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German Pages 309 Year 1993
RALF-MICHAEL POLOMSKI
Der automatisierte Verwaltungsakt
Schriften zum Recht des Informationsverkehrs und der Informationstechnik Herausgegeben von Prof. Dr. Horst Ehmann und Prof. Dr. Rainer Pitschas
Band 4
Der automatisierte Verwaltungsakt Die Verwaltung an der Schwelle von der Automation zur Informationsund Kommunikationstechnik
Von
Ralf-Michael Polomski
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Polomski, Ralf-Michael: Der automatisierte Verwaltungsakt : Die Verwaltung an der Schwelle von der Automation zur Informations- und Kommunikationstechnik / von Ralf-Michael Polomski. Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Schriften zum Recht des Informationsverkehrs und der Informationstechnik ; Bd. 4) Zugl.: Göttingen, Univ., Diss., 1992 ISBN 3-428-07651-6 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0940-1172 ISBN 3-428-07651-6
Meinen Eltern Gerda und Paul Polomski
Vorwort Wohl kaum eine Entwicklung hat den Verwaltungsalltag so sehr verändert wie die Einführung des Computers. Mit rasanter Geschwindigkeit hat er nahezu jeden Arbeitsplatz in der Verwaltung erobert. Ein Ende dieser Entwicklung ist noch nicht abzusehen. Unter diesen Umständen fällt es schwer, mehr als nur eine Momentaufnahme zu erstellen. Das vorliegende Werk will dennoch den Versuch wagen, juristische Aussagen über den Computereinsatz in der Verwaltung zu gewinnen, die auch noch unter Berücksichtigung des heute bereits absehbaren technischen Fortschritts ihre fortgehende Berechtigung haben. Die nachfolgende Untersuchung ist im Sommersemester 1992 von der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität zu Göttingen als Dissertation angenommen worden. Rechtsprechung und Literatur konnten bis Februar 1992 berücksichtigt werden. Angeregt und engagiert betreut wurde die Arbeit von Herrn Prof. Dr. Gilbert H. Gomig, dem ich an dieser Stelle meinen tiefempfundenen Dank aussprechen möchte. Seine hilfreiche Förderung dieser Untersuchung war während der gesamten Zeit ihrer Erstellung in fachlicher wie menschlicher Hinsicht vorbildlich. Mein Dank gilt ferner Herrn Prof. Dr. Andreas Sattler, der die Arbeit als Zweitkorrektor betreute. Bedanken möchte ich mich aber auch bei meiner Verlobten Carola Hartmann für ihre tatkräftige Mithilfe bei der Fertigstellung des Manuskriptes. Für die Aufnahme der Arbeit in diese Schriftenreihe danke ich Herrn Prof. Dr. Horst Ehmann, Herrn Prof. Dr. Rainer Pitschas sowie dem Verlag Duncker & Humblot GmbH.
Ilsede, im Januar 1993
Ralf-Michael Polomski
Inhaltsverzeichnis Erster Teil
Einführung 1. Abschnitt:
in die Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
19
A. Die Automation der Verwaltungstätigkeit in der Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . ..
22
I.
Der Begriff der Automation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
D.
Die Automatisierung der Verwaltungstätigkeit ....... : . . . . . . . . . . . . .
24
~
m. Gegenwärtiger Stand der Verwaltungsautomation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1. ~briicken vom Ziel einer integrierten Datenverarbeitung . . . . . . . . . . .. 2. Ubergang zu dezentraler Datenverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
27 30
B. Kennzeichen des Übergangs zur Informations- und Kommunikationstechnik ......
32
C. Das künftige Verhältnis von Automation und Informations- und Kommunikationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
2. Abschnitt: Ziele und Gefahren der TechnikunterstützuDg der Verwaltung. . . . . ..
38
A. Ziele der Einfiihrung der Technik in die Verwaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
38
I.
Verwaltungsinterne Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verbesserungen fiir die Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Finanzielle Aspekte der Verwaltungsautomation . . . . . . . . . . . . . . . . .
38 38 39
D.
Ziele der Automation mit Bezug auf den Bürger. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Qualitätssteigerung der Verwaltungsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. V~rbesserungen des Informationsaustausches zwischen Verwaltung und Burger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41 41
B. Gefahren der Verwaltungsautomation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
I.
Verwaltungsinterne Gefahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Verzerrungseffekte der Aufgabenerfiillung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Die Automationsspirale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Verstärkung der Abhängigkeit vom Computer. . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Nachteile fiir das Verwaltungspersonal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45 45 46 47 48
D.
Gefahren fiir den Bürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verlagerung von Verwaltungsaufwand auf den Bürger . . . . . . . . . . . . . 2. Vermeintliche Objektivität des Computers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Veränderungen der Fehlerart und -häufigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49 49 50 52
44
Inhaltsverzeichnis
10
3. Abschnitt: Die technischen Grenzen der Automatisierung
53
A. Technische Schwierigkeiten bei der Programmierung von Tatbestandsmerkmalen und Nonnkonstruktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
53
I.
Einsatz zur Sachverhaltsennittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
11.
Einsatz zur Subsumtion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bestimmter Rechtsbegriff; strikter Rechtssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unbestimmte Rechtsbegriffe, Beurteilungsspielraum und Ennessen . . . . .. 3. Weitere Schwierigkeiten bei der Programmierung von Rechtsnonnen ....
55 55 56 59
B. Die Eignung des Rechts als Begrenzungsfaktor fiir technische Entwicklungen .....
59
4. Abschnitt: Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
63
s.
65
Abschnitt: Abgrenzung des Themas Zweiter Teil
Hauptteil 1. Abschnitt: Der automatisierte Bescheid als Verwaltungsakt
68
A. Der Begriff des automatisierten Verwaltungsaktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
68
I.
Der Begriff des Verwaltungsaktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Entwicklung........................................ 2. Das heutige Verständnis von einem Verwaltungsakt . . . . . . . . . . . . . ..
68 69 70
U.
Der Begriff des automatisierten Verwaltungsaktes . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
72
B. Subsumierbarkeit unter § 35 S. I VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
Der Streit um die Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die These Kar! Zeidlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Ablehnung einer Trennung von Verwaltungshandlung und Verwaltungsfabrikat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Ableitung aus dem VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Steuerung durch das Programm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zurechenbarkeit zur Behörde. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
74 74
Zwischenergebnis.......................................
81
C. Neue Aspekte durch die Entwicklung juristischer Expertensysteme . . . . . . . . . . ..
82
Funktion und Entwicklungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
I.
11.
I.
76 77 78 79
U.
Einsatzfonnen juristischer Expertensysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
84
m.
Vereinbarkeit mit § 35 S. I VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Positive Regelung durch das VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Steuerung durch das Programm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Zurechenbarkeit zur Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85 85 87 88
D. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
Inhaltsveneichnis
2. Abschnitt: Die Vereinbarkeit des automatisierten Verwaltungsaktes mit dem Grundgesetz ....................................... A. Die Vereinbarkeit mit dem Rechtsstaatsprinzip
........................
11 92 92
I.
Die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 93 I. Der Vorrang des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ., 93 2. Der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 95 a) Anwendung auf die ~utomation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 95 b) Anwendung auf den Ubergang zur Informations- und Kommunikationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 3. Die Gesetzmäßigkeit des Einsatzes von Expertensystemen zur Erstellung von Verwaltungsakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 a) Die Kontrollmöglichkeit als Voraussetzung der Gesetzmäßigkeit. . . .. 99 b) Die Doppelbindung an "Gesetz und Recht" . . . . . . . . . . . . . . . .. 100 c) Gleichwertigkeit des Verfahrens für den Betroffenen . . . . . . . . . .. 100 d) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
U.
Das Verhältnismäßigkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Verhältnismäßigkeit des automatisierten Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnismäßigkeit der einzelnen Verfügung . . . . . . . . . . . . . . . . ..
102 103 104
B. Vereinbarkeit ~e~ a.utomatisierten Verwaltungsaktes mit anderen Verfassungspnnzlplen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
104
C. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
105
3. Abschnitt: Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten Verwaltungsaktes ....
107
A. Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten Verwaltungsaktes nach dem VwVfG.
107
I.
Die Nichtförmlichkeit des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
107
U.
Die Befangenheitsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anwendbarkeit in einem automatisierten Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 2. Der betroffene Personenkrcis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
109 109 110
UI.
Die Amtsermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I . Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die möglichen Fehlerquellen bei der Amtsermittlung . . . . . . . . . . . . . a) Die Beschränkung der Amtsermittlung durch eine Formularbindung . aa) Zulässigkeit einer Benutzungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Grenzen der Benutzungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (a) Bestimmung des Maßstabes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Fallgrupen für die Unzulässigkeit einer Formularverwendung b) Die Standardisierung der Amtsermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Zulässigkeit einer Standardisierung in einem automatisierten Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (a) Die vertretenen Ansichten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (b) Entscheidung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Zusammenfassung...................................
112 112 115 115 116 117 117 118 120 120
Die Anhörung der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Bedeutung der Anhörung für das Verwaltungsverfahren . . . . . . . .. 2. Die Regelung der Anhörung bei einer automatisierten Verfügung. . . . .. a) Vergleichbare Bestimmungen in AO 1977 und SGB-X . . . . . . . . .. b) Der Begriff der "automatischen Einrichtungen" iSd. § 28 U Nr. 4 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Verfassungsmäßigkeit des § 28 U Nr. 4 VwVfG . . . . . . . . . . . . . a) Das Verhältnis zwischen Bestimmungen des VwVfG und dem Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
128 128 130 130
IV.
121 122 124 126
131 133 133
12
Inhaltsverzeichnis b) Prüfung der Verfassungsmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
135 139
V.
Die Formvorschriften bei einem schriftlichen Verwaltungsakt . . . . . . . . . . 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Ausnahmevorschrift des § 37 IV 1 Vwvro . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Vergleichbare Vorschriften in AO 1977 und SGB-X . . . . . . . . . . . b) Die Angabe der Erlaßbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Verfassungsmäßigkeit des § 37 IV 1 Vwvro . . . . . . . . . . . .. aa) Vorbehaltslose Billigung dieser Norm. . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Erfordernis einer Namenswiedergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Erfordernis einer eigenhändigen Unterschrift . . . . . . . . . . . . . dd) Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Wirkung eines Vermerks über die Art der Erstellung. . . . . . . . . ..
140 140 142 142 142 144 144 146 147 148 151
VI.
Die Zulässigkeit der Verwendung von Schlüsselzeichen . . . . . . . . . . . . .. 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die fortlaufende Berechtigung der Verwendung von Schlüsselzeichen . .. 3. Probleme der Verständlichkeit von Schlüsselzeichen . . . . . . . . . . . . .. a) Der maßgebliche Empfängerhorizont . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Die Heranziehung Dritter zur Entschlüsselung . . . . . . . . . . . . . .. c) Die Zulässigkeit eines Verweises auf frühere Erläuterungen ...... 4. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
153 153 154 156 156 158 158 159
VII. Die Begründung des Verwaltungsaktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Ausnahmevorschrift des § 39 11 Nr. 3 Vwvro . . . . . . . . . . . . . . a) Vergleichbare Vorschriften in AO 1977 und SGB-X . . . . . . . . . . . b) Die Verfassungsmäßigkeit des § 39 11 Nr. 3 Vwvro . . . . . . . . . .. aa) Die vertretenen Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
160 160 161 162 162 162 164
B. Besonderheiten bei speziellen Formen des automatisierten Verwaltungsaktes .....
167
I.
Der automatisierte Bußgeldbescheid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Zulässigkeit eines automatisierten Bußgeldbescheides . . . . . . . . . . 3. Besonderheiten des automatisierten Bußgeldverfahrens . . . . . . . . . . . .
167 167 168 169
11.
Die Zusicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
171
4. Abschnitt: Die elektronische Bekanntgabe des automatisierten Verwaltungsaktes .
172
A. Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
172
B. Die neuen lnformations- und Kommunikationstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . ..
175
I.
Teletex
175
D.
Telefax
175
ID.
Bildschirmtext................................ . .......
176
IV.
Sonstige neue Kommunikationsdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
177
C. Die Zulässigkeit einer elektronischen Bekanntgabe des automatisierten Verwaltungsaktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
178
I.
Die Zulässigkeit bei formfreien Verwaltungsakten . . . . . . . . . . . . . . . . ..
178
11.
Die Zulässigkeit bei schriftlichen Verwaltungsakten . . . . . . . . . . . . . . . ..
178
Inhaltsveneichnis
UI.
Die Zulässigkeit bei einem Urkunds-Verwaltungsakt
D. Die Zulässigkeit einer elektronischen Zustellung des Verwaltungsaktes . . . . . . . .
13 182 183
I.
Arten der Zustellung nach dem VwZG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
183
11.
Vereinbarkeit einer elektronischen Zustellung mit den Anforderungen des VwZG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Vereinbarkeit mit § 2 1 1 VwZG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Vereinbarkeit mit den §§ 3 ff. VwZG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
183 183 185
111.
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
187
E. Sonstige Probleme der elektronischen Übermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
188
Die elektronische Übermittlung manuell erstellter Bescheide . . . . . . . . . . .
188
11.
Erweiterung der Einsatzmöglichkeiten durch eine Einigung der Beteiligten ..
190
III.
Der Einsatz von Geräten Dritter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
191
IV.
Der maßgebliche Zeitpunkt für den Zugang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
192
I.
s.
Abschnitt: Wirksamkeit, Berichtigung und Aufhebung des automatisierten Verwaltungsaktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 193
A. Die Wirksamkeit des automatisierten Verwaltungsaktes . . . . . . . . . . . . . . . . . .
193
I.
Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
193
11.
Die Nichtigkeit eines automatisierten Verwaltungsaktes . . . . . . . . . . . . . . I. Die Nichtigkeit des Verwaltungsaktes wegen Begriindungsmängeln .... 2. Die Nichtigkeit von Signalen einer defekten Ampel . . . . . . . . . . . . . .
194 195 196
III.
Besonderheiten der Bekanntgabe von automatisierten Verwaltungsakten .... 1. Die Notwendigkeit eines Bekanntgabewillens der Behörde . . . . . . . . .. a) Der Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Auswirkungen auf den automatisierten Verwaltungsakt . . . . . . . . .. 2. Auswirkungen der Verständlichkeit auf die Bekanntgabe . . . . . . . . . . .
197 197 197 198 200
IV.
Generelle Bedenken gegen eine Wirksamkeit des automatisierten Verwaltungsaktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
202
V.
Formelle und materielle Bestandskraft bei automatisierten Verwaltungsakten .
203
B. Die Berichtigung des automatisierten Verwaltungsaktes . . . . . . . . . . . . . . . . . .
205
I.
Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
205
11.
Denkbare Fehlerquellen in einem automatisierten Verfahren . . . . . . . . . . .
206
111.
Das Erfordernis einer "offenbaren Unrichtigkeit" . . . . . . . . . . . . . . . . . .
207
IV.
Die berichtigungsflihigen Fehlergruppen bei einem automatisierten Verwaltungsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Fehler bei der Festsetzung der Eingabedaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedienungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Programmierungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Maschinenfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
210 210 210 212 213
V.
Resümee...........................................
214
14
Inhaltsverzeichnis
C. Die Rücknahme und der Widerruf von automatisierten VelWaltungsakten . . . . . .. I. Der vorläufige automatisierte VelWaltungsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Die Auslegung einzelner Widerrufsgründe bei einem automatisierten VelWaltungsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Der Widerrufsvorbehalt nach §§ 49 11 Nr. 1,3611 Nr. 3 VwVfG ..... 2. Der Widerruf wegen geänderter Rechtsvorschriften nach § 49 11 Nr.4 VwVfG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Die Rechtsnatur von Computerprogramillen . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einstufung als VelWaltungsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einstufung als Rechtsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. cc) Die weiteren Ansichten zur Rechtsnatur des Computerprogramms b) Folgen fiir einen Widerruf nach § 49 11 Nr. 4 VwVfG . . . . . . . . .. 111.
214 215 216 216 217 218 218 218 219 221
Sonstige Besonderheiten bei der Aufhebung des automatisierten VelWaltungsaktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 1. Die Herabsenkung des Vertrauensschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 221 2. Kenntnis der Behörde vom Vorliegen der Rücknahme- beziehungsweise Widerrufsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 222
D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6. Abschnitt: Die KontroDe des automatisierten Verwaltungsaktes
223 225
A. Die velWaltungsinteme Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
225
I.
Die Kontrolle von Amts wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Veränderungen des Prüfungszeitpunkts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Veränderungen des Prüfungsinhalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Veränderungen in der Organisation der Prüfungsinstanzen . . . . . . . . ..
225 225 226 226
11.
Das Widerspruchsverfahren bei einem automatisierten VelWaltungsakt . . . .. 1 . Einfiihrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Fehlerquote bei automatisierten VelWaltungsakten . . . . . . . . . . . . 3. Folgen fiir das Widerspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der automatisierte Widerspruchsbescheid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 5. Verbesserungsmöglichkeiten fiir das Widerspruchsverfahren gegen automatisierte Bescheide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . , a) Kommunikative Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Zwingende Umsetzung der Ergebnisse des Widerspruchsverfahrens i.!1 das Ausgangsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Anderungen der Kostentragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zulässigkeit einer reformatio in peius im Widerspruchsverfahren
227 227 228 229 231
B. Die gerichtliche Kontrolle des automatisierten VelWaltungsaktes
.........
233 233 234 234 235 236
I.
Einfiihrung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
236
11.
Auswirkungen der automatisierten Erstellung auf die Gerichtskontrolle . . . ..
237
111.
Vorschläge zur Verbesserung der Gerichtskontrolle bei automatisierten VelWaltung!akten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Uberprüfung der Detenninanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die gerichtliche Kontrolle der Ausgangsdaten . . . . . . . . . . . . . . . b) Die gerichtliche Kontrolle des Computerprogramms . . . . . . . . . . . aa) Gerichtliche Kontrolle des Computerprogramms bei ausdrücklichem Erlaß als Gesetz, Satzung oder Rechtsverordnung . . . . . . . . . . bb) Gerichtliche Kontrolle des Computerprogramms im Regelfall ... cc) Die Einfiihrung einer Kontrolle des Computerprogramms ..... (a) Die Argumente der BefiilWorter . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (b) Bedenken gegen eine gerichtliche Kontrolle des Programms .. (c) Resümee. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Stärkung der Stellung des Bürgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
238 238 238 239 239 240 241 241 243 246 246
Inhaltsverzeichnis 3. Korrekturen der Beweislaslverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beweislastumkehr zugunsten des Bürgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Annahme einer schuldhaften Vereitelung der Beweisführung . . . . .. 4. Spezialisierung der Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 5. Einführung neuer Kontrollformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IV. Resümee
15 248 248 250 251 252 253
Dritter Teil
Schlußteil 1. Abschnitt: Die Verpflichtung der Verwaltung zum Einsatz der EDV
256
A. Die Verpflichtung der Verwaltung zur Benutzung vorhandener Geräte
256
I.
Die Benutzung von Dokumentationssystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
256
U.
Die Verpflichtung zur automatisierten Erstellung von Verwaltungsakten . . ..
257
B. Die Verpflichtung der Verwaltung zu Neuanschaffungen . . . . . . . . . . . . . . . . .
258
I.
Verpflichtung aus haushaltsrechtlichen Gesichtspunkten . . . . . . . . . . . . . .
258
11.
Verpflichtung der Verwaltung aus anderen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . .
258
2. Abschnitt: Das Ausmaß der zu erwartenden Ändenmgen bei einem Übergang zur Informations- und Kommunikationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . ..
260
A. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
260
B. Verwaltungsreform durch die Informations- und Kommunikationstechnik . . . . . ..
264
3. Abschnitt:
Verbessenmgen für den automatisierten Verwaltungsakt bei diesem Ubergang .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .... 266
Möglich~
A. Verbesserungen im Verhältnis zum Bürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
266
I.
Stärkung der Stellung des Bürgers im Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . .
266
II.
Verbesserungen der Gestaltung des Bescheides . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
269
B. Organisatorische Verbesserungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
270
C. Vermeidung einer "Doppeltechnik"
271
D. Abstufungen der Automationsintensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
272
E. Notwendigkeit eines neuen VwVfG für die Erfassung der Informations- und Kommunikationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
273
4. Abschnitt: Zusammenfassung - Thesen
275
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
292
Abkürzungsverzeichnis AcP ADV AFG AG AGB A1lg. VwR AO AöR BayVbl. BayVGH BB BDSG BfA BFH BFHE BGHZ BSG BT BT-DS
BTX
BVerfOE BVerwGE BWVPr. CR DB DIN Diss. jur. Diss. rer. publ. Diss. wiwi. u. sozial. DÖV DRiZ DStR DV DVBI. DVR EDV EFG EGGVG FAG FG FR
Fmr.
FS GVG HessDSG hrsg.
rr
ISDN JA Jhrb. JR
Archiv fiir die civilistische Praxis Automatische Datenverarbeitung Arbeitsförderungsgesetz Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen Allgemeines Verwaltungsrecht Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Bayrische Verwaltungsblätter Bayrischer Verwaltungsgerichtshof Betriebs-Berater Bundesdatenschutzgesetz Bundesversicherungsanstalt fiir Angestellte Bundesfinanzhof Entscheidungen des Bundesfinanzhofes Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bundessozialgesetz Bundestag Bundestags-Drucksache Bildschirmtext Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Baden-Württembergische Verwaltungspraxis Computer und Recht Der Betrieb Deutsche Industrienorm Juristische Dissertation Dissertation der Verwaltungswissenschaften Dissertation der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Die Öffentliche Verwaltung Deutsche Richterzeitung Deutsches Steuerrecht Datenverarbeitung Deutsche Verwaltungsblätter Datenverarbeitung im Recht Elektronische Datenverarbeitung Entscheidungen der Finanzgerichte Einfiihrungsgesetz zum Gerichtsverfasungsgesetz Gesetz über Fernmeldeanlagen Finanzgericht Finanz-Rundschau Freiherr Festschrift Gerichtsverfassungsgesetz Hessisches Datenschutzgesetz herausgegeben Informationstechnik Integratet Services Digital Network Juristische Arbeitsblätter Jahrbuch Juristische Rundschau
Abkürzungsverzeichnis JuS JZ KGSt.
LG
MDR
NJW
NVwZ NVwZ-RR NZWehr. öff. ÖVD
OLG
OVG OWiG
pe
PostVerfG Rsp. SGB StGB StPO VA VblBW VerfGHNW VerwArch. VGH VOP VVDStRL VwGO VwVfG VwZG ZPO
2 Polomski
Juristische Schulung Juristenzeitung Kommunale Gemeinschaftstelle rur Verwaltungsvereinfachung Landgericht Monatsschrift rur Deutschen Rechts Neue Juristische Wochenschrift Neue Zeitschrift rur Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift rur Verwaltungsrecht - Rechtsprechungsreport Neue Zeitschrift rur Wehrrecht öffentlich Öffentliche Verwaltung und Datenverarbeitung Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Personal-Computer Postverfassungsgesetz Rechtsprechung Sozialgesetzbuch Strafgesetzbuch Strafprozeßordnung Verwaltungsakt Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Verfassungsgerichtshof für Nordmein-Westfalen Verwaltungsarchiv Verwaltungsgerichtshof Verwaltungsführung, Organisation und Personal Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungszustellungsgesetz Zivilprozeßordnung
17
Erster Teil
Einleitung
Erster Abschnitt
Einführung in die Problematik 15 Jahre sind vergangen, seit sich Bundeskanzler Helmut Schmidt in seiner Regierungserklärung vom 16.12.76 über die Unleserlichkeit automatisch erstellter Wasserrechnungen beklagte) und so auf ein Problem aufmerksam machte, welches zwar fast jeden Bürger betraf, bis dahin aber kaum öffentliche Beachtung gefunden hatte. Seit dem ersten Einsatz von Computern im Jahre 1955 bei der Bundesanstalt für Angestellte hatte dieses Hilfsmittel zu diesem Zeitpunkt bereits weite Bereiche der Verwaltungsarbeit erfaßt und sich dort unentbehrlich gemacht. Eine vollständige Aufgabe dieser Verfahren war so bereits undenkbar, als im Anschluß an diese Regierungserklärung ernsthafte Kritik an den Folgen des EDV 2-Einsatzes laut wurde. Gezielten Verbesserungen standen die noch beschränkten technischen Möglichkeiten und die hohen Kosten derartiger Geräte entgegen.
) Deutscher Bundestag-Sitzungsberichte, 8. Wahlperiode, 5. Sitzung, S. 31 (43); angesprochen ferner bei Salvers, in: Fischer, S. 136 (138); Hamann, Verwaltungsrundschau 87, S. 420 (422) und Bihl, ÖVD 79, Heft 3, S. 10 (10). 2 EDV als Abkünung für Elektronische Datenverarbeitunganlage bezeichnet datenverarbeitende, selbststeuernde Systeme, deren Charakteristikum die Durchführung logischer Operationen in kuner Zeit ist (Gruber, Diss. jur. Wünburg, S. 11; Eben, Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht 66, S. 188 (190); Achterberg, S. 569; Eberle, Organisation, S. 49. Häufig wird in der Praxis synonym der Begriff·ADV· (Automatische Datenverarbeitungsanlage) verwendet. Richtigerweise ist die elektronische Datenverarbeitung jedoch nur ein Teilgebiet der automatischen Datenverarbeitung, weil diese auch durch andere Übertragungsmedien erfolgen kann (so auch Krause, Diss. rer. pub!. Speyer, S. 6; Erichsen I v. Manch, S. 61; Meschkat, Diss. jur. Kiel, S. 18). Zum Begriff der Datenverarbeitung siehe Luhmann, Automation, S. 9; Osswald, S. 54; Meincke, S. 12; Eberle, Organisation, S. 48.
2·
20
I. Teil: Einleitung
So mußte die Verwaltung trotz der erkannten Mängel solcher Verfahren auf ihrer Anwendung beharren, um die dringend notwendige Arbeitsentlastung nicht zu gefährden. Unterstützung fand sie dabei zum einen von Seiten der Gesetzgebung, welche in dem im gleichen Jahr in Kraft getretenen VwVfG Sonderregelungen für diese Art der Erstellung von Verwaltungsakten zugelassen hat3. Zum anderen war auch die Rechtsprechung zu Zugeständnissen bereit, deren Ursache darin gesehen werden kann, daß das "Damoklesschwert einer automationsfeindlichen Gerichtsentscheidung über Millionen von Verwaltungsakten hing"4.
In den folgenden Jahren sind die Einsatzmöglichkeiten für Computer nochmals beträchtlich erweitert worden. Es gibt heute kaum noch einen Bereich, in dem er nicht zumindest an der Vorbereitung der Entscheidung beteiligt ists. Beispielhaft genannt seien hier nur die Steuer-, Besoldungs- und Rentenberechnung, die Erhebung und Vollstreckung im Bußgeldverfahren, das Einwohnermeldewesen sowie die Berechnung und Zahlbarmachung von Sozialleistungen im weitesten Sinne. Ermöglicht wurde diese Entwicklung durch eine Kumulation mehrerer Faktoren. Einen gewichtigen Einfluß hatte der ungeheure technische Fortschritt in diesem Bereich. Sinkende Kosten bei gleichzeitig gestiegenen Speicherkapazitäten ermöglichen heute Lösungen, die vor 10 Jahren noch undenkbar schienen. Der "Computer am Arbeitsplatz" gehört zum Erscheinungsbild jedes Behördenbesuchs. Gewandelt hat sich auch die Einstellung der Bediensteten zu dieser Technik. Der urspünglich als Fremdkörper empfundene Kontakt mit der Maschine ist zum selbstverständlichen Bestandteil der täglichen Arbeit geworden. Die Bereitschaft des Verwaltungspersonals zur Integration dieser Technik wird sich noch weiter erhöhen, wenn in den nächsten Jahren solche Personen dort tätig werden, die bereits mit dem Computer aufgewachsen sind. Erweitert wurden die Einsatzmöglichkeiten weiterhin von seiten der Gesetzgebung, die bei neuen Aufgaben für die Verwaltung bereits von vornherein die Notwendigkeit einer automatisierten Ausführung berücksichtigt. Das Stichwort einer "automationsgerechten Gesetzgebung" mag an dieser Stelle genügen. Ein anderer Faktor dieser Entwicklung ist der weiter gestiegene Aufgabendruck der Verwaltung im Zeichen einer Ausweitung der Leistungsverwaltung. Kaum ein Bereich des gesellschaftlichen Lebens kommt heute ohne Bezugspunkte zur
3
Zu den Beratungen zum VwVfG siehe BT-OS 6 / 1173 und BT-OS 7 /910.
4
Berg, Oiss. jur. Köln, S. 90.
S
Ein umfassender Überblick hierzu findet sich bei Geiger, in: Garstka, S. 23 ff.
1. Abschnitt: Einführung in die Problematik
21
öffentlichen Verwaltung aus. Waren es ursprünglich der Mangel an entsprechenden Fachleuten6 sowie eine allgemeine Enge des Arbeitsmarktes1, welche die Verwaltung zu einem sparsamen Personaleinsatz zwangen, so sind es heute die hohen Personalkosten und die allgemein angespannte Haushaltslage. Der einzige Ausweg ist häufig ein verstärkter Einsatz der Technik. Schließlich hat die Verwaltung in weiten Bereichen bereits auf die anfänglichen Mängel reagiert und für Abhilfe gesorgt. So gehört die in den 70er Jahren übliche falsche Schreibweise von Umlauten8 beziehungsweise eine durchgehende Großschreibung inzwischen der Vergangenheit an. Indes ist der Computereinsatz dadurch nicht rechtlich problemlos geworden; erwähnt sei hier nur die heftig entbrannte Diskussion um den Datenschutz. Hinzu treten Probleme der Abhängigkeit der Verwaltung von der Datenverarbeitungstechnik, die am 1.1.1991 zur Gründung eines neuen Bundesamtes für die Sicherheit in der Informationstechnik geführt haben9 • Die Schwierigkeiten haben sich nur verlagert, ohne dabei an Bedeutung verloren zu haben. Vielleicht sind sie heute für den Bürger nicht mehr so augenfällig wie die schlechte Lesbarkeit der Wasserrechnung, aber ihre Brisanz ist eher noch gestiegen. Die vorliegende Untersuchung soll daher ein Versuch sein, die verbliebenen Probleme für die Erstellung und Kontrolle des automatisierten Verwaltungsaktes darzustellen und mögliche Verbesserungen aufzuzeigen. Dabei geht es weniger um abschließende Ergebnisse 10 als um Anregungen an die Verwal-
6 Roehmheld, DVBI. 64, S. 610 (611) weist daraufhin, daß die starre Besoldungsstruktur der öffentlichen Verwaltung die Gewinnung solcher Fachkräfte behindert. Wegen der Gefahr einer Abwerbung durch die Wirtschaft fordert er für bereits eingestellte Mitarbeiter in diesem Bereich eine Übernahme in den Beamten-Status.
7 So Markull, VerwArch., Bd. 48 (1957), S. 5 (6) und Grimmer, in: Garstka, S. 335 (335) für EDV-Fachkräfte. 8
Siehe dazu auch S. 200, 201.
9 Zur Kritik an der Konzeption dieses neuen Bundesamtes siehe Bizer / Roßnagel, Kritische Justiz 90, S. 436 (442), die über einen Fall berichten, in dem ein einziger Virus 6000 Rechner der US-Bundesverwaltung lahmgelegt hat. Schon seit längerer Zeit gibt es eine Koordinierungs- und Beratungsstelle für diese Technik im Bundesinnenministerium (siehe Klaus / Wattenberg / SchmidtReindl, eR 89, S. 741 (744» sowie die Zentral stelle für das Chiffrierwesen (siehe Kersten, Recht der Datenverarbeitung 89, S. 11 (12». Allgemein zur Kontrolle eines lnformationssystems Roithmayer, in: Traunmüller, S. 383 (383). Zur Notwendigkeit einer demokratischen Legitimation solcher Koordinierungsstellen siehe Wedde, in: Roßnagel, S. 67 (71); Roßnagel, Möglichkeiten, in: Roßnagel, S. 177 (184); Grimmer, DVR 80, S. 323 (332). 10
Diese hält Eberle, Organisation, S. 132 in diesem Bereich gar nicht für möglich.
22
1. Teil: Einleitung
tungspraxis, manche "Selbstverständlichkeit" kritischer zu hinterfragen ll • Dieses Anliegen erscheint heute berechtigter denn je, weil die gestiegenen technischen Möglichkeiten vermeintliche Gestaltungszwänge beseitigt haben.
A. Die Automation der Verwaltungstätigkeit in der Bundesrepublik I. Der Begriff der Automation Für die folgenden Ausführungen ist zunächst festzulegen, in welchen Fällen von einer "Automation" die Rede sein soll. Der Grad der Unterstützung menschlicher Tätigkeit durch Maschinen kann höchst unterschiedlich sein. Nicht ausreichend ist im hier fraglichen Zusammenhang der schon seit Jahrzehnten übliche Einsatz von Schreibmaschinen I2. Über. die genaue Abgrenzung der Automation von anderen Formen technischer Unterstützung der VelWaltungsarbeit besteht jedoch seit längerem Unklarheit. Ein erster Ansatz findet sich bei den Autoren, die auf den Intensitätsgrad des Maschineneinsatzes abstellen. Von einer Automation könne man erst sprechen, wenn nicht nur einzelne Arbeitsoperationen maschinell erfolgen, sondern ein geschlossener Kreislauf von Arbeitsvorgängen selbststeuernd und selbstkontrollierend auf Maschinen übertragen worden sei l3 • Wesentliches Merkmal der Automation ist danach die Unabhängigkeit von menschlicher Steuerung wäh-
11 Dort zeigt sich eine gewisse Tendenz zur Hinnahme einzelner Mißstände (Rößler, DStR 81, S. 305 (305); Garstka, Jhrb. der Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 7 (1980), S. 233 (237); Grimmer, in: Grimmer, S. 341 (342); Gebhardt, ÖVD 75, Heft 2, S. 52 (54». Eine Ursache hierfür ist, daß für die Verwaltung der gewünschte Endzustand im Mittelpunkt steht, der aber erst ab ca. 1995 erreicht sein wird (Grimmer, Rechtsverwirklichung, S. 90). 12 Auch Pollock, S. 27 geht in seinem sehr ausführlichen Definitionsversuch davon aus, daß eine Übereinstimmung über den Begriff der Automation nur negativ besteht, das heißt, daß es nicht ausreichen könne, wenn nur einzelne automatische Geräte im traditionellen Arbeitsablauf zur Anwendung kommen. 13 Brinckmann, Verwaltungsautomation, S. 31; Bull, JR 65, S. 178 (179); Ostermann, in: Osterrnann, S. I (24); Eberle, Organisation, S. 49; Degrandi, S. 17, 18; ferner das Internationale Institut für Verwaltungswissenschaften, nach: Schrödter, VerwArch., Bd. 51 (1960), S. 79 (86). Zur Kritik der KGSt. an diesem Automationsbegriff siehe Czerwick, Die Verwaltung 91, S. 47 (50).
1. Abschnitt: Einführung in die Problematik
23
rend des Arbeitsablaufs der Maschine l4 • Ein weiterer Definitionsansatz stellt auf die Art der verwendeten Geräte ab. So spricht Ostermann 15 von einer Automation nur dann, wenn kybernetische Systeme zur Anwendung gelangen. Andere Autoren setzen die Automation mit dem Einsatz von Anlagen der elektronischen Datenverarbeitung gleich l6 • Gelegentlich wird auch ein Bezug der Automation zu einer bestimmten zeitlichen Phase hergestellt. Als Automation wird danach die Geräteausstattung bezeichnet, die sich zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt tatsächlich im Verwaltungseinsatz befindet l7 • Eine solche Defmition führt zu der Schwierigkeit, daß sich ihr Inhalt ständig durch Neuanschaffungen ändert. Für neue technische Möglichkeiten muß jedesmal auch ein neuer Begriffsapparat geschaffen werden, wodurch eine vergleichende Betrachtung erschwert wird. Zudem erscheint es auch nicht notwendig, juristisch nur deshalb von einem aliud auszugehen, weil die Speicherung künftig nicht in elektro-magnetischer Weise, sondern durch optische Speichermedien erfolgt. Entscheidend für das Vorliegen einer Automation ist vielmehr eine zweifache Begrenzung: Zum einen kommt es darauf an, daß die Maschine, zumindest in einer Teilphase ihrer Tätigkeit, nicht unter der aktuellen Kontrolle ihres Benutzers steht, sondern selbständig, wenngleich auch programmgesteuert l8 , Aufgaben wahrnimmt. Daher scheiden die häufig benutzten Schreibautomaten aus dem Kreis der Automation aus. Zum anderen hat der Zeitpunkt der Maschinen-
14 Demgegenüber sei bei einer "Mechanisierung" jede Operation von außen durch den Menschen gesteuert (Zeidler, S. 2; Mroß, S. 9; Degrandi, S. 18; Schmitt, DB 67, S. 2081 (2082)). Als Abschluß dieser Phase der Mechanisierung wird das früher in Verwaltung und Wirtschaft weit verbreitete Lochkartenverfahren betrachtet. Nach Bittorf, S. 19 ist die Automation der logische Abschluß der Mechanisierung, allerdings verbunden mit einer qualitativen Änderung der Funktion des Menschen. 15 Ostennann, Die Verwaltung, Bd. 3 (1970), S. 129 (131). Eine inhaltlich weitergehende Definition findet sich bei Reinennann, Verwaltungsautomation und Fortbildung, S. 18, der auch infonnationstechnische Geräte in den Begriff der Automation einbezieht. 16 JIJhnig, DÖV 70, S. 465 (466); derselbe, ADV, S. 11; Meincke, S. 11; Fiedler, JZ 66, S. 689 (689). Dagegen ist die EDV nach Erichsen I Erichsen, S. 61 nur ein Teilgebiet der Automation.
17
Susat I Stolzenburg, MDR 57, S. 146 (146); Krause, Diss. rer. pub!. Speyer, S. 10.
18 Achterberg, S. 569 lehnt es wegen dieser Programmsteuerung ab, überhaupt von automatischen Verfahren zu sprechen. Eine derartig enge Auslegung des Begriffs Automation erscheint indes nicht möglich, wenn es überhaupt "automatische Einrichtungen" iSd. §§ 28 D Nr. 4, 37 IV, 39 I Nr. 3 VwVfG geben soll, weil die Funktion von Maschinen immer kausal auf einen menschlichen Willen zurückgefiihrt werden kann.
24
I. Teil: Einleitung
tätigkeit innerhalb der Aufgabenerfüllung eine wesentliche Bedeutung. Ein Einsatz derartiger selbständiger Geräte ist auch zur Informationsbeschaffung, zur Durchführung von Planspielen und anderen, die eigentliche Entscheidung vorbereitenden Handlungen möglich. Bei diesen Einsatzformen kommt es aber immer noch zu einer, wenn auch unterschiedlich intensiven, menschlichen Kontrolle des Ergebnisses. Juristisch stellt es keinen Unterschied dar, ob die Kontrolle während des Maschinenablaufs oder danach erfolgt, weil in beiden Fällen die Verantwortung für das Ergebnis vom Kontrolleur getragen wird. Daher sollte von einer Automation erst dann gesprochen werden, wenn die Maschinentätigkeit das "letzte Glied in der Kette" darstellt und sein Ergebnis, zumindest im Regel fall , ungeprüft weiterverwendet wird. Kennzeichnend für eine Automation ist somit die Selbständigkeit der Maschine in einem Teilbereich ihrer Tätigkeit bei einer gleichzeitig fehlenden nachträglichen Überprajung ihrer Ergebnisse durch den Menschen. Die so verstandene Automation ist vom Begriff der Automatisierung abzugrenzen. Zeidler verneint in seinem grundlegenden Werk die Möglichkeit einer eindeutigen Abgrenzung und wählt stattdessen den Begriff der "Technisierung der Verwaltung"19. Ihm folgend gehen mehrere Autoren davon aus, daß beide Begriffe bedeutungsidentisch sindlO • Sinnvoller erscheint demgegenüber eine grammatikalische Abgrenzung. Danach ist Automatisierung eine Tätigkeit, die in der fortlaufenden Ersetzung menschlichen Handelns durch Automaten besteht; dagegen bezeichnet die Automation den durch diese Tätigkeit bewirkten Zustand, das Endstadium dieser Entwicklung 21 . 11. Die Automatisierung der Verwaltungstätigkeit
Die Automatisierung der Verwaltung der Bundesrepublik Deutschland22 war keine kontinuierliche, gradlinige Entwicklung, sondern erfolgte in mehreren Entwicklungsstufen mit teils widersprüchlichen Konzepten. Zudem hat bisher kein Stadium das Vorangegangene vollständig abgelöst, sondern immer nur
19
Zeidler, S. 2.
10
So etwa Bull, Verwaltung, S. 49; Schöning, Diss. jur. Bochum, S. 10; Mroß, S. 12.
21 Angedeutet schon bei Zeidler, S. 2; ferner Fiedler, JuS 70, S. 67 (70) und JuS 70, S. 552 (552); Doberer, S. 61; LAzaratos, S. 39; Meschkat, Diss.jur. Kiel, S. 21; List, Jhrb. des Postwesens, Bd. 9 (1959), S. 32 (35). 22 Zur Entwicklung speziell in Niedersachsen siehe JlJhnig, ADV, S. 148; Roehmheld, DVBI. 64, S. 561 (562 ff.); Beyer, in: Grimmer, S. 122 (192); Berg / Busch / Rustemeyer, ÖVD 72, Heft 8, S. 319 (319, 326); Brinckmann, Verwaltungsautomation, S. 13; Eberle, Organisation, S. 125.
1. Abschnitt: Einführung in die Problematik
25
neue, zusätzliche Möglichkeiten geschaffen23 • Der Urtyp des Computer wurde 1941 durch Konrad Zuse entwickelt24 • Der erste velWaltungsrechtlich interessante Einsatz erfolgte 1951 in Amerika zur Aufbereitung einer Volkszählung. In der Bundesrepublik war es die Bundesanstalt für Angestellte, die 1956 als erste VelWaltung den Computer zur Erledigung der ihr übertragenen Aufgaben einsetzte. Nach einer Phase der Erprobung für Zwecke der Statistik kam es ab den 60er Jahren zu einem Einsatz vor allem im Bereich der sogenannten "Massenarbeiten "; darunter versteht man die maschinelle Berechnung und Zahlbarmachung von Steuern, Renten, Gehältern und Bezügen2S • Daneben entstanden ähnliche Anwendungsformen im Sozial-, Post- und Verkehrsrecht26 • Typisch für diese Epoche ist der Einsatz weniger zentraler Rechner für Anwendungsbereiche, die dem "Gesetz der großen Zahl" folgen, das heißt, bei denen massenhaft und zu im voraus bestimmbaren Zeitpunkten gleichförmige Daten anfallen. Bald jedoch erkannte man die Nachteile einer solchen zeitlich, räumlich und sachlich begrenzten Anwendung der neuen Technik, wie etwa die Zentralisierung der EDV-Kenntnisse in den Datenzentralen oder die große Anonymität der VelWaltung. So traten in den 70er Jahren neben einer Fortentwicklung der Massenarbeiten neue Einsatzmöglichkeiten in das Blickfeld, vor allem solche bei der Vorbereitung der eigentlichen Entscheidung. Kennzeichnend für diese Epoche ist das Ziel einer "integrierten Datenverarbeitung". Dabei handelt es sich um ein Organisationsprinzip der VelWaltung, nach dem die Daten so gespeichert werden, daß sie allen VelWaltungszweigen zur Nutzung zur Verfügung stehen und bei dem die Datensätze verschiedener VelWaltungsträger miteinander verbunden sind27 • Endpunkt dieser Entwicklung sollte die Einführung von Informationssystemen auf Landesebene sein, in denen kommunale wie staatliche Daten zur Auswertung zur Verfügung stehen. Von diesem Ziel
23
Giehl, BayVBI. 88, S. 321 (322).
24 Zu dieser ersten Phase des Computereinsatzes siehe etwa Giehl, BayVBI. 71, S. 84 (84); Klaus / Wanenberg / WinkJer, CR 89, S. 938 (939); Reinemlann, VOP 89, S. 126 (127); Kerkau, ADV, S. 1.
2S Fiedler, JuS 70, S. 552 (552); KOT1e, DVBI. 57, S. 561 (562); Eberle, eR 88, S. 258 (258); Maurer, Allg. VwR., S. 390; zur Kritik an diesem Begriff siehe Lazaratos, S. 57. 26 Maunz, BayVBI. 67, S. 86 (86); KOT1e, DVBI. 57, S: 561 (562); Giehl, BayVBI. 88, S. 321 (321); Krause, Diss. rer. publ. Speyer, S. 8; Fiedler, JuS 70, S. 552 (552). 27 Lenk, S. 38; Brinckmann, Verwaltungsautomation, S. 31, Fiedler, Deutsche Rentenversicherung 64, S. 40 (44); Meincke, S. 32.
26
1. Teil: Einleitung
war denn auch die Entstehung der ersten Organisationsgesetze auf dem Gebiet der Datenverarbeitung geprägt, so zum Beispiel die Regelung des § 1 11 des Referentenentwurfs eines Gesetzes über die Organisation der Automatischen Datenverarbeitung in Niedersachsen28 • Dieses Ziel einer integrierten Datenverarbeitung stand Anfang der 70er Jahre noch in den Antängen29 , bestimmte aber bereits maßgeblich die weitere organisatorische Gestaltung der Verwaltungsautomation. So zeigte sich rasch, daß zwar die schon bis dahin übliche Datenerfassung am Ort der Entstehung mit den Erfordernissen der integrierten Datenverarbeitung vereinbar war; unpraktisch war jedoch die Speicherung auf Magnetbändern mit anschließendem manuellen Transport zur Datenzentrale. Wünschenswert erschien vielmehr eine direkte Datenverbindung mit der Zentrale, so daß ab 1974 ein Übergang vom manuellen Datentransport zur offlineDatenfernverarbeitung begann3O• Bei dieser Form der Datenfernverarbeitung kommt es erstmals zu einem Zusammenwirken der Techniken Datenverarbeitung und Datenübertragung. Ein- und Ausgabegeräte sind örtlich von der Zentraleinheit getrennt und werden über Datenleitungen miteinander verbunden31 • Dabei spricht man von einer offline-Verbindung (im Gegensatz zu einer online-Anbindung) dann, wenn die Verarbeitung der Daten im Zentralrechner nicht unmittelbar nach der Übermittlung, sondern im sogenannten Stapelverfahren zeitlich versetzt nach der Reihenfolge des Eingangs erfolgt32 • Insgesamt verlagerten sich nunmehr die Probleme vom rein technischen in den organisatorischen Bereich33 • Erstmals wurde vor der Anschaffung solcher Anlagen eine umfassende Planungs-
28 Abgedruckt bei Burhenne / Perband, Nr. 255 / 41. Einen Überblick über die Organisationsgesetze der Bundesländer in diesem Bereich bieten Berg / Busch / Rustemeyer, ÖVD 72, Heft 8, S. 319 (322); siehe ferner Wedde, in: Roßnagel, S. 67 (69) und Meschkat, Diss. jur. Kiel, S. llO. Heute haben diese ADV-Organisationsgesetze kaum noch Bedeutung, weil ihre Ziele inzwischen entweder erreicht oder aufgegeben sind (Brinckmann, ÖVD 79, Heft 10, S. 19 (21); Beyer, in: Grimmer, S. 122 (209); Eberle, ÖVD 72, Heft 10, S. 439 (439».
29 Lenk, S. 18; Göttlinger, S. 7, 10,62; Krause, Diss. rer. publ. Speyer, S. 14,266; Brinckmann, Verwaltungsautomation, S. 12. 30 Langguth, in: Ostermann, S. 77 (99); Weggen, Städte- und Gemeinderat 88, S. 185 (185); Kuhlmann, in: Grimmer, S. 233 (305); Giehl, BayVBl. 88, S. 321 (321). 31
Osswald, S. 54; Giehl, BayVBl. 71, S. 84 (90).
32
Langguth, in: Ostermann, S. 77 (99); Weggen, Städte- und Gemeinderat 88, S. 185 (185).
33
Göttlinger, S. 3.
1. Abschnitt: Einführung in die Problematik
27
und Zieldefinition34 erstellt und nicht, wie bis dahin üblich, die Tätigkeiten nachträglich an das vorhandene Maschinenpotential angepaßt. Die 80er Jahre sind in der Verwaltungsautomation gekennzeichnet durch ein langsames Vordringen der EDV zur Einzelfallbearbeitung3s • Es dominierten weiterhin die Massenverfahren, wenngleich seit 1980 im Wege der onlineDatenfernverarbeitung36 • Daneben trat aber zunehmend der Einsatz als individuelle Informationstechnik am Arbeitsplatz, beispielsweise für Aufgaben auf der Ebene der Bezirksregierung37 • Parallel begann ein langsamer Abbau des Integrationsgedankens. 111. Gegenwärtiger Stand der Verwaltungsautomation
1. Abracken vom Ziel einer integrierten Datenverarbeitung Zu Beginn der 90er Jahre ist der Gedanke einer umfassenden Datenintegration weitgehend aufgegeben worden. Verantwortlich dafür sind mehrere Gründe gewesen. In den Hintergrund getreten sind inzwischen technische Probleme, zum Beispiel bei der Speicherkapazität, die noch Berg38 als ein Haupthindernis der Integration angesehen hatte. Dafür haben sich inzwischen andere Hindernisse herauskristallisiert. Zum einen ist die erhoffte Kostenersparnis durch das Prinzip der Einmalspeicherung nicht eingetreten, weil im Gegenzug erhebliche Aufwendungen für organisatorische Veränderungen notwendig waren39 • Zum anderen haben Untersuchungen des faktischen Informations-
34 Zu den überaus umfangreichen notwendigen Vorarbeiten bei der Umstellung einer Aufgabe auf EDV in den Phasen Projektdefinition, Projektplanung und Projektrealisierung siehe die Darstellung bei Segitl., ÖVD 73, Heft 2, S. 295 (296 ff.) und Herden I Karrer, ÖVD 77, Heft 6, S. 8 (10 ff.). Zum Teil fehlen solche Untersuchungen aber auch noch heute, wie Lenk, in: Garstka, S. 107 (109) belegt. 3S Schweinoch, BayVBI. 87, S. 680 (680); Eberle, eR 88, S. 258 (259); Kuhlmann, in: Grimmer, S. 233 (305); Frankenbach I Reinermann, S. 25; Langguth, in: Ostermann, S. 77 (99). 36 Zunächst blieb es aber in vielen Bereichen noch bei der Stapelverarbeitung im offline-Betrieb (Frankenbach I Reinermann, S. 2, 25, 162, 163; Hasenritter, VeIWaltungsrundschau 86, S. 249 (250».
37
Giehl, BayVBI. 88, S. 321 (322); Ostermann, in: Ostermann, S. 1 (19).
38
Berg, Diss. jur. Köln, S. 67.
39 Beyer, in: Grimmer, S. 122 (209); die Notwendigkeit einer Wirtschaftlichkeitsprüfung auch bei der integrierten Datenverarbeitung betont Meincke, S. 72.
28
I. Teil: Einleitung
verhaltens gezeigt, daß allzu umfassende Informationsangebote von den Sachbearbeitern gar nicht genutzt werden40 • Die entscheidende Ursache für die Aufgabe des Zieles einer integrierten Datenverarbeitung ist aber in den verstärkten Anforderungen der Rechtswissenschaft an die Datenverarbeitung zu sehen. Zu denken ist dabei vor allem an das gestiegene Bewußtsein für Fragen des Datenschutzes seit dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts41 , welches insbesondere eine behördenexterne Integration als bedenklich erscheinen läßt42 • Daneben haben sich aber auch organisationsrechtlichen Bestimmungen als Grenzen einer weitreichenden Datenintegration erwiesen. Im Bereich der Staatsverwaltung gilt dies insbesondere für das Ressortprinzip 43. Kritik wurde unter diesem Gesichtspunkt vor allem an der organisatorischen Verknüpfung von Datenzentralen mit einer obersten Landesbehörde sowie an gemeinsamen Zentralen mehrerer Ressorts geübt44 • Wirksamer noch als das Ressortprinzip war bei der Verhinderung einer Einführung der integrierten Datenverarbeitung die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 11 GG. Zwar wurden frühzeitig die Vorteile der EDV für die Kom-
40
Brinckmann, ÖVD 79, Heft 11, S. 19 (21).
4\ BVerfGE 65, 1 ff.; siehe dazu auch Simiris, NJW 89, S. 21 (22) und Heußner, Arbeit und Recht 85, S. 309 (313).
42 Fiedler / Banhel / Voogd, S. 74; Ostermann, in: Ostermann, S. 1 (52); Brinckmann, ÖVD 79, Heft 11, S. 19 (20). Dagegen betont Steinmüller, in: Kilian, S. 51 (61 f.), daß sich auch bei integrierten Systemen Datenschutzprobleme institutionell lösen lassen. 43 Die integrierte Datenverarbeitung erfordert die Errichtung zentraler Organisationseinheiten auf Bundes- bzw. Landesebene sowie eine intensive Zusammenarbeit aller Ministerien. Die Zentralen sollten dabei auch ressortübergreifende Zuständigkeiten erhalten. Zu den Einflüssen des Ressortprinzips auf die integrierte Datenverarbeitung siehe Krause, Diss. rer. pub!. Speyer, S. 3, 225; Langseder, in: Reinermann, S. 75 (77); Grimmer, in: Kilian, S. 237 (245); Eberle, ÖVD 72, Heft 10, S. 439 (440); MarkulI, VerwArch., Bd. 48 (1957), S. 5 (6); Poet1.$ch-Heifter, in: Reinermann, S. 16 (23); Brinckmann, ÖVD 79, Heft 11, S. 19 (20); Grimmer, VOP 88, S. 11 (12); Meschlwt, Diss. jur. Kiel, S. 112; Eberle, Organisation, S. 54, 111; Kübler, S. 33. Luhmann, ÖVD 72, Heft 2, S. 44 (47) geht davon aus, daß die verfassungspolitische Legitimierbarkeit des Ressortprinzips durch die Ausweitung der Möglichkeiten der Informationsverarbeitung in Frage gestellt wird. Göttlinger, S. 14 bezeichnete gar die EDV als "Todesurteil für jeden Ressortegoismus· . 44 Eberle, Organisation, S. 112, 118. Allgemein gegen eine Stärkung zentraler Instanzen durch EDV auch Krause, Diss. rer. pub!. Speyer, S. 268, 269: Lenk, S. 149; Osswald, S. 28; Steinmüller, in: Kilian, S. 51 (62); Berg / Busch / Rustemeyer, ÖVD 72, Heft 8, S. 319 (320); KIoock, Städte- und Gemeinderat 86, S. 61 (61).
1. Abschnitt: Einführung in die Problematik
29
munen erkannt4S ; allmählich überwog aber die Einsicht in die Gerahrdungen der kommunalen Selbstverwaltung durch die integrierte Datenverarbeitung, wie sie namentlich aus der Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen46 , aus der Einführung eines EDV-Zwanges41 und aus dem Anschlußzwang an vorhandene Rechenzentren48 entstanden. Entscheidende Bedeutung hatten schließlich mehrere Urteile des Verfassungsgerichtshofes von Nordrhein-Westfalen49 , nach denen Zwangszusammenschlüsse von Gemeinden zu EDV -Zentralen noch stärkeren Anforderungen unterliegen als die Auflösung einer einzelnen Gemeinde.
4S Es kam zu einer Entlastung von den Massenarbeiten, so daß die Kommunen wieder Aufgaben vom Landkreis übernehmen konnten, die zuvor wegen der Arbeitsüberlastung auf diesen übertragen worden waren (Frankenbach / Reinennann, S. 145; Rettberg, ÖVD 85, Heft 6, S. 69 (72); Osswald, S. 44; Bongen, Städtetag 86, S. 192 (196); Schauß, Landkreis 69, S. 21 (23); Kloock, Städte- und Gemeinderat 86, S. 61 (64». Ferner wurde vorgebracht, daß die Gemeinden in Zeiten eines allgemeinen Vertrauensschwundes in die Verwaltung noch am ehesten das Vertrauen des Bürgers genießen (Uedtke, Aus Politik und Zeitgeschichte, Bd. 19 (1989), S. 25 (34); Schauß, Landkreis 69, S. 21 (23); Eberle, Organisation, S. 120). Zur künftigen Doppelrolle der Kommunen als Anwender und Förderer der Informations- und Kommunikationstechnik siehe Bongen, Städtetag 86, S. 192 (195); Wirrklimper, Städte- und Gemeinderat 88, S. 177 (178); Weggen, Städte- und Gemeinderat 88, S. 185 (189); Broß, Städte- und Gemeindebund 87, S. 128 (132); Ostennann, Städtetag 88, S. 662 (663). 46 Siehe dazu Zeidler, S. 28; Lenk, S. 151, Meincke, S. 113; Giehl, BayVBI. 88, S. 321 (322); Beyer, in: Grimmer, S. 122 (189); Lenk, DVBI. 74, S. 832 (835); Meschkat, Diss. jur. Kiel, S. 111. Anders aber Luhmann, VerwArch., Bd. 57 (1966), S. 86 (87); differenzierend nach dem Inhalt der Zusammenarbeit Krause, Diss. rer. publ. Speyer, S. 220. 41 Einigkeit bestand von vornherein, daß ein solcher Zwang immer nur mittelbar zulässig sein konnte, z.B. durch Finanzzuweisungen oder die Automatisierung von Weisungsaufgaben, welche mittelbar eine ebensolche der Selbstverwaltungsaufgaben erzwingen mußten. Siehe zu dieser Problematik Schweinoch, BayVBI. 87, S. 680 (681); Schäffer, DÖV 88, S. 149 (150); Wedde, in: Roßnagel, S. 67 (78); Krause, Diss. rer. publ. Speyer, S. 212; Sendler, in: Reinennann, S. 165 (169); Meincke, S. 117; Berg, Diss. jur. Köln, S. 73; Berg / Busch / Rustemeyer, ÖVD 72, Heft 9, S. 380 (383). Eberle, Organisation, S. 124 differenziert danach, ob die finanzielle Förderung unmittelbar aus Landesmitteln oder aus Mitteln des Länderfinanzausgleichs stammt. 48 Krause, Diss. rer. publ. Speyer, S. 212 macht hier die Vereinbarkeit mit Art. 28 II GG von der Ausgestaltung der Mitspracherechte der einzelnen Gemeinde abhängig; siehe dazu auch Osswald, S. 41. 49 VertUH NW, Städtetag 79, S. 279 (279); VerroH NW, Städtetag 79, S. 280 (280); VerfGH NW, Städtetag 79, S. 280 (281).
30
I. Teil: Einleitung
2. Übergang zu dezentraler Datenverarbeitung
Das Integrationszeitalter der Datenverarbeitung in der öffentlichen Verwaltung scheint heute nahtlos in ein Zeitalter der Dezentralisierung überzugehenso. Abzugrenzen sind dabei Dezentralisierung und Dekonzentration; während die Dekonzentration sich nur auf die räumliche Aufstellung der Geräte bezieht, meint die Dezentralisierung auch die Abgabe von Zuständigkeiten an andere Verwaltungsträger bei gleichzeitiger Weisungsunabhängigkeit51 • Möglich wird eine sol~he Dezentralisierung in erster Linie durch die sich heute im Einsatz befmdlidhen Geräte der 3. Anwendungsgeneration52• Diese ist gekennzeichnet durch einen beginnenden Einfluß der Telekommunikation und den Übergang zum Computer am Arbeitsplatz, dem Personal-Computer (pC)5J, der es auch ermöglicht, die bisher getrennten Bereiche Datenverarbeitung und Telekommunikation miteinander zu verbinden. Durch eine Speicherkapazität, die früher nur auf Großrechnem möglich war, kommt es mehr und mehr zur Entwicklung spezieller Anwenderprogramme, welche die individuelle Einzelfallarbeit unterstützen. Die Einsatzmöglichkeiten des Personal-Computers liegen vor allem dort, wo begrenzte Datenmengen zu verarbeiten sind und keine Verbindung zu anderen Aufgaben erforderlich isf4. Der PC unterstützt so die Bemühungen zu einer weitgehenden Dezentralisierung in der Erledigung der Aufgaben der öffentlichen Verwaltunt5• Diesem Bestreben liegt die Erkenntnis zugrunde, daß selbst eine online-Datenanbindung nicht gleichwertig so Brinckmann, ÖVD 79, Heft 10, S. 3 (3). Allerdings setzt die Kommunale GemeinschaftssteIle für Verwaltungsvereinfachung neue Hoffnungen auf eine Integration durch Einführung der Telekommunikation (nach Beyer, in: Grimmer, S. 122 (212». Grochla, in: Garsrka, S. 113 (116) warnt vor einer Dezentralisierungseuphorie, weil diese Gestaltung der Verwaltungstätigkeit neue Probleme mit sich bringe; kritisch auch Lazararos, S. 140. 51
Beyer, in: Grimmer, S. 122 (207); Lenk, in: Garsrka, S. 107 (108).
52 So Lenk, Verwaltungsrundschau 87, S. 306 (308); Osswald, S. 21; Lenk, CR 86, S. 294 (294). Zu beachten ist allerdings, daß es höchst unterschiedliche Zählweisen für Computergenerationen gibt (siehe Fiedler, in: Reinennann, S. 43 (45); so differenziert Hajt, S. 12, 13 nach der verwendeten Technik, während die sog. japanische Zählung auch Änderungen der Methodik erfaßt. Siehe zum Ganzen auch TraunmUller, in: Reinennann, S. 100 (100) und Reinennann, VOP 89, S. 126 (127 ff.».
53 Frankenbach / Reinennann, S. 4; Lenk, Verwaltungsrundschau 87, S. 306 (308); zum PCEinsatz in kleineren Verwaltungen siehe Scheer, in: Reinermann, S. 70 (74).
54 Faehling, in: Reinennann, S. 85 (87); Scheer, in: Reinermann, S. 70 (74); Sadler, in: Reinennann, S. 247 (283); Reinermann, VOP 89, S. 126 (142, 143); Eberle, CR 88, S. 258 (259). 55 Bebenneyer, DÖV 84, S. 972 (973); Pjlaumer, DVBI. 85, S. 102 (102); Broß, Städte- und Gemeinderat 87, S. 128 (128).
31
1. Abschnitt: Einführung in die Problematik
mit einer eigenen Verfügungsgewalt über Daten, Programme und Verfahren ist. Ein Zwang zur Anpassung der Fachverwaltung an die Belange der Rechenzentrale ergibt sich schon aus dem Erfordernis einer Einheitlichkeit des Betriebssystems56 • Ferner sind manche gewünschte Bearbeitungsformen auch heute noch bei einer Durchführung mittels Datenfernverarbeitung schwierig zu realisieren. So würde etwa die Berechnung von bestimmten Sozialleistungen mehrere hundert Transaktionen zwischen Eingabegerät und Großrechner im Echtzeitbetrieb erfordern57 • Es läßt sich somit folgender Stand der Verwaltungsautomation in der Bundesrepublik konstatieren: Die Umstellung der Massenarbeiten auf EDV ist weitgehend abgeschlossen58 ; sie haben gegenwärtig noch den größten Anteil an den automatisierten Aufgaben. Daneben hat aber eine Entwicklung begonnen, die auch bei individuellen, komplizierten Entscheidungen zumindest eine Teilautomation59 ermöglicht; als Beispiel hierfür seien Aufgaben des Zollwesens, der Arbeitsvermittlung und der Bauverwaltung, der polizeiliche Erkennungsdienst sowie Genehmigungen im Güterkraftverkehr genannt60 • Hier kommt es zu neuartigen Formen der Arbeitsteilung im Mensch-MaschineDialog. Die frühere Dominanz technischer Sachzwänge ist fast vollständig beseitigt worden61 • Wo technische Notwendigkeiten dennoch als Argument vorgebracht
56 MaUer-Heidelberg, Recht im Amt 70, S. 101 (106); Betriebsprogramme sind Programme zur Steuerung und ÜbeIWachung, die eine optimale Ausnutzung der EDV-Anlage gewährleisten (Osswald, s. 53). 57
Hasenritter, VeIWaltungsrundschau 86,
s. 249 (251).
Frankenbach I Reinermann, S. 2, 25,162; Dieke, in: Reinermann, VeIWaltungsrundschau 86, s. 249 (250). 58
s. 51
(55); Hasenritter,
59 Bei einer Teilautomation sind dem maschinellen Entscheidungsbeitrag manuelle Bearbeitungsteile vor- oder nachgeschaltet (Degrandi, S. 51).
60 Schäffer, DÖV 88, S. 149 (151, 156); Grimmer, in: TraunmaUer, S. 28 (29); Herden I Karrer, ÖVD 77, Heft 6, S. 8 (8); Ostermann, Städtetag 88, S. 662 (664). Gerade das Beispiel der Genehmigungen im Güterkraftverkehr ist im Zusammenhang mit den vorliegenden Untersuchungen besonders interessant, weil es dort auch erste Versuche einer elektronischen Übermittlung des VeIWaltungsaktes gibt (Kübler, S. 38). 61 Kübler, S. 92; Fiedler, in: Reinermann, S. 43 (44,46); Reinermann, VOP 89, S. 58 (58); Kieser, in: TraunmaUer, S. 42 (46, 49); Reinermann, ÖVD 83, Heft 2, S. 67 (70); Mundhenke, in: Fischer, S. 68 (78); Lenk, eR 86, S. 294 (296). Darin sieht Luhmann, ÖVD 72, Heft 2, S. 44 (46) eher ein Problem der Automatisierung, weil dadurch mehr Kombinationsmöglichkeiten zu berücksichtigen seien. Für die Berücksichtigungjuristischer Vorgaben ist jedoch die "Qual der Wahl" wesentlich besser geeignet als ein "alles oder nichts".
32
1. Teil: Einleitung
werden, wird in Wirklichkeit häufig bereits von der Wahl einer bestimmten Technik ausgegangen oder es werden Wirtschaftlichkeitserwägungen zur Verkürzung der Auswahl herangezogen62 • Diese Entwicklung rechtfertigt es, von einer "neuen Lage der Verwaltungsautomation" zu sprechen63 • Es geht nicht mehr um die Frage, ob Computer in der Verwaltung eingesetzt werden sollen, um eine Automation als solche, sondern darum, weIche Ziele es dabei zu verfolgen gilt. Erweitert wird diese Fragestellung durch erste Ansätze einer neuen Technikform in der Verwaltung, der "Informations- und Kommunikationstechnik"64 .
B. Kennzeichen des Übergangs zur Infonnationsund Kommunikationstechnik Der Begriff Informations- und Kommunikationstechnik wird synonym mit anderen Ausdrucken verwendet. So spricht Ostermann von "neuer Informationstechnik"65, während Burkert und Schimmel den Terminus "neue Medien" verwenden66 und Weggen diese Erscheinung "technikunterstützte Informationsverarbeitung" nennt67 • Gemeint sind mit diesem Begriff alle Geräte, Verfahren und Programme, die der Verwaltung zur Übermittlung, Verarbei-
62 SteinmUller, in: Kilian, S. 51 (59), der zusätzlich politische Zielsetzungen bei einer solchen Argumentation vermutet. Nach Beyer, in: Grimmer, S. 122 (198) war bereits der Zentralisierungsprozeß der 70er Jahre nur vordergriindig eine Folge der Technik, in Wirklichkeit aber von der KGSt. bewußt gesteuert. Auch Winkämper, Die Verwaltung 83, S. 161 (165) sieht darin weniger die Folgen der Technik als einen umfassenden sozialen, kulturellen und politischen Wandel. 63 Reinennann, VOP 87, S. 49 (49); derselbe, in: Reinennann, S. 23 (24, 26); derselbe, Verwaltungsautomation und Fortbildung, S. 11; derselbe, ÖVD 84, Heft 11, S. 77 (79); Vogel, in: Reinennann, S. 12 (12); Fiedler, in: Reinennann, S. 23 (24, 26); Grimmer, DÖV 82, S. 257 (265); Ehlers, VOP 89, S. 58 (59) spricht hier von einer neuen Symbiose von Verwaltung und Technik.
64 So auch Scholz, Landkreis 89, S. 156 (156); Kübler, S. 15; Schön, in: Fischer, S. 95 (95); Giehl, BayVBI. 88, S. 321 (324). 65
Ostennann, in: Ostennann, S. 1 (24).
66 Schimmel, in: TraunmUller, S. 179 (179); Burken, in: TraunmUller, S. 183 (185). Nach Gomig, Äußerungsfreiheit, S. 214 fallen unter die "Neuen Medien" alle Arten der Übermittlung und Wiedergabe von Informationen mit neuartiger Technik. 67 Weggen, Städte- und Gemeinderat 88, S. 185 (185). Weitere synonym gebrauchte Begriffe sind Telekommunikation, Telematik und Nachrichtentechnik (siehe Reichardt, in: Fischer, S. 11 (12».
1. Abschnitt: Einführung in die Problematik
33
tung, Speicherung und Darstellung von Informationen dienen68 , gleich ob diese als Daten, Text, Sprache oder Bild vorhanden sind69 • Bei der Infonnations- und Kommunikationstechnik handelt es sich also um eine Erweiterung70 gegenüber der Verwaltungsautomation, die im wesentlichen nur die Datenverarbeitung umfaßte. Diese ist künftig nur noch ein, wenngleich auch besonders wichtiges, Teilgebiet einer umfassenden Technikunterstützung der Verwaltung. Drei Tendenzen wirken heute zusammen in Richtung auf einen verstärkten Einsatz dieser Informations- und Kommunikationstechnik, deren technische Säulen man in der Digital- und Glasfasertechnik sehen kann71 • Von besonderer Bedeutung ist die neuartige Verbindung der bisherigen Teiltechniken Datenverarbeitung, Kommunikations- und Bürotechnik in einem GeräC2 • Die bisher getrennt verlaufene Entwicklung dieser Bereiche hat zum Problem der sogenannten "Mediensprunge" geführt. Die Nahtstellen waren nicht kompatibel gestaltet, so daß eine umständliche, teils auch technisch gar nicht mögliche, Transfonnation in die jeweils andere Technik erfolgen mußte. Diese Transfonnation wird durch den Trend zu sogenannten "Multifunktionsgeräten"73 überflüssig werden, welche sowohl die Datenverarbeitung als auch die -übertragung in beliebiger Form ermöglichen. Dadurch wird sich die Verfügbarkeit von Infonnationen in dreierlei Hinsicht ändern, indem es zu einem Abbau
68 Kübler, s. 15; Reinermann, VelWaltungsautomation und Fortbildung, s. 18; Schäffer, DÖV 88, s. 149 (149); in diesem Sinn wird der Begriff lnformationstechnik neuerdings auch in § 2 BSIG velWendet. 69 Daten sind nach DIN 44300 die kleinste Einheit des Informationsvorgangs. Eine Information besteht danach aus einer Vielzahl von Daten (Clemens, NJW 85, s. 1998 (1998); Fiedler, in: Reinermann, s. 43 (90); Jähnig, ADV, S. 42; Eberle, Organisation, S. 48). Dagegen velWendet Meschkat, Diss. jur. Kiel, S. 18 den Begriff Daten als Aussage über die einzelne Information. 70 Diesen Unterschied übersieht CzelWick, Die VelWaltung 91, S. 47 (47), wenn er von einer 40jährigen Tradition der Informations- und Kommunikationstechnik spricht. 71
Kübler, S. 53; Ostermann, in: Ostermann, S. I (9); Lohner, DVR 82, S. 107 (109).
72 Fiedler, in: Traunmaller, S. 128 (132); Wissing, Städtetag 88, S. 393 (396); derselbe, ÖVD 82, Heft 2, S. 81 (81); Krackeberg, in: Fischer, S. 21 (21); Fiedler, in: Fischer, S. 88 (88); Salvers, in: Fischer, S. 136 (138); Lohner, DVR 82, S. 107 (109); Ehlers, Jura 91, S. 337 (337); Ostermann, Städtetag 88, S. 662 (663). Dabei umfaßt die bisherige Bürotechnik die lnformationserstellung in Wort und Graphik sowie die lnformationssuche (Bodem, in: Fischer, S. 11 (32); Wißkirchen, in: Reinermann, S. 57 (57»). Mit Broß, Städte- und Gemeindebund 87, S. 128 (128) und Grimmer, Die VelWaltung 90, S. 25 (31) ist aber zu konstatieren, daß im Zuge der Digitalisierung eine Abgrenzung von der Datenverarbeitung kaum noch möglich ist.
73
(337).
Bodem, in: Fischer, S. 11 (32); Giehl, BayVBI. 88, S. 321 (324); Ehlers, Jura 91, S. 337
3 Polomslci
34
\. Teil: Einleitung
räumlicher, zeitlicher und kapazitätsmäßiger Engpässe kommt'4. Die erweiterten Verwendungsmöglichkeiten derartiger Geräte sind noch gar nicht absehbar. Maßgebliche Bedeutung kommt bei dieser Entwicklung der Ausgestaltung des Kommunikationsnetzes ZU7S. Hier eröffnet der Übergang zu ISDN ( = Integratet Services Digital Network = dienstintegriertes digitales Netz) neue Horizonte. Der autonome PC-Einsatz wird solchermaßen eine Übergangsphase bleiben76 • Er mag zur Zeit beziehungsweise auch später für einzelne Anwendungen seine Berechtigung haben. Künftig jedoch wird der PC nur Teilelement eines bei Bedarf zu aktivierenden größeren Netzes sein. Dabei wird dieses Zusammenwachsen der Techniken den Trend zu einer Dezentralisierung fortsetzen n . In den Mittelpunkt neuer Technikprojekte rückt der einzelne Arbeitsplatz7S • Es geht nicht mehr darum, diesen an vorhandene Geräte anzubinden; vielmehr ist der Arbeitsplatz künftig der Ausgangspunkt der Überlegungen. Von besonderer Bedeutung ist dabei, daß die Informationstechnik auch Tätigkeiten erfaßt, die bisher bei der Datenverarbeitung nicht programmierbar waren 79 • So kann zum Beispiel ein konventionell erstellter Verwaltungsakt
74
Bongen, Städtetag 86, S. 192 (192).
7S Ostermann, in: Ostermann, s. 1 (18,42); Schön, in: Fischer, s. 95 (95); Wissing, Städtetag 88, s. 393 (395); Eber/e, Die Verwaltung 87, s. 459 (466). Das Kommunikationsnetz wird künftig nicht neutral sein, sondern seine Ausgestaltung hat Rückwirkungen auf Aufgaben und Inhalt der Verwaltungstätigkeit (Grimmer, ÖVD 88, Heft 7, S. 49 (49». 76 Wissing, ÖVD 82, Heft 2, s. 81 (82); Kassner, in: Ostermann, S. 143 (182); Ostermann, in: Ostermann, S. 1 (16, 18); Weggen, Städte- und Gemeinderat 88, S. 185 (186); Hasenriner, Verwaltungsrundschau 86, s. 249 (253); anders fiir die Rechtspflege Endrös, S. 1, 14 und insgesamt auch Langguth, in: Ostermann, S. 77 (107).
n Die Informations- und Kommunikationstechnik macht nach allgemeiner Ansicht wieder diejenigen dezentralen Lösungen machbar, die früher unter Berufung auf Art. 65 S. 2, 28 ß GG gesichert werden sollten (Roßnage/, Möglichkeiten, in: Roßnagel, S. 177 (178); Reinermann, VOP 87, S. 49 (54); Krause, Diss. rer. publ. Speyer, S. 20; Send/er, in: Reinermann, S. 165 (174); Debusmann / Mehnens, VOP 87, S. 257 (257); Grimmer, DÖV 82, S. 257 (265». 7S Reinermann, VOP 87, S. 49 (49); Bongen, Städtetag 86, S. 192 (195, 196); Ostermann, Städtetag 88, S. 662 (664); Send/er, in: Reinermann, S. 165 (174); Groch/a, in: Garstka, S. 113 (118) spricht hier davon, daß viele verschiedenartige Mensch-Maschine-Systeme entstehen. 79 Nach Bongen, Städtetag 86, S. 192 (196) erfaßt die bisherige Datenverarbeitung nur 1/3 der automatisierbaren Aufgaben. Weggen, Städte- und Gemeinderat 88, S. 185 (187) schätzt, daß bisher nur 10 % aller Tätigkeiten am Arbeitsplatz der Behörde technikunterstützt sind. Zu diesen weiterreichenden Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnik siehe auch Küb/er, S. 22, 37; Reinermann, Fortbildung, S. 86; Ostermann, in: Ostermann, S. 27; Reichardt, in: Fischer, S. 11 (13); Langguth, in: Ostermann, S. 77 (85); Bongen, Städtetag 86, S. 192 (195); Lenk, Verwaltungsrundschau 87, S. 306 (308).
I. Abschnitt: Einführung in die Problematik
35
immer noch in diese Geräte eingegeben werden (möglicherweise durch Scanner), um dann elektronisch übermittelt zu werden. Anders als bei der Automation geht es hier um die ganzheitliche Unterstützung aller Tätigkeiten eines Sachbearbeiters. Die Informations- und Kommunikationstechnik wird die Einzelfallbearbeitung in ihrer Substanz verändemllO • Kam es bisher beim Einsatz elektronischer Geräte zu einer weitgehenden Arbeitsteilung, so wird sich diese nun wieder reduzieren. Die schon im manuellen Verfahren ausgegliederten Assistenztätigkeiten werden an den Arbeitsplatz zurückkehren81 • In absehbarer Zeit wird in einigen Teilgebieten sogar die eigenständige Erstellung von Computerprogrammen durch die Sachbearbeiter möglich sein82 • Die neue Technik führt so zu einer Renaissance längst verschwundener Arbeitsformen in der öffentlichen Verwaltung. Schließlich wird auch der Bereich der eigentlichen Datenverarbeitung erweitert werden können, weil die Verwaltungstätigkeit in immer stärkerem Maße formalisiert und standardisiert wird und so den Einsatzbedingungen der Datenverarbeitung entgegen kommtS3 •
C. Das künftige Verhältnis von Automation und Informations- und Kommunikationstechnik Der Übergang zur Informations- und Kommunikationstechnik wird keinesfalls zu einem Verschwinden der bisherigen Entwicklungen der Automation führen. Vielmehr ist ein arbeitsteiliges Nebeneinander beider Formen zu erwar-
110 Reinermann, Verwaltungsautomation und Fortbildung, S. 27; Osrermann, in: Osrermann, S. I (27).
81 Kübler, S. 97; Poeruch-Heffier, in: Reinermann, S. 16 (22); Reinermann, VOP 89, S. 126 (145); Kieser, in: Traunmaller, S. 42 (48); Giehl, BayVBI. 88, S. 321 (325); Weggen, Stidte- und Gemeinderat 88, S. 185 (186, 187); Eberle, Die Verwaltung 87, S. 459 (465); Schillo, eR 91, S. 54 (55). Diese Re-Integration von Assistenztätigkeiten ist nach Kassner, in: Osrermann, S. 143 (182) besonders erfolgversprechend, weil ca. 75 % aller Schreiben der Verwaltung nicht länger als eine Seite sind. Nach Grimmer, Die Verwaltung 90, S. 25 (39) hat die Einführung der Infonnations- und Kommunikationstechnik in der Arbeitsvermittlung dagegen eher noch zu einer weiteren Zersplitterung der Aufgabenerfüllung geführt.
82 So gehen WinkiJmper, Städte- und Gemeinderat 88, S. 177 (181) und Görtrup, Studium generale, Bd. 21 (1968), S. 1107 (1109) davon aus, daß ab dem Jahre 2050 eine Spracheingabe selbstverständlich sein wird. Zur Erstellung eigener Programme siehe auch Sadler, in: Reinermann, S. 274 (280) und Weggen, Städte- und Gemeinderat 88, S. 185 (190). 83
3"
Vergleiche dazu ausführlich S. 114, 120 ff.
36
I. Teil: Einleitung
ten84 • Die Abwicklung der Massenarbeiten wird weitgehend im Bereich der Automation verbleiben. Hier kann die Infonnations- und Kommunikationstechnik lediglich die verbliebenen Mißstände verringern oder beseitigen8s • Die Rechenzentren werden zusätzliche Aufgaben übernehmen müssen, um im Zeitalter von Dezentralisierungstendenzen bestehen zu können. Zu denken ist dabei an die Entwicklung von Programmen, an Schulung, Beratung, Wartung und andere Dienstleistungen86 • Ferner kann eine fortbestehende Anbindung an Zentralen die Funktionsfähigkeit der Verwaltung bei einem Ausfall der eigenen Geräte sichern. Hinzu tritt eine größere Unabhängigkeit der einzelnen Verwaltungseinheit von den Hard- und Software-Herstellern87 • Infonnations- und Kommunikationstechnik als Universalwerkzeug wird dagegen dort eingesetzt, wo es um komplexe Probleme im Kontakt zum Verwaltungsklienten geht, die sich bisher einer Einbeziehung in den Bereich der Automation entzogen haben88 • Die Zukunft dürfte so im Bereich der Verwaltung in einer Kombination von dezentraler Datenverarbeitung und zentraler Datenspeicherung unter Nutzung der neuen Kommunikationstechniken liegen. Es ist die Aufgabe des Juristen, diese Entwicklung planend mitzugestalten. Anders als bei der Einführung der Automation, deren Erscheinungsformen nur nachträglich am rechtlichen Maßstab gemessen wurden, kann er hier spezifisch juristische Wertungen bereits in den Inkorporierungsprozeß einbringen. Dieses gilt um so mehr, als technische Sachzwänge fast vollständig entfallen sind. Liefen früher juristische Forderungen Gefahr, den wichtigen Prozeß der Auto-
84 Bebennayer, DÖV 84, S. 972 (974); Jungesblut, Diss. wiwi. u. sozial. Kassel, S. 171; Mundhenke, in: Fischer, S. 68 (72); Hasenritter, Verwaltungsrundschau 86, S. 249 (252). 8S Wittkämper, Die Verwaltung 83, S. 161 (170) spricht hier von neuen Möglichkeiten der Humanität der technischen Massenverwaltung. Eine Autonomie in diesem Bereich erscheint auch wenig sinnvoll, siehe Langguth, in: Ostennann, S. 77 (106) und Garstka, Jhrb. der Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 7 (\980), S. 233 (239). 86 Wittkämper, Städte- und Gemeinderat 88, S. 177 (\83); Hasenritter, Verwaltungsrundschau 86, S. 249 (253); Langguth, in: Ostennann, S. 77 (106); Reinennann, VOP 89, S. 126 (144); Sadler, in: Reinennann, S. 274 (283-285); Beyer, in: Grimmer, S. 122 (213); Frankenbach / Reinennann, S. 55; Schmitt, Städtetag 68, S. 46 (47). Dagegen sieht Ostennann, Städtetag 88, S. 662 (662) und in: Ostennann, S. I (37) die künftige Rolle der Rechenzentren pessimistischer. Er geht davon aus, daß ihre bisherige Fortexistenz nur die Folge einer vermeintlichen MonopolsteIlung ist und sie so in Zukunft keinerlei Überlebenschance haben; kritisch auch Eberle, Organisation, S. 60.
87 Ostennann, in: Ostennann, S. I (35); Kloock, Städte- und Gemeinderat 86, S. 61 (64); Gebhardt, ÖVD 75, Heft 2, S. 52 (53). 88
Riegel, VOP 89, S. 156 (\59); Reichardt, in: Fischer, S. 11 (\6).
1. Abschnitt: Einführung in die Problematik
37
matisierung vollständig ZU verhindern, geht es heute um die Auswahl zwischen so vielen Alternativen, daß Experten bereits von einem "Optionenschock" sprechen89• Deshalb können nunmehr auch einschränkende Forderungen vehementer vertreten werden, als noch zur Zeit der Entstehung des VwVfG. Die dortigen Regelungen der §§ 28 11 Nr. 4, 37 IV, 3911 Nr. 3 VwVfG bedürfen einer Überprüfung ihrer fortgeltenden Berechtigung. Andere Regelungen müssen eventuell neu in das VwVfG aufgenommen werden. Unter diesen geänderten Bedingungen sind zunächst die anzustrebenden Ziele der Datenverarbeitung neu zu bestimmen und dann unter Berücksichtigung ve1jassungs- und verwaltungsrechtlicher Vorgaben zu konkretisieren90 • Bisher gibt es für die Informations- und Kommunikationstechnik nur wenige, überdies in sich widersprüchliche Grundentscheidungen, die praktisch jede Lösung legitimieren91 • Ein derartiges Defizit erscheint um so gefährlicher, als daß in diesem Bereich die Weichen für den Verwaltungsalltag von morgen gestellt werden. Der Anschluß an das Kommunikationsnetz hat dabei heute die gleiche Bedeutung wie früher die Anbindung an Eisen- oder Autobahn92 • Ein Abwarten auf die "perfekte Technik" ist als Grundlage für diese Entscheidungen nicht nötig93 , ja auch gar nicht wünschenswert, da sonst wichtige Erfahrungen aus der Anlaufzeit verloren gehen würden. Zudem werden die Innovationszyklen immer kürzer, so daß es kaum einen optimalen Zeitpunkt für den Übergang zu dieser Technik gibt. Die maßgeblichen Entscheidungen sind vielmehr bereits in allernächster Zukunft zu treffen.
89
Kassner, in: Ostermann,
s.
143 (186).
Fiedler, in: Traunmaller, S. 128 (132); Reinermann, ÖVD 83, Heft 2, S. 67 (70); Grimmer, DÖV 82, S. 257 (265); Krückeberg, in: Fischer, S. 21 (23); Grimmer, VOP 88, S. 11 (20); Meschkat, Diss. jur. Kiel, S. 112. Dabei ist aber zu beachten, daß die Zuriickgewinnung alter Freiheiten der Arbeitsgeslaltung auch Gefahren für den Arbeitsplatz des Einzelnen mit sich bringt; mit diesen Gefahren der Automation für das individuelle Arbeitsrecht beschäftigt sich Reiseier, Personalrat 88, S. 12 ff., mit dem kollektiven Arbeitsrecht Bahl, in: Roßnagel, S. 107 (112 ff.) und Giehl, BayVBI. 88, S. 321 (326). 90
91 Siehe hierzu Grimmer, ÖVD 80, Heft 12, S. 9 (11); Beyer, in: Grimmer, S. 122 (207); Grimmer, in: Grimmer, S. 341 (357).
92
(182).
Ostermann, in: Ostermann, S. I (55); WinklJmper, Slädte- und Gemeinderat 88, S. 177
93 Reinermann, VOP 87, S. 49 (56); Berg, Diss. jur. Köln, S. 45; Bongen, Slädtelag 86, S. 192 (195); Wissing, Slädtelag 88, S. 393 (394). So sind z.B. bei der Umstellung der Arbeitsvermittlung auf Computer die gewünschten Effekte nur z.T. eingetreten, dafür kam es aber zu unvorhergesehenen Nebenfolgen (Schiljer, S. 183); ähnlich Lenk, in: Reinermann, S. 354 (355).
Zweiter Abschnitt
Ziele und Gefahren der Technikunterstützung der Verwaltung A. Ziele der Einführung von Technik in die Verwaltung Um eine breitere Beurteilungsgrundlage für die Erörterung der juristischen Probleme zu erhalten, sollen im folgenden die Ziele dargestellt werden, welche die VelWaltung mit der Einführung neuer Techniken verfolgt. Diese Ziele lassen sich in verwaltungsinterne Ziele und Ziele mit Bezug auf den Bürger unterteilen. Erst auf der Grundlage der Kenntnis der maßgeblichen Beweggründe, aber auch des tatsächlichen Gefahrenpotentials, ist es möglich, die Realisierungschance einschränkender Forderungen zu beurteilen. I. Verwaltungsinterne Ziele
1. Verbesserungen für die Mitarbeiter
Für die VelWaltungsmitarbeiter hat die Automation zunächst zu einer weitreichenden Arbeitsteilung und Beschränkung des einzelnen Amtswalters auf monotone, der Arbeitsweise der Maschine angepaßte, Tätigkeiten geführt. Nunmehr sollen sie von eintönigen, geistig anspruchslosen Aufgaben entlastet werden und so Zeit für die "eigentlich menschlichen" Tätigkeiten wie Planen, Werten und Gestalten finden 94 • Die dabei freiwerdenden Arbeitskräfte sollen für eine verstärkte Betreuung und Beratung des Bürgers eingesetzt werden.
94 Kone, DVBI. 57, S. 561 (563); Haeffner, in: Roßnagel, S. 31 (34); Riegel, VOP 89, S. 156 (159); Vogel, in: Reinennann, S. 12 (17); Schreiber, Jura 85, S. 288 (290); Markull, VerwArch., Bd. 48 (1957), S.5 (7); OSlennann, Die Verwaltung 70, S. 129 (139); Reinennann, Die Verwaltung 85, S. 289 (300); derselbe, VOP 87, S. 49 (52). Ein Weg zur Verbesserung der Motivation der Mitarbeiter soll nach Scheer, in: Reinennann, S. 70 (75) der verstärkte Einsatz von Personal-Computern sein. Schon BUII' Verwaltung, S. 134 hat jedoch auch auf neuartige Gefahren rur die Mitarbeiter durch verstärkte Möglichkeiten der Überwachung und Kontrolle hingewiesen
2. Abschnitt: Ziele und Gefahren der Technikunterstützung
39
2. Finanzielle Aspekte der Verwaltungsautomation Kein anderes Ziel der Automation wird so häufig genannt und ist gleichzeitig so umstritten wie die Möglichkeit finanzieller Einsparungen. In der Tat ist es wohl hauptsächlich dieses Motiv, welches die Verwaltung mit der Anschaffung derartiger Geräte verfolgt. Sein Spannungspotentialliegt darin begründet, daß die für Einsparungen notwendigen Personalverringerungen in Zeiten einer angespannten Arbeitsmarktlage nicht opportun erscheinen. Zwar ist der Stellenwert dieses Ziels für die öffentliche Verwaltung noch nicht abschließend geklärt9S ; es besteht aber Einigkeit darüber, daß das Kriterium der Wirtschaftlichkeit bei jedem Automationsvorhaben berücksichtigt werden muß, es also keine Automation um ihrer selbst willen geben darf. Finanzielle Einsparungen durch weniger Personal können in der Verwaltung nicht den gleichen Stellenwert wie in der Wirtschaft haben. Dieses liegt zum einen darin begründet, daß der Staat strengeren Bindungen unterliegt, zum Beispiel in Form des Rechtsstaatsprinzips96. Zum anderen sind es auch politische Vorgaben, die es der Verwaltung unmöglich machen, nach rein wirtschaftlichen Grundsätzen zu operieren. So können Arbeitsmarktgründe den Staat zwingen, sich als Wirtschaftssubjekt unsinnig zu verhalten97 , wie dieses auch der mehrfach geänderte Kurs der Treuhand-Holding in den neuen Bundesländern zeigt.
und sieht darin einen möglichen Verstoß gegen die durch Art. 1 I GG geschützte Menschenwürde (aaO., S. 137); siehe hienu auch Lenk, eR 86, S. 294 (299). 9S Lenk, S. 21; Kübler, S. 19; Fiedler, in: Reinennann, S. 43 (51); Fiselius, ÖVD 82, Heft 5, S. 100 (103); Zielinski, Die Verwaltung 77, S. 197 (209). Zur Abgrenzung von Wirtschaftlichkeit, Produktivität und Sparsamkeit siehe Jähnig, ADV, S. 75 sowie Meincke, S. 127. 96 MarkulI, VerwArch., Bd. 48 (1957), S. 5 (13); Kone, DVBI. 57, S. 561 (562); Kübler, S. 19; Dieke, in: Reinennann, S. 51 (52). So hängt die Wirtschaftlichkeit auch maßgeblich von der Automationsfreundlichkeit der gesetzlichen Grundlagen ab (Simitis, Automation, S. 14). Osswald, S. 24 legt übeneugend dar, daß im Sinne einer Wirtschaftlichkeit schon die verfassungsmäßige Aufgabenverteilung keine gute Voraussetzung ist; zu erwähnen ist auch die stärkere Bindung des Personalrechts (Ostennann, Slädtetag 88, S. 662 (665); Göttlinger, S. 57). Schließlich muß auch bei einem Programmausfall die Funktionsfähigkeit der Verwaltung gewährleistet sein, was umfangreiche Aufwendungen erfordert (Sendier, in: Reinennann, S. 156 (169); Grimmer, Die Verwaltung 90, S. 25 (26». 97 Die Verwaltung muß auch Einstellungen ohne Bedarf vornehmen (Dieke, in: Reinennann, S. 51 (60); Brinckmann, Verwaltungsautomation, S. 100; Grimmer, ÖVD 88, Heft 7, S. 49 (52); WittklJmper, Die Verwaltung 83, S. 161 (176».
40
1. Teil: Einleitung
Im damit für die Berücksichtigung finanzieller Aspekte verbleibenden Rahmen ist schon der maßgebliche Zeitpunkt für einen solchen Wirtschaftlichkeitsvergleich mit den bisherigen Arbeitsmethoden umstritten. Dabei wird zum Teil auf den Zeitpunkt der Einführung98 , zum Teil aber auch auf einen späteren Zeitpunkt nach einer gewissen Umstellungsphase abgestellt99 • Noch strittiger ist die Wahl des richtigen Vergleichsmaßstabes. Während Meincke das bisherige tatsächliche Verfahren heranziehen will 100, plädieren andere Autoren dafür, daß ein realistischer Vergleich nur möglich sei, wenn man von einem hypothetischen, optimierten konventionellen Verfahren mit dementsprechenden Kosten ausginge lOI • Ein Hauptproblern dieses Wirtschaftlichkeitsvergleiches ist die Berücksichtigung von Faktoren wie höhere Zuverlässigkeit, flexibleres Verfahren oder bessere Qualifikation der Mitarbeiter, die sich zwar nicht in Geld messen lassen lO2 , aber dennoch eine deutliche Verbesserung gegenüber dem bisherigen Verfahren darstellen. Denkbar ist es, diese Faktoren ganz außer acht zu lassen, sie wenigstens verbal aufzufiihren lo3 oder aber als einen hypotheti-
98 Frankenbach / Reinennann, S. 27; Ebert, OÖV 59, S. 927 (932); Berg, Oiss. jur. Köln, S. 17; Herden / Karrer, ÖVO 77, Heft 6, S. 8 (11). 99 Roehmheld, OVBI. 64, S. 610 (614); Handrock, ÖVO 82, HeftS, s. 105 (105). Hasenritter, Verwaltungsrundschau 86, s. 249 (251) will dazu die "Kapitalwertmethode " heranziehen, das heißt, nicht nur die Höhe der Kosten, sondern auch den Zeitpunkt, in dem diese anfallen, berucksichtigen. Grimmer, Rechtsverwirldichung, S. 95 und Rupprecht, BayVBI. 74, S. 427 (430) fordern, daß in einem Wirtschaftlichkeitsvergleich auch die durch erfolgreich eingelegte Rechtsmittel entstehenden Kosten einbezogen werden.
100
Meincke, S. 129.
Bayersdoifer, Öff. Haushalt 67, S. 90 (112); Jilhnig, ADV, S. 79; Berg, Oiss.jur. Köln, S. 17. Allgemein wird davon ausgegangen, daß eine Wirtschaftlichkeit des neuen Verfahrens schon dann gegeben ist, wenn es keine höheren Kosten als das bisherige Verfahren verursacht (so z.B. Göttlinger, S. 61; Neubert, OB 61, S. 313 (316); Roehmheld, OVBI. 64, S. 610 (614». 101
102 Allgemein zu diesem Problem Schöning, Oiss. jur. Bochum, S. 32; Ostennann, in: Ostennann, S. 1 (70); Berg, Oiss. jur. Köln, S. 17; Luhmann, S. 23; Dieke, in: Reinennann, S. 51 (58); Haft, S. 23; Beyer, in: Grimmer, S. 122 (210). Nach Kassner, in: Ostennann, S. 143 (192) ist ein solcher, nicht quantiflZierbarer Nutzen geradezu kennzeichnend für die neue Stufe der Technik.
2. Abschnitt: Ziele und Gefahren der Technikunterstützung
41
sehen, festen Geldbetrag zu berücksichtigen. Die letztgenannte Methode unterliegt dabei erheblichen Bedenken, weil sie eine Schein-Objektivität vortäuscht. In Anbetracht dieser Probleme sollten Wirtschaftlichkeitserwägungen bei der Einführung neuer Technologien in die Verwaltung zwar berücksichtigt werden; gleichzeitig gilt es aber zu beachten, daß die maßgeblichen Vorteile auf einem anderen Gebiet liegen.
11. Ziele der Automation mit Bezug auf den Bürger
1. Qualitätssteigerung der Verwaltungsarbeit
Das am häufigsten genannte Ziel der Einführung moderner Techniken in den Verwaltungsablauf mit Bezug auf den Bürger ist eine Qualitätssteigerung lO4 des Verfahrens beziehungsweise seines Ergebnisses. Zwar wird vereinzelt bezweifelt, ob eine solche Qualitätssteigerung überhaupt möglich ist, weil der Inhalt der Entscheidung durch das Gesetz genau festgelegt seilOs. Im Rahmen jeder gesetzlichen Vorgabe ist jedoch ein gewisser Spielraum enthalten, innerhalb dessen Verbesserungen der Verwaltungsarbeit möglich sind lO6 und sei es nur bei der Gestaltung des Bescheides. Eine solche Steigerung der Qualität ist in mehrerlei Hinsicht möglich. Zunächst kann es durch EDV zu einer
103
Meincke, S. 132; Jähnig, ADV,
s. 78, 79.
104 So Schäffer, DÖV 88, S. 149 (152); Markul/, VenvArch., Bd. 48 (1957), S. 5 (8); Haft, S. 22, 24; Herden I Karrer, ÖVD 77, Heft 6, S. 8 (9); BiJcksriegel, NJW 68, S. 1767 (1769). 105 Luhmann, S. 23; ablehnend hier Grimmer, ÖVD 80, Heft 12, S. 9 (12) und SchiJning, Diss. jur. Bochum, S. 27.
106 Entscheidend für diese eigenständige Bedeutung des Verfahrens ist auch die Aufgabe des "Dogmas von der einzig richtigen Entscheidung" (siehe SchiJning, Diss. jur. Bochum, S. 27; Schenke, VbIBW 82, S. 313 (315».
42
1. Teil: Einleitung
Verbesserung der Entscheidungsgrundlagen kommen \01. Wie kein bisheriges Arbeitsmittel erlaubt es der Computer, eine unvorstellbare Zahl von Informationen auszuwerten, ehe die eigentliche Entscheidung ergeht. Erstmals müssen nicht mehr aus Zeitgründen maßgebliche Fragen unberücksichtigt bleiben; dieses gilt sowohl für die Sachbearbeiterebene als auch für übergreifende Planungsentscheidungen 108. Gesteigert werden kann aber auch die Gleichbehandlung und damit die Gerechtigkeit bei der eigentlichen Entscheidung lO9 • Die Ausschaltung des subjektiven Willens des einzelnen Amtswalters kann in manchen Fällen der Intention des Gesetzes in besonderem Maße zum Durchbruch verhelfen. Der wohl wichtigste Teilaspekt der Qualitätssteigerung liegt aber in der verstärkten Berücksichtigung der Forderung nach Bargernähe llo • Gerade hier ist es in der Phase der Einführung der Automation zu technikbedingten Defiziten gekommen, die nunmehr auf der Basis eines erweiterten Potentials ausgeglichen werden müssen. Zu denken ist dabei an eine größere Flexibilität der Aufgabenerledigung, zum Beispiel in der Frage der Öffnungszeiten. Viele überflüssige Behördengänge könnten vermieden werden, wenn es gelänge, den Bürger über entsprechende Informationssysteme zuvor über die für einen
101 Göttrop, Studium generale, Bd. 21 (1968), S. 1107 (1117); Osswald, S. 13, 14; Jilhnig, DÖV 70, S. 465 (467); Grimmer, in: Grimmer, S. 341 (348); Dreising, DVBI. 63, S. 880 (884). Als Hilfsmittel zur Meisterung der "Informationskrise im Recht" wird die EDV betrachtet von Similis, Informationskrise, S. 13 ff.; Fiedler, JuS 70, S. 603 (603); Kerkau, ADV, S. 22; Suhr, JuS 68, S. 351 (356); Pollock, S. 138,358; Berg, Diss. jur. Köln, S. 17. 108 Göulinger, S. 1; Klug, Jahrreis-FS, S. 189 (195). Interessant ist hier der Bericht von Bartel, VOP 87, S. 22 (25), der über einen 25 qm großen, begehbaren Flächennutzungsplan fiir Frankfurt berichtet, der mit Hilfe von EDV erstellt werden konnte. 109 Zum Aspekt der Fehlerlosigkeit der Entscheidung Kone, DVBI. 57, S. 561 (564); Eben, DÖV 59, S. 927 (931); Berg, Diss. jur. Köln, S. 19; Eben, Blätter fiir Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht 66, S. 188 (191); Frirsche, Staat und Recht 86, S. 890 (895). Dagegen nimmt Grimmer, DVR 80, S. 323 (332) eine Fehlerverlagerung oder sogar -erhöhung an. Zum Aspekt der Gleichbehandlung durch EDV siehe Vogel, in: Reinermann, S. 12 (17); Osswald, S. 19; Grober, Diss. jur. Würzburg, S. 7; Haeffner, in: Roßnagel, S. 31 (36); Fiedler, Deutsche Rentenversicherung 62, S. 149 (154). Zur gleichmäßigen elektronischen Verkehrsüberwachung siehe Rupprecht, BayVBI. 74, S. 427 (430).
110 Scholz, Landkreis 87, S. 156 (156); Reinermann, Die Verwaltung 85, S. 289 (304); Lenk, in: ReinemJann, S. 354 (358); Grimmer, in: Traunmaller, S. 28 (29); skeptisch Dieke, in: Reinermann, S. 51 (61), weil die Belastung durch Formulare im Zuge der Automatisierung eher noch stärker geworden sei.
2. Abschnitt: Ziele und Gefahren der Technilrunterstützung
43
bestimmten Antrag mitzubringenden Unterlagen zu unterrichtenIlI. Auch wäre es wünschenswert, die Bearbeitungszeit für einen Antrag wieder zu reduzieren ll2 , nachdem es im Zuge der Arbeitsteilung zwischen Rechenzentrale und Fachverwaltung zunächst eher noch zu einer Verlängerung dieser Frist gekommen ist. Zum anderen könnte es möglich werden, den Bürger in stärkerem Maße als bisher von Amts wegen auf bestehende Anspruche aufmerksam zu machen, soweit sich das Vorliegen ihrer Voraussetzungen aus den vorhandenen Daten ergibt 1I) . Einen interessanten Ansatz in dieser Richtung gibt es derzeit in Berlin, wo gleichzeitig mit der Rente Sozialhilfe ausgezahlt werden soll, wenn die Rente eine bestimmte Höhe unterschreitet. Der für viele Betroffene ungeliebte Gang zur Behörde würde so entfallen. Die Automation kann solchermaßen auch dazu dienen, Aufgaben der Verwaltung erfüllbar zu machen, die zum Teil schon immer bestanden, aus Zeit- und Personalmangel aber nicht erfüllt werden konnten 11 4.
111 Frankenbach / Reinennann, S. 29; Klaus / Wattenberg / WinkJer, eR 89, S. 938 (938); Reinennann, VOP 87, S. 49 (55); eine diesbezügliche Verpflichtung der Verwaltung nimmt Grimmer, in: Reinennann 1985, S. 305 (314) an.
