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German Pages 349 [350] Year 2023
Schriften zum Deutschen und Europäischen Infrastrukturrecht Band 25
Digitalisierte Energieversorgung durch dezentrale Akteure Der Rechtsrahmen Smart-Contract-basierter Prosumeraktivitäten in der Energiewirtschaft
Von Paul B. Jahn
Duncker & Humblot · Berlin
PAUL B. JAHN
Digitalisierte Energieversorgung durch dezentrale Akteure
Schriften zum Deutschen und Europäischen Infrastrukturrecht Herausgegeben von Markus Ludwigs und Patrick Hilbert
Band 25
Digitalisierte Energieversorgung durch dezentrale Akteure Der Rechtsrahmen Smart-Contract-basierter Prosumeraktivitäten in der Energiewirtschaft
Von Paul B. Jahn
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat diese Arbeit im Jahre 2023 als Dissertation angenommen.
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D 61 Alle Rechte vorbehalten © 2024 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISSN 2198-0632 ISBN 978-3-428-18969-4 (Print) ISBN 978-3-428-58969-2 (E-Book)
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Vorwort Wie könnte der Rechtsrahmen für die digitalisierte und dezentralisierte Energieversorgung der Zukunft aussehen? Jene Forschungsfrage erlaubte es mir, während der Erstellung dieser Arbeit meine Begeisterung für Technik und informationstechnische Systeme mit meinem großen Interesse am Energie- und Regulierungsrecht zu verbinden und die dabei aufkommenden rechtlichen Fragen in all ihrer Tiefe zu ergründen. Insbesondere die Energiewende gepaart mit der Digitalisierung der Energiewirtschaft brachte mich dabei den Prosumern und Smart Contracts näher, welche prägend für die folgenden Darstellungen sind. Die vorliegende Arbeit wurde im April 2023 von der Juristischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf als Dissertation angenommen. Zuvörderst danke ich Frau Prof. Dr. Charlotte Kreuter-Kirchhof für ihre stetige Hilfsbereitschaft, Unterstützung und ihre so ermutigende Betreuung, nicht bloß im Rahmen der Erstellung dieser Dissertation, sondern ebenso bereits während meiner Vorbereitung auf das erste juristische Examen und selbstverständlich meiner Tätigkeit an ihrem Lehrstuhl für Deutsches und Ausländisches Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht und dem Düsseldorfer Institut für Energierecht. Durch ihre Denkanstöße und ihre Offenheit gegenüber innovativen, neuartigen und auch alternativen Vorgehensweisen vermochte sie meinen Erfahrungshorizont so häufig zu erweitern und zeigte mir, wie Potenziale bestmöglich ausgeschöpft werden können. Von großer Bedeutung für das Voranschreiten dieses Projektes war ferner die Vielzahl der Tagungen und Veranstaltungen des Düsseldorfer Instituts für Energierecht, in deren Rahmen die Möglichkeit zum Austausch bestand und mir die Gelegenheit zur Präsentation meines Forschungsvorhabens gewährt wurde. Einen großen Gewinn brachten ferner die von Herrn Prof. Dr. Torsten Körber und Herrn Prof. Dr. Johann-Christian Pielow veranstalteten Tagungen, durch welche ich weitere wertvolle Erfahrungen sammeln konnte und die Möglichkeit erhielt, mein Dissertationsprojekt in allen Stadien präsentieren zu dürfen. Für die so zügige Erstellung des Zweitgutachtens danke ich Herrn Prof. Dr. Herbert Posser herzlich. Auch gebührt meinen geschätzten Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen am Lehrstuhl für Deutsches und Ausländisches
6 Vorwort
Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht sowie am Düsseldorfer Institut für Energierecht großer Dank für deren stetige wertvolle Diskussionsbereitschaft. Für den so großzügigen Druckkostenzuschuss danke ich der Düsseldorfer Vereinigung für Energierecht e. V. vielmals. Diese Arbeit widme ich meiner Mutter Elisabeth Jahn sowie meiner Freundin Charlotte Kurtz, welche mich in jeder Phase in jeglicher Hinsicht uneingeschränkt und jederzeit unterstützt haben und deren Rückhalt ich mir zu jeder Zeit sicher sein kann. Essen, im Juni 2023
Paul B. Jahn
Inhaltsverzeichnis Kapitel 1
Einleitung
15
A. Prosumer und Smart Contracts als Erfolgselemente der Energiewende . . . . . 15 B. Rechtsrahmen für Prosumer und Smart Contracts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Kapitel 2
Grundlagen
23
A. Prosumer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 I. Doppelrolle des Prosumers als Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 II. Kriterien verwandter Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1. Begriff des aktiven Kunden im Sinne des Art. 2 Nr. 8 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2. Eigenversorger nach Art. 2 Nr. 14 Erneuerbare-Energien-Richtlinie . 26 3. Begriff der Eigenversorgung im Sinne des § 3 Nr. 19 EEG 2021 . . . 26 4. Eigenanlage nach § 3 Nr. 13 EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 III. Schlussfolgerungen für den Prosumerbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1. Eigene Energieproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2. Kein Erfordernis primärer Energieerzeugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 3. Energieproduktion als Nebentätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 4. Energieträgerunabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 5. Definition des Prosumers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 B. Smart Contracts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 I. Definition des Smart Contracts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 1. Technische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 a) „Wenn-dann“-Struktur als Basis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 b) Notwendigkeit nachprüfbarer und wertungsfreier Eingaben und eindeutiger Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 c) Fehlende „Smartness“ des Smart Contracts . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 d) Definition der technischen Charakteristika . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2. Smart Contracts als Vertragsabschluss- und Vertragsvollzugsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 3. Vernetzung der Nutzer durch Smart Contracts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 4. Oracles als Verknüpfung des Smart Contracts zur realen Welt . . . . . 46
8 Inhaltsverzeichnis II.
Protokoll des Smart Contracts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 1. Protokoll als Basis aller Einzelausführungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2. Kontrollierbarkeit des Protokolls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3. Anforderungen an das Protokoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 a) Antizipation denkbarer Szenarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 b) Legitimation des Ausgangsprotokolls und notwendiger Änderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 III. Blockchain als mögliche Basis für Smart Contracts . . . . . . . . . . . . . . . 53 1. Begriff der Blockchain . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2. Grundidee der Blockchain und ihre Entwicklungsformen . . . . . . . . . 54 a) Blockchain 1.0: Eindimensionale Kryptowährungen . . . . . . . . . . 56 b) Blockchain 2.0: Smart Contracts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 3. Technische Funktionsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 a) Beteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 b) Einzelne Transaktionen als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 c) Zusammenfassung der Transaktionen in Blöcken . . . . . . . . . . . . . 60 d) Verkettung der Blöcke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 aa) Hash-Wert als Basis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 bb) Mining . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 cc) Verkettung durch die Verweise der Hash-Werte aufeinander 63 dd) Verkettung als Verifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 e) Verifizierungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 4. Änderungen des Blockchain-Protokollcodes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 5. Blockchain und Smart Contracts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 a) Wirtschaftliche Effizienz beim Einsatz der Blockchain . . . . . . . . 69 b) Sicherstellung von Authentizität, Fälschungs- und Datensicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 aa) Nutzung eines kryptografischen Verfahrens für die Verkettung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 bb) Asymmetrie der Verschlüsselung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 cc) Missverhältnis zwischen Ver- und Entschlüsselungsaufwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 c) Vermeidung von Systemausfällen: No Single Point of Failure . . 73 d) Kein zwingendes Erfordernis einer Nutzung der Blockchain . . . . 74 6. Probleme der Blockchain . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 7. Blockchain als mögliche Abwicklungsumgebung für Smart Contracts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 IV. Rechtliche Einordnung des Smart Contracts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 1. Generelle Stellung von Smart Contracts in der Rechtsordnung . . . . . 77 a) Ansatz des „code is law“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 b) Ansatz der Unter- bzw.. . Einordnung des Programmcodes in den geltenden Rechtsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 2. Smart Contracts als Vertragsabschlussmechanismus . . . . . . . . . . . . . 80
Inhaltsverzeichnis9 a) Abgabe von Willenserklärungen durch den Smart Contract . . . . . b) Zurechnung der so generierten Willenserklärungen . . . . . . . . . . . aa) Identifizierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Adressat der Zurechnung der Willenserklärung . . . . . . . . . . . c) Zustandekommen des Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Generelles Zustandekommen des Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zustandekommen beim Einsatz von Plattformen . . . . . . . . . cc) Zustandekommen bei Nutzung der Blockchain . . . . . . . . . . . 3. Smart Contracts im Rahmen der Vertragsdurchführung . . . . . . . . . . .
80 82 82 83 85 86 87 88 89
Kapitel 3
Smart Contracts im Kontext der Prosumer: Konzeptionierungsmöglichkeiten und deren rechtliche Verortung
90
A. Einsatzfelder der Smart Contracts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 I. Smart Contracts beim Energiehandel von Prosumern . . . . . . . . . . . . . . . 90 II. Vernetzung mittels Smart Contracts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 III. Weitere Anwendungsfelder im Rahmen der Durchführung energiewirtschaftlicher Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 IV. Besonderheiten beim Einsatz der Blockchain . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 B. Anreize für Smart-Contract-basierte Prosumeraktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . 95 C. Smart Contracts im Bereich der Massengeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 D. Status quo der Oracles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Oracles als Einsatzvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gesetzliche Roll-out-Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Hürden des Roll-outs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Datensicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Technische Messpräzision der Smart Meter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Roll-out als problematischer Prozess in frühem Stadium . . . . . . . . .
101 102 104 109 109 111 112 113 113
E. Multilaterale Vernetzung durch Smart Contracts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Konzeptionierung in dezentraler Form oder mit Intermediär . . . . . . . . . 1. Dezentrale Vernetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vernetzung mit einem Intermediär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Möglichkeit vollständiger Autarkie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Nutzung bestehender Netzstrukturen, eigener Netzstrukturen oder Direktleitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Token-basierte Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
114 114 114 115 116 118 120
F. Steuerungs- und Kooperationsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 I. Aggregatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
10 Inhaltsverzeichnis II. Virtuelle Kraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 III. Virtuelle Speicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 IV. Microgrids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 G. Rechtliche Einordnung im Energierecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 I. Betrieb eines geschlossenen Verteilernetzes im Sinne des § 110 EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 II. Betrieb einer Kundenanlage im Sinne des § 3 Nr. 24a EnWG . . . . . . . . 134 III. Prosumer als Energieversorgungsunternehmen nach § 3 Nr. 18 EnWG . 137 IV. Prosumer als Haushaltskunden nach § 3 Nr. 22 EnWG . . . . . . . . . . . . . 138 V. Prosumer als gemeinsam handelnde Eigenversorger im Bereich erneuerbare Elektrizität nach Art. 2 Nr. 15 Erneuerbare-Energien-Richtlinie . 140 VI. Prosumer als Erneuerbare-Energie-Gemeinschaft nach Art. 2 Nr. 16, 22 Erneuerbare-Energien-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 VII. Zusammenschlüsse von Prosumern als Bürgerenergiegemeinschaften nach Art. 2 Nr. 11 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . 144 VIII. Smart-Contract-basierte Prosumeraktivitäten und Peer-to-Peer-Geschäfte nach Art. 2 Nr. 18, Art. 21 II Erneuerbare-Energien-Richtlinie . 146 IX. Gesellschaftsrechtliche Charakterisierung der Zusammenschlüsse von Prosumern mittels Smart Contracts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 1. Vorliegen des Rechtsbindungswillens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 2. Gemeinsamer Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 3. Betrieb eines Handelsgewerbes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 4. Gesellschaftsrechtliche Folgen und Gestaltungsmöglichkeiten . . . . . 155 Kapitel 4
Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf der Basis von Smart Contracts
157
A. Verantwortlichkeit und Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 I. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 II. Anwendbare Haftungsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 1. Haftung bei nicht-softwarebasierten Schäden im Bereich der physischen Stromlieferungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 a) Grundsätze der Haftung und Schadensursachen bei Energielieferungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 aa) Spannungs- und Frequenzabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 bb) Rolle des § 18 NAV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 b) Haftung der Prosumer bei der Nutzung des bestehenden Netzes der allgemeinen Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 aa) Vertragliche Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 (1) Pflichtverletzung des haftenden Schuldners . . . . . . . . . . 165 (2) Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (3) Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
Inhaltsverzeichnis11 (4) Fazit: Absicherung der Parteien durch das vertragliche Haftungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 bb) Deliktische Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (1) Haftung nach § 823 I BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 (2) Haftung nach § 823 II BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 cc) Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . 173 c) Haftung der Prosumer beim eigenen Betrieb eines Netzes . . . . . 175 aa) Vertragliche Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 bb) Deliktische Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 cc) ProdHaftG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 d) Haftung der Prosumer beim eigenen Betrieb einer Direktleitung . 179 e) Gesamtbetrachtung der Haftungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 f) Exkurs: Handhabung der Haftungsproblematik in der aktuellen Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 2. Haftung bei fehlerhaft arbeitendem Smart Contract . . . . . . . . . . . . . . 182 a) Haftungsrechtlich Verantwortliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 b) Anzuwendendes Haftungsregime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 c) Besonderheiten bei Open-Source- und Freeware-Software . . . . . 186 d) Besonderheiten beim Einsatz der Blockchain . . . . . . . . . . . . . . . . 188 e) Gesamtbetrachtung der Haftung auf Softwareebene . . . . . . . . . . . 190 3. Verbindung der Software- und Energielieferungsebene . . . . . . . . . . . 190 a) Relativität der Schuldverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 b) Modifikationen kraft Parteivereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 III. Adäquanz dieser Regelungen und Anpassungsmöglichkeiten . . . . . . . . . 193 1. Gesamtschau der Haftungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 a) Ausbleiben von Haftungslücken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 b) Flexibilität durch Gestaltungsspielräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 c) Flexibilität der Rechtsregeln hinsichtlich der Anknüpfungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 2. Fazit: Angemessene Haftungsverteilung und angemessenes Schutzniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 B. Pflichtenstellung des Prosumers nach dem EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Praktische Erfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anwendbare Regelungen und deren Anpassungsbedarf . . . . . . . . . . . . . 1. § 5 EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendbarkeit der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhalt der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Problem fehlender Ausweichmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Keine generelle Ausnahme von Leistungsfähigkeitskriterien . . . . e) Punktuelle Anpassungen in Bezug auf Einzelaspekte . . . . . . . . . . aa) § 5 I 1 EnWG: Anzeigepflicht im Generellen . . . . . . . . . . . . bb) § 5 I 2 EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
196 198 199 201 202 204 206 209 210 211 211
12 Inhaltsverzeichnis cc) § 5 IV EnWG: Dimensionen des Leistungsfähigkeitskrite riums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 dd) § 5 IV EnWG: Zuverlässigkeit der Geschäftsführung . . . . . . 215 2. Pflichten im Rahmen der Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 a) § 41 I 1 EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 b) § 41 I 2 Nr. 1–5 EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 c) § 41 I 2 Nr. 6–12 EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 d) § 41 II EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 e) § 41b I EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 f) Digitalisierungs- und Automatisierungsfreundlichkeit der Pflichten im Rahmen der Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 3. Anforderungen an Rechnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 a) § 40 I EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 b) § 40 II 1 Nr. 1, 2 EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 c) § 40 II 1 Nr. 3, 4 EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 d) § 40 II 1 Nr. 5, 6 EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 e) § 40 II 1 Nr. 7, 8 EnWG sowie § 40 II 2 EnWG . . . . . . . . . . . . . 230 f) § 40 II 1 Nr. 9–13 EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 g) §§ 40a–c EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 h) Orientierung der Vorschriften an langfristigen, vollversorgenden Vertragsverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 4. Stromkennzeichnung nach § 42 EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 5. Lieferantenwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 a) § 20a I EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 b) § 20a II EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 III. Fazit: Notwendigkeit punktueller Anpassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 1. Keine Freistellung von sämtlicher Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 2. Partielle Anpassung der regulierungsrechtlichen Vorgaben . . . . . . . . 241 3. Adäquanz der Erfüllung speziell durch Prosumer: Möglichkeit einer Ebenenverschiebung auf Intermediäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 4. Problem der redundanten Mitteilung von Informationen . . . . . . . . . . 244 5. Möglichkeit der Pflichterfüllung durch Rahmenverträge . . . . . . . . . . 245 C. Regulierungsbedarf kraft der Gewährleistungsverantwortung des Staatesfür eine zuverlässige Energieversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 I. Technische Erfahrungen im Reallabor und in der Praxis . . . . . . . . . . . . 247 II. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 III. Status quo der Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 1. Bestehen der verfassungsrechtlichen Gewährleistungsverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 2. Bilanzkreisverantwortlichkeit als maßgeblicher Mechanismus . . . . . 252 a) Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 b) Anwendbarkeit der Regelungen im Rahmen der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
Inhaltsverzeichnis13 c) Erforderlichkeit der Bilanzkreisverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . d) Anpassungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Technische Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Stellenwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ebenen technischer Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anwendbare Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zwingende Schutzvorgaben des EnWG, BSIG und der KritisV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zwingende Schutzvorgaben des MsbG . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Anwendungsbereiche ohne explizite zwingende Schutzvorgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Punktueller Anpassungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Mögliche Modalitäten der Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gesamtbetrachtung: Zentrale Bedeutung der Versorgungssicherheit und technische Potenziale in der Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
256 257 260 261 262 263
D. Regulierungsbedarf im Bereich der Netznutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Erfahrungen im Reallabor und Handhabung in der Praxis . . . . . . . . . . . II. Netznutzung als zentraler Bereich der Prosumeraktivitäten . . . . . . . . . . III. Status quo der Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Netzzugang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Genereller Netzzugang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zugang für Smart-Contract-basierte Prosumeraktivitäten . . . . . . . 2. Netznutzung und Kostentragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Adäquanz der Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kein Regulierungsbedarf hinsichtlich des Netzzugangs . . . . . . . . . . . 2. Netzkosten als Steuerungs- und Anreizinstrument . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtliche Grenzen der Netzkostenfestlegung und -bemessung . b) Sinnhaftigkeit einer Entlastung anhand der Netzkosten . . . . . . . . c) Orientierung an tatsächlicher Netzdienlichkeit als Lösungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Möglichkeit der Privilegierung netzdienlichen Prosumerverhaltens de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
278 279 282 284 284 284 285 286 287 287 287 288 292
263 265 267 268 270 276
296 298
E. Schlussfolgerungen des Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 I. Vergleich der Interessenlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 1. Divergierende Regelungsinteressen und Bezugspunkte des Haftungs- und Regulierungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 2. Unterschiedlicher Grad an Flexibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 3. Unterschiedlicher Grad an Automatisierungszugänglichkeit . . . . . . . 302 II. Einbindung verschiedener Akteure zur Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 III. Möglichkeit der Ebenenverschiebung: Übernahme der Pflichterfüllung als Dienstleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304
14 Inhaltsverzeichnis Kapitel 5
Fazit und Schlussfolgerungen
307
A. Reflexion hinsichtlich der Forschungsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 I. Grundlegende Veränderung des tatsächlichen Rahmens durch Dezen tralisierung, Digitalisierung und Dekarbonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 II. Grundsätzliche Existenz eines anwendbaren Rechtsrahmens für SmartContract-basierte Prosumeraktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 III. Abhängigkeit des Rechtsrahmens von der Ausgestaltung der Aktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 IV. Erfordernis punktueller Anpassungen des Rechtsrahmens . . . . . . . . . . . 309 V. Möglichkeit individueller Steuerung und Anreize . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 VI. Frühes Stadium der aussichtsreichen Smart-Contract-basierten Pro sumeraktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 B. Abschließende Thesen: Ergebnisse und Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . 312 I. Ergebnisse und Schlussfolgerungen rechtstatsächlicher Art . . . . . . . . . . 312 II. Ergebnisse und Schlussfolgerungen rechtlicher Art . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348
Kapitel 1
Einleitung A. Prosumer und Smart Contracts als Erfolgselemente der Energiewende Die Energiewirtschaft durchlebt eine grundlegende Transformation. Die gesamte Wertschöpfungskette wird im Zuge der Energiewende dekarbonisiert. Notwendige Voraussetzung für diese Dekarbonisierung sind Erzeugungsanlagen, welche Erneuerbare Energien nutzen, insbesondere Photovoltaik- und Windkraftanlagen. Grundlegendes Charakteristikum dieser Anlagen ist deren Dezentralität.1 Energie wird nicht mehr in wenigen großen Kraftwerken zentral erzeugt2, sondern in einer Vielzahl unterschiedlicher Anlagen vor Ort produziert. Im Zuge der Dekarbonisierung ist die Dezentralisierung 1 Siehe hierzu Erwägungsgrund 6 der Richtlinie (EU) 2019/944 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2019 mit gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 2012/27/EU, ABl. 158/125 (Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie); Andoni/Robu/Flynn/Abram/Geach/Jenkins/McCallum/Peacock, Renewable and Sustainable Energy Reviews 2019, 143, 144; Antoni, IR 2020, 2, 2; Bolay/Battaglia, Faktenpapier Eigenerzeugung, Eigenversorgung, Mieterstrom und Stromdirektlieferung, S. 2; Brisbois, Global Transitions 2020, 16, 16; Buchmüller, EWeRK 2018, 117, 117 m. w. N.; Ekardt, in: Frenz/Müggenborg, Erneuerbare-Energien-Gesetz, Einleitung EEG Rn. 43; Federau, Ein Beitrag zur Konzeptionierung eines Leitsystems für steuerbare Microgrids, S. 1; Körber, Digitalisierung als Herausforderung und Chance für Energiewirtschaft und Energierecht, in: Ludwigs, FS Schmidt-Preuß, S. 865, 866; Lang/Müller, International Mining and Oil & Gas Law, Development, and Investment 2019, 17B-1, S. 5 m. w. N.; Meister, Systemdienstleistungen und Erneuerbare Energien, S. 84; Pritzsche/Vacha, Energierecht, § 4 Rn. 97 ff.; Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, S. 96 f.; Rodi, EnWZ 2014, 289, 289; Schäfer-Stradowsky/Timmermann, EnWZ 2018, 199, 199; Schneidewindt, Blockchain – Brave New Energy World for Prosumers?; Schwöbel/Bensberg/Gerth, AKWI 2018, Heft 8, S. 55, 63; Seckelmann, Auf dem Weg zum Smart Grid, in: Hill/Schliesky, Auf dem Weg zum Digitalen Staat, S. 242; Strohmayer/Reetz, Smarte Sektorenkopplung, Digitalisierung und Distributed Ledger Technologien, S. 1; VDE, Dezentrale Energieversorgung 2020, S. 12. Großkraftwerke hin gegen weisen einen hohen Grad an Konzentration auf, vgl. Rogall, 100 %-Versorgung mit erneuerbaren Energien, S. 94. 2 Sofern im Folgenden von der Energieerzeugung gesprochen wird, meint dies in physikalisch korrekter Ausdrucksweise die Umwandlung eines Energieträgers, beispielsweise der Sonnenenergie oder Windkraft, in einen anderen Energieträger, da in
16
Kap. 1: Einleitung
einer der Kernbereiche der Energiewende.3 Sie hat dazu geführt, dass bereits ein gewichtiger Anteil der Erneuerbaren Energien von – teils genossenschaftlich organisierten – kleineren Anlagen4 produziert wird.5 Im Zuge der Dezentralisierung entwickelte sich so eine neue Akteursgruppe, die so genannten Prosumer: Hierbei handelt es sich um private Marktteilnehmer, welche jedoch nicht mehr nur als Nachfrager Energie beziehen, sondern gleichzeitig auch als Anbieter tätig werden6 und so am Markt partizipieren. Ein naheliegendes Beispiel ist es, wenn ein Hauseigentümer auf seiner Dachfläche eine Photovoltaikanlage installiert und den Strom, welchen er selbst nicht verbraucht, in das Netz einspeist und so an Dritte weitergibt. Der Betreiber einer Erzeugungsanlage entwickelt sich so vom reinen Energieverbraucher zum aktiven Marktteilnehmer.7 Auch auf europäischer Ebene sind ähnliche Entwicklungen zu beobachten,8 insbesondere mit Blick auf eine aktivere Beteiligung der Verbraucher.9 Aufbauend darauf werden rund 4,8 Millionen Prosuphysikalisch strikter Formulierung Energie nur umgewandelt, niemals jedoch neu erzeugt werden kann. 3 Vgl. BDEW, Blockchain in der Energiewirtschaft, S. 27; Körber, Digitalisierung als Herausforderung und Chance für Energiewirtschaft und Energierecht, in: Ludwigs, FS Schmidt-Preuß, S. 865, 866; Kühne/Weber, Bausteine der Energiewende, in: Kühne/Weber, Bausteine der Energiewende, S. 6; Scholtka/Martin, RdE 2017, 113, 115; Steinbach/Weise, in: Steinbach/Weise, Messstellenbetriebsgesetz, Einleitung Rn. 2; Voshmgir, Blockchains, Smart Contracts und das Dezentrale Web, S. 24; Wunderlich/Loose/Nachtigall/Sandau/Bruns/Gómez, Energiemarkt mit Blockchain-Technologie, in: Drews/Funk/Niemeyer/Xie, Tagungsband Multikonferenz Wirtschafts informatik 2018, Band III, S. 1259. 4 In der Tendenz sind Anlagen zur Erzeugung Erneuerbarer Energien erheblich kleiner dimensioniert als konventionelle Kraftwerke, siehe etwa die Zahlen von 45,76 kW installierter Leistung im Vergleich zu 116.867,08 kW installierter Leistung beim Vergleich von EE- und konventionellen Anlagen bei Meister, Systemdienstleistungen und Erneuerbare Energien, S. 86 m. w. N. 5 Voshmgir, Blockchains, Smart Contracts und das Dezentrale Web, S. 24. Im Jahre 2012 belief sich der Anteil noch auf 46 %, siehe Meister, Systemdienstleistungen und Erneuerbare Energien, S. 85 m. w. N. 6 Siehe hierzu ausführlich unten Kapitel 2, A. Siehe ferner exemplarisch BDEW, Blockchain in der Energiewirtschaft, S. 27; Gährs/Wieckowski/von Braunmühl/Wolfmaier/Hirschl, Private Haushalte als neue Schlüsselakteure einer Transformation des Energiesystems, S. 1; Keck, Smart Grid, S. 18; Merz, Einsatzpotenziale der Blockchain im Energiehandel, in: Burgwinkel, Blockchain Technology, S. 51, 61; Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, S. 98; Scholtka/Martin, RdE 2017, 113, 115 f.; Skopetz, Smart Contracts in der Energiewirtschaft, S. 1. 7 Siehe hierzu bereits Deutsche Bundesregierung, Erfahrungsbericht 2011 zum EEG, S. 6, 8. 8 Siehe hierzu Wizinger/Pause, RELP 2018, 50, 60 f. 9 Siehe etwa Erwägungsgrund 3 der Verordnung (EU) 2019/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2019 über den Elektrizitätsbinnenmarkt, ABl.
A. Prosumer und Smart Contracts als Erfolgselemente der Energiewende 17
mer-Haushalte für das Jahr 2030 prognostiziert.10 Der Ausbau der Erneuer baren Energien, welcher grundlegend für das Gelingen der Energiewende ist, hängt somit maßgeblich auch von den Prosumern ab. Daneben nutzen die Prosumeraktivitäten nahezu ausschließlich kleinere, dezentrale Erzeugungsanlagen.11 Der Ausbau der Erneuerbaren Energien, die Dezentralisierung der Energieversorgung und die Zunahme von Prosumeraktivitäten gehören so zu den Kernelementen der Energiewende auf dem Weg zur Dekarbonisierung. Rund 98 % der Prosumer-Anlagen in Deutschland sind an das Verteilernetz angeschlossen.12 Die zunehmende13 Aktivität der dezentral organisierten Prosumer verändert in der Folge auch das Netz- und Bilanzkreismanagement. Hier sinkt die Kalkulierbarkeit aufgrund der Vielzahl kleinerer Erzeuger, welche oftmals lediglich den aktuell nicht benötigten Strom einspeisen.14 Gleichzeitig kann die Vielzahl der Akteure jedoch auch dazu beitragen, durch die breite Streuung Stromeinspeisung und Stromentnahme in der Waage zu halten.15 Dies setzt die adäquate Integration der dezentral produzierten Erneuerbaren Energien in das Energiewirtschaftssystem voraus.16 Hierzu müssen die vielfältigen Aktivitäten koordiniert werden.17 Die Prosumeraktivitäten können sich dann positiv auf das Kapazitätsmanagement und die Stabilität der Energieversorgung auswirken. Die Digitalisierung trägt als dritte Dimension der Energiewende neben der Dekarbonisierung und Dezentralisierung18 zur Koordinierung der vielfältigen 158, 54 (Elektrizitätsbinnenmarktverordnung) sowie Erwägungsgründe 3, 4, 5 und 10 der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie. 10 Flaute/Großmann/Lutz, Ökologisches Wirtschaften 2016, Heft 2, S. 18, 19. 11 Siehe hierzu Urbansky, Prosumer treiben Dezentralisierung der Energiewelt. 12 Schäfer-Stradowsky/Timmermann, EnWZ 2018, 199, 199. 13 Siehe zu den sich entwickelnden Aktivitäten der Prosumer auch Schneidewindt, Blockchain – Brave New Energy World for Prosumers?. 14 Skopetz, Smart Contracts in der Energiewirtschaft, S. 2. Zum generellen Problem der schwer kalkulierbaren Menge des eingespeisten Stroms bei dezentraler Erzeugung siehe Prinz/Schulte, Blockchain und Smart Contracts, S. 23 f.; Wunderlich/ Loose/Nachtigall/Sandau/Bruns/Gómez, Energiemarkt mit Blockchain-Technologie, in: Drews/Funk/Niemeyer/Xie, Tagungsband Multikonferenz Wirtschaftsinformatik 2018, Band III, S. 1261. 15 Overkamp/Schings, EnWZ 2019, 3, 4; Scholtka/Martin, RdE 2017, 113, 115; in diese Richtung ebenso Säcker/Zwanziger, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 4, 4. Auflage 2017, Einleitung Rn. 3; Schneidewindt, Blockchain – Brave New Energy World for Prosumers?. 16 Rodi, EnWZ 2014, 289, 289. 17 Brisbois, Global Transitions 2020, 16, 22. Vgl. hierzu mit Bezug zur Blockchain auch Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 103. 18 Zu diesen drei Dimensionen siehe Jahnke, IR 2020, 122, 122.
18
Kap. 1: Einleitung
Akteure im Energieversorgungssystem bei. Datensammlung und -verarbeitung im Rahmen der Digitalisierung sind allgegenwärtig; das Internet of Things19 ist Realität, auch Alltagsgegenstände sind vielschichtig vernetzt. Das Messwesen wird durch das MsbG20 weitgehend mit den sogenannten Smart Metern als Messsystemen der Zukunft ausgestattet; Erzeugungsanlagen und Netze werden umfassend in digitale Steuerungs- und Monitoringsysteme eingebunden. Auch soll es künftig möglich sein, Verbraucher mit Zustimmung entsprechend den aktuellen Netzlasten vollautomatisch zu steuern; daneben sollen sie ihre Verbrauchsdaten individuell digital einsehen und ihr Verhalten auf dieser Basis anpassen können.21 Diese Entwicklungen können zu Effizienz, Versorgungssicherheit und Ressourcenschonung beitragen,22 bieten somit Potenziale in zentralen Bereichen der Energiewende.23 In wirtschaftlicher Hinsicht wird prognostiziert, dass die Digitalisierung der Energiewirtschaft bestehende Wertschöpfungsketten stark beeinflussen und den Wettbewerb in diesem Geschäftsfeld erhöhen wird.24 Die Digitalisierung wird – ebenso wie die Dezentralisierung – als Chance für den Erfolg der Energiewende gesehen. Im Vordringen befindlich sind hier die Smart Contracts. Dabei handelt es sich um automatisierte, softwarebasierte Abwicklungsmechanismen, welche beim Eintritt bestimmter Bedingungen ex ante definierte tatsächliche oder auch rechtliche Folgen auslösen.25 Eine menschliche Interaktion wird dabei
19 Der Begriff des „Internet of Things“ oder „Internet der Dinge“ bezeichnet die Verknüpfung von (Alltags-)Gegenständen und Zuständen der realen Welt mit virtuellen Gegenständen, Netzstrukturen und Systemen über das Internet. Zum Begriff siehe Franke/Gorenstein, Auf dem Weg zu einer digitalen Energiewirtschaft, in: Gundel/ Lange, Herausforderungen und Probleme der Digitalisierung der Energiewirtschaft, S. 1, 18 f.; Knittl/Neuberger/Dieterle, HMD 2020, 558, 559; Paulus, JuS 2020, 107, 107; Sikorski/Haughton/Kraft, Applied Energy 2017, 234, 243. Zu den Synergieeffekten, welche durch den Einsatz von Smart Contracts in diesem Bereich entstehen siehe Schwöbel/Bensberg/Gerth, AKWI 2018, Heft 8, S. 55, 59. 20 Gesetz über den Messstellenbetrieb und die Datenkommunikation in intelligenten Energienetzen vom 29. August 2016 (BGBl. I S. 2034), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 22. Mai 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 133) geändert worden ist (Messstellenbetriebsgesetz – MsbG). 21 Siehe hierzu BT-Drs. 18/7555, S. 1. 22 Fricke, Digitalisierung in Fernwärmesystemen, in: Gundel/Lange, Herausforderungen und Probleme der Digitalisierung der Energiewirtschaft, S. 53, 53. 23 dena, Blockchain in der integrierten Energiewende, S. 25. 24 Franke/Gorenstein, Auf dem Weg zu einer digitalen Energiewirtschaft, in: Gundel/Lange, Herausforderungen und Probleme der Digitalisierung der Energiewirtschaft, S. 1, 5. 25 Zu den Charakteristika der Smart Contracts siehe unten Kapitel 2, B.I.
