisierung geregelt. Beim Gebrauch beider Marker steht die Begründung innerhalb der kausalen Information immer an zweiter Position. Somit ist die lineare Voraussetzung für Ikonizität nicht erfüllt und eine ikonische Kodierung beim Gebrauch beider Marker nicht möglich. Diese syntaktische Beschränkung gilt für alle koordinierenden Marker. Bei den folgemarkierenden Pronominaladverbien wirkt sie sich im Unterschied zu nämlich und denn allerdings ikonizitätsfördernd aus (vgl. hierzu 4.3.2.1). Eine genauere Analyse der Gebrauchskontexte von nämlich und denn lenkt die Aufmerksamkeit auf kleinräumige lokale Besonderheiten. Der Grund und die Folge folgen bei diesen Alternativen in der Regel adjazent aufeinander (s. Variable 6, Anhang B). Dies ist bei diesen Markern speziell auch darauf zurückzuführen, dass beide weder in attributiven Modifikationen vorkommen noch in postnominalen Relativsätzen, und dass sie bis auf zwei Belege bei nämlich auch nicht in Nebensätze eingebettet sind (s. Variable 15, Anhang B). Beide Marker signalisieren typischerweise eine kausale Relation zwischen zwei Hauptsätzen. Dabei kommt in den untersuchten Belegen selbst das Phänomen der Subjekt-Ellipse nie vor und die Satzwertigkeit des markierten Sachverhalts ist im Gegensatz zu den koordinierenden Pronominaladverbien immer gewährleistet (s. Variable 7, Anhang B). Kontextmerkmale dieser Art, die bei den Pronominaladverbien die ikonische Abbildung sehr deutlich beeinflussen, spielen bei nämlich und denn keine Rolle und die fehlende Ikonizität ist nicht etwa auf eine hohe Anzahl unklarer Fälle zurückzuführen (wie bei deswegen,
21
Das Korpus liefert nur vier eindeutige Belege für die konzeptuelle Folge-Grund-Perspektive. Interessanterweise befinden sich drei dieser Belege unter den Vorkommen.
82 vgl. 4.3.2.1), sondern auf die syntaktische Beschränkung. Die aggregative Syntax eröffnet allerdings Raum für lokale Besonderheiten, die auf funktionale Unterschiede zwischen den Markern und auf den Einfluss der anderen drei Faktoren verweisen. Da sie dazu beitragen, die anti-ikonische Kodierung funktional zu motivieren, werden sie an dieser Stelle skizziert. Die präferierte Position des konnektintegrierbaren Adverbs nämlich (vgl. 2.2.1) ist im Mittelfeld direkt nach dem finiten Verb. Mit 84,7% seiner Vorkommen zeigt nämlich im Vergleich zu den ebenfalls konnektintegrierbaren Adverbien daher, darum, deshalb und deswegen eine besondere Präferenz für diese Position, (s. Variable 46, Anhang B; die Unterschiede sind jeweils mit /?=.000 signifikant). Auch die wenigen Vorkommen von nämlich im Vorfeld sind im Gegensatz zu den Pronominaladverbien nicht mit der satzinitialen Position des Markers gleichzusetzen, denn der Kausalmarker tritt in dieser Position immer mit einem definiten Pronomen oder einer adverbialen Angabe auf (zur Funktion dieser Konstruktion vgl. 4.3.2.2). Diese Beobachtungen sind ein Indiz dafür, dass nämlich trotz der klaren linearen Abfolge der Sachverhalte nicht nur die Rolle des Sachverhaltsverknüpfers, sondern auch lokale informationsstrukturelle Funktionen übernimmt. Eine weitere Funktion dieses Markers besteht darin, eine Begründung nachträglich an einen Sachverhalt anzuhängen. Der kausale Informationswert von nämlich ist in diesen Fällen oft nur sehr schwach und der Marker nähert sich der Bedeutung von und zwar. Dabei kann sich die Begründung auf sehr unterschiedliche und auch auf komplexe Äußerungseinheiten beziehen. Sie ist jedoch in jedem Fall retrospektiv. Ein sehr typischer Beleg für diesen Gebrauch von nämlich ist (31). (31) Sie lesen? Dann sollten Sie schnell unsere Übersicht über die Öffnungszeiten der Mannheimer Büchereien aufschlagen. Die ändern sich nämlich während der Sommerferien. Hier zeigt sich nun auch die anti-ikonische Kodierung sehr deutlich. Die geänderten Öffnungszeiten der Bücherei sind der konzeptuelle Ausgangspunkt für einen Hinweis an die Büchereibenutzer, der einer Aufforderung gleichkommt, und gleichzeitig motivieren die geänderten Öffnungszeiten auch diese Sprechhandlung. Dem Appellcharakter wird durch eine nachgeschobene Begründung zusätzlich Nachdruck verliehen, wodurch sich die konzeptuelle Abfolge nicht an der sprachlichen Oberfläche spiegelt. Etwas anders verhält sich der Marker denn. Dieser Marker ist als einziger der untersuchten Marker ohne Alternative vollständig positionsbeschränkt und syntaktisch unflexibel. Er tritt ausschließlich in der Position zwischen zwei Sätzen auf und greift dadurch kaum in die topologische Struktur der Sätze ein. Dabei eröffnet denn immer einen neuen slot, den er zugleich sehr deutlich als Begründung markiert. Die fehlende Ikonizität ist somit auch hier konstruktionell angelegt. Denn funktioniert allerdings als besonders starkes Begründungssignal. Die leichte Präferenz dieses Markers zur satzinitialen Großschreibung (53,6% der Vorkommen) ist hierfür ein Indiz und legt die Vermutung nahe, dass dieser Marker im schriftlichen Medium auch als explizites Segmentierungssignal eingesetzt werden kann.22 Dies zeigt (32) als erster typischer Beleg für das Begründungs-den«.
