An der Schwelle zum Land der Verheißung: Rhetorik und Pragmatik in Dtn 9,1–10,11 3447117451, 9783447117456

Im Buch Deuteronomium kommt Mose mehrmals auf die Ereignisse am Berg Horeb zu sprechen. Während in Dtn 4; 5 Gottes Offen

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Inhalt
Tabellen und Schemata
Tabelle 1: Wiederaufnahmen von Schlüsselwörtern aus Dtn 9,1–6 in Dtn 9,7–10,11
Tabelle 2: Die Ermutigungsreden und ihre rhetorischen Elemente
Tabelle 3: Struktur von Dtn 9,4–6
Tabelle 4: Entsprechung von Israels Sünde und Gottes Drohung
Tabelle 5: Vergleich von Gottes und Moses Charakterisierung der Verfehlung
Tabelle 6: Verstoßungsformeln
Tabelle 7: Plus und Minus in Dtn 9,9–17 im Vergleich zu Ex 24; 32
Tabelle 8: Moses Gebet in Dtn 9,26–29 und Ex 32,11–13
Tabelle 9: Erneuerungserzählung in Dtn 9f. und Ex 33–34
Tabelle 10: Verknüpfungen zwischen Dtn 9,1–6 und Ex 33,1–34,11
Tabelle 11: Verknüpfungen der Horebkrise mit der künftigen Krise
Tabelle 12: Verknüpfungen zwischen Dtn 9f. (Ex 32–34) und 1–2 Kön; Jer
Tabelle 13: Die Wende am Horeb und in der Zukunft
Tabelle 14: Verknüpfungen zwischen Dtn 9f. und 1 Kön 8
Schema 1: Verknüpfungen zwischen Konklusion, Geschichtsrückblick und Paränese
Schema 2: Textinterne Perspektive
Schema 3: Perspektive des Erzählers
Schema 4: Applizierte Textexterne Perspektive
Schema 5: Beziehung von Erinnerung und Erkenntnis in Dtn 9f.
Schema 6: Dynamik von der Landnahme zum Landverlust
Schema 7: Beziehung zwischen Paränese und Geschichtsrückblick
Schema 8: Entsprechungen zwischen textinterner und textexterner Welt
Abkürzungsverzeichnis
Vorwort
Einleitung
1. Hermeneutik, Methodologie und Fragestellung
1.1 Der protomasoretische Text der persischen Periode
1.2 Textpragmatik als hermeneutischer Zugang
1.2.1 Textinterne und textexterne Kommunikation
a) Textinterne Kommunikation und Moses Rhetorik
b) Textexterne Kommunikation und Pragmatik
1.2.2 Sinn und Pragmatik von Erinnerung
1.3 Methodologie
1.3.1 Textgattungen
1.3.2 Narrative Analyse
1.3.3 Rhetorische Analyse
1.3.4 Intra- und Intertextualität
1.4 Fragestellung und bisherige Forschungsgeschichte
1.4.1 Die Frage nach der rhetorischen Dynamik in Dtn 9f.
a) Geschichtsrückblick als Beweisgrundlage
b) Weitere Interpretationsansätze
1.4.2 Die Frage nach der textexternen Pragmatik
1.4.3 Offene Fragen
2. Hinführung zur Auslegung
2.1 Rhetorischer Kontext, Abgrenzung und Einheit
2.1.1 Größerer rhetorischer Zusammenhang (Dtn 1–11)
2.1.2 Abgrenzung
2.1.3 Dtn 9f. als rhetorische Einheit
2.2 Beziehungen innerhalb des Buches Deuteronomium
2.3 Übersetzung und Textkritik
2.3.1 Übersetzung
2.3.2 Text
2.4 Struktur
2.5 Grundlegendes zu Dtn 9f.
2.5.1 Stimmen
2.5.2 Die unterschiedlichen Zeitebenen
2.5.3 Topographie der Ursprungsgeschichte Israels
2.5.4 Hauptprotagonisten und ihre Beziehungen
2.5.5 Dynamik: Wiederaufnahme von Motiven
3. Moses Ermutigung (Dtn 9,1–3)
3.1 Struktur und Dynamik
3.1.1 Das syntaktische Schema von Dtn 6,4–5; 9,1–3; 27,9–10
3.1.2 Dtn 9,1–3 als Ermutigungsrede
3.1.3 Dynamik und Struktur der Ermutigungsrede in Dtn 9,1–3
3.2 Auslegung
3.2.1 Mission: Die Überquerung des Jordan zur Landnahme
Exkurs: Schwellenmotivik
3.2.2 Die äußeren und inneren Hindernisse
3.2.3 Vergewisserung von Gottes Beistand
3.3 Textexterne Pragmatik
3.4 Kriegsideologie und -rhetorik in Dtn 9,1–3
4. Warnung vor der falschen Selbstzuschreibung (Dtn 9,4–6)
4.1 Struktur und Dynamik
4.2 Die Bedeutung von צדקה in Dtn 9,4–6
4.2.1 Allgemeine Begriffsanalyse
4.2.2 Die Bedeutung von צדקה in Dtn 9,4–6
4.3 Auslegung
4.3.1 Die falsche Herzenserwägung und Moses Ergänzung (Dtn 9,4)
4.3.2 Belehrung über die Gründe des Gelingens (Dtn 9,5)
4.3.3 Aufruf zu Einsicht und Selbsterkenntnis (Dtn 9,6)
4.4 Textinterne und Textexterne Kommunikationsebene
5. Geschichtsrückblick (Dtn 9,7–10,11)
5.1 Hinführung zur Auslegung
5.1.1 Verknüpfung von Paränese und Geschichtsrückblick
5.1.2 Abgrenzung, Einheit und Verknüpfung mit Dtn 10,12–11,32
5.1.3 Struktur von Dtn 9,7–10,11
5.1.4 Dynamik
a) Die Horeberzählung: Aufbau nach Handlungsmomenten
b) Die übergeordnete Dynamik
5.1.5 Fabel: Ein einziges Gebet
5.1.6 Die Symbolik der Tafeln, des Kalbes und der Lade
5.2 Israels Rebellionen und die Verschonung am Horeb (Dtn 9,7–24)
5.2.1 Struktur und Dynamik
5.2.2 Behauptung von Israels Rebellion der Wüstenzeit (Dtn 9,7)
5.2.3 Die Rebellion am Gottesberg und die Verschonung Israels (Dtn 9,8–21)
5.2.3.1 Einleitung in die Horebepisode (Dtn 9,8)
5.2.3.2 Die Übergabe der Tafeln (Dtn 9,9–10)
a) Die Tafeln
b) Moses Aufenthalt
c) Die Übergabe der Tafeln
5.2.3.3 Das Gussbild und Gottes Zorn (Dtn 9,11–14)
a) Moses Sendung
b) Israels Vergehen
c) Gottes Urteil und Vernichtungsandrohung
5.2.3.4 Moses Abstieg und das Zerschmettern der Tafeln (Dtn 9,15–17)
a) Moses Abstieg
b) Moses Bestätigung und Uminterpretation
c) Das Kalb
d) Die Zerstörung der Tafeln
e) Textexterne Kommunikationsebene
5.2.3.5 Moses Sühnegebet und dessen Erhörung (Dtn 9,18–20)
a) Moses Sühnegebet
b) Dtn 9,18 und die Untergangsgeschichte der Reiche
c) Moses Furcht vor dem vernichtenden Zorn Gottes
d) Dtn 9f. und Israels zukünftige Katastrophe
e) Die Erhörungsnotiz
f) Gottes Zorn über Aaron (v20)
5.2.3.6 Die Zerstörung des Kultobjektes (Dtn 9,21)
a) Aspekte der Sühne
b) Entmachtung des selbstgemachten Gottes
c) Dtn 9,21 und die Kultreformen der Königszeit
5.2.4 Weitere Rebellionen (Dtn 9,22–23)
a) Drei Rebellionen: Tabera, Massa und Kibrot-Taawa
b) Die Rebellion von Kadesch-Barnea
c) Die Rebellionen am Horeb und in Kadesch-Barnea
5.2.5 Zweite allgemeine Rebellionsaussage (Dtn 9,24)
5.3 Die Gründe für Israels Verschonung (Dtn 9,25–29)
5.3.1 Einzelanalyse
a) Einleitung
b) Die Bitte um Verschonung
c) Erinnerung an die Patriarchen und Abwendung von der Sünde
d) Das Völkerurteil
e) Die unauflösliche Beziehung
5.3.2 Textinterne und textexterne Kommunikationsebene
5.4 Erneuerung am Horeb (Dtn 10,1–11)
5.4.1 Die Erneuerung der Tafeln und die Lade (Dtn 10,1–5)
a) Auftrag zur Herstellung der neuen Tafeln und der Lade
b) Ausführung
c) Textexterne Pragmatik
5.4.2 Der Stamm Levi als Garant der erneuerten Beziehung (Dtn 10,6–9)
5.4.2.1 Sukzession des Priesteramtes (Dtn 10,6–7)
a) Einzelanalyse
b) Tod und „Weiterleben“ von Mose und Aaron
5.4.2.2 Die Dienste des Stammes Levi (Dtn 10,8–9)
a) Die Aussonderung des Stammes Levi
b) Die Besitzlosigkeit Levis und ihre Kompensation
5.4.2.3 Textexterne Pragmatik in Dtn 10,6–9
5.4.3 Erhörung und Aufbruch in Richtung Land (Dtn 10,10–11)
a) Einzelanalyse
b) Dtn 10,10–11 als mehrfacher Abschluss
c) Dtn 10,10–11 auf textexterner Kommunikationsebene
6. Textinterne Kommunikation und rhetorische Dynamik
6.1 Horeberzählung in Dtn 9f. und in Ex 32–34
6.1.1 Die Übergabe der Tafeln und die Sünde (Dtn 9,9–17 und Ex 24; 32)
a) Dtn 9,9–11 als Zusammenfassung von Ex 24,12–18; 31,18
b) Die Akzentuierung des Bundesthemas
c) Zuspitzung von Verantwortlichkeit und Schuld
d) Bruch des ersten Gebotes in Form des Bilderverbots
e) Die Zerstörung der Tafeln als prophetische Zeichenhandlung
6.1.2 Moses Beten
a) Moses Gebet in Dtn 9f. als Abstrahierung seines langen Ringens
b) Verschonung der Schuldigen
6.1.3 Die Erneuerung am Sinai/Horeb
a) Dtn 10,1–5 als Verdichtung der Bundeserneuerung in Ex 34
b) Die Erneuerung als Geschehen zwischen ihm und Jhwh
c) Die Lade als Symbol des Schutzes und der Bewahrung
d) Berufung des Stammes Levi
e) Mose schließt mit der Zusage der gelingenden Landnahme
6.1.4 Moses Paränese zur Landnahme und ihre Beziehung zu Ex 33–34
6.1.5 Konklusion: Die Eigenart von Moses Nacherzählung
6.2 Die rhetorische Dynamik in Dtn 9f.
6.2.1 Die Ermutigungsrede (Dtn 9,1–3)
6.2.2 Warnung vor der falschen Selbstzuschreibung (Dtn 9,4–6)
6.2.3 Kohärenz und Spannung in Dtn 9,1–6
6.2.4 Rebellions- und Rettungsgeschichte (Dtn 9,7–24)
6.2.5 Die Gründe für Israels Verschonung (Dtn 9,25–29)
6.2.6 Erneuerung der Gottesbeziehung (Dtn 10,1–11)
6.3 Beziehungen zwischen Paränese und Geschichtsrückblick
6.3.1 Im rhetorischen Dienst von Moses Paränese
6.3.2 Sinnzusammenhang von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
a) Der Geschichtsrückblick lässt Gegenwart verstehen
b) Relationierung der Gegenwart mit der Vergangenheit
c) Der Geschichtsrückblick lässt Zukunft erhoffen und erwarten
6.3.3 Die Dynamik der Überwindung
6.3.4 Resümee
6.4 Dtn 9f. in der Dynamik des Buches Deuteronomium
6.4.1 Israels Übergang in eine neue Lebensphase
6.4.2 Die Horeberzählung als Paradigma
6.4.3 Das einmalige Horebereignis mit Auswirkung auf die Zukunft
a) Moses einmaliger Einsatz
b) Die Rettung am Horeb und ihre Auswirkungen auf die Zukunft
c) Grundlegung der Zukunft am Horeb
6.4.4 Narrative Identität
6.4.5 Die Beziehungen zwischen Dtn 9f. und Dtn 31–32
a) Weiterentwicklung von Dtn 9,1–6
b) Vorkehrungen für Israels Zukunft am Horeb und in Moab
c) Reinszenierung der Horebereignisse
7. Textexterne Kommunikation und Pragmatik
7.1 Dtn 9 und Israels Untergangsgeschichte bis zum Exil
7.1.1 Die Horebkrise und die zukünftige Krise in Dtn 4; 28; 29; 31–32
7.1.2 Dtn 9 und der Untergang der beiden Reiche in 1–2 Kön und Jer
a) Dtn 9f. und der Untergang des Nordreichs
b) Dtn 9 und der Untergang Judas
7.1.3 Dtn 9f. und die Auswirkungen von Gottes Zorn auf Israel und Juda
7.2 Überwindung des göttlichen Zornes
a) Moses paradigmatische Fürbitte
b) Die Wirksamkeit von Moses Fürbitte
c) Adressierung der textexternen Adressaten
d) Die Überwindung von Gottes Zorn am Horeb und in der Zukunft
7.3 Erneuerung
a) Die erneuerten Tafeln
b) Die Lade und ihre Beziehung zu Jos 3–4 und 1 Kön 8
c) Dtn 9f. und die Erneuerung im Buch Deuteronomium
7.4 Bewahrung und Kontinuität der Gottesbeziehung
a) Die Lade als Zeichen der Bewahrung des Bundes
b) Die Sukzession des Priesteramtes Aarons
c) Der Stamm Levi als Garant der Gottesbeziehung
7.5 Aufruf zur Heimkehr
7.6 Zusammenfassung
Zusammenfassung, Auswertung und Ausblick
Literatur
Bibelstellenindex
Autorenindex
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An der Schwelle zum Land der Verheißung: Rhetorik und Pragmatik in Dtn 9,1–10,11
 3447117451, 9783447117456

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Beihefte zur Zeitschrift für Altorientalische und Biblische Rechtsgeschichte 26

Simon Weyringer

An der Schwelle zum Land der Verheißung Rhetorik und Pragmatik in Dtn 9,1–10,11

Harrassowitz Verlag

© 2021, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-11745-6 - ISBN E-Book: 978-3-447-39219-8

Beihefte zur Zeitschrift für Altorientalische und Biblische Rechtsgeschichte (BZAR) Herausgegeben von Eckart Otto, Dominik Markl und Guido Pfeifer Band 26

2021

Harrassowitz Verlag . Wiesbaden

© 2021, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-11745-6 - ISBN E-Book: 978-3-447-39219-8

Simon Weyringer

An der Schwelle zum Land der Verheißung Rhetorik und Pragmatik in Dtn 9,1–10,11

2021

Harrassowitz Verlag . Wiesbaden

© 2021, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-11745-6 - ISBN E-Book: 978-3-447-39219-8

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Für meinen Bruder Jakob Weyringer * 24. Februar 1982 † 14. Jänner 1983 und meine Großmutter Rosa Weyringer * 8. März 1922 † 5. Jänner 1998

© 2021, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-11745-6 - ISBN E-Book: 978-3-447-39219-8

© 2021, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-11745-6 - ISBN E-Book: 978-3-447-39219-8

Inhalt Tabellen und Schemata....................................................................................................... XII Abkürzungsverzeichnis .................................................................................................... XIII Vorwort ..............................................................................................................................XV Einleitung .............................................................................................................................. 1 1. Hermeneutik, Methodologie und Fragestellung ................................................................ 3 1.1 Der protomasoretische Text der persischen Periode ........................................................ 3 1.2 Textpragmatik als hermeneutischer Zugang .................................................................... 4 1.2.1 Textinterne und textexterne Kommunikation ......................................................... 5 a) Textinterne Kommunikation und Moses Rhetorik ................................................. 5 b) Textexterne Kommunikation und Pragmatik ......................................................... 6 1.2.2 Sinn und Pragmatik von Erinnerung ....................................................................... 8 1.3 Methodologie ................................................................................................................... 9 1.3.1 Textgattungen ......................................................................................................... 9 1.3.2 Narrative Analyse ................................................................................................. 10 1.3.3 Rhetorische Analyse ............................................................................................. 11 1.3.4 Intra- und Intertextualität ...................................................................................... 12 1.4 Fragestellung und bisherige Forschungsgeschichte ....................................................... 14 1.4.1 Die Frage nach der rhetorischen Dynamik in Dtn 9f. ........................................... 15 a) Geschichtsrückblick als Beweisgrundlage ........................................................... 16 b) Weitere Interpretationsansätze ............................................................................. 17 1.4.2 Die Frage nach der textexternen Pragmatik .......................................................... 19 1.4.3 Offene Fragen ....................................................................................................... 21 2. Hinführung zur Auslegung .............................................................................................. 22 2.1 Rhetorischer Kontext, Abgrenzung und Einheit ............................................................ 22 2.1.1 Größerer rhetorischer Zusammenhang (Dtn 1–11) ............................................... 22 2.1.2 Abgrenzung ........................................................................................................... 24 2.1.3 Dtn 9f. als rhetorische Einheit ............................................................................... 26 2.2 Beziehungen innerhalb des Buches Deuteronomium .................................................... 28 2.3 Übersetzung und Textkritik ........................................................................................... 29 2.3.1 Übersetzung .......................................................................................................... 29 2.3.2 Text ....................................................................................................................... 33 2.4 Struktur .......................................................................................................................... 40 2.5 Grundlegendes zu Dtn 9f. .............................................................................................. 42 2.5.1 Stimmen ................................................................................................................ 42 2.5.2 Die unterschiedlichen Zeitebenen ......................................................................... 42

© 2021, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-11745-6 - ISBN E-Book: 978-3-447-39219-8

VIII

Inhalt

2.5.3 Topographie der Ursprungsgeschichte Israels ....................................................... 44 2.5.4 Hauptprotagonisten und ihre Beziehungen............................................................ 45 2.5.5 Dynamik: Wiederaufnahme von Motiven ............................................................. 46 3. Moses Ermutigung (Dtn 9,1–3) ....................................................................................... 48 3.1 Struktur und Dynamik.................................................................................................... 48 3.1.1 Das syntaktische Schema von Dtn 6,4–5; 9,1–3; 27,9–10 .................................... 48 3.1.2 Dtn 9,1–3 als Ermutigungsrede ............................................................................. 49 3.1.3 Dynamik und Struktur der Ermutigungsrede in Dtn 9,1–3.................................... 51 3.2 Auslegung ...................................................................................................................... 51 3.2.1 Mission: Die Überquerung des Jordan zur Landnahme ........................................ 52 Exkurs: Schwellenmotivik ............................................................................................. 53 3.2.2 Die äußeren und inneren Hindernisse .................................................................... 56 3.2.3 Vergewisserung von Gottes Beistand .................................................................... 58 3.3 Textexterne Pragmatik ................................................................................................... 63 3.4 Kriegsideologie und -rhetorik in Dtn 9,1–3 ................................................................... 64 4. Warnung vor der falschen Selbstzuschreibung (Dtn 9,4–6)............................................. 66 4.1 Struktur und Dynamik.................................................................................................... 66 4.2 Die Bedeutung von ‫ צדקה‬in Dtn 9,4–6......................................................................... 68 4.2.1 Allgemeine Begriffsanalyse .................................................................................. 68 4.2.2 Die Bedeutung von ‫ צדקה‬in Dtn 9,4–6 ................................................................ 68 4.3 Auslegung ...................................................................................................................... 71 4.3.1 Die falsche Herzenserwägung und Moses Ergänzung (Dtn 9,4) ........................... 71 4.3.2 Belehrung über die Gründe des Gelingens (Dtn 9,5) ............................................ 73 4.3.3 Aufruf zu Einsicht und Selbsterkenntnis (Dtn 9,6) ............................................... 75 4.4 Textinterne und Textexterne Kommunikationsebene .................................................... 76 5. Geschichtsrückblick (Dtn 9,7–10,11) .............................................................................. 78 5.1 Hinführung zur Auslegung ............................................................................................ 78 5.1.1 Verknüpfung von Paränese und Geschichtsrückblick ........................................... 78 5.1.2 Abgrenzung, Einheit und Verknüpfung mit Dtn 10,12–11,32 .............................. 79 5.1.3 Struktur von Dtn 9,7–10,11 ................................................................................... 80 5.1.4 Dynamik ................................................................................................................ 82 a) Die Horeberzählung: Aufbau nach Handlungsmomenten .................................... 82 b) Die übergeordnete Dynamik ................................................................................ 84 5.1.5 Fabel: Ein einziges Gebet ...................................................................................... 85 5.1.6 Die Symbolik der Tafeln, des Kalbes und der Lade .............................................. 86 5.2 Israels Rebellionen und die Verschonung am Horeb (Dtn 9,7–24)................................ 87 5.2.1 Struktur und Dynamik ........................................................................................... 87 5.2.2 Behauptung von Israels Rebellion der Wüstenzeit (Dtn 9,7) ................................ 89 5.2.3 Die Rebellion am Gottesberg und die Verschonung Israels (Dtn 9,8–21) ............ 91 5.2.3.1 Einleitung in die Horebepisode (Dtn 9,8) ..................................................... 93 5.2.3.2 Die Übergabe der Tafeln (Dtn 9,9–10) ......................................................... 94 a) Die Tafeln ............................................................................................................. 95 b) Moses Aufenthalt ................................................................................................. 98

© 2021, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-11745-6 - ISBN E-Book: 978-3-447-39219-8

Inhalt

IX

c) Die Übergabe der Tafeln ...................................................................................... 99 5.2.3.3 Das Gussbild und Gottes Zorn (Dtn 9,11–14) ............................................ 101 a) Moses Sendung .................................................................................................. 101 b) Israels Vergehen................................................................................................. 102 c) Gottes Urteil und Vernichtungsandrohung ......................................................... 104 5.2.3.4 Moses Abstieg und das Zerschmettern der Tafeln (Dtn 9,15–17) .............. 106 a) Moses Abstieg .................................................................................................... 106 b) Moses Bestätigung und Uminterpretation .......................................................... 107 c) Das Kalb ............................................................................................................. 109 d) Die Zerstörung der Tafeln .................................................................................. 111 e) Textexterne Kommunikationsebene ................................................................... 113 5.2.3.5 Moses Sühnegebet und dessen Erhörung (Dtn 9,18–20) ............................ 115 a) Moses Sühnegebet .............................................................................................. 115 b) Dtn 9,18 und die Untergangsgeschichte der Reiche........................................... 117 c) Moses Furcht vor dem vernichtenden Zorn Gottes ............................................ 119 d) Dtn 9f. und Israels zukünftige Katastrophe ........................................................ 119 e) Die Erhörungsnotiz ............................................................................................ 120 f) Gottes Zorn über Aaron (v20) ............................................................................ 121 5.2.3.6 Die Zerstörung des Kultobjektes (Dtn 9,21)............................................... 123 a) Aspekte der Sühne.............................................................................................. 123 b) Entmachtung des selbstgemachten Gottes ......................................................... 124 c) Dtn 9,21 und die Kultreformen der Königszeit .................................................. 125 5.2.4 Weitere Rebellionen (Dtn 9,22–23) .................................................................... 126 a) Drei Rebellionen: Tabera, Massa und Kibrot-Taawa ......................................... 127 b) Die Rebellion von Kadesch-Barnea ................................................................... 130 c) Die Rebellionen am Horeb und in Kadesch-Barnea........................................... 133 5.2.5 Zweite allgemeine Rebellionsaussage (Dtn 9,24) ............................................... 135 5.3 Die Gründe für Israels Verschonung (Dtn 9,25–29) .................................................... 135 5.3.1 Einzelanalyse ...................................................................................................... 136 a) Einleitung ........................................................................................................... 136 b) Die Bitte um Verschonung ................................................................................. 137 c) Erinnerung an die Patriarchen und Abwendung von der Sünde ......................... 139 d) Das Völkerurteil ................................................................................................. 141 e) Die unauflösliche Beziehung ............................................................................. 143 5.3.2 Textinterne und textexterne Kommunikationsebene ........................................... 144 5.4 Erneuerung am Horeb (Dtn 10,1–11) .......................................................................... 145 5.4.1 Die Erneuerung der Tafeln und die Lade (Dtn 10,1–5) ...................................... 146 a) Auftrag zur Herstellung der neuen Tafeln und der Lade .................................... 147 b) Ausführung ........................................................................................................ 149 c) Textexterne Pragmatik ....................................................................................... 150 5.4.2 Der Stamm Levi als Garant der erneuerten Beziehung (Dtn 10,6–9) ................. 151 5.4.2.1 Sukzession des Priesteramtes (Dtn 10,6–7)................................................ 153 a) Einzelanalyse ..................................................................................................... 153 b) Tod und „Weiterleben“ von Mose und Aaron ................................................... 157 5.4.2.2 Die Dienste des Stammes Levi (Dtn 10,8–9) ............................................. 158

© 2021, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-11745-6 - ISBN E-Book: 978-3-447-39219-8

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Inhalt

a) Die Aussonderung des Stammes Levi ................................................................ 158 b) Die Besitzlosigkeit Levis und ihre Kompensation ............................................. 162 5.4.2.3 Textexterne Pragmatik in Dtn 10,6–9 ......................................................... 164 5.4.3 Erhörung und Aufbruch in Richtung Land (Dtn 10,10–11) ................................ 164 a) Einzelanalyse ...................................................................................................... 165 b) Dtn 10,10–11 als mehrfacher Abschluss ............................................................ 166 c) Dtn 10,10–11 auf textexterner Kommunikationsebene ...................................... 168 6. Textinterne Kommunikation und rhetorische Dynamik ................................................. 169 6.1 Horeberzählung in Dtn 9f. und in Ex 32–34 ................................................................ 169 6.1.1 Die Übergabe der Tafeln und die Sünde (Dtn 9,9–17 und Ex 24; 32)................. 170 a) Dtn 9,9–11 als Zusammenfassung von Ex 24,12–18; 31,18............................... 171 b) Die Akzentuierung des Bundesthemas ............................................................... 171 c) Zuspitzung von Verantwortlichkeit und Schuld ................................................. 172 d) Bruch des ersten Gebotes in Form des Bilderverbots ......................................... 172 e) Die Zerstörung der Tafeln als prophetische Zeichenhandlung ........................... 173 6.1.2 Moses Beten ........................................................................................................ 174 a) Moses Gebet in Dtn 9f. als Abstrahierung seines langen Ringens ..................... 174 b) Verschonung der Schuldigen.............................................................................. 175 6.1.3 Die Erneuerung am Sinai/Horeb ......................................................................... 176 a) Dtn 10,1–5 als Verdichtung der Bundeserneuerung in Ex 34............................. 177 b) Die Erneuerung als Geschehen zwischen ihm und Jhwh ................................... 177 c) Die Lade als Symbol des Schutzes und der Bewahrung ..................................... 177 d) Berufung des Stammes Levi............................................................................... 178 e) Mose schließt mit der Zusage der gelingenden Landnahme ............................... 179 6.1.4 Moses Paränese zur Landnahme und ihre Beziehung zu Ex 33–34 .................... 179 6.1.5 Konklusion: Die Eigenart von Moses Nacherzählung......................................... 181 6.2 Die rhetorische Dynamik in Dtn 9f. ............................................................................. 183 6.2.1 Die Ermutigungsrede (Dtn 9,1–3) ....................................................................... 183 6.2.2 Warnung vor der falschen Selbstzuschreibung (Dtn 9,4–6) ................................ 184 6.2.3 Kohärenz und Spannung in Dtn 9,1–6 ................................................................ 185 6.2.4 Rebellions- und Rettungsgeschichte (Dtn 9,7–24) .............................................. 186 6.2.5 Die Gründe für Israels Verschonung (Dtn 9,25–29) ........................................... 187 6.2.6 Erneuerung der Gottesbeziehung (Dtn 10,1–11) ................................................. 187 6.3 Beziehungen zwischen Paränese und Geschichtsrückblick ......................................... 188 6.3.1 Im rhetorischen Dienst von Moses Paränese ....................................................... 189 6.3.2 Sinnzusammenhang von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ..................... 190 a) Der Geschichtsrückblick lässt Gegenwart verstehen .......................................... 190 b) Relationierung der Gegenwart mit der Vergangenheit ....................................... 190 c) Der Geschichtsrückblick lässt Zukunft erhoffen und erwarten .......................... 191 6.3.3 Die Dynamik der Überwindung .......................................................................... 191 6.3.4 Resümee .............................................................................................................. 193 6.4 Dtn 9f. in der Dynamik des Buches Deuteronomium .................................................. 194 6.4.1 Israels Übergang in eine neue Lebensphase ........................................................ 194 6.4.2 Die Horeberzählung als Paradigma ..................................................................... 196

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Inhalt

XI

6.4.3 Das einmalige Horebereignis mit Auswirkung auf die Zukunft ......................... 197 a) Moses einmaliger Einsatz .................................................................................. 197 b) Die Rettung am Horeb und ihre Auswirkungen auf die Zukunft ....................... 198 c) Grundlegung der Zukunft am Horeb .................................................................. 198 6.4.4 Narrative Identität ............................................................................................... 199 6.4.5 Die Beziehungen zwischen Dtn 9f. und Dtn 31–32 ............................................ 201 a) Weiterentwicklung von Dtn 9,1–6 ..................................................................... 202 b) Vorkehrungen für Israels Zukunft am Horeb und in Moab ................................ 202 c) Reinszenierung der Horebereignisse .................................................................. 203 7. Textexterne Kommunikation und Pragmatik ................................................................. 205 7.1 Dtn 9 und Israels Untergangsgeschichte bis zum Exil ................................................. 206 7.1.1 Die Horebkrise und die zukünftige Krise in Dtn 4; 28; 29; 31–32 ..................... 206 7.1.2 Dtn 9 und der Untergang der beiden Reiche in 1–2 Kön und Jer........................ 208 a) Dtn 9f. und der Untergang des Nordreichs ......................................................... 209 b) Dtn 9 und der Untergang Judas .......................................................................... 212 7.1.3 Dtn 9f. und die Auswirkungen von Gottes Zorn auf Israel und Juda .................. 213 7.2 Überwindung des göttlichen Zornes ............................................................................ 214 a) Moses paradigmatische Fürbitte......................................................................... 214 b) Die Wirksamkeit von Moses Fürbitte ................................................................ 214 c) Adressierung der textexternen Adressaten ......................................................... 215 d) Die Überwindung von Gottes Zorn am Horeb und in der Zukunft .................... 215 7.3 Erneuerung .................................................................................................................. 218 a) Die erneuerten Tafeln ......................................................................................... 218 b) Die Lade und ihre Beziehung zu Jos 3–4 und 1 Kön 8 ...................................... 219 c) Dtn 9f. und die Erneuerung im Buch Deuteronomium ...................................... 220 7.4 Bewahrung und Kontinuität der Gottesbeziehung ....................................................... 221 a) Die Lade als Zeichen der Bewahrung des Bundes ............................................. 221 b) Die Sukzession des Priesteramtes Aarons.......................................................... 222 c) Der Stamm Levi als Garant der Gottesbeziehung .............................................. 223 7.5 Aufruf zur Heimkehr ................................................................................................... 223 7.6 Zusammenfassung ....................................................................................................... 225 Zusammenfassung, Auswertung und Ausblick ................................................................. 227 Literatur ............................................................................................................................. 232 Bibelstellenindex ............................................................................................................... 244 Autorenindex ..................................................................................................................... 253

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Tabellen und Schemata Tabelle 1: Wiederaufnahmen von Schlüsselwörtern aus Dtn 9,1–6 in Dtn 9,7–10,11 .... 46 Tabelle 2: Die Ermutigungsreden und ihre rhetorischen Elemente ................................. 50 Tabelle 3: Struktur von Dtn 9,4–6 .................................................................................. 67 Tabelle 4: Entsprechung von Israels Sünde und Gottes Drohung ................................... 106 Tabelle 5: Vergleich von Gottes und Moses Charakterisierung der Verfehlung ............ 108 Tabelle 6: Verstoßungsformeln ....................................................................................... 113 Tabelle 7: Plus und Minus in Dtn 9,9–17 und Ex 24; 32 ................................................ 170 Tabelle 8: Moses Gebet in Dtn 9,26–29 und Ex 32,11–13 ............................................. 174 Tabelle 9: Erneuerungserzählung in Dtn 9f. und Ex 33–34 ............................................ 176 Tabelle 10: Verknüpfungen zwischen Dtn 9,1–6 und Ex 33,1–34,11 ............................ 180 Tabelle 11: Verknüpfungen der Horebkrise mit der künftigen Krise .............................. 207 Tabelle 12: Verknüpfungen zwischen Dtn 9f. (Ex 32–34) und 1–2 Kön; Jer ................. 210 Tabelle 13: Die Wende am Horeb und in der Zukunft .................................................... 216 Tabelle 14: Verknüpfungen zwischen Dtn 9f. und 1 Kön 8 ............................................ 219 Schema 1: Verknüpfungen zwischen Konklusion, Geschichtsrückblick und Paränese .... 27 Schema 2: Textinterne Perspektive ................................................................................... 42 Schema 3: Perspektive des Erzählers ................................................................................ 43 Schema 4: Applizierte Textexterne Perspektive ............................................................... 44 Schema 5: Beziehung von Erinnerung und Erkenntnis in Dtn 9f. .................................... 79 Schema 6: Dynamik von der Landnahme zum Landverlust ........................................... 185 Schema 7: Beziehung zwischen Paränese und Geschichtsrückblick .............................. 188 Schema 8: Entsprechungen zwischen textinterner und textexterner Welt ...................... 205

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Abkürzungsverzeichnis Texte BHQ

DtnLXX MT LXX LXXB NAP Smr TJ TN TO Vg.

DevR Biblia Hebraica Quinta editione, 5. Deuteronomy prepared by C. MCCARTHY (Stuttgart 2017) Septuaginta des Buches Deuteronomium Masoretentext Septuaginta Codex Vaticanus Neo-Assyrian Prophecies Samaritanus Targum Pseudo-Jonatan Targum Neofiti Targum Onqelos Vulgata

m mTaan Tan

Deuteronomium Rabba (Midrash) Mischna Mischna, Traktat Taanit Tanchuma (Midrash)

Allgemeine Abkürzungen ders. ebd. et al. FS Hg. S. v vgl. vv z. B.

derselbe ebenda et alii/aliae/alia Festschrift Herausgeber Seite Vers vergleiche Verse zum Beispiel

Rabbinische Literatur

Rabbinische Gelehrte

b

Ibn Ezra Raschi Rambam

bAr bAZ bSan bShab

Talmud Bavli (Babylonischer Talmud) Talmud Bavli, Traktat Arakhin Talmud Bavli, Traktat Avoda Zara Talmud Bavli, Traktat Sanhedrin Talmud Bavli, Traktat Shabbat

Rabbi Abraham Ibn Esra Rabbi Salomo Ben Isaak Rabbi Mose Ben Maimon (Maimonides) Ramban Rabbi Mose Ben Nachman (Nachmanides) Or Hachaim Rabbi Chaim Ben Moshe Ibn Attar Sforno Rabbi Obadja Ben Jakob Sforno

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Vorwort Der Titel der vorliegenden Arbeit spiegelt die Situierung Moses und seiner Adressaten an der Schwelle zum Land der Verheißung in Dtn 9f. wider. Wer weiß, ob auch Franz Kafka bei der Niederschrift der „Parabel vom Mann vom Lande“ an diese biblische Schwellensituation dachte. Parallelen finden sich allemal. Wie der Mann vom Lande am ersten Türwächter erstarrte, so drohte auch Israel vor der Schwelle zum Land stehen zu bleiben. Im Unterschied zum Mann vom Lande war Israel jedoch nicht auf sich allein gestellt, sondern hatte Mose an seiner Seite, der es ermutigte, den Schritt über den Jordan zu wagen, obwohl er selbst nicht mitgehen durfte. Ich möchte all jenen danken, die mich während der Arbeit an der vorliegenden Studie ermutigt und begleitet haben. Ich danke Dominik Markl SJ, der mich als Doktorvater gefordert, gefördert und freundschaftlich begleitet hat, und Eckart Otto für seine kritischen Anmerkungen und vielfachen Hinweisen. Beiden sei gedankt für die Aufnahme der vorliegenden Arbeit in die Reihe BZAR. Danken möchte ich an dieser Stelle auch Mag. Adelheid Schaffer für die Korrekturlesung und Philipp Förter für seine Hilfe. Die vorliegende Arbeit ist die überarbeitete Version meiner am Päpstlichen Bibelinstitut verteidigten Dissertation. Ich danke Erzbischof em. Dr. Alois Kothgasser, der mich für das Studium der Heiligen Schrift freigestellt hat, und Erzbischof Dr. Franz Lackner, der mich gefördert und den Arbeitsprozess mit großem Interesse verfolgt hat. Ich danke meinen Eltern Beth und Andreas für ihre bedingungslose Unterstützung und den stets inspirierenden Austausch. Ich danke meinem Bruder Ruben, meiner Schwägerin Daniela und ihren Kindern, Miriam, Linus und Josefa, meinem Onkel, Firmpaten und Mitbruder Richard, meiner Tante Rosmarie, meinem Taufpaten Albert, meinem Onkel Johann und meiner Tante Siglinde, die mich auf unterschiedliche Weise unterstützt haben. Dank gilt auch meinen Freunden, Mitstudenten, Weggefährten und der Gemeinschaft des Priesterkollegs Santa Maria dell’Anima in Rom unter der Leitung von Rektor Dr. Franz Xaver Brandmayr. Ebenso danke ich den Gläubigen der Pfarrgemeinden Krimml, Wald, Neukirchen am Großvenediger, Hallwang, Walserfeldsiedlung und Großgmain, die mich durch ihr Gebet spürbar untertsützt haben. Ich widme diese Studie meinem Bruder Jakob und meiner Oma Rosa, deren Gedächntnis ich dankbar im Herzen trage.

Neumarkt am Wallersee, am Gedenktag des Hl. Kilian und seiner Gefährten 2021

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Einleitung Die Erzählung von Israels Sünde mit dem Kalb in Ex 32–34 und Dtn 9,1–10,11 (Dtn 9f.) ist vor allem als Sündengeschichte bekannt,1 die sich dem Gedächtnis durch die Motive des Kalbes und der zerschmetterten Tafeln einprägt. An sie schließt eine ebenso bedeutsame Rettungsgeschichte an, die im Bild der erneuerten Tafeln von der Überwindung des Bruches zwischen Jhwh und seinem Volk sowie der Erneuerung ihrer Beziehung spricht. In der Darstellung von Dtn 9f. finden sich zwei erhebliche Unterschiede zu jener in Ex 32–34. Erstens erscheint hier die Erzählung in Verbindung mit weiteren Rebellionen Israels in der Wüstenzeit, der Sukzession Aarons und der Aussonderung des Stammes Levi. Die Sünden- und Rettungsgeschichte wird in einen größeren Geschichtszusammenhang gestellt. Zweitens spricht hier vorwiegend Mose, der die Moabgeneration an der Schwelle zum Land der Verheißung zur unmittelbar bevorstehenden Landnahme ermutigt (9,1–3) und vor einer Falschinterpretation der gelungenen Landnahme warnt (9,4–6), um dann ausführlich an die zurückliegende Geschichte zu erinnern (9,7–10,11). So werden auf engem Raum zentrale Ereignisse der Wüstenzeit, die Krise der Gottesbeziehung und deren Überwindung am Gottesberg, die Verfehlung Israels in KadeschBarnea und die Aussonderung des Stammes Levi mit der unmittelbar bevorstehenden Landnahme in Beziehung gesetzt. Mein übergeordnetes Interesse gilt der Frage, wie diese Zusammenhänge von vergangener Sünden- und Rettungsgeschichte, gegenwärtigen Herausforderungen und der weiteren Zukunft im Land der Verheißung zu verstehen sind. Diese Frage erschließt sich zunächst auf textinterner Kommunikationsebene als Frage nach der rhetorischen Dynamik des Abschnitts Dtn 9f. Mit welchen rhetorischen Zielen lenkt Mose nach seiner Ermutigung zur Landnahme und Warnung vor der falschen Selbstzuschreibung des Erfolgs den Blick auf eine Sünden-, Rettungs- und Bewahrungsgeschichte zurück? Die Frage nach der Rhetorik Moses in Dtn 9f. haben in besonderer Weise N. Lohfink und G. Braulik gestellt, indem sie den Abschnitt nach einem rhetorischen „Schema der Beweisführung“ zu entschlüsseln suchten.2 C. Hardmeier tat dies wiederum in mehreren Beiträgen unter redepragmatischen Gesichtspunkten.3 An sie und weitere Kommentatoren möchte ich anknüpfen, ihre Lösungsvorschläge vertiefen und weiterführende Lösungsvorschläge anbieten. In weiterer Folge stellt sich die Frage, welche kognitiven und emotionalen Prozesse sowie Verhaltenweisen Autoren über den Text Dtn 9f. bei ihren Adressaten in Bewegung setzen wollten. Dies lässt sich als Frage nach der textexternen Pragmatik von Dtn 9f. benennen.4 Diesbezüglich ist in besonderer Weise E. Otto, der in mehreren Beiträgen 1 Mit Dtn 9f. ist in dieser Arbeit Dtn 9,1–10,11 bezeichnet. 2 LOHFINK, Hauptgebot, 125–131.200–218, bes. 200–204; ders., „Deuteronomium 9,1-10,11”, bes. 133– 145, und BRAULIK, „Geschichtserinnerung“, 165–183, bes. 175–182. 3 HARDMEIER, „Schema‘ Jisra’el“, 66–72; ders., „Geschichten“, 107–113; ders., „Biblical Reading“, 358– 359.364–368; ders., „Kohärenz“, 247–250. 4 Zu Rhetorik und Pragmatik siehe S. 5–8.

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Einleitung

Botschaften und Kerygmata der Erzählungen vom (Goldenen) Kalb untersucht hat, als Referenzpunkt hervorzuheben.5 In Kapitel 1 sollen zunächst die hermeneutischen Voraussetzungen, die Methodologie und die einleitende bisherige Forschung zur zweifachen Fragestellung dieser Arbeit vorgestellt werden. In Kapitel 2 verorte ich den Abschnitt Dtn 9f. innerhalb seines größeren rhetorischen Kontextes und begründe seine Abgrenzung sowie rhetorische Einheit. Darauf folgen Übersetzung, Textkritik und Struktur. In den Kapiteln 3–5 folgt die Auslegung der drei Unterabschnitte 9,1–3, 9,4–6 und 9,7–10,11, auf deren Grundlage in den beiden abschließenden Kapiteln 6 und 7 die Fragen nach der Rhetorik Moses und der textexternen Pragmatik jeweils behandelt werden.

5 OTTO, „Deuteronomiumstudien II“, 122–175; ders., Deuteronomium, 964–969; ders., „Born”, 163–165; ders., „Gesetzbuch“, 128–132.

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1. Hermeneutik, Methodologie und Fragestellung Zu Beginn sollen die hermeneutischen Voraussetzungen dieser Arbeit und ihre methodologischen Vorgangsweise erläutert sowie die Fragestellung und die bisherige Forschung dazu dargelegt werden.

1.1 Der protomasoretische Text der persischen Periode Diese Arbeit konzentriert sich auf die protomasoretische Textgestalt von Dtn 9f. aus der persischen Periode.1 Dies ist nicht als Entscheidung gegen diachrone Fragestellungen zu verstehen, sondern als Konzentration auf eine der letzten Etappen eines gewachsenen Textes. Dabei bin ich von der Annahme geleitet, dass diese Etappe von Autoren und Redaktoren als sinnvolle Einheit komponiert und redigiert wurde. War das Interesse am Buch Deuteronomium lange Zeit bis in die Hälfte des 20. Jahrhunderts vorwiegend diachron ausgerichtet, so hat sich das Interesse an den letzten textgenetischen Etappen des Buches inzwischen etabliert. Dies wird besonders daran deutlich, dass der Kommentar zum Buch Deuteronomium von E. Otto trotz der diachronen Provenienz des Autors diachrone und synchrone Fragestellungen kombiniert und gegenseitig fruchtbar macht.2 N. Lohfink und G. Braulik waren in ihren umfangreichen Werken maßgeblich an dieser Entwicklung beteiligt, indem sie hermeneutisch-methodische Herangehensweisen entwickelten, um die literarische, rechtliche und theologische Bedeutung des Buches zu erforschen.3 R. Polzin und J.-P. Sonnet wiesen in narrativen Analysen auf die Erzählgestalt des gesamten Buches hin und machten auf wesentliche Erzähldynamiken aufmerksam.4 T. Lenchak wiederum trug dem Redecharakter der Mosereden mit einer rhetorischen Analyse Rechnung.5 In Folge dieser Entwicklungen entstanden zahlreiche synchron ausgerichtete Arbeiten zum Buch Deuteronomium, von denen ich im Folgenden jene erwähne, die über die bereits genannten hinaus auch in dieser Arbeit einen wichtigen Referenzpunkt darstellen. E. Ehrenreich ließ sich bei seiner Arbeit zu Dtn 30 in seiner Endgestalt vor allem von intertextuellen Beobachtungen leiten,6 während D. Markl die beiden Versionen des Dekalogs und ihre Kontexte in ihrer rechtshermeneutischen Bedeutung für die Endgestalt des Pentateuch ins Auge fasste und in einer weiteren Arbeit im Blick auf die Pragmatik des Endtextes zu zeigen versuchte, wie das Buch Deuteronomium darauf abzielt, das Gottesvolk 1 Ausführliche Begründungen für die Beschäftigung mit dem biblischen Text aus synchroner Frageperspektive finden sich bei EHRENREICH, Wähle, 1–5; MARKL, Gottes Volk, 1–17. 2 OTTO, Deuteronomium, I–IV. 3 Eine große Zahl ihrer Beiträge findet sich in der Reihe SBAB 1–69 (Stuttgart 1988–2019). 4 POLZIN, Moses; SONNET, Book; ders., „Fifth“; ders., „Redefining“. 5 LENCHAK, Choose. 6 EHRENREICH, Wähle.

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Hermeneutik, Methodologie und Fragestellung

zu formieren.7 Von den jüngeren Arbeiten, die Dtn 9f. selbst oder dessen Kontext unter synchroner Fragestellung behandeln, sind als wichtige Referenzpunkte die Beiträge von R. O’Connell, E. Talstra, M. Zipor, C. Hardmeier, K. Finsterbusch, G. J. Venema, P. A. Barker, J. S. DeRouchie, J. Taschner, T. Karimundackal und H. Stoppel zu nennen.8 Bei der Konzentration auf die letzten Etappen des gewachsenen Textes stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zur Diachronie. E. Ehrenreich plädiert für eine konsequent durchgehaltene Synchronie, die ihre Stärken ausschöpft, sich aber im Bewusstsein der eigenen Grenzen in Blick auf diachrone Fragestellungen zurückhält. Doch räumt er selbst ein, dass Synchronie und Diachronie nicht als zwei unabhängige Welten nebeneinander existieren. So können etwa intertextuelle Analysen nicht auf diachrone Erkenntnisse und Argumente verzichten, wenn sie die Frage nach der Richtung der Abhängigkeit und somit nach der historischen Entwicklung der Texte stellen.9 Ähnliches zeigt sich in Bezug auf die Frage nach der textexternen Kommunikation von Autoren mit ihren Adressaten. Das Buch Deuteronomium hat selbst eine Geschichte des schrittweisen Wachsens oder auch der Uminterpretation.10 Die Nichtbeachtung dieses Umstands läuft erstens Gefahr, eine mögliche „Polyphonie“ vieler biblischer Texte zu übersehen, die als Reichtum und Ausdruck der Vitalität einer sich stets aktualisierenden Tradition zu bewerten ist.11 Zweitens überschneidet sich die Frage nach der textexternen Pragmatik, in der Kommunikationssituationen rekonstruiert werden, mit historischen Fragestellungen, die die Frage der Textgenese berühren können. An einzelnen Schnittstellen werden so vor allem im letzten Kapitel auch diachrone Argumente als Korrektiv aufgegriffen, um mögliche Kommunikationssituationen besser einordnen zu können.

1.2 Textpragmatik als hermeneutischer Zugang Die vorliegende Arbeit nähert sich dem Text unter der hermeneutischen Grundannahme, dass Texte Handlungen darstellen, mittels derer Autoren bestimmte Rezeptionsprozesse und Handlungsweisen anstoßen wollen. Die Sprachwissenschaft des 20. Jahrhunderts hat zu Bewusstsein gebracht, dass sprachliche Äußerungen differenzierte Handlungen darstellen. 12 Dies lässt sich nicht nur für Akte unmittelbarer Kommunikation, sondern auch für literarische

7 MARKL, Dekalog; MARKL, Gottes Volk. 8 O’CONNELL, „Paralleled“; TALSTRA, „Deuteronomy 9“; ZIPOR, „Account”; HARDMEIER, „Schema‘ Jisra’el“; ders., „Geschichten“; ders., „Biblical Reading“; ders., „Kohärenz“; FINSTERBUSCH, Weisung; VENEMA, Reading; BARKER, Triumph; DEROUCHIE, Call; TASCHNER, Mosereden; KARIMUNDACKAL, Commitment; STOPPEL, Angesicht. 9 EHRENREICH, Wähle, 4–5. 10 So zeichnet etwa OTTO, Deuteronomium, 231–257, die Genese des Buches Deuteronomium als eine von einer vorexilischen Revision des Bundesbuches inklusive einer subversiven Rezeption neuassyrischer Loyalitätseide aus dem 7. Jahrhundert über eine zweifache deuteronomistische Redigierung mit jeweiligen nachexilischen bis spätnachexilischen Fortschreibungen (5.–3. Jahrhundert), die zum Teil sehr unterschiedliche Botschaften vermittelten; zur Wandlung des Kerygmas eines Textes im Laufe seiner Genese siehe auch z. B. LOHFINK, „Kerygmata“, 126. 11 Vgl. SKA, Introduction, 95. 12 Z. B. AUSTIN, Things; SEARLE, Speech; RORTY, Turn; EHLICH, „Sprache”; ders. „Pragmatik”.

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Textpragmatik als hermeneutischer Zugang

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Texte geltend machen.13 Aus diesem Grund lässt sich der Begriff Pragmatik auch auf Texte anwenden und kann so von Textpragmatik gesprochen werden, was in der Bibelwissenschaft aufgenommen und nutzbar gemacht wurde.14 Texte können als „Performativa“ verstanden werden.15 Sie bewegen und wandeln, rufen Gefühle hervor,16 eröffnen Horizonte und führen zu Fragen. Sie verhelfen dazu, sich selbst zu verstehen, Leiderfahrungen zu verarbeiten, den eigenen Ort in einer sinnerfüllten Geschichte zu finden und im Falle von religiösen Texten mit Gott in Berührung zu kommen, das heißt „Transzendenz erlebbar, integrierbar und kommunizierbar zu machen sowie das (eigene) Leben aus der transzendierten Quelle heraus zu interpretieren und als ein ›richtiges‹ zu führen“.17 Insbesondere religiöse und politische Texte versuchen zudem identitätsbildend zu wirken oder umgekehrt negativ bewertete Identitäten zu dekonstruieren sowie zu bestimmten Handlungen und Verhaltensweisen zu motivieren.18 1.2.1 Textinterne und textexterne Kommunikation Wesentlich für einen textpragmatischen Zugang zu literarischen Texten, in denen wie im Buch Deuteronomium Kommunikation geschildert wird, ist die Unterscheidung zwischen textinterner und textexterner Kommunikationsebene, das heißt zwischen der fiktiven im Text repräsentierten Kommunikation und der Kommunikation realer Autoren mit ihren Adressaten.19 a) Textinterne Kommunikation und Moses Rhetorik Der Großteil des Buches Deuteronomium ist als Moserede gestaltet und schildert so das Kommunikationsangebot Moses an die Moabgeneration in Moab unmittelbar vor seinem Tod und im Angesicht der bevorstehenden Landnahme. Eine textpragmatische Analyse soll den Regeln der „Welt des Textes“ folgen und den Text in der Selbstpräsentation als Moserede an die Moabgeneration zu verstehen suchen.20 Diesbezüglich problematisch erscheinen könnte, fiktive Gestalten und fiktive Kommunikationssituationen wie reale Gestalten und reale Kommunikationssituationen zu behandeln. So bezeichnete etwa John L. Austin performative Äußerungen eines Schauspielers oder eines 13 So resümiert ADAMZIK, „Textlinguistik“, 54, dass der pragmalinguistische Grundsatz, wonach nicht nur Gespräche, sondern auch Texte als Formen menschlichen Handelns zu begreifen sind, als konsensuell betrachtet werden dürfe. 14 So besonders HARDMEIER, Textwelten; zur Pragmatik literarischer Texte im Kontext der Bibelwissenschaft siehe auch MARKL, Gottes Volk, 10–11. 15 HARDMEIER, Kohärenz, 209. 16 Zur Erforschung emotionaler Wirkung von Literatur siehe WINKO, Gefühle, 31–64. 17 LIEBERT, „Religiöse Sprachverwendung“, 407. 18 Zur identitätsstiftenden Rhetorik im Buch Deuteronomium siehe MARKL, Gottes Volk, 85–87, zum Deuteronomium als „politische Rhetorik“ siehe ebd. 47–56. 19 Ich folge hierbei der Terminologie von SONNET, Book, 1. Andere Kommentatoren haben das damit Gemeinte unter Einschluss anderer Facetten mit anderer Terminologie bezeichnet. E. Otto unterscheidet zwischen erzählter Zeit und Erzählzeit; zur genaueren Verwendungsweise dieser Begriffe siehe OTTO, „Antike“, 470–485. EHRENREICH, Wähle, 16–18, unterscheidet zwischen fiktiver erzählter und realer Welt. MARKL, Gottes Volk, 15, unterscheidet zwischen textinterner und textexterner Pragmatik. 20 Über die erwähnten Autoren hinaus nehmen diese Frageperspektive vor allem mittelalterliche Exegeten wie Ramban, Raschi und Ibn Esra ein, auf die in dieser Arbeit mehrfach verwiesen wird.

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Hermeneutik, Methodologie und Fragestellung

Gedichts als „unernst oder nichtig“.21 Obwohl diese Annahme hinterfragbar ist, da Fiktionalität und Narrativität auch grundlegende Bestandteile mündlicher Kommunikation sind,22 so verweist das aufgezeigte Problem auf die Notwendigkeit der Unterscheidung von textinterner „fiktiver“ und textexterner „realer“ Kommunikation in literarischen Texten. Narration und darin repräsentierte textinterne Kommunikation wie Figurenreden oder Dialoge sind ebenso wie direkte Kommunikation als Sprachhandlungen von Autoren zu begreifen. Diese Sprachhandlungen lassen sich jedoch nur verstehen, wenn sie in der Form ihrer Präsentation ernst genommen werden. So lässt sich etwa das Werk „Schuld und Sühne“ von F. Dostojewski nur dann verstehen, wenn dessen Hauptprotagonist Rodion Raskolnikov in seinen inneren und zwischenmenschlichen Dialogen wie eine reale „Person“ wahrgenommen wird. Davon abzusehen, würde bedeuten, das vom Autor gemachte Kommunikationsangebot auszuschlagen. Ähnliches gilt auch für das Buch Deuteronomium. Nur wenn Mose hier als unter bestimmten raumzeitlichen Umständen und zu bestimmten Adressaten sprechende „Person“ wahrgenommen wird, lässt sich das über die Fiktion gemachte Kommunikationsangebot realer Autoren entschlüsseln. Da Moses Kommunikationsangebot innerhalb der Welt des Textes in Form einer Rede ergeht und so als Rhetorik zu verstehen ist, ist die Frage nach dem textinternen Kommunikationsangebot identisch mit jener nach der Rhetorik Moses. In dieser Arbeit verwende ich deshalb für Moses textinternes Kommunikationsangebot durchwegs die Begrifflichkeit „Moses Rhetorik“. b) Textexterne Kommunikation und Pragmatik Über die Erzählstimme und Moses Figurenrede im Buch Deuteronomum machen reale Autoren ein Kommunikationsangebot an eine Adressatenschaft, die sich als implizite Adressatenschaft rekonstruieren lässt. Jedoch lässt sich dieses Kommunikationsangebot nicht durch eine geradlinige Rollenidentifikation der Autoren mit Mose oder dem Erzähler und der Adressaten mit der Moabgeneration entschlüsseln. 23 Die textinternen Kommunikationsangebote Moses und des Erzählers werden vielmehr zu Instrumentaria, von denen die jeweiligen Kommunikationsangebote der realen Autoren getragen werden.24 Diese Differenzierung im Hintergrund lautet die zweite textpragmatisch orientierte Frage, welche Rezeptionsprozesse und eventuell Handlungsweisen Autoren über die Erzählung Dtn 1–34 und die darin enthaltenen Figurenreden Moses anstoßen wollten. Da die mosaische Rhetorik sich auf dieser Kommunikationsebene nicht direkt an Adressaten wendet, sondern ein Mittel für das eigentliche Kommunikationsangebot darstellt, ist innerhalb der textexternen Kommunikationsebene nicht von Rhetorik die Rede. Hier lässt sich vielmehr direkt die Frage nach der Pragmatik des Textes stellen und so von textexterner Pragmatik sprechen.

21 AUSTIN, Things, 43. 22 Siehe dazu STEEN, „Fiktionalität/Narrativität”, 263–271. 23 SONNET, Book, 11–12, betont in diesem Zusammenhang, dass Mose die Rezipienten des Buches niemals direkt anspricht, sondern nur vermittelt über die Erzählung. 24 SONNET, Book, 1, verwendet dafür das Bild des „Rades im Rad“ aus der Ezechielvision in Ez 1,16. Dabei bestimmt das innere Rad, das die Kommunikation Moses mit den Moabadressaten repräsentiert, die Bewegung, während das äußere Rad, das die Kommunikation der Autoren mit den Rezipienten repräsentiert, sich mitbewegt.

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Textpragmatik als hermeneutischer Zugang

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Bei Texten lässt sich zwischen offenen und geschlossenen kommunikativen Handlungsspielen unterscheiden. Wenn Texte wie etwa einige der Paulusbriefe nicht nur in, sondern auch sichtbar erkenntlich gemacht für eine bestimmte Situation geschrieben sind, handelt es sich um eine geschlossene Kommunikation. Diese Texte können durch einen Akt der Applizierung für neue Rezipienten geöffnet werden. Andere biblische Texte wie etwa die Weisheitsliteratur sind von vornherein „situationsabstrakt“ formuliert und so grundsätzlich offen für neue Rezipienten.25 Die Figurenreden Moses erweisen sich diesbezüglich in der Unterscheidung von textinterner und textexterner Kommunikationsebene als zweigesichtig. Einerseits haben sie auf textinterner Kommunikationsebene ihren Ort in der geschlossenen Moabsituation. Andererseits sind sie auf textexterner Kommunikationsebene mittels bestimmter Techniken und literarischer Mittel so gestaltet, dass sie nicht nur offen für einen Akt der Applizierung sind, sondern diesen geradezu herausfordern. Dies geschieht durch die Anrede in der zweiten Person, durch Identifikationstexte in der ersten Person und durch „deiktische Ausdrücke“ wie Personalpronomen und Orts- und Zeitadverbien,26 die ihre Referenz nur in der jeweiligen Redesituation erkennen lassen und so besonders offen sind für Identifikation. 27 Über diese indirekten Techniken hinaus tritt das Buch Deuteronomium auch direkter in Dialog mit den realen Adressaten, so etwa durch Einschübe des Erzählers,28 die ein Fenster in die Welt der Adressaten öffnen,29 oder durch eine die textinterne Redesituation durchbrechende Anrede von Adressaten wie etwa in Dtn 30,1–10, die auf den innerhalb der textinternen Moabsituation noch ausständigen Gewinn und Verlust des Landes zurückblicken.30 Innerhalb der textexternen Kommunikationsebene lässt sich die weitere Unterscheidung zwischen den impliziten Adressaten und den realen Rezipienten machen.31 Durch die angesprochenen Techniken wird jedem Leser des Buches Deuteronomium ein Kommunikationsangebot gemacht. Je nach dem Grad, nach dem er sich ansprechen lässt und das Kommunikationsangebot aufgreift wird der Hörer zum realen Rezipienten des Buches, der in eine Interaktion mit dem Text tritt. Davon zu unterscheiden sind die impliziten Adressaten. Es ist zwar anzunehmen, dass biblische Autoren nicht nur für ihre Zeitgenossen schrieben, sondern auch ihrem eigenen Selbstverständnis entsprechend an einem Werk von bleibendem Wert arbeiteten. Dennoch richteten sie sich innerhalb eines bestimmten historischen Kontextes an ein Gegenüber, das sich als „Erstadressaten“ benennen lässt. Der biblische Text ist so als Ausschnitt eines früheren Kommunikationsprozesses zu begreifen, der vorsichtige Schlüsse auf die damalige Kommunikationssituation, die Kommunizierenden und ihre Anliegen ziehen lässt. 32 Diese Schlüsse können verschiedenen Prinzipien wie etwa dem Analogieschluss folgen, wobei der Differenz von repräsentierter und tatsächlicher Kommunikation immer Rechnung getragen 25 Siehe HARDMEIER, Textwelten, 54–56. 26 Siehe dazu MARKL, Gottes Volk, 47–55 27 Unter diesen deiktischen Ausdrücken ist das „Heute“ besonders bedeutsam; siehe dazu SONNET, „Today“; MARKL, Gottes Volk, 70–79. 28 Siehe SONNET, Book, 239–243. 29 OTTO, Gesetz, 99–100. 30 Siehe MARKL, „Efficacy“, 134. 31 Vgl. z. B. KRALJIC, Deuteronomium 10,12–11,32, 194–205. 32 Zu einer diesbezüglichen Lesehermeneutik der Behutsamkeit siehe HARDMEIER, Kohärenz, 213–219.

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Hermeneutik, Methodologie und Fragestellung

werden muss. Besondere Aufmerksamkeit ist dabei dem jeweiligen Genre der Texte und den damit einhergehenden pragmatischen Charakteristika zu schenken. In Dtn 9f. als weit ausholende Geschichtserinnerung spielt diesbezüglich die Frage nach Sinn und Pragmatik von Geschichtserinnerung eine wesentliche Rolle. 1.2.2 Sinn und Pragmatik von Erinnerung Da Mose in Dtn 9,7–10,11 die Moabgeneration an ihre eigene Geschichte erinnert, kommt der Frage nach Sinn und Pragmatik der Geschichtserinnerung eine wichtige Rolle im Verständnis von Dtn 9f. zu. Geschichtserinnerung kann der Verarbeitung von Vergangenheit dienen,33 dem Erkenntnisgewinn,34 der Sensibilisierung,35 der Begründung und Plausibilisierung gegenwärtiger Forderungen,36 oder auch der Legitimierung gegenwärtiger Zustände. Die Frage nach Sinn und Funktion der Erinnerung berührt zudem Formen der Identitätsbildung, worauf in besonderer Weise P. Ricouer mit dem Konzept einer „narrativen Identität“ hingewiesen hat. Im Erzählen der Vergangenheit wird die eigene Identität als Gewebe erzählter Geschichten gebildet.37 Dies spielt in Bezug auf Dtn 9f. eine wichtige Rolle. Im Erzählen der eigenen Ursprungsgeschichte bringen Autoren ans Licht, was ihnen zufolge Israels Identität ausmacht und weiterhin bestimmen wird und/oder soll. Der Historiker und Kulturwissenschaftler J. Rüsen bestimmt das Ziel von Geschichtserzählung darin, dass Gegenwartsrelevanz und Zukunftsorientierung im Erzählen wirksam werden sollen. Dies geschehe, „wenn der gemeinte Sinn einen erzählbaren Zusammenhang zwischen Vergangenheit, Gegenwart und (tendenziell) auch der Zukunft betrifft, in dem Erfahrung der Vergangenheit so gedeutet wird, daß Gegenwart verstanden und Zukunft erwartet werden kann.“38 Demnach bezieht sich Geschichtserinnerung nicht nur auf die Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch auf die Zukunft.39 Sie kann dabei der Stabilisierung kollektiver Identität im Blick auf die Gegenwart und Zukunft dienen, 40 aber auch „in einem fast gegenläufigen Sinn zugleich zum Movens für gesellschaftliche Veränderung“ werden.41 Unheilvolle Ereignisse der Vergangenheit können als Warnung für die Zukunft dienen oder aber umgekehrt die dargestellte Geschichte die Gestalt der erwarteten Zukunft abbilden,42 sodass die Ereignisse der Vergangenheit als Modell für die

33 Zu Traumata und ihrer Verarbeitung in der Bibel siehe z. B. CARR, Resilience. 34 Dies betrifft im Buch Deuteronomium vor allem die Gotteserkenntnis, aber auch die Selbsterkenntnis; siehe dazu z. B. LOHFINK, „Beispiel“, 292; BRAULIK, „Geschichtserinnerung“, 182–183. 35 Besonders eindringlich ist hierzu Dtn 24,17–18, wo zur gerechten Behandlung von Sklaven und Witwen mit der Erinnerung an die eigene Erfahrung des Sklavendaseins in Ägypten motiviert wird. 36 Siehe z. B. BRAULIK, „Geschichtserinnerung“, 174.180.183, demzufolge aus der Erinnerung eine Verpflichtung in der Gegenwart begründet wird. 37 RICOUER, Zeit und Erzählung. III, 392–400. 38 RÜSEN, Zerbrechende Zeit, 59. 39 Zur Zukunftsorientierung biblischer Literatur siehe z. B. HARDMEIER, „Geschichten“, 111–113; LEVIN, „Erinnerung“. 40 Siehe ASSMANN / MÜLLER, Ursprung, 7. 41 ZEILLINGER, „Bedeutung“, 66. 42 Vgl. LEVIN, „Erinnerung“, 128, der von der „Erinnerung der Zukunft“ spricht und die biblische Darstellung von Vergangenheit vor allem als prophetische Erwartung von Zukunft versteht.

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Methodologie

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Zukunft richtungsweisend werden.43 In diesem Sinne kann die Vergangenheit ebenso zu einem Hoffnungsbild für die Zukunft werden. Auch in diesem Zusammenhang ist den beiden Kommunikationsebenen Rechnung zu tragen. Erstens ist zu fragen, mit welchen pragmatischen Zielen Mose in der Welt des Textes an die vergangene Geschichte vom Horeb bis Kadesch-Barnea erinnert. Daran schließt die Frage an, inwieweit dieser Geschichtsrückblick auch auf textexterner Kommunikationsebene als Geschichtsrückblick für die Adressaten zu verstehen ist und welche Funktion die Erinnerung dabei einnimmt.

1.3 Methodologie Um die von Autoren intendierten Rezeptionsprozesse verstehen zu können, braucht es ein Instrumentarium exegetischer Methoden. Diese richten sich nach der jeweiligen Gattung eines Textes, die nach der ihr jeweilig entsprechenden Analysemethode verlangt. 1.3.1 Textgattungen Das Buch Deuteronomium ist, auch wenn die Erzählstimme selten zu Wort kommt, als Gesamttext Erzählung.44 Diese Erzählung wird von einer Erzählstimme getragen, die die einzelnen Mosereden einleitet (1,1–5; 4,41–5,1; 27,1.9.11; 28,69–29,1) und sich in den Schlusskapiteln 31–34 verstärkt zu Wort meldet. Den Hauptteil dieser Erzählung bilden Moses Reden, die als erzählte Reden „Figurenreden“ sind. Innerhalb dieser Figurenreden begegnen wiederum unterschiedliche Textgattungen, die sich der Rhetorik, der Erzählung, dem Recht und der Poesie zuordnen lassen.45 Dtn 9f. ist als Moserede insgesamt der Gattung Rhetorik zuzuordnen, die in sich weitere Textgattungen umfasst. Dtn 9,1–6 lässt sich in engerem Sinn als „Paränese“ bezeichnen, die in der Definition von G. Braulik ein direktiver Sprechakt ist, der den Hörer zu einem Tun bewegen will.46 In dieser Definition wird eine für Dtn 9,1–6 wichtige pragmatische Dimension angesprochen, da beide Einheiten 9,1–3 und 9,4–6 bestimmte Vertrauens-, Denkund Erkenntnisprozesse anstoßen wollen, die die Moabgeneration zur Überquerung des Jordan und zur Bewahrung der Gottesbeziehung im Land der Verheißung anleiten sollen. Dabei lässt sich 9,1–3 einer eigenen Kleinform zuordnen, die Ähnlichkeiten zu Kriegsreden hat und am besten als „Ermutigungsrede“ zu charakterisieren ist. In 9,4–6 wendet sich Mose dagegen gegen ein falsches Denken, das er mit Aufforderung, Alternativen und Ausschlussverfahren zu dekonstruieren versucht. Es handelt sich um eine argumentative Ermahnung, die vor einer falschen Deutung der gelungenen Landnahme warnt und diese Erkenntnis jetzt schon einfordert, um die Zukunft im Land der Verheißung in der richtigen Gesinnung zu beginnen. Ich bezeichne diesen Abschnitt als „Warnung vor der Selbstzuschreibung“.

43 HARDMEIER, „Weisheit“, 168–169.183, weist zum Beispiel auf den Modellcharakter der Urbegegnung mit Jhwh am Horeb für Israels zukünftige Bundesgeschichte. 44 SONNET, Book, 11; ders., „Fifth Book“; BRAULIK, „Buch“, 137–138. 45 Siehe MARKL, Gottes Volk, 12–13. 46 BRAULIK, „Gesetzesparänese“, 22.

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In Dtn 9,7–10,11 erinnert Mose an die Vergangenheit. Diese Erinnerung lässt sich als „Erzählung“ innerhalb der mosaischen Rhetorik verstehen, in die sie integriert ist. 47 Im Blick auf den Erzählcharakter des gesamten Buches Deuteronomium ist sie genauer als „Erzählung in der Erzählung“ zu verstehen. In 9,22–23 verbindet Mose stichwortartig und assoziativ weitere Episoden aus Israels Wüstenzeit mit der Haupterzählung vom Horeb, während die Erzählung in 10,6–9 über die Stimme des Erzählers einen zeitlichen Sprung zu Ereignissen, die viele Jahre später stattgefunden haben, vollzieht. Das erzählte Kernereignis am Horeb wird so mit anderen Ereignissen in Beziehung gesetzt, sodass es sich um eine Zusammenschau mehrerer Episoden der Wüstenzeit handelt, die ineinander verwoben werden. Da diese Erzählung mit Ausnahme von 10,6–9 von Mose erzählt und kommentiert wird, erhält sie eine subjektive Note. Es handelt sich um eine von Mose gedeutete Geschichte. Diese ist jedoch mit sehr hoher Autorität ausgestattet, was sich nicht nur aus Moses prophetischer Mittlerrolle ergibt, sondern auch aus dem Umstand, dass er einige Ereignisse erzählt, deren einziger Augenzeuge er selbst war. Zugleich wird deutlich, dass er sich auf bekannte Episoden bezieht, die die Adressaten bereits kennen, wenn er ausschnitthaft erzählt und manchmal nur assoziativ auf Episoden verweist (z. B. 9,20.22). Mose gibt an Adressaten, die ihre eigene Geschichte kennen, aber zu vergessen drohen (9,7: Erinnere dich und vergiss nicht!), seine Deutung dieser Ereignisse wieder, die von der unmittelbaren Situierung innerhalb der Paränese und der damit verbundenen rhetorischen und redepragmatischen Intention geprägt ist. Am ehesten ist der Abschnitt so als deutender Rückblick auf die eigene Geschichte zu erfassen, der mehrere Ereignisse der unmittelbaren Vergangenheit unter bestimmten Gesichtspunkten in einen sinnvollen Zusammenhang stellt und mit der Gegenwart und Zukunft in Beziehung setzt. Um der Kürze des Ausdrucks willen ist in dieser Arbeit von einem „Geschichtsrückblick“ die Rede. 1.3.2 Narrative Analyse Da die Erzählung qualitativ „auf der höchsten hierarchischen Stufe des Textes steht“, 48 kommt der narrativen Analyse eine wichtige Funktion für jede Beschäftigung mit dem Buch Deuteronomium zu. Es erzählt die letzten Reden und Handlungen Moses vor seinem Tod, die Israel auf die Zeit nach ihm vorbereiten sollen, und schildert so die Zeit eines Übergangs. Nach der Einleitung des Erzählers (1,1–5) entwickelt sich die Erzählung über die Mosereden, in der erzählte Zeit und Erzählzeit zusammenfallen, sodass Dtn 1–30 mehr oder weniger eine große Szene darstellt. In Dtn 31–34 ergreift wieder mehrmals der Erzähler das Wort und erzählt in höherem Tempo mehrere Ereignisse, um mit Moselied und -segen wieder zwei größere Szenen zu entfalten. Es entwickelt sich ein übergeordneter Erzählbogen, der sich von Moses Einleitungsreden (Dtn 1–4; 5–11), über die Gesetzespromulgation (Dtn 12–26), den Anordnungen für den Übergang (Dtn 27), den Segen- und Fluchankündigungen (Dtn 28), der Bundesrede (Dtn 29–30), der Verschriftung und den entscheidenden Übergaben von Tora und Führungsamt inklusive Moselied (Dtn 31–32), Moses Segen (Dtn 33) bis hin zu Moses Tod (Dtn 34) entwickelt. Bei der Analyse einzelner Textabschnitte ist immer im Gedächtnis zu behalten, dass sie in diesen größeren Erzählbogen eingespannt sind. So spricht Mose entsprechend der 47 Vgl. LOHFINK, „Deuteronomium 9,1–10,11”, 133–135. 48 MARKL, Gottes Volk, 13.

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narrativen Situierung unter den bestimmten Umständen des Aufenthalts in Moab (Dtn 1) vor der Landnahme (Dtn 9; 31) und seinem Tod (Dtn 34). Konkret zeigt sich die Sensibilisierung für die narrative Dimension des gesamten Buches darin, dass Fabel und Erzählabfolge, Aspekte der Zeit, der Handlung, der Struktur narrativer Kommunikation, des Standpunktes und die Charakterisierung der Personen in den Blick genommen werden.49 Zudem sind Erkenntnisse der narrativen Analyse insbesondere für Dtn 9,7–10,11 von Nutzen, da sich dieser Abschnitt der Textgattung „Erzählungen in der Erzählung“ zurechnen lässt. G. Genette unterscheidet sechs Funktionen einer „Erzählung in der Erzählung“, 50 die sich mit J. L. Ska für die Bibelexegese auf vier reduzieren lassen.51 Eine „Erzälung in der Erzählung“ kann die Funktion haben, (a) die gegenwärtige Situation in Form einer Analepse zu erklären oder (b) proleptisch auf die Zukunft vorauszublicken. (c) Sie kann in Kontrast oder Analogie zur Ausgangserzählung stehen und so einen Einfluss auf diese nehmen, indem sie durch Analogie und Beispiel überzeugt oder eine Lösung für eine Spannung oder kritischen Punkt in der Erzählung bietet. (d) J. L. Ska macht in Bezug auf die letzte Funktion eine weitere Differenzierung, wonach manchmal nur der Adressat die thematische Verbindung erkennen kann. Hierbei hat die „Erzählung in der Erzählung“ die Funktion, eine Beziehung zum Adressaten aufzubauen. Alle vier Funktionen kommen in Dtn 9f. zum Tragen. 1.3.3 Rhetorische Analyse Dtn 9f. ist als Teil einer Moserede als Rhetorik zu verstehen, die auf intensive Weise „persuasiv-rhetorische Techniken“ anwendet.52 Der Abschnitt kann so unter rhetorischen Gesichtspunkten analysiert werden. Die Anwendung rhetorischer Analysen auf biblische Texte begann bereits in der zweiten Hälfte des vorangegangenen Jahrhunderts. So gab J. Muilenberg einer an rhetorischen Fragestellungen interessierten Bewegung im Jahre 1968 den Namen „Rhetorical Criticism“.53 Diese Bewegung fand allerdings Kritik dafür, dass sie vor allem Stilistik im Blick hatte, mit dem Aspekt der „Überzeugungskunst“ den wichtigsten Inhalt von Rhetorik jedoch ausgelassen habe.54 T. Lenchak orientierte sich dagegen in seiner rhetorischen Studie zu Dtn 28,69–30,20 an einer „neuen Rhetorik“ aristotelischer Prägung,55 die der Argumentationstheoretiker C. Perelman und die Literaturwissenschaftlerin L. Obrechts-Tyteca vorgeschlagen hatten.56 Er übernahm die aristotelische Unterscheidung von „deliberativer“ (politische Rede), „gerichtlicher“ und „epideiktischer“ Rede (Festrede). In Bezug auf Dtn 9f. sind die erste und die letzte von Interesse. Die deliberative Rede hatte im alten Griechenland ihren Platz in der politischen Auseinandersetzung und versuchte eine Gruppe von einem bestimmten politischen Agieren zu überzeugen oder abzuhalten. Es ging im Allgemeinen darum, die Adressaten zu bewegen, einen gewissen Standpunkt zu übernehmen. Dabei wurden sehr oft 49 50 51 52 53 54 55 56

Zu den einzelnen Aspekten der narrativen Analyse siehe SKA, Fathers. GENETTE, Narrative Discourse, 231–234. SKA, Fathers, 47–53. MARKL, Gottes Volk, 13. MUILENBURG, „Form Criticism“. WUELLNER, „Rhetorical Criticism“, 451–453. LENCHAK, Choose. PERELMAN / OLBRECHTS-TYTECA, Traité.

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Beispiele aus der Geschichte angeführt, um den Standpunkt zu untermauern. Die zweite ist die sogenannte epideiktische Rede, in der der moralische Charakter einer Person gepriesen oder verurteilt wird, um die Adressaten zu einem bestimmten Wertempfinden anzuleiten. 57 D. Markl hat bei seiner Untersuchung von Lobpreis und Beschämung in Dtn 1–11; 26–34 Vergleiche zu dieser Redegattung gezogen.58 Für das Verständnis der facettenreichen Aspekte rhetorischer Überzeugungskunst ist die aristotelische Unterscheidung von verschiedenen Ebenen, auf denen ein Rhetor zu überzeugen versucht, hilfreich. Die erste Ebene ist im Bereich des rationalen Denkens angesiedelt (Logos), appelliert an die Vernunft und versucht mit Argumenten zu überzeugen. Dies geschieht entweder durch Induktion oder Deduktion. Die zweite Ebene betrifft die Gefühlsebene (Pathos). Ein Rhetor will Gefühle erzeugen und hervorrufen und so Zustimmung erlangen. Die dritte Ebene betrifft die Person des Rhetors. Er will nicht nur durch Argumente und dem Evozieren von Gefühlen, sondern auch durch die Glaubwürdigkeit seiner eigenen Person überzeugen (Ethos).59 Die rhetorische Analyse sucht, einen Text abzugrenzen, sein Hauptargument ausfindig zu machen und die Art und Weise, wie der Redner davon zu überzeugen sucht, nachzuzeichnen. In der antiken Theorie der Rhetorik finden sich bereits einige Wesensmerkmale der Sprechakttheorie, die Sprechen als Handlung begreift und Kommunikation nicht ausschließlich auf der Ebene der Vernunft ansiedelt, und sie berührt einen wesentlichen Punkt der textpragmatischen Theorie, wenn sie davon ausgeht, dass Texte bestimmte Rezeptionsprozesse und Reaktionen auslösen möchten. Die rhetorische Analyse überschneidet sich so mit textpragmatischen Fragestellungen. 1.3.4 Intra- und Intertextualität Die Sensibilisierung für die narrative Dimension des Buches Deuteronomium geht einher mit der Achtsamkeit für intratextuelle Beziehungen. Wenn etwa, um ein Beispiel von J.-P. Sonnet anzuführen, am Ende des Buches in Dtn 34,9 die Söhne Israels auf Josua hörten, wie es Gott Mose befohlen hatte, dann klingen die Anfangsworte aus Dtn 1,3 wieder, Mose habe zu den Söhnen Israels alles entsprechend dem, was Jhwh befohlen hatte, gesprochen. Hier wird durch intratextuelle Verknüpfungen zu erkennen gegeben, dass sich ein großer narrativer Bogen schließt, der den „Erfolg eines Kommunikationsprozesses“ und die Weitergabe der Vermittlerrolle Moses an Josua schildert.60 Darüber hinaus ist das Buch Deuteronomium mit anderen biblischen Büchern verknüpft. Diese Beziehungen können durch intertextuelle Analysen bewertet und interpretiert werden. Ist das Interesse an intertextuellen Fragestellungen stark angewachsen, so wurden aufgrund mehrerer Unschärfen zu begrifflicher und methodischer Achtsamkeit aufgerufen.61 Ich folge im Wesentlichen den Kriterien des Anglizisten A. Pfister, dessen Methodik dadurch überzeugt, dass sie viele Faktoren einbezieht. Das Kriterium der Referentialität 57 Siehe LAUSBERG, Elemente, 18–19. 58 MARKL, „Praise“. 59 ARISTOTELES, Rhetorik, I.1356a; II.1378b–1378a (Hg. KRAPPINGER, 17–19.149–151); siehe die Zusammenfassung bei LENCHAK, Choose, 58–61. 60 SONNET, „Redefining“, bes. 38–39. 61 Siehe z. B. MEEK, „Intertextuality“, 280–291; KRAUSE, „Aesthetics“, 416–427.

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basiert auf der linguistischen Unterscheidung von use und mention bzw. refer to. Wenn ein Text ein Textelement oder eine linguistische Struktur eines Prätextes verwendet, ohne diesen zu thematisieren, so handelt es sich um Gebrauch, was von geringer intertextueller Intensität ist. Je mehr ein Text bei der Übernahme einer Wendung oder einer linguistischen Struktur eines Prätextes auch diesen selbst thematisiert, desto höher ist die intertextuelle Intensität und man kann von Bezugnahmen sprechen. Dies geschieht unter ausdrücklichen Verweisen auf den Zitatcharakter übernommener Elemente oder indem durch Interpretation die Eigenart des Prätextes „bloßgelegt“ wird.62 In diesem Zusammenhang ist der Hinweis von J. J. Krause zu erwähnen, dass eine intertextuelle Beziehung besonders intensiv ist, wenn ein Text so konzipiert ist, dass er erst auf dem Hintergrund eines anderen Textes seine volle Wirkung erzielt.63 Das Kriterium der Kommunikativität bewertet intertextuelle Bezüge nach dem Grad der Bewusstheit bei Autor und Rezipient sowie nach der Deutlichkeit der Markierung. Eine hohe Intensität intertextueller Beziehung ist dann gegeben, wenn sich der Autor des intertextuellen Bezugs bewusst ist, diesen deutlich markiert und er gleichzeitig davon ausgehen kann, dass der Prätext dem Rezipienten bekannt ist.64 Das Kriterium der Strukturalität bewertet die intertextuelle Intensität danach, inwieweit ein Prätext zur strukturellen Folie eines anderen Textes wird. Je mehr die Struktur eines Textes oder die strukturelle Funktion eines Textelementes mitübernommen oder transformiert wird, desto höher ist die intertextuelle Intensität. 65 Das Kriterium der Selektivität bewertet intertextuelle Intensität nach der Prägnanz eines intertextuellen Verweises. Je größer die Übereinstimmung sowie der Umfang der geteilten Textelemente sind, desto höher ist die intertextuelle Intensität. Das höchste Ausmaß an intertextueller Intensität erreicht damit nach dem Kriterium der Selektivität das Zitat. Je seltener solche Übereinstimmungen innerhalb der Hebräischen Bibel vorkommen, desto wahrscheinlicher handelt es sich um eine „bewusste Einzeltextreferenz“.66 Das Höchstmaß an intertextueller Relevanz besitzen demnach jene prägnanten sprachlichen Ausdrücke oder Wendungen, die nur von zwei Texten geteilt werden. Diese werden hier mit G. Fischer als „exklusive Verbindungen“ bezeichnet.67 Das Kriterium der Dialogizität bewertet intertextuelle Intensität nach der semantischen und ideologischen Spannung, in der der neue Zusammenhang eines übernommenen Textelementes zum ursprünglichen Zusammenhang steht. Diese Spannung kommt dann zu Stande, wenn etwa ein Text gegen den Strich des Originals verarbeitet wird, oder wenn ein Text zitiert und zugleich relativiert wird. Diese Form von differenzierter Dialektik intertextueller Bezugnahme weist eine höhere intertextuelle Intensität auf als eine bloße Affirmation oder Negation.68

62 63 64 65 66

PFISTER, „Konzepte“, 26. KRAUSE, „Aesthetics“, 418. PFISTER, „Konzepte“, 27. PFISTER, „Konzepte“, 28. MARKL, „Hab 3“, 100: „Je geringer die Häufigkeit verbindender Textelemente und je größer ihr Umfang, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit bewusster Einzeltextreferenz.“ 67 FISCHER, Trostbüchlein, 186–224. 68 PFISTER, „Konzepte“, 29.

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Hermeneutik, Methodologie und Fragestellung

In der Gegenwartsliteratur ist die Richtung der Abhängigkeit eines Textes zu einem Prätext aufgrund der bekannten Datierung der Texte leicht erkennbar. Anders verhält es sich bei biblischen, insbesondere alttestamentlichen Texten. Hier können die Kriterien Referentialität, Kommunikativität und Dialogizität wertvolle Einsichten liefern.69

1.4 Fragestellung und bisherige Forschungsgeschichte Die Erzählung vom (Goldenen) Kalb und den zerschmetterten und erneuerten Tafeln gehört zu den bekannteren Erzählungen in der Hebräischen Bibel. Sie ist auch eine der wenigen, die zweimal erzählt wird, einmal vom biblischen Erzähler (Ex 32–34) und einmal von Mose (Dtn 9f.). Die Version in Dtn 9f. ist der Version in Ex 32–34 gegenüber kürzer, abstrahierter, spricht vieles, was sich dort findet, nicht explizit an und scheint in manchen Punkten zu divergieren. Die Verhältnisbestimmung beider Versionen sowohl in diachroner als auch in synchroner Fragestellung hat die Forschung zu Dtn 9f. bis heute in hohem Maße bestimmt.70 Doch ist Dtn 9f. nicht nur aufgrund der Beziehungen zu Ex 32–34 eine Herausforderung für Exegeten. Dies klingt etwa in den Worten von G. Seitz durch, der von „Überfüllung“ und der Schwierigkeit, „einen durchgehenden Erzählfaden zu finden“, sprach, 71 oder in der Beurteilung von H. Stoppel, dass es sich bei Dtn 9f. um einen der am meisten missverstandenen Texte des Buches Deuteronomium handle.72 Diese Probleme beginnen bei der Abgrenzung, betreffen die Struktur, das Ineinander von paränetischen und narrativen Elementen, Sprünge in der Handlung, die Zusammenführung mehrerer Ereignisse der Vergangenheit, Fabel und Erzählabfolge, eine komplexe Textgenese und eine Vielzahl von Themen, Motiven und ausdrucksstarken Symbolen.73 Ein Problem besteht darin, dass Dtn 9f. trotz der vielen narrativen Elemente keine reine Narration darstellt und so nicht den Erwartungen entspricht, die oft an den Text herangetragen wurden.74 Dtn 9f. ist keine verkürzte Version der Erzählung vom Goldenen Kalb in Ex 32–34,75 sondern eingebettet in und selbst Teil der Reden Moses, in denen dieser mit rhetorischen Mitteln seine Adressaten für die Zukunft rüsten möchte. Mose erzählt Ausschnitte aus den Horebereignissen und verknüpft diese mit anderen Ereignissen der Wüstenzeit unter spezifischen Gesichtspunkten, die sich teils aus der Beziehung zu den vorausgehenden Paränesen zur Landnahme in 9,1–6 erklären.76

69 MARKL, „Hab 3“, 100. 70 Sehr explizit z. B. VERMEYLEN, „sections narratives“; HAYES, „Golden Calf”; ACHENBACH, Israel; STOPPEL, Angesicht. 71 SEITZ, Studien, 51. 72 STOPPEL, Angesicht, 155. 73 Symptomatisch für die Schwierigkeit der Interpretation ist etwa die Frage, ob das Kalb oder die Tafeln im Geschichtsrückblick das Leitthema verkörpern Für ZIPOR, „Account”, 28–29, steht das Kalb im Zentrum, während VENEMA, Reading, 16, in den Tafeln das zentrale Thema verkörpert sieht. 74 Vgl. die Kritik von STOPPEL, Angesicht, 147. 75 Vgl. TALSTRA, „Deuteronomy 9”, 189–190, der die Tendenz kritisiert, Dtn 9f. als „armselige Imitation von Textmaterial aus den Büchern Exodus und Numeri“ anzusehen. 76 Siehe dazu z. B. HAYES, „Golden Calf”, 72–79.

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Fragestellung und bisherige Forschungsgeschichte

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Das erste Hauptanliegen dieser Arbeit ist die Frage, in welchem rhetorischen Zusammenhang Ermutigung (9,1–3), beschämende Warnung (9,4–6) und Erinnerung (9,7– 10,11) stehen. Ich bezeichne dies als Frage nach der Rhetorik und der rhetorischen Dynamik der Moserede in Dtn 9f. Daran schließt die zweite Frage nach dem textexternen Kommunikationsangebot von Autoren an, die sich mittels der Moserede und der Erzählstimme an ihre Adressaten wenden. Diese Frage ist insofern von besonderem Interesse in Bezug auf Dtn 9f., als hier auch die reale Geschichte der Adressaten angesprochen zu sein scheint, was durch vielfache motivische und lexematische Bezüge und Verknüpfungen zu Texten bestärkt wird, die Israels Geschichte der Königszeit behandeln. Die bisher gegebenen Antworten oder Lösungsvorschläge auf beide Fragen dieser Arbeit sollen im Folgenden umrissen werden. 1.4.1 Die Frage nach der rhetorischen Dynamik in Dtn 9f. In der älteren diachronen Forschung unterschied man zumeist in literarkritischer Scheidung den argumentativen Redeteil in 9,1–7a von dem narrativen in 9,7b–10,11 und behandelte sie als zwei mehr oder weniger unabhängige Abschnitte, wobei die Grundschicht zumeist in 9,1– 7 erblickt wurde.77 In der jüngeren diachronen Forschung setzte sich die Scheidung von 9,1– 7a und 9,7b–10,11 vielfach fort. wobei die Grundschicht nun wechselweise einmal innerhalb von 9,7b–10,11,78 ein anderes Mal in 9,1–7a einschließlich einiger oder größerer Teile des Rückblicks ausgemacht wird.79 Eine andere Position vertritt H. Stoppel (2018), der „von den späteren Hinzufügungen 9,20.27a; 10,6–7 abgesehen“ von einem „einheitlichen Text mit einer komplexen, aber nachvollziehbaren Struktur“ ausgeht.80 Die literar- und redaktionskritische Loslösung der argumentativen oder paränetischen Abschnitte in 9,1–7a.(22–24) vom Geschichtsrückblick in 9,7b–10,11 hat bisweilen die unausgesprochene Folge, dass deren Beziehung kaum Beachtung fanden, wohl weil diese als nachträgliche Relationierung betrachtet wurde.81 Allerdings ist auch im Falle einer textgenetischen Scheidung im Auge zu behalten, dass spätere Redaktionen paränetische und narrative Teile vermutlich zu einem sinnvollen Ganzen verbunden haben. So bleibt auch bei einer literarkritischen oder redaktionskritischen Scheidung die Frage nach dem Zusammenhang von Paränese zur Landnahme und Geschichtsrückblick bestehen. Mehrere Kommentatoren haben dies ausdrücklich eingefordert. So plädierte E. Talstra dafür, synchrone und diachrone Herangehensweisen nicht entgegenzusetzen, sondern zu kombinieren und gegenseitig fruchtbar zu machen. An den literarkritischen Untersuchungen 77 Z. B. PUUKO, Deuteronomium, 155; Hempel, Schichten, 139–143. 78 Z. B. MINETTE DE TILESSE, „Sections“, 37; LOHFINK, „Deuteronomium 9,1–10,11”, 165.167; VEIJOLA, Deuteronomium, 224–225. Auf ähnliche Weise unterscheidet OTTO, Deuteronomium, 943–969, zwischen einer deuteronomistischen exilischen Erzählung vom Gegossenen Kalb in Dtn 9,9a*.11b*–12.15–19*.21; 10,1–5* und einer nachexilischen Fortschreibung in Dtn 9,1–8.10.13–14.20.22–29; 10,5–11. 79 Z. B. SEITZ, Studien, 58–69; AURELIUS, Fürbitter, 10–18.44–48; TALSTRA, „Deuteronomy 9“, 201–210, unterscheidet ausgehend von mehreren „shifts in the plot“ und in Orientierung am Numeruswechsel eine sehr umfangreiche dtr Komposition 1 (Dtn 9,1–7a.9–17.21.25*–10,5*.10b–11), von einer dtr Komposition 2 (9,7b–8.18–20.22–25; 10,6–10a), die den Horebereignissen andere Wüstenrebellionen eingearbeitet, in vv18–20 auf die Fürbitte vorgegriffen und das Thema der Leviten hinzugefügt habe. 80 STOPPEL, Angesicht, 178. 81 Vgl. die Bestandsaufnahme und Kritik bei STOPPEL, Angesicht, 148.

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Hermeneutik, Methodologie und Fragestellung

kritisierte er die Tendenz, den nacherzählenden Abschnitt 9,7–10,11 isoliert zu betrachten.82 Dieser jedoch nehme eine wichtige Rolle innerhalb der Argumentation der rahmenden Textabschnitte 9,1–6 und 10,12–22 ein.83 Ähnlich argumentierte J. Taschner, demzufolge das rahmende Thema der Landnahme zu Beginn (9,1–6) und am Ende (10,11) „das Ziel und den Zweck der Erinnerung“ angebe,84 und wieder H. Stoppel, der für die Einheit von „narrativ und paränetisch geprägten Teilen“ argumentiert.85 a) Geschichtsrückblick als Beweisgrundlage Die Beziehung zwischen „Paränese“ und „Erzählung“ hat N. Lohfink explizit in den Blick genommen, woran mehrere Kommentatoren anschlossen. Er interpretierte den Geschichtsrückblick in Dtn 9,8–10,11 vom Bundesbruch und der aus reinem Erbarmen erfolgten Bundeserneuerung entsprechend seinem „Schema der Beweisführung“ als Beweisgrundlage für die eingeforderte Erkenntnis in 9,6, die wiederum zur Einhaltung der Ermahnung in 9,4 anleiten solle.86 In einem späteren Beitrag hat er dies noch weiter ausgestaltet. Im Zentrum der Paränese 9,1–7 sieht er die Aufforderung in v4, die gelingende Landnahme nicht auf eigene Verdienste zurückzuführen, sondern entsprechend der Rechtfertigungslehre zu interpretieren.87 Dtn 9,8–24 begründe narrativ die These von v7, dass Israel rebellisch sei, 88 womit die Rückführung des Erfolgs auf eigene Verdienste verunmöglicht würde. Dtn 9,25– 10,11 jedoch lege narrativ den Grund dafür, dass Israel das „Land von Gott nach Moses Fürsprache im Blick auf die Erzväter aus reiner Gnade“ bekomme.89 Auf ähnliche Weise haben mehrere Kommentatoren mit unterschiedlichen Akzenten den Geschichtsrückblick als Beweis, Begründung, Untermauerung und Veranschaulichung der um 9,4 als Zentrum gruppierten Argumentation in 9,1–7 interpretiert.90 Unter ihnen ist G. 82 83 84 85 86

87 88 89 90

TALSTRA, „Deuteronomy 9”, 189–190. TALSTRA, „Deuteronomy 9”, 196–197. TASCHNER, Mosereden, 248–249. STOPPEL, Angesicht, 147. LOHFINK, Hauptgebot, bes. 200–204. WEINFELD, Deuteronomy, 426–427, fasste beinahe zeitgleich auf ähnliche Weise die Beziehung so, dass 9,8–24 aufzeige, dass Israel das Land nicht verdient habe, aber aus Gnade aufgrund des Väterschwurs empfängt. Den zweiten Teil des Rückblicks 9,25–10,11 fasste er dagegen als angehängte Geschichte des legitimen Kultes, der als Gegenentwurf zum illegitimen Kalbkult diene. LOHFINK, „Deuteronomium 9,1–10,11”, 137.144–145. LOHFINK, „Deuteronomium 9,1–10,11”, 135. LOHFINK, „Deuteronomium 9,1–10,11”, 144. AURELIUS, Fürbitter, 17, sieht in einer Grundschicht 9,1–7a.13f.26*.27(f); 10,11 ein „leicht erkennbares Grundanliegen“. Israel soll Jhwh vertrauen und sich nicht auf die eigene Gerechtigkeit verlassen. Dies werde mit der Erinnerung begründet, wonach Israel Gott gereizt hat, dieser aber aufgrund von Moses Einsatz an seiner Verheißung festgehalten habe. T ALSTRA, „Deuteronomy 9”, 198–200, sieht 9,7–24 als Illustration des Stichwortes vom harten Nacken. Jedoch macht er darauf aufmerksam, dass in 10,10 mit Erhörungsnotiz und Verschonungsformel zwei Details aus 9,18–19 aufgenommen werden und sich so 9,25–10,11 insgesamt als dessen ausgemalte Wiederholung erweise, die erkläre, warum Israel trotz der Rebellionen und Gottes Zorn immer noch existiere. TIGAY, Deuteronomy, 96–98, fasst 9,1–5 als Argument gegen Selbstgerechtigkeit, in dem Mose Israels Mangel an Loyalität vor Augen führt, was er durch das zentrale Textstück 9,6–24 demonstriere. 9,25–10,11 interpretiert er dagegen als Nachgeschichte (ebd., 102.); GOMES DE ARUJO, Wüste, 184–207, folgte ausdrücklich N. Lohfink und verteidigte dessen Thesen gegenüber mehreren Kritikpunkten. BARKER, Triumph, 78, sieht in Dtn 9f. den deutlichsten Ausdruck des Primats der göttlichen Gnade vor Israels Gehorsam im Buch Deuteronomium. 9,1–6

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Braulik hervorzuheben, der im Anschluss an N. Lohfink in mehreren Beiträgen Dtn 9,4–6 als zentralen Text einer alttestamentlichen Rechtfertigungslehre dargestellt hat.91 Entsprechend einem „Schema der Beweisführung“ sei Zielpunkt des Geschichtsrückblicks, die in 9,6 eingeforderte Erkenntnis zum Landbesitz mit geschichtlichen Fakten zu begründen. 92 M. Zipor interpretiert den Rückblick als Diskreditierung der fälschlichen Selbstzuschreibung der gelingenden Landnahme in 9,4–6.93 Der lange Geschichtsrückblick sei vor allem eine Erzählung über die Sünde mit dem Kalb, dem die Motive der zerschmetterten und erneuerten Tafeln völlig untergeordnet seien. So laufe er darauf hinaus, deutlich zu machen, dass das Land nicht aufgrund von Verdiensten, sondern aufgrund des Väterschwurs an Israel gegeben werde.94 Dabei betonte er, dass Mose in 9,1–6 von zwei falschen Annahmen spreche, gegen die er sich in zwei Schritten in 9,1–3 und 9,4–6 wende.95 Diese Beobachtung macht, obwohl keineswegs als Kritik an der These von N. Lohfink verfasst, auf den Schwachpunkt von dessen Interpretation aufmerksam, dass dabei 9,1–3 kaum eine oder nur eine sehr untergeordnete Rolle in der Gesamtdynamik von 9f. spielt. Obwohl dieses Interpretationsmodell, insbesondere in der Ausgestaltung von G. Braulik als Schema Appell - Erkenntnis - Erinnerung eine Grundlinie der rhetorischen Dynamik ins Auge fasst, ist die spezifische Applizierung dieses Schemas noch zu vertiefen. In Anwendung dieses Modells nehmen Kommentatoren fast ausschließlich die Beziehungen zwischen 9,4– 6 und 9,7–10,11 in den Blick, berücksichtigen 9,1–3 jedoch kaum, da sie diesen Abschnitt als eine Art Einleitung zu 9,4–6 interpretieren. Damit verbunden spielen zumeist wesentliche Elemente aus 9,7–10,11 keine oder eine nur sehr untergeordnete Rolle, so die verunglückte Landnahme in Kadesch-Barnea, Moses rettende Vermittlung, die Zerstörung des Kalbes, die Lade und der Klerus. b) Weitere Interpretationsansätze Mehrere Autoren haben auf weitere Aspekte der Beziehung von Paränese und Geschichtsrückblick hingewiesen, die bereits einiges anschneiden, was ich im Laufe der Auslegung vertiefen und in Kapitel 6 systematisch darstellen werde.

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demonstriere einen Optimismus, der aus dem Vertrauen in Gottes Gnade komme, bei gleichzeitigem Bewusstsein der eigenen Sündhaftigkeit. So ergebe sich ein Kontrast zwischen Vertrauen in Gott und der Sünde Israels (ebd. 83–84). 9,7–24 beweise Israels Unglauben und verdeutliche den Ernst der Sünde (ebd., 86), die von Gottes Treue in 9,25–10,11 kontrastiert werde (ebd., 93). Demnach setzt der Rückblick in 9,7–10,11 das Thema des Kontrastes von Israels Sünde und Gottes Gnade von 9,1–6 fort und vertiefe es. FINSTERBUSCH, Weisung, 202, interpretiert 9,7–24 als Begründung für die aufgestellte Behauptung von Israels harten Nacken in 9,6 und sieht in 9,25–10,11 eine „Gegengeschichte“ zur Rebellionsgeschichte mit den weitreichenden Implikationen, dass Israel Gottes Bündnispartner bleibe, auch wenn es sündigt. BRAULIK, „Gesetz“, 145–151; ders., „Entstehung“, 21–24; ders., „Geschichtserinnerung“, 181–182; ders., „Glaubensgerechtigkeit“, 224–228. Siehe besonders BRAULIK, „Geschichtserinnerung“, 181–182. ZIPOR, „Account”, 21. ZIPOR, „Account”, 28–29. ZIPOR, „Account”, 20–21. HARDMEIER, „Schema‘ Jisra’el“, 69; ders., „Geschichten“, 107, sieht den ersten Argumentationsgang in 9,1–3 als Aufforderung zur Vertrauenshingabe an Jhwh sogar als den übergeordneten, demgegenüber 9,4–6 eine Differenzierung macht; vgl. auch schon AURELIUS, Fürbitter, 17, der in 9,1–7a die Vertrauenshingabe hervorstreicht.

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1.) J. S. DeRouchie hat die in 9,3 eingeforderte Gotteserkenntnis als „verzehrendes Feuer“ ins Zentrum gestellt. Da diese Erkenntnis jedoch gefährdet sei, zeige 9,4–10,11 in zwei Bewegungen, dass Israel ein Volk harten Nackens sei (9,4–24) und völlig von Gottes unverdienter Gnade abhänge (9,25–10,11).96 2.) E. Otto eröffnet einen wichtigen Zugang, wenn er die rhetorische Dynamik so bestimmt, dass die spannungsvolle Zusage von Jhwhs Hilfe an ein Volk harten Nackens durch den Geschichtsrückblick in einen geschichtlichen Horizont gestellt werde.97 Hier hat die erinnerte Geschichte nicht nur eine Funktion als Beweisgrundlage, sondern tritt als Verständnishorizont für Israels gegenwärtige Situation ins Blickfeld. 3.) Nach J. Taschner und H. Stoppel verschränkt Dtn 9f. die Gegenwart des „MoabHeute“ und die bevorstehende Landnahme mit den Horebereignissen.98 Darin zeigt sich ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den gegenwärtigen Herausforderungen und den erzählten Ereignissen. 4.) C. Hardmeier spricht von den Horebereignissen als „Modellerfahrung“, die die Moabgeneration in einem Analogieschritt auf das „Heute“ übertragen, vergegenwärtigen und aktualisieren soll.99 5.) Einige Kommentatoren deuten darauf hin, dass der Geschichtsrückblick Hoffnung und Zuversicht auf Gottes Beistand in der Zukunft schenkt.100 6.) Andere wiederum sprechen ihm die Funktion einer Warnung zu, die zugleich zu einer Reaktion in Form einer Überwindung der rebellischen Haltung aufruft. 101 96 DEROUCHIE, Call, 252–255. 97 OTTO, Deuteronomium, 998. 98 TASCHNER, Mosereden, 250, streicht hervor, dass Mose am Anfang der Paränese wiedergibt, was laut Exodusbericht am Ende der Verhandlungen zwischen Gott und Mose gestanden war (Ex 34,9), nämlich dass Gott mit einem Volk harten Nackens mitgehe. Somit werde das Ende des Geschichtsrückblicks zum Ausgangspunkt der Paränese. STOPPEL, Angesicht, 90.158.266–269, nennt dies eine „spiralförmige Argumentationsfigur“, die der Aktualisierung von vergangenen Ereignissen diene, indem sie die Gegenwart mit der Vergangenheit in Beziehung setze. 99 HARDMEIER, „Schema‘ Jisra’el“, 68–69. So konnte er zwei unterschiedliche Beziehungsdynamiken des Geschichtsrückblicks zur Paränese herausarbeiten, die nicht nur das zweite Argument (vv4–6), sondern auch das erste (vv1–3) betreffen. Dem Geschichtsrückblick wies er einerseits die Funktion zu, das Wort vom Volk harten Nackens (v6b) „geschichtstheologisch zu untermauern“ (ebd., 69). Andererseits mache er deutlich, dass der göttliche Landnahmebefehl von 1,6–8 das „Resultat eines uranfänglichen Beziehungskonfliktes“ war (ebd., 67). Die Adressaten sollen dies auf ihre eigene Situation hin aktualisieren und erkennen, dass auch ihnen trotz des Scheiterns in Kadesch–Barnea und ihres harten Nackens derselbe Befehl gilt (ebd., 71). T ASCHNER, Mosereden, 250, deutet die paradigmatische Funktion des Geschichtsrückblicks dahingehend, dass Mose an das Wesen und die Qualität des Verhältnisses zwischen Israel und Gott, das sich am Gottesberg herausgebildet hat, erinnere. Außerdem stellt er die Frage, warum Mose so ausführlich auf seine eigene Fürbitte hinweist, und beantwortet dies mit der Vorbildfunktion, dass das Volk auch auf seine eigene Fürbitte vertrauen möge (ebd., 252–253); siehe auch HWANG, „Rhetoric“, 164, demzufolge im Blick auf den Horeb alte Wahrheiten ans Licht geholt würden, um neue Erfahrungen von Gottes Gegenwart zu schaffen. 100 Siehe TASCHNER, Mosereden, 190, DEROUCHIE, Call, 252. 101 O’CONNELL, „Paralleled“, 493, spricht von einer „Strategie“ und „Rhetorik“ der Ermahnung, die Mose in 9,7–10,11 verfolge. Er unterteilt Dtn 9,7–10,11 in zwei A Sektionen (Dtn 9,7–8; 22–24), die Israels Rebellion behandeln, und zwei B Sektionen (Dtn 9,8b–21; 9,25–10,11), die den doppelten Tafelempfang zum Thema haben. Der doppelte Tafelempfang erzeuge eine Spannung zwischen Frustration und Erfüllung, da Israel einerseits als rebellisch aus dem ersten Tafelempfang hervorgehe,

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1.4.2 Die Frage nach der textexternen Pragmatik Der zweite Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf der Frage nach der textexternen Pragmatik. Über die „einzige unmittelbare, wenn auch nur sehr schmale Brücke“ von Texten als „Ausschnitte einstiger Kommunikationsprozesse“ lassen sich behutsam Schlüsse auf die Kommunikationssituation der Autoren und ihrer Adressaten ziehen.102 Die Frage nach der textexternen Kommunikation in Dtn 9f. hat vor allem die diachron orientierte Forschung unter dem Stichwort des Kerygmas oder der Botschaft der Geschichte vom Goldenen Kalb berührt. Dtn 9,7–10,11 berichtet nicht nur von einer existenzbedrohenden paradigmatischen Krise und ihrer Überwindung am Horeb. Die Ursprungserzählung am Horeb wird auf die Geschichte Israels transparent. Sie erzählt nicht nur eine Geschichte, sondern „in nuce Geschichte“.103 Es spricht einiges dafür, dass die Literaturgeschichte der Erzählung vom Goldenen Kalb mit einer in der Sinaiperikope erhaltenen Erzählung Ex 32* begann.104 M. Aberbach und L. Smolar verwiesen auf mehrfache Verknüpfungen von Ex 32 und 1 Kön 12 und konnten so davon überzeugen, dass die Erzählung vom Goldenen Kalb in Ex 32* Jerobeams Kälberkult widerspiegelte.105 Mehrere Kommentatoren interpretierten Ex 32* aufgrund dieser Beobachtungen als Polemik gegen den Kälberkult, wobei Aaron als Präfiguration Jerobeams angesehen wurde.106 Gegen Letzteres spricht allerdings, dass in Ex 32 nicht Aaron allein, sondern das gesamte Volk in die Verantwortung genommen wird 107 und Aaron wahrscheinlich erst später in diese Geschichte integriert wurde.108 Auch aus diesen Gründen wurde Ex 32* in weiterer Folge nicht als Polemik gegen Jerobeam, sondern als präexilische Untergangs- und Bewahrungsgeschichte interpretiert, die aus judäischer Sicht einerseits den Untergang des Nordreichs109 und andererseits die Verschonung Judas erklärte.110 Während dieser Erzählung zufolge das Nordreich aufgrund der Apostasie unterging, überlebte das an

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Gott aber aus unverdienter Gnade den Bund weiterführe. Demnach führe 9,7–10,11 gerade in jene Spannung hinein, die Mose bereits in 9,1–6 bei den Adressaten erzeugen wollte, wenn er sie anmahnt, zu erkennen, dass es nicht auf ihre Verdienste bauen kann, sondern Gott aus reiner Gnade den Bund fortsetzt (ebd., 502). Die grundsätzliche rhetorische Funktion von 9,7–10,11 bestehe demnach darin, Israel wegen seiner Rebellion zu ermahnen, und gleichzeitig zu beweisen, dass es sich vor dieser Haltung hüten solle, wenn es Gottes Bundesbestimmungen entsprechen will (ebd., 507). Ähnliches deutet sich auch bei BARKER, Triumph, 86, an, demzufolge die Geschichte den Ernst der Sünde verdeutliche. Nach FINSTERBUSCH, Weisung, 210–212, bleibe nach der Botschaft von Gottes Festhalten an Israel als Bündnispartner trotz Israels Sünde die Spannung bestehen, dass es eben diese Sünde überwinden müsse. STOPPEL, Angesicht, 210, wiederum sieht in der Gefährdung der Gottesbeziehung und der Überwindung dieser Gefährdung alle argumentativen Linien innerhalb von Dtn 9f. zusammengehalten. HARDMEIER, Kohärenz, 214. HARDMEIER, „Geschichten“, 112. Vgl. z. B. HECKL, „Religionsgeschichte“, 207–213; OTTO, Deuteronomium, 955.959–960.963; STOPPEL, Angesicht, 395–396.429. ABERBACH / SMOLAR, „Aaron“, 130–134. Z. B. ABERBACH / SMOLAR, „Aaron“, 140; GERTZ, „Beobachtungen“, 94. Watts, „Aaron“, 427. Siehe dazu OTTO, Deuteronomium, 955–956. STOPPEL, Angesicht, 430. OTTO, „Deuteronomiumstudien II“, 161–162.

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der Sünde unbeteiligte Juda. Damit war die Erzählung auch zugleich Warnung vor der Apostasie und begründete die Hoffnung, durch Umkehr und Reform bewahrt zu bleiben.111 C. T. Begg konnte eine Abhängigkeit für Dtn 9,21 von Ex 32,20 nachweisen,112 was wiederum die Kenntnis des Erzählzusammenhangs von Ex 32* in Dtn 9f. voraussetzt und so darauf hindeutet, dass der Erzählung in Dtn 9f. eine Version von Ex 32 vorgelegen hat. Jedoch unterscheidet sich Dtn 9f. wesentlich von seiner Vorlage, wenn von keiner Bestrafung der Schuldigen die Rede ist, sondern das gesamte Volk vor der Vernichtung steht und als Ganzes davor bewahrt bleibt. So vollzog sich in Dtn 9f. eine Uminterpretation der Vorlage Ex 32*. Es ging nach E. Otto nicht mehr „um eine Differenzierung von Verantwortlichkeit und Bestrafung“, sondern um „die Überwindung des göttlichen Zornes und die Bewahrung des Volkes trotz des göttlichen Zornes“.113 Deutet dies bereits auf die Katastrophe der Zerstörung Jerusalems und das Schicksal Judas im Exil, so zeigen mehrere intertextuelle Verknüpfungen zu den Königsbüchern, die sich in Dtn 9 finden, nicht aber in Ex 32, einen spezifischen Bezug zu Jerusalem und zur Geschichte Judas. So ist Dtn 9,21 im Vergleich zu Ex 32,20 um Elemente angereichert, die einen starken Bezug zu den Kultreformen der Könige Judas herstellen. 114 Zudem lässt die Szenerie eines Flusses, der vom Berg hinabfließt, die Topographie Jerusalems erkennen. 115 Ebenso weisen Verknüpfungen zu Dtn 4; 29; 31 auf einen Zusammenhang von Dtn 9f. mit der zukünftigen Katastrophe im Buch Deuteronomium,116 die mehrmals als jene des Babylonischen Exils erkenntlich gemacht wird.117 All dies deutet darauf hin, dass sich die Erzählung auf Jerusalem und die Katastrophe seiner Zerstörung bezog. Dabei rückte das Tafelmotiv ins Zentrum. Nach E. Otto sprachen die zerschmetterten Tafeln von der Zerstörung Jerusalems und des Tempels, die erneuerten Tafeln aber von der Überwindung des göttlichen Zornes und Gottes fortdauerndem Heilswillen. 118 In den letzten textgenetischen Etappen von Dtn 9f. wird auf diese Geschichte als eine vergangene zurückgeblickt. Die Katastrophe im Rücken schaut Mose auf eine Zukunft im Land der Verheißung voraus. Diese durch prägende Redaktionsprozesse erzeugte Erzählsituation scheint eine Zeit während oder nach dem Exil widerzuspiegeln,119 da ein Volk nach

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Z. B. PERLITT, Bundestheologie, 232. BEGG, „Destruction“, 249; ders., „Calf Revisited“, 474–479. OTTO, Deuteronomium, 965. BEGG, „Calf Revisited“, 475–477. OTTO, „Born”, 164. Zu den Verknüpfungen von Dtn 9f. zur Unheilsprophetie in Dtn 4,25.26 und zur Heilsprophetie in Dtn 4,31 sowie zur Unheilsprophetie in Dtn 31,27–29 siehe ZIPOR, „Account”, 29–33; SONNET, Book, 167–170; BRAULIK, „Kalb“, 26; MARKL, Gottes Volk, 206–207. 117 So verweisen nach MARKL, „Efficacy“, 128, Dtn 28,36–37.41.63–68; 29,18–27; 30,1–4 deutlich auf das babylonische Exil, während andere Abschnitte darauf anspielen. 118 Siehe besonders OTTO, „Born”, 165. 119 Siehe MARKL, ,,Deuteronomy“, 148, der mehrere Indizien dafür sieht, dass wesentliche redaktionelle Prozesse des Buches vom babylonischen Exil beeinflusst waren, so die geographische Situierung außerhalb des Landes, die Hoffnung auf Heimkehr (Dtn 30,1–10), der Verweis auf eine komplette Zerstörung des Landes (Dtn 29,22 [MT 29,21]), der Verweis auf ein Exil „wie es heute ist“ (29,27 [MT 29,28]), die letzten Abschnitte der Flüche in Dtn 28 und das Verschweigen des Tempels.

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der Katastrophe neu auf die Zukunft und Heimkehr in das Land ausblicken konnte und sollte.120 1.4.3 Offene Fragen In Bezug auf die erste Frage nach der rhetorischen Dynamik in Dtn 9f. konnten N. Lohfink und G. Braulik aufzeigen, dass ein rhetorischer Zusammenhang zwischen 9,4–6 und 9,7– 10,11 besteht. Ihre Zuordnung zu einem Schema der Beweisführung bringt einen rhetorischen Beziehungsaspekt ans Licht, jedoch erschöpft sich die Beziehung zwischen Paränese und Geschichtsrückblick nicht darin, dass die Vergangenheit als Beweisgrundlage für 9,4–6 dient. Weitgehend offen blieb zudem, in welcher Weise 9,1–3 als Ermutigung zur Landnahme in Beziehung zu 9,7–10,11 steht. Ebenso unbeantwortet ist die Frage, ob und wie sich die Erneuerungserzählung in 10,1–11 auf die Paränese bezieht. In Bezug auf die zweite Frage nach der textexternen Kommunikation haben Kommentatoren die Themen von Sünde, Bundesbruch, Zerstörung der Tafeln, Überwindung des göttlichen Zornes und Erneuerung der Tafeln intensiv auf die Autoren- und Adressatenkommunikation hin reflektiert und dabei die Katastrophe der Zerstörung Jerusalems verarbeitet gefunden. Die Durchsichtigkeit von Dtn 9f. auf Israels Geschichte hin lässt sich meines Erachtens über intertextuelle Verknüpfungen und Analogien noch weiter beleuchten. Dabei stellt sich die Frage, wie sich die doppelte Ursprungsgeschichte am Horeb und in Moab zur tatsächlichen Geschichte Israels verhält und was über diese Ursprungsgeschichte vermittelt werden sollte. Zudem wurden mehrere zentrale Themen in Dtn 9f. weniger in Blick auf die textexterne Pragmatik hin bedacht. So stellt sich die Frage, welche Rolle die Lade innerhalb dieser Kommunikationsebene einnimmt,121 warum und wieso die Erzählstimme das Thema des Klerus einführt und mit der Erneuerung am Horeb verknüpft, 122 welche Rolle KadeschBarnea dabei spielt und wie die Relationierungen von überwundener Bundeskrise, Ermutigung zur Landnahme sowie Warnung vor der Selbstzuschreibung des Erfolgs innerhalb der textexternen Kommunikation zu verstehen sind.

120 Siehe LOHFINK, „Deuteronomium 9,1–10,11”, 156–157, der hier „Pentateucherzähler“ exilische Adressaten ansprechen sieht, die sich außerhalb des Landes befinden. Nach H ARDMEIER, „Geschichten“, 113, blicken exilische Autoren auf eine „Sündengeschichte zurück und auf der Basis einer Bundeserneuerung auf die Heimkehr“ voraus. 121 Die Lade wird zumeist als bloßer Behälter oder rechtshermeneutisch und in Relation zur Tora interpretiert. WILSON, „Container“, 218–237, zieht aus der Zusammenführung des Lademotivs, der Ladeträger und ihres Kultdienstes den Schluss, dass hier der Lade sehr wohl auch kultische Funktion zugesprochen wird und sie im Zusammenhang mit dem „Ort, den Gott erwählen wird“ steht. 122 Die Thematisierung des Klerus in 10,6–9 wird vor allem als Ergebnis sich rivalisierender Klerikergruppen interpretiert; so z. B. DAHMEN, Leviten, 21–73. OTTO, Deuteronomium, 995–996, sieht den Klerus als Bindeglied zwischen der Horeberzählung und der Welt der Adressaten, der für Gottes am Horeb gezeigten Heilswillen in der Gegenwart der Adressaten bürgt.

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2. Hinführung zur Auslegung In diesem Kapitel wird zunächst die Abgrenzung der Texteinheit innerhalb ihres Kontextes begründet. Danach werden einige wichtige Beziehungslinien zu anderen Texten des Buches Deuteronomium dargelegt, worauf Übersetzung und Textkritik folgen. Im Anschluss wird die Strukturierung des Abschnitts dargelegt und begründet. Im letzten Unterkapitel werden einige wichtige Aspekte für das Verständnis von Dtn 9f. besprochen, die grundlegend für die nachfolgende Auslegung sind.

2.1 Rhetorischer Kontext, Abgrenzung und Einheit Das Buch Deuteronomium erzählt von Moses Abschiedsreden, mittels derer er die Moabgeneration auf die Zukunft nach seinem unmittelbar bevorstehenden Tod vorbereitet. Im Zentrum dieser Vorbereitung steht die Vermittlung der am Horeb empfangenen Gesetze und Rechtsvorschriften in Dtn 12–25, auf die sich das Volk durch den Eintritt in den Bund verpflichten und die es im Land der Verheißung halten soll. Das Gesetz in Dtn 12–25 wird von den Rahmentexten Dtn 1–11; 26–34 rhetorisch umgriffen, die das Gesetz begründen, es in Kraft setzen und zu deren Einhaltung motivieren.1 Dtn 9f. ist Teil des vorderen Rahmens in Dtn 1–11, der einen zum Gesetz in Dtn 12–25 hinführenden Charakter hat. 2.1.1 Größerer rhetorischer Zusammenhang (Dtn 1–11) In Dtn 1–11 blickt Mose mehrmals ausführlich auf die vorausliegende Geschichte zurück (bes. Dtn 1,6–3,29; 4,3–4.9–14.32–37; 5,2–31; 8,2–4.14–16; 9,7–10,11.15.21–22; 11,2–7). Die Moabadressaten sollen aus den Ereignissen der Vergangenheit erkennen, woher sie kommen, wer sie sind und wozu sie berufen sind. Mose beleuchtet ausgehend von den Ereignissen der Vergangenheit die Beziehung zwischen Jhwh und Israel, mahnt zur ungeteilten Hingabe an Jhwh in Form von Toragehorsam, ermutigt zur Landnahme und prophezeit Heil und Unheil, deren jeweiliges Eintreffen er von Gehorsam und Ungehorsam gegenüber der von ihm vermittelten Tora abhängig macht. Nach der Verortung von Moses Abschiedsreden in Moab in Dtn 1,1–5 durch den Erzähler, beginnt Moses erste Rede mit einem langen Rückblick auf den Weg vom Horeb bis nach Kadesch-Barnea und von dort bis nach Moab (1,6–3,29). Mit diesen Stationen sind jene Orte genannt, an denen sich Israels unmittelbare Vorgeschichte wesentlich entwickelt hat. Am Horeb hat Israel den Auftrag zur Landnahme erhalten (1,6–8). In Kadesch-Barnea (1,19– 46) aber scheiterte die Elterngeneration, sodass sie in der Wüste sterben musste. Dort wurde jedoch verheißen, dass die Kinder (1,39) nach dem Absterben der Elterngeneration das Land einnehmen würden. Mose erzählt in weiterer Folge von den ersten Erfolgen im Ostjordanland (Dtn 2–3), die auf die erfolgreiche Einnahme des Landes der Verheißung vorausdeuten. Er 1 Siehe MARKL, Gottes Volk, 35–43.43–46.