A. Prosumer und Smart Contracts als Erfolgselemente der Energiewende 19
weitgehend überflüssig, sobald das zugrundeliegende System in Betrieb ist.26 Die Smart Contracts können steuernd und gestaltend auf den verschiedenen Ebenen des Energierechts eingesetzt werden.27 Ein zentrales Anwendungsbeispiel sind der vollautomatische Verkauf sowie die vollautomatische Einspeisung von selbst produziertem Strom, sofern dieser aktuell nicht benötigt wird.28 Im Rahmen der Automatisierung ermöglichen die Smart Contracts so den Abschluss und die Durchführung energiewirtschaftlicher Verträge.29 Ihren Einsatzbereich finden die Smart Contracts im Rahmen der Prosumeraktivitäten vor allem beim Verkauf der Elektrizität; hier können sie Vertragsabschlüsse und deren Durchführung vollautomatisch vollziehen. Daneben können sie für eine dezentrale Stromverteilung und -abrechnung genutzt werden.30 So können Smart Contracts den automatisierten Abschluss eines Energielieferungsvertrages veranlassen, Abrechnungen erstellen oder Versorgungssperren bei säumigen Kunden durchführen.31 Die Smart Contracts eröffnen im Bereich von Prosumeraktivitäten große Automatisierungspoten ziale.32 Dieser hohe Grad der Automatisierung reduziert die Kosten, sodass auch kleinste Mengen Energie wirtschaftlich sinnvoll gehandelt werden können.33 Prosumer und Smart Contracts wirken dadurch zusammen, dass die Smart Contracts Daten automatisch erfassen und Handlungen automatisch veranlassen, so die Aktivitäten der Prosumer koordinieren und dabei dennoch nur geringe Kosten verursachen. Prosumer und Smart Contracts sind so eng miteinander verwoben. Darüber hinaus können Smart Contracts 26 Siehe hierzu etwa Savelyev, Information & Communications Technology Law 2017, 116, 120. 27 Zu den Anwendungsfeldern siehe unten Kapitel 3, A. 28 Vgl. zur Thematik Merz, Einsatzpotenziale der Blockchain im Energiehandel, in: Burgwinkel, Blockchain Technology, S. 51, 59; Paulus, JuS 2020, 107, 107. Zu anderen typischen Anwendungsbereichen der Smart Contracts auch abseits der Energiewirtschaft siehe Heckelmann, NJW 2018, 504, 504 f.; Pesch, Blockchain, Smart Contracts und Datenschutz, in: Fries/Paal, Smart Contracts, S. 16 f.; Prinz/Schulte, Blockchain und Smart Contracts, S. 19; Riehm, Smart Contracts und verbotene Eigenmacht, in Fries/Paal, Smart Contracts, S. 86. 29 Brisbois, Global Transitions 2020, 16, 22. 30 Vgl. Andoni/Robu/Flynn/Abram/Geach/Jenkins/McCallum/Peacock, Renewable and Sustainable Energy Reviews 2019, 143, 144; Mengelkamp/Gärttner/Weinhardt, Decentralizing Energy Systems Through Local Energy Markets: The LAMP-Project, S. 1. 31 Siehe hierzu unten Kapitel 2, B.IV.3. 32 Siehe hierzu unten Kapitel 3, A., Kapitel 3, B. und Kapitel 3, C. 33 Siehe hierzu Reetz, Welche Chancen ein digitales Energie-Marktdesign bietet, S. 2. Zum Vorliegen eines Effizienzgewinns beim Einsatz von Smart Contracts siehe Finck, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 15 Rn. 3, S. 195.
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Kap. 1: Einleitung
verschiedene Beteiligte miteinander vernetzen und so dauerhafte, größere Zusammenschlüsse von Prosumern entstehen lassen. Die Ausgestaltung dieser Zusammenschlüsse eröffnet vielfältige Gestaltungs- und Umsetzungsoptionen für die Aktivitäten der Prosumer. Zum aktuellen Zeitpunkt befinden sich derartige Aktivitäten jedoch noch in einer frühen Entwicklungsphase. Es existieren noch keine umfassenden, langfristigen Erfahrungen im realen Wirtschaftsleben oder verfestigte, bewährte Konzepte, wie derartige Aktivitäten auszugestalten sind. Die bisherigen Erfahrungen begrenzen sich vielmehr auf punktuelle Einzelprojekte. Die rechtswissenschaftliche Betrachtung der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten verbindet die genannten Themenbereiche. Zunächst wirft die Digitalisierung grundlegende Fragen auf: Werden Automatismen für Vertragsschlüsse und die Vertragsdurchführung, für Koordination, Kooperation, Dokumentation und Kontrolle eingesetzt, stellt sich die Frage, inwieweit das Recht dies zulässt und angemessene Regelungen bereithält oder Hürden aufstellt. Das Energierecht als Querschnittsmaterie bestimmt diesen Bereich und beeinflusst die Digitalisierung. Daneben wirkt auch die Dezentralisierung der Energiewirtschaft auf die rechtliche Diskussion ein. Übergeordnete Frage ist hierbei, ob die geltenden Normen insbesondere des Energierechts auch für dezentrale Systeme mit vielen kleinen Akteuren einen angemessenen Regelungsrahmen begründen und ob eine Orientierung an den hergebrachten, zentralisierten Strukturen angemessen für dezentrale Prosumeraktivitäten ist. Die Potenziale der Prosumer sind zwingend zu nutzen, um den Erfolg der Energiewende nicht zu gefährden. Zugleich muss jedoch Schutzlücken und Missbrauchspotenzialen vorgebeugt werden. Ein besonderes Augenmerk liegt bei der rechtlichen Analyse auf dem Europarecht34 und den von dort ausgehenden Entwicklungen. Die ErneuerbareEnergien-Richtlinie35 und die Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie samt der nationalen Umsetzungsakte insbesondere im Rahmen der Gesetzesnovelle im Jahr 202136 streben eine Vereinheitlichung des europäischen Rechtsrahmens
34 Zur Bedeutung des Europarechts im Energierecht siehe grundlegend KreuterKirchhof, Ist die Zukunft des Energierechts europäisch?, in: Rosin/Uhle, FS Büdenbender, S. 129, 129 ff. 35 Richtlinie (EU) 2018/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen, ABl. 328, 82 (Erneuerbare-Energien-Richtlinie). 36 Gesetz zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben und zur Regelung reiner Wasserstoffnetze im Energiewirtschaftsrecht vom 16. Juli 2021 (BGBl. I S. 3026).
B. Rechtsrahmen für Prosumer und Smart Contracts21
auch der Prosumeraktivitäten im Bereich der Erneuerbaren Energien an.37 Kunden sollen hierdurch aktiver eingebunden und gebündelt werden.38
B. Rechtsrahmen für Prosumer und Smart Contracts Die folgende Analyse entwickelt zu Beginn die technischen und recht lichen Grundlagen der Prosumer und der Smart Contracts als Ausgangspunkt. Insbesondere werden die Begriffe geklärt39 sowie die möglichen Zusammenschlüsse und Kooperationsformen rechtlich qualifiziert.40 Dies bildet die Grundlage zur Bewertung des Rechtsrahmens.41 Zunächst werden die jeweils anwendbaren Normen bestimmt und analysiert, ob diese anzupassen sind, um die digitalisierten und dezentralisierten Smart-Contractbasierten Prosumeraktivitäten adäquat in das Energiewirtschaftssystem einzufügen. Dabei stellt sich die Frage, wie die Nutzung von Smart Contracts und die Prosumeraktivitäten zivilrechtlich und im Energie- und Regulierungsrecht zu beurteilen sind. Dies wird dadurch beeinflusst, auf welche Art und Weise sich die Prosumer zusammenschließen und wie sie miteinander interagieren. Die daran anknüpfenden Fragen betreffen die Haftung im Rahmen von Energielieferungen, die energiewirtschaftsrechtlichen Pflichten für Energieversorgungsunternehmen, die Versorgungssicherheit und den Netzzugang sowie die Netznutzung. Im Zentrum steht die Frage nach der Anwendbarkeit und Adäquanz des geltenden Rechtsrahmens für die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten. Sofern Inadäquanzen festgestellt werden, werden mögliche Ansätze zur Neuregelung de lege ferenda erarbeitet. In diesem Rahmen wird der Frage der rechtlichen Bedeutung der Marktstrukturveränderungen – insbesondere im Rahmen der Neudefinition der Rolle der hergebrachten, zentralisiert ausgerichteten Energieversorgungsunternehmen – nachgegangen.42 So werden Optionen deutlich, wie das geltende Recht möglichst sinnvoll angepasst werden kann, insbesondere mit dem Ziel, die Potenziale der digitalisierten und dezentralisierten Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten zu nutzen. Dabei orientiert sich die Arbeit nicht lediglich an einfachgesetzlichen Regelungen. Sie analysiert auch die grundlegenden Wertungen und Eckpfeiler 37 Siehe
hierzu insbesondere Art. 21 Erneuerbare-Energien-Richtlinie. ER 2019, 47, 52. 39 Siehe unten Kapitel 2. 40 Siehe unten Kapitel 3. 41 Siehe unten Kapitel 4. 42 Diese Frage ebenso aufwerfend Pritzsche/Vacha, Energierecht, § 1 Rn. 41. 38 Kahles/Pause,
22
Kap. 1: Einleitung
des Energierechts, an welchen sich die Regulierungsvorschläge zu orientieren haben. Die Strukturen des deutschen und europäischen Energiewirtschaftssystems sind die Grundlagen der Entwicklungen. Ziel ist die system adäquate Integration der untersuchten Prosumeraktivitäten, welche über die Grenzen einzelner Rechtsgebiete hinausgeht. Die Arbeit analysiert den Rechtsrahmen für Smart-Contract-basierte Prosumeraktivitäten und fragt, inwieweit dieser angepasst werden muss, um Prosumeraktivitäten in geeigneter Weise in das Energieversorgungssystem zu integrieren.
Kapitel 2
Grundlagen Die Begriffe des Prosumers und des Smart Contracts sind nicht legaldefiniert. Sie hängen von den zugrundeliegenden technischen Systemen ab; diese haben maßgeblichen Einfluss auf die rechtliche Einordnung.
A. Prosumer Der Prosumer produziert selbst Energie und verbraucht diese. Er ist Erzeuger und zugleich Verbraucher. Die Energieproduktion stellt dabei eine Nebentätigkeit dar, während gleichzeitig die Energieverbrauchereigenschaft fortbesteht. Die Weitergabe der Energie an Dritte auch über das Netz ist dabei möglich. Der Begriff der Energieproduktion ist weit zu verstehen und erfasst nicht nur die originäre Energieproduktion, sondern auch die Ausspeisung aus einem Speicher. Die verwendeten Energieträger sind nicht ausschlaggebend.
I. Doppelrolle des Prosumers als Grundlage Der Begriff des Prosumers setzt sich als Portemanteau-Wort1 aus den Worten Producer und Consumer („Pro-sumer“) zusammen.2 Producer ist nach dem anglo-amerikanischen Verständnis eine „person, that provides goods, especially those, that are produced by an industrial process“3. Maßgeblich ist, dass eine Person Güter zur Verfügung stellt. Der Consumer ist zu definieren als „a person who buys goods or services for their own use“4. Güter werden hiernach für den individuellen Nutzen erworben oder verbraucht. Der 1 Auch genannt „Kofferwort“ oder „Schachtelwort“. Hierbei werden zwei Begriffe derart kombiniert, dass vom ersten Ursprungswort und vom zweiten Ursprungswort je Teile aneinandergesetzt werden, einzelne Teile dabei jedoch entfallen, siehe Müller, Adleraug und Luchsenohr, S. 24. Zur Charakterisierung als Kofferwort siehe auch Federau, Ein Beitrag zur Konzeptionierung eines Leitsystems für steuerbare Microgrids, S. 42. 2 Wizinger/Pause, RELP 2018, 50, 53. 3 Cambridge Dictionary, Producer. 4 Cambridge Dictionary, Consumer.
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Kap. 2: Grundlagen
Begriff des Prosumers bezeichnet eine Doppelrolle sowohl auf der herstellend-anbietenden als auch der nachfragend-erwerbenden Seite. Der Verbraucher (Consumer) wird zum gleichzeitig produzierenden Marktakteur (Producer).5 Es entsteht ein „Wechselspiel von Input (Konsumtion) und Out put (Produktion)“6 und eine „Fusion von Erzeugung […] und Verbrauch“7. Der Prosumer zeichnet sich demgemäß durch eine aktivere, gegenüber dem reinen Konsumenten weniger passive8 Teilnahme am Marktgeschehen aus.9 Charakteristisch für den Prosumer ist, dass er in zwei Rollen tätig wird, dem Verbrauch und der Zurverfügungstellung der Güter.10 Diese Umschreibung lässt jedoch offen, welche qualitativen und inhaltlichen Anforderungen zu stellen sind, damit ein Prosumer vorliegt.
II. Kriterien verwandter Begriffe Verschiedene europäische und nationale Rechtsetzungsakte greifen einzelne Ausschnitte und Teilbereiche des Prosumerbegriffs auf, ohne den Begriff legal zu definieren. Aus diesen Normen können jedoch Kriterien für den Prosumerbegriff deduziert werden.
5 Antoni/Selinger, Bereitstellung von Flexibilität in der Niederspannung, S. 20; Buchmüller, EWeRK 2018, 117, 117; Hellmann, Energiewende, Bürgerenergie und Prosumtion, in: Holstenkamp/Radtke, Handbuch Energiewende und Partizipation, S. 507, 507; Overkamp/Schings, EnWZ 2019, 3, 4. 6 Hellmann, Energiewende, Bürgerenergie und Prosumtion, in: Holstenkamp/ Radtke, Handbuch Energiewende und Partizipation, S. 507, 508. 7 Federau, Ein Beitrag zur Konzeptionierung eines Leitsystems für steuerbare Microgrids, S. 42. 8 Sofern im Folgenden von Passivität von Verbrauchern gesprochen wird, bezeichnet dies eine Passivität dahingehend, dass der Verbraucher nicht aktiv auch am Erzeugungs- und Einspeisungsprozess von Energie beteiligt ist. Eine etwaige Aktivität auf der Verbrauchsseite beispielsweise durch aktive Verlagerung des Verbrauchs ist von diesem Begriff nicht erfasst. 9 Hellmann, Energiewende, Bürgerenergie und Prosumtion, in: Holstenkamp/ Radtke, Handbuch Energiewende und Partizipation, S. 507, 515; Morstyn/Farrell/ Darby/McCulloch, Nature Energy 2018, 94, 94; Wieser, Intelligente Elektrizitätsversorgungsnetze, S. 22. Siehe auch Lang, European Energy Law Report 2018, 135, 149. 10 Flaute/Großmann/Lutz, Ökologisches Wirtschaften 2016, Heft 2, S. 18, 18; Steinbach/Weise, in: Steinbach/Weise, Messstellenbetriebsgesetz, Einleitung Rn. 4; Tundal, Utilizing Blockchain Technology for Settlement in a Microgrid, S. 25.
A. Prosumer25
1. Begriff des aktiven Kunden im Sinne des Art. 2 Nr. 8 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie Der aktive Kunde im Sinne von Art. 2 Nr. 8 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie weist deutliche Parallelen zum Begriff des Prosumers auf, geht jedoch darüber hinaus.11 Aktive Kunden bezeichnen einen „Endkunden oder eine Gruppe gemeinsam handelnder Endkunden, der bzw. die an Ort und Stelle innerhalb definierter Grenzen oder – sofern ein Mitgliedstaat es gestattet – an einem anderen Ort erzeugte Elektrizität verbraucht oder speichert oder eigenerzeugte Elektrizität verkauft oder an Flexibilitäts- oder Energieeffizienzprogrammen teilnimmt, sofern es sich dabei nicht um seine bzw. ihre gewerb liche oder berufliche Haupttätigkeit handelt“.12 Art. 15 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie präzisiert diese Aktivitäten.13 Maßgeblich ist die Möglichkeit, Energie zu erzeugen, zu verkaufen und zu verbrauchen. Der aktive Kunde kann auch an Flexibilitäts- oder Energieeffizienzprogrammen teilnehmen. Die Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie eröffnet somit weite Betätigungsfelder im Bereich des Demand-Side-Management; sie genügen für die Charakterisierung als aktiver Kunde. Eine eigene Energie erzeugung ist nicht zwingend erforderlich,14 jedoch möglich. Der aktive Kunde muss lediglich einer der genannten Tätigkeiten nachgehen. Der Fokus des aktiven Kunden liegt somit auf der generell gesteigerten Systemdienlichkeit und Flexibilität,15 nicht jedoch auf einer konkreten Energieproduktion. Der aktive Kunde zeichnet sich dadurch aus, dass er als Verbraucher wie auch Erzeuger gleichermaßen Handlungen vornehmen, daneben auch je nach Markt- und Bedarfslage gesteuert und kontrolliert werden kann. Zuletzt muss es sich um eine bloße Nebentätigkeit im Sinne einer nicht gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit16 handeln, dies ordnet Art. 2 Nr. 8 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie im letzten Halbsatz an.17
11 Die Elektrizitätsbinnenmarktverordnung verweist in Art. 2 Nr. 39 Elektrizitätsbinnenmarktverordnung auf Art. 2 Nr. 8 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie, die Begrifflichkeiten sind mithin parallel, die folgenden Ausführungen gelten für den dortigen Terminus entsprechend. 12 Art. 2 Nr. 8 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie. 13 Siehe auch Erwägungsgründe 4, 10, 37, 42, 55 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie. 14 Siehe Art. 15 II lit. b Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie. 15 Siehe hierzu auch Erwägungsgrund 37, 42, 43 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie. 16 Sofern im Folgenden der Begriff der Nebentätigkeit verwandt wird, ist dieser als nicht gewerbliche oder berufliche Tätigkeit zu verstehen. 17 Siehe zu diesem Kriterium auch Kahles/Pause, ER 2019, 47, 48.
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Kap. 2: Grundlagen
2. Eigenversorger nach Art. 2 Nr. 14 Erneuerbare-Energien-Richtlinie Das Europarecht definiert daneben den „Eigenversorger im Bereich erneuerbare Elektrizität“ in Art. 2 Nr. 14 Erneuerbare-Energien-Richtlinie. Eigenversorger ist danach ein Endkunde, welcher „an Ort und Stelle innerhalb definierter Grenzen oder, sofern die Mitgliedstaaten das gestatten, an einem anderen Ort für seine Eigenversorgung erneuerbare Elektrizität erzeugt und eigenerzeugte erneuerbare Elektrizität speichern oder verkaufen darf, sofern es sich bei diesen Tätigkeiten – im Falle gewerblicher Eigenversorger im Bereich erneuerbare Elektrizität – nicht um die gewerbliche oder berufliche Haupttätigkeit handelt“. Art. 2 Nr. 15 Erneuerbare-Energien-Richtlinie erweitert dies auf kollektive Handlungen. Art. 21 Erneuerbare-Energien-Richtlinie greift damit zusammenhängend die möglichen Aktivitäten der Eigenversorger auf. Voraussetzungen sind die Erzeugung Erneuerbarer Energien und der eigene Verbrauch der Energie. Der Eigenerzeuger muss Energie erzeugen und verbrauchen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit des Verkaufs der Energie. Ausgangspunkt der Aktivitäten ist mithin die Eigenversorgung, daneben sind jedoch auch Speicherung und Verkauf möglich. Ferner erfasst der Begriff des „Eigenversorgers im Bereich erneuerbare Elektrizität“ auch Speichertätigkeiten. Allerdings werden die Speichertätigkeiten explizit begrenzt auf die eigenerzeugte (sic!) Elektrizität. Nach dem Wortlaut der Norm muss die Elektrizität durch den Speichernden selbst erzeugt werden; die Speicherung extern bezogener Energie genügt nicht. Der Begriff erfasst daneben nur Erneuerbare Energien. Zudem sind die Aktivitäten erneut auf bloß untergeordnete Tätigkeiten zum Ausschluss von (gewerblichen) Großproduzenten beschränkt. 3. Begriff der Eigenversorgung im Sinne des § 3 Nr. 19 EEG 2021 Der Begriff des Eigenversorgers im Sinne des § 3 Nr. 19 EEG 202118 war bzw. ist wesentlich enger gefasst. Er umfasst nur diejenigen, welche selbst produzierten Strom selbst verbrauchen und ihn nicht – weder physisch noch bilanziell19 – in ein Netz der allgemeinen Versorgung einspeisen. Der Eigen18 Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energien vom 21. Juli 2014 (BGBl. I S. 1066), das zuletzt durch Artikel 11 des Gesetzes vom 16. Juli 2021 (BGBl. I S. 3026) geändert worden ist (Erneuerbare- Energien-Gesetz – EEG 2021). Im aktuell geltenden EEG 2023 (Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energien vom 21. Juli 2014 (BGBl. I S. 1066), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 26. Juli 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 202) geändert worden ist (Erneuerbare- Energien-Gesetz – EEG 2023)) findet sich nicht länger der Begriff des Eigenversorgers, § 3 Nr. 19 wurde entsprechend gestrichen. 19 Siehe zur vergleichbaren Regelung im EEG 2014 Bundesnetzagentur, Leitfaden zur Eigenversorgung, S. 36 f.
A. Prosumer27
versorger produziert selbst die Energie, verkauft sie jedoch nicht. Soweit der Strom nicht selbst verbraucht, sondern an Letztverbraucher geliefert wird, gilt der Erzeuger als Elektrizitätsversorgungsunternehmen im Sinne des § 3 Nr. 20 EEG 2021 und nicht als Eigenversorger. Jede Energiemenge ist daher entweder der Eigenversorgung oder der Lieferung eines Elektrizitätsversorgungsunternehmens zuzuordnen.20 Die Begriffe der Eigenversorgung und der Lieferung schließen sich aus. Lediglich die Produktion zum Selbstverbrauch ist Teil der Eigenversorgung. 4. Eigenanlage nach § 3 Nr. 13 EnWG Die Eigenanlage im Sinne des § 3 Nr. 13 EnWG21 setzt ebenfalls einen Eigenverbrauch voraus. Ziel ist die Selbstversorgung im Rahmen der Deckung des Eigenbedarfs.22 Auch der Begriff des Energieversorgungsunternehmens und der Eigenanlage schließen sich aus.23 Keine Einspeisung des eigenerzeugten Stroms in das Netz ist im Rahmen des Betriebs der Eigenanlage zulässig. Strom wird in der Eigenanlage lediglich selbst erzeugt.24
III. Schlussfolgerungen für den Prosumerbegriff Alle diese Regelungen im Europarecht und nationalen Recht ermöglichen die Aktivierung vormals rein passiver Verbraucher. Darüber hinaus variieren die Kriterien. 1. Eigene Energieproduktion Zunächst variiert die Art der aktiven Teilnahme: Sie reicht von rein produzierenden Tätigkeiten25 bis dahin, dass es schon genügt, an Flexibilitätsme20 Böhme, in: Greb/Boewe, BeckOK EEG, § 3 Nr. 19 EEG Rn. 3. Siehe hierzu auch Panknin, EnWZ 2014, 13, 14 f. 21 Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung vom 7. Juli 2005 (BGBl. I S. 1970, 3621), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 22. Mai 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 133) geändert worden ist (Energiewirtschaftsgesetz – EnWG). 22 Hellermann, in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, § 3 EnWG Rn. 32. 23 Hellermann, in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, § 3 EnWG Rn. 32; Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 3 EnWG Rn. 82–83. 24 Siehe Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 3 EnWG Rn. 82–83. 25 So im Rahmen des Begriffs des Eigenversorgers im Bereich erneuerbare Elek trizität nach Art. 2 Nr. 14 Erneuerbare-Energien-Richtlinie, der Eigenversorgung im Sinne des § 3 Nr. 19 EEG 2021 und der Eigenanlage nach § 3 Nr. 13 EnWG. Siehe hierzu auch Lang, European Energy Law Report 2018, 135, 149.
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Kap. 2: Grundlagen
chanismen teilzunehmen oder Daten zur Verfügung zu stellen.26 Hiernach reicht aus, dass der Verbraucher irgendeine Leistung an den Energieversorger oder einen vergleichbaren Akteur erbringt, welche über die Bezahlung der Energie hinausgeht.27 Naheliegendes Beispiel wäre die Übertragung von Nutzungsdaten an den Messstellenbetreiber.28 Gerade in der digitalisierten Wirtschaftswelt sind Daten zunehmend ein Bezahlungsäquivalent.29 Die Doppelrolle bestünde dann allein in der Surrogation des Entgelts. Dies entspricht nicht der Idee des Prosumers. Die Datenweitergabe wäre hier eine Ergänzung oder ein Surrogat für monetäre Entgelte, somit dem Bereich der Bezahlung zuzuordnen. Jedoch reicht die Bezahlung nicht aus, um einen Akteur als Prosumer zu charakterisieren; andernfalls wäre jeder Letztverbraucher als Prosumer zu bezeichnen infolge der Pflicht zur Bezahlung der gelieferten Energie. Die schlichte Datenweitergabe genügt daher nicht, um die Prosumereigenschaft zu begründen. Konzeptionell und terminologisch wird vielmehr deutlich, dass eine Energieproduktion durch den Prosumer notwendig ist. Der Prosumeraktivität liegt der Gedanke zugrunde, dass der Verbraucher selbst aktiv wird.30 Aktivität in der Energiewirtschaft meint, das Zentralgut Energie zu erzeugen und am Markt anzubieten.31 Die Weitergabe der Energie – anders als nach den nationalen Begriffen in § 3 Nr. 19 EEG 2021 und § 3 Nr. 13 EnWG – an Dritte ist daher wesentlicher Teil des Prosumerbegriffs. Die Voraussetzung, dass der Prosumer Energie produzieren muss, korreliert mit der historischen Genese des Begriffs des Prosumers: Nach dem „Schöpfer“ dieses Begriffs, Alvin Toffler, ist das maßgebliche Kriterium, dass sich der Konsum auf jene Güter bezieht, welche im Rahmen der Selbstversorgung vormals eigenständig hergestellt wurden und deren Produktion dann im Zuge der Industrialisierung im weiteren Sinne ausgelagert wurde.32 26 So im Rahmen des aktiven Kunden im Sinne des Art. 2 Nr. 8 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie. 27 Siehe zu diesem Gedanken der Ausweitung des Prosumerbegriffs Reetz, Welche Chancen ein digitales Energie-Marktdesign bietet, S. 16. 28 Siehe hierzu mit Bezug zur dann gegebenen „Produktion“ von Daten Schneidewindt, What is a prosumer?. 29 Siehe hierzu grundlegend Leinemann, Personenbezogene Daten als Entgelt. 30 Siehe hierzu Europäische Kommission, Ein faires Angebot für die Verbraucher, S. 3. Siehe auch Andoni/Robu/Flynn/Abram/Geach/Jenkins/McCallum/Peacock, Renewable and Sustainable Energy Reviews 2019, 143, 167; Reetz, Welche Chancen ein digitales Energie-Marktdesign bietet, S. 13. Mit konkreten Beispielen der Aktivierung siehe Goldberg, in: Greb/Boewe, BeckOK EEG, Vor § 1 EEG Rn. 75, 77. 31 Siehe zu diesem Gedanken auch Reetz, Welche Chancen ein digitales EnergieMarktdesign bietet, S. 13; Wieser, Intelligente Elektrizitätsversorgungsnetze, S. 22. 32 Toffler, The Third Wave, S. 283 f.
A. Prosumer29
Ferner würde bei einem weiten Verständnis der Prosumereigenschaft eine solche schon dann vorliegen, wenn die Privatperson – wie selbst bei FerrarisZählern33 notwendig – Daten in Form von Verbrauchswerten übermittelt oder zur Verfügung stellt – so zum Beispiel im Rahmen der alljährlichen Ablesung des Stroms. Auch hier lassen sich aus den Verbräuchen Lastprofile34 erstellen und Informationen ablesen. Würde dies bereits genügen, wäre eine deutliche Ausweitung des Prosumerbegriffs die Folge; eine trennscharfe Unterscheidung zwischen „einfachem“ Verbraucher und Prosumer wäre nicht möglich, da auch der „einfache“ Verbraucher Daten zur Verfügung stellt und somit zum Prosumer würde. Die Doppelrolle bei der Einspeisung der Energie und der Entnahme von Energie findet sich auch im Rahmen der Netznutzergruppen wieder: Auch dort werden die Netznutzer in anfragend-entnehmende und anbietend-einspeisende Gruppen unterteilt.35 Eine Doppelrolle ergibt sich in Anlehnung an diese beiden Gruppen dann, wenn sowohl Energie eingespeist als auch entnommen wird. Die Energieeinspeisung und -entnahme sind auch hier die zentralen Kriterien,36 anderweitige Aktivitäten fallen nicht in die jeweiligen Gruppen. Charakteristisch für einen Prosumer ist die Bidirektionalität37 der Energieerzeugung und des Energiebezugs. Die Bidirektionalität bedingt die für den Bilanzkreis und damit für die Versorgungssicherheit und Netzstabilität maßgeblichen Fragestellungen bei den oftmals an das Verteilernetz angeschlossenen Prosumern.38 Sie ist Anknüpfungspunkt wesentlicher – rechtlicher wie 33 Bei einem Ferraris-Zähler handelt es sich um den klassischen elektromechanischen Stromzähler, vgl. Hartmann/Wagner, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 20 EnWG Rn. 260. 34 Bezug genommen sei hier auf die Standard-Lastprofile (SLP), siehe hierzu exemplarisch Lüdtke-Handjery, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 13 StromNZV Rn. 7 sowie LG Duisburg BeckRS 2014, 9464. 35 Hufendiek, in: Schwintowski/Scholz/Schuler, Handbuch Energiehandel, Erster Teil A. Rn. 113, S. 51. Siehe hierzu mit der Unterscheidung in „supply-oriented“ und „consumption-oriented“ Park/Lee/Chang, A Sustainable Home Energy ProsumerChain Methodology, S. 6. 36 Siehe hierzu auch Lehner, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 6, § 55 MsbG Rn. 36 f. 37 Bidirektionalität bezeichnet einen Vorgang, welcher in zwei entgegengesetzte Richtungen vollzogen wird, vgl. Steinbach/Weise, in: Steinbach/Weise, Messstellenbetriebsgesetz, Einleitung Rn. 4. Siehe hierzu auch Theobald/Zenke/Dessau, in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, § 16 Rn. 96. 38 Federau, Ein Beitrag zur Konzeptionierung eines Leitsystems für steuerbare Microgrids, S. 1; Germanwatch, Chancen und Risiken, S. 32. Vgl. hierzu auch BMWi, Gutachten Digitalisierung der Energiewende, Topthema 2, S. 13; Tschida, Die Systemverantwortung der Netzbetreiber, S. 9. Vgl. auch VDE, Dezentrale Energieversor-
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Kap. 2: Grundlagen
tatsächlicher – Fragestellungen.39 Die übrigen Thematiken sind vielmehr dem Daten- und Verbraucherschutzrecht zuzuordnen, also nicht originär energierechtlichen Bereichen. Sonstiges netzdienliches Verhalten40 genügt ebenso wenig, um die Pro sumereigenschaft zu begründen. Dies sind vielmehr Charakteristika des flexiblen Verbrauchers.41 Der Letztverbraucher erzeugt hier keine Energie, sondern lässt seinen Energieverbrauch von Versorger- oder Netzbetreiberseite steuern, indem beispielsweise seine zur Verfügung stehende Kapazität reduziert oder die Batterie seines Elektroautos zu späteren Zeitpunkten geladen wird. Er wird nicht parallel als „Producer“ tätig. 2. Kein Erfordernis primärer Energieerzeugung Der Begriff der Energieproduktion ist weit zu verstehen. Die systematische und teleologische Betrachtung zeigt, dass keine originäre Produktion von Energie im Sinne einer Umwandlung eines Primärenergieträgers erforderlich ist. Es genügt auch die Produktion durch Freigabe aus einem Speicher. Vereinfachend wird teilweise davon gesprochen, dass die Prosumereigenschaft vorläge, wenn erzeugt und verbraucht wird.42 Dies lässt offen, ob damit auch die Tätigkeit des Speicherns und der anschließenden Ausspeisung erfasst ist. Einspeisung in den und Ausspeisung aus dem Speicher lassen sich nicht eindeutig unter den Begriff der „Erzeugung“ fassen, sondern stellen einen Vorgang sui generis dar.43
gung 2020, S. 11; Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 179 f. 39 So insbesondere Fragen der Netznutzung und -stabilität, der Haftung beim Energiehandel, der Versorgungssicherheit, des Verbraucher- und Datenschutzes. 40 So beispielsweise das „ferngesteuerte“ Laden des Elektro-PKW oder die lastorientierte und damit netzdienliche Nutzung einer KWK-Anlage, vgl. Reetz, Welche Chancen ein digitales Energie-Marktdesign bietet, S. 16. Alternativ und weitergehend könnte auch der Bezug lediglich ungesicherter Kapazität als netzdienlichem Verhalten als die Prosumereigenschaft begründend herangezogen werden. 41 Auch das BMWi unterscheidet zwischen beiden Begriffen, vgl. etwa BMWi, Gutachten Digitalisierung der Energiewende, Topthema 2, S. 14, 29, 48. 42 Park/Lee/Chang, A Sustainable Home Energy Prosumer-Chain Methodology, S. 6; Prinz/Schulte, Blockchain und Smart Contracts, S. 45; Seyderhelm, EnWZ 2018, 348, 348; Tundal, Utilizing Blockchain Technology for Settlement in a Microgrid, S. I; Wilkens/Falk, Smart Contracts, S. 20. 43 Siehe hierzu exemplarisch Halbig, EnZW 2020, 3, 4; Thomas/Altrock, ZUR 2013, 579, 579.
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Dezentrale Speichersysteme können die Sicherstellung der Versorgungssicherheit unterstützen.44 Infolge der hohen Volatilität der Erneuerbaren Energien45 wird die Versorgungssicherheit zunehmend stärker von Speichern abhängen.46 Den Speichern kommt daher eine besondere Rolle zu. Damit ist die aktive Teilnahme am Markt mittels der Speicher besonders systemdien lich,47 insbesondere wenn Prosumer ihre Speicher beispielsweise zu Erzeugungshochzeiten mit Energie füllen und dann in Zeiten besonders hoher Nachfrage die Energie wieder ausspeisen. Die Wirkung auf die Netze, das Bilanzkreismanagement und auch die Rollen der verschiedenen Beteiligten ist sowohl bei der Einspeisung von eigens erzeugtem Strom als auch bei der Entnahme von Strom aus einem eigenen Speicher dieselbe. Der Kunde nimmt auch durch den (zielgerichteten) Einsatz von Speichern eine aktive Rolle bei der Einspeisung von Energie ein. Auch § 3 Nr. 15 EnWG spricht für die Einbindung gespeicherter Energie. § 3 Nr. 15 EnWG begründet eine Legaldefinition der Energieanlagen und erfasst dabei jegliche Anlagen, welche zur Erzeugung, Speicherung, Fortleitung oder Abgabe von Energie geeignet sind. Auch hier wird für diese netzrelevanten Bereiche die Abgabe infolge einer Speicherung einbezogen. Der Begriff der Energieanlagen wird nicht auf Erzeugungs- und Verbrauchseinheiten begrenzt, sondern erfasst ebenso Speicheranlagen. Es genügt daher für die Prosumereigenschaft, dass Energie eingespeist wird, unabhängig davon, ob sie selbst produziert oder aus einem Speicher entnommen wurde.48 3. Energieproduktion als Nebentätigkeit Der Prosumer produziert Energie als Nebentätigkeit im Sinne einer nicht beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit. Dies fordert auch das Europarecht. 44 Federau, Ein Beitrag zur Konzeptionierung eines Leitsystems für steuerbare Microgrids, S. 44. Zur Vernetzung siehe auch unten Kapitel 3, E. und Kapitel 3, F. 45 Goldberg, in: Greb/Boewe, BeckOK EEG, Vor § 1 EEG Rn. 73; Liu/Chai/ Zhang/Chen, Peer-to-peer electricity trading system: smart contracts based proof-ofbenefit consensus protocol, S. 1; Lüdemann/Jürgens/Sengstacken, ZNER 2013, 592, 592; Lüdemann/Ortmann/Pokrant, RDV 2016, 125, 125; Säcker, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 1, Einleitung A. EnWG Rn. 4; Schüler, Der in stitutionelle Regulierungsrahmen für die europäische Energiewirtschaft, S. 51; VDE, Dezentrale Energieversorgung 2020, S. 32. 46 Siehe hierzu nur VDE, Dezentrale Energieversorgung 2020, S. 32 ff. 47 Siehe hierzu ferner Erwägungsgrund 42, Art. 32 II 2 2. Hs., Art. 15 IV Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie. 48 Mit diesem Ergebnis für den Speicherbetrieb durch ursprüngliche Verbraucher auch Ohrtmann/Netzband/Lehner/Bruchmann, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 4, 4. Auflage 2017, § 55 MsbG Rn. 36; Park/Lee/Chang, A Sustainable Home Energy Prosumer-Chain Methodology, S. 7.
