215 67 2MB
German Pages 221 [222] Year 2022
Frank Sode Der deutsche Indirektheitskonjunktiv
studia grammatica 79
Herausgegeben von Manfred Bierwisch, Hans-Martin Gärtner und Manfred Krifka unter Mitwirkung von Regine Eckardt (Konstanz) und Paul Kiparsky (Stanford)
Frank Sode
Der deutsche Indirektheitskonjunktiv
Semantik und Pragmatik
ISBN 978-3-11-042664-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-042244-3 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-042253-5 ISSN 0081-6469 Library of Congress Control Number: 2022944927 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Inhalt Vorwort | IX Überblick über die Arbeit | XI
Teil I: Überblick über die Formen und Funktionen des Konjunktivs im Deutschen 1 1.1 1.2 1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4 1.3.5 1.3.6 1.3.7 1.4 1.4.1 1.4.2 1.4.3 1.4.4 1.4.5 1.5 1.6 1.6.1 1.6.2 1.6.3 1.6.4
Formen und Funktionen des Konjunktivs | 3 Die Formen der Verbmodi im Deutschen | 3 Die Verbmodi als Form-Funktions-Paare | 9 Der Indirektheitskonjunktiv | 10 Indirekte Rede | 10 Verwendungsbeschränkungen im Einstellungsbericht | 11 Freie indirekte Rede | 13 w-Komplemente und Fragen | 14 Der IndK in syntaktisch abhängigen Nichtkomplementsätzen | 15 Wahl zwischen Konjunktiv I und Konjunktiv II | 18 (Freie) indirekte Rede und Satzmodus | 19 Wunschkonjunktiv | 21 Erweiterung des Imperativparadigmas | 21 Nichtdirektive Verwendungsweisen | 24 Finalsätze | 26 Relativsätze | 28 Bericht von direktiven Einstellungen | 29 Wunschkonjunktiv und Imperativ | 32 Konditionaler Konjunktiv | 36 Konditionalsätze | 36 Irrealer Vergleichssatz | 37 Irrealer Wunschsatz | 38 Einbettbarkeit des konditionalen Konjunktivs | 39
VI | Inhalt
Teil II: Formale Theorien des Indirektheitskonjunktivs 2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.3
Fabricius-Hansen und Sæbø (2004): IndK als reportative Präsupposition | 45 Die Theorie | 46 Satzinterne Verifikation | 47 Coercion: bedauern | 48 Globale Interpretation I: bestreiten | 49 Globale Interpretation II: freie indirekte Rede | 50 Performative Verwendungsweisen | 51 Diskussion | 52 RS als Form-Funktions-Paar | 52 Einwände gegen eine Analyse als reportative Präsupposition | 54 Bedauern, bestreiten und FIR und satzinterne Verifikation | 55 Vergleich mit reportativem sollen | 57 Fazit | 63
3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6
Potts (2005): IndK als konventionelle Implikatur | 65 Konventionelle Implikaturen | 65 Der Indirektheitskonjunktiv | 66 Bezug auf die Sprechperspektive | 67 Abgrenzung von logophorischen Theorien | 69 Einwände gegen eine Analyse als konventionelle Implikatur | 71 Fazit | 73
4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.5.1 4.5.2 4.5.3 4.6 4.7
Lohnstein (2000): Verbmodus und Satzmodus | 75 Eine derivationelle Theorie des Satzmodus | 75 Empirische Charakterisierung der Verbmodi | 78 Formale Theorie des Verbmodus | 80 Die semantischen Eigenschaften der Verbmodi | 83 Bemerkungen zur Satzmodustheorie | 86 Wahrheitswertfähigkeit | 87 Fragesatzbildung | 88 Temporale Eigenschaften der modalisierten Sätze | 91 Zur Theorie der indirekten Rede | 94 Fazit | 97
5 5.1 5.2
Schlenker (2003): IndK als logophorischer Modus | 98 Schlenkers These | 98 Evidenz für die Logophorizitätsthese | 99
Inhalt |
5.2.1 5.2.2 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4 5.3.5 5.3.6 5.3.7 5.3.8 5.4 5.5 5.6 5.7 5.8
VII
Obligatorische Einstellungsbindung | 99 Der Konjunktiv in der freien indirekten Rede | 101 Vergleich mit dem logophorischen Pronomen im Ewe | 102 Beschränkung auf Einstellungskontexte | 102 Gedanken- und Traumberichte | 102 Relativsätze | 103 Andere einbettende Prädikate | 103 Finalsätze | 104 Erste Person | 104 Komplementäre Distribution | 105 Zusammenfassung | 106 Schlenkers Theorie der Logophorizität | 107 Logophorizität und „Maximize presupposition“ | 110 Anwendung auf den IndK | 115 Kritik der Verwendungsbedingung | 118 Fazit | 123
Teil III: Logophorizität als Perspektivenbezug: Eine neue Theorie des IndKs als logophorischer Modus 6 6.1 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4 6.2.5 6.2.6 6.3 6.4 6.4.1 6.4.2
7 7.1
Vorüberlegungen | 127 Rede- vs. Gedankenbericht: der Ausgangspunkt | 127 Verwendungsbedingung und Sprechperspektive | 129 Die Verwendungsbedingung nach Schlenker (2003) | 129 Einige Konzepte und terminologische Festsetzungen | 130 Reformulierung als perspektivische Verwendungsbedingung | 133 Eine alternative, referentielle Verwendungsbedingung | 135 Ein Vergleich der Verwendungsbedingungen | 136 Konsequenzen für die Verortung der Interpretation | 137 Zum Ort der Interpretation | 138 Verwendungsbedingung und Performativität | 141 Sprechaktverben und Anti-Performativität | 141 Verben des Denkens und Meinens und Anti-m-Performativität | 145 Eine neue Theorie des IndKs | 148 Der Vorschlag | 148
VIII | Inhalt
7.2 7.2.1 7.2.2 7.2.3
Der IndK unter glauben | 152 Beispiele aus der Diskussion der Logophorizität des IndKs | 152 Beispiele von Einbettung und Nebenbedeutungen des Konjunktivs | 156 Weitere Bedeutungsaspekte und Nebenbedeutungen | 161
8 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5
Weitere Einstellungsverben | 165 Wissen | 165 Assertive Sprechaktverben | 172 Wollen und fordern | 176 Wissen wollen, ob und fragen | 180 Zusammenfassung und eine Präzisierung | 182
9 9.1 9.2 9.3 9.4 9.4.1 9.4.2
Freie indirekte Rede und Satzmodus | 186 Deskriptive Generalisierungen zur freien indirekten Rede | 186 Der Beitrag des IndKs zur freien indirekten Rede | 187 Ist der IndK ein Wurzelphänomen? | 192 Verbmodus und Satzmodus | 195 Eine minimalistische Theorie des Satzmodus im Deutschen | 195 Semantische Gemeinsamkeit der konjunktivischen Verbmodi | 201
10
Schlussbetrachtung | 203
Literatur | 205
Vorwort Diese Arbeit ist eine erneut durchgesehene und zur Buchveröffentlichung bearbeitete Version der letzten, überarbeiteten Fassung meiner Dissertation, die ich 2014 an der Humboldt-Universität zu Berlin unter dem Titel „Zur Semantik und Pragmatik des Konjunktivs der Indirektheit im Deutschen“ verteidigt habe. Inhaltlich habe ich nichts geändert. Die Liste der Personen, denen ich dankbar bin, ist lang. Besonders bedanken für die Unterstützung in all den Jahren möchte ich mich an dieser Stelle noch einmal bei meinem Doktorvater, Manfred Krifka, und bei meinem Zweitbetreuer, Hubert Truckenbrodt. Bedanken für Unterstützung und Ermutigung durch Diskussionen in schwierigen Phasen der Arbeit möchte ich mich auch bei Mathias Schenner, Muhsina Alleesaib, Hazel Pearson, Hana Filip, Uli Sauerland, Edgar Onea und Hans-Martin Gärtner.
https://doi.org/10.1515/9783110422443-203
Überblick über die Arbeit Das Thema dieser Arbeit ist der Konjunktiv in der indirekten Rede. Genauer gesagt geht es um seine Verwendungsbedingungen unter einer semantischpragmatischen Perspektive. Im Kapitel 1 gebe ich zunächst einen Überblick über die Formen und Funktionen des Konjunktivs im Deutschen. Der zweite Teil der Arbeit ist dann der Diskussion verschiedener formal-semantischer Vorschläge zur Bedeutung des Konjunktivs in der indirekten Rede gewidmet. Kapitel 2 diskutiert den Indirektheitskonjunktiv als reportative Präsupposition nach FabriciusHansen und Sæbø (2004). Kapitel 3 diskutiert den Indirektheitskonjunktiv als konventionelle Implikatur nach Potts (2005). Kapitel 4 diskutiert den Zusammenhang von Verbmodus und Satzmodus nach Lohnstein (2000). Kapitel 5 diskutiert den Indirektheitskonjunktiv als logophorischen Modus nach Schlenker (2003). Im dritten Teil der Arbeit entwickele ich dann ausgehend von einigen Vorüberlegungen in Kapitel 6 eine neue Theorie zur Semantik und Pragmatik des Indirektheitskonjunktivs, Kapitel 7, und zeige wie diese Theorie das Vorkommen bzw. Nichtvorkommen des Indirektheitskonjunktivs unter verschiedenen Arten von Einstellungsverben erklärt, Kapitel 8. In Kapitel 9 diskutiere ich den Beitrag des Indirektheitskonjunktivs zur freien indirekten Rede in selbständigen Deklarativund Interrogativsätzen und zeige einige Implikationen des Vorschlags für das Verständnis des Zusammenhangs von Verbmodus und Satzmodus auf.
https://doi.org/10.1515/9783110422443-204
| Teil I: Überblick über die Formen und Funktionen des Konjunktivs im Deutschen
1 Formen und Funktionen des Konjunktivs Dieses Kapitel dient der allgemeinen Orientierung über Formen und Funktionen des Konjunktivs im Deutschen. In Abschnitt 1.1 stelle ich zunächst die Formen des Konjunktivs in Abgrenzung zu den anderen finiten Modusformen des Deutschen – Indikativ und Imperativ – vor. In Abschnitt 1.2 führe ich die mit Bezug auf den Konjunktiv unter einer semantischen Perspektive zu unterscheidenden Form-Funktionspaare ein: den Indirektheitskonjunktiv, den Wunschkonjunktiv und den konditionalen Konjunktiv, die ich dann in den Abschnitten 1.3 bis 1.6 nacheinander einzeln vorstellen werde – im Falle des Wunschkonjunktivs in Abschnitt 1.5 vor allem in Abgrenzung zum Imperativ. Der Schwerpunkt liegt entsprechend dem Thema dieser Arbeit auf dem Indirektheitkonjunktiv.
1.1 Die Formen der Verbmodi im Deutschen In den Grammatiken des Deutschen werden die finiten Formen der Verben nach den folgenden Flexionskategorien klassifiziert, vgl. z.B. Zifonun und Hoffmann (1997), Fabricius-Hansen (2006).¹ (1)
Person: 1., 2., 3. Numerus: Singular, Plural Modus: Indikativ, Konjunktiv, Imperativ Tempus: Präsens, Präteritum
Die Kombinationsmöglichkeiten der Person-, Numerus- , Modus- und Tempusformen der finiten Verben im Deutschen sind in der folgenden Tabelle zusammengefasst: (2) Person 1. 2. 3. 2.
Numerus
Modus
(
Singular Plural
)
(
Singular Plural
)
(
Indikativ Konjunktiv
Tempus )
(
Präsens Präteritum
Imperativ
1 Dieser Abschnitt gibt nur einen sehr verkürzten kursorischen Überblick über die Formen der finiten Verbmodi im Deutschen. Für einen detaillierteren Überblick: vgl. Zifonun und Hoffmann (1997), Fabricius-Hansen (2006). https://doi.org/10.1515/9783110422443-001
4 | 1 Formen und Funktionen des Konjunktivs
Die Indikativ- und Konjunktivformen sind bestimmt nach Person, Numerus und Tempus. Die Formen des Konjunktivs Präsens werden auch „Konjunktiv I“ genannt; die Formen des Konjunktivs Präteritum auch „Konjunktiv II“. Imperativformen finden sich nur für die 2. Person Singular und Plural. Sie werden nicht nach Tempus klassifiziert. Entsprechend werden für das Deutsche vier Formen des Verbmodus unterschieden: (3)
a. b. c. d.
Ein Redner ist kein Lexikon. Ein Redner sei kein Lexikon. Wäre der Redner doch kein Lexikon. Sei kein Lexikon!
Indikativ Konjunktiv I Konjunktiv II Imperativ
Bei regelmäßigen Verben drückt ein an den Verbstamm angehängtes Suffix die Flexionsform aus, vgl. (4). Bei unregelmäßigen Verben ist es eine Kombination aus Ablaut und Suffix, vgl. (5). (4)
(5)
a.
Du lach-st. PP.2sg lach-2sg.ind.prs
b.
Du lach-test. PP.2sg lach-2sg.ind.pst
a.
Du komm-st. PP.2sg komm.ind.prs-2sg
b.
Du kam-st. PP.2sg komm.ind.pst-2sg
Neben den finiten Verbformen werden üblicherweise drei infinite Formen unterschieden: Infinitiv, Partizip Präsens, Partizip Präteritum. Das Partizip Präsens wird auch „Partizip I“ genannt und das Partizip Präteritum auch „Partizip II“. (6)
Infinitv: lach-en Partizip I: lach-end Partizip II: ge-lach-t
Das Paradigma der indikativischen Flexionsformen von regelmäßigen Verben ist in (7) und für die konjunktivischen Flexionsformen in (8) am Beispiel des regelmäßigen Verbs lachen illustriert.
1.1 Die Formen der Verbmodi im Deutschen | 5
(7)
Indikativformen des regelmäßigen Verbs lachen Präsens
(8)
Präteritum
ich du er/sie/es
lachlachlach-
e st t
lachlachlach-
te test te
wir ihr sie
lachlachlach-
en t en
lachlachlach-
ten tet ten
Konjunktivformen von lachen Präsens
Präteritum
ich du er/sie/es
lachlachlach-
e est e
lachlachlach-
te test te
wir ihr sie
lachlachlach-
en et en
lachlachlach-
ten tet ten
Das Paradigma der indikativischen Flexionsformen von unregelmäßigen Verben ist in (9) und das Paradigma der konjunktivischen Flexionsformen in (10) am Beispiel des unregelmäßigen Verbs kommen illustriert. (9)
Indikativformen des unregelmäßigen Verbs kommen Präsens
(10)
Präteritum
ich du er/sie/es
kommkommkomm-
e st t
kam kamkam
st
wir ihr sie
kommkommkomm-
en t en
kamkamkam-
en t en
Konjunktivformen von kommen Präsens
Präteritum
ich du er/sie/es
kommkommkomm-
e est e
kämkämkäm-
e (e)st e
wir ihr sie
kommkommkomm-
en et en
kämkämkäm-
en (e)t en
Unter der Perspektive, dass man auch für den Konjunktiv ein nach Tempus und Numerus vollständig bestimmtes Formenparadigma annimmt, muss ein starker
6 | 1 Formen und Funktionen des Konjunktivs
Formensynkretismus festgestellt werden. Bei regelmäßigen Verben unterscheidet sich das Konjunktivparadigma lediglich im Präsens in der 2. Sg. und Pl. und in der 3. Sg. vom Indikativparadigma. Präteritumformen sind im Indikativ und im Konjunktiv gleich. Für weitere Details verweise ich auf den §784 („Zum Stellenwert des Konjunktivs im heutigen Konjugationssystem“) in Fabricius-Hansen (2006). Eine für den Imperativ spezifische Wortform gibt es nur im Singular. „Sie ist mit dem Verbstamm identisch oder endet auf -e [. . . ] Im Plural werden Präsensformen verwendet: Verschwindet! Kommt rein! Lasst mich in Ruhe! Atmet langsam! Helft mir doch! Sagt nichts!“ Fabricius-Hansen (2006, 445) Zu starken Verben mit e/i-Wechsel und anderen Details der Formen, vgl. Fabricius-Hansen (2006). Das entsprechende Paradigma für lachen und kommen sieht wie folgt aus. (11)
Imperativformen Singular Plural
lach komm lachkomm-
t t
Die weiteren Verbalformen, die traditionell unterschieden werden, sind keine Flexionsformen der Verben, sondern mehrgliedrige Verbalkomplexe: Konstruktionen aus Hilfsverben, die finit oder infinit auftreten können, und infiniten Formen des Hauptverbs. (12)
Perfekt: Form von sein/haben + Partizip II des Verbs Vorgangspassiv: Form von werden + Partizip II des Verbs Futur I: Form von werden + Infinitiv des Verbs Futur II: Form von werden + Perfekt des Verbs
So ist zum Beispiel das Perfekt von schlagen in (13) eine Konstruktion aus dem Hilfsverb haben in der 3. Person Singular Präsens Indikativ und dem Partizip II des Verbs schlagen. (13)
Hans hat Peter geschlagen.
Es können auch Kombinationen von Konstruktionen auftreten. (14)
Peter ist geschlagen worden.
(Perfekt Passiv von schlagen)
(15)
Peter wird geschlagen worden sein.
(Futur II Passiv von schlagen)
Im Folgenden möchte ich noch auf einige Besonderheiten einzelner Verben im Hinblick auf ihre Konjunktivformen hinweisen. Beim Verb sein unterscheidet sich
1.1 Die Formen der Verbmodi im Deutschen | 7
die Konjunktivform im Präsens in allen Personen von der Form des Indikativs Präsens. (16)
(17)
Indikativformen von sein Präsens
Präteritum
ich du er/sie/es
bin bist ist
war warwar
st
wir ihr sie
sind seid sind
warwarwar-
en t en
Konjunktivformen von sein Präsens
Präteritum
ich du er/sie/es
sei sei sei
(e)st
wärwärwär-
e (e)st e
wir ihr sie
seiseisei-
en et en
wärwärwär-
en (e)t en
Die Imperativform von sein im Singular ist sei. (18)
Imperativformen von sein Singular Plural
sei sei-
d
Auch die Formen des Konjunktivs Präsens der Modalverben und von wissen unterscheiden im Singular in allen Personen von den entsprechenden Indikativformen. (19)
Indikativformen von können/wissen Präsens
Präteritum
ich du er/sie/es
kann/ weiß kann-/ weißkann/ weiß
st/ t
konn-/ wusskonn-/ wusskonn-/ wuss-
te test te
wir ihr sie
könn-/ wisskönn-/ wisskönn-/ wiss-
en t en
konn-/ wusskonn-/ wusskonn-/ wuss-
ten tet ten
8 | 1 Formen und Funktionen des Konjunktivs
(20)
Konjunktivformen von können/wissen Präsens
Präteritum
ich du er/sie/es
könn-/ wisskönn-/ wisskönn-/ wiss-
e est e
könn-/ wüsskönn-/ wüsskönn-/ wüss-
te test te
wir ihr sie
könn-/ wisskönn-/ wisskönn-/ wiss-
en et en
könn-/ wüsskönn-/ wüsskönn-/ wüss-
ten tet ten
Besonders hervorheben möchte ich auch das Verb werden. (21)
Indikativformen von werden Präsens ich du er/sie/es wir ihr sie
(22)
werdwirwirwerdwerdwerd-
Präteritum e st d en et en
wurdwurdwurdwurdwurdwurd-
e est e en et en
Konjunktivformen von werden Präsens
Präteritum
ich du er/sie/es
werdwerdwerd-
e est e
würdwürdwürd-
e est e
wir ihr sie
werdwerdwerd-
en et en
würdwürdwürd-
en et en
Werden kommt in einer Vielzahl von Konstruktionen vor: Passiv, Futur I und Futur II. (23)
Das Buch wird (von Peter) gelesen.
Passiv
(24)
Peter wird das Buch lesen.
Futur I
(25)
Peter wird das Buch gelesen haben.
Außerdem wird es auch als Kopula-Verb verwendet, wie in (26). (26)
Maria will eine Wissenschaftlerin werden.
Futur II
1.2 Die Verbmodi als Form-Funktions-Paare | 9
Konstruktionen mit würde (werden im Konjunktiv II) + Infinitiv dienen als Ersatzformen für die entsprechenden Konjunktiv II-Formen, vgl. z.B. (28).² (28)
a. b.
Hans käme alleine, wenn er das wüßte. Hans würde alleine kommen, wenn er das wissen würde.
1.2 Die Verbmodi als Form-Funktions-Paare Fabricius-Hansen (2006) unterscheidet für den Konjunktiv die folgenden Funktionsbereiche:³ (29)
Funktionsbereiche des Konjunktivs a. b. c.
FB1: Irrealität/Potenzialität: Konjunktiv II FB2: Referat, besonders indirekte Rede: Konjunktiv I und II FB3: Wunsch/Aufforderung: Konjunktiv I
Entsprechend dieser Einteilung möchte ich drei Form-Funktions-Paare unterscheiden, die ich „Wunschkonjunktiv“ (= WunschK), „Indirektheitskonjunktiv“ (= IndK) und „konditionalen Konjunktiv“ (= KondK) nennen möchte. Name
Funktion
Form
Wunschkonjunktiv
Wunsch/Aufforderung
Indirektheitskonjunktiv
Rede- und Gedankenbericht
konditionaler Konjunktiv
Irrealität/Potenzialität
Konjunktiv I ↗ ↘ Konjunktiv II
Zur Benennung: Da die prototypische Verwendung des Konjunktivs im Funktionsbereich 1 („Irrealität/Potenzialität“) die Verwendung in Konditionalen ist und da ich hier davon ausgehe, dass sich alle Verwendungsweisen in dieser Funktion im
2 Erwähnen möchte ich auch eine Beobachtung in Thieroff (2004), dass die Vergangenheitsform in (27-b) zum Zukunfts-werden in (27-a) offensichtlich nicht dem Paradigma in (22) folgt: (27)
a. b.
Er weiß, was geschehen wird. Er wußte, was geschehen würde.
(Thieroff)
Das Präteritum des Futur-werden in (27-b) ist eine Form von werden mit Umlaut, die wie die Konjunktiv II-Form aussieht. Thieroff (2004, 320) schreibt dazu: „[. . . ] I shall propose that the w¨ u rde construction is a future preterite which is not associated with any mood“. Möglicherweise ist dieses Phänomen des Vergangenheitsfuturs auf Kontexte der erlebten Rede beschränkt. 3 vgl. Fabricius-Hansen (2006): FB1: 523ff., FB2: 529ff., FB3: 543ff.
10 | 1 Formen und Funktionen des Konjunktivs
Prinzip auf die Semantik reduzieren lassen, die ihm in konjunktivischen Konditionalsätzen zugeschrieben wird,⁴ werde ich beim Konjunktiv in dieser Verwendungsweise vom „konditionalen Konjunktiv“ sprechen. Die Bezeichnung „Indirektheitskonjunktiv“ für die Verwendungsweise der Konjunktivformen in der indirekten Rede und bei Gedankenberichten übernehme ich von Fabricius-Hansen (2006), wo wiederum auf eine entsprechende Benennung in Zifonun und Hoffmann (1997) verwiesen wird. Beim Konjunktiv I im Funktionsbereich 3 („Aufforderung/Wunsch“) möchte ich vom „Wunschkonjunktiv“ sprechen. Wenn ich im weiteren von den „Verbmodi“ spreche, dann meine ich diese Form-Funktions-Paare und nicht die Verbformen Konjunktiv I und Konjunktiv II.⁵ Im Folgenden werfe ich einen genaueren Blick auf die Verwendungsweisen der Konjunktivformen in den verschiedenen Funktionsbereichen. Anfangen möchte ich dabei mit dem Indirektheitskonjunktiv.
1.3 Der Indirektheitskonjunktiv 1.3.1 Indirekte Rede Der IndK findet sich in der sogenannten „indirekten Rede“ unter Verba Dicendi wie sagen, behaupten, erzählen, berichten, fragen usw. und in Komplementsätzen zu entsprechenden Nomen. (30)
a. b. c. d.
Merkel sagt, sie habe früher als schwatzhaft gegolten. Niemand behauptet, dass Sparen einfach sei. Man fragt sich, ob es ein neu erwachtes Nationalgefühl sei, ob nun der Fußballpatriotismus den deutschen Patriotismus bedeutet. Der Begriff somatische Intelligenz beinhaltet die Behauptung, dass unser Körper selbst eine gewisse Intelligenz besitze, . . .
4 Ich will hier jedoch ausdrücklich erwähnen, dass es zumindest nicht offensichtlich ist, dass das auch für den Konjunktiv II in den von Csipak (2015) diskutierten Konditionalen gilt, vgl. die Diskussion des Konjunktivs in Csipak (2015). 5 Dahinter steckt die Annahme, die ich in dieser Arbeit zu begründen versuchen werde, dass es drei unterschiedliche semantische Konjunktiv-Merkmale gibt, die den Funktionen der FormFunktions-Paare entsprechen und dass es dementsprechend im Bereich der konjunktivischen Verbmodi keine 1:1-Zuordnung zwischen phonologischer Form und semantischer Interpretation gibt, wie das häufig in der Literatur angenommen wird. Die Annahme von drei unterschiedlichen semantischen Merkmalen halte ich zumindest aus heuristischer Hinsicht für notwendig, solange keine explizite Semantik für die jeweiligen Konjunktive in den verschiedenen Funktionsbereichen formuliert worden ist, die allen Verwendungsrestriktionen Rechnung trägt.
1.3 Der Indirektheitskonjunktiv | 11
e.
Und auf die Frage, welche Fördermöglichkeiten es gebe, muss ich mit ‘keine’ antworten.
Aber auch emotive Verben wie bedauern, sich ärgern und Prädikatkombinationen wie wissen wollen, die eine Sagenslesart haben können, können mit einem Konjunktiv der Indirektheit stehen, vgl. Fabricius-Hansen und Sæbø (2004). (31)
a. b.
(32)
Das Gericht bedauerte, dass es nicht ermächtigt sei, ein Berufsverbot zu verhängen. Sie hat sich geärgert, dass er sich verspätet habe. Fabricius-Hansen und Sæbø (2004, 222)
Holger will wissen (≈ fragt), ob es in Berlin gerade am regnen sei.
Verben, die die Art und Weise des Sprechens (‘manner of speaking’) charakterisieren wie flüstern, murmeln, schreien, grunzen, usw. können – insofern sie ein Komplement zulassen – auch mit einem Konjunktiv der Indirektheit stehen, vgl. Fabricius-Hansen (2006). (33)
Seinen besorgten Blick erwidernd flüsterte sie, dass alles in Ordnung sei.
(34)
Er stand auf und grunzte[,] das sei ein Job für die Frauen.
(35)
Mit den zurückkehrenden Mettengängern stürzte ein schwarzer Hund mit glühenden Augen in die Stube und schrie, auch er komme von der Mette zurück.
(36)
Zwischendurch jammerte das Kind, das ihm kalt sei.
Auch mit hören in der Verwendung als Kommunikationsverb kommt der Indirekteitskonjunktiv vor. (37)
Jetzt habe ich gehört, dass barfußlaufen gesünder sei als mit Joggingschuhen.
1.3.2 Verwendungsbeschränkungen im Einstellungsbericht In diesem Abschnitt möchte ich – einen zentralen Diskussionspunkt der späteren Kapitel vorwegnehmend – auf einige Beschränkungen in der Verwendung unter Einstellungsverben hinweisen. Auch wenn die Verwendung des IndKs im Komplement von Einstellungsverben wie glauben, meinen, behaupten usw. grundsätzlich möglich ist, scheint diese Möglichkeit auf Verwendungsweisen beschränkt zu sein, in denen die Perspektive der Einstellung nicht zusammenfällt mit der
12 | 1 Formen und Funktionen des Konjunktivs
Sprechperspektive im Äußerungskontext. Sowohl für (38-a) als auch für (38-b) lässt sich argumentieren, dass die unter Diskussion stehende Frage durch die abhängigen Hauptsätze beantwortet wird. Der entscheidende Unterschied ist, dass in (38-a) die Perspektive des Glaubens, auf den sich die sprechende Person bezieht, zusammenfällt mit der eigenen Perspektive; anders als in (38-b).⁶ (38)
A: Ist Thomas in Berlin? a. b.
B: Also ich meine, dass er in Göttingen {ist/#sei}. B: Also Edgar meint, dass er in Göttingen {ist/sei}.
Entsprechend ist die Verwendung in performativen Äußerungen mit Verba dicendi wie in (42) ganz grundsätzlich ausgeschlossen. (39)
Ich behaupte, dass es ein Fehler {ist/#sei}, in dieser Sache nichts zu tun.
Das betrifft nicht nur performative assertive Sprechakte, sondern performative Sprechakte im Allgemeinen, vgl. (42) und (43).⁷ (42)
Ich frage dich hiermit zum letzten Mal, wo er {ist/#sei}.
(43)
Ich verspreche dir hiermit, dass ich pünktlich {bin/#sei}.
Auch in einigen Beispielen, in denen das Einstellungsverb im Imperativ steht bzw. das Subjekt sich auf die angesprochene Person im Äußerungskontext bezieht, scheint der IndK völlig ausgeschlossen zu sein. (44)
a. b. c.
Sag mir, dass das nicht wahr {ist/#sei}. Erzähl mir, wer auf der Party gewesen {ist/#sei}. So glaub mir doch, dass es mir leid {tut /#tue}.
6 Beobachtungen zu Beschränkungen in der Verwendung unter glauben finden sich in Lohnstein (2000, 103) (mit Verweisen auf Thieroff (1992)) und Schlenker (2003, 87). Siehe auch die Diskussion im Kapitel 5. 7 Dass hier nicht die 1. Person Singular entscheidend ist, sieht man auch an performativen Äußerungen in der 3. Person, bei denen der IndK ebenfalls ausgeschlossen ist. (40)
Ihr Organisationsteam verspricht Ihnen hiermit, alles dafür zu tun, dass es ein gelungener Aufenthalt {wird/#werde}.
Im Kontrast dazu: (41)
Das Organisationsteam verspricht den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, alles dafür zu tun, dass es ein gelungener Aufenthalt {wird/werde}.
Zu einer Diskussion von 3. Person Performativen im Allgemeinen: siehe Eckardt (2012).
1.3 Der Indirektheitskonjunktiv | 13
d.
Du kannst mir glauben, dass es mir leid {tut/#tue}.
Dazu im Kontrast stehen Verwendungsweisen, bei denen lediglich vorherige Äußerungen der angesprochenen Person in Erinnerung gerufen werden. In diesen Fällen ist die Verwendung des Konjunktivs auch bei Bezug auf die angesprochene Person möglich, wie sonst auch in Redeberichten. (45)
Du sagst ja, dass der Lüfter sehr laut sei.
1.3.3 Freie indirekte Rede Auch in der freien indirekten Rede (= FIR) oder „berichteten Rede“, vgl. FabriciusHansen (2006), d.h. in syntaktisch selbstständigen Sätzen der indirekten Rede, treten Formen des Konjunktivs I und des Konjunktivs II mit einer Indirektheitfunktion auf, vgl. (46). (46)
(Er sagt, Maria sei schön.) Sie habe grüne Augen.
Jäger (1971)
Oft gehen der FIR keine vollständigen Subordinationsgefüge voraus, sondern die Sagens-Verben treten als parenthetische Zusätze auf. (47)
Dort liege, sagt sie, ein großes Problem.
Reis (1997, 125)
Auch findet man redezuschreibende Parenthesen wie wie DP betonte oder so DP und redezuschreibende PPs wie laut DP oder DP zufolge anstelle von subordinierenden Verben. (48)
Und dieser Bericht, so Kretschmer, sei „zu teilweise anderen Ergebnissen“ als die Staatsanwaltschaft gekommen.
(49)
Bei der Anreise der Gäste zum Spiel bei der SpVgg Unterhaching sei es laut Angaben der Polizei zu Ausschreitungen gekommen.
(50)
Schließlich entschied man sich, die Zeitmaschine mobil zu gestalten, was den Entwicklern zufolge logisch sei, da sie so stets mitgenommen werden konnte, womit eine Rückkehr erleichtert würde.
Manchmal ist der Konjunktiv der einzige Indikator dafür, dass es sich um einen Redebericht handelt. (51)
Überall auf dem Sediment in der Tiefe sahen die Forscher Spuren, die die großen Krebse mit ihren Beinen und Zangen hinterlassen hatten. Zum Teil habe der weiche Sedimentboden regelrecht durchpflügt gewirkt.
14 | 1 Formen und Funktionen des Konjunktivs
(52)
Er kann nicht kommen, er sei krank. Brausewein (1990, 141); zitiert nach Reis (1997, 125)
(53)
(Er war sauer.) Das sei eine üble Geschichte. Sie solle froh sein, wenn . . . Reis (1997, 125)
1.3.4 w-Komplemente und Fragen Der IndK kann auch in w-Komplementen zu Verben und Nomen mit Fragebedeutung vorkommen, vgl. die Beispiele in (30-c) und (30-e). Ein weiteres Beispiel ist das folgende: (54)
Beim 16. Treffen schließlich soll die Dame auf die Frage, wer sie sei, mit den Worten [. . . ] „Ich bin die unbefleckte Empfängnis“ geantwortet haben.
Aber auch im Komplement von Verben wie sagen und erzählen und anderen extensionalen Prädikaten im Sinne von Groenendijk und Stokhof (1982) findet man den IndK zuweilen in w-Komplementen. (55)
Dass eine einzelne auftretende Person am Eingange des Stückes erzählt, wer sie sei, was der Handlung vorangehe, was bis jetzt geschehen, ja was im Verlaufe des Stückes geschehen werde, das würde ein moderner Theaterdichter als ein muthwilliges und nicht zu verzeihendes Verzichtleisten auf den Effect der Spannung bezeichnen. Friedrich Nietzsche, Die Geburt der Tragödie
(56)
Hat er gesagt, warum das nicht möglich sei?
In den meisten Kontexten ist der IndK in w-Komplementen zu extensionalen Verben eher schlecht. (57)
Wenn sie etwas wüßte, hätte sie uns gesagt, was sie {weiß/*wisse}.
Was oft übersehen wird, ist, dass man in der freien indirekten Rede neben Deklarativsätzen auch Interrogativsätze findet. Ein Beispiel mit einer V1-Parenthese: (58)
Wo liege, fragt sie, das Problem?
Zwei Beispiele mit Listen von Fragesätzen im Konjunktiv führe ich in (59) und (60) an. (59)
Ballmer begann seine Rede in gewohnt - und diesmal vielleicht besonders lockerer Form, mit einer kleinen Umfrage unter den rund 500 anwesenden
1.3 Der Indirektheitskonjunktiv | 15
Studenten: Wer nutze einen PC, wer einen Mac? Wer surfe mit dem Internet Explorer, wer mit der Alternative Firefox? Wer habe ein Handy mit dem Microsoft-System Windows Mobile, wer ein iPhone von Apple? (60)
. . . Aber unter den Gründungsvätern des HRG habe er sich mit vielem leider nicht durchsetzen können und man solle doch mit dem zufrieden sein, was er immerhin noch erreicht habe. Und schließlich: Wer habe denn vorher wissen können, daß die deutsche Universitätslandschaft so vielfältig sei? Wer habe damit rechnen können, daß dort so unterschiedliche Interessen aufeinanderprallen?
In der literarischen freien indirekten, wie sie z.B. in Kehlmanns Die Vermessung der Welt Verwendung findet, kommen Fragen im Konjunktiv frequent vor.
1.3.5 Der IndK in syntaktisch abhängigen Nichtkomplementsätzen Grundsätzlich gilt, dass der IndK in jeder Art von abhängigem finiten Satz vorkommen kann, in dem auch ein Indikativ stehen kann, insofern er durch einen vorausgehenden IndK lizensiert ist bzw. in einem bereits lizensierten Indirektheitskontext auftritt. In syntaktisch abhängigen Sätzen kann der IndK initial – d.h. ohne Einbettung in einen bereits lizensierten Indirektheitskontext – jedoch nur bedingt vorkommen: außer im Komplementsatz zu einem Einstellungsverb kann ein IndK in einem indikativischen Umfeld nur in einem syntaktisch abhängigen Satz mit einem eigenen aktiven Illokutionspotential vorkommen. Das heißt: Der IndK kann in periphären, nicht aber in zentralen Adverbialsätzen; in appositiven, nicht aber in restriktiven Relativsätzen initial vorkommen. Insofern seine Lizensierung immer an eine Einstellung oder ein aktives Illokutionspotential gebunden ist, trägt er wesentliche Charakteristika eines Wurzelphänomens. Zu einer differenzierteren Einordnung, vgl. den Abschnitt 9 zur freien indirekten Rede im zweiten Teil dieser Arbeit.
1.3.5.1 Adverbialsätze Dass der IndK in periphären Adverbialsätzen initial vorkommen kann, kann durch die folgenden weil- und obwohl-Sätze illustriert werden, vgl. auch die Diskussion in Fabricius-Hansen und Sæbø (2004, 249ff.).
16 | 1 Formen und Funktionen des Konjunktivs
(61)
Heute aber waren alle Obleute im Untersuchungsausschuss sauer, weil es nicht das erste Mal sei, dass die Behörden ihnen etwas Wichtiges verschweigen.
(62)
Eine Boulevardzeitung bezichtigte mich des Verrats, weil Polizei eingesetzt werde, um die Mauer zu schützen. Fabricius-Hansen und Sæbø (2004, 250)
(63)
Blondie-Sängerin Debbie Harry (64) hat gegen Popsängerin Christina Aguilera (29) ausgeholt, weil die „unverhohlen sexuell“ sei.
(64)
Gerade für Kroos will der Trainer einen hochwertigen Ersatz, obwohl er sich bewusst sei, dass er schwer zu ersetzen sein wird.
(65)
Obwohl der Print tot sei, wie die Kollegenschar lamentiert, produziert die Agentur seit einigen Jahren leibhaftige Magazine.
1.3.5.2 Appositive Relativsätze In Kontexten, in denen eine Redezuschreibung plausibel ist, können auch appositive Relativsätze als freie indirekte Rede vorkommen. (66)
Peter hat das Bild, das ihn schon immer gestört habe, abgehängt.
(67)
Meine Versicherung legt sich einfach auf den relativ hohen Restwert fest, der ja verbindlich sei und wenn der nicht gezahlt werde, sei es halt mein Problem ...
(68)
Die Anwohner wünschten sich eine Mitbeleuchtung des Fasanenwegs, der nachts sehr dunkel sei und daher kaum genutzt werde.
(69)
Da auch Sita sich einverstanden erklärte mit dieser Ordnung der Dinge, durch die, wie sie sagte, ihr Kriegerblut sich angesprochen fühle, . . . so trug denn . . . dies Todestreffen sich zu . . . Flämig (1962, 90)
Auch in Relativsätzen mit Verbzweit-Stellung, wie Gärtner (2000) sie diskutiert, scheint der IndK initial vorkommen zu können. (70)
Dann hat er letzte Woche eine kennengelernt, die sei ganz nett.
1.3.5.3 Restriktive Relativsätze In restriktiven Relativsätzen kann ein IndK nicht ohne Weiteres vorkommen. (71)
a.
Der Läufer, der das Ziel nicht erreicht hat, sitzt in der Loge.
1.3 Der Indirektheitskonjunktiv | 17
b.
*Der Läufer, der das Ziel nicht erreicht habe, sitzt in der Loge. Lohnstein (2000, 101)
Ausnahmen dazu sind restriktive Relativsätze, bei denen die entsprechende DP das Objekt zu einem Verb mit Sagensbedeutung ist. (72)
Herr Botschafter, vor Jahren hat Henry Kissinger einmal nach der Telefonnummer desjenigen verlangt, der für die europäische Außenpolitik zuständig sei.
(73)
Das Magazin berichtete aber nur von dem Vorfall, der sich im Vorfeld zugetragen habe.
(74)
Moses Mendelssohn nennt ihn den geistreichsten Mann, der ihm je begegnet sei.
Einige der Relativsatzbeispiele in Flämig (1962) sind von dieser Art: (75)
Man spricht von zehn Plagen, die Jahwe . . . über Ägypten verhängt habe, um Pharao mürbe zu machen . . . Flämig (1962, 90)
(76)
. . . bald kamen sie ab davon auf das Unrecht, das ihnen geschehe durch seine Größe. Flämig (1962, 90)
(77)
An den Straßenecken hafteten gedruckte Anschläge, durch welche die Bevölkerung wegen gewisser Erkrankungen . . . , die bei dieser Witterung an der Tagesordnung seien, vor dem Genusse von Austern und Muscheln . . . gewarnt wurde. Flämig (1962, 91)
Auch DPs im semantischen Skopus von sollen in einer reportativen Lesart können mit einem IndK stehen. (78)
Gleichfalls nicht bedenkenfrei ist es, dass mit max. 40 v. H. des Maximalpunktwertes „sonstige einschlägige Qualifikationen“ eingestellt werden sollen. Zu diesen sonstigen Qualifikationen soll auch diejenige zählen, die aus dem sog. Motivationsschreiben abzuleiten sei.
(79)
Das Verhältnis zu seiner ältesten Tochter Sophia soll besonders eng sein, da sie diejenige ist, die ihrem Vater am ähnlichsten sei.
Interessant ist auch das folgende Beispiel eines restriktiven Relativsatzes im IndK mit einem Matrixsatz im Indikativ, der allerdings durch die PP laut Staatsanwaltschaft als Bericht markiert ist. (80)
Laut Staatsanwaltschaft Kiel beläuft sich der Schaden, der der Gemeinde Ellerau entstanden sei, auf rund 200 000 Euro.
18 | 1 Formen und Funktionen des Konjunktivs
Wie Lohnstein (2000) beobachtet, kann der IndK im Deutschen – anders als der Subjunktiv im Spanischen – nicht im Allgemeinen dazu verwendet, zu markieren, dass es sich bei einem Objekt um ein „intensionales Objekt“ handelt, vgl. auch Quer (1998, 105ff.). Zur Illustration kann das klassische Beispiel aus Quine (1956) dienen: (81)
a.
Procuro un perro que habla. (ich) suche einen Hund der spricht.ind ‘Es gibt ein x, so dass x ein Hund ist und x spricht und ich versuche x zu finden’ (Quine (1956): „relational sense“)
b.
Procuro un perro que hable. (ich) suche einen Hund der spreche.subj ‘Ich strebe danach, dass es ein x gibt, so dass x ein Hund ist und x spricht und ich x finde’ (Quine (1956): „notional sense“)
Im Deutschen ist eine Konjunktivform in (82) ohne eine zusätzliche Motivation selbst dann nicht möglich, wenn eine intensionale Lesart für den indefiniten Ausdruck im Kontext plausibel ist. (82)
a. Ich suche eine Hund, der spricht. b. #Ich suche einen Hund, der spreche.
1.3.6 Wahl zwischen Konjunktiv I und Konjunktiv II Grundsätzlich scheint es bei Einbettung unter ein Sprechaktverb keinen Unterschied zu machen, ob die Indirektheit durch eine Konjunktiv I-Form, eine Konjunktiv II-Form, vgl. (83-a) und (83-b), oder durch eine Umschreibung mit würde markiert wird, vgl. (83-c): die Wahrheitsbedingungen sind jeweils dieselben. (83)
a. b. c.
Rosi behauptet, dass Anne zum Essen komme. Rosi behauptet, dass Anne zum Essen käme. Rosi behauptet, dass Anne zum Essen kommen würde.
Damit will ich nicht sagen, dass die Wahl der Konjunktiv-Form gänzlich ohne Einfluss auf die Bedeutung im weiteren Sinne bleibt: es mag durchaus Unterschiede in den Implikaturen und Färbungen geben, auf die ich an dieser Stelle allerdings nicht weiter eingehen werde. Es scheint auch registerspezifische Präferenzen zu geben bei der Wahl zwischen Konjunktiv I, Konjunktiv II und der Konstruktion mit würde. Für geschriebene Texte wird oft das Gebot als verbindlich angesehen, dass eine Konjunktiv I-Form zu wählen ist, wenn sie eindeutig ist und die Konjunktiv II-Form nur als
1.3 Der Indirektheitskonjunktiv | 19
Ersatzform bei Formen-Synkretismus gewählt werden sollte, vgl. z.B. Eisenberg et al. (1998). Die analytische Form mit würde gilt als umgangssprachlich. Im gesprochenen Standarddeutsch existiert der Konjunktiv I in der indirekten Rede praktisch nicht. Die Verwendung des Konjunktivs II und der würde-Konstruktion in Redeberichten ist auch im gesprochenen Standarddeutsch üblich, vgl. z.B. Fabricius-Hansen (2006) , Zifonun und Hoffmann (1997), Eisenberg (1994). Die semantischen Generalisierungen zur Verwendungsweise des IndKs in dieser Arbeit beziehen sich allgemein auf den Konjunktiv als Markierer von Indirektheit, wie er in der geschriebenen als auch in der gesprochenen Sprache vorkommt, auch wenn die meisten Beispiele in dieser Arbeit aus Tageszeitungen, literarischen Texten oder Internetquellen stammen.
1.3.7 (Freie) indirekte Rede und Satzmodus Der IndK kann im Prinzip in allen selbständigen Satztypen vorkommen, die mit einer Form des Indikativs möglich sind. Die Sätze haben dem Satzmodus nach dieselbe Interpretation wie die entsprechenden Indikativsätze; der Unterschied zu den entsprechenden indikativischen Sätzen ist lediglich, dass die Assertionen, Fragen, Exklamative usw. nicht der aktuelle sprechenden Person zugeschrieben werden, sondern einer salienten Person im Diskurskontext.⁸ Der IndK in der FIR lässt also in gewisser Weise den Charakter des Satzmodus unberührt. Für Deklarativsätze ist das offensichtlich. Für Interrogativsätze habe ich bereits einige Beispiele gegeben. In (84) führe ich noch einmal ein Beispiel für eine V-in-C-Frage und in (85) ein Beispiel für eine Verb-letzt-Frage an. (84)
Die Anbiederung an die Zukunft sei eine Form der Feigheit. Glaube er wirklich, man werde dann klüger sein? Daniel Kehlmann, Die Vermessung der Welt, 153
(85)
Beim Hinausgehen wurden sie von einem hageren Herrn angesprochen. Ob er die Ehre mit Gauß, dem Astronomen, habe? Dem Astronomen und Mathematiker, sagte Gauß. Daniel Kehlmann, Die Vermessung der Welt, 158
8 Ich nehme hier an, dass sich der Satzmodus kompositional zusammensetzt, vgl. u.a. Brandt et al. (1992), Lohnstein (2000), Truckenbrodt (2013) für entsprechende Vorschläge und die Diskussion im Kapitel 4. Für einen Überblick zum Zusammenhang von Satztyp und Semantik: siehe Kaufmann (2013).
20 | 1 Formen und Funktionen des Konjunktivs
In (86) und (87) finden sich Beispiele für Exklamativsätze bzw. Sätze mit einer Verwendungsweise, die eine exklamative Intention markiert. (86)
Einzig Gelnhausen maulte vor sich hin und zankte dann laut mit der Wirtin: Was die Courage sich denke! Günter Grass, Das Treffen in Telgte, 40
(87)
Moscherosch höhnte: In welcher Zeit der junge Fant eigentlich lebe! Günter Grass, Das Treffen in Telgte, 34
Die angeführten Beispiele sind alle aus dem Bereich der literarischen freien indirekten Rede.⁹ Ein Bericht von direktiven Satzmodi mit dem IndK ist in der Regel blockiert. So kann z.B. ein Satz der Form in (88) je nach Kontext entweder als Bericht einer Assertion oder als ein Ratschlag verstanden werden, aber nicht als Bericht eines Ratschlags. (88)
Ein Redner sei kein Lexikon.
Will man mit dem IndK Aufforderungen, Wünsche oder andere Sprechakte berichten, verwendet man die lexikalischen Mittel, die einem auch in einem entsprechenden Indikativsatz zum Ausdruck dieser Satzmodi bzw. zum Bericht der entsprechenden Äußerungen zur Verfügung stehen. Im Beispielfall könnten die Modalverben sollen oder dürfen verwendet werden um den Ratschlag auszudrücken.¹⁰
9 Die Weise wie freie indirekte Rede in bestimmten Romanen – wie z.B. den hier angeführten von Grass und Kehlmann – verwendet wird, hat eine große formale Ähnlichkeit zur erlebten Rede (‘free indirect discourse’): Viele der von Banfield (1982) angeführten formalen Eigenschaften finden sich hier wieder. Zu formalen Eigenschaften der freien indirekten Rede: siehe auch Eckardt (2015). 10 Als mögliche Gegenbeispiele gegen die Generalisierung, dass ein Konjunktiv I entweder einen Redebericht oder eine Aufforderung ausdrückt – aber nicht beides, sind mir lediglich Beispiele aus dem literarischen Kontext bekannt. (89)
Dann rief er die Versammlung in die Große Diele zu neuem Disput. Es wolle doch Gerhardt nun endlich dem weitberühmten Gast replizieren. Günter Grass, Das Treffen in Telgte, 91
(90)
Der Himmel aber möge nun, so wünscht sich Heinrich von Kleist [. . . ], „seine beßten Kräfte in das Seebad bei Dobberan“ senken. Gerhard Schulz, Kleist: Eine Biografie, 290
Hier scheint der Konjunktiv neben der berichtenden Funktion außerdem zur Lesart der Sätze als Aufforderung beizutragen. Vor allem der Satz in (89) lässt sich nicht einfach als eine konjunktivische Umformung des Satzes in (91) verstehen. (91)
Es will doch Gerhardt nun endlich dem weitberühmten Gast replizieren.
1.4 Wunschkonjunktiv |
(92)
21
Ein Redner solle/dürfe kein Lexikon sein(, rät Tucholsky).
1.4 Wunschkonjunktiv In selbständigen finiten Sätzen kann der Konjunktiv I unter anderem Aufforderungen, Erlaubnisse, Wünsche, Empfehlungen oder Setzungen von Annahmen ausdrücken. Anders als im Falle des IndKs kann eine Form des Konjunktivs I in dieser Verwendungsweise nicht ersetzt werden durch eine Form des Konjunktivs II oder eine analytische Form mit würde.
1.4.1 Erweiterung des Imperativparadigmas In einer direktiven Verwendungsweise werden die Formen des WunschKs (= Konjunktiv I) oft als Erweiterungen des Imperativparadigmas angesehen, vgl. Donhauser (1986). In der 1. und 3. Person, für die es im Deutschen keine Imperativformen gibt, kann der Konjunktiv I die Funktionen des Imperativs übernehmen. Eine Verwendungsweise des Konjunktivs I in der 2. Person ist blockiert durch die Möglichkeit, den Imperativ zu verwenden.¹¹ Besonders häufig finden sich direktive Verwendungsweisen in der 1. Person Plural und der 3. Person Plural. In der 1. Person Plural kann der Konjunktiv I im Sinne eines Hortativs verwendet werden, d.h. zum Ausdruck einer Aufforderung an die Gruppe um die sprechende Person. (93)
Seien wir wählerisch – gehen wir wählen
(94)
Seien wir mal konsequent: Ich sehe es nicht ein für Banken zu bezahlen.
Ob es sich bei den Verbformen in (95) und (96) ebenfalls um Formen des Konjunktivs I handelt oder um Indikativformen, lässt sich nicht zweifelsfrei entscheiden. (95)
[. . . ] ich rufe es auch Euch allen zu: „Ultreya!, auf, gehen wir weiter, bleiben wir nicht stehen!“
(96)
Notruf 112 – bleiben Sie ruhig! Machen Sie klare und deutliche Angaben!
11 Eine Diskussion des entsprechenden Blocking-Phänomens im Französischen unter einer semantischen Perspektive findet sich in Schlenker (2005).
22 | 1 Formen und Funktionen des Konjunktivs
Darauf, dass es sich hier um Formen des Konjunktivs I handelt, könnte man in Analogie zu den Formen in (93) und (94) schließen, die eindeutige Konjunktiv IFormen sind. Ich möchte hier allerdings erwähnen, dass mit V1-Stellung auch der Indikativ in dieser hortativen Funktion verwendet werden kann, vgl. das Beispiel in (97).¹² (97)
Sind wir mal ehrlich: der deutsche Bürger trägt auch seine Mitschuld am Desaster!
In der 3. Person Plural wird der WunschK häufig in derselben semantischen Funktion wie der Imperativ verwendet. Das hängt damit zusammen, dass im Deutschen zur höflichen Anrede das Pronomen der 3. Person Plural verwendet wird. (99) (100)
Seien Sie still! Bitte seien Sie pünktlich!