112 Schliffer, DÖV 88, S. 149 (152); Vogel, in: Reinennann, S. 12 (17); Lenk, in: Reinermann, S. 625 (625); Jungesblut, Diss. wiwi. u. sozial. Kassel, S. 18; Wedde, in: Roßnagel, S. 67 (68,79). Auf den Bezug zwischen der Schnelligkeit der Entscheidung und dem Rechtsstaatsprinzip weist SchiJning, Diss. jur. Bochum, S. 32 hin. 113 Ehlers, VOP 89, S. 58 (58); Poetzsch-HeJfter, in: Reinennann, S. 16 (19); Reinennann, in: Reinennann, S. 23 (28); derselbe, VOP 87, S. 49 (55); Frankenbach / Reinennann, S. 130; Horn, S. 135; Degrandi, S. 125; Brinckmann, Verwaltungsautomation, S. 77 f.; Grimmer, DÖV 82, S. 257 (263); derselbe, in: Grimmer, S. 341 (352); derselbe, in: Garstka, S. 335 (336). Eine solche Verpflichtung der Verwaltung hat auch einen verfassungsrechtlichen Bezug. So stellt Similis, NJW 71, S. 673 (673) auf das Sozialstaatsprinzip ab, während Grimmer, ÖVD 80, Heft 12, S. 9 (10) zum gleichen Ergebnis aus einer Gesamtschau der Grundrechte kommt. 114 Dreising, DVBI. 63, S. 880 (881-884); Fiedler, Deutsche Rentenversicherung 64, S. 40 (44); Herden / Karrer, ÖVD 77, Heft 6, S. 8 (9). Reinennann, VOP 87, S. 49 (54) und Riegel, VOP 89, S. 156 (159) sehen darin eine Veroesserung der Gesetzesbindung der Verwaltung aus Art. 20 m GG. Zu beachten ist jedoch, daß im Zeitalter umfassender, von niemandem allein mehr beherrschbarer rechtlicher Regelungen auch Vollzugsdeftzite eine wichtige gesellschaftliche Funktion haben können; siehe dazu Brinckmann, Kontrolle, S. 29 und Demant, in: HojJmann, S. 92 (94 f.); speziell zu den Vorteilen einer mangelnden Präsenz von Normen bei der Prüfung einer Baugenehmigung Treeck, in: Traunmüller, S. 329 (334).
44
1. Teil; Einleitung
2. Verbesserung des Informationsaustausches zwischen Barger und Verwaltung
Neben einer besseren Realisierung der anderen Ziele der Verwaltungsautomation versprechen sich Experten von einem Einsatz der lnformations- und Kommunikationstechnik eine qualitative und quantitative Intensivierung des Informationsaustausches zwischen Bürger und Verwaltung. So soll diese Technik die Meinungsäußerung stärken und gleichzeitig die politische und soziale Chancengleichheit steigem 11s • Man erhofft sich von ihrem Einsatz, daß sich die örtliche und inhaltliche Distanz zwischen Bürger und Verwaltung verringert 116 und der Zugang zu Informationen verbessert wird 117. Schließlich sollen Informationssysteme die Abhängigkeiten der Verwaltung bei der Entscheidungsfindung beziehungsweise die Einflüsse von Machtstrukturen offenlegen 118 • Insgesamt wird so mit der weiter verstärkten Einführung von technischen Hilfsmitteln in die Verwaltung ein ganzes Bündel mitarbeiter- und bürgerbezogener Ziele verfolgt. Bei einer Einschätzung ihrer Realisierungschance gilt es zu berücksichtigen, daß sich viele Vorteile erst langfristig und mittelbar bemerkbar machen werden. So ist zum Beispiel eine verbesserte Steuerungsfähigkeit der Verwaltung nicht in wenigen Monaten zu erreichen, würde aber über eine effektivere Verwaltungsarbeit dem Bürger sehr zugute kommen. Weil sich umgekehrt viele der im folgenden darzustellenden Gefahren sofort und gerade auch während der Einfiihrungsphase ergeben, darf die Perspektive nicht zu einseitig auf diese Gefahren gerichtet werden. Eine gerechte Abwägung muß die zeitliche Diskrepanz im Eintritt von Zielen und Gefahren berücksichtigen.
115 Roßnagel, Technikgestaltung, in; Roßnagel, S. 177 (178); allgemein auch Kühler, S. 51 und Grimmer, in; Traunmüller, S. 28 (28). Nach Haefner, in; Roßnagel, S. 31 (32,39) kann sie die Möglichkeiten einer plebiszitären Demokratie erweitern. Kritisch dazu PoetZ$ch-Helfter, in; Reinermann, S. 10 (21), der aber dafiir die Möglichkeit einer Anhörung aller Einwohner einer Gemeinde zu einem Großprojekt über das Kommunikationsnetz bejaht (aaO., S. 28).
116
Reinermann, in; Reinermann, S. 23 (28).
117 Bongen, Städtetag 86, S. 192 (193); Pippke, Verwaltungsrundschau 91, S. 177 (178); Willms, VOP 87, S. 121 (126); Ehlers / Reinermann, VOP 89, S. 58 (60). Reinermann, VOP 89, S. 126 (145) spricht hier von einem datenbankgestützten Einsichtsrecht in Verwaltungsdaten fiir jedermann.
118 Grimmer, in; Kilian, S. 237 (250); Brinckmann, Verwaltungsautomation, S. 51; Scholl., Landkreis 87, S. 156 (158).
2. Abschnitt: Ziele und Gefahren der Technilrunterstützung
45
B. Gefahren der Verwaltungsautomation Im folgenden sollen die möglichen Gefahren eines verstärkten Technikeinsatzes dargestellt werden, die es bei der später folgenden juristischen Argumentation über einzelne Rechtsfolgen zu beachten gilt. Wie schon bei den Zielen kann auch hier zwischen verwaltungsinternen Gefahren und solchen für die Verwaltungsklienten unterschieden werden. I. Verwaltungsinterne Gefahren
1. Verzerrungseffekte bei der Aufgabeneifiillung
Ein wesentliches Problem des Technikeinsatzes in der Verwaltung liegt darin begründet, daß allen Anstrengungen zum Trotz immer noch nicht alle anfallenden Tätigkeiten gleichmäßig unterstützt werden können. Eine vorhandene technische Hilfe hat zur Folge, daß vermehrt solche Aufgaben erledigt werden, die bereits einer Übertragung auf die Maschine zugänglich sind. Entgegen der gesetzgeberischen Intention werden damit andere Aufgaben vernachlässigt, die weiterhin eine manuelle Erledigung erfordern l19 . Der Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen führt ferner auch bei den prinzipiell automationsgeeigneten Aufgaben zu einer Verengung auf die "harten Aufgabenbestandteile" , das heißt, auf solche, welche die Substanz der gesetzlichen Aufgabe darstellenlXI. Nebenziele wie Bürgernähe oder Beratung geraten dabei leicht in den Hintergrund. Aufgrund der Arbeitsweise solcher Anlagen werden schließlich solche Aufgaben verstärkt wahrgenommen, bei
119 Grimmer, DVR 80, s. 323 (325); Brinckmann, Verwaltungsautomation, s. 52, 66, 78; Degrandi, s. 106. So werden in der Praxis des Bußgeldverfahrens solche Verkehrsverstöße überproportional häufig verfolgt, die durch technische Überwachungsgeräte festgestellt werden können (Brinckmann, aaO., S. 78).
131 Grimmer, in: Reinennann 1981, S. 600 (606); derselbe, in: Traunmüller, S. 28 (30); derselbe, DÖV 82, S. 257 (264); derselbe, Die Verwaltung 90, S. 25 (42); derselbe, Rechtsverwirklichung, S. 9. In ÖVD 80, Heft 12, S. 9 (12) sieht Grimmer darin einen Verstoß gegen die verfassungsmäßige AufgabensteIlung der Verwaltung; Beyer, in: Grimmer, S. 122 (217); Kuhlmann, in: Grimmer, S. 233 (305). Schäfer, S. 183 konstatiert ein solches Verhalten auch bei der Umstellung der Arbeitsvennittlung auf EDV.
46
1. Teil: Einleitung
denen die gesetzlichen Vorgaben genau fixiert sind, während ergebnisorientierte oder reflexive Aufgaben vernachlässigt werden l21 . Im Ergebnis bedeuten diese Effekte, daß außerhalb von gesetzlichen Vorgaben Präferenzen für bestimmte Aufgaben entstehen. Insbesondere der Bereich der für die öffentliche Verwaltung wichtigen Ermessensentscheidungen wird dabei zuriickgedrängt. Eine derartige Entwicklung kann nicht ohne Folgen für das Ansehen der Verwaltung in der Öffentlichkeit bleiben. 2. Die Automationsspirale
Im Zusammenhang mit diesen Verzerrungseffekten steht die" Automationsspirale" , bei der zwei verschiedene Ansätze zu unterscheiden sind. Weitgehend überwunden ist inzwischen die Spirale zwischen den Kosten einer solchen Anlage und dem Erfordernis ihrer Ausnutzung. Früher mußten wegen der hohen Investitionen immer weitere Aufgaben auf die EDV übernommen werden, um diese wirtschaftlich nutzen zu können; dieses erforderte eine höhere Speicherkapazität und erhöhte damit wieder die Anschaffungskostenl 22• Aufgrund des Preisverfalls für Computertechnologie hat aber diese Gefahr an Brisanz verloren. Weiterhin von Bedeutung ist dagegen die Spirale zwischen den technischen Möglichkeiten und den Anforderungen an die Verwaltung. Einerseits führen erweiterte Kapazitäten dazu, daß auch die Anforderungen der Politik beziehungsweise Gesetzgebung an die Verwaltung steigen 123 • Andererseits nützt die Verwaltung erfahrungsgemäß bestehende technische Möglichkeiten auch
121 Grimmer, DVR 80, S. 323 (330); derselbe, in: Reinennann 1981, S. 600 (605). Dagegen wird der von Grimmer ebenfalls befiirchtete "Zerstückelungseffekt" bei der Aufgabenwahmehmung und die damit einhergehende Anonymisierung der Verwaltungsarbeit durch den Übergang zur Infonnations- und Kommunikationstechnik wesentlich abgeschwächt werden können (siehe dazu auch S. 260). 122
So noch Degrandi, S. 57.
123 Nach Zeidler, S. 11, 27 sind die gesetzgeberischen Vorgaben stets auch durch die tatsächliche Möglichkeit ihrer Realisierung bedingt. Lenk, in: Reinennann 1985, S. 354 (366) folgert daraus, daß die Technik häufig Lösungen vorgebe. welche sich ihre Probleme erst noch suchen müßten. Eine Steigerung der Forderungen des Gesetzgebers konstatiert auch Grimmer. Die Verwaltung 90, S. 25 (42). Daneben steigen auch die Erwartungen des Bürgers an die Verwaltung (Schi1ffer, DÖV 88, S. 145 (152); Salvers, in: Fischer, S. 136 (144); WittkiJmper, Die Verwaltung 83, S. 161 (162». Verbesserte Möglichkeiten fiihren also auch zu einer Forderung nach verbesserten Leistungen, so daß die Entlastung der Verwaltung nur scheinbar ist.
2. Abschnitt: Ziele und Gefahren der Technikunterstützung
47
aus. So wächst mit jeder Datenbank der "Datenhunger der Verwaltung"l24 mit der Folge, daß sich Datenschutzprobleme immer dringlicher stellen. Verzerrungseffekt und Automationsspirale bewirken so, daß eine verbesserte Technikunterstützung der Verwaltung gleichzeitig die Gefahren erhöht. Die Lösung kann somit nicht in einer" Automatisierung um jeden Preis", sondern nur in gezielten Projekten unter genauer Abwägung der Vor- und Nachteile liegen. 3. Verstärkung der Abhängigkeit vom Computer
Für eine solche bewußte Beschaffungspolitik spricht auch die nachweisbare zunehmende Abhängigkeit l2S der Verwaltung von Computern. Die Umstellung auf derartige Geräte erfordert bereits während der Einführungsphase umfangreiche Veränderungen von Verfahren und Organisation. Nach Abschluß der Übertragungsarbeiten gibt es kaum einen Weg zurück zum bisherigen manuellen Verfahren l26 . Der Entschluß zur Einführung dieser Geräte entwickelt so eine Eigendynamik, die es bei nachträglich erkannten Mängeln nicht gestattet, das Projekt vollständig abzubrechen. Auch ein Wechsel auf ein
124 Simitis, NIW 71, s. 673 (676); Wieacker, Bötticher-FS, s. 383 (387); MaUer-Heidelberg, Recht im Amt 70, s. 101 (106); Grimmer, DÖV 82, s. 257 (262); SteinmaUer, in: Kilian, S. 51 (63); Riegel, VOP 89, S. 156 (160) spricht hier von einer neuen "Parkinsonschen Krankheit"; speziell rur die Polizei Brinckmann, DÖV 85, S. 889 (891) und Schapper, DRiZ 87, S. 221 (223).
125 Diese Abhängigkeit vom Computer schließt es auch aus, den Behördenmitarbeitern die Benutzung eigener Personal-Computer oder Programme rur die Bewältigung der Arbeit zu gestatten; zu groß ist die Gefahr rur die Funktionsfähigkeit der Verwaltung, wenn ein Mitarbeiter die alleinige Verfiigungsgewalt über dieses wichtige Arbeitsmittel hat (so auch Giehl, BayVBI. 88, S. 321 (323); Eberle, Die Verwaltung 87, S. 459 (466); Kübler, S. 107). Zusätzliche Gefahren entstehen hier auch rur den Datenschutz (Ehmann / Paul, CR 89, S. 834 (837); Reese / Seibel, Verw Arch., Bd. 78 (1987), S. 381 (406». Die vereinzelt vorgeschlagene Zulässigkeit des Einsatzes privater Computer unter der Bedingung einer hinreichenden Dokumentation sowie einer Verpflichtung zur Übertragung der Programme an den Dienstherren (Herden/ Ka"er, ÖVD 77, Heft 6, S. 8 (11 f.); Kabler, S. 107» erscheint faktisch nur schwer durchsetzbar und ist auch urheberrechtlieh nicht unbedenklich. 126 Lenk, Verwaltungsrundschau 87, S. 306 (310); Treeck, in: TraunmaUer, S. 329 (331); Brinckmann, Verwaltungsautomation, S. 10; Giehl, BayVBI. 88, S. 321 (324); Beyer, in: Grimmer, S. 122 (219); Wedde, in: Roßnagel, S. 67 (73) spricht hier von einem Anpassungsdruck auf das Nonngebäude der Verfassung. Zusätzlich ist zu beachten, daß mit zunehmender Komplexität der Geräte auch die Steuerungsmäglichkeiten rur das Personal immer geringer werden (Dieke, in: Reinermann, S. 51 (56) und Harbordt, in: Hoffmann, S. 71 (72 f.».
48
I. Teil: Einleitung
anderes Fabrikat ist kaum möglich, da die Produkte häufig inkompatibel sind. Im übrigen gibt es nur wenige Hersteller solcher Geräte 127 • Schließlich ist heute die Datenverarbeitung der öffentlichen Verwaltung so ineinander verzahnt, daß ein Wechsel auf einem Teilgebiet durch eintretende Kettenreaktionen ganze Programmsysteme beeinflussen und wirkungslos machen kann 128. Die Entscheidung für den Übergang zu derartigen Bearbeitungsformen ist somit von erheblicher Tragweite und bedarf entsprechend detaillierter Voruntersuchungen. 4. Nachteile für das Verwaltungspersonal
Nicht zu unterschätzende Gefahren ergeben sich aus der Automatisierung für die im öffentlichen Dienst Beschäftigten. Ambivalent zu beurteilen sind dabei die Auswirkungen auf die Qualifikation der Mitarbeiterl29 • Zwar entfallen einzelne Tätigkeitsbereiche wie der Schreibdienst, dafür entstehen aber andere Berufsbilder, zum Beispiel bei der Datenerfassung. Stärker als bisher besteht allerdings die Notwendigkeit zu einer intensiven Fortbildung. Denjenigen Mitarbeitern, die dazu nicht bereit sind, droht zumindest ein erheblicher Prestigeverlust l3O .Veränderungen ergeben sich beim Inhalt der Tätigkeit. Die für den Bearbeiter manchmal durchaus angenehme Entlastung durch Routinearbeit entfällt l31 • Dafür sieht sich der Bedienstete einer unvorstellbar großen Flut von
127 Zur Gefahr der Abhängigkeit von einzelnen Herstellern siehe Gerhardt, ÖVD 75, Heft 2, S. 52 (53) und Brinckmann, ÖVD 79, Heft 10, S. 3 (6). Dazu kommt noch, daß die Einfiihrungsentscheidung durch eine Mehrzahl von Behörden zu einem faktischen Druck auf andere Behörden fiihrt, ebenfalls Produkte dieses Herstellers zu verwenden. 128 Brinckmann, Verwaltungsautomation, S. 10; Grimmer, ÖVD 80, Heft 12, S. 9 (14); Reese / Seibel, VerwArch., Bd. 78 (1987), S. 381 (382,397).
129 Als Problem noch angesprochen bei Luhmann, S. 24 und Lenk, Verwaltungsrundschau 87, S. 306 (310); bereits im hier genannten Sinne dagegen behandelt bei Vogel, in: Reinennann, S. 12 (13) und Schiiifer, DÖV 88, S. 145 (154) sowie Kerkau, ADV, S. 51. 130 Reinennann, Verwaltungsautomation, S. 21 ; Gönlinger, S. 58. Zu den Auswirkungen des Art. 33 V GG auf eine Pflicht des Beamten zur Fortbildung siehe Neeße, Zeitschrift fiir Beamtenrecht 67, S. 353 (356). 131
Kübler, S. 101.
2. Abschnitt: Ziele und Gefahren der Technikunterstützung
49
Informationen gegenüber132, die es für jeden Fall individuell auszuwerten gilt. Bereits erkannt und dementsprechend bei Neuplanungen berücksichtigt sind Gesundheitsgefahren durch EDV und Probleme der sozialen Verarmung am Arbeitsplatz l33 • So wird zum Beispiel auf technisch durchaus mögliche Überwachungsmaßnahmen seitens der Arbeitgeber verzichtet, weil man erkannt hat, daß Kontrolle auch kontraproduktiv sein kann l34 • 11. Gefahren für den Bürger
1. Verlagerung von Verwaltungsaufwand auf den Barger
Die am häufigsten beklagte Folge der Automation ist eine Verlagerung von Verwaltungsaufwand auf den Bürger 135 • Ohne eine Änderung der gesetzlichen Grundlagen werden Aufgaben im Bereich der Sachverhaltsermittlung in den Verantwortungsbereich des Antragsstellers delegiert, um damit die Verwaltung zu entlasten. So stellt zum Beispiel die Pflicht zum Ausfüllen computergerechter Formulare für den rechtsunkundigen Bürger eine erhebliche Erschwernis dar. Vielfach wird der Arbeitsablauf der Maschine so organisiert, daß Eingriffe nur zu ganz bestimmten Zeitpunkten möglich sind. Viele Bürger haben deshalb
132 Großfeld, JZ 84, S. 696 (697); Wieacker, Bötticher-FS, S. 383 (387); Ehlers, VOP 89, S. 58 (63); Poetuch-HeJfter, in: Reinennann, S. 16 (18); Willms, VOP 87, S. 121 (126); Krackeberg, in: Fischer, S. 21 (30); Segitz, ÖVD 73, Heft 7, S. 295 (301). 133 Schäffer, DÖV 88, S. 145 (153); Riegel, VOP 89, S. 156 (165); Bahl, in: Roßnagel, S. 107 (111); Vogel, in: Reinennann, S. 12 (13). Zu den Auswirkungen der Grundrechte auf die Automatisierung des Arbeitsplatzes siehe Bull, Verwaltung, S. 100 und Grimmer, in: Reinennann 1981, S. 600 (621). 134
Dilubler, in: Roßnagel, S. 165 (173); Kabler, S. 103.
135 Redeker, NVwZ 86, S. 545 (546); Grimmer, in: Reinennann 1981, S. 600 (601); derselbe, ÖVD 88, Heft 7, S. 49 (51); derselbe, DVR 80, S. 323 (324); derselbe, in: Garstka, S. 335 (337, 340, 345); derselbe, DÖV 82, S. 257 (260, 263); Bull, Verwaltung, S. 128; Fiedler / Barthel / Voogd, S. 234; Gagel / Gagei, AFG, vor § 142 Rn. 50, 158; Brinclanann, Verwaltungsautomation, S. 76; Bihl, ÖVD 79, Heft 3, S. 10 (12); Berg, Diss. jur. Köln, S. 58; Horn, S. 130; WittkiJmper, Die Verwaltung 83, S. 161 (174). Salvers, in: Fischer, S. 136 (143) hegt diese Befürchtung auch für die Infonnations- und Kommunikationstechnik.
4 Polomski
50
1. Teil: Einleitung
schon die Erfahrung gemacht, daß die Behörde auf vorgebrachte Einwände scheinbar nicht reagiert. Die Folge ist eine Resignation des Antragstellers vor der Sturheit der Maschine l36 • Zusammen mit einer insgesamt gesunkenen Transparenz der Verwaltung J37 , welche durch die Entbehrlichkeit der Unterschrift nach § 37 IV 1 VwVfG noch gefördert wird, entsteht hier das Gefühl, lediglich Objekt des Verfahrens zu sein. Hinzu kommt, daß zu verzeichnende Vorteile einer solchen Arbeitsweise der Verwaltung zunächst nur den "Großkunden" zugute kommen J38 , das heißt solchen Personen, die in ständigem Kontakt zur Behörde stehen und häufig selbst mit EDV arbeiten. Die Technik zementiert hier, zumindest anfänglich, soziale Unterschiede. In diesem Bereich gilt es zu fragen, "wann computerbedingte Mehrbelastungen des Bürgers die Grenze zur Rechtsverletzung überschreiten" 139.
2. Vermeintliche Objektivität des Computers
Ein weiteres Problem für die Mehrzahl der Bürger ist die Unkenntnis von der Funktionsweise eines Computers. Die solchermaßen erstellten Bescheide vermitteln dem Laien den Eindruck besonderer Genauigkeit und Richtig-
136 Kübler, S. 163; Ossenbahl, NVwZ 82, S. 463 (469); Gantka, Ihrb. der Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 7 (1980), S. 233 (236); Harbordt, in: Hoffmann, S. 71 (75); Schöning, Diss. jur. Bochum, S. 108; AG Hersbruck, NIW 84, S. 2426 (2426); Rößler, DStR 81, S. 305 (308); Maunz, BayVBI. 70, S. 170 (171); Degrandi, S. 126; Grimmer, Rechtsverwirklichung, S. 9. So verweist Jungesblut, Diss. wiwi. u. sozial. Kassel, S. 169 aufVerschlechterungen des Steuerklimas im Zuge der Umstellung der Finanzämter auf EDV. Eine allgemeine Scheu des Bürgers vor Automaten gibt es dagegen wohl nicht; dagegen sprechen schon die langen Schlangen vor Geldautomaten während der Öffnungszeiten einer Bank. Pippke, Verwaltungsrundschau 91, S. 177 (178) erörtert, ob man Bürgerängste im Bereich der Informationstechnik durch eine verstärkte Einbeziehung in die Einführungsentscheidung der Verwaltung verringern kann, konstatiert aber erhebliche Schwierigkeiten bei der Artikulierung der Interessen. 137 Wieacker, Bötticher-FS, S. 383 (387); Lennartz, Recht der Datenverarbeitung 89, S. 225 (226); Traunmaller, in: Reinemlann, S. 100 (109). 138 Brinckmann, Kontrolle, S. 26; derselbe, Verwaltungsautomation, S. 77, 108; Degrandi, S. 97; für das zivilgerichtliche Mahnverfahren auch Frohn, Archiv für Rechts- und Sozialphilos0phie 84, S. 204 (213). Nach Harbordt, in: Hoffmann, S. 71 (79) führt EDV zu einer verstärkten Durchsetzung der Interessen mächtiger gesellschaftlicher Gruppen.
139
Rößler, DStR 81, S. 305 (307).
2. Abschnitt: Ziele und Gefahren der Technikunterstützung
51
keit l40 • Verbunden mit dem noch immer weitgehend vorhandenen Respekt vor jeder behördlichen Entscheidung entstehen hier erhebliche Hemmschwellen bei der Kontrolle solcher Verfügungen durch den Bürger, welche diejenigen bei manuell erstellten Bescheiden erheblich überschreiten. Dem Betroffenen ist nicht bekannt, daß die Erstellung durch den Computer allenfalls eine formale, keinesfalls aber eine inhaltliche Richtigkeit garantiert, weil schon die Grundlagen der maschinellen Tätigkeit unkorrekt gewesen sein können l41 • Damit kommt es hier zu einer Kumulation mit einem anderen Problem. Es ändert sich die Arbeitsweise der Bediensteten dahingehend, daß diese am liebsten auf die leicht erreichbaren, nicht unbedingt aber auch aktuellen computergespeicherten Daten zurückgreifen. Statt einer systematischen Durchdringung des Stoffes erfolgt eine Suche nach vorhandenen Stichwörtern l42 • Jeder Rückgriff auf eine andere Informationsquelle bedeutet einen erheblichen Mehraufwand für den Amtswalter, den dieser, jedenfalls bei Zeitdruck, vermeiden wird. Die Verwaltung wird so langsam zu einem abgeschlossenen System ohne Umweltbezüge l43 , dessen Entscheidungen keineswegs eine hohe Richtigkeitsgewähr bieten, die den oben beschrieben Anschein rechtfertigen würde.
140 Similis, Informationskrise, S. 110; Schäfer, S. 190; Schmidt, Gesetzesvollziehung, S. 194; Göttrup, Studium generale, Bd. 21 (1968), S. 1107 (1121); Steinmaller, in: Kilian, S. 51 (57); Heußner, Sozialgerichtsbarkeit 76, S. 245 (252); Maunz, BayVBI. 70, S. 170 (171); Harbordt, in: Hoffmann, S. 71 (75). 141 Als weitere Fehlerquelle verweist Wieacker, Caemmerer-FS, S. 45 (68) auf die für den Bürger nicht nachprüfbare Programmierung. Ferner ist zu berücksichtigen, daß der Computer einmal aufgenommene Fehlinformationen immer wieder reproduziert (Haft, S. 92; Bayersdoifer, Öff. Haushalt 67, S. 90 (99) bezeichnet die Arbeitsweise eines Computers als "sinnlos dumm, aber auch sinnlos fleißig".
142 Großfeld, JZ 84, S. 696 (698); Riegel, VOP 89, S. 156 (160); Grimmer, DVR 80, S. 323 (329); Fiedler / Banhel / Voogd, S. 234. Nach Meyer / Borgs / Meyer, VwVfG, § 37 Rn. 26 liegt in diesen Sachverhaltsveränderungen sogar die eigentliche Gefahr der EDV; diese "EDV-Denkweise" überträgt sich dann auch auf die verbleibenden manuellen Tätigkeiten (Grimmer, DVR 80, S. 323 (329); Heußner, Arbeit und Recht 85, S. 309 (314) betont in diesem Zusammenhang, daß Orwells 1984 bei richtigem Verständnis nicht ein bestimmter Zeitpunkt, sondern eine Verhaltensweise des Staates und seiner Verwaltung sei. 143 Brinckmann, Verwaltungsautomation, S. 9; Grimmer, DÖV 82, S. 257 (263); Eberle, Die Verwaltung 87, S. 459 (473); Fiedler / Banhel / Voogd, S. 229; Zielinski, Die Verwaltung 77, S. 197 (214); Degrandi, S. 83; Grimmer, ÖVD 88, Heft 7, S. 49 (50) sieht darin eine Änderung des Aufgabeninhalts.
4·
52
1. Teil: Einleitung
3. Veränderungen der Fehlerart und -häufigkeit
Schließlich ergeben sich für die Kontrolle des Bescheides durch den Bürger auch aus der Tatsache Probleme, daß bei der maschinellen Fertigung ein anderer Fehlertyp als bei der manuellen Erstellung zu beobachten ist. Bei dem heutigen Stand der Technik mit hochwertigen Teilelementen und maschineninternen Plausibilitätskontrollen kann davon ausgegangen werden, daß Berechnungs fehler selten sind l44 • Wo sie dennoch auftreten, handelt es sich meistens um Fehler in der Programmierung, die durch einen Vergleich mit anderen Berechnungen nicht erkennbar sind, sondern sich systematisch durch den ganzen Bescheid und gegebenenfalls auch frühere Verfügungen hindurchziehen. Derartige Fehler sind wesentlich schwieriger zu entdecken l45 • Vielleicht liegt darin auch ein Grund für den besonderen Respekt vor solchen Bescheiden. Zugleich sind solche Fehler besonders gefährlich, weil sie sich durch den immer neuen Programmdurchlauf tausendfach vervielfältigen können l46 • Insgesamt besteht deshalb für den Bürger die erhebliche Gefahr, daß er die verbliebenen Fehler nicht rechtzeitig entdeckt und die betroffenen Verwaltungsakte so regelmäßig bestandskräftig werden.
144 Demant, in: Hoffmann, S. 92 (93); Degrandi, S. 135; Jähnig, ADV, S. 64; Zeidler, S. 25; derselbe, DVBI. 61, S. 493 (493); Bull, JR 65, S. 178 (179). Häufig sind "Computerfehler" nur eine gute Ausrede für die Beschäftigten (Bihl, ÖVD 79, Heft 3, S. 10 (11); Wieacker, Caemmerer-FS, S. 45 (68».
145 Heußner, Sozialgerichtsbarkeit 76, S. 245 (251); Brinckmann, Kontrolle, S. 25; Wieacker, Caemmerer-FS, S. 45 (69); Grimmer, in: Garstka, S. 335 (340). 146 Haft, S. 28; Jähnig, ADV, S. 100; Berg, Diss. jur. Köln, S. 63; Bayersdorfer, Öff. Haushalt 67, S. 90 (110); Fiedler / Barthel / Voogd, S. 201.
Dritter Abschnitt
Die technischen Grenzen der Automatisierung Im folgenden Abschnitt soll untersucht werden, bei welchen Typen von Tatbestandsmerkmalen und Normkonstruktionen eine automatisierte Anwendung überhaupt in Betracht kommt, um eine hinreichend detaillierte Beurteilungsgrundlage für die Ausführungen zum automatisierten Verwaltungsakt zu erhalten. Die technische Möglichkeit einer Automatisierung ist zugleich die erste Voraussetzung ihrer rechtlichen Zulässigkeit, weil sonst der Inhalt der Entscheidung zufällig wäre; diese aber wäre keinesfalls mit der Gesetzesbindung der Verwaltung vereinbar l47 •
A. Technische Schwierigkeiten bei der Programmierung von Tatbestandsmerkmalen und Nonnkonstruktionen Im Rahmen der Überprüfung der technischen Grenzen der Automatisierung ist zunächst zwischen einer Anwendung solcher Geräte zur Sachverhaltsermittlung und zur Subsumtion zu unterscheiden. I. Einsatz zur Sachverhaltsermittlung
Die Verwendung automatischer Geräte im Rahmen der Sachverhaltsermittlung ist im Vergleich zum Einsatz bei der Subsumtion ein relativ neues Phänomen. Mußten bisher noch alle Ausgangsdaten mühsam vom Sachbearbeiter eingegeben werden, soll nunmehr auch dieser zeitraubende Arbeitsabschnitt einer Unterstützung durch die Technik zugänglich gemacht werden. Dabei geht es nicht etwa um eine "Vernehmung durch die Maschine", sondern um eine
147 Gruber, BayVB!. 72, S. 434 (434); derselbe, Diss. jur. Würzburg, S. 50; Hagemann, Diss. rer. pub!. Speyer, S. 12,20.
54
1. Teil: Einleitung
programmgestützte, gezielte Abfrage von Informationen mit einer Prüfung ihrer inhaltlichen Schlüssigkeit l48 • Bei der dazu notwendigen Simulation der menschlichen Wahrnehmung treten jedoch tiefgreifende Schwierigkeiten auf, die zum einen sprachtheoretischer Natur sind, zum anderen aber auch im noch unerforschten menschlichen Wahrnehmungsverhalten ihren Ursprung haben. Als problematisch erweist sich zunächst die Unexaktheit der menschlichen Sprachel49 • Dabei ist es möglich, daß ein Ausdruck mehrere Bedeutungen hat, manchmal gibt es aber auch mehrere Ausdrücke für die gleiche Bedeutung. Während der Mensch aus seiner Allgemeinerfahrung fehlende Sachverhaltsteile selbständig ergänzen kanniSO, fehlt es der Maschine an dieser Fähigkeit. Ein einziges unterschiedliches Wort bewirkt, daß sie auch von zwei unterschiedlichen Bedeutungsinhalten ausgeht. Dazu kommt, daß das menschliche Wahrnehmungsverhalten nur schwer für eine automatisierte Simulation zu analysieren ist. Es erfolgen viele unbewußte und noch unerforschte Mechanismen, wie etwa die Verdrängung nicht etwünschter Parameter oder unbewußte Informationsverarbeitungsprozesse, wie das berühmte "noch einmal darüber schlafen" ISI. Auch behält der Mensch bei jedem Gedankenschritt das Endziel im Auge, während sich die Maschine "blind" von Schritt zu Schritt vorwärts tastet. Insgesamt treten gerade beim Einsatz zur Sachverhaltsermittlung solch gravierende Probleme auf, daß ihre Automatisierung noch lange Zeit die
148
Hagemann, Diss. rer. pub!. Speyer, S. 111.
Hagemann, Diss. rer. pub!. Speyer, S. 122, 137; Reisinger, S. 90; Schroepfer, Anwaltsblatt 69, S. 145 (146) mit dem Beispiel der öffentlichen Gewalt iSd. GG; Columbus, Berge-FS, S. 163 (170). Ein Ausweg wäre nur eine neue Epoche der Begriffsjurisprudenz (EndrlJs, S. 29; Kerkau, ADV, S. 36). 149
ISO Keltseh, Datenverarbeitung in Steuer, Wirtschaft und Recht 85, S. 41 (45) weist zu Recht daraufhin, daß auch eine solche gezielte Sachverhaltsergänzung eine spezifisch juristische Tätigkeit ist, weil sie eine präzise Kenntnis der entscheidungserheblichen Tatsachen erfordert; siehe dazu auch Fiedler / Barthel / Voogd, S. 228. 151 GlJu",p, Studium generale, Bd. 21 (1968), S. 1107 (1127 f.). Auch Reese / Seibel, VerwArch., Bd. 78 (1987), S. 381 (388) und Klug, Jahrreis-FS, S. 189 (199) weisen auf die Bedeutung solcher irrationaler Elemente bei der Entscheidungsfindung hin.
3. Abschnitt: Die technischen Grenzen der Automatisierung
55
Ausnahme bleiben wird lS2 • Die intensiven Forschungsarbeiten zur Ermöglichung einer Spracheingabe zeigen, daß man auch künftig nicht auf die menschliche Wahrnehmung verzichten, sondern lediglich die Übermittlung dieser Wahrnehmung, die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine, verbessern kann. 11. Einsatz zur Subsumtion
Bei der Frage einer automatisierten Subsumtion ist zwischen den verschiedenen Typen von gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen und Nonnkonstruktionen zu differenzieren. 1. Bestimmter Rechtsbegriff; strikter Rechtssatz
Besonders automationsgeeignet sind bestimmte Rechtsbegriffe und strikte Rechtssätze, deren Aussage sich in Form eines Algorithmus, daß heißt, einer wenn-dann Aussage darstellen läßt. Im Rahmen des Computerprogramms l53 ist eine restlose Zergliederung und Präzisierung der Norm erforderlich l54 • Hinzu kommen muß ein möglichst logischer Aufbau der einzelnen Norm wie auch des Gesamtgesetzes l55 • Gerade diese Anforderungen sind im Steueroder Besoldungsrecht in besonderem Maße verwirklicht und waren die Ursache
152 Gruber, Diss. jur. Würzburg, S. 72 weist darauf hin, daß die Relevanz von Tatsachen immer nur anhand des konkreten Falls beurteilt werden kann. Auch deshalb wäre eine Programmbindung der Amtsennittlung bedenklich. Degrandi, S. 96 hält sie auf der Grundlage des schweizerischen Rechts sogar für verfassungswidrig, wenn nicht ausnahmsweise alle maßgeblichen Kriterien im voraus bestimmbar seien.
153 Das Programm enthält eine Reihenfolge von Befehlen, welche die EDV-AnIage in einer bestimmten Reihenfolge ausführen soll, wobei jeder Fragestellung eine einzige Lösung zugeordnet wird (Ji1hnig, ADV, S. 44; Fiedler, Deutsche Rentenversicherung 64, S. 40 (44); Kilian, S. 21; Osswald, S. 55). 154 Fiedler, JZ 66, S. 689 (692); Wieacker, Bötticher-FS, S. 383 (398); OLG Frankfurt a.M., NJW 76, S. 337 (338); Gruber, BayVBI. 72, S. 434 (434); Eben, Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht 66, S. 188 (191); Grimmer, VOP 90, S. 96 (100); Raisch, JZ 70, S. 433 (438); Albrecht, CR 89, S. 438 (441). Zur Funktionsweise eines Computers im allgemeinen, insbesondere aber zum Zusammenwirken von Arbeitsspeicher , Steuer- und Rechenwerk innerhalb der Zentraleinheit siehe Giehl, BayVBI. 71, S. 84 ff.; /(jlian, S. 18-21; Hagemann, Diss. rer. publ. Speyer, S. 101.
1S5 Oemen, DVBI. 69, S. 61 (63); Osswald, S. 22; Pod/ech, BB 68, S. 106 (107); Achterberg, S. 576.
56
1. Teil: Einleitung
dafür, daß dort die Automatisierung der Verwaltung ihren Ausgangspunkt genommen hat. 2. Unbestimmte Rechtsbegriffe, Beurteilungsspielraum und Ermessen
Wesentlich schwieriger gestaltet sich die Automatisierung bei den verbleibenden Tatbestandsmerkmalen und Nonnkonstruktionen. Insbesondere die Überführbarkeit von Ermessensnormen in eine automatisierte Anwendung ist in der Literatur heftig umstritten. Die Ermessensnorm als ein Wesensmerkmal der öffentlichen Verwaltung ist darauf angelegt, auch neu auftretende Fälle einer adäquaten Lösung zuzuführen und entzieht sich so einer abschließenden Aufzählung ihrer Anwendungsfälle, wie sie für eine Programmierung notwendig oder zumindest wünschenswert ist. Einigkeit besteht lediglich darüber, daß eine automatisierte Bearbeitung von Ermessensnormen dann zulässig ist, wenn und soweit durch eine ständige Verwaltungspraxis eine Selbstbindung der Verwaltung eingetreten ist l56 • Im übrigen aber ist die Automatisierbarkeit in diesem Bereich heftig umstritten. Ein großer Teil der Literatur lehnt eine Anwendbarkeit automatisierter Verfahren hier generell ab i57 • Eine antizipierte Festlegung der Entscheidung im Zeitpunkt der Programmierung sei mit der Ausrichtung dieser Normspezies auf die Berücksichtigung individueller Gesichtspunkte nicht vereinbar. Eine am Individuum ausgerichtete Rechtsordnung könne nicht aus einem fertigen Gebäude rechtlicher Begriffe bestehen ls8 • Vielmehr erforderten Ermessensnormen
156 Siehe dazu Grober, Diss. jur. Würzburg, S. 73; Schmin, DB 67, S. 2081 (2084); Maurer, A1lg. VwR, S. 394; Brinckmann, Verwaltungsautomation, S. 36 f.; Grober, BayVBI. 72, S. 434 (438); Kerlwu, ADV, S. 34. Achrerberg, S. 151; Berg, Diss. jur. Köln, S. 28 sieht in diesem speziellen Fall eine Programmierung der Anwendung sogar als besonders rechtsstaatlich an.
157 Degrandi, S. 47; Maunz, BayVBI. 67, S. 86 (87); Schöning, Diss. jur. Bochum, S. 35; Birk, in: Dömer, S. 134 (137); Suhr, JuS 68, S. 351 (356); Neeße, Zeitschrift fiir Beamtenrecht 67, S. 353 (354); Erichsen / Badura, S. 416; Kälin, Zeitschrift fiir schweizerisches Recht, Bd. 107 (1988), S. 435 (441); Ehlers, Jura 91, S. 337 (340) fiireine Vollautomation. Berg, Diss.jur. Köln, S. 28 lehnt eine solche Programmierbarkeit von Ermessen auch bei einer künftigen Entwicklung "lernender Systeme" ab, weil sonst die Programmierer prophetische Fähigkeiten haben müßten. 158
Similis, Recht und Staat 66, Heft 322, S. 9.
3. Abschnitt: Die technischen Grenzen der Automatisierung
57
unersetzbar die persönliche Entscheidungsverantwortung eines Amtswalters in der konkreten Entscheidungssituation 159. Ein anderer Teil der Literatur will demgegenüber Ermessensvorschriften und unbestimmte Rechtsbegriffe durch Hilfskonstruktionen automatisierbar machen. Genannt werden in diesem Zusammenhang ein "Abbruch der Auslegung"I60, wie sie auch bei einer manuellen Tätigkeit beim Erreichen eines bestimmten Wahrscheinlichkeitsgrades üblich sei, die Überlassung an einen "programmierten Zufall"161 oder eine "Optimierung der Entscheidung" durch Eingabe von Entscheidungspräjudizien 162. Richtigerweise gilt es in dieser Frage zu differenzieren zwischen der technischen Möglichkeit einer Programmierung und ihrer rechtlichen Zullissigkeit. Sicherlich ist es mit Hilfe der genannten Hilfskonstruktionen möglich, eine Programmierung vorzunehmen. Wegen der gesetzlichen Ermessensgrenzen (§§ 40 VwVfG, 114 VwGO) kann immer mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit bestimmt werden, ob ein hypothetischer Fall in den Anwendungsbereich der Norm fällt; ansonsten wäre schon die verfassungsrechtlich geforderte Bestimmtheit der Norm fraglich. Auch trifft es zu, daß es in der Praxis schon aus Zeitmangel nur sehr selten zu einer Prüfung wirklich aller denkbaren Gesichtspunkte kommen wird. Dennoch besteht ein qualitativer Unterschied darin, ob eine solche Prüfung im Einzelfall kraft persönlicher Entscheidung des zuständigen Amtswalters unterbleibt oder aber mit einer Programmbindung gänzlich unmöglich gemacht wird. Mit Gruber l6J handelt es sich dabei nicht um ein Problem der Genauigkeit der Entscheidung. Vielmehr ist davon auszugehen, daß außerhalb des Bereichs einer Selbstbindung der Verwaltung ein solcher
159 Wieacker, Caemmerer-FS, S. 45 (66); Grimmer, DVR 80, S. 323 (329) sieht in dieser situationsspezifischen Entscheidung des sachnächsten Mitarbeiters gerade die Verwirklichung der Sozialstaatsbindung des Rechtsstaates. Die Progranunierbarkeit von Ermessensnormen betrachten als Kompetenzproblem Eberle, Die Verwaltung 87, S. 459 (463); Schmidt, AöR, Bd. 96 (1971), S. 321 (325); Lenk, S. 135; Zeidler, DVBI. 61, S. 493 (494); Grimmer, DVR 80, S. 323 (329); Degrandi, S. 152.
160 Klug, lahrreis-FS, S. 189 (189); HaJt, S. 20, 92; Fiedler, Deutsche Rentenversicherung 64, S. 40 (45); Brinckmann, Verwaltungsautomation, S. 37. 161 Podlech, BB 68, S. 106 (109); strikt ablehnend hier Gruber, BayVBI. 72, S. 434 (434) und Degrandi, S. 79.
162 163
Kerkau, ADV, S. 34; ablehnend Gruber, Diss. jur. Würzburg, S. 68. Gruber, Diss. jur. Würzburg, S. 71.
58
I. Teil: Einleitung
automatisierter Normenvollzug generell nicht der gesetzlichen Intention entspricht l64 , die gerade eine individuelle Entscheidung sichern will. Zu beachten bleibt, daß die Bindung an das Programm häufig Ausgangspunkt einer neuen Verwaltungspraxis und damit mögliche Ursache einer Selbstbindung der Verwaltung sein wird, die ja eine automatisierte Bearbeitung zulässig erscheinen läßt. Gleichwohl bestehen gegen eine solche "Durchprogrammierung von Ermessen" erhebliche Bedenken. Zum einen ist zu fragen, ob das Programm wirklich Quelle einer neuen Selbstbindung sein darf oder ob nicht vielmehr eine bereits eingetretene Selbstbindung Voraussetzung für eine auf ihrer Basis erfolgende Programmierung sein muß. Für die letztgenannte Alternative spricht zunächst, daß ansonsten diese von der Lehre als Ausnahme gedachte Fallgruppe keinerlei begrenzende Wirkung mehr hätte. Entscheidend ist aber, daß auf diesem Wege das Vertrauen des Bürgers besser geschützt wird. Nimmt die Verwaltung eine Programmierung vor, für die es bisher keine Verwaltungspraxis gab, besteht ein ungleich höheres Risiko, daß diese Gesetzesanwendung rechtswidrig ist und somit keinerlei Bindungswirkung hat l65 • Zum anderen ist zu beachten, daß es im Falle der herkömmlichen Ermessensbindung immer nur zu einer Teilexaktifizierung der Norm kommt. Neben dem bereits präzisierten Teil verbleiben noch weitere Bereiche, in denen eine Entscheidung im Einzelfall erfolgt. Soll dieses auch bei einer Bearbeitung durch den Computer gewährleistet sein, muß er so programmiert werden, daß er diese Fälle für eine manuelle Bearbeitung aussondert. Gibt es dagegen einen solchen Bereich nicht mehr, verstößt das Verfahren gegen den Vorrang des Gesetzes nach Art. 20 III GG I66 und ist daher unzulässig, weil es aus einer Ermessensnorm eine Ansammlung präziser Rechtsbegriffe macht.
164 Heußner, Sozialgerichtsbarkeit 76, S. 245 (246); Gruber, BayVBI. 72, S. 434 (438). Ferner kann sich aus dem Wortlaut und dem Sinn einer Norm ergeben, daß der Gesetzgeber eine Ermessensbetätigung auf unterster Ebene will; dann ist die Bindung durch das auf höherer Ebene entwickelte Programm als Ermessensunterschreitung unzulässig (Degrandi, S. 79; SchiJning, Diss. jur. Bochum, S. 36; Bull, Verwaltung, S. 87). 165
Umstritten; wie hier BVerwGE 5, I (8); Erichsen /Ossenbühl, S. 97
So auch Degrandi, S. 90; Gruber, Diss. jur. Würzburg, S. 64; Horn, S. 125. Nach BVerwG, DÖV 79, S. 793 (793) darf die Bindung durch Ermessensrichtlinien nicht soweit gehen, daß die Ausübung von Ermessen ganz beseitigt wird. Haft, S. 68 sieht einen qualitativen Unterschied darin, ob die Selbstbindung durch Richtlinien oder durch die Zuweisung an ein automatisiertes Verfahren erfolgt, weil es im letztgenannten Fall zu einem völligen Verzicht auf das Ermessen komme; er erwägt die gesetzliche Einführung eines "Programmierungsermessens"; kritisch schließlich auch Schmidt, Gesetzesvollziehung, S. 196. 166
3. Abschnitt: Die technischen Grenzen der Automatisierung
59
3. Weitere Schwierigkeiten bei der Programmierung von Rechtsnormen
Abschließend soll hier kurz auf weitere Bereiche hingewiesen werden, die sich wegen ihrer Ähnlichkeit zum Ermessen / Beurteilungsspielraum ebenfalls nur bedingt für eine automatisierte Anwendung eignen. Dieses gilt für Generalklauseln l67 wie § 242 BGB. Man kann sich fragen, wie diese Norm im Verwaltungsrecht berücksichtigt werden sont 68 , wenn sich kein Amtswalter auf ihre Wertungen besinnt. Ungeeignet sind auch alle anderen Wertentscheidungen, die mit Hilfe von Moral, Ethik oder Billigkeit ausgefüllt werden müssen l69 . B. Die Eignung des Rechts als Begrenzungsfaktor für technische Entwicklungen Fraglich erscheint jedoch, ob diese soeben aus rechtlichen Gesichtspunkten entwickelten Restriktionen auch in der Praxis Bestand haben werden. Angesichts der enormen Schnelligkeit des technischen Fortschritts und der Schwerfälligkeit jeder Gesetzgebung mehren sich die Stimmen, die Zweifel an der Möglichkeit einer Steuerung der Techik durch das Recht haben. In der Tat hat es manchmal den Anschein, als habe man es hier mit einem Kampf gegen eine Hydra zu tun. Ursache dafür ist, daß vielen Rechtsnormen, quasi als Geschäftsgrundlage, ein bestimmter Stand der Technik zugrunde liegt. So wurde das völkerrechtlich umstrittene Prinzip eines "free flow of information"l70 dadurch Realität, daß heute der Empfang ausländischer Sendungen von jedem Haus aus möglich ist. Ob man aus einer solchen "Macht des Faktischen" allerdings die Folge ziehen sollte, auf Verbote in diesem Bereich gänzlich zu verzichten, erscheint mehr als zweifelhaft. 167 Similis, Infonnationskrise, S. 101; Haft, S. 92; Wieacker, Caemmerer-FS, S. 45 (57); Endr6s, S. 25; Hagemann, Diss. rer. publ. Speyer, S. 132; Neeße, Zeitschrift für Beamtenrecht 67, S. 353 (354). Raisch, JZ 70, S. 433 weist auf die auch hier gegebene Möglichkeit von Teilexaktifizierungen hin. Garstka, Ihrb. der Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 7 (1980), S. 233 (238) betont dagegen die Unentbehrlichkeit von Generalklauseln. 168 Zur Anwendbarkeit des § 242 BGB im öffentlichen Recht siehe BVerwGE 44,294 (298); 48,247 (251); Erichsen / Erichsen, S. 170.
169 Schmin-Leennann, DÖV 63, S. 597 (602); Müller-Heide/berg, DVBl. 61, S. 11 (12); Kreutzer, IZ 68, S. 138 (139); Fritsche, Staat und Recht 86, S. 890 (890); Endrös, S. 25. Pod/ech, OB 68, S. 106 (109) verweist auf die Rückführbarkeit auf Tatsachenausdriicke.
170 Zu Inhalt und Abgrenzung dieses Prinzips von der Infonnationsfreiheit siehe Gomig, Äußerungsfreiheit, S. 225-227.
60
1. Teil: Einleitung
Mehrere Autoren indes bejahen einen solchen faktischen Vorrang der Technik vor dem Recht und damit die Sinnlosigkeit von Verboten. Jedenfalls dann, so wird argumentiert, wenn eine wünschenswerte Leistung ohne den Verstoß gegen Rechtsnormen nicht mehr möglich sei, werde sich das technisch Machbare auch durchsetzen l71 • Aber auch außerhalb dieses Bereiches sei eine ständige Zunahme des Technologiedruckes zu verzeichnen. Selbst wenn der Gesetzgeber zur Steuerung der Technik tätig werde, beschränke er sich darauf, die schon bestehende Praxis nachträglich zu legitimieren. Die Regelungen der §§ 116 AFG, 30 AO 1977, 69 ff. SGB-X sowie das Datenschutzrecht zeigten, daß der Gesetzgeber nur die Rolle eines "Notars" technischer Prozesse einnehme l72 • Wenn überhaupt Grenzen gesetzt würden, dann geschähe dieses durch bloße Schadensersatmormen (BImschG, ProdukthaftungsG) oder durch Blankettgesetze, die zwar zu einer Verlagerung der eigentlichen Entscheidung auf die Verwaltung führten 173 , aber kaum geeignet seien, der Technik effektive Schranken entgegenzusetzen. Als Gründe für diese Entwicklung werden neben der kaum überschaubaren Vielschichtigkeit der Technik l74 vor allen auch Defizite der Verfassung in diesem Bereich genannt 17S • Konsequenz dieser Entwicklung sei letztlich die Entstehung eines "Sonderrechts der Technik" neben den traditionellen Rechtsgebieten l76 •
171 Schmidt, OB 67, S. 2081 (2084); Fiedler, in: Reinermann, Amt 70, S. 201 (202); BFHE 66,497 (506).
s. 43 (43); Kerkau, Recht im
172 Lennanz, Recht der Datenverarbeitung 89, S. 225 (232); in diesem Sinne auch Bahl, in: Roßnagel, s. 107 (114); Riegel, VOP 89, s. 156 (158); Brinckmann, DÖV 85, S. 889 (897); Schütz, JZ 61, S. 105 (106). Nach HaJt, s. 2 gerät das Recht hier häufig in den Bereich eines bloßen "Journalismus". Roßnagel, Technik und Recht, in: Roßnagel, s. 9 (13) beklagt, daß der Gesetzgeber bestehende Einflußmöglichkeiten sogar noch aufgebe, zum Beispiel durch die Privatisierung der Post.
173 Schenke, VblBW 82, s. 313 (314); Steinberg, DÖV 82, S. 619 (631); Diiubler, in: Roßnagel, S. 165 (168); Roßnagel, Technik und Recht, in: Roßnagel, S. 9 (12). 174 Fischerhof, NJW 69, S. 1193 (1193); Diiubler, in: Roßnagel, S. 165 (168). So weisen Bizer / Roßnagel, Kritische Justiz 90, S. 436 (445) darauf hin, daß die Informationstechnik mit herkömmlichen Mechanismen nicht kontrolliert werden könne, weil es sich um eine UniversaItechnik handele. Nach Brozio / Wilhelm, eR 91, S. 60 (61) ist ihre Steuerung durch Rechtsnormen nur möglich, wenn Instrumente aus allen Rechtsgebieten zusammenwirken.
175
Luhmann, ÖVD 72, Heft 2, S. 44 (45, 47); Heußner, Arbeit und Recht 85, S. 309 (311).
List, Verwaltungsrecht, S. 10; derselbe, Jhrb. des Postwesens, Bd. 9 (1959), S. 32 (35, 39). Nach Podlech, DVR 72, S. 149 (168) ist die Finanzknappheit das wichtigste rechtsstaatserhaltende Prinzip in diesem Bereich; durch den Preisverfall verliert diese Grenze aber zunehmend an Bedeutung. Zur Verschärfung der Probleme durch Defizite bei der Gerichtskontrolle siehe Grimmer, Rechtsverwirklichung, S. 60. Garstka, Jhrb. der Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 7 (1980), S. 233 (239) verweist demgegenüber auf Kommunikationsdefizite als Ursache von Entrechtlichungserscheinungen. 176
3. Abschnitt: Die technischen Grenzen der Automatisierung
61
Diese Diagnose mag in einzelnen Bereichen ihre Berechtigung haben, die daraus gezogene Folgerung eines Verzichts auf rechtliche Reglementierungen ist es aber nicht. Die Diskussion um angebliche Technikzwänge wird häufig schon im Ansatz dadurch verkürzt, daß bereits bei der Auswahl denkbarer Alternativen Wirtschaftlichkeitserwägungen berücksichtigt werden. Eine solche Reduktion mußte bei den früher üblichen immensen Kosten in der Tat zu sehr wenigen Alternativen führen, bei denen dann in Abwägung zu einem völligen Verzicht auf die technische Unterstützung häufig auf rechtliche Reglementierungen verzichtet wurde. Dieses Bild hat sich jedoch durch die enormen technischen Fortschritte bei einem gleichzeitigem Preisverfall gewandelt. Bei einer solchen Potenzierung denkbarer Alternativen erhält das Recht wieder eine reelle Chance, die maßgebliche Auswahlentscheidung für sich zu reklamieren. Entscheidend ist aber, daß eine solche Entwicklung zu einem "Sonderrecht der Technik" auf dem Boden des Grundgesetzes nicht zugelassen werden kann. Ein Rechtsstaat, der individuelle Freiheitsrechte garantiert und sie durch Art. 1 III GG gegen alle drei Staatsgewalten schützt, darf nicht ihre Relativierung durch faktische Kräfte zulassen. Dieses gilt in besonderem Maße auch für die durch Art. 79 III GG besonders geschützten Werte. Was sogar der Disposition des demokratisch legitimierten Gesetzgebers entzogen ist, darf erst recht nicht schleichend dem Druck der Technik preisgegeben werden. Anders als Naturgewalten entsteht Technik nicht von allein, sondern wird von Menschen erdacht und angewandt. Diese aber unterliegen sehr wohl dem Willen des Gesetzgebers. Mit gesetzlichen Regelungen muß dabei vor allem die Wahrung rechtsstaatlieher Anforderungen m gesichert werden. Dieses mag sich als schwierig erweisen, ist aber zwingend erforderlich, um die Grundrechtsbindung aus Art. 1 III GG zu effektuieren. Dieser Ansatz bedeutet indessen nicht, daß die Rechtsordnung die Augen vor diesen zweifellos vorhandenen Tendenzen verschließen darf. Die Folgerung aus dieser Erkenntnis kann aber nicht ein völliger Verzicht auf rechtliche Regelungen, sondern nur eine Anpassung der Gesetzgebungstechnik sein. So sind zur Steuerung technischer Neuerungen entwicklungsbegleitende Kontrollen effekti-
m Bult, JR 65, S. 178 (180); Korte, DVBI. 57, S. 561 (506); Maaß, DVBI. 61, S. 7 (9); Maunz, BayVBI. 67, S. 86 (87); Faber / Schneider, S. 193; Göttlinger, S. 143; OLG Frankfurt a.M., NJW 76, S. 337 (338); Schimmel, in: Traunmüller, S. 179 (181). Heußner, Arbeit und Recht 85, S. 309 (315) elWeitert diese Forderung auf alle Prinzipien des Grundgesetzes; vergleiche auch BVerfGE 49, 89 (132) in der Entscheidung zum Schnellen Briiter.
62
1. Teil: Einleitung
ver als nachträgliche Verbote 178, die bereits auf die formierten wirtschaftlichen Interessen der Anbieter stoßen. Wo dennoch eine Produktsteuerung erforderlich ist, sollte diese weniger durch formelle Gesetze als durch die flexibleren Rechtsverordnungen geschehen 179 • Denkbar sind auch indirekte Formen der Steuerung, etwa durch besondere Haftungsregelungen. Von maßgeblicher Bedeutung ist schließlich auch die Akzeptanz dieser Technik bei den Betroffenen l80 • Ob daneben inhaltliche Änderungen des Rechts zugunsten der Automatisierung angebracht sind und ob sich diese nur auf formelle l81 oder auch auf materielle l82 Gesichtspunkte erstrecken sollten, soll im folgenden für den speziellen Anwendungsfall eines automatisierten Verwaltungsaktes untersucht werden.
178 Degenhan, in: Dömer, S. 108 (113); Schenke, VblBW 82, S. 313 (322); Brunnstein, in: Hoffmann, S. 153 (154); Lenk, S. 136. Häufig wird gefordert, diese Kontrollen verfahrens- und organisationsmäßig abzusichern (Erichsen I Badura, S. 415; Degenhan, in: Dömer, S. 108 (116». In diese Richtung laufen heute auch die Teilgenehmigungen bei technischen Großprojekten wie etwa im Atomrecht. Dagegen sieht Bult, Verwaltung, S. 47 rechtliche Grenzen nur beim Einsatz des fertigen Produkts, nicht aber bei der Forschung als sinnvoll an.
179
(183). 180
Steinberg, DÖV 82, S. 619 (631); Roßnagel, Technikgestaltung, in: Roßnagel, S. 177 Däubler, in: Roßnagel, S. 165 (172); Roßnagel, Technikgestaltung, in: Roßnagel, S. 177
(184); Winkämper, Die Verwaltung 83, S. 161 (173).
181 So Degrandi, S. 71, 72; Fiedler, JZ 66, S. 689 (695); Malter-Heidelberg, Recht im Amt 70, S. 701 (703); Wolf, NJW 89, S. 2592 (2592); Ehlers, VOP 89, S. 58 (62). Mit Zeidler, S. 29 ist allerdings zu beachten, daß Regelungen des Verfahrensrechts auch Rückwirkungen auf das materielle Verwaltungsrecht haben können. Diskutiert wird zum Beispiel ein Wegfall von Zustimmungserfordernissen anderer Behörden in einem automatisierten Verfahren (Sadler, in: Reinermann, S. 274 (277); Osswald, S. 16; Gönlinger, S. 27). 182 Kerkau, ADV, S. 18. Gruber, Diss. jur. Würzburg, S. 18 und Bult, Verwaltung, S. 43 fordern bei einer Änderung materieller Normen eine umfassende Abwägung im Einzelfall, sofern die betroffene Norm nicht rechtspolitisch neutral ist. Sehr bedenklich erscheint es, wenn Kerkau, Recht im Amt 70, S. 201 (203) Änderungen des materiellen Rechts damit rechtfertigen will, daß über eine effektivere Verwaltung der Steuerzahler entlastet wird. Mit diesem Argument kann jede Norm beliebig abgeändert werden, obwohl es wegen der Bindung an das Rechts- und Sozialstaatsprinzip noch nie eine effektive Verwaltung um jeden Preis gab. Umstritten ist, ob Veränderungen der Rechtsordnung im Zuge der Automatisierung soweit gehen könnten, daß dadurch die Rechtsidee substantiell gefährdet ist. Grimmer, DVR 80, S. 323 (333) und in: Reinermann 1981, S. 600 (617) nimmt eine Funktionsänderung des Rechts von einer Ordnungsnorm zu einer bloßen Formalisierung des Verwaltungsablaufs an. Eine Gefährdung der Rechtsidee bejahen Schöller, BayVBI. 61, S. 259 (260) und Zeidler, DVBI. 59, S. 681 (681) sowie Technisierung, S. 19; ablehnend dagegen Gruber, Diss. jur. Würzburg, S. 107 und Wieacker, Bötticher-FS, S. 383 (388).
Vierter Abschnitt
Resümee Für die folgenden Ausführungen ist davon auszugehen, daß sich die vorhandene Geräteausstattung der Verwaltung an der Schwelle von der Automation zur Informations- und Kommunikationstechnik befindet. Die Automatisierung der Massenarbeiten ist inzwischen abgeschlossen. Gekennzeichnet war diese Phase vor allem durch eine Zusammenarbeit von Fachverwaltung und Datenzentrale mit dem Ziel einer integrierten Datenverarbeitung. Diese technische Austattung ist auch die Grundlage der gesetzlichen Regelungen der Automation im VwVfG, SGB-X und in der AO 1977 gewesen. Überdies mußte der Gesetzgeber innerhalb dieser Stufe noch von wesentlich weniger technischen Möglichkeiten als heute ausgehen. Gegenwärtig schickt sich die Informations- und Kommunikationstechnik an, in die Amtsstuben einzuziehen. Sie ist gekennzeichnet durch eine Verbindung der Datenverarbeitung mit modemen Kommunikationstechniken. Anders als bei der schon bisher üblichen Datenfemverarbeitung geht es hier um eine verstärkte Einbeziehung des Bürgers in das Verfahren der Erstellung beziehungsweise Übermittlung des Verwaltungsaktes und damit um den Ausgleich von Nachteilen, die während der Phase der Automation eingetreten sind. Dabei sind die verfolgten Ziele und die möglichen Gefahren sowohl bürger- als auch mitarbeiterbezogen. Zu beachten ist, daß tendenziell solche Ziele besonders verfolgt werden, die auf der Ebene der Verwaltungsspitze angesiedelt sind l83 , weil diese die Einführungsentscheidungen trifft. Ihr geht es eher um Sparsamkeit und um die Erhaltung der internen Funktionsfähigkeit als um Interessen des Bürgers. Dieser aber ist gleichzeitig von den Gefahren besonders betroffen, weil ihm kein Personalrat schützend zur Seite steht. Auf dieser Ebene erscheint
183
Grimmer, OÖV 82, S. 257 (264); Luhmann, ÖVO 72, Heft 2, S. 44 (46).
64
1. Teil: Einleitung
der Technikeinsatz als ein hochkomplexer Vorgang, dem manche Errungenschaft der Rechtsentwicklung zum Opfer fallen könnte l84 • Mit dem Bewußtsein dieser Diskrepanz zwischen den Nutznießern und den Benachteiligten des technischen Fortschritts gilt es für die folgenden Untersuchungen zum automatisierten VelWaltungsakt, technikbedingte Einschränkungen allgemeiner Verfabrensgrundsätze kritisch auf ihre fortdauernde Berechtigung zu überprüfen und auf ein notwendiges Minimum zu beschränken. Wo sie weiterhin unentbehrlich sind, muß entweder die Möglichkeit eines völligen Verzichts auf die Automation geprüft werden oder es sind zugunsten des Bürgers Surrogate zu entwickeln, die den Vorgang insgesamt wieder rechtsstaatlich neutral erscheinen lassen. Keiner Berücksichtigung bedarf dabei die automatisierte Subsumtion unter unbestimmte Rechtsbegriffen und Ermessensnormen. Eine solche wäre zwar technisch möglich, ist aber rechtlich unzulässig, sofern nicht bereits vor dem Übergang zu einem automatisierten Verfahren eine Selbstbindung der Verwaltung eingetreten ist und die davon nicht erfaßten Fälle für eine manuellen Bearbeitung ausgesondert werden. Insofern ve"ingert sich der maßgebliche Bereich, in dem eine automatisierte Erstellung der VelWaltungsverfügung in Betracht kommt. Solche rechtlichen Begrenzungen lassen sich heute besser durchsetzen als zu Beginn der Automatisierung, weil die Technik mehrere Alternativlösungen anbietet. Der Jurist kann solchermaßen eine Auswahlentscheidung treffen, ohne Gefahr zu laufen, die Erleichterungen der VelWaltungstätigkeit durch diese Geräte völlig ausschließen zu müssen. So ist auch bei Ermessensentscheidungen eine derartige Unterstützung bei der Vorbereitung der Entscheidung möglich und zulässig.
184 So auch Garstka, Jhrb. der Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 7 (1980), S. 223 (239 f.). Nach Luhmann, ÖVD 72, Heft 2, S. 44 (45) ist das Geflihrlichste an der EDV die Ungewißheit ihrer Möglichkeiten.
Fanfter Abschnitt
Abgrenzung des Themas Eine vollständige Untersuchung aller denkbaren Fragen würde indes den Rahmen der hier möglichen Ausführungen sprengen. Daher sind einige Teilaspekte für die folgenden Ausführungen auszusparen beziehungsweise nur insoweit zu behandeln, als sie Rückwirkungen auf andere Fragestellungen haben. So ergibt sich bereits aus dem Bezug von Automation und Verwaltungsakt, daß nur das zielgerichtete Verfahren seiner Erstellung untersucht werden soll. Damit scheiden Fragen der juristischen Dokumentation beziehungsweise Datenbanknutzung aus dem Kreis der Untersuchung aus. Sie hätten nur dann einen unmittelbaren Bezug zur Verwaltungsverfügung, wenn das Ergebnis der Informationssuche ohne menschliche Zwischenphase in die Entscheidungsfindung integriert werden könnte, etwa als Textbaustein für die Begründung. Von dieser Stufe sind aber die auf dem Markt vorhandenen Systeme, insbesondere auch JURlS, noch weit entfemt l85 • Desweiteren führt die Begrenzung auf den Erlaß eines Verwaltungsaktes dazu, daß auch Probleme der automationsgerechten Gesetzgebung nicht behandelt werden l86 • Schließlich ergibt sich aus dem Merkmal der Außenwirkung
185 Hagemann, Diss. rer. pub!. Speyer, S. 2. Allgemein zu Fragen der Dokumentation auch Goebel, eR 89, S. 347 ff.; Kreppei, NIW 70, S. 1587 ff.; Schtiffer, DÖV 88, S. 149 (155); Fiedler, Deutsche Rentenversicherung 62, S. 149 (154); derselbe, NIW 68, S. 273 (276); Simitis, NIW 71, S. 673 (673); derselbe, Infonnationskrise, S. 10,49,53; TraunmUller, in: Reinermann, S. 100 (109). Zur Entwicklung und Funktion von JURIS siehe Dubyk, eR 88, S. 783 ff.; Grae, eR 87, S. 68 ff.; Becker, eR 89, S. 249 (250). Bei einer guten Rechtsinfonnation des Bürgers müssen Prozesse nach Herr, DRiZ 86, S. 374 (375) nur noch aus zwei Gründen gefiihrt werden, nämlich bei Streitigkeiten über den Sachverhalt sowie zur Rechtsfortbildung . 186 Hier wird weitgehend eine bedenkliche Stärkung der Exekutive zu Lasten der Legislative erwartet. Siehe dazu Lenk, S. 152; Vogel, in: Reinennann, S. 12 (21); Simitis, Infonnationskrise, S. 110; Heußner, Sozialgerichtsbarkeit 76, S. 245 (251); Osswaid, S. 48. Diese Gefahr ist aber inzwischen bereits erkannt; so enthält § 10 Hess. DSG bereits eine Beobachtungspflicht des Daten-
5 Polomski
66
1. Teil: Einleitung
im Sinne des § 35 S. 1 VwVfG, daß es im folgenden hauptsächlich um Fragen im Verhältnis zum Bürger gehen soll. Auswirkungen auf die Beamten und Angestellten der öffentlichen Verwaltung werden nur erörtertl81 , soweit sie mittelbar Folgen für den Bürger haben. Aus dem verbleibenden Bereich des automatisierten Verwaltungsaktes sollen zwei große Fragenkreise nicht behandelt werden, weil sie sich inzwischen zu eigenständigen Rechtsgebieten entwickelt haben. Dies gilt zum einen für die in den letzten Jahren heftig umstrittenen Fragen des Datenschutzes l88 • Überdies geht es bei der Erstellung des Verwaltungsaktes nicht primär um eine Datensammlung, wie sie wiederum Hauptansatzpunkt des Datenschutzes ist. Ein Verzicht auf die Erörterung solcher Aspekte erscheint daher auch aus diesem Grunde als legitim. Zum anderen sollen hier auch Fragen der Haftung des Staates für rechtswidrige Verwaltungsakte ausgeklammert werden I 89. Wie schon zum Datenschutz gibt es auch in diesem Bereich bereits eine Fülle spezieller Veröffentlichungen. Zudem handelt es sich hier nicht erst seit der Nichtigkeitserklärung des Staatshaftungsgesetzes l90 , welches in § 1 11 StHG eine Regelung für Maschinenfehler enthielt, um ein Rechtsgebiet, das auch außerhalb spezieller Automationsfragen erheblichen Änderungen unterworfen ist. Im damit verbleibenden Bereich soll das Schwergewicht der Erörterungen auf der büromäßigen Verwaltung liegen, um eine einheitliche Perspektive zu gewährleisten. Lediglich am Rande werden Fragen der technischen Verwaltung
schutzbeauftragten fiir solche Fragen. 181
ZeidLer, S. 24 f.; BuLL, Verwaltung, S. 90-92, 134-138.
Siehe Geiger, NVwZ 89, S. 35 ff.; Schapper, DRiZ 87, S. 221 ff.; BuLL / UJdemann, eR 89, S. 523 ff.; SteinmüLLer, in: KiLian, S. 51 (61,69 ff.) mit der Einbeziehung von Datenschutzfragen in die Programmkontrolle. 188
189 Vergleiche hierzu Haueisen, DÖV 61, S. 121 (122); Popper, DVBI. 77, S. 509 (512). Ausfiihrlieh auch Schöning, Diss. jur. Bochum, S. 109 ff., der eine unmittelbare, objektive Unrechtshaftung des Staates fordert; dagegen verlangt Similis, Recht und Staat 66, Heft 322, S. 26 eine Oefährdungshaftung (ebenso ZeidLer, DVBI. 59, S. 681 (685». Maurer, A1lg. VwR, S. 658 nimmt eine solche Oefährdungshaftung bereits de lege lata aus einer Haftungsverteilung nach Risikobereichen an; dagegen reicht nach Maaß, DVBI. 61, S. 7 (10) die Amtshaftung aus. Zum Sonderproblem fehlerhafter Ampelschaltungen siehe BOHZ 54, 332 ff. (Haftung ablehnend) und BOH, NJW 87, S. 1945 f., wo ein Anspruch gegen die Verwaltung aus enteignungsgleichem Eingriff bejaht wird. 190
BVerfGE 61, 149 ff.
5. Abschnitt: Abgrenzung des Themas
67
erörtert, wie etwa die Ampelregelung l91 • Dort, wo der Übergang zur Informations- und Kommunikationstechnik eine Verbesserung bestehender Probleme der Automation verspricht, sollen diese Möglichkeiten miterörtert werden, um eine länger andauernde Aktualität der hier zu gewinnenden Aussagen zu ermöglichen. Die folgenden Ausführungen im Hauptteil beginnen mit der Frage, ob der maschinell erstellte Bescheid unter die Wesensmerkmale eines Verwaltungsaktes nach § 35 S. 1 VwVfG subsumiert werden kann, wobei diese Frage auch unter besonderer Berücksichtigung der sich abzeichnenden Entwicklung von juristischen Expertensystemen aufgeworfen werden soll (1. Abschnitt). Nach einem Blick auf die sich aus dem Grundgesetz ergebenden Restriktionen (2. Abschnitt) soll im 3. Abschnitt das Verfahren zum Erlaß des automatisierten Verwaltungsaktes erörtert werden. Dabei werden sowohl die speziellen gesetzlichen Regelungen der §§ 28 11 Nr. 4, 37 IV und 39 11 Nr. 3 VwVfG mit den entsprechenden Parallelvorschriften in SGB-X und AO 1977 als auch die Auswirkungen auf das sonstige Verwaltungsverfahren, insbesondere die Amtsermittlung, untersucht. Im 4. Abschnitt soll es dann um die Obennittlung des Verwaltungsaktes mit Hilfe technischer Einrichtungen gehen. Zu nennen sind hier insbesondere Teletex, Telefax und BTX, wobei auch die Frage nach der Zulässigkeit einer elektronischen Zustellung nach dem VwZG angesprochen wird. Nachdem im 5. Abschnitt Wirksamkeit, Berichtigung und Rücknahme des automatisierten Verwaltungsaktes untersucht worden sind, werden im 6. Abschnitt Fragen der Kontrolle angesprochen. Schwerpunkte werden dabei das Widerspruchsverfahren und die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung sein. Abschließend soll es im Schlußteil um den Umfang der zu erwarten Änderungen und mögliche Verbesserungsvorschläge für Ausgangsverfahren, Widerspruch und Klage gehen, die sowohl de lege lata als auch de lege ferenda aufzuzeigen sind.
191 Bei der Frage der Ampelregelung war es in den 50er Jahren zu einer erregten Diskussion gekommen, nachdem Schreiter, DÖV 56, S. 692 (693) eine Verletzung der Art. I I, 2 I und 2 11 GG durch diese Form der Verkehrsregelung angenommen hatte, weil hier die Maschine dem Menschen Befehle erteile. In ganz extremen Fällen konstatierte auch Bull, Verwaltung, S. 107 die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung. Die Mehrzahl der Autoren lehnt einen solchen Verstoß ab, weil die Ampel programmgesteuert und damit zumindest mittelbar vom Menschen bestimmt ist (Gruber, Diss. jur. Würzburg, S. 96; Bull, Verwaltung, S. 94; Schirrmacher, DÖV 57, S. 146 (146); Erichsen / v. Münch, S. 61; Senoner, Diss. jur. München, S. 82; Obennayer, Grundzüge, S. 93; Breugst, DÖV 57, S. 474 (474); OLG Karlsruhe, eR 86, S. 493 (494); Kerkau, Recht im Amt 70, S. 201 (203».
S·
Zweiter Teil
Hauptteil
Erster Abschnitt
Der automatisierte Bescheid als Verwaltungsakt Im folgenden gilt es zu untersuchen, ob die maschinelle Erstellung Auswirkungen auf die Subsumierbarkeit des Bescheides unter die Legaldefinition der §§ 35 S. 1 VwVfG, 118 AO 1977, 31 S. 1 SGB-X hat. Dazu soll nach einer Darstellung des Begriffs des VeJWaltungsaktes im allgemeinen und des automatisierten VeJWaltungsaktes im besonderen die Vereinbarkeit dieser Art der Erstellung mit den gesetzlichen Begriffsbestimmungen geprüft werden. Diese Untersuchung erfolgt getrennt für die bisher übliche Form der automatisierten Erstellung und sodann für die sich abzeichnende Entwicklung von juristischen Expertensystemen.
A. Der Begriff des automatisierten Verwaltungsaktes I. Der Begriff des Verwaltungsaktes
Ein VeJWaltungsakt ist nach der Legaldefmition des § 35 S. 1 VwVfG jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf eine unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Inhaltsgleiche Regelungen finden sich in § 118 AO 1977 und § 31 SGB-X. Daneben wird der Begriff des VeJWaltungsaktes auch in einer Fülle weiterer Vorschriften verwendet, so zum Beispiel in Art. 129 I GG, §§ 42, 43, 59, 68, 70 I, 71, 79, 80 I, 113 VwGO. Er ist zu einem Zentralbegriff des deutschen VeJWaltungs-
1. Abschnitt: Der automatisierte Bescheid als Verwaltungsakt
69
rechts' geworden, wenngleich die Bedeutung des Verwaltungsaktes im Laufe der Zeit Schwankungen unterworfen war. 1. Entwicklung
Der Begriff des Verwaltungsaktes ist eine Schöpfung der Rechtswissenschaft2• In die Praxis der Gesetzgebung hat er erst relativ spät Einzug gehalten. Ungeklärt ist nach wie vor, ob er originär von der deutschen Verwaltungsrechtswisssenschaft geprägt oder aber aus Frankreich übernommen wurde3 • In Deutschland erscheint dieser Begriff erstmals in der Verwaltungsrechtslehre des beginnenden 19. Jahrhunderts. Seine überragende Bedeutung für die verwaltungsrechtliche Dogmatik wurde von Otto Mayer begründet, der darin vor allem ein Instrument zur Gewährleistung der Rechtssicherheit sah4 • In der Folgezeit resultierte die Bedeutung des Verwaltungsaktes in erster Linie aus seinen Wirkungen für das Prozeßrecht. Eine allgemeine Klagemöglichkeit gegen die Verwaltung, wie sie heute durch § 40 I VwGO eröffnet ist, war dem Verwaltungsprozeßrecht lange fremd. Vielmehr war der Rechtsweg nur gegen einzelne, enumerativ geregelte Handlungen der Verwaltung eröffnet, zu denen schon frühzeitig der Verwaltungsakt gehörte. So ist es denn auch kein Zufall, daß sich seine erste Legaldefinition in einer Regelung des Prozeßrechts fmdet, nämlich in § 25 der Verordnung Nr. 165 der Britischen Militärregierung über die Verwaltungsgerichtsbarkeit5• In der Bundesrepublik kam es zunächst zu einer Abschwächung der Bedeutung des Verwaltungsaktes. Die Ursache dafür war zum einen die schon
, Meyer / Borgs / Meyer, Vwvro, § 35 Rn. 1 f.; Wolff / Bachof, S. 370. Dabei gilt auch fiir den Anwendungsbereich der VwGO die Legaldefinition des § 35 S. 1 Vwvro (Meyer / Borgs / Meyer, Vwvro, § 35 Rn. 21; BVerwGE 31,301 (304». 2
ForsthoJl, S. 195.
Siehe dazu die Zusammenfassung bei Gomig, Maßnahme, S. 27; im letztgenannten Sinne Erichsen / Erichsen, S. 171; Wolff / Bachof, S. 372. 3
4 Erichsen / Erichsen, S. 172; Maurer, A1lg.VwR., S. 149; diese Bedeutung des Verwaltungsaktes betont heute noch Meyer / Borgs / Meyer, Vwvro, § 35 Rn. 10. Wolff / BachoJ, S. 371 kritisiert dagegen die von 0110 Mayer gezogene Parallele zum gerichtlichen Urteil, weil der Verwaltungsakt nicht durch eine neutrale Instanz ergehe und das Rechtsverhältnis nur vorläufig regele.
5 Maurer,
A1lg. VwR, S. 149; Erichsen / Erichsen, S. 149.
70
2. Teil: Hauptteil
erwähnte Erweiterung des Rechtsschutzes auf alle Handlungen der Verwaltung6 • Dazu kam parallel die fortschreitende dogmatische Durchdringung anderer Handlungsformen des Verwaltungsrechts, wie etwa dem öffentlichrechtlichen Vertrag oder dem öffentlich-rechtlichem vertragsähnlichen Schuldverhältnis1• Das VwVfG, in dessen Beratungen Begriff und Inhalt des Verwaltungsaktes im wesentlichen unstreitig waren8 , hat den damaligen Stand von Rechtsprechung und Lehre kodifiziert, ist aber zum Teil auch darüber hinausgegangen oder hat Fragen bewußt offen gelassen, um der weiteren Entwicklung der Dogmatik nicht vorzugreifen9• Trotz einer Aufwertung anderer Handlungsformen der Verwaltung ist der Verwaltungsakt auch weiterhin für die Verwaltung ein unerläßliches instrument. In der Eingriffsverwaltung ist seine Vollstreckbarkeit durch die Verwaltung selbst von Bedeutung. In der Leistungsverwaltung steht dagegen die Schaffung von Rechtssicherheit und die "Reduzierung von Komplexität"IO im Mittelpunkt. Schließlich könnte gerade die Automatisierung der Verwaltung wieder zu einer Aufwertung der Stellung des Verwaltungsaktes führen, da sie ein verstärktes Handeln der Verwaltung durch dieses Instrument erfordert, um die erforderliche Genauigkeit der Datenerhebung sicherzustellenIl . 2. Das heutige Verständnis von einem VenvaltungsakJ
Die Legaldefmition des Verwaltungsaktes ist in erster Linie von dem Bestreben bestimmt, andere Formen des Verwaltungshandelns auszugrenzen l2 • Über
"' 6 - Die fehlende Definition eines Verwaltungsaktes in der VwGO beruht nach Gomig, Maßnahme, S. 29 darauf, daß zum einen dieser Begriff mehr zum Verwaltungsverfahrens- als zum Prozeßrecht gehört und andererseits der weiteren Entwicklung der Dogmatik nicht vorgegriffen werden sollte. Aufgrund der Ausweitung des Rechtsschutzes durch § 40 VwGO sei es heute nicht mehr notwendig, am Begriff des Verwaltungsaktes zu manipulieren, um eine gerichtliche Überprüfung zu ermöglichen (aaO., S. 33).
1
Wolff / Bachof, S. 370; Meyer / Borgs / Meyer, Vwvro, § 35 Rn. 4.
8
Siehe BT-DS 6/1173 und BT-DS 7/910.
9 Kopp, Vwvro, § 35 Rn. I; Meyer / Borgs / Meyer, Vwvro, § 35 Rn. I, 3; Gomig, Maßnahme, S. 31. 10 Erichsen / Erichsen, S. 175 fiir die Funktion des Verwaltungsaktes als verbindliche Regelung von Teilfragen in komplexen Rechtsgebieten.
11
Brinckmann, Verwaltungsautomation, S. 81.
12
Maurer, Allg. VwR, S. 150; Forsthoff, S. 196, 198,200; Meyer / Borgs / Meyer, Vwvro,
§ 35 Rn. 22.
I. Abschnitt: Der automatisierte Bescheid als Verwaltungsakt
71
die Auslegung der einzelnen Merkmale besteht im wesentlichen Einigkeit, wenngleich im Detail manche Ungenauigkeit beklagt wird 13 • So wird als Maßnahme, für welche die Verfügung und Entscheidung nur Beispiele sind, jedes zweckgerichtete Verhalten angesehen, welches Menschen oder juristischen Personen zurechenbar ist l4 • Eine Behörde ist nach § 1 IV VwVfG jede Stelle, die Aufgaben öffentlicher Verwaltung wahrnimmt. Allerdings ist zu beachten, daß in anderen Gesetzen zum Teil auch andere Behördenbegriffe verwendet werden l5 • Diese Behörde trifft mit ihren Maßnahmen dann eine Regelung, wenn sie rechtsverbindliche Anordnungen erläßt, welche auf eine bestimmte Rechtsfolge gerichtet sind l6 • Maßgeblich ist dabei nicht die Bezeichnung durch die Behörde, sondern der objektive Erklärungsgehalt l7 • Zudem muß sich diese Regelung auf einen Einzelfall beziehen. In Abgrenzung zu Rechtsnormen darf es sich nicht um eine generell-abstrakte Entscheidung handeln l8 .Ferner sind auch die verbleibenden Regelungen nur dann vom Begriff des Verwaltungsaktes erfaßt, wenn sie auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts getroffen werden. Sie müssen diesem zu~~hnen sein, was insbesondere dann der Fall ist, wenn sie in Vollzug öffentlich-rechtlicher Vorschriften
13 Vor allem das Merkmal "auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts" wird als ungenau abgelehnt, weil nicht alle hoheitlichen Handlungen der Verwaltung erfaßt werden sollen, insbesondere keine schlicht-hoheitlichen, verfassungsrechtlichen oder völker- bzw. prozeßrechtlichen Handlungen (Wolff / Bachof, S. 373, 375; Maurer, Allg. VwR, S. 150; Meyer / Borgs / Meyer, VwVfG, § 35 Rn. 26). Daneben wird auch das Merkmal der Regelung kritisiert, weil es nicht genügend die Einseitigkeit der Entscheidungsfindung betone und verwaltungsinterne Regelungen nicht eindeutig ausgrenze (Maurer, Allg. VwR, S. 150; Woljf / Bachof, S. 373). 14
Erichsen / Erichsen, S. 176; Meyer / Borgs / Meyer, VwVfG, § 35 Rn. 28; Kopp, VwVfG,
§ 35 Rn. 14.
15 Erichsen / Erichsen, S. 177; Knack / Mö/lgaard, Vwvro, § I Rn. 8. Gomig, Maßnahme, S. 35 weist zusätzlich daraufhin, daß die Maßnahme von der Behörde auch gerade in Ausübung
dieser Eigenschaft getroffen werden muß.
16 Maurer, Allg. VwR, S. 151; Erichsen / Erichsen, S. 183; BVerwGE 28, 145 (146); Stelkens / Stelkens, VwVfG, § 35 Rn. 64; Meyer / Borgs / Meyer, VwVfG, § 35 Rn. 33.
17 BVerwGE 12, 87 (91); 29, 310 (312); Kopp, VwVfG, § 35 Rn. 4a; Knack / Schwarze, VwVfG, § 35 Rn. 4.3.
18 Maurer, A1lg. VwR, S. 154; Erichsen / Erichsen, S. 196; Knack / Schwarze, VwVfG, § 35 Rn. 4.3.1.
2. Teil: Hauptteil
72
ergehen l9 oder die Behörde sich eindeutig auf hoheitliche Kompetenzen beruft. Schließlich muß diese Regelung auf eine unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet sein. Dieses ist der Fall, wenn sie für einen außerhalb der Verwaltung stehenden Adressaten rechtlich gewollt den Rechtskreis erweitert, verringert oder feststellend gestaltet2O • Diese Definitionen sind auch für die Behandlung des automatisierten Verwaltungsaktes zugrunde zu legen. Dabei stellt die Automatisierung selbst schon deshalb keinen Verwaltungsakt, sondern nur eine Vorbereitungshandlung innerhalb der Verwaltung dar, weil sie als solche keine Rechtsfolge bewirken soll und somit keine Regelung enthält. 11. Der Begriff des automatisierten Verwaltungsaktes
Für die weiteren Ausführungen ist nunmehr festzulegen, in welchen Fällen von einem "automatisierten Verwaltungsakt" die Rede sein soll. Als Kennzeichen der Automation wurde oben21 die Selbständigkeit der Maschine während ihrer Tätigkeit bei einer gleichzeitig fehlenden nachträglichen Kontrolle des Ergebnisses durch den Menschen angesehen. Demgemäß soll auch ein automatisierter Verwaltungsakt nicht schon dann angenommen werden, wenn in einer beliebigen Phase seiner Entstehung selbsttätige Maschinen als Hilfsmittel herangezogen werden. Vielmehr kann mit Maure~ von einem solchen erst dann gesprochen werden, wenn die abschließende Entscheidung durch die Anlage erstellt wird und die Tätigkeit der Behörde sich darauf beschränkt, dieses Ergebnis maschineller Tätigkeit durch die Bekanntgabe in Kraft zu setzen.
19 Maurer, Allg. VwR, S. 153; Sleikens I Sleikens, Vwvro, § 35 Rn. 122; Meyer I Borgs I Meyer, Vwvro, § 35 Rn. 30; Kopp, Vwvro, § 35 Rn. 18.
20 BVerwGE 55,280 (285); 60, 144 (145); BVerwG, DVBI. 81, 495 (495); Erichsen I Erichsen, S. 189. Gomig, Maßnahme, S. 23, 40 betont, daß es nicht auf eine reale Außenwirkung, sondern auf die Intention einer solchen ankommt. 21
Vergleiche hierzu S. 23.
22 Maurer, Allg. VwR, S. 391. Automatisierte Verwaltungsakte sind in der Regel keine gleichartigen Verwaltungsakte, wie sie in den §§ 28 D Nr. 4, 39 D Nr. 3 Vwvro ebenfalls genannt werden, weil sie nicht auf demselben Sachverhalt und derselben Rechtsgrundlage beruhen.
1. Abschnitt: Der automatisierte Bescheid als Venwaltungsakt
73
Die Gesetzesnorm wird hierbei nicht mehr erst aus Anlaß des konkreten Einzelfalles ausgelegt, sondern antizipiert, gleichsam für unbestimmt viele künftige Anwendungsfälle, im Zeitpunkt der Erstellung des Computerprogramms. Dabei erfolgt dieser Arbeitsabschnitt im Regelfall nicht durch die gleiche Person, die den späteren konkreten Fall zu bearbeiten hat, sondern durch einen anderen Mitarbeiter, ja bei der heutigen Komplexität von Computerprogrammen sogar durch ein ganzes Team von Spezialisten. Der automatisierte Verwaltungsakt ist so auch gekennzeichnet durch einen Zerfall der ursprünglich einheitlichen Erstellung in zwei Arbeitsabschnitte unter Beteiligung unterschiedlicher Personen. Das bekannteste Beispiel war früher die Telefonrechnung 23 • Heute sind es andere Berechnungen von Verwaltungsträgern, Bußgeldbescheide oder aber Maßnahmen im Straßenverkehr, wie zum Beispiel die Signale einer Verkehrsampel 24 oder die neuartigen Verkehrsleitsysteme auf Autobahnen.
B. Subsumierbarkeit unter § 3S S. 1 VwVfG Im folgenden soll untersucht werden, ob sich diese Art der Erstellung mit der Legaldefinition eines Verwaltungsaktes in § 35 S. 1 VwVfG vereinbaren läßt. Bedenken verursacht dabei das Merkmal "Maßnahme einer Behörde". Zu klären ist, ob trotz der selbständigen Erstellung des Bescheides durch eine Maschine von einer Erklärung der Behörde ausgegangen werden kann.
23 Bei der Telefonrechnung haben sich Veränderungen durch die Strukturreform der Post ergeben. Im hier maßgeblichen Bereich TELEKOM sind die Rechtsbeziehungen nach § 9 I FAG privatrechtlicher Natur. Dies gilt allerdings nach § 65 m PostVerfG solange nicht, als die Gebühren noch durch Rechtsverordnung geregelt sind. Erhalten bleibt die Vollstreckbarkeit von Telefonrechnungen nach § 9 n FAG.
24 Dogmatisch interessant ist die juristische Konstruktion einer Fußgänger-Druckknopfampel. Zum Teil wird angenommen, daß im Auslösen des Mechanismus ein Antrag auf Erlaß eines Venwaltungsaktes liegt. Dieses erscheint aber bedenklich, weil ein solcher Antrag Geschäftsfähigkeit voraussetzen würde, es also bei der Benutzung durch Kinder zu Problemen käme. Deshalb gehen Bull, Venwaltung, S. 101 und Obermayer, Grundzüge, S. 93 davon aus, daß dabei eine schon fertige Erklärung der Behörde ausgelöst wird. Zur Einstufung der Verkehrsampel als personenbezogener Venwaltungsakt siehe Gomig, Maßnahme, S. 176,267.
74
2. Teil: Hauptteil
I. Der Streit um die Einordnung
1. Die These Karl Zeidlers
Es ist Karl Zeidlers Verdienst, in seinem grundlegenden Werk "Über die Technisierung der Verwaltung" 1959 als erster auf die hier entstehenden neuartigen Probleme hingewiesen zu haben. Zwar hat er dafür außer Anerkennung25 auch viel Kritik erfahren. Diese ist jedoch nicht in allen Punkten berechtigt gewesen, zumal er selbst zugegeben hat, daß er nur Denkvorschläge unterbreitet26 , eine Passage seiner Ausführungen freilich, die seine Gegner gerne überlesen haben. Zeidlers These läßt sich verkürzt wie folgt darstellen: Der Verwaltungsakt im konventionellen Sinne sei gekennzeichnet durch eine Einheitlichkeit des Subsumtionsvorganges und des Ergebnisses. In der gesamten Phase seiner Erstellung sei er von dem aktuellen Willen eines Amtswalters getragen, wie überhaupt das Verwaltungsrecht als Geschäftsgrundlage einen handelnden Menschen voraussetze27. Kennzeichen der Erstellung eines Verwaltungsaktes mit Hilfe technischer Einrichtungen sei demgegenüber das partielle Fehlen einer menschlichen Kontrolle in einer rechtlich relevanten Phase28 • Eine Herrschaft über die Entstehung und damit eine Zurechenbarkeit zur Behörde sei nur in der ersten Phase der Bearbeitung gegeben, die bis zur Festlegung der Ausgangsdaten reiche. Sie könne man als "Verwaltungshandlung" bezeichnen und an den Kategorien rechtmäßig und rechtswidrig messen. Ihr folge aber noch ein 25 So z.B. Baring, JZ 60, s. 295 (295); SchöUer, BayVBI. 61, s. 259 (260); Garstka, Ihrb. der Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 7 (1980), S. 233 (234). 26
Zeidler, S. 20; derselbe, DVBI. 61, S. 493 (494).
27 Zeidler, S. 5, 6, 10; derselbe, DVBI. 61, S. 493 (494) mit einem Verweis auf die Ermessensfehlerlehre; außerdem könne schon wegen der Verknüpfung mit dem Begriff des Rechts nur menschliches Handeln rechtmäßig oder rechtswidrig sein. Hierbei wird Zeidler mit dem Argument kritisiert, daß er nicht ausreichend zwischen dem Normadressaten und dem Norminhalt trenne (Berg, Diss. jur. Köln, S. 39; Schöning, Diss. jur. Bochum, S. 95; MaUer-Heidelberg, Recht im Amt 70, S. 101 (102). In der Tat bleibt der Adressat einer Norm auch dann der Mensch, wenn diese durch eine Maschine ausgefiihrt wird, weil er darüber entscheiden muß, ob er die Maschine benutzen will oder nicht. 28 Zeidler, S. 15. Diesen Verlust der Einheitlichkeit der Entscheidung konstatiert auch Garstka, Jhrb. der Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 7 (1980), S. 233 (236).
I. Abschnitt: Der automatisierte Bescheid als Verwaltungsakt
75
zweiter Abschnitt, der durch eine autonome Tätigkeit der Maschine gekennzeichnet sei. Ohne eine abschließende Kontrolle durch den Amtswalte~ könne man hier keinesfalls von menschlicher Tätigkeit, sondern nur von einem technischen Vorgang sprechen. Das Ergebnis dieses Teils der Erstellung des Verwaltungsaktes sei technisch richtig oder falsch, nicht aber rechtmäßig oder rechtswidrig30 • Zeidler bezeichnet diesen Bearbeitungsabschnitt als "Verwaltungsfabrikat"31. Das Endprodukt könne deshalb nicht als Verwaltungsakt im herkömmmlichen Sinne verstanden werden. Nur der erste Teil passe in das bestehende Rechtssystem, während der zweite Abschnitt sich einer solchen Einordnung entziehe. Erst beide Teile zusammen, Verwaltungshandlung und Verwaltungsfabrikat, könne man aus prozessualen Gründen als Verwaltungsakt betrachten32 . Dogmatisch aber handele es sich um ein aliud, dessen Folgen insbesondere im Haftungsrecht zu bedenken seien. Fraglich sei darüber hinaus, ob es sich bei einer solchen Automatentätigkeit überhaupt um eine Ausübung von Staatsgewalt durch Organe im Sinne des Art. 20 11 GG handele, wenn bei der Erstellung des Verwaltungsaktes private Rechenzentren mitwirken33 . Aus neuerer Zeit zollt vor allem Garstka den Ausführungen Zeidlers Respekt. Die Argumentation seiner Gegner sei eine Reaktion auf das Dilemma, daß einerseits die Verwaltungswissenschaft hohe Anforderungen an die rechtliche Qualifikation von Verwaltungshandeln entwickelt habe, andererseits aber die in der Praxis unentbehrlichen automatisierten Entscheidungen diese Anfor-
29 Wegen der ungeheuren Komplexität solcher Abläufe und einer damit korrespondierenden eingeschränkten KontroUmöglichkeit des Menschen nimmt Eben, Blätter rur Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht 66, s. 188 (191) faktische Entscheidungsbefugnisse der Maschine sogar dann an, wenn eine solche Abschlußkontrolle erfolgt.
30 Zeidler, DVBI. 59, S. 681 (683); derselbe, S. 24. Die Mehrzahl der Autoren bestimmt demgegenüber die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit objektiv nach der Übereinstimmung der Maßnahme mit der Rechtsordnung, ohne daß es auf die subjektive Gesinnung des Amtswalters ankommt (so Schmidt, Gesetzesvollziehung, S. 197; MaUer-Heidelberg, Recht im Amt 70, S. 101 (102); SchtJning, Diss. jur. Bochum, S. 95). Danach könnten auch technische Entscheidungen rechtswidrig sein.
31 Zeidler, S. 18; derselbe, DVBI. 59, S. 681 (684). 32 Zeidler, S. 6, 18. 33 Zeidler, DVBI. 61, S. 493 (493); derselbe, DVBI. 59, S. 681 (686). In diesem Fall hat auch Meincke, S. 98 Zweifel an der Einstufung als Verwaltungsakt.
76
2. Teil: Hauptteil
derungen nicht erfüllen können34 • Die enge persönliche Zuordnung eines Verwaltungsaktes zu einem Sachbearbeiter sei als wichtiger Aspekt der Rechtsstaatlichkeit zu betrachten. Jede Zurückdrängung dieser juristischen Reflexion durch den Beamten müsse zu bedenklichen Entrechtlichungserscheinungen führen 3s • Diese fehlende oder jedenfalls gelockerte Beziehung zwischen der Behörde und dem Verwaltungsakt im Fall seiner automatisierten Erstellung gilt es auf ihre Folgen für das Merkmal "Maßnahme einer Behörde" im Sinne des § 35 S. 1 VwVfG zu untersuchen. 2. Die Ablehnung einer Trennung von Verwaltungshandlung und Verwaltungsfabrikat
Wie bereits erwähnt, wird Zeidlers These heute fast einhellig abgelehnt. Teilweise wird dieser Streit als erledigt betrachtet36 oder die Verwaltungsaktseigenschaft des Endproduktes ohne weitere Begründung angenommen 31 • Andere Autoren halten die von Zeidler vorgenommene Differenzierung von Verwaltungshandlung und Verwaltungsfabrikat zwar für möglich, aber rechtlich bedeutungslos38 • Dennoch sollen im folgenden die Argumente der Befürworter einer Einstufung als Verwaltungsakt einmal im Überblick dargestellt werden, auch um dadurch eine bessere Grundlage für die Erörterung der spezifischen Probleme von Expertensystemen zu erhalten. Wenn die überwiegende Anzahl der Autoren von einer VerwaltungsaktQualität des automatisierten Bescheides ausgeht, müssen diese die gelockerte Beziehung zwischem dem Amtswalter und dem Produkt des Verfahrens für irrelevant erklären. Dieses geschieht im wesentlichen mit drei Argumenten.
34 Garstkn, Jhrb. der Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 7 (1980), Tuner, ÖVO 82, Heft 7, s. 75 (78).
s. 233 (235); ferner
3S Garstkn, Jhrb. der Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 7 (1980), S. 233 (236, 239). Eine solche Lockerung der Beziehung zwischen dem menschlichen Willen und dem Ergebnis der Tätigkeit konstatieren auch GÖtlrup, Studium generale, Bd. 21 (1968), S. 1107 (1111) und Gruber, BayVBI. 72, S. 434 (434). 36 So z.B. Kerknu, ADV, S. 43; Müller-Heide/berg, Recht im Amt 70, S. 101 (102); Schöning, Oiss. jur. Bochum, S. 94.
31 Ste/uns / SIe/uns, Vwvro, § 37 Rn. 34; LG Frankfurt a.M., NJW 75, S. 2078 (2079); OVG Münster, OÖV 74, S. 599 (599). 38
Haft, S. 65; Maaß, OVBI. 61, S. 7 (9).
I. Abschnitt: Der automatisierte Bescheid als Verwaltungsakt
77
a) Ableitung aus dem VwVfG Zunächst wird dafür ein gesetzespositivistisches Argument vorgebracht. Indem der Gesetzgeber in §§ 28 11 Nr. 4, 37 IV 1, 39 II Nr. 3 VwVfG von Verwaltungsakten spreche, die mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen werden, gebe er zu erkennen, daß er diese Art der Erstellung biIIige39 • Aus den Worten "mit Hilfe" folge, daß EDV-Anlagen nur Hilfsmittel seien, nicht aber selbst eine Erklärung abgeben würden«>. In der Tat geht der Gesetzgeber, ausweislieh der Gesetzgebungsmaterialien zum VwVfG, davon aus, daß eine solche Erstellung jedenfalls dann zulässig ist, wenn keinerlei persönliche Wertung erfolgen muß, das heißt, der Verwaltungsakt aufgrund der Ausgangsdaten nur einen bestimmten Inhalt haben kann41 • In dieser Billigung der Zulässigkeit solcher Verfügungen liegt a maiore ad minus zugleich eine Anerkennung dieser Bescheide als Verwaltungsakt. Grundlage dieser Normen ist der in den 70er Jahren übliche EDV-Einsatz für die Massenverfahren im Steuer- oder Rentenrecht, die durch bloße, wenngleich auch umfangreiche Rechenoperation geprägt waren. Hier stellt sich schon die Frage, ob man bei einem mathematisch vorgegebenen Ergebnis überhaupt von einer "Entscheidung" der Maschine sprechen kann, wenn diese die Operationen korrekt ausführt, oder ob nicht vielmehr eine Entscheidung auch "Entscheidungsfreiheit" voraussetzt42 • Problematisch wird die Zulässigkeit der Verwendung von Computern auf der Grundlage des gesetzgeberischen Willens dann, wenn während des Programmablaufes eine technische Störung eintritt, die dem Benutzer der Anlage verborgen bleibt, da dann die Maschine keine bloße Hilfsfunktion mehr hat. Jedenfalls aber bedeutet die Bestätigung
39 Aus der inzwischen umfangreichen Rechtsprechung zum automatisierten Verwaltungsakt siehe BVerwGE 31,236 (236); 40, 212 (215); 45,189 (190); 48, 336 (337); BVerwG, NVwZ 86, S. 198 (198); BFH, NVwZ 85, S. 448 (448); BFH, NVwZ 85, S. 519 (520); OVG Münster, DÖV 74, S. 599 (599); OLG Frankfurt a.M., NJW 76, S. 337 (337).