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Kap. 2: Grundlagen
Beließe man es bei den Merkmalen der Doppelrolle und der Energieproduktion, fielen auch sämtliche klassischen Stromproduzenten unter den Begriff des Prosumers: Auch ein Großkraftwerk verbraucht einen gewissen Teil des produzierten Stroms selbst für die eigene Infrastruktur.49 Allerdings ist der Verbrauch im Vergleich zur Produktion verschwindend gering. Es handelt sich um eine wirtschaftlich-gewerbliche Tätigkeit im Rahmen einer zentralisierten Energieversorgung. Diese stellt das berufliche Hauptbetätigungsfeld dar und keine neben den fortbestehenden Verbrauch hinzutretende Aufgabe. Mit dem Ziel des Prosumerbegriffs, den aktiv am Markt tätigen Verbraucher zu beschreiben, wäre dies nicht zu vereinbaren. Charakteristisch für die Aktivitäten der Kleinproduzenten ist, dass die Produzentenrolle nicht Hauptgegenstand einer gewerblichen Tätigkeit ist, sondern vielmehr die Produktion zum Eigenverbrauch im Vordergrund steht und die Einspeisung in das Netz als Nebentätigkeit dazu tritt, sofern Strom überschüssig produziert wird.50 Dies spricht auch dafür, dass auch eine Einspeisung und Weitergabe der erzeugten Energie möglich sein muss. Nach dem Sinn und Zweck der Prosumeraktivitäten, eine aktive Einbindung des vormals rein passiv-beziehenden Kunden als Endverbraucher zu erreichen, ist daher auch nur der Kreis der klassischen „Kunden“ respektive „Endkunden“ oder „Letztverbraucher“ einbezogen. Dafür muss der Verbrauch neben der Produzententätigkeit einen gewichtigen, nicht deutlich untergeordneten Faktor ausmachen. Prosumer decken daher grundsätzlich zunächst den eigenen Energiebedarf und bieten im Falle einer Überproduktion dann die nicht selbst benötigte Energie zum Erwerb an.51 Der Verkauf ist nicht das vornehmliche gewerbliche oder berufliche Betätigungsziel. 4. Energieträgerunabhängigkeit Nicht eindeutig ist, ob der Prosumer ausschließlich Erneuerbare Energie erzeugt. Für die Erneuerbare-Energien-Richtlinie52 und das EEG ist dies An49 Insbesondere im Bereich der Braunkohleverstromung werden beispielsweise im Rheinischen Braunkohlerevier 5 % des produzierten Stroms, rund 530 MW, durch die Produktionsinfrastruktur selbst verbraucht, siehe Koch, RWE investiert in flexible Kraftwerke, Kölner Stadt-Anzeiger vom 10. Oktober 2012. 50 Siehe hierzu Park/Lee/Chang, A Sustainable Home Energy Prosumer-Chain Methodology, S. 6. Vgl auch Tundal, Utilizing Blockchain Technology for Settlement in a Microgrid, S. 25. Zum Merkmal fehlender Gewerblichkeit siehe auch MellerHannich, Wandel der Verbraucherrollen, S. 116. 51 Mihaylov/Jurado/Avellana/Van Moffaert/Magrans de Abril/Nowé, NRGcoin, S. 2. 52 Siehe hierzu die Erwägungsgründe 66 und 68 der Erneuerbare-Energien-Richtlinie.
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wendungsvoraussetzung. Die übrigen Regelungswerke sehen keine derartige Restriktion vor. Der Prosumerbegriff ist nicht auf die Produktion rein Erneuerbarer Energien beschränkt. Die Energieträger-Basis der Aktivitäten allein bestimmt nicht maßgeblich den Rechts- und Regulierungsrahmen.53 So würden bei einer Begrenzung auf Erneuerbare Energien Akteure ausgegrenzt, welche beispielsweise eine Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlage unter Nutzung grauen Wasserstoffs54 betreiben, obwohl sich hier in weiten Teilen dieselben Fragestellungen insbesondere zivilrechtlicher Art stellen wie bei der Nutzung lediglich Erneuerbarer Energien. Das besondere Potenzial der Verbraucheraktivierung besteht unabhängig vom genutzten Energieträger. Es wäre verfehlt, notwendige Brückentechnologien per se auszuklammern. Anreize, Erneuerbare Energien zu nutzen, werden unabhängig von der Einordnung als Pro sumer geschaffen, beispielsweise durch die Einspeisevergütung oder Marktprämie. Auch ist es möglich, innerhalb Prosumer-spezifischer Regelwerke Unterscheidungen zwischen nachhaltigen Prosumeraktivitäten – dann beispielsweise auf Basis Erneuerbarer Energieträger – und nicht nachhaltigen Prosumeraktivitäten zu treffen. Einer generellen Exklusion aus dem Begriff der Prosumer bedarf es nicht. 5. Definition des Prosumers Der Prosumer zeichnet sich dadurch aus, dass er selbst Energie produziert und diese verbraucht. Er ist Erzeuger und zugleich Verbraucher. Daneben stellt die Energieproduktion eine Nebentätigkeit dar, während gleichzeitig die Energieverbrauchereigenschaft fortbesteht. Die Weitergabe der Energie an Dritte auch über das Netz ist dabei möglich. Der Begriff der Energieproduktion ist weit zu verstehen und erfasst nicht nur die originäre Energieproduktion, sondern auch die Ausspeisung aus einem Speicher. Die verwendeten Energieträger sind nicht ausschlaggebend.
53 Unterschiede ergeben sich hier vielmehr lediglich hinsichtlich der Fördermöglichkeiten nach den speziellen energie- und steuerrechtlichen Gesetzen. 54 Grauer Wasserstoff gilt nicht als Träger Erneuerbarer Energie, vgl. BMBF, Eine kleine Wasserstoff-Farbenlehre.
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Kap. 2: Grundlagen
B. Smart Contracts I. Definition des Smart Contracts Smart Contracts sind bedingungsabhängige und regelbasierte Abwicklungsautomatismen im Sinne eines Softwareprotokolls, welche Verträge schließen und durchführen können. Der Smart Contract vernetzt verschiedene Personen, Geräte, Anlagen und weitere Beteiligte miteinander.55 Der Begriff des Smart Contract lässt bei strikter Übersetzung vermuten, es handele sich um einen intelligenten Vertrag. Smart Contracts sind jedoch weder Verträge im Sinne der Rechtsgeschäftslehre,56 noch ist ein erhöhtes Niveau an „Intelligenz“ erforderlich, um von einem Smart Contract sprechen zu können.57 Die Begriffsbezeichnung ist daher irreführend.58 Der Begriff des Smart Contract ist keineswegs ein feststehender Begriff – insbesondere mangelt es an einer Legaldefinition –, sondern es bestehen verschiedene Definitionsansätze.59 Auszugehen ist von den technischen Grundlagen des Smart Contract. 1. Technische Grundlagen a) „Wenn-dann“-Struktur als Basis Der Begriff des Smart Contract geht auf Nick Szabo zurück, dieser beschrieb ihn erstmals in einem Aufsatz im Jahre 1997.60 Szabo bezeichnete den Smart Contract als „a computerized transaction protocol that executes the terms of a contract“.61 Charakterisierende Merkmale sind hiernach die Automatisierung („computerized“) sowie die regelbasierte Ausführung vorher festgelegter Abläufe („executes the terms of a contract“).62 Vorausgesetzt wird Konditionalität zwischen den Ein- und Ausgaben.63 55 Hasse/von Perfall/Hillebrand/Smole/Lay/Charlet, Blockchain – Chance für Energieverbraucher?, S. 15; Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431, 434; Prinz/Schulte, Blockchain – Technologien, Forschungsfragen und Anwendungen, S. 19. 56 Siehe hierzu unten Kapitel 2, B.IV.2. sowie Kipker/Birreck/Niewöhner/Schnorr, MMR 2020, 509, 509. 57 Siehe hierzu unten Kapitel 2, B.I.1.c). 58 Siehe hierzu Paulus, JuS 2020, 107, 107; Wilkens/Falk, Smart Contracts, S. 30. 59 So auch Berentsen/Schär, Bitcoin, Blockchain und Kryptoassets, S. 289; Müller/ Seiler, AJP 2019, 317, 318. 60 Szabo, First Monday 1997, 9. 61 Szabo, Smart Contracts. 62 Siehe hierzu auch Hofmann/Strewe/Bosia, Supply Chain Finance and Blockchain Technology, S. 44; Jaccard, Smart Contracts and the Role of Law, S. 3; Sa-
B. Smart Contracts35
Vitalik Buterin definierte den Begriff als „systems which automatically move digital assets according to arbitrary pre-specified rules“64. Zentral sind hiernach die regelbasierten Ausführungen bestimmter Vorgänge bei Eintritt ex ante definierter Bedingungen.65 Zudem fordert Buterin, dass „digital assets“ vom Smart Contract verwaltet und übertragen werden. Auch nach Buterin soll der Smart Contract allerdings reale Assets verwalten und übertragen können.66 Der Smart Contract ist nicht auf digitale Assets beschränkt. Vielmehr bestätigt auch Buterin die von Szabo definierten Kriterien der Automatisierung und der regelbasierten Ausführung vorher festgelegter Abläufe. Die Funktionsweise des Smart Contract liegt daher in einer „wenn-dann“Funktion beziehungsweise „wenn-dann“-Struktur: Beim Eintritt bestimmter Bedingungen wird eine bestimmte (Rechts-)Folge veranlasst.67 Die (digital) prüfbare Eingabe, die im Programm niedergelegten Kriterien zur Eingabe verarbeitung und die daraufhin ausgelöste Rechtsfolge sind somit das Grundprinzip des Smart Contracts.68 Auf der Tatsachenseite wird geprüft, ob bestimmte Bedingungen erfüllt sind; auf der (Rechts-)Folgenseite veranlasst der Smart Contract eine Zustandsveränderung, sofern die Bedingungen auf
velyev, Information & Communications Technology Law 2017, 116, 116; SLTA, Data, Blockchain and Smart Contracts, S. 9; Thomas/Zhou/Long/Wu/Jenkins, Nature Energy 2019, 140, 140. 63 Savelyev, Information & Communications Technology Law 2017, 116, 126. 64 Buterin, Ethereum Whitepaper, S. 1. 65 Buchmüller, EWeRK 2018, 117, 118; Burgwinkel, Blockchaintechnologie und deren Funktionsweise verstehen, in: Burgwinkel, Blockchain Technology, S. 3, 48; Gabler Wirtschaftslexikon, Smart Contract Rn. 1; vgl. auch Scholtka/Kneuper, IR 2019, 17, 18 m. w. N.; Raskin, Georgetown Law Technology Review 2017, 305, 307; Schulz, c’t 2017, Heft 23, S. 108, 108; Sieverding/Schneidewindt, Blockchain in der Energiewirtschaft, WISO Direkt 2016, Heft 30, S. 2; Tundal, Utilizing Blockchain Technology for Settlement in a Microgrid, S. 18; Völkle, MMR 2021, 539, 539. 66 Buterin, Ethereum Whitepaper, S. 1. 67 Siehe hierzu Börding/Jülicher/Röttgen/von Schönfeld, CR 2017, 134, 138; Germanwatch, Chancen und Risiken, S. 26; Jaccard, Smart Contracts and the Role of Law, S. 3; Müller/Seiler, AJP 2019, 317, 317 f.; Pittl/Gottardis, EuCML 2019, 205, 205; Schawe, MMR 2019, 218, 218; Schwöbel/Bensberg/Gerth, AKWI 2018, Heft 8, S. 55, 59; SLTA, Data, Blockchain and Smart Contracts, S. 36; vbw, Blockchain und Smart Contracts, S. 23; Wilkens/Falk, Smart Contracts, S. 4. Siehe auch Simmchen, MMR 2017, 162, 164; Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 42 f. 68 Finck, Grundlagen und Technologie von Smart Contracts, in: Fries/Paal, Smart Contracts, S. 6 m. w. N.; Heckmann/Kaulartz, c’t 2016, Heft 24, S. 138, 139; Riehm, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 9 Rn. 10, S. 102; Wilkens/Falk, Smart Contracts, S. 3.
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Kap. 2: Grundlagen
der Tatsachenseite vorliegen.69 Auf der Ebene des Rechts wird diese Dichotomie mit den Begriffen des Tatbestands und der Rechtsfolge umschrieben.70 Das Beispiel eines Warenautomaten verdeutlicht diese „wenn-dann“Struktur:71 Der Warenautomat prüft, ob und wenn ja welche Ware vom Benutzer gewünscht wird und ob der dafür notwendige Geldbetrag eingeworfen wurde (Tatsachenseite). Unter diesen Voraussetzungen veranlasst der Warenautomat die entsprechende (Rechts-72 oder Tatsachen-)Folge, hier die Ausgabe der Ware und ggf. die Ausgabe von Wechselgeld oder einer Quittung. Hierdurch tritt die „wenn-dann“-Beziehung hervor.73 Dieses Grundprinzip der Smart Contracts ist keine Entwicklung der vergangenen Jahre, sondern vielmehr – insbesondere im Rahmen des Einsatzes von Warenautomaten – ein seit geraumer Zeit bekannter und umfangreich genutzter Mechanismus.74 Weitere Voraussetzung ist die automatisierte Prüfung, ob die „Tatbestandsvoraussetzungen“ vorliegen und darauf aufbauend, dass die Folgen tatsäch licher wie rechtlicher Art veranlasst werden. Eine menschliche Handlung ist nicht erforderlich.75 Der zugrundeliegende Mechanismus weist mithin die 69 Siehe hierzu Fries, Rethinking Law 2018, Heft 1, S. 46, 47; Glatz, Rethinking Law 2018, Heft 0, S. 22, 23; SLTA, Data, Blockchain and Smart Contracts, S. 36; Tundal, Utilizing Blockchain Technology for Settlement in a Microgrid, S. 18. Vgl. auch Breidenbach/Glatz, in: Breidenbach/Glatz, Handbuch Legal Tech, Kapitel 1.1 Rn. 24, S. 6. 70 Siehe hierzu Herbert, JZ 2011, 503, 503 mit Verweis auf Kipp, Über Doppelwirkungen im Recht, insbesondere über die Konkurrenz von Nichtigkeit und Anfechtbarkeit, in: Berliner Juristische Fakultät, FS Martitz, S. 211, 212. 71 Zur Frage, ob es sich bei einem Warenautomaten als solchem bereits ebenso um einen Smart Contract im hier genannten Sinne handelt oder ob es dafür weiterer Elemente bedarf, siehe unten Kapitel 2, B.I.1. Alternativ kann auch das Beispiel eines Parkscheinautomaten o. ä. herangezogen werden. Siehe zum Konnex von Warenautomaten und Smart Contracts auch Chatzinerantzis/Bertram, EnWZ 2021, 65, 67; Lang/ Müller, International Mining and Oil & Gas Law, Development, and Investment 2019, 17B-1, S. 3; Raskin, Georgetown Law Technology Review 2017, 305, 306. 72 Zur schuldrechtlichen und dinglichen Ebene und den dort relevanten Details im Rahmen des Einsatzes von Smart Contracts siehe unten Kapitel 2, B.IV. 73 Zum Vergleich zwischen Warenautomaten und Smart Contracts siehe Mukhopadhyay, Ethereum Smart Contract Development, S. 126; Savelyev, Information & Communications Technology Law 2017, 116, 120. 74 Zur Geschichte der Warenautomaten beginnen im Jahr 215 v. Chr. siehe Raskin, Georgetown Law Technology Review 2017, 305, 315 f. m. w. N. Siehe ferner auch die Nachweise bei Savelyev, Information & Communications Technology Law 2017, 116, 120 f. 75 Hofmann/Strewe/Bosia, Supply Chain Finance and Blockchain Technology, S. 44; Müller/Seiler, AJP 2019, 317, 318 m. w. N.; Pittl/Gottardis, EuCML 2019, 205, 205; Raskin, Georgetown Law Technology Review 2017, 305, 306; Riehm, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 9 Rn. 10, S. 102; Schurr, EuZW 2019, 772, 773.
B. Smart Contracts37
Fähigkeit auf, solche Prüfungen und Handlungen selbstständig ohne menschliche Interaktion vornehmen zu können. Hierin liegt der zentrale Effizienzgewinn durch den Einsatz von Smart Contracts. b) Notwendigkeit nachprüfbarer und wertungsfreier Eingaben und eindeutiger Rechtsfolgen Für das Funktionieren des automatisierten Smart Contracts ist die „wenndann“-Struktur erforderlich.76 Deshalb müssen die Entscheidungsbasis und die zu veranlassende (Rechts-)Folge – blendet man den Einsatz Künstlicher Intelligenz aus77 – klar definiert sein. Der Smart Contract ist auf digital verifizierbare, mithin eindeutig in die Kategorien Ja/Nein, 0/1 oder true/false einzuordnende Ergebnisse beschränkt.78 Dies bedeutet freilich nicht, dass der Smart Contract generell auf nur insgesamt zwei Entscheidungsoptionen begrenzt wäre: Die Binarität bezieht sich vielmehr nur auf die Entscheidung, ob ein bestimmtes Attribut in Bezug auf eine Option vorliegt oder nicht; lediglich hier besteht eine bloß binäre Entscheidungsmöglichkeit. Es können jedoch mehrere Attribute und auch mehrere Optionen innerhalb eines Smart Contract kombiniert und dann beispielsweise in ein Rang- oder gegenseitiges Ausschlussverhältnis gesetzt werden.79 Die Tatsachenvoraussetzungen müssen maschinell überprüfbar sein, d. h. die Eigenschaften müssen verifizierbar sein. So kann ein Smart Contract beispielsweise vollautomatisch prüfen, ob eine Zahlung eingegangen ist oder ob Strom von der eigenen Photovoltaikanlage produziert wird. Bei beiden Szenarien handelt es sich um objektiv determinierbare und ohne Wertentscheidung verifizierbare Umstände. In „Maschinensprache“ ließen sich beide Umstände eindeutig mittels einer „0“ oder „1“ codieren, eine binäre Entscheidung zwischen „Ja“ und „Nein“ kann getroffen werden. Jenseits dieser wertungsfreien Tatbestandsvoraussetzungen begründet die Rechtsordnung aber auch Kriterien, welche abhängig von Wertungen sind. Ein Beispiel hierfür ist die Prüfung der Solvenz, sofern diese nicht allein 76 Vgl.
Eschenbruch/Gerstberger, NZBau 2018, 3, 5. Einsatz von Künstlicher Intelligenz zum Umgang mit unbestimmten Rechtsbegriffen siehe Kaulartz/Kreis, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 19 Rn. 4 f., S. 250. 78 Kaulartz/Heckmann, CR 2016, 618, 620, 623; SLTA, Data, Blockchain and Smart Contracts, S. 36. Vgl. auch Finck, Grundlagen und Technologie von Smart Contracts, in: Fries/Paal, Smart Contracts, S. 6; Potel/Hessel, jM 2020, 354, 365; Savelyev, Information & Communications Technology Law 2017, 116, 125; Wilkens/ Falk, Smart Contracts, S. 10, 14. 79 Siehe hierzu auch Wilkens/Falk, Smart Contracts, S. 10. 77 Zum
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Kap. 2: Grundlagen
anhand eines vorhandenen Bankguthabens, sondern anhand einer Zahlungsfähigkeitsprognose oder der Erfüllungswahrscheinlichkeit einer Forderung beurteilt wird.80 Ein weiteres Beispiel ist die Frage angemessener Fristen81 oder ob Unzumutbarkeit vorliegt82. Eine Wertentscheidung kann der Smart Contract nicht treffen. Unbestimmte Rechtsbegriffe und wertende Tatsachenund Auslegungsfragen begrenzen die Einsatzmöglichkeiten der Smart Contracts. Diese lassen keine eindeutige „wenn-dann“-Codierung zu,83 sondern verlassen den abwägungs- und wertungsfreien Raum.84 Der Smart Contract mit fixem Programmcode als Basis kann mit solchen Auslegungsräumen nicht umgehen.85 Automatisierung gerät bei hergebrachtem Verständnis an ihre Grenzen, sobald interpretative Fähigkeiten gefordert sind.86 Im Protokoll können eindeutige Kriterien niedergelegt werden, anhand derer die Wertentscheidungen im Einzelfall zu treffen sind. Dadurch wird die Wertentscheidung auf die Ebene der Protokollerstellung verlagert, im Rahmen derer die Kriterien festgelegt und gewichtet werden. Der Smart Contract trifft die Entscheidung im Einzelfall dann wiederum lediglich auf Basis der ihm zur Verfügung gestellten Kriterien in objektiver und nachprüfbarer Weise, mithin ohne eine eigene Wertentscheidung. Auch auf der Rechtsfolgenseite existieren eindeutig codierbare, wertungsfreie Rechtsfolgen, welche der Smart Contract veranlasst. Beispielsweise kann der Smart Contract eine ex ante exakt determinierte Willenserklärung abgeben87 oder eine konkret definierbare Menge eines Handelsgutes, so zum Beispiel Strom oder Gas, liefern. Eine Auswahlentscheidung hinsichtlich des zu liefernden Gutes bei80 Zu den Problemen einer solchen Prognose der Zahlungsfähigkeit und den vielfältigen Kriterien, welche dabei von Relevanz sind siehe exemplarisch Gras, in: Nerlich/Kreplin/Rhode, Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung, § 2 Rn. 61–66. 81 Heckmann/Kaulartz, c’t 2016, Heft 24, S. 138, 139. Dieses Problem könnte sich beispielsweise im Rahmen der Prüfung eines Schadensersatzbegehrens aus §§ 280 I, III, 281 I BGB stellen. 82 Dieses Tatbestandsmerkmal findet sich beispielsweise in § 282 BGB. 83 Simmchen, MMR 2017, 162, 164; vgl. auch Rasinski, Blockchain-Technologie, S. 88; SLTA, Data, Blockchain and Smart Contracts, S. 36; vbw, Blockchain und Smart Contracts, S. 16, 23. 84 Finck, Grundlagen und Technologie von Smart Contracts, in: Fries/Paal, Smart Contracts, S. 9 f.; vgl. auch BDEW, Blockchain in der Energiewirtschaft, S. 50; SLTA, Data, Blockchain and Smart Contracts, S. 40. 85 Hohn-Hein/Barth, GRUR 2018, 1089, 1093; Koch/Reitwiessner, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 5 Rn. 11, S. 62; Savelyev, Information & Communications Technology Law 2017, 116, 125. 86 Wiegerling, in: Breidenbach/Glatz, Handbuch Legal Tech, Kapitel 1.3 Rn. 18, S. 24. 87 Zur Möglichkeit der Abgabe von Willenserklärungen durch den Smart Contract siehe unten Kapitel 2, B.IV.2.a) im Rahmen der rechtlichen Kontextualisierung.
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spielsweise kann der Smart Contract jedoch nicht treffen, ebenso kein angemessenes88 Entgelt festsetzen. Auch hier ist eine abwägend-wertende Entscheidung nötig, welche der Smart Contract in dieser Form nicht vornehmen kann. Die Situation auf der (Rechts-)Folgenseite entspricht insoweit derjenigen auf der Tatsachenseite. Durch die strikte und wertungsfreie Ausführung ex ante determinierter Vorgänge wird sichergestellt, dass sich der Smart Contract exakt an die Vorgaben hält und nicht nach eigenem „Gutdünken“ entscheidet.89 Für die standardisierten Massengeschäfte in der Energiewirtschaft90 ist diese Striktheit im Sinn einer starren Typisierbarkeit und regelbasierten (garantierten) Ausführung zentral.91 Künstliche Intelligenz könnte allerdings künftig wertende Entscheidungen durch Smart Contracts ermöglichen. Maschinelles Lernen würde so ein individuelleres und damit wertendes Reagieren auf vertragswichtige Umstände gewährleisten. Der Automatismus könnte Fähigkeiten entwickeln, auf der Basis bisheriger Erfahrungen Rückschlüsse zu ziehen und selbst Wertungen vorzunehmen.92 So würde die Künstliche Intelligenz bisherige Entscheidungen beispielsweise bei der Bestimmung, ob eine Frist angemessen ist, auswerten, auf den konkreten Fall übertragen und so eine eigene wertende Entscheidung im konkreten Fall treffen. Daneben ließen sich automatisierte Prüfungen des Smart Contracts auch mit wertenden Entscheidungen eines Menschen verknüpfen. Entscheidungen, die eine individuelle Wertung erfordern, würden in diesen Fällen vom Menschen vorgenommen; der Smart Contract würde sich auf die übrigen Entscheidungen beschränken.93 Es entstünde in der Folge eine Kombination von automatisierter Abwicklung standardisierter, wertungsfreier Entscheidungen und durch Menschen vollzogener, wertungsbasierter Entscheidungen. Allerdings können bei diesem Vorgehen die Vorteile der Automatisierung nur be88 Vgl. hierzu § 315 BGB. Zur Bedeutung des § 315 BGB in der Energiewirtschaft siehe auch Bruhn, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 1, § 41 EnWG Rn. 12, 21 ff. 89 Koch/Reitwiessner, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 5 Rn. 12, S. 62. Aufgrund dessen stellen sich in dieser Gestaltung der Smart Contracts abseits der KI nicht jene Fragen, welche sich im Rahmen der ethischen und philosophischen Probleme beim Einsatz von KI stellen. 90 Siehe unten Kapitel 3, C. Zur Sinnhaftigkeit des Einsatzes bei der Energielieferung siehe Bertram, MDR 2018, 1416, 1418. 91 Bertram, MDR 2018, 1416, 1418. 92 Berger, NVwZ 2018, 1260, 1263 m. w. N. 93 Vgl. zu diesem Gedanken auch Kipker/Birreck/Niewöhner/Schnorr, MMR 2020, 509, 513; SLTA, Data, Blockchain and Smart Contracts, S. 45 f.
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Kap. 2: Grundlagen
grenzt genutzt werden. Eine volle Automatisierung kann auf diese Weise nicht erreicht werden. c) Fehlende „Smartness“ des Smart Contracts Der Smart Contract ist nicht auf Künstliche Intelligenz, Verselbstständigung und Weiterentwicklung des Codes oder andere vergleichbare Formen des Machine Learning angewiesen. „Smart“ ist zwar als schlau oder auch clever94 zu übersetzen, sodass dies eine eigene Intelligenz oder Auffassungsgabe nahelegt.95 Beider bedarf der Smart Contract jedoch nicht. Nick Szabo, der „Begründer“ der Smart Contracts, wählte das Wort „Smart“, weil die automatisierten und digitalisierten Verträge erheblich weitgehendere Funktionen aufweisen als analoge Verträge.96 Insbesondere kann der Smart Contract bestimmte Voraussetzungen digital und automatisch prüfen und Handlungen ausführen.97 Eine Nutzung von „artificial intelligence“ war nicht gemeint.98 Eine gegenüber der „wenn-dann“-Struktur weitergehende Qualifizierung vor dem Hintergrund „maschineller Intelligenz“ besteht nicht.99 Ohne weitergehende Qualifizierung des Automatismus – würde man demgemäß jeglichen Grad an Automatisierung genügen lassen – reicht somit beispielsweise auch der im Parkschein- oder Kaugummiautomaten genutzte Mechanismus für die Annahme eines Smart Contracts aus: Das Gerät stellt ohne jegliche menschliche Interaktion fest, ob die nötigen Voraussetzungen (im Beispiel der Einwurf von Münzgeld) vorliegen, um die ex ante festgelegte Folge zu bewirken (Ausgabe von Parkscheinen oder Kaugummis).100 Die oben genannte „wenn-dann“-Struktur liegt auch bei diesen Systemen vor.
94 PONS
Dictionary, smart. hierzu etwa die Thesaurus-Angaben zum Begriff „schlau“ und „clever“ in Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften, Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache. 96 Szabo, Smart Contracts Building Blocks for Digital Markets. Siehe auch Jaccard, Smart Contracts and the Role of Law, S. 3 f.; Raskin, Georgetown Law Technology Review 2017, 305, 320. 97 Mit dieser Deutung auch Voshmgir, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 2 Rn. 1, S. 13. 98 Jaccard, Smart Contracts and the Role of Law, S. 3 f.; Szabo, Smart Contracts Building Blocks for Digital Markets. 99 Mit diesem Ergebnis auch Gyr, Blockchain und Smart Contracts, S. 90; Mukhopadhyay, Ethereum Smart Contract Development, S. 127. 100 Siehe hierzu nur Mukhopadhyay, Ethereum Smart Contract Development, S. 126. 95 Siehe
B. Smart Contracts41
Bei derartigen Systemen handelt es sich jedoch um seit Jahrhunderten101 bekannte und technisch wenig anspruchsvolle Mechanismen. Digitalisierung wird jedoch mit der Industrie 4.0 und dem Internet of Things, mithin weitaus elaborierteren und technisch anspruchsvolleren Informationssystemen in Verbindung gebracht.102 Dies legt – in Anlehnung an die strikte Übersetzung des Wortes „smart“ – nahe, die Smart Contracts forderten beispielsweise die Nutzung Künstlicher Intelligenz oder maschinellen Lernens. Hierbei bleibt jedoch unklar, wie das für die Annahme eines Smart Contract erforderliche Niveau an Automatisierung festgelegt werden sollte, wenn man hinsichtlich der Anforderungen über das Fordern einer „wenn-dann“Struktur hinausgehen würde. Auch aus der technischen Perspektive bedeutet Automatisierung als Grundlage des Smart Contracts nicht zwingend, dass die Ausführung gänzlich auf menschliche Mitwirkung, beispielsweise durch Eingabe von Daten verzichtet.103 Es genügt vielmehr, dass an Tatsachen der realen Welt (Prüfung des „Wenn“) ohne weitere Interaktion von menschlicher Seite in automatisierter Form eine Handlung als (Rechts-)Folge geknüpft wird (Vollziehung des „Dann“). Dies ist auch im Beispiel des Kaugummi- oder Parkscheinautomaten gegeben. Die funktionale Basis ist identisch. Allein die ohne menschliche Interaktion ausgeführte „wenn-dann“-Struktur genügt daher für einen Smart Contract – unabhängig vom konkreten Grad einer etwaigen „Verselbstständigung“ im Sinne der Künstlichen Intelligenz. Der Verzicht auf menschliche Interaktion bei der Ausführung und der damit einhergehende hohe Automatisierungsgrad sind die Besonderheiten des Smart Contracts.104 Diese automatisierte Ausführung der Vorgänge im Rahmen der „wenn-dann“Struktur charakterisiert den Smart Contract. Für das Vorliegen eines Smart Contracts ist daher kein erhöhter oder qualifizierter Grad an Automatisierung erforderlich. Der Smart Contract gründet nicht zwingend – nach aktuellem Stand sogar in den seltensten Fällen – auf eigener Intelligenz.105
101 Das erste Patent für einen solchen Verkaufsautomaten mit Münzeinwurf wurde 1857 in London erteilt, siehe Segrave, Vending Machines, S. 5. 102 Siehe hierzu beispielsweise die angesprochenen Dimensionen und Bereiche bei Wendehorst, NJW 2016, 2609, 2609. 103 Vgl. Rasinski, Blockchain-Technologie, S. 43. 104 Siehe hierzu Paulus, JuS 2020, 107, 107; Prinz/Schulte, Blockchain und Smart Contracts, S. 8. 105 Mukhopadhyay, Ethereum Smart Contract Development, S. 127; Paulus, JuS 2020, 107, 107; vbw, Blockchain und Smart Contracts, S. 14 m. w. N.; Wilkens/Falk, Smart Contracts, S. 14.
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Kap. 2: Grundlagen
d) Definition der technischen Charakteristika Aus technischer Sicht ist der Smart Contract somit ein Softwareprotokoll, welches vorher festgelegte, (rechtlich) bedeutsame Vorkommnisse erfasst und auf Basis dieser Dokumentationen ex ante festgelegte tatsächliche und rechtliche Folgen automatisiert veranlasst.106 2. Smart Contracts als Vertragsabschluss- und Vertragsvollzugsmechanismus Der Begriff des Smart Contract legt nahe, dass es sich dabei um einen Vertrag im Sinne eines Rechtsgeschäfts gemäß §§ 116 ff. BGB107 handelt. Der Begriff „Contract“ bedeutet übersetzt „Vertrag“.108 Diese Bezeichnung ist jedoch irreführend – es ist eine naheliegende Fehlvorstellung, bei den Smart Contracts handele es sich um (intelligente) Verträge im Rechtssinne.109 Vielmehr prüft der Smart Contract lediglich, ob bestimmte Tatsachen vorliegen und führt auf dieser Basis bestimmte (Rechts-)Folgen herbei. Erst diese können in Willenserklärungen bestehen, welche auf den Abschluss von Verträgen zielen. So legt beispielsweise ein Photovoltaikanlagenbesitzer in seinem Smart Contract fest, dass im Falle der Überproduktion der Strom für 25 ct/kWh verkauft und eingespeist wird. Wenn ein Stromkäufer in seinem Smart Contract niederlegt, dass er Strom für 25 ct/kWh110 kaufen möchte, sind nun im Falle einer Überproduktion beim Anlagenbetreiber alle von den Smart Contracts zu berücksichtigenden und zu prüfenden Bedingungen erfüllt.111 Die 106 Heckelmann, NJW 2018, 504, 504 m. w. N.; Schrey/Thalhofer, NJW 2017, 1431, 1431; vgl. auch Berentsen/Schär, Bitcoin, Blockchain und Kryptoassets, S. 289. Siehe auch Völkle, MMR 2021, 539, 541. 107 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 14. März 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 72) geändert worden ist (Bürgerliches Gesetzbuch – BGB). 108 Cambridge Dictionary, Contract. 109 Siehe hierzu nur Jaccard, Smart Contracts and the Role of Law, S. 3 f. 110 Zu erwähnen ist, dass zur Vereinfachung hier identische Kaufs- und Verkaufslimits gewählt wurden. Smart Contracts können selbstverständlich auch auf Mindestoder Maximalpreise eingehen und/oder so genannte Limit Order vollziehen. Ferner ist selbstverständlich auch im Smart Contract möglich vorzusehen, dass mit bestimmten Akteuren oder Akteursgruppen vorrangig oder nachrangig kontrahiert werden soll. 111 Zu einem vergleichbaren Beispiel im Blockchain-Kontext siehe Park/Lee/ Chang, A Sustainable Home Energy Prosumer-Chain Methodology, S. 8. Siehe ferner Szabo, The God Protocols.