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Rhetorischer Kontext, Abgrenzung und Einheit

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beschließt seinen ersten Rückblick mit dem göttlichen Auftrag, Josua für die bevorstehende Landnahme zu stärken (3,28), und der Notiz des Verbleibens in der Talschlucht gegenüber von Bet-Peor. Nun ist der Moment für die zweite Generation gekommen, endlich unter der Führung Josuas das Land einzunehmen und so den Auftrag zu erfüllen, an dem die Eltern gescheitert waren. Von Israels bisherigem Weg vom Horeb bis Moab wechselt Mose in Dtn 4 zu den „Gesetzen und Rechtsvorschriften“, die er ab Dtn 12–25 Israel promulgieren wird.2 Wieder wendet er sich der Vergangenheit zu, indem er die staunenerregende und ehrfurchtgebietende Gotteserfahrung am Horeb in Erinnerung ruft (4,9–14). Mose verdeutlicht, dass nicht nur der Dekalog, sondern auch die „Gesetze und Rechtsvorschriften“ ihren Ursprung in der göttlichen Offenbarung am Horeb haben. Ausgehend davon lenkt Mose den Blick auf das erste Gebot in Form des Bilderverbots (4,15–22), das als Gradmesser der Gottesbeziehung und Grundlage für die Einhaltung aller anderen Gebote in den Blick kommt. Dieser paränetische Abschnitt mündet in Moses Unheilsprophetie in vv23–28, mit der er warnend die lebensentscheidende Bedeutung der Bewahrung des Bilderverbots und die fürchterlichen Konsequenzen von dessen Übertretung vor Augen hält, um dann in der Heilsprophetie in vv29–39 die Möglichkeit der Umkehr und der Erfahrung von Jhwhs Barmherzigkeit in Aussicht zu stellen. In Dtn 4,44–5,1 leitet die Erzählstimme Moses zweite Torarede ein. Mose beginnt diese mit der Rekapitulation der Horebtheophanie und der Offenbarung des Dekalogs als Bundesdokument des Horebbundes. Bundeschluss und Dekalog konstituieren Israel als „Versammlung“ (‫)קהל‬. Zugleich nehmen hier auch die Einzelbestimmungen von Dtn 12–25 wie auch ihre Vermittlung und Auslegung durch Mose ihren Ursprung. Damit sind, wie schon in Dtn 4 angedeutet wurde, neben dem Dekalog auch die Einzelbestimmungen von Dtn 12– 25 im Kern als Gottesoffenbarung vom Horeb erkenntlich gemacht und Moses auslegende Weitergabe in Moab legitimiert.3 Nach dieser grundlegenden Rückbindung an die Gründungserfahrung am Horeb und der Einzelbestimmungen an die dort ergangene göttliche Offenbarung, fährt Mose mit der längeren Redeeinheit Dtn 6–11 fort. Waren in Dtn 1–3 die Landnahme und in Dtn 4; 5 Bundesbeziehung und Offenbarung die zentralen Themen gewesen, so werden in Dtn 6–11 beide Themenkomplexe, Bund und Land, miteinander verknüpft.4 So durchzieht Dtn 6–11 die Aufforderung zur ungeteilten Verehrung Jhwhs, die keine Konkurrenz in Form von Fremdgötterverehrung oder Kultbildern erlaubt, was N. Lohfink von Paränesen zum „Hauptgebot“ sprechen ließ.5 Andererseits ist diese eindringliche Gebotsparänese und Beleuchtung der Gottesbeziehung in Vergangenheit und Zukunft mit dem zweiten großen Thema der Landnahme verknüpft. Mose streicht hervor, dass das Land Ort der Erfüllung der Gesetze von Dtn 12– 2 BRAULIK, „Deuteronomium 1–4“, 48, bestimmt Dtn 4,1–40 nicht in erster Linie als Paränese, sondern als „höchst feierlich entfaltete sprachliche Konstituierung einer Situation der Gesetzespromulgation.“ 3 Vgl. OTTO, Deuteronomium, 765–766. 4 Vgl. HARDMEIER, „Schema‘ Jisra’el“, 72–73, der Landnahme und das bundestheologische Beziehungs– und Loyalitätsverhältnis als die beiden großen Themen der „Mose-Tora“ in Dtn 1–30 bezeichnet. 5 LOHFINK, Hauptgebot, bes. 5–9, bezog sich dabei auf Dtn 5–11; Nach MARKL, Gottes Volk, 120, dienen die Paränesen von Dtn 6–11 „der Vertiefung unterschiedlicher Aspekte des Hauptgebots“, so des Fremdgötterverbots, des Bilderverbots und der Treue zu Gott.

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Hinführung zur Auslegung

25 (6,1.3; 11,31–32; vgl. 12,1), Ort eines segenerfüllten Lebens (6,3.10–11; 7,13–16; 8,7– 10.12–13; 11,10–12.14–15.21) und der von Gott vorhergesehene Zielort Israels (6,23) ist. Dabei nimmt er die Einnahme des Landes unter verschiedenen Facetten in den Blick. Zum einen werden die Bedingungen (6,18; 8,1; 9,3; 11,8.22) und die Herausforderungen der Landnahme (7,17; 9,1–2; 11,23) thematisiert, zum anderen das Gelingen der Landnahme zugesagt (6,10.18.23; 7,13; 9,1–3; 11,25), weil Gott selbst es bewirkt (6,10.19.23; 7,1–2.18– 24; 8,7; 9,3; 11,23–25.29). Bereitet Mose die Moabgeneration darauf vor, das Land einzunehmen, um dort die geforderte ungeteilte Gottesbeziehung im Toragehorsam zu verwirklichen, so ist die Gottesbeziehung selbst im Land der Verheißung gefährdet, da der Einfluss der Völker und ihrer Gräuel diese in Gefahr bringen könnte (7,4.16.25–26). Doch kommt die Gefährdung nicht nur von außen, sondern in noch stärkerem Maße von innen in Form von Selbstüberhebung und Gottvergessenheit (6,12; 8,11.14.17–19; 9,4–6; 11,16), sodass Israel das Land wieder verlieren und ausgetilgt werden könnte (6,15; 7,10.26; 8,19–20; 11,17). So bewegen diese Paränesen nicht nur zur ungeteilten Hingabe an Jhwh und zur Bewahrung seiner Gebote und bereiten auf die Landnahme vor, sondern warnen auch vor den Konsequenzen der Selbstüberhebung, Gottvergessenheit und Bundesbruch, was wiederum zur Einhaltung der in Dtn 12–25 dargelegten „Gesetze und Rechtsvorschriften“ motivieren soll. 2.1.2 Abgrenzung Dtn 9,1 beginnt mit dem asyndetischen Höraufruf „Höre Israel“, der wie auch die Höraufrufe in Dtn 5,1; 6,4 einen längeren neuen Abschnitt einleitet.6 Zugleich hebt sich 9,1 mit dem Höraufruf „kontrapunktisch“ von dem vorausliegenden Motiv des Nicht-Hörens in 8,20 ab.7 In 8,7–18 hatte Mose das Bild eines zukünftigen Lebens im Überfluss im Land gezeichnet und eindringlich auf die damit verbundene Gefahr hingewiesen, Gott zu vergessen, was in vv19–20 in eine „prophetische Unheilsverkündigung“ mündete, im Falle des Nicht-Hörens auf Gottes Stimme aus dem Land ausgetilgt zu werden. Der unmittelbar anschließende Abschnitt 9,1–3 lenkt so die Aufmerksamkeit vom zukünftigen Landbesitz und möglichen -verlust auf das „Heute“, in dem Israel noch davorsteht, über den Jordan zu schreiten und das Land einzunehmen. Nun soll es hören und sich Jhwhs Beistand vergewissern, um die Mission der Landnahme erfüllen zu können. Damit wird ein dreifacher Wechsel vollzogen, zeitlich von der Zukunft in das „Moab-Heute“, örtlich vom Land der Verheißung zurück nach Moab und thematisch vom zukünftigen Landverlust zur bevorstehenden Landnahme. Die meisten Kommentatoren bestimmen das Ende des Abschnitts in 10,11, während einige aufgrund starker Beziehungen zu 10,12–11,32 das Ende erst in 10,22 oder 11,32 ausmachen.8 Obwohl die engen Beziehungen zu 10,12–11,32 unbestritten sind, sprechen mehrere Argumente für ein Ende des Abschnitts in 10,11.

6 Z. B. DEROUCHIE, Call, 228. 7 OTTO, Deuteronomium, 970. 8 TIGAY, Deuteronomy, 107, etwa macht das Ende erst in 10,22 aus; DEROUCHIE, Call, 228, erblickt den Schluss erst in 11,32.

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Rhetorischer Kontext, Abgrenzung und Einheit

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a) Mose setzt in 10,12 mit der Anrede ‫ועתה יׂשראל‬, „und nun Israel“, zu einem neuen Redeabschnitt an, der sich durch mehrere Wechsel von Dtn 9f. abhebt,9 worunter der Genrewechsel von der Nacherzählung zum neuerlichen Einsatz der Paränese hervorzuheben ist. Andererseits zeigt bereits der syndetische Anschluss in ‫ועתה‬, dass die nun einsetzende Paränese am Vorausgegangenen anschließt. Dies bestätigt sich in besonderer Weise darin, dass Schlüsselworte aus Dtn 9f. wieder aufgegriffen werden, so vor allem das Wort vom „harten Nacken“ aus 9,6.13, das nun in 10,16 in Form einer Forderung erscheint, nicht länger den Nacken zu verhärten. Das Verhältnis von Dtn 9f. zu 10,12–11,32 lässt sich analog zum Verhältnis Dtn 1–3 und Dtn 4 begreifen, wo Mose ebenfalls nach einem langen Blick in die Geschichte mit ‫ועתה‬ ‫ יׂשראל‬zur Gegenwart wechselt.10 Jeweils (Dtn 1–3; 9–10) erzählt er von einer Krise der Gottesbeziehung (Kadesch-Barnea; Horeb) und ihrer schrittweisen Überwindung, die zuletzt darin mündet, dass Israel das Land der Verheißung einnehmen soll (3,28; 10,11). Nachdem damit jeweils aus der Vorgeschichte geklärt ist, dass Israels Vergangenheit auf die Erfüllung der bevorstehenden Landnahme zuläuft, fordert Mose sodann in 4,1f.; 10,12f. die Bewahrung der Gottesbeziehung für die Gegenwart und Zukunft ein. b) Mose setzt in 10,12 zu einem an Intensität gesteigerten Schlussakkord des rhetorischen Abschnitts Dtn 5–11 an, in dem er eingehend zur Hingabe der eigenen Existenz an Jhwh und dementsprechend zur Einhaltung der „Gesetze und Rechtsvorschriften“ von Dtn 12–25 ruft.11 Der Marker ‫ ועתה‬zeigt an, dass sich die nun einsetzende Paränese als Konsequenz oder Schlussfolgerung auf den vorausgegangenen Text zurückbezieht. 12 Dies betrifft jedoch nicht nur den unmittelbaren Prätext Dtn 9f. Denn Dtn 10,12–11,32 knüpft an viele Stränge aus Dtn 1–11, insbesondere Dtn 4–11, an und erscheint so als zusammenfassende Bündelung von Hauptthemen in Dtn 1,1–10,11.13 Auch hier lassen sich vereinfachend die beiden Hauptthemen von ungeteilter Gottesbeziehung (10,12–11,5) und Landnahme (11,8–15.22– 25.29) sowie Landverlust (11,16–17) erkennen, die Mose in 11,31–32 derart zusammenführt, dass Israel nach Landnahme und Ankunft im Land der Verheißung alle Gesetze und Rechtsvorschriften, die Mose nun in 12–25 darlegen wird, einhalten soll.14 Dass sich Dtn 10,12–11,32 nicht nur mit Dtn 9f., sondern auch intensiv mit Dtn 1–8 verknüpft, spricht dafür, diesen Abschnitt nicht eng als rhetorische Einheit mit Dtn 9f. zusammenzuziehen, sondern als eigenständigen Abschluss der gesamten rhetorischen Einheit Dtn 1–11 anzusehen. c) Als drittes Argument für das Ende des Abschnitts in 10,11 dient die rhetorische Einheit des Abschnitts 9f., für die ich im Folgenden ausführlicher argumentiere.

9 Siehe dazu ausführlicher KARIMUNDACKAL, Commitment, 18–20. 10 HARDMEIER, „Kohärenz“, 251, hat auf diese Analogie bereits aufmerksam gemacht. 11 Siehe dazu die Interpretation von Dtn 10,12–11,32 als Ruf zur Hingabe („call to commitment”) an Jhwh bei KARIMUNDACKAL, Commitment. 12 Siehe DEROUCHIE, Call, 252. 13 KARIMUNDACKAL, Commitment, 275.288, spricht von einer „programmatic summation of Deut 1,1– 10,11”. 14 Vgl. HARDMEIER, „Schema‘ Jisra’el“, 82.

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Hinführung zur Auslegung

2.1.3 Dtn 9f. als rhetorische Einheit Im Gegensatz zur älteren diachronen Forschung, die Dtn 9,1–6 und Dtn 9,7–10,11 zumeist getrennt behandelten, wird Dtn 9f. heute beinahe durchgehend als rhetorische Einheit betrachtet.15 Im Folgenden lege ich die meines Erachtens wichtigsten Argumente für die Einheit des Abschnitts dar. a) Endet 9,6 mit der Charakterisierung von Israel als „Volk harten Nackens“, so wird in 9,7–24 eben dies anhand der Sünde mit dem Kalb (v13) und weiteren Rebellionen der Wüstenzeit veranschaulicht und bezeugt. Daran wird deutlich, dass 9,1–6 in einem argumentativen Zusammenhang mit dem Geschichtsrückblick bis zumindest 9,24 steht. 16 b) Während sich die beiden Argumentationsgänge in 9,1–3 und 9,4–6 inhaltlich auf die Landnahme beziehen, stehen im Geschichtsrückblick die Bundeskrise am Horeb, ihre Überwindung und die Erneuerung der Gottesbeziehung im Mittelpunkt. Auf den ersten Blick könnte so der Eindruck entstehen, dass beide Abschnitte sehr unterschiedliche Themenschwerpunkte setzen. An mehreren Punkten wird jedoch deutlich, dass in 9,7–10,11 das Thema Bund mit jenem der Landnahme intensiv verknüpft ist. Hier ist zunächst die explizite Thematisierung der verunglückten Landnahme in KadeschBarnea in v23 zu nennen. Zusätzlich verweist das Verb ‫ מרה‬in den Rahmenversen 9,7.24 des ersten Teilabschnitts des Geschichtsrückblicks auf die Rebellion in Kadesch-Barnea, da das Verb ‫ מרה‬im Buch Deuteronomium verstärkt im Zusammenhang mit dieser Rebellion begegnet (1,26.43; 9,23).17 Die drei Rebellionen in 9,22 wiederum reflektieren Israels Unwillen und Unglauben in Hinblick auf Gottes Verheißungen und verweisen so in besonderer Weise auf eine Problematik, die in der letzten wieder ausführlicher geschilderten Rebellion in Kadesch-Barnea (9,23) am deutlichsten ans Licht tritt.18 Die Rebellion in Kadesch-Barnea stellt so neben der Horebrebellion den zweiten Brennpunkt in Israels Rebellionsgeschichte in 9,7–24 dar. Ebenso deutlich wird eine Hinordnung des Geschichtsrückblicks auf das Thema der Landnahme im größeren Rahmen 9,1.5.6 und 10,11, wo Mose mit dem Auftrag zum Aufbruch in Richtung Land und der Zusage der Landnahme schließt. An zwei Wiederaufnahmen lässt sich dies verfolgen. Mit der Wiederaufnahme des Wortpaars ‫ ירׁש‬+ ‫ בוא‬in 10,11 wird der Bogen zurück an den Anfang der Paränese in 9,1 gespannt. Zweitens wiederholt Mose in 10,11 das Motiv des Schwures an die Väter aus 9,5 (‫ אבות‬+ ‫ )ׁשבע‬und der Landgabe (‫ נתן‬+ ‫ )ארץ‬aus 9,6. Innerhalb seines Gebetes bringt Mose in 9,28 einen möglichen Vorwurf der Völker ins Spiel, Israel nicht in das Land führen zu können. So verknüpft er die Überwindung der Bundeskrise unmittelbar mit dem Thema der Ankunft im Land. In der Erneuerungserzählung 10,1–11 werden Bundesbeziehung und Landnahme abermals verknüpft. Denn die Erneuerung der Gottesbeziehung geht mit der Herstellung der 15 Obwohl die meisten jüngeren Kommentatoren Dtn 9,1–10,11 als zusammengehörig betrachten, begegnen auch hier gegenläufige Strukturierungsvorschläge; so z. B. LUNDBOM, Deuteronomy, 357–361.380–382, der Dtn 9,1–29 von Dtn 10,1–11 absetzt. 16 So vor allem ZIPOR, „Account”, 22, der das Wort vom harten Nacken in 9,6c als Brücke zwischen 9,4–6 und 9,7–24 bestimmt. 17 Sonst begegnet es noch in Dtn 21,18.20 in Bezug auf den rebellischen Sohn und in Dtn 31,27, wo nicht nur auf Dtn 9 als Gesamtes zurückverwiesen, sondern jeweils auch auf die beiden Hauptrebellionen angespielt wird („harter Nacken“: Horebrebellion / „Rebellion“: Kadeschrebellion). 18 Siehe S. 128–130.

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Rhetorischer Kontext, Abgrenzung und Einheit

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Lade einher (10,1–5), die unter anderem auf Israels Überquerung des Jordan vorausweist, was ebenso im Motiv der Ladeträger (10,8) anklingt. Schließlich mündet die Erneuerungserzählung im göttlichen Aufbruchsbefehl und der Zusage der erfolgreichen Landnahme. c) Die Konklusion in 10,10–11 führt alle Abschnitte in Dtn 9f. zusammen, indem sie Motive aus dem Geschichtsrückblick und der Paränese aufgreift und verbindet, wie in folgendem Schema zu sehen ist: Schema 1: Verknüpfungen zwischen Konklusion, Geschichtsrückblick und Paränese

Paränese in 9,1–6 9,1 (‫ ירׁש‬+ ‫} )בוא‬ 9,5 (‫ אבות‬+ ‫} )ׁשבע‬ 9,6 (‫נתן‬+ ‫)ארץ‬ Geschichtsrückblick in 9,7–10,11 9,8 (‫} )ׁשמד‬ 9,12 (‫} )ׁשחת‬ 9,19 (‫} )ׁשמד‬ 9,23 (‫נתן‬+ ‫)ארץ‬ 9,25 (‫} )ׁשמד‬ 9,26 (‫} )ׁשחת‬ Konklusion in 10,10–11 10,10 (‫)ׁשחת‬ 10,11 (‫ ירׁש‬+ ‫} )בוא‬ (‫ אבות‬+ ‫} )ׁשבע‬ (‫ נתן‬+ ‫)ארץ‬ Die Konklusion beschließt die Erneuerungserzählung 10,1–11 mit Gottes Aufbruchsbefehl an Mose und der Zusage des Gelingens der Landnahme. Sodann zeigt sie das Ende des gesamten Geschichtsrückblicks 9,7–10,11 an. Dabei verknüpft sie sich über die Verschonungsaussage „er wollte dich nicht vernichten“ (‫ )ׁשחת‬mit der über die beiden „semantisch äquivalenten“ Verben ‫( ׁשחת‬9,12.26; 10,10) und ‫( ׁשמד‬9,8.19.25) entwickelten Erzählung über die drohende Vernichtung am Horeb in 9,8–9,29.19 Die Rahmung in 9,8 und 10,10 19 Vgl. STOPPEL, Angesicht, 169.

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Hinführung zur Auslegung

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markiert Anfang und Ende dieser über mehrere Stationen entwickelten Geschichte des göttlichen Vernichtungswillen,20 wobei 10,10 noch einmal explizit und summarisch die bereits in den erneuerten Tafeln sichtbar gewordene Abwendung der drohenden Vernichtung ins Wort bringt. Zuletzt spannt sie mit den Motiven des Aufbruchsbefehls und der Zusage der Landnahme sowie dem Motiv der Landgabe aufgrund des Väterschwurs (10,11) in wörtlichen Wiederaufnahmen aus 9,1.5.6.23 einen Bogen zurück zu 9,22–23 und 9,1–6, was den Abschluss der gesamten Einheit 9f. in Form einer Inklusion anzeigt.

2.2 Beziehungen innerhalb des Buches Deuteronomium Dtn 9f. weist intensive Beziehungen zu mehreren Abschnitten der vorderen (Dtn 1–11) und hinteren (Dtn 26–34) Rahmentexte des Buches Deuteronomium auf. Die auffälligsten Verbindungen sollen hier kurz vorgestellt werden, ehe sie in der Auslegung im Einzelnen besprochen werden. a) Landnahme in Dtn 1–3; 4; 5–11; 31: Mit der Thematisierung der unmittelbar bevorstehenden Landnahme (9,1–6), der impliziten und expliziten Thematisierung von KadeschBarnea (9,1–3.23) und dem göttlichen Auftrag am Horeb (10,11) verknüpft sich Dtn 9f. intensiv mit der Thematisierung der Landnahme, die sich über den göttlichen Auftrag am Horeb in 1,6–8, der Rebellion in Kadesch-Barnea (1,19–45) und den ersten Erfolgen im Ostjordanland (Dtn 2–3) in Dtn 1–3 entwickelt. In Moab bereitet Mose nun die Moabgeneration in weiteren Ermutigungsreden (Dtn 4–11) auf die Landnahme vor, ehe er in 31,2– 10 Israel und Josua ein letztes Mal ermutigt und für die bevorstehende Mission ermächtigt. b) Horeberinnerungen in Dtn 1–11: Im vorderen Rahmen (Dtn 1–11) wendet sich Mose viermal den Horebereignissen zu. Zwei Leitthemen sind mit diesen Ereignissen verbunden, erstens die Bundesbeziehung in all ihren Facetten von Horebtheophanie, Offenbarung von Dekalog und den Gesetzen und Rechtsvorschriften, Bundesschluss, Bilderverbot und Moses Offenbarungsvermittlung (Dtn 4; 5), zweitens Gottes Landnahmebefehl vom Horeb in 1,6– 8. Die Horeberzählung in Dtn 9f. berichtet von Ereignissen, die sich zwischen Horebtheophanie (Dtn 4; 5) und Landnahmebefehl (Dtn 1,6–8; vgl. 10,11) zugetragen haben. Hier thematisiert Mose die Gefährdung der Bundesbeziehung durch den Bruch des Bilderverbots und die Bewahrung und Erneuerung der Bundesbeziehung, die mit dem Aufbruchsbefehl zur Landnahme endet. Dtn 9f. steht so in einem intensiven Beziehungsgeflecht zu allen drei vorausgehenden Horeberinnerungen, indem hier die Themen Bundesbeziehung, Offenbarungsdokument (Tafeln) und Moses Mittlerschaft einerseits (Dtn 4; 5) und Gottes Auftrag und Zusage der Landnahme (Dtn 1,6–8) andererseits zusammengeführt werden. c) Die vergangene und die zukünftige Krise (Dtn 4; 29; 30; 31–32): Dtn 9f. verknüpfen viele geteilte Themen, Motive und lexematische Entsprechungen mit Moses Unheilsankündigungen in Dtn 4; 29, 31–32 und Moses Heilsankündigungen in Dtn 4; 30; 32. Israels Ursprungsgeschichte wird so zur Präfiguration von Israels zukünftiger Katastrophengeschichte und zugleich zum paradigmatischen Hoffnungsbild der Überwindung einer durch die Sünde losgetretenen Dynamik des Unheils.

20 OTTO, Deuteronomium, 974.

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Übersetzung und Textkritik

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d) Die Bezieungen von Dtn 9f. und Dtn 31–32: Dtn 9f. und 31–32 behandeln jeweils Jordanüberquerung, Landnahme, Gebotsbruch und Bundeskrise, die Überwindung dieser Krise, Moses Vermittlung und Vorkehrungen für die Bewahrung der Bundesbeziehung in der Zukunft. Die Beziehung beider Textabschnitte lässt sich unter drei Aspekten verstehen. 1. Dtn 31–32 setzt Dtn 9,1–6 als Ermutigung zur Landnahme und Warnung für die Zukunft fort. 2. Zudem parallelisiert Mose die Horebkrise und ihre Überwindung mit der zukünftigen Krise und ihrer Überwindung. 3. Im Zusammenspiel berichten sie von einer zweifachen Vorkehrung für die Bewahrung der Gottesbeziehung in der Zukunft.

2.3 Übersetzung und Textkritik 2.3.1 Übersetzung Die Gliederung der folgenden Übersetzung folgt keinem strengen Kriterium, sondern ist im Wesentlichen nach Sinneinheiten gegliedert. Sie dient zur Orientierung und als Referenztext für die folgenden Ausführungen. Dtn 9 1a Höre Israel, b du schreitest heute über den Jordan, um (hinüber) zu kommen und zu beerben c größere und stärkere Völker als du, d große Städte, befestigt bis in den Himmel, 2a ein großes und hochgewachsenes Volk, die Söhne Anaks, b die du kennst und von denen du gehört hast: c „Wer kann vor den Söhnen Anaks bestehen?“ 3a Wisse heute, b dass es Jhwh, dein Gott, ist, der vor dir hinüberzieht als verzehrendes Feuer! c Er wird sie vernichten und er wird sie vor dir beugen, d sodass du sie vertreiben und schnell austilgen wirst, e wie es dir Jhwh zugesagt hat. 4a Sag nicht in deinem Herzen, b wenn sie Jhwh, dein Gott, vor dir vertreibt: c „Aufgrund meiner Bewährung hat mich Jhwh (hierher) kommen lassen, um dieses Land einzunehmen“, d und aufgrund der Verderbtheit jener Völker vertreibt sie Jhwh vor dir. 5a Nicht aufgrund deiner Bewährung und der Aufrichtigkeit deines Herzens gelangst du hin, um ihr Land einzunehmen, b aber aufgrund der Verderbtheit jener Völker vertreibt sie Jhwh, dein Gott, vor dir c und damit er das Wort erfüllt, das Jhwh deinen Vätern geschworen hat, Abraham, Isaak und Jakob.

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6a b c 7a b c 8a b 9a b 10a b 11a b 12 a b c d e 13a b c 14a b c d 15 a b c d 16a b c d

Hinführung zur Auslegung

Wisse also, Nicht aufgrund deiner Bewährung gibt dir Jhwh, dein Gott, dieses gute Land, um es einzunehmen. Denn ein Volk harten Nackens bist du. Erinnere dich, vergiss nicht, wie du Jhwh, deinen Gott, in der Wüste gereizt hast. Von dem Tag an, als du aus dem Land Ägypten auszogst, bis zu eurer Ankunft an diesem Ort seid ihr rebellisch gegen Jhwh gewesen. Auch am Horeb habt ihr Jhwh erzürnt, und Jhwh wurde zornig über euch, euch zu vernichten. Als ich den Berg hinaufstieg, um die steinernen Tafeln, die Tafeln des Bundes, zu nehmen, da blieb ich vierzig Tage und vierzig Nächte auf dem Berg. Brot aß ich nicht und Wasser trank ich nicht. Und Jhwh übergab mir die beiden Tafeln aus Stein, beschrieben vom Finger Gottes. Auf ihnen (stand geschrieben) gemäß all der Worte, die Jhwh mit euch am Berg aus der Mitte des Feuers am Tag der Versammlung gesprochen hatte. Es geschah am Ende der vierzig Tage und vierzig Nächte, da übergab mir Jhwh die zwei Tafeln aus Stein, die Tafeln des Bundes. Und Jhwh sagte zu mir: „Steh auf und geh schnell hinab von hier. Denn dein Volk, das du aus Ägypten geführt hast, hat vollkommen vernichtet. Schnell sind sie abgewichen von dem Weg, den ich ihnen aufgetragen habe. Sie haben sich ein Gussbild gemacht.“ Und Jhwh sagte zu mir: „Ich habe dieses Volk gesehen. Siehe, ein Volk harten Nacken ist es. Lass mich! Ich werde sie vernichten und ihren Namen unter dem Himmel auslöschen. Aber aus dir werde ich ein stärkeres und zahlreicheres Volk als es machen.“ Da wandte ich mich um und stieg vom Berg hinab, der Berg brennend in Feuer und die zwei Tafeln des Bundes auf meinen beiden Armen. Da sah ich, siehe: Ihr hattet gegen Jhwh, euren Gott, gesündigt, ihr hattet euch ein gegossenes Kalb gemacht, ihr wart schnell abgewichen von dem Weg, den Jhwh euch verordnet hatte.

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17a b c 18a b 19a b 20 a b 21 a b c d 22 23a b c d e 24 25a b 26a b 27a b 28 a b

29

Da packte ich die zwei Tafeln, schleuderte sie von meinen beiden Händen und zerbrach sie vor euren Augen. Ich warf mich nieder vor Jhwh, wie beim ersten Mal 40 Tage und 40 Nächte. Brot aß ich nicht und Wasser trank ich nicht wegen all der Sünde, die ihr gesündigt hattet, zu tun das Böse in den Augen Jhwhs, ihn zu reizen. Denn ich hatte Angst vor dem Zorn und der Glut, mit der Jhwh über euch erzürnt war, euch zu vernichten. Aber Jhwh hörte auf mich auch dieses Mal. Und über Aaron zürnte Jhwh sehr, ihn zu vernichten. So betete ich auch für Aaron in jener Zeit. Und eure Sünde, die ihr gemacht hattet, das Kalb, nahm ich und verbrannte es im Feuer und zerstampfte es völlig, bis es fein zerrieben war zu Staub. Und ich warf seinen Staub in den Bach, der vom Berg hinabfließt. Auch in Tabera und in Massa und in Kibrot-Taawa habt ihr Jhwh erzürnt. Und als euch Jhwh von Kadesch-Barnea aussendete mit den Worten: „geht hinauf und nehmt das Land ein, das ich euch gegeben habe!“, da habt ihr gegen den Mund Jhwhs, eures Gottes, gemurrt, habt ihm nicht geglaubt und nicht auf seine Stimme gehört. Ihr seid rebellisch gegenüber Jhwh gewesen seit dem Tag, da er euch erkannte. Ich lag vor Jhwh jene 40 Tage und jene 40 Nächte, die ich lag, weil Jhwh gesagt hatte, er werde euch vernichten. Ich betete zu Jhwh und sagte: „Mein Herr Jhwh, vernichte nicht dein Volk und dein Erbteil, das du in deiner Größe ausgelöst hast, das du aus Ägypten herausgeführt hast mit starker Hand! Gedenke deiner Knechte, Abraham, Isaak und Jakob! Wende dich nicht der Härte dieses Volkes zu, nicht seiner Bosheit, nicht seiner Sünde! Damit sie nicht sagen, (die Bewohner des) Landes, aus dem du uns herausgeführt hast: „Weil Jhwh nicht imstande war, sie in das Land zu bringen, das er ihnen versprochen hatte, und wegen seines Hasses gegen sie hat er sie herausgeführt, um sie in der Wüste zu töten.“ Sie sind dein Volk und dein Erbteil, das du herausgeführt hast in großer Kraft und mit ausgestrecktem Arm!

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Dtn 10 1a In jener Zeit sprach Jhwh zu mir: b „Hau dir zwei Tafeln aus Stein wie die ersten, c steig herauf zu mir auf den Berg d und mach dir eine Lade aus Holz! 2a Ich werde auf die Tafeln die Worte schreiben, die auf den ersten Tafeln waren, die du zerschmettert hast. b Leg sie in die Lade! 3a Da machte ich eine Lade aus Akazienholz, b haute zwei Tafeln aus Stein wie die ersten, c und ging hinauf auf den Berg, d die zwei Tafeln in meiner Hand. 4a Und er schrieb auf die Tafeln gemäß der ersten Beschriftung, die zehn Worte, die Jhwh zu euch gesprochen hatte am Berg aus der Mitte des Feuers, am Tag der Versammlung. b Und Jhwh gab sie mir. 5a Ich wandte mich um, b stieg vom Berg hinab c und legte die Tafeln in die Lade, die ich gemacht hatte, d und sie waren dort, wie Jhwh mir befohlen hatte. 6a Die Söhne Israels brachen auf von Beerot Bene-Jaakan nach Moser. b Dort starb Aaron c und dort wurde er begraben. d Eleasar aber, sein Sohn, wurde Priester an seiner Stelle. 7 Von dort brachen sie nach Gudgod auf und von Gudgod nach Jotbata, in ein Land von Wasserbächen. 8 In jener Zeit sonderte Jhwh den Stamm Levi aus, die Bundeslade Jhwhs zu tragen, vor Jhwh zu stehen, ihm zu dienen und in seinem Namen zu segnen bis zum heutigen Tag. 9a Deshalb hat Levi weder Anteil noch Erbteil mit seinen Brüdern. b Jhwh, er ist sein Erbteil, wie es Jhwh, dein Gott, ihm zugesagt hat. 10a Ich aber war auf dem Berg gestanden wie die ersten Tage, 40 Tage und 40 Nächte, b und Jhwh hörte auf mich auch dieses Mal. c Jhwh wollte dich nicht vernichten. 11a Jhwh sagte zu mir: b „Steh auf, geh zum Aufbruch vor dieses Volk! c Sie werden hinkommen und das Land einnehmen, das ich ihren Vätern geschworen habe, es ihnen zu geben.“

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2.3.2 Text 9,2 „Ein großes und hochgewachsenes Volk, die Söhne Anaks“ (‫ )עם־גדול ורם בני ענקים‬könnte auch als Nominalsatz gelesen werden: „Ein großes und hochgewachsenes Volk sind die Söhne Anaks“. Dagegen spricht die Übersetzung der LXX, in der die entsprechende Wendung akkusativisch als direktes Objekt von ‫ לרׁשת‬in Fortführung der Akkusative in 9,1 mit λαὸν μέγαν καὶ πολὺν καὶ εὐμήκη υἱοὺς Ενακ übersetzt wird; ebenso Vg. Die Übersetzer der LXX fügen den Adjektiven „groß und mächtig“ das Adjektiv „zahlreich“, πολὺν, hinzu. Dies lässt sich als Angleichung an Dtn 1,28; 2,10.21; 7,1 erklären, wo jeweils „zahlreich“ und „mächtig“ aufeinander folgen.21 Es lässt sich auch mit einer Tendenz von DtnLXX zur triadischen Formulierung „groß, zahlreich und mächtig“ in den Völkerbeschreibungen erklären, die im MT in Dtn 26,5 vorliegt. So ergänzt DtnLXX in 1,28 die Adjektive „groß und zahlreich“ um „mächtiger“, δυνατώτερον, und in 9,14 die Adjektive „mächtiger und zahlreicher” um „größer”, μέγα, und in 2,21 ersetzt sie das dritte Adjektiv „hochgewachsen” durch „mächtiger”, δυνατώτερον. 9,3 Das W-Qatal ‫ וידעת‬wird oftmals indikativisch mit „du wirst erkennen“ übersetzt (siehe z. B. die deutsche Einheitsübersetzung). Dagegen spricht einerseits der sonstige voluntative Gebrauch derselben Form in Dtn 4,39; 7,9; 8,5; 9,6, und andererseits die spezifische Konstruktion von Dtn 9,1–3, die ihre nächsten Parallelen in Dtn 6,4–5; 27,9b–10 hat. Hier wird jeweils zuerst ein Umstand zu Gehör gebracht, worauf eine nachfolgende Aufforderung folgt.22 Die Konstruktion ‫ יהוה אלהיך הוא־העבר לפניך אׁש אכלה‬wurde seit S. R. Driver mit ‫יהוה‬ ‫ אלהיך‬als casus pendens, ‫ הוא‬als Prädikat, ‫ העבר לפניך‬als Subjekt und ‫ אׁש אכלה‬als einen vom Subjekt abhängigen adverbiellen Akkusativ gelesen: „JHWH, dein Gott, er ist es, der vor dir hinüberzieht als verzehrendes Feuer.“23 J. W. Dyk und E. Talstra haben eine alternative Leseart vorgeschlagen, der zufolge ‫ יהוה אלהיך‬das Subjekt, ‫ הוא‬eine Spezifikation des Subjekts, ‫ העבר לפניך‬einen das Subjekt beschreibenden Relativsatz und ‫ אׁש אכלה‬schließlich das Prädikat darstellen: „Jhwh, dein Gott, – er, der vor dir hinübergeht, – ist ein verzehrendes Feuer.“24 Die LXX bezieht wie S. R. Driver das erste ‫ הוא‬auf ‫ העבר לפניך‬indem sie mit οὗτος προπορεύεται πρὸ προσώπου σου, „dieser zieht vor dir hinüber“, übersetzt. Andererseits lässt sie ähnlich der alternativen Leseart von J. W. Dyk und E. Talstra den Nominalsatz πῦρ καταναλίσκον ἐστίν, „ein verzehrendes Feuer ist er“, folgen. Aufgrund inhaltlicher Gesichtspunkte ist meines Erachtens der traditionellen Leseweise der Vorzug zu geben.25 Die Septuaginta Handschriften Codex Vaticanus LXXB und 527 lassen ‫ מהר‬vermissen. Gegen diese Leseart als ursprüngliche sprechen die schmale Textbezeugung sowie die lectio difficilior des MT, wo die schnelle Vertreibung in Widerspruch zu Dtn 7,22 steht. Wohl um diesen Widerspruch aufzulösen, haben die Schreiber der Septuaginta und der Handschriften des Codex Vaticanus LXXB und 527 ‫ מהר‬gestrichen.26

21 22 23 24 25 26

So WEVERS, Notes, 157. Siehe S. 49. DRIVER, „Treatise“, §§ 198–201. So DYCK / TALSTRA, „Paradigmatic“, 164. Siehe dazu S. 59. DOGNIEZ / HARL, Deuteronome, 175.

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9,4 Die Mehrzahl der Handschriften der LXX übersetzt ‫ צדקה‬wie auch in 9,6 im Plural mit „Taten der Gerechtigkeit“ (διὰ τὰς δικαιοσύνας), womit der Akzent auf verdienstvolle Handlungen gelegt wird.27 Noch expliziter akzentuiert TO die Bedeutungsdimension des Verdienstes, wenn er in 9,4 wie auch in 9,5.6 ‫ צדקה‬mit ‫„ זכו‬Verdienst“ übersetzt. In dieselbe Richtung deutet TN, der mit dem Plural ‫„ זכוותן‬Verdienste“ übersetzt. V4d wurde lange Zeit als irrtümlich eingeflochtene Doublette von v5b angesehen, 28 vor allem weil dieses Textstück inhaltlich v5b vorausnimmt und im Codex Vaticanus fehlt. Gegen das Argument einer unbeabsichtigten Verdoppelung lässt sich einwenden, dass der Charakter des Abschnitts von Wiederholungen geprägt ist. 29 Gegen das Zeugnis des Codex Vaticanus lässt sich erheben, dass die meisten anderen Handschriften der LXX v4d beinhalten.30 Wenn v4d nicht als Doublette, sondern als ursprünglich angesehen wird, so stellt sich die weitere Frage, ob das in v4a mit „sag nicht in deinem Herzen“ eingeleitete Zitat auch v4d „aufgrund der Bosheit der Völker vertreibt sie der Herr vor dir“ umschließt 31 oder eine von Mose dargelegte legitime Alternative zur falschen Selbstzuschreibung darstellt.32 Im MT wird eine direkte Fortführung des einmal begonnenen Zitats ausgeschlossen, wenn man keine Veränderungen des Textes aufgrund von literarkritischen Überlegungen unternehmen will,33 da die zitierte Rede in der ersten Person in v4c (‫ )הביאני ;בצדקתי‬zur Anrede in der zweiten Person in v4d, ausgedrückt durch das Suffix der zweiten Person „vor dir“ (‫)מפניך‬, wechselt. Trotzdem lassen sich beide Teile als einheitlicher Gedankengang verstehen, wenn man den Umschwung von Zitat zu mosaischer Rede als gleitenden Übergang betrachtet.34 Mose beginnt demnach in Form eines Zitats, schwenkt aber dann in die Anrede Israels zurück. 35 Die LXX fügt dem Land das Adjektiv „gut“ bei, τὴν γῆν τὴν ἀγαθὴν ταύτην. Dies lässt sich als Angleichung an 9,6 sowie als Vernetzung mit Dtn 1,35; 3,25; 4,21–22; 11,17 begreifen.36 Die Übersetzer der LXX geben das Substantiv ‫ רׁשעה‬wie in Dtn 9,5; 25,2 mit ἀσέβεια, „Gottlosigkeit“, und nicht wie in Jes 9,17; Ez 18,20.27; 33,12.19; Sach 5,8; Mal 1,4 mit ἀνομία, „Gesetzeslosigkeit”, wieder. Die Wahl des Wortes ἀσέβεια an Stelle von ἀνομία könnte auch damit zusammenhängen, dass „Gesetzlosigkeit“ für die nichtisraelitischen Völker als unpassend empfunden wurde. Mit der Übersetzung des hebräischen ‫ רׁשעה‬durch das Wort ἀσέβεια könnte aber auch in besonderer Weise zum Ausdruck gebracht sein, dass die ‫ רׁשעה‬der Völker aus gegen Gott gerichteten Praktiken besteht. 9,5 „Das Wort“ (‫ )את־הדבר‬wird in der LXX mit τὴν διαθήκην αὐτοῦ, „seinen Bund“, wiedergegeben. Die Interpretation des Landesschwurs als Bund verknüpft Dtn 9,5 einerseits 27 28 29 30 31 32 33

Siehe OTTO, Deuteronomium, 934. So z. B. BERTHOLET, Deuteronomium, 30. Vgl. RÖMER, Väter, 163, Anm. 821. Vgl. WEINFELD, Deuteronomy, 406. So schon RASCHI zu Dtn 9,4 (Hg. HERZCEG et al., 92). So schon RAMBAN, Dewarim, zu Dtn 9,4 (Hg. KASNETT et al., 206–207). So etwa. EHRLICH, Randglossen, 276, der davon ausgeht, dass ‫ מפניך‬ursprünglich ‫ מפני‬lautete und das im jetzigen Text anschließende ‫ ך‬ursprünglich ein v5 einleitendes ‫ כי‬dargestellt hatte. 34 Siehe dazu LOHFINK, Hauptgebot, 201, und GOMES DE ARUJO, Wüste, 187. 35 Zur weiteren Interpretation siehe S. 71–73. 36 TOV, „Harmonizations“, 22.

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mit Dtn 8,18, wo das glückliche Leben im Land als Erfüllung eines Bundesschwures geschildert wird. Zum anderen verweist es auf die Interpretation des Landesschwurs in Gen 15,18, wo dieser als Bundesschluss bezeichnet wird (‫)כרת ברית‬.37 Einige masoretische Handschriften ergänzen „Jhwh vertreibt sie vor dir“ durch „dein Gott“, während dies in LXX und Smr fehlt. Das Fehlen in LXX und Smr sowie die nicht durchgehende Textbezeugung in den Handschriften des MT deutete darauf hin, dass es sich um einen Textzuwachs in diesen Handschriften handelt. 38 9,6 Die LXX fügt σήμερον „heute“ ein, um an das „heute“ von 9,1.3 anzugleichen. Dies dient einer inhaltlichen Klärung. Während die Erkenntnismahnung im MT ohne „heute“ ausschließlich auf die Zukunft bezogen werden könnte, wenn Israel das Land eingenommen haben wird, verankert σήμερον die Erkenntnismahnung deutlich im „Moab-Heute“, sodass die eingeforderte Erkenntnis noch vor der Landnahme Bedeutung erlangt. 9,7 Die LXX und Smr setzen bereits „vom Tag, als du auszogst“ in den Plural „von dem Tag an, da ihr aus Ägypten auszogt“ (ἀφ᾽ ἧς ἡμέρας ἐξήλθετε ἐξ Αἰγύπτου). Dies erklärt sich als Angleichung an den nachfolgenden Plural.39 Die Übersetzer der LXX scheinen stringent alle der Nacherzählung zugehörigen Passagen in den Plural gesetzt und sie von der Paränese abgehoben zu haben; vgl. Dtn 10,10. Die LXX übersetzt ‫ ממרים הייתם עם־יהוה‬mit ἀπειθοῦντες διετελεῖτε τὰ πρὸς κύριον, „bliebt ihr ungehorsam gegen den Herrn“, was ebenso wie die hebräische Formulierung die kontinuierliche Rebellion zum Ausdruck bringt, in besonderer Weise aber den Akzent des Verharrens in der Rebellion betont. 9,10 Die Übersetzer der LXX verkürzen ‫ככל־הדברים‬, „gemäß all der Worte“, zu πάντες οἱ λόγοι, „alle Worte“; ebenso Vg., Peschitta und TN. Die Übersetzer haben nach J. W. Wevers versucht, die hebräische Formulierung sinnvoll wiederzugeben.40 Allerdings wird etwa in 1 Sam 25,12 dieselbe Formulierung wörtlich mit κατὰ τὰ ῥήματα wiedergegeben. Der Unterschied in Dtn 9,7 könnte somit auf eine inhaltliche Akzentuierung hindeuten. Der MT macht mit ‫ כ‬auf eine Differenz zwischen Offenbarung und Niederschrift aufmerksam. Die zwei unterschiedlichen Wortgeschehen müssen dem Inhalt nach erst identifiziert werden, da sie nicht automatisch identisch sind, ähnlich der Wortübermittlung eines Boten wie in 1 Sam 25,12. LXX, Vg. Peschitta und TN aber schenken diesem Detail hier keine Aufmerksamkeit. Viele Manuskripte der LXX lassen „mitten aus dem Feuer“ vermissen, andere wiederum „am Tag der Versammlung“. E. Tov sieht in diesen Elementen spätere Zusätze des MT.41 E. Otto hält dagegen, dass die LXX diese auslasse, um eine Angleichung an die Sinaiperikope zu erzielen, wo vor allem das Motiv der Versammlung keinen Anhalt habe.42 9,11 Die LXX übersetzt ‫ויהי מקץ‬, „es geschah am Ende“, mit ἐγένετο διὰ, „es geschah nach“. Eine präpositionale Übersetzung bei Auslassung des Substantives „Ende“ begegnet

37 38 39 40 41 42

Vgl. OTTO, Deuteronomium, 934. OTTO, Deuteronomium, 935. OTTO, Deuteronomium, 935. WEVERS, Notes, 163. TOV, „Harmonizations“, 20. OTTO, Deuteronomium, 935–936.

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auch bei den anderen Vorkommen im Pentateuch (vgl. Gen 4,3; 8,6; 41,1; Ex 12,41), während in Ri 11,39; 2 Sam 15,7 wörtlich mit Präposition + τέλος übersetzt wird. 9,12 Die LXX übersetzt ‫ׁשחת‬, „zerstören“, wie auch in Dtn 4,16.25; 31,29 mit ἀνομέω, „gesetzlos handeln“; anders Dtn 4,31 (ἐκτρίβω, „zerstören“), Dtn 9,26; 10,10; 20,19.20 (ἐξολεθρεύω, „ausrotten“) und Dtn 32,5 (ἁμαρτάνω, „sündigen“). In den vier Belegen Dtn 4,16.25; 9,12 31,29 hat das Verb im Unterschied zu den anderen Vorkommen kein direktes Objekt, was die Übersetzer zur freieren Interpretation mit dem Verb ἀνομέω angeregt haben dürfte. Die Übersetzer der LXX ergänzen γῆς zu Ägypten, was als Angleichung an Ex 32,7 interpretiert werden kann,43 aber auch einer grundsätzlichen Tendenz von DtnLXX entspricht, die zwar nicht immer, aber häufig derart ergänzt; siehe Dtn LXX 1,30; 4,45.46; 6,21; 8,14; 9,26; 16,3.12; 20,1; 24,18. 9,13 Die Übersetzer der LXX ergänzen λελάληκα πρὸς σὲ ἅπαξ καὶ δὶς, „ich habe zu dir mehrmals gesprochen“. Die Übersetzer beziehen sich dabei auf Ex 33,3.5, wo Gott über Ex 32,9 hinaus Israel noch zweimal als „halsstarriges Volk“ bezeichnet.44 9,14 Die LXX fügt den Attributen „stärker und zahlreicher“ μέγα, „größer“, hinzu und gleicht so an Dtn 26,5 an.45 Womöglich wird das Attribut μέγα auch eigens hinzugefügt, um eine stärkere lexematische Verknüpfung mit der Parallelstelle in Ex 32,10 ( ‫ואעׂשה אותך לגוי‬ ‫ )גדול‬herzustellen, die wiederum auf den Abrahamsegen in Gen 12,2 „Ich werde aus dir ein großes Volk machen“ (‫ )ואעׂשך לגוי גדול‬verweist. 9,16 In der LXX fehlt gegenüber dem MT die nähere Identifizierung des Gussbildes als „Kalb“. Da in Dtn 9,12 nicht nur die LXX, sondern auch die überwiegende Mehrheit der masoretischen Textzeugen selbiges vermissen lassen, halten mehrere Kommentatoren auch die Vorkommen in Dtn 9,16.21 für sekundär.46 E. Otto hält dagegen, dass das Kalbmotiv in Dtn 9,21 von MT, Smr, LXX bezeugt wird und deswegen auch in Dtn 9,16 nicht als sekundär ausgeschieden werden kann.47 Das Fehlen in der LXX könnte seinen Grund in einer Angleichung an Dtn 9,12 haben. 9,17 Die Übersetzer der LXX übersetzen ‫לעיניכם‬, „vor euren Augen“, mit ἐναντίον ὑμῶν, „vor euch“. Dies entspricht dem Duktus von Dtn LXX (vgl. DtnLXX 1,30; 29,1 im Unterschied zu 1 SamLXX 12,16; JerLXX 16,9; 29,21; 51,24). 9,18 Im MT steht die Prostratio, ausgedrückt durch das Hitpael von ‫ נפל‬bei fünf Vorkommen viermal im Zusammenhang eines Gebetes (Dtn 9,18.25; Esra 10,1). Die Übersetzer der LXX übersetzen „ich fiel nieder“ mit ἐδεήθην, „ich betete“, und machen so die Prostratio ausdrücklich als Gebetsakt kenntlich; ebenso die Targume. Die Übersetzer der LXX geben ‫כראׁשנה‬, „wie beim ersten Mal“, mit „beim zweiten Mal wie beim ersten Mal“ (δεύτερον καθάπερ καὶ τὸ πρότερον) wieder. Die Übersetzer der LXX übersetzen „wegen all eurer Sünde“ im Plural πασῶν τῶν ἁμαρτιῶν „wegen all eurer Sünden“; ebenso Vg., Peshita und T J. Grund dafür könnte sein, dass „all“ in Verbindung mit dem Singular eine unübliche Wortverbindung darstellt, die 43 44 45 46 47

So KARRER / KRAUS, Septuaginta Deutsch, 557. WEVERS, Notes, 164. Siehe Anmerkung zu 9,1. STOPPEL, Angesicht, 144, Anm. 420. OTTO, Deuteronomium, 937.

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sonst im MT nur noch in Dtn 19,15; 2 Chr 33,19; Ps 85,3 vorkommt. Jedoch erklärt sich der Singular damit, dass das Kalb das Sündenobjekt darstellt (vgl. auch v21).48 Es steht nicht ein Kollektiv von Sünden („alle Sünden“), sondern das Ausmaß der Sünde im Augenmerk. Die Übersetzer der LXX ergänzen „zu tun das Böse in den Augen Jhwhs“ um τοῦ θεοῦ ὑμῶν, „eures Gottes“, was der Tendenz zur formelhaften Rede geschuldet sein dürfte.49 9,20 In der LXX fehlt „in jener Zeit“ (‫)בעת ההוא‬. Jedoch ist dies sonst durchgehend bezeugt und so als ursprünglich anzusehen. 9,21 Die syntaktisch und inhaltlich komplizierte Beschreibung des Destruktionsaktes hat zu unterschiedlichen Übersetzungen geführt, die klärend sein wollen. Die Übersetzer der LXX übersetzen den Infinitiv „zerstampfen“ (‫ )טחון‬mit dem Partizip καταλέσας („zerstampfend“). Die Vg. lässt dies dagegen weg. T O und TJ lassen ‫ טחון‬ebenso weg, und fügen stattdessen ‫בׁשופינא‬, „mit einer Feile“, ein, womit sie den Destruktionsvorgang näher erklären und mögliche Fragen nach dem exakten Vorgang vorwegnehmend beantworten. Die Übersetzer der LXX übersetzen das Glied „bis es fein zerrieben war zu Staub“ ( ‫עד אׁשר־דק‬ ‫ )לעפר‬mit zwei Gliedern „bis es fein geworden war und wie Staub geworden war“ (ἕως οὗ ἐγένετο λεπτόν καὶ ἐγενήθη ὡσεὶ κονιορτός). TJ übersetzt die Präposition ‫ ל‬in ‫ לעפר‬mit der Präposition ‫„ כ‬wie Staub“ entsprechend der LXX (ὡσεὶ), womöglich um zu klären, dass es sich nicht um „staubige Erde“ handelte, sondern dieser nur ähnelte. 9,22 In der LXX werden die Ortsnamen nicht transkribiert, sondern der vermuteten Wortwurzel nach übersetzt, in der jeweils auch ein Charakteristikum der damit verbundenen Rebellion zum Vorschein kommt, so ‫ תבערה‬mit Εμπυρισμῷ, „Brennen“, ‫ מסה‬mit Πειρασμῷ, „Versuchung“, und ‫ קברת התאוה‬mit Μνήμασιν τῆς ἐπιθυμίας, „Gräber der Begierde“. Selbiges ist in den Targumen zu beobachten, wo ‫ תבערה‬mit ‫( דליקתא‬TO), „Feuer“, oder ‫בית־‬ ‫( יקידתה‬TJ; TN), „Haus des Verbrennens“, übersetzt wird, ‫ מסה‬mit ‫ניסיתא‬/‫ניסיונה‬, „Versuchung“, und ‫ קברת התאוה‬mit ‫( קברי דמׁשאלי‬TO)/‫( קברי ׁשאלתה‬TN)/‫( קיברי תחמודא‬TJ), „Gräber des Verlangens“. Dies gibt zu erkennen, dass die Übersetzer der LXX und der Targume sich an den Etymologien aus Ex 17,7; Num 11,32.34 orientierten.50 9,24 Smr liest statt „seit dem Tag, da ich euch erkannte“ mit „seit dem Tag, da er euch erkannte“ auf Gott als Subjekt bezogen. Die LXX liest mit ἀπὸ τῆς ἡμέρας ἧς ἐγνώσθη ὑμῖν, „seit dem Tag, da er euch bekannt wurde/ er sich von euch erkennen ließ“, eine dem Smr näherstehende Version mit Gott als Subjekt. Da sowohl Smr als auch MT ein Qal aufweisen, ist die aktive Form als ursprünglich anzusehen. Die passive Form in der LXX lässt sich hingegen damit erklären, dass in der hebräischen Vorlage der LXX Gott das Subjekt gewesen war, die Übersetzer jedoch aufgrund der damit verbundenen Eingrenzung von Gottes Kenntnis auf einen Anfangspunkt die aktive Form zu einer passiven umgestalteten von „er euch kannte“ zu „er bekannt wurde“.51 Die doppelte Textbezeugung durch Smr und LXX mit Gott als Subjekt sowie die plausible Herleitung des Passivs in der LXX deuten darauf hin, dass die Version des Smr die ursprünglichere ist.52

48 49 50 51 52

WEINFELD, Deuteronomy, 402. KARRER / KRAUS, Septuaginta Deutsch, 557. Vgl. KARRER / KRAUS, Septuaginta Deutsch, 557–558. GEIGER, Urschrift, 336. Vgl. OTTO, Deuteronomium, 937.

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Hinführung zur Auslegung

9,25 In der LXX wird wie schon in v18 „ich lag vor dem Herrn“ mit „ich betete vor dem Herrn“ (ἐδεήθην ἐναντίον κυρίου) übersetzt und so die Prostratio ausdrücklich als Gebetsakt erkenntlich gemacht. 9,26 In der LXX lautet die Gottesanrede κύριε κύριε βασιλεῦ τῶν θεῶν, „Herr, Herr, König der Götter“, anstelle von ‫אדני יהוה‬. Auf ähnliche Weise spricht ein thebanisches Gottesepitheton den Gott Amun als „Amun-Re, König der Götter“ an, das diesen als höchsten Gott im Pantheon tituliert. Diese oder ähnliche Hoheitsanreden könnten in der LXX nachklingen.53 E. Otto schwächt derartige Fremdeinflüsse ab und hält den Einfluss aus PsLXX 49,1; 83,4; 135,2 für eine hinreichende Erklärung, wo mit den „Göttern“ Engelwesen gemeint seien.54 Die Übersetzer der LXX umgehen das mit dem seltenen Substantiv „Größe“ (‫)גדל‬ konstruierte „in deiner Größe“ (‫)בגדלך‬, indem sie an v29 angleichend mit τῇ ἰσχύι σου τῇ μεγάλῃ, „in deiner großen Kraft“, übersetzen. Sie fügen dieselbe Wendung an die Auszugsformel an und ergänzen „starke Hand“ wie schon in Dtn 3,24 in Angleichung an deuteronomischen Sprachgebrauch um die oftmals damit in Kombination auftretende Mächtigkeitsformel „mit ausgestrecktem Arm“; vgl. Dtn 4,34; 5,15; 7,19; 11,2; 26,8; 1 Kön 8,42.55 9,27 Die Übersetzer der LXX ergänzen die Erinnerungsmahnung an die Patriarchen um das Schwurmotiv mit οἷς ὤμοσας κατὰ σεαυτοῦ, „denen du bei dir geschworen hast“, und gleichen damit an das mosaische Gebet in Ex 32,11 an.56 Sie übersetzen ‫ רׁשעו‬mit dem Abstraktum τὰ ἀσεβήματα, „Gottlosigkeit“, und ‫ חטאתו‬mit dem Abstraktum τὰ ἁμαρτήματα αὐτῶν, „ihre Sündhaftigkeit“. Sie verstärken damit den paradigmatischen Charakter von Moses Gebet, das nicht nur die Sünde mit dem Kalb, sondern Israels sich durchziehende sündhafte Haltung während der Wüstenzeit im Blick hat. 9,28 Die Übersetzer der LXX ergänzen die im Hebräischen möglicherweise bewusst nicht im Numerus von Subjekt und Prädikat übereinstimmende Formulierung ‫ פן־יאמרו הארץ‬um das substantivierte Partizip οἱ κατοικοῦντες, „die Bewohner“, zum Zweck einer syntaktisch sauberen Konstruktion; vgl. auch Smr, der mit „Volk des Landes“ übersetzt. 9,29 Die Übersetzer der LXX ergänzen die offene gelassene Formulierung ohne Nennung des Auszugslandes durch ἐκ γῆς Αἰγύπτου, „aus Ägypten“; vgl. auch Smr. Da hier von einer bewussten Offenheit auszugehen ist, lässt sich die Version des MT als ursprüngliche ansehen.57 10,3 Die Übersetzer der LXX übersetzen „Lade aus Akazienholz“ mit κιβωτὸν ἐκ ξύλων ἀσήπτων, „Lade aus nicht verfaulendem Holz“. E. Otto interpretiert dies als Angleichung an das Motiv der aus Stein gehauenen Tafeln. Haben die Tafeln aus Stein eine auf Dauer ausgelegte Natur, so soll sich dies auch in den Tafeln spiegeln.58 Das in der LXX gebrauchte Wort κιβωτὸς für die „Lade“ ist dasselbe Wort wie das für die Arche des Noah. Damit könnte

53 54 55 56 57 58

GÖRG, „Septuaginta“, 117–118. OTTO, Deuteronomium, 937. KREUZER, „Mächtigkeitsformel“, 191, spricht von einem festen Paar. OTTO, Deuteronomium, 938. Vgl. TOV, „Harmonizations“, 22. OTTO, Deuteronomium, 938.

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Übersetzung und Textkritik

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ein Zusammenhang von Lade und Arche hergestellt worden sein, da beide einen Schutzraum darstellen, die Arche für alles Lebendige und die Lade für die Tafeln. 10,4 In einigen Manuskripten der LXX fehlt wie schon in Dtn 9,10 „Tag der Versammlung“. J. W. Wevers deutet dies als Weglassung nicht wesentlicher Informationen.59 Warum aber durchgehend nur „Versammlung Israels“ ausgelassen wird, erklärt sich besser mit einer gezielten Intention. So interpretiert E. Otto diese Auslassung als Ausdruck einer Vernetzung mit der Sinaiperikope, wo das Wort ἐκκλησία nicht vorkommt.60 10,6–7 Smr erweitert den Text und harmonisiert ihn mit dem Itinerar von Num 33,31– 38.61 Dabei versetzt Smr Aarons Tod und Begräbnis entsprechend Num 20,26–28; 33,38; Dtn 32,50 auf den Berg Hor. TJ enthält einen langen Zusatz, der jedoch nicht wie Smr den Text verändert, sondern die Hintergründe des Verses in Übereinstimmung mit den anderen biblischen Berichten zu klären versucht. So fügt er aus Num 33,40 die Notiz eines Königs von Arad ein, den er mit Amalek identifiziert und Israel angreifen lässt. Aufgrund seines Angriffs hätten einige versucht, nach Ägypten zurückzukehren. Dabei hätten sie die Leviten verfolgt und acht ihrer Familien getötet. Bei den Auseinandersetzungen seien allerdings auch vier levitische Familien umgekommen. Auf die Frage nach den Gründen sei die Antwort gewesen, dass sie es verabsäumt hätten, Aaron zu beweinen. So hätten sie es nun nachgeholt. Die Übersetzer der LXX übersetzen den Ortsnamen ‫ בארת בני־יעקן‬mit Βηρωθ υἱῶν Ιακιμ und deutet so ‫ בני־יעקן‬als Ausdruck für die Bewohner von ‫בארת‬. Außerdem übersetzen sie ‫ מוסרה‬mit Μισαδαι, was auf eine Buchstabenverwechslung von ‫ ר‬und ‫ ד‬zurückzuführen ist.62 Mehrere Kommentatoren interpretieren die Qatalformen in 10,6a–8a vorzeitig und übersetzen mit dem Plusquamperfekt. Jedoch werden mit dem Tod Aarons und der Aussonderung der Leviten Ereignisse angesprochen, die sich der Fabel entsprechend nach den Horebereignissen zugetragen haben. Eher sind die neu einsetzenden Qatalformen in 10,6–8 als Markierung einer jeweils neu einsetzenden Begebenheit zu deuten, die so nicht mit konsekutivem ‫ ו‬+ Yiqtol, sondern jeweils neu mit Qatal eingeleitet wird. 10,8 Die Übersetzer der LXX übersetzen ‫לׁשרתו‬, „ihm zu dienen“, wie auch in Dtn 21,5; 1 Chr 23,13; 2 Chr 29,11 ohne das direkte Objekt mit λειτουργεῖν, „zu dienen“. In Ez 40,46 übersetzen sie hingegen mit λειτουργεῖν αὐτῷ. Sie wollten möglicherweise in Dtn 10,8 die priesterlichen Konnotationen abschwächen, da hier vom gesamten Stamm Levi die Rede ist. In der LXX findet sich anstelle von „zu segnen im Namen des Herrn“ (ἐπεύχεσθαι ἐπὶ τῷ ὀνόματι αὐτοῦ) „im Namen des Herrn zu beten/Dank zu sagen“. Möglicherweise wollten die Übersetzer vermeiden, dass der Priestersegen dem gesamten Stamm Levi zugesprochen wird. Dafür spricht, dass sie dieselbe Wendung in Dtn 21,5, wo die Priester Subjekt sind, entsprechend dem MT übersetzt haben.63 Die Peshitta weist mit „den Namen des Herrn zu preisen“ in dieselbe Richtung. 10,9 In den meisten Handschriften der LXX fehlt ‫יהוה אלהיך‬, „Jhwh, dein Gott“, was als Glättung des Anredewechsels im MT erklärt werden kann.64 59 60 61 62 63 64

WEVERS, Notes, 176. OTTO, Deuteronomium, 936. Siehe WEINFELD, Deuteronomy, 404. Vgl. KARRER / KRAUS, Septuaginta Deutsch, 559. KARRER / KRAUS, Septuaginta Deutsch, 559. DAHMEN, Leviten, 64–65.

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Hinführung zur Auslegung

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10,10 Einige Handschriften der LXX geben ‫ כימים הראׁשנים‬nicht wieder, wohl um eine Verdoppelung zu 9,18 zu vermeiden, wo der zweite Bergaufenthalt bereits mit ‫ כראׁשנה‬in Relation zum ersten Bergaufenthalt gesetzt wurde.65 10,11 Einige Handschriften der masoretischen Texttradition, der LXX sowie des Smr lesen mit dem Demonstrativpronomen „dieses Volk“. Das Textzeugnis des Smr und der LXX deuten in Richtung einer Ursprünglichkeit dieser Variante.66 Dafür spricht auch, dass die damit ausgedrückte Distanz (vgl. 9,13) der Situierung des zweiten Bergaufenthalts vor der Tafel- und somit Beziehungserneuerung entspricht, wonach Gott zwar Mose erhört und das Volk verschont hat, es aber noch nicht wieder in vollem Sinn als sein Volk angenommen hat (vgl. Ex 33,1).

2.4 Struktur Einige Kommentatoren unterteilen Dtn 9f. in die zwei Unterabschnitte Dtn 9,1–24 und Dtn 9,25–10,11.67 Andere unterscheiden dagegen zwischen einer Paränese in 9,1–6 oder 9,4–6 und einem Geschichtsrückblick in 9,7–10,11,68 während wieder andere eine Paränese in 9,1– 6, eine Sündengeschichte in 9,7–24 und eine Erneuerungserzählung in 9,25–10,11 unterscheiden.69 Für die Abhebung der Paränese in 9,1–6 von der mit v7 beginnenden Erinnerung spricht vor allem das Argument von E. Talstra, dass der Höraufruf in v1 und die Erinnerungsaufforderung in v7 als asyndetische Vokative auf derselben kommunikativen Hauptebene liegen. Diese syntaktische Beobachtung wird vom Wechsel von der Paränese zur Geschichtserinnerung unterstützt.70 Dagegen wurde erhoben, dass auch der Vetitiv „sag nicht!“ in v4 auf derselben Ebene anzusiedeln sei.71 Dies ist jedoch nicht als Gegenargument zu werten, sondern verweist auf eine weitere Differenzierung in der Strukturierung von Dtn 9f. Der Großabschnitt lässt sich syntaktisch in die drei jeweils von asyndetischen Aufforderungen in vv1.4.7 eingeleiteten Unterabschnitte 9,1–3, 9,4–6 und 9,7–10,11 unterteilen.72 Die an der Syntax orientierte Dreiteilung bestätigt sich bis zu einem gewissen Grad nach den Kriterien von Zeit, Ort, Charakteren und Thema, da hier mehrere Wechsel zu beobachten sind. Zeit: Der gesamte Abschnitt ist mit Ausnahme von 10,6–9 wie der Großteil des Buches Deuteronomium in jenem „Heute“ situiert, da Mose in Moab 40 Jahre nach dem Auszug in Ägypten zur Moabgeneration spricht. Zu unterscheiden ist davon, auf welche Zeiten sich Mose in seiner Rede bezieht. In 9,1–3 hat Mose die Gegenwart der Moabadressaten unmittelbar vor der Landnahme im Blick und schaut bereits auf die Landnahme voraus. In 9,4 spricht er dagegen den Zeitpunkt während oder nach der bereits gelungenen Landnahme 65 66 67 68 69 70 71 72

OTTO, Deuteronomium, 938. OTTO, Deuteronomium, 939. So z. B. LOHFINK, „Deuteronomium 9,1–10,11”, 137–145; auch wieder STOPPEL, Angesicht, 179. So z. B. WEINFELD, Deuteronomy, 426–427; O’CONNELL, „Paralleled“, 507; VENEMA, Reading, 6–39. So z. B. TIGAY, Deuteronomy, 97–107; BARKER, Triumph, 78–101. TALSTRA, „Deuteronomy 9”, 196. GOMES DE ARUJO, Wüste, 185. So. z. B. ZIPOR, „Account”, 20; HARDMEIER, „Schema‘ Jisra’el“, 69; FINSTERBUSCH, Weisung, 200.

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Struktur

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an. In 9,6 bezieht sich Mose wieder auf die Gegenwart der Moabadressaten, die jetzt schon erkennen sollen. In den ersten beiden Abschnitten ist so eine Bewegung von der Gegenwart vor der Landnahme (9,1–3) zur Zukunft nach der Landnahme (9,4) und von dort wieder zur Gegenwart (9,6) zu beobachten. In 9,7–10,11 schwenkt Mose dagegen in die Vergangenheit zu den Wüstenereignissen. Auch die Erzählstimme bezieht sich in 10,6–9 auf Ereignisse der Vergangenheit, die in Verbindung zu den von Mose erzählten Ereignissen stehen. Ort: In 9,1–3 bezieht sich Mose auf die Situierung seiner Adressaten in Moab und schaut zugleich auf die Ankunft im Land der Verheißung voraus. In 9,4 blickt Mose auf ein Israel, das bereits im Land der Verheißung angekommen ist, um dann wieder zu seinen Adressaten in Moab zurückzukommen (9,6). In 9,7–10,11 schreiten Mose und die Erzählstimme verschiedene Stationen von Israels Geschichte ab, so den Horeb, Kadesch-Barnea, Tabera, Kiwrot-Taawa, Massa, Hor-Gidgad, Moser und ein Land von Wasserbächen. Charaktere: In den ersten beiden Abschnitten ist von Mose, Israel, Gott und den Völkern die Rede. Im Geschichtsrückblick begegnen wir zusätzlich dem Kalb, Aaron, Eleasar und dem Stamm Levi. Thema: In 9,1–3 hält Mose Israel angesichts der Herausforderungen der bevorstehenden Landnahme eine Ermutigungsrede. In 9,4–6 wechselt er zu einer Ermahnungsrede, in der er vor der falschen Selbstzuschreibung der erfolgreichen Landnahme warnt. Beide Abschnitte beziehen sich auf die bevorstehende Landnahme, thematisieren sie jedoch unter zwei unterschiedlichen Aspekten. So spricht M. Zipor von zwei falschen Annahmen, gegen die sich Mose in zwei Schritten (9,1–3 und 9,4–6) wende.73 In 9,7–10,11 erinnert Moses dagegen an die Rebellionsgeschichte in der Wüste, die Überwindung der Horebkrise und die Erneuerung der Tafeln. Alle Kriterien sprechen so für eine Teilung zwischen Paränese in 9,1–6 und dem Geschichtsrückblick in 9,7–10,11. Zwischen 9,1–3 und 9,4–6 sind die Wechsel weniger signifikant. Allerdings sprechen der asyndetische Einsatz in 9,4, der thematische Wechsel von der Ermutigung zur Warnung sowie der damit verbundene Wechsel der im Blick befindlichen Zeit- und Ortssituationen für eine weitere Teilung der Paränese in 9,1–3 und 9,4–6. Es ergibt sich folgende Dreiteilung: A: 9,1–3: Ermutigung zur Landnahme B: 9,4–6: Warnung vor der falschen Selbstzuschreibung C: 9,7–10,11: Geschichtsrückblick

73 ZIPOR, „Account”, 20–21; siehe dazu auch HARDMEIER, „Schema‘ Jisra’el“, 69; ders., „Geschichten“, 107; FINSTERBUSCH, Weisung, 200; DEROUCHIE, Call, 253.

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Hinführung zur Auslegung

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2.5 Grundlegendes zu Dtn 9f. Im Folgenden sollen einige Punkte angesprochen werden, die für die nachfolgende Auslegung und Interpretation von Dtn 9f. grundlegend sind. 2.5.1 Stimmen In Dtn 9f. melden sich zwei Stimmen zu Wort, jene Moses und jene des Erzählers in 10,6–9. Über Moses Stimme kommen weitere Stimmen in Form von Zitaten zu Wort, so ein Sprichwort (9,2c), eine antizipierte Herzenserwägung Israels (9,4c), Gottesreden (9,12b– e.13b–14d.23b; 10,1b–2.11b–e), und über das Zitat im Zitat ein hypothetisches Völkerurteil in 9,28b.74 In dieser Mehrstimmigkeit kommen unterschiedliche Perspektiven zu Gehör, unter denen den zitierten Gottesreden als höchst autorisierte Reden eine Schlüsselrolle zukommt. Die Intervention des Erzählers in 10,6–9 wiederum lässt die Adressaten erkennen, dass in Dtn 9f. Wirklichkeiten angesprochen werden, die sich über den Klerus als Bindeglied bis in ihre Lebenswelt erstrecken.75 2.5.2 Die unterschiedlichen Zeitebenen In Dtn 9f. werden verschiedene Zeitebenen in Beziehung zueinander gesetzt.76 Die Moserede ist im „Heute“ des Moabtages situiert (9,1.3). Mit der Intervention des Erzählers in 10,6–9 wird das „Moab-Heute“ vom „Heute“ (10,8: „bis zum heutigen Tag“) des Erzählers in 10,6– 9 ergänzt. Differenziert werden müssen darüber hinaus die von diesen temporalen Ausgangspunkten in den Blick genommenen Zeiten. Mose bezieht sich in 9,1–6 auf das „Moab-Heute“, das sich bis zur Überschreitung des Jordan und der Landnahme ausdehnt und so die von der Moabsituation aus gesehene Gegenwart und unmittelbare Zukunft umfasst. Ab 9,7 blickt er dagegen auf die Vergangenheit zurück, die er in 9,7.24 bis in das „Moab-Heute“ hineinreichen lässt. In folgendem Schema bildet das „Moab-Heute“ den temporalen Ausgangspunkt, von wo aus Mose den Blick in Richtung relativer Vergangenheit und Zukunft lenkt (graue Pfeile). Von dieser Vergangenheit wird wiederum über die Motive der Lade und des Aufbruchsbefehls thematisch auf die Landnahme und weitere Zukunft voraus verwiesen (weiße Pfeile): Schema 2: Textinterne Perspektive

Horeb

Moab-Heute

Landnahme

_________________________________Zukunft______ C

C

74 Siehe dazu ausführlicher STOPPEL, Angesicht, 147–155. 75 Siehe OTTO, Deuteronomium, 990.995–996.999.1001. 76 Vgl. OTTO, Deuteronomium, 998–999.

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Grundlegendes zu Dtn 9f.

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In 10,6–9 spricht die Erzählstimme weitere Ereignisse der vergangenen Wüstenzeit an. Sie setzt dabei das im Lademotiv implizierte Thema der Zukunft Israels fort, indem sie über die Motive der Sukzession Aarons und den Diensten des Stammes Levi auf eine Zukunft Israels blickt, die sich mit „bis zum heutigen Tag“ bis zum Heute des Erzählers erstreckt. Damit tritt auch die Zeitspanne nach der Landnahme bis zum „Heute“ des Erzählers in den Blick und so die nicht näher bestimmte weitere Geschichte Israels, die von dieser Zeitperspektive aus bereits Vergangenheit ist. Schema 3: Perspektive des Erzählers

Horeb

Moab-Heute

__________________ C

Heute des Erzählers weitere Geschichte _____________

Das „Heute“ in 10,8 ist auf schillernde Weise sowohl auf das „Moab-Heute“ als auch auf das Heute der textexternen Adressaten transparent. Denn einerseits lassen sich die bis zum heutigen Tag reichenden Dienste des Stammes Levi auf die Moabsituation beziehen. Andererseits aber ist angedeutet, dass die textinterne Kommunikationsebene zwischen Mose und der Moabgeneration verlassen ist. Nicht mehr Mose spricht zur Moabgeneration, sondern ein Erzähler zu seinen Adressaten. Was „in jener Zeit“ geschah (10,8) erstreckt sich „bis zum heutigen Tag“ (10,8). Damit wird nicht nur eine Brücke vom Horeb nach Moab, sondern auch zur Welt, in der erzählt wird, geschlagen.77 Über diesen Brückenschlag von der erzählten Welt am Horeb und in Moab hin zur Welt, in der erzählt wird, wird die Aktualität der erzählten Ereignisse für die Adressaten des Buches deutlich.78 In Dtn 9f. wird so auf textexterner Kommunikationsebene nicht nur indirekt zur Identifikation mit dem „Moab-Heute“ eingeladen, sondern noch expliziter die Erzählung der doppelten Ursprungsgeschichte am Horeb und in Moab für die Applikation auf die Zeit und Welt der Adressaten geöffnet.79 Sie sollten die Verknüpfung der Erzählung mit ihrer Welt erkennen und sich, ihre Geschichte und in gewisser Weise ihre zu erhoffende Zukunft in den geschilderten Ereignissen wiedererkennen. Die in Dtn 9f. geschilderte Kommunikationssituation lässt so auf die Kommunikationssituation zwischen Autoren und ihren Erst-

77 Vgl. GENETTE, Narrative Discourse, 236. 78 Siehe SONNET, „Quel Giorno“, bes. 34–37, der in den Wendungen „An jenem Tag“ und „Bis zum heutigen Tag“ die zwei äußersten Extreme des in Deuteronomium mit „Heute“ bezeichneten sieht, die den Bogen von den erzählten Ereignissen vom Horeb bis zur Zeit der Adressaten spannen. 79 OTTO, Deuteronomium, 999.

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Hinführung zur Auslegung

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adressaten durchblicken,80 in der analog zum „Moab-Heute“ auf eine Geschichte zurück- und auf eine Zukunft vorausgeblickt wird. Schema 4: Applizierte Textexterne Perspektive

Modell Horeb

Heute der Adressaten

Modell Zukunft Landnahme

________________________________________ C

C

2.5.3 Topographie der Ursprungsgeschichte Israels Ein weiteres Charakteristikum des Abschnitts Dtn 9f. ist die Vielzahl von erwähnten Orten, die Schauplätze entscheidender Ereignisse sind. a) Moab: Die Moserede an die Moabgeneration ist in Moab situiert. Moab ist die letzte der vielen Stationen Israels auf dem Weg ins Land der Verheißung. Wie alle diese Orte ist er nicht zum Bleiben gedacht. Jedoch ist er mehr als ein Durchzugsort, da die zweite Generation nach dem Auszug hier von Mose auf die Zukunft vorbereitet wird. Moab wird so zu einem Ort der Entscheidung und des Übergangs in die Zukunft. Dies konkretisiert sich in drei Punkten. 1.) Moab ist der Ort des Moabbundes, der sich durch Moses Vermittlung der „Gesetze und Rechtsvorschriften“ inklusive des Dekalogs als Fundament und der Schließung des Moabbundes mit der Moabgeneration vollzieht. Sie sollen sich nun für das Leben entscheiden und in den Bund eintreten. Rituell vollendet aber wird der Bund laut 27,5–7 erst im Land der Verheißung.81 2.) Moab ist der Ort von Moses Abschied. Mit seinem Abschied geht die Epoche des Auszugs und der Toraoffenbarung zu Ende.82 In Moab wird Israel auf die Zeit nach Mose vorbereitet. 3.) Moab liegt an der Schwelle des Jordan. Die Moabgeneration wird besonders in 9,1–3 und 31,1–8 darauf vorbereitet und dazu ermutigt, diese Schwelle zu überschreiten. Moab ist somit ein Ort des Übergangs, an dem Israel den letzten entscheidenden Schritt ins Land der Verheißung tun soll. b) Kadesch-Barnea: Moab steht als Ort vor der Schwelle in Beziehung zu KadeschBarnea, wo die Horebgeneration bereits davorgestanden war, ins Land zu gelangen. Dort war die Horebgeneration allerdings aufgrund von Glaubensmangel, Misstrauen und Angst gescheitert und hatte so den Landbesitz verspielt. In Moab soll nun die Moabgeneration das 80 Vgl. SONNET, „Quel Giorno“, 34. 81 Siehe SONNET, Book, 96. 82 Siehe FREVEL, „Abschied“, 224.

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Grundlegendes zu Dtn 9f.

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Scheitern der Eltern vergessen machen, indem sie Gottes Auftrag und Zusage einlöst. Die anderen drei in Dtn 9f. erwähnten Rebellionsorte verweisen über ihre Namen und den damit verbundenen Erzählungen in den Büchern Exodus und Numeri auf Rebellionen, in denen Israels Misstrauen gegen Gott zum Vorschein kam, und deuten so auf die verunglückte Landnahme in Kadesch-Barnea voraus. c) Horeb: Als Ort des Bundesschlusses und der Toravermittlung steht Moab in einer mehrdimensionalen Beziehung zum Horeb als Ort des Bundesschlusses und der Offenbarung sowohl des Dekalogs als auch der von Mose nun in Moab ausgelegten und an die Moabgeneration weiter vermittelten Gesetze und Rechtsvorschriften. In Dtn 9f. tritt der Horeb als Ort der Bundeskrise und ihrer Überwindung in Erscheinung. Israel, das sich nun in Moab an einem kritischen Punkt seiner Geschichte befindet, soll seine bevorstehende Mission der Landnahme und die damit beginnende neue Lebensphase im Zusammenhang mit den Horebereignissen begreifen. d) Das Land der Verheißung: Das Land der Verheißung ist seit Abraham Israels Zieldestination (vgl. 9,5; 10,11). Im Laufe seiner Abschiedsreden bereitet Mose Israel darauf vor, den Jordan zu überschreiten, um das Land einzunehmen. In diesem Land soll Israel den Moabbund rituell vollenden, den Bund bewahren, Segen empfangen, Ruhe vor den Feinden erlangen, an dem von Gott erwählten Ort den Kult vollziehen und alle Anweisungen und Bestimmungen von Moses Tora einhalten. e) Ägypten: Ägypten findet in 9,12.26.(28.29) als Land, aus dem Israel herausgeführt wurde, Erwähnung. Mit dieser Herausführung wurde eine Geschichte in Bewegung gesetzt, die sich in der Annahme als Bundesvolk (9,26.29) und in der Landnahme (9,28) vollenden soll. Ägypten als Ort der Herausführung trägt somit ein Versprechen in sich, das durch die Erfüllung der göttlichen Verheißungen eigelöst werden soll. 2.5.4 Hauptprotagonisten und ihre Beziehungen Die Hauptprotagonisten in Dtn 9f. sind wie im gesamten Buch Deuteronomium Gott, Israel und Mose. Zusätzlich kommen die Völker, die Patriarchen, Aaron, Eleasar und der Stamm Levi zur Sprache. In diesem Abschnitt werden in besonderer Weise die Beziehung zwischen Gott und Israel sowie Moses vermittelnde Rolle zwischen ihnen thematisiert. Gottes Beziehungsverhalten durchläuft vom Horeb bis nach Moab eine Entwicklung, vom zur Vernichtung bereiten Zorn hin zur Verschonung Israels und Erneuerung der Bundesbeziehung. Entscheidender Vermittler dieser Entwicklung ist Mose, der für Israel am Horeb eintrat. Im Gegensatz zu Gottes Verhalten hat sich Israel vom Horeb bis nach Moab nicht gewandelt. Es blieb auch nach dem Horeb rebellisch, was besonders in Kadesch-Barnea deutlich wurde. Hat Gott seine Einstellung gegenüber Israel gewandelt und es trotz seiner Sünde als Volk angenommen und seinen Beistand bei der Landnahme zugesichert, so soll nun Israel seinerseits darauf antworten, indem es hört, sich Gott anvertraut und seinen harten Nacken erkennt, um ihn schließlich zu überwinden. Wieder ist Mose hierbei entscheidend, da er es ist, der Israel ermutigt und ermahnt, damit sie auf Gottes Sinneswandel mit einem Sinneswandel ihrerseits antworten. Steht die Beziehung zwischen Jhwh und Israel im Mittelpunkt, so ist Mose der vermittelnde Angelpunkt dieser Beziehung in Vergangenheit und Gegenwart. In der Vergangenheit hat er einen Sinneswandel bei Gott bewirkt. Im „Moab-Heute“ versucht er, auf entsprechende

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Hinführung zur Auslegung

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Weise einen Sinneswandel bei seinen Adressaten zu bewirken. Moses Rolle zeigt dabei in Vergangenheit und Gegenwart unterschiedliche Aspekte: a) In Bezug auf die Tafeln übernimmt er die Rolle eines Übermittlers, der die kostbare Gabe dem Volk überbringt.83 b) Als Gott ihn entsendet und er in einer Zeichenhandlung die Tafeln zerstört, handelt er als Prophet mit einem prophetischen Auftrag. Als er die Sünde des Volkes benennt, erfüllt er einen weiteren Aspekt der prophetischen Sendung.84 c) Als Gott ihm anbietet, aus ihm allein ein großes Volk zu machen, tritt er als Verheißungsträger und einzig verbliebener Gerechter in Erscheinung. d) Indem er darauf nicht eingeht, kündigt sich seine selbstlose Rolle als Fürbitter Israels an, die in 9,18–29; 10,10 weiter entfaltet wird. e) Nach der Verschonung Israels beauftragt Gott Mose, neue Tafeln und eine Lade anzufertigen. Mose ist so nicht nur entscheidend für die Verschonung Israels, sondern auch für die Erneuerung der Bundesbeziehung. 2.5.5 Dynamik: Wiederaufnahme von Motiven Anhand der Wiederaufnahmen von Schlüsselwörtern und -motiven aus Dtn 9,1–6 in Dtn 9,7– 10,11 lassen sich einige grundlegende Dynamiken innerhalb des Abschnitts festmachen, die für das Verständnis der rhetorischen Beziehung zwischen Paränese und Geschichtsrückblick hilfreich sind. In folgender Tabelle sind sie angeführt: Tabelle 1: Wiederaufnahmen von Schlüsselwörtern aus Dtn 9,1–6 in Dtn 9,7–10,11 Motive hören (‫)ׁשמע‬ einnehmen, vertreiben (‫)ירׁש‬ Land erkennen (‫)ידע‬ Feuer (‫)אׁש‬ vernichten (‫ׁשמד‬/‫)ׁשחת‬ Verderbtheit (‫)רׁשעה‬ Schwur (‫)ׁשבע‬ Patriarchen harter Nacken (‫ערף‬+ ‫)קׁשה‬

9,1–6 9,1 9,1.3.4.5.6

9,7–10,11 9,19.23; 10,10 9,23; 10,11

9,1.4.5.6 9,3.6 9,3 9,3 9,4.5 9,5 9,5 9,6

9,23.28; 10,7.11 9,24 9,10.15.21; 10,4 9,8.12.14.19.20.25.26;10,10 9,27 10,11 9,27; 10,11 9,12 (9,27)

Die Art und Weise der Wiederaufnahmen von Motiven aus 9,1–6 in 9,7–10,11 lässt sich auf zweifache Weise charakterisieren. Einerseits bekräftigt Mose durch Wiederaufnahmen die Paränese. Anderseits entwickelt er durch Wiederaufnahmen Kontraste zwischen der in 9,1– 6 geschilderten Gegenwart und der in 9,7–10,11 geschilderten Vergangenheit. 83 Siehe Tan zu Eikev §11 (Hg. PUPKO et al., 86–89), der Mose als Überbringer der Tafeln mit einer Eskorte, einem Briefträger und einem Mittelsmann vergleicht. 84 BOVATI, Deuteronomio, 136, sieht in Dtn 9f. zwei Aspekte von Moses prophetischem Amt dargestellt. Zum einen werde er gesandt, um die Sünde zu verurteilen, zum anderen, um für sein Volk einzutreten.

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Grundlegendes zu Dtn 9f.

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Hören: Während die Horebgeneration in Kadesch-Barnea nicht auf Gottes Stimme gehört hat (9,23) und deswegen das Land nicht einnehmen konnte, soll die Moabgeneration nun auf Mose hören (9,1) und die Landnahme wagen. Aus einer Geschichte der Hörverweigerung soll eine des Gehorsams werden. Damit würde Israel Gott imitieren, der auf Mose gehört hat (9,19; 10,10). Auftrag und Ermutigung zur Landnahme: Ermutigt Mose Israel zur Landnahme (9,1), indem er Gottes Beistand und Handeln zusichert (9,3.4.5.6), so ermutigte Gott in KadeschBarnea zur Landnahme (9,23) und sagte am Horeb ihr Gelingen zu (10,11). Mose vermittelt an die Moabgeneration, was Gott der Horebgeneration und ihm in Bezug auf die Landnahme zugesagt hatte. Erkennen: Mose fordert die Moabgeneration zu einer zweifachen Erkenntnis auf. Seine Adressaten sollen sich erstens vergewissern, dass Gott sich für Israel einsetzen wird (9,3). Sie sollen zweitens zur Einsicht kommen, dass sie den Erfolg nicht ihrer Bewährung zuschreiben können, weil sie ein Volk harten Nackens sind (9,6). In 9,24 streicht Mose heraus, dass Israel rebellisch war, seit Gott das Volk kannte. Es entwickelt sich ein Kontrast. Während Gott Israel erkannte (9,24), hat Israel weder Gott noch sich selbst hinreichend erkannt. Vernichtung/Feuer: Mose sagt der Moabgeneration zu, dass Gott sich für Israel einsetzen und die Völker als verzehrendes Feuer vernichten werde (9,3). Dies steht im Kontrast zur Vergangenheit, wo Gott, der am Horeb aus dem Feuer heraus sprach, angedroht hatte, Israel zu vernichten (9,8.12.14.19.20.25.26;10,10). Verderbtheit: Mose gibt der Moabgeneration zu verstehen, dass die Völker das Land aufgrund ihrer Verderbtheit verlieren werden (9,4.5). Auch Israel wurde am Horeb beinahe aufgrund seiner Verderbtheit vernichtet, hätte Mose am Horeb Gott nicht gebeten, den Blick von Israels Verderbtheit abzuwenden (9,27). Harter Nacken: Mose mahnt die Moabgeneration in 9,6 zu erkennen, dass es ein Volk harten Nackens ist. Im Geschichtsrückblick wird deutlich, dass er hier Gottes Urteil über das Volk am Horeb (9,12) aufgreift. Schwur an die Väter: Beruft sich Mose auf den Schwur an die Patriarchen als Grund für das Gelingen der Landnahme (9,5), so hat Gott unter anderem aufgrund der Patriarchen von seinem Zorn gelassen (9,27) und selbst bei der Zusage des Gelingens in 10,11 auf den Schwur verwiesen. Es lassen sich zwei grundlgende Dynamiken erkennen. Einerseits bekräftigt der Blick auf die Vergangenheit Moses Ermutigung zur Landnahme (9,1–3), seine Begründung des Gelingens mit dem Schwur an die Patriarchen (9,5) und seine Charakterisierung Israels als Volk harten Nackens (9,6). Andererseits offenbart der Blick auf die Vergangenheit eine Entwicklung in der Beziehung Gottes zu Israel. Wollte Gott Israel am Horeb vernichten, so ist er nun bereit, sich für Israel einzusetzen. Im Gegensatz dazu hat sich Israels Verhalten gegenüber Gott noch nicht gewandelt. Dies soll sich nun ändern, indem Israel im Gegensatz zur Vergangenheit „hört“ (9,1), „erkennt“ (9,3.6) und „über den Jordan schreitet“ (9,1).

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3. Moses Ermutigung (Dtn 9,1–3) 3.1 Struktur und Dynamik Vor der Einzelauslegung sollen Gesamtstruktur und Dynamik des Abschnitts Dtn 9,1–3 in den Blick genommen werden. Aufgrund der komplexen Syntax erfordert dies zuerst eine vergleichende Analyse mit syntaktisch vergleichbaren Abschnitten. Zweitens kann der Abschnitt einer Kleingattung von Ermutigungsreden zugerechnet werden, was ebenfalls für die Bestimmung der Struktur und Dynamik des Abschnitts wichtig ist. Auf der Basis von Syntax und Gattungszugehörigkeit sollen sowohl die rhetorische Dynamik als auch die Struktur des Abschnitts präsentiert werden. 3.1.1 Das syntaktische Schema von Dtn 6,4–5; 9,1–3; 27,9–10 Dtn 9,1 setzt mit dem Imperativ und anschließendem Vokativ ‫ׁשמע יׂשראל‬, „Höre Israel“, ein. Wie in den gleich lautenden Höraufrufen in Dtn 4,1; 5,1; 6,4; 20,3; 27,9 und den ebenfalls imperativisch zu lesenden Vorkommnissen von ‫ ׁשמע‬plus anschließendem Vokativ ‫ יׂשראל‬in Dtn 6,3; 13,12; 21,21 wird die Moabgeneration zur Aufmerksamkeit und Hörbereitschaft aufgerufen. Während in 4,1; 5,1; 6,3; 13,12; 21,21 sofort ersichtlich ist, auf welchen Inhalt sich der jeweilige Höraufruf bezieht,1 ergeben sich für 9,1 ähnlich wie für 6,4 und 27,9b zwei Möglichkeiten. Die Antwort darauf ist entscheidend für das Verständnis des gesamten Abschnitts, da davon auch die Interpretation des W-Qatal ‫ וידעת‬in 9,3 abhängt. Erstens lässt sich der Höraufruf auf den gesamten weiteren Inhalt von 9,1–3 beziehen, was im Deutschen mit einem Doppelpunkt nach dem Höraufruf wiedergegeben würde.2 Dabei würde das W-Qatal ‫ וידעת‬in 9,3 selbst Teil des Hörinhalts sein. Derart würde er an den Nominalsatz „du schreitest heute über den Jordan“ in 9,1b anschließen und indikativisch als Fortführung des Partizips mit „und du erkennst/wirst erkennen“ gelesen.3 Es würde sich demnach in 9,3 um die sich auf die Zukunft beziehende Zusage handeln, dass Israel Gottes Beistand bei der Jordanüberquerung erkennen wird. Zweitens lässt sich der auf den Höraufruf folgende Nominalsatz „du schreitest heute über den Jordan“ als Objekt des Höraufrufs begreifen, während das W-Qatal ‫ וידעת‬den anfänglichen Höraufruf imperativisch „erkenne!“ fortführt. In diesem Fall handelt es sich in 9,3 um die sich auf die Gegenwart beziehende Aufforderung, sich vor der Jordanüberquerung Gottes Beistand zu vergewissern.

1 Im Falle von Dtn 4,1; 5,1 beziehen sich die Höraufrufe jeweils auf das durch eine Präposition eingeleitete Objekt „die Gesetze und Rechtsvorschriften“. Die in der dritten Person formulierten Aufforderungen „ganz Israel soll (es) hören“ in Dtn 13,12; 21,21 beziehen sich auf einen zuvor vermittelten Inhalt zurück. In Dtn 6,3 hat der Höraufruf kein direktes Objekt und zielt intransitiv auf eine Haltung des Hörens. 2 So etwa schon RAMBAN, Dewarim, zu Dtn 9,1 (Hg. KASNETT et al., 202). 3 Der Anschluss eines W-Qatal an einen Nominalsatz ist zwar grundsätzlich möglich, jedoch selten; siehe JOÜON / MURAOKA, Grammar, §119n.

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Struktur und Dynamik

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Die spezifische Konstruktion eines Höraufrufs + Nominal- oder Verbalsatz und einem nachfolgenden W-Qatal Satz teilt Dtn 9,1–3 mit den Abschnitten Dtn 6,4–5; 27,9b–10, für die aufgrund inhaltlicher Überlegungen nur Variante 2 in Frage kommt.4 J. Halbe spricht von einem „syntaktischen Schema“,5 das auch der Schlüssel zum Verständnis von 9,1–3 ist. Jeweils wird zunächst auf „ein aktuelles Geschehen aufmerksam“ gemacht,6 vor dessen Hintergrund eine nachfolgende Aufforderung erfolgt. Dementsprechend wird in 9,1 zunächst vom Höraufruf eingeleitet die Mission des unmittelbaren Übergangs zu Gehör gebracht und das damit verbundene Problem des scheinbar übermächtigen Feindes entfaltet. Vor diesem Hintergrund ruft Mose in 9,3 imperativisch zur Vergewisserung von Gottes Beistand auf, um sich eben dieser Herausforderung zu stellen. 3.1.2 Dtn 9,1–3 als Ermutigungsrede Erschließt sich die Syntax von Dtn 9,1–3 aus der Nähe zu Dtn 6,4–5; 27,9b–10, so lässt sich 9,1–3 aufgrund motivischer und rhetorischer Nähe im Rahmen einer Reihe von Abschnitten begreifen, die allesamt Charakteristika von Kriegsreden tragen.7 G. von Rad hat einige dieser Abschnitte eingehender unter dem Stichwort „Heiliger Krieg“ behandelt. 8 Er hob dabei die beiden Motivelemente hervor, dass Gott der eigentlich Handelnde sei und Israel sich im Gegenzug nicht zu fürchten habe. Darüber hinaus verwies M. Weinfeld auf weitere sich häufig wiederholende rhetorische Elemente in den von ihm als „military orations“ bezeichneten Reden, so den Missionsauftrag und die Zeichnung eines übermächtigen Feindes.9 R. Achenbach hat mit Anrede (Dtn 1,20; 9,1; 20,3), Lagebestimmung (Dtn 1,20; 9,1; 20,3; 31,2) und Siegeszusicherung (Dtn 1,21; 7,2.16.24; 31,3.5.7) noch weitere sich wiederholende rhetorische Elemente hervorgehoben.10 Insgesamt lassen sich im Buch Deuteronomium 13 Abschnitte finden (1,7–8; 1,21.28– 31;11 2,24–25; 2,31; 3,21–22; 6,18–19; 7,12–16; 7,17–21; 9,1–3; 11,22–25; 20,1; 20,3–4; 31,2–6.7–8), die Charakteristika von Kriegsreden tragen. Drei davon sind Gottesreden (1,7– 8; 2,24–25; 2,31), die restlichen Mosereden.12 In drei dieser Abschnitte (6,18–19; 7,12–16; 11,22–25) wird die gelingende Landnahme jeweils an eine Bedingung geknüpft. Während 4 Deutet man das W-Qatal in 6,5 als Fortführung des Nominalsatzes, müsste er indikativisch übersetzt werden und in dessen Folge auch die Reihe der nachfolgenden W-Qatal Sätze. Allerdings ist sehr deutlich, dass diese als Aufforderung zu verstehen und aus diesem Grund als Fortführung des anfänglichen Imperativs zu lesen sind; siehe VEIJOLA, „Bekenntnis“, 80. Als imperativische Fortführung des Höraufrufs können sie aber nicht zugleich von diesem Höraufruf umfasst sein; siehe H ARDMEIER, „Schema‘ Jisra’el“, 83. Interpretiert man in 27,9b–10 das W-Qatal als Anschluss an das Qatal ‫נהיית‬, würde dies besagen, dass Israel Gottes Volk geworden sei und es auf Gottes Stimme gehört habe. Wenn es das aber getan hätte, würde es nicht im anfänglichen Aufruf zum Hören aufgefordert. 5 HALBE, Privilegrecht, 57–58.98–99. 6 HARDMEIER, „Schema‘ Jisra’el“, 87. 7 Siehe z. B. VON RAD, Krieg, 68–78; WEINFELD, School, 45–51; ACHENBACH, Israel, 289–297; SCHMITT, Krieg, 72–81. 8 VON RAD, Deuteronomium-Studien, 30–34; ders., Krieg, 68–78. 9 WEINFELD, School, 45–51. 10 ACHENBACH, Israel, 289–291. 11 LOHFINK, „Darstellungskunst”, 112, behandelt die beiden Ansprachen in Dtn 1,21 und 1,28–31 wie eine einzige, da Mose in v29 die Rede von v21 „nochmals aufnimmt und so durchführt, als sei sie noch die alte…“. 12 Dies gilt auch für die Priesterrede in 20,3–4, da hier Mose zukünftige Kriegsreden sprachlich vorgibt.

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Moses Ermutigung (Dtn 9,1-3)

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hier das pragmatische Hauptaugenmerk auf der Motivation zum rechten Handeln liegt, dienen die restlichen zehn Abschnitte der Ermutigung. Sie teilen im Wesentlichen dieselben rhetorischen Elemente, die darüber hinaus einem ähnlichen rhetorischen Muster folgen, sodass von einer Kleingattung gesprochen werden kann. Jeweils werden Mission (10/10) und Gegner benannt (10/10), zur Furchtlosigkeit aufgerufen (6/10) und Gottes Beistand zugesagt (10/10), was zumeist mit einem Verweis auf frühere Taten oder Versprechen Gottes untermauert wird (7/10). In folgender Tabelle sind die Ermutigungsreden und ihre rhetorischen Elemente dargestellt: Tabelle 2: Die Ermutigungsreden und ihre rhetorischen Elemente Abschnitte

Mission

1,7–8 1,21.28–31 2,24–25 2,31 3,21–22 7,17–21 9,1–3 20,1 20,3–4 31,2–6. 7–8

1,7.8 1,21 2,24 2,31 3,21 7,17 9,1 20,1 20,3 31,7

Der (übermächtige) Gegner 1,7 1,28 2,24–25 2,31 3,21 7,17 9,1–2 20,1 20,3 31,3.4.5

Aufruf zur Furchtlosigkeit

Gottes Beistand

Historischer Verweis

–––– 1,21.29 –––– –––– 3,22 7,18.21 –––– 20,1 20,3 31,6.8

1,8 1,30 2,24.25 2,31 3,21.22 7,18–21 9,3 20,1 20,4 31,3– 5.6.8

1,8 1,30 –––– –––– 3,21 7,18–19 9,3 20,1 –––– 31,4.7

Diese Reden zielen auf textinterner Kommunikationsebene darauf ab, Israel für die bevorstehende Auseinandersetzung mit den Völkern zu ermutigen und lassen sich so als „Ermutigungsreden“ bezeichnen. Ermutigung wird da erforderlich, wo Angst herrscht. Diese wird in den Aufrufen zur Furchtlosigkeit explizit thematisiert. In 9,1–3 fehlt ein solcher Aufruf zur Furchtlosigkeit. Jedoch ist auch hier das Thema Angst zentral. 13 Dies wird besonders dadurch deutlich, dass über geteilte Motive mit der Kundschafterepisode die Ängste der Elterngeneration vor den übermächtig erscheinenden Völkern des Landes aufgerufen werden.14 Durch jeweilige Zusagen von Gottes Beistand versucht Mose diese Ängste zu nehmen, was er durch Hinweise auf frühere Zusagen und Großtaten Gottes glaubhaft macht.

13 Vgl. HARDMEIER, „Schema‘ Jisra’el“, 69. 14 Siehe dazu die Auslegung zu 9,1–2.

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Auslegung

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3.1.3 Dynamik und Struktur der Ermutigungsrede in Dtn 9,1–3 Wie auch Dtn 1,28–31; 7,17–21; 31,2b–6 zeigt Dtn 9,1–3 besonders auffällige Parallelen zur Kriegsrede der Priester in Dtn 20,3–4.15 Dtn 9,1–3 teilt mit dieser Kriegsrede, die als Ermutigung direkt vor dem Kampfgeschehen konzipiert ist, den gleichlautenden Höraufruf ‫ ׁשמע יׂשראל‬und die Darstellung der nachfolgenden Mission in Form eines Partizips, womit die Adressaten auf die bevorstehende Mission ausgerichtet werden. Die augenscheinliche Nähe von 9,1 zur Kriegsrede der Priester macht deutlich, dass der Abschnitt ganz im Stil einer Schlachtansprache beginnt.16 Nach dem eröffnenden Höraufruf wird die Mission des unmittelbaren Übergangs und das damit verbundene Problem des scheinbar übermächtigen Gegners entfaltet. Dies endet mit der Frage „Wer kann vor den Söhnen Anaks bestehen?“, was das Gefühl der Ausweglosigkeit (Aporie) hinterlässt, da Mission und Realisierbarkeit aufgrund des übermächtigen Hindernisses auseinanderklaffen. Vor diesem Hintergrund ruft Mose in 9,3 zur Vergewisserung von Gottes Beistand auf, um eben diese Herausforderung bewältigen zu können. Gott, der vor Israel als verzehrendes Feuer hinübergeht, ist die Lösung für das Problem des übermächtigen Feindes und die damit verbundenen Ängste. Die Dynamik lässt sich folgendermaßen darstellen: A. Darlegung der Mission: Der Übergang zur Landnahme B. Entfaltung des Problems: Der übermächtige Gegner (=Aporie) C. Aufruf zur Vergewisserung der Lösung: Gott zieht vor Israel hinüber Auf der Basis der dargelegten Dynamik lässt sich der Abschnitt folgendermaßen strukturieren: Dtn 9,1a–b: Darlegung der Mission Dtn 9,1c–2: Äußere und innere Widerstände Dtn 9,3: Vergewisserung von Gottes Beistand

3.2 Auslegung Dtn 9,1–3 greift zwei Schlüsselverben ‫ ׁשמע‬und ‫ אבד‬aus der unmittelbar vorausgehenden Unheilsankündigung in Dtn 8,20 auf und wiederholt sie in veränderter Sinnrichtung. Im Gegensatz zum Nicht-Hören wird Israel nun zum Hören aufgefordert und im Gegensatz zur Warnung, im Falle des Nicht-Hörens ausgetilgt zu werden, erhält Israel nun in 9,3 die Zusage, seinerseits die Völker zu vertilgen. Die zukünftige Unheilsdynamik von 8,19–20 wird damit in 9,1–3 hin zu einer gegenwärtigen Heilsdynamik gewendet, die dadurch eintreten soll, dass die Moabgeneration Moses Aufforderungen Folge leistet.

15 Zu den Parallelen zwischen Dtn 7,17–21 und Dtn 20,3–4 siehe OTTO, Deuteronomium, 852–53.1571–72; zu jenen zwischen Dtn 20,3–4 und Dtn 31,2b–6 siehe MARKL, Gottes Volk, 154. 16 So schon VON RAD, Krieg, 72–75.

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Moses Ermutigung (Dtn 9,1-3)

3.2.1 Mission: Die Überquerung des Jordan zur Landnahme Mit dem eröffnenden Höraufruf „Höre Israel“ steht am Beginn des Abschnitts das für das Buch Deuteronomium so bedeutende Motiv des Hörens, das vorwiegend einen Akt des bereitwilligen Empfangens und dem daraus folgenden Gehorsam gegenüber dem Gehörten und Sprechenden bezeichnet. Hier fokussiert der Höraufruf die Adressaten auf Israels Mission, die sich die Adressaten im Sinne eines Auftrags zu Herzen nehmen sollen. Die Mission wird im Dreischritt von Überquerung, Ankunft und Eroberung beschrieben. Die beiden Verben der Bewegung „überqueren“ (‫ )עבר‬und „kommen“ (‫ )בוא‬reihen sich in eine Liste von Bewegungsverben ein, die innerhalb des Buches Deuteronomium in unterschiedlichen Nuancierungen die Bewegung Israels in Richtung Land der Verheißung beschreiben.17 Während die Überquerung des Jordan den vorletzten Schritt darstellt, bezeichnet ‫ בוא‬die Ankunft im Land der Verheißung und somit den Endpunkt dieser Bewegung.18 Dabei vollzieht sich innerhalb des Buches Deuteronomium ein Sprachwechsel in Bezug auf die vorletzte Etappe vom Verb ‫עלה‬, „hinaufziehen“,19 zu ‫עבר‬, „überschreiten“. Beim zweiten Versuch nach dem Scheitern in Kadesch-Barnea nähert sich Israel dem Land nicht mehr von Süden über das Gebirgsland, sondern von Osten her, wo der Jordan die natürliche Grenzlinie bildet. Israel muss demnach nicht mehr hinaufsteigen, sondern den Jordan überqueren, um in das Land zu gelangen. Auffällig ist innerhalb des Buches Deuteronomium der häufige Gebrauch der Partizipialform des Verbs ‫( עבר‬19x), was auf eine Reihe von anderen Verben ebenso zutrifft.20 Bis auf das Verb ‫ צוה‬vereint alle Verben der thematische Bezug zum Land, „das Gott gibt“, „in das du hinüberziehst“, „in das du kommst“, „in das du gehst“, und „das du einnimmst“. Die auf das Land bezogenen Partizipialformen lassen sich der Redesituation entsprechend als futurum instans begreifen.21 Israel steht kurz davor, oder ist im Begriff, über den Jordan zu schreiten und in das Land zu kommen oder es einzunehmen. Gott wiederum ist im Begriff das Land Israel zu geben. Andererseits kann das Partizip auch von seinem durativen Aspekt her verstanden werden. Israel befindet sich bereits inmitten eines Übergangs, der sich in naher Zukunft vollenden wird. Mit ‫ לרׁשת‬gibt Mose das Ziel des unmittelbar bevorstehenden Übergangs an. Das Verb ‫ ירׁש‬ist der spezifische Terminus für die Landnahme und Völkervertreibung,22 während die

17 So ‫פנה‬, „sich wenden“, ‫נסע‬, „aufbrechen“, ‫הלך‬, „gehen“, ‫„ עלה‬hinaufziehen“, ‫עבר‬, „überschreiten“, ‫בוא‬ „(an)-kommen“; vgl. BRAULIK, „Landeroberungserzählung“, 128–131, der eine „systematische Abstimmung“ dieser Verben innerhalb des Deuteronomiums ausmacht. 18 Das Verb ‫ בוא‬hat eine ungemeine Bedeutungsbreite, was sich unter anderem darin zeigt, dass die LXX 150 verschiedene Äquivalente dafür gebraucht; vgl. S EEBAß, „‫“בוא‬, 537. Es kann sowohl eine zielgerichtete Bewegung bezeichnen, aber auch stärker den Erfüllungsaspekt der Ankunft betonen; vgl auch BRAULIK, „Landeroberungserzählung“, 129, dem zu Folge ‫ בוא‬die Ankunft und den Endpunkt einer Bewegung markiert. 19 Das Verb ‫ עלה‬begegnet als Bezeichnung für Israels Weg ins Land der Verheißung in Dtn 1 (vv21.22.24.26.28.41.42.43) und einmal in der zweiten Nacherzählung der Kundschafterepisode in 9,23. 20 ‫( ןתנ‬46x); ‫( צוה‬38x); ‫( ּבוא‬13x); ‫( הלך‬7x); ‫( ירׁש‬5x). 21 Siehe JOÜON / MURAOKA, Grammar, §121. 22 Das Verb ‫ ירׁש‬hat im Qal eine Doppelbedeutung. Wenn es eine Person zum Objekt hat, trägt es die Bedeutung von „ein anderes Volk in seiner Herrschaft über ein Territorium ablösen“. Ist dessen Objekt dagegen eine Sache, dann hat es die Bedeutung des „In Besitz Nehmens“; vgl. LOHFINK, „‫“ירׁש‬, 958.

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Auslegung

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anderen für Israels Mission verwendeten Verben Aspekte dieser Mission benennen. 23 Der ursprüngliche Auftrag zur Landnahme erging am Horeb. Nach dem Scheitern der Horebgeneration revidiert Gott zwar den Auftrag für diese Generation, rogiert ihn aber nicht ab.24 Die Moabgeneration erhält deswegen keine neuerliche göttliche Beauftragung in Moab, soll jedoch diesen Auftrag wie in 9,1 als den ihren erkennen. Dies umfasst mehrere redepragmatische Aspekte: 1.) Mose hält der Moabgeneration ihre eigene Situation des unmittelbar bevorstehenden Übergangs vor Augen. 2.) Dies hat ähnlich wie in der Kriegsansprache der Priester in Dtn 20,3 etwas von einer Fokussierung der Adressaten auf die bevorstehende Aufgabe, wodurch die Aussage ein appellierendes Moment enthält „Du sollst heute über den Jordan schreiten“ Die Nähe zu Dtn 6,4–5; 27,9b–10, in denen jeweils Botschaften von höchster theologischer Bedeutung zu Gehör gebracht werden, legt zudem nahe, dass auch in 9,1 eine wichtige Botschaft zu Gehör gebracht wird.25 Die nachfolgende Mission der Landnahme soll im Sinne eines bedeutenden Auftrags ins Bewusstsein gerufen werden.26 Die betonte Situierung im „Heute“ verstärkt dabei die appellierenden Beiklänge. Nicht morgen oder übermorgen soll der Übergang geschehen, sondern heute. Durch diese Emphase rückt die Aussage in die Nähe jener mit „Heute“ verbundenen Aussagen, die einen unmittelbaren Entscheidungscharakter haben (vgl. Dtn 11,26; 30,15.19). 3.) Es wird die Realisierung der bevorstehenden Mission antizipiert, wodurch das appellierende Moment auch die Nuance einer Zusage hat.

Exkurs: Schwellenmotivik Die Überquerung des Jordan ist das zentrale Element einer für das Buch Deuteronomium prägenden Schwellenmotivik, die im Folgenden in ihren einzelnen Elementen dargestellt werden soll. a) Die Schwelle: Der Jordan ist im Buch Deuteronomium mit einer Ausnahme immer mit Wortbildungen des Stammes ‫ עבר‬verknüpft. Der Fluss markiert in der Nominalverbindung „auf der Seite des Jordan“ (‫ )בעבר הירדן‬eine Grenzlinie, anhand derer Ereignisse und Orte lokalisiert werden (1,1.5; 3,8.20.25; 4,41.46.47.49; 11,30). So teilt der Jordan die Welt der Erzählung in ein Diesseits und Jenseits, die sich nicht nur als Landstriche, sondern auch als Lebenswelten unterscheiden. Mose vermittelt diesseits des Jordan, was Israel jenseits des Jordan verwirklichen soll. b) Das Land jenseits der Schwelle: Jenseits der Schwelle liegt das Land der Verheißung (3,20.25). Dieses Land unterscheidet sich von allem bisher Bekannten. Hier wird Israel Leben und Segen versprochen. Es wird empfangen, wofür es nicht gearbeitet hat (6,10), ein „gutes Land“ (9,6), das außerordentlich fruchtbar und reich an Gütern ist (8,7–10). Es 23 24 25 26

Vgl. BRAULIK, „Landeroberungserzählung“, 132. Siehe OTTO, Deuteronomium, 341. RAMBAN, Dewarim, zu Dtn 9,1 (Hg. KASNETT et al., 202, Anm. 2). So impliziert etwa OR HACHAIM, Devarim, zu 9,1 (Hg. HERZKA, 214), wenn er davon spricht, dass Israel sich eine wichtige Botschaft zu Herzen nehmen soll.

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Moses Ermutigung (Dtn 9,1-3)

übertrifft sogar das Land Ägypten, weil Jhwhs Augen immer auf es gerichtet sind und der Regen zur rechten Zeit fällt (11,10–15). Derart erscheint das Land als von Gottes Zuwendung erfüllt.27 Was es überdies besonders macht, ist der Ort, den Jhwh wählen wird, um seinen Namen dort wohnen zu lassen (12,5.11.21; 14:23.24; 16:2.6.11; 26,2). Denn dort wird Israel seinem Gott begegnen und die Freude erleben, mit ihm vereint zu sein.28 Erscheint das Land jenseits der Schwelle in diesen Beschreibungen als Land der gnadenvollen Zuwendung Gottes, so ist es auch der Ort, wo Israel den Bund in Form des Toragehorsams verwirklichen soll. Denn dort treten alle Bestimmungen des Moabbundes in Kraft (11,31–32; 12,1), von deren Erfüllung der Bestand im Land abhängig gemacht wird. Dies verweist auf die Möglichkeit einer weniger erfreulichen Geschichte, die Mose in düsteren Unheilsankündigungen warnend vor Augen hält. So wird an zwei Stellen das Motiv der Jordanüberquerung mit dem des zukünftige Landverlustes verknüpft. Die Überquerung des Jordan markiert zwar den Übergang in ein neues Leben, aber auch dieses neue Leben bleibt gefährdet und kann wieder verloren gehen (4,26; 30,18), wenn Israel die Treue zu Jhwh und seinen Bestimmungen nicht bewahrt. c) Überquerung der Schwelle: Um vom Diesseits des Jordan in das Land der Verheißung zu gelangen, muss Israel den Jordan überqueren (bes. 9,1; 31,2–3). Der Jordan ist wie schon das Schilfmeer beim Exodus als letzte Grenze entscheidender Heilswege eine Wasserbarriere. Das Schilfmeer ist die letzte Hürde, Ägypten zu verlassen, der Jordan die letzte Hürde, um in das Land der Verheißung zu gelangen. Das Motiv der Wasserbarrieren erklärt sich wohl einerseits damit, dass Gewässer natürliche Hindernisse darstellen.29 Zum anderen steckt darin eine archetypische Symbolkraft, wonach der Übergang von einer Lebensphase in die andere mit Wasser in Verbindung steht. Der Jordan markiert eine Wasserscheide, nach deren Übertritt Israel in eine neue Lebensphase eintritt, die mit bestimmten Ritualen begangen wird (27,2.4.12), und die sich vom bisherigen Leben unterscheidet, weil Israel dann die Gesetze achten und halten soll (11,31–32; 12,1.10–11). Mose thematisiert seine persönliche Geschichte des Übergangs. Er lässt seine frühere Überzeugung durchblicken, einstmals über den Jordan zu schreiten (2,29) und in 3,25 gibt er seine eindringliche Bitte wieder, hinüberziehen zu dürfen, was jedoch nur mit einem Blick in das Land vom Berg Pisga erhört wurde (3,27). Die Verwehrung seines innigen Wunsches wird auch noch gegen Ende des Buches bei der Erzählung von Moses Tod ausdrücklich wiederholt (32,52; 34,4). Josua wird statt seiner gewährt, worum Mose vergeblich bittet, was in 3,28 in hartem Kontrast zum Ausdruck kommt. Mose soll das Volk bis an die Schwelle des Landes führen, Josua aber ist der Mann für den Übergang und die Landnahme (vgl. auch 3,21; 31,3). Ein ähnliches Kontrastmotiv begegnet hinsichtlich des Volkes in 4,21–22. Mose darf nicht in das Land hinüberziehen, diejenigen aber, derentwillen es ihm verwehrt wird, werden in das Land hinüberziehen dürfen.30 27 Cf. WEINFELD, Deuteronomy, 405, to Deut 11,11: „The comparison is a theological and not a real empirical one: the rain from heaven expresses divine providence“. 28 Siehe z. B. BRAULIK, „Freude”. 29 Vgl. FIEGER, „Wasser“, 434, der sich die Motivik der Wasserbarrieren damit erklärt, dass Gewässer natürliche Hindernisse darstellen. 30 DevR zu Eikev 3 §11 (Hg. DANZIGER et al., 121) sieht diesen Kontrast als Motiv auch in Dtn 9,1 enthalten. Demnach weise Mose mit dem betonten ‫ אתה‬darauf hin, dass das Volk im Gegensatz zu ihm über den Jordan gehen wird, in der Hoffnung, Israel werde auch für seinen Übergang beten.

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Auslegung

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d) Äußere und innere Hindernisse an der Schwelle: Auf der anderen Seite des Jordan warten allerdings die furchteinflößenden Völker. Israel kann nicht ohne Kampf und Auseinandersetzung in das Land der Verheißung gelangen. Zuerst muss es die Völker überwinden, die den Zugang zum Land versperren. Die Völker stellen nicht nur ein äußeres Hindernis dar. Ihre scheinbare Übermacht flößt große Furcht ein, wie in der Kundschafterepisode (Num 13– 14; Dtn 1) herausgearbeitet wird. Die Furcht vor den übermächtigen Völkern wird durch eine Geschichte des Scheiterns verstärkt, da die Elterngeneration aus Angst vor eben diesen Völkern den Einzug ins Land nicht wagte. Die Moabgeneration muss so nicht nur ihre eigenen Ängste, sondern auch eine Geschichte des Scheiterns überwinden. e) Führer über die Schwelle: Den äußeren und inneren Hindernissen an der Schwelle hält Mose Gottes Beistand für Israel entgegen, der vor Israel hinüberzieht (9,3; 31,3) und Josua als Führer über die Schwelle beauftragt und ermächtigt (31,23). Unter Gottes Führung soll Israel alle Hindernisse überwinden, wie es auch schon das Schilfmeer durchschritten hat. Beide unüberwindlich scheinenden Grenzen werden unter der göttlichen Führung zu Orten der Machterweise Gottes, der „diese Grenze(n) aufhebt“.31 In der Welt des Textes muss die Moabgeneration von Mose Abschied nehmen, empfängt aber nun die Tora, nach der sie im Land ihr Leben gestalten soll. Dabei soll sie die rebellische Haltung der Vergangenheit überwinden und auf entschiedene Weise Gottes Bund zustimmen, der nun in Moab angeboten, aber erst jenseits des Jordan rituell begangen und vollendet wird. Das Buch Deuteronomium schildert derart Moses Vorbereitung der Moabgeneration auf den Übergang in eine neue Lebensphase. Die Überquerung des Jordan markiert dabei als geographische Grenzüberschreitung auf sehr konkret fassbare Weise diesen Übergang.32 Mose verabschiedet sich nicht nur von der Moabgeneration, sondern von ganz Israel. Genauso wenig betreffen seine Weichenstellungen für die Zukunft nur die Moabgeneration, sondern alle folgenden Generationen des Volkes Israel. Über das textinterne Kommunikationsangebot Moses werden der Einzug in das Land, die Annahme der Tora und die Zustimmung zum Bund als wesentliche Vollzüge eines Israels hervorgehoben, das an der Schwelle steht, durch eigene Zustimung Jhwhs Volk zu werden. Die textexternen Adressaten sollen dies ihrer jeweiligen Situation entsprechend mitvollziehen. Auch sie sollen zu jenem Volk werden, zu dem sie von Jhwh berufen sind. Dabei ist die textinterne Schwellensituation für textexterne Adressaten insofern eine bleibende Identifikationssituation, als es immer wieder von Neuem gilt, auf das im Buch Deuteronomium vermittelte Bundesangebot zu antworten. In diesem Sinne befinden sich die Hörer des Buches Deuteronomium immer an der Schwelle vom Hören zur bereitwilligen Antwort auf das Gehörte. Es gilt immer wieder von Neuem auf Jhwhs Bundesangebot zu antworten,33 Gottes Verheißungen zu realisieren und dabei die jeweiligen Hindernisse zu überwinden, die im Bild der übermächtigen Völker veranschaulicht werden. Dass die Erzählung des Buches den Übergang nicht schildert, hat ihren Grund wohl gerade auch in der textexternen Pragmatik. Denn all das, was danach kommt, hängt von den Rezipienten selbst ab. Der nachfolgende Erzählbogen Jos–2 Kön zeigt Wege auf, wie dem durch Mose vermittelten Aufruf entsprochen, aber vor allem auch nicht entsprochen wurde. 31 FIEGER, „Wasser“, 435. 32 Siehe dazu ausführlicher S. 194-196. 33 Vgl. dazu LENCHAK, Choose, 240, und ACHTEMEIER, Deuteronomy, 38.