«> Stelkens / Stelkens, Vwvro, § 37 Rn. 45; Redeker, NVwZ 86, S. 545 (545); Erichsen I Erichsen, S. 177; Meyer I Borgs I Meyer, Vwvro, § 37 Rn. 26, § 35 Rn. 24, der aber wegen der Gefahr von Sachverhaitsveränderungen im Zuge des EDV-Einsatzes bedauert, daß das Gesetz diese Frage nicht explizit regelt. 41
BT-DS 7/910; so auch Habschmann I Spanner, AO 1977, § 119 Rn. 19.
42 In diesem Sinne Bult, JR 65, S. 178 (179); derselbe, Verwaltung, S. 68; Senoner, Diss.jur. München, S. 22 f.; Berg, Diss. jur. Köln, S. 26; kritisch auch Keltseh, Datenverarbeitung in Steuer, Wirtschaft und Recht 85, S. 41 (41).
78
2. Teil: Hauptteil
durch den Gesetzgeber für einen engen Teilbereich43 der heutigen Automationsanwendungen noch nicht, daß damit jede Fonn des Technikeinsatzes durch die Verwaltung legitimiert wäre. Zeidler gar konnte dieses Argument nicht berücksichtigen, weil die Kodifikation des Verwaltungsverfahrensrechts erst nach seinem Tod erfolgte. b) Steuerung durch das Programm Das am häufigsten genannte Argument für das Vorliegen einer Maßnahme der Behörde bei dieser Art der Entscheidung ist die Steuerung der Datenverarbeitungsanlage durch das Programm. Die Tätigkeit der Maschine sei restlos vom Menschen determiniert44 • Ihre Selbständigkeit beschränke sich darauf, unerkannt Störungen zu erleiden; diese Eigenschaft sei aber nur haftuogsrechtlich relevant45 • Der menschliche Entscheidungsbeitrag sei lediglich auf den Zeitpunkt der Programmerstellung vorverlagert46 , ohne dadurch an Relevanz zu verlieren. Schließlich spreche auch niemand von einem "formalen Verbrechen", wenn sich der Mensch dabei eines technischen Hilfsmittels bediene47 • In der Tat liegt in der zentralen Bedeutung des Programms für die Funktion der Datenverarbeitungsanlage der Schlüssel für die Verbindung ihrer Produkte
43 Der Begriff der "automatischen Einrichtungen" im Sinne der §§ 28 n Nr. 4, 37 IV, 39 n Nr.3 VwVfG ist teilweise enger, teilweise aber auch weiter als der im Rahmen dieser Ausführungen verwendete Automationsbegriff. Er geht insoweit weiter, als er auch bloße Vervielfältigungseinrichtungen erfaßt, ohne daß eine automatisierte Subsumtion,.erfolgt sein muß (BT-DS 7 /910, S. 59). Andererseits ist er aber auch enger, weil der Gesetzgeber nur von bloßen Rechenoperationen ohne persönlichen Spielraum ausging, während es heute auch sehr viele andere Anwendungen gibt. Vergleiche dazu auch ausführlich S. 20 und S. 131.
44 Kerkau, ADV, S. 1; Maaß, DVBJ. 61, S. 7 (9); Bull, IR 65, S. 178 (179); Degrandi, S. 74; Schmilr-Leennann, DÖV 63, S. 597 (602); Schöning, Diss. jur. Bochum, S. 96; Breugst, DÖV 57, S. 474 (474); Schirnnacher, DÖV 57, S. 146 (146); OLG Karlsruhe, CR 86, S. 493 (494); Ehlers, Jura 91, S. 337 (340); Erichsen / Erichsen, S. 176; Haft, S. 65; Schmidt, Gesetzesvollziehung, S. 195 f.; Obennayer, Grundzüge, S. 93; Senoner, Diss. jur. München, S. 22 f.; Eisenhardt, JZ 86, S. 875 (875); Meschkat, Diss. jur. Kiel, S. 109. Similis, Infonnationskrise, S. 105 berichtet dagegen von Anwendungsfällen bei der BfA, bei denen der Computer auch zu nicht programmierten Fragen Stellung nimmt, allerdings nur in Fonn eines Entscheidungsvorschlags.
45
Fiedler, JZ 66, S. 689 (694).
46 Kerkau, ÖVD 71, Heft 3, S. 106 (106); Maaß, DVBJ. 61, S. 7 (8); Neeße, Zeitschrift für Beamtenrecht 67, S. 353 (354); Haft, S. 66; Senoner, Diss. jur. München, S. 23. 47
Kerkau, ADV, S. 31.
1. Abschnitt: Der automatisierte Bescheid als Verwaltungsakt
79
zur Behörde. Bei den bis heute üblichen Systemen ist der Ablauf damit in allen Phasen vom menschlichen Willen determiniert. Die angesprochene Ausnahme von technischen Störungen ist aber durchaus auch noch unter anderen als nur haftungsrechtlichen Gesichtspunkten relevant. Zu denken ist dabei zunächst an Rücknahme, Widerruf und Berichtigung solcher Verwaltungsakte. Zu beachten ist aber auch, daß im Falle des Eintritts einer solchen Störung von einer menschlichen Steuerung des Ergebnisses gerade nicht die Rede sein kann, so daß dieses Argument hier seine Wirksamkeit verliert. Ob daraus aber der Schluß zu ziehen ist, daß mangels menschlich kontrolliertem Handeln auch kein Verwaltungsakt vorliegt, hängt davon ab, ob nicht auch ohne eine solche Steuerung Entscheidungen "der Behörde" vorliegen können. c) Zurechenbarkeit zur Behörde Ein anderer Teil der Literatur betont weniger die Bedeutung des Programms als vielmehr den Umstand, daß die Verwaltung derartige Geräte bewußt zur Erfüllung der ihr obliegenden Aufgaben benutzt und deshalb für die Folgen ihres Einsatzes einstehen muß. Innerhalb dieses Ansatzes sind zwei Hauptgedankenlinien zu unterscheiden. Zum einen wird eine solche Zurechenbarkeit des Ergebnisses schon auf die Anschaffungsentscheidung gestützt. Wenn die Behörde solche Geräte trotz der nicht auszuschließenden Möglichkeit von Fehlleistungen verwende, übernehme sie die Garantie, sich deren Produkte wie eigene Tätigkeit zurechnen zu lassen48 • Erst sie sei es, die den ergehenden Bescheid verbindlich mache und so vom Bürger dessen Beachtung verlange. Dann aber müsse sie auch für die nachteiligen Folgen einstehen, die sich aus der Verwendung von Datenverarbeitungsanlagen ergeben können49 • Zum anderen wird eine solche Zurechenbarkeit aus dem Willen der Behörde bei der Bekanntgabe des konkreten Verwaltungsaktes abgeleitet. Zwar sei eine Garantieübernahme für alle künftigen Verwaltungsakte durch die Anschaffungsentscheidung abzulehnen. Bei der Benutzung der Anlage für die Bearbeitung des konkreten Falls falle aber nochmals eine menschliche Entscheidung, die Anknüpfungspunkt für Zurechnungserwägungen sein könne. Umstritten ist innerhalb dieser Ansicht lediglich, ob für diese Zurechnung der Wille des
48 Degrandi, S. 74; Fiedler, JZ 66, S. 689 (694) nennt dieses Zurechnung kraft Organisation; Tuner, ÖVD 82, Heft 7, S. 75 (78); BVerwGE 45, 189 (190); Bull, Verwaltung, S. 67; Mutius, VerwArch., Bd. 67 (1976), S. 116 (116); Erichsen / Erichsen, S. 176; Eberle, Organisation, S. 56. 49 Maurer, A1lg. VwR, S. 391; Eisenhardl, JZ 86, S. 875 (875); Köhler, AcP, Bd. 182 (1982), S. 126 (133 f.).
80
2. Teil: Hauptteil
konkret zuständigen Amtswaltersso, der Wille eines irgendwie zur Entscheidung befugten Behördenmitglieds51 oder gar ein imaginärer "Behördenwille" entscheidend ist52 • Notwendig ist somit nur der Wille zur Benutzung der Anlage im konkreten Fall, nicht aber ein ebensolcher bezüglich des Inhalts des Bescheides53 • Daher wird von den Vertretern dieser Ansicht auch keine Abschlußkontrolle54 des ausgedruckten Bescheides verlangt. Er kann durch ein Rechenzentrum erstellt und sofort an den Bürger versandt werden. Anders als die Ansicht, welche auf die Programmbindung abstellt, ermöglicht es diese "Zurechnungstheorie" , trotz eines Maschinenfehlers von einer Entscheidung "der Behörde" auszugehen. Die Zurechnungstheorie geht insoweit auch weiter als die Theorie, welche die Zulässigkeit eines derartigen Geräteeinsatzes aus dem VwVfG ableitet. Der Gesetzgeber ging von einer bloßen Hilfsfunktion solcher Geräte aus, welche durch die Programmbindung sichergestellt war. Im Falle eines technischen Versagens "befreit" sich die Maschine aber gerade aus dieser Stellung, so daß nach dem Willen des Gesetzgebers ihre Verwendung im konkreten Fall unzulässig wäre. Eine solche Zurechnung entspricht ferner am ehesten den neueren dogmatischen Entwicklungen, die, ausgehend vom Zivilrecht, auch für den Bereich der öffentlichen Verwaltung eine Risikoverteilung nach Gefahrenbereichen vornehmen55 • Dafür ist es letztlich gleichgültig, ob die Zurechnung auf die Anschaffungsentscheidung oder die konkrete Benutzungsentscheidung gestützt wird.
so Bull, Verwaltung, s. 26 läßt dazu einen natürlichen Willen genügen, so daß auch bei fehlender Geschäftsfähigkeit des Beamten eine Zurechnung möglich ist (aaO., S. 67); allgemein auch Szymansld, Zeitschrift für Verkehrsrecht 86, S. 361 ff. 51 Degrandi, S. 73 für den Fall der Bearbeitung durch eine andere Abteilung, weil der eigentlich zuständige Amtswalter die Bearbeitung jederzeit wieder an sich ziehen könne.
52 Müller-Heidelberg, Recht im Amt 70, S. 101 (102); derselbe, DVBI. 61, S. 11 (12); Schöning, Diss. jur. Bochum, S. 97; Erichsen I Badura, S. 417. Dagegen lehnt Bull, Verwaltung, S. 67 einen solchen Behördenwillen als reine Fiktion ab. 53 Nötig ist dagegen nach dem BFH ein konkreter Bekanntgabewillen, der aber auch bei einer fehlerhaften Entscheidung bestehen kann. Ohne einen solchen Willen liegt nach dieser Ansicht nur ein Schein-Verwaltungsakt vor (BFH, BStBI. 11 86, S. 832 (833»; siehe zu diesem Problem auch S. 198. 54 BVerwGE 45, 189 (196); Bull, Verwaltung, S. 72; Müller-Heidelberg, Recht im Amt 70, S. 101 (102); Woljf I Bachof, S. 417. Kerkau, ÖVD 71, Heft 3, S. 106 (107) bejaht die Zurechenbarkeit des Bescheides zur Behörde aber nur nach einer formlichen Programmabnahme; ansonsten sei der Bescheid zwar von der Behörde verursacht, ihr aber nicht zurechenbar.
55 Für das Zivilrecht Clemens, NJW 85, S. 1998 (2005); für das öffentliche Recht Eyermann I Fröhler, VwGO, § 86 Rn. 5; Kopp, VwGO, § 86 Rn. 11; Redeker Iv. Oert1.en, VwVfG, § 86 Rn. 11.
I. Abschnitt: Der automatisierte Bescheid als VelWaltungsakt
81
11. Zwischenergebnis
Insgesamt läßt sich feststellen, daß zwar im Regelfall die Argumentation der überwiegenden Anzahl der Autoren bei einer Gesamtschau ihrer Argumente zutrifft, daß aber jedes einzelne für sich genommen seine Schwächen hat. Grundsätzlich spricht die Programmgebundenheit des Computers und damit auch des ergehenden Bescheides für das Vorliegen einer behördlichen Entscheidung. Diesen Gesichtspunkt hat Zeidler in seiner These vom Verwaltungsfabrikat nicht ausreichend berücksichtigt, wie ihm überhaupt der Vorwurf zu machen ist, seinen Ansatz nicht konsequent zu Ende vertreten zu haben. Sonst hätte er annehmen müssen, daß mangels Kontrolle auch keine Zurechnung zur Behörde möglich ist, deshalb keine Ausübung hoheitlicher Gewalt vorliegt und die Entscheidung somit unbeachtlich ist56• Der Rückzug auf einen "Verwaltungsakt im prozessualen Sinne" erscheint inkonsequent. So weit wollte und konnte Zeidler aber angesichts der sich schon damals abzeichnenden Bedeutung dieser neuen Verfahren wohl nicht gehen. Diese Verbindung des Bescheides zur Behörde durch das Programm versagt aber bei Fehlleistungen der Maschine. Das gleiche gilt für die These der Bestätigung durch den Gesetzgeber, weil die automatische Einrichtung dann keine bloße Hilfsfunktion mehr hat. Einzig diejenigen Autoren, die von einer Zurechenbarkeit des Bescheides zur Behörde ohne Rücksicht auf den konkreten Inhalt ausgehen, gelangen auch hier ohne Probleme zu einer Maßnahme "der Behörde", weil sowohl die Anschaffungs- als auch die Benutzungsentscheidung zeitlich vor dieser Störung liegen. Bedenklich erscheint aber, ob es für die Gesetzesbindung der Verwaltung nach Art. 20 III GG genügen kann, daß diese, unabhängig von der Höhe der Wahrscheinlichkeit von Fehlentscheidungen, die Verantwortung für ihre Bescheide übemimmt57 • Hier gilt es die Grenze dessen zu bestimmen, was im Interesse einer effektiven Verwaltung nötig, zum Schutz des Bürgers aber gerade noch möglich ist. Besondere Beachtung verdient dabei die Tatsache, daß der technische Fortschritt auch zu neuartigen Aspekten für die automatisierte Erstellung von Verwaltungsakten führen wird58 • Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Entwicklung von Formen der künstlichen Intelligenz. Bevor daher die Frage nach den Grenzen der Zurechnung maschi-
56 Bull, VelWaltung, S. 64; zum unterschiedlichen Ansatz von Zeidler und Bull siehe Neeße, Zeitschrift für Beamtenrecht 67, S. 353 (354). 57
Siehe dazu S. 99.
58
Fiedler, in: Traunmüller, S. 128 (136).
6 Polomski
82
2. Teil: Hauptteil
neller Bescheide zur Behörde abschließend behandelt wird, sollen zunächst die heute bereits absehbaren technischen Fortentwicklungen in die Problemstellung einbezogen werden.
C. Neue Aspekte durch die Entwicklung juristischer Expertensysteme Eine neue Aktualität der von Zeidler entfachten Diskussion könnte sich durch den technischen Fortschritt ergeben. Ein Teilaspekt dieser Entwicklung sind juristische Expertensysteme. Es handelt sich dabei um eine von fünf Formen der künstlichen Intelligenzforschung59 • I. Funktion und Entwicklungsstand
Zunächst sollen hier zur Schaffung einer Grundlage für die Erörterung der juristischen Probleme Funktion und Entwicklungsstand dieser Expertensysteme in Abgrenzung zu den bisher im Einsatz befindlichen Geräten dargestellt werden. Bei den im Rahmen der Verwaltungsautomation verwendeten Computern ist durch das Programm jedem Tatbestand genau eine Rechtsfolge zugeordnet; beide sind untrennbar miteinander verbunden60 • Eine solche Programmgestaltung erfordert, daß dem Programmierer das Ergebnis der maschinellen Tätigkeit in allen Einzelheiten im voraus bekannt ist. Der Computer vollzieht lediglich einen menschlichen Gedankengang nach; einzig und allein die Tatsache, daß er dieses schneller und sicherer kann als ein Mensch rechtfertigt seinen Einsatz. Schon frühzeitig kam aber der Wunsch auf, den Computer auch dazu benutzen zu können, einen menschlichen Entscheidungsansatz fortzuentwickeln. Der Computer soll hier auf der Grundlage einer Problemvorgabe nach streng logischen Gesichtspunkten eine eigene Lösung finden. Zunächst wurden dazu moderne Großsysteme entwickelt, die Programmänderungen auch während der laufenden Nutzung zulassen. Damit kann nicht mehr streng zwischen Aus-
59 Traunmüller, in: Reinermann, S. 100 (105); Clemens, NIW 85, S. 1998 (2002). Weitere Formen sind Deduktionssysteme, die Robotertechnologie, Bildverstehen und natürlich-sprachliche Systeme. 60
Fiedler, eR 87, S. 325 (327).
I. Abschnitt: Der automatisierte Bescheid als Verwaltungsakt
83
gangsdaten und Programm unterschieden werden; es ist nachträglich nicht mehr feststellbar, welchen Inhalt das Programm zu einem bestimmten Zeitpunkt hatte61 • Am Ende der bisherigen Entwicklung stehen die hier zu bewertendenjuristischen Expertensysteme. Ihr charakteristisches Merkmal ist die sogenannte "wissensbasierte Gestaltung"62. Die Wissensbasis entspricht dem jeweils geltendem Recht63 ; auf seiner Grundlage sucht das "Regelsystem" nach Antworten auf ihm vorgegebene Problemstellungen, wobei es streng nach den Regeln der juristischen Logik vorgeht. Ziel dieser Technik ist es, die Arbeit von juristischen Experten zu simulieren. Man könnte sie daher auch als" Expertenvertretende Systeme" bezeichnen64 • Es soll mit ihnen neues Wissen erarbeitet werden, welches dem Programmierer nicht bekannt war, während es bisher nur darum ging, vorhandenes Wissen in ein Programm umzusetzen. Juristisch relevant ist dabei insbesondere die Tatsache, daß der Weg von den Ausgangsdaten zur Lösung nicht mehr präzise definiert ist. Das Regelsystem enthält keine bestimmte Antwort für jede Konstellation, sondern gibt nur allgemeine Hilfsregelungen vor, wie sich das System in bestimmten Situationen verhalten soll65. Dabei kann es auch mit Analogien und Hypothesen arbeiten sowie Heuristiken verwenden, das heißt mit Wahrscheinlichkeiten arbeiten 66 •
61 Clemens, NJW 85, S. 1998 (2001); allein diese Vermischung während des Ablaufs mache es unmöglich, das spätere Endergebnis genau vorhenusagen. Dazu komme noch, daß es nach Ansicht fiihrender Informatiker nicht möglich sei, solche komplexen Systeme absolut fehlerfrei zu konstruieren; daher scheide eine Einstufung als bloßes Hilfsmittel menschlicher Erklärungen bereits auf dieser Ebene aus (aaO., S. 2001 f.).
62 Eberle, CR 88, S. 258 (260); Traunmüller, in: Reinermann, S. 100 (105); Fiedler, CR 87, S. 325 (327); Schäfer, S. 55; Baumann I Sulz, eR 89, S. 331 (331); Bönninger I Bönninger, Staat und Recht 89, S. 379 (380); Endrös, S. 12; Columbus, Berge-FS, S. 163 (164).
63 Soweit ein solches objektives Recht in einem Teilbereich noch nicht existiert, enthält die Wissensbasis das gesamte vorhandene Spezialwissen auf diesem Gebiet, wobei das System teilweise noch danach differenziert, ob Wissen bereits in juristischen Fachausdrücken oder in der Umgangssprache eingegeben wird (siehe dazu Baumann I Sulz, eR 89, S. 331 (331 f.». 64 Fiedler, eR 87, S. 325 (326); Traunmüller, in: Reinermann, S. 100 (105); Frirsche, Staat und Recht 86, S. 890 (895); Ehlers, Jura 91, S. 337 (338); lAzaralos, S. 45; Baumann / Sulz, eR 89, S. 331 (334); Columbus, Berge-FS, S. 163 (164).
65 Traunmüller, in: Reinermann, S. 100 (109); Clemens, NJW 85, S. 1998 (2002); Bönninger / Bönninger, Staat und Recht 89, S. 379 (380); Pollock, S. 204. 66
6*
Columbus, Berge-FS, S. 163 (163, 165).
84
2. Teil: Hauptteil
Das Expertensystem geht in ähnlicher Weise vor wie ein Jurist, der in Kenntnis des Gesetzesaufbaus ein nicht geregeltes Problem lösen Will 67• Noch überwiegen bei dieser Technik die Probleme. Wie sein menschliches Vorbild benötigt auch der "lernende Automat" Zeit zum Lernen. Derzeit kann man davon ausgehen, daß juristische Expertensysteme bis auf wenige Ausnahmen noch nicht voll entwickelt sind, daß aber andererseits auf diesem Gebiet ein rasches Wachstum zu erwarten ist68 • Die feststehende Funktionsweise dieser Geräte erlaubt es aber bereits jetzt, ihren Einsatz bei der Erstellung von Verwaltungsakten einer kritischen Würdigung zu unterziehen. 11. Einsatzformen juristischer Expertensysteme
Als Grundlage für die Untersuchungen zum Einsatz solcher Geräte bei der Erstellung von Verwaltungsakten sind zwei verschiedene Verwendungsarten zu unterscheiden. Zum einen können solche Systeme als Beratungssystem für einen menschlichen Benutzer fungieren, gleich ob es sich dabei um einen Fachmann oder einen Laien handelt69 • Der Mensch entwickelt dabei im Dialog mit dem Expertensystem Problemlösungen. Diese Variante soll hier nicht weiter behandelt werden, weil sie infolge der menschlichen Letztentscheidung mehr zum Bereich der Dokumentation gehört70 •
67 Bönninger / Bönninger, Staat und Recht 89, S. 379 (384); Albrecht, eR 89, S. 438 (441). Anders als der Jurist kann das Expertensystem aber noch nicht den Normalfall vom Problem unterscheiden, sondern löst beide mit dem gleichen Elan; insoweit wäre es ein schlechter Jurist. 68 Wirrkämper, Städte- und Gemeinderat 88, S. 177 (\82); Eberle, JuS 87, S. 771 (772); Eh/ers, Jura 91, S. 337 (338); Lenk, Verwaltungsrundschau 87, S. 306 (306); Goebel / Schmalz, eR 86, S. 5\0 (511); Albrecht, eR 88, S. 343 (347); Columbus, Berge-FS, S. 163 (176). Ein erstes praktisches Beispiel ist das System "LEX", welches die angemessene Wartezeit bei § 142 StGB berechnet (siehe dazu Baumann / Sulz, eR 89, S. 331 ff.). Ferner gibt es derartige Geräte zur Berechnung des Schadensersatzes (Bönninger / Bönninger, Staat und Recht 89, S. 379 ff.). 69
Fiedler, eR 87, S. 325 (326); Bönninger / Bönninger, Staat und Recht 89, S. 379 (380).
Probleme entstehen dabei vor allem durch Manipulationen bei der Auswahl der Fakten für die Wissensbasis (Herr, DRiZ 86, S. 375 (375» und durch die höhere Autorität solcher Systeme gegenüber dem Benutzer, der den Entscheidungsvorschlag regelmäßig unreflektiert übernehmen wird (Goebel / Schmalz, eR 86, S. 5\0 (513); Albrecht, eR 89, S. 438 (441); Frirsche, Staat und Recht 86, S. 890 (895); Haft, S. 88). Columbus, Berge-FS, S. 163 (174) geht davon aus, daß mit einem derartigen Beratungssystem das Kreuzberg-Urteil des Preußischen OVG niemals möglich gewesen wäre. 70
1. Abschnitt: Der automatisierte Bescheid als Verwaltungsakt
85
Relevant ist im Rahmen dieser Untersuchungen dagegen die zweite VelWendungsart, nämlich als Entscheidungsmodu[11 bei der Erstellung von VelWaltungsakten ohne nachfolgende oder begleitende menschliche Kontrolle. Eine solche VelWendungsart bietet sich in überschaubaren Rechtsgebieten mit einem rasch wechselnden Normenbestand an. Als Beispiel hierfür wird das Güterverkehrsrecht genannt72 , welches auch deshalb für die vorliegende Arbeit von besonderem Interesse ist, weil es dort gleichzeitig erste Ansätze für eine elektronische Zustellung von VelWaltungsakten gibf3 • Diese Einsatzform juristischer Expertensysteme als Abschluß einer behördlichen Entscheidung soll im folgenden auf ihre Vereinbarkeit mit § 35 S. 1 VwVfG geprüft werden, weil nur sie unter den Begriff des automatisierten VelWaltungsaktes fallen könnte. Dabei gilt es, die gegen Zeidler vorgebrachten Argumente auf ihre Übertragbarkeit in diesen Bereich zu überprüfen. III. Vereinbarkeit mit § 3S S. 1 VwVfG
1. Positive Regelung durch das Vw VfG
Zur Frage der Möglichkeit einer Erstellung von VelWaltungsakten durch herkömmliche Datenverarbeitungsanlagen wurde zunächst auf die Regelungen der §§ 28 11 Nr. 4, 37 IV, 39 11 Nr. 3 VwVfG velWiesen, mit denen der Gesetzgeber mittelbar ein derartiges Vorgehen billige74 • Fraglich erscheint jedoch, ob auch der Einsatz von Expertensystemen von dieser Entscheidung des Gesetzgebers gedeckt wäre.
71 Auf diese Einsatzform weist Traunmaller, in: Reinennann, S. 100 (106) hin; ferner Stelkens / Stelkens, VwVfG, § 37 Rn. 47. Daneben gibt es noch weitere, hier aber nicht relevante Einsatzformen, etwa beim Entwurf von Gesetzen (Fiedler, CR 87, S. 325 (331» oder als Lehrmittel (Goebel / Schmalz, CR 86, S. 510 (512». 72 EndriJs, S. 24; ferner hält er Expertensysteme fiir besonders geeignet zur Feststellung des maßgeblichen Rechts zu friiheren Zeitpunkten. Ungeeignet sei dagegen das Steuerrecht (aaO., S. 23), weil die Anforderungen an einen Fachanwalt fiir Steuerrecht so umfangreich seien, daß eine entsprechende Wissensbasis kaum vorstellbar erschiene. 73
Siehe dazu Kübler, S. 38.
74
Vergleiche hierzu S. 77.
86
2. Teil: Hauptteil
Gegen eine solche Annahme spricht zunächst eine historische Auslegung7s • Ausweislich der Materialien zum VwVfG ging der Gesetzgeber von einer strikten Programmbindung der fraglichen Geräte aus 76. Dabei ist die historische Auslegung hier auch besonders aussagekräftig, weil die Beratungen zum VwVfG erst erfolgten, als es bereits erste Entwicklungsansätze für derartige Expertensysteme gab77 • Wenn der Gesetzgeber dennoch nur Geräte mit bloßer Hilfsfunktion regelte und dieses schon durch den Wortlaut "mit Hilfe" zum Ausdruck brachte, ist dieses ein gewichtiges Indiz dafür, daß er im Umkehrschluß andere Formen der Technik nicht zulassen wollte. Zum gleichen Ergebnis führt eine systematische Auslegung. In allen drei Fällen handelt es sich um Ausnahmetatbestände zu allgemeinen Rechtsprinzipien, die entsprechend ihrer Stellung eng auszulegen sind. Eine Einbeziehung neuer technischer Entwicklungen kommt deshalb nicht in Betracht. Weiterhin weist auch eine teleologische Auslegung in die gleiche Richtung. Intention des Gesetzgebers war es, für den sich abzeichnenden massenhaften Arbeitsanfall dem Verwaltungspersonal dort eine Erleichterung zu verschaffen, wo dieses routinemäßig mit Arbeiten ohne jeglichen juristischen Spielraum beschäftigt war. Ein Einsatz solcher Geräte zur Erschließung neuen Wissens sollte damit nicht geregelt werden. Die Möglichkeit einer Erstellung von Verwaltungsakten mittels des Einsatzes von Expertensystemen ist somit im VwlfG noch nicht zugelassen worden78 • Die Auslegung der §§ 28 11 Nr. 4, 37 IV, 3911 Nr. 3 VwVfG spricht sogar eher gegen eine solche Möglichkeit der Verwaltung. Sollten daher die weiteren Untersuchungen die Statthaftigkeit dieser Erstellungsform ergeben, so steht bereits jetzt fest, daß die Ausnahmevorschriften der §§ 28 11 Nr. 4, 37 IV, 39 11 Nr. 3 VwVfG keinesfalls zwangsläufig auch auf Expertensysteme anwendbar sind.
7S So auch Stelkens I Stelkens, Vwvro, § 37 Rn. 47; angedeutet ferner bei Giehl, BayVBI. 88, S. 321 (326).
76
BT-DS 7 I 910.
77 Die Entwicklung solcher Geräte begann nach Goebell Schmalz, eR 86, S. 510 (511) Anfang der 70er Jahre. 78
1m Ergebnis ebenso Stelkens I Stelkens, Vwvro, § 37 Rn. 47 und Lazaratos, S. 448.
I. Abschnitt: Der automatisierte Bescheid als VeIWaltungsakt
87
2. Steuerung durch das Programm
Zweites Argument für das Vorliegen einer Maßnahme der Behörde bei einem "Verwaltungs fabrikat " war die Steuerung der Entscheidung durch das Computerprogramm79 • Fraglich erscheint, inwieweit dieses Argument auf Expertensysteme zutrifft. Zweifellos ist auch hier der Mensch kausal an der Entscheidungsfmdung beteiligt und sei es nur durch die Vorgabe der Hilfsregeln für das Verhalten der Maschine80• Danach aber entläßt er diese aus seiner finalen Steuerung. Er selbst wird von der tatsächlich getroffenen Entscheidung überrascht81 , auch wenn diese nur innerhalb eines gewissen Rahmens fallen kann. Eine Vorhersage ihres Inhalts ist schon wegen der Vielzahl der vom Expertensystem vorgenommenen Auswahl- und Bewertungsprozesse unmöglich82 • Neeße83 sieht auch bei einer Beschränkung des Menschen auf die "Programmierung der Programmierung" dessen Herrschaft über die Maschine als ungefährdet an. Die menschliche Entscheidungsbefugnis verlagere und konzentriere sich lediglich nach oben, ohne dabei ihre bestimmende Wirkung zu verlieren. Dabei übersieht er jedoch einen qualitativen Unterschied bei dieser Steuerung der Maschine. Anders als bei den bisherigen Programmierungen wird der Maschine hier, wenngleich auch bewußt und gewollt, ein Spielraum für eigene Entscheidungen eröffnet. Von einer Steuerung der Entscheidungsfindung durch die Behörde kann man daher nur insoweit sprechen, als diese bewußt auf die antizipierte Kenntnis der ergehenden Entscheidung verzichtet. Es erscheint jedoch zumindest fraglich, ob ein derartiges "Blanketteinverständ-
79
Vergleiche hierzu S. 78.
80
Vergleiche hierzu S. 83.
81 TraunmUller, in: Reinemrann, S. 100 (\10); Clemens, NJW 85, S. 1998 (2001) schon für die Vorstufe der Expertensysteme.
82 Nach Zanzinger / Zanzinger, CR 90, S. 810 (810) und Goebel / Schmalz, eR 86, S. 510 (515) sind Expertensysteme für den Juristen nur brauchbar, wenn sie transparent und beherrschbar bleiben. Davon gehtauch Columbus, Berge-FS, S. 163 (165, 172) aus, zweifelt aber an der Erfüllbarkeit dieser Postulate, weil die Bearbeitungsschritte viel zu umfangreich seien, um von einem einzelnen Menschen beherrscht zu werden. Albrecht, CR 88, S. 343 (348) weist zu Recht darauf hin, daß häufig eine nachträgliche Rekonstruktion des Entscheidungsweges erforderlich ist; auch dieses ist bei Expertensystemen nicht möglich.
83 Neeße, Zeitschrift für Beamtenrecht 67, S. 353 (353). Allerdings betont auch er, daß es die legitime Aufgabe des Juristen sei, die Technik in der ihr zukommenden Hilfsfunktion zu halten (aaO.).
88
2. Teil: Hauptteil
nis" mit den von Expertensystem erstellten Bescheiden ausreicht, um diese als Maßnahmen der Verwaltung kraft einer Programmbindung ansehen zu können.
3. Zurechenbarkeit zur Behörde Dagegen scheint das Argument der Zurechnung der Entscheidung zur Behörde auf der Grundlage einer Einführungs- beziehungsweise Einsatzentscheidung84 auf den ersten Blick auch beim Einsatz von Expertensystemen zu greifen. Wie schon bei herkömmlichen Datenverarbeitungsanlagen könnte man argumentieren, daß die Behörde, welche bewußt solche Geräte zur Erfüllung der ihr obliegenden Aufgaben einsetzt, auch für deren Folgen einstehen muß. Fraglich ist aber, ob ein derartiger Wille der Behörde zur Zurechnung auch dann für eine Einstufung als Verwaltungsakt ausreichen kann, wenn der Inhalt der Entscheidung aufgrund der gelockerten Programmstruktur solcher Geräte für die Verwaltung selbst nicht mehr genau vorhersehbar ist. Lazaratos will unter zwei Bedingungen den von Expertensystemen erstellten Bescheid als Verwaltungsakt einstufen. Zum einen müsse statt einer einmaligen Programmfreigabe eine Reihe zeitlich abgesetzter Kontrollen der Wissensbasis durch die Fachverwaltung erfolgen85 • Zum anderen müsse der Algorithmus innerhalb des Programms determiniert bleiben. Der Inhalt des einzelnen Schrittes des Systems sowie ihre Reihenfolge müßten feststehen 86 , wohingegen es für die Zurechenbarkeit des Ergebnisses zur Behörde ohne Bedeutung sei, wie viele Programmschritte zur Erzielung dieses Ergebnisses notwendig sind. Sofern dagegen nicht-determinierte Algorithmen zur Anwendung gelangen, will er die Einstufung als Verwaltungsakt verneinen und derartige Geräte nur für Planungsaufgaben verwenden87 • Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen. Zum einen setzt das Hauptanwendungsgebiet dieser Geräte, die Schaffung neuen Wissens88 , gerade die Verwendung nicht-determinierter Algorithmen voraus. Es ist kaum vorstellbar, daß dieses
84
Vergleiche hierzu S. 79.
85 Lazaratos, S. 275, 278. Beim herkömmlichen Computereinsatz bejaht Kerkau, ÖVD 71, Heft 3, S. 106 (107) eine Zurechenbarkeit der Entscheidung zur Behörde nur dann, wenn eine formliche Programmabnahme erfolgt ist. 86
Lazaratos, S. 276.
87
Lazaratos, S. 277.
88
Wovon auch Lazaratos, S. 45 ausgeht.
1. Abschnitt: Der automatisierte Bescheid als Verwaltungsakt
89
Ziel erreicht werden kann, wenn sowohl der Inhalt des einzelnen Schrittes als auch ihre Reihenfolge im voraus bestimmt ist. Die Anzahl der Programmschritte ist auch schon bei herkömmlichen Systemen juristisch irrelevant. Zum anderen liegt den von Lazaratos aufgestellten Grenzen unausgesprochen der Wille zugrunde, die Zurechenbarkeit des Ergebnisses derartiger Geräte auf die Fälle zu beschränken, in denen der Verwaltung noch ein bestimmtes Maß von Kontrolle und Steuerung des Ablaufes verbleibt. Eine solche Begrenzung würde zwar unter Umständen den Bürger vor unkontrollierten Ergebnissen schützen89 • Sie müßte jedoch gegen den Willen der Verwaltung erfolgen, die solche Entscheidungen sehr wohl als Verwaltungsakte verstanden wissen will, wenn sie diese für den Bürger durch die Bekanntgabe verbindlich macht. Daher lautet die entscheidende Frage, ob es für die Zurechnung allein auf den nach außen erkennbaren Willen der Behörde ankommt oder ob diese zum Schutz des Adressaten durch rechtliche Erwägungen beschränkt werden kann. Dabei sprechen die weiteren Merkmale und die Funktion eines Verwaltungsaktes für die erste Alternative. Die Verwaltung realisiert mit seiner Hilfe einseitig ihren Willen. Der Regelungscharakter erfordert eine "Finalität" der Herbeiffihrung von Rechtsfolgen90 • Bei der Frage des Einzelfalls ist die eindeutig in Form eines Verwaltungsaktes erlassene Maßnahme ohne Rücksicht auf ihren Inhalt als Verwaltungsakt anzusehen91 • Die Verwaltung kann also auch hier die Zuordnung als Verwaltungsakt erzwingen, in dem sie die Rege-
89 Auch auf dem Weg zu diesem Ziel scheint aber die Ansicht von Lazaralos nicht konsequent genug zu sein. Das Argument einer periodischen Überprüfung und Autorisierung der Wissensbasis täuscht darüber hinweg, daß jedenfalls der Inhalt solcher Bescheide für die Verwaltung nicht nachvollziehbar wäre, die zwischen zwei derartigen Kontrollterminen entstehen. Daneben erscheint es bei einem Einsatz von Expertensystemen kaum möglich zu sein, daß diese mit mathematischer Präzision immer zum gleichen Ergebnis kommen, gleichgültig wer sie bedient. Voraussetzung dafür wäre, daß die verwaltungsrechtliche Dogmatik so präzise und eindeutig Auslegungsfragen entscheiden könnte, daß nur ein einziges Ergebnis rechtmäßig wäre. Dieses Dogma von der einzig richtigen Entscheidung ist jedoch berechtigterweise aufgegeben worden, siehe etwa Schöning, Diss. jur. Bochum, S. 27 oder Schenke, VblBW 82, S. 313 (315). 90 Wolff / Bachof, S. 382; Kopp, VwVfG, § 35 Rn. 29; Sle/kens / Bonk, VwVfG, § 35 Rn. 70; Erichsen / Erichsen, S. 183. Dagegen liegt nach Ansicht des OVG Münster, DÖV 74, S. 599 (599) trotz einer entsprechenden Bezeichnung durch die Behörde kein Verwaltungsakt vor, wenn der Bescheid keine Regelung, sondern eine tatsächliche Maßnahme enthält. Das Bundesverwaltungsgericht geht in BVerwGE 12, 87 (91) und 28, 145 (146) davon aus, daß im öffentlichen Recht jedennann seine Handlungen so gegen sich gelten lassen muß, wie andere diese berechtigterweise auffassen durften. Überträgt man diese Argumentation auf die Frage der Zurechenbarkeit der Ergebnisse von Expertensystemen, spricht auch diese These gegen eine Beschränkung der Zurechnung gegen den objektivierten Willen der Verwaltung.
91
BVerwGE 18, 1 (5); BVerwG, DÖV 74, S. 426 (426); Wolff / Bachof, S. 395.
90
2. Teil: Hauptteil
lung "als Bescheid" erläßt. Schließlich muß auch die Rechtswirkung nach außen nicht wirklich eintreten, sondern es reicht aus, daß die Verwaltung eine solche intendiert92 • Wenn somit bei den weiteren Merkmalen die Behörde durch eine eindeutige Willenskundgabe über die Einstufung als Verwaltungsakt entscheiden kann, ist es nur konsequent, auf diesem Willen auch bei der Zurechnung der Ergebnisse eines Expertensystems abzustellen93 • Letztlich kommt eine solche Einstufung auch dem Bürger zugute. Sie führt zu einer wünschenswerten Rechtssicherheit bei den Folgen einer solchen Regelung und bei ihrer gerichtlichen Kontrolle. Diese Klarheit wäre erheblich gefährdet, wenn die Einstufung als Verwaltungsakt von dem Ausmaß der Kontrolle der Verwaltung abhängig wäre, welches für den Betroffenen aus dem Bescheid nicht erkennbar ist. Der Grad der Vorhersehbarkeit des Ergebnisses ist zwar juristisch relevant. Entgegen Lazaratos handelt es sich dabei jedoch weniger um eine Frage der Existenz eines Verwaltungsaktes als vielmehr um die Frage seiner Rechtmäßigkeit. Auf derartige Probleme der Recht- beziehungsweise Verfassungsmäßigkeit von Verwaltungsakten, die durch Expertensysteme erstellt wurden, wird noch gesondert zurückzukommen sein94 • Die Frage, ob es sich um einen Verwaltungsakt handeln würde, ist hingegen zu bejahen, weil das Ergebnis der maschinellen Tätigkeit der Behörde kraft eigenen Willens zuzurechnen ist.
D.
R~ümee
Die mit herkömmlichen Datenverarbeitungsanlagen gefertigten Bescheide sind schon aufgrund der Programmsteuerung (aber auch aufgrund der Zurechenbarkeit zur Behörde) beziehungsweise bei Maschinenfehlern aufgrund einer Zurechenbarkeit des Ergebnisses als Maßnahmen einer Behörde und somit bei Subsumierbarkeit unter die sonstigen Anforderungen des § 35 S. 1 VwVfG als
92
Gomig, Maßnahme, S. 23.
93
Degrandi, S. 74 f. bejaht die Zurechnung zur Behörde auf der Basis herkörnrnlicher
94
Vergleiche dazu S. 98 ff.
Datenverarbeitungssysteme immer dann, wenn die Verwaltung nicht selbst von ihrer fehlenden Einflußmöglichkeit überrascht wird. Deshalb will er sogar dann, wenn die Lctztentscheidung dem Zufall überlassen wird, von einer Maßnahme der Behörde ausgehen (ablehnend Grober, BayVB!. 72, S. 434 (434); derselbe, Diss.jur. Würzburg, S. 50; Hagemann, Diss. rer. pub!. Speyer, S. 12, 20). Demgegenüber wäre bei einern Einsatz von Expertensystemen in der hier fraglichen Form sogar noch ein stärkerer Einfluß der Verwaltung zu konstatieren, weil diese nicht zufällig, sondern nach den Regeln der juristischen Logik entscheiden.
1. Abschnitt: Der automatisierte Bescheid als Verwaltungsakt
91
VelWaltungsakte anzusehen. Dieses ist vom Gesetzgeber durch die §§ 28 11 Nr. 4, 37 IV, 39 11 Nr. 3 VwVfG mittelbar bestätigt worden. Juristische Expertensysteme sind durch eine Lockerung der Beziehung zwischen dem menschlichen Willen und dem Ergebnis der Bearbeitung gekennzeichnet. Sie können "neues Wissen" schaffen, welches dem Programmierer noch nicht bekannt war, indem sie die Regeln der juristischen Dogmatik auf bestimmte Ausgangsfragen anwenden. Diese Befreiung von einer strengen Vorausbestimmung durch den Menschen hat aber keinen Einfluß darauf, daß die solchermaßen ergehenden Entscheidungen als Maßnahme einer Behörde und damit gegebenenfalls als VelWaltungsakt qualifiziert werden können. Vielmehr ist, wie beim Einsatz herkömmlicher Datenverarbeitungsanlagen, eine Zurechnung der Entscheidung zur Verwaltung deshalb möglich, weil die Behörde durch ihre Entscheidung zum Einsatz derartiger Geräte und durch die Bekanntgabe an den Adressaten zu erkennen gibt, daß sie diese Zurechnung selbst will. Ein Vergleich mit der Auslegung der weiteren Merkmale eines VelWaltungsaktes ergibt, daß allein dieser erkennbare Wille für das Vorliegen einer Maßnahme der Behörde maßgeblich ist. Eine ganz andere Frage ist hingegen, ob diese gelockerte Beziehung der Behörde zur Entscheidung im Rahmen der Recht- beziehungsweise Verfassungsmäßigkeit des VelWaltungsaktes relevant ist. Darauf soll in der sich nunmehr anschließenden Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des automatisierten VelWaltungsaktes eingegangen werden.
Zweiter Abschnitt
Die Vereinbarkeit des automatisierten Verwaltungsaktes mit dem Grundgesetz Im folgenden Abschnitt soll untersucht werden, ob gegen den automatisierten Verwaltungsakt verfassungsrechtliche Bedenken bestehen. Besondere Beachtung verdienen dabei auch der Übergang zur Informations- und Kommunikationstechnik sowie die spezifischen Probleme solcher Verwaltungsakte, die durch juristische Expertensysteme erstellt werden. Sollten sich hierbei verfassungsrechtliche Bedenken ergeben, erübrigt sich eine weitere Erörterung der davon betroffenen Technikformen im Rahmen des Verwaltungsverfahrensrechts. Zwar schweigt der Verfassungstext zu Fragen der Technisierung der Verwaltung, weil den Vätern des Grundgesetzes das Ausmaß dieser Entwicklung noch nicht bewußt sein konnte; dennoch ist aber das Grundgesetz für die hier entstehenden Fragen keinesfalls bedeutungslos. Insbesondere die Strukturprinzipien des Art. 20 I GG sowie die Grundrechte sind auch in diesem Bereich der Verwaltungstätigkeit zu beachten.
A. Die Vereinbarkeit mit dem Rechtsstaatsprinzip Dabei soll zunächst auf die Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips an eine Automatisierung beziehungsweise die Informations- und Kommunikationstechnik eingegangen werden. Dieses Prinzip gilt außer für den abschließenden Bescheid auch für das gesamte automatisierte VerfahrenI. Spezielle Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips sind die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Rechtssicherheit, Vertrauensschutz sowie die Bestimmtheit und Klarheit der
Grober, Diss. jur. Würzburg, S. 18. Nach Lenk, VelWaltungsrundschau 87, S. 306 (310) müssen grundlegende rechtsstaatliche Anforderungen bereits organisatorisch im Verfahren gesichert werden, das heißt, ihre Einhaltung darf nicht nur eine Frage des Einzelfal1s sein.
2. Abschnitt: Die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz
93
Regelung2 • In der Literatur ist anerkannt, daß die in den letzten 40 Jahren entwickelten Elemente des Rechtsstaatsprinzips durch die neuen Techniken erheblichen Gefährdungen ausgesetzt sind. Gerade der Übergang von der automatisierten Massenentscheidung zur technisierten Einzelfallbearbeitung stellt eine rechtsstaatliche Herausforderung dar. I. Die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung
Wichtigstes Teilelement des Rechtsstaatsprinzips im hier fraglichen Zusammenhang ist das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung aus Art. 20 III GG. Es verhindert, daß die Verwaltung außerhalb von Gesetz und Recht handelt, enthält aber keine konkreten Aussagen über die bei der Verwaltungstätigkeit zu verwendenden Arbeitsmittel4 • Diese Gesetzesbindung der Verwaltung verlangt auch, daß ihre Handlungen an den Kategorien rechtmäßig I rechtswidrig gemessen werden können. Diese Möglichkeit hatte Zeidler für das "Verwaltungsfabrikat" mangels menschlicher Tätigkeit vemeints. Da sich aber die Prüfung der Rechtmäßigkeit auf das objektive Ergebnis und nicht auf den Prozeß seiner Entstehung bezieht, ist, wie oben dargelegt6 , Zeidlers Ansatz in diesem Punkt abzulehnen. Der Einsatz von Maschinen bei der Verwaltungstätigkeit ist somit nicht schon aus diesem Grunde per se verfassungswidrig. Ob und inwieweit dieses Verdikt aber für einzelne Erscheinungsfonnen gilt, soll im folgenden untersucht werden.
1. Der Vo"ang des Gesetzes Nach dem Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes darf keine Tätigkeit der Verwaltung gegen Rechtsnonnen verstoßen7 • Sobald ihr Handeln in den Rege-
2
Ossenbahl, NVwZ 82,
s.
465 (467); Kübler, S. 36.
Eberle, Die Verwaltung 87, S. 459 (462); Fiedler, JuS 70, S. 603 (607); Poetuch-HejJier, in: Reinermann, S. 16 (27); Maunz, BayVBI. 70, S. 170 (171); Meschkßt, Diss. jur. Kiel, S. 112; Schöller, BayVBI. 61, S. 259 (260); Lenk, eR 86, S. 294 (299).
4 Bull, Verwaltung, S. 73; Zeidler, DVBI. 59, S. 681 (686). Art. 20 m GG ist nach Jungesblut, Diss. wiwi. und sozial. Kassel, S. 15 eine wichtige Rahmenbedingung der Automation.
S
Zeidler, S. 6, 23 f.; derselbe, DVBI. 59, S. 681 (683); derselbe, DVBI. 61, S. 493 (494).
6
Siehe hierzu S. 74 Fn. 27.
7
Maunz / Darig, GG, Art. 20, Abschnitt VI, Rn. 33.
94
2. Teil: Hauptteil
lungsbereich einer Norm fällt, muß sie diese beachten, auch wenn es sich lediglich um innerdienstliche Vorgänge handelt. Für den automatisierten Verwaltungsakt ergibt sich daraus folgendes: Der Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes betrifft sowohl die Programmerstellung als auch die einzelne Verfügung8 • Das Programm muß eine getreue Wiedergabe der gesetzlichen Grundlagen darstellen. Da diese Umsetzung, wie oben gesehen9 , bei Ermessensnormen nicht möglich ist, folgt aus dem Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes ein Verbot der Totalexaktifizierung von Ermessensnormen zum Zwecke einer automatisierten Anwendung. Ferner wurde die Einschaltung von privaten Rechenzentren unter diesem Gesichtspunkt als unzulässig angesehen, weil diese nicht den Anforderungen des § 30 VwVfG genügen können 10. Zu beachten ist aber auch, daß die Entlastung der Verwaltung von Routinearbeiten durch EDV dazu führt, daß schon bisher bestehende Anspruche des Bürgers, wie etwa Auskunfts- und Beratungspflichten, in Zukunft besser erfüllt werden können. Insoweit kann die Technik durchaus auch einmal zu einer Effektuierung der Gesetzesbindung der Verwaltung beitragenlI. Für die Informations- und Kommunikationstechnik gibt es, soweit ersichtlich, noch keine speziellen Normen l2 , an denen ihr Einsatz bei der Erstellung von Verwaltungsakten zu messen wäre. Lediglich in Teilbereichen ist an eine Anwendung der für die Automation geschaffenen Normen zu denken.
Degrandi, S. 90. Vergleiche hierzu S. 56 ff.
Gruber, Diss.jur. Wünburg, S. 7. Demgegenüber will Degrandi, S. 112 die Geheimhaltung in privaten Rechenzentren dadurch sichern, daß die entsprechenden Strafvorschriften auf das dort tätige Personal ausgedehnt werden. Diese Problematik ist jedoch inzwischen weitgehend obsolet geworden, weil der Preisverfall rur Computertechnik diese Fonn der Zusammenarbeit weitgehend überflüssig gemacht hat. 10
11 Kübler, S. 23; Poetvch-He.ffter, in: Reinennann, S. 16 (19); Riegel, VOP 87, s. 156 (159); Reinennann, VOP 87, S. 49 (54). Teilweise wird das automatisierte Verfahren sogar als besonders rechtsstaatlieh betrachtet, weil dabei die Willkür des Amtswalters ausgeschlossen sei (Maller-Heidelberg, DVBI. 61, S. 11 (13); Heußner, Sozialgerichtsbarkeit 76, S. 245 (251». 12 Das Gesetz über das Bundesamt rur die Sichemeit in der Infonnationstechnik enthält lediglich Organisationsnonnen.
2. Abschnitt: Die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz
95
2. Der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes Neben dem Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes bildet der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes die zweite Komponente des in Art. 20 III GG verankerten Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung 13 • Nach diesem Grundsatz ist ein Verwaltungshandeln, welches in seinen Anwendungsbereich fallt, nur dann rechtmäßig, wenn dieses Handeln in einer Rechtsnorm für zulässig erklärt wird l4 • Dabei muß es sich um ein formelles Gesetz, eine Rechtsverordnung oder eine Satzung handeln. Eine Verwaltungsvorschrift ist demnach im Anwendungsbereich dieses Grundsatzes nicht ausreichend. Eben dieser Anwendungsbereich ist jedoch nur schwer zu bestimmen und seit langem umstritten. Durchgesetzt hat sich die sogenannte "Wesentlichkeitstheorie" des Bundesverfassungsgerichts. Danach ist eine gesetzliche Grundlage neben Eingriffen in Freiheit und Eigentum immer dann erforderlich, wenn die Entscheidung für das Zusammenleben im Staate von wesentlicher Bedeutung ist. Eine solche Tragweite der Entscheidung wird vor allem im grundrechtsrelevanten Bereich sowie bei Fragen von grundlegender politisch-sozialer Bedeutung angenommen 15. Die Frage der "Wesentlichkeit" soll im folgenden getrennt für die Automation und die Informations- und Kommunikationstechnik gepriift werden. a) Anwendung auf die Automation Die Automatisierung der Verwaltung geschah zunächst ohne gesetzliche Grundlage. Der erste Einsatz erfolgte 1955 bei der Bundesanstalt für Versicherte, während gesetzliche Regelungen erst 1976 durch das VwVfG geschaf-
13 Schnapp, in: v. Manch, GG, Art. 20 Rn. 38; v. Manch, in: Erichsen, Allg. VwR, S. 78; Ossenbahl, in: Erichsen, Allg. VwR, S. 103). Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut ist in Art. 20 m GG nur der Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes geregelt. Der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes wird entweder deshalb in Art. 20 m GG einbezogen, weil das Bestehen von Gesetzen vom dort geregelten Vorrang des Gesetzes implizit vorausgesetzt wird (BVerfUE 40,237 (248); v. Manch, in: Erichsen, Allg. VwR, S. 78; Stern, S. 805) oder er wird auf andere Verfassungsgrundlagen, etwa Demokratie und Gewaltenteilung (BVerfGE 47,46 (78); OVG NW, DVBI. 90, S. 1000 (1001) bzw. Verfassungsgewohnheitsrecht (Maunz I Darig I Herzog, GG, Art. 20 m Rn. 79) gestützt. Nicht geregelt ist in Art. 20 m GG jedenfalls der Umfang des Vorbehalts des Gesetzes (Schnapp; Stern, S. 808), d.h. die Frage, wann ein förmliches Gesetz erforderlich ist. 14 Erichsen, in: Erichsen, Allg. VwR, S. 274; Schnapp, in: v. Manch, GG, Art. 20 Rn. 38; Stern, S. 805; v. Manch, in: Erichsen, Allg. VwR, S. 78.
IS
Vergleiche zur Wesentlichkeitstheorie BVerfGE 47,49 (79); 40, 237 (249); 49, 89 (126).
96
2. Teil: Hauptteil
fen wurden. Ungeachtet der umfangreichen Strukturveränderungen infolge ihres Einsatzes wurde die Computertechnologie also nicht auf der Basis einer legislativen Grundsatzentscheidung, sondern im Alleingang durch die Verwaltung kraft ihrer administrativen Organisationsgewalt eingeführt l6 • Inzwischen ist jedoch die Automatisierung des Verwaltungsverfahrens durch die Regelungen der §§ 28 11 Nr. 4, 37 IV, 3911 Nr. 3 VwVfG nachträglich legitimiert worden 17 , da sich aus diesen AusnahmetatbestäDden ergibt, daß der Gesetzgeber diese Form der Verwaltungstätigkeit grundsätzlich billigt. Gegen die Automation bestehen also vom heutigen Standpunkt aus keine Bedenken aus dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes. b) Anwendung auf den Übergang zur Informationsund Kommunikationstechnik Fraglich erscheint dagegen, ob diese gesetzgeberische Entscheidung zugunsten der Automation auch den Übergang zur Informations- und Kommunikationstechnik legitimiert. Die Automation ist nur ein Teilgebiet der Informationsund Kommunikationstechnik, so daß eine solche Argumentation einen Schluß a minore ad maius darstellen würde. Auch gilt es zu bedenken, daß eine einmal erfolgte Billigung des Gesetzgebers nicht für alle Zeiten gelten kann, wenn die Wesentlichkeitstheorie nicht zur Bedeutungslosigkeit versinken SOllI8. Die besondere Schwierigkeit liegt hier aber darin begründet, daß es sich um eine fließende Entwicklung handelt, die es kaum möglich macht, einen bestimmten Teilaspekt die Schwelle zur Wesentlichkeit überschreiten zu lassen.
16 Ossenbühl, NVwZ 82, s. 465 (470); Schäffer, DÖV 88, S. 149 (150) sieht den Grund fiir diese Untätigkeit des Gesetzgebers in den schwer absehbaren Folgen der Automation fiir das Verwaltungssystem.
17 Die Zulässigkeit einer Automatisierung auf der Grundlage der Organisationsgewalt der Verwaltung bejahen Send/er, in: Reinermann, S. 165 (169) und Langseder, in: Reinemrann, S. 75 (77). Degrandi, S. 94, 153 differenziert diesbezüglich zwischen bewußt automationsgerechten Gesetzen und anderen Normen. Während bei den erstgenannten Vorschriften diese Art der Gesetzesausfiihrung bereits vom Gesetzgeber gewollt sei und damit dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes genüge, könne bei letzteren wegen einer Unvereinbarkeit mit gesetzlichen Formvorschriften ein Verstoß gegen den Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes in Betracht kommen. Gerade diese Formvorschriften sind im VwVfG jedoch an die Erfordernisse der Automation angepaßt worden. 18 So das BVerfGE 49, 89 (132) in der Kalkar-Entscheidung; ferner BVerfGE 63, 131 (142); 35,202 (220); 27, 1 (6); 79, 256 (268); Brinckmann, eR 89, S. 1 (6).
2. Abschnitt: Die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz
97
Dajedoch die Informations- und Kommunikationstechnik als eine "neue Epoche der Vetwaltungsautomation"19 begriffen wird, soll zumindest versucht werden, eine Einordnung dieses Vorgangs in die Wesentlichkeitstheorie vorzunehmen. Nach Frankenbach / Reinermann2D ist auch der Einsatz der Informationstechnik durch die Organisations- und Personalhoheit der Vetwaltung gedeckt. Gruber verneint eine Anwendbarkeit des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes schon aus dem Grund, weil es hier nur um den Vollzug bereits bestehender Normen gehe, die ihrerseits diesen Anforderungen genügen würdenZ1 . Dagegen bejaht Reinermann die Wesentlichkeit von Entscheidungen in diesem Bereich dann, wenn es zu einer weitergehenden Integration von Datenbeständen kommez• Bahl23 gelangt zum gleichen Ergebnis für einen Teilaspekt der Informations- und Kommunikationstechnik, nämlich für die Einführung von ISDN, weil dieses neue Netz die informationelle Selbstbestimmung und damit den grundrechtsrelevanten Bereich berühre. Bei der Beurteilung der Notwendigkeit einer parlamentarischen Entscheidung für den Übergang zur Informations- und Kommunikationstechnik ist zunächst Gruber entgegenzutreten. Er verkürzt den Anwendungsbereich dieses Grundsatzes, wenn er nur auf eine entsprechende Legitimation der Aufgabe, nicht aber auf eine ebensolche des Verfahrens abstellt. Die gestiegene Einsicht in die Notwendigkeit eines Grundrechtsschutzes durch Verfahren24 kann bei der Bestimmung von Inhalt und Grenzen des Gesetzesvorbehalts nicht unberücksichtigt bleiben. Dabei steigt die Notwendigkeit eines solchen Schutzes tendenziell mit der Vielfalt der technischen Möglichkeiten. Hier aber bringt der Übergang von der Automation zur Informations- und Kommunikationstechnik eine ganz erhebliche Ausweitung mit sich.
19
Vergleiche hierzu S. 32.
2D
Frankenbach I Reinermann, S. 6.
21
Gruber, Diss. jur. Würzburg, S. 17.
22 Reinermann, VOP 89, S. 126 (150); bei Eingriffen der Informations- und Kommunikationstechnik in die informationelle Selbstbestimmung auch Kamlah, DÖV 70, S. 361 (364). 23 Bahl, in: Roßnagel, S. 107 (J 16); auch Brinckmann, eR 89, S. I (6) sieht im Übergang zur Informations- und Kommunikationstechnik einen maßgeblichen Qualitätssprung; Roßnagel, Möglichkeiten, in: Roßnagel, S. 177 (184) fordert hierfür in Anwendung der Wesentlichkeitstheorie ein "Telekommunikationsgesetz " . 24
Siehe hierzu S. 133.
7 Polomski
98
2. Teil: Hauptteil
Die entscheidenden Fragen für die Notwendigkeit einer solchen gesetzlichen Grundlage liegen aber im Bereich des Datenschutzes2S • Während im Polizeirecht von Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Hessen erfolgversprechende Ansätze zur Umsetzung des Volkszählungsurteils zu verzeichnen sind, stimmen neueste Berichte über die Telekom-Datenschutzverordnung26 eher nachdenklich. Entsprechend der für diese Arbeit gewählten Themenbegrenzung ist eine abschließende Erörterung dieser Fragen hier jedoch nicht möglich. Wünschenswert erscheint eine solche parlamentarische Legitimation des Übergangs zur Informations-und Kommunikationstechnik indes schon wegen des immensen faktischen Drucks, der von einem unter Milliardenaufwand fertiggestellten ISDN ausgehen wird. Dabei müßte diese Inkorporierung in den Willen des Gesetzgebers nicht unbedingt durch eine besondere·Automationsklausel"27 erfolgen. Eine solche könnte wegen der Unbestimmtheit der weiteren Entwicklung sogar eher schädlich sein. Möglich ist vielmehr auch eine mittelbare Legitimation durch das Haushaltsrecht oder den bewußten Erlaß solcher Aufgaben, die nur mit dieser neuen Technik zu erfüllen sind28 • 3. Die Gesetvnäßigkeit eines Einsatzes von Expertensystemen zur Erstellung von automatisierten Verwaltungsakten
Wie oben gesehen29 , handelt es sich auch bei Entscheidungen, die mit Hilfe juristischer Expertensysteme erstellt werden, um Verwaltungsakte im Sinne des § 35 S. 1 VwVfG, weil die Tätigkeit der Maschine der Behörde zuzurechnen ist. Für die Zurechnung war allein der eigene Wille der Verwaltung maßgeblich. Dies kann aber nicht in gleicher Weise für die im folgenden zu behandelnde Frage der Recht- beziehungsweise Verfassungsmäßigkeit einer der-
2S Kamlah, DÖV 70, S. 361 (364); Peitsch, eR 89, S. 721 (727); Erichsen I v. MiJnch, S. 61; Scherer, DÖV 84, S. 52 (61) weist zusätzlich darauf hin, daß Entscheidungen über die Netzträgerschaft auch Art. 12 I GG sowie die Informationsfreiheit von Anschlußnehmern und Veranstaltern berühren. 26 Siehe hierzu den Bericht "ISDN - ein Anschlag auf den Datenschutz" in: Der Spiegel, Jahrgang 91, Heft 16, S. 50 Cf.
27
Degrandi, S. 153.
Lenk, in: Reinermann 1985, S. 354 (365); Degrandi, S. 156-158. Das Gesetz über das Bundesamt rur die Sicherheit in der Informationstechnik stellt noch keine derartige Legitimation dieser Technik dar, weil es lediglich Organisationsregeln rur dieses Bundesamt enthält, ohne zu regeln, ob und unter welchen Bedingungen ein Einsatz dieser Technik in der Verwaltung zulässig ist. 28
29
Vergleiche dazu S. 90.
2. Abschnitt: Die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz
99
artigen Erstellung gelten. Hier könnte die gelockerte Beziehung zwischen Mensch und Ergebnis sowie die fehlende Vorhersehbarkeit der Entscheidung sehr wohl Relevanz erlangen. a) Die Kontrollmöglichkeit als Voraussetzung der Gesetzmäßigkeit Nach der Ansicht von Stelkens30 verlangen die gesetzlichen Zuständigkeitsregelungen sowie die Bindung der Verwaltung an Gesetz und Recht die Übernahme einer unmittelbaren menschlichen Verantwortung für jede einzelne Verwaltungsentscheidung. Verantwortung baut in einem Rechtsstaat aber auf Kontrolle auf. Nur wer Einfluß auf die Entstehung einer Entscheidung hat, muß für ihre Folgen einstehen. Gerade an dieser Kontrollmöglichkeit fehlt es aber bei einem Einsatz von Expertensystemen. In der letzten Phase der Entscheidungsfindung gibt der Amtswalter bewußt die Entscheidung der Maschine preis. Einem solchen "Rückzug" aus der Letztentscheidungsverantwortung, einem systematischen Verzicht auf Einflußmöglichkeiten, muß zum Schutze des Bürgers die rechtliche Anerkennung versagt werden. Der Gesetzesbindung der Verwaltung aus Art. 20 III GG ist nicht schon damit Genüge getan, daß diese bereit ist, sich derartige Entscheidungen zurechnen zu lassen und sie gebenenfalls im Falle ihrer Rechtswidrigkeit aufzuheben beziehungsweise Geldersatz3 1 zu leisten. Zum einen sind nicht alle Schäden durch Geld reversibel, zum anderen nützt diese Bereitschaft nur demjenigen, der bereit ist, den Rechtsweg zu beschreiten. Die Risiken der Technik könnten sich so bei den Personen realisieren, die, aus welchen Gründen auch immer, auf eine Kontrolle des Bescheides verzichten. Zum Schutz dieses Personenkreises ist die Verwaltung verpflichtet, bereits auf der Primärebene der Entscheidungsfindung alles zu tun, um rechtswidrige Bescheide zu vermeiden. Mit dieser Verpflichtung ist die Preisgabe der Entscheidung an die Maschine auch dann nicht vereinbar, wenn diese nicht zufällig, sondern nach den Regeln der juristischen Logik entscheidet.
30 Stelkens I Stelkens, VwVfG, § 37 Rn. 47; so auch Giehl, BayVBI. 88, S. 321 (325). Nach Albrecht, eR 88, S. 343 (348) müssen Entscheidungen in einem Rechtsstaat auch nachträglich rekonstruierbar sein. Dieses ist bei einem Einsatz von Expertensystemen nur bedingt möglich. 31 Eine Garantieübernahme, wie sie Senoner, Diss. jur. München, S. 81 für die Amtshaftung bei einem herkömmlichen automatisierten Verwaltungsakt vorschlägt, mag dort ihre Berechtigung haben, weil die Verwaltung in diesem Verfahren mit der strikten Programmbindung alles getan hat, um Fehler zu vermeiden; die Garantie wirkt sich dann nur im Bereich der nicht vermeidbaren Maschinenfehler aus. Ein systematischer vorzeitiger "Abbruch" dieser Bemühungen durch die bewußte Preisgabe der Letztentscheidung an die Maschine ist damit nicht vergleichbar. 7*
100
2. Teil: Hauptteil
b) Die Doppelbindung an "Gesetz und Recht" Weiterhin ist zu beachten, daß die Verwaltung nach Art. 20 III GG nicht nur an das Gesetz, sondern auch an das Recht gebunden ist. Diese Norm enthält eine Absage an den Gesetzespositivismus32 • Ein Expertensystem kann einen möglichen Unterschied zwischen Gesetz und Recht im Einzelfall aber nicht erkennen, weil es nur nach dem Gesetz und den Regeln der juristischen Logik programmiert wird. Zwar wäre es möglich, bei der Vorgabe der Wissensbasis etwaige bereits erkannte Abweichungen zwischen beiden Begriffen zu berücksichtigen. Diese Möglichkeit gilt jedoch nicht für solche Abweichungen, die sich erst im nachhinein aus Anlaß des Einzelfalls ergeben. Soll diese aus den Erfahrungen des Dritten Reiches gewonnene Norm voll wirksam werden, dann muß die Entscheidung, ob das gesetzliche Ergebnis auch dem Recht entspricht, so spät wie möglich fallen. Dazu ist eine menschliche Letztentscheidung erforderlich. Es kommt daher nicht darauf an, ob Art. 20 III GG überhaupt automatisierte Entscheidungen contra legern legitimieren würde33 • Vielmehr kann ein Expertensystem gar nicht in der von der Verfassung geforderten Weise entscheiden. Zwar gilt dieser Mangel im Prinzip auch für herkömmliche Datenverarbeitungsanlagen, weil auch dort der menschliche Entscheidungsbeitrag mit dem Startbefehl an die Maschine abgeschlossen ist. Ein Verzicht auf diese Kontrolle der Übereinstimmung von Gesetz und Recht im Augenblick der Entscheidung ist dort aber eher hinnehmbar, weil es nicht um die Entwicklung neuer juristischer Lösungen, sondern lediglich um die maschinelle Nachvollziehung einer bereits getroffenen menschlichen Entscheidung geht. c) Gleichwertigkeit des Verfahrens für den Betroffenen Im Rahmen der Diskussion über die Zulässigkeit des Einsatzes herkömmlicher Datenverarbeitungsanlagen zur Erstellung von Verwaltungsakten wird häufig auf eine Gleichgültigkeit des Verfahrens für den Adressaten hingewie-
32 Arndt, S. 85; Heußner, Arbeit und Recht 85, S. 309 (309); Grimmer, in: Reinermann 1981, S. 600 (620); Wieacker, Caemmerer-FS, S. 45 (70). 33 So aber Wieacker, Caemmerer-FS, S. 45 (70), der daran zweifelt, daß Computerentscheidungen Recht im Sinne des Art. 20 III GG sein können.
2. Abschnitt: Die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz
101
sen. Dieser habe in erster Linie einen Anspruch auf das Ergebnis, nicht aber auf das Verfahren seiner Entstehung34 • Dieser Ansicht liegt eine Dominanz inhaltlicher Aspekte über formelle Gesichtspunkte zugrunde, wie sie auch der Gesetzgeber in den §§ 46 VwVfG, 44 a VwGO kennt. Sie mag im Rahmen des herkömmlichen Verfahrens einschließlich der Verwendung strikt programmgebundener Computer ihre Berechtigung haben. Bei einem Einsatz von Expertensystemen dagegen entstehen aus dieser Gewichtung neue Probleme. Während traditionell juristische Entscheidungen dogmatische Richtigkeit und Einzelfallgerechtigkeit miteinander verbinden, gewinnt bei dieser Form der Technik der erstgenannte Aspekt ein der Rechtsordnung ansonsten unbekanntes Übergewicht. Es kommt zu einem Verlust spezifisch humaner Faktoren in der Entscheidungsfindung. Auch dieses Entscheidungselement dürfte aber, neben der Wahrung von Gesetz und Recht, von der Verfassung geboten sein3S • Zwar konnte man bisher noch von keiner Herrschaft der Maschine über den Menschen sprechen, weil deren Entscheidungen menschlich vorbestimmt sind. Sobald aber ein noch so kleiner originärer Entscheidungsbeitrag dem Expertensystem überlassen wird, ist dieses Verhältnis von Mensch und Maschine geIahrdet. Der hier entstehende Typus technokratischer Entscheidungen könnte bewirken, daß Orwell sich lediglich um 20 Jahre verschätzt hat. d) Resümee Ein durch juristische Expertensysteme letztverantwortlich erstellter Verwaltungsakt wäre verfassungswidrig. Es wäre mit der Gesetzesbindung der Verwaltung nicht vereinbar, wenn diese sich auch solche maschinelle Ergebnisse zurechnen lassen wollte, deren Inhalt sie nicht vorhersehen kann. Sie verstieße damit gegen ihre Verpflichtung, rechtswidrige Entscheidungen so weit wie möglich zu vermeiden. Weiterhin könnte ein solches Verfahren auch nicht der Doppelbindung der Verwaltung an Gesetz und Recht gerecht werden, weil es in dem von der Verfassung geforderten Zeitpunkt eine menschlichen Kontrolle der Übereinstimmung beider Faktoren ausschließt. Der Verlust spezifisch humaner Faktoren in der Entscheidungsfmdung zugunsten einer einseitigen
34 So z.B. Maunz, BayVBI. 67, S. 86 (87); Voss, BB 60, S. 699 (701); Luhmann, VerwArch., Bd. 57 (1966), S. 86 (87); MaUer-Heidelberg, Recht im Amt 70, S. 101 (103); derselbe, DVBI. 61, S. 11 (13).
3S Dieses halten auch Goebel / Schmalz, CR 86, S. 510 (515) und Eberle, CR 88, S. 258 (260) für möglich.
102
2. Teil: Hauptteil
Dominanz der dogmatischen Bestverträglichkeit der Entscheidung ruft Erinnerungen an die Begriffsjurisprudenz und den Gesetzespositivismus hervor, die in der Rechtswissenschaft seit langem überwunden sind. Daher sollte meiner Ansicht nach, noch weiter als nach Stelkens36, ein Einsatz solcher Systeme zur Erstellung von Verwaltungsakten nicht nur auf der Ebene des geltenden VwVfG für unzulässig erklärt, sondern auch de lege ferenda ausgeschlossen werden. Unberührt bleiben davon Einsatzmöglichkeiten bei der Vorbereitung der Entscheidung, die aber nicht zu dem im Rahmen dieser Ausführungen zu behandelnden Fragen gehören. Bei der Erstellung eines Verwaltungsaktes erscheint ein solches Postulat schon deshalb erforderlich, weil auch der verfassungswidrige Verwaltungsakt wirksam istl 7 • Die Gerichtskontrolle würde dabei kaum zu einer Verringerung der Gefahren führen, weil sie zum einen häufig gar nicht in Anspruch genommen wird und zum anderen vom Bestehen subjektiver Rechte abhängig ist, die hier nicht zwingend verletzt sein müßten. Daher muß mit einer solchen Prämisse zum Schutz des Bürgers verhindert werden, daß derartige, der Vorhersehbarkeit durch die Verwaltung entzogene Verwaltungsakte überhaupt erst erlassen werden. 11. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip Zu den Erscheinungsformen des Rechtsstaatsprinzips gehört auch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Daneben folgt dieser Grundsatz aus dem Prinzip eines möglichst weitreichenden Grundrechtsschutzes und kann heute als ein das öffentliche Recht beherrschendes, allgemeines Rechtsprinzip betrachtet werden38 • Sein Inhalt läßt sich verkürzt dahingehend beschreiben, daß Mittel und Zweck einer Maßnahme nicht außer Verhältnis zueinander stehen dürfen39 •
36 Sleikens / Sleikens, VwVfG, § 37 Rn. 47. Probleme könnten hier ferner durch die vom BVerfG, DVBI. 90, S. 1401 (1402) geforderte demokratische Legitimation von Mitentscheidungsbefugnissen entstehen. Eine Ausnahme von diesem Erfordernis läßt das BVerfU nur dann zu, wenn es lediglich um eine nachmeßbar richtige Entscheidung oder Vorbereitungshandlung geht. Beides wäre bei juristischen Expertensystemen in der hier fraglichen Anwendungsform nicht der Fall. Goebel / Schmalz, eR 86, S. 510 (515) haben Zweifel an der Vereinbarkeit eines solchen Einsatzes mit dem Vorbehalt des Gesetzes, weil hier eine dritte Ebene zwischen Gesetz und Anwender entstehe. 37
Rauschning, S. 223 f.
38
BVerfGE 19, 342 (348 f.); 40, 371 (382); 16, 194 (202) zur Liquor-Entnahme im Strafverfahren. 39 BVerfUE 19, 342 (349); 27, 211 (219); BVerwGE 60, 126 (128); Sleikens / Stelkens, VwVfG, § 9 Rn. 33; Kopp, VwVfG, § 40 Rn. 25.
2. Abschnitt: Die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz
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Bezogen auf den automatisierten Verwaltungsakt kann man eine Anwendung dieses Grundsatzes auf die Vorbereitung der Entscheidung und auf die abschließende Verfügung unterscheiden. 1. Verhältnismäßigkeit des automatisierten Verfahrens
Zunächst einmal könnte in einzelnen Verwaltungsbereichen schon der Übergang zu einem automatisierten Verfahren unverhältnismäßig gegenüber einer Beibehaltung der bisherigen Praxis sein. Bei der insoweit erforderlichen Abwägung spricht aber regelmäßig der große Rationalisierungseffekt für die Zulässigkeit eines solchen Übergangs. Lediglich in Ausnahmefällen erscheint es möglich, daß bereits ein automatisiertes Verfahren als solches unverhältnismäßig ist. In der Literatur wird eine Unverhältnismäßigkeit des automatisierten Verfahrens vor allem im Zusammenhang mit dem Datenschutz für möglich gehalten40 • Denkbar ist sie aber auch bei Verfahren, in denen die Verwaltung zugunsten einer Zeit- und Kostenersparnis den betroffenen Bürger mit dem hohen Risiko von Grundrechtsverletzungen belastet. So wäre ein automatisiertes Asyloder Kriegsdienstverweigerungsverfahren wegen der dort in besonderem Maße anerkannten Grundrechtsrelevanz von Organisation41 und Verfahren unverhältnismäßig. Weiterhin kommt eine solche Unverhältnismäßigkeit des automatisierten Verfahrens dort in Betracht, wo begründete Einwände des Bürgers nicht zeitgerecht berücksichtigt werden können42 , weil der Ablauf des Gerätes steuernde Eingriffe nur zu ganz bestimmten Zeitpunkten zuläßt. Schließlich darf der Übergang zu einem automatisierten Verfahren nicht zu einer Selektion in der Aufgabenwahrnehmung führen 43 , mit der automatisierbaren Aufgaben eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Dominanz zuerkannt wird.
40
Beyer, in: Grimmer, S. 122 (220); Degrandi, S. 105; Wedde, in: Roßnagel, S. 67 (72).
41 Vergleiche hierzu Mutius, NJW 82, S. 2150 (2155); BeEhge, NJW 82, S. I (5); Schenke, VbIBW 82, S. 313 (318). 42 Eine solche Verfahrensgestaltung war lange Zeit üblich, vergleiche etwa Fiedler / BarEhel/ Voogd, S. 232; Grimmer, in: Grimmer, S. 341 (344); fiir das Verkehrsstrafrecht auch RupprechE, BayVBI. 74, S. 427 (430). 43
Vergleiche die Ausfiihrungen zu den Gefahren der Automation, S. 45.
104
2. Teil: Hauptteil
2. Verhiiltnismäßigkeit der einzelnen Verfügung
Daneben könnte auch die einzelne automatisierte Verfügung unverhältnismäßig sein. Durch den Einsatz der Elektronik wird die Leistungsfähigkeit der Verwaltung um ein Vielfaches gesteigert. Bereiche der Verwaltungstätigkeit, die früher schon aus Zeit- und Personalmangel vernachlässigt werden mußten, können heute genauso intensiv betrieben werden wie die eigentlichen Kerngebiete. Vom Bürger wird dabei insbesondere die rigorose Vollstreckung von Bescheiden infolge einer computergestützten Terminüberwachung als beängstigend empfunden. Selbst kleinste Geldbeträge werden unnachgiebig angemahnt44 • Zwar ist es verständlich, daß der Bürger sich durch eine rigide Durchsetzung von Rechtsvorschriften gegenüber dem früheren Zustand benachteiligt fühlt. Gerade diese Phase war aber rechtswidrig und kann deshalb nicht als Grundlage für Vertrauensschutzerwägungen herangezogen werden4s • Aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip folgt kein Verbot, auch Lapalien korrekt zu verfolgen. Möglich und vielleicht auch wünschenswert ist aber ein Handeln des Gesetzgebers. Auf dieser Ebene gilt es zu fragen, ob ein geringfügig erhöhter Vollzugsgrad von Normen die Gefahr intensiver Grundrechtsverletzungen rechtfertigt. Lenk46 berichtet über ein Beispiel aus den USA, wo zur Verfolgung des unberechtigten Bezugs von Sozialhilfe zahlreiche Wohnungsdurchsuchungen erfolgt sind. Hier könnten gesetzlich vorgesehene Vollzugsgrenzen für den automatisierten Verwaltungsakt für die Wahrung des sozialen Friedens sehr hilfreich sein.
B. Vereinbarkeit des automatisierten Verwaltungsaktes mit anderen Verfassungsprinzipien Nur kurz erwähnt werden sollen hier die Einflüsse anderer Verfassungsgrundsätze auf den automatisierten Verwaltungsakt. Die Auswirkungen der 44 Grimmer, DÖV 82, S. 257 (259); Kerkau, Recht im Amt 70, S. 201 (202); Messiner, Zeitschrift für Verkehrsrecht 79, S. 163 (164); Grimmer, in: Garstka, S. 335 (343). So mußte erst der Bundesminister für Finanzen durch eine Verordnung festlegen, daß auf Steuerbescheide mit Beträgen unter DM 1.- zu verzichten ist, ein Betrag, der im manuellen Verfahren kaum beigetrieben worden wäre. 45
BVerwGE 5, I (8); Erichsen /Ossenbühl, S. 97.
46 Lenk, in: Reinennann 1985, S. 354 (362); für politische Verzichtsentscheidungen auch Müller-Heidelberg, Recht im Amt 70, S. 101 (106).
105
2. Abschnitt: Die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz
Grundrechte sollen in ihrer Wechselwirkung zum VwVfG dort angesprochen werden, wo sie konkrete Bedeutung erlangen47 • Neben dem Rechtsstaatsprinzip haben auch auch andere Grundsätze des Art. 20 I GG mittelbar Rückwirkungen auf die Grenzen der Zulässigkeit des automatisierten Verwaltungsaktes wie etwa das Sozialstaatsprinzip. Aus ihm können sich Schranken für den EDV -Einsatz durch die Sozialversicherungsträger48 und Verpflichtungen zu persönlicher Hinwendung an den Bürger ergeben49 , die einer allzu weitreichenden Automatisierung entgegen stehen. Auf der anderen Seite verschiebt dieser EDV-Einsatz aber auch die "Grenzen des Wohlfahrtsstaates·so zugunsten des Bürgers, indem er faktische Informationshindernisse beseitigt. Schließlich kann vereinzelt das Demokratieprinzip Bedeutung für die Kontrolle des automatisierten Verwaltungsaktes erlangenSI.
c. Resümee Die vorstehenden Untersuchungen haben ergeben, daß der Verfassung zwar nicht die konkrete Gestaltung des Verwaltungsverfahrens im Einzelfall, wohl aber die grundsätzlichen Anforderungen an die Gestaltung der Automation entnommen werden könnens2 • Neben dem im Rahmen des Verwaltungsverfahrens noch zu besprechenden Einfluß der Grundrechte ist es vor allem das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 I GG, welches über seine Konkretisierungen im Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nach Art. 20 III GG und im Verhältnismäßigkeitsprinzip Einfluß auf die Grenzen des automatisierten Verwaltungsaktes nimmt. Dabei ist es wichtig, festzuhalten, daß die Automation dem Vorbehalt des Gesetzes genügt, weil der Gesetzgeber sie, wenn auch nachträglich, durch spezielle Regelungen des VwVfG, aber auch der AO 1977
s.
47
Vergleiche hierzu
48
Sendler, in: Reinermann,
49
Willkiimper, Die VelWaltung 83, S. 161 (178); Horn, S. 135.
so
133.
s.
165 (167); Meschkal, Diss. jur. Kiel,
s.
109.
Lenk, in: Reinermann 1985, S. 354 (356). Wesentlich ist, daß soziale Reformen ihre Adressaten auch erreichen; gerade dazu kann die EDV einen wichtigen Teilbeitrag leisten (Similis, NJW 71, S. 673 (673); Brinckmann, Formulare, S. 243).
SI Willms, VOP 87, S. 121 (126); Vogel, in: Reinermann, S. 12 (14); Grimmer, in: [(jlian, S. 237 (243). S2
So auch Grimmer, in: Reinermann 1981, S. 600 (622).
106
2. Teil: Hauptteil
und des SGB-X legitimiert hat. Für den Übergang zur Informations- und Kommunikationstechnik erscheint diese Feststellung zumindest bedenklich. Diese Frage kann aber angesichts der hier nicht zu behandelnden Datenschutzfragen nicht abschließend beantwortet werden. Die Erstellung von Verwaltungsakten durch juristische Expertensysteme verstößt hingegen gegen Art. 20 III GG, weil die Verwaltung dabei bewußt auf bestehende Kontrollmöglichkeiten verzichtet und sich ihrer Letztverantwortung für die Entscheidungsfindung entzieht. Es ist nicht ausreichend, daß die Verwaltung bereit ist, sich diese Entscheidungen zurechnen zu lassen. Vielmehr muß sie alle bestehenden Kontrollmöglichkeiten nutzen, um rechtswidrige Verwaltungsakte zu vermeiden. Zudem könnte in einem solchen Verfahren die Doppelbindung an Gesetz und Recht nicht hinreichend effektiv werden. Eine vollständige menschliche Vorbestimmung des Ergebnisses könnte überdies zwingend durch die verfassungsrechtliche Stellung des Individuums gefordert sein. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist sowohl bei der Wahl zwischen dem automatisierten und einem manuellen Verfahren als auch bei der einzelnen automatisierten Verfügung zu beachten. Hier hat der Technikeinsatz zu einer verstärkten Umsetzung und Vollstreckung der legislativen Vorgaben durch die Verwaltung geführt, die vom Bürger zwar beklagt werden mag, rechtlich aber nicht zu beanstanden ist. Schließlich ergeben sich einzelne Einflüsse des Sozial staats- und Demokratieprinzips, die bei der Frage des Rechtsschutzes gegen den automatisierten Verwaltungsakt noch zu beachten sein werdens3 • Insgesamt gesehen ist der Blick auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben durchaus geeignet, der Diskussion die richtige Bedeutung zu geben. Begriffe wie Rechtsstaat, Sozialstaat und Demokratie müssen im Zeitalter der Informationstechnik neu gesichert werdenS4 • Konkrete Anforderungen an den automatisierten Verwaltungsakt werden sich aber eher aus einer Untersuchung der Regelungen des Verwaltungsverfahrensrechts ergeben, die sich nun anschließen soll.
S3
Vergleiche hierzu S. 257 Fn. 74.
S4
Fiedler, JuS 70, S. 432 (607).
Dritter Abschnitt
Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten Verwaltungsaktes Im folgenden Abschnitt soll das Verfahren zur Erstellung des automatisierten Verwaltungsaktes dargestellt werden. Ausgangspunkt sind dabei die 1976 in Kraft getretenen Regelungen des VwVfG. Weil der automatisierte Verwaltungsakt unter § 35 S. 1 VwVfG subsumiert werden kann, sind die diesbezüglichen Verfahrensvorschriften auch auf ihn anwendbar'. An den entscheidenden Stellen sollen diese Regelungen durch einen Vergleich mit den Vorschriften der AG 1977 und des SGB-X ergänzt werden. Dabei geht es zum einen darum, zu erkennen, welchen Bedeutungswandel solche Verfahrensvorschriften durch die Automation auch ohne eine Änderung ihres Wortlauts erfahren können. Zum anderen gilt es, die Regelungen der §§ 2811 Nr. 4, 37 IV, 3911 Nr. 3 VwVfG darzustellen, mit denen der Gesetzgeber Ausnahmen für diese Art der Erstellung von Verwaltungsakten geschaffen hat. Sie sollen auf ihre fortlaufende Berechtigung untersucht werden, wobei insbesondere der technische Fortschritt seit 1977 zu berücksichtigen ist.
A. Das Verfahren zur Erstellung des automatisierten Verwaltungsaktes nach dem VwVfG I. Die Nichtrdrmlichkeit des Verfahrens
Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Regelung des § 10 VwVfG, der eine inhaltsgleiche Vorschrift in § 9 SGB-X entspricht; § 85 AG 1977 spricht demgegenüber von einer gleichmäßigen Festsetzung und Erhebung der Steuern. Auf den ersten Blick scheint § 10 VwVfG geradezu eine Generalklausel für die Zulässigkeit einer Automationsuntersrutzung zu sein. Als einzige Einschrän-
, Fiedler, JZ 66, S. 689 (694); Sendler, in: Reinennann, S. 165 (168).
108
2. Teil: Hauptteil
kung fordert das Gesetz in § 10 S. 2 VwVfG die Einfachheit und Zweckmäßigkeit des Verfahrens. Unabhängig davon, ob man diese Vorschrift als Programmsatz oder als konkrete Quelle von Gestaltungspflichten begreift2 , soll mit ihr eine unnötige Formalisierung der Verwaltungstätigkeit vermieden und ein elastisches Verfahren ermöglicht werden. Der damit bezweckten Steigerung der Leistungsfähigkeit der Verwaltung dient aber auch der Technikeinsatz, der sich so als eine logische Fortsetzung der gesetzlichen Intention darstellt. In der Tat ist diese Nichtförmlichkeit des Verfahrens eine wichtige Grundbedingung der Automation, die auch im Zuge des Übergangs zur Informationsund Kommunikationstechnik zu berücksichtigen ist. So darf die Kommunikation zwischen Verwaltung und Bürger so wenig wie möglich formalisiert 3 , das heißt, auf bestimmte Kommunikationsmittel beschränkt werden. Auch im Zeitalter von BTX muß also der mündliche Antrag in der Behörde möglich bleiben. Zugleich ergeben sich aus § 10 S. 2 VwVfG aber auch erste, wenngleich noch sehr grobe, Grenzen für den Technologieeinsatz. Zunächst gilt es zu beachten, daß diese Vorschrift nur deshalb für das Verwaltungsverfahren geschaffen werden konnte, weil trotz dieser Lockerung eine wirksame Kontrolle des Bescheides durch die Verwaltungsgerichte möglich ist4 • Sollte sich diese "Geschäftsgrundlage" für den automatisierten Verwaltungsakt verändern, das heißt, seine gerichtliche Kontrolle besondere Schwierigkeiten bereiten5, könnten im Gegenzug strengere Reglementierungen des Verwaltungsverfahrens notwendig werden. Auch ist insgesamt in der Verwaltungspraxis eine Tendenz zu mehr formalisierten Verfahren zu beobachten. Insbesondere das Planfeststellungsverfahren nach den §§ 72 ff. VwVfG wurde in letzter Zeit durch den Wegfall entsprechender Spezialregelungen gestärkt. Dieser Entwicklung liegt die Erkenntnis zugrunde, daß ein aufwendiger gestaltetes Verwaltungsverfahren die Akzeptanz des Ergebnisses bei den Betroffenen erhöhen und so die Anzahl der eingelegten Rechtsbehelfe verringern kann. Es erscheint daher bedenklich, bei den immer
2 Meyer / Borgs / Meyer, VwVfG, § 10 Rn. 1,3; für letzteres auch Brinckmann, Fonnulare, S. 255 Fn. 261.
3 Burken, in: Traunmüller, S. 183 (190). Die Praxis im automatisierten Verfahren sieht aber häufig anders aus (siehe dazu Fiedler, in: Traunmüller, S. 128 (134); Grimmer, Rechtsverwirklichung, S. 89). 4
Knack / Clausen, VwVfG, § 10 Rn. 2.
5
Vergleiche hieI'Zu ausführlich S. 236 ff.
3. Abschnitt: Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten VA
109
wichtiger werdenden automatisierten Verwaltungsakten genau die entgegengesetzte Tendenz zu verfolgen. Neben einer solchen Betrachtung von Funktion und Stellung des § 10 VwVfG lassen sich auch aus der Restriktion "zweckmäßig" Grenzen für eine Automatisierung des Verwaltungsaktes ableiten. Diese Zweckmäßigkeit bezieht sich nicht nur auf die Sicht der Behörde, etwa im Sinne einer Kosten- und Zeitersparnis. Vielmehr sind auch die Interessen des Verwaltungsklienten hinreichend zu berücksichtigen. Für ihn ist das automatisierte Verfahren nur dann zweckmäßig, wenn es eine schnelle und richtige Entscheidungsfindung, eine vollständige Sachverhaltsaufklärung und eine Transparenz der Verwaltungstätigkeit gewährleistet6 • Gerade die beiden letztgenannten Postulate sind bei einem EDV-Einsatz häufig gefährdet, ersteres durch Standardisierungstendenzen7 , letzteres durch eine häufig verwirrende Arbeitsteilung zwischen mehreren Verwaltungsstellen8 • So kann § 10 VwVfG zwar als Ausgangspunkt der Zulässigkeit einer Automatisierung des Verwaltungsaktes, gleichzeitig aber auch als seine erste Schranke begriffen werden, die es nunmehr anband einer Untersuchung weiterer Vorschriften zu konkretisieren gilt. 11. Die Befangenheitsvorschriften der §§ 20, 21 VwVfG
Im folgenden soll untersucht werden, welche Bedeutung die Befangenheitsvorschriften der §§ 20, 21 VwVfG in einem automatisierten Verfahren haben.
1. Anwendbarkeit in einem automatisierten Veifahren Auf den ersten Blick folgt aus der maschinellen Erstellung ein hohe Gewähr für die Objektivität der Entscheidung, die oben9 bereits als eine Gefahr der Verfahrensautomation angesprochen wurde. Meyer lO verneint sogar generell die Anwendbarkeit der §§ 20,21 VwVfG in einem derartigen Verfahren, weil
6
Grimmer, in: Reinennann 1985, S. 305 (310); Knack / Clausen, VwVfG, § 10 Rn. 3.1.
7
Siehe dazu im Abschnitt Amtsennittlung S. 114, 120 ff.
8
Siehe dazu S. 73.
9
Vergleiche hierzu S. 50.
10
Meyer / Borgs / Meyer, VwVfG, vor § 20 Rn. 8.
llO
2. Teil: Hauptteil
der Sachbearbeiter keinerlei eigenen Spielraum habe, in dem persönliche Sympathien oder Antipathien zum Tragen kommen könnten. Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen. Nicht der (naturgemäß unbefangene) Computer erläßt den Bescheid, sondern Menschen mit Hilfe des Computers. Der automatisierte Verwaltungsakt beruht auf zwei Determinanten, nämlich den Ausgangsdaten und dem Programm. Durch beide Teilelemente sind Menschen kausal an der Entscheidungsfindung beteiligt, die in einer besonderen Beziehung zum Adressaten der Verfügung stehen können. Zwar trifft es zu, daß die Manipulationsmöglichkeiten in der konkreten Entscheidungssituation geringer sind als in einem herkömmlichen Verfahren, weil das Programm von höheren Verwaltungsstellen vorgegeben und damit der Entscheidungsspielraum des einzelnen Mitarbeiters verengt wird 11 • Ganz aufgehoben wird er jedoch nicht, so daß die §§ 20, 21 VwVfG, jedenfalls für bestimmte Tätigkeiten, auch in einem automatisierten Verfahren zu beachten sind. 2. Der betroffene Personenkreis
Zu fragen ist, auf welche an der Erstellung des Bescheides beteiligte Personen die Befangenheitsvorschriften anwendbar sind. Dabei ist zunächst festzuhalten, daß das technische Unterstützungspersonal, welches mit der Wartun'g und Installation der Computer beschäftigt ist, nicht den §§ 20, 21 VwVfG unterliegt l2 • Der Inhalt des Verwaltungsaktes wird allein durch die Eingabedaten und das Programm bestimmt. Nur in diesen Bereichen kommt eine Anwendung der §§ 20, 21 VwVfG in Betracht. Bei den Eingabedaten sind zwei Tätigkeiten zu unterscheiden. Zum einen gibt es Personen, die diese Daten auf der Grundlage der vorhandenen Informationen festsetzen. Sie können bei diesem Akt der Rechtsfindung persönliche Vorlieben und Abneigungen in die Entscheidung einfließen lassen und müssen daher den Anforderungen der §§ 20, 21 VwVfG gerecht werden. Es handelt sich hier um die sensibelste Stelle im gesamten automatisierten Ablauf, die auch bei der Kontrolle des Verwaltungsaktes besonders beachtet werden muß l3 •
11 Brinckmann, Verwaltungsautomation, S. 71; derselbe, Kontrolle, S. 22; Grimmer, in: Grimmer, S. 341 (357); Lenk, OVBI. 74, S. 832 (836). 12 Beger, OStR 75, S. 175 (176); Haft, S. 65; Kopp, VwVfG, § 20 Rn. 38 f.; VGH München, NVwZ 82, S. 508 (510); Stelkens I Bonk, VwVfG, § 20 Rn. 11. 13
Vergleiche hierzu S. 238, 239.
3. Abschnitt: Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten VA
111
Zum anderen gibt es Mitarbeiter, die diese festgesetzten Daten in den Computer eingeben. Ihr Einfluß auf die Entscheidung ist eher gering, da es sich um rein mechanische Tätigkeiten handelt. Dennoch sind auch an dieser Stelle bewußte Verfälschungen nicht auszuschließen. Voraussetzung dafür ist jedoch, daß in diesem Stadium der Bearbeitung noch ein Zusammenhang der Daten zu einer bestimmten Person hergestellt werden kann. Ohne einen solchen kann das Eingabepersonal weder gezielt tätig werden noch kann es selbst feststellen, ob es von der Bearbeitung des Vorgangs ausgeschlossen ist. Deshalb sind die Befangenheitsvorschriften nur dann anzuwenden, wenn eme solche Verbindung für das Eingabepersonal erkennbar ist. Wesentlich schwieriger gestaltet sich die Einordnung der Tätigkeit des Programmierers. Er wird auf der einen Seite unabhängig vom konkreten Fall tätig, kann also nicht so gezielte Manipulationen vornehmen wie die Mitarbeiter, welche die Ausgangsdaten festsetzen. Auf der anderen Seite könnten sich die Folgen seiner Handlungen hier unvorstellbar potenzieren, indem sie auf die Erstellung tausender Bescheide Einfluß haben. Darf also der Programmierer mit keinem der künftigen Adressaten des Verwaltungsaktes in einem Angehörigenverhältnis im Sinne des § 20 VwVfG stehen? Im Ergebnis dürfte eine solche Ausdehnung der Befangenheitsvorschriften abzulehnen sein. Zwar kann man hier nicht von mechanischen Hilfstätigkeiten sprechen, weil die Programmgestaltung maßgeblichen Einfluß auf das Endergebnis hat. Dieser Kausalbeitrag dürfte aber zu weit vom Ergebnis entfernt sein, um unter dem Gesichtspunkt der §§ 20, 21 VwVfG relevant zu werden. Im Zeitpunkt der Programmerstellung ist, vergleichbar mit der Gesetzgebung, noch nicht absehbar, wer von seinen Regelungen betroffen sein wird. Deshalb könnte die Verwaltung die Einhaltung der Befangenheitsvorschriften selbst dann nicht überwachen, wenn sie dies gezielt versuchen würde. Ein Ausschluß von Programmierern wegen hypothetischer Beziehungen zu einem Verfahrensbeteiligten im Sinne des § 20 V VwVfG würde in manchen Bereichen, etwa bei der Steuerberechnung, dazu führen, daß kaum jemand für diese Tätigkeit in Betracht käme. Eine solche Folge erscheint auch dann unerträglich, wenn man bedenkt, daß eine gerichtliche Autbebung der Entscheidung wegen § 46 VwVfG nur dann möglich wäre, wenn sich die Befangenheit tatsächlich auf das Ergebnis ausgewirkt hat. Die Fortentwicklung der Technik könnte indes auch hier zu Veränderungen der Einschätzung führen. Je mehr die Programmierung ihren abstrakt-generellen Charakter verliert und erst aus Anlaß des Einzelfalls erfolgt, umso eher erscheint eine Ausdehnung der Befangenheitsvorschriften auf diese Tätigkeit
112
2. Teil: Hauptteil
geboten. Dies gilt nicht erst dann, wenn die Programmierung durch den Sachbearbeiter selbst vorgenommen wird l4 • Bereits ein direktes, arbeitsteiliges Zusammenwirken zwischen Programmierer und Sachbearbeiter in Kenntnis der konkreten Fallsituation löst diesen Wendepunkt aus. Die im Interesse einer Ausweitung der Einsatzmöglichkeiten an sich zu begrüßende Abkehr von zeitraubenden und umfangreichen Programmierungstätigkeiten wird so auf der anderen Seite die Schwierigkeiten bei der Anwendung der Befangenheitsvorschriften erhöhen. Auch darin erweist sich die Ambivalenz solcher Entwicklungen. 111. Die Amtsermittlung
Erste erhebliche Abweichungen zwischen dem konventionellen und einem automatisierten Verfahren zur Erstellung eines Verwaltungsaktes sind im Bereich der Amtsermittlung zu verifizieren. Der hierfür maßgeblichen Nono des § 24 I VwVfG entsprechen inhaltsgleiche Vorschriften in den §§ 88 I AO 1977, 20 SGB -X. 1. Einjahrung
Der Untersuchungsgrundsatz ist von maßgeblicher Bedeutung für das gesamte Verwaltungsverfahren. In Ausführung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung aus Art. 20 III GG verpflichtet er die Verwaltung, alle für den Einzelfall erheblichen Tatsachen in eigener Verantwortung zu ermitteln, wobei sich diese Verpflichtung nach der ausdrücklichen Regelung des § 24 11 VwVfG auch auf die für die Beteiligten günstigen Umstände bezieht. Das öffentliche Interesse, in dem die Verwaltung tätig wird, verbietet es, den Ausgang des Verfahrens von Dispositionen der Beteiligten abhängig zu machen l5 • Nur eine umfassend und sorgfältig durchgeführte Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen im Einzelfall bietet die Gewähr für eine sachlich richtige
14 Siehe dazu Segitz, ÖVD 77, Heft 7, S. 295 (295) und Endrös, S. 16; ferner Pollock, S. 84 und Weggen, Städte- und Gemeinderat 88, S. 185 (187, 190). 15 Weides, S. 69; so auch der Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-DS 7 / 910, S. 48; ferner Erichsen / Badura, S. 398; Kopp, Vwvro, § 24 Rn. 2; Stelkens / Stelkens, Vwvro, § 24 Rn. I; Knack / Clausen, Vwvro, § 24 Rn. 3.1; zum Bezug der Amtsennittlung zum Rechtsstaatsprinzip siehe Degenhan, DVBI. 82, S. 872 (877).
3. Abschnitt: Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten VA
113
Entscheidung. Abgesichert wird die Erfüllung dieser Verpflichtung dadurch, daß das Unterlassen notwendiger Ermittlungen eine Amtspflichtverletzung im Sinne der Amtshaftung darstellt. Gerade im Bereich automatisierter Verfahren kommt der Amtsermittlung eine besondere Bedeutung zu. Regelmäßig erfolgt nach der Eingabe der Ausgangsdaten in den Computer keine Abschlußkontrolle des fertigen Bescheides. Daher wirken sich Fehler, die bis zu diesem Zeitpunkt nicht entdeckt worden sind, unweigerlich auch auf das Ergebnis aus l6 • Anders als im herkömmlichen Verfahren besteht keine Chance, sie quasi "in letzter Minute" zu beheben, ehe der Bescheid dem Adressaten übermittelt wird. Jeder Fehler in diesem Bereich führt zudem zur Aufhebung des Verwaltungsaktes durch die Kontrollinstanzen, weil kein bloßer formeller Mangel im Sinne der §§ 45, 46 VwVfG vorliegt J7 • Die Auswirkungen der Automatisierung auf die Amtsermittlung sind dabei ambivalent zu beurteilen. Auf der einen Seite eröffnet diese Technik in ihrer Anwendungsform als Dokumentationssystem eine neue Dimension der verwertbaren Informationen l8 • Nie zuvor standen dem Sachbearbeiter derartig viele Unterlagen für seine Tätigkeit zur Verfügung wie im Zeitalter der EDV. Allerdings betreffen diese nicht so sehr den Einzelfall als vielmehr globale Zusammenhänge und die anzuwendenden Regelungen, die dadurch eine im manuellen Verfahren nie gekannte Präsenz erhalten l9 • Auf der anderen Seite kommt es aber in der Praxis bei automatisierten Entscheidungen, vielleicht auch gerade wegen des Überangebotes an Informationen, zu pragmatischen Verkürzungen der Ermittlungen20 • Ein ständiger Zeitdruck infolge des hohen Arbeitsanfalles führt dazu, daß nur ein Bruchteil der zu erlangenden Informationen auch tatsächlich in die Entscheidungsfindung
16
Grimmer, in: Reinennann 1985, S. 305 (311); derselbe ÖVD 84, Heft 11, S. 83 (84).