B. Smart Contracts43
Smart Contracts finden auf diese Weise im Sinne eines „Matchings“112 zueinander,113 wählen den Vertragspartner automatisiert aus114 und geben die notwendigen Willenserklärungen ab. Ein Kaufvertrag über die Energie kommt automatisiert zustande. Dabei müssen durch Smart Contracts jedoch nicht zwingend Verträge geschlossen werden. Auch einseitige Erklärungen wie Gestaltungserklärungen115 oder auch Realakte116 können durch Smart Contracts veranlasst und abgewickelt werden.117 So kann der Smart Contract beispielsweise Mahnungen abgeben oder rein tatsächliche Handlungen wie Versorgungs- oder Zugriffssperren aktivieren, daneben jedoch auch Realakte wie Erfüllungshandlungen vollziehen.118 Es handelt sich – mit Blick auf die Veranlassung von Realakten oder die Abgabe von Gestaltungserklärungen – um einen automatisierten Vertragsvollzugs-, Vertragsausführungs- oder -durchführungsmechanismus119 oder auch einen „funktionalen Annex zu einem Vertrag“120. Der Wortteil „Contract“ ist daher nicht mit dem Rechtsterminus des „Vertrages“ gleichzusetzen.121 Er ist irreführend, da der Smart Contract als Software-Algorithmus selbst kein Vertrag im juristischen Sinne ist,122 sondern den Ab112 Zu
diesem Begriff siehe Chatzinerantzis/Bertram, EnWZ 2021, 65, 66. dieser Charakterisierung siehe Buchleitner/Rabl, ecolex 2017, 4, 10. Siehe auch Fietze/Papke/Wimmer/Antoni/Hilpert, Der Rechtsrahmen für regionale Peer to Peer‐Energieplattformen unter Einbindung von Blockchains, S. 62. 114 Zu dieser Charakterisierung siehe Pittl/Gottardis, EuCML 2019, 205, 206. 115 Automatisierte Mahnungen oder Fristsetzungen seien hier als Beispiel genannt. 116 Sperren des Zugangs bei Verzug mit Ratenzahlungen seien hier als Beispiel genannt. 117 Siehe hierzu Paulus, JuS 2020, 107, 107. 118 Fries, AnwBl. 2018, 86, 86. Siehe auch Völkle, MMR 2021, 539, 541. 119 Mit der Charakterisierung als Instrument der Vertragsdurchführung Möslein, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 8 Rn. 4 ff., S. 83 f. Zum kombinierten Einsatz von Smart Contracts im Rahmen der Begründung und der Vollziehung beziehungsweise Durchführung von Verträgen siehe Möslein, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 8 Rn. 17, S. 92. Zum Smart Contract im Rahmen der Abgabe der Willenserklärung und damit auf der Ebene des Vertragsabschlusses siehe Paulus, JuS 2019, 960, 961 m. w. N. Siehe fernere mit der Inbezugnahme automatisierter Rechtsvorgänge und Geschäftsabläufe Paulus, JuS 2020, 107, 107. 120 BDEW, Blockchain in der Energiewirtschaft, S. 49. 121 Fries, Rethinking Law 2018, Heft 1, S. 46, 46; Jaccard, Smart Contracts and the Role of Law, S. 3 f.; Matzke, Smart Contracts statt Zwangsvollstreckung?, in: Fries/Paal, Smart Contracts, S. 100. So auch Müller/Seiler, AJP 2019, 317, 318. 122 Buchleitner/Rabl, ecolex 2017, 4, 6 m. w. N.; Paulus, JuS 2020, 107, 107; Prinz/Schulte, Blockchain und Smart Contracts, S. 8, 33; Rühl, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 12 Rn. 11, S. 153 m. w. N.; Schawe, MMR 2019, 218, 218; Schulz, c’t 2017, Heft 23, S. 108, 111; Schwöbel/Bensberg/ 113 Zu
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Kap. 2: Grundlagen
schluss (sic!) eines solchen veranlasst123 oder einen Vertragsschluss und den Inhalt des Vertrages dokumentiert124. Der Smart Contract ist insofern am Zustandekommen des Vertrages beteiligt, dass er beim Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen in der (Rechts-)Folge eine bestimmte Willenserklärung abgibt, welche dann von der anderen Partei angenommen werden kann, sodass auf diese Weise ein Vertrag zustande kommt.125 Auch der Vergleich zu einem Warenautomaten zeigt, dass der Smart Contract selbst kein Vertrag ist, sondern dessen Abschluss im Rahmen der „wenn-dann“-Struktur veranlasst: Beim Warenautomaten handelt es sich bei der Mechanik des Münzprüfers und dem Mechanismus zur Warenausgabe nicht um einen Vertrag; die vertragliche Bindung folgt aus den Handlungen der Beteiligten, welche den Vertrag schließen: Dies sind im Fall des Warenautomaten das Aufstellen des Automaten als offerta ad incertas personas, das Einwerfen der Münze und die Auswahl des Produktes als Annahme dieses Angebotes.126 Die „Technik“ selbst ist nicht der Vertrag, sondern ermöglicht seinen Abschluss. Der Smart Contract kann darüber hinaus auch als Vertragsgegenstand im Rahmen der Vertragsdurchführung und des Vertragsvollzugs genutzt werden. So können die Parteien vereinbaren, dass bestimmte Erfüllungshandlungen durch einen Smart Contract vollzogen werden oder im Fall von Vertragsverstößen automatisiert gemahnt wird.127 So kann der Smart Contract bei der Vertragsabwicklung die korrekte Zahlung des vereinbarten Entgelts überprüfen und im Falle des Zahlungseingangs die Lieferung der vereinbarten Energiemenge veranlassen. Ferner kann der Smart Contract prüfen, ob der Abnehmer die vereinbarten Raten nach der Stromlieferung zahlt und im Falle der Nichtzahlung unter Umständen die weitere Stromlieferung unterbrechen.128 Gerth, AKWI 2018, Heft 8, S. 55, 64; Voshmgir, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 2 Rn. 13, S. 17. 123 So etwa Buchleitner/Rabl, ecolex 2017, 4, 6. Siehe hierzu mit der Beschreibung als „funktionales Vertragsäquivalent“ auch Möslein, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 8 Rn. 6, S. 84. 124 Hauck, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 13 Rn. 20, S. 177 m. w. N. 125 Siehe hierzu auch Buchleitner/Rabl, ecolex 2017, 4, 10; Paulus, JuS 2020, 107, 107. Zu den zivilrechtlichen Details des Vertragsschlusses siehe unten Kapitel 2, B. IV.2. 126 Siehe zu diesem Beispiel Mann, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 17 Rn. 7, S. 222; Schawe, MMR 2019, 218, 218. 127 Zu letzterem Beispiel siehe Hauck, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 13 Rn. 20, S. 178. 128 Ob und inwieweit hierfür rechtliche Hürden bestehen und ob der Smart Contract sich im Rahmen des geltenden Rechts halten muss siehe unten Kapitel 2, B.IV.
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Der Smart Contract sichert so die Parteiinteressen.129 Der Automatismus dient hier der Vertragsdurchführung. Dass es sich bei dem Programmcode als Vertragsinhalt nur um maschinenlesbare Sprachen handelt, schadet nicht; der Vertragstext kann in beliebiger Sprache niedergelegt werden, somit auch in der Form von Softwarecode.130 Beide Modelle – der Vertragsschluss mittels Smart Contract und die Nutzung zur Vertragsdurchführung und für den -vollzug – können auch kombiniert werden. Der Smart Contract kann daher auf der Vertragsabschluss- und der Vertragsdurchführungsebene eingesetzt werden;131 es handelt sich um einen Algorithmus „zur tatsächlichen Umsetzung von Transaktionen“132 auf der Ebene des Vertragsschlusses und der Vertragsdurchführung. 3. Vernetzung der Nutzer durch Smart Contracts Der Smart Contract kann nicht bloß bilateral genutzt werden, sondern durch Vernetzung mit vergleichbaren Mechanismen auch Kommunikationsund Austauschnetze zwischen verschiedenen Teilnehmern entstehen lassen.133 Beispielsweise kann der Smart Contract nicht allein zwischen einem Anbietenden und einem Nachfragenden prüfen, ob die Voraussetzungen für einen Vertragsschluss vorliegen, sondern mit einer Vielzahl von möglichen Vertragspartnern in Kontakt stehen und prüfen, ob jeweils ein Vertragsschluss auf Basis der vorgegebenen Anforderungen möglich ist. Das Vorliegen der für die Ausführung notwendigen Bedingungen134 kann in diesem Fall bei allen Beteiligten abgefragt werden und in der Folge beispielsweise ein Vertrag mit dem Nutzer geschlossen werden, bei welchem die Bedingung vorliegt, welcher sich zuerst zurückmeldet oder die attraktivste Rückmeldung gibt. So kann automatisch zwischen verschiedenen Angeboten nach prädeterminierten Kriterien gewählt und mit dem Anbietenden in eine digitale Interaktion eingetreten werden. In der Energiewirtschaft könnte dies bedeuten, 129 Vgl.
hierzu auch Gyr, Blockchain und Smart Contracts, S. 207. in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 8 Rn. 7, S. 85 m. w. N. 131 Pittl/Gottardis, EuCML 2019, 205, 206; Potel/Hessel, jM 2020, 354, 354; Wilkens/Falk, Smart Contracts, S. 18. 132 Braegelmann, Rethinking Law 2018, Heft 0, S. 34, 37. Vgl. hierzu auch SLTA, Data, Blockchain and Smart Contracts, S. 10. 133 Siehe hierzu unten Kapitel 3, E. sowie Hasse/von Perfall/Hillebrand/Smole/ Lay/Charlet, Blockchain – Chance für Energieverbraucher?, S. 15; Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431, 434; Prinz/Schulte, Blockchain – Technologien, Forschungsfragen und Anwendungen, S. 19. 134 Zur Notwendigkeit der Überprüfbarkeit hinsichtlich der Bedingungen innerhalb der „wenn-dann“-Beziehungen siehe oben Kapitel 2, B.I.1.b). 130 Möslein,
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Kap. 2: Grundlagen
dass die Angebote mehrerer Photovoltaikanlagenbetreiber oder Windkraftanlagenbetreiber durch den Smart Contract verglichen werden und der Smart Contract dann je nach Angebotslage mit einem der Anbietenden kontrahiert. Es besteht mithin die Möglichkeit, verschiedene Personen und Personengruppen mittels Smart Contracts zu vernetzen; diese können intensivierte Austausch- und Kommunikationsnetze mit anderen schaffen135 und in diesem Rahmen Rechtsgeschäfte abschließen und vollziehen. 4. Oracles als Verknüpfung des Smart Contracts zur realen Welt Smart Contracts handeln – wie jegliche Form von Software – zunächst ausschließlich in der virtuellen Welt. Die Digitalisierung schafft eine virtuelle Ebene für Prozesse, Abläufe und Interaktionen. Diese virtuelle muss mit der realen Ebene verknüpft werden, um dort Wirkungen herbeizuführen. Es bedarf einer Schnittstelle zwischen der virtuellen und der realen Welt.136 Ein Beispiel ist das digitale Schloss, welches bei Übersendung eines virtuellen Signals das reale Schloss verriegelt und so den Befehl in der realen Welt ausführt.137 Auch der Smart Contract kann keine Zustände in der realen Welt erfassen und Handlungen vornehmen, dafür wird eine Schnittstelle benötigt. Im Bereich der Smart Contracts handelt es sich bei der Schnittstelle um ein so genanntes Oracle.138 Das Oracle ist das Bindeglied zwischen der virtuellen und der realen Ebene.139 Dieses Bindeglied besteht sowohl auf der Dateneinspeisungsseite als auch auf der Seite der Ausführung der zu veranlassenden Fol135 Siehe
hierzu vertiefend Kapitel 3. hierzu etwa Kipker/Birreck/Niewöhner/Schnorr, MMR 2020, 509, 509; Potel/Hessel, jM 2020, 354, 354; Raskin, Georgetown Law Technology Review 2017, 305, 307, 314; Thomas/Zhou/Long/Wu/Jenkins, Nature Energy 2019, 140, 140. 137 Siehe zu diesem Beispiel Fries, Rethinking Law 2018, Heft 1, S. 46, 48. 138 Berentsen/Schär, Bitcoin, Blockchain und Kryptoassets, S. 294; dena, Blockchain in der integrierten Energiewende, S. 94; Finck, Grundlagen und Technologie von Smart Contracts, in: Fries/Paal, Smart Contracts, S. 7 f.; Glatz, in: Breidenbach/ Glatz, Handbuch Legal Tech, Kapitel 5.3 Rn. 26, S. 116; Heckmann/Kaulartz, c’t 2016, Heft 24, S. 138, 139; Kaulartz/Heckmann, CR 2016, 618, 619 f.; Koch/Reitwiessner, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 5 Rn. 10, S. 61; Müller/Seiler, AJP 2019, 317, 321 f.; Nussbaumer/Schuler, Blockchain für Prosumer, S. 1; Prinz/Schulte, Blockchain und Smart Contracts, S. 46; Schulz, c’t 2017, Heft 23, S. 108, 111; SLTA, Data, Blockchain and Smart Contracts, S. 36; Wilkens/Falk, Smart Contracts, S. 14. 139 Finck, Grundlagen und Technologie von Smart Contracts, in: Fries/Paal, Smart Contracts, S. 8; Keck, Smart Grid, S. 25; Nussbaumer/Schuler, Blockchain für Prosumer, S. 1; SLTA, Data, Blockchain and Smart Contracts, S. 36; vgl. auch Overkamp/ Schings, EnWZ 2019, 3, 3. 136 Siehe
B. Smart Contracts47
ge.140 Oracles können die nötigen Daten liefern, um zu prüfen, ob die Vo raussetzungen vorliegen, um eine Transaktion durchzuführen und auf der Rechtsfolgen-Seite die Ausführung des „Codes“ in der realen Welt ermög lichen.141 Das Oracle kann daher mit der entsprechenden Smart-ContractSoftware ausgestattet werden.142 Dies ist eng verknüpft mit dem sog. Internet of Things, der Internetanbindung alltäglicher, ursprünglich analog betriebener Gegenstände.143 Diese müssen eine Verknüpfung zur virtuellen Welt erhalten und entsprechend steuerbar sein.
II. Protokoll des Smart Contracts Grundlegend für jeden Smart Contract ist das Protokoll, welches den zugrundeliegenden Algorithmus und Softwarecode bestimmt. Die Regulierung von Smart Contracts muss deshalb am Protokoll ansetzen. 1. Protokoll als Basis aller Einzelausführungen „Der Smart Contract führt nur aus, was der Entwickler ihm vorgibt.“144 Das Protokoll des Smart Contracts bestimmt die maßgeblichen Bedingungen und Wertentscheidungen. Alle Aktionen, welche der Smart Contract später vornimmt, basieren auf diesem Protokoll.145 Bedingt durch die „wenn-dann“-Struktur des Smart Contracts bestimmen nur jene Umstände als Eingaben die Entscheidungsfindung, welche das Protokoll als Eingabewerte vorsieht. Andere als die niedergelegten Umstände werden nicht berücksichtigt.146 Das Protokoll legt fest, in welcher Form die durchführungswesentlichen Entscheidungen zu treffen sind.147 Aufgrund der strikten „wenn-dann“-Struktur ist dieses keiner Auslegung zugänglich.148 Im 140 Vgl.
hierzu auch Overkamp/Schings, EnWZ 2019, 3, 3. BDEW, Blockchain in der Energiewirtschaft, S. 14. 142 Siehe etwa hierzu Nussbaumer/Schuler, Blockchain für Prosumer, S. 1. 143 Zum Begriff siehe Bräutigam/Klindt, NJW 2015, 1137, 1137 f.; Sosnitza, CR 2016, 764, 765; Wilkens/Falk, Smart Contracts, S.18 f. Vgl. hierzu auch Fries, Rethinking Law 2018, Heft 1, S. 46, 48. 144 Heckmann/Kaulartz, c’t 2016, Heft 24, S. 138, 140. 145 Szabo, The God Protocols. 146 Finck, Grundlagen und Technologie von Smart Contracts, in: Fries/Paal, Smart Contracts, S. 8; vgl. hierzu auch Kaulartz, Rechtliche Grenzen bei der Gestaltung von Smart Contracts, in: Taeger, Smart World – Smart Law?, S. 1023, 1035. 147 Glatz, Rethinking Law 2018, Heft 0, S. 22, 27. 148 Kaulartz, Rechtliche Grenzen bei der Gestaltung von Smart Contracts, in: Taeger, Smart World – Smart Law?, S. 1023, 1035, siehe ferner oben Kapitel 2, B.I.1.b). 141 Vgl.
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Kap. 2: Grundlagen
Protokoll sind mithin die wesentlichen (Wert-)Entscheidungen zu treffen. Änderungen im Ablauf können lediglich durch eine Änderung des Protokolls erreicht werden. 2. Kontrollierbarkeit des Protokolls Der Ersteller des Protokolls bestimmt die Funktionsweise und den Funk tionsumfang des Smart Contracts. Er kontrolliert das Protokoll. Im Zuge der Digitalisierung ist regelmäßig zu klären, wie Automatismen, insbesondere autonome Systeme und darin verwendete Softwareprotokolle und Algorithmen,149 kontrolliert werden können. In einer Endstufe der Entwicklung – auch unter Einbeziehung Künstlicher Intelligenz – könnte dies dazu führen, dass durch den Menschen ein System – so auch ein Smart Contract – in Gang gesetzt wird, welches sich in seiner Funktionsweise in der Zukunft selbstständig fortentwickelt. In einem Worst-Case-Szenario in der Energiewirtschaft könnte dies dazu führen, dass ein Automatismus im Zuge der Verselbstständigung die Kontrolle über Erzeugungsstätten und Speicher übernimmt und ohne Einflussmöglichkeit des Menschen unvorhersehbar nach eigenem Gutdünken die Energieversorgungsinfrastruktur150 missbraucht. Die Digitalisierung könnte zur unkontrollierbaren und unkalkulierbaren Gefahr für lebenszentrale (Infra-)Strukturen werden. Ein solches selbstbeherrschtes und autonom agierendes Protokoll könnte auch die Basis eines Smart Contracts sein. Die Probleme um autonom agierende Systeme stellen sich dann auch im Rahmen des Einsatzes von Smart Contracts. Ein solches Szenario lässt allerdings außer Acht, dass das Protokoll keine selbstständige Fortentwicklung „von sich selbst“ vornehmen kann, sofern dies nicht explizit vom Protokollersteller vorgesehen wird. Freilich weist die Möglichkeit, infolge der immensen Datenanalysen „Selbstverbesserungen“ zu erlauben, ein großes Potenzial auf. Sieht man diese Fähigkeit jedoch nicht im Algorithmus vor, ist eine derartige – unkontrollierbare – Weiterentwicklung ausgeschlossen. Das Protokoll erlaubt nur jene Verselbstständigung, welche ihm der Ersteller ermöglicht. Eine unkontrollierbare Entwicklung ist nicht zu befürchten, sofern das Protokoll die Verselbstständigungsmöglich149 Siehe hier exemplarisch die Diskussionen bei autonomen Waffensystemen in Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Möglichkeiten und Grenzen der rechtlichen Regulierung „autonomer Waffensysteme“. Siehe ferner exemplarisch bei Fragen in Dilemmasituationen des autonomen Fahrens Weber, NZV 2016, 249. 150 Zur Charakterisierung beispielsweise der Netze als kritische Infrastruktur siehe § 11 Ia, b EnWG.
B. Smart Contracts49
keiten begrenzt.151 Sollte der Nutzer keine Verselbstständigung des Algorithmus wünschen, kann dem Smart Contract also nicht die Möglichkeit gegeben werden, derart weitreichende, verselbstständigte Aktionen, Handlungen und Entscheidungen vorzunehmen. Das Protokoll und damit der Funktionsumfang des Smart Contracts sind vollumfänglich kontrollierbar. Sobald jedoch eine Verselbstständigung beispielsweise in der Form des Machine Learning und durch Künstliche Intelligenz ermöglicht wird, muss das Protokoll diese Verselbstständigung begrenzen. Ein verlässlicher Rahmen für die selbstständige Weiterentwicklung ist zu schaffen, der nicht durch Automatismen von selbst verlassen werden kann. Auf diese Weise kann ein präzises Maß an Kontrollierbarkeit gewährleistet werden. In diesem Fall kann sich das System innerhalb dieser Grenzen dann frei „optimieren“ und so die vollen Potenziale auch der Künstlichen Intelligenz nutzen. Es bleibt jedoch innerhalb des Rahmens der gesetzten Außengrenzen. Die Smart Contracts könnten so selbstständig die Vertragsparameter an die aktuelle Marktlage anpassen oder selbstständig neue Parameter definieren, hingegen nicht ihr Betätigungsfeld auf andere als die ursprünglich vorgesehenen Aktivitäten ausweiten. Auf diese Weise könnten die Potenziale des Machine Learning und der Künstlichen Intelligenz genutzt, gleichzeitig jedoch das Risiko der Verselbstständigung begrenzt werden. Bei derartigen Mechanismen handelt es sich jedoch zum aktuellen Zeitpunkt noch um weit in der Zukunft liegende Formen der Interaktion von Smart Contracts mit verschiedenen Stufen der Künstlichen Intelligenz, sodass auf diese Fragen hier nicht näher eingegangen wird.152 3. Anforderungen an das Protokoll Anknüpfend daran sind verschiedene Anforderungen an das Protokoll zu stellen.
151 Für den Spezialfall der Verwendung Künstlicher Intelligenz zur Weiterentwicklung und Anpassung des Protokolls siehe auch Börding/Jülicher/Röttgen/von Schönfeld, CR 2017, 134, 138. 152 Zur möglichen Interaktion von Smart Contracts und Künstlicher Intelligenz und den daraus resultierenden Potenzialen siehe Almasoud/Eljazzar/Hussain, Toward a self-learned Smart Contracts, S. 4; Antonopoulos/Robu et al., Renewable and Sustainable Energy Reviews 2020, Beitrag 109899, S. 19 f.; Jakl, MMR 2019, 711, 712; Omohundro, AI Matters 2014, 19, 20. Zu speziellen energierechtlichen Potenzialen und Bezügen siehe ferner Jamil/Iqbal/Imran/Ahmad/Kim, IEEEAccess 2021, 39193, 39195, 39198; Mylrea, AI Enabled Blockchain Smart Contracts, 2018 AAAI Spring Symposium Series, S. 179 ff.; siehe auch den perspektivischen Anwendungsbereich in der Praxis unter https://smaas.iism.kit.edu (zuletzt abgerufen am 20.06.2023).
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Kap. 2: Grundlagen
a) Antizipation denkbarer Szenarien Das Protokoll muss als Handlungsgrundlage optimalerweise Antworten auf alle Ereignisse bereithalten, die im Verlauf der Nutzung des Smart Contracts auftreten können. Nur so kann der Smart Contract auf die auftretenden Szenarien reagieren. Eine „spontane“ selbstständige Reaktion auf unvorhergesehene Situationen ist – ohne hochentwickelte Formen Künstlicher Intelligenz – nicht möglich. Der Smart Contract ist darauf angewiesen, dass die Handlungsanweisungen ebenso wie die zu erfassenden Tatsachen im zugrundeliegenden Protokoll festgelegt sind. Dies umfasst auch Tests auf etwaige Fehler und Funktionsdefizite. Ideal wäre es, würde das Protokoll mit Reak tionsmöglichkeiten auf alle denkbaren Situationen ausgestattet und für jeden Fall eine Lösung vorsehen.153 Dies ist jedoch bei komplexeren Szenarien nicht realisierbar.154 Ziel des Protokolls muss es gleichwohl sein, möglichst vollständig die im Rahmen der Nutzung auftretenden Szenarien vorherzusehen und in den Algorithmus aufzunehmen. Auf diese Weise wird erreicht, dass der Smart Contract hinreichend flexibel auf potenziell auftretende Umstände reagieren und diese angemessen bewältigen kann. Wird der Smart Contract von den Parteien im Rahmen der Vertragsdurchführung155 eingesetzt, sollten mögliche Leistungsstörungen im Protokoll geregelt werden.156 In diesem Fall könnten die Leistungsstörungen selbstständig vom Algorithmus behandelt werden, sofern auf diese mittels der „wenn-dann“-Struktur157 angemessen reagiert werden kann. Je umfangreicher die Möglichkeiten sind, auf solche Umstände zu reagieren, desto höher ist der Grad der Automatisierung. Das Protokoll sollte daneben auch auf Angriffe Dritter im Rahmen von Hackerattacken vorbereitet sein. Diese Szenarien sowie der Umgang mit diesen sind zu testen.158 Das Protokoll ist so zu konzipieren,159 dass Schadensereignissen und dem Ausnutzen von Sicherheitslücken vorgebeugt wird.160 Ein allumfassender Schutz ist nicht zu erreichen; insbesondere bei The God Protocols. CR 2016, 618, 623; vgl. zu diesem Problem auch Lang/ Müller, International Mining and Oil & Gas Law, Development, and Investment 2019, 17B-1, S. 10; vbw, Blockchain und Smart Contracts, S. 13. 155 Zu den Ebenen des Einsatzes siehe oben Kapitel 2, B.I.2. 156 Müller/Seiler, AJP 2019, 317, 317. 157 Siehe oben Kapitel 2, B.I.1.a). 158 BDEW, Blockchain in der Energiewirtschaft, S. 46. 159 Voshmgir, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 2 Rn. 4, S. 14. 160 Zu den Risiken bei Sicherheitslücken von Smart Contracts siehe nur den DAOHack mit einem Verlust von rd. 50 Millionen US-Dollar, vgl. Tosovic, Der DAO153 Szabo,
154 Kaulartz/Heckmann,
B. Smart Contracts51
komplexen Programmcodes ist dies selbst bei der Anwendung größter Sorgfalt nahezu ausgeschlossen.161 Sicherheitslücken lassen sich daher nur reduzieren, nie jedoch gänzlich vermeiden. Es ist notwendig, Mechanismen zur Anpassung des Protokolls vorzusehen, um künftigen Entwicklungen adäquat begegnen zu können. So können Sicherheitslücken geschlossen und gegebenenfalls der Funktionsumfang erweitert werden. b) Legitimation des Ausgangsprotokolls und notwendiger Änderungen Die Nutzer des Smart Contracts müssen das Protokoll und dessen Verwendung legitimieren. Bei der Einigung, ein solches Protokoll zu verwenden, handelt es sich um eine vertragliche Übereinkunft. Nur wenige Entwickler arbeiten an diesem grundlegenden Protokoll mit, welches maßgeblich für alle weiteren automatisierten Abwicklungen ist.162 Insbesondere wenn Personen abseits des Entwicklerkreises das Protokoll nutzen, müssen sie den Einsatz billigen und so legitimieren. Dies gilt auch für Änderungen des Protokolls. Für die nachhaltige Akzeptanz des Systems ist es erforderlich, dass die im zugrundeliegenden Protokoll getroffenen (Governance-)Strukturen und Wertentscheidungen von einem breiten Konsens der Stakeholder getragen sind.163 Das Protokoll stellt die grundlegenden Weichen für den Smart Contract und bildet damit die Basis der Prosumeraktivitäten in diesem System. Diese Fragen stellen sich jedoch lediglich dann, wenn der Smart Contract im Rahmen der Vertragsdurchführung eingesetzt wird.164 Der Smart Contract ist Teil des Vertrages, auf welchen sich die Parteien einigen. Bei der Abgabe einer Willenserklärung mittels des Smart Contracts verbleibt die Entscheidungsmacht bei demjenigen, der die Willenserklärung abgibt. Eine Einigung mit dem Erklärungsempfänger über den Modus, auf welche Weise eine Willenserklärung ihm gegenüber abzugeben ist, ist nicht erforderlich; die Abgabe
Hack und die Konsequenzen für die Blockchain, in: Burgwinkel, Blockchain Technology, S. 159, 159 ff. 161 Siehe hierzu Szabo, The God Protocols. Siehe auch Koch/Reitwiessner, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 5 Rn. 13, S. 62. Siehe hierzu mit dem Vergleich zur Vertragsgestaltung auch Fries, Rethinking Law 2018, Heft 1, S. 46, 48. 162 BDEW, Blockchain in der Energiewirtschaft, S. 46. Vgl. auch Hasse/von Perfall/Hillebrand/Smole/Lay/Charlet, Blockchain – Chance für Energieverbraucher?, S. 37 f. 163 dena, Blockchain in der integrierten Energiewende, S. 14 f. Vgl. hierzu auch Hasse/von Perfall/Hillebrand/Smole/Lay/Charlet, Blockchain – Chance für Energieverbraucher?, S. 6. 164 Siehe zu diesen Anwendungsebenen oben Kapitel 2, B.I.2.
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einer Willenserklärung ist ein Akt allein des Erklärenden.165 Hier ist keine Einigung erforderlich, dass ein Smart Contract eingesetzt wird. Zu klären ist somit beim Einsatz im Rahmen der Vertragsdurchführung, unter welchen Voraussetzungen nach dem ersten Vertragsschluss das Protokoll geändert werden kann. Gerade bei der Nutzung umfassender Protokolle von einer Vielzahl von Personen liegt der Gedanke nahe, ein unveränder liches, immerwährendes Protokoll zu nutzen, welches einmalig unter großer Sorgfalt erstellt wird und dann in Betrieb bleibt.166 Abseits der nie gänzlich zu vermeidenden167 Programmierfehler ist jedoch zu beachten, dass auch eine Reaktion auf geänderte Umstände der Umwelt erforderlich werden kann. So können geänderte Sicherheitsstandards oder neue rechtliche Regelungen Änderungen erfordern.168 Beispielsweise sind bestehende Schutzmechanismen anzupassen. Es steht den Nutzern frei, Änderungsmöglichkeiten festzulegen, beispielsweise für den Fall, dass sich das Protokoll als lücken- oder fehlerhaft erweist.169 Ratsam ist es daher, die Voraussetzungen und das Verfahren für eine Änderung des Protokolls bereits beim Vertragsschluss festzulegen.170 Denkbar wäre, für eine Protokolländerung den Konsens aller Beteiligten zu fordern. Alle Beteiligten und Betroffenen müssten dann eine vertragliche Einigung hinsichtlich des „Ob“ und „Wie“ der Änderung erzielen. Dies entfaltet ein hohes Niveau der Legitimation.171 Problematisch dabei ist jedoch, dass Einstimmigkeitserfordernisse wenig flexibel und reaktionsschnell sind, Änderungen daher nur mit Verzögerungen vollzogen werden können.172 Auch birgt ein Einstimmigkeitserfordernis das Risiko, dass betrügerische Einzelne mit einer willkürlichen Verweigerung drohen, sollte ihren Forderungen nicht nachgekommen werden. Dieses Problem stellt sich schon bei einer geringen Anzahl von Beteiligten, erhöht sich aber mit einer wachsenden Anzahl an 165 Vgl. Einsele, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 1, § 130 BGB Rn. 13. 166 Siehe zu diesem Gedanken etwa Meyer, EuCML 2020, 17, 17 f.; Szabo, The God Protocols. 167 Siehe hierzu bereits oben Kapitel 2, B.II.3. 168 Siehe hierzu mit besonderem Bezug zur Blockchain Prinz/Schulte, Blockchain und Smart Contracts, S. 14 f. 169 Braegelmann, Rethinking Law 2018, Heft 0, S. 34, 36. 170 Vgl. zu diesem Gedanken auch Braegelmann, Rethinking Law 2018, Heft 0, S. 34, 36; Hasse/von Perfall/Hillebrand/Smole/Lay/Charlet, Blockchain – Chance für Energieverbraucher?, S. 37 f.; Prinz/Schulte, Blockchain und Smart Contracts, S. 39. 171 Meister, Systemdienstleistungen und Erneuerbare Energien, S. 89. 172 Hoor, in: Breithaupt/Ottersbach, Kompendium Gesellschaftsrecht, Teil 2 Abschnitt D § 2 Rn. 83 f.
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Beteiligten.173 Deshalb sollte das Ausgangsprotokoll die Anforderungen einer Protokolländerung niederlegen und auf diese Art und Weise eine GovernanceStruktur für die Zukunft begründen. Die Regelungen zur Änderung des Protokolls legitimieren die Protokolländerung. Festgelegt werden kann so beispielsweise, dass lediglich eine einfache oder qualifizierte Mehrheit erforderlich ist, um das Protokoll zu ändern. Auch könnten Sonderstimmrechte oder Vetorechte vorgesehen werden, gegebenenfalls in Verbindung mit einem Zustimmungsersetzungsverfahren.174 Diese Anforderungen können im Protokoll selbst niedergelegt werden, sodass das System autonom feststellen kann, ob eine hinreichende Mehrheit zur Änderung besteht. Dafür müssen die notwendig zu prüfenden Eingaben und Parameter hinreichend präzise festgelegt werden. Das Protokoll selbst ändert dann regelmäßig ein Programmierer. Perspektivisch könnten auch Mechanismen vor allem auf der Basis von Künstlicher Intelligenz erwogen werden, welche als Protokollbestandteile selbst das eigene (sic!) Protokoll ändern, mithin den Protokollcode autonom infolge eines Änderungsbeschlusses anpassen und erweitern.175 Schließlich könnten die Mechanismen erkennen, wann das Protokoll geändert werden muss und dann das Protokoll entsprechend anpassen.