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Die Zukunft der textexternen Adressaten liegt jedoch nicht nur jenseits der Grenze, an der das Buch Deuteronomium endet, sondern auch jenseits der in Jos–2 Kön beschriebenen Geschichte, von deren negativen Ausformungen sie sich positiv unterscheiden soll, indem die Adressaten sich mit ganzem Herzen Jhwh zuwenden.34 (Ende des Exkurses) 3.2.2 Die äußeren und inneren Hindernisse Israels Mission stellen sich die Völker als scheinbar unüberwindliches Hindernis entgegen. Eine annähernd so ausführliche Schilderung der Völker findet sich in 1,28, das zudem viele wörtliche Übereinstimmungen mit 9,1–2 aufweist.35 So entspricht das entworfene Bild des übermächtigen Gegners beinahe durchwegs dem Bild der Landesbewohner, mit dem die Kundschafter (1,28) der ersten Generation den Mut genommen hatten. Die übereinstimmenden Elemente sind im Folgenden dargestellt: Dtn 1,28: „Größeres und hochgewachseneres Volk als du“ Dtn 9,1: „Größere und stärkere Völker als du“ Dtn 9,2: „Ein großes und hochgewachsenes Volk“ Dtn 1,28: „Städte, groß und befestigt bis in den Himmel“ Dtn 9,1: „Städte, groß und befestigt bis in den Himmel“ Dtn 1,28: „Anaksöhne“ Dtn 9,2: „Anaksöhne“ Über die wörtlichen Übereinstimmungen hinaus folgt 9,1–2 auch der sich steigernden Reihung von „Volk/Völker“ über „Städte“ bis hin zu den „Anakitern“ als abschließende Zuspitzung. Es spannt sich ein Bogen von der Situation der Horebgeneration in KadeschBarnea zur Situation der Moabgeneration in Moab. Letztere sieht sich denselben übermächtig scheinenden Völkern gegenüber wie ihre Eltern in Kadesch-Barnea. Dabei steigert Mose die Bedrohlichkeit des übermächtigen Gegners gegenüber dem Kundschafterbericht, indem er die Stärke der Völker noch ausführlicher beschreibt. Die Attribute der Völker als „größer und mächtiger“ (‫ )ועצמים ממך‬fügt sich in eine Reihe von Mächtigkeitsattributen, die über die Adjektive „groß“ und „stark“ hinaus auch „zahlreich“ und „hochgewachsen“ umfasst (vgl. Dtn 1,28; 2,10.21; 4,38; 7,1.17; 9,1; 11,23; 20,1). All diese Attribute zeichnen das Bild eines überaus potenten Gegners, der auf Israel angsteinflößend wirkt. Angst wird auch ausdrücklich in der Kundschafterepisode thematisiert, wo davon die Rede ist, dass die „größeren und zahlreicheren Völker“ dem Volk den Mut genommen haben (1,28). Dem äußeren Hindernis entspricht so das innere Hindernis der Angst vor den größeren und stärkeren Völkern. Mit dem zweiten Objekt „Städte groß und befestigt bis in den Himmel“, wird das Bild des übermächtigen Gegners in Form seiner Lebenswelt weitergesponnen. Die Formulierung 34 Diest steht in Verbindung damit, dass auch die Bundesantwort des Volkes nicht erzählt wird. Die textexternen Adressaten sind gefordert, selbst zu antworten; siehe dazu M ARKL, Gottes Volk, 104. 35 Vgl. OTTO, Deuteronomium, 970.

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Auslegung

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entspricht wortgleich dem Kundschafterbericht in Dtn 1,28 und ähnelt den Beschreibungen in Num 13,28; Dtn 3,5; Jos 14,12. An der Schwelle erscheinen nicht nur die Bewohner des Landes in überlebensgroßer Statur, sondern auch deren Lebenswelt nimmt in Form ihrer Städte außergewöhnliche beängstigende Ausmaße an. Das Motiv der Stadt deutet auf eine hohe kulturelle Entwicklungsstufe der Völker. Mit „befestigt bis in den Himmel“ erzeugt die Beschreibung den Eindruck eines sich vor Israel unüberwindlich auftürmenden Hindernisses. Das Motiv einer bis in den Himmel ragenden Stadt begegnet in der Hebräischen Bibel nur noch in Gen 11,4, wo die Turmspitze der Stadt ebenfalls bis in den Himmel ragt: Gen 11,4: ‫נבנה־לנו עיר ומגדל וראׁשו בׁשמים‬ Dtn 1,28: ‫ערים גדלת ובצורת בׁשמים‬ Dtn 9,1:

‫ערים גדלת ובצרת בׁשמים‬

Über diese exklusive Verbindung könnte auf die Erzählung über den Turmbau zu Babel angepielt werden, um deren negative Konnotationen aufzurufen.36 So wie Babel erscheint die Lebenswelt der Völker als Hochkultur, die den Himmel zu stürmen scheint, deren Hybris jedoch Gott nicht standhalten wird können (Gen 11,8; Dtn 9,3).37 Wie im Kundschafterbericht (Dtn 1,28) gipfelt die Beschreibung im Motiv des „großen und hochgewachsenen” Volkes der Anakiter, die innerhalb des Pentateuchs vor allem in den beiden Versionen des Kundschafterberichts ihren Ort haben (Num 13,22.28.33; Dtn 1,28). Die besondere Charakteristik der Anakiter findet Ausdruck im Attribut ‫רם‬, „hochgewachsen“, (vgl. Dtn 1,28; 9,2), das sonst im Pentateuch nur den Emitern (Dtn 2,10) und den Rafaitern (2,20) jeweils mit den Anakitern als Referenzpunkt zugesprochen wird. Durch ihren hohen Wuchs repräsentieren die Anakiter die Überlegenheit der Völker. In Num 13,33 wird der Eindruck der Anakiter auf Israel eindringlich beschrieben „Wir kamen uns selbst klein wie Heuschrecken vor, und auch ihnen erschienen wir so.” In ihrer riesenhaften Gestalt kristallisiert sich in besonderer Weise die Angst einflößende Überlegenheit der Völker. Mit „die du kennst“ gibt Mose zu verstehen, dass Israel aus eigener Erfahrung Kenntnis über sie erlangt hat. Da sich Israels einzige Begegnung mit den Anakitern in der Kundschafterepisode zutrug, kommt in der Welt des Textes nur diese als Referenzpunkt in Frage.38 Das zweite Glied des Relativsatzes „von denen du gehört hast“ leitet ein nachfolgendes Zitat in Form der rhetorischen Frage ein „Wer kann vor den Anakitern bestehen?“, das von der sprichwörtlichen Überlegenheit der Anakiter handelt.39 Damit endet die Beschreibung der 36 Zur negativen Bewertung einer Urbanideologie in Gen 11,1–9 vgl. OTTO, „‫“עיר‬, 69. 37 Zur Diskussion über die Bewertung des menschlichen Verhaltens und der göttlichen Reaktion in Gen 11 siehe FISCHER, Genesis 1–11, 624–630. 38 Vgl. RAMBAN, Dewarim, zu Dtn 9,1 (Hg. KASNETT et al., 202), der einen Hinweis auf den Kundschafterbericht sieht, durch den Israel Kenntnis über die Anakiter erlangt hat. 39 Mehrere Argumente sprechen dafür, hier eine Art Sprichwort zu identifizieren. (1.) Das Gehörte wird nicht in indirekter Rede wiedergegeben, sondern in Form einer Zitierung einer fest gesetzten Formulierung. (2.) Ähnliche Formulierungen finden sich in Spr 27,4; Ps 147,17; vgl. WEINFELD, Deuteronomy, 405. (3.) Der Yiqtol des Prädikats ‫ יתיצב‬suggeriert auch einen durativen Aspekt, der in besonderer Weise auf die allgemeine Gültigkeit eines zum Sprichwort gewordenen Inhalts passt.

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Völker. Die Moabgeneration steht vor der Aufgabe, Gottes Auftrag zur Landnahme auszuführen, sieht sich jedoch sprichwörtlich unbezwingbaren Gegnern gegenüber. Die Mission Israels scheint angesichts dessen zum Scheitern verurteilt. Es stellt sich die Frage, welches Ziel diese so ausführliche Hervorhebung der Übermacht des Gegners verfolgt. Zum einen benennt Mose die Angst einflößenden Elemente im Einzelnen, um eben diesen die Wirkkraft zu nehmen. Rhetorisch bedient er sich des Stilmittels einer concessio, wonach zunächst tatsächliche oder mögliche Einwände aufgegriffen werden, um diese später umso wirkungsvoller zu entkräften, wie es im nachfolgenden v3 geschieht. Zudem macht er durch die wörtlichen Verknüpfungen mit Dtn 1,28 deutlich, dass die Moabgeneration demselben Problem verbunden mit denselben Ängsten wie die erste Generation gegenübersteht.40 Die Erfüllung der Mission wird so auch als Überwindung einer Geschichte des Scheiterns erkenntlich gemacht. 3.2.3 Vergewisserung von Gottes Beistand Nach der Darstellung der Mission und ihrer äußeren und inneren Hindernisse fordert Mose in v3 mit dem Aufruf „Erkenne!“ (‫ )וידעת‬zur Erkenntnis von Gottes Beistand auf.41 Mose versucht seine Hörer im Laufe seiner Reden zu einer vertieften Erkenntnis (‫ )ידע‬Gottes zu führen.42 In Dtn 4,32–40; 7,6–11; 8,2–6; 11,2–8 sollen die Adressaten aus der Geschichte, vor allem aus dem Exodus und den Horebereignissen, Gotteserkenntnis gewinnen, die schließlich zum Gebotsgehorsam motivieren soll.43 Die Erkenntnismahnung in 9,3 steht in dieser Reihe von auf Gotteserkenntnis zielenden Erkenntnismahnungen. Allerdings unterscheidet sie sich von den übrigen insofern, als Mose nicht zuerst auf die Geschichte als Quelle der Gotteserkenntnis verweist, sondern die Erkenntnis des zukünftigen Handelns Gottes einfordert. Israel soll Gottes Beistand im gegenwärtigen Moment der bevorstehenden Landnahme zur inneren Gewissheit werden lassen. Die Erkenntnismahnung ist so im Sinne einer „Vergewisserung“ zu verstehen, 44 was pragmatisch darauf hinausläuft, sich aus dieser Gewissheit heraus Gott anzuvertrauen,45 seine Ängste abzulegen und so die äußeren und inneren Hindernisse zu überwinden, die sich der Landnahme entgegenstellen. Jedoch ist diese angemahnte Erkenntnis nicht erfahrungs- oder voraussetzungslos. Sie beruht auf bereits ergangene Machttaten Gottes, auf die die Erzählstimme in 2,10,21 und Mose im Laufe seiner Rede mehrmals hingewiesen hat. Das „Heute“ der Erkenntnismahnung verknüpft sich mit dem „Heute“ des Übergangs in 9,1.46 So wie dieses „Heute“ bezieht es sich auf die gegenwärtige Situierung in Moab und erstreckt sich bis zur Überquerung des Jordan. Noch vor dem Übergang soll die Moab40 Vgl. PAGANINI, Deuteronomio, 214. 41 Zum imperativischen Verständnis von ‫ וידעת‬siehe S. 48–49. 42 Die von Israel eingeforderte Erkenntnis hat insgesamt einen theologischen Schwerpunkt, da sie mit Ausnahme der Erkenntnismahnung in Dtn 9,6 immer auf eine Erkenntnis Gottes oder seines Handelns abzielt. 43 Siehe BRAULIK, „Geschichtserinnerung“, 165–183, bes. 175–182. 44 HARDMEIER, „Geschichten“, 107, fasst die Erkenntnismahnung treffend unter den Begriff der „Vergewisserung“. 45 So schon OR HACHAIM, Devarim, zu 9,3 (Hg. HERZKA, 217); siehe auch HARDMEIER, „Geschichten“, 107, der Dtn 9,1–3 einer „Vertrauens-Thematik“ zuordnet. 46 Vgl. z. B. GOMES DE ARUJO, Wüste, 186.

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Auslegung

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generation sich Gottes Beistand anvertrauen, damit sie bereit werden, den entscheidenden Schritt über den Jordan zu wagen. In demselben Vertrauen sollen sie dann den Jordan überqueren und die Landnahme beginnen. Durch die Partikel ‫ כי‬wird der nachfolgende Inhalt der Vergewisserung in Form eines Objektsatzes eingeleitet, der durch drei ‫הוא‬-Konstruktionen strukturiert ist, die auf dreifache Weise Gottes Handeln zum Ausdruck bringen. Gegen die Leseart von J. W. Dyk und E. Talstra des ersten Satzgliedes als „Jhwh, dein Gott, – er, der vor dir hinübergeht, – ist ein verzehrendes Feuer“ und für die traditionelle Leseweise als „Jhwh, dein Gott, er ist es, der vor dir hinüberzieht als verzehrendes Feuer“ sprechen folgende Gründe: 1.) In der alternativen Leseart würde das Motiv des hinüberschreitenden Gottes als eingeschobene Parenthese an Bedeutung verlieren und die Aussage, dass Gott ein verzehrendes Feuer ist, ins Zentrum gestellt. In 9,1b war aber gerade der Schritt des Übergangs zentral. Da die Moabadressaten den bevorstehenden Übergang nicht wagen könnten, wird ihnen vor Augen gehalten, dass Gott vor ihnen hinüberzieht. Dem Abschnitt würde in der alternativen Leseart somit etwas von seiner Sinnspitze genommen. 2.) Die erste ‫הוא‬-Konstruktion würde in der alternativen Leseart als Teil der Parenthese nicht den zwei nachfolgenden ‫הוא‬-Konstruktionen als jeweiliges Hauptsatzglied entsprechen. Eher ist jedoch von einer parallelen Komposition dreier mit ‫ הוא‬konstruierter Hauptsatzglieder auszugehen (vgl. LXX). 3.) Innerhalb des Buches Deuteronomium begegnen drei weitere Formulierungen (3,22; 31,6.8), die exakt dem gleichen Muster von determiniertem Substantiv - Pronomen determinierter Partizipialform folgen. Hier wird jeweils mittels des emphatischen Personalpronomens ‫ הוא‬betont, dass Gott das Subjekt der Aussage darstellt und niemand anderer.47 Auf entsprechende Weise wird im 9,3 betont, dass Jhwh vor Israel hinübergeht und die Moabadressaten so nicht ihren eigenen Kräften überlassen werden. Gottes Beistand für Israel wird im Buch Deuteronomium mehrmals mit Verben der Bewegung umschrieben. So geht Jhwh in 1,30.33; 31,8 Israel voraus (‫ פנה‬+ ‫ )הלך‬oder er geht „mit“ (‫ )עם‬Israel (20,4; 31,6). In 9,3 überquert er wie in 31,3 vor Israel ( ‫ פנה‬+ ‫ )עבר‬den Jordan. Waren zunächst die Stämme Ruben und Gad sowie der Halbstamm Manasse (3,18) und dann vor allem Josua (3,28; vgl. 31,3) zum Führer über die Schwelle erklärt worden, so hebt Mose in 9,3 und 31,3 hervor, dass letztendlich Jhwh es ist, der vor Israel hinüberschreitet.48 Das Motiv des „vorüberschreitenden Gottes“ lässt Gottes Handeln in Ägypten und am Horeb anklingen.49 In Ägypten verschonte er im „Vorüberschreiten“ (‫ )עבר‬Israel und schlug die Ägypter (Ex 12,12.23), um ein Strafgericht gegen Ägypten zu halten,50 was nun in ähnlicher Weise an den Völkern Kanaans geschehen soll, da sie aufgrund ihrer „Verderbtheit“ (Dtn 9,5) vertrieben werden. Außerdem verweist das Verb ‫ עבר‬auf die große Rettungserfahrung am Schilfmeer (Ex 15,16), als Gott Israel durch das Meer „hindurchziehen“ ließ. Am Sinai/Horeb (Ex 33,19.22; 34,6) zog Gott dagegen an Mose 47 MURAOKA, „Tripartite”, 199. 48 Vgl. SCHÄFER-LICHTENBERGER, Josua, 185, der auf Gottes Vorrang und schützende Rolle gegenüber Josua hinweist. 49 Es findet sich auch in neuassyrischen Ermutigungsreden wie etwa NAP 1.6. 50 Zum Aspekt des Gerichts in Ex 12 siehe FISCHER / MARKL, Exodus, 134.

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Moses Ermutigung (Dtn 9,1-3)

vorüber (‫)עבר‬, um ihm seine Herrlichkeit und Schönheit zu offenbaren. Diese Selbstoffenbarung mündete in die göttliche Zusage, in eigener Person die Völker zu vertreiben (Ex 34,10–11). Die Moabgeneration soll nun die Erfüllung dieser Zusage erfahren, wenn Jhwh vor ganz Israel den Jordan überschreitet und so seine Zusage einlöst. 51 Mit dem adverbialen Akkusativ ‫ אׁש אכלה‬präzesiert Mose, dass Gott „als verzehrendes Feuer“ vor Israel über den Jordan zieht. Das Motiv des Feuers ist im Buch Deuteronomium sehr eng mit Jhwh verbunden,52 da sich die Mehrheit der Belege auf theophanische Szenen beziehen. Am häufigsten begegnet das Motiv im Kontext der Horebtheophanie. Aus der Ferne wird die Theophanie derart geschildert, dass der „Berg in Feuer brannte“ (Dtn 4,11; 5,23; 9,15). Aus größerer Nähe tritt Jhwh selbst in den Blickpunkt, der aus diesem Feuer heraus spricht (z. B. 4,12; 5,4.22–26; 9,10; 10,4). Gottes Gestalt wird nicht gesehen (4,12). Das Feuer ist jedoch der äußerste Ausdruck dessen, was von seiner Erscheinung wahrgenommen wird (4,36; 18,16). Es bringt seine unfassbare, „intensive“, leidenschaftliche und zugleich gefährliche Gegenwart zum Ausdruck,53 die auf ambivalente Weise Staunen (4,33) und Furcht (5,5.25; 18,16) hervorruft, Nähe zulässt (5,4.24) und zugleich Scheu bewirkt (5,25–26; 18,16). In Verbindung mit dem Motiv des „Verzehrens“ (‫ )אכל‬begegnet Gottes Feuer ebenso im Sinai-/Horebkontext. In Ex 24,17 wird die Erscheinungsform der göttlichen Herrlichkeit ausdrücklich als „verzehrendes Feuer“ umschrieben und in Dtn 5,25 drücken die Israeliten ihre Angst aus, dass Gottes Feuer sie „verzehren“ könnte. In Dtn 4,24 wird das Motiv des „verzehrenden Feuers“ aus dem Theophaniekontext mit dem Motiv des „eifernden Gottes“ aus dem Gebotskontext (Dtn 5,9) verknüpft.54 Wenn Israel den Bund vergisst und gegen das Bilderverbot verstößt, wird sich eben dieses verzehrende Feuer vom Horeb gegen Israel wenden, da Gott ein leidenschaftlicher Gott ist, der keine Fremdgötterverehrung duldet (4,24–26). Darin zeigt sich die für Israel bedrohliche Seite Gottes (vgl. auch Dtn 32,33). In Gottes Nähe zu sein, birgt die Gefahr bei Fehlverhalten von seinem leidenschaftlichen Eifer gerichtet und verzehrt zu werden (vgl. Num 11,1; 16,35; 26,10). Davon sprechen auch die Propheten, wenn sie ankündigen, dass sich Gott als verzehrendes Feuer gegen Israel und Jerusalem wenden wird (z. B. Jes 10,16–17; Klgl 2,3; 4,11; Ez 23,25; Hos 8,14; Am 2,5). In Dtn 9,3 wird das Motiv des Feuers mit jenem des sich für Israel einsetzenden „göttlichen Kriegers“ verbunden, was innerhalb des Buches Deuteronomium einzigartig ist und seine nächsten Parallelen in Jes 26,11; 30,27.30 hat. Gott, der am Horeb aus dem Feuer heraus gesprochen hat und sich in der Beziehung mit Israel als verzehrendes Feuer und eifernder Gott zu erkennen gibt, setzt eben dieses Feuer für Israel ein, um ihm die Landnahme zu ermöglichen. Hier wird die Landnahme als Ausdruck der Leidenschaft Jhwhs für sein Volk dargestellt. Zudem klingt die mosaische Paränese zur Zerstörung der Kultbilder (Dtn 7,5.25) und Kultpfähle (Dtn 12,3) „im Feuer“ (‫ )באׁש‬an. Wie Israel die fremden

51 Dieser Bezug ist über die vielen motivischen und lexematischen Verknüpfungen von Dtn 9,1–6 und Ex 33–34 zu verfolgen; siehe dazu ausführlicher S. 180–182. 52 Vgl. HAMP, „‫“אׁש‬, 459. 53 Siehe MARKL, „Gott“, 202. 54 Siehe dazu OTTO, Deuteronomium, 569.

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Auslegung

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Kultgegenstände im Feuer zerstören soll, so wendet sich Gott nun als verzehrendes Feuer gegen jene Völker, die mit diesen Kultgegenständen ihre Götter verehren.55 Gottes Beistand für Israel wird in weiterer Folge mit „er wird sie vernichten“ als umfassende Überwindung gezeichnet. Die Vernichtung bezeichnet den Endpunkt des im Buch Deuteronomium in unterschiedlichen Nuancierungen beschriebenen göttlichen Beistands bei der Landnahme. In den Wendungen, Gott habe das Land vor Israel hingegeben oder die Völker in Israels Hand (Gewalt) gegeben, tritt Gott nicht selbst in Aktion, aber übergibt als Lenker der Weltgeschichte das Land an Israel. Indem Gott den Völkern Angst und Schrecken vor Israel ins Gesicht zeichnet (2,25; 11,25), ihnen Verzweiflung sendet (7,20) und sie in Verwirrung stürzt (7,23) greift Gott in Form einer psychologischen Kriegsführung ein. Mit der Zusage, in Israels „Mitte“ (7,21) und „mit“ Israel (20,1; 31,8; 31,23) zu sein, verheißt Mose Gottes Beistand im Kampfgeschehen. Schließlich kündigt Mose an, dass Gott für Israel kämpfen wird (1,30; 3,22; 20,4).56 Als solcher wird er die Völker „verjagen“ (‫ ;הדף‬6,19; 9,4), sie „aus dem Weg räumen“ (‫ ;נׁשל‬7,1.22), sie „entwurzeln“ (‫ ;כרת‬12,29; 19,1) und sie vor Israel „hertreiben“ (‫ ;גרׁש‬33,27). Die Zusagen in 7,23; 9,3; 31,3.4, dass Gott die Völker vernichten werde (‫)ׁשמד‬, bringen das umfassende Gelingen der Landnahme und die völlige Niederlage der Völker zum Ausdruck. Bereits die antiquarischen Notizen in 2,21.22, wo der Erzähler Gott als Herr des Landes schildert, der Völker vernichtet habe (‫)ׁשמד‬, um ihr Land anderen Völkern zu geben, weisen auf Gottes Macht und Willen voraus, die Landnahme als „Ziel von Schöpfung und Völkergeschichte“ gelingen zu lassen, indem er an den Völkern Kanaans ebenso handeln wird wie an diesen Völkern, die er vernichtet hat.57 Mit „er wird sie vor dir beugen“ schließt die Beschreibung von Gottes Beistand für Israel. Das Verb ‫ כנע‬bezeichnet transitiv einen Akt des „Unterwerfens“. Es verweist es in diesem Zusammenhang nicht nur auf den Prozess und Akt der Unterwerfung, sondern auch „auf den Verlust des Prestiges, die Schmach und Schande des Unterliegens“ auf Seiten der Unterworfenen.58 So wird der zuvor in seiner ganzen Pracht beschriebene Gegner, dem im Motiv der bis zum Himmel befestigten Städte auch eine Art Hochmut zugesprochen wurde, nun einem Akt der demütigenden Unterwerfung unterzogen.59 55 Die Beschreibung des göttlichen Kriegers mit Feuermotiven begegnet auch in assyrischen Texten, die den göttlichen Krieger mit Bildern aus dem Bereich der Naturgewalten zeichnen. Assurbanipal beschreibt die Göttin Ištar als mit Feuer umkleidet, die Flammen auf Arabien regnen lässt (A IX 75–89); siehe WEIPPERT, „Heiliger Krieg“, 480. Ein ähnliches Motiv findet sich in NAP 3.3, wo Gott Aššur König Asarhaddon zusagt, er werde seine Gegner vom Feuer verschlingen lassen; siehe W EIPPERT, „Heiliger Krieg“, 482. Ebenfalls an Asarhaddon gerichtet ist die Sprucheinheit der Göttin Ištar in NAP 1.6, in der sie ihm ein „fressendes Feuer“ zu seiner Linken zusichert; siehe WEIPPERT, „Assyrische“, 84–86. Wenn die Propheten Israels Jhwh in entsprechender Rhetorik zeichnen, dann greifen sie diese Fremdperspektive auf, geben jedoch zu erkennen, dass nicht die Götter der Völker, sondern Israels Gott selbst sich in Form eines Strafgerichts gegen sein eigenes Volk wendet. Jes 26,11; 30,27.30 richtet sich die entsprechende Rhetorik gegen die Völker. Jhwh verzehrt nun mit Feuer jene Völker, die auf die Feuerkraft ihrer Götter vertrauten. 56 Zur genaueren Analyse siehe BRAULIK, „Gott kämpft“, 209–223. 57 Siehe dazu OTTO, Deuteronomium, 435–436.439. 58 WAGNER, S., „‫“כנע‬, 218. 59 Vgl. RAMBAN, Dewarim, zu Dtn 9,3 (Hg. KASNETT et al., 204–205). Das Motiv der Demütigung der Hochmütigen begegnet auch in den neuassyrischen Königsinschriften; siehe ODED, War, 33.

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Moses Ermutigung (Dtn 9,1-3)

Auf diese Zusagen des göttlichen Beistands folgt die Zusicherung des Erfolgs, Israel werde die Völker völlig vertreiben und schnell austilgen. Das erste Glied der Zusicherung „ihr werdet vollständig vertreiben“ (Hifil von ‫ )ירׁש‬reiht sich in eine Reihe von expliziten Zusagen der gelingenden Landnahme und Völkervertreibung (Dtn 1,39; 4,22.38; 11,23; 30,5; 31,3) ein.60 Das „Austilgen“ (‫ )אבד‬folgt der Landnahme insofern chronologisch nach, als es sich nicht auf die eigentlichen Kampfhandlungen bezieht, sondern auf das Verwischen der Spuren dieser Völker. So werden auch diejenigen, die sich versteckt haben, „zugrunde gehen“ (7,20) und Israel soll den Namen ihrer Könige und ihrer Gottheiten (7,24; 12,3) sowie ihre Kultstätten (12,2) „austilgen“. Es soll ihnen also nicht nur die Herrschaft über das Land entrissen, sondern alle Spuren ihrer Größe, ihres Kultes und ihrer Gottheiten verwischt werden. Dabei dienen sie als warnendes Zeichen für Israel, dem es ebenso ergehen wird, wenn es sich anderen Göttern zuwendet (4,26; 8,19; 11,17; 30,18), nicht auf Gottes Stimme hört (8,20) und Jhwh verlässt (28,20.22.51.63). Der Austilgungsprozess wird mit dem Adverb ‫„ מהר‬schnell“ näher beschrieben. Dies steht in Spannung zur Aussage in 7,22, Gott würde die Völker nur „nach und nach“ ( ‫מעט‬ ‫ )מעט‬aus dem Weg räumen und Israel könne die Völker nicht schnell verschwinden lassen. Mehrere Kommentatoren lösen die Spannung damit, dass sie ‫ מהר‬in 9,3 nicht als Ausdruck der Geschwindigkeit, sondern als Ausdruck der Mühelosigkeit interpretieren.61 E. Otto sieht dagegen einen gewollten Widerspruch zu 7,22, der eine unterschiedliche Auslegung von Ex 23,29–30 widerspiegele. Während Dtn 7,22 die göttliche Verheißung in Ex 23,29–30 aufgreift und bestätigt, deute Dtn 9,3 diese Verheißung angesichts der Rebellion am Gottesberg um. Obwohl Israel „schnell“ vom Weg abgewichen ist (9,12.16), wird Gott Israel das Land „schnell“ in Besitz nehmen lassen.62 Somit wird der Gegensatz von Israels und Gottes Handeln deutlich hervorgehoben. Die Erfolgszusicherung endet mit einem Rückverweis auf eine früher ergangene Zusage Gottes „wie es dir Jhwh zugesagt hat“, womit Mose seine eigene Zusage mit göttlicher Autorität versieht. Auf welches Gotteswort sich die Zusage in 9,3 bezieht, ist schwierig zu bestimmen, da sich eine Aussage der schnellen Austilgung sonst weder im Buch Deuteronomium noch im restlichen Pentateuch findet.63 Wahrscheinlicher jedoch ist, dass sich der Rückverweis nicht auf die Zusage der schnellen Austilgung, sondern auf die aktive Rolle Gottes bei der Vertreibung der Völker bezieht. Diese Zusage erging am deutlichsten am Sinai/Horeb (Ex 33,2; 34,11), wo Gott in einem schrittweisen Einlenken schließlich zusagte, in eigener Person die Völker zu vertreiben.

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Zur Bedeutung des Hilfils von ‫ ירׁש‬als „vollständig vertreiben“ siehe OTTO, Deuteronomium, 586. So schon EHRLICH, Randglossen, 275–276. OTTO, Deuteronomium, 971. WEINFELD, Deuteronomy, 406, schlägt Ex 23,23.27.31 vor. Allerdings ist in Ex 23,29 gerade von einer allmählichen Vertreibung die Rede. SKWERES, Rückverweise, 31–34, verweist auf Dtn 7,21–24, für das er jedoch selbst zwei Gegenargumente anführt, so den offensichtlichen Widerspruch der schnellen Vertreibung in 9,3 zur allmählichen in 7,22 sowie die Tatsache, dass 7,17–24 keine Gottesrede, sondern eine Moserede ist.

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Textexterne Pragmatik

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3.3 Textexterne Pragmatik In der Auslegung wurde in besonderer Weise die textinterne Perspektive eingenommen. Auf dieser Kommunikationsebene ermutigt Mose die Moabgeneration zur Überschreitung des Jordan, um die Landnahme zu beginnen. Angesichts der riesenhaft erscheinenden Völker, vor denen die Eltern zu Fall kamen, ruft er dazu auf, dass sie sich Gottes Beistand vergewissern, sich ihm anvertrauen und so ihre Ängste überwinden. Um die textexterne Pragmatik zu erörtern, muss der Kurzabschnitt innerhalb größerer Zusammenhänge des Buches Deuteronomium betrachtet werden. Er ist Teil einer Dynamik der Ermutigung zur Landnahme, die sich über das gesamte Buch hinweg entwickelt.64 Hierbei sind der Ursprungsauftrag zur Landnahme am Horeb und die Kundschafterepisode aus Dtn 1 zentral. Nach der Darlegung des göttlichen Ursprungsauftrags am Horeb erzählt Mose in 1,19–45 ausführlich von der Verweigerung dieses Auftrags durch die Horebgeneration. Unmittelbar nach dem Scheitern der Eltern verhieß Gott jedoch (1,35–40), dass Josua und die Kinder (v39) in das Land kommen und es einnehmen würden. Die Nacherzählung des Scheiterns der Eltern mündet in die Verheißung des Gelingens für die nachfolgende Generation. Damit ist eine der Grunddynamiken des Buches Deuteronomium ausgespannt. Die Moabgeneration soll nun den am Horeb ergangenen Auftrag zur Landnahme erfüllen, an dem die Eltern gescheitert waren. Dazu ermutigt Mose in den besagten Ermutigungsreden, wobei in Dtn 9,1–3 und 31,2–8 der Schritt über die Schwelle des Jordan besonders in den Blick genommen wird. Autoren zeichneten mit diesen Eckpunkten eine Situation in der Spannung eines vergangenen Scheiterns und einer zukünftigen Erfüllung des göttlichen Auftrags zur Landnahme, wobei sie die Moabgeneration unmittelbar vor der Realisierung dieses Auftrags an der Schwelle zum Land der Verheißung verorteten. Sie entwickelten in der Welt der Erzählung eine Schwellensituation, die dazu dient, den Hörer zu einer entschiedenen Antwort auf Jhwhs durch Mose vermitteltes Bundesangebot zu bewegen.65 Zudem lässt die narrative Konstellation bei aller Vorsicht Rückschlüsse auf die Situation der Autoren und ihrer Erstadressaten zu. Wenn man die Situierung der Moabgeneration unmittelbar an der Schwelle zum Land nicht nur als fiktiven Baustein der Erzählung deutet, sondern darin auch die historische Situation der Autoren und ihrer Erstadressaten reflektiert sieht, würde das entfaltete Szenario am besten zu Diasporajuden der exilischen oder nachexilischen Zeit passen, wobei aufgrund der in 9,4–6 erfolgten Perspektive einer bereits gelungenen Landnahme die nachexilische Zeit zu favorisieren ist, wo Teile des Volkes heimgekehrt, andere aber in der Fremde geblieben waren. Ihre Eltern hatten das Land der Verheißung nicht betreten. Sie aber sollten sich wie die Moabgeneration aufmachen, in das Land der Verheißung einzuziehen.66 Die Prominenz des Motivs der angsteinflößenden Völker könnte wiederum darauf hindeuten, dass dieses Unternehmen mit vielen Ängsten und Unsicherheiten verbunden war. Die Adressaten sollten sich wie die Moabgeneration Gottes Beistand vergewissern und sich ihm anvertrauen, um alle äußeren und inneren Hindernisse zu überwinden und so den ursprünglichen Auftrag vom Horeb erfüllen zu können. 64 Vgl. MARKL, Gottes Volk, 141.295. 65 Siehe S. 55–56.194–196. 66 Vgl. besonders MARKL, Gottes Volk, 295–297, der die implizite Leserschaft analog zur Moabgeneration an einer Schwelle verortet sieht, die die Schwelle zwischen Exil und Heimkehr sei.

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Moses Ermutigung (Dtn 9,1-3)

3.4 Kriegsideologie und -rhetorik in Dtn 9,1–3 In Kritik der These von G. Von Rad, das Konzept des „Heiligen Krieges“ sei ein Proprium des altisraelitischen Stämmeverbandes, hat M. Weippert aufzuzeigen versucht, dass assyrische Königsinschriften ein eben solches Konzept des „Heiligen Krieges“ widerspiegeln und deshalb von einer „gesamtorientalischen Kriegspraxis und -ideologie“ zu sprechen sei.67 Darstellungen altorientalischer Kriegsideologien und Analysen der darin reflektierten Gedankenwelt wurden z. B. von B. Oded, M. Liverani oder E. Otto unternommen.68 Von besonderem Interesse in Hinblick auf Moses Ermutigungsreden im Buch Deuteronomium sind neuassyrische Prophetien (NAP) aus der Zeit Assarhaddons (680–669 v. Chr.) und Assurpanibals (669–629 v. Chr.), da diese eine besondere motivische und rhetorische Nähe zu den Ermutigungsreden des Buches Deuteronomium aufweisen. Schon seit A. Delattre im Jahre 1888/89 wurden Parallelen zwischen alttestamentlichen Texten und den neuassyrischen Prophetien wahrgenommen.69 Dabei wurde vor allem auf Parallelen zwischen diesen und der Nathansweissagung 2 Sam 7,4–17* sowie weiteren Königsorakeln hingewiesen.70 Darüber hinaus wurden auffällige Parallelen zu den Königspsalmen aufgezeigt.71 Die Parallelen beziehen sich auf die Zeichnung der intimen Beziehung der Gottheiten mit den Königen, den vielfältigen Aufrufen zur Furchtlosigkeit, wiederholten Zusagen des göttlichen Beistands angesichts innerer und äußerer Konflikte und Verheißungen vielfacher Art. Ähnliche Parallelen finden sich in Jes 7,1–4; 41,8–13.14–16; 42,6f; 43,1–7; 44,1f; 45,1–7; 46,9–11; 48,12,72 wobei sich im Buch Jesaja diese Rhetorik der Ermutigung nicht an den König, sondern an das ganze Volk richtet (Jes 10,24–25; 43,1–7). Weniger berücksichtigt wurde, dass auch das Buch Deuteronomium eine ähnliche Rhetorik der Ermutigung teilt.73 Dabei zeigen die Ermutigungsreden zur Landnahme mit den Elementen des Aufrufs zur Furchtlosigkeit, der Zusage göttlichen Beistands und den Verweisen auf frühere Machttaten angesichts bevorstehender kriegerischer Auseinandersetzung eine besonders große Nähe insbesondere zu den neuassyrischen Prophetien auf den Tafeln NAP 1.1 und NAP 1.6.74 Wie im Buch Jesaja ist auch im Buch Deuteronomium das Volk und nicht der König Adressat der durch einen Propheten vermittelten göttlichen Ermutigung. Die in Israels Umwelt belegte Rhetorik der Ermutigung wird so auf das Volk gewendet, das die Stelle des Königs einnimmt.

67 68 69 70 71 72 73 74

WEIPPERT, „Heiliger Krieg“, 487. ODED, War; LIVERANI, „Guerra“; Otto, Krieg. DELATTRE, Oracles, 25.27. Siehe WEIPPERT, „Königsprophetie“, bes. 107–11; ders., „Herkunft“, 58–59. Dieser Tradition rechnet er 1 Sam 10,1b.7b; 2 Sam 7,4–17*; 1 Kön 11,31–39*; 2 Kön 9,6b–10; Hag 2,20–23; Sach 4,6; 6,9–15; Ps 2,6–9; 21,9–13; 89,4f.20–38; 110; 132,11f. zu. HILBER, „Prophecy”, 161–186. Siehe WEIPPERT, „Ich bin Jhwh“; ders., „Herkunft“, bes. 53–56. Auf Parallelen zu neuassyrischen Kriegsorakeln und spätere Transformation altorientalischer Kriegsmetaphorik im Buch Deuteronomium verweist OTTO, Deuteronomium, 874.876–877.1076.1576.1603– 1604. Die hier verwendete Angabeform (NAP=Neo-Assyrian Prophecies) ist PARPOLA, Assyrian Prophecies, entnommen.

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Kriegsideologie und -rhetorik in Dtn 9,1–3

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In welcher literaturgeschichtlichen Beziehung die Ermutigungsreden des Buches Deuteronomium zu den neuassyrischen Texten steht, ist schwer zu beurteilen. Deutlich ist, dass vorexilische biblische Autoren in intensiver Auseinandersetzung mit der neuassyrischen politischen Theologie und Reichsideologie standen und dabei auch deren Rhetorik rezipierten. Die Rezeptionen neuassyrischer Vorlagen verfolgten unterschiedliche Strategien, tendierten aber in vielen Fällen zu subversiver Kritik.75 Diese Rezeptionen neuassyrischer Motivik des 7. Jahrhunderts war in vielerlei Hinsicht prägend für den Pentateuch und wirkte literarisch bis in die nachexilische Zeit im 5.–4. Jahrhundert nach, wo die einmal gelegten Bahnen fortgeschrieben wurden. Auch die Erzählung über die Vorbereitung auf die Landnahme im Buch Deuteronomium bediente sich an Motiven und rhetorischen Mustern, aber auch ideologischen Konzeptionen, deren Wurzeln bis zurück zur neuassyrischen Kriegsideologie und -rhetorik reichen. Biblische Autoren stellten die Landnahme unter göttlichen Befehl analog zu neuassyrischen Texten, in denen Kriege durch den Befehl der Götter legitimiert wurden.76 So wie diese zeichneten sie Jhwh als göttlichen Krieger und Retter, der die Feinde bezwingen würde. Dies ist jedoch nicht nur als Wiederholung oder Imitation überlieferter Kriegsrhetorik zu verstehen, sondern hatte eine subversive Stoßrichtung gegen die Weltreiche Assyrien, Babylonien und Persien, die auf unterschiedliche Weise Ansprüche auf das Land erhoben. Denn damit wurde jedem anderen göttlich legitimierten Anspruch entgegengehalten, dass Israel das Land der Verheißung schon lange davor von Jhwh übergeben worden war. 77 Die Abwehr fremder Ansprüche war zugleich eine Stärkung nach innen, die in Zeiten des Landverlusts Hoffnung auf Rückgewinn machen konnte. Mehr noch aber als die Spendung von Hoffnung scheinen diese Texte in nachexilischer Zeit einen Auftrag zu propagieren. Die nachexilischen Adressaten sollten die Bedeutung des Landes für ihre Identität als Volk Gottes und Nation erkennen. Die Erzählung über die gewaltvolle Landeroberung diente dabei als „starkes Modell“, das die Adressaten in diese Richtung motivieren sollte.78 Im Bild der ursprungsgeschichtlichen Landeroberung als Erfüllung des göttlichen Auftrags vom Horeb und über Moses Ermutigungsreden drängten sie ihre Adressaten indirekt, die Heimkehr ins Land als göttlichen Auftrag zu verstehen, dessen Erfüllung Jhwh selbst ermöglichen würde.

75 Eine direkte Kritik Assyriens begegnet in Jes 10,33–34; 37,24 (2 Kön 19,23); siehe dazu WEISSERT, „Hybris“, 287–309. Motive einer solchen direkten Kritik finden sich ebenso in Jes 28–31; siehe dazu KREUCH, Unheil, 396–405; zur subversiven Rezeption neuassyrischer Vorlagen siehe z. B. OTTO, „Geburt”, 26–27; ders., „Political Theology”, 59–76; ders., „Königspsalmen“, 34. 76 Zur Kriegslegitimation durch eine assyrische Staatsprophetie siehe N ISSINEN, References, 163–172. 77 Während Assyrien und Babylon eine expansive Eroberungspolitik betrieben, erhob das achaemenidsche Persien den Anspruch, dass der persische König die Länder der Erde nach dem Gesetz des Gottes Ahuramazda verteilte. Nach OTTO, „Anti-Achaemenid Propaganda”, 547–558, lehnten biblische Autoren diese Idee ab und hielten durch eine anti-achaemenidische Propaganda in Dtn 1,18.21.39; 2,5.9.19; 2,10– 12.20–23 entgegen, dass das Land Israel von Jhwh gegeben worden war. 78 LIVERANI, History, 270–272.

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4. Warnung vor der falschen Selbstzuschreibung (Dtn 9,4–6) In 9,4–6 findet in dreifacher Weise ein Wechsel statt, zeitlich vom Zeitpunkt vor der Landnahme zur Zukunft der sich vollziehenden oder bereits vollzogenen Landnahme, örtlich vom diesseits des Jordan zum jenseits des Jordan, und thematisch von einer Ermutigung zur bevorstehenden Landnahme hin zur Warnung vor einer falschen Deutung des Gelingens.

4.1 Struktur und Dynamik Der Abschnitt 9,4–6 strukturiert sich in Wiederholungen von aus der Perspektive Moses unzutreffenden oder zutreffenden Argumenten für eine erfolgreiche Landnahme. Im Zentrum steht die Verneinung des Arguments, Israel könne die erfolgreiche Landnahme auf die eigene ‫צדקה‬, die ich – wie weiter unten begründet – mit „Bewährung“ übersetze, zurückführen (Argument A). Darauf liegt der Hauptakzent. Dazwischen werden alternative, aus der Perspektive Moses richtige Deutungsweisen vorgeschlagen. Die Begründungen mit der Verderbtheit der Völker (Argument B) sowie mit dem Schwur an die Väter (Argument C) dienen dabei als Entkräftigung von Argument A. Die Sinnspitze des Abschnitts liegt demnach nicht in einer Begründung der erfolgreichen Landnahme, sondern im Ausschluss des Arguments, das Gelingen auf die eigene „Bewährung“ zurückzuführen. Die Hauptaussage begegnet zunächst in der Verneinung der in den Mund Israels gelegten Herzenserwägung in v4c, sich die erfolgreiche Landnahme der eigenen Bewährung zuzuschreiben (Argument A). Im Anschluss an die Herzenserwägung ergänzt Mose in v4d das Argument von der Verderbtheit der Völker (Argument B). In v5 greift Mose beide Argumente in Form einer „Belehrung“ auf, wobei er Argument A „aufgrund deiner Bewährung“, angereichert um das Motiv der „Aufrichtigkeit des Herzens“, als legitime Interpretation abermals verneint, während er Argument B „die Verderbtheit der Völker“ als legitime Interpretation für die Völkervertreibung hervorhebt. Stellt somit Argument B eine legitime Begründung für die Völkervertreibung dar, gibt Mose in v5c mit dem Schwur an die Väter (Argument C) einen gegenüber Argument A alternativen Grund für die Gabe des Landes an. Auf die Belehrung folgt schließlich in v6 eine Erkenntnismahnung, die zur Internalisierung der Hauptaussage, Israel könne die erfolgreiche Landnahme nicht auf die eigene „Bewährung“ zurückführen (Hauptargument A), auffordert. Dies wird mit „denn ein Volk harten Nackens bist du“, ausgeschlossen. Dieser Ausschließungsgrund ist selbst Teil des Objektsatzes und so ebenfalls Erkenntnisinhalt. Es ergibt sich folgende Struktur:

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Struktur und Dynamik

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Tabelle 3: Struktur von Dtn 9,4–6

V5a V5b.c

Form Warnung vor einer falschen Herzenserwägung Belehrung Belehrung

Inhalt Verneinung von Argument A+B als Doppelargument Verneinung des Arguments A+A’ Gegenargumente B+C

V6b V6c

Erkenntnismahnung Erkenntnismahnung

Verneinung des Arguments A Ausschließungsgrund

V4a.c.d

Der Abschnitt ist zudem von mehreren Subjektwechseln zwischen Israel und Gott geprägt. Zunächst fällt auf, dass Gott sehr häufig das Subjekt darstellt. Dies spiegelt wider, dass Aktion und Gelingen der Landnahme in besonderer Weise Gott zugesprochen werden. Die Vertreibung der Völker (‫ )הדף‬zu Beginn des Abschnitts sowie die Gabe des Landes (‫ )נתן‬am Ende haben Gott zum Subjekt. Der Abschnitt wird so von zwei Aussagen gerahmt, die die Landnahme in ihren beiden Aspekten von Völkervertreibung und Landgewinn auf Gott zurückführen. Gott ist es, der die Völker vertreibt und Israel das Land gibt. Israels Eigenwirksamkeit bei der Landnahme tritt dagegen in den Hintergrund. Das spezifische Verb für die Landnahme ‫ ירׁש‬hat nicht nur dreimal Israel zum Subjekt, sondern auch zweimal Gott, was im Buch Deuteronomium selten vorkommt.1 N. Lohfink hat darauf hingewiesen, dass die Inbesitznahme (‫ )ירׁש‬des Landes durch Israel chronologisch nach der Völkervertreibung oder -vernichtung durch Jhwh erfolgt.2 Diesen Zweischritt kann man auch an der spezifischen Verwendung von ‫ ירׁש‬in 9,4–6 erkennen. Denn es beschreibt hier je nach Subjekt und Objekt einen Zweischritt der Landnahme von der Völkervertreibung durch Gott (vv4d.5b) hin zur Inbesitznahme des Landes durch Israel (vv4c.5a.6b). So bezieht sich ‫ ירׁש‬mit Israel als Subjekt und dem Land als Objekt auf die Inbesitznahme des Landes, wobei auch hier zweimal zuerst Gottes Initiative angesprochen ist, der Israel hineinführt (v4) und ihm das Land gibt (v6). Mit Gott als Subjekt und den Völkern als Objekt bezieht es sich dagegen auf die vorausgehende Völkervertreibung. Während also die Inbesitznahme als Synergie von Gott und Israel dargestellt wird, ist die vorausgehende Völkervertreibung auf Gottes Handeln allein zurückzuführen.

1 Unter den 71 Belegen des Verbes ‫ ירׁש‬im Buch Deuteronomium begegnet Gott nur fünf Mal als Subjekt (4,38; 9,4.5; 11,23; 18,12), jeweils mit den Völkern als Objekt. 2 Siehe LOHFINK, „Kerygmata“, 133–134.

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Warnung vor der falschen Selbstzuschreibung (Dtn 9,4-6)

4.2 Die Bedeutung von ‫ צדקה‬in Dtn 9,4–6 Der Begriff ‫ צדקה‬ist neben ‫ ירׁש‬das bestimmende Leitwort in Dtn 9,4–6. Aufgrund seines breiten Bedeutungsspektrums wird dieses Wort sehr unterschiedlich interpretiert. Im Folgenden soll seine spezifische Bedeutung in 9,4–6 erschlossen werden. 4.2.1 Allgemeine Begriffsanalyse In einem sehr allgemeinen Sinn beziehen sich Bildungen vom hebräischen Stamm ‫ צדק‬auf „Richtigkeit und Ordnung“.3 Obwohl sich das maskuline Substantiv ‫ צדק‬und das feminine Substantiv ‫ צדקה‬in ihrem Bedeutungsspektrum bisweilen überschneiden, lässt sich eine unterschiedliche Akzentuierung feststellen. Das maskuline ‫ צדק‬bezieht sich auf eine heilvolle Ordnung.4 Zudem bestimmt es häufig die Qualität oder den Zustand des dieser Ordnung entsprechenden Recht-Seins einer Handlung oder eines Gegenstandes.5 Beim femininen Substantiv ‫ צדקה‬liegt der Akzent dagegen auf den konkreten Handlungen selbst, 6 was sich auch durch dessen häufiges Vorkommen als Objekt des Verbes ‫עׂשה‬, „tun“, verfolgen lässt. ‫ צדקה‬bezeichnet dabei häufig die konkrete Realisierung von Gerechtigkeit,7 das Tun dessen, was richtig und recht ist. Die Menschen zugesprochene ‫ צדקה‬bezeichnet in wenigen Fällen ein „Anrecht“ (vgl. 2 Sam 19,29; Neh 2,20; Jes 5,23), und bisweilen eine von Gott den Menschen zukommende Gabe, die als Gemeinschaftstreue zu verstehen ist.8 In den meisten Fällen bezieht es sich auf ein ethisch gutes Handeln, das inhaltlich unterschiedlich bestimmt sein kann. So kann es ein integres Verhalten bezeichnen (z. B. Gen 30,33; Ijob 27,6; 37,23), manchmal explizit ein Handeln nach Gottes Geboten (z. B. 1 Kön 8,32; 2 Chr 6,23; Jes 48,18), zumeist aber das rechte und gute Handeln des Menschen im umfassenden Sinn.9 In einigen Passagen wird im Detail erläutert, welche konkreten Handlungen jener Mensch vollbringt, dem ‫ צדקה‬zugesprochen wird.10 In diesen Texten ist jeweils vom Handeln in Übereinstimmung mit Gottes Geboten die Rede. Sie verweisen aber auch auf Handlungen und innere Tugendhaltungen, die über einen Gebotsgehorsam hinausgehen. Deshalb kann Maimonides sagen, dass ‫ צדקה‬Taten bezeichnet, die vollbracht werden, auch wenn keine ausdrückliche gesetzliche Verpflichtung besteht.11 4.2.2 Die Bedeutung von ‫ צדקה‬in Dtn 9,4–6 Auf die Frage, was in 9,4–6 unter dem Begriff ‫ צדקה‬verstanden wird, geben Kommentatoren unterschiedliche Antworten. N. Lohfink hat die in 9,4–6 verhandelten Gründe für das Kriegsglück nach dem Schema eines Rechtstreits aufgefasst. Demnach spiegle 9,4–6 eine 3 4 5 6 7 8 9 10 11

JEPSEN, „‫“צדק‬, 81. Vgl. JEPSEN, „‫“צדק‬, 78–79. Siehe dazu SCHMID, Gerechtigkeit, 98–103. Vgl. z. B. PREUß, Theologie, 179. Diese Tendenz lässt sich auch in Qumran beobachten, wo ‫צדקה‬ Gerechtigkeit in Form der konkreten Handlung bezeichnet; vgl. ZANELLA, „‫“צדק‬, 385. Vgl. JOHNSON, „‫“צדק‬, 916. Vgl. Dtn 6,25; 24,13; Ps 24,5; 36,11; 69,28; 72,1; 119,40; Jes 54,17. HO, Sedeq, 145 spricht von „divine code of ethics“. Siehe 2 Sam 22,21–25; Ps 18,21–25; Ez 18,5–9. MAIMONIDES, Führer, 3,53 (Hg. WEISS, 359).

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Die Bedeutung von ‫ צדקה‬in Dtn 9,4–6

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Denkweise wider, wonach zwei kriegsführende Parteien in einem Rechtstreit liegen und die „im Recht“ (‫ )בצדקתי‬stehende Partei als Sieger aus dem Krieg hervorgeht, während die Verlierer ihre rechtmäßige Niederlage hinnehmen müssen. Indem Mose das Kriegsglück nicht als Ausweis von Israels im Recht-Sein gelten ließe, wende sich Mose in 9,4–6 gegen diese Interpretation. N. Lohfink stützt sich dabei auf die Annahme, dass die Wurzeln ‫ צדק‬und ‫ רׁשע‬aus dem Rechtswesen stammten.12 Zwar findet sich die Paarung der Adjektive ‫ רׁשע‬und ‫ צדיק‬in forensischem Kontext (z. B. Ex 23,7; Dtn 25,1; Jes 5,23), viel häufiger jedoch als Gegenüberstellung des Gerechten (‫ )צדיק‬und seines frevelhaften Gegners (‫ )רׁשע‬oder im Zusammenhang von „Tat und Ergehen“.13 Die Wortpaarung verweist damit weniger auf einen Rechtstreit, sondern auf den Gedanken, dass der Gute belohnt und der Frevler bestraft wird. In diesem Sinne richtet sich Mose in 9,4–6 gegen die schlussfolgernde Annahme, Kriegsglück sei als Belohnung und somit als Erweis erbrachter ‫ צדקה‬zu deuten.14 Zwar wird eine solche Erklärung nicht grundsätzlich ausgeschlossen, jedoch tatsächlich seiner Deutungshoheit beraubt.15 Mag eine solche Deutung in vielen Fällen zutreffen, so nicht in diesem Fall. Damit ist allerdings noch nicht entschieden, wie die ‫ צדקה‬in 9,4–6 inhaltlich bestimmt ist. Mehrere Autoren interpretieren ‫ צדקה‬in Dtn 9,4–6 aufgrund der Verknüpfungen zu Dtn 6,17–19 als „Gesetzesgehorsam“. Ein deuteronomistischer Redaktor (DtrÜ) greife die These eines deuteronomistischen Nomisten DtrN auf (6,17–19; 8,1; 11,8.22), wonach die Einhaltung des „ganzen Gebotes“ (‫ )כל־המצוה‬sowie die Beachtung der „Satzungen, Weisungen und Gebote“ und das Tun des in Gottes Augen „Guten und Rechten“ (‫)היׁשר והטוב‬ Bedingung der Landnahme seien. DtrÜ wende dagegen in 9,4–6 ein, dass das Gelingen der Landnahme nicht aufgrund von Gebotsgehorsam, sondern allein aus Gnade eintreffe.16 Allerdings sind hier textinterne und textexterne Kommunikationsebene zu unterscheiden. Auf textinterner Ebene wurde der Moabgeneration das Gesetz noch gar nicht promulgiert und wird außerdem erst im Land geltend sein. Diese „Fabelinkongruenz“ verdeutlicht, dass in 6,17–19; 8,1; 11,8.22 textexterne Adressaten im Blick sind. Ihnen wird vermittelt, dass Gebotsgehorsam die Bedingung für den Besitz des Landes ist. 17 In 9,4–6 aber ist im Unterschied zu diesen Texten nur von einer ‫צדקה‬, nicht aber vom Gehorsam gegenüber dem Gesetz die Rede. Demnach ist auch keine anachronistische Fabelinkongruenz zu beobachten 12 LOHFINK, Hauptgebot, 201–204. Diese Interpretation von ‫ צדקה‬als „Rechtsanspruch wurde in weiterer Folge vielfach aufgegriffen siehe z. B. WEINFELD, Deuteronomy, 406; BRAULIK, Deuteronomium, 74– 75; NELSON, „Divine Warrior“, 248; PAGANINI, Deuteronomio, 215. 13 Die Bezeichnung „Nexus von Tat und Ergehen“ ist von J ANOWSKI, „Tat“, 247, übernommen. Im Unterschied zum Ausdruck „Tun- und Ergehenzusammenhang“, der auf einen selbstwirksamen Automatismus hindeutet, lässt „Nexus von Tat und Ergehen“ offen, in welcher Form sich dieser Zusammenhang verwirklicht. 14 In einer solchen Deutung spiegelt sich ein in Israels Umwelt belegtes binäres Deutungsmuster, wonach Frömmigkeit gegenüber den Göttern zu Kriegsglück führe, während das Gegenteil unweigerlich die Niederlage zur Folge habe; siehe dazu ODED, War, 29–37. 15 So GAMMIE, „Retribution“, 11–12. 16 Siehe z. B. LOHFINK, „Kerygmata“, 141–142; ders., „Deuteronomium 9,1–10,11”, 165–166; KRALJIC, Deuteronomium 10,12–11,32, 443–445; zur Kritik an der These eines Nomisten DtrN und eines Redaktors DtrÜ siehe KRAUSE, Bedingungen, 148–150. 17 Siehe OTTO, „Strafrechtstheorie“, 49.

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Warnung vor der falschen Selbstzuschreibung (Dtn 9,4-6)

und der in 9,4–6 wiederholte Gedanke zuerst auf der textinternen Kommunikationsebene zu interpretieren, innerhalb derer ‫ צדקה‬nicht anachronistisch als erfolgter Gebotsgehorsam verstanden werden kann. Die Mehrzahl der Handschriften der LXX übersetzt ‫ צדקה‬wie auch in 9,6 im Plural mit διὰ τὰς δικαιοσύνας, „Taten der Gerechtigkeit“. Darin lässt sich ein Hinweis sehen, dass die Übersetzer der Septuaginta die Idee des Verdienstes im Blick hatten. 18 Noch expliziter akzentuiert dies TO, der mit ‫בזכותי‬, „aufgrund meines Verdienstes“, übersetzt, sowie TN mit „aufgrund der Verdienste“ (‫)בזכוותן‬. Das Verständnis von ‫ צדקה‬als verdienstvolle Handlungen entspricht der Analyse, dass das feminine Substantiv den Akzent auf Handlungen legt, sowie dem Verständnis von ‫ צדקה‬als Handeln, das in umfassender Weise Gottes Forderungen entspricht, bringt aber zusätzlich das Konzept der Belohnung in den Blick, das häufig im Zusammenhang des Gegensatzpaares ‫ רׁשעה‬und ‫ צדקה‬zu beobachten ist. Mit dem Verständnis von ‫ צדקה‬als „verdienstvolles Handeln“ ist ein weiterer Zugang zur Bedeutung des Begriffs in 9,4–6 gefunden.19 Allerdings umfasst die ‫ צדקה‬in 9,4–6 noch weitere Aspekte. So entschlüsselt sich ihre Bedeutung über die Charakterisierung als Volk harten Nackens in 9,6c und deren Verknüpfung mit der nachfolgenden Rebellionserzählung in 9,7–24 als „Loyalität“.20 Dem Geschichtsrückblick zufolge hat Israel seit dem Auszug bis zur Ankunft in Moab gegen Jhwh rebelliert. Die Geschichte zeigt, dass Israel hartnäckig eben diese Loyalität gegenüber Jhwh vermissen hat lassen und deshalb auch den Landgewinn nicht seiner Loyalität zuschreiben kann. E. Otto hat im Verweis auf 6,25 über den Aspekt der Loyalität hinaus auch noch jenen der „Gemeinschaftstreue“ betont.21 In 6,25 ist ‫ צדקה‬als Frucht eines wechselseitigen Beziehungsgeschehens zu verstehen. Durch das rechte Handeln nach den Maßstäben Jhwhs betritt Israel eine Sphäre der Gemeinschaft mit Jhwh. Dieser antwortet auf Israels Treue mit der Gabe von ‫צדקה‬,22 die wiederum das rechte Handeln ermöglicht. ‫ צדקה‬erwächst demnach aus einer wechselseitigen Zuwendung zwischen Jhwh und Israel. Sie konkretisiert sich auf Seiten Israels in Handlungen nach den Maßstäben Jhwhs. In den Rebellionen der Wüstenzeit wird deutlich, dass Israel aus eben jenem mit Jhwh verbindenden Band der wechselseitigen Treue herausgefallen ist und Jhwh deshalb das Land nicht aufgrund Israels Gemeinschaftstreue geben kann, sondern nur aufgrund einer durch Moses Fürbitte erwirkten Barmherzigkeit. Zusammenfassend lässt sich ‫ צדקה‬in 9,4–6 als Gemeinschaft mit Jhwh stiftende und durch diese Beziehung ermöglichte Summe von Haltungen und Handlungen bezeichnen, die sich in einer mit Jhwhs Ansprüchen übereinstimmenden Lebensweise manifestiert. In Anlehnung an die Übersetzung von ‫ צדקה‬bei M. Buber als „Bewährt-Sein“ übersetze ich den Begriff mit „Bewährung“, was den Akzent im Vergleich zum „Bewährt-Sein“ stärker auf das Handeln legt.23 Im Begriff der Bewährung soll einerseits zum Ausdruck kommen, dass es 18 19 20 21 22

OTTO, Deuteronomium, 934. Z. B. PAGANINI, Deuteronomio, 214. Zur Interpretation von ‫ צדקה‬in Dtn 9,4–6 im Sinne von Loyalität siehe z. B. TIGAY, Deuteronomy, 97. Siehe OTTO, „Strafrechtstheorie“, 50–52. Schon RAMBAN, Dewarim, zu Dtn 6,25 (Hg. KASNETT et al., 165–166), interpretiert die hier angesprochene ‫ צדקה‬als Gottes gnadenvolle Zuwendung, die infolge des Gesetzesgehorsams eintritt. 23 BUBER / ROSENZWEIG, Weisung, 501.

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Auslegung

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sich bei ‫ צדקה‬um ein Handeln im Rahmen der wechselseitigen „Gemeinschaftstreue“ und entsprechend der in dieser Beziehung geforderten Maßstäbe handelt. Andererseits soll entsprechend der deutschen Konnotation von „Bewährung“ auch der Gedanke des Verdienstes im Sinne eines Sich-Verdient-Machens durchklingen.

4.3 Auslegung Nach der Ermutigung in 9,1–3 wendet sich Mose in 9,4–6 einem scheinbar gänzlich anderen Problem zu, das infolge der gelingenden Eroberung auftreten könnte. Auf das Gefühl der Unterlegenheit und dem darauf doch folgenden Triumph, wird die Reaktion des übersteigerten Selbstwertgefühls nicht lange auf sich warten lassen, vor dem Mose im Folgenden warnt. 4.3.1 Die falsche Herzenserwägung und Moses Ergänzung (Dtn 9,4) Die Wendung „sag nicht in deinem Herzen“ (‫ )אל־תאמר בלבבך‬bezieht sich auf die inneren Regungen und Gedanken, die in Reaktion auf die erfolgreiche Landnahme fälschlicherweise auftreten könnten. Diese Art antizipierter Herzenserwägung in der Kombination von ‫ אמר‬+ ‫ לבב‬begegnet mehrmals im Buch Deuteronomium (vgl. 7,17; 8,17; 15,9; 18,21). Das Herz bezeichnet das „innere Zentrum“ des Denkens, Fühlens, Wollens und Urteilens des Menschen,24 wo sich die Beziehung des Menschen zu Gott und Welt entscheidet. Kann das hochmütige Herz Gott (8,14) oder den Nächsten (15,9) vergessen, so legt Mose in verschiedenen Aufforderungen die von Gott gewünschte Herzenseinstellung dar, die darin kulminiert, Gott mit ganzem Herzen zu lieben (4,6; 13,4; 30,6). Wenn Mose vor der inneren Regung und dem Gedanken warnt, die erfolgreiche Landnahme der eigenen Bewährung zuzuschreiben, dann appelliert er einerseits an den Verstand seiner Adressaten, die dieser Falschinterpretation nicht unterliegen sollen. Die Selbstzuschreibung des Erfolgs ist jedoch nicht nur eine rationale Falschinterpretation des Geschehens, sondern auch ein moralischer und spiritueller Akt der Selbstverkennung und Gottvergessenheit, der weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen würde. Mit „wenn sie der Herr vor dir vertreibt“ wird der Hintergrund der möglichen Herzenserwägung dargelegt. Es handelt sich um den Augenblick der gelingenden Eroberung. Angesichts des Triumphes könnte sich eine falsche Interpretation über die Ursachen aufdrängen, die in Form eines Zitats ausgeführt wird. Das Zitat besteht aus der Aussage „Aufgrund meiner Bewährung hat mich Jhwh (hierher) kommen lassen, um dieses Land einzunehmen“ (9,4c), was von „und aufgrund der Verderbtheit jener Völker vertreibt sie Jhwh vor dir“ (9,4d) fortgeführt wird. Oftmals wird das Argument von der Verderbtheit der Völker als Bestandteil des Zitats interpretiert.25 Jedoch bleibt dabei ungeklärt, wie der Wechsel von der ersten Person „Aufgrund meiner Bewährung“ (v4c) hin zur Anrede in der zweiten Person „vertreibt sie der Herr vor dir“ (v4d) zu erklären ist. Aufgrund dieses Wechsels kann nur v4c im eigentlichen Sinne als Zitat angesehen werden, was die Frage nach Sinn und Funktion von v4d aufwirft. 24 Zum Motiv des Herzens im Buch Deuteronomium siehe EHRENREICH, Wähle, 156. 25 So schon RASCHI zu Dtn 9,4 (Hg. HERZCEG et al., 92).

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Warnung vor der falschen Selbstzuschreibung (Dtn 9,4-6)

Gegen das Argument einer irrtümlichen Verdoppelung von v5b in v4d lässt sich einwenden, dass der Abschnitt von Wiederholungen geprägt ist.26 Wie die meisten Handschriften der Septuaginta, die die Konjunktion ‫ ו‬im MT mit dem adversativen ἀλλὰ wiedergeben, erblicken mehrere Kommentatoren im Argument von der Verderbtheit der Völker in v4d die von Mose dargelegte alternative Begründung für die erfolgreiche Landnahme.27 Dagegen lässt sich wiederum erheben, dass damit dasselbe Argument in unmittelbarer Folge sowohl in v4d als auch in v5b aufscheinen würde, was eine grundlose und untypische argumentative Redundanz darstellte. N. Lohfink hat dagegen von einem „gleitenden Übergang“ gesprochen. Mose beginne demnach in Form eines Zitats, verlasse aber im zweiten Teil des Arguments die Form der Zitierung und schwenke in die Anrede Israels zurück.28 Diese Interpretation lässt sich auch inhaltlich begründen. Das tatsächliche Zitat beschränkt sich auf die Rückführung der gelingenden Landnahme auf die eigene Bewährung (v4c). Damit ist Israels falsche Herzenserwägung abgeschlossen. Allerdings ist damit der Gedankengang unvollständig, da eine Bewährung die Eroberung des Landes auf Seiten Israels erklären könnte, nicht aber den Verlust des Landes auf Seiten der Völker. 29 Aus diesem Grund ergänzt Mose Israels Herzenserwägung um das Argument der Verderbtheit der Völker.30 Erst so erhält die erfolgreiche Landnahme eine umfassende, beide Kriegsparteien betreffende Erklärung. Die logische Stringenz dieses Deutungsmusters wird Mose jedoch im folgenden Vers in andere Richtung durchbrechen. Während er Israels Herzenserwägung für nicht legitim erklärt, besitzt das zweite von ihm ergänzte Argument tatsächlich Gültigkeit. Die mögliche Falschinterpretation in v4c „aufgrund meiner Bewährung“ geht nicht so weit, Gottes Handeln auszublenden, führt aber Gottes Wirken auf Israels verdienstvolle Bewährung zurück. Bei der Verneinung dieser Zuschreibung geht es nicht um einen grundsätzlichen Ausschluss des Gedankens, Israels Bewährung könne den Landgewinn zur Folge haben. Er ist jedoch in diesem Fall als Interpretationsmodell abzulehnen, weil Israel sich als rebellisches Volk nicht bewährt hat, wie Mose in 9,6.7–24 darlegen wird. Die Pragmatik der Warnung erklärt sich auf dem Hintergrund anderer Mahnungen (vgl. Dtn 7,7; 8,17), in der Zukunft nicht einer falschen Selbstgewissheit und damit verbunden Gottvergessenheit zu verfallen.31 In 7,7–8 kehrt Mose die Annahme, aufgrund von Vorzügen erwählt worden zu sein, in das Gegenteil einer Erwählung aufgrund von Schwäche um und verweist dabei wie in 9,4–6 auf den Schwur an die Väter als Grund, während er sich in 8,11– 20 gegen die Selbstzuschreibung des Reichtums und die damit einhergehende Gottvergessenheit wendet. Israel soll sich vor einem solchen Denken hüten, da es genau jener Mentalität der Selbstüberhebung und Gottesvergessenheit verfallen würde, die wieder zum Bundesbruch und letztlich Landverlust führen würde.

26 27 28 29 30 31

Siehe S. 34. So schon RAMBAN, Dewarim, zu Dtn 9,4 (Hg. KASNETT et al., 206–207). LOHFINK, Hauptgebot, 201. Vgl. RAMBAN, Dewarim, zu Dtn 9,4 (Hg. KASNETT et al., 206). So schon OR HACHAIM, Devarim, zu 9,4 (Hg. HERZKA, 217). Vgl. WEINFELD, Deuteronomy, 406.

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Auslegung

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Moses Ergänzung in v4d erklärt die Vertreibung der Völker mit ihrer „Verderbtheit“ (‫)רׁשעה‬. Ähnlich dem maskulinen ‫ צדק‬und femininen ‫ צדקה‬dürften sich das maskuline ‫רׁשע‬ und das feminine ‫ רׁשעה‬zueinander verhalten. Während ‫ רׁשע‬eher das Wesen des bösen und verdorbenen Menschen bezeichnet und dazu dient, etwas als böse zu charakterisieren, 32 legt die feminine Form den Akzent auf das Handeln. Worin diese Handlungen der Völker bestehen, wird in 9,4.5 nicht ausgeführt. Allerdings werden in 18,9–12.14 als „Gräuel“ (‫ )תועבה‬bezeichnete Handlungen aufgelistet, die als Grund für die Vertreibung der Völker Kanaans angegeben werden, so die Praktiken, ihre Söhne und Töchter durchs Feuer gehen zu lassen (18,10; vgl. 12,31), Losorakel, Wolkendeuter, Becherweissagung, Zauberei, Gebetsbeschwörungen, Befragung von Totengeistern, und Hellseherei (18,10–11). Es handelt sich durchwegs um Praktiken aus dem religiösen und okkulten Bereich. Was im Buch Deuteronomium in Form eines Ausblicks angekündigt wird, bestätigt sich in 2 Kön 16,3 in Form eines Rückblicks, wo die „Gräuel der Völker“ als Grund für ihre Vertreibung angegeben werden.33 4.3.2 Belehrung über die Gründe des Gelingens (Dtn 9,5) In 9,5 hält Mose der falschen Begründung der Landnahme die richtige entgegen, was sich mit R. Gomes de Arujo als „korrigierende Belehrung“ interpretieren lässt. 34 Sie beginnt mit der abermaligen Verneinung, dass der Erfolg auf die eigene Bewährung zurückzuführen sei, wobei Mose dies nun mit ‫יׁשר לבבך‬, „Aufrichtigkeit deines Herzens“, ergänzt. Während ‫צדקה‬ Israels Handeln im Blick hat, bezieht sich die Wendung „Aufrichtigkeit deines Herzens“ auf die innerliche Verfassung und Intentionalität.35 So ist die Paarung komplementär aufzufassen.36 Israel kann weder auf bewährtes Handeln noch auf eine lautere Gesinnung pochen. Die Nähe zu 6,18–19 über das geteilte ‫ יׁשר‬und das innerhalb des Buches Deuteronomium singulär geteilte ‫הדף‬, deutet auf einen intratextuellen Dialog, wonach 9,5 deutlich macht, dass das Gelingen der Landnahme nicht nach dem in 6,18–19 dargelegten Kausalzusammenhang zu interpretieren ist. Während in 6,18–19 textexterne Adressaten außerhalb des Landes motiviert werden, das in den Augen Gottes „Rechte“ (‫ )יׁשר‬zu tun, um ins Land einziehen zu können, verdeutlicht 9,4–6, dass Landbesitz noch lange kein Beweis für eine Bewährung in der Beziehung zu Jhwh ist. Während Mose Israels Herzenserwägung als Grund für die Landnahme ausdrücklich verneint, greift er in v5b das zweite Argument von der „Verderbtheit der Völker“ als zutreffenden Grund für die Vertreibung der Völker auf.37 Die Völker müssen ganz nach dem Nexus von „Tun und Ergehen“ den Verlust des Landes hinnehmen. Ist damit die Vertreibung der Völker argumentativ erklärt, fehlt jedoch immer noch eine Begründung für das Gelingen der Landnahme.

32 33 34 35 36 37

Vgl. RINGGREN, „‫“רׁשע‬, 682. Vgl. LOHFINK, „Kerygmata“, 137–138. GOMES DE ARUJO, Wüste, 186–187. Siehe ALONSO SCHÖKEL, „‫“יׁשר‬, 1065. So schon RAMBAN, Dewarim, zu Dtn 9,5 (Hg. KASNETT et al., 207); siehe auch HO, Sedeq, 32. Vgl. LOHFINK, Hauptgebot, 203.

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Warnung vor der falschen Selbstzuschreibung (Dtn 9,4-6)

Diese folgt in v5c mit „um das Wort zu erfüllen, das der Herr geschworen hat deinen Vätern, Abraham, Jakob und Isaak“. Diese Begründung schließt an die vorausgehende Zusage „Der Herr, dein Gott, vertreibt sie vor dir“ an, sodass der Schwur auf die Völkervertreibung bezogen werden könnte. Da es einen solchen Schwur der Völkervertreibung an die Patriarchen nicht gebe, nimmt T. Römer an, dass mit den Vätern hier ursprünglich nicht die Patriarchen gemeint waren, welche später eingefügt worden seien, sondern die Generation des Exodus.38 Jedoch ist – wie H. Stoppel hervorhebt – die Völkervertreibung nicht zwingend Inhalt der Verheißung (‫)דבר‬, sondern die Weise, wie die Verheißung des Landes erfüllt wird.39 Die Rede von der Erfüllung des Wortes bezieht sich demnach nicht in einem engen Sinne auf die Vertreibung der Völker, sondern auf die Landverheißung insgesamt, die die Völkervertreibung umfasst. Bei den Vorkommen der Landverheißung im Buch Deuteronomium werden fünf Mal die Erzväter Abraham, Isaak und Jakob namentlich genannt (1,8; 6,10; 9,5; 30,20; 34,4). Die möglichen Stellen, auf die sich diese Rückverweise beziehen könnten, finden sich in Bezug auf Abraham in Gen 12,7; 13,15.17; 15,18; 17,8, in Bezug auf Isaak in Gen 26,2–4 und in Bezug auf Jakob in Gen 28,13; 35,12.40 Im Unterschied zum Sprachgebrauch des Buches Deuteronomium wird in diesen Stellen das Land jedoch nicht mit dem Verb ‫ׁשבע‬, „schwören“, zugesagt oder die Zusage als ‫ׁשבעה‬, „Schwur“, bezeichnet.41 Dies geschieht erstmals in Gen 24,7 innerhalb eines Rückverweises Abrahams „der mir geschworen hat“ (‫ )נׁשבע־לי‬und ein weiteres Mal in Gen 26,3 innerhalb eines göttlichen Rückverweises „den Schwur, den ich deinem Vater Abraham geschworen habe“. Erst in Gen 50,24 ist erstmals ausdrücklich vom Landesschwur an alle drei Erzväter die Rede. Hierbei handelt es sich wohl um eine „zusammenfassende Redeweise“,42 die die jeweiligen Zusagen des Landes an Abraham, Isaak und Jakob als Schwur zusammenfasst. Die Rückverweise auf einen an die drei Patriarchen ergangenen Landesschwur im Buch Deuteronomium haben so die „breit belegte Tradition der Landverheißungen“ als „Verweisraum“ vor Augen.43 Dieser Schwur an die Väter besitzt auch unabhängig von Israels Bundestreue unwiderrufliche Gültigkeit und ist deshalb das Fundament für die Gabe des Landes, auch wenn sich Israel nicht bewährt hat.44 Die Formulierung „um das Wort aufzurichten“ mit dem Hifil von ‫ קום‬und ‫ דבר‬teilt Dtn 9,5 mit Neh 9,8 und Jer 11,5, wo ebenfalls Bezüge zu den Patriarchen und zur Landverheißung hergestellt werden. Während in Dtn 9,5 der Schwur an die Patriarchen den eigentlichen und von Israels ‫ צדקה‬unabhängigen Grund für die Landnahme darstellt, betont Jer 11,4–5, dass die Einlösung des Landesschwurs an die Väter vom Hören auf die Stimme Jhwhs und dem Handeln nach seinen Satzungen abhängt. Trotz unterschiedlicher Betonung besteht hier kein Widerspruch. Beide Texte geben zu erkennen, dass der Landesschwur an die Patriarchen das Fundament für Gottes Gabe des Landes ist, Israel jedoch in Gehorsam handeln muss (Dtn 9,1; Jer 11,4), damit sich der Schwur erfüllen kann. 38 39 40 41 42 43 44

RÖMER, Väter, 163–166. STOPPEL, Angesicht, 162. Vgl. SKWERES, Rückverweise, 89. Vgl. KOTTSIEPER, „‫“ׁשבע‬, 988. SKWERES, Rückverweise, 98–99. Vgl. STOPPEL, Angesicht, 209. Vgl. z. B. LOHFINK, Hauptgebot, 204.

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Auslegung

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4.3.3 Aufruf zu Einsicht und Selbsterkenntnis (Dtn 9,6) In einem letzten Schritt mahnt Mose schließlich mit ‫וידעת‬, „und erkenne/wisse!“, zur Einsicht seiner grundlegenden Botschaft, dass die Adressaten das Gelingen der Landnahme nicht auf ihre Bewährung zurückführen können. Sie sollen Moses Warnung (v4) und Belehrung (v5) in die eigene Erkenntnis überführen und so zur inneren Einsicht werden lassen. Die Erkenntnismahnung in v6 ist die einzige von acht Erkenntnismahnungen im Buch Deuteronomium, deren Zielpunkt nicht in erster Linie eine Erkenntnis Gottes, sondern eine Form der Selbsterkenntnis darstellt. Zwar ist Gottes Handeln angesprochen, jedoch wird besonders durch den Nachsatz „denn du bist ein Volk harten Nackens“ deutlich, dass die Erkenntnis auf Israel selbst zielt. Dass diese Selbsterkenntnis in einer Reihe mit sonst auf Gott bezogenen Erkenntnisformeln steht, gibt zu verstehen, dass es sich dabei um einen wichtigen Erkenntnisinhalt handelt. Sie lässt sich auf textinterner Kommunikationsebene sowohl auf die Zukunft als auch auf den gegenwärtigen Moment beziehen. Da im hebräischen Text das W-Qatal ‫וידעת‬, „und erkenne!“, an den Vetitiv ‫אל־תאמר‬, „sag nicht“, in v4 anschließt, der wiederum mit „wenn sie der Herr vor dir vertreibt“, in der Zukunft verortet ist, lässt sich die Erkenntnis auf die Situation des zukünftigen Landgewinns beziehen, wonach Israel sich angesichts des Triumphes die Unwahrheit solcher sich aufdrängender Deutung erkennen soll. Eine solche Selbstzuschreibung läge ganz auf der Linie jener Selbstgerechtigkeitsszenarien, vor denen Mose bereits in Dtn 8,7–20 gewarnt hat und deren äußerste Konsequenz der neuerliche Bundesbruch und Landverlust wären (8,19– 20).45 Vor einer solchen falschen Selbstüberhebung nach dem Triumph und der sich daraus ergebenden, hier aber unausgesprochenen Konsequenzen möchte Mose warnen. Zugleich bezieht sich die Erkenntnismahnung bereits auf den Zeitpunkt vor der Landnahme.46 Während in v4 auf dem Hintergrund der Völkervertreibung in Form eines Perfekts auf die Ankunft im Land zurückgeblickt wird (‫„ הביאני‬hat er mich kommen lassen“), verweist die Partizipialkonstruktion ‫נתן לך‬, „gibt er dir“, in v6, auf die Gabe des Landes als präsentisches oder unmittelbar bevorstehendes (futurum instans) Ereignis. Demnach bezieht sich die Erkenntnis bereits auf den gegenwärtigen Moment vor der Landnahme. Dies wird von den Übersetzern der LXX betont, wenn sie dem Imperativ „heute“ (σήμερον) hinzufügen. Israel soll bereits im gegenwärtigen Moment der bevorstehenden Landnahme zur Selbsterkenntnis gelangen, damit es die neue Lebensphase in der rechten Gesinnung beginnt und nicht von Anfang an die Weichen einer Unheilsdynamik legt, an deren Ende wieder der Landverlust stünde. Die Formulierung des Erkenntnisinhaltes in 9,6b „Nicht aufgrund deiner Bewährung gibt dir Jhwh, dein Gott, dieses gute Land, um es einzunehmen“ unterscheidet sich von den ähnlichen Formulierungen in 9,4c.5a insofern, als von der Gabe des guten Landes durch Jhwh die Rede ist. Gottes Agieren tritt nun vollends in den Vordergrund. Diese Akzentuierung verweist darauf, dass das Land zuerst eine Gabe Jhwhs ist und der Landbesitz nicht auf 45 In Dtn 8,7–20 wird eine Kettenreaktion beschrieben, die mit dem Vergessen Gottes einsetzt (8,11.14), über das Missachten der Gebote (8,11.) zu einem hochmütigen Herzen (8,14) und den Glauben an die eigene Kraft führt (8,17), der in den Götzendienst mündet (8,19) und schließlich mit Vernichtung und Landverlust (8,20) endet; vgl. TIGAY, Deuteronomy, 96, der Kapitel 9 als Fortsetzung jener in Kapitel 7 und 8 begonnenen Predigten charakterisiert, die auf die Gefahren des Landgewinns hinweisen. 46 Vgl. HARDMEIER, „Reading“, 365.

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Warnung vor der falschen Selbstzuschreibung (Dtn 9,4-6)

Eigenleistung gründet. Ebenso wenig gründet das Leben im Land zuerst auf Eigenleistung, sondern ist durch den Empfang aus Gottes Hand gekennzeichnet. Denn das „gute Land“ (‫ )הארץ הטובה‬ist reich an Gütern, die sich Israel nicht selbst erarbeitet hat (6,10–11; 8,7–9). Es bedarf keiner künstlichen Bewässerung, weil es mit Regen vom Himmel versorgt wird und Gottes Augen stets auf ihm ruhen (11,9–12). Hier transformiert sich die Rede über die Güte des Landes gleichsam in eine Rede über ein Land der Gnade, in dem Israel ohne eigenes Bemühen Gottes Segen empfängt.47 In Kontrast zu Gottes Bereitschaft, das gute Land zu geben, steht der abschließende Nachsatz „denn ein Volk harten Nackens bist du“, womit Mose dem Volk eine unbeugsame und zu keiner Einsicht bereite Haltung des Widerstands gegen Jhwh nachsagt. Der nachfolgende Geschichtsrückblick wird dies an mehreren Beispielen veranschaulichen, die verdeutlichen, dass die Charakterisierung als „Volk harten Nackens“ nicht auf eine punktuelle Verfehlung verweist, sondern auf eine Grundhaltung des Widerstands, der das Volk trotz aller göttlichen Zuwendungen verhaftet blieb. Dadurch wird jeglichem Pochen auf eine mögliche Bewährung der Boden entzogen. Das Wortbild vom harten Nacken oder der Verhärtung des Nackens begegnet in der Hebräischen Bibel mehrmals im Kontext von Verfehlungen, die eine schwerwiegende Katastrophe nach sich zogen, so besonders in der Episode mit dem (Goldenen) Kalb (Ex 32,9; 33,3.5; 34,9; Dtn 9,6.13). Diese Verfehlung ist der äußerste Ausdruck von Israels Haltung des Widerstands. Über die weiteren Belege werden andere Verfehlungen des Volkes in Beziehung zu dieser „Ursünde“ gesetzt und ebenfalls auf eine hartnäckige Haltung des Widerstands gegen Gott zurückgeführt, so weitere Rebellionen der Wüstenzeit, insbesondere jene in Kadesch-Barnea (Dtn 9,6.7–24; vgl. Neh 9,16.17), die Kulttrennung der Reiche (2 Chr 30,8), die zum Untergang Samarias führenden Sünden (2 Kön 17,14) sowie die Sünden Judas, die den Untergang Judas und das Exil nach sich zogen (Jer 7,26; 17,23; 19,15; Neh 9,29; 2 Chr 36,13). So entspannt sich über das Wort vom Volk harten Nackens ein intensiver intertextueller Dialog mit Texten, die katastrophale Ereignisse in der Geschichte des Volkes behandeln.

4.4 Textinterne und Textexterne Kommunikationsebene In der Auslegung wurde vor allem die textinterne Perspektive eingenommen. Auf dieser Kommunikationsebene warnt Mose die Moabgeneration, das Gelingen der Landnahme auf die eigene Bewährung in der Beziehung zu Jhwh zurückzuführen. Von einer solchen Bewährung kann keine Rede sein, wie der Geschichtsrückblick deutlich vor Augen führen wird. Vielmehr erklärt sich die Vertreibung der Völker durch ihre Verderbtheit, während die Gabe des Landes auf dem Fundament des Schwurs an die Väter ruht. Die Moabadressaten sollen das Gelingen der Landnahme nicht auf ihre Bewährung zurückführen, um nicht jener Selbstüberhebung und Gottvergessenheit zu erliegen, an deren Ende wieder Bundesbruch und Landverlust stünden. Doch gilt diese Warnung nicht erst für die Zukunft. Vielmehr sollen 47 Vgl. WEINFELD, Deuteronomy, 405, zu Dtn 11,11: „The comparison is a theological and not a real empirical one: the rain from heaven expresses divine providence.“; siehe auch BRAULIK, „Gesetz“, 149, demzufolge ein „begnadigtes Volk den Heilsbereich des ,guten Landes’“ betreten darf.

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Textinterne und Textexterne Kommunikationsebene

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sie diese Einsicht bereits jetzt gewinnen, um die Zukunft im Land der Verheißung in der richtigen Gesinnung zu beginnen. Auf textexterner Kommunikationsebene werden Adressaten angesprochen, für welche die Landnahme ein ursprungsgeschichtliches Ereignis der fernen Vergangenheit ist und die eine Geschichte des Landverlusts hinter sich haben. Sie wissen um die Gefährdung des Landbesitzes und, dass die Gabe Gottes wieder leicht verloren gehen kann. Ihnen wird anhand der mosaischen Paränese nahegelegt, eine eventuelle oder bereits stattgefundene Rückkehr in das Land nicht triumphalistisch zu interpretieren. 48 Die Gründe für eine Wende in der Geschichte liegen nicht darin, dass sie sich Gott gegenüber bewährt haben. Gerade angesichts einer sich zu ihren Gunsten entwickelten Geschichte sollen sie sich ihr eigenes Versagen in der Beziehung zu Jhwh vor Augen halten und erkennen, dass die glückliche Wende in keinerlei Weise auf sie selbst zurückzuführen ist. Die Erkenntnis unverdienter göttlicher Zuwendung sollte sie davor behüten, jener Gottvergessenheit zu verfallen, die bereits einmal beinahe zur Auslöschung der Nation geführt hatte. Sie sollte sie in einen Zustand der Dankbarkeit gegenüber Jhwhs unverdienter Zuwendung versetzen, der sie umso mehr anspornen sollte, seinen Forderungen zu entsprechen.

48 Vgl. OTTO, Deuteronomium, 972.

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5. Geschichtsrückblick (Dtn 9,7–10,11) 5.1 Hinführung zur Auslegung 5.1.1 Verknüpfung von Paränese und Geschichtsrückblick N. Lohfink und G. Braulik haben Dtn 9,4–7 einem „Schema der Beweisführung“ zugeordnet.1 Diese Verse folgen ihrer Meinung nach einem fest gefügten Argumentationsschema, das in der Terminologie von G. Braulik mehrheitlich von einer Geschichtserinnerung über eine nachfolgende Erkenntnis verläuft und schließlich in einem Appell mündet (vgl. Dtn 4,32–40; 7,6–11; 8,2–6; 11,1–7; 29,1b–8). Dabei werden im Geschichtsrückblick Fakten für einen angestrebten Erkenntnisgewinn dargelegt, der wiederum in eine Praxis münden soll.2 Vv4–7 verliefen genau nach diesem Schema, nur in umgekehrter Reihenfolge Appell - Erkenntnis - Erinnerung. Zunächst ergehe ein Appell in Form eines „Denkverbots“ (v4), worauf eine Erkenntnismahnung (v6) folge, die von einem nachfolgenden Geschichtsrückblick begründet werde (vv7–10,11).3 V4: Appell (G. Braulik) / Anwendung auf das Handeln (N. Lohfink) V6: Erkenntnis (G. Braulik) / Glaubensmäßige Schlussfolgerung (N. Lohfink) V7f.: Erinnerung (G. Braulik) / geschichtliche Tatsachen (N. Lohfink) Obwohl damit auch Gefahren einer rhetorischen Engführung von Dtn 9f. als einer theologischen These und ihres Beweises verbunden sind, lässt sich mit dem „Schema der Beweisführung“ sehr deutlich die rhetorische Verknüpfung zwischen Erinnerung und Paränese zur Landnahme aufzeigen. Allerdings nehmen N. Lohfink und G. Braulik beinahe ausschließlich die Beziehung von 9,4–6 und 9,7–17.22–24 in den Blick. Dem verbleibenden Geschichtsrückblick in 9,25–10,11 und der Ermutigung zur Landnahme in 9,1–3 sprechen sie dagegen eine sehr untergeordnete Rolle als Nachgeschichte und Vorbau zu. Beide Abschnitte bilden jedoch wohl kaum einen bloßen Rahmen um ein sich über 9,4–24 entwickeltes Schema der Beweisführung. Auch sie sind intensiv miteinander und mit 9,4–24 verknüpft, wie mehrere Wiederaufnahmen von Motiven aus 9,1–3 in 9,23; 10,11 deutlich machen. Genauso wie 9,4–6 entwickelt sich auch 9,1–3 über einen Appell hinzu einer Erkenntnismahnung, dem die Erinnerung ab 9,7 ebenso zugeordnet ist. Die Erinnerung dient so nicht nur der eingeforderten Selbsterkenntnis aus 9,6, sondern auch der eingeforderten Gotteserkenntnis in 9,3. Das Schema der Beweisführung lässt sich demnach folgendermaßen applizieren:

1 2 3

LOHFINK, Hauptgebot, 189–190.200–204; BRAULIK, „Geschichtserinnerung“, 175–182. Vgl. BRAULIK, „Geschichtserinnerung“, 175–176. Siehe BRAULIK, „Geschichtserinnerung“, 181–182.

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Hinführung zur Auslegung

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Schema 5: Beziehung von Erinnerung und Erkenntnis in Dtn 9f. A: B:

9,1 Appell 9,3 Erkenntnismahnung

A: B:

9,4 Appell 9,6 Erkenntnismahnung

C:

9,7 Erinnerung

5.1.2 Abgrenzung, Einheit und Verknüpfung mit Dtn 10,12–11,32 Mit dem asyndetischen Imperativ „Erinnere dich, vergiss nicht“ wechselt Mose von der Warnung zu einem ausführlichen Rückblick auf die Geschichte in 9,7–10,11. Die Einheitlichkeit des Abschnitts zeigt sich im durchgängigen Genre der Nacherzählung vergangener Ereignisse der Wüstenzeit und der Einheitlichkeit der Hauptcharaktere Gott, Mose und Israel. Er grenzt sich nach hinten sehr deutlich mit 10,11 ab, da ab Dtn 10,12 ein mehrfacher Wechsel stattfindet.4 Von der Nacherzählung wechselt Mose nun wieder in die Paränese, thematisch von der vergangenen Rebellions- und Erneuerungsgeschichte zum gegenwärtig geforderten Gebotsgehorsam und zeitlich von der Vergangenheit in die Gegenwart. Der Neueinsatz ist durch die einen Neueinsatz markierende Wendung „Und nun Israel“ (‫)ועתה יׂשראל‬, deutlich gekennzeichnet. Trotz des Neueinsatzes weist der syndetische Anschluss darauf hin, dass die nun einsetzende Gebotsparänese am vorausliegenden Abschnitt anschließt. Dies bestätigt sich auch darin, dass in 10,16 das Wort vom „harten Nacken“ aufgegriffen wird.5 Anhand dessen lässt sich ein größerer argumentativer Zusammenhang erkennen, der sich dem von G. Braulik als „Grundschema“ bezeichneten Argumentationsmuster Faktum - Appell zuordnen lässt.6 Zunächst wird eine als Faktum präsentierte Behauptung getätigt (Dtn 9,6c), die in Form einer Geschichtserinnerung verifiziert wird (Dtn 9,7–24), worauf schließlich ein Appell folgt (10,16): 9,6: Ihr seid ein Volk harten Nackens. 9,13: Ihr wart ein Volk harten Nackens. 10,16: Verhärtet euren Nacken nicht länger!

4 Siehe S. 24–25. 5 Auf die enge rhetorische Verknüpfung verweisen z. B. TIGAY, Deuteronomy, 96; KARIMUNDACKAL, Commitment, 299. 6 BRAULIK, „Geschichtserinnerung“, 167–169.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

5.1.3 Struktur von Dtn 9,7–10,11 N. Lohfink strukturiert den Abschnitt entlang der fünfmaligen Erwähnung der 40 Tage und 40 Nächte.7 Damit ergebe sich eine Strukturierung des Geschichtsrückblicks in die fünf Abschnitte Dtn 9,9–10; 9,11–17; 9,18–21; 9,25–10,5; 10,10–11 ohne Dtn 9,7–8; 9,22–24; 10,6–9, die sekundär seien. Er fand diese Strukturierung darin bestätigt, dass die so abgegrenzten Abschnitte auch nach juristischen Gesichtspunkten Sinn ergeben. Tatsächlich treten die „40 Tage und 40 Nächte“ jeweils zu Beginn neuer erzählerischer Einheiten auf, so in Dtn 9,9 zu Beginn des ersten Aufenthalts, neuerlich in Dtn 9,11 als Einleitung der Erzählung von Israels Gebotsbruch, in Dtn 9,18 zu Beginn von Moses Sühnegebet und wieder in Dtn 9,25 bei der neuerlichen Einführung von Moses Gebet, und schließlich in Dtn 10,10 zu Beginn der Konklusion. Allerdings ist dagegen einzuwenden, dass der Beginn der Erneuerungserzählung in Dtn 10,1 nicht derart markiert wird, obwohl sich die Erneuerung der Tafeln nach „juristischen Gesichtspunkten“ vom vorausgehenden Gebet abhebt. Die Erwähnungen der 40 Tage und 40 Nächte weisen vielmehr auf inhaltliche Eckpunkte der Erzählung hin. Denn alle fünf Erwähnungen der 40 Tage und 40 Nächte beziehen sich ausschließlich auf die ersten beiden Aufenthalte Moses am Berg, jenen der ersten Tafelübergabe und jenen von Moses Sühnegebet, und markieren dabei Beginn und Ende dieser Aufenthalte. Der erste Aufenthalt dauerte 40 Tage und 40 Nächte (9,9) und am Ende dieser Phase kam der Gebotsbruch (9,11). In Entsprechung zum ersten Aufenthalt betet Mose beim zweiten Aufenthalt 40 Tage und 40 Nächte, was zweimal notiert wird (v18.25). Am Ende dieser Phase wurde er erhört (10,10). Die Angaben der 40 Tage und 40 Nächte stecken die Eckpunkte der Geschehnisse von verheißungsvollem Beginn, Gebotsbruch, Gebet und Erhörung aus und markieren somit die wesentlichen Punkte einer Geschichte, die verheißungsvoll begann (v10), zu einer Katastrophengeschichte zu werden drohte (v11), durch Moses Einsatz (vv18.25) aber zur Rettungsgeschichte wurde (10,10). 8 Sind die 40 Tage und 40 Nächte nicht das entscheidende Strukturierungselement des gesamten Abschnitts, so müssen neben rhetorischen und narrativen vor allem inhaltliche Kriterien für die Strukturierung des Abschnitts herangezogen werden. In diesem Sinne teilen einige Kommentatoren den Geschichtsrückblick in zwei große thematische Abschnitte, deren erster (Dtn 9,7–24) von Israels Rebellionen und deren zweiter (Dtn 9,25–10,11) von der Wiederherstellung der Beziehungen handle.9 M. A. Zipor plädiert zusätzlich dafür, den zweiten Teilabschnitt (Dtn 9,25–10,11) wiederum thematisch in Moses Gebet (Dtn 9,25–29), das sich als Versöhnungsbemühen („reconciliation effort“) charakterisieren lässt, und Dtn 10,1–11, das die einzelnen Schritte der Versöhnung und Beziehungserneuerung beschreibt, zu unterteilen.10 Aber auch hier ist eine Präzisierung nötig, da sich das Versöhnungsbemühen zwar verdeckt, aber schon von Beginn an und erstmals explizit in vv18–20 entwickelt und in

7 LOHFINK, Hauptgebot, 214–216. 8 Vgl. STOPPEL, Angesicht, 210, der mit den 40 Tagen und Nächten die Dynamik von Gefährdung der Gottesbeziehung und deren Überwindung strukturiert sieht. 9 Z. B. TIGAY, Deuteronomy, 98 (9,6–24: History of Provocation; 9,25–10,11: The Aftermath of the Golden Calf Incident); DEROUCHIE, Call, 253 (9,7–24: Three examples of Israel’s Self-Centered Rebellion an Yahweh’s Gracious Response; 9,25–10,11: Yahweh’s Gracious Response at Horeb Embellished). 10 ZIPOR, „Account”, 22.

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v19 sogar die Erhörung von Moses Gebet notiert wird, ehe das Thema der Rebellion in vv22– 24 wieder aufgegriffen wird. R. H. O’Connell hat dementsprechend Dtn 9,7–10,11 in zwei A Sektionen (Dtn 9,7–8; 22–24), die Israels Rebellion behandeln, und zwei B Sektionen (Dtn 9,8b–21; 9,25–10,11), die den doppelten Tafelempfang zum Thema haben, strukturiert.11 Aber auch hier sind zwei Einwände zu erheben. Erstens zeigt die Unterscheidung von M. A. Zipor zwischen Versöhnungsbemühung und Wiederherstellung der Beziehungen treffend auf einen Unterschied zwischen Dtn 9,18–21.25–29 und Dtn 10,1–11. Während die ersten beiden Abschnitte das Thema der Versöhnungsbemühung behandeln, erzählt letzterer von der Erneuerung der Beziehung in verschiedenen Facetten. Zweitens hat die Erwähnung von Moses Gebet und dessen Erhörung in 9,18–20 Auswirkungen auf die abermalige Thematisierung von Moses Gebet in 9,25–29, da so der Fokus in 9,25–29 nicht mehr auf der Frage liegt, ob Gott vergeben wird, sondern welche Argumente ihn dazu bewogen haben. Dtn 9,25–29 ist damit nicht so sehr eine Erzählung über eine Versöhnungsbemühung, sondern gibt Einblick in die Gründe für Gottes Zornesrücknahme.12 Der Geschichtsrückblick lässt sich demnach folgendermaßen zu strukturieren: I 9,7–24: Israels Rebellion, Moses Einsatz und die göttliche Verschonung II 9,25–29: Einblick in die Gründe für die Verschonung III 10,1–11: Erneuerungserzählung Der erste Abschnitt ist von einer Inklusion in vv7.24 als Rebellionserzählung gekennzeichnet. Der erste Teilabschnitt 9,8–17 handelt von Israels „Urrebellion am Horeb“, der Sünde mit dem Kalb und deren Folgen. In 9,18–21 bemüht sich Mose sodann um Versöhnung, indem er für Israel und Aaron betet (vv18–20), was mit der Erhörungsnotiz in v19 einen ersten Abschluss findet, da Gottes Vernichtungswillen abgewendet wurde. Jedoch ist die Erzählung über Moses Bemühen noch nicht zu einem Ende gekommen, wie die unmittelbar folgende Zerstörung des Kalbes erkennen lässt (v21). Mit ihr wird das Objekt zerstört, das immer noch einer Erneuerung der Beziehungen im Weg steht. Sodann wendet sich Mose in vv22–23 wieder dem Thema der Rebellion zu, um darzulegen, dass Israel trotz der Verschonung am Horeb weiterhin rebellisch geblieben war. Mit Moses Gebet (vv25–29) scheint das Thema der Versöhnungsbemühung wieder aufgenommen zu werden. Tatsächlich aber wurde von der Erhörung schon berichtet. Es geht demnach nicht mehr eigentlich um die Frage, ob Gott vergeben wird, sondern darum, wie und aufgrund welcher Beweggründe Gott bewogen wurde, von seinem Zorn abzulassen. Aus diesem Grund ist der Abschnitt als Einblick in die Gründe für die Verschonung zu verstehen. In 10,1–11 wechselt Mose zur Erzählung über die Erneuerung der Tafeln und der Herstellung der Lade (10,1–5). In Dtn 10,6–9 meldet sich der Erzähler zu Wort, um die Erneuerung am Horeb mit dem Thema Klerus zu verbinden. In 10,10–11 meldet sich wieder Mose zu Wort, um die Erneuerungserzählung mit Gottes Aufbruchsbefehl und der Zusage der Landnahme abzuschließen. Folgende Strukturierung ergibt sich: 11 O’CONNELL, „Paralleled“, 493. 12 Vgl. STOPPEL, Angesicht, 230, demzufolge das Gebet eine Vorstellung vermittelt, welche Argumente Gottes Sinneswandel auslösten.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

I. Rebellions- und Rettungsgeschichte (9,7–24) Inklusion durch das Motiv der immerwährenden Rebellion (v7) Beispiel 1: Horebrebellion (vv 8–17) Einleitung (v8) Die Tafeln und das Kalb (vv9–17) Sühnegebet und Erhörung (vv18–20) Zerstörung des Sündenobjektes (v21) Beispiel 2: Tabera, Massa und Kibrot-Taawa (v22) Beispiel 3: Kadesch-Barnea (v23) Inklusion durch das Motiv der immerwährenden Rebellion (v24)

II. Moses Gebet: Gründe für die Verschonung (9,25–29) III. Die Erneuerungserzählung (10,1–11) Erneuerung der Tafeln und die Herstellung der Lade (10,1–5) Aarons Tod und die Sukzession seines Priesteramtes (10,6–7) Die Aussonderung des Stammes Levi (10,8–9) Konklusion und Aufbruchsbefehl (10,10–11) Auch wenn der Abschnitt eine komplexe Strukturierung aufweist, ist grundsätzlich der Charakterisierung von Dtn 9,7–10,11 als einer doppelgesichtigen Sünden- und Rettungssowie Erneuerungserzählung zuzustimmen.13 Dies wiederum macht deutlich, dass seine rhetorische Funktion sich nicht in einem bloßen Erweis der Halsstarrigkeit erschöpft.14 Denn neben dem Erweis der Sünde anhand des Kalbes und anderer Wüstenrebellionen veranschaulicht der Geschichtsrückblick auch die Abwendung der drohenden Vernichtung, ergründet die Ursachen der Vergebung und erzählt von der Erneuerung der Gottesbeziehung. 5.1.4 Dynamik Im Geschichtsrückblick stehen zum einen die Ereignisse am Horeb im Zentrum. Zum anderen bringt Mose diese mit weiteren Ereignissen der Wüstenzeit vor und nach dem Horeb in Verbindung. So sind zwei Dynamiken zu beobachten. Erstens entwickelt die Horeberzählung eine eigene Dynamik. Zweitens ist diese durch die Verknüpfung mit anderen Wüstenereignissen in eine übergeordnete Dynamik eingespannt, die wiederum mit der Paränese verbunden ist. a) Die Horeberzählung: Aufbau nach Handlungsmomenten Der Geschichtsrückblick Dtn 9,9–10,11 gestaltet sich nach vv7–8 mit Ausnahme von 9,22– 24; 10,6–9 als durchgängige Erzählung über die Horebereignisse. Diese kann als eigene Erzählung begriffen und nach narrativen Kriterien analysiert werden. Hilfreich ist hierbei die

13 OTTO, Deuteronomium, 1000. 14 Aufgrund dieser thematischen Zweiteilung von Sündenerweis und Restauration greift die These von ZIPOR, „Account”, 29, dass innerhalb von Dtn 9f. alles andere der Kalbepisode untergeordnet sei, zu kurz.

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Strukturierung nach Handlungsmomenten, da diese Einblicke in die Dynamik der Horeberzählung gewährt.15 Exposition (9,9–10): In vv9–10 wird der Hintergrund der Erzählung dargelegt. Mose erzählt aus erster Hand von den Ereignissen am Horeb. Der Hörer wird dabei in die Atmosphäre einer außerordentlichen gnadenerfüllten Begebenheit hineingenommen. Mose war auf den Berg gestiegen, hatte sich dort 40 Tage und Nächte aufgehalten, um die von Gott beschriebenen Tafeln zu empfangen, die Gott ihm schließlich übergeben hatte. Erregendes Moment (9,11–14): Nach dieser summarischen Exposition beginnt die erste Szene. Im Moment der Tafelübergabe (v11) erscheint erstmals das „Problem“ in Form des gemachten Gussbildes (v12), das als selbstgemachtes Kultbild Gottes Tafeln kontrastiert. In Folge beurteilt Gott das Volk als „Volk harten Nackens“ (v13) und droht an, es zu vernichten (v14). Damit sind die beiden miteinander verknüpften Probleme der Erzählung benannt, Israels Vergehen und der damit korrespondierende Vernichtungswillen Gottes. Die gegenseitige Beziehungsauflösung steht in Konflikt mit den Tafeln als Zeichen des Bundes zwischen Gott und seinem Volk. Steigerung 1 (9,15): Wenn Mose in v15 Gottes Befehl zum Abstieg ausführt und dabei betont, dass die Tafeln auf seinen Händen waren, weiß der Hörer, dass etwas mit den Tafeln und Moses Händen geschehen wird, jedoch ist dies völlig offen und unvorhersehbar. Das Augenmerk wird so darauf gelenkt, was Mose tun wird. Klimax 1 (9,16): Mose sieht mit eigenen Augen bestätigt, was Gott ihm gesagt hatte. Er sieht das Gussbild, das er als Kalb identifiziert. Es ist der Moment der höchsten Spannung. Die Handlung ist an dem Punkt angelangt, wo Mose etwas unternehmen muss. Aber was wird Mose, das Objekt der Sünde vor Augen, tun? Tragisches Moment 1 (9,17a): Überraschenderweise ergreift Mose nun die Tafeln und nicht das Kalb. Katastrophe (9,17bc): Anstelle des Kalbes, dem eigentlichen Problem, zerstört Mose die Tafeln. Die gesamte Spannung, die sich mit der Kontrastierung der Gabe Gottes und der Sünde Israels aufgebaut hat, entlädt sich an den Tafeln. Damit werden jedoch noch nicht die Grundprobleme des apostatischen Bildes und des göttlichen Zornes gelöst, sondern die Kollision von Tafeln und Kalb, die nicht nebeneinander existieren können. Die Geschichte der ersten Tafeln endet damit in einer Katastrophe, die die gegenseitige Beziehungsaufkündigung bildhaft zum Ausdruck bringt. Steigerung (9,18–20): Die verheißungsvoll begonnene Erzählung hat somit ein katastrophales Ende genommen. Das Problem der Unvereinbarkeit von Bundestafeln und Kalb ist zwar gelöst, die beiden zentralen Probleme des apostatischen Kultbildes und Gottes angedrohter Vernichtung stehen jedoch immer noch im Raum. Mose unternimmt nun den Versuch das erste der beiden Probleme zu lösen, indem er für Israel (vv18–19) und Aaron betet (v20). Lösung 1 (9,19c): In Dtn 9,19c erklingt die Lösung des anstehenden Problems des göttlichen Zornes in der Erhörungsnotiz. Diese ist nicht bloß eine Prolepsis,16 sondern die Lösung für das Problem des göttlichen Vernichtungswillens. 15 Zu den hier verwendeten Handlungsmomenten sowie weiterführenden Beobachtungen und Literaturangaben siehe SKA, Fathers, 20–33. 16 Pace BOORER, Promise, 311.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

Lösung 2 (v21): Mit der Zerstörung des Kalbes wird das zweite Problem des Sündenobjektes gelöst und so der Weg für eine neuerliche Beziehungsaufnahme freigemacht. Abweichung ins Detail (9,25–29): In Dtn 9,25–29 wird nun Moses bereits in vv18–20 erwähntes Gebet im Detail wiedergegeben. Da die Erhörungsnotiz bereits in v19 erfolgt war, stellt sich nicht die Frage, ob Gott vergeben wird, sondern auf welche Weise Mose Gottes Zorn beschwichtigen konnte. Dies wird hier vor Augen geführt. Tragisches Moment (10,1): Gott befiehlt, neue Tafeln zu hauen und eine Lade zu bauen. Dies ist das Zeichen dafür, dass Gott die Bundesbeziehung erneuern möchte. Neben Gottes Befehl und den neuen Tafeln steht die Lade als neues Element in besonderer Weise für die Wende, die die Erzählung auf eine endgültige Lösung zulaufen lässt. Lösung 3 (10,2–5): In der Ausführung des göttlichen Befehls und der Deponierung der Tafeln in der Lade ist das katastrophale Ende mit der Tafelzerstörung aus v17 umgekehrt worden. Die Beziehung ist wiederhergestellt. In Reaktion auf den Bruch der ersten Tafeln werden die zweiten nun in eine Lade gelegt. Konklusion (10,10–11): V10 fasst mit der Erhörungsnotiz und Gottes Unwillen, Israel zu zerstören, noch einmal zusammen, was in 9,19 schon vorweggenommen und in 10,1–5 hinreichend deutlich geworden war. Vor dem Hintergrund der Vergebung und erneuerten Beziehung ergeht der Befehl an Mose, dem Volk voran in Richtung Land der Verheißung aufzubrechen. b) Die übergeordnete Dynamik In Dtn 9,7.22–24; 10,6–9 verknüpft Mose die Horeberzählung mit weiteren Ereignissen der Wüstenzeit, sodass ein größerer Geschichtszusammenhang entsteht. Durch 9,7 („bis zu eurer Ankunft an diesem Ort“) wird die Moabgeneration ausdrücklich in die Rebellionsgeschichte der Wüstenzeit eingeschlossen. Die Moabgeneration befindet sich demnach inmitten und am vorläufigen Endpunkt einer Rebellionsgeschichte. In 9,22–23 wendet sich Mose weiteren Rebellionen Israels zu. Damit macht er einerseits die Horeberzählung zu einem Beispiel unter mehreren, sodass tatsächlich von einer immerwährenden Rebellion der Wüstenzeit geredet werden kann.17 Andererseits zeichnet Mose damit einen Kontrast. Während Gott am Horeb seinen Zorn zurückgenommen hat, hat das Volk seine rebellische Haltung nicht abgelegt. Ist dieser Kontrast deutlich herausgestellt worden, wendet sich Mose dann wieder den Horebereignissen zu. Er lässt seine Adressaten erkennen, warum Gott sie verschont hatte (9,25–29). Darüber hinaus zeigt er ihnen, dass Gott von seiner Seite die Bundesbeziehung erneuert hat, was wiederum in Kontrast zur immerwährenden Rebellion des Volkes steht. Mit der Lade wird zudem angedeutet, dass die erneuerte Beziehung Schutz gefunden hat. Dieses Thema wird von der Erzählstimme aufgegriffen, die in 10,6–9 den Klerus und seine Bedeutung für die Bewahrung der Bundesbeziehung thematisiert. Zuletzt wendet sich Mose wieder dem zweiten Bergaufenthalt zu und erinnert an Gottes Aufbruchsbefehl und Zusage der Landnahme. Gottes Verschonung war damit verbunden, dass er das Volk in Richtung Land entsendete, um es einzunehmen. Vor dieser Aufgabe steht nun die Moabgeneration.

17 Vgl. z. B. OTTO, Deuteronomium, 953.981–982.

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5.1.5 Fabel: Ein einziges Gebet Kommentatoren kommen bei dem Versuch, eine Fabel der Horebereignisse zu rekonstruieren, zu unterschiedlichen Ergebnissen. Da Dtn 9,7–10,11 die Ereignisse teils nur ausschnitthaft umreißt, wird oftmals Ex 32–34 als Vergleichspunkt und Hintergrundfolie herangezogen. Die Frage, von wie vielen Gebeten in Dtn 9,7–10,11 berichtet wird, steht dabei in besonderer Weise zur Debatte. Insgesamt wird in Dtn 9,7–10,11 dreimal ein Gebet erwähnt (9,18–20; 9,25–29; 10,10). Manche Kommentare meinen, diese dreifache Erwähnung entspreche der Aufgliederung des mosaischen Betens und Ringens mit Jhwh in Ex 32–34 (Ex 32,11–13; 32,30–34; 33–34).18 Andere Kommentatoren gehen von zwei Gebeten aus. Dabei entspreche jenes in Dtn 9,18– 20.25–29 Moses Gebet in Ex 32,30–34, jenes in Dtn 10,10 aber seinen letzten Verhandlungen in Ex 34.19 Mehrere Indizien deuten jedoch darauf hin, dass in Dtn 9f. nur von einem einzigen Gebet die Rede ist. So machen die Objektmarker und die Determinierung der 40 Tage und 40 Nächte in v25 „ich lag diese 40 Tage und 40 Nächte“ deutlich, dass sich v25 auf v18 zurückbezieht und es sich so um ein und dasselbe Gebet in vv18–20 und vv25–29 handelt.20 Dtn 10,10 wiederum handelt ebenso wie 9,18–20 und 9,25–29 von der Verschonung Israels, bezieht sich wie v19 auf einen ersten Bergaufenthalt zurück und enthält eine wortgleiche Erhörungsnotiz wie in v19 mitsamt der Notiz der Vernichtungsabwendung. All dies deutet darauf hin, dass sich auch Dtn 10,10 auf ein und dasselbe Gebet bezieht und so Mose in Dtn 9,7–10,11 nur ein Gebet vor Augen hat.21 Der bestimmende Leitgedanke ist dabei, dass Mose um Verschonung betete, was im Buch Exodus Moses erster Intervention (Ex 32,11–14) entspricht. Dtn 9,18–20 enthält aber auch mehrere Elemente aus Ex 32,30–34, so etwa das Motiv der Sühnewirkung, das in Ex 32,30 explizit, in Dtn 9,18 aber über Anspielungen thematisiert wird, und mit dem Schuldbekenntnis in Dtn 9,27 ein Element aus Ex 32,31.22 Mit dem zweifachen Verweis auf Israel als „dein Volk und dein Erbteil“ enthält es zudem ein Element, das über Ex 33,13; 34,9 entfaltet wird. 18 Vgl. z. B. TIGAY, Deuteronomy, 101, der dies als mögliche Interpretation erwähnt; RAMBAN, Dewarim, zu Dtn 9,15; 9,18–20; 9,25–26; 10,10 (Hg. KASNETT et al., 212.217.242) sieht in 9,25–29 ein erstes Gebet angesprochen, dem Ex 32,11–13 entspreche, in 9,18–20 ein vorgezogenes zweites 40 Tage währendes Gebet während seines zweiten Aufenthalts und in Dtn 10,10 die Erhörungsnotiz eines dritten Gebetes, dem Ex 34,6 entspreche. 19 So z. B. WEINFELD, Deuteronomy, 411. Gegen die alleinige Identifizierung von Moses Gebet in Dtn 9f. mit jenem in Ex 32,30–34 spricht, dass Dtn 9,18–20; 9,25–29 nicht nur Übereinstimmungen mit Moses zweitem Gebet in Ex 32,30–34, sondern noch mehr mit Moses erster Intervention in Ex 32,11–13 aufweist. Lässt sich diese inhaltliche Übereinstimmung mit der Mehrheit der Kommentatoren textgenetisch aus einer Rezeption von Dtn 9 in Ex 32,11–14 erklären, so spricht gegen eine alleinige Identifizierung mit Moses Gebet in Ex 32,30–34 außerdem, dass Mose immer noch um Verschonung bittet, während Mose sich in Ex 32,30–34 um weitere Versöhnung bemüht. Gegen die Identifizierung von Dtn 10,10 mit Moses Verhandlungen in Ex 34,1–9.27–28 spricht, dass sich die Erhörungsnotiz in 10,10 immer noch darauf bezieht, dass Israel nicht vernichtet wurde, was Moses Erhörungsnotiz in Ex 32,14; Dtn 9,19 entspricht, nicht aber der Bitte um Gottes Mitziehen ins Land der Verheißung und um die Wiederannahme als Volk in Ex 34,9, wo die unmittelbar drohende Vernichtung bereits abgewendet war. 20 Z. B. ACHENBACH, Israel, 365. 21 Von einem einzigen Gebet spricht z. B. auch wieder STOPPEL, Angesicht, 170. 22 Vgl. LOHFINK, „Deuteronomium 9,1–10,11”, 148.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

Was der Erzähler in Ex 32–34 in einer etappenweisen Progression schildert, ist in Dtn 9,7–10,11 auf ein Gebet konzentriert, das Mose mit 9,18; 10,10 in einem 40-tägigen Aufenthalt auf dem Berg situiert. Während dieses Aufenthalts sei er vor Gott in Sühnehaltung gelegen (vv18.19.25), habe er gefastet (v18), gebetet (vv20.25–29) und sei erhört worden (9,19; 10,10). Zielpunkt dieses Gebets war die Abwendung der Vernichtung, was in allen drei Erwähnungen vorkommt, in 9,19 als Begründung seines Gebets, in 9,26 als Bitte und in 10,10 als inhaltliche Bestimmung der Erhörung. Die Zielbestimmung dieses Gebets in der Abwendung der Vernichtung und der Überwindung des göttlichen Zornes entspricht Moses Intervention in Ex 32,11–14. Die Verknüpfungen zu den anderen Bitten Moses in Ex 32,30– 34 und Ex 33,13; 34,9 deuten jedoch darauf hin, dass auch andere Etappen von Moses Gebet, die in Ex 32–34 geschildert werden, im Blick sind und im Hintergrund stehen. Die Verbindungen von Moses Gebet in Dtn 9,7–10,11 zu allen drei Etappen des mosaischen Betens in Ex 32–34 erklärt sich textgenetisch in einem komplexen Rezeptionsprozess, wonach zuerst Moses Fürbitte in Ex 32,30–34 als Folie gedient hat,23 dies aber in Dtn 9,7–10,11 als Gebet um Abwendung der Vernichtung eines schuldigen Volkes und der Überwindung des göttlichen Zornes akzentuiert wurde, was später wieder in Ex 32,11–14 rezipiert wurde.24 Dieser Rezeptionsprozess hat zum Resultat, dass sich Moses Beten in Dtn 9,26–29 inhaltlich am meisten mit Ex 32,11–14 überschneidet, zugleich aber auch in Dtn 9,18 die erste Etappe von Moses Beten in Ex 32,30–34 durchklingen lässt.25 Die Endgestalt von Dtn 9f. lässt zudem vermuten, dass hier auch Ex 33–34 rezipiert wurde, was vor allem in der Motivzusammenführung der Völkervertreibung und dem Volk harten Nackens in Dtn 9,1–6 zu erkennen ist (vgl. Ex 34,9–11). Dazu gehören auch Moses Ringen um Gottes Mitgehen aus Ex 33–34 und der Hinweis auf Israel als „Volk und Erbteil“ in Dtn 9,26.29, das über Ex 33,13; 34,9 entwickelt wird.26 5.1.6 Die Symbolik der Tafeln, des Kalbes und der Lade Für das Verständnis des Abschnitts spielt die Deutung der bildstarken Symbole des Kalbes, der Tafeln und der Lade sowie der damit verbundenen Symbolhandlungen eine wichtige Rolle. Der Geschichtsrückblick entwickelt sich in dem spannungsvollen Kontrast von Aktionen des schöpferischen Handelns, konstruktiven Machens, Gebens und Bewahrens einerseits und des Vernichtens in verschiedensten Formen andererseits, die jeweils in den Symbolen der zerschmetterten und erneuerten Tafeln einen symbolhaften und verdichteten Ausdruck finden, indem sie prägnant und gleichsam unvermittelt zum Ausdruck bringen, was in narrativen Zusammenhängen „fließender Inhalt“ bleibt.27 Als von Gottes Hand beschriftet repräsentieren die Tafeln Gottes schöpferisches Werk. In starkem Kontrast dazu steht das Kalb, das sich Israel selbst gemacht hat.28 Dieses 23 Ex 32,30–34 wird überwiegend der Grundschicht von Ex 32–34* zugerechnet; siehe z. B. wieder STOPPEL, Angesicht, 429. 24 Siehe z. B. GERTZ, „Beoabchtungen“, 96. 25 Zur komplexen Literaturgeschichte siehe OTTO, Deuteronomium, 955–969, besonders 955.965.967. 26 Siehe dazu S. 174–175. 27 Vgl. CASSIRER, Symbolische Formen I, 22, demzufolge Symbole entstehen, indem ein Prozess der gliedernden Wahrnehmung von Wirklichkeit darin mündet, dass „fließender Inhalt“ durch „eine in sich geschlossene und in sich beharrende Form“ Repräsentation findet. 28 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 308.

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Israels Rebellionen und die Verschonung am Horeb (Dtn 9,7–24)

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repräsentiert im Unterschied zum schöpferischen Handeln Gottes das eigenmächtige „Machen“ des Menschen, der sich Gott verfügbar machen will. Entgegen dem Anschein ist die Produktion des Kalbes kein schöpferischer Akt, sondern ein Zerstörungsakt, mit dem Israel die Bundesbeziehung zu Grunde richtet (9,12: ‫)ׁשחת‬. Damit erzürnt es Gott so sehr, dass dieser Israel vernichten will (9,8.14.19.20.25: ‫)ׁשמד‬. Angesichts dessen zerschmettert Mose die Tafeln. In diesem Akt spiegeln sich die vorangegangenen Vernichtungsakte insofern wider, als er den Bruch der Beziehung zum Ausdruck bringt. Die zerschmetterten Tafeln werden somit zum Symbol für die gesamte Bewegung von der Sünde bis zum Bruch der Gottesbeziehung. Nach der Wende durch Moses Sühne und Gebet und der daraus folgenden Verschonung Israels (9,19) kommt es in der Zerstörung des Kalbes zu einem letzten Vernichtungsakt. War das Machen des Kalbes entgegen seinem Anschein ein Zerstörungsakt, so ist die Zerstörung des Kalbes entgegen seinem Anschein eine heilsame Zerstörung, weil Vernichtung des Sündenobjektes und somit Voraussetzung für die Erneuerung. Nachdem Gott Israel verschont und Mose das Sündenobjekt vernichtet hat, befiehlt Gott, neue Tafeln zu hauen. Damit setzt eine Gegenbewegung ein. Gott lässt nicht nur von seinem Zorn ab, sondern erneuert, was verloren war, wie durch den vierfachen Hinweis in 10,1.2.3.4 auf die früheren Tafeln sehr deutlich wird. Die erneuerten Tafeln stehen nun für die gerettete und wieder intakte Gottesbeziehung. Im Gegensatz zu den ersten Tafeln sollen die erneuerten Tafeln nicht zerstört werden. Deshalb baut Mose auf Gottes Befehl hin eine Lade. Sie symbolisiert den Schutz der geretteten, aber immer noch gefährdeten Gottesbeziehung. Auch sie wird wie das Kalb gemacht (‫)עׂשה‬. Allerdings ist sie im Gegensatz zum Kalb ein legitimes Artefakt, weil sie von Gott in Auftrag gegeben ist und als schützende Hülle für die erneuerten Tafeln dienen soll.