17 Auch Gruber, Diss. jur. Würzburg, S. 72 geht davon aus, daß Verstöße gegen die Amtsermittlungspflicht die Entscheidung nicht ungenau, sondern rechtswidrig machen. 18 Poetl.Sch-Heffter, in: Reinennann, S. 16 (19). Nach Grimmer, Die Verwaltung 90, S. 25 (41) trim diese Feststellung zwar rur die Gesamtmenge, nicht aber unbedingt rur die einzelfallbezogenen Daten zu. Moderne Massenverfahren, etwa bei den 250000 Einwendungen gegen die Einlagerung von Atommüll in Schacht Konrad, wären ohne Computerhilfe nicht mehr zu bewältigen.
19 Dieses muß nicht unbedingt vorteilhaft rur den Bürger sein. Demant, in: Hoffmann, S. 92, (94 f.) weist mit Recht daraufhin, daß auch eine Lücke zwischen den rechtlichen Anforderungen und ihrer tatsächlichen Realisierung in Zeiten einer Normenflut eine gesellschaftliche Berechtigung haben kann. Die "Informationskrise im Recht" (Simitis, S. 13) kann rur den Bürger in manchen Bereichen die Rettung vor einer allzu starken Reglementierung sein. 20
Gagei! Gagei, AFG, vor § 143 Rn. 58; Horn, S. 69; Grimmer, VOP 88, S. 11 (20).
8 Polomski
114
2. Teil: Hauptteil
einfließt. Zum einen greift die VelWaltung bevorzugt auf solche Informationen zurück, die sie bereits in ihren Akten und Dateien gespeichert hat und die daher leicht verfügbar sind. Neue Kontakte mit dem Bürger aus Anlaß des Einzelfalles werden möglichst vermieden. Durch ein solches, über längere Zeit hinweg geübtes Verhalten kann die Entscheidungsgrundlage sogar schlechter werden, weil es die VelWaltung zu einem abgeschlossenen System macht, welches auf die Dauer an fehlender Aktualität leidet21 • Ein typisches Beispiel für diese Praxis ist der routinemäßige Verzicht auf die durch § 28 I VwVfG vorgeschriebene Anhörung im Vertrauen darauf, daß dieser Verfahrensmangel nach ständiger Rechtsprechung durch eine Nachholung im Widerspruchsverfahren geheilt werden kann22 • Dabei wird übersehen, daß eine solche Nachholung nur dem nützt, der den Rechtsweg auch tatsächlich beschreitet. Zum anderen führt die hohe Arbeitsbelastung dazu, daß für die VelWaltung die Versuchung wächst, diesen Druck durch eine Vornahme von Standardisierungen zu mildern23 • Dabei wird nicht mehr der Einzelfall, sondern der typische Fall eines bestimmten Antrages bearbeitet. Hierbei handelt es sich um eine Entwicklung, die im gesamten Bereich der MassenvelWaltung nachweisbar ist24 • Die Automation führt so nicht zu neuartigen Problemen, elWeist sich aber als wichtiger "Trendverstärker"25, der diese Vorgehensweise erst beson-
21 Grimmer, in: Traunmülter, S. 28 (36); lsensee, S. 63; Brinckmann, Formulare, S. 257. Hinzu tritt eine weitere Verschlechterung der Entscheidungsbasis dadurch, daß in einem automatisierten Verfahren mehrere Personen mit der Erstellung des Verwaltungsaktes beschäftigt sind und sich somit die vorhandenen Informationen auch noch auf mehrere Personen verteilen. Deshalb entfällt die Möglichkeit von Korrekturen aus der umfassenden Kenntnis des einzelnen Vorgangs heraus, wie sie beim herkömmlichen Verfahren durch den direkten, persönlichen Kontakt zwischen Amtswalter und Betroffenem gegeben war. Der Bürger wird stattdessen auf einige wenige und zudem formalisierte Kontaktmöglichkeiten beschränkt (Fiedler, in: Traunmülter, S. 128 (134); Grimmer, Rechtsverwirklichung, S. 89).
22 Diese Ansicht vertrat schon der Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-DS 7 I 910, S. 51. Heute BVerwGE 54, 276 (280); 58, 37 (44); BVerwG, DVBI. 82, S. 1149 (1150); differenzierend bei Ermessensentscheidungen BVerwG, DVBI. 83, S. 272 (274); insgesamt ablehnend dagegen VG NW, DVBI. 81, S. 689 (690); Murius, NJW 82, S. 2150 (2159); Weides, JA 84, S. 648 (660). 23 Simiris, Automation, S. 17; Kuhlmann, in: Grimmer, S. 233 (306); Horn, S. 68,124, 135; Eberle, Die Verwaltung 87, S. 459 (463); Grimmer, Rechtsverwirklichung, S. 6; Pestaloua, Boorberg-FS, S. 185 (188); Gageil Gagei, APG, vor § 142 Rn. 58; Gruber, Diss.jur. Würzburg, S. 72; Fiedler, IZ 66, S. 689 (694); Grimmer, DVR 80, S. 323 (329); derselbe, DÖV 82, S. 257 (263); Bult, Verwaltung, S. 110; Lenk, in: Garstka, S. 107 (110); Kübler, S. 106. 24
Kerkau, Recht im Amt 70, S. 201 (202).
Fiedler I Banhell Voogd, S. 226; Brinckmann, Kontrolle, S. 12; Eberle, Die Verwaltung 87, S. 459 (463). 25
3. Abschnitt: Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten VA
115
ders bedenklich erscheinen läßt. Manche Autoren26 gehen soweit, zu behaupten, daß die eigentlich relevanten Probleme des automatisierten Verwaltungsaktes nicht bei der Bescheiderstellung als solcher, sondern in den vor- und nachgelagerten Bereichen, wie der Sachverhaitsautklärung und Kontrolle, liegen. Im folgenden soll daher die Amtsermittlung bei der Erstellung des automatisierten Verwaltungsaktes einmal näher beleuchtet werden. Dabei ist zwischen zwei verschiedenen Fragenkomplexen zu differenzieren: Zunächst ist zu fragen, ob die Verwaltung die Informationserhebung dadurch begrenzen darf, daß sie den Bürger auf das Ausfüllen eines Formulars beschränkt. Sodann gilt es zu untersuchen, ob die Verwaltung die Ermittlung der maßgeblichen Ausgangsdaten auch außerhalb dieser Formularbindung durch die angedeuteten Standardisierungen beschränken darf. 2. Die möglichen Fehlerquellen bei der Amtsermittlung a) Die Beschränkung der Amtsermittlung durch eine Formularbindung Im Zuge der Vorbereitung von automatisierten Verwaltungsakten kommt es zu einem verstärkten Einsatz von Formularen, die beim Bürger schon immer sehr unbeliebt waren27 • Ging es im manuellen Verfahren nur um eine Vor-
26
So z.B. Horn, S. 149; Lazaratos, S. 100; Ehlers, Jura 91, S. 337 (341).
27 Markull, VerwArch., Bd. 48 (1957), S. 5 (22) spricht von einem "terroristischen Charakter" der Formulare; Poetzsch-Heffter, in: Reinermann, S. 16 (17) zitiert den berühmten Stoßseufzer des Bürgers ·VOI) der Wiege bis zur Bahre, Formulare, Formulare". Dabei ergeben sich rur den Bürger durchaus auch Vorteile aus einer Formularverwendung, z.B. bei der nachträglichen Übetprüfung der Entscheidung (Eberle, Die Verwaltung 87, S. 459 (463); Brinckmann, Formulare, S. 223).
8"
116
2. Teil: Hauptteil
strukturierung der Informationen für die Entscheidung des Sachbearbeiters28 , soll nunmehr das Formular auch maschinenlesbar sein29 , damit die zeitaufwendige Eingabe der Daten in den Computer entfällt. So werden einerseits im Zuge der Automatisierung immer mehr Formulare eingesetzt, die andererseits auch noch wesentlich komplexer geworden sind, weil sie sich in Aufbau und Struktur an den Anforderungen der anschließenden maschinellen Verarbeitung orientieren. Hier gilt es zu bestimmen, wo die Grenzen einer solchen "Formularbindung" der Amtsermittlung liegen und welche Verbesserungen von einem Übergang zur Informations- und Kommunikationstechnik zu erwarten sind. aa) Zulässigkeit einer Benutzungspflicht
Nur sehr selten ist in einem Gesetz eine Verwendungspflicht für Formulare ausdrücklich in der Weise vorgesehen, daß Anträge nur dann wirksam sind, wenn ein bestimmtes Formular verwendet wird30 • Im Hinblick auf die Mitwirkungspflicht des Bürgers aus § 26 II VwVfG 31 ist daher die Verpflichtung,
28 Grimmer, DVR 80, S. 323 (327). Brinckmann, Fonnulare, S. 214, 265 weist daraufhin, daß die Gestaltung des Fonnulars in der Praxis häufig zufällig erfolgt. Berg, Diss. jur. Köln, S. 91 fordert eine Erstellung der Fonnulare durch die Sachbearbeiterebene, weil diese die notwendigen Angaben am besten überschauen könne. Eine solche Forderung widerspricht aber der Tendenz automatisierter Verfahren zur Verlagerung aller wichtigen Entscheidungen aufhöhere Verwahungsebenen. 29 Gerade aus einer solchen Funktionsüberlastung der Fonnulare ergeben sich besondere Probleme für die Verständlichkeit, siehe dazu Grimmer, in: Grimmer, S. 341 (346) und Brinckmann, Fonnulare, S. 121, 123,258,261.
30 Frohn, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 84, S. 204 (212); Brinckmann, Fonnulare, S. 126, 233; ein Beispiel für einen gesetzlichen Benutzungszwang gibt es in § 325 LAG und in den § § 703 c III, 117 N ZPO für den Zivilprozeß. Auch das Bundesverfassungsgericht geht in BVerfGE9, 219 (220, 222) davon aus, daß selbst in Massenverfahren die Benutzung des Fonnulars keine Wirksamkeitsvoraussetzung für den Antrag ist. Zu beachten ist aber, daß auch eine solche "Freiwilligkeit" bei der Behörde eine entsprechende Erwartungshaltung erzeugt; der sich widersetzende Bürger kann sich solchennaßen einer unbewußten, ablehnenden Einstellung des Amtswalters sicher sein. 31 Interessant ist hier auch die von Birk, in: Dömer, S. 134 (142) aufgeworfene Frage, ob die Mitwirkungspflicht des Bürgers im Steuerverfahren nach § 200 U 1 AO 1977 so weit reichen kann, daß er einen privaten Computer für die behördliche Tätigkeit zur Verfügung stellen muß. Denkbar wäre es auch, daß sich die Behörde mit einem Ausdruck der fraglichen Daten begnügt. Gegen eine solche Begrenzung spricht jedoch, daß dabei Manipulationen zu befürchten sind, die von der Finanzverwaltung nicht entdeckt werden könnten (siehe dazu auch S. 270). Wer seine Geschäftsunterlagen so führt, daß diese nur noch über EDV auszuwerten sind, muß in Kauf nehmen, daß die
3. Abschnitt: Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten VA
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überhaupt Angaben zu machen, zu unterscheiden von der Notwendigkeit, dieses gerade durch die Benutzung von Formularen zu tun. Es ist aber allgemein anerkannt, daß die VeJWaltung ihre Benutzung auch ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage verlangen kann. Die Befugnis zu dieser Verpflichtung des Bürgers wird entweder aus der gesetzlichen Aufgabe abgeleitet oder ein solches Vorgehen wird als zweckmäßig im Sinne des § 10 VwVfG begriffen32 • In der Tat wäre ein völliger Verzicht auf die VeJWendung von Formularen in der VeJWaltungspraxis nicht möglich. Der dadurch entstehende Zeitverlust müßte zwangsläufig Auswirkungen auf die Erfüllbarkeit der gesetzlichen Aufgaben der VeJWaltung haben. Die Folgen wären eine noch weitergehende Automatisierung der eigentlichen Entscheidung und eine weitere Zunahme von Standardisierungen. Da solchermaßen ein Mehr an Individualität für den Bürger in diesem Bereich auf der anderen Seite zu gewichtigen Nachteilen führen würde, gilt es abzuwägen, wann ein solcher Formulareinsatz zur Vorbereitung der automatisierten Entscheidung vertretbar erscheint. bb) Grenzen der Benutzungspjlicht
(a) Bestimmung des Maßstabes Eine erste Grenze für den Formulareinsatz besteht im Bereich der Sozialverwaltung. § 17 I Nr. 3 SGB-X bestimmt, daß der Zugang zu Sozialleistungen möglichst einfach unter VeJWendung allgemein verständlicher Antragsvordrucke gestaltet werden muß. Diese Norm ist über ihren Wortlaut hinaus allgemein bei der Gestaltung von Formularen zu beachten33 • Jeder Vordruck
Verwaltung zum Zwecke der Steuerpriifung diese Geräte benutzt, auch wenn dabei nicht auszuschließen ist, daß sie bei dieser Gelegenheit auch Kenntnis von solchen Vorgängen erhält, die mit dem eigentlichen Steuerfall nichts zu tun haben. 32 Knack! Clausen, Vwvro, § 10 Rn. 2.2; fiirMassenverfahren auch Obermayer, Grundzüge, S. 156; Brinckmann, Formulare, S. 220. Degrandi, S. 116 fordert eine gesetzliche Grundlage, sofern die Verpflichtung zur Benutzung fiir den Bürger eine rechtliche Belastung darstellt. Von dieser Verpflichtung zur Benutzung ist die Kompetenz zur Erstellung solcher Formulare zu unterscheiden. Sie folgt aus der Organisationsgewalt jedes Verwaltungsträgers. 33
Gagei! Gagei, AFG, vor § 142 Rn. 4.4.
118
2. Teil: Hauptteil
muß klar und übersichtlich gestaltet sein. Notwendige Differenzierungen müssen ermöglicht, typische Fehlerquellen beim Ausfüllen vermieden werden34 • Aber auch außerhalb dieser Norm sind der Formularverwendung Grenzen zu ziehen. Diesbezüglich kommen das Prinzip der NichtförmIichkeit des Verfahrens nach § 10 VwVfG, die Amtsermittlungspflicht aus § 24 I VwVfG beziehungsweise die Begrenzung der Mitwirkungspflicht in § 26 11 VwVfG sowie Verfassungsprinzipien als Regulativ in Betracht3s. So ist davon auszugehen, daß die vom Gesetzgeber gewollte Flexibilität des Verwaltungsverfahrens, wie sie in § 10 VwVfG zum Ausdruck kommt, nicht schon zu seinem Beginn routinemäßig wieder aufgehoben werden sollte. Die "Zweckmäßigkeit" hat auch Interessen des Bürgers zu berücksichtigen36 , der regelmäßig mündliche Erläuterungen bevorzugen wird. (b) Fallgruppen für die Unzulässigkeit einer Formularverwendung
Auf der Grundlage dieser Vorschriften sind im wesentlichen zwei Fallgrup-
pen zu unterscheiden, in denen bei der Vorbereitung der automatisierten
Entscheidung eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht durch einen Formulareinsatz angenommen werden kann. Zum einen ist dies dann der Fall, wenn die möglichen Angaben des Bürgers durch die Verpflichtung zur Formularverwendung derartig beschnitten werden, daß er relevante Tatsachen nicht mehr in gebührender Form darstellen kann37 • Um zu erreichen, daß ein und dasselbe Formular gleichzeitig für die Sachverhaltsermittlung und für die sich anschließende automatisierte Bearbeitung verwendet werden kann, wird der dem AntragssteIler für seine Angaben eingeräumte Platz immer enger, ja häufig so-
34 Bull, IR 65, S. 178 (180); derselbe, Verwaltung, S. 117. Unter diesem Gesichtspunkt hält es GageIl GageI, AFG, vor § 142 Rn. 48 für bedenklich, wenn das gesamte Fonnular nur durch Kreutzchen auszufüllen ist.
3S Brinckmann, Fonnulare, S. 127, 235. Bei den Verfassungsprinzipien ist insbesondere an das Sozialstaatsprinzip zu denken. Damit wäre es nicht vereinbar, wenn staatliche Leistungen nur deshalb nicht in Anspruch genommen werden, weil die Mehrzahl der Berechtigten das entsprechende Antragsfonnular nicht korrekt ausfüllen kann.
36
Vergleiche dazu S. 109.
GageIl GageI, AFG, vor § 142 Rn. 58, 159; Grimmer, in: Reinennann 1985, S. 305 (311); Garstkil, Ihrb. der Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 7 (1980), S. 233 (234); Grimmer, Rechtsverwirklichung, S. 6. Mit Brinckmann, Fonnulare, S. 220 ist davon auszugehen, daß die dem Bürger durch § 28 I Vwvro gewährte Anhörungsmöglichkeit auch das Recht umfaßt, selbst über den Umfang der erforderlichen Angaben zu bestimmen. 31
3. Abschnitt: Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten VA
119
gar auf eine Ja-Nein-Entscheidung beschränkt. Hier gilt es sicherzustellen, daß das Formular auch bei einer Verwendung als maschineller Erfassungsbeleg verständlich bleibtJ8 und Raum für die notwendigen Differenzierungen läßt. Zum anderen kommt ein Verstoß gegen die AmtsermiUlungspflicht dann in Betracht, wenn dem Bürger die Zuordnung des Sachverhaltes unter juristische Kategorien zugemutet wird39 • Gerade in automatisierten Verfahren stehen der Verwaltung außer dem ausgefüllten Formular häufig keine anderen Informationsquellen über den konkreten Fall zur Verfügung, um die Richtigkeit dieser juristischen Wertungen durch den Laien zu überprüfen. Hierin dürfte auch eine Hauptursache für die verbleibende Fehlerquote bei EDV -Bescheiden liegen. Der Normalbürger ist durch die Notwendigkeit einer derartigen Subsumtion überfordert. Wenn die Verwaltung sie dennoch von ihm fordert, ohne seine Angaben später kontrollieren zu können, geht sie bewußt das Risiko einer unrichtigen Entscheidungsgrundlage und damit von rechtswidrigen Bescheiden ein. Ein solches Verhalten ist, wie schon im Rahmen der Einführung von Expertensystemen40 , abzulehnen. Jedenfalls aber darf die Verwaltung nicht den Einwand einer mangelhaften Mitwirkung des Bürgers erheben 41 , wenn sie ihm solchermaßen Pflichten auferlegt, die dieser nicht zu erfüllen vermag. Insgesamt gesehen hat so die Einführung automatisierter Verfahren dazu geführt, daß ein altbekanntes Arbeitsmittel der Verwaltung wieder verstärkt eingesetzt wird, dessen Verwendung man mit der Automation schon über-
38
Sendler, in: Reinermann, S. 165 (170).
39 Grimmer, in: Reinemrann 1985, S. 305 (311); Garstka, Jhrb. der Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 7 (1980), S. 233 (237) sieht hier die Gefahr, daß das Risiko einer falschen Zuordnung auf Personen abgewälzt wird, die das Verfahren nicht beeinflussen können. Für eine Unzumutbarkeit auch Brinckmann, Formulare, S. 127, 241, der davon ausgeht, daß, streng genommen, die Amtsermittlungspflicht jegliche Formularverwendung ausschließt, bei der die Verwaltung die solchermaßen gewonnenen Informationen nicht anderweitig nachprüfen kann (S. 219).
40
Vergleiche hierzu S. 99.
41 Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß die Amtsermittlungspflicht nach § 24 I Vwvro und die Mitwirkungspflicht nach § 26 II VwVfG nach der gesetzlichen Intention nicht gleichwertig nebeneinander stehen, sondern diese Verpflichtung des Bürgers nur die behördliche Tätigkeit unterstützen soll. Demgemäß muß die Verwaltung auch bei Verstößen des Bürgers versuchen, im öffentlichen Interesse die richtigen Entscheidungsgrundlagen zu ermitteln. Erst wenn dieses wegen des Fehlverhaltens des Bürgers unmöglich ist, darf sie ihrerseits die Ermittlungen beschränken (Pestaloua, Boorberg-FS, S. 185 (193); Maurer, JuS 76, S. 485 (489); Grimmer, Rechtsverwirklichung, S. 65). Schwerwiegend sind die Folgen fehlender Mitwirkung nach § 90 AO 1977, 60 SGB-AT, weil danach die erstrebte Leistung allein aus diesem Grund verweigert werden kann, ohne das weitere Ermittlungen seitens der Behörde notwendig sind.
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2. Teil: Hauptteil
wunden glaubte. Den erhofften Fortschritt kann auch hier nur der Übergang von der Automation zur Informations- und Kommunikationstechnik bringen. Wo Teletex und Telefax den permanenten, ortsungebundenen Kontakt zwischen VelWaltung und Bürger ermöglichen, könnte sich eine Konzentration der Sachverhaltsermittlung auf das einmalige Ausfüllen eines Formulars als überflüssig elWeisen. Anders als die Benutzung des Telefons ermöglicht ihre VelWendung auch eine Übermittlung schriftlicher Unterlagen, welche für die VelWaltungstätigkeit häufig unentbehrlich sind. Soweit Formulare aber auch im Büro der Zukunft noch unverzichtbar sind, muß die Informations- und Kommunikationstechnik dazu dienen, sie individueller an den Einzelfall anzupassen42 • b) Die Standardisierung der Amtsermittlung aa) Einführung
Die Vornahme von Standardisierungen dient der Arbeitserleichterung für die VelWaltung. Dabei werden aus den bisherigen Erfahrungen heraus die typischen Inhalte eines Antrages oder Bescheides mit den entsprechenden Bearbeitungsschritten gespeichert. Die individuellen Fälle werden dann mit mehr oder weniger großer Genauigkeit in dieses System vorhandener "Schablonen" eingepaßt. Gerade in einem automatisierten Verfahren ist eine derartige Vorgehensweise für die VelWaltung besonders interessant. Zum einen erleichtert sie die Programmierung, weil weniger Alternativen zu berücksichtigen sind. Zum anderen wird hier die Informationserhebung häufig schon durch die VelWendung von Formularen vorstrukturiert, so daß bereits durch die Gestaltung des Formulars die angestrebte standardisierte Entscheidung begünstigt werden kann. Schließlich führt eine solche Entbindung von der Notwendigkeit der Bearbeitung des Einzelfalles zu einer weiteren Beschleunigung der Verfahren, wie sie durch die Automatisierung ja generell bewirkt werden soll. Ossenbühl bezeichnet die Standardisierung gar als eine "notwendige Voraussetzung der VelWaltungsautomation "43. Dabei ist eine solche Vorgehensweise auf drei Ebenen möglich, nämlich zunächst bei der Sachverhaltsermittlung, sodann bei der eigentlichen Entschei-
42 Grimmer, in: Grimmer, S. 341 (361); derselbe, Die Verwaltung 90, S. 25 (34); Brinckmann, Formulare, S. 264.
43
Ossenbühl, NVwZ 82, S. 465 (468).
3. Abschnitt: Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten VA
121
dung und schließlich bei der Begründung. Rechtlicher Anknüpfungspunkt für die Behandlung der hier anstehenden Probleme ist, neben der Erfüllung der Verpflichtung zur Amtsermittlung, insbesondere Art. 3 I GG, der über Art. 1 III GG für die gesamte Verwaltungstätigkeit zu beachten ist. Standardisierungen führen zu einer bedenklichen Gleichbehandlung44 , das heißt, wesentlich Ungleiches wird gleich behandelt. Dieser Anwendungsfall des Art. 3 I GG 4S soll im folgenden untersucht werden.
bb)
Die Zuliissigkeit einer Standardisierung in einem automatisierten Verfahren
Bei der Frage der Zulässigkeit von Standardisierungen ist die Befugnis des Gesetzgebers von derjenigen der Verwaltung zu unterscheiden46 • Der Gesetzgeber verstößt mit der Bildung von Pauschalen nicht gegen das Gebot der Rechtssetzungsgleichheit, weil das Erfordernis einer sachgerechten Aufgabenerledigung als sachlicher Grund im Sinne des Art. 3 I GG anerkannt ist47 • Höchst fraglich und umstritten ist aber, ob darüber hinaus auch die Verwaltung eine originäre, weitergehende Befugnis zur Standardisierung hat. Dabei geht es darum, ob der Sachbearbeiter48 zur Vorbereitung der automatisierten Entscheidung weitere, über die gesetzliche Grundlage hinausgehende, Pauscha44 Degrandi, s. 95; Fiedler, JZ 66, s. 689 (694); Müller-Heidelberg, Recht im Amt 70, S. 101 (103); Brinckmarm, VelWaltungsautomation, S. 48; Schmidt, GesetzesvolIziehung, S. 196; Isensee, S. 19. Nach Grimmer, in: Traunmüller, S. 28 (32) wird auch bei einem Übergang zur Informations- und Kommunikationstechnik die Notwendigkeit einer Abstrahierung I Formalisierung und Standardisierung bestehen bleiben.
4S Zum Inhalt des Art. 3 I GG siehe BVerfGE I, 14 (52); 1,208 (247); 4, 144 (155); 9, 334 (337); 11, 64 (71); 17, 319 (330). Manchmal ermöglicht die VelWendung der EDV auch erst sachgerechte Differenzierungen, z.B. bei der Umsetzung der dynamischen Rentenanpassung (Berg, Diss. jur. Köln, S. 75, 83; Bull, VelWaltung, S. 111 f.; Szymanski, Zeitschrift für Verkehrsrecht 86, S. 361 (363». 46 Grimmer, in: Reinennann 1985, S. 305 (316); Amdt, S. 7; Horn, S. 125; Brinckmann, Formulare, S. 249.
47 BVerfGE 9,20 (32); 22, 349 (368); BVerfG, NJW 85, S. 963 (964) tnit der Forderung nach Härteregelungen bei Pauschalen. 48 Von dieser bewußten Entscheidung eines Mitarbeiters ist die Standardisierung der Bearbeitung durch den Einsatz von Computern zur Amtsertnittlung zu unterscheiden. Sie würde die hier entstehenden Probleme weiter verschärfen, weil noch weniger Möglichkeiten zur Abweichung von der pauschalen Bearbeitung aus Anlaß des Einzelfalls bestehen würden. Diese Fragen sollen hier aber nicht vertieft werden, weil der Computereinsatz für die Amtsertnittlung noch nicht ausgereift ist und überdies verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt (siehe dazu S. 55).
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2. Teil: Hauptteil
lierungen vornehmen darf, um solchermaßen die Bearbeitung des Vorgangs zu vereinfachen. (a) Die vertretenen Ansichten Pestalozza lehnt die Zulässigkeit originärer Standardisierungen durch die Verwaltung weitgehend ab, weil aus § 24 11 VwVfG ein grundsätzliches Verbot für eine derartige Vorgehensweise folge49 • Zwar müsse eine solche nicht unbedingt nachteilig für den Bürger sein, sie verhindere aber eine Reorganisation der Verwaltung und eine Fortbildung des Rechts. Beschränke die Verwaltung bewußt den Umfang der Ermittlungen durch eine solche Fallgruppenbildung, so entscheide sie nicht den realen, sondern einen hypothetischen Fall. Die Entlastung sei zudem nur vorübergehend, wenn der Betroffene in solchen Fällen Widerspruch einlegeso. Demgegenüber wollen andere Autoren solche Pauschalisierungen bei EDV -Entscheidungen in gewissen Grenzen zulassen, wobei lediglich die Abgrenzung dieses Bereiches unterschiedlich erfolgt. Ein Teil der Literatur stellt dabei auf den Grad der Abweichung vom Einzelfall beziehungsweise die verbleibende Genauigkeit der Bearbeitung ab. So wird eine solche Vorgehensweise dann für zulässig gehalten, wenn es sich um "maßvolle Pauschalen "51 handelt und diese Ausnahmeregelungen für "Notfälle"52 enthalten.
Andere Autoren machen die Zulässigkeit abhängig von der betroffenen Verwaltung saufgabe. Zum einen wird die Berechtigung einer derartigen Vorgehensweise jedenfalls für die Massengeschtifte der Verwaltung bejahf3 • Zum anderen werden alle Verwaltungsaufgaben in ein System "abgestufter Typensensibilität" eingeordnet. Zwar seien Standardisierungen durch die Verwaltung im Zuge von EDV-Verfahren dogmatisch unzulässig, weil sie keinen Vollzug von Gesetzen darstellten, wie es dem Auftrag der Verwaltung entspreche54 •
49
Pestalozza, Booroerg-FS, S. 185 (188).
so Pestalozza, Booroerg-FS, S. 185 (189). Grimmer, in: Reinermann 1985, S. 305 (311) sieht es als einen Verstoß gegen die Amtsennittlungspflicht an, wenn die Behörde darauf vertraut, daß der Bürger sich schon wehren werde. 51
Degrandi, S. 97; Berg, Diss. jur. Köln, S. 11, 81.
52
Müller-Heidelberg, Recht im Amt 70, S. 101 (103).
53 Sendler, in: Reinermann, S. 165 (170); Degenhan, DVBJ. 82, S. 872 (882); Amdt, S. 7; Isensee, S. 20; Kerlwu, Recht im Amt 70, S. 201 (202); Knack / Clausen, Vwvtu, § 24 Rn. 3.1.
54
Horn, S. 159.
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Wenn sie aber in der Praxis unentbehrlich seien, um die Funktionsfähigkeit der Verwaltung zu erhalten, dann sei eine solche Bearbeitungsform bei der Berechnung der Gebühren für die Müllabfuhr eher erträglich als bei Rentenbescheiden, obwohl es sich in beiden Fällen um Massenverfahren handele55 • Weiterhin gehen mehrere Autoren davon aus, daß sich die Zulässigkeit von Standardisierungen der Bearbeitung aus der Intention eines Gesetzes nach einem zeitgerechten Gesamtvollzug ergeben könne. Wenn ein Gesetz darauf angelegt sei, zeitgleich für alle Adressaten umgesetzt zu werden, könne eine Erledigung einzelner Verfahren nicht sinnvoll sein. Reiche die Zeit nicht aus, um alle Einzelfälle zu berücksichtigen, sei es besser, Pauschalierungen der Bearbeitung vorzunehmen, als einzelne Verfahren unerledigt zu lassen56 • Schließlich wird im Rahmen dieser differenzierten Aussagen zur Zulässigkeit einer Standardisierung der Entscheidungsfindung die Ansicht vertreten, daß sie jedenfalls als "Notkompetenz" zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Verwaltung bei allen Aufgaben hingenommen werden müsse57 • Habe diese nur die Wahl, ihre Verpflichtungen entweder gar nicht zu erfüllen oder aber auf Pauschalen zurückzugreifen, sei die letztere Vorgehensweise vorzuziehen, solange dadurch nicht die Substanz der Einzelfallgerechtigkeit betroffen werde58 •
55 Grimmer, in: Reinermann 1985, S. 305 (316); derselbe, ÖVD 84, Heft 11, S. 83 (86); Horn, S. 126; Brinckmann, Formulare, S. 249. Nach Brinckmann, Verwaltungsautomation, S. 54 f. bestimmt die betroffene Verwaltungsaufgabe sowohl, ob eine Standardisierung überhaupt zulässig ist, als auch, welches Format dabei zu wählen ist. Nach Grimmer, Die Verwaltung 90, S. 25 (40) ist vor allem die Standardisierung der Sozialhilfe bedenklich. 56 Amdt, S. 84 für die Beispiele des Steuer- und Sozialrechts; es sei mit Art. 20 m GG nicht vereinbar, wenn zwar der isolierte Einzelfall gesetzestreu erfüllt, die Intention des Gesetzes nach einem zeitgerechten Gesamtvollzug aber verfehlt werde.
57 Bull, Verwaltung, S. 110; Maller-Heidelberg, Recht im Amt 70, S. 101 (103); Amdt, S. 150 geht davon aus, daß bei einem "Vollzugs-Notstand" Schernatisierungen sogar von der Verfassung geboten sind, eine ausdrückliche Ermächtigung der Verwaltung sei daher ohne jeden Nutzen; kritisch zu einem solchen "Vollzugs-Notstand" Grimmer, in: Reinermann 1985, S. 305 (316). Gegen eine derartige "Notkompetenz" spricht schon, daß die Überlastung der Verwaltung in einzelnen Bereichen ein Dauerzustand ist und deshalb auch eine Dauerkompetenz angenommen werden müßte. 58
Sendler, in: Reinermann, S. 165 (170); Simitis, Informationskrise, S. 128.
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2. Teil: Hauptteil
lsensee dagegen bejaht weitgehend die Zulässigkeit von Standardisierungen. Nach seiner Ansicht kann nur eine effiziente59 Verwaltung auch eine rechtsund sozialstaatliche Verwaltung sein. Er schätzt die Gefahr eines Mißbrauchs durch Schematisierungen geringer ein als die Folgen zeitlich verzögerter Bescheide, durch welche die staatliche Hilfe vollständig entwertet werden könnefiO • Die Verwaltung dürfe nicht auf eine Entlastung durch den Gesetzgeber warten, sondern müsse sofort handeln. Dabei hebe eine Typisierung die Gesetzesbindung der Verwaltung nicht auf, sondern lockere sie nur, indem sie die Einzelfall-Legalität durch eine Normalfall-Legalität ersetze. Wo "Dienst nach Vorschrift" ein Mittel des Arbeitskampfes sei, könnten Entlastungsversuche nicht illegitim sein61 •
(b) Entscheidung Eine solche Argumentation erscheint aber bedenklich. Es ist nicht ersichtlich, wie es zwischen Erfüllung und Nichterfüllung der gesetzlichen Aufgabe noch eine Zwischenstufe der "Lockerung" geben könnte. Gerade im Respekt vor dem Einzelfall zeigt sich die Humanität der Rechtsordnung62 , die soziale
59 Unter Effizienz ist dabei im hier fraglichen Zusammenhang nicht nur die Zielerreichung mit geringstmöglichem Aufwand zu verstehen; vielmehr muß eine effiziente Verwaltung auch die Eignung des Verfahrens zur Verwirklichung der verfassungsgestaltenden Grundentscheidungen berücksichtigen (Mutius, NJW 82, S. 2150 (2151); Ossenbahl, NVwZ 82, S. 465 (469); Degenhan, OVBI. 82, S. 872 (872); Gagel/ Gagei, APG, vor § 142 Rn. 13). Das BVerfti verwendet den Begriff der EffIZienz in einem dreifachen Zusammenhang, nämlich zur Auslegung materieller Grundrechtsgewährleistungen, bei der Interpretation des Art. 19 IV GG und als Klammer zwischen dem materiellen Recht und dem Prozeßrecht (Amdt, S. 103). Umstritten ist, ob es sich bei der Effizienz um ein Rechts- bzw. Verfassungsprinzip handelt (ablehnend Degenhart, OVBI. 82, S. 872 (884) und Clemens, NIW 85, S. 1998 (2004); bejahend Steinberg, OÖV 82, S. 619 (621) und Horn, S. 159. Schenke, VblBW 82, S. 313 (316) sieht den Verfassungsbezug in Art. 20 11 und Art. 114 GG. fiO Isensee, S. 19. Ostennann, Stiidtetag 88, S. 662 (663). Umstritten ist aber, ob die Zulässigkeit einer Standardisierung Auswirkungen auf die Gerichtskontrolle haben kann, das heißt, ob dort die Gerichte von der Rechtmäßigkeit der solchennaßen entstandenen Verfiigung ausgehen müssen. Isensee, S. 183, Lazaratos, S. 114 und Wolff / Bachof, S. 187 verneinen dieses; Amdt, S. 60 will dagegen auch die Verwaltungsgerichte an einen derartigen "Vollzugs-Notstand" der Verwaltung binden; 'es läge hier keine Verletzung eines subjektiven Rechtes vor, die allein zur Begründetheit einer Klage fuhren könne.
61 Isensee, S. 156, 159; ein entsprechendes Bedürfnis der Verwaltung konstatiert auch Gagel / Gagei, APG, vor § 142 Rn. 51.
62
Simitis, Infonnationskrise, S. 103, 128; derselbe, Automation, S. 21.
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Komponente des Rechtsstaatsprinzips. Diese wäre betroffen, wenn man eine "Normalfall-Legalität" als ausreichend akzeptieren würde. Unter diesem Aspekt ist auch der Ansatz Kerkaus höchst bedenklich. Er hält Schematisierungen deshalb für zulässig, weil sie mittelbar im Interesse des Bürgers als Steuerzahler an der Vermeidung überflüssiger Kosten liegen. Überdies stellt er die These auf, daß bei Massenverfahren dem Bürger eine individuelle Behandlung unerträglich erschiene63 • Mit einer derartigen Argumentation ließe es sich auch rechtfertigen, daß die Verwaltung überhaupt nicht handelt, weil dieses allemal am preiswertesten wäre. Wie sich der Bürger durch eine individuelle, den Besonderheiten seines Falles gerecht werdende Behandlung benachteiligt fühlen kann, bleibt unverständlich. Auf der anderen Seite wird es aber den unbestreitbaren Erfordernissen der Verwaltungspraktikabilität nicht gerecht, wenn man mit Pestalozza64 ein vollständiges Verbot von Standardisierungen aus § 24 11 VwVfG ableitet. Die sicherlich berechtigten Anliegen einer Reorganisation der Verwaltung und einer Fortbildung des Rechts sind eher langfristig anzustrebende Werte, welche für die Verwaltung wenig hilfreich sind, wenn es um den Druck einer konkreten Entscheidungssituation geht. Somit ist die Zulässigkeit von Schematisierungen bei der Sachverhaltsermittlung zur Vorbereitung automatisierter Verwaltungsakte weder pauschal anzuerkennen noch abzulehnen. Erforderlich ist vielmehr eine differenzierte Betrachtungsweise. Wünschenswert wäre es in jedem Fall, wenn der Gesetzgeber die erforderliche Entlastung durch eine Verringerung der Aufgaben oder eine Erhöhung der Mittel bewirken würde. Bis dieses aber geschieht, muß der Verwaltung ein Hilfsmittel an die Hand gegeben werden. Bei der Lösung dieser Fragen gilt es zu beachten, daß von den Regelungen des Art. 3 I GG hier nicht die Primäraussage der Pflicht zur Gleichbehandlung, sondern die sachgerechte Ungleichbehandlung betroffen ist. Dort ist aber der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers größer als bei der ersten Alternative. Eine Überschreitung kommt erst in Betracht, wenn die Gleichbehandlung "unerträglich" ist65 • Zwar folgt aus dieser Kompetenz des Gesetzgebers noch nicht eine ebensolche der Verwaltung, doch ist diese Grundaussage auch hier zu beachten. Eine
63
Kerkau, Recht im Amt 70, S. 201 (202).
64 Pestaloua, Boorberg-FS, S. 185 (188); nach Ossenbühl, NVwZ 82, S. 465 (468) wäre die Verwaltung ohne Schematisierungen gar nicht funktionsfähig. 65
BVerfGE 16, 6 (25); 4, 144 (155); 3, 58 (136).
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2. Teil: Hauptteil
Erträglichkeit der Gleichbehandlung ist dabei am ehesten gewährleistet, wenn man auf die konkret betroffene Aufgabe abstellt. Was bei der Hundesteuer noch hingenommen werden kann, wird bei der Sondernutzungserlaubnis bedenklich und bei der Rentenberechnung unerträglich. Hier ist, auch um den Preis der Vernachlässigung anderer Aufgaben, eine individuelle Behandlung der anstehenden Fälle unabdingbar66 , weil es sich für den Betroffenen um existenzwichtige Fragen handelt. Vorzugswürdig erscheint so in der Tat die Zulässigkeit von Standardisierungen nach einem System "abgestufter 'lYpensensibilität"67. Soweit wie möglich sollte eine verstärkte Kommunikation zwischen der Verwaltung und ihren Klienten Beschränkungen der Amtsermittlung überflüssig machen. Auf dieser Ebene kann der Übergang von der Automation zur Informations- und Kommunikationstechnik strukturelle Mängel des bisherigen Verfahrens für die Zukunft beheben. Zudem dürfte bereits heute der legitime Anwendungsbereich für Schematisierungen rückläufig sein, weil die hohe Speicherkapazität und schnelle Zugriffszeit moderner Geräte differenzierte Programmgestaltungen zulassen. Diese sollten in jedem Fall zu einer Verbesserung der Annäherung an den Einzelfall genutzt werden. 3. Zusammenfassung
Die vorstehenden Untersuchungen der Amtsermittlung zur Vorbereitung des automatisierten Verwaltungsaktes haben die Vermutung bestätigt, daß grundlegende Probleme nicht nur beim eigentlichen Geräteeinsatz, sondern auch in seinem Vorfeld auftreten. Die anschließende maschinelle Bearbeitung wirkt sich auf den verbleibenden Bereich manueller Tätigkeiten aus und strukturiert diesen nach ihren Gesetzmäßigkeiten. Daher lassen sich die Probleme des automatisierten Verwaltungsaktes nicht auf den eigentlichen Bereich der Tätigkeit der Maschine beschränken, sondern müssen auch diese Vorwirkungen berücksichtigen.
66 Die Praxis ist dagegen auch hier eine andere. Wie Grimmer, RechtsvelWirklichung, S. 36, 61 berichtet, werden trotz eines ungeklärten Versicherungsverlaufs massenhaft Rentenbescheide erlassen. Bereits beim Kontenldärungsverfahren nach § 1325 RVO, welches unmittelbare Auswirkungen auf die Festsetzung der späteren Rente hat, erfolgen hier Versäumnisse, die ihre Ursache in einer unzureichenden Einbeziehung des Versicherten in das Verfahren haben. 67 Vergleiche hierzu S. 125; mit MaUer-Heide/berg, Recht im Amt 70, S. 101 (104) ist aber zu beachten, daß auch bei einer grundsätzlichen Zulässigkeit von Standardisierungen der einzelne VelWaltungsakt rechtswidrig sein kann. Zu den Folgen einer zulässigen Schematisierung auf das Widerspruchsverfahren und die Gerichtskontrolle siehe S. 230-231, 241 ff.
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Dabei ist zu beachten, daß die Effektivität der Amtsermittlung schon dadurch strukturell abgeschwächt ist, daß die Behörde zugleich Ermittlungsinstanz, Partei und Vollstreckungsorgan ist. ED V-Verfahren könnten dabei eine weitere Verringerung der Genauigkeit der Ermittlungen bewirken. Zwar führt der Einsatz von Informationssystemen dazu, daß der Verwaltung mehr Daten zur Verfügung stehen alsje zuvor. Diese theoretische Möglichkeit wird jedoch aus Zeitmangel nicht genutzt. Nicht zuletzt aus dieser Erwägung heraus wurde der Gedanke einer umfassenden Integration der Datenverarbeitung aufgegeben. In der Praxis automatisierter Verwaltungsverfahren dominieren die Gefährdungen der Verpflichtung zu umfassenden Ermittlungen. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang zunächst die sich abzeichnende Tendenz, die Entscheidungsgrundlagen allein aus den leicht erreichbaren elektronischen Speichermedien zu gewinnen. Verloren geht dabei der persönliche Eindruck von einem Fall, wie ihn nur das direkte Gespräch zu vermitteln vermag. Von besonderer Bedeutung ist aber auch der verstärkte Einsatz von Formularen. Hier sind es vor allem die enge Beschränkung der erwünschten Informationen ohne Rücksicht auf die Mitteilungsbedürfnisse des Bürgers und die Notwendigkeit zur Vornahme juristischer Wertungen, welche erheblichen Bedenken unterliegen. Keinesfalls darf dem überforderten Bürger der Vorwurf mangelnder Mitwirkung an der Sachverhaltsermittlung gemacht werden, wenn ihm beim Ausfüllen derartiger Formulare Fehler unterlaufen. Schließlich kommt es im Zuge automatisierter Verfahren zu einer Zunahme von Standardisierungen bei der Fallbearbeitung. Anders als ein entsprechendes Vorgehen des Gesetzgebers bei der Vorgabe der Aufgabe kann eine solche Fallgruppenbildung wegen ihrer egalitären Wirkungen keinesfalls für den gesamten Bereich des automatisierten Verwaltungsaktes hingenommen werden. Vielmehr ist dieser in ein Gesamtsystem abgestufter Typensensibilität einzufügen. Entscheidend für die Zulässigkeit von Schematisierungen ist die jeweilige Materie mit ihrer Bedeutung für den Betroffenen. Erst in zweiter Linie kommt es auf den Grad der Arbeitsbelastung oder die Abweichung der Pauschale vom Einzelfall an. Als Nebenfolge gilt es zu beachten, daß Standardisierungen auch ein verstärktes Handeln der Verwaltung durch Verwaltungsakte erfordern, um korrekte Angaben für die programmäßige Erledigung zu erhalten68 , während im sonstigen Bereich der Verwaltungstätigkeit eher eine Tendenz zum öffentlichrechtlichen Vertrag verifizierbar ist. Da aber mehr Verwaltungsakte auch
68
Brinckmann, Verwaltungsautomation, S. 81.
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2. Teil: Hauptteil
wieder verstärkt elektronisch erstellt werden müßten, könnte hier ein neuer "Teufelskreis der EDV· entstehen. Insgesamt hat die Automatisierung der Erstellung von Verwaltungsakten im Bereich der Amtsermittlung zu Defiziten geführt, die es bei einem Übergang zur Informations- und Kommunikationstechnik zu beachten und auszugleichen gilt. Diese Technik erleichtert die jederzeitige, ortsungebundene Entscheidungsfindung im Dialog zwischen Verwaltung und Bürger und könnte so dazu beitragen, die Notwendigkeit von Formularen und Standardisierungen abzubauen. Erforderlich ist dazu aber auch eine entsprechende Schulung des Verwaltungspersonals, welche der direkten Kommunikation mit dem Bürger den ihr gebührenden Stellenwert zuweist. Unter Beachtung dieser notwendigen Veränderungen könnte die Amtsermittlung im Zeitalter der Informations- und Kommunikationstechnik eine bis heute ungekannte Genauigkeit erlangen. Die Mitwirkungspflicht des § 26 11 VwVfG könnte sich so aus der Sicht der Betroffenen eher als ein Mitwirkungsrecht darstellen.
IV. Die Anhörung der Beteiligten Das Beteiligtenrecht auf eine Anhörung ist die erste Regelung innerhalb des Verwaltungsverfahrensrechts, bei der bereits der Gesetzgeber in § 28 11 Nr. 4 VwVfG Besonderheiten für einen automatisierten Verwaltungsakt vorgesehen hat. Schon bei Inkraftreten des VwVfG war diese Einschränkung, neben den Regelungen in §§ 37 IV, 3911 Nr. 3 VwVfG, als Reaktion des Gesetzgebers auf die damals schon absehbare fortschreitende Automatisierung im Gesetz enthalten. 1. Die Bedeutung der Anhörung für das Verwaltungsveifahren
Das Recht auf Anhörung ist für die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens von zentraler Bedeutung. Gerade bei einem automatisierten Bescheid besteht in besonderem Maße die Gefahr, daß der Betroffene sich durch den fehlenden persönlichen Bezug zu einem Amtswalter nur als Objekt des Verfahrens fühlt. Aus dieser passiven Rolle soll ihn das durch § 28 I VwVfG gewährte Beteiligungsrecht noch vor Erlaß des Verwaltungsaktes herausheben. Wenn man zudem berücksichtigt, daß Rechtsschutz nicht nur durch die Gerichte, sondern auch durch das Verwaltungsverfahren gewährt werden soll, erweist sich das Anhörungsrecht als eine notwendige Voraussetzung der Verwirklichung dieser Rechtsschutzfunktion69 •
3. Abschnitt: Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten VA
129
Daneben dient die Anhörung aber auch den Interessen der Verwaltung 70 • Sie erhält auf diesem Wege wesentliche Informationen oder kann dem Betroffenen im Falle seiner Untätigkeit vorwerfen, sich nicht rechtzeitig genug in das Verfahren eingebracht zu haben. Wie kaum einer anderen Regelung des Verwaltungsverfahrens kommt dabei der Anhörungspflicht auch eine verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Zwar ergibt sich dieser Bezug nicht aus der Regelung des rechtlichen Gehörs in Art. 103 I GG, weil sich diese Norm nur auf das gerichtliche Verfahren beziehei. Anerkannt ist aber eine Absicherung der Anhörungspflicht durch mehrere andere grundgesetzlich geschützte Rechtspositionen, insbesondere das Rechtsstaatsprinzip72.
In Anbetracht der weitgehenden Anonymisierung der Verwaltungstätigkeit durch den Übergang zu automatisierten Verfahren könnte so eine rechtzeitige und umfangreiche Anhörung die Chance bieten, das Vertrauensverhältnis zwischen der Verwaltung und ihren Klienten zu stärken. In der Praxis ist diese Chance aber nicht genutzt worden, wofür es mehrere Gründe gibt. Zunächst ist der Anwendungsbereich des § 28 I VwVfG nach Ansicht der Rechtsprechung auf Eingriffe in bestehende Rechte beschränkt. Eine Belastung des Antragstellers durch die Ablehnung eines Antrags auf Gewährung einer Leistung wird insoweit vemeint73 • Gerade bei einer solchen Berechnung von Geldleistungen lag aber bisher das Schwergewicht des EDV-Einsatzes in der Verwaltung.
69 Schenke, VblBW 82, S. 313 (320); Bochumer Kommentar zum SGB / Schnapp, SGB, § 34 Rn. 3; Schroeder-Printzen / v. Wulffen, SGB·X, § 24 Anm. 2. Nach Grimmer, in: Kilian, S. 237 (243) dient die Einbeziehung des Einzelnen in das Verfahren nicht nur seinen eigenen Interessen, sondern zugleich der Repräsentierung der Gesellschaft. 70 Wolter, NZWehr. 78, S. 81 (85); Mandelam, DVBI. 83, S. 112 (113); Haeberle, BoorbergFS, S. 47 (71). 11
Obe17llayer, VwR, S. 155; Degenhan, DVBI. 82, S. 872 (877); BT-DS 7 /910, S. 51.
72 Weides, JA 84, S. 648 (648); Mandelam, DVBI. 83, S. 112 (112); OVG Rheinland-Pfalz, DVBI. 85, S. 408 (409); Grimmer, in: Reinermann 1985, S. 305 (313); Maurer, JuS 76, S. 485 (488); BT·DS 7 /910, S. 51; Grüner, SGB-X, § 24 Anm. 7; Schroeder-Printzen / v. Wulffen, SGB-X, § 24 Anm. 2 und Obermayer, VwR, S. 155 stellen zusätzlich auf die Menschenwürde ab. Horn, S. 136 sieht einen Bezug der Anhörung zu sozial staatlichen Pflichten. 73 BVerwG, DVBI. 83, S. 271 (272). Dagegen nehmen mehrere Autoren auch bei der Ablehnung eines Antrags eine Belastung an, z.B. Schenke, VbIBW 82, S. 313 (321); Maurer, JuS 76, S. 485 (488); Horn, S. 136; Bochumer Kommentar zum SGB / Schnapp, § 34 Rn. 7; SchroederPrintzen / v. Wulffen, SGB-X, § 24 Anm. 3. Zu berücksichtigen ist aber, daß unter Umständen schon der Einleitungsantrag als Anhörung begriffen werden kann.
9 Polomski
130
2. Teil: Hauptteil
Weiterhin werden von der Verwaltung externe Eingriffe in das automatisierte Verfahren nur ungern geduldet, weil sie schwer mit der Programmierung in Einklang zu bringen sind. Die Besonderheiten des EDV-Verfahrens bewirken, daß es möglichst nach Beginn der eigentlichen Maschinentätigkeit zu keinen unvorhergesehenen Eingriffen mehr kommen sollte74 , auch nicht, um ein Vorbringen des Betroffenen zu berücksichtigen. Entscheidende Ursache für die regelmäßig fehlende Anhörung in einem automatisierten Verfahren ist jedoch die schon erwähnte Ausnahmevorschrift des § 28 11 Nr. 4 VwVfG. Nach dieser Regelung kann von einer Anhörung abgesehen werden, wenn der Verwaltungsakt mit Hilfe automatischer Einrichtungen erstellt wird und nicht ausnahmsweise die Umstände des Einzelfalls ihre Durchführung erfordern. Auf den ersten Blick erscheint diese Ausnahme unverständlich, weil die Anhörung, anders als etwa die Begründungspflicht und die Unterschrift, nicht zur eigentlichen automatisierten Bescheiderstellung, sondern zu deren Vorbereitung gehört. Wie oben gesehen7S, hat jedoch die anschließende automatisierte Bearbeitung erhebliche Vorwirkungen auf die Amtsermittlung, so daß dem Gesetzgeber auch in diesem Bereich eine Ausnahmeregelung notwendig erschien. Diese Vorschrift gilt es im folgenden auf ihren Umfang und ihre fortdauernde Zulässigkeit unter den Bedingungen einer gewandelten Technik zu untersuchen. 2. Die Regelung der Anhörung bei einer automatisierten Veifagung
a) Vergleichbare Bestimmungen in AO 1977 und SGB-X Zunächst gilt es dabei festzustellen, ob sich in den etwa zeitgleich zum VwVfG verabschiedeten Regelungen der AO 1977 und des SGB-X parallele Vorschriften zu § 28 11 Nr. 4 VwVfG befmden, um die Problemperspektive entsprechend zu erweitern. In der AO 1977 kann eine solche Ausnahme schon deshalb nicht enthalten sein, weil es dort bereits keine, dem § 28 I VwVfG
74 Allerdings führt der technische Fortschritt dazu, daß solche Eingriffe heute leichter möglich sind als etwa bei der offline-Datenverarbeitung im Stapelbetrieb. Wie venneintliche "Bedürfnisse der Praxis" durch technische Weiterentwicldungen obsolet werden können, zeigt auch der Streit um die "Computer-Region" (siehe etwa Krause, Diss. rer. pub!. Speyer, S. 20, 24), das heißt, die richtige räumliche Bemessung des Einzugsbereiches von EDV -Zentralen. Derartigen Argumenten sollte gerade im Bereich der Automation nicht vorschnell nachgegeben werden.
7S
Vergleiche S. 126 ff.
3. Abschnitt: Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten VA
131
entsprechende, grundsätzliche Anhörungspflicht gibt. Diese abweichende Verfahrensgestaltung folgt aus den Besonderheiten des Steuerrechts. Hier würde es sonst zu einer immensen Zahl von Anhörungen kommen, weil die meisten Bescheide belastend sind. Ferner soll bei bestimmten Steuerbescheiden der Überraschungseffekt ausgenutzt werden, ein Gedanke, der auch § 28 11 Nr. 5 VwVfG zugrunde liegt. Damit wäre eine vorherige "Warnung" des Betroffenen in Form der Durchführung einer Anhörung nicht vereinbar. Aufschlußreicher ist ein Vergleich mit dem Sozialrecht, in dem es eine solche grundsätzliche Anhörungspflicht gibt. Sie war in § 34 SGB-AT enthalten, wurde dort aber später gestrichen und in § 24 SGB-X übernommen. Der Regierungsentwurf zum SGB sah zunächst eine dem § 28 11 Nr. 4 VwVfG entsprechende Ausnahme von der Anhörungspflicht für automatisierte Verwaltungsakte vor. Anders als im Gesetzgebungsverfahren zum VwVfG wurde diese Regelung im SGB-AT jedoch bewußt wieder gestrichen, um die Anhörung als wichtigstes Beteiligungsrecht zu stärken76 • Stattdessen läßt heute § 24 11 Nr. 4 SGB-X eine Ausnahme nur dann zu, wenn gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl erlassen werden. Allein die Tatsache der Erstellung mit Hilfe automatischer Einrichtungen ist hier also nicht ausreichend. Damit ist die Regelung des SGB-X besser als § 28 11 Nr. 4 VwVfG für den technischen Fortschritt gewappnet, der es ermöglichen wird, auch bei bestimmten Einzelfällen, welche nicht dem Gesetz der großen Zahl folgen, eine automatisierte Bescheiderstellung vorzunehmen. In diesem Fall bleibt eine Anhörung nach § 24 SGB-X erforderlich, während sie nach dem Wortlaut des § 28 11 Nr. 4 VwVfG entbehrlich wäre. b) Der Begriff der "automatischen Einrichtungen" im Sinne des § 28 11 Nr. 4 VwVfG Zu prüfen ist weiterhin, in welchen Fällen der Gesetzgeber diese Ausnahmevorschrift angewe~det wissen wollte, das heißt, was unter dem Begriff der automatischen Einrichtungen zu verstehen ist, der im übrigen auch in §§ 37 IV, 39 11 Nr. 3 VwVfG, 33 IV, 3511 Nr. 3 SGB-X, 119 IV, 121 11 3 AO 1977 verwendet wird. Insoweit stellt sich der Inhalt dieses Begriffes anders dar, als es dem heutigen Sprachgebrauch entspricht. Ausweislieh der Gesetzgebungsmaterialien zum VwVfG soll damit außer der automatischen Subsumtion auch 76 Zur Veränderung der Anhörungspflicht im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens zum 5GB-AT siehe Bochumer Kommentar zum 5GB / Schnapp, § 34 Rn. 2; GriJner, 5GB-X, § 24 Anm. 7; Hauck / Haines / Hauck, 5GB-X, § 24 Rn. 16; Schroeder-Printzen / v. Wulffen, 5GB -X, § 24
Anm.8.2.
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2. Teil: Hauptteil
der Fall erfaßt werden, daß ein Verwaltungsakt in herkömmlicher Weise erstellt und dann lediglich mit Hilfe technischer Vorrichtungen vervielfältigt wird 77 • Umstritten ist lediglich die Anwendbarkeit auf Schreibautomaten beziehungsweise Speicherschreibgeräte78 , was jedoch infolge der Eignung dieser Geräte zur Vervielfältigung der gespeicherten Texte auf der Linie der gesetzgeberischen Intention zu bejahen sein dürfte. Der vom Gesetzgeber verwendete Begriff der" automatischen Einrichtungen" ist also weiter als der Begriff der Automatisierung, wie er diesen Ausführungen zugrunde gelegt wurde79 , weil er zusätzlich die bloße Vervielfältigung erfaßt. Andererseits ist er im Bereich der automatischen Subsumtion aber auch enger, weil der Gesetzgeber nur von solchen Anwendungsfällen ausging, bei denen keinerlei persönliche Wertung erforderlich ist80 , also in erster Linie von Rechenoperationen. Diesen Bereich hat der automatisierte Verwaltungsakt aber längst überschritten. Durch diese Ausweitung der technischen Möglichkeiten könnte aus der Ausnahme die Regel geworden sein. Die grundsätzlich durch § 28 I VwVfG geforderte Anhörung könnte in der Praxis leerlaufen, weil immer mehr Verwaltungsakte im Wege des § 28 11 Nr. 4 VwVfG erstellt werden. Wenn man dabei berücksichtigt, daß die Anhörungspflicht auch verfassungsrechtliche Bezüge hat, stellt sich die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des § 28 11 Nr. 4 VwVfG.
77 Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum VwVfG, BT-DS 7 I 910, S. 59. Bestätigt wird diese Auslegung von Knack I Schwarze, VwVfG, § 37 Rn. 4.1; Obermayer, VwVfG, § 37 Rn. 63; Hübschmann I Spanner, AO 1977, § 119 Rn. 19; Giese I Pla/h, AO 1977, § 119 Anm. 4; Grüner, SGB-X, § 33 IV Anm. 1; Klein I Orlopp I Brockmeyer, AO 1977, § 119 Anm. 5. 78 Bejahend Knack I Schwarze, VwVfG, § 39 Rn. 3.2; ablehend dagegen Srelkens I Bonk, VwVfG, § 28 Rn. 49; Knack I Clausen, VwVfG, § 28 Rn. 4.4; Stelkens I Stelkens, § 37 Rn. 42; Schmitz, Verwaltungsrundschau 91, S. 213 (214). Grüner, SGB-X, § 33 IV Anm. 1 differenziert danach, ob das Speicherschreibgerät mit einer Datei verbunden ist oder nicht. 79
Vergleiche dazu S. 24.
80
Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum VwVfG, BT-DS 7 I 910, S. 59.
3. Abschnitt: Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten VA
133
3. Die Veifassungsmäßigkeit des § 28 Il Nr. 4 VwlJ'G a) Das Verhältnis zwischen Bestimmungen des VwVfG und dem Grundgesetz Zur Prüfung dieser Frage muß zunächst die Bedeutung des Grundgesetzes für das Verwaltungsverfahren bestimmt werden. Dabei gilt es festzustellen, inwieweit grundgesetzliche Gewährleistungen Auswirkungen auf ihre speziellen Ausprägungen im VwVfG haben. Dieser Einfluß ist gerade auch für automatisierte Verfahren von besonderem Interesse, weil es auf der Ebene der Verfassung, nicht nur beim Datenschutzrecht, wichtige Tendenzen zur Reglementierung von Technik gibt81 • Naturgemäß war der verfassungsrechtliche Rückhalt von Verfahrensregelungen vor der Kodifikation des VwVfG besonders wichtig, um deren Beachtung zu sichern. Auch heute noch sind jedoch die Einflüsse des Grundgesetzes auf das Verfahrensrecht von erheblicher Tragweite. Sie können entweder die Ausbildung eines neuen Verfahrens erfordern oder aber reglementierend auf bestehende Verfahren einwirken, indem sie deren Regelungen erweitern oder beschränken82 • Der letztgenannte Teilaspekt ist für die Überprüfung der automationsbedingten Sonderregelungen im VwVfG von besonderem Interesse. Bei dieser Reglementierung bestehender Verfahren durch das Grundgesetz kommt wiederum den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten83 Grundsätzen zum "Grundrechtsschutz durch Verfahren" eine besondere Bedeutung zu.
81 Siehe dazu BVerfGE 63, 131 (142); 35, 202 (220); 27, 1 (6); 79, 256 (268). Nach Ossenbahl, NVwZ 82, S. 465 (465) ist das Verfahrensrecht durch die Automation wieder zu einem zentralen Thema geworden. 82 Maurer, JuS 76, S. 485 (496); Bethge, NJW 82, S. 1 (5); Ossenbühl, NVwZ 82, S. 465 (467). Nach Haeberle, Boorberg-FS, S. 47 (50, 54 f.) kommt es dariiber hinaus zu einer Wechselwirkung zwischen Vwvro und GG, das heißt, in der praktischen Anwendung im Verwaltungsverfahren werden neue Erfahrungen gesammelt, die dann wiederum auf die Auslegung der abstrakten Verfassungsprinzipien zuriickwirken. 83 Die Entwicklung begann mit dem DOG-Urteil (BVerfGE 24, 367 ff.), in dem erstmals der Anspruch auf ein gerichtliches Verfahren nicht aus Art. 19 IV GG, sondern aus Art. 14 I GG abgeleitet wurde. Diese Ansicht wurde in der Folgezeit auf alle Grundrechte ausgedehnt, um dann im Mühlheim-Kärlich-Urteil (BVerfGE 52, 380 (389» vom Gerichtsverfahren auf das Verwaltungsverfahren übertragen zu werden. Zur Entwicklung des "Grundrechtsschutzes durch Verfahren" siehe auch Mutius, NJW 82, S. 2150 (2153); Bethge, NJW 82, S. 1 (5); Amdt, S. 111 f.; Degenhan, DVBI. 82, S. 872 (886).
134
2. Teil: Hauptteil
Nach dieser häufig kritisierten84, heute aber schon fast gewohnheitsrechtlich anerkannten Ansicht sichert jedes Grundrecht auch ein Verfahren zu seiner Verwirklichung. Die Verletzung von Verfahrensrechten kann so zugleich eine Verletzung des Grundrechtes darstellen85 • Hinter mehreren Bestimmungen des VwV fG ist ein solcher verfassungsrechtlicher Hintergrund erkennbar. Betroffen sind hiervon zum Beispiel die §§ 10, 20, 21, 25 und insbesondere die §§ 28-30 VwVfG 86 • Dabei bedeutet dieser Bezug zum Grundgesetz zwar nicht, daß alle Einzelheiten der notwendigen Verfahrensregelung unmittelbar aus der Verfassung zu entnehmen sind; auch bleibt die Verfahrensnorm trotz dieses Hintergrunds eine solche des einfachen Rechts und erlangt nicht etwa selbst Verfassungsrang81 • Gleichwohl kommt diesen Vorschriften dadurch eine besondere Bedeutung zu, daß sie der Disposition des Gesetzgebers nur begrenzt zugänglich sind, der sich ansonsten bei der Kodifikation des Verwaltungsverfahrensrechts über Forderungen der Rechtsprechung und Lehre hinwegsetzen durfte und dies teilweise auch getan hat88 •
84 Kritisiert wird vor allem, daß das BVerfG offen gelassen habe, welche Teile des VwVfG verfassungsrechtlich relevant sind und wie das Verhältnis dieser neuartigen Grundsätze zu Art. 19 IV GG ist (Mutius, NJW 82, S. 2150 (2152); OssenbUhl, NVwZ 82, S. 465 (468); Schenke, VblBW 82, S. 313 (318). Amdt, S. 109 zweifelt aus gesetzessystematischen Griinden an der Möglichkeit eines Grundrechtsschutzes durch Verfahren. Bethge, NJW 82, S. 1 (2) schließlich geht davon aus, daß es sich bei diesen Grundsätzen nur um einen plastischen Begriff ohne juristischen Abgrenzungswert handelt. Bei aller berechtigten Kritik gilt es aber zu beriicksichtigen, daß auch das BVerfG keine Ablösung von der Notwendigkeit einer Betroffenheit subjektiver Rechte vollzogen hat; ein allgemeiner Anspruch auf eine bestimmte Verfahrensgestaltung wird durch diese Grundsätze nicht gewährt.
85 BVerfGE 52,380 (389); 53, 30 (65); zustimmend Mutius, NJW 82, S. 2150 (2152, 2157) und Grimmer, in: Reinermann 1985, S. 305 (307). Krebs, DVBI. 84, S. 111 (115) spricht statt von einer Grundrechtsverletzung von einer Grundrechtsbelastung. Zur Veränderung der Verwirklichungsbedingungen von Grundrechten durch Technik siehe Roßnagel, Technik und Recht, in: Roßnagel, S. 9 (10); derselbe, Möglichkeiten, in: Roßnagel, S. 177 (177); Wedde, in: Roßnagel, S. 67 (82); Haefner, in: Roßnagel, S. 31 (32); Lennanz, Recht der Datenverarbeitung 89, S. 225 (226); Grimmer, in: Kilian, S. 237 (239).
86 Zum Bezug zwischen einzelnen Nonnen des VwVfG und dem GG siehe Haeberle, Boorberg-FS, S. 47 (55 ff.); OssenbUhl, NVwZ 82, S. 465 (467); Degenhart, DVBI. 82, S. 872 (877, 879). Als verfassungsrechtlich problematisch sieht Haberle, S. 23, 67 vor allem die §§ 23, 48 D VwVfG an. 87
OssenbUhl, NVwZ 82, S. 465 (470 f.); Maurer, JuS 76, S. 485 (497).
So z.B. bei § 48 DI VwVfG (Haeberle, Boorberg-FS, S. 47 (78» sowie teilweise auch bei der Definition des Verwaltungsaktes (Meyer I Borgs I Meyer, VwVfG, § 35 Rn. 1). 88
3. Abschnitt: Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten VA
135
Bei einer Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 28 II Nr. 4 VwVfG ist daher zu fragen, ob der Gesetzgeber mit dieser Regelung seinen Spielraum überschritten hat, beziehungsweise ob eine derartige Verletzung nachträglich durch die Ausweitung der Anwendungsmöglichkeiten für "automatische Einrichtungen" eingetreten ist. b) Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 28 II Nr. 4 VwVfG Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 28 II Nr. 4 VwVfG werden in der Literatur unterschiedliche Ansichten vertreten. Zum Teil wird diese Einschränkung der Anhörungspflicht vorbehaltslos mit dem Argument gebilligt, daß sie in besonderem Maße den Erfordernissen der Praxis entspreche89 • So geht auch die Begründung zum Gesetzesentwurf des VwVfG davon aus, daß eine Anhörung die Behörde in diesen Fällen zu sehr belasten würde90 • Nach Bonk besteht damit zwar theoretisch die Gefahr einer Umgehung der ungeliebten Anhörung, in der Praxis schütze aber bereits der hohe Programmierungsaufwand die Betroffenen vor solchen Manipulationen91 • Auf der gleichen Linie liegen diejenigen Autoren, die eine Anhörung bei einem automatisierten Verwaltungsakt nur dann fordern, wenn eine Vermutung für das Vorliegen besonderer Umstände besteht92 • Bereits nach der gesetzlichen Systematik ist die Erstellung mit Hilfe automatischer Einrichtungen nur ein Beispiel dafür, daß eine Anhörung nach den Umständen des Einzelfalles nicht geboten ist. Soweit der Verwaltung daher trotz der automatisierten Erstellung besondere Umstände bekannt sind, ist eine Anhörung geboten und deshalb bereits nach dem Gesetz erforderlich, so daß im Ergebnis auch diese Ansicht die gesetzliche Regelung vollständig billigt. Andere Autoren bilden dagegen Fallgruppen, in denen trotz einer automatisierten Erstellung des Verwaltungsaktes eine Anhörung generell erforderlich
89 Obermayer, VwR, S. 155; Schenke, VblBW 82, S. 313 (321); Achterberg, S. 525. Maurer, JuS 76, S. 485 (488) verweist darauf, daß der Betroffene in Form des Widerspruchsverfahrens eine individuelle Priifung erreichen könne; auf diese Behauptung wird noch zuriickzukommen sein, siehe S. 229 ff.
90
BT-DS 7 I 910, S. 52.
91 SteLkens I Bonk, VwVfG, § 28 Rn. 49; Lazaratos, S. 190 geht hier zusätzlich von einem Verstoß gegen § 10 VwVfG aus.
92
Weides, JA 84, S. 648 (655); OVG Rheinland-Pfalz, DVBl. 85, S. 408 (409); Obermayer,
Vwvro, § 28 Rn. 85.
136
2. Teil: Hauptteil
sein soll. So bejaht Wolter ihre Notwendigkeit im Wehrrecht'l3, während Degrandi94 ihre Entbehrlichkeit jedenfalls beim Bußgeldbescheid als problematisch ansieht. Schließlich wird eine solche Anhörungspflicht, ohne Bezug zu einer konkreten Materie, immer dann für notwendig gehalten, wenn "wesentliche Rechte" des Betroffenen auf dem Spiel stehen95 • In einer dritten und letzten Gruppe sind diejenigen Autoren zusammenzufassen, die generelle rechtsstaatliche Bedenken gegen diese Ausnahme von der Anhörungspflicht haben. Für die Anwendung des § 28 11 Nr. 4 VwVfG könne nicht die technische Prozedur der Erstellung, sondern nur der Inhalt des Verwaltungsaktes maßgeblich sein96 • Soweit danach ohne einen Einsatz der Maschine eine Anhörung erforderlich sei, bedürfe es besonderer, unabweislicher Gründe für ihr Unterlassen. Nicht ausreichend seien dafür EDV-Notwendigkeiten oder Rationalisierungserwägungen. Andere Autoren schließlich gestehen zwar ein, daß eine solche Regelung besonders praxisnah ist. Dennoch sei sie aber angesichts der steigenden Einsatzmöglichkeiten für derartige Geräte rechtsstaatlich bedenklich97 • Insbesondere sei zu beachten, daß die Schutzwürdigkeit des einzelnen Bürgers nicht deshalb geringer ist, weil sich auch andere Bürger in der gleichen Lage befinden98 •
In der Tat verdient das letztgenannte Argument besondere Beachtung. Wie schon im Bereich der A~tsermittlung besteht auch hier die Gefahr, daß auf rechtliche Schwierigkeiten beim Einsatz derartiger Geräte nicht mit technischen Änderungen oder einem Verzicht auf ihre Benutzung, sondern mit Verkürzungen für Rechtspositionen des Einzelnen reagiert wird. Nur aus der Sicht der Behörde liegen mehrere einheitliche Verwaltungsakte vor, nur für sie ist ein
93 Wolter, NZWehr. 78, s. 81 (87) aus Gründen der Gleichbehandlung aller Wehrpflichtigen und in einem Umkehrschluß aus § 95 I VwVfG.
94
Degrandi, S. 99; vergleiche aber § 55 IOWiG.
95 Kopp, VwVfG, § 28 Rn. 50; OVG Rheinland-Pfalz, OVBI. 85, S. 408 (409) in Bezug auf das Eigentumsrecht. 96
Stelkens I Bonk, VwVfG, § 28 Rn. 49; ähnlich Bochumer Kommentar zum SGB I Schnapp,
§ 34 Rn. 19.
97 Knack I Clausen, VwVfG, § 28 Rn. 4.4; Lazaratos, S. 196; Wolter, NZWehr. 78, S. 81 (86); nach Grimmer, in: Reinennann 1985, S. 300 (307) und dem HessVGH, OÖV 68, S. 356 (356) kann in der Vernachlässigung von Interessen des Bürgers an einer Verfahrensbeteiligung gegenüber dem Beschleunigungsinteresse der Verwaltung sogar eine Verletzung des Art. 1 I GG liegen. Nach Buli, Verwaltung, S. 92 ist Art. 1 I GG sogar die "wichtigste Waffe" gegen eine übermäßige Technisierung. Ablehnend dazu Berg, Oiss. jur. Köln, S. 62 und Haft, S. 66. 98
Kopp, VwVfG, § 28 Rn. 48; Haeberle, Boorberg-FS, S. 47 (71).
3. Abschnitt: Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten VA
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Verzicht auf die Anhörung von Interesse. Der Bürger hingegen ist ganz individuell durch den konkreten Bescheid betroffen. Niemand käme auf die Idee, die Folgen der Nichtbeachtung eines Verwaltungsaktes nur deshalb zu relativieren, weil auch andere Personen der behördlichen Weisung keine Folge leisten. Auch erscheint es bedenklich, beim Verfahren der Erstellung so sehr das Gemeinsame mehrerer Bescheide, bei der Gerichtskontrolle aber den Einzelfall zu betonen99 • Hinzu kommt eine enorme Ausweitung der Anwendungsmöglichkeiten dieser Norm durch den Fortschritt der Technik. Wie Achterberg 100 überzeugend darlegt, liegt ihr der Gedanke zugrunde, daß bei derartigen Maßnahmen der betroffene Personenkreis sehr groß ist. Zudem waren in den vom Gesetzgeber zugrunde gelegten Fällen von einer Anhörung kaum neue Erkenntnisse zu erwarten, da es sich um standardisierte, seit Jahren eingeübte Vorgänge und Entscheidungen handelte. Diese Annahme gilt aber nur für dem technischen Standard der 70er Jahre. Die vom Gesetzgeber in Form des § 28 11 Nr. 4 VwVfG vorgenommene Abwägung zwischen der Effektivität der Verwaltung und dem Rechtsschutz des Betroffenen mag dort ihre Berechtigung gehabt haben. Schon die Ausweitung der Automation und erst recht der Übergang zur Informations- und Kommunikationstechnik führt jedoch zu einer grundlegenden Veränderung in den Ausgangspunkten dieser Abwägung. Die von Bonk 101 betonte Beschränkung von Umgehungsmöglichkeiten durch einen hohen Programmierungsaufwand verliert schleichend ihre Wirksamkeit. Dennoch ist es nicht notwendig, § 28 11 Nr. 4 VwVfG mit dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit zu versehen. Das Rechtsstaatsprinzip verbietet nicht per se jegliche Einschränkung der Anhörungspflicht. Bedenklich wird diese Ausnahmevorschrift aber dann, wenn sich die durch sie bewirkte Abschwächung der Rechtsschutzfunktion des Verwaltungsverfahrens auf der Ebene der Gerichtskontrolle fortsetzt lO2 • Dann könnte die Kumulation von Beeinträchtigungen des Betroffenen in der Tat verfassungsrechtlich bedenklich werden. Notwendig ist aber auch ohne eine solche Berücksichtigung der Probleme der Gerichtskontrolle eine enge Auslegung des § 28 11 NT. 4 VwVfG über das 99
Siehe dazu S. 240, 241.
100
Achterberg, S. 525.
101
Stelkens I Bank, VwVfG, § 28 Rn. 49.
102 Zur gerichtlichen Kontrolle des automatisierten Verwaltungsaktes siehe ausführlich S. 237. Auch gilt es zu beachten, daß eine Anhörung dazu beitragen kann, die Überzeugungskraft der Entscheidung zu erhöhen und so die Anzahl der Rechtsbehelfe zu verringern.
138
2. Teil: Hauptteil
Merkmal der "Gebotenheit " . Dafür spricht bereits die systematische Stellung. Ferner ist die "Geschäftsgrundlage" dieser Regelung zu berücksichtigen. Nur dort, wo es sich auch heute noch um eine große Zahl von Anhörungen handeln würde, in denen Auskünfte des Betroffenen zudem keine neuen Erkenntnisse versprechen, kann diese gesetzliche Wertung zugunsten der Effektivität der Verwaltung eine fortlaufende Berechtigung haben. Wo hingegen automatische Einrichtungen einen immer größer werdenden Anwendungsbereich erhalten, muß es bei der Grundaussage des § 28 I VwVfG bleiben, zumal die Informations- und Kommunikationstechnik die Durchführung dieser Anhörung wesentlich erleichtert und beschleunigt. Versäumnisse in diesem Bereich dürften, zusammen mit den Standardisierungstendenzen der EDV I03 , der Hauptgrund für die verbleibende Fehlerquote bei automatisierten Bescheiden sein. Auch gilt zu es zu beachten, daß die Durchführung einer Anhörung häufig die einzige Chance darstellt, um zu erkennen, ob der konkrete Fall einer Standardisierung zugänglich ist. Gerade weil der Übergang zu elektronischen Speicherungen die Gefahr in sich birgt, daß weniger einzelfallbezogene Informationen erhoben werden lO4 , kann man in einer Stärkung des Anhörungsrechts ein wichtiges Korrelat für den technischen Fortschritt sehen. Besonders kritisch ist die gesetzgeberische Entscheidung für eine Einbeziehung bloßer Vervieltältigungsanlagen in den Begriff der "automatischen Einrichtungen". Deren Verwendung ist vom Zeitpunkt der notwendigen Anhörung noch weiter entfernt als die automatisierte Subsumtion, weil sie erst nach der Erstellung des Bescheides erfolgt. Wenn diese Vervieltältigungsmöglichkeiten durch den technischen Fortschritt eine erhebliche Ausweitung erfahren, muß zur Wahrung dieses wichtigen Beteiligungsrechts, entgegen der gesetzgeberischen Intention, eine verfassungskonformelos Restriktion des § 28 11 Nr. 4 VwVfG erfolgen. Anders als beim Einsatz zur Subsumtion ist in diesem Bereich das Merkmal "mit Hilfe automatischer Einrichtungen" nicht einmal mehr geeignet, als Beispiel für eine Entbehrlichkeit der Anhörung zu dienen.
103
Vergleiche dazu S. 114, 120 ff.
104
Siehe hierzu S. 114.
lOS Zu den Möglichkeiten einer verfassungskonfonnen Auslegung siehe aus der neuesten Rechtsprechung BVerfG, OVBI. 91, S. 376 (378). Danach ist eine Nonn nur dann verfassungswidrig, wenn keine nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende Auslegung möglich ist; siehe auch BVerfGE 69, 1 (55) und Achterberg, S. 317; ferner Bogs, S. 15, der darin nicht nur eine Interpretationsregel, sondern auch einen Grundsatz des Verwaltungsprozeßrechts sieht und eine Parallele zu § 140 BGB zieht (a80., S. 17).
3. Abschnitt: Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten VA
139
4. Resümee Das durch Rechtsstaatsprinzip und Menschenwürde verfassungsrechtlich beeinflußte Beteiligungsrecht der Anhörung ist in einem automatisierten Verfahren von besonderer Bedeutung, um den Betroffenen aus seiner Objektrolle zu heben und das Vertrauensverhältnis zur Behörde zu stärken. Auch ist eine Anhörung selbst im Fall einer vollständigen Automatisierung des Verfahrens problemlos möglich, indem man dem Betroffenen zunächst die Absicht mitteilt, ein derartiges Verfahren einzuleiten und dann eine gewisse Frist verstreichen läßt lO6 • Durch eine derartige Vorgehensweise wird vermieden, daß die Verwaltung zur Berücksichtigung der erhaltenen Informationen in die laufende automatisierte Verarbeitung eingreifen muß, was häufig nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich ist. Vor diesem Hintergrund erscheint es zweifelhaft, gerade im Bereich der Automation durch § 28 11 Nr. 4 VwVfG eine weitreichende Ausnahme von der Anhörungspflicht vorzusehen, deren Folgen für den Betroffenen durch den Übergang zur Informations- und Kommunikationstechnik und durch automationsbedingte Veränderungen der Gerichtskontrolle noch verstärkt werden könnten. Zu beachten ist jedoch, daß der Verfassungsbezug dem gesetzgeberischen Handlungsspielraum nur gewisse äußerste Grenzen setzt, nicht aber selbst eine bestimmte Regelung vorschreibt. Daher ist es verfassungsrechtlich nicht zwingend zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber typisierte Ausnahmen vom Anhörungszwang statuiert. Bedenklich wird eine solche Vorschrift aber dann, wenn die Ausnahme zur Regel wird, weil immer mehr Verwaltungsakte solchermaßen erlassen werden können. Diese Ausweitung dürfte jedoch bei richtigem Verständnis des § 28 11 Nr. 4 VwVfG bereits nach dem Inhalt des einfachen Rechts nicht mehr von der Norm erfaßt sein. "Geboten" sein kann ein Verzicht auf ihre Durchführung nur im Bereich der Massenverfahren, weil nur dort die Annahme zutreffen kann, daß es sich um eine große Zahl von Anhörungen handeln würde, die zudem keine neuen Erkenntnisse versprechen. Wo sich neue Bereiche der Verwaltungstätigkeit zu Massenverfahren entwickeln, gilt es zum einen zu beachten, daß der Gesetzgeber nur solche Einsatzformen erfaßt wissen wollte, bei denen keinerlei persönliche Wertung erforderlich ist 107 • Zum anderen ist in dem solchermaßen verbleibenden Bereich an die Möglichkeit einer verfassungskonformen Restriktion zu denken. Häufig sind in derartigen Fällen aber auch
s.
106
Degrandi,
107
BT-DS 7 I 910.
100.
140
2. Teil: Hauptteil
schon Spezialregelungen der Anhörung zu beachten, wie zum Beispiel § 12 I 2 AsylVfG oder § 1411 1 KDVNG. Mit der Ausdehnung der technischen Möglichkeiten wird sich daher der Anwendungsbereich des § 28 11 Nr. 4 VwVfG nicht in gleicher Weise erweitern. Aus KlarsteIlungsgründen gilt es zu erwägen, ob nicht das früher als Begrenzungskriterium gedachte und geeignete Merkmal der Erstellung mit Hilfe automatischer Einrichtungen entfallen sollte und stattdessen, wie in § 24 11 Nr. 4 SGB-X, explizit auf das Erfordernis einer größeren Zahl abgestellt wird, wenngleich auch dieses Kriterium unter einer gewissen Unbestimmtheit leidet und mit Problemen der sachgerechten Gleichbehandlung belastet ist lO8 • Eine derartige, zwar nicht inhaltlich veränderte, wohl aber konkretisierte Norm wäre bei der sich abzeichnenden Entwicklung der technischen Möglichkeiten besser geeignet, das Beteiligungsrecht der Anhörung effektiv zur Geltung zu bringen. Wirkungsvoller als eine Revision des § 28 11 Nr. 4 VwVfG wäre aber die Stärkung durch eine Aufhebung des § 45 I Nr. 2 VwVfG beziehungsweise eine Ausdehnung der Anhörungspflicht auf die Leistungsverwaltung. V. Die Formvorschriften bei einem schriftlichen Verwaltungsakt
1. Einführung
Nach § 37 11 VwVfG kann ein Verwaltungsakt schriftlich, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Außerhalb des polizeilichen Einschreitens ist jedoch der schriftliche Erlaß aus Gründen der Klarheit des Inhalts der Regelfall 109. Dies gilt auch für den automatisierten Verwaltungsakt, bei dem praktisch nur die Ampelregelung llO als Gegenbeispiel genannt werden kann. In wesentlichen Teilen seines Anwendungsbereiches folgt eine Verpflichtung zum schriftlichen Erlaß schon aus dem Gesetz, so aus § 157 AO 1977 für den Steuerbescheid. Daneben kann sich eine solche Notwendigkeit aber auch aus dem Gewohnheitsrecht ergeben, etwa dann, wenn es für die Regelung auf den genauen Wortlaut ankommt, was insbesondere bei rechtsgestaltenden und
lOS
Siehe dazu auch Griiner, SGB-X, § 24 Anm. 7.
109
Erichsen I Badura, S. 412.
110
Siehe dazu S. 296.
3. Abschnitt: Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten VA
141
rechtsfeststellenden Verwaltungsakten, aber auch bei Nebenbestimmungen regelmäßig der Fall ist 111 • In einem schriftlichen Verwaltungsakt muß nach § 37 III VwVfG die erlassende Behörde angegeben und der Bescheid mit Unterschrift oder Namenswiedergabe versehen werden. Gerade eine Unterschrift wurde jedoch bei einer automatisierten Verfügung von Anfang an als hinderlich empfunden, weil sie erfordert hätte, daß der maschinell gefertigte Bescheid zu diesem Zweck noch einmal auf den Schreibtisch des Sachbearbeiters zurückkehrt. Damit wäre eine unmittelbare Versendung von der Rechenzentrale an den Bürger unmöglich gewesen. Ferner hätte eine Unterschrift nur dann einen Sinn, wenn bei dieser Gelegenheit noch einmal eine Kontrolle des Verwaltungsaktes erfolgt. Eine derartige Nachprüfungspflicht würde jedoch den durch die Automatisierung eingetretenen Entlastungseffekt weitgehend wieder zunichte machen.
Daher enthielt das VwVfG bereits bei seinem Inkrafttreten die Ausnahmevorschrift des § 37 IV 1 VwVfG, nach der beim Einsatz automatischer Einrichtungen Unterschrift und Namenswiedergabe fehlen können. Die Vorschrift widersprach damit der gesamten bisherigen Verwaltungspraxis. Formvorschriften sollen, neben ihrer Beweissicherungsfunktion, Bürger und Verwaltung vor Übereilung, das heißt, vor nicht genügend durchdachten Entscheidungen schützen ll2 • Als Maßstab für eine verfassungsrechtliche Überprüfung des § 37 IV 1 VwVfG werden daher in der Literatur Art. 20 III GG und Art. 1 I GG herangezogen ll3 • Vor diesem Hintergrund gilt es festzustellen, ob die bisher durch die Unterschrift wahrgenommenen Funktionen bei einem automatisierten Verwaltungsakt entfallen oder durch andere Bestandteile des Bescheides wahrgenommen werden können.
111
Bull, Verwaltung, S. 116, 121; Erichsen I Badura, S. 412; Woljf I BachoJ, S. 418.
Schmitz, Verwaltungsrundschau 91, S. 213 (216); Murius, VerwArch., Bd. 67 (1976), S. 116 (121 f.); Erichsen I Badura, S. 412; Kopp, VwVfG, § 37 Rn. 29; Obennayer, VwVfG, § 37 Rn. 56. 112
113 So z.B. BFH, BB 81, S. 1386 (1387); Habschmann I Spanner, AO 1977, § 119 Rn. 18; Giese I Plarh, AO 1977, § 119 Anm. 4; Schroeder-Printzen I Engelmann, SGB-X, § 33 Anm. 1; Bnmner, AO 1977, § 119 Rn. 6; Klein I Orlopp I Brockmeyer, AO 1977, § 119 Anm. 5.
142
2. Teil: Hauptteil
2. Die Ausnahmevorschrift des § 37 N 1 VwlfG a) Vergleichbare Vorschriften in AO 1977 und SGB-X Anders als bei der Anhörung besteht in der Frage der Entbehrlichkeit einer Unterschrift ein Gleichlauf der drei wesentlichen Verfahrensgesetze, da inhaltlich gleiche Vorschriften zu § 37 IV 1 VwVfG in § 33 IV 1 SGB-X und § 119 AO 1977 enthalten sind. Die AO 1977 geht in dieser Frage sogar noch einen Schritt weiter, wenn man bedenkt, daß zum einen für den Steuerbescheid nach § 157 AO 1977 stets die Schriftform vorgeschrieben ist und zum anderen die Ausnahmevorschrift des § 119 IV AO 1977 auch für solche Verwaltungsakte gilt, die lediglich "formularmäßig" erlassen werden. Ein Grund für diese Ausweitung ist die bei Erlaß der AO 1977 übliche Verwaltungspraxis gewesen l14 • b) Die Angabe der Erlaßbehörde Auch bei einem automatisierten Verwaltungsakt ist nach der gesetzlichen Systematik zumindest die Angabe der Erlaßbehörde erforderlich, weil die Ausnahmevorschrift des § 37 IV 1 VwVfG insoweit keine Modifikation des § 37 III VwVfG enthält. Dieses Erfordernis ist im VwVfG überdies dadurch besonders abgesichert, daß ein Verstoß nach § 44 11 Nr. 1 VwVfG evidenzunabhängig zur Nichtigkeit des Verwaltungsaktes führt. Dieser Regelung liegen erkennbar Rechtsschutzgesichtspunkte zugrunde. Der Bürger kann ohne eine Kenntnis der Erlaßbehörde nicht ordnungsgemäß Klage erheben, weil § 82 I VwGO von ihm die Angabe des Beklagten in der Klageschrift fordert. In der Literatur ist umstritten, ob derartige Notwendigkeiten des Rechtsschutzes auch weitere Angaben in einem Bescheid erfordern können. So geht das Amtsgericht Hersbruck llS davon aus, daß eine Angabe des Sachbearbeiters erforderlich sei, damit der Bürger Rückfragen stellen könne. Diese Forderung betrachtet das Gericht sogar als eine Wirksamkeitsvoraussetzung für den
114
Hübschmann I Spanner, AO 1977, § 119 Rn. 18.
I1S
AG Hersbruck, NJW 84, S. 2426 (2427).
3. Abschnitt: Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten VA
143
Verwaltungsakt. Degrandi l16 fordert eine solche Angabe für das schweizerische Recht jedenfalls im Bereich der automatisierten Anwendung von Normen mit einem Beurteilungs- oder Ennessensspielraum. Eine solche Bezeichnung des Sachbearbeiters käme indes einer Namenswiedergabe l17 nahe, die, wie die eigenhändige Unterschrift, durch § 37 IV 1 VwVfG bei einem automatisierten Verwaltungsakt für entbehrlich erklärt wird. Die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung soll erst noch überprüft werden, so daß an dieser Stelle noch keine abschließende Antwort auf diese Frage möglich ist l18 . Bunt l9 geht davon aus, daß die Angabe der Erlaßbehörde auch die Bezeichnung der handelnden Abteilung umfaßt, damit der Bürger deren Zuständigkeit überprüfen kann. Diese Auffassung kann aber nicht unterstützt werden. Zuständigkeitsvorschriften sind im deutschen Verwaltungsrecht nicht abteilungsbezogen, sondern stellen auf eine Behörde oder einen Verwaltungsträger ab l31 . Das Handeln einer intern unzuständigen Abteilung führt regelmäßig nicht zu einer Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes. Anders als im Bereich der Gerichtsbarkeit nach Art. 101 I 2 GG gibt es in der Verwaltung kein "Recht auf den gesetzlichen Verwaltungsbeamten"121 .
116 Degrandi, S. 123 mit dem Hinweis darauf, daß ansonsten vom Bürger die Einhaltung der Befangenheitsvorschriften nicht kontrolliert werden könne. Nach der hier vertretenen Ansicht ist dagegen eine Automatisierung im Bereich der Anwendung von Ermessensnormen nur zulässig, wenn zuvor eine Selbstbindung der Verwaltung eingetreten ist (vergleiche S. 56). Dann aber kommt der Einhaltung von Befangenheitsvorschriften nicht mehr das Gewicht zu, das ihnen Degrandi hier zumessen will.
117 Als Namenswiedergabe kommt neben einem Faksimile auch eine Wiedergabe des Namens in Maschinenschrift in Betracht (Meyer' Borgs' Borgs, VwVfG, § 37 Rn. 23; Stelkens' Stelkens, VwVfG, § 37 Rn. 40; Knack' Schwarze, § 37 Rn. 5.3; Obermayer, VwVfG, § 37 Rn. 52; Schmitz, Verwaltungsrundschau 91 , S. 213 (215)). Abgelehnt wird dagegen weitgehend ein Paraphe (Knack' Schwarze, VwVfG, § 37 Rn. 5.3; differenzierend Steikens' Stelkens, VwVfG, § 37 Rn. 37). 118
119 131 121
Vergleiche dazu die folgenden Seiten.
Bull, Verwaltung, S. 118. Maurer, Allg. VwR, S. 454 f. Mutius, NIW 82, S. 2150 (2155).
144
2. Teil: Hauptteil
Somit bleibt es dabei, daß aus der Systematik der §§ 37 III, 37 IV 1 VwVfG zunächst nur die Notwendigkeit einer Angabe der Erlaßbehörde folgt 122• c) Die Verfassungsmäßigkeit des § 37 IV 1 VwVfG Bei einer Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 37 IV 1 VwVfG lassen sich im wesentlichen drei Hauptgedankenlinien innerhalb der Literatur unterscheiden. aa) Vorbehaltslose Billigung dieser Norm
Mehrere Autoren und insbesondere die Rechtsprechung bestätigen die Zulässigkeit einer derartigen Regelung für den automatisierten Verwaltungsakt. Zunächst wird darauf hingewiesen, daß es in diesem Bereich vor Erlaß des VwVfG keine einhellige Ansicht gegeben habe 123 • Die Praxis beim konventionellen Verwaltungsakt könne nicht als Vergleichsmaßstab herangezogen werden, da die dort erhobene Forderung nach einer Unterschrift auf dem papiergebunden Verfahren beruhe l24 • Weiterhin folge ihre Notwendigkeit weder aus dem Begriff der Schriftlichkeit als solcher, noch aus § 126 BGB, da diese Norm im öffentlichen Recht nicht anwendbar sei l25 • Vor dem Hintergrund dieser Regelungslücke sprechen nach dieser Ansicht mehrere Argumente gegen eine Unterschrift. Diese sei weder zum Schutz der Verwaltung noch des Bürgers erforderlich. Eines Schutzes der Verwaltung vor
122 So auch Woljf I Bachof, S. 419; Obermayer, Grundzüge, S. 109; Stelkens I Stelkens, VwVfG, § 37 Rn. 51. 123 OLG Frankfurt a. M., NJW 76, S. 337 (337); LG Frankfurt (2078); OLG Stuttgart, NJW 76, S. 1905 (1905).
8.
M., NJW 75, S. 2078
124 Ehlers I Reinermann, VOP 89, S. 58 (62); Berg, Diss. jur. Köln, S. 88; Kühn I Kutter, AO 1977, § 119 Anm. 4. Für die Konununikation der Zukunft bejaht Wissing, Slädtetag 88, S. 393 (397) einen völligen Verzicht auf Unterschrift und Gegenzeichnung. 125 BVerwGE 45, 189 (193); OLG Karlsruhe, eR 86, S. 493 (493); OLG Frankfurt a. M., NJW 76, S. 337 (337); Fiedler, in: Traunmüller, S. 128 (135); Degrandi, S. 120; Szymanski, Zeitschrift fiirVerkehrsrecht 86, S. 361 (361); so auch Mutius, VerwArch., Bd. 67 (1976), S. 116 (120), der ansonsten strengere Anforderungen als die Rechtsprechung stellt.
3. Abschnitt: Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten VA
145
Übereilung bedürfe es nicht l26 , weil die Zuweisung an ein automatisiertes Verfahren erhebliche Vorüberlegungen der Behörde erfordere. Aber auch die auf den ersten Blick näher liegende Schutzbedürftigkeit des Bürgers wird von dieser Ansicht verneint. Schon nach der äußeren Gestaltung eines automatisierten Verwaltungsaktes könne kaum der Eindruck entstehen, daß es sich lediglich um einen Entwurf handele 127 , was herkömmlich durch die Unterschrift vermieden werden solle. Auch bedeute ihr Fehlen keineswegs, daß hier niemand für den Bescheid persönlich verantwortlich sei. Vielmehr könne der konkrete Amtswalter jederzeit aus den Akten ermittelt werden 128. Für den Bürger sei allein entscheidend, daß die Verwaltung Herrin des Verfahrens bliebe, was auch bei einem automatisierten Verwaltungsakt der Fall sei l29 • Neben einer solchen Entbehrlichkeit aus Gesichtspunkten der Schutzbedürftigkeit wird gegen die Unterschrift vorgebracht, daß sie in einem automatisierten Verfahren ihren eigentlichen Sinn nicht erfüllen könne. Eine wirkliche Garantiefunktion könne sie nur dann haben, wenn damit eine Abschlußkontrolle durch den Sachbearbeiter verbunden sei l3O • Eine solche würde jedoch den Rationalisierungseffekt der EDV wieder zunichte machen. Ohne eine derartige Überprüfung biete die Unterschrift keine Gewähr dafür, daß der unterzeichnen-
126 Bult, Verwaltung, s. 119, weil der Beamte laufend Verwaltungsakte erlassen würde; in diesem Sinne auch Degrandi, s. 115; BVerwGE 45,189 (193); Srelkens / Srelkens, VwVfG, § 37 Rn. 44; LG Frankfurt a. M., NJW 76, s. 1906 (1906). 127
Mutius, VerwArch., Bd. 67 (1976), S. 116 (121); BVerwGE 45, 189 (193) stellt hierzu eher auf den Vermerk ab, daß der Bescheid mit Hilfe von EDV gefertigt wurde; siehe dazu auch S. 151. Für fehlende Zweifel am Vorliegen eines Verwaltungsaktes auch Kopp, VwVfG, § 37 Rn. 36; Bult, Verwaltung, S. 122; Srelkens / Srelkens, VwVfG, § 37 Rn. 51; Obermayer, VwVfG, § 37 Rn. 65. 128 BFH, BB 81, S. 1386 (1387); Habschmann / Spanner, AO 1977, § 119 Rn. 18; Giese / Plarh, AO 1977, § 119 Anm. 4; Klein /Orlopp / Brockmeyer, AO 1977, § 119 Anm. 5; Berg, Diss. jur. Köln, S. 89; Birk, in: Dömer, S. 134 (140).
129 Kerkau, ÖVD 71, Heft 3, S. 106 (108); Schuhmann, BB 73, S. 1433 (1436); MalterHeidelberg, Recht im Amt 70, S. 101 (104); 1ipke / Kruse, AO 1977, § 119 Rn. 4; Knack / Schwane, VwVfG, § 37 Rn. 5.4.1.
130 Grober, Diss. jur. Würzburg, S. 104; Bult, Verwaltung, S. 120; Degrandi, S. 121. Maurer, Allg. VwR, S. 393 hält zumindestens eine summarische Prüfung fiir möglich. 10 Polomski
146
2. Teil: Hauptteil
de Beamte vom Inhalt des Bescheides Kenntnis genommen habe l31 und sei so erkennbar zweckwidrig l32 • Auch der Aufdruck einer Unterschrift beziehungsweise eine Namenswiedergabe habe keinen Sinn, weil sie nicht zu einer Verbesserung des Bescheides führe, gleichzeitig aber die Verwaltung im Falle eines Wechsels des zuständigen Mitarbeiters mit einem überflüssigen Programmierungsaufwand belaste133 • Schließlich wird von dieser Ansicht noch ergänzend darauf hingewiesen, daß schon die langjährige Praxis beim Steuerbescheid vor Erlaß der AO 1977 die Entbehrlichkeit der Unterschrift beweise l34 und der Bürger in diesem Bereich eine solche auch gar nicht mehr erwarte I35 • Zusammenfassend erfordern nach der Rechtsprechung weder rechtsstaatliehe Erfordernisse noch die Achtung der Persönlichkeit des Betroffenen eine Unterschrift oder Namenswiedergabe, weil deren Funktionen durch andere Bestandteile des Bescheides übernommen werden und die Notwendigkeit einer solchen Unterschrift im Widerspruch zur grundsätzlichen Anerkennung des automatisierten Verfahrens durch den Gesetzgeber stehen würde.
bb) Eiforderlichkeit einer Namenswiedergabe Demgegenüber geht ein anderer Teil der Literatur davon aus, daß die Besonderheiten eines automatisierten Verfahrens zwar einen Verzicht auf die eigenhändige Unterschrift rechtfertigen, nicht jedoch einen ebensolchen auf die bloße Namenswiedergabe. Zwar sei der Rechtsprechung zuzugeben, daß ein Rationalisierungseffekt mit einer eigenhändigen Unterschrift nicht zu erreichen
131 Ste/kens / Ste/kens, VwVfG, § 37 Rn. 51; BVelWGE 45, 189 (197); Giese / P/ath, AO 1977, § 119 Anm. 4.
132 BVelWGE 45, 189 (195); OLG Karlsruhe, CR 86, S. 493 (494); LG Frankfurt 8. M., NJW 76, S. 1906 (1906); OLG Frankfurt 8. M., NJW 76, S. 337 (338); Stelkens / Stelkens, VwVfG, § 37 Rn. 44; Berg, Oiss. jur. Köln, S. 89; GriJner, SGB-X, § 33 Anm. 16; Kopp, VwVfG, § 37 Rn. 36. BSGE 13, 271 (271) triffi hier eine Abwägung zwischen den Belastungen für die Behörde und den Vorteilen für den Bürger.
t33 Bull, VelWaltung, S. 120; BVelWGE 45, 189 (195); Berg, Oiss. jur. Köln, S. 89. Auch der Gesetzesentwurf der Bundesregierung ging davon aus, daß eine Unterschrift oder Namenswiedergabe den automatisierten VelWaltungsakt nicht qualitativ verbessern würden (BT-os 7/ 910, S.59). 134
Gruber, Oiss. jur. Würzburg, S. 104; Obermayer, VwVfG, § 37 Rn. 64.
OLG Karlsruhe, CR 86, S. 493 (494); Ste/kens / Ste/kens, VwVfG, § 37 Rn. 51; BVelWGE 45, 189 (194). 135
3. Abschnitt: Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten VA
147
wäre. Ein Abdruck der Unterschrift sei jedoch auch bei einem solchen Bescheid durch eine entsprechende Programmgestaltung möglich, ohne die Verwaltung zu belasten l36 • Auf der anderen Seite bringe eine solche Namenswiedergabe für den betroffenen Bürger viele Vorteile mit sich. So fühle sich dieser nicht so sehr als bloßes Objekt des Verfahrens 137 , wenn er wisse, von welchem Beamten der Verwaltungsakt erlassen worden sei. Außerdem könne eine solche Angabe bei eventuellen Dienstaufsichtsbeschwerden oder Amtshaftungsklagen von Bedeutung sein sowie eine Überprüfung der Zuständigkeit durch den Bürger ermöglichen l38 • Somit ist nach dieser Ansicht zumindest der gleichzeitige Verzicht auf eine Namenswiedergabe im Hinblick auf die Gewährleistungen der Art. 20 III, 1 I GG verfassungsrechtlich bedenklich. cc) Erfordernis einer eigenhändigen Unterschrift
Demgegenüber ist die dritte Ansicht zur Verfassungsmäßigkeit des § 37 IV 1 VwVfG dadurch gekennzeichnet, daß sie, jedenfalls in bestimmten Fallgruppen, auch bei einem automatisierten Verwaltungsakt eine eigenhändige Unterschrift fordert. So bejaht Popper139 die Notwendigkeit einer Unterschrift immer dann, wenn die Schriftform des Verwaltungsaktes gesetzlich vorgeschrie-
136 Mutius, VerwArch., Bd. 67 (1976), S. 116 (122) fordert einen solchen Namensabdruck zwar nicht wegen der Beweisfunktion der Unterschrift, wohl aber wegen ihrer Garantiefunktion; ferner Juhnke, eR 86, S. 494 (495); Lazaratos, S. 328, 334; Maurer, Allg. VwR, S. 393; Meyer I Borgs I Meyer, VwVfG, § 37 Rn. 27. 137 Bull, Verwaltung, S. 119; OLG Stuttgart, NJW 76, S. 1905 (1905) erkennt diesen Gesichtspunkt an, obwohl es im Ergebnis die Entbehrlichkeit einer Namenswiedergabe bejaht. Die Befiirchtung einer Anonymisierung äußert auch Riegel, VOP 89, S. 156 (164).