22
Nur darum zeigt als Folgemarker mit 64,9% eine noch deutlichere Präferenz zur satzinitialen Großschreibung (s. Variable 10, Anhang B).
83 (32) Die Fotos des in Freiburg im Breisgau geborenen und seit Februar 1989 ,als kommerzieller Fotograf in New York' tätigen Stefan Hagen sollen ,America-Reflections of the Dream' zeigen. Wem diese Anglenismen unverständlich vorkommen, dürfte mit ,unverständlich' schon einen wesentlichen Bestandteil dieser selbstredend zur Diskussion anregenden Ausstellung begriffen haben. Denn der originäre Bezug zu New York ist auch mit aufgesetzter Brille nicht erkennbar. Auch hier wird deutlich, dass eine Begründung mit denn der kausalen Bezugssinformation immer nachgestellt wird und daher keine ikonische Grund-Folge-Kodierung ermöglicht. Sowohl bei nämlich als auch bei denn ergeben sich also syntaktisch sehr klar organisierte Relationen. Es fällt aber auf, dass es sich in den untersuchten Vorkommen nicht um FolgeGrund-Relationen im engeren Sinne handelt, sondern dass diese Marker in erster Linie Begründungen markieren, die Sachverhalte nachträglich als Elemente einer kausalen Information ausweisen. Dabei ist der stark kommentierende und fast spitzfindige Unterton, der in (32) mitschwingt, im Kontext von denn keinesfalls ungewöhnlich. Die folgenden Analysen werden zeigen, dass dieser Marker insbesondere für sehr persönliche Formen der Begründung gebraucht wird (vgl. vor allem 4.3.1.4). Die Belege (31) und (32) zeigen exemplarisch, dass beim Gebrauch der Marker nämlich und denn zwar eine konzeptuelle Grund-Folge-Perspektive zugrunde liegen kann, dass diese Perspektive aber durch die lineare Abfolge der Sachverhalte nicht ikonisch abgebildet wird. In diesem Punkt unterscheiden sich beide Kausalmarker von allen anderen Markern deutlich auf einem Niveau von jeweils p=.000 (s. Anhang C). Der starke statistische Effekt (Cramer's V zwischen .358 und .951) unterstreicht schon an dieser Stelle die Trennschärfe, mit der dieser erste Faktor in die formale Variation eingreift. Dass diese anti-ikonische Kodierungsstrategie dennoch funktional motiviert ist, werden die weiteren Analysen deutlich machen, denn beim Gebrauch von nämlich und denn steht die Funktion im Vordergrund, in Thematischer Position eine Begründung zu markieren, die sehr persönlich sein kann (vgl. 4.3.1.4).
4.3.1.2 Informationsstatus Der zweite Faktor erfasst, inwieweit die Kausalmarker die Funktion übernehmen, auf die Identifizierbarkeit einer Information zu verweisen (vgl. 4.2.2). Nämlich und denn sind koordinierende Kausalmarker. Sie fallen im Korpus allerdings dadurch auf, dass sie im Gegensatz zu den ebenfalls koordinierenden Pronominaladverbien vor allem vollständige Sätze verknüpfen und als Kausalmarker zwischen Informationseinheiten mit illokutivem Potential auftreten. Mit Heger (1977) assertiert eine Sprecherin mit Markern wie nämlich oder denn nicht die kausale Verknüpfung selbst, sondern die Sachverhalte werden einzeln assertiert (vgl. auch Raible 1992: 29).23 Die Begründungen werden also in der Regel behauptet. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie in diesem Zusammenhang bereits vollständig
23
Heger (1977: 282ff.) weist darauf hin, dass kausales denn zwar Assertionen ermöglicht, aber in diesem Punkt polysem sein könnte. Auch bei Pasch et al. (2003: 584—592) wird die Sonderrolle des Begründungs-ifen« hervorgehoben, das immer „kommunikative Minimaleinheiten" verbindet.