5.2 Israels Rebellionen und die Verschonung am Horeb (Dtn 9,7–24) Mose hat in Dtn 9,4–6 in aller Deutlichkeit dargelegt, dass Israel den zukünftigen Landgewinn nicht auf eine verdienstvolle Bewährung seinerseits zurückführen kann. Das Wort vom „Volk harten Nackens“ hat einer solchen Argumentation jegliche Legitimation entzogen. Allerdings bedarf diese Charakterisierung selbst einer Begründung. Diese wird in 9,7–24 ausführlich gegeben. 5.2.1 Struktur und Dynamik Dtn 9,7–24 beginnt mit einer allgemeinen Behauptung von Israels rebellischer Haltung in v7. Dieselbe Formulierung begegnet am Ende des Abschnitts in v24, wodurch der Abschnitt von zwei identischen Aussagen der immerwährenden Rebellion gerahmt wird:29 9,7: Ihr wart rebellisch gegen Jhwh (‫)ממרים הייתם עם־יהוה‬ 9,24: Ihr wart rebellisch gegen Jhwh (‫)ממרים הייתם עם־יהוה‬

29 LOHFINK, Hauptgebot, 211.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

Einige Kommentatoren nehmen v8 und vv22–23 in den Rahmen hinein.30 Dagegen lässt sich halten, dass v8 und vv22–23 ein erstes (v8), zweites dreigliedriges (v22) und drittes (v23) Beispiel von Israels rebellischer Haltung präsentieren. Einen deutlichen Hinweis dafür bietet die jeweilige Einleitung mit ‫ ו‬+ Präposition ‫ ב‬+ Ortsname oder Aktion.31 Demnach bilden v7 und v24 eine Inklusion um fünf Beispiele von Israels rebellischer Haltung. Wird in v7 Israels rebellische Haltung noch einfach behauptet, wiederholt v24 die Behauptung nun begründeter Weise mit den Fallbeispielen der Horeb- und Wüstenrebellionen im Rücken. Zudem wurde im ersten Rebellionsbeispiel von der Abwendung der göttlichen Strafe durch Moses Fürbitte erzählt (v19). Dies verändert die zweite Inklusion dahingehend, dass die Rebellionsaussage auch den gesamten Zusammenhang von Strafe - Fürbitte Verschonung mitträgt. So gesehen ist der Abschnitt nicht nur eine Beweisführung des harten Nackens, sondern weist darauf hin, wie einerseits Gott Israel auf Moses Einsatz hin verschont hat, Israel aber andererseits trotz der Verschonung am Horeb rebellisch geblieben war. Die Geschichte vom Horeb bis nach Moab ist somit eine des Gegensatzes zwischen der göttlichen Verschonung und Israels sich fortsetzender Rebellion. Folgende Struktur ergibt sich: A. 9,7: Behauptung von Israels rebellischer Haltung in der Wüstenzeit B. 9,8–21: Horeb + Moses Fürbitte und Verschonung B. 9,22: 2. Drei Wüstenrebellionen B. 9,23: 3. Kadesch-Barnea A. 9,24: Nun begründete Behauptung von Israels rebellischer Haltung Die Dynamik des Abschnitts entwickelt sich rhetorisch von einer Behauptung von Israels rebellischer Haltung über fünf Rebellionsbeispiele hin zur neuerlichen nun mit Beispielen gedeckten Behauptung eben dieser Haltung. Allerdings deuten bereits die Thematisierung des göttlichen Zornes im Rahmenvers (v7) und im Einleitungsvers zur Horebepisode (v8) sowie die Ausführlichkeit der Beschreibung von Moses Einsatz und der Überwindung des göttlichen Zornes darauf hin, dass hier über Israels Rebellionsgeschichte hinaus Gottes Zorn und dessen Überwindung ebenso zentral sind. Besonders Moses Fürbitte und die Zerstörung des Kalbes würden keine unmittelbar einsichtige Funktion in einer reinen Beweisführung von Israels harten Nacken erfüllen. Dtn 9,7–24 dient so einerseits rhetorisch der Beweisführung von Israels rebellischer Haltung und damit von Moses Behauptung, Israel sei ein „Volk harten Nackens“ in v6. Höhepunkt dieser Beweisführung ist die höchst autorisierte Bestätigung dieser Behauptung aus Gottes Mund in v13.32 Andererseits hält Mose Israels Rebellionsgeschichte eine Geschichte der Fürbitte und der göttlichen Verschonung entgegen.

30 So z. B. WEINFELD, Deuteronomy, 407. 31 So schon LOHFINK, Hauptgebot, 210–211. 32 Vgl. TALSTRA, „Deuteronomy 9”, 198.

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Israels Rebellionen und die Verschonung am Horeb (Dtn 9,7–24)

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5.2.2 Behauptung von Israels Rebellion der Wüstenzeit (Dtn 9,7) Der Geschichtsrückblick beginnt mit einer Mahnung zur Erinnerung, die einen weit ausholenden Geschichtsrückblick einleitet. Derartige Erinnerungen verfolgen im Buch Deuteronomium unterschiedliche pragmatische Ziele. So macht Mose mit dem Verweis auf frühere Machttaten Gottes Mut (7,18), wendet sich gegen Gefühle falscher Selbstgewissheit (8,18) oder versucht zum Toragehorsam zu motivieren (5,15; 15,15; 16,12; 24,9.18.22). Die Erinnerung in 9,7 berührt alle drei angesprochenen Aspekte. Einerseits dient hier die Erinnerung der Selbsterkenntnis und so dem Ziel, Gefühlen falscher Selbstgewissheit zu wehren. Andererseits dient sie der Erkenntnis von Gottes Heilswillen und so dem Ziel, Mut für die bevorstehende Mission der Landnahme zu machen. Zudem zielt sie darauf ab, eben jene rebellische Haltung abzulegen, die Israels Geschichte vom Horeb bis Moab charakterisiert hat. Die an die Erinnerungsmahnung direkt anschließende Aufforderung, nicht zu vergessen, ist nicht nur eine negativ formulierte Erinnerungsmahnung. Sie ermahnt zusätzlich, das einmal Erinnerte im Gedächtnis zu bewahren. Die über den Geschichtsrückblick vermittelte Selbst- und Gotteserkenntnis sollen die Adressaten bleibend vor Augen haben. 33 Die Erinnerung beginnt mit einer allgemeinen Konstatierung von Israels Rebellion in der Wüste in Form einer sogenannten „Kränkungsformel“ mit dem Hifil von ‫קצף‬, „erzürnen“.34 Zürnte Gott über Israels Murren nach dem Kundschafterbericht (Dtn 1,34) und über Israels Sünde mit dem Kalb (Dtn 9,19), so werden Israels Rebellionen insgesamt (Dtn 9,7), die Horebrebellion (Dtn 9,8) sowie die drei Rebellionsbeispiele in Dtn 9,22 als Kränkungen Gottes klassifiziert. Das Verb ‫ קצף‬ist somit im Buch Deuteronomium ausschließlich mit Israels Rebellionen der Wüstenzeit und in besonderer Weise mit den Rebellionen am Horeb und in Kadesch-Barnea als deren Kristallisationspunkte verbunden. In scharfem Kontrast zur wiederholten Rebellion Israels in der Wüste steht Gottes Sorge für Israel (1,31; 2,7; 8,15.16; 11,5; 29,4; 32,10).35 Mose steigert seine anfängliche Behauptung, Israel habe Gott in der Wüste erzürnt, indem er die gesamte Zeitspanne vom Tag des Auszugs bis zur Ankunft in Moab als Zeit der Rebellion kennzeichnet. Die Zeitspannenangabe „Von dem Tag an, da du aus dem Land Ägypten auszogst“ könnte hyperbolisch zum Ausdruck bringen, dass sich Israel von Anfang seiner Befreiungsgeschichte an aufgelehnt hat. Sie könnte sich aber auch konkret auf Ex 14,11–14 beziehen, wonach die Israeliten den heranrückenden Pharao im Rücken erstmals Vorhaltungen machten und Jhwhs Pläne in Zweifel zogen. Mit „bis zu eurer Ankunft an diesem Ort“ gibt Mose den Endpunkt der angesprochenen Zeitspanne an. Damit schließt er die Moabgeneration ausdrücklich in die Rebellionszeit ein. Obwohl die nachfolgenden Rebellionsbeispiele ausschließlich die Horebgeneration betreffen, hat sich auch die

33 Die unmittelbare Verknüpfung einer Erinnerungsmahnung mit einer Mahnung gegen das Vergessen ist einzigartig im Buch Deuteronomium und hat seine nächsten Parallelen in 8,18–19; 25,17–19, wo ebenfalls beide Motive des „Erinnerns“ und des „Vergessens“ begegnen. Das gemeinsame Vorkommen beider Motive unterstreicht die besondere Bedeutung, die dem jeweiligen Inhalt beigemessen wird. 34 Erstmals hat MCCARTHY, „Wrath“, 100, mit Anm. 5, von einer „provocation formula“ gesprochen, die von LOHFINK, „Zorn Gottes“, 39, als „Kränkungsformel“ bezeichnet wird. 35 Zur Gottes Zuwendung in der Wüste siehe GOMES DE ARUJO, Wüste, 110.216–220.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

Moabgeneration in Beth Peor gegen Jhwh aufgelehnt (siehe Num 25,1–9; Dtn 4,3),36 sodass sich die Moabgeneration nicht wesentlich von ihren Eltern unterscheidet. Die exakt identische Formulierung „bis zur Ankunft an diesem Ort“, begegnet auch in Dtn 1,31, wo Mose darauf hinweist, wie Gott Israel „bis zur Ankunft an diesem Ort“ getragen hat, und in Dtn 11,5, wo er auf Gottes Taten für Israel in der Wüste „bis zur Ankunft an diesem Ort“ hinweist. Im Vergleich zu Dtn 9,7 kommt der angesprochene Kontrast von Gottes Sorge und Israels Rebellion in der Wüstenzeit besonders eindringlich zur Geltung. Der lange Weg „bis zu diesem Ort“ ist ein Weg der Sorge Gottes für Israel und zugleich ein Weg der Rebellion Israels. In Dtn 1,31; 9,7; 11,5; 29,6 verweist „dieser Ort“ auf Moab als Endstation der langen Wüstenwanderung. „Dieser Ort“ ist damit ein vorläufiger Endpunkt, von dem aus die Moabgeneration auf eine lange Reise zurückblicken kann. Ähnlich dem Marker „Heute“ überschreitet „dieser Ort“ die örtlichen Grenzen von Moab, da die textexternen Hörer in „diesem Ort“ ihren eigenen Standort erkennen dürfen. Mitten in v7 wechselt die Anrede vom Singular in den Plural. Während „der Tag, an dem du auszogst“ noch im Singular steht, ist ab „bis zu eurer Ankunft“ im Plural der zweiten Person formuliert, ehe die Erzählstimme in der dritten Person spricht und in 10,9.10 ein neuerlicher Umschwung in die zweite Person erfolgt. Der Numeruswechsel markiert einen Umschwung, den M. Weinfeld auf den Wechsel von der Paränese zur Erzählung bezieht.37 Dies greift jedoch nicht in 10,10, da Mose hier Israel wieder im Singular adressiert, obwohl er immer noch nacherzählt.38 E. Otto sieht im Numeruswechsel eine Differenzierung in der Adressatenkommunikation angezeigt. Während Dtn 9,1–7a;10,6–9.10–11 verstärkt auf die Zeit der Adressaten zielten, beziehe sich die Nacherzählung auf die erzählten Ereignisse der Wüstenzeit, die erst auf die „nachexilische Erzählzeit“ appliziert werden müssten.39 Zudem könnte der Numeruswechsel in Dtn 9f. auch dahingehend interpretiert werden, dass die Singularansprachen in besonderer Weise den Einzelnen in seiner Entscheidungs- und Erkenntnisfähigkeit (9,1–6) sowie in seinem persönlichen Schicksal (10,10) ansprechen, während die Pluralpassagen die Geschichte des Volkes im Blick haben. Mit „ihr wart rebellisch gegen Jhwh“ lastet Mose nun Israel ein rebellisches Verhalten über die gesamte zuvor ausgesteckte Zeitspanne an.40 Die Bedeutung des Verbes ‫ מרה‬wird am Beispiel des rebellischen Sohnes in Dtn 20,18.20 deutlich, dessen Widerspenstigkeit im Unwillen, auf seine Eltern zu hören, ihre Charakterisierung findet. Das Verb drückt so einen „wissentlichen, grundsätzlichen und trotzigen Ungehorsam“ aus,41 was bereits im Wort vom „Volk harten Nackens“ angeklungen war. Ähnlich diesem dient das Verb ‫ מרה‬dazu, Israels 36 Vgl. TIGAY, Deuteronomy, 98. 37 So WEINFELD, Deuteronomy, 407. 38 LXX und Smr setzen bereits „vom Tag, als du auszogst“ in den Plural ἀφ᾽ ἧς ἡμέρας ἐξήλθετε ἐξ Αἰγύπτου, „von dem Tag an, da ihr aus Ägypten auszogt“, und lassen Mose in Dtn 10,10 ebenfalls im Plural (ὑμᾶς) formulieren. Sie scheinen eine ähnliche Funktion des Numeruswechsels im Sinn gehabt zu haben, wie es M. Weinfeld für den MT vermutet. 39 OTTO, Deuteronomium, 939–941.974.998–999. 40 BOVATI, Ristabilire, 55, zählt Dtn 9,7 zu typischen Anklageformulierungen. 41 Siehe SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, „‫“מרה‬, 8, der ausgehend von Dtn 20,18.20 und in Übereinstimmung mit den restlichen Belegen von ‫ מרה‬dessen Bedeutung als „wissentlichen, grundsätzlichen und trotzigen Ungehorsam“ bestimmt.

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Israels Rebellionen und die Verschonung am Horeb (Dtn 9,7–24)

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Verhalten als Ungehorsam zu charakterisieren. Dabei bezieht es sich seltener auf einen Gebotsbruch, aber häufiger auf die Unwilligkeit, Gottes Plänen für sein Volk zu trauen. 42 Zudem ist das Verb im Buch Deuteronomium eng mit der Rebellion in Kadesch-Barnea verbunden, in deren Kontext es noch drei weitere Male begegnet (Dtn 1,26.43; 9,23). Wenn Mose nun in den Rahmenversen Dtn 9,7.24 Israels Rebellionsgeschichte unter das Wort ‫מרה‬ fasst, so könnte dies ein Hinweis dafür sein, dass in Dtn 9,7–24 über die Horebrebellion hinaus auch jene in Kadesch-Barnea besonders im Blick ist. Dtn 9,7 verknüpft sich auf mehrfache Weise mit anderen Texten, die Israels Rebellionen der Königszeit behandeln. Moses Konstatierung von Israels Rebellion seit dem Tag des Auszugs hat seine Parallelen beim Propheten Jeremia (Jer 7,22.25; 11,4; 31,32; 34,13), der dreimal wie Mose in Dtn 9,7 eine Zeitspanne zwischen den zwei äußersten Rahmenpunkten vom „Tag des Auszugs“ bis „Heute“ aussteckt. Dasselbe gilt für 2 Kön 21,15,43 wo sich eine ähnliche Zeitangabe findet, deren Anfangspunkt wie in Dtn 9,7 der „Tag des Auszugs“ darstellt und deren Endpunkt mit „bis zu diesem Tag“ festgelegt wird. Das in dieser Zeitspanne gezeigte Verhalten wird in 2 Kön 21,15 durch die Wendung „das Böse in den Augen Gottes tun“ ( ‫ )לעׂשות הרע בעיני יהוה‬und das Verb „reizen“ (‫)כעס‬ charakterisiert, die jeweils auch in Dtn 9,18 auftreten. In Jer 7,25 thematisiert Jeremia im Rahmen der Gerichtsandrohung für Juda nicht direkt die Rebellion des Volkes, sondern Gottes beständigen Versuch, Israel von dieser Rebellion abzuhalten, indem er immer wieder Propheten sendete. Wieder zeigen sich mehrere starke Verknüpfungen zu Dtn 9, etwa durch die Verhärtung des Nackens in Jer 7,26 oder die Verstoßungsformel in Jer 7,15 (vgl. Dtn 9,17) sowie eine ganz ähnliche Aufforderung Gottes, ihn nicht für das Volk zu bedrängen (Dtn 9,14: „Lass mich!“/ Jer 7,16: „bete nicht...dräng mich nicht!“). Sowohl 2 Kön 21 als auch Jer 7 handeln vom Untergang Judas und Jerusalems. Die starken Verknüpfungen von Dtn 9 zu diesen Texten deuten auf einen intertextuellen Dialog, wonach Israels Rebellionsgeschichte der Wüstenzeit mit der Untergangsgeschichte Judas in Beziehung gesetzt wird.44 5.2.3 Die Rebellion am Gottesberg und die Verschonung Israels (Dtn 9,8–21) Nach der allgemeinen Behauptung von Israels rebellischer Haltung in der Wüstenzeit in v7 wendet sich Mose ab v8 den Horebereignissen zu, womit sich in der Argumentation eine Bewegung vom Allgemeinen zum Konkreten beobachten lässt. Der Abschnitt 9,8–21 lässt sich in sechs Teilabschnitte strukturieren: 9,8: Einleitung 9,9–10: Aufstieg und Tafelübergabe 9,11–14: Das Kalb und Gottes Zorn 9,15–17: Moses Abstieg ins Lager und das Zerschmettern der Tafeln 9,18–20: Moses Fürbitte und Erhörung 9,21: Zerstörung des Kalbes

42 So allgemein während der Wüstenzeit in Dtn 9,7.24; 31,27; Ps 78,8.17.40; Ez 20,13.21, konkret in Meriba in Num 20,10.24; Ps 106,33, in Zin in Num 27,14 und in Kadesch Barnea in Dtn 1,26.43; 9,23. 43 FISCHER, Jeremia 1–25, 313, verweist auf die Entsprechungen von Jer 7,25 und 2 Kön 21,15. 44 Siehe S. 212–213.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

In v8 fasst Mose proleptisch die Horebrebellion in ihren Eckpunkten zusammen. Israel hatte Gott in solchem Ausmaß erzürnt, dass dieser es vernichten wollte. Ab v9 wendet sich Mose den Ereignissen im Detail zu. Mit der Schilderung von Israels Sünde in 9,13–14.16 konkretisiert der Abschnitt die Aussage von 9,8, Israel habe Gott am Horeb erzürnt, und mit Gottes Kundgebung seines Vernichtungswillens in 9,14 konkretisiert er die Aussage, Gott habe Israel vernichten wollen. Der Abschnitt 9,9–17 veranschaulicht demnach, was v8 in Kürze zusammenfasst. Die Tafeln sind das Leitmotiv dieses Abschnitts, da sie zu Beginn in vv9–11, in v15 und am Ende in v17 aufscheinen. Mose erzählt die Geschichte der ersten Tafeln, von ihrer Entstehung über ihre Übergabe an Mose und ihren Weg zum Volk bis zu ihrer Zerstörung. Dies entfaltet sich im Pendel von Auf- und Abstieg Moses zu Gott hinauf und zum Volk hinunter. Steht der Aufstieg ganz im Zeichen des Empfangs von Gottes Gabe, so endet der Abstieg mit der Zerstörung jener Gabe. Das Kalb ist der Grund für das Schicksal der Tafeln. Gottes wunderbare Gabe prallt auf die Sünde des Volkes, sodass schließlich die Gabe Gottes zerstört wird.45 Der Abschnitt Dtn 9,9–17 erzählt damit von den desaströsen Auswirkungen von Israels Rebellion auf die durch die Tafeln symbolisierte Bundesbeziehung. Für die Benennung des Hauptthemas in Dtn 9,7–24 ist aus diesem Grund die Alternative Tafeln oder Kalb unzutreffend.46 Vielmehr stehen der Kontrast zwischen der Gabe Gottes und Israels Sünde sowie die sich daraus ergebenden Konsequenzen im Zentrum. Die Erzählung über den Empfang der ersten Tafeln und der Sünde mit dem Kalb ist mit der Zerstörung der Tafeln an ein vorläufiges Ende gekommen. Die Kollision von Tafeln und Kalb ist dahingehend aufgelöst, dass die Tafeln zerschmettert wurden. Die „Lösung“ selbst jedoch ist Ausdruck der katastrophalen Folgen der Horebrebellion, wonach die Beziehung zwischen Gott und seinem Volk in Scherben liegt. Die Ausgangssituation der nachfolgenden Erzählung ist demnach immer noch die zerbrochene Beziehung, deren Erneuerung das Sündenobjekt und Gottes Zorn im Weg stehen. In 9,18–21 macht sich Mose mit Fürbitte und Zerstörung des Kalbes daran, die beiden Hindernisse Schritt für Schritt aus dem Weg zu räumen, wodurch ein thematischer Wechsel von der Rebellionserzählung zur Erzählung von Moses Lösungsmaßnahmen stattfindet. Beide Aktionen haben Sühnedimension,47 sind in ihrer Zielsetzung und Wirkkraft aber zu unterscheiden. 40 Tage und 40 Nächte des Fastens und Betens verweilt Mose in Bitthaltung vor Gott, um dessen Zorn abzuwenden. Damit verbunden ist ein Ortswechsel, da Mose wieder vom Volk entfernt allein bei Gott ist, sowie ein Zeitwechsel, der durch die Angabe einer neuerlichen 40-tägigen Periode markiert ist. Moses Sühnegebet findet mit der Erhörungsnotiz in v19 sein Ziel und wird in v20 noch mit einem Nachtrag präzisiert. Nachdem Mose die angedrohte Vernichtung abwenden konnte, wendet er sich dem Ursprung des gesamten Konfliktes zu. Nun soll das Sündenobjekt und mit ihm die Sünde samt ihren Nachwirkungen auf die Beziehung zwischen Gott und Volk aus dem Weg geräumt 45 Vgl. BOVATI, Deuteronomio, 138, der Tafeln und Kalb als Gegensätze bezeichnet, die nicht nebeneinander bestehen können. 46 Laut ZIPOR, „Account”, 29, ist das Kalb das zentrale Thema, dem die Tafeln völlig untergeordnet seien. Anders BLENKINSOPP, „Sinai“, 170, der das Tafelmotiv als zentrales Motiv des gesamten Abschnitts 9,9– 10,11 betrachtet und den Abschnitt 9,9–17 als „making and breaking of the tablets“ betitelt. 47 Vgl. LOHFINK, Hauptgebot, 216, der Dtn 9,18–21 unter die Überschrift „Sühnemaßnahmen“ fasst.

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Israels Rebellionen und die Verschonung am Horeb (Dtn 9,7–24)

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werden.48 Während Moses erste Sühneaktion Verschonung vor der unmittelbar drohenden Vernichtung bewirkt hatte, soll die zweite Sühneaktion die Sünde aus dem Raum schaffen, die zwischen Gott und seinem Volk steht. Die Reihenfolge ist bedeutsam. Denn dabei wird sichtbar, dass nicht die Zerstörung des Kalbes Grund und Voraussetzung für die Verschonung ist, sondern das Bittgebet Moses. Die Zerstörung des Kalbes dagegen ist der erste Schritt in Richtung Erneuerung und Wiederaufnahme der Beziehungen. 49 5.2.3.1 Einleitung in die Horebepisode (Dtn 9,8) In v8 leitet Mose das erste Beispiel von Israels Rebellion am Horeb ein. Der Name „Horeb“ bezieht sich nach L. Perlitt auf das „Wüstengebiet“, an dem sich der im Buch Exodus als „Sinai“ bezeichnete Offenbarungsberg befindet.50 Der Horeb ist in mehrfacher Hinsicht fundamentaler Referenzpunkt im Buch Deuteronomium. Er ist geographischer Ausgangspunkt (vgl. Dtn 1,6–8), Ort der Gründungserfahrung durch Theophanie, Offenbarung und Bundesschluss (vgl. Dtn 4,9–20; 32–39; 5,2–22; 28,69), Urbild aller späteren Versammlungen Israels sowie Ursprung mosaischer und darüber hinaus gehender Vermittlung (vgl. 5,23–31; 18,16–18). Der Horeb ist aber auch Ort der schwerwiegendsten Rebellion Israels. Im Ursprungsmoment wird alles Grundsätzliche und Wesentliche in Gang gesetzt. An diesem Anfang offenbart sich auch Israels Widerstand gegen Jhwh.51 Wie schon in v7 die gesamte Wüstenzeit charakterisiert Mose auch die Horebrebellion mittels einer „Kränkungsformel“ als Erzürnen (‫ )קצף‬Gottes. Komplementär zur Kränkungsformel bringt er nun auch Gottes Reaktion in Form einer „Zornesformel“ mit dem Verb ‫אנף‬ zum Ausdruck.52 Israels provokantes Verhalten hatte am Horeb Gottes unmittelbaren Zorn zur Folge, der solche Ausmaße annahm, dass er Israel „vernichten“ (‫ )ׁשמד‬wollte. Dieser Kausalzusammenhang von Provokation - Zorn Gottes - Vernichtung begegnet mehrmals in Moses prophetischen Unheilsankündigungen und Warnungen (z. B. 4,26; 6,15; 7,4; 28,20).53 Ein Beispiel für den tatsächlichen Vollzug der göttlichen Vernichtungsandrohung in der Vergangenheit findet sich in Dtn 4,3 im Verweis auf die Vernichtung jener Männer, die dem Baal Pegor gefolgt waren. Der Horeb aber ist der Kristallisationspunkt des göttlichen Vernichtungswillen, was sich in fünf expliziten Erwähnungen der drohenden Vernichtung in 9,8.14.19.20.25 niederschlägt.

48 Vgl. FINSTERBUSCH, Weisung, 205. 49 Vgl. PAPOLA, Deuteronomio, 145: „La distruzione dell’idolo e il primo passo in vista del ristabilimento dell’alleanza.“; ähnlich schon PECKHAM, „Composition“, 36. 50 PERLITT, „Sinai“, 315–319, deutet die Bedeutung des Namens von der hebräischen Wurzel ‫חרב‬, „trocken sein, austrocknen“ als „Ödland, Wüstengebiet“ und zieht daraus den Schluss, dass der Name nicht auf einen Berg verweist, „sondern auf ein Gebiet, dem die mit der Wortwurzel gegebene Beschaffenheit eignet.“ Dass nicht ein Berg gemeint ist, wird auch dadurch deutlich, dass im Unterschied zum „Berg Sinai“ niemals von einem Berg Horeb die Rede ist. 51 Siehe MARKL, „Sinai”, 27–28. 52 MCCARTHY, „Wrath“, 100, mit Anm. 5, sprach von einer „anger formula“, die von L OHFINK, „Zorn Gottes“, 39, als „Zornesformel“ bezeichnet wird. 53 Vgl. GARCIA-LOPEZ, „Analyse“, 18.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

5.2.3.2 Die Übergabe der Tafeln (Dtn 9,9–10) Moses Nacherzählung der Horebereignisse setzt in Dtn 9,9 mit „als ich auf den Berg stieg“ (‫ )בעלתי ההרה‬ein.54 Nach Meinung einiger Kommentatoren schließt die Erzählung in Dtn 9,9 dort an, wo sie in Dtn 5,31 geendet hatte, indem Mose nun ausführe, wozu ihn Gott in Dtn 5,31 mit der Aufforderung gerufen hatte, sich zu ihm zu stellen, um ihm „das ganze Gebot, die Gesetze und Rechtsvorschriften“ (‫ )כל־המצוה והחקים והמׁשפטים‬mitzuteilen.55 Es sprechen jedoch mehrere Argumente dafür, das in Dtn 5,31 angekündigte Geschehen von dem des Tafelempfangs ab Dtn 9,9 zu unterscheiden.56 Dtn 5,31 zeigt eine große inhaltliche, kontextuelle und lexematische Nähe zu Ex 20,21,57 wo Mose die Bestimmungen des Bundesbuches empfängt, was darauf hindeutet, dass sich Dtn 5,31 auf die Einzelbestimmungen bezieht, die Mose nach der Dekalogoffenbarung, jedoch vor dem Tafelempfang erhalten hat. Dies bestätigt sich im Buch Deuteronomium insofern inhaltlich, als Mose in 6,1 die in 5,31 angekündigten Gebote einleitet, die er ab Dtn 12–26 promulgieren wird, diese aber zum größten Teil auf die Rechtsvorschriften des Bundesbuchs zurückgehen. Dtn 9,9 entspricht dagegen Ex 24,18,58 der Ausführungsnotiz von Gottes Aufstiegsbefehl in Ex 24,12, wonach Mose auf den Berg steigen sollte, um die Dekalogtafeln und die Heiligtumsbestimmungen zu empfangen. Während also Dtn 5,31 einen Auftrag erzählt, der im Buch Exodus fehlt und nur in Form der Ausführung (Ex 20,21) impliziert ist, berichtet Dtn 9,9 von der Ausführung eines Auftrags, der im Buch Deuteronomium nicht erwähnt wird, jedoch im Buch Exodus in Ex 24,12 vorliegt.59 Mose benennt mit „um die steinernen Tafeln zu übernehmen“ die Zielbestimmung seines Aufstiegs. Während in Ex 24,12; 31,18; Dtn 5,22; 10,4 lediglich von der Übergabe der Tafeln durch Gott, ausgedrückt durch das Verb ‫נתן‬, die Rede ist, wird in Dtn 9,9 auf das Detail der Übernahme (‫ )לקחת‬aufmerksam gemacht. Mose stellt damit die Erzählung zu Beginn unter das Zeichen des „Empfangens“.60 Andererseits deutet dieser Akt auch auf die Übernahme von Verantwortung für die Tafeln, ihren Inhalt und die durch die Tafeln symbolisierte Bundesbeziehung. Eine analoge Handlung vollzieht sich, wenn die Leviten in Dtn 31,26 das Torabuch von Mose entgegennehmen sollen (‫)לקח‬, um es neben die Lade zu legen (Dtn 31,10–13).61

54 An Moses Auf- und Abstiegen wird in besonderer Weise seine Mittlerrolle deutlich, da er sich vom Volk entfernt, um Gottes Wort zu empfangen, und wieder von Gott zum Volk hinabsteigt, um dieses Wort an Israel weiterzugeben; siehe BLENKINSOPP, „Sinai“, 164. 55 So auch wieder STOPPEL, Angesicht, 171. 56 Siehe auch HOSSFELD, Dekalog, 149. 57 So ACHENBACH, Israel, 49–50, der meint, dass es sich um zwei eigenständige motivische Varianten der Erzählung handelt, wobei jedoch die deuteronomische Variante mit jener des Buches Exodus als Vorlage weiterinterpretiere. 58 Vgl. WEINFELD, Deuteronomy, 408. 59 Eine solche einerseits das Buch Exodus voraussetzende und andererseits das Buch Exodus ergänzende Erzählweise ist im Buch Deuteronomium kein Einzelfall; siehe S ONNET, Book, 21–22. 60 BRAULIK, Deuteronomium, 76, bezeichnet das Geschehen als „vom Wunder göttlicher Gnade überstrahlt“, in welchem Mose „nur Empfangender“ ist. 61 SONNET, Book, 165–166, Anm. 154, bezeichnet die Leviten aufgrund dieser Analogie als „new Mosaic figures“.

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Israels Rebellionen und die Verschonung am Horeb (Dtn 9,7–24)

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a) Die Tafeln Die Tafeln (‫ )לוחת‬haben in der Hebräischen Bibel insgesamt vier unterschiedliche Bezeichnungen. So werden sie einfach als „Tafeln“ (Ex 32,16.19; 34,1.28; Dtn 9,10.17; 10,2.3.4.5; 2 Chr 5,10), als „steinerne Tafeln“ (Ex 24,12; 31,18; 34,1.4; Dtn 4,13; 5,22; 9,9.10.11; 10,1.3; 1 Kön 8,9), als „Tafeln des Zeugnisses“ (Ex 31,18; 32,15; 34,29) und als „Tafeln des Bundes“ (Dtn 9,9.11.15) bezeichnet. Mehrmals wird herausgestrichen, dass es sich um zwei Tafeln handelt. Über den Ursprung der „zwei“ Tafeln gibt es unterschiedliche Theorien, unter denen die Herleitung von der assyrischen Institution der tuppu dannatu/dannutu „feste Tafel/Urkunde“ hervorzuheben ist. Demnach wurde eine private Urkunde durch eine öffentliche von der staatlichen Behörde ausgestellte ergänzt, die der privaten gegenüber einer dritten Partei Gültigkeit verlieh.62 In diesem Sinn könnte die Zweizahl der Tafeln die öffentliche Verbindlichkeit des Dekalogs als Inhalt der beschrifteten Tafeln unterstreichen.63 Außerdem könnte die Zweizahl der Tafeln die besondere Bedeutung des Dekalogs herausstellen, da eine zweite staatlich ausgestellte Tafel nur in Vertragsfällen von besonderer Bedeutung angefertigt wurde. Die Zweizahl der Tafeln könnte zudem die zweifache thematische Gliederung der Dekalogtafeln widerspiegeln.64 Während sich nach jüdischer Gebotszählung die ersten fünf Worte auf Gott und die Beziehung des Menschen zu ihm beziehen, haben die zweiten fünf Worte die zwischenmenschlichen Beziehungen zum Inhalt.65 Schließlich könnte die Zweizahl der Tafeln damit zusammenhängen, dass die Tafeln den Bund repräsentieren. So wie der Bund die Einheit zweier unterschiedener Parteien bezeichnet, so bilden auch die zwei Tafeln eine Einheit. Die Bezeichnung „steinerne Tafeln“ (Dtn 4,13; 5,22; 9,9.10.11; 10,1.3) verweist auf das Material, aus dem die Tafeln hergestellt sind und könnte sich ebenfalls von der vorher genannten assyrischen Institution der tuppu dannatu/dannutu „feste Tafel/Urkunde“ herleiten.66 Ihr Sinn erschöpft sich jedoch nicht in einer bloßen Materialbezeichnung. Vielmehr verweisen die „Eigenschaften der Festigkeit und Härte“, die dem Material „Stein“ eigen sind, auf den Charakter des auf den Steinen niedergeschriebenen Textes. 67 So fest wie das Material der Tafeln, so fest stehen die Gebote, die darauf geschrieben sind, das heißt so gewichtig und verbindlich sind sie. Zudem ist das Material Stein überaus widerstandsfähig, was auf die Langlebigkeit und dauerhafte Bedeutung des darauf geschriebenen Dekalogs hinweist. Umso eindringlicher hebt es sich davon ab, wenn Mose im Folgenden die Tafeln zerschmettert. Die Niederschrift auf Stein (Dtn 4,13; 5,22; 9,10; 10,2.4) der am Horeb an ganz Israel ergangenen Offenbarung des Dekalogs kontrastiert die zweimal hervorgehobene Gestalt62 63 64 65

POSTGATE, „Tablets“, 18. So OTTO, Deuteronomium, 561. PERLITT, „Dekalog I“, 409–410. Das Elterngebot, das nach jüdischer Gebotszählung das fünfte Gebot darstellt, übernimmt eine Brückenfunktion, da die Ehrung der Eltern mit der zuvor entwickelten Gottesverehrung zusammenhängt. Sprachlich ist die Zugehörigkeit zu den ersten vier Geboten darin ersichtlich, dass in ihm genauso wie in den ersten vier die Wendung „der Herr, dein Gott“ (‫ )יהוה אלהיך‬anzutreffen ist, während sie in den restlichen fünf nicht begegnet; siehe dazu TIGAY, Deuteronomy, 62. 66 Siehe OTTO, Deuteronomium, 561. 67 KAPELRUD, „‫“אבן‬, ThWAT I, 52.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

losigkeit der Horeboffenbarung (vgl. Dtn 4,12.15), die von den mehr verbergenden als offenbarenden Naturerscheinungen von Finsternis, Wolken, Dunkel und Feuer begleitet war und sinnlich nur in Form eines Klanges fassbar war. Während sich die ursprüngliche Offenbarung des Dekalogs im Hören der Stimme Gottes ereignete, schreibt Gott sie auf Stein, dem härtesten aller Elemente. Die aus dem transzendenten Bereich Gottes kommende Offenbarung wird damit bis ins Äußerste konkretisiert.68 In der Art der Verschriftung der verschiedenen Offenbarungstexte von Dekalog und Tora spiegelt sich eine Differenzierung wider, die Rückschlüsse auf den „Autoritätsstatus“ der jeweiligen Text Corpora ziehen lässt. 69 Den Dekalog allein schreibt Gott nieder. Mit diesem außerordentlichen Vorgang korrespondiert die außergewöhnliche und singuläre Offenbarung des Dekalogs als an ganz Israel unvermittelt von Gott offenbartes Wort. Die ersten Tafeln werden zudem von Gott übergeben und sind laut Ex 32,18 sogar von Gott gemacht. Der Dekalog auf den Tafeln repräsentiert eine unmittelbar göttliche und immer gültige in Stein gemeißelte Offenbarung, die Moabtora eine zwar dem „Ursprung“ und der „Substanz“ nach göttliche, jedoch vermittelte und ausgelegte Offenbarung, die von Mose niedergeschrieben wird.70 Auch sie ist durch die Niederschrift in ein Buch auf Dauer ausgelegt, jedoch mit einem weniger unbedingten Charakter als der Dekalog auf Stein. Auf die Bezeichnung als „steinerne Tafeln“ folgt unmittelbar in Dtn 9,9 die Bezeichnung „Tafeln des Bundes“. Ist der Dekalog der Bundestext, „der den Bund inhaltlich bestimmt“, 71 so sind die Tafeln das Dokument dieses Bundes. Mit dem Tafelmotiv als Bundesdokumentierung wird der Bundesschluss am Horeb „in einen vertragsrechtlichen Horizont gerückt“.72 Aus hethitischen wie assyrischen Verträgen ist bekannt, dass beschriftete Tafeln eine Rolle bei Vertragsschlüssen spielen konnten, indem sie die Funktion einer Urkunde übernahmen,73 die mehrere Zwecke erfüllte: (a.) Sie dokumentierte und sicherte die Vertragsbestimmungen. Die Beurkundung bedeutete eine abschließende unveränderliche Definierung der Vertragsbestimmungen, was sich mit J.-P. Sonnet als „Kanonisierung“ bezeichnen lässt.74 (b.) Der Besitz dieses Dokumentes gewährleistete das Nachlesen und Lehren des Vertragsinhalts, was in Ex 24,12 explizit mit „um sie zu unterweisen“ (‫ )להורתם‬als Zweck der Tafeln angegeben wird.

68 Vgl. SONNET, Book, 49.59, der auf diesen Kontrast von einer beinahe immateriellen Erstoffenbarung und dessen Materialisierung durch die Niederschrift auf Stein hinweist. 69 Vgl. OTTO, Deuteronomium, 560–561. 70 Siehe dazu OTTO, Deuteronomium, 320. 71 FISCHER / MARKL, Exodus, 231. 72 OTTO, Deuteronomium, 754. 73 Erstmals verwies MENDENHALL, „Covenant“, 50–76, auf Parallelen zu hethitischen Verträgen. Dagegen fand seit FRANKENA, „Vassal-Treaties“, 153, die These großen Zuspruch, das Deuteronomium habe auf subversive Weise assyrische Loyalitätseide aufgenommen, die im Unterschied zu den hethitischen Verträgen keine Verträge zwischen gleichberechtigten Partnern, sondern zwischen einem Souverän und einem Vasallen darstellten. Parallelen zu hethitischen Verträgen ergeben sich so nur indirekt, insofern als die rezipierten assyrischen Loyalitätseide hethitische Motive aufgenommen hatten; siehe S TARKE, „Charakterisierung“, 70–82. 74 SONNET, Book, 46.

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Israels Rebellionen und die Verschonung am Horeb (Dtn 9,7–24)

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(c.) Zudem hatte die Urkunde eine symbolische Funktion, indem sie nach ihrer Aufbewahrung im Palast oder Tempel auf die bestehende Gültigkeit des Vertrags hinwies und diesen zeichenhaft vergegenwärtigte. Trotz mancher Analogien sind die Tafeln im Vergleich zu Bundesdokumenten aus Israels Umwelt in mehrfacher Hinsicht ein Bundesdokument „sui generis“.75 Ihr Inhalt wurde von Gott ganz Israel offenbart, nicht einer einzelnen Führungsgestalt wie in anderen Beispielen aus Israels Umwelt. Dieser Inhalt wurde zudem dem Wortlaut nach offenbart, nicht nur in Form eines inspirierenden Anstoßes. Die Tafeln wurden von Gott selbst beschriftet, was in Bezug auf Gesetzestexte einen einzigartigen Vorgang darstellt. 76 Die ersten Tafeln sind zudem dem Exodusbericht zufolge (Ex 32,18) auch im Unterschied zu den zweiten von Gott gemacht. Die Tafeln sind somit nicht nur eine Dokumentierung göttlicher Offenbarung, sondern ein in allen Belangen von Gott verfertigtes Dokument. Ist die Bezeichnung „Tafeln des Bundes“ aus ihrer Funktion als Bundesdokument begreifbar, so ist doch zu fragen, warum diese Bezeichnung singulär in Dtn 9 (Dtn 9,9.11.15) begegnet. Dies deutet darauf hin, dass die Tafeln in Dtn 9f. in besonderer Weise in ihrer Beziehung zum Bund und so als Symbol des Bundes im Blick sind. Insofern es sich um zwei Tafeln handelt, die eine Einheit bilden, spiegeln die „zwei Tafeln“ treffend das Wesen des Bundes wider. Denn wie die zwei Tafeln eine Einheit bilden, so verbindet ein Bund zwei unterschiedene Parteien.77 Die Tafeln sind über ihre Funktion als Bundesdokument hinaus auch ein Symbol für die Bundesbeziehung, die sie dokumentieren.78 In Anschluss an die Beschreibung der Tafeln als Tafeln des Bundes folgt der Relativsatz, „den der Herr mit euch geschlossen hat“. Von einem am Horeb geschlossenen Bund (‫ברית‬ ‫ )כרת‬ist in Dtn 4,23; 5,2.3; 9,9; 28,69 die Rede. Von den für den Bundesschluss entscheidenden Sprechakten findet sich allerdings nur die Präambel des Dekalogs als „deklarativer Sprechakt, durch den JHWH die Bundesbeziehung von seiner Seite in Kraft setzt“. Die Konsenserklärung des Volkes am Horeb wird dagegen verschwiegen oder D. Markl zufolge nur vorausgesetzt.79 Durch ‫עמכם‬, „mit euch“, schließt Mose in Dtn 9,9.10 wie auch in Dtn 4,23; 5,2.3 die Moabgeneration in den Bundesschluss am Horeb ein. Die expliziteste Aussage diesbezüglich fällt in Dtn 5,3, wo Mose hervorhebt, dass der Horebbund nicht mit den Eltern allein, sondern genauso mit der Moabgeneration geschlossen wurde. Wird die in Moab adressierte Generation in den Horebbund eingeschlossen, so werden wiederum alle künftigen

75 Siehe dazu SONNET, Book, 49–50. 76 WIDENGREN, Ascension, 24, hat die biblischen Tafeln in Analogie zu den „Tafeln des Schicksals“ gedeutet. Jedoch unterscheidet sich – wie SONNET, Book, 50, herausstreicht – der Inhalt derart, dass schwer eine Analogie gezogen werden kann. Während die Tafeln des Schicksals dazu dienten, das Geschehen des kommenden Jahres aufzuzeichnen, also die zukünftigen Geschicke im Blick hatten, beinhaltet der Dekalog apodiktische Gesetze. 77 Tan zu Eikev §10 (Hg. PUPKO et al., 83), sieht diese Einheit von zwei Gegensätzen in den Tafeln ausgedrückt, wenn er sie Braut/Bräutigam, Himmel/Erde und schriftliche Tora/mündliche Tora repräsentieren sieht. Diese Charakteristik der Einheit von zwei Gegensätzen erlangt Bestätigung in der Bezeichnung als „Bundestafeln“, da sie den Bund zwischen Jhwh und Israel repräsentieren. 78 Vgl. DOHMEN, „Tafeln”, 22.45, der sagt, dass die Tafeln in Dtn 5; 9 das Verhältnis zwischen Gott und Volk symbolisieren, und die Tafeln als „Bundessymbol“ deutet. 79 MARKL, Dekalog, 98.249.

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Generationen über Dtn 29,13–14 in den Moabbund eingeschlossen.80 Das Buch Deuteronomium entwickelt so eine Dynamik der Identifikation, die alle künftigen Generationen über den Moabbund auch in den Horebbund einschließt, der zugleich Ausgangspunkt und Fundament des Moabbundes darstellt. Letzteres erlangt einen sehr konkreten Ausdruck, wenn in Dtn 31,26 die Tora als Bundesdokument des Moabbundes neben die Lade mit den Tafeln als Dokument des Horebbundes gelegt werden soll. b) Moses Aufenthalt Mose fährt fort, dass er 40 Tage und 40 Nächte auf dem Berg geblieben war. Dieser erste Aufenthalt (Dtn 9,9) zum Empfang der ersten Tafeln dauerte wie sein zweiter (Dtn 9,18–20; 25–29; 10,10) 40 Tage und 40 Nächte,81 während der dritte zum Empfang der zweiten Tafeln nur im Buch Exodus (Ex 34,28) als Aufenthalt von 40 Tagen und 40 Nächten gekennzeichnet wird. Das Motiv der „40 Tage und 40 Nächte“ scheint eine Zeitspanne darzustellen, die es braucht, um einen langwierigen Prozess zum Abschluss zu bringen.82 Es besteht eine Analogie zur Erkundung des Landes durch die Kundschafter, die ebenfalls 40 Tage dauerte (Num 13,25; 14,34). Genauso wie Mose sind die Kundschafter über diesen Zeitraum in einer unbekannten Region, um von dort mit einer Botschaft wieder zurückzukehren. Moses erster Aufenthalt wird mit „Brot aß ich nicht und Wasser trank ich nicht“ ebenso wie der zweite als Zeit der Entsagung von Brot und Wasser geschildert (vgl. 1 Sam 30,12; 1 Kön 13,8–19; Esra 10,6). Mose blieb demnach auf wundersame Weise für 40 Tage und 40 Nächte ohne jegliche Nahrung am Leben. Er war nicht mehr den natürlichen menschlichen Bedingungen unterworfen, sondern ganz in die Gegenwart Gottes getaucht. 83 Mose macht sich damit selbst zum lebendigen Beispiel der Paränese aus Dtn 8,3, nicht nur von Brot zu leben, sondern von allem, was Gottes Mund spricht.84 Das Motiv des Fastens begegnet im Buch Deuteronomium wieder in Dtn 29,5.85 Hier wird über die 40 Jahre Israels in der Wüste als eine Zeit der Enthaltung von Brot und Wein gesprochen, „damit ihr erkennt, dass ich Jhwh, euer Gott, bin.“ Diese Zielbestimmung des Fastens macht deutlich, dass das Fasten nicht immer Bußfasten sein muss, sondern auch der inneren Bereitung für die Gabe der Erkenntnis Gottes dienen kann. Auch Moses Fasten während seines ersten Aufenthalts dient der inneren Bereitung auf den Empfang von Gottes Gabe in Form der Tafeln.

80 Siehe z. B. MARKL, Gottes Volk, 97. 81 Siehe STOPPEL, Angesicht, 170–173, der ausführlich begründet, warum in Dtn 9f. von zwei vierzigtägigen Bergaufenthalten und von einem in der Zeitdauer nicht bestimmten Aufenthalt zum Empfang der zweiten Tafeln die Rede ist. 82 So TIGAY, Deuteronomy, 99; vgl. die anderen Vorkommen des exakt gleichen Motivs in der Sintfluterzählung (Gen 7,4.12), in der Sinai-/Horeberzählung (Ex 24,18; 34,28; Dtn 9,9.11.18.25; 10,10) und in der Beschreibung von Elijas Wanderung zum Horeb (1 Kön 19,8). 83 Vgl. TIGAY, Deuteronomy, 99. 84 PAGANINI, Deuteronomio, 216. 85 Auf mehrfache Entsprechungen von Moses und Israels Fasten in der Wüste hat G OMES DE ARUJO, Wüste, 318–319, hingewiesen.

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Israels Rebellionen und die Verschonung am Horeb (Dtn 9,7–24)

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c) Die Übergabe der Tafeln In v10 fährt Mose mit der Übergabe und Entgegennahme der Tafeln fort. Der Akt der Übergabe deutet auf das Inkrafttreten der darin enthaltenen Bestimmungen. 86 Die vereinbarten Bestimmungen werden in die Verantwortung des Vertragspartners übergeben, dem es nun obliegt, die im Dokument befindlichen Bestimmungen einzuhalten. Mose war jedoch nicht der eigentliche Empfänger der Tafeln, sondern das Volk. Die Übergabe an Mose war somit die Übergabe an einen Übermittler,87 dessen Aufgabe darin bestand, die Tafeln an das Volk zu überbringen, was sich allerdings erst später durch die nicht erwähnte, aber implizierte Übergabe der zweiten Tafeln an die Leviten erfüllen sollte. Der Bund zwischen Gott und seinem Volk und damit auch die Übergabe des Bundesdokumentes lassen sich allerdings nicht allein mit rechtsformalen Kategorien fassen. Gott übergibt Mose mit dem Dekalog den Wegweiser zum Leben für sein aus Ägypten befreites Volk,88 der der „fundamentale Maßstab wahrhafter Gottesbeziehung“ ist.89 Wie das Theophanie- und Offenbarungsgeschehen ist die Tafelübergabe räumlich enthoben und findet am selben Ort statt, an dem Gott die zehn Worte gesprochen hatte. War der transzendente Gott am Horeb in diese Welt „herabgestiegen“, so entwickelt sich diese „inkarnatorische“ Dimension über das Tafelmotiv weiter,90 da Gott nun die Tafeln aus „seiner Welt“ übergibt. Diese göttliche Gabe wird zwar zerstört werden, aber die erneuerten Tafeln werden in die Lade gelegt werden und schließlich im Tempel an „ihren Platz“ gelangen (vgl. 1 Kön 8,6). Wie der Horeb wird auch der Tempel Ort der Gegenwart Gottes sein, was durch die Anwesenheit der von Gott beschrifteten Bundestafeln ein konkretes Realsymbol erhält.91 In weiterer Folge umschreibt Mose die Tafeln in fast hymnischem Stil in ihrer wesentlichen Charakteristik. Die erste diesbezügliche Information lautet „vom Finger Gottes beschrieben“. Diese einzigartige Konzeption eines von Gott geschriebenen Gesetzestextes verweist auf Gottes ungeteilte und unverfälschte Autorenschaft des Dekalogs ohne jegliche Vermittlung eines menschlichen Gesetzgebers.92 Sie lenkt den Blick zudem auf Gottes Schöpferkraft. Denn das seltene Motiv von Gottes Finger begegnet außerhalb der Sinai/Horebereignisse (Ex 31,18; Dtn 9,10) nur noch in Ex 8,15; Ps 8,4, die beide über Gottes 86 Z. B. BRAULIK, Deuteronomium, 76–77. 87 Siehe Tan zu Eikev §11 (Hg. PUPKO et al., 86–89), der Mose als Überbringer der Tafeln mit einer Eskorte, einem Briefträger und einem Mittelsmann vergleicht. 88 In Dtn 30,15 etwa wird die Entscheidung für die Tora ausdrücklich mit einer Entscheidung für das „Leben“ (‫ )חיים‬identifiziert. Da der Dekalog Fundament und Ausgangspunkt der Tora ist, gilt das Wort vom „Leben“ in besonderer Weise für ihn. 89 MARKL, Dekalog, 172. 90 WYSCHOGROD, „Inkarnation“, 22, plädiert dafür, dass das Wort „Inkarnation“ durchaus biblisch ist, wenn damit gemeint ist, „dass Gott in die Welt des Menschen eintritt...“. 91 Gemeinhin wird die Vorstellung der Gottesgegenwart mit der Ladeplatte und den beiden Cheruben verbunden, was mit priesterschriftlichen Vorstellungen in Verbindung gebracht wird, während das Buch Deuteronomium als reserviert gegenüber physischen Symbolen des Göttlichen eingeschätzt wird; siehe z. B. WEINFELD, Deuteronomy, 408. Jedoch gibt es über Ez 37,26–28 auch eine bundestheologische Deutungslinie von Gottes Gegenwart im Tempel; vgl. JANOWSKY, „Mitte”, 187–188. In diese ließe sich auch die Vorstellung einfügen, Gottes Gegenwart werde durch die Bundestafeln vermittelt, da sie das Bundesverhältnis symbolisieren. 92 Vgl. SONNET, Book, 50.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

Schöpferkraft sprechen.93 Gottes Niederschrift auf den steinernen Tafeln ist die Konkretisierung seiner Schöpferkraft in der Welt des diskursiven Wortes. 94 Mit „gemäß aller Worte, die der Herr mit euch am Berg gesprochen hatte“ verweist Mose auf die Kontinuität von Offenbarung und verschrifteten Text. Allerdings macht die Partikel ‫ כ‬auf eine Differenz zwischen Offenbarung und Niederschrift aufmerksam. Die zwei unterschiedlichen Wortgeschehen müssen dem Inhalt nach erst identifiziert werden, da sie nicht automatisch ident sind, ähnlich der Wortübermittlung eines Boten, der eine Nachricht „gemäß“ (‫ )כ‬den ihm anvertrauten Worten vermitteln soll (vgl. 1 Sam 25,12). Abermals betont Mose, dass die zehn Worte aus dem Feuer am Horeb erklungen waren. Auf diesen Vorgang des Sprechens Gottes aus dem Feuer legt Mose großen Wert (vgl. Dtn 4,12.15.33.36; 5.4.22.24.26; 9,10; 10,4), um vor Augen zu halten, dass diese Worte dem Geheimnis Gottes entspringen. Zuletzt verweist Mose darauf, dass Gott die Worte „am Tage der Versammlung“ ( ‫ביום‬ ‫ )הקהל‬gesprochen hatte. Damit erhält der Tag der Horebtheophanie einen eigenen Namen, der auch noch in Dtn 10,4; 18,16 begegnet. Wie der „Tag des Auszugs“ ist auch dieser Tag einer von außerordentlicher Bedeutung für Israel. An ihm tritt Israel dem Deuteronomium zufolge erstmals als ‫קהל‬, „Versammlung“, (5,22) in Erscheinung.95 Wie diese „Versammlung“ in seinem Ursprung gezeichnet wird, verrät was sie charakterisiert und auszeichnet. So ordnet Gott in Dtn 4,10 an „versammle mir das Volk“ (‫ )הקהל־לי את־העם‬mit dem Ziel, sie seine Worte hören zu lassen. Dieses Wechselspiel von Gottes Sprechen oder Verlesen seiner Worte und Israels Hören begegnet auch in den weiteren Vorkommen des Stammes ‫ קהל‬in Dtn 5,22; 9,10; 10,4; 18,16; 31,12.28.30. Wenn ‫ קהל‬auf Israel als „kultische Gemeinschaft“ verweist,96 dann steht hierbei im Buch Deuteronomium das Hören der Versammlung auf Gottes Wort im Vordergrund.97 Mit dem Verweis auf den „Tag der Versammlung“ unterstreicht Mose die identitätsstiftende Funktion der Horebworte für Israel als ‫קהל‬. Die Verknüpfung mit den Tafeln deutet darauf hin, dass sich die ‫ קהל‬nicht auf die Versammlung am Horeb beschränkt, sondern auf Dauer ausgelegt ist. Denn mit den Tafeln sind Israel die zur ‫ קהל‬konstituierenden Worte gegeben, die dem einmaligen Ereignis der Horeboffenbarung den Charakter von Dauerhaftigkeit verleiht.98 Die angesprochene Moabgeneration befindet sich dabei inmitten einer „Neuinszenierung“ des damaligen Ursprungsereignisses, 99 da auch sie versammelt ist, um Gottes Wort in Form von Moses Auslegung der Tora zu hören. Eine solche Versammlung 93 Zum Zusammenhang von Dtn 9,10 und Ex 8,15; Ps 8,4 siehe auch WEINFELD, Deuteronomy, 408; LUNDBOM, Deuteronomy, 366. 94 SONNET, Book, 51, betont, dass die Rede vom schreibenden Gott keineswegs mythologischer Vorstellungswelt entspringt, sondern Zeichen dafür ist, dass Gott auf der Seite des „geschriebenen Logos“ steht und sich seine Offenbarung in „vernünftiger Diskursivität“ vollzieht. 95 MÜLLER, „‫“קהל‬, 615, spricht vom „Stiftungstag“ der ‫קהל‬. 96 MÜLLER, „‫“קהל‬, 611, interpretiert den Begriff ‫ קהל‬als Ausdruck für Israel als kultische Gemeinschaft. 97 LOHFINK, „Deuteronomium 5“, 123, vermutet bereits in der Anrede Israels als ‫ קהל‬durch Gott in Dtn 5,22 die Konstituierung Israels. Dagegen ist einzuwenden, dass in Dtn 5,22 nicht Gott, sondern Mose Israel adressiert. Auf dieser Gedankenlinie könnte man jedoch Gottes Sammlungsbefehl in Dtn 4,10 bereits als Beginn dieser Konstituierung betrachten. Gott sammelt das Volk, um es sein Wort hören zu lassen. Er ruft Israel damit gleichsam ins Leben. 98 Vgl. STOPPEL, Angesicht, 110–111. 99 MARKL, Gottes Volk, 229–230.

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Israels Rebellionen und die Verschonung am Horeb (Dtn 9,7–24)

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Israels soll sich schließlich alle sieben Jahre wiederholen, da die Priester aus dem Stamm Levi in Dtn 31,12 beauftragt sind, Israel an der Stätte zum Laubhüttenfest zu sammeln (‫)קהל‬ und es in „allen Worten dieser Tora“ zu unterweisen. 5.2.3.3 Das Gussbild und Gottes Zorn (Dtn 9,11–14) Nach der expositorischen Darstellung des Aufstiegs und der Tafelübergabe beginnt in v11 die erste ausführlicher geschilderte Szene. Diese wird mit der Formulierung ‫ויהי מקץ‬, „und es geschah am Ende“, eingeleitet, die das Ende eines Erzählstranges bei gleichzeitigem Beginn eines neuen markiert (vgl. z. B. Gen 4,3; 8,6). Mose wiederholt die Notiz der Tafelübergabe. Diese Wiederaufnahme muss nicht als Doublette oder Zeichen eines redaktionellen Eingriffs gewertet werden,100 sondern lässt sich als narrative Technik verstehen, mittels der eine Präzisierung vorgenommen wird, die für das Verständnis des nachfolgenden Abschnitts wichtig ist. Alles, was nun folgt, geschah genau zu dem Zeitpunkt am Ende von Moses Aufenthalt, als er die Tafeln empfing.101 a) Moses Sendung Auf dem Hintergrund der Tafelübergabe berichtet Mose von Gottes Aufforderung an ihn, sich zu erheben und schnell von hier hinabzugehen. Die göttliche Aufforderung enthält eine sich kontrastierende Dynamik des Erhebens und Hinabsteigens. Mose wurde aus seinem Zustand des Bleibens bei Gott herausgerissen, um in die Niederungen von Israels Sünde hinabzusteigen. Der Imperativ ‫קום‬, „erhebe dich“, begegnet noch einmal in Dtn 10,11, wonach Gott Mose aufforderte, sich von seinem zweiten Aufenthalt zu erheben, um dem Volk voranzugehen. Jeweils sollte er sich erheben, um eine bevorstehende Mission in Angriff zu nehmen. Dass der Abstieg „schnell von hier“ (‫ )מהר מזה‬erfolgen sollte, korrespondiert mit der nachfolgenden Aussage, das Volk sei von dem Weg, den er angeordnet hat, „schnell“ abgewichen (9,12.16).102 Mose sollte schnell in Aktion treten, um seinem Volk zu Hilfe zu eilen. Welcher Art seine Mission in v12 sein sollte, entzieht sich zunächst dem Hörer, jedoch lässt die für prophetische Sendungen typische Aufforderung ‫ קום‬einen prophetischen Auftrag vermuten.103 Diese Vermutung wird dadurch bestärkt, dass im Buch Deuteronomium das Verb ‫ קום‬vier Mal Anwendung findet, wenn vom Auftreten eines Propheten die Rede ist (vgl. Dtn 13,2; 18,15.18; 34,10). Mose erfüllte seine prophetische Sendung auf zweifache Weise, indem er einerseits Israels Sünde benannte und dann für Israel eintrat.104 Analogien finden sich zur Mission Elijahs in 1 Kön 17. Nach dessen Eintreffen bei einer Witwe, starb deren Sohn, worauf sie ihm vorhielt, er habe sie nur an ihre Sünde erinnern und den Tod bringen wollen. Dann betete Elijah für den Sohn, in dessen Folge dieser wieder zu Leben erweckt wurde. Auch Mose erhob sich, um Israels Sünde zu bezeugen (Dtn 9,16), dann aber dem nahen Tod Israels sein Gebet entgegen zu halten, bis Gott ihn erhörte und den Todgeweihten neues Leben schenkte. 100 101 102 103 104

So z. B. SEITZ, Studien, 51. Vgl. z. B. WEINFELD, Deuteronomy, 408–409. Vgl. ACHENBACH, Israel, 355. Vgl. z. B. BRICHTO, „Worship”, 8. Vgl. BOVATI, Deuteronomio, 136.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

b) Israels Vergehen In v12 folgt die Begründung dafür, warum Mose sich so schnell zu seinem Volk begeben sollte. Dies lässt sich mit G. Braulik im Sinne eines Rechtsschemas als „Tatbestandsdarstellung“ deuten.105 Zuerst benannte Gott Israels Handeln mit dem Verb ‫ׁשחת‬, das einen „Akt rücksichtsloser Zerstörung“ bezeichnet, dessen Objekt „völliger Vernichtung anheimfällt“.106 Da in Dtn 9,12 kein Objekt anzutreffen ist, lässt sich ‫ ׁשחת‬mit der LXX als intransitives „gesetzlos handeln“ (ἀνομέω) oder der Zerstörungsakt auf das Volk selbst im Sinne eines selbstzerstörerischen Handelns hin interpretieren.107 Wahrscheinlicher aber bezieht sich der Zerstörungsakt dem Kontext entsprechend auf die „Bundesbeziehung“, die durch Israels Handeln erheblichen Schaden genommen hat.108 Mit Ausnahme von Dtn 20,19.20; 32,5 steht ‫ ׁשחת‬im Buch Deuteronomium im engsten Zusammenhang mit der Herstellung von Kultbildern und damit mit dem Bruch des Bilderverbots (Dtn 5,8).109 Da das Bilderverbot von dem Gebot der Fremdgötterverehrung in Dtn 5,7.9 eingerahmt wird, ist deutlich, dass im Dekalog des Buches Deuteronomium im Gegensatz zur Fassung des Dekalogs im Buch Exodus das Bilderverbot einen spezifischen Aspekt des Fremdgötterverbots darstellt. 110 Mehrere Kommentatoren gehen allerdings davon aus, dass das Bilderverbot eine spätere Einfügung im ersten Gebot sei und so Dtn 9,8–21 ursprünglich nicht den Bruch des ersten Gebots, sondern eine Verfehlung allein gegen das Bilderverbot vor Augen gehabt habe.111 Dagegen lässt sich mit E. Otto einwenden, dass die Rahmung des Bilderverbots durch das Fremdgötterverbot kein Hinweis auf eine spätere Einfügung des Bilderverbots ist, sondern erst im Sinaidekalog Fremdgötterverehrung und Bilderverbot so getrennt wurden, dass sie als eigenständige Gebote fungierten.112 Israels Zerstörungsakt setzte eine Dynamik des Unheils in Kraft. Gott wandte sich von Israel ab, was sich zunächst eher verdeckt in einer „distanzierenden Sprache“ niederschlug, indem Gott Israel nun als „dein (Moses) Volk“ bezeichnete.113 Deutete Gott mit dieser Distanznahme zwar an, dass die Bundesbeziehung eine schwerwiegende Störung erlitten hat, wo sie sich doch gerade darin auszeichnet, dass Jhwh der Gott Israels und Israel das Volk Jhwhs ist (vgl. Dtn 26,18–19; 27,9; 29,12), so übereignete er damit zugleich das Volk an Mose, dessen Mittlerrolle für sein Volk nun besonders gefordert war.114 Dass Gott Mose aufrief, in Aktion zu treten, war jedoch auch Ausdruck seiner eigenen Sorge für das Volk. Denn obwohl Gott seinen Vernichtungswillen zum Ausdruck bringen würde, entsendete er zuvor Mose, um dem drohenden Untergang entgegenzutreten. Die Ambivalenz der göttlichen 105 106 107 108 109

110 111 112 113 114

BRAULIK, Deuteronomium, 77. CONRAD, „‫“ׁשחת‬, 1234–1235. So z. B. VENEMA, Reading, 15.17.27.45. Siehe FISCHER / MARKL, Exodus, 329, zu Ex 32,8. In Dtn 4,16.25 sind ‫ ׁשחת‬und „ein Kultbild (‫ )פסל‬machen“ jeweils zusammengezogen, indem letzteres erklärt, worin das zerstörerische Verhalten besteht. In Dtn 9,12; 31,29 wird das verderbliche Verhalten als Abweichung vom Weg beschrieben, was dann in 9,12 als „Machen eines Gussbildes“ und in 32,29 mit dem Ausdruck „Machwerk“ (‫ )מעׂשה ידיכם‬bezeichnet wird, was jeweils inhaltlich dem „Machen von Kultbildern“ nahesteht; zu ‫ פסל‬als „Kultbild“ siehe BERLEJUNG, Theologie, 306. Siehe dazu OTTO, Deuteronomium, 725.732–734. So STOPPEL, Angesicht, 217–218. OTTO, Deuteronomium, 725. Vgl. z. B. NELSON, Deuteronomy, 124, der von einer „distancing language“ spricht. Vgl. z. B. PECKHAM, „Composition“, 26.

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Israels Rebellionen und die Verschonung am Horeb (Dtn 9,7–24)

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Rede kommt auch darin zum Ausdruck, dass er Mose als Herausführer aus Ägypten ansprach. Zwar wies er die Rolle des Herausführers von sich weg, doch sprach er Mose in jener Rolle an, zu der er ihn laut Ex 3,11 berufen hatte. Dies wiederum ist als Hinweis zu deuten, dass Mose seiner ursprünglichen Berufung gemäß, das Volk retten sollte. In einem zweiten Schritt charakterisierte Gott Israels Treiben mit der Wendung „vom Weg abweichen“. Das Motiv des Weges begegnet im Deuteronomium sehr oft in bildhaften Zusammenhängen, die die Art und Weise der Lebensgestaltung zum Inhalt haben. Die Wegmetapher bezieht sich dabei einmal mehr und einmal weniger explizit auf das Einhalten von Gottes Geboten. Dies wird einerseits deutlich durch die Verbindung der Wegmetapher mit der Promulgationsformel „den der Herr/ich befohlen hat/habe“ in Dtn 5,33; 9,12.16; 13,6 sowie durch die häufige Kombination mit Wendungen zum Gebotsgehorsam, die sich unterschiedlich auf „die Gebote“ (Dtn 8,6), „das ganze Gebot“ (Dtn 11,22; 19,9) oder „die Gesetze, Gebote und Rechtsvorschriften” (Dtn 5,33; 26,17; 30,16) beziehen.115 Vier der fünf Vorkommen der Wendung „vom Weg abweichen“ beziehen sich auf den Bruch des ersten Gebotes entweder in Form der Herstellung eines Kultobjekts (Dtn 9,12.16; 31,29) oder in Form der Fremdgötterverehrung (Dtn 11,28). Dies verwundert nicht, da der Bruch des ersten Gebotes die grundlegendste Abweichung vom gebotenen Weg darstellt. Das Adverb „schnell“ (‫ )מהר‬weist darauf hin, dass Israel erst kurz zuvor Gottes Wegweisungen am Horeb gehört und den Dekalog empfangen hatte.116 Dabei zielt Mose nicht nur auf die kurze zeitliche Distanz von Offenbarung und Bundesbruch, sondern scheint auch darauf hinzuweisen, dass es nicht viel bedurft hatte, bis Israel von Gottes Weg abwich. Mit „ihr habt euch ein Gussbild gemacht“ findet die dreigliedrige Beschreibung in v12 ihren Höhepunkt und der Bezug zum Bilderverbot in Dtn 5,8 wird besonders deutlich. Die Formulierung in Dtn 9,12 mit dem Verb ‫עׂשה‬, „machen“, und dem reflexiven ‫להם‬, „für sich“, entspricht den Konstruktionen in Dtn 4,16.23; 5,8. Im Unterschied zu diesen Stellen ist jedoch in Dtn 9,12 nicht von einem ‫פסל‬, sondern von einem ‫מסכה‬, „Gussbild“, die Rede. Die Wahl des Wortes ‫ מסכה‬hat keine theologischen Implikationen,117 sondern verweist auf die Herstellungsmethode. Während die Nominalbildung ‫ פסל‬in der Grundbedeutung „Be- und Zurechtgehauenes“ bezeichnet und so jede Form von Gehauenem aus Stein oder Holz darstellen kann,118 leitet sich ‫ מסכה‬vom Verb ‫נסך‬, „(Metall) gießen“, ab und stellt so einen aus Metall gegossenen Gegenstand dar,119 wobei es nicht nur die Applikation auf einem Kultobjekt, sondern auch das Kultobjekt selbst bezeichnen kann, wie das alleinstehende Vorkommen von ‫ מסכה‬deutlich macht.120

115 Siehe WEINFELD, Deuteronomy, 391, der auch darauf hinweist, dass in rabbinischer Literatur „Halacha“ als Terminus für die Lehre über das Leben nach Gottes Geboten darstellt. 116 Vgl. WEINFELD, Deuteronomy, 409. 117 Dass in Dtn 27,15; Jes 42,17; Nah 1,14; Hab 2,18 jeweils die Verehrung sowohl von ‫ פסל‬als auch von ‫ מסכה‬in einem Atemzug genannt werden, lässt das Machen eines ‫ מסכה‬in derselben Weise als Übertretung des Bilderverbots begreifen wie das Machen eines ‫פסל‬. 118 Siehe DOHMEN, „‫“פסל‬, 693. 119 DOHMEN, „‫“מסכה‬, 1010. 120 OTTO, Deuteronomium, 976.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

c) Gottes Urteil und Vernichtungsandrohung In v13 leitet Mose neuerlich eine Gottesrede ein, was von einigen Kommentatoren als unnötige Wiederholung und so als Zeichen eines redaktionellen Eingriffs gewertet wird. 121 Allerdings lässt sich die erneute Einleitung auch damit erklären, dass nach der Beschreibung des Vergehens in v12 das Urteil über dieses Vergehen als eigenständige Aussage von der vorausgehenden abgehoben wird.122 Die Formulierung „Ich habe gesehen“ (‫ )ראיתי‬und „siehe“ (‫ )והנה‬drückt die Folge von Schauen und anschließender Wahrnehmung aus. Mit ‫והנה‬, „und siehe“, wird der Hörer in das Erlebnis des Protagonisten, der in diesem Fall Gott ist, hineingenommen und zum teilnehmenden Zeugen von dessen Wahrnehmung. Es entsteht so der Eindruck von Unmittelbarkeit und Lebendigkeit.123 In einigen Fällen ist ein solcher Wahrnehmungsprozess mit einer sich sofort einstellenden Deutung oder Beurteilung verbunden (vgl. Gen 1,31; 6,12). Dementsprechend kam Gott auch laut Dtn 9,13 (vgl. Ex 32,9) sofort zu dem Urteil, dass Israel ein „Volk harten Nackens“ sei. Darüber hinaus findet sich dieselbe Formulierung sehr häufig in Lev 13–14 im Rahmen der Untersuchungen von Aussatz. Die Priester sollen dabei jeweils in Manier eines Arztes den Betroffenen untersuchen (‫ )ראה‬und teilen mit ‫והנה‬ eingeleitet den erhobenen Befund mit. Analog lässt sich Dtn 9,13 deuten, wonach Gott nicht nur sein richterliches Urteil fällte, sondern auch wie ein Arzt den Befund erhob, dass Israel ein „Volk harten Nackens“ sei. Indem Gott das Volk als „dieses Volk“ bezeichnet, kommt wieder Distanz zum Ausdruck. Was Gott im Blick auf „dieses Volk“ sah, bündelt sich in seinem Urteil „ein Volk harten Nackens ist es“. Hinsichtlich der rhetorischen Dynamik des Abschnitts Dtn 9f. erfüllt dies eine wichtige Funktion. Hatte Mose in v6 Israel als „Volk harten Nackens“ bezeichnet, so erhält dies nun aus Gottes Mund eine höchst autorisierte Bestätigung.124 Es handelt sich somit in v6 nicht um ein subjektives Urteil Moses, sondern entspricht Gottes Urteil und diagnostischem Befund. Nach seinem Urteil forderte Gott Mose mit „lass ab von mir“ (‫ )הרף ממני‬auf, ihn nicht zurückzuhalten, obwohl Mose noch in keinerlei Weise interveniert hatte. Diese Handlungslücke eröffnet einen unausgefüllten Raum, 125 der erst mit Moses späterem Fürbittgebet gefüllt wird. Sie führt damit gleichsam das Thema von Moses Fürbitte ein. Midrash Rabbah hat dies dahingehend interpretiert, dass Gott Mose darauf aufmerksam machen wollte, für Israel zu bitten. Indem Gott Mose eine Intervention versagt habe, habe er ihn erst darauf hingewiesen, dass es eigentlich seine Aufgabe sei, für Israel zu intervenieren.126 121 122 123 124 125

So z. B. NELSON, Deuteronomy, 124. Vgl. STOPPEL, Angesicht, 167. Vgl. COTROZZI, Expect, 243. Vgl. NELSON, Deuteronomy, 124. Dies lässt sich der von STERNBERG, Poetics, 235ff, als „gap“ bezeichneten Erzähltechnik zuordnen. Solche Lücken (gaps) erzeugen Überraschung, Erwartung und Spannung und werden oft durch spätere Analepsen ausgefüllt. Dementsprechend spricht WEINFELD, Deuteronomy, 410, von einer paradoxen Raumeröffnung für Moses Fürbitte. 126 DevR zu Eikev 162 (Hg. DANZIGER et al., 3 § 15), vergleicht Gott hier mit einem König, der seinem Sohn die Todesstrafe mit sehr lauter Stimme androht, damit ihn der Diener des Sohnes hört, um sich für ihn einzusetzen.

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Israels Rebellionen und die Verschonung am Horeb (Dtn 9,7–24)

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Hatte Mose in 9,8 vorweggenommen, dass Gott am Horeb Israel vernichten wollte, so erzählt er nun das konkrete Ereignis. Mit G. Braulik lässt sich Gottes Vernichtungsandrohung als „Rechtsfolge“ verstehen, die als letzter Schritt auf die „Tatbestandsbeschreibung“ in v12 und die „Tatbestandsfeststellung“ in v13 folgt.127 Der Zusammenhang von Bruch des ersten Gebotes und daraus resultierender Vernichtung war bereits in vorausgegangen Abschnitten begegnet (Dtn 4,25–26; 6,15; 7,4). Nun erzählt Mose das paradigmatische Beispiel, wo der Zusammenhang von Gebotsbruch, Gottes Zorn und Vernichtung sichtbar wird. Nach der Vernichtungsandrohung „Ich werde sie vernichten“, fügte Gott noch die Drohung hinzu, „ihren Namen unter dem Himmel auszulöschen“. Gottes Androhung beschränkte sich nicht nur darauf, die schuldig gewordene Generation zu vernichten, sondern ging sogar so weit, jegliche Form des Gedächtnisses durch ihre Kinder zu versagen. Gott schloss schließlich mit einer dritten Willenskundgebung, die einen alternativen Heilsplan in Aussicht stellte. Er kündigte an, aus Mose allein ein stärkeres und zahlreicheres Volk zu machen. In der Formulierung finden sich Anklänge an die Abrahamsverheißung in Gen 12,2 „Ich werde aus dir ein großes Volk machen“ (‫)ואעׂשך לגוי גדול‬,128 wobei in Dtn 9,14 mit „mächtiger und zahlreicher“ andere Mächtigkeitsattribute Verwendung finden, während im Paralleltext Ex 32,10 der Bezug zur Abrahamsverheißung in Gen 12,2 aufgrund der stärkeren Lexementsprechung noch deutlicher ist.129 In Gen 18,18 wiederum ruft sich Gott die Abrahamsverheißung mit der sprachlichen Variierung ins Gedächtnis, er wolle ihn zu einem „großen und mächtigen Volk“ (‫ )לגוי גדול ועצום‬machen, was mit Dtn 9,14 das Attribut „mächtig“ (‫ )עצום‬teilt. Das zweite Attribut ‫ רב‬begegnet zwar in keiner göttlichen Verheißung an Abraham, dafür aber das Verb ‫ רבה‬vom selben Stamm mehrfach in Form der Mehrungsverheißung und deren anfanghafter Erfüllungsgeschichte. 130 Diese Verknüpfungen machen deutlich, dass Gott zwar sein Volk vernichten, nicht aber seinen größeren Heilsplan aufgeben wollte, da er diesen mit Mose allein verwirklichen wollte.131 Die Fortführung des göttlichen Heilsplanes mit dem „einen Gerechten“ erinnert an Noah, der nach Auslöschung alles Lebendigen „als einziger übrigblieb“ (Gen 7,23).132 Der hier entwickelte alternative Heilsplan stellte nicht nur eine Bedrohung für das Volk, sondern auch eine Versuchung für Mose dar. Doch zeigte Mose keinerlei Anzeichen, sich in Anbetracht einer eigenen verheißungsvollen Zukunft vom Volk lossagen zu wollen. Vielmehr unternahm er alles, um den Konflikt zu lösen.133 Die drei Androhungen Gottes entsprechen im Dreischritt den drei Umschreibungen von Israels Sünde. Diese Entsprechung weist noch einmal verstärkt auf den inneren Zusammenhang von Gottes Zorn und die Sünde des Volkes hin. Die ersten und letzten beiden Aussagen korrespondieren dabei auch inhaltlich. Hatte Israel das Bundesverhältnis vernichtet, so wollte Gott Israel vernichten. Hatte sich Israel ein Gussbild gemacht, so wollte Gott sich ein neues

127 128 129 130 131

BRAULIK, Deuteronomium, 77. Vgl. BRAULIK, Deuteronomium, 77. Siehe KONKEL, Sünde, 154. Z. B. in Gen 17,2; 22,17; 26,4.24; 28,3; 35,11; 47,27; 48,4; Ex 1,7.12.20. Vgl. TIGAY, Deuteronomy, 100; anders BRAULIK, Deuteronomium, 77–78, der den Vernichtungsplan als von vorhinein gescheitert sieht, wollte Gott seinen Verheißungen treu bleiben. 132 Vgl. z. B. DOHMEN, Exodus 19–40, 304. 133 BOVATI, Deuteronomio, 138, sieht hierin den Beweis für Moses wahres Prophetentum.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

(anderes) Volk machen.134 War Israel schließlich vom Weg abgewichen, drohte diese Abweichung im Nichts zu enden, was besonders drastisch durch das Motiv der Namensauslöschung zum Ausdruck kommt. Tabelle 4: Entsprechung von Israels Sünde und Gottes Drohung V12 „sie vernichten vollkommen“ „sie sind vom Weg abgewichen“ „sie haben ein Gussbild gemacht“

V14 „ich werde sie vernichten“ „ich werde ihren Namen auslöschen“ „ich werde aus dir ein größeres und stärkeres Volk machen“

5.2.3.4 Moses Abstieg und das Zerschmettern der Tafeln (Dtn 9,15–17) Gott hatte Vernichtung angedroht und zugleich Mose entsendet, um etwas zu unternehmen. Nun wendet sich die Erzählung mit Moses Abstieg dem Lager zu, wo jenes Ereignis stattgefunden hat, das Gott derart erzürnte, dass er Israel vernichten wollte. a) Moses Abstieg Mose setzt noch vor der Abstiegsnotiz damit fort, dass er sich umwandte. Das Verb ‫פנה‬ bezeichnet im Buch Deuteronomium zumeist eine radikale und bedeutungsvolle Richtungsänderung. Mose wandte sich von Gott ab, um zu seinem sündigen Volk hinabzusteigen. Mit der Partizipialkonstruktion „und der Berg brannte in Feuer“ zeichnet Mose einen malerischen Hintergrund für seinen Abstieg. Dieselbe Formulierung begegnet ebenfalls in Dtn 4,11; 5,23, um auf Gottes Gegenwart während und nach der Offenbarung des Dekalogs hinzudeuten. Wie dort weist Mose auch in Dtn 9,15 darauf hin, dass Gottes Gegenwart am Horeb nicht gewichen war und sich die im Folgenden beschriebenen Ereignisse unter Gottes Gegenwart am Horeb zugetragen haben.135 Zudem könnte im Motiv des brennenden Feuers – wie S. Paganini hervorhebt – auch der göttliche Zorn nachklingen.136 Dieselbe Formulierung ‫ בער באׁש‬begegnet sonst nur noch in Ex 3,2 in Beschreibung des brennenden Dornbusches, wo Gott sich Mose offenbart hatte. 137 Zeigte sich hier Gottes Gegenwart ebenfalls im Feuer, so allerdings in viel unscheinbarerer Weise, die Moses Annäherung erforderte, um wahrgenommen zu werden. Am Horeb begleitete Gottes Theophanie dagegen ein gewaltiges Naturspektakel, das vom Volk am Fuße des Berges kaum übersehen werden konnte. Im Anschluss an die Beschreibung der Hintergrundkulisse hebt Mose hervor, dass „die zwei Tafeln des Bundes auf den beiden Armen“ waren.138 Dies verstärkt den gemäldehaften 134 BRAULIK, Deuteronomium, 77, weist auf einen Widerhall von „Gussbild machen“ in „Volk machen“. 135 Vgl. WEINFELD, Deuteronomy, 410, der darin einen Hinweis sieht, dass die Offenbarung noch im Gange war, als das Volk den Bund brach; ebenso TIGAY, Deuteronomy, 100, der es folgendermaßen auf den Punkt bringt: „The ink was not yet dry’ on the covenant when the people violated it.“ 136 PAGANINI, Deuteronomio, 217. 137 OTTO, Deuteronomium, 558–559, weist auf die Verknüpfung zur Dornbuscherzählung hin, die er als postdeuteronomistisch in Abhängigkeit von Dtn 5,23; 9,15 bestimmt. 138 Das Wort ‫ יד‬kann sowohl das Handgelenk als auch die Arme bezeichnen; siehe ACKROYD / BERGMAN / VON SODEN, dy „‫“יד‬, 427.

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Israels Rebellionen und die Verschonung am Horeb (Dtn 9,7–24)

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Charakter der Darstellung, indem in möglichst knapper Beschreibung ohne Verwendung eines Verbs der Eindruck einer eingefrorenen Dynamik vermittelt wird. Die Tafeln werden nun wieder pointiert als „Tafeln des Bundes“ bezeichnet. Mose trägt das Zeichen des Bundes zwischen Gott und seinem Volk auf seinen Armen. Die Formulierung „auf den beiden Armen“ (‫ )על ׁשתי ידי‬mit der Präposition ‫ על‬begegnet mehrmals, wo etwas um die Hand/Hände oder Arme gelegt wird,139 jedoch selten als Ausdruck dafür, dass sich etwas in der Hand oder auf den Armen befindet, so außer in Dtn 9,15.17 noch in Gen 24,18.140 Die seltene Formulierung könnte auf Moses besondere Verantwortung hinweisen, da die Präposition ‫ על‬+ ‫ יד‬mehrmals Verwendung findet, wo Personen oder Gegenstände zur Obhut übergeben werden.141 Dass Mose die Tafeln nicht „in“ den Händen, sondern „auf“ den Armen trägt, könnte auch auf das Gewicht der Tafeln und somit symbolisch auf die Schwere seiner Verantwortung hinweisen. Vielleicht findet sich dabei aber auch ein Anklang zu den Gebetsriemen, die sich die Israeliten „um das Handgelenk“ binden sollen (Ex 13,9.16; Dtn 6,8; 11,18). Wenn sie Gottes Worte als Zeichen um ihren Arm (‫ )על־ידך‬binden, ähneln sie Mose, der die mit Gottes Wort beschriebenen Tafeln auf seinen beiden Armen (‫ )על ׁשתי ידי‬trug. Ein zweites auffälliges Detail besteht in der Angabe, dass sie auf „zwei“ (‫ )ׁשתי‬Armen waren, was im Zusammenhang mit den Tafeln nur in Dtn 9,15.17 begegnet. Dies könnte abermals auf das Gewicht der Tafeln und somit symbolisch auf die Schwere von Moses Aufgabe hindeuten,142 der mit all seinen Kräften gefordert war, indem er die Verantwortung für den Bund zwischen Gott und seinem Volk, symbolisiert in den Tafeln, zu tragen hatte. b) Moses Bestätigung und Uminterpretation Nach der Schilderung des Abstiegs wendet sich Mose den Ereignissen im Lager zu, indem er mit „Ich habe gesehen“ (‫ )ראיתי‬und „und siehe“ (‫ )והנה‬den Hörer noch unmittelbarer in seine Perspektive einholt und so verstärkt in die Szene eintreten lässt. Dieselbe Formulierung hatte laut Moses Bericht zuvor Gott verwendet, wobei dieser zu dem Urteil gekommen war, dass Israel ein „Volk harten Nackens“ sei. Trotz derselben Einleitung griff Mose laut v14 nicht auf das abschließende Urteil Gottes zurück, sondern auf die zuvor in v12 ergangene dreigliedrige Umschreibung. Zwar bestätigte er Gottes Beschreibung von Israels Treiben, hütete sich aber, Gottes Urteilsspruch zu wiederholen. Er ging einen Schritt zurück und vollzog so einen ersten Versuch, Gottes Urteil und die daraus folgende Strafe der Vernichtung abzuwenden. In der Verbalisierung seiner damaligen Wahrnehmung entnimmt er Gottes Umschreibung aus v12 die letzten beiden Elemente beinahe wortgleich, aber in 139 Siehe Gen 24,22.30; 27,16; 38,30; Ex 13,9.16; Dtn 6,8; 11,18; Jer 22,24; 40,4; Ez 16,11. 140 Um die Position eines Gegenstandes in der Hand zu verorten wird normaler Weise die Präposition ‫ב‬ verwendet, so auch hinsichtlich der Tafeln in Dtn 10,3 (‫ )בידי‬und in Ex 32,15; 34,4 (‫)בידו‬. 141 So werden Menschen in die Obhut übergeben (Gen 42,37; 2 Kön 10,24), Geld oder wertvolle Gegenstände (2 Kön 12,12.16; 22,5.7.9; 1 Chr 26,28; 29,8; 2 Chr 34,10.17; Esra 1,8; 8,26.33), Schilde (1 Kön 14,27; 2 Chr 12,10), Gewand und Pferd (Est 6,9) oder eine ganze Stadt (1 Chr 7,29). Ebenso kommt mit dieser Formulierung zum Ausdruck, dass Leitung übergeben oder übernommen wird (1 Chr 25,2.3.6; 2 Chr 26,11.13). 142 Nach SOROTZKIN, Dewarim, 121, waren die ersten Tafeln zu schwer für eine Hand, weil Mose von der Sünde Israels ausgelaugt war, während er später voller Elan aufgrund von Gottes Einlenken die Kraft besaß, die Tafeln in einer Hand auf den Berg zu tragen.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

umgekehrter Reihung. Zudem ersetzt er Gottes erste Klassifizierung ‫ׁשחת‬, „zerstören“, mit ‫חטא‬, „sündigen“. Tabelle 5: Vergleich von Gottes und Moses Charakterisierung der Verfehlung V12: Gottes Beschreibung Dein Volk vernichtet vollkommen Sie sind vom Weg abgewichen Sie haben sich ein Gussbild gemacht

V16: Moses Beschreibung Ihr hattet gesündigt Ihr hattet euch ein gegossenes Kalb gemacht Ihr wart vom Weg abgewichen

Während Gott zuerst Israels zerstörerisches Agieren (‫ )ׁשחת‬und damit die destruktiven Folgen von Israels Handeln auf die Bundesbeziehung in den Blick genommen hatte, begann Mose damit, dass Israel gegen Gott gesündigt hatte (‫)חטאתם ליהוה אלהיכם‬. Das Verb ‫חטא‬ drückt die „religiöse Disqualifikation“ eines Handelns aus, 143 relationiert ein Handeln also grundsätzlich zu Gott. Mit der ausdrücklichen Erwähnung, die Sünde habe sich gegen Gott gerichtet (‫)ליהוה‬, wird dieser Zusammenhang noch verstärkt. Ist der Vorwurf des Sündigens schlimm genug, so vermied Mose jedoch, von Vernichtung und somit von einem endgültigen Bruch zu sprechen. Während Gottes Beschreibung sich vom Allgemeinen zum Konkreten gesteigert hatte, positioniert Mose das Machen des Kalbes in der Mitte seiner Wahrnehmungsbeschreibung, das von zwei explizierenden Deutungen gerahmt wird. Hatte Gott laut v12 erst im letzten Glied Israels Vergehen als „Machen eines Gussbildes“ konkretisiert, so tat Mose dies laut v16 bereits in einem zweiten Schritt mit „Ihr hattet ein gegossenes Kalb gemacht“. Erzähltechnisch ist damit die Beschreibung von Israels Vergehen in Dtn 9,12.16 zu einem Abschluss gebracht, da nun das Objekt der Sünde in seiner Gestalt als „Kalb“ (‫ )עגל‬endgültig in Erscheinung tritt. Während Gott Israels Handeln in einem zweiten Schritt als Abweichen vom Weg umschrieben hatte, so tat Mose dies in einem letzten Schritt. Hatte er das Machen des gegossenen Kalbes zunächst als Sünde gegen Gott charakterisiert, so deutete er dies zuletzt im Rahmen eines grundsätzlichen Abweichens von dem für Israel gebotenen Weg. Die Sünde mit dem Kalb war demnach nicht nur eine punktuelle Verfehlung, sondern Ausdruck einer grundsätzlichen Verirrung. Israels Tat wird in Dtn 9,12.16 sowohl aus der Perspektive Gottes (v12) als auch Moses (v16) geschildert. Mose bestätigte im Wesentlichen Gottes Beschreibung. Die grundsätzliche Übereinstimmung beider Perspektiven in der Wahrnehmung und Benennung von Israels Verfehlung lässt an das Zweizeugengesetz in Dtn 19,15 denken, wonach jede Sünde, die jemand begangen hat, nur dann geahndet werden darf, wenn sie von zwei Zeugen bezeugt wird. Auf analoge Weise wurde am Horeb Israels Vergehen mit dem Kalb von zwei Zeugen belastet.144 Dies entspricht in gewisser Weise der Darstellung des Ringens Gottes und Moses um das Schicksal des Volkes, da es in manchem einem sehr menschlich geführten Gerichtsprozess gleicht.145 Mose gibt zu erkennen, dass Israel tatsächlich gesündigt und 143 KOCH, „‫“חטא‬, 859. 144 Vgl. PECKHAM, „Composition“, 30, der Mose als Zeuge für Gottes Anklage bezeichnet. 145 Vgl. BRAULIK, Deuteronomium, 77–78.

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Israels Rebellionen und die Verschonung am Horeb (Dtn 9,7–24)

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Strafe verdient hatte. Jedoch griff Mose nach eigenem Bericht Gottes vernichtendes Urteil aus v14 nicht auf und vermied das Wort ‫ׁשחת‬, das von einem endgültigen Bruch spricht. So bestätigte er zwar grundsätzlich Israels Sünde, versuchte jedoch Gottes Beurteilung abzumildern. c) Das Kalb Obwohl ‫ עגל‬zumeist mit „Kalb“ übersetzt wird, handelt es sich wohl eher um einen männlichen Jungstier,146 was auch der Beleg einer femininen Form ‫ עגלה‬nahe legt. Aufgrund des eingebürgerten Sprachgebrauches wird hier jedoch die Bezeichnung „Kalb“ beibehalten. Die Symbolisierung von Gottheiten als Stier war in Israels Umwelt weit verbreitet, 147 wobei die Stiersymbolik sowohl „Fruchtbarkeit“ als auch „Macht“ der damit repräsentierten Gottheit ausdrücken konnte.148 In Ex 32; Dtn 9 finden sich keine Hinweise auf ein Fruchtbarkeitssymbol. Wenn sich das Volk im Buch Exodus Götter wünscht, die vor ihm herziehen (Ex 32,1), und das Objekt als Führer aus Ägypten anspricht (v4), steht dagegen mit dem Motiv der „Führung“ ein Machtmotiv im Blickpunkt.149 Die Gründe dafür, dass gerade die Form eines „Jungstiers“ für die Darstellung des Kultbildes am Sinai/Horeb gewählt wurde, können in der mehrfach belegten Symbolisierung anderer Gottheiten durch Stiere in Israels Umwelt liegen. Noch grundlegender für die Wahl aber ist wahrscheinlich der Bezug der ersten textgenetischen Etappe des Textes in Ex 32* zu den Jungstieren Jerobeams.150 Ex 32 berichtet im Gegensatz zu Dtn 9 im Detail über die Entstehung des Kalbes und den ihm dargebrachten Kult. Die an Aaron gerichtete Bitte des Volkes (Ex 32,1; 32,23), Götter zu machen, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit Moses Abwesenheit und der Angst, er würde nicht mehr zurückkommen. Der Wunsch des Volkes entspringt demnach der Abwesenheit Moses, den es durch eine Art Führungssymbol ersetzen will. 151 Da jedoch das Volk nicht nach einem anderen menschlichen Führer ruft, sondern nach ‫אלהים‬, wird deutlich, dass das Kultobjekt nicht Mose selbst repräsentieren, sondern seine Mittlerfunktion zwischen Gott und dem Volk übernehmen soll. Wie zuvor Mose soll nun das Kultobjekt Gott repräsentieren und vergegenwärtigen.152 Wenn das Volk im Buch Exodus dem Kalb Opfer darbringt (vv6.8), in Nachahmung der Bundesliturgie vom Sinai (Ex 24,11) vor ihm isst und trinkt (v6), dann wird die Sünde mit

146 RINGGREN, „‫“עגל‬, 1057. 147 So war der Kult des Apis Stiers in Äypten, Anatolien und Syrien weit verbreitet. Im Ugaritischen erhielt der Gott El das Epitheton „Stiergott“ und in der Hetitischen Religion ist die Verehrung des Stieres vielfach ikonographisch bezeugt; siehe dazu den Überblick samt Referenzen bei WEINFELD, Deuteronomy, 424–425. Solche Stiersymbolik in Verbindung mit dem Gott Israels ist auch biblisch belegt, wenn Gott etwa in Gen 49,24; Num 23,22; 24,8; Dtn 33,17 im Bilde eines Stieres gezeichnet wird, was auf eine ursprünglich positive Konnotation des Symbols hindeutet, die erst später negativ besetzt wurde; siehe JANZEN, „Character“, 598–599, Anm. 3. 148 So MILLER, „El“, 419. 149 Siehe JANZEN, „Character“, 599–600, der das Kalb als Symbol für Gott als „göttlichen Krieger“ deutet. 150 So z. B. VEIJOLA, Deuteronomium, 226.228.231. 151 So schon RAMBAN, Shemos, zu Ex 32,1 (Hg. KASNETT et al., 388). 152 Siehe dazu z. B. DOHMEN, Exodus 19–40, 294.

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dem Kalb als „Gegenveranstaltung zur Sinaitheophanie“ gezeichnet.153 Wenn sich das Volk vor dem Kalb niederwirft (v8), wird der Charakter der Sünde deutlich als Bruch des Gebots, keine Kultbilder zu verehren (Ex 20,5), erkennbar. Zum anderen ist die Sünde mit dem Kalb im Buch Exodus mit der Anrede des Kalbes in v8 als „Gott, der dich aus Ägypten heraufgeführt hat“ „in hartem Kontrast zum Bundeswort der Dekalogpräambel gestaltet und bedeutet so den eklatantest möglichen Verfassungsbruch“. 154 In der Anrede des Kalbes werden die Intentionen des Volkes besonders deutlich. Es geht dem Volk darum, den Gott, der es aus Ägypten heraufgeführt hat, in Form eines Kultgegenstandes zu vergegenwärtigen.155 Das zentrale Stichwort in diesem Zusammenhang ist das Verb „machen“, das sehr häufig in Verknüpfung mit dem Kalb begegnet (Ex 32,1.4.8.20; 32,23.31.35; Dtn 9,12.16.21). Im Machen des Kalbes verbirgt sich der Versuch, Gott „verfügbar“ zu machen. 156 Indem das Volk den Gott des Exodus in Form eines Kultbildes verfügbar machen will, macht es aus diesem selbst ein Idol. Bezeichnend ist hierbei, dass das Volk im Unterschied zu Aaron diesen Gott nicht mehr als Jhwh, also mit seinem Namen anspricht. Auch wenn sich die Verehrung auf den Gott bezieht, der Israel heraufgeführt hat, gilt sie nicht mehr Jhwh, sondern einem selbstgemachten entpersonalisierten Gott. Die Sünde mit dem Kalb ist somit im Grunde die Idolisierung Gottes, das Herabziehen des unverfügbaren Gottes in die Formen eigener, menschlich begrenzter Vorstellungen und Bedürfnisse. In Ex 39,43 begegnet eine sprechende parallele Formulierung zu Ex 32,19–20; Dtn 9,16, die jener von Dtn 9,16 nähersteht. Mose blickt (‫ )וירא מׁשה‬auf das fertig gestellte Zeltheiligtum und sieht (‫)והנה‬, dass sie es Gottes Befehl entsprechend gemacht hatten (‫)עׂשו‬. Im Gegensatz zu Dtn 9,16 folgt hier kein Akt der Zerstörung, sondern der Segen für die Hersteller des Zeltheiligtums (‫)ויברך אתם מׁשה‬. Der legitime und segenerfüllte Ausdruck religiöser Anfertigung ist das Machen des Zeltheiligtums, das dem eigenmächtig gemachten Kultbild gegenübersteht. Im Gegensatz zum Exodusbericht finden sich in Dtn 9 weder Informationen zur Verehrung des Kalbes noch zu den Intentionen des Volkes. Was das Kalb zu bedeuten hat, wird hier nur aus Gottes (v12) und Moses Klassifizierungen (v16) von Israels Vergehen deutlich. Ohne die vielfachen Nuancierungen der Exodusversion aufzugreifen, macht das Buch Deuteronomium erkenntlich, dass es sich bei der Sünde mit dem Kalb um den Bruch des Bilderverbotes als Teil des ersten Gebotes und damit um die grundlegendste Form des Abfalls von Jhwh handelt.157 Mit dem Motiv des Machens (vv12.16.21) wird darüber hinaus 153 DOHMEN, Exodus 19–40, 299–300. 154 MARKL, Dekalog, 264. 155 Die Interpretation des Bilderverbots nicht als Verbot der Herstellung von Götterbildern fremder Gottheiten, sondern Jhwhs, spiegelt sich auch in Dtn 4,15–18 wider, wo das Bilderverbot mit der Gestaltlosigkeit Jhwhs am Horeb begründet wird; vgl. BRAULIK, „Kalb“, 15. 156 Vgl. OTTO, Deuteronomium, 693: „Das Bilderverbot sichert als Aussage der Transzendenz Gottes auch seine Unverfügbarkeit. Jede Vergegenständlichung Gottes im Abbild bedeutet Verfügbarkeit für den Menschen.“ 157 Damit spiegelt sich in der Kalbepisode die Tendenz wider, das erste Gebot vor allem vom Bilderverbot her zu deuten. Nach OTTO, Deuteronomium, 734, verlor das Verbot der Fremdgötterverehrung mit der Weiterentwicklung vom Monolatrismus zum Monotheismus seine Bedeutung. Dagegen trat das Verbot der Götzenverehrung und damit das Bilderverbot stärker in den Vordergrund.

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der Aspekt der Verfügbarmachung Gottes betont und somit die Idolisierung Jhwhs selbst, der in die Formen der eigenen, menschlich begrenzten Vorstellungen und Bedürfnisse herabgezogen wird.158 d) Die Zerstörung der Tafeln Mose setzt seine Schilderung damit fort, dass er Israels Sünde vor Augen die Tafeln „ergriff“ (‫)תפׂש‬, „fortschleuderte“ (‫ )ׁשלך‬und „zerschmetterte“ (‫)ׁשבר‬. Der Piel von ‫ ׁשבר‬zielt möglicherweise im Gegensatz zum Qal, der einen Prozess bezeichnet, auf das Resultat. 159 Er wird zumeist verwendet, um die Zerstörung von Kriegsmaterialien und Kultgegenständen auszudrücken. Wird das Zerschmettern der fremden Kultgegenstände eingefordert, so erleiden die sakralen Gegenstände des Tempels dasselbe Schicksal. In 2 Kön 25,13; Jer 52,17 zerschlagen die Chaldäer die bronzenen Säulen am Haus des Herrn, die fahrbaren Gestelle und das eherne Meer. In Dtn 9,17 zerschmettert Mose mit den Tafeln sogar die heiligsten Gegenstände, die von Jhwh selbst beschriebenen Tafeln. Die Ungeheuerlichkeit dieser Handlung hat rabbinische Schriftauslegung nach der Beurteilung von Moses Handlung fragen lassen.160 Einige Midraschim qualifizieren Moses Handlung als strafwürdig und sehen im Auftrag an Mose (Dtn 10,1), neue Tafeln zu hauen, einen Hinweis darauf, dass Mose seine Tat wiedergutmachen musste,161 während der Talmud von Gottes Gutheißung ausgeht, da das Volk der Tafelübergabe nicht mehr würdig gewesen sei.162 Fest steht, dass Mose zwar von Gott entsendet wurde, etwas in prophetischer Mission zu unternehmen, jedoch keine Beauftragung zur Zerstörung der Tafeln erhalten hatte. So scheint es, als habe Mose zwar im Rahmen seiner prophetischen Sendung und von Gott zugesprochenen Mittlerrolle, jedoch aus eigener Initiative gehandelt. Im Unterschied zu Ex 32,19 ist in Dtn 9,17 von keinem Zorn Moses die Rede, was darauf hindeutet, dass Moses Aktion im Unterschied zu Ex 32,19 nicht als Affekthandlung verstanden werden soll.163 Wenn Mose aber nicht aus Affekt handelte, stellt sich die Frage, wie seine Handlung zu verstehen ist. Oftmals wird sie als Akt der Bundesaufkündigung gedeutet, da mit dem Zerreißen der Urkunde der Bundesvertrag juristisch annulliert gewesen sei.164 Gegen einen solchen juristischen Akt spricht jedoch, dass Mose im strengen Sinne keinen der beiden Vertragspartner Gott/Volk repräsentierte, sondern als Bote zwischen diesen vermittelte. So wenig er im Namen des Volkes den Bund aufkündigte, so wenig wahrscheinlich ist es, dass er dies im Namen Gottes tat. 165 Denn diesbezüglich gab es weder 158 Eine interessante Interpretation bietet WEINREB, Schöpfung, 784.797, der von der Bedeutung des Lexems ‫ עגל‬als „Kreis“ ausgehend das Kalb als Ausdruck eines in die Geschlossenheit eigener Vorstellungen gepressten Gottes sieht, der im Gegensatz zum lebendigen Gott nach den eigenen menschlichen Maßstäben funktionieren soll. 159 KNIPPING, „‫“ׁשבר‬, 1033. 160 Siehe LEIBOWITZ, Shemos, 601–617, die hier verschiedenste rabbinische Interpretationen diskutiert. 161 Siehe DevR zu Eikev 3 §14–§15 (Hg. DANZIGER et al., 15); Tan zu Eikev §11 (Hg. PUPKO et al., 87– 88). 162 bShab 87a (Hg. GOLDSCHMIDT, 691). 163 Vgl. WEINFELD, Deuteronomy, 410. 164 Eine solche performative Deutung des Zerstörungsaktes vertreten z. B. BRAULIK, Deuteronomium, 78; TIGAY, Deuteronomy, 100; VEIJOLA, Deuteronomium, 228; PAGANINI, Deuteronomio, 217–218. 165 Siehe dazu die Kritik von STOPPEL, Angesicht, 222, der allerdings Mose bei dieser Handlung im Verweis auf GERTZ, „Mose“, 21, als „Repräsentanten Israels“ zeichnet, was weniger schlüssig ist.

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einen ausdrücklichen noch einen versteckten Hinweis. Gott hatte Mose in prophetischer Mission zu seinem Volk entsendet, ihn aber nicht beauftragt, den Bund aufzukündigen. Als performativer Akt ließe sich Moses Handlung am ehesten entsprechend rabbinischer Exegese mit dem Zerreißen eines Kontraktes vergleichen, der noch nicht beim Adressaten angekommen war und somit noch keine definitive Gültigkeit besessen hatte. Mose zerstörte demnach das Bundesdokument, noch ehe der Bundesschluss zu seinem definitiven Abschluss gekommen war. In weiterer Folge begreift rabbinische Exegese die Handlung als Akt der Rettung. Mose zerstörte das Dokument, das Israel anklagen würde, damit es eine mildere Beurteilung erlange.166 Diese Interpretation erhält Rückendeckung durch Dtn 31, wo Mose bei der Übergabe der verschrifteten Tora (v27) auf deren Zeugnisfunktion gegen Israels zukünftige Rebellion und Halsstarrigkeit (vv27.29) hinweist. Während also die Tora Israels zukünftigen Gebotsbruch bezeugen würde, zerstörte Mose am Fuße des Gottesbergs jenes Dokument, das Israels Bruch des ersten Gebotes bezeugt hätte. Nehmen diese beiden rabbinischen Interpretationen die rettenden Auswirkungen von Moses Handlung in den Blick, so ist für das Verständnis von Moses Aktion in Dtn 9,17 vor allem der Zeichencharakter der Handlung zu berücksichtigen. 167 Es handelt sich dabei nicht nur und in erster Linie um einen performativen Akt, sondern mehr noch um eine prophetische Zeichenhandlung, die etwas darstellen sollte,168 was durch Parallelen zu Zeichenhandlungen der Propheten Ahija und Jeremia deutlich wird. Der Prophet Ahija ergriff (‫ )תפׂש‬laut 1 Kön 11,30 im Auftrag Gottes seinen Mantel und zerriss ihn in 12 Teile. Diese Zeichenhandlung deutete er dem König laut 1 Kön 11,31–39 als Zeichen für die Trennung der Reiche. Der Prophet Jeremia zerbrach (‫ )ׁשבר‬laut Jer 19 im Auftrag Gottes „vor den Augen“ (‫)לעיני האנׁשים‬ seiner Adressaten einen Tonkrug als Zeichen für Gottes Entschluss, Juda und Jerusalem zu zerstören. Moses Handlung vollzieht sich ebenso „vor den Augen“ (‫ )לעיניכם‬des Volkes, was oftmals als Hinweis auf den öffentlichen Rechtscharakter der Handlung gedeutet wird.169 Es scheint jedoch eher wie in Jer 19 auf den Zeichencharakter der Handlung hinzudeuten.170 Mose versuchte seinen Adressaten etwas durch diese Zeichenhandlung zu vermitteln und vollzog sie deshalb vor ihren Augen. Was die Zerstörung der Tafeln darstellen sollte, erschließt sich über die Bedeutung der Tafeln, die Zeichen für die Bundesbeziehung zwischen Gott und seinem Volk sind. Mose fand sich zwischen zwei Parteien wieder, die jeweils die Beziehung abgebrochen hatten. Genau dies brachte er mit seiner Handlung zum Ausdruck. Wie die Tafeln in Scherben zerbrachen, so war die Beziehung zwischen Gott und seinem Volk in Brüche gegangen.171 Dabei spiegeln sich im Zerstörungsakt der Tafeln sowohl Israels Sünde als auch Gottes Zorn wider. Mose hatte die Herstellung des Kalbes in Dtn 9,12 als Zerstörungsakt bezeichnet, mit dem Israel die sich entwickelnde Beziehung mit Jhwh bereits an seinem Anfang zugrunde gerichtet hatte (‫)ׁשחת‬. Auf diesen Akt der Zerstörung hatte Gott mit der Androhung der 166 Tan zu Eikev §11 (Hg. PUPKO et al., 86–87); RAMBAN, Dewarim, zu Dtn 9,17 (Hg. KASNETT et al., 213). 167 Vgl. BOVATI, Deuteronomio, 138: „È chiaro che si tratta di un’azione simbolica, uno di quei gesti di cui i profeti si servono per evidenziare un messagio ricevuto da Dio.” 168 Vgl. z. B. FINSTERBUSCH, Weisung, 204. 169 So z. B. MAYES, Deuteronomy, 200. 170 Vgl. TASCHNER, Mosereden, 229. 171 Vgl. BOVATI, Deuteronomio, 138.

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Vernichtung geantwortet. Mose zeigte im Zerschmettern der Tafeln einerseits, was Israel getan hatte. Andrerseits vollstreckte er symbolisch Gottes Zorn.172 Die Entladung des göttlichen Zornes an den Tafeln wiederum hatte einen rettenden Aspekt. Denn nicht das Volk, sondern die Tafeln wurden zerstört. Mose lenkte Gottes Zerstörungswut auf die Tafeln um, damit das Volk überleben konnte. e) Textexterne Kommunikationsebene Auf textexterner Kommunikationsebene wird den Adressaten über mehrere Hinweise und intertextuelle Verknüpfungen zu verstehen gegeben, dass über die Horeberzählung auch ihre eigene Geschichte im Blick ist. Die in drei Schritten minutiös dargestellte Aktion umfasst in jedem ihrer Schritte Wendungen und Motive, die in den biblischen Darstellungen der Untergangsgeschichte Israels und Judas vorkommen. Über das erste Verb „ergreifen“ (‫)תפׂש‬, das Motiv des göttlichen Zornes in Dtn 9,8 (‫ )אנף‬und den Kontext einer prophetischen Zeichenhandlung, die Bruch und Zerstörung zum Ausdruck bringt, besteht ein Zusammenhang, der auch im 1. Buch der Könige zu finden ist. In Folge von Gottes Zorn (‫ )אנף‬über Salomo (1 Kön 11,9) gibt der Prophet Ahija in einer Zeichenhandlung Jerobeam zu verstehen, dass er 10 Stämme unter seine Herrschaft bringen wird. Dabei ergreift (‫ )תפׂש‬er seinen Mantel und zerreißt ihn (1 Kön 11,30), um die Reichstrennung symbolisch darzustellen. Die mehrfachen Parallelen könnten Hinweis dafür sein, dass in Moses erster Aktion auf die Reichstrennung angespielt wird. Das zweite Verb ‫ׁשלך‬, „werfen“, wird sehr selten mit Präpositionen konstruiert, die den Ausgangspunkt einer Bewegung angeben. 173 Die seltenen Belege mit der Präposition ‫ מעל‬begegnen über Dtn 9,17 hinaus ausschließlich in der Wendung „von seinem Angesicht stoßen“ (‫)ׁשלך מעל פנה‬,174 der wiederum die Wendung ‫הסיר מעל פנה‬, „vom Angesicht wegwenden“, sehr nahesteht. Diese Wendungen beziehen sich jeweils entweder auf das Ende des Nordreichs oder den Untergang Judas, Jerusalems und des Tempels, wie an folgender Tabelle zu sehen ist: Tabelle 6: Verstoßungsformeln Stelle

Wendung

2 Kön 13,23 2 Kön 17,20 2 Kön 17,18 2 Kön 17,23 2 Kön 23,27 2 Kön 24,20; Jer 52,3 Jer 7,14–15 2 Kön 24,3 Jer 32,31 1 Kön 9,7;175 2 Chr 7,20

172 173 174 175

‫ׁשלך מעל פנה‬ ‫ׁשלך מן פנה‬ ‫הסיר מעל פנה‬ ‫הסיר מעל פנה‬ ‫הסיר מעל פנה‬ ‫ׁשלך מעל פנה‬ ‫ׁשלך מעל פנה‬ ‫הסיר מעל פנה‬ ‫הסיר מעל פנה‬ ‫(ׁשלח) ׁשלך מעל פנה‬

Referenz Untergang Israels

Exil Israels Untergang Judas, Jerusalems und des Tempels Untergang Judas und Jerusalems Untergang Judas und des Tempels Untergang Judas Zerstörung Jerusalems Zerstörung des Tempels

Zum Motiv von Gottes Zorn und Tafeln in Dtn 9,17 siehe PAGANINI, Deuteronomio, 217. THIEL, „‫“ׁשלך‬, 85. 2 Sam 11,21; 2 Kön 13,23; 24,20; 2 Chr 7,20; Jer 7,15; 52,3; Ez 18,31. 1 Kön 9,7 ist mit dem Verb ‫ ׁשלח‬konstruiert.

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Jeweils geht es darum, dass Gott das Volk, die Stadt Jerusalem oder den Tempel aus dem Bereich seines Antlitzes (‫ )פנה‬entfernt. Dies hat einen räumlichen Aspekt, zumal die großen Katastrophen des Untergangs des Nordreichs und Judas an manchen Stellen in besonderer Weise unter dem Aspekt der Exilierung angesprochen werden (2 Kön 24,20; Jer 52,3),176 sich die Verstoßung in 2 Kön 17,23 explizit auf die Verbannung Israels aus dem Land bezieht und beide Katastrophen damit enden, dass sowohl Israel als auch Juda ins Exil gehen. Nichtsdestotrotz sollte die Wendung nicht auf das Exil eingeengt werden, 177 da auch die Zerstörung Jerusalems (2 Kön 23,27; 24,20; Jer 32,31; 52,3) und des Tempels (vgl. 1 Kön 9,7; 2 Kön 23,27; 2 Chr 7,20; Jer 7,14–15) damit umschrieben werden. Gott stößt hierbei die Orte seiner Gegenwart von seinem Angesicht weg, das heißt er entzieht ihnen seine Gegenwart, sodass sie der Vernichtung preisgegeben werden. Eine Exilsformel im eigentlichen Sinne findet sich dagegen in Dtn 29,27, wo nicht nur der Ausgangspunkt „heraus aus ihrer Erde“ (‫)מעל אדמתם‬, sondern auch die Richtung „in ein anderes Land“ ( ‫אל־ארץ‬ ‫ )אחרת‬angegeben wird.178 Die singuläre Formulierung in Dtn 9,17, dass Mose die Tafeln von „seinen beiden Armen“ warf, hat somit seine nächsten Parallelen vor allem in Texten, die von den beiden großen Katastrophen des Volkes handeln. Wie die Horebgeneration die Gabe Gottes aufgrund ihrer Sünden noch vor ihrem Empfang verloren hatte, so hatten auch die textexternen Adressaten erfahren müssen, dass ihnen die Gaben des Landes, der Stadt und des Tempels genommen worden waren. Gott verwarf sein Volk und seinen Tempel, weil sein Volk ihn verworfen hatte. Ebenso schleuderte Mose die Tafeln von sich weg, weil er angesichts Israels Sünde sah, dass das Volk den Bund und in weiterer Folge Jhwh das Volk verworfen hatte. Das dritte Verb „zerbrechen“ (‫ )ׁשבר‬begegnet ebenfalls bei der Zerstörung des Tempels in 2 Kön 25,13; vgl. Jer 52,17, wo die bronzenen Säulen des Tempels und andere Geräte „zerschmettert“ (‫ )ׁשבר‬werden. Dass die Zerstörung der Tafeln auf die Zerstörung Judas und Jerusalems anspielen könnte, bestärken unter anderem die Parallelen zu Jer 19, wo der Prophet vor den Augen seiner Adressaten mit dem Zerschmettern (‫ )ׁשבר‬eines Tonkrugs auf den Untergang Judas und Jerusalems verwies (vv10.11.15) und dies wie in Dtn 9 mit dem harten Nacken des Volkes begründete (v15). Die mehrfachen Übereinstimmungen an Motiven und Lexemen zu Texten, die die Untergangsgeschichte der beiden Reiche und in besonderer Weise den Untergang Jerusalems und des Tempels behandeln, lässt vermuten, dass Moses minutiös geschilderter Zerstörungsakt auf eben diese Ereignisse anspielte, was durch weitere Hinweise in den Folgeversen noch deutlicher wird. Den Adressaten wurde in der Bildsprache der Horeberzählung indirekt die Geschichte des eigenen Untergangs vor Augen gehalten.179 Wie die wunderbare Gabe Gottes aufgrund der Sünde zerstört wurde, so auch Juda und Jerusalem.180 Da die Tafeln als zentraler 176 So folgt auf die Notiz der Verstoßung Judas und Jerusalems in 2 Kön 24,20; Jer 52,3 der Bericht über die Verbannung in 2 Kön 25,6–30; Jer 52,4–34. 177 Pace LOHFINK, „Zorn Gottes“, 50–51. 178 LOHFINK, „Zorn Gottes“, 54 sieht in Dtn 29,27 geradezu das Paradebeispiel einer Exilsformel. 179 Vgl. OTTO, Deuteronomium, 966. 180 Bezeichnenderweise datiert die rabbinische Tradition den Tag der Zerstörung der Tafeln an denselben 17. Tag des 4. Monats Tammuz, da die Mauern Jerusalems eingerissen wurden; siehe dazu den Mischnatraktat mTaan 4,6 (Hg. KRUPP, 221); vgl. ZIPOR, „Account”, 26–27, Anm. 21; zur weiteren Interpretation siehe WEINREB, Schöpfung, 796.

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Kultgegenstand des Heiligtums pars pro toto für den Tempel stehen,181 deutet die Erzählung auch auf die Zerstörung des Tempels. Dementsprechend lässt sich die Erzählung in Dtn 9 mit E. Otto als „Theodizee der Zerstörung des Tempels“ lesen,182 die ihren Adressaten mit der Zerstörung der Tafeln die katastrophale und wohl schwer begreifliche Erfahrung des Jahres 587/586 erklärte. 5.2.3.5 Moses Sühnegebet und dessen Erhörung (Dtn 9,18–20) Mit dem Zerschmettern der Tafeln hatte die Tafelübergabe ein katastrophales Ende gefunden. Jedoch ist Moses Erzählung noch nicht zu einem Ende gekommen. Mose erzählt in Dtn 9,18– 21 von seinen Bemühungen, diese Beziehung zu retten, angefangen bei seinem Sühnegebet. Er begründet dieses zuerst objektiv mit Israels Sünde (v18) und dann subjektiv mit seiner Furcht um sein Volk (v19), worauf er schließlich die Erhörungsnotiz folgen lässt (v19). Die Erhörungsnotiz zeigt einen Abschluss an, dem in v20 mit dem expliziten Einschluss Aarons in die Fürbitte ein Nachtrag folgt. In Dtn 9,9–17 hatte Mose die Ereignisse in seinen wichtigsten Eckpunkten wiedergegeben und dabei einigen Details hohe Aufmerksamkeit geschenkt, indem er sie szenisch inszenierte und das Erzähltempo an die erzählten Ereignisse annäherte. Das Zusammenspiel von summarischer Nacherzählung und Hervorhebung einiger Details setzt sich in Dtn 9,18–20 fort, jedoch ist der summarische Charakter noch stärker ausgeprägt. Im Augenmerk steht die grundsätzliche Information, dass Mose für das Volk und Aaron um Verschonung vor dem göttlichen Zorn gebetet hatte und erhört worden war. Umso gewichtiger erscheint jedes einzelne Beschreibungselement. a) Moses Sühnegebet Der Abschnitt beginnt damit, dass Mose sich vor Gott niedergeworfen habe ( ‫ואתנפל לפני‬ ‫)יהוה‬. Der Akt des Niederwerfens ist ein Akt der Selbsterniedrigung, um sein Gegenüber gnädig zu stimmen.183 Und er war, wie sich in 9,19.20; 9,25–29; 10,10 herausstellt, mit einem Bittgebet verbunden, da v19 (vgl. 10,10) mit einer Erhörungsnotiz endet und in v20 mit „ich betete auch für Aaron“ diese Zeit explizit als Zeit des Gebets identifiziert wird, was schließlich in Dtn 9,25–29 vollends deutlich wird. Mehrere Kommentatoren meinen, dass sich die Rückverweise „wie beim ersten Mal“ (‫ )כראׁשנה‬in v18 und „er erhörte mich auch dieses Mal“ (‫ )גם בפעם ההוא‬in v19 auf eine erste Intervention Moses zurückbeziehen,184 die sie mit Ex 32,11–14 identifizieren. Mose würde demnach darauf verweisen, dass er nun am Horeb ein zweites Mal gebetet hätte. Jedoch steht das Gebet in Dtn 9,18–20 immer noch wie Moses erste Intervention in Ex 32,11–13 im Zeichen der Angst vor der göttlichen 181 182 183 184

CASSUTO, Exodus, 328. OTTO, „Gesetzbuch“, 128–132. Vgl. BOVATI, Ristabilire, 117, der die Prostratio als Bittgeste um Vergebung interpretiert. So z. B. LOHFINK, „Deuteronomium 9,1–10,11”, 149. In etwas abgewandelter Form findet sich das Argument bereits bei RAMBAN, Dewarim, zu Dtn 9,15; 9,25–26 (Hg. KASNETT et al., 212.217), wenn er in vv18–20 Moses abschließendes Gebet sieht, das auf Moses erste Intervention zurückweise, welches wiederum in vv25–29 angeführt sei. Der Rückverweis „auch dieses Mal“ in v19 beziehe sich also auf Moses erste Intervention, die in der Erzählfolge erst später in vv25–29 erfolge. Allerdings werden das Gebet in vv18–20 und vv25–29 mit der Determinierung in v25 identifiziert, was diese Interpretation weniger wahrscheinlich macht.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

Vernichtung (vgl. v19), die im Buch Exodus bereits nach Moses erster Intervention abgewendet war (vgl. Ex 32,14). Aus diesem Grund und weil das mit dem Gebet in vv18–20 idente Gebet in vv26–29 verstärkt Argumente von Moses erster Intervention in Ex 32,11–14 enthält, ist die Annahme eines intertextuellen Rückverweises auf Moses erste Intervention wenig wahrscheinlich. Eher ist der Annahme zuzustimmen, dass sich „das erste Mal“ auf den ersten Bergaufenthalt in 9,10–11 zurückbezieht. Dabei zielt der Rückbezug nicht auf den identischen Charakter einer Bittgeste,185 sondern darauf, dass der zweite Aufenthalt wie der erste 40 Tage und 40 Nächte gedauert hatte und ebenso von Fasten begleitet war. 186 Den 40 Tagen und 40 Nächten der Herrlichkeit bei Gott, die von einer wundersamen Nahrungsenthaltung begleitet waren, entsprechen nun 40 Tage und 40 Nächte der Bitthaltung und des abermaligen Fastens, das nun den Charakter stellvertretender Buße und Sühne für sein Volk trägt.187 Ähnliche Bittgebete verbunden mit Fasten begegnen in 2 Sam 12,16–17; Esra 8,23; Jes 58,4; Jer 14,12, wobei besonders König Davids Fasten in 2 Sam 12,16–17 Ähnlichkeiten zu Moses Fasten aufweist, da es dazu dienen soll, Gottes Strafe abzuwenden und Erhörung für seine Bitte um das Leben seines Kindes zu finden. Auf ähnliche Weise lag Mose vor Gott und fastete, um Gott von seiner angedrohten Vernichtung abzubringen. Mit der Wendung „wegen all eurer Sünde“ (‫ )על כל־חטאתכם‬gibt Mose die Ursache seines Fastens an. Mit „Sünde“ ist das Kalb gemeint, da Mose laut v21 die Sünde nahm und vernichtete, was sich eindeutig auf das Kultobjekt bezieht. Die Verbindung von ‫כל‬, „all“, mit dem Singular von „Sünde“ ist ungewöhnlich,188 was wohl auch die Übersetzer der LXX dazu angeleitet hat, mit dem Plural zu übersetzen. Der Singular lässt sich allerdings damit erklären, dass die eine Sünde mit dem Kalb gemeint ist, während mit ‫כל‬, „all“, die Schwere und das Ausmaß der Verfehlung zum Ausdruck gebracht werden. Wie schon im Singular begegnet die Wortverbindung auch im Plural als ‫ כל־חטאות‬eher selten und dabei mehrmals im Zusammenhang von Sühne (Lev 16,16.30.34; Mi 7,19), Schuldbegleichung (Jes 40,2) und Vergebung (Ps 25,18). Während der Erzähler in Ex 32,30 ganz explizit auf die Sühnefunktion von Moses Gebet hinweist, klingt diese in Dtn 9,18 über die Wortverbindung ‫ כל־חטאתכם‬ebenso an.189 Auch die Formulierung „Sünden, die ihr gesündigt hattet“ begegnet mehrmals im Zusammenhang entsühnender Opfer (vgl. Lev 4,3.14.23.28.35; 5,6.10; 19,22). Wenn Mose Israels Sünde mit derselben Formulierung zum Ausdruck bringt, so ist dies wie schon mit dem Ausdruck „all eure Sünde“ ein möglicher Hinweis dafür, dass hier gezielt Sprache aus dem Sühnebereich verwendet wird. 185 Pace KONKEL, Sünde, 157, der in „wie beim ersten Mal“ (‫ )כראׁשנה‬einen Rückverweis auf eine erste Prostratio während des ersten Bergaufenthalts in Dtn 9,9–11 sieht. Im Umkehrschluss sei auch der erste Aufenthalt als Zeit der Bitte um Verschonung zu begreifen. Jedoch stand der erste Aufenthalt unter dem Zeichen des Empfangens der göttlichen Gabe und trug keinerlei Anzeichen von Sühne, Bitten oder Reue; vgl. dazu AURELIUS, Fürbitter, 46. 186 Ähnlich schon z. B. DRIVER, Deuteronomy, 115. 187 Vgl. Z. B. TIGAY, Deuteronomy, 101. 188 Die exakt gleiche Wortverbindung im Singular, ausgenommen jener Vorkommen, wo damit nicht „Sünde“, sondern ein „Sündopfer“ gemeint ist, begegnet sonst nur noch in Dtn 19,15; 2 Chr 33,19; Ps 85,3, wobei in Dtn 19,15 ‫ כל‬im Sinne von „jede“ gebraucht ist. 2 Chr 33,19; Ps 85,3 dagegen drücken damit wie in Dtn 9,18 das große Ausmaß der jeweiligen Sünde aus. 189 Vgl. LUNDBOM, Deuteronomy, 370.