Es stellt sich auch hier die Frage, ob es sich bei den Formen in (101) und (102) um Formen des Konjunktivs handelt oder um Indikativformen. (101)
Ich rate Ihnen: Lesen Sie mal wieder ein Buch.
(102)
Bleiben sie ja ruhig und lassen sie sich nicht auf eine heiße Debatte ein – wo sie eh nur verlieren können . . .
Die Indikativform von sein mit V1-Stellung ist in den entsprechenden Sätzen allerdings nicht in der gleichen Weise gut wie bei Hortativen. (103)
??Lesen Sie ein Buch und sind sie still!
(104)
a. b.
Seien Sie versichert, dass es uns leid tut! ??Sind Sie versichert, dass es uns leid tut!
Mit Bezug auf die 3. Person Singular muss man differenzieren. Adressierende direktive Verwendungsweisen mit Eigennamen wie in (105) wirken antiquiert, vgl. die Diskussion in Lohnstein (2000) zur Verwendung solcher Sätze in Bühnenkontexten. (105)
a.
Peter steige auf den Stuhl.
Lohnstein (2000, 108)
12 Es stellt sich auch die Frage, ob (97) und die konjunktivische Variante in (98) dasselbe bedeuten, Möglicherweise existieren beide Formen nebeneinander. (98)
Seien wir mal ehrlich: der deutsche Bürger trägt auch seine Mitschuld am Desaster!
1.4 Wunschkonjunktiv |
b.
23
Maria spiele die Flöte.
Natürlicher klingt hier der Imperativ mit Vokativ. (106)
a. b.
Peter, steig (du) auf den Stuhl. Maria, spiel (du) die Flöte.
Noch antiquierter wirken Verwendungsweisen, die Flämig (1962) „indirekte“ oder „mittelbare Aufforderung“ nennt. Die Idee ist, dass eine Person, die etwas von einer dritten Person will, den eigenen Wunsch nicht unmittelbar an diese Person richtet, sondern an die angesprochene Person mit der Erwartung, dass sie den Wunsch an die dritte Person übermittelt. (107)
Er bescheide sich!
Flämig (1962, 117)
Etwas weniger antiquiert klingt der WunschK in der 3. Person Singular mit einem freien Relativsatz. Hier einige Beispiele: (108)
ACHTUNG: Ab 16:00 wird gechillt & gegrillt mit Bands und Freunden; wer Bock hat, der komme früher!
(109)
Wer glaubt, Bildung sei teuer, möge sich überlegen, was Unwissenheit kostet.
(110)
Wer glaubt, alles sei vorbereitet, dem sei gesagt, dem ist nicht so.
Auch lassen sich Beispiele für den Wunschkonjunktiv in der 3. Person finden, wenn sich die DP zusätzlich indexikalisch auf die angesprochene Person bezieht wie in (111). (111)
. . . jeder von Euch bringe bitte sein bestes Fläschchen selber mit . . .
Mit Blick auf die Daten lässt sich generalisieren: Der WunschK klingt umso antiquierter, je indirekter die Aufforderung ist. Die allgemeine Tendenz, die durch die Beispiele nahegelegt wird, kann durch die folgende Skala ausgedrückt werden (wobei „>“ zu verstehen ist im Sinne von ‘klingt antiquierter als’): (112)
indirekte Aufforderung, (107) > adressierender Bezug mit Eigennamen, (105) > adressierender Bezug mit freiem Relativsatz, (108) > Quantifikation mit indexikalischem Bezug, (111) > adressierender Bezug mit wir/Sie, (93)/(99)
24 | 1 Formen und Funktionen des Konjunktivs
Bemerkenswert ist auch, dass in der 3. Person Sg. V1- neben V2-Stellung des Verbs zu finden ist, vgl. (113) und den Unterschied zwischen (111) und (114). Das ist anders als in der 1. und 3. Person Plural, vgl. (115)–(118). Nehme sich jeder einen Bleistift. Jeder nehme sich einen Bleistift.
(113)
a. b.
Lohnstein (2000, 106)
(114)
Die Aliens kommen! Bringe jeder sein Vermögen und sich in Sicherheit!
(115)
a. Seien wir mal ehrlich! b. *Wir seien mal ehrlich!
(116)
a. Kommen wir zum nächsten Punkt! b. *Wir kommen zum nächsten Punkt!
(*: im Sinne von (116-a))
(117)
a. Seien Sie doch bitte einmal für fünf Minuten still! b. *Sie seien doch bitte einmal für fünf Minuten still!
(118)
a. Kommen Sie zu mir! b. *Sie kommen zu mir!
(*: im Sinne von (118-a))
Das mag damit zusammenhängen, dass in der 3. Person Singular anders als in der 1. und 3. Person Plural die Konjunktivform auch bei anderen Verben als sein eindeutig als Konjunktivform identifizierbar ist. Die hier erwähnten Beobachtungen beziehen sich alle auf die schriftsprachliche Verwendung. Im gesprochenen Standarddeutsch ist die Verwendung des Konjunktivs I zum Ausdruck von Wünschen völlig ungebräuchlich – mit Ausnahme der Beispiele von adressierendem Bezug mit wir und Sie, vgl. (93)/(99).
1.4.2 Nichtdirektive Verwendungsweisen Alle anderen in der Literatur üblicherweise angeführten Verwendungsweisen des WunschKs sind ebenfalls Verwendungsweisen in der 3. Person.¹³ Der Satz in (119) ist ein Beispiel für einen sogenannten „Rezeptkonjunktiv“. (119)
Man nehme ein Pfund Mehl und siebe es in eine große Schüssel.
13 Zu diesen weiteren Verwendungsweisen: vgl. z.B. Fabricius-Hansen (2006), Lohnstein (2000), Thieroff (2004).
1.4 Wunschkonjunktiv |
25
Tatsächlich findet man in Rezepten an Stelle des Konjunktivs viel häufiger den Infinitiv, vgl. (120).¹⁴ (120)
Mehl in eine große Schüssel sieben. Milch leicht erwärmen und in einen Rührbecher gießen.
In wissenschaftlichen Texten werden Annahmen oft unter Verwendung einer Kopula-Konstruktion im Konjunktiv eingeführt.¹⁵ (122)
Sei n eine Zahl, die sich bei Umstellung ihrer letzten Ziffer an die erste Stelle verdoppelt.
Verwandt damit ist die Verwendung des Konjunktivs zum Ausdruck von Sprechakten, die nach Searle (1975) als „expressives“, vgl. (123), bzw. „declarations“, vgl. (124), klassifiziert werden können. (123)
Allen, die zur Entstehung des vorliegenden Sammelbandes beigetragen haben, sei hiermit herzlich gedankt.
(124)
a.
b.
Dafür sei schon vorab als mildernder Umstand reklamiert, dass die Grammatik der V1-Gefüge bisher überhaupt kein Thema war, geschweige denn ein ernsthaft behandeltes. Betont sei nur nochmals das hier allein Wesentliche [. . . ]
Diese Sprechakte haben einen performativen Charakter, was man daran sieht, dass hiermit als Performativitätsmarker verwendet werden kann. Der Form nach handelt es sich in diesen Beispielen um ein Zustandspassiv.¹⁶ Die letzte Verwendungsweise des WunschKs in selbständigen Sätzen, die ich hier hervorheben möchte, ist die zum Ausdruck eines Wunsches im engeren Sinne. Man findet sie in einigen formelhaften Wendungen, vgl. (126-a) und (126-b); zuweilen auch in Formulierungen mit dem Modalverb mögen, vgl. (126-c).¹⁷
14 Das bestätigt z.B. ein kurzer Blick auf www.chefkoch.de/ oder in eine beliebige andere Rezeptsammlung. 15 Im Englischen wird in solchen Fällen in der Regel eine Konstruktion mit let verwendet: (121)
Let n be a prime.
16 Hier wäre ein Vergleich mit sollen interessant, das in diesen Konstruktionen mit Zustandpassiv ebenfalls performativ verwendet werden kann. (125)
a. b.
Hiermit sollen alle gewarnt sein, dass . . . Hiermit seien alle gewarnt, dass . . .
26 | 1 Formen und Funktionen des Konjunktivs
(126)
a. b. c.
Es werde Licht! Möge er ruhen in Frieden. Möge dein Leben mal so schön sein, wie du es auf Facebook darstellst.
1.4.3 Finalsätze In Finalsätzen können Formen des Konjunktivs I auftreten, die in der Literatur als WunschK klassifiziert werden; vgl. Fabricius-Hansen (2006), Jäger (1971), Flämig (1962). (128)
Er sprach sehr langsam und deutlich, damit sie ihn verstehe. Thieroff (2004, 322)
(129)
Mordkreuze M.e wurden meistens an der Stelle errichtet, wo ein Mord geschehen war. Sie sind regelmäßig Sühnekreuze und haben dann mit Aberglauben nichts gemein. Nur wenn sie ein Opfer bedeuteten, das dem Toten dargebracht wurde, damit er den Lebenden nicht schade (vgl. Mord), sind sie abergläubischen Vorstellungen entsprungen. Bestimmte Belege dafür fehlen.
Der Wunschcharakter zeigt sich nach Eisenberg et al. (1998) daran, dass sich damit-Sätze als weil . . . will-Sätze paraphrasieren lassen.¹⁸ (130)
a. b.
Peter beeilt sich, damit er nicht zu spät kommt. Peter beeilt sich, weil er nicht zu spät kommen will.
Dass es sich bei dem Konjunktiv I im Finalsatz um einen WunschK handelt, dafür kann als weitere Evidenz angeführt werden, dass in Sätzen dieser Art die betonte Modalpartikel ja stehen kann, die nur in Sätzen vorkommt, die eine deontische Modalität ausdrücken, vgl. Thurmair (1989), Ormelius-Sandblom (1997), Grosz (2012). (131)
Er sprach sehr langsam und deutlich, damit sie ihn auch ja verstehe.
17 Im Englischen entspricht diese Verwendungsweise dem Ausdruck von Wünschen mit let oder may. (127)
May he rest in peace!
18 Entsprechende Paraphrasen sind allerdings nicht für alle damit-Sätze möglich.
1.4 Wunschkonjunktiv |
27
Als weitere Evidenz kann genommen werden, dass man in Finalsätzen Verwendungen des Modalverbs sollen in einer Wunschlesart findet, die im Vergleich mit den entsprechenden indikativischen Sätzen ohne sollen nichts Zusätzliches zur Gesamtbedeutung des Satzes beizutragen scheinen, vgl. (132)–(134). (132)
sie liebkost ihn, damit er Ithaka vergessen soll (≈ vergisst), welches er also, als sie ihn liebkoste, noch nicht vergessen hatte
(133)
Ich streich immerfort über sein Haar, damit er glauben soll (≈ glaubt), es sei seine Frau oder seine Mutter.
(134)
Hurley wird befreit und zurück zu den Überlebenden geschickt, damit er diese warnen soll (≈ warnt), niemals nach den drei Gefangenen zu suchen.
Das lässt sich erklären, wenn man annimmt, dass hier das Modalverb sollen im Concord – d.h. im semantischen Einklang – mit der modalen Bedeutung des Komplementierers damit gelesen wird. Selbst wenn man dazu neigt, diese Verwendungsweisen als „Performanzfehler“ zu marginalisieren, geben diese Daten dennoch Aufschluss über den modalen Wunschcharakter der Finalsätze. Hier noch einige Bemerkungen zum Verbmodus im Finalsatz: Die Sätze in (135) zeigen, dass der temporale Bezug des Konjunktivs I in Finalsätzen immer relativ zum Tempus des Matrixsatzes interpretiert wird. (135)
a. b.
Er spricht sehr langsam und deutlich, damit sie ihn auch verstehe. Er sprach sehr langsam und deutlich, damit sie ihn auch verstehe.
Bemerkenswert ist auch, dass, obwohl es sich aus semantischer Sicht auf den ersten Blick um eine Form des WunschKs handelt, hier der Konjunktiv I ausnahmsweise ersetzbar ist durch einen Konjunktiv II bzw. eine analytische Konstruktion mit würde. Das wiederum spricht eigentlich für einen Indirektheitskonjunktiv.¹⁹ (137)
Er sprach sehr langsam, damit sie ihn auch ja verstünde/verstehen würde.
19 Möglicherweise kann es auch zu „Überlagerungen“ zwischen Formen des IndKs und Formen des WunschKs kommen. Dass Überlagerungen nicht ausgeschlossen werden können, dafür können die folgenden Beispiele als Evidenz dienen: (136)
a. b.
Er legt das Geld für seine Kinder an, damit es ihnen einmal besser erginge als ihm. #Ich lege das Geld für meine Kinder an, damit es ihnen einmal besser erginge als mir.
Wenn man die zusätzliche Annahme macht, dass ein IndK im Finalsatz nicht verwendet werden kann, wenn es sich bei den ausgedrückten Intentionen um die Intentionen im Äußerungskontext handelt, dann lässt sich dieser Kontrast unter der Annahme erklären, dass erginge in (136-a) in der Funktion eines IndK verwendet wird.
28 | 1 Formen und Funktionen des Konjunktivs
Auch mit ensprechenden Nomen, die sich auf einen Zweck beziehen, findet man den Konjunktiv I.²⁰
1.4.4 Relativsätze Auch im Relativsatz findet man zuweilen einen WunschK; vgl. Flämig (1962), Jäger (1971). Der Satz in (141) ist ein Beispiel dafür. Diese Verwendungsweise ist verwandt mit anderen appositiven Verwendungsweisen von Sätzen mit WunschK, vgl. (142). (141)
Meine Schwester – die verflucht sei in alle Ewigkeit – soll keinen Bauern von Piatra dazu bringen, die alten Gesetze und Verbote unserer Väter umzustoßen. Richard Voß, Michael Cibula
(142)
Mal wieder ein neues Städteranking. Diesmal von der, verflucht sei ihr Name, Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.
Im restriktiven Relativsatz ist ein WunschK nicht möglich, was nicht weiter verwunderlich ist, wenn man annimmt, dass ein WunschK ein Indikator für einen Sprechakt ist, und restriktive Relativsätze es nicht erlauben einen eigenen Sprechakt auszudrücken; vgl. die Diskussion in Reis (1997) zur Möglichkeit des Ausdrucks von Sprechakten in syntaktisch abhängigen Sätzen. (145) ist dabei im Konstrast zu (141) zu lesen.²¹ 20 Unter diesen Nomen finden sich auch Concord-Lesarten für sollen: (138)
Das Ganze hat den Zweck, dass das Wasser abfließen soll (≈ abfließt).
(139)
Das magische Theater hat den Zweck, dass Harry lernen soll (≈ lernt) zu leben und zu lachen.
(140)
Die Funktion ist, dass verhindert werden soll (≈ wird), dass das Handy durch das jeweilige Programm abstürzt.
21 Dasselbe gilt auch für performativ verwendete Formen von sollen in einer Wunschlesart: während performativ verwendete Formen von sollen im Relativsatz grundsätzlich möglich sind, vgl. (143), sind sie im restriktiven Relativsatz ausgeschlossen, vgl. (144-a). Deskriptive Verwendungsweisen dagegen sind auch im restriktiven Relativsatz möglich, vgl. (144-b). (143)
Es ist nachzutragen, dass in der Mitarbeiterliste M.M. fehlt, die hiermit berichtigt sein soll.
(144)
a. b.
#diejenige Mitarbeiterliste, die hiermit berichtigt sein soll diejenige Mitarbeiterliste, die berichtigt werden soll
1.4 Wunschkonjunktiv |
(145)
29
*Diejenige meiner Schwestern, die verflucht sei in alle Ewigkeit, ...
1.4.5 Bericht von direktiven Einstellungen Als letztes möchte ich noch auf einige eher selten anzutreffende und ebenfalls antiquiert klingende Vorkommnisse des Konjunktivs I unter direktiven Sprechaktverben wie fordern, verlangen und befehlen hinweisen, vgl. (146)–(150). (146)
Manch einer verlangt, daß man anderen behilflich sei, nur um selbst davon einen Nutzen zu tragen.
(147)
Sie verlangte, dass sich die Schweiz im Rahmen des Gatt-Abkommens für einen liberalen Welthandel einsetze.
(148)
[. . . ] der Wunsch nach Einheit verlangt nicht nur, dass alles rational sei. Er will obendrein, dass das Irrationale nicht geopfert werde.
(149)
Die Etikette fordert, dass man die Königin freundlich und mit Ehrerbietung anspreche.
(150)
Sie gefällt ihm wohl sehr und er befiehlt, dass man sie zu ihm bringe.
Auch unter den entsprechenden Nomen mit einer direktiven Bedeutung findet man den WunschK. (151)
Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Theodor W. Adorno, Erziehung nach Auschwitz
(152)
Bisher haben wir die ersten drei Gebote gelernt, die da gegen Gott gerichtet sind. Zum ersten, dass man ihm von ganzem Herzen vertraue, fürchte und liebe in all unserm Leben.
Dass es sich hier nicht um einen IndK handelt, sondern um einen WunschK, kann man daran sehen, dass eine entsprechende Konjunktiv I-Form auch bei einer performativen Verwendungsweise dieser Verben möglich ist, was dem Indirektheitscharakter des IndKs widerspricht:²² (155)
Ich fordere, dass er meine Behauptungen widerlege, wenn er sie für falsch hält.
22 Auch hier kommt weitere Evidenz von Vorkommnissen des deontischen sollen im Komplement von direktiven Sprechaktverben, die offensichtlich im Concord mit dem einbettenden Verb gelesen werden: (153)
Ich verlange nicht von Dir, dass Du Dich schnell entscheiden sollst (≈ entscheidest).
30 | 1 Formen und Funktionen des Konjunktivs
(156)
Ich verlange hiermit, dass ich gerichtet werde als Verläumder.
In den bisher angeführten Beispielen kam der WunschK in einem dass-Komplement vor. Auf den ersten Blick könnte man auch meinen, dass es sich bei den folgenden Beispielen von Konjunktivformen in V2-Komplementen nach direktiven Verben um Formen des WunschKs handelt. (157)
Er befahl, der Krieg sei mit unerbittlicher Härte zu führen.
(158)
Der Verteidiger fordert, sein Mandant sei zu 12, höchstens aber zu 15 Monaten zu verurteilen.
(159)
Man schlägt die Stellenanzeigen auf, und wie obszön das ist, wenn da Passion verlangt wird, und wie überall unwidersprochen die Leistungsgesellschaft fordert, man habe alles zu geben.
Bei näherem Hinschauen ist es jedoch plausibler anzunehmen, dass es sich hier um Formen des IndKs handelt. Die Beobachtung im Hintergrund ist, dass Einbettung von V2-Komplementen unter direktiven Sprechaktverben eine deontische Modalisierung der Komplementsätze verlangt. Truckenbrodt (2006) diskutiert dieses Phänomen anhand der folgenden Beispiele: (160)
a. b.
*Maria befiehlt Peter, er geht nach Hause. *Maria bittet Peter, er geht nach Hause.
(161)
a. b.
Maria befiehlt Peter, er muss nach Hause gehen. Maria bittet Peter, er soll nach Hause gehen.
Truckenbrodt (2006, 289) kommentiert das wie folgt: „While imperative-like embedding is not possible in [(160)], such imperative-like embedding becomes grammatical when accompanied by a modal in the embedded clause as in [(161)]. This observation is made in Helbig and Kempter 1974:80 (see also Romberg 1999:20f).“²³ Womit wir es in (157)–(159) zu tun haben, sind zwar keine Modalverben, aber Konstruktionen aus sein + zu-Infinitiv und haben + zu-Infinitiv mit einer modalen (154)
Sie fordern daher, dass der Bundestag beschließen soll (≈ beschließt), die wirtschaftlichen und ökologischen Potenziale der erneuerbaren Energien auszuschöpfen.
23 Die Beobachtung lässt sich außerdem ausweiten auf w-Komplemente zu direktiven Prädikaten, die ähnlich wie V2-Komplemente eine deontische Modalisierung des Komplements verlangen: (162)
a. b.
*Maria sagt/befiehlt Peter, was er für wen tut. Maria sagt/befiehlt Peter, was er für wen tun soll.
1.4 Wunschkonjunktiv | 31
Bedeutung. Die Konstruktion sein + zu-Infinitiv lässt sich im Kontext paraphrasieren mit einem Möglichkeits- oder Notwendigkeitsmodal und einem generischen Subjekt bzw. als Passiv-Konstruktion: (165)
Rechts unten im Bild ist zu sehen, wie die Leitungen zu installieren sind. Wird verstanden im Sinne von: ‘Rechts unten im Bild kann man sehen, wie die Leitungen installiert werden müssen’
Die Konstruktion haben + zu-Infinitiv hat – so weit ich sehe – nur Notwendingskeitslesarten und kann mit müssen paraphrasiert werden: (166)
Denn ich habe zu schreiben. Und über den Rest hat man zu schweigen. Wird verstanden im Sinne von: ‘Denn ich muss schreiben. Und über den Rest muss man schweigen.’
Die Lizensierung der V2-Komplemente in (157)–(159) lässt sich also nicht zweifelsfrei dem Konjunktiv zuschreiben, sondern könnte mit der Modalisierung zusammenhängen, die auf die Infinitiv-Konstruktionen zurückzuführen sind. Was den Konjunktiv in diesen Konstruktionen angeht, spricht die Evidenz dafür, dass es sich – wie bereits erwähnt – um einen IndK handelt und nicht um einen WunschK. Allgemein scheinen V2-Komplemente unter direktiven Sprechaktverben mit einem Modalverb gerne mit einem zusätzlichen Konjunktiv aufzutreten, vgl. (169)– (171).²⁴ (169)
(163)
Da hat Mats Hummels völlig Recht, wenn er fordert, man solle nicht zu viel Respekt haben und die Bayern etwas ärgern.
a. b.
*Maria sagt/erlaubt Peter, was er für wen tut. Maria sagt/erlaubt Peter, was er für wen tun darf.
Beispiele dieser Art lassen sich auch konstruieren mit modalen Infinitiv-Konstruktionen: (164)
a. b.
Maria sagt Peter/trägt Peter auf, was er für wen zu tun {hat/habe}. Maria gibt Peter vor, was für wen zu tun {ist/sei}.
24 Das gilt ebenfalls für das Auftreten von sollen, müssen, dürfen in einer Wunschlesart in einem V2-Komplement unter Nomen mit direktiver Bedeutung: (167)
Was soll also die Forderung, man solle den Griechen die Laufzeit ihrer Schulden auf 30 Jahre verlängern und die Zinsen stunden?
(168)
Das Problem liegt also in dem unehrlichen Doppelstandard, wie es die Forderung, man dürfe keinem seinen Glauben absprechen, zwangsweise tut.
32 | 1 Formen und Funktionen des Konjunktivs
(170)
Er fordert, man müsse eine Balance finden „zwischen Eifer und Gleichgültigkeit“.
(171)
Tatsächlich hat Sartre recht, wenn er fordert, man dürfe die Erklärung der Wahrnehmung sozialer Objekte nicht dem Erkenntnisparadigma überlassen [. . . ]
Bei Bezug auf die Sprechperspektive ist ein Konjunktiv dagegen nicht möglich, vgl. (172) und (173) mit (169) und (170): (172)
#Ich fordere (hiermit), man solle nicht zu viel Respekt haben vor den Bayern.
(173)
#Ich fordere (hiermit), man müsse eine Balance finden zwischen Eifer und Gleichgültigkeit.
Das gilt auch für die Konstruktionen mit zu-Infinitiv: (174)
#Ich fordert (hiermit), mein Mandant sei zu 12, höchstens aber zu 15 Monaten zu verurteilen.
1.5 Wunschkonjunktiv und Imperativ Die Gegenüberstellungen von Verwendungsweisen des WunschKs und des Imperativs, die man in der Literatur findet, legen nahe, dass die Unterschiede in den Verwendungsbedingungen dieser beiden Modi auf einen Unterschied in ihrer modalen Bedeutung zurückzuführen sind. Ich möchte hier allerdings dafür argumentieren, dass sich die Unterschiede in den Verwendungsbedingungen der beiden Verbmodi nicht auf einen Unterschied in den semantischen Modusmerkmalen zurückführen lassen, sondern auf Unterschiede in ihrem φ-Profil: Die Beschränkung der Imperativformen auf die 2. Person beschränkt die Menge der möglichen Propositionen, die durch Imperativsätze ausgedrückt werden können auf solche Propositionen, die sich auf eine oder mehrere angesprochene Personen im Diskurskontext beziehen. Mit dieser Beschränkung hängt die Spezialisierung von Imperativsätzen zum Ausdruck von „adressiertenden“ direktiven Sprechakten zusammen. Die entsprechenden WunschK-Sätze in der 2. Person sind in dieser Verwendungsweise blockiert. (175)
a. b.
Geh und komm nie wieder! #Gehest du und kommest du nie wieder!
(176)
a.
Geht und kommt nie wieder!
1.5 Wunschkonjunktiv und Imperativ |
b.
33
#Gehet ihr und kommet ihr nie wieder!
In einer Wunschlesart ist der WunschK in der 2. Person nicht grundsätzlich blockiert. (177)
Mögest du wieder gesund werden!
Die semantischen Unterschiede, die in der Literatur beobachtet werden, scheinen nicht mit einem Unterschied der semantischen Modusmerkmale zusammenzuhängen, sondern mit konzeptuellen Unterschieden zwischen den Sprechakten, mit denen die Verbmodi typischerweise assoziiert sind. Im Folgenden möchte ich einige Daten anführen, die belegen sollen, dass der Imperativ und der WunschK in modaler Hinsicht alle charakteristischen Eigenschaften teilen und im Prinzip dieselben modalen Verwendungsmöglichkeiten haben. Sowohl Imperativ als auch WunschK vertragen sich nicht mit epistemischen Modalen.²⁵ (178)
a. b.
*Komm möglicherweise! *Wer Zeit hat, der komme möglicherweise.
Beide tragen zum Sprechakt bei, haben aber keine deskriptive Verwendungsweise, wie z.B. sollen sie hat. (179)
a. b. c.
Bringt alle ein Buch mit (#wenn es nach Maria geht). Jeder von euch bringe ein Buch mit (#wenn es nach Maria geht). Jeder soll ein Buch mitbringen (wenn es nach Maria geht).
Beide haben immer weiten Skopus relativ zur Satznegation. (180)
a. b.
Sei nicht dumm! Seien Sie nicht dumm!
Beide Vermodi sind konzeptuell unverträglich mit interrogativem Satzmodus. (181)
a. b.
*Sei dumm? *Seien Sie dumm?
25 Zur Interaktion des Konjunktivs mit modalen Ausdrücken vgl. auch die Diskussion in Jäger (1970).
34 | 1 Formen und Funktionen des Konjunktivs
Der Beitrag der beiden Verbmodi scheint also in modaler Hinsicht derselbe zu sein.²⁶ Dass jede Art von Verwendungsweise des Imperativs auch mit einem imperativischen Konjunktiv möglich ist, kann man sich leicht klar machen, wenn man daran denkt, dass es zu jedem Imperativsatz eine höfliche Variante mit Sie und einer Konjunktiv I-Form gibt. (182)
a. b.
Sei still! Seien Sie still!
(183)
a. b.
Sei gegrüßt! Seien Sie gegrüßt!
(184)
a. b.
Sei getauft auf den Namen „Generalissimo“! Das Schiff sei getauft auf den Namen „Generalissimo“!
(185)
a. b.
Sei kein Lexikon, wenn du eine Rede hältst! Seien Sie kein Lexikon, wenn Sie eine Rede halten!
(186)
a. b.
Sei verflucht! Seien Sie verflucht!
(187)
a. b.
Sei bald wieder gesund! Seien Sie bald wieder gesund!
(188)
a. b.
Sei doch bitte etwas früher und hilf mir bei den Vorbereitungen. Bitte Seien Sie doch bitte etwas früher und helfen Sie mir bei den Vorbereitungen.
(189)
A: (Muss ich pünktlich sein?)
(190)
a. b.
B: Nein, sei ruhig etwas später! B: Nein, seien Sie ruhig etwas später!
a. b.
Sei JA still, sonst kannst du etwas erleben! Seien Sie JA still, sonst können Sie etwas erleben!
Direktiv Expressiva Deklaration Ratschlag Verwünschung Wunsch
Erlaubnis Drohung
Umgekehrt kann der Imperativ in besonderen Fällen auch dazu verwendet werden, um Wünsche im engeren Sinne auszudrücken, vgl. auch Kaufmann (2012): (191)
Es gab nur einen, der jetzt schnellstmöglich informiert werden musste.
26 Siehe Kaufmann (2012) für eine ausführliche Diskussion der illokutionären Kraft von Imperativsätzen und des Zusammenhangs von imperativischer Morphologie und Modalität.
1.5 Wunschkonjunktiv und Imperativ |
35
Wenn der Imperativ im Prinzip Wunschlesarten zulässt, dann sollte man auch erwarten, dass es Imperativsätze gibt, die einen Wunsch ausdrücken, bei dem das beschriebene Ereignis in der Vergangenheit liegt, solange die sprechende Person nur noch nicht weiß, ob das beschriebene Ereignis sich so zugetragen hat oder nicht. Solche Imperativsätze scheint es auch wirklich zu geben. Kaufmann schreibt in Schwager (2011) dazu: „Similarly, present perfect imperatives receive an interpretation Culicover & Jackendoff (1997) dub absent wishes“: (192) (193)
a. b.
Please don’t have broken another vase! Bitte hab nicht noch eine Vase zerbrochen!
a. b. c.
Bitte sei seit Weihnachten mal in Frankfurt gewesen. Bitte sei noch immer dort angestellt! Bitte hab 1990 in Tübingen gewohnt!“ Schwager (2011)
Schwager (2011)
Zusammenfassend lässt sich sagen: Imperativsätze und Sätze mit einem WunschK verhalten sich gleich mit Bezug auf die Verträglichkeit mit epistemischen Modalen, mit Bezug auf andere Skopus nehmende Operatoren wie Quantoren und die Negation und sind unverträglich mit einem interrogativen Satzmodus, vgl. (178)(181). Darüber hinaus können sie im Prinzip dieselben Arten von Sprechakten ausdrücken. Auch wenn die beiden Verbformen spezialisiert sind auf bestimmte Verwendungsweisen – der Imperativ auf direktive und der WunschK zum Ausdruck von Wünschen im engeren Sinne –, scheint es für beide Formen in modaler Hinsicht keine grundsätzlichen Beschränkungen zum Ausdruck von Wünschen im weitesten Sinne zu geben. Eine Weise, wie sich das denken lässt, ist die Folgende: Sowohl der Imperativ als Verbmodus wie auch der WunschK sind die Aussprache eines interpretierbaren Modusmerkmals imp zusammen mit bestimmten φ-Merkmalen: während wir im Falle des WunschKs ein vollständiges Set von φMerkmalen haben, haben wir im Falle des Imperativs lediglich interpretierbare Numerus-Merkmale, vgl. dazu die Ausführungen zum Imperativ in Platzack und Rosengren (1998). In der Folge ist die Interpretation des Imperativs semantisch auf die 2. Person beschränkt, was auch eine Beschränkung möglicher propositionaler Akte nach sich zieht, die durch Imperativsätze ausgedrückt werden können.²⁷ Die Spezialisierung der Formen zum Ausdruck von direktiven Sprechakten beim Imperativ und für Wünsche im engeren Sinne beim WunschK könnten dann allein auf den Unterschied im φ-Profil und die Asymmetrie in den Möglichkeiten des Ausdrucks möglicher propositionaler Akte zwischen Imperativsätzen und
27 Zum Begriff des propositionalen Akts: siehe Searle (1969).
36 | 1 Formen und Funktionen des Konjunktivs
WunschK-Sätzen zurückgeführt werden. Ich werde im letzten Kapitel dieser Arbeit auf diese Überlegungen zurückkommen.
1.6 Konditionaler Konjunktiv 1.6.1 Konditionalsätze Die Hauptverwendungsweise des Konjunktivs II ist die in Konditionalsätzen. (194)
Wenn Blicke töten könnten, wäre ich Massenmörder.
(195)
Würde ich dich nicht besser kennen, würde ich denken, du wärst verliebt.
Selbständige Sätze mit einem KondK scheinen ohne ein konditionales Antezedens semantisch unvollständig zu sein, vgl. (196) und (197). (196)
Wenn ich im Lotto gewinnen würde, würde ich zuerst meinen Job kündigen.
(197)
#Ich würde zuerst meinen Job kündigen.
Ein entsprechender Restriktor muss aber nicht notwendigerweise als Antezendens eines Konditionalgefüges ausgedrückt werden, sondern kann auch wie in (198-a) oder (198-b) durch eine PP oder eine andere grammatische Konstruktion ausgedrückt werden oder wie in (198-c) kontextuell gegeben sein., (198)
a. b. c.
Bei einem Lottogewinn würde ich zuerst meinen Job kündigen. Mit dem Geld eines Lottogewinns in der Tasche würde ich zuerst meinen Job kündigen. A: Stell dir vor, du würdest im Lotto gewinnen. Was würdest du dann tun? B: Zuerst würde ich meinen Job kündigen.
Der Konjunktiv kann auch an einem Modalverb ausgedrückt werden. Bei einer epistemischen Verwendungsweise des Modalverbs muss der Konjunktiv II jedoch unbedingt am Verb selbst ausgedrückt werden; ein analytischer Ausdruck mit der würde-Konstruktion ist nicht möglich.²⁸
28 Anders als im Fall von deontischen oder Fähigkeitslesarten von Modalverben ist bei einem epistemischen Modalverb mit einem KondK auch kein kontextueller Restriktor nötig. (199)
a. b.
#Peter könnte draußen spielen. #Peter könnte Klavier spielen.
deontisch Fähigkeit
1.6 Konditionaler Konjunktiv | 37
Das könnte/müsste der Postbote sein. *Das würde der Postbote sein können/müssen.
(200)
a. b.
(201)
Wenn der Flug keine Verspätung hatte, dann müsste Anna jetzt in Paris sein. b. *Wenn der Flug keine Verspätung hatte, dann würde Anna jetzt in Paris sein müssen. a.
Das ist deshalb erwähnenswert, da eine solche Ersetzung ansonsten im Prinzip möglich ist, wenn die Konjunktivform durch ein konjunktivisches Konditional motiviert ist, vgl. (202).²⁹ (202)
a. b.
Wenn Peter immer geübt hätte, dann könnte er jetzt Klavier spielen. Wenn Peter immer geübt hätte, dann würde er jetzt Klavier spielen können.
(203)
a. b.
Wenn Peter aufgeräumt hätte, dann dürfte er jetzt draußen spielen. Wenn Peter augeräumt hätte, dann würde er jetzt draußen spielen dürfen.
1.6.2 Irrealer Vergleichssatz Der Konjunktiv II findet auch Verwendung im sogenannten „irrealen Vergleichssatz“.³⁰ (205)
Schaut so aus, als hätte er immer das selbe T-Shirt an.
29 Eine Analyse dieser Daten in der Literatur ist mir nicht bekannt. Dass ein analytischer Ausdruck mit der würde-Konstruktion im Falle von epistemischen Lesarten für die Modalverben nicht möglich ist, könnte damit zusammenhängen, dass die würde zugrundeliegende Form von werden dieselbe syntaktische Position besetzt wie Modalverben in einer epistemischen Lesart: Wenn ein Modalverb diese Position bereits besetzt, dann ist die Verwendung von werden blockiert. Demnach muss der KondK bei einer epistemischen Lesart des Modalverbs am Modalverb selbst ausgedrückt werden. In anderen Lesarten ist ein analytischer Ausdruck möglich, da die Modalverben in anderen Lesarten an tieferer Position im syntaktischen Baum stehen. Zu den syntaktischen Positionen von Modalverben in den unterschiedlichen Lesarten: vgl. Hacquard (2010) und die darin diskutierte Literatur. 30 Dabei muss der durch den Vergleichssatz ausgedrückte Sachverhalt nicht notwendigerweise „kontrafaktisch“ sein. (204)
Maria ist krank. Und sie sieht auch aus, als ob sie krank wäre.
38 | 1 Formen und Funktionen des Konjunktivs
Beim irrealen Vergleich handelt es sich oft um Beschreibungen, wie etwas aussieht, sich anfühlt, anhört oder einem erscheint. Der Vergleich kann aber auch ohne einen expliziten Bezug auf eine Wahrnehmung ausgedrückt werden: (206)
Er schwankt, als hätte er getrunken.
Interessantweise kann in als (ob)-Sätzen auch der Konjunktiv I stehen, vgl. auch Fabricius-Hansen (2006, 529), Eisenberg (1994, 199). (207)
a. b.
Er fühlte sich, als habe er seinen Körper verlassen. Er fühlte sich, als ob er seinen Körper verlassen habe.
Mit als ob kann neben Konjunktiv I und Konjunktiv II auch bedingt Indikativ stehen, vgl. (208-a). Mit als + Verb ist ein Indikativ dagegen völlig ausgeschlossen, vgl. auch Eisenberg (1994, 119). (208)
a.
b.
Einmal sieht es so aus, als ob Langerak zuerst am Ball ist, und dann wieder meine ich zu erkennen, dass Lewandowski einen winzigen Tick schneller ist. #Einmal sieht es so aus, als ist Langerak zuerst am Ball, . . .
Verwandt damit, scheinen auch die folgenden Verwendungsweisen des KondKs in Negationskontexten zu sein: (209)
Es ist ja nicht so, {dass er davon gewußt hätte/als hätte er davon gewußt}.
(210)
Das Problem ist entstanden, ohne dass es jemand gemerkt hätte.
1.6.3 Irrealer Wunschsatz Weiterhin wird der Konjunktiv II zum Ausdruck von irrealen Wünschen verwendet. (211)
a. b.
Wäre doch nur schon morgen! Wenn doch nur schon morgen wäre!
Diese Wunschsätze haben der Form nach Gemeinsamkeiten mit dem Antezedens von Konditionalen, vgl. Rosengren (1993). Eine ausführliche Untersuchung zur Semantik dieser Satztypen findet sich in Grosz (2012). Auch im Komplement zu wollte und wünschte kann ein KondK zum Ausdruck von irrealen Wünschen verwendet werden.
1.6 Konditionaler Konjunktiv | 39
(212)
a. b.
Ich wünschte, du wärest hier. Ich wollte, du wärest hier.
Anders als im Englischen, vgl. (213), wird im Deutschen auch das einbettende Verb wünschen mit dem Konjunktiv markiert. (213)
I wish you were here.
Bei der Form von wollen in (212-b) könnte es sich ebenfalls um eine Form des Konjunktivs II handeln. Evidenz dafür gibt auch die Präsens-Interpretation des Ausdrucks. Insgesamt scheint es so zu sein, dass es in (212-a) und (212-b) weder eine temporale, noch eine modale Verschiebung zum Äußerungskontext gibt. Der Wunsch wird als Wunsch im Äußerungskontext interpretiert. Der Konjunktiv, der an den Wunschprädikaten ausgedrückt wird, wird also nicht als Indikator für einen konditionalen Operator im Matrixsatz interpretiert, sondern als Teil der lexikalischen Semantik des Wunschprädikats. Neben dem Vergleich mit dem Englischen, wo im Matrixsatz keine konjunktivische Morphologie verwendet wird, lässt sich im Deutschen auch ein weiteres Datum anführen, dass diese Interpretation stützen kann: Bei der Konjunktivform von wünschen haben wir einen weiteren Fall, bei dem eine Paraphrase mit der analytischen würde-Konstruktion einen Einfluss auf die Interpretation hat: der Satz wird zwar nicht ungrammatisch – wie oben im Fall von Modalverben in einer epistemischen Lesart –, aber man versteht (214) – anders als (212-a) – unwillkürlich als ein Konditional. (214)
Ich würde wünschen, du wärest hier.
Anders als in (212-a) stellt sich in (214) auch das Gefühl ein, dass eine Bedingung für den Wunsch ergänzt werden muss, ähnlich wie in (197).
1.6.4 Einbettbarkeit des konditionalen Konjunktivs In diesem Abschnitt möchte ich noch einige Beobachtungen zur Einbettbarkeit des KondKs anführen. Dass der KondK im Skopus eines anderen propositionalen Operators wie z.B. der Negation stehen kann, zeigt das folgende Beispiel. (215)
Es ist nicht so, dass Hunde aussterben würden, wenn wir nicht mehr wären.
Hier ist ein Beispiel, bei dem der KondK semantisch eingebettet unter dem epistemischen es ist möglich auftritt: (216)
Es ist durchaus möglich, dass ich es nicht überleben würde, wenn jetzt ein Krieg ausbräche.
40 | 1 Formen und Funktionen des Konjunktivs
Das unterscheidet den KondK sowohl vom IndK als auch vom WunschK, die sich beide weder unter Negation noch unter epistemische Modale einbetten lassen. Der KondK kommt auch in der indirekten Rede eingebettet unter Einstellungsverben vor. (217)
Peter sagt, dass er direkt gegangen wäre, wenn Maria auch auf der Party gewesen wäre.
Eine mit dem KondK assoziierte kontrafaktische Verwendungsbedingung bezieht sich dabei zunächst auf das Subjekt der Einstellung. Das kann man daran sehen, dass (218) eine mögliche Fortsetzung von (217) ist. (218)
Was Peter nicht weiß, ist, dass sie tatsächlich da war.
Oft lässt sich ein in der indirekten Rede vorkommender KondK formal nicht von einem IndK unterscheiden. Ein Test ist hier, die Konjunktiv II-Form durch eine Form des Konjunktivs I oder des Indikativs zu ersetzen und zu sehen, ob sich die propositionale Bedeutung verändert oder nicht. Für (217) ist eine solche Ersetzung nicht möglich. (219) #Peter sagt, dass er direkt gegangen {sei/ist}, wenn Maria auf der Party gewesen {sei/ist}. Das spricht dafür, dass es sich in (217) tatsächlich um einen KondK handelt. Auch in der freien indirekten Rede kann ein KondK vorkommen. In diesem Fall scheint er einen IndK zu überlagern. (220)
Der Polizist gibt zu, das Chloroform sowie die Bengalischen Feuer beschafft zu haben, so Mader. Mit dem Tod der Frau wolle er aber nichts zu tun haben. Er sei Pyrotechniker. Hätte er das Fahrzeug abfackeln wollen, dann hätte er das auch getan und wäre nicht so stümperhaft vorgegangen, so der Verteidiger.
Hinzufügen möchte ich diesen Beobachtungen, dass der KondK in der indirekten Rede auch bei Bezug auf die Sprechperspektive, vgl. (221), und unter faktiven Prädikaten wie wissen vorkommen kann, vgl. (222) und (223). Das erlaubt es, ihn vom IndK zu unterscheiden, für den das nicht gilt. (221)
Ich glaube, sowas wäre nicht im Sinne der Entwickler, weil die neuen Versionen nicht selten auch Sicherheitslücken beheben.
(222)
Und jeder weiß, im letzten Geschäftsjahr wäre Geiz geiler gewesen.
(223)
. . . jeder weiss, dass nachgeben „sinnvoll“ wäre.
1.6 Konditionaler Konjunktiv |
41
Das schließt den einleitenden Überblick über die konjunktivischen Verbmodi im Deutschen ab.
| Teil II: Formale Theorien des Indirektheitskonjunktivs
2 Fabricius-Hansen und Sæbø (2004): IndK als reportative Präsupposition Nach Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) führt der Indirektheitskonjunktiv eine reportative Präsupposition ein, die besagt, dass die ausgedrückte Proposition von jemandem geäußert wurde. In der indirekten Rede unter assertiven Prädikaten kann diese Präsupposition unmittelbar erfüllt sein durch das einbettende Prädikat. So scheint ein Konjunktiv im Komplement von behaupten sich in seiner Bedeutung zunächst nicht zu unterscheiden von einem Indikativ, vgl. (1). (1)
Er behauptete, dass jemand das Auto angefahren {hat/habe} ... . Fabricius-Hansen und Sæbø (2004, 213)
In anderen Kontexten, so Fabricius-Hansen und Sæbø (2004), tritt die reportative Präsupposition jedoch klar hervor. Der offensichtlichste Fall sind Vorkommnisse des Konjunktivs in selbständigen Sätzen, in denen die Zugehörigkeit zur indirekten Rede allein durch den Konjunktiv markiert wird. Ein Beispiel ist der Satz in (2-b) im Kontext von (2-a). Folgt dem Satz in (2-a) ein Satz im Indikativ wie in (2-c), dann wird dieser nicht als indirekte Rede verstanden, sondern als Behauptung im Äußerungskontext, die durchaus so gedeutet werden kann, dass sie sich auf Peters Bericht gründet. Den Unterschied sieht man daran, dass eine Fortsetzung wie in (2-d) nur nach (2-b) möglich ist, nicht aber nach (2-c). (2)
a. b. c. d.
Peter sagt, dass Maria krank {ist/sei}. Sie habe die Masern. Sie hat die Masern. Das bezweifle ich aber stark.
Als weitere Evidenz dafür, dass der IndK eine reportative Präsupposition zur Satzbedeutung beiträgt, führen Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) an, dass emotive Verben wie bedauern, wenn sie mit einem IndK im Komplement auftreten, zu Sagensverben umgedeutet werden („coercion“), vgl. das Beispiel in (3-a). Mit einem Indikativ wie in (3-b) ist eine solche Umdeutung nicht notwendig. (3)
a. b.
Er bedauerte, dass er sie verlassen müsse. #Aber er sagte kein Wort. Er bedauerte, dass er sie verlassen musste. Aber er sagte kein Wort.
Bei Verben wie bestreiten markiert ein Konjunktiv im Komplementsatz nach Fabricius-Hansen und Sæbø (2004), dass ein Sprechakt vorausgesetzt wird, bei dem von jemandem geäußert wurde, was bestritten wird.
https://doi.org/10.1515/9783110422443-002
46 | 2 Fabricius-Hansen und Sæbø (2004): IndK als reportative Präsupposition
(4)
In einem Fall bestritt der Fahrer, dass er zu wenig aufmerksam gewesen sei. Fabricius-Hansen und Sæbø (2004, 214)
In allen diesen Beispielen ist nach Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) der Beitrag des Konjunktivs eine reportative Präsupposition. Im Rest dieses Kapitels stelle ich zunächst die Theorie von Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) vor und wie ihre Theorie die von ihnen diskutierten Daten zu erklären hilft. Danach möchte ich einige problematische Vorhersagen der Theorie diskutieren, die ich in einem Vergleich mit dem Modalverb sollen in einer reportativen Verwendungsweise illustriere.
2.1 Die Theorie Das Paar aus einer Konjunktivform (Konjunktiv I oder Konjunktiv II) und einer reportativen Bedeutung nennen Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) „reportativen Konjunktiv“ („reportive subjunctive“); als Abkürzung schreiben sie „RS“.¹, ² Ausgehend von den im vorausgehenden Abschnitt diskutierten Daten stellen sie die folgende Generalisierung auf: (5)
Deskriptive Generalisierung „The RS clause is (in the same sentence or in the preceding context) the object of a verb of saying (claiming, asking, commanding), or it is understood as if it were.“ Fabricius-Hansen und Sæbø (2004, 228)
Formal tragen Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) dieser Generalisierung Rechnung, indem sie annehmen, dass der Konjunktiv eine reportative Präsupposition einführt, die soviel besagt wie: ‘Jemand hat die durch den Satz im Konjunktiv ausgedrückte Proposition geäußert’.
1 „The present and past subjunctive share the reportive function we are concerned with here. To delimit it from other functions of the present or past subjunctive, we will use the following working definition. Working Definition The reportive subjunctive (RS) is that pair of a subjunctive form and a function such that both the past and the present subjunctive can have the function in dependent and in independent clauses alike.“ Fabricius-Hansen und Sæbø (2004, 219) 2 Zu bemerken ist, dass Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) nach dieser Charaktersierung nicht eigentlich einen Vorschlag für die Bedeutung des Indirektheitskonjunktiv im weiteren Sinne machen, wie ich ihn im Anschluss an Fabricius-Hansen (2006) in Kapitel 1.2 charaktersiert habe, sondern nur für eine Teilklasse seiner Verwendungsweisen, die mit einer reportativen Bedeutung assoziiert werden. Dementsprechend werde ich ebenfalls die Abkürzung „RS“ für diese Teilklasse der Verwendungsweisen des IndKs verwenden.
2.1 Die Theorie |
(6)
47
„We will propose that the RS carries a reportive presupposition: That the proposition expressed in its clause is uttered by somebody.“ Fabricius-Hansen und Sæbø (2004, 214)
Ihren Vorschlag formulieren sie im Rahmen der Discourse Reresentation Theory (= DRT) unter Bezug auf van der Sandt (1992) und Kamp (2001). Konkret schlagen sie die folgende Bedeutung vor. (7)
Die Präsuppositon des reportativen Konjunktivs nach Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) „RS = λK ^K [x|∆(^K )(x)] According to this, the RS does two things: it turns a sentence into a proposition, and it introduces the presupposition that somebody utters (∆) that proposition.“
Für die formalen Details verweise ich an Fabricius-Hansen und Sæbø (2004). In den folgenden Abschnitten werde ich die verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten dieser Präsupposition informell an Beispielen illustrieren.
2.1.1 Satzinterne Verifikation Nach Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) nimmt ein RS die Proposition des Satzes, in dem er vorkommt, als Argument und präsupponiert darüber, dass jemand diese Proposition geäußert hat. Für einen dass-Satz im Konjunktiv wie dass es regne ist die resultierende Präsupposition also: ‘x ∆ (= äußert), dass es regnet’. ∆ (= äußern) ist dabei so weit gefasst, dass es – in Abhängigkeit vom Komplementsatztyp – sowohl den Bericht von assertiven, als auch von interrogativen und direktiven Sprechakten erlaubt. Das freie Pronomen „x“ nenne ich in dieser informellen Darstellung auch den „Anker“ der Präsupposition.³ In den Sätzen (8)-(10) führt nach Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) der Konjunktiv im Komplementsatz eine entsprechende Präsupposition ein. Die naheliegendste Interpretation für diese Präsupposition ist jeweils die „satzinterne Verifikation“. Die Bedingung, die erfüllt sein muss, damit eine satzinterne Verifikation möglich ist, ist, dass x mit der durch den Subjektausdruck denotierten Person identifiziert wird und ∆ in Übereinstimmung mit dem einbettenden Prädikat. Wenn die Präsupposition satzintern verifi-
3 Die Beschränkung auf ein Individuum als Anker ist natürlich eine Verkürzung gegenüber Fabricius-Hansen und Sæbø (2004), wo darüber hinaus auch eine temporale und modale Verankerung der Präsupposition angenommen wird. Für die Argumentation in diesem Abschnitt macht diese Verkürzung allerdings keinen Unterschied.
48 | 2 Fabricius-Hansen und Sæbø (2004): IndK als reportative Präsupposition
ziert wird, ist die resultierende Bedeutung identisch mit dem Beitrag zu den Wahrheitsbedingungen, den man ohne den Konjunktiv bekommen würde. Die folgenden Beispiele illustrieren das. Dabei steht „WB“ für „Beitrag zu den Wahrheitsbedingungen“ und „PS“ für „Präsupposition“, womit die RS-Präsupposition nach Anwendung auf die Komplementproposition gemeint ist. (8)
Peter behauptet, dass es regne. WB: PS:
Peter x
behauptet, ∆
dass es regnet dass es regnet
;
Peter
behauptet,
dass es regnet
satzinterne Verifikation für x = Peter, ∆ = behaupten (9)
Peter fragt, ob es regne. WB: PS:
Peter x
fragt, ∆
ob es regnet ob es regnet
;
Peter
fragt ,
ob es regnet
satzinterne Verifikation für x = Peter, ∆ = fragen (10)
Peter fordert, dass man ihn in Ruhe lassen solle. WB: PS:
Peter x
fordert, ∆
dass man ihn in Ruhe lassen soll dass man ihn in Ruhe lassen soll
;
Peter
fordert,
dass man ihn in Ruhe lassen soll
satzinterne Verifikation für x = Peter, ∆ = fordern Die resultierende Bedeutung für (8)-(10) ist also dieselbe wie für die entsprechenden Sätze mit Indikativ im Komplementsatz.