84 kontextuell identifizierbar sind, ist sehr gering. Ebenfalls gering ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Gebrauch der Kausalmarker in diesem Zusammenhang die Funktion erfüllt, einen Kontextualisierungsprozess auszulösen. Es ist vielmehr sehr plausibel, dass die kausalen Informationen auf mehreren Ebenen ,neu' und informativ sind. Denn markiert fast ausnahmslos Begründungen, die im Diskurskontext nicht identifizierbar sind und für den Rezipienten daher ,neu' (s. Variablen 20-22, Anhang B). Unter den Belegen mit denn ist die Begründung in lediglich drei Fällen inferierbar, und anaphorisch oder kataphorisch wird denn in keinem der Belege gebraucht. Damit kann ein Einfluss des zweiten Faktors auf den Gebrauch dieses Kausalmarkers ausgeschlossen werden. Eine besondere Art der Verweisfunktion übernimmt dieser Marker allerdings schon, denn im Vergleich zu impliziten Formen der Sachverhaltsverknüpfung signalisiert er den Beginn einer neuen kausalen Information ganz explizit. Der Marker öffnet einen satzwertigen slot für eine Begründung. Der Projektionscharakter ist beim Gebrauch von denn daher oft sehr stark. Zu diesen Fällen zählt auch der Beleg (33), in dem durch den Kausalmarker explizit signalisiert wird, dass auf die indirekt bereits geäußerte Mahnung noch eine Begründung folgt. (33) Im Winter verbraucht der Motor mehr Benzin, weil die Lichtmaschine dem gestiegenen Strombedarf Rechnung tragen muß. Das allerdings darf kein Grund sein, um bei trübem Wetter, Nebel oder Dämmerung ohne eingeschaltete Scheinwerfer zu fahren. Mit Abendlicht, denn alles andere ist Quatsch und zudem gefährlich. Denn markiert in diesem Beleg explizit den Beginn einer Begründung. Das Beispiel zeigt aber auch, dass der Informationsstatus einer Äußerung sehr vielschichtig sein kann. Das Argument selbst, dass das Fahren ohne Scheinwerfer bei Nebel gefährlich sei, ist keinesfalls ,neu' und von Inhaberinnen eines Führerscheins sogar inferierbar. Die Begründung ist aber durch das Wort Quatsch als sehr subjektiv markiert und in dieser Form nicht inferierbar. Der Sprecher stellt neben der Begründung also auch eine Behauptung auf. Diese Behauptung ist als Begründung zwar nicht neu, aber in der rhematischen Position wird ihr in (33) auf unvorhersehbare und sehr persönliche Weise Nachdruck verliehen. Für denn ist dieser subjektive Gebrauch sehr typisch (vgl. 4.3.1.4). Der Marker nämlich wird präferiert konnektintegriert gebraucht und eine Begründung mit nämlich hat in der Regel nicht den Projektionscharakter einer Begründung mit denn. Nämlich markiert nur selten einen völlig ,neuen' Informationsslot. Meistens handelt es sich um Informationen mit ergänzendem Charakter. Nur in seltenen Fällen sind die Begründungen inferierbar (4,1%). In den meisten Fällen zeigt sich auch hier, dass unvorhersehbare und somit ,neue' Informationen in der Äußerungsstruktur enthalten sind, die für den Rezipienten wie in (34) von Interesse und somit relevant sein können (s. Variable 22, Anhang B). (34) Schwimmen wird bei dem sogenannten Halswirbelsäulen-Syndrom als Therapie empfohlen. Allerdings ist das von Ihnen praktizierte Brustschwimmen nicht geeignet, wenn Sie dabei den Kopf krampfhaft über Wasser halten. Dadurch wird nämlich die Wirbelsäule einseitig belastet und die Verspannungen im Halswirbelbereich verstärken sich noch.