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Israels Rebellionen und die Verschonung am Horeb (Dtn 9,7–24)

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Die Grundvorstellung der Sühne besagt, dass die durch ein Vergehen entstandene „Spannung“ in einem Verhältnis durch einen Sühneakt „neutralisiert und aufgehoben“ werden muss.190 In der priesterlich institutionalisierten Sühne geschieht dies durch eine Opfer- oder andere Ritualhandlung (vgl. Lev 4,26.35; 5,10.13; 19,22). In anderen Fällen kann die Sühne aber auch wie in Dtn 9 durch Gebet oder Gottes Barmherzigkeit allein erwirkt werden.191 Moses Fasten hat auch eine Parallele im Rahmen der Entsühnung am Versöhnungstag in Lev 16,29, wo mit der Formulierung „unterdrückt euren Lebensgeist“, eine Enthaltung angeordnet wird, die vor allem als Enthaltung von Essen und Trinken zu verstehen ist.192 Auf ähnliche Weise lässt sich Moses Fasten als Sühne für die Sünde des Volkes begreifen.193 Mit „zu tun, was in den Augen Jhwhs böse ist“ (‫ )לעׂשות הרע בעיני יהוה‬erhält Israels Sünde eine weitere Umschreibung, die sich im Buch Deuteronomium mit Ausnahme von 17,2 auf den Bruch des ersten Gebotes bezieht.194 Der Bruch des ersten Gebotes ist der Ausdruck der in den Augen Gottes bösen Handlung schlechthin und das Kalb am Horeb dessen eindrucksvolles urbildliches Beispiel. Zuletzt verweist Mose noch einmal auf Gottes Zorn in der sprachlichen Variation, dass die böse Tat Jhwh gereizt habe (‫)להכעיסו‬. Reizungen Gottes, ausgedrückt mit ‫כעס‬, beziehen sich im Buch Deuteronomium durchwegs auf den Bruch des ersten Gebotes (Dtn 4,25; 9,18; 31,29; 32,16.21), was jeweils seinen maßlosen Zorn nach sich zieht. Auch dafür ist die Erzählung der Horebsünde das konkrete Beispiel aus Israels Vergangenheit. b) Dtn 9,18 und die Untergangsgeschichte der Reiche Dtn 9,18 umfasst auffällige Verknüpfungen zu den Büchern 1–2 Kön, die auf die Untergangsgeschichte der beiden Königreiche durchblicken lassen. 195 Außerhalb des Sühnebereichs begegnen die plurale Formulierung „all eure Sünden“ wie auch die redundante Formulierung „die ihr gesündigt hattet“ gehäuft in den Erzählungen über die Sünden der Königszeit und ihre Folgen. In „all eure Sünde“ klingt die „große Sünde“ aus Ex 32,34 durch, die wiederum auf die „große Sünde“ von Jerobeams Kälbern in 2 Kön 17,21 verweist.196 Eine Verknüpfung zu Jerobeams Sünden ist auch in der Formulierung ‫ כל־חטאתכם‬gegeben, da in 2 Kön 17,22 unmittelbar nach der „großen Sünde“ auf „alle Sünden“ (‫ )כל־חטאות‬Jerobeams (vgl. auch 2 Kön 13,11; 14,24) hingewiesen wird.197 Die Folge „aller dieser Sünden“ waren nach 2 Kön 17,23 die Verwerfung des Nordreichs und die Verbannung nach Assur. Zudem 190 LANG, „‫“כפר‬, 307. 191 So in Ps 78,38; 79,9; Ez 16,63, wo Gott aus „Barmherzigkeit“ (Ps 78,38; ‫ )רחום‬oder um seines „eigenen Namens willen“ (Ps 79,9) die Sünde zudeckt. Außerdem begegnet über Ex 32,30–34 hinaus eine Verknüpfung von Gebet und damit verbundener Sühne auch zwei weitere Male in Ps 65,4; Dan 9,24, was darauf hinweist, dass Sühne auch durch Gebet bewirkt werden kann. 192 Vgl. SHERMAN / GOLDWURM, Leviticus, 306. 193 ACHENBACH, Israel, 359, spricht von einem Bußfasten. 194 In Dtn 17,2 ist das bezeichnete Vergehen nicht näher spezifiziert. BRAULIK, „Kalb“, 21 versteht jedoch auch dies vom Bilderverbot her. 195 Vgl. STOPPEL, Angesicht, 220, der sowohl Tafel- als auch Kalbzerstörung nicht in ihrer narrativen Funktion aufgehen sieht. 196 Vgl. OTTO, Deuteronomium, 978, der über das Wort „Sündigen“ in Dtn 9,16.18 einen Bezug zur „großen Sünde“ und damit auch zur Sünde Jerobeams hergestellt sieht. 197 Vgl. HAYES, „Golden Calf”, 79.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

verknüpft die Formulierung Dtn 9,18 auch mit allen Sünden Baschas, die zu seiner Ausrottung führten (1 Kön 16,13), sowie mit all den Sünden des Volkes in Jer 15,13, die den Fall Jerusalems und das Exil nach sich zogen. Auch die redundante Formulierung „Sünden, die ihr gesündigt hattet“ begegnet oftmals in den Büchern der Könige. So führen „die Sünden, die Jerobeam gesündigt hatte“ zur Ausrottung seines ganzen Hauses (1 Kön 15,30) und jene Simris zu seinem tragischen Tod (1 Kön 16,19). In 1 Kön 14,16 ist von der Preisgabe Israels aufgrund der „Sünden, die Jerobeam gesündigt hatte“ die Rede, während in 1 Kön 14,22 auch die Sünden Judas angesprochen werden, die schließlich mit den Sünden Manasses ihren Höhepunkt finden (2 Kön 21,17), die entsprechend der vorausgehenden Unheilsprophetie in 2 Kön 21,11–16 zur Zerstörung Jerusalems führten. Führt das „Tun, was in den Augen Jhwhs böse ist“ laut Dtn 4,25; 31,29 zur Exilierung des Volkes, so findet sich diese Wendung ebenso oft in den Königsbüchern, sowohl die Sünden der Könige Israels oder ganz Israels als auch jene der Könige Judas oder ganz Juda betreffend.198 Erstmals findet es Anwendung bei der Umschreibung von Salomos Fremdgötterverehrung noch in der Zeit des ungeteilten Königreiches (1 Kön 11,6). Es begleitet sodann die Geschichtsdarstellung des Nordreichs, wobei Jerobeams Kälberkult zunächst nicht derart charakterisiert wird. Dies geschieht allerdings indirekt über die dementsprechende Charakterisierung der Sünden anderer Könige, die als Fortführung der Sünden Jerobeams dargestellt werden.199 Demnach durchzieht die Geschichte des Nordreichs eine Spur der bösen Handlung, die sich von Jerobeam ausgehend (1 Kön 13,2) bis zu dessen letztem König Hosea erstreckt (2 Kön 17,2). Hatte Jerobeam, der erste König des Nordreichs, die Saat der bösen Tat in Israel gestreut, so geht diese im Südreich in der Zeit König Rehabeams vom Volk selbst aus (1 Kön 14,22). Die böse Tat setzt sich später bei König Joram (2 Kön 8,18) und seinem Sohn Ahasja (2 Kön 8,27) fort und wird schließlich ausgehend von Manasse zum reißenden Fluss des Unheils für Juda (2 Kön 21,2.6.15.16). Von ihm wird eine vergleichbare Flut losgetreten, die zuerst bei Amon und dann trotz Joschijas Reformen bei Joahas, Jojakim, Jojachin und Zidkija (2 Kön 24,19) bis hin zum Fall Jerusalems anschwillt.200 Verweisen die Belege des Verbes ‫ כעס‬in Dtn 4,25; 31,29; 32,16.21 auf die unheilvolle Vorgeschichte des Exils, so begegnet das Verb auch wieder vermehrt in den Königsbüchern in ähnlichen Zusammenhängen.201 Hier sind es wieder die Könige des Nordreiches, zuallererst Jerobeam (1 Kön 14,9; 15,30), dann Bascha, Ela, Ahab und schließlich Ahasja, 198 In Bezug auf Israel vgl. 1 Kön 13,2; 15,26.34; 16,7.19.25.30; 21,20.25.53; 2 Kön 3,2; 13,2.11; 14,24; 15,9.18.24.28; 17,2.17; in Bezug auf Juda vgl.1 Kön 14,22; 2 Kön 8,18.27; 17,17; 21,2.6.16.20; 23,32.37; 24,9.19. 199 Vgl. 1 Kön 15,26.34; 16,7.19; 22,53; 2 Kön 13,2.11; 14,24; 15,9.18.24.28. 200 Die Kombination der Wendung „das in den Augen Gottes Böse tun“ und der durch den Hifil zur Versuchungsformel etwas abgewandelten Sündenformel „Sünden, die er euch sündigen ließ“ verweist pointiert auf die Parallelisierung von Jerobeam und Manassa und der Untergangsgeschichte Israels mit derjenigen Judas. Denn diese Kombination findet sich zunächst ausschließlich in Bezug auf das Nordreich, jeweils mit Bezug zu König Jerobeam (vgl. 1 Kön 15,26.34; 16,19; 22,53; 2 Kön 13,2.11; 14,24; 15,9.18.24.28). Sie begegnet jedoch bezeichnenderweise ein letztes Mal in Anwendung auf Manasse (2 Kön 21,16), der wie Jerobeam hinsichtlich Israel nun zu Judas Verführer wird. 201 Vgl. LOHFINK, „Zorn Gottes“, 44–45.

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Israels Rebellionen und die Verschonung am Horeb (Dtn 9,7–24)

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die Gott mit ihrem Fremdgötterkult zum Zorn reizen. Unter den Königen Judas kommt ihnen nur Manasse gleich (2 Kön 21,6). Noch bezeichnender sind jedoch die Belege des Verbes, die das gesamte Nordreich, ganz Juda sowie das ganze Volk, Israel und Juda zusammen betreffen, da hier die Gottesreizung wie am Horeb vom ganzen Volk ausgeht. Unter diesen Texten springen die zwei Reflexionen über den Untergang des Nordreichs (2 Kön 17,11–20) und Judas (2 Kön 21,11–17) ins Auge. In ihnen treten die drei Motive „Sünde“ (2 Kön 17,7.21.22; 21, 11.16.17), „Tun des in den Augen Gottes Bösen“ (2 Kön 17,17; 21,2.6.15.16) und „Erzürnen“ (2 Kön 17,11.17; 21,6.9.15) gehäuft auf. Zudem teilen sie zahlreiche weitere Schlüsselwörter und -motive mit Dtn 9, die eine intensive intertextuelle Beziehung mit Dtn 9f. erkennen lassen. 202 Alle diese Verbindungen geben zu verstehen, dass in Dtn 9f. die Untergangsgeschichte der beiden Reiche im Blick ist. c) Moses Furcht vor dem vernichtenden Zorn Gottes In v19 lässt Mose in sein Innenleben blicken, indem er der objektiven Begründung seiner Sühnehaltung eine subjektive hinzufügt. Mit dem seltenen Wort ‫ יגר‬bringt er seine existentielle Angst um sein Volk zum Ausdruck. Grund für Moses Furcht waren „der Zorn und die Glut, mit der Jhwh über euch erzürnt war, euch zu vernichten“. Der Qal des Verbes ‫קצף‬, „erzürnt sein“, stellt einen Rückbezug zu Dtn 9,7.8 sowie zu Dtn 1,34 her, wo jeweils Israels Rebellionen Gott erzürnten. Die Darstellung des göttlichen Zornes findet nun mit dem Wortpaar „Glut und Hitze“ einen bildreichen Ausdruck. Während ‫ אף‬auf den Rauch aus der Nase anspielt, zeugt das Wort ‫ חמה‬von der Hitze, mit der jemand in Zorn entbrennt. Gemeinsam deuten sie auf den maßlosen Zorn Gottes, der sich in Form eines Strafgerichts zu entladen drohte.203 Moses Angst vor dem maßlosen Zorn Gottes gründete in der göttlichen Drohung vollkommener Vernichtung (Dtn 9,14), auf die er nun abermals verweist. Damit vervollständigt Mose in Dtn 9,18–19 wie bereits in Dtn 9,8 den Kausalzusammenhang von Provokation - Zorn Gottes - Vernichtung. Die abermalige Betonung der wirkursächlichen Verflechtung macht deutlich, dass zwar mit der Zerstörung der Tafeln das Problem der Kollision von Tafel und Kalb gelöst worden war, jedoch das eigentliche Grundproblem der angedrohten Vernichtung immer noch im Raum stand. d) Dtn 9f. und Israels zukünftige Katastrophe Wieder finden sich zahlreiche Verknüpfungen zu Texten, die die Katastrophen des Volkes, insbesondere den Untergang Judas behandeln. So begegnet das Verb ‫ קצף‬mehrmals in Prophetentexten, die das Exil auf Gottes Zorn zurückführen (vgl. Jes 47,6; 54,9; 57,16.17; 64,4.8; Sach 1,2.15; Klg 5,22).204 Das Wortpaar ‫ אף‬und ‫ חמה‬wiederum begegnet innerhalb des Buches Deuteronomium noch zweimal in Dtn 29, wo Gottes Zorn und Glut die Verwüstung des Landes (v22) und die Exilierung (v27) nach sich ziehen. Diese Unheils-

202 Siehe S. 210–213. 203 Vgl. BRAULIK, Deuteronomium, 79. 204 Zur Thematisierung des Exils in Jes 47,6; 54,9 und der Wiederaufnahme des Motivs in Jes 57,16.17; 64,4.8 siehe CHILDS, Isaiah, 366.429.472.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

ankündigung im Rahmen von Moses Bundesrede hat das Exil im Blick, 205 was auch bei den meisten anderen Belegen des Wortpaares wie etwa bei den Propheten Jer; Ez der Fall ist.206 Ist der Bezug zum Exil in Dtn 29,22.27 deutlich, so scheint Dtn 9,19 über dieses Wortpaar ebenso darauf anzuspielen, womit verstärkt die Perspektive auf die Katastrophe Judas in den Vordergrund tritt. Mehrere Kommentatoren haben auf die sehr auffällige Nähe der Kalbepisode und dem künftigen Bundesbruch über Verknüpfungen von Dtn 9,18–19 zu Dtn 4,25.26; 31,29 hingewiesen und die sprachlichen Übereinstimmungen von Dtn 4,25.26 und Dtn 31,29 veranschaulicht.207 Das Buch Deuteronomium stellt damit eine Verbindung zwischen Israels „Ursünde“ in Dtn 9 und dem für die Zukunft vorausgesagten Unheil her. Nach D. Markl ist unbenommen der Frage nach der Genese der Textstücke die erhoffte Wirkung des Endtextes die, dass Dtn 9 als Präfiguration der für die Zukunft angesagten Ereignisse dienen soll. 208 Das vorausgesagte Unheil und die Exilierung infolge von Israels Bruch des ersten Gebotes haben damit ihr Urbild am Horeb, wo diese Zusammenhänge sich verdichtet darstellen. Bei aller Übereinstimmung sticht jedoch ein Unterschied ins Auge. Bezieht sich ‫ ׁשמד‬in Dtn 9 auf eine völlige Vernichtung des Volkes, so konkretisiert sich in Dtn 4,25f. ‫ ׁשמד‬als Vertreibung aus dem Land (v26) und Zerstreuung unter die Völker (v27). Dtn 31,29 wiederum formuliert im Vergleich abgeschwächt ohne ein Vernichtungsmotiv mit „es wird euch Übel treffen“ (‫)קראת אתכם הרעה‬. Beide Texte (Dtn 4,25–27; 31,29) kündigen demnach keine völlige Vernichtung wie in Dtn 9 an, sondern schwere Katastrophen, aus denen laut Dtn 4,27 ein Rest Israels als Überlebender hervorgehen wird. Trotzdem entsprechen die Unheilsankündigungen inhaltlich der Krise am Gottesberg in Dtn 9, weil hier die völlige Vernichtung zwar angedroht, jedoch nicht vollzogen wird. e) Die Erhörungsnotiz Nachdem Mose nun von seinem Sühnegebet im Angesicht der existenzbedrohenden Gefahr berichtet hat, lässt er unmittelbar darauf die Erhörungsnotiz folgen „und er erhörte mich auch dieses Mal“. In dieser Notiz ist die Rettung bringende Wende in Worte gefasst. Gott hatte aufgrund von Moses Sühnegebet von seinem Zorn abgelassen, sodass Israel nicht vernichtet wurde. Die Notiz „auch dieses Mal“, interpretieren einige Kommentatoren als Rückverweis auf Dtn 5,23–31.209 Jedoch scheint es wenig wahrscheinlich, dass Mose hier die Erhörung der Bitte um Vermittlung (Dtn 5,23–31) mit jener um Abwendung der Vernichtung parallelisiert. Eher dürfte ein Gebet im Blick sein, in dem es ebenso um die Abwendung von Gottes Zorn ging. Andere Kommentatoren beziehen dementsprechend die Notiz auf den ersten Aufenthalt Moses in vv9–11 zurück und schließen daraus, dass auch der erste Aufenthalt mit einem Bittgebet verbunden gewesen sein musste, 210 was wenig plausibel ist, da dieser Aufenthalt keinerlei derartige Anzeichen trug.211 205 Vgl. MARKL, Gottes Volk, 101–104. 206 Siehe Jer 7,20; 21,5; 32,31; 33,5; 36,7; 42,18; 44,6; Klgl 4,11; Ez 5,13.15; 7,8; 13,13; 22,20; 23,25. 207 ZIPOR, „Account”, 29–33; SONNET, Book, 167–173; BRAULIK, „Kalb“, 14–26; MARKL, Gottes Volk, 202–207. 208 MARKL, Gottes Volk, 207. 209 Z. B. PAGANINI, Deuteronomio, 218. 210 Z. B. AURELIUS, Fürbitter, 46. 211 Vgl. die Kritik von STOPPEL, Angesicht, 236.

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Mehrere Kommentatoren sehen darin einen intertextuellen Verweis auf Moses erste Intervention in Ex 32,11–13. Wenn jedoch - wie hier argumentiert - Dtn 9f. keine etappenhafte Gebetsentwicklung wie in Ex 32–34, sondern ein einziges Gebet am Horeb vor Augen hat, kann sich „auch dieses Mal“ nicht auf ein anderes Gebet Moses am Horeb beziehen, sondern auf andere Ereignisse der Wüstenzeit, wo Moses Gebet für Israel erhört worden war.212 Der Einwand, Moses spätere Fürbitten hätten erst nach dem Horeb stattgefunden, 213 ist hier nicht zwingend, da Mose in Moab spricht und so auch auf Ereignisse nach dem Horeb zurückblickend verweisen kann.214 Die Annahme, dass hier andere Ereignisse der Wüstenzeit im Blick sind, fügt sich in den unmittelbaren rhetorischen Kontext, da Mose in vv22–23 auf drei Beispiele nach dem Horeb, die entsprechend der Darstellung in den Büchern Exodus und Numeri jeweils ebenfalls mit einer Fürbitte verbunden waren, zu sprechen kommen wird. Mose gibt zu erkennen, dass er in seiner prophetischen Mittlerfunktion mehrmals erfolgreich war. Sooft Israel auch rebelliert hatte, so oft war er für sein Volk eingetreten und erhört worden. Es scheint sich zunächst eine Diskrepanz zwischen der Geschichte der textexternen Adressaten und der paradigmatischen Ursprungsgeschichte aufzutun. Während Israel am Horeb durch Moses Fürbitte gerettet wurde, war Jerusalem zerstört und das Volk exiliert worden. Auf den zweiten Blick ist diese Katastrophe allerdings nicht gleichbedeutend mit völliger Vernichtung. Ihnen entspricht in Dtn 9 die Zerstörung der Tafeln. Dass aber das Volk überlebt hat, entspricht in der Horeberzählung die Verschonung in Folge von Gottes Rücknahme seines Zornes. In den Argumenten, die Mose in Dtn 9,26–29 anführt, fand sich eine Begründung dafür, warum Gott an seinem Volk festhielt, sodass es nicht vernichtet wurde. In diesem Sinne öffnet sich die Notiz „auch dieses Mal“ vielsagend für die textexternen Adressaten. Sie hatten die lebensbedrohliche Katastrophe der Zerstörung Jerusalems und der Exilierung erlitten, hatten aber überlebt, weil Gott auch dieses Mal gehört hatte. f) Gottes Zorn über Aaron (v20) Bislang war Aaron noch nicht erwähnt worden. Wenn er nun in Dtn 9,20 nachgetragen wird, so wird seiner tragenden Rolle bei der Sünde mit dem Kalb in der Darstellung von Ex 32 Rechnung getragen.215 In v20 wiederholt Mose in Bezug auf Aaron, was er vom Volk insgesamt bereits in v8 gesagt hatte. Gott hatt auch ihm gezürnt (‫ )התאנף יהוה‬und hatte ihn vernichten wollen (‫)להׁשמידו‬.216 Für Aaron gilt somit im selben Maße, was für das gesamte Volk gilt. Mit dem Adverb ‫מאד‬, „sehr“, wird Gottes Zorn sogar in einer Steigerung ausgedrückt, womit Aarons besondere Verantwortlichkeit für die Sünde mit dem Kalb betont wird.217 Da Mose für ihn betete, war er wie das Volk trotz seiner besonderen Verant212 IBN EZRA, Dewarim ad 9,19 (Hg. NORMAN / STRICKMAN, 63), weist auf Ex 14,15; 15,25; DRIVER, Deuteronomy, 115, zusätzlich auf Num 11,2; 12,13–14; 14,13–20; 21,7–9. 213 So WEINFELD, Deuteronomy, 411. 214 Vgl. TIGAY, Deuteronomy, 101. 215 Die Bezugnahme auf Ex 32 wird dadurch deutlich, dass Aaron in Dtn 9 bisher keine Erwähnung gefunden hatte und der Gotteszorn auf Aaron ohne Ex 32 keine Begründung hätte; siehe z. B. VALENTIN, Aaron, 272. 216 PECKHAM, „Composition“, 34. 217 Vgl. TIGAY, Deuteronomy, 101.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

wortlichkeit nicht vernichtet worden.218 Die nachfolgende Ferndeixis ‫בעת ההוא‬, „in jener Zeit“, muss nicht als „redaktionelle Floskel“ interpretiert werden,219 sondern lässt sich als betonter Hinweis darauf lesen, dass das Gebet für Aaron „damals“ zur selben Zeit wie das Gebet für Israel stattgefunden hat.220 Aarons Schicksal wird so ausdrücklich mit jenem des Volkes zusammengeführt. Dies korrespondiert mit Dtn 10,6, wo Aaron und Volk abermals, nun aber in einem Heilskontext verbunden werden, indem die Sukzession seines Amtes mit der Zukunft des Volkes in Verbindung gebracht wird. In der Betonung der besonderen Verantwortlichkeit Aarons für die Sünde mit dem Kalb in Ex 32, die in Dtn 9,20 sogar einen noch eindeutigeren Widerhall hat,221 sehen manche Kommentatoren einen Schachzug priesterlicher Gruppen, Aaron als Urvater der Aaroniden in ein schlechtes Licht zu rücken.222 Jedoch ist dies im Blick auf Dtn 9f. keine hinreichende Erklärung, da in Dtn 10,6 von Aaron die Sukzessionskette des Priestertums ausgeht, die entscheidend für Israels Zukunft ist. N. MacDonald sieht die besondere Thematisierung von Aarons Schuld in Ex 32 darin begründet, dass die Kalbepisode als Paradigma einer Untergangsgeschichte erst mit dem Scheitern einer absoluten Führungsfigur zu einem „epic fail“ wird, wodurch sie erst wirklich Hoffnung für die Überwindung eines solchen Versagens machen könne.223 Ein Grund von Aarons expliziten Einschluss und der besonderen Betonung seiner Verantwortlichkeit in Dtn 9,20 könnte demnach darin liegen, das Motiv des gescheiterten Führers zu integrieren, um von dessen paradigmatischen Scheitern her einerseits die große Anziehungskraft des Götzendienstes und andererseits das Scheitern der Könige in der Geschichtsdarstellung der Königsbücher ins Blickfeld zu bringen. Trotz einiger Parallelen unterscheidet sich Aaron jedoch in mehrfacher Hinsicht von den „bösen“ Königen in der Geschichte Israels und Judas, unter denen Jerobeam und Manasse hervorstechen.224 Jerobeam steht für den Kälberkult und Manasse für die Nachahmung der Fremdkulte, Aaron jedoch ursprünglich für den am Sinai geoffenbarten Kult. Aaron ist der Hohepriester, der am Sinai/Horeb zum Werkzeug des Gegenkultes wird, dann aber wieder seiner ursprünglichen Berufung gerecht wird. Dtn 9f. greift beide Seiten der Gestalt Aarons auf. In 9,20 wird Aarons Verfehlung thematisiert und in 10,6 sein Tod als Straftod ausgewiesen, mit der Sukzession über Eleasar jedoch der Fortbestand seines rechtmäßigen Priesteramtes veranschaulicht. Der Diener des Kalbkultes muss vor Eintritt in das Land sterben, der Hohepriester des rechtmäßigen Kultes aber lebt in seiner Sukzession weiter.225 218 219 220 221 222 223 224

Vgl. VALENTIN, Aaron, 272–273. Z. B. ACHENBACH, Israel, 360. Vgl. PECKHAM, „Composition“, 34–35. Siehe HAYES, „Golden Calf”, 81. So z. B. Cross, „Priestly Houses“, 206. MACDONALD, „Aaron’s Failure“, 206–208. Siehe KNOPPERS, „Aarons Calf“, 97–103, der auf folgende drei Unterschiede zwischen Aaron und Jerobeam hinweist. 1. Aarons Sünde entspringt einer spontanen Reaktion auf das Drängen des Volkes, während Jerobeam aus freiem Willen und überlegt handelt. 2. Aaron teilt die Schuld mit dem Volk, während Jerobeam allein verantwortlich ist. 3. Aaron lässt vom Kalbkult ab und scheint sich seiner Verfehlung bewusst zu sein, während Jerobeams Kult weit über sein Absterben hinaus fortlebt. 225 Siehe OTTO, Deuteronomium, 979, der der besonderen Betonung des Gotteszornes über Aaron in Dtn 9,20 die Funktion zuspricht, die Amtseinführung Eleasars in Dtn 10,6 einzuleiten. Der Tod Aarons werde im Zusammenhang von Dtn 9,20; 10,6 als Straftod erkenntlich gemacht und gleichzeitig zum Initialpunkt der sich über Eleasar bis auf die Zadokiden erstreckenden Sukzessionslinie.

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Israels Rebellionen und die Verschonung am Horeb (Dtn 9,7–24)

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Die besondere Betonung des Zornes über Aaron ist demzufolge eingespannt in eine Dynamik von Tod und Fortleben, die sich von Dtn 9,20 über Dtn 10,6 entwickelt. Dies spiegelt das Schicksal des Volkes insgesamt wider. Die schuldig gewordene Generation muss noch vor Eintritt in das Land sterben, Israel aber wird als Gottes Volk fortbestehen, wofür in besonderer Weise der Fortbestand von Aarons Priestertum bürgt. 5.2.3.6 Die Zerstörung des Kultobjektes (Dtn 9,21) In v21 wendet sich Mose dem Kalb als Ausgangspunkt des gesamten Konfliktes zu. Nach der Abwendung der unmittelbaren Gefahr schafft Mose die Voraussetzungen für die Beziehungserneuerung, indem er das Sündenobjekt aus der Welt schafft. 226 Die Szene ist in auffälliger Analogie zu Empfang und Zerstörung der Tafeln in Dtn 9,9– 10.17 gestaltet.227 War Mose den Berg hinaufgestiegen, um die Tafeln zu übernehmen (v9), so nimmt er jetzt das Sündenobjekt an sich (v21). Jeweils folgt eine nähere Umschreibung des Objektes. Hatte er die Tafeln in v10 als Schöpfungswerk Gottes beschrieben, so beschreibt er im Kontrast dazu das Sündenobjekt als Machwerk des Volkes. Beide Objekte werden zerstört. Hatte er die Zerstörung der Tafeln in drei gewaltsamen Aktionen geschildert, so nun ebenso die Zerstörung des Kalbes. Der entscheidende Unterschied liegt in der Natur des zerstörten Objekts. Die Zerstörung der ersten Tafeln als von Gott hergestellte Gabe ist Ausdruck der zerbrochenen Beziehung zwischen Jhwh und seinem Volk. Mit dem Kalb wird dagegen das von Menschen gemachte Kultobjekt zerstört, das Ursache für die Zerstörung der Tafeln gewesen war. Das Destruktive wird destruiert, um eine neue Beziehung „konstruieren“ zu können. a) Aspekte der Sühne Wie schon v18 zeigt auch v21 eine Nähe zu Texten, in denen es um „Entsühnung“ geht. Die Formulierung „ich nahm das Kalb“ begegnet auf ähnliche Weise (‫ לקח‬+ ‫ את‬+ Opfertier) mehrmals im Buch Levitikus, wenn der Priester das für das Sündopfer dargebrachte Opfertier nimmt, um es zu opfern (Lev 9,2.3.15; 12,8; 16,5; vgl. auch Num 8,8; Ez 43,21). Mose beginnt seine Aktion damit einem Priester entsprechend, der das zu opfernde Tier zur Schlachtung führt. In einem Fall (Lev 9,2.8) ist es wie in Dtn 9,21 ein ‫עגל‬, das Aaron bei seiner Investitur als Sündopfer für seine eigene Sünde darbringen soll. Die spezifische Formulierung „im Feuer verbrennen“ (‫ )ׂשרף באׁש‬begegnet gehäuft im Zusammenhang des Sündopfers (Lev 4,12; 6,23; 8,17; 9,11; 16,27) und Dankopfers (Lev 7,17.19; 19,6). Hier sollen jeweils die Überreste des Tieres wie Haut und Mageninhalt verbrannt werden. Das Verbrennen des Kalbes entspricht demnach nicht dem eigentlichen Brandopfervorgang, sondern dem Verbrennen der nicht für das Opfer tauglichen Überreste des Tieres, was auf die Diskrepanz des Kalbes zu den eigentlichen Opfertieren deutet. Während das Verbrennen der nicht zum Opfer tauglichen Bestandteile der Opfertiere an einem reinen Ort geschehen soll (vgl. Lev 4,12), wirft Mose die Überreste des Kalbes wie Abfall in den vom Berg herabfließenden Bach, was ein gebräuchlicher Akt war, um unreine Gegenstände loszuwerden.228 Ähnlichkeiten bestehen auch zum Ritus in Dtn 21, wonach die 226 Vgl. OR HACHAIM, Devarim, zu 9,21 (Hg. HERZKA, 225). 227 Vgl. z. B. BOVATI, Deuteronomio, 139–140. 228 Vgl. TIGAY, Deuteronomy, 100.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

Ältesten einer Stadt im Falle eines ungeklärten Mordfalls ein weibliches Kalb nehmen (21,3) und ihm in einem Bachtal das Genick brechen sollen (21,4), um Sühne für das Volk zu erwirken (21,8). Die auffälligen Verknüpfungen zu Texten, in denen Sühne eine Rolle spielt, deuten auf eine Sühnedimension von Moses Zerstörungsakt. Jedoch unterscheidet er sich grundlegend von einem Sündopfer sowie dem Ritus aus Dtn 21 darin, dass das Kalb selbst Sündenobjekt und nicht Opfertier ist. Die Sühnedimension lässt sich in Analogie zu Jes 27,9 verstehen, wo der Prophet das Exil als Sühne (‫ )כפר‬bezeichnet, deren volle Wirkkraft als Befreiung von der Sünde (‫ )הסר חטאתו‬sich erst durch das Zerschlagen der fremden Kultobjekte vollzieht. 229 Indem Mose das Sündenobjekt und damit die „Sünde“ vernichtete,230 machte er nach erfolgter Sanktion (Tafelzerstörung) und Verschonung den Weg für die Erneuerung der Beziehungen frei, die ab Dtn 10,1 einsetzt. b) Entmachtung des selbstgemachten Gottes Die sehr spezifische Darstellung der Kalbzerstörung hat - wie S. E. Loewenstamm und C. T. Begg anhand von zwei ugaritischen Texten dargelegt haben - sehr starke Parallelen zu Schilderungen von Prozeduren der Götterbildzerstörungen aus Israels Umwelt.231 Dies weist darauf hin, dass der dreifach gestaffelte Zerstörungsakt als Götzenbildzerstörung zu begreifen ist, was sich auch innerbiblisch bestätigt, da die spezifische Darstellung Parallelen fast ausschließlich in solchen Texten hat, in denen es um die Zerstörung von Kultbildern geht. Dass sich diese in den außerbiblischen Berichten den Fremdkulten geltende Zerstörung in Dtn 9 (Ex 32) gegen den eigenen Kult richtet, ist nicht verwunderlich,232 da die Verehrung des Kalbes trotz womöglich gegenläufiger Intentionen einen ebenso unrechtmäßigen Kult darstellt.233 Mose schildert die Zerstörung des Kalbes minutiös. Das Kalb wurde demzufolge einer völligen Vernichtung unterzogen. Dies begann damit, dass Mose entsprechend seiner eigenen Paränese in Dtn 7,5.25; 12,3 das apostatische Kultbild im Feuer verbrannte (‫)ואׂשרף אתו באׁש‬. Wenn die Verbrennung eines metallenen Gegenstandes unrealistisch erscheinen mag,234 so ist das Hinweis dafür, dass hier die Symbolik der Geste im Vordergrund steht. Es geht darum, datzstellen, dass Israel durch die reinigende Kraft des Feuers von seiner Sünde befreit wird.235 Nach der Verbrennung zerschlägt Mose die verbrannten Überreste (‫)ואכת אתו‬, was er mit den beiden Infinitiven ‫ טחון‬und ‫ היטב‬dahingehend spezifiziert, dass er es vollständig zermalmte, bis er es zu Staub zerstoßen hatte (‫)עד אׁשר־דק לעפר‬. Die detailreiche Schilderung 229 Vgl. CHILDS, Isaiah, 198, der den Vers so interpretiert, dass die mit der Verbannung eingesetzte Sühne erst durch die Zerstörung der Kultbilder vollendet wird. 230 Vgl. PAPOLA, Deuteronomio, 145. 231 LOEWENSTAMM, „Making“, 481–490; BEGG, „Destruction“, 211–214. 232 So BEGG, „Destruction“, 215. 233 KNOPPERS, „Aarons Calf“, 102. 234 Da das Verbrennen eines Gussbildes unrealistisch erscheint, sehen manche darin einen Eintrag, durch den die Kalbzerstörung mit Moses Paränese verknüpft werden sollte, was schließlich auch in Ex 32,20 eingefügt worden sei; Siehe FRANKEL, „Destruction“, 338. Jedoch gehört das Motiv des Verbrennens – wie OTTO, Deuteronomium, 980, betont – traditionell in Ugarit zur Götterzerstörung, sodass man mit BRAULIK, Deuteronomium, 79, von einem „sterotypen Zug” sprechen kann. 235 Vgl. BOVATI, Deuteronomio, 140, der hier auch darauf hinweist, dass Israel von der Sünde, symbolisiert durch das Kalb, im Feuer als Symbol Gottes gereinigt wird.

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Israels Rebellionen und die Verschonung am Horeb (Dtn 9,7–24)

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des Zerstörungsvorgangs spricht von einer vollständigen Vernichtung. Es wird das völlige Zerbröckeln des selbstgemachten Gottes in immer weniger greifbare Einzelteile vor Augen geführt. Die Entmachtung des selbstgemachten Gottes erlangt ihren Höhepunkt in der Schilderung von Moses letzter Aktion, wonach er die Staubüberreste des Kalbes in den Bach warf, der vom Berg hinabfließt. Im Bild des in den Bach geworfenen Staubes kommt die Vergänglichkeit des Kultobjektes zum Ausdruck. Was vom Kalb übriggeblieben ist, löst sich im Wasser auf und verrinnt ins Nirgendwo (vgl. Mi 7,18–19).236 Da die Bewegung nach unten (‫ )ירד‬im Buch Deuteronomium die Richtung nach Ägypten kennzeichnet (vgl. Dtn 10,22; 26,5), könnte das Bild vom hinabfließenden Fluss auch darauf hindeuten, dass die Überreste des Kalbes in Richtung jenes Landes entschwinden, das Israel hinter sich gelassen hat. Das Kalb wurde so der „Vergessenheit anheimgegeben“.237 c) Dtn 9,21 und die Kultreformen der Königszeit Die große Übereinstimmung von Dtn 9,20 und Ex 32,20 deuten viele Kommentatoren seit C. T. Begg dahingehend, dass Ex 32,20 von Dtn 9,21 rezipiert wurde.238 Sowohl der Primärtext Ex 32,20 als auch die Zusätze in Dtn 9,21 weisen Lexeme auf, die in den Kultreinigungsmaßnahmen der Königsbücher begegnen.239 Einige der geteilten Elemente finden sich in den Berichten über König Joschijas Kultreinigungen wie „im Feuer verbrennen“ (‫ ;ׂשרף באׁש‬2 Kön 23,11), und „Zerstampfen“ (‫ ;דקק‬2 Kön 23,6.15; vgl. 2 Chr 34,4.7). Mit Ausnahme von ‫ טחון‬verknüpfen auch die Zusätze in Dtn 9,21 Moses Zerstörungsakt mit den Kultreinigungsmaßnahmen in den Königsbüchern. So hat die Bezeichnung des Kalbes als „eure Sünde“ (‫ )חטאתכם‬eine Entsprechung in der „Brandmarkung“ der Sünden Jerobeams.240 Das Verb ‫ כתת‬begegnet in Hiskias Kultreinigung in 2 Kön 18,4, der Ausdruck der „völligen“ (‫ )היטב‬Vernichtung in der Zerstörung der Baalsbilder durch das Volk in 2 Kön 11,18 und das Werfen des Staubes in den Bach wieder in Joschijas Kultreinigung in 2 Kön 23,6.12. Im Vergleich zu Ex 32,20 ist damit die Darstellung der Kalbzerstörung in Dtn 9,21 noch stärker mit den Kultreinigungen in 2 Kön 11; 18; 23 verknüpft, unter denen Joschijas Kultreform durch vielfache Verknüpfungen hervorsticht. Von ihm wird gesagt, er habe die Ashera aus dem Tempel hinausgebracht, sie verbrannt (‫ ;ויׂשרף אתה‬2 Kön 23,6), sie zu Staub zerstoßen (‫ ;וידק לעפר‬2 Kön 23,6) und den Staub weggeworfen (‫ ;ויׁשלך את־עפרה‬2 Kön 23,6). Zudem habe er die Sonnenwagen vom Eingang des Tempels „im Feuer verbrannt“ (‫;ׂשרף באׁש‬ 2 Kön 23,11), die beiden Altäre Manasses zerschlagen und „ihren Staub in das Kidrontal geworfen“ (2 Kön 23,12; ‫)והׁשליך את־עפרם אל־נחל‬, den Altar des Höhenheiligtums Jerobeams in Betel verbrannt und ihn zu Staub zermalmt (2 Kön 23,15; ‫)הדק לעפר‬. In 2 Chr 34,7 wird zudem berichtet, er habe die Asheren und die Kultbilder „zerschlagen und zerstampft“ (‫)והפסלים כתת להדק‬. 236 237 238 239

Vgl. BOVATI, Deuteronomio,140. Vgl. ACHENBACH, Israel, 361–362. BEGG, „Destruction“, 249; ders., „Calf Revisited“, 474–479. STOPPEL, Angesicht, 226, spricht davon, dass „Dtn 9,21 das Vokabular der maßgeblichen Kultreinigungsmaßnahmen, von denen das DtrG zu berichten weiß“, versammelt. 240 Vgl. ACHENBACH, Israel, 362–363.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

Die inhaltliche Nähe, die Vielzahl der lexematischen Bezüge seltener Worte, aber vor allem das singulär geteilte Motiv, dass die zu Staub zerschlagenen Überreste in ein Bachtal (‫ )נחל‬geworfen wurden,241 deuten auf eine bewusste Anspielung auf die Kultreinigungsmaßnahmen der Königszeit, insbesondere jene Königs Joschijas in 2 Kön 23. Der anvisierte Leseprozess läuft wohl darauf hinaus, die später folgenden Ereignisse der Königszeit auf Dtn 9 zurückzubeziehen. Die Zerstörung des gegossenen Kalbes präfiguriert so die Kultreformen der Königszeit, insbesondere jene des Königs Joschijas.242 Zudem dient sie als idealtypische Darstellung des Umgangs mit solchen apostatischen Kultobjekten.243 Die Annahme einer bewussten Parallelisierung von Moses Kultreinigung in Dtn 9 mit jenen der Königsbücher bereitet jedoch insofern Verständnisschwierigkeiten, als die Reformmaßnahmen der Königszeit gescheitert zu sein schienen, da sie die Zerstörung Jerusalems und das Exil nicht verhindern konnten, während Israel am Horeb der Vernichtung entkam. E. Otto sieht darin eine Kritik an der Durchschlagskraft der Reformmaßnahmen der Königszeit.244 Exilische und nachexilische Adressaten konnten erkennen, dass die guten Könige Judas versucht hatten, nach dem Vorbild Moses die Götzen zu stürzen, jedoch die Sünden Manasses und deren Nachwirkungen zu gravierend waren, als dass sie eine wahrhafte Erneuerung der Gottesbeziehung in Bewegung setzen konnten (vgl. 2 Kön 23,25–26). Angesichts des eigenen Überlebens im Exil sollten sie in Moses Zerstörungsakt den auch für sie nun erforderlichen nächsten Schritt erkennen, der in der Königszeit nicht ausreichend getan worden war. Wie Mose nach der Verschonung eine Erneuerung der Gottesbeziehung in Gang setzte, indem er das Kalb vollständig vernichtete, so sollten sich nun auch sie von jeder Form von Götzendienst lösen und stattdessen der Weisung Moses folgen. 5.2.4 Weitere Rebellionen (Dtn 9,22–23) In v22 wechselt Mose vom Schauplatz Horeb zu anderen Schauplätzen von Israels Rebellionen der Wüstenzeit. Diese Rebellionen teilen nicht nur das in den Rahmenversen angegebene Motiv der „Rebellion“ und das sich auf alle drei Rebellionen beziehende Motiv des Zürnens/Zornes, sondern im Blick auf die Darstellungen in den Büchern Exodus und Numeri auch das Motiv der „Vernichtung“ sowie der Fürbitte Moses. Der Abschnitt schließt so nicht nur an das Rebellionsthema in Dtn 9,7–17 an, sondern ist auch mit dem Thema von Moses Fürbitte in Dtn 9,18–20 verknüpft. Mehrere Kommentatoren betrachten den Abschnitt Dtn 9,22–23 als Digression245 und sekundären Einschub.246 In der nun überlieferten Textgestalt übernimmt er jedoch auf 241 Z. B. ACHENBACH, Israel, 363. 242 Z. B. HOFFMANN, Reform, 312. 243 WEINFELD, Deuteronomy, 411, sieht in 9,21 eine ähnliche Funktion, wenn er sagt: „It serves indeed as a kind of model of iconoclasm in the future.“ 244 OTTO, Deuteronomium, 980–981. 245 So BRAULIK, Deuteronomium, 80; 246 So spricht ACHENBACH, Israel, 363–364, von einer „Unterbrechung“, „sekundären Einschub“ und „Exkurs“. Ihm zufolge hätten die weiteren Rebellionsbeispiele „mindestens ebenso gut“ nach dem Abschluss der Horeberzählung in Dtn 10,11 folgen können, wenn sie zur ursprünglichen Argumentation gehört hätten. Dagegen lässt sich einwenden, dass die Platzierung des Abschnitts gerade hier passend ist, da er das Rebellionsthema inklusive Fürbitte fortsetzt, während mit Moses Gebet in 9,25– 29 und der Erneuerungserzählung in 10,1–11 andere Themen angeschlagen werden. Dies sagt allerdings noch nichts über die literarische Genese und Ursprünglichkeit der Verse aus.

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Israels Rebellionen und die Verschonung am Horeb (Dtn 9,7–24)

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zweifache Weise eine bedeutende rhetorische und inhaltliche Funktion. Denn durch die Anführung weiterer Rebellionen wird Dtn 9,7–24 erst zur Erzählung einer Geschichte von Rebellionen und nicht eines Einzelfalls.247 Zweitens entwickelt sich über die Zusammenführung der Horebrebellion mit weiteren Rebellionen vor und nach dem Horeb eine Dialektik, die bedeutend für Moses Botschaft an die Moabgeneration ist. Während Gott am Horeb seinen Zorn zurückgenommen und Israel verschont hat, ist Israel seiner rebellischen Haltung verhaftet geblieben. Im Unterschied zur lang entwickelten Horeberzählung, werden die in v22 angeführten Rebellionsbeispiele äußerst knapp nur mittels Anführung der Namen der Rebellionsorte aufgerufen, während die Rebellion in Kadesch-Barnea in v23 wieder ausführlicher geschildert wird. In den Namen kommt jeweils eine Charakteristik der damit bezeichneten Rebellion zum Ausdruck, sodass die damit verbundenen Ereignisse assoziativ in Erinnerung gerufen werden. Trotz des kurz angebundenen Stils wird mit den angegebenen Beispielen und den rahmenden Rebellionskonstatierungen in vv7.24 die Rebellionsgeschichte Israels in ihrer Gesamtheit aufgerufen. Nach der Urrebellion am Horeb werden mit Massa eine Rebellion noch vor dem Sinai/Horeb und mit Tabera und Kibrot-Taawa zwei nach den Horebereignissen genannt. Mit Kadesch-Barnea kommt schließlich jene Rebellion zur Sprache, die die schwerwiegendsten Folgen für die Horebgeneration nach sich zog, da sie in deren Folge das Land nicht betreten durften. In den Rahmenversen vv7.24 wiederum wird diese Rebellionsgeschichte auf den äußersten Anfangspunkt ausgedehnt und die Moabgeneration in die Rebellionsgeschichte eingeschlossen. Dass in Dtn 9,7–24 Israels Rebellionsgeschichte in ihrer Gesamtheit im Blick ist, macht auch eine Überlegung im Talmudtraktat Arakhin deutlich. Dieser hat unter dem Stichwort der „zehn Versuchungen“ aus Num 14,22 die Rebellionen der Wüstenzeit nach den Motiven Meer, Manna, Wachteln, Wasser, Kalb und Kundschafter kategorisiert.248 In den in Dtn 9,7– 24 angeführten Beispielen wird jede dieser Kategorisierungen berührt, so in v7 mit dem Motiv des Auszugs das Motiv des Schilfmeeres, in vv8–21 das Kalb, in v22 mit Massa das Motiv des Wassers, mit Kibrot-Taawa die Motive von Manna und Wachteln und schließlich in v23 die Kundschafter. Dies zeigt, dass in Dtn 9,7–24 anhand der ausgewählten Beispiele die Rebellionsgeschichte der Wüstenzeit in den Büchern Ex–Num in ihren wesentlichen Motiven angesprochen wird und so Israels gesamte Rebellionsgeschichte im Blick ist. a) Drei Rebellionen: Tabera, Massa und Kibrot-Taawa Dass die weiteren Rebellionen gemeinsam mit der Horebrebellion Israels harten Nacken bezeugen sollen, wird zusätzlich zur parallelen Einleitungsformulierung (‫ ב‬+ Ortsname) durch die abermalige Verwendung des Verbes ‫„ קצף‬erzürnen“ (Hifil) + Objekt ‫את־יהוה‬ deutlich,249 da in v7 zuallererst die gesamte Wüstenzeit unter das Thema der Gottesreizung gestellt wurde, sodann im Speziellen der Horeb (vv8.19) und nun die drei folgenden Rebellionsbeispiele aus der Wüstenzeit. Mit dem Partizip der Vergangenheit ‫מקצפים הייתם‬ kommt zum Ausdruck, dass es sich bei diesen Kränkungen im Gegensatz zu punktuellen

247 Siehe Z. B. LOHFINK, Hauptgebot, 210–211. 248 bAr 15a–b (Hg. GOLDSCHMIDT, 687–688). 249 Vgl. TASCHNER, Mosereden, 251.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

Verfehlungen um ein durchgängiges Verhalten handelt, das an diesen Orten in besonderer Weise ans Licht kam. In den Namen der nun angeführten Beispiele klingen – wie die Übersetzungen durch die LXX und die Targume deutlich machen – jeweilige Charakteristika der einzelnen Rebellion an.250 Das knappe und assoziative Anschneiden nur mittels Namen deutet darauf hin, dass die Kenntnis der einzelnen Rebellionen in der Schilderung der Bücher Exodus und Numeri oder einer dieser vorausliegenden Vorlage vorausgesetzt wurden.251 In „Tabera“ (‫ )תבערה‬beklagte sich das Volk laut Num 11,1–3 unmittelbar nach den Sinai/Horebereignissen ohne nähere Angabe der Ursache.252 Es fiel Feuer vom Himmel. Mose betete für das Volk und das Feuer erlosch. Spielt der Name Tabera (Feuerbrand) auf das Motiv des göttlichen Zornes an, so ist damit auch die Abwendung des göttlichen Zornes durch Moses Fürbitte verbunden, wodurch diese Rebellion jener am Horeb nahesteht. Da sich die Rebellion unmittelbar nach den Horebereignissen zutrug, wird deutlich, dass sich Israels Rebellion auch unmittelbar nach den Horebereignissen fortsetzte. Die kurze Episode dient im Buch Numeri als Einleitung für den Wüstenzug nach dem Horeb und setzt mit dem Motiv der „Beschwerde“ (‫אנן‬, „beschweren“) den Ton für eine nach dem Horeb neuerlich einsetzende Rebellionsgeschichte.253 Das Motiv der „Beschwerde“ durchzieht Israels weitere Rebellionsgeschichte und kehrt auch in unterschiedlichen Nuancierungen in den weiteren in Dtn 9 genannten Beispielen wieder. In Massa „murrte“ (‫ )מרה‬das Volk, in Kibrot-Taawa „weinte“ (‫ )בכה‬es und in Kadesch-Barnea reagierte das Volk zunächst wie in Kibrot-Taawa mit „Weinen“ (Num 14,1), und dann wie in Massa mit „Murren“ (‫ ;לון‬Num 14,2) und wünscht sich zuletzt wieder wie in Kibrot-Taawa zurück nach Ägypten (Num 14,3–4). Die zweite Rebellion „Massa“ (‫ )מסה‬trug sich noch vor dem Horeb zu.254 In Ex 17,1–7 wird erzählt, wie die Israeliten in Massa aufgrund von Wassermangel gegen Mose rebellierten und so Gott „versuchten“ (vv2.7), Mose zu Gott darüber klagte und dieser durch Mose Wasser aus dem Felsen sprudeln ließ. Zentrales Charakteristikum dieser Rebellion ist das Motiv der „Versuchung“, das im Namen „Massa“ enthalten ist. Was unter „Versuchung“ zu verstehen ist, erklärt sich in Ex 17,7. Das Volk zweifelte aufgrund des Mangels an Wasser Gottes Gegenwart in seiner Mitte an. Sie machten ihren Glauben an die Wirkkraft Gottes von ihrem Wohlbefinden abhängig und knüpften ihre Loyalität gegenüber Gott an eine Bedingung.255 Weil sie im Umkehrschluss Gottes Gegenwart nur im Falle einer wundersamen Bereitstellung von Wasser anerkennen wollten,256 lief die Versuchung darauf 250 Vgl. BRAULIK, Deuteronomium, 80, der die Orte durch ihren Namen sprechen sieht. 251 LOHFINK, „Deuteronomium 9,1–10,11”, 152, spricht von „vier intertextuellen Verweisen“; S TOPPEL, Angesicht, 213, mahnt zur Vorsicht, da in der bloßen Namensnennung keine Kontrollmöglichkeit über die Textvorlage gegeben sei. 252 RAMBAN, Bamidbar, zu Num 11,1 (Hg. KASNETT et al., 200–201), bezieht die Klage auf den abermaligen Aufbruch in die Wüste. 253 Vgl. ASHLEY, Numbers, 201. 254 Nach RAMBAN, Dewarim, zu Dtn 9,22–24 (Hg. KASNETT et al., 215–216), fügt Mose diese Rebellion hier ein, obwohl sie sich schon zuvor zugetragen hat, um darauf hinzuweisen, dass Israel in Tabera trotz der Zurechtweisung in Massa wieder in dieselbe Rebellion zurückgefallen war. 255 Siehe LEIBOWITZ, Shemos, 285. 256 RAMBAN, Dewarim, zu Dtn 6,16 (Hg. KASNETT et al., 159).

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Israels Rebellionen und die Verschonung am Horeb (Dtn 9,7–24)

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hinaus, Gott zu einem wundersamen Handeln zu zwingen, wenn er sich ihre Loyalität sichern wollte. Mit dem Motiv der Versuchung weist Massa auf die Verweigerung der Landnahme in Kadesch-Barnea voraus.257 Denn die Versuchung Gottes, ausgedrückt mit dem Verb „versuchen“ (‫)נסה‬, begegnet explizit nur in den beiden Rebellionen von Massa (Ex 17,2.7) und Kadesch-Barnea (Num 14,22), wo Gott in Beurteilung des Geschehens beklagt, dass Israel ihn nun zum zehnten Mal „versucht“ habe. Die in der Zehnzahl implizierte Kette von Versuchungen weist auf eine lange Geschichte der Versuchungen Gottes, in der „Massa“ als erstgenannter Versuchungsort eine paradigmatische Funktion einnimmt, was auch in Dtn 6,16 deutlich wird, wenn Mose hier im Rückverweis auf Massa vor der Versuchung Gottes warnt. Zudem ist Massa durch den Doppelnamen Massa und Meriba in v17 und den beinahe identischen Zügen mit der Rebellion von Meriba in Kadesch (Num 20,1–13) verknüpft.258 Da im Bericht der Rebellion von Meriba (Num 20,12) sowie in den Rückverweisen auf diese (Num 27,14; Dtn 32,51) die Verfehlung Moses und Aarons im Blick sind, kann man über die Verknüpfung von Massa zu Meriba leise Anklänge an eine Inklusion Moses und Aarons in die Rebellionsgeschichte der Wüstenzeit heraushören, die den Tod beider vor Eintritt in das Land zur Folge hatte. Das dritte Rebellionsbeispiel „Kibrot-Taawa“ (‫ )קברת התאוה‬begegnet in Num 11,4–34 direkt im Anschluss an die Geschehnisse von Tabera. Hier wurde das Volk des Mannas überdrüssig und wünschte sich Fleisch (vv4.13.18) und andere Nahrungsmittel, die sie in Ägypten hatten (vv5.18). Gott ging auf Moses Bitte ein, kündigte jedoch an, dass die Erfüllung ihrer Bitte um Fleisch den gegenteiligen Effekt haben werde (vv18–20). Als Gott schließlich Wachteln schickte und das Volk diese aß, breitete sich wie angekündigt eine Plage unter dem Volk aus (vv30–33) und die von Gier Ergriffenen mussten sterben. Wie schon das Wort „Gräber“ im Namen zum Ausdruck bringt, deutet diese Rebellion auf den Tod hin, der das rebellische Volk am Ende erwartete, in diesem Falle auch trotz Moses Fürbitte. Mit dem Wort „Begierde“ wird die innerliche Fehlhaltung benannt, die den Wunsch nach den Gütern Ägyptens wachsen ließ. Das Motiv der innerlichen Rückwendung nach Ägypten durchzieht in unterschiedlichen Akzenten die Rebellionsgeschichte der Wüstenzeit (vgl. Ex 14,11–12; 16,3; 17,3; Num 14,2; 20,5; 21,5; Dtn 1,27). Es steht im Kontrast zur Landnahme. Während das Volk in Richtung Land der Verheißung gehen und in Kadesch-Barnea die Grenze des Landes überschreiten sollte, wünschte sich das Volk zurück nach Ägypten (vgl. den Kontrast in Num 14,2; Dtn 1,27). Mit den drei Beispielen verweist Mose auf eine sich kontinuierlich fortsetzende Rebellionsgeschichte vor und nach dem Horeb. Zudem klingen über die drei Rebellionsbeispiele weitere zentrale Motive der Rebellionsgeschichte des Volkes an, die den Blick verstärkt auf das Gesamt der Wüstenrebellionen lenken. Wollte man eine gewisse innere Logik der Reihung erkennen, so lässt sich auf eine Steigerung in Bezug auf die Ursachen der 257 Vgl. OTTO, Deuteronomium, 981, der darauf hinweist, dass Massa in Verbindung zu Kadesch stehe und so bereits auf die Kundschafterepisode vorausweise. 258 Die große Nähe der beiden Rebellionen hat die ältere Forschung veranlasst, in Num 20,1–13 eine Variante derselben Erzählung in Ex 17,1–7 zu sehen. ASHLEY, Numbers, 379, betont jedoch, dass bei einer möglichen Aufnahme die Rebellion von Meriba bewusst als eigenständiges Ereignis gezeichnet wurde.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

Rebellion hinweisen. In Tabera beklagt sich das Volk ohne nähere Angabe eines Grundes, in Massa aufgrund von Wassermangel und in Kibrot-Taawa aufgrund des Wunsches nach Fleisch statt Manna. Die Begierden steigern sich von Unbestimmtheit über das Grundbedürfnis des Trinkens bis hin zum Wunsch nach erlesenerer Speise. 259 Finden sich in allen drei genannten Rebellionen Anknüpfungspunkte zur Horebrebellion, so weisen charakteristische Motive der jeweiligen Rebellion auf einen engen Zusammenhang zur Verweigerung der Landnahme in Kadesch-Barnea, so das Motiv der Klage (alle vier), der Sehnsucht nach Ägypten (Kibrot-Taawa), und der Versuchung (Massa). Zudem wird in Dtn 9,23 (vgl. auch Num 14,11; Dtn 1,32; Ps 106,24) die Verweigerung der Landnahme als „Unglaube an Gott“ charakterisiert. Dieses seltene Motiv wird in Ps 78,22.32 auf die Rebellionen von Tabera (Ps 78,22) und Kibrot-Taawa (Ps 78,22) gewendet und findet sich auch in Meriba (Num 20,12), das wiederum auf Massa zurück verweist. 260 Alle drei Rebellionsbeispiele deuten so unter verschiedenen Gesichtspunkten auf die Verweigerung der Landnahme in Kadesch-Barnea voraus, zu der sie als Höhe- und Kulminationspunkt einer Geschichte des Klagens und Murrens, der Versuchung Gottes, der Sehnsucht nach Ägypten und des Unglaubens hinführen. b) Die Rebellion von Kadesch-Barnea Im Unterschied zu den drei Rebellionen wird jene in Kadesch-Barnea wieder ausführlicher geschildert. Ihre Schilderung gestaltet sich als summarische Zusammenführung von Motiven aus Dtn 1 und Num 13–14.261 Der Aussendungsbefehl in 9,23 begegnet nicht in Dtn 1, jedoch in Num 13,2. Dtn 9,23 greift diesen auf, kombiniert ihn aber nicht wie in Num 13,2 mit dem Auftrag zur Erkundung, sondern mit jenem zur Landnahme, der demjenigen von Dtn 1,21 beinahe wörtlich entspricht. Hatte sich jener in Dtn 1,21 bereits auf den göttlichen Auftrag vom Horeb in Dtn 1,8 zurückbezogen,262 so wird er nun in 9,23 als direkt von Gott an das Volk gerichteter Auftrag dargestellt. Israels „Rebellieren gegen Gottes Mund/Befehl“ (‫ )ותמרו את־פי יהוה‬findet sich wortgleich in Dtn 1,26.43. Hier wird der im Buch Numeri eher lose Zusammenhang der beiden Motive des „Befehl Jhwhs“ (‫ )פי יהוה‬in Num 13,3 und des „Murrens“ (‫ )לון‬in Num 14,2.27.29.36 zusammengezogen und der Erzählung eine eindeutige Richtung als Rebellion gegen Gottes Auftrag zur Landnahme gegeben.263 Das Motiv des Glaubens- und Vertrauensmangels mit „ihr habt ihm nicht vertraut“ (‫ )ולא האמנתם לו‬findet sich in Num 14,11 in Gottes rhetorischer Frage: „Wie lange wollen sie mir nicht vertrauen trotz all der Zeichen, die ich in ihrer Mitte getan habe?“. Mose macht sich in Dtn 1,32; 9,23 Gottes Aussage zu Eigen, um damit die tiefere spirituelle Ursache des Vergehens in Form des Glaubensmangels zu benennen.264 Die 259 Vgl. BRAULIK, Deuteronomium, 80, der von einer „Serie sich steigernder Provokationen“ spricht. 260 Zur Zuordnung des Motivs in Ps 78,22.32 zu Tabera und Kibrot-Taawa siehe FEUER, Tehillim, 978– 979.983–984. 261 WEINFELD, Deuteronomy, 414, bezeichnet Dtn 9,23 als Auszug von Dtn 1,19b–32, vermutet aber auch einen Rückgriff auf Num 13,2; BOORER, Promise, 368–369, hält Dtn 9,23 für ein „summary statement“ von Num 13–14 einschließlich der Zusätze in Num 14,11b–23a; OTTO, Deuteronomium, 944–945, sieht in Dtn 9,23 Anknüpfungen sowohl zu Dtn 1,32 als auch zu Num 14,11. 262 TASCHNER, Mosereden, 209. 263 Vgl. TASCHNER, Mosereden, 209–210. 264 Vgl. BOORER, Promise, 368.

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Israels Rebellionen und die Verschonung am Horeb (Dtn 9,7–24)

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letzte Charakterisierung als „Nicht-Hören auf Gottes Stimme“ (‫ )ולא ׁשמעתם בקלו‬begegnet in Num 14,22 wieder in einer Gottesrede, jedoch nicht in Dtn 1. Mose greift die göttliche Aussage auf, was gemeinsam mit dem Motiv der „Aussendung“ ein starkes Indiz dafür ist, dass Dtn 9,23 nicht nur Dtn 1,19–32, sondern auch Num 13–14 im Blick hat.265 In dieser Bündelung der ausführlichen Schilderungen von Num 13–14; Dtn 1 akzentuiert Dtn 9,23 die Rebellion noch einmal deutlicher in der Polarität von göttlichem Auftrag und dessen Verweigerung durch das Volk. Moses dreigliedrige Charakterisierung beleuchtet das spezifische Profil dieser Rebellion. Die erste Charakterisierung „ihr habt gegen den Mund/Befehl Jhwhs rebelliert“ spricht von einem Akt der Verweigerung und Auflehnung gegenüber einem ausdrücklich als göttlich („Mund des Herrn“) gekennzeichneten Auftrag.266 Alle Belege der seltenen Wendung, die sich auf Israels Wüstenrebellionen beziehen, weisen auf die Rebellionen in Kadesch-Barnea und Meriba (Num 20,24; 27,14; Dtn 1,26.43; 9,23), die wiederum beide mit dem Motiv der Sanktion verbunden sind, infolge der Rebellion das Land nicht betreten zu dürfen (Volk in Kadesch-Barnea / Mose und Aaron in Meriba). Die entsprechende Auflehnung gegen Gottes Auftrag in Kadesch-Barnea umfasst die Unterstellung, Gott würde das Volk hassen und vernichten wollen (Dtn 1,26; vgl. Num 14,2–3), die Angst vor den mächtigeren Völkern (Dtn 1,27; vgl. Num 14,3) und den Plan, mit einem neuen Führer nach Ägypten zurückzukehren (Num 14,4). Mit der zweiten Charakterisierung „ihr habt ihm nicht vertraut“ wird die Ursache dieses Auflehnungsaktes benannt. Sowohl die Unterstellungen des Hasses und der Vernichtungsabsicht als auch die Angst vor den Völkern sind Ausdruck eines Glaubens- und Vertrauensmangels gegenüber Gott. Dabei ist die Angst vor den Völkern die Kehrseite dieses Misstrauens. Weil Israel Gott nicht traut, wagte es nicht, das Land zu betreten. In KadeschBarnea kulminiert eine Geschichte des Unglaubens (vgl. Num 14,11; Dtn 1,32; 9,23; Ps 106,24), die sich bereits in Ägypten angedeutet hatte, als Mose bezweifelte, dass sie ihm Glauben schenken würden (Ex 4,1.8.9), und die sich auch ohne ausdrückliche Benennung wie ein roter Faden durch die Wüstenrebellionen zieht. Die restlichen Belege des Unglaubens Israels während der Wüstenzeit finden sich in Num 20,12, wo Gott Mose und Aaron in Meriba wegen ihres Unglaubens zurechtweist, und in Ps 78,22.32, wo eben jene beiden Wüstenrebellionen Tabera und Kibrot-Taawa, die in Dtn 9,22 zuletzt genannt worden waren, derart charakterisiert werden. Die dritte Charakterisierung „ihr habt nicht auf seine Stimme gehört“ bezieht sich zumeist auf den Ungehorsam gegenüber Gottes Geboten,267 oder die Verweigerung eines spezifischen Auftrags. Letzteres tritt besonders im Zusammenhang mit Kadesch-Barnea zu Tage (Num

265 Vgl. SCHMITT, „Erzählung“, 244. 266 Die Wendung „gegen den Befehl rebellieren“ begegnet mehrheitlich als Bezeichnung für die Verweigerung eines spezifischen Auftrags (Num 20,24; 27,14; Dtn 1,26.43; 9,23; 1 Kön 13,21.26), seltener aber als Ausdruck eines generellen Ungehorsams (Jos 1,18; 1 Sam 12,14.15; Klgl 1,18). Sie ist mehrmals mit dem Motiv des „Nicht-Hörens“ gepaart (vgl. Dtn 1,43; 9,23; Jos 1,8; 1 Sam 12,14.15), was verdeutlicht, dass sie ähnlich dem Nicht-Hören einen Ungehorsam bezeichnet. 267 KEDAR-KOPFSTEIN, „‫“קול‬, 1251, verweist auf die häufige Bedeutung von „gehorchen“, insbesondere auf die Gebote Gottes. Dementsprechend bezeichnet die verneinte Wendung sehr oft den Ungehorsam gegenüber den Geboten.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

14,22; Dtn 9,23; Jos 5,6; Ps 106,25).268 Über den Aspekt des Gehorsams hinaus schwingt dabei oftmals eine Beziehungsdimension mit.269 Auch die Hörverweigerung in KadeschBarnea ist Ausdruck einer tiefgreifenden Beziehungsstörung, die schon zuvor im Motiv des Unglaubens angeklungen war. Im Buch Deuteronomium entwickelt sich ein intensiver Zusammenhang zwischen dem Motiv des „Hörens auf die Stimme Gottes“ und dem Land der Verheißung. Erstmals hört Israel Gottes Stimme bei der Theophanie am Horeb (Dtn 4,12; 5,24–25; 18,16). Der Inhalt seiner Stimme sind die Zehn Worte, der Dekalog. In der mosaischen Paränese begegnet die Wendung in Reihen von Gebotsaufforderungen, wodurch diese immer wieder auf die am Horeb erklungene Stimme zurückgebunden werden (vgl. 13,5.19; 15,5; 26,17; 27,10; 28,1). Vom empfangsbereiten Hören dieser Stimme wird das weitere Schicksal des Volkes abhängig gemacht. Während das Hören auf die Stimme Gottes den in Dtn 28 angesagten Segen bringt (28,2), lässt das Nicht-Hören die Flüche in Dtn 28 in Kraft treten (28,15.45). Israel wird aus dem Land ausgetilgt werden (8,20) und nur wenige werden übrigbleiben (28,62).270 Im prophetischen Ausblick auf das Eintreffen dieses Unglücks deutet Mose jedoch eine Wende an. Auf die „gescheiterte Geschichte des Hörens“ wird eine gelingende Geschichte des Hörens folgen.271 Israel wird umkehren und wieder auf Gottes Stimme hören (vgl. 4,30; 30,2.10), und so aus der Zerstreuung in das Land der Verheißung zurückgeführt werden (30,3–5). In der Dialektik von Unheils- und Heilsprophetie hat das Buch Deuteronomium in besonderer Weise die textexternen Adressaten im Blick. Sie haben erfahren, wie das Nicht-Hören zur Katastrophe und zum Verlust des Landes geführt hat. Sie sollen nun wieder auf Gottes Stimme hören, damit sich auch die Heilsprophetien erfüllen und sie so wieder ins Land der Verheißung zurückgebracht werden (Dtn 30,3–5). In Dtn 9,23 wird der Auftrag zur Landnahme ebenfalls explizit als Wort der „Stimme Gottes“ ausgewiesen, und so weitet sich im Blick darauf die Bedeutungsfülle der Wendung vom Gebotsgehorsam hin zur Erfüllung des Auftrags zur Landnahme. Auf Gottes Stimme zu hören, bedeutet demnach nicht nur, Gottes Geboten zu folgen, sondern auch dem Auftrag zu folgen, das Land einzunehmen, was für textexterne Adressaten außerhalb des Landes bedeutet, in das Land heimzukehren. 272 Mit der Rebellion von Kadesch-Barnea erhält der Abschnitt Dtn 9,7–24 seinen zweiten Kristallisations- und abschließenden Höhepunkt. Israels harter Nacken und rebellischer Geist zeigte sich wieder in Kadesch-Barnea, an dem sich in besonderer Weise Ungehorsam und Unglaube Israels offenbarten. Die Belege aller drei Charakterisierungen dieser Rebellion 268 Vgl. BRAULIK, Deuteronomium, 80. 269 Vgl. EHRENREICH, Wähle, 116–117. 270 Auch außerhalb des Buches Deuteronomium begegnet die Wendung vermehrt als Ursachenbeschreibung von Israels Katastrophen, so in 2 Kön 18,12 den Untergang Samarias und die Verschleppung nach Assur betreffend sowie mehrmals im Zusammenhang mit dem Verhalten, das schließlich zum Fall Jerusalems, Verlust des Landes und Exilierung geführt hat (Jer 3,13.25; 7,28; 9,12;22,21; 32,23; 40,3; 44,23; Dan 9,10; Zef 3,2); vgl. BRAULIK, Deuteronomium, 80, der in der Wendung die Ursache des Exils anvisiert sieht. 271 EHRENREICH, Wähle, 117. 272 Eine inhaltliche Nähe zum Thema der Verweigerung der Landnahme zeigen zudem die Belege in Jer 42,13.21; 43,4.7, wo die Weigerung des Restes Israels, im Land zu bleiben, als „Nicht-Hören auf Gottes Stimme“ klassifiziert wird.

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Israels Rebellionen und die Verschonung am Horeb (Dtn 9,7–24)

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sind verstärkt mit dem Thema der gescheiterten Landnahme oder dem zukünftigen Landverlust verknüpft, was im Umkehrschluss zu verstehen gibt, dass der Gehorsam gegenüber Gottes Befehl, der Glaube an seine Verheißungen und das Hören auf seine Stimme sich auch darin zeigen, dem Auftrag zur Landnahme Folge zu leisten. Dieser Auftrag gilt innerhalb der Moabrede der Moabgeneration an der Schwelle zum Land. Textexterne Adressaten sollten diesen Auftrag auf ihre eigene Situation applizieren. Denn Gottes Stimme rief auch sie ins Land der Verheißung. c) Die Rebellionen am Horeb und in Kadesch-Barnea Die Rebellionen am Horeb und in Kadesch-Barnea werden in den Büchern Ex–Num unter allen Rebellionen der Wüstenzeit am ausführlichsten geschildert. Dasselbe gilt für das Buch Deuteronomium. Der ausführlichen Schilderung der Horebrebellion in Dtn 9 entspricht eine ebenso ausführliche Schilderung der Rebellion in Kadesch-Barnea in Dtn 1. An der Schwelle zum Verheißungsland angesichts derselben Herausforderung wie in Kadesch-Barnea blickt Mose nun auf Israels Rebellionsgeschichte zurück (Dtn 9,7–24), wobei er vor allem die Horebrebellion, aber auch jene in Kadesch-Barnea als zwei Kristallisationspunkte dieser Geschichte verstärkt in den Blick nimmt. Beide Schauplätze werden in vv7.24 unter das Stichwort der Rebellion gestellt und beide werden mit der Wendung „Sündigen gegen Jhwh“ (vgl. Dtn 1,41; 9,16.18.21) als direkt gegen Gott gerichtetes Vergehen dargestellt, was im Buch Deuteronomium für diese beiden Rebellionen „reserviert“ ist.273 Spielt das Motiv des göttlichen Zornes eine zentrale Rolle im Rahmen der Horebrebellion (Dtn 9,8.18.19.20), so wird er auch in Bezug auf die Kundschafterepisode in Dtn 1,34 explizit erwähnt. Auffällig ist, dass im Buch Deuteronomium im Zusammenhang der Rebellion in Kadesch-Barnea das Motiv der angedrohten Vernichtung im Unterschied zu Num 14,12 nicht erwähnt wird.274 Stand nach dem Buch Deuteronomium Israels Existenz als Gottes Volk am Horeb auf Messers Schneide, so wurde in KadeschBarnea zwar die Elterngeneration sanktioniert, aber Israels Fortexistenz als Gottes Volk war nicht mehr bedroht. Beide Rebellionen werden unterschiedlich charakterisiert. Im Zentrum der Horebrebellion steht das „Machen“ des Kalbes (9,12.16.21) als Verstoß gegen das erste Gebot. Darüber hinaus wird sie mit solchen Wendungen bedacht, die sich fast ausschließlich auf einen Gebotsbruch beziehen und dabei Konnotationen der Gewalt („vernichten“), der Verirrung („vom Weg abweichen“) und der Bösartigkeit („das in den Augen Gottes Böse tun“) haben. In all dem ist das Agens des Volkes entscheidend. Es handelt sich um eine Rebellion des aktiven Handelns. Im Zentrum der Rebellion in Kadesch-Barnea steht die Verweigerung des göttlichen Auftrags zur Landnahme. In ihr kulminieren das in der Wüste durchgehend gezeigte Misstrauen gegen Gott und seinen Propheten Mose. Sie wird nicht nur 273 Vgl. BRAULIK, „Kalb“, 20. 274 Beide Rebellionen verbindet auch das Motiv einer angedrohten Vernichtung. Beide Androhungen sind mit dem Angebot an Mose verbunden, aus Mose „ein stärkeres und mächtigeres Volk“ zu machen (Num 14,12; Dtn 9,14). Entsprechend der Ernsthaftigkeit der Androhung wird jeweils Moses Fürbitte ausführlich geschildert (Num 14,13–19; Dtn 9,26–29/Ex 32–34) wie sonst nirgends. Jeweils legt Mose mehrere Argumente dar, um Gott von seinem Vorhaben abzubringen. Das Argument, die Ägypter würden Israels Untergang als Ausdruck von Gottes Machtlosigkeit deuten (Num 14,16; Dtn 9,28), ist dabei ident. Beide Gebete werden schließlich von Gott erhört.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

als ungehorsame Befehlsverweigerung, sondern mehr noch als Ausdruck des Unglaubens, Misstrauens und der Hörverweigerung gewertet. Im Unterschied zur Horebrebellion ist hier nicht das Agens des Volkes entscheidend, sondern ein Mangel in Form eines Unglaubens, der zu erstarrter Passivität führte. Beide Rebellionen, Bruch der Bundesbeziehung und Verweigerung der Landnahme, werden in Dtn 9f. nicht einfach als unterschiedliche Rebellionsbeispiele aneinandergereiht, sondern in Beziehung zueinander gesetzt.275 Mose präsentiert einen Geschichtszusammenhang, der sich zwischen den Polen Horeb und Kadesch-Barnea entwickelt. Während Gott am Horeb seinen Zorn überwunden und sein Volk trotz seiner Sünde als Volk angenommen hat, hat Israel seine rebellische Haltung nicht überwunden und deshalb das Land nicht eingenommen. Nun aber soll die Moabgeneration im Vertrauen auf Gott die Landnahme wagen (9,1–3; 31,2–8). Dabei stellt Mose in Dtn 9f. eine unmittelbare Verknüpfung zwischen der Bundesbeziehung und dem Land der Verheißung als damit verbundenes Heilsgut her. Denn mit der durch die Erneuerung der Tafeln ausgedrückten Bundeserneuerung hat Gott auch seine Verheißung des Landes bestätigt und den Auftrag zur Landnahme gegeben (Dtn 1,6–8; 10,11). Die erneuerte Bundesbeziehung am Horeb ist so bürgendes Zeichen dafür, dass Israel die Gabe des Landes von Gott empfangen wird.276 J. Taschner hat darauf hingewiesen, dass zwischen dem zweiten Versuch zur Landnahme und der Erneuerung der Tafeln eine Analogie besteht.277 Nach der Sünde mit dem Kalb wurden die ersten Tafeln als Symbol der Bundesbeziehung zerschmettert. Die ursprüngliche Intention einer im Bund vertieften Beziehung war damit misslungen. Nach der Verweigerung der Landnahme wiederum wurde der Horebgeneration entgegen dem ursprünglichen Plan die Landnahme verwehrt. Indem jeweils das erste göttliche Vorhaben an der Sünde Israels scheiterte, entsprechen sich die Rebellionen am Horeb und in Kadesch-Barnea. Als Gott nach seinem Einlenken am Horeb befahl, neue Tafeln zu machen, kam zum Ausdruck, dass die zerbrochene Beziehung von Gottes Seite wiederhergestellt war. Ebenso verhieß Gott auch in Kadesch-Barnea unmittelbar nach dem Verdikt über die erste Generation, dass die zweite Generation gemäß dem ursprünglichen Plan das Land einnehmen und so Gottes Verheißung erfüllen werde. Wie die gescheiterte Bundesbeziehung von Gottes Seite erneuert wurde, so soll sich nun auch die göttliche Verheißung der Landnahme trotz des erstmaligen Scheiterns erfüllen.

275 Vgl. SCHMITT, „Erzählung“, 244–245. 276 DEISSLER, Grundbotschaft, 94–95, spricht davon, dass sich Gottes „bundeswillige Selbstbindung“ in der Gabe des Landes als „Heilsgut“ realisiert. 277 TASCHNER, Mosereden, 190.251, fasst die erneute Landnahme unter das Stichwort der „zweiten Chance“ und weist darauf hin, dass dies analog für die Horebrebellion gelte (ebd., 190). Die Horeberzählung werde so zum Typos, die die Vorzeichen stelle, unter denen die bevorstehende Landnahme stattfinden wird (ebd., 251). Allerdings scheint der Begriff „zweite Chance“ nicht ganz treffend, da es jeweils um die schlussendliche Realisierung eines göttlichen Vorhabens geht, das aufgrund der Sünde Israels gescheitert war. Nicht eine unverhoffte zweite Chance steht im Augenmerk, sondern die endliche Erfüllung lang vorhergesehener Verheißungen. Aus diesem Grund erachte ich das Begriffspaar Scheitern und Erfüllung/Realisierung für treffender.

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Die Gründe für Israels Verschonung (Dtn 9,25–29)

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5.2.5 Zweite allgemeine Rebellionsaussage (Dtn 9,24) Hatte Mose in 9,7 Israel eine rebellische Haltung in der Wüste seit dem Auszug angelastet und dies durch die Beispiele von Horeb (9,8–21), Tabera, Massa und Kibrot-Taawa (9,22) und schließlich Kadesch-Barnea (9,23) durch Beispiele veranschaulicht, wiederholt er nun seine Anklage von 9,7 mit diesen Beispielen als Beweislage im Rücken. Es handelt sich jedoch nicht nur um eine Anklage der immerwährenden Rebellion, sondern lässt auch Moses Fürbitten und dessen Erhörung mitschwingen.278 Israels Wüstenzeit war eine Zeit der Rebellion und Auflehnung, jedoch auch eine von Moses Fürbitte und Gottes Erhörung dieser Fürbitten, wie die adressierte Moabgeneration selbst feststellen kann in der einfachen Tatsache, dass sie nicht – wie am Horeb angedroht – vernichtet wurden, sondern immer noch leben (vgl. Dtn 4,4; 5,3.26). Im Vergleich zu v7 ist v24 kürzer gefasst, enthält aber eine Steigerung, indem der Anfangspunkt der Zeitspannenangabe vom „Tag des Auszugs“ auf den „Tag des Erkennens“ ausgedehnt wird. Textkritische Überlegungen, die sich auf die wahrscheinliche Herleitung des Passiv Aorist in der LXX stützen, sprechen dafür, dass die Version des Smr mit Gott als Subjekt die ursprünglichere ist.279 Inhaltlich lassen sich sowohl die Variante mit Mose als Subjekt als auch jene mit Gott als Subjekt argumentativ begründen.280 Allerdings findet sich für die Variante mit Mose als Subjekt kein entsprechender Bezugstext mit dem Verb ‫ידע‬, und so wäre von einer hyperbolischen Redeweise auszugehen,281 während für die Version des Smr sehr wohl ein Bezugstext in Ex 2,25 vorliegt. Nachdem Gott in Ex 2,24 das Stöhnen der Israeliten hörte, heißt es in Ex 2,25 „Und Gott sah die Söhne Israels und Gott erkannte“. Das Motiv aus Ex 2,25, dass Gott sein Volk erkannte, wird in Ex 3,7 wieder aufgenommen und mit „ich habe ihr Leid erkannt“ ( ‫ידעתי‬ ‫ )את־מכאביו‬deutlich gemacht, worauf sich diese Erkenntnis bezieht. Gott erkannte sein Volk in seiner Not.282 Wenn sich Dtn 9,24 mit dem Tag des Erkennens auf Ex 2,25; 3,7 zurückbezieht, so meint Mose damit den Tag, da Gott sein Volk in seinem Leid erkannte und den Plan fasste, es aus der Sklaverei herauszuführen. In starkem Kontrast dazu steht die immerwährende Rebellion Israels, die auf diese mitfühlende Zuwendung mit steter Ablehnung reagiert hat.

5.3 Die Gründe für Israels Verschonung (Dtn 9,25–29) Mit Dtn 9,24 ist der Rückblick auf Israels Rebellionsgeschichte zu einem Abschluss gekommen. Innerhalb dieses Rückblicks war in vv18–20 die mosaische Fürbitte bereits thematisiert worden, ehe Mose sich weiteren Rebellionsbeispielen zugewendet hatte. In Dtn 9,25 kommt Mose nun wieder auf die Fürbitte am Horeb zu sprechen, deren Wiedergabe sich nach der Einleitung in vv25.26a von v26b bis v29 erstreckt. Mit der Determinierung der 40 278 Vgl. STOPPEL, Angesicht, 210. 279 Siehe S. 37. 280 Für den masoretischen Text mit Mose als Subjekt spricht, dass in Dtn 31,27 ein ganz ähnliches Motiv begegnet; siehe ACHENBACH, Israel, 364. 281 So TIGAY, Deuteronomy, 102. 282 Vgl. RAMBAN, Shemos, (Hg. BLINDER et al., 40) zu Ex 2,25.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

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Tage und 40 Nächte in v25 ist deutlich gekennzeichnet, dass es sich um dasselbe Gebet handelt, das Mose bereits in vv18–20 erwähnt hatte.283 Dies ist von Bedeutung für das Verständnis der rhetorischen Funktion des Gebetes innerhalb des Geschichtsrückblicks. Da in v19 bereits erwähnt worden war, dass Gott Mose erhört hatte, stellt sich dem Hörer nicht mehr die Frage, ob Gott das Gebet erhören wird. Vielmehr wird der Blick auf den Inhalt des Gebetes und somit auf die Gründe gelenkt, die Gott zur Rücknahme seines Zornes bewegt haben.284 Nach der Einleitung in vv25.26a zitiert Mose sein eigenes Gebet vom Horeb. Es beginnt mit der grundlegenden Bitte „vernichte nicht!“ (v26), worauf eine weitere Bitte sowie eine Erinnerungsmahnung (v27) folgen. Mit dem Völkerurteil bringt Mose zudem eine Außenperspektive ins Spiel (v28), um schließlich mit einem Appell zu enden (v29). Innerhalb dieser formalen Struktur vermittelt Mose drei Argumente für Gottes Verschonung. 285 In der anfänglichen Bitte um Verschonung findet sich implizit im Objekt enthalten ein Hinweis auf die unauflösbare Beziehung und den Exodus als vielversprechende Befreiungstat (v26). In einem zweiten Schritt versucht Mose Gottes Aufmerksamkeit zu den drei Patriarchen hin- und von der dreifach ausgedrückten Sünde des Volkes abzuwenden (v27), wobei die drei „Knechte“ Gottes als „guter Kern“ Israels die Sünde des Volkes aufwiegen sollen. In v28 wird die Erhörung des Gebets mit der Außenperspektive einer dritten Partei begründet, in deren Schiedsspruch Gottes Handlungen und Motivation in einem sehr fragwürdigen Licht erscheinen würden, wenn Israel vernichtet würde. In v29 wiederholt Mose schließlich in Form eines Appells das bereits in v26 implizit enthaltene Argument von Israel als unveräußerliches Volk Gottes. Das idente Argument in vv26.29 gibt dem Gebet einen Rahmen,286 dessen zweimaliges Auftreten darauf hinweist, dass es sich um das Hauptargument handelt, welches Mose mit besonderem Nachdruck vermitteln will. 287 A. v26b: Bitte (implizites 1. Argument: unauflösliche Beziehung und Exodus) B. v27: Erinnerungsmahnung + Bitte (2. Argument: Knechte versus Schuld) C. v28: Begründung (3. Argument: Völkerurteil) A. v29: Appell (explizites 1. Argument: unauflösliche Beziehung und Exodus) 5.3.1 Einzelanalyse a) Einleitung „Ich lag vor Jhwh jene 40 Tage und jene 40 Nächte“ (v25a) ist eine beinahe wortwörtliche Wiederholung von v18a, angereichert lediglich durch die jeweiligen Objektmarker ‫את‬. Die wörtlichen Übereinstimmungen unterstreichen die bereits in den Objektmarkern vermittelte Sachlage, dass es sich in vv25–29 um dasselbe Gebet handelt, das Mose bereits in vv18–20 283 Siehe z. B. WEINFELD, Deuteronomy, 414. 284 Vgl. STOPPEL, Angesicht, 229–230. 285 BRAULIK, Deuteronomium, 80, versteht dagegen lediglich v28a.b als Begründung für die Verschonung. Dagegen weist OTTO, Deuteronomium, 983–987, darauf hin, dass auch v27 eine Begründung darstellt (ebd., 983) und es sich ebenso in v26.29 um eine implizite Begründung handelt, die in v29 explizit aufgegriffen wird (ebd., 984.986–987). 286 Siehe GREENBERG, „Prayer“, 31. 287 Vgl. TIGAY, Deuteronomy, 103.

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Die Gründe für Israels Verschonung (Dtn 9,25–29)

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erwähnt hatte. Mit der nachfolgenden redundanten Formulierung „die ich darniederlag“ (‫ )אׁשר התנפלתי‬betont Mose ein weiteres Mal, dass er vor Gott in bittender Haltung darnieder gelegen war. In v26a erwähnt Mose zudem, dass er zu Gott gebetet hatte ( ‫)ואתפלל אל־יהוה‬, was Moses in vv18–19 erstmals erwähnte Bittgeste vollends als Zeit des Bittgebets ausweist. Mit „weil Jhwh gesagt hatte, er werde euch vernichten“ macht er zudem deutlich, warum er für Israel gebetet hatte. Mose betete um Verschonung vor der angedrohten Vernichtung, was abermals deutlich macht, dass es sich um ein und dasselbe Gebet wie in 9,18–20 handelte, das Gott schließlich erhörte (9,19b). b) Die Bitte um Verschonung Mose begann sein Gebet nach eigenem Bericht mit der Anrede Gottes als ‫אדני יהוה‬, „Mein Herr Jhwh“.288 Mit der Anrede als „Herr“ sprach Mose Gott als höherstehenden Herrn an. Zugleich gab er mit dem Suffix „mein“ sein besonderes Naheverhältnis zu Gott zu erkennen.289 Beides lässt sich als Versuch deuten, Gottes Wohlwollen für sein Anliegen zu gewinnen. Auf die Anrede folgte die grundlegende Bitte, Gott solle sein Volk und Erbteil nicht vernichten (‫)אל־תׁשחת עמך ונחלתך‬. Das Verb ‫ ׁשחת‬stellt dabei einen Rückbezug zu Dtn 9,12 her.290 Hatte das Volk mit seiner Sünde das Bundesverhältnis zerstört, so sollte Gott nicht seinerseits zerstörerisch handeln, indem er das Volk vernichtete. Das durch den Rückbezug zu Dtn 9,12 angedeutete Thema des Bundesverhältnisses wird mit dem Objekt ‫עמך ונחלתך‬, „dein Volk und dein Erbteil“, weiter entfaltet. In ihm verwies Mose im Gegensatz zum damaligen Zeitpunkt gebrochenen Zustand der Bundesbeziehung auf die enge Bindung zwischen Jhwh und Israel.291 Dies kommt im Suffix der zweiten Person „dein“ zum Ausdruck, womit Mose das ursprüngliche Beziehungsverhältnis ansprechend Gottes distanzierende Rede (v12) umkehrte. Mit dem Begriff ‫נחלה‬, „Erbbesitz“, verlieh Mose dem Beziehungsverhältnis einen besonderen Akzent. Das Substantiv ‫ נחלה‬bezieht sich in der Hebräischen Bibel zumeist auf das Land Israel, das Gott Israel zum Erbbesitz gegeben hat. In den Belegen des Wortes, in denen Israel als „Erbbesitz“ Jhwhs bezeichnet wird, wird dieses Konzept auf die Beziehung zwischen Jhwh und Israel übertragen. So wie das Land Israel als besonderer Erbbesitz gegeben wurde, gehört Israel auf besondere Weise zu Jhwh. In Dtn 9,26.29 steht dabei die mit ‫ נחלה‬verbundene Vorstellung eines dauerhaften Gutes, das nicht von einer Sippe auf eine andere übertragen werden kann, im Vordergrund.292 Sich an Jhwh wendende Beter bezeichnen Israel als „Volk und Erbbesitz“ mehrmals gerade dann, wenn Israel am Rande des Untergangs steht (1 Kön 8,51.53; Joel 2,17; Ps 28,9; 94,5.14; Mi 7,14) und somit auch

288 Diese sehr häufig gebrauchte Anrede verknüpft Moses Gebet mit dem Beten Israels insgesamt sowie mit mehreren Gebeten großer Gestalten Israels (siehe z. B. Abraham in Gen 15,2.8; Mose in Dtn 3,24; 9,26; David in 2 Sam 7,18.19.20.22.28.29; Josua in Jos 7,7; Gideon in Ri 6,22; Simson in Ri 16,28; Salomo in 1 Kön 8,53). Sie begegnet überwiegend in den Prophetenbüchern (bes. Ezechiel und Amos) und in den Psalmen, zumeist als Ausweis von Prophetensprüchen oder als Gottesanrede in Gebeten. 289 Vgl. EIßFELDT, „‫“אדון‬, 69. 290 Vgl. AURELIUS, Fürbitter, 48. 291 Vgl. z. B. BRAULIK, Deuteronomium, 81. 292 Siehe LIPIŃSKI, „‫נחל‬/‫“נחלה‬, 357.

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fraglich geworden ist, ob Gott an seinem Volk festhält.293 Ebenso hält Mose Gott im Moment des drohenden Untergangs vor Augen, dass Israel ihm unauflösbar und unveräußerlich zugehört.294 Im Anschluss lässt Mose eine Befreiungs- und Auszugsformel folgen, die vom Beginn und Ursprung dieser Beziehung sprechen. Das Verb ‫ פדה‬bezeichnet die Loslösung aus einer Verpflichtung oder Gebundenheit, was im Kontext des Exodus auf die Befreiung aus der Versklavung abzielt.295 Demgemäß ist im Buch Deuteronomium das Verb bei sechs Vorkommen vier Mal explizit mit dem Motiv der Versklavung in Ägypten verbunden (vgl. Dtn 7,8; 13,6; 15,5; 24,18), aus der Gott Israel befreit hat, sodass Ägypten keinerlei Anspruch auf Israel hat. Mit „in deiner Größe“ (‫ )בגדלך‬wird der Befreiungsakt in Beziehung zur „Größe“ Gottes gesetzt. Solche Bildungen vom Stamm ‫ גדל‬treten häufiger im Zusammenhang des Exodus auf, wobei das Substantiv ‫גדל‬, „Größe“, nicht dazu dient, den Befreiungsakt zu umschreiben, sondern diesen als Ausdruck und Ausweis der „Größe“ Gottes darzustellen. Im Hinweis auf den Exodus als Ausweis der Größe Gottes versteckt sich eine implizite Aufforderung an Gott, weiterhin seine Größe zu zeigen, indem er Israel zum Heil handelt.296 An die Befreiungsformel schließt die Herausführungsformel „die du aus Ägypten herausgeführt hast“ an.297 D. Daube interpretiert die Herausführung aus Ägypten als Überführung aus dem Herrschaftsbereich der Ägypter unter die Herrschaft Jhwhs.298 Befreiungs- und Herausführungsformel beschreiben somit einen Zweischritt, wonach Israel aus dem Herrschaftsanspruch Ägyptens befreit (‫ )פדה‬und in den neuen Herrschaftsbereich Gottes überführt wurde (‫)יצא‬. Dieser zweigliedrige Akt von Loslösung und Herausführung bildet den Ausgangspunkt für die Bezeichnung Israels als „dein Volk und dein Erbteil“. Denn mit Befreiung und Herausführung ist Israel bereits Gottes Volk geworden, 299 was in der Konstituierung am Gottesberg als ‫ קהל‬vollends zur Entfaltung kommen wird.300

293 Die Bezeichnung Israels mit den beiden Wörtern ‫ נחלה‬und ‫ עם‬innerhalb eines Verses ist 17-mal belegt. Zumeist wird der Begriff „Erbbesitz“ parallel zu „Volk“ verwendet (Dtn 32,9; Ps 28,9; 78,62.71; 94,5.14; 106,40; Jes 47,6; Joel 2,17; Mi 7,14). Als jeweils zweites Glied des Parallelismus expliziert ‫ נחלה‬einen Aspekt, der im ersten Glied bereits enthalten ist. Besagt der Begriff „Volk“ + Possessivsuffix, dass Israel Jhwhs Volk ist, so unterstreicht „Erbbesitz“, dass diese Zugehörigkeit unveräußerlich ist. 294 Vgl. Z. B. BRAULIK, Deuteronomium, 81. 295 Vgl. CAZELLES, „‫“פדה‬, 515–516. 296 Auf ähnliche Weise argumentiert Mose mit Gottes Größe in Num 14,17.19, wo er zunächst mit dem Verb ‫ גדל‬Gott auffordert, seine Macht im Verzeihen „groß zu machen“, und in v19 dies als Ausdruck der „Größe seiner Huld“ bewertet. In 2 Sam 7 wiederum bezeichnet David Gottes Heilserweise als Großtaten und wertet sie in vv22.26 als Erweis von Gottes Größe. Jeweils wird ähnlich wie in Dtn 9,26 Gottes Handeln zum Heile Israels als Ausdruck seiner Größe gewertet. 297 Zur Herausführungsformel siehe GROß, „Herausführungsformel“, 430–435. 298 DAUBE, Pattern, 42–46. 299 Vgl. RÖMER, Väter, 257. Dies lässt sich im Buch Deuteronomium auch an Dtn 4,20 ablesen, wo der Exodus unmittelbar mit dem Gedanken verknüpft wird, Gott habe Israel „das Volk seines Erbes“ (‫ )לעם נחלה‬werden lassen (vgl. auch 2 Sam 7,23–24). 300 So STOPPEL, Angesicht, 111–112.231, der auch auf die Präambel des Dekalogs verweist, in dem der Exodus als beziehungsstiftendes Element einer „Beziehung“ erscheint, die durch den Dekalog zu einem geordneten „Verhältnis“ entfaltet werde.

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Während Gott sich in Dtn 9,12 durch die Übertragung der Führungsrolle beim Auszug auf Mose von Israel distanziert hatte, verwies Mose im Rahmen seines Gebets mehrmals (Dtn 9,26.28.29) auf Gott als Herausführer. Das Auszugsmotiv steht hier jeweils für Gottes anfängliches Heilshandeln, das auf die Annahme Israels als Volk (vv26.29) und schließlich auf die Vollendung dieses Geschehens im Land der Verheißung (v28) abzielt. Mose erinnerte Gott daran, dass er mit dem Exodus ein Geschehen in Bewegung gesetzt hat, das er auch vollenden sollte.301 Die an die Herausführungsformel anschließende Mächtigkeitsformel „mit starker Hand“ (‫ )ביד חזקה‬verweist formelhaft auf das machtvolle Handeln Gottes beim Auszug.302 Mehrmals ist diese Mächtigkeitsformel mit der anderen Mächtigkeitsformel „mit hoch erhobenem Arm“ (‫ )ובזרעך הנטויה‬verbunden, was S. Kreuzer von einem festen Paar sprechen lässt, das das „Schilfmeerereignis“ charakterisiert.303 In Moses Gebet begegnet das zweite Element der Paarung erst am Ende des Gebetes in v29. Die beiden Verse vv26.29 sind somit nicht nur lexematisch und inhaltlich ähnlich, sondern vervollständigen sich auch gegenseitig, was die Einklammerung des Gebetes durch vv26.29 umso deutlicher hervorhebt.304 Damit wird das Gebet durch Verweise auf das machtvolles Handeln Gottes umschlossen und Israels Schicksal gleichsam in die machtvollen Hände Gottes gelegt. Die Mächtigkeitsformeln verknüpfen nach H. Stoppel Moses Gebet auch mit der Begründung des Sabbatgebotes. Während sie hier im Rahmen einer Bundesverpflichtung für Israel fallen, erinnert nun Mose seinerseits mittels derselben Formeln an eben jenes Bundesverhältnis, das mit dem Exodus begonnen hat.305 Die anfängliche Bitte in Dtn 9,26 steht im Dialog mit Moses Bitte in eigenem Anliegen in Dtn 3,24–25, wo er Gott mit derselben Anrede „Mein Herr Jhwh“ adressierte und ebenso auf dessen „Größe“ sowie dessen „starke Hand“ verwies, um das Ausbleiben der Strafe zu erwirken, jedoch im Gegensatz zu Dtn 9f. nicht erhört wurde. Diese Bezüge weisen wohl nicht auf eine gegen die Fabel gelesene (von Kadesch-Barnea zum Horeb) Entwicklung Moses zum selbstlosen Beter,306 machen aber deutlich, dass Gott am Horeb aufgrund von Moses Fürbitte die angedrohte Vernichtung zurücknahm, nicht aber die Sanktionen der Rebellion von Kadesch-Barnea. Moses Solidarisierung mit dem Volk in der Ablehnung des göttlichen Angebots in Dtn 9,14, aus ihm allein ein Volk zu machen, hat Mose selbst in die Schicksalsgemeinschaft des Volkes einschließlich der Konsequenzen eintreten lassen, die aus der Verweigerung der Landnahme folgten.307 c) Erinnerung an die Patriarchen und Abwendung von der Sünde In einem zweiten Schritt ruft Mose die drei Patriarchen „Abraham, Isaak und Jakob, deine Knechte“ in Erinnerung. Solche an Gott gerichteten Erinnerungsmahnungen begegnen mehrmals in anderen biblischen Büchern, im Buch Deuteronomium allerdings nur hier. Innerhalb des Abschnitts 9f. entwickelt sich dabei ein Dialog mit Dtn 9,7, wonach Israel sich 301 302 303 304 305 306 307

Vgl. DI VITO, „Golden Calf”, 21. ACKROYD / BERGMAN / VON SODEN, dy „‫“יד‬, 448. KREUZER, „Mächtigkeitsformel“, 191. Vgl. z. B. WEINFELD, Deuteronomy, 415.417. Vgl. STOPPEL, Angesicht, 231. Pace PAGANINI, „Veränderung”, 156. Siehe STOPPEL, Angesicht, 233–235.

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seiner eigenen Verfehlungen erinnern soll, während Gott in Erinnerung der Patriarchen gerade diese Verfehlungen übersehen sollte.308 Mehrere Kommentatoren meinen, dass sich die Erinnerung auf die an die Väter ergangenen Verheißungen beziehe. 309 Dieser Schluss scheint deshalb nahezuliegen, weil Mose in Ex 32,13 die Erinnerungsmahnung mit der Mehrungs- und Landverheißung verbindet und in Dtn 9,5 der Schwur an die drei Patriarchen erwähnt worden war,310 wie auch sonst die Erwähnung der drei Patriarchen oftmals mit der Landverheißung (Gen 50,24; Ex 6,8; 33,1; Num 32,11; Dtn 1,8; 6,10; 9,5; 30,20; 34,4) oder einer anderen Verheißung (Dtn 29,12) in Verbindung steht. Allerdings scheinen in Dtn 9,27 nicht Gottes Verheißungen an die Patriarchen, sondern die Patriarchen selbst im Vordergrund zu stehen.311 Denn in Dtn 9,27 ist im Unterschied zu Ex 32,13 und den meisten Vorkommen der Patriarchentrias auffälliger Weise nicht von einem Schwur oder einer Verheißung die Rede. Im Vergleich mit Ex 2,24; Lev 26,42; 2 Kön 13,23 wird der Unterschied besonders deutlich. Diese teilen jeweils mehrere Motive und Lexeme mit Dtn 9,27. Allerdings wird hier jeweils auf den Bund mit den drei Patriarchen als Grund für Gottes heilvolle Zuwendung oder Verschonung verwiesen. Moses Argument in Dtn 9,27 steht dieser Gedankenlinie nahe, insbesondere jener in 2 Kön 13,23, wenn hier wie dort die Patriarchen als Argument für die Verschonung der am Bund gescheiterten Generationen herangezogen werden. Allerdings verschiebt sich in Dtn 9,27 die Stoßrichtung der Argumentation, da mit keinem Wort der Bund erwähnt wird. Stattdessen werden die Patriarchen als „Knechte“ bezeichnet. Der Blick konzentriert sich damit auf die Patriarchen selbst, die sich als „Knechte“ bewährt und verdient gemacht haben.312 Gemeinhin drückt das Wort ‫עבד‬, „Knecht“, ein Beziehungsverhältnis aus, das den damit Bezeichneten im Dienstverhältnis zu einem höher gestellten ‫אדון‬, „Herrn“, darstellt. Begegnet das Wort nicht als Selbstbezeichnung, sondern bezieht sich auf einen Dritten, so weist dies entweder auf dessen Dienstrolle, oder aber erscheint als eine Art Ehrentitel, der die Bezeichneten als Gott ergebene und treue Knechte ausweist, 313 und ein besonderes Naheverhältnis zu Gott zum Ausdruck bringt.314 Mose ging es dementsprechend in Dtn 9,27 darum, dass die Patriarchen sich als „Knechte“ Gottes erwiesen haben. Gott soll nicht auf das verdorbene Volk blicken, sondern auf die Patriarchen, die gleichsam als „guter Kern“ Israels das sündige Volk aufwiegen sollen.315 308 309 310 311 312

Siehe AURELIUS, Fürbitter, 28. So z. B. TIGAY, Deuteronomy, 103. So OTTO, Deuteronomium, 985. WEINFELD, Deuteronomy, 415, etwa sieht hier einen Verweis auf die Verdienste der Patriarchen. Zwar ist in Gebeten der Verweis auf Knechte sehr oft mit einem Hinweis auf ein an diese Person/en ergangenes Gotteswort verbunden, doch bedeutet dies nicht, dass die Bezeichnung als Knechte in diesen Verheißungen gründet; pace RIESENER, Stamm ‫עבד‬, 186.200. Eher werden sie der göttlichen Verheißungen gewürdigt, weil sie sich als Gottes „Knechte“ erwiesen haben. 313 WESTERMANN, „‫“עבד‬, 192–193. 314 FISCHER, Jeremia 1–25, 314. 315 Nach SOROTZKIN, Dewarim, 126, verweist Mose auf die Verdienste der drei Patriarchen, um die dreifach ausgesprochene Sünde aufzuwiegen. Der Gedanke, dass Sündern aufgrund Anderer oder deren Verdienste Heil oder Verschonung widerfahren soll, begegnet mehrfach in der Hebräischen Bibel. Motivisch sehr nahe stehen jene Aussagen, wo Gott aufgrund seiner Erinnerung eines oder mehrerer Personen (vgl. Gen 19,29; 2 Kön 8,19; Ps 105,42) oder des Bundes mit ihm/ihnen (Ex 2,24; 32,13; Lev 26,42.45; 2 Kön 13,23) Verschonung oder Heil schenkt. Eine ähnliche Argumen-

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Besonders die Gegenüberstellung der Patriarchen zur dreifach ausgedrückten Sünde macht deutlich, dass Mose mit den Patriarchen ein „Gegenbild“ zum sündhaften Volk aufrief.316 Während das Volk sich durch die Sünde mit dem Kalb als „Volk harten Nackens“ erwiesen hatte, waren die Patriarchen nicht nur aus dieser Sünde ausgenommen, sondern hatten sich ganz im Gegensatz zum Volk bereitwillig auf Gottes Anruf eingelassen. Legt Mose in Dtn 9,26.29 sowie auch in v28 mit dem Exodus als verheißungsvolles Ursprungsmoment der Beziehung zwischen Gott und Volk den Akzent auf Gottes Agieren, so bringt er in v27 mit dem Motiv der Patriarchen als „Knechte“ eine entsprechende Antwort und Mitwirkung auf Seiten des Volkes in seine Argumentation ein.317 Im zweiten Teil des Verses versuchte Mose mit ‫אל־תפן‬, „wende dich nicht zu“, Gottes Blick von der Sünde abzuwenden. Mose benennt diese auf dreifache Weise und bringt damit in aller Schärfe Israels Schuld ins Wort. Er spricht – wie I. Schulmeister herausgestrichen hat – ein stellvertretendes Schuldeingeständnis für das Volk.318 Diese Anerkenntnis der eigenen Schuld soll Gott gemeinsam mit dem Blick auf die drei „Knechte“ dazu bewegen, seinerseits den Blick von Israels Schuld abzuwenden. Die erste Benennung der Schuld als ‫קׁשי‬, „Härte“, verweist in besonderer Weise auf Gottes Deklarierung als „Volk harten Nackens“ in 9,13 zurück. Die zweite ‫רׁשעו‬, „seine Verderbtheit“, stellt eine Beziehung zu Dtn 9,4–5 her, wo die Verderbtheit der Völker als Grund für deren Vertreibung konstatiert wird. Wenn die Völker aufgrund ihrer bösen Taten vertrieben und vernichtet werden sollen, so lässt die Anwendung eines Wortes vom selben Stamm erahnen, dass auch Israel Vernichtung verdient hätte. Die dritte Bezeichnung ‫חטאתו‬, „seine Sünde“, weist schließlich zurück auf das Sündenobjekt, das Kalb, das Mose in 9,18.21 als „Sünde“ benannt hatte. d) Das Völkerurteil Als drittes Argument für die Verschonung führte Mose ein mögliches „Völkerurteil“ ins Feld. In der Hebräischen Bibel kommt in solchen Völkerurteilen die mögliche, zumeist spöttische Reaktion Außenstehender auf Israels Schicksal zu Wort. In einigen Fällen überträgt sich dabei der Spott über Israel wie in Dtn 9,28 auf Gott, was mehrmals als Argument für Gottes Eingreifen oder Verschonung benutzt wird (vgl. Ex 32,12; Num 14,16; Ps 115,2; Joel 2,17). Gott soll Israel verschonen, damit sich die Völker kein falsches Urteil über Gottes Motive und Handlungen bilden. Mose versuchte Gott gleichsam bei seiner eigenen Ehre zu packen,319 weil sein eigener „Name“ auf dem Spiel stand. Dabei griff Mose Vorhaltungen auf, die das Volk während der Wüstenzeit gemacht hatte. Mose hielt Gott nicht nur die mögliche Verunglimpfung von Gottes Handeln und Motiven durch Außenstehende vor Augen, sondern gab darüber hinaus zu verstehen, dass sich Israels

316 317 318 319

tationsfigur findet sich auch mehrmals in Verbindung mit dem Knechtsmotiv (‫)עבד‬. So erhält Isaak Gottes Segen aufgrund des „Knechtes“ Abraham (Gen 26,24). Gott überlässt Salomos Sohn Rehabeam einen Stamm aufgrund des „Knechtes“ David (1 Kön 11,13.32.34.36), und er lässt Jerusalem nicht zerstört werden aufgrund seines „Knechtes“ David (2 Kön 19,34; 20,6; Jes 37,35). Ein ähnlicher Sachverhalt findet sich in der Diskussion Abrahams um die Verschonung Sodoms aufgrund einiger Gerechter (‫ )צדיקם‬in Gen 18 sowie beim „gerechten Gottesknecht“ (‫ )צדיק עבדי‬in Jes 53,11. Vgl. HAYES, „Golden Calf”, 77. Vgl. SCHULMEISTER, Befreiung, 228–229. SCHULMEISTER, Befreiung, 220. Vgl. z. B. DAUBE, „Culture”, 51.

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Vorhaltungen der Wüstenzeit letztlich als begründet erweisen würden. Die Außenstehenden würden gleichsam einen Schiedsspruch sprechen, der Gottes Handeln und Motive in einem äußerst fragwürdigen Licht erscheinen ließe, Israels Befürchtungen und Vorhaltungen im Nachhinein aber bestätigen würde. Das erste Element des Völkerurteils spricht von Gottes Machtlosigkeit, das Volk in das zugesagte Land zu bringen. Dieses Motiv ist sehr selten, 320 begegnet jedoch beinahe wortgleich in Moses Gebet nach der Kundschafterepisode in Num 14,16, in dem die Worte der Kundschafter aus Num 13,31 nachhallen „Wir können nicht (‫ )לא נוכל‬gegen dieses Volk hinaufziehen“. Die von Israel selbst ausgesprochene Befürchtung legt Mose in Num 14,16; Dtn 9,28 in den Mund anderer Völker, überträgt das „Unvermögen“ jedoch nun von Israel auf Gott. Würde Israel vernichtet werden, dann würde sich nicht nur Israels Befürchtung bestätigen, sondern Gott selbst des Unvermögens bezichtigt werden. Das zweite Element des Völkerurteils beinhaltet eine noch schwerere Anschuldigung, da hier Gottes Handeln als Ausdruck des Hasses (‫ )ומׂשנאתו‬und der Vernichtungsabsicht (‫ )להמתם‬interpretiert wird. Nur in Dtn 1,27; 9,28 findet sich eine Bildung vom Stamm ‫ׂשנא‬, „Hass/hassen“, mit Gott als Subjekt und Israel als Objekt. Dieses singulär geteilte Element deutet auf eine intensive Verknüpfung beider Stellen,321 was noch durch die nahen Motive der Vernichtungs- und Tötungsabsicht (Dtn 1,27: ‫ להׁשמידנו‬/ Dtn 9,28: ‫ )להמתם‬verstärkt wird. Damit verweist v28 ein weiteres Mal zurück auf die Kundschafterepisode. Hatte das Volk dort Gottes Befehl zur Landnahme als Ausdruck seines Hasses und der hinterlistigen Mordabsicht gedeutet, so lässt Mose dasselbe Argument nun im Mund Außenstehender erklingen. Wieder treten diese als Zeugen auf, die Israels Befürchtungen im Falle der Vernichtung bestätigen würden. Mit dem Motiv der Tötungsabsicht „um sie in der Wüste zu töten“ setzt Dtn 9,28 das Zitat von Dtn 1,27 paraphrasierend fort. Indem Mose jedoch in Dtn 9,28 mit ‫להמתם‬, „um sie zu töten“, anders als in Dtn 1,27 (‫להׁשמידנו‬, „um uns zu vernichten“) formuliert, verknüpft sich die Aussage über Dtn 1,27 hinaus mit dem Motiv von Israels Befürchtung, in der Wüste „sterben“ (‫ )מות‬zu müssen.322 Mose bündelte Motive aus Israels Vorhaltungen und Zweifel der Wüstenzeit und legte sie in den Mund Außenstehender. Hätte Gott Israel vernichtet, hätten sich diese Vorhaltungen im Nachhinein als begründet erwiesen.

320 Siehe 2 Kön 19,10–13; 2 Chr 32,13–14.17–23; Jes 36,14–20; Jer 14,9; Ps 78,19–20. 321 Vgl. FINSTERBUSCH, Weisung, 207, die zudem auf dessen Korrektur in Dtn 7,8 hinweist: „weil Jhwh euch liebte, hat er Israel aus Ägypten geführt“. 322 Die Formulierung der Vernichtungsabsicht mit „um sie in der Wüste zu töten (sterben zu lassen)“ (‫ )להמתם במדבר‬greift das Motiv vom „Sterben“ (‫ )מות‬Israels in der Wüste auf, das in den Wüstenerzählungen der Bücher Exodus (Ex 14,11–12; 16,3; 17,3; 32,12) und Numeri (Num 14,2.15.35; 16,13; 20,4; 21,5; 26,65) mehrmals begegnet. Zunächst erscheint es in Vorhaltungen des Volkes, Mose und Aaron hätten das Volk aus Ägypten geführt, um es in der Wüste sterben zu lassen (Ex 14,11–12; 16,3; 17,3; Num 16,13; 20,4; 21,5). In Moses Gebeten (Ex 32,12; Num 14,15; Dtn 9,28) leitet Mose den Vorwurf an Gott weiter. So wie das Volk ihm unterstellte, er habe sie nur in die Wüste geführt, um sie sterben zu lassen, so würde die Vernichtung Israels zur Folge haben, dass man eben dies Gott unterstellen könnte.

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e) Die unauflösliche Beziehung Mose beschloss nach eigenem Bericht sein Gebet mit dem appellierenden Hinweis, dass Israel Gottes „Volk und Erbteil“ sei, das er herausgeführt habe. Wie oben dargestellt, verwies er damit auf die unauflösliche Beziehung zwischen Gott und seinem Volk. Das zweimalige Auftreten in vv26.29 weist als bewusste Betonung darauf hin, dass es das Hauptargument des Gebets darstellt. Unter allen Argumenten ist dies das am stärksten betonte, da es auf die Herzmitte der Beziehung zwischen Gott und seinem Volk abzielt. Letztlich sollte Gott Israel vor allem aus dem einen Grund nicht vernichten, dass es sein unveräußerliches Volk ist, das er selbst dazu erwählt und aus Ägypten herausgeführt hat.323 Mose appelliert dabei an Gottes Verantwortung für sein Volk.324 Das Wort „Erbbesitz“ unterstreicht, dass diese Beziehung und die damit verbundenen Verheißungen nicht einfach auflösbar sind. Es geht wohl zu weit, wenn man dies als „Recht auf Gnade“ interpretiert,325 aber es trifft Moses Botschaft insofern, als er auf Gottes Zuwendungen in der Vergangenheit verweist, die in sich das Versprechen auf Zukunft tragen. Dies wiederum deutet auf Gottes Verantwortung für sein Volk trotz des Bundesbruchs. Wie schon in Dtn 9,26 folgt auf die Herausführungsformel eine zweigeteilte Mächtigkeitsformel, deren Elemente mit jenen von v26 korrespondieren. 326 Mit „großer Kraft“ (‫ )בכחך הגדל‬greift den Stamm ‫ גדל‬auf, während die Formel „mit hocherhobenem Arm“ (‫ )בזרעך הנטויה‬die Formel „mit starker Hand“ aus v26 vervollständigt. So erweitert Mose in v29 die Mächtigkeitsformeln aus v26 und steigert sie. 327 Das Motiv von Gottes „großer Kraft“ bezieht sich in der Hebräischen Bibel auf unterschiedliche Machttaten Gottes, vorwiegend aber wie in Dtn 9,29 auf die Herausführung aus Ägypten.328 Im Buch Deuteronomium begegnet es nur mehr in Dtn 4,37, wo die mit großer Kraft vollzogene Herausführung mit dem Erwählungsgedanken eines jeden Einzelnen (v37) sowie mit der noch ausstehenden Landnahme (v38) verknüpft wird. Wird der Exodus so explizit als Krafterweis Gottes benannt, so wird die Landnahme als dessen Fortführung und Vollendung dargestellt. Die Belege von Gottes „Kraft“ (‫ )כח‬in Ex 9,16; Num 14,17 sprechen davon, dass Gott seine Kraft in der Verschonung zeigt. In Dtn 9,26.29 klingt dies ebenso an, wenn Mose seine Bitte um Verschonung mit Appellen an Gottes Größe und Kraft verbindet. Mose hält Gott vor Augen, dass er seine Größe und Kraft im Heilshandeln und nicht in der Vernichtung gezeigt hat und weiter zeigen soll. Auch das Motiv des „hoch erhobenen Armes“ bezieht sich vorwiegend wie in Dtn 9,29 auf den Exodus, kann sich aber auch auf andere Machttaten beziehen.329 So umschreibt Mose in Dtn 11,2–5 alle Ereignisse vom Exodus bis zur Ankunft in Moab als Machttaten des „hoch .

323 Siehe GREENBERG, „Prayer“, 33; DI VITO, „Golden Calf”, 3.23. 324 SCHULMEISTER, Befreiung, 219, spricht von der „Treueverpflichtung“, die aus dem eingegangenen Beziehungsverhältnis gewachsen ist. 325 So BRAULIK, Deuteronomium, 81. 326 Vgl. WEINFELD, Deuteronomy, 417. 327 KREUZER, „Mächtigkeitsformel“, 201, weist darauf hin, dass sowohl ‫ ביד חזקה‬als auch ‫בכחך הגדל‬ Gottes Macht zum Ausdruck bringen und sieht „mit großer Macht“ als synonyme „Überhöhung“ von „mit starker Hand“. 328 Vgl. Ex 32,11; Dtn 4,37; 9,29; 2 Kön 17,36; Neh 1,10; Nah 1,3. 329 So Gottes Befreiungsakt aus Ägypten (Ex 6,6), alle Taten von Ägypten bis hierher (Dtn 11,2), seinen Schöpfungsakt (Jer 27,5; 32,17) und die Heimführung der Exilierten (Ez 20,34).