2.1.2 Coercion: bedauern Wenn ein Konjunktiv im Komplement von emotiven Verben wie bedauern oder sich ärgern auftritt, dann wird nach Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) die entsprechende Äußerung so verstanden, dass die durch den Subjektausdruck denotierte Person einen Sprechakt vollzogen hat, deren Gehalt die Komplementproposition ist, und bei der sie den entsprechenden Emotionen Audruck verliehen hat. Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) diskutieren diesen Effekt an den folgenden Beispielen:
2.1 Die Theorie |
49
(11)
Das Gericht bedauerte, dass es nicht ermächtigt sei, ein Berufsverbot zu verhängen. Fabricius-Hansen und Sæbø (2004, 214)
(12)
Sie hat sich geärgert, dass er sich verspätet habe. Fabricius-Hansen und Sæbø (2004, 222)
Ihre Idee dazu ist, dass die Verben bedauern und sich ärgern für sich genommen zwar keine Verba Dicendi sind, aber durch die Verwendung des Konjunktivs zu solchen umgewandelt („coerced“) werden können. Unter der Annahme einer reportativen Präsupposition für den RS erklärt sich das so, dass der Anker x mit der durch den Subjektausdruck denotierten Person identifiziert wird – genau wie bei satzinterner Verifikation auch – und außerdem das Äußerungsprädikat ∆ akkommodiert wird und zwar so, dass das resultierende Prädikat soviel bedeutet wie zu äußern, dass man die entsprechende emotionale Haltung gegenüber der ausgedrückten Proposition einnimmt. Hier sind zwei einfache Beispiele, die das illustrieren sollen: (13)
Peter bedauert, dass es regne. WB: PS:
Peter x
bedauert, ∆
dass es regnet dass es regnet
;
Peter
drückt aus zu bedauern,
dass es regnet
für x = Peter, Akkommodation von ∆ resultierend in Coercion von bedauern zu ‘ausdrücken zu bedauern’ (14)
Peter ärgert sich, dass es regne. WB: PS:
Peter x
ärgert sich, ∆
dass es regnet dass es regnet
;
Peter
∆-ärgert sich,
dass es regnet
für x = Peter, Akkommodation von ∆ resultierend in Coercion von sich ärgern im Sinne von ‘ausdrücken sich zu ärgern’
2.1.3 Globale Interpretation I: bestreiten Der Anker der Präsupposition x wird aber nach Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) nicht notwendig mit der durch den Subjektausdruck denotierten Person identifiziert. Ein Beispiel, für das sie keine Identifikation annehmen, ist das Beispiel in (4) (hier wiederholt als (15)).
50 | 2 Fabricius-Hansen und Sæbø (2004): IndK als reportative Präsupposition
(15)
In einem Fall bestritt der Fahrer, dass er zu wenig aufmerksam gewesen sei. Fabricius-Hansen und Sæbø (2004, 214)
In (15) stellt sich der Eindruck ein, dass der Fahrer sich gegen die Abschuldigung wehrt, dass er zu wenig aufmerksam gewesen sein soll. Diesen Eindruck einer präsupponierten Anschuldigung durch eine im Satz selbst nicht genannte Person oder Gruppe führen sie auf den Konjunktiv zurück. Für ein vereinfachtes Beispiel stellt sich das so dar: (16)
Peter bestreitet, dass er unaufmerksam gewesen sei. WB: PS:
Peter x
bestreitet, ∆
dass er unaufmerksam gewesen ist dass er unaufmerksam gewesen ist
; &
Peter x
bestreitet, ∆
dass er unaufmerksam gewesen ist dass er unaufmerksam gewesen ist
Die letzte Zeile in (16) ist so zu verstehen, dass x und ∆ nicht satzintern aufgelöst werden. Das heißt aber, dass die Präsupposition global, d.h. mit Bezug auf den Diskurskontext interpretiert werden muss. Hier gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder die Präsupposition lässt sich global verifizieren. Die Präsupposition des Konjunktivs in (17-b) zum Beispiel lässt sich im Kontext (17-a) verifizieren, wenn man den Anker x mit dem in (17-a) genannten Unfallgegner identifiziert und ∆ als ‘sagen’ interpretiert. (17)
a. b.
Der Unfallgegner wirft Peter vor, dass er nicht genügend auf den Verkehr geachtet habe. Peter bestreitet jedoch, dass er unaufmerksam gewesen sei.
Wenn sich die Präsupposition nicht verifizieren lässt, dann muss sie akkommodiert werden. Auch das setzt allerdings voraus, dass sich der Anker der Präsupposition im Diskurskontext auflösen lässt. Dieser Fall entspricht der Interpretation der RS-Präsupposition in der freien indirekten Rede, auf die ich im folgenden Abschnitt eingehen werde.
2.1.4 Globale Interpretation II: freie indirekte Rede Betrachten wir zunächst eine als freie indirekte Rede intendierte Äußerung eines Satzes im Konjunktiv für sich genommen, z.B. (18). Das Prädikat ∆ wird unmittelbar im Sinne von ‘sagen’ verstanden, was auf den deklarativen Satztyp des selbständigen Satzes zurückgeführt werden kann. Der Anker der Präsupposition lässt
2.1 Die Theorie | 51
sich allerdings nicht satzintern auflösen und verlangt daher nach einer globalen Auflösung im Diskurskontext.⁴ (18)
Sie sei krank. WB: PS:
x
∆
dass sie ist krank dass sie krank ist
;
x
sagt
dass sie krank ist
In einem Satzkontext wie in (19) lässt sich der Anker auf Peter als die sprechende Person beziehen. (19)
a. b.
Peter sagt, dass Maria nicht kommt. Sie sei krank.
Als resultierende Präsupposition bekommen wir: ‘Peter sagt, dass Maria krank ist’. Diese Präsupposition kann als Fortsetzung des Redeberichts von Peter akkommodiert werden.
2.1.5 Performative Verwendungsweisen Im Falle von performativ verwendeten Sprechaktverben stößt die Analyse jedoch auf ein potentielles Problem, wie Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) selbst bemerken. (20)
„What would appear to be a case of indirect speech with a 1st person present matrix presents a potential problem for our theory. In such a context, the RS cannot be used [. . . ]“ Fabricius-Hansen und Sæbø (2004, 240)
Wie das Beispiel in (21-a) zeigt, kann der Konjunktiv I nicht verwendet werden, wenn das Matrixprädikat in der 1. Person Präsens steht. Das gilt zumindest, wenn das Sprechaktverb performativ verwendet wird. Im historischen Präsens – wie Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) betonen – kann der Konjunktiv durchaus stehen, vgl. (21-b). (21)
a. b.
#Ich behaupte, dass ich unschuldig sei. Ich lüge in Bezug auf meine Haarfarbe und behaupte: meine Augen seien blau. Fabricius-Hansen und Sæbø (2004, 240)
4 Für sich genommen ist der Satz also genauso schlecht wie ein unkontextualisierter Satz mit einem ungebundenen Personalpronomen in der 3. Person.
52 | 2 Fabricius-Hansen und Sæbø (2004): IndK als reportative Präsupposition
Unter der formalen Perspektive ihres Vorschlags stellt sich die Frage, warum die Präsupposition, die durch den Konjunktiv eingeführt wird, nicht einfach verifiziert werden kann durch eine Behauptung im Äußerungskontext, so wie es in (22) angedeutet ist. (22)
Nicht möglich! WB: PS:
ich x
behaupte, ∆
dass ich unschuldig bin dass ich unschuldig bin
;
ich
behaupte,
dass ich unschuldig bin
satzinterne Verifikation für x = ich, ∆ = behaupten Der Grund dafür ist nach Fabricius-Hansen und Sæbø (2004), dass im Falle einer performativen Verwendungsweise eines Satzes wie (21-a) die sprechende Person nicht die Existenz eines Sprechakts assertiert, sondern lediglich das Komplement des Sprechaktverbs. D.h. sie assertiert nicht, dass sie behauptet, dass Maria krank ist, sondern, dass Maria krank ist. D.h. aber auch, dass in einem Satz wie (21-a) bei einer performativen Verwendungsweise kein Sprechakt assertiert wird, durch den die Präsupposition satzintern verfiziert werden könnte. Verifikation ist also nicht möglich. Das schließt die informelle Darstellung des Vorschlags nach Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) ab.
2.2 Diskussion 2.2.1 RS als Form-Funktions-Paar Zunächst möchte ich bemerken, dass die Beschränkung der Untersuchung auf Form-Funktions-Paare aus einer Konjunktivform und einer reportativen Bedeutung zwar theoretisch nützlich sein kann, aber vor dem Hintergrund der deskriptiven Literatur zum IndK etwas künstlich erscheint, da üblicherweise auch Formen des Konjunktivs I und II unter Einstellungsverben wie glauben, denken und hoffen als IndK klassifiziert werden, vgl. Fabricius-Hansen (2006), Zifonun und Hoffmann (1997). Der Konjunktiv unter glauben, denken und fürchten ist nach der Arbeitsdefinition von Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) kein RS.⁵
5 „The variant occurring under main clause propositional attitude predicates like denken ‘think’, glauben ‘believe’ or fürchten ‘fear’, however, must be viewed as a “nonharmonic" subordinate
2.2 Diskussion |
53
Es gibt drei charakteristische Eigenschaften, die der RS und der Konjunktiv unter Verben des Denkens und Meinens wie glauben, denken und fürchten teilen, die dafür sprechen, dass es sich um ein und dasselbe Phänomen handelt. Ich illustriere das an glauben – stellvertretend für Verben des Denkens und Meinens – und an behaupten – stellvertretend für Sagensverben. Erstens, es gilt sowohl für Vorkommnisse des Konjunktivs unter behaupten als auch unter glauben, dass sie austauschbar sind durch andere Konjunktivformen, eine Konstruktion mit würde oder durch einen Indikativ ohne einen Unterschied für die Wahrheitsbedingungen, vgl. (23) und die entsprechenden Ausführungen und Qualifikationen zu dieser Generalisierung im Kapitel 1. kommt komme (23) a. Peter behauptet, dass Maria nicht mehr . käme kommen würde kommt komme b. Peter glaubt, dass Maria nicht mehr . käme kommen würde Zweitens, beide lizensieren Folgekonjunktive in tiefer eingebetteten Sätzen. Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) nennen dieses Phänomen im Zusammenhang ihrer Diskussion des RS „zero mood“, vgl. (24). (24)
[Annahme im Hintergrund: *Peter weiß, was Maria vorhabe.] a. b.
Peter behauptet, er wisse, was Maria vorhabe. Peter glaubt, er wisse, was Maria vorhabe.
Drittens, die semantische Verwendungsrestriktion gegen eine Verwendung der Einstellungsverben unter Bezug auf die Sprechperspektive tritt sowohl mit Sagensals auch mit Verben des Denkens und Meinens auf.⁶ (25)
a. #Ich glaube, dass Maria krank sei. b. #Ich behaupte, dass Maria krank sei.
subjunctive, corresponding to what we find in, e.g., Italian or French clauses of the same type (Bybee et al. 1994, 222ff.).“ Fabricius-Hansen und Sæbø (2004, 217) 6 Vgl. z.B. auch die Bemerkungen in Schlenker (2003) und von Stechow (2004), die davon ausgehen, dass es sich sowohl bei Konjunktiv unter Sagensverben als auch beim Konjunktiv unter Verben des Denkens und Meinens um einen logophorischen Konjunktiv handelt. Siehe auch die Diskussion im Kapitel 6.1.
54 | 2 Fabricius-Hansen und Sæbø (2004): IndK als reportative Präsupposition
Gerade die Gemeinsamkeit in dieser Hinsicht ist ein guter Grund, Sprechaktverben wie behaupten und Verben wie glauben, denken und meinen mit Bezug auf die Konjunktivverwendung in dieselbe Klasse einzuordnen.
2.2.2 Einwände gegen eine Analyse als reportative Präsupposition Die Evidenz für eine reportative Präsupposition kommt vor allem von drei Beobachtungen: erstens, Coercion-Effekten bei emotiven Faktiva wie bedauern und sich ärgern; zweitens, dem Eindruck eines präsupponierten Sprechakts bei der Verwendung des Konjunktivs mit bestreiten und, drittens, von der Interpretation selbständiger Sätze im Konjunktiv als freie indirekte Rede. Im Fall von emotiven Faktiva wird nach Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) die Sagensbedeutung des IndKs lokal akkommodiert; bei bestreiten und in der FIR wird sie global akkommodiert. Das ist ein Verhalten, das man im Prinzip von Präsuppositionen kennt. Für die satzinterne Verifikation bei Sprechaktverben wie sagen, behaupten, fragen usw., die den Kernbereich der Daten aus der indirekten Rede ausmachen, nehmen sie eine zusätzliche „untraditionelle“ Verifikationsregel an. Die Argumentation in diesem Abschnitt sieht wie folgt aus: Zunächst werde ich dafür argumentieren, dass man alle Beobachtungen, die für eine Präsuppositions-Interpretation im klassischen Sinne sprechen, auch als Fälle einer Interpretation nach der „untraditionellen“ Verfikationtionsregel deuten kann. Wenn sich aber alle Lesarten auf eine Verfikation durch die unmittelbar einbettende Einstellung zurückführen lassen, dann spricht nichts mehr für eine Präsuppositionsinterpretation im klassischen Sinne: Die Daten lassen sich dann auch mit einer logophorischen Theorie erklären, wie sie von Schlenker (2003) und von Stechow (2004) vorgeschlagen wurde – ganz ohne die Annahme einer reportativen Präsupposition. Dass sich für den IndK tatsächlich nicht die lokalen und globalen Interpretationen finden, die mit einer reportativen Präsupposition zu erwarten wären, kann ein Vergleich des IndKs mit dem Modalverb sollen in einer reportativen Lesart zeigen. Schenner (2008) hat dafür argumentiert, dass das Modalverb sollen in einer reportativen Lesart eine reportative Präsupposition einführt, die der von Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) angenommenen Präsupposition für den IndK überraschend ähnlich sieht. Im Vergleich der beiden Präsuppositionen sollte – wenn überhaupt – die Präsupposition von sollen restriktiver sein in ihren Interpretationsmöglichkeiten, da sollen auf den Bericht von assertiven Sprechakten beschränkt ist. Wenn man jedoch die Daten betrachtet, die Schenner (2008) anführt, um für lokale und globale Lesarten der reportativen Präsupposition von sollen zu argumentieren, dann muss man feststellen, dass der IndK in Kontexten, in denen
2.2 Diskussion |
55
sich lokale und globale Lesarten für die reportative Präsupposition von sollen finden, systematisch ausgeschlossen ist. Das alles werte ich als Evidenz dafür, dass der IndK für sich genommen – anders als sollen – keine reportative Bedeutung hat, sondern sich parasitär an eine Einstellung bindet.
2.2.3 Bedauern, bestreiten und FIR und satzinterne Verifikation In diesem Abschnitt möchte ich zeigen, dass sich für die Daten, die am klarsten für eine reportative Präsuppositon sprechen, plausibel argumentieren lässt, dass der Konjunktiv durch die lokale Einstellung lizensiert oder verifiziert wird. Zunächst sind da die Fälle des Coercion-Effekts bei emotiven Prädikaten wie bedauern, die mit dem Konjunktiv immer eine Dicendi-Lesart haben.⁷ In vielen Fällen erfahren wir, was eine Person bedauert oder worüber sie sich ärgert, dadurch, dass sie uns davon erzählt. In vielen Kontexten verstehen wir daher emotive Verben wir bedauern oder sich ärgern im Sinne von ‘sein/ihr Bedauern ausdrücken’ und ‘seinen/ihren Ärger ausdrücken’, vgl. (27). (26)
Ich habe gestern Christoph getroffen. a. b.
Er bedauert, dass er den Termin letzte Woche verpasst hat. Er ärgert sich, dass er den Termin letzte Woche verpasst hat.
#Aber er sagte kein Wort. Der Konjunktiv kann eine solche Lesart unterstützen. (27)
Ich habe gestern Christoph getroffen. a. b.
Er bedauert, dass er den Termin letzte Woche verpasst habe. Er hat sein Bedauern ausgedrückt, dass er den Termin letzte Woche verpasst habe.
Wenn man dagegen den Tatsachenbezug explizit macht – z.B. durch die Tatsache, dass dann ist ein Konjunktiv ausgeschlossen. (28)
Er bedauert die Tatsache, dass es Maria schlecht {geht/*gehe}.
Man könnte also argumentieren, dass nicht der Konjunktiv zu einer Sagensumdeutung führt, sondern, dass eine Sagensdeutung dieser emotiven Verben unabhängig und grundsätzlich möglich ist in einem entsprechenden Kontext, der eine
7 Eine Diskussion der Verwendung von Emotiva mit „Verbum-Dicendi-Charakter“ findet sich bereits in Reis (1977).
56 | 2 Fabricius-Hansen und Sæbø (2004): IndK als reportative Präsupposition
solche Deutung nahelegt. Der Konjunktiv kann nur verwendet werden, wenn ein emotives Verb im Sinne von ‘die Emotion ausdrücken’ verstanden wird. Das Verb bestreiten präsupponiert für sich genommen bereits einen Sprechakt: Was bestritten wird, ist eine Behauptung bzw. die Richtigkeit einer Behauptung.⁸ Nach Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) bezieht sich die Präsupposition des RS auf diese vorausgesetzte Behauptung. Alternativ könnte man auch annehmen, dass sich die Bedeutung von bestreiten dekomponieren lässt in die Behauptung bestreiten, wobei die Bedeutung des Komplementsatzes das semantische Objekt von Behauptung ist.⁹ Die Präsupposition kann nach dieser Annahme durch das Objekt in der dekomponierten Bedeutung von bestreiten verifiziert werden. Der Eindruck einer globalen Interpretation des Konjunktivs kann also ganz auf die Bedeutung von bestreiten selbst zurückgeführt werden.¹⁰ Eine andere Weise die Präsupposition des RS in der freien indirekten Rede zu interpretieren, ist, dass der RS durch die Satzmoduseinstellung im eigenen Satz verifiziert wird. Das setzt natürlich voraus, dass man für selbständige Sätze mit einem aktiven Illokutionspotential eine solche Satzmoduseinstellung animmt. Im zweiten Teil dieser Arbeit argumentiere ich dafür, dass das Sinn macht. Satzmoduseinstellungen sind immer verankert an einer sprechenden Person. In indikativischen Wurzelsätzen ist der Anker typischerweise oder per Default die sprechende Person im aktuellen Äußerungskontext. Unter dieser Annahme könnte eine Verifikation aussehen wie in (29) (29)
Es regne. WB: PS:
x (Default: x = sprechende Person in c) x
sagt ∆
dass es regnet dass es regnet
;
x
sagt
dass es regnet
c = Äußerungskontext In der Diskussion von performativ verwendeten Sprechaktverben hatte ich erläutert, dass nach Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) die Präsupposition des RS nicht durch den Vollzug eines Sprechakt verifiziert werden kann, sondern nur durch seine Assertion. Ähnlich könnte man jetzt für die freie indirekte Rede argumentieren: Nur wenn die Satzmoduseinstellung auf eine sprechende Person im Diskurskontext bezogen werden kann, kann die Präsupposition durch
8 Ich nehme an, dass Anschuldigungen eine Form von Behauptung sind. 9 Vgl. die Ausführungen in Kuno (1972) zu deny im Englischen. 10 Ähnlich kann bezweifeln – das Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) auch diskutieren – verstanden werden im Sinne von die Aussage bezweifeln.
2.2 Diskussion |
57
die Satzmoduseinstellung im eigenen Satz verifiziert werden. Dementsprechend würde die Verwendung eines RS die Default-Verankerung der Satzmoduseinstellung relativ zum Äußerungskontext aufheben.¹¹ Ein Argument dafür, dass eine angenommene reportative Präsupposition für den RS immer im Einklang mit dem Satzmodus interpretiert werden muss, werden wir im nächsten Abschnitt im Vergleich mit sollen kennenlernen.
2.2.4 Vergleich mit reportativem sollen In einer detaillierten empirischen Untersuchung zu den Verwendungsweisen des Modalverbs sollen in einer reportativen Lesart (im Weiteren kurz: reportatives sollen) hat Schenner (2008) dafür argumentiert, dass reportatives sollen eine reportative Präsupposition einführt, die sich nur unwesentlich von der Präsupposition des RS nach Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) unterscheidet: Nach Schenner (2008) hat sollen neben lokalen Lesarten, die als lokaler Beitrag zu den Wahrheitsbedingungen erscheinen, auch globale und Concord-Lesarten, wobei die Concord-Lesarten zu vergleichen sind mit den satzinternen Verifikationen der RS-Präsupposition durch das einbettende Einstellungverb nach FabriciusHansen und Sæbø (2004). Wenn wir uns die Kontexte anschauen, in denen wir lokale und globale Lesarten für sollen finden, dann ist festzustellen, dass ein RS dort systematisch ausgeschlossen ist. Insofern die Daten in Schenner (2008) also für eine präsuppositionale Analyse von sollen sprechen, sprechen sie gegen eine präsuppositionale Analyse für den RS. Eine ähnliche Betrachtung, die zu dem gleichen Ergebnis kommt, findet sich bereits in Schwager (2010). Ich werde an entsprechender Stelle auf ihre Ausführungen verweisen. Das Modalverb sollen hat neben einer deontischen Lesart, für die (30) ein Beispiel ist, auch eine reportative Lesart, für die (31) ein Beispiel ist. (30)
(Anna bittet Bea, ihr morgen beim Umzug zu helfen.) Sie soll ihre Bücher verpacken.
(31)
(Die wertvolle Oscar-Robe der Schauspielerin Lupita Nyong’o ist offenbar wieder aufgetaucht.) Der Dieb soll sie zurück ins Hotel gebracht haben. (Er zweifelte an der Echtheit der Perlen.)
11 Tatsächlich werde ich im zweiten Teil dieser Arbeit für den IndK in der freien indirekten Rede einen solchen Vorschlag machen.
58 | 2 Fabricius-Hansen und Sæbø (2004): IndK als reportative Präsupposition
Die reportative Bedeutung von sollen zeigt sich darin, dass der relevante Satz in (31) paraphrasiert werden kann mit Bezug auf eine genannte oder – wie in diesem Fall – ungenannte Quelle, aus der die Information stammt: „Es wird gesagt, dass der Dieb sie (= die wertvolle Robe) ins Hotel zurückgebracht hat.“ Für sollen in dieser Lesart schlägt Schenner (2008) die folgende Bedeutung im Rahmen der DRT vor:¹² The basic idea of our [. . . ] analysis of sollenrep is that it triggers a reportative presupposition ‘∆’(x c ,p). It turns out that the three readings of (embedded) sollenrep correspond to the three basic projection possibilities of this presupposition: type of reading A (assertive) G (global) C (concord)
resolution
configuration
typical environments
local accomm. global accomm. binding
[ctp](∆(x c ,p)) ∆(x c ,p) ∧ ctp(p) ctp(p)
unembedded, under know under doubt under say
Von einer Diskussion der Details der semantischen Analyse sehe ich in diesem Abschnitt ab und überlasse es dem Leser, sich selbst von der großen Ähnlichkeit zwischen dem Vorschlag von Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) für den reportativen Konjunktiv und von Schenner (2008) für das reportative sollen zu überzeugen. Das Entscheidende ist, dass die empirischen Vorhersagen in weiten Bereichen zusammenfallen. Ein wichtiger Unterschied ist, dass sollen auch Hörensagen-Lesarten erlaubt, (32-b), bei denen nicht unbedingt eine Quelle dieser Information im Diskurskontext gegeben sein muss. Der RS dagegen verlangt immer, dass sich eine solche Quelle angeben lässt, sonst ist er nicht interpretierbar, (32-b). (32)
a. In Japan soll alles teuer sein. b. #In Japan sei alles teuer.
Da sollen aber auch eine anaphorische Interpretation haben kann, kann man den Einfluss dieses Unterschieds als Faktor ausschalten, wenn man sich die entsprechenden Beispielsätze vor dem Hintergrund von Diskurskontexten anschaut, in denen eine Quelle explixit genannt ist.
12 „ctp“ steht im folgenden für „complement taking predicate“. „∆“ steht – anders als bei Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) – nicht für ‘äußern’ in einem weiten Sinne, sondern für ‘sagen’/‘behaupten’.
2.2 Diskussion |
59
2.2.4.1 Vergleich: globale Interpretation Eine Gruppe von Daten, die nach Schenner (2008) für eine reportative Präsupposition von sollen spricht, sind Verwendungsweisen von sollen unter Prädikaten wie schwer zu glauben und unwahrscheinlich mit einer Lesart, nach der das Modalverb nicht zum lokalen propositionalen Gehalt beiträgt, sondern zusätzliche Information darüber gibt, dass die entsprechende Proposition von jemandem geäußert wurde: Sowohl für das Beispiel in (34-a) als auch für das Beispiel in (35-a) gilt: Was schwer zu glauben bzw. unwahrscheinlich ist, ist nicht, dass von Bea gesagt wird, dass sie in Paris ist, sondern, dass Bea in Paris ist – etwas von dem außerdem gesagt wird, dass es der Fall ist. sollen bezieht sich zwar auf die Komplementproposition, wird allerdings global interpretiert und als zusätzliche Bemerkung über die Quelle der Information verstanden. Vor dem Hintergrund des angegeben Kontexts kann das so verstanden, dass die entsprechende Information von Anna kommt. Obwohl ein solcher Schluss in der gleichen Weise für den RS möglich sein sollte, ist der Konjunktiv in (34-b) und (35-b) ausgeschlossen.¹³ (34)
Anna weiß eigentlich immer gut Bescheid, wo Bea gerade ist. a. Aber es ist schwer zu glauben, dass Bea in Paris sein soll. b. *Aber es ist schwer zu glauben, dass Bea in Paris sei.
(35)
Anna weiß eigentlich immer gut Bescheid, wo Bea gerade ist. a. Aber dass Bea in Paris sein soll, ist unwahrscheinlich. b. *Aber dass Bea in Paris sei, ist unwahrscheinlich.
Auch parenthetische Lesarten im Antezedens eines Konditionals, wie Schenner (2008) sie diskutiert, sind beim Konjunktiv nicht möglich, vgl. (36-a) mit (36-b). (36)
Der sozialdemokratische Spitzenkandidat Gerhard Schröder meint, militärische Forschung und Waffenproduktion seien kein Mittel der Technologie-, Wirtschafts- oder Arbeitsmarktpolitik. [. . . ] a.
Wenn Herr Schröder das gesagt haben soll, dann müßte er die Konsequenz daraus ziehen [. . . ]
13 Dasselbe Argument gibt Kaufmann in Schwager (2010). Ihr Beispiel ist das in (33). (33)
(Hans hat gestern behauptet, dass Legrenzi sein Lehrer gewesen sein soll.) #Es ist jedoch höchst unwahrscheinlich, dass Legrenzi sein Lehrer gewesen sei.
Sie kommentiert dieses Beispiel wie folgt: „[. . . ] Again, the matrix predicate it is improbable does not allow for a concord interpretation [des RS; FS], and the previous context assures that the presupposition attributed to the GRS [„German Reportive Subjunctive“; FS] is satisfied globally. Still, the sequence is inacceptable. Hence, I conclude that the GRS does not have a global reading.“
60 | 2 Fabricius-Hansen und Sæbø (2004): IndK als reportative Präsupposition
b. *Wenn Herr Schröder das gesagt habe, dann müßte er die Konsequenz daraus ziehen [. . . ] Die parenthetische Lesart, die von Schenner (2008) gemeint ist, kann man paraphrasieren mit: „Wenn Herr Schröder das gesagt hat, wie behauptet wird, dann müsste er die Konsequenz daraus ziehen [. . . ]“. Ein Konjunktiv kann – selbst bei einem Diskurskontext, in dem die Quelle explizit genannt wird – nicht in diesem Sinne verwendet werden, was man an dem Kontrast in (37) sehen kann. (37)
A: Anna behauptet, dass Bea in Paris ist. a. b.
B: Wenn sie aber in Paris sein soll, kann sie nicht in Wien sein. B: *Wenn sie in Paris sei, kann sie nicht in Wien sein.
Insofern in Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) keine weiteren Beschränkungen über die einbettenden Prädikate formuliert werden, sollten unter der Annahme einer reportativen Präsupposition in diesen Kontexten globale Lesarten für den RS genauso möglich sein wie für reportatives sollen.
2.2.4.2 Vergleich: lokale Interpretation Ein Beispiel für eine lokale Interpretation von reportativem sollen unter dem Verb wissen ist das Beispiel in (38). (38)
90 mal 190 Zentimeter: Das waren die Abmessungen von Goethes bescheidenem Bett. Auf den Betrachter wirkt es heute ziemlich kurz, vor allem wenn er weiß, dass Goethe groß von Statur gewesen sein soll. [Die ZEIT 11/2004] Schenner (2008, 188)
Ein Konjunktiv kann an der entsprechenden Stelle nicht stehen – selbst dann nicht, wenn der Kontext es eigentlich erlauben sollte. (39)
In dem Buch, das ich gerade lese, steht, dass Goethe wohl sehr groß war. Das Bett kommt einem dann ziemlich klein vor, wenn man weiß, dass Goethe groß gewesen sein soll. b. *Das Bett kommt einem dann ziemlich klein vor, wenn man weiß, dass Goethe groß gewesen sei. a.
Nach Schenner (2008) kann sollen grundsätzlich auch im Concord mit assertiven Sprechaktverben gelesen werden. (40)
Die Zeitschrift hatte fälschlicherweise behauptet, dass sich die Prinzessin ihren Adelstitel unredlich erworben haben soll. Schenner (2008, 188)
2.2 Diskussion |
61
Aufgrund der reportativen Bedeutung von sollen ist eine Concord-Lesart jedoch ausgeschlossen bei einer performativen Verwendungsweise des einbettenden Sprechaktverbs.¹⁴ (42)
Ich behaupte hiermit, dass Maria in Paris sein soll.
Unter der performativen Verwendungsweise eines Sprechaktverbs führt die Verwendung von reportativem sollen allerdings nicht zwangsläufig zur Uninterpretierbarkeit. Ohne weiteren Kontext kann (42) verstanden werden im Sinne einer Behauptung im Äußerungskontext, dass von Maria gesagt wird, dass sie in Paris ist. Im Fall des RS dagegen führt der Ausschluss einer Concord-Lesart zur Uninterpretierbarkeit. Ein Ausweichen auf eine lokale (oder eine globale Lesart) ist beim RS nicht möglich. (43)
Es gibt ja Uneinigkeit darüber, wo Bea sich laut Anna aufhält. Allerdings bin ich der einzige, der dabei war, als Anna von Beas Aufenthaltsort berichtet hat und . . . a. . . . ich sage, dass sie in Paris sein soll. b. *. . . ich sage, dass sie in Paris sei.
Der RS scheint also auch keine lokalen Lesarten zu haben.¹⁵
14 Das gilt auch für reportatives wollen (41)
a. b.
Peter behauptet, dass er den Mount Everest bestiegen haben will. *Ich behaupte, dass ich den Mount Everest bestiegen haben will.
Aufgrund der Tatsache, dass das Subjekt von wollen in einer reportativen Lesart die Person ist, deren Aussagen berichtet werden, führt bei einem performativen Gebrauch der assertiven Einstellung wie in (41-b) die Verwendung von wollen zur Uninterpretierbarkeit. Das erinnert sehr an die Verwendungsrestriktion des IndKs unter Sprechaktverben. 15 Kaufmann in Schwager (2010) kommt zu demselben Ergebnis. Mit Bezug auf den Kontrast der Beispiele in (44-a) und (44-b) schreibt sie: „Contexts that trigger a local reading for sollen result in ungrammaticality when we replace it with the GRS (cf. [(44-a)] vs. [(44-b)]), so obviously, the GRS does not allow for a local reading.“ (44)
a. b.
Ich weiß, dass Anna in Oslo sein soll. *Ich weiß, dass Anna in Oslo sei.
62 | 2 Fabricius-Hansen und Sæbø (2004): IndK als reportative Präsupposition
2.2.4.3 Vergleich zwischen RS und reportativem sollen in Fragesätzen Interessant im Vergleich zwischen reportativem sollen und dem RS ist auch ein Vergleich der Interpretationsmöglichkeiten in selbständigen Interrogativsätzen. Wie bereits Faller (2006) beobachtet hat, wird sollen in uneingebetteten Fragesätzen mit einem „iterrogative flip“ interpretiert: Die sprechende Person stellt eine Frage und erlaubt der angesprochenen Person ihre Antwort auf reportative Evidenz zu stützen.¹⁶ Häufig findet man solche Beispiele in Kontexten, in denen es ums Wetter geht: (45)
Soll es morgen auf Rügen regnen?
Von einem „Flip“ ist die Rede, da nicht die reportative Evidenz der sprechenden Person in Frage steht, sondern die der angesprochenen Person. Hier ist eine Weise, wie man sich das denken kann: Wenn wir annehmen, dass sich reportatives sollen nicht nur auf ein Individuum bezieht, das mit seiner Äußerung die Quelle der reportativen Evidenz stellt, sondern auch auf ein implizites Individium, das im Besitz der reportativen Evidenz ist, dann scheint das letztgenannte Individuum immer mit dem Agens des lokalen assertiven Prädikats identifiziert werden zu können. Die Paraphrasen in den folgenden Beispielen geben eine entsprechende Analyse der Satzmoduseinstellungen: (46)
Anna sagt, dass Bea im Ausland unterwegs ist. a.
b.
Bea soll in Paris sein. ‘s (= sprechende Person) teilt mit, dass es eine reportative Evidenzquelle gibt (= das, was Anna gesagt hat), aus der s schließen kann, dass Bea in Paris ist.’ Soll Bea in Paris sein? ‘s will, dass a (= angesprochene Person) s mitteilt, ob es eine reportative Evidenzquelle gibt, aus der a schließen kann, dass Bea in Paris ist.’
Das Zweck dieser Paraphrasen ist es vor allem, deutlich zu machen, dass sollen in selbständigen Fragesätzen im Skopus des Frageoperators interpretiert wird. Auch das folgende konstruierte Beispiel zeigt, dass sollen im Skopus des Frageoperators interpretiert werden kann. (47)
Wir wissen, wo sich der Täter versteckt. Für unsere Ermittlungen ist es jedoch von größter Wichtigkeit, außerdem herauszufinden, was sein Kompli-
16 Zur Interpretation von sollen mit einem interrogativen Flip: vgl. auch die Bemerkungen in Schwager (2010).
2.3 Fazit |
63
ze darüber erzählt, wo sein Aufenthaltsort ist. Ihnen hat er ja gesagt, wo er angeblich ist. Daher frage ich sie: Wo soll der Täter sich aufhalten? Beim RS finden wir – auch bei einem geeigneten Diskurskontext – nur Lesarten im Sinne des Bericht einer Frage und wenn diese Lesart im Kontext nicht möglich ist, dann ist auch der RS ausgeschlossen. (48) #Wo halte sich der Täter auf?
(im Kontext des vorherigen Beispiels)
Ich ziehe daraus den Schluss, dass der RS immer im Concord mit dem ausgedrückten Satzmodus bzw. der ausgedrückten Satzmoduseinstellung interpretiert werden muss.
2.3 Fazit Im Vergleich mit reportativem sollen hat sich gezeigt, dass sich für den RS weder die lokalen noch die globalen Lesarten finden, die nach der von Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) vorgeschlagenen präsuppositionalen Analyse zu erwarten wären. Darüber hinaus habe ich versucht, plausibel zu machen, dass die globalen Lesarten, die sich mit bestreiten finden lassen, als auch die Coercion-Lesarten von Emotiva wie bedauern und sich ärgern sich ganz ohne eine präsuppositionale Analyse erklären lassen. Für die freie indirekte Rede hat sich gezeigt – stellvertretend am Beispiel von Interrogativsätzen –, dass die angenommene Präsupposition immer nur im Concord mit dem Satzmodus verstanden werden kann. Eine Interpretation im Skopus des Satzmodusoperators ist mit dem RS ausgeschlossen. Die Daten sprechen also klar gegen eine reportative Präsupposition. In der Terminologie von Schenner (2008) findet man für den RS überhaupt nur „Concord“Lesarten. Wenn eine Concord-Lesart nicht möglich ist – weil es sich nicht um eine Einstellung im engeren Sinne handelt, wie z.B. bei schwer zu glauben oder unwahrscheinlich oder weil sie durch eine performative Verwendungsweise des Sprechaktverbs ausgeschlossen ist –, ist der RS nicht interpretierbar und kann nicht vorkommen. Die folgende Tabelle fasst die Ergebnisse des Vergleichs mit sollen zusammen.
Interpr. RS sollen
lokal
global
× X
× X
Concord mit Einstellung
Einstellung performativ
Concord mit Satzmodus
interrog. Flip
X (X)1 1 nur assertiv
× (X)2 2 kein Conord
X ×
× X
64 | 2 Fabricius-Hansen und Sæbø (2004): IndK als reportative Präsupposition
Mein Fazit ist also: Der RS führt keine reportative Präsupposition ein. Eine Einsicht von Fabricius-Hansen und Sæbø (2004), die sich in der Diskussion über die Unerfüllbarkeit der Präsupposition bei performativen Verwendungsweisen des Sprechaktverbs findet und die für diese Arbeit im Weiteren wichtig sein wird, möchte ich abschließend noch einmal hervorheben: Die Verwendungsbedingung des IndKs ist sensitiv für die Intention – performativ oder reportativ –, mit der das einbettende Einstellungsverb verwendet wird. Im zweiten Teil dieser Arbeit werde ich diese Idee aufgreifen und verallgemeinern.
3 Potts (2005): IndK als konventionelle Implikatur Nach Potts (2005) führt der Indirektheitkonjunktiv eine konventionelle Implikatur ein, die für einen Satz mit dem propositionalen Gehalt p soviel besagt wie: ‘es ist möglich, dass nicht p’.¹ An einem Beispiel: der Konjunktiv I im Komplementsatz zu glauben in (1-a) führt die konventionelle Implikatur in (1-b) ein. (1)
a. b.
Fritz glaubt, dass Maria krank sei. ‘Es ist möglich, dass Maria nicht krank ist.’
3.1 Konventionelle Implikaturen Dieser Abschnitt gibt eine knappe Zusammenstellung von einigen wichtigen Eigenschaften konventioneller Implikaturen im Sinne von Potts (2005), insoweit sie für die Diskussion des IndKs relevant sind. Der Ausdruck „konventionelle Implikatur“ und das entsprechende Konzept gehen zurück auf Grice (1989). Potts versteht darunter einen Aspekt der Bedeutung, der nicht zum propositionalen Gehalt der Äußerung gerechnet wird und damit nicht „at-issue“ ist. Vielmehr wird dieser Aspekt der Bedeutung in einer anderen Bedeutungsdimension, die von der Dimension des propositionalen Gehalts logisch unabhängig ist, unmittelbar als zusätzliche Information registriert. Von konversationellen Implikaturen unterscheiden sich konventionelle Implikaturen, da sie – wie der Name es schon sagt – konventionell mit den Ausdrücken verbunden sind und nicht unter Anwendung der Griceschen Konversationsmaximen „berechnet“ werden. Im Gegensatz zu konversationellen Implikaturen sind sie auch nicht löschbar (‘cancable’). Von Präsuppositionen unterscheiden sie sich, da sie nicht der Projektionslogik von Präsuppositionen folgen, sondern ganz generell „global“ interpretiert werden. Sie sind prinzipiell nicht einbettbar. Weiterhin charakteristisch für sie ist, dass sie eine Einstellung im Äußerungskontext ausdrücken. Ausdrücke und Konstruktionen, die nach Potts konventionelle Implikaturen einführen, lassen sich grob in zwei Klassen einteilen: „Supplements“, wozu unter anderem appositive Relativsätze, nominale Appositiva, Adverbien wie luckily gehören, und Ausdrücke mit „expressivem Gehalt“, wozu nach Potts (2005) unter anderem attributive Adjektive wie brilliant, Epithets, Honorifika und auch der Konjunktiv I im Deutschen zählen.
1 Wie Schlenker (2003) und von Stechow (2003) diskutiert Potts (2005) nur den Konjunktiv I. Der Sache nach ist hier allerdings der Konjunktiv in seiner Indirektheitsverwendungsweise in allen seinen Formen angesprochen. https://doi.org/10.1515/9783110422443-003
66 | 3 Potts (2005): IndK als konventionelle Implikatur
3.2 Der Indirektheitskonjunktiv Als konventionelle Implikatur ist der Konjunktiv I der Art nach verwandt mit Expressiva wie verdammt und genial.² Im Gegensatz zu Ausdrücken wie verdammt und genial drückt er jedoch eine vergleichweise schwache Einstellung aus, die Potts in der deskriptiven Generalisierung in (2) zusammenfasst. (2)
Use of Konjunktiv I in a clause C with content p indicates that the speaker is not publicly committed to the truth of p. Potts (2005):186
Der Konjunktiv wird nach Potts verwendet, um sich vom propositionalen Gehalt des Satzes im Konjunktiv zu distanzieren. Aber nicht so, dass si sich auf das Gegenteil – die Negation des Satzes – festlegen würde, sondern so, dass sie abrückt von jeder Festlegung auf seine Wahrheit – und sei es nur mittels einer Implikatur. Formal repräsentiert Potts propositionalen Gehalt und konventionelle Implikaturen auf unterschiedlichen Ebenen in einer zweidimensionalen Logik. Graphisch ist diese Trennung zwischen den beiden Ebenen in Potts’ semantischen Ableitungsbäumen („parse trees“) durch einen fett gesetzten Punkt markiert. Der Ableitungsbaum für (1-a) in Potts Framework sieht wie in (3) aus. Nach dem Doppelpunkt stehen jeweils die semantischen Typen in Potts’ Logik. (3)
believe(sick(maria))(fritz) : hs a , t a i fritz : e a
believe(sick(maria)) : he a , hs a , t a ii sick(maria) : hs a , t a i • kI(sick(maria)) : hs a , t c i
believe : hhs , t i, he a , hs a , t a iii aaa a
a
kI : hhs , t i, hs a , t c ii a
a
sick(maria) : hs a , t a i
Die Berechnung des propositionalen Gehalts unterscheidet sich im Prinzip nicht von der Berechnung des propositionalen Gehalts in anderen kompositionalen semantischen Theorien mit Lambda-Konversion. Bei der Berechnung der konventionellen Implikaturen werden diese zunächst auf ihre Argumente angewendet
2 Potts (2005) diskutiert die expressive Bedeutung von fucking und brilliant im Englischen.
3.3 Bezug auf die Sprechperspektive |
67
(insofern sie welche nehmen) und dann aus der Komposition herausgenommen und global interpretiert. Für den Konjunktiv I gibt Potts den Lexikoneintrag in (4) an. (4)
kI =def λpλw.∃w′ [wEw′ ∧ ¬p(w′ )] : hhs a , t a i, hs a , t c ii Potts (2005):187
„wEw′ “ in (4) steht für „w′ ist eine von w aus epistemisch zugängliche Welt“. Dementsprechend kann man bei Anwendung der Funktion in (4) auf p und die aktuelle Welt @ paraphrasieren: ‘Es gibt eine von der aktuellen Welt @ aus epistemisch zugängliche Welt w, so dass es nicht der Fall ist, dass p in w wahr ist’ oder kürzer und weniger formal: ‘Es ist (epistemisch) möglich, dass nicht p’.
3.3 Bezug auf die Sprechperspektive Was Potts (2005) bei dieser Implikatur für den Indirektheitskonjunktiv vor allem im Blick hat, sind die Fälle der Verwendung in der 1. Person Singular von glauben, insofern sie den Indirektheitskonjunktiv ausschließen, vgl. (5). Er schreibt: A speaker of [(1-a);FS] disavows himself of any commitment, even via implicatures, to the proposition that Maria is sick. Tellingly, when we have a first person matrix subject with a present-tense verb, the Konjunktiv I becomes deviant. Potts (2005, 186)
Ich möche zunächst die Schritte einer formalen Herleitung dieser Vorhersage im Sinne von Potts rekonstruieren. Die propositonale Bedeutung und die konventionelle Impikatur von (5) gebe ich in (6) an. (5) (6)
#Ich glaube, dass Maria krank sei. Jbelieve@ (λw.sickw (maria))(the-speaker) : t a KD,s,a
= 1 gdw. für jede doxastische Alternative w von s (= sprechende Person) in @ gilt: Maria ist krank in w J∃w′ [@Ew′ ∧ ¬sickw (maria)(w′ )] : t a KD,s,a = 1 gdw. es gibt eine von @ aus epistemisch zugängliche Welt w, so dass gilt: Maria ist nicht krank in w Zusammengenommen kann das paraphrasiert werden: ‘Ich glaube, dass Maria krank ist & es ist möglich, dass Maria nicht krank ist’.³ Das ist kein direkter Wi-
3 In der Bedeutungsparaphrase steht links von „&“ der propositionale Gehalt der Äußerung und rechts davon die konventionelle Implikatur.
68 | 3 Potts (2005): IndK als konventionelle Implikatur
derspruch. Man kann sich durchaus Situationen vorstellen, in denen man den Satz in (7) äußern könnte. (7)
Ich glaube, dass Maria krank ist, aber es ist möglich, dass sie nicht krank ist (weil ich mich irren könnte).
Eine Äußerung wie die in (7) scheint mir verwandt zu sein mit den Äußerungen in (8-a) und (8-b), in denen man das, was man glaubt kontrastiert mit dem, was man weiß. (8)
a. b.
Ich glaube, dass relativ viel Zeit vergangen war, aber ich weiß es nicht. Ich glaube auch, dass das auf Gegenseitigkeit beruht[,] aber ich weiß es nicht und ich will sie auch nicht fragen!
Einen Satz wie (7) könnte man dann verwenden, wenn man selbstkritisch zu dem Ergebnis gelangt, dass die Evidenz, die man für die Richtigkeit der Überzeugung anführen kann, nicht ausreicht, um von einem Wissen zu sprechen. D.h. formal gesprochen, dass man sich auf zwei unterschiedliche Mengen von modalen Alternativen bezieht: die Menge der Welten, die kompatibel sind mit dem, was man sicher weiß und die Menge der Welten, die kompatibel sind mit dem, was man „bloß“ glaubt oder für wahrscheinlich hält. Da aber (9) in der relevanten Verwendungsweise völlig ausgeschlossen ist, hätte man gerne einen direkteren Widerspruch. Den bekommt man, wenn man sich bei der Angabe der Konjunktivbedeutung auf die doxastischen Alternativen von s bezieht, d.h. auf die mit dem Glauben verträglichen möglichen Welten, und nicht auf die epistemischen Alternativen, die das Wissen repräsentieren. Das ist, denke ich, kompatibel mit allem, was Potts zum Konjunktiv I sagt. Die formale Analyse unter dieser Annahme würde sich entsprechend so lesen: (9) (10)
#Ich glaube, dass Maria krank sei. Jbelieve@ (λw.sickw (maria))(the-speaker) : t a KD,s,a
= 1 gdw. für jede doxastische Alternative w von s in @ gilt: Maria ist krank in w J∃w[@Ew ∧ ¬sickw (maria)] : t c KD,s,a = 1 gdw. es eine doxastische Alternative w von s in @ gibt, so dass gilt: Maria ist nicht krank in w =(aufgrund von Dualität) 1 gdw. es nicht das Fall ist, dass für alle doxastischen Alternativen w von s in @ gilt: Maria ist krank in w Das lässt sich paraphrasieren als: ‘Ich glaube, dass Maria krank ist & es ist nicht der Fall, dass ich glaube, dass Maria krank ist’. Wenn man also die von Potts in-
3.4 Abgrenzung von logophorischen Theorien |
69
tendierte Menge der epistemischen Alternativen mit der Menge der doxastischen Alternativen von s im Äußerungskontext identifiziert, dann kann der Ausschluss der Verwendung des IndKs bei Bezug auf die Sprechperspektive in (5) damit erklärt werden, dass in diesem Fall der assertierte Gehalt des Satzes im Widerspruch steht zum expressiven Gehalt des Konjunktivs. Wieso der IndK in der 1. Person Singular Präsens von behaupten nicht vorkommen kann bei Bezug auf die Sprechperspektive, diskutiert Potts nicht. Um diese Beschränkung zu erklären kann man auf die performative Variante von Moores Paradox in (11) verweisen. (11)
#Ich behaupte, dass p, aber ich glaube nicht, dass p.
Was Moores Paradox unter anderem zeigt, ist, dass eine Person, die performativ einen assertiven Sprechakt vollzieht, sich gleichzeitig öffentlich darauf festlegt, dass sie das Behauptete auch glaubt. Man kann an dieser Stelle auch auf Searle (1975) verweisen, für den der Glaube an die Wahrheit der behaupteten Proposition die Aufrichtigkeitsbedigung (‘sincerity condition’) des assertiven Sprechakts ist, vgl. Searle (1975). A man who states, explains, asserts or claims that p expresses the belief that p [...] Notice that this holds even if he is insincere, even if he does not have the belief [...] Thus one cannot say ‘I state that p but do not believe that p’ [...] Searle (1975, 4/5)
Der expressive Beitrag des Konjunktivs würde also nicht im Widerspruch stehen zum Gehalt der Assertion, allerdings zur Aufrichtigkeitsbedingung des entsprechenden performativen Sprechakts.
3.4 Abgrenzung von logophorischen Theorien Potts widmet einen großen Teil seiner Diskussion im Abschnitt zum Konjunktiv einem Vergleich zwischen seinem Vorschlag und den Vorschlägen von Schlenker (2003) und von Stechow (2003). Ich möchte hier nur auf zwei Punkte eingehen. Zum einen hat Potts’ Vorschlag den Vorschlägen von Schlenker (2003) und von Stechow (2003) voraus, dass er eine direkte Erklärung dafür hat, warum der Konjunktiv unter Faktiva wie wissen in (12) nicht verwendet werden kann. (12)
*Peter weiß, dass Maria krank sei.
70 | 3 Potts (2005): IndK als konventionelle Implikatur
Bezogen auf das Beispiel ist die Idee, dass man, wenn man den Satz in (12) äußert, sich öffentlich darauf festlegt, dass man glaubt, dass Maria krank ist. Der expressive Gehalt des IndKs steht im Widerspruch zu dieser öffentlichen Festlegung.⁴ Das andere ist Potts’ Kritik an einem Wettbewerbsmodell für den Konjunktiv im Sinne von Schlenker (2003). Das Entscheidende für Potts Punkt ist, dass in einem Wettbewerbsmodell im Sinne von Schlenker (2003) die Verwendung des Konjunktivs ausgeschlossen ist, wenn der Indikativ verwendet werden kann. Lässt man den kontrafaktischen Konjunktiv II einmal außer acht, dann kann man sagen, dass von diesem Modell vorhergesagt wird, dass Indikativ und Konjunktiv I in Komplementsätzen zu Einstellungsverben komplementär distribuiert sein sollten. Potts Einwand ist, dass das eine falsche Vorhersage ist und dass die Verwendung des Konjunktivs in Einstellungskomplementen vielmehr optional ist. In seinen eigenen Worten: „The very existence of both [(14-a) und (14-b); FS] alongside one another, with no narrow semantic difference between them, indicates that the competition principle is, at the very least, not stated accurately.“ (14)
a. b.
Fritz glaubt, dass Maria krank sei. Fritz glaubt, dass Maria krank ist.
Wdh. von (1-a)
Den Bedeutungsunterschied zwischen (14-a) und (14-b) charakterisiert Potts folgendermaßen: Both examples mean that Fritz believes that Maria is sick. The second could be proceded or followed by an assertion that Maria is in fact sick, or by an assertion that she is not sick. The first could appear felicitously only with the speaker’s denial that Maria is sick. That is, while the second might, but need not, convey the conversational implicature that the speaker believes Maria is sick, the first is prevented, by the Konjunktiv I marking, from conveying such a conversational implicature.
Ich werde auf diesen Einwand gegen Schlenkers Theorie im Kapitel 5 zurückkommen.
4 Andererseits sollte der Satz in (13) eigentlich mit Potts’ Bedeutung für den IndK verträglich sein. (13)
*Ich weiß nicht, ob Maria krank sei.
3.5 Einwände gegen eine Analyse als konventionelle Implikatur | 71
3.5 Einwände gegen eine Analyse als konventionelle Implikatur In zwei Punkten stimme ich Potts völlig zu: Erstens, der Konjunktiv I kann im Prinzip optional verwendet werden. Zweistens, wenn die Person, die spricht, den Konjunktiv I wählt, dann tut sie das oftmals, um sich auf irgendeine Weise von der Wahrheit der ausgedrückten Proposition zu distanzieren. Empirisch falsch ist jedoch die Annahme, dass die Verwendung des Konjunktivs eine zustimmende Haltung ausschließt. Das belegen die folgenden Beispiele, die zum Teil aus InternetQuellen und zum Teil aus Tageszeitungen stammen: (15)
Ich habe schon ein parmal gehört, dass unser Leben hier im Leben nach dem Tod nur ca. eine Sekunde sei und ich glaube das auch.