85 Kausale Markierungen mit nämlich und denn sind in der Regel problemlos austauschbar. Im Gegensatz zu denn markiert nämlich aber typischerweise eine Begründung mit retrospektivem Charakter, was in (34) auch durch das anaphorische dadurch deutlich wird. Dieser retrospektive Charakter ist vermutlich dafür verantwortlich, dass Heger sogar eine „anaphorische Funktion von nämlich" (1977: 283) beobachtet. Eine anaphorische Funktion übernimmt in (34) aber nicht nämlich, sondern ausschließlich das pronominale dadurch. Durch den mit nämlich markierten Satz wird dagegen eine bisher unbekannte Evidenz benannt, die den medizinischen Ratschlag untermauern soll, das Brustschwimmen beim Halswirbelsäulen-Syndrom zu vermeiden. Der Gebrauch von nämlich gibt einer Evidenz einen Namen und dient je nach Kontext „zur einleitung eines hinweisenden, begründenden, erläuternden satzes" (Grimm Bd. 13, Spalten 345-347). 24 Dabei bezieht sich dieser Satz oft retrospektiv auf größere Sinnzusammenhänge, die nur über mehrere Sätze hinweg eine kohärente Informationseinheit ergeben. Dies wird durch die empirische Beobachtung gestützt, dass sich beim Gebrauch von nämlich in 81,6% der Vorkommen nur dann ein kohärenter kausaler Zusammenhang ergibt, wenn jenseits der unmittelbar verknüpften Sachverhalte auch der globale Kontext berücksichtigt wird, für den nämlich eine nachgeschobene Evidenz benennt (s. Variable 30, Anhänge Α und B). In zwölf Fällen wird diese Funktion im schriftlichen Medium sogar durch einen Doppelpunkt graphisch hervorgehoben. (35) Offenbar zu schmal fur die Schlangenlinien eines 39jährigen Mannheimers war der Radweg auf dem Speckweg, den ein 39jähriger Mannheimer mit seinem Mofa verbotswidrig befuhr: Er kollidierte mit einem Verkehrszeichen, stürzte zu Boden und zog sich dabei leichte Kopfverletzungen zu. Nach ambulanter Behandlung konnte der Mann das Krankenhaus wieder verlassen, jedoch nicht ohne eine Blutprobe dagelassen zu haben: Der Mofa-Fahrer hatte das Schild nämlich im Alkoholrausch mitgenommen. Neben der konnektintegrierten Position im Mittelfeld kann nämlich aber auch im Vorfeld auftreten (11,2%, s. Variable 46, Anhang B). In dieser Position steht nämlich immer zusammen mit einem definiten Pronomen, einer adverbialen Angabe oder einem innerhalb der Textdomäne identifizierbaren Referenten. Der begründende Charakter von nämlich ist in dieser Position besonders gering. Dennoch markiert nämlich auch in (36), wo es um den Protagonisten einer Kinderoper geht, eine Evidenz für eine Behauptung. (36) [...] Der Wunsch nach Veränderung treibt Sid schließlich um die halbe Welt. Ob er am Ende ein berühmter Sänger wird, das kann jeder ab Sonntag, 27. November im Studio Werkhaus miterleben. Dann nämlich feiert die neueste Kinderoper Premiere.
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Der etymologische Ursprung des Markers unterstreicht den evidenziellen Charakter von nämlich (ahd. namolich, namilich). Tatsächlich ist auch die hohe funktionale Belegung der Wortform nämlich (vgl. 4.1.1) nicht etwa wie bei da oder wegen auf einen mehrfachen grammatischen Status zurückzuführen, sondern auf Gebrauchskontexte, in denen nämlich als reiner Evidenzmarker gebraucht wird.
86 Im Vorfeld erscheint nämlich immer in Kollokationen wie dann nämlich, dort nämlich oder damit nämlich, das heißt in einer Kombination vom Typ [anaphorisches oder deiktisches Element + nämlich]. In diesen Fällen hat nämlich nur die Vorfeld-Konstituente, die auf eine identifizierbare Information verweist, im Skopus. Dieses Element stellt einen Bezug zu einem Referenten her, der aus der Textdomäne heraus zugänglich ist - in (36) eine Zeitangabe. In diesen Fällen bildet der Kausalmarker zusammen mit dem referenziellen Element, ganz ähnlich wie bei einem Pronominaladverb wie des-wegen, eine Einheit. Legt man diese Vorkommen im Vorfeld und die wenigen Fälle von eindeutigen Inferenzen als empirisches Kriterium für den Einfluss des zweiten Faktors zugrunde, so trägt nämlich in 15,3% der Fälle ganz explizit dazu bei, im Sinne von 4.2.2 die Identifizierbarkeit einer Information zu signalisieren. Zusammenfassend ergibt sich folgendes Bild: Beide Marker treten vor allem in satzwertigen Kontextumgebungen mit ,neuen' Informationen auf, das heißt im Kontext von Sachverhalten, die kognitiv noch nicht zugänglich sind. Die Begründungen mit denn haben einen stark prospektiven Charakter, die Begründungen mit nämlich sind bevorzugt rückverweisend. Zu den deutlichsten Fällen des retrospektiven Gebrauchs von nämlich zählen die Vorkommen dieses Markers im Vorfeld mit eingeschränktem Skopus. In dieser Position tritt nämlich immer zusammen mit einem anaphorischen oder deiktischen Element auf und der Kausalmarker erfüllt die Funktion, den identifizierbaren Informationsstatus dieses Elements besonders hervorzuheben. In diesem Punkt dividiert der zweite Faktor die beiden Kausalmarker empirisch auseinander (χ 2 = 8.679, df (1), p