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erhobenen Armes“ Gottes. Gottes „erhobener Arm“ hat sich nicht nur beim Exodus gezeigt, sondern auch andernorts. Er sollte sich ebenso am Horeb und bei der bevorstehenden Landnahme zeigen. 5.3.2 Textinterne und textexterne Kommunikationsebene In seinem Gebet bündelt Mose heilsgeschichtliche und bundestheologische Argumente, die Gott am Horeb zur Verschonung Israels bewogen haben. Sein Gebet hat in der Welt des Textes seinen Ort in den Ereignissen am Horeb. Demnach erzählt Mose, welcher Argumente er sich damals am Horeb bedient hatte, um Gottes Zorn abzuwenden. Die rhetorische Situierung innerhalb der Moabrede bringt es jedoch mit sich, dass Mose nicht einfach den Wortlaut eines früheren Gebetes wiedergibt, sondern sich auch auf Ereignisse nach dem Horeb beziehen kann. So greift Mose in v28 Motive auf, die verstärkt mit Israels Wüstenrebellionen und insbesondere mit jener in Kadesch-Barnea im Zusammenhang stehen. Dadurch übersteigt das Gebet den Rahmen der Horebrebellion. Indem Mose über das Machtlosigkeitsmotiv eine Verknüpfung zu Dtn 7,17 herstellt, erlangt das Gebet Relevanz auch für die unmittelbare Situation der Moabgeneration, die vor dem Übergang über den Jordan steht. Würde Israel an der Landnahme scheitern und von den Völkern bezwungen werden, könnten die Völker dasselbe Urteil wie in Dtn 9,28 fällen. Auf textexterner Kommunikationsebene wird deutlich, dass Moses Gebet die Situation der textexternen Adressaten im Blick hat. Dafür gibt es zwei formale Anhaltspunkte. In der Einleitungsformulierung „damit sie nicht sagen“ des Völkerurteils (9,28) wird das sprechende Volk namenlos belassen. Dies lässt sich als bewusste Offenheit deuten, die es den Adressaten des Deuteronomiums ermöglichen sollte, die Formulierung „über den textinternen Kontext hinaus auf ihren eigenen Kontext, d. h. die Völkerwelt des 5. Jhdt. zu beziehen“. Ebenso fehlt in v29 „das du herausgeführt hast“ ein „terminus a quo (also die übliche Nennung [Land] ‚Ägypten’)“. Auch dies lässt sich als bewusste Offenheit deuten, um Moses Gebet auf andere Situationen übertragbar zu machen.330 Demnach ist das Gebet formal so gestaltet, dass die textexternen Adressaten Moses Argumente auf sich selbst beziehen konnten. Des Weiteren finden sich mehrere intertextuelle Verknüpfungen zu Texten, die das Exil, die Heimführung aus dem Exil oder Erneuerung nach dem Exil thematisieren. Das Hauptargument der unauflöslichen Beziehung wird in Salomos siebter Fürbitte in 1 Kön 8,51.53 aufgegriffen, die sich auf das aus textinterner Perspektive zukünftige Exil bezieht. Salomo bedient sich eben jenes Argumentes, das Mose Gott am Horeb vorgelegt hatte, um Gottes Erbarmen für die Exilierten zu erwirken. Ähnliches begegnet in Neh 1,10, wo Nehemia angesichts des darniederliegenden Jerusalem eben jenes Argument bittend ins Feld führt. Wie auch immer die Abhängigkeitsrichtung dieser Texte zu bestimmen ist, machen diese Verknüpfungen deutlich, dass Moses Gebet am Horeb als paradigmatisches Gebet präsentiert wird, aus dem andere Beter in vergleichbaren Situationen schöpften. Die innere Beziehung zur Krisen- und Rettungserfahrung während und nach dem Exil wird durch auffällige Verknüpfungen zu weiteren Texten verstärkt. So schlägt nach E. Otto die Bitte Moses, Israel nicht zu „vernichten“ (‫)ׁשחת‬, eine Brücke zu Dtn 4,31, wo Gottes Verschonung (‫ולא יׁשחיתך‬, „er wird dich nicht vernichten“) mit seiner Barmherzigkeit 330 SCHULMEISTER, Befreiung, 223.225–226.

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Erneuerung am Horeb (Dtn 10,1–11)

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begründet wird (‫כי אל רחום יהוה אלהיך‬, „Denn ein barmherziger Gott ist Jhwh, dein Gott“). Damit wird nicht nur die Barmherzigkeit Gottes als eigentlicher Grund für die Verschonung Israels erkenntlich gemacht,331 sondern auch der Bezug zur existenzgefährdenden Situation des Exils deutlich, die in Dtn 4,25–31 geschildert wird. In diesem Zusammenhang fällt ins Auge, dass alle drei Belege des Verbes ‫ ׁשחת‬im Buch Deuteronomium mit Gott als Subjekt (Dtn 4,31; 9,26; 10,11) mit einer Negation verbunden sind. Darin spiegelt sich die Erfahrung der Autoren und ihrer Adressaten wider. Sie hatten mit der Zerstörung Jerusalems und der Exilierung Gottes Zorn erlebt, wurden allerdings nicht vernichtet. Dtn 9,27 weist eine große Nähe zu Lev 26,42 auf, da hier ebenso ein Schuldbekenntnis und eine Erinnerung an die Patriarchen kombiniert werden. Inmitten des Exils werden die Israeliten ihre Schuld bekennen (Lev 26,40; vgl. Dtn 9,27b), aufgrund derer Gott sie ins Exil geführt hatte (Lev 26,41). Dann aber wird sich Gott seines Bundes mit den drei Patriarchen erinnern (Lev 26,42; vgl. Dtn 9,27a). Dtn 9,29 wiederum weist über das Motiv des Auszugs und dem „erhobenen Arm“ Parallelen zu Ez 20,34 auf, wo Gott über den Propheten verkünden lässt, dass er die Exilierten mit „erhobenem Arm“ aus den Völkern und Ländern herausführen werde. All dies legt nahe, dass in der Fürbitte Moses in Dtn 9,26–29 Israels Erfahrung drohender Vernichtung während des Exils verarbeitet wurde und darin jene Argumente angeführt wurden, aufgrund derer nach Meinung der Autoren das Volk überlebt hatte. Die These von N. Lohfink von Dtn 9,26–29 als „das Gebet Moses“ kann demnach auf textexterner Ebene dahingehend ausgeweitet werden,332 dass es nicht nur eine konzentrierte Bündelung von Moses Fürbitten, sondern eine Art gebündeltes argumentatives Zentrum des Gebetes für Israel im Angesicht von vernichtender Bedrohung insgesamt darstellt, bei der die Erfahrung des Überlebens im Exil im Hintergrund stand. Die textexternen Adressaten von Dtn 9,26–29 konnten Moses Argumente auf sich selbst und ihre Geschichte beziehen. Aufgrund der in diesem Gebet angeführten Argumente hatte Gott sie verschont, wie er schon die Horebgeneration am Horeb verschont hatte.

5.4 Erneuerung am Horeb (Dtn 10,1–11) Nach der Horebrebellion (9,9–17), der Abwendung der Vernichtung durch Moses Gebet (9,18–20), der Zerstörung des Kalbes (9,21) und einem tieferen Blick in die Gründe für Gottes Vergebung (9,25–29) setzt Mose seine Erzählung der Horebereignisse fort, die nun in eine Erneuerungserzählung umschlägt. Sie beginnt mit der Erneuerung der Tafeln und der Herstellung einer Lade (10,1–5), setzt sich über die Erzählstimme mit der Sukzession des Priesteramtes und der Beauftragung der Leviten (10,6–9) fort und endet schließlich mit dem Aufbruchsbefehl an Mose in Richtung Land (10,11). Gottes Aufträge zur Erneuerung der Tafeln, dem Herstellen der Lade und des Aufbruchs in Richtung Land sind Ausdruck von Gottes Willen, die Beziehung zu seinem Volk zu 331 OTTO, Deuteronomium, 984. 332 LOHFINK, „Deuteronomium 9,1–10,11”, 153–154; vgl. auch SCHULMEISTER, Befreiung, 222, derzufolge das Gebet eine „Fundierungsfunktion für jede Zuwendung Gottes“ nach den Sünden der Wüstenzeit, und letztlich aller Geschehnisse bis ins Exil habe.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

erneuern, diese Beziehung auf Dauer zu sichern und seine Verheißung des Landes zu realisieren. Zwar hebt sich 10,6–9 als Einschub der Erzählstimme von seinem Kontext ab, was in vv6–7 auch mit einer örtlichen und zeitlichen Bewegung weg vom Horebgeschehen verbunden ist, doch sind die Themen der Sukzession von Aarons Priesteramt und der Aussonderung des Stammes Levi zu seinen Diensten als vermittelnde Dienste an der geretteten Beziehung zwischen Gott und Volk grundlegend mit der Erneuerung am Horeb verknüpft und so Zeichen für die Ausdehnung des Erneuerungsgeschehens hinein in Israels Zukunft, die die Gegenwart der textexternen Adressaten des Buches mit einschließt. Der Abschnitt lässt sich in die drei Einheiten 10,1–5, 10,6–9 und 10,10–11 unterteilen: A. 10,1–5: Erneuerung der Tafeln + Lade B. 10,6–9: Der Klerus Israels als Garant der erneuerten Gottesbeziehung C. 10,10–11: Aufbruchsbefehl und Zusage der Landnahme Jede der drei Einheiten beleuchtet unterschiedliche Aspekte der Erneuerung. Die Erneuerung der Tafeln (10,1–5) stellt symbolisch die grundlegende Erneuerung der Bundesbeziehung von Gottes Seite aus dar. Der Abschnitt 10,6–7 zeichnet den Klerus Israels als Garanten für die Ausdehnung dieser erneuerten Gottesbeziehung in die Zukunft Israels bis in die Gegenwart der Adressaten des Buches. Die abschließende Zusage der Landnahme lässt auf die Erfüllung der göttlichen Landverheißung als Konsequenz der erneuerten Gottesbeziehung ausblicken. 5.4.1 Die Erneuerung der Tafeln und die Lade (Dtn 10,1–5) Der Abschnitt 10,1–5 entwickelt sich in der Dynamik von göttlichem Auftrag und dessen Ausführung.333 Er beginnt mit dem göttlichen Auftrag, neue Tafeln zu hauen, eine Lade zu machen und auf den Berg zu steigen (v1) sowie der anschließenden Ankündigung Gottes, die Tafeln zu beschriften, dem der letzte Auftrag folgt, diese beschrifteten Tafeln in die Lade zu legen (v2). In vv3–5 wird die schrittweise Erfüllung sowohl der Aufträge als auch der göttlichen Ankündigung erzählt. Mose macht die Lade, haut die Tafeln und steigt mit ihnen auf den Berg (v3). Gott beschriftet sie (v4), Mose steigt hinab und legt die beschrifteten Tafeln in die Lade (v5). 1. Auftrag und Ankündigung (vv1–2) Auftrag 1–3 – Ankündigung – Auftrag 4 2. Ausführung (vv3–5) a. Ausführung von Auftrag 1–3 (v3) b. Ausführung der Ankündigung (v4) c. Abstieg und Ausführung von Auftrag 4 (v5)

333 Vgl. z. B. PAGANINI, Deuteronomio, 220.

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Erneuerung am Horeb (Dtn 10,1–11)

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a) Auftrag zur Herstellung der neuen Tafeln und der Lade Mit „In jener Zeit“ (‫ )בעת ההוא‬setzt die Erzählung von neuem ein. Nach der Konzentration auf Moses Worte, wird der Blick nun wieder auf die Horebereignisse gelenkt, 334 die durch die Ferndeixis dezidiert im Zeitraum der Horebereignisse situiert werden.335 War mit der Erhörungsnotiz in 9,19 deutlich geworden, dass Gott Israel verschont, so zeugen die göttlichen Aufträge und die Ankündigung davon, dass Gott nun die Beziehungen zu seinem Volk wieder aufnehmen möchte. Dafür spricht die mehrmalige Betonung, dass die neuen Tafeln den ersten glichen.336 Mose sollte zwei Tafeln hauen, die so wie die ersten (‫)כראׁשנים‬ sein sollten und Gott kündigte an (v2), er würde auf sie dieselben Worte wie auf die ersten schreiben (‫)את־הדברים אׁשר היו על־הלחת הראׁשנים‬. Auch die Benennung der Tafeln als „steinerne Tafeln“ entspricht den ersten Tafeln (vgl. Dtn 4,13; 5,22; 9,9.10.11). War mit dem Zerschmettern der Tafeln das Bundesdokument für ungültig erklärt worden, so sollte ein neues Bundesdokument erstellt werden, das zur Gänze dem ersten entspricht. Hatte das Zerschmettern der Tafeln zu verstehen gegeben, dass die Beziehung von Gott und Volk in die Brüche gegangen war, so stellt deren Erneuerung die Wiederherstellung dieser Beziehung von Seiten Jhwhs dar. So deutet die Erneuerung des Dokumentes auf dessen „ungebrochenen Heilswillen“,337 der die Beziehung zu seinem Volk wieder in der vollen gegenseitigen Treueverpflichtung aufnehmen will. Jedoch finden sich auch zwei Unterschiede im Vergleich zu den ersten Tafeln. Erstens soll Mose die Tafeln nun selbst anfertigen, während ihm die ersten von Gott übergeben worden waren. Manche Kommentatoren sehen darin ein Zeichen, dass Gott nicht vollständig vergeben hätte.338 Allerdings könnte dies auch ein Bild für die menschliche Mitwirkung an diesem Restaurationsgeschehen sein, die einen Kontrapunkt zur Sünde mit dem Kalb setzt. Denn das Verb für „Hauen“ (‫ )פסל‬ist auch die Wurzel des für die Kultbilder gebrauchten Substantivs des Bilderverbots (Dtn 5,8; vgl. 4,16.23.25; 27,15). Während Israel dieses Gebot übertreten hatte, indem es ein apostatisches Kultbild herstellte, soll Mose nun im Kontrast dazu einen legitimen Kultgegenstand herstellen (‫)פסל‬, was als eine Art stellvertretende „Wiedergutmachung“ betrachtet werden kann. Zweitens soll Mose nun eine Lade aus Holz machen ( ‫)ועׂשית לך ארון עץ‬. Auch dieser Gegenstand kontrastiert das Kalb. Wie dieses wird sie zwar „gemacht“, jedoch ist sie im Gegensatz zum Kalb wie die Tafeln von Gott in Auftrag gegeben. Der Auftrag zur Herstellung der Lade deutet auf eine Veränderung in der Beziehung zwischen Jhwh und Israel im Vergleich zur Zeit vor der Sünde mit dem Kalb,339 da Gott Mose im Buch Deuteronomium vor den Ereignissen rund um das Kalb keinen Auftrag zur Herstellung der Lade gegeben hatte. Nach der Sünde mit dem Kalb und dem Zerschmettern der Tafeln ist nicht alles beim Alten geblieben. Ausdruck dafür ist die Lade. 334 Nach OTTO, Deuteronomium, 987, gibt die Ferndeixis zu verstehen, dass nun im Unterschied zum Gebet, das sich verstärkt an die textexternen Adressaten des Buches Deuteronomium gerichtet hatte, wieder die erzählten Ereignisse am Horeb im Blickpunkt stehen. 335 Vgl. PECKHAM, „Composition“, 49. 336 Vgl. STOPPEL, Angesicht, 238. 337 OTTO, Deuteronomium, 953.987. 338 SFORNO, Torah, zu 10,1 (Hg. PELCOVITZ, 882). 339 SONNET, Book, 64, spricht von einem „merciful turn“, der eine weitreichende Bedeutung für die weitere Geschichte des Volkes hat.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

Die „Lade“ (‫ )ארון‬hat die Funktion eines Behälters und Aufbewahrungsortes für die Tafeln.340 Als solcher fungiert die Lade in ganz praktischem Sinn als Schutzraum. Jedoch erschöpft sich die Bedeutung des Lademotivs in Dtn 10 nicht in dieser praktischen Schutzfunktion.341 Sie hat innerhalb von Moses Erzählung kraft ihrer Verbindung zu den Tafeln und den Umständen ihrer Entstehung auch eine symbolische Bedeutung des Schutzes inne.342 Waren die ersten Bundestafeln zerbrochen worden, wie Jhwh mit „die du zerbrochen hast“ betont, so sollen die zweiten nicht dieses Schicksal erleiden, sondern Schutz durch die Lade erfahren. Wenn aber die neuen Tafeln die wiederhergestellte Beziehung zwischen Gott und Israel symbolisieren, so erscheint die Lade nun symbolisch als Schutzraum eben dieser Beziehung.343 Während die Lade im Buch Exodus von Anfang an zum Repertoire von Israels Zukunft gehört, erscheint sie im Buch Deuteronomium als Reaktion auf die Zerstörung der ersten Tafeln. Die Lade in Dtn 9f. ähnelt dabei dem Zeltheiligtum im Buch Exodus dahingehend, dass auch dieses nach Katastrophe und Vergebung Ausdruck der erneuerten und auf Zukunft ausgelegten Gottesbeziehung ist. Kommentatoren haben in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass sich die Erzählung über das Heiligtum in ihren Eckpunkten mit der Erzählung über die Arche des Noah berührt. Wie die Arche so erscheine auch das Heiligtum als „Symbol der göttlichen Rettung“.344 Die Übersetzer der LXX könnten wiederum eine Parallelität zwischen der Lade und der Arche im Sinn gehabt haben, wenn sie dasselbe griechische Wort κιβωτὸς für „Lade“ und „Arche“ benutzten. Als rettender Schutzraum der Gottesbeziehung wird die Lade in der weiteren Dynamik des Buches Deuteronomium selbst zum Symbol der Bundesbeziehung. So werden die Tafeln in Dtn 10,1–5 im Gegensatz zu 9,9.11.15 nicht mehr als „Tafeln des Bundes“ bezeichnet, während im Gegenzug die Lade nach Übertragung der Tafeln in die Lade im Buch Deuteronomium fortan „Bundeslade des Herrn“ genannt wird (10,8; 31,9.25.26). In dieser Übertragung des Begriffs „Bund“ von den Tafeln auf die Lade lässt sich auch eine Übertragung der Symbolfunktion von den Tafeln auf die Lade beobachten, die nunmehr das Bundesverhältnis auf neue Weise darstellt. Als beweglicher Gegenstand deutet die Lade zudem auf Israels Weg ins Verheißungsland, was besonders durch das Motiv der Ladeträger

340 Vgl. WEINFELD, Deuteronomy, 417, der die Funktion der Lade als Behälter in diesem Zusammenhang herausstreicht. Die schlichte Bezeichnung ist in der Hebräischen Bibel auch die häufigste (57/197). Sie begegnet gehäuft im Zusammenhang des Heiligtums/Tempels in der Funktion als Behälter für die Tafeln (vgl. Ex 25,10.14.15.16.21; 40,20.21; 1 Kön 8,9.21; 2 Chr 5,10; 6,11) oder auch als Gegenstand des Heiligtums/Tempels ohne die Nennung der Urkunde oder der Tafeln (vgl. Ex 35,12; 37,1.5; 40,3; 1 Kön 8,3.5.7; 1 Chr 6,16; 2 Chr 5,6.8.9). 341 Seit VON RAD, Deuteronomium-Studien, 40, herrscht die Tendenz vor, die Lade im Buch Deuteronomium im Vergleich zu den anderen Vorkommen der Lade als „entmythologisierten“ praktischen Gegenstand zu deuten; vgl. z. B. WEINFELD, School, 208–209; siehe auch wieder LUNDBOM, Deuteronomy, 382–383. 342 SONNET, Book, 63–64, zufolge sichert die Lade die Unveränderbarkeit der göttlichen Offenbarung; OTTO, Deuteronomium, 989, deutet die Schutzfunktion der Lade in Dtn 10 in einem rechtshermeneutischen Horizont, wonach die Lade die Tafeln und damit die göttliche Verschriftung des Dekalogs vor jedem Zugriff schützen soll. 343 Vgl. PECKHAM, „Composition“, 49.51. 344 FISCHER / MARKL, Exodus, 323–324.

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Erneuerung am Horeb (Dtn 10,1–11)

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in 10,8 akzentuiert wird.345 Dabei entwickelt sich eine bedeutsame Verknüpfung zum Motiv der Jordanüberquerung in 9,1–3. War Israel dazu ermutigt worden, den Jordan zu überqueren, so wird im Geschichtsrückblick der Ursprung jenes Gegenstands erzählt, der laut Jos 3–4 die Jordanwasser zum Stehen bringen wird.346 b) Ausführung In v3 schildert Mose die Ausführung beinahe wortgleich zu jener der göttlichen Aufträge, jedoch in veränderter Reihenfolge und mit einigen zusätzlichen Informationen. So führte er den dritten Auftrag, die Lade aus Holz herzustellen, zuerst aus. Dies folgte einer praktischen Notwendigkeit, da die Lade noch vor dem Aufstieg hergestellt sein musste (v3), wenn sie Mose nach deren Empfang darin platzieren sollte (v5).347 Dadurch steht das Lademotiv zu Beginn und am Ende der Ausführungsbeschreibung in vv3–5 und rahmt so die Erzählung von der Wiederherstellung der Tafeln, was sich als erzähltechnischer Ausdruck der Schutzsymbolik der Lade interpretieren lässt. Bei der Beschreibung der Anfertigung nennt Mose nun auch mit „Akazienholz“ (‫ )עצי ׁשטים‬das Material aus der er die Lade anfertigte. Damit gleicht sie den vielen heiligen Gegenständen des Zeltheiligtums im Buch Exodus. Es wird verdeutlicht, dass es sich bei der Lade nicht nur um einen Gebrauchsgegenstand handelte, sondern um jenen sakralen Gegenstand des Zeltheiligtums. Auf die Anfertigung der Lade folgt die Ausführungsbeschreibung des Auftrags, Tafeln herzustellen. Abermals betont Mose, dass sie wie die ersten (‫ )כראׁשנים‬gewesen seien. Schließlich berichtet er von seinem Aufstieg auf den Berg mit der zusätzlichen Information, die beiden Tafeln seien in seiner Hand gewesen (‫)וׁשני הלחת בידי‬. Die Formulierung erinnert an Moses Abstieg in Dtn 9,15, bei dem die beiden Tafeln „auf seinen beiden Armen“ gewesen waren. Nun aber trägt Mose die neu gehauenen Tafeln in einer Hand und nicht wie bei seinem Abstieg „auf beiden Armen“. Hatte Mose im Angesicht von Israels Sünde und Gottes Vernichtungsandrohung schwer zu tragen gehabt, so erfüllte die Aussicht auf die neuerliche Beschriftung Mose nun mit Leichtigkeit.348 In v4 folgt die Ausführungsnotiz der in v2 ergangenen Ankündigung, Gott werde auf die Tafeln die Worte schreiben, die auf den ersten Tafeln waren. Die Ausführungsnotiz steigert die Ankündigung dahingehend, dass nicht nur von denselben Worten, sondern sogar derselben Schrift die Rede ist „er schrieb auf die Tafeln gemäß der ersten Schrift“ ( ‫כמכתב‬ ‫)הראׁשון‬. War in Dtn 4,13 ausdrücklich gesagt worden, dass „die zehn Worte“ auf den ersten Tafeln geschrieben standen, so wird nun auch in Bezug auf die zweiten Tafeln kein Zweifel darüber gelassen. Dieses neuerliche Schreiben des Dekalogs lässt sowohl die Dekalogbestimmungen für Israel wieder in Kraft treten als auch Gottes Bundeswort, das in der Dekalogpräambel enthalten ist, und somit die „wechselseitige Treuebeziehung“ zwischen Jhwh und seinem Volk.349

345 Vgl. SONNET, Book, 64, der auf die durch die Lade ausgedrückte Bewegung in Richtung Land der Verheißung hinweist: „Shielded by the portable ark, the ,ten words’ … start a journey which is the people’s journey towards the land.“ 346 OTTO, Deuteronomium, 954. 347 Vgl. SOROTZKIN, Dewarim, 128. 348 Siehe SOROTZKIN, Dewarim, 121. 349 MARKL, Dekalog, 98–99; zur „wechselseitigen Treubeziehung“ siehe genauer ebd., 146–159.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

In weiterer Folge schließt ein langer Relativsatz an, der wie schon in Dtn 9,10 in Bezug auf die ersten Tafeln den Moment der Horeboffenbarung an ganz Israel in Erinnerung ruft. Damit betont Mose nochmals, dass auf ihnen jene Worte stehen, die Gott zu Israel am Berg inmitten des Feuers gesprochen hatte. Es sind jene Worte, die Israel als ‫קהל‬, „Versammlung“, konstituierten, da sie zum ersten Mal am „Tag der Versammlung“ zum Hören auf das Wort Gottes versammelt waren. Die Wiederaufnahme der Motive aus Dtn 9,10 macht deutlich, dass die Beziehung wieder den Zustand erreicht hatte, den sie vor der Sünde mit dem Kalb innehatte.350 Schließlich endet die Ausführungsnotiz der göttlichen Ankündigung damit, dass Gott ihm die Tafeln übergeben habe. Der Abstieg ist mit „ich wandte mich um und stieg den Berg hinab“ (‫ )ואפן וארד מן־ההר‬wortgleich mit dem Abstieg nach der ersten Tafelübergabe in 9,15 formuliert. Jedoch ist nicht mehr davon die Rede, dass der Berg in Feuer brannte und Mose die Tafeln auf seinen beiden Händen trug (9,15). War mit dem Motiv des „brennenden Berges“ der Kontrast zwischen göttlicher Gegenwart am Berg und der Sünde mit dem Kalb hervorgehoben und mit dem Motiv der „Tafeln auf den beiden Händen“ auf Moses schwere Aufgabe hingewiesen worden, so deutet die Absenz dieser Motive auf den reibungslosen Vollzug des Geschehens. Der Bericht endet mit der Ausführungsnotiz, Mose habe die Tafeln in die Lade gelegt (‫)ואׂשם את־הלחת בארון‬. Hatte der erste Abstieg mit einer dreifach ausgedrückten Gewaltaktion geendet, so steht die Ablage der Tafeln in die Lade in starkem Kontrast dazu.351 Während die Übergabe der ersten Tafeln ihr ursprüngliches Ziel verfehlt hatte, kommt die zweite Übergabe durch das Hineinlegen in den Schutzraum der Lade an ihr Ziel. Während beim ersten Mal die Beziehung in Scherben zerbrach, findet sie nun Schutz. Dabei betont Mose noch einmal, dass er die Lade gemacht hatte (‫ )אׁשר עׂשיתי‬und die Tafeln dort waren, wie es Gott befohlen hatte (‫)ויהיו ׁשם כאׁשר צוני יהוה‬. Letzteres macht deutlich, dass Mose die Tafeln nicht nur hineingelegt hatte, um sie wieder herauszunehmen, sondern um ihnen dort entsprechend Gottes Willen einen bleibenden Platz zu verschaffen.352 c) Textexterne Pragmatik Die bisherige Horeberzählung hat auf textexterner Kommunikationsebene auf die Geschichte Israels und Judas durchblicken lassen. Während das Zerschmettern der Tafeln als Bild diente, in dem die Adressaten die Zerstörung Jerusalems und des Tempels wiedererkennen konnten, deutet die Rücknahme des göttlichen Zornes auf ihr Überleben trotz der Zerstörung Jerusalems und der Exilierung. Die Erneuerung der Tafeln wiederum sprach von der vollkommenen Wiederherstellung der verlorenen Bundesbeziehung und der damit verbundenen Verheißungen Gottes. Dabei stellt sich die Frage, inwiefern die Erneuerung der Tafeln Hoffnungsbild war oder bereits eingetretene Restauration widerspiegelte. In jedem Fall spricht Dtn 10 davon, dass die Wiederherstellung Israels im Kern, das heißt von Gottes Seite bereits vollzogen war und sich sicher realisieren würde, wenn das Volk nur auf das durch das Buch Deuteronomium vermittelte Bundesangebot in Moab mit aller Entschiedenheit antworten würde. 350 Vgl. FINSTERBUSCH, Weisung, 207. 351 Vgl. PAGANINI, Deuteronomio, 221. 352 Vgl. SONNET, Book, 67–68.

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Erneuerung am Horeb (Dtn 10,1–11)

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Auch das Motiv der Lade deutet auf Zusammenhänge, die die textexternen Adressaten auf sich beziehen konnten. Als Schutzsymbol deutet sie darauf hin, dass die einmal verlorene Beziehung bewahrt bleiben sollte. Des Weiteren dient die Lade innerhalb des Erzählbogens Dtn–Kön als Leitmotiv,353 das Israel auf dem Weg vom Horeb ins Land begleitet, bis sie schließlich in 1 Kön 8 in den Tempel „an ihren Ort“ (‫ )אל־מקומו‬gebracht wird. Wenn dieser Erzählzusammenhang den textexternen Adressaten bekannt war, dann konnten sie in der Erzählung von Israels vorexilischer Geschichte einen Weg vorgezeichnet sehen, der für Israel paradigmatisch in seiner Zielbestimmung war. Auch sie sollten gemäß den göttlichen Verheißungen von der Ferne in das Land der Verheißung gelangen, die wiedergewonnene Bundesbeziehung bewahren und sich dabei von Gottes Wort in Form des Dekalogs und der Tora leiten lassen, die für die textinternen Adressaten in und neben der Lade waren, für die textexternen Adressaten jedoch in Form des Buches Deuteronomium vorlagen. 5.4.2 Der Stamm Levi als Garant der erneuerten Beziehung (Dtn 10,6–9) Nach der Erneuerung der Tafeln und ihrer Platzierung in der Lade wechselt die Erzählung in Dtn 10,6 zu Ereignissen, die sich am Ende der Wüstenwanderung zugetragen haben. Der örtliche Wechsel ist besonders augenfällig, da der in v6 einsetzende Reisebericht weder am Horeb beginnt noch endet.354 Damit verbunden ist ein thematischer Wechsel, da nun nach der Erneuerung der Tafeln in vv6–7 mit der Sukzession des Priesteramtes Aarons und in vv8– 9 mit der Aussonderung des Stammes Levi der Klerus in den Blick genommen wird. Die Thematisierung des Klerus ist jedoch zuinnerst mit dem Thema der Erneuerung aus 10,1–5 verbunden. Denn mit dem Priesteramt Aarons und den Diensten des Stammes Levi werden jene Institutionen thematisiert, die die erneuerte Gottesbeziehung bewahren und behüten sollen. Der augenfälligste Wechsel findet durch die Abweichung in der Erzählform statt, da nun in der dritten Person von den „Söhnen Israels“ die Rede ist, und Mose nicht mehr wie bisher entweder in der ersten Person spricht oder sein Gegenüber in der zweiten Person adressiert mit der Ausnahme von ‫יהוה אלהיך‬, „Jhwh, dein Gott“, in v9. Die Mehrheit der Kommentatoren weist den Abschnitt deshalb auch einer Erzählstimme zu, wobei es unterschiedliche Meinungen darüber gibt, ob auch vv8–9 dieser zuzurechnen sind.355 Auch wenn die Anrede mit „Jhwh, dein Gott“ wieder in die zweite Person springt, spricht für die Fortsetzung der Erzählstimme in vv8–9 die Verwendung der dritten Person in ‫אחיו‬, „seinen Brüdern“ in v9,356 während die zweite Person in „Jhwh, dein Gott“ mit der Formelhaftigkeit der Wendung begründet werden kann. Über die Intervention der Erzählstimme wird ein verstärkter Bezug zu den textexternen Adressaten hergestellt. Dies geschieht vor allem durch die Wendung „bis zum heutigen Tag“, die sich auf das „Heute“ des Erzählers bezieht, das wiederum in besonderer Weise auf die Zeit der textexternen Adressaten durchblicken lässt.

353 Vgl. MARKL, „Sanctuary“, 236. 354 Vgl. DRIVER, Deuteronomy, 118. 355 Z. B. POLZIN, Moses, 33; DAHMEN, Leviten, 23–25; VEIJOLA, Deuteronomium, 239, rechnen vv8–9 der Erzählstimme zu. Dagegegen rechnen z. B. DILLMANN, Numeri, 283; BLUM, Studien, 181 mit Anm. 359; STOPPEL, Angesicht, 153, Dtn 10,8–9 nicht zur Erzählstimme. 356 Siehe DAHMEN, Leviten, 24, mit Anmerkung 34.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

Die Erzählstimme verknüpft so Moses Erneuerungserzählung mit der Welt und Zeit der Adressaten. Dtn 10,6–9 grenzt sich nach hinten deutlich von vv10–11 durch einen abermaligen Wechsel in die erste Person und die Adressierung der Adressaten in der zweiten Person ab sowie durch die örtlichen und zeitlichen Wechsel hin zu Ereignissen des zweiten Bergaufenthalts am Horeb, die noch vor der Erneuerung der Tafeln, der Aussonderung der Leviten und der Übernahme des Priesteramtes durch Eleasar stattgefunden hatten. Dtn 10,6–9 teilt sich deutlich in zwei gesonderte Abschnitte (vv6–7; vv8–9), die über das gemeinsame Motiv des „Klerus“ geeint sind. Der erste Abschnitt (vv6–7) schildert den Tod Aarons und die Sukzession seines Priesteramtes durch Eleasar und umrahmt ihn mit zwei Reiseberichten, während der zweite (vv8–9) die Aussonderung des gesamten Stammes Levi zu ihren Diensten anspricht. Vv6–7: Sukzession des Priesteramtes Aarons durch Eleasar Vv8–9: Aussonderung des Stammes Levi Über die beiden Abschnitten gemeinsame Thematik des Klerus lässt sich eine Dynamik vom Spezifischen zum Allgemeinen ausmachen. Vom obersten Leitungsamt des Priesters Aaron, dem später der Titel „Hohepriester“ (‫ )הכהן הגדול‬gegeben wird,357 und seiner Sukzession in vv6–7 bewegt sich der Abschnitt in vv8–9 hin zur Berufung des gesamten Stammes Levi und deren Dienste. Dem erstgenannten Priesteramt Aarons kommt im Zusammenhang der Erneuerung Israels eine besondere Rolle zu, weil seine Aufgabe am Versöhnungstag die Erneuerung Israels als Jhwhs Volk im Zyklus des Jahres ermöglicht, und so die Erneuerung vom Horeb zu einer beständigen Erfahrung Israels macht. Die genannten Dienste des Stammes Levi ergänzen dies um die Dienste des Kults, des Segnens und des Tragens der Lade. Die Bewegung vom Spezifischen zum Allgemeinen könnte jedoch textgenetisch gegenteilig verlaufen sein, wofür folgende Beobachtungen sprechen. Der Trägerdienst der Leviten ist am offensichtlichsten mit Dtn 10,1–5 über das Lademotiv verknüpft, und die Leviten spielen auch in Ex 32 eine wichtige und positiv besetzte Rolle. Beide Beobachtungen zeigen, dass Dtn 10,8–9 einen sehr genuinen Bezug zur Horeberzählung hat.358 Dagegen spielen Aarons Tod und die Amtsübertragung an Eleasar keinerlei Rolle in Ex 32–34 und das Priesteramt Aarons oder das seiner Nachfolger kaum eine im Buch Deuteronomium. Da das Amt des Hohepriesters höchstwahrscheinlich erst nachexilisch in der Zeit des nachexilischen Tempels seine herausragende Bedeutung erlangte,359 ist der These, 10,6–7 sei

357 Die Identität des Priestertums Aarons (Lev 8,12) mit jenem des später als Hohepriester bezeichneten Priesters ist naheliegend, da der ‫ הכהן הגדול‬in Lev 21,10 wie Aaron mit Öl gesalbt wird; Auch wenn die Wendung in Lev 21,10 noch nicht als Titel, sondern als Beschreibung dient, ist deutlich, dass es sich um dieselbe Institution des einen Priesters handelt, die später zum festen Titel wurde; siehe HIEKE, Levitikus 16–27, 598.829–830; siehe auch JENSON, Holiness, 121–123. 358 Vgl. STOPPEL, Angesicht, 155. 359 Siehe GRABBE, „Last Days“, 37, der auf die Absenz des Versöhnungstages in Dokumenten des späten 5. Jahrhunderts und in Neh 8–9 hinweist. Ihm zufolge ist das Ritual bereits vorexilisch, wurde jedoch erst sehr spät nach 400 v. Chr. zum festgesetzten Feiertag.

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Erneuerung am Horeb (Dtn 10,1–11)

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eine spätere Fortschreibung zu 10,8–9,360 einiges abzugewinnen. Demnach könnte 10,8–9 einen früheren Textbestand darstellen, der im Trägerdienst der Lade einen Anknüpfungspunkt an 10,1–5 hatte. Daran anschließend könnte eine spätere Fortschreibung die Sukzession des Priesteramtes Aarons hinzugefügt haben, um die besondere Stellung des einen Hohepriesters innerhalb des Stammes Levi zu betonen, dessen Amt am Versöhnungstag als jährlich sich wiederholendes Erneuerungsgeschehen eine starke Verbindung zur Erneuerungserzählung in 10,1–5 aufweist. 5.4.2.1 Sukzession des Priesteramtes (Dtn 10,6–7) Im Zentrum des Abschnitts Dtn 10,6–7 stehen eine dreigliedrige Sukzessionsnotiz von Tod und Begräbnis Aarons sowie der Amtsübernahme durch Eleasar, die von zwei Reiseberichten am Anfang und Ende eingerahmt wird. Es ergibt sich folgende Struktur: A. Aufbruch von Beerot-Bene-Jaakan nach Moser B. Tod, Begräbnis und Sukzession A. Aufbruch von Moser nach Hor-Gidgad und von dort nach Jotbata Der Abschnitt verweist über Aaron zurück auf Dtn 9,20. Er greift mit seinem Tod und den Straffolgen seiner Vergehen jedoch nicht allein auf das Thema der Rebellion in Dtn 9,7– 24 zurück, sondern ist ebenso mit der Erneuerungserzählung in Dtn 10,1–5 über das Thema der Sukzession des Priesteramtes Aarons verbunden. Über die zwei rahmenden Reiseberichte wird das Thema von Aarons Tod und der Sukzession seines Priesteramtes mit dem Weg der Söhne Israels verknüpft und ein Zusammenhang zwischen Israels Übergang von der Wüstenzeit in die Zukunft und dem Priesteramt hergestellt. Es entwickelt sich eine Wegdynamik in der Polarität von Tod und Abschied einerseits und verheißungsvoller Zukunft andererseits. Zunächst gehen die Söhne Israels auf den Todesort Aarons zu, bewegen sich jedoch nach dem Abschied von Aaron und der Amtsübergabe an Eleasar in Richtung eines „Landes von Wasserbächen“, das als Lebensbild einen Vorgeschmack auf das Land der Verheißung gibt. Der Weg zum Todesort Aarons schlägt um in einen Lebensweg in Richtung einer verheißungsvollen Zukunft. a) Einzelanalyse Die Erzählstimme beginnt mit der Notiz über einen Weg der „Söhne Israels“ (‫)ובני יׂשראל‬. Die „Söhne Israels“ erscheinen in beinahe jeder Intervention des Erzählers, 361 der damit an die Erzählstimme der Bücher Exodus und Numeri anschließt. 362 Dabei lassen sich innerhalb des Buches Deuteronomium zwei Hauptthemen ausmachen. Zum einen leitet der Erzähler einzelne Mosereden, das Moselied und den Mosesegen mit der Adressatenbestimmung als „Söhne Israels“ ein. Zum anderen erklingt das Wort von den „Söhnen Israels“ sowohl aus dem Mund Gottes als auch aus dem Mund des Erzählers gehäuft im Zusammenhang von Moses Tod (32,49.51.52; 34,8) und der Weitergabe der Leitung an Josua (31,23; 34,9), der die Söhne Israels in das Land der Verheißung führen soll. Die Wendung begegnet damit 360 Siehe z. B. DAHMEN, Leviten, 21–73. 361 Siehe Dtn 1,3; 4,44.45.46; 28,69; 31,22; 33,1; 34,8.9. 362 Siehe dazu PERLITT, Deuteronomium, 16–17.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

verstärkt an jenem kritischen Wendepunkt, an dem das Schicksal Israels aufgrund des Todes seines Anführers Moses gefährdet ist, dieses jedoch in die Hände eines neuen Führers gelegt wird. Wenn nun auch der Tod Aarons und seine Sukzession mit einer Rede über die „Söhne Israels“ eingeleitet werden, so ist das Hinweis dafür, dass hier ebenfalls ein für das gesamte Volk bedeutsames Ereignis der Leitungsübergabe erzählt wird. Die Wegbeschreibung in vv6–7 erinnert der Formulierung nach an die Itinerare des Buches Numeri und erwähnt bei etwas abweichender Schreibweise Ortschaften, die sonst nur in Num 33,31 Erwähnung finden, sodass auf den ersten Blick der Eindruck entsteht, als würde hier das Reiseitinerar aus Num 33,31 wiedergegeben, was sich jedoch bei näherer Betrachtung als unmöglich erweist. Erstens ist die Reihenfolge in v6 im Vergleich zu Num 33,31 umgekehrt, da die Söhne Israels nun nicht von Moserot nach Bene-Jaakan wandern, sondern von Beerot-Bene-Jaakan nach Moser. Zweitens unterscheidet sich die Angabe zum Todesort Aarons von den Berichten in Num 20,26–28; 33,38; Dtn 32,50, wonach Aaron nicht in Moser, sondern am Berg Hor gestorben war. Beide Abweichungen in 10,6 werden oftmals so gedeutet, dass sich 10,6 auf eine andere Überlieferung bezieht, sodass sich die Unterschiede auf unterschiedliche Überlieferungen zurückführen lassen.363 Jedoch erklärt dies nicht, warum sich widersprechende Angaben zum Todesort Aarons ohne weiteren Grund in ein und demselben Buch (vgl. Dtn 10,6; 32,50) nebeneinander stehen gelassen wurden, wo dies doch leicht ausgeglichen werden hätte können.364 Dies legt die Vermutung nahe, dass die Gründe für die Abweichungen nicht allein in abweichenden Überlieferungen zu suchen sind. Eine mögliche Interpretation ist, dass hier Ereignisse angedeutet werden, die im Buch Numeri nicht erzählt werden. So interpretiert T J die reversierte Reihenfolge der Orte als Hinweis dafür, dass Israel infolge von Aarons Tod (Num 20,28) und der Bedrohung durch den König Arad (Num 21,1) einen Rückweg bis nach Moser einschlug. Die in Num 20,29 erwähnte dreißig Tage währende Beweinung eröffnet einen Zeitraum, wo Israel einen solchen Rückweg eingeschlagen haben könnte. Erst in Moser angekommen hätten sie Aaron begraben und beweint. Moser werde deshalb in 10,6 nicht nur als Begräbnisort, sondern auch als Todesort Aarons bezeichnet, weil sein Tod erst mit seinem Begräbnis für Israel wirklich eingetreten sei.365 Für das Verständnis von Dtn 10,6–7 ist die Bedeutung der Ortsnamen Moser „Züchtigung“ und Jotbata „gut“ entscheidend.366 Mit der Bedeutung „Züchtigung“ (Moser) wird Aarons Tod als Straftod erkenntlich gemacht.367 Die besondere Heraushebung von Gottes 363 So z. B. WEINFELD, Deuteronomy, 404.419. 364 Vgl. OTTO, Deuteronomium, 321, der in Bezug auf Dtn 1–3 darauf hinweist, dass es den seiner Meinung nach nachexilischen Autoren ein Leichtes gewesen wäre, die Differenzen zu den Wegbeschreibungen des Buches Numeri auszugleichen: „Gerade das aber haben die nachexilischen Autoren, die das Deuteronomium in Pentateuch und Hexateuch integrierten, vemieden. Vielmehr sollen die Differenzen darauf hinweisen, dass Mose in seiner Rekapitulation der Wanderung vom Horeb zum Jordan in Dtn 1,6–3,29 die Erzählung des Numeribuchs interpretiert…“. 365 Siehe S. 39. 366 Dass die Bedeutung der Ortsnamen etwas zum Ausdruck bringen soll, ist umso wahrscheinlicher, als bereits in 9,22 die Namen der Rebellionsorte Charakteristika der jeweiligen Rebellionen zum Ausdruck bringen; siehe S. 128–129. 367 OTTO, Deuteronomium, 991–993, versteht Dtn 10,6 in diesem Sinne als theologische Interpretation des Todes Aarons, die sich über den Namen Moser, der Züchtigung bedeutet, und dessen Verknüpfung zu Dtn 11,2 entschlüsselt.

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Erneuerung am Horeb (Dtn 10,1–11)

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Zorn gegen Aaron aufgrund des Kalbes in 9,20 erhält somit einen Widerhall in 10,6. Dabei bleibt jedoch die Frage offen, aufgrund welchen Vergehens Aaron gezüchtigt wurde und einen Straftod erleiden musste. Man könnte Aarons Tod durch die enge Zusammenführung mit der Horebrebellion in Dtn 9f. als Folge der Sünde mit dem Kalb verstehen. 368 Da jedoch Mose auch für Aaron gebetet hatte (9,20) und er so in die Erhörungsnotiz von 9,19 eingeschlossen war, ist eine wirkursächliche Zurückführung des Straftodes auf die Kalbepisode wenig wahrscheinlich. Sein Tod vor Eintritt in das Land erklärt sich vielmehr aus Num 20,12.24; 27,13–17; Dtn 32,51, wo Moses und Aarons Vertrauensmangel in Meriba und ihre Unterlassung, Gott zu bezeugen, als Gründe für ihren Tod außerhalb des Land angegeben werden. Mit Aarons Straftod wird der Blick ein weiteres Mal auf die Rebellionsgeschichte gelegt, die in Aaron einen der Führer Israels vor der Landnahme eingeholt hat. Während die Rebellion in Kadesch-Barnea zur Folge hatte, dass die Horebgeneration vor Eintritt in das Land sterben musste, so hatte die Rebellion von Meriba, die sich ebenfalls in Kadesch zutrug (Num 20,1), zur Folge, dass auch Mose und Aaron noch vor Eintritt in das Land sterben mussten. So kommt die in Dtn 1,19–39; 9,1–3.23 beschriebene Sachlage, dass die Horebgeneration in der Wüste sterben musste, die Kinder jedoch in das Land hineinkommen würden, über das Motiv des Straftodes Aarons und der Sukzession Eleasars ein weiteres Mal ins Blickfeld, diesmal im Brennpunkt der für Israels Identität als Gottesvolk wichtigen Institution des Priestertums. Dabei zielt der Abschnitt nicht darauf, auf das Gericht gegen Aaron hinzuweisen, sondern auf die Fortexistenz des Priesteramtes über seinen Sohn Eleasar, der „an seiner Stelle als Priester amtete“ (‫)ויכהן אלעזר בנו תחתיו‬. Das Volk verabschiedet sich von dem schuldig gewordenen Priester Aaron, der in der Wüste sterben muss. Ihm wird jedoch über dessen Sohn Eleasar eine Zukunft mit einem neuen Priester eröffnet. War Eleasar laut dem Buch Numeri schon vor der Übernahme von Aarons Priesteramt eine besondere Ehrenstellung zugewiesen (Num 3,4.32) und ihm hohe Aufgaben im Zusammenhang des Zeltheiligtums zugesprochen worden (Num 4,16), so wurde laut Num 20,25–28 bei Aarons Tod das höchste Priesteramt auf ihn übertragen. Von da an stand er wie zuvor sein Vater Mose zur Seite (Num 26,1.3.63; 27,2; 31,26.31; 32,2) und exerzierte noch mit Mose wichtige Leitungsaufgaben (Num 27,19–21; 31), um auch nach Moses Tod gemeinsam mit Josua das Land zu verteilen (Num 32,28; 34,17; Jos 14,1; 17,4; 19,51; 21,1). Die Thematisierung Eleasars wird zumeist im Rahmen eines Dialogs sich rivalisierender Klerikergruppen interpretiert.369 Mag dies im Hintergrund stehen, so zielt die Thematisierung 368 So z. B. HAYES, „Golden Calf”, 82–83. 369 So z. B. DAHMEN, Leviten, 21–73, demzufolge Autoren einerseits gegen eine Sonderstellung der Aaroniden in 10,8–9 den gesamten Stamm Levi in der Ursprungsgeschichte am Horeb verankern (10,8–9), worauf in 10,6–7 in einer weiteren Gegenreaktion die Sonderstellung der Aaroniden gefestigt wurde. OTTO, Deuteronomium, 990–993, sieht als Hintergrund für die Erwähnung Eleasars in Dtn 10,6 eine Autoritätssicherung der Zadokiden, einer sich vom Priester Zadok ableitenden Priestergruppe, die dessen Abstammung wiederum auf Eleasar zurückführten (vgl. 1 Chr 24,3.4.5.6). Diese hätten mit den Aaroniden, die sich nach der Zerstörung des Tempels auf den Priester Aaron beriefen, im Konflikt gestanden und versucht sich über ihren Ahnherrn Eleasar in den Stammbaum Aarons einzuklinken. Dtn 10,6–7 stehe damit im Dienst einer Zadokidenätiologie; zum Konflikt der Aaroniden und Zadokiden siehe die Zusammenfassung bei OTTO, „Priestertum II“, 1646–1649.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

der Amtsübernahme durch Eleasar darauf ab, die Bedeutung des hohepriesterlichen Amtes an sich hervorzuheben. Denn der Bericht über Aarons Tod, sein Begräbnis und die Übernahme des Amtes durch seinen Sohn Eleasar entspricht mit den drei Elementen Tod Begräbnis - Übernahme exakt einer Sukzessionsformel, die vor allem in 1–2 Kön begegnet.370 Sie bringt jeweils den reibungslosen Übergang des Königsamtes vom verstorbenen König auf seinen rechtmäßigen Nachfolger zum Ausdruck. Daran wird ersichtlich, dass in Dtn 10,6 mit der Sukzession von Aarons Priesteramt auf Eleasar der Fortgang von Israels Geschichte im Kristallisationspunkt des Priesteramtes im Blick ist. Zwar musste Aaron aufgrund seiner Verfehlungen wie die gesamte Horebgeneration mit Ausnahme Josuas und Kalebs in der Wüste sterben, jedoch lebt sein Priesteramt über Eleasar in der nächsten Generation weiter, wie auch die Berufung Israels zum Volk Jhwhs über den Tod der Wüstengeneration hinaus fortlebte. Der Bericht markiert so den Generationenwechsel von der sündigen Wüstengeneration, repräsentiert durch Aaron, zur Generation der Landnahme, repräsentiert durch Eleasar. Das über Eleasar fortgeführte Priesteramt Aarons verbindet sich mit den Tafeln und der erneuerten Lade über den gemeinsamen Bezug zum Zeltheiligtum, da die Lade mit den Tafeln das Zentrum des Heiligtums darstellen und dem Priester Aaron und seinen Söhnen der Dienst am Zeltheiligtum obliegt. Mit der Sukzession des Priesteramtes wird deutlich gemacht, dass nicht nur die Tafeln erneuert wurden und somit das Zeltheiligtum in seinem Kern gesichert wurde, sondern auch der fortwährende priesterliche Dienst, der in der Person Eleasars eine Sukzessionskette begründet, die sich bis in die Zeit der Adressaten des Buches erstreckt. In diesem Sinn steht Eleasar ebenso für eine Zukunft des Kultes. Hierbei ist der Aufgabe des Hohepriesters am Versöhnungstag besondere Aufmerksamkeit zu schenken, da der Versöhnungsdienst am Jom Kippur entscheidend von der Person des Hohepriesters abhängt.371 Die spezifische Formulierung von „als Priester amten an seiner Stelle“ (‫ תחת‬+ ‫ )כהן‬begegnet nur in Dtn 10,6 und in Lev 16,32, wo die Sukzession des Versöhnungsdienstes am Jom Kippur durch Aarons Sohn im Blick ist. Diese exklusive Verknüpfung ist Indiz dafür, dass auch in 10,6 der Versöhnungsdienst am Versöhnungstag im Fokus steht. Erzählt Dtn 10,1–5 die Erneuerung Israels am Horeb, so ist der Versöhnungstag jene Institution, die Israel im Kreislauf des Jahres Erneuerung und Wiederherstellung ermöglicht.372 Dafür entscheidend ist aber der Dienst des Hohepriesters, der dem Volk durch die alljährliche Reinigung von den Sünden am Versöhnungstag ermöglicht trotz Verschuldung als Gottes Volk fortzuleben.373 Nach der Sukzessionsnotiz fährt der Erzähler mit einer neuerlichen Aufbruchsnotiz fort. Von Moser seien sie dann nach Hor Gudgod und von dort nach Jotbata aufgebrochen. Mit dem Weg von Hor Gudgod nach Jotbata entspricht die Stationenabfolge jener von Num 33,33. Die Söhne Israels schlugen demzufolge nach Aarons Tod wieder den Weg Richtung Land ein, der sie nach Jotbata in ein „Land von Wasserbächen“ (‫ )ארץ נחלי מים‬führt. Steckt 370 Vgl. 1 Kön 11,43; 14,31; 15,24; 16,6.28; 22,51; 2 Kön 8,24; 14,16; 15,38; 16,20; 21,18. 371 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 598–599, der das Priesteramt Aarons in Lev 8; 16 vor allem von dessen Aufgabe am Versöhnungstag her versteht. 372 Nach rabbinischer Zählung wird der Tag der Erneuerung der Tafeln genauso wie der Versöhnungstag am 10 Tischrei datiert; vgl. ZIPOR, „Account”, 26–27, Anm. 24. Dies deutet auf einen inneren Zusammenhang von Erneuerung der Tafeln und Versöhnungstag. 373 Zur theologischen Deutung des Versöhnungstages siehe OTTO, Gesetz, 43.

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Erneuerung am Horeb (Dtn 10,1–11)

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im Namen Jotbata die Wurzel „gut“ (‫)טוב‬,374 so ähnelt die Landbeschreibung jener des Landes in Dtn 8,7, wo es als „gutes Land, ein Land von Wasserbächen“ ( ‫ארץ טובה ארץ נחלי‬ ‫ )מים‬beschrieben wird.375 Jotbata, obwohl noch diesseits des Jordan, wird damit zu einem Vorgeschmack der lebenspendenden Zukunft, die Israel im guten Land erwartet. Der Weg zum Todesort Aarons schlägt um in einen Lebensweg in Richtung einer gelingenden Zukunft. Israel verabschiedet mit Aaron die rebellische Vergangenheit und beginnt mit Eleasar seinen Weg einer verheißungsvollen Zukunft entgegen, für die die Sukzession des höchsten priesterlichen Amtes bürgt und Unterpfand ist. b) Tod und „Weiterleben“ von Mose und Aaron Die Dynamik von Verfehlung, Straftod und Weiterleben ist auch in Bezug auf Mose zu beobachten, wobei Aaron in den drei Erwähnungen im Buch Deuteronomium (9,20; 10,6; 32,51) mit Mose parallelisiert wird. Hatte Mose in 1,37 gesagt, Gott sei über ihn erzürnt gewesen, so sagt er dies im beinahe selben Wortlaut in 9,20 über Aaron. Mose zieht sich laut eigenen Angaben (1,37; 3,26) aufgrund des Volkes Gottes Zorn zu, was sich im Rückblick auf Num 20,12.24; 27,13–17 als die Sünde von Meriba entpuppt.376 In Dtn 32,50–51 wird schließlich der Tod beider vor Eintritt in das Land explizit auf ihr Vergehen in Meriba zurückgeführt. Sagt Mose, er habe für sich gefleht (1,37; 3,23), in das Land einziehen zu dürfen, so betete er für Aaron (9,20), nicht vernichtet zu werden. Während Moses Flehen für sich selbst nicht erhört wurde, so jenes für Aaron am Horeb sehr wohl. Letztlich aber muss Aaron dieselbe Strafe wie Mose hinnehmen, indem er das Land nicht betreten darf und außerhalb des Landes stirbt (Dtn 10,6; 32,50–51; vgl. Num 20,26–28; 33,38). Schließlich wird Moses Tod am Berg Nebo mit dem Tod Aarons auf dem Berg Hor verglichen (Dtn 32,50). Wird die Dynamik von Verfehlung, Straftod und Weiterleben Moses über das ganze Buch Deuteronomium entwickelt, so verdichtet sich dies in Bezug auf Aaron in Dtn 9f. Beiden wird aufgrund ihrer Verfehlungen versagt, das Land zu betreten. Beide sterben vor der Erfüllung der göttlichen Verheißung der Landnahme. Dies stößt oftmals vor allem in Hinblick auf Mose auf Unverständnis. Jedoch liegt darin ein tieferer Sinn. Ihr Tod wird auf besondere Weise beleuchtet und hervorgehoben, um den Blick verschärft darauf zu legen, in welcher Form ihre Person und ihr Amt weiterleben sollten. Ihr Tod ist gleichsam die Voraussetzung eines Israel „nach Mose“ und – wie sich ergänzen lässt – „nach Aaron“. Ein entscheidender Unterschied ist jedoch festzuhalten. Die alles überragende Figur Moses kann nicht in einer einzelnen Person seinen Nachfolger finden. So geht sein Vermittleramt des göttlichen Wortes auf die verschriftete Tora über, die Führung des Volkes zur Landnahme auf Josua, das Amt der Lehre und Auslegung auf die levitischen Priester und das Prophetenamt auf den zukünftigen Propheten wie Mose. 377 Aarons Amt muss dagegen nicht aufgeteilt werden, sondern lebt gemäß der Sukzessionsformel in voller Kontinuität im

374 375 376 377

WEINFELD, Deuteronomy, 420. OTTO, Deuteronomium, 992. PAGANINI, Deuteronomio, 107. Zur Funktion von Mose Tod in der Hermeneutik des Pentateuch siehe OTTO, Deuteronomium, 398.2113.2200; ders., „Gesetzbuch“, 137.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

Nachfolger weiter. Israels Zukunft ist somit eine Zukunft „nach Mose“, aber in diesem Sinn „mit Aaron“, der von seinen Nachfolgern in vollem Maße repräsentiert wird. 5.4.2.2 Die Dienste des Stammes Levi (Dtn 10,8–9) Nach der Sukzession von Aarons Priesteramt setzt die Erzählstimme das angeschlagene Thema des Klerus fort, indem sie nun den gesamten „Stamm Levi“ in den Blick nimmt. Dtn 10,8–9 entwickelt sich in zwei Schritten von der Aussonderung des Stammes Levi zu ihren Diensten (v8) hin zu ihrer Besitzlosigkeit, die eine Kompensierung darin findet, dass Gott ihr Erbbesitz ist: V8 Aussonderung zu bestimmten Diensten V9 Besitzlose Lebensform und ihre Kompensierung Dabei entwickelt sich eine Dynamik von Aussonderung zur Hingabe und der damit korrespondierenden Gegengabe. Sondert Gott den Stamm Levi zu einem besonderen Dienst aus, der mit dem Verzicht auf Erbbesitz verbunden ist, so erhält dieser Verzicht eine Kompensation dadurch, dass Gott ihr Erbbesitz ist. a) Die Aussonderung des Stammes Levi Der Erzähler lenkt mit ‫בעת ההוא‬, „in jener Zeit“, den Blick von den Ereignissen am Ende der Wüstenwanderung wieder auf Ereignisse, die noch im Umkreis der Horebereignisse 40 Jahre vor Aarons Tod stattgefunden hatten. Mehrere Kommentatoren beziehen Dtn 10,8–9 auf Ex 32,25–29, wo die Leviten infolge ihres Eifers gegen die Verehrer des Kalbes einen Segen empfangen.378 Jedoch weist das spezifische Verb „aussondern“ (‫)בדל‬, das in Kombination mit Levi/Leviten sonst nur in Num 8,14; 16,9 begegnet, auf die noch am Horeb ergangene Aussonderung der Leviten zum Dienst, die in Num 8 erzählt wird. Da die nachfolgende Aufgabenbeschreibung in Dtn 10,8 vor allem priesterliche Aufgaben umfasst, scheinen zudem die Priester und deren Beauftragung im Blick zu sein, von der in Lev 8 erzählt wird.379 Das Verb „aussondern“ (‫ )בדל‬dient zur Unterscheidung und Grenzziehung, schon beim Schöpfungsgeschehen und in weiterer Folge von „heilig und profan“, rein und unrein“ sowie von „Israel und den Völkern“. Einige Male dient es auch zur Bezeichnung einer besonderen Aufgabenzuweisung wie auch im Fall der Aussonderung des Klerus in Num 8,14; 16,9; Dtn 10,8; 1 Chr 23,13. Als Ausgesonderte dienen sie dem ausgesonderten Bereich des Heiligen, dem Heiligtum und dem von den Völkern ausgesonderten heiligen Volk. 380 Die übliche Begrifflichkeit im Buch Deuteronomium scheint zwar mit „Levi“ und „Leviten“ einerseits und den „Priesterleviten“ (‫ )הכהנים הלוים‬andererseits Unterschiedliches zu bezeichnen,381 differenziert aber gemeinhin im Unterschied zu Num 18 (vgl. auch Num 3; 16; 1–2 Chr; Neh; Ez 44) nicht zwischen den Priestern als „Söhnen Aarons“ und den 378 379 380 381

Z. B. TIGAY, Deuteronomy, 106. Auf die gegenseitige Bezogenheit von Lev 8 und Num 8 verweist z. B. ASHLEY, Numbers, 168–169. Siehe OTZEN, „‫“בדל‬, 519. Schon WRIGHT, „Levites“, 325–330, machte darauf aufmerksam, dass die wahrscheinlich älteste Bezeichnung des/der „Levi/ten“ mit Ausnahme von Dtn 18,6; 27,14 vor allem einen außerhalb Jerusalems lebenden Leviten im Blick hatte, während der Begriff „levitische Priester“ einen Altarklerus des Zentralheiligtums nach Joschijas Reform bezeichnet habe.

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Erneuerung am Horeb (Dtn 10,1–11)

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„Leviten“, die ihnen assistieren. Mit „Stamm Levi“ (‫ )ׁשבט הלוי‬findet sich eine dritte Bezeichnung, die hier in Dtn 10,8 erstmals begegnet und in Dtn 18,2 wiederkehrt. Sie verweist auf die Gesamtheit all derer, die sich vom Stammvater Levi ableiten. Diese Wendung dient nicht dazu, Differenzen zwischen Priestern und Leviten aufzuweichen, 382 sondern fungiert als Überbegriff für den gesamten Klerus, der in 10,6–9 eine Differenz zwischen dem Priestertum Aarons und dem restlichen Klerus impliziert.383 Hatte Dtn 10,6 von der Sukzession durch den einen Priester Eleasar gesprochen, so nimmt nun 10,8 den restlichen Klerus Israels, seien es Priester oder Leviten, als Stamm Levi in den Blick. Aus diesem Grund ist der Begriff „Stamm Levi“ in 10,8 aus synchroner Perspektive ergänzend, indem er nach dem Amt Aarons in Dtn 10,6 den restlichen Klerus anspricht. 384 Aus diachroner Perspektive könnte jedoch eine Differenzierung in die gegenläufige Richtung verlaufen sein, indem mit 10,8–9 zuerst der gesamte Stamm Levi im Blick war, mit 10,6–7 aber das Priesteramt in der Nachfolge Aarons herausgehoben wurde, um seine besondere Stellung hervorzuheben. Wenn mit „Stamm Levi“ die Gesamtheit des Klerus Israels, seien es Priester oder Leviten, angesprochen wird,385 deuten die priesterlichen Konnotationen der nachfolgenden Aufgaben nicht auf Widerspruch oder Spannung zu anderen Aufgabenkonzeptionen der Leviten als clerus minor, da ja die Priesterschaft inkludiert ist. Diese inklusive Perspektive schließt zudem auch das Amt Aarons nicht aus, was umso mehr gilt, wenn die These einer textgenetischen Priorität von 10,8–9 gegenüber 10,6–7 zutreffend ist. Es geht hier nicht darum, die Aufgaben unter dem Klerus zu verteilen, sondern die Aufgabe des Stammes Levi insgesamt in seinen wichtigsten Zügen zu zeichnen. Dies ist umgekehrt keine Polemik gegen eine Differenzierung der Ämter.386 Denn auch in einer stärker differenzierenden Perspektive wie etwa in Num 8; 18 sind die Leviten den priesterlichen Aufgaben des Stammes Levi als Assistenten der Priester zugeordnet. Der erstgenannte unter den drei Diensten des Stammes Levi ist das „Tragen der Bundeslade des Herrn“ (‫)לׂשאת את־ארון ברית־יהוה‬.387 Dass die Lade in Bewegung sein wird, deuten Ex 25,14; 37,5 an, wenn jeweils von den Stangen und Ringen die Rede ist, mittels derer die Lade getragen werden soll. In Num 1,50–51 heißt es zunächst, dass die Leviten für das gesamte Zeltheiligtum (‫ )מׁשכן‬sorgen, es tragen und vor und nach einer Wanderung aufund abbauen sollen, während im Rahmen der Aufbruchsbestimmungen spezifiziert wird, dass die Sippe der Kohatiter den Trägerdienst aller Heiligen Geräte nach deren Verhüllung durch Aaron und seine Söhne übernehmen soll (Num 4,15; vgl. Num 3,31). Ist hier der clerus minor für das Tragen der Lade zuständig, so in Jos 8,33 einmal die Levitenpriester, in Dtn 31,9; Jos 3–4; 6 dezidiert die Priester, während in 1 Kön 8,3–4 zunächst die Priester als Träger der 382 Pace DAHMEN, Leviten, 50. 383 Vgl. OTTO, Deuteronomium, 995, demzufolge Dtn 10,6–9 „im Horizont von Num 18 das Amt der Priester in der Nachfolge Eleasars von dem der Leviten abgrenze.“ 384 Auch in Dtn 18,1 ist der Begriff „Stamm Levi“ ergänzend gebraucht, wenn nach den „Levitenpriestern“ präzisiert wird, dass der gesamte Stamm Levi keinen Erbbesitz hat. 385 Siehe das Resümee der eingehenden Analyse von DAHMEN, Leviten, 72–73. 386 So schon MILGROM, „Slaughter“, 11–12. 387 Einige Kommentatoren sprechen von vier Diensten; so z. B. MAYES, Deuteronomy, 206. Allerdings konnte DAHMEN, Leviten, 31–42, ausführlich begründen, dass „zu stehen, um zu dienen“ in Dtn 10,8 eine einzige Aufgabe bezeichnet.

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Lade (v3) genannt, in v4 jedoch auch die Leviten hinzugefügt werden.388 Da in Dtn 10,8 vom gesamten Stamm Levi die Rede ist und so eine inklusive Perspektive vorliegt, erübrigt sich die spezifische Frage nach den Trägern, wiewohl ein Interesse vorliegen könnte, den Dienst von der Ausschließlichkeit einer priesterlichen Aufgabe (vgl. Dtn 31,9) hin zu einem auch die Leviten umfassenden Dienst auszuweiten (vgl. Dtn 31,25).389 Dass diese in den anderen ausführlicheren Beschreibungen der Priester- und Levitenaufgaben in Ex 38; Num 3; 8; 18; Ez 44 nicht beachtete Aufgabe in Dtn 10,8 als erste hervorgehoben wird, entspricht einerseits der Chronologie im Buch Numeri, wo der Trägerdienst gemeinsam mit der Sorge für das Zeltheiligtum zuerst (Num 1,50) genannt wird, steht aber andererseits im Zusammenhang mit dem Lademotiv in Dtn 10,1–5 und der besonderen Bedeutung, die dem Trägerdienst im Buch Deuteronomium zukommt. 390 So akzentuiert das Buch Deuteronomium diese Aufgabe noch zwei weitere Male in 31,9.25, wo zuerst den „Priestern, den Söhnen Levis“ die Tora und dann den „Leviten“ die um das Lied ergänzte Tora übergeben wird. Sowohl die Lade mit den Tafeln als auch die Tora sind damit in der Obhut des Stammes Levi. Dass er die Bundeslade trägt, bringt symbolträchtig seine umfassende Verantwortlichkeit für die Bundesdokumente und letztlich die Bundesbeziehung zum Ausdruck, 391 sodass Levi zum Garanten der Bundesbeziehung wird, was im Mosesegen in Dtn 33,9 mit „Sie wachen über deinen Bund“ (‫ )ובריתך ינצרו‬explizit zum Ausdruck gebracht wird.392 Dies spiegelt sich auch darin wider, dass die Lade, wenn vom Trägerdienst die Rede ist, auffällig oft in Constructus-Verbindungen mit ‫ברית‬, „Bund“, begegnet.393 Das Motiv des „Trägerdienstes“ spannt in Dtn–Kön einen großen Bogen vom Horeb (Dtn 10,8) über die Jordanüberquerung (Jos 3–4) bis zur Einweihung des Tempels (1 Kön 8,2). Die Zeitspanne von Israels Wanderung, die nach der überwundenen Krise am Gottesberg das Ziel Richtung Land der Verheißung nimmt (vgl. Dtn 1,8; 10,11) und mit der Tempelweihe ihren endgültigen Abschluss findet, wird so von der Lade und den Leviten als deren Träger eingerahmt. Das Motiv umspannt aber nicht nur die Epoche von Israels Zeit der Wanderung vom Horeb bis zur Tempelweihe, sondern ist auch entscheidend bei der Überschreitung des Jordan. Der Trägerdienst findet so an entscheidenden Punkten von Israels Geschichte Erwähnung. Mit „Stehen vor Jhwh, ihm zu dienen“ (‫ )לעמד לפני יהוה לׁשרתו‬wird als zweite Aufgabe des Stammes Levi der kultische Dienst genannt, der vor allem als Opfer- und Versöhnungs-

388 Rabbinische Auslegung interpretiert den scheinbaren Widerspruch dahingehend, dass an bestimmten entscheidenden Punkten wie der Jordanüberquerung die Priester diese Aufgabe übernahmen, während sie sonst den Leviten als clerus minor oblag; vgl. z. B. DRUCKER, Yehoshua, 134. 389 So DAHMEN, Leviten, 44. 390 Vgl. DAHMEN, Leviten, 45. 391 ACHENBACH, Israel, 372, zufolge weist der Trägerdienst die Träger als legitime Tradenten des mosaischen Gesetzes aus. DAHMEN, Leviten, 48, sieht darin die Verantwortlichkeit für den Inhalt der Bundeslade, das Gesetz, in Auslegung und Verkündigung ausgedrückt. M ARKL, Gottes Volk, 166, sieht in dieser „symbolträchtigen“ Bezeichnung einen Hinweis auf die Verantwortung der Träger für die Vermittlung der Tora. 392 Vgl. OTTO, Deuteronomium, 2247, der Dtn 33,9 auf die priesterlichen Funktionen der Leviten in nachexilischer Zeit bezieht. 393 Dtn 10,8; 31,9.25; Jos 3,3.6.8.14.17; 4,9.16.18; 8,33; 2 Sam 15,24; 1 Kön 8,6; 1 Chr 15,26.

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dienst zu verstehen ist.394 Die zweigliedrige Beschreibung des Dienstes am Heiligtum bezieht sich in der exakt gleichen (Ez 44,15) oder ähnlichen Formulierung (Dtn 17,12; 1 Kön 8,11; 2 Chr 5,14) explizit auf den Dienst der Priester oder aber schließt in der exakt gleichen (2 Chr 29,11) oder ähnlichen (Dtn 18,5.7; 1 Chr 6,17) Formulierung den Dienst der Leviten als clerus minor mit ein. Da die Aufgabenbeschreibung sowohl jene der Priester als auch jene der Leviten als clerus minor berührt, handelt es sich nicht im Vorhinein um eine ausschließlich für den Priesterdienst vorbehaltene Aufgabe,395 wiewohl dieser im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen scheint, da der Präpositionalausdruck „vor Jhwh“ im Zusammenhang des Klerus mit Ausnahme von 2 Chr 29,11 nur für priesterliche Dienste Anwendung findet.396 Beide Elemente der Wendung beleuchten dabei unterschiedliche Dimensionen des kultischen Dienstes. „Vor Gott zu stehen“, drückt nicht nur ein Dienstverhältnis aus, sondern auch die Nähe zu Gott,397 die im Falle des Kultdienstes zuerst eine räumliche ist, da er im und rund um das Zeltheiligtum als Ort der Gegenwart Gottes stattfindet. Das Motiv des Stehens in Relation zu Gott spielt im Buch Deuteronomium eine wichtige Rolle. Moses Stellung zu Gott hat entsprechend seiner einzigartigen Mittlerrolle besondere Züge.398 Die spezifische Formulierung „vor Jhwh stehen“ in Dtn 10,8; 18,7, begegnet jedoch im Buch Deuteronomium nur in Bezug auf den Klerus und das Volk während der Offenbarung und des Bundesschlusses am Horeb (4,10) sowie wieder beim Bundesschluss in Moab (29,14). Macht das Volk bei diesen außerordentlichen Ereignissen die Erfahrung, vor seinem Gott zu stehen, so ist es die Berufung des Stammes Levi, beim Dienst im Heiligtum in der Gegenwart Gottes zu stehen. Die außerordentliche Erfahrung der Gottesnähe während der Offenbarung am Horeb und des Bundesschlusses in Moab wird für den Stamm Levi so zur kontinuierlichen Erfahrung seiner Aussonderung. Das direkt anschließende Verb ‫ׁשרת‬, „dienen“, kann verschiedene Formen des Dienstes bezeichnen, verweist aber vorwiegend auf die Dienste der Priester und Leviten am, rund um und im Heiligtum, wobei es jene des gesamten Stammes Levi, jene der Priester oder jene der Leviten als clerus minor bezeichnen kann.399 Da die Formulierung mit Gott als Objekt des Dienstes ‫לׁשרתו‬, „ihm zu dienen“, fast ausschließlich in der Beschreibung des priesterlichen Dienstes begegnet,400 lenkt die Formulierung den Blick vor allem auf den priesterlichen Dienst. Der letztgenannte Dienst des Segensprechens wird selten als Dienst des Klerus erwähnt.401 Ist in Dtn 10,8 aufgrund der allgemeinen Rede über den Stamm Levi offen394 395 396 397 398

Siehe HIEKE, Levitikus 1–15, 114–115. So z. B. WEINFELD, Deuteronomy, 421–422. So DAHMEN, Leviten, 41. Vgl. RINGGREN, „‫“עמד‬, 198–199. So steht er bei der Dekalogoffenbarung zwischen Jhwh und dem Volk (5,5) und wird bei der Mitteilung der weiteren Gebote von Gott aufgefordert, sich zu ihm zu stellen (5,31). 399 Im Buch Numeri bezieht sich das Verb ‫ ׁשרת‬auf den Dienst der Leviten als clerus minor, im Buch Exodus dagegen vor allem auf den Dienst Aarons und seiner Söhne, während im Buch Ezechiel sowie in 1–2 Chr beider Dienste davon umfasst werden; siehe ENGELKEN, „‫“ׁשרת‬, 505. 400 Dtn 21,5; Jes 61,6; Jer 33,21.22; Ez 40,46; 43,19; 44,15.16; Joel 1,9.13; 2,17; 1 Chr 23,13; 2 Chr 13,10. Als auch die Leviten einschließende Formulierung begegnet sie nur in 2 Chr 29,11. 401 Siehe SCHARBERT, „‫“ברך‬, 821–822.

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gehalten, ob es sich um einen spezifisch priesterlichen Dienst handelt, so weisen die restlichen Stellen, wo von einem Segen durch den Klerus die Rede ist, diesen als priesterlichen aus, so auch besonders die Beauftragungen zum Segnen in Num 6,23–27; 1 Chr 23,13; Sir 45,15. Die spezifische Formulierung „in seinem Namen segnen“ (‫ )לברך בׁשמו‬deutet, auch wenn sie König David ebenfalls zugesprochen wird, in Richtung eines „kultisch /priesterlichen Milieus“.402 Sie überschneidet sich im Motiv des „Namens“ mit dem hinteren Rahmen des aaronitischen Priestersegens in Num 6,27, der mit „ihr sollt meinen Namen auf die Söhne Israels legen und ich werde sie segnen“ abschließend die Zielbestimmung des Segens benennt. Die damit verbundene Vorstellung scheint zu sein, dass der dreimal ausgesprochene Gottesname „Träger göttlicher Macht“ ist.403 Die Formulierung verweist außerdem auf die mit dem Heiligtum und dem Tempel verbundene Vorstellung der Gegenwart Gottes, die dadurch vermittelt wird, dass er seinen Namen darauflegt. Diese Vorstellung klingt auch in der in Dtn 10,8 gebrauchten Wendung „in seinem Namen segnen“ nach. Hier wird der Name zum Instrument einer Segensvermittlung, der dem Volk Gottes heilspendende Gegenwart vermittelt. Die drei erwähnten Dienste beleuchten nicht nur verschiedene Aufgaben des Stammes Levi, sondern umfassen den gesamten Aufgabenbereich Levis in Lehre - Kult - Segnen und erstrecken sich auf den gesamten Lebensbereich des Volkes durch Lehre (Lehrhaus) Kultdienst (Zeltheiligtum/Tempel) - Segen (Alltag).404 Die abschließende Formulierung „bis zum heutigen Tag“ (‫ )עד היום הזה‬durchbricht den textinternen Rahmen der Moabrede, da das „Heute“ als „Heute“ der Erzählstimme verstärkt durchsichtig auf die Zeit der Autoren und ihrer Adressaten ist.405 Die Dienste des Stammes Levi ragen in die Zeit der Adressaten hinein. Was aber der Klerus an Diensten tut, geht zurück auf dessen Aussonderung am Horeb, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Erneuerung am Horeb steht. Dass sich die Formel auf die Gesamtheit der Dienste bezieht und damit auch auf den Trägerdienst der Lade, der innerhalb der Welt der textexternen Adressaten nicht mehr existierte, stellt auch innerhalb der textexternen Kommunikation keinen Anachronismus dar, sondern zielt auf die symbolische Bedeutung des Trägerdienstes als Hinweis auf die Verantwortung Levis für die Bundesbeziehung. Mit der Aussonderung des Stammes Levi zu seinen Diensten, die in die Welt der Adressaten hineinragen, wird der Blick auf den Weg vom Ursprung (Horeb) bis in die Gegenwart („bis zum heutigen Tag“) gelegt. Der Stamm Levi wird so als Verbindungslinie zwischen dem Ursprungsgeschehen und der Gegenwart gezeichnet. b) Die Besitzlosigkeit Levis und ihre Kompensation Nach der Beschreibung der Aufgaben des Stammes Levi, wird seine sich von allen anderen Stämmen (‫ )אחיו‬unterscheidende besitzlose Lebensform hervorgehoben. Dabei wird die Aussonderung ausdrücklich als Begründung (‫„ על־כן‬deswegen“) dafür angegeben, dass Levi „keinen Anteil und Erbbesitz“ (‫ )חלק ונחלה‬mit seinen Brüdern erhalten hat. So wird sichtbar,

402 DAHMEN, Leviten, 48. 403 REITERER, „‫“ׁשם‬, 132. 404 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 114–117, der als die drei wesentlichen priesterlichen Aufgaben den Dienst am Heiligtum, das Unterscheiden und Belehren und das Segnen herausstellt. 405 Vgl. DAHMEN, Leviten, 51; siehe auch S. 43.

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dass ihre besondere Bindung an Gott mit einer gleichzeitigen Loslösung von den Gütern der Welt verbunden ist. War in v8 noch vom Stamm Levi die Rede gewesen, fällt jetzt nur die Bezeichnung ‫לוי‬, „Levi“, die hier im Unterschied zu Dtn 12,12.18.19; 14,27.29; 16,11.14; 18,6; 26,11.12.13 nicht einen einzelnen Leviten, sondern als „Gentilizium“ ebenfalls den Stamm wie in 10,8 bezeichnet (vgl. Dtn 27,12; 33,8).406 Seine Besitzlosigkeit und die Frage der Lebenssicherung werden in der Hebräischen Bibel ausführlich thematisiert. In synchroner Leserichtung begegnet das Motiv der Besitzlosigkeit erstmals und zudem in einer Dtn 10,9 sehr nahen Formulierung in Num 18,20, wo Aaron gesagt wird, er solle nicht erben und keinen Anteil in ihrer (der Israeliten) Mitte haben ( ‫)לא תנחל וחלק לא־יהיה לך בתוכם‬, was in v23 für den einzelnen Leviten und in v24 für die „Leviten“ als clerus minor wiederholt wird. Demzufolge ist der gesamte Stamm Levi, clerus maior und minor, zur Besitzlosigkeit angehalten. Dasselbe Motiv in ähnlicher Formulierung jeweils mit ‫ חלק‬und ‫ נחלה‬begegnet im Buch Deuteronomium außer in 10,9 noch im Blick auf den einzelnen Leviten in 12,12; 14,27.29 und im Blick auf den gesamten Stamm unter Hervorhebung der levitischen Priester in 18,1 (vgl. auch Jos 13,14.33; 14,3.4; 18,7). In scheinbarem Widerspruch zur Besitzlosigkeit Levis steht, dass ihnen Städte, Weideflächen und Land vom Besitz der anderen Stämme abgegeben werden (z. B. Lev 25,32.33.34; Num 35,2.4.6.7.8), die auch bisweilen als deren Besitz bezeichnet werden (z. B. Lev 25,32.33.34; 27,21). Allerdings wird hierbei weder das Wort ‫ חלק‬noch ‫ נחלה‬verwendet, sondern ‫אחזה‬, das nicht einen bei der Landaufteilung zugewiesenen ewigen Erbbesitz bezeichnet, sondern ein aus dem Besitz der Stämme übergebenes Eigentum.407 In Dtn 10,9 mündet das Konzept der Besitzlosigkeit Levis wie auch in Num 18,20; Jos 13,14.33 in den Gedanken der Kompensierung dieses Mangels dadurch, dass „Jhwh sein Erbbesitz“ ist (‫)יהוה הוא נחלתו‬.408 Da sich Dtn 10,9 terminologisch stark an Num 18,20 anlehnt und die anderen Belege des Motivs von Jhwh als Erbbesitz erst nach Mose in Jos 13,14.33 erfolgen, kommt aus synchroner Perspektive als Verweisstelle für den abschließenden Rückverweis „wie dein Gott ihm zugesagt hat“ vor allem Num 18,20–24 in Frage.409 Was mit „Jhwh als Erbbesitz“ gemeint ist, war in Num 18,19 deutlich geworden, wo Aaron und seinen Söhnen Anteile von der „Abgabe“ (‫ )תרומה‬an Gott zugesprochen werden. Komplementär zum Erhalt der Priester wird im unmittelbaren Folgetext Num 18,21– 24 auch die Lebenssicherung der Leviten als clerus minor erläutert, denen der „Zehnte“ (‫ )מעׂשר‬als Erbbesitz (‫ )לנחלה‬zukommen soll, der laut v24 von den Israeliten Gott entrichtet wird.410 Die Priester leben von der „Abgabe“ (‫ )תרומה‬und die Leviten vom „Zehnten“ (‫)מעׂשר‬, die jeweils zuerst und eigentlich Gott gehören. In diesem Sinne ist Gott auf sehr

406 407 408 409

DAHMEN, Leviten, 54–56. Vgl. ASHLEY, Numbers, 645. DAHMEN, Leviten, 52, spricht von „Ersatz“ für den Mangel an Land. Siehe dazu SKWERES, Rückverweise, 188–191. Für DAHMEN, Leviten, 59–64, kommt nur Num 18,20 als Verweistext in Frage, während er Num 18,21–24 ausscheidet. Meines Erachtens entspricht es aber gerade der offenen und inklusiven Perspektive von Dtn 10,8–9, dass hier sowohl Num 18,20 als auch der unmittelbar anschließende Folgetext Num 18,21–24 vor Augen stehen und so sowohl Priester als auch Leviten angesprochen werden. 410 Siehe dazu ASHLEY, Numbers, 353–354.

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direkte Weise der Erbbesitz des Klerus, weil Grundlage seiner Existenz. Zudem klingt darin die besondere Verbindung des Klerus zu Jhwh an, die sich aus ihrem Dienst für Jhwh ergibt. 5.4.2.3 Textexterne Pragmatik in Dtn 10,6–9 Durch den Wechsel von der zweiten zur dritten Person wird in Dtn 10,6–9 zu verstehen gegeben, dass nicht Mose zur Moabgeneration spricht, sondern die textexternen Adressaten angesprochen sind. Ihnen wird die Bedeutung des Stammes Levi für das Volk Gottes vor Augen gehalten. Der Stamm Levi ist von Jhwh damals ausgesondert worden, um der Bewahrung der Gottesbeziehung zu dienen. Indem diese Ereignisse mit der Erneuerung am Horeb in Verbindung gebracht werden, unterstreichen Autoren, dass die Bewahrung und kontinuierliche Erneuerung der Gottesbeziehung unmittelbar mit dem Klerus und ihren Diensten in Verbindung steht. Denn sie sind ausgesondert, um Sorge für diese Beziehung zu tragen. In diesem Sinne ist der Klerus auch „Unterpfand“ einer sich fortsetzenden Geschichte Israels als Gottesvolk.411 Hatte die Horebgeneration Erneuerung am Horeb erfahren, so können die textexternen Adressaten diese Erfahrung vor allem am Versöhnungstag machen. Mit der Sukzession des höchsten priesterlichen Amtes, dessen Inhaber laut Lev 16 den Ritus der Reinigung von Unreinheit und Sünden für das gesamte Volk vollzieht, verweist 10,6–7 auf jenen von Gott gestifteten Dienst, der es ermöglicht, dass Israel trotz seiner Verfehlungen als heiliges Volk Jhwhs fortexistieren kann. Während v8 zum Ausdruck brachte, dass Gott den Stamm Levi dazu bestimmt hat, seine ganze Existenz auf ihn und den Dienst an ihn auszurichten, so komplementiert v9 die Darstellung einer engen Bindung zwischen dem Stamm Levi und Jhwh. Diese enge Bindung des Stammes Levi an Jhwh ist für Israels Zukunft und Gegenwart von entscheidender Bedeutung. Der Hinweis darauf soll Anlass für die Adressaten des Buches sein, für den Stamm Levi durch Abgaben zu sorgen, was auch in der Gesetzgebung des Buches Deuteronomium besonders akzentuiert wird, wenn die Leviten den personae miserae zugerechnet werden und so wie diese besondere Berücksichtigung erfahren sollen (vgl. 12,12.18–19; 14,27.29; 16,11.14; 18,6–8; 26,11–13). 5.4.3 Erhörung und Aufbruch in Richtung Land (Dtn 10,10–11) Nach dem Einschub der Erzählstimme wechselt die Erzählung in Dtn 10,10–11 wieder zur Erzählung Moses, der in einem örtlichen und zeitlichen Wechsel auf seinen zweiten Bergaufenthalt zurückkommt. Damit verbunden ist der thematische Wechsel vom Klerus hin zu Gottes Erhörung seines Gebetes in v10 und Gottes Aufbruchsbefehl an Mose und der Zusage der Landnahme in v11. Obwohl diese Ereignisse der Fabel nach noch vor der Erneuerung der Tafeln stattgefunden hatten, beschließen sie der Erzählabfolge nach die Erneuerungserzählung, wodurch das Gelingen der noch ausstehenden Landnahme als „letzte Konsequenz“ der erneuerten Gottesbeziehung (10,11) erkenntlich gemacht wird. 412

411 Vgl. OTTO, Deuteronomium, 996. 412 Vgl. BRAULIK, Deuteronomium, 83, der die in Aussicht gestellte Landnahme als „letzte Konsequenz der Bundeserneuerung“ bewertet.

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Erneuerung am Horeb (Dtn 10,1–11)

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a) Einzelanalyse Dass sich Mose nun wieder auf den zweiten Bergaufenthalt von Dtn 9,18–20.25–29 bezieht, in denen er um Israels Verschonung gebetet hatte und erhört worden war, ist durch wörtliche Übernahmen der Zeitspannenangabe aus 9,18 und der Erhörungsnotiz aus 9,19 markiert. Dies bestätigt sich auch im Vergleich mit Ex 32–34, wonach Mose während seines zweiten Bergaufenthalts in Ex 32,34; Ex 33,1 noch vor der zweiten Tafelübergabe aufgefordert wurde, das Volk ins Land zu führen.413 Auf der Folie von Ex 32–34 wird so noch einmal deutlich, dass Mose sich nicht auf den Aufenthalt zur Übergabe der zweiten Tafeln bezieht,414 sondern auf jenen Bergaufenthalt, an dem er für das Volk gebetet hatte. 415 Mose beginnt mit einem betonten Verweis auf seine eigene Person (‫„ ;ואנכי‬ich aber“). Dieser richtet den Blick vom Klerus wieder auf ihn selbst, wodurch der Hörer in die mosaische Ich-Erzählung der Horebereignisse zurückgeholt wird. Mit solchen Selbstverweisen deutet Mose zumeist auf seine spezifische Rolle als Vermittler, durch die er sich vom Volk abhebt, so in der Promulgationsformel (z.B. Dtn 5,1; 6,2.6), bei seiner Vermittlung des Bundesschlusses (11,26; 29,13) und in Dtn 5,5, wo er mit „Ich stand zwischen euch und Jhwh“ diese Vermittlerrolle in besonders pointierter Weise zum Ausdruck bringt. Auch in Dtn 10,10–11 fasst Mose wesentliche Punkte seiner prophetischen Vermittlung während seines zweiten Aufenthalts am Horeb zusammen. Zunächst verortet er seinen zweiten Aufenthalt erstmals ausdrücklich auf dem Berg (‫)בהר‬. Im Gegensatz zu Dtn 9,18.25, wonach er während seines Gebetes gelegen war, heißt es nun, dass er gestanden (‫ )עמד‬sei. Dies könnte damit zusammenhängen, dass am Ende des Aufenthalts die Zeit der liegenden Bittgeste schon zu Ende war und Mose eine Haltung der Bereitschaft einnahm, um Gottes letzte Anweisungen zu hören. Mose wiederholt, dass Jhwh auf ihn auch dieses Mal gehört hatte, bringt aber nun erstmals ausdrücklich mit „Jhwh wollte euch nicht vernichten“ die Konsequenz der Erhörung zum Ausdruck. Auf dem Hintergrund der erhörten Fürbitte und Verschonung zitiert Mose in v11 den damals an ihn gerichteten Aufbruchsbefehl Gottes und dessen Zusage, dass das Volk das Land einnehmen werde. Das Zitat beginnt mit dem doppelten Imperativ ‫קום לך‬, „erheb dich, geh!“. Das lange Verweilen am Gottesberg war zu einem Ende gekommen. Nach der Erhörung der Fürbitte galt es, sich in Richtung Land aufzumachen. In der Einleitung der göttlichen Rede und dem nachfolgenden Imperativ ‫ קום‬klingt Gottes Aufforderung an Mose in 9,12 nach, die sich darin unterscheidet, dass auf ‫ קום‬nicht ‫„ לך‬geh“, sondern ‫„ רד‬steig hinab“ gefolgt war. Hatte Gott, die Sünde Israels vor Augen, Mose aufgefordert, als Prophet in Aktion zu treten und in die Niederungen von Israels Sünde hinabzusteigen, so soll Mose nun nach erfolgter Verschonung Israel in Richtung Land der Verheißung vorausgehen.416 Die Zielbestimmung des Abstiegs mit „zum Aufbruch vor das Volk“ (‫)למסע לפני העם‬ verknüpft den Auftrag über das Substantiv ‫ מסע‬mit den Erzählungen von Israels Aufbrüchen 413 414 415 416

Vgl. z. B. IBN EZRA, Dewarim ad 10,1 (Hg. NORMAN / STRICKMAN, 67). So etwa RAMBAN, Dewarim, zu Dtn 10,10–11 (Hg. KASNETT et al., 242). Vgl. z. B. LOHFINK, „Deuteronomium 9,1–10,11”, 49. Der doppelte Imperativ erinnert auch an den zweiten Auftrag Gottes an Abraham in Gen 13,17, sich zu erheben und das Land zu durchschreiten, das er ihm geben werde. Mose wird zwar nicht wie Abraham in dieses Land kommen und es durchschreiten, aber er wird bis an die Grenze dieses Landes gelangen.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

nach dem Horeb in Ex 40,36.38; Num 10,2.6.12.28; 33,12, wobei sich Mose auf den ersten Aufbruch nach dem Horeb bezieht, von dem in Num 10,2–10 erzählt wird.417 Mit „vor dieses Volk“ (‫ )לפני העם הזה‬kommt Moses Führungsrolle beim Marsch durch die Wüste zum Ausdruck.418 Dass das Volk mit dem Demonstrativpronomen „dieses“ immer noch in einer gewissen Distanz wie in 9,13 angesprochen wird,419 entspricht der Situierung während des zweiten Bergaufenthalts vor der Tafelerneuerung, wonach Gott zwar Mose erhört und das Volk verschont, es aber noch nicht wieder in vollem Sinn als sein Volk angenommen hatte.420 Die göttliche Zusage der Landnahme erfolgt wie in Dtn 9,1 im Zweischritt ‫ויבאו וירׁשו‬, „und sie werden kommen und einnehmen“,421 was nuanciert zuerst auf die Ankunft nach der Überschreitung des Jordan und die nachfolgende Eroberung hinweist. Damit werden jene beiden Verben aufgegriffen, die auch in der Eröffnung des Abschnitts in 9,1 begegneten. Steht Israel laut Dtn 9,1 davor, den Jordan zu überschreiten, um in das Land zu kommen und es einzunehmen, so schließt der Geschichtsrückblick mit der göttlichen Zusage am Horeb, dass das Volk eben dies ausführen werde. So wird der Bogen zurück an den Anfang der Paränese in 9,1–3 gespannt. Der Nachsatz vom „Land, das er ihren Vätern geschworen hat, es ihnen zu geben“ (‫ )הארץ אׁשר־נׁשבעתי לאבתם לתת להם‬spannt wiederum einen Bogen zurück zu Dtn 9,5. Verdanken sich die Erneuerung der Gottesbeziehung am Horeb und damit auch der Fortgang von Israels Geschichte allein Moses Fürbitte und Gottes Einlenken, so ist der Schwur an die Väter das Fundament, auf dem die Gabe des Landes gründet. b) Dtn 10,10–11 als mehrfacher Abschluss Dtn 10,10–11 dient in mehrfacher Weise als Abschluss und Konklusion. Der Abschnitt führt die Erneuerungserzählung Dtn 10,1–11 an ein Ende, beschließt den Geschichtsrückblick 9,7– 10,11 und spannt einen Bogen zurück zur Paränese in 9,1–6.422 Indem Motive und Lexeme des gesamten Abschnitts wieder aufgegriffen werden, wird der innere Zusammenhang der Argumentation von 9,1 bis 10,11 deutlich. a) Dtn 10,10–11 beschließt die Erneuerungserzählung. Hatte die Erneuerung der Tafeln auf die Wiederherstellung der Gottesbeziehung, die Sukzession des Priesteramtes Aarons und die Aussonderung der Leviten aber auf die Bewahrung der geretteten Gottesbeziehung gedeutet, so weist die Zusage der Landnahme auf die noch ausstehende Erfüllung der Landverheißung als letzte Konsequenz der erneuerten und damit wieder intakten Bundesbeziehung. b) Mit Dtn 10,10–11 endet der gesamte Geschichtsrückblick. Mose fasst in der Konklusion das Ergebnis seines Einsatzes für Israel mit Erhörungs- und Verschonungsnotiz zusammen, um den Blick schließlich auf die aus textinterner Perspektive noch ausstehende Landnahme zu lenken. So verschränkt sich der Rückblick am Ende des Abschnitts in 10,11 417 OTTO, Deuteronomium, 340. 418 LOHFINK, Hauptgebot, 216. 419 Zu den Überlegungen zur Ursprünglichkeit dieser im Smr und einiger der Handschriften des MT und der LXX belegten Variante siehe S. 40. 420 Vgl. die immer noch distanzierte Haltung Gottes in Ex 33,1. 421 Dies kann auch deontologisch mit einem stärkeren Akzent auf die Beauftragung interpretiert werden; siehe z. B. PECKHAM, „Composition“, 56, der von einem „command“ spricht. 422 Vgl. PECKHAM, „Composition“, 57: „In summary, 10,10–11 conclude und combine all the narrative themes of these chapters by alluding to certain aspects of it.“

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Erneuerung am Horeb (Dtn 10,1–11)

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mit 9,1–6 derart, dass der Schlusspunkt der Erzählung in Form der Zusage des Landes (10,11) sich thematisch mit dem Ausgangspunkt in 9,1–3 überschneidet und dort endet, wo Mose in 9,1–6 begonnen hatte, bei der bevorstehenden Landnahme.423 c) In Dtn 10,10–11 spannt Mose mit der Wiederaufnahme des Wortpaars ‫ ירׁש‬+ ‫ בוא‬den Bogen zurück an den Anfang der Paränese in 9,1. Das Gelingen der bevorstehenden Mission wurde am Horeb von Gott selbst zugesagt. Die Zusage der Landnahme inklusive der Beschreibung des Landes mit anschließender Schwurformel verknüpft sich zudem mehrfach lexematisch wie inhaltlich mit der Paränese 9,4–6. Vor allem zeigt sich dabei eine Entsprechung zu 9,5, wo die Völkervertreibung auf den Schwur an die Väter zurückgeführt wird. Im Rückblick vom Ende in 10,11 auf den Anfang wird deutlich, dass sich Israel am Horeb als ein Volk harten Nackens (9,13; vgl. 9,6) erwiesen hat, das nur aufgrund von Moses Fürbitte verschont blieb. Damit wird deutlich, dass die Zusage der gelingenden Landnahme am Horeb in keiner Weise Israels Bewährung zuzuschreiben ist (vgl. 9,4.5.6), sondern der Vermittlung Moses und dem Schwur an die Väter (10,11). Der göttliche Aufbruchsbefehl an Mose und die damit verbundene Zusage spannen jedoch nicht nur den Bogen zurück zu Dtn 9,1–6, sondern auch zum göttlichen Aufbruchsund Landnahmebefehl in Dtn 1,6–8,424 der nach der Verweigerung der Landnahme nicht abrogiert wurde, sondern laut Dtn 2,3 der Moabgeneration gilt.425 In Dtn 10,11 finden sich allerdings mehrere Unterschiede zu dessen Darstellung in Dtn 1,6–8. Richtete sich hier der göttliche Auftrag an das ganze Volk, so berichtet Mose nun angesichts der unmittelbar bevorstehenden Landnahme von dem allein an ihn ergangenen Auftrag des Aufbruchs und der Führung. Damit verweist er indirekt darauf, dass er und die Moabgeneration sich an einem Scheidepunkt befinden. Mose hat nun seinen Auftrag vom Horeb erfüllt. Die Landnahme, aus der Gott Mose mit „und sie werden hinkommen und einnehmen“ ausgeschlossen hatte, ist dagegen Aufgabe der Moabgeneration, der es obliegt, diesen noch ausstehenden Auftrag unter der Führung Josuas zu erfüllen. Im Blick auf das Buch Exodus wird noch etwas deutlich. Hier ist der Aufbruchsbefehl an Mose (Ex 32,34; 33,1) nicht die letzte Botschaft zur Landnahme. Unmittelbar darauf erfolgt in Ex 33,2 Gottes Ankündigung, er werde einen Engel vor Israel herschicken und die Völker vertreiben (‫)גרׁש‬, und nach weiteren intensiven Verhandlungen über Gottes Mitgehen (vgl. Ex 33,13; 34,9) bestätigt Gott während des dritten Bergaufenthalts in Ex 34,11 diese Zusage, wobei er nun endlich auf Moses Flehen eingeht, er möge doch selbst mitgehen und nicht nur der Engel (Ex 33,2). Dtn 9f. scheint auf den ersten Blick diese weitere Diskussion nicht anzusprechen, sondern sich mit dem Schluss zu begnügen, dass Gott Mose zum Aufbruch aufgefordert und Israel das Land zugesagt hat. Jedoch zeigt sich im Blick auf die Paränese, dass die göttliche Zusage, er selbst werde in Israels Mitte mitgehen und die Völker vertreiben, bereits in Dtn 9,3 wiedergegeben wurde. Die Argumentation ist nicht nur zirkulär auf den Anfangspunkt zurückgekommen, von der Landnahme zur Landnahme. Vielmehr hat Mose die göttliche Zusage, Israel bei der Landnahme beizustehen, die laut Ex 34,11 am Sinai/Horeb erging, bereits in 9,3 an die Moabgeneration weitergegeben. Wenn Mose diese letzte Zusage aber nun nicht nacherzählt, 423 TASCHNER, Mosereden, 250. 424 Siehe z. B. HARDMEIER, „Schema‘ Jisra’el“, 67. 425 Siehe dazu OTTO, Deuteronomium, 341.

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Geschichtsrückblick (Dtn 9,7-10,11)

sondern direkt an die Moabgeneration richtet, wird deutlich: Was damals vor 40 Jahren gesagt worden war, hat seinen Ort im „Heute“, weil es jetzt eingelöst werden soll. „Heute“ (9,1.3) ist der Moment, an dem sich erfüllen soll, was Gott damals zugesagt hat. c) Dtn 10,10–11 auf textexterner Kommunikationsebene Über das Verb ‫ ׁשחת‬verknüpft sich Dtn 10,10 mit Dtn 4,31, wo die Barmherzigkeit Gottes als Grund für die Verschonung der textexternen Adressaten nach der großen Katastrophe erkenntlich gemacht wird. Diese Verknüpfung deutet darauf hin, dass auch in Dtn 10,10 auf textexterner Kommunikationsebene das Überleben der textexternen Adressaten nach der Katastrophe im Blick ist, was nach E. Otto mit dem Numeruswechsel in den Singular noch unterstrichen wird.426 Für sie galt das Wort ebenso wie für die Horeb- und Moabgeneration. Trotz des in der Zerstörung Jerusalems und in der Exilierung erfahrenen Zornes Gottes konnten sie in der Tatsache, dass sie überlebt hatten, erkennen, dass Jhwh sie nicht vernichten wollte. Die Überwindung des göttlichen Zornes und die Erneuerung der Gottesbeziehung im Rücken schließen Autoren die Erneuerungserzählung mit der göttlichen Zusage der Landnahme. Sie stellen diesen Auftrag und die Zusage seines Gelingens auf ein zweifaches Fundament, zum einen auf den göttlichen Auftrag am Horeb in 1,6–8; 10,11, zum anderen auf den Schwur an die Väter (9,5; 10,11). Die textexternen Adressaten sollten entsprechend der Identifikationsdynamiken des Buches Deuteronomium erkennen, dass der Auftrag zur Landnahme und die Zusage ihres Gelingens auch ihnen galten. Ist der göttliche Auftrag am Horeb in Dtn 1,6–8 Ausgangs- und Anfangspunkt der Mosereden, so erzählt Mose in Dtn 9,8–10,11, was sich vor diesem Auftrag ereignet hat. Auftrag und Zusage der Landnahme am Horeb werden so als Endpunkt einer überwundenen Krise erkenntlich,427 deren Erfüllung noch aussteht. Diese Konstellation spiegelt die Situation der textexternen Adressaten wider. Sie blicken auf die Katastrophe der Zerstörung Jerusalems und den Verlust des eigenen Landes zurück. Das Ende in Dtn 10,11 aber gab ihnen zu verstehen, dass sie nach der überwundenen Krise den Weg in Richtung Land einschlagen sollten. Wie die Moabgeneration waren sie gerufen, sich in Richtung jenes Landes aufzumachen, das Gott Abraham, Isaak und Jakob verheißen hatte, um den göttlichen Auftrag vom Horeb zu erfüllen.

426 OTTO, Deuteronomium, 940. 427 Vgl. HARDMEIER, „Schema‘ Jisra’el“, 67.

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6. Textinterne Kommunikation und rhetorische Dynamik Auf der Grundlage der Auslegung soll in diesem Kapitel die eingangs entwickelte Frage nach der textinternen Kommunikation und rhetorischen Dynamik des Abschnitts Dtn 9f. beantwortet werden. Das Kapitel beginnt mit einem Vergleich von Moses Darstellung der Horebereignisse in Dtn 9f. mit jener des biblischen Erzählers in Ex 32–34. Vor dem Hintergrund der Horeberzählung des Erzählers in Ex 32–34 kommen spezifische Akzentuierungen von Moses Version für die Moabgeneration deutlicher ans Licht, sodass die Eigenart seiner Horeberzählung erkannt werden kann. Auf dieser Grundlage soll dann die Gesamtdynamik von Dtn 9f. dargestellt werden. Darauf folgt eine systematische Interpretation der Beziehungen zwischen der Paränese in 9,1–6 und der Erinnerung in 9,7–10,11. Zuletzt werden weiterführende Gedanken zur Rolle von Dtn 9f. innerhalb der Gesamtdynamik des Buches Deuteronomium dargelegt.

6.1 Horeberzählung in Dtn 9f. und in Ex 32–34 Die Rebellion am Gottesberg und ihre Überwindung ist eine der wenigen Erzählungen der Hebräischen Bibel, die uns zweifach überliefert ist. Die diachron ausgerichtete Forschung hat vor allem Fragen nach der Entstehung der Texte, die Richtung der Abhängigkeit und Rezeptionsgeschichte gestellt, dabei jedoch in Bezug auf Dtn 9f. zumeist den Geschichtsrückblick von der Paränese in 9,1–6(7) und so von seinem rhetorischen Kontext isoliert betrachtet.1 Sie hat tendenziell Unterschiede und Abweichungen in Dtn 9f. literarkritisch erklärt, ohne in Erwägung zu ziehen, dass diese auch innerhalb der Welt des Textes Erklärung finden könnten. Mehrere synchrone Arbeiten haben dagegen Dtn 9f. als eigenständige Texteinheit untersucht, ohne jedoch die Beziehungen zu Ex 32–34 in den Blick zu nehmen.2 An dieser Stelle sollen die Beziehungen von Dtn 9f. und Ex 32–34 aus synchroner Perspektive untersucht und dabei das Augenmerk auf die textinterne Kommunikationsebene in Dtn 9f gelegt werden.3 Entsprechend der Selbstpräsentation ist Ex 32–34 als Bericht eines allwissenden Erzählers zu begreifen, während es sich in Dtn 9,8–10,11 um eine Nacherzählung Moses 40 Jahre nach den tatsächlichen Ereignissen im Rahmen seiner Reden an die Moabgeneration handelt.4 Zur Frage steht, wie sich Moses Nacherzählung zum Bericht des Erzählers verhält, wo sie diesem gleicht, wo sie davon abweicht und wie sich diese Abweichungen innerhalb der Welt des Textes interpretieren lassen. Auf dem Hintergrund von Ex 32–34 fügen sich 1 Siehe dazu die Kritik von TALSTRA, „Deuteronomy 9“, 189. 2 Siehe die Kritik bei HWANG, „Rhetoric“, 148. 3 Mehrere Autoren haben beim Vergleich mit Dtn 9f. mit Ex 32–34 die textinterne Kommunikationsebene in Dtn 9f. bisweilen in Erwägung gezogen; siehe besonders HAYES, „Golden Calf”; HWANG, „Rhetoric“. 4 Vgl. HAYES, „Golden Calf”, 74.

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Textinterne Kommunikation und rhetorische Dynamik

Moses manchmal nur ausschnitthaften Einblicke zu einem größeren Bild. Andererseits bietet er auch Einblicke in die Ereignisse aus erster Hand, sodass seine Innenperspektive jene des Erzählers ergänzt. Mose betont einzelne Elemente, lässt andere aus und erzählt auch Neues, das im Bericht des Erzählers nicht begegnet. Auf der Hintergrundfolie von Ex 32–34 wird deutlich, dass er eine eigens akzentuierte Version der Kalbepisode an die Moabgeneration vermittelt. Gerade an den Unterschieden wird deutlich, mit welchen Zielen Mose der Moabgeneration von der Rebellion am Gottesberg berichtet. So soll im Vergleich mit Ex 32– 34 die Eigenart seiner Darstellung herausgearbeitet werden. 6.1.1 Die Übergabe der Tafeln und die Sünde (Dtn 9,9–17 und Ex 24; 32) In Dtn 9,9–17 bezieht sich Mose auf Ereignisse, die der biblische Erzähler in Ex 24,18; 31,18; 32,8–10.15–16.19 wiedergibt. Obwohl sich beide Berichte teils bis in den Wortlaut überlappen, spricht Mose einige vom Erzähler ausführlich beschriebene Punkte wie die Heiligtumsbestimmungen, die Entstehung des Kalbes und dessen kultische Verehrung nicht an. Andererseits gibt er Informationen, die gegenüber dem Bericht des Erzählers völlig neu sind, oder stellt die Ereignisse durch Ergänzungen kleinerer Details in ein anderes Licht. Die signifikantesten Unterschiede sind in folgender Tabelle aufgelistet: Tabelle 7: Plus und Minus in Dtn 9,9–17 im Vergleich zu Ex 24; 32 Plus in Dtn 9f. (neue Informationen oder Minus in Dtn 9f. (Was Mose nicht Akzentuierungen) anspricht) Dtn 9,9: + Fastennotiz - Ex 24,18: „Mose ging in die Wolke hinein“ + „Tafeln des Bundes, den der Herr mit euch geschlossen hat“ - Ex 25–31 (Heiligtumsbestimmungen) + Dtn 9,10–11: Göttliche Beschriftung und Versammlung am Horeb + „Am Ende“ - Ex 32,1–6: Die Entstehung des Kalbes Dtn 9,14: + „ihren Namen unter dem - Ex 32,8: Verehrung des Kalbes Himmel auslöschen“

Dtn 9,15: + „Der Berg brennend in Feuer“ + Tafeln des Bundes Dtn 9,17: + „ergriff“ + „vor euren Augen“

- Ex 32,11–14: Moses erste Intervention - Ex 32,15–16: göttliche Beschriftung der Tafeln 32,17–19: Der Lärm im Lager + Tanz Ex 32,19: - „entbrannte sein Zorn“ - „unterhalb des Berges“

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Horeberzählung in Dtn 9f. und in Ex 32–34

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a) Dtn 9,9–11 als Zusammenfassung von Ex 24,12–18; 31,18 In Dtn 9,9 berichtet Mose von der Ausführung eines Auftrags, von dem im Buch Exodus in Ex 24,12 erzählt wird.5 Demzufolge war Mose auf den Berg gerufen worden, um die Tafeln, die Tora und das Gebot zu empfangen. Mit der kurzen Notiz „als ich auf den Berg stieg“ fasst er in aller Kürze seine in Ex 24,12–17 ausführlich beschriebene Bergbesteigung zusammen, wobei Dtn 9,9 der Schlussnotiz über den Aufstieg in Ex 24,18 entspricht. Übereinstimmend mit dem Erzähler (Ex) in Ex 24,18 berichtet er, dass er 40 Tage und 40 Nächte auf dem Berg geblieben war, jedoch ergänzt er, dass er dabei nichts gegessen und getrunken hatte. Während Ex 24,18 mit dem Eintritt in die Wolke einen Übergang von der weltlichen Sphäre in die Gegenwart Gottes zeichnet, unterstreicht Mose die Außergewöhnlichkeit des Geschehens durch den Hinweis auf seine vollkommene Entsagung von Brot und Wasser. In Dtn 9,10–11 macht Mose einen Sprung ans Ende seines Aufenthalts zur Übergabe der Tafeln, von der der Erzähler (Ex) in Ex 31,18 berichtet. Derart fasst Mose in Dtn 9,9–11 seinen Aufenthalt zum Empfang der Tafeln zusammen, dem im Buch Exodus der ausführliche Abschnitt Ex 24,12–31,18 entspricht. Er zeichnet in aller Kürze die Vorgeschichte, an deren Ende – wie er nun in 9,11 präzisiert – sich die folgenden Ereignisse zugetragen haben. Dass Mose die Heiligtumsbestimmungen mit keinem Wort erwähnt, erklärt sich auf textinterner Kommunikationsebene damit, dass Mose die Rebellion am Gottesberg vor allem unter dem Aspekt des Bundesbruchs präsentiert, ohne dabei auf den Kontrast zwischen göttlich legitimierten und apostatischen Kult einzugehen, was vor allem durch die Absenz der kultischen Verehrung des Kalbes deutlich wird. Dementsprechend fehlt auch das Motiv des Goldes in Dtn 9, das in Ex 25–31 eine wichtige Rolle spielt. Hier gibt Gott Anweisungen zur Abgabe von Gold für das Heiligtum (Ex 25,3), mit dem die sakralen Gegenstände wie etwa der Altar und der Tisch für die Brote überzogen (Ex 25,11) oder aus dem die Deckplatte der Lade (Ex 25,17) und der siebenarmige Leuchter (Ex 25,31) hergestellt werden sollen. Im Kontrast dazu gibt das Volk in Ex 32,2.3.24.31 das wertvollste Material für die Herstellung des Kalbes. Dieser Kontrast von göttlich geforderter Gabe für das Heiligtum und der freiwilligen Gabe für das apostatische Kultbild liegt nicht in Moses Fokus, da er vor allem den Gebotsbruch vor Augen führt, was durch den Kontrast zwischen Tafeln/Lade und Gussbild hinreichend zum Ausdruck kommt.6 b) Die Akzentuierung des Bundesthemas Der Erzähler (Ex) betont in Ex 31,18; 32,15–16 die göttliche Beschriftung und Anfertigung der Tafeln. Er kontrastiert damit die Gabe Gottes als göttliches Werk mit dem Machwerk des Volkes, wodurch er die Abgründigkeit ihrer Verfehlung hervorhebt. Auch Mose kontrastiert die Tafeln als göttliches Werk in Dtn 9,10 (beschrieben vom Finger Gottes) mit dem selbstgemachten Gussbild (Dtn 9,12.16.18.21). Jedoch liegt sein Fokus nicht im selben Maße auf der göttlichen Herkunft der Tafeln, sondern noch mehr auf dem Bezug der Tafeln zum Bund. So bezeichnet Mose die Tafeln mehrmals als Tafeln des Bundes (9,9.11.15) und verweist dabei zu Beginn in 9,9 auf den am Horeb geschlossenen Bund. Zudem hebt er in 9,10 ausdrücklich hervor, dass auf ihnen jene Worte standen, die Jhwh zu ganz Israel gesprochen hatte. Er klärt damit, dass es sich um die Bundesbestimmungen des Dekalogs 5 Siehe S. 94. 6 Zum Kontrast zwischen Tafeln/Lade und Gussbild siehe S. 123.

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Textinterne Kommunikation und rhetorische Dynamik

handelte. Zudem erinnert er daran, dass Israel durch das Hören eben jener Worte erstmals als „Versammlung“ (‫)קהל‬, d. h. als konstituiertes Volk Jhwhs in Erscheinung trat. Die akzentuierte Konzentration auf das Bundesthema kommt besonders bei Moses Abstieg zum Vorschein. Während der Erzähler (Ex) dies zum Anlass nimmt, die göttliche Beschriftung und Anfertigung der Tafeln hervorzuheben (Ex 32,15–16), streicht Mose in Dtn 9,15 hervor, dass er die Tafeln des Bundes auf seinen Armen trug. Mit der Akzentuierung der Tafeln als Bundestafeln lenkt Mose den Blick auf das Thema der Bundesbeziehung. 7 Er legt dar, dass Israel durch die Sünde mit dem Kalb die Bundesbestimmungen brach und damit die Bundesbeziehung ruinierte, welche die Tafeln repräsentierten. Dies steht zwar nicht in Spannung zum Bericht des Erzählers (Ex), ist jedoch als Konzentration auf einen Aspekt der Kalbepisode zu verstehen. c) Zuspitzung von Verantwortlichkeit und Schuld Mose betont im Vergleich zum Erzähler (Ex) die Verantwortlichkeit und Schuld des Volkes. So ist sein Hinweis in Dtn 9,10, dass auf den Tafeln die Worte geschrieben standen, die das Volk selbst am Tag der Versammlung gehört hatte, auch ein Hinweis auf die Verantwortlichkeit des Volkes, das wider besseres Wissen gegen jene Worte handelte, die es selbst gehört hatte. Betont Mose die Verantwortlichkeit des Volkes, so verleiht er auch dem göttlichen Zorn stärkeren Ausdruck, indem er in Dtn 9,14 Gottes Vernichtungsankündigungen dahingehend ergänzt, dass er sogar ihren Namen auslöschen wollte. 8 Mose betont jedoch nicht nur die Verantwortlichkeit des Volkes und das Ausmaß des göttlichen Zornes, sondern macht auch deutlich, dass dieser Zorn völlig gerechtfertigt war, indem er in Dtn 9,16 im Unterschied zu Ex 32 die göttliche Beurteilung durch seine eigene bestätigt und so im Sinne des Zweizeugengesetzes die Schuld des Volkes bezeugt. Er hält der Moabgeneration vor Augen, dass das Volk durch den Bruch des ersten Gebotes tatsächlich vernichtende Strafe verdient hätte, wofür er selbst als Zeuge eintritt. Mose berichtet nichts von der Entstehung des Kalbes, die der Erzähler (Ex) in Ex 32,1– 6.21–25 ausführlich thematisiert. Dies könnte damit zusammenhängen, dass Mose lediglich erzählt, was er selbst unmittelbar erlebt hat.9 Darüber hinaus deutet es aber auch darauf hin, dass ihn weder die Entstehung des Kalbes noch Aarons Rolle bei dessen Herstellung interessieren. Er geht nicht auf die Frage ein, welche Anteile der Schuld Aaron und welche das Volk hatte. Es geht ihm weder um mögliche Beweggründe noch um eine Differenzierung von Schuld. Vielmehr streicht er hervor, dass das gesamte Volk des Bundesbruchs schuldig geworden war. d) Bruch des ersten Gebotes in Form des Bilderverbots Während der Erzähler Israels Sünde als Verstoß gegen das erste Gebot der Fremdgötterverehrung, gegen die Bestimmung des Bundesbuches in Ex 21,23 und als irregeleitete Imitation der Dekalogpräambel akzentuiert,10 liegt Moses Fokus auf dem ersten Gebot als Bilderverbot, wobei er unter der vielschichtigen Darstellung des Buches Exodus den Aspekt 7 8 9 10

Siehe S. 97. Vgl. HAYES, „Golden Calf”, 75. So HAYES, „Golden Calf”, 75. Zur Deutung der Sünde in Ex 32 siehe DOHMEN, Exodus 19–40, 302; MARKL, Dekalog, 264.

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Horeberzählung in Dtn 9f. und in Ex 32–34

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des „Machens“ mehrmals herausgreift (9,12.16.18.21). Dieser Aspekt ist unmittelbar mit dem Bilderverbot verbunden, da es hier gerade um das „Machen“ von Kultbildern geht. Mit der Betonung des eigenen Machens arbeitet er einen Kontrast zum Empfang der Tafeln heraus. Während das Volk sich für den Empfang der göttlichen Gabe bereiten hätte sollen, machte es sich selbst ein Kultbild, durch das es den lebendigen Gott mit dem Machwerk ihrer eigenen Hände austauschte.11 Dabei vermeidet Mose, auf die kultische Verehrung des Kalbes (Ex 32,8.17–19) einzugehen, deren Zeuge er laut Ex 32,17–19 selbst gewesen war. Er zeichnet die Sünde mit dem Kalb nicht wie der Erzähler (Ex) als Gegenkult zur Bundesliturgie12 um die Abgründigkeit der Sünde hervorzuheben. Seine Schilderung beschränkt sich darauf, dass das Volk gegen das erste Gebot in Form des Bilderverbots verstoßen und damit die Bundesbeziehung zugrunde gerichtet hatte. e) Die Zerstörung der Tafeln als prophetische Zeichenhandlung Während in Ex 32,11–14 Gottes Vernichtungswillen unmittelbar nach Gottes Drohung abgewendet wurde, lässt Mose in Dtn 9 die Ereignisse auf die Zerstörung der Tafeln als Klimax zulaufen, ohne die Abwendung der Vernichtung preiszugeben. Wie C. E. Hayes herausstellt, sollen seine Adressaten erkennen, dass das Überleben Israels an einem seidenen Faden hing,13 was durch eine Erwähnung der abgewendeten Vernichtung deutlich abgeschwächt würde. Die Absenz der Fürbitte und deren Erhörung verändert die weitere narrative Dynamik von Moses Bericht gegenüber dem Bericht des Erzählers (Ex). Auf dem Hintergrund der erhörten Fürbitte zeichnet der Erzähler (Ex) die Zerstörung der Tafeln in Ex 32,19 als Zorneshandlung Moses, in der nicht die göttliche Drohung vollständiger Vernichtung, sondern Moses Zorn zum Ausdruck kommt. Im Unterschied dazu erwähnt Mose mit keinem Wort seinen eigenen Zorn. In seinem Bericht klingt in der Zerstörung der Tafeln neben dem Bundesbruch auch Gottes Drohung vollständiger Vernichtung nach. Was im Buch Exodus als unkontrollierte Zorneshandlung erscheint, interpretiert er nun als prophetische Zeichenhandlung vor den Augen des Volkes,14 in der nicht sein, sondern Gottes Zorn zum Ausdruck kam. Im Rückblick auf die Ereignisse richtet sich Mose an die Moabgeneration, die nun ebenso zum Adressaten der Zeichenhandlung wird. Sie soll erkennen, dass am Horeb der Bruch des ersten Gebotes in Form des Bilderverbots die völlige Auflösung der Bundesbeziehung nach sich zog und damit auch die Vernichtung des Volkes drohte. Die zugespitzte Darstellung von Verantwortung, Schuld und Konsequenzen in Dtn 9,9–17 bereitet den Boden für eine umso eindrücklichere Wende in der nachfolgenden Erzählung ab Dtn 9,18.

11 Siehe S. 110. 12 Zur Kalbverehrung als „Gegenveranstaltung zur Sinaitheophanie“ siehe DOHMEN, Exodus 19–40, 299– 300. 13 HAYES, „Golden Calf“, 75. 14 Siehe S. 112.