(16)
Mir haben aber schon viele Reiterinnen gesagt, dass ihr Pferd in Gruppenhaltung/Offenstall viel ruhiger und ausgeglichener geworden sei. Und ich glaube das auch.
(17)
Ich weiß nicht woran es liegt, ich glaube ihm, wenn er sagt, er sei von den Drogen runter.
(18)
Wer wie ich glaubt, es müsse das gleiche Recht für alle gelten [...] kann doch nicht neben dem geltenden noch andere im eigenen Land akzeptieren.
(19)
Wer (zu Recht) glaubt, Guantanamo wäre ein klassischer Fall von verletzten Menschenrechten, sollte sich den Artikel mal durchlesen.
(20)
Der Abgeordnete Majonica hat es zweifellos gut gemeint, und er hat vollkommen recht, wenn er glaubt, die Öffentlichkeit der Bundesrepublik müsse erst einmal an den Gedanken einer Normalisierung der Beziehungen mit unseren östlichen Nachbarn gewöhnt werden, aber er irrt, wenn er denkt, diese innenpolitische Aufklärung werde außenpolitische Erfolge bringen.
(21)
B. Russell behauptet zu Recht, dass in der Umgangssprache die Metaphysik der Steinzeit stecke.
Diese Beispiele sind direkte Gegenbeispiele zu Potts’ Vorschlag. Der Beigeschmack des Konjunktivs, dass die sprechende Person es für möglich hält, dass die Komplementproposition falsch ist, ist höchstens eine (möglicherweise generalisierte) konversationelle Implikatur, die aber ganz offensichtich löschbar (‘cancable’) ist und keine konventionelle Implikatur – zumindest nicht nach Potts’ Begriff von konventionellen Implikaturen, die ja gerade dadurch ausgezeichnet sind, dass sie sich nicht löschen lassen.
72 | 3 Potts (2005): IndK als konventionelle Implikatur
Ein weiterer Einwand kommt von Fragen. Wenn der expressive Gehalt des Konjunktivs I so viel besagt wie ‘Die sprechende Person hält es für möglich, dass die Proposition, die durch den konjunktivischen Satz ausgedrückt wird, falsch ist’, dann sollte der Konjunktiv in Fragen im Prinzip immer verwendet werden können und lediglich einen Bias vermittels der expressiven Bedeutung einführen. Die Argumentation ist folgende: Wenn ich in aufrichtiger Weise (‘sincere’) frage, ob p, dann gilt, dass es nicht der Fall ist, dass ich bereits glaube, dass p; und es gilt, dass es nicht der Fall ist, dass ich bereits glaube, dass nicht p. Beides sind Bedingungen für die aufrichtige Äußerung einer Frage mit dem propositionalen Gehalt p. Formal lässt sich die Bedigung, dass s nicht schon glaubt, dass p, ausdrücken wie in (22) (wobei „B s “ für eine doxastische, auf s (= die sprechende Person) relativierte Zugänglichkeitsrelation steht). (22)
λw. ¬∀w′ : wB s w′ → p(w′ ) = λw. ∃w′ : wB s w′ ∧ ¬p(w′ )
(aufgrund von Dualität)
Das entspricht aber genau dem Bedeutungsbeitrag des IndKs als konventionelle Implikatur nach Potts (gemäß der Rekonstruktion). Der expressive Gehalt des Konjunktivs wäre also logisch äquivalent mit einer Aufrichtigkeitsbedingung von glücklich geäußerten Fragen; vgl. (22) mit der Bedeutungsparaphrase in (10). Der Konjunktiv sollte also der Bedeutung nach nicht unverträglich mit Fragen sein, da er nur eine ihrer Aufrichtigkeitsbedingungen explizit macht. Sein Bedeutungsbeitrag würde lediglich die Symmetrie zwischen den Konjunktionsgliedern aufheben, was für bestimmte rhetorische Zwecke evtl. sogar wünschenswert sein könnte. Tatsächlich ist es aber so, dass der Konjunktiv in Fragen überhaupt nicht verwendet werden kann, wenn die sprechende Person selbst eine Frage stellen möchte: Fragen, die mit dem Konjunktiv markiert sind, werden als freie indirekte Rede interpretiert und nicht als Fragen im Äußerungskontext, vgl. (23). (23)
Als Peter anrief, war er überrascht, mich zu Hause anzutreffen. Sei Maria etwa krank?
Dasselbe Argument sollte sich auch für performative Fragen wiederholen lassen, in denen – wie wir oben gesehen haben – auch kein Konjunktiv stehen kann.⁵ (24) #Ich frage dich hiermit, ob Maria krank sei.
5 Potts ist nicht explizit mit Bezug darauf, wie Fragen in seinem System zu behandeln sind. Für die Diskussion nehme ich den folgenden Lexikoneintrag im Sinne von Groenendijk und Stokhof (1982) für den Frageoperator an, den ich als whether repräsentieren will:
3.6 Fazit | 73
So weit ich sehe, sollte der expressive Bedeutungsbeitrag des Konjunktivs außerdem mit Einstellungsverben wie bestreiten in der 1. Person Singular Präsens mit Bezug auf die Sprechperspektive verträglich sein, da hier ja gerade die Möglichkeit der Falschheit der Komplementproposition eingeräumt wird. Aber auch hier ist ein Indirektheitskonjunktiv ausgeschlossen. (28)
*Ich bezweifle, dass Maria krank sei.
Genauso auch für das Beispiel in (29). (29)
*Ich bin mir nicht sicher, {dass/ob} Maria krank sei.
3.6 Fazit Die in diesem Kapitel von mir angeführten Beispiele zeigen eindeutig, dass der Eindruck der Distanzierung von der Wahrheit der Komplementproposition bei einem IndK unter einem Einstellungsverb keine konventionelle Implikatur im Sinne von Potts (2005) ist. Wenn es sich überhaupt um eine Implikatur handelt, dann um eine konversationelle Implikatur, die löschbar ist. Sie sollte sich als ein Nebeneffekt der Bedeutung des IndKs erklären lassen. Interessant wäre auch ein Vergleich dieser Implikatur mit der kontrafaktischen Implikatur des konditionalen Konjunktivs, die besagt, dass die ausgedrückte Proposition im Bezugskontext
(25)
Jwhether : hhs a , t a i, hs a , hs a , t a iiiKD,s,a = λp λw’ λw . p(w) = p(w’)
Der Satz in (26) ist gemeint als Beispiel für einen Fragesatz in der freien indirekten Rede. (26)
Sei Maria krank?
Der Ableitungsbaum für (26) sieht aus wie in (27): (27)
whether(sick(maria)) : hs a , hs a , t a ii whether : hhs a , t a i, hs a , hs a , t a iii aaa
sick(maria) : hs a , t a i • kI(sick(maria)) : hs a , t c i
kI : hhs a , t a i, hs a , t c ii
sick(maria) : hs a , t a i
Ich nehme also an, dass der Konjunktiv erst auf die ausgedrückte Proposition angewendet wird. Danach wird der Frageoperator auf die Proposition angewendet.
74 | 3 Potts (2005): IndK als konventionelle Implikatur
falsch ist, vgl. Kratzer (1979). Diese Implikatur ist ebenfalls löschbar, vgl. die Diskussion in von Fintel (1997). Eine wichtiges Ergebnis von Potts Diskussion ist die Feststellung, dass es sich beim IndK um ein Mittel handelt, das optional eingesetzt werden kann und das nicht, wie aus der Theorie von Schlenker (2003) folgt, in komplementärer Distrubution steht zum Indikativ. Entsprechend wird der Charakter der von mir im zweiten Teil dieser Arbeit vorgeschlagenen semantischen Verwendungsbedingung für den IndK auch eine große Nähe aufweisen zu Potts’ konventionellen Implikaturen.
4 Lohnstein (2000): Verbmodus und Satzmodus 4.1 Eine derivationelle Theorie des Satzmodus Wie ist es zu erklären, dass Sätze einer bestimmten grammatischen Form (Deklarativsätze, W-Interrogativsätze, Imperativsätze, usw.) das Illokutionspotential haben, das sie haben? Welchen Beitrag leistet die Grammatik bei der Bestimmung der illokutionären Verwendungsmöglichkeiten von Sätzen eines bestimmten Formtyps? Lohnstein (2000) ist ein Versuch diese Fragen zu beantworten. Nach Lohnstein ist das Illokutionspotential eines Satzes wesentlich bestimmt durch den Satzmodus des Satzes. Unter dem Satzmodus versteht Lohnstein eine „semantische Kategorie“, die die illokutionären Verwendungsmöglichkeiten eines Satzes beschränkt, indem sie die Weltklassen determiniert, auf denen eine modal markierte Proposition ausgewertet wird.¹ (1)
Lohnsteins Charakterisierung des Satzmodus „Der Satzmodus determiniert die Weltklassen, auf denen eine modal markierte Proposition ausgewertet wird, und die Art und Weise, wie sie ausgewertet wird.“ Lohnstein (2000, 3)
Zur Orientierung des Lesers über die verschiedenen möglichen Satzmodi im Deutschen führt Lohnstein eine Liste von Beispielsätzen an, denen er die in Klammern gesetzten Satzmodi zuordnet: (2)
a. b. c. d. e. f.
Jochen klaut Zigarren. Klaut Jochen Zigarren? Wer klaut Zigarren? Klau Zigarren! Klaute Jochen (doch) Zigarren! Was Jochen aber auch für Zigarren geklaut hat! (Dass Jochen aber auch Zigarren klaut!)
(Deklarativ) (E-Interrogativ) (W-Interrogativ) (Imperativ) (Optativ) (Exklamativ) Lohnstein (2000, 1)
Er nimmt dabei an, „dass der propositionale Gehalt dieser Sätze jeweils identisch ist, dass sich nämlich ein Individuum namens Jochen in gesetzwidriger Weise Zigarren aneignet, und dass sich die jeweiligen Unterschiede aus der Verschiedenheit der Satzmodi ergeben.“ Lohnstein (2000, 2)
1 vgl. Lohnstein (2000, 3) https://doi.org/10.1515/9783110422443-004
76 | 4 Lohnstein (2000): Verbmodus und Satzmodus
Als Ziel seiner Arbeit gibt Lohnstein an, eine Theorie des Satzmodus zu entwickeln, die „auf der Grundlage der elementaren grammatischen Mittel die Diversität der Satzmodi im Deutschen abzuleiten gestattet.“ Er charakterisiert seine Theorie dabei als „modular, interaktional, kompositionell und derivationell“: Sie ist modular organisiert, insofern verschiedene unabhängig voneinander begründete Subsysteme des Sprachsystems in die Analyse einbezogen werden. [. . . ] Die Theorie ist interaktional, insofern sie die in den modular organisierten Systemen repräsentierten Kenntnisse aufeinander bezieht; und sie ist kompositionell, indem sie aus dem Zusammenwirken dieser Kenntnisse den Satzmodus konstituiert. Ihr derivationeller Charakter ergibt sich aus der Möglichkeit, die Satzmodi gewissermaßen schrittweise aus den flexionsmorphologischen Spezifikationen und den syntaktischen Operationen bis hin zu ihrer semantischen Interpretation logisch abzuleiten. Lohnstein (2000, 30)
Mit Bezug auf seinen Satzmodusbegriff bedeutet das, dass er angeben muss, wie die elementaren grammatischen Mittel auf kompositionelle Weise die Weltklassen bestimmen, auf denen eine modal markierte Proposition ausgewertet wird. Die elementaren grammatischen Mittel, die kompositionell zur Satzmoduskonstitution beitragen sind zum einen der Verbmodus und zum anderen die (Art und Weise der) Besetzung des Vorfelds. Der kompositionelle Beitrag des Verbmodus ist nach Lohnstein, dass er die Weltklassen für die Auswertung der Proposition entweder auf den epistemischen oder den faktischen Redehintergrund beschränkt bzw. verschiebt. Die Besetzung des Vorfelds mit einer [+w]- oder einer [–w]-Phrase bzw. die Nichtbesetzung des Vorfelds entscheidet darüber, ob und wie die Weltklassen bei der Auswertung partitioniert werden. Zur Partitionierung der Weltklassen nach Lohnstein will ich hier nur soviel sagen, dass (bei einem epistemischen Redehintergrund) die Vorfeldbewegung mit einer [–w]-Phrase dem Ergebnis nach zu keiner Partionierung führt, die Nichtbesetzung des Vorfelds zu einer Bipartition und die Vorfeldbesetzung mit einer [+w]-Phrase zu einer erweiterten Partition. Für die Details – die für die Diskussion des Verbmodus keine Rolle spielen – verweise ich den interessierten Leser an Lohnstein (2000). Eine in den wesentlichen Punkten damit übereinstimmende Darstellung findet sich auch in Lohnstein (2004). Eine gute Zusammenfassung ist Gutzmann (2011). Auch die folgende grafische Übersicht ist aus Gutzmann (2011) übernommen.²
2 Ich habe die Grafik etwas erweitert und in einem Detail gegenüber der Druckversion von Gutzmann (2011) korrigiert.
4.1 Eine derivationelle Theorie des Satzmodus | 77
[Verbmodus]
(3)
KonjI/Imp
Ind/KonjII [Vorfeld besetzt] [+w] p p p p p p W-Interrogativ
[Vorfeld unbesetzt]
[−w]
p ¬p
p Deklarativ
E-Interrogativ
Imperativ, . . .
Beitrag von Verbmodus und Vorfeldbesetzung zum Satzmodus Der Verbmodus ist in zweierlei Hinsicht relevant für die Bestimmung der Weltklassen, auf denen die Propositionen ausgewertet werden: zum einen beschränkt bzw. verschiebt er die Auswertungswelten auf einen von zwei für die Satzmoduskonstitution relevanten Redehintergründen: den epistemischen Redehintergrund oder den faktischen Redehintergrund. Zum anderen legt er fest, ob es zu einer weiteren Partionierung der Weltklassen kommen kann oder nicht: nur der epistemische Redehintergrund lässt nach Lohnstein eine Partionierung zu. Da dem Verbmodus in seiner Theorie eine so zentrale semantische Rolle zukommt, nimmt Lohnstein an, dass ihm auch eine entsprechende zentrale syntaktische Rolle zukommt. Aus den semantischen Eigenschaften der Verbmodi können [. . . ] elementare Eigenschaften der Satzmodi deduziert werden. Dies lässt sich theoretisch derart konstruieren, dass selbständige Sätze im Deutschen eine Modusphrase als höchste Projektion aufweisen, in der der Satzmodus determiniert wird.“ Lohnstein (2000, 28/29)
Als die zentrale und übergeordnete These seiner Arbeit formuliert er dementsprechend die folgende Hypothese: (4)
Modussystem-Hypothese „Der Satzmodus in deutschen Hauptsätzen wird einheitlich in einer durch den Verbmodus projizierten funktionalen Projektion determiniert. Aus den Eigenschaften der Phrasen, die die von dem funktionalen Kopf projizierten Positionen besetzen, lassen sich die verschiedenen Instanzen des Satzmodus im Deutschen sowie deren funktionale Eigenschaften ableiten.“ Lohnstein (2000, 29)
78 | 4 Lohnstein (2000): Verbmodus und Satzmodus
Soweit zum Hintergrund von Lohnsteins Verbmodustheorie.
4.2 Empirische Charakterisierung der Verbmodi Lohnstein unterscheidet in flexionsmorphologischer Hinsicht vier Kategorien des verbalen Modus: Indikativ, Konjunktiv I, Konjunktiv II und Imperativ. Verbmodus Indikativ
Konjunktiv
Konjunktiv I
Imperativ
Konjunktiv II
Mit Bezug auf die Relevanz für den Satzmodus teilt Lohnstein die Verbmodi im Deutschen in zwei Klassen ein: Indikativ und Konjunktiv II auf der einen Seite und Konjunktiv I und Imperativ auf der anderen. (5)
Semantische Haupteinteilung der Verbmodi nach Lohnstein (2000) Indikativ/Konjunktiv II Konjunktiv I/Imperativ
Sie unterscheiden sich nach Lohnstein mit Blick auf den Satzmodus vor allem in zwei Hinsichten: 1. Unterschied der Verbmodi in Bezug auf die Wahrheitsfähigkeit Sätze mit einer Indikativform oder einer Form des Konjunktivs II sind wahrheitswertfähig; Sätze mit einer Form des Konjunktivs I oder dem Imperativ nicht.³ Lohnstein illustriert diese These mit den folgenden Beispielen.⁴ Die Idee hinter diesen Beispielen ist, dass sich die Wahrheitswertfähigkeit darin zeigt, ob es möglich ist, der entsprechenden Äußerung zuzustimmen oder ihr zu widersprechen.
3 Die Unterscheidung in wahrheitsfähige und nicht-wahrheitsfähige Satztypen findet sich bereits bei Frege: „Einem Befehlssatze wird man einen Sinn nicht absprechen wollen; aber dieser Sinn ist nicht derart, daß Wahrheit bei ihm in Frage kommen könnte. Darum werde ich den Sinn eines Befehlssatzes nicht Gedanken nennen. Ebenso sind Wunsch- und Bittsätze auszuschließen“ Frege (1918, 62). Frege unterscheidet diese Satztypen mit Bezug auf die Wahrheitsfähigkeit von Sätzen, „in denen wir etwas mitteilen oder behaupten“ Frege (1918, 62) und Fragesätzen. 4 Lohnstein (2000, 107)
4.2 Empirische Charakterisierung der Verbmodi | 79
(6)
a.
b.
(7)
a.
b.
Peter fährt nach Paris. Ja, das stimmt. Nein, das stimmt nicht. Peter führe nach Paris. Ja, das stimmt. Denn er liebt diese Stadt. Nein, das stimmt nicht, denn er hasst diese Stadt.
Indikativ
Konjunktiv II
Peter fahre nach Paris. *Ja, das stimmt. *Nein, das stimmt nicht. Peter, fahr nach Paris. *Ja, das stimmt. *Nein, das stimmt nicht.
Konjunktiv I
Imperativ
Das zweite Kriterium für die Einteilung der Klassen ist: 2. Unterschied in Bezug auf die Möglichkeit von Fragesatzbildung Fragesatzbildung ist möglich mit dem Indikativ und dem Konjunktiv II; mit dem Konjunktiv I und dem Imperativ ist weder die Bildung von E-Interrogativsätzen noch die Bildung von W-Interrogativsätzen möglich. Als Beleg führt er folgende Beispiele mit den entsprechenden Urteilen an:⁵ (8)
a. b. c. d.
Kommt Paul morgen? Käme Paul morgen? *Komm Paul morgen? *Komme Paul morgen?
Indikativ Konjunktiv II Imperativ Konjunktiv I
(9)
a. b. c. d.
Wer kommt morgen? Wer käme morgen? *Wer komm morgen? *Wer komme morgen?
Indikativ Konjunktiv II Imperativ Konjunktiv I
Lohnsteins Beobachtungen möchte ich in folgender Tabaelle zusammenfassen: (10) Wahrheitswertfähigkeit Fragesatzbildung
5 Lohnstein (2000, 107)
Indikativ/Konjunktiv II
Konjunktiv I/Imperativ
+ +
– –
80 | 4 Lohnstein (2000): Verbmodus und Satzmodus
4.3 Formale Theorie des Verbmodus Lohnsteins Theorie des Satzmodus ist eine modale Theorie. Er nimmt an, dass der Satzmodus „die Weltklassen [determiniert], auf denen eine [. . . ] Proposition ausgewertet wird“. Der Beitrag des Verbmodus ist, dass er diese Weltklassen auf bestimmte Redehintergründe beschränkt oder verschiebt: im Falle von Indikativ und Konjunktiv II auf den epistemischen Redehintergrund und im Falle von Konjunktiv I und Imperativ auf den faktischen Redehintergrund. Das Konzept des Redehintergrunds übernimmt Lohnstein aus Kratzers Theorie der Modalität, vgl. Kratzer (1979), Kratzer (1981), Kratzer (1991) und Kratzer (2012). Nach Kratzer (1981) ist ein epistemischer Redehintergrund eine Funktion, die eine Welt w abbildet auf die Menge von Propositionen, die in w gewußt werden.⁶ Eine Proposition ist hier eine Menge von möglichen Welten bzw. die entsprechende charakteristische Funktion. (11)
fepi (w) = {p | p wird gewußt in w}
Ein total realistischer Redehintergrund ist nach Kratzer eine Funktion, die eine Welt w abbildet auf die Menge der Propositionen, die in w wahr sind. (12)
ftotal_real (w) = {p | p(w) = 1}
Mit Bezug auf den total realistischen Redehintergrund können wir auch sagen, dass er uns angewendet auf w die Menge der Tatsachen oder Fakten in w gibt. Die Menge der Propositionen, die durch einen epistemischen Redehintergrund gegeben ist, repräsentiert also das, was in w gewußt wird; die Menge der Propositionen, die durch einen total realistischen Redehintergrund gegeben ist, die Fakten in w. Lohnstein orientiert sich bei seiner Definition der Redehintergründe an Kratzers Definitionen. Ein Unterschied ist, dass er sie für Indizes oder Zeit-Welt-Paare und nicht nur für Welten definiert. Mit „Proposition“ ist bei Lohnstein also eine Menge von Indizes oder Zeit-Welt-Paaren gemeint bzw. die entsprechende charakteristische Funktion. Die Definition des epistemischen Redehintergrunds entspricht ansonsten der Kratzerschen Definition des epistemischen Redehintergrunds:
6 Ich orientiere mich bei der Notation bereits an Lohnsteins Notation.
4.3 Formale Theorie des Verbmodus |
(13)
81
Epistemischer Redehintergrund mbepi (i) ={p | p wird gewußt in i}⁷
Die Definition des faktischen Redehintergrunds entspricht weitgehend der Kratzerschen Definition des absolut realistischen Redehintergrunds mit der zusätzlichen Annahme, dass er nicht nur die Propositionen enthält, die am Index i wahr sind, sondern auch die Propositionen, die „im weiteren Verlauf der Ereignisse wahr sein werden“. Einen Hinweis, wie das zu verstehen ist, gibt die vorausgehende Formulierung: „Alles, was am Index i o der Fall ist und bei weiterem Verlauf der Ereignisse in i o der Fall sein wird.“⁸ Ich lese das so: „Alles, was am Index i der Fall ist und bei weiterem Verlauf der Ereignisse in der Welt von i der Fall sein wird.“ Oder anders gesagt: Alles, was zum Zeitpunkt von i oder einem späteren Zeitpunkt in der Welt von i der Fall ist. Daher lässt sich der faktische Redehintergrund formal angeben wie folgt: (14)
Faktischer Redehintergrund mbfakt (i) = {p | p(i) = 1 ∨ ∃j(t i < t j ∧ w j = w i ∧ p(j) = 1)} mbfakt (i) = {p | ∃j(t i ≤ t j ∧ w j = w i ∧ p(j) = 1)}
Den Schnitt aus mbepi (i) und mbfakt (i) nennt Lohnstein auch den realistischen Redehintergrund mbreal (i).⁹ (15)
Realistischer Redehintergrund mbreal (i) = mbepi (i) ∩ mbfakt (i)
Für Lohnstein sind der epistemische und der faktische Redehintergrund jedoch in besonderer Weise gegenüber anderen möglichen Redehintergründen ausgezeichnet und zwar sind sie „ontologisch gegeben“, vgl. Lohnstein (2000, 41). Die temporalen Eigenschaften der Redehintergründe gehen Lohnstein zufolge unmittelbar auf Eigenschaften von Wissensinhalten und Fakten zurück, die durch die Redehintergründe charakterisiert werden: mbepi charakterisiert Wissensinhalte und kann damit im Prinzip alle vergangenen und gegenwärtigen Weltzustände enthalten, prinzipiell aber keinen zukünftigen Weltzustand.
7 Die Relativierung auf Indizes des Context Sets I(k), die Lohnstein zum Teil der Definition macht, lasse ich hier unberücksichtigt, da sie für die Diskussion irrelevant ist. 8 An dieser Stelle verwendet Lohnstein i o , um zu verdeutlichen, dass sich der freie Index im Defaultfall auf die Zeit und die Welt am Äußerungskontext bezieht. Ich verwende im Folgenden weiterhin „i“. 9 Die Definition des realistischen Redehintergrunds bei Lohnstein entspricht nicht der Definition des realistischen Redehintergrunds in Kratzer (1981).
82 | 4 Lohnstein (2000): Verbmodus und Satzmodus
mbfakt charakterisiert die aktuellen und potentiell faktischen Gegebenheiten und kann damit im Prinzip alle gegenwärtigen und zukünftigen Weltzustände enthalten, prinzipiell aber keine vergangenen. Vergangene Weltzustände sind nur noch epistemisch zugänglich und können nie wieder faktisch sein. Zukünftige Weltzustände können zwar faktisch aktualisiert werden, sind aber epistemisch nicht zugänglich. Lohnstein (2000, 42)
Das möchte ich in folgender These zusammenfassen: (16)
These der „inhärenten Temporalität“¹⁰ der Redehintergründe Der epistemische Redehintergrund kann nur vergangegene und gegenwärtige Weltzustände enthalten; der faktische Redehintergrund kann nur gegenwärtige und zukünftige Weltzustände enthalten.
Entscheidend ist hier, was genau unter „Weltzuständen“ zu verstehen ist. Ich werde darauf an späterer Stelle zurückkommen. Lohnstein sieht die temporalen Eigenschaften der Redehintergründe formal dadurch eingefangen, dass durch die Redehintergründe eine zeitliche Ordnung induziert wird und zwar derart, dass der Schnitt über den epistemischen Redehintergrund bei i uns nur Indizes j gibt, für deren Zeitkoordinate t j gilt: t j ≤ t i (d.h. t j liegt vor t i oder ist gleichzeitig damit); während der Schnitt über den faktischen Redehintergrund angewendet auf i uns nur Indizes j gibt, für deren Zeitkoordinate t j gilt: t i ≤ t j .¹¹ (17)
Lohnsteins These der durch die Redehintergründe induzierten temporalen Ordnung a. b.
∩mbepi (i) ⊆ {j | t j ≤ t i } ∩mbfakt (i) ⊆ {j | t i ≤ t j }
Beim faktischen Redehintergrund folgt das unmittelbar aus der Definition des Redehintergrunds; im epistemischen Fall dagegen aus der zusätzlichen Annahme, dass „[z]ukünftige Weltzustände [. . . ] epistemisch nicht zugänglich [sind]“ Lohnstein (2000, 42). Für den realistischen Redehintergrund ergibt sich in der Konsequenz: (18)
∩mbreal (i) ⊆ {j | t j = t i }
Graphisch stellt Lohnstein das wie in der Abbildung in (19) dar, wobei man den Balken von links nach rechts als Zeitachse von der Vergangenheit (relativ zum
10 vgl. Lohnstein (2000, 118) 11 vgl. Lohnstein (2000, 41)
4.4 Die semantischen Eigenschaften der Verbmodi |
83
aktuellen Index i vergangene Indizes) in die Zukunft (relativ zum aktuellen Index i zukünftige Indizes) lesen muss: (19)
epistemisch determiniert Indizes
faktisch determinierte Indizes
realistisch determinierte Indizes Soweit zu Lohnsteins formaler Theorie der Redehintergründe.
4.4 Die semantischen Eigenschaften der Verbmodi Ausgehend von diesen formalen Konzepten erklärt Lohnstein die Eigenschaften der Verbmodi und ihren Beitrag zum Satzmodus folgendermaßen. (20)
Haupteinteilung der Verbmodi und Redehintergründe a.
b.
Indikativ und Konjunktiv II beschränken die Auswertungswelten für die so markierten Propositionen auf den epistemischen Redehintergrund. Konjunktiv I und Imperativ beschränken die Auswertungswelten für die so markierten Propositionen auf den faktischen Redehintergrund.
Genauer noch gilt: (21)
Auswertungsdomänen der Verbmodi nach Lohnstein (2000)¹² „An einem Index i beschränken die Verbmodi die Auswertungsdomäne ihrer Proposition wie folgt: a. b. c. d.
Indikativ: Konjunktiv II: Imperativ: Konjunktiv I:
mbepi (i) mbepi (i) – mbreal (i) mbfact (i) – mbreal (i) mbfact (i)“ Lohnstein (2000, 121)
Was ist damit gemeint, wenn Lohnstein sagt, dass die Verbmodi die Auswertung der Proposition auf einen Redehintergrund beschränken bzw. verschieben? Ein
12 Das „–“ in (21-b) und (21-c) steht dabei für die mengentheoretische Operation der Differenz.
84 | 4 Lohnstein (2000): Verbmodus und Satzmodus
Beispiel, woran man das ablesen kann, findet sich in Lohnstein (2000, 198), wo er die Beschränkung der Indizes für den Imperativsatz in (22) angibt: (22)
a. b.
Spiel die Geige! λi. spielen′ (i)(ιy[Geige′ (y)])(A), wobei i ∈ mbfakt (i o ) – mbreal (i o )
Es scheint also so zu sein, dass die Beschränkungen auf bestimmte Indizes als Restriktionen über den Argumentbereich der ausgedrückten Proposition zu verstehen sind. In Analogie dazu ergeben sich für die anderen Verbmodi die folgenden Bedeutungen:¹³ (23)
a. b.
(24)
a. b.
(25)
a. b.
Maria kommt. J(23-a)Kk = λi : i ∈ ∩mbepi (i k ). kommen′ (i)(Maria′ )
Maria komme! J(24-a)Kk = λi : i ∈ ∩mbfakt (i k ). kommen′ (i)(Maria′ )
Indikativ Konjunktiv I
Maria käme. Konjunktiv II J(25-a)Kk = λi : i ∈ ∩mbepi (i k ) − ∩mbreal (i o ). kommen′ (i)(Maria′ )
Die Erklärung für die beiden zentralen Eigenschaften, die zur Klasseneinteilung in (5) führen – (Nicht-)Wahrheitswertfähigkeit und (Nicht-)Partitionierbarkeit –, ergibt sich aus der „ontologischen“ Natur der Hintergründe: Nach Lohnstein umfasst der faktische Redehintergrund den gesamten Bereich der „real existierenden Fakten“. Die Nichtwahrheitsfähigkeit von Konjunktiv I- und Imperativsätzen erklärt er so: „Da Fakten weder wahr noch falsch sein können, lässt sich [. . . ] ableiten, dass sowohl Imperativ- als auch Konjunktiv I-markierte Sätze weder wahr noch falsch sein können.“ (Lohnstein (2000, 84)) Ähnliche Formulierungen finden sich auch an verschiedenen anderen Stellen. Die Nichtwahrheitsfähigkeit dieser Satztypen scheint also für Lohnstein ganz wesentlich damit zusammenzuhängen, dass Fakten verstanden als „real existierende Fakten“ weder wahr noch falsch sein können. Diese „Nichtwahrheitsfähigkeit“ der Fakten überträgt sich entsprechend auf die Nichtwahrheitsfähigkeit der vor dem faktischen Redehintergrund ausgewerten Sätze. Die Nichtpartitionierbarkeit bezieht er ebenfalls auf diesen Faktenbegriff:
13 k ist nach Lohnstein ein Kontext, vgl. Lohnstein (2000, 40), zu dem auch i k als Koordinate gehört. Fragen der Indexikalität mit Bezug auf die Redehintergründe diskutiert Lohnstein weiter nicht. Ich verwende hier die Doppelpunktnotation aus Heim und Kratzer (1998) zur Markierung der Restriktion des Argumentbereichs.
4.4 Die semantischen Eigenschaften der Verbmodi |
85
Zugleich lässt sich mit Hilfe der genannten Zuordnung [Indikativ und Konjunktiv II zum epistemischen Redehintergrund; Konjunktiv I und Imperativ zum faktischen Redehintergrund; FS] herleiten, dass nur Sätze im Indikativ und Konjunktiv II Fragesätze bilden können. Nur diese beiden Modi erlauben die Auswertung von Propositionen auf dem epistemischen Redehintergrund und nur in dieser Domäne ist prinzipiell eine Partionierung in Indexklassen möglich, für die Propositionen wahr oder falsch sein können. In der Domäne der Tatbestände selbst, dem faktischen Redehintergrund, ist eine solche Partitionierung nicht möglich. Lohnstein (2000, 84)
Hinweise darauf, dass eine Partitionierung des faktischen Redehintergrunds nicht möglich ist, finden sich noch an verschiedenen anderen Stellen.¹⁴ Eine genauere Erklärung, warum das so ist, findet sich aber nicht. Ich habe versucht eine Erklärung in Lohnsteins Sinne ausgehend von Lohnstein (2000, 84) zu rekonstruieren. Die Schritte sind: (26)
Fakten und Fragesatzbildung: Rekonstruktion des Arguments a. b. c. d.
e. f.
Fakten sind weder wahr noch falsch. Um Fragesatzbildung zuzulassen, muss die Proposition vor einem Redehintergrund ausgewertet werden, der eine Partionierung zulässt. Partionierung bedeutet Einteilung in Indexklassen, für die Propositionen wahr oder falsch sein können. Da Fakten weder wahr noch falsch sind, lässt sich der faktische Redehintergrund auch nicht in Indexklassen einteilen, für die Propositionen wahr oder falsch sein können. Demnach ist auch keine Partionierung des faktischen Redehintergrunds möglich. Also erlauben Imperativ- und Konjunktiv I-Sätze, die vor einem faktischen Redehintergrund ausgewertet werden, auch keine Fragesatzbildung.
Darüber hinaus leitet Lohnstein aus den angenommenen temporalen Eigenschaften der Redehintergründe auch bestimmte „temporale“ Eigenschaften der entsprechenden Satzmodi ab. Hier einige Beispiele dafür: [Der] Imperativ – ähnlich wie der Konjunktiv I – [referiert] auf zukünftig zu realisierende Sachverhalte [. . . ] Situationen und Zustände, die aktualisiert werden sollen, können nur in der Gegenwart oder Zukunft realisiert werden, nicht jedoch in der Vergangenheit. Dabei zeigt sich wiederum, dass der zukunftsgerichtete Aspekt durch die inhärente Temporalität
14 „Die Unmöglichkeit der Besetzung dieser Position durch eine [+wh]-Phrase ergibt sich aus der Unmöglichkeit, auf dem faktischen Hintergrund die Partition eines Antwortraums zu erzeugen.“ Lohnstein (2000, 189); auch S.182.
86 | 4 Lohnstein (2000): Verbmodus und Satzmodus
des faktischen Hintergrunds geliefert wird. [. . . ] Insofern liefern auch hier die ontologischen Eigenschaften des faktischen Hintergrunds die angemessenen Deutungen. Lohnstein (2000, 118) Die modale Deutung des Konjunktivs II impliziert eine Auswertung der Proposition, die niemals zukünftig sein kann. Der -t-Marker für den Konjunktiv II fungiert damit sowohl in der temporalen Deutung im Indikativ als auch in der modalen Deutung beim Konjunktiv II derart, dass die Proposition auf Indizes evaluiert wird, die temporal zurückliegen. Lohnstein (2000, 90)
Soweit zu Lohnsteins semantischer Erklärung der Eigenschaften der verschiedenen Verbmodi und ihres Beitrags zum Satzmodus.
4.5 Bemerkungen zur Satzmodustheorie Lohnstein versucht durch die Redehintergründe, vor denen die Propositionen ausgewertet werden, nicht nur modale Restriktionen der Verbmodi zu erklären – wie man es beim Begriff des Redehintergrunds vermuten könnte –, sondern auch epistemische und temporale Restriktionen für die Verwendung der Verbmodi in bestimmten Sprechakttypen. Er bezieht außerdem einen Begriff des Faktums auf diese Redehintergründe, wodurch er unter anderem die Beschränkungen der Verbmodi für das Auftreten in Fragen modelliert. Zunächst zum ersten Punkt: Lohnstein bezieht die temporalen und konzeptuellen Restriktionen von bestimmten Sprechakttypyen direkt auf die “ontologische” Natur der Redehintergründe und sieht die Semantik der Verbmodi durch diese Redehintergründe bestimmt. Das hat unter anderem zur Folge, dass die temporalen Referenzmöglichkeiten der ausgedrückten Propositionen allein durch den Verbmodus bereits unabhängig vom Tempus stark beschränkt sind. Einige Annahmen zum Zusammenhang von temporaler Referenz und epistemischer Zugänglichkeit, die Lohnstein der „ontologischen“ Natur der Redehintergründe zugeschreibt, scheinen mir außerdem problematisch zu sein. Zum zweiten Punkt: Der Begriff des Faktums, den Lohnstein ansetzt, ist zweideutig zwischen einem Fregeschen Faktenbegriff, nach dem Fakten wahre Propositionen sind, und einen Faktenbegriff, nach dem Fakten Dinge in der Welt sind und somit folgerichtig weder wahr noch falsch.¹⁵ Das alles führt zu problematischen Vorhersagen mit Bezug auf die Semantik der Verbmodi.
15 Dieser zweite Begriff des Faktums entspricht in der linguistischen Literatur am ehesten dem Kratzerschen Faktenbegriff in Kratzer (2003) von Fakten „as particulars“.
4.5 Bemerkungen zur Satzmodustheorie |
87
Unter den Annahmen, die ich zum Zusammenhang von Verbmodus und Satzmodus in dieser Arbeit mache und die ich im dritten Teil dieser Arbeit besprechen werde, ist das Hauptversäumnis von Lohnsteins Theorie, dass er nicht hinreichend zwischen den temporalen und epistemischen Verwendungsbedingungen von Sprechakten auf der einen Seite und dem Satzmodus auf anderen Seite unterscheidet. Der Satzmodus muss weitgehend neutral bleiben gegenüber den Restriktionen, die einzelne Sprechakttypen dem propositonalen Gehalt auferlegen.¹⁶ Schreibt man die semantischen Restriktionen der Sprechakte den Verbmodi direkt zu, führt das zu falschen Vorhersagen. In diesem Abschnitt will ich auf einige dieser problematischen Vorhersagen hinweisen und die Konzepte diskutieren, auf denen die entsprechenden Restriktionen bei Lohnstein beruhen. Dabei ist das allgemeinere Ziel, weiteren Aufschluss über die Semantik der Verbmodi und ihre Verwendungsbedingungen zu erlangen.
4.5.1 Wahrheitswertfähigkeit Bei Lohnstein ist die Möglichkeit der Wahrheitsfähigkeit und der Fragesatzbildung unmittelbar an den Verbmodus selbst gebunden. In diesem Abschnitt möchte ich darauf hinweisen, dass die Verbindung mit dem Verbmodus nur mittelbar ist. Ob Sätze im Indikativ, Konjunktiv I oder Konjunktiv II wahrheitswertfähig sind und ob sie [+w]-Phrasen enthalten können, hängt auch von der ausgedrückten Proposition und der Intention ab, mit der die Sätze verwendet werden. Es gilt, dass nur der Imperativ auf grundsätzliche Weise alle Verwendungsweisen ausschließt, bei denen die Sätze als wahrheitswertfähig erscheinen. Um zu illustrieren, dass auch Sätze im Indikativ und Konjunktiv II bei entsprechender Verwendungsweise nach Lohnsteins Testkriterium als nicht wahrheitswertfähig erscheinen bzw. keine gleichzeitige Fragesatzbildung zulassen, möchte ich die folgenden Beispiele anführen, wobei die Bezeichnungen jeweils die Sprechakttypen bzw. die Verwendungsweisen angeben. (27)
Nicht wahrheitsfähige Äußerungen im Indikativ a. b. c. d.
Du bleibst draußen! Was Jochen aber auch für Zigarren geklaut hat! Hoffentlich regnet es morgen nicht. Peter kann ruhig auf dem Sofa schlafen.
(Direktiv) (Exklamativ) (Wunsch) (Erlaubnis)
16 Searle nennt diese Restriktionen „propositional content rules“, vgl. Searle (1969), Searle (1975).
88 | 4 Lohnstein (2000): Verbmodus und Satzmodus
(28)
Nicht wahrheitsfähige Äußerungen im Konjunktiv II a. b.
Klaute Jochen doch Zigarren! Würden Griechenland doch die Schulden erlassen.
(Wunsch) (Wunsch)
Zustimmung oder Ablehnung im Sinne von Lohnsteins Test scheinen bei diesen Beispielen in der gleichen Weise unangemessen wie in den Beispielen in (6) und (7). Dem Konjunktiv I in der indirekten Rede kommt eine besondere Stellung zu. Dass der Zustimmenstest bei Sätzen der freien indirekten Rede im Konjunktiv I nicht dieselben klaren Ergebnisse bringt, wie im Indikativfall, vgl. (29), hat nicht den Grund, dass ein nicht-assertiver Sprechakt vollzogen bzw. berichtet wird, sondern den, dass er in gewisser Weise nicht von der sprechenden Person vollzogen wird. (29)
A: (Peter sagte, Maria sei krank.) Sie habe die Masern. B: ??Ja, das stimmt./??Nein, das stimmt nicht.
Wenn man wie Lohnstein annimmt, dass die Sätze der freien indirekten nicht wahrheitswertfähig sind, dann sollten die entsprechenden Sätze im Konjunktiv II in der freien indirekten Rede ebenfalls nicht wahrheitswertfähig sein, vgl. (30). Das wäre allerdings auch im Widerspruch zu Lohnsteins Einteilung der Verbmodi nach Wahrheitsfähigkeit. (30)
A: (Peter sagt, Maria komme nicht.) Sie sähe keinen Sinn in der Aktion. B: ??Ja, das stimmt./??Nein, das stimmt nicht.
4.5.2 Fragesatzbildung Wie bei der Wahrheitswertfähigkeit auch hängt die Möglichkeit der Verwendung von [+w]-Phrasen zusammen mit der Verwendungsweise der entsprechenden Sätze und nicht in erster Linie mit dem Verbmodus. In ähnlicher Weise könnte man sonst auch dafür argumentieren, dass der Indikativ in (27) und der Konjunktiv II in (28) mit Fragewörtern unverträglich sind. Was diese Beispiele lediglich zeigen, ist, dass man nicht gleichzeitig z.B. etwas fordern und eine Frage stellen kann. Das spricht für eine Inkompatibilität „konzeptueller“ Natur, die nur indirekt mit dem Verbmodus zusammenhängt. Nur der Imperativ schließt als Verbmodus Fragesatzbildung grundsätzlich aus.¹⁷
17 Echo-Fragen von Imperativen sind dadurch nicht ausgeschlossen, vgl. (31).
4.5 Bemerkungen zur Satzmodustheorie |
89
Mit Bezug auf den Konjunktiv I stellt Lohnstein die folgende Generalisierung auf: Der Konjunktiv I „ist hinsichtlich seiner satzmodalen Spezifizierungsfähigkeit gegenüber dem Indikativ und dem Konjunktiv II eingeschränkt, indem er keine Fragesätze zu bilden gestattet. Insbesondere können die V/1-Sätze in [(32)] – trotz der Finitumvoranstellung – nicht als Entscheidungsfragen gedeutet werden, und auch W-Fragen sind mit Konjunktiv I-markierten Verben prinzipiell nicht möglich,wie [(33)] zeigt. Lohnstein (2000, 106)
(32)
a. b. c. d.
Sei n eine Primzahl. Nehme sich jeder einen Bleistift. Trage er auf, was Küche und Keller zu bieten haben. Schenke ihm der Herr ein erfülltes Leben.
(33)
a. b. c.
*Wer komme morgen? *Was sage er seinem Freund? *Wohin trage er seinen Koffer?
Während Lohnstein die Unfähigkeit zur Fragesatzbildung als eine allgemeine Eigenschaft des Konjunktivs I versteht – genau wie im Falle des Imperativs – ist seine Generalisierung nur richtig für den Konjunktiv I im Funktionsbereich Wunsch/Aufforderung, nicht aber für den Konjunktiv I in seiner Indirektheitsverwendungsweise. Hier einige Beispiele für Fragesätze der freien indirekten Rede im Konjunktiv I: (34)
Doch was, so fragte er weiter, sei eigentlich so schlimm daran, Eifeler zu sein?
(35)
Herausgearbeitet wurde, dass viele der Fragestellungen parallel zu den Problematiken des Informationsfreiheitsgesetztes (IFG) gelöst werden könnten. Wer sei gebunden? Welche Rechte gelte es einzubeziehen? Unterschiede, die es gebe, sollten benannt werden.
Ich möchte nebenbei bemerken, dass solche Verwendungsweisen nicht nur auf den Bereich der geschriebenen Sprache beschränkt sind. In der gesprochenen Sprache wird allerdings im Indirektheitsbereich vorzugsweise der Konjunktiv II verwendet. Das folgende Beispiel ist aus einem tatsächlich so stattgefundenem Gespräch: (31)
A: Komm am Montag ins Büro! B: Komm am Montag wohin?
Es ist plausibel, anznehmen, dass Echo-Fragen dieser Art keinen interrogativen, sondern einen imperativischen Satzmodus haben. Zum Satzmodus von Echo-Fragen, vgl. z.B. die Diskussion in Reis (1992).
90 | 4 Lohnstein (2000): Verbmodus und Satzmodus
(36)
Ruf doch da mal an. Wie lange das noch dauern würde? Und auf welches Konto sie das Geld überweisen würden?
Bemerken möchte ich in diesem Zusammenhang, dass auch Lohnsteins Generalisierung mit Bezug auf Einbettungen präzisiert werden muss. Der Konjunktiv I „[kann] in bestimmten Einbettungskonstruktionen systematisch nicht auftreten [. . . ] so ist der Konjunktiv I in wh-Komplementsätzen nur dann möglich, wenn eine verbum-dicendi-Lesart des Matrixverbs möglich ist. Dies ist in [(37-a)] der Fall, nicht aber in [(37-b)]. Für Sätze, die mit [+wh]-Phrasen eingleitet sind, scheint der Konjunktiv I durchgängig nicht möglich zu sein. Lohnstein (2000, 100)
(37)
a. b.
?Peter überlegte, ob Maria die Tür verschlossen habe. *Peter hat sich gedacht/war erstaunt, wer die Tür verschlossen habe.
Für Sätze im Konjunktiv I, die mit [+w]-Phrasen eingleitet sind, muss unterschieden werden, ob sie unter Prädikaten mit Fragebedeutung eingebettet sind oder nicht. Unter Frageprädikaten sind Komplemente, die durch [+w]-Phrasen eingeleitet werden, im Konjunktiv I nicht überraschend. (38)
a. b. c.
. . . denn seitdem Sido mal fragte, wer Chuck Norris sei, muss er eine Maske tragen. Ich fragte mich, wer der Fremde wohl sei. Peter wollte wissen, wo er das Buch kaufen könne.
Unter Prädikaten wie denken – vermutlich allgemein unter extensionalen Prädikaten im Sinne von Groenendijk und Stokhof (1982) – ist der Konjunktiv I nur bedingt möglich, aber nicht ausgeschlossen. (39)
a. b.
Ja, selbstverständlich, was hatten Sie denn gedacht, wer ich sei? Kein Mensch konnte sich denken, wo dieser Filzhut hergekommen sei.
Die These, dass der Konjunktiv I in Komplementsätzen, die mit [+w]-Phrasen eingeleitet werden, durchgängig nicht möglich ist, kann also nicht gehalten werden. Die Bedingungen, unter denen der Konjunktiv I in Indirektheitskontexten in wKomplementsätzen zu extensionalen Prädikaten vorkommen kann, verlangen allerdings noch nach einer genauerer Untersuchung. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sowohl die Wahrheitswertfähigkeit als auch die Möglichkeit von Fragesatzbildung an die Verwendungsweise der Sätze gebunden ist und sich nicht unmittelbar an der overten Morphologie ablesen lässt. Nur für den Imperativ lässt sich die Wahrheitswertfähigkeit und die Möglichkeit von Fragesatzbildung direkt auf den Verbmodus beziehen. Das Vorliegen eines nicht-imperativischen Verbmodus ist aber noch kein hinreichendes Kri-
4.5 Bemerkungen zur Satzmodustheorie | 91
terium für Wahrheiswertfähigkeit und die Möglichkeit von Fragesatzbildung. Es kommt auch darauf an, mit welcher Spreachakt-Intention die Verbformen bzw. die entsprechenden Sätze verwendet werden.
4.5.3 Temporale Eigenschaften der modalisierten Sätze Ich hatte oben bereits die folgende Textstelle zitiert: (40)
„mbepi charakterisiert Wissensinhalte und kann damit im Prinzip alle vergangenen und gegenwärtigen Weltzustände enthalten, prinzipiell aber keinen zukünftigen Weltzustand. mbfakt charakterisiert die aktuellen und potentiell faktischen Gegebenheiten und kann damit im Prinzip alle gegenwärtigen und zukünftigen Weltzustände enthalten, prinzipiell aber keine vergangenen. Vergangene Weltzustände sind nur noch epistemisch zugänglich und können nie wieder faktisch sein. Zukünftige Weltzustände können zwar faktisch aktualisiert werden, sind aber epistemisch nicht zugänglich.“
Es stellt sich die Frage, was mit „Weltzustand“ hier gemeint ist. Der Sache nach scheint Lohnstein mit „Weltzustände“ die „Zustände, Ereignisse oder Sachverhalte in der Welt“ zu meinen, auf die sich die Propositionen in den Redehintergründen beziehen. Dafür sprechen zum einen die Textstellen, an denen er sich auf die Temporalität der Redehintergründe bezieht, um z.B. die „Prospektivität“ des Imperativs zu erklären; zum anderen spricht dafür der Vergleich der modalen Verschiebung mit der temporalen Verschiebung, der sich an verschiedenen Stellen findet. Für das Folgende beziehe ich mich vor allem auf Lohnstein (2000, 65,90,110,118/119). Die Textstellen stützen drei Interpretationsthesen: 1. Mit „Weltzuständen“ in (40) sind der Sache nach „Zustände, Ereignisse oder Sachverhalte in der Welt“ gemeint, auf die sich die jeweiligen Propositionen beziehen. 2. Die temporalen Verschiebungen in der Auswertung der Propositionen beim Verbmodus, die durch die „inhärente Temporalität“ der Redehintergründe bedingt ist, sind parallel zu den „temporal-deiktischen“ Verschiebungen durch das Tempus (wobei das Tempus nach Lohnstein die Ereigniszeit relativ zur Referenzzeit verortet). 3. Formal wird das eingefangen durch die temporalen Eigenschaften der durch die Redehintergründe determinierten Indexklassen, vgl. Abbildung (19).
92 | 4 Lohnstein (2000): Verbmodus und Satzmodus
Mit der letzten These hängt eine weitere implizite These zusammen, nämlich dass die den Verbmodi zugeordneten Redehintergründe die Referenzmöglichkeiten auf Zustände, Ereignisse und Sachverhalte in der Welt temporal beschränken. 4. Entsprechungsthese Die temporalen Restriktionen der Redehintergründe beschränken die temporalen Verortungsmöglichkeiten der Ereignisse, Sachverhalte und Zustände, die in den markierten Propositionen ausgedrückt werden, auf die zugänglichen Zeitpunkte im entsprechenden Redehintergrund. Entsprechend sollten die Referenzmöglichkeiten der mit den jeweiligen Verbmodi markierten Propositionen wie folgt aussehen: (41)
Temporale Referenzbeschränkungen durch die Verbmodi a.
b.
c.
d.
Indikativ: Mit Indikativ markierte Propositionen können sich nur auf vergangene und gegenwärtige Zustände, Ereignisse oder Sachverhalte in der Welt beziehen; vgl. mbepi (i) Konjunktiv II: Mit Konjunktiv II markierte Propositionen können sich nur auf vergangene und gegenwärtige Zustände, Ereignisse oder Sachverhalte in der Welt beziehen; vgl. mbepi (i) – mbreal (i) Imperativ: Mit Imperativ markierte Propositionen können sich nur auf zukünftige Zustände, Ereignisse oder Sachverhalte in der Welt beziehen; vgl. mbfakt (i) – mbreal (i) Konjunktiv I: Mit Konjunktiv I markierte Propositionen können sich nur auf gegenwärtige und zukünftige Zustände, Ereignisse oder Sachverhalte in der Welt beziehen; vgl. mbfakt (i)
Das möchte ich in der folgenden Tabelle zusammenfassen: (42)
Temporale Verortungsmöglichkeiten der „Weltzustände“ gemäß der temporalen Eigenschaften der Redehintergründe epistemisch-realistisch ≈ Vergangenheit Konjunktiv II Indikativ Konjunktiv I Imperativ
X X
realistisch ≈ Jetzt X X
faktisch-realistisch ≈ Zukunft
X X
4.5.3.1 Temporale Restriktionen des Indikativs Manche Textstellen legen nahe, dass Lohnsteins These nur für den Indikativ gilt, insofern kein Futuroperator oder ein futurisches Präsens hinzutritt, vgl. z.B. Lohn-
4.5 Bemerkungen zur Satzmodustheorie |
93
stein (2000, 110). Das deutet natürlich bereits darauf hin, dass der Modus Indikativ keine temporale Restriktion für die Ereigniszeit per se mit sich bringt. Tatsächlich diskutiert Lohnstein die Konsequenzen seiner Annahmen für die temporalen Referenzmöglichkeiten von Indikativsätzen nicht im Detail.