138 Schiiffer, DÖV 88, S. 149 (157); Bull, Verwaltung, S. 119; Obermayer, VwVfG, § 37 Rn. 58; Maurer, Allg. VwR, S. 393; jedenfalls de lege ferenda auch Achterberg, S. 579. Popper, DVBI. 71, S. 509 (513) geht davon aus, daß durch einen Verzicht auf die Namenswiedergabe der Amtshaftungsanspruch de lege lata unzulässigerweise ausgeschlossen werde, weil der Bürger hier vor unlösbaren Beweisschwierigkeiten stünde. Derartige Probleme können jedoch eher durch eine entsprechende Beweislastverteilung gelöst werden: Wenn die Verwaltung aus ihren Unterlagen den betreffenden Amtswalter ermitteln kann, darf es dem Bürger nicht zum Nachteil gereichen, wenn die Verwaltung sich weigert, den Namen preiszugeben.
139 Popper, DVBI. 77, S. 509 (510), der § 37 N 1 VwVfG als Verschlechterung der RechtssteIlung des Einzelnen ablehnt.
10'
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2. Teil: Hauptteil
ben ist. Dagegen fordert Stelkens l40 eine Unterschrift auch in diesem Fall nur dann, wenn die Verwaltung ausnahmsweise vor Übereilung geschützt werden müsse. Auf der gleichen Linie liegt Degrandi 141, der sie bei "bedeutsamen Verwaltungsaufgaben " für unentbehrlich hält, bei Routineaufgaben dagegen auf sie verzichten will. Schließlich erkennt auch das Bundesverwaltungsgericht l42 die Notwendigkeit einer Unterschrift dann an, wenn der Verwaltungsakt so personenbezogen ist, daß er nur von einer bestimmten Person stammen kann. dd) Entscheidung
Bei einer Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 37 IV 1 VwVfG gilt es zwischen den Erfordernissen einer eigenhändigen Unterschrift und dem einer Namenswiedergabe zu differenzieren. Eine eigenhändige Unterschrift müßte in der Tat die Anwendungsmöglichkeiten eines automatisierten Verwaltungsaktes verringern. Würde der Gesetzgeber auf der einen Seite derartige Verfahrensformen zulassen, auf der anderen Seite aber den durch sie eintretenden Rationalisierungsgewinn durch die Forderung nach einer Unterschrift nebst entsprechender Kontrolle wieder zunichte machen, sähe er sich dem Vorwurf eines venire contra factum propium ausgesetzt. Ohne eine solche Kontrolle wäre die Unterschrift aber nur eine, überdies gefährliche, Augenwischerei. Nicht gefolgt werden kann dagegen der Begründung, die Steuerpraxis beweise die Rechtmäßigkeit dieser Vorgehensweise l43 • Eine derartige Argumentation läßt offen, wie eine Praxis ihre eigene Rechtmäßigkeit beweisen kann. Auch die Feststellung des Bundesverwaltungsgerichtes l44 , der Bürger erwarte hier keine Unterschrift, erscheint reichlich apodiktisch und kaum verifizierbar. Schließlich gilt es zu beachten, daß die gesetzliche Regelung auf der Annahme beruht, daß solche Bescheide durch Rechenzentren erstellt werden, also auf die Praxis in den 70 er Jahren abstellt. Dabei erschien eine Unterschrift als besonders hinderlich, weil sie erfordert hätte, daß der Bescheid
140
Ste/kens I Sle/kens, VwVfG, § 37 Rn. 44; anders hier Meyer I Borgs / Meyer, Vwvro,
141
Degrandi, S. 121.
§ 37 Rn. 26. 142
BVerwGE 45, 189 (194); so auch OLG Karlsruhc, eR 86, S. 493 (494).
143
Gruber, Diss. jur. Würzburg, S. 104.
144
BVerwGE 45, 189 (194).
3. Abschnitt: Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten VA
149
zu diesem Zweck noch einmal zur Fachverwaltung zurückkehrt. In dem Maße, in dem der technische Fortschritt dazu führt, daß eine Einschaltung dieser Zentralen überflüssig wird, könnte eine Unterschrift wieder in den Bereich des Möglichen rücken, ohne die erhoffte Entlastung der Verwaltung zu gefährden l45 • Die gegen eine Unterschrift vorgebrachten Argumente gelten nicht in gleicher Weise auch gegen eine Namenswiedergabe l46 • Der von der Rechtsprechung vorgebrachte Einwand eines größeren Programmierungsaufwandes bei einem Personalwechsel vermag nicht zu überzeugen. Zum einen ist ein solcher Wechsel eher selten, wenn man berücksichtigt, daß nach § 37 III VwVfG der Abdruck des Namens des Behördenleiters möglich ist, der, wie im Bereich der Kommunalverwaltung nach § 61 NGO, grundsätzlich nur alle 12 Jahre wechselt. Zum anderen ist die Eingabe eines neuen Namens in das Programm heute technisch völlig unproblematisch. Dafür bietet eine solche Namenswiedergabe Vorteile, die bei einer bloßen Rekonstruierbarkeit des Amtswalters aus den Akten der Verwaltung nicht gegeben sind. So wird das Verantwortungsgefühls des Beamten gestärkt l47 , wenn dieser weiß, daß er namentlich auf dem Bescheid erscheint. Ist sein Name dagegen nur nachträglich feststellbar, muß der Bürger erst eine weitere Hemmschwelle überschreiten, indem er sich an die für ihn bis dahin völlig anonyme Verwaltung mit der entsprechenden Bitte wendet. Gerade weil in einem automatisierten Verfahren eine Vielzahl von Personen an der Erstellung des Verwaltungsaktes beteiligt ise 48 , besteht die Gefahr, daß die Verantwortung zwischen diesen hin und her geschoben wird. Die Namenswiedergabe setzt diesem verständlichen Bemühen Grenzen.
145 Zu beachten ist auch die Verbesserung der technischen Eigenkontrollen des Computers. Dieser kann immer häufiger Fehler selbst erkennen und anzeigen, etwa indem er Plausibilitätskontrollen vornimmt (siehe dazu KiJh/er, AcP, Bd. 182 (1982), S. 126 (132); Birk, in: DiJmer, S. 134 (136); J(Jhnig, ADV, S. 64; Vo/kmann, CR 85, S. 155 (156), der zu Recht darauf hinweist, daß Kontrollprogramme nur solche Fehler aufdecken können, die der Programmierer als möglich vorhergesehen hat). Mit diesem steigenden Sicherheitsstandard könnte es in der Zukunft vertretbar erscheinen, auch ohne eine abschließende menschliche Kontrolle eine Unterschrift vorzunehmen. 146 Insbesondere dann, wenn sie in Maschinenschrift erfolgt, was nach allgemeiner Ansicht zulässig ist (Ste/kens I Sle/kens, VwVfG, § 37 Rn. 40; Knack I Schwarze, § 37 Rn. 5.3; Obennayer, VwVfG, § 37 Rn. 52). 147 Mutius, VerwArch., Bd. 67 (1976), S. 116 (123); Popper, DVBI. 77, S. 509 (511); Juhnke, CR 86, S. 494 (495).
148
Vergleiche S. 73.
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2. Teil: Hauptteil
Andererseits erleichtert sie die Kontrolle des Bescheides durch den Bürger. Dies betrifft zwar nicht die Kontrolle der Zuständigkeit, weil dem Bürger die interne Geschäftsverteilung regelmäßig unbekannt ist l49 • Ermöglicht wird aber eine Überprüfung der Einhaltung der Befangenheitsvorschrifen l .50, weil der Bürger so erkennen kann, ob er zu diesem Amtswalter in einem besonderen Verhältnis im Sinne der §§ 20, 21 VwVfG steht. Jedenfalls auf der Ebene der Kommunalverwaltung dürften derartige Fälle auch nach der Gebietsreform nicht allzu selten sein. Somit kann zusammenfassend davon ausgegangen werden, daß eine Namenswiedergabe alle für den Bürger relevanten Funktionen der Unterschrift ersetzen kann lsl , ohne gleichzeitig deren Nachteile für ein automatisiertes Verfahren in sich zu tragen. Daher erscheint sie aus Rechtsschutzgesichtspunkten geboten, sei es nun als bloße Buchstabenfolge oder durch eine Eingabe in das Programm mittels Scanner. Die gesetzgeberische Abwägung, welche § 37 IV 1 VwVfG zugrunde liegt, hat ihre Gültigkeit verloren, weil die technischen Verbesserungen der letzten 15 Jahre die Auswechselung des Namens vereinfacht haben. Indes bedeutet diese Forderung nicht, daß § 37 IV 1 VwVfG damit verfassungswidrig ist. Vielmehr muß diese als Ermessensvorschrift ausgelegte Norm lediglich verfassungskonform ls2 einschränkend dahingehend interpretiert wer-
149 7ipke I Krose, AO 1977, § 119 Rn. 4. Zudem ist diese interne Geschäftsverteilung für die Einhaltung der Zuständigkeitsvorschriften regelmäßig irrelevant, siehe S. 135.
1.50
So für das schweizerische Recht auch Degrandi, S. 123.
I SI Zeidler, S. 12 bestreitet diese Gleichwertigkeit damit, daß die Unterschrift den Sinn habe, die Übereinstimmung von Bescheid und Rechtsordnung zu dokumentieren, was nur durch eine individuelle Garantieübernahme durch den Amtswalter möglich sei. Dem ist aber schon 8ull, Verwaltung, S. 120 überzeugend entgegengetreten, weil jeder Verwaltungsakt mit dem Anspruch ergehe, die Rechtsordnung richtig widerzuspiegeln. Dieser Anspruch dürfte in der Tat bereits aus der Systematik der §§ 43 ff. VwVfG abzuleiten sein.
152 Zur Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung siehe S. 130. Allerdings gilt es zu beachten, daß hier die Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung erreicht sind. Der eindeutige Wortlaut des § 37 IV 1 VwVfG ermöglicht sowohl einen Verzicht auf die Unterschrift als auch einen solchen auf die Namenswiedergabe. Soweit man die letztere für zwingend erforderlich hält, gleicht die Rechtslage bei einem automatisierten Verwaltungsakt deljenigen bei der herkömmlichen Verfügung nach § 37 m VwVfG, so daß letztlich § 37 IV 1 VwVfG für nicht anwendbar erklärt wird. Einzig und allein die Ausgestaltung als Ermessensvorschrift verhindert das Verdikt der Verfassungswidrigkeit, welches sonst schon deshalb unvermeidbar wäre, weil eine solche Auslegung die gesetzgeberische Intention, für den automatisierten Verwaltungsakt Erleichterungen zu schaffen, negiert (zu den Grenzen der verfassungskonformen Auslegung siehe BVerfGE 8,28 (34); 54, 277 (290); 8,71 (78); 11, 83 (87), wo stets gefordert wird, daß die verfassungskonforme Auslegung nicht das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlen darf).
3. Abschnitt: Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten VA
151
den, daß jedenfalls eine Namenswiedergabe immer erforderlich ist. Insofern gleicht die Rechtslage für den automatisierten detjenigen zum manuellen Verwaltungsakt nach § 37 III VwVfG, was nur zu begrüßen ist, wenn man bedenkt, daß immer mehr Verwaltungsakte solchermaßen erlassen werden. Sonst könnte eines nicht mehr allzu femen Tages ein Verwaltungsakt mit Unterschrift oder Namenswiedergabe eine Rarität sein. Die Zukunft aber gehört neuen Authentifikationsmethoden l5 3, welche die Funktionen der Unterschrift verbessern oder sie sogar gänzlich überflüssig machen werden. Ihre Entwicklung wird dazu führen, daß die heutige Minimalforderung nach einer Namenswiedergabe wieder ausgeweitet werden kann, ohne die Möglichkeiten eines automatisierten Verwaltungsaktes zu gerahrden.
3. Die Wirkung eines Vermerkes über die Art der Erstellung Abschließend soll noch kurz auf Wirkungen und Bedeutungen eines Vermerkes eingegangen werden, der von der Verwaltung bei einem automatisierten Verwaltungsakt häufiger verwendet wird. Dabei wird an der Stelle, an welcher sich gewöhnlich die Unterschrift befindet, vom Computerprogramm der Aufdruck angebracht, daß "dieser Bescheid mit Hilfe von EDV gefertigt worden sei und daher keiner Unterschrift bedürfe". Die überwiegende Anzahl der Autoren geht davon aus, daß einem solchen Vermerk nur eine deklaratorische Bedeutung zukommen könne, weil die Verwaltung nicht selbst über die Rechtmäßigkeit der von ihr erlassenen Bescheide entscheiden dürfe l54 • Einzelne Stimmen billigen dagegen diesem Aufdruck eine weitergehende Bedeutung zu. So kann er nach Degrandi l55 dazu dienen, dem Bürger zu verdeutlichen, daß der Bescheid nicht mit einer Schreibmaschine erstellt wurde, 153 Zu denken ist etwa an eine digitalisierte Unterschrift mit einem elektronischen Schreibstift, der über die Messung von Schnelligkeit, Druck und Winkel der Unterschrift Fälschungen praktisch unmöglich macht; vergleiche hierzu Fiedler, in: Traunmaller, S. 128 (135) oder Seidel, eR 87, S. 376 (378). Zu neuen eodierungstechniken weiterhin Szymanski, Zeitschrift für Verkehrsrecht 86, S. 361 (361) und Endrös, S. 18 sowie Bizer I Roßnagel, Kritische Justiz 90, S. 436 (443). 154 Juhnke, eR 86, S. 494 (494); Mutius, VerwArch., Bd. 67 (1976), S. 116 (121); LG Frankfurt a. M., NJW 75, S. 2078 (2079); Stelkens I Stelkens, Vwvro, § 37 Rn. 52 hält einen solchen Vennerk für zweckmäßig, aber nicht notwendig.
155
Degrandi, S. 121.
152
2. Teil: Hauptteil
bei deren VelWendung das Fehlen einer Unterschrift ein Indiz für das Vorliegen eines bloßen Entwurfes wäre. Das BundesvelWaitungsgericht156 sieht in einem solchen Vermerk ein Äquivalent für die fehlende Unterschrift. Eine KlarsteIlungsfunktion ist einem derartigen Vermerk in der Tat zuzusprechen, wenngleich durchaus nicht jedem Empfänger die unmittelbare Bedeutung der Unterschrift für die Abgrenzung Entwurf / Bescheid bekannt sein dürfte. Unter diesem Aspekt ist sein Abdruck ein begrüßenswerter Schritt auf dem Weg zu einer verbesserten Verständlichkeit dieser Bescheide. Dagegen kommt einer solchen Vorgehensweise keinerlei Bedeutung im Hinblick auf die Erfordernisse zu, welche zur Forderung nach einer Namenswiedergabe geführt haben. Wie die Unterschrift hat auch die Namenswiedergabe neben der Beweisfunktion für das Vorliegen eines behördlichen Willens weitere Aufgaben, etwa die angesprochene Stärkung des Verantwortungsbewußtseins des Beamten und die Überprüfbarkeit der Einhaltung von Befangenheitsvorschriften. Diese werden durch den erwähnten Vermerk nicht erfüllt, so daß gegebenenfalls neben ihm eine Namenswiedergabe erforderlich bliebe. Dann aber kann auch gleich ganz auf ihn verzichtet werden, da Zweifel am Vorliegen des behördlichen Willens bei der hier geforderten Gestaltung des Bescheides nicht zu befürchten sind. So scheint denn ein solcher Vermerk nur ein Kompromißangebot detjenigen Stimmen in der Literatur zu sein, die zwar die durch § 37 IV 1 VwVfG verursachten Unzulänglichkeiten erkannt haben, aber nicht bereit sind, diese Erkenntnis konsequent umzusetzen. Auch entlarvt er den Wahrheitsgehalt des Argumentes, daß der Bürger bei automatisierten VelWaltungsakten keine Unterschrift elWarte 157 • Scheinbar ist sich der Bürger doch nicht so sicher, welche Wirkungen von einem nicht unterzeichneten Dokument ausgehen, weil er aus dem Privatrecht um die besondere Bedeutung der Unterschrift weiß. Daher sollte auf einen derartigen Vermerk verzichtet werden. Er stellt nur eine Schein-Lösung der bestehenden Probleme dar, die überdies den Blick für die wirklichen Notwendigkeiten verstellt.
156
BVerwGE 45, 189 (191, 193); so auch OLG Karlruhe, eR 86, S. 493 (493).
157
BVerwGE 45, 189 (194).
3. Abschnitt: Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten VA
153
VI. Die Zulässigkeit der Verwendung von Schlüsselzeichen
1. Einführung Eine weitere Besonderheit des automatisierten Verwaltungsaktes fmdet sich in der Regelung des § 37 IV 2 VwVfG, nach der zur Inhaltsangabe Schlüsselzeichen verwendet werden können, soweit diese durch beigefügte Erläuterungen für den Betroffenen verständlich sind. Inhaltsgleiche Regelungen bestehen in § 33 IV SGB-X und § 119 IV 2 AO 1977. Ein Einsatz von Schlüsselzeichen ist in zweifacher Hinsicht möglich l58 , nämlich zum einen beim Entscheidungsinhalt und zum anderen bei der Begründung. Für diese sieht aber der noch zu untersuchende § 3911 Nr. 3 VwVfG die Möglichkeit eines völligen Verzichts vor, so daß sich der Anwendungsbereich des § 37 IV 2 VwVfG im wesentlichen auf den Tenor der Entscheidung beschränkt. Eine parallele Anwendung beider Normen kommt lediglich dann in Betracht, wenn trotz der automatisierten Erstellung im Einzelfall eine Begründung im Sinne des § 39 11 Nr. 3 VwVfG geboten ist; dann kann diese nach § 37 IV 2 VwVfG durch Schlüsselzeichen erfolgen. Aus der Kumulation der Regelungen der §§ 37 IV, 39 11 Nr. 3 VwVfG ergeben sich einschneidende Verkürzungen des Bescheides. Notwendig wäre im Extremfall nur die Erkennbarkeit der Behörde und eine einzige Zahl, die lediglich auf einer Beilage erläutert ist. Diese Zahl würde zur Inhaltsangabe nach § 37 IV 2 VwVfG genügen, die Unterschrift der Behörde könnte nach § 37 IV 1 VwVfG, die Begründung nach § 39 11 Nr. 3 VwVfG entfallen. Zudem wäre der Bürger von einem solchen Verwaltungsakt auch noch völlig überrascht, weil gemäß § 28 11 Nr. 4 VwVfG auf eine Anhörung verzichtet werden könnte. Eine derartige Verkürzung der behördlichen Regelung muß zwangsläufig zu erheblichen Verständnisschwierigkeiten beim Betroffenen führen.
158 Meyer / Borgs / Meyer, VwVfG, § 37 Rn. 30; Stelkens / Ste/kens, VwVfG, § 37 Rn. 54; Grüner, SGB-X, § 33 Anm. 2; der Wortlaut "Inhaltsangabe" spricht dagegen wohl eher fiir eine Beschränkung des Anwendungsbereichs auf den Regelungsinhalt. Unklar Messerschmidt, Verwaltungsrundschau 77, S. 86 (86), nach dem die Unterschrift durch Schlüsselzeichen ersetzt werden kann. Dieses dürfte mit der Begrenzung des § 37 IV 2 VwVfG auf eine Inhaltsangabe nicht vereinbar sein; vielmehr ist die Unterschrift hier ganz entbehrlich.
154
2. Teil: Hauptteil
2. Die fortlaufende Berechtigung der Verwendung von Schlasselzeichen
Wie schon die Entbehrlichkeit der Unterschrift nach § 37 IV 1 VwVfG ist auch die Verwendung von Schlüsselzeichen nach § 37 IV 2 VwVfG als Ermessensvorschrift ausgestaltet. Zu fragen ist, ob ihr Einsatz unter den Bedingungen einer fortentwickelten Technik noch als eine Ausübung pflichtgemäßen Ermessens angesehen werden kann. Der Gesetzgeber1S9 erhoffte sich von ihrer Verwendung eine wesentliche Beschleunigung des Verfahrens. Er hielt ihren Einsatz angesichts der noch sehr beschränkten Speicherkapazitäten für unverzichtbar, um viele Aufgaben überhaupt erst automatisieren zu können. Beide Erwartungen treffen unter den heutigen Bedingungen nicht mehr zu. Wie Stelkens l60 überzeugend darlegt, führt diese Regelung lediglich dazu, daß es zu Einsparungen an Speicherkapazität, Druckzeit und Formularlänge kommt. Diese Vorteile sind angesichts der enorm gestiegenen Geschwindigkeit moderner Geräte als unwesentlich anzusehen. Wo der Aufdruck eines Schlüsselzeichens einprogrammiert werden kann, kann auch der Ausdruck des gesamten Textes angeordnet werden l61 • Unabhängig von der Art und Weise seiner Erstellung bleibt ein Verwaltungsakt eine Einzelfallregelung. Als solche muß sie für ihren Adressaten verständlich und hinreichend bestimmt sein l62 • Dabei ist zu beachten, daß die inhaltliche Bestimmtheit der Verfügung vom Gesetzgeber sogar besonders gesichert worden ist. Entgegen dem ersten Entwurf zum VwVfG I63 sieht der zum Gesetz gewordene 2. Entwurfkeinerlei Heilungsmöglichkeiten für Mängel der Bestimmtheit vor. Diese bewußte Aufwertung sollte nicht ·durch eine extensive Anwendung des § 37 IV 2 VwVfG gefährdet werden. 159 Aus der BT-DS 7 /910, S. 59 ergibt sich eindeutig, daß die Nonnierung der Zulässigkeit ihrer Vetwendung in Anlehnung an eine bereits bestehende Vetwaltungspraxis erfolgte; die Regelung des zweiten Satzes soll dabei den Bedenken Rechnung tragen, daß solche Vetwaltungsakte sonst nur noch Fachleuten verständlich sein könnten.
160
Stelkens / Stelkens, Vwvro, § 37 Rn. 56.
161 AG Hersbruck, NIW 84, S. 2426 (2426); Bull, Vetwaltung, S. 118; Similis, Informationskrise, S. 129; Köhler, AcP, Bd. 182 (1982) , S. 126 (141); Grimmer, Rechtsvetwirklichung, S. 51; Biehl, ÖVD 79, Heft 3, S. 10 (11); Schroeder-Printzen / Engelmann, SGB-X, § 35 Anm. 5; Kühn / Kutter, AO 1977, § 119 Anm. 4; Hauck / Heines / Recht, SGB-X, § 35 Rn. 22. 162 Sendler, in: Reinermann, S. 165 (170). Messerschmidt, Vetwaltungsrundschau 77, S. 86 (87) bezieht diese Bestimmtheit auf die inhaltliche Gesamtheit von Regelungsanspruch und Begriindung; als Maßstab für die Verständlichkeit des Tenors auch Hamann, Vetwaltungsrundschau 87, S . 420 (421).
163
BT-DS 6 / 1173; ferner BT-DS 7 / 910, S. 58.
3. Abschnitt: Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten VA
155
Zu beriicksichtigen ist weiterhin, daß seit Inkrafttreten des VwVfG eine andere Methode zur Beschleunigung der Erstellung von Schriftstücken wesentlich verbessert werden konnte, nämlich der Einsatz von Textbausteinen. Anders als die bisherigen Formulare können diese elektronisch gespeicherten Textpassagen leicht den Besonderheiten des Einzelfalls angepaßt werden. Für den Empfänger des Verwaltungsaktes entsteht so erstmals seit dem Einsatz von Maschinen wieder der Eindruck, mit dem Bescheid wirklich eine Regelung seines Einzelfalles zu erhalten. Allerdings führt die Verwendung von Textbausteinen auch zu neuen Gefahren. Die individuelle Gestaltung täuscht den Adressaten dariiber hinweg, daß letztlich auch hier eine standardisierte Entscheidung ergeht. Daher wird bereits vereinzelt gefordert, derartige Textpassagen zumindest optisch vom sonstigen Text zu trennen l64 • Kälin l65 weist für das schweizerische Recht auf eine weitere Steigerung dieser Probleme hin, wenn das System, wie im dortigen Asylrecht, nur ablehnende Textbausteine enthält. Dann erfolgt nicht nur eine vom Einzelfall abgelöste Entscheidung, sondern diese wird auch inhaltlich, bewußt oder unbewußt, in eine bestimmte Richtung gedrängt. Im Ergebnis führt aber die bessere Verständlichkeit dazu, daß Textbausteine dem Einsatz von Schlüsselzeichen vorzuziehen sind l66 • Daher ist insgesamt davon auszugehen, daß sich der legitime Anwendungsbereich von Schlüsselzeichen nach § 37 IV 2 VwVfG immer weiter verringert. Einerseits ermöglicht der technische Fortschritt ohne wesentliche Zeitverzögerungen den Ausdruck des Volltextes. Andererseits sind Textbausteine besser verständlich, wenn im Einzelfall dennoch einmal eine besondere Zeitersparnis notwendig ist. Diese Entwicklung muß von der Verwaltung bei einer pflichtgemäßen Ermessensentscheidung beriicksichtigt werden. Wo sie dennoch von der Kompetenz des § 37 IV 2 VwVfG Gebrauch macht, gilt es in besonderem Maße die gesetzlichen Anforderungen an die Verständlichkeit zu beachten, die im folgenden untersucht werden sollen.
164
So Herr, DRiZ 86, S. 374 (377).
Kitlin, Zeitschrift für schweizerisches Recht, Bd. 107 (1988), S. 435 (444); allgemein zu Typisierungstendenzen durch Textbausteine auch Eberle, CR 88, S. 258 (261). 165
166 Grüner, SGB-X, § 33 Anrn. 2; für die Verwendung von Textbausteinen in gerichtlichen Urteilen Albrecht, CR 89, S. 438 (441) und VGH Kassel, NJW 84, S. 2429 (2429).
156
2. Teil: Hauptteil
3. Probleme der Verständlichkeit von Schiasselzeichen
a) Der maßgebliche Empfängerhorizont Zunächst ist zu fragen, von welchem Wissensstand die Verwaltung beim Bürger ausgehen darf, wenn es um die Verständlichkeit der Schlüsselzeichen beziehungsweise ihrer Erläuterungen geht. Da es sich bei einem Verwaltungsakt schon begrifflich um die Regelung eines Einzelfalls handelt, liegt es nahe, auf die intellektuelle Fähigkeit des konkreten Empfängers abzustellen. Eine derartige Forderung ließe sich indes nur schwer mit den Gesetzmäßigkeiten eines EDV-Verfahrens vereinbaren, welches, wie oben gesehen l61 , auf Standardisierung abzielt. Überdies wären diese intellektuellen Fähigkeiten nur schwer zu prognostizieren. Deshalb geht die Mehrzahl der Autoren davon aus, daß sich die Verwaltung bei der Frage der Verständlichkeit vom konkreten Adressaten lösen und stattdessen auf das Begriffs- und Erkenntnisvermögen eines durchschnittlichen Empfängers abstellen darf, von dem allerdings kein Sonderwissen auf dem Gebiet der EDV zu erwarten ist l68 • Für diesen imaginären Adressaten muß der Inhalt des Verwaltungsaktes aufgrund der beigegebenen Erläuterungen eindeutig sein. Eine Auslegung zugunsten des Betroffenen sei nicht möglich l69 • Im Rahmen einer solchen Berücksichtigung des durchschnittlichen Empfängers wird durch eine Fallgruppenbildung versucht, zu einer weiteren Konkretisierung der Anforderungen zu gelangen. So will Köhler l10 Unterschiede aus der Frage ableiten, ob der Empfänger selbst EDV-Anwender ist oder nicht. Vor allem aber wird in der Literatur erörtert, ob an Beamte aufgrund der
161
Vergleiche hierzu S. 114.
168 So in Anlehnung an den Gesetzesentwurf der Bundesregierung BT -OS 7 1910, S. 59 vor allem Habschmann 1 Spanner, AO 1977, § 119 Rn. 21; Giese 1 Plath, AO 1977, § 119 Anm. 4; Grüner, SGB-X, § 33 Anm. 2; Kühn 1 Kutter, AO 1977, § 119 Anm. 4; Koch 1 Förster, AO 1977, § 119 Rn. 11; Meyer 1 Borgs 1 Meyer, Vwvro, § 37 Rn. 28; Stelkens 1 Stelkens, Vwvro, § 37 Rn. 59; Obermayer, Vwvro, § 37 Rn. 67; Erichsen 1 Badura, S. 417; Knack 1 Schwane, Vwvro, § 37 Rn. 5.4.2. 169 Meyer 1 Borgs 1 Meyer, Vwvro, § 37 Rn. 29 und Gageil Gagei, AFG, vor § 142 Rn. 51, weil § 37 IV 2 Vwvro nicht eine objektive Unbestimmtheit voraussetze, sondern strenge Anforderungen an die Verwendung von Schlüsselzeichen stelle.
110
Köhler, AcP, Bd. 182 (1982), S. 126 (141).
3. Abschnitt: Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten VA
157
Treuepflicht zum Dienstherren erhöhte Anforderungen an die Zumutbarkeit einer Entschlüsselung zu stellen sind l71 • Allen diesen Ansichten ist gemeinsam, daß sie bei den Anforderungen an die Verständlichkeit nicht auf den konkreten Empfänger abstellen. Lediglich vereinzelt wird noch dieser Maßstab herangezogen 172 • Eine solche Entwicklung entspricht den Anforderungen der EDV und ist, ausweislieh der Gesetzgebungsmaterialien, auch vom Gesetzgeber so gewollt. Diese Einsicht macht die Schwierigkeiten für den Einzelnen jedoch nicht geringer. Bezeichnend ist auch die Tatsache, daß mit dem EDV-Benutzer und dem Beamten zwei Fallgruppen in der Literatur erörtert werden, die eine weitere Herabsenkung der Anforderungen an die Verständlichkeit ermöglichen sollen. Dagegen ftnden sich, soweit ersichtlich, keine entsprechend erhöhten Verpflichtungen, etwa an Verwaltungsakte im Bereich des Rentenrechts. Eine derartige Entwicklung muß in einem Verwaltungsrechtssystem, welches trotz mancher Aufweichungen auf dem grundsätzlichen Unterschied von Rechtsnorm und Einzelfallregelung aufgebaut ist, rechtsstaatliche Bedenken hervorrufen. Sowohl das Prinzip der Wirksamkeit des Verwaltungsaktes als auch der Rechtsschutz gegen ihn beruhen auf der Annahme, daß der Adressat den Inhalt des Bescheides sofort und eindeutig versteht und solchermaßen die entsprechenden Rechtsmittelfristen mit Überlegungen über deren Erfolgschancen ausschöpfen kann. Diese Möglichkeit wird empftndlich beeinträchtigt, wenn er sich zunächst um die Kenntnis des Inhalts bemühen muß, weil er eben nicht über das durchschnittliche Erkenntnisvermögen verfügt. Dazu kommt noch, daß es gerade dieser Bevölkerungsgruppe besonders schwerfallen wird, sich mit einer entsprechenden Bitte an die Verwaltung zu wenden und so den eigenen "Unverstand" zu offenbaren. Daher sollte im Hinblick auf die sozialstaatliche Verpflichtung der Verwaltung eine ausführliche, für jedermann verständliche Erläuterung der Schlüsselzeichen selbstverständlich sein, wenn ihre Verwendung schon nicht ganz vermeidbar ist. Die Erfüllung dieses Postulats beeinträchtigt keine Belange der Automatisierung, weil derartige Erläuterungen unabhängig vom Einzelfall erstellt werden und solchermaßen in der konkreten Entscheidungssituation nicht zu Zeitverzögerungen führen können. Diese Tatsache wird zuweilen in einem "Automationsübereifer" gerne übersehen. Nur vermeintliche Sachzwänge der
171 Bejahend Bull, Verwaltung, S. 118; Sie/kens I Sie/kens, Vwvro, § 37 Rn. 58; BVerwG, DÖV 73, S. 133 (134). 172
So etwa von Similis, lnfonnationskrise, S. 128; ferner Wolff I Bachof, S. 420.
158
2. Teil: Hauptteil
EDV berechtigen nicht dazu, dem Bürger Erschwerungen der Verständlichkeit des Bescheides zuzumuten. b) Die Heranziehung Dritter zur Entschlüsselung
In diesem Sinne ist auch die in der Literatur173 umstrittene Frage zu ent-
scheiden, ob dem Empfänger eines solchen Verwaltungsaktes die Heranziehung Dritter zur Entschlüsselung zumutbar ist. Hier ist eindeutig die Schwelle überschritten, bis zu der die Verwaltung die Besonderheiten eines automatisierten Verwaltungsaktes auf den Bürger abwälzen darf. Wer einseitig verbindliche Regelungen schaffen und diese auch vollstrecken darf, muß dafür Sorge tragen, daß sie vom Bürger befolgt werden können. Diese Möglichkeit ist aber nicht gegeben, wenn zum Verständnis der Regelung erst Dritte herangezogen werden müssen. Der Gesetzgeber konzentriert derartige Hilfen durch § 25 S. 2 VwVfG bei der Verwaltung. Eine Ausdehnung auf die Heranziehung anderer Personen würde diese grundsätzliche Risikoverteilung zwischen Verwaltung und Bürger bezüglich der Verständlichkeit des Verwaltungsaktes einseitig zu Lasten des Bürgers verschieben, obwohl aus dem Rechtsgedanken des § 26 11 2 VwVfG erkennbar ist, daß neue Pflichten des Adressaten einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage bedürfen. c) Die Zulässigkeit eines Verweises auf frühere Erläuterungen Abschließend soll der Frage nachgegangen werden, ob die Erläuterungen zu den Schlüssel zeichen jedem Verwaltungsakt beigefügt werden müssen, oder ob es ausreicht, wenn sie dem Adressaten eines häufig wiederkehrenden Verwaltungsaktes nur einmal ausgehändigt werden, verbunden mit dem Hinweis, diese sorgfältig aufzubewahren. Stelkens l74 beantwortet diese Frage im letztgenannten Sinne. Dagegen dürfte aber schon der Wortlaut "aufgrund der dazu gegebenen Erläuterungen" sprechen, der eher auf eine konkrete, einmalige Kombination von Bescheid und Erläuterungen hinzudeuten scheint. Hinzu kommt, daß eine solche Auslegung nur schwerlich mit der Bedeutung eines
173 Ablehnend Köhler, AcP, Bd. 182 (1982), S. 126 (142); bejahend dagegen Obennayer, VwVfG, § 37 Rn. 67; differenzierend Stelkens I Stelkens, VwVfG, § 37 Rn. 63, der eine solche Heranziehung Dritter bei Beamten für zumutbar hält. 174 Stelkens I Stelkens, VwVfG, § 37 Rn. 61; ablehnend aber Meyer I Borgs I Meyer, VwVfG, § 37 Rn. 28 und Knack I Schwarze, VwVfG, § 37 Rn. 5.4.2; für den Bereich gerichtlicher Urteile auch VGH Kassel, NIW 84, S. 2429 (2429).
3. Abschnitt: Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten VA
159
VeJWaltungsaktes als Regelung eines Einzelfalles in Einklang zu bringen ist. Dieser ist in seiner Einzigartigkeit von der Behörde vollständig und abschließend zu regeln. Dazu gehört auch die Beifügung der notwendigen Erläuterungen. Schließlich spricht entscheidend für die hier bevorzugte Auslegung, daß sonst wiederum ein Risiko der Automation auf den Bürger verlagert wird, nämlich die Gefahr, diese Erläuterungen im entscheidenden Augenblick nicht aufzufinden. Grimmer hat überzeugend darauf hingewiesen, daß verfrühte Benachrichtigungen genauso schädlich sind wie Verspätungen 17S. Deshalb sind die erforderlichen Erläuterungen jedem einzelnen VeJWaltungsakt beizufügen. 4. Resümee
Die vorstehenden Überlegungen haben ergeben, daß im Rahmen der nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffenden Auswahlentscheidung zwischen der VeJWendung eines vollständigen Textes und dem Einsatz von Schlüssel zeichen immer weniger Gesichtspunkte für die letztgenannte Alternative sprechen. Die technische Fortentwicklung und die Verbesserung der Einsatzmöglichkeiten für Textbausteine machen den Rückgriff auf diese aus der Anfangszeit der Automation stammende Darstellungsweise entbehrlich. Zugleich erhöht das Zusammenspiel von Schlüsselzeichen und Erklärung maßgeblich die Verständnisschwierigkeiten und Hemmschwellen beim Bürger. Angesichts der vom Gesetzgeber bewußt vorgenommenen Aufwertung der Forderung nach einer Bestimmtheit des Regelungsinhalts ist daher der Einsatz von Schlüsselzeichen weitestgehend zu vermeiden. Wo er dennoch erfolgt, sind um so strengere Anforderungen an die Verständlichkeit der Erläuterungen zu stellen. Diese sind jedem einzelnen VeJWaltungsakt beizufügen. Unzumutbar ist die Heranziehung Dritter zur Entschlüsselung. Darüber hinaus unterliegt es starken rechts- und sozial staatlichen Bedenken, wenn statt auf den konkreten Adressaten auf ein durchschnittliches Begriffs- und Erkenntnisvermögen abgestellt wird. Jedenfalls bei sozialen Randgruppen dürfte die VeJWaltung zu umfangreichen, für jedermann verständlichen Erläuterungen verpflichtet sein.
175
Grimmer, in: Grimmer, S. 341 (344); derselbe, DÖV 82, S. 257 (259).
160
2. Teil: Hauptteil
VII. Die Begründung des Verwaltungs aktes
1. Einführung
Die von § 39 I VwVfG geforderte Begründung des Verwaltungsaktes ist notwendig, um dem Betroffenen die Grundlage der Regelung verständlich zu machen. Gerade weil die Verfügung einseitig erlassen wird, erscheint es erforderlich, ihre Gründe mitzuteilen, um dem Betroffenen nicht das Gefühl zu vermitteln, nur Objekt des Verfahrens zu sein. Die Begründungspflicht geht dabei noch weiter als die Anhörungspflicht, weil sie auch für begünstigende Verwaltungsakte gilt. Sie hat im Rahmen des Verwaltungsverfahrens mehrere wichtige Funktionen. Primär soll sie eine sachgerechte Verteidigung des Bürgers ermöglichen l76 • Nur wenn dieser die maßgeblichen Entscheidungsgründe der Behörde kennt, kann er die Erfolgsaussichten eventueller Rechtsmittel beurteilen. In dieser Funktion der Begründungspflicht liegt auch ihr verfassungsrechtlicher Bezug begründet, der in erster Linie im Rechtsstaatsprinzip zu suchen istIn. Daneben dient sie aber auch der Entlastung der Verwaltungsgerichte, indem sie einerseits den Betroffenen von der Aussichtslosigkeit eventueller Rechtsmittel überzeugen kann 178 und andererseits dem Gericht die Kontrolle der Entscheidung erleichtert. Schließlich führt die Begründungspflicht zu einer Selbstkontrolle der Verwaltung, die sich auf diese Weise Rechenschaft über die Berechtigung der von ihr getroffenen Regelung ablegen muß 179 • Gerade bei einem automatisierten Verwaltungsakt hat die Begründungspflicht eine besondere Berechtigung. Durch den Einsatz der Computertechnologie
176 Horn, S. 105; Zeidler, S. 22; Brinckmann, Fonnulare, S. 247; Gruber, Diss. jur. Würzburg, S. 101; Maunz, BayVBI. 67, S. 86 (87); MaUer-Heidelberg, Recht im Amt 70, S. 101 (104); Grimmer, in: Reinennann 1985, S. 305 (315); derselbe, Rechtsverwirklichung, S. 48; Maaß, DVBI. 61, S. 7 (9); Erichsen I Badura, S. 417; Maurer, JuS 76, S. 485 (489); Woljfl Bachof, S. 420.
177 Zeidler, S. 22; Kopp, Vwvro, § 39 Rn. 2; Messerschmidt, Verwaltungsrundschau 77, S. 86 (86); Sche.ffler, DÖV 77, S. 767 (768); BuU, Verwaltung, S. 123; Maaß, DVBI. 61, S. 7 (9); Erichsen I Badura, S. 417. Brinckmann, Fonnulare, S. 247; BVerwG, NJW 91, S. 936 (937) läßt offen, ob eine Pflicht zur Rechtfertigung staatlicher Entscheidungen auch aus dem Demokratieprinzip folgen kann.
178
Weltling, BWVPr. 89, S. 169 (171); Sche.ffler, DÖV 77, S. 767 (768).
179
Grimmer, in: Reinennann 1985, S. 305 (315); Schenke, VblBW 82, S. 313 (324).
3. Abschnitt: Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten VA
161
kommt es zu einer ungeheuren Verdichtung der Informationen l80 , weIche die Verwaltung bei ihrer Entscheidung berücksichtigen kann. Anders als im herkömmlichen Verfahren kann der Bürger nicht mehr von sich aus erkennen, auf weIcher Grundlage die Regelung getroffen wurde. Hier muß die Verwaltung ihn über die Begründung an ihren Informationen beteiligen, um nicht aussichtslose Rechtsmittel zu provozieren. Die Praxis in dieser Frage sieht jedoch anders aus. Während bei der Frage der Verständlichkeit des Bescheides in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte erzielt werden konnten l81 , sind Begründungsdefizite noch die Regel l82 • Eine wesentliche Ursache dafür ist die Ausnabmeregelung des § 39 11 Nr. 3 VwVfG, die es im folgenden zu untersuchen gilt. 2. Die Ausnahmevorschrift des § 39]] Nr. 3 Vwl(fG
Bereits beim Inkraftreten des Verwaltungsverfahrensgesetzes enthielt § 39 11 Nr. 3 VwVfG eine Ausnahme vom Begründungszwang für Verwaltungsakte, die mit Hilfe automatischer Einrichtungen erstellt werden. Ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien wollte der Gesetzgeber mit dem Ausnabmekatalog des § 3911 VwVfG eine Überlastung der Verwaltung vermeiden. Speziell § 39 11 Nr. 3 VwVfG erschien ihm deshalb vertretbar, weil derartige Verwaltungsakte aus sich selbst heraus verständlich seien, so daß eine Begründung überflüssige seP83.
180 Grimmer, in: Reinemaann 1985, S. 305 (314); Heußner, Sozialgerichtsbarkeit 76, S. 245 (249); Brinclanann, Formulare, S. 247; Grimmer, Rechtsverwirklichung, S. 50; Forsthoff, S. 238. 181 So Klaus I Wattenberg I Winlder, eR 89, S. 938 (940) für die Praxis bei den Rentenbescheiden; ferner Schiiffer, DÖV 88, S. 149 (156); Sleikens I Sleikens, VwVfG, § 37 Rn. 56 für die Privatwirtschaft. Eberle, Die Verwaltung 87, S. 459 (461) geht davon aus, daß der unleserliche Computerbescheid bereits Legende ist; skeptisch dagegen Horn, S. 115. 182 Vergleiche dazu etwa Grimmer, Rechtsverwirklichung, S. 49 ff. für die Rentenversicherung; wenn überhaupt, dann erfolgen pauschale Begriindungen, die aber nicht ausreichen (Maunz, BayVBI. 67, S. 86 (87); Grimmer, in: Reinemaann 1985, S. 300 (315); Gageil Gagei, AFG, vor § 142 Rn. 50) und wegen eines Verstoßes gegen Art. 3 I GG sogar verfassungswidrig sein können (Horn, S. 125; Brinclanann, Formulare, S. 248).
183 BT-DS 7 I 910, S. 60 f.; so auch Grüner, SGB-X, § 35 Anm. 3 und Habschmann I Spanner, AO 1977, § 121 Rn. 17 sowie Sleikens I Sleikens, VwVfG, § 39 Rn. 42. 11 Polomski
162
2. Teil: Hauptteil
a) Vergleichbare Vorschriften in AO 1977 und SGB-X Das Sozialrecht enthält in § 35 11 Nr. 3 SGB-X eine wortgleiche Regelung. Eine solche findet sich auch in § 121 11 3 AO 1977. Dabei ist aber zu beachten, daß eine Begründung in der Abgabenordnung, anders als nach § 39 I VwVfG, schon grundsätzlich nur dann gefordert wird, wenn sie für das Verständnis der Regelung notwendig ist. Diese Abschwächung der Begründungspflicht ist aus den Besonderheiten des Steuerrechts zu erklären, in dem es im wesentlichen um Rechenoperationen geht l84 , die auch ohne eine Begründung verständlich sind. Die zur Nachprüfung des Bescheides in erster Linie wichtige Kenntnis der Besteuerungsgrundlagen wird durch § 15711 AO 1977 besonders abgesichert. b) Die Verfassungsmäßigkeit des § 39 11 Nr. 3 VwVfG Wie schon bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 37 IV 1 VwVfG lassen sich auch bei der Beurteilung des § 39 11 Nr. 3 VwVfG im wesentlichen drei Auffassungen unterscheiden.
aa) Die vertretenen Ansichten Ein Teil der Literatur bejaht die Verfassungsmäßigkeit dieser Ausnahmeregelung. Regelmäßig gehe es bei automatisierten Verwaltungsakten um die Anwendung eindeutiger Rechtsgrundlagen, welche eine entsprechend leicht nachvollziehbare Subsumtion ermöglichen würden l8s • Zwar sind hier die Bedenken größer als bei der Anhörung und beim Unterschriftserfordemis, jedoch geht diese Ansicht davon aus, daß derartigen Problemen durch eine restriktive Auslegung der "Umstände des Einzelfalles" ausreichend Rechnung getragen werden kann 186 • Andere Autoren sehen in bestimmten Bereichen der Verwaltungstätigkeit eine Begründung stets als nach den Umständen des Einzelfalles geboten an. So
184
Haeberle, Boorberg-FS, S. 47 (82).
18S
Degrandi, S. 103.
186 Schroeder-Printzen I Enge/mann, 5GB-X, § 35 Anm. 3; Schenke, YblBW 82, s. 313 (324); Haeberle, Boorberg-FS, S. 47 (80); Brummer, AO 1977, § 119 Rn. 6; ScheJller, DÖV 77, 767 (771) bedauert die fehlende Eindeutigkeit der Norm.
3. Abschnitt: Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten VA
163
bejaht Maurer 187 ihre Notwendigkeit im Rentenrecht, weil dort häufig Rechtsänderungen erfolgten und somit nicht davon ausgegangen werden könne, daß dem Bürger die maßgeblichen Entscheidungsgrundlagen bekannt sind. Spanner gelangt zum gleichen Ergebnis rur das Steuerrecht. Soweit von der Steuererklärung abgewichen werde, handele es sich nicht mehr um einen Massenbescheid, rur den allein die gesetzliche Ausnahmevorschrift konzipiert sei 188. Schwarze 189 fordert eine Begründung rur das Atom- und Immissionsschutzrecht wegen der Bedeutung dieser Rechtsmaterien. Auf der anderen Seite sei aus diesem Grund eine Begründung bei der Hundesteuer oder der Müllabfuhr entbehrlich. Müller-Heidelberg l90 schließlich will auf eine Begründung dann nicht verzichten, wenn "materielle Gerechtigkeitserwägungen" betroffen sind. Ein Großteil der Literatur hat dagegen generelle rechtsstaatIiche Bedenken gegen die Entbehrlichkeit einer Begründung bei automatisierten Entscheidungen. Vor Inkrafttreten des VwVfG habe es einhelliger Ansicht entsprochen l91 , daß die Notwendigkeit einer sachgemäßen Verteidigung keinerlei Ausnahmen zulasse. Der Gesetzgeber habe bei der Konzeption des § 39 11 VwVfG in bewußter Abkehr von verfassungsrechtlich beeinflußten Positionen gehandelt. Diese Entscheidung sei besonders bedenklich, weil nur aus der Sicht der Behörde eine Einheitlichkeit der Bescheide vorliege. Der Bürger als Adressat kenne dagegen nur den ihn betreffenden, individuellen Bescheid. Es sei nicht einzusehen, warum seine Schutzbedürftigkeit nur deshalb geringer sein solle, weil sich auch andere Personen in einer ähnlichen Lage befinden l92 • Der einzige Sinn dieser Vorschrift wird daher in einer Verwaltungsverein-
187
Maurer, Allg. VwR, S. 393; auch Hauck / Heines / Recht, SGB-X, § 35 Rn. 22 ist dieser Ansicht, weil Rentenbescheide einen individuellen, komplizierten Inhalt haben. 188 Hübschmann / Spanner, AO 1977, § 121 Rn. 18; Klein / Förster, AO 1977, § 121 Rn. 18; fiir Steuerbescheide verneint 1ipke / /(rose, AO 1977, § 121 Rn. 9 generell die Anwendbarkeit, weil es sich nicht um gleichartige Verwaltungsakte handele; ebenso Brummer, AO 1977, § 121 Anm.4. 189
Knack / Schwarze, VwVfG, § 39 Rn. 3.3.3.
190
MülJer-Heidelberg, Recht im Amt 70, S. 101 (104).
191
Maunz, BayVBI. 67, S. 86 (87).
Bull, JR 65, S. 178 (180); Meyer / Borgs / Meyer, VwVfG, § 39 Rn. 22; Brinckmann, Formulare, S. 247; Grimmer, Rechtsverwirklichung, S. 50; fiir eine Begriindungspflicht auch Sendler, in: Reinennann, S. 165 (170) und Erichsen / Badura, S. 417 sowie Achterberg, S. 579. 192
11·
164
2. Teil: Hauptteil
fachung gesehen l93 • Lediglich dann, wenn unabhängig vom Maschineneinsatz eine einfache, leicht nachvollziehbare Entscheidung vorliege, könne in einer Abwägung der beteiligten Interessen ein Verzicht auf die Begründung in Betracht kommen l94 • Alles spreche aber dafür, diese Ausnahme so restriktiv wie möglich zu handhaben 195 und eine Begründung auch bei einer automatisierten Entscheidung als erforderlich anzusehen.
bb) Entscheidung Die Entbehrlichkeit einer Begründung nach § 39 11 Nr. 2 VwVfG ist in der Tat die problematischste Sondernorm für automatisierte Verwaltungsakte. Was bei der Anhörung zugunsten einer Entlastung der Verwaltung noch hinnehmbar sein mag, weil es ein ausgeprägtes Rechtsschutzsystem gibt, wird bei der Begründung bedenklich, da ihr Fehlen auch diesen Rechtsschutz beeinträchtigt. Allerdings gilt es zu beachten, daß zwei besonders problematische Verwaltungsbereiche gar nicht von § 39 11 Nr. 3 VwVfG berührt werden. Dies gilt zum einen für die Ermessensverwaltung, die im Rahmen der Begründungspflicht Besonderheiten nach § 39 13 VwVfG, vor allem aber nach § 35 SGB-X auslöst. Wie oben gesehen l96 , ist dieser Bereich weitgehend einer zulässigen Automatisierung entzogen. Zum anderen ist diese Norm auch in weiten Teilen der Leistungsverwaltung ohne Bedeutung, weil die Begründung dort schon nach § 39 11 Nr. 1 VwVfG entfallen kann, soweit vom Antrag des Betroffenen nicht abgewichen wird.
193 Grimmer, in: Reinermann 1985, S. 305 (314); derselbe, ÖVD 84, Heft 11, S. 83 (85); derselbe, RechtsveIWirklichung, S. 50; Brinckmann, Fonnulare, S. 247; 1ipke I Kruse, AO 1977, § 121 Rn. 9; Meyer I Borgs I Meyer, VwVfG, § 39 Rn. 22; Obermayer, VwVfG, § 39 Rn. 50. 194 Vergleiche Hauck I Heines IRechI, SGB-X, § 35 Rn. 22; Hoffmann, AO 1977, § 121 Anm. 3; Klein I Orlopp I Brockmeyer, AO 1977, § 121 Anm. 4; Meyer I Borgs I Meyer, Vwvro, § 39 Rn. 22; Kühn I KUller, AO 1977, § 121 Anm. 4c, weil hier ohnehin nur eine pauschale Begründung denkbar sei. Diese fordert Lazaralos, S. 364 in jedem Fall; fraglich sei lediglich, ob zusätzlich eine individuelle Begründung erforderlich sei.
195 Meyer I Borgs I Meyer, VwVfG, § 39 Rn. 26; Knack I Schwane, Vwvro, § 39 Rn. 3.3.2; Heußner, Sozialgerichtsbarkeit 76, S. 245 (249); Brinckmann, Fonnulare, S. 247; Grimmer, RechtsveIWirklichung, S. 50; derselbe, in: Reinermann 1985, S. 305 (314). 196 Vergleiche hierzu S. 58; zur Bedeutung einer Begründung im Bereich der Ennessensverwaltung Schenke, VblBW 82, S. 313 (324); Maurer, JuS 76, S. 485 (489); Schroeder-Printzen I Engelmann, SGB-X, § 35 Anm. 2.2.
3. Abschnitt: Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten VA
165
Der verbleibende Bereich der Eingriffsverwaltung ist aber traditionell der Teil, in dem stets eine Begründung gefordert wurde, um dem Bürger die Belastung erträglicher zu machen. Dabei sprechen gerade in einem automatisierten Verfahren gute Argumente für eine besonders intensive Begründungspflicht. Neben der schon erwähnten Verdichtung der Entscheidungsgrundlagen l97 ist dazu vor allem die Schnelligkeit dieses Verfahrens zu berücksichtigen. Alle maßgeblichen Entscheidungen werden ausschließlich von einem einzelnen Sachbearbeiter in großer Eile getroffen l98 • Deshalb könnte die Selbstkontrollfunktion der Begründungspflicht hier einen wichtigen Anwendungsbereich erhalten. Bedenklich erscheint auch, daß die Verwaltung durch die Wahl der Bearbeitungsform einseitig bestimmen kann, ob sie im Anwendungsbereich der Begründungspflicht handeln will. In den Katalog des § 39 11 VwVfG wurde bewußt nicht der Fall aufgenommen, daß der Betroffene auf eine Begründung verzichtet, weil der Gesetzgeber befürchtete, daß ein solcher Verzicht durch die überlegene Stellung der Verwaltung zu oft faktisch erzwungen werden könnte l99 • Dann aber erscheint es noch gefährlicher, der Verwaltung diesen Weg durch die einseitige Entscheidung über das anzuwendende Verfahren zu eröffnen. Der Gesetzgeber konnte 1977 die immense Ausweitung der Automation noch nicht vorhersehen. In dem von ihm zugrunde gelegten Bereich der Massenverfahren erschien einerseits eine Begründung kaum als notwendig, andererseits hätte sie die Anwendung solcher Verfahrensgestaltungen praktisch ausgeschlossen. Unter den geänderten Bedingungen der Technik haben aber beide Hypothesen ihre Berechtigung verloren. Automatisierte Bescheide ergehen heute auch in solchen Bereichen, in denen keinesfalls unterstellt werden kann, daß dem Bürger die Grundlagen der getroffenen Regelung bekannt sind. Die Rechtsordnung ist durch die ständige Zunahme der Anzahl der Regelungen unübersichtlich geworden. Zudem wird auch die einzelne Norm im Hinblick auf die Möglichkeit einer automatisierten Anwendung immer komplizierter gestaltet1OO • Hier kann nur noch eine detaillierte Begründung dem Bürger den Hintergrund der Verfügung verdeutlichen. 197
Siehe dazu S. 113.
198
Sche.ffler, DÖV 77, S. 767 (768).
BT-DS 7 I 910, S. 61; so auch Knack I Schwane, Vwvro, § 39 Rn. 5; SchroederPrintzen I Enge/mann, SGB-X, § 35 Anm. 3.6; zur Erzwingung der Einwilligung beim Datenschutz durch wirtschaftliche Abhängigkeiten Schlink, NVwZ 86, S. 249 (249). 199
100
Zu dieser Automationsspirale siehe S. 46 Fn. 123.
166
2. Teil: Hauptteil
Eine Begründung ist auch in einem automatisierten Bescheid möglich. Wo es heute noch technische Schwierigkeiten gibt, eignet sich entweder dieser Verwaltungsbereich oder aber dieses Gerät nicht für einen automatisierten Verwaltungsakt201 • Regelmäßig ist eine entsprechende Begründung ebenso gut programmierbar wie der eigentliche Entscheidungsinhalt. Spätestens der Übergang zur 5. Computergeneration wird die bisherigen Probleme bezüglich einer ausreichenden Begründung beseitigen202 • Schließlich sprechen auch Gesichtspunkte des Rechtsschutzes für die Notwendigkeit einer solchen Begründung. Gemäß § 82 I 2 VwGO muß der Bürger bei einer Klage die zur Begründung dienenden Tatsachen angeben. Dieser Verpflichtung kann er kaum Folge leisten, wenn er Widersprüche in der Argumentation der Verwaltung deshalb nicht erkennen kann, weil ihm die Gründe gar nicht erst mitgeteilt werden203 • Die Folge muß zwangsläufig die Erhebung objektiv aussichtsloser Rechtsbehelfe "auf Verdacht" sein, welche die ohnehin schon überlasteten Verwaltungsgerichte unnötig beschäftigen. Nicht zuletzt gilt es auch zu beachten, daß die enge Begrenzung der Rechtsmittelfristen in den §§ 70 I, 74 VwGO bereits erfolgte, als es noch keine gesetzliche Ausnahme vom Begründungszwang gab. Diese relativ kurzen Fristen erscheinen nur dann vertretbar, wenn der Betroffene sowohl den Inhalt der Regelung als auch ihren Hintergrund sofort mit der Bekanntgabe verstehen kann. Treten hierbei durch den automatisierten Bescheid Defizite auf, müßte auf der anderen Seite eine Ausweitung dieser Fristen in Erwägung gezogen werden. Die Notwendigkeit einer Begründung kann jedoch ausreichend im Rahmen einer Auslegung des § 39 11 Nr. 3 VwVfG berücksichtigt werden. Ansatzpunkt sind insoweit die "Umstände des Einzelfalls". Unter den hier beschriebenen Bedingungen sollte die Erstellung mit Hilfe automatischer Einrichtungen nicht länger als ein Beispiel für eine solche Entbehrlichkeit verstanden werden. Nicht die automatisierte Erstellung als solche ist maßgeblich, sondern ob aus sonstigen Gründen auf eine Begründung verzichtet werden kann. Zusätzlich sollten diese Fälle schon deshalb möglichst eng gefaßt werden, weil es sich bei § 39 11 VwVfG systematisch um eine Ausnahmenorm handelt.
201 Maunz, BayVBI. 67, S. 86 (87); Maaß, DVBI. 61, S. 7 (9) fordert hier notfalls eine gesonderte Begründung neben dem eigentlichen Bescheid. 202
Traunmaller, in: Reinermann, S. 100 (108).
203 Die Begründungspflicht für den Widerspruchsbescheid nach § 73 m I VwGO ist für den Betroffenen wenig hilfreich, weil es auch dort bereits Standardisierungstendenzen gibt, vergleiche s. 231, 232.
3. Abschnitt: Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten VA
167
Mit Achterberg204 ist de lege ferenda eine Änderung des VwVfG in diesem Punkt, zumindest aus KlarsteIlungsgründen, anzustreben. Auch ohne sie muß aber die Verwaltung den geänderten Bedingungen durch eine entsprechend restriktive Anwendung des § 3911 Nr. 3 VwVfG Rechnung tragen. Dieses gilt insbesondere dann, wenn aufgrund des § 28 11 Nr. 4 VwVfG eine Anhörung unterblieben ist. Die Kumulation von fehlender Anhörung und fehlender Begründung führt dazu, daß der Betroffene sich vollständig als Objekt des Verfahrens fühlt. Sie sollte daher zwingend vermieden werden.
B. Besonderheiten bei speziellen Fonnen des automatisierten Verwaltungsaktes Abschließend sollen in diesem Abschnitt Besonderheiten bei zwei speziellen Formen des Verwaltungsaktes untersucht werden, nämlich beim Bußgeldbescheid nach den §§ 35 ff. OWiG und bei der Zusicherung nach § 38 I VwVfG. I. Der automatisierte Bußgeldbescheid
1. Einführung
Als erstes Beispiel für ein besonderes Verwaltungsverfahren zum Erlaß eines automatisierten Verwaltungsaktes soll hier das Bußgeldverfahren betrachtet werden. Gemäß § 2 11 Nr. 2 VwVfG ist darauf das Verwaltungsverfahrensgesetz nicht anwendbar. Vielmehr befmden sich die maßgeblichen Vorschriften in den §§ 35 ff. OWiG. Zuständig zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten ist nach § 35 I OWiG grundsätzlich die Verwaltungsbehörde. Nach § 46 I OWiG gelten für das Bußgeldverfahren die StPO, das GVG und das JGG, soweit in den §§ 46 ff. OWiG nicht etwas anderes bestimmt ist. Im Zusammenhang mit einer Automatisierung des Bußgeldverfahrens sind dabei insbesondere deren generelle Zulässigkeit sowie die Regelungen über Anhörung, Unterschrift und Begründung von Interesse.
204
Achterberg, S. 579.
168
2. Teil: Hauptteil
2. Die Zulässigkeit eines automatisierten Bußgeldbescheides
Bedenken gegen eine Automatisierung des Bußgeldverfahrens haben ihren Ursprung im strafähnlichen Charakter der Geldbuße. Wie Isensee:lDS mit Recht betont, sollte die Behörde bei der Bemessung von Unrechtsfolgen zu einer individuellen Würdigung des Sachverhalts verpflichtet sein. Auch gilt es zu beachten, daß zur Durchsetzung des Bußgeldbescheides nach §§ 96 ff. OWiG eine Erzwingungshaft möglich ist, die gerade nach automatisierten Bußgeldbescheiden immer häufiger angeordnet wird206 • Dagegen scheidet die Umwandlung in eine Ersatzfreiheitsstrafe, wie nach § 43 StGB oder § 334 I AO 1977, hier aus207 , weil nach § 15 11 OWiG die Einstellung des Verfahrens bei Uneinbringlichkeit möglich ist. Trotz dieses individuellen Charakters der Buße ist ein automatisierter Bußgeldbescheid in der Praxis die Regel. Seine Zulässigkeit unterliegt denn auch keinerlei ernsthaften Zweifeln mehr. Zum einen kann dazu auf die Regelung des § 51 I 2 OWiG verwiesen werden, wonach Schriftstücke, die mit Hilfe automatischer Einrichtungen gefertigt wurden, zugestellt werden müssen. Wie schon bei den entsprechenden Ausnahmevorschriften im VwVfG, SGB-X und der AO 1977 kann daraus gefolgert werden, daß der Gesetzgeber diese Art der Erstellung des Bußgeldbescheides für zulässig hält2ll8 • Zum anderen ist die gewandelte, weitgehend abgeschwächte Bedeutung des Bußgeldverfahrens zu beachten. Nach dem OWiG 1952 überprüfte der Richter die (auch formelle) Rechtmäßigkeit des Bußgeldbescheides. Seit dem OWiG 1968 dagegen trifft der Richter eine eigene Entscheidung darüber, ob der Tatbestand der Ordnungsnorm verwirklicht worden ist. Der Erlaß des Bußgeldbescheides ist dabei
:lDS Isensee, S. 20; Bedenken gegen die "Computerstrafverfügung" finden sich auch bei Messiner, Zeitschrift für Verkehrsrecht 79, S. 163 (164), vor allem, wenn es durch den Einsatz des Computers zu höheren, standardisierten Bußgeldern kommt; dann zieht Messinereinen Verzicht auf die Computerbenutzung vor. Siehe zu diesem Problem für das österreichische Recht auch Szymanski, Zeitschrift für Verkehrsrecht 86, S. 361 (363). 206 Vergleiche dazu den Bericht "Wenn sich der Schlüssel dreht" in der Zeitschrift "Der Spiegel", Heft 38 aus 1991, S. 112 (115).
:lD7 Nach Kalbhenn, Deutsche Steuerrundschau 56, S. 409 (411) sind wegen dieser Umwandlungsmöglichkeit bei der Automatisierung des Steuerverfahrens besondere Schutzvorschriften erforderlich; auf den Strafcharakter des Bußgeldverfahrens weist auch das LG Frankfurt a. M., NJW 75, S. 2078 (2079) hin. 2118 LG Frankfurt a. M., NIW 76, S. 337 (338) für den Vorläufer dieser Regelung, der statt einer Unterschrift einen Dienstsiegel vorsah.
3. Abschnitt: Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten VA
169
nur noch eine Verfahrensvoraussetzung209• In dieser Funktion aber ist auch ein automatisierter Verwaltungsakt vertretbar, wenngleich besondere Sensibilitäten der Betroffenen in diesem Bereich nicht zu verkennen sind. Vor einer Anordnung von Beugehaft sollte eine individuelle Nachprüfung des Bescheides schon deshalb selbstverständlich sein, weil das Grundgesetz Freiheitsentziehungen in Art. 104 GG mit besonderen Sicherungen versehen hat. 3. Besonderheiten des automatisierten Bußgeldveifahrens
Im Rahmen des automatisierten Bußgeldverfahrens ist zunächst die Regelung der Anhörung zu beachten. Diesbezüglich verweist § 55 I OWiG auf § 163 a I StPO. Danach ist im Rahmen eines Vorverfahrens die Gelegenheit zu einer schriftlichen Äußerung zu gewähren. Da keine Ausnahme für automatisierte Verfahren vorgesehen ist, gilt diese Vorschrift in vollem Umfang auch für diesen Bereich2lO• Wesentlich unklarer ist dagegen die Rechtslage für das Erfordernis einer Unterschrift. Wenn § 46 I OWiG für das Verfahren auf die StPO verweist, müßte aus §§ 271 I 1, 275 11 StPO die Notwendigkeit einer Unterschrift abzuleiten sein. Zudem geht auch die Vetjährungsregel des § 33 11 1 OWiG von einer Unterzeichnung der Anordnung aus. Dennoch sieht die Rechtsprechung eine eigenhändige Unterschrift als entbehrlich an. Ausreichend sei der Aufdruck des Namens211 • Begründet wird diese Einschränkung mit dem schon angesprochenen Charakter des Bußgeldbescheids als bloßes Angebot. Auch aus § 33 11 OWiG folge nicht die Notwendigkeit einer Unterschrift. Entweder müsse man davon ausgehen, daß diese Norm nur den Vetjährungs-
209 BT-DS 5 I 1269, S. 32; so auch OLG Frankfurt a. M., NJW 76, S. 337 (337) und LG Frankfurt a. M., NJW 75, S. 2078 (2079) sowie OLG Stuttgart, NJW 76, S. 1905 (1905). Insoweit unterscheidet sich die gerichtliche Kontrolle des Bußgeldbescheides durch das Amtsgericht deutlich von der Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht, bei der eine Überpriifung des Bescheides in formeller und materieller Hinsicht erfolgt. 210 Diese Norm übersieht Lazaratos, S. 206, wenn er wegen eines vermeintlichen Beschleunigungsbedürfnisses auf eine Anhörung verzichten und stattdessen einen aufschiebend bedingten Bußgeldbescheid erlassen will, der erst dann wirksam werden soll, wenn der Betroffene innerhalb einer bestimmten Zeit keine Einwände erhebt.
211 LG Frankfurt a. M., NJW 75, S. 2078 (2078); OLG Frankfurt a. M., NJW 76, S. 337 (338); nach Ansicht des LG Frankfurt a. M., NJW 76, S. 1906 (1907) reicht die Unterschrift auf der Urschrift, obwohl diese dem Adressaten nicht zugeht; ähnlich auch OLG Stuttgart, NJW 76, S. 1905 (1906).
170
2. Teil: Hauptteil
zeitpunkt fixieren solle, oder die Unterschrift sei jedenfalls kein Wirksamkeitserfordernis für den Bußgeldbescheid2l2 • Dieser Ansicht der Rechtsprechung ist im Ergebnis beizupflichten. Wie oben dargelegtl 13 , können alle wesentlichen Funktionen der Unterschrift genauso gut durch eine Namenswiedergabe erreicht werden. Dann aber muß in einer Abwägung zwischen den Interessen des Bürgers und denen der Verwaltung auch Gesichtspunkten der Verwaltungspraktikabilität Raum gegeben werden, die hier entscheidend gegen eine eigenhändige Unterschrift sprechen. Umstritten bleibt lediglich, ob ein nicht unterschriebener Bescheid die Verjährung unterbrechen kann. Das Landgericht Frankfurt verneint eine solche Wirkung, weil "Unterzeichnung" im Sinne des § 33 11 1 QWiG nur die Handlung einer natürlichen Person sein könne. Die Unterschrift sei aus Gründen der Rechtssicherheit auch bei einem EDV-Einsatz unverzichtbar l4 • Demgegenüber unterbricht nach Ansicht des Oberlandesgerichtes Frankfurt auch ein nicht unterschriebener Bescheid die Verjährung2lS • Der letztgenannten Ansicht ist zu folgen. Es wäre inkonsequent, den Bescheid auf der einen Seite für wirksam zu halten, ihm aber auf der anderen Seite jeglichen Einfluß auf den Eintritt der Verjährung abzusprechen. Hierdurch würde einseitig derjenige begünstigt, der durch seine Kenntnis der einschlägigen Rechtsprechung trotz Erhalt eines Bescheides nicht zahlt. Zwar tritt die Verjährungsunterbrechung dadurch etwas früher ein als im manuellen Verfahren, aber es gibt keinen Anspruch des Betroffenen auf Erreichen der Verjährungsgrenze. Für die Frage der Begründung des Bußgeldbescheides schließlich findet sich eine detaillierte Regelung in § 66 OWiG. Automationsbedingte Besonderheiten sind dort nicht vorgesehen, so daß sich eine Erörterung des Inhalts im Rahmen dieser Ausführungen erübrigt. Somit ist insgesamt festzuhalten, daß das Bußgeldverfahren den Ausnahmevorschriften des VwVfG, des SGB-X und der AO 1977 in den Fragen des automatisierten Verwaltungsaktes nicht gefolgt ist. Weder die Regelung der
212 OLG Stuttgart, NJW 76, S. 1905 (1906); OLG Frankfurt a. M., NJW 76, S. 337 (338); fiir das österreich ische Recht auch Szymanski, Zeitschrift fiir Verkehrsrecht 86, S. 361 (363). 213
Vergleiche hierzu S. 150.
LG Frankfurt a. M., NJW 75, S. 2078 (2080); angedeutet auch vom OLG Stuttgart, NJW 76, S. 1905 (1906). 214
215 OLG Frankfurt a. M., NJW 76, S. 337 (339), weil Manipulationen hier schon dadurch ausgeschlossen seien, daß das System Vordatierungen nicht annehme.
3. Abschnitt: Das Verfahren zum Erlaß des automatisierten VA
171
Anhörung noch diejenige der Begründung enthalten Zugeständnisse an Rationalisierungserwägungen. Erforderlich ist stets eine Namenswiedergabe, wie sie auch in § 37 III VwVfG vorgesehen ist. Diese Tendenz ist zu begrüßen, weil diese Rechtsmaterie wegen ihres strafähnlichen Charakters beim Betroffenen schon per se Sensibilitäten weckt, die durch eine Anonymisierung des Verfahrens nicht noch unnötig gesteigert werden sollten. 11. Die Zusicherung
Auch das Versprechen, einen Bescheid zu erlassen, ist selbst als Verwaltungsakt anzusehen216 • In der Ausrichtung auf einen künftigen Verwaltungsakt liegt das Abgrenzungskriterium zur Zusage, welche auf die Vornahme einer Realhandlung durch die Verwaltung gerichtet ist und deren Verfahrensregelungen sich nach den Grundsätzen von Treu und Glauben beurteilen217 • Die Zusicherung erfordert nach § 38 I 1 VwVfG zum Schutz der Verwaltung vor Übereilung die Schriftform der Erklärung, während eine Zusage auch mündlich möglich ist. Bei einem Übergang von der Automation zur Informations- und Kommunikationstechnik könnte sich dieses Schriftformerfordernis als Hindernis erweisen. Wenn Bürger und Verwaltung über moderne Kommunikationsmittel miteinander verbunden sind, stellt sich die Frage, ob diese nicht auch zur Abgabe der Zusicherung benutzt werden können, um den umständlichen Weg über einen Ausdruck mit anschließender Versendung zu vermeiden. Auf derartige neue technische Möglichkeiten der Übermittlung und Bekanntgabe des Verwaltungsaktes soll ausführlich im folgenden Abschnitt eingegangen werden.
216 Kopp, Vwvro, § 38 Rn. 6; Meyer I Borgs I Meyer, Vwvro, § 38 Rn. I; Stelkens I Stelkens, Vwvro, § 38 Rn. 5. Die Regelung der Zusicherung war im ersten Gesetzesentwurf zum Vwvro noch nicht enthalten, sondern erschien erstmals in § 34 des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-DS 7 I 910.
217 Vergleiche zu den Anforderungen an eine Zusage VGH Mannheim, NVwZ 90, S. 892 (893) und BVerwGE 26,31 (35) sowie BVerwG, NJW 76, S. 303 (304); nach Maurer, JuS 76, S. 485 (491) bietet sich dagegen eine analoge Anwendung des § 38 Vwvro an.
Vierter Abschnitt
Die elektronische Bekanntgabe des automatisierten Verwaltungsaktes A. Einführung Herkömmlicherweise wird ein schriftlicher Verwaltungsakt dem Betroffenen mit der Post bekanntgegeben. Erst diese Bekanntgabe führt nach § 43 I VwVfG zu seiner Wirksamkeit, erst durch sie können seine Rechtsfolgen eintreten. Mit dem zunehmenden Verbreitungsgrad von EDV-Anlagen in der Wirtschaft kam aber schon frühzeitig der Wunsch au~, diese auch im Rechtsverkehr mit der Verwaltung einsetzen zu können. Auch der Verwaltung selbst erschien es zu umständlich, den mit Hilfe derartiger Geräte erstellten Bescheid auszudrucken und als Schriftstück mit der Post zu versenden, sofern beim Empfänger eine Eingabe in die Datenverarbeitungsanlage notwendig ist. So begann zunächst ein Datenträgeraustausch zwischen den Arbeitgebern und der Arbeitsverwaltung beziehungsweise den Sozialversicherungsträgerni . Diese Erleichterung kam also als erstes den "Großkunden der Verwaltung" zugute2 , die sich bereits auf diese neue Technik eingestellt hatten. Mit dem zunehmenden Preisverfall bei derartigen Geräten konnte der Kreis möglicher Teilnehmer aber schnell erweitert werden. Bald darauf erwies sich jedoch auch ein solcher Datenträgeraustausch als unzureichend. Es begann die Einführung von online-Datenfernverbindungen zwischen einzelnen Verwaltungsbereichen und ihren Klienten. So wird heute die Typengenehmigung bei KFZ-Neuzulas-
1 Siehe zu den Regelungen dieses Datenträgeraustauschs in DÜYO und DEVO Marburger, Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht 83, S. 217 (217); Heußner, Sozialgerichtsbarkeit 76, S. 245 (245); für die Rentenversicherung WinkJer, ÖVD 71, Heft I, S. 26 (27). In den USA gibt es solche Möglichkeiten bereits seit 1963, siehe Dreising, DVBJ. 63, 880 (882). 2 Burkert, in: Traunmüller, S. 183 (190); Brinckmann, Kontrolle, S. 26; Lenk, eR 86, S. 294 (297); für das zivilgerichtliche Mahnverfahren Raisch, JZ 70, S. 433 (434).
4. Abschnitt: Die elektronische Bekanntgabe des Verwaltungsaktes
173
sungen als Verwaltungsakt des Kraftfahrtbundesamtes den Automobilherstellem elektronisch übermittel~. Eine ähnliche Entwicklung ist im Güterverkehrsrecht zu beobachten, wo die Frachtgenehmigungenden Spediteuren auf diesem Wege bekannt gegeben werden4• Für den normalen Bürger aber blieb auch diese Entwicklung noch ohne Bedeutung, weil eine derartige Datenfernverbindung für den einzelnen zu umständlich und zu teuer ist. Hier wird aber der Übergang zur Informationsund Kommunikationstechnik erhebliche Veränderungen mit sich bringen. Der Anschluß an Telefax oder die Verbindung von pe und BTX gehören heute schon wie selbstverständlich zu jedem Büro und werden morgen das Wohnzimmer erreicht haben. Erste Anwendungsbeispiele für diese Art der Nutzung neuer Kommunikationstechniken finden sich bei der Vorbereitung einer BaugenehmigungS, aber auch bereits bei der Übermittlung des endgültigen Bescheides6• Diese Entwicklung wird sich durch den zunehmenden Ausbau des schmalund breitbandigen ISDN1 noch beschleunigen. Dieses neuartige Netz wird frühestens im Jahre 2020 das bisherige analoge Fernsprechnetz vollständig abgelöst haben. Aufgrund besonderer technischer Normierungen kann damit eine Vielzahl von Kommunikationsdiensten über einen einzigen Anschluß angeboten werden. Gleichzeitig tritt eine ungeheure Beschleunigung der Kommunikation ein. So dauert die Übertragung einer DIN A 4 Seite mit dem analogem Telex noch 4 Minuten, während mit Teletex im breitbandigen ISDN bis zu 50000 Seiten / Minute übermittelt werden können8 • So ist heute eine erhebliche Ausweitung der Anwendungsmöglichkeiten für Kommunikationstechniken im Verhältnis der Verwaltung zu ihren Klienten zu erwarten. Diese Entwicklung ist auf der einen Seite zu begrüßen. Ein gesteiger-
3 Lenk,
CR 86, S. 294 (297).
4
Kübler, S. 38.
S
Brinckmann, Formulare, S. 14 f.
6
Grimmer, in: Traunmaller, S. 28 (36); Fiedler, in: Traunmaller, S. 128 (133).
1 Zum Begriff des ISDN vergleiche S. 34. Zu den Fragen von ISDN insgesamt siehe Kübler, S. 54 ff.; Eberle, CR 88, S. 258 (261). Kassner, in: Ostermann, S. 143 (167, 168, 180) und Schön, in: Fischer, S. 95 (96, 98) sprechen hier von einer "Telekommunikationssteckdose" . Zur Skepsis des Bürgers gegenüber ISDN Broß, Städte- und Gemeindebund 87, S. 128 (130); zu rechtlichen Postulaten rur die Gestaltung des Kommunikationsnetzes Burken, in: Traunmaller, S. 183 (189 f.). 8
Bongen, Städtetag 86, S. 192 (192).
174
2. Teil: Hauptteil
ter Kontakt zwischen Bürger und Verwaltung kann die Anonymisierung des Verfahrens ausgleichen, welche durch die Automatisierung eingetreten ist und über eine Verbesserung der Sachverhaltsermittlung die inhaltliche Qualität der Bescheide steigern. Die Einstellung des Bürgers zur Verwaltung könnte sich ändern, wenn er mittels BTX über die notwendigen Unterlagen für einen Antrag unterrichtet wird und diese, unabhängig von den Öffnungszeiten, der Behörde übermitteln kann. Solchermaßen erscheint der Einsatz dieser Medien als eine logische Konsequenz auf dem Weg zu einer bürgernahen Verwaltung9 • Auf der anderen Seite stellt diese Entwicklung die Rechtsordnung aber auch vor neue Probleme. Neben den hier nicht zu behandelnden Datenschutzfragen ergeben sich solche vor allem aus dem Verzicht auf die Verwendung von Papier. Wie Fiedlt!r IO überzeugend nachgewiesen hat, hängt Recht auch von den Medien seiner Verwirklichung ab. Grundlegende Regelungen des geltenden Rechts wie Schriftform, Urkunde, Wertpapier oder Register verlieren bei einer rein elektronischen Kommunikation an Bedeutung. Sie müssen durch gleich wirksame Vorkehrungen ersetzt werden. Gerade die Fragen der Autorisierung des Absenders, des Empfangsnachweises und der inhaltlichen Richtigkeit sind jedoch beim gegenwärtigen Stand der Technik nur schwer zu lösenIl . Zudem gilt es sicherzustellen, daß der Bürger nicht mittelbar zu einer Anschaffung derartiger Geräte gezwungen wird, um keine Nachteile zu erleiden. Deshalb kann der Zugang zu staatlichen Leistungen keinesfalls von der Benutzung dieser neuen Medien abhängen I2 • Diesen Fragen soll im folgenden für die elektronische Übermittlung eines Verwaltungsaktes nachgegangen werden. Dabei ist es zum einen notwendig, ihre Zulässigkeit auf dem Boden des geltenden VwVfG beziehungsweise VwZG zu untersuchen. Zum anderen soll aber auch auf bestehende Verbesserungsmöglichkeiten hingewiesen werden, die sich einerseits aus dem bereits absehbaren technischen Fortschritt, andererseits aus rechtsstaatlich vertretbaren Anpassungen der Rechtsordnung ergeben.
9 Scholz, Landkreis 87, S. 156 (156); Poetuch-He.lfter, in: Reinermann, S. 16 (22, 28); Redeker, NVwZ 86, 545 (545); Birk, in: Dömer, S. 134 (134). 10
Fiedler, in: Traunmaller, S. 128 (130 f.).
Eberle, eR 88, S. 258 (261); Albrecht, eR 89, S. 438 (442); Seidel, eR 87, S. 376 (376); derselbe, eR 87, S. 635 (638); Buckenberger, OB 82, S. 634 (636); Wolf, NJW 89, S. 2592 (2593); Schimmel, in: Traunmaller, S. 179 (181) speziell zum Erlaß des VelWaltungsalctes. 11
12
Redeker, NVwZ 86, S. 545 (547).
4. Abschnitt: Oie elektronische Bekanntgabe des Verwaltungsaktes
175
B. Die neuen Infonnations- und Kommunikationstechniken Zum besseren Verständnis soll im folgenden die Funktionsweise der wichtigsten neuen Informations- und Kommunikationstechniken dargestellt werden, um anschließend ihre Einsatzmöglichkeiten bei der Übermittlung eines Verwaltungsaktes einer rechtlichen Würdigung unterziehen zu können. I. Teletex
Das seit 1980 verfügbare System Teletex 13 ist eine Fortentwicklung des bereits seit langem bekannten Telex-Gerätes. Anders als dieses soll Teletex an jedem Arbeitsplatz eingesetzt und dort mit dem pe gekoppelt werden. Dieser bildet den Lokalteil zur Erstellung der Mitteilung, der zunächst unabhängig von der späteren Übermittlung ist. Diese Zweiteilung soll es ermöglichen, daß der Text zunächst in Ruhe gestaltet werden kann, ehe die Übertragung an \den Adressaten erfolgt. Diese wird in einer "Kommunikationsdatenzeile" festgehalten. Obwohl die eigentliche Kommunikation so von Speicher zu Speicher erfolgt, kann der Empfang der Nachricht bestätigt werden. 11. Telefax
Ebenfalls seit 1980 ist Telefax l4 im Einsatz; synonym werden auch die Bezeichnungen Telekopie und Fernkopie verwendet. Mit diesem System können Papiervorlagen übermittelt und aufgezeichnet werden. Wie bei einem Fotokopierer wird das Orginal zunächst dupliziert und sodann auf elektronischem Wege zum Empfänger gesandt, wo die Vorlage wieder orginalgetreu auf Papier erscheint. Hierin liegt der wesentliche Unterschied zu Teletex, wo ein Ausdruck nur auf Wunsch erfolgt. Der Einsatz des ISDN wird bei beiden zu Qualitätssteigerungen und Zeiteinsparungen führen lS • Eine Ergänzung zu Tele-
13 Zur Funktionsweise von Teletex siehe Kilbier, S. 57; Buckenberger, OB 82, S. 634 (634); Reinermann, in: Reinermann, S. 23 (24); Schäfer, S. 51; Wissing, ÖVO 82, Heft 2, S. 81 (82); Wolf, NJW 89, 2592 (2594); Faehling, in: Reinermann, S. 85 (88); Redeker, CR 86, S. 489 (496).
14 Zur Funktionsweise von Telefax siehe Wolf, NJW 89, S. 2592 (2592); Seidel, CR 87, S. 376 (378); Kübler, S. 59; Reinermann, in: Reinermann, S. 23 (24); Schäfer, S. 51; Wissing, ÖVO 82, Heft 2, S. 81 (82); derselbe, Slädtetag 88, S. 393 (396); Buckenberger, OB 82, S. 634 (634). 15
SchlJn, S. 99.
176
2. Teil: Hauptteil
fax ist das System Telebriej6. Hat einer der Beteiligten kein eigenes TelefaxGerät, kann die Information an das nächstgelegene Postamt übermittelt werden, von wo sie dann als Briefweiterversandt wird. Mit den gesunkenen Kosten für Telefax ist dieses System aber heute schon wieder im Rückgang begriffen.
III. Bildschirmtext (BTX) Der Bildschirmtext (BTX) wurde erst nach Teletex und Telefax 1984 eingeführt. Verbunden waren damit große Hoffnungen auf eine "Volksdatenverarbeitung" 17. Der BTX-Teilnehmer kann eigene Texte bei einer Zentrale speichern lassen und selbst dort fremde Dokumente abrufen. Zudem ist auch ein Dialog möglich, da neben Nachrichten mit massenkommunikativem Inhalt auch gezielte Einzelmitteilungen für bestimmte Teilnehmer möglich sind l8 • Beim Einsatz von BTX durch die Verwaltung sind zwei Möglichkeiten zu unterscheiden: Zum einen kann BTX als Mitteilungssystem und zur Vorbereitung von Verwaltungsakten verwendet werden. Hier bestehen erhebliche Verbesserungsmöglichkeiten für eine bürgernabe Verwaltung, insbesondere für die Kommunen. Der Bürger kann zum Beispiel den Wunsch nach Ausstellung einer zweiten Steuerkarte oder einer Ausweisverlängerung der Verwaltung über BTX mitteilen. Diese wird ihrerseits in die Lage versetzt, die Öffentlichkeitsund Informationsarbeit auf konkrete Zielgruppen zuschneiden zu können l9 • Davon zu unterscheiden ist der Einsatz zur Bekanntgabe beziehungsweise Zustellung eines Verwaltungsaktes. Eine derartige Verwendung von BTX würde erhebliche Schwierigkeiten aufwerfen. Zum einen hat die Verwaltung
16 Das System Telebrief wird erläutert von Kübler, S. 59; Wolf, NJW 89, S. 2592 (2593); Seidel, eR 87, S. 376 (377).
17 So Kübler, S. 59. Der tatsächliche Verbreitungsgrad ist dagegen stark hinter den ursprünglichen ElWartungen zurückgeblieben, siehe etwa HelWeg, VOP 88, S. 209 (211); Faehling, in: Reinermann, S. 85 (93); Burken, in: Traunmüller, S. 183 (187); Pippke, VelWaltungsrundschau 91, S. 177 (177). Der zwischenzeitlich erfolgte Aufschwung durch die Verbindung von BTX mit dem pe statt dem Fernsehen wird durch Datenschutzprobleme abgeschwächt (Degenhan, in: Dömer, S. 108 (111,116) und Vogel, in: Reinermann, S. 12 (19». 18 Zur Funktionsweise von BTX siehe Degenhan, in: Dömer, S. 108 (110, 119); Kilbier, S. 59; HelWeg, VOP 88, S. 208 (208); Willms, VOP 87, S. 121 (122); Faehling, in: Reinermann, S. 85 (88); zum Einsatz bei der Einlegung von Rechtsmitteln Redeker, eR 86, S. 489 (490 f.).
19 Wedde, in: Roßnagel, S. 67 (80); Kilbier, S. 60; HelWeg, VOP 88, S. 208 (211); /(jeser, in: Traunmüller, S. 42 (52); Faehling, in: Reinermann, S. 85 (88); Kassner, in: Ostermann, S. 143 (154); Lenk, in: Reinermann, S. 354 (363); Brinckmann, Fonnulare, S. 21.
4. Abschnitt: Die elektronische Bekanntgabe des Verwaltungsaktes
177
keinen Einfluß darauf, ob der Bürger die Nachricht aus der Zentrale abruft. Zum anderen wäre keine vorlagengetreue Übermittlung möglich7D • Daher kann BTX im hier zu untersuchenden Sachzusammenhang vernachlässigt werden.
IV. Sonstige neue Kommunikationsdienste Neben Teletex, Telefax und BTX gibt es eine Reihe weiterer Kommunikationsdienste, die aber schon wegen ihrer technischen Ausgestaltung nicht zur Übermittlung von Verwaltungsakten geeignet sind und daher hier nicht berücksichtigt werden müssen. Dazu zählen etwa Femmessen, Fernwirken, MailboxSysteme oder Inhouse-Netze21 • Höchst interessant ist dagegen die Entwicklung von " Text/ax" 22. Damit sollen im ISDN die Vorteile von Teletex und Telefax miteinander verbunden werden. Schriftstücke können mit diesem System originalgetreu mit Briefkopf und Unterschrift übermittelt werden. Gleichzeitig ist ein Empfangsnachweis möglich, der bisher bei Telefax fehlte. Zusammenfassend kann sich damit die Untersuchung der Statthaftigkeit einer elektronischen Übermittlung von Verwaltungsakten auf Teletex, Telefax und gegebenenfalls Textfax beschränken. Daneben steht die Übertragung durch eine Datenfernverbindung, die aber für den Durchschnittsbürger nicht relevant ist. Auf der Grundlage dieser Techniken soll die Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit getrennt rur die Bekanntgabe nach dem VwVfG und die Zustellung nach dem VwZG gestellt werden.
7D
Herweg, VOP 88, S. 208 (208).
21 Zu derartigen Techniken siehe Lennartz, Recht der Datenverarbeitung 89, S. 225 (232); Kassner, in: Ostermann, S. 143 (159 ff.); Redeker, NVwZ 86, S. 545 (545); Albrecht, CR 89, S. 438 (440); Frohn, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 84, S. 204 (226); Seidel, CR 87, S. 376 (378); Haeffner, in: Roßnagel, S. 31 (37); Kieser, in: Traunmaller, S. 42 (42).
22
Zu Textfax siehe Schön, in: Fischer, S. 95 (99) und Kassner, in: Ostermann, S. 143 (167).
12 Polomski
178
2. Teil: Hauptteil
C. Die Zulässigkeit einer elektronischen Bekanntgabe des automatisierten Verwaltungsaktes Zunächst soll die elektronische Übermittlung von Verwaltungsakten in denjenigen Fällen auf ihre Zulässigkeit untersucht werden, in denen das Gesetz nicht zwingend eine Zustellung fordert. In diesem Bereich ist weiter danach zu differenzieren, ob für die vorgelagerte Erstellung des Verwaltungsaktes eine beliebige Form, die Schriftform oder eine Urkunde vorgesehen ist. I. Die Zulässigkeit bei form freien Verwaltungsakten
Auszugehen ist vom Regelfall des § 37 11 VwVfG, nach dem ein Verwaltungsakt schriftlich, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden kann. Nach einhelliger Ansicht ist in diesem Bereich auch eine elektronische Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zulässig23 • Die Formfreiheit bei der Erstellung setzt sich bei der Bekanntgabe fort. Zwar können hier Beweisschwierigkeiten auftreten. Diese nimmt aber schon der Gesetzgeber bewußt in Kauf, wenn er einen mündlichen Verwaltungsakt zuläßt. Daher ist bei einem formfrei zu erlassenden Verwaltungsakt von einer völligen rechtlichen Gleichwertigkeit der natürlichen mit der technischen Kommunikation auszugehen24 , wobei es zusätzlich im Rahmen der oben getroffenen Vorauswahl gleichgültig ist, welches Kommunikationsmittel verwendet wird. Im Anwendungsbereich des gesetzlichen Regelfalls nach § 37 11 VwVfG ergibt sich damit ein breiter Raum für die elektronische Bekanntgabe von Verwaltungsakten. 11. Die Zulässigkeit bei schriftlichen Verwaltungsakten
Streng zu unterscheiden von den formfreien Verwaltungsakten, bei denen eine schriftliche Erstellung freiwillig erfolgt, sind solche Bescheide, für die das Gesetz eine Schriftform vorsieht. Hinzu kommen diejenigen Verfügungen, bei
23 So etwa SreLkens / SteLkens, VwVfG, § 37 Rn. 50 a; Redeker, NVwZ 86, S. 545 (546); Schmitz, Verwaltungsrundschau 91, S. 213 (214); Knack / Schwarze, VwVfG, § 37 Rn. 5.4, der allerdings im Interesse der Rechtssicherheit solche Verwaltungsakte noch einmal schriftlich bestätigt sehen möchte. 24
CLemens, NJW 85, S. 1998 (2002).
4. Abschnitt: Die elektronische Bekanntgabe des Verwaltungsaktes
179
denen es auf den genauen Wortlaut ankommt und die daher gewohnheitsrechtlieh ebenfalls der Schriftform unteriiegen2S • Möglicherweise könnte sich die Notwendigkeit einer physischen Verkörperung der Regelung bereits begrifflich aus der Forderung des Gesetzes nach einem "schriftlichen" Verwaltungsakt ergeben. Der Gesetzgeber unterstellte bei der Konzeption des Verfahrensrechts eine derartige Verkörperung des Bescheides in dem Zeitpunkt, in dem dieser die Behörde verläßt, als selbstverständlich. Es ist jedoch zu berücksichtigen, daß er die erst ab 1980 eingeführten Kommunikationsmittel noch gar nicht kennen und demgemäß auch nicht berücksichtigen konnte. Sein fehlender Wille ist somit kein zwingendes Indiz gegen die Zulässigkeit einer solchen Übermittlung 26 • Diese Feststellung gilt auch für die Regelung der Bekanntgabe des schriftlichen Verwaltungsaktes nach § 41 11 VwVfG. Diese Norm regelt nur beispielhaft den Zeitpunkt der Bekanntgabe bei einer bestimmten Art der Übermittlung, ohne damit andere Bekanntmachungsformen ausschließen zu wolIen27 • Ferner gilt es zu beachten, daß Teletex und Telefax über das Fernmeldenetz der Post abgewickelt werden. Die Strukturreform der Bundespost28 beziehungsweise die Zuordnung dieses Bereichs zur TELEKOM ändert nichts daran, daß auch eine solche elektronische Übermittlung "durch die Post" im Sinne des § 41 11 VwVfG erfolgt. Entscheidend für die Zulässigkeit einer elektronischen Bekanntgabe von schriftlichen Verwaltungsakten ist somit nicht die Vorstellung des historischen Gesetzgebers, sondern die Frage, ob der von ihm mit dem Schriftformerfordernis verfolgte Zweck auch in einem solchen Verfahren erreichbar ist. Formvorschriften haben regelmäßig eine Warn- und eine Beweissicherungsjunktion29 • Der Erklärende soll vor unüberlegten Handlungen geschützt, ein nachträglicher Nachweis des Inhalts der Erklärung ermöglicht werden.
2S
Siehe hierzu Wolffl Bachoj, S. 418; Bull, Verwaltung, S. 121; Erichsen I Badura, S. 412.
26
Redeker, NVwZ 86, S. 545 (546).
27
Redeker, NVwZ 86, S. 545 (547).
28
Zur Neugliederung der Deutschen Bundespost siehe § I 1I PostVerfG.
Erichsen I Badura, S. 412; Kopp, VwVfG, § 37 Rn. 29; Obermayer, VwVfG, § 37 Rn. 56; Schmitz, Verwaltungsrundschau 91, S. 213 (216). 29
12"
180
2. Teil: Hauptteil
Bei Verwaltungsakten haben beide Teilfunktionen ein unterschiedliches Gewicht. Nachrangig ist insoweit ein Schutz der Verwaltung vor Übereilung3O • Sie erläßt ständig Verwaltungsakte und muß daher nicht vor ihren Folgen geschützt werden. Somit liegt der Zweck von Formvorschriften bei Verwaltungsakten eher in der Beweissicherung31 • Der Bürger soll eine verläßliche Grundlage für sein künftiges Handeln erhalten. Diese Absicht wird auch bei dem gewohnheitsrechtlich anerkannten Schriftformerfordernis deutlich. Gerade weil es auf den genauen Wortlaut von Nebenbestimmungen oder Auflagen ankommt, erscheint eine schriftliche Fixierung des Regelungsgehaltes unentbehrlich. Bei dieser Übermittlung und Wiedergabe des Regelungsgehaltes treten jedoch durch die Verwendung der neuen Kommunikationstechniken keine Schwierigkeiten auf. Sowohl Teletex als auch insbesondere Telefax bieten einen sehr hohen Schutz gegen Verfälschungen. Der fehlende Empfangsnachweis spricht nicht gegen ihren Einsatz, weil auch bei der herkömmlichen Bekanntgabe ein solcher Nachweis fehlt. Da somit der Zweck der Schriftform auch bei einer elektronischen Übermittlung erreicht werden kann, erscheint diese als zulässig. Fraglich bleibt allein, ob nach dieser elektronischen Übermittlung ein Ausdruck beim Empfänger erfolgen32 oder zumindestens möglich sein muß. Bei Telefax erfolgt dieser Ausdruck automatisch, so daß sich dieses Problem nicht stellt. Bei Teletex oder der Datenfemverbindung hingegen steht ein solcher im Belieben des Empfängers.
30 Sleikens / Sleikens, VwVfG, § 37 Rn. 32; Bull, Verwaltung, S. 119; Degrandi, S. 115; anders aber Erichsen / Badura, S. 412. Dagegen ist dieser Schutz vor Übereilung regelmäßig der Hauptgrund für Formvorschriften im Verwaltungsprozeßrecht, z.B. für die Klageerhebung nach § 81 11 VwGO (siehe dazu auch Redeker, eR 86, S. 489 (490)).
31 So auch BVerwGE 45, 189 (193) und SchmilZ, Verwaltungsrundschau 91, S. 213 (216). Anders hier aber Redeker, NVwZ 86, S. 545 (547), weil ein unter den erleichterten Anforderungen des § 37 IV VwVfG erstellter Bescheid kaum eine besondere Beweiseignung iSd. §§ 173 ff. VwGO haben könne. Dieser Argumentation kann aber nicht gefolgt werden. Es geht hier um den Nachweis des Inhalts der Regelung, nicht um einen ebensolchen des behördlichen Willens oder der Unterschrift. Dieser Regelungsgehalt wird aber durch § 37 IV VwVfG gar nicht betroffen, wenn man davon absieht, daß er sich erst aus der Kombination von Schlüsselzeichen und Erläuterungen ergibt. Diese Zweiteilung darf aber nicht zu Unklarheiten führen, vergleiche S. 157. 32 Sleikens / Sleikens, VwVfG, § 37 Rn. 50 a erörtert die umgekehrte Konstellation, indem er fragt, ob die Behörde zum Ausdruck ihrer eigenen automatisierten Erklärung verpflichtet sein kann. Er bejaht dieses ausnahmsweise dann, wenn die Behörde vor einer Übereilung geschützt werden müsse. Dieses ist aber kaum vorstellbar, siehe oben.
4. Abschnitt: Die elektronische Bekanntgabe des Vetwaltungsaktes
181
Redeker3 fordert die Möglichkeit eines Ausdrucks, so daß in jedem Fall beim Empranger ein Drucker notwendig wäre. Ein derartiges Erfordernis dürfte indes vom Zweck der Schriftform nicht geboten sein. Für die Kenntnis des genauen Inhalts der Regelung macht es keinen Unterschied, ob der Empranger diese einem Ausdruck oder aber dem Bildschirm entnimmt. Eher könnten sich bei einem Ausdruck noch weitere Fehlerquellen einschleichen. Der Verwaltung kann es nicht zum Nachteil gereichen, wenn der Empfänger aus Gründen, die allein in seinem Einflußbereich liegen, auf den Ausdruck verzichtet. Sie hat allerdings darauf zu achten, daß ein Ausdruck möglich ist, sofern der Empfänger diesen wünscht. Daraus ergibt sich folgende Risikoverteilung: Die Behörde muß eine Kommunikationsform wählen, bei der ein Ausdruck technisch möglich ist. Diese Gelegenheit ist bei allen hier angesprochenen Kommunikationsformen gewährleistet. Soweit dann der Bürger auf die Möglichkeit eines Ausdrucks verzichtet, weil er ein kein entsprechendes Zusatzgerät besitzt, kann dieser Entschluß nicht zu Lasten der Verwaltung gehen. Die pauschale Forderung nach der Möglichkeit eines Ausdrucks scheint eine Reminiszenz an die Vorstellung des historischen Gesetzgebers, nicht aber eine konsequente Fortsetzung der teleologischen Interpretation seines Willens zu sein. Somit eröffuet sich neben dem Bereich der Formfreiheit mit der Schriftlichkeit des Verwaltungsaktes ein weiterer wichtiger Bereich, in dem eine elektronische Bekanntgabe an den Betroffenen zulässig ist. Das Ergebnis gleicht damit der Rechtslage zur elektronischen Einlegung von Rechtsmitteln34 , wenngleich die Gründe, die dort zur Zulässigkeit geführt haben, auf den Verwaltungsakt nicht übertragbar sind35 •
33 Redeker, NVwZ 86, S. 545 (547). Daher hat er Vorbehalte gegen eine Ausweitung der elektronischen Übennittlung auf Privatpersonen, die häufig noch nicht über alle erforderlichen Geräte verfiigen; für eine Verpflichtung zum Ausdruck auch Ehlers, Jura 91, S. 337 (341) und Schmitz, Vetwaltungsrundschau 91, S. 213 (217). 34 Zur Einlegung von Rechtsmitteln mit Hilfe der modernen Kommunikationstechniken siehe BSG, MDR 85, S. 1053 (1053); Wolf, NJW 89, S. 2592 (2592); Seidel, CR 87, S. 376 (378); Redeker, CR 86, S. 489 (489); Buckenberger, OB 82, S. 634 (635). Unzulässig ist ein Einsatz von Telefax dagegen nach Ansicht des OLG Hamm, NJW 91, S. 1185 (1186) zur Vorlage einer Vollrnachtsurkunde im Sinne des § 174 BGB, weil dort eine gesteigerte Schutzbedürftigkeit des Empfängers bestehe. 35 Nur formal spricht gegen eine derartige Parallele, daß es einmal um Vorteile für den Bürger (Rechtsmittel) und einmal um solche für die Vetwaltung (Vetwaltungsakt) geht. Wichtiger ist die Intention der Rechtsprechung, dem Bürger die volle Ausschöpfung der Rechtsmittelfristen zu
182
2. Teil: Hauptteil
111. Die Zulässigkeit bei einem Urkunds-Verwaltungsakt
Schließlich ist noch auf die seltenen Fälle einzugehen, in denen der Gesetzgeber, wie in § 5 11 BRRG für die Beamtenernennung, eine Urkunde verlangt. Redeke~6 gelangt dann zu einer Unzulässigkeit der elektronischen Bekanntgabe aus der Erwägung heraus, daß eine Urkunde eine eigenhändige Unterschrift erfordere, die nicht elektronisch übermittelt werden könne. In der Tat ist auf einen solchen "Urkundsverwaltungsakt" weder § 37 III VwVfG noch § 37 IV VwVfG anwendbar. Da die Urkundsform eine Verschärfung gegenüber der Schriftform darstellt, wäre eine Anwendung der gesetzlichen Erleichterungen für automatisierte Verwaltungsakte hier ein Vorgehen a minore ad maius. Weder im VwVfG noch in der VwGO ist aber geregelt, daß eine Urkunde unterschrieben sein muß. Auch § 5 11 BRRG enthält dazu keine Aussage. Herkömmlich wird unter einer Urkunde eine verkörperte Gedankenerklärung verstanden37 • Eine Erkennbarkeit des Ausstellers, wie im Strafrecht, ist regelmäßig nicht erforderlich. Sie wäre überdies auch durch eine Namenswiedergabe denkbar, wie sie bei einer elektronischen Übermittlung möglich ist. Bei dem verbleibenden Problem der Verkörperung der Erklärung müßte, wie schon bei der Schriftform, die Unkenntnis des Gesetzgebers von diesen neuen Formen der Technik berücksichtigt werden. Allein aus dem Begriff der Urkunde ergibt sich daher wohl kein Verbot einer elektronischen Übermittlung. Im Ergebnis dürfte eine solche aber dennoch ausscheiden. Dieses liegt weniger an der Form der Urkunde als vielmehr daran, was mit dieser zu geschehen hat, nämlich der Aushändigung im Sinne der §§ 5 11 BRRG, 16 I RuStAG, 15 I GÜKG. Diese stellt eine Verschärfung gegenüber der Bekanntgabe nach § 41 I VwVfG dar. Sie kann nicht durch eine anonyme Übermittlung
ermöglichen (BVerfG, CR 86, S. 491 (492); Redeker, CR 86, S. 489 (489); OLG Hamm, NJW 91, S. 1185 (1186)). Diese ratio findet bei der Bekanntgabe von Verwaltungsakten keine Entsprechung. Schließlich spricht der unterschiedliche Zweck von Formvorschriften im Verwaltungs- und Verwaltungsprozeßrecht gegen eine solche Parallele; während im ersten Bereich die Beweisfunktion dominiert, gilt dieses im Verwaltungsprozeßrecht für den Übereilungsschutz, siehe oben. 36 Redeker, NVwZ 86, S. 545 (547). Für die Notwendigkeit einer eigenhändigen Unterschrift bei Urkunden auch Erichsen I Badura, S. 412. Meyer I Borgs I Meyer, VwVfG, § 37 Rn. 26 will aus der gesetzlichen Forderung nach einer Urkunde ein Verbot des automatisierten Verwaltungsaktes ableiten. Dieses erscheint aber nicht zwingend, da die Funktionen einer Urkunde durch das Verfahren ihrer Erstellung nicht zwingend beeinträchtigt werden müssen. 37
Kopp, VwGO, § 98 Rn. 18; Schmitz, Verwaltungsrundschau 91, S. 213 (217).