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Textinterne Kommunikation und rhetorische Dynamik

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6.1.2 Moses Beten Während der Erzähler (Ex) von mehreren Gebeten Moses berichtet (Ex 32,11–14; 32,30–34; 33,12–34,11), spricht Mose von einem einzigen Gebet.15 Erstmals erwähnt er es in Dtn 9,18– 20. In 9,25–29 gibt er dessen Wortlaut wieder und in 10,10 berichtet er von dessen Erhörung. a) Moses Gebet in Dtn 9f. als Abstrahierung seines langen Ringens Bei der Schilderung seines Gebetes legt Mose den Fokus auf die Überwindung des göttlichen Zornes, was im Buch Exodus Moses erster Intervention in Ex 32,11–14 entspricht. Moses erste Intervention im Bericht des Erzählers (Ex) in Ex 32,11–13 und Moses Gebet in Dtn 9,26–29 teilen dabei zentrale Motive, wie in folgender Tabelle zu sehen ist. Tabelle 8: Moses Gebet in Dtn 9,26–29 und Ex 32,11–13 Dtn 9,26

Ex 32,11.12

9,27

32,13

9,28

32,12

Gemeinsamkeit Bitte um Verschonung; Verweis auf den Exodus + Mächtigkeitsformel Erinnerung an die Patriarchen Völkerurteil

9,29

Plus in Dtn + „dein Volk und Erbteil“ + „die du befreit hast“ + Bitte um Abwendung von Israels Sünde + Machtlosigkeit Jhwhs

Minus in Dtn - Frage nach dem Warum

- Schwur der Mehrung und des Landes - vom Erdboden verschwinden lassen

+ Sie sind dein Volk und dein Erbteil

Die größten Unterschiede betreffen die Reihenfolge und die rhetorische Entfaltung der Argumente, eine andere Zielrichtung der Erinnerung an die Patriarchen und den zweifachen Hinweis Moses auf Israel als „Volk und Erbteil“ Jhwhs in Dtn 9,26.29. Während Mose laut dem Bericht des Erzählers (Ex) mit einer rhetorischen Frage (Ex 32,11) begann und erst dann die Bitte um Rücknahme seines Zornes aussprach (32,12), stellt Mose nun die Bitte um Verschonung an den Anfang. Während Mose laut dem Bericht des Erzählers (Ex) beim Verweis auf die Patriarchen die Verheißung der Mehrung und des Landes ansprach, lässt Mose dies nun weg. Nicht die Verheißung liegt im Augenmerk, sondern die Patriarchen als guter Kern Israels, die Israels Sünde aufwiegen sollten.16 Am auffälligsten unterscheidet sich Moses Gebet in Dtn 9,26–28 von Ex 32,11–14 jedoch durch den zweifachen Hinweis auf Israel als „dein Volk und dein Erbteil“.17 Ein emphatischer Hinweis darauf, dass Israel Jhwhs Volk ist (Dtn 9,29), und das Motiv Israels als „Erbteil“ Jhwhs (Dtn 9,26.29) finden sich auch im Bericht des Erzählers (Ex) in Ex 33,13;

15 Siehe S. 85–86. 16 Siehe S. 139–141. 17 Siehe auch DI VITO, „Golden Calf”, 22.

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Horeberzählung in Dtn 9f. und in Ex 32–34

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34,9. Um Gott davon zu überzeugen, mit Israel mitzugehen, hatte Mose darauf hingewiesen, dass Israel Gottes Volk sei (33,13: „Schau, dass diese Nation dein Volk ist“; vgl. Dtn 9,29: Dein Volk und Erbteil sind sie“), und nach Gottes Selbstoffenbarung hatte er in Ex 34,9 darum gebeten, dass Gott Israel als sein „Erbteil annehme“ (‫)נחל‬.18 Zudem verknüpft sich seine Darstellung des Gebetes in Dtn 9,18–20 über mehrere Sühnemotive und über das Schuldbekenntnis in Dtn 9,27 mit Ex 32,30–34. All diese Verknüpfungen zu den späteren Etappen seines Betens im Buch Exodus lässt den Schluss zu, dass Mose im Rückblick sein sich über mehrere Etappen entwickeltes Beten (Ex 32–34) zu einem einzigen Gebet abstrahiert. Er stellt dabei zweifellos die Verschonung vor der drohenden Vernichtung ins Zentrum seiner Fürbitte, lässt jedoch über einzelne Elemente seiner Darstellung auch sein Ringen um die Wiederherstellung der Beziehungen und Gottes Mitziehen ins Land anklingen.19 Sein Gebet zielte demnach nicht nur auf Verschonung, sondern auch auf die neuerliche Annahme als Gottes Volk und die damit verbundene Zusage, mit Israel ins Land zu gehen, was in Ex 32,30–34,11 ausführlich behandelt wird. b) Verschonung der Schuldigen Der Fokus von Moses Nacherzählung wird in besonderer Weise in der Absenz zentraler Elemente der Exoduserzählung deutlich. Im Bericht des Erzählers (Ex) wird das Volk zunächst verschont. In weiterer Folge werden die Schuldigen allerdings bestraft (Ex 32,25– 29.35). Mose berichtet dagegen von keinerlei Bestrafung. Laut ihm war das ganze Volk schuldig geworden, aufgrund seiner Fürbitte jedoch ebenso das ganze Volk verschont worden (9,19; 10,10). Hier ist auch der Ort, wo Mose Aaron in die Erzählung miteinbezieht. Mose betont zwar die Verantwortlichkeit Aarons noch stärker als der Erzähler (Ex) in Ex 32. Allerdings mündet dies in die Notiz, dass Mose auch für ihn gebetet hatte, sodass dieser ebenso verschont blieb. Derart verlegt Mose im Vergleich zu Ex 32 den Fokus der Geschichte. Mose spitzt einerseits Verantwortlichkeit und Schuld des gesamten Volkes einschließlich Aarons zu, um andererseits deren ausnahmslose Verschonung zu schildern.20 Er hält der Moabgeneration vor Augen, dass Israel tatsächlich und verdientermaßen auf der Schwelle der Vernichtung gestanden war, jedoch durch seine Vermittlung und aufgrund Gottes Hörbereitschaft unverdientermaßen gerettet wurde.21 Obwohl Mose Gottes Barmherzigkeit nicht ausdrücklich benennt, wird sein Bericht so zu einer Erzählung über Gottes Barmherzigkeit, da Jhwh Israel trotz der Sünde mit dem Kalb verschonte.

18 Vgl. BLENKINSOPP, „Contribution“, 109, der auf die Verbindung von Dtn 9.26.29 und Ex 34,9 hinweist. 19 Vgl. PECKHAM, „Composition“, 48. 20 Nach OTTO, Deuteronomium, 965, ging es nicht mehr „um eine Differenzierung von Verantwortlichkeit und Bestrafung“, sondern um „die Überwindung des göttlichen Zornes und die Bewahrung des Volkes trotz des göttlichen Zornes“. 21 Vgl. HAYES, „Golden Calf“, 76.79.

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6.1.3 Die Erneuerung am Sinai/Horeb Obwohl sich Moses Fürbitte laut eigenem Bericht hauptsächlich auf die Verschonung Israels bezog, hatten Elemente der Fürbitte auch auf Moses Gebet in Ex 32,30–34 und auf seine weiteren Verhandlungen in Ex 33–34 durchblicken lassen. Damit war das Thema der Erneuerung angeklungen, die sich laut dem Bericht des Erzählers (Ex 32,20–34,29) in vielen Schritten ereignete. Mit der Zerstörung des Kalbes in Dtn 9,21, der Erneuerung der Tafeln in 10,1–5 und dem Aufbruchsbefehl in 10,11 greift Mose Eckpunkte aus diesen Ereignissen auf. In Dtn 10,6–9 wird zudem der Stamm Levi thematisiert, der laut Ex 32,25–29 ebenfalls eine Rolle im Rahmen der Erneuerung spielte. In folgender Tabelle sind die jeweils berichteten Geschehnisse der Fabel entlang gegenübergestellt. Tabelle 9: Erneuerungserzählung in Dtn 9f. und Ex 33–34 Dtn 9,21:

9,18.27: 10,11:

9,26.29:

Zerstörung des Kalbes

Moses Sühnegebet und Schuldbekenntnis Aufbruchsbefehl und Zusage der gelingenden Landnahme

Emphatischer Hinweis, dass Israel Gottes Volk ist

Ex 32,20: 32,25–29.35: 32,30–34: 32,34; 33,1–2:

Aufbruchsbefehl und Zusage der gelingenden Landnahme

33,3–6:

Gott zieht nicht in Israels Mitte mit und Ablegung des Schmuckes (Umkehr des Volkes) Offenbarungszelt Verhandlungen um Gottes Mitziehen und Erhörung der Bitte Gottes Ankündigung der Selbstoffenbarung Auftrag zur Herstellung neuer Tafeln, Ausführung und Aufstieg

32,7–11: 33,12–17:

33,19–23: 10,1–3:

Auftrag zur Herstellung neuer Tafeln, Ausführung und Aufstieg + Lade

9,26.29:

Israel als Jhwhs Erbteil

10,4–5:

Verschriftung und Abstieg + Lade Der Stamm Levi

10,6–9:

Zerstörung des Kalbes Bestrafung der Schuldigen durch die Leviten Moses Sühnegebet

34,1–4:

34,5–8: 34,9–11:

34,12–26: 34,28–29:

Gottes Selbstoffenbarung Zusage der Erneuerung des Bundes und der Völkervertreibung Privilegrecht Verschriftung und Abstieg

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Horeberzählung in Dtn 9f. und in Ex 32–34

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a) Dtn 10,1–5 als Verdichtung der Bundeserneuerung in Ex 34 In Dtn 10,1–3 erzählt Mose parallel zum Erzähler in Ex 34,1–4 von Gottes Auftrag, neue Tafeln anzufertigen und mit ihnen auf den Berg zu steigen. Mose kürzt im Vergleich zum Erzähler, indem er weder Gottes Selbstoffenbarung, seine Zusage der Bundeserneuerung und Völkervertreibung noch das Privilegrecht erwähnt (Ex 34,5–26). Stattdessen fährt er in 10,4– 5 mit der Beschriftung der Tafeln und seinem Abstieg fort. Mose verdichtet das sich in vielen Schritten vollziehende Erneuerungsgeschehen in dem einen zentralen Akt der Tafelerneuerung, in dem die Wiederherstellung der ursprünglichen Beziehung am markantesten zum Ausdruck kommt. In Ex 34 wird das Erneuerungsgeschehen durch die Selbstoffenbarung Gottes in 34,5–7 einerseits als gnadenvolle Zuwendung Gottes gezeichnet,22 andererseits im „Privilegrecht“ (34,12–26) Achtsamkeit gegenüber den übertretenen Geboten eingefordert, da hier Jhwh besonders jene Forderungen des Bundesbuches einschärft, die Israel vor einer Wiederholung der Sünde mit dem Kalb schützen sollen.23 Obwohl Mose weder Gottes Gnadenrede noch dessen Forderungen des Privilegrechts erwähnt, klingen beide Aspekte der Bundeserneuerung, Gottes gnadenvolle Zuwendung und gleichzeitige Verpflichtung Israels auf die Bundesbestimmungen, auch in Moses Erzählung an. Denn Gottes Auftrag zur Erneuerung der Tafeln ist Ausdruck seiner gnadenhaften Zuwendung und die erneute Niederschrift des Dekalogs Zeichen dafür, dass die Bundesbestimmungen wieder in Kraft treten. Die Erneuerung des Sinai-/Horebbundes ist demnach auch in Moses Rückschau dem Wesen des Sinai-/Horebbundes entsprechend Geschenk und Verpflichtung zugleich. b) Die Erneuerung als Geschehen zwischen ihm und Jhwh Im Bericht des Erzählers sind die Bestrafung der Schuldigen durch die Leviten in Ex 32,25– 29.35 und die Umkehr des Volkes, die in Ex 33,34–36 in der Trauer und Ablegung des Schmuckes anklingt,24 wesentliche Elemente auf dem Weg zur Erneuerung der Bundesbeziehung. Mose erwähnt dagegen keinerlei Aktivität auf Seiten des Volkes. Er schildert das Erneuerungsgeschehen ausschließlich als ein Geschehen zwischen ihm und Jhwh,25 der ihn beauftragte, Tafeln und Lade anzufertigen, was er sogleich ausführte. Damit akzentuiert er, dass nicht nur die Verschonung Israels am Horeb seiner Vermittlung und Gottes Barmherzigkeit zu verdanken war, sondern auch die Erneuerung im Wesentlichen auf Jhwhs unverdienter Zuwendung und seiner Vermittlung beruhte. c) Die Lade als Symbol des Schutzes und der Bewahrung Moses Erneuerungserzählung unterscheidet sich entscheidend vom Bericht des Erzählers (Ex) durch die Einführung der Lade. Die Lade hat die praktische Funktion, die Tafeln zu behausen und zu schützen. Innerhalb der Erzählung symbolisiert sie ausgehend von ihrer

22 Vgl. FISCHER / MARKL, Exodus, 358. 23 OTTO, „Rechtshermeneutik“, 511, nennt das Privilegrecht „eine auf den Jhwh-Kult konzentrierte und damit auf die kultische Verehrung des Kalbes kritisch reagierende Kurzfassung des Bundesbuches.“ 24 DOHMEN, Exodus 19–40, 333–334, interpretiert das Ablegen des Schmuckes als „Ende der Prostitution“ mit dem Goldenen Kalb und so als Ab- und Umkehr von der Sünde mit dem Kalb. 25 Siehe PECKHAM, „Composition“, 31.

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praktischen Funktion den Schutz und die Bewahrung der erneuerten Bundesbeziehung.26 Dabei zeigen sich Überschneidungspunkte mit dem Bericht des Erzählers (Ex), in dem nach der Sünde mit dem Kalb Bewahrung und Schutz ebenfalls thematisiert werden. Dies geschieht einerseits im „Privilegrecht“, wo Jhwh jene Gebote wiederholt, die in Anbetracht der Sünde mit dem Kalb besonders relevant sind, und andererseits in der Errichtung des Heiligtums, wo die gefährdete Bundesbeziehung kontinuierlich verwirklicht und erneuert werden soll. Für Mose besteht kein Grund, das Privilegrecht zu erwähnen, da er gerade dabei ist, ähnlich dem Privilegrecht Gottes Bundesbestimmungen für die Moabgeneration zu wiederholen, auszulegen und zu aktualisieren, wobei er vor und nach dem Geschichtsrückblick in Dtn 9f. wie das Privilegrecht einen besonderen Schwerpunkt auf die ungeteilte Hingabe an Jhwh legt und dabei unmittelbar nach seiner Rückschau die Überwindung des harten Nackens (10,16) einfordert, was innerhalb der Moserede als Rückbezug zur Sünde mit dem Kalb zu verstehen ist. Mose erwähnt zwar das Heiligtum nicht, jedoch mit der Lade den zentralen Gegenstand des Heiligtums. Indiz dafür, dass Mose mit der Lade den sakralen Gegenstand des Zeltheiligtums im Blick hat, ist der ausdrückliche Hinweis auf das Akazienholz, aus dem die Gegenstände des Heiligtums gemacht werden. Mit der Lade verweist Mose so auch auf das Heiligtum, das innerhalb der Erzähldynamik des Buches Exodus nach der Sünde mit dem Kalb wie ein rettender Hafen für die Gottesbeziehung erscheint. Das Heiligtum ist der Ort, an dem sich der Bund in der wechselseitigen Hingabe verwirklicht.27 In ihm werden Reinigung von den Sünden und Versöhnung möglich, sodass Israel als Jhwhs Volk trotz Sünde und Schuld fortexistieren kann. Das Zeltheiligtum ist somit auch der Ort, an dem die Bundesbeziehung vor den Konsequenzen des Bundesbruchs geschützt wird. Dabei spielt die Lade eine zentrale Rolle, da der höchste Priester am Versöhnungstag das Blut auf den Deckel der Lade zur Entsühnung Israel sprengt. All dies klingt mit der Einführung der Lade an, was die Erzählstimme (Dtn) in Dtn 10,6–9 weiter ausführt. d) Berufung des Stammes Levi Was sich im Motiv der Lade andeutet, konkretisiert die Erzählstimme (Dtn) in Dtn 10,6–9 über die Thematisierung des Klerus, indem sie zeigt, auf welche Weise die gerettete, aber immer noch gefährdete Gottesbeziehung bewahrt werden soll. Mit der Sukzession Aarons verweist sie auf jenes Amt, das am Versöhnungstag die Reinigung von Sünden und somit die Fortexistenz Israels als Jhwhs Volk garantieren soll. Mit der Aussonderung des gesamten Stammes Levi zu den verschiedenen Diensten deutet sie auf die Aufgabe des Stammes Levi, durch Lehre, Kult und Segensvermittlung der Bewahrung der Gottesbeziehung zu dienen. Der Stamm Levi spielt auch in Ex 32,25–29 eine wichtige Rolle, da die Leviten in ihrem Eifer für Jhwh herausgehoben werden. In Dtn 10,6–9 scheint die Erzählstimme (Dtn) der Rolle der Leviten nach der Kalbepisode Rechnung zu tragen. Allerdings gibt sie dem Thema einen anderen Akzent. Dahinter steckt wohl weniger das Anliegen, die Gewalt der Leviten

26 Siehe S. 148. 27 Zur Bedeutung des Heiligtums als Verwirklichung des Bundes und wechselseitige Hingabe siehe FISCHER / MARKL, Exodus, 278–281.

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zu verschweigen.28 Eher greift sie das in Ex 32,29 präsente Motiv der Berufung auf,29 entfaltet es aber in eine andere Richtung. Während der Erzähler (Ex) in Ex 32,25–29 vom Eifer der Leviten für Jhwh berichtet, der sich darin äußerte, dass sie ihre schuldigen Brüder töteten, thematisiert die Erzählstimme (Dtn) den Dienst der Vermittlung, zu denen Jhwh den Stamm Levi ausgesondert hat. Nicht der zelotische Eifer gegen die Bundesbrüchigen, sondern der Dienst an der durch die Sünde gefährdeten Gottesbeziehung steht im Augenmerk. Darüber hinaus wird der Blick auf Jhwh selbst gelenkt, der mit der Berufung des Stammes Levi Vorkehrungen für die Bewahrung der Bundesbeziehung getroffen hat. e) Mose schließt mit der Zusage der gelingenden Landnahme Mose beschließt seine Nacherzählung mit Gottes Befehl zum Aufbruch und der Zusage der gelingenden Landnahme, was dem Bericht des Erzählers entsprechend (Ex 32,34; 33,1) noch vor der Erneuerung der Tafeln stattgefunden hatte. Mose kommt dadurch wieder auf das Thema seiner anfänglichen Paränese zurück. Er gibt so zu verstehen, dass das Gelingen der Landnahme eine Konsequenz der erneuerten Bundesbeziehung ist. Da aber die erneuerte Bundesbeziehung allein aufgrund Gottes unverdienter Zuwendung und Moses Vermittlung zustande kam, ist auch das Gelingen der Landnahme bereits von seiner Vorgeschichte her nicht als Belohnung für Israels Bewährung zu verstehen, sondern als Ausdruck der gnadenvollen Zuwendung Gottes trotz Israels Sünde. Im Vergleich zum Bericht des Erzählers (Ex 33,1–34,11) spricht Mose die weiteren Verhandlungen um Gottes Mitziehen nicht an. Waren diese Verhandlungen lediglich über Dtn 9,26.29 angeklungen, so scheint Mose der Frage, ob Gott mit Israel trotz seiner Sünde mitgehen würde, keine große Bedeutung beizumessen. Im Blick auf die Paränese in Dtn 9,1–6 wird jedoch deutlich, dass Mose sehr wohl auf seinen in Ex 33–34 beschriebenen Dialog mit Jhwh zurückgreift, wie im Folgenden dargestellt werden soll. 6.1.4 Moses Paränese zur Landnahme und ihre Beziehung zu Ex 33–34 In den meisten Untersuchungen zu den Beziehungen zwischen Ex 32–34 und Dtn 9f. wurde kaum beachtet, dass Dtn 9,1–6 viele Motive und Lexeme mit Ex 33–34 teilt.30 Gerade diese Verbindungen sind jedoch erhellend für das Verständnis der Paränese in Dtn 9,1–6. In folgender Tabelle sind die auffälligsten Verknüpfungen zwischen Dtn 9,1–6 und Ex 33,1– 34,11 aufgelistet:

28 So HAYES, „Golden Calf“, 84. 29 Zur Verbindung von Ex 32,29 als Konsekration der Leviten und Dtn 10,8–9 siehe z. B. WEINFELD, Deuteronomy, 420.426–427. 30 TASCHNER, Mosereden, 250, hat diesbezüglich darauf hingewiesen, dass das Ergebnis des Dialogs zwischen Gott und Mose, Gott würde mit einem Volk harten Nackens mitgehen (Ex 34,9f.), in 9,1–6 zur Sprache kommt und so die Argumentation in Dtn 9f. als eine vom Ergebnis zum Weg beschrieben.

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Tabelle 10: Verknüpfungen zwischen Dtn 9,1–6 und Ex 33,1–34,11 Schlüsselworte/Motive Gottes Gehen mit oder vor Israel

Dtn 9,1–6 9,3: „hinüberschreiten“ (‫)עבר‬

„erkennen“ (‫)ידע‬ „verzehren“ (‫)אכל‬ Völkervertreibung „Volk harten Nackens“ (‫)עם־קׁשה־ערף‬

9,3.6 9,3 9,3.4–6 9,6.13

Ex 33,1–34,11 „vorüberschreiten“ (‫)עבר‬: 33,19.22; 34,6 „hinaufziehen“ (‫)עלה‬: 33,3.5 „gehen“ (‫)הלך‬: 33,14.15.16; 34,9 33,12.13.16 33,3 33,2; 34,11 33,3.5; 34,9

Im Blick auf die Verknüpfungen der Paränese mit Ex 33–34 wird deutlich, dass Mose die wesentlichen Ergebnisse seiner in 33,1–34,11 geschilderten Verhandlungen mit Jhwh an die Moabgeneration weitergibt. Wollte Mose Gottes Wege (Ex 33,12.13), Gott selbst (33,13) und seine Gunst (33,16) „erkennen“ (‫)ידע‬, so spricht er nun in Dtn 9,1–6 aus der Gewissheit, die er aus der Gottesoffenbarung (Ex 34,5–7) und anschließenden Zusage (34,10–11) am Gottesberg gewonnen hat. Er möchte diese Gewissheit in Dtn 9,3 an die Moabgeneration weitervermitteln, indem er sie zur Vergewisserung (‫ )ידע‬auffordert, dass Gott selbst vor Israel über den Jordan schreitet, um die Völker in eigener Person zu vertreiben. An der Wiederaufnahme des Wortes ‫ אכל‬wird deutlich, dass sich Gottes Drohung von Ex 33,3–4 in das Gegenteil verkehrt hat. Gott wird Israel nicht verzehren, sondern als verzehrendes (‫)אכל‬ Feuer vor Israel hinüberschreiten. Mit dem Motiv des vorüberschreitenden Gottes lässt Mose seine eigene Gotteserfahrung am Horeb anklingen.31 Jhwh hatte sich ihm im „Vorüberschreiten“ (‫ ;עבר‬Ex 33,19.22; 34,6) offenbart und wissen lassen, dass er, auch wenn er Rechenschaft fordert, voll Erbarmen und Gnade und zum Verzeihen bereit ist. Im Anschluss an seine Selbstoffenbarung hatte Gott dies in der Zusage konkretisiert, einen Bund zu schließen und die Völker zu vertreiben (34,10–11). Mose verheißt seinen Adressaten eine ähnliche Erfahrung. Hatte er Gottes Gnade erkennen dürfen, als Jhwh an ihm vorüberschritt (‫)עבר‬, so sollen auch sie Zeugen von Gottes Gnade für Israel werden, wenn er vor ihnen den Jordan überschreiten (‫ )עבר‬wird. In Dtn 9,4–6 differenziert Mose angesichts einer drohenden Falschinterpretation des Gelingens. Im Blick auf die Ereignisse am Gottesberg tritt der Hintergrund dieser Differenzierung ans Licht. Gott wollte zunächst aufgrund Israels harten Nackens nicht mit dem Volk mitgehen (Ex 33,3.5). Moses mehrmaliges Insistieren (Ex 33,15.16; 34,9) aber bewirkte, dass Gott trotz Israels harten Nackens die Zusage gab, mit Israel zu gehen, um in eigener Person die Völker zu vertreiben. Moses Warnung entspricht demnach den Umständen der ursprünglichen Zusage, die er Gott am Gottesberg abgerungen hatte. Sie gilt auch jetzt für die Moabgeneration.

31 Pace FRANZ, Gott, 208, der annimmt, dass in Dtn 9f. Moses Fürbitte allein im Zentrum steht, während Gottes Selbstoffenbarung als barmherziger und gnädiger Gott absichtlich ausgelassen würde.

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Horeberzählung in Dtn 9f. und in Ex 32–34

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Moses Paränese in Dtn 9,1–6 speist sich aus seinen Erfahrungen am Gottesberg. In der neuen Kommunikationssituation 40 Jahre danach vermittelt Mose Inhalt und Ergebnis des letzten entscheidenden Dialogs in Ex 34,9–11 bereits in der Paränese. Da aber seine Adressaten dies missverstehen könnten, erzählt er ihnen im Geschichtsrückblick, wie es dazu gekommen ist. Gottes Heilswillen für Israel trotz dessen harten Nackens verdankt sich Gottes Gnade und seiner Vermittlung am Horeb, ohne die Israel nicht mehr existieren, geschweige denn das Land einnehmen würde. 6.1.5 Konklusion: Die Eigenart von Moses Nacherzählung Im Vergleich zur Erzählung in Ex 32–34 ist Moses Bericht erheblich reduziert, lässt sich jedoch in den wesentlichen Punkten in Übereinstimmung mit dem Bericht des Erzählers in Ex 32–34 lesen. Auch Mose erzählt eine Geschichte der Sünde, der drohenden Vernichtung, der Überwindung der drohendenden Gefahr und der abschließenden Erneuerung der Beziehung. Er verleiht der Erzählung jedoch eine teils andere Richtung. Folgende wesentliche Unterschiede zu Ex 32–34 lassen sich hervorheben: 1.) Fokus auf den Bund: Im Unterschied zum Erzähler (Ex) berichtet Mose nichts von der kultischen Verehrung des Kalbes. Ihm geht es nicht darum, die Abgründigkeit des Kalbkultes als Nachäffung der Bundesliturgie am Sinai dazustellen. Ohne auf verschiedene Aspekte der Sünde einzugehen, konzentriert sich Mose darauf, die Sünde mit dem Kalb als Übertretung des ersten Gebotes des Dekalogs in Form des Bilderverbots darzustellen. Dieser Fokus auf den Bruch der Bundesbestimmung korrespondiert mit der Bezeichnung der Tafeln als Bundestafeln. Entsprechend wird auch die Zerstörung der Tafeln nicht als affektive Zorneshandlung Moses akzentuiert, sondern als prophetische Zeichenhandlung, die die Auflösung der Bundesbeziehung symbolisch darstellte. Mose geht es in Dtn 9,9–17 darum zu zeigen, wie Israels Bruch der Bundesbestimmung die Auflösung der Bundesbeziehung zur Folge hatte. 2.) Uminterpretation zur Verschonung der Schuldigen: Ex 32–34 zeigt ein Interesse an der Frage, wer Schuld für die Sünde mit dem Kalb trug. Es werden Beweggründe des Volkes und Aarons dargestellt und ein Unterschied zwischen Schuldigen und Unschuldigen gemacht. Mose differenziert dagegen nicht zwischen Schuldigen und Unschuldigen. Seinem Bericht zufolge war das ganze Volk inklusive Aarons schuldig geworden. Während im Buch Exodus auch nach der Erhörung der Fürbitte um Verschonung mehrmals davon die Rede ist, dass die Schuldigen bestraft werden (Ex 32,25–29.33–35; 33,3.5), erwähnt Mose keinerlei Bestrafung. Waren alle schuldig geworden, so waren auch alle verschont worden. Damit verändert sich die Ausrichtung der Geschichte gegenüber der Schilderung des Erzählers (Ex). Es geht nicht mehr um die Bestrafung der Schuldigen und die Verschonung der Unschuldigen, sondern um die Verschonung der Schuldigen. 3.) Betonung von Gottes Barmherzigkeit und Moses Vermittlung: Dass in Moses Bericht die Schuldigen verschont werden, wirft die Frage nach den Gründen für die Verschonung auf. Mose streicht mehrere Aspekte hervor, wobei er zwei besonders betont. Erstens stellt er seine eigene Vermittlung sehr akzentuiert ins Zentrum der Erzählung.32 Zweitens tritt Gottes Barmherzigkeit in den Vordergrund, ohne ausdrücklich benannt zu werden. Während Gott in Ex 32–34 bestraft, verschont Gott in Dtn 9f. das Volk, ohne es zu bestrafen oder Reue zu 32 Vgl. HWANG, „Rhetoric“, 156.160.

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erwarten. Mose akzentuiert damit, dass Gott ohne jegliches Zutun des Volkes dieses unverdientermaßen verschont hat. Seine Adressaten sollen erkennen, dass sie ihre bloße Fortexistenz in keiner Weise sich selbst, sondern allein seiner Vermittlung und der Barmherzigkeit Gottes verdanken. 4.) Betonung des gnadenhaften Charakters der Erneuerung: Eine ähnliche Akzentuierung findet sich in Bezug auf die Erneuerung. Während im Bericht des Erzählers (Ex) die Leviten bei der Bestrafung der Schuldigen involviert sind, das Volk durch die Ablegung des Schmuckes Reue zeigt, im Privilegrecht in besonderer Weise zur Einhaltung der Gebote angehalten und schließlich das Heiligtum vom Volk errichtet wird, schildert Mose das Erneuerungsgeschehen ausschließlich als Geschehen zwischen ihm und Jhwh. Mose betont damit, dass auch die Erneuerung zuerst Jhwhs unverdienter Zuwendung und seiner Vermittlung zu verdanken war. Er streicht so den Gnadencharakter der Erneuerung und abermals seine Vermittlung hervor. 5.) Bewahrung der Gottesbeziehung: Mit der Lade führt Mose ein Motiv ein, das im Bericht des Erzählers (Ex) an dieser Stelle fehlt. Mose greift damit den zentralen Gegenstand des Heiligtums auf. Er integriert so das Motiv eines Schutzraumes für die Gottesbeziehung in seine Erzählung über die Erneuerung der Tafeln. Die Adressaten sollen erkennen, dass Gott nach dem Bundesbruch für Schutz und Bewahrung der geretteten, aber immer noch gefährdeten Gottesbeziehung sorgte. Spricht die Lade symbolisch von der Bewahrung der Gottesbeziehung, konkretisiert die Erzählstimme (Dtn) dies mit den Diensten des Klerus in Dtn 10,6–9. War das Volk auf Moses Vermittlung am Horeb angewiesen, um als Volk Jhwhs fortexistieren zu können, so setzt sich dies insofern fort, als es nun auf die Dienste des Klerus angewiesen ist. Damit wird einerseits auf die Bedeutung des Stammes Levi hingewiesen, andererseits gezeigt, dass Gott für Israels Zukunft vorgesorgt hat. 6.) Mose gibt sein Wissen in Bezug auf die Landnahme an die Moabgeneration weiter: Mose verschweigt im Geschichtsrückblick seine langen Verhandlungen mit Jhwh um dessen Mitziehen ins Land. Es hat so den Anschein, als würde der in Ex 33,1–34,11 dargestellte Themenbereich keine Rolle in Dtn 9f. spielen. Allerdings wird mit Blick auf Ex 34,9–11 deutlich, dass Mose in Dtn 9,1–6 vermittelt, was ihm in der Gottesschau am Gottesberg offenbart wurde. Was ihm zur Gewissheit geworden ist, soll auch der Moabgeneration zur Gewissheit werden. Jhwh wird vor Israel in eigener Person in das Land ziehen und die Völker vertreiben. Angesichts der Gefahren der Falscheinschätzung des göttlichen Handelns ruft Mose jedoch zu einer weiteren Erkenntnis auf, die sich ebenso aus seinen Erfahrungen am Gottesberg speist. Er hatte Gott darum gebeten, mit Israel zu ziehen, obwohl es ein Volk harten Nackens ist. Was er weiß, sollen auch seine Adressaten wissen. Gott geht vor Israel über den Jordan, um die Völker zu vertreiben, nicht weil Israel sich bewährt hat, sondern weil Gott sich ihm trotz seines harten Nackens erneut zugewandt hat.

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Die rhetorische Dynamik in Dtn 9f.

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6.2 Die rhetorische Dynamik in Dtn 9f. Treten vor dem Hintergrund der Sinaierzählung in Ex 32–34 einige Charakteristika von Moses Nacherzählung der Horebereignisse ans Licht, so soll nun die Gesamtdynamik in Dtn 9f. in den Blick genommen werden. Dies erfolgt zunächst in einer beschreibenden Weise, um dann systematisch als Frage nach der Beziehung zwischen Paränese und Geschichtsrückblick behandelt zu werden. 6.2.1 Die Ermutigungsrede (Dtn 9,1–3) In Dtn 9,1–3 ermutigt Mose die Moabgeneration zur Überquerung des Jordan mit dem Ziel der Landnahme. Mit dem Höraufruf fokussiert er seine Adressaten auf die bevorstehende Mission. Durch das futurum instans „du bist heute dabei über den Jordan zu schreiten“ wird deutlich, dass der bevorstehende Übergang bereits im Gange ist. Israel befindet sich schon inmitten der angesprochenen Mission. So wird die Gegenwart des „Moab-Heute“ als Moment des Übergangs bestimmt. Mit den übermächtigen Völkern auf der anderen Seite des Jordan spricht Mose die äußeren Hindernisse an, die sich Israels Mission entgegenstellen. Damit ist das innere Hindernis der Angst unmittelbar verknüpft. Zudem ruft er über Wiederaufnahmen zentraler Motive der Kundschafterepisode aus Dtn 1 das Scheitern der Väter in Kadesch-Barnea in Erinnerung. Mose zeichnet so die bevorstehende Mission als einen Akt der mehrfachen Überwindung äußerer und innerer Widerstände. Im Unterschied zu der Elterngeneration soll die Moabgeneration nun die inneren Widerstände überwinden, um Gottes Auftrag vom Horeb erfüllen zu können, an dem die Eltern gescheitert waren. Dies bedeutet, dass sie im Unterschied zur Horebgeneration an der Schwelle zum Land nun hören und Gott vertrauen soll (siehe Dtn 1,32; 9,1.23), um den Schritt über die Schwelle zu wagen. Um sie zu diesem Schritt zu ermutigen, ruft Mose sie zur Vergewisserung des göttlichen Beistands auf. Die Moabgeneration soll aus der inneren Gewissheit von Gottes Beistand Mut für ihre Mission schöpfen. Mit verschiedenen Elementen der Zusage in v3 spielt Mose auf mehrere Gotteserfahrungen der Vergangenheit an, die von Gottes Beistand für Israel Zeugnis ablegen. Das Motiv des vorüberschreitenden Gottes erinnert an die Paschanacht und den Durchzug durch das Schilfmeer.33 Im Motiv des brennenden Feuers ruft er die kollektive Gotteserfahrung am Horeb auf. Israel ist mit Gottes Feuer am Horeb in Berührung gekommen und hat seine lebensschaffende und zugleich bedrohliche Kraft erlebt (vgl. Dtn 4,15; 5,5.25). Mose sagt nun zu, dass Gott dieses Feuer für Israel einsetzen wird, wobei in der spezifischen Formulierung „verzehrendes Feuer“ Gottes Leidenschaft für Israel anklingt.34 Auch die Ankündigung der Völkervernichtung kann sich auf vergangene Erfahrungen stützen. In Dtn 1–3 hatte Mose die Siege über Sihon und Og ausführlich erzählt. Wie die Pragmatik dieser Erzählungen zu verstehen ist, zeigt sich in Dtn 3,21–22, wo Mose Josua mit einem Rückverweis auf die Siege gegen diese beiden Könige Mut zur Landnahme macht (vgl. auch Dtn 31,4). Wenn Gott Israel zum Sieg gegen diese riesenhaften Könige geführt hat, so wird er dies auch in der Auseinandersetzung mit jenen Völkern tun, die auf der anderen Seite des Jordan warten.35 33 Siehe S. 59. 34 Diesen Aspekt betont besonders DEROUCHIE, Call, 253–254. 35 Vgl. HARDMEIER, „Geschichten“, 105–106.

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Textinterne Kommunikation und rhetorische Dynamik

Das Motivbündel in 9,3 spielt so einerseits auf Gottes Handeln in Ägypten und im Ostjordanland und andererseits auf die Gotteserfahrung am Horeb an. Beide Erfahrungsbereiche in Verbindung mit dem Motiv des Erkennens begegnen ebenfalls in Dtn 4,32–39, wo Mose die Grundlagen für die Erkenntnis der Einzigkeit Gottes reflektiert. Sollen die Adressaten hier auf der Grundlage der Gotteserfahrung am Horeb (4,33.36) und der wundersamen Herausführung aus Ägypten (4,34.37) erkennen, dass Jhwh der einzige Gott ist (4,35.39), so sollen sie sich nun vergewissern, dass diese Erfahrungen nicht der Vergangenheit angehören, sondern sich in der unmittelbar bevorstehenden Zukunft fortsetzen werden. 6.2.2 Warnung vor der falschen Selbstzuschreibung (Dtn 9,4–6) Sieht sich das Volk an der Schwelle zum Land der Verheißung äußeren und inneren Widerständen gegenüber, so läuft es im Augenblick des Triumphes Gefahr, voll falscher Selbstgewissheit Gottes Handeln auf sich selbst zurückzuführen. Dass Mose in Dtn 1–3 den Weg vom Horeb nach Moab in der Antithese des Versagens der Horebgeneration und dem anfänglichen Gelingen durch die Moabgeneration gezeichnet hatte, 36 könnte diese falsche Annahme insofern bestärken, als sich die Moabgeneration der Horebgeneration überlegen fühlen könnte. Zudem hatte Mose in Dtn 4,1; 6,18–19 gesagt, dass Gehorsam und das Tun des Guten und Rechten den Landgewinn zur Folge hätten. All dies könnte im Augenblick des Triumphes zu dem Schluss führen, Gott habe das Land der Moabgeneration aufgrund ihrer Bewährung gegeben. In 9,4–6 warnt Mose jedoch eindringlich vor dieser Interpretation. Nach dem Appell in v4 und der Belehrung über die wahren Ursachen in v5 fordert er zur verinnerlichenden Einsicht auf, dass Gott ihnen das „gute Land“ nicht aufgrund ihrer Bewährung gibt (v6). Um jeden Zweifel auszuschließen, bezeichnet er das Volk schließlich als Volk harten Nackens. Da dies in die Erkenntnismahnung eingeschlossen ist, richtet sich die Erkenntnismahnung nicht nur gegen ein falsches Denken, sondern fordert zuletzt eine Selbsterkenntnis ein, die vor diesem falschen Denken bewahren soll. Wie schon die Ermutigung in 9,1–3 berührt auch diese Argumentation die verschiedenen Zeitebenen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Von der Gegenwart und unmittelbaren Zukunft in 9,1–3 wechselt Mose in v4 zur Zukunft, da die Mission bereits gelungen ist. Mose richtet einen Appell an seine Adressaten, in der Zukunft das Gelingen nicht falsch zu interpretieren. Er tut dies jetzt schon, weil er selbst nicht mehr am Leben sein wird, wenn all dies geschieht. Dtn 9,4 liegt so auf der Linie anderer Mahnungen (vgl. Dtn 7,7; 8,17), in der Zukunft nicht einer falschen Selbstgewissheit und einer damit verbundenen Gottvergessenheit zu verfallen.37 Israel soll sich vor einem solchen Denken hüten, da es sonst genau jener Mentalität der Selbstüberhebung und Gottesvergessenheit verfallen würde, die wieder zum Bundesbruch und letztlich Landverlust führen könnte (vgl. Dtn 4; 8; 28; 29; 31–32). Folgende Graphik veranschaulicht diese Dynamik:

36 Vgl. OTTO, Deuteronomium, 244–245.403. 37 Siehe S. 72.

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Die rhetorische Dynamik in Dtn 9f.

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Schema 6: Dynamik von der Landnahme zum Landverlust Überwindung der Angst → Landnahme

_____________________________________ Selbstzuschreibung → Landverlust In v6 springt Mose zurück in das „Moab-Heute“.38 Jetzt schon sollen seine Adressaten zur Einsicht gelangen, dass Gott das Land nicht aufgrund ihrer Bewährung gibt, weil sie ein Volk harten Nackens sind. Mose versucht die Adressaten ihrer Gefühle falscher Selbstgewissheit zu berauben, indem er ihnen auf beschämende Weise vorhält, ein Volk harten Nackens zu sein. Die pragmatische Zielrichtung von 9,4–6 erweist sich als komplementär zu jener von 9,1–3. Sollen sie sich laut 9,1–3 Gott anvertrauen, so sollen sie sich gleichzeitig nicht von einer falschen Selbstgewissheit leiten lassen. Beides aber dient der inneren Hinwendung zu Gott.39 Mose richtet sich damit an seine Hörer bereits vor der Überschreitung des Jordan, damit sie in rechter Gesinnung das Leben im Land beginnen. 6.2.3 Kohärenz und Spannung in Dtn 9,1–6 Beim Übergang in eine neue Lebensphase ist Israel zwei Gefährdungen ausgesetzt. Einerseits drohen Ängste, Kleinmut und eine Geschichte des Scheiterns den entscheidenden Schritt über den Jordan zu verhindern und so die Zukunft im Land der Verheißung zu verunmöglichen. Andererseits könnte das Gelingen der Landnahme zum neuerlichen Stolperstein werden, indem es zu einer falschen Selbstgewissheit verführt, die diese Zukunft sofort wieder verspielen lassen würde. Wenden sich beide Abschnitte gegen unterschiedliche Probleme und erzeugen dabei eine Spannung von Ermutigung und Selbstbescheidung, so entwickeln sie sich progressiv als kohärenter Argumentationsgang, indem 9,4–6 eine Differenzierung gegenüber 9,1–3 macht. Israel soll auf Jhwhs Beistand vertrauen (9,1–3), diesen aber nicht auf seine eigene Bewährung zurückführen (9,4–6). Die innere Verknüpfung beider Aufforderungen wird auch im Vergleich mit Ex 34,9–11 deutlich, wo Gott einem Volk harten Nackens zugesagt hatte, dass er die Völker vertreiben werde. In Dtn 9,3 greift Mose zunächst die Zusage der Völkervertreibung auf, differenziert jedoch dann in 9,4–6, dass diese Zusage einem Volk harten Nackens galt und gilt, um der zweiten Gefährdung vorzubeugen. 40 Auch im Blick auf Moses Nacherzählung der Ereignisse in Kadesch-Barnea in Dtn 1,19– 45 deutet sich die innere Kohärenz der beiden Argumentationen in 9,1–3 und 9,4–6 an. Sie 38 Vgl. HARDMEIER, „Reading“, 365. 39 Vgl. MARKL, „Praise“, 4 von 4, der die Analyse von Lobpreis und Beschämung in der Rahmenstruktur Dtn 1–11; 26–34 folgendermaßen beschließt: „Praise as well as blame is used to inspire faithfulness to God and obedience to the Torah.“ 40 Siehe S. 180.

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Textinterne Kommunikation und rhetorische Dynamik

sind die „heute“ eingeforderte Umkehrung des damaligen Verhaltens. Während die Horebgeneration damals Gottes durch Mose vermittelter Zusage (1,20–21.30–31) nicht traute (1,26–28.32), soll die Moabgeneration nun im Vertrauen auf Gott den Jordan überqueren (9,1–3). Hatte die Horebgeneration dann entgegen Gottes Befehl eigenmächtig einen Landnahmeversuch gewagt und nicht auf Gottes Stimme gehört (1,41–45), so soll sie nun jene falsche Selbstgewissheit ablegen (9,4–6), die nur ins Verderben führt.41 In dieser Spannung von Ermutigung und Selbstbescheidung wendet sich Mose in 9,7–10,11 der eigenen Geschichte vom Horeb bis Moab zu. 6.2.4 Rebellions- und Rettungsgeschichte (Dtn 9,7–24) Mit dem Rahmen 9,7.24 stellt Mose die zu erinnernde Geschichte in 9,7–24 unter das Stichwort der Rebellion. Da Mose in 9,18–21 von der Überwindung des göttlichen Zornes infolge von Israels Sünde mit dem Kalb erzählt, teilt sich der Rückblick in eine Rebellionsgeschichte vor und nach dem Horeb. Während Gott seinen Zorn zurückgenommen hat und so die äußerste Konsequenz von Israels Rebellion in Form der Vernichtung abgewendet wurde, blieb Israel seiner rebellischen Haltung bis nach Moab verhaftet. Mose beginnt mit der Übergabe der Tafeln (Dtn 9,9). Sie spricht vom ursprünglichen Plan Gottes, Israel als sein Bundesvolk anzunehmen und ihm sein Wort mit auf den Weg zu geben, damit sie ihr Leben in der Freiheit der aus Ägypten Geretteten bewahren können. Doch bereits an diesem Anfang zeigte sich Israels Widerstand gegen Gott, da es sich ein Kalb machte. Am Anfang steht so der Gegensatz von Gottes Gabe des Lebens und Israels Sünde, sich Gott in den eigenen fest gesetzten Grenzen verfügbar machen zu wollen. Damit richtete Israel die Gottesbeziehung zugrunde (9,12: ‫)ׁשחת‬. Gott reagierte seinerseits auf Israels Zerstörungsakt mit der Androhung von Vernichtung (9,8.14.19.20.25: ‫)ׁשמד‬. Israels Sünde setzte eine Dynamik der Vernichtung in Bewegung, die auf den Untergang des Volkes zusteuerte. Das Zerschmettern der Tafeln stellt den Tiefpunkt dieser Bewegung dar, da dadurch der Bruch der Beziehung zwischen Jhwh und Israel zum Ausdruck kommt. Doch kündigte sich bereits im Moment des entfachten Gotteszornes Rettung an. Noch ehe Gott die Sünde des Volkes benannte, entsendete er Mose in prophetischer Mission, um etwas zu unternehmen (v12). Er forderte Mose auf, ihn nicht am Vollzug seines Zornes zu hindern (v14), obwohl dieser noch kein Wort gesagt hatte, was als indirekte Aufforderung an Mose gelesen werden kann, für sein Volk einzutreten. Mose kam dieser Sendung auf mehrfache Weise nach. Zunächst bestätigte er Israels Sünde (v16), lenkte aber zugleich die Entladung des göttlichen Zornes von Israel auf die Tafeln. Dann sühnte er an Stelle des Volkes und betete für Israel (9,18–19) wie auch für den in besonderer Weise verantwortlichen Aaron, mit dem Ergebnis, dass Gott Israel verschonte (9,19). Nach der Verschonung Israels kam es in der Zerstörung des Kalbes zu einem weiteren Vernichtungsakt. Die minutiöse Beschreibung schildert die Entmachtung des selbstgemachten Gottes. War das Machen des Kalbes entgegen seinem Anschein ein Zerstörungsakt, so war die Zerstörung des Sündenobjektes die Voraussetzung für die Erneuerung der Gottesbeziehung, worauf Mose in 10,1–11 zu sprechen kommen wird. Zuvor schwenkt Mose in 9,22–24 wieder zur Rebellionsgeschichte Israels zurück. Schon vor dem Horeb war Israel rebellisch gewesen und obwohl es am Horeb aufgrund von Moses 41 Vgl. HARDMEIER, „Geschichten“, 110; ders., „Schema‘ Jisra’el“, 69.

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Die rhetorische Dynamik in Dtn 9f.

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Fürbitte von Gott verschont geblieben war, hat sich die Rebellion Israels auch nach dem Horeb fortgesetzt. Der zweite Kristallisationspunkt von Israels Rebellionen der Wüstenzeit ist Kadesch-Barnea. Bereits in 9,1–3 hatte Mose durch wörtliche Übernahmen von Motiven aus Dtn 1 die Ängste und das Scheitern der Väter in Kadesch-Barnea aufgerufen. Nun erwähnt er diese Rebellion außdrücklich (9,23) und hebt dabei zwei Aspekte hervor, einerseits den Glaubens- und Vertrauensmangel (vgl. 1,32), andererseits die Hör- und Befehlsverweigerung (vgl. 1,43). Zwar drohte Gott nicht mehr mit der völligen Vernichtung, doch hatte die Rebellion in Kadesch-Barnea zur Folge, dass die Eltern das Land nicht betreten durften und in der Wüste sterben mussten. 6.2.5 Die Gründe für Israels Verschonung (Dtn 9,25–29) Hat Mose bis hierhin eine zweigesichtige Geschichte der Überwindung des göttlichen Zornes und der sich fortsetzenden Rebellion Israels erzählt, so kommt er in 9,25–29 auf sein Gebet am Horeb zurück. Nun legt er die Gründe dar, aufgrund derer Gott an seinem Volk festhielt. Israel verdankte die Verschonung am Horeb der unauflöslichen Beziehung, die im Wortpaar „Volk und Erbteil“ zum Ausdruck kommt (9,26.29), den Patriarchen, die Israels Sündengeschichte durch ihre Verdienste aufwiegen sollten (9,27), und der möglichen Falschinterpretation durch die Völker. Mit der Herausführung aus Ägypten (9,26.28.29) hat Gott eine Geschichte in Bewegung gesetzt, die in sich das Versprechen von Zukunft trägt. Dieses Versprechen geht noch weiter zurück auf Gottes Schwur an Abraham, Isaak und Jakob (9,5.27; 10,11), aus ihnen ein zahlreiches Volk zu machen, dem er das Land der Verheißung geben werde. Der Blick auf die Erzväter zieht mit Dtn 9,5; 10,11 korrespondierend einen großen Bogen zurück bis zu Abraham (Gen 15).42 Moses Gebet spricht so nicht nur von den Gründen für Israels Verschonung, sondern lässt Israels Geschichte als eine in den Blick kommen, die sich seit Abraham über den Exodus auf die Annahme Israels als Bundesvolk und der Erfüllung der Landverheißung zubewegt. Die Moabgeneration steht nun an dem Punkt in der Geschichte, an dem sich diese Verheißung erfüllen soll. 6.2.6 Erneuerung der Gottesbeziehung (Dtn 10,1–11) Nachdem Gott Israel verschont und Mose das Sündenobjekt vernichtet hat, befahl Gott, neue Tafeln zu hauen. Gott ließ nicht nur von seinem Zorn ab. Er erneuerte, was verloren war, wie durch den vierfachen Hinweis in 10,1.2.3.4 auf die früheren Tafeln (‫ראׁשנים‬/‫ )ראׁשון‬deutlich wird. Im Gegensatz zu den ersten Tafeln sollen die erneuerten Tafeln nicht zerstört werden. Deshalb baut Mose auf Gottes Befehl eine Lade. Sie symbolisiert den Schutz der geretteten, aber immer noch gefährdeten Gottesbeziehung. In der Erneuerungserzählung erinnern Mose und der Erzähler zwar an vergangene Ereignisse. Jedoch verweisen die Erneuerung der Tafeln, die Lade, die Sukzession Aarons und die Dienste des Stammes Levi auf die Fortexistenz und Zukunft Israels als Jhwhs Volk.43 42 ZENGER, „Pentateuchtexte“, 180–181, verweist auf einen Zusammenhang und vielschichtigen Spannungsbogen zwischen Gen 15 und den Sinaitexten in Ex 19; 34. Dies gilt ebenso für Dtn 9f., da hier dreimal auf Abraham hingewiesen wird. 43 Dies deutet STOPPEL, Angesicht, 241, ebenfalls an, wenn er in den „mit den Tafeln verbundenen Motivkomplex“ eine „erneute Ermöglichung des Fortgangs der Geschichte“ ausgedrückt sieht.

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Textinterne Kommunikation und rhetorische Dynamik

Mit der Sukzession des hohepriesterlichen Amtes und der Aussonderung des Stammes Levi werden jene Institutionen erwähnt, die dafür Sorge tragen sollen, dass die gerettete Beziehung vom Gottesberg auch nach Moses Tod bewahrt und lebendig bleibt. Somit spannt sich ein Bogen vom Horeb über den gegenwärtigen Moment in Moab nach vorne in eine unbestimmte Zukunft. Dabei wird gezeigt, dass Gott am Horeb mit der Aussonderung des Stammes Levi für Israels Zukunft vorgesorgt hat. Am Ende der Erneuerungserzählung begegnen der Aufbruchsbefehl und die Zusage des Landes. Die letzte Bewegung des Geschichtsrückblicks stimmt in die anfängliche Bewegung in 9,1–3 ein, da Israel im Rahmen der Bundeserneuerung am Horeb auf das Land der Verheißung ausgerichtet wurde. Somit wird deutlich, dass das Land das Ziel des erneuerten Gottesvolkes ist und das Gelingen der Landnahme als Konsequenz der erneuerten Gottesbeziehung zu verstehen ist.

6.3 Beziehungen zwischen Paränese und Geschichtsrückblick Angesichts des unmittelbar bevorstehenden Übergangs über den Jordan in das Land der Verheißung, der zugleich den Übergang in einen neuen Lebensabschnitt Israels als Gottesvolk darstellt, erinnert Mose an die vorausgehende Geschichte vom Horeb bis nach Moab, die eine zweigesichtigen Dynamik zeigt. Sie ist einerseits eine Geschichte der Rebellion, in deren Folge Gottes Pläne für Israel zu scheitern drohten. Sie ist aber auch eine Geschichte der Überwindung, Rettung und Erneuerung, die auf die Erfüllung der göttlichen Verheißungen hoffen lässt. Beide Aspekte von Israels Geschichte stehen in Beziehung zu Moses Ermutigung in 9,1–3 und Warnung in 9,4–6. Dies lässt sich graphisch folgendermaßen darstellen: Schema 7: Beziehung zwischen Paränese und Geschichtsrückblick Ermutigung zur Landnahme durch Gotteserkenntnis (9,1–3) Warnung vor Selbstzuschreibung durch Selbsterkenntnis (9,4–6) Rebellionsgeschichte (9,7–17.22–24) Rettungsgeschichte (9,18–21; 25–10,11)

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Beziehungen zwischen Paränese und Geschichtsrückblick

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6.3.1 Im rhetorischen Dienst von Moses Paränese Seit der Dissertation Das Hauptgebot von N. Lohfink wurde dem Geschichtsrückblick vor allem die rhetorische Funktion einer Beweisgrundlage für Moses Paränese in 9,4–6 zugesprochen. Auch wenn die damit verbundene These, dass Dtn 9,4–10,11 im Sinne einer alttestamentlichen Rechtfertigungslehre zu verstehen sei,44 zu hinterfragen ist, verweist dieses Interpretationsmodell auf einen wichtigen Aspekt der rhetorischen Dynamik in Dtn 9f. Denn die Rebellionsgeschichte belegt Moses Charakterisierung Israels als Volk harten Nackens mit mehreren Beispielen und dient so der eingeforderten Selbsterkenntnis und in weiterer Folge Moses Appell, das Gelingen der Landnahme nicht auf eine verdienstvolle Bewährung zurückzuführen.45 Mose verfährt hierbei nicht nur auf der rhetorischen Überzeugungsebene des Logos, indem er eine Beweisgrundlage schafft, sondern auch auf der Ebene des Pathos, da er dem Volk auf beschämende Weise die eigene Rebellionsgeschichte vor Augen hält. Auch die Rettungsgeschichte bestärkt Moses Warnung in 9,4–6 insofern, als sie die positive Begründung der erfolgreichen Landnahme in 9,5 aufgreift (9,27; 10,10). Zudem streicht Mose Israels Angewiesenheit auf Gottes Erbarmen und seine Vermittlung am Horeb hervor. Damit zeigt er, dass das Volk seine bloße Existenz seiner Fürbitte und deren Erhörung durch Gott verdankt, was wiederum einer Selbstzuschreibung der gelingenden Landnahme entgegenwirkt. Der Geschichtsrückblick dient jedoch nicht nur der Selbsterkenntnis in v6, sondern auch der Gotteserkenntnis in v3. Die Rettungsgeschichte zeigt, wie Gott gegen alle Hindernisse an seinem Volk festgehalten hat. Am Ende der Erneuerungserzählung (10,11) wird zu erkennen gegeben, dass Gottes erneute Zuwendung am Horeb auch die Zusage der gelingenden Landnahme einschloss. Die Adressaten können darin erkennen, dass Gott trotz Israels Verfehlungen die Landverheißung einlösen möchte. So können sie sich seines Beistands gewiss sein. Hierbei bewegt sich Mose in besonderer Weise auf der Ebene des Pathos, da er Vertrauen auf Gott und seine Verheißungen weckt. Darüber hinaus rückt Mose seine eigene Person als Vermittler ins Zentrum. Gott hatte ihn erhört (Dtn 9,19; 10,10) und Israel aufgrund seiner Fürbitte verschont. Mit der besonderen Thematisierung seiner Rolle am Horeb und seiner erfolgreichen Vermittlung versucht Mose seine Adressaten auf der Ebene des Ethos zu überzeugen, indem er Vertrauen auf seine eigene Person und in weiterer Folge auf seine Botschaften weckt. Hatte Gott am Horeb auf ihn gehört, so soll die Moabgeneration nun ebenfalls auf ihn hören (9,1). 46

44 So besonders BRAULIK, „Gesetz“, 145–151; ders., „Entstehung“, 21–24; ders., „Geschichtserinnerung“, 181–182; ders., „Glaubensgerechtigkeit“, 224–228; LOHFINK, „Deuteronomium 9,1–10,11”, 137; BARKER, Triumph, 84, interpretieren Dtn 9f. als Aufforderung die Landnahme unter den Maßstäben einer Rechtfertigungslehre zu denken, dass Gott das Land nicht aufgrund von Verdiensten, sondern auf der Grundlage der Väter aus reiner Gnade gebe; siehe dazu die Anmerkung von OTTO, Deuteronomium, 972. 45 Dies lässt sich der Funktion einer „Erzählung in der Erzählung“ zuordnen, durch Beispiel zu überzeugen; siehe GENETTE, Narrative Discourse, 233. Der Abschnitt 9,7–24 dient allerdings nicht allein dazu, Israels harten Nacken zu veranschaulichen; pace ZIPOR, „Account”, 28–29. Denn Mose berichtet bereits von der Überwindung der Horebkrise (9,18–20) und mit der Zerstörung des Kalbes (9,21) von der Voraussetzung für die nachfolgende Erneuerung. 46 Zur aristotelischen Unterscheidung von Logos, Pathos und Ethos siehe S. 12.

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Textinterne Kommunikation und rhetorische Dynamik

6.3.2 Sinnzusammenhang von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Der Geschichtsrückblick steht nicht nur im Dienst der Gottes- und Selbsterkenntnis und damit im rhetorischen Dienst der Überzeugung. Darüber hinaus stellt Mose seine Paränese in einen größeren Geschichts- und Sinnzusammenhang, vor dessen Hintergrund Gegenwart und Zukunft aus der Vergangenheit, in deren Horizont und in Verknüpfung mit dieser verstanden werden sollen. a) Der Geschichtsrückblick lässt Gegenwart verstehen Der Geschichtsrückblick erklärt Moses spannungsvolle Botschaft in 9,1–6 sowie die darin reflektierte gegenwärtige Situation der Moabgeneration von ihrem geschichtlichen Ursprung her.47 Denn die paradoxe Botschaft, dass Gott vor Israel als verzehrendes Feuer über den Jordan gehen wird, obwohl es ein Volk harten Nackens ist, gründet in einer bewegten Geschichte am Horeb. Dort hatte Gott das Volk trotz der Sünde mit dem Kalb wieder angenommen und die Zusage der gelingenden Landnahme gemacht. Dementsprechend ist die erfolgreiche Landnahme kein Beweis für Israels Bewährung, sondern die Erfüllung von Gottes Zusage, die er nicht gab, weil Israel sich bewährt hatte, sondern obwohl sich Israel als Volk harten Nackens erwiesen hatte. b) Relationierung der Gegenwart mit der Vergangenheit Der Geschichtsrückblick endet in 10,11 mit Aufbruchsbefehl und Zusage der gelingenden Landnahme thematisch dort, wo Mose in 9,1–6 begonnen hatte.48 H. Stoppel nennt dies eine „spiralförmige Argumentationsfigur“, die der Aktualisierung von vergangenen Ereignissen diene, indem sie die Gegenwart mit der Vergangenheit in Beziehung setzt. 49 Im gegenwärtigen Moment hat Mose den in 10,11 wiedergegebenen Auftrag ausgeführt. Er hat das Volk bis an die Schwelle zum Land der Verheißung geführt und bereitet nun die Moabgeneration darauf vor, „heute“ (9,1.3) ebenfalls Gottes Auftrag (Dtn 1,6) zu erfüllen und die Zusage vom Horeb einzulösen, mit der die Erneuerungserzählung in 10,11 geendet hatte. Der gegenwärtige Moment, in dem die Adressaten angesprochen werden, wird so als Moment erkennbar, da sich erfüllen soll, was Gott am Horeb im Rahmen der Bundeserneuerung angekündigt und zugesagt hat. Im Blick auf Ex 34,5–11 wird zudem deutlich, dass Mose in 9,1–6 an die unmittelbar vor der Landnahme stehende Moabgeneration weitergibt, was er am Gottesberg sehen durfte und mit Gott ausgehandelt hatte. Gott hatte sich Mose als barmherziger und gnädiger Gott offenbart und dies in der Zusage konkretisiert, dass er trotz Israels harten Nackens in eigener Person die Völker vertreiben werde. In dieser Gotteserfahrung hat Mose Gewissheit über Gottes Heilswillen gewonnen. Diese Gewissheit vermittelt er in Dtn 9,3 an die Moabgeneration weiter.50 47 Vgl. OTTO, Deuteronomium, 998. Dies berührt die von GENETTE, Narrative Discourse, 232–233, herausgestellte Funktion einer „Erzählung in der Erzählung“, eine spannungsvolle Situation oder einen kritischen Punkt in der übergeordneten Erzählung zu lösen und durch Analepse die gegenwärtige Situation zu erklären. Die Erinnerung erfüllt damit den von RÜSEN, Zerbrechende Zeit, 59, erhobenen Sinn von Geschichtserzählung, Gegenwart verstehen zu lassen. 48 TASCHNER, Mosereden, 250. 49 STOPPEL, Angesicht, 90.158.266–269. 50 Siehe S. 180.182.

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Beziehungen zwischen Paränese und Geschichtsrückblick

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c) Der Geschichtsrückblick lässt Zukunft erhoffen und erwarten Wie Dtn 9,1–6 so hat auch die Erinnerung eine „zukunftsorientierende Funktion“. 51 Die Geschichte verweist als Rettungs- und Erneuerungsgeschichte auf Gottes Heilswillen trotz Israels Sünde, auf das Land als Zielpunkt des geretteten Bundesvolkes sowie auf die Kontinuität und die Bewahrung der Gottesbeziehung. Dies gibt einerseits Hoffnung und Gewissheit angesichts der bevorstehenden Mission und ruft andererseits nach einer entsprechenden Vertrauensantwort durch die Moabgeneration. Die Zukunftsorientierung des Geschichtsrückblicks wird besonders am Ende in 10,11 deutlich, da Moses Nacherzählung der Horebereignisse mit einem Blick auf die immer noch ausstehende Landnahme endet. Der Rückbezug zu den Patriarchen (9,27) und den Landesschwur (10,11) sowie das Motiv des Auszugs, der auf die Ankunft im Land der Verheißung zielt (9,26.28.29), spannen einen weiten geschichtlichen Bogen zurück, der zu verstehen gibt, dass die Moabgeneration an einem entscheidenden Punkt ihrer Geschichte steht, die seit Abraham auf die Ankunft des Gottesvolkes im Land der Verheißung als Zielpunkt zuläuft. Mit der Lade nimmt die Erzählung außerdem den Schutz und die Kontinuität der geretteten Gottesbeziehung in den Blick und schaut so auf die weitere Zukunft nach der Landnahme voraus.52 Der Blick zurück in die Geschichte lässt somit Zukunft erhoffen und erwarten.53 Dies wird von der Erzählstimme mit der Sukzession Aarons und der Aussonderung des Stammes Levi zu verschiedenen Diensten weiter entfaltet. Demnach hat Gott auch Vorkehrungen getroffen, dass Israel als lebendiges und immer wieder erneuertes Gottesvolk fortexistieren kann. 6.3.3 Die Dynamik der Überwindung Während sich Gott trotz Israels Sünde dem Volk neuerlich zugewandt hat, ist Israels Geschichte von Ägypten bis Moab (9,7.24) eine Geschichte sich fortsetzender Rebellionen geblieben. Einige Kommentatoren beobachten dementsprechend eine Fortführung der Dynamik von Dtn 9,1–6 in Dtn 9,7–10,11 und sehen diese als eine Dynamik des Kontrastes von Gottes Gnade und Israels Sünde, der den gesamten Abschnitt durchziehe. 54 Hierbei ist jedoch zu differenzieren, dass in Dtn 9f. auf zweifache Weise eine Entwicklung thematisiert wird, die schließlich zur Auflösung dieses Kontrastes führen soll. Erstens unterläuft Jhwhs Verhältnis zu Israel eine Entwicklung vom Zorn über dessen Überwindung bis hin zur erneuten Zuwendung. Zweitens blieb Israel zwar bis zur Ankunft in Moab rebellisch, jedoch soll es nun die inneren und äußeren Hindernisse, die sich der Erfüllung der göttlichen Landverheißung entgegenstellen, überwinden. Dtn 9f. durchzieht so eine Dynamik der Überwindung als inneres Leitprinzip. Während Gott seinen Zorn überwunden hat, ist es nun an Israel, seine rebellische Haltung der Vergangenheit zu überwinden und sich Gott anzuvertrauen.

51 HARDMEIER, „Schema‘ Jisra’el“, 71. 52 Eine „Erzählung in der Erzählung“ kann auch die Funktion einer Prolepse haben; vgl. SKA, Fathers, 48. 53 Die Erinnerung erfüllt damit den von J. Rüsen erhobenen Sinn von Geschichtserzählung, Zukunft erwarten zu lassen; siehe RÜSEN, Zerbrechende Zeit, 59. 54 O’CONNELL, „Paralleled“, 502–509; BARKER, Triumph, 83–93.

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Textinterne Kommunikation und rhetorische Dynamik

Die Dynamik der Überwindung nimmt im Motiv der Jordanüberquerung ihren Auftakt. Auf der anderen Seite des Jordan warten die übermächtigen, Angst einflößenden Völker. Durch die pointierte Aufnahme von Motiven der Kundschafterepisode aus Dtn 1 ruft Mose das Scheitern der Väter in Kadesch-Barnea ins Gedächtnis, die angesichts derselben übermächtigen Völker den Mut verloren hatten. Es stellen sich nicht nur die Riesen, sondern auch die Belastung einer Schuldgeschichte dem Überschreiten der Schwelle entgegen. Um diese inneren und äußeren Widerstände zu überwinden, soll Israel sich vergewissern, dass Gott selbst vor ihm über die Schwelle als verzehrendes Feuer schreitet, um die Völker zu vernichten. In den verschiedenen Motiven der Zusage wird auf mehrere Überwindungserzählungen angespielt, so zum Beispiel über das Verb ‫ עבר‬auf Gottes Eingreifen in Ägypten (Ex 12,12.23) sowie auf den Durchmarsch durch das Schilfmeer (Ex 15,16). Im Zentrum der Horeberzählung in Dtn 9,7–10,11 steht die Überwindung des göttlichen Zornes. Es wird offenbar, dass Gott trotz Israels Sünde an seinem Volk und seiner Verheißung des Landes festhält.55 Im Gegensatz dazu hat Israel auf Gottes Zuwendung nicht mit Gehorsam oder Vertrauen geantwortet. Moses Vermittlungsversuch in Kadesch-Barnea (Dtn 1,21.29–31) war vergeblich. In dessen Folge musste die Horebgeneration in der Wüste sterben, ohne das Land betreten zu haben. Hatte Gott am Horeb Israels Zukunft im Land der Verheißung grundgelegt, so verspielte die Horebgeneration in Kadesch-Barnea diese Zukunft. Nun aber steht die Moabgeneration davor, zu realisieren, was der Horebgeneration verwehrt war. Sie soll die rebellische Haltung der Vergangenheit überwinden, um Gottes Gabe des Landes entgegennehmen zu können. Wieder tritt Mose als Mittler in Erscheinung. Hat er am Horeb Gott dazu bewogen, sein Volk zu verschonen, so versucht er jetzt die Moabgeneration dazu zu bewegen, im Gegensatz zu den Eltern die Landnahme im Vertrauen auf Gottes Beistand zu wagen. Diesmal aber liegt es im Unterschied zum Horeb nicht an Gott, sondern an Israel, sich von Mose bewegen zu lassen. Dabei korrespondieren die Überwindung der rebellischen Haltung der Eltern in KadeschBarnea und das Gelingen der Landnahme mit der Rebellion am Gottesberg und deren Überwindung.56 Im Zerschmettern der Tafeln und im Misslingen der Landnahme waren Gottes Pläne für Israel jeweils beim ersten Versuch an der Sünde Israels gescheitert. Wurde mit der Erneuerung der Tafeln und ihrer Deponierung in der Lade in einem zweiten Versuch realisiert, was zuvor gescheitert war, so soll nun in Analogie zur Erneuerung der Tafeln die Landnahme ebenso in einem zweiten Versuch gelingen.57 Während jedoch ersteres allein von Gott aufgrund Moses Vermittlung ausgegangen ist, liegt es nun an Israel, über die Schwelle des Jordan zu schreiten, um das Land einzunehmen. Israel soll sich beim Übergang in die neue Lebensphase auch vor einer Falschinterpretation der gelungenen Landnahme hüten und so ein falsches Denken überwinden (9,4). Die von Mose eingeforderte und durch die Geschichte untermauerte Selbsterkenntnis, dass es ein Volk harten Nackens ist, soll vor diesem Fehlschluss bewahren. Der Blick auf die 55 Eine ähnliche Zusammenführung der Themenkomplexe Landnahme und Bund findet sich in Num 13–14, wo durch mehrere Parallelen deutlich gemacht wird, dass „das Verheißungsgut ,Land’ vom Bund Gottes her zu deuten“ ist; siehe dazu DOHMEN, Exodus 19–40, 286. 56 Vgl. TASCHNER, Mosereden, 190.251, der von einer Analogie zwischen den zweiten Tafeln und dem zweiten Landnahmeversuch spricht. 57 Dies ähnelt sehr stark der Funktion einer „Erzählung in der Erzählung“, durch Analogie zu überzeugen; vgl. GENETTE, Narrative Discourse, 233.

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Beziehungen zwischen Paränese und Geschichtsrückblick

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eigene Rebellionsgeschichte dient dabei einerseits als Spiegel, in dem Israel sich als rebellisches Volk harten Nackens erkennen soll, andererseits als Warnung vor den Konsequenzen dieser Haltung, da Israels Sünde am Horeb beinahe zu seiner Auslöschung geführt hätte und die Rebellion von Kadesch-Barnea den Verlust des zum Greifen nahen Landes sowie den Tod in der Wüste nach sich zog. Selbsterkenntnis und Überwindung eines solchen falschen Denkens sind erste Schritte einer inneren Umkehr, die schließlich in die Überwindung der mit dem harten Nacken ausgedrückten Haltung münden sollen (10,16). Erst das Ablegen dieser Haltung wird davor bewahren, jener Dynamik zu verfallen, die vom Hochmut über Gottvergessenheit wieder zum Landverlust führen würde. 6.3.4 Resümee Mit der Aufschlüsselung der rhetorischen Dynamik von Dtn 9f. durch ein Schema der Beweisführung ist ein wichtiger Punkt für das Verständnis von Dtn 9f. angesprochen. Zu kritisieren ist jedoch, dass die meisten Kommentatoren Dtn 9,1–3 kaum in die rhetorische Dynamik miteinbeziehen. Der Geschichtsrückblick bestärkt nicht nur die in 9,6 eingeforderte Selbsterkenntnis, sondern über die Rettungs- und Erneuerungserzählung ebenso die in 9,3 eingeforderte Gotteserkenntnis. Die Geschichte dient als Erkenntnisquelle sowohl für Moses Warnung als auch für seine Ermutigung. Mose versucht dabei nicht nur auf der rhetorischen Ebene des Logos in Form einer Beweisführung, sondern auch auf der Ebene des Pathos zu überzeugen, indem er Vertrauen auf Gott und seine Verheißung des Landes weckt und durch Beschämung zu reinigender Selbsterkenntnis anleitet. Nicht zuletzt macht Mose seine eigene Person als Mittler am Horeb zum Thema und weckt so Vertrauen in sich selbst und seine Botschaften, wodurch er ebenso auf der Ebene des Ethos zu überzeugen versucht. Hatte Gott am Horeb auf ihn gehört (9,19; 10,10), so soll nun auch das Volk auf ihn hören (9,1). Darüber hinaus stellt Mose die gegenwärtigen Herausforderungen in einen größeren Geschichts- und Sinnzusammenhang. Mose macht deutlich, dass das Volk durchgehend gegen Jhwh rebelliert hat, dieser sich aber auf Moses Vermittlung hin dem Volk erneut zugewandt hat. Der Rückblick plausibilisiert so die Paränese von ihrem geschichtlichen Ursprung her, da er erklärt, wie es dazu kam, dass sich Gott für Israel einsetzt, obwohl es ein Volk harten Nackens ist. Zweitens gibt Mose zu verstehen, dass seine Adressaten an einem entscheidenden Punkt der Geschichte stehen. Nun soll sich erfüllen, was Gott seit Abraham und schließlich am Horeb im Rahmen der Bundeserneuerung zugesagt hat, sich jedoch aufgrund von Israels Rebellion in Kadesch-Barnea verzögert hat. Drittens deutet die Erneuerungserzählung über die Lade und Klerus auf die Kontinuität Israels als Gottesvolk und lässt so Zukunft erhoffen und erwarten. Dtn 9f. charakterisiert schließlich eine Dynamik der Überwindung als inneres Leitprinzip. Am Horeb wurde der Beziehungskonflikt zwischen Jhwh und seinem Volk überwunden. Im Blick auf die weitere Geschichte zeigt sich jedoch, dass dies nur einseitig von Gott ausgegangen ist. Während Gott seinen Zorn überwunden hat, blieb Israel rebellisch, sodass die Horebgeneration die von Gott zugesagte Zukunft im Land der Verheißung verspielte. Nun soll die Moabgeneration die rebellische Haltung der Vergangenheit überwinden, indem sie im Vertrauen auf Gott den Jordan zur Landnahme überquert und sich über die Zustimmung zum Moabbund mit ganzem Herzen dem Gott zuwendet, der sich Israel am Horeb erneut zugewandt hat. Vermittelnder Angelpunkt dieser Dynamik ist Moses. Hatte

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Gott am Horeb auf ihn gehört (9,19; 10,10), so soll nun Israel auf ihn hören (9,1). Zudem soll die Moabgeneration aus der Geschichte die Einsicht gewinnen, dass es das Gelingen der Landnahme nicht auf seine verdienstvolle Bewährung zurückführen kann. Diese Einsicht soll sie vor einer falschen Selbstüberhebung und deren Konsequenzen bewahren. Beides, Vertrauen in Gott und reinigende Selbsterkenntnis, sind grundlegende Schritte einer entschiedenen Hinwendung zu dem Gott, der sich Israel am Horeb zugewandt hat, und Bedingung dafür, dass die Moabgeneration das Land einnehmen und bewahren kann.

6.4 Dtn 9f. in der Dynamik des Buches Deuteronomium Der Übergang über den Jordan, die Landnahme, die Rebellionsgeschichte in den Kristallisationspunkten Horeb und Kadesch-Barnea sowie die Horeberzählung als Ursprungsgeschichte Israels in Dtn 9f. sind bedeutsam für die Gesamtdynamik des Buches Deuteronomium. Im Folgenden soll dies unter verschiedenen Aspekten beleuchtet werden. 6.4.1 Israels Übergang in eine neue Lebensphase Die Moabgeneration steht an einem entscheidenden Punkt ihrer Geschichte, die sich laut Dtn 9f. bis hierhin zwischen den Polen von Gottes Zuwendung und Israels Rebellion bewegt hat. Hat Gott am Horeb zu erkennen gegeben, dass er an Israel und an seinen Verheißungen auch über die Widerstände der Sünde hinaus festhält, so hat Israel bis hierhin nicht auf entsprechende Weise mit einer Haltung des Vertrauens und des Gehorsams geantwortet. Moab wird nun zum Ort eines mehrfachen Übergangs in eine neue Lebensphase, an dem Israel mit Veränderungen und Herausforderungen konfrontiert ist und über den Eintritt in den Moabbund zu einer entschiedenen Antwort auf Gottes Bundesangebot angehalten wird. Der Übergang in eine neue Lebensphase lässt sich in drei Übergangsmomenten zusammenfassen, die miteinander verknüpft sind. 1.) Von Moses Tod zur Tora: Mit Moses Tod wird Israel seinen Lehrer, Propheten und Anführer verlieren. Es geht so von einer Zeit mit Mose zu einer Zeit nach Mose über.58 Mose bereitet die Moabgeneration auf ein Leben als Bundesvolk ohne ihn vor. Sein Tod wird sogar zur Voraussetzung dafür, dass Israel in die neue Lebensphase übergehen kann. Wie E. Otto mit einer christlichen Metapher zum Ausdruck bringt, steht Mose nach seinem Tod in seine Tora auf.59 Mit Mose endet die Phase der Toraoffenbarung und soll jene des Toragehorsams beginnen. 2.) Von der Rebellion zum Eintritt in den Moabbund: Israel muss die rebellische Haltung der Vergangenheit überwinden, um den Jordan zu „überschreiten“ (‫)עבר‬. Dieser Übertritt ist mit der Schließung des Moabbundes gekoppelt, in den es ebenfalls „hinüberschreiten“ (‫)עבר‬ soll (Dtn 29,11). Israel soll von der rebellischen Vergangenheit in eine Phase des Tora58 Zu den verschiedenen Amtsübergaben Moses in Dtn 31 siehe TALSTRA, „Deuteronomy 31“, 96, der Josua, die Leviten und das Lied Moses die verschiedenen Ämter der Führung, der Toravermittlung und der Zeugenschaft übernehmen sieht, während OTTO, Deuteronomium, 2118, darauf hinweist, dass die gesamte Tora inklusive des Liedes Moses Rolle als Offenbarungsmittler, die von der der Aufgabe der Promulgation oder Toralehre zu unterscheiden ist, übernimmt. 59 OTTO, „Gesetzbuch“, 137.

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gehorsams übergehen, indem es in den Moabbund eintritt. Der Bundesschluss des Moabbundes vollzieht sich in einem zweistufigen Prozess diesseits des Jordan mit Mose und jenseits des Jordan ohne Mose, wo er seinen rituellen Abschluss finden soll.60 Der Übergang über den Jordan wird so auch zum Übergang in den letzten Akt des Bundesschlusses (vgl. 27,2–4). „Hinüberschreiten über den Jordan“ (9,3) und „Hinüberschreiten in den Bund“ (29,11) markieren so gemeinsam den Beginn einer neuen Lebensphase Israels als Bundesvolk. Beide Übergangsmomente, Jordanüberquerung und Moabbundesschluss, gleichen sich auch darin, dass sich Israel dabei jeweils Gott anvertrauen soll. Bei der Überschreitung des Jordan muss Israel sich vertrauensvoll Gottes Beistand übergeben. Beim Bundesschluss verpflichtet es sich Jhwh als Bundespartner und soll sich dabei entsprechend Dtn 6,4–5 mit seinem ganzen Liebesvermögen Gott als Bundespartner hingeben. 3.) Von der Fremde in das Land der Verheißung: Israel soll mit der Überquerung des Jordan von der Fremde in das Land der Verheißung hinübergehen, was wiederum mehrere grundsätzliche Veränderungen mit sich bringt wie das In-Kraft-Treten der Gesetze und Rechtsbestimmungen durch den Abschluss des Moabbundes und die Erfüllung mehrerer göttlicher Verheißungen wie jene der Erwählung des „Ortes“ (z. B. 12,5.11.14),61 der Ruhe vor den Feinden (12,9–10; 25,19) und des Segens in seiner vielfachen Ausprägung. Die Überquerung des Jordan markiert dabei als geographische Grenzüberschreitung auf sehr konkret fassbare Weise den Übergang in eine neue Lebensphase. Dtn 9f. spielt in dieser Dynamik eine wichtige Rolle, da hier der Moment des Übergangs in die neue Lebensphase zur Vergangenheit als zweigesichtige Geschichte der Zuwendung Gottes einerseits und der eigenen Rebellion andererseits in Beziehung gesetzt wird. Gott hat am Horeb trotz der Sünde mit dem Kalb sein „Ja“ zu Israel als Bundesvolk gesprochen, während Israel bis zur Ankunft in Moab dieses „Ja“ zumindest nicht im erwünschten Maße erwidert hat. Nun aber soll die Moabgeneration mit Jordanüberquerung und Eintritt in den Moabbund in Gehorsam und Vertrauen antworten. Israel soll nun werden, was es von Gott her seit dem Horeb bereits ist, Gottes Bundesvolk, und damit verbunden das Land empfangen, das Gott Abrahams Nachkommen versprochen hat. Doch bleiben die Bundesbeziehung und damit auch der Landbesitz weiterhin gefährdet, wie Mose durch mehrere Unheilsprophetien deutlich macht. Gerade der Erfolg der Landnahme könnte zum Einfallstor dafür werden, Hochmut und falscher Selbstgewissheit zu verfallen, die Gottvergessenheit, Bundesbruch und letztlich den Landverlust nach sich ziehen. Deshalb soll Israel beim Übergang in die neue Lebensphase seine Geschichte der Rebellion, der Sünde und des Scheiterns nicht vergessen, sondern ins eigene Bewusstsein einschreiben. Diese Geschichte der Rebellionen deutet warnend auf die Konsequenzen der Sünde und soll zur „reinigenden Selbsterkenntnis“ führen,62 die jener Dynamik des Unheils vorbeugen soll, an deren Ende wieder der Landverlust stünde. Israel soll so einerseits im

60 SONNET, Book, 96, spricht von einem „two step process“. 61 Vgl. POLZIN, Moses, 137, der die Überquerung des Jordan in Jos 3,1–4,14 als Israels „Übergang von der Verheißung zur Erfüllung“ beschreibt. 62 MARKL, Gottes Volk, 241, spricht in Bezug auf die Pragmatik des Moseliedes von der Beschämung Israels als „reinigende Erkenntnis“, die zum Gotteslob führen soll. Diese Begrifflichkeit trifft auch die Pragmatik von 9,6 im Zusammenspiel mit 9,7–24.

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Vertrauen auf Gott und andererseits in schützender Selbsterkenntnis in die neue Lebensphase eintreten, um bewahren zu können, was Gott ihm anvertraut. 6.4.2 Die Horeberzählung als Paradigma Zahlreiche Kommentatoren schreiben mit Bezeichnungen wie „grundsätzlich“, „grundlegend“, „archetypisch“, „Urerfahrung“, „paradigmatisch“, „Typos“ und „Modellerfahrung“ der Horeberzählung in Dtn 9f. eine paradigmatische Funktion zu. Ziel und Zweck einer Paradigmenerzählung ist nach C. Hardmeier, „Gottes zukünftiges Handeln in Korrelation zum eigenen Verhalten richtig einzuschätzen“.63 Am paradigmatischen Ereignis erkennen die Adressaten demnach Grundsätzliches über Gott, sich selbst und ihre Gottesbeziehung und können daraus Schlüsse für ihre gegenwärtige Situation und ihre Zukunft ziehen.64 In Dtn 9f. werden die Gefährdung der Gottesbeziehung und die Anziehungskraft des Götzendienstes vor Augen geführt. Mehrmals macht Mose deutlich, dass es sich bei der Sünde mit dem Kalb um einen Bruch des ersten Gebotes in Form des Bilderverbots handelt und damit die Grundlage der Gottesbeziehung insgesamt „zugrunde gerichtet wird“ ( ‫)ׁשחת‬. Die Abgründigkeit der Sünde tritt auf dem Hintergrund der Tafelübergabe umso stärker ans Licht. Indem das Volk am Horeb das selbstgemachte Kultbild dem lebendigen, aber unverfügbaren Gott vorzieht, zeigt sich paradigmatisch die Gefährdung der Gottesbeziehung und die Anziehungskraft des Götzendienstes, die Israels Geschichte begleiten werden, wie in Moses Unheilsprophetien, den Prophetenbüchern und den Büchern Josua bis Könige deutlich wird. Am Horeb zeigt sich auch paradigmatisch, wie Gott auf die Sünde reagiert. Vielfach kommt der Zorn zur Sprache, den Israels Sünde bei Gott ausgelöst hatte, sodass er das Volk sogar vernichten wollte. Die Sünde setzt eine Dynamik in Bewegung, die Israel unweigerlich auf den Untergang zusteuern lässt. Bereits am Horeb eröffnet sich jedoch eine Gegenperspektive, indem Gott auf Moses Fürbitte hin die unausweichlich scheinende Spirale von Sünde - Zorn - Vernichtung durchbricht. Gott erhört Moses Fürbitte und erweist sich so als barmherzig. Er verschont Israel nicht nur, er erneuert schließlich die Beziehung und wendet sich dem Volk wieder gnädig zu. So wird am Horeb paradigmatisch deutlich, dass Gott trotz seines Zornes über Israels Sünde nicht den Untergang des Volkes, sondern seine Zukunft als Bundesvolk will. In Moses Gebet kommen jene Gründe ans Licht, die Gott von der Vernichtung zurückschrecken ließen. Was Mose damals am Horeb im Moment der schwerwiegendsten Krise Gott erfolgreich vorgebracht hatte, das war nicht nur damals ausschlaggebend für Gottes Verschonung und Erneuerungswillen. Es umfasst mit Israels Identität als Gottes Volk („dein Volk und dein Erbteil“), den Patriarchen und der Verantwortung Gottes für seine im Exodus

63 HARDMEIER, „Geschichten“, 111. 64 HARDMEIER, „Schema‘ Jisra’el“, 68–71, spricht in diesem Zusammenhang von einem Applizierungsprozess, wonach die modellhaften Horeberfahrungen auf das Heute übertragen werden können. So zeige in Dtn 9f. die Urerfahrung am Horeb, dass der Aufbruchsbefehl vom Horeb (1,6–8) trotz Israels Sünde seine Gültigkeit bewahrt habe. In einem Übertragungsprozess könne die Moabgeneration erkennen, dass auch ihr dieser Auftrag gilt und Gottes Beistand zugesichert ist trotz des Scheiterns in Kadesch-Barnea und des notorischen harten Nackens.

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begonnene Befreiungsgeschichte fundamentale Punkte, auf denen Gottes Festhalten an seinem Volk unabhängig von Israels Bundestreue und Gebotsgehorsam gründet. Im Gegensatz zu Ex 32–34 ist in Dtn 9f. weder von einer vollzogenen Bestrafung des schuldigen Volkes (vgl. Ex 32,20.26–28.33.35) noch von einer Reue oder Umkehr des Volkes (vgl. Ex 33,4.6) die Rede. Alles vollzieht sich zwischen Gott und Mose. Letzterer sühnt für sein Volk (9,18), betet (9,18–20.25–29; 10,10), bekennt die Sünde (9,27) und zerstört das Sündenobjekt. Dtn 9f. weist somit paradigmatisch auf die Angewiesenheit des Volkes auf Vermittlung, Stellvertretung und Fürsprache. Diese Angewiesenheit setzt sich auf andere Weise in der Zukunft fort, wenn der Hohepriester (10,6) und der gesamte Stamm Levi (10,8) für die Bewahrung der Gottesbeziehung Sorge tragen sollen. Auch wenn die Eigeninitiative des Volkes im Geschichtsrückblick nicht zur Sprache kommt, zeigt Mose selbst paradigmatisch, wie mit der Sünde umzugehen ist. Die angemessene Reaktion auf die Sünde besteht demnach aus Reue, Gebet, Fasten und der „Vernichtung“ der Sünde, die in der Vernichtung des Kalbes zum Ausdruck kommt. Zudem zielt gerade die Dynamik von Dtn 9f. auf eine mehrfache Reaktion Israels auf die Ereignisse der Vergangenheit. Israel soll nun hören und den Jordan überschreiten (9,1) und damit jene rebellische Haltung der „Hörverweigerung“ überwinden, die die Väter in Kadesch-Barnea scheitern ließ (vgl. 1,43; 9,23). Und es soll sich durch reinigende Selbsterkenntnis vor einer Mentalität des Hochmuts und Gottvergessenheit hüten, um schließlich den harten Nacken selbst abzulegen (10,16). 6.4.3 Das einmalige Horebereignis mit Auswirkung auf die Zukunft Am Horeb hat sich zwar Grundsätzliches gezeigt, was sich in Israels Geschichte wiederholen wird, wie besonders an der Darstellung zukünftiger Rebellionen in Dtn 4; 31 deutlich wird. Doch haben sich an diesem fundamentalen Ursprungsmoment auch einmalige Geschehnisse mit weitreichenden Folgen für die weitere Zukunft des Volkes zugetragen. Dtn 9f. schildert so Ereignisse, die sich einerseits aufgrund ihrer Modellhaftigkeit wiederholen, andererseits auf einmalige Weise sich wiederholende Dynamiken durchbrechen. a) Moses einmaliger Einsatz Mose verweist in Dtn 9f. mehrmals und betont auf seinen Einsatz für das bedrohte Volk. Er hat Gottes Angebot ausgeschlagen, aus ihm allein ein größeres Volk zu machen, was in Ex 32,32 noch eindrücklicher geschildert ist, wenn er hier sogar anbietet, anstelle des Volkes aus dem Buch Gottes gestrichen zu werden. Nach rabbinischer Auslegung fügt sich auch die Zerstörung der Tafeln (9,17) in Moses Rolle als Retter, da er das Dokument zerstört, das Israel anklagen würde, um eine mildere Beurteilung zu erwirken.65 Mose fürchtete um sein Volk (9,18). Er, der an der Sünde mit dem Kalb nicht beteiligt war, fastete und betete „wegen all der Sünde“ für Israel und Aaron und wurde von Gott erhört (9,18–20). Er ließ sich Argumente einfallen, die Gottes Zorn schließlich beschwichtigen konnten (9,26–29). Er hat sich 40 Tage und 40 Nächte in das Feuer des göttlichen Zornes begeben, um für sein Volk zu sühnen, und so Rettung erwirkt.

65 Siehe Tan zu Eikev §11 (Hg. PUPKO et al., 86–87); RAMBAN, Dewarim, zu Dtn 9,17 (Hg. KASNETT et al., 213).

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Die Darstellung Moses lässt ihn als prototypischen Fürbitter und Erzpropheten erkennen. Andererseits sind seine Mittlerrolle und sein Einsatz am Horeb so spezifisch, dass seine prophetische Rolle auch Einmaligkeitscharakter hat.66 Dies kommt im Moseepitaph in Dtn 34,12 ausdrücklich zur Sprache, wo die Begegnung Moses mit Gott „von Angesicht zu Angesicht“ die Einmaligkeit seiner Prophetie ausmacht. In diese Einmaligkeit der Gottesbegegnung fallen in besonderer Weise auch seine intimen Verhandlungen mit Gott um Israels Schicksal am Sinai/Horeb.67 b) Die Rettung am Horeb und ihre Auswirkungen auf die Zukunft Am Horeb hat sich eine einmalige Rettung zugetragen, wie sie sich in Ermangelung eines Fürbitters wie Mose in der Zukunft nicht auf dieselbe Weise wiederholen wird. Dabei erhebt sich die Frage, ob Israels Zukunft ohne Mose der Dynamik von Sünde - Zorn - Vernichtung ausgeliefert sei. Nach M. Franz etwa zeigt die Geschichtsdarstellung in den Königsbüchern, dass auf dem Bund ohne einen Fürbitter wie Mose „der Schatten der menschlichen Sünde“ und die „Drohung im Falle des Ungehorsams“ liege. 68 Mag diese Perspektive für bestimmte Redaktionsschichten des Buches Deuteronomium und der Vorderen Propheten gelten, 69 so deutet sich innerhalb von Dtn 9f. und aus Sicht des Endtextes des Buches Deuteronomium eine gegenläufige Perspektive an. Denn weder im Zusammenhang mit den weiteren Rebellionen in Dtn 9,22–23 noch in Dtn 1 ist nach der Sünde von Kadesch-Barnea von einer Vernichtungsandrohung Gottes die Rede.70 Ebenso zögern die Unheilankündigungen im Buch Deuteronomium und die Untergangsdarstellungen in den Königsbüchern, von einer völligen Vernichtung zu sprechen. Selbst ein Blick auf die Flüche in Dtn 28 lässt erkennen, dass Israel im Falle des Bundesbruchs zwar aus dem Land vertrieben und schwerste Strafen hinnehmen muss, die völlige Auslöschung wie am Horeb allerdings letztlich nicht mehr angedroht wird, da sich – wie N. Lohfink beobachtet hat – in Dtn 28 die inhaltliche Füllung des sieben Mal auftretenden Begriffs ‫ ׁשמד‬von völliger Austilgung in vv20–23 hin zur Exilierung in v63 entwickelt.71 Diese Beobachtungen deuten darauf hin, dass sich am Horeb eine einmalige Rettung ereignet hat, die bleibende Auswirkungen auf den weiteren Verlauf der Geschichte des Volkes hatte. c) Grundlegung der Zukunft am Horeb Auch die Erneuerung Israels am Horeb hat den Charakter eines einmaligen Geschehens, das Auswirkungen auf die Zukunft hat. Die Zerstörung der ersten Tafeln bringt nicht nur Verlust,72 sondern hat auch Neuerungen innerhalb der Gestaltung der Gottesbeziehung zur 66 Manche Kommentatoren sehen eine Nähe zum Gottesknecht in Jes 53; vgl. z. B. AURELIUS, Fürbitter, 54–55; zu Mose als Messias-Typus siehe z. B. SHAPIRO, Return, 138–165.193–226. 67 Siehe dazu MARKL, „Prophetenrolle“, 58–61. 68 FRANZ, Gott, 209–210. 69 OTTO, Deuteronomium, 249, nimmt an, dass nach der deuteronomistischen Horebredaktion am Horeb noch kein Bund geschlossen war und deshalb die Verschonung möglich gewesen war. Nach dem Bundesschluss würde jedoch die ganze Schärfe von Segen und Fluch in Kraft treten. 70 Vgl. STOPPEL, Angesicht, 182.184–185. 71 LOHFINK, „Zorn Gottes“, 52–55. 72 Pace FRANZ, Gott, 208–210, demzufolge die menschliche Herstellung der zweiten Tafeln darauf hindeutet, dass der Urzustand nicht wiederhergestellt ist und der „Bund den Glanz verloren“ hat.

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Folge. So zeigt sich eine Neuerung darin, dass mögliches Scheitern stärker in den Blick genommen wird.73 Dies kommt mit der Lade als Zeichen des Schutzes für die gerettete Gottesbeziehung und dem Klerus zum Ausdruck, der Sorge tragen soll, dass die gerettete Gottesbeziehung bewahrt bleibt. Somit mündet die Überwindung der Horebkrise in eine Erneuerung, die grundlegende Weichen für die Zukunft Israels als Gottesvolk legt. 6.4.4 Narrative Identität Im Buch Deuteronomium wird auf unterschiedliche Weise Identität gebildet. Während Mose durch „Lob und Tadel“ „moralische Identität“ zu stiften versucht,74 wird durch Geschichtsrückblicke verstärkt gebildet, was P. Ricouer „narrative Identität“ nennt. Dies geschieht durch einen dynamischen Prozess des Erzählens der eigenen Geschichte.75 Auf textexterner Kommunikationsebene gilt dies für das gesamte Buch Deuteronomium als Erzählung, auf textinterner in besonderer Weise für jene Abschnitte, die Israels Geschichte erzählen. Im Zentrum der Horebereignisse steht die Beziehung zwischen Gott und Israel. C. Hardmeier spricht dementsprechend davon, dass die „Jhwh-Beziehung“ das „zentrale Ereignis“ der Erinnerung darstellt.76 Sie ist der erste und bestimmende Orientierungspunkt von Israels „narrativer Identität“, was ebenso für Israels „moralische Identität“ gilt, da sich die „Gottesverbundenheit“ als Hauptanliegen des Buches Deuteronomium erkennen lässt. 77 Diese Beziehung lässt sich vor allem unter der Kategorie der Bundesbeziehung fassen. Mose wendet sich im Buch Deuteronomium dem Ursprungsereignis am Horeb mehrfach zu. Wie in vielen Erzählungen, so etwa bei Jakob und Esau, wird am Beginn sichtbar, was sich im Laufe des Lebens entfalten wird. Ähnliches geschieht am Horeb. In dieser Geburtsstunde des Gottesvolkes verdichtet sich, was seine sich über die Zeiten entfaltende Geschichte bestimmen wird. Schon vom Ursprung her zeigt sich paradigmatisch die Gefährdung der Gottesbeziehung durch die Anziehungskraft des Götzendienstes sowie die Auswirkung der Sünde, die eine Dynamik des Unheils in Bewegung setzt. Im Ursprungsereignis zeigt sich jedoch auch, dass Gott die Spirale von Sünde - Zorn Vernichtung nicht zu ihrem unausweichlichen Ende kommen lässt. Somit begegnet im identitätsstiftenden und programmatischen Ursprungsereignis ein Ausbruch aus dem „Teufelskreis der Unheilsgeschichte“.78 Zu Israels Identität als Gottes Bundesvolk gehört nicht nur das unverfügbare Moment der Rettung aus der Knechtschaft, sondern auch der Rettung vor der eigenen Sünde und ihrer Konsequenzen. Dies öffnet die grundsätzliche 73 So besagt der Talmudtraktat bAZ 4b–5a (Hg. GOLDSCHMIDT, 444–445), dass der Grund für die Sünde mit dem Kalb darin bestand, für Sünder den Weg zur Umkehr zu ebnen. 74 MARKL, Gottes Volk, 85–87. 75 RICOUER, Zeit und Erzählung. III, 396. Ihm geht es vor allem darum, dass Identität nicht allein durch eine immer gleichbleibende Gewissheit des eigenen Ich (idem) bestimmt ist, sondern auch durch eine unaufhörliche Refiguration der eigenen Lebensgeschichte als ipse, das sein eigenes Leben liest und zugleich schreibt. 76 HARDMEIER, „Geschichten“, 111. Er bezeichnet das biblische Geschichtsdenken als genuin theologisch, da hier Gott als unverfügbares „Beziehungs-Gegenüber“ als in der Geschichte wirksam erkannt wird und damit korrelierend die eigene Kontingenz nicht aufgelöst wird; ebd., 118–119. 77 MARKL, Gottes Volk, 84. 78 Zum Konzept des Ausbruchs aus dem Teufelskreis der Unheilsgeschichte in Dtn–2 Kön siehe MARKL, „Anti King”, 179–180; ders., „Efficacy“,140.

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Zukunfts- und Hoffnungsperspektive, dass Israels Geschichte trotz Sünde und Bundesbruch nicht in der Vernichtung endet.79 Wesentlich für Israels Rettung am Horeb war Moses Einsatz für sein Volk.80 Israels Fortleben verdankt sich so nicht nur Gottes Erbarmen, sondern auch der Vermittlung Moses. Nach Moses Tod übernehmen Aarons Nachfolger und der gesamte Stamm Levi in gewisser Weise Moses Vermittlung zwischen Gott und Israel, indem sie für die Bewahrung der Gottesbeziehung durch Lehre, Kult und Segensdienst Sorge tragen. Israels Identität bleibt so eine der Angewiesenheit über den kritischen Moment am Horeb hinaus. C. Hardmeier wendet sich gegen die These J. Assmans, dass Exodusgeschichte und Sinaioffenbarung als „Identitätsstiftungsakte“ zu sehen seien,81 deren Erzählung Israels Identität als Nation bewahre. Er hält dem entgegen, dass sich die negative Darstellung als rebellisches Volk harten Nackens in 9,7–24 nicht für eine positive Identitätsbildung eigne.82 Jedoch scheint gerade die Thematisierung des eigenen Versagens ein wichtiges Element biblischer Identitätsbildung zu sein. Die Geschichte wird nicht einseitig als Erfolgsgeschichte erinnert,83 sondern als Erfahrung der eigenen Begrenztheit und Kontingenz, worauf C. Hardmeier selbst eingehend hinweist. In diesem Blick auf die eigene Begrenztheit wird Jhwh umso deutlicher als wirkendes Gegenüber erkennbar.84 Die in Dtn 9f. gebildete „narrative Identität“ Israels ist wie schon vom Ursprung des Schöpfungsberichts her die Identität der Menschheit insgesamt eine gefallene oder, um im Bild der zerbrochenen Tafeln zu bleiben, eine „gebrochene“. 85 Die am Anfang stehende Übertretung des göttlichen Gebotes in Gen 3 wiederholt sich auf gewisse Weise am Sinai/Horeb im Ursprungsereignis des Bundesvolkes Israel. Wieder steht am Beginn ein „Fall“. Doch wird dieser nun stärker als der erste Sündenfall aufgefangen, da auf die Überwindung der Krise die vollständige Erneuerung folgt. In Dtn 9f. umfasst die eigene Ursprungsgeschichte Schuld, Scheitern und Bruch, aber auch deren Überwindung, die vollständige Erneuerung sowie Vorkehrungen zu deren Bewahrung. Es handelt sich um eine gebrochene und weiterhin gefährdete, aber auch durch Gott und Mose gerettete und auf Bewahrung ausgelegte Identität als Bundesvolk.86 Beide Aspekte sind wichtig, um die eigene

79 Vgl. dazu die Interpretation von MACDONALD, „Aaron’s Failure“, 207: „The story of the Golden Calf assures readers that even the grossest trangressions in Israel’s history can be survived through God’s forgiveness…“. 80 Siehe AURELIUS, Fürbitter, 50–56, und FRANZ, Gott, 208, die beide die Bedeutung der Fürbitte Moses für die Verschonung Israels hervorheben. M. Franz spricht jedoch Gott keinerlei Initiative zu und verkürzt so die theologische Tiefe in Dtn 9f., wo Gott und Mose gemeinsam um das Volk ringen; siehe dazu die Kritik bei OTTO, Deuteronomium, 999–1000. 81 ASSMANN, Gedächtnis, 201. 82 HARDMEIER, „Geschichten“, 117. Dies hängt auch damit zusammen, dass ihm zu Folge die Kategorie „Identitätsstiftung“ dem Geschichtsdenken Israels nicht angemessen ist. 83 Vgl. MARKL, „No Future“, 728, der hinsichtlich des desaströsen Endes der Königsbücher festhält, dass die Autoren nicht „into the nearly universal psychological trap of self-admiring historiography“ fallen. 84 HARDMEIER, „Geschichten“, 118, spricht von der „Mitwirksamkeit des Unverfügbaren“. 85 Vgl. ZENGER, „Pentateuchtexte“, 179, der im Zusammenhang von Ex 32–34 von einer nach dem Jahr 586 „gefährdeten bzw. zerbrochenen Identität“ spricht, die es zurückzugewinnen gilt. 86 ZENGER, „Pentateuchtexte“, 184, spricht im Zusammenhang der in Gen 2,4–2 Kön 25 gegebenen Heilsperspektiven (bes. Ex 34) davon, dass „Israel seine Identität als Volk der Geretteten“ sucht.

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Identität als Gottes Bundesvolk sowohl in ihrer zugesagten Beständigkeit als auch in ihrer Gefährdung und Zerbrechlichkeit zu begreifen. Obwohl Gott am Horeb die Bundesbeziehung und damit auch seine Landverheißung für Israel erneuert hat, hat Israel seine rebellische Haltung vom Horeb nicht abgelegt, wie in Kadesch-Barnea deutlich wurde. Israel steht nun in Moab zwischen dem „Schon“ von Gottes Annahme Israels als Bundesvolk am Horeb und dem „Noch nicht“ der eigenen unzureichenden Antwort in der Vergangenheit. Nun erneuert, aktualisiert und entfaltet Mose im Auftrag Gottes den Horebbund in Form des Moabbundes.87 Mose formuliert Gottes Bundesangebot mit aller erdenklichen Überzeugungskraft von neuem, um Israel zu einer entschiedenen Antwort zu bewegen. Entscheidendes Moment dieser Zustimmung ist die antwortende Selbstverpflichtung auf die von Mose vermittelte Tora. Israel soll werden, was es von Gott her am Horeb bereits geworden ist, sein Bundesvolk, durch die Wahl des Lebens, die im Toragehorsam realisiert wird. Im Buch Deuteronomium wird eine Zustimmung zum Bund nur angedeutet, nicht aber explizit erwähnt. Dies hat mit der textexternen Pragmatik zu tun, dass die Zustimmung zum Bund von den textexternen Adressaten erwartet wird. 88 Der Moabbund ist so als Bundesangebot formuliert, auf das die jeweiligen Rezipienten antworten sollen. In diesem Sinne hat die Kommunikationsstruktur des Moabbundes eine bleibende identitätsstiftende Kraft für Israel, das sich vor eine Wahl gestellt begreifen soll. Jedes Mitglied des Volkes steht vor der Entscheidung, dem Bund mit Jhwh zuzustimmen und so das Leben zu wählen. Israel befindet sich so immer vor der Wahl zwischen Tod und Leben, Segen und Fluch. Es soll sich für das Leben entscheiden, indem es in den Bund hinüberschreitet (Dtn 29,11). Die Überquerung des Jordan ist bildkräftiges Symbol für diesen Übergang. Denn „in den Bund Hinüberschreiten“ bedeutet auch alle äußeren und inneren Hindernisse zu überwinden und im Vertrauen auf Gott diesen Schritt in das von Gott verheißene Leben zu wagen. 6.4.5 Die Beziehungen zwischen Dtn 9f. und Dtn 31–32 Dtn 9f. steht in einem intensiven Bezugsgeflecht zu Dtn 31–32, wo beinahe alle Themen von Dtn 9f. in anderer Konstellation wiederkehren. Die Beziehung lässt sich unter drei Aspekten zusammenfassen. 1. Weiterentwicklung der Rhetorik von 9,1–6: Mose schließt seine lang entwickelte Vorbereitung auf die Landnahme ab und thematisiert kurz vor seinem Abschied ein weiteres Mal intensiv Israels Rebellion und Hartnäckigkeit. 2. Weitere Vorkehrungen für Israels Zukunft: Damit gehen weitere Vorkehrungen für Israels Zukunft als Bundesvolk einher, die an die Vorkehrungen vom Horeb anschließen und wie dort aus Anlass von Israels Sünde eine wesentliche Ergänzung erfahren. 3. Reinszenierung der Horebereignisse: Moses Abschied und die dabei in den Blick genommene Zukunft Israels gestaltet sich in den Worten von D. Markl als „transformierte Reinszenierung der Horebereignisse“.89

87 MARKL, Gottes Volk, 125, spricht von einer Inkorporierung, Weiterentwicklung und Überbietung des Horebbundes durch den Moabbund. 88 Siehe SONNET, Book, 246; MARKL, Dekalog, 249; ders., Gottes Volk, 124. 89 MARKL, Gottes Volk, 229–230.

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Textinterne Kommunikation und rhetorische Dynamik

a) Weiterentwicklung von Dtn 9,1–6 Wie in Dtn 9f. beginnt Mose angesichts seines Todes (31,2) damit, dass er Israel und dann Josua zur Landnahme ermutigt. Während er sterben muss (31,2), sollen sie nun über den Jordan schreiten und unter der Leitung Josuas das Land einnehmen (31,2–8). Mose ermutigt und ermächtigt Israel und Josua mit dem Aufruf „sei stark und hab Mut“ entsprechend Jhwhs Anordnung (Dtn 3,28),90 sodass Moses lange Vorbereitung auf die Landnahme in einer letzten Ermutigungsrede zu ihrem Abschluss kommt. In 31,23 wiederholt Gott die Worte „sei stark und hab Mut“ an Josua allein und sagt ihm zu, bei ihm zu sein. Nach J.-P. Sonnet ist dies keine göttliche Bestätigung von Moses Ermutigung, sondern ist im zuvor offenbarten Bundesbruch begründet. Gott sichert Josua seinen Beistand zu, obwohl das Volk sich von ihm abwenden wird.91 Während Mose in 9,4–6 noch die Hoffnung hegen konnte, dass Israel seinen harten Nacken erkennen (9,6) und ablegen würde (10,16), weiß Mose nun nach Gottes Offenbarung des zukünftigen Bundesbruchs, dass Israel seinen harten Nacken nicht ablegen wird.92 Gottes Offenbarung des zukünftigen Bundesbruchs bestätigt seine Befürchtungen. Durch viele wörtliche Übernahmen zeichnet Mose in Dtn 31,27–29 den zukünftigen Bundesbruch nach dem Muster der Horeb- und Wüstenrebellionen in Dtn 9, indem er in v27 mit „deine Rebellion“ und „deinen harten Nacken“ sowie der Partizipialkonstruktion „ihr seid rebellisch gewesen“ die zentralen Rebellionsworte aus Dtn 9,6.7.12.24 aufgreift und in v29 die zukünftige Sünde entsprechend der Sünde mit dem Kalb als „Abweichen vom Weg“ (vgl. 9,12.16), als „Das Böse in den Augen Jhwhs tun, ihn zu erzürnen“ (vgl. 9,18) und als „Werk deiner Hände“ (vgl. das Motiv des Machens in 9,12.16.21) beschreibt. Moses vielfältige Warnungen scheinen sich so gegen Ende des Buches zunächst als vergeblich erwiesen zu haben. Doch deutet sich durch den starken Bezug zur Horebrebellion bereits an, dass die Überwindung des göttlichen Zornes am Horeb auch nun zum Tragen kommen wird. b) Vorkehrungen für Israels Zukunft am Horeb und in Moab Gottes Übergabe der Tafeln am Horeb hatte das Ziel, Israel seine Gebote als Bundesbestimmungen und Weg zum Leben mitzugeben. Nach der Sünde mit dem Kalb und der Überwindung der Horebkrise setzt Gott weitere Maßnahmen für die Bewahrung der Bundesbeziehung, indem er eine Lade als Schutz für die Tafeln machen lässt und den Stamm Levi zur Bewahrung der Gottesbeziehung aussondert. In Dtn 31 setzt Mose seine Vorkehrungen für die Zukunft fort, indem er analog zu Gott, der am Horeb den Dekalog verschriftete und ihn Mose übergab, die Tora niederschreibt und sie den Söhnen Levis und den Ältesten anvertraut (31,9).93 Er verbindet dies in 31,10–13 mit einem Lehrauftrag. Hatte er bisher als Lehrer Israels fungiert, sollen nun die Söhne Levis und die Ältesten seine Tora vermitteln. Doch wie schon am Horeb die Übergabe der Tafeln wird 90 Nach Lohfink, „Darstellung“, 42, stellt Dtn 31,6–8 die Beauftragung Josuas als Ausführung von Gottes Auftrag in Dtn 3,27–28 dar. SONNET, Book, 131–132, differenziert jedoch, dass die Installierung Josuas bereits entsprechend Num 27,22–23 stattgefunden hat. Das besondere Moment in Dtn 31,6–8 sei jedoch, dass Mose nun Josua mit der Formel „sei stark und hab Mut!“ bestärkt. 91 SONNET, Book, 156. 92 Vgl. MARKL, Gottes Volk, 208. 93 SONNET, Book, 138, interpretiert die Übergabe der Tora an die Leviten als Fortführung ihrer Aussonderung in 10,8–9.

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Dtn 9f. in der Dynamik des Buches Deuteronomium

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auch die Übergabe der Tora von der Offenbarung von Israels Sünde unterbrochen. Die zukünftige Rebellion Israels erfordert weitere Maßnahmen, um die Existenz eines bundesbrüchigen Volkes zu garantieren, wie im folgenden Punkt zu sehen ist. c) Reinszenierung der Horebereignisse Die zukünftige Bundeskrise offenbart Gott Mose im Beisein von Josua im Offenbarungszelt (31,16–18.20–21), nachdem Mose den Leviten die Tora übergeben hat. Bereits in der Anfangsszene wiederholt sich so die Horebszene von Dtn 9f. auf transformierte Weise, indem Gott wieder am Offenbarungsort nach der Übergabe des Offenbarungsdokumentes Israels Sünde offenbart und seinen Zorn bekundet (9,12–14). Doch wie am Horeb überlassen Gott und Mose Israel nicht seinem Schicksal. Wieder ruft Gott Mose zur Tat wie am Horeb (9,12), indem er ihm aufträgt ein Lied zu schreiben (31,19). Wieder führt Mose dies aus (9,15; 31,22). Wieder interpretiert Mose seinen prophetischen Auftrag als Einsatz für Israel, indem er sich auf mehrfache Weise gegen Israels Untergang stemmt. Hatte Mose am Horeb Gottes Urteil abzumildern versucht,94 so versucht er dies auch jetzt, indem er nicht vom Bundesbruch spricht.95 Hatte er am Horeb die Tafeln, die gegen Israel zeugten, zerschmettert und so den göttlichen Zorn von der Auslöschung des Volkes auf die Tafeln und die Bundesbeziehung gelenkt (9,17), so lässt er nun die um das Lied ergänzte Tora, die gegen Israel zeugen soll,96 in die Lade legen (31,24–26). Die soteriologische Bedeutung dieses Aktes wird erst im Laufe des Liedes in Dtn 32 erkennbar. Denn im Lied erweist sich Moses auf subtile Weise ein weiteres Mal als „Fürbitter“ Israels, da er jeweils Gottes Rede (32,20–27.34–35.37–42) in 32,28–33.36 auslegt und damit dem Lied eine andere Richtung hin zur Heilsankündigung gibt.97 Da sich das Lied vom Zeugen gegen Israel im Laufe seines Fortgangs zum Zeugen für Israels Rettung in Form einer Heilsankündigung entwickelt, ist die Deponierung der um das Lied ergänzten Tora die Vorwegnahme der „Wiederherstellung“ des in Zukunft gebrochenen Bundes.98 Der Moabbund erneuert und aktualisiert so nicht nur den Horebbund, sondern „vergegenwärtigt“ auch die Überwindung der Bundeskrise im Augenblick seiner Schließung. So wiederholt sich in Moab vorwegnehmend, was bereits am Horeb geschehen war. Israels drohender Untergang in der Zukunft wird abgewendet und es öffnet sich eine Perspektive auf Zukunft als Jhwhs Bundesvolk über den Bundesbruch hinaus, die sich bereits darin andeutete, dass Gott trotz seines Wissens um den zukünftigen Bundesbruch Josua in 31,23 zur Landnahme ermutigte und bestärkte.99 Der tiefere Grund aber für diese Zukunft ist wie am Horeb Gott selbst, dessen Bezeichnung als „Fels“ den vielen theologischen Aussagen des Moseliedes eine „innere Mitte“ gibt.100 In ihm kommt Gottes „absolute Verlässlichkeit und 94 Siehe S. 107–109. 95 MARKL, Gottes Volk, 208. 96 Gott gibt das Lied in Auftrag, um angesichts des zukünftigen Unheils Israel anzuklagen und sich selbst freizusprechen; vgl. MARKL, Gottes Volk, 246–247. 97 OTTO, Deuteronomium, 2155–2157. 98 MARKL, Gottes Volk, 214. 99 TASCHNER, Mosereden, 321–322, sieht in der Ermutigung zur Landnahme und dem Schließen des Moabbundes trotz des Wissens um den zukünftigen Bundesbruch zukunftsweisende Zeichen, dass Israel Gottes Bundesvolk bleiben wird. 100 FISCHER, „Fels“, 29.

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Textinterne Kommunikation und rhetorische Dynamik

unzerbrechliche Beziehungstreue“ zum Ausdruck.101 Als dieser Fels „initiiert“ Jhwh wie am Horeb auch Moses Einsatz angesichts des zukünftigen Unheils, indem er Mose und Josua über das zukünftige Unheil unterrichtet, Mose zum Schreiben des Liedes auffordert und sich schließlich von Moses Interventionen von einer Unheils- zur Heilsankündigung lenken lässt.

101 MARKL, Gottes Volk, 241.

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7. Textexterne Kommunikation und Pragmatik Über den Einschub der Erzählstimme in Dtn 10,6–9 wird die Horeberzählung verstärkt auf das „Heute“ der Adressaten des Buches Deuteronomium hin geöffnet. So werden die textexternen Adressaten eingeladen, die gesamte Erzählung auf sich selbst und ihre eigene Geschichte zu applizieren.1 Die Ursprungsgeschichte am Horeb steht dabei in einem mehrschichtigen Verhältnis zur Geschichte der Adressaten. Sie ist paradigmatisch, weil sich im Ursprungskonflikt die zukünftigen Krisen des Volkes abzeichnen. Sie ist grundlegend, weil sie von einmaligen Ereignissen mit Auswirkungen auf die Zukunft erzählt. Sie ist insofern vorausweisend, als sie als Rettungs- und Erneuerungsgeschichte eine Perspektive auf Zukunft nach der Katastrophe eröffnet und die Kontinuität und Bewahrung von Israels Identität als Volk Gottes in den Blick nimmt. Aus der spezifischen rhetorischen Dynamik und textinternen Kommunikationssituation in Dtn 9f. lassen sich Rückschlüsse auf die textexterne Kommunikationssituation ziehen. Orientierungsgebender Ausgangspunkt ist hierbei die Identifikation des „Moab-Heute“ mit einer spätexilischen oder frühnachexilischen Situierung, wobei die betonte Schwellensituation mit dem Blick auf die unmittelbar bevorstehende Landeroberung eher auf eine nachexilische Übergangszeit hindeutet. Dafür sprechen innerhalb von Dtn 9f. die Erzählsituation nach der Überwindung der Katastrophe und der bereits erfolgten Erneuerung der Tafeln sowie die Doppelperspektive in 9,1–6, wonach Adressaten sowohl außerhalb als auch innerhalb des Landes im Blick zu sein scheinen. Aus diesen Beobachtungen ergibt sich eine Entsprechung der einzelnen Stationen von Israels doppelter Ursprungsgeschichte am Horeb und in Moab in Dtn 9f. zur Geschichte und geschichtlichen Situierung der Autoren und ihrer Adressaten:2 Schema 8: Entsprechungen zwischen textinterner und textexterner Welt Erzählte Ereignisse in Dtn 9f. Horebkrise

Verschonung, Erneuerung der Tafeln

Moab

Landnahme

___________________________________________ Zeit vor dem Exil

im Exil

Persische Übergangszeit

Heimkehr

Entsprechung in der Welt der Autoren und ihrer Adressaten 1 Siehe S. 43–44. 2 Vgl. die Graphik bei EHRENREICH, Wähle, 268.

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Textexterne Kommunikation und Pragmatik

7.1 Dtn 9 und Israels Untergangsgeschichte bis zum Exil Die Erzählung von der Sünde mit dem Kalb und den zerbrochenen und erneuerten Tafeln in Dtn 9f. spricht von Sünde, von Gottes Zorn, vom Beziehungsabbruch zwischen Gott und seinem Volk, von drohender Vernichtung und Zerstörung. Sie teilt dabei viele Motive und wörtliche Entsprechungen mit Textabschnitten in Dtn 4; 28; 29–30; 31–32; 1–2 Kön; Jer, die sich auf den Untergang der beiden Königreiche Israel und Juda beziehen. Im Unterschied zu den für exilische und nachexilische Adressaten sehr präsenten Ereignissen der Zerstörung Jerusalems und der Exilierung aus dem eigenen Land spricht die Horeberzählung von den weit zurückliegenden Ursprungsereignissen am Berg Horeb. An diesem Berg ereignet sich nicht nur die Konstituierung Israels als Gottesvolk, sondern auch schon die erste grundlegende Krise zwischen Jhwh und seinem Volk. Als Bestandteil der Ursprungsgeschichte ist diese Verfehlung einerseits paradigmatisches Urmodell späterer Verfehlungen,3 andererseits Maßstab für die Deutung späterer Erfahrungen von Scheitern, Krise und Katastrophe.4 Durch intra- und intertextuelle Verknüpfungen wird erkenntlich, dass diese Sündengeschichte auch die konkrete Sündengeschichte Israels vor und bis zum Exil im Blick hat und somit indirekt von der Geschichte der exilischen und nachexilischen Adressaten handelt. 7.1.1 Die Horebkrise und die zukünftige Krise in Dtn 4; 28; 29; 31–32 Schon innerhalb des Buches Deuteronomium zeigt sich, dass die zukünftige Krise, die an manchen Stellen sehr deutlich als jene des Untergangs Judas und des Babylonischen Exils gekennzeichnet ist, mit der Kalbepisode in Dtn 9f. vernetzt ist. So verbinden die Unheilsprophetien in Dtn 4,25–28; 29,15–28; 31,16–18.27–29; 32,15–26 und die Flüche in Dtn 28 viele Motive und Lexeme mit der Darstellung der Sünde am Horeb, des göttlichen Zornes und seiner Folgen in Dtn 9. Die lexematischen Verknüpfungen sind in Tabelle 11 (Seite 207) aufgelistet. Die Beschreibung von Israels zukünftiger Verfehlung in Dtn 4 und 31 weist mit „zugrunde richten“ (‫)ׁשחת‬, dem „Machen“ eines Kultgegenstandes (‫ מסכה‬/ ‫ פסל‬+ ‫ )עׂשה‬und der Charakterisierung der Verfehlung als „das Böse in den Augen Gottes tun“ ( ‫לעׂשות הרע‬ ‫ )בעיני יהוה‬mehrere Übereinstimmungen mit der Beschreibung von Israels Sünde in Dtn 9 auf. Dtn 31 enthält mit „vom Weg abweichen“ (‫)סור מן־הדרך‬, „harter Nacken“ (‫ערף‬+ ‫)קׁשה‬ und „Rebellion“ (‫ )מרה‬noch zusätzliche mit Dtn 9 geteilte Elemente. Über diese starken Vernetzungen wird in Dtn 4; 31 die Sünde mit dem Kalb zur Präfiguration der zukünftigen Verfehlung und diese als Wiederholung der „Ursünde“ am Horeb erkenntlich gemacht. 5

3 Innerhalb des Buches Deuteronomium (bes. Dtn 4: 31) siehe z. B. ZIPOR, „Account”, 29–33; SONNET, Book, 167–173; BRAULIK, „Kalb“, 14–26; MARKL, Gottes Volk, 202–207. Im größeren Erzählbogen bis 1–2 Kön siehe z. B. BLANCO-WIßMANN, Beurteilungskriterien, 120–121; BLENKINSOPP, „Sinai“, 170, der von einer Fiktionalisierung des historischen Ereignisses spricht; FISCHER / MARKL, Exodus, 327, die von einer „geschichtlichen Rückspiegelung“ sprechen. 4 Vgl. BRAULIK, „Kalb“, 26, demzufolge die Sünde mit dem Kalb zum Paradigma und Typus des künftigen Fehlverhaltens Israels geworden ist, an dem die gesamte Geschichte gemessen wird. 5 Vgl. S. 119–120.

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Dtn 9 und Israels Untergangsgeschichte bis zum Exil

207

Tabelle 11: Verknüpfungen der Horebkrise mit der künftigen Krise Thema

Dtn 9f.

Verfehlung ‫ ערף‬+ ‫קׁשה‬ ‫מרה‬ ‫ׁשחת‬ ‫סור מן־הדרך‬ ‫עׂשה פסל‬ ‫ מסכה‬/ ‫מעׂשה‬ ‫לעׂשות הרע בעיני‬ ‫יהוה‬ Gottes Zorn ‫כעס‬

9,6.13 9,7.24.27 9,12.26; (10,10) 9,12.16 9,12.16

Dtn 4

Dtn 28

Dtn 29

4,25

4,25

(29,16– 17)

Dtn 31

Dtn 32

31,27 31,27 31,29

32,5

31,29 31,29

9,18

4,25

31,29

9,18

4,25

31,29

‫אף‬

9,19

‫חמה‬

9,19

‫ׁשמד‬

9,8.14.19.2 0.25

29,19.22. 23.26.27 29,22.27

31,17.22

(32,16. 21)

32,16. 19.21 32,22

Drohung

‫ ׁשם‬+‫מחה‬

9,14

4,26

28,20.2 4.45. 48.51.6 1.63

(32,26)

29,19

(32,26)

Auf die Verfehlung reagiert Gott jeweils mit schrecklichen Strafandrohungen. Dtn 4; 28; 29; 31–32 sprechen in unterschiedlichen Ausdrücken (‫ ׁשמד‬/ ‫ )אבד‬genauso wie Dtn 9 von einer drohenden Vernichtung. Zudem verbinden Dtn 9 und Dtn 29 zwei seltene Verknüpfungen, so das Motiv der „Namensauslöschung unter dem Himmel“, das in der Hebräischen Bibel nur in Dtn 9,14; 29,19; 2 Kön 14,27 begegnet. Wie Gott am Horeb (Dtn 9,14) so droht Mose in Dtn 29,19 für den Eidbrüchigen, der „paradigmatisch“ für ganz Israel steht, 6 die Namensauslöschung und damit den Verlust jeglicher Form von Zukunft an. Die zukünftige Geschichte scheint sich demnach im Falle des Bundesbruchs dem Kausalzusammenhang von Bundesbruch und Strafe/Fluch entsprechend auf die völlige Vernichtung zuzubewegen. 7 In dieselbe Richtung weisen auch „Zorn und Glut“ (‫ )האף והחמה‬Jhwhs in Dtn 29,22.27 (vgl. Dtn 9,19), in deren Folge Vernichtung eintreffen (v22) und die Flüche in Kraft treten (v27) sollen. 6 OTTO, Deuteronomium, 2064. 7 Dtn 9,14; 29,19 scheinen hier auf Ex 32,32–33 zurückzugreifen, verschärfen jedoch die Androhung mit dem Motiv der „Namensauslöschung unter dem Himmel“ und den damit gezogenen Verknüpfungen zur damnatio memoriae Amaleks in Dtn 25,19 und Gen 6–8; vgl. EHRENREICH, Wähle, 95.