III. Blockchain als mögliche Basis für Smart Contracts Smart Contracts werden oftmals in enge Verbindung mit der Blockchain gebracht.176 Manche Autoren verknüpfen zwingend den Smart Contract mit der Blockchain177 oder setzen Blockchains und Smart Contracts weitestge173 Vgl. hierzu etwa Enzinger, in: Drescher/Fleischer/Schmidt, Münchener Kommentar zum Handelsgesetzbuch, Band 2, § 119 HGB Rn. 3 f. 174 Siehe hierzu exemplarisch Goette/Goette, DStR 2016, 74, 75; Kautzsch, in: Römermann, Münchener Anwaltshandbuch GmbH-Recht, § 18 Rn. 207 f. 175 Siehe hierzu etwa Martineau, Toward artificial intelligence that learns to write code. 176 Siehe nur Hasse/von Perfall/Hillebrand/Smole/Lay/Charlet, Blockchain – Chance für Energieverbraucher?, S. 3; Jaccard, Smart Contracts and the Role of Law, S. 3; Kipker/Birreck/Niewöhner/Schnorr, MMR 2020, 509, 509; Potel/Hessel, jM 2020, 354, 354; Savelyev, Information & Communications Technology Law 2017, 116, 117; Thomas/Zhou/Long/Wu/Jenkins, Nature Energy 2019, 140, 140; Wilkens/ Falk, Smart Contracts, S. 4. 177 So etwa Müller/Seiler, AJP 2019, 317, 317; Sandner/Voigt/Fries, in: Breidenbach/Glatz, Handbuch Legal Tech, Kapitel 5.4 Rn. 11, S. 121. Explizit mit der Forderung der Blockchain-Basis im Definitionsansatz Savelyev, Information & Communications Technology Law 2017, 116, 116; Wilkens/Falk, Smart Contracts, S. 4. Jaccard, Smart Contracts and the Role of Law, S. 4 sieht vielmehr lediglich einen
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hend gleich.178 Parteien können mit ihren Smart Contracts dieselbe Blockchain nutzen, dort zueinander finden und kontrahieren, ihre Transaktionen dort abwickeln und diese auf der Blockchain festhalten.179 Die Blockchain bietet dabei große Chancen für Smart-Contract-basierte Prosumeraktivitäten. So kann die Blockchain die Sicherheit und Integrität von Transaktionen und deren Dokumentation gewährleisten und somit vertrauenswürdige Intermediäre ersetzen beziehungsweise deren Bedeutung schmälern.180 Die Blockchain kann eine Abwicklungsumgebung für Smart Contracts sein. Die Nutzung der Blockchain ist jedoch nicht zwingend für den Einsatz von Smart Contracts. Ein Smart Contract kann auch ohne Blockchain genutzt werden.181 1. Begriff der Blockchain Der Begriff „Blockchain“ setzt sich zusammen aus den englischen Termini „Block“ und „Chain“.182 Er lässt sich als „Block-Kette“ übersetzen.183 Diese Formulierung nutzte auch der Begründer der Blockchain Satoshi Nakamoto in seinem Whitepaper.184 Maßgeblich für die Blockchain ist die Verkettung von (Daten-)Blöcken.185 2. Grundidee der Blockchain und ihre Entwicklungsformen Die Blockchain gehört den kryptografischen Systemen an.186 Kryptografische Verfahren einer der Blockchain vergleichbaren Form187 existieren bereits seit 1993 zur Nachrichtenverschlüsselung mit dem Ziel der Datensicherheit.188 Bereits 1991 entwickelten die Wissenschaftler Haber und Stornetta irgendwie gearteten Distributed Ledger als erforderliche Basis an nach seiner Definition. 178 Siehe hierzu etwa Schiller, Was sind Smart Contracts?. 179 Siehe hierzu Germanwatch, Chancen und Risiken, S. 27. Zu der Niederlegung von Transaktionen in Blöcken als zentralem Merkmal der Blockchain siehe unten Kapitel 2, B.III.3.c). 180 Siehe hierzu unten Kapitel 2, B.III.5.a). 181 Siehe hierzu unten Kapitel 2, B.III.5.d). 182 Hohn-Hein/Barth, GRUR 2018, 1089, 1089. 183 Schwöbel/Bensberg/Gerth, AKWI 2018, Heft 8, S. 55, 56; Sieverding/Schneidewindt, Blockchain in der Energiewirtschaft, WISO Direkt 2016, Heft 30, S. 1. 184 Nakamoto, Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System. 185 Siehe hierzu unten Kapitel 2, B.III.3.d). 186 Meinel/Gayvoronskaya/Schnjakin, Blockchain: Hype oder Innovation, S. 7. 187 Hiermit ist die kryptografische Verschlüsselung auf Basis des SHA-Algorithmus gemeint. 188 Siehe hierzu Buchmann, Einführung in die Kryptographie, S. 1.
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einen Zeitstempel für digitale Dokumente.189 Dieser wird in der Blockchain mit dem kryptographischen Verfahren verknüpft; zusammen bilden beide Elemente die Basis. Der Zeitstempel gibt Auskunft darüber, zu welchem Zeitpunkt welche Transaktion vorgenommen wurde. Die Chronologie der Transaktionen wird verlässlich dokumentiert.190 Der Zeitstempel ist auch heute noch ein zentrales Element der Blockchain; er verhindert, dass über denselben Gegenstand doppelt verfügt wird.191 Die Verknüpfung mit dem Zeitstempel setzt ein striktes Prioritätsprinzip durch. Die Blockchain hat ihr größtes Potenzial in der Fälschungssicherheit und der Intermediärslosigkeit.192 Auf zentralisierte Intermediäre,193 welchen ein gewisses Vertrauen entgegengebracht werden muss,194 kann verzichtet werden.195 Die Blockchain zeichnet sich durch einen hohen Grad an Dezentralität aus. Das System wird durch eine Vielzahl von Personen gleichberechtigt getragen und betrieben. Der Blockchain liegt eine „Datendemokratie“ statt – wie bei zentralisierten (Server-)Systemen – eine „Datenmonarchie“ zugrunde.196
Journal of Cryptology 1991, S. 1, 99 ff. Journal of Cryptology 1991, S. 99 ff. 191 Siehe hierzu unten Kapitel 2, B.III.5. sowie Hofmann/Strewe/Bosia, Supply Chain Finance and Blockchain Technology, S. 36; Nakamoto, Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System, S. 1; Tapscott/Tapscott, Die Blockchain Revolution, S. 53. Zum Zeitstempel als Element der Transaktions-Blöcke siehe Andoni/Robu/Flynn/ Abram/Geach/Jenkins/McCallum/Peacock, Renewable and Sustainable Energy Reviews 2019, 143, 145. 192 Zu diesen beiden Bereichen siehe unten Kapitel 2, B.III.5.a) und Kapitel 2, B.III.5.b). Siehe ferner Buchmüller, EWeRK 2018, 117, 118. 193 Hasse/von Perfall/Hillebrand/Smole/Lay/Charlet, Blockchain – Chance für Energieverbraucher?, S. 3; Schrey/Thalhofer, NJW 2017, 1431, 1431; Specht, NJW 2017, 3567, 3568; Voshmgir, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 2 Rn. 8, S. 16. Siehe auch Burgwinkel, Blockchaintechnologie und deren Funktionsweise verstehen, in: Burgwinkel, Blockchain Technology, S. 3, 3; Lehner, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 6, § 55 MsbG Rn. 39; Overkamp/Schings, EnWZ 2019, 3, 3. 194 Nakamoto, Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System, S. 1; siehe hierzu auch Lang/Müller, International Mining and Oil & Gas Law, Development, and Investment 2019, 17B-1, S. 2; Prinz/Schulte, Blockchain und Smart Contracts, S. 8; Schawe, MMR 2019, 218, 218. 195 Hohn-Hein/Barth, GRUR 2018, 1089, 1089. 196 Voshmgir, Blockchains, Smart Contracts und das Dezentrale Web, S. 12. Siehe auch Wieduwilt, F.A.Z. vom 19.02.2019. Siehe ebenso https://www.bundesregierung. de/breg-de/service/publikationen/blockchain-strategie-der-bundesregierung-1672384 (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 189 Haber/Stornetta, 190 Haber/Stornetta,
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a) Blockchain 1.0: Eindimensionale Kryptowährungen Am Anfang der Entwicklung stand die erste Entwicklungsstufe mit dem Namen „Blockchain 1.0“. Diese beschrieb Satoshi Nakamoto 2008 in seinem Whitepaper.197 Sie stellt die rudimentärste Form der Blockchain dar. Der Funktionsumfang ist auf „Peer-to-peer monetary transactions“ begrenzt. Es handelt sich um ein zweidimensionales System vergleichbar mit einer Plattform zur Herstellung und Übertragung von digitalen, unkörperlichen Münzen.198 Ein Austausch weiterer Daten oder Nachrichten war in diesem System nicht vorgesehen. Diese Form der Blockchain wurde in der Energiewirtschaft als Bezahlmethode für Energielieferungen eingesetzt.199 Freilich handelte es sich hierbei lediglich um eine alternative Form, Energie zu bezahlen, und nicht um ein energiewirtschaftsspezifisches Handlungsinstrument. b) Blockchain 2.0: Smart Contracts In Weiterentwicklung der Blockchain 1.0 wurde ab circa 2013 die so genannte Blockchain 2.0 entwickelt. Diese eröffnete die Möglichkeit, Transaktionen in anderen Bereichen gleichwelchen Komplexitätslevels zu vollziehen.200 Hierzu gehört auch die Abwicklung ganzer Vertragswerke, einschließlich Gesellschaftsverträgen.201 Die Idee der Blockchain 2.0 wurde 2013 von Vitalik Buterin entwickelt202 und von Gavin Wood konkretisiert.203 Buterins Idee vom so genannten Ethereum bestand in einer offenen Basisplattform für Blockchain-Applikationen, einer so genannten Decentralized Application Platform.204 Diese sollte insbesondere eine Nachrichtenübermittlung ermög-
Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System, S. 1 ff. hierzu Buterin, Ethereum Whitepaper, S. 1; Hofmann/Strewe/Bosia, Supply Chain Finance and Blockchain Technology, S. 46. Siehe auch Hasse/von Perfall/ Hillebrand/Smole/Lay/Charlet, Blockchain – Chance für Energieverbraucher?, S. 5. 199 Andoni/Robu/Flynn/Abram/Geach/Jenkins/McCallum/Peacock, Renewable and Sustainable Energy Reviews 2019, 143, 157 m. w. N. 200 Wilkens/Falk, Smart Contracts, S. 8. 201 Glatz, Rethinking Law 2018, Heft 0, S. 22, 32; Hasse/von Perfall/Hillebrand/ Smole/Lay/Charlet, Blockchain – Chance für Energieverbraucher?, S. 5; Prinz/ Schulte, Blockchain – Technologien, Forschungsfragen und Anwendungen, S. 4; Tundal, Utilizing Blockchain Technology for Settlement in a Microgrid, S. 18. Vgl. auch Buterin, Ethereum Whitepaper, S. 34. 202 Siehe hierzu Buterin, Ethereum Whitepaper, S. 13 ff. 203 Voshmgir, Blockchains, Smart Contracts und das Dezentrale Web, S. 15. 204 Schwöbel/Bensberg/Gerth, AKWI 2018, Heft 8, S. 55, 59. Siehe auch Burgwinkel, Blockchaintechnologie und deren Funktionsweise verstehen, in: Burgwinkel, Blockchain Technology, S. 3, 12. 197 Nakamoto, 198 Siehe
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lichen. 205 Auf dieser Basis wurde erstmals ein Vertrag auf Blockchain-Basis abgewickelt. Es entstand der Blockchain-basierte Smart Contract.206 Ohne diese Entwicklung der Blockchain wären die Transaktionen im Bereich der Energiewirtschaft oder auch des Supply-Chain-Management207 mit höherem Komplexitätsniveau und den dafür nötigen vertraglichen Abreden nicht realisierbar. Bei dieser Version der Blockchain handelt es sich um ein System, welches als „Turing-complete“208 bezeichnet wird. Es weist eine hohe Gestaltungsoffenheit für die Programmierer auf, da es umfassend angepasst werden kann.209 Die Blockchain ist einem Computerprogramm vergleichbar,210 da die Abbildung komplexer Verträge möglich ist. Der Smart Contract wird auf der Basis einer (dezentralisierten) Blockchain betrieben. Er nutzt kein zentrales Rechnersystem einer der Vertragsparteien oder einen von beiden gewählten Intermediär, beispielsweise ein Rechenzentrum. 3. Technische Funktionsweise Grundlegend für die Regulierung der Blockchain-Mechanismen ist die zugrundeliegende – hochkomplexe211 – technische Funktionsweise.
Blockchain-Technologie, S. 58 f. m. w. N. c’t 2017, Heft 23, S. 108, 109; Schwöbel/Bensberg/Gerth, AKWI 2018, Heft 8, S. 55, 56. Siehe zum Zusammenhang zwischen Ethereum und Smart Contracts bereits mit energiewirtschaftlichem Bezug auch Nussbaumer/Schuler, Blockchain für Prosumer, S. 1 207 Zum Einsatz der Blockchain im Supply-Chain-Management siehe Chatzinerantzis/Bertram, EnWZ 2021, 65, 65; Kshetri, International Journal of Information Management 2018, 80, 80 ff.; Prinz/Schulte, Blockchain – Technologien, Forschungsfragen und Anwendungen, S. 4. 208 Zum Begriff siehe Buterin, Ethereum Whitepaper, S. 12; Lang/Müller, International Mining and Oil & Gas Law, Development, and Investment 2019, 17B-1, S. 3. 209 Buterin, Ethereum Whitepaper, S. 1; Hofmann/Strewe/Bosia, Supply Chain Finance and Blockchain Technology, S. 43. Siehe auch Lang/Müller, International Mining and Oil & Gas Law, Development, and Investment 2019, 17B-1, S. 3; Ploom, Blockchains – wichtige Fragen aus IT-Sicht, in: Burgwinkel, Blockchain Technology, S. 123, 123 f. 210 Hofmann/Strewe/Bosia, Supply Chain Finance and Blockchain Technology, S. 43. Siehe hierzu auch Mukhopadhyay, Ethereum Smart Contract Development, S. 22. 211 Siehe hierzu nur etwa die Überschrift des Artikels von Franz, Blockchain: Die Revolution, die keiner versteht. 205 Rasinski, 206 Schulz,
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a) Beteiligte An der Blockchain sind die so genannten Nodes, Miner und die schlichten Nutzer beteiligt. Bei den Nodes212 handelt es sich um einzelne Rechner, welche je eine volle Kopie aller Daten der Blockchain verwalten.213 Dies ist Grundlage der Dezentralität der Blockchain.214 Jeder Node speichert alle Änderungen am Datenbestand, beispielsweise durch das Hinzutreten neuer Transaktionen, um jeweils über den aktuellen Datenbestand zu verfügen.215 Die Daten werden durch die partizipierenden Mitglieder stetig darauf geprüft, ob sie übereinstimmen. So steht allen Beteiligten jederzeit derselbe Datenbestand für kommende Transaktionen zur Verfügung.216 Kommt es zu einem Datenverlust bei einem der Nodes, erhält dieser von einem oder mehreren anderen Nodes eine Kopie des Datenbestandes. Die Nodes speichern jedoch nicht bloß die Daten, sondern können auch Transaktionen vornehmen217 und so die Blockchain nutzen. Diese Rollen schließen sich gegenseitig nicht aus. Bei den Minern218 handelt es sich um „Serviceprovider“ der Blockchain. Sie verifizieren Transaktionen und erstellen neue Blöcke.219 Dies verleiht der Blockchain ihre Fähigkeit, Transaktionen im Rahmen der Smart Contracts abzuwickeln. Sie stehen im Zentrum der kryptografischen Verfahren als zentralem Element der Blockchain. Die Miner werden für ihre Bemühungen in der Regel vergütet.220 212 Node ist zu übersetzen mit dem Wort „Knoten“ oder „Knotenpunkt“, vgl. Cambridge Dictionary, Node. Dieser Begriff – bekannt aus den Netzwerksystemen – umschreibt im Netzwerk einen „Netzknoten“, mithin einen in das Netzwerk eingebundenen Akteur beziehungsweise eine Schnittstelle, vgl. PONS, Node. 213 Vgl. Buchmüller, EWeRK 2018, 117, 118; Kipker/Birreck/Niewöhner/Schnorr, MMR 2020, 509, 509; Pittl/Gottardis, EuCML 2019, 205, 205. Siehe auch Lang/ Müller, International Mining and Oil & Gas Law, Development, and Investment 2019, 17B-1, S. 2. Siehe auch Burgwinkel, Blockchaintechnologie und deren Funk tionsweise verstehen, in: Burgwinkel, Blockchain Technology, S. 3, 8; Germanwatch, Chancen und Risiken, S. 15; Heckelmann, NJW 2018, 504, 505; Voshmgir, Blockchains, Smart Contracts und das Dezentrale Web, S. 8. 214 Siehe hierzu Mukhopadhyay, Ethereum Smart Contract Development, S. 20. 215 Meinel/Gayvoronskaya/Schnjakin, Blockchain: Hype oder Innovation, S. 28. 216 Scholtka/Martin, RdE 2017, 113, 114. 217 Glatz, Rethinking Law 2018, Heft 0, S. 22, 27. 218 Der Begriff des Miners und des Minings ist auf den Prozess des Schürfens beziehungsweise des Bergbaus zurückzuführen, im Kontext der Blockchain werden gewissermaßen neue Blocks geschürft, vgl. Meinel/Gayvoronskaya/Schnjakin, Blockchain: Hype oder Innovation, S. 40. 219 Glatz, Rethinking Law 2018, Heft 0, S. 22, 27. 220 Siehe hierzu für Blockchains mit integrierter Kryptowährung Burgwinkel, Blockchaintechnologie und deren Funktionsweise verstehen, in: Burgwinkel, Blockchain Technology, S. 3, 36.
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Der Miner kann – und wird regelmäßig – gleichzeitig auch einen Node betreiben, mithin selbst eine Kopie des gesamten Datenbestandes vorhalten. Denkbar ist auch, dass eine Person gleichzeitig die Blockchain für Transaktionen nutzt und so Nutzer ist, einen Node betreibt und aktiv am Mining teilnimmt. Die Gruppe der schlichten Nutzer speichert keinen eigenen Datenbestand der gesamten Blockchain ab und wirkt auch nicht an der Verifikation von Transaktionen mit, sondern nutzt nur die Möglichkeit, Transaktionen abzuwickeln. Alle an der Blockchain Beteiligten sind über das Protokoll miteinander vernetzt; sie stehen in einem Austausch.221 Bei der Blockchain handelt es sich wie beim Internet oder Intranet-Strukturen um ein Netzwerk eigener Art.222 Gleiches gilt für Smart Contracts, welche ebenso verschiedene Personen, Geräte und Anlagen vernetzen. Die Beteiligten einer Blockchain sind weitgehend austauschbar. Die Blockchain ist nur darauf angewiesen, dass die jeweilige „Akteursgruppe“ mit mindestens einem Beteiligten vertreten ist. Ein zentraler Intermediär ist nicht erforderlich.223 Eine Umstellung von zentralen auf dezentrale Systeme wird daher auch als Disintermediation bezeichnet.224 Scheidet ein einzelner Beteiligter aus, betreiben die Verbliebenen das System weiter regelmäßig ohne Defizite. Hierin unterscheidet sich die Blockchain maßgeblich von hergebrachten Rechenzentren, bei welchen die Abschaltung des Rechenzen trumsbetreibers oftmals den Zusammenbruch des Systems zur Folge hat. Der Betrieb des Systems hängt somit nicht von einzelnen, zentralen Intermediären ab.
221 Glatz, Rethinking Law 2018, Heft 0, S. 22, 27; Schneidewindt, Blockchain – Brave New Energy World for Prosumers?. 222 Vgl. Meinel/Gayvoronskaya/Schnjakin, Blockchain: Hype oder Innovation, S. 7. 223 Sieverding/Schneidewindt, Blockchain in der Energiewirtschaft, WISO Direkt 2016, Heft 30, S. 1; Tundal, Utilizing Blockchain Technology for Settlement in a Microgrid, S. iii. 224 Merz, Einsatzpotenziale der Blockchain im Energiehandel, in: Burgwinkel, Blockchain Technology, S. 51, 93; Schwöbel/Bensberg/Gerth, AKWI 2018, Heft 8, S. 55, 60; Wunderlich/Loose/Nachtigall/Sandau/Bruns/Gómez, Energiemarkt mit Blockchain-Technologie, in: Drews/Funk/Niemeyer/Xie, Tagungsband Multikonferenz Wirtschaftsinformatik 2018, Band III, S. 1260.
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b) Einzelne Transaktionen als Ausgangspunkt Zentrale Aufgabe der Blockchain ist die Abwicklung von Transaktionen. Diese Transaktionen können unterschiedlich komplex sein. So können – insbesondere im Rahmen der Blockchain 2.0 – auf der Blockchain ganze Verträge abgebildet werden. Dabei werden die erforderlichen Willenserklärungen dort niedergelegt; die einzelne Willenserklärung sowie der Vertragsschluss stellen die Transaktionen dar.225 In der Blockchain kann auch niedergelegt werden, dass sich die Parteien geeinigt haben, für die Abwicklung ihrer Geschäftsbeziehung einen Smart Contract zu nutzen.226 Ferner kann die Blockchain auch für die Abgabe, den Zugang und die Dokumentation von Willenserklärungen und damit von Vertragsschlüssen genutzt werden.227 Der Begriff der Transaktionen ist im Rahmen der Blockchain weit zu verstehen. Er erfasst nicht nur rechtsgeschäftliche Elemente, sondern auch Zustandsfeststellungen beispielsweise im Rahmen des Supply-Chain-Managements228 oder der Zertifizierung von Produkten229. c) Zusammenfassung der Transaktionen in Blöcken Alle Transaktionen werden sodann in Blöcken verknüpft. Der Hauptinhalt der jeweiligen Blöcke sind die binnen einer bestimmten Zeitspanne vorgenommenen Transaktionen. Die jeweiligen Blöcke bilden ein Archiv von Transaktionen.230 Produziert wird beispielsweise bei der Bitcoin-Blockchain rund alle zehn Minuten ein Block, welcher die Transaktionen seit Vollendung des vorherigen Blocks zusammenfasst.231 2013 waren dies rund 120 Transak-
225 Siehe
vbw, Blockchain und Smart Contracts, S. 20. hierzu Gyr, Blockchain und Smart Contracts, S. 29. 227 Vgl. auch Specht/Herold, MMR 2018, 40, 40. 228 Zum Einsatz der Blockchain im (digitalisierten) Supply-Chain-Management siehe Korpela/Hallikas/Dahlberg, Proceedings of the 50th Hawaii International Conference on System Sciences 2017, 4181, 4190. 229 Siehe hierzu beispielsweise die Angebote von Everledger, abrufbar unter https://www.everledger.io/industry-solutions/diamonds/ (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 230 Buterin, Ethereum Whitepaper, S. 5 f.; siehe auch Sieverding/Schneidewindt, Blockchain in der Energiewirtschaft, WISO Direkt 2016, Heft 30, S. 1; Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 341. 231 Buterin, Ethereum Whitepaper, S. 6; Liu/Chai/Zhang/Chen, Peer-to-peer electricity trading system: smart contracts based proof-of-benefit consensus protocol, S. 3; Ploom, Blockchains – wichtige Fragen aus IT-Sicht, in: Burgwinkel, Blockchain Technology, S. 123, 126. Siehe auch Sikorski/Haughton/Kraft, Applied Energy 2017, 234, 237. 226 Vgl.
B. Smart Contracts61
tionen pro Block, 2016 infolge der angestiegenen Transaktionsanzahl bereits rund 1.400 Transaktionen pro Block.232 d) Verkettung der Blöcke Die Blöcke fassen nicht nur die Transaktionen zusammen, sondern bestätigen auch die Validität der Transaktionen. Sie vernetzen sich mit vorherigen und nachfolgenden Blöcken. Auf diese Weise entsteht eine im Nachgang unabänderliche233 Kette von Blöcken; es wird eine Transaktionshistorie gebildet. Dieser Verkettungsprozess wird als Mining bezeichnet. Mittels des Minings werden neue Daten einzelner Transaktionen zusammengefasst und an die bestehende Block-Kette angehängt.234 Die Blockchain dokumentiert und verifiziert transparent und verlässlich nicht nur einzelne Transaktionen, sondern die Transaktionen in ihrer chronologischen Reihenfolge.235 aa) Hash-Wert als Basis Der Hash-Wert ist eine Zusammenfassung und Quersumme der im Block niedergelegten, codierten Transaktionen.236 Er bildet eine Prüfziffer237 oder einen Fingerabdruck238 des Blocks. Der Hash-Wert besteht aus den Zahlen 0–9 sowie den Buchstaben A–F.239 Er entsteht dadurch, dass jede der einzelnen Transaktionen im Block unter Verwendung eines bestimmten kryptografischen Verfahrens240 verschlüsselt wird. Dabei wird für jede Transaktion ein „persönliches Merkmal“ der an der Transaktion beteiligten Parteien hinterlegt, der so genannte Schlüssel (Key). 232 Ploom, Blockchains – wichtige Fragen aus IT-Sicht, in: Burgwinkel, Blockchain Technology, S. 123, 126. 233 Zur Unabänderlichkeit siehe unten Kapitel 2, B.III.5.b). 234 Glatz, Rethinking Law 2018, Heft 0, S. 22, 28; vbw, Blockchain und Smart Contracts, S. 3. Siehe auch Andoni/Robu/Flynn/Abram/Geach/Jenkins/McCallum/ Peacock, Renewable and Sustainable Energy Reviews 2019, 143, 145; Sikorski/ Haughton/Kraft, Applied Energy 2017, 234, 235. 235 Nakamoto, Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System, S. 5, 8; Völkle, MMR 2021, 539, 539. 236 Glatz, Rethinking Law 2018, Heft 0, S. 22, 28; Hofmann/Strewe/Bosia, Supply Chain Finance and Blockchain Technology, S. 37. 237 Gyr, Blockchain und Smart Contracts, Anhang ii. 238 Glatz, in: Breidenbach/Glatz, Handbuch Legal Tech, Kapitel 4.1 Rn. 29, S. 67. 239 Germanwatch, Chancen und Risiken, S. 17. So stellt sich beispielsweise ein Hashwert, welcher das Wort „Blockchain“ nach dem gängigen SHA-256-Algorithmus codiert, wie folgt dar: 625da44e4eaf58d61cf048d168aa6f5e492dea166d8bb54ec06c3 0de07db57e1, vgl. https://hashgenerator.de (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 240 Siehe hierzu unten Kapitel 2, B.III.5.b).
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Kap. 2: Grundlagen
Jeder Beteiligte hat zwei derartige Schlüssel, einen privaten und einen öffentlichen Schlüssel.241 Der öffentliche Schlüssel stellt ein Spiegelbild des privaten Schlüssels dar. Für die Berechnung des Hash-Wertes werden die öffentlichen Schlüssel verwendet und eingearbeitet.242 Ohne Zuhilfenahme des kongruenten geheimen privaten Schlüssels kann aus dem Hash kein Rückschluss auf die codierte Transaktion gezogen werden; diese kann nicht decodiert werden. Der Hash allein lässt keinen Rückschluss auf den codierten Inhalt zu.243 Daher schadet es nicht, dass viele Beteiligte den gesamten Datenbestand einsehen können. Es ist praktisch ausgeschlossen, die privaten Schlüssel zu erraten und so die Daten zu entschlüsseln.244 Vergleichen lässt sich diese kryptografische Codierung mit der CaesarVerschlüsselung245: Ein Wort wird in Buchstaben zerlegt und jeder Buchstabe durch jenen Buchstaben ersetzt, welcher die dem Wert des Schlüssels entsprechende Zahl weiter hinten im Alphabet steht: Das Wort „Hund“ würde, sofern der Schlüssel 3 lautet, mithin wie folgt codiert: „H“ ist der achte Buchstabe des Alphabets, mithin würde nach Maßgabe des Schlüssels 3 der elfte Buchstabe des Alphabets, „K“, genutzt. Für das folgende „U“ wäre dies „X“, für das „N“ das „Q“ und für das „D“ das „G“. Das Wort Hund würde mithin bei Verwendung des Schlüssels 3 zu KXQG. Ein ähnliches – wenngleich durch die Verwendung der zwei kongruenten Schlüssel und eines hochkomplexen Algorithmus246 wesentlich leistungsstärkeres – System nutzt auch die Codierung der Transaktionen zur Erstellung des Hash-Wertes. Der genutzte Algorithmus ist so konzipiert, dass sich bei der Änderung eines Zeichens der Transaktionsdaten der gesamte Hash-Wert ändert und nicht bloß ein Zeichen des Hash-Wertes. Dies wird als Lawineneffekt bezeichnet.247 Dieses Verfahren gewährleistet die Fälschungssicherheit.248 Die Blockchain unterscheidet sich von der Caesar-Verfahren auch dadurch, dass das bei der Blockchain genutzte Verfahren eine Abkürzung nutzt, damit 241 Nakamoto, Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System, S. 2; Savelyev, Information & Communications Technology Law 2017, 116, 117 f. 242 Nakamoto, Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System, S. 2. 243 Hofmann/Strewe/Bosia, Supply Chain Finance and Blockchain Technology, S. 37. 244 Siehe hierzu Kapitel 2, B.III.5.b). 245 Zu den Unterschieden zwischen der Caesar-Verschlüsselung als symmetrischer Verschlüsselung und den bei der Blockchain genutzten Verschlüsselungsmechanismen siehe unten Kapitel 2, B.III.5.b). 246 Genutzt wird bei der Blockchain üblicherweise der SHA256-Algorithmus, siehe Sikorski/Haughton/Kraft, Applied Energy 2017, 234, 235. 247 Paar/Pelzl, Kryptografie verständlich, S. 96. Siehe auch Börding/Jülicher/Röttgen/von Schönfeld, CR 2017, 134, 139. 248 Siehe hierzu unten Kapitel 2, B.III.5.b).
B. Smart Contracts63
der Hash-Wert kürzer ausfällt als die Ausgangs-Daten. Neben dem HashWert des Blocks wird auch für die einzelnen Transaktionen ein (individueller) Hash-Wert errechnet. Dies wird als Transaktions-Hash oder als BlockHeader-Hash bezeichnet.249 Dem Hash-Wert kommt damit eine doppelte Funktion zu; einmal für die einzelnen Transaktionen, darüber hinaus für den Block, innerhalb dessen er im so genannten Header, mithin einem „Identifikationsbereich“ als „Kopf“ des Blockes abgespeichert wird. Er ist das zentrale (kryptografische) Element der Blockchain, welches die Sicherheit gewährleistet und ihre grundlegenden Funktionen erst ermöglicht. bb) Mining Der Prozess der Berechnung der Hash-Werte wird als Mining bezeichnet.250 Je nach Verifizierungsverfahren251 kommen hier zusätzlich zur Aufgabe, den Hash korrekt zu berechnen, weitere Elemente hinzu, welche im Rahmen des Minings vorgenommen werden müssen, um den jeweiligen Block anhängen zu dürfen. In jedem Fall wird auch ein Zeitstempel eingefügt, der so genannte time stamp, um bei kollidierenden Transaktionen nachweisen zu können, welche Transaktion zuerst vorgenommen wurde. Damit gilt ein striktes Prioritätsprinzip, das doppelte Verfügungen vermeidet.252 cc) Verkettung durch die Verweise der Hash-Werte aufeinander Die Besonderheit des Hash-Wertes bei der Verkettung der Blöcke liegt darin, dass bei der Berechnung des Hash-Wertes des aktuell zu erstellenden Blocks auch der Hash-Wert des vorherigen Blocks integriert wird. Jeder folgende Block verweist damit auf seinen Vorgänger-Block.253 Aufgrund dieser 249 Siehe hierzu Hofmann/Strewe/Bosia, Supply Chain Finance and Blockchain Technology, S. 38. 250 Burgwinkel, Blockchaintechnologie und deren Funktionsweise verstehen, in: Burgwinkel, Blockchain Technology, S. 3, 48. 251 Zu den Besonderheiten der Verifizierungsverfahren siehe unten Kapitel 2, B.III.3.e). Siehe zu diesem Themenbereich ebenso BDEW, Blockchain in der Energiewirtschaft, S. 70 f.; Liu/Chai/Zhang/Chen, Peer-to-peer electricity trading system: smart contracts based proof-of-benefit consensus protocol, S. 2 f. 252 Hierbei handelt es sich um eine für die Blockchain sehr zentrale Thematik des „double spending“, siehe etwa Burgwinkel, Blockchaintechnologie und deren Funk tionsweise verstehen, in: Burgwinkel, Blockchain Technology, S. 3, 8; Nakamoto, Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System, S. 2; Raskin, Georgetown Law Technology Review 2017, 305, 317; Savelyev, Information & Communications Technology Law 2017, 116, 118. 253 Bertram, MDR 2018, 1416, 1417; Lang/Müller, International Mining and Oil & Gas Law, Development, and Investment 2019, 17B-1, S. 2; Sikorski/Haughton/
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Kap. 2: Grundlagen
Verweise entsteht mithin eine Aneinanderreihung von Blöcken. Die Reihenfolge der Blöcke ist stets genau ersichtlich. Mittels der Hashwerte werden die Blöcke verbunden. Diese Verkettung (chain) von Blöcken (blocks) ergibt den Namen der Blockchain. Die Verkettung steht mithin in unmittelbarem Zusammenhang zu den auf den jeweiligen Vorgänger-Block verweisenden Hash-Werten. Da ein späterer Block jeweils auf den vorherigen Block verweist, ist sichergestellt, dass kein Block dazwischengeschoben werden kann, um die Blockchain zu manipulieren.254 dd) Verkettung als Verifizierung Im Zuge der Berechnung des Hash-Wertes werden die einzelnen Transaktionen, welche im Block niedergelegt werden sollen, überprüft. Der Miner kontrolliert, ob die Transaktionen mit dem Status quo aus den vorherigen Blöcken übereinstimmen.255 So wird beispielsweise geprüft, ob derjenige, welcher über einen Vermögensgegenstand verfügen möchte, auch tatsächlich die Verfügungsbefugnis besitzt. Auf diese Weise stellt der Miner sicher, dass nur zulässige Transaktionen vorgenommen werden und berechnet für diese Transaktionen dann die Hash-Werte. Hat nun der Miner den Hash-Wert errechnet und einen neuen Block erstellt, welcher die Blockchain-Kette ergänzen soll, so muss dieser Schritt von den am Netzwerk Beteiligten akzeptiert werden. Den übrigen Nodes wird dazu der neu erstellte Block inklusive des Hash-Wertes zugesandt und diese überprüfen256, ob die generierten Werte zutreffen, ob der Miner falsche Annahmen zugrunde gelegt hat oder ihm ein Fehler unterlaufen ist.257 Sobald die vom Blockchain-Protokoll festgelegte erforderliche Anzahl der übrigen Nodes258 zugestimmt hat, ist der Block ak-
Kraft, Applied Energy 2017, 234, 243. Vgl. auch Hofmann/Strewe/Bosia, Supply Chain Finance and Blockchain Technology, S. 37. 254 Germanwatch, Chancen und Risiken, S. 18; Schulz, c’t 2017, Heft 23, S. 108, 109. Siehe hierzu auch Völkle, MMR 2021, 539, 539. 255 Gyr, Blockchain und Smart Contracts, S. 38; vbw, Blockchain und Smart Contracts, S. 4. 256 Die Überprüfung erfordert dabei aufgrund der Asynchronität des Verschlüsselungs- zum Entschlüsselungsaufwand weitaus weniger Rechenleistung, siehe unten Kapitel 2, B.III.5.b)cc). Zur Überprüfung siehe generell Prinz/Schulte, Blockchain und Smart Contracts, S. 10; Tundal, Utilizing Blockchain Technology for Settlement in a Microgrid, S. 6 f. Vgl. auch Pittl/Gottardis, EuCML 2019, 205, 206. 257 Sikorski/Haughton/Kraft, Applied Energy 2017, 234, 237. 258 Dies sind in der Regel 50 % plus einen der Knoten, siehe Jaccard, Smart Contracts and the Role of Law, S. 7. Alternative Mehrheitserfordernisse sind jedoch im Rahmen der Privatautonomie ebenso möglich.