4. Abschnitt: Die elektronische Bekanntgabe des Verwaltungsaktes
183
von Speicher zu Speicher ersetzt werden, sondern erfordert die persönliche Anwesenheit der Beteiligten am gleichen Ort. Somit kann zusammenfassend davon ausgegangen werden, daß dann, wenn das Gesetz eine Urkunde fordert, eine elektronische Übermittlung ausscheidet, gleich ob ihr Inhalt nun manuell oder durch eine elektronische Subsumtion erstellt wurde. Insofern unterscheidet sich die Rechtslage hier deutlich von derjenigen beim formfreien oder schriftlichen Verwaltungsakt.
D. Die Zulässigkeit einer elektronischen Zustellung des Verwaltungsaktes Erhebliche Schwierigkeiten für den Einsatz der neuen Kommunikationstechniken ergeben sich immer dann, wenn das Gesetz eine Zustellung des Verwaltungsaktes fordert, wie zum Beispiel in §§ 44 I 1 WPflG, 10 VII BlmschG, 51 12 OWiG. Dann kommt eine elektronische Übermittlung nur in Betracht, wenn sie den Anforderungen des VwZG genügt. I. Arten der Zustellung nach dem VwZG
Das VwZG unterscheidet vier verschiedene Arten der Zustellung, nämlich die Zustellung durch die Post mittels Zustellungsurkunde (§ 3 VwZG) beziehungsweise mittels eingeschriebenem Brief (§ 4 VwZG) sowie die Zustellung durch eine Behörde gegen Empfangsnachweis (§ 5 VwZG) beziehungsweise mittels Vorlage der Urschrift (§ 6 VwZG). Für alle Formen der Zustellung bestimmt § 2 I VwZG, daß die Zustellung in der Übergabe beziehungsweise Vorlage38 eines Schri ftstücks besteht. 11. Vereinbarkeit einer elektronischen Zustellung mit den Anforderungen des VwZG
1. Vereinbarkeit mit § 2 1 1 VwZG Ein Einsatz von Teletex oder Telefax zur Zustellung eines Verwaltungsaktes müßte somit zunächst mit dieser Grundregel des § 2 I 1 VwZG vereinbar sein.
38
Zu diesen Begriffen siehe Engelhardt, VwZG, § 2 Anm. 1,2.
184
2. Teil: Hauptteil
Redeke~9 hat dabei Bedenken gegen die Vereinbarkeit einer solchen elektronischen Zustellung mit dem Begriff des Schriftstücks, welcher eine physisch verkörperte Form des Bescheides nahelege. Diese Beschränkung erscheint freilich nicht konsequent, wenn er gleichzeitig über den Begriff der Schriftlichkeit mit dem Argument hinweggeht, der Gesetzgeber habe dabei die neuen Techniken noch nicht berücksichtigen können4O • Dieser Gedankengang muß dann erst recht bei dem schon 1952 erlassenen VwZG gelten.
Gewichtiger sind dagegen die weiteren Anforderungen "Urschrift, Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift". Ausfertigung und Beglaubigung erfordern eine Unterschrift41, welche nicht elektronisch übermittelt werden kann. Sie scheiden somit aus dem Kreis der weiteren Untersuchungen aus. Die Urschrift eines automatisierten Verwaltungsaktes müßte dagegen weder nach § 37 IV 1 VwVfG noch nach § 37 III VwVfG eigenhändig unterschrieben sein. Daher würden sich diesbezüglich aus einer elektronischen Übermittlung keine gesonderten Probleme ergeben. Daneben besteht aber für die Urschrift das Erfordernis einer Übergabe oder Vorlage. Die Übergabe erfordert einen Wechsel des unmittelbaren Besitzes42 • Bei einer Benutzung von Telefax oder Teletex bleibt aber der Besitz der Behörde an dem Original bestehen. Es erfolgt lediglich eine Duplizierung mit der Folge, daß danach auch der Empfanger einen Bescheid in den Händen hält, das Orginal aber bei der Erlaßbehörde verblieben ist. Eine Übergabe liegt somit nicht vor. Zu fragen ist damit abschließend, ob die elektronische Übermittlung eine Form der Vorlage43 sein kann. Da bei dieser keine Besitzerlangung des Adressaten erforderlich ist, könnte man möglicherweise argumentieren, daß es für
39 Redeker, NVwZ 86, S. 545 (547), der aber selbst zugibt, daß diese Argumentation nicht zwingend ist; ferner Schmitz, Verwaltungsrundschau 91, S. 213 (219). 40
Redeker, NVwZ 86, S. 545 (546).
OVG Münster, OVGE 28, S. 45 (47); Engelhardt, VwZG, § 2 Anm. 2; Schmitz, Verwaltungsrundschau 91, S. 213 (219); Stelkens I Stelkens, VwVfG, § 37 Rn. 39; Kopp, Vwvro, § 37 Rn. 32. Anders aber das VG Köln, NVwZ 87, S. 83 (83), nach dem eine Fotokopie eine Ausfertigung darstellen kann, weil deren Voraussetzungen nicht gesetzlich geregelt sind; dann müßte konsequenterweise auch eine Telekopie ausreichen. 41
42 Enge/hardt, VwZG, § 2 Anm. I spricht von einer Erlangung der alleinigen Verfiigungsgewalt. 43 Nach Enge/hardt, VwZG, § 2 Anm. 1 besteht die Vorlage in einer Gestattung der Einsichtnahme.
4. Abschnitt: Die elektronische Bekanntgabe des Verwaltungsaktes
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diesen vorteilhafter ist, einen Ausdruck in den Händen zu halten als den Bescheid nur einmal gesehen zu haben. Eine derartige Auffassung würde aber den unterschiedlichen Beweiswert einer elektronisch übermittelten Erklärung und eines Originals verkennen. Während der Betroffene bei letzterem anband des Briefkopfes, der Unterschrift und anderer Merkmale erkennen kann, ob es sich um ein Orginal oder eine Fotokopie handelt, entfällt diese Möglichkeit nach einer Übermittlung mittels Telefax. Dem Ausdruck beim Empfänger ist nicht anzusehen, ob er von einem Original oder einer Kopie gefertigt wurde. Eine Gleichwertigkeit der Einsichtnahme in die Urschrift mit der Erlangung einer Telekopie ist daher abzulehnen. Anders als beim Begriff des Schriftstücks kann hier auch nicht mit der fehlenden Kenntnis des Gesetzgebers argumentiert werden, weil außer dem Wortlaut auch die ratio legis der Beweisführung betroffen ist. Dort verbinden sich mit der Besitzerlangung oder der Einsichtnahme in die Urschrift für den Adressaten Vorteile, die mit der elektronischen Übermittlung nicht zu erzielen sind. Deshalb scheitert eine elektronische Zustellung von Verwaltungsakten regelmäßig schon an der Bestimmung des § 2 I VwZG. Lediglich in Ausnahmefällen könnte sie zulässig sein. Zu denken ist dabei zum einen an Sonderformen der Zustellung. Wenn etwa nach den §§ 2 I 3, 16 11 VwZG die Entscheidung über die Beendigung des Beamtenverhältnisses mittels Telegramm zugestellt werden kann, ist es nur konsequent, in diesem Fall auch den Einsatz des beweissicheren Telefax zuzulassen. Zum anderen kommt eine elektronische Zustellung an Behörden und bestimmte Personengruppen nach § 5 11 VwZG in Betracht, weil dort statt der Übergabe des Schriftstücks eine Übermittlung in beliebiger Form vorgesehen ist. Diese Regelung beruht darauf, daß von den enumerativ aufgezählten Empfangem erhöhte Anforderungen an die Redlichkeit zu erwarten sind44 • 2. Vereinbarkeit mit den §§
3.ff.
VwZG
Somit ist für die beiden verbliebenen Fallgruppen (Sonderzustellung nach § 16 11 VwZG; Zustellung an Behörden nach § 5 11 VwZG) zu prüfen, ob andere Vorschriften als § 2 I VwZG einer elektronischen Zustellung entgegenstehen. In allen anderen Fällen hingegen schließt bereits § 2 I 2 VwVfG eine
44
Dieser Gedanke liegt auch § 198 ZPO zugrunde.
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2. Teil: Hauptteil
derartige Zustellung aus, so daß sich aus den §§ 3 ff. VwZG gegebenfalls nur weitere, kumulative Hindernisse ergeben könnten45 • Probleme bestehen zunächst bei einer Zustellung mittels Zustellungsurkunde, da nach § 3 11 VwZG ein Postbediensteter die Zustellung beurkunden muß. Dessen Mitwirkung ist nicht möglich, wenn der Verwaltungsakt direkt mittels Teletex oder Telefax in die Büro- oder Privaträume des Adressaten übermittelt wird. Weiterhin scheidet ein Einsatz elektronischer Medien auch bei einer Zustellung nach § 4 I VwZG aus. Diese Begrenzung ergibt sich weniger aus dem Begriff des Briefes als vielmehr aus dem Erfordernis eines Einschreibens, welches eine Empfangsbestätigung mit Unterschrift verlangt46 • Auch wäre hier die Drei-Tages-Regel des § 4 I VwZG wenig sinnvoll 47 , da bei einer elektronischen Übermittlung Absendung und Zugang praktisch zusammenfallen. Diese Vorschrift beruht auf der regelmäßigen Transportzeit der Brief-Post. Schließlich scheidet eine elektronische Zustellung auch nach § 6 VwZG aus, weil der Empfänger nicht den Tag des Eingangs auf der Urschrift vermerken könnte. Bei der Übermittlung von Schriftstücken an Behörden nach § 5 11 VwZG bereitet das Empfangsbekenntnis Probleme, welches die Empfangsbehörde an den Absender zurücksenden muß. Redeker48 argumentiert dabei mit praktischen Erwägungen. Weil aufgrund der Unterschrift eine elektronische Übermittlung des Empfangsbekenntnisses ausscheide, müsse dieses auf dem herkömmlichen Postweg versandt werden. Dann aber sei es unrealistisch, für den einen Weg (Zustellung des Schriftstückes) die Elektronik zuzulassen, bei dem anderen (Übermittlung des Empfangsbekenntnisses) aber auf der herkömmlichen Transportweise zu beharren.
45 Stelkens I Stelkens, VwVfG, § 37 Rn. 50 stellt demgegenüber allein auf Beweisschwierigkeiten ab. 46 Dieses ergab sich früher aus §§ 29 Bundespost Postdienst.
m,
31 I PostO, heute aus den AGB der Deutschen
47 Dabei gilt die Drei-Tages-Fiktion auch daM, weM der Zugang tatsächlich schneller erfolgt, siehe etwa BayVGH, NJW 91, S. 1250 (1251). SchmilZ, Verwaltungsrundschau 91, S. 213 (215) lehnt dagegen eine Anwendung dieser Vorschrift auf die Telefax-BekaMtgabe ab. 48
Redeker, NVwZ 86, S. 545 (547 f.).
4. Abschnitt: Die elektronische Bekanntgabe des VelWaltungsaktes
187
Eine derartige Argumentation erscheint aber nicht zwingend. Zwar trifft es zu, daß die Unterschrift auf dem Empfangsbekenntnis nicht elektronisch übermittelt werden kann. Auch darf sich die Erlaßbehörde nicht mit der "originalgetreuen" Übermittlung der Unterschrift mittels Telefax zufrieden geben, wie dies bei der Einlegung von Rechtsmitteln geschieht49 • Es sind aber durchaus Konstellationen vorstellbar, in denen es der Erlaßbehörde darum geht, den Inhalt der Erklärung der anderen Seite so schnell wie möglich zur Kenntnis zu bringen, wohingegen der Erhalt der Empfangsbestätigung nicht so eilig ist. Eine derartige Zwei spaltung des Gesamtzustellungsvorganges und die einseitige Nutzung der Vorteile der Technik mag zwar aus der Sicht der Empfangsbehörde zu beklagen sein. Auf solche Empfindlichkeiten braucht die Erlaßbehörde jedoch keine Rücksicht zu nehmen, zumal eine Zustellung auch sonst häufig gegen den Willen des Betroffenen erfolgt. III. Zusammenfassung Bei der Bekanntgabe des automatisierten Verwaltungsaktes besteht ein breites Anwendungsfeld für den Einsatz moderner Kommunikationstechniken. Diese Möglichkeit besteht zunächst für den formfreien Verwaltungsakt im Sinne des § 37 11 VwVfG, bei dem die Zulässigkeit einer derartigen Vorgehensweise unstreitig ist. Aber auch ein schriftlichen Verwaltungsakt nach § 37 III VwVfG kann auf elektronischem Wege bekanntgemacht werden. Das Erfordernis einer Unterschrift wirft keine Probleme auf, weil insoweit § 37 IV 1 VwVfG zu beachten ist. Der Zweck der Schriftform, der Nachweis des genauen Inhalts der Regelung, ist auch bei einer elektronischen Übermittlung erreichbar, da diese eine ausreichende Gewähr für die orginalgetreue Wiedergabe bietet. Lediglich dann, wenn der Gesetzgeber für die Erstellung des Verwaltungsaktes eine Urkunde fordert, scheidet eine elektronische Bekanntgabe aus, weil die notwendige Aushändigung der Urkunde nicht auf diesem Wege erfolgen kann. Im Bereich der Zustellung ist dagegen auf der Ebene des geltenden Rechts ein Einsatz elektronischer Medien regelmäßig ausgeschlossen.50. Diese Begrenzung ergibt sich weniger aus dem Begriff der Post oder des Schriftstückes im
49 Bei einern Empfangsbekenntnis geht es im Streitfalle gerade um den Nachweis der Unterschrift, während diese im Prozeßrecht nur ein Mittel zu dem Zweck ist, übereilte Rechtsmittel zu venneiden .
.50 1m Ergebnis auch
Stelkens I Stelkens, VwVfG, § 37 Rn. 50 a.
188
2. Teil: Hauptteil
Sinne des § 2 I 1 VwZG, als vielmehr aus den Modalitäten Übergabe und Vorlage sowie den gesetzlich vorgesehenen Nachweismöglichkeiten für die Kenntnisnahme. Lediglich bei einer Zustellung an Behörden und bestimmte andere Personengruppen nach § 5 11 VwZG kommt sie in Betracht. Zumindest de lege ferenda wird aber wohl auch das Zustellungswesen von der Elektronik beeinflußt werden 51 . Zu denken ist dabei etwa an den schon weitgehend ausgereiften elektronischen Schreibstift52, der auch Druck, Winkel und Geschwindigkeit der Unterschrift registriert. Diese Daten könnten elektronisch übermittelt werden, so daß das Problem des Empfangsbekenntnisses gelöst wäre. Denkbar ist aber auch eine Erweiterung des VwZG in Anpassung an die neue Technik. Wenn der Gesetzgeber dazu bereit war, mit den §§ 28 11 Nr. 4, 37 IV, 3911 Nr. 3 VwVfG der Automation zu weitergehenden Einsatzmöglichkeiten zu verhelfen, obwohl dieses rechtsstaatlich nicht ungefährlich erschien, dürfte er im Bereich der insoweit neutralen Zustellung erst recht dazu bereit sein, Hindernisse aus dem Weg räumen. Gerade die Einführung von Textfax mit der Kombination von Empfangsnachweis und originalgetreuer Wiedergabe der Unterschrift könnte ihm diesen Schritt erleichtern.
E. Sonstige Probleme der elektronischen Übennittlung Abschließend soll hier noch kurz auf einige weitere Sonderprobleme eingegangen werden, die sich aus einer elektronischen Übermittlung von Verwaltungsakten ergeben. I. Die elektronische Übermittlung manuell erstellter Verwaltungsakte
Die bisher entwickelten Grundsätze zur elektronischen Bekanntgabe beziehungsweise Zustellung sind auf die Kombination "automatisierte Erstellung elektronische Übermittlung" bezogen. Das Besondere der Informations- und Kommunikationstechnik liegt aber darin, daß sie auch dort anwendbar ist, wo eine Automatisierung wegen Programmierungs schwierigkeiten ausscheidet. Auch der in herkömmlicher Weise erstellte Bescheid kann mit Telefax übermittelt werden. Zur Vervollständigung der Erörterung sollen die dabei entstehenden Probleme kurz mitbehandelt werden.
SI Fiedler, in: Traunmaller, s. 128 (136) sieht hier sogar den stärksten Ansatzpunkt für den Einfluß neuer Medien. Im Ergebnis auch Redeker, NVwZ 86, s. 545 (547 f.).
52 Siehe dazu Seidel, CR 87, S. 376 (378) und CR 87, S. 635 (638).
4. Abschnitt: Die elektronische Bekanntgabe des Verwaltungsaktes
189
Bedeutung erlangt insbesonders die Frage der Anwendbarkeit des § 37 IV 1 VwVfG, weil die elektronische Übermittlung einer Unterschrift Probleme verursacht. Dabei ist jedoch zum einen zu beachten, daß auch die Grundregel des § 37 III VwVfG nicht zwingend eine eigenhändige Unterschrift fordert, sondern eine Namenswiedergabe ausreichen läßt. Diese ist jedoch auch bei einer elektronischen Übermittlung möglich 53 • Zum anderen könnte § 37 IV 1 VwVfG auch auf diese Konstellation anwendbar sein, weil es, wenngleich nach Fertigstellung des Inhalts der Regelung, noch zu einer Verwendung technischer Einrichtungen kommt. Dazu ist entscheidend, ob die elektronische Übermittlung noch "zum Erlaß" des Verwaltungsaktes gehört. Im VwVfG ist nicht geregelt, wann ein Verwaltungsakt erlassen ist. Bestimmt wird lediglich der Zeitpunkt der Wirksamkeit, die nach § 43 I VwVfG mit der Bekanntgabe eintritt. Welche Wirkungen und Bezeichnungen das Stadium vor dieser Bekanntgabe hat, ist in der Literatur umstritten54 • Im hier fraglichen Sachzusammenhang ist aber zu berücksichtigen, daß, ausweislieh der Gesetzgebungsmaterialien, auch Vervieltältigungsgeräte55 als automatische Einrichtungen im Sinne des § 37 IV 1 VwVfG anzusehen sind. Vor einer solchen Vervieltältigung muß der Inhalt des Bescheides ebenso feststehen wie vor einer elektronischen Übermittlung. Auch mit den hier in Betracht kommenden Geräten ist eine Vervieltältigung möglich, weil die im Speicher der Behörde vorhandene Regelung an beliebig viele Adressaten übermittelt werden kann, ohne im Original der Verwaltung verloren zu gehen.
53 Der VGH München, BayVB\. 85, S. 153 (154) fordert, daß eine Namenswiedergabe beglaubigt werden muß. Knack I Schwarze, VwVfG, § 37 Rn. 5.3. hat diese Ansicht dagegen in der neuesten Auflage aufgegeben. Eine solche Beglaubigung wäre nach einer elektronischen Übennittlung der Namenswiedergabe nicht möglich bzw. könnte nicht mitübermittelt werden. Ein derartiges Erfordernis ist jedoch aus dem Gesetz nicht zu entnehmen; mit Redeker, NVwZ 86, S. 545 (546) ist daher davon auszugehen, daß § 37 III VwVfG einer elektronischen Übermittlung nicht entgegen steht.
54 Siehe etwa Birk, in: Dömer, S. 134 (137); BFH, BStB\. 11 86, S. 832 (833); Gomig, Maßnahme, S. 95,98 bezeichnet die beabsichtigte Regelung als reines Verwaltungsinternum (mit weiteren Hinweisen). Im Abgabenrecht ist die Regelung der §§ 15512, 1221 AO 1977 zu berücksichtigen, nach der ein Steuerbescheid der bekanntgegebene Verwaltungsakt ist; hier gehört die Bekanntgabe und damit die elektronische Übermittlung wohl noch "zum Erlaß". Zu dem Streit um den Steuerbescheid vor dieser Regelung siehe Beger, DStR 75, S. 175 (178); Pfaffenrodt, FR 68, S. 104 (105); Schuhmann, BB 73, S. 1433 (1436); FG Stuttgart, EFG 66, 186 (187), welches eine Veipflichtung der Rechtsprechung bejaht, sich der technischen Entwicklung anzupassen. 55 Vergleiche dazu S. 131, 132.
190
2. Teil: Hauptteil
Daher erscheint es gerechtfertigt, auch auf die elektronische Übermittlung des manuell erstellten Bescheides § 37 IV 1 VwVfG anzuwenden56 • Für die Frage der Zulässigkeit einer elektronischen Bekanntgabe des Verwaltungsaktes ist es daher unwesentlich, ob dieser zuvor manuell oder in einem automatisierten Verfahren erstellt wurde57 • Die praktische Bedeutung dieser Frage ist überdies gering, weil § 37 III VwVfG eine Namenswiedergabe ausreichen läßt. 11. Erweiterung der Einsatzmöglichkeiten durch eine Einigung der Beteiligten
Möglicherweise könnten die Schwierigkeiten bei der elektronischen Zustellung eines Verwaltungsaktes dadurch behoben werden, daß die Verwaltung mit dem Adressaten eine Vereinbarung des Inhalts schließt, daß dieser eine solche Form der Zustellung als ausreichend akzeptiert. Eine derartige Absprache ließe sich in der Praxis sicherlich häufig erzielen, da der Betroffene dafür den Vorteil hätte, den Verwaltungsakt sogleich im Rahmen seiner eigenen EDV verwenden zu können. Auch könnten dabei zum Schutz der Behörde besondere Beweissicherungen vereinbart werden, wie zum Beispiel eine asymetrische Verschlüsselung58 des Bescheides, die ein Löschen aus dem Speicher des Empfängers unmöglich machen würde. Ein solches Einverständnis des Betroffenen mit dieser Art der Übermittlung könnte eventuell sogar bereits daraus abgeleitet werden, daß dieser im Antrag auf den Erlaß des Verwaltungsaktes seine entsprechende Anschlußnummer angibt59 • Im Ergebnis ist jedoch eine solche Disposition der Beteiligten über die Modalitäten der Zustellung abzulehnen. Zwar ist hier nicht, wie bei dem Verzicht auf eine Begrundung6O , eine Ausnutzung der überlegenen Stellung der Verwaltung zu befürchten, weil der Betroffene nur zustimmen kann, wenn er ein solches Gerät besitzt. Die Regelungen über die Zustellung bestehen jedoch im öffentlichen Interesse. Der genaue Zeitpunkt des Zugangs kann zum
56 Anders aber Schmitz, Verwaltungsrundschau 91, S. 213 (214), der aber wohl von einem zu engen Begriff des "Erlasses" eines Verwaltungsaktes ausgeht. 57 So auch Stelkens / Stelkens, VwVfG, § 37 Rn. 50 a aus dem Gesichtspunkt einer gleichen Sicherheit für den Bürger.
58
Vergleiche hierzu Redeker, NVwZ 86, S. 545 (548).
Kassner, in: Ostennann, S. 143 (166); Schmitz, Verwaltungsrundschau 91, S. 213 (216); für den umgekehrten Fall des Vertrauens des Bürgers auf eine entsprechende Bereitschaft des Gerichtes auch das BVerfG, eR 86, S. 491 (492) und Wolf, NJW 89, S. 2592 (2594). 59
60
Vergleiche hierzu S. 165.
4. Abschnitt: Die elektronische Bekanntgabe des Verwaltungsaktes
191
Beispiel für die Überprüfung der Zulässigkeit einer Klage durch das Verwaltungsgericht, aber auch für andere Bürger in Drittbeteiligungsfällen relevant werden. Derartige Interessen verbieten es, die Zustellung beziehungsweise ihren Nachweis dem Willen der Behörde und des Emprangers zu unterstellen. Zudem spricht auch ein Umkehrschluß aus § 2 11 VwZG gegen eine solche Disposition. Somit bleibt es dabei, daß eine elektronische Zustellung de lege lata unzulässig ist. 111. Der Einsatz von Geräten Dritter
Schließlich erscheint es denkbar, daß ein potentieller Empfänger eines Verwaltungsaktes, der selbst über kein entsprechendes Gerät verfügt, den Anschluß eines Freundes, Mitarbeiters oder Mitbewohners benutzen will, um sich den Verwaltungsakt übermitteln zu lassen. Im Rahmen der Übermittlung von Schriftstücken an Gerichte hat das Bundesverfassungsgericht61 eine solche Vorgehensweise für den Fall gebilligt, daß ein Gericht den Anschluß der im sei ben Gebäude tätigen Staatsanwaltschaft angibt; interne Organisationsprobleme dürften den Zugang eines Schriftsatzes nicht verhindern, wenn der Bürger auf einen solchen vertraue dürfe. Bei der Bekanntgabe von Verwaltungsakten ist diesen Erwägungen jedoch nicht zu folgen. Sie beruhen auf dem Willen, dem Bürger die Ausschöpfung von Rechtsmittelfristen zu ermöglichen beziehungsweise ihm den Rechtsschutz nicht deshalb zu versagen, weil durch Weiterleitungsprobleme der Zugang zu spät erfolgt ist. Eine solches Schutzbedürfnis des Bürgers besteht bei der Zustellung eines Verwaltungsaktes nicht. Darüber hinaus sind Ungewißheiten der Weiterleitung zwischen Gericht und Staatsanwaltschaft eher hinnehmbar als zwischen zwei Privaten. Die Rechtsfolgen eines Verwaltungsaktes in materieller wie prozessualer Hinsicht sind zu weitreichend, als daß man ihren Eintritt vom Nachweis interner Vorgänge abhängig machen sollte. Etwas anderes gilt lediglich im Rahmen der ausdrücklichen Bevollmächtigung nach § 41 12 VwVfG. Dann bestehen gegen eine elektronische Übermittlung des Verwaltungsaktes an diesen Bevollmächtigten keine Bedenken.
61 BVerfG, eR 86, S. 491 (492); BayVGH, BB 77, S. 568 (568). Zulässig ist nach BSG, MDR 85, S. 1053 (1053) der Einsatz von Telebrief, obwohl es sich auch dabei um Geräte Dritter handelt; für die Ausweitung der Zulässigkeit eines solchen Einsatzes von Geräten Dritter Wolf, NJW 89, S. 2592 (2593).
192
2. Teil: Hauptteil
IV. Der maßgebliche Zeitpunkt für den Zugang
Im Rahmen der Fristwahrung kommt es auf den genauen Zeitpunkt des Zugangs eines VeIWaltungsaktes an. Dabei rücken bei einer elektronischen Übermittlung die Zeitpunkte Abgabe und Zugang auf minimale Zeitdifferenzen zusammen, wie sie etwa bei Erlaß des § 41 11 VwVfG noch unvorstellbar waren. Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Zugangs können sich aber bei einem Einsatz von Teletex ergeben, weil der Eingang zunächst nur im Speicher des Empfangsgerätes erfolgt und ein Ausdruck im Belieben des Empf'angers steht. Nach allgemeiner Ansicht muß es dann für den Zugang des schriftlichen VeIWaltungsaktes genügen, wenn der Eingang im Speicher erfolgt ist. Abgestellt wird insoweit auf einen Vergleich mit dem Nachtbriefkasten eines Gerichtes und auf den Gedanken, daß Vorgänge aus dem internen Bereich des Empfängers nicht zu Lasten des Absenders gehen dürfen 62 •
62 So z.B. Buckenberger, OB 82, S. 634 (636); Redeker, CR 86, S. 489 (490); Wolf, NIW 89, S. 2592 (2594) für Telefax; dort auch BGHZ 101,276 (280). Da diese Erwägungen auch dann gelten, wenn der Bürger elektronische Erklärungen an die Behörde übennittelt, muß in Massenverfahren, wie etwa dem Planfeststellungsverfahren oder numerus-clausus-Fällen ständig sichergestellt sein, daß der Speicher der Verwaltung nicht bereits überfüllt ist (Albrecht, CR 88, S. 343 (345». Den Zeitpunkt der Abgabe einer automatisierten Erklärung bestimmt Köhler, AcP, Bd. 182 (1982), S. 125 (139) mit der Bearbeitung des Vorgangs im Zentralrechenwerk.
Fanfter Abschnitt
Wirksamkeit, Berichtigung und Aufhebung des automatisierten Verwaltungsaktes A. Die Wirksamkeit des automatisierten Verwaltungsaktes I. Einführung
Gemäß § 43 I VwVfG wird ein Verwaltungsakt mit der Bekanntgabe an die Beteiligten l wirksam, sofern keine Nichtigkeit im Sinne der §§ 43 III, 44 VwVfG vorliegt. Entsprechende Regelungen finden sich auch in den §§ 39, 40 SGB-X und §§ 122 I, 124 I AO 1977. Diese Bestimmungen stellen den Versuch dar, einen Ausgleich zwischen der Notwendigkeit einer Handlungsfähigkeit der Verwaltung und dem Prinzip ihrer Gesetzmäßigkeit zu schaffen. Anders als bei Rechtsnormen ist danach bei einem Verwaltungsakt die Rechtmäßigkeit seines Inhalts kein Wirksamkeitserfordernis. Auch der rechtswidrige Verwaltungsakt ist im Interesse der Rechtssicherheit für alle Beteiligten verbindlich, aber mit Rechtsmitteln anfechtbar. Diese Wirksamkeit des Verwaltungsaktes wird zum Teil sogar als verfassungsrechtliches Prinzip betrachtet2 • Sie hat zur Folge, daß einerseits der Bürger die Regelung zunächst befolgen muß und andererseits auch die Behörde an den von ihr erlassenen Verwaltungsakt gebunden ist, da eine Aufhebung desselben nur unter den engen Voraussetzungen der §§ 48,49 VwVfG möglich ist. Von dieser Wirksamkeit des Verwaltungsaktes im Verhältnis der Beteiligten sind seine weiteren Folgen streng zu unterscheiden. Dabei bezeichnet die
1
S.96.
Zur Differenzierung der Beteiligten in Adressaten und Betroffene siehe Gomig, Maßnahme,
2 Haeberle, Boorberg-FS, S. 47 (83); BVerwGE I, 67 (69); anders aber Wolffl Bachof, S. 413, der nur von einem Satz des einfachen materiellen Rechts ausgeht.
13 Polomski
194
2. Teil: Hauptteil
Tatbestandswirkung die Tatsache, daß auch alle anderen Behörden und Gerichte den Verwaltungsakt hinsichtlich seiner Existenz und seines Inhalts zu beachten haben3 • Noch weiter reicht die" Feststellungswirkung" , bei der es nicht nur zu einer Bindung an den Inhalt der Regelung, sondern auch zu einer ebensolchen an die tragenden Gründe kommt4• Sie tritt aber, anders als die Tatbestandswirkung, nur dann ein, wenn sie, wie in § 15 V BVfG, ausdrücklich angeordnet wird. Im folgenden soll untersucht werden, ob das Prinzip der Wirksamkeit und der Tatbestandswirkung auch bei einem automatisierten Verwaltungsakt zu beachten ist. Dabei sind, neben besonderen Fallgruppen für eine Nichtigkeit, auch Sonderfragen der Bekanntgabe zu erörtern, sofern sie nicht bereits im Rahmen der elektronischen Übermittlung relevant wurden. 11. Die Nichtigkeit eines automatisierten Verwaltungsaktes
Als Negativschranke sind aus der Wirksamkeit des Verwaltungsaktes gemäß § 43 III VwVfG diejenigen Verfügungen auszunehmen, in denen das Gesetz durch § 44 VwVfG eine Nichtigkeit anordnet. Hier wiegt der Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung so schwer, daß es dem Bürger nicht zugemutet werden kann, selbst als Kläger aktiv zu werden. Zu beachten ist aber, daß die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes nach der gesetzlichen Systematik die absolute Ausnahme sein soll5, weil sie für alle Beteiligten zu Unsicherheiten führt. Keine automationsbedingten Besonderheiten ergeben sich bei der Anwendung des gesetzlichen Enumerativkatalogs für die Nichtigkeit nach § 44 11, III VwVfG. Die Ausnahmevorschriften des VwVfG für automatisierte Verwaltungsakte wirken sich auf diese Auflistung nicht aus. So enthält § 37 IV 1 VwVfG keine Ausnahme vom Erfordernis der Erkennbarkeit der Behörde (§ 37 III VwVfG), daß durch § 44 11 Nr. 1 VwVfG besonders abgesichert wird.
3 Die Tenninologie ist in diesem Bereich uneinheitlich, siehe etwa Erichsen I Badura, S. 439; Maurer, AlIg.VwR, S. 234; Meyer I Borgs I Meyer, Vwvro, § 35 Rn. 6; anders z.B. das OLG Hamm, OVBI. 75, S. 584 (584), welches mit Tatbestandswirkung die hier als Wirksamkeit bezeichnete Tatsache meint. 4
Maurer, Allg. VwR, S. 237; Erichsen I Badura, S. 439.
Erichsen I Manens, S. 235; deshalb führt z.B. auch die Verfassungswidrigkeit eines Verwaltungsaktes nicht etwa automatisch zu seiner Nichtigkeit (Rauschning, S. 223 f.). 5
5. Abschnitt: Wirksamkeit, Berichtigung und Aufuebung des VA
195
Fraglich ist daher allein, wann im automatisierten Verfahren ein so schwerer und offenkundiger Fehler vorliegt, daß er nach der Generalklausel des § 44 I VwVfG die Nichtigkeit der Regelung zur Folge hat. Bei der Anwendung dieser Norm kommt es zum einen auf das Ausmaß des Widerspruchs zur Rechtsordnung und zum anderen auf die Erkennbarkeit des Fehlers für einen verständigen Beobachter an6 • Eine Nichtigkeit des Verwaltungsaktes nach § 44 I VwVfG wird in der Literatur zum Beispiel bei einem Erlaß durch eine offensichtlich unzuständige Behörde oder bei Anordnung einer absolut unzulässigen beziehungsweise unbestimmten Rechtsfolge angenommen7 • Bei einem automatisierten Verwaltungsakt wird eine Nichtigkeit nach § 44 I VwVfG vor allem in zwei Fallgruppen diskutiert, nämlich für fehlerhafte Begründungen und für die Signale einer defekten Ampel.
1. Die Nichtigkeit des Verwaltungsaktes wegen Begründungsmängel Nach Gagel kann eine unzureichende Begründung des automatisierten Verwaltungsaktes zu seiner Nichtigkeit führen und zwar sowohl dann, wenn die Begründung ganz fehle als auch dann, wenn sie nicht hinreichend auf den Einzelfall bezogen sei. Er begründet seine Ansicht damit, daß ein Verwaltungsakt, anders als ein Gesetz, jede subjektive Beurteilung ausschließen müsse8 • Sei diese Eindeutigkeit mangels ausreichender Begründung nicht gewährleistet, könne dem Adressaten eine Pflicht zur Befolgung der Regelung nicht zugemutet werden. Eine derartig weitreichende Wirkung von Begründungsfehlem dürfte indes im Ergebnis abzulehnen sein. Der Gesetzgeber gibt durch die Regelungen der §§ 45 I Nr. 2, 46 VwVfG zu erkennen, daß eine fehlende Begründung des Bescheides allein nicht ausreichen soll, um diesen wegen formeller Rechtswidrigkeit aufzuheben. Diese Gewichtung durch den Gesetzgeber würde in ihr Gegenteil verkehrt, wenn eine mangelhafte Begründung zur Nichtigkeit des
6 Kopp, VwVfG, § 44 Rn. 3; Knack / KlappsIein, VwVfG, § 44 Rn. 3.1; Meyer / Borgs / Meyer, VwVfG, § 44 Rn. 7.
7 So z.B. LG Frankfurt a. M., NIW 76, S. 2078 (2079); OLG Stuttgart, NIW 76, S. 1905 (1906); BVerwGE 1,67 (70); für den Bereich der Nichtigkeit nach den §§ 119 I, 157 12 AO 1977 auch Räß/er, DStR 81, S. 305 (306). 8
13*
Gage/ / Gage!, AFG, vor § 142 Rn. 51.
196
2. Teil: Hauptteil
VelWaltungsaktes nach § 44 I VwVfG führen würde. Eine Absicherung der Begründungspflicht ist zwar wichtig; die Folge der Nichtigkeit wäre jedoch eine Überreaktion. Die Begründung ist weniger für die Möglichkeit und Verpflichtung zur Beachtung der Regelung als vielmehr für eventuelle Rechtsmittel von Bedeutung. Sanktionen sollten daher in erster Linie auf dieser Ebene erfolgen9 • Lediglich dann, wenn die fehlende Begründung mittelbar zu einer mit § 37 I VwVfG nicht vereinbaren Unbestimmtheit der Regelung führt, könnte sie für eine Nichtigkeit relevant werden. Ursache der Nichtigkeit ist dann aber nicht die fehlerhafte Begründung, sondern die Unbestimmtheit der Regelung lO • 2. Die Nichtigkeit von Signalen einer defekten Ampel
Bull il geht davon aus, daß die Signale einer defekten Ampel 12 nichtig sein können. Hier sei die Verbindung zwischen dem Regelungswillen der Verwaltung und der objektiven Erklärung unterbrochen. Man müsse davon ausgehen, daß die Behörde nur vernünftige, sachgerechte Regelungen erlassen wolle, woran es aber bei einer defekten Ampel fehle. Indessen dürfte auch hier eine Nichtigkeit der Regelung abzulehnen sein. Für die nicht verkehrsgerechten Signale, wie zum Beispiel Rot auf einer einsamen Straße, ist anerkannt, daß sie lediglich zur Rechtswidrigkeit der Regelung führen 13. Hier, wie auch bei den Signalen einer defekten Ampel, ist es von Bedeutung, daß der Autofahrer sie trotzdem beachtet, um Gefahren für den Straßenverkehr so gering wie möglich zu halten. Bei ihrer Nichtigkeit bestünde eine derartige Beachtungspflicht nicht. Der richtige Weg, um dem verständlichen Bedürfnis nach einer folgenlosen Mißachtung solcher Zeichen nachzugeben, ist nicht die Annahme ihrer Unwirksamkeit, sondern die Straflo-
9
Vergleiche S. 255.
Zur Nichtigkeit des automatisierten Verwaltungsaktes gelangt dann auch Ste/kens I Ste/kens l VwVfG, § 37 Rn. 61 und Send/er, in: Reinermann, S. 165 (170). 10
II
Bull, Verwaltung, S. 145 f.
12
Zur Einstufung als automatisierten Verwaltungsakt siehe S. 73.
13 Müller-Heide/berg, Recht im Amt 70, S. 101 (104). Teilweise wird sogar eine solche Rechtswidrigkeit verneint, weil die Zweckmäßigkeit polizeilicher Maßnahmen im Straßenverkehr nicht nachprüfbar sei (Schirrmacher, OÖV 57, S. 146 (146); Kerkau, Recht im Amt 70, S. 201 (203); OLG Celle, NJW 79, S. 57 (58».
5. Abschnitt: Wirksamkeit, Berichtigung und Aufhebung des VA
197
sigkeit eventueller Verstöße durch Einstellung des Verfahrens l4 • Nur so läßt sich verhindern, daß "Zweifelsfälle" in der Praxis in dubio pro freie Fahrt ausgelegt werden. Zudem führt die Unterbrechung zwischen dem Regelungswillen und der objektiven Erklärung nicht etwa dazu, daß keine Maßnahme "der Behörde" mehr vorliegt. Zwar kann in diesem Fall nicht mehr auf die Programmsteuerung abgestellt werden; bestehen bleibt jedoch die Zurechenbarkeit zur Verwaltung kraft bewußter Einsatzentscheidung l5 • Dann aber ist auch hier die gesetzliche Systematik zu berücksichtigen, aus der eine "Vermutung" für die Wirksamkeit von Verwaltungsakten abgeleitet werden kann. Somit läßt sich insgesamt feststellen, daß auch im Bereich des automatisierten Verwaltungsaktes die Nichtigkeit eine seltene Ausnahme ist. Weder für Fehler in der Begründung noch für die Signale einer defekten Ampel ist eine solche Rechtsfolge anzuerkennen. Ein derartiges Ergebnis ist unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit nur zu begrüßen. Gerade wenn durch den technischen Fortschritt immer mehr automatisierte Verwaltungsakte erlassen werden, ist es wichtig, die gesetzliche Systematik zwischen Rechtswidrigkeit und Nichtigkeit auch in diesem Bereich aufrechtzuerhalten. III. Besonderheiten der Bekanntgabe von automatisierten Verwaltungsakten
Während es im 4. Abschnitt speziell um einen Einsatz der Elektronik bei der Übermittlung von Verwaltungakten ging, sollen im folgenden solche Fragen behandelt werden, die sich bei einem automatisierten Verwaltungsakt unabhängig davon ergeben, in welcher Weise dieser bekanntgegeben wird. 1. Die Notwendigkeit eines Bekanntgabewillens der Behörde
a) Der Streitstand
In der Literatur und Rechtsprechung ist seit langem umstritten, welche Anforderungen an den Willen der Behörde zur Bekanntgabe zu stellen sind,
14 Diesen Weg sieht auch Bull, Verwaltung, S. 107, allerdings nur für die nicht-zweckmäßige Arnpelschaltung; für eine bloße Rechtswidrigkeit der Signale einer defekten Ampel auch Obennayer, Grundzüge, S. 93. 15
Vergleiche hierzu auch S. 79.
198
2. Teil: Hauptteil
damit nicht lediglich ein "Schein-Verwaltungsakt" vorliegt. Am engsten fordert insoweit der Bundesfinanzhof, daß der zuständige Beamte einen konkreten Bekanntgabewillen haben muß l6 , so daß ein nur versehentlich dem Adressaten bekanntgegebener Verwaltungsakt keine Rechtswirkungen hätte. Weitergehend stellt dagegen das Oberlandesgericht Frankfurt auf einen Willensakt "der Behörde" ab l7 • Die interne Unzuständigkeit eines Beamten wäre danach für die Wirksamkeit der Bekanntgabe irrelevant. Schließlich gehen mehrere Autoren von einer wirksamen Bekanntgabe bereits dann aus, wenn der Verwaltungsakt der Behörde zurechenbar ist, weil er diese im normalen organisatorischen Ablauf verlassen hat. Eine derartige Beschränkung auf die bloße Zurechenbarkeit sei notwendig, weil der Bürger das Vorliegen eines Bekanntgabewillens nicht erkennen könne, in seinem Vertrauen auf die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes aber schutzwürdig sei l8 • b) Auswirkungen auf den automatisierten Verwaltungsakt Für den automatisierten Verwaltungsakt ergeben sich aus diesem Streit folgende Konsequenzen: Folgt man der Ansicht des Bundesfinanzhofes und fordert einen Bekanntgabewillen des zuständigen Beamten, so wäre es bei einem Bescheid, der durch ein Rechenzentrum erstellt wird, nicht möglich, diesen direkt von dort an den Bürger zu versenden. Vielmehr müßte zunächst wieder der zuständige Sachbearbeiter den erstellten Bescheid erhalten, um diesen Bekanntgabewillen zu bilden l9 • Da jedoch in der Praxis eine Versendung
16 BFH, BStBI. 11 86, S. 832 (833), wo auf den natürlichen Willen des zuständigen Amtswalters abgestellt wird. So auch Bull, Verwaltung, S. 67, der diesen Willen aber nicht als rechtserzeugende Tatsache einstuft. Rößler, DStR 81, S. 305 (306) weist allgemein auf die Notwendigkeit eines Bekanntgabewillens hin; für das Zivilrecht auch Köhler, AcP, Bd. 182 (1982), S. 126 (138).
17 OLG Frankfurt a. M., NJW 76, S. 337 (338); ferner Schöning, Diss. jur. Bochum, S. 96. Bull, Verwaltung, S. 67 lehnt einen derartigen "Behördenwillen" als reine Fiktion ab. 18 Birk, in: Dömer, S. 134 (139); PJaJfenrodt, FR 68, S. 104 (105); Schmitz, Verwaltungsrundschau 91, S. 213 (216).
19 Es könnte nicht unterstellt werden, daß der Beamte generell mit der Versendung durch die Zentrale einverstanden ist, weil er keinen Einfluß und keine Kontrolle auf das dort verwendete Programm hat (so auch FG Stuttgart, EFG 66, S. 186 (187); PJaJfenrodt, FR 68, S. 104 (105); anders aber LG Frankfurt a. M., NJW 76, S. 2078 (2079».
5. Abschnitt: Wirksamkeit, Berichtigung und Aufhebung des VA
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durch die Zentrale der Regelfall ist, würden nach dieser Ansicht in großer Anzahl unwirksame automatisierte Verwaltungsakte ergehen20 • Zum gleichen Ergebnis gelangt man bei der Einschaltung von Rechenzentren auch dann, wenn man auf einen generellen "Behördenwillen" abstellt. Wie das Oberlandesgericht Frankfurt selbst betont, reicht es nicht aus, daß die Behörde den allgemeinen Verfahrensablauf in ihren Willen aufgenommen hat. Vielmehr müsse eine Einzelfallentscheidung über die Bekanntgabe aus Anlaß des konkreten Falles erfolgen21 • Dazu ist eine Rückversendung des fertigen Bescheides vom Rechenzentrum an die zuständige Behörde erforderlich. Wird der Verwaltungsakt daher unmittelbar vom Rechenzentrum an den Bürger versandt, ist er auch nach dieser Ansicht unwirksam. Ein Unterschied zur Auffassung des Bundesfinanzhofes ergibt sich lediglich dann, wenn nach dieser Rückversendung ein intern unzuständiger Mitarbeiter die Bekanntgabe veranIaßt. In diesem Fall wäre der Bescheid nach Ansicht des Oberlandesgerichts Frankfurt wirksam, während der Bundesfinanzhof zur Unwirksamkeit des Bescheides gelangen würde. Lediglich die Ansicht, die auf eine bloße Zurechenbarkeit zur Behörde abstellt, gelangt zur Zulässigkeit einer unmittelbaren Versendung der Bescheide von der Rechenzentrale an den Bürger. Der normale organisatorische Ablauf der Bekanntgabe umfaßt in diesem Fall eben auch den Weg über diese Zwischenstelle. Die letztgenannte Auslegung hat den Vorteil, daß sie zu wesentlich mehr Rechtssicherheit für den Bürger führt22 • Wenn die Verwaltung die Befugnis hat, einseitig Rechtsfolgen festzulegen und diese auch zu vollstrecken, so muß sich der Adressat eines Verwaltungsaktes im Gegenzug darauf verlassen können, daß er sein Verhalten nach dieser Regelung ausrichten kann. Ein solches Vertrauen wäre aber nicht gerechtfertigt, wenn interne, für den Bürger nicht nachprüfbare Vorgänge die Wirksamkeit der Verfügung verhindern könnten,
20 Zu diesem Ergebnis gelangen auch Birk, in: Dömer, S. 134 (139) und Rößler, DStR 81, S. 305 (306) unabhängig davon, ob es sich um ein privat-rechtliches oder ein öffentlich-rechtliches Rechenzentrum handelt; dabei lehnen sie auch eine dauernde Ermächtigung der Zentrale zur Bekanntgabe ab.
21 OLG Frankfurt a. M., NJW 76, S. 337 (338); erst nach einer solchen Entscheidung dürfe das Verfahren wieder automatisch ablaufen (S. 339). 22 Sie erscheint zudem auch am ehesten als eine logische Fortsetzung der "Objektivierungstendenzen" , die bei der Frage, wann ein Verwaltungsakt vorliegt, zu verzeichnen sind; siehe dazu
S.77.
200
2. Teil: Hauptteil
obwohl die Behörde ganz bewußt und in tausenden von Fällen diesen Weg der Bekanntgabe gewählt hat. Gerade bei einem automatisierten Verwaltungsakt sind die Möglichkeiten zur Nachprüfung eines solchen Mitarbeiter- oder Behördenwillens sehr beschränkt. Das Fehlen von Unterschrift und Begründung nach §§ 37 IV 1, 39 11 Nr. 3 VwVfG erschwert eine Nachvollziehung der behördlichen Willensbildung. Wenn das Bundesverwaltungsgericht bei der Entbehrlichkeit der Unterschrift darauf abstellt, daß Zweifel am Vorliegen einer endgültigen Erklärung schon wegen der äußeren Gestaltung des Bescheides ausscheiden 23 , dann muß auch bei seiner Wirksamkeit konsequenterweise nur von solchen äußerlichen, dem Bürger erkennbaren Merkmalen ausgegangen werden. Somit ist bei einem automatisierten Verwaltungsakt eine wirksame Bekanntgabe bereits dann erfolgt, wenn dieser die Behörde aus der Sicht des Betroffenen im regulären Verfahrensablauf verlassen hat. In der Praxis freilich relativieren sich diese Probleme dadurch, daß der Preisverfall eine derartige Einschaltung von Rechenzentren zunehmend überflüssig macht. Erfolgt die automatisierte Erstellung des Verwaltungsaktes aber durch die Erlaßbehörde selbst, das heißt, hat diese die Programmgestaltung unter ihrer Kontrolle, so bestehen keine Bedenken dagegen, den Bekanntgabewillen sogleich in das Programm zu integrieren24 • In diesem Fall gelangen alle Ansichten zum gleichen Ergebnis. 2. Auswirkungen der Verständlichkeit auf die Bekanntgabe
Schließlich wird in der Literatur die Frage erörtert, ob ein infolge des EDVEinsatzes unleserlicher beziehungsweise unverständlicher Verwaltungsakt überhaupt bekanntgegeben werden kann. Nach Brinckmann und Grimme.z; führt allein die Übermittlung als solche nicht zur Bekanntgabe des Verwaltungsaktes. Aus der Systematik der §§ 37, 39 VwVfG, 33, 35 SGB-X sowie der verfassungsrechtlichen Stellung der Verwaltung folge ihre Verpflichtung, so zu
23 BVerwGE 45, 189 (193); ferner Kopp, VwVfG, § 37 Rn. 36; Mulius, VerwArch., Bd. 67 (1976), S. 116 (121); Stelkensl Stelkens, VwVfG, §37Rn. 51; Obermayer, Vwvro, §37Rn. 65.
24 Stelkens I Stelkens, VwVfG, § 37 Rn. 50. Anders aber OLG Frankfurt 8. M., NIW 76, S. 337 (338) tur den automatisierten Bußgeldbescheid wegen § 47 I OWiG, so daß hier eine Vollautomation mit programmierter Versendung der Bescheide ausscheiden würde bzw. dennoch ergehende Verwaltungsakte unwirksam sind. 2S Brinckmann, Fonnulare, S. 250; Grimmer, in: Reinermann 1985, S. 305 (317); derselbe, ÖVD 84, Heft 11, S. 85 (86); ähnlich Lazaratos, S. 320.
5. Abschnitt: Wirksamkeit, Berichtigung und Aufhebung des VA
201
handeln, daß die Vetwaltungsakte für den Bürger verständlich sind. Es sei ihm nicht zumutbar, sich selbst durch Befragung Dritter oder Rückfragen bei der Vetwaltung um die Kenntnis des Regelungsinhalts zu bemühen. Für eine solche Berücksichtigung der Verständlichkeit erscheint indes die Bekanntgabe nicht als geeigneter Anknüpfungspunkt. Bei dem Bemühen, die Unverständlichkeit derartiger Bescheide juristisch zu erfassen, werden neben der Bekanntgabe auch die Regelung der Amtssprache in § 23 I VwVfG 26 , die Begründungspflicht27 oder gar eine mögliche Grundrechtsverletzung herangezogen28 • Sinnvoller erscheint es, den unverständlichen Bescheid wegen mangelnder Bestimmtheit nach § 44 I VwVfG für nichtig zu erklären. Denkbar wäre es auch, die Nichtigkeit aus § 44 11 Nr. 4 VwVfG herzuleiten, indem man eine tatsächliche Unausführbarkeit bereits dann annimmt, wenn die Regelung nicht verstanden und demgemäß auch nicht befolgt werden kann. In der Praxis dürfte jedoch eine derart gravierende Unverständlichkeit des automatisierten Bescheides kaum noch auftreten29 •
26 So betont Hamann, VelWaltungsrundschau 87, S. 420 (422), daß Amtssprache Deutsch und nicht Cobol oder Fortrun ist; auf die §§ 23 VwVfG, 184 GVG als Maßstab für die Verständlichkeit stellen auch das AG Hersbruck, NIW 84, S. 2426 (2426) und der VGH Kassel, NIW 84, S. 2429 (2429) ab. Nach Schaffer, DÖV 88, S. 149 (156) ist die Verständlichkeit gar kein Rechtsproblem, sondern eine Frage der bürgernahen Formulargestaltung .
27
Siehe dazu auch S. 21.
28 Für möglich gehalten wurde eine Verletzung der Menschenwürde, aber auch der Art. 2 I, 3 I GG. Derartige Verstöße kommen aber nach Ansicht des HessVGH, DÖV 68, S. 356 (356) nur in Betracht, wenn eine bewußte Verunglimpfung des Namens erfolge oder der personelle Eigenwert eines Menschen den Forderungen der Technik untergeordnet werde; daran fehle es aber z.B. bei Telefonrechnungen, weil andere Personen diese gar nicht zu Gesicht bekommen sollen; ablehnend gegenüber einer Grundrechtsverletzung auch Grober, Diss. jur. Würzburg, S. 102; Erichsen / v. Manch, S. 18,61; BVelWGE 31,236 (237); Ehlers, Jura 91, S. 337 (341). Dagegen bejaht das AG Hersbruck, NIW 84, S. 2426 (2426) eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bei einern falsch geschriebenen Namen im Bußgeldbescheid. 29 Siehe zum technischen Fortschritt bei der Verständlichkeit von automatisierten VelWaltungsakten Liedtke, Aus Politik und Zeitgeschichte, Bd. 19 (1989), S. 25 (34); Traunmüller, in: Reinermann, S. 100 (108); Wissing, ÖVD 82, Heft 2, S. 81 (81); Grimmer, in: Grimmer, S. 341 (353).
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2. Teil: Hauptteil
IV. Generelle Bedenken gegen eine Wirksamkeit des automatisierten Verwaltungsaktes
Unabhängig von den Fragen einer Nichtigkeit und Bekanntgabe hat Grimmer generelle rechtspolitische Bedenken, auf einen automatisierten Verwaltungsakt die traditionelle Lehre von der Wirksamkeit des Verwaltungsaktes anzuwenden. Zur Begründung führt er aus, daß die Dogmatik an einen bestimmten Zustand der Verwaltung beziehungsweise ihrer Verfahrensweisen gekoppelt sei. Ändere sich diese Grundlage, müsse auch eine Überprüfung der an sie geknüpften Regelungen erfolgen. Daher sei zu erwägen, ob der automatisierte Verwaltungsakt nicht zunächst nur die Qualität einer "Rechtsbehauptung" habe, die erst nach Ablauf einer gewissen Frist zur Überprüfung durch den Bürger verbindlich werde30 • Demgegenüber betont die Mehrzahl der Autoren31 , daß aus der Einordnung des automatisierten Bescheides als Verwaltungsakt im Sinne des § 35 S. 1 VwVfG zugleich die Anwendbarkeit aller Regelungen des VwVfG für Verfügungen und damit auch des § 43 I VwVfG folge, sofern der Gesetzgeber nicht selbst entsprechende Ausnahmen vorgesehen habe. In der Tat erscheint eine solche Annahme als folgerichtig. Der Gesetzgeber kannte bei Erlaß des VwVfG die Problematik des automatisierten Verwaltungsaktes und hat dort, wo es ihm notwendig erschien, Ausnahmeregelungen geschaffen. Dies ist für § 43 I VwVfG nicht geschehen, obwohl die technischen Probleme und damit auch die Fehlerquote noch größer waren als heute. Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber die Notwendigkeit einer Abweichung übersehen hätte. Zu beachten ist allerdings auch, daß die Wirksamkeit ein wesentliches, fast konstitutives Merkmal für einen Verwaltungsakt ist. Hätte der Gesetzgeber sie bei einem automatisierten Bescheid ausgeschlossen, so hätte diese Einschränkung weitreichende Folgen für die Rechtssicherheit gehabt. Diese Befürchtung könnte ihn möglicherweise von einer derartigen Ausnahmeregelung abgehalten
30 Grimmer, DVR 80, S. 323 (334). Auch Lonermoser, in: GölZ, S. 257 (270) hält es in automatisierten Massenverfahren fiir möglich, daß der Verwaltungsakt zunächst nur ein" Angebot einer Entscheidung" ist. Lozararos, S. 206, 373 will einen aufschiebend bedingten Verwaltungsakt erlassen, wenn es zu DefIZiten bei der Anhörung oder Begriindung gekommen ist. Kerkau, ÖVD 71, Heft 3, S. 106 (107) schließlich erblickt einen sensiblen Punkt der traditionellen Dogmatik vom Verwaltungsakt in der Zusammenarbeit von zuständiger Fachverwaltung und Rechenzentrum, wenn erstere nur noch die Ausgangsdaten liefere. 31 Schöning, Diss. jur. Bochum, S. 97; Maller-Heide/berg, Recht im Amt 70, S. 101 (104); Bull, Verwaltung, S. 139; Maunz, BayVBI. 77, S. 86 (87); Maurer, A1lg. VwR, S. 394.
5. Abschnitt: Wirksamkeit, Berichtigung und Aufhebung des VA
203
haben, zumal es ihm in erster Linie um eine Ermöglichung des Einsatzes solcher Geräte ging. Daher ist zusätzlich zu diesem Willen des Gesetzgebers zu untersuchen, ob automationsbedingte Besonderheiten eine Abweichung vom Prinzip des § 43 I VwVfG erfordert hätten. Ein solche Notwendigkeit könnte zunächst dann bestehen, wenn es in diesem Bereich zu einer ungewöhnlich hohen Quote rechtswidriger Verwaltungsakte kommt, weil die gesetzliche Systematik darauf beruht, daß ein rechtswidriger Bescheid die Ausnahme ist. Auf der Basis der heutigen Technologie ist die Fehlerquote bei automatisierten Verwaltungsakten jedoch eher noch geringer als im herkömmlichen Verfahren32 • Daneben könnte die geringere Mitwirkung des Menschen als solche ein Grund sein, von dem Prinzip der Wirksamkeit solcher Bescheide abzusehen. Dabei gilt es zu bedenken, daß der Beamte auch durch die Möglichkeit persönlicher Nachteile, wie Fachaufsichtsbeschwerde oder Amtshaftungs-Regreß, dazu angehalten wird, möglichst wenig Fehler zu machen. Dieser "Druck" entfällt naturgemäß bei einem Einsatz von Automaten. Im Ergebnis indes dürfte auch eine solche Argumentation abzulehnen sein. Wie gesehen, schlägt sich diese geringere Mitwirkung nicht in einer höheren Fehlerquote nieder. Sie allein aber wäre es, die es für den Bürger unzumutbar machen könnte, die Wirksamkeit von automatisierten Verwaltungsakten hinzunehmen. Allerdings ist dieser Faktor bei allen neuen technischen Entwicklungen zu beachten. Schon wegen § 43 I VwVfG kann es nicht angehen, den Bürger zum "Versuchskaninchen" für nicht ausreichend erprobte Verfahren zu machen33 • Auf der Ebene der Automation aber ist auch bei einem automatisierten Verwaltungsakt davon auszugehen, daß dieser mit seiner Bekanntgabe wirksam wird. V. Formelle und materielle Bestandskraft bei automatisierten Verwaltungsakten Wie schon bei einem herkömmlichen Verwaltungsakt ist auch bei seinem automatisierten Pendant umstritten, ob er in formelle beziehungsweise materielle Rechtskraft erwachsen kann. Dabei entspricht die formelle Bestandskraft von
32 So schon Bull, Verwaltung, S. 141, Degrandi, S. 135; Jähnig, ADV, S. 64; aus neuerer Zeit Volkmann, CR 85, S. 155 (156); siehe auch ausführlich S. 228, 229. 33
Wieacker, Caemmerer-FS, S. 45 (69) spricht hier von einer "Opfergrenze" .
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2. Teil: Hauptteil
Verwaltungsakten der formellen Rechtskraft von Urteilen34 • Ein Verwaltungsakt ist dann formell bestandskräftig, wenn gegen ihn keine Rechtsmittel möglich sind. Hierbei ergeben sich für den automatisierten Verwaltungsakt keinerlei Besonderheiten, weil in der VwGO keine Ausnahmeregelungen für derartige Verfügungen vorgesehen sind. Wesentlich schwieriger zu beurteilen ist die Möglichkeit einer materiellen Bestandskraft. Gemeint ist damit, daß ein formell bestandskräftiger Verwaltungsakt von der Behörde auch in einem neuen Verfahren nicht mehr abgeändert werden darfl5• Das Gesetz verwendet den Begriff Bestandskraft in der Überschrift zum 2. Abschnitt des III. Teils des VwVfG. Es regelt diese Wirkung dort aber nur indirekt, indem es festlegt, wann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes möglich ist und eine materielle Bestandskraft damit ausscheidet. Eine solche materielle Bestandskraft von Verwaltungsakten wird in der Literatur nur dann für möglich gehalten, wenn der Bescheid einerseits auf einem abgeschlossenen Sachverhalt beruht und andererseits nach einem prozeßähnlichen, förmlichen Verwaltungsverfahren erlassen wurde36 • Der letztgenannte Aspekt erfordert dabei insbesondere, daß der Betroffene in weitestem Umfang Gelegenheit hatte, seinen Standpunkt in dem Verwaltungsverfahren zu vertreten 37 • An dieser Voraussetzung dürfte es aufgrund des § 28 11 Nr. 4 VwVfG bei einem automatisierten Verwaltungsakt in der Praxis häufig fehlen38 • Insbesondere dann, wenn kein Widerspruchsverfahren erfolgt ist, das
34 Allerdings ist schon der Begriff der Bestandskraft umstritten, vergleiche etwa Maurer, Allg. VwR, s. 233 oder Erichsen I Erichsen, s. 173; trotz Eintritt der Bestandskraft können jedoch nach BGH, NJW 91, S. 1168 (1169) die Zivilgerichte im Rahmen einer Amtshaftungsklage die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes abweichend beurteilen; dieses gilt aber nicht im Rahmen eines eventuell konkurrierenden ÖR-Erstattungsanspruchs, der über § 17 n GVG neuerdings ebenfalls in die Zuständigkeit der Zivilgerichte fallen kann.
35 So etwa Maurer, Allg. VwR, S. 236; Erichsen I Erichsen, S. 241 bejaht nur eine der materiellen Rechtskraft ähnliche Wirkung; auch Wolff I Bachof, S. 371 lehnt eine materielle Rechtskraft von Verwaltungsakten grundsätzlich ab. 36 Maurer, Allg. VwR, S. 236, 268; Wolffl Bachof, VwR, S. 447; Forsthoff, VwR, S. 248; Bult, Verwaltung, S. 139; Erichsen I Badura, S. 438, 439. 37 BVerfGE 2,380 (394); BVerwGE 4,250 (253); OVG Hamburg, DVBI 59, S. 147 (148); Bull, Verwaltung, S. 148; Forsthoff, S. 250; Erichsen I Badura, S. 439.
38 Schäffer, DÖV 88, S. 149 (156) bezeichnet das Problem der materiellen Bestandskraft als noch ungelöst. Nach 1hiel, FR 58, S. 1 (4) ist jedenfalls bei einem automatisierten Steuerbescheid auf der Grundlage einer Veranlagung nach eigener Erklärung eine materielle Bestandskraft abzulehnen.
5. Abschnitt: Wirksamkeit, Berichtigung und Aufhebung des VA
205
heißt, der Verwaltungsakt wegen Ablaufs der Rechtsmittelfrist formell bestandskräftig geworden ist, dürfte schon aus diesem Grund eine materielle Bestandskraft des automatisierten Verwaltungsaktes zu verneinen sein.
B. Die Berichtigung des automatisierten Verwaltungsaktes I. Einführung
Bevor im Rahmen der vorliegenden Ausführungen auf die Aufhebung des automatisierten Verwaltungsaktes eingegangen werden kann, ist die Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten nach § 42 VwVfG zu behandeln. Ein solcher offenbar unrichtiger Verwaltungsakt wird vom Gesetz eigentlich gar nicht als rechtswidriger Verwaltungsakt behandelt39 , da Änderungen nicht an die strengen Voraussetzungen der §§ 48, 49 VwVfG gebunden, sondern jederzeit möglich sind. Eine inhaltsgleiche Regelung fmdet sich in § 38 SGB-X. Dagegen stellt § 129 AO 1977 als die entsprechende Parallelvorschrift im Steuerrecht statt auf die Umstände "in einem Verwaltungsakt" auf solche "bei einem Verwaltungsakt" ab. Umstritten ist, ob damit eine Ausweitung der Berichtigungsmöglichkeiten verbunden ist40 • Im Bereich des automatisierten Verwaltungsaktes ist eine derartige Berichtigungsmöglichkeit besonders interessant. Zum einen handelt es sich dort häufig um Rechenfehler, welche in § 42 VwVfG explizit genannt sind. Zum anderen ist die Fehlerquote zwar insgesamt niedriger als beim manuell erstellten Verwaltungsakt41 , ein einzelner Programmierungsfehler hat jedoch durch seine Vervielfältigung bei jedem Programmdurchlauf eine wesentlich größere Wir-
39
Maurer, JuS 76, S. 485 (491).
40 Nach Birk, in: Dömer, S. 134 (141) ergeben sich daraus keinerlei Abweichungen zu § 42 VwVfU. Nach Ansicht des FG Saarbrücken, EFG 81, S. 267 (267) und Lazaratos, S. 305, 320 dagegen folgt aus dieser Abweichung, daß die Unrichtigkeit nicht unbedingt fiir den konkreten Steuerpflichtigen erkennbar sein muß. Zu beachten ist auch, daß es im Steuerrecht eine, noch von Zeidler, S. 48 Fn. 174 geforderte, Berichtigungsptlicht in § 129 n AO 1977 gibt, die dem VwVfU fremd ist. 41 Birk, in: Dömer, S. 134 (136); Degrandi, S. 135; Jähnig, ADV, S. 64. Zur Fehlerquote siehe auch ausfiihrlich S. 228, 229.
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2. Teil: Hauptteil
kung42 • Daher gilt es im folgenden zu untersuchen, welche Fehlerquellen in einem ED V-gestützten Verfahren möglich und gegebenfalls einer Berichtigung nach § 42 VwVfG zugänglich sind.
11. Denkbare Fehlerquellen in einem automatisierten Verfahren
In der Reihenfolge der Bearbeitung kann es zunächst zu Fehlern bei der Festsetzung der Eingabedaten kommen. Dann liegen bereits zu Beginn der Computertätigkeit falsche Eingabewerte vor. Dies ist auch dann der Fall, wenn die Daten zwar richtig erhoben, dann aber unrichtig in den Computer eingegeben werden (Bedienungsfehlerl3 ; sie stellen die häufigste Ursache fehlerhafter automatisierter Bescheide dar44 • Kommt es trotz korrekter Dateneingabe zu unrichtigen Ergebnissen, ist die Fehlerquelle im Maschinenablauf selbst zu suchen. Denkbar sind dabei zunächst Programmierungsjehler45 • Gerade sie sind bei den immer komplexer werdenden Programmen, bei denen Expertenteams eine Entwicklungszeit von mehreren Jahren benötigen (die Entwicklungszeit wird in Mann / Jahren berechnet), kaum vermeidbar. Ihr Resultat ist ein systematischer Fehler, der in allen mit dem Programm erstellten Bescheiden wiederkehrt. Daneben gibt es aber auch Defekte, die sich nur auf einzelne Bescheide auswirken. Hier spricht man von Maschinenfehlern. Dabei ist aber heftig umstritten, ob es wirklich derartige originäre Maschinenfehler beziehungsweise ein technisches Versagen gibt, oder ob alle Fehlleistungen des Gerätes auf mensch-
42 Voss, BB 60, s. 1091 (1092); Leisner, VVDStRL, Heft 20 (1963), s. 245 (249); Haft, S. 28; Jähnig, ADV, s. 100; Berg, Diss. jur. Köln, s. 63; Bayersdoifer, Öff. Haushalt 67, S. 90 (110); Demant, in: Hoifmann, S. 92 (93). 43 Siehe dazu etwa Schöning, Diss. jur. Bochum, S. 66; Volkmann, eR 85, S. 155 (156); Köhler, AcP, Bd. 182 (1982), S. 126 (134); Bayersdoifer, Öff. Haushalt 67, S. 90 (102). 44 Bayersdoifer, Öff. Haushalt 67, S. 90 (102); Volkmann, eR 85, S. 155 (156); Schöning, Diss. jur. Bochum, S. 66.
45 Haft, S. 70; Schöning, Diss. jur. Bochum, S. 70; Grimmer, Rechtsverwirklichung, S. 35; Volkmann, eR 85, S. 155 (156); Köhler, AcP, Bd. 182 (1982), S. 126 (134); solche Fehlerfiihren nach Eberle, Organisation, S. 50 zwangsläufig zur Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsaktes.
5. Abschnitt: Wirksamkeit, Berichtigung und Aufhebung des VA
207
liches Versagen rückführbar sind46 • Zwar ist den Vertretern der letztgenannten Ansicht zuzugeben, daß immer ein menschliches Unterlassen als conditio sine qua non für den fehlerhaften VelWaltungsakt bestimmt werden kann. Sinnvoll indes ist eine derartige Anknüpfung nur dann, wenn daraus auch eine haftungsrechtliche Zurechenbarkeit abgeleitet werden kann. Eine solche erscheint nur dort vertretbar, wo es konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Störung gab und der menschliche Kontrolleur dennoch untätig geblieben ist47 • Maschinenfehler können aber auch durch plötzlich auftretende Stromschwankungen, Überhitzung des Gerätes und ähnliche Umstände entstehen. In derartigen Fällen wäre die Annahme einer menschlichen Pflichtverletzung eine bloße Fiktion. Daher ist davon auszugehen, daß es ein rechtlich relevantes technisches Versagen gibt48 • Diese Vorstellung lag auch der Regelung des § 1 11 StHG zugrunde, mit der vom Gesetzgeber ein solches Versagen der Maschine bewußt als Verletzung einer Amtspflicht fingiert worden war. III. Das Erfordernis einer "offenbaren Unrichtigkeit"
Sowohl in § 42 VwVfG als auch in den §§ 38 SGB-X, 129 AO 1977 wird neben den Schreib- und Rechenfehlern auf "ähnliche offenbare Unrichtigkeiten" abgestellt. Umstritten ist, ob deshalb der Fehler auch für den Adressaten des VelWaltungsaktes erkennbar sein muß, oder ob es ausreicht, wenn ein objektiver Beobachter ihn erkennen kann. Die erstgenannte Auffassung könnte bei EDV-Bescheiden häufig den Weg über § 42 VwVfG versperren, weil durch die häufig nur rudimentäre Ausgestaltung automatisierter VeIWaitungsakte49 Fehler für den Bürger nur schwer erkennbar sind. Jedenfalls im Anwendungsbereich des § 129 AO 1977 gehen die Rechtsprechung und ihr folgend einige Autoren davon aus, daß die Erkennbarkeit für einen objektiven Beobachter ausreiche. Entscheidend sei allein, daß der Fehler
46
Im letztgenannten Sinne Maaß, DVBI. 61, s. 7 (8); Leisner, VVDStRL, Heft 20 (1963),
41
Bull, Vetwaltung, S. 142; auch Zeidler, S. 9 hält überspitzte Sorgfaltspflichten für lebens-
s. 185 (249); Köhler, AcP, Bd. 182 (1982), S. 126 (134). fremd.
48 Im Ergebnis ebenso Schöning, Diss. jur. Bochum, S. 66-69; Degrandi, S. 132; Schmidt, Gesetzesvollziehung, S. 197; Senoner, Diss.jur. München, S. 21; Volkmann, eR 85, S. 155 (156).
49
Vergleiche S. 153.
208
2. Teil: Hauptteil
einem Schreib- beziehungsweise Rechenfehler gleichgestellt werden könneso. Damit würden auch solche Fehler der Berichtigung unterliegen, die ausschließlich für die Verwaltung selbst erkennbar sind. Der Anwendungsbereich der Berichtigungsvorschriften wäre danach sehr weit. Bachof vertritt eine derartige Auslegung auch außerhalb des Abgabenrechts 51 • Demgegenüber sind nach der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts nur solche Fehler berichtigungsfähig, die dem Betroffenen "ohne weiteres ins Auge springen 52 • Eine Berichtigung wäre damit in deutlich weniger Fällen zulässig. Wie schon bei dem Einsatz von Schlüsselzeichen wird allerdings nicht auf das individuelle Wissen des Adressaten, sondern auf ein durchschnittliches Erkenntnisvermögen ohne Sonderwissen auf dem Gebiet der EDV abgestellt53 • Innerhalb dieser Ansicht ist wiederum umstritten, ob für diese Erkennbarkeit nur Umstände aus dem Verwaltungsakt selbst oder auch sonstige Kenntnisse herangezogen werden können54 • Bei der Entscheidung dieser Auslegungsfrage gilt es zu berücksichtigen, daß ein Verzicht auf die Erkennbarkeit für den Adressaten zu einer erheblichen Ausweitung der Berichtigungsmöglichkeiten führt. Gerade Fehler in einer EDV-Anlage sind häufig mechanische Fehle~S, so daß sie in weitem Maße jederzeit zu berichtigen wären. Bei einer zusätzlichen Ausweitung der Einsatzmöglichkeiten für derartige Geräte müßte die Verwaltung kaum noch von den detaillierten Regelungen der §§ 48,49 VwVfG Gebrauch machen, die den,
so FG Saarbrücken, EFG 81, S. 267 (267 f.). Bei derartigen Rechenfehlern bejahen Wolff I Bachoj, S. 440 und Gerber, BB 85, S. 1597 (1598) immer die Möglichkeit einer Berichtigung, das heißt, sie wollen das Erfordernis der Erkennbarkeit nur auf die "ähnlichen" Unrichtigkeiten beziehen; anders aber Bull, Verwaltung, S. 144 und Popper, OVBI. 77, S. 509 (512). 51
So etwa Wolffl Bachoj, S. 440.
BVerwG, OÖV 73, S. 133 (134); BVerwG, OVBI. 72, S. 955 (955); im Ergebnis ebenso Bull, Verwaltung, S. 143; Müller-Heidelberg, Recht im Amt 70, S. 101 (105); Stelkens I Stelkens, VwVfG, § 42 Rn. 17; Birk, in: Dömer, S. 134 (141) sowohl rur die AO 1977 als auch rur das VwVfG. 52
53 Oas BVerwG, OVBI. 72, S. 955 (956) und OÖV 73, S. 133 (134) erwartet von einem Beamten aufgrund der Treuepflicht mehr Anstrengungen bei der Nachprüfung des Bescheides als vom Nonnalbürger; zu diesen Anforderungen siehe auch Volkmann, eR 85, S. 155 (157).
54 Im erstgenannten Sinne Müller-Heidelberg, Recht im Amt 70, S. 101 (105) und Schmidt, Gesetzesvollziehung, S. 197; demgegenüber stellen das BVerwGE 48, 336 (338) und Knack / Schwarze, VwVfG, § 42 Rn. 3.2 auch auf Umstände aus anderen Bescheiden ab.
55 Birk, in: Dömer, S. 134 (140); nach Bull, Allg. VwR, S. 208 dürfen Risiken der Automation nicht über die Berichtigung auf den Bürger abgewälzt werden.
5. Abschnitt: Wirksamkeit, Berichtigung und Aufhebung des VA
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auch verfassungsrechtlich geschützten, Vertrauensschutr6 des Betroffenen sichern sollen. Die Berichtigungsmöglichkeit nach § 42 VwVfG ist nach der gesetzlichen Konzeption als Ausnahme für solche Fälle gedacht, in denen ein Vertrauensschutz von vornherein als nicht gerechtfertigt erscheintS7• Durch eine Ausweitung der Berichtigung auf solche Fehler, die für den Bürger nicht erkennbar sind, würde zum einen aus einer ausnahmsweisen Berichtigungsmöglichkeit der gesetzliche Regelfall. Zum anderen würde das berechtigte Vertrauen des Bürgers auf den Bestand der Regelung unterlaufen. Dieses Vertrauen ist schützenswert, wenn der Betroffene weder aus dem Bescheid noch aus sonstigen ihm bekannten Umständen die Fehlerhaftigkeit der Verfügung erkennen kann. Die Ansicht der Finanzrechtsprechung berücksichtigt allzu einseitig die Belange der Verwaltung, die gerade in der Anfangsphase der Datenverarbeitung an möglichst weitreichenden Berichtigungsmöglichkeiten interessiert war. Eine derartige Dominanz ist mit dem Anliegen des § 42 VwVfG, einen gerechten Ausgleich zwischen dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und dem Vertrauensschutz zu schaffen, nicht vereinbar. Daher ist für die Zulässigkeit einer Berichtigung jedenfalls bei einem automatisierten Verwaltungsakt die Erkennbarkeit des Fehlers für einen durchschnittlichen Empfänger zu fordern s8 • Bei umfangreichen, komplizierten Programmabläufen kann man sich sogar fragen, ob es überhaupt "offenbare" Fehler geben kann. Inwieweit vor diesem Hintergrund die einzelnen Fehlergruppen der Datenverarbeitung berichtigungsflihig sind, soll im folgenden untersucht werden.
S6 Umstritten ist lediglich der Anknüpfungspunkt fiir den Vertrauens schutz in der Verfassung; genannt werden Art. 2 I, Art. 1 I, aber auch das Rechtsstaatsprinzip und das Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit, siehe Haeberle, Boorberg-FS, S. 47 (87). Nach BVerwGE 48, 336 (341) ist im Rahmen des Vertrauensschutzes auch der individuelle Bildungsstand des Betroffenen zu berücksichtigen. S7
Birk, in: Dömer, S. 134 (141).
S8 Erwägenswert ist sogar, wie schon bei der Verständlichkeit von Schlüsselzeichen, ein individueller Maßstab fiir die Erkennbarkeit der Unrichtigkeit, siehe etwa S. 157. Einen solchen Maßstab legt auch BVerwGE 48, 336 (341) bei der Aufhebung des Verwaltungsaktes an. 14 Polomski
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2. Teil: Hauptteil
IV. Die berichtigungsrähigen Fehlergruppen bei einem automatisierten Verwaltungsakt
1. Fehler bei der Festsetzung der Eingabedaten
Nicht berichtigungsfähig sind zunächst solche Bescheide, die aus einer unrichtigen Festsetzung der Eingabedaten für die elektronische Verarbeitung resultieren59 , da es sich insoweit um Fehler in der Willensbildung handelt. Zwar kann die Berichtigung nach § 42 VwVfG nicht mit der Anfechtung nach den §§ 119 ff BGB verglichen werden81 , da durch sie weder die Willensfreiheit der Behörde geschützt werden soll, noch etwa alle Erklärungsfehler berichtigungsfabig sind. Die beispielhaft genannten Schreib- und Rechenfehler sind jedoch mit Irrtümern in der gedanklichen Vorbereitung des Verwaltungsaktes nicht vergleichbar. Bei einer unrichtigen Festsetzung der Eingabewerte ist somit nur eine Aufhebung des Verwaltungsaktes nach den §§ 48, 49 VwVfG möglich. 2. Bedienungs/ehler
Fraglich erscheint dagegen die Berichtigungsfabigkeit von Bedienungsfehlern. Ein solcher Mangel liegt vor, wenn dem Bedienungspersonal bei der Eingabe der korrekt festgesetzten Ausgangsdaten durch Unachtsamkeit ein Fehler unterläuft. Bedienungsfehler gleichen damit rein äußerlich den in § 42 VwVfG explizit genannten Schreibfehlern. Zu bedenken ist jedoch, daß hier, anders als bei der herkömmlichen Erstellung eines Verwaltungsaktes, nach Abschluß der Tätigkeit des Sachbearbeiters noch eine Veränderung des Erklärungsinhaltes durch die Maschine erfolgt. Köhler geht für das Zivilrecht davon aus, daß eine Abgabe der Erklärung erst nach der erfolgten Bearbeitung im Zentralrechner anzunehmen und deshalb eine Anfechtung aufgrund von Bedienungsfehlern ausgeschlossen sei61 • Gegen
59 Berg, Diss.jur. Köln, S. 89; Bult, Verwaltung, S. 143; Zeidler, S. 48 Fn. 174; Volkmann, eR 85, S. 155 (157); Degrandi, S. 133; fiir das Zivilrecht Köhler, AcP, Bd. 182 (1982), S. 126 (134); Stelkens I Stelkens, Vwvro, § 42 Rn. 6; Knack I Schwane, Vwvro, § 42 Rn. 3.1; anders im Steuerrecht Voss, BB 60, S. 1091 (1092); bei der Berichtigung eines Wohngeldbescheides Bult, Allg. VwR, S. 208. 60
Bull, Verwaltung, S. 65, 143; ForsthoJ!, S. 225.
61
Köhler, AcP, Bd. 182 (1982), S. 126 (136, 139).
5. Abschnitt: Wirksamkeit, Berichtigung und Aufhebung des VA
211
eine Übernahme dieser Ansicht auf die Anwendung des § 42 VwVfG spricht jedoch bereits der oben angesprochene Unterschied zwischen Anfechtung und Berichtigung. Entscheidend für die Zu lässigkeit einer Berichtigung bei einem automatisierten Verwaltungsakt ist nicht die Abgrenzung Willensbildung-Willensäußerung, sondern die Frage, welche der neuartigen Fehlerquellen mit den schon bisher von § 42 VwVfG erfaßten Anwendungsfällen vergleichbar sind. Zudem gilt es zu sichern, daß dem Betroffenen die nachträgliche Änderung des Bescheides zumutbar bleibt, ohne daß eine solche an die engen Voraussetzungen der §§ 48, 49 VwVfG gebunden wäre. Müller-Heidelberg62 will sogar alle Fehlerquellen gleich behandeln und lediglich auf die Erkennbarkeit für den Adressaten abstellen. Aber auch dann, wenn man nicht so weit gehen will, bietet sich zumindest eine Parallele der Bedienungsfehler zu den Schreib- und Rechenfehlern an. Wie bei diesen kommt es auch hier zu versehentlichen Fehlleistungen, die dem Mitarbeiter in der konkreten Situation verborgen bleiben. Die Vergleichbarkeit wird auch nicht dadurch beeinträchtigt, daß es bei einem Einsatz des Computers (anders als bei einer herkömmlichen Schreibmaschine) nach Abschluß der menschlichen Bedienungstätigkeit noch zu Veränderungen des Erklärungsinhaltes kommt. Die Verarbeitung durch den Computer erfolgt nach den genauen Vorgaben des Programms. Mit dem Abschluß der Eingabe und dem Beginn der maschinellen Bearbeitung steht der Inhalt des Bescheides fest. Der Programmdurchlauf stellt sich solchermaßen als eine jUe Konstante dar, welche zwar die Abgabe der Erklärung hinauszuschieben vermag, aber nicht geeignet ist, eine ansonsten bestehende Berichtigungsmöglichkeit auszuschließen. Bedienungsfehler sind somit grundsätzlich berichtigungsfähig63 • Streng zu beachten ist aber das Erfordernis einer Erkennbarkeit des Fehlers für den Adressaten. Gerade bei Eingabefehlern würden erhebliche Defizite für den Schutz des Bürgers entstehen, wenn man mit der Finanzrechtsprechung64 auf die Erkennbarkeit des Fehlers für den Betroffenen verzichten würde. Diese Defizite zeigen sich auch bei einer besonderen Fallgruppe des Eingabefehlers, nämlich dem Irrtum des Sachbearbeiters über den tatsächlichen Ablauf der Maschinentätigkeit. In diesen Fällen trägt der Beamte versehentlich die richtigen Daten an der falschen Stelle des Ausgangsbeleges ein. Wenn hier eine Berichti-
62
MaUer-Heidelberg, Recht im Amt 70, S. 101 (\05).
63 Im Ergebnis ebenso Volkmann, eR 85, S. 155 (\58); Voss, BB 60, S. 1091 (\092); Beger, DStR 75, S. 175 (178); FG Saarbrücken, EFG 81, S. 267 (268); Berg, Diss. jur. Köln, S. 89.
64
14'
Siehe hierzu S. 197, 198.
212
2. Teil: Hauptteil
gung zugelassen wird 65 , liegt darin eine einseitige, nicht mehr hinzunehmende Bevorzugung von Interessen der Verwaltung, die das Verfahren noch nicht richtig beherrscht. Derartige Probleme dürfen nicht auf den Bürger abgewälzt werden. 3. Programmierungsfehler
Höchst unterschiedlich beurteilt wird die Berichtigungsfähigkeit von solchen Bescheiden, die auf einem fehlerhaften Programm beruhen. Während Haft66 die Berichtigung zuläßt, weil es bei dem Programm nicht um das "warum", sondern das "wie" der Willensbildung gehe, lehnt Degrandi 67 eine Berichtigung solcher Fehler ab. Voss 68 schließlich will danach differenzieren, ob das fehlerhafte Programm auf einem Rechtsirrtum oder auf sonstigen Gründen beruht; nur im letztgenannten Fall läßt er eine Berichtigung zu. In der Tat dürfte eine differenzierte Lösung am ehesten der Intention des § 42 VwVfG gerecht werden. Programmfehler können zum einen auf einer Verkennung der gesetzlichen Vorgaben beruhen. Da der Computer nur mit Algorithmen arbeiten kann, ist eine restlose Umsetzung der anzuwendenden Normen in diese Darstellungsform notwendig 69 • Diese Tätigkeit erfordert häufig eine Entscheidung juristischer Zweifelsfragen. Dabei unterlaufende
6S OVG Lüneburg, OVGE 37, 261 (265); Gerber, BB 85, S. 1597 (1598); anders aber Pfaffenrodt, FR 68, S. 104 (105). 66 Haft, S. 70. Dagegen geht Köhler, AcP, Bd. 182 (1982), S. 126 (135) rur das Zivilrecht von einem bloßen Motivirrtum aus; siehe auch BVerwGE 48, 336 (338) zu Fehlern der Verarbeitung im Rechenzentrum. 67 Degrandi, S. 133, weil es sich um materielle Fehler in der Willensbildung handele. Nach Bull, Verwaltung, S. 144 und Wieacker, Bötticher-FS, S. 383 (396) scheitert eine Berichtigung auf der Grundlage von Programmierungsfehlern regelmäßig daran, daß diese rur den Betroffenen nicht erkennbar sind. Dieses muß aber nicht so sein, etwa wenn relativ leicht nachvollziehbare Rechenoperationen falsch programmiert sind. Es geht nicht um die Erkennbarkeit des Programmfehlers, sondern um die Erkennbarkeit seiner Auswirkungen. 68 Voss, BB 60, S. 1091 (1092); ähnlich Knack I Schwane, VwVfG, § 42 Rn. 3.1, 3.2, der zwischen mechanischen Fehlern bei der Programmerstellung und sonstigen Fehlleistungen differenziert. Nach der Ansicht des BFH, NVwZ 85, S. 448 (448) sind zumindestens solche Programmfehler berichtigungsfähig, die auf einer falschen Übertragung des Programms vom Codierblatt auf den Datenträger beruhen. 69 Eben, Blätter rur Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht 66, S. 188 (191); Raisch, JZ 70, S. 433 (438); Wieacker, Bötticher-FS, S. 383 (398); OLG Frankfurt a. M., NJW 76, S. 337 (338).
5. Abschnitt: Wirksamkeit, Berichtigung und Aufhebung des VA
213
Fehleinschätzungen gleichen solchen bei der Festsetzung der Eingabedaten. Für diese Fallgruppe wurde aber eine Berichtigungsfähigkeit bereits abgelehnt. Auf der anderen Seite können bei der Programmierung trotz einer richtig erfolgten Umsetzung der Norm in Algorithmen weitere Fehler unterlaufen. Allein die Anordnung der Befehle innerhalb des Programms hat weitreichende Auswirkungen auf die Durchführung der Operationen. Ein einziges vergessenes Zeichen kann verheerende Folgen haben. So soll es nur deshalb zum Verlust einer Mond-Sonde der NASA gekommen sein, weil im Programm ein Komma vergessen wurde. Derartige Fehlleistungen ähneln eher den Schreib- und Rechenfehlern als den Fehlern bei der Festsetzung der Eingabedaten. Selbst wenn die Programmanordnung auf einem Irrtum und nicht auf einem Versehen beruht, ist dieser eher als mathematischer denn als juristischer Irrtum zu qualifizieren. Deshalb ist für derartige Programmierungsfehler eine Berichtigungsmöglichkeit zuzulassen.
4. Maschinenfehler
Abschließend ist die Berichtigung solcher Bescheide zu behandeln, deren Inhalt durch einen Maschinenfehler beeinflußt worden ist. Hier wird die Zulässigkeit einer Berichtigung allgemein bejahtIO • Keinerlei Schwierigkeiten ergeben sich dabei für diejenigen Autoren, die diese Fallgruppe generell ablehnen und stattdessen auf menschliches Unterlassen abstellen71 • Sie brauchen Besonderheiten der EDV nicht zu beachten, das Ergebnis des Vorgangs gleicht einem Rechenfehler. Aber auch dann, wenn man eine solche Einordnung ablehnt, gelangt man zum gleichen Ergebnis. Wie bei der herkömmlichen Erstellung handelt es sich bei Fehlern in diesem Bereich um die letzte Phase der behördlichen Tätigkeit. Ein menschlicher Irrtum, der eine abweichende Bewertung rechtfertigen könnte, scheidet in dieser Fallgruppe aus.
10 So etwa Degrandi, S. 132; Schmidt, GeselZesvollziehung, S. 197; Volkmann, eR 85, S. 155 (157), der aber auch hier darauf abstellt, daß kein Rechtsirrtum vorliegt; dabei erscheint aber fraglich, wie ein technisches Versagen auf einem Rechtsirrtum beruhen kann.
71
Siehe hierzu S. 206, 207.
214
2. Teil: Hauptteil
v. Resümee Die gerade im Bereich des automatisierten Verwaltungsaktes für die Behörde interessante Möglichkeit zur Korrektur fehlerhafter Bescheide nach § 42 VwVfG birgt die Gefahr in sich, daß Vertrauensschutzgesichtspunkte des Bürgers zu wenig berücksichtigt werden. Daher ist für sämtliche Fehlergruppen zu fordern, daß der Fehler zumindestens für einen durchschnittlichen Empfänger erkennbar ist. Fehlleistungen, die lediglich der Verwaltung selbst bekannt sind, berechtigen nur zu einer Aufhebung des Verwaltungsaktes nach den §§ 48,49 VwVfG. Die Verwaltung hat es in der Hand, den Anwendungsbereich des § 42 VwVfG dadurch zu erweitern, daß sie ausführlichere Bescheide erläßt72 , welche dem Bürger eine Erkennung des Fehlers erleichtern. Hierin sollte ein Anreiz gesehen werden, § 39 11 Nr. 3 VwVfG restriktiv anzuwenden, da die Ausweitung von Berichtigungsmöglichkeiten mehr zur Entlastung der Verwaltung beitragen kann, als der Verzicht auf eine feststehende Begründung. Vor diesem Hintergrund ist die Berichtigungsfähigkeit von Fehlern bei der Festsetzung der Eingabedaten zu verneinen, bei Bedienungs- und Maschinenfehlern dagegen zu bejahen. Bei Programmierungsfehlern kommt eine Anwendung des § 42 VwVfG nur dann in Betracht, wenn es sich um Fehlleistungen handelt, die nicht auf einem Rechtsirrtum beruhen. Soweit es sich um Fehler bei der Festsetzung der Eingabedaten für die maschinelle Bearbeitung, Rechtsirrtümer bei der Programmierung oder nicht erkennbare Eingabe- beziehungsweise Maschinenfehler handelt, kommt nur eine Aufhebung des automatisierten Verwaltungsaktes nach den §§ 48,49 VwVfG in Betracht, die es im folgenden auf EDV -spezifische Besonderheiten zu untersuchen gilt.
c. Die Rücknahme und der Widerruf von automatisierten Verwaltungsakten
Systematisch gehören Aufhebung und Berichtigung eines Verwaltungsaktes zusammen. In beiden Fällen geht es darum, einen bereits erlassenen Bescheid nachträglich abzuändern. Wie schon bei der Regelung der Wirksamkeit sind auch in den §§ 48 ff. VwVfG keine ausdrücklichen Besonderheiten für automatisierte Verwaltungsakte vorgesehen. Deshalb gehen einige Autoren davon aus, daß die Einstufung als Verwaltungsakt zwangsläufig auch zur Anwendbarkeit
72
MaUer-Heide/berg, Recht im Amt 70, S. 101 (lOS); Vollanann, eR 85, S. ISS (157).
5. Abschnitt: Wirksamkeit, Berichtigung und Aufuebung des VA
215
der allgemeinen Regelungen über die Aufhebung führt 73 • Zwar trifft dieses im Grundsatz zu, es sind aber einige automationsbedingte Abweichungen bei der Auslegung der Aufhebungsgründe zu beachten. I. Der vorläurlge automatisierte Verwaltungsakt
Zunächst ist der Anwendungsbereich der Aufhebungsregelungen, vor allem im Bereich des automatisierten Steuerbescheides, durch eine Zunahme des "vorläufigen Verwaltungsaktes" faktisch eingeengt worden. Auf der Grundlage einer Veranlagung nach eigener Erklärung wird der Bescheid ausdrücklich74 "unter dem Vorbehalt einer späteren Überprüfung" erlassen. Damit soll ein Vertrauensschutz des Bürgers ausgeschlossen werden. Vielmehr ist eine freie Abänderung möglich, wenn die spätere Überprüfung des Bescheides durch die Verwaltung eine entsprechende Notwendigkeit ergibt. Diese Möglichkeit geht erheblich über die Zulässigkeit einer Berichtigung hinaus, weil sie zum einen alle Fehlerquellen erfaßt und diese zum anderen für den Betroffenen nicht erkennbar sein müssen. Das Bundesverwaltungsgericht hat einen derartigen vorläufigen Verwaltungsakt in einer Verallgemeinerung des Rechtsgedankens der §§ 164, 165 AO 1977 für zulässig erklärt75 • Demgegenüber gilt es aber zu beachten, daß damit die "Geschäftsgrundlage" der sorgfältig konzipierten §§ 48, 49 VwVfG verändert wird. Der Bürger hat regelmäßig ein Interesse an einem endgültigen Bescheid, nach dem er sein Verhalten ausrichten kann. Die unterlassene Prüfung der Steuererklärung vor Erlaß des Bescheides fällt allein in den Risikobereich der Verwaltung, die damit eine Ausweitung automatisierter Verfahren ermöglichen will. Diese führen hier aber zu einer einseitigen Belastung des
73 Degrandi, S. 132; Schöning, Diss. jur. Bochum, S. 97; Müller-Heidelberg, Recht im Amt 70, S. 101 (104); Maurer, A1lg. VwR, S. 394. 74 Darin liegt der Unterschied zum "verdeckt vorläufigen Verwaltungsakt" , also einem Bescheid, bei dem die Sachvemaltsermittlung bewußt beschränkt wird, ohne daß dieses aus dem Bescheid erkennbar wäre; vergleiche dazu S. 114. 75 BVerwGE 67,99 (103); das Gericht hält aber eine Verwirkung der Befugnis zum Erlaß eines abweichenden Bescheides fiir möglich (aaO., S. 104). Zum vorläufigen Steuerbescheid bei elektronischen Veranlagungsverfahren siehe auch 1hiel, FR 58, S. I (4). Nach 1ipke, NJW 62, S. 1040 (1043) kann eine derartige Praxis ermessensfehlemaft sein, weil sie das Interesse des Betroffenen an einem endgültigen Bescheid mißachte.
216
2. Teil: Hauptteil
Bürgers, die keinesfalls auch noch vom Steuerrecht16 auf den Gesamtbereich automatisierter Verwaltungsakte ausgedehnt werden sollte. Verbunden mit der Erweiterung der Einsatzmöglichkeiten solcher Verfahrenkönnte sonst ein erheblicher Verlust an Rechtssicherheit eintreten, deren Herbeiführung eine wesentliche Funktion des Verwaltungsaktes ist17 • 11. Die Auslegung einzelner Widerrufsgründe bei einem automatisierten Verwaltungsakt
1. Der Widerrufsvorbehalt nach den §§ 49 II Nr. 1, 36 II Nr. 3 Vw VfG Wenn ein Vermerk über die Vorläufigkeit nicht zulässig ist, um eine erleichterte Abänderung automatisierter Bescheide zu ermöglichen, fragt es sich, ob nicht die gleiche Wirkung über einen Widerrufsvorbehalt erzielt werden kann. Zwar gilt § 49 VwVfG nur für den rechtmäßigen Verwaltungsakt, während Bearbeitungsfehler regelmäßig zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes führen. Es ist aber anerkannt, daß die Widerrufsgrunde a maiore ad minus auch auf den rechtswidrigen Verwaltungsakt anwendbar sind78 • Möglicherweise könnten solchermaßen alle automatisierten Verwaltungsakte routinemäßig mit einem Widerrufsvorbehalt versehen werden. Ausgeschlossen ist ein Widerrufsvorbehalt nach § 36 I VwVfG jedenfalls dann, wenn ein Anspruch auf den Erlaß des automatisierten Verwaltungsaktes besteht. Denkbar wäre ein solches Vorgehen daher nur im Rahmen der Ermessensverwaltung. Gerade dort scheidet aber eine automatisierte Erstellung schon per se weitgehend aus 79 • Lediglich im Bereich einer eingetretenen Selbstbindung der Verwaltung ist daher zu fragen, ob ein routinemäßiger Widerrufsvor76 Bedenken gegen die Zulässigkeit eines vorläufigen Verwaltungsaktes hat auch das OVG Münster, NIW 85, S. 1042 (1043); dieses gelte selbst dann, wenn eine Einwilligung des Betroffenen vorläge, weil die §§ 48, 49 Vwvro insgesamt nicht parteidisponibel seien; insofern gleichen die Bedenken denen beim Verzicht auf eine Begriindung , siehe S. 159. Kalbhenn, Deutsche Steuerrundschau 56, S. 409 (410) schlägt eine Begrenzung der VorIäufigkeit auf 12 Monate vor. 77 Erichsen I Erichsen, S. 174; Kopp, Vwvro, vor § 35 Rn. 2; Obermayer, VwVfG, § 35 Rn. 6; Stelkens I Stelkens, Vwvro, § 35 Rn. 14. 78 VGH Kassel, NVwZ 84, S. 382 (383); Kopp, VwVfG, § 48 Rn. 19; Knack I KJappstein, Vwvro, § 48 Rn. 2.3; Meyer I Borgs I Meyer, Vwvro, § 48 Rn. 19; BFH, BStBI. D 83, S. 187 (188).
79
Siehe hierzu S. 58.
5. Abschnitt: Wirksamkeit, Berichtigung und Aufhebung des VA
217
behalt für automatisierte Verwaltungsakte eine Ausübung billigen Ermessens darstellen würde. Dies ist im Ergebnis zu verneinen. § 49 11 VwVfG will den Widerruf rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakte weitgehend ausschließen und knüpft seine Zulässigkeit daher an einen Enumerativkatalog von Fallgruppen. Dabei ist § 49 11 Nr. 1 VwVfG wiederum die einzige Alternative, in der die Behörde selbst den Anwendungsbereich bestimmen kann. Nach der gesetzgeberischen Intention ist diese Möglichkeit daher eng auszulegen. Dieser Absicht würde es widersprechen, alle automatisierten Ermessens-Verwaltungsakte mit einem solchen Vorbehalt zu versehen. Zudem wäre ein derartiger Vorbehalt im Bereich der Selbstbindung der Verwaltung wenig sinnvoll, da fehlerhafte Bescheide nach einer langen Verwaltungspraxis eher selten sein werden. Mit Degrandi80 ist ferner auch de lege ferenda eine gesonderte, gesetzlich verankerte Widerrufsmöglichkeit für automatisierte Verwaltungsakte abzulehnen. Eine solche erscheint wegen der hohen Funktionssicherheit derartiger Verfahren nicht als erforderlich, würde aber gleichzeitig den Bürger erheblich belasten, indem sie ihm den Schutz des § 49 11 VwVfG entzieht. 2. Der Widerruf wegen gednderter Rechtsvorschriften nach § 49 1I Nr. 4 Vw l(fG
Besonderheiten für die Autbebung eines automatisierten Verwaltungsaktes könnten sich aber im Rahmen des § 49 II Nr. 4 VwVfG ergeben. Möglicherweise kann als geänderte Rechtsvorschrift auch der Fall begriffen werden, daß der Verwaltung ein neues Computerprogramm zur Verfügung steht, welches die gesetzliche Vorgabe besser in Algorithmen umsetzt. Derartige Verbesserungen der Software erfolgen relativ häufig und könnten daher zu einer erheblichen Ausweitung des Widerrufs nach § 49 11 Nr. 4 VwVfG führen. Unter den Begriff der Rechtsvorschriften im Sinne des § 49 11 Nr. 4 VwVfG fallen nur formelle Gesetze, Rechtsverordnungen und Satzungen, nicht aber Verwaltungsvorschriften8 ). Daher ist es für die Anwendbarkeit des § 49
80
Degrandi, S. 133 Fn. 5.