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Textexterne Kommunikation und Pragmatik

Allerdings entpuppt sich die angedrohte Strafe völliger Vernichtung in Dtn 29,23 als Vernichtung des Landes und in Dtn 29,27 als Exilierung aus dem eigenen Land. So ist in Dtn 29 zwar von Verwüstung und Verstoßung die Rede, nicht aber vom völligen Entzug von Leben und Zukunft. In Dtn 4,26 wiederum wird die drohende Vernichtung als Exilierung geschildert und dann auf einen überlebenden „Rest“ hingewiesen. Sehr bedrohlich wirkt zunächst das Moselied in Dtn 32. Aber auch hier schrickt Gott in 32,26–27 aufgrund der Falschinterpretation der Völker (vgl. Dtn 9,28) vor der völligen Vernichtung und dem „Auslöschen der Erinnerung“ zurück, um zuletzt Heil für Israel anzukündigen. Noch deutlicher lassen Dtn 30,1–10 unmittelbar nach Dtn 29 und später Dtn 31–32 eine Zukunft nach dem Bundesbruch erhoffen. Und selbst in den Flüchen in Dtn 28 deutet sich bereits eine Richtungsänderung an, da sich die inhaltliche Füllung des Wortes ‫ ׁשמד‬von völliger Vernichtung in Dtn 28,63 zur Ankündigung des Exils abmildert. Dtn 9f. präfiguriert so als paradigmatische Erzählung nicht nur die zukünftigen Verfehlungen und die daraus folgende Bedrohung für die Existenz des Volkes, sondern setzt mit der Überwindung des göttlichen Zornes auch einen Ton, der auf unterschiedliche Weise in den Darstellungen der zukünftigen Krise durchklingt, indem auch diese zuletzt nicht in der völligen Vernichtung endet. Exilische oder nachexilische Adressaten konnten sowohl in der paradigmatischen Horeberzählung als auch in den Unheilsankündigungen ihr eigenes Schicksal wiedererkennen. Sie hatten infolge ihrer Sünden den göttlichen Zorn erfahren. Sie hatten das Land, die Stadt und den Tempel verloren und waren in ein anderes Land deportiert worden. Sie waren an der Kippe der Vernichtung gestanden, hatten jedoch auf wundersame Weise überlebt. 7.1.2 Dtn 9 und der Untergang der beiden Reiche in 1–2 Kön und Jer Es spricht einiges dafür, dass die Literaturgeschichte der Erzählung vom Kalb mit einer in der Sinaiperikope erhaltenen Ursprungserzählung Ex 32* begann, so auch die von C. T. Begg nachgewiesene Abhängigkeit von Dtn 9,21 zu Ex 32,20, die auf die Rezeption eines größeren Erzählzusammenhanges aus der in der Sinaiperikope erhaltenen Vorlage Ex 32* hindeutet. 8 Mehrere Elemente wie das Kalbmotiv und der Kultruf sind in Ex 32 stärker als in Dtn 9f. akzentuiert. Sie verweisen auf Jerobeams Kälber in 1 Kön 12 und somit auf die in den Königsbüchern als Ursünde des Nordreichs geschilderte Verfehlung,9 die schließlich zum Untergang des Reiches führte. Diese Verknüpfungen zu Jerobeams Sünde und das Motiv der Bestrafung der Schuldigen in Ex 32,20.33.35 bei gleichzeitiger Verschonung der Unschuldigen deutet darauf hin, dass judäische Autoren in der ursprünglichen Erzählung Ex 32* den Untergang des Nordreichs und die Verschonung Judas erklärten.10 Mehrere Kommentatoren gehen davon aus, dass die

8 Siehe S. 20. 9 Seit ABERBACH / SMOLAR, „Aaron“, 130–134, gilt als Konsens, dass in Ex 32 die Sünde Jerobeams aus 1 Kön 12 nachklingt. Die Meinungen darüber, ob Ex 32 auch literarisch abhängig von 1 Kön 12 sei, gehen jedoch auseinander. OTTO, Deuteronomium, 959–961, etwa sieht Ex 32* von 1 Kön 12,26–30 und 2 Kön 17,21–23 abhängig. STOPPEL, Angesicht, 395–396.429, interpretiert Ex 32* dagegen als unabhängige Grundschicht. 10 STOPPEL, Angesicht, 430.

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Dtn 9 und Israels Untergangsgeschichte bis zum Exil

209

Erzählung nach der Zerstörung Jerusalems und dem Untergang des Königreiches Juda in Dtn 9f. (Ex 32–34) in Reaktion auf diese Ereignisse aktualisiert und neu interpretiert wurde.11 Die Thematisierung der Geschichte Israels und Judas in der Erzählung von Israels Rebellion am Horeb in Dtn 9f. lässt sich an vielen auffälligen Verknüpfungen zu den Königsbüchern und dem Buch Jeremia verfolgen.12 An ihnen wird deutlich, dass Dtn 9f. (Ex 32–34) nicht nur eine paradigmatische Geschichte erzählt, sondern die konkrete Geschichte des Volkes während der Königszeit im Blick hat.13 Manche dieser Verknüpfungen mögen zufällig sein. In mehreren Fällen scheint es sich jedoch um Anspielungen und Querverweise auf einen Gesamtzusammenhang oder spezifische Stellen zu handeln. So lassen sich einige signifikante intertextuelle Verknüpfungen zwischen Dtn 9f. (Ex 32–34) und 1–2 Kön; Jer hervorheben, die in Tabelle 12 (S. 210) aufgelistet sind. a) Dtn 9f. und der Untergang des Nordreichs In Dtn 9f. klingt der ursprüngliche Bezug aus Ex 32* zu König Jerobeam und seinen Kälbern über das Kalbmotiv, das „Machen eines Kultbildes“ und die besondere Betonung des Sündencharakters durch Lexeme des Stammes ‫ חטא‬nach.14 Indem jedoch Elemente wie der Kultruf und die Verehrung des Kalbes fehlen, scheint der spezifische Bezug zu Jerobeams Kälbern abgeschwächt worden zu sein.15 Nicht mehr Jerobeams Sünde allein, sondern der generelle Verstoß gegen das erste Gebot in Form des Bilderverbots steht im Fokus.16 Obwohl so der Bezug zu Jerobeams Kälbern in den Hintergrund tritt, findet sich in Dtn 9 mit der Formulierung „ein Gussbild machen“ auch jene Charakterisierung der Sünde, die in den Königsbüchern ausschließlich mit König Jerobeam und dem Nordreich in Verbindung steht (1 Kön 14,9; 2 Kön 17,16). Wird so einerseits der Blick auf die Sünden der Königszeit

11 So z. B. OTTO, Deuteronomium, 965–967; STOPPEL, Angesicht, 430; in Bezug auf Ex 32–34 z. B. ZENGER, „Pentateuchtexte“, 177–178. 12 Über die offensichtlichen Verknüpfungen des Buches Deuteronomium zu den Büchern Jos–Kön gibt es unzählige Beiträge, die zumeist die Frage nach einem deuteronomistischen Geschichtswerk oder mehrerer deuteronomistischer Redaktionen, eines Hexat- oder Enneateuchs behandeln. Ich gehe nicht von der Annahme eines einheitlichen Werks Dtn–2 Kön oder einem DtrG aus, sondern davon, dass bestimmte Redaktionen, Überarbeitungen oder Fortschreibungen starke Verknüpfungen hergestellt haben, die textgenetisch von beiden Richtungen ausgegangen und in mehreren Etappen angewachsen sind; vgl. MARKL, „Efficacy“, 122, in Bezug auf die Beziehungen zwischen Dtn und Jos–Kön. In Bezug auf die intertextuellen Beziehungen zwischen Dtn und Jer vertritt FISCHER, „Don’t Forget!“, 307, die Position, dass das Jeremiabuch durchgängig das Buch Deuteronomium rezipiert. Anders z. B. OTTO, Deuteronomium, 973–974, der etwa Dtn 9 im wechselseitigen Gespräch mit der nachexilischen Tradentenprophetie in Jer 11; 31 sieht; zu diesem Dialog siehe OTTO, „Jeremia“, 134–182. 13 HARDMEIER, „Geschichten“, 114, sieht in Dtn 9f. die historischen Erfahrungen der krisenhaften Beziehungsgeschichte der Königszeit „typologisch verdichtet“. 14 Vgl. BEGG, „Calf Revisited“, 475. Wortbildungen des Stammes ‫ חטא‬zeigen in den Königsbüchern eine besondere Verbindung zu König Jerobeam, auf den beinahe immer zurückverwiesen wird, wenn von den Sünden der Könige oder des Volkes die Rede ist. In Bezug auf Juda begegnen Lexeme vom Stamm ‫חטא‬ mit Ausnahme von 1 Kön 14,22; 15,3 immer im Zusammenhang mit König Manasse (2 Kön 21,16.17; 24,3), der in den Worten von COLLINET, Könige, 151, als neuer Jerobeam gezeichnet wird, da er „aus Juda ein neues Israel“ macht. 15 So STOPPEL, Angesicht, 430. 16 HOFFMANN, Reform, 311.

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Textexterne Kommunikation und Pragmatik

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Tabelle 12: Verknüpfungen zwischen Dtn 9f. (Ex 32–34) und 1–2 Kön; Jer Geteilte Elemente ‫ ערף‬+ ‫קׁשה‬ ‫מן־היום אׁשר יצאו‬ ‫אבותם ממצרים ועד‬ ‫היום הזה‬ ‫אנף‬ ‫ׁשמד‬ ‫יעׂשו להם מסכה‬ ‫ׁשחת‬

‫ ׁשם‬+ ‫מחה‬ ‫חטא‬ ‫עגל‬ ‫תפׂש‬ ‫ מעל‬+ ‫ׁשלך‬ ‫ׁשבר‬ ‫על־חטאות אׁשר‬ ‫חטא‬ ‫כל־חטאות‬ ‫לעׂשות הרע בעיני יהוה‬ ‫ כעס‬+ ‫אף‬ ‫חמה‬

‫לא האמינו ביהוה‬ ‫לא ׁשמע‬

Dtn 9 (Ex 32–34) 9,6.13 (Ex 32,9; 33,3.5; 34,9) 9,7

9,8 9,8.14.19.20.25 9,12.16 (Ex 32,4.8) 9,12.26; 10,10 (Ex 32,7)

Untergang des Nordreichs 2 Kön 17,14

Untergang Judas Jer 7,26; 19,15 2 Kön 21,15; Jer 7,25–26; 11,7–8; 32,31

1 Kön 11,9; 2 Kön 17,18 1 Kön 13,34; 15,29; 16,12; 2 Kön 10,17 1 Kön 14,9; 2 Kön 17,16 2 Kön 13,23

2 Kön 8,19; 18,25; 19,12; Jer 6,5; 13,7.9.14; 15,3.6; 36,29

9,14 9,16.18 (Ex 32,30.31.33) 9,16.21 (Ex 32,4.8.19.20.24.35) 9,17

2 Kön 14,27 Sehr viele

Sehr viele

1 Kön 12,28.32; 2 Kön 17,16 1 Kön 11,30

2 Kön 25,6

9,17

2 Kön 13,23

2 Kön 24,20; Jer 7,15; 52,3 2 Kön 25,13

1 Kön 14,16; 15,26.30; 16,13.19; 1 Kön 16,13; 2 Kön 13,11; 14,24; 17,22 2 Kön 17,17

1 Kön 14,22; 2 Kön 21,17 1 Kön 15,3

9,19 (Ex 32,10.11.12) 9,19

2 Kön 13,3

2 Kön 23,26; 24,20 2 Kön 22,13.17; Jer 7,20; 21,5; 32,21.37; 33,5; 36,7; 42,18; 44,6

9,23 9,23

2 Kön 17,14 2 Kön 17,14

Dtn 9,17; 10,1 (Ex 32,19; 34,1) 9,18 9,18 9,18

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2 Kön 21,6.15

2 Kön 21,9

Dtn 9 und Israels Untergangsgeschichte bis zum Exil

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insgesamt ausgeweitet,17 bleibt andererseits über die Motive des Kalbes und des Gussbildes der Bezug zu König Jerobeams Verfehlung als „Ursünde“ des Nordreichs beibehalten. Zudem enthält Dtn 9 weitere Elemente, die es unabhängig von Ex 32 mit der Geschichte des Nordreichs verbinden. Ins Auge fällt hierbei der Text 2 Kön 17 zum Niedergang Samarias,18 der sehr viele, teils seltene Elemente mit Dtn 9 teilt. Besonders signifikant ist 2 Kön 17,14, das neben dem Motiv der Nackenverhärtung (vgl. 9,6.13) auch die Wendungen „nicht auf Jhwh vertrauen“ und „nicht hören“ (vgl. Dtn 9,23) umfasst.19 Es enthält somit drei Wendungen, die sonst nur in Dtn 9f gemeinsam anzutreffen sind. In 2 Kön 17,17 findet sich zudem die lange mit Dtn 9,18 identische Wendung „das Böse in den Augen Jhwhs tun, ihn zu reizen“ und in 2 Kön 17,18 das seltene Verb ‫אנף‬, das im Hitpael im Buch Deuteronomium nur noch im Zusammenhang der Rebellion von Kadesch-Barnea (1,37; 4,21) und der Horebrebellion (9,8.20) sowie in den Königsbüchern nur noch in 1 Kön 11,9 vorkommt. Zudem enthält 2 Kön 17,20 eine Form der Verstoßungsformel, die in Moses Wegschleudern der Tafeln in Dtn 9,17 anklingt.20 All diese teils seltenen Verbindungen deuten auf eine enge Verknüpfung zwischen der abschließenden Reflexion über den Untergang des Nordreichs in 2 Kön 17,7–20 und Dtn 9f.21 Zudem teilen sie eine ähnliche Perspektive, indem sie jeweils den Blick auf die Sünden des Volkes und nicht einzelner Figuren legen.22 Lässt 2 Kön 17 die nicht enden wollenden Verfehlungen des Volkes schließlich in die Verstoßung von Gottes Angesicht münden, lässt Dtn 9f. dagegen über das unausweichliche scheinende Ende mit der Überwindung des göttlichen Zornes und der Erneuerung der Tafeln hinausblicken. Über das Verb ‫ אנף‬spannt sich von 2 Kön 17,18 ein Bogen zurück zu 1 Kön 11,9. Steht am Anfang des Nordreichs die Reichstrennung als Folge von Gottes Zorn (‫ )אנף‬über Salomo, so endet das Nordreich mit der Verstoßung als Ausdruck von Gottes Zorn ( ‫ )אנף‬über Israel. In diesem narrativen Bogen lässt sich die Reichstrennung als Anfang vom Ende betrachten. In Folge von Gottes Zorn (‫ )אנף‬über Salomo (1 Kön 11,9) gab der Prophet Ahija im Auftrag Gottes in einer Zeichenhandlung Jerobeam zu verstehen, dass er 10 Stämme unter seine Herrschaft bringen wird. Bei dieser Zeichenhandlung „ergreift“ (‫ )תפׂש‬der Prophet seinen Mantel und zerreißt ihn in 12 Stücke, um zehn davon Jerobeam zu geben (1 Kön 11,30). In Dtn 9,8.17 begegnet ein analoger Zusammenhang von Gottes Zorn (‫ )אנף‬und einer prophetischen Zeichenhandlung, da Mose die Tafeln „ergreift“ (‫ )תפׂש‬und sie zerstört, um die Auflösung der Beziehung zwischen Gott und Israel darzustellen. Diese Parallelen könnten Hinweis dafür sein, dass Moses erste Handlung auf textexterner Kommunikationsebene auf die Trennung der Reiche anspielt. Führt derselbe göttliche Zorn in 2 Kön 17,18.20 zur Verstoßung von seinem Angesicht, so klingt auch dies in Dtn 9,17 nach, da Mose die Tafeln von seinen Händen wegschleudert.

17 JEREMIAS, „Konzeptionen“, 142. 18 Siehe dazu DUBOVSKÝ, „Suspicious Similarities“, 64–66, der mehrere Verknüpfungen zwischen 2 Kön 17; 21; 24 und dem Buch Deuteronomium auflistet. 19 Die erste Wendung begegnet hier in den Königsbüchern singulär, die zweite nur noch in 2 Kön 21,9. 20 Siehe S. 113–114. 21 Zur literarkritischen Scheidung von 2 Kön 17,7–20 und 2 Kön 21–23 siehe BECKING, „View“, 281–295. 22 In Bezug auf 2 Kön 17,7–20 siehe COGAN / TADMOR, II Kings, 206–207.

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Textexterne Kommunikation und Pragmatik

b) Dtn 9 und der Untergang Judas Behält Dtn 9 den Blick auf die Untergangsgeschichte des Nordreichs bei, so rückt die Untergangsgeschichte Judas noch deutlicher ins Bild. Dtn 9,21 ist im Vergleich zu Ex 32,20 um Elemente angereichert, die einen starken Bezug zu den Kultreformen der Könige Judas herstellen.23 Zudem lässt die Szenerie eines Flusses, der vom Berg hinabfließt, die Topografie Jerusalems erkennen. All dies gab den textexternen Adressaten zu verstehen, dass sich die Erzählung auf Jerusalem und ihre eigene Geschichte bezog. Auf diesem Hintergrund konnten sie – wie E. Otto argumentiert – das Zerschmettern (‫ )ׁשבר‬der Tafeln als Anspielung auf die Zerstörung Judas und Jerusalems und letztlich auf die Zerstörung des Tempels verstehen.24 Diese Annahme bestärkt eine Parallele in Jer 19. Hier vollzieht Jeremia eine prophetische Zeichenhandlung, indem er durch das Zerschmettern (‫ )ׁשבר‬eines Tonkrugs auf den Untergang Judas und Jerusalems verweist (vv10.11.15) und dies wie in Dtn 9 mit dem harten Nacken des Volkes begründet (v15). Die große Übereinstimmung an Motiven, Inhalt und Kontext lässt die Vermutung zu, dass Moses Zeichenhandlung „vor den Augen“ der textexternen Adressaten einen analogen symbolischen Akt darstellt, der auf textexterner Kommunikationsebene die Zerstörung Jerusalems und des Tempels versinnbildlichte. Eine weitere Verknüpfung zwischen Moses Zerstörung der Tafeln und der Zerstörung des Tempels findet sich über das Verb ‫ׁשבר‬, da die bronzenen Säulen des Tempels und andere Geräte ebenso wie die Tafeln in Dtn 9,17 „zerschmettert“ (‫ )ׁשבר‬wurden (2 Kön 25,13; vgl. Jer 52,17). Auffällig ist jedoch, dass gerade die heiligsten Geräte wie die Lade mit den Tafeln mit keinem Wort in 2 Kön 25 erwähnt werden. Dieses Schweigen scheint mit der Heiligkeit des Ortes und der Tafeln in Verbindung zu stehen. Auch wenn das Allerheiligste und die Tafeln vernichtet worden waren, schweigt die Berichterstattung aus Ehrfurcht und lässt den Hörer vermuten, dass das Allerheiligste mit der Lade und den Tafeln unberührt in Flammen aufging.25 Während 2 Kön 25 so vor der Schwelle des Allerheiligsten Halt macht, lässt Dtn 9,17 über den Filter einer lang zurück liegenden Ursprungsgeschichte das unerhörte Ereignis anklingen. In 2 Kön 21, dem Kapitel über König Manasse und dem Untergang Judas, begegnen wieder gehäuft Verbindungen zu Dtn 9. Besonders ins Auge springt v15, der die Wendung „das Böse in den Augen Jhwhs tun, ihn zu reizen“ inklusive ‫( כעס‬vgl. Dtn 9,18) in Form einer immerwährenden Kränkungsformel enthält, die den Rebellionsformeln von Dtn 9,7.24 sehr nah steht. Wie schon im Bericht über den Untergang Samarias in 2 Kön 17,14 führt so eine Linie zu Dtn 9,7–24. Alle drei Texte (Dtn 9,7–24; 2 Kön 17,14; 21,15) sprechen von nicht enden wollender Kränkung und Rebellion und weisen dabei eine große Nähe zu Jer 7,25–26; 11,7–8; 32,29–33 auf.26 Führt die immerwährende Rebellion in den Königsbüchern schließlich zum Untergang beider Reiche, so führt der Bundesbruch auch in Dn 9. mit der 23 Siehe S. 125–126. 24 OTTO, Deuteronomium, 966.2112; ders., „Born”, 164–165; ders., „Gesetzbuch“, 131. 25 COLLINET, Könige, 182–183, hat den interessanten Gedanken geäußert, dass das Betreten und die Plünderung des Allerheiligsten als Ort der Gegenwart Gottes „am ehesten einer Demütigung gleichkäme“, während das Schweigen über die Zerstörung als Ausdruck der „Ehrfurcht“ verstanden werden kann. 26 Vgl. DUBOVSKÝ, „Suspicious Similarities“, 65–68, der auf die Verknüpfung von 2 Kön 17 und 2 Kön 21, die den Fall Samarias mit jenem Jerusalems verbinden, sowie auf Verknüpfungen beider Texte zum Buch Deuteronomium hinweist.

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Dtn 9 und Israels Untergangsgeschichte bis zum Exil

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Zerstörung der Tafeln und im Jeremiabuch mit dem Untergang Judas zur Katastrophe. Jedoch blicken Dtn 9f. und das Jeremiabuch (z. B. 31,31–34; 32,36–44) im Unterschied zu den Büchern der Könige über die Katastrophe hinaus, indem sie Erneuerung in den Blick nehmen.27 7.1.3 Dtn 9f. und die Auswirkungen von Gottes Zorn auf Israel und Juda Wie an mehreren Beispielen gesehen, gebraucht Dtn 9 Lexeme für die Beschreibung des göttlichen Zornes oder der Reizung von Gottes Zorn, die auch in 1–2 Kön gehäuft verwendet werden. Auffällig ist jedoch, dass die damit ausgedrückten Provokationen im Gegensatz zu Dtn 9 nicht die Androhung völliger Vernichtung nach sich ziehen, wenn es um das Schicksal des gesamten Volkes geht. So haben die Reizung Gottes in den Königsbüchern die Vernichtung (‫ ;ׁשמד‬1 Kön 15,29; 16,12) oder Ausrottung (‫ ;כרת‬1 Kön 14,10; 21,21) einzelner Herrscherhäuser des Nordreichs zur Folge. Wenn jedoch vom Schicksal des gesamten Volkes die Rede ist, verwendet der Erzähler die Wendung „von seinem Angesicht verstoßen“ (2 Kön 17,11.17.20; 23,26; 24,20),28 womit keine völlige Vernichtung zum Ausdruck kommt. Ähnliches gilt für das ebenfalls geteilte Verb ‫ׁשחת‬, „zugrunde richten“. Es begegnet in den Königsbüchern zweimal verneint (2 Kön 13,23; 8,19), um auszudrücken, dass Gott nicht „zugrunde richten“ (‫ )ׁשחת‬wollte. Dass Jhwh Juda vernichten wolle ertönt nur aus dem Mund des Rabshaken des Königs von Assur (2 Kön 18,25), dessen prahlerischen Worte allerdings Lügen gestraft werden. Im Rahmen der Untergangsbeschreibungen fällt das Verb ‫ ׁשחת‬nicht. Die Königsbücher scheinen sich davor zu hüten, das Ende der Königreiche mit der Vernichtung des Volkes im Sinne von ‫ ׁשחת‬gleichzusetzen. Zögern die Königsbücher zuletzt, das Ende der Königreiche Israel und Juda als völlige Vernichtung (‫ כרת‬/ ‫ ׁשמד‬/ ‫ )ׁשחת‬zu zeichnen, so deuten sie andererseits mit der Freilassung des Königs Jojachin aus dem Kerker nur sehr verhalten eine Zukunft nach der Katastrophe an.29 Im Unterschied dazu zeichnet Dtn 9f. die Geschichte des göttlichen Zornes und seiner Folgen in schärferen Konturen. Hier ist ausdrücklich von der drohenden Vernichtung des gesamten Volkes (9,8.14.19.20.25.26) und von der Auslöschung seines Namens (9,14) die Rede. Zugleich aber blickt der Abschnitt Dtn 9f. über die Katastrophe hinaus, indem er von der Überwindung des göttlichen Zornes, von der Abwendung der drohenden Vernichtung und von Erneuerung erzählt. Dtn 9f. verschärft so die Zeichnung der Bedrohung im Horizont der Überwindung des göttlichen Zornes.

27 Vgl. FISCHER, Jeremia 1–24, 326, der Jer 7 ergänzen sieht, wo 2 Kön 21 stehen bleibt. Ähnliches beobachtet er in Bezug auf die Beziehung von 2 Kön 25 und Jer 52; ebd., 293–295. 28 Siehe dazu LOHFINK, „Zorn Gottes“, 51. 29 Zur Interpretation des Endes der Königsbücher siehe COLLINET, Könige, 224–226.

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7.2 Überwindung des göttlichen Zornes Nach der Zerstörung Jerusalems und dem Untergang Judas wurde die Geschichte mit dem Kalb inklusive der mosaischen Fürbitte in Dtn 9f. neu ausgerichtet. Moses Fürbitte erwirkte nun nicht nur Verschonung für den unschuldig gebliebenen Teil des Volkes, sondern für ein insgesamt schuldiges Volk.30 Dtn 9f. stellte die Überwindung des göttlichen Zornes ins Zentrum, bei der Moses rettender Einsatz von entscheidender Bedeutung war. So erzählte Dtn 9f. exilischen und nachexilischen Adressaten die Geschichte einer unverdienten Verschonung, in denen sie ihr eigenes Überleben nach der Katastrophe und im Exil erkennen konnten. Dabei musste sich ihnen jedoch die Frage stellen, wer oder was ihre Verschonung erwirkt hatte, wenn doch Moses Fürbitte so entscheidend für das Überleben Israels am Horeb gewesen war. a) Moses paradigmatische Fürbitte Mit dem Verweis auf die vielversprechende Befreiung und Herausführung aus Ägypten (9,26.29), die Patriarchen (9,27), die mögliche Falschinterpretation der Völker (9,28) und Israels unveräußerliche Zugehörigkeit zu Jhwh als dessen „Volk und Erbteil“ (9,26.29) bediente sich Mose durchwegs Argumente, die unabhängig von Israels Bundestreue, Umkehr oder Gebotsgehorsam Gültigkeit besitzen. In diesen Argumenten konnten auch textexterne Adressaten Gründe dafür erkennen, warum sie trotz des Bruches von Horeb- und Moabbund überlebt hatten. Mit der Gültigkeit der Argumente über den Horebkontext hinaus korrespondiert der paradigmatische Charakter, den vor allem N. Lohfink und I. Schulmeister Moses Gebet attestiert haben.31 Spricht die Sünde mit dem Kalb beispielhaft über Israels Sünde und deren Folgen, so Moses Gebet beispielhaft über die Gründe für die Abwendung des göttlichen Zornes. Damit zusammenhängend wird Mose zum prototypischen Fürbitter Israels,32 auf dessen Gebet spätere Fürbitter wie Josua in Jos 7,9 und König Salomo bei der Tempelweihe in 1 Kön 8,51.53 bis in den Wortlaut zurückgreifen (vgl. auch Neh 1,10; Dan 9,15).33 b) Die Wirksamkeit von Moses Fürbitte Zudem lässt sich die Möglichkeit erwägen, dass im Buch Deuteronomium Moses Fürbitte Wirksamkeit über den Horebkontext hinaus zugedacht wird. 34 So droht Gott im Buch Deuteronomium nach der Überwindung der Horebkrise bei der zweiten großen Rebellion Israels in Kadesch-Barnea nicht mit der völligen Vernichtung. Zwar wird die Elterngeneration bestraft, aber die Sünde zieht nicht mehr die Aufkündigung der Beziehung und die Androhung völliger Vernichtung nach sich. Dies deutet innerhalb des Erzähl30 31 32 33

Siehe S. 175. Siehe S. 144. Siehe z. B. VERMEYLEN, „sections narratives“, 205; AURELIUS, Fürbitter, 203–210. Zum Vergleich von Moses und Josuas Fürbitte in Dtn 9,26–29 und Jos 7,6–9 siehe BEGG, „Function“, 326; zum Vergleich von Moses und Salomos Fürbitte siehe S. 144. 34 So sehr explizit AURELIUS, Fürbitter, 205, der Moses Fürbitte in Dtn 9 als Vorspann zu Ri–2 Kön interpretiert, der zu verstehen gibt, „dass alle im Folgenden erzählten Sünden durch eine von Jhwh erhörte Fürbitte aufgebhoben worden sind“; etwas vorsichtiger LOHFINK, „Zorn Gottes“, 46.50–51; ders., „Deuteronomium 9,1–10,11”, 154–156.

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Überwindung des göttlichen Zornes

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zusammenhangs von Dtn 1; 9f. darauf hin, dass mit der Überwindung des göttlichen Zornes am Horeb Gottes Vernichtungswillen nachhaltig abgewendet wurde.35 Zweitens erinnert das Motiv des göttlichen Angebots an Mose in Dtn 9,14, nur aus ihm ein Volk zu machen und Israels Namen auszulöschen (‫)מחה‬, an die Noaherzählung, wo Gott die Menschheit auslöschte (‫ ;מחה‬Gen 6,7; 7,4.23) und Noah „als einziger übrigblieb“ (Gen 7,23).36 Beschloss Gott nach der Sintflut die Menschheit nicht mehr zu vernichten (Gen 8,21), so kommt es am Horeb erst gar nicht zum Vollzug des göttlichen Zornes aufgrund von Moses Einsatz. Ähnlich definitiv wie Gottes Versprechen in Gen 8,21 klingen schließlich die Worte in Dtn 10,10, „er wollte dich nicht vernichten“. Hat der Priesterschrift zufolge mit der Sintflut das Gericht über die Menschheit schon in der Urzeit stattgefunden und ist damit „der Gerichtsgedanke ein für alle Mal abgetan“,37 so scheint Dtn 9f. ein analoges Geschehen für Israel als Nation am Horeb zu verorten. c) Adressierung der textexternen Adressaten Es finden sich innerhalb von Dtn 9f. mehrere Hinweise für die Adressaten, Moses Gebet auf sich selbst und ihre Situation zu beziehen. Betet Mose in 9,26 darum, dass Gott Israel nicht vernichte (‫)ׁשחת‬, so wendet er sich in 10,10 mit „er wollte dich nicht vernichten“ an die Moabgeneration. Sollten sich die textexternen Adressaten entsprechend der Identifikationsmechanismen des Buches Deuteronomium selbst angesprochen wissen, so wird dies in 10,10 mit dem Numeruswechsel in den Singular noch verstärkt, der als betonter Hinweis dafür gelesen werden kann, dass sich Dtn 10,10 auf die textexternen Adressaten bezieht. Über diesen Brückenschlag von der Erzählung hin zu den textexternen Adressaten wird erkennbar, dass in Dtn 10,10 Israels Überleben nach den Katastrophen der Zerstörung Jerusalems und des Exils im Blick ist.38 Weiters ist die Beschreibung des Auszugslandes in Dtn 9,28, „das Land, aus dem du uns herausgeführt hast“, auffällig offen formuliert, da die Identität des Landes nicht näher bestimmt wird. Dasselbe gilt für Dtn 9,29, wo in der Auszugsformel unüblicherweise kein Auszugsland genannt wird. I. Schulmeister hat beides als bewusste Offenheit gedeutet, die es den Adressaten des Deuteronomiums ermöglichen sollte, die Formulierung über den textinternen Kontext hinaus auf ihren eigenen Kontext zu beziehen. Dies und mehrfache Verknüpfungen zu Lev 26,42; Dtn 4; 1 Kön 8; 2 Kön 8; 13 geben zu erkennen, dass in Moses Gebet das Schicksal der textexternen Adressaten im Blick ist.39 d) Die Überwindung von Gottes Zorn am Horeb und in der Zukunft Als Erzählung über die Überwindung des göttlichen Zornes steht Dtn 9f. im Dialog mit anderen Texten des Buches Deuteronomium, die von der Überwindung des göttlichen Zornes sprechen (Dtn 4; 30; 31–32). In diesen Texten werden unterschiediche Gründe für die Wende angegeben, wie in folgender Tabelle (S. 216) zu sehen ist.

35 36 37 38 39

Vgl. STOPPEL, Angesicht, 184–185. Vgl. EHRENREICH, Wähle, 95. OTTO, Deuteronomium, 250. Siehe S. 168. Siehe S. 144–145.

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Textexterne Kommunikation und Pragmatik

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Tabelle 13: Die Wende am Horeb und in der Zukunft Dtn

Moses Einsatz

Gottes Initiative 4,30: (Gottes) Worte werden dich finden

4

4,30: (Moses) Worte werden dich finden

9f.

9,18–20.25–29: Moses Gebet

9,12: Gott entsendet Mose 9,20: Gott erhört Mose

30

30,1: Moses Worte sind eingetroffen

30,3: Gottes Hinwendung

31– 32

31,26: Mose lässt die um das Lied ergänzte Tora in die Lade legen 32,28–33.36: Mose gibt dem Moselied eine andere Richtung

31,19: Gott beauftragt Mose zum Schreiben des Liedes

Gründe für die Wende 4,29–30: Suchen und Umkehr 4,31: Gottes Barmherzigkeit (‫)רחום‬ 4,31: Bund mit den Vätern 9,21: Moses stellvertretende Umkehr 9,26–29: Israels Zugehörigkeit zu Jhwh, die Patriarchen, das Völkerurteil 30,3: Gottes Barmherzigkeit: (‫)רחם‬ 30,1–2.8–10: Umkehr 32,27: Das Völkerurteil 32,36: Gottes Mitleid (‫)נחם‬

Waren am Horeb Moses Fürbitte und Einsatz entscheidend für Gottes Rücknahme seines Zornes, so wiederholt sich laut Dtn 31–32 in Moab Moses Einsatz für die zukünftigen Generationen, die wie die Horebgeneration den Bund brechen werden.40 Hier wird explizit Israels zukünftiges Überleben auf Moses Einsatz zurückgeführt, was bereits in Dtn 9f. angedeutet worden war. So konnten textexterne Adressaten die Überwindung des göttlichen Zornes und ihr Überleben im Exil auf Moses rettenden Einsatz nicht nur am Horeb, sondern auch in Moab zurückführen. Ist in Dtn 9f.; 31–32 Moses Einsatz entscheidend für die Überwindung des göttlichen Zornes, so sprechen Dtn 4,29–30; 30,1–2.8–10 mit der starken Betonung der Umkehr des Volkes über den Beginn eines Prozesses, der nach der Überwindung des göttlichen Zornes einsetzt, da ein Rest überlebt hat (4,27) und Segen und Fluch über das Volk gekommen sind (30,1). Wenn hier auf den ersten Blick Moses Einsatz im Unterschied zu Dtn 9f.; 31–32 keine Rolle zu spielen scheint, so sind doch Moses Worte entscheidend für den Beginn des Umkehrprozesses. Denn in Dtn 4,30 stoßen „diese Worte“ des Buches Deuteronomium die Umkehr an und in Dtn 30,1 bildet das Eintreffen der Fluchworte und der Umstand, dass sich das Volk diese Worte zu Herzen nimmt, den Ausgangspunkt für eine Umkehr des Volkes. 41 In Dtn 9f.; 31–32 ist von keiner Umkehr des Volkes die Rede. Hier ist der Moment der unmittelbaren Bedrohung im Blick, der sich noch vor dem Zeitpunkt ereignet hat, da Dtn 4; 40 Siehe S. 203–204. 41 EHRENREICH, Wähle, 195, sieht die fehlende Rolle des fürbittenden Mose in Dtn 30 durch das nahe Wort in 30,10–14 übernommen.

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Überwindung des göttlichen Zornes

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30 einsetzen. Doch fehlt auch in Dtn 9f. der Aspekt der Umkehr nicht, da Mose noch am Horeb stellvertretend Buße tut, fastet, betet und das Kalb zerstört. Zudem zielt die Dynamik von Dtn 9f. auf eine innere Umkehr der Adressaten nach der Überwindung des göttlichen Zornes. Im Unterschied zu Dtn 4,30; 30,3; 32,36, wo Mose Jhwhs Barmherzigkeit (‫רחום‬/ ‫ )רחם‬und Mitleid (‫ )נחם‬als Grund für die Wende zum Heil angibt, spricht Dtn 9f. nicht ausdrücklich davon. Allerdings ist Gottes Barmherzigkeit auch hier zentral, da Jhwh das Volk ohne jegliche Strafe oder Umkehr verschont.42 Jer 11; 31 entwickelt einen ähnlichen Sinnzusammenhang wie Dtn 9f. mit Dtn 30,1–10 im Spannungsfeld der sich fortsetzenden Rebellion Israels und eines zukünftigen Heilshandeln Gottes an Israels Herz.43 Der Prophet Jeremia spricht wie Mose in Dtn 9,7.24 von der beständigen Auflehnung Israels seit Ägypten „bis heute“ (Jer 11,7–8). Im Gegensatz zu den Vätern sollen seine textinternen Adressaten, die Judäer vor der Zerstörung Jerusalems, nun hören und danach handeln (Jer 11,6), was sich jedoch als vergebliche Aufforderung erweist (Jer 11,10), sodass es zum Untergang Judas kommen wird (Jer 11,11–14). In Jer 31,31–34 aber kündigt der Prophet einen neuen Bund an. Dieser neue Bund ist – wie A. Schenker betont – der alte von Jhwh nie gekündigte Bund. Während Gott seinen Bund nie aufgekündigt hat, ist es an Israel, sich dem Bund entsprechend zu verhalten. Das Neue an dem neuen Bund ist, dass Israel Gottes Bundesbestimmungen im Gegensatz zur Vergangenheit befolgen können wird, da Gott sie in ihr Herz schreiben wird.44 Dtn 9f. zeichnet im Zusammenspiel mit Dtn 30,1–10 ein sehr ähnliches Bild. Israel hat den göttlichen Zorn erfahren (9,8–17), aber überlebt, weil Mose am Horeb für das Volk eingetreten ist. Gott hat seinen Bund trotz der andauernden Rebellion „bis zur Ankunft an diesem Ort“ (9,7) nicht aufgekündigt, wie am Horeb durch die Erneuerung der Tafeln verdeutlicht wurde. Die Adressaten sollen nun aber im Gegensatz zur vergangenen Rebellionsgeschichte auf den von Gott erneuerten und nicht gekündigten Bund antworten. Da Mose aber erahnt, dass Israel wieder bundesbrüchig wird, kündigt er in Dtn 30,6 ähnlich wie der Prophet Jeremia in Jer 31,31–34 ein neues Handeln Gottes an. Jhwh wird Israels Herz beschneiden, sodass es auf Gottes Bund mit ganzem Herzen antworten können wird.

42 Siehe S. 175. 43 Zu den Verknüpfungen der Schlusskapitel des Buches Deuteronomium und Jer 31 siehe FISCHER, „Ende“, 281–292; EHRENREICH, Wähle, 201–202. 44 Siehe SCHENKER, Bund, 35–37.

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Textexterne Kommunikation und Pragmatik

7.3 Erneuerung Dtn 9f. schließt mit einer Erneuerungserzählung, in der die erneuerten Tafeln, die Lade, der Klerus und der Aufbruchsbefehl inklusive Zusicherung der Landnahme unterschiedliche Aspekte von Erneuerung anklingen lassen. a) Die erneuerten Tafeln Im Zentrum der Erneuerungserzählung steht die Erneuerung der Tafeln.45 Die Tafeln scheinen ihre zentrale Stellung innerhalb der Sinai-/Horeberzählung erst im Exil erhalten zu haben, da sich über die zerstörten und erneuerten Tafeln das Grundthema der exilischen Erzählung von Bruch und Erneuerung der Gottesbeziehung entwickelt.46 Das Motiv der erneuerten Tafeln gab zu verstehen, dass Jhwh sein Volk wieder angenommen hatte und somit auch seine Verheißungen wieder Gültigkeit besaßen. Wie die zerbrochenen Tafeln in der text-externen Adressatenkommunikation den Untergang Jerusalems und des Tempels anklingen ließen, so sprachen die erneuerten Tafeln von der potenziellen Wiederherstellung des Verlorenen, was über Hoffnung auf einen Fortgang der Geschichte des Volkes hinaus auf die Wiederherstellung Israels als Nation, die Heimkehr ins Land und den Wiederaufbau der Stadt und des Tempels hindeutete. Dafür spricht auch, dass sich solche Vergleiche mit dem Früheren mehrmals in Texten finden, die die Wiederherstellung Jerusalems (Jes 1,26; 61,4; Jer 33,7.11; Mi 4,8) oder des Tempels (Esra 3,12; Jer 33,11; Hag 2,3.9) ankündigen oder beschreiben. Besonders eingängig ist Jer 33,7.11, wo der Prophet im zweimaligen Verweis auf das Frühere (‫ )כבראׁשנה‬verheißt, dass Jhwh Juda und Jerusalem wie früher aufbauen wird und dabei auch das Dankopfer im (wieder erbauten) Tempel erwähnt. Inwieweit die in der Erneuerung der Tafeln angedeutete Erneuerung in den letzten textgenetischen Etappen des Buches Deuteronomium bereits eingetreten war, lässt sich nicht eindeutig bestimmen, da lediglich Moses Heilsverheißungen in Dtn 4,29–31; 30,1–10 kleine Blicke auf faktisch eingetretene Erneuerung gewähren, indem sie über einen inneren Prozess der Umkehr und eine gnadenhafte Zuwendung Gottes während des Exils, über Heimkehr und eine danach einsetzende Herzensbeschneidung sprechen.47 Jedoch ist davon auszugehen, dass die erneuerten Tafeln auch für nachexilische Adressaten ein Hoffnungsbild geblieben waren. Zumindest scheint der Tempel nicht wiedererrichtet worden zu sein, da das Buch Deuteronomium keine konkrete Realisierung der göttlichen Verheißung eines Kultortes nach dem Exil erkennen lässt.48

45 Über den Ursprung des Tafelmotivs in Dtn 9f. gehen die Meinungen auseinander. Einige Kommentatoren schreiben sie der vorexilischen Grundschicht in Ex 32* zu, da Moses Aufstieg zu Gott ohne die Tafelübergabe keinen Sinn ergebe; so z. B. BLUM, Decalogue, 296. OTTO, Deuteronomium, 958.977, zufolge wurde das Tafelmotiv dagegen als Schöpfung der deuteronomistischen Horebredaktion in Dtn 9f. eingeführt, um die theologische Dynamik der Erzählung neu auszurichten. 46 Vgl. Z. B. ZENGER, „Pentateuchtexte“, 177–178, der Bundesbruch und Bundeserneuerung in der „Dialektik von Unheil und Heil“ in der Sinaiperikope Ex 32–34 als „Leitidee“ sieht, die sich im Erzählbogen bis 2 Kön fortsetze. 47 EHRENREICH, Wähle, 186, bezeichnet die Herzensbeschneidung als „innere Mitte eines nachexilischen Rückkehrprozesses“, die er nicht nur als zukünftig, sondern bereits als präsentisch einordnet. 48 Vgl. MARKL, „Efficacy“, 124–128.

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Erneuerung

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b) Die Lade und ihre Beziehung zu Jos 3–4 und 1 Kön 8 Beinahe ebenso viel Aufmerksamkeit wie der Erneuerung der Tafeln wird der Lade zuteil. Als Schutzbehälter für die erneuerten Tafeln deutet sie symbolisch auf Schutz und Bewahrung der Bundesbeziehung. Des Weiteren dient die Lade innerhalb des Erzählbogens Dtn–Kön als Leitmotiv, das Israel auf dem Weg vom Horeb ins Land begleitet. Auf diesem Weg stehen zwei Stationen von Israels Geschichte in besonderer Weise mit Dtn 9f. in Verbindung. So ergibt sich über die Motive der Lade in 10,1–5, der Ladeträger in Dtn 10,8 und der bevorstehenden Überschreitung des Jordan in Dtn 9,1–3 eine intensive Verbindung zu Jos 3–4, wo jene Jordanüberschreitung beschrieben wird, auf die Israel am Horeb (10,1– 5.8) und in Moab (9,1–3; 31,2–8) vorbereitet wird. Zweitens verknüpfen mehrere geteilte Motive, Themen und Lexeme sowie ausdrückliche Referenzen 1 Kön 8 mit Dtn 10,49 sodass sich ein Erzählbogen von der Erneuerung am Horeb zum Tag der Tempelweihe entspannt, wie in folgender Tabelle zu sehen ist: Tabelle 14: Verknüpfungen zwischen Dtn 9f. und 1 Kön 8 A B

Die Sünde am Horeb und ihre Folgen Gebet für Israel

C D D’

Herstellung der Tafeln und Ablegen in der Lade Der Stamm Levi wird zum Tragen der Lade beauftragt Priester und Leviten bringen die Lade in den Tempel und verrichten so ihren letzten Dienst als Ladeträger Die Lade kommt an ihren Platz im Tempel Gebet für Israel (inklusive Fremde) Zukünftige Katastrophen aufgrund von Israels Sünden

C’ B’ A’

Dtn 9,8–20.25 Dtn 9,18–20.26–29; 10,10 Dtn 10,1–5 Dtn 10,8 1 Kön 8,3–4.6 1 Kön 8,6.(21) 1 Kön 8,31–53 1 Kön 8,31–40, und bes. vv46–51 (Exil)

Von der Beauftragung des Stammes Levi zum Tragen der Lade (Deut 10,8) spannt sich ein Bogen zur letzten Ausübung dieses Dienstes am Tag der Tempelweihe (1 Kön 8,3–4.6), der das Ende von Israels Wanderung vom Horeb bis zum endgültigen Eingehen in die Ruhe (1 Kön 8,56) markiert (DD’).50 Es spannt sich ein Bogen vom Anfangspunkt der Entstehung der Lade (Deut 10,1–5) bis zu ihrer Niederlegung im Tempel an ihrem Platz (‫ ;אל־מקומו‬1 Kön 8,6.21) (CC’). In 1 Kön 8,9 bezieht sich der Erzähler dabei ausdrücklich auf Moses Deponierung der Tafeln in die Lade in Dtn 10,5 zurück.51 Eine weitere Verbindung ergibt sich über Salomos Gebet und in besonderer Weise über Salomos siebte Fürbitte in 1 Kön 8,51.(53) und Moses rahmendes Hauptargument in 9,26.29 (BB’). 52 Während Moses Gebet 49 Auf Verbindungen zwischen Dtn 9f. und 1 Kön 8 hat in besonderer Weise STOPPEL, Angesicht, 109– 110.112–114. 116.140.232–233.240–241, hingewiesen. 50 Vgl. KNOPPERS, „Prayer”, 240, der in der Übertragung der Lade das Ende von Israels Wanderung und den Beginn einer neuen Epoche bezeichnet sieht. RÖMER, „Redaction Criticism”, 71, weist auf die Verbindung von Dtn 12,9 zu 1 Kön 8,56 über das Motiv der Ruheverheißung. 51 Vgl. COGAN, I Kings, 280. 52 Auf diese Verbindung wiesen bereits BURNEY, Notes, 125; BRAULIK, „Spuren”, 30.

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Textexterne Kommunikation und Pragmatik

vor der Katastrophe in der Vergangenheit am Horeb gerettet hat, macht Salomos Gebet Hoffnung auf die Überwindung der zukünftigen Katastrophe und des Exils (AA’). 53 Autoren deuteten über die Motive der Lade und der Ladeträger auf Erzählzusammenhänge, die nur auf der textexternen Kommunikationsebene erkennbar waren. 54 Textexterne Adressaten konnten in der Erzählung von Israels Geschichte in Dtn 10 bis 1 Kön 8 einen Weg vorgezeichnet sehen, der für sie paradigmatisch in seiner Zielbestimmung war. Zu ihnen sprach das Motiv der Lade über die Symbolik der Bewahrung hinaus von einem Weg in das Land der Verheißung, der mit der Errichtung des Tempels seinen Abschluss finden sollte. An dieser vorexilischen Geschichte sollten sie Maß nehmen. Auch sie sollten gemäß göttlichem Auftrag in das Land der Verheißung kommen, die wiedergewonnene Bundesbeziehung bewahren und sich dabei von Gottes Wort in Form des Dekalogs und der Tora leiten lassen, die in der Welt des Textes in und neben der Lade waren, für sie jedoch im Buch Deuteronomium vorlagen. c) Dtn 9f. und die Erneuerung im Buch Deuteronomium Das Thema der Erneuerung ist bestimmend für das gesamte Buch Deuteronomium. Denn es schildert einen Bundesschluss, der sich nicht ausschließlich, aber auch als Erneuerung des Horebbundes verstehen lässt.55 Gründe für diesen erneuten Bundesschluss sind nach D. Markl der Tod der Horebgeneration, der bevorstehende Tod Moses und der Umstand, dass Mose nun möglicherweise erstmals die gesamte Horebtora verkündet.56 Im Blick auf Dtn 9f. zeigt die Beziehung zwischen Horeb- und Moabbund einen weiteren Aspekt. Der Horebbund ist selbst bereits ein erneuerter Bund. Diese Erneuerung ist jedoch in der Darstellung des Buches Deuteronomium allein von Gott ausgegangen. Israel bleibt dagegen auch nach dem Bundesbruch vom Horeb rebellisch. Nun aber soll die Moabgeneration beim Übergang in eine neue Lebensphase im Unterschied zu den Eltern und ihrer eigenen Vergangenheit auf entschiedene Weise seine Zustimmung zum Bund geben und so nicht nur ein von Gott am Horeb erneut angenommenes, sondern auch ein von sich her erneuertes Gottesvolk werden. Auf textexterner Kommunikationsebene wird das Buch Deuteronomium insofern als exilisches und nachexilisches Restaurationsprojekt erkennbar, als es das Gottesvolk dazu anleitet, nach dem Verlust des Landes, der Stadt und des Tempels und der damit einher gegangenen Identitätsbedrohung seine Berufung als Gottesvolk neu zu finden. 57 Das Buch Deuteronomium lässt sich in diesem Sinne insgesamt als Restaurationsliteratur verstehen, deren programmatische Ausrichtung bereits vorexilisch in einem joschijanischen Reformprogramm grundgelegt war, an das exilische Redaktionen und nachexilische Fortschreibungen anknüpfen konnten.58

53 Zur Zielrichtung von Salomos Gebet siehe z. B. MCCONVILLE, „Narrative”, 36. 54 Dies ähnelt sehr stark der Funktion einer „Erzählung in der Erzählung“, eine Beziehung zum Adressaten durch Zusammenhänge aufzubauen, die nur auf der textexternen Kommunikationsebene verständlich sind; siehe SKA, Fathers, 49–51. 55 Siehe z. B. OTTO, Deuteronomium, 2075. 56 MARKL, Gottes Volk, 123. 57 MARKL, Gottes Volk, 291–295. interpretiert das Buch Deuteronomium als „Programm der Rekonstruktion der kollektiven Identität Israels“. 58 Siehe dazu OTTO, Deuteronomium, 237.

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Bewahrung und Kontinuität der Gottesbeziehung

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Anliegen dieses nachexilischen Restaurationsprojektes war es, die geistigen, religiösen und moralischen Grundlagen für die Erneuerung des Volkes zu legen.59 Diese Grundlagen sind jedoch innerhalb des Buches Deuteronomium nicht ausschließlich im Moabbund zu finden, sondern bereits im Horebbund grundgelegt, der im Moabbund erneuert und aktualisiert wird. So ist nicht nur der Moabbund, sondern bereits der Horebbund Maßstab für Israels Identität als Gottesvolk. Wenn Mose im Laufe seiner Paränesen auf das Land und auf den „Ort“ (‫)מקום‬, den Jhwh erwählen wird, als wesentliche Heilsgüter für Israels Identität hinweist, dann bezieht er sich auf Güter, die bereits im Horebbund in den Blick kamen, wie in Dtn 1 und 10 deutlich wird. Gott hatte Israel im Rahmen der Bundeserneuerung am Horeb den Auftrag zur Landnahme gegeben (1,6–8) und das Gelingen zugesagt (10,11), mit der Lade aber jenen Gegenstand in Auftrag gegeben, der als zentraler Gegenstand des Zeltheiligtums bereits auf den Tempel vorauswies.

7.4 Bewahrung und Kontinuität der Gottesbeziehung Dtn 9f. spricht nicht nur von der Überwindung der Krise und der Erneuerung der Gottesbeziehung, sondern auch davon, dass und wie die gerettete, aber immer noch gefährdete Gottesbeziehung bewahrt bleiben und fortleben sollte. Dies wird anhand der Lade (10,1–5), Aarons Sukzession (10,6) und der Aussonderung des Stammes Levi zu seinen Diensten (10,8–9) auf unterschiedliche Weise thematisiert. Mit der Lade, Aaron und dem Stamm Levi greift Dtn 9f. drei Motive aus Ex 25–40 auf und setzt diese mit den Beauftragungen des Klerus (vgl. Lev 8; Num 8) und der Sukzession Aarons durch Eleasar (vgl. Num 20) in Beziehung. Dtn 10 bringt somit dicht gedrängt einen Zusammenhang zum Ausdruck, der sich Ex 25–40; Lev 8; Num 8; 20 entnehmen lässt und in besonderer Weise auf die Zukunft und Kontinuität Israels als Gottesvolk deutet. a) Die Lade als Zeichen der Bewahrung des Bundes Im Unterschied zum Buch Exodus ist in Dtn 10,1–5 die Erneuerung der Tafeln unmittelbar mit der Beauftragung zur Herstellung der Lade und deren Ausführung sowie mit der Deponierung der Tafeln in der Lade verknüpft. So lässt sich in Dtn 10,1–5 eine Verdichtung des Zusammenhangs der beiden Großabschnitte Ex 25–31; 35–40 als Anweisung und Ausführung zum Bau des Heiligtums erkennen.60 Aufgrund dessen lässt sich die Symbolik der Lade trotz mehrerer Differenzen in Analogie zum Zeltheiligtum, wie es im Buch Exodus gezeichnet wird, erschließen. Erscheint in Ex 35–40 das Zeltheiligtum durch Verknüpfungen zur Noaherzählung als „rettender Hafen der Gottesbeziehung“, so die Lade auf ähnliche Weise in Dtn 10,1–5 als schützende Arche.61 Beide stehen in Verbindung zur Bundesbeziehung, tun dies jedoch unter verschiedenen Aspekten. Während das Zeltheiligtum im Buch Exodus Gottes beständige

59 Vgl. MARKL, Gottes Volk, 295. 60 Vgl. LOHFINK, „Deuteronomium 9,1–10,11”, 145, der darauf hinweist, dass von den Kapiteln um das Heiligtum im Buch Exodus mit den Tafeln und der Lade das Kernstück in Dtn 9f. bleibt. 61 Siehe S. 148.

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Textexterne Kommunikation und Pragmatik

Gegenwart bei seinem Volk ermöglicht,62 hat Dtn 10,1–5 mit der Lade als Schutzbehälter für die Tafeln die Bewahrung der Gottesbeziehung im Blick. Dies wird auch damit unterstrichen, dass die Herstellung der Lade im Buch Deuteronomium anders als im Buch Exodus erst in Reaktion auf die Krise als Schutzmaßnahme für die beinahe verlorene Gottesbeziehung in Auftrag gegeben wird. In ihr soll nun Schutz finden, was bereits einmal in Brüche gegangen war. Wie das Zeltheiligtum in Ex 25–31; 35–40 deutet auch die Lade in Dtn 10 aus textinterner Perspektive auf den Salomonsichen Tempel und aus textexterner Perspektive auf den nachexilischen Tempel voraus. Während jedoch Ex 25–31; 35–40 das Heiligtum in seiner Gesamtheit im Blick hat, nimmt Dtn 10 mit der Lade und den Tafeln den zentralen Gegenstand des Heiligtums in den Blick. Als pars pro toto steht sie einerseits für das gesamte Heiligtum. Andererseits aber deutet sie als innerster Kern auf den innersten Sinn des Heiligtums hin, der darin besteht, dass im Heiligtum der Bund zwischen Jhwh und seinem Volk realisiert, bewahrt und erneuert wird. Gegen die Annahme, dass auf textexterner Kommunikationsebene im Motiv der Lade mit den Tafeln der Tempel anklang, lässt sich ein Einwand erheben. Die Tafeln und die Lade waren wahrscheinlich nach der Zerstörung Jerusalems verloren gegangen.63 Wie aber konnte die Lade auf den zweiten Tempel vorausweisen, da doch gerade die Lade mit den Tafeln in diesem Tempel fehlen sollte? Hierbei ist der literarische Charakter des Lademotivs zu beachten. Nicht das Objekt steht im Augenmerk, sondern die Bewahrung des Bundes, die die Lade in Dtn 10 versinnbildlicht. Dafür aber sollte das wieder errichtete Heiligtum als Ort der Verwirklichung des Bundes eine zentrale Rolle spielen, auch wenn die Lade verloren gegangen war. b) Die Sukzession des Priesteramtes Aarons Spricht die Lade von der Bewahrung der Gottesbeziehung und damit von der Kontinuität Israels als Gottesvolk, meldet sich in 10,6–7 die Erzählstimme zu Wort, um auf die Bedeutung von Aarons Priesteramt für die Bewahrung der Gottesbeziehung und für die Fortexistenz Israels als Gottesvolk aufmerksam zu machen. Zwar musste Aaron infolge seiner Sünden sterben, sein Amt aber lebte weiter. Darin spiegelt sich in der textinternen Kommunikation das Schicksal des Volkes wider. Die Rebellionen der Wüstenzeit haben zwar den Tod der Horebgeneration vor Eintritt in das Land zur Folge, jedoch lebt die Berufung Israels zum Gottesvolk fort. Da das sich fortsetzende Priestertum Aarons der erneuerten Gottes-beziehung dienen und diese bewahren soll, ist es Zeichen und Unterpfand für die fortlebende Berufung zum Gottesvolk. Die textexternen Adressaten konnten dies auf ihre Situation applizieren. Zwar musste die Exilsgeneration außerhalb des Landes sterben. Jedoch war die Sukzession des hohepriesterlichen Amtes Zeichen und Unterpfand für ihre Zukunft als Jhwhs Volk. Das Amt Aarons stellt nicht nur das oberste Amt des Klerus dar, sondern steht auch mit der Erneuerung des Bundes am Horeb in Verbindung, da der Hohepriester am Tag der Versöhnung Israel entsühnt und so eine jährliche Erneuerung der Gottesbeziehung ermöglicht. Die spezifische Wendung „an seiner Stelle als Priester amten“ ( ‫ תחת‬+ ‫)כהן‬ 62 Siehe DOHMEN, Exodus 19–40, 398. 63 Siehe DAY, „Ark“, 261–265.

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Aufruf zur Heimkehr

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begegnet nur in Dtn 10,6 und Lev 16,32, wo von der hohepriesterlichen Aufgabe der Entsühnung am Versöhnungstag die Rede ist. Die exklusive Verbindung deutet darauf hin, dass in Dtn 10,6 die hohepriesterliche Aufgabe am Versöhnungstag im Blick ist. Sie verweist auch auf die innere Verbindung der Erneuerung am Horeb und der Erneuerung Israels am Versöhnungstag. Denn durch die Versöhnungsfeier wird die Erneuerung am Horeb in gewisser Weise alljährlich wiederholt und so eine kontinuierlich erneuerte Gottesbeziehung garantiert.64 c) Der Stamm Levi als Garant der Gottesbeziehung Nach dem Hinweis auf das hohepriesterliche Amt lässt die Erzählstimme in 10,8–9 noch expliziter erkennen, wie die erneuerte Gottesbeziehung bewahrt werden sollte. Laut 10,8–9 garantiert der gesamte Stamm Levi durch seine Ämter die Bewahrung der geretteten Gottesbeziehung. Noch am Horeb wurde er ausgesondert (vgl. Num 8), um durch Träger-, Kult- und Segensdienst der Beziehung zwischen Jhwh und Israel zu dienen. Die besondere Betonung des Trägerdienstes der Bundeslade in Dtn 10; 31 verweist auf seine Verantwortlichkeit für den Bund. Die jeweiligen Verknüpfungen zu den Bundesdokumenten von Dekalog und Tora deuten dabei auf die Verantwortlichkeit für die Bewahrung und Weitergabe der Bundesbestimmungen.65 Während die Lade verloren gegangen war und somit keinen realen Platz in der Lebenswelt exilischer oder nachexilischer Adressaten hatte, waren der Klerus und seine Ämter Teil ihrer Lebensrealität.66 Der Stamm Levi und der Hohepriester waren lebendige Zeichen der Kontinuität der geretteten Gottesbeziehung vom Horeb bis in die Gegenwart der textexternen Adressaten. Für sie waren sie ebenso ein Zeichen der Kontinuität zwischen vorexilischer und exilischer/nachexilischer Zeit. Während Land und Tempel verloren gegangen waren, lebten der Klerus und seine Ämter fort. Der Klerus war einerseits Garant für die Kontinuität der geretteten Gottesbeziehung in Zeiten des Land- und Tempelverlustes, besonders durch seine Aufgabe der Lehre und des Segnens. Andererseits war seine Beauftragung zum kultischen Dienst Hoffnungszeichen für eine zukünftige Wiederherstellung des Kultes.

7.5 Aufruf zur Heimkehr Das Buch Deuteronomium beschreibt den Moment des Übergangs Israels in eine neue Lebensphase. Dabei sind die Überquerung des Jordan und der Eintritt in den Moabbund engstens miteinander verbunden. Im Blick auf die Horebereignisse zeigt sich, dass diese Verknüpfung von Bund und Landnahme bereits am Horeb grundgelegt ist, da Gott nach der Überwindung der Bundeskrise Mose zum Aufbruch in Richtung Land aufforderte und das Gelingen zusagte (Dtn 1,6–8; 10,11). Die Moabgeneration sollte erfüllen, was von Gott her bereits seit dem Horebbund grundgelegt war, durch die Horebgeneration jedoch für den

64 Siehe S. 156. 65 Siehe MARKL, Gottes Volk, 166. 66 Siehe OTTO, Deuteronomium, 996.

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Textexterne Kommunikation und Pragmatik

Moment verspielt wurde. Es soll als Gottes Volk in das Land der Verheißung gelangen, um dort im Toragehorsam zu leben. Aus der Konstellation, die sich aus der rhetorischen Dynamik von Dtn 9f. ergibt, lassen sich Rückschlüsse auf die Situation der Autoren und ihrer Adressaten ziehen. Die Schwellensituation im Buch Deuteronomium insgesamt sowie die besondere Betonung und Thematisierung dieser Schwellensituation in Dtn 9,1–3 deuten auf eine analoge Schwellensituation der Adressaten außerhalb des Landes. Versinnbildlichte in der textexternen Kommunikation die Zerstörung der Tafeln die Zerstörung Jerusalems und des Tempels, so deutete die Erneuerung der Tafeln einerseits auf eine Erneuerungserfahrung während des Exils und anderseits als Hoffnungsbild auf eine umfassende Restauration. C. Hardmeier bestimmt die hierin reflektierte Situation als späte Exilszeit, wo auf eine Sündengeschichte zurück- und auf der Basis einer Bundeserneuerung auf die Heimkehr vorausgeblickt wird.67 Dass jedoch Dtn 9,4–6 von der bevorstehenden Landnahme in 9,1–3 zur bereits begonnenen oder erfolgten wechselt, lässt eine Doppelperspektive erkennen, die auf eine nachexilische Zeit deutet, da Teile der Nation bereits heimgekehrt waren, der Rest aber noch in der Fremde geblieben war. Die Adressaten werden aufgefordert und ermutigt, nach dem Überleben der Katastrophe und den anfänglichen Erfahrungen von Erneuerung, sich Gottes ursprünglichen Auftrag und Zusage der Landnahme zu Herzen zu nehmen und so in das Land heimzukehren. Jene aber, die heimgekehrt waren, sollen dies entsprechend Dtn 9,4–6 und der ursprünglichen Zusage am Horeb nicht auf sich selbst zurückführen, um nicht von neuem jener Dynamik des Unheils zu verfallen, die zum Verlust des Landes geführt hatte. Die Erneuerung der Tafeln brachte Gottes Heilswillen zur Realisierung seiner Verheißungen zum Ausdruck, den die Exilierten in der Tatsache des Überlebens und womöglich in der Bewahrung ihrer religiösen Identität im Exil erkennen konnten. Schwieriger zu bestimmen ist, welche Erfahrungen über die Kundschafterepisode verarbeitet wurden. Laut der diachronen Forschung ist die Kundschafterepisode eine ähnlich komplexe Literaturgeschichte wie die Erzählung vom (goldenen) Kalb durchlaufen.68 Es ist möglich, dass Erfahrungen des Landverlustes und vergeblicher Versuche, das Land wieder in Besitz zu nehmen, im Hintergrund sowohl der Grundschicht als auch späterer Redaktionen und Fortschreibungen stehen.69 Die Thematisierung der angstbesetzten Verweigerung, das Land zu betreten, könnte allerdings auch ein angstvolles Zögern oder einen Unwillen des exilierten Volkes in Bezug auf die Heimkehr widerspiegeln. Damit würde sich auch der Nachdruck erklären, mit dem das Buch Deuteronomium sowohl im Zusammenhang des Horeb- als auch des Moabbundes 67 HARDMEIER, „Geschichten“, 113. 68 Mehrere Autoren sehen hier eine vorexilische Grundschicht, die den Verlust judäischen Territoriums im 8./7. Jahrhundert thematisierte. Diese wurde nach OTTO, Deuteronomium, 384, in Dtn 1 von der exilischen Moabredaktion rezipiert und fortgeschrieben, die wiederum einer Fortschreibung in Num 13– 14 vorgelegen habe. Zuletzt habe Dtn 9,1–8.22–24 diesen Themenkomplex nachexilisch rezipiert. 69 Nach HARDMEIER, „Geschichten“, 115, steht hinter der vertanen Landnahme (Dtn 1,32; 9,23) der syroephraimitischen Konflikt als „misslungene Glaubensprobe“ (Jes 7), die in die assyrische Vasallenabhängigkeit führte (2 Kön 16,7–9), womit der Verlust des Landes vorgezeichnet war. Hinter dem eigenmächtigen Versuch in Dtn 1,42, das Land an sich zu reißen, sieht er dagegen den Aufstand Zidkijas im Jahre 588/587 stehen, der endgültig das „politische Ende“ und Zerstörung folgen ließ.

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Zusammenfassung

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auf das Land der Verheißung als Destination des Gottesvolkes und auf den Auftrag der Landnahme hinweist. Die textexternen Adressaten sollten den göttlichen Auftrag zur Landnahme am Horeb als den ihren erkennen und Moses Ermutigung zur Landnahme als Ruf zur Heimkehr verstehen.70 Dieses womöglich mit vielen Unsicherheiten verbundene Unternehmen wird im Buch Deuteronomium als göttlicher Auftrag gezeichnet, bei dem Israel sich Gott anvertrauen soll, weil der Gott, der am Horeb aus dem Feuer gesprochen hatte und dessen Stimme sie nun wieder hören sollten, das Gelingen schenken würde. Als verzehrendes Feuer und eifernder Gott (4,24) hatte er ihre Väter aus dem Land geworfen. Mit derselben feurigen Leidenschaft (9,3) würde er sein Volk zurück ins Heimatland führen, das im Vertrauen darauf die Heimkehr antreten sollte. In der Erneuerungserzählung wird über die Lade und den Klerus ebenfalls eine Verknüpfung zum Land und den Weg dorthin hergestellt. So bringt die rätselhafte Passage in 10,6–7 Tod und Sukzession Aarons in Verbindung mit dem Weg der Söhne Israels in ein Land von Wasserbächen, das einen Vorgeschmack auf das Land der Verheißung gibt. Das Fortleben des hohepriesterlichen Amtes steht hier als Ausgangspunkt eines Weges in Richtung Leben und erfüllter Zukunft im Land der Verheißung. Nachexilische Autoren konnten darin das Thema der Heimkehr angedeutet sehen, umso mehr als die Wegbeschreibung in ein Land von Wasserbächen den Weg der Exilierten heim ins Land der Verheißung anklingen lässt (vgl. Jer 31,9). Über die Lade und die Ladeträger wurde zudem nicht nur die Verantwortung des Stammes Levi für die Bundesbeziehung zum Ausdruck gebracht, sondern auch der Weg Israels in der weiteren biblischen Darstellung von der Jordanüberquerung in Jos 3–4 bis zur Tempelweihe in 1 Kön 8 aufgerufen. Textexterne Adressaten konnten darin ihren eigenen Weg vorgezeichnet sehen, da auch ihnen die göttlichen Verheißungen des Landes und des von Gott erwählten Ortes galten.

7.6 Zusammenfassung Wie Mose auf textinterner Kommunikationsebene einen Sinnzusammenhang zwischen der Gegenwart, der Vergangenheit und der Zukunft seiner Adressaten herstellt, so auch die Autoren auf textexterner Kommunikationsebene in Bezug auf die textexternen Adressaten. Dies lässt sich unter fünf Punkten zusammenfassen. 1.) Dtn 9 erzählt von einem ursprünglichen Beziehungskonflikt zwischen Jhwh und seinem Volk während des Bundesschlusses am Horeb. Israels Ursprungsgeschichte gestaltet sich damit als Geschichte einer Krise, in der sich paradigmatisch die zukünftige Krisengeschichte des Volkes abzeichnet. So wird die Sünde mit dem Kalb innerhalb des Buches Deuteronomium zur Präfiguration der zukünftigen Bundeskrise, wie sie besonders in Dtn 4; 31 geschildert wird. Über weitere Verknüpfungen und Parallelen mit den Königsbüchern und dem Jeremiabuch wird deutlich, dass Dtn 9f. die konkrete Untergangsgeschichte der Königszeit im Blick hat. Mehrere Hinweise geben zu erkennen, dass dabei die Zerstörung Jerusalems und des Tempels verarbeitet und dargestellt ist.

70 Vgl. LIVERANI, History, 270–272, demzufolge die Eroberung des Landes als „starkes Modell“ für eine propagierte Heimkehr von Diasporajuden diente.

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Textexterne Kommunikation und Pragmatik

2.) Israels Ursprungsgeschichte gestaltet sich jedoch nicht nur als Geschichte einer Krise, sondern auch und vor allem als Überwindungsgeschichte. So verankert sich in Israels zukunftsweisender Ursprungsgeschichte ein Ausbruch aus der kausalen Unheilsdynamik vom Bundesbruch zur Vernichtung, der eine grundsätzliche Hoffnungsperspektive für Israels weitere Geschichte eröffnet. Textexterne Adressaten konnten darin ihr eigenes Schicksal widergespiegelt sehen. Auch sie waren an der Kippe zur Vernichtung gestanden, hatten aber überlebt. Entscheidend für die Überwindung des göttlichen Zornes am Horeb waren Moses Einsatz und Gottes Barmherzigkeit. Auf diese Weise thematisiert Dtn 9f. im Unterschied zu den Königsbüchern die Überwindung des göttlichen Zornes während des Exils und erklärt den Adressaten ihre eigene Geschichte als eine der unverdienten Rettung. 3.) Mit den erneuerten Tafeln kommt darüber hinaus Erneuerung in den Blick. Da die Zerstörung der Tafeln auf textexterner Kommunikationsebene den Untergang Jerusalems und des Tempels veranschaulichte, deuteten die erneuerten Tafeln auf eine umfassende Restauration. Dabei waren die erneuerten Tafeln mehr Hoffnungsbild als Zeichen bereits eingetretener Restauration. Textexternen Adressaten wurde vermittelt, dass die Krise im Kern überwunden war und sie Jhwhs Willen, seine Verheißungen zu erfüllen, gewiss sein konnten. Jhwh hatte sie nicht nur verschont, sondern auch erneut als sein Volk angenommen. 4.) Über die Motive der Lade und des Klerus spricht Dtn 10 über die Bewahrung der geretteten Gottesbeziehung. Jhwh hatte laut der Horeberzählung Vorkehrungen für die Bewahrung der geretteten Gottesbeziehung getroffen. Während die Lade dies symbolisch veranschaulichte, zeigten die Dienste des Klerus konkret, wie dies geschehen sollte. Da der Klerus Teil der Lebensrealität der textexternen Adressaten war, konnten sie in ihm den Bezug der Horeberzählung zu ihrer Welt besonders deutlich sehen. Der Klerus diente dabei als Zeichen der Kontinuität zwischen den Gründungsereignissen am Horeb und der Zeit der Adressaten sowie zwischen der vorexilischen und nachexilischen Zeit. Der Stamm Levi wurde so einerseits als Garant für die Bewahrung des Bundes und für die Fortexistenz Israels als Gottesvolk in Zeiten des Landverlustes, andererseits als Unterpfand und Hoffnungszeichen einer umfassenden Wiederherstellung gezeichnet. 5.) In der rhetorischen Dynamik von Dtn 9f. werden Landnahme und die überwundene Bundeskrise in Beziehung gesetzt. Nach der Überwindung des göttlichen Zornes und der Erneuerung der Tafeln sollte das Volk im Gegensatz zur Elterngeneration Gottes Auftrag vom Horeb erfüllen und seine Zusage einlösen. In dieser textinternen Konstellation spiegelt sich die Situation nachexilischer Adressaten wider, die nach der Zerstörung Jerusalems, des Landverlustes, des Überlebens im Exil und anfänglicher Erneuerung im Gegensatz zu vorausgehenden Generationen in das Land heimkehren sollten. Die Landnahme dient dabei als „starkes Modell“ für die Heimkehr. Zugleich wurden sie ermahnt, Heimkehr und Rückgewinn des Landes nicht auf sich selbst zurückzuführen, um nicht jener Dynamik der Selbstüberhebung und Gottvergessenheit zu verfallen, an deren Ende wieder Bundesbruch und Landverlust stünden.

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Zusammenfassung, Auswertung und Ausblick Die vorliegende Studie untersucht Dtn 9f. in der Unterscheidung von textinterner und textexterner Kommunikationsebene. In einem ersten Schritt wird der Text auf textinterner Kommunikationsebene in seiner Selbstpräsentation als Rede Moses an die Moabgeneration in den Blick genommen und die rhetorische Dynamik des Abschnitts analysiert. Hierbei steht forschungsgeschichtlich besonders zur Debatte, wie sich die anfängliche Paränese zur Landnahme in 9,1–6 und der ausführliche Geschichtsrückblick in 9,7–10,11 zueinander verhalten. Kommentatoren haben die rhetorischen Beziehungen beider Abschnitte vorwiegend so gedeutet, dass Mose im Geschichtsrückblick (bes. 9,7–24) die Argumentation in 9,4– 6 mit Beispielen unterlege und untermaure. Die vorliegende Studie versucht die rhetorischen Beziehungen weiter zu ergründen. Neu gegenüber früheren Ansätzen ist, dass auch die Beziehungen zwischen der Ermutigungsrede in 9,1–3 und der Rettungs- und Erneuerungserzählung innerhalb von 9,18–10,11 miteinbezogen werden. Der Geschichtsrückblick dient nicht nur der Selbsterkenntnis in 9,6, sondern ebenso der in 9,3 eingeforderten Gotteserkenntnis. Die beschämende Rebellionsgeschichte soll zu reinigender Selbsterkenntnis anleiten, die Rettungs- und Erneuerungsgeschichte Vertrauen auf Gott und die Erfüllung seiner Verheißungen wecken und so zur Jordanüberquerung ermutigen. Allerdings ist Moses Rhetorik in Dtn 9f. nicht nur und in erster Linie nach dem klassischen Verständnis von Rhetorik als Überzeugungskunst zu verstehen. Mehr noch stellt Mose die gegenwärtigen Herausforderungen in Bezug auf die Landnahme (9,1–6) über den Geschichtsrückblick (9,7–10,11) in einen größeren Geschichts- und Sinnzusammenhang, vor dessen Hintergrund eben diese Herausforderungen verstanden werden sollen. Ausgangs- und Schwerpunkt dieses Zusammenhangs sind die Ereignisse am Horeb. An diesem Moment der Konstituierung Israels als Jhwhs Volk wäre die Beziehung zwischen Jhwh und Israel beinahe für immer in Brüche gegangen, da Gott Israel aufgrund der Sünde mit dem Kalb Vernichtung angedroht hatte. Die drohende Katastrophe konnte jedoch durch Moses Fürbitte abgewendet werden. In diesen ersten Etappen der Nacherzählung hält Mose seinen Adressaten vor Augen, dass sie seit dem Auszug aus Ägypten ein rebellisches Volk harten Nackens gewesen waren und sie ihre Fortexistenz als Volk Gottes allein seiner Fürbitte und Gottes Einlenken zu verdanken haben. Mit den weiteren Etappen der Nacherzählung entfaltet Mose größere, die gesamte Wüstenzeit betreffende Zusammenhänge. Obwohl Israel am Horeb unverdiente Verschonung erfahren hatte, blieb das Volk seiner rebellischen Haltung verhaftet, wie die Auflistung weiterer Rebellionen in der Wüste deutlich macht (9,22–24). Die Rebellion in KadeschBarnea hatte die weitreichende Konsequenz, dass die Horebgeneration das Land nicht betreten durfte, wie Mose bereits in Dtn 1 ausführlich dargelegt hatte und worauf er wieder in 9,23 hinweist. Derart präsentiert Mose in 9,7–24 einen starken Gegensatz. Während Gott seinen berechtigten Zorn am Horeb zurückgenommen hatte, blieb das Volk weiterhin rebellisch, sodass sich die Erfüllung der göttlichen Verheißungen verzögerte. Nachdem Mose einen Einblick in die Gründe für die göttliche Verschonung gewährt (9,25–29), verschärft

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sich der beschriebene Gegensatz in 10,1–11. Während Israel rebellisch geblieben war, hat Gott nicht nur seinen Zorn zurückgenommen, sondern auch die Tafeln erneuern lassen, den Klerus zur Sorge für die erneuerte, aber immer noch gefährdete Bundesbeziehung ausgesondert und die Einnahme des Landes erneut zugesichert. Die von Mose präsentierten Zusammenhänge lassen sich unter dem Stichwort einer „Dynamik der Überwindung“ erfassen. Die Moabgeneration kann trotz einer sich fortsetzenden Geschichte von Rebellionen auf Gottes Heilswillen vertrauen, da dieser am Horeb seinen Zorn überwunden und sich dem Volk trotz dessen Verfehlung wieder zugewandt hat. Wie besonders die Ereignisse von Kadesch-Barnea zeigen, bedarf es jedoch einer entsprechenden Antwort auf Seiten des Volkes, damit sich Gottes Verheißungen erfüllen können. Die Adressaten in Moab sollen auf die unverdiente Zuwendung Gottes am Horeb in einer Form von imitatio dei antworten. So wie Jhwh am Horeb seinen Zorn überwunden und sich Israel wieder zugewandt hat, sollen auch sie sich ihm zuwenden und endlich die rebellische Haltung der Vergangenheit überwinden. Sie sollen im Gegensatz zu ihren Eltern ihre Furcht vor den Anakitern überwinden und im Vertrauen auf Gott die Überquerung des Jordan wagen, um das Land einzunehmen (9,1–3). Dabei sollen sie das zukünftige Gelingen der Landnahme nicht als Belohnung für ihre Bewährung verstehen. Denn diese die Tatsachen verkennende Deutung könnte zum Einfallstor für eine falsche Selbstgewissheit und Gottvergessenheit werden, die abermals zu Bundesbruch und letztlich zum Verlust der einmal gewonnen Güter führen würde. Deshalb warnt Mose in 9,4–6 eindringlich vor einer falschen Denkweise, die es ebenso zu überwinden gilt wie die Ängste vor den scheinbar übermächtigen Hindernissen. Ausgehend von der rhetorischen Dynamik und in Aufnahme diachroner Ekenntnisse zu Dtn 9f. wird der Abschnitt in einem zweiten Schritt auf seine textexterne Pragmatik hin ausgedeutet. Analog zu Moses textinternem Kommunikationsangebot stellen Autoren einen Sinnzusammenhang zwischen der Gegenwart, der Vergangenheit und der Zukunft ihrer Adressaten her. Sie greifen die vorexilische (Ex 32*) und exilisch überarbeitete Erzählung (Ex 32–34*) von der Rebellion am Gottesberg auf und verbinden sie innerhalb der Welt der Erzählung mit den Herausforderungen der Moabgeneration, in denen sich die Herausforderungen ihrer nachexilischen Adressaten spiegeln. Auf eine nachexilische Periode deuten einerseits der Rückblick auf die Zerstörung Jerusalems und andererseits die Doppelperspektive in 9,1–6, wonach sowohl Adressaten außerhalb des Landes (9,1–3) als auch bereits Heimgekehrte (9,4–6) angesprochen werden. Redaktoren interpretieren die Erzählung von der Rebellion am Gottesberg, in der die Schuldigen bestraft, die Unschuldigen jedoch verschont werden, zu einer Erzählung über die Verschonung der Schuldigen aufgrund des Einsatzes Moses um. Sie lassen über das Motiv der zerschmetterten Tafeln auf die Zerstörung Jerusalems und des Tempels zurückblicken und deuten das Überleben der Katastrophe als unverdiente Rettung. Zugleich vermitteln sie über das Motiv der erneuerten Tafeln die hoffnungsvolle Gewissheit, dass bei Gott die Erneuerung Israels nach der Katastrophe beschlossen liegt. Mit der Lade in Dtn 10,1–5 und dem Klerus in 10,6–9 verbinden sie oder spätere Fortschreiber die Kalbepisode in Analogie zu Ex 25–31; 35–40 und in Aufnahme von Num 8; Lev 8; 16 mit dem Thema des Heiligtums und des Klerus. Der Stamm Levi wird als Garant der Zukunft Israels als Gottesvolk gezeichnet, wobei mit der Sukzession Aarons in 10,6 auf die besondere Bedeutung des hohepriesterlichen Dienstes am Versöhnungstag angespielt wird, um zu zeigen, wie sich die

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ursprungsgeschichtliche Erneuerung am Horeb in der Gegenwart eines sich weiterhin verschuldenden Gottesvolkes fortsetzt. So unterstreichen sie, dass Gott Maßnahmen für den Schutz und den Bestand der erneuerten Bundesbeziehung getroffen hat, und vermitteln so berechtigte Hoffnung auf eine kontinuierliche Fortexistenz als Jhwhs Volk. Für die Adressaten gilt es nun auf den trotz Israels Verfehlungen ungebrochenen Heilswillen Gottes zu antworten und die geschenkten Möglichkeiten der Erneuerung zu ergreifen. Wie diese Antwort auszusehen hat, wird den Adressaten im Buch Deuteronomium dargelegt. Sie sollen wie die Moabgeneration in den Moabbund eintreten und sich auf die Tora verpflichten. In der Welt der Erzählung ist damit unmittelbar die Überquerung des Jordan zur Landnahme verknüpft, da im Land der Moabbundesschluss seinen rituellen Abschluss finden wird, dort die Bestimmungen des Bundes in Kraft treten und sich die Verheißungen Gottes erfüllen sollen. Nachexilische Adressaten sollen Auftrag und Ermutigung zur Landnahme als Aufruf zur Heimkehr in das Land der Verheißung verstehen. Sie sollen sich analog zur Moabgeneration gegen alle äußeren und inneren Widerstände im Vertrauen auf Gott in Richtung Heimat begeben, um dort die von Jhwh grundgelegte Erneuerung zu realisieren und zu entfalten. Dabei sollen sie die Wende in der Geschichte nicht als Belohnung für ihre Bewährung interpretieren, um nicht jener Dynamik der Selbstüberhebung zu verfallen, an deren Ende wieder der Verlust des Landes stünde. In Dtn 9f. werden zentrale Themen des Buches Deuteronomium wie Israels Rebellionen, Bundesbruch, der Zorn Gottes und dessen Überwindung, Moses Vermittlung, Gehorsam, Erneuerung, Klerus und Landnahme gebündelt, ineinander verwoben und zueinander in Beziehung gesetzt. Dabei werden einige Aspekte intensiver als anderswo im Buch Deuteronomium beleuchtet. Darunter ist die Thematisierung der Jordanüberquerung hervorzuheben, die nur noch in Dtn 31,2–8 vergleichbar in den Vordergrund rückt. Während am Horeb die Weichen für ein zukünftiges Leben als Gottesvolk gelegt wurden, sollte dieses Leben im Land realisiert werden. Der Jordan aber ist die Schwelle, die innerhalb der Welt der Erzählung den Übertritt in die neue Phase der Realisierung des Bundes markiert. Diesem Schritt stellen sich die Anakiter, die Ängste der Moabgeneration und eine Geschichte des Scheiterns entgegen, die es zu überwinden gilt. Auf textexterner Kommunikationsebene wird die Jordanüberquerung derart zum Sinnbild für die Überwindung aller Hindernisse, die sich der Realisierung des Bundes und der göttlichen Verheißungen entgegenstellen. Eine weitere Besonderheit des Abschnitts ist die enge Zusammenführung der Horebrebellion mit weiteren Rebellionen Israels in der Wüstenzeit, die in den Büchern Exodus und Numeri überliefert sind. Dtn 9f. bietet derart eine gebündelte Interpretation der Rebellionsgeschichte der Wüstenzeit. Auf textexterner Kommunikationsebene wird hier eine Interpretation der Katastrophe der Zerstörung Jerusalems und der Zeit danach präsentiert. So deuten die nach dem Horeb einsetzenden Rebellionen auf äußere und innere Widerstände gegen eine Restauration Israels, die es in nachexilischer Zeit zu überwinden galt. Die textexterne Pragmatik der Rebellionserzählungen, die Dtn 9f. vor allem dem Buch Numeri entnommenen hat, gilt es weiter zu erforschen. Dtn 9f. könnte hierbei einer der Interpretationsschlüssel sein. In der jüngeren Interpretationsgeschichte wurde Dtn 9f. von mehreren Kommentatoren unter dem Stichwort einer alttestamentlichen Rechtfertigungslehre gedeutet. Demnach würde Mose dazu anleiten, die gelingende Landnahme als reines Gnadengeschenk für ein sündiges Volk zu verstehen. Nach vorliegender Studie sollte der Zusammenhang von göttlicher Gnade

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und menschlichem Handeln jedoch anders bestimmt werden. Mose interpretiert die Verschonung am Horeb zwar als Erfahrung unverdienter göttlicher Barmherzigkeit und Gnade und kontrastiert dies mit der durchgängigen Rebellion Israels. Allerdings lässt er menschliche Sünde und göttliche Gnade nicht als Gegensätze stehen. Er zeigt vielmehr, dass Gott einen ersten Schritt gesetzt hat, auf dem die Fortexistenz Israels als Jhwhs Volk und die bleibende Gültigkeit der Verheißungen gründen. Dies aber ruft nach einer Antwort auf Seiten der Adressaten. Sie sollen auf die unverdiente Zuwendung Gottes antworten, indem sie im Vertrauen auf Gott den Jordan überschreiten, um die Bundesbeziehung mit Jhwh jenseits des Jordan zu realisieren. Darüber hinaus bringt Dtn 9f. mit der Vermittlung Moses und der bleibenden Vermittlung durch den Klerus ein drittes Element ins Blickfeld. Demzufolge war Moses Einsatz entscheidend für die Überwindung der Horebkrise. Ähnlich bedeutsam sind die Dienste des Klerus dafür, dass Israel als Jhwhs Volk fortexistieren kann. Dtn 9f. ist so ein wichtiger Text, wenn es darum geht, das Zusammenspiel von göttlicher Gnade, menschlicher Antwort und menschlicher Vermittlung in der Hebräischen Bibel zu untersuchen. Dtn 9f. behandelt unter anderem die Frage, wie Schuld überwunden und Israel trotz aller Sünden als Gottesvolk fortexistieren kann. Wie wenige andere biblische Texte kombiniert der Abschnitt in Beantwortung dieser Frage mehrere Perspektiven. Ähnlich wie Ex 32–34; Dtn 4 und mehrere prophetische Texte deutet er auf die barmherzige und gnädige Nachsicht Gottes als innersten Grund für die Fortexistenz des Volkes. Wie weite Teile des Buches Deuteronomium und der davon beeinflussten Literatur drängt er auf eine innere Hinkehr zu Gott, die sich im Gehorsam gegenüber seinen Forderungen realisieren soll. Wie die Priesterschrift und Lev 16 verweist er über das Motiv der Lade auf das Heiligtum als rettenden Hafen einer gescheiterten Gottesbeziehung und auf die Dienste des Klerus als institutionalisiertes Mittel ständiger Erneuerung. Mit Moses Einsatz für Israel begegnet uns eine letzte Form der Heilsvermittlung. Seine Vermittlung wird in Dtn 9f. als Angelpunkt der Beziehung zwischen Jhwh und Israel gezeichnet. So wie Jhwh auf ihn am Horeb gehört hatte und Israel verschonte (9,19; 10,10), soll die Moabgeneration nun auf ihn hören (9,1). Am Horeb trat Mose für das Volk ein und vermochte das Heft umzudrehen, da alles verloren schien. Er erwies sich so nicht nur als entscheidende Vermittlergestalt für die Befreiung aus den Händen fremder Unterdrückung (Ex 1–15), sondern auch für die Abwendung der drohenden Vernichtung infolge der eigenen Verfehlungen (Ex 32–34; Dtn 9f.; 31–32; vgl. auch die anderen Fürbitten im Buch Numeri). Da in Dtn 9f. von keinerlei Umkehr oder Buße des Volkes die Rede ist, verstärkt sich in Dtn 9f. die Bedeutung von Moses Einsatz hin zum alleinigen Grund für Gottes Zurücknahme des Zornes sogar gegenüber der Schilderung in Ex 32–34. Es finden sich mehrere Anknüpfungspunkte zu anderen biblischen Gestalten. Ähnlich wie Noah begegnet uns in Mose eine Gestalt, die am Horeb im Unterschied zum Rest von der Schuld und so auch vom göttlichen Zorn ausgenommen war, auch wenn Moses anders geartete Schuld andernorts eine prominente Rolle spielt. Noah geht aus einer verdorbenen Welt als Retter seiner Familie, der Menschheit und der Arten hervor. Er rettet die Welt, indem er ihre Möglichkeiten für einen Neuanfang bewahrt. Mose wird ähnlich wie Noah angeboten, dass Gott aus ihm ein neues Volk erstehen lassen werde (Dtn 9,14). Jedoch schlägt er dieses Angebot aus, um das schuldige Volk zu retten. Er repräsentiert nicht nur den möglichen Anfangspunkt einer neuen und besseren Welt, sondern rettet ein schuldig gewordenes Volk. Er erscheint dabei als prototypischer Fürbitter in einer Linie mit Abraham (Gen 18) und als

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Vorbild für spätere Fürbitter wie Salomo (1 Kön 8) und andere Propheten. Sein existenzieller und stellvertretender Einsatz durch lange Phasen des Gebetes und Buße erinnert dabei an den Propheten Jeremia und an die Figur des Gottesknechtes in Jes 53. So zeichnet sich in Ex 32– 34 und Dtn 9f. die Konzeption ab, dass ein schuldig gewordenes Volk ohne Heiligtum und Opferdienst auf den Einsatz eines von der Schuld selbst ausgenommenen Vermittlers angewiesen ist. Dtn 9f. vermittelt eine wichtige Botschaft für all jene, die sich angesprochen wissen. Denn der Abschnitt erzählt davon, dass Gott unbeschadet aller Widerstände willens ist, seine Verheißungen an uns zu erfüllen. Seine Gnade geht uns voraus, jedoch nicht an uns vorbei. Vielmehr ruft sie nach einer Antwort. Diese Antwort umfasst innerhalb des Buches Deuteronomium zwei in der Welt der Erzählung unmittelbar miteinander verbundene Schritte. Die Adressaten sollen erstens werden, was sie von Gott her am Horeb bereits geworden sind, sein Bundesvolk, durch die Wahl des Lebens, die sich in der Zustimmung zum Bund verwirklicht. Zweitens sollen sie im Vertrauen auf Jhwh den Jordan überqueren und das von Gott verheißene Land einnehmen, um dort ein Leben nach der Tora zu realisieren. Auf textexterner Kommunikationsebene ist die Überquerung des Jordan ein symbolkräftiges Identifikationsbild für alle späteren Rezipienten. Auch sie befinden sich in einem Übergang, und zwar im Übergang vom Hören der Worte zu ihrer aktiven Aufnahme und Umsetzung durch ein Leben nach den Bestimmungen des Bundes. Wie die Moabgeneration werden sie angehalten, alle äußeren und inneren Hindernisse, die sich der Realisierung des Bundes entgegenstellen, zu überwinden. Im Vertrauen auf Gott und in der rechten demütigen Selbsteinschätzung sollen sie den Schritt über ihre jeweilige Schwelle in das von Gott verheißene Leben wagen.

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Bibelstellenindex

Gen 1,31 3 4,3 6,7 7,4 7,12 7,23 8,21 11,4 11,8 12,2 12,7 15 18,18 19,29 24,7 24,18 26,2–4 26,3 28,13 30,33 50,24 Ex 2,24 2,25 3,7 4,1 6,8 8,15 9,16 12,12 12,23 12,41 13,9 13,16 14,11–12 14,11–14 15,16 17,1-7 17,7 20,5 20,21

104 200 36, 101 215 98 98 105, 215 215 57 57 36, 105 74 35, 137, 187 105 140 74 107 74 74 74 68 74, 140 135, 140 135 135 131 140 99, 100 143 59, 192 59, 192 36 107 107 129, 142 89 59, 192 128, 129 37, 128 110 94

21,23 23,7 23,29–30 24,11 24,12 24,17 24,18 25-31 25-40 25,3 25,11 25,14 25,17 25,31 31,18 32 32–34

32,1 32,1–6 32,7 32,8 32,9 32,10 32,11 32,11–13 32,11–14 32,12 32,13 32,14 32,15 32,15–16 32,17–19 32,18 32,19 32,19–20 32,20 32,23 32,25–29 32,29

172 69 62 109 94, 95, 96, 171 60 94, 98, 170, 171 170, 171, 221, 222 221 171 171 159 171 171 95, 99, 171 19, 20, 109, 121, 122, 124, 152, 172, 175, 208, 209, 211, 218 1, 14, 85, 86, 121, 133, 152, 165, 169, 175, 179, 181, 197, 200, 209, 210, 218 109, 110 172 36, 210 102, 173 36, 76, 104 36, 105 38, 143, 173, 174 85, 115, 121, 174 85, 86, 115, 173, 174 141, 142, 174 140 85, 116 107, 170 172 173 96, 97 111, 173 110 20, 125, 197, 208, 212 109, 110, 132 158, 175, 176, 177, 178, 181 179

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Bibelstellenindex (Ex) 32,30 32,30–34 32,31 32,32 32,32–33 32,34 33-34 33,1 33,1–34,11 33,2 33,3 33,3-4 33,4 33,5 33,13 33,15 33,16 33,19 33,34–36 34 34,1–4 34,1–9 34,5–11 34,5–26 34,5–7 34,6 34,9 34,9–11 34,11 34,12–26 34,28 35–40 38 39,43 40,36 40,38 Lev 4,3 4,12 4,14 4,23 4,26 4,28 4,35 7,17 7,19 8 8,12 9,2 13–14

116 85, 86, 117, 175, 176 85 197 207 117, 165, 167, 179 60, 86, 176, 179, 180 40, 165, 166 179, 180, 182 62, 167 36, 180 180 197 36, 180 85, 86, 167, 174, 180 180 180 59, 180 177 85, 177, 200 177 85 190 177 177 85 18, 85, 175 86, 181, 182, 185 167 177 98 221 160 110 166 166 116 123 116 116 117 116 116, 117 123 123 152, 156, 158, 221, 228 152 123 104

245 16 16,16 16,29 16,30 16,32 16,34 21,10 25,32 25,33 25,34 26,40 26,41 26,42 Num 1,50 1,50–51 3 8 8,14 10,2 10,2–10 10,6 10,12 10,28 11,1 11,1–3 11,4–34 11,32 11,34 13-14 13,2 13,3 13,22 13,25 13,28 13,31 13,33 14,1 14,2 14,2–3 14,3 14,3–4 14,4 14,11 14,12 14,13–19 14,16 14,17 14,22 18 18,19

164 116 117 116 156, 223 116 152 163 163 163 145 145 140, 141, 145, 215 160 159 155, 158, 159, 160 158, 159, 221, 223, 228 158 166 166 166 166 166 60 128 129 37 37 55, 130, 131, 192, 224 130 130 57 98 57 142 57 128 128, 129, 130 131 131 128 131 130, 131 133 133 133, 141, 142 138, 143 127, 129, 131, 132 158, 159 163

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246 (Num) 18,20 18,20–24 18,21–24 20 20,1 20,12 20,1–13 Dtn 1 1–3 1–4 1–11 1–30 1–34 1,1-5 1,3 1,6 1,6–8 1,6–3,29 1,7–8 1,8 1,19–32 1,19–39 1,19–45 1,20 1,21 1,26 1,27 1,28 1,28–31 1,29–31 1,30 1,31 1,32 1,34 1,35 1,39 1,41 1,43 2–3 2,3 2,10 3,5 3,21–22 3,22 3,24 3,24–25 3,28

Bibelstellenindex 4 163 163 163 221 155 129, 130, 131, 155, 157 129 11, 52, 55, 63, 65, 130, 133, 183, 187, 192, 198, 215, 221, 224 23, 25, 28, 154, 183, 184 10 12, 22, 25, 28, 185 10, 23 6 22 12 190 28, 93, 167, 168, 224 22, 154 49 130, 140, 160 131 155 185 49 49, 130, 192 91, 130, 131 129, 131, 142 33, 56, 57, 58 51 192 59 90 130, 131, 183, 224 89, 119, 133 34 62 133 91, 130, 131 22, 28 167 57 57 183 59 38 139 202

4–11 4,1 4,1–40 4,3 4,4 4,9–20 4,10 4,11 4,12 4,13 4,15 4,15–18 4,16 4,20 4,23 4,24 4,25 4,25–26 4,25–27 4,25–28 4,25–31 4,26 4,27 4,29–31 4,30 4,31 4,32–39 4,32–40 4,34 4,37 4,39 4,44–5,1 5 5-11 5,1 5,3 5,5 5,7 5,8 5,9 5,22 5,23 5,23–31 5,25 5,31 5,33 6-11 6,3

20, 23, 25, 28, 184, 197, 206, 207, 215, 216, 217, 225 25, 28 48, 184 23 90, 93 135 93 100 60, 106 96, 100, 132 95, 147, 149 96, 100, 183 110 36, 102, 103 138 97, 103 60 20, 36, 102, 105, 117, 118, 120 105 120 206 145 208 20, 120 218 216, 217 20, 36, 144, 168 184 58 38 143 33 23 97 23, 25 24, 165 97 165 102 102, 103, 147 60, 102 94, 100 106 120 60 94 103 23 48

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Bibelstellenindex (Dtn) 6,4–5 6,8 6,16 6,17–19 6,18–19 6,25 7,5 7,7 7,7–8 7,8 7,17 7,17–21 7,21–24 7,22 7,25 8,3 8,6 8,7 8,7–20 8,18 8,20 9,1

9,1–3 9,1–6 9,1–24 9,2 9,3 9,4 9,4–24 9,4–5 9,4–6 9,5 9,6 9,7 9,7–10,11 9,7–17

247 9,7–24

33, 49, 53, 195 107 128, 129 69 49 68, 70 60, 124 72, 184 72 138, 142 144 51 62 33, 62 60, 124 98 103 75, 157 75 35 51 1, 9, 15, 21, 24, 26, 29, 33, 40, 46, 48, 49, 50, 51, 53, 54, 56, 57, 58, 60, 74, 166, 180, 224 21, 33, 48, 49, 50, 51, 58, 63, 183, 193, 219, 224, 227 9, 26, 29, 46, 60, 86, 167, 179, 180, 182, 185, 191, 202, 227 40 56 51, 57, 60, 61, 62, 167, 180, 185, 190 17, 21, 34, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 184 78 141 17, 21, 67, 68, 69, 70, 87, 180, 184, 224 34, 45, 73, 74, 140, 166 58, 75, 76, 202 8, 10, 11, 19, 21, 26, 35, 84, 89, 90, 91, 119, 139, 213, 217 8, 10, 11, 18, 19, 21, 26, 46, 80, 81, 82, 85, 86, 191, 192, 227 126

9,8 9,8–10,11 9,8–21 9,9 9,9–10 9,9–11 9,9–17 9,10 9,10–11 9,11 9,11–14 9,12 9,13 9,14 9,15 9,15–17 9,16 9,17 9,18 9,18–19 9,18–20 9,18–21 9,19 9,20 9,21 9,22 9,22–23 9,23 9,24 9,25 9,25–10,11 9,25–29 9,26 9,26–29 9,27 9,28 9,29

79, 80, 87, 88, 91, 92, 127, 132, 133, 153, 186, 213 16, 81, 89, 93, 113, 119, 133, 212, 219 16, 168 91, 102 80, 94, 95, 96, 97, 98, 116, 170, 171, 186 80, 82, 94, 123 116, 171 92, 115, 170, 173, 181 39, 95, 99, 100, 150, 171, 172 171 80 101 36, 102, 103, 108, 110, 112, 137, 139, 171 104 91, 105, 119, 133, 139, 172, 207, 208, 215 85, 106, 107, 115, 149, 172 106 36, 101, 110, 117, 172 91, 111, 112, 113, 114, 197, 210, 211, 212 36, 46, 80, 81, 86, 91, 92, 116, 117, 165, 173,176, 211, 212, 219 119, 120 85, 98, 115, 126, 165, 174, 175, 219 81, 92, 115 84, 85, 89, 120, 189, 208 121, 122, 123, 125, 153 20, 36, 37, 123, 125, 176, 208, 212 89, 128, 131 126, 198 130, 131, 132, 211 135 16, 40, 80, 135 16, 40, 80 80, 81, 84, 115, 174, 187 36, 133, 137, 139, 141, 143, 174, 176, 179, 214 86, 121, 133, 145, 174, 214 85, 140, 145, 175 141, 142, 144, 208, 215 143, 145, 174, 215

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248 (Dtn) 10 10,1 10,1–3 10,1–5 10,1–11 10,3 10,4 10,5 10,6 10,6–7 10,6–9 10,8 10,8–9 10,10 10,10–11 10,11 10,12 10,12–11,32 10,22 11,2 11,2–5 11,11 11,22 11,26 11,28 11,5 12–25 12–26 12,3 12,9 12,12 12,18 12,19 13,2 13,12 17,2 17,12 18,1 18,2 18,5 18,7 19,15 20,3 20,3–4 20,18 20,19 20,20

Bibelstellenindex

148, 150, 219, 221, 222, 223, 226 80, 84, 111, 124 177 84, 146, 148, 152, 153, 156, 160, 177, 221 21, 26, 80, 81, 166, 187 107 100 219 122, 123, 151, 154, 155, 156, 157, 159, 223 153, 155 81, 151, 152, 159, 164, 176, 178, 182, 205 39, 158, 159, 160, 161, 219 151, 152, 158, 163, 179 35, 80, 85, 90, 168, 215 164, 165, 166, 167, 168 101, 126, 167, 168 25, 79 25, 79 125 143, 154 143 76 103 53 103 90 22, 23, 24, 25 10, 94 60 219 163 163 163 101 48 117 161 159 159 161 161 37, 108, 116 53 51 90 102 90

21 21,5 21,18 21,20 24,17–18 25,1 25,19 26-34 26,5 26,18–19 27 27,12 27,15 28 28,63 29-30 29,5 29,11 29,12 29,13–14 29,19 29,22 29,23 29,27 30 30,1 30,1–10 30,3–5 30,6 31 31–32 31–34 31,4 31,9 31,10–13 31,12 31,25 31,26 31,27–29 31,29 32 32,5 32,33 32,50 32,50–51 32,51 33 33,9 34 34,9 34,12

39, 123, 124 39, 161 26 26 8 69 207 28, 235 33, 36 102 10 163 103 10, 11, 20, 132, 198, 206 208 10 98 194, 195, 201 140 98 208 20, 120, 208 208 114, 120, 208 3, 20, 99, 216 20, 208, 216 7, 20, 208, 217 132 217 20, 26, 51, 112, 135, 194, 202, 207 10, 29, 201, 208, 216 10 183 159 94 101 160 94, 98 20, 202 120 138, 203, 208 36 60 39, 154 157 129, 155 10, 109, 160 160 10, 11 12 198

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Bibelstellenindex Jos 1,8 1,18 3–4 3,1–4,14 3,3 3,6 3,8 3,14 3,17 5,6 7,6-9 7,7 7,9 8,33 13,14 13,33 14,1 14,12 Ri 6,22 11,39

131 131 149, 159, 160, 219, 225 195 160 160 160 160 160 132 214 137 214 159 163 163 155 57 137 36

1 Sam 12,14 12,15 12,16 25,12 30,12

131 131 36 35, 100 98

2 Sam 7 7,4–17 7,18 7,19 7,20 7,22 7,23–24 7,28 7,29 11,21 12,16–17 15,7 15,24 19,29

64, 138 64 137 137 137 137 138 137 137 113 116 36 160 68

1 Kön 8 8,2 8,3 8,3–4

99, 144, 151, 215, 219, 225 160 148 159, 219

249 8,5 8,6 8,7 8,9 8,11 8,32 8,42 8,51 8,53 8,56 9,7 11,6 11,9 11,13 11,30 11,31–39 11,32 11,34 11,36 12 12,26–30 13,2 13,8–19 13,21 13,26 14,9 14,10 14,16 14,22 14,27 15,29 15,30 16,13 16,19 17 19,8

148 99, 160, 219 148 95, 148, 219 161 68 38 137, 144, 214 137, 144, 214 219 113, 114 118 113, 210, 211 141 112, 113, 210, 211 64, 112 141 141 141 19, 208, 210, 232 209 118 98 131 131 118, 210, 211 213 118, 210 118, 209, 210 107 213 118 118, 210 118 101 98

2 Kön 8,18 8,19 8,27 10,24 11,18 13,23 14,27 16,3 16,7–9 17 17,2 17,7–20 17,11–20 17,14

118 140, 210 118 107 125 113, 140, 141, 210, 213 207, 210 73 224 113, 143, 209, 210, 211, 213 118 211 119 76, 210, 211, 213

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250

Bibelstellenindex

(2 Kön) 17,16 17,17 17,18 17,20 17,21 17,21–23 17,22 17,23 17,36 18,4 18,12 18,25 19,10–13 19,23 19,34 21 21,6 21,11–16 21,11–17 21,15 21,16 21,17 23,6 23,11 23,12 23,15 23,25–26 23,27 24,19 24,20 25 25,6–30 25,13

210, 211 119, 210, 211 113, 210, 211, 212 113, 211 117, 209 208 117 113, 114, 117 143 125 132 213 142 65 141 211, 212, 213 119, 210 118 119 91, 210 118, 209 118, 210 125 125 125 125 126 113, 114 118 113, 114, 210 114, 200, 210, 213 114 111, 114, 210, 212

Jes 1,26 5,23 7 7,1–4 9,17 10,16-17 10,24–25 10,33–34 26,11 27,9 28-31 36,14–20 37,35 40,2 42,17 47,6

218 68, 69 224 64 34 60 64 65 60, 61 124 65 142 141 116 103 119, 138

48,18 53 53,11 54,17 57,16 57,17 58,4 61,6

68 141, 198, 231 141 68 119 119 116 161

Jer 3,13 3,25 7,14–15 7,15 7,16 7,20 7,22 7,25 7,25–26 7,26 11,4 11,4–5 11,5 11,6 11,7–8 11,11–14 14,9 14,12 15,13 19 22,24 27,5 31,9 31,31–34 32,31 33,7 33,11 33,21 33,22 52,3 52,4–34 52,17

132 132 113, 114 91, 113, 210 91 120, 210 91 91, 210 210, 213 76, 91, 210 74 74 74 217 217 217 142 116 118 112, 114, 212 107 143 225 217 113, 114 218 218 161 161 113, 114 114 111, 114, 212

Ez 1,16 5,13 5,15 16,11 16,63 18,5–9 18,20 18,27

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6 120 120 107 117 68 34 34

Bibelstellenindex (Ez) 18,31 20,13 20,21 20,34 23,25 37,26–28 40,46 43,21 44 44,15

113 91 91 143, 145 60 99 39, 161 123 158, 160 161

Hos 8,14

60

Joel 1,9 1,13 2,17

161 161 137, 138, 141

Am 2,5

60

Mi 4,8 7,14 7,18–19 7,19 Nah 1,3 1,14

218 137, 138 125 116 143 103

Hab 2,18

103

Zef 3,2

132

Hag 2,3 2,9 2,20–23 Sach 1,2 1,15 4,6 5,8

218 218 64 119 119 64 34

251 Mal 1,4 Ps 2,6–9 8,4 18,21–25 24,5 25,18 28,9 65,4 78,8 78,17 78,19–20 78,22 78,38 78,40 79,9 85,3 105,42 106,24 106,25 106,33 115,2 147,17

34 64 99, 100 68 68 116 137, 138 117 91 91 142 130, 131 117 91 117 37, 116 140 130, 131 132 91 141 57

Ijob 27,6

68

Spr 27,4

57

Klgl 1,18 2,3 4,11 5,22

131 60 120 119

Dan 9,10 9,15 9,24

132 214 117

Esra 1,8 3,12 8,23 10,1 10,6

107 218 116 36 98

© 2021, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-11745-6 - ISBN E-Book: 978-3-447-39219-8

252 Neh 1,10 2,20 8–9 9,8 9,16 9,17 9,29 1 Chr 6,16 6,17 7,29 15,26 23,13 26,28 2 Chr 5,6 5,8 5,9

Bibelstellenindex

143, 144, 214 68 152 74 76 76 76 148 161 107 160 39, 158, 161, 162 107

5,10 5,14 6,23 7,20 12,10 26,11 26,13 29,11 30,8 32,13–14 33,19 34,10 34,4 34,7 36,13 Sir 45,15

148 148 148

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95, 148 161 68 113, 114 107 107 107 39, 161 76 142 37, 116 107 125 125 76 162

Autorenindex

Aberbach M. 19, 208, 232 Achenbach R. 14, 49, 85, 94, 101, 117, 122, 125, 126, 135, 160, 232, 235 Achtemeier E. 55, 232 Ackroyd P. 106, 139, 232 Adamzik K. 5, 232 Alonso Schökel L. 73, 232 Aristoteles 12, 232 Ashley T. R. 128, 129, 158, 163, 232 Assmann J. 8, 200, 232 Aurelius E. 15, 16, 17, 116, 120, 137, 140, 198, 200, 214, 232 Austin J. L. 4, 5, 6, 232 Barker P. A. 4, 16, 19, 40, 189, 191, 232 Becking B. 211, 232 Begg C. T. 20, 124, 125, 208, 209, 214, 232 Bergman J. 106, 139, 232 Berlejung A. 102, 232 Bertholet A. 34, 232 Blanco-Wißmann F. 206, 232 Blenkinsopp J. 92, 94, 175, 206, 232 Blum E. 151, 218, 233, 236, 238 Boorer S. 83, 130, 233 Bovati P. 46, 90, 92, 101, 105, 112, 115, 123, 124, 125, 233 Braulik G. 1, 8, 9, 17, 20, 23, 52, 53, 54, 58, 61, 69, 76, 78, 79, 94, 99, 102, 105, 106, 108, 110, 111, 117, 119, 120, 124, 126, 128, 130, 132, 133, 136, 137, 138, 143, 164, 189, 206, 219, 233 Brichto H. C. 101, 233 Buber M. 70, 233 Burney C. F. 219, 233 Carr D. M. 8, 233 Cassirer E. 86, 233 Cassuto U. 115, 234 Cazelles H. 138, 234 Childs B. S. 119, 124, 234 Cogan M. 211, 219, 234 Collinet B. 209, 212, 213, 234 Conrad J. 102, 234 Cotrozzi S. 104, 234

Cross F. M. 122, 234 Dahmen U. 21, 39, 151, 153, 155, 159, 160, 161, 162, 163, 234 Daube D. 138, 141, 234 Day J. 222, 234 Deissler A. 134, 234 Delattre A. 64, 234 DeRouchie J. S. 4, 18, 24, 25, 41, 80, 183, 234, 237 Dillmann A. 151, 234 Dogniez C. 33, 234 Dohmen C. 86, 97, 103, 105, 109, 172, 173, 177, 192, 222, 234 Driver S. R. 33, 116, 121, 151, 234 Drucker R. 160, 234 Dubovský P. 211, 213, 234, 235, 239, 240 Dyck J. W. 33, 234 Ehlich K. 4, 234, 235 Ehrenreich E. 3, 4, 5, 71, 132, 205, 207, 215, 216, 217, 218, 235 Ehrlich K. 34, 62, 235 Eißfeldt O. 137, 234 Engelken K. 161, 235 Feuer A. C. 18, 29, 30, 31, 33, 35, 37, 46, 47, 51, 59, 60, 61, 73, 96, 100, 106, 123, 124, 125, 128, 130, 150, 170, 180, 183, 190, 192, 197, 225, 235 Fieger M. 54, 55, 235 Finsterbusch K. 4, 17, 19, 40, 41, 93, 112, 142, 150, 235 Fischer G. 13, 57, 59, 91, 96, 102, 140, 148, 177, 178, 203, 206, 209, 213, 217, 235, 239, 241, 243 Frankel G. 124, 235 Frankena R. 96, 235 Franz M. 15, 180, 198, 200, 233, 235 Gammie J. G. 69, 235 Garcia-Lopez F. 93, 235 Geiger A. 37, 235 Genette G. 11, 43, 189, 190, 192, 235 Gertz J. C. 19, 86, 111, 235 Goldschmidt L. 111, 127, 199, 235

© 2021, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-11745-6 - ISBN E-Book: 978-3-447-39219-8

Autorenindex

254 Goldwurm H. 117, 241 Gomes de Araújo R. 16, 34, 40, 58, 89, 98, 73, 235 Grabbe L. L. 152, 235 Greenberg M. 136, 143, 235 Groß W. 138, 236 Halbe J. 49, 236 Hamp V. 60, 236 Hardmeier C. 1, 4, 5, 7, 8, 9, 17, 18, 19, 21, 23, 25, 40, 41, 49, 50, 58, 75, 167, 168, 183, 185, 186, 191, 196, 199, 200, 209, 224, 236 Harl M. 33, 234 Hayes C. E. 14, 117, 122, 141, 155, 169, 172, 173, 175, 179, 236 Heckl R. 19, 236 Hempel J. 15, 236 Hieke T. 152, 156, 161, 162, 236 Hilber J. W. 64, 236 Ho A. 68, 73, 236 Hoffmann H.-D. 126, 209, 236 Hossfeld F.-L. 94, 234, 235, 236 Hwang J. 18, 169, 181, 237 Ibn Ezra 21, 165, 240 Janowski B. 69, 237 Janzen J. G. 109, 237 Jenson P. P. 152, 237 Jepsen A. 68, 237 Jeremias J. 211, 237, 239 Johnson B. 68, 237 Joüon P. 48, 52, 237 Kapelrud A. S. 95, 237 Karimundackal T. 4, 25, 79, 237 Karrer M. 36, 37, 39, 235, 237 Kedar-Kopfstein B. 131, 237 Knipping B. 111, 237 Knoppers G. N. 122, 124, 219, 237 Koch K. 108, 237 Konkel M. 105, 116, 237 Kottsieper I. 74, 237 Kraljic A. 7, 69, 237 Kraus W. 36, 37, 39, 237 Krause J. 12, 13, 69, 237 Kreuch J. 65, 237 Kreuzer S. 38, 139, 143, 237 Krupp M. 114, 238 Lang B. 117, 238 Lausberg H. 12, 238 Leibowitz N. 111, 128, 238 Lenchak T. A. 3, 11, 12, 55, 238 Levin C. 8, 238 Lipiński E. 137, 238

Liverani M. 64, 65, 225, 238 Loewenstamm S. E. 124, 238 Lohfink N. 1, 3, 4, 8, 10, 15, 16, 17, 21, 23, 34, 40, 49, 52, 67, 68, 69, 72, 73, 74, 78, 80, 85, 87, 88, 89, 92, 93, 100, 114, 115, 118, 127, 128, 145, 165, 166, 189, 198, 202, 213, 214, 221, 238, 239, 243 Lundbom J. R. 26, 100, 116, 148, 239 MacDonald N. 122, 200, 239 Maimonides 68, 239 Markl D. 15, 3, 4, 5, 7, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 20, 22, 23, 51, 56, 59, 60, 63, 93, 96, 97, 98, 99, 100, 102, 110, 120, 148, 149, 151, 160, 172, 177, 178, 185, 195, 198, 199, 200, 201, 202, 203, 204, 206, 209, 218, 220, 221, 223, 234, 235, 238, 239, 240, 241, 242 Mayes A. D. 112, 159, 239 McCarthy D. 89, 93, 239 McConville J. G. 219, 239 Meek R. L. 12, 239 Mendenhall G. 96, 239 Milgrom J. 159, 239 Miller P. D. 109, 234, 239 Minette de Tilesse G. 15, 239 Muilenburg J. 11, 239 Müller H. P. 8, 100, 232, 239 Muraoka T. 48, 52, 59, 237, 239 Nelson R. D. 69, 102, 104, 239 Nissinen M. 65, 233, 239 O´Connell R. H. 4, 18, 40, 81, 191, 239 Oded B. 61, 64, 69, 240 Olbrechts-Tyteca L. 11, 241 Or Hachaim 53, 58, 72, 123, 236 Otto E. 1, 2, 3, 4, 5, 7, 15, 18, 19, 20, 21, 23, 24, 28, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 42, 43, 51, 53, 56, 57, 60, 61, 62, 64, 65, 69, 70, 77, 82, 84, 86, 90, 95, 96, 102, 103, 106, 110, 114, 115, 117, 122, 124, 126, 129, 130, 136, 140, 145, 147, 148, 149, 154, 155, 156, 157, 159, 160, 164, 166, 167, 168, 175, 177, 184, 189, 190, 194, 198, 200, 203, 207, 209, 212, 215, 218, 220, 221, 223, 224, 235, 240 Otzen B. 158, 240 Paganini S. 58, 69, 70, 98, 106, 111, 113, 120, 139, 146, 150, 157, 235, 239, 240, 242 Papola G. 93, 124, 240 Parpola S. 64, 240 Peckham B. 93, 102, 108, 121, 122, 147, 148, 166, 175, 177, 240

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Autorenindex Pelcovitz R. 147, 240 Perelman C. 11, 241 Perlitt L. 20, 93, 95, 153, 238, 241 Pfister M. 12, 13, 241 Polzin R. 3, 151, 195, 241 Postgate J. N. 95, 241 Preuß H. D. 68, 241 Pupko Y. H. 46, 97, 99, 111, 112, 197, 241 Puuko A. F. 15, 241 Rad G. von 5, 49, 51, 148, 241 Ramban 5, 34, 48, 53, 57, 61, 70, 72, 73, 85, 109, 112, 115, 128, 135, 165, 197, 232, 237 Raschi 5, 34, 71, 236 Reiterer F. V. 162, 241 Ricouer P. 8, 199, 241 Riesener I. 140, 241 Ringgren H. 73, 109, 161, 241 Römer T. 34, 74, 138, 219, 241 Rorty R. 4, 241 Rosenzweig F. 70, 233 Rüsen J. 8, 190, 191, 241 Schäfer-Lichtenberger C. 59, 241 Scharbert J. 161, 241 Schenker A. 217, 233, 241 Schmid H. H. 68, 241 Schmitt H.-C. 131, 134, 241 Schmitt R. 49, 241 Schulmeister I. 141, 143, 144, 145, 214, 215, 241 Schwienhorst-Schönberger L. 90, 240, 242 Searle J. R. 4, 242 Seebaß H. 52, 242 Seitz G. 14, 15, 101, 242 Sherman N. 117, 242 Ska J. L. 4, 11, 83, 191, 219, 242 Skweres D. F. 62, 74, 163, 242 Smolar L. 19, 208, 232 Soden W. von 106, 139, 232 Sonnet J.-P. 3, 5, 6, 7, 9, 12, 20, 43, 44, 94, 96, 97, 99, 100, 120, 147, 148, 149, 150, 195, 201, 202, 206, 234, 235, 238, 239, 242 Sorotzkin Z. 107, 140, 149, 242 Starke F. 96, 242 Steen P. 6, 242

255 Sternberg M. 104, 242 Stoppel H. 4, 14, 15, 16, 18, 19, 27, 36, 40, 42, 74, 80, 81, 85, 86, 94, 98, 100, 102, 104, 111, 118, 121, 125, 128, 135, 136, 139, 140, 147, 152, 183, 187, 190, 198, 208, 209, 215, 219, 242 Tadmor H. 211, 234 Talstra E. 4, 14, 15, 16, 33, 40, 59, 88, 169, 194, 234, 242 Taschner J. 4, 16, 18, 112, 127, 130, 134, 167, 179, 190, 192, 203, 242 Thiel W. 113, 237, 242 Tigay J. H. 16, 24, 40, 70, 75, 79, 80, 85, 90, 95, 98, 105, 106, 111, 116, 121, 123, 135, 136, 140, 158, 242 Tov E. 34, 35, 38, 242 Valentin H. 121, 122, 242 Veijola T. 15, 49, 109, 111, 151, 233, 242 Venema G. J. 4, 14, 40, 102, 243 Vermeylen J. 14, 214, 243 Vito R. A. di 139, 143, 174, 243 Wagner S. 61, 243 Watts J. W. 19, 243 Weinfeld M. 16, 34, 37, 39, 40, 49, 54, 57, 62, 69, 72, 76, 85, 88, 90, 94, 99, 100, 101, 103, 104, 106, 109, 111, 121, 126, 130, 136, 139, 140, 143, 148, 154, 157, 161, 179, 243 Weinreb F. 111, 114, 243 Weippert M. 61, 64, 243 Weissert M. 65, 243 Westermann C. 141, 243 Wevers J. W. 33, 35, 36, 39, 243 Widengren G. 97, 243 Wilson I. 21, 243 Winko S. 5, 243 Wright G. E. 159, 243 Wuellner J. 11, 243 Wyschogrod M. 99, 243 Zanella F. 68, 243 Zeillinger P. 8, 243 Zenger E. 187, 200, 209, 218, 233, 234, 240, 243 Zipor M. 4, 14, 17, 20, 26, 40, 41, 80, 82, 92, 114, 120, 156, 189, 206, 243

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