4.5.3.2 Temporale Restriktionen des Konjunktivs II Auch beim Konjunktiv II scheint Bezug auf gegenwärtige und zukünftige Ereignisse nicht ausgeschlossen zu sein. Ein Beispielsatz im Konjunktiv II mit Zukunftbezug: (43)
Wenn morgen Sonntag wäre, käme die Post nicht.
Ein Beispiel, bei dem sich ein Satz im Konjunktiv II auf den Äußerungszeitpunkt bezieht, gibt Lohnstein selbst: (44)
Paul wäre in Paris.
Er kommentiert das Beispiel in (44) wie in (45): (45)
„Der Satz [(44)] ist unter der prominenten Interpretation wahr, wenn es unter anderen als den gegebenen Verhältnissen (zur Sprechzeit) der Fall ist, dass sich Paul in Paris aufhält.“ Lohnstein (2000, 3)
Das scheint mir jedoch im Widerspruch zur „ontologischen“ Charakterisierung des Redehintergrunds zu stehen, auf den sich nach Lohnstein der Konjunktiv II bezieht: mbepi (i) – mbreal (i) enthält nach Lohnstein nur vergangene Weltzustände. Diese Einschätzung wird gestützt von Lohnstein (2000):90, wo es heißt, dass „[d]er -t-Marker [. . . ] sowohl in der temporalen Deutung im Indikativ als auch in der modalen Deutung beim Konjunktiv II derart [fungiert], dass die Proposition auf Indizes evaluiert wird, die temporal zurückliegen.“
4.5.3.3 Temporale Restriktionen des Imperativs Wie mit Konjunktiv I-Sätzen so können auch mit Imperativsätzen performative Sprechakte der Art vollzogen werden, die Searle „Deklarationen“ nennt. Solche Deklarationen zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie Zustände in der Welt herstellen, die gleichzeitig zum Moment der Äußerung liegen. Das für performative Sprechakte typische “hiermit“ ist ein Indikator für die Gleichzeitigkeit. Hier zwei Beispiele: (46)
Daher sei hiermit gewarnt, dass es keine Garantien gibt.
94 | 4 Lohnstein (2000): Verbmodus und Satzmodus
(47)
Seid mir hiermit alle herzlichst gegrüßt.
Das sollte nach der Entsprechungsthese nicht möglich sein, da Imperative vor dem Redehintergrund mbfact (i) – mbreal (i) ausgewertet werden; vgl. auch Lohnstein (2000, 65).
4.5.3.4 Temporale Restriktionen des Konjunktivs I In Wunschsätzen mit dem Konjunktiv I kann sich das Ereignis, auf das sich die Proposition bezieht, durchaus in der Vergangenheit liegen. Es gilt nicht, dass das, was man sich wünscht, auch in der Zukunft liegen muss; es genügt, dass die Person, die spricht, zum Äußerungszeitpunkt noch nicht weiß, ob das, was sie wünscht, der Fall ist oder nicht, vgl. die Diskussion in Kapitel 1. Ein Beispiel bei dem das Bezugsereignis in der Vergangenheit liegt (relativ zum Sprechzeitpunkt): (48)
Möge er den Brief noch gelesen haben, bevor er gestorben ist.
Im Falle des Konjunktivs I im Indirektheitsbereich haben wir die besondere Situation, dass die entsprechenden Sätze überhaupt nicht absolut zum Äußerungszeitpunkt verortet sind. Was das im Einzelnen für die temporale Interpretation dieser Sätze bedeutet, diskutiere ich ausführlicher im dritten Teil dieser Arbeit. Hier soll das folgende Beispiel zur Illustration dienen: (49)
a. b. c.
Bereits 2010 bestand der Bedarf nach einer Neuregelung. Schmitt zeigte sich damals noch zuversichtlich. Eine Neuregelung werde bis Anfang 2012 auf den Weg gebracht. 2015 ist aber immer noch keine Neuregelung in Sicht.
Das Futur im relevanten Satz (49-b) bezieht sich auf einen zukünftigen Zeitpunkt ausgehend vom berichteten Sprechzeitpunkt, der allerdings vom Äußerungszeitpunkt aus in der Vergangenheit liegt.
4.6 Zur Theorie der indirekten Rede Am zentralsten für das Thema dieser Arbeit sind Lohnsteins Ausführungen zum Konjunktiv I in der indirekten Rede. Informell charakterisiert er den Effekt des Konjunktivs I am Beispiel in (50) folgendermaßen: (50)
a. b.
(Karl sagte,) dass Maria in der Egon-Bar gelegen habe. Maria habe in der Egon-Bar gelegen.
4.6 Zur Theorie der indirekten Rede |
95
Dem darin [in der indirekten Rede; FS] auftretenden Konjunktiv I wird die Funktion zugesprochen, zu signalisieren, dass es sich sowohl bei dem eingebetteten Komplementsatz in [(50-a)] als auch bei dem selbständigen Satz in [(50-b)] um indirekte Rede handle. Mit [(50-a)] drückt der Sprecher explizit aus, dass nicht er selbst, sondern der Subjektreferent des Matrixverbs die eingebettete Proposition bekanntgegeben hat. Mit dem selbständigen Satz in [(50-b)] lässt sich implizit ein ähnlicher Effekt erzielen. Dieser besteht darin, dass nicht der Sprecher für die Wahrheit des Satzes eintritt, sondern dies auf eine andere Person verschiebt. Lohnstein (2000, 99)
Formal erklärt Lohnstein das so: Für die indirekte Rede gilt nun, dass Konjunktiv I eine Verschiebung von Modell M(i o , s) des Sprechers auf das Modell M(i o , a) eines anderen Individuums a vornimmt, d.h. die Proposition wird nicht im Modell des Sprechers verankert, sondern im Modell eines anderen Individuums, welches im Einbettungsfall identisch mit dem Referenten des Matrix-Subjekts ist. Lohnstein (2000, 109)
Das Konzept des Modells übernimmt er von Giannakidou (1999) und führt es speziell für die Analyse des Konjunktivs I in der indirekten Rede ein. Er schreibt: „Mit der Äußerung des selbständigen Satzes in [(50-b)] drückt ein Sprecher s also aus, dass nicht er selbst diese Proposition assertiert, sondern dass sie von einem anderen Sprecher a assertiert wurde.“ Das ist jedoch noch nicht der gesamte Beitrag der Konjunktiv I in der indirekten Rede. Worauf sich der Sprecher von [(50-b)] festlegt, ist das Faktum, dass ein anderes Individuum a die in [(50-b)] ausgedrückte Proposition assertiert hat. Neben der Verschiebung des Modells von M(i o , s) zu M(i o , x) wird die Proposition also auch relativ zum faktischen Redehintergrund ausgewertet. Entsprechend scheint es sich beim Konjunktiv I um eine durchgängig deiktische Kategorie zu handeln, die je nach Kontext die Auswertungsdomäne verschiebt. Lohnstein (2000, 110)
Die Wende, dass der Konjunktiv I auch vor einem faktischen Redehintergrund ausgewertet wird, halte ich für ad hoc und unplausibel. Erstens: Es ist mir nicht klar, was es heißen soll, dass sich die Person, die spricht, auf das Faktum einer Assertion festlegt, wenn man Lohnsteins Faktenbegriff zugrunde legt. Nach Lohnsteins Faktenbegriff dürfte es sich bei diesem Faktum auch nicht um ein Ereignis in der Vergangenheit handeln. Tatsächlich werden aber in der indirekten Rede meistens vergangene Äußerungen berichtet. Mir scheint dieser Schritt also vor dem Hintergrund von Lohnsteins eigenen Annahmen nicht völlig konsistent zu sein. Zweitens: Die Formulierung legt nahe, dass die Proposition doppelt ausgewertet wird: einmal in einem verschobenen Modell mit Bezug auf eine andere Person und einmal mit Bezug auf den faktischen Redehintergrund und die Person, die aktuell
96 | 4 Lohnstein (2000): Verbmodus und Satzmodus
spricht. Wie das im Einzelnen zu verstehen ist und wie eine semantische Interpretation eines solchen Satzes aussieht, führt Lohnstein nicht weiter aus. Drittens: Aus einer Auswertung vor dem faktischen Redehintergrund würde folgen, dass Fragen mit dem Konjunktiv I in der indirekten Rede nicht gebildet werden können, was sich – wie wir oben gesehen haben – als empirisch falsch herausgestellt hat. Der wichtigste Einwand scheint mir jedoch zu sein, dass eine einheitliche Analyse für die overte Konjunktiv I-Morphologie – die Verschiebung auf den faktischen Redehintergrund – gerade die eigentliche Natur der Verschiebung beim Konjunktiv I im Indirektheitsbereich verwischt. Nehmen wir zur Illustration die folgenden drei Sätze und nehmen wir an, dass die angesprochene Person in (51-b) Maria ist, so dass alle drei Sätze dieselbe Proposition ausdrücken. (51)
a. b. c.
Maria kommt. [Zu Maria:] Komm! (Peter sagte, es gebe Grund zur Freude.) Maria komme.
Gemeinsam ist (51-b) und (51-c), dass die Person, die spricht, sich nicht wie bei der Assertion in (51-a) auf die Wahrheit der ausgedrückten Proposition festlegt. Der Unterschied ist, dass der Grund dafür in (51-b) und in (51-c) ein anderer ist: in (51-c) ist der Grund, dass die Proposition – mit Lohnstein gesprochen – relativ zur gleichen Person s, aber vor einem anderen Redehintergrund interpretiert wird; in (51-a) ist der Grund, dass die Proposition zwar vor demselben Redehintergrund interpretiert wird, aber relativ zu einer von der aktuell sprechenden Person s verschiedenen Person a. Eine Überblick gibt die Tabelle:
Indikativ Imperativ Konjunktiv I (= IndK)
Person
Hintergrund
s s a
epistemisch faktisch epistemisch
Eine Analyse in einem solchen Sinne hätte den Vorteil, dass sie gut erklären könnte, warum der Konjunktiv I in der indirekten Rede Fragesatzbildung zulässt: da es sich nämlich bei Konjunktiv I-Sätzen der indirekten Rede um Auswertungen vor dem epistemischen Redehintergrund handelt, der Fragesatzbildung grundsätzlich zulässt. Außerdem würde es erklären, warum mit dem Konjunktiv I in selbständigen Sätzen der indirekten Rede gerade die Arten von Äußerungen berichtet werden können, die durch die entsprechenden indikativischen Sätze ausgedrückt werden können, dabei vor allem Assertionen und Fragen. Direktive Sprechakte
4.7 Fazit
| 97
können nur in dem Maße berichtet werden, wie sie auch durch die entsprechenden Indikativsätze (in der Regel unter zusätzlicher Verwendung von Modalverben usw.) ausgedrückt werden können. Gerade das ist ein interessantes Faktum, das es zu erklären gilt.
4.7 Fazit Allgemein lässt sich sagen, dass sowohl die Wahrheitswertfähigkeit als auch die Möglichkeit der Fragesatzbildung in erster Linie mit der intendierten Verwendungsweise der Sätze zum Ausdruck bestimmter Sprechakte korreliert. Die Frage allerdings, welche dieser konzeptuellen Beschränkungen durch die Verbmodi grammatikalisiert sind, ist subtil und Lohnsteins Versuch einer Klärung dieser Zusammenhänge ein wichtiger Beitrag zu ihrem Verständnis. Die wichtigste Einsicht, die sich aus Lohnsteins Diskussion für die Semantik des IndKs mitnehmen lässt, ist, dass, obwohl es sich bei den overten Formen des Konjunktivs I und II im Funktionsbereich der Redewiedergabe um Formen handelt, die in anderen Funktionsbereichen Restriktionen für den Satzmodus mit sich bringen, die sich von den Restriktionen des Indikativs unterscheiden, scheinen sich die Restriktionen des Konjunktivs I und II im Funktionsbereich der Redewiedergabe für den Satzmodus nicht von denen des Indikativs zu unterscheiden. Was der Konjunktiv in der indirekten Rede markiert, ist, dass der Satzmodus perspektivisch nicht auf den aktuellen Äußerungskontext bezogen ist, sondern auf den Äußerungskontext einer berichteten Rede. Im dritten Teil dieser Arbeit werde ich den Zusammenhang von Verbmodus und Satzmodus mit Blick auf den IndK noch genauer diskutieren.
5 Schlenker (2003): IndK als logophorischer Modus 5.1 Schlenkers These Im Ewe, einer Kwa-Sprache, die zur Sprachfamilie der Niger-Kongo-Sprachen gehört und im Süden von Ghana sowie im südlichen Togo gesprochen wird, gibt es ein Pronomen, das nur in Kontexten verwendet wird, in denen die Rede oder die Gedanken einer Person berichtet werden, vgl. yè in (1-a). Es unterscheidet sich morphologisch von den Personal- und Reflexivpronomen. Semantisch bezieht sich dieses Pronomen immer auf diejenige Person, deren Rede oder Gedanken berichtet werden, vgl. Clements (1975, 141), Huang (2010, 174), Pearson (2015, 94). Bezieht man sich im Komplementsatz auf eine vom Matrixsubjekt verschiedene Person, dann wird ein einfaches Personalpronomen verwendet, vgl. e in (1-b). (1)
a.
b.
Kofi be yè dzo. Kofi say log leave ‘Kofi said that he (= Kofi) left’ Kofi be e dzo. Kofi say 3sg leave ‘Kofi said that he/she (6 = Kofi) left’
Clements (1975, 142)
Pronomen dieser Art werden „logophorische Pronomen“ genannt und finden sich auch in weiteren östlichen Niger-Kongo-Sprachen. Der Ausdruck „logophorisch“ geht Clements (1975) und Schlenker (2003) zufolge zurück auf Hagège (1974) und heißt wörtlich so viel wie „Diskurs tragend“. Das Konzept der Logophorizität wurde zuerst in der Analyse der afrikanischen Sprachen Aghem, Efik und Tuburi eingeführt, vgl. Huang (2010). Huang definiert Logophorizität folgendermaßen: Logophoricity refers to the phenomenon whereby the ‘perspective’ of an internal protagonist of a sentence or discourse, as opposed to that of the current, external speaker, is being reported by some morphological and/or syntactic means. The term ‘perspective’ is used here in a technical sense and is intended to encompass words, thoughts, knowledge, emotion, perception, and space-location. Huang (2010, 172/173)
Philippe Schlenker hat ausgehend von Schlenker (1999) in einer Reihe von Artikeln – Schlenker (2003), Schlenker (2005), Schlenker (2011) – die These vertreten, dass der Konjunktiv I im Deutschen, so wie er in der indirekten Rede verwendet wird, ein logophorisches Pronomen in diesem Sinne ist.
5.2 Evidenz für die Logophorizitätsthese |
(2)
99
Schlenkers These (= Logophorizitätshypothese) Schlenker (2003, 75) „[T]he German Konjunktiv I is nothing but a temporal or modal version of the logophoric pronouns that are found in Ewe: it is an indexical expression which can only depend on the context of a reported speech act.“
Beim Konjunktiv I handelt es sich Schlenker (2003) zufolge um ein logophorisches Pronomen im modalen bzw. Modusbereich, genauer gesagt: um ein logophorisches Weltpronomen. Die Idee ist: Der Konjunktiv I wird anstelle des Indikativs verwendet in Kontexten, in denen eine Person die Rede oder die Gedanken einer anderen Person berichtet. Arnim von Stechow vertritt ungefähr zeitgleich ebenfalls die These, dass der Konjunktiv I ein logophorisches Pronomen ist, vgl. von Stechow (2003), von Stechow (2004). Auch wenn Schlenker (2003) und von Stechow (2003) beide vom Konjunktiv I sprechen, geht es allgemein um den Indirektheitskonjunktiv. Zunächst werde ich die Daten anführen, die nach Schlenker (2003) und von Stechow (2003) dafür sprechen, dass wir es beim IndK mit einem logophorischen Pronomen zu tun haben. In einem weiteren Abschnitt werde ich unter Bezug auf Pearson (2012) und Pearson (2015) einige neue Parallelen zwischen logophorischen Pronomen im Ewe und dem Konjunktiv I in der indirekten Rede anführen, die als weitere Evidenz für die Richtigkeit der Analyse des IndKs als logophorisches Pronomen angesehen werden können. Im Anschluss daran werde ich die Details von Schlenkers Analyse für logophorische Pronomen im Allgemeinen und für den IndK im Besonderen darstellen. Abschließen werde ich das Kapitel mit einer Kritik einiger Details von Schlenkers Theorie.
5.2 Evidenz für die Logophorizitätsthese 5.2.1 Obligatorische Einstellungsbindung Zur Stützung der Logophorizitätshypothese führt Schlenker die folgenden Beispiele an:¹ (3)
Der Peter meint,
1 Dieses Beispiel ist eine Variation eines Beispiels, das ursprünglich auf Russell (1905) zurückgeht: I have heard of a touchy owner of a yacht to whom a guest, on first seeing it, remarked, “I thought your yacht was larger than it is”; and the owner replied, “No, my yacht is not larger than it is”. What the guest meant was, “The size that I thought your yacht was is greater than
100 | 5 Schlenker (2003): IndK als logophorischer Modus
a. b. c. d.
es sei später, als es tatsächlich ist. es ist später, als es tatsächlich ist. #es sei später, als es tatsächlich sei. #es ist später, als es tatsächlich sei.
Was diese Beispiele zeigen, ist, dass der als-Satz im Konjunktiv I – anders als der als-Satz im Indikativ – nicht mit Bezug auf die Uhrzeit in der Äußerungssituation interpretiert werden kann, sondern nur mit Bezug auf die Uhrzeit gemäß Peters Überzeugungen. Während mit den Sätzen in (3-a) und (3-b) dem Matrixsubjekt lediglich eine falsche Überzeugung zugeschrieben wird, erlauben die Sätze (3-c) und (3-d) nur die Zuschreibung eines widersprüchlichen Gedankens oder einer widersprüchlichen Aussage, die sich durch den Satz in (4) wiedergeben lässt. (4)
Es ist später, als es (tatsächlich) ist.
Etwas formaler kann das so erklärt werden: Nehmen wir an, dass sich in der nichtwidersprüchlichen Lesart der als-Satz auf die aktuelle Welt bezieht (= die Welt an der Satzwurzel), wie in (5-a), und in der widersprüchlichen Lesart auf die Welt der Einstellung, wie in (5-b).² (5)
λw0 [ der Peter meintw0 λw1 [ es später seiw1 [ als es tatsächlich spät istw0 ]]] b. #λw0 [ der Peter meintw0 λw1 [ es später seiw1 [ als es tatsächlich spät istw1 ]]] a.
Wenn einem Konjunktiv I auf der Ebene der logischen Form (= LF) ein Weltpronomen entspricht, das immer durch eine Einstellung gebunden sein muss, dann haben die Sätze in (3-c) und (3-d) nur die LF in (5-b). D.h. sie sind auf eine Lesart festgelegt, in der für jede Glaubenswelt von Peter gilt, dass die Uhrzeit in dieser Welt eine andere ist als die Uhrzeit in dieser Welt: ein direkter Widerspruch. Ähnlich widersprüchliche Einstellungszuschreibungen kann man auch mit Relativsätzen konstruieren.
the size your yacht is”; the meaning attributed to him is,“‘I thought the size of your yacht was greater than the size of your yacht". Russell (1905, 489) Mit Bezug auf den Konjunktiv werden Beispiele diese Art zunächst in von Stechow (1984) diskutiert. In von Stechow (2003) und von Stechow (2004) finden sich ähnliche Beispiele. 2 Ich orientiere mich hier an der Notation in Percus (2000).
5.2 Evidenz für die Logophorizitätsthese |
( (6)
Der Peter behauptet, dass er das Buch, das er gestohlen
hat #habe
101
) , nicht
gestohlen habe. Wenn wir annehmen, dass es keine weitere saliente Person im Diskurskontext gibt, die etwas gesagt haben könnte, dann lässt der Konjunktiv I im Relativsatz nur eine Lesart zu, nach der Peter etwas Widersprüchliches behauptet. Auch hier kann die Abweichung durch die Annahme erklärt werden, dass das Weltpronomen im konjunktivischen Relativsatz mit Bezug auf die Einstellung interpretiert werden muss: Die DP mit einem Konjunktiv I im Relativsatz kann nur de dicto interpretiert werden, nicht aber de re, wie das für die entsprechende DP mit indikativischem Relativsatz möglich ist. (7)
λw0 [ der Peter behauptetw0 λw1 [ das er das Buch [ dass er gestohlen hatw0 ] nicht gestohlen habew1 ]] b. #λw0 [ der Peter behauptetw0 λw1 [ das er das Buch [ dass er gestohlen habew1 ] nicht gestohlen habew1 ]] a.
5.2.2 Der Konjunktiv in der freien indirekten Rede Die andere Art von Evidenz für die Logophorizität des Konjunktivs I kommt von Beispielen der freien indirekten Rede (= FIR). Das Beispiel, das Schlenker (2003, 76) anführt, geht auf Jäger (1971) zurück: (8)
a. b.
(Er sagte, sie sei schön.) Sie habe grüne Augen. (Er sagte, sie sei schön.) Sie hat grüne Augen.
Was dieses Beispiel zeigt, ist, dass ein Konjunktiv I in einem selbständigen Satz wie in (8-a) eine Interpretation erzwingt, bei der der Satz verstanden wird mit Bezug auf die Äußerung bzw. Perspektive einer Person, die im Diskurskontext gegeben sein muss, d.h. als ein Äußerungsbericht im Sinne von: „Er sagte, sie habe grüne Augen.“ Schlenker sieht darin eine Art von modaler Subordination, vgl. Schlenker (2003, 76). Mit dem Indikativ wird keine solche Interpretation erzwungen.³
3 Schlenker (2003, 76): „As Jäger 1971 observes, in (59a), which involves a Konjunktiv I form of ‘have’, the 2nd sentence must be read from the standpoint of the attitude holder, so that it is interpreted as: ‘He says/thinks that she has green eyes’. No such reading is forced in [(8-b)].“
102 | 5 Schlenker (2003): IndK als logophorischer Modus
5.3 Vergleich mit dem logophorischen Pronomen im Ewe Die These, dass es sich beim Konjunktiv I – genauer gesagt: dem IndK – um eine temporale oder modale Variante des logophorischen Pronomens im Ewe handelt, mag im ersten Moment überraschend sein. In diesem Unterkapitel möchte ich diese These weiter stützen durch eine Nebeneinanderstellung einiger Eigenschaften des logophorischen Pronomens und der entsprechenden Eigenschaften des Konjunktivs I in einer Indirektheitsverwendungsweise. Dabei beziehe ich mich auf die detaillierte Diskussion des logophorischen Pronomens in Pearson (2012) und Pearson (2015).
5.3.1 Beschränkung auf Einstellungskontexte Sowohl die Verwendung des logophorischen Pronomens yè im Ewe als auch die Verwendung des IndKs im Deutschen ist auf Indirektheitskontexte beschränkt. In einem Wurzelsatz außerhalb eines Einstellungskontexts können sie nicht verwendet werden, vgl. (9) mit (10). (9)
*yè log
dzo leave
Pearson (2012, 432)
(10) #Maria sei krank. In einem geeigneten Diskurskontext jedoch kann der Satz in (10) als freie indirekte Rede verstanden werden. Schlenker (2003) spricht in diesem Fall von „modaler Subordination“. Auch hierzu gibt es eine Parallele mit dem logophorischen Pronomen im Ewe: ein logophorisches Pronomen kann in einem selbständigen Wurzelsatz auftreten, insofern es durch einen Einstellungsbericht im vorausgehenden Diskurskontext lizensiert ist. Dabei stellt sich der Eindruck ein, dass der beschriebene Sachverhalt aus der Perspektive des Matrixsubjekts berichtet wird: The antecedent of the logophoric pronoun in Ewe need not occur in the same sentence, but may occur several sentences earlier. In such cases [. . . ] the subsequent sentences of the discourse will continue to present the events described by the narrator from the point of view of the same individual or individuals. Clements (1975, 170)
5.3.2 Gedanken- und Traumberichte Beide kommen außer in Redeberichten auch in Traum- oder Gedankenberichten vor, vgl. (11) mit (12) und (13) mit (14).
5.3 Vergleich mit dem logophorischen Pronomen im Ewe |
(11)
E koudron be yè la 3sg dream compl log ingr ‘Hei dreamed that hei/*j will come’
(12)
Peter träumte, dass er kommen werde.
(13)
John bòu be yè nyi John think compl log cop ‘Johni thinks that hei/*j is stupid’
(14)
Peter denkt, dass er dumm sei.
va. come
103
Pearson (2012, 437)
honvi. stupid
Pearson (2012, 437)
5.3.3 Relativsätze Nach Pearson (2012) kann yè nicht in Relativsätzen stehen. (15)
*Kofi nyu nusu ke dzodzi na Kofi cop man rel.pr please prp Intended: ‘Kofi is the man who likes himself’
yè log
ɖokui. refl Pearson (2012, 428)
Das trifft im Allgemeinen auch für den Konjunktiv I in restriktiven Relativsätzen zu, vgl. Lohnstein (2000). (16)
*Peter ist derjenige, der sich selbst möge.
Im Kapitel 1 hatte ich jedoch Beispiele angeführt, die zeigen, dass der IndK bei geeignetem Diskurskontext in appositiven Relativsätzen vorkommen kann und in bestimmten Kontexten sogar in restriktiven Relativsätzen, vgl. (17). (17)
Henry Kissinger hat einmal nach demjenigen gefragt, der für die europäische Außenpolitik zuständig sei.
Es wäre interessant, zu prüfen, wie es sich für diese Satzkontexte mit dem logophorischen Pronomen yè im Ewe verhält.
5.3.4 Andere einbettende Prädikate Als Beleg dafür, dass das logophorische Pronomen im Ewe nicht im Komplement von Prädikaten vorkommen kann, die keine Einstellungsprädikate sind, führt Pearson (2012) ein Beispiel mit einem Verb in der Bedeutung ‘verursachen’ an.
104 | 5 Schlenker (2003): IndK als logophorischer Modus
(18)
*Kofi wɔ be Marie yè dzo. Kofi do comp Mary log leave Intended: ‘Kofi caused Mary to leave’
Pearson (2012, 439)
Auch der IndK kann nicht unter Verben mit der Bedeutung ‘verursachen’ verwendet werden: (19)
Peter hat erreicht, dass Maria gegangen {ist/*sei}.
(20)
Wer hilft mir, das Gen zu finden, das verursacht, dass man BVB-Fan {wird/ *werde}?
5.3.5 Finalsätze Eine weitere überraschende Gemeinsamkeit zwischen dem logophorischen Pronomen im Ewe und dem Konjunktiv I ist das Auftreten in Finalsätzen. Wie Pearson (2012, 438) in einer Fußnote erwähnt, kann das logophorische Pronomen yè – abweichend von der Generalisierung, dass es nur im Skopus eines Einstellungsverbs vorkommen kann – auch in Finalsätzen vorkommen. (21)
e yi be yè 3sg go compl log ‘He went to see Koku’
la fut
kpo see
Koku. Koku Pearson (2012, 438)
Das gilt für den Konjunktiv I auch, wie wir bereits im Kapitel 1 gesehen haben. (22)
Er kaufte ihr einen wunderschönen Strauß bunter Frühlingsblumen, damit sie ihm nicht böse sei.
5.3.6 Erste Person Das logophorische Pronomen yè kann unter glauben und sagen nicht mit Bezug auf die aktuell sprechende Person verwendet werden, vgl. Pearson (2012). Hier muss das 1. Person Pronomen verwendet werden: (23)
*M xɔse be yè nyi sukuvi nyoe 1sg believe compl log cop student good Intended reading: ‘I believe that I am a good student’
de. art
(24)
M xɔse be m nyi 1sg believe compl 1sg cop ‘I believe that I am a good student’
de. art
sukuvi student
nyoe good
5.3 Vergleich mit dem logophorischen Pronomen im Ewe |
(25)
*M be yè le cleva. 1sg say log cop clever Intended reading: ‘I say that I am clever’
(26)
M be m le 1sg say 1sg cop ‘I say that I am clever’
105
cleva. clever
Das scheint ebenfalls ganz analog zu sein zu Schlenkers Beobachtung, dass der Konjunktiv I nicht in der 1. Person Singular Präsens von glauben und sagen verwendet werden kann. (27)
#Ich glaube, dass Maria krank sei.
(28) #Ich sage, dass Maria krank sei. Ein Unterschied zeigt sich in Traumberichten: Im Ewe ist das logophorische Pronomen auch in Traumberichten in der 1. Person ausgeschlossen; der Konjunktiv I dagegen kann in Traumberichten immer verwendet werden, vgl. (31). (29)
*M koudron be yè la va. 1sg dream compl log ingr come Intended reading: ‘I dreamed that I would come’
(30)
M koudron be m 1sg dream compl 1sg ‘I dreamed that I would come’
(31)
la ingr
va. come
Ich träumte, dass ich reich sei.
Das Beispiel in (29) zeigt außerdem, dass die Generalisierung im Ewe nicht an das Tempus gebunden ist: auch mit einer Vergangenheitsform ist yè in der 1. Person ausgeschlossen. Das ist bei aller Gemeinsamkeit ein interessanter Unterschied.
5.3.7 Komplementäre Distribution Pearson (2012) betont, dass sie – anders als in Clements (1975) beschrieben – außer in der Verwendung in der 1. Person keine komplementäre Distribution zwischen logophorischen und nicht-logophorischen Pronomen beobachten konnte. Auch das nicht-logophorische 3. Person Pronomen kann in den folgenden Beispielen ko-referent mit Kofi gelesen werden, vgl. auch die Diskussion in Pearson (2012).
106 | 5 Schlenker (2003): IndK als logophorischer Modus
(32)
Kofi be e dzo. Kofi say 3sg leave ‘Kofii said that hei/j left’
(33)
E koudron be e la 3sg dreamed compl 3sg ingr ‘Hei dreamed that hei/j will come’
(34)
John bòu be e nyi John think compl 3sg cop ‘Johni thinks that hei/j is stupid’
va. come
honvi. stupid
Das Gleiche lässt sich auch für den IndK beobachten: In (35) sind Indikativformen neben Konjunktiv-Formen möglich.⁴ (35)
a. b. c.
Peter denkt, dass Maria krank ist/sei. Peter sagt, dass Maria krank ist/sei. Peter träumte, dass Maria krank ist/sei.
Je nach Textsorte oder Register gibt es möglicherweise ein Präferenz für Indikativ oder Konjunktiv I. Aber auch im gesprochenen Register, in dem der Konjunktiv I weitgehend auf idiomatische Wendungen beschränkt ist, findet man Konjunktiv II-Formen neben Indikativformen wie in (36). (36)
a. b. c.
Peter denkt, dass Maria krank ist/wäre. Peter sagt, dass Maria krank ist/wäre. Peter träumte, dass Maria krank ist/wäre.
Auch hier bringt die Wahl der Form möglicherweise bestimmte Färbungen und Nebenbedeutungen mit sich. Wesentlich ist jedoch, dass in den Beispielen keine der Formen grundsätzlich ausgeschlossen ist, wenn die andere verwendet werden kann.
5.3.8 Zusammenfassung Wir haben gesehen, dass eine Reihe von Parallelen bestehen zwischen dem logophorischen Pronomen yè im Ewe und dem IndK: (i) die Verwendung von beiden ist auf Einstellungskontexte beschränkt: beide kommen vornehmlich in Redeberichten vor; (ii) beide können verwendet werden um Gedanken und Träume zu berichten; (iii) sie kommen nicht in Relativsätzen vor (oder nur unter bestimm-
4 Vgl. auch die entsprechenden Bemerkungen im Kapitel 3.
5.4 Schlenkers Theorie der Logophorizität |
107
ten Bedingungen); (iv) sie sind nicht lizensiert unter komplementnehmenden Prädikatsausdrücken, die keine Einstellungen denotieren, wie z.B. kausalen Verben mit der Bedeutung ‘verursachen’; (v) beide können in Finalsätzen verwendet werden; (vi) sie können nicht in der 1. Person mit Bezug auf die sprechende Person bzw. die Sprechperspektive verwendet werden; (vii) beide stehen nicht in komplementärer Distribution zu den jeweiligen unmarkierten Pronomen (dem nichtlogophorischen 3. Person Pronomen bzw. dem Indikativ). Es spricht also viel für eine konzeptuelle Verwandtschaft dieser Phänomene.
5.4 Schlenkers Theorie der Logophorizität Schlenkers Theorie der Logophorizität ist als Teil seiner allgemeinen Theorie der Indexikalität zu verstehen. Ausgangspunkt dafür ist die Theorie der Indexikalität in Kaplan (1989). Nach Kaplan (1989) sind indexikalische Ausdrücke (‘indexicals’) direkt-referentiell (‘directly referential’), d.h. sie beziehen sich ohne Vermittlung eines Fregeschen Sinns unmittelbar auf einen Aspekt des Äußerungskontexts: ich bezieht sich auf die sprechende Person im Äußerungskontext, du bezieht sich auf die im Äußerungskontext angesprochene Person, jetzt bezieht sich auf den Äußerungszeitpunkt usw. Anders gesagt: die semantische Referenz eines indexikalischen Ausdrucks bestimmt sich allein und ausschließlich vom Kontext des aktuellen Sprechakts her. Eine theoretische Folge dieser Annahme ist, dass die semantische Referenz von indexikalischen Ausdrücken nicht von Operatoren beeinflusst werden kann, in deren semantischem Skopus sie auftreten. Schlenker (2003) fasst das zusammen in der „Fixity Thesis“. (37)
Fixity Thesis (Folge der direkten Referenz) nach Schlenker (2003) Der semantische Wert eines indexikalischen Ausdrucks ist allein durch den Kontext des aktuellen Sprechakts bestimmt und kann nicht beeinflusst werden durch einen logischen Operator.
Der zentrale Punkt von Schlenker (2003) ist, dass diese These zwar auf den ersten Blick richtig erscheint, aber nur wenn man dabei bestimmte indexikalische Ausdrücke vor Augen hat, wie z.B. das Pronomen der 1. Person Singular im Englischen. Anders verhält es sich zum Beispiel beim 1. Person Pronomen im Amharischen. (38)
Situation, die berichtet werden soll: John sagt: „Ich bin ein Held“. a.
Amharisch (wörtlich): Johni sagt, dass ichi ein Held bin.
108 | 5 Schlenker (2003): IndK als logophorischer Modus
b.
Deutsch: Johni sagt, dass eri ein Held ist. Deutsch: *Johni sagt, dass ichi ein Held bin.
Was die von Schlenker angeführten Beispiele auf der deskriptiven Ebene zu zeigen scheinen, ist, dass es Pronomen wie das Amharische 1. Person Pronomen gibt, die sich außerhalb von Einstellungskontexten auf die aktuell sperchende Person beziehen, sich also ganz wie die indexikalischen Pronomen der 1. Person im Englischen und im Deutschen verhalten und damit die Fixity These zu bestätigen scheinen. In Einstellungskontexten jedoch – d.h. im semantischen Skopus von Einstellungsverben – verhalten sie sich wesentlich verschieden von den Pronomen im Englischen und Deutschen: im Beispiel (38-b) bezieht sich das deutsche Pronomen ich auch im semantischen Skopus des Sprechaktverbs auf die aktuell sprechende Person; in (38-a) dagegen bezieht sich das Amharische Gegenstück im semantischen Skopus von sagen nicht auf die aktuell sprechende Person, sondern auf die Person, die durch das Matrixsubjekt denotiert wird. Die semantische Referenz dieser Pronomen scheint also unter sagen in systematischer Weise in Abhängigkeit vom Matrixsubjekt zu wechseln. Sieht man in diesen Pronomen indexikalische Pronomen, dann können diese Beispiele als Evidenz dafür gelesen werden, dass es indexikalische Pronomen gibt, die in Einstellungskontexten der Fixity These widersprechen. Vor diesem Hintergrund entwickelt Schlenker eine allgemeine Theorie der Indexikalität, die sich in folgenden Punkten charakterisieren lässt: 1. Ein Ausdruck ist „indexikalisch“, wenn sein semantischer Wert von einem Kontext abhängt. 2. Einstellungsverben führen Kontexte ein, auf die sich indexikalische Ausdrücke beziehen können. 3. Die Unterschiede, die sich mit Bezug auf die indexikalischen Pronomen in verschiedenen Sprachen beobachten lassen, lassen sich durch unterschiedliche Merkmalspezifikationen der Pronomen erklären, die ihre Bezügsmöglichkeiten auf mögliche Kontexte beschränken. Schlenker betont, dass der Begriff des Kontexts bei Kaplan bereits so weit ist, dass er auf jede Sprechsituation anwendbar ist und nicht bloß auf die aktuelle Äußerungssituation. Für Schlenker fallen unter den Ausdruck „Kontext“ außer Äußerungskontexten (‘contexts of speech’) auch Kontexte des Denkens (‘contexts of thought’). Formal fasst Schlenker einen Kontext als ein Tupel auf aus der Person, die den Denk- oder Sprechakt vollzieht (‘author’), der adressierten Person, der Zeit und der Welt des Denk- oder Sprechaktes. Dass Einstellungsverben Kontexte einführen, heißt formal, dass sie Quantoren über Kontexte sind. Indexikalische Pronomen mit der richtigen Merkmalspezifikation können relativ zu diesen Kon-
5.4 Schlenkers Theorie der Logophorizität |
109
texten interpretiert werden, über die das Einstellungsverb quantifiziert. Er illustriert das für einen Fall, in dem das Individuen-, das Zeit- und das Weltargument auf den Kontext der Einstellung bezogen interpretiert werden, durch die folgende Grafik: (39)
SAYhJohn,now,actuallyi ci be-a-hero (agent(ci ),time(ci ),world(ci )) ↑
context of the reported speech act Auf einen Kontext beziehen sich indexikalische Pronomen nach Schlenker über Merkmale, die in semantischer Hinsicht partielle Identitätsfunktionen sind. Sie identifizieren die Referenten der Pronomen mit einem Parameter des Kontexts.⁵ Die Merkmale von Pronomen notiert er in Mengenklammern.⁶ (40)
Jx{+1st(c)}Kc*,g = g(x), definiert nur, falls g(x) = S(g(c))
Das Merkmal in (40) entspricht dem Merkmal des 1. Person Pronomens im Amharischen. Im Fall des 1. Person Pronomens im Englischen beschränkt das Merkmal mögliche Referenten des Pronomens auf die sprechende Person im Äußerungskontext, vgl. (41). Als Pronomen für den aktuellen Äußerungskontext verwendet Schlenker „c*“; für „+1st(c*)“ schreibt er auch auch kurz „+1st*“.⁷ (41)
Jx{+1st*}Kc*,g = g(x), definiert nur, falls g(x) = S(c*)
Logophorische Pronomen teilen mit den Pronomen im Amharischen, dass sie sich auf einen Kontext beziehen können, der verschieden ist vom Äußerungskontext. Das zeigt sich in der logischen Form an dem Merkmal +1st(c), das sie teilen. Der Kontext eines logophorischen Pronomens darf aber – genau entgegengesetzt zum Pronomen der 1. Person im Englischen – nicht der Kontext des aktuellen Sprechakts sein, vgl. Schlenker (2003, 83). Schlenker modelliert das durch ein negatives Merkmal: während das 1. Person Pronomen im Englischen mit einem Merkmal +1st* versehen ist, tragen logophorische Pronomen ein zusätzliches Merkmal –1st*. Die Merkmalspezifikation eines logophorischen Pronomens sieht also aus wie in (42).
5 Zur Semantik von Merkmalen als partielle Identitätsfunktionen vgl. außer Schlenker (2003) auch Heim und Kratzer (1998) und Heim (2008). 6 S(c* ) = die sprechende Person in c* 7 Schlenker (2003) verwendet „author“ und „hearer“ anstelle von „1st“ und „2nd“.
110 | 5 Schlenker (2003): IndK als logophorischer Modus
(42)
x{+1st(c) ∧ –1st*}
Anders als positive Merkmale haben negative Merkmale nach Schlenker keine semantische Interpretation, sondern sie führen zu einer Verwendungsbedingung, die im folgenden Abschnitt näher erläutert werden soll. Die Idee ist, dass ein Pronomen mit einem negativen Merkmal nur dann verwendet werden kann, wenn die Verwendung eines Pronomens mit einem entsprechenden positiven Merkmal in derselben LF zu einem Präsuppositionsfehler führen würde.
5.5 Logophorizität und „Maximize presupposition“ Die Logik, mit der Schlenker erklärt, dass logophorische Pronomen auf Einstellungskontexte beschränkt sind, ist im Wesentlichen dieselbe Logik, wie die, die in der Literatur unter dem Namen „Maximize presupposition“ bekannt ist. Der Ausdruck „Maximize presupposition!“ geht auf eine Formulierung in Heim (1991) zurück: „Präsupponiere in deinem Beitrag so viel wie möglich!“. Die Idee lässt sich folgendermaßen charakterisieren: Im einfachsten Fall vergleicht man zwei Ausdrücke α und β derselben syntaktischen Katgegorie, die dieselbe Bedeutung haben, sich jedoch hinsichtlich ihrer Präsuppositionen unterscheiden und zwar so, dass die Präsupposition des Ausdrucks α die von β impliziert. Nennen wir α in diesem Verhältnis die „präsuppositionsstärkere Alternative“. Die Forderung „Maximize presupposition!“ bezieht sich jetzt darauf, dass im Kontext einer gegebenen LF die präsuppositionsstärkere Alternative α immer β vorgezogen werden muss, solange die Verwendung von α nicht zu einem Präsuppositionsfehler führt. Wenn man nicht das präsuppositionsstärkere Element wählt, gibt es eine Implikatur, dass man nichts Stärkeres hätte präsupponieren können. Man hat hier also eine Art von generalisierter Quantitätsimplikatur auf der Ebene der Präsuppositionen.⁸ Dementsprechend spricht Sauerland (2008a) auch von „implicated presupposition“. Wie Sauerland (2008a) kann man diese Analogie noch weiter verfolgen und mit Bezug auf die beiden Vergleichselemente davon sprechen, dass sie eine Horn-Skala bilden, allerdings nicht im Hinblick auf ihren propositionalen Gehalt – der identisch ist –, sondern im Hinblick auf ihre Präsuppositionen.⁹
8 Vgl. Sauerland (2008a): „The idea of an implicated presupposition is that it is derived exactly like an implicature, but in the presuppositional domain.“ 9 Sauerland (2008a) diskutiert nicht nur die Gemeinsamkeiten zwischen implizierten Präsuppositionen (‘implicated presuppositons’) und generalisierten Quantitätsimplikaturen, sondern auch ihre Unterschiede. Sie unterscheiden sich z.B. hinsichtlich ihres kognitiven Status. Auf diese Unterschied kann ich hier allerdings nicht weiter eingehen.
5.5 Logophorizität und „Maximize presupposition“ |
111
Ich will das an zwei Beispielen illustrieren, die ebenfalls in den Bereich der Semantik von Pronomen fallen. Nach Sauerland (2008b) bilden die Merkmale Singular und Plural eine Skala in dem eben skizzierten Sinne, vgl. (43). (43)
{sing, plur}
Ihr Beitrag zu den Wahrheitsbedingungen ist derselbe: beide denotieren eine Identitätsfunktion. Sie unterscheiden sich jedoch hinsichtlich ihrer Präsuppositionen: während das Merkmal plur nichts präsupponiert, präsupponiert sing, dass der Referent des Pronomens ein Atom ist. Die Präsuppositionsbedeutung setzt dabei eine Ontologie voraus, in der es neben atomaren Individuen auch Summenindividuen gibt, die zum Beispiel durch Ausdrücke wie „Anna und Bea“ oder „die Kinder“ bezeichnet werden.¹⁰ (44)
a. b.
Jx{sing}Kc*,g = g(x), definiert nur falls g(x) ein atomares Individuum
ist Jx{plur}Kc*,g = g(x)
Die Präsupposition des Singulars impliziert dabei die Präsupposition des Plurals (und zwar auf triviale Weise, da der Plural überhaupt keine Präsupposition einführt). Nach einer Griceschen Logik bekommen wir daher eine NichtSingularitäts-Implikatur des Plurals, vgl. Sauerland (2008a). Wenn man wie in (45-a) den Singular verwendet, dann präsupponiert man damit, dass Tom nur ein Kind hat. Wenn man dagegen den Plural verwendet wie in (45-b), dann präsupponiert man damit lexikalisch nichts, aber man impliziert, dass man nicht präsupponieren hätte können, dass Tom nur ein Kind hat. (45)
a. b.
Toms Kind ist wohlerzogen. Präsupposition: die Denotation von Toms Kind* ist ein Atom.¹¹ Toms Kinder sind wohlerzogen. Präsuppositon: keine impliziert: Die Person, die spricht, kann nicht präsupponieren, dass die Denotation von Toms Kind* ein Atom ist
Wenn ich also nicht weiß, wieviele Kinder Tom hat, dann muss ich den Plural verwenden, da ich nicht präsupponieren kann, dass Tom nur ein Kind hat; vgl. dazu auch Sauerland (2008a).
10 Um nicht eine weitere Notationweise einführen zu müssen, orientiere ich mich bei der Notation an der in Schlenker (2003). 11 „Tom Kind*“ steht für die numerus-neutrale Denotation.
112 | 5 Schlenker (2003): IndK als logophorischer Modus
Auch die Personenmerkmale von Pronomen bilden nach Sauerland (2008b) und Heim (2008) eine Skala. (46)
{1st, 2nd, 3rd}
Alle drei Merkmale haben denselben Beitrag zu den Wahrheitsbedingungen. Sie denotieren eine Identitätsfunktion. Sie unterscheiden sich lediglich hinsichtlich ihrer Präsuppositonen: Die 1. Person präsupponiert, dass das denotierte Individuum die aktuell sprechende Person umfasst. Die 2. Person präsupponiert, dass das denotierte Individuum die sprechende oder angesprochene Person umfasst. Die 3. Person präsupponiert nichts.¹² (47)
a. b. c.
Jx{1st}Kc*,g = g(x), definiert nur falls S(c*) v g(x) Jx{2nd}Kc*,g = g(x), definiert nur falls S(c*) v g(x) ∨ A(c*) v g(x) Jx{3rd}Kc*,g = g(x)
Die Skala folgt den Implikationsbeziehungen zwischen den Präsuppositionen der Merkmale. Es gilt:¹³ (48)
dom(J1stKc*,g ) ⊂ dom(J2ndKc*,g ) ⊂ dom(J3rdKc*,g )
Am Beispiel der Personenmerkmale im Plural bekommen wir also: (49)
a.
b.
c.
Wir sind krank. Präsupposition: Die sprechende Person ist Teil des Pluralindividuums. Ihr seid krank. Präsupposition: Die sprechende Person oder die angesprochene Person sind Teil des Pluralindividuums. impliziert: Die sprechende Person kann nicht präsupponieren, dass sie Teil des Pluralindividuums ist. Sie sind krank. Präsupposition: keine impliziert: Die sprechende Person kann nicht präsupponieren, dass sie oder die angesprochene Person Teil des Pluralindividuums sind.
Im System der deutschen Personalpronomen sind diese beiden Skalen kombiniert und ergeben zusammen eine partielle Ordnung.
12 S(c*) = die sprechende Person in c* ; A(c*) = die angesprochene Person in c* 13 dom(J1stKc*,g ) = {x ∈ D e | x = S(c*)}, dom(J2ndKc*,g ) = {x ∈ D e | x = S(c*) ∨ x = A(c*)} und dom(J3rdKc*,g ) = D e .
5.5 Logophorizität und „Maximize presupposition“ |
(50)
113
{1st,sg} – ich
{2nd,sg} – du
{3rd,sg} – du
{1st,pl} – wir
{2nd,pl} – ihr
{3rd,pl} – sie
Durch „Maximize presupposition!“ sind wir aufgefordert, die präsuppositionsstärkste Alternative aus dieser Ordnung zu wählen, die nach allem, wir wissen, nicht zu einem Präsuppositionsfehler führt. Wenn eine Person zum Beispiel das Pronomen du wählt, dann sind wir berechtigt, anzunehmen, dass sie präsupponieren kann, dass es sich bei dem denotierten Individuum um ein Atom handelt und dass dieses Individuum die sprechende oder die angesprochene Person umfasst. Sie impliziert gleichzeitig, dass sie nicht präsupponieren kann, dass dieses Individuum die sprechende Person, d.h. sie selbst, umfasst. Kommen wir zurück zu Schlenker. So wie bei Sauerland die Merkmale sing und plur oder die Merkmale 1st und 3rd eine Skala bilden, so bilden bei Schlenker positive und negative Merkmale Skalen, wobei das positive Merkmal eine Präsupposition einführt und das negative Merkmal semantisch leer ist. Ein Beispiel: (51)
{+1st*, –1st*}
Mit Bezug auf die Interpretation der negativen Merkmale schreibt Schlenker: Negative features do not have a semantic contribution. However, they are subject to the following condition: A negative feature can appear in a logical form only if the corresponding positive feature would have yielded a presupposition failure (i.e., would have yielded the value #). Schlenker (2003, 112)
Mit Bezug auf die Merkmale +1st* und –1st* bedeutet das konkret: Das Merkmal +1st* führt eine Präsupposition ein, die mögliche Denotate des Pronomens auf die sprechende Person des aktuellen Sprechakts beschränkt. Schlenker scheint in seinen Beispielen vorauszusetzten, dass man das als immer kann, wenn man
114 | 5 Schlenker (2003): IndK als logophorischer Modus
von sich selbst spricht. Das Merkmal –1st* führt keine Präsupposition ein, aber eine Verwendungsbedingung: Es kann nur verwendet werden, wenn man nicht präsupponieren kann, dass das denotierte Individuum die aktuell sprechende Person ist. Das ergibt die folgende abgeleitete Skala für Pronomen unter Einstellungen: (52)
{x{+1st(c) ∧ +1st*}, x{+1st(c) ∧ –1st*}}
Das linke Pronomen auf der Skala in (52) entspricht dem 1. Person Pronomen; das rechte dem logophorischen Pronomen. Schlenker diskutiert vier mögliche Fälle, die ich hier etwas vereinfacht darstelle. Dabei bezieht er sich auch auf die Sprache Gokana als weiteres Beispiel für eine Sprache mit logophorischen Pronomen. „He*“ steht in den Beispielen für das jeweilige logophorische Pronomen. (53)
a. b.
John says that he* is elected (Ewe/Gokana) sayhJohn,now,actuallyi c be-elected(ιx : x{+1st(c), –1st*},time(c),world(c))
(54)
a. #John says that I am elected (Minimalpaar mit (53)) b. sayhJohn,now,actuallyi c be-elected(ιx : x{+1st(c), +1st*},time(c),world(c))
(55)
a. #I say that I* am elected (Gokana) b. sayhx{+1st*},now,actuallyi c be-elected(ιx′ : x′ {+1st(c), –1st*},time(c),world(c))
(56)
a. b.
I say that I am elected (Minimalpaar mit (55)) sayhx{+1st*},now,actuallyi c be-elected(ιx′ : x′ {+1st(c), +1st*},time(c),world(c))
Dass in (54) das 1. Person Pronomen im Komplementsatz nicht verwendet werden kann, erklärt sich damit, dass die Verwendung von x{+1st(c) ∧ +1st*} für John präsupponiert, dass er sich mit der aktuell sprechenden Person identifiziert. Da man das in der Regel für keine (von der aktuell sprechenden Person verschiedene) Person präsupponieren kann, muss das Pronomen x{+1st(c) ∧ –1st*} verwendet werden. In Schlenkers Worten: Condition of use of [–1st*]: replacing [–1st*] with [+1st*] should have produced a presupposition failure. . . . this always holds unless John is presupposing that he is me, the agent of the actual speech act“ Schlenker (2003, 115)
5.6 Anwendung auf den IndK |
115
Nur wenn wir für John präsupponieren können, dass er sich mit der aktuell sprechenden Person identifiziert, kann das 1. Person Pronomen verwendet werden. Andernfalls muss das logophorische Pronomen verwendet werden.¹⁴ Wie erklärt sich umgekehrt, dass das logophorische Pronomen in (55) sich nicht auf die aktuell sprechende Person beziehen kann? Logophorische Pronomen haben die Merkmalspezifikation {+1st(c) ∧ –1st*}. Wenn ich mich auf mich selbst beziehen will, dann könnte ich ebenso gut ein entsprechendes Pronomen mit dem Merkmal +1st* anstelle von +1st(c) verwenden, da ich präsupponieren kann, dass ich mit mir selbst identisch bin, wenn ich von mir selbst spreche. Wenn aber +1st* verwendet werden kann, dann ist die Verwendung des Merkmals –1st* ausgeschlossen entsprechend der Verwendungsbedingung für –1st*. Zumindest ist das die Logik hinter Schlenkers Vorschlag.