8) Vergleiche Erichsen I Erichsen, S. 251; Kopp, Vwvro, § 49 Rn. 42; Knack I Klappstein, Vwvro, § 49 Rn. 6.4.1; Stelkens I Sachs, Vwvro, § 49 Rn. 43; Obermayer, Vwvro, § 49 Rn. 44; Meyer I Borgs I Meyer, Vwvro, § 49 Rn. 32.
218
2. Teil: Hauptteil
11 Nr. 4 VwVfG auf die Änderung von Computetprogrammen entscheidend, welche Rechtsnatur diese haben. a) Die Rechtsnatur von Computetprogrammen aa) Einstufung als Verwaltungsakt
Weitgehende Einigkeit besteht darüber, daß es sich bei einem Computetprogramm nicht schon selbst um einen Verwaltungsakt handelt. Es ergeht für eine Vielzahl von noch ungewissen Fällen82 und enthält noch keine Regelung mit Außenwirkung. Lediglich Kerkau begreift das Programm seiner Funktion nach als einen durch die Dateneingabe bedingten Verwaltungsakt, als einen Verwaltungsakt in statu nascendi. Wegen der weitgehend endgültigen Vorabentscheidung gleiche die Situation einer Anwartschaft83 • Gegen eine derartige Verfestigung spricht jedoch neben den oben genannten Argumenten, daß im Zeitpunkt der Programmerstellung alle Komponenten der Disposition der Verwaltung unterliegen. Diese kann außer den Eingabedaten auch das Programm verändern und zusätzlich aus Anlaß des Einzelfalles ganz auf eine automatisierte Bearbeitung verzichten. bb) Einstufung als Rechtsverordnung
Der abstrakt-generelle Charakter des Computetprogramms weist eher in Richtung auf eine Normsetzung. Da seine Erstellung durch oder jedenfalls im Auftrag der Exekutive erfolgt, könnte man an eine Einordnung als Rechtsverordnung denken, die im Falle ihrer Änderung zu einer Aufhebung des automatisierten Verwaltungsaktes nach § 49 11 Nr. 4 VwVfG berechtigen würde. Eine
82
Bult, Verwaltung, S. 148; Degrandi, S. 76.
83 Kerkau, ÖVD 71, Heft 3, S. 106 (l08). Noch weitergehend betont Voss, BB 60, S. 699 (701), daß die im Programm bereits festgelegte behördliche Erklärung bei dem Programmablauf nur vervielfältigt werde; dem kann aber nicht gefolgt werden, weil die Erklärung durch die Eingabedaten inhaltlich verändert wird. Ludwig, ÖVD 72, Heft 3, S. 95 (99) geht für das Besteuerungsverfahren davon aus, daß mit der Zuweisung des Falles an das automatisierte Verfahren bereits der Steuer-Verwaltungsakt vorliegt; dem steht aber heute bereits § 122 I AO 1977 entgegen.
5. Abschnitt: Wirksamkeit, Berichtigung und Aufhebung des VA
219
derartige Einstufung scheidet aber bereits84 deshalb aus, weil das Programm nicht unmittelbar gegenüber dem Bürger wirkt, sondern sich lediglich an die Bediensteten der Verwaltung richtet. Zudem würden Computerprogramme sonst den Anforderungen des Art. 80 GG unterliegen. Eine entsprechende Ermächtigung zum Erlaß eines Computerprogramms ist aber nur sehr selten ausdrücklich vorgesehen. cc) Die weiteren Ansichten zur Rechtsnatur des Computerprogramms
Vor dem Hintergrund dieser Negativausgrenzungen von Verwaltungsakt und Rechtsverordnung bei gleichzeitiger Annahme eines abstrakt-generellen Charakters werden in der Literatur im wesentlichen zwei verschiedene Einstufungsansätze vertreten. Ein Teil der Literatur betrachtet die Programmerstellung als eine bloße Vorbereitungsarbeit für die Anwendung von Rechtssätzen 8s , welche nicht in die herkömmlichen dogmatischen Kategorien eingeordnet werden könne. Die überwiegende Anzahl der Autoren behandelt dagegen Computerprogramme als Verwaltungsvorschriften, da sie zwar abstrakt-generelle Regelungen treffen, aber keine unmittelbare Außenwirkung haben86 • Wie diese sei das Programm nur für die Verwaltung verbindlich. Es bestehe die Möglichkeit zu einer Abweichung aus Anlaß des Einzelfalles und sei es in Form der Ent-
84 Zusätzlich wäre für eine Rechtsverordnung erforderlich, daß diese neue, das heißt über die gesetzliche Vorgabe hinausgehende, Regelungen schafft. Einige Autoren bestreiten dieses für das Computerprogramm, weil damit lediglich eine maschinengerechte Wiedergabe des Gesetzestextes erfolge (so z.B. Berg, Diss. jur. Köln, S. 39; Maaß, DVBI. 61, S. 7 (8); angedeutet auch bei Eberle I Garstka, ÖVD 72, Heft 6, S. 265 (265)). Eine derartige Aussage mag zwar in der Anfangsphase der Automation ihre Berechtigung gehabt haben. Heute jedoch werden auch solche Bereiche einer automatisierten Bearbeitung zugeführt, bei deren Programmierung rechtliche Zweifelsfragen der gesetzlichen Grundlage entschieden und so neue Inhalte geschaffen werden müssen (im Ergebnis ebenso Gruber, Diss. jur. Würzburg, S. 85; Grimmer, DVR 80, S. 323 (328); derselbe, DÖV 82, S. 257 (260); Ludwig, ÖVD 72, Heft 3, S. 95 (99); Handrock, ÖVD 82, Heft 5, S. 105 (106)).
8S Bull, Verwaltung, S. 71, der zunächst Parallelen zur früheren Einstufung des Bebauungsplans zieht, dieses dann aber wegen der Möglichkeit einer formlosen Programmänderung im Ergebnis ablehnt (aaO., S. 148); ferner Maaß, DVBI. 61, S. 7 (8) und Berg, Diss. jur. Köln, S. 31,39 sowie Zeidler, S. 16. 86 Gruber, Diss. jur. Würzburg, S. 87; Degrandi, S. 77; Redeker, NVwZ 86, S. 545 (546); Grimmer, in: Reinermann 1985, S. 305 (322); derselbe, DÖV 82, S. 257 (260); Mutius, VerwArch., Bd. 67 (1976), S. 116 (116); Erichsen I Badura, S. 416; Stelkens I Stelkens, Vwvro, § 37 Rn. 48; Ehlers, Jura 91, S. 337 (341), der aber eine Ausnahme für diejenigen Fälle vorsieht, in denen das Programm von einem einzelnen Behördenmitarbeiter für den Selbstgebrauch erstellt wird.
220
2. Teil: Hauptteil
scheidung, den Fall manuell zu bearbeiten. Neu sei lediglich eine gesteigerte faktische Bedeutung für den Bürger!1. In der Tat dürfte eine Einstufung des Computerprogramms als Verwaltungsvorschrift dessen tatsächlicher Bedeutung am ehesten gerecht werden. Sie hat den Vorteil, diesen neuen Bereich der Verwaltungstätigkeit in die Diskussion um die Bindungswirkung solcher Vorschriften für den Bürger einzubeziehen. Auf der anderen Seite ist sie flexibel genug, um auf erkannte Schwierigkeiten des Programms sofort reagieren zu können, indem die verbesserte Version88 als Ausgangspunkt für eine neue, kontinuierliche Verwaltungspraxis herangezogen wird. Zwei Einschränkungen sind allerdings zu beachten. Zum einen können Computerprogramme wegen ihrer besonderen Bedeutung jederzeit ausdrücklich in einer anderen Form erlassen werden, etwa als Satzung oder Rechtsverordnung 89 • So enthält das BAFöG erstmals als Anlage einen Programmablaufplan, welcher die im Gesetz vorgesehene Berechnung der Förderungsbeiträge algorithmisiert. Zum anderen gibt es Anwendungsbereiche, in denen das Programm lediglich eine getreue Abbildung der gesetzlichen Vorgabe darstellt, wie zum Beispiel bei der Steuerverwaltung oder der Berechnung von Bezügen. Dann ist in der Tat keine eigenständige, verwaltungsrechtlich bedeutsame
87 Brinckmann, Kontrolle, S. 47; die Bindungswirkung fiir den Bürger ergibt sich dann über die Grundsätze einer Selbstbindung der Verwaltung (anders aber Schmidt, AöR 96, S. 321 (352), der hier von einem "Verwaltungsakt mit überschießender Programrnierungsfunktion" spricht, um den Umweg über Art. 3 I GG zu vermeiden). Weitere Beispiele fiir besondere Arten von Verwaltungsvorschriften im Bereich der Automation sind nach Kälin, Zeitschrift fiir schweizerisches Recht, Bd. 107 (1988), S. 435 (448, 459) Textbausteine und nach Brinckmann, Formulare, S. 246, 299 EDV-gerechte Formulare.
88 Problematisch ist die Kompetenz zum Erlaß derartiger Programme. Wenn nach Schmidt, Gesetzesvollziehung, S. 196 und AöR 96, S. 321 (352) die Kompetenzgrenze fiir den Erlaß von Verwaltungsvorschriften in vollem Maße auch fiir die Ausarbeitung von Computerprogrammen gilt, scheidet eine Erstellung durch private Hersteller bzw. eine andere Verwaltung aus, sofern nicht eine Übernahme der Verantwortung durch die zuständige Fachverwaltung erfolgt. Dieses setzt jedoch nach Gruber, Diss.jur. Würzburg, S. 89 f. eine Überprüfungsmöglichkeitvoraus. Weil eine solche regelmäßig am fehlenden Fachwissen der zuständigen Verwaltung scheitere, seien viele Computerprogramrne wegen Erlasses durch eine unzuständige Stelle nichtig.
89 Degrandi, S. 159; Podlech, DVR 72, S. 149 (161). Zu den Nachteilen einer solchen Vorgehensweise fiir die betroffene Verwaltung siehe Berg, Diss. jur. Köln, S. 39 und Eberle / Garstka, ÖVD 72, Heft 6, S. 265 (266). Nach Steidle, ÖVD 72, Heft 11, S. 465 (466) sollten statt der Programmablaufspläne sogenannte "Entscheidungstabellen " dem Gesetz beigefiigt werden, weil diese übersichtlicher sind und bereits weitgehend der Struktur von Rechtsnormen entsprechen.
5. Abschnitt: Wirkssmkeit, Berichtigung und Aufhebung des VA
221
Funktion des Programms erkennbar. Seine Erstellung oder Änderung ist deshalb als bloße interne Vorbereitungshandlung zu betrachten. Für die verbleibenden Fälle aber ist von einer Einstufung des Computerprogramms als Verwaltungsvorschrift auszugehen. b) Folgen für einen Widerruf nach § 49 11 Nr. 4 VwVfG Da es sich somit bei Computerprogrammen regelmäßig um Verwaltungsvorschriften handelt, kann ihre Änderung schon aus diesem Grunde nicht zu einem Widerruf nach § 49 11 Nr. 4 VwVfG führen. Ferner dürfte auch eine Wiederaufnahme nach § 51 I Nr. 1 VwVfG ausscheiden'Jo:!, weil sich die "Rechtslage" nicht verändert hat. Lediglich dann, wenn das Programm ausdrücklich als Satzung oder Rechtsverordnung erlassen wurde, ist bei seiner Änderung ein Widerruf der auf dieser Grundlage erlassenen automatisierten Verwaltungsakte unter Wahrung der sonstigen gesetzlichen Restriktionen möglich. III. Sonstige Besonderheiten bei der Autnebung des automatisierten Verwaltungsaktes
1. Die Herabsenkung des Vertrauensschutzes Bull91 geht davon aus, daß bei maschinell erstellten Verwaltungsakten ohne vorherige sachliche Prüfung ein Vertrauensschutz nicht gerechtfertigt ist, soweit diese Form des Verfahrens durch einen Vermerk auf dem Bescheid für den Empfinger erkennbar ist. Ohne eine derartige Mitteilung hingegen will er maschinelle und konventionell gefertigte Verwaltungsakte gleich behandeln. Entscheidend für einen Ausschluß des Vertrauensschutzes ist also nach dieser Ansicht, daß zusätzlich zu einer summarischen Prüfung eine maschinelle Erstellung der Verfügung erfolgt.
90 Bull, Verwaltung, S. 140 will bei automatisierten Verwaltungsakten die Möglichkeiten zur Wiederaufnahme des Verfahrens erweitern, indem er die "neue Sachlage" zugunsten des Bürgers weit auslegt. Darin könnte in der Tat eine Verbesserung der Stellung des Bürgers liegen, der die Fehlerhaftigkeit solcher Verwaltungsskte häufig nur schwer erkennen kann, wodurch diese zu einem hohen Prozentsatz bestandskräftig werden dürften. 91
Bull, Verwaltung, S. 144 f.
222
2. Teil: Hauptteil
Eine derartige Wirkung der automatisierten Erstellung von Verwaltungsakten ist aber abzulehnen. Zunächst erscheint es inkonsequent, daß Bull aus seiner These solche Verwaltungsakte ausnimmt, bei denen sich schon aus der äußeren Form, auch ohne einen entsprechenden Vermerk, ergibt, daß sie mit Hilfe von EDV erstellt wurden. In bei den Fällen ist aber ein Ausschluß des Vertrauensschutzes nicht gerechtfertigt. Ihm liegt unausgesprochen die Annahme zugrunde, daß die Fehlerquote bei maschinell gefertigten Bescheiden höher ist als im herkömmlichen Verfahren. Eine erhöhte Fehlerquote ist aber auf dem Stand der heutigen Technik weder verifizierbar noch zulässig92 • Nimmt man hinzu, daß immer mehr Bescheide elektronisch erstellt werden können, käme es nach der Ansicht von Bull zu einer schleichenden Aushöhlung des durch §§ 48, 49 VwVfG intendierten Vertrauensschutzes, die einseitig von Seiten der Verwaltung durch die Wahl der Arbeitstechnik gesteuert werden könnte. Etwas anderes kann nur für einen Vermerk über die fehlende sachliche Prüfung gelten. In diesem Fall gleicht die Situation dem ausdrücklichen Erlaß eines vorläufigen Verwaltungsaktes93 • Die Wirkungen eines solchen Vermerkes wären dann aber für beide Arten der Erstellung von Verwaltungsakten die gleichen.
2. Kenntnis der Behörden vom Vorliegen der RUcknahmebeziehungsweise WiderruJsvoraussetzungen Sowohl die Rücknahme als auch der Widerruf eines Verwaltungsaktes sind nur innerhalb eines Jahres ab dem Zeitpunkt möglich, in dem die Behörde Kenntnis von den die Aufhebung rechtfertigenden Tatsachen erhält. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes94 ist zusätzlich erforderlich, daß die Behörde aus diesen Tatsachen positiv den Schluß auf die Rechtswidrigkeit zieht. Damit wird der Zeitraum für eine mögliche Aufhebung zu Lasten des Bürgers verlängert, weil dieser das Risiko von Organisationsmängeln innerhalb der Verwaltung trägt. Bei einem Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnik ist es dabei denkbar, daß die für die Aufhebung des Verwaltungsaktes wesentlichen Informationen bereits in den behördlichen Datenspeichem enthalten sind, aber nicht zur aktuellen Kenntnis des zuständigen Sachbearbeiters gelangen, weil dieser sie nicht abruft.
92
Vergleiche hierzu S. 228, 229.
93
Vergleiche dazu S. 215.
BVerwG, DVBI. 89, S. 41 (42); BVerwG GrS, NJW 85, S. 819 (821); enger insoweit BSG, NVwZ 90, S. 697 (699). 94
5. Abschnitt: Wirksamkeit, Berichtigung und Aufhebung des VA
223
Derartige Versäumnisse dürfen nicht auf den Adressaten des Verwaltungsaktes abgewälzt werden95 • Wenn die Verwaltung durch den Einsatz solcher Geräte die Gefahr schafft, daß der Bürger gutgläubig auf den Zugang von Informationen vertrauen darf, obwohl die Nachricht noch monatelang ungelesen im Speicher verbleibt, muß sie für die Realisierung dieses Risikos auch einstehen. Daher ist entweder davon auszugehen, daß eine Kenntnis im Sinne der §§ 48 V, 49 11 VwVfG schon mit dem Eingang im Speicher anzunehmen ist, oder es muß mit Ehlers96 eine Verpflichtung der Verwaltung zur täglichen "Leerung" eines elektronischen Postfachs statuiert werden. Nur auf der Grundlage der letztgenannten Alternative kann im Zeitalter der Informations- und Kommunikationstechnik die Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes zum Beginn der Aufhebungsfrist beibehalten werden, ohne für den Bürger zu unzumutbaren Belastungen zu führen. D. Zusammenfassung Die Abweichungen des automatisierten Verwaltungsaktes zum herkömmlichen Bescheid sind im Bereich der §§ 42-52 VwVfG geringer als in anderen Teilen des Verwaltungsverfahrensrechts. Keine Besonderheiten gibt es zunächst bei der Regelung der Nichtigkeit nach § 44 VwVfG und zwar sowohl bei dem Katalog des § 44 11, III VwVfG als auch bei der Generalklausel des § 44 I VwVfG. Im Rahmen der Bekanntgabe muß es aus Gründen der Rechtssicherheit ausreichen, daß der Verwaltungsakt die Behörde im Rahmen des normalen organisatorischen Ablaufs verlassen hat. Die Forderung nach einem aktuellen Bekanntgabewillen des zuständigen Sachbearbeiters würde bei einer Mitwirkung von Rechenzentralen dazu führen, daß der vom Gesetzgeber intendierte Entlastungseffekt zunichte gemacht werden würde. Mängel der Verständlichkeit des Regelungsinhalts sind nicht im Rahmen der Bekanntgabe, sondern gegebenfalls als Nichtigkeitsgrund der fehlenden Bestimmtheit nach § 44 I VwVfG zu berücksichtigen. Ein solchermaßen wirksamer automatisierter Verwaltungsakt wird zwar regelmäßig formell, nur selten aber materiell bestandskräftig, weil einer derartigen Bindung die fehlende Anhörung nach § 28 11 Nr. 4 VwVfG entgegen steht.
95 Für das Zivilrecht Buckenberger, OB 82, S. 634 (635) und Köhler, AcP, Bd. 182 (1982), S. 126 (143) sowie BGH, NJW 77, S. 581 (582). 96
Ehlers, VOP 89, S. 58 (62).
224
2. Teil: Hauptteil
Im Rahmen der Berichtigung nach § 42 VwVfG gilt es gerade bei einem automatisierten Verwaltungsakt, das Erfordernis einer "offenbaren" Unrichtigkeit zu betonen, um nicht einen berechtigten Vertrauensschutz auszuschließen. Dabei ist die Berichtigungsfähigkeit von Fehlern bei der Festsetzung der Eingabedaten zu verneinen, bei Bedienungs- und Maschinenfehlern dagegen zu bejahen. Programmierungsfehler berechtigen nur dann zur Berichtigung der automatisierten Verfügung, wenn auszuschließen ist, daß sie auf einem Rechtsoder Tatsachenirrtum beruhen. Bei einer Untersuchung automationsbedingter Besonderheiten bei der Aufhebung des Verwaltungsaktes gilt es zunächst zu beachten, daß die gesetzliche Interessenabwägung zwischen Verwaltung und Bürger nicht durch den verstärkten Erlaß von "vorläufigen Verwaltungsakten" unterlaufen werden darf. Aus demselben Grund ist die Zulässigkeit eines routinemäßigen Widerrufsvorbehalts bei Ermessens-Verwaltungsakten abzulehnen. Ein Widerruf wegen geänderter Rechtsvorschriften im Sinne des § 49 11 Nr. 4 VwVfG auf der Grundlage verbesserter Computerprogramme scheidet schon deshalb aus, weil es sich bei ihnen um Verwaltungsvorschriften handelt, die nicht in den Anwendungsbereich dieser Norm fallen. Die Tatsache der automatisierten Erstellung als solche rechtfertigt nicht den Ausschluß eines Vertrauensschutzes, weil eine höhere Fehlerquote als im herkömmlichen Verfahren weder zulässig noch nachweisbar ist. Somit läßt sich zusammenfassend feststellen, daß die im Verfahren zur Erstellung des automatisierten Verwaltungsaktes erkannten Besonderheiten keine Auswirkungen auf seine Wirksamkeit oder Aufhebung durch die Ausgangsbehörde haben. Zu prüfen bleiben aber ihre Folgen für eine Kontrolle durch andere Instanzen. Dieses soll im folgenden sowohl für die verwaltungsinterne Überprüfung als auch für die Gerichtskontrolle geschehen.
Sechster Abschnitt
Die Kontrolle des automatisierten Verwaltungsaktes A. Die verwaltungsinteme Kontrolle Bei der Überprüfung des automatisierten Bescheides durch die Verwaltung ist zwischen der Kontrolle von Amts wegen und dem vom Bürger zu initiierenden Widerspruchsverfahren zu differenzieren. I. Die KontroUe von Amts wegen
Die amtswegige Kontrolle des automatisierten Verwaltungsaktes soll hier nur kurz angesprochen werden, weil der Bürger als Adressat des Bescheides darauf keinen Einfluß hat. Nicht übersehen werden darf hingegen, daß solche interne Kontrollen durchaus effektiver sein können als Rechtsmittel des Betroffenen, weil sie innerhalb der Verwaltung auf weniger Abwehr stoßeni. 1. Veriinderungen des Prüjungszeitpunktes
Automationsbedingt sind zunächst Veränderungen des Prüfungszeitpunktes für den Verwaltungsakt. Da dieser durch die Ausgangsdaten und das Programm determiniert ist, kann die Kontrolle der Rechnungshöfe früher als im herkömmlichen Verfahren erfolgen2 • Ein Abwarten auf die tatsächliche Erstellung ist
Degrandi, S. 162 fiihrt zusätzlich die besondere Sachkenntnis behördeninterner Priifungsinstanzen an, betont aber gleichzeitig, daß hier auch eine besondere Versuchung bestehe, auf solche Änderungsforderungen zu verzichten, die zu umfangreichen Kosten fiihren würden (S. 167); so auchJlihnig, ADV, S. 101. Zu beachten ist schließlich, daß auch Kontrollinstanzen inzwischen die EDV velWenden. So geht Wissing, Slädtetag 88, S. 393 (398) davon aus, daß künftig die Rechtsund Fachaufsicht per Computer erfolgen wird. 2 Kone, DVBI. 57, S. 561 (564); Maaß, DVBI. 61, S. 7 (10); Lenk, S. 136. Daneben wird häufig gefordert, daß die Priifungsinstanzen bereits an der Umstellung vom manuellen auf das automatisierte Verfahren zu beteiligen sind, um so deren Forderungen bereits in dieser Phase
15 Polomski
226
2. Teil: Hauptteil
nicht erforderlich3 • Gerade eine antizipierte Kontrolle des Computerprogramms ist von großer Bedeutung, weil sie es den Kontrollinstanzen ermöglicht, zu verhindern, daß rechtswidrige Verwaltungsakte bekanntgegeben und damit wirksam werden.
2. Veriinderungen des Prüfungsinhalts Daneben führen die Besonderheiten des automatisierten Verfahrens auch zu einer Veränderung der Prüfungsinhalte. Bei einer Kontrolle des Computerprogramms müssen die Prüfungsinstanzen ihr Augenmerk darauf richten, daß dieses dem neuesten Stand von Gesetz und Rechtsprechung entspricht4 • Eine derartige Prüfung erfordert entweder hochspezialisiertes Personal oder aber die Vornahme von umfangreichen Testläufen, welche alle wesentlichen Programmteile einmal erfassen. Besonders gefährdet und daher genau zu prüfen sind weiterhin die "Nahtstellen" des Verfahrens, das heißt der Übergang zwischen manuellen und automatisierten VerfahrensbestandteilenS sowie die Grenzen der Verantwortungsbereiche von Fachverwaltung und Rechenzentrum6 •
3. Veränderungen in der Organisation der Prüfungsinstanzen Schließlich erfordert der automatisierte Verwaltungsakt Veränderungen in der Kompetenzverteilung und Organisation der Prüfungsinstanzen. Wo bei einem Übergang zur Informations- und Kommunikationstechnik die Bereiche EDV, Textverarbeitung und Bürorationalisierung zusammenwachsen, ist eine
berücksichtigen zu können (so etwa Bayersdorfer, Öff. Haushalt 67, S. 90 (107); Berg, Diss.jur. Köln, S. 63; Jahnig, ADV, S. 101). Dadurch würden die Ptiifungsinstanzen aus ihrer ansonsten passiven Rolle heraustreten; ähnliche Tendenzen gibt es auch bei der Gerichtskontrolle; siehe dazu S. 242 ff. 3 Eine solche Vorverlagerung der Kontrolle ist insbesondere dann sinnvoll, wenn man bedenkt, daß etwa der Prozeß einer automatisierten Steuerveranlagung durchaus mehrere Wochen in Anspruch nehmen kann (vergleiche Lazararos, S. 309, 311). 4
Görrlinger, S. 176; JiJhnig, ADV,
s.
115; Berg, Diss. jur. Köln, S. 64.
S Bayersdorfer, Öff. Haushalt 67, S. 90 (107); Berg, Diss. jur. Köln, S. 63; Ludwig, ÖVD 72, Heft 3, S. 95 (99). 6
JiJhnig, ADV, S. 107; Meincke, S. 121.
6. Abschnitt: Die Kontrolle des automatisierten Verwaltungsaktes
227
Neuverteilung der Zuständigkeiten unabdingbar7 ; multifunktionale Geräte erfordern auch multifunktionale Kontrollkompetenzen. Somit ergeben sich aus der automatisierten Erstellung des Verwaltungsaktes erhebliche Veränderungen für die behördeninterne Kontrolle. Einigkeit besteht heute aber darüber, daß auch in derartigen Verfahren eine Kontrolle unabdingbar ist8 • Keinesfalls reicht die automatisierte Erstellung aus, um von einer Rechtmäßigkeit der Bescheide ausgehen zu können. Vielmehr entstehen hier neue, vielleicht sogar gefährlichere Fehlerquellen. Von den Veränderungen der Prüfung ist die zeitliche Vorverlagerung am interessantesten. Wenn die Verwaltung selbst den Prüfungsschwerpunkt auf antizipierte Kontrollen verlagert, könnte dies ein Indiz dafür sein, daß auch das System der Gerichtskontrolle verändert werden muß. Darauf soll aber erst eingegangen werden, nachdem automationsbedingte Veränderungen des Widerspruchsverfahrens untersucht worden sind9 • 11. Das WiderspruchsverCahren bei einem automatisierten Verwaltungsakt
1. EinftJhrung Das Widerspruchsverfahren nach den §§ 68 ff. VwGO ist ein besonderes Verwaltungsverfahren lO • Für den Verwaltungsakt ist es eine zwingende Voraussetzung der gerichtlichen Kontrolle, weil sowohl die Anfechtungs- als auch die Verpflichtungsklage seine Durchführung voraussetzen. Dieses Erfordernis gilt in gleicher Weise für den herkömmlichen wie für den automatisierten Bescheid, da § 68 VwGO keine entsprechende Ausnahme vorsieht.
7
Fiselius, ÖVD 82, Heft 5, S. 100 (103); Jähnig, ADV, S. 119.
Siehe etwa Bayersdoifer, Öff. Haushalt 67, S. 90 (93); Fiedler, Deutsche Rentenversicherung 64, S. 40 (44); darin liegt bereits ein Fortschritt gegenüber der Phase der Einführung der Automation, in der "um den Computer herum" geprüft wurde, weil dieser ohne Berücksichtigung der Belange der Rechnungsprüfung eingeführt worden war. Zu den Gefahren einer solchen bedingungslosen Computereuphorie siehe Bihl, ÖVD 79, Heft 3, S. 10 (10); Reichardt, in: Fischer, S. 11 (15); Kuhlmann, in: Grimmer, S. 233 (306). 8
9
Vergleiche hierzu S. 241 ff.
10
Schmitt Glaeser, Rn. 239, 256.
228
2. Teil: Hauptteil
Gerade für die letztgenannte Form der Erstellung hat die umfassende Überprüfungskompetenz der Verwaltung im Vorverfahren eine besondere Berechtigung, weil das automatisierte Verfahren durch eine große Schnelligkeit und eine Zersplitterung der Aufgabenerledigung gekennzeichnet ist. Hier bietet das Widerspruchsverfahren die Gelegenheit, die Entscheidung losgelöst von zeitlichen Zwängen noch einmal in Ruhe durch eine Einzelperson überprüfen zu lassen. 2. Die Fehlerquote bei automatisierten Verwaltungsakten
Als Grundlage für die Behandlung der automationsbedingten Probleme beim Widerspruchsverfahren und bei der Gerichtskontrolle ist zunächst festzustellen, welchen Einfluß die automatisierte Erstellung der Verfügung auf Anzahl und Art der auftretenden Fehler hat. Dabei ist davon auszugehen, daß die Gesamtfehlerquote solcher Bescheide nicht höher ist als im herkömmlichen VerfahrenlI. Anders als zu Beginn der Automatisierung hat die Technik heute einen derartigen Sicherheitsstandard erreicht, daß, jedenfalls bei umfangreichen Berechnungen, die Fehlerquote sogar noch wesentlich verringert werden konnte l2 • Die Hauptursachen für die verbleibenden fehlerhaften Bescheide sind zum einen Defizite bei der Ermittlung der Ausgangsdaten und zum anderen Eingabefehler 13 • Zwei Besonderheiten sind allerdings zu beachten. Die Ausweitung der Einsatzmöglichkeiten solcher Geräte über den Bereich der Massenarbeiten hinaus hat einerseits dazu geführt, daß es heute einzelne Bereiche mit einer sehr hohen Fehlerquote gibt. So ist etwa nach der Automatisierung des Rentenverfahrens zwar nicht die Anzahl der eingelegten Widersprüche, wohl aber ihre Erfolgsquote deutlich angestiegen l4 • Zudem gab es in diesem Bereich bis Anfang 1991 noch eine Wahlmöglichkeit zwischen einem Vorverfahren und einer
11 Birk, in: Dömer, S. 134 (136); Fritsche, Staat und Recht 86, S. 890 (895); Ebert, Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht 66, S. 188 (191); derselbe, DÖV 59, S. 927 (931); Berg, Diss. jur. Köln, S. 19; Korte, DVBI. 57, S. 561 (564); Degrandi, S. 135; Jähnig, ADV, S. 64. 12 Demant, in: Hoffmann, S. 92 (93); Degrandi, S. 135; Jähnig, ADV, S. 64; Zeidler, S. 25; derselbe, DVBI. 61, s. 493 (493); Bull, JR 65, s. 178 (179); Bihl, ÖVD 79, Heft 3, S. 10 (11); Wieacker, Caemmerer-FS, S. 45 (68). 13
Siehe dazu Bayersdoifer, Öff. Haushalt 67, S. 90 (102).
14
Horn, S. 64, 68, 149; Brinckmann, Kontrolle, S. 18 ff.; Grimmer, Rechtsverwirklichung,
S.32.
6. Abschnitt: Die Kontrolle des automatisierten Verwaltungsaktes
229
sofortigen Klage, so daß weitere fehlerhafte Bescheide unmittelbar durch die Gerichte aufgehoben wurden. Andererseits hat die automatisierte Erstellung zu einem neuartigen Fehlertypus geführt. Während sich früher Fehlleistungen auf den einzelnen Bescheid beschränkten, führt heute ein einziger Programmfehler zu tausenden von fehlerhaften Bescheiden l5 • Diese Fehler sind außerdem sowohl für den Bürger als auch für den Richter nur schwer erkennbar, da sie sich systematisch durch alle vergleichbaren Bescheide hindurchziehen l6 • Automatisierte Verfügungen vermitteln zudem den Eindruck besonderer Genauigkeit und Rechtmäßigkeit t7 • Daher ist zu erwarten, daß es auch eine gewisse Dunkelziffer von rechtswidrigen Bescheiden geben dürfte, die gar nicht erst zur Überprüfung durch die Kontrollinstanzen gestellt werden. Die zuständigen KontrollsteIlen müssen daher bei der Überprüfung des automatisierten Verwaltungsaktes zwar nicht mit einer höheren Fehlerquote als im herkömmlichen Verfahren rechnen. Sie haben aber zu berücksichtigen, daß es einige wenige Bereiche mit solchen Defiziten gibt und daß Programmfehler besonders gefährlich sind, weil sie einerseits sehr viele Bescheide betreffen und andererseits schwer zu entdecken sind. 3. Folgen.tar das Widerspruchsverfahren
Für das Widerspruchsverfahren sind diejenigen Bereiche des automatisierten Verwaltungsaktes besonders interessant, die eine hohe Fehlerquote aufweisen. Eine solche Fehlerquote zeigt, daß das Ausgangsverfahren in diesen Fällen seine originären Aufgaben nicht mehr zu erfüllen vermag. Das Widerspruchsverfahren erweist sich dann als eine Fortsetzung des Ausgangsverfahrens mit dem Ziel, dessen Defizite auszugleichen. Es wird selbst zu einem Massenverfahren l8 und zum eigentlichen Ort der Einzeljallprüjungl9.
15 Zur Verstärkung dieser Wirkung von Programmfehlern siehe Voss, BB 60, s. 1091 (1092); Leisner, VVDStRL, Heft 20 (1963), s. 245 (249); HaJt, s. 28; Jähnig, ADV, S. 100; Berg, Diss. jur. Köln, S. 63; Bayersdoifer, äff. Haushalt 67, S. 90 (110); Demant, in: Ho.ffmann, S. 92 (93).
16 Heußner, Sozialgerichtsbarkeit 76, S. 245 (251); Wieacker, Caemmerer-FS, S. 45 (69); Steinmaller, in: Kilian, S. 51 (57); Garstka, Ihrb. der Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 7 (1980), S. 233 (239). 17 Simitis, Informationskrise, S. 110; Schllffer, S. 190; Schmidt, Gesetzesvollziehung, S. 194; Göttrup, Studium generale, Bd. 21 (1968), S. 1107 (1121); Steinmaller, in: Kilian, S. 51 (57); Heußner, Sozialgerichtsbarkeit 76, S. 245 (252); Maunz, BayVBI. 70, S. 170 (171); Harbordt, in: Ho.ffmann, S. 71 (75). 18
Grimmer, Rechtsverwirklichung, S. 33, 34, 92; Horn, S. 68, 149.
230
2. Teil: Hauptteil
Eine derartige Entwicklung muß unter mehreren Gesichtspunkten Bedenken hervorrufen. Vor allem benachteiligt sie diejenigen, die aus Respekt vor der behördlichen Entscheidung den Rechtsweg nicht beschreiten. Betroffen werden deshalb häufig soziale Randgruppierungen sein20 • Zwar lassen sich in der Widerspruchspraxis der Rentenversicherung bei der Zahl der eingelegten Rechtsmittel keine Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten nachweisen21 • Diese Tatsache könnte aber darauf beruhen, daß, auch nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes22 , Unterschiede zwischen beiden Gruppierungen heute kaum noch bestehen. Neben der allgemeinen Scheu vor Rechtsmitteln führt die fehlende Begründung des automatisierten Verwaltungsaktes zu weiteren Hemmnissen bei der Erhebung eines Widerspruchs. Sie erschwert es dem Betroffenen, die Erfolgsaussichten etwaiger Rechtsmittel abzuschätzen. Es ist rechtsstaatlieh bedenklich, wenn der Bürger nicht mehr selbst die Rechtmäßigkeit des Bescheides, zumindest pauschal, überprüfen kann23 , weil eine Begründung fehlt. Neben dem Kostenrisiko hat die fehlende Begründung so auch zur Folge, daß Widersprüche quasi "auf Verdacht" eingelegt werden und so die ohnehin schon hohe Arbeitsbelastung der Rechtsmittelinstanzen unnötig gesteigert wird. Schließlich entstehen aus der Automatisierung des Bescheides auch Probleme bei der Durchführung des Widerspruchsverfahrens. Die Zeriegung seiner Erstellung in manuelle und automatisierte Abschnitte; womöglich auch noch unter Einschaltung eines Rechenzentrums, erschwert den Nachweis von Fehlern
19 Grimmer, DVR 80, S. 323 (333); derselbe, DÖV 82, S. 257 (260); derselbe, in: Grimmer, S. 341 (348); Horn, S. 149; Similis, Automation, S. 18; Brinckmann, Kontrolle, S. 24.
20 Grimmer, DVR 80, S. 323 (332); derselbe, DÖV 82, S. 257 (260); Gageil Gagei, AFG, vor § 142 Rn. 158; Horn, S. 129. 21 Horn, S. 149. Dagegen ist die Quote der erfolgreichen Widerspruche bei der Angestelltenversicherung wesentlich höher als bei der Arbeiterversicherung (S. 66).
22 So das BVerfG, DB 90, S. 1565 (1566) in einer Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit unterschiedlicher Kündigungsfristen, wo dem Gesetzgeber eine Überschreitung seiner Pauschalisierungskompetenz vorgeworfen wird. Die dabei verwendeten Argumente sind auch bei der Frage der Zulässigkeit von Standardisierungen durch die EDV zu beachten. 23 Luhmann, VerwArch., Bd. 57 (1966), S. 86 (87); Maller-Heidelberg, DVBI. 61, S. 11 (14); Vogel, in: Reinennann, S. 12 (17); Grimmer, DVR 80, S. 323 (332); derselbe, in: Reinennann, S. 600 (601); derselbe, Rechtsverwirklichung, S. 10; Poetuch-He.lfter, in: Reinennann, S. 16 (27); Fischerhoj, NJW 69, S. 1193 (1196); Traunmaller, in: Reinennann, S. 100 (109); WolJll Bachoj, S. 363; Heußner, Sozialgerichtsbarkeit 76, S. 245 (251); Brinckmann, Verw8ltungsautomation, S. 73; derselbe, Formulare, S. 250 fordert eine solche Überprufbarkeit schon wegen der verfassungsrechtlichen Stellung der Verwaltung.
6. Abschnitt: Die Kontrolle des automatisierten Verwaltungsaktcs
231
beziehungsweise ihrer Ursache und bewirkt eine zeitliche Verlängerung des Widerspruchsverfahrens24 • Insgesamt ist somit für das Widerspruchsverfahren davon auszugehen, daß die gesetzlichen Ausnahmevorschriften für automatisierte Verwaltungsakte und die durch die Verwaltung vorgenommene Standardisierung der Sachverhaltsermittlung zu einer erheblichen Erschwerung der Einleitung und Durchführung der Kontrolle führen. Diese Entwicklung dürfte sich noch verstärken, wenn die Automation auch in das Widerspruchsverfahren Einzug hält. 4. Der automatisierte Widerspruchsbescheid
Der abschließende Widerspruchsbescheid nach § 73 VwGO ist ein Verwaltungsakt. Es fragt sich daher, inwieweit auch dieser einer Automatisierung zugänglich ist. Erste Ansätze in diese Richtung fmden sich bereits bei der Formulierung der Entscheidungsgründe2S , wo in verstärktem Maße Textbausteine verwendet werden26 • Besonders interessant könnte ein automatisierter Widerspruchsbescheid für die Verwaltung dann sein, wenn die Erleichterungen des VwVfG auch auf diese Verfügung anwendbar sind. Für das Widerspruchsverfahren gelten subsidiär die Regelungen des VwV fG, soweit die §§ 68 ff. VwGO keine abweichenden Vorschriften enthalten27 • Deshalb bräuchte ein automatisierter Widerspruchsbescheid in Anwendung des § 37 IV VwVfG nicht unterschrieben zu sein. Höchst bedenklich wäre es aber, wenn auch auf dieser Ebene keine Begründung der Entscheidung erfolgen müßte. Der Betroffene könnte dann seiner Begründungspflicht nach § 82 VwGO nicht nachkommen. Ferner würde sich das Risiko einer Klageerhebung
24 Fiedler / Barthel / Voogd, S. 232. Eine Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO wird in diesen Fällen kaum zulässig sein, weil die besonderen Schwierigkeiten der Kontrolle als sachlicher Grund für eine Verlängerung anzusehen sind. Daher ist davon auszugehen, daß der Rechtsschutz bei einem automatisierten Verwaltungsakt mehr Zeit in Anspruch nimmt als bei einem herkömmlichen Bescheid. Wenn man zudem berücksichtigt, daß die Wartezeit für ein Gerichtsverfahren in den letzten Jahren ständig gestiegen ist, steht der Verkürzung des Verwaltungsverfahrens zugunsten der Verwaltung eine erhebliche Verlängerung des Rechtsschutzes zu Lasten des Bürgers gegenüber. Auch darin liegt eine Abwälzung von Problemen der Automation; der einstweilige Rechtsschutz könnte hier eine weitere Bedeutungssteigerung erfahren. 2S Grimmer, Automation, S. 348; derselbe, in: Reinennann 1985, S. 300 (317); derselbe, ÖVD 84, Heft 11, S. 83 (86); derselbe, Rechtsverwirklichung, S. 98. 26
Zu deren spezifischen Gefahren siehe S. 155.
27
Schmitt Glaeser, Rn. 239, 256.
232
2. Teil: Hauptteil
weiter erhöhen28 • Insofern sieht jedoch § 73 III 1 VwGO eine Begründungspflicht vor, so daß § 39 11 VwVfG im Widerspruchsverfahren nicht anwendbar ist29 • Zweifelhaft ist aber der Nutzen dieser Regelung für den Betroffenen. Wenn dazu Textbausteine verwendet werden, besteht die Gefahr, daß die Begründung nicht auf den konkreten Fall zugeschnitten und solchermaßen für den Betroffenen wenig hilfreich ist. Auch gilt es zu beachten, daß Standardisierungstendenzen bei der Begründung leicht zu ebensolchen bei der eigentlichen Entscheidung führen können. Mit Grimmero ist eine derartige erneute Schematisierung der Entscheidung zwingend abzulehnen. In einem Widerspruchsverfahren muß unter allen Umständen eine Einzelfallprüfung erfolgen. Wenn es Sinn und Zweck des Vorverfahrens ist, der Verwaltung eine umfassende Überprüfung der eigenen Entscheidung zu ermöglichen31 , dann muß sie diese Chance auch nutzen. Sie darf dieses Verfahren nicht durch eine wiederum standardisierte Entscheidung für den Bürger entwerten. Eine einzelfall bezogene Überprüfung im Widerspruchsverfahren ist dabei auch und gerade dort erforderlich, wo es sich beim Ausgangsverfahren um ein "Massenverfahren" handelt. Was im Ausgangsverfahren zugunsten einer effektiven Verwaltungstätigkeit hingenommen werden kann, wird im Widerspruchsverfahren höchst bedenklich und bei der Gerichtskontrolle unentschuldbar. Der Ausweg aus der Flut von Widersprüchen in einzelnen Bereichen darf nicht in einer Übertragung der Rationalisierungstendenzen des Ausgangsverfahrens auf die nächste Stufe liegen. Vielmehr haben Verbesserungen auf der untersten Ebene anzusetzen. Hier gilt es durch statistische Untersuchungen die
28
Grimmer, in: Reinennann 1985, S. 300 (317); derselbe, ÖVD 84, Heft 11, S. 83 (86).
29 Redeker I Y. Oemen, VwGO, § 73 Rn. 22; Schmitt Glaeser, Rn. 296 will hingegen § 39 11 Vwvro in gewissen Fällen als lex posterior anwenden. Eine solche Auswirkung des VwVfG auf die auf gleicher Ebene stehende VwGO erscheint aber höchst fraglich. Umstritten sind die Folgen einer fehlenden Begriindung im Widerspruchsverfahren. Regelmäßig wird der Verwaltung lediglich eine besondere Kostenlast auferlegt, ansonsten aber eine Nachholung im Prozeß zugelassen (z.B. Eyennann I Fröhler I Konnann, VwGO, § 73 Rn. 8; Schunck I De Clerck, VwGO, § 73 Anm. 6; Schmitt Glaeser, Rn. 298; Redeker I Y. Oemen, VwGO, § 73 Rn. 23); lediglich Kopp, VwGO, § 73 Rn. 13 gelangt zur Aufhebung des Widerspruchsbescheids). Diese relativ schwachen Folgen gilt es zu beachten, wenn es um die Einschätzung der Effe1ctivitiit der Begriindungspflicht geht. 30 Grimmer, DVR 80, S. 323 (324); derselbe, in: Reinennann 1981, S. 600 (621); derselbe, ÖVD 80, Heft 12, S. 9 (10); fiir die gerichtliche Überpriifung Bachof, DÖV 57, S. 564 (565); Similis, Informationskrise, S. 130. 31
Schmitt Glaeser, Rn. 255 sieht darin die Hauptfunktion des Widerspruchverfahrens.
6. Abschnitt: Die Kontrolle des automatisierten Verwaltungsaktes
233
problematischen Bereiche der Automation 32 zu erkennen und dort entweder auf sie zu verzichten oder aber das Verfahren zu verbessern. Nur flankierend können Maßnahmen im Bereich des Vorverfahrens hinzutreten, auf die im folgenden eingegangen werden soll. 5. Verbesserungsmöglichkeiten für das Widerspruchsve1jahren gegen automatisierte Bescheide
a) Kommunikative Ausgestaltung Eine deutliche Aufwertung könnte das Widerspruchsverfahren dann erlangen, wenn es mit seiner Hilfe gelänge, den Bürger tatsächlich aus der durch § 28 11 Nr. 4 Vwvro bewirkten passiven Rolle herauszuheben und nunmehr aktiv, auch nach der Einleitung des Verfahrens, an der Entscheidungsfindung zu beteiligen33 • Nichts würde seinen Eindruck von der Nutzlosigkeit einer nochmaligen behördlichen Entscheidung so sehr untermauern, als wenn er sich wiederum nur über ein Formblatt in das Verfahren einbringen kann und dann eine schematisierte Entscheidung erhält. Optimal wäre ein mündliches Gespräch34 geeignet, diese Einschätzung zu verhindern, weil es regelmäßig einen höheren Überzeugungswert als ein Schriftwechsel hat. Aber auch dort, wo ein solches nicht möglich erscheint, ist eine stärkere Einbindung des Bürgers in den Prozeß der Entscheidungsfindung anzustreben. Vor allem der Übergang zur Informations- und Kommunikationstechnik mit den Elementen Teletex, Telefax und BTX läßt eine Verbesserung bisheriger Defizite in diesem Bereich möglich erscheinen.
32 Grimmer, Rechtsverwirldichung, S. 61 ff. nennt in diesem Zusammenhang das KontenIdärungsverfahren nach § 1325 RVO. Hier kommt es häufig zu einer rein fiktiven Kontrolle, weil die Versicherungsanstalt nach Ablauf einer gewissen Zeit davon ausgeht, daß keine weiteren Angaben zu erlangen sind. 33
Horn, S. 158; Grimmer, Rechtsverwirldichung, S. 27.
34
Grimmer, Rechtsverwirldichung, S. 101; Horn, S. 149, 156; Röper, OÖV 78, S. 312 (315).
234
2. Teil: Hauptteil
b) Zwingende Umsetzung der Ergebnisse des Widerspruchsverfahrens in das Ausgangsverfahren Soll das Vorverfahren weiterhin eine Berechtigung haben, muß in diesem auch wirklich eine Selbstkontrolle erfolgen. Dieses gilt zum einen für den Einzelfall, in dem nach einer individuellen Prüfung eine korrekte Entscheidung ergehen muß. Anders als bei einem herkömmlichen Bescheid gilt dieses Erfordernis aber auch für die Überprüfung der Verfahrensgestaltung, welche über den individuellen Fall hinaus Bedeutung hat. Im Bereich des automatisierten Verwaltungsaktes darf sich die Verwaltung nicht auf die inter-partes-Wirlrung des einzelnen Verfahrens berufen, sondern muß erkannte Fehler auch konsequent in Programmänderungen umsetzen. Der sinkende Aufwand für solche Verbesserungen infolge des technischen Fortschritts dürfte ihr diesen Schritt erleichtern. Ergänzend könnte man daran denken, die Häufigkeit und Erfolgsquote von Widersprüchen in den einzelnen Verwaltungsbereichen statistisch zu erfassen und zu veröffentlichen3s , um so dem Bürger einen besseren Überblick über die Erfolgschancen zu geben. Gegenüber einer Anpassungspflicht hat ein derartiges Vorgehen aber den Nachteil, nur den Bürgern zu nützen, die sich intensiv mit solchen Fragen beschäftigen. c) Änderungen der Kostentragung Weiterhin wäre zu erwägen, ob man den Bürger im Bereich der automatisierten Massenverwaltung nicht generell von den Kosten eines Widerspruches befreit. Erste Ansätze dazu gibt es bereits im Steuerrecht36 • Wenn der Bürger einen Anspruch auf eine individuelle Entscheidung hat und dieser erst im Widerspruchsverfahren erfüllt wird, ist es nicht einzusehen, warum er das Kostenrisiko tragen soll. Die Entlastung der Verwaltung könnte sonst im wahrsten Sinne des Wortes auf Kosten des Bürgers gehen. Vor diesem Hintergrund fragt es sich auch, ob der grundsätzliche NichtErsatz von Anwaltskosten im Widerspruchsverfahren nach § 162112 VwGO noch gerechtfertigt ist. Nur Spezialisten können die problematischen Bereiche des automatisierten Verwaltungsaktes kennen, so daß im Rahmen einer rechtsund sozialstaatlich motivierten Auslegung zu fragen ist, ob die Einschaltung
3S Horn, 36
S. 156.
So im Bericht des Finanzausschusses zum Entwurf der AO 1977, BT-DS 7 I 4592, S. 4 (8).
6. Abschnitt: Oie Kontrolle des automatisierten VelWaltungsaktes
235
von Anwälten in diesem Bereich nicht stets notwendig im Sinne des § 162 11 VwGO ist. Die weitgehende Hilflosigkeit des Bürgers, wie sie herkömmlicherweise erst für den Prozeß typisch ist, tritt hier bereits eine Stufe früher ein. Dann aber erscheint es unnötig, ihn in einen Prozeß zu zwingen, der durch die Mitwirkung von Anwälten im Vorverfahren vermieden werden könnte. d) Zulässigkeit einer reformatio in peius im Widerspruchsverfahren Bisher halten Rechtsprechung und Literatur im Widerspruchsverfahren auch eine Verschlechterung der Entscheidung zu Lasten des Widerspruchsfiihrers für zulässig; begründet wird dieses zum einen mit der Selbstkontrollfunktion des Widerspruchsverfahrens, zum anderen mit gewohnheitsrechtlichen Erwägungen31 • Die Gefahr einer derartigen Abänderung der Entscheidung kann jedoch erheblich dazu beitragen, daß der Bürger erst gar nicht einen Widerspruch erhebt. Daher ist zumindest in solchen Anwendungsbereichen des automatisierten Verwaltungsaktes, in denen eine hohe Erfolgsquote bei den Widersprüchen besteht und dementsprechend viele Ausgangsbescheide rechtswidrig sein müssen, die Zulässigkeit einer reformatio in peius zu verneinen. In derartigen Fällen muß es für den Bürger gefahrlos möglich sein, die nur vermeintliche Einzelfallentscheidung zur nochmaligen Überprüfung der Verwaltung zu stellen, wenn er Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit hat. Demgegenüber treten die für die Zulässigkeit einer reformatio in peius genannten Gründe zurück. Da das Widerspruchsverfahren gegenüber einem automatisierten Verwaltungsakt eine neuartige Dimension erhält, kann nicht mit seiner traditionellen Funktion argumentiert werden; ein Gewohnheitsrecht hinsichtlich der Zulässigkeit einer Verschlechterung von automatisierten Verwaltungsakten ist bisher nicht entstanden.
31 Vergleiche etwa BVeIWG, OÖV 72, S. 789 (790); BayVGH, BayVbl. 73, S. 556 (556); VGH Mannheim, NVwZ-RR 91, S. 113 (114); Kopp, VwGO, § 68 Rn. 10; Schmitt Glaeser, VelWaltungsprozeßrecht, Rn. 291; Eyemlann I Fröhler, VwGO, § 73 Rn. 7; Weides, VelWaltungsverfahren, S. 200; grundsätzlich ablehnend dagegen Redeker Iv. Oemen, VwGO, § 73 Rn. 20.
236
2. Teil: Hauptteil
B. Die gerichtliche Kontrolle des automatisierten VerwaItungsaktes I. Einführung Im folgenden soll untersucht werden, ob sich die im Widerspruchsverfahren erkannten Probleme bei der gerichtlichen Kontrolle des automatisierten Verwaltungsaktes fortsetzen. Sollte dies der Fall sein, müßten die bei der Prüfung des Verwaltungsverfahrens erhobenen Bedenken um eine neue Dimension erweitert werden und es wäre in der Tat mit Hagemann 38 zu fragen, ob hier nicht die Grenzen des Art. 20 III GG gerahrdet oder gar schon überschritten sind. Gerade eine Kumulation von Defiziten im Ausgangsverfahren und bei der Kontrolle wäre geeignet, eine derartige Einschätzung zu rechtfertigen. Auf der anderen Seite könnte eine wirksame Gerichtskontrolle manche Mängel des automatisierten Ausgangsverfahrens erträglicher erscheinen lassen. Dabei gilt es aber auch zu beachten, daß die Automatisierung nicht mehr vor den Gerichtsgebäuden halt macht. Zum einen gibt es bereits eine elektronische Vorbereitung der Streitentscheidung, sei es durch die Geschäftsstelle39 oder durch ein Informations- und Dokumentationssystem für den Richter40 • Daneben sind erste Ansätze zu einem Computereinsatz bei der eigentlichen Ent-
38
Hagemann, Diss. rer. publ. Speyer, S. 20.
Interessant ist in diesem Zusammenhang das seit 1982 in Bayern bei den Verwaltungsgerichten verwendete Gerichtsorganisationssystem "GEORG"; siehe dazu tllbrecht, CR 88, S. 343 (344) und Muser, BayVBI. 88, S. 326 (327). Die Justizverwaltung betrachtet ferner das System "Sojus" bereits als eine fast optimale Lösung (Schillo, CR 91, S. 54 (55», weil es nur wenige Abweichungen von der bisherigen Aufgabenerfiillung erfordert. Allgemein zur Automatisierung der Aufgaben von Geschäftsstelle und Rechtspfleger auch Fiedler, JZ 68, S. 556 (557) und Weihennüller, in: Reinennann, S. 213 (214). 39
40 Nachweise etwa bei tllbrecht, CR 89, S. 438 (441); Haft, S. 113; Endrös, S. I; Kilian, S. 263. Muser, BayVBI. 88, S. 326 (329) weist darauf hin, daß der Zugriff auf JURIS durch die Verwaltungsgerichte zur Zeit wegen der relativ hohen Kosten noch selten ist. tllbrecht, CR 88, S. 343 (348) fragt zu Recht, ob eine Beschränkung der Abfragezeit bei JURIS nicht die richterliche Unabhängigkeit betreffen könnte. Die Gefahren des Einsatzes eines solchen Dokumentationssystems am Arbeitsplatz des Richters liegen hauptsächlich in der Erstarrung der Judikatur (Schltffer, DÖV 88, S. 149 (155); Degrandi, S. 83; Großfeld, JZ 84, S. 696 (697); Similis, NIW 71, S. 673 (673); Wieacker, Bötticher-FS, S. 383 (395); Fischerhof, NIW 67, S. 1193 (1197» mit einer gleichzeitigen Manipulation der Entscheidung durch die Auswahl der Dokumente (Zitscher, NIW 84, S. 2377 (2382); Fischerhof, NIW 69, S. 1193 (1196); Großfeld, JZ 84, S. 696 (696) befiirchtet, daß Computer künftig die h.M. machen). Daneben wird vereinzelt ein Übergang vom Gesetzesrecht zum case-Iaw erwartet (Kerkau, ADV, S. 30; Schliffer, DÖV 88, S. 149 (155».
6. Abschnitt: Die Kontrolle des automatisierten Verwaltungsaktes
237
scheidungsfindung ZU verzeichnen41 • Es besteht aber Einigkeit darüber, daß die Einsatzmöglichkeiten bei den Gerichten wesentlich geringer sind als bei der Verwaltung, weil einige spezifische Funktionen des Gerichtsverfahrens nicht automatisierbar sind42 • Am ehesten kommt eine Verwendung von Computern bei Randbereichen der richterlichenEntscheidung, wie der Kostenregelung, in Betracht. Vereinzelt gibt es aber auch schon bei den Gerichten Versuche mit juristischen Expertensystemen43 • 11. Auswirkungen der automatisierten ErsteUung auf die Gerichtskontrolle
Wie schon für das Widerspruchsverfahren enthält die VwGO auch für die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage keine Sonderregelungen für automatisierte Verwaltungsakte. Daher müssen deren spezifische Probleme mit dem herkömmlichen Rechtsschutzsystem bewältigt werden. Dies gilt zunächst für die höhere Hemmschwelle bei derartigen Bescheiden44 • Sie führt dazu, daß
41 Siehe dazu etwa Reisinger, S. 95; Albrecht, CR 88, S. 343 (347) fiir das numerus-claususVerfahren; Similis, Automation, S. 21; Herr, DRiZ 86, S. 374 (374); Frohn, Archiv fiir Rechtsund Sozialphilosophie 84, S. 204 (216); Fiedler, JuS 71, S. 67 (70); Zitscher, NJW 84, S. 2377 (2380); Bachof, DÖV 57, S. 564 (565). Hagemann, Diss. rer. pub!. Speyer, S. 5 verneint Probleme dieser Entwicklung mit Art. 92 GG; Bedenken finden sich dagegen bei Wieacker, CaemmererFS, S. 45 (69). Achterberg, S. 151 verweist auf die Möglichkeiteiner Automatisierung der Vollstreckbarkeitsentscheidung. 42 So z.B. für die Funktion der Laienbeteiligung Fiedler, JuS 71, S. 67 (68); für die richterliche Abwägung Grober, Diss.jur. Würzburg, S. 80 sowie Fischerhof, NJW 69, S. 1193 (1197), der Urteile aus dem Computer als einen Triumph der Inhumanität bezeichnet; ähnlich Neeße, Zeitschrift fiir Beamtenrecht 67, S. 353 (355); Endrös, S. 25; Kilian, S. 269, 297; Bachof, DÖV 57, S. 564 (565).
43
Albrecht, CR 88, S. 343 (346) in Kombination mit GEORG; ferner Endrös, S. 25.
44 Winkler, ÖVD 71, Heft 1, S. 26 (27); Similis, Informationskrise, S. 11 0 spricht hier von der "Würde einer technisch garantierten Wahmeit". Ferner Schäfer, S. 190; Schmidr, GesetzesvolIziehung, S. 194; Göttrop, Studium generale, Bd. 21 (1968), S. 1107 (1121); SteinmUlIer, in: Kilian, S. 51 (57); Kilian, S. 299; Heußner, Sozialgerichtsbarkeit 76, S. 245 (251); Harbordt, in: Hoffmann, S. 71 (75); Bronnslein, in: Hoffmann, S. 153 (154). Nach Maunz, BayVB!. 70, S. 170 (171) könnte der Glaube an die Unfehlbarkeit des Computers, verbunden mit dem traditionellen Autoritätsglauben in der Bundesrepublik, das "Grab des individuellen Rechtsschutzes" sein. Keinesfalls kann hier Kerkau, Recht im Amt 70, S. 201 (202) gefolgt werden, nach dem die Automation die Kontrollmöglichkeiten noch vergrößert, weil die Entscheidungen durchsichtiger werden.
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2. Teil: Hauptteil
schon die Auslösung der Gerichtskontrolle zwar nicht rechtlich, wohl aber faktisch 45 eingeschränkt ist. Zum anderen gilt es, auf den besonderen Fehlertypus solcher Entscheidungen zu reagieren, der, wie oben gesehen46 , darin besteht, daß Programmfehler einerseits eine große Wirkung haben und andererseits nur schwer zu erkennen sind. Zur Anpassung der gerichtlichen Kontrolle an diese Besonderheiten werden in der Literatur mehrere Vorschläge unterbreitet, deren Berechtigung im folgenden untersucht werden soll. 111. Vorschläge zur Verbesserung der GerichtskontroUe bei automatisierten Verwaltungsakten
1. Uberprajung der Determinanten Die verwaltungsintemen Kontrollinstanzen gehen dazu über, statt des fertigen Bescheides die Determinanten seiner Erstellung, also die Ausgangsdaten und das Programm zu überprüfen47 • Wenn die "sachnächste" Verwaltung eine derartige Änderung der Prüfungsinhalte vornimmt, könnte dies ein gewichtiges Indiz dafür sein, daß ein solches Vorgehen bei einem automatisierten Verwaltungsakt besonders sinnvoll ist und daher von den Verwaltungsgerichten übernommen werden sollte. Zu fragen ist daher, ob bei der Gerichtskontrolle eine Überprüfung dieser Determinanten möglich und ausreichend ist oder ob, wie bei einem herkömmlichen Verwaltungsakt, die Subsumierbarkeit des Einzelfalles unter die gesetzliche Grundlage geprüft werden sollte. a) Die gerichtliche Kontrolle der Ausgangsdaten Besondere Aufmerksamkeit verdient im Rahmen der richterlichen Ermittlungen die Gewinnung der Einzelfallinformationen beziehungsweise Ausgangsdaten48 • Dort befmdet sich der einzige Ansatzpunkt in einem automatisierten Verfahren, an dem subjektive Einschätzungen des Sachbearbeiters in die 45 Grimmer, in: Grimmer, S. 341 (348); derselbe, in: Garsrka, S. 335 (340); Brinckmann, Kontrolle, S. 19 f.; Wolrer, NZWehr. 78, S. 81 (85). 46
Vergleiche dazu S. 229.
47
Vergleiche S. 226.
48
Brinckmann, Verwaltungsautomation, S. 69, 80; Lenk, DVBI. 74, S. 832 (836).
6. Abschnitt: Die Kontrolle des automatisierten VelWaltungsaktes
239
Entscheidungsfindung einfließen können. Der Richter muß daher prüfen, ob die dieser Festlegung zugrunde gelegten Daten korrekt waren und ob es noch andere Informationen gab, die gegebenenfalls eine abweichende Entscheidung gerechtfertigt hätten. Dabei ist diese Kontrolle unabhängig davon erforderlich, ob der Richter die Determinanten oder das Ergebnis überprüft, weil diese Informationen auch für die Subsumtion unter die gesetzliche Grundlage ermittelt werden müssen. b) Die gerichtliche Kontrolle des Computerprogramms Dagegen wäre eine gerichtliche Kontrolle des Computerprogramms nur dann erforderlich, wenn bei einem automatisierten Verwaltungsakt auf die Rechtmäßigkeit der Determinanten abgestellt wird. Für eine Subsumtion unter die gesetzliche Grundlage ist dagegen deren korrekte Umsetzung in das Programm irrelevant. Fraglich ist zunächst, ob und gegebenenfalls mit welcher Klageart eine gerichtliche Überprüfung des Computerprogramms möglich ist. Für die Beantwortung dieser Frage kommt es, wie schon bei den Widerrufsmöglichkeiten aus Anlaß von Programmänderungen49 , entscheidend auf dessen Rechtsnatur an.
aa) Gerichtliche Kontrolle des Computerprogramms bei ausdrücklichem Erlaß als Gesetz, Satzung oder Rechtsverordnung Zunächst einmal ist es möglich, daß ein Computerprogramm ausnahmsweise explizit als Gesetz, Satzung oder Rechtsverordnung erlassen wirdso. In diesem Fall folgt die gerichtliche Kontrolle den allgemeinen Regeln für die Überprüfung von Rechtsnormen. So ist bei einem Erlaß als Satzung oder Rechtsverordnung eine Normenkontrolle nach § 47 VwGO möglich, welche nach § 47 VI 1 VwGO zu einem Urteil führt, das auch für Nicht-Verfahrensbeteiligte verbindlich ist.
49
Vergleiche hierzu S. 217 ff.
SO Siehe S. 220.
240
2. Teil: Hauptteil
bb) Gerichtliche Kontrolle des Computerprogramms im Regelfall Wie oben gesehen51 , handelt es sich bei Computerprogrammen jedoch regelmäßig um Verwaltungsvorschriften. Diese unterliegen grundsätzlich nicht der Überprüfung durch die Verwaltungsgerichte52 • Deshalb geht die große Mehrzahl der Autoren davon aus, daß eine gesonderte, vom Verwaltungsakt losgelöste Überprüfung des Computerprogramms nicht möglich ist53 • Zulässig ist lediglich eine Inzidenter-Kontrolle des Programms im Rahmen einer Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage gegen den konkreten automatisierten VerwaltungsaktS4 • Führen Programmfehler dazu, daß dieser nicht mit der gesetzlichen Grundlage übereinstimmt, ist er rechtswidrig und daher aufzuheben. Fraglich ist aber, ob die bei einer solchen Inzidenter-Kontrolle erkannten Fehler dazu führen, daß das Gericht verbindlich eine entsprechende Programmänderung für die Zukunft fordern kann. Vereinzelt wird eine solche Kompetenz des Gerichtes angenommen 55 • Mit der überwiegenden Anzahl der AutorenS6 ist jedoch eine solche Ausweitung der Urteilsfolgen über den Einzelfall hinaus abzulehnen. Ebensowenig wie das Gericht Verwaltungsakte oder Verwaltungsvorschriften erlassen kann, ist es befugt, von der Verwaltung verbindlich die Änderung des Computerprogramms zu verlangen. Derartige Urteilsfolgen über die inter-partes-Wirkung hinaus kennt das Gesetz nur bei Nonnenkontrollen, die aber aufgrund der Rechtsnatur des Programms nicht zulässig sind. Das Rechtsschutzsystem der VwGO gerät hier an seine Grenzen. Es beruht auf einer bestimmten Vorstellung vom jeweiligen Klagegegenstand. Bei einem Verwaltungsakt geht die VwGO von zwei Grundannahmen aus, nämlich einerseits von einem einheitlichen Vorgang der Entscheidungsfindung und anderer-
SI Vergleiche hierzu S. 220; gleiches gilt auch dann, wenn man das Computerprogramm als bloße Vorbereitung des Verwaltungsaktes begreift; dann dürfte schon § 44 a VwGO einer gesonderten gerichtlichen Kontrolle entgegen stehen.
52 Kopp, VwGO, § 47 Rn. 15; Eyermann I Fröhler I Kormann, VwGO, § 47 Rn. 13; anders Ossenbahl, DVBI. 69, S. 526 (528), soweit Verwaltungsvorschriften die Rechtsordnung notwendig ergänzen.
53 Podlech, DVR 72, S. 149 (161); Brinckmann, Kontrolle, S. 234; Redeker, NVwZ 86, S. 545 (546); Schmidt, AöR 96, S. 321 (353); Grimmer, DÖV 82, S. 257 (260).
54 Grimmer, in: Reinermann 1985, S. 305 (323); Stelkens I Stelkens, VwVfG, § 37 Rn. 48; Brinckmann, Formulare, S. 234. 55
Bull, Verwaltung, S. 149; Podlech, DVR 72, S. 149 (162).
56
So z.B. Degrandi, S. 160, 167.
6. Abschnitt: Die Kontrolle des automatisierten Verwaltungsaktes
241
seits von einer Begrenzung der Folgen des Bescheides auf einen Einzelfall 57 • So könnte man etwa§ 44 a VwGO als Ausdruck dieser Einstufigkeit begreifen, während § 42 11 VwGO davon ausgeht, daß nur einzelne Personen von einem Verwaltungsakt betroffen sind. Beide Ausgangshypothesen treffen auf einen automatisierten Verwaltungsakt nicht zu. An seiner Erstellung ist eine Vielzahl von Personen zu unterschiedlichsten Zeitpunkten beteiligt. Einer seiner beiden Determinanten, das Computerprogramm, betrifft eine Vielzahl weiterer Verwaltungsakte. Dabei bietet sich ein Vergleich zu den zivilrechtlichen allgemeinen Geschäftsbedingungen an. Zwar betreffen auch sie nur den Einzelfall, ihre häufige und gleichförmige Verwendung hat aber in § 13 11 AGBG zur Zulässigkeit einer abstrakten Verbandsklage geführt. Die VwGO ist einen solchen Schritt bisher nicht gegangen. Ob er wegen der zunehmenden Ausdehnung des automatisierten Verwaltungsaktes notwendig und sinnvoll erscheint, soll im folgenden erörtert werden. ce) Die Einführung einer Kontrolle des Computerprogramms
(a) Die Argumente der Befürworter Wegen der besonderen Bedeutung des Computerprogramms für den automatisierten Verwaltungsakt will eine Vielzahl von Autoren58 eine neue Klageart entwickeln, die einerseits nach Art einer Normenkontrolle ohne Bezug zu einem konkreten Verwaltungsakt möglich ist und deren Ergebnisse andererseits auch für Nicht-Beteiligte verbindlich sind. Die Initiative für eine solche Kon-
57 Brinckmann, Kontrolle, S. 15; Luhmann, ÖVD 72, Heft 2, S. 44 (46); Grimmer, Rechtsverwirklichung, S. 99. Auch Gomig, Maßnahme, S. 79, 263 betont die Bedeutung des Fonnendualismus Verwaltungsakt-Rechtsnonn rur die Struktur der Rechtsordnung und lehnt deshalb Hoheitsakte mit einer Doppelnatur ab. 58 So z.B. Heußner, Sozialgerichtsbarkeit 76, S. 245 (247); Horn, S. 153; Brinckmann, Kontrolle, S. 28 f.; derselbe, Verwaltungsautomation, S. 72 f.; Luhmann, ÖVD 72, Heft 2, S. 44 (47); Redeker, NVwZ 86, S. 545 (546); Grimmer, Rechtsverwirklichung, S. 102; derselbe, in: Reinerrnann 1985, S. 305 (323); derselbe, DVR 80, S. 323 (335), wo er durch das Gericht die angemessene Abbildung des Gesetzestextes im Programm sowie die Zulässigkeit der erfolgten Standardisierungen überprüfen lassen will.
16 Po1omski
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2. Teil: Hauptteil
trolle könnte nach dem Vorbild des § 1311 AGBG von Verbänden ausgehen59 • Denkbar wäre aber auch eine Auslösung durch die Verwaltungsgerichte nach Art der konkreten Normenkontrolle oder durch den einzelnen Bürger. Mehrere Gründe sprechen für eine derartige Programmkontrolle. Zu beachten ist zunächst die besondere Tragweite von Programmfehlern. Eine abstrakte Kontrolle würde dazu führen, daß eine Vielzahl künftiger Adressaten von Verwaltungsakten die Chance erhält, erst gar nicht von einem rechtswidrigen Bescheid betroffen zu werden. Dieser Vorteil erscheint dann besonders wertvoll, wenn man bedenkt, daß gerade sozial schwache Bevölkerungsgruppen häufig vor einer Beschreitung des Gerichtsweges zurückschrecken werden. Von wesentlicher Bedeutung für die Berechtigung einer derartige Kontrolle ist aber auch der Widerstand der Verwaltung gegen Programmänderungen. Dieser rührt zum einen daher, daß solche Programme von der Verwaltungsspitze erstellt werden. Dort sind die Interessen der Verwaltung wesentlich konzentrierter und formierter als bei Fehlleistungen des einzelnen Sachbearbeiters60 • Zum anderen steht solchen Verbesserungsanregungen der Gerichte der große Aufwand entgegen, den Programmänderungen erfordem61 • Früher waren es vor allem Kostengründe, welche die Verwaltung ablehnend auf derartige Forderungen reagieren ließen. Heute dagegen ist es die Verkettung vieler Programme mehrerer Verwaltungsträger, welche Änderungen zu einem Spiel mit unvorhersehbaren Ketten- und Wechselwirkungen werden läßt. Dieses Ausmaß notwendiger Anpassungen führt dazu, daß die Verwaltung geneigt sein wird, sich auf die inter-partes-Wirkung des Anfechtungs- und Verpflichtungsprozesses zu berufen. Sie wird lieber sichere Niederlagen in künftigen Prozessen hinnehmen, als das Programm freiwillig zu ändem62 • Anders als bei herkömmlichen Verwaltungsakten kann daher nicht davon ausgegangen werden, daß die Verwaltung erkannte Schwachstellen des Verfahrens von sich aus ohne
S9 Wieacker, Caemmerer-FS, S. 45 (70); Brinckmann, Kontrolle, S. 28. Nach Ansicht des BVerwG, DÖV 91, S. 291 (293) kann der Gesetzgeber über das durch Art. 19 IV GG gesicherte Mindestmaß hinaus Rechtsschutz gegen Maßnahmen der öffentlichen Verwaltung auch dann gewähren, wenn keine Verletzung subjektiver Rechte vorliegt; dieses ist z.B. mit § 29 I Nr. 4 BNatSchG für die Naturschutzverbände geschehen.
60 Brinckmann, Verwaltungsautomation, S. 71; derselbe, Kontrolle, S. 22; Grimmer, Automation, S. 357; Lenk, DVBI. 74, S. 832 (836).
61 Heußner, Sozialgerichtsbarkeit 76, S. 245 (247); Luhmann, ÖVD 72, Heft 2, S. 44 (46); Brinckmann, Verwaltungsautomation, S. 72; derselbe, Kontrolle, S. 21; Grimmer, Rechtsverwirklichung, S. 94 weist zusätzlich auf die Notwendigkeit neuer Dienstanweisungen und Schulungen der Mitarbeiter hin.
61.
Degrandi, S. 84.
6. Abschnitt: Die Kontrolle des automatisierten VelWaltungsaktes
243
Zwang beseitigen wird. Nur eine Anpassungspflicht nach einer entsprechenden Klage wird sie zu Programmänderungen bewegen können. Denkbar wäre es auch, daß sie, entgegen ihrer eigenen Überzeugung, dem Betroffenen im Widerspruchsverfahren entgegenkommt, um so einen Prozeß zu vermeiden63 • Beide Wege sind unter der Geltung des Art. 20 III GG gleich bedenklich. Zudem erwächst hier ein beträchtlicher faktischer Druck auf die Verwaltungsgerichte, auf derartige Forderungen von vornherein zu verzichten64 • Auf den ersten Blick erscheint daher die Einführung einer solchen gerichtlichen Überprüfung des Computerprogramms bestechende Vorteile zu haben. Sie hat den Anschein einer besonderen Automationsgerechtigkeit, wozu nicht zuletzt auch das entsprechende Vorgehen der verwaltungsintemen Kontrollinstanzen beiträgt. Bei genauerer Betrachtung offenbaren sich jedoch eine Vielzahl von Bedenken, denen im folgenden nachgegangen werden soll. (b) Bedenken gegen eine gerichtliche Kontrolle des Computerprogramms Zunächst gilt es zu beachten, daß eine solche Kontrolle des Computerprogramms dazu führen würde, daß die Gerichte aus ihrer grundsätzlich passiven Rolle heraustreten. Bisher kann man als Grundsatz davon ausgehen, daß die Verwaltung agiert, die Gerichte aber reagieren. Alle in der VwGO geregelten Klagearten sind auf eine nachträgliche Überprüfung von Handlungen der Verwaltung ausgerichtet. Der Rechtsschutz, welcher von gen Gerichten gewährt wird, ist grundsätzlich repressiver Natur65 • Eine gerichtliche Kontrolle des Computerprogramms hätte aber nur dann einen Sinn, wenn sie so früh wie möglich, am besten noch vor Erlaß des ersten auf dieses Programm gestützten Verwaltungsaktes erfolgt. Zudem müßten praktisch alle Programme einer solchen Kontrolle unterzogen werden. Damit würde in größerem Umfang eine Verlagerung von Funktionen des Verwal-
63
Brinckmann, Kontrolle, S. 22.
64
Degrandi, S. 84, 167.
BK-Schenke, GG, Art. 19 IV Rn. 393; Maunz I Dürig I Schmidt-Aßmann, GG, Art. 19 IV Rn. 278. Lediglich die gesetzlich nicht geregelte vorbeugende Unterlassungsklage hat einen präventiven Charakter. Sie wird aber nur deshalb für zulässig gehalten, weil sonst dem in Art. 19 IV enthaltenen Gebot eines effektiven Rechtsschutzes nicht Genüge getan wäre (BK-Schenke, GG, Art. 19 IV Rn. 392; Maunz I Darig I Schmidt-Aßmann, GG, Art. 19 Rn. 278). 65
16"
244
2. Teil: Hauptteil
tungsverfahrens auf die Gerichtskontrolle erfolgen66 • Eine derartige systemfremde Umgestaltung des Rechtsschutzsystems käme nur dann in Betracht, wenn die vorhandenen Kontrollformen nicht mehr dem Postulat eines effektiven Rechtsschutzes genügen, welches aus Art. 19 IV GG zu entnehmen ist67 • Bei Lücken im verfassungsrechtlich gebotenen Rechtsschutz ist anerkannt, daß diese in einer Analogie zum sachnächsten Rechtsweg geschlossen werden müssen 68 • Zu fragen ist daher, ob eine derartige Lücke bei automatisierten Verwaltungsakten besteht. Für den Individualrechtsschutz besteht keine Notwendigkeit für eine Verbesserung. Sofern der Adressat eines automatisierten Verwaltungsaktes erst einmal die Schwelle für eine Klage vor den Verwaltungsgerichten überwunden hat, ist davon auszugehen, daß der rechtswidrige Bescheid dort auch aufgehoben wird. Das Gericht prüft dabei nicht die Determinanten, sondern die Subsumierbarkeit des Einzelfalls unter die gesetzliche Grundlage. Dabei treten keine automationsbedingten Schwierigkeiten auf, wenn man einmal davon absieht, daß die gesetzlichen Grundlagen im Hinblick auf die automatisierte Ausführung immer komplexer werden69 • Dieses Phänomen ist aber auch außerhalb der Automation zu beobachten. Eine Lücke besteht dagegen, soweit es um den Schutz der künftigen Adressaten solcher Verwaltungsakte geht. Anders als bei einem herkömmlichen Verwaltungsakt bestünde mit einer Programmk:ontrolle die Möglichkeit, den Erlaß von weiteren rechtswidrigen Verwaltungsakten zu verhindern. Der
66 Lazaratos, S. 217 sieht darin einen Verstoß gegen Art. 19 IV GG, weil eine solche Kontrollkompetenz zu einem Distanzverlust zwischen Verwaltung und gerichtlicher Kontrolltätigkeit führe. Diese Distanz ist aber auch außerhalb der Kontrolle des automatisierten Verwaltungsaktes schon erheblich aufgeweicht worden. So wird heute praktisch keine Genehmigung eines technischen Großprojektes mehr wirksam, ohne zuvor das placet der Gerichte gefunden zu haben. Auch wäre ein solches "Hineinregieren " der Gerichte in die Entscheidungen der Verwaltung in erster Linie bei Ermessensentscheidungen bedenklich, die aber nach der hier vertretenen Ansicht gar nicht in den Bereich einer zulässigen Automatisierung fallen. 67 BVerfGE 37, 150 (157); 44, 302 (305); 60, 253 (269); 65, 1 (70) speziell für den Bereich der Datenverarbeitung beim Volkszählungsgesetz; v. Münch / Hendrichs, GG, Art. 19 Rn. 52; BKSchenke, GG, Art. 19 IV Rn. 218, 383, 393; Maunz / Dürig / Schmidr-Aßmann, GG, Art. 19 Rn. 273; Lorenz, Jura 83, S. 393 (394). Dagegen ist Art. 19 IV GG kein generelles Hindernis für eine Automatisierung des Verwaltungsverfahrens (Zeidler, DVBI. 59, S. 681 (686». 68 BK-Schenke, GG, Art. 19 IV Rn. 64; Maunz / Dürig / Schmidt-Aßmann, GG, Art. 19 Rn. 273; Redeker / v. Oenzen, VwGO, § 40 Rn. 2; Kopp, VwGO, vor § 40 Rn. 3, 5; Eyennann / Fröhler / Konnann, VwGO, § 42 Rn. 1. 69
Zu dieser Automationsspirale siehe S. 46.
6. Abschnitt: Die Kontrolle des automatisierten Verwaltungsaktes
245
Schutz dieser Personen ist jedoch keine Aufgabe der verfassungsrechtlich gebotenen Gerichtskontrolle. Art. 19 IV GG will nach seinem Wortlaut wie nach seiner systematischen Stellung in erster Linie einen wirksamen Individualrechtsschutz sichern1O • Das Grundgesetz geht bei der Ausgestaltung der Gerichtskontrolle vom Typus eines mündigen Staatsbürgers aus, der seine eigenen Interessen auch selbst vertritt. Ein Schutz durch "fremde" Klagen ist nur in engen Grenzen vorgesehen71. Daher kann eine solche Schutzfunktion für künftige Adressaten von automatisierten Verwaltungsakten die Notwendigkeit einer gerichtliche Kontrolle des Computerprogramms weder de lege lata noch de lege ferenda begründen. Vielmehr wird eine Umstellung der gerichtlichen Kontrolle von der Subsumtion unter die gesetzlichen Grundlagen auf die Überprüfung der Determinanten des automatisierten Bescheides durch das Erfordernis eines effektiven Individualrechtsschutzes gerade ausgeschlossen. Eine solche Änderung der Kontrollinhalte hätte nämlich zur Folge, daß diejenigen fehlerhaften Bescheide unberücksichtigt bleiben würden, die auf einem Maschinenfehler72 beruhen. Diese Fehler können durch eine Kontrolle der Determinanten nicht entdeckt werden. Die Wirksamkeit des Individualrechtsschutzes darf aber nicht von der konkreten Fehlerquelle abhängen. Würde man das Erfordernis einer Programmkontrolle betonen, so würde damit der Individualrechtsschutz zugunsten eines verfassungsrechtlich nicht gebotenen Schutzes anderer Personen verschlechtert werden. Gerade dies ist nach Art. 19 IV GG nicht zulässig.
10 BK-Schenke, GG, Art. 19 IV Rn. 25; Maunz / Dürig / Schmidt-Aßmann, GG, Art. 19 Rn. 8 bezeichnet den Gerichtsschutz als eine "Bastion der Individualität", die zwar durch andere Kontrollfonnen entlastet, nicht jedoch ersetzt werden dürfe (Rn. 9, 270); v. Münch / Hendrichs, GO, Art. 19 Rn. 44 a. BVerfGE 60, 253 (268) und Lorenz, Jura 83, S. 393 (397) gehen davon aus, daß die Gerichtskontrolle neben dem Individualrechtsschutz auch der Schaffung von Rechtssicherheit dient. Popular- oder Verbandsklagen werden dagegen durch Art. 19 IV GG nicht gewährleistet (BVerfGE 13, 132 (151)), wenngleich Art. 19 IV GG der Einräumung solcher Klagemöglichkeiten durch den Gesetzgeber nicht entgegensteht (v. Münch / Hendrichs, GG, Art. 19 Rn. 44 a). 71 Ein solcher mittelbarer Schutz wird durch die abstrakte Normenkontrolle nach Art. 93 I Nr. 2 GG bewirkt. Im Gegenzug dazu ist aber das Initiativrecht rur diese Kontrolle an eine, zumindestens mittelbare, demokratische Legitimation gebunden worden, wie sie rur die möglichen AntragssteIler bei einer Kontrolle des Computerprogramms nicht vorstellbar erscheint.
72
Siehe dazu S. 206, 207.
246
2. Teil: Hauptteil
Die Nicht-Berücksichtigung von Maschinenfehlern ist bei der verwaltungsinternen Kontrolle hinnehmbar, weil es dort nicht um den Einzelfall, sondern um eine allgemeine Verbesserung der Verwaltungstätigkeit geht. Zudem treten diese Fehler beim heutigen Stand der Technik eher selten auf. Bei der Gerichtskontrolle dagegen darf auch ein seltener Fehler selbst dann nicht unberücksichtigt bleiben, wenn im Gegenzug dafür andere Ziele eine gerichtliche Kontrolle des Computerprogramms wünschenswert erscheinen lassen. Schließlich spricht auch der immer schneller werdende technische Fortschritt gegen die Einführung einer derartigen Kontrolle. Wegen des Umfanges der notwendigen Änderungen ist zu erwarten, daß die Verwaltung stets den Rechtsweg für eine solche Überprüfung ausschöpfen würde73 • Dadurch käme es zu einer erheblichen Verspätung der Einführung neuer Programme, die damit schon wieder durch die nächste Generation überholt sein könnten, ehe sie in der Verwaltungspraxis Verwendung finden. (c) Resümee Entgegen einer weitverbreiteten Ansicht in der Literatur kann eine gerichtliche Kontrolle des Computerprogramms weder de lega lata anerkannt noch de lege ferenda befürwortet werden, weil sie mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Gerichtskontrolle nicht vereinbar ist. Damit verbietet sich eine Umstellung der richterlichen Prüfungstätigkeit. Dieser hat nicht die Rechtmäßigkeit von Ausgangsdaten und Programm, sondern die Subsumierbarkeit des Einzelfalles unter diegesetzlichen Grundlagen zu prüfen, wie dies auch bei einem herkömmlichen Verwaltungsakt geschieht. 2. SUirkung der Stellung des BUrgers
Weiterhin werden in der Literatur mehrere Vorschläge unterbreitet, um die Stellung des Bürgers im Anfechtungs- oder Verpflichtungsprozeß' zu stärken. So wird etwa ein Zugangsrecht des Betroffenen zu den behördlichen Datenspeichern gefordert, damit dieser die Richtigkeit der verwendeten Daten kon-
73
Brinckmann, Kontrolle, S. 21.
6. Abschnitt: Die Kontrolle des automatisierten Verwaltungsaktes
247
trollieren kann14• Daneben will Brinckmann1s den Beginn der Klagefrist von einer Publizierung des Computerprogramms16 abhängig machen. Beide Forderungen sind jedoch abzulehnen. Unabhängig von Datenschutzgründen ist ein Zugangsrecht des Bürgers zu den behördlichen Datenspeichern schon deshalb nicht notwendig, weil er, anders als im Zivilprozeß, gar nicht die Beweislast für die Rechtswidrigkeit der Entscheidung trägt. Vielmehr gilt im Verwaltungsprozeß nach § 86 VwGO der Amtsermittlungsgrundsatz. Lediglich dann, wenn die Ermittlungen des Gerichtes nicht zu einem eindeutigen Ergebnis führen, kommt es darauf an, wer die Folgen dieses non liquet zu tragen hat. Den Bürger treffen sie nur bei der Verpflichtungsklage11 • Dort muß er aber nicht die Rechtswidrigkeit der verwendeten Ausgangsdaten, sondern das Vorliegen der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen beweisen. Dazu genügen regelmäßig die für ihn verfügbaren Unterlagen; ein Zugriff auf behördliche Datenspeicher ist dazu nicht erforderlich. Eine Abhängigkeit des Fristbeginns von einer Veröffentlichung des Programms wäre nur dann gerechtfertigt, wenn der Kenntnis dieses Programms eine besondere Bedeutung zukäme. Dieses ist aber zu verneinen, weil im Prozeß die Rechtmäßigkeit des Programms irrelevant isel!. Überdies würde eine derartige Veröffentlichung dem Bürger kaum einen Nutzen bringen, da es von einem Nicht-Fachmann kaum auf seine Übereinstimmung mit der gesetzli-
14 Poetuch-HeJfter, in: Reinermann, S. 16 (27), der ein solches Recht aus dem Rechtsstaatsprinzip ableitet; keine Grundlage solcher Auskunftsrechte ist Art. 19 IV GG (BVerwG, DVBI. 90, s. 707 (708); Schenke, VbIBW 82, s. 313 (326); anders aber Riegel, VOP 89, s. 156 (161) und Schapper, DRiZ 87, S. 221 (225». Bedenken gegen einen Informationsvorsprung der Verwaltung im Prozeß finden sich auch bei Simitis, NJW 71, S. 673 (679); Roßnagel, Möglichkeiten, in: Roßnagel, S. 177 (178); Zielinski, Die Verwaltung, Bd. 10 (1977), S. 197 (214); Brinckmann, Verwaltungsautomation, S. 30; Gebhardt, ÖVD 75, Heft 2, S. 52 (53); Vogel, in: Reinermann, S. 12 (21); Heußner, Sozialgerichtsbarkeit 76, S. 245 (251).
1S
Brinckmann, Kontrolle, S. 28.
16 Eine derartige Veröffentlichungspflicht für Computerprogramme ist de lege lata umstritten; verneinend Bult, Verwaltung, S. 148; bejahend dagegen Degrandi, S. 168; Grimmer, DVR 80, S. 323 (334); derselbe, in: Reinermann 1985, S. 305 (322); Podlech, DÖV 70, S. 473 (475); ferner Eberle I Garstka, ÖVD 72, Heft 6, S. 265 (266). Kalin, Zeitschrift für schweizerisches Recht, Bd. 107 (1988), S. 435 (460) regt statt dessen eine Einbeziehung dieser Information in die Akteneinsicht an. Eine solche hätte aber nicht die gleiche Wirksamkeit wie eine generelle Veröffentlichungspflicht, welche bei der Verwaltung eher zu einer sorgfältigen Eigenkontrolle führen dürfte. 11 Zur Beweislastverteilung im Anfechtungs- und Verpflichtungsprozeß siehe Eyermann I Fröhler I Kormann, VwGO, § 86 Rn. 6; MaUer-Heidelberg, Recht im Amt 70, S. 101 (105).
18
Vergleiche S. 240, 251.
248
2. Teil: Hauptteil
chen Grundlage geprüft werden kann. Dafür stünden auf der anderen Seite einer solchen Veröffentlichung unter Umständen urheberrechtliche Bedenken gegenüber. 3. Korrekturen der Beweislastverteilung
Das Beweisrecht bietet unabhängig von Gesetzesänderungen die Möglichkeit, Erschwerungen der Beweisführung für eine Partei adäquat zu berücksichtigen. Für die Überprüfung automatisierter Verwaltungsakte werden daher in der Literatur mehrere Modifizierungen der allgemeinen Beweislastverteilung vorgeschlagen. a) Beweislastumkehr zugunsten des Bürgers Zum Ausgleich der aufgezeigten Probleme bei der gerichtlichen Überprüfung des automatisierten Verwaltungsaktes wird gelegentlich vorgeschlagen, zugunsten des Bürgers eine Beweislastumkehr vorzunehmen. Danach soll es ausreichen, daß dieser die Rechtswidrigkeit des solchermaßen entstandenen Bescheides behauptet19 , um die Verwaltung zu verpflichten, nunmehr ihrerseits die ordnungsgemäße Funktion der eingesetzten Geräte nachzuweisen. Als Grund für eine solche Beweislastumkehr wird unter anderem vorgebracht, daß die fehlende Begründung solcher Bescheide dem Bürger die Beweisführung unzumutbar erschwereso. Ein derartiger Beweis dürfte der Verwaltung mindestens ebenso schwer fallen wie umgekehrt dem Bürger der Nachweis von Fehlerursachen innerhalb des automatisierten Verfahrensabschnitts. Auch gilt es zu beachten, daß die verbesserte Technik, außer in einzelnen Sondermaterien, inzwischen zu einer geringen Fehlerquote derartiger Bescheide geführt hat. Deshalb erscheint es nicht angemessen, der Verwaltung auf eine bloße Behauptung hin einen kaum
79 So z. B. äidler, S. 24. Zum gleichen Ergebnis gelangt Clemens, NJW 85, S. 1998 (2005) aufgrund einer Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen: Weil dem Bürger jede Zugriffsmöglichkeit auf den Computer fehle, entspreche nur eine derartige Beweissituation rechtsstaatlichen Erfordernissen.
so MaUer-Heidelberg, DVBI. 61, S. II (14). Dabei wird aber schon nicht ausreichend berücksichtigt, daß jedenfalls der Widerspruchsbescheid nach § 73 m I VwGO begründet sein muß. Wittmann, CR 88, S. 82 (83) weist daraufhin, daß die Beweisschwierigkeiten auch abhängig von der Größe des Computers sind; bei Großrechnern entstehen danach andere Probleme als bei einem Personal-Computer.
6. Abschnitt: Die Kontrolle des automatisierten Vetwaltungsaktes
249
zu führenden Nachweis zuzumuten. Das Problem ist nicht, daß ein Großteil der solchermaßen erstellten Bescheide rechtswidrig wäre, sondern liegt darin, daß es einige wenige Bereiche mit einer hohen Fehlerquote gibt. Die Lösung kann daher nicht in einem allgemeinen "Mißtrauensbeweis" gegen automatisierte Vetwaltungsakte, sondern nur in gezielten Verbesserungen bei einzelnen Prozessen liegen. Die Gegenansicht beruht zu einem Großteil noch auf dem früheren Stand der Technik mit einer entsprechend höheren Fehlerwahrscheinlichkeit. Auch übersieht sie in einem übertriebenen Mißtrauen gegen diese Form der Erstellung von Verwaltungsakten, daß bereits die Amtsermittlungspflicht im Verwaltungsprozeß dem Bürger zur Hilfe kommt. Wie oben gesehen 81 , können Beweisschwierigkeiten rur ihn nur bei der Verpflichtungsklage auftreten. Dort sind sie dann aber nicht automationsbedingt. Eine Umkehrung der Beweislast bei automatisierten Verwaltungsakten hätte nur im Rahmen einer Anfechtungsklage einen Sinn, könnte dann aber nur der dort beweisverpflichteten Verwaltung zugute kommen. Für diese erkennen einzelne Autoren einen primaJade-Beweis rur die Rechtmäßigkeit dieser Verrugungen an, sei es beschränkt auf den rein maschinellen Teil ohne die Dateneingabe82 , oder zugunsten des gesamten automatisierten Verwaltungsaktes83 • Danach genügt es nicht, daß der Bürger die Rechtmäßigkeit des Bescheides mit dem Hinweis auf die theoretische Möglichkeit eines Versagens der Maschine bestreitet. Vielmehr muß er konkrete Anzeichen rur einen Defekt benennen, um diese Vermutung zu erschüttern. Auch diese Ansicht ist aber abzulehnen. Sie übersieht, daß der Anscheinsbeweis nur rur Fragen der Kausalität, nicht aber rur solche der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit anwendbar ist84 • Steht die Rechtswidrigkeit des automatisierten Verwaltungsaktes aber erst einmal fest, so kann wohl kaum ausgeschlossen werden, daß ein automatisierter Verfahrensabschnit dafür ursächlich war. Bei der Festsetzung der Ausgangsdaten scheidet eine derartige Beweiserleichterung darüberhinaus auch deshalb aus, weil diese mit der manuellen Erstellung eines Bescheides vergleichbar ist, bei der es trotz oder gerade wegen § 43 I VwVfG keine entsprechende Vermutung gibt.
81
Vergleiche S. 247.
82 So nunmehr Maller-Heide/berg, Recht im Amt 70, S. 100 (105) in Abweichung zu seiner Ansicht in Fn. 80. 83
Bull, Vetwaltung, S. 170.
Eyermann I FriJh/er I Kormann, VwGO, § 86 Rn. 10; Kopp, VwGO, § 108 Rn. 18; so auch Redeker Iv. Oenzen, VwGO, § 108 Rn. 14. 84
250
2. Teil: Hauptteil
b) Annahme einer schuldhaften Vereitelung der Beweisführung Es entspricht allgemeinen beweisrechtlichen Grundsätzen, daß die schuldhafte Vereitelung einer Beweisführung dem erbrachten 'Beweis gleichsteht8s • Möglicherweise kann durch eine Anwendung dieses Grundsatzes die Stellung des Bürgers im Prozeß gegen einen automatisierten Verwaltungsakt gestärkt werden. Zu fragen ist, ob die Verwendung von Computern als schuldhafte Vereitelung des Beweises angesehen werden kann. Gegen eine Anwendung dieses Grundsatzes spricht aber schon das Verschuldenselement. Es erfordert grundsätzlich, daß die Verwaltung die Beweisschwierigkeiten bewußt und gezielt herbeiführt. Davon kann aber bei der Verwendung von Computern keine Rede sein. Sie sollen zu einer Rationalisierung der Verwaltungstätigkeit führen; Beweisprobleme sind lediglich eine mögliche Nebenfolge. Aber auch dann, wenn man mit Müller-Heidelberg86 im Bereich von EDVProzessen die objektive Vereitelung des Beweises ausreichen lassen würde, muß einer Anwendung dieses Beweisgrundsatzes, welche allein auf die Tatsache einer Automatisierung gestützt wird, widersprochen werden. Einer derartigen Einstufung steht die Funktionssicherheit solcher Verfahren sowie der allgemein übliche Einsatz in Verwaltung, Wirtschaft und Privathaushalten entgegen. Die fragliche Beweisregel ist darauf angelegt, dem Prozeßgegner in solchen Fällen zur Hilfe zu kommen, in denen eine Partei sich weigert, eine Handlung vorzunehmen, die von ihr berechtigterweise erwartet werden kann. Bei der Frage der Verwendung von Computertechnik aber muß man sich heute schon fragen, ob sich nicht derjenige unvernünftig verhält, der auf ihren Einsatz verzichtet. Allenfalls bei Amtshaftungsprozessen kommt eine Anwendung dieses Beweisgrundsatzes in Betracht, wenn die Verwaltung sich weigert, den zuständigen Beamten zu nennen oder ein Fehler der Maschine nicht auf ein menschliches Versagen ruckführbar ist87 • Insgesamt gesehen ist aber das Beweisrecht nicht geeignet, die erkannten Probleme bei der Kontrolle des automatisierten Verwaltungsaktes auszugleichen. Diese betreffen mehr die Einleitung des Gerichtsverfahrens als den
85 Redeker I v. Oertzen, VwGO, § 86 Rn. 11, 11 c; Eyennann I FrlJhler I Konnann, VwGO, § 86 Rn. 5, 10; Kopp, VwGO, § 86 Rn. 11. 86
Müller-Heidelberg, Recht im Amt 70, S. 100 (106).
87
Zu diesen Problemen siehe Popper, DV81. 77, S. 509 (513).
6. Abschnitt: Die Kontrolle des automatisierten Verwaltungsaktes
251
rechtshängigen Einzelfall, in dem allein Beweislastregelungen wirksam werden könnten.
4. Spezialisierung der Gerichte Weiterhin wird in der Literatur eine Spezialisierung der Verwaltungsgerichte vorgeschlagen. Brinckmann weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß wichtige Computerprogramme heute arbeitsteilig durch mehrere Bundesländer erstellt werden; dieses könne nicht ohne Folgen für die Kontrolle bleiben88 • Denkbar ist eine derartige Spezialisierung zunächst innerhalb des Verwaltungsgerichts. Nach § 21 e I GVG verteilt das Präsidium die Geschäfte. Dabei kann es auch auf das Kriterium eines EDV-Bezugs abstellen, wie dies 1986 erstmals am Landgericht München geschehen ist89 • Möglich wäre aber auch eine Spezialisierung zwischen den Gerichten90 , etwa nach dem Vorbild der Zuweisung der Wirtschaftskriminalität nach § 74 c GVG. Ullmann91 lehnt jegliche Spezialisierungen mit dem Hinweis ab, daß die EDV wie selbstverständlich zum Alltag gehöre und so jedem Richter geläufig sein müsse. Eine derartige Argumentation versperrt aber die Sicht für die tatsächlichen Gegebenheiten. Zwar dürfen sich die Gerichte dem Einzug der EDV nicht versperren92 • Es ist aber noch ein weiter Weg, bis ein entsprechendes Fachwissen wirklich bei jedem Richter vorausgesetzt werden kann. In dieser Übergangsphase könnte die Zuweisung automatisierter Bescheide an einen bestimmten Spruchkörper ein legitimer Weg sein, um eine größere Sachnähe des Richters und damit auch einen besseren Dialog mit den Sachverständigen sicherzustellen. Die Notwendigkeit einer solchen Spezialisierung ist jedoch auch nicht über Gebühr zu betonen. Zum einen wäre sie in erster Linie dann erforderlich, wenn der Richter die Entstehung der behördlichen Entscheidung über ihre
88 Brinckmann, Kontrolle, S. 29; so sieht z.B. § 20 I 1 FinanzverwaltungsG vor, daß die Steuerverwaltungen der Länder bei der Programmentwicklung das Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen herbeiführen müssen.
89
UUmann, CR 88, S. 68 (68).
90 Heußner, Sozialgerichtsbarkeit 76, S. 245 (247); Brinckmann, Kontrolle, S. 29 erwägt einen verstärkten Einsatz der Sprungrevision nach § 134 VwGO. 91
UUmann, CR 88, S. 68 (68).
92
Muser, BayVBI. 88, S. 326 (328); Albrecht, eR 88, S. 343 (346); Herr, DRiZ 86, S. 374
(374).
252
2. Teil: Hauptteil
Determinanten nachvollziehen will. Wenn dagegen, wie hier gefordert93, der Einzelfall auf seine Subsumierbarkeit unter die gesetzliche Grundlage geprüft wird, sind spezifische EDV -Kenntnisse kaum erforderlich. Auch diese Erleichterung der richterlichen Tätigkeit spricht daher gegen eine Kontrolle des Computerprogramms. Die Folge könnte sonst eine weitere Steigerung der Abhängigkeit des Richters von den Sachverständigen sein94 , die wegen der erforderlichen Sachkenntnisse nur aus dem Bereich der Verwaltung kommen könnten9s • Zum anderen läuft jede Spezialisierung in diesem Bereich Gefahr, durch die ständige Zunahme der Anzahl solcher Bescheide überholt zu werden. Wenn in naher Zukunft immer mehr Verwaltungsakte solchermaßen erstellt oder zumindest unterstützt werden können, könnten die "spezialisierten" Spruchkörper schnell die Mehrheit bilden und stattdessen Spezialisten für manuell erstellte Bescheide notwendig werden. 5. Einführung neuer Kontrollformen Schließlich werden in der Literatur bei automatisierten Verwaltungsakten neue Formen der Überprüfung in Erwägung gezogen. Brinckmann verweist dazu auf die Kontrolle durch besondere Beauftragte der Verwaltung96 • Ver-
93
Vergleiche S. 246.
94 Brinckmann, Kontrolle, S. 19; derselbe, Verwaltungsautomation, S. 70; Wieacker, Caemmerer-FS, S. 45 (69). Similis, Infonnationskrise, S. 39; Zeidler, S. 23, nach dem im Bereich des automatisierten Verwaltungsaktes aus Rechtsstreitigkeiten technische Kontrollen werden, die nur ein Ingenieur vornehmen könne; Fischerhof, NJW 69, S. 1193 (1193), Podlech, DVR 72, S. 149 (164) und Degrandi, S. 165 sehen hier Probleme für die richterliche Unabhängigkeit. Als eine legitime Alternative zur Abhängigkeit von Sachverständigen betrachtet Columbus, Berge-FS, S. 163 (177) die Verwendung von Expertensystemen durch den Richter.
9S Mit Lazaratos, S. 217 ist daher bei der Einführung einer Programmkontrolle zwar ein Distanzverlust zwischen der Verwaltung und den Gerichten zu befürchten; entgegen seiner Ansicht könnte dieser jedoch auch zu Lasten der Gerichte gehen. 96 Brinckmann, Verwaltungsautomation, S. 74; ähnlich Göttlinger, S. 175, der besondere Revisionsbeamte fordert. Streng zu unterscheiden ist ein solcher Beauftragter für die Überpriifung des Verfahrens von einem Datenschutzbeauftragten (siehe dazu etwa Degrandi, S. 169; Bull, CR 89, S. 523 (524); 1innefeld, CR 89, S. 637 (638); Schapper, DRiZ 87, S. 221 (225); Riegel, VOP 89, S. 156 (157); Similis, Infonnationskrise, S. 135; Gebhardt, ÖVD 75, Heft 2, S. 52 (55», der aber schon wegen seiner beschränkten Sanktionsmöglichkeiten und Tätigkeitsbereiche die Gerichtskontrolle nicht ersetzen kann.