B. Smart Contracts65
zeptiert und verlängert die Blockchain-Kette.259 Die niedergelegten Transaktionen sind validiert.260 Die Transaktion ist erst dann abgeschlossen, wenn diese in einem Block niedergelegt ist. Bis zur Validierung befindet sich die Transaktion in einem so genannten Memorypool oder Mempool als Zwischenspeicherung oder Nachrückerliste261.262 e) Verifizierungsverfahren Die Miner verketten die Blöcke auf der Basis kryptografischer Berech nungen;263 dabei werden unterschiedliche Verifizierungsverfahren genutzt.264 Diese Consensus-Mechanismen265 bestimmen, auf welche Art und Weise der Konsens über die Verlängerung der Blockchain gefunden wird.266 Nur wenn ein solcher Konsens vorliegt, kann eine Transaktion durchgeführt werden; jede nachfolgende Transaktion muss wieder mittels des Consensus-Mechanismus validiert werden. Alle Verifizierungsverfahren müssen Anreize bieten, eine Manipulation auszuschließen oder (wirtschaftlich) uninteressant zu machen. Die Verifizierung ist der einzige Zeitpunkt bei der Abwicklung der Transaktionen, in welchem eine Manipulation möglich ist, da bestätigt wird, dass die Transaktionen in dieser Form, wie sie abgelegt werden sollen, valide sind.267 Danach sind heimliche Veränderungen an den Transaktionen nicht mehr möglich. Diese würden wegen der Verweise der Blöcke auf ihre jeweiligen Vorgänger alle folgenden Hash-Werte ändern, mithin eine Neuberechnung erforderlich
259 Lang/Müller, International Mining and Oil & Gas Law, Development, and Investment 2019, 17B-1, S. 2; Savelyev, Information & Communications Technology Law 2017, 116, 118 f.; Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 341. 260 Raskin, Georgetown Law Technology Review 2017, 305, 318; Schwöbel/Bensberg/Gerth, AKWI 2018, Heft 8, S. 55, 58; Völkle, MMR 2021, 539, 539; Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 54 f. 261 Mit diesem Begriff Prinz/Schulte, Blockchain und Smart Contracts, S. 10. 262 Gyr, Blockchain und Smart Contracts, S. 24 m. w. N. 263 Burgwinkel, Blockchaintechnologie und deren Funktionsweise verstehen, in: Burgwinkel, Blockchain Technology, S. 3, 24; Liu/Chai/Zhang/Chen, Peer-to-peer electricity trading system: smart contracts based proof-of-benefit consensus protocol, S. 3. 264 Siehe hierzu auch Sikorski/Haughton/Kraft, Applied Energy 2017, 234, 243. 265 Zum Begriff siehe Nakamoto, Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System, S. 8. 266 Prinz/Schulte, Blockchain und Smart Contracts, S. 18. 267 Siehe hierzu oben Kapitel 2, B.III.3.d).
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Kap. 2: Grundlagen
machen.268 Dem Miner kommt hier eine wichtige Aufgabe zu; einem Missbrauch seiner Machtstellung ist vorzubeugen. Diesem Anspruch müssen die Verifizierungsverfahren genügen. Das wohl gängigste Verifizierungsverfahren ist das Proof of Work-Verfahren. Dieser Name ist zu übersetzen als „Arbeitsnachweis“.269 Im Zentrum steht ein bestimmter Arbeitsaufwand, welcher für das Mining erforderlich ist.270 Ziel dieses Verifizierungsverfahrens ist, dass ein so hoher Ressourceneinsatz erforderlich ist, dass eine Manipulation des Systems ökonomisch nicht sinnvoll ist,271 da die Wahrscheinlichkeit eines Fehlschlags mit Blick auf die Kosten pro Versuch zu groß ist. Derjenige, welcher als Erster eine hochkomplexe Rechenaufgabe nach dem Trial-and-Error-Prinzip lösen kann, darf die Transaktionen validieren.272 Er berechnet dann den Hash für den konkreten Block. Schon der zweite „Bewerber“, welcher das zugrundeliegende Rätsel löst, geht leer aus. Derjenige, dessen Block akzeptiert wird, erhält eine ex ante festgelegte Belohnung, einen so genannten Block Reward.273 Dies ist der ökonomische Anreiz für das Mining. Auch derjenige geht leer aus, dessen Block nach erfolgtem Lösen des Rätsels und erfolgter Hash-Berechnung nicht von der hinreichenden Anzahl an Blocks akzeptiert wird. Ziel des Minings ist es deshalb, möglichst zügig einen Block zu erstellen, welcher von einer hinreichenden Anzahl an Nodes akzeptiert wird und deswegen nur valide Transaktionen enthält. Würde der Miner versuchen, inkorrekte, gefälschte oder falsche Transaktionen in seinem Block niederzulegen, so bestünde aufgrund der leichten Überprüfbarkeit274 das Risiko, dass sein Vorhaben durchschaut und der Block abgelehnt wird. Sein Ressourceneinsatz wäre in diesem Fall kompensationslos verloren. Smart Contracts, S. 7. Wirtschaftslexikon, Konsensmechanismus; Hohn-Hein/Barth, GRUR 2018, 1089, 1089; Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 52 f. Daneben besteht eine Vielzahl von weiteren Konsensmechanismen, siehe etwa Liu/Chai/Zhang/Chen, Peer-to-peer electricity trading system: smart contracts based proof-of-benefit consensus protocol, S. 1. 270 Völkle, MMR 2021, 539, 539. 271 Voshmgir, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 2 Rn. 35, S. 23. Siehe auch Lang/Müller, International Mining and Oil & Gas Law, Development, and Investment 2019, 17B-1, S. 2. 272 Buterin, Ethereum Whitepaper, S. 6; Gabler Wirtschaftslexikon, Konsensmechanismus Rn. 1. 273 Voshmgir, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 2 Rn. 35, S. 23; Lang/Müller, International Mining and Oil & Gas Law, Development, and Investment 2019, 17B-1, S. 2. Bei der Bitcoin-Blockchain ist dies beispielsweise in der Regel eine gewisse Anzahl an Bitcoins, andere Belohnungen sind jedoch ebenso denkbar. 274 Zur leichten Überprüfbarkeit siehe unten Kapitel 2, B.III.5.b)cc). 268 Wilkens/Falk, 269 Gabler
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Einen grundlegend anderen Ansatz wählt das so genannte Proof of StakeVerfahren.275 Hier muss der Nachweis einer gewissen „Macht“ beziehungsweise Besitzpositionen erbracht werden. Zur Verifikation berechtigt ist dabei derjenige, welcher vom System – meist nach dem Zufallsprinzip276 – bestimmt wurde und ein gewisses Blockchain-Vermögen oder -Anteile nachweist.277 Diesem Validierungsverfahren liegt der Gedanke zugrunde, dass ein Beteiligter, welcher einen großen Anteil am System besitzt, kein Interesse daran hat, das System zu korrumpieren, da er selbst mit signifikanten Werten daran beteiligt ist.278 Da der Nachweis des Besitzes wegen der Eindeutigkeit und hohen Transparenz der Blockchain leicht zu führen ist, kann die Nutzung des Proof of Stake-Verfahrens die Transaktionsgeschwindigkeit auf das Zehnfache gegenüber der Nutzung des Proof of Work-Verfahrens heraufsetzen.279 Ferner sind die Rechenleistung und damit der Energiebedarf um ein Vielfaches geringer als beim Proof of Work-Verfahren, da keine (höchst rechenintensiven) Aufgaben bewältigt werden müssen.280 Das Proof of StakeVerfahren schont damit auch Ressourcen281 und trägt so zu einem wirtschaftlicheren Betrieb der Blockchain bei. 4. Änderungen des Blockchain-Protokollcodes Die Blockchain ist ein Programm-Code im Sinne eines Protokolls. Dieses kann durch die Parteien in Funktionsweise und Funktionsumfang angepasst werden. Die Blockchain zeichnet sich dadurch aus, dass sie auf einem dezentral organisierten System basiert. Es gibt keine zentrale Einheit, beispielsweise ein Serversystem mit zentraler Softwaresteuerung, welche die Blockchain kontrolliert.282 Ein fehlerbehebendes Update wie bei herkömmlicher 275 Siehe
hierzu Völkle, MMR 2021, 539, 540. Wirtschaftslexikon, Konsensmechanismus Rn. 2; Schwöbel/Bensberg/ Gerth, AKWI 2018, Heft 8, S. 55, 58. 277 Germanwatch, Chancen und Risiken, S. 22; Glatz, Rethinking Law 2018, Heft 0, S. 22, 29; Völkle, MMR 2021, 539, 540. 278 Gabler Wirtschaftslexikon, Konsensmechanismus Rn. 2; Schwöbel/Bensberg/ Gerth, AKWI 2018, Heft 8, S. 55, 58; Voshmgir, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 2 Rn. 36, S. 24. 279 BDEW, Blockchain in der Energiewirtschaft, S. 44. 280 Germanwatch, Chancen und Risiken, S. 22; Tapscott/Tapscott, Die Blockchain Revolution, S. 65. 281 Sixt, Bitcoins und andere dezentrale Transaktionssysteme, S. 114; Völkle, MMR 2021, 539, 540. Siehe hierzu auch Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 33. 282 Siehe Nakamoto, Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System, S. 2; Szabo, The God Protocols. 276 Gabler
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Software ist nicht möglich,283 da es keinen zentralen Ort gibt, an welchem dieses Update aufgespielt werden könnte. Das Update muss vielmehr im gesamten System verbreitet und auf allen maßgeblichen Datenpunkten bei den Nodes und Minern aufgespielt werden. Werden in einem System unterschiedliche Softwareversionen verwendet, so könnten abweichende Anforderungen an die Validierung oder die Hash-Wert-Berechnung gestellt werden. Dies kann zu Diskrepanzen oder „Missverständnissen“ und damit zu Problemen bei der Abwicklung führen.284 Neue Protokoll-Versionen müssen daher zügig verbreitet werden. Die Beteiligten müssen einen Konsens herstellen, in Zukunft diese neue, veränderte Version der Blockchain zu verwenden. Ein einseitiges Aufzwingen einer neuen Version wie in zentralisierten Systemen ist nicht möglich, da es an einer Zentralperson fehlt, welche einen solchen Zwang ausüben könnte.285 Eine Änderung des Blockchain-Protokolls setzt damit voraus, dass die Nutzer mit dieser neuen Version einverstanden sind. Da ein solcher Konsens oftmals schwer zu erreichen ist,286 entwickelten sich in der Vergangenheit parallele Blockchains und existierten fortan nebeneinander, eine Blockchain ohne das umstrittene Update und eine Version, welche das umstrittene Update nutzte.287 Hierdurch entstehen insbesondere Probleme bei der Validierung sowie der Dokumentation von Transaktionen, da je Protokollversion unterschiedliche Anforderungen gestellt werden. 5. Blockchain und Smart Contracts Die Vorteile der Blockchain für die Smart Contracts liegen in ihrer wirtschaftlichen Effizienz, der Fälschungssicherheit und Authentizität sowie der Vermeidung eines Single Point of Failure.
283 Blocher, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 10 Rn. 37, S. 122. 284 Vgl. Prinz/Schulte, Blockchain – Technologien, Forschungsfragen und Anwendungen, S. 11, 33. 285 Vgl. hierzu Nakamoto, Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System, S. 2. 286 Bezug genommen sei hier nur auf die vielschichtigen und kontroversen Diskussionen im Bereich der Protokoll-Änderungen rund um den DAO-Hack, im Rahmen dessen sich eine Vielzahl der Akteure selbst gegen eine Protokoll-Aktualisierung zur Schließung eklatanter Sicherheitslücken wendete, siehe hierzu Savelyev, Information & Communications Technology Law 2017, 116, 126. 287 So kam es 2016 zur Abspaltung von Ethereum Classic von einer der damals größten Blockchains namens Ethereum, siehe Schiller, Ethereum Classic (ETC) – Übersicht, DAO, Hard Fork und News.
B. Smart Contracts69
a) Wirtschaftliche Effizienz beim Einsatz der Blockchain Die Blockchain basiert auf einem intermediärslosen System.288 Die Nutzer betreiben das System selbst, sodass niemand Systemdienste mit Gewinnorientierung anbietet. Es entfällt die Gewinnmarge, welche ein zentraler Systemdienstleister beanspruchen würde.289 Zu tragen sind an dieser Stelle lediglich die Kosten der Blockchain selbst, welche voraussichtlich in ihrem Umfang kontinuierlich sinken werden, sofern ein hinreichender Grad an Skalierung in der Zukunft erreicht290 und eine adäquate Hard- und Softwarebasis genutzt wird. Insbesondere durch die Weiterentwicklung der Verifizierungsverfahren sind selbst vor dem Hintergrund der steigenden Energiekosten große Kostenreduzierungen zu erwarten, da der Energiebedarf auf einen Bruchteil der aktuellen Verbräuche sinken kann.291 Eine kosteneffiziente Abwicklung von Microtransaktionen ist so realistisch. Zum aktuellen Zeitpunkt sind die Transaktionen wegen des neuartigen Charakters der Blockchain und der fehlenden Skalierung sowie der häufigen Nutzung des ressourcenintensiven Proof of Work-Verfahrens noch erheblich kosten- und ressourcenintensiver als herkömmliche Transaktionen, sodass ein wirtschaftlicher Betrieb erst in Zukunft bei einer entsprechenden Anpassung zu erwarten ist.292 b) Sicherstellung von Authentizität, Fälschungs- und Datensicherheit Daneben hat die Blockchain den großen Vorteil der Manipulationssicherheit und Transparenz. Die Blockchain stellt durch technische Vorkehrungen sicher, dass Datenmanipulationen vermieden werden. Sie gewährleistet ein hohes Niveau an Datenintegrität, -authentizität und -sicherheit.293 Dies gilt allerdings nur für die Vorgänge innerhalb der Blockchain, also nach der Einspeisung der Daten. Wird ein Oracle manipuliert und werden somit inkorBitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System, S. 1. Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System, S. 1; siehe zu den Vorteilen der intermediärslosen Abwicklung auch Breidenbach/Glatz, in: Breidenbach/Glatz, Handbuch Legal Tech, Kapitel 1.1 Rn. 14 ff., S. 4; Gyr, Blockchain und Smart Contracts, S. 6; Schneidewindt, Blockchain – Brave New Energy World for Prosumers?. 290 Aktuell kostet eine Transaktion auf der Blockchain umgerechnet rund 0,8 €, ist mithin zum aktuellen Zeitpunkt wirtschaftlich noch nicht sinnvoll nutzbar, jedoch ist ein drastischer Kostenabfall für die Zukunft zu prognostizieren, vgl. vbw, Blockchain und Smart Contracts, S. 41. 291 Siehe hierzu Kapitel 2, B. III.3.e) sowie Kapitel 3, B. 292 Saive, RdTW 2018, 85, 87. 293 Mukhopadhyay, Ethereum Smart Contract Development, S. 20. 288 Nakamoto, 289 Nakamoto,
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rekte Daten in die Blockchain eingespeist, kann diese die falschen Daten nicht korrigieren. Es ist zwischen der Einspeisung von Daten und der Verarbeitung eingespeister Daten zu unterscheiden. Die Aussage der besonderen Fälschungssicherheit und Authentizitätssicherung der Blockchain gilt nur unter der Prämisse, dass zutreffende Daten eingespeist werden. aa) Nutzung eines kryptografischen Verfahrens für die Verkettung Die Blockchain nutzt ein kryptografisches Verfahren zur Verschlüsselung, um die Sicherheit und Verlässlichkeit der Transaktionen zu gewährleisten: Der Inhalt eines Datensatzes ist nicht unmittelbar erkennbar. Nur wer den Schlüssel kennt, kann die Daten mittels einer Reverse Transaction entschlüsseln. Durch die Nutzung des kryptografischen Verfahrens fallen wegen des Lawineneffekts Veränderungen unmittelbar auf.294 Nach Vollzug der Transaktion kann diese nicht mehr unbemerkt verändert werden.295 Jede Veränderung des Inhalts würde zu einer Veränderung des Hash-Wertes führen. Damit würde eine Veränderung sichtbar; die Datenintegrität ist nachweisbar.296 Je nachdem, wie die konkreten Regelungen für das Netzwerk ausgestaltet sind, ist für die Verifizierung zudem eine einfache oder qualifizierte Mehrheit oder sogar Einstimmigkeit erforderlich. Um eine Transaktion zu fälschen, muss eine hinreichende Mehrheit der Nodes am Missbrauch beteiligt sein.297 Dies ist bei Systemen mit einer großen Zahl von Teilnehmern nahezu unmöglich.298 Erst diese große Anzahl an Beteiligten gewährleistet diesen Schutz und damit die Integrität. Hiervon hängt die Sicherheit des Systems
Kryptografie verständlich, S. 96. Bitcoin, Blockchain und Kryptoassets, S. 278; dena, Blockchain in der integrierten Energiewende, S. 45; Hohn-Hein/Barth, GRUR 2018, 1089, 1089; Nakamoto, Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System, S. 1; Ploom, Blockchains – wichtige Fragen aus IT-Sicht, in: Burgwinkel, Blockchain Technology, S. 123, 123; Savelyev, Information & Communications Technology Law 2017, 116, 119; Schulz, c’t 2017, Heft 23, S. 108, 109. 296 Burgwinkel, Blockchaintechnologie und deren Funktionsweise verstehen, in: Burgwinkel, Blockchain Technology, S. 3, 13; Merz, Einsatzpotenziale der Blockchain im Energiehandel, in: Burgwinkel, Blockchain Technology, S. 51, 56. Vgl. auch Sieverding/Schneidewindt, Blockchain in der Energiewirtschaft, WISO Direkt 2016, Heft 30, S. 1; Tundal, Utilizing Blockchain Technology for Settlement in a Microgrid, S. 7. 297 Siehe Sikorski/Haughton/Kraft, Applied Energy 2017, 234, 237. Zur Notwendigkeit eines neuen „Consensus“ siehe auch Raskin, Georgetown Law Technology Review 2017, 305, 318. 298 Vgl. Schrey/Thalhofer, NJW 2017, 1431, 1432. Siehe auch Heckelmann, NJW 2018, 504, 505. 294 Paar/Pelzl,
295 Berentsen/Schär,
B. Smart Contracts71
ab.299 Das Vertrauen in einen zentralen Intermediär wird durch das Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit der Blockchain-Abläufe ersetzt.300 Dabei ist bei einer Übernahme des Netzwerks auch eine Verifikation „falscher“ Daten möglich, sofern nur die zur Verifikation nötige Mehrheit erreicht wird. Allerdings ist – was große Blockchains attraktiv macht – dafür in der Regel eine Übernahme von 50 % +1 der Nodes oder der Majorität der Rechenleistung erforderlich.301 Dies erhöht bei sehr großen Blockchains den benötigten Aufwand.302 Es wird von einer statistischen Fälschungssicherheit303 gesprochen.304 bb) Asymmetrie der Verschlüsselung Bei kryptografischen Verfahren hängt die Codierung der Daten und damit die Sicherheit maßgeblich davon ab, dass der zur Decodierung erforderliche Schlüssel nicht bekannt ist. Ist dieser Schlüssel bekannt, ist der Ausgangsdatensatz nicht länger geschützt. Asymmetrische Verschlüsselungssysteme wie dasjenige der Blockchain nutzen zwei Schlüssel, einen öffentlichen und einen privaten Schlüssel.305 Der private Schlüssel ist geheim zu halten, der öffentliche Schlüssel wird im Rahmen der Abwicklung von Transaktionen kommu299 Germanwatch,
Chancen und Risiken, S. 46 m. w. N. Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System, S. 1. Siehe auch Savelyev, Information & Communications Technology Law 2017, 116, 123. Mit dieser Idee des Vertrauens in eine gemeinsam genutzte Ressource abseits von Blockchain-Mechanismen im Jahre 1997 schon Szabo, The God Protocols. 301 Siehe hierzu Meinel/Gayvoronskaya/Schnjakin, Blockchain: Hype oder Innovation, S. 43 f. 302 Vgl. Berentsen/Schär, Bitcoin, Blockchain und Kryptoassets, S. 288; Scholtka/ Martin, RdE 2017, 113. 114. Siehe auch Liu/Chai/Zhang/Chen, Peer-to-peer electricity trading system: smart contracts based proof-of-benefit consensus protocol, S. 8; Tundal, Utilizing Blockchain Technology for Settlement in a Microgrid, S. 10. 303 Vgl. zu den dennoch bestehenden Möglichkeiten der Fälschung mittels Hack des Algorithmus Ploom, Blockchains – wichtige Fragen aus IT-Sicht, in: Burgwinkel, Blockchain Technology, S. 123, 130 f., 138 oder zur Überwindung der Fälschungs sicherheit unter massivem Ressourceneinsatz Voshmgir, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 2 Rn. 8, S. 16. Zum bisher größten Zwischenfall beim Betrieb einer Blockchain – dem sog. DAO-Hack – siehe Tosovic, Der DAO-Hack und die Konsequenzen für die Blockchain, in: Burgwinkel, Blockchain Technology, S. 159, 159 ff. 304 Vgl. Voshmgir, Blockchains, Smart Contracts und das Dezentrale Web, S. 8. Siehe auch Hasse/von Perfall/Hillebrand/Smole/Lay/Charlet, Blockchain – Chance für Energieverbraucher?, S. 11. 305 Gyr, Blockchain und Smart Contracts, Anhang iv; Jaccard, Smart Contracts and the Role of Law, S. 5; Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 346. 300 Nakamoto,
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Kap. 2: Grundlagen
niziert.306 Die einzelnen Transaktionen werden mit dem privaten Schlüssel durch den „Verfügenden“ signiert.307 Mit Hilfe dieser Signatur mittels des privaten Schlüssels können die anderen Teilnehmer die Transaktion nachvollziehen und prüfen.308 Mittels des öffentlichen Schlüssels, welcher dem Geschäftspartner mitgeteilt wird, kann dann überprüft werden, ob die Signatur von diesem privaten Schlüssel erstellt wurde, mithin ob sie vom Inhaber des privaten Schlüssels stammt.309 Der öffentliche Schlüssel stellt darüber hinaus eine Empfängeradresse und Kontonummer dar.310 Er hat eine Identifikationsfunktion.311 cc) Missverhältnis zwischen Ver- und Entschlüsselungsaufwand Die Verschlüsselung ist wegen des zugrundeliegenden Algorithmus aufwändig und rechenintensiv und wird je nach Verifizierungsverfahren weiter erschwert.312 Der Miner muss unter hohem Ressourceneinsatz die Daten verschlüsseln. Besonders potenziert wird der Aufwand dadurch, dass in der Regel Verfahren auf der Basis von Primzahlen genutzt werden. Berechnungen auf Primzahlbasis sind für informationstechnische Systeme besonders anspruchsvoll; die Prüfung, ob der errechnete Hash-Wert zutreffend ist, ist im Gegensatz erheblich leichter.313 Die Überprüfung durch eine Vielzahl anInformation & Communications Technology Law 2017, 116, 117 f. Smart Contracts and the Role of Law, S. 5; Voshmgir, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 2 Rn. 33, S. 23. Siehe auch Lang/Müller, International Mining and Oil & Gas Law, Development, and Investment 2019, 17B-1, S. 2. Siehe auch Meinel/Gayvoronskaya/Schnjakin, Blockchain: Hype oder Innovation, S. 24; Schwöbel/Bensberg/Gerth, AKWI 2018, Heft 8, S. 55, 57. 308 Voshmgir, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 2 Rn. 33, S. 23. 309 Vgl. Kaulartz, CR 2016, 474, 475. 310 Buterin, Ethereum Whitepaper, S. 5; Hohn-Hein/Barth, GRUR 2018, 1089, 1089; Kipker/Birreck/Niewöhner/Schnorr, MMR 2020, 509, 509; Savelyev, Information & Communications Technology Law 2017, 116, 117 f.; Jaccard, Smart Contracts and the Role of Law, S. 5; Schwöbel/Bensberg/Gerth, AKWI 2018, Heft 8, S. 55, 57; Tundal, Utilizing Blockchain Technology for Settlement in a Microgrid, S. 6. Siehe auch Heckmann/Kaulartz, c’t 2016, Heft 24, S. 138, 139; Voshmgir, in: Braegelmann/ Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 2 Rn. 33, S. 23; Wilkens/Falk, Smart Contracts, S. 7 f. 311 Jaccard, Smart Contracts and the Role of Law, S. 5; Lang/Müller, International Mining and Oil & Gas Law, Development, and Investment 2019, 17B-1, S. 2; Sikorski/Haughton/Kraft, Applied Energy 2017, 234, 237. 312 Siehe hierzu Kapitel 2, B.III.3.e). 313 Gabler Wirtschaftslexikon, Konsensmechanismus Rn. 2; Germanwatch, Chancen und Risiken, S. 21; Prinz/Schulte, Blockchain und Smart Contracts, S. 17; Tapscott/Tapscott, Die Blockchain Revolution, S. 54; vbw, Blockchain und Smart Con306 Savelyev, 307 Jaccard,
B. Smart Contracts73
derer Miner wird erleichtert, sie können Kontrollinstanzen sein. Vergleichbar mit den menschlichen kognitiven Fähigkeiten wäre der folgende Fall: Für den Menschen ist leicht zu überprüfen, dass 689 geteilt durch 13 die Zahl 53 ergibt; jedoch wäre es extrem aufwändig und schwierig zu berechnen, welche zwei Zahlen multipliziert 689 ergeben; der Mensch ist auf ein Trial-andError-Prinzip angewiesen, um zur Lösung zu kommen. Die konkrete Verschlüsselungsaufgabe des Miners wäre es, zwei Zahlen zu finden, welche multipliziert 689 ergeben. Die Kontrolle der Ergebnisse des Miners ist leichter möglich. Er würde mithin den Überprüfenden mitteilen, dass die Zahlen 13 und 53 689 ergeben; diese müssten die Zahlen lediglich noch multiplizieren, um das Ergebnis zu verifizieren. Durch diesen Mechanismus ist sichergestellt, dass die Verschlüsselung hinreichend anspruchsvoll ist, um einen Anreiz zu loyalem Verhalten zu bieten. Gleichzeitig ist auch eine Kontrolle durch andere Beteiligte möglich, welche damit die Arbeit des die Verschlüsselung vornehmenden Miners im Rahmen der Hash-Wert-Generierung überprüfen und so ggf. dennoch auftretendes illoyales Verhalten aufdecken können. c) Vermeidung von Systemausfällen: No Single Point of Failure Der Betrieb der Blockchain verteilt sich auf viele einzelne Nodes als Knotenpunkte.314 Dies stellt auch mit Blick auf etwaige Attacken Dritter, beispielsweise DDoS-Attacken,315 eine Besonderheit dar: Will ein Angreifer das System zum Erliegen bringen oder beeinträchtigen, genügt es nicht, ein einziges zentralisiertes Serversystem anzugreifen, da ein solches bei der Blockchain nicht existiert. Es gibt keine zentrale Stelle, welche Opfer eines Angriffs werden könnte.316 Es muss vielmehr eine große Vielzahl an Knotenpunkten angegriffen werden, um die Blockchain in ihrer Funktionsweise durch derartige Attacken zu beeinträchtigen. Für den Betrieb der Blockchain ist nicht erforderlich, dass alle Akteure handlungsfähig sind, auch mit nur tracts, S. 4. Vgl. auch Andoni/Robu/Flynn/Abram/Geach/Jenkins/McCallum/Peacock, Renewable and Sustainable Energy Reviews 2019, 143, 146. Vgl. auch Tundal, Utilizing Blockchain Technology for Settlement in a Microgrid, S. 6. 314 Sikorski/Haughton/Kraft, Applied Energy 2017, 234, 235. 315 Bei den DDoS-Attacken handelt es sich um so genannte Distributed-Denial-ofService-Attacken, bei welchen ein Knotenpunkt mit einer derartig hohen Anzahl von Anfragen konfrontiert wird, dass dieser den Betrieb wegen Überlastung einstellt beziehungsweise jedenfalls zu starken Verzögerungen gezwungen wird und so der ordnungsgemäße Betriebsablauf behindert wird. Siehe hierzu Knittl/Neuberger/Dieterle, HMD 2020, 558, 562. 316 Tapscott/Tapscott, Die Blockchain Revolution, S. 24. Siehe auch Hasse/von Perfall/Hillebrand/Smole/Lay/Charlet, Blockchain – Chance für Energieverbraucher?, S. 6.
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Kap. 2: Grundlagen
einem Teil aktiver Akteure kann der Betrieb aufrechterhalten werden. Es existiert kein Single Point of Failure.317 Neben der Attacke durch einen Dritten kann in zwei weiteren Szenarien ein Systemausfall vermieden werden: Zum einen führt die Dezentralität dazu, dass beispielsweise bei Stromausfällen in einer bestimmten Region der Service dadurch nicht tangiert wird, dass die dortigen Server nicht länger aktiv tätig sind. Durch die Redundanz der Datenbestände und die Vielfalt der Beteiligten führt ein solch partieller Ausfall nicht zu einem Erliegen der Systeme. Auch kann so verhindert werden, dass beispielsweise bei Streitigkeiten mit dem zentralen Betreiber dieser seinen Server abschaltet und so allen Beteiligten den Zugriff auf den Service nimmt. Die Möglichkeit, den Service zu betreiben oder den Betrieb einzustellen, liegt in der Hand aller Akteure. d) Kein zwingendes Erfordernis einer Nutzung der Blockchain Die Verwendung einer Blockchain ist kein zwingendes Merkmal des Smart Contracts. Allerdings werden Smart Contracts wie die Blockchain gerade im Bereich dezentralisierter Systeme genutzt.318 Charakteristisch für den Smart Contract ist jedoch vielmehr, dass bedingungsabhängig automatisiert Handlungen vorgenommen werden.319 Dieser Mechanismus ist unabhängig von der Verwendung einer Blockchain, er wird entsprechend programmiert, gleichgültig ob auf Basis einer Blockchain, einem Distributed Ledger320 ohne kryptografische Verschlüsselung oder einem gänzlich zentralisierten (sic!) System. Angeführt wird, die Blockchain sei von derart maßgeblichem Gewicht für den Smart Contract, da sie erst die beidseitige, völlige Automatisierung ermögliche: Durch die Blockchain könne – anders als beispielsweise beim Warenautomaten, bei welchem der Mensch die Münze einwirft – ein Vertrag 317 Strohmayer/Reetz, Smarte Sektorenkopplung, Digitalisierung und Distributed Ledger Technologien, S. 11. 318 Siehe hierzu nur Hasse/von Perfall/Hillebrand/Smole/Lay/Charlet, Blockchain – Chance für Energieverbraucher?, S. 3; Raskin, Georgetown Law Technology Review 2017, 305, 317; Savelyev, Information & Communications Technology Law 2017, 116, 117. 319 Siehe oben Kapitel 2, B.I.1.a). 320 Distributed Ledger ist sinngemäß als „verteiltes Kontobuch“ oder „verteilte Datenbank“ zu übersetzen, meint mithin eine Datenstruktur, welche nicht zentral, sondern dezentral von vielen Beteiligten getragen wird, Bertram, MDR 2018, 1416, 1417; Gyr, Blockchain und Smart Contracts, S. 11; Pittl/Gottardis, EuCML 2019, 205, 205; Schawe, MMR 2019, 218, 218; Schulz, c’t 2017, Heft 23, S. 102, 103; Völkle, MMR 2021, 539, 539; Wilkens/Falk, Smart Contracts, S. 5; Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 37 f.
B. Smart Contracts75
mit Automatismen auf beiden Seiten ohne menschliche Einwirkung zustande kommen.321 Zutreffend an dieser Aussage ist, dass bei der Nutzung einer Blockchain ein vollautomatisches Zustandekommen eines Vertrages ohne menschliche Interaktion möglich ist. Dies gilt jedoch nicht nur für Blockchain-Systeme: Auch bei Automatismen beispielsweise auf zentralisierten Handelsplattformen abseits der Blockchain kann ein Vertrag zustande kommen, indem ausschließlich Automatismen die Angebote abgleichen und bei Erfüllung der Kriterien vollautomatisch Willenserklärungen abgeben und so einen Vertrag abschließen. Auf niedrigster Stufe könnte dies beispielsweise ein Verkaufs- und auf der anderen Seite ein Einkaufs-Programm sein, welches auf einer klassischen Online-Plattform Waren ver- oder ankauft, sofern die Anforderungen erfüllt sind.322 Eine Blockchain ist hierfür nicht erforderlich.323 Ein Smart Contract setzt daher nicht zwingend die Blockchain als Basis voraus; jeder softwarebasierte automatische Vertragsabwicklungsmechanismus nach obiger Beschreibung kann ein Smart Contract sein.324 Gleichwohl bringt der Einsatz der Blockchain verschiedene Vorteile mit sich. 6. Probleme der Blockchain Der Einsatz der Blockchain führt auch zu Problemen. Ein erstes Problem sind die wachsenden Dateigrößen: Durch die zunehmende Menge an abgewickelten Transaktionen wächst die Blockchain kontinuierlich an. Es müssen immer mehr vorhergehende Transaktionen dokumentiert und gespeichert werden, was die Datenverarbeitungssysteme vor Probleme stellt.325 Daneben erweist sich die Performance der Blockchains zum aktuellen Zeitpunkt als Problem; die Abwicklungsgeschwindigkeiten sind aktuell oftmals zu gering, um im wirtschaftlichen Verkehr brauchbare Ergebnisse zu erzielen.326 Je 321 So
Savelyev, Information & Communications Technology Law 2017, 116, 121. Beispiel sei hier der vollautomatische Aktienhandel genannt. Vgl. auch Schliesky, NVwZ 2019, 693, 700. 323 Mit diesem Ergebnis auch Fietze/Papke/Wimmer/Antoni/Hilpert, Der Rechtsrahmen für regionale Peer to Peer‐Energieplattformen unter Einbindung von Blockchains, S. 62. 324 vbw, Blockchain und Smart Contracts, S. 13; Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 43; siehe ferner hierzu mit Beispielen Finck, Grundlagen und Technologie von Smart Contracts, in: Fries/Paal, Smart Contracts, S. 6. 325 Siehe hierzu Schrey/Thalhofer, NJW 2017, 1431, 1432. 326 Fan/Ghaemi/Khazaei/Musilek, IEEEAccess 2020, 126927, 126927 f.; Lang/ Müller, International Mining and Oil & Gas Law, Development, and Investment 2019, 17B-1, S. 5. 322 Als
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Kap. 2: Grundlagen
nach Konsensmechanismus verbraucht die Blockchain Strom und generell Ressourcen in erheblichem Umfang; dies beeinflusst die Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit negativ.327 Hinsichtlich dieser aktuell bestehenden technischen Probleme und Unzulänglichkeiten versprechen jedoch die Fort- und Weiterentwicklungen in naher Zukunft deutliche Fortschritte zu bringen. Insbesondere die Wahl und Ausgestaltung der Konsensmechanismen hat hierbei große Auswirkungen. Aus sozio-politischer Sicht ist ein weiteres Problem der Blockchain, dass diese – gerade im Rahmen von Bitcoin-Transaktionen – oftmals im Kontext des Darknets in Erscheinung trat und damit eine gesellschaftlich negative Konnotation gegeben ist.328 Allerdings macht die Nutzung der Blockchain im Darknet nur einen sehr geringen Anwendungsbereich aus. Ein umfangreicherer Einsatz in seriösen, alltäglichen Wirtschaftsbereichen kann diese negative Wahrnehmung der Blockchain aufbessern. 7. Blockchain als mögliche Abwicklungsumgebung für Smart Contracts Die Blockchain bietet somit innovative Technologien, welche dezentrale, intermediärslose Systeme unterstützen können. Direkttransaktionen zwischen Einzelnen kann so eine sichere, zuverlässige und leistungsfähige Abwicklungsumgebung gegeben werden, welche nachträgliche Überprüfungen ermöglicht. Damit bietet sie eine nützliche Basis für die Smart Contracts. Gleichwohl ist die Blockchain keine conditio sine qua non für dezentrale Systeme wie die Smart Contracts. Darüber hinaus zeigt der gegenwärtige Stand der Entwicklung, dass der wirtschaftliche Betrieb von technologischen 327 Siehe hierzu die Nachweise samt der Verbrauchsumfänge bei Andoni/Robu/ Flynn/Abram/Geach/Jenkins/McCallum/Peacock, Renewable and Sustainable Energy Reviews 2019, 143, 149; Hasse/von Perfall/Hillebrand/Smole/Lay/Charlet, Blockchain – Chance für Energieverbraucher?, S. 23; Hofmann/Strewe/Bosia, Supply Chain Finance and Blockchain Technology, S. 52; Germanwatch, Chancen und Risiken, S. 25. Siehe auch Deutsche Bundesregierung, Blockchain-Strategie, S. 3 f.; Lang/Müller, International Mining and Oil & Gas Law, Development, and Investment 2019, 17B-1, S. 5; Mengelkamp/Gärttner/Rock/Kessler/Orsini/Weinhardt, Applied Energy 2018, 870, 873; Raskin, Georgetown Law Technology Review 2017, 305, 318; Tundal, Utilizing Blockchain Technology for Settlement in a Microgrid, S. 10 f. Siehe hierzu auch mit der Bezeichnung „sinnlose Verschwendung“ Kienzler, Hyperledger, in: Burgwinkel, Blockchain Technology, S. 111, 115. 328 Das Darknet, vereinzelt auch Darkweb genannt, meint eine Art „digitale Unterwelt“, einen abgeschotteten, auf hergebrachten Wegen nicht zu erreichenden Bereich des Internets, welcher in erheblichem Maße illegalen Aktivitäten dient, vgl. Ihwas, WiJ 2018, 138, 138. Zu den Inhalten des Darknets siehe auch Mukhopadhyay, Ethereum Smart Contract Development, S. 234 ff.