5.6 Anwendung auf den IndK Den Indikativ in einem uneingebetteten Deklarativsätz wie Es regnet interpretiert Schlenker als ein indexikalisches Weltpronomen, dass sich auf die aktuelle Welt als Koordinate des Äußerungskontexts bezieht. Analog zu den Pronomen im Individuenbereich besteht dieses Pronomen aus einer Weltvariable w und einem indexikalischen Merkmal +ind*, das mögliche Referenten der Variable auf die Welt des Äußerungskontexts beschränkt. +ind* steht kurz für +ind(c*). (58)
Jw{+ind*}Kc*,g = g(w), definiert nur falls g(w) = Welt(c*)
Der Konjunktiv I ist nach Schlenker ein logophorisches Weltpronomen, dass durch eine Einstellung gebunden wird. Schlenker modelliert die Einstellungsbindung auch im Falle von Weltpronomen indirekt, indem er das jeweilige Pronomen über ein Merkmal +ind(c) semantisch auf einen Kontext c bezieht, der syntaktisch durch das Einstellungsverb gebunden wird. Das entsprechende Merkmal ist also das Charakteristikum eines verschiebbaren Indikativs. Wollte Schlenker eine
14 Das macht, denke ich, auch die Vorhersage, dass, falls das Matrixsubjekt sich wirklich mit der aktuell sprechenden Person identifiziert, wie in (57) angedeutet, wir das im Ewe nicht explizit unter der Verwendung des logophorischen Pronomens ausdrücken können sollten – zumindest dann nicht, wenn wir identisch hier semantisch als Identität interpretieren: (57)
Kofii denkt, dass yèi mit mir identisch ist.
Es wäre interessant, zu sehen, ob sich diese Vorhersage bestätigen lässt.
116 | 5 Schlenker (2003): IndK als logophorischer Modus
völlige Analogie zu den logophorischen Pronomen im Individuenbereich, dann müsste ein logophorisches Weltpronomen folgermaßen aussehen: (59)
w{+ind(c) ∧ –ind*}
Interessanterweise ist das aber nicht Schlenkers Vorschlag für den IndK. Um sich der Semantik des IndKs zu nähern, führt er zunächst ein weiteres Merkmal ein: +cs*. Es hat die folgende Präsupposition: (60)
Jw{+cs*}Kc*,g = g(w), definiert nur falls g(w) ∈ CS(c*)¹⁵
Dieses Indikativmerkmal +cs* führt die Präsupposition ein, dass seine Welt aus der Kontextmenge des Äußerungskontexts kommt.¹⁶, ¹⁷ Diese Bedeutung des Indikativs ist dem Geiste nach verwandt mit Vorschlägen in Stalnaker (1975) und von Fintel (1997). Die Merkmalkombination des Konjunktivs I setzt sich jetzt zusammen aus einem verschiebbaren Indikativmerkmal +ind(c) und einem negativen Indikativmerkmal –cs*. Das negative Merkmal –cs* darf nur dann verwendet werden, wenn die Verwendung des entsprechenden positiven Merkmals zu einem Präsuppositionsfehler führen würde, d.h. wenn die Person, die spricht, nicht präsupponieren kann, dass die jeweilige Welt in der Kontextmenge des Äußerungskontexts liegt. Wir bekommen folgende abgeleitete Skala für die von Schlenker angenommenen indikativischen Modusmerkmale unter Einstellungen: (61)
{w{+ind(c) ∧ +cs*}, w{+ind(c) ∧ –cs*}}
Das linke Pronomen auf der Skala entspricht dem Indikativ unter Einstellungen; das rechte dem Konjunktiv I. Zur Erinnerung: Was Schlenker mit dieser Merkmalkombination für den Konjunktiv I erklären will, ist zum einen, dass der Konjunktiv I nicht außerhalb von Einstellungskontexten verwendet werden kann wie in (62). (62)
#Es regne.
Zum anderen will er damit das Paradigma in (63) erklären. (63)
a. b.
#Ich glaube, dass Maria krank sei. Ich glaubte, dass Maria krank sei.
15 „CS(c*)“ steht für die Kontextmenge im Kontext c*. 16 Zum Begriff der Kontextmenge: siehe Stalnaker (1978), Stalnaker (1999). 17 Die Notation des Merkmals weicht von Schlenker (2003) ab: Schlenker schreibt für das entsprechende Merkmal +indicative2 *(w).
5.6 Anwendung auf den IndK |
c. d.
117
Peter glaubt, dass Maria krank sei. Peter glaubte, dass Maria krank sei.
Er schreibt dazu: (64)
„The Konjunktiv I can be used in every case except in the first person present. Why should that be? The answer becomes apparent when it is observed that the set of worlds compatible with the speaker’s belief [die Menge der doxastischen Alternativen der Person, die spricht] at the time of utterance is by definition the Common Ground itself [d.h. die Kontextmenge]. As a result, the presupposition projection rule for universally quantified statements entails that the indicative can be used. But due to the definition of [–cs*], if [+cs*] can be used, it must be used. This derives the generalization [. . . ]“¹⁸ Schlenker (2003, 87)
Wie das gemeint ist, lässt sich am besten an der Berechnung einiger Beispiele zeigen. Dabei beschränke ich mich auf die Darstellung der wesentlichen Details. Die Präsuppositionen in (66-c) und (68-c) resultieren aus der Distribution der Präsupposition des Indikativs im Komplementsatz über die doxastischen Alternativen. (66)
a. b. c.
Peter glaubt, dass Maria krank ist. w{+ind*} Peter glaubt λw w{+cs*} Maria krank ist J(66-a)Kc*,g = 1 gdw. ∀w ∈ dox(Peter)(c*w ): krank(Maria)(w), Präsupposition: dox(Peter)(c*w ) ⊆ CS(c*)
(67)
a. b. c.
Peter glaubt, dass Maria krank sei. w{+ind*} Peter glaubt λw w{–cs*} Maria krank sei. J(67-a)Kc*,g = 1 gdw. ∀w ∈ dox(Peter)(c*w ): krank(Maria)(w), Präsupposition: keine impliziert: die aktuell sprechende Person kann nicht präsupponieren, dass gilt: dox(Peter)(c*w ) ⊆ CS(c*)
(68)
a. b. c.
Ich glaube, dass Maria krank ist. w{+ind*} ich glaube λw w{+cs*} Maria krank ist J(68-a)Kc*,g = 1 gdw. ∀w ∈ dox(c*a )(c*w ): krank(Maria)(w), Präsupposition: dox(c*a )(c*w ) ⊆ CS(c*)
18 Mit „presupposition projection rule for universally quantified statements“ bezieht Schlenker sich auf die Interpretation von Präsuppositionen unter Einstellungen, die im folgenden Lexikoneintrag von glauben festgehalten sind: (65)
JglaubtKc,g = λp. λx. λw: dox(x)(w) ⊆ dom(p). dox(x)(w) ⊆ p
118 | 5 Schlenker (2003): IndK als logophorischer Modus
(69)
a. b. c.
#Ich glaube, dass Maria krank sei. w{+ind*} ich glaube λw w{–cs*} Maria krank sei. J(69-a)Kc*,g = 1 gdw. ∀w ∈ dox(c*a )(c*w ): krank(Maria)(w), Präsupposition: keine impliziert: die aktuell sprechende Person kann nicht präsupponieren, dass gilt: dox(c*a )(c*w ) ⊆ CS(c*)
Entscheidend ist jetzt, dass Schlenker die Kontextmenge im Äußerungskontext CS(c*) mit der Menge der doxastischen Alternativen der aktuell sprechenden Person dox(c*a )(c*w ) identifiziert, vgl. das Zitat in (64). Wir bekommen unter dieser Annahme die folgenden Verwendungsbedingungen: (70)
Peter glaubt, dass Maria krank ist. Präsupposition: dox(Peter)(c*w ) ⊆ dox(c*a )(c*w )
(71)
Peter glaubt, dass Maria krank sei. Präsupposition: keine impliziert: die aktuell sprechende Person kann nicht präsupponieren, dass gilt: dox(Peter)(c*w ) ⊆ dox(c*a )(c*w )
(72)
Ich glaube, dass Maria krank ist. Präsupposition: dox(c*a )(c*w ) ⊆ dox(c*a )(c*w )
(73)
#Ich glaube, dass Maria krank sei. Präsupposition: keine impliziert: die aktuell sprechende Person kann nicht präsupponieren, dass gilt: dox(c*a )(c*w ) ⊆ dox(c*a )(c*w )
In der 3. Person kann man zwischen Indikativ und Konjunktiv wählen in Abhängigkeit davon, ob die doxastischen Alternativen des Matrixsubjekts eine Teilmenge der eigenen doxastischen Alternativen sind. In der 1. Person gibt es diese Wahl nicht: Man kann immer präsupponieren, dass die eigenen doxastischen Alternativen eine Teilmenge der doxastischen Alternativen der aktuell sprechenden Person sind. D.h.: Da der eigene Glaube mir transparent ist, muss ich, wenn ich mich auf meine eigenen Überzeugungen beziehe, immer den Indikativ verwenden. Der IndK ist ausgeschlossen.
5.7 Kritik der Verwendungsbedingung In dem vorhergesagten Wettbewerb zwischen logophorischen und nicht-logophorischen Pronomen sieht Schlenker einen klaren Vorteil seiner Theorie gegenüber Theorien, die mit syntaktischen Merkmalen arbeiten:
5.7 Kritik der Verwendungsbedingung |
119
Why are some indexicals (e.g., English ‘I’) unshiftable? This turned out to be the complement of the question: Why do some indexicals (namely the logophoric pronouns) have to be shifted? While the problem can be treated either in syntactic terms (with richly annotated logical forms) or with a semantic stipulation, the latter solution appears preferable, among others because it derives certain puzzling asymmetries in the use of logophoric pronouns and of logophoric mood. Schlenker (2003, 99)
Mit „Asymmetrie“ bezieht er sich im Falle des IndKs auf die Nichtverwendbarkeit des Konjunktivs I unter glauben in der 1. Person Singular Präsens. Die Kritik in diesem Abschnitt richtet sich nicht gegen die These, dass der IndK ein logophorischer Modus ist. Vielmehr richtet sie sich gegen die spezifische Implementierung dieser Hypothese in einem semantischen Wettbewerbsmodell. Schlenkers Wettbewerbsmodell führt zu einer komplementären Distribution von Indikativ und Konjunktiv I – analog zu den entsprechenden Distributionen bei φ-Merkmalen. Voraussetzung dafür ist die Annahme, dass der Indikativ im Deutschen im Komplement von Einstellungsverben eine Präsupposition einführt, die verlangt, dass der semantische Wert des konjunktivisch markierten Weltpronomens eine Welt ist, die in der aktuellen Kontextmenge liegt. Unter der zusätzlichen, aber unabhängig plausiblen Annahme, dass diese Präsupposition über die doxastischen Alternativen distribuiert, führt das zu einer Präsupposition, die – für das Beispiel in (74) gesprochen – nur erfüllt ist, wenn die doxastischen Alternativen von Peter eine Teilmenge der doxastischen Alternativen der sprechenden Person im Äußerungskontext sind. (74)
Peter glaubt, dass Schulz noch gewinnen kann.
Diese Annahme ist aber viel zu stark. Der Satz in (74) kann ohne Probleme in einem Kontext wie in (75) verwendet werden, in dem man ausdrücklich macht, dass der eigene und Peters Glauben in den relevanten Hinsichten nicht übereinstimmen. (75)
In politischen Dingen sind wir nicht einer Meinung: Peter glaubt, dass Schulz noch gewinnen kann. Ich glaube das nicht.
Wichtig ist, dass es hier nicht in erster Linie (oder nur indirekt) um die Haltung zur Wahrheit des Komplementsatzes geht, sondern darum, dass die Menge der doxastischen Alternativen von Peter aufgrund der Nichtübereinstimmung unserer Überzeugungen in politischen Dinge keine Teilmenge der Menger meiner doxastischen Alternativen sein kann (vorausgesetzt, dass die Menge der doxastischen Alternativen von Peter nicht die leere Menge ist – was man aus unabhängigen Gründen ausschließen kann). Selbst wenn es ein Register gibt, in dem man in einem solchen Fall starke Präferenzen für eine Konjunktivform hätte, würde die
120 | 5 Schlenker (2003): IndK als logophorischer Modus
Verwendung der Indikativform lediglich als stilistische Eigenart empfunden und nicht als ein Präsuppositionsfehler. Kurz gesagt: Es gibt keine Evidenz für eine grammatisch komplementäre Distribution zwischen Indikativ und IndK in Analogie zur komplementären Distribution zwischen Singular und Plural oder zwischen 1., 2. und 3. Person, wie es durch das von Schlenker angeführte Paradigma in (63) suggeriert wird. Um ein vollständiges Paradigma zu bekommen, muss man (63) die Daten in (76) an die Seite stellen, wobei die Annahme ist, dass es bei diesen Sätzen, egal wie sich die Menge meiner doxastischen Alternativen zur Menge der doxastischen Alternativen von Peter verhält, nie zu einem Präsuppositionsfehler aufgrund der Moduswahl kommt. (76)
a. b. c. d.
Ich glaube, dass Maria krank ist. Ich glaubte, dass Maria krank ist. Peter glaubt, dass Maria krank ist. Peter glaubte, dass Maria krank ist.
Der Indikativ scheint überhaupt keine Präsupposition oder Verwendungsbedingung einzuführen. In den Grammatiken zum Deutschen wird er ganz übereinstimmend damit auch als semantisch unmarkierter Modus charakterisiert. Exemplarisch dafür Fabricius-Hansen (2006): „Der Indikativ ist der unmarkierte Modus, der Normal- oder Defaultmodus. Er wird verwendet, wenn kein Anlass besteht, einen anderen Modus zu gebrauchen.“¹⁹ Einen semantischen und nicht bloß stilistischen Effekt der Wahl zwischen Indikativ und IndK und eine Asymmetrie in ihren grammatischen Verwendungsbedingungen findet man lediglich in der 1. Person Singular bzw. genauer gesagt, wenn die sprechende Person sich auf die eigene Perspektive im Äußerungskontext bezieht: Hier ist der IndK ausgeschlossen und nur der Indikativ ist möglich. Alle anderen Nebenbedeutungen des IndK, die für stilistische Erwägungen eine Rolle spielen, sind löschbare Nebenbedeutungen – siehe dazu die Ausführungen im Kapitel 3 –, die mit dem Distanzierungseffekt des IndKs zusammenhängen, der sich allerdings nur in der 1. Person-Perspektive zeigt. Entscheidend ist an dieser Stelle, dass außer im Falle des IndKs in der 1. Person bei Bezug auf Sprechperspektive keine Form grundsätzlich, d.h. schon allein aufgrund ihrer lexikalischen Präsuppositionen oder Verwendungsbedingungen ausgeschlossen ist.
19 Ähnlich kommen Grønn und von Stechow (2011) zu dem Ergebnis, dass ein Indikativmerkmal nicht nötig ist. „We finally remark that we find no reason to assume a feature [indicative] as Schlenker has it in a number of papers (cf. e.g. (Schlenker 2003)).“
5.7 Kritik der Verwendungsbedingung |
121
Wie bereits im Kapitel 3 erwähnt, findet sich bei Potts ein ähnlicher Hinweis auf die Optionalität der Konjunktivmarkierung und die Inadäquatheit eines Wettbewerbmodells im Sinne von Schlenker (2003): [I]t is often the case that Konjunktiv I marking is optional. [. . . ] The very existence of both alongside one another, with no narrow semantic difference between them, indicates that the competition principle is, at the very last, not stated accurately. Potts (2005, 190)
Pearson (2012) kommt zu einem ganz ähnlichen Ergebnis mit Bezug auf das logphorische Pronomen yè im Ewe, für das Schlenkers Modell der Logophorizität ebenfalls eine komplementäre Distribution vorhersagt: Yè and the plain pronoun e are not in complementary distribution: e can also occur in the scope of an attitude predicate and pick out the attitude holder. Pearson (2012, 446)
Da weder der Konjunktiv I noch das logophorische Pronomen yè im Ewe in komplementärer Distribution zu den entsprechenden nicht-lophorischen Formen zu stehen scheinen, kann als grundsätzliche Kritik an Schlenkers Theorie formuliert werden, dass die Wahl zwischen logophorischen und nicht-logophorischen Pronomen – zumindest im Deutschen und im Ewe – offensichtlich nicht der Logik von „Maximize presupposition!“ folgt. Die Diskussion zu den Verwendungsbedingungen abschließend möchte ich noch darauf hinweisen, dass ein Unterschied in den Überzeugungen zwischen der aktuell sprechenden Person und dem Matrixsubjekt zwar hinreichend ist, um den IndK grundsätzlich zu lizensieren. Der IndK kann aber auch verwendet werden, wenn die aktuell sprechende Person mit dem Matrixsubjekt in jeder relevanten Hinsicht einer Meinung ist. Beispiele dieser Art sind aus verschiedenen Gründen in einer Korpussuche nicht leicht zu finden. Hier ist ein Beispiel, das zumindest ausgehend von seiner rhetorischen Intention diesen Punkt machen kann: (77)
Wir glauben dasselbe wie Paulus. Er sagte auch, dass es mehrere Götter gäbe, aber nur einen Herren, Jesus Christus. Das glauben wir auch.
Für die Lizensierung des IndKs scheint es also zu genügen, dass von der Perspektive einer anderen Person die Rede ist, die Perspektive muss nicht notwendig dem Gehalt nach verschieden sein. Diese Beobachtung wird ebenfalls für die Modellierung von Perspektiven im dritten Teil der Arbeit relevant sein. Es gibt aber noch ein weiteres grundsätzliches Problem für Schlenkers semantische Theorie, das nicht unmittelbar mit den Verwendungsbedingungen und dem semantischen Wettbewerb zu tun hat, sondern mit der spezifischen „Mechanik“ der Implementierung dieser Verwendungsbedingungen. Am besten lässt sich das an Beispielen wie den folgenden illustrieren:
122 | 5 Schlenker (2003): IndK als logophorischer Modus (78)
Descartes identifiziert die Person mit der Seele, wenn er sagt, es sei möglich, dass er selbst ohne Körper existiere.
(79)
Die Staatsanwältin sagte, dass es möglich sei, dass das Opfer zunächst zum Suizid gedrängt worden sei.
Entscheidend bei diesen Beispielen ist, dass das zweite Vorkommnis des IndKs im Skopus eines modalen Operators steht. Wenn wir Logophorizität modellieren als semantischen Bezug auf ein Kontextpronomen, das durch eine Einstellung gebunden ist – so wie Schlenker das tut –, dann haben wir nur die Möglichkeit das zweite logophorische Weltpronomen, wie das erste auch, an die Einstellung zu binden. Das gibt uns allerdings die falsche Lesart. Was wir haben wollen, ist, dass die konjunktivisch markierte Welt unter es ist möglich durch den modalen Quantor gebunden wird, so wie in (80-b). Nach Schlenker bekommen wir aber nur die problematische LF in (80-c). (80)
a. b. c.
Er sagt, dass es möglich sei, dass er existiere. λ w0 [ er sagtw0 λc1 [ dass es möglich seiwelt(c1 ) λw2 [ dass er existierew2 ]]] λ w0 [ er sagtw0 λc1 [ dass es möglich seiwelt(c1 ) λw2 [ dass er existierewelt(c1 ) ]]]
Die Annahme, dass alle logophorischen Pronomen kontextbezogen sind und über das entsprechende Kontextpronomen unmittelbar an eine Einstellung gebunden sein müssen, muss also aufgegeben werden, wenn wir annehmen wollen, dass ein rein modaler Operator wie möglich kein Monster ist – wovon Schlenker ausgeht, vgl. Schlenker (2003, 111f.). Eine Möglichkeit, die Daten zu erklären, ist es, anzunehmen, dass wir außerdem einen Mechanismus von Merkmalübertragung unter Bindung haben. Das zweite Weltpronomen in dem Beispiel hätte dann keine interpretierbaren Merkmale, sondern würde seine Merkmale durch Merkmalübertragung erhalten.²⁰ Dass eine Semantik in diesem Sinne ganz ohne Monster auskommen kann, wurde von von Stechow (2003, 2004) und Heim (2005) gezeigt. Wenn also ein Mechanismus wie Merkmalübertragung unter Bindung für (78) und (79) ohnehin nötig ist und man mit einem solchen Mechanismus in der Modellierung von Logophorizität auch ohne Monster auskommt, dann sollte man ganz auf Monster verzichten. Dieses Argument ist zwar für das Deutsche am Beispiel des Konjunktivs formuliert, es kann aber verallgemeinert werden: Generell tritt das Problem immer dann auf, wenn ein nicht-monströser Binder zwischen dem logo-
20 Zur Merkmalübertragung unter Bindung: siehe Heim (2008) und die Ausführungen im dritten Teil dieser Arbeit.
5.8 Fazit |
123
phorischen Pronomen und der Einstellung interveniert. Der Typ des logophorischen Pronomens spielt dabei keine Rolle. Es wäre also interessant entsprechende Konstellationen auch mit logophorischen Pronomen in anderen Sprachen zu testen.
5.8 Fazit In diesem Kapitel habe ich unter Bezug auf Pearson (2012) und Pearson (2015) weitere Parallelen in der Verwendungsweise zwischen dem IndK und dem logophorischen Pronomen im Ewe aufgezeigt. Diese Beobachtungen geben weitere Evidenz für die Richtigkeit der These, dass der IndK nichts anderes ist als „a temporal or modal version of the logophoric pronouns that are found in Ewe: it is an indexical expression which can only depend on the context of a reported speech act“ Schlenker (2003, 75). Es ist Schlenkers Verdienst auf diesen Zusammenhang zwischen logophorischen Pronomen und dem IndK mit dieser Ausdrücklichkeit hingewiesen zu haben. Die konkrete Diskussion der Theorie in Schlenker (2003) hat jedoch gezeigt, dass die Modellierung der Bedeutung des IndKs nach dem Wettbewerbsmodell im Bereich der φ-Merkmale, zu falschen Prognosen führt: die semantische Theorie in Analogie zur Semantik von φ-Merkmalen sagt eine komplementäre Distribution des IndKs mit dem Indikativ voraus, die man aber so nicht findet. Für das logophorische Pronomen im Ewe kommt Pearson (2012) zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Verwendungsbedingungen von logophorischen Pronomen sollten demnach nicht in Analogie zu den Verwendungsbedingungen von φ-Merkmalen gedacht werden, wie Schlenker das vorschlägt. Im letzten Abschnitt haben wir außerdem gesehen, dass eine monströse Semantik für logophorische Pronomen grundsätzliche Probleme mit sich bringt: Für Beispiele, in denen ein nicht-monströser Operator zwischen der Einstellung und dem logophorischen Pronomen semantisch interveniert, ist es nicht plausibel, die logophorischen Pronomen semantisch auf den Kontext der Einstellung zu beziehen. Eine Theorie der Logophorizität, die Einstellungsbindung über Merkmalchecking bzw. Merkmalübertragung unter Bindung modelliert, wie z.B. von Stechow (2003) oder Heim (2005), ist daher einer semantischen Modellierung mit Monstern vorzuziehen. Im zweiten Teil dieser Arbeit werde ich die Details eines entsprechenden Vorschlags ausbuchstabieren.
| Teil III: Logophorizität als Perspektivenbezug: Eine neue Theorie des IndKs als logophorischer Modus
6 Vorüberlegungen 6.1 Rede- vs. Gedankenbericht: der Ausgangspunkt Im ersten Teil dieser Arbeit habe ich sowohl Vorkommnisse des Konjunktivs unter Verben des Sagens wie in (1-a) als auch Vorkommnisse des Konjunktivs unter Verben des Denkens und Meinens wie in (1-b) unter der Bezeichnung „Indirektheitskonjunktiv“ angesprochen. (1)
a. b.
Peter sagt, dass Maria krank sei. Peter glaubt, dass Maria krank sei.
Das entspricht der üblichen gemeinsamen Klassifikation dieser Einbettungskontexte als „indirektes Referat“ bzw. „indirekte Rede“, vgl. Fabricius-Hansen (2006), Zifonun und Hoffmann (1997). Die formalen Theorien, die ich im zweiten Teil diskutiert habe, gehen nicht mit der gleichen Selbstverständlichkeit davon aus, dass es sich bei den Konjunktivformen in (1-a) und (1-b) um ein und dasselbe Phänomen handelt: FabriciusHansen und Sæbø (2004) beschränken sich ausdrücklich auf Vorkommnisse des Konjunktivs unter Sprechaktverben und auf solche Vorkommnisse, die einen Redebericht voraussetzen. Der Konjunktiv unter glauben und anderen Verben des Denkens und Meinens fällt für sie in eine andere Klasse von Verwendungsweisen des Konjunktivs, die ihrer Einschätzung nach mit bestimmten Subordination markierenden Verwendungsweisen des Subjunctive in romanischen Sprachen verwandt ist, vgl. die Diskussion in Kapitel 2. Schlenker (2003) auf der anderen Seite stellt den Konjunktiv I unter glauben ins Zentrum seiner Betrachtungen. Den Konjunktiv unter Sprechaktverben wie sagen erwähnt er nur am Rande. von Stechow (2004) und Potts (2005) folgen ihm darin. Ich führe in diesem Abschnitt drei Gründe an, die dafür sprechen, dass die von Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) mit Bezug auf das Tempus angesprochene Verwandtschaft zwischen dem Konjunktiv unter Sagensverben und dem Konjunktiv unter Verben des Denkens und Meinens viel weiter geht. Diese weitreichende Verwandtschaft spricht unter einer grammatischen Perspektive dafür, dass es sich beim Konjunktiv unter Sagensverben und dem Konjunktiv unter Verben des Denkens und Meinens um ein und dasselbe Phänomen handelt. Die Unterscheidung der Verwendung zum Bericht von Rede und von Gedanken scheint demgegenüber für eine Klasseneinteilung sekundär. Ich illustriere diese Punkte hier für glauben stellvertretend für Verben des Denkens und Meinens und für sagen stellvertretend für Sprechaktverben.
https://doi.org/10.1515/9783110422443-006
128 | 6 Vorüberlegungen
Den ersten Grund liefert uns die Beobachtung, dass sowohl unter glauben als auch unter sagen der Austausch von Formen des Konjunktivs I gegen Formen des Konjunktivs II (und umgekehrt) ohne einen Einfluss auf die Wahrheitsbedingungen bleibt, d.h. es gibt keinen erkennbaren Unterschied in den Wahrheitsbedingungen zwischen den a-Beispielen und den b-Beispiele in (2) und (3). Es lassen sich außerdem beide Formen des Konjunktivs auch durch eine From des Indikativs ersetzen ohne einen erkennbaren Unterschied für die Wahrheitsbedingungen des Gesamtsatzes, vgl. die c-Beispiele.¹ (2)
a. b. c.
Peter glaubt, dass Maria krank sei. Peter glaubt, dass Maria krank wäre. Peter glaubt, dass Maria krank ist.
(3)
a. b. c.
Peter sagt, dass Maria krank sei. Peter sagt, dass Maria krank wäre. Peter glaubt, dass Maria krank ist.
Eine weitere wichtige Beobachtung zum Konjunktiv unter Sagensverben ist, dass eine Konjunktivform im Komplementsatz weitere Konjunktive in der Folge lizensiert. Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) diskutieren diese Phänomen mit Bezug auf den Konjunktiv in Redeberichten unter dem Namen „zero mood“. Dieses Phänomen der Lizensierung von Folgekonjunktiven ist aber nicht auf Sagensverben beschränkt, sondern lässt sich auch für Verben des Denkens und Meinens beobachten, wie das Beispiel in (4-b) illustriert. (4)
a. b.
Sie sagte, sie schiesse, wenn er sich bewege. Fabricius-Hansen und Sæbø (2004, 249) Sein Verlangen bei ihr zu schlafen wuchs ebenso, wie seine Liebe zu ihr und es nagte in seinem Inneren, bis er glaubte, er müsse sterben, wenn er nicht wenigstens einmal des Nachts zu ihr kommen dürfe.
Der dritte Grund ist, dass die Restriktion gegen eine Verwendung des Konjunktivs in der 1. Person Singular bei Bezug auf die Sprechperspektive in der gleichen Weise für glauben wie für sagen gilt, worauf bereits Schlenker (2003, 87) in einer Fußnote hinweist. (5)
a. #Ich glaube, dass Maria krank sei. b. #Ich sage, dass Maria krank sei.
1 Damit will ich nicht abstreiten, dass im Kontrast zu den Indikativformen mit den Konjunktivformen bestimmte zusätzliche Nebenbedeutungen ins Spiel kommen können, wie in früheren Kapiteln bereits mehrfach erwähnt.
6.2 Verwendungsbedingung und Sprechperspektive |
129
Alles spricht also dafür, wie es auch in der deskriptiven Literatur üblich ist, die Formen des Konjunktivs unter Sagensverben wie unter Verben des Denkens und Meinens in einer Kategorie als Indirektheitskonjunktiv zusammenzufassen. Es stellt sich dennoch die Frage, womit man in der semantischen Analyse beginnen soll, d.h. ob man dem Rede- oder dem Gedankenbericht in der theoretischen Analyse den Vorzug geben und als das Grundlegendere ansehen soll. In beiden Fällen bleiben zunächst Fragen offen. Wenn man bei der semantischen Analyse vor allem den Redebericht vor Augen hat und dem Konjunktiv entsprechend eine reportative Bedeutung zuschreibt, dann hat man ein Problem mit Beispielen von der Art in (6) bei denen man keine Rede voraussetzen kann. (6)
a. b.
Im Stillen dachte sie bei sich, dass es ein Fehler sei, jetzt aufzugeben. Er glaubt wohl, nun sei alles in Ordnung.
Fängt man dagegen mit Gedankenberichten an, dann bleibt zu erklären, wieso sich für gewöhnlich das Gefühl eines Redeberichts einstellt. Ich werde bei den Überlegungen im zweiten Teil dieser Arbeit mit glauben beginnen. Dass das der richtige Ausgangspunkt unter einer synchronen semantischen Perspektive ist, wird sich im Gesamtkontext meiner Argumentation zeigen.
6.2 Verwendungsbedingung und Sprechperspektive 6.2.1 Die Verwendungsbedingung nach Schlenker (2003) Erinnern wir uns zunächst noch einmal an die Verwendungsbedingung für den Konjunktiv I unter glauben nach Schlenker (2003, 87): (7)
„The Konjunktiv I cannot be used in the 1st person present singular of ‘believe’.“
Er illustriert das mit dem bereits bekannten Beispielen aus Kapitel 5: (8)
a. #Ich glaube, dass Maria krank sei. b. Ich glaubte, dass Maria krank sei. c. Peter glaubt, dass Maria krank sei. d. Peter glaubte, dass Maria krank sei.
Schlenker formuliert das Kriterium zwar informell über die Form des Verbs. In seiner Semantik spielt aber nicht die Form der 1. Person Singular Präsens, sondern der Bezug auf die aktuell sprechende Person im Äußerungskontext die entscheidende Rolle. Wie unter anderem von Lohnstein (2000) und Fabricius-Hansen und
130 | 6 Vorüberlegungen
Sæbø (2004) beobachtet (wenn auch mit Bezug auf Sprechaktverben und nicht mit Bezug auf glauben), ist eine Verwendung des Konjunktivs unter einem Einstellungsverb in der 1. Person Singular Präsens möglich, wenn es sich um ein historisches Präsens oder ein Präsens mit Zukunftsbezug handelt. (9)
a. b.
Ich behaupte einfach, dass ich der Fahrer dieses Wagens sei. Lohnstein (2000, 102) Ich lüge in Bezug auf meine Haarfarbe und behaupte meine Augen seien blau. Fabricius-Hansen und Sæbø (2004, 240)
Generell scheint zu gelten, dass wenn sich der Bezug der Einstellung vom Äußerungskontext löst, d.h. wenn von einer anderen Person (8-c), einer anderen Zeit (8-b) bzw. einer möglichen oder hypothetischen Situation (10) die Rede ist, dann ist es grundsätzlich möglich, den Konjunktiv zu verwenden. (10)
Wenn ich glauben würde, dass Maria krank sei, dann wäre ich viel besorgter.
Schlenker (2005) formuliert ebenfalls eine Verwendungsbedingung für den Konjunktiv I, die den Punkt besser trifft: (11)
„This suggests that the Konjunktiv I is – despite its name – an indicative, though with the special requirement that the Context Set it refers to should not be that of the actual speaker at the time and in the world of his utterance [kursiv: FS].“ Schlenker (2005, 307)
Zwar gibt Schlenker (2005) keine detaillierte formale Analyse des Indirektheitskonjunktivs. Die Formulierung in (11) gibt aber auch keinen Anlass, anzunehmen, dass er seine Theorie aus Schlenker (2003) revidiert hätte.
6.2.2 Einige Konzepte und terminologische Festsetzungen Um im Weiteren eine kurze und genaue Bezeichnungsweise zu haben, möchte ich an dieser Stelle bereits einige formale Konzepte einführen und einige terminologische Festsetzungen treffen. Die Grundannahmen lassen sich an dem einfachen Subjekt-Prädikat-Satz in (12) illustrieren. (12)
Maria ist krank.
6.2 Verwendungsbedingung und Sprechperspektive |
131
Die Denotation von Ausdrücken wird relativ zu einem Modell M, einem Kontextparameter c und einer Variablenbelegung g angegeben.² Ich nehme an, dass durch den Kontextparameter c die sprechende Person (= ca ) und die Äußerungswelt (= cw ) (neben möglichen anderen kontextabhängigen Parametern wie z.B. dem Äußerungszeitpunkt (= ct )) gegeben sind, vgl. Kaplan (1989). Die Denotation eines intransitiven Prädikats wie krank ist vor diesem Hintergrund eine Funktion, die nacheinander ein Individuen- und ein Welt-Argument nimmt und sie auf einen Wahrheitswert abbildet. (13)
JkrankKc,g = λx. λw. x ist krank in w
Ich nehme an, dass die Weltargumente in der Syntax durch Weltpronomen w i repräsentiert werden (wobei i ein numerischer Index ist) und dass sie als externe Argumente konstruiert werden, vgl. von Stechow (2004). Die logische Form sieht entsprechend aus wie in (14). Ausdrücke, die semantisch leer sind, d.h. die nach Heim und Kratzer (1998) als reine Identitätsfunktionen interpretiert werden und deren semantischer Typ die Form hσ, σi hat, schreibe ich in der logischen Form kursiv oder lasse sie weg. Ausdrücke der Objektsprache, die eine semantische Interpretation bekommen, notiere ich fett gedruckt. (14)
[ w1 [ Maria [ krank ist ]]]
Die Semantik des Verbmodus stelle ich für den Moment zurück. Pronomen wie w1 werden über die Variablenbelegung interpretiert. Die Art des Variablennamens – ‘w’ für Welten, ‘x’ für Individuen usw. – steht für eine semantische Wohlgeformtheitsbedingung, die fordert, dass der semantische Wert, den uns die Variablenbelegung g für den Index gibt, vom einem entsprechenden semantischen Typen ist. Als semantische Grundtypen nehme ich die Typen e (für Indivduen), s (für mögliche Welten) und t (für Wahrheitswerte) an. Die entsprechenden Denotationsbereiche sind D e (eine Menge von Individuen), D s (eine Menge von möglichen Welten) und D t (die Menge der Wahrheitswerte {0, 1}). Der Buchstabe „w“ im Weltpronomen „w1 “ markiert, dass ein möglicher Referent des Pronomens im Denotationsbereich D s liegen muss. Dementsprechend gilt: (15)
Jw1 Kc,g = g(1), definiert nur falls g(1) ∈ D s .
2 Den Bezug auf das Modell M lasse ich implizit: JαKc,g steht also kurz für JαKM,c,g . 2 Das ich in der konkreten Notation wie oft überlich nicht an die Interpretationsklammern schreibe.
132 | 6 Vorüberlegungen
Die verschiedenen Arten von Pronomen verlangen demnach, dass der semantische Typ des Referenten dem semantischen Typ des Pronomens entspricht.³, ⁴ Alles zusammengenommen bekommen wir für (14) die Bedeutung in (16):⁵ (16)
J(14)Kc,g = 1 gdw. [λx e . λw s . x ist krank in w](Maria)(g(1))
= 1 gdw. Maria ist krank in g(1))
Freie Welt-Pronomen werden bei der Interpretation im Matrixsatz in der Regel mit der Äußerungswelt cw identifiziert.⁶ Nach der Identifikation von g(1) mit cw bekommen wir für (14): (17)
J(14)Kc,g = 1 gdw. Maria ist krank in cw
Für Einstellungsverben wie glauben nehme ich eine Semantik im Sinne von Hintikka (1969) an, ähnlich wie die im ersten Teil dieser Arbeit vorgestellten formalen Theorien auch. Nach Hintikka quantifiziert ein Einstellungsverb wie glauben über mögliche Welten. Konkret bedeutet ‘α glaubt, dass φ’ nach Hintikka, dass alle Welten, die mit dem Glauben von α verträglich sind, Welten sind, in denen φ wahr ist. Welten, die mit dem Glauben von α verträglich sind, sind solche die nach allem, was α von der Welt glaubt, von ihr ununterscheidbar sind, d.h. mögliche Kandidaten oder Alternativen für diese Welt. Deshalb auch die Rede von „doxastischen Alternativen“. Neben einem Individuum und einem Weltargument nimmt glauben außerdem eine Proposition – eine Funktion von möglichen Welten in Wahrheitswerte (vom semantischen Typ hs, ti) – als Argument: (18)
JglaubtKc,g = λphs,ti . λx. λw. ∀w′ : w′ ist kompatibel mit dem, was x in w
glaubt → p(w′ )
Unter Verwendung der Mittel der Mengentheorie und ausgehend von den Definitionen in (19) lässt sich das wie in (20) abkürzen:⁷
3 Vgl. die Repräsentation der Beschränkung auf Definitionsbereiche über Präsuppositionen in Heim und Kratzer (1998). 4 Alternativ könnten wir Pronomen auch wie von Fintel und Heim (2009) als Paare aus Indizes und semantischen Typen aufschreiben. „x i “, „w j “ wären dann Abkürzungen für hi, ei und hj, si respektive. Entsprechend auch für andere Pronomentypen. 5 Ich verzichte hier und im der weiteren Diskussion auf eine explizite Angabe der Definitionsbereiche der Variablen. 6 Alternativ kann man annehmen, dass ein Indikativ im Matrixsatz mögliche semantische Werte für das Weltpronomen auf die Äußerungswelt cw beschränkt. 7 Ausdrücke der Metasprache, die Propositionen denotieren, stehen je nach Kontext entweder für die entsprechenden Propositionen oder die Mengen, deren charakteristische Funktionen sie sind.
6.2 Verwendungsbedingung und Sprechperspektive |
(19)
dox(x)(w) =def {w′ : w′ ist kompatibel mit dem, was x in w glaubt}
(20)
JglaubtKc,g = λp. λx. λw. dox (x)(w) ⊆ p
133
Eine logische Form für den Satz in (21-a) sieht aus wie in (21-b), wobei λw2 ein Abstraktionsindex ist, vgl. Heim und Kratzer (1998). (21)
a. b.
Peter glaubt, dass Maria krank ist. [ w1 [ Peter [ glaubt [ λw2 [ w2 [ Maria krank ]]]]]]
Als Bedeutung für (21-b) bekommen wir: (22)
J(21-b)Kc,g =1 gdw. dox(Peter)(g(1)) ⊆ λw. Maria ist krank in w
Und nach der Identifikation von g(1) mit cw : (23)
J(21-b)Kc,g =1 gdw. dox(Peter)(cw ) ⊆ λw. Maria ist krank in w
Abschließend noch eine weitere terminologische Festlegung: Ich folge Zimmermann (2012) und nenne die Menge der doxastischen Alternativen Dox(x)(w) eines Individuums x in einer Welt w auch die „doxastische Perspektive“ von x in w.
6.2.3 Reformulierung als perspektivische Verwendungsbedingung Nach diesem kurzen Exkurs kommen wir zurück zur Verwendungsbedingung. Die Einführung der notationellen Konventionen erlaubt es nun, die Verwendungsbedingung nach Schlenker (2003) im Rahmen einer Hintikka-Semantik für glauben und ausgehend von dem Perspektivenbegriff in Zimmermann (2012) folgendermaßen zu reformulieren:⁸ (24)
Perspektivische Verwendungsbedingung für den Indirektheitskonjunktiv Der Indirektheitskonjunktiv kann nicht unter glauben vewendet werden, wenn die doxastische Perspektive der Einstellung eine Teilmenge der doxastischen Perspektive der aktuell sprechenden Person im Äußerungskontext ist.
8 Zur Erinnerung: In der Diskussion von Schlenker (2003) hatten wir bereits gesehen, dass Schlenker die Kontextmenge („context set“) im Äußerungskontext mit der Menge der doxastischen Alternativen der aktuell sprechenden Person identifiziert.
134 | 6 Vorüberlegungen
Die Formulierung in (24) deckt auch den Fall der Identität mit der doxastischen Sprechperspektiven ab. Eine klare Vorhersage dieses Vorschlags ist es, dass der Konjunktiv nicht von mir zum Bericht des Glaubens einer anderen Person verwendet werden kann, wenn ich denke, dass die andere Person dasselbe glaubt wie ich. Einwenden möchte ich dagegen, dass die geglaubte Übereinstimmung der Überzeugungen nicht grundsätzlich den Konjunktiv auszuschließen scheint. Die klarsten Fälle sind solche, bei denen wir aus rhetorischen oder argumentativen Gründen uns explizit hinter die Überzeugungen einer anderen Person oder unsere eigenen früheren Überzeugungen stellen. Das Beispiel in (25) ist aus einer Internetquelle; das Beispiel in (26) habe ich konstruiert.⁹ (25)
Wir glauben dasselbe wie Paulus. Er sagte auch, dass es mehrere Götter gäbe, aber nur einen Herren, Jesus Christus. Das glauben wir auch.
(26)
Damals glaubte ich schon, dass das ein Fehler sei. Und an meiner Haltung hat sich seitdem nichts geändert. Tatsächlich denke ich in allen Punkten genau wie früher.
Zunächst einmal ist festzustellen, dass der IndK in diesen Beispielen grundsätzlich verwendet werden kann. Der rhetorische Punkt dieser Beispiele ist es gerade, eine Kontinuität bzw. eine Übereinstimmung der Überzeugungen zu unterstreichen. Wenn der Konjunktiv die Verwendungsbedingung hätte, die Schlenker vorschlägt, dann wäre es zumindest aus rhetorischer Sicht fragwürdig, dass der Konjunktiv hier verwendet wird. Die Verwendung des Konjunktivs sollte in diesen Fällen um so dringlicher die von Schlenker angenommene Verwendungsbedingung als Nebenbedeutung ins Spiel bringen, nämlich dass es bei aller Übereinstimmung auch Unterschiede in den Überzeugungen gibt. Eine solche Nebenbedeutung sehe ich für die Beispiele aber nicht. Vielmehr scheint für die Entscheidung darüber, ob man den Konjunktiv verwenden soll oder nicht, die Frage, wieviel Übereinstimmung es zwischen meinen Überzeugungen und den Überzeugungen der anderen Person gibt, überhaupt keine Rolle zu spielen. Dasselbe kann gezeigt werden mit Beispielen, bei denen man diesen Punkt in einem kontrafaktischen Argument explizit macht: (27)
Nehmen wir an, du würdest in allen Punkten genau so denken wie ich. Dann würdest du auch denken, dass das ein Fehler sei – oder etwa nicht?
9 Vgl. dazu die Diskussion im Kapitel 5.
6.2 Verwendungsbedingung und Sprechperspektive |
135
6.2.4 Eine alternative, referentielle Verwendungsbedingung Die deskriptive Formulierung in (11) nach Schlenker (2005) könnte man aber auch im Sinne einer fein-körnigeren Verwendungsbedingung verstehen. Zum Zweck der Illustration möchte ich einen weiteren Begriff einführen: den des Ankers der Perspektive. Einstellungsverben drücken unter einer semantischen Perspektive eine relative Modalität¹⁰ aus. Ein Verb wie glauben quantifiziert über eine Menge von doxastischen Alternativen, die (im vereinfachten Fall) relativ zu einem Individuum und einer Welt bestimmt werden. Das relevante Individuum und die Welt sind durch die Denotation der externen Argumente des Einstellungsverbs gegeben. Für den Beispielsatz in (21-a) sind das Peter und die Äußerungswelt cw . Ich will ein Paar aus einem Individuum und einer Welt, relativ zu dem sich die doxastischen Alternativen einer Einstellung bestimmen, auch den „Anker der Einstellung“ nennen. In der formalen Repräsentation tauchen die Koordinaten des Ankers der Einstellung auch als die Argumente der Funktion dox auf; für das Beispiel in (21-a): dox(Peter)(cw ). dox ist also eine Funktion, die uns – in dieser Terminologie – relativ zum Anker der Einstellung die Perspektive der Einstellung gibt. Unter Bezug auf diesen Zusammenhang möchte ich die Terminologie von Einstellungen auf Perspektiven übertragen und bei den entsprechenden Paaren auch vom „Anker der Perspektive (der Einstellung)“ sprechen.¹¹ Ausgehend davon lässt sich eine alternative Verwendungsbedingung formulieren, die ich mit Blick auf die Formulierung in Schlenker (2005) („the Context Set it refers to should not be that of the actual speaker at the time and in the world of his utterance“ (kursiv: FS)) „referentielle“ Verwendungsbedingung nennen möchte. (28)
Referentielle Verwendungsbedingung für den Indirektheitskonjunktiv Der Indirektheitskonjunktiv kann nicht unter glauben vewendet werden, wenn der Anker der Perspektive der Einstellung die aktuell sprechende Person in der Welt des Äußerungskontexts ist.
10 Vgl. dazu Lewis (1968); aber auch die einschränkenden Bemerkungen im Postskriptum 2 zu Lewis (1968). 11 Die Bezeichnung „Verankerung“ (‘anchoring’) spielt in ähnlicher Weise auch eine Rolle in der Semantik des Subjunctive in den romanischen Sprachen bei Farkas (1992) und in der Folge bei Giannakidou (1999, 2009) und Quer (1998).
136 | 6 Vorüberlegungen
6.2.5 Ein Vergleich der Verwendungsbedingungen Sowohl die perspektivische Verwendungsbedingung in (24) als auch die referentielle Verwendungsbedingung in (28) erklären, warum der IndK in (8) nicht verwendet werden kann, wenn sich die sprechende Person auf den eigenen Glauben im Äußerungskontext bezieht. Ein Unterschied findet sich in Fällen, wo die sprechende Person über die Überzeugungen einer anderen Person oder eine früheren Version des Ichs spricht und die Überzeugungen mit den eigenen Überzeugungen im Äußerungskontext zusammenfallen. Nach der perspektivischen Verwendungsbedingung (d.h. nach Schlenker (2003)) kann der Konjunktiv dann nicht verwendet werden; nach der referentiellen Verwendungsbedingung schon. Schauen wir uns dazu ein Beispiel an: (29)
a. b.
Ich glaube, dass Maria krank ist. Peter glaubt, dass Maria krank ist.
Nehmen wir an, wir würden die Beispielsätze in (29) in einem Kontext c auswerten, in dem gilt: (30)
dox(Peter)(cw ) = dox(ca )(cw )
Im Kontext c gilt also unter anderem: dox(Peter)(cw ) ⊆ dox(ca )(cw ). Dementsprechend müsste nach der perspektivischen Verwendungsbedingung, d.h. nach Schlenker (2003), in beiden Fällen der Indikativ verwendet werden. Der IndK ist ausgeschlossen.¹² (31)
a. b.
#(pers) Ich glaube, dass Maria krank sei. #(pers) Peter glaubt, dass Maria krank sei.
Nach der referentiellen Verwendungsbedingung dagegen ist zwar die Verwendung des IndKs in der 1. Person ausgeschlossen. Mit Bezug auf Peter könnte er aber grundsätzlich verwendet werden. (32)
a. b.
#(ref) Ich glaube, dass Maria krank sei. X(ref) Peter glaubt, dass Maria krank sei.
Dass der IndK in der 3. Person grundsätzlich verwendet werden kann, legt Schlenker selbst durch sein Paradigma in (8) nahe.
12 Das Subskript „(pers)“ in (31) markiert, dass es sich um die Vorhersage nach der „perspektivischen Verwendungsbedingung“ handelt; das Subskript „(ref)“ in (32) markiert, dass es sich um die Vorhersage nach der „referentiellen Verwendungsbedingung“ handelt.
6.2 Verwendungsbedingung und Sprechperspektive |
137
Den Kontrast zwischen der perspektivischen und der referentiellen Verwendungsbedingung fasse ich in der folgenden Tabelle zusammen. Anker
hx, wi = hca , cw i
Relation zwischen den Perspektiven Schlenker (2003) referentielle VWB
× ×
hx, wi 6 = hca , cw i dox(x)(w) ⊆ dox(ca )(ca )
dox(x)(w) * dox(ca )(ca )
× X
X X
Zur Erklärung der Tabelle: Die Hauptfallunterscheidung ist die, ob der Anker der Einstellung hx, wi identisch oder verschieden ist von dem Paar aus sprechender Person und Äußerungswelt hca , cw i. Für den Fall, dass sie zusammenfallen, ist auch die Perspektive dox(x)(w) identisch mit der Sprechperspektive dox(ca )(ca ). Wenn sie nicht zusammenfallen, dann kann noch einmal unterschieden werden, ob dox(x)(w) eine Teilmenge von dox(ca )(ca ) ist oder nicht. Zusammenfassend: Die perspektivische Verwendungsbedingung schließt alle Fälle aus, die die referentielle Verwendungsbedingung auch ausschließt, aber darüber hinaus noch weitere. Die oben angeführten Beispiele sprechen für die fein-körnigere, referentielle Verwendungsbedingung.
6.2.6 Konsequenzen für die Verortung der Interpretation Es könnte sein, dass die perspektivische Verwendungsbedingung in Schlenker (2003) das Artefakt einer Prämisse ist, die Schlenker an den Anfang seiner Überlegungen stellt: die Prämisse, dass der Konjunktiv ein Merkmal an einem Weltpronomen ist. Nehmen wir einmal an, Schlenker hätte bereits in Schlenker (2003), so wie es in Schlenker (2005) anklingt, an diese fein-körnigere, referentielle Verwendungsbedingung gedacht. Dann wäre es ihm dennoch aus grundsätzlichen Gründen nicht möglich gewesen, sich weiter an die referentielle Verwendungsbedingung anzunähern als mit der perspektivischen Verwendungsbedingung, die wir in Schlenker (2003) finden. Ich will das kurz erklären: Wenn der Konjunktiv ein Merkmal an einem Weltpronomen ist, das im Komplement zu einer Einstellung steht, dann kann eine Verwendungsbedingung über dieses Weltpronomen – wie auch immer sie aussehen mag – im besten Fall eine Verwendungsbedingung über mögliche Perspektiven (verstanden als Mengen von doxastischen Alternativen) mit sich bringen. Aus den Mengen von doxastischen Alternativen lässt sich aber nicht ablesen, was der Anker der Perspektive ist. Anders gesagt: Die Relation Anker-Perspektive ist zwar in allen Modellen eine Funktion (da dox eine Funk-
138 | 6 Vorüberlegungen
tion ist, die einen Anker auf eine Perspektive abbildet); aber nicht die Relation Perspektive-Anker. Eine Konsequenz, die diese Überlegung mit sich bringt, ist, dass, wenn man eine referentielle Verwendungsbedingung für den IndK formulieren möchte, dann kann die relevante Verwendungsbedingung nicht über ein Weltpronomen im eingebetteten Satz formuliert werden, sondern der Ort der semantischen Interpretation des Konjunktivs muss ein Ort sein, wo auf den Anker der Einstellung zugegriffen werden kann. Als ein solcher Ort kommt aber nur ein Ort in unmittelbarer Adjazenz zum Einstellungsverb selbst in Frage, wenn man nicht noch weitere koverte Variablen für Anker oder ihre Koordinaten in die Syntax einführen möchte. D.h. konkret: Entweder muss der IndK als Schwester der Einstellung selbst oder als Schwester des Komplementsatzes bzw. seines Komplementierers interpretiert werden. Im nächsten Abschnitt werde ich noch einen zwingenderen Grund anführen, der uns zu genau demselben Schluss gelangen lässt.