6. Abschnitt: Die Kontrolle des automatisierten Verwaltungsaktes
253
schiedentlich wird auch die Einführung eines "Ombudsmanns" vorgeschlagenen, das heißt, einer unabhängigen öffentlichen Stelle, die in einem formfreien Verfahren eine Kontrolle des Programms beziehungsweise der einzelnen Entscheidung vornimmt. Allen diesen Vorschlägen ist jedoch gemeinsam, daß eine derartige Kontrollinstanz über ein erhebliches Fachwissen verfügen müßte, welches sie nur in enger Zusammenarbeit mit der Verwaltung erwerben könnte. Dann aber ist, zumindest aus der Sicht des betroffenen Bürgers, wiederum ihre Objektivität gefiihrdet, so daß die Akzeptanz durch die Betroffenen fraglich wäre98 • Daher können solche Versuche die Gerichtskontrolle keinesfalls ersetzen. Allenfalls als Alternative zum Widerspruchsverfahren sind sie in Betracht zu ziehen. IV. Resümee
Die gerichtliche Kontrolle des automatisierten Verwaltungsaktes führt ihrem verfassungsmäßigen Auftrag gemäß zu einem effektiven Individualrechtsschutz. Sie ist aber nicht dazu geeignet, die strukturellen Mängel des automatisierten Bescheides zu kompensieren. Schon unabhängig von den besonderen Problemen der Automation ist ein solcher wechselseitiger Ausgleich nur beschränkt möglich. Die Gerichtskontrolle erfaßt regelmäßig nur das Ergebnis, nicht aber das Verfahren seiner Gewinnung99 • Dazu kommt ein unterschiedlicher Beteiligtenkreis: Die gerichtliche Kontrolle ist stets abhängig vom Bestehen subjektiver Rechte, während die Verwaltung freiwillig den Beteiligtenkreis erweitern und so zusätzliche Gesichtspunkte berücksichtigen kann 100 • Dabei ist sie überdies in der Lage,
en Degrandi, S. 169; Sreinmaller, in: Kilian, S. 51 (66); Brinckmann, Kontrolle, S. 28. Im Zivilrecht ist bei EDV -Streitigkeiten inzwischen eine Schiedsklausel in den verwendeten Verträgen selbstverständlich geworden; innerhalb der Schiedsgerichtsbarkeit sieht Columbus, Berge-FS, S. 163 (176) ein legitimes Anwendungsgebiet für juristische Expertensysteme. 98
(748».
Hier gibt es auch im Zivilrecht bereits Akzeptanzprobleme (Jacoby, CR 90, S. 748
99 Grimmer, DVR 80, S. 323 (333); derselbe, ÖVD 80, Heft 12, S. 9 (15); derselbe, in: Grimmer, S. 341 (348); derselbe, in: Reinermann 1981, S. 600 (617); derselbe, DÖV 82, S. 257 (260); Degenhan, DVBI. 82, S. 872 (876); die Unterschiede zwischen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren betont auch der BGH, NJW 91, S. 1168 (1170).
100 Degenhan, DVBI. 82, S. 872 (876, 879); Ossenbahl, NVwZ 82, S. 465 (471); Sreinberg, DÖV 82, S. 619 (628). Nach Murius, NJW 82, S. 2150 (2151) ist eine Beteiligung am Verwaltungsverfahren überdies für den Betroffenen befriedigender als eine nachträgliche Kontrolle.
254
2. Teil: Hauptteil
die bestmögliche Entscheidung anzustreben, während das Verwaltungsgericht häufig nur die Einhaltung gewisser äußerster Grenzen kontrollieren kann lOl • Diese nur bedingte Eignung der Gerichtskontrolle zur Kompensation von Defiziten des Verwaltungsverfahrens wird durch die spezifischen Probleme des automatisierten Verwaltungsaktes bestätigt. Sie liegen in erster Linie in einer höheren Hemmschwelle für die Anrufung der Gerichte und in hohen Fehlerquoten in einigen wenigen Bereichen solcher Bescheide. Diese Probleme werden auf der Ebene der Gerichtskontrolle nicht weiter verschärft lO2 , aber auch nicht behoben. Wenn die automatisierte Erstellung den Betroffenen davon abhält, den Rechtsweg zu beschreiten, können dessen Vorteile nicht zum Tragen kommen. Der von Art. 19 IV GG geforderte Individualrechtsschutz wird durch den automatisierten Verwaltungsakt nicht in Frage gestellt. Ist eine Anfechtungsoder Verpflichtungsklage erst einmal rechtshängig, erfolgt eine ausreichende Einzelfallüberprüfung. Die vorgeschlagenen Verbesserungen von einer Programmkontrolle über Informationszugangsrechte des Bürgers bis hin zu einer Spezialisierung der Gerichte betreffen entweder frühere Stadien der Automation mit einer entsprechend höheren Fehlerquote oder wären nur dann erforderlich, wenn sich der Inhalt der richterlichen Prüfungstätigkeit ändert. Eine derartige Innovation ist aber abzulehnen, weil dadurch eine Gefährdung des Individualrechtsschutzes erfolgen würde. Der im Gegenzug ermöglichte Schutz von künftigen Adressaten solcher Verwaltungsakte ist keine verfassungsrechtlich gebotene Funktion der Gerichtskontrolle. Wenn jedoch die strukturellen Probleme des automatisierten Ausgangsverfahrens nicht kompensiert werden, besteht dort dringender als zuvor die Notwendigkeit von Veränderungen l03 • Diese Mängel können nicht länger mit
101 Degenhan, DVBI. 82, S. 872 (875); diese Begrenzung wirkt sich immer dann aus, wenn das materielle Recht lückenhaft ist (Krebs, DVBI. 84, S. 111 (113); Ossenbahl, NVwZ 82, S. 465 (470); Mulius, NJW 82, S. 2150 (2158». 102 Der These von einem Gesamtverbesserungskonzept fiir Ausgangsverfahren, Widerspruch und Gerichtskontrolle (Horn, S. 151-158; Brinckmann, Kontrolle, S. 27 f.; Grimmer, Rcchtsverwirklichung, S. 99; derselbe, in: Reinermann 1981, S. 600 (605» kann daher nur bedingt gefolgt werden. Notwendig sind in erster Linie Verbesserungen im Ausgangsverfahren und zum Teil beim Vorverfahren, nicht aber bei der Gerichtskontrolle. 103 Es ist in der Literatur anerkannt, daß Art. 19 IV GG mittelbar auch Aussagen fiir die Gestaltung des Verwaltungsverfahrens enthält (Degenhan, DVBI. 82, S. 872 (878); v. Milnch I Hendrichs, GG, Art. 19 Rn. 52; Maunz I Darig I Schmidt-Aßmann, GG, Art. 19 Rn. 248; skeptisch dagegen Mulius, NJW 82, S. 2150 (2153». Der Gerichtsschutz darf durch die Ausgestaltung
6. Abschnitt: Die Kontrolle des automatisierten VelWaltungsaktes
255
dem Hinweis relativiert werden, daß "im Hintergrund" die Möglichkeit einer effektiven Gerichtskontrolle steht lO4 • Notwendig ist vielmehr zum einen eine bessere Information des Bürgers, damit dieser künftig solchen Bescheiden kritischer gegenüber steht. Die zunehmende Verbreitung solcher Geräte in den Privathaushalten dürfte diese Aufklärung unterstützen und den automatisierten Bescheiden den "Nimbus der Unfehlbarkeit" nehmen. Zusätzlich ist stärker als zuvor die Notwendigkeit einer Begründung zu betonen. Wo trotz der Verpflichtung des § 73 III 1 VwGO Defizite bestehen bleiben, muß die Reaktion der Gerichte in einer Kostenentscheidung nach § 155 V VwGO bestehenlOS, um so der Verwaltung, unabhängig vom Prozeßausgang, die durch den Begründungsmangel verursachten Mehrkosten aufzuerlegen. Zum anderen erfordert die hohe Fehlerquote in einzelnen Bereichen des automatisierten Verwaltungsaktes, daß dort entweder die Sachverhaltsermittlung verbessert oder aber auf eine Automatisierung verzichtet wird. Notwendig ist letzteres insbesondere dort, wo die gesetzlichen Grundlagen durch Rechtsprechung und Literatur noch zu wenig präzisiert worden sind und die ProgrammersteIlung daher die Entscheidung vieler Zweifelsfragen erfordert. Keinesfalls dürfen die Rationalisierungstendenzen des Ausgangsverfahrens auch noch unbesehen auf die Gerichtskontrolle übertragen werden lO6 • Die Verfassung fordert unabdingbar eine effektive Einzelfallkontrolle. Anders als im Ausgangsverfahren ist hier eine späte, aber genaue Entscheidung einer schnellen, aber summarischen vorzuziehen, weil derartige Verzögerungen durch die Möglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes weitgehend ohne nachteilige Folgen für den Betroffenen bleiben.
des VelWaltungsverfahrens nicht beeinträchtigt werden. 104 Diese Einstellung ist zum Teil in der VelWaltungspraxis zu beobachten (Horn, S. 68; Grimmer, RechtsvelWirldichung, S. 92; Isensee, S. 186). Zur Kritik an einer derartigen Praxis Wieacker, Caemrnerer-FS, S. 45 (70), nach dem es nicht ausreicht, daß die automatisierte Entscheidung nur durch die Möglichkeit einer individuellen Nachprüfung mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar ist. 105 Bisher wurden von den Gerichten Verstöße gegen die Begründungspflicht kaum gerügt (Horn, S. 137; Grimmer, RechtsvelWirldichung, S. 57).
106 Grimmer, RechtsvelWirldichung, S. 98; Bachoj, DÖV 57, S. 564 (565); Maunz, BayVBI. 67, S. 86 (87).
Dritter Teil
Schlußteil Erster Abschnitt
Die Verpflichtung der Verwaltung zum Einsatz der EDV Bevor die für den automatisierten Verwaltungsakt ermittelten Defizite und Verbesserungsmöglichkeiten zusammengefaßt und die Frage nach dem Ausmaß der zu erwartenden Änderungen bei einem Übergang zur Informations- und Kommunikationstechnik gestellt werden soll, ist der umgekehrte Ansatz zu betrachten. Es ist zu fragen, ob es außer Begrenzungen auch eine Verpflichtung der Verwaltung zum Einsatz dieser neuen Technologie bei der Erstellung von Verwaltungsakten geben kann. Dabei ist zwischen der Benutzung vorhandener Geräte und einer Verpflichtung zu Neuanschaffungen zu differenzieren.
A. Die Verpflichtung der Verwaltung zur Benutzung vorhandener Geräte I. Die Benutzung von DokumentJltionssystemen
Allgemein anerkannt ist, daß die Verwaltung zur Benutzung vorhandener Informationssysteme verpflichtet ist, wenn diese zu einer Verbesserung der Entscheidungsfmdung führen. Eine derartige Verbesserung ist regelmäßig anzunehmen, weil Computer vollständige und entsprechend aufbereitete Informationen liefern. Als Grundlage einer solchen Verpflichtung wird die Beratungspflicht des § 25 VwVfG beziehungsweise die entsprechende Parallelvorschrift in AO 1977 und SGB-X herangezogen l .
I. Abschnitt: Die Verpflichtung zum Einsatz der EDV
257
11. Die Verpflichtung zur automatisierten Erstellung von Verwaltungsakten
Ein anderes Problem ist, ob die Verwaltung nach Auswertung dieser Informationen verpflichtet sein kann, den abschließenden Bescheid mit den vorhandenen Datenverarbeitungsanlagen zu erstellen. Reinermann betrachtet die Nutzung eines vorhandenen Technikpotentials als eine mögliche Bringschuld der Verwaltung 2 • Zu beachten ist jedoch, daß der Bürger schon wegen § 10 VwVfG keinen Anspruch auf ein bestimmtes Verfahren, sondern in erster Linie auf ein rechtmäßiges Ergebnis hat. Dieses aber muß schon wegen Art. 20 III GG im manuellen und im automatisierten Verfahren gleich beziehungsweise gleichwertig sein3 • Deshalb dürfte im Regelfall ein Anspruch des Bürgers auf eine automatisierte Erstellung des Verwaltungsaktes ausscheiden. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn dem Verfahren wegen vorhandener Lücken im materiellen Recht ein besonders intensiver eigenständiger Wert zukommt4 • In derartigen Fällen wäre zu berücksichtigen, daß ein automatisiertes Verfahren besonders rechtsstaatlich sein kann, weil es eine Willkür aus Anlaß des Einzelfalles ausschließt5 • Daher könnte sich ein Anspruch des Betroffenen auf Einbeziehung in das automatisierte Verfahren aus Art. 3 I GG ergeben, wenn andere
I Brinckmann, Formulare, S. 244; Gagel/ Gagei, AFG, vor § 142 Rn. 101; Osswald, S. 20, 26. Willms, VOP 87, S. 121 (121) stellt auf das Demokratieprinzip ab, aus dem die Information des Bürgers als eine Grundpflicht folge. Simitis, Informationskrise, S. 49, 51, 53 und Automation, S. 7 gelangt zum gleichen Ergebnis auf der Grundlage des Rechtsstaatsprinzips. Grimmer, in: Kilian, S. 237 (248) geht davon aus, daß aus den Grundrechten Leistungsanspriiche informationeller Art folgen können.
2 Reinermann, ÖVD 84, Heft 11, S. 77 (78); Grimmer, in: Reinermann 1985, S. 300 (323) hält eine solche Verpflichtung der Verwaltung jedenfalls bei einzelnen Aufgaben fiir möglich.
3 Grober, Diss. jur. Würzburg, S. 52; Ostermann, Die Verwaltung, Bd. 3 (1970), S. 129 (131). Auch die Rechtsprechung lehnt einen Anspruch des Bürgers auf ein bestimmtes Verfahren ab (z.B. BVerwGE 62,243 (246); BVerwG, NVwZ 83, S. 92 (92)); eine Ausnahme wird lediglich fiir das atomrechtliche Genehmigungsverfahren anerkannt (BVerfDE 53,30 (65)); eine Ausdehnung auf das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren wird dagegen abgelehnt (BVerfD, NVwZ 91, S. 369 (371)). 4
Vergleiche hierzu S. 134, 135.
5
Heußner, Sozialgerichtsbarkeit 76, S. 245 (251); Müller-Heide/berg, DVBI. 61, S. II (13).
17 Polomski
258
3. Teil: Schlußteil
Fälle auf diese Weise bearbeitet werden. Im Kernbereich der Automation aber, bei den Massenarbeiten der EDV, dürfte der Betroffene schon kein Interesse an einer automatisierten Bearbeitung seines Vorgangs haben, weil diese in Form der §§ 28 11 Nr. 4, 37 IV, 39 11 Nr. 3 VwVfG nur für die Verwaltung zu Erleichterungen führt.
B. Die Verpflichtung der Verwaltung zu Neuanschaffungen Noch problematischer als ein Anspruch des Bürgers auf die Benutzung vorhandener Geräte ist die Frage, ob die Verwaltung dazu verpflichtet sein kann, Datenverarbeitungsanlagen zu beschaffen, um einen automatisierten Bescheid erlassen zu können. Zum einen veraltern derartige Geräte in einem immer kürzer werdenden Zeitraum, zum anderen sind hochwertige Anlagen auch heute noch relativ teuer, so daß ein solcher Anspruch den Haushalt der Verwaltung vor große Probleme stellen würde. I. Verpflichtung aus haushaltsrechtlichen Gesichtspunkten
Sofern die Einführung von EDV-Verfahren gegenüber der manuellen Bearbeitung nachweisbar zu Kosteneinsparungen führt, könnte sich aus haushaltsrechtlichen Regelungen, wie etwa § 7 I HGrG oder § 7 I BHO, eine Verpflichtung der Verwaltung zu einem derartigen Verfahrenswechsel ergeben. Eine Verletzung solcher Vorschriften hat jedoch für den Bürger keinerlei Rechte zur Folge6 • Er kann die Einhaltung dieser Normen und damit auch eine eventuelle Pflicht zur Anschaffung solcher Geräte nicht durchsetzen. 11. Verpflichtung der Verwaltung aus anderen Gründen
Vereinzelt wird in der Literatur in bestimmten Konstellationen eine Verpflichtung der Verwaltung zur Durchführung automatisierter Verfahren angenommen. So spricht GageI' für das Sozialrecht im Bereich der infonnationellen Vorbereitung der Entscheidung von einem "Herstellungsanspruch" des
6 Bull, Verwaltung, S. 60. Es gibt im öffentlichen Recht keinen allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruch, vergleiche BVerwGE 39, 235 (237); 19,269 (271); 39, 345 (349).
7 Gagei! Gagei, AFG, vor § 142 Rn. 101, 223, der den Herstellungsanspruch neben der Verpflichtung zum Erlaß des Bescheides als zweites wichtiges Instrument zur Sicherung des Rechtsstaatsprinzips in der Verwaltung bezeichnet.
1. Abschnitt: Die Verpflichtung zum Einsatz der EDV
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Bürgers. Bu1l8 hingegen konstatiert einen Zwang zur Verwendung von Computern dann, wenn der Arbeitsanfall der Behörde sonst nicht mehr zu bewältigen ist. Schließlich wird noch darauf hingewiesen, daß Kostengesichtspunkte nicht die Benutzung veralteter Geräte rechtfertigen würden, wenn die neue Gerätegeneration den Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips besser gerecht werde9 • Allen diesen Fallgruppen ist jedoch gemeinsam, daß sie die Verwaltung nicht verpflichten, derartige Geräte gerade deshalb anzuschaffen, um den abschließenden Bescheid maschinell erlassen zu können. Dies gilt zunächst für GageI, der sich ausdrücklich nur auf die Vorbereitung der Entscheidung bezieht. Bull dagegen stellt zwar auf die Erstellung der Verfügungen ab. In dem von ihm genannten Fall ist aber primär der gesetzliche Anspruch darauf betroffen, überhaupt eine Entscheidung zu erhalten. Die Verwendung von Computern ist nur eine mittelbare Folge, um diesem Anspruch gerecht werden zu können. Schließlich besteht auch in der dritten Konstellation kein Anspruch auf ein automatisiertes Verfahren, sondern nur auf eine mit dem Rechtsstaatsprinzip zu vereinbarende Entscheidung. Daher dürfte es, wie schon bei der Frage der Benutzung vorhandener Geräte zur Erstellung des Verwaltungsaktes, erst recht keinen Anspruch des Bürgers auf Neuanschaffungen zu diesem Zwecke geben. Die dort genannten Gründe gelten auch hier. Hinzu kommt aber noch, daß ein derartiger Einführungsanspruch über berechtigte Individualinteressen 10 hinausgehen würde, weil er zUgleich die künftige Verfahrenspraxis der Verwaltung festlegt. Somit ist zusammenfassend davon auszugehen, daß es grundsätzlich nur im Bereich der elektronischen Informationssysteme Benutzungs- und gegebenfalls auch Anschaffungspflichten geben kann, die vom Bürger durchsetzbar sind. Dagegen ist nur in seltenen Ausnahmefällen ein Anspruch auf eine automatisierte Entscheidung als solche möglich. In dieser Frage sind also die Abwehrrechte wesentlich stärker ausgeprägt als die Leistungsrechte.
8
Bull, Verwaltung, S. 59 f.
9 Grober, Diss. jur. Würzburg, S. 101 hält es fiir einen Ermessensfehler, wenn die Behörde unübersichtliche Bescheide setzt, um die Kosten fiir eine verbesserte Anlage zu sparen; ähnlich Müller-Heidelberg, Recht im Amt 70, S. 101 (104). 10 Selbst dort, wo Grundrechte zu Leistungsansprüchen fiihren, stehen diese immer unter dem Vorbehalt dessen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft erwarten kann (BVerfGE 33,303 (333); 20, 162 (170); BVerwGE 27,360 (362); 52, 339 (346); I, 159 (161); 5,27 (71». Damit können aber nur solche Forderungen gemeint sein, die dem Einzelnen auch wirklich zugute kommen.
17·
Zweiter Abschnitt
Das Ausmaß der zu erwartenden Veränderungen bei einem Übergang zur Informations- und Kommunikationstechnik A. Ausblick Mehrere Teilelemente der Infonnations- und Kommunikationstechnik deuten darauf hin, daß die Verwaltung am Vorabend weitreichender Veränderungen steht. Diese arbeitsplatznahe und kommunikationsorientierte Technik könnte eine "neue Epoche der Verwaltungsautomation" auslösen ll • Dieses gilt zunächst für den internen Arbeitsablauf1 2 bei der Erstellung des Verwaltungsaktes. Es erfolgt eine Rückkehr zur ganzheitlichen Fallbearbeitung , welche nach einer Epoche immer weiterreichender Arbeitsteilung bedeutende Veränderungen im Verfahren zur Erstellung eines automatisierten Verwaltungsaktes bewirken wird l3 • Die Infonnations- und Kommunikationstechnik verän-
11 Reinennann, VOP 87, S. 49 (49); Steinmüller, in: Kilian, s. 51 (53); Ostennann, in: Ostennann, s. I (9); Bongen, Städtetag 86, s. 192 (195) will den Gegenstand der Verwaltungsautomation neu definieren; ähnlich Wissing, Städtetag 88, s. 393 (397); Weggen, Städte- und Gemeinderat 88, s. 185 (187); Eberle, Organisation, s. 50.
12 Derartige Änderungen des internen Arbeitsablaufs sind regelmäßig leichter möglich als ModiflZierungen der externen Gliederung der Verwaltung (so auch Poetzsch-HeJfier, in: Reinermann, S. 625 (628); Grimmer, in: Traunmüller, S. 28 (39); Ostennann, Städtetag 88, S. 662 (665); Winkilmper, Die Verwaltung 83, S. 161 (175); Kübler, S. 174. Kompetenzprobleme können dagegen auch hier entstehen (Fiedler, in: Traunmüller, S. 128 (136); Schimmel, in: Traunmüller, S. 179 (180». 13 Siehe dazu Kübler, S. 97; Reinermann, VOP 89, S. 126 (145); Kieser, in: Traunmüller, S. 42 (48); Grimmer, DÖV 82, S. 257 (265); Kassner, in: Ostermann, S. 143 (182); Giehl, BayVBI. 88, S. 321 (324); Weggen, Städte- und Gemeinderat 88, S. 185 (186); Ehlers, Jura 91, S. 337 (338); Eberle, Die Verwaltung 87, S. 459 (466) sieht hierin das Ende der Taylorisierung der Verwaltung.
2. Abschnitt: Das Ausmaß der zu erwartenden Änderungen
261
dert die Einzelfallbearbeitung in ihrer Substanzl4 • Mit einer derartigen Form der Arbeitsgestaltung würde sich der automatisierte Verwaltungsakt wieder mehr den Vorstellungen des Gesetzgebers bei der Konzeption des Rechtsschutzes annähern IS , so daß sich Anpassungen in diesem Bereich als überflüssig erweisen könnten. Begleitet wird diese Rückkehr zur ganzheitlichen Fallbearbeitung von einer fortlaufenden Verdrängung des Mediums Papier durch elektronische Speicherungen. Diese Entwicklung kann unter dem Stichwort "papierloses Büro"16 zusammengefaßt werden. Zumindest in den nächsten Jahren wird es aber noch bei einem Nebeneinander beider Dokumentationsformen bleiben 17 • Maßgeblich beeinflußt wird das künftige Verfahren auch durch die Verstärkung von Kommunikationselementen, welche die besondere neue Qualität dieser Technik ausmachen. Teletex, Telefax und BTX werden sowohl die Kommunikation zwischen mehreren Verwaltungsträgern l8 als auch die Bezie-
14 Reinennann, Verwaltungsautomation und Fortbildung, S. 27. Die weitreichende Wirkung technischer Veränderungen rührt auch daher, daß die Verwaltungstätigkeit zu einem großen Teil als Infonnationsverarbeitung begriffen werden kann (Mundhenke, in: Fischer, S. 68 (68); Bongen, Städtetag 86, S. 192 (195); enger dagegen Lenk, DVBI. 74, S. 832 (833».
15
Vergleiche dazu S. 240, 241.
Giehl, BayVBI. 88, S. 321 (323); Wissing, Städtetag 88, S. 393 (398); Weggen, Städte- und Gemeinderat 88, S. 185 (186); Lenk, eR 86, S. 294 (297); Brinckmann, Fonnulare, S. 19; weitere Fortschritte wird dabei die Verbesserung von Scannern und die Entwicklung einer Spracheingabe bringen (Göttrup, Studium generale, Bd. 21 (1968), S. 1107 (1109); Wittkdmper, Städte- und Gemeinderat 88, S. 177 (181». 16
17 Ehlers, Jura 91, S. 337 (342) gelangt zu einem Verbot einer rein elektronischen Dokumentation, weil eine solche das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 I 1 Vwvro zu sehr beschränken würde. Für eine Führung paralleler Handakten in besonders sensiblen Bereichen auch Wedde, in: Roßnagel, S. 67 (73); Herden I Karrer, ÖVD 77, Heft 6, S. 8 (11); Jähnig, ADV, S. 110. Dafür spricht, daß § 29 I I Vwvro auf elektronische Speicherungen grundsätzlich nicht anwendbar ist (Stelkens I Bonk, Vwvro, § 29 Rn. 5; Ordemann I Schomerus, BDSG, § 13 Anm. 1; anders aber Schmitz, Verwaltungsrundschau 91, S. 213 (217». In der Praxis wird sich eine solche Forderung aber wohl kaum durchsetzen lassen, weil der Aufwand für solche Doppelspeicherungen zu groß ist. Die Lösung kann nicht in einem Verbot der elektronischen Alleindokumentation, sondern nur in einer Stärkung der Einsichtnahme nach § 13 BDSG unter gleichzeitiger Erhöhung des Beweiswertes solcher Speicherungen liegen. Der alte Grundsatz "quod non est in actis, non est in mundo· verliert hier schleichend seine Berechtigung. 18 So wäre es sinnlos, zunächst zur Übermittlung von Informationen Teletex einzusetzen, um dann anschließend den durch das Medium Papier geprägten Dienstweg einzuhalten (Eberle, Die Verwaltung 87, S. 459 (469); Reinennann, Verwaltungsautomation und Fortbildung, S. 37; für BTX auch Schimmel, in: Traunmüller, S. 179 (181».
262
3. Teil: Schlußteil
hung zum Bürger als Adressaten des automatisierten Verwaltungsaktes verändern. Schließlich wird zu den 90er Jahren die Auseinandersetzung mit den neuen Formen der künstlichen Intelligenz gehören. Hier sind es vor allem die Expertensysteme, welche die Tätigkeit des Juristen entscheidend beeinflussen könnten l9 • Zu diesen Veränderungen der internen Arbeitsgestaltung könnten solche bei der äußeren Behördenorganisation hinzutreten. Möglicherweise läßt sich die Behörde der Zukunft in erster Linie als Kommunikationsschnittpunkt begreifen20 • Von besonderem Interesse sind dabei Projekte wie das Bürgeramt in Unna, welche kompromißlos die Kommunikationstechnik zur Umgestaltung der Verwaltung nach den Bedürfnissen des Bürgers nutzen21 • Auch die Diskussion um die Möglichkeiten einer Verteilung der Hauptstadtfunktionen zwischen Bonn und Berlin durch die Nutzung von Videokonferenzen22 zeigt die aktuelle Brisanz dieser Kommunikationstechniken. Somit stehen von Seiten der Technik alle Zeichen auf weitreichende Reformen im Verwaltungsalltag. Stärker als bei der Einführung der Automation2J kann und muß aber diesesmal auch den rechtlichen Forderungen eine legitime Begrenzungsfunktion zukommen. Die Vorteile der Informations- und Kommunikationstechnik lassen sich nur dann nutzen, wenn die gegenwärtige Organisation und Verfahrensgestaltung nicht einfach übernommen beziehungsweise
19 Eberle, eR 88, S. 258 (260); Lenk, Verwaltungsrundschau 87, S. 306 (306); Traunmüller, in: Reinennann, S. 100 (116); Fiedler, in: Reinennann, S. 43 (50); Reinennann, VOP 87, S. 44 (49); Wittkamper, Städte- und Gemeinderat 88, S. 177 (181); Reinennann, VOP 89, S. 126 (152). Dieses gilt aber nicht für den Erlaß des Verwaltungsaktes, vergleiche S. 101.
20 Podlech, DVR 72, S. 149 (167); Debusmann, VOP 87, S. 257 (261); Kerkau, ADV, S. 57 hält ein Modell der öffentlichen Verwaltung allein nach kybernetischen Gesichtspunkten mit einer Neukonzeption von Aufgaben und Zuständigkeiten für möglich. Nach Osswald, S. 27 können Anpassungen der Organisation an die Bedingungen der Technik vom sozialen Rechtsstaat zwingend gefordert sein. 21 Siehe zu diesem Projekt Uedtke, Aus Politik und Zeitgeschichte, Bd. 19 (1989), S. 25 ff.; Wedde, in: Roßnagel, S. 67 (85). Allerdings stehen derartigen Projekten auch massive Datenschutzprobleme entgegen.
22
Siehe dazu Der Spiegel 1991, Nr. 25 aus 1991, S. 18 (19).
Dort ist es eher noch zu einer weiteren Verfestigung der alten Strukturen gekommen (Lenk., DVBI. 74, S. 832 (835); Grimmer, in: Traunmüller, S. 28 (34); Kuhlmann, in: Grimmer, S. 223 (307); Weggen, Städte- und Gemeinderat 88, S. 185 (188)). 2J
2. Abschnitt: Das Ausmaß der zu erwartenden Änderungen
263
partiell fortentwickelt wird24 • Notwendig ist vielmehr eine lückenlose Überprüfung der gesamten Struktur und Organisation der Verwaltung, bei der alle Faktoren (Mensch, Organisation, Technik) zur Disposition stehen müssen. Aus Anlaß dieser Umgestaltung können und müssen auch rechtliche Vorgaben berücksichtigt werden. Insbesondere ist dabei auf eine Verbesserung der Bürgemähe der Verwaltung Wert zu legenlS , weil es in diesem Bereich durch die Automation zu Defiziten gekommen ist, die sich auf den automatisierten Verwaltungsakt nachteilig auswirken. Unter Berücksichtigung dieser berechtigten Belange des Bürgers könnte die Zukunft der Verwaltungsautomation in einer Verbindung von dezentraler Datenverarbeitung und zentraler Speicherung unter Nutzung der neuen Kommunikationstechniken liegen26 •
24 Kerkau, ADV, S. 13; Frankenbach / ReinemJann, S. 37, 163; Handrock, ÖVD 82, Heft 5, S. 105 (107); Ehlers, VOP 89, S. 58 (59); Vogel, in: ReinemJann, S. 12 (17); Kubicek, in: Garstka, S. 208 (214); Sadler, in: ReinemJann, S. 274 (287); Lenk, in: ReinemJann, S. 354 (356); Grimmer, in: Traunmaller, S. 28 (38); Treeck, in: Traunmaller, S. 329 (332); SchlJjer, S. 180; ReinemJann, VOP 89, S. 126 (145); derselbe, VOP 87, S. 49 (52); derselbe, ÖVD 83, Heft 2, S. 67 (70) fordert eine Bauhaus-Bewegung fiir die Verwaltungsautomation. Nach Mundhenke, in: Fischer, S. 68 (80) sind bei dem Übergang zu dieser Technik sechs Gestaltungsprinzipien zu beachten; skeptisch bezüglich größeren Veränderungen in der Autbau- und Ablauforganisation aber Grimmer, in: Garstka, S. 335 (346). lS Diese Forderung erheben Grimmer, DÖV 82, S. 257 (265); derselbe, in: Garslka, S. 335 (346); derselbe, Die Verwaltung 86, S. 249 (253); derselbe, in: ReinemJann 1981, S. 600 (610); Garstka, lhrb. der Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 7 (1980), S. 233 (239); Reichardl, in: Fischer, S. 11 (16); Bihl, ÖVD 79, Heft 3, S. 10 (12); Eberle, Die Verwaltung 87, S. 459 (473). Nach Winkämper, Die Verwaltung 83, S. 161 (170) entstehen hier neue Möglichkeiten der Humanität der technischen Massenverwaltung.
26 BebemJeyer, DÖV 84, S. 972 (974); Jungesblut, Diss. wiwi. u. sozial. Kassel, S. 171; ReinemJann, Verwaltungsautomation und Fortbildung, S. 19; Sendler, in: ReinemJann, S. 165 (174); Mundhenke, in: Fischer, S. 68 (72); Grochla, in: Garstka, S. 113 (115); Hasenritter, Verwaltungsrundschau 86, S. 249 (253) prophezeit ein Nebeneinander von Automation und Informations- und Kommunikationstechnik.
264
3. Teil: Schlußteil
B. Verwaltungsrefonn durch die Infonnationsund Kommunikationstechnik Mit dem Begriff "Verwaltungsreform" bezeichnet man die umfassende, periodisch erfolgende Überprüfung der Verwaltungstätigkeit mit dem Ziel einer Stärkung der Verwaltungskraft27 • Da die Informations- und Kommunikationstechnik einer Verbesserung der Leistungsfarugkeit der Verwaltung dient, könnte es gerechtfertigt sein, auch für die durch sie zu erwartenden Veränderungen den Begriff VeJWaltungsreform zu verwenden. Bisher wurde dieser Terminus bei Modifizierungen in den Bereichen Dienstrecht, Funktion der Verwaltung und räumlicher Zuschnitt der Verwaltungseinheit benutzt. Das bekannteste Beispiel ist die Gebietsreform der Jahre 1968-197828 • Die Informations- und Kommunikationstechnik betrifft aber weniger die institutionelle Gliederung der Verwaltung als vielmehr bestimmte Arbeitstechniken und den internen Ablauf der Bearbeitung, so daß hier ein neuer Ansatz für Verwaltungsreformen definiert werden müßte. Vor allem Reinermann29 vertritt vehement die These von einer Verwaltungsreform durch die Informations- und Kommunikationstechnik, weil diese alle Bereiche der Verwaltungstätigkeit berühre, neue Formen der Arbeitsorganisation ermögliche und erstmals die Beziehung zum Bürger in derartige Reformbestrebungen einbeziehe.
27 Markull, VerwArch., Bd. 48 (1957), s. 5 (9); Krause, Diss. rer. pub!. Speyer, s. 28; Brinckmann, Verwaltungsautomation, S. 22; derselbe, ÖVD 79, Heft 11, S. 19 (20); Ostennann, Städtetag 88, S. 662 (663). Das Gegenteil einer Verwaltungsreform sind die permanent erfolgenden Rationalisierungsbestrebungen. 28 Im Zusammenhang mit der Gebietsreform besteht Einigkeit, daß dort die Möglichkeiten der Automation nicht hinreichend berücksichtigt wurden. Zwar diente sie gelegentlich als Vorwand für die Durchführung dieser Reform, aber die durch sie bewirkte Stärkung der Verwaltungskraft wurde beim Zuschnitt der Verwaltungseinheiten nicht ausreichend in Rechnung gestellt (Brinckmann, Verwaltungsautomation, S. 24; Lenk, DVB!. 74, S. 832 (834); Schauß, Landkreis 69, S. 21 (23); Krause, Diss. rer. pub!. Speyer, S. 130; Osswald, S. 29, 42). Hier kann die Informations- und Kommunikationstechnik dazu dienen, die Nachteile der Gebietsreform zu verringern (Ostennann, in: Ostennann, S. I (26, 53); Broß, Städte- und Gemeindebund 87, S. 128 (132».
29 Reinennann, Öff. Verwaltung und Informationstechnik, S. 25, 27; derselbe, Verwaltungsautomation und Fortbildung, S. 12,24; derselbe, ÖVD 84, Heft 11, S. 77 (78); derselbe, VOP 87, S. 49 (55). Daneben halten auch andere Autoren eine Verwaltungsreform durch den Übergang zur Informations- und Kommunikationstechnik für möglich, weil diese zu einer neuen Symbiose von Technik und Verwaltung führe (so z.B. Ostennann, Städtetag 88, S. 662 (663); Grimmer, VOP 88, S. 11 (20); Mundhenke, in: Fischer, S. 68 (83); Frankenbach I Reinennann, S. 123).
2. Abschnitt: Das Ausmaß der zu erwartenden Änderungen
265
Auf der Grundlage der technischen Möglichkeiten und rechtlichen Rahmenbedingungen dürfte eine derartige Einstufung der Informations- und Kommunikationstechnik in der Tat gerechtfertigt sein. Die Voraussetzungen für weitreichende Veränderungen sind wesentlich günstiger als bei der integrierten Datenverarbeitung, weil in diesem Bereich keine verfassungsrechtlichen Organisationsprinzipien zu Begrenzungen führen. Inwieweit es durch die Informations- und Kommunikationstechnik aber tatsächlich zu einer Verwaltungsreform kommen wird, hängt von einer Vielzahl weiterer Faktoren ab, deren Entwicklung sich einer eindeutigen Vorhersage entzieht. Dabei wird dem faktischen Informationsverhalten30 der Verwaltungsmitarbeiter eine Schlüsselrolle zukommen. Ferner wirken hierbei auch Aspekte der allgemeinen Innovationsfähigkeit der Verwaltung mit, die eher zur Beständigkeit neige l • Schließlich haben auch politische Entscheidungen sowie die vorhandenen Haushaltsmittel eine große Bedeutung. Diese Faktoren scheinen angesichts der Kosten der Wiedervereinigung Deutschlands eher gegen großangelegte Veränderungen in der nächsten Zukunft zu sprechen.
30 Aus diesem Grund zweifelt Dieke, in: Reinennann, s. 51 (54) sm Eintritt umfangreicher Veränderungen und prophezeit stattdessen eine Konsolidierung der laufenden Anwendungen der Automation sowie eine Beseitigung ihrer Schwächen. Auch Grimmer, Die Verwaltung 90, s. 25 (31) geht davon aus, daß praktisch nie alle vorhandenen Informationsquellen auch tatsächlich genutzt werden. 31 Lenk, in: Reinennann, S. 625 (628); Grimmer, in: Traunmüller, S. 28 (39); derselbe, VOP 88, S. 11 (21); derselbe, in: Gamka, S. 335 (343); derselbe, Die Verwaltung 90, S. 25 (46); Ostennann, Städtctag 88, S. 662 (665); Wittkämper, Die Verwaltung 83, S. 161 (175); Kubicek, in: Gamka, S. 208 (214); Kübler, S. 174; Schil1o, eR 91, S. 54 (56) konstatiert diese Tatsache auch für die Gerichtsverwaltung .
Dritter Abschnitt
Mögliche Verbesserungen für den automatisierten Verwaltungsakt bei diesem Übergang Die Einführung der Informations- und Kommunikationstechnik bringt eine erhebliche Ausweitung der Möglichkeiten einer technischen Unterstützung des Verwaltungsverfahrens mit sich. Der solchermaßen entstehende Freiraum muß dazu genutzt werden, wünschenswerte Verbesserungen für den automatisierten Verwaltungsakt in den Umstellungsprozeß einzubeziehen. Es entsteht hier die Chance, seine erkannten Defizite auszugleichen, ohne gleichzeitig die Anwendungsmöglichkeiten derartiger Verfahren beschränken zu müssen.
A. Verbesserungen im Verhältnis zum Bürger Die durch den verbesserten Technikeinsatz in der Verwaltung entstehenden Freiräume und freiwerdenden Ressourcen müssen in erster Linie dazu genutzt werden, die berechtigten Interessen des Bürgers stärker in das automatisierte Verfahren zu integrieren, aus dem sie bisher weitgehend verdrängt worden sind. Dabei ist zwischen der Verbesserung der Beteiligung am Verfahren und der Gestaltung des abschließenden Bescheides zu unterscheiden.
I. Stärkung der Stellung des Bürgers im Verwaltungsverfahren
Zunächst ist es gerade in einem automatisierten Verfahren erforderlich, den Bürger an der Entstehung der Entscheidung zu beteiligen, um ihm nicht das Gefühl zu geben, lediglich Objekt des Verfahrens zu sein. Deshalb empfiehlt sich eine restriktive Anwendung des § 28 11 Nr. 4 VwVfG. Zugleich ist bei der Durchführung der Anhörung sicherzustellen, daß der Bürger nicht auf rein formale Kontaktmöglichkeiten beschränkt wird32• Eine strikte Bindung an
3. Abschnitt: Mögliche Verbesserungen für den automatisierten VA
267
Formulare ohne jeden Freiraum für weitere Erklärungen kann den Sinn einer Anhörung nur beschränkt erfüllen. Zu verbessern ist weiterhin die Amtsermittlung, die gegenwärtig durch eine bedenkliche Standardisierung gekennzeichnet ist. Hier könnte eine stärkere Einbeziehung des Bürgers die Qualität der Entscheidung wesentlich verbessern. Notwendig ist eine Möglichkeit der Verwaltung, jederzeit in den maschinellen Ablauf eingreifen zu können33 , um berechtigte Anliegen des Bürgers zu berücksichtigen. Unter Beachtung des § 28 11 VwVfG ist nur in beschränktem Umfang eine Übertragung der Aufklärungslast auf den Bürger möglich. Sinnvoll wären aber Motivationsmaßnahmen für seine freiwillige Mitwirkung. Zu denken ist etwa an die Aussicht auf einen sofortigen Erhalt der Verfügung oder an "Mahnbescheide", in denen dem Bürger der Sinn der Mitwirkung erläutert wird34 • Ergänzend ist er schon im Vorfeld der eigentlichen Kontaktaufnahme über die notwendigen Unterlagen zu belehren, um unnötige Behördenbesuche zu vermeiden. Aber auch über diese Belehrung hinaus hat die Beratung und Auskunft in einem automatisierten Verfahren eine entscheidende Bedeutung für die Verringerung der Belastungen des Bürgers. Daher müssen die Stellen, die zu einer solchen Beratung verpflichtet sind, im Bescheid angegeben werden35 , um bei Rückfragen schneller erreichbar zu sein. Der Übergang zur Informations- und Kommunikationstechnik dürfte auch für diese Verwaltungstätigkeit wesentliche Erleichterungen bewirken, indem er die Kommunikation mit dem Bürger von zeitlichen und räumlichen Beschränkungen befreit. Allein darin liegt schon ein
32 Fiedler, in: Traunmüller, S. 128 (134); Grimmer, Die Verwaltung 90, S. 25 (43); Heußner, Sozialgerichtsbarkeit 76, S. 245 (247). Zu beachten ist, daß auch interne Organisationsregeln den Kontakt der Verwaltung zur Außenwelt regeln und deshalb den Bürger nicht zu sehr beschränken dürfen (Brinckmann, Formulare, S. 227; Grimmer, VOP 88, S. 11 (16». 33 Grimmer, in: Reinermann 1985, S. 305 (324); Bühnemann, DÖV 69, S. 344 (345); Berg, Diss. jur. Köln, S. 30. Diese Steuerung setzt nicht nur voraus, daß überhaupt eine Eingriffsmöglichkeit im Programm vorgesehen ist; vielmehr muß dieses dem Menschen auch genügend Zeit zum Einreifen geben. So soll der Störfall im Atomkraftwerk Harrisburg nicht durch einen Programmfehler, sondern deshalb eingetreten sein, weil das Bedienungspersonal die gelieferten Informationen nicht schnell genug verarbeiten konnte.
34 Grimmer, Rechtsverwirklichung, S. 82, 83, 86 erwägt daneben eine Verpflichtung des Sachbearbeiters zur persönlichen Kontaktaufnahme mit dem Betroffenen. In der automatisierten Arbeitsvermittlung hat die Aussicht auf einen sofortigen Bescheid bereits zu Verbesserungen der Ermittlung geführt (Grimmer, Die Verwaltung 90, S. 25 (43». 35
Grimmer, Rechtsverwirklichung, S. 83.
268
3. Teil: Schlußteil
legitimes Bedürfnis für diesen Wechsel 36 • Zugleich kann die Beratungspflicht des § 25 VwVfG aber auch als Beispiel für die Grenzen der Automation dienen. Bei einem Bedürfnis nach persönlicher Betreuung verlieren alle Rationalisierungsbestrebungen ihre Berechtigung37 • Zu erwägen ist in diesem Zusammenhang auch eine Erleichterung der Akteneinsicht. Diese ist nach § 29 III VwVfG nur "bei der Behörde" möglich. Diese Regelung beruht auf der Vorstellung des Gesetzgebers, daß eine Herausgabe der Akten für die Verwaltung zu zusätzlichen Belastungen und Unsicherheiten führen würde. Wenn aber mittels Telefax eine Übermittlung ohne derartige Nebenfolgen möglich ist, könnte im Rahmen einer pflichtgemäßen Ermessensentscheidung auch eine Übertragung in die Privat- oder Geschäftsräume des Bürgers zu erwägen sein. Damit würde die Informations- und Kommunikationstechnik die langen Wege verkürzen, die durch die Gebietsreform eingetreten sind. Eine derartige Effektuierung der Akteneinsicht könnte die Verwaltung im wahrsten Sinne des Wortes zu einer "öffentlichen" machen. Eine solchermaßen insgesamt gestärkte Beteiligung des Betroffenen am Verwaltungsverfahren erhöht die Wahrscheinlichkeit, daß auch eine automatisierte Entscheidung im Regelfall akzeptiert wird. Auf der anderen Seite dürfen aber die Belastungen des Bürgers durch diese Einbeziehung eine gewisse Toleranzschwelle nicht überschreiten; auch die "Freiheit des Bürgers ist im Verfahren einzuprogrammieren "38.
36 Osrermann, in: Osrermann, S. 1 (64); Heußner, Sozialgerichtsbarkeit 76, S. 245 (248); Grimmer, Rechtsverwirklichung, S. 100 f. Die Grundsätze zum bürgergerechten Einsatz von ADV in der öffentlichen Verwaltung, DVR 80, S. 287 (292) fordern bereits, daß die Verständigung mit dem Bürger zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort in angemessener Form und Qualität erfolgt. 37 Sendler, in: Reinermann, S. 165 (168); Maunz, BayVBI. 67, S. 86 (87); Birk, in: Dömer, S. 134 (137); Wirrkämper, Die Verwaltung 83, S. 161 (178), der dafiir das allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie das Sozialstaatsgebot in Art. 20, 28 GG heranzieht. Neeße, Zeitschrift fiir Beamtenrecht 67, S. 353 (356) sieht in einer automatisierten Beratung einen möglichen Verstoß gegen Art. I I GG; allgemein zur persönlichen Betreuung des Bürgers auch Degrandi, S. 129; Kübler, S. 106; Grimmer, in: Reinermann 1985, S. 305 (325); derselbe, in: Reinermann 1981, S. 600 (621), wo er auf eine Verpflichtung aus dem Gesamtprogramm der Grundrechte abstellt. Derselbe, DVR 80, S. 323 (334) fordert eine rechtliche und institutionelle Absicherung der Beratung, ist aber skeptisch, ob ihre Ausweitung auch tatsächlich erfolgen wird (Grimmer, in: Garsrka, S. 335 (345». Möglich und zulässig ist dagegen eine technische Unterstützung des Amtswalters bei der Beratung durch Informationssysteme .
38
Heußner, Sozialgerichtsbarkeit 76, S. 245 (252).
3. Abschnitt: Mögliche Verbesserungen fiir den automatisierten VA
269
11. Verbesserungen der Gestaltung des Bescheides
Eine wichtige Möglichkeit zur Verbesserung des Verhältnisses von Verwaltung und Bürger ist die bewußte äußere Gestaltung des automatisierten Bescheides. Gerade dort, wo eine stärkere Verfahrensbeteiligung nicht möglich ist, kann sie ein erhebliches Spannungspotential automatisierter Verfahren abbauen. Technisch gibt es dabei keine Probleme mehr. Soweit auch heute noch unleserliche Bescheide erlassen werden, ist dies allein die Folge einer fehlenden Anpassung der Verwaltung an den technischen Fortschritt. Man könnte daran denken, das Prinzip der Verständlichkeit solcher Bescheide ausdrücklich im VwVfG zu verankem39 • Indes käme der Aufnahme einer solchen Norm nur eine deklaratorische Bedeutung zu, weil sich diese Verpflichtung schon aus § 37 I VwVfG beziehungsweise Gesichtspunkten des Rechtsstaatsprinzips ergibt. Wichtiger als eine neue Norm ist die Beachtung dieses Postulats in der Praxis. Begleitende Unterlagen sind bürgergerecht aufzuarbeiten40 • Der Bescheid selbst ist dagegen von unnötigem Ballast zu befreien. Wo für wesentliche Elemente, wie Unterschrift und Begründung, Ausnahmen vorgesehen sind, darf der Bescheid nicht im Gegenzug mit Nebensächlichkeiten überfrachtet werden, die allein für die Verwaltung von Interesse sind. Unvermeidliche Abweichungen der Gestaltung von herkömmlichen Bescheiden sind dem Bürger zu erläutem41 • Auf die besondere Bedeutung einer Begründung wurde bereits mehrfach hingewiesen42 • Gerade die Kumulation von fehlender Anhörung und fehlender Begründung erscheint bedenklich, weil sie den Bürger über den Ablauf der Entscheidungsfindung völlig im unklaren läßt. Daran ändert sich auch nichts, wenn die Ermessensentscheidung über das Absehen von einer Anhörung begründet wird43 , weil derartige Erläuterungen regelmäßig nur schematisch erfolgen.
39
Simitis, Informationskrise, S. 129.
40
Ostermann, in: Ostermann, S. I (66); Eberle I Garslka, ÖVD 72, Heft 6, S. 265 (266).
Bihl, ÖVD 79, Heft 3, S. 10 (12); so auch die Grundsätze zum bürgergerechten Einsatz der ADV in der öffentlichen Vetwaltung, DVR 80, S. 287 (292); Degrandi, S. 128; Scholz, Landkreis 87, S. 156 (158). Doberer, S. 173 fordert, daß Erschwerungen fiir den Bürgerin sinkenden Tarifen zum Ausdruck kommen müssen, wo immer dieses möglich ist. 41
42
Siehe etwa S. 164 ff., 255.
43
Für eine derartige Verpflichtung Ehlers, Jura 91, S. 337 (341) und Lazaralos, S. 189 f.
270
3. Teil: Schlußteil
B. Organisatorische Verbesserungen Neben derartigen Verbesserungen für den Bürger im Rahmen der Beteiligung am Verfahren und der Gestaltung des Bescheides erfordert die Veränderung der Arbeitsorganisation im Zuge des Übergangs zu dieser neuen Technik zusätzliche Reglementierungen des internen VelWaltungsablaufs. Wichtig ist vor allem eine adäquate Reaktion auf die Zunahme elektronischer Speicherungen. Wo Löschungen und Veränderungen spurlos möglich sind44 , müssen Organisationsregeln die Zurechnung von bestimmten Phasen der Erstellung des automatisierten VelWaltungsaktes zu einem bestimmten Mitarbeiter sichern4S • Als notwendig wird sich dabei die Entwicklung einheitlicher Richtlinien der Verfahrensdokumentation elWeisen46 , die in allen automatisierten Verfahren Anwendung finden. Eine derartige Vorgehensweise empfiehlt sich auch für das Computerprogramm. Notwendig ist die Übernahme der Verantwortung seitens der Verwaltung durch eine Programmfreigabe auf der Grundlage detaillierter Normen47 • Zusätzlich sollte der korrekte Programmablauf auch nachträglich durch
44 Wedde, in: Roßnagel, S. 67 (73); Schimmel, in: Traunmüller, S. 179 (181); [(jeser, in: Traunmüller, S. 42 (44); Bayersdorfer, Öff. Haushalt 67, S. 90 (96); Lenk, Verwaltungsrundschau 87, S. 306 (310); derselbe, CR 86, S. 294 (299). Ferner ist die zeitliche Reihenfolge der Eintragungen nachträglich nur schwer zu ermitteln (SchiJffer, DÖV 88, S. 149 (155». Solche Schwierigkeiten sind dann besonders bedenklich, wenn man bedenkt, daß in Ausführung des Rechtsstaatsprinzips das Verwaltungshandeln jederzeit nachvollziehbar sein muß (Lenk, Verwaltungsrundschau 87, S. 306 (310); Grimmer, ÖVD 80, Heft 12, S. 9 (10». Zur Frage des Beweiswertes von elektronischen Speicherungen gibt es auch bereits erste Reaktionen des Gesetzgebers. Nach den §§ 696 ß, 415 I ZPO steht der maschinell erstellte Ausdruck hinsichtlich seiner Beweiskraft öffentlichen Urkunden gleich, während er ansonsten nicht als Urkunde, sondern als Augenscheinsobjekt anzusehen ist (Redeker, NVwZ 86, S. 545 (548); Clemens, NJW 85, S. 1998 (2005».
45 Nach Lenk, CR 86, S. 294 (298) bewirken solche Regelungen das, was bisher durch verschiedenfarbige Bundstife gesichert wurde, nämlich die Unterscheidbarkeit der Entscheidungsbeiträge mehrerer Mitsrbeiter. 46 Segitz, ÖVD 73, Heft 7, S. 295 (297); nach Poetzsch-HeJfter, in: Reinermann, S. 16 (27) ist eine solche Dokumentation schon als vertrauensbildende Maßnahme gegenüber dem Bürger notwendig. 47 Eberle, Organisation, S. 58; Kerkau, ÖVD 71, Heft 5, S. 106 (107); Brinckmann, Verwaltungsautomation, S. 70; derselbe, Kontrolle, S. 28, 70; JiJhnig, ADV, S. 113; Steinmüller, in: [(jlian, S. 51 (72 f.); Lazaratos, S. 145,262; Bayersdorfer, Öff. Haushalt 67, S. 90 (101); ferner Herden / Karrer, ÖVD 77, Heft 6, S. 6 (12); Segirz, ÖVD 73, Heft 7, S. 295 (297); GiehJ, BayVBI. 71, S. 84 (89); so auch § 6 I des Referentenentwurfs eines Gesetzes über die ADV in Niedersachsen, in: Burhenne / Perband, Nr. 255 /41. Nach Krückeberg, in: Fischer, S. 21 (28) muß diese Kontrolle so weit reichen, daß Gewährleistungsansprüche gegen die Verwaltung möglich wären. Fiselius, ÖVD 82, Heft 5, S. 100 (101) berichtet aber aus der Praxis des Bundesrechnungs-
3. Abschnitt: Mögliche Verbesserungen rur den automatisierten VA
271
Stichproben kontrolliert werden48 , da sich unbeabsichtigte Veränderungen dieser elektro-magnetischen Speicherungen nicht ausschließen lassen. Verstärkte Anforderungen in diesem Bereich werden sich spätestens bei einer gerichtlichen Überprüfung des Bescheides positiv auswirken und belasten daher die Verwaltung nur vordergründig. Auch der Bürger profitiert mittelbar von derartigen Maßnahmen, da sie die Gefahr rechtswidriger Bescheide weiter verringern.
C. Venneidung einer "Doppeltechnik" Besondere Probleme für den Betroffenen entstehen immer dann, wenn sich der Technikeinsatz nicht auf einen Teilbereich beschränkt, sondern weitere Verfahrensteile oder die Kontrolle des automatisierten Verwaltungsaktes erfaßt. Eine derartige Häufung von Technik sollte daher grundsätzlich vermieden oder zumindestens von der Beachtung strenger Regelungen abhängig gemacht werden. So ist es bedenklich, die Sachverhaltsermittlung auf der Grundlage einer strikten Programmbindung vorzunehmen, wenn anschließend eine automatisierte Subsumtion erfolgt49 • Liegt ein automatisierter Ausgangsbescheid vor, so muß jedenfalls im Widerspruchsverfahren eine individuelle Prüfung erfolgenSO, so daß eine Automatisierung der Entscheidung dort praktisch ausgeschlossen ist. Jedenfalls in psychologischer Hinsicht wäre es auch schädlich, wenn von Seiten der Verwaltungsgerichte bei der Überprüfung des automatisierten Verwaltungsaktes zu viel Technik eingesetzt werden würde51 • Somit sollte die in allen Bereichen mögliche technische Unterstützung der Entscheidungsfindung im Interesse des Bürgers gezielt auf jene Verfahrensteile beschränkt werden, in denen sie zu einer spürbaren Entlastung der Arbeit führt. Eine Automatisierung als Selbstzweck verbietet sich schon aus diesem Grunde.
hofes, daß die vorgeschriebene Prograrnmabnahme häufig nicht erfolgt. 48 Degrandi, S. 74; Bull, Verwaltung, S. 73; auch Grober, Diss. jur. WÜlZburg, S. 84 weist darauf hin, daß trotz einer Programmabnahme die Gefahr besteht, daß rechtlich inkorrekte Programme verwendet werden, weil das Kontrollpersonal nicht genügend qualifIZiert ist. 49 f(jlian,
S. 26l.
so Siehe dazu S. 232. 51
Vergleiche dazu S. 236, 237.
272
3. Teil: Schlußteil
D. Abstufungen der Automationsintensität Das gleiche Ziel wie die Vermeidung einer solchen "Doppeltechnik" hat auch die Abstufung der Automationsintensität innerhalb des Ausgangsverfahrens: Beide Begrenzungen sollen verhindern, daß der Bürger durch die Automation überfordert wird. Zunächst ist eine derartige Abstufung nach dem betroffenen Personenkreis vorzunehmen. Einem Großunternehmer ist die Auswertung von Schlüsselzeichen und eine elektronische Übermittlung des Verwaltungsaktes eher zumutbar als einem Sozialhilfeemptänger. Derartige Unternehmen können daher auch am ehesten für Versuche zur Einführung der Informations- und Kommunikationstechnik ausgewählt werdens2 . Besondere Vorsicht ist aber geboten, wenn der Teilnehmerkreis durch die Einwilligung des Betroffenen erweitert werden soll. Dabei besteht immer die Gefahr, daß die Verwaltung ihre Überlegenheit zur Erlangung der Einwilligung ausnutzt. Staatliche Leistungen könnten sonst die Freiheit des Betroffenen nicht erweitern, sondern zu einer nie gekannten Abhängigkeit führen. Wie bereits im Rahmen der Zulässigkeit von Standardisierungen angedeutetS3 , kommt auch der konkreten Aufgabe eine maßgebliche Bedeutung bei der Bestimmung der Grenzen zu, bis zu denen automationsbedingte Defizite hingenommen werden können. Die Sensibilität des Bürgers für derartige Abweichungen vom herkömmlichen Verfahren steigt mit der Bedeutung des Verwaltungsaktes für seine Lebensführung. Ein automatisierter Bescheid wird bei der Gewährung von Leistungen eher akzeptiert als bei Maßnahmen der EingriffsverwaltungS4 • Auch gilt es zu erwägen, ob nicht der Kommunalverwaltung beim Einsatz dieser Technik stärkere Restriktionen als der Staatsverwaltung aufzuerlegen sind, weil sie auf eine besondere Bürgernähe angelegt istss . Schließlich könnte eine Abstufung der Automation nach der konkreten Aufgabe auch dazu führen, daß bei bestimmten Entscheidungen ein automatisierter Bescheid unterbleiben muß. In Italien gibt es bereits ein diesbezügliches
S2
Degrandi, S. 13\.
S3
Vergleiche hierzu S. 125, 126.
S4 Degrandi, S. 13 \. Dagegen will Zielinski, Die Verwaltung, Bd. 10 (1977), S. 197 (202) alle Bereiche der Verwaltung hinsichtlich der Automation gleich behandeln, um das Problem nicht zu verkürzen.
ss Das BVerfG betont dagegen in seiner Entscheidung zum kommunalen Ausländerwahlrecht die Bedeutung des Art. 28 I 2 für die Einheitlichkeit der demokratischen Legitimationsgrundlage im Staatsaufbau, siehe BVerfG, DVBI. 90, S. 1397 (1399).
3. Abschnitt: Mögliche Verbesserungen fiir den automatisierten VA
273
Verbot bei existenzwichtigen EntscheidungenS6; eine dennoch ergehende automatisierte Entscheidung ist dort nichtig. E. Notwendigkeit eines neuen VwVfG für die Erfassung der Infonnations- und Kommunikationstechnik Weil der Übergang zur Informations- und Kommunikationstechnik zu umfangreichen Veränderungen des Verwaltungsverfahrens führen wird, ist abschließend zu fragen, ob das geltende VwVfG diesen neuartigen Fragen noch gerecht werden kann oder ob ein neues Verfahrensrecht geschaffen werden muß. Jede Kodifikation wirkt nur auf Zeit. Schon der Einfluß des Grundgesetzes auf das Verwaltungsverfahren erfordert eine periodische Überprüfung des VwVfG 57 , weil sich der Inhalt des Verfassungsrechts im Laufe der Zeit ändert beziehungsweise konkretisiert. Die vorstehenden Untersuchungen haben jedoch ergeben, daß die Regeln des noch relativ neuen VwVfG durch diesen Übergang nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden, soweit es um den Verwaltungsakt geht. Probleme traten in erster Linie bei den Ausnahmevorschriften der §§ 2811 Nr. 4, 37 IV, 3911 Nr. 3 VwVfG sowie den Regelungen des schon relativ alten VwZG auf. Diese lassen sich jedoch durch eine entsprechende Auslegung beheben, wenngleich aus KlarsteIlungsgründen die Neuformulierung mancher Norm wünschenswert wäre. Ein neues VwVfG ist daher nicht erforderlich58 • Als notwendig könnte sich aber die Aufnahme zusätzlicher Regelungen erweisen. Das VwVfG ist noch nicht ausreichend auf die Probleme vorbereitet, die aus dem Übergang von der Aktenbearbeitung zur elektronischen Speicherung entstehen. In diesem Bereich müssen erstmals Regelungen auf die Ebene des Gesetzes transformiert werden,
56 Simitis, NIW 71, S. 673 (676); Riegel, VOP 89, S. 156 (165), Brunnstein, in: Hoffmann, S. 153 (156) und Demant, in: Hoffmann, S. 92 (92) sowie Grimmer, in: Grimmer, S. 341 (349) kommen zu einem Verbot der Beurteilung einer Person allein nach Maßgabe der in einer Datei vorhandenen Informationen. Ähnlich Ehlers, Iura 91, S. 337 (340), der die Zulässigkeit der Automatisierung davon abhängig machen will, wie intensiv Eigentums- oder Freiheitsinteressen betroffen sind. Zum Verbot einer automatisierten Entscheidung bei fehlender Präzisierung der gesetzlichen Grundlagen siehe S. 255. 57
Haeberle, Boorberg-FS, S. 47 (93); Pestalo7.1.a, Boorberg-FS, S. 185 (204).
58
So auch Grimmer, in: Reinermann 1985, S. 305 (325).
18 Polomski
274
3. Teil: Schlußteil
die bisher in Dienstvorschriften geregelt waren59 • Freiräume der Verwaltung, die auf der Grundlage des herkömmlichen Verfahrens unschädlich waren, verlieren ihre Berechtigung, wenn sie eine Überprüfung der behördlichen Entscheidungsfindung ausschließen oder erschwerenM. So ist an eine Präzisierung der Regelungen zur Amtsermittlung zu denken, welche die Zulässigkeit von Standardisierungen und die Formularverwendung in einem automatisierten Verfahren explizit regelt. Nach derartigen Modifizierungen des VwVfG könnte der Informations- und Kommunikationstechnik bei ihrem Einsatz zur Erstellung und Übermittlung von Verwaltungsakten das vergönnt sein, was der Automation versagt blieb: Die Rationalisierungsbestrebungen der Verwaltung und Verbesserungen für den Bürger unter dem Dach legitimer rechtlicher Forderungen miteinander zu vereinen.
59
Lenk, eR 86, S. 294 (299); Ehlers, VOP 89, S. 58 (59).
Grimmer, Rechtsvetwirklichung, S. 94, 100 will insbesondere die Produktqualität der Bescheide und die Bürgernähe besonders absichern. M
Vierter Abschnitt
Zusammenfassung - Thesen Die wesentlichen Ergebnisse dieser Untersuchung lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1.
Kennzeichnend für die Automation ist eine gewisse Selbstständigkeit der Maschine in einer Teilphase ihrer Tätigkeit bei einer gleichzeitig fehlenden nachträglichen Überprüfung der Ergebnisse durch den Menschen61 •
2.
Der Einzug der Technik in die Verwaltung war kein gradliniger Prozeß, sondern erfolgte in mehreren Stufen mit teils widersprüchlichen Konzepten 62 • Nachdem zunächst nur die sogenannten Massenarbeiten auf den Computer übertragen worden waren, trat in den 70er Jahren das Prinzip der "integrierten Datenverarbeitung" in den Vordergrund63 , welches jedoch in der Folgezeit unter dem Druck von Datenschutz- und Organisationsproblemen wieder aufgegeben werden mußte. An seine Stelle trat in den 80er Jahren das Ziel einer Unterstützung der Einzelfallbearbeitung.
3.
Mit dem Einsatz des Personal-Computers ist die ursprüngliche Tendenz der Datenverarbeitung zur Zentralisierung gestoppt und teilweise sogar umgekehrt worden64 • Auch bei individuellen, komplizierten Verwaltungsentscheidungen ist heute zumindest eine maschinelle Unterstützung möglich. Die fast vollständige Befreiung von technischen Problemen rechtfertigt es, von einer "neuen Lage der Verwaltungsautomation" zu sprechen65 •
61
Vergleiche S. 23, 24.
62
Vergleiche S. 24.
63
Vergleiche S. 25.
64
Vergleiche S. 30.
65
Vergleiche S. 32.
18"
276
3. Teil: Schlußteil
4.
Kennzeichen der Informations- und Kommunikationstechnik ist es, daß sie über den Bereich der automatisierten Datenverarbeitung hinaus erstmals auch die technische Kommunikation mit dem Bürger ermöglicht66 • Diese Technik ist auch dort einsetzbar, wo sich für die Automation aus dem Erfordernis einer Programmierung Grenzen ergeben haben67 • Der Übergang zum ISDN wird dabei weitere Möglichkeiten eröffnen.
5.
Die Informations- und Kommunikationstechnik wird die Automation nicht verdrängen, sondern es wird zu einer Arbeitsteilung kommen, in der beide Formen der Unterstützung von Verwaltungstätigkeiten ihre Vorteile ausspielen können68 •
6.
Die Ziele der Verwaltungsautomation liegen in einer Qualitätssteigerung bei der Entscheidungsfindung, Verbesserungen für die Tätigkeit der Mitarbeiter sowie finanziellen Einsparungen69 • Die Informations- und Kommunikationstechnik soll darüber hinaus zu mehr Bürgernähe führen, die bei der Automatisierung häufig nur unzureichend berücksichtigt wurde1O •
7.
Bei den Gefahren der Verwaltungsautomation gilt es zunächst zu beachten, daß die Vorteile des Computers dazu führen, daß verstärkt solche Aufgaben wahrgenommen werden, die einer derartigen Unterstützung bereits zugänglich sind. Andere Funktionen der Verwaltung treten dadurch entgegen der gesetzgeberischen Intention in den Hintergrund7!. Gleichzeitig steigt die Abhängigkeit der Verwaltung vom Computer. Es wird immer schwieriger, auf erkannte Gefahren sowohl für die Mitarbeiter als auch für den Bürger adäquat zu reagieren. Dieser muß häufig einen automationsbedingten Mehraufwand in Kauf nehmen 72 • Für ihn wirkt sich auch die vermeintliche Objektivität automatisierter Bescheide nachteilig aus, weil sie eine Nachprüfung der Verfügung erschwert73 •
66
Vergleiche S. 32, 33.
67
Vergleiche S. 34.
68
Vergleiche S. 36, 37.
69
Vergleiche S. 38 ff.
10
Vergleiche S. 44.
7!
Vergleiche S. 45.
72
Vergleiche S. 49.
73
Vergleiche S. 50-52.
4. Abschnitt: Zusammenfassung - Thesen
277
8.
Die Verwendung von Datenverarbeitungsanlagen zur Sachverhaltsermittlung führt zu derartig schwerwiegenden Problemen, daß diese Einsatzform auf absehbare Zeit die Ausnahme bleiben wird74 •
9.
Bei einer maschinellen Subsumtion ist zwischen bestimmten Rechtsbegriffen und strikten Rechtssätzen auf der einen, unbestimmten Rechtsbegriffen, Ermessens- und Beurteilungsnormen auf der anderen Seite zu unterscheiden. Zwar ist eine maschinelle Bearbeitung in allen Fällen technisch möglich75. Rechtlich zulässig ist sie aber nur bei der erstgenannten Gruppe sowie nach einer Selbstbindung der Verwaltung. Außerhalb dieses Bereiches würde sie gegen den durch Art. 20 III GG gesicherten Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes verstoßen76. Aus dieser Begrenzung ergibt sich eine wesentliche Einschränkung des Problemfeldes für den automatisierten Verwaltungsakt.
10. Trotz mancher Schwierigkeiten ist davon auszugehen, daß rechtliche Vorgaben dazu geeignet sind, technische Entwicklungen zu begrenzen77. Gerade bei einer Ausweitung der technischen Möglichkeiten kann das Recht die maßgebliche Auswahlentscheidung zwischen mehreren Alternativen für sich reklamieren. Notwendig ist lediglich eine Anpassung der Regelungstechnik. 11. Von einem automatisierten Verwaltungsakt kann nur dann gesprochen werden, wenn die abschließende Entscheidung durch die Anlage erstellt wird und die nachfolgende Tätigkeit der Behörde sich darauf beschränkt, diesen Bescheid dem Betroffenen bekanntzugeben78. Seine Entstehung ist gekennzeichnet durch eine Zweiteilung in die abstrakte Erstellung des Programms und die konkrete Bearbeitung der Ausgangsdaten des Einzelfalls. 12: Eine derartige Erstellung der Verfügung führt zu Problemen bei dem Merkmal der "Maßnahme einer Behörde". Von einer solchen kann nur dann ausgegangen werden, wenn der automatisierte Bescheid der Behörde
74
Vergleiche S. 54, 55.
75
Vergleiche S. 57.
76
Vergleiche S. 58.
77
Vergleiche S. 61.
78
Vergleiche S. 72.
278
3. Teil: Schlußteil
zurechenbar ist79 • Davon ist aber deshalb auszugehen, weil die Tätigkeit der Maschine durch das von Menschen erstellte Programm determiniert ist80 • Überdies gibt die Verwaltung durch den Einsatz derartiger Geräte und die Bekanntgabe ihrer Ergebnisse zu erkennen, daß sie selbst diese Zurechnung Will81 • Schließlich ist davon auszugehen, daß der Gesetzgeber durch die Regelungen der §§ 28 11 Nr. 4, § 37 IV, 39 11 Nr. 3 VwVfG mittelbar diese Form der Erstellung von Verwaltungsakten gebilligt hat82 • 13. Das charakteristische Merkmal von juristischen Expertensystemen ist eine wissensbasierte Gestaltung83 • Expertensysteme sollen neue juristische Entscheidungen finden, welche dem Programmierer noch nicht bekannt waren84 • Deshalb ist der Weg von den Ausgangsdaten zu einem Ergebnis nicht mehr präzise vordefiniert, sondern nur auf einen bestimmten Rahmen beschränkt. Derartige Systeme können sowohl zur Vorbereitung eines Verwaltungsaktes als auch zu seiner Erstellung verwendet werden85 • 14. Für eine juristische Bewertung dieser Systeme ist strikt zwischen zwei Problemkreisen zu unterscheiden. Zunächst ist zu fragen, ob die mit solchen Geräten erstellten Verfügungen überhaupt Maßnahmen der Behörde und damit Verwaltungsakte sind. Erst in einem zweiten Schritt kann es darauf ankommen, ob eine derartige Form der Erstellung rechtlich zulässig wäre86 • 15. Die Frage, ob es sich bei derartigen Entscheidungen um Verwaltungsakte handeln würde, ist durch das VwVfG nicht entschieden worden87 • Dieses geht von einer bloßen Hilfsfunktion technischer Geräte aus, nach der Verwaltungsakte "mit Hilfe" und nicht etwa "durch" automatische Ein-
79
Vergleiche S. 73.
80
Vergleiche S. 78.
81
Vergleiche S. 80.
82
Vergleiche S. 77.
83
Vergleiche S. 83.
84
Vergleiche S. 83.
85
Vergleiche S. 84, 85.
86
Vergleiche S. 90.
87
Vergleiche S. 86.
4. Abschnitt: Zusammenfassung - Thesen
279
richtungen erstellt werden. Auch das Argument der Programmbindung verliert hier an Gewicht, weil dem System bewußt ein Freiraum für eine eigene Entscheidung eröffnet wird88 • 16. Entscheidend für das Vorliegen eines Verwaltungsaktes ist aber die auch hier bestehende Zurechenbarkeit der Ergebnisse zur Behörde. Durch die Entscheidung, sich dieser Systeme zu bedienen und durch die Bekanntgabe ihrer Ergebnisse an den Bürger zeigt die Verwaltung, daß sie selbst diese Entscheidungen für und gegen sich selbst als Verwaltungsakte gelten lassen will. Ein Vergleich mit der Auslegung der übrigen Merkmale eines Verwaltungsaktes ergibt, daß über diesen Willen nicht hinweggegangen werden kann89 • Die Schutzbedürftigkeit des Bürgers kann nicht bei der Frage des Vorliegens eines Verwaltungsaktes, sondern erst bei seiner Recht- beziehungsweise Verfassungsmäßigkeit berücksichtigt werden. 17. Innerhalb des Grundgesetzes haben vor allem die Grundrechte sowie das Rechtsstaatsprinzip in seinen verschiedenen Ausprägungen Einfluß auf die Zulässigkeit des automatisierten Verfahrens wie auch des abschließenden Bescheides. Die Automation genügt dem Vorbehalt des Gesetzes, weil der Gesetzgeber sie, wenn auch erst nachträglich, durch die Regelungen der §§ 28 II Nr. 4, 37 IV, 39 II Nr. 3 VwVfG legitimiert hat90 • Diese Entscheidung betrifft aber nicht die weiterreichende Informations- und Kommunikationstechnik91 • Ob deren neuartige Möglichkeiten eine erneute legislative Bestätigung erfordern, hängt maßgeblich von Datenschutzfragen ab, die im Rahmen dieser Ausführungen nicht zu behandeln sind. 18. Die Erstellung von Verwaltungsakten durch juristische Expertensysteme verstößt gegen die Gesetzesbindung der Verwaltung. Diese verlangt eine weitestmögliche Kontrolle über den Prozeß der Entscheidungsfindung92 , auf welche die Verwaltung bei einem Einsatz von Expertensystemen bewußt verzichten würde. Zudem können derartige Geräte einen möglichen Unterschied von Gesetz und Recht im Einzelfall nicht erkennen und damit der Doppelbindung des Art. 20 III GG nicht gerecht werden93 •
88
Vergleiche S. 87.
89
Vergleiche S. 90. 91.
90
Vergleiche S. 96.
91
Vergleiche S. 96.
92
Vergleiche S. 99.
93
Vergleiche S. 100.
280
3. Teil: Schlußteil
Schließlich verbietet es die verfassungsrechtlich abgesicherte Stellung des Einzelnen, das Interesse an einer dem Einzelfall gerecht werdenden Entscheidung einseitig der Forderung nach einer dogmatischen Bestverträglichkeit unterzuordnen94 • 19. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist sowohl bei der Frage der Zulässigkeit eines automatisierten Verfahrens als auch bei der einzelnen automatisierten Verfügung zu beachten. Aus diesem Grund muß die Vorbereitung der automatisierten Entscheidung so gestaltet werden, daß berechtigte Einwendungen des Bürgers jederzeit berücksichtigt werden können95 • 20. Innerhalb des Verwaltungsverfahrensrechts ist § 10 VwVfG sowohl eine Voraussetzung der Zulässigkeit der Automatisierung als auch ihre erste Grenze96 • Die Frage der Zweckmäßigkeit des Verfahrens darf nicht auf die Belange der Verwaltung begrenzt werden, sondern muß auch die berechtigten Interessen des Bürgers an einer korrekten und transparenten Entscheidungsfindung berücksichtigen. 21. Die Befangenheitsvorschriften der §§ 20, 21 VwVfG sind auch in einem automatisierten Verfahren anwendbar, soweit dort menschliche Entscheidungsbeiträge verbleiben97 • Daher sind die entsprechenden Vorschriften bei den Personen zu beachten, welche die Ausgangsdaten für die maschinellen Bearbeitung festsetzen. Das Eingabepersonal unterliegt nur dann den Befangenheitsvorschriften, wenn in dieser Phase des Verfahrens noch eine Verknüpfung der Daten zu einer bestimmten Person erkennbar ist. Abzulehnen ist eine derartige Anwendung dagegen auf den Programmierer98 • Zwar sind seine Handlungen kausal an der Entscheidung beteiligt. Wie bei der Gesetzgebung ist dieser Beitrag jedoch zu weit vom Ergebnis entfernt, um unter dem Gesichtspunkt der §§ 20, 21 VwVfG relevant zu werden. Zudem würde eine entsprechende Ausdehnung dieser Normen die Verwaltung mit unzumutbaren Ungewißheiten belasten. 22. Der AmtsermiUlung kommt bei automatisierten Verwaltungsakten deshalb eine besondere Bedeutung zu, weil nur in dieser Phase eine menschliche
94
Vergleiche S. 101.
95
Vergleiche S. 103.
96
Vergleiche S. 108.
97
Vergleiche S. 110.
98
Vergleiche S. 111, 112.
4. Abschnitt: Zusammenfassung - Thesen
281
Steuerung des Ergebnisses aus Anlaß des Einzelfalles möglich ist99 • Dabei sind die Auswirkungen der Automatisierung auf die Durchführung der Ermittlungen ambivalent zu beurteilen. Auf der einen Seite steht eine große Zahl von Informationen zur Verfügung, die aber auf der anderen Seite kaum auch tatsächlich genutzt werden loo • Zudem werden nur noch selten aus Anlaß des Einzelfalles weitere Informationen in einem persönlichen Gespräch erhoben. 23. Die Gefahren eines automatisierten Verfahrens für die Amtsermittlung liegen in der verstärkten Bindung des Bürgers an Formulare und in der Vornahme von Standardisierungen bei den erforderlichen Ermittlungen beziehungsweise der abschließenden Entscheidung. Statt des Einzelfalles wird der "Normalfall" eines bestimmten Antrags bearbeitet, um Speicherkapazitäten zu sparen und die Arbeit zu beschleunigen lO1 • 24. Die Benutzung von Formularen ist in einem automatisierten Verfahren häufig zweckmäßig im Sinne des § 10 VwVfG. Sie ist aber nur dann zulässig, wenn dem Bürger genügend Raum für notwendige Angaben und Differenzierungen verbleibt und keine Subsumtion des Sachverhalts unter juristische Kategorien erforderlich ist lO2 • Keinesfalls darf die Verwaltung den Einwand fehlerhafter Mitwirkung erheben, wenn dem Bürger bei einer derartigen Zuordnung Fehler unterlaufen. 25. Rechtlicher Maßstab l03 für die Zulässigkeit von Standardisierungen ist, neben der Verpflichtung zur Amtsermitttlung, Art. 3 I GG, nach dem wesentlich Ungleiches auch ungleich behandelt werden muß. Anders als die entsprechende Kompetenz des Gesetzgebers kann eine Standardisierungsbefugnis der Verwaltung weder pauschal anerkannt noch abgelehnt werden. Notwendig ist vielmehr eine differenzierte Betrachtungsweise. In einer Abwägung zwischen dem Interesse des Betroffenen an einer Entscheidung seines Einzelfalles und der nicht zu bestreitenden Notwendigkeit einer Entlastung der Verwaltung ist die Zulässigkeit von Standardisierungen anband der betroffenen materiellen Aufgabe zu beurteilen lO4 • Je
99
Vergleiche S. 113.
100
Vergleiche S. 113.
101
Vergleiche S. 114, 115.
102
Vergleiche S. 118, 119.
103
Vergleiche S. 121.
104
Vergleiche S. 125, 126.
282
3. Teil: Schlußteil
größer die Auswirkungen auf die Lebensführung des Einzelnen sind, umso weniger ist eine Standardisierung zulässig. 26. Das Anhörungsrecht ist in einem automatisierten Verfahren von besonderer Bedeutung, um dem Betroffenen nicht das Gefühl zu geben, lediglich Objekt des Verfahrens zu sein l05 • In der Praxis wird diese Chance aber kaum genutzt, weil sich die Verwaltung zum einen auf die Grundsätze zur Nachholbarkeit der Anhörung im Widerspruchsverfahren verläßt und zum anderen für den automatisierten Verwaltungsakt die Ausnahme des § 28 11 Nr. 4 VwVfG vorgesehen ist. Diese ist restriktiv auszulegen, weil die Schutzbedürftigkeit des Einzelnen nicht deshalb geringer ist, weil sich auch andere Bürger in der gleichen Lage befinden lO6 • Nur dort, wo einerseits die Anzahl der notwendigen Anhörungen sehr groß ist und diese andererseits keine neuen Erkenntnisse versprechen, kann eine Anwendung dieser Norm in Betracht kommen. Soweit es um eine bloße Vervielfältigung manuell erstellter Bescheide geht, ist ihre Anwendbarkeit entgegen der gesetzgeberischen Intention zu vemeinen l07 • 27. Bei einem schriftlichen Verwaltungsakt ist nach der gesetzlichen Systematik stets die Angabe der Erlaßbehörde erforderlich. Nicht notwendig ist die Bezeichnung des handelnden Amtes, weil dieses für die Frage der Zuständigkeit regelmäßig irrelevant ist; es gibt kein "Recht auf den gesetzlichen Verwaltungsbeamten" lOS. Bei der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 37 IV 1 VwVfG gilt es zwischen den Teilaussagen zur Unterschrift und zur Namenswiedergabe zu differenzieren. Eine eigenhändige Unterschrift wäre nicht möglich, ohne den Rationalisierungseffekt der Automatisierung wieder aufzuheben. Diese Gefahr besteht aber bei einer Namenswiedergabe nicht. Sie kann alle für den Bürger relevanten Funktionen der Unterschrift ersetzen, ohne deren Nachteile für ein automatisiertes Verfahren in sich zu tragen lO9 • Daher ist sie stets erforderlich; das durch § 37 IV 1 VwVfG eröffnete Ermessen ist insoweit verfassungskonform zu reduzieren.
105
Vergleiche S. 128.
106
Vergleiche S. 136, 137.
107
Vergleiche S. 138.
lOS
Vergleiche S. 143.
109
Vergleiche S. 149, 150.
4. Abschnitt: Zusammenfassung - Thesen
283
28. Die Zulässigkeit der Verwendung von Schlüsselzeichen nach § 37 IV 2 VwVfG beruht auf der Vorstellung des Gesetzgebers, daß ohne derartige Verkürzungen eine automatisierte Erstellung des Bescheides nicht möglich ist. Diese Prämisse ist durch den technischen Fortschritt obsolet geworden l1O • Zudem bietet der Einsatz von Textbausteinen für die Verwaltung die gleichen Vorteile, ohne zu Verständnisschwierigkeiten für den Bürger zu führen. Daher ist die Verwendung von Schlüsselzeichen so weit wie möglich zu vermeiden. Wo sie dennoch erfolgt, sind urnso strengere Anforderungen an die Verständlichkeit der Erläuterungen zu stellen 11 I. Diese sind jedem einzelnen Bescheid beizufügen. Jedenfalls dort, wo die Verwaltung mit Verständnisschwierigkeiten rechnen muß, ist ein individueller Maßstab ll2 auch dann zu fordern, wenn dieser den Gesetzrnäßigkeiten der EDV widerspricht. 29. Die Begründung der Entscheidung hätte in einem automatisierten Verfahren eine besondere Berechtigung, weil der Betroffene häufig nicht selbst erkennen kann, auf welcher informationellen Grundlage die Entscheidung getroffen wurde ll3 • Zudem wäre hier auch die Selbstkontrol1funktion der Begründung von besonderer Bedeutung. In der Praxis sind jedoch wegen § 39 11 Nr. 3 VwVfG Begründungsmängel die Regel. Entgegen der gesetzgeberischen Vorstellung verhindert eine Begründung auf der Basis der heutigen Technik keineswegs die automatisierte Erstellung eines Verwaltungsaktes. Zudem führt die Ausweitung seiner Anwendungsgebiete dazu, daß nicht mehr pauschal unterstellt werden kann, daß die Regelung aus sich selbst heraus verständlich ist 114 • Deshalb ist § 3911 Nr. 3 VwVfG verfassungskonform restriktiv auszulegen. Eine Begründung des automatisierten Verwaltungsaktes ist danach regelmäßig erforderlich. Ganz besonders ist sie dann zu fordern, wenn aufgrund des § 28 11 Nr. 4 VwVfG eine Anhörung unterblieben ist l1s • De lege ferenda gilt es, eine KlarsteIlung des VwVfG in dieser Frage anzustreben.
110
Vergleiche S. 154.
111
Vergleiche S. 155, 156.
112
Vergleiche S. 157.
113
Vergleiche S. 160, 161.
114
Vergleiche S. 165.
IIS
Vergleiche S. 167.
284
3. Teil: Schlußteil
30. Trotz des stratähnlichen Charakters eines Bußgeldbescheides ist seine automatisierte Erstellung zulässig, weil es sich nur um ein "Angebot zur Unterwerfung" handelt und der Gesetzgeber diese Zulässigkeit durch § 51 I 2 OWiG mittelbar bestätigt hat l16 • Eine Anhörung ist wegen §§ 55 I OWiG, 163 aI StPO im Rahmen des Vorverfahrens zwingend erforderlich. Eine Namenswiedergabe ist ausreichend, um die Vetjährung zu unterbrechen. Eine Begründung wird schon von § 66 OWiG gefordert. 31. In den letzten Jahren wird verstärkt der Einsatz von Telefax und Teletex zur Übermittlung von Verwaltungsakten in Erwägung gezogen ll7 • Dabei ist zwischen einer Bekanntgabe nach § 41 VwVfG und einer Zustellung nach dem VwZG zu differenzieren. Für die Zulässigkeit einer elektronischen Bekanntgabe kommt es darauf an, ob für die vorgelagerte Erstellung des Verwaltungsaktes eine beliebige Form, die Schriftform oder eine Urkunde vorgesehen ist. Unproblematisch ist eine elektronische Bekanntgabe bei einem gesetzlich formfreien Verwaltungsakt ll8 • Zulässig ist sie aber auch bei schriftlichen Verwaltungsakten. Dieses Ergebnis ergibt sich weniger aus dem Willen des historischen Gesetzgebers als vielmehr aus der Tatsache, daß der Zweck der Schriftform durch die elektronische Übermittlung nicht beeinträchtigt wird. Diese ratio erfordert auch keinen anschließenden Ausdruck beim Empfängerll9• Unzulässig ist dagegen die elektronische Übermittlung von Urkunden, sofern diese nach der gesetzlichen Regelung "ausgehändigt" werden müssen l20 • 32. Eine elektronische Zustellung von Verwaltungsakten scheidet regelmäßig schon deshalb aus, weil sie nicht mit der Grundregel des § 2 I 1 VwZG vereinbar ist. Auf diesem Wege ist weder eine Übergabe der Urschrift noch ihre Vorlage möglich. Eine Übermittlung von Abschrift oder Ausfertigung scheitert an der fehlenden Übertragbarkeit der Unterschrift l21 • Lediglich bei Sonderformen der Zustellung sowie bei der Zustellung an Behörden nach § 5 11 VwZG kommt ein Einsatz moderner Kommunikationstechniken in Betracht l22 • Künftig wird aber auch der Bereich der 116
Vergleiche S. 168, 169.
117
Vergleiche S. 173.
118
Vergleiche S. 178.
119
Vergleiche S. 181.
120
Vergleiche S. 182, 183.
121
Vergleiche S. 185.
122
Vergleiche S. 185-187.
4. Abschnitt: Zusammenfassung - Thesen
285
Zustellung von diesen Entwicklungen betroffen sein, da zum einen Verbesserungen der Technik und zum anderen Reaktionen des Gesetzgebers zu erwarten sind. 33. Die automatisierte Erstellung des Verwaltungsaktes hat keine Auswirkungen auf die Regelung der Nichtigkeit in § 44 VwVfG. Weder für Mängel der Begründung noch für Signale einer defekten Ampel kann eine derartige Rechtsfolge anerkannt werden l23 • 34. Bei einem automatisierten Verwaltungsakt muß es für die Wirksamkeit der Bekanntgabe ausreichen, daß dieser die Behörde im normalen organisatorischen Ablauf verlassen hat. Der fehlende Wille des zuständigen Sachbearbeiters ist irrelevant, weil der Bürger derartige Interna nicht erkennen kann und sein Vertrauen auf die Wirksamkeit der Regelung somit schutzwürdig ist l24 • Die Verständlichkeit des Regelungsinhalts hat keine Auswirkungen auf die Bekanntgabe, sondern ist als mögliche Ursache einer Nichtigkeit nach § 44 I VwVfG oder § 44 11 Nr. 4 VwVfG zu berücksichtigen 125. 35. Der automatisierte Verwaltungsakt wird, wie die herkömmliche Verfügung, mit seiner Bekanntgabe wirksam. Eine Einstufung als bloße "Rechtsbehauptung" , die erst nach Ablauf einer gewissen Frist verbindlich wird, scheidet aus, weil der Gesetzgeber in Kenntnis dieser Verfahren keine entsprechende Sonderregelung geschaffen hat und eine solche auch nicht zwingend wegen automationsbedingter Besonderheiten erforderlich war l26 • 36. Eine Berichtigung nach § 42 VwVfG ist bei automatisierten Verwaltungsakten für die Verwaltung von besonderem Interesse, weil es sich häufig um Rechenfehler handelt und ein einziger Programmfehler zu einer großen Zahl unrichtiger Bescheide führen kann 127. Zum Schutz des Bürgers ist aber zu fordern, daß nur solche Fehler berichtigungsfähig sind, die für den Adressaten des Bescheides erkennbar sind l28 • Vor diesem
123
Vergleiche S. 194-197.
124
Vergleiche S. 200.
125
Vergleiche S. 201.
126
Vergleiche S. 202, 203.
127
Vergleiche S. 205.
128
Vergleiche S. 209.
286
3. Teil: Schlußteil
Hintergrund scheidet eine Berichtigung von Fehlern bei der Festsetzung der Ausgangsdaten aus, bei Eingabe- und Maschinenfehlern ist sie dagegen möglich. Für die Frage der Berichtigungstähigkeit von Bescheiden, die auf einem Programmfehler beruhen, ist danach zu differenzieren, ob dem Fehler ein Rechts- beziehungsweise Tatsachenirrtum oder eine "mathematische" Fehlleistung zugrunde liegt. Nur im letztgenannten Fall kommt eine Berichtigung in Betracht l29 • 37. Bei einer Anwendung der §§ 48 ff. VwVfG auf den automatisierten Verwaltungsakt ist zunächst sicherzustellen, daß die "Geschäftsgrundlage" dieser Regelungen nicht durch einen verstärkten Erlaß von vorläufigen Verwaltungsakten unterlaufen wird l30 • Auch ein routinemäßiger Widerrufsvorbehalt bei automatisierten Ermessens-Verwaltungsakten ist zum Schutz des Bürgers abzulehnen l31 • Ein Widerruf nach § 49 11 Nr. 4 VwVfG auf der Grundlage eines verbesserten Computerprogramms scheitert regelmäßig daran, daß es sich dabei nicht um eine Rechtsvorschrift im Sinne dieser Norm handelt. Das Programm kann als Verwaltungsvorschrift begriffen werden 132. Lediglich in Ausnahmefällen kommt eine Einstufung als Gesetz, Satzung beziehungsweise Rechtsverordnung oder als bloße Vorbereitungshandlung in Betracht. 38. Die automatisierte Erstellung führt keineswegs dazu, daß derartige Bescheide ungeeignet wären, einen Vertrauensschutz für den Bürger zu begründen. Eine solche Annahme wäre nur gerechtfertigt, wenn automatisierte Bescheide "bekannterweise" eine höhere Fehlerquote als manuell erstellte Verwaltungsakte aufweisen würden; dies ist aber auf der Basis der heutigen Technik weder tatsächlich verifizierbar noch rechtlich zulässig l33 • 39. Die verwaltungsinterne Kontrolle automatisierter Verwaltungsakte kann früher als bei einem herkömmlichen Bescheid erfolgen, weil mit dem Programm und den Ausgangsdaten die später ergehende Entscheidung
129
Vergleiche S. 212, 213.
130
Vergleiche S. 215, 216.
131
Vergleiche S. 217.
132
Vergleiche S. 220.
133
Vergleiche S. 222.
4. Abschnitt: Zusammenfassung - Thesen
287
detenniniert ist. Notwendig sind Veränderungen beim Prüfungsinhalt und bei der Organisation der Kontrollinstanzen l34 • 40. Das Widerspruchsverfahren hat bei automatisierten Verwaltungsakten eine besondere Berechtigung, weil deren Erstellung durch eine starke Zersplitterung der Aufgabenerledigung gekennzeichnet ist und deshalb im Vorverfahren erstmals die Gelegenheit zu einer umfassenden Überprüfung durch eine Einzelperson besteht l35 • Das automatisierte Verfahren führt zwar nicht generell zu einer höheren Fehlerquote als bei herkömmlichen Bescheiden, eine solche Erhöhung ist aber vereinzelt in den neuen Anwendungsgebieten solcher Verfügungen zu beobachten. Zudem muß eine effektive Kontrolle die besondere Gefährlichkeit von Programmfehlem berücksichtigen, weil diese einerseits sehr viele Bescheide betreffen und andererseits nur schwer erkennbar sind 136 • 41. In den Bereichen des automatisierten Verwaltungsaktes mit einer hohen Fehlerquote kann das Ausgangsverfahren seine originären Funktionen nicht mehr erfüllen. Das Widerspruchsverfahren wird hier zum eigentlichen Ort der Einzelfallprüfung 137 • Diese Entwicklung ist rechts- und sozialstaatlich höchst bedenklich, weil sie diejenigen benachteiligt, die den Bescheid unangefochten hinnehmen. Die allgemeine Scheu vor Rechtsmitteln wird durch die fehlende Begründung automatisierter Bescheide noch verstärkt138 • 42. Auch in den Widerspruchs bescheiden finden sich bereits erste Ansätze zu einer Verwendung der Technik, insbesondere bei der nach § 73 III 1 VwGO erforderlichen Begründung. Schematisierungen bei der Begründung führen leicht zu ebensolchen bei der Entscheidungsfindung. Im Widerspruchsverfahren muß jedoch zwingend eine Entscheidung des Einzelfalles erfolgen l39 , da ansonsten dieses Verfahren seinen Sinn, die Selbstkontrolle, selbst ad absurdum führen würde.
134
Vergleiche S. 225-227.
135
Vergleiche S. 228.
136
Vergleiche S. 228, 229.
137
Vergleiche S. 229.
138
Vergleiche S. 230.
139
Vergleiche S. 232.
288
3. Teil: Schlußteil
43. Verbesserungen für den automatisierten Verwaltungsakt müssen in erster Linie auf der Ebene des Ausgangsverfahrens ansetzen. Nur ergänzend sind Modifizierungen des Widerspruchsverfahrens oder der Gerichtskontrolle sinnvoll. Zu denken ist hierbei an eine stärkere Einbeziehung des Bürgers in die Entscheidungsfindung sowie an eine Verpflichtung der Verwaltung zur Umsetzung der Ergebnisse in Verfahrensänderungen. Sinnvoll wäre ferner eine Änderung der Kostentragung und ein teil weises Verbot der reformatio in peius l40 • 44. Die Verwaltungsgenchtsordnung enthält weder bei der Anfechtungs- noch bei der Verpflichtungsklage Sonderregelungen für automatisierte Verwaltungsakte. Daher müssen deren spezifische Probleme mit dem herkömmlichen Instrumentarium bewältigt werden l41 • Um die dabei entstehenden Schwierigkeiten auszugleichen, werden in der Literatur mehrere Verbesserungsvorschläge vorgebracht. 45. Im Mittelpunkt dieser Überlegungen steht die gerichtliche Kontrolle des Computerprogramms. Eine solche ist de lege lata regelmäßig ausgeschlossen, weil das Programm wie eine Verwaltungsvorschrift zu behandeln ist l42 • Ihre häufig vorgeschlagene Einführung ist abzulehnen, weil sie mit den Vorgaben des Art. 19 IV GG nicht vereinbar ist. Diese Norm sichert einen effektiven, grundsätzlich aber repressiven Individualrechtsschutz. Eine Programmkontrolle müßte demgegenüber präventiv erfolgen l43 • Sie wäre zudem nur dann sinnvoll, wenn der Richter statt der Subsumierbarkeit des Einzelfalles unter die gesetzlichen Vorgaben künftig die Rechtmäßigkeit der Determinanten des automatisierten Verwaltungsaktes (Ausgangsdaten und Programm) prüft. Ein solches Vorgehen würde aber den Individualrechtsschutz verschlechtern, weil damit Maschinenfehler unberücksichtigt blieben l44 • Der im Gegenzug ermöglichte Schutz künftiger Adressaten solcher Verwaltungsakte ist nicht geeignet, diese Nachteile zu kompensieren, weil er durch Art. 19 IV GG nicht gefordert wird.
140
Vergleiche S. 233·235.
141
Vergleiche S. 237.
142
Vergleiche S. 240.
143
Vergleiche S. 243.
144
Vergleiche S. 245.
4. Abschnitt: Zusammenfassung - Thesen
289
46. Eine Stärkung der Stellung des Bürgers im Prozeß durch Informationszugangsrechte zu behördlichen Datenspeichern oder durch eine Abweichung von allgemeinen Beweislastregelungen ist nicht erforderlich, weil im Verwaltungsprozeß die Untersuchungsmaxime gilt l45 • Der Bürger trägt die Folgen einer fehlenden Autklärbarkeit nur bei der Verpflichtungsklage; dort sind eventuelle Beweisschwierigkeiten aber nicht automationsbedingt. Eine Spezialisierung der Gerichte l46 wäre nur bei einer Programmkontrolle erforderlich, deren Einführung aber gerade abzulehnen ist. 47. Die Gerichtskontrolle führt zwar ihrem Auftrag gemäß zu einem effektiven Individualrechtsschutz, ist aber nicht dazu geeignet, die strukturellen Mängel des automatisierten Bescheides zu relativieren l47 • Wo ein solcher den Bürger davon abhält, den Rechtsweg zu beschreiten, können die Vorteile des gerichtlichen Verfahrens nicht zum Tragen kommen. Daher müssen Verbesserungen in erster Linie beim Ausgangsverfahren ansetzen. Notwendig ist dort eine verstärkte Information des Bürgers und ein Verzicht auf die automatisierte Erstellung des Verwaltungsaktes bei einzelnen Verwaltungsaufgaben l48 • 48. Bei der Frage einer Verpflichtung der Verwaltung zur Benutzung solcher Geräte ist zwischen vorhandenen Geräten und einer Pflicht zu Neuanschaffungen zu unterscheiden. Bereits angeschaffte Informationssysteme sind zur Entscheidungsfindung zu verwenden, weil sie diese verbessern können I 49. Dagegen gibt es regelmäßig keine Verpflichtung zu einer automatisierten Erstellung des abschließenden Bescheides, weil der Bürger keinen Anspruch auf ein bestimmtes Verfahren hat l50 • Erst recht kann es zu diesem Zwecke keine Verpflichtung der Verwaltung zu Neuanschaffungen geben. Ein derartiger Anspruch würde über berechtigte Individualinteressen hinausgehen und ist daher nicht schützenswert l51 •
145
Vergleiche S. 247.
146
Vergleiche S. 25\.
147
Vergleiche S. 253.
148
Vergleiche S. 255.
149
Vergleiche S. 256.
150
Vergleiche S. 257.
151
Vergleiche S. 259.
19 Polomski
290
3. Teil: Schlußteil
49. Der Übergang von der Automation zur Informations- und Kommunikationstechnik wird zu weitreichenden Veränderungen des Verwaltungsverfahrens führen. Es erfolgt eine Rückkehr zu einer ganzheitlichen Fallbearbeitung l52 • Elektronische Speicherungen werden einen immer breiteren Raum einnehmen. Die erleichterte Kommunikation wird eine größere Bürgemähe des Verfahrens ermöglichen. Auch Veränderungen der Aufbauorganisation der Verwaltung sind zu erwarten. Stärker als bei der Automatisierung der Verwaltungstätigkeit können und müssen bei diesem Übergang auch rechtliche Begrenzungen beachtet werden i53 • Inwieweit dann noch von einer "Verwaltungsreform durch die Informations- und Kommunikationstechnik" gesprochen werden kann, hängt, neben dem Recht und der Technik, von einer Vielzahl weiterer Faktoren ab, deren Entwicklung sich einer eindeutigen Vorhersage entzieht l54 • 50. Bei den notwendigen Umstellungen im Zuge dieses Überganges sind mehrere Modifizierungen für den automatisierten Verwaltungsakt anzustreben. Erforderlich sind sowohl Verbesserungen im Verhältnis zum Bürger als auch organisatorische Umgestaltungen des Verwaltungsverfahrens. In dieses ist der Bürger stärker als bisher einzubeziehen l55 • Eine einmalige Anhörung kann dabei nur als Minimalforderung betrachtet werden. Die Amtsermittlung könnte durch eine freiwillige Mitwirkung des Bürgers von der Notwendigkeit einer Standardisierung befreit werden. Notwendig ist dazu eine intensive Beratung des Bürgers, die durch die Rationalisierungsgewinne dieser neuen Technik ermöglicht werden könnte. Erforderlich ist daneben eine verbesserte äußere Gestaltung der Bescheide l56 • Der Übergang zu elektronischen Speicherungen erfordert neue Zurechnungsregelungen und eindeutige Bestimmungen für die Programmfreigabe.
51. Bei der Wahl zwischen einem manuellen und einem automatisierten Verfahren zur Erstellung des Verwaltungsaktes ist darauf zu achten, daß sich die unvermeidbaren Defizite des letzteren auf eine Verfahrensstufe beschränken. Der Einsatz der Technik ist gezielt auf jene Verfahrensteile zu
152
Vergleiche S. 260.
153
Vergleiche S. 262.
154
Vergleiche S. 265.
155
Vergleiche S. 267-268.
156
Vergleiche S. 269.
4. Abschnitt: Zusammenfassung - Thesen
291
beschränken, in denen er zu einer spürbaren Entlastung der Verwaltung fiihrt l57 • 52. Weiterhin ist die zulässige Automationsintensitiit nach dem betroffenen Personenkreis und der konkreten Aufgabe zu bestimmen. Einem Großunternehmer sind automationsbedingte Einschränkungen eher zumutbar als einem SozialhilfeempfängerlS8 • Bei der Leistungsverwaltung sind die Anwendungsbereiche größer als bei der Eingriffsverwaltung. Bei existenzwichtigen Entscheidungen hat ein automatisierter Bescheid zu unterbleiben i59 • 53. Das noch relativ neue Verwaltungsverfahrensgesetz ist für einen solchen Übergang zur Informations- und Kommunikationstechnik grundsätzlich geeignet. Notwendig ist aber eine restriktive Auslegung aller automationsbedingten Sonderregelungen und eine Neuaufnahme von Normen, welche eine ausreichende Dokumentation des automatisierten Verfahrens gewährleisten 160. Auf dieser Basis könnte der Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnik bei der Erstellung und Übermittlung von Verwaltungsakten die Rationalisierungsbestrebungen der Verwaltung mit den berechtigten Bedürfnissen des Bürgers vereinbar erscheinen lassen.
157
Vergleiche S. 271.
158
Vergleiche S. 272.
159
Vergleiche S. 272, 273.
160
Vergleiche S. 273, 274.
19'
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