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Weiterentwicklungen sowie einem hinreichenden Skalierungsgrad abhängt. Die Blockchain befindet sich noch am Anfang der Entwicklung; die gesamten Potenziale werden zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht ausgeschöpft.
IV. Rechtliche Einordnung des Smart Contracts Smart Contracts ermöglichen den rechtswirksamen Abschluss und die rechtswirksame Durchführung von Verträgen. 1. Generelle Stellung von Smart Contracts in der Rechtsordnung Seit Beginn der umfangreicheren Nutzung von informationstechnologischen Systemen wird erörtert, wie sich diese Systeme in vorhandene Rechtsstrukturen einfügen und in welchem Verhältnis sie zu diesen stehen. Im Wesentlichen stehen sich hier der Ansatz des „code is law“ (a)) und der Ansatz der Einordnung auch softwarebasierter Systeme in das geltende Recht (b)) gegenüber. a) Ansatz des „code is law“ Der Ansatz des „code is law“ beruht auf dem Gedanken, dass nur der Programmcode für den von ihm geregelten Bereich (rechtliche) Geltung beanspruchen soll.329 Für viele an der frühen Entwicklung von Smart Contracts Beteiligte sollte der Smart Contract eine Alternative zu staatlichen, zentral orientierten Strukturen und zum privatrechtlichen Vertrag sein; zentrale Bereiche des Rechtswesens sollten durch die strikte Bindung an die „wenndann“-Beziehungen entbehrlich werden.330 Es sollten im Protokoll einmalig Rahmenbedingungen festgelegt werden, auf deren Basis dann alle künftigen Handlungen anhand der niedergelegten Vorgaben ausgeführt werden. Diese Handlungen vollstreckt der Smart Contract, gewährleistet mithin verlässlich die Durchsetzung von Rechten.331 Der Smart Contract soll hiernach inner-
329 Siehe zu dieser Umschreibung Heckmann/Kaulartz, c’t 2016, Heft 24, S. 138, 139; Jaccard, Smart Contracts and the Role of Law, S. 9 m. w. N.; Wilkens/Falk, Smart Contracts, S. 29. 330 Siehe zu dieser Zusammenfassung der Gedanken der „Geburtshelfer“ der Smart Contracts Ernst, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Vorwort, S. V. Siehe auch Savelyev, Information & Communications Technology Law 2017, 116, 123. 331 Vgl. hierzu Glatz, in: Breidenbach/Glatz, Handbuch Legal Tech, Kapitel 5.3 Rn. 24, S. 115; Jaccard, Smart Contracts and the Role of Law, S. 9.
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Kap. 2: Grundlagen
halb seines Wirkungsbereichs das Rechtssystem überflüssig machen332 und selbst alle Regeln und Mechanismen zur Begründung und Durchsetzung von Rechten bestimmen. Die technische Herrschaft sucht so die rechtliche Herrschaft zu ersetzen;333 eine parallele, auf Technologie basierende Ordnung soll geschaffen werden.334 Die „Unbestechlichkeit“ des der strikten „wenn-dann“Beziehung folgenden Algorithmus soll allein maßgeblich sein. Ein Vorteil dieses Ansatzes ist, dass bei strenger Anwendung des Codes ein hohes Maß an (Rechts-)Klarheit besteht, da lediglich das vom Code hervorgebrachte Ergebnis maßgeblich ist und das Ergebnis nicht auf seine Wirksamkeit und Auslegung hin überprüft werden muss.335 Auch kann so ein Anreiz geschaffen werden, möglichst lückenlose Programme zu gestalten.336 Dies trägt zur Rechtsklarheit bei. b) Ansatz der Unter- bzw. Einordnung des Programmcodes in den geltenden Rechtsrahmen Ein solches System parallel zur Rechtsordnung würde jedoch die Geltung des Rechts infrage stellen und ist daher abzulehnen. Nur aufgrund der Automatisierung und der Verortung innerhalb der IT-technischen Systeme wird nicht die Bindung an das Gesetzesrecht aufgehoben. Dies widerspräche dem grundlegenden Geltungsgrund und -anspruch des Rechts: Alle im gesellschaftlichen Leben vorkommenden Ereignisse müssen dem Rechtsrahmen als generell-abstrakter Werte- und Normordnung folgen.337 Die rein technische Begründung, es müsse erlaubt sein, weil es der Code zulässt, widerspricht dem Geltungsanspruch des Rechts.338 Eine solche Auffassung würde auch dem normativen Charakter des Rechts, welcher das Dürfen enger als das Können fasst,339 widersprechen. Die rechtlichen Regelungen stellen die Grenzen der Handlungsmöglichkeiten des Indi332 Siehe hierzu Glatz, in: Breidenbach/Glatz, Handbuch Legal Tech, Kapitel 5.3 Rn. 24, S. 115. 333 Becker, ZUM 2019, 636, 646. 334 Savelyev, Information & Communications Technology Law 2017, 116, 132. 335 Zu diesem Gedanken, ohne dem Ansatz des „Code is law“ jedoch zu folgen Fries, AnwBl. 2018, 86, 87. 336 Mit diesem Gedanken in Anlehnung an den DAO-Hack Fries, AnwBl. 2018, 86, 87. 337 Hart, The Concept of Law, S. 6; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 37. 338 Vgl. dazu, dass die Geltung des Rechts nicht dadurch infrage gestellt wird, dass eine rein faktische Möglichkeit zur Vornahme einer solchen Handlung bestünde auch Hart, The Concept of Law, S. 6; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 42. 339 Hart, The Concept of Law, S. 6; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 40 f.; Kirste, Rechtsphilosophie, S. 114 f.; Sieckmann, Rechtsphilosophie, S. 5.
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viduums dar.340 Andernfalls könnte das geltende Recht allein durch den Umstand, dass eine Abrede im Rahmen eines Smart Contract-Systems getroffen wird, außer Kraft gesetzt werden.341 Das Protokoll des Smart Contracts muss sich an das geltende Recht halten, es hat sich diesem Rechtsrahmen anzupassen und diesen zu respektieren. Das Recht setzt dem Protokoll Grenzen.342 Auch das Argument, die Rechtsklarheit und -sicherheit würden durch eine Anwendung des Ansatzes des „code is law“ erhöht, verfängt bei näherer Betrachtung nicht: Nicht alle Umstände können im Smart Contract niedergelegt werden, da die Codierbarkeit begrenzt ist.343 Nur in codierbaren Bereichen des Rechts kann Rechtsklarheit und -sicherheit durch Smart Contracts gewährleistet werden. Insbesondere wenn Smart Contracts mit der – nicht automatisierten – Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe kombiniert werden, muss jedenfalls für den Bereich der unbestimmten Rechtsbegriffe auf alternative Regelwerke zurückgegriffen werden. Unbestimmte Rechtsbegriffe sind nicht codierbar. Die „Striktheit“ und strenge Regelbasiertheit des Smart Contracts vermag diese Entscheidungen nicht zu treffen. Der Code kann somit schon nicht das einzig maßgebliche „Regelwerk“ bilden. Daneben kann ein „vollendeter“ Softwarecode nahezu nie geschaffen werden kann, mithin dieser nicht für alle Situationen Vorgaben vorsehen. Begründen ließe sich die Auffassung des „code is law“ allenfalls damit, dass – insbesondere, aber nicht ausschließlich, bei dezentralen Softwarelösungen wie der Blockchain344 – die Beteiligten sich auf diesen Code einigen, mithin auch mit dessen ggf. unbekannten Lücken und Problemen einverstanden sind. Dieser Gedanke entspricht der Idee der privatrechtlichen Vertragsverhandlung, bei welcher sich die Parteien auf ein Vertragswerk einigen und somit das Risiko von Lücken oder Problemen bei der Durchführung akzeptieren. Dieser Mechanismus ist hier Ausprägung der Vertragsfreiheit. Allerdings ist auch im Vertragsrecht die Vereinbarung eigener Regelungsregime im Rahmen der Vertragsfreiheit zwar zulässig; sie muss sich jedoch
340 Hart, The Concept of Law, S. 6; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 37; Kirste, Rechtsphilosophie, S. 115; Sieckmann, Rechtsphilosophie, S. 6. 341 Müller/Seiler, AJP 2019, 317, 323. Siehe hierzu auch Buchleitner/Rabl, ecolex 2017, 4, 10. 342 Mit diesem Ergebnis auch Müller/Seiler, AJP 2019, 317, 323; Spitz/Lehnert/ Heizmann, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 7 Rn. 37, S. 76. 343 Siehe hierzu oben Kapitel 2, B.I.1.b). 344 Zu den Charakteristika und der Funktionsweise der Blockchain siehe oben Kapitel 2, B.III.
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immer an die Grenzen des zwingenden Rechts halten.345 Unabdingbare gesetzliche Normen sind der Parteidisposition entzogen.346 Der Umstand, dass sich dies durch die Einigung auf ein Softwareprotokoll vollzieht, vermag hieran nichts zu ändern. Auch für die Risikotragung der Parteien ist die Einbettung der Smart Contracts in die geltende Rechtsordnung zwingend geboten: Erst die Gewissheit, im Falle von Unstimmigkeiten, Fehlern oder sonstigen Problemen auf die Mechanismen des Rechts zurückgreifen zu können, schafft die notwendige Sicherheit für eine Transaktion.347 Daneben würde auch in diesen Fällen die zusätzliche Steuerungsfunktion des Rechts und die Geltung der gesellschaftlichen Wertungen durch das Recht einer Anerkennung des „code is law“ widersprechen. Smart Contracts müssen dem geltenden Recht entsprechen und so die (Wert-)Entscheidungen der Gesellschaft anerkennen.348 Das Recht steuert, gestaltet und reguliert den Einsatz von Smart Contracts. 2. Smart Contracts als Vertragsabschlussmechanismus a) Abgabe von Willenserklärungen durch den Smart Contract Durch den Smart Contract können Willenserklärungen abgegeben werden.349 Diese unterliegen den Vorgaben der §§ 116 ff. BGB.350 Auch automatisierte Willenserklärungen351 sind solche im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches.352 Die Entäußerung durch eine natürliche Person353 ist nicht erfor345 Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 13 f.; Potel/Hessel, jM 2020, 354, 356; Wagner, ZEuP 2018, 821, 823. 346 Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 14; Heckmann/Kaulartz, c’t 2016, Heft 24, S. 138, 140; Wilkens/Falk, Smart Contracts, S. 30. 347 Ernst, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Vorwort, S. V. 348 Mit diesem Ergebnis auch Lang/Müller, International Mining and Oil & Gas Law, Development, and Investment 2019, 17B-1, S. 9. 349 Potel/Hessel, jM 2020, 354, 355. 350 Siehe hierzu auch Chatzinerantzis/Bertram, EnWZ 2021, 65, 67. 351 Von automatisierten Willenserklärungen wird gesprochen, sofern diese aufgrund vorheriger Eingaben durch das System selbsttätig erzeugt werden, vgl. Paulus, JuS 2019, 960, 962; Spindler, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, Vorbemerkung zu §§ 116 ff. BGB Rn. 5 f. Zur Charakterisierung von durch den Smart Contract abgegebenen Willenserklärungen als automatisierte Willenserklärungen siehe Paulus, JuS 2020, 107, 107 f. 352 Möslein, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 8 Rn. 19, S. 93; Paulus, JuS 2019, 960, 961; Scholtka/Martin, RdE 2017, 113, 116.
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derlich; dies ist in verschiedenen Bereichen des Wirtschaftslebens anerkannt. Es kann auch durch den Smart Contract eine entsprechende Willenserklärung abgegeben werden.354 Das bewusste Einsetzen des Mechanismus im Rechtsverkehr mit der Intention des Abschlusses von Rechtsgeschäften begründet das objektive und auch das subjektive Element der Willenserklärung.355 Ein Spezifikum der Smart Contracts ist, dass – insbesondere, wenn sowohl auf der Seite des Anbietenden als auch des Annehmenden Oracles und Smart Contracts eingesetzt werden – sich die Kommunikation zwischen den Smart Contracts im Rahmen des Vertragsabschlusses allein in „Maschinensprache“ vollzieht und auch die Smart Contracts auf reinem Softwarecode basieren. Bei der Nutzung von Smart Contracts auf bloß einer Seite der Parteien und jedenfalls einer menschlichen Person auf der anderen Seite gibt der Smart Contract eine für Menschen entzifferbare Erklärung ab, damit diese durch die menschliche Person wahrgenommen und angenommen werden kann. Auch der Austausch von Willenserklärungen zwischen Smart Contracts in Maschinensprache genügt jedoch den Anforderungen der §§ 116 ff. BGB. Das Gesetz regelt nicht, in welcher Sprache eine Willenserklärung abzugeben ist und ob die Abgabemechanismen rein softwarebasiert ausgestaltet sein können. Maßgebliches Kriterium ist, ob der Inhalt der Entäußerung unter Bezugnahme auf die Verkehrsüblichkeit und -typik erkennbar ist.356 Auch bei einem Warenautomaten muss man nicht den im System hinterlegten Code lesen und verstehen können, nicht einmal kennen, vielmehr genügen hier schon die äußeren Umstände für den Vertragsschluss.357 Der Wille, rechtsverbindlich zu handeln, kann auch in dieser Form hinreichend deutlich zutage treten;358 dies genügt für das Vorliegen einer bindenden Willenserklärung auch bei automatisierter Abgabe auf der Basis von Softwarecode.359 Dies entspricht dem Standard des Geschäftsverkehrs im Zuge der Digitalisierung.360 353 Von der Entäußerung ist die Zurechnung der durch den Smart Contract abgegebenen Willenserklärung zu einer Person zu unterscheiden, siehe hierzu auch unten Kapitel 2, B.IV.2. 354 Scholtka/Kneuper, IR 2019, 17, 19 m. w. N. 355 Paulus, JuS 2019, 960, 961 m. w. N. 356 Vgl. auch Armbrüster, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 1, Vorbemerkung vor § 116 BGB Rn. 6 f. 357 Kaulartz/Heckmann, CR 2016, 618, 621. 358 Heckmann/Kaulartz, c’t 2016, Heft 24, S. 138, 139; Pittl/Gottardis, EuCML 2019, 205, 207. 359 BGH NJW 2005, 976, 977; Brehm, in: Jayme/Laufs/Misera/Reinhart/Serick, FS Niederländer, S. 233, 234 f.; Köhler, BGB AT, § 6 Rn. 8. So auch vorausgesetzt in BGH NJW 2005, 53, 54. 360 Zur Auslegung des Verhaltens anhand dieses Maßstabs vgl. nur BGH NJW-RR 2011, 625, 626; Mansel, in: Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, § 157 BGB Rn. 4.
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Kap. 2: Grundlagen
Dass eine Programmiersprache darüberhinausgehend die Basis des Smart Contract bildet, schadet nicht. Auch ein Vertrag kann in jeder beliebigen Sprache abgefasst werden.361 Somit kann auch die Basis des Abgabemechanismus – hier des Smart Contracts – in dieser Weise funktionieren. Die von Smart Contracts als Vertragsautomatismen veranlassten und durchgeführten Verträge unterfallen mithin dem Vertragsrecht. Dies gilt, wenn Smart Contracts auf einer und auf beiden Seiten des abzuschließenden Geschäfts eingesetzt werden.362 Die Smart-Contract-Mechanismen fügen sich in das (Privat-) Rechtssystem ein.363 b) Zurechnung der so generierten Willenserklärungen Die Willenserklärungen sind dem Nutzer des Smart Contract zuzurechnen. Die Probleme bei der Identifizierbarkeit von Personen in der digitalen Welt stehen dem nicht entgegen. Die Willenserklärungen sind nicht dem Ersteller des Programmcodes zuzurechnen. aa) Identifizierbarkeit Oftmals nutzen Smart Contracts Pseudonymisierungen364 oder Anonymisierungen, gerade beim Einsatz der Blockchain. Deshalb ist nicht immer ohne Zuhilfenahme weiterer Informationen ersichtlich, welche natürliche oder juristische Person am Geschäft beteiligt ist. Prima facie ist daher ohne Zuhilfenahme weiterer Informationen lediglich eine Adresse oder ein Pseu donym erkennbar.365 Das Vertragsrecht fordert jedoch keine Klarnamen, es genügt, wenn eine Identifizierbarkeit unter Zuhilfenahme weiterer Daten beispielsweise von Codierungsregistern möglich ist.366 Bei Vertragsschlüssen in der realen Welt ist der Kunde gegebenenfalls unter Umständen individuell ebenso nicht erkennbar, man denke an den Kauf von Gegenständen durch eine maskierte Person. Diese Fälle sind vergleichbar mit den „Geschäften für den, den es angeht“, bei welchen die individuelle Erkennbarkeit der jeweili361 Börding/Jülicher/Röttgen/von Schönfeld, CR 2017, 134, 139; Heckelmann, NJW 2018, 504, 506 m. w. N.; Kaulartz/Heckmann, CR 2016, 618, 621; Lang/Müller, International Mining and Oil & Gas Law, Development, and Investment 2019, 17B-1, S. 9. 362 Vgl. zu automatisierten Willenserklärungen Paulus, JuS 2019, 960, 963 m. w. N. 363 Siehe hierzu auch Paulus, JuS 2019, 960, 960 ff. 364 Zum Begriff siehe Völkle, MMR 2021, 539, 541. 365 Jaccard, Smart Contracts and the Role of Law, S. 21. 366 Buchleitner/Rabl, ecolex 2017, 4, 10; Möslein, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 8 Rn. 12, S. 89.
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gen Identität durch den Geschäftspartner nicht erforderlich ist.367 Die Identifizierbarkeit im Sinne einer Zuordnung zu einer bestimmten, individualisierbaren Person ist keine Voraussetzung für ein Rechtsgeschäft. Sollte es für das Zustandekommen von Verträgen auf die Vertretungsmacht ankommen,368 kann der Vertretene im klassischen Sinne oder auch rein digital369 eine Vollmacht an den Vertreter erteilen. Die erschwerte Identifizierbarkeit bereitet damit zwar gegebenenfalls Probleme für die Rechtsdurchsetzung, sofern man den jeweiligen Vertragspartner für sein Verhalten zur Verantwortung ziehen möchte, hindert jedoch nicht die Zurechnung einer Willenserklärung oder die Wirksamkeit eines rein in der virtuellen Sphäre geschlossenen Vertrages. bb) Adressat der Zurechnung der Willenserklärung Bei der Nutzung von Smart Contracts ist dem Nutzer des Smart Contracts die von diesem abgegebene Willenserklärung zuzurechnen, nicht dem Ersteller des Smart Contracts als Urheber des Programmcodes. Nach generell zivilrechtlicher Zuordnung ist die Willenserklärung demjenigen zuzurechnen, der bei objektiver durchschnittlicher Betrachtung durch die Nutzung der Software als Urheber der durch sie abgegebenen Erklärung für den Rechtsverkehr in Erscheinung tritt oder die Parameter für den Betrieb und das veranlasste Ergebnis bestimmt.370 Der Empfängerhorizont ist das maßgebliche Kriterium.371 Bei Warenautomaten ist dies in der Regel der betreibende Aufsteller. Dieser wird vom Verkehr als derjenige angesehen, der das Geschäft abschließt.372 Möglich ist eine abweichende Beurteilung aufgrund anderweitiger Umstände im Einzelfall. So können sich auch beim Warenautomaten Abweichungen ergeben, sofern Betreiber und Aufsteller divergieren, der Aufsteller beispielsweise nur als Auftragnehmer des Betreibers tätig wird. In diesem Fall ist nach dem objektiven Empfängerhorizont der Betreiber als wirtschaftlich 367 Huber, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online Großkommentar, § 164 BGB Rn. 56 m. w. N. 368 Vgl. hierzu Jaccard, Smart Contracts and the Role of Law, S. 21. 369 Vgl. hierzu beispielsweise die Möglichkeiten, welche § 126a f. BGB eröffnen. 370 Paulus, JuS 2019, 960, 963 m. w. N.; siehe hierzu auch mit weitergehenden Gedanken zur Herstellerhaftung Schubert, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 1, § 164 BGB Rn. 119 m. w. N. 371 BGH NJW 2013, 598, 598 f.; Paulus, JuS 2019, 960, 964. 372 Mansel/Berger, in: Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, § 145 BGB Rn. 6, § 929 BGB Rn. 4.
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Kap. 2: Grundlagen
Letztverantwortlicher und Interessenträger hinsichtlich des Betriebs als Zurechnungssubjekt anzunehmen.373 Überträgt man diese Grundsätze auf die Smart Contracts, ist die Willenserklärung nach der Verkehrsanschauung dem Nutzer des Smart Contracts zuzurechnen, mithin jener natürlichen oder juristischen Person, welche sich aktiv für den Einsatz entscheidet und diesen für den eigenen (Erwerbs-) Zweck einsetzt.374 Konträr dazu könnte die Willenserklärung dem Ersteller des Softwarecodes als Basis des Smart Contracts zugerechnet werden. Der Ersteller legt die so maßgeblichen375 Merkmale und Variablen des Softwarecodes fest, ist Schöpfer des Smart Contracts und bestimmt die Funktionsweise. Für diese Auffassung spricht, dass derjenige, der den Code beeinflussen kann, auch die Verantwortung für die Folgen auf der vertraglichen Ebene tragen würde. Der Schöpfer des Gesamtsystems müsste so voll umfänglich über alle Ebenen hinweg bis in die Ebene vertraglicher Bindung einstehen. Allerdings hat er keinen Willen, sich vertraglich im Rahmen der durch den Smart Contract ausgeführten Geschäfte zu binden. Er begründet oftmals allein interne Rechtsbeziehungen zum Nutzer, beispielsweise im Rahmen eines Werkvertrages über die Erstellung der Software. Für den Rechtsverkehr ist er so nicht erkennbar. Maßgeblich nach dem objektiven Empfängerhorizont ist vielmehr, wer als Anbietender in Erscheinung tritt und eine vertragliche Bindung eingehen möchte. Dies ist, wer das System aktiv und willentlich für seine Zwecke und seine (wirtschaftlichen) Interessen nutzt.376 Er zeigt durch den Einsatz des Systems und die konkrete Festlegung der Rahmenbedingungen für die Abgabe der Willenserklärungen den Willen, sich an die entsprechende künftige Erklärung zu binden.377 Durch die schlichte Erstellung und Einrichtung des Systems entsteht lediglich eine vertragliche Beziehung zu der Partei, welche die Ausarbeitung und gegebenenfalls den Betrieb beauftragt hat und für ihre Zwecke nutzt. Im Rahmen dieses vertraglichen Verhältnisses378 haftet der Schöpfer für die ordZfPW 2019, 418, 426; Sosnitza, CR 2016, 764, 767. Smart Contracts, S. 34. 375 Zur Relevanz des Protokolls als Basis des Smart Contract siehe oben Kapitel 2, B.II. 376 Busche, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 1, § 133 BGB Rn. 13. Siehe hierzu auch Börding/ Jülicher/Röttgen/von Schönfeld, CR 2017, 134, 139. 377 Specht/Herold, MMR 2018, 40, 41. 378 Die Erstellung und Kreierung von individualisierter Software ist regelmäßig als Werkvertrag, der Verkauf standardisierter Software hingegen als Kaufvertrag zu betrachten, vgl. Hoeren, in: v. Westphalen/Thüsing, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, IT-Verträge, Rn. 3 m. w. N. Siehe hierzu unten ausführlich Kapitel 4, A.II.2. 373 Foerster,
374 Wilkens/Falk,
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nungsgemäße Funktionsweise des Smart Contracts. Eine darüberhinausgehende Bindung beispielsweise gegenüber der das Angebot annehmenden Partei würde weit hierüber hinausgehen und einen Dritten in die vertragliche Vereinbarung einbeziehen. Die Einbeziehung Dritter in Schuldverhältnisse stellt jedoch eine deutliche Ausnahme dar, welche nur unter engen Voraussetzungen anzunehmen ist.379 Ferner würde eine Zurechnung der durch den Smart Contract abgegebenen Willenserklärungen zum Schöpfer des Softwarecodes die Ebenen der Haftung für die Softwareerstellung und der Bindung an die durch diese veranlassten Rechtsgeschäfte verwischen. Die Zurechnung zum Nutzer des Smart Contracts und nicht zum Ersteller des Codes ordnet darüberhinausgehend die Risikotragung schon auf der Ebene der Willenserklärungen und damit auch für den späteren Vertrag korrekt zu: Diejenige Person, welche sich für den Einsatz des Smart Contracts entscheidet und anbietend am Markt auftritt, haftet nach der Verkehrsanschauung auch für dessen Handlungen und trägt die damit einhergehende Verantwortung. Sie trifft die Erfüllungs- und Haftungsverantwortung.380 Die Ausarbeitung des dem Smart Contract zugrundeliegenden Softwarecodes allein begründet diese Haftung im Rechtsverkehr nicht. Maßgeblich ist die aktive Verwendung des Smart Contracts. Die vom Smart Contract veranlasste Willenserklärung ist mithin dem jeweiligen Nutzer zuzurechnen.381 c) Zustandekommen des Vertrags Liegen somit Willenserklärungen auch im Rahmen des Einsatzes von Smart Contracts vor, so stellt sich die Frage, wie beim Einsatz ebendieser Mechanismen der Vertrag zustande kommt. Der Smart Contract ist hier das Mittel zum Vertragsschluss und nicht der Gegenstand des Vertrags. Das Zustandekommen richtet sich dabei nach den allgemeinen Regeln des Zivilrechts, insbesondere den §§ 145 ff. BGB.382
379 Vgl.
hierzu etwa § 311 III BGB. mit diesem Ergebnis hinsichtlich der Zurechnung auch Specht/Herold, MMR 2018, 40, 41. 381 Mit diesem Ergebnis auch Kipker/Birreck/Niewöhner/Schnorr, MMR 2020, 509, 510 m. w. N. 382 So mit besonderem Bezug zur Stromlieferung Schöne/Garbers, in: v. Westphalen/Thüsing, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Stromlieferverträge, Rn. 2 ff. 380 So
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Kap. 2: Grundlagen
aa) Generelles Zustandekommen des Vertrags Je nach Ausgestaltung kann das Offerieren durch den Smart Contract als (bindende) offerta ad incertas personas383 oder als (nichtbindende) invitatio ad offerendum ausgestaltet sein,384 bei zielgerichteter Individualisierung des Gegenübers auch als personenbezogenes Angebot.385 Dies ist insbesondere der Fall, wenn durch den Smart Contract gezielt eine andere Partei ausgewählt und dieser ein konkretes Angebot unterbreitet wird. Abzugrenzen ist, ob in den Fällen, in welchen keine bestimmte Partei im Angebot adressiert wird, ein Rechtsbindungswille besteht und eine offerta ad incertas personas vorliegt. Da ex ante die Bedingungen im Algorithmus festgelegt werden, unter welchen eine Willenserklärung gerichtet auf den Vertragsschluss abgegeben werden soll,386 hängt der Vertragsschluss davon ab, dass bei einem anderen Teilnehmer zur selben Zeit dieselben Bedingungen hinsichtlich der korrespondierenden Willenserklärung vorliegen.387 Der Vertragspartner hat bei den vorwiegend als Massengeschäften konzipierten Geschäften lediglich ein Interesse daran, dass die im Smart Contract niedergelegten Voraussetzungen erfüllt werden. Darüber hinaus besteht üblicherweise kein Interesse daran, sich die finale Entscheidung über den Geschäftsabschluss vorzubehalten. Bei einer bloßen invitatio ad offerendum behält sich der Erklärende jedoch demgegenüber die finale Entscheidung über das Zustandekommen des Geschäftes noch vor.388 Dass die im Smart Contract niedergelegten Voraussetzungen eingehalten werden, ist auch bei der Charakterisierung als offerta ad incertas personas gewährleistet. Die Willenserklärung, die durch den Smart Contract abgegeben wird, steht unter der Bedingung, dass die niedergelegten Voraussetzungen eingehalten wer-
383 Zu
dieser Charakterisierung siehe Buchleitner/Rabl, ecolex 2017, 4, 9 f. Rechtliche Grenzen bei der Gestaltung von Smart Contracts, in: Taeger, Smart World – Smart Law?, S. 1023, 1032; vgl. hierzu auch Anzinger, Smart Contracts in der Sharing Economy, in: Fries/Paal, Smart Contracts, S. 60 f. 385 Letzterer Fall bietet sich jedoch beim Handel mit Energie nicht an, da dann durch die Beschränkung auf eine Person als potenziellem Vertragspartner eine gewisse Unflexibilität entstünde, welche beim Handel von Energie mit nicht wünschenswerten Verzögerungen einginge, bspw. wenn auf Nachfrageseite aktuell kein Bedarf nach Energie bestünde. Der Idee eines „Anbietens von Energie an einem Markt“ wird daher eine offerta ad incertas personas am ehesten entsprechen. 386 Siehe oben Kapitel 2, B.I.1.b). 387 Scholtka/Martin, RdE 2017, 113, 117. 388 BGH NJW 2009, 1337, 1338; Möslein, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online Großkommentar, § 145 BGB Rn. 114 m. w. N.; Busche, in: Säcker/Rix ecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 1, § 145 BGB Rn. 10. 384 Kaulartz,
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den.389 Wegen der strikten Bedingungsabhängigkeit des Smart Contracts ist mithin regelmäßig vom Vorliegen eines Rechtsbindungswillens auszugehen, somit – parallel zum Warenautomaten390 – regelmäßig auch vom Vorliegen einer bindenden offerta ad incertas personas.391 Die Annahme eines Angebots – gleichgültig ob diese mittels Smart Contracts oder auf anderem Wege abgegeben werden – kann überdies mittels eines Smart Contracts erklärt werden. In diesem Falle wird die „wenn-dann“Struktur des „annehmenden“ Smart Contracts so programmiert, dass automatisch die Annahme des Angebots durch den Smart Contract erklärt wird, sofern dieses Angebot den zuvor festgelegten Kriterien entspricht.392 bb) Zustandekommen beim Einsatz von Plattformen Eine Besonderheit für das Zustandekommen des Vertrags ergibt sich, sofern die Parteien innerhalb einer vermittelnden Plattform393 agieren und über die Plattform zueinander finden. Die Plattform kann hier ein Medium für den Vertragsschluss sein,394 beispielsweise, wenn die Plattform den Nutzern eine Software anbietet, über welche sie Verträge schließen können oder im Rahmen welcher sie ihre eigenen Smart Contracts einsetzen können, um Vertragsabschlüsse herbeizuführen. Hier liegen regelmäßig drei bilaterale Rechtsbeziehungen vor, zwischen beiden Parteien des abzuschließenden Vertrags sowie jeweils die vertragliche Beziehung zum Plattformbetreiber als ein einem Rahmenvertrag ähnliches Rechtsverhältnis.395 Das abzuschließende Geschäft kommt zwischen den beiden die Plattform nutzenden und den Leistungsaustausch vollziehenden Parteien zustande; die Plattform und ihr Betreiber sind an diesem Geschäft nicht beteiligt. Die Plattform ist nur in einer Vermittlerrolle tätig. Das Geschäft kommt hierbei durch den Vertragsschluss der nutzenden Parteien auf der Plattform zwischen diesen beiden
389 Siehe hierzu auch Buchleitner/Rabl, ecolex 2017, 4, 10; Möslein, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 8 Rn. 19, S. 93. 390 Zum Vorliegen einer offerta ad incertas personas beim Aufstellen eines Warenautomaten siehe oben Kapitel 2, B.I.2. 391 So auch Möslein, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 8 Rn. 19, S. 93 m. w. N. 392 Vgl. zur Möglichkeit, auf mehreren bzw. allen Seiten einen Smart Contract einzusetzen Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431, 446. 393 Zu den möglichen Konzeptionierungen und insbesondere der Frage der Einbindung von Intermediären wie Plattformen siehe unten Kapitel 3, E. 394 Meller-Hannich, Wandel der Verbraucherrollen, S. 24. 395 Meller-Hannich, Wandel der Verbraucherrollen, S. 24 f.