6.3 Zum Ort der Interpretation Alle im zweiten Teil dieser Arbeit besprochenen Vorschläge (Lohnstein (2000), Schlenker (2003), Fabricius-Hansen und Sæbø (2004), Potts (2005)) nehmen an, dass der Ort der semantischen Interpretation des IndKs der lokale Satz ist, in dem der Konjunktiv (zum ersten Mal, vgl. Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) zu „zero mood“) an der Oberfläche erscheint. In diesem Abschnitt will ich einige Beispiele diskutieren, die zeigen, dass diese Annahme, die sich in allen bisherigen Theorien findet, systematisch zu falschen Vorhersagen führt. Ausgangsbeobachtung sind dabei die folgenden Sätze, bei denen der Konjunktiv nicht im unmittelbaren Komplementsatz vorkommt, da es sich um einen Infinitivsatz handelt, sondern erst in einem tiefer eingebetteten finiten Satz, der selbst wieder ein Argument eines Prädikats ist (33-a)-(33-b) oder als restriktiver Relativ- bzw. Adverbialsatz auftritt (33-c)-(33-d): (33)
a. b. c. d.
Peter glaubt/behauptet, zu wissen, dass Maria krank sei. Peter glaubt/behauptet, schuld daran zu sein, dass Maria krank sei. Peter glaubt/behauptet, ein Problem gefunden zu haben, das unlösbar sei. Peter glaubt/behauptet, nur nicht eingelanden worden zu sein, weil er krank sei.
6.3 Zum Ort der Interpretation |
139
Was die Daten umso brisanter macht, ist, dass der IndK lokal nicht lizensiert ist, wie man an den folgenden Beispielen sehen kann, bei denen der Konjunktiv nicht im Skopus eines Einstellungsverbs auftritt. (34)
a. b. c. d.
#Peter weiß, dass Maria krank sei. #Peter ist schuld daran, dass Maria krank sei. #Peter hat ein Problem gefunden, das unlösbar sei. #Peter wurde nur nicht eingeladen, weil er krank sei.
Was sind die Vorhersagen der formalen Theorien für diese Fälle? Wir können die Vorschläge in zwei Gruppen einteilen: solche, die die Verwendungsbedingung des Konjunktivs über die Proposition des konjunktivisch markierten Satzes formulieren und solche, die die Verwendungsbedingung über das Weltpronomen im konjunktivisch markierten Satz formulieren. In die erste Gruppe gehören die Vorschläge von Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) und Potts (2005). In beiden Fällen ist es plausibel, anzunehmen, dass die intendierte Verwendungsbedingung dieser Theorien sich für (33) auf den gesamten Komplementsatz von glauben/sagen erstreckt und nicht bloß auf den konjunktivisch markierten lokalen Satz. Das heißt konkret: Für (33-a) scheint mir die nach Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) plausiblerweise intendierte reportative Präsupposition zu sein: ‘jemand äußert, dass er weiß, dass Maria krank ist’ und nicht: ‘jemand äußert, dass Maria krank ist’; für (33-b): ‘jemand äußert, dass er schuld daran ist, dass Maria krank ist’ und nicht: ‘jemand äußert, dass Maria krank ist’; usw. Ähnlich für Potts (2005): für (33-a) scheint mir die nach Potts (2005) plausiblerweise intendierte konventionelle Implikatur zu sein: ‘es ist möglich, dass Peter nicht weiß, dass Maria krank ist’ und nicht: ‘es ist möglich, dass Maria nicht krank ist’; für (33-b): ‘es ist möglich, dass Peter nicht schuld daran ist, dass Maria krank ist’ und nicht: ‘es ist möglich, dass Maria nicht krank ist’; usw. Wenn dem nicht so wäre, ließen sich leicht Gegenbeispiele gegen die Vorschläge konstruieren, die nicht schon durch die Kritik im zweiten Teil dieser Arbeit abgedeckt sind. Am Beispiel von Potts (2005): Gehen wir von dem Kontrast zwischen den Sätzen in (35) aus und der Annahme, dass der Satz in (35-b) schlecht wird, durch den Konjunktiv im eingebetteten finiten Satz. (35)
Peter denkt, ausschließen zu können, dass sich ein Fehler eingeschlichen habe. b. #Ich denke, ausschließen zu können, dass sich ein Fehler eingeschlichen habe. a.
Eine Erklärung dafür, dass der IndK in (35-b) nicht verwendet werden kann, im Sinne von Potts (2005) lässt sich in Analogie zu seinen anderen Beispielen geben, wenn wir annehmen, dass sich die konventionelle Implikatur auf den ge-
140 | 6 Vorüberlegungen
samten Komplementsatz bezieht, wie in der Paraphrase in (36-a). Hier ergibt sich ein Widerspruch, vgl. die Diskussion im Kapitel 3. Nehmen wir dagegen an, dass die konventionelle Implikatur sich lediglich auf die Proposition im konjunktivisch markierten Satz bezieht, wie in der Paraphrase in (36-b), dann steht die konventionelle Implikatur nicht im Widerspruch zum ausgedrückten Gehalt des Satzes. Sie ist sogar gut damit verträglich. (36)
a. b.
‘Es ist möglich, dass ich nicht ausschließen kann, dass sich ein Fehler eingeschlichen hat.’ ‘Es ist möglich, dass es nicht so ist, dass sich ein Fehler eingeschlichen hat.’
Es gäbe also keine unmittelbare Erklärung dafür, warum der Konjunktiv nicht verwendet werden kann. Analoge Problemfälle lassen sich auch für die reportative Präsupposition in Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) konstruieren. Für die Vorschläge, die die Verwendungsbedingung über das Weltpronomen im konjunktivisch markierten Satz formulieren, ergeben sich ähnliche Probleme. Nehmen wir als Beispiel den folgenden Satz:¹³ (38)
Peter behauptet, Maria möglicherweise dazu überreden zu können, dass sie noch zur Party komme.
Wenn wir z.B. an die Verwendungsbedingung für den IndK nach Schlenker (2003) denken, dann scheint diese Verwendungsbedingung nur Sinn zu machen für den gesamten Komplementsatz. Würde die Verwendungsbedingung sich auf das lokale Weltpronomen im konjunktivisch markierten Satz beziehen, dann müsste man, um zur Verwendungsbedingung für den Konjunktiv zu gelangen, die Präsupposition für den Indikativ lokal im Skopus von drei modalen Operatoren berechnen. Ich denke, dass diese Überlegungen – zusammen mit den Überlegungen aus dem vorausgehenden Kapitel – klar zeigen: Wenn man eine Verwendungsbedingung für den Konjunktiv annimmt, die sich auf die lokale einbettende Einstellung bezieht, so wie alle hier diskutierten Vorschläge das tun, dann gibt es Fälle, in denen der Ort der semantischen Interpretation des IndKs nicht der lokale finite Satz ist, in dem der Konjunktiv zum ersten Mal an der Oberfläche erscheint. Diese Einsicht ist ein entscheidendes Argument für die Klassifikation des IndKs als einstel-
13 Auch für dieses Beispiel gilt: Außerhalb des Skopus der Einstellung ist der IndK nicht lizensiert. (37)
#Peter kann Maria möglicherweise dazu überreden, dass sie noch zur Party komme.
6.4 Verwendungsbedingung und Performativität |
141
lungsbezogenes Phänomen. Die Details einer Implementierung dieser Einsicht im Rahmen einer formalen Theorie des IndKs werde ich ab Abschnitt 7 diskutieren.
6.4 Verwendungsbedingung und Performativität 6.4.1 Sprechaktverben und Anti-Performativität In diesem Abschnitt möchte ich auf die Verwendungsbedingung für den IndK zurückkommen. Ich werde dafür argumentieren, dass die fein-körnigere referentielle Verwendungsbedingung immer noch nicht fein-körnig genug ist und dass es einer noch fein-körnigeren Verwendungsbedingung bedarf, die sensitiv ist für die Intentionen, mit denen die aktuell sprechende Person das Einstellungsverb verwendet, auf das sich der IndK bezieht. Wir werden sehen, dass uns die Frage nach der Bedeutung des IndKs damit in den Grenzbereich dessen bringt, was sich noch mit den Mitteln der formalen Semantik modellieren lässt. Der Ausgangspunkt ist eine Bemerkung in Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) mit Bezug auf das Beispiel in (39). (39) #Ich behaupte, dass ich unschuldig sei. Fabricius-Hansen und Sæbø (2004, 240) schreiben dazu: We believe the reason for the infelicity of the RS to be that the sentence is used performatively, so that the proposition that I make that claim is not added to the common ground. The presupposition [x|∆(ˆK)(x)] must be verified through the assertion, not the performance, of a claim; for the purposes of justification, what the superordinate sentence adds to the context is not that I plead innocent but that I am innocent. In other words: What a performatively used sentence “I claim that I am innocent” adds is not claim(that I am innocent)(I) but just I am innocent.
Ich verstehe diese Stelle so, dass nach Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) bei einer performativen Äußerung von (39) nicht die Wahrheitsbedingungen des Gesamtsatzes den Gehalt des kontextuellen Updates bestimmen, sondern nur die ausgedrückte Komplementproposition. Das einbettende Einstellungsverb in der ersten Person scheint – ganz ähnlich wie Searle (1969) das annimmt – lediglich als illokutionärer Indikator („illocutionary indicating device“) zu fungieren. Wie genau es zur Reinterpretation der Wahrheitsbedingungen kommt und was die Mechanismen dahinter sind, dazu sagen Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) weiter nichts. Auch wenn dadurch einige theoretische Fragen offen bleiben, scheint mir die Intuition hinter ihrer Beschreibung richtig zu sein, dass nämlich die Ausschlussbedingung für den IndK weder an die Form, noch an die Verankerung der
142 | 6 Vorüberlegungen
Einstellung am Äußerungskontext geknüpft sind, sondern vielmehr an die Frage, ob von dem Verb, auf dass sich der Konjunktiv bezieht, ein performativer oder ein assertiver Gebrauch gemacht wird. Ich denke sogar, dass sich für die Teilklasse der IndK lizensierenden Verben, die gleichzeitig Sprechaktverben sind – behaupten, fragen, versprechen usw. – die Ausschlussbedingung für den IndK präzise machen lässt mit Bezug auf den performativen Gebrauch der entsprechenden Einstellungsverben: (40)
Anti-performative VWB für den IndK unter Sprechaktverben Der IndK kann nur verwendet werden mit Bezug auf ein Einstellungsverb, das nicht performativ verwendet wird.
Das sagt richtig vorher, dass der IndK unter einem Sprechaktverb nie zusammen mit dem Performativmarker hiermit auftreten kann. Kämen beim IndK nur Sprechaktverben in Betracht, könnte man es sich sogar so denken, dass der IndK als Markierer von Indirektheit eine Art „anti-performatives“ hiermit im Bereich des Modus ist, das auch im gleichen Sinne optional ist wie hiermit. Ich hatte oben bereits angesprochen, dass es sich dabei um eine noch feinkörnigere Verwendungsbedingung handelt als die referentielle. „Noch fein-körniger“ bedeutet hier nicht, dass eine weitere Unterscheidung in derselben Dimension, d.h. auf der Ebene der Referenz, getroffen werden muss, sondern, dass eine weitere Bedeutungsdimension ins Spiel kommt. Das hat damit zu tun, dass die Verankerung der Sprechakteinstellung am Äußerungskontext nicht schon für sich genommen eine hinreichende Bedingung für eine performative Verwendungsweise ist. Ein klassische Formulierung dieses Punktes findet sich in Searle (1989, 552): Such sentences [„I order you ...“, „Thats an order.“; FS] can be used either just to make assertions or as performatives, without being ambiguous. The sentence uttered as an assertion and uttered as a performative mean exactly the same thing. Nonetheless, when they are uttered as performatives the speaker’s intention is different from when uttered as assertives. Performative speaker meaning includes sentence meaning but goes beyond it. In the case of the performative utterance, the intention is that the utterance should constitute the performance of the act named by the verb.
Nach Searle haben wir in beiden Fällen dieselben Wahrheitsbedingungen und damit auch dieselbe Referenz. Was den Unterschied ausmacht, die Verwendungsintention, liegt außerhalb des Bereichs der referentiellen Semantik. Mit Blick auf die Formkriterien kommt Eckardt (2012) zu demselben Schluss: Explicit performatives typically share a number of linguistic features. The subject is in the first person, they are in the present tense, they contain a performative verb as well as ‘hereby’ in the matrix clause. (3) shows such a typical exemplar.
6.4 Verwendungsbedingung und Performativität |
(41)
I (hereby) promise to bring beer.
143
[Eckardt (2012, (3))]
However, none of these indicators is a necessary and sufficient criterion to reinforce a performative utterance. The following sentences can be used in a performative sense even though they fail to show one or more of the typical linguistic indicators. Performative utterances can have third person subjects, have verbs in the future tense or fail to show hereby. (42)
Mr. Jones hereby withdraws from all activities in connection with the planned soul festival. [(4)]
(43)
King Karl hereby promises you a cow.
[(5)]
(44)
All your credit card debts will hereby be forgiven.
[(6)]
(45)
King Karl promises you a cow.
[(7)]
The list echoes a similar set of examples in Searle (1989, 536ff) which he offers to illustrate the same point.“ Eckardt (2012, 24f.)
Nach einer Reihe von weiteren Beispielen, die diesen Punkt illustrieren, fasst sie zusammen: All examples taken together confirm that there are no simple linguistic signals, features or feature bundles that characterize performative utterances. Eventually, comprehension of the literal content of a sentence is mandatory to decide whether that sentence, under suitable circumstances, can be used in a performative sense. Eckardt (2012, 26)
Die Textstelle aus Eckardt (2012) führe ich vor allem deshalb an, da Eckardt mit den 3. Person Performativen in (42) und (43) eine weitere Klasse von Fällen ins Spiel bringt, die für die Diskussion der Verwendungsbedingung des IndKs interessant sind. Interessant an diesen Beispielen ist, dass sich auf den ersten Blick die Subjekte der Sprechaktverben ganz offensichtlich nicht auf die im Äußerungskontext sprechende Person beziehen – zumindest nicht der Wortbedeutung nach. Nach der Analyse von Eckardt (2012) ist es sogar so, dass in diesen Fällen die sprechende Person und die Person, die den performativen Sprechakt vollzieht, dissoziiert werden müssen: „if someone makes a promise on behalf of someone else, the speaker of the utterance and agent of the promise are different“ Eckardt (2012, 32). Alternativ könnte man sich auch eine Analyse vorstellen, bei der auf einer übertragenen Ebene die sprechende und die handelnde Person identifiziert werden.¹⁴ Die neue Beobachtung, die ich hier anführen möchte, ist, dass auch bei 3. Person Performativen mit Spreachaktverben, die den IndK grundsätzlich
14 Für die Diskussion des IndKs werde ich das vereinfachend annehmen.
144 | 6 Vorüberlegungen
lizensieren, der Konjunktiv ausgeschlossen ist. In (46-a) führe ich zunächst ein Beispiel für eine performative Äußerung in der 3. Person an. Eine Konjunktivform im Komplementsatz wie in (46-b) ist bei einer performativen Verwendungsweise völlig ausgeschlossen. Dass das Verb versprechen grundsätzlich den Konjunktiv erlaubt, zeigt (46-c). (46)
PAT-Automobile verspricht Ihnen hiermit, dass bei diesen Fahrzeugen die Rückrufaktion kostenneutral durch einen autorisierten VolkswagenHändler durchgeführt werden kann. b. #PAT-Automobile verspricht Ihnen hiermit, dass bei diesen Fahrzeugen die Rückrufaktion kostenneutral durch einen autorisierten VolkswagenHändler durchgeführt werden könne. c. PAT-Automobile verspricht den Kunden, dass bei diesen Fahrzeugen die Rückrufaktion kostenneutral durch einen autorisierten VolkswagenHändler durchgeführt werden könne. a.
Wenn eine Analyse im Sinne von Eckardt (2012), die die sprechende Person von der handelnden Person dissoziiert, auch mit Bezug auf (46-b) die richtige ist, dann würde das klar zeigen, dass eine Verankerung der Einstellung an der aktuell sprechenden Person nicht einmal eine notwendige Bedingung ist für einen grundsätzlichen Ausschluss des IndKs. Eine weitere Art von Beispiel, die zeigt, dass die Verwendungsbedingung sensitiv ist für den performativen Akt und nicht für die referentielle Verankerung, sind Fälle von performativem Hedging wie in (47). (47)
a. b.
Ich bedauere, Ihnen hiermit mitteilen zu müssen, dass sie gefeuert {sind/#seien}. Wir möchten Ihnen hiermit mitteilen, dass Ihre Ware versandt worden {ist/#sei}.
Sowohl in (47-a) als auch in (47-b) ist mitteilen das performative Verb. Die weiteren modalen Einbettungen sind Formen von Hedging. Das Problem für die referentielle Verwendungsbedingung ist, dass der Weltenanker des Einstellungsverbs mitteilen den Wahrheitsbedingungen nach unter einem Modalverb verschoben interpretiert wird und wir deshalb keine eigentliche Verankerung der Einstellung am Äußerungskontext haben – auch wenn wir das Verb mitteilen, performativ verstanden, natürlich auf die Äußerungswelt beziehen. Zusammenfassend lässt sich sagen: So wie performative Äußerungen typischerweise zusammen mit bestimmten linguistischen Merkmalen auftreten, wie z.B. Formen der 1. Person Singular Präsens bei Sprechaktverben, vgl. das Zitat aus Eckardt (2012) oben, so gehen performative Äußerungen mit Sprechaktverben ty-
6.4 Verwendungsbedingung und Performativität |
145
pischerweise auch mit einer Verankerung der Einstellung am Äußerungskontext einher. Deshalb erscheint es im ersten Moment auch plausibel die Verwendungsbedingung des IndKs direkt auf die grammatische Form oder die referentielle Verankerung der Einstellung zu beziehen. Ähnlich jedoch wie sich nicht allein über die grammatische Form oder Verankerung des performativen Verbs an der aktuell sprechenden Person charakterisieren lässt, was Performativität ist, so lässt sich die Verwendungsbedingung des IndKs nicht allein über die grammatische Form oder die referenzielle Verankerung der Einstellung unter Bezug auf die Sprechperspektive charakterisieren.
6.4.2 Verben des Denkens und Meinens und Anti-m-Performativität Wie hilft uns diese Einsicht aber weiter mit glauben? Das offensichtliche Problem bei dem Versuch, die Bedingung der Anti-Perforamtivität auf glauben zu übertragen, ist, dass glauben kein Sprechaktverb ist und damit auch keine performativen Verwendungsweisen hat. Das zeigt sich auch darin, dass glauben nicht mit dem Performativitätsmarker hiermit verwendet werden kann. (48) #Ich glaube hiermit, dass Maria krank ist. Intuitiv scheint eine konzeptuelle Unterscheidung unter Bezug auf die Verwendungsintention, wie sie bei der Kontrastierung von performativen und assertiven Verwendungsweisen von Spreachaktverben eine Rolle spielt, auch bei Einstellungsverben, die keine Sprechaktverben sind, sinnvoll. In der Literatur findet man eine solche Unterscheidung auch im weiteren Bereich der Diskussion von Modalität und Evidentialität. So z.B. in der Diskussion von „deskriptiv“ vs. „performativ“ verwendeten epistemischen Modalen nach Nuyts (2000) und in der Diskussion von Evidentialen im Quechua nach Faller (2002). Faller (2002) führt sogar eigens dafür einen Begriff ein: „mPerformativität“. Hier ihre Definition des Begriffs ausgehend von Nuyts (2000): Nuyts (2000:39) uses the terms descriptive and performative to describe different uses of modal expressions, and he defines them as follows. “Expressions which report on an epistemic qualification of a state of affairs without involving speaker commitment to it at the moment of speaking, [. . . ], will be called ‘descriptive’. Epistemic forms which express the speaker’s current attitude towards the state of affairs, [. . . ], will be called ‘performative’.” This distinction “can also be found at least in the domains of deontic modality, evidentiality, and emotional attitude” (Nuyts 2000:40). In other words ‘performative’ forms are anchored to the speech event. Nuyts is careful to distinguish this use of the term performative from that used in speech act theory as discussed in the previous section:
146 | 6 Vorüberlegungen
The present notion of performativity should also not be confused with that in speech act theory. There is a clear correspondence between the two: both involve a phenomenon in which something is performed here and now and this performance is expressed by means of some lexical element. But there is a clear difference in what is performed: a verbal act toward the listener, versus a mental act of evaluation of a state of affairs. The former only exists by virtue of the utterance: it is through the utterance that the speech act is performed. The latter, however, can exist without the verbal expression: the verbal act only expresses the mental act, without being constitutive of it. One can perform the act of (conceptually) evaluating something without expressing it (Nuyts 2000:40-1). In order to distinguish Nuyts’ notion of performative from the standard speech act theoretic notion, I will call it m-performative based on his characterization of it being a mental act of evaluation. Nuyts (2000:39) gives the examples in (170) to illustrate the difference between performative and descriptive uses of modal expressions. (49)
a. b. c.
I think they have run out of fuel. John thinks they have run out of fuel. I thought they had run out of fuel.
(170-a) (170-b) (170-c)
In (49-a) the speaker is making an epistemic evaluation him- or herself, to which (s)he is fully committed at the time of speaking, that is, I think is used m-performatively. In (49-b)/(49-c), however, the evaluation is not the speaker’s at the time of speaking. In (49-b), it is John’s evaluation, and in (49-c) it is the speaker’s at a time in the past, and (s)he might not agree with that evaluation anymore at the time of speaking. Thus, thinks and thought are used descriptively in (49-b)/ (49-c).
Die Beispiele aus Nuyts (2000) in (49), die Faller (2002) zur Charakterisierung des Begriffs der m-Performativität heranzieht, erinnern stark an das Paradigma aus Schlenker (2003) – hier noch einmal wiederholt: (50)
a. #Ich glaube, dass Maria krank sei. b. Ich glaubte, dass Maria krank sei. c. Peter glaubt, dass Maria krank sei. d. Peter glaubte, dass Maria krank sei.
Faller selbst verwendet das Konzept der m-Performativität in ihrer Erklärung der Distributionsrestriktionen der Evidentiale im Quechua. Sie schreibt dazu: „the distributional restrictions of Quechua evidentials to illocutionary force bearing environments can be accounted for by assuming that they can only be used mperformatively, but never descriptively.“ Die Verwendungsrestriktion für den Konjunktiv lässt sich mit dieser Terminologie so formulieren: (51)
Anti-(m-)performative VWB für den IndK Der IndK kann nur verwendet werden mit Bezug auf ein Einstellungsverb, das nicht (m-)performativ verwendet wird.
6.4 Verwendungsbedingung und Performativität |
147
Insofern der Begriff der m-Performativität auch den Begriff der Performativität im engeren Sinne mit einschließt, vgl. die Diskussion in Faller (2002), deckt die Verwendungsbedingung in (51) auch die Verwendungsbedingung in (40) mit ab. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die Verwendungsbedingung für den IndK nur adäquat angeben lässt unter Bezug auf die Intentionen, mit denen die sprechende Person das Einstellungsprädikat verwendet, auf das sich der Konjunktiv bezieht. Dass der Konjunktiv mit einer Verwendungsbedingung, die für Intentionen sensitiv ist, im weiteren Bereich der Modalität nicht alleine dasteht, zeigen die Diskussionen von epistemischen Modalen in Nuyts (2000) und von Evidentialen in Faller (2002).
7 Eine neue Theorie des IndKs 7.1 Der Vorschlag In diesem Abschnitt stelle ich einen neuen Vorschlag für die Bedeutung des IndKs vor. Zuvor möchte ich jedoch eine kurze Zusammenfassung der beiden zentralen Einsichten aus den vorausgehenden Abschnitten geben. Wir waren von der Verwendung des IndKs unter glauben ausgegangen und hatten festgestellt, dass sich der IndK auf die Perspektive der Einstellung bezieht, dabei aber den Bezug auf die Sprechperspektive ausschließt, vgl. Schlenker (2003)/Schlenker (2005). Ein genauerer Blick hat gezeigt, dass eine Verwendungsbedingung, die sich auf die Sprechperspektive als eine Menge von Welten bezieht, nicht in allen Situationen fein-körnig genug ist, um zwischen einer am Äußerungskontext verankerten und einer an einem davon verschiedenen Kontext verankerten Perspektive zu unterscheiden. Die Konsequenz waren falsche oder zumindest unintuitive Vorhersagen. Die Diskussion von performativen Äußerungen im letzten Abschnitt führte schließlich zu der Einsicht, dass auch eine referentielle Verwendungsbedingung, die sensitiv für die Verankerung der Einstellung ist, nicht in allen Fällen die richtigen Vorhersagen macht. Vielmehr scheint entscheidend zu sein, ob das Einstellungsverb, auf dass sich der IndK bezieht, (m-)performativ verwendet wird oder nicht. Insofern bei einer (m-)performativen Verwendungsweise eines Einstellungsverbs die Einstellung typischerweise an der Person verankert ist, die spricht, und somit die entsprechende doxastische Perspektive der Einstellung zusammenfällt mit der Sprechperspektive, lässt sich leicht erklären, weshalb es im ersten Moment plausibel erscheint, die Verwendungsbedingung über die Perspektive oder ihren Anker zu formulieren. Die weitere wichtige Einsicht aus den Abschnitten 6.2 und 6.3 ist, dass der Ort der semantischen Interpretation des IndKs nicht immer zusammenfallen muss mit dem Ort seines Erscheinens an der Oberfläche. Eine Semantik für den IndK muss beiden Einsichten Rechnung tragen. In Abschnitt 6.2 hatte ich bereits die Grundannahmen einer Hintikka-Semantik für Einstellungsverben eingeführt, von denen ich hier ausgehen werde. Die Bedeutung von glauben wiederhole ich in (1). (1) JglaubenKc,g = λphs,ti. λxe . λws . dox(x)(w) ⊆ p
https://doi.org/10.1515/9783110422443-007
7.1 Der Vorschlag |
149
Zur Erinnerung hier noch einmal das Beispiel aus Abschnitt 6.2 ohne Konjunktiv:¹ (2)
a. b. c.
Peter glaubt, dass Maria krank ist. [ w1 [ Peter [ glaubt [ λ w2 [ w2 [ Maria krank ]]]]]] J(2-b)Kc,g = 1 gdw. dox(Peter)(g(1)) ⊆ λw. Maria ist krank in w
Wenn wir die freie Weltvariable mit der Äußerungswelt cw identifizieren, bekommen wir: (3)
J(2-b)Kc,g = 1 gdw. dox(Peter)(cw ) ⊆ λw. Maria ist krank in w
Kommen wir jetzt zum IndK. Betrachten wir zunächst die Semantik und dann im zweiten Schritt die Lizensierung der overten Konjunktivform. Für das semantisch interpretierbare Merkmal, das dem IndK entspricht, schreibe ich log.² Die erste Annahme, die ich machen möchte, ist, dass das semantisch interpretierbare Merkmal log in unmittelbarer Nähe von der Einstellung sitzt. Es gibt hier zwei Möglichkeiten das zu erreichen: Entweder wir repräsentieren das Merkmal als Schwester des Komplementsatzes bzw. als ein Merkmal an seinem Komplementierer; oder wir repräsentieren es als Schwester des Einstellungsverbs selbst. Die bisherige Diskussion hat uns keine empirischen Gründe an die Hand gegeben, die uns zwischen diesen beiden Möglichkeiten entscheiden ließen. Ich nehme hier der Konkretheit halber an, dass das Merkmal als Schwester der Einstellung auftritt.³ Die logische Form für (5-a) sieht demnach aus wie in (5-b). (5)
a. b.
Peter glaubt, dass Maria krank sei. [ w1 [ Peter [[ glaubt log ] [ λ w2 [ w2 [ Maria krank ]]]]]]
1 Wie oben bereits erwähnt, nehme ich an, dass der Indikativ im Deutschen semantisch leer ist. Da die Formen des Indikativs dementsprechend semantisch ohne Einfluss bleiben, repräsentiere ich sie nicht in der syntaktischen Form. Damit gehe ich auch einigen Fragen zur Übertragung von Indikativmerkmalen unter Bindung aus dem Weg. Von diesen Fragen würde für die Diskussion in dieser Arbeit aber ohnehin nichts abhängen. Die Annahme, dass der Indikativ semantisch leer ist, widerspricht den Annahmen in Schlenker (2003) zum deutschen Indikativ, ist aber in Übereinstimmung mit Fabricius-Hansen (2006) und Grønn und von Stechow (2011). 2 Im Zusammenhang der Diskussion des IndKs verwendet von Stechow (2004) log als Merkmal an Weltpronomen. 3 Der Unterschied betrifft für den Moment nur den semantischen Typ. Es könnte aber durchaus empirische Gründe geben, der Komplementierer-Variante den Vorzug zu geben. Z.B. stellt sich die Frage, wie man mit V-letzt-Sätzen der Freien Indirekten Rede umgehen will. (4)
a. b.
Ob sie sich denn damit auskenne? Dass er ihr immer ins Wort fallen müsse!
150 | 7 Eine neue Theorie des IndKs
Damit machen wir einen Schritt darauf hin, dass wir der zweiten der oben angeführten Einsichten Rechnung tragen können: dass der Ort der semantischen Interpretation des IndKs nicht immer zusammenfallen muss mit dem Ort seines Erscheinens an der Oberfläche. Wir werden in der Diskussion der Beispiele im nächsten Abschnitt sehen, dass wir damit die Probleme vermeiden, die die im zweiten Teil dieser Arbeit diskutierten Vorschläge im Falle von Konjunktivformen bekommen, die im Komplementsatz unter Infintiven auftreten. Die Bedeutung des interpretierbaren Merkmals log ist eine partielle Identitätsfunktion: Als Identitätsfunktion nimmt sie die Denotation eines Einstellungsverbs vom Typ hhs, ti, he, hs, tiii als Argument – im Beispiel die Denotation von glauben – und bildet sie wieder genau auf diese Denotation ab. Was die Bedeutung von log zu einer partiellen Identitätsfunktion macht, ist, dass sie eine expressive Präsupposition über die Einstellung einführt.⁴ Der expressive Gehalt dieser Präsupposition ist auf eine Formel gebracht: die Denegation eines Akts der Selbstverpflichtung zur Wahrheit der Komplementproposition. Direkter paraphrasiert: Der Konjunktiv präsupponiert, dass die im Äußerungskontext sprechende Person nicht ausdrückt, dass sie die Komplementproposition glaubt. In der formalen Notation schreibe ich den expressiven Teil unterhalb des Bruchstrichs. Der Beitrag zu den Wahrheitsbedingungen steht darüber. Ich verwende das metasprachliche Prädikat expr als Kurzform für „drückt aus“. Ich nehme an, dass expr, wie Einstellungsverben auch, ein Individuum, eine Welt und eine (auf ein Individuum zentrierte) Proposition als Argumente nimmt und lasse die weiteren Details seiner lexikalischen Semantik unanalysiert. (6)
JlogKc,g = λAhhs,ti,he,hs,tiii . λphs,ti . λx e . λw s .
A(p)(x)(w) ¬expr(ca )(cw )(A(p))
Wie diese Formel zu verstehen ist, lässt sich klarer an einem Beispiel sehen: (7)
J(5-b)Kc,g = 1 gdw.
dox(Peter)(g(1)) ⊆ λw. Maria ist krank in w ¬expr(ca )(cw )(λx. λw. dox(x)(w) ⊆ λw. Maria ist krank in w) Was oberhalb des Bruchstrichs steht, entspricht genau den Wahrheitsbedingungen von (2-b). Der expressive Teil der Bedeutung besagt, dass die im Äußerungs-
4 Ich verstehe hier expressive Präsupposition im Sinne von Schlenker (2007). Nach Schlenker sind expressive Präsuppositionen durch drei Eigenschaften charakterisiert: 1. sie sind indexikalisch; 2. sie sind einstellungshaft („attitudinal“), 3. sie sind manchmal verschiebbar („shiftable“). Schlenker (2007) versteht das Konzept der expressiven Präsupposition als eine Explikation einer Teilklasse der konventionellen Implikaturen nach Potts (2007).
7.1 Der Vorschlag |
151
kontext sprechende Person nicht ausdrückt zu glauben, dass Maria krank ist. Dass diese Bedeutung die richtigen Vorhersagen zu den Verwendungsbedingungen macht, werden wir im nächsten Abschnitt sehen. Soweit der semantische Teil des Vorschlags. Es stellt sich natürlich unmittelbar die Frage, wie das semantische Merkmal log an der Einstellung das Auftreten einer Konjunktivform im eingebetteten Satz erklären kann. Ich nehme an, dass die Lizensierung des Konjunktivmerkmals im eingebetteten Satz sich in vier Schritten vollzieht. Dabei folge ich im Wesentlichen der Idee der Merkmalübertragung unter Bindung in Heim (2008). Im ersten Schritt nehme ich an, dass das log-Merkmal nach V perkoliert. (8)
[ w1 [ Peter [[=log glaubt log ] [ λw2 [ w2 [ Maria krank sei=ki ]]]]]] ↑
|
Im zweiten Schritt wird das Merkmal an den Binderindex im Komplementsatz übertragen. Wenn wir annehmen, dass der Binderindex im Komplementierer des Komplementsatzes sitzt, dann handelt es sich um eine Form von Argreement zwischen V und C. (9)
[ w1 [ Peter [[=log glaubt log ] [ λ2 =log [ w2 [ Maria krank sei=ki ]]]]]] |
↑
Im dritten Schritt wird das log-Merkmal schließlich unter Bindung an das Weltpronomen im eingebetteten Satz übertragen. (10)[ w1 [ Peter [[=log glaubt log ] [ λ2 =log [ w2 =log [ Maria krank sei=ki ]]]]]] |
↑
Das Konjunktivmerkmal ki wird in dieser Konstellation unter Agreement zwischen dem Verb und seinem Weltargument lizensiert. (11) [ w1 [ Peter [[=log glaubt log ] [ λ2 =log [ w2 =log [ Maria krank sei=ki ]]]]]] |
↑
Ich nehme an, dass ein log-Merkmal an einem Weltpronomen sowohl Formen des Konjunktivs I als auch Formen des Konjunktivs II unter Agreement lizensiert. Auch wenn dieser Lizensierungsweg von der Einstellung zur Konjunktivform am Verb im ersten Moment unintuitiv und unnötig umständlich erscheinen mag, macht die Annahme der Lizensierung auf Distanz die richtigen Vorhersagen in den Fällen, die für die anderen Theorien problematisch sind. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass es sich bei dem Vorschlag für die Bedeutung des log-Merkmals und dem Vorschlag zur Verortung des log-Merkmals
152 | 7 Eine neue Theorie des IndKs
an der Einstellung um zwei unabhängige Theoriestücke handelt. Zwar ist der Vorschlag der Verortung des log-Merkmals als Schwester der Einstellgung nicht völlig unabhängig von der Annahme, dass die Verwendungsbedingung über die Einstellung oder adjazent zu ihr formuliert werden muss. Diese Annahme ist allerdings zwingend für alle Theorien, die versuchen, den Verwendungsbedingungen des IndKs semantisch Rechnung zu tragen. Insofern ist der Vorschlag zum Ort der semantischen Interpretation des IndKs unabhängig von den Details des Vorschlags zu seiner Bedeutung.
7.2 Der IndK unter glauben In diesem Abschnitt möchte ich die Vorhersagen des Vorschlags anhand einer Auswahl von Beispielen illustrieren, die alle wichtigen Argumentationspunkte des zweiten und dritten Teils dieser Arbeit abdecken, insofern sie die Verwendung des IndKs unter glauben betreffen. Ich gehe davon aus, dass diese Vorhersagen in der gleichen Weise auch für andere Verben des Sagens und Meinens gelten. Eine Diskussion des IndKs unter Sprechaktverben folgt im nächsten Kapitel. Der vorliegende Abschnitt ist in drei Unterabschnitte untergliedert: Zunächst diskutiere ich im Abschnitt 7.2.1 die Daten, die für die logophorischen Theorien des Konjunktivs nach Schlenker (2003) und von Stechow (2004) im Zentrum stehen. Danach bespreche ich in Abschnitt 7.2.2 einige Beispiele, die lose unter der Überschrift „weitere Einbettung“ zusammengefasst werden könnnen: Beispiele, bei denen das Konjunktiv lizensierende Einstellungsverb im Skopus von anderen Operatoren – wie Quantoren und Negation – interpretiert wird und Beispiele, bei denen der Konjunktiv nicht unmittelbar im Komplementsatz, sondern tiefer eingebettet vorkommt. Im letzten Unterabschnitt 7.2.3 werde ich dann noch auf einige subtile Bedeutungsaspekte und Nebenbedeutungen des IndKs zu sprechen kommen.
7.2.1 Beispiele aus der Diskussion der Logophorizität des IndKs Beginnen möchte ich mit dem zentralen Datum aus der Diskussion der Verwendungsbedingung des IndKs in Schlenker (2003); hier wiederholt in (12). (12)
#Ich glaube, dass Maria krank sei.
Schauen wir uns dazu im ersten Schritt die Bedeutung des minimal verschiedenen Satzes in (13-a) mit einem Indikativ im Komplementsatz an. Die entsprechende logische Form ist (13-b).
7.2 Der IndK unter glauben
(13)
a. b.
|
153
Ich glaube, dass Maria krank ist. [ w1 [ ich [ glaube [ λw2 [ w2 [ Maria krank ]]]]]]
Für das Pronomen der 1. Person Singular nehme ich an, dass es direkt auf die sprechende Person im Äußerungskontext (= ca ) referiert, vgl. Kaplan (1989). (14)
JichKc,g = ca
Wenn wir außerdem den semantischen Wert des freien Weltpronomen w1 mit der Äußerungswelt identifizieren, bekommen wir für den Satz mit Indikativ in (13-b) die Denotation in (15). (15)
J(13-b)Kc,g = 1 gdw. dox(ca )(cw ) ⊆ λw. Maria ist krank in w
Die logische Form in (16) des Satzes in (12) unterscheidet sich von der logischen Form in (13-b) lediglich in dem interpretierbaren log-Merkmal an der Einstellung.⁵ (16)
[ w1 [ ich [[ glaubt log ] [ λw2 [ w2 [ Maria krank ]]]]]]
Wenn wir auch hier den semantischen Wert des freien Weltpronomens w1 mit der Äußerungswelt identifizieren, bekommen wir für (16) die Bedeutung in (17). (17)
J(16)Kc,g = 1 gdw.
dox(ca )(cw ) ⊆ λw. Maria ist krank in w ¬expr(ca )(cw )(λx. λw. dox(x)(w) ⊆ λw. Maria ist krank in w) Die Wahrheitsbedingungen von (16) sind dieselben wie die von (13-b): Die Denotation von (16) (in c unter g) ist das Wahre gdw. die sprechende Person glaubt, dass Maria krank ist. Hinzukommt die expressive Präsupposition, die durch das logMerkmal eingeführt wird und soviel besagt, wie dass die im Äußerungskontext sprechende Person nicht ausdrückt, zu glauben, dass Maria krank ist. Das ist aber noch nicht die vollständige Analyse dises Beispiels. Wenn wir uns das Verhältnis der Wahrheitsbedingungen zur expressiven Präsupposition anschauen, dann ist festzustellen, dass die expressive Präsupposition – wörtlich genommen – nicht im direkten Widerspruch zu den Wahrheitsbedingungen steht. Das sollte auch so sein, da sonst die im letzten Abschnitt besprochene fein-körnigere Sensitivität für die Verwendungsintentionen unterlaufen würde.
5 Ich lasse in der Repräsentation der LF alle nicht-interpretierbaren übertragenen Merkmale und die lediglich für die Aussprache relevanten Merkmale ki und kii, sofern sie durch log lizensiert sind, weg.
154 | 7 Eine neue Theorie des IndKs
Wie nämlich bei assertiven und performativen Verwendungsweisen von Sprechaktverben die Wahrheitsbedingungen dieselben sind (siehe das Zitat aus Searle (1989) im Abschnitt 6.4), so sind auch bei assertiven und m-performativen Verwendungsweisen von glauben die Wahrheitsbedingungen dieselben. Meine These hier ist, dass der Ausschluss des Konjunktivs auf einen direkten Widerspruch zurückgeführt werden kann, allerdings nicht zwischen der expressiven Bedeutung des IndKs und den Wahrheitsbedingungen des Satzes, sondern zwischen der expressiven Bedeutung des IndKs und der Bedeutung des Satzes, wenn wir ihn m-performativ verstehen. Die Idee ist, dass wir einen Satz wie (12) bei einer mperformativen Verwendungsweise auf der expressiven Ebene im Sinne von (18) interpretieren. (18)
expr(ca )(cw )(λx. λw. dox (x)(w) ⊆ λw. Maria ist krank in w)
D.h. im Sinne von: ‘Die sprechende Person drückt (mit dieser Äußerung) aus, zu glauben, dass Maria krank ist’. Diese Interpretation steht im direkten Widerspruch zur expressiven Präsupposition des IndKs und schließt somit die gleichzeitige Verwendung des Konjunktivs aus. Bei allen anderen nicht (m-)performativen Verwendungen eines Einstellungsprädikats bleibt ein direkter Effekt des Konjunktivs ebenso aus wie bei nicht am Äußerungskontext verankerten Einstellungen.⁶ Eine Frage, die sich unmittelbar aufdrängt, ist: Wie gelingt es dem IndK so gezielt auf die m-performative Verwendungsweise des Satzes zu reagieren, wenn die Unterscheidung zwischen einer assertiven und einer m-performativen Verwendungsweise außerhalb des Bereichs der Semantik im engeren Sinne liegt? Eine Antwort darauf lässt sich unter Bezug auf die besonderen Eigenschaften von expressiven Präsuppositionen geben, die, wie Schlenker (2007) im Detail vorführt, einen selbstverifizierenden Effekt haben. Für die Details verweise ich an Schlenker (2007). Die Analyse der Selbstverifikation in Schlenker (2007) ist eine Explikation des expressiven Charakters der Präsuppositionen und ist verwandt mit der Analyse von performativen Äußerungen nach Lewis (1979). Kurz gesagt: Die Indexikalität und Einstellungshaftigkeit der expressiven Präsupposition führen dazu, dass der Gehalt der Präsupposition unmittelbar dem Common Ground hinzugefügt wird. Das ist ganz ähnlich wie bei konventionellen Implikaturen nach Potts (2005). Der Gehalt, der im Falle des IndKs unmittelbar dem Common Ground hinzugefügt wird, ist, dass die Person, die spricht, mit der Äußerung nicht ausdrückt, die Komplementproposition zu glauben. Da die Präsupposition mit dem Prädikat
6 Für die Beispiele mit glauben kann man das auch als eine subtilere Variante des Vorschlags nach Potts (2005) verstehen. Ich werde auf den Unterschied zu Potts (2005) später in diesem Abschnitt noch zu sprechen kommen.
7.2 Der IndK unter glauben
|
155
expr selbst einen Sprechaktanteil hat, wird die Negation aufgrund des expressiven Charakters als Denegation eines Sprechakts verstanden: als die Denegation des Aktes der Selbstverpflichtung auf die Wahrheit der Komplementproposition. Mit einer m-performativen (im Kontrast zu einer bloß assertiven) Verwendungsweise von glauben geht die sprechende Person aber gerade eine solche Selbstverpflichtung ein. Das erklärt, warum der IndK bei einer m-performativen Verwendungsweise unter glauben ausgeschlossen ist.⁷
7.2.1.1 IndK in Komparativsätzen Zur Erinnerung: Schlenker (2003) beobachtet, dass eine Konjunktivform in einem Komparativsatz unter einer Einstellung wie in (19) nur eine Lesart erlaubt, die Peter einen widersprüchlichen Glauben zuschreibt. Schlenker (2003) sieht darin einen Beleg für die Logpophorizität des Konjunktivs unter Einstellungen.⁸ (19)
#Peter glaubt, dass die Jacht größer sei, als sie sei.
Die Erklärung für dieses Datum ist der Logik nach im Wesentlichen dieselbe wie die in von Stechow (2004). Schauen wir uns zunächst die logische Form der nichtwidersprüchlichen Lesart für den Satz in (20-a) mit einer Indikativform im Komparativsatz an. Intuitiv lässt sich der relevante Aspekt der Wahrheitsbedingungen mit Bezug auf die Weltpronomen paraphrasieren wie in (20-c). (20)
a. b. c.
Peter glaubt, dass die Jacht größer sei, als sie ist. [ w1 Peter [[ glaubt log ][ λw2 [[ w2 die Jacht größer sei ][ als w1 sie groß ist ]]]]] ‘Die Größe der Jacht in Peters Glaubenswelten > die tatsächliche Größe der Jacht’
Entscheidend ist, dass bei dieser Interpretation die Welt im Komparativsatz dieselbe ist, wie die Welt im Matrixsatz. Nach den Annahmen die ich zur Lizensierung des Konjunktivs unter Einstellungen gemacht habe, ist die einzige Weise, wie sich eine Konjunktivform im Komparativsatz lizensieren lässt, durch Agreement mit einem log-Merkmal des Weltpronomens im selben Satz. Das Weltpronomen wie-
7 Ich bewege mich mit diesem Erklärungsvorschlag ganz offensichtlich in einem ähnlichen Bereich jenseits der Semantik im engeren Sinne wie Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) bei ihrer Erklärung, warum der RS („reportive subjunctive“) nicht in performativen Äußerungen auftreten kann. 8 Die Beobachtung, dass eine Konjunktivform in einem Komparativsatz unter Einstellungen zu einem Widerspruch führen kann, findet sich bereits in von Stechow (1984).
156 | 7 Eine neue Theorie des IndKs
derum bekommt dieses Merkmal nur unter Bindung durch einen Binderindex mit einem log-Merkmal. Eine Bindung durch den Binderindex in (21-b) führt jedoch genau zu der widersprüchlichen Lesart, die sich paraphrasieren lässt wie in (21-c). (21)
a. #Peter glaubt, dass die Jacht größer sei, als sie sei. Wdh. von (19) b. [ w1 Peter [[=log glaubt log ][ λw2 =log [[ w2 =log die Jacht größer sei=ki ][ als w2 =log sie groß sei=ki ]]]]] c. ‘Die Größe der Jacht in Peters Glaubenswelten > die Größe der Jacht in Peters Glaubenswelten’
Die Erklärung dafür, dass ein Konjunktiv in Komparativsätzen unter Einstellungen zu Widersprüchen führen kann, hat also nicht direkt etwas mit der Bedeutung des IndKs zu tun, sondern vielmehr damit, dass eine Konjunktivform die Bindung des entsprechenden Weltpronomens durch die Einstellung verlangt. Das ist genau die Erklärung, die wir auch in von Stechow (2004) finden.
7.2.2 Beispiele von Einbettung und Nebenbedeutungen des Konjunktivs 7.2.2.1 Negation und Quantifikation Die Theorie gibt uns klare Vorhersagen für die Verwendung von glauben in der 1. Person mit Negation. Sie sagt voraus, dass im folgenden Beispiel der Konjunktiv ausgeschlossen ist: (22)
A: Wo bleibt denn Maria? B: #Ich glaube nicht, dass sie noch komme.
Die Erklärung hierfür liegt auf der Hand, wenn wir annehmen, dass es sich um einen Fall von Neg-raising handelt und die Negation semantisch als zum Komplementsatz gehörig interpretiert wird. Verstanden wird der Satz unter dieser Annahme also im Sinne von ‘Ich glaube, dass sie nicht kommt’. Es handelt sich demnach in dem Beispiel um eine m-performative Verwendungsweise von glauben mit einer negierten Komplementproposition. Der IndK ist daher ausgeschlossen. Wenn man dagegen der Negation explizit weiten Skopus relativ zu glauben gibt, dann sollte der IndK im Prinzip möglich sein. Ein Beispiel hierfür ist (23):⁹
9 Beispiele dieser Art haben eine starken Beiklang von Reportativität: Es klingt an, dass eine von der sprechenden Person verschiedene Person eine entsprechende Behauptung in den Raum gestellt hat. Möglicherweise ist es sogar so, dass, wenn wir das nicht voraussetzen können, wir den Konjunktiv vermeiden. Dementsprechend sind Beispiele dieser Art eines der besten Argumente für eine reportative Bedeutung des IndKs im Sinne von Fabricius-Hansen und Sæbø (2004). In
7.2 Der IndK unter glauben
(23)
|
157
Es ist zwar nicht so, dass ich glaube, dass es ein Fehler sei, aber ich halte es trotzdem nicht für eine gute Idee.
Eine weitere Vorhersage ist, dass es keine Interaktionen der Bedeutung des IndKs mit quantifizierenden externen Argumenten von glauben gibt. An einem Beispiel: (24)
a. b.
Jeder glaubt, dass Maria krank sei. J(24-a)Kc,g = 1 gdw. Persc ⊆ {x: dox(x)(cw ) ⊆ λw. Maria ist krank in w} ¬expr(ca )(cw )(λx. λw. dox(x)(w) ⊆ λw. Maria ist krank in w)
Die resultierende Präsupposition ist die gleiche wie für das Beispiel in (5-a) mit dem Eigennamen Peter in Subjektposition. Dasselbe gilt auch für modale und temporale Quantoren im Matrixsatz.¹⁰ Ich erwähne das an dieser Stelle deshalb, da eine Verwendungsbedingung über die Perspektive der Einstellung oder ihren Anker formuliert bei quantifizierenden Argumenten der Einstellung zu erheblichen Komplikationen führen würde, die mit dem Vorschlag in dieser Arbeit vermieden werden.¹¹
7.2.2.2 Tiefere Einbettungen Mit Beispielen wie dem folgenden lässt sich argumentieren, dass der Ort der Aussprache des IndKs nicht immer auch der Ort seiner semantischen Interpretation ist. (26)
Denn aufgrund der Fotos glaubt S. erkennen zu können, dass F. traumatisiert sei [. . . ]
Kapitel 2 hatte ich jedoch in einer ausführlichen Diskussion und mit vielen Beispielen gezeigt, dass die Annahme einer reporatitiven Präsupposition für den IndK an vielen anderen Stellen zu den falschen Vorhersagen führt. Wenn aber aus diesen Gründen eine reportative Präsupposition für den IndK ausgeschlossen werden muss, bleibt die Herausforderung, den Beiklang von Reportativität zu erklären. Im Abschnitt 7.2.3 werde ich etwas mehr dazu sagen, wie es dazu kommt. 10 Eine Frage, auf die ich hier nicht weiter eingehen kann, ist die Frage, wie sich der Vorschlag zu Fällen von sogenanntem „Quantifying in“ wie in (25) verhält. (25)
Keine Katze ist so dünn, dass Emi glaubt, dass man sie füttern müsse.
Diese Frage stellt sich in der gleichen Weise für die anderen in dieser Arbeit diskutierten Vorschläge. 11 Diesen Aspekt teilt der Vorschlag mit dem Vorschlag in Potts (2005).
158 | 7 Eine neue Theorie des IndKs
Begründen lässt sich das mit der Beobachtung, dass das Prädikate, das semantisch zwischen der Einstellung und dem Satz im Konjunktiv interveniert, selbst keinen Konjunktiv lizensiert, vgl. (27-a), zusammen mit der Annahme, dass der Konjunktiv in Sätzen dieser Art bei Bezug auf die Sprechperspektive ausgeschlossen ist, vgl. (27-b). (27)
a. #S. kann erkennen, dass F. traumatisiert sei. b. #Ich glaube, erkennen zu können, dass F. traumatisiert sei.
In diesem Abschnitt zeige ich, wie sich das erklären lässt. Es fehlt allerdings noch eine weitere Annahme, die ich ausgehend von einer Überlegung zu Schlenker (2003) einführen möchte. Es gibt eine bestimmte Klasse von Beispielen, die in Schlenkers monsterfreundlicher Logik Probleme bereiten, wenn man animmt, dass alle Vorkommnisse des Konjunktivs in Komplementsätzen zu Einstellungsverben Weltpronomen mit derselben Merkmalspezifikation sind, wie Schlenker sie für das unmittelbar durch die Einstellung gebundene Weltpronomen annimmt.¹² Die Sätze in dieser Klasse sind dadurch charakterisiert, dass in ihnen ein modaler Operator zwischen dem Einstellungsverb und einem tiefer eingebetteten Vorkommnis eines Konjunktivs semantisch interveniert. In (28) führe ich exemplarisch zwei Beispiele für den modalen Ausdruck möglich an. (28)
a. b.
Descartes identifiziert die Person mit der Seele, wenn er sagt, es sei möglich, dass er selbst ohne Körper existiere. In der Nähe des Atomkraftwerks sei radioaktives Cäsium festgestellt worden, berichtete Kyodo am Samstag unter Berufung auf die Atomsicherheitskommission. Es sei möglich, dass in dem Reaktor eine Kernschmelze ablaufe.
Für das einfache Beispiel in (29-a) eines Satzes dieser Art ist nach den Annahmen, die ich bisher im zweiten Teil dieser Arbeit gemacht habe, die LF in (29-b) eine plausible logische Form. (29)
a. b.
Peter glaubt, dass es möglich sei, dass Maria komme. [ w1 Peter [[ glaubt log ][ λw2 [ w2 möglich [ λw3 w3 Maria krank ]]]]]
12 „Monsterfreundlich“ heißt, dass in dieser Logik Einstellungsverben „Monster“ sind, d.h. über Kontexte quantifizieren; siehe die Diskussion im Kapitel 5.
7.2 Der IndK unter glauben
|
159
Bis auf die spezifische Annahme des Vorschlags, dass der overten Konjunktivform ein log-Merkmal an der Einstellung entspricht, sind die Details dieser LF, denke ich, unkontrovers. Sie kann als Hintergrund der Diskussion dienen. Schlenker (2003) nimmt an, dass dem Konjunktiv im Komplementsatz zu einer Einstellung ein Weltpronomen entspricht, dass durch eine Einstellung gebunden ist. Da nach Schlenkers Logik Einstellungen Kontextpronomen binden und keine Weltpronomen, wird die Einstellungsbindung des Weltpronomens vermittelt über die Bindung eines Pronomens, das einen Kontext denotiert, auf dessen Welt sich der Konjunktiv dann beziehen kann. Für modale Ausdrücke wie möglich nimmt Schlenker an, dass sie einfache Weltenbinder sind, vgl. Schlenker (2003, 111). In (30) gebe ich eine logische Form im Sinne von Schlenker (2003) an, die aber zum besseren Vergleich an das Repräsentationsformat in diesem Kapitel angepasst ist. Für das einstellungsgebundene Weltpronomen schreibe ich „welt(c2 )“. (30)
[ w1 Peter glaubt [ λc2 [ welt(c2 ) möglich [ λw3 ? Maria krank ]]]]
Die entscheidende Frage ist jetzt, wie das Weltpronomen aussehen muss, das bei Schlenker an der Stelle mit dem Fragezeichen steht. Wenn wir annehmen, dass alle konjunktivisch markierten Weltpronomen von der Form „welt(c i )“ sind, wie Schlenkers Ausführungen das nahelegen, dann bekommen wir die folgende LF: (31)
[ w1 Peter glaubt [ λc2 [ welt(c2 ) möglich [ λw3 welt(c2 ) Maria krank ]]]]
Diese LF gibt uns aber die falschen Wahrheitsbedingungen: Der modale Ausdruck möglich bindet nicht das Weltpronomen in seinem Komplement.¹³ Plausibler ist daher die Annahme, dass die LF aussieht wie in (32). (32)
[ w1 Peter glaubt [ λc2 [ welt(c2 ) möglich [ λw3 w3 Maria krank ]]]]
Dann dürfte die Verbform aber nach den Annahmen in Schlenker (2003) nicht als Konjunktiv ausgesprochen werden. Der Grund, weshalb ich hier auf dieses Problem von Schlenkers Vorschlag zu sprechen komme, ist, dass der hier präsentierte Vorschlag zur Merkmalübertragung in der jetzigen Formulierung mit demselben Problem konfrontiert ist. Während die Vorhersagen für das Verb im Komplementsatz klar sind, stellt sich die Frage, was wir für das Weltpronomen im Komplement von möglich schreiben müssen.
13 Diese LF würde zudem gegen Percus’ Generalisierung X verstoßen, vgl. Percus (2000).
160 | 7 Eine neue Theorie des IndKs
(33)
[ w1 Peter [[=log glaubt log ][ λw2 =log [ w2 =log möglich sei=ki [ λw3 ? Maria krank sei=ki ]]]]]
Eine Möglichkeit wäre „w2 =log“: Da in diesem Fall das Weltpronomen w2 durch einen Binderindex mit einem log-Merkmal gebunden wäre, wäre das logMerkmal an w2 lizensiert und der Konjunktiv am Verb wäre in der Folge unter Agreement mit dem Pronomen lizensiert. (34)
[ w1 Peter [[=log glaubt log ][ λw2 =log [ w2 =log möglich sei=ki [ λw3 w2 =log Maria krank sei=ki ]]]]]
Das Problem ist, dass wir dann – wie in der Diskussion von Schlenkers Vorschlag gesehen – nicht die richtige Lesart bekommen. Alternativ könnten wir für das Fragezeichen „w3 “ schreiben. (35)
[ w1 Peter [[=log glaubt log ][ λw2 =log [ w2 =log möglich sei=ki [ λw3 w3 Maria krank sei=ki ]]]]]
Da w3 aber nicht durch einen Binderindex mit einem log-Merkmal gebunden ist, ist auch die Konjunktivform des Verbs nicht lizensiert. Um diese Lücke in der Merkmalübertragung zu schließen, scheint es nötig zu sein, zwei zusätzliche Annahmen zu machen: 1. Der Weltenbinder möglich erbt das log-Merkmal seines Arguments.¹⁴ (36)
[ w1 Peter [[=log glaubt log ][ λw2 =log [ w2 =log möglich=log sei=ki [ λw3 w3 Maria krank sei=ki ]]]]] | ↑
2. Der Binderindex des propositionalen Arguments von möglich ist bezüglich des log-Merkmals im Agreement mit dem log-Merkmal von möglich. (37)
[ w1 Peter [[=log glaubt log ] [ λ2 =log [ w2 =log möglich=log sei=ki [ λ3 =log w3 Maria krank sei=ki ]]]]] | ↑
Mit diesen zusätzlichen Annahmen haben wir jetzt eine Konstellation, in der das log-Merkmal am Weltpronomen im Komplement zu möglich lizensiert ist durch Merkmalübertragung unter Bindung. (38)
[ w1 Peter [[=log glaubt log ][ λ2 =log [ w2 =log möglich=log sei=ki [ λ3 =log w3 =log Maria krank sei=ki ]]]]]
14 Wichtig ist es hier, zu bemerken, dass es sich um eine semantische Argumentschaftsrelation handelt.
7.2 Der IndK unter glauben |
161
Die Generalisierung, die dem Vorschlag hinzugefügt werden muss, ist demnach:¹⁵ (39)
Modusfolge des IndK Modale Operatoren übertragen das log-Merkmal ihres Weltarguments an den Binderindex ihres propositionalen Arguments unter Agreement.
Mit dieser Annahme ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zur Erklärung des Datums in (40-a). Wir müssen nur noch annehmen, dass wissen ein modaler Operator im Sinne der Generalisierung in (39) ist.¹⁶ Zwar steht das semantisch interpretierbare Merkmal log direkt an der Einstellung. Die Konjunktivform unter wissen ist dennoch lizensiert über eine Bindungskette, die von der Einstellung bis in den finiten dass-Satz reicht. In (40-b) gebe ich eine vereinfachte Präsentation mit übertragenen Merkmalen für (40-a) an. (40)
a. b.
Peter glaubt, zu wissen, dass Maria krank sei. [ w1 Peter [[=log glaubt log ][ λw2 =log w2 =log PRO zu-wissen=log [ λw3 =log w3 =log Maria krank=ki ]]]]
Die Annahmen zur Merkmalübertragung unter Bindung und zur Modusfolge beim IndK erklären zusammen, wie eine Konjunktivform auch auf Distanz die Verwendungsrestriktion über die entsprechende Einstellung markieren kann. Der semantische Beitrag des IndKs bezieht sich also immer direkt und ohne Vermittlung auf eine Einstellung bzw. auf einen Operator mit Sprechaktpotential. Das macht den IndK zu einem einstellungsbezogenen Phänomen. Wenn man sich nur an der Distribution der overten Konjunktivformen orientiert, kann man diese Tatsache leicht übersehen.
7.2.3 Weitere Bedeutungsaspekte und Nebenbedeutungen Mit Rede- und Gedankenberichten wie in (41-a) und (41-b) werden üblicherweise zwei Arten von Inferenzen verbunden, die in der Regel auf die Verwendung des Konjunktivs zurückgeführt werden. (41)
a. b.
Peter behauptet, dass Maria krank sei. Peter glaubt, dass Maria krank sei.
15 Die Regel der Modusfolge verstehe ich als eine explizite Version der Regel, die FabriciusHansen und Sæbø (2004) mit Bezug auf den Konjunktiv in Redeberichten „zero mood“ nennen. 16 Eine ausführliche Diskussion von wissen mit Bezug auf den IndK gebe ich erst im 8.1. Die Annahmen dort werden etwas anders sein – das Ergebnis jedoch dasselbe.
162 | 7 Eine neue Theorie des IndKs
Die eine Inferenz lässt sich paraphrasieren mit: ‘Die im Äußerungskontext sprechende Person enthält sich von der Zustimmung zur Wahrheit des Komplementsatzes’. Ich will das die „Enthaltungsinferenz“ nennen. Die andere Inferenz lässt sich paraphrasieren mit: ‘Jemand hat geäußert, dass Maria krank ist’. Diese Inferenz will ich die „Äußerungsinferenz“ nennen. Der semantische Vorschlag in Potts (2005) konzentriert sich ganz auf die Enthaltungsinferenz und analysiert den IndK als ein Morphem, das diese Inferenz als konventionelle Implikatur einführt. Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) konzentrieren sich ganz auf die zweite Inferenz und analysieren den Konjunktiv in der indirekten Rede als ein Morphem, das die Äußerungsinferenz als Präsupposition einführt. Ich habe mit Bezug auf beide Arten von Inferenzen Beispiele angeführt, die zeigen, dass es sich jeweils um Inferenzen handelt, die nicht die primäre Bedeutung des IndKs sind. Für die Löschbarkeit der Enthaltunginferenz hatte ich in der Diskussion von Potts (2005) mit Beispielen von der Art in (42) argumentiert. (42)
Sie glaubt zu Recht, dass das ein Fehler sei.
Im Falle der Äußerungsinferenz war das Argument etwas komplizierter. Zum einen habe ich in der Diskussion von Fabricius-Hansen und Sæbø (2004) im ersten Teil dieser Arbeit zu zeigen versucht, dass wir eine reportative Bedeutung für den Konjunktiv nur dort finden, wo bereits unabhängig eine Einstellung oder ein Illokutionspotential angenommen werden kann oder präsupponiert wird. Zum anderen habe ich zu Beginn des dritten Teils in Abschnitt 6.1 dafür argumentiert, dass es keine Gründe gibt, den Konjunktiv unter Verben des Denkens und Meinens vom Konjunktiv unter Verben des Sagens zu unterscheiden. Wenn aber die Konjunktivformen unter Verben des Denkens und Meinens ebenfalls Formen des IndKs sind, dann gibt es klare Fälle, bei denen eine Äußerungsinferenz keine Rolle zu spielen scheint, wie z.B. im folgenden Beispiel: (43)
Sie denkt wahrscheinlich, dass es nicht ihre Schuld sei, wenn sich jetzt alle in den Haaren liegen.
In diesem Abschnitt will ich dafür argumentieren, dass diese Inferenzen generalisierte, aber löschbare Sekundärbedeutungen des IndKs sind, die auf seine primäre, expressive Bedeutung zurückgeführt werden können. Das ist besonders naheliegend im Falle der Enthaltungsinferenz. Die primäre Bedeutung des IndKs für einen Satz wie (41-b) besagt nach der hier vorgeschlagenen Theorie, dass die sprechende Person nicht ausdrückt, dass sie glaubt, dass Maria krank ist. Eine angesprochene Person, die annimmt, dass die sprechende Person die Wahl hatte zwischen einer Äußerung mit dem Konjunktiv und einer entsprechenden expressiven Zusatzbedeutung und einer Äußerung im Indikativ ohne eine zusätzliche expres-
7.2 Der IndK unter glauben |
163
sive Bedeutung, wird folgern, dass die Person, die spricht, einen Grund hatte, zusätzlich zu vermitteln, dass sie nicht ausdrückt, die Komplementproposition zu glauben. Im Falle eines Einstellungsverb mit einer assertiven Bedeutung ist eine naheliegende Inferenz, dass die sprechende Person zusätzlich ausdrücken will, dass sie sich mit seiner Äußerung nicht auf die Wahrheit des Komplementsatzes verpflichtet wissen will, weil sie glaubt oder es zumindest für möglich hält, dass die Komplementproposition falsch ist. Das ist genau die zusätzliche Bedeutung, die Potts (2005) für den IndK annimmt. Da es sich nach der hier skizzierten Logik allerdings nur um eine inferierte zusätzliche Bedeutung handelt, kann sie in einem Beispiel wie (42) gelöscht werden. In Komplement von Einstellungsverben, die keine assertive Bedeutung haben wie in (44), kommt es in der Regel gar nicht erst zu einer solchen Inferenz. (44)
a. b.
Peter fragt, ob Maria krank sei. Peter verspricht, dass er sich beim nächsten Mal mehr Mühe geben werde.
Was der Annahme, dass es sich bei der Enthaltungsinferenz des IndKs um eine generalisierte, löschbare Implikatur handelt, möglicherweise zusätzliche Plausibilität geben kann, ist, dass sich bei einer anderen Verwendungsweise des Konjunktivs – konkret: beim Konjunktiv II in Konditionalen – ebenfalls eine generalisierte löschbare Implikatur mit Bezug auf die konjunktivisch markierte Proposition einstellt: die Kontrafaktizitätsinferenz. Auch für die Kontrafaktizitätsinferenz im Falle des Konjunktiv II wurde in der Literatur argumentiert, dass sie löschbar ist, vgl. die Diskussion in von Fintel (1997). Es wäre für die zukünftige Forschung sehr interessant, den Status der beiden Inferenzen genauer zu vergleichen. In diesem Zusammenhang ist auch noch ein weiterer Punkt mit Bezug auf den Vorschlag in dieser Arbeit klarzustellen. Die expressive Bedeutung des IndKs ist so zu verstehen, dass sie sich in gewisser Weise token-reflexiv auf das jeweilige Einstellungsverb bezieht, dessen syntaktische Schwester der IndK ist. Für das Beispiel in (42) bedeutet das, dass die sprechende Person ausdrückt, sich nicht unter Verwendung von glauben auf die Wahrheit des Komplementssatzes festzulegen. Dass sie sich dennoch mit dem Zusatz zu Recht ausdrücklich darauf festlegt, steht damit nicht im Widerspruch. Dieser intendierte Bedeutungsaspekt ist durch die Formalisierung bisher nicht eingefangen. Für die Äußerungsinferenz könnte man sich vorstellen, dass sie durch eine kontrastive Interpretation des Bedeutungsbeitrags der expressiven Präsupposition ins Spiel kommt – im Sinne von: ‘Es ist nicht die aktuell sprechende Person, die ausdrückt, zu glauben, dass Maria krank ist’. Die Inferenz wäre demnach: ‘Eine von der aktuell sprechenden Person verschiedene Person drückt aus, zu glauben,
164 | 7 Eine neue Theorie des IndKs
dass Maria krank ist’. Das ist genau der Gehalt der reportativen Präsupposition des Konjunktivs nach Fabricius-Hansen und Sæbø (2004). Die Motivation der Implikatur im Falle der Äußerungsinferenz ist vielleicht nicht so stark wie die Motivation im Falle der Enthaltungsinferenz. Ich denke jedoch, dass in jedem Fall der expressive Bezug der Präsupposition auf einen möglichen Sprechakt der Auslöser der Inferenz ist. Ich nehme auch hier an, dass diese Folgerung eine generalisiert Implikatur ist, die immer ins Spiel kommt, wenn nichts im Äußerungskontext sie ausschließt. Mit diesen Bemerkungen möchte ich die Diskussion zum IndK unter glauben abschließen. Im nächsten Abschnitt wird es um den IndK unter Sprechaktverben und anderen Einstellungen gehen.
8 Weitere Einstellungsverben Bisher habe ich mich im dritten Teil dieser Arbeit auf den IndK unter Verben des Denkens und Meinens beschränkt und stellvertretend für diese Klasse von Einstellungsverben das Verb glauben diskutiert. In diesem Abschnitt möchte ich die Diskussion ausweiten auf den IndK unter anderen Einstellungsverben und dabei insbesondere auch den IndK unter Sprechaktverben thematisieren. Ich gehe dabei von zwei Arbeitshypothesen aus: (1)
Hypothese 1 Jedes Einstellungsverb ist in seiner lexikalischen Bedeutung bezogen auf eine doxastische Perspektive.
Das heißt konkret, dass in der lexikalischen Dekomposition jedes Einstellungsverbs dox als Bedeutungsanteil vorkommt.¹ (2)
Hypothese 2 Der IndK bezieht sich semantisch auf die doxastische Perspektive einer Einstellung.
Dieser Bezug auf die doxastische Perspektive einer Einstellung macht zusammen mit der Anti-m-Performativität des IndKs seine logophorische Natur aus. Im Rest dieses Kapitels werde ich versuchen, einige Details dieses Vorschlag auszubuchstabieren. Dabei werde ich eine Reihe von Vorschlägen zur lexikalischen Dekomposition von Einstellungsverben machen mit dem Ziel, jeweils den Andockort des IndKs zu finden. Die Dekompositionen sind dabei nicht mit Einzelstudien zur Semantik der besprochenen Einstellungsverben zu verwechseln. Es handelt sich vielmehr um eine Art „proof of concept“, dass eine solche Analyse möglich ist und weitere Einsichten im Hinblick auf den IndK mit sich bringen kann.
8.1 Wissen In diesem Abschnitt möchte ich das Vorkommen – oder besser: das Nichtvorkommen – des IndKs unter dem Verb wissen diskutieren.² Der Ausgangspunkt für die Diskussion ist die Beobachtung, dass der IndK weder unter faktivem wissen mit
1 Diese Idee findet sich so bereits in McCawley (1981)’s Diskussion von „World-creating Predicates“. In gewisser Weise ist sie auch in Stalnaker (1988) und Heim (1992) angelegt. 2 Von der Betrachtung ausklammern werde ich dabei Verwendungsweisen des Verbs wissen als Sagensverb, vgl. Reis (1977, 145) zum ‘verbum-dicendi-ähnlichen’ Gebrauch:
https://doi.org/10.1515/9783110422443-008
166 | 8 Weitere Einstellungsverben
dass-Komplement vorkommen kann (4-a), noch mit einem ob- (4-b) oder einem w-Komplement (4-c). (4)
a. #Peter weiß, dass Maria krank sei. b. #Peter weiß, ob Maria krank sei. c. #Peter weiß, wer krank sei.
Im Rahmen einer Hintikka-Semantik von Einstellungsverben wird wissen in der Regel als glauben + Fakitvität analysiert.³ In (5) führe ich eine entsprechende Denotation an. (5)
JwissenKc,g = λphs,ti . λx e . λw s : p(w). dox(x)(w) ⊆ p
Die Wahrheitsbedingungen für das Beispiel in (6-a) ausgehend von dieser Bedeutung für wissen und der LF in (6-b) gebe ich in (6-c) an. (6)
a. b. c.
Peter weiß, dass Maria krank ist. [ w1 Peter weiß [ λw2 w2 Maria krank ]] J(6-b)Kc,g = 1 gdw. dox(Peter)(cw ) ⊆ λw. Maria ist krank in w, J(4-b)Kc,g = definiert nur falls Maria krank ist in cw
Vor dem Hintergrund dieser klassischen Annahme zur Semantik von wissen, die im Kern dieselbe ist wie die von glauben, stellt sich die Frage, wieso der IndK unter wissen nicht verwendet werden kann. Auch nach den Annahmen, die ich im zweiten Teil dieser Arbeit zum IndK mache, sollte der IndK nicht unter wissen ausgeschlossen sein. Hier die Details der Vorhersage für das Beispiel in (7-a).⁴ (7)
a. #Peter weiß, dass Maria krank sei. b. [ w1 Peter [[ weiß log ][ λw2 w2 Maria krank ]]] c. J(7-b)Kc,g = 1 gdw. dox(Peter)(cw ) ⊆ λw. Maria ist krank in w , ¬expr(ca )(cw )(λx.λw. dox(x)(w) ⊆ λw. Maria ist krank in w) definiert nur falls Maria krank ist in cw
(3)
Hanna: Ruth war gerade zum Kaffee da. – Fritz: So? Was wußte die Ratschbase denn alles? – Hanna: Ach, sie wußte, z.B., dass Erna ein Kind kriegt. Reis (1977, 145)
In dieser Verwendungsweise findet man zuweilen auch den IndK. 3 Vgl. z.B. Percus (2006). Für eine semantische Analyse, die den Tatsachenbezug von wissen in der Fordergrund stellt: siehe Kratzer (2003). 4 Während ich die expressive Bedeutung nach wie vor unterhalb des Bruchstrichs schreibe, notiere ich die faktive Präsupposition als Definiertheitsbedingung nach einem Komma.
8.1 Wissen |
167
Selbst wenn wir wie im vorausgehenden Abschnitt diskutiert, die Verwendung des IndKs auf glauben als Bedeutungsbestandteil beschränken, spricht nichts grundsätzlich gegen eine Verwendung des IndKs mit wissen, da der Beitrag zu den Wahrheitsbedingungen von wissen eben genau derselbe ist, wie der von glauben. Auch scheint nichts in der expressiven Bedeutung gegen eine Verwendung mit wissen zu sprechen. In der deskriptiven Literatur wird der Ausschluss des IndKs unter Verweis auf die Nicht-Faktivität des IndKs begründet. Eine Erklärung wird also auf der semantischen Seite gesucht. Tatsächlich gibt es in der Literatur allerdings keine konkreten Vorschläge dazu, wie die Bedeutung des Konjunktivs aussehen muss, so dass das vorhergesagt ist. Eine Rückführung auf die im vorausgehenden Abschnitt diskutierte Enthaltungsinferenz ist nicht möglich, da diese Inferenz löschbar ist. Der einzige mir bekannte Versuch einer semantischen Erklärung unter Bezug auf die Faktivität von wissen findet sich in einer Fußnote in Schlenker (2003). Dort heißt es: [. . . ] it appears that the Konjunktiv I can never be used after factives, as shown in the following: (8)
a. b.
Peter weiß, daß Maria krank ist. *Peter weiß, daß Maria krank sei.
An appealing line of explanation would run as follows. Consider the semantics of ‘know’, analyzed as a quantifier over contexts: (9)
Jknowhx,t,wi c i : φKc,g = 1 iff every context c compatible with what g(x) knows at g(t) in g(w) is such that: JφKc,g[i→c] = 1.
This naive semantics seems to derive the result. Since ‘know’ is factive, a context can be compatible with what the agent knows only if that context is part of the Common Ground. As a consequence, indicative marking can be used in the embedded clause, and therefore it must be used. The problem, however, is that this naive semantics appears to be incorrect, among others because it fails to yield an entailment from John knows that φ to John believes that φ. The reason is that knowhx,t,wi only quantifies over contexts that lie in the Common Ground; whereas believehx,t,wi has no such restriction, unless x’s beliefs entail those of the speaker, which isn’t in general true. Schlenker (2003, 88)
Ich möchte hier einen anderen Vorschlag machen: Ich nehme an, dass alle Einstellungskomplemente in (4-a)-(4-c) veridisch sind. Unter einem „veridischen Einstellungskomplement“ verstehe ich ein Einstellungskomplement, das semantisch auf die Welt des Matrixsatzes bezogen ist. Die Veridizität der Komplemente von wissen verhindert auf LF eine Bindungskonstellation, die für die Merkmalübertragung eines möglichen log-Merkmals unter Bindung eine notwendige Voraussetzung ist. Ein mögliches log-Merkmal würde systematisch daran gehindert, sich durch eine
168 | 8 Weitere Einstellungsverben
Konjunktivform an der Oberfläche bemerkbar zu machen. Da die Erklärung für die „Unverträglichkeit“ von wissen mit einer overten Konjunktivform nicht auf eine semantische Unverträglichkeit des log-Merkmals mit wissen zurückgeführt wird, löst sich unter dieser Perspektive auch das scheinbare semantische Rätsel auf. Im restlichen Abschnitt werde ich die Details dieser Erklärung ausbuchstabieren. Beginnen will ich mit der Bedeutung von wissen mit ob-Komplementen. Zugrunde lege ich eine Bedeutung für Frage-einbettendes wissen im Sinne von Groenendijk und Stokhof (1982). In der Darstellung orientiere ich mich an Heim (1994). Die Intension eines Frage-Komplements der Form whether φ ist nach dieser Darstellung eine Funktion, die uns bezogen auf eine Welt w entweder die durch φ ausgedrückte Proposition zurückgibt oder die entsprechende negierte Proposition je nachdem, ob die Proposition in w wahr ist oder nicht. (10)
Jwhether it rainedK (w) = λw′ . [JrainK (w′ ) = JrainK (w)]
Die entsprechende Bedeutung für das Frage-einbettende wissen gibt Heim (1994) wie in (11) an.⁵ (11)
For any world w, question-intension q, and individual x: JknowQ K (w)(q)(x) = 1 iff x believes q(w) in w
Ich nehme an, dass sich diese Annahmen 1:1 auf das Deutsche übertragen lassen.⁶ Für die Diskussion in diesem Abschnitt ist es entscheidend, dass auch in dem Eintrag für Frage-einbettendes wissen nach Heim (1994) ‘glauben’ als Bedeutungsbestandteil auftritt. Um das zu verdeutlichen, habe ich in (12) den Bedeutungsbeitrag von wissen dekomponiert unter Bezug auf die lexikalische Bedeutung von glauben. (12)
JweißQ K (w)(q)(x) = 1 iff JglaubtK (q(w))(x)(w)
Wenn wir jetzt annehmen, dass diese semantische Dekomposition nicht im Lexikoneintrag von wissen repräsentiert ist, sondern auf der Ebene der logischen Form, dann ist der Ausschluss des IndKs unter wissen mit einem ob-Komplement vor dem Hintergrund der Annahmen zum IndK in dieser Arbeit vorhergesagt. Eine entsprechende LF für den Satz in (13-a) mit einem Indikativ im Komplementsatz sieht aus wie in (13-b). Ich nehme an, dass glaubenf als wissen ausgesprochen wird, aber die Semantik von glauben hat, d.h. keine faktive Präsupposition ein-
5 Der semantische Typ von q ist dabei hs, hs, tii. 6 Es gibt einige Bedeutungsunterschiede und Unterschiede in der Verwendungweise zwischen wissen im Deutschen und know im Englischen, auf die ich hier nicht weiter eingehen kann.
8.1 Wissen |
169
führt. Ich nehme außerdem an, dass das Merkmal f an glaubenf nur lizensiert ist im Agreement mit einem entsprechenden Merkmal f am Komplementierer. Am Komplementierer markiert f semantisch einen zusätzlichen globalen Weltbezug. (13)
a. b.
Peter weiß, ob es regnet. [ w1 Peter glaubtf [ w1 [ obf [ λw2 w2 regnet ]]]]
Um zu denselben Wahrheitsbedingungen wie Heim (1994) zu gelangen, müssen wir annehmen, dass ob eine Proposition als Argument nimmt und auf eine Groenendijk/Stokhof-Proposition q vom semantischen Typen hs, hs, tii abbildet und diese Groenendijk/Stokhof-Proposition q dann auf die Auswertungwelt des Matrixsatzes bezieht, vgl. die entsprechende Denotation in (14). Der einzige Unterschied hier, ist, dass ich annehme, dass das im Komplementierer des Komplementsatzes geschieht und nicht durch die Semantik von wissen. (14)
JobKc,g =λphs,ti . λw s . λw′s . p(w′ ) = p(w)
Dass uns das im Ergebnis genau dieselben Wahrheitsbedingungen gibt wie in der Formulierung nach Heim (1994), kann man an dem Ergebnis der kompositionalen Berechnung in (15) ablesen. (15)
J(13-a)Kc,g = 1 gdw. dox(Peter)(cw ) ⊆ λw′ . es regnet in w′ = es regnet in cw
Wissen unter dieser Perspektive ist also glauben mit einer anderen Aussprache. Genauer gesagt: das semantische glauben wird genau dann als wissen ausgesprochen, wenn es ein Merkmal f trägt, dass nur unter Agreement mit einem entsprechenden Merkmal f am Komplementierer von ob lizensiert ist. Das schließt aus, dass die Kombination von glauben mit ob jemals als glauben, ob ausgesprochen wird. Kommen wir zurück zum IndK. Nichts, von dem, was ich bisher gesagt habe, sollte eine Kombination von glauben mit dem interpretierbaren log-Merkmal des IndKs ausschließen. Wenn wir in der LF in (13-b) ein log-Merkmal hinzufügen, dann bekommen wir die LF in (16). (16)
[ w1 Peter [[ glaubtf log ][ w1 [ obf [ λw2 w2 regnet ]]]]]
Hier ist die Vorhersage für die Bedeutung unter Bezug auf (14): (17)
J(16)Kc,g = 1 gdw.
dox(Peter)(cw ) ⊆ λw′ . Maria ist krank in w′ = Maria ist krank in cw ¬expr(ca )(cw )(λx.λw. dox(x)(w) ⊆ λw′ . Maria ist krank in w′ = Maria ist krank in cw )
170 | 8 Weitere Einstellungsverben
Schauen wir uns die resultierende Bedeutung an: Es gibt keinen grundsätzlichen Konflikt der expressiven Präsupposition von log mit der Bedeutung von wissen mit ob-Komplement. Der einzige Fall, der sich über einen Konflikt mit dem IndK ausschließen lässt, ist die m-performative Verwendungsweise eines Satzes dieser Art in der 1. Person unter Bezug auf die Sprechperspektive. Mit einem solchen Fall haben wir es hier aber nicht zu tun.⁷ Es ist wichtig, zu sehen, dass der Vorschlag in dieser Arbeit dennoch richtig vorhersagt, dass eine overte Konjunktivform im Komplementsatz ausgeschlossen ist: Nach der Logik der Konjunktivlizensierung, wie ich sie im Abschnitt 7 eingeführt habe, ist eine Lizensierung einer Konjunktivform im Komplementsatz der Einstellung nur unter Agreement mit dem log-Merkmal am Weltpronomen im eingebetteten Satz möglich. Das Weltpronomen im eingebetteten Satz kann aber nur mit einem log-Merkmal markiert sein, wenn es dieses unter Bindung durch einen Binderindex mit einem entsprechenden log-Merkmal übertragen bekommt. Der Binderindex kann nur ein log-Merkmal tragen unter Agreement mit dem V-Kopf im Matrixsatz. Hier ist der Bruch in der Kette: Das Agreement zwischen glauben mit seinem log-Merkmal und dem Binderindex im eingebetteten Satz ist blockiert durch die semantische Intervention von ob. Ob selbst trägt kein log-Merkmal und kann es auch nicht, da ob keine Glaubenseinstellung ist. Die einzige Möglichkeit, wie ob ein log-Merkmal erhalten kann, ist durch sein Weltargument nach der Regel (39) im Abschnitt 7. Das Weltargument von ob ist aber gebunden durch das indikativische Weltpronomen des Matrixsatzes. Demnach kann es keine Lizensierungskette von glauben mit seinem log-Merkmal in den Komplementsatz geben und der Konjunktiv ist unter wissen mit einem ob-Komplement ausgeschlossen. Dasselbe Argument lässt sich auch für andere w-Komplemente wiederholen. Ich möchte noch darauf hinweisen, dass eine Übertragung eines log-Merkmals nicht unter allen Umständen ausgeschlossen ist: wenn ein log-Merkmal bereits im Matrixsatz lizensiert ist, wie in dem Beispiel in (19), dann kann ob, wie andere welten-bezogene Operatoren auch, das log-Merkmal seines Weltpronomens, ererben und unter Bindung weiterreichen. (18)
Im Vertrauen sagte sie mir, dass er wisse, ob Maria krank sei.
Um den Ausschluss des IndKs unter dem faktiven wissen mit dass-Komplement zu erklären, weiche ich minimal von der klassischen Semantik für wissen ab. Ich nehme an, dass wissen (d.h. glaubenf ) selbst keine faktive Präsupposition einführt, wenn es mit einem dass-Komplement kombiniert wird. Vielmehr nehme ich an, dass es nur einen Lexikoneintrag für wissen + dass und wissen + ob gibt. Die
7 Diese Annahmen lassen sich auch auf w-Komplemente im Allgemeinen übertragen.
8.1 Wissen
|
171
Faktivität von wissen mit dass-Komplement schreibe ich demnach nicht wissen selbst, sondern dem dass-Komplement zu. Ähnlich wie Kratzer (2006) nehme ich an, dass es neben einem semantisch leeren dass ein faktives dass gibt. Dieses faktive dass hat die Denotation in (19). (19)
Jdassf Kc,g =λphs,ti . λwhsi . λw′hsi : p(w). p(w′ )
Der semantische Typ des faktiven dass ist also derselbe wie der von ob. Ich nehme weiterhin an, dass auch das faktive dass ein Merkmal f trägt, das genau dann lizensiert ist, wenn es sich mit glaubenf verbindet, das als wissen ausgesprochen wird. Mit Blick auf wissen lässt sich also zusammenfassen: Was als wissen ausgesprochen wird, ist ein semantisches glauben mit einem obligatorisch veridischen Komplement. So wie ob-Komplemente können faktive dass-Komplemente auch nicht mit dem einfachen glauben ohne f-Merkmal verbunden werden.⁸ Im Appendix zu diesem Abschnitt findet sich eine detaillierte Beispielrechnung, die zeigt, dass die Semantik für den Gesamtsatz dieselbe ist wie nach der klassischen Hintikka-Analyse + faktiver Präsupposition.⁹ Auch bei wissen, dass ist es grundsätzlich möglich, dass sich ein interpretierbares log-Merkmal mit glauben verbindet. (20)
[ w1 Peter [[ glaubt log ][ w1 [ dassf [ λ2 w2 regnet ]]]]]
Die Semantik des IndKs schließt – wie sonst auch – nur die m-performative Verwendungsweise aus. Nach derselben Logik wie im Falle von ob-Komplementen ist auch hier keine overte Konjunktivform im Komplementsatz lizensiert, es sei denn, sie wäre bereits im Matrixsatz lizensiert. Ich möchte die Diskussion kurz zusammenfassen: Im ersten Moment erscheint es rätselhaft, warum wissen nicht den IndK lizensieren sollte, wo doch der semantische Kern von wissen eine doxastische Einstellung zu sein scheint. Die Erklärung hier gibt dieser Intuition recht und zeigt, dass es keinen semantischen Widerspruch gibt zwischen dem Konjunktiv und wissen. Tatsächlich ist es vielmehr die veridische Natur der Komplementsätze, die eine Merkmalübertragung in den Komplementsatz unterbindet – mit Ausnahme des Falls, wo bereits ein Konjunktiv im Matrixsatz lizensiert ist. Diese Einsichten werden eine entschei-
8 Der angenommene Wettbewerb zwischen glauben und wissen entsprechend der Logik von Maximize presupposition, vgl. Sauerland (2008b) überträgt sich auf den Wettbewerb zwischen faktivem und nicht-faktivem dass. 9 Die globale Pragmatik nach Maximize presupposition ist, wie in der vorausgehenden Fußnote erwähnt, ebenfalls genau dieselbe.
172 | 8 Weitere Einstellungsverben
dende Rolle bei der Analyse der Anti-Faktivität von Sprechaktverben im nächsten Abschnitt spielen.
8.2 Assertive Sprechaktverben In diesem Abschnitt geht es um assertive Sprechaktverben wie sagen, erzählen, berichten usw. Zur Erinnerung an die Datenlage wiederhole ich hier noch einmal die entscheidenden Beobachtungen. Der IndK kann im Prinzip unter allen assertiven Sprechaktverben verwendet werden: (21)
Peter {gesagt/erzählt/berichtet}, dass Maria krank sei.
Insofern diese Verben eine performative Verwendungsweise erlauben, ist der IndK in dieser Verwendungseweise ausgeschlossen. (22)
#Ich sage/berichte (dir), dass Maria krank sei.
In der deskriptiven Literatur wird Verben wie sagen, erzählen und berichten neben einer rein berichtenden Lesart, auch eine faktive Lesart zugeschrieben. Diese Lesart ist besonders naheliegend, wenn diese Verben mit einem indirekten Objekt konstruiert werden. (23)
Peter hat mir {gesagt/erzählt/berichtet}, dass Maria krank ist.
Die Faktivität zeigt sich daran, dass die Wahrheit der Komplementproposition in dieser Lesart auch in den üblichen Testkontexten für Präsuppositionen erhalten bleibt (24). (24)
a. b. c.
Peter hat mir nicht {gesagt/erzählt/berichtet}, dass Maria krank ist. Peter hat ihr möglicherweise {gesagt/erzählt/berichtet}, dass Maria krank ist. Hat Peter ihr {gesagt/erzählt/berichtet}, dass Maria krank ist?
Der IndK scheint diese faktive Lesart systematisch auszuschließen. (25)
Peter hat mir {gesagt/erzählt/berichtet}, dass Maria krank sei.
Diese Intution wird noch verstärkt, wenn wir den IndK in den Testkontexten für Präsuppositionen betrachten. (26)
a.
Peter hat mir nicht {gesagt/erzählt/berichtet}, dass Maria krank sei.
8.2 Assertive Sprechaktverben |
b. c.
173
Peter hat ihr möglicherweise {gesagt/erzählt/berichtet}, dass Maria krank sei. Hat Peter mir {gesagt/erzählt/berichtet}, dass Maria krank sei?
Interessanterweise treten alle diese Verben auch mit ob- und w-Komplementen auf. (27)
a. b.
Peter hat mir {gesagt/erzählt/berichtet}, ob Maria krank ist. Peter hat mir {gesagt/erzählt/berichtet}, wer krank ist.
Von verschiedenen Autoren ist beobachtet worden, dass eine Form des IndKs mit ob- und w-Komplementen entweder nur sehr bedingt oder überhaupt nicht vorkommen kann, vgl. Lohnstein (2000, 101f.) und die dort diskutierte Literatur. (28)
a. #/??Peter hat ihr {gesagt/erzählt/berichtet}, ob Maria krank sei. b. #/??Peter hat ihr {gesagt/erzählt/berichtet}, wer krank sei.
Soweit die Datenlage.¹⁰ Inspiriert durch die konzeptuelle Analyse von Assertives in Searle (1975) schlage ich vor, assertive Einstellungsverben wie sagen semantisch zu dekomponieren in zwei Teile: ‘ausdrücken’ und ‘glauben’. Entsprechend dieser semantischen Dekomposition hätte ein Satz wie (29-a) eine Bedeutung im Sinne der Paraphrase in (29-b). (29)
a. b.
Peter sagt, dass Maria krank ist. ‘Peter drückt aus, zu glauben, dass Maria krank ist.’
Wenn wir eine dieser Paraphrase entsprechende logische Form für (30-a) annehmen, dann bekommen wir (30-b). Peter sagt, dass Maria krank ist. [ w1 Peter drückt-aus [ zu-glauben [ λw2 w2 Maria krank ]]]
(30)
a. b.
(31)
Jzu-glaubenKc,g = JglaubtKc,g
Der einzige Bedeutungsbestandteil, der in (30-b) noch unanalysiert ist das Prädikat drückt-aus. Ich nehme an, dass diesem Prädikat in der Metasprache das
10 Die Beispiele in diesem Abschnitt sind alle konstruiert und dienen der Illustration des allgemeinen Schemas. Realistische Beispiele aus journalstischen und/oder Interquellen für die hier diskutierten Verwendungsweisen mit einer Form des IndKs finden sich im ersten Teil dieser Arbeit an entsprechender Stelle.
174 | 8 Weitere Einstellungsverben
Prädikat expr entspricht, das wir bereits aus der Diskussion der Bedeutung des IndKs kennen. (32)
Jdrückt-ausKc,g = λphe,hs,tii . λx. λw. expr(x)(w)(p)
Die Wahrheitsbedingungen von (30-a) entsprechend der LF in (30-b) gebe ich in (33) an. (33)
J(30-b)Kc,g = 1 gdw.
expr(Peter)(cw )(λx. λw. dox(x)(w) ⊆ λw. Maria ist krank in w) Die Grunddaten des IndKs unter assertiven Einstellungsverben lassen sich davon ausgehend leicht erklären. Zunächst einmal hat das semantisch interpretierbare Merkmal log bei dieser Dekomposition in glauben eine Anlaufstelle. Die grundsätzliche Möglichkeit des Vorkommens unter Einstellungsverben wie sagen ist damit erklärt. Die vorhergesagte Bedeutung gebe ich in (34-c) an. (34)
a. b. c.
Peter sagt, dass Maria krank sei. [ w1 Peter drückt-aus [[ zu-glauben log ][ λ4 w4 Maria krank ]]] J(34-b)Kc,g = 1 gdw. expr(Peter)(cw )(λx. λw. dox(x)(w) ⊆ λw. Maria ist krank in w) ¬expr(ca )(cw )(λx. λw. dox(x)(w) ⊆ λw. Maria ist krank in w)
Schauen wir uns an, was in der 1. Person Singular bei Bezug auf den Äußerungskontext geschieht. (35)
a. b. c.
Ich sage, dass Maria krank sei. [ w1 ich drücke-aus [[ zu-glauben log ][ λ4 w4 Maria krank ]]] J(35-b)Kc,g = 1 gdw. expr(ca )(cw )(λx. λw. dox(x)(w) ⊆ λw. Maria ist krank in w) ¬expr(ca )(cw )(λx. λw. dox(x)(w) ⊆ λw. Maria ist krank in w)
Es scheint so zu sein, dass wir einen direkten Widerspruch zwischen den Wahrheitsbedingungen und der expressiven Bedeutung des IndKs bekommen. Da aber der IndK, wie im vorausgehenden Kapitel ausführlich besprochen, lediglich für die (m-)performative Verwendungsweise von Äußerungen in der 1. Person sensitiv
8.2 Assertive Sprechaktverben |
175
ist, schließt er genau eine performative Verwendung von sagen aus.¹¹ Ich nehme an, dass sich diese Logik im Kern auf alle assertiven Einstellungsverben übertragen lässt. Das erklärt die Anti-Performativität des IndKs unter assertiven Sprechakteinstellungen. Wenn wir die Ergebnisse des letzten Abschnitts auf diese Überlegungen beziehen, dann bekommen wir unmittelbar eine Vorhersage unter der Annahme, dass sagen so viel bedeutet wie ‘ausdrücken zu glauben’. Wir hatten im letzten Abschnitt gesehen, dass glauben im semantischen Wettbewerb steht mit wissen, vgl. z.B. Sauerland (2008b): Kann die Wahrheit der Komplementproposition im Kontext als gegeben vorausgesetzt werden, dann muss das faktive wissen dem nicht-faktiven glauben vorgezogen werden. Mein Vorschlag hier ist, dass auch unter ausdrücken in der lexikalischen Dekomposition das faktive wissen dem nichtfaktiven glauben vorzuziehen ist, wenn die Komplementproposition als gegeben vorausgesetzt wird. Das erklärt die Faktivität von sagen in den entsprechenden Äußerungskontexten. Analoges gilt im Falle von berichten und erzählen. Hier zunächst die semantischen Details des Vorschlags: (36)
[ w1 Peter drückt-aus [ zu-glaubenf [ w1 [ dassf [ λ4 w4 Maria krank ]]]]]
Für die Wahrheitsbedingungen bekommen wir (37). (37)
J(36)Kc,g =1 gdw.
expr(Peter)(cw )(λx. λw. dox(x)(w) ⊆ λw. Maria ist krank in w), definiert, nur falls Maria ist krank in cw Ich führe also den Unterschied zwischen der reinen Sagens- und der faktiven Lesart von assertiven Sprechaktverben auf einen Unterschied zwischen glauben und wissen in der lexikalischen Dekomposition zurück. Die Aussprache von ausdrücken + glauben und ausdrücken + wissen ist dabei dieselbe. Es ist wieder nicht ausgeschlossen, in der LF in (36) glauben mit einem log-Merkmal zu verbinden. Es ist jedoch auch offensichtlich, dass die resultierende Konstellation keine Übertragung des log-Merkmals in den Komplementsatz erlaubt, vgl. die entsprechende Argumentation in der Diskussion von wissen. Die Argumentation im Falle von ob- und w-Komplementen unter sagen, erzählen und berichten folgt derselben Logik. Die entscheindende Annahme ist, dass
11 Das heißt den Fall, bei dem expr(ca )(cw )(λx. λw. dox(x)(w) ⊆ λw. Maria ist krank in w) als der Beitrag zu den Wahrheitsbedingungen auch auf der expressiven Ebene in diesem Sinne interpretiert wird.
176 | 8 Weitere Einstellungsverben
auch unter sagen das ob-Komplement mit glaubenf konstruiert wird und veridisch interpretiert wird unter Bezug auf die Welt im Matrixsatz. Die logische Form für (38-a) gebe ich in (38-b) an und die entsprechenden Wahrheitsbedingungen in (38-c). (38)
a. b. c.
Peter sagt, ob Maria krank ist. [ w1 Peter drückt-aus [ zu-glaubenf [ w1 [ obf [ λ4 w4 Maria krank ]]]]] J(38-b)Kc,g =1 gdw. expr(Peter)(cw )(λx. λw. dox(x)(w) ⊆ λw. Maria ist krank in w = Maria ist krank in cw )
Auch hier bekommen wir sowohl die richtige Vorhersage für die Bedeutung als auch die richtige Vorhersage, dass im Komplementsatz keine Konjunktivform lizensiert ist, da die Merkmalübertragung blockiert wird. Die Hypothesen der semantischen Dekomposition resultieren also in guten Vorhersagen.
8.3 Wollen und fordern In diesem Abschnitt will ich Vorkommnisse des IndKs unter Verben des Wollens und Wünschens diskutieren. Die folgenden Beispiele zeigen, dass der IndK durchaus unter diesen Verben vorkommt. (39)
Das Wort „Bürgerbeteiligung“ will er mehr mit Leben erfüllen, als es bisher der Fall sei.
(40)
EnBW will hierzu einen Frachtkahn einsetzen, der unsinkbar sei.
(41)
Er will den Mann persönlich treffen, der ihn denunziert habe.
(42)
Sie wünscht sich, der erste Mensch zu sein, dem das gelinge.
Dass die Vorkommnisse des IndKs in diesen Sätzen durch die volitive Einstellung selbst lizensiert sind, lässt sich zweifelsfrei an zwei Faktoren erkennen, die in diesen Beispielen zusammenkommen: Zum einen ist kein weiterer Diskurskontext nötig, um den IndK zu lizensieren (es ist klar, dass es sich um eine Äußerung des Subjekts handelt); und zum anderen handelt es sich bei den Vorkommnissen des IndKs in den Beispielen (39)-(42) um Vorkommnisse in restriktiven Nebensätzen, was es uns erlaubt die Lizensierung durch ein eigenes Illokutionspotential im abhängigen Satz auszuschließen.¹²
12 Nicht ausgeschlossen werden kann das z.B. in den folgenden Beispielen:
8.3 Wollen und fordern
|
177
Wenn die heuristische Annahme auf dem richtigen Weg ist, dass das logMerkmal des IndKs nur unter Bezug auf die doxastische Perspektive einer Einstellung lizensiert ist, dann muss sich eine solche Glaubensperspektive als Bedeutungsbestandteil in einer semantischen Dekomposition von wollen nachweisen lassen. Tatsächlich ist von Heim (1992) ein sehr einflussreicher Vorschlag für die Bedeutung von wollen gemacht worden, in dem sie den Wunschgehalt auf den Glauben und die Überzeugungen des Matrixsubjekts relativiert.¹³ Die Grundidee fasst Heim selbst mit folgenden Worten zusammen: „The analysis of desire verbs I want to pursue here is sketched in Stalnaker (1984:89): ‘wanting something is preferring it to certain relevant alternatives, the relevant alternatives being those possibilities that the agent believes will be realized if he does not get what he wants.’ An important feature of this analysis is that it sees a hidden conditional in every desire report. A little more explicitly, the leading intuition is that John wants you to leave means that John thinks that if you leave he will be in a more desirable world than if you don’t leave. The main task in implementing this idea is to spell out the conditionals in the above paraphrase. For this I employ a version of the semantics that Lewis (1973) proposed for counterfactual conditionals and Stalnaker (1968) for conditionals in general. The key concept here is that of comparative similarity among worlds, and the basic idea is that a conditional if φ, ψ is true in a world w iff ψ is true in all φ-worlds maximally similar to w. (By a φ-world maximally similar to w’, we mean a world in which φ is true and which resembles w no less than any other world where φ is true.) The meaning of want, as indicated by the paraphrase above, can now be described as follows: ‘α wants φ’ is true in w iff for every w′ ∈ Doxα (w): every φ-world maximally similar to w′ is more desirable to α in w than any non-φ-world maximally similar to w′ .“ Heim (1992, 193)
Die Details formuliert Heim (1992) im Rahmen einer dynamischen Semantik aus, in der die Bedeutung eines Ausdrucks sein „context change potential“ ist. Unter Verwendung der Notation in dieser Arbeit lässt sich eine nicht-dynamische Variante der Bedeutung von wollen wie in (47) angeben, vgl. Heim (1992, 197).
(43)
Die AfD will den Antrag der Linken ablehnen, weil der Landtag nicht zuständig sei.
(44)
I. will den Einreisestopp, der nicht „ansatzweise logisch nachvollziehbar“ sei, nicht ohne Weiteres akzeptieren.
Es kann hier nicht ausgeschlossen werden, dass der IndK aus denselben Gründen gleichsam „selbständig“ lizensiert ist, wie in den folgenden Beispielen: (45)
Der Landtag wurde nicht aktiv, weil er nicht zuständig sei.
(46)
Sie ignoriert den Antrag, der nicht nachvollziehbar sei.
13 Der Diskussionszusammenhang, in dem Heim (1992) diesen Vorschlag macht, ist das Projektionverhalten von Präsuppositionen in Einstellungskontexten.
178 | 8 Weitere Einstellungsverben
(47)
JwollenKc,g (p)(x)(w) =1 gdw. dox(x)(w) ⊆ λw′ . Simw′ (p) < x,w Simw′ (W \p)
Die weiteren Definitionen nach Heim (1992) führe ich in (48) und (49) an. (48)
Simw (p) =def {w′ ∈ W: w′ ∈ p and w′ resembles w no less than any other world in p}
(49)
a. b.
For any w, w′ , w′′ ∈ W, w′ < α,w w′′ iff w′ is more desirable to a in w than w′′ . For any w ∈ W, X ⊆ W, Y ⊆ W, X < α,w Y iff w′ < α,w w′′ for all w′ ∈ X, w′′ ∈ Y.
Wie auch im letzten Abschnitt im Zusammenhang der Diskussion von wissen lässt sich die Bedeutung von wollen nach diesem Vorschlag unter Bezug auf die Bedeutung von glauben dekomponieren. (50)
a. b.
JwollenKc,g (p)(x)(w) = 1 gdw. V(JglaubenKc,g )(p)(x)(w) V = λAα . λp. λx. λw. A(λw′ . Simw′ (p) < x,w Simw′ (W \p))(x)(w), wobei α =def hhs, ti, he, hs, tiii
Es ist jedoch wichtig, an dieser Stelle zu sehen, dass es nicht genügen würde, die expressive Bedeutung des IndKs in der dekomponierten Bedeutung von wollen auf den Glaubensanteil alleine zu beziehen und zwar deshalb nicht, da die Proposition unter glauben selbst wiederum auf x und w Bezug nimmt. Die intuitiv richtigen Wahrheitsbedingungen bekommen wir, wenn wir log auf die gesamte Bedeutung von wollen beziehen. Dem semantischen Typen nach ist das möglich. Die Vorhersagen für ein Beispiel mit IndK gebe ich in (51) an: (51)
a. b. c.
[*]Peter will, dass es regne. [ w1 Peter [[ will log ][ λw1 [ w1 regnet ]]] J(52-b)Kc,g =1 gdw. (mit φ als Abkürzung für [ λw1 [ w1 regnet ]]) dox(Peter)(cw ) ⊆ λw. Simw (JφKc,g )