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Kap. 2: Grundlagen
zustande.396 Seltener wird der Vertrag zwischen dem Abnehmer und dem Plattformbetreiber geschlossen, wenngleich auch dies möglich ist.397 Dies hängt von der Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen ab. So kann die Plattform zunächst die Leistung vom erbringenden Teilnehmer einkaufen und dann an den nachfragenden Teilnehmer verkaufen. Die Natur des Vertrags mit dem Plattformbetreiber hängt von der Rechtsnatur der Einzelverträge ab. cc) Zustandekommen bei Nutzung der Blockchain Grundlegend abweichend stellt sich das Zustandekommen des konkreten Vertrags jedoch bei der Nutzung der Blockchain dar. Hier sind die Besonderheiten insbesondere hinsichtlich der Verifizierung der Transaktionen durch die Beteiligten und der Niederlegung in Blöcken zu berücksichtigen. Auch hier finden die §§ 145 ff. BGB Anwendung; sie bilden den maßgeblichen rechtlichen Rahmen.398 Auch die Abgabe muss – wie jede Handlung im Rahmen der Blockchain-Mechanismen, welche rechtliche Wirkung entfalten soll – mittels der Schlüssel signiert werden. Die Abgabe der vertragsnotwendigen Willenserklärung hängt davon ab, dass der Beteiligte seine individuelle Signatur mithilfe seines Schlüssels anfügt.399 Dementsprechend kommt der Vertrag – der allgemeinen Dogmatik der Rechtsgeschäftslehre folgend – zustande, sobald sowohl die Angebots-Willenserklärung als auch die Annahme-Willenserklärung individuell signiert sind, mithin vollständig vorliegen.400 Andererseits könnte man den Vertragsschluss auch erst annehmen, wenn die Erklärung validiert und im Block niedergelegt ist; erst dann ist der Vertrag in der Blockchain abgelegt und damit „perpetuiert“.401 Die Parteien können auf die endgültige Umsetzbarkeit erst dann vertrauen, wenn die Transaktion validiert und innerhalb eines Blocks niedergelegt wurde. Diese Validierung liegt jedoch außerhalb der Einflusssphäre der Parteien. Sie haben ihre Willenserklärungen mit der Signatur abgegeben,402 der Rechtsbindungswille ist nach außen getreten. 396 Hierzu explizit Wiebe, MMR 2000, 323. Siehe auch LG Münster, MMR 2000, 280, 282. 397 Hierzu etwa Meller-Hannich, Wandel der Verbraucherrollen, S. 26 f. 398 Chatzinerantzis/Bertram, EnWZ 2021, 65, 67; Hasse/von Perfall/Hillebrand/ Smole/Lay/Charlet, Blockchain – Chance für Energieverbraucher?, S. 26; Kipker/ Birreck/Niewöhner/Schnorr, MMR 2020, 509, 510. 399 Jaccard, Smart Contracts and the Role of Law, S. 22; vgl. auch Riehm, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 9 Rn. 20, S. 105. 400 Heckelmann, NJW 2018, 504, 504. 401 Zu diesen Vorgängen siehe oben Kapitel 2, B.III.3.d); siehe ferner hierzu Chatzinerantzis/Bertram, EnWZ 2021, 65, 67; Wilkens/Falk, Smart Contracts, S. 33. 402 Gyr, Blockchain und Smart Contracts, S. 129.
B. Smart Contracts89
Die Validierung der Transaktion innerhalb der Blockchain soll sicherstellen, dass die Beteiligten zum Vollzug (sic!) dieser Transaktion berechtigt sind. So wird beispielsweise geprüft, ob die Verfügungsbefugnis über einen bestimmten Gegenstand besteht.403 Dies ist jedoch dem Vertragsvollzug zuzuordnen und ist nicht Teil des Vertragsabschlusses auf der Ebene der Verpflichtung zu (sic!) einer bestimmten Handlung. Für diese Verpflichtungsebene ist nicht maßgeblich, ob der Vertrag tatsächlich erfüllt werden kann und hierfür die notwendigen Berechtigungen bestehen, arg. ex § 306 I BGB a. F., § 311 I, II BGB. Die Validierung ist mithin im Rahmen des deutschen Trennungs- und Abstraktionsprinzips und der Unterscheidung zwischen der Verpflichtung zu einem Tun und dessen tatsächlicher Vornahme nicht der Ebene des Vertragsabschlusses zuzuordnen. Daher wird der Vertrag bereits mit dem Signieren geschlossen.404 3. Smart Contracts im Rahmen der Vertragsdurchführung Wird der Smart Contract von den Parteien zur Vertragsdurchführung verwendet, ist dies eine Einigung auf einen bestimmten Vertragsbestandteil. Auch für eine solche Vereinbarung gilt das allgemeine Vertragsrecht der §§ 116 ff. BGB. Vertraglich können sich die Parteien auf bestimmte Vertragsabwicklungs- und Vertragsdurchführungsmechanismen einigen. Es steht den Parteien insbesondere frei, eine Software für die Durchführung und Abwicklung eines Vertrages zu nutzen; dies erlaubt die Vertragsautonomie. Der Smart Contract muss dabei die Grenzen des Rechts achten, insbesondere gesetzliche Verbote und die Regelungen zu Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Rahmen der §§ 305 ff. BGB.405 Auch beim Einsatz der Smart Contracts für die Vertragsdurchführung und -abwicklung ist das allgemeine Vertragsrechtsregime anzuwenden und der Smart Contract nimmt insofern keine Sonderrolle ein.
403 Schrey/Thalhofer, NJW 2017, 1431, 1432. Für den Fall, dass Forderungen Gegenstand der Geschäfte sind, ist auf die Inhaberschaft abzustellen. 404 Mit diesem Ergebnis in Bezug auf das schweizerische Privatrecht auch Jaccard, Smart Contracts and the Role of Law, S. 23. 405 Siehe hierzu auch Chatzinerantzis/Bertram, EnWZ 2021, 65, 67.
Kapitel 3
Smart Contracts im Kontext der Prosumer: Konzeptionierungsmöglichkeiten und deren rechtliche Verortung Im Energierecht ermöglichen und unterstützen Smart Contracts die Prosumeraktivitäten. Deswegen ist zu untersuchen, welche tatsächliche und rechtliche Verknüpfung zwischen Smart Contracts und Prosumeraktivitäten in der Energiewirtschaft besteht. Dies umfasst sowohl die Einsatzfelder als auch die rechtliche Einordnung der möglichen Konzepte. Der Smart Contract und der Prosumer werden auf diese Weise in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zusammengeführt. Die anwendbaren Rechtsregelungen hängen dabei stark von der tatsächlichen Ausgestaltung der Prosumeraktivitäten im Hinblick auf den Netz- und Leitungsbetrieb und die Verbindung der Beteiligten untereinander ab. Die Smart Contracts ermöglichen verschiedene Arten der Zusammenschlüsse und Interaktionen zwischen Prosumern. Durch die Wahl bestimmter Ausgestaltungen kann der anwendbare Rechtsrahmen beeinflusst werden. In Abgrenzung zu Kapitel 4 widmet sich dieses Kapitel den Fragen der grundsätzlichen Konzeptionierungen und deren rechtlicher Verortung selbst, während Kapitel 4 die rechtlichen Pflichten bei den Aktivitäten im Rahmen von Energieversorgung und -handel analysiert.
A. Einsatzfelder der Smart Contracts Es ist – gerade mit Blick auf die Prosumeraktivitäten – zu fragen, welche Besonderheiten den Begriff des Smart Contracts im energierechtlichen Kontext prägen und in welchen Feldern der Prosumeraktivitäten sich der Einsatz besonders anbietet.
I. Smart Contracts beim Energiehandel von Prosumern Smart Contracts können insbesondere bei so genannten Peer-to-PeerEnergiemärkten eingesetzt werden. Dabei handelt es sich um einen Energiehandel in zunächst bilateralen Beziehungen zwischen einem Prosumer und
A. Einsatzfelder der Smart Contracts91
einem Abnehmer, beispielsweise einem klassischen Kunden oder auch einem weiteren Prosumer.1 Hier kommt dem Prosumer eine zentrale Stellung zu.2 Diese Beziehungen stellen mithin den Ausgangspunkt der Prosumeraktivitäten und die Stufe geringster Komplexität dar. Hierauf basieren nahezu alle komplexeren Entwicklungsstufen der Prosumeraktivitäten, indem sie diese Form des Peer-to-Peer-Handels ergänzen, kombinieren, institutionalisieren oder einbinden. Der Smart Contract kann in diesem Kontext so eingesetzt werden, dass er beim Vorliegen bestimmter Bedingungen, insbesondere beim Vorliegen überschüssig selbst produzierter Energie, die Energie verkauft, in das Netz einspeist und automatisiert die Gegenleistung einfordert.3 Der Smart Contract des produzierenden Prosumers stellt dabei die Energiemenge als Angebotsmenge zu einem bestimmten Preis zum Verkauf zur Verfügung und „wartet“ auf die Annahme des Angebotes durch einen Käufer, welcher die benötigte Menge zu einem bestimmten Preis erwirbt.4 Der Erwerber kann dabei ebenso einen Smart Contract nutzen; in diesem Fall kommt der Vertrag gänzlich ohne menschliche Interaktionen hinsichtlich des konkreten Geschäfts zustande. Ist der Interessent gefunden und sind alle Kriterien für die Ausführung erfüllt, veranlasst der Smart Contract die Lieferung der Energie unter Zuhilfenahme des Oracles.5 Eine vollautomatische Abwicklung von Energielieferungsverträgen wird auf diese Weise möglich.6 Eine erste Entwicklung zu dieser Form des Energiebezugs zeigt sich bereits im – von der Europäischen Union beabsichtigten7 – beschleunigten, vollautomatischen8 Stromanbieterwechsel. Hier wird durch Automatismen 1 Giannakaris/Trakadas/Zahariadis/Gkonis/Papadopoulos, Using Smart Contracts in Smart Energy Grid Applications, Sinteza 2019, S. 597, 597 f.; Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 95 ff. 2 Siehe nur Finck, Grundlagen und Technologie von Smart Contracts, in: Fries/ Paal, Smart Contracts, S. 8. 3 Vgl. zu diesem Anwendungsfeld auch Hasse/von Perfall/Hillebrand/Smole/ Lay/Charlet, Blockchain – Chance für Energieverbraucher?, S. 17. 4 Siehe zu diesem Beispiel oben Kapitel 2, B.I.2. 5 Zu den Oracles im energierechtlichen Kontext siehe unten Kapitel 3, D. Zur generellen Bedeutung der Oracles siehe oben Kapitel 2, B.I.4. 6 Siehe zur insgesamten Abfolge der nötigen und hier beschriebenen Schritte Laszka/Eisele/Dubey/Karsai/Kvaternik, TRANSAX: A Blockchain-based Decentralized Forward-Trading Energy Exchange for Transactive Microgrids, S. 2. Siehe auch Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 112 f. 7 Vgl. Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Verbesserte Möglichkeiten für die Energieverbraucher, COM(2015) 339 final, S. 5 f.; siehe auch Schneidewindt, ER 2016, 16, 18. 8 Andoni/Robu/Flynn/Abram/Geach/Jenkins/McCallum/Peacock, Renewable and Sustainable Energy Reviews 2019, 143, 152.
92
Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
beispielsweise jedes Jahr der Stromanbieter nach bestimmten Kriterien gewechselt, sofern für den Kunden bessere Angebote bestehen.9 Dies ermöglicht auch die von der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie vorgesehene10 und im EnWG in § 41a umgesetzte Dynamisierung der Stromtarife auch für Klein- und Haushaltskunden. Auf nationaler Ebene werden diese Bestrebungen durch den neu eingeführten § 41c EnWG weiter vorangetrieben. Hiernach ist jedenfalls ein Vergleichsinstrument zu schaffen, welches den (Letzt-) Verbrauchern den Stromanbieterwechsel erleichtert. Smart Contracts könnten diesen Wechsel erheblich beschleunigen und dynamisieren. So kann mehrmals stündlich je nach aktueller Gebotslage Strom von unterschiedlichen Produzenten – auch Prosumern – bezogen werden. Spiegelbildlich können die Prosumer dann auch kurzfristig Energie an verschiedene, häufig wechselnde Kunden und Letztverbraucher liefern. Ziel des einzelnen Vertrages ist dabei damit nicht länger der generelle Strombezug für einen längeren Zeitraum, sondern ein Energielieferungsvertrag für eine ex ante definierte Energiemenge, welche der Prosumer meist aktuell überschüssig produziert und daher veräußern will. Es steht damit bei den Prosumertätigkeiten das Mengen- und nicht das Zeitelement im Sinne einer Vollversorgung über einen längeren Zeitraum im Vordergrund.11 Der einzelne Prosumer verkauft kurzfristig eine begrenzte Energiemenge12 und gewährleistet nicht längerfristig die Vollversorgung mit Energie. Bei Prosumer-Zusammenschlüssen und im Austausch der Prosumer werden wesentlich kürzere Bindungen eingegangen als bei klassischen Energielieferungsverträgen, da in der Regel nur über den aktuell überschüssig produzierten Strom kontrahiert wird.13 Dieser Handel individualisierter Energiemengen ist der Ausgangspunkt aller Aktivitäten der Prosumer im Rahmen ihrer Vernetzung mittels der Smart Contracts.
II. Vernetzung mittels Smart Contracts Der Smart Contract kann somit die Beteiligten des Energiehandels vernetzen. Er wird dann nicht mehr nur bilateral eingesetzt, sondern begründet ein Netzwerk von Prosumern, Consumern und anderen Teilnehmern.14 Die Pro9 Siehe zu diesem Konzept Sieverding/Schneidewindt, Blockchain in der Energiewirtschaft, WISO Direkt 2016, Heft 30, S. 2. 10 Siehe Art. 14 I Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie. 11 Chatzinerantzis/Bertram, EnWZ 2021, 65, 66. 12 Chatzinerantzis/Bertram, EnWZ 2021, 65, 66. 13 Vgl. hierzu auch Scholtka/Martin, RdE 2017, 113, 117. Siehe zu dieser Veräußerung der überschüssig vom Prosumer produzierten Energie auch https://www. brooklyn.energy/about (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 14 Wilkens/Falk, Smart Contracts, S. 10.
A. Einsatzfelder der Smart Contracts93
sumer können auf diese Weise abseits einzelner bilateraler Handelsbeziehungen in umfassende und längerfristige Austauschbeziehungen eintreten, indem durch die (auf Dauer angelegte) Vernetzung viele Einzelverträge über individuelle Energielieferungen und begleitende Transaktionen je nach Kapazität geschlossen werden. Die Peer-to-Peer-Geschäfte werden so auf ein längerfristiges, gefestigtes, institutionalisiertes Niveau gehoben, der Smart Contract sorgt hier dafür, dass innerhalb der längerfristigen Beziehung Käufer und Verkäufer durch den Smart Contract immer neu „zusammengeführt“ werden.15 Daneben kann der Smart Contract auch im Rahmen des Netzbetriebs eingesetzt werden, indem er auf der Bedingungsseite Netzkapazitäten aufdeckt und diese mittels einer entsprechenden Steuerung des Stromflusses nutzt.16 Smart Contracts können so einen Beitrag zur intelligenten Netzsteuerung leisten. Diese Funktionen nutzen Smart Grids, welche dadurch von den automatisierten Mechanismen der Smart Contracts profitieren können.17 Aufgrund der hohen Abwicklungsgeschwindigkeit der Smart Contracts und der Möglichkeiten der umfangreichen Datenanalyse bietet sich der Einsatz besonders an. Dafür ist es erforderlich, dass der Smart Contract, vermittelt über die Oracles, Zugang zu den Netzdaten erhält, beispielsweise durch einen entsprechenden Vertrag der Prosumer mit den Netzbetreibern oder bei einem Netzbetrieb durch die Prosumer selbst. Insbesondere bei Insellösungen, Nachbarschaftsmodellen und Bürgerenergiegesellschaften18 können Smart Contracts wichtige Beiträge zu einem verlässlichen Netzbetrieb leisten.
III. Weitere Anwendungsfelder im Rahmen der Durchführung energiewirtschaftlicher Verträge Daneben kann – den regulatorischen Rahmen vorausgesetzt – der Smart Contract auch auf der Ebene der Vertragsdurchführung eingesetzt werden.19 Er kann beispielsweise die Zahlung sicherstellen, indem er im Falle von Zahlungsrückständen oder -ausfällen automatisiert eine Mahnung versendet 15 Siehe hierzu etwa Laszka/Eisele/Dubey/Karsai/Kvaternik, TRANSAX: A Blockchain-based Decentralized Forward-Trading Energy Exchange for Transactive Microgrids, S. 2. 16 Giannakaris/Trakadas/Zahariadis/Gkonis/Papadopoulos, Using Smart Contracts in Smart Energy Grid Applications, Sinteza 2019 – International Scientific Conference on Information Technology and Data Related Research, S. 597, 600. 17 Vgl. Prinz/Schulte, Blockchain – Technologien, Forschungsfragen und Anwendungen, S. 10. 18 Siehe zu diesen Konzeptionierungsmöglichkeiten unten Kapitel 3, E. 19 Hohn-Hein/Barth, GRUR 2018, 1089, 1093.
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Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
oder eine Stromsperre verhängt.20 Daneben kann der Smart Contract auch im Bereich vereinbarter Flexibilitätsmechanismen eingesetzt werden: So kann zwischen den Parteien des Energielieferungsvertrages eine Abrede getroffen werden, wonach in Zeiten hoher Last der Verbraucher auf die Abnahme von Energie ganz oder teilweise verzichtet, um so der Entstehung von Verbrauchsspitzen entgegen zu wirken.21 Der Smart Contract kann im Rahmen des bestehenden Energielieferungsvertrages erkennen, dass eine solche Spitze besteht oder sich anbahnt und dann den Verbraucher in seinem Verbrauch steuern, um so zur Netzstabilität beizutragen.
IV. Besonderheiten beim Einsatz der Blockchain Diese Einsatzfelder zeigen, dass durch Smart Contracts und Prosumer ein dezentrales Energieversorgungssystem geschaffen werden kann. Die Prosumer stellen das Paradebeispiel dezentraler Energieversorgung dar. Die Blockchain eröffnet die Möglichkeit, den Energieversorger als Zwischenhändler durch die unmittelbare Verknüpfung aller Teilnehmer partiell oder ganz zu ersetzen.22 Bei der Nutzung eines Blockchain-basierten Smart Contract könnte die Energie gänzlich dezentral erzeugt, vertrieben und verbraucht werden.23 Dafür könnte für alle Transaktionen eine Blockchain-basierte Transak tionshistorie24 genutzt werden und so die einzelne Transaktion gerichtsfest belegt werden. Die Blockchain könnte darüber hinaus Herkunftsnachweise, insbesondere für „grüne“ Energie,25 erbringen.26 Neben die Dokumentation von konkret gehandelten Mengen tritt dabei auch der Nachweis über die Herkunft der Energie. 20 Diese Handlungen dürfen dabei allerdings nur von nachprüfbaren und wertungsfreien Voraussetzungen abhängen, da der Smart Contract keine individuellen Wertentscheidungen treffen kann, vgl. hierzu ausführlich oben Kapitel 2, B.I.1.b). 21 Siehe hierzu Sötebier, in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, § 13 EnWG Rn. 133 ff. 22 Buchleitner/Rabl, ecolex 2017, 4, 4; Lang/Müller, International Mining and Oil & Gas Law, Development, and Investment 2019, 17B-1, S. 1; Lehner, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 6, § 55 MsbG Rn. 40. 23 Lang/Müller, International Mining and Oil & Gas Law, Development, and Investment 2019, 17B-1, S. 1. 24 Lang/Müller, International Mining and Oil & Gas Law, Development, and Investment 2019, 17B-1, S. 1. 25 Zu diesem Anwendungsbereich der Blockchain im Bereich der Dokumentation von Herkunftsnachweisen siehe Prinz/Schulte, Blockchain – Technologien, Forschungsfragen und Anwendungen, S. 18. 26 Chatzinerantzis/Bertram, EnWZ 2021, 65, 66. Siehe hierzu auch Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 97 ff.
B. Anreize für Smart-Contract-basierte Prosumeraktivitäten 95
Dabei ist die Energiewirtschaft allerdings – anders als beispielsweise der Finanzsektor – abhängig von zentralen Infrastrukturanlagen, insbesondere von Netzen als physischen Konstrukten.27 Die Beteiligten der Blockchain können hierbei ebenso gemeinsam an einer – zentralisierten – Infrastruktur arbeiten und diese betreuen. Die Dezentralisierung der Energiewirtschaft findet ihre Grenzen daher in der zentral zu betreibenden Infrastruktur. Ein Vorteil der Blockchain liegt darin, dass lediglich der Technik und nicht einem Intermediär vertraut werden muss. Im Energiesektor ist dieses Vertrauen in zentralisierte Intermediäre aktuell noch erforderlich.28 BlockchainAnwendungen eignen sich für Bereiche „anonymer“ (Massen-)Geschäfte, da sie kein individuelles Vertrauen zwischen den Vertragspartnern verlangen.29 Diese Art von Geschäften bestimmt das Energievertragsrecht weitgehend als ein von standardisierten Verträgen geprägtes Rechtsgebiet. Problematisch ist beim Einsatz der Blockchain jedoch die oft mangelnde Performance.30 Die Energiewirtschaft ist auf eine hinreichende Abwicklungsgeschwindigkeit insbesondere bei der Verteilung von Strom und der Abwicklung von Transaktionen angewiesen.31 Die lediglich teils sieben Transaktionen pro Sekunde im Rahmen der Bitcoin-Blockchain wären mithin für einen weit verbreiteten Handel kleinster Energiemengen viel zu gering.32 Hier versprechen software- wie hardwareseitige Weiterentwicklungen Performancegewinne in der Zukunft, die dieses Problem beseitigen.33
B. Anreize für Smart-Contract-basierte Prosumeraktivitäten Der Einsatz von Smart Contracts durch die Prosumer bringt gewichtige wirtschaftliche Chancen. Diese bestehen im Marktzutritt neuer Teilnehmer sowie der Verhaltensänderung derjenigen, die schon Photovoltaik- und Wind27 Lang/Müller, International Mining and Oil & Gas Law, Development, and Investment 2019, 17B-1, S. 3; Overkamp/Schings, EnWZ 2019, 3, 4. 28 Vgl. Specht, NJW 2017, 3567, 3568. 29 Völkle, MMR 2021, 539, 540. 30 Hazari/Mahmoud, Future Internet 2020, 125, S. 2; siehe hierzu auch Schrey/ Thalhofer, NJW 2017, 1431, 1432 m. w. N. 31 Liu/Chai/Zhang/Chen, Peer-to-peer electricity trading system: smart contracts based proof-of-benefit consensus protocol, S. 3. 32 Germanwatch, Chancen und Risiken, S. 46; vgl. zur Thematik auch Schwöbel/ Bensberg/Gerth, AKWI 2018, Heft 8, S. 55, 64; Tundal, Utilizing Blockchain Technology for Settlement in a Microgrid, S. 11; vbw, Blockchain und Smart Contracts, S. 40. 33 Siehe hierzu Fan/Ghaemi/Khazaei/Musilek, IEEEAccess 2020, 126927, 126927 ff.
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Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
kraftanlagen nutzen. Im Vergleich zur zentralisierten Energieversorgung sind in einem dezentralen System erheblich geringere Investitionskosten erforderlich, um eine Anlage zu errichten.34 Der Markteintritt wird so erleichtert. Dies gilt umso mehr, als in den vergangenen Jahren die Kosten für Erneuerbare-Energien-Anlagen drastisch gesunken sind, sodass prognostiziert wird, dass im Jahr 2030 rund 4,8 Millionen Prosumerhaushalte existieren werden.35 Daneben können bereits existierende Nutzer der Erneuerbare-EnergienAnlagen von den Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten profitieren. Der Handel aktuell nicht benötigter Energie ermöglicht eine effizientere Nutzung der Anlage, da auf diese Weise die überschüssige Energie an Dritte weitergegeben werden kann.36 Dies steigert die Effizienz der Produktionsanlagennutzung.37 Bei diesen Energiehandelsgeschäften der Prosumer handelt es sich vorwiegend um Klein- und Kleinsttransaktionen.38 Im Verhältnis zu den gehandelten Mengen müssen die vorgangsbezogenen Transaktions- und Ausführungskosten rentabel sein. Digitalisierung und Automatisierung können hier durch die Prozessoptimierung und Effizienzsteigerung die Kosten erheblich senken.39 Ein hoher Grad an Automatisierung ersetzt viele menschliche Handlungsschritte, welche mit hohen Transaktionskosten verbunden wären.40 Dadurch kann der Prosumer seinen individuellen persön lichen Einsatz zur Abwicklung der Geschäfte deutlich reduzieren.41 Insge34 Andoni/Robu/Flynn/Abram/Geach/Jenkins/McCallum/Peacock, Renewable and Sustainable Energy Reviews 2019, 143, 155. Siehe auch Leprich, ZNER 2013, 101, 102. 35 Flaute/Großmann/Lutz, Ökologisches Wirtschaften 2016, Heft 2, S. 18, 19. 36 Das Speichern von Energie stellt oftmals – insbesondere im Strombereich – keine Alternative dar, da hohe Investitionskosten und Speicherverluste mit der Speicherung einhergehen, vgl. Wieser, ZUR 2011, 240, 241. 37 Zur effizienteren Güternutzung im Rahmen der Sharing Economy siehe Peuckert/Pentzien, Kompromisse des Teilens: Nachhaltige Governance von Peer-to-Peer Sharing Praktiken, S. 9. 38 Siehe hierzu auch die Ausführungen zu einem koreanischen Pilotprojekt bei Park/Lee/Chang, A Sustainable Home Energy Prosumer-Chain Methodology, S. 14 f. 39 dena, Blockchain in der integrierten Energiewende, S. 19; Liu/Chai/Zhang/ Chen, Peer-to-peer electricity trading system: smart contracts based proof-of-benefit consensus protocol, S. 4; vgl. auch Gabler Wirtschaftslexikon, Smart Contracts; Wilkens/Falk, Smart Contracts, S. 13. 40 Heckmann/Kaulartz, c’t 2016, Heft 24, S. 138, 138; Knittl/Neuberger/Dieterle, HMD 2020, 558, 561; Raskin, Georgetown Law Technology Review 2017, 305, 309. Siehe hierzu mit besonderem Augenmerk auf die Nutzung von Blockchain-Mechanismen als Basis Müller/Seiler, AJP 2019, 317, 320; Overkamp/Schings, EnWZ 2019, 3, 3. 41 Hellmann, Energiewende, Bürgerenergie und Prosumtion, in: Holstenkamp/ Radtke, Handbuch Energiewende und Partizipation, S. 507, 518.
B. Anreize für Smart-Contract-basierte Prosumeraktivitäten 97
samt können Mikrotransaktionen so wirtschaftlich sinnvoll werden.42 Hier zeigen sich die Vorteile von Smart Contracts in besonderer Weise.43 Eine Kostenersparnis von 80 % – 90 % gegenüber nicht-automatisierten Geschäftsmodellen ist realistisch.44 Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund attraktiv, dass die Grenzkosten bei der Erzeugung Erneuerbarer Energien nahe Null liegen.45 Dadurch, dass die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten auf Mittelsmänner und Zwischenhändler verzichten können, reduzieren sie die Kosten noch weiter.46 Dies gilt insbesondere für die Nutzung einer Blockchain. Wären Intermediäre zu vergüten, würden diese Transaktionskosten den Handel von Mikroenergiemengen unwirtschaftlich machen.47 Die Direktvermarktungskosten48 wurden so als Hindernis der Direktvermarktung gesehen.49 Gerade bei der Abwicklung von Transaktionen über geringe Mengen 42 Heckmann/Kaulartz, c’t 2016, Heft 24, S. 138, 138. Mit besonderem Bezug zur Blockchain Sieverding/Schneidewindt, Blockchain in der Energiewirtschaft, WISO Direkt 2016, Heft 30, S. 2 f. Vgl. zur Relevanz dieses Gesichtspunktes im Rahmen der Transaktionen betreffend Erneuerbare Energien auch Meister, Systemdienstleistungen und Erneuerbare Energien, S. 85. Siehe zum Faktor der Kostensenkung auch Hasse/von Perfall/Hillebrand/Smole/Lay/Charlet, Blockchain – Chance für Energieverbraucher?, S. 13; Gabler Wirtschaftslexikon, Smart Contract Rn. 3; Liu/Chai/ Zhang/Chen, Peer-to-peer electricity trading system: smart contracts based proof-ofbenefit consensus protocol, S. 4; Park/Lee/Chang, A Sustainable Home Energy Prosumer-Chain Methodology, S. 8; SLTA, Data, Blockchain and Smart Contracts, S. 38. Siehe mit einem Beispiel aus einem australischen Reallabor Andoni/Robu/Flynn/Abram/Geach/Jenkins/McCallum/Peacock, Renewable and Sustainable Energy Reviews 2019, 143, 161. 43 Gyr, Blockchain und Smart Contracts, S. 205; Savelyev, Information & Communications Technology Law 2017, 116, 127. 44 Vgl. BDEW, Blockchain in der Energiewirtschaft, S. 30; dena, Blockchain in der integrierten Energiewende, S. 65. 45 Leprich, ZNER 2013, 101, 103. 46 Buchmüller, EWeRK 2018, 117, 119; Park/Lee/Chang, A Sustainable Home Energy Prosumer-Chain Methodology, S. 2; Voshmgir, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 2 Rn. 39, S. 25. Zur Kostensenkung durch Smart Contracts siehe auch Schwintowski, EWeRK 2018, 205, 206; Völkle, MMR 2021, 539, 540. 47 Vgl. hierzu Lang/Müller, International Mining and Oil & Gas Law, Development, and Investment 2019, 17B-1, S. 4. 48 Direktvermarktung nach dem Marktprämienmodell meint die Veräußerung des Stroms an Dritte unter Inanspruchnahme der Marktprämien im Sinne des § 20 EEG 2023, die (reine) Direktvermarktung abseits dieses Systems meint die Veräußerung ohne Inanspruchnahme einer Förderung, siehe § 21a EEG 2023 sowie Buchmüller, EWeRK 2018, 117, 121. Grundlegend zur Direktvermarktung siehe Keil, in: Maslaton, Windenergieanlagen, Rn. 408 ff.; Lüdemann/Ortmann, EnWZ 2014, 387, 387 ff.; Müsgens, EnWZ 2017, 243, 245. 49 Buchmüller, EWeRK 2018, 117, 119.
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Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
sind niedrige Transaktionskosten bei dennoch fortbestehender Sicherheit, Zuverlässigkeit und Nachprüfbarkeit der Transaktion essenziell, um ein attraktives Angebot zu schaffen.50 Die Abwicklungsautomatismen des Smart Contracts und auch insbesondere die Vorteile der Blockchain51 gewährleisten Nachprüfbarkeit, Transparenz und Fälschungssicherheit.52 Der Prosumer kann bei der Einrichtung des Systems auf vorgefertigte Protokolle zurückgreifen und sich bestehenden Strukturen anschließen. Diese vorgefertigten Smart Contracts senken dabei auf der Software-Ebene die Eintrittshürden. Kleinen Prosumern wird ein Einstieg in den Markt ermöglicht.53 Verkauft der Prosumer seine Energie ortsnah,54 sind daneben auch die Verluste durch den Stromtransport geringer, da der Verlust, den lange Transportwege in Kabeln und Freileitungen mit sich bringen,55 vermieden wird.56 Für Prosumer, welche aktuell bereits über eine Erneuerbare-Energien-Anlage verfügen, stellt sich überdies hinaus ein weiterer Anreiz zur „Wandlung“ hin zu einem Prosumer, welcher Smart Contracts nutzt. Abseits der klassischen EEG-Förderungen können sich alternative Vermarktungsformen anbieten, insbesondere, da sich in § 25 EEG 2023 bereits eine Veränderung der Förderbedingungen zulasten der Photovoltaikanlagenbetreiber nach Ablauf der ersten 20 Nutzungsjahre anbahnt.57 Bei weiteren Veränderungen der Fördersituationen in der Zukunft können daher alternative Vermarktungsoptionen für Inhaber von Photovoltaikanlagen zunehmend an Attraktivität gewinnen.58 50 Vgl. BDEW, Blockchain in der Energiewirtschaft, S. 27, 30, 31. Zur Bedeutung hiervon generell in der – auch Blockchain-basierten – Sharing Economy siehe Anzinger, Smart Contracts in der Sharing Economy, in: Fries/Paal, Smart Contracts, S. 70 f. 51 Siehe hierzu oben Kapitel 2, B.III.5. 52 Vgl. BDEW, Blockchain in der Energiewirtschaft, S. 38. 53 Braegelmann, Rethinking Law 2018, Heft 0, S. 34, 36. 54 Zu den besonderen örtlichen Näheverhältnissen, welche charakteristisch für solche Aktivitäten sind, siehe unten Kapitel 3, E.I. 55 Siehe hierzu Dittmann/Zschernig, Energiewirtschaft, S. 157 f. 56 Vgl. Mengelkamp/Gärttner/Rock/Kessler/Orsini/Weinhardt, Applied Energy 2018, 870, 870; Sieverding/Schneidewindt, Blockchain in der Energiewirtschaft, WISO Direkt 2016, Heft 30, S. 3; VDE, Dezentrale Energieversorgung 2020, S. 3. 57 Siehe zur Förderung der Prosumeraktivitäten durch das EEG auch Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 204 f. 58 Buchmüller, EWeRK 2018, 117, 117; vgl. auch Chatzinerantzis/Bertram, EnWZ 2021, 65, 65; Scholtka/Kneuper, IR 2019, 17, 18 m. w. N. Zur zeitlich begrenzten Einspeisevergütung mit Blick auf die wesentlich längere Lebensdauer von Photovoltaikanlagen siehe Schneidewindt, ER 2013, 53, 57. Zum Wegfall von Anreizen im internationalen Umfeld als Beschleuniger für die Nutzung neuer Vermarktungsformen
C. Smart Contracts im Bereich der Massengeschäfte99
Prosumer können daneben durch persönliches Engagement die Energiewende vorantreiben, indem sie selbst Erneuerbare Energien erzeugen und verkaufen. Sie leisten so einen Beitrag zu einer dekarbonisierten Energieversorgung im dezentralisierten System. Durch die private Erzeugung und Einspeisung haben sie die volle Gewissheit, dass es sich tatsächlich um klima neutral produzierte Energie handelt.59 Die Möglichkeit einer regionalen Grünstromkennzeichnung unterstreicht dies.60 Prosumer sind damit Teil einer nachhaltigen Sharing Economy im weiteren Sinne.61 Die Aktivierung möglichst vieler Akteure bringt auch gesamtwirtschaftlich positive Effekte62 insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Marktmacht63 und dient so dem Wettbewerb.64
C. Smart Contracts im Bereich der Massengeschäfte Smart Contracts können im aktuellen Entwicklungsstand nur sehr begrenzt Wertentscheidungen treffen. Unbestimmte Rechtsbegriffe und Wertungsräume begrenzen die Einsatzfelder. Das Potenzial der Smart Contracts entfaltet sich daher bei sich wiederholenden und automatisierbaren Vorgängen.65 Solche Möglichkeiten der Standardisierung66 bestehen vor allem bei Massengeschäften.67 Diese befinden sich abseits von individuellen Wertungen im Einzelfall.
siehe auch Andoni/Robu/Flynn/Abram/Geach/Jenkins/McCallum/Peacock, Renewable and Sustainable Energy Reviews 2019, 143, 144. 59 Siehe hierzu unter Verwendung der dem Marketingbereich zuzuordnenden Begriffe „direkt vom Erzeuger“ und „Regionalität“ Buchmüller, EWeRK 2018, 117, 117. 60 Zur Grünstromkennzeichnung siehe Buchmüller, EWeRK 2018, 117, 117. 61 Zur Nachhaltigkeit im Bereich der Sharing Economy und dem Begriff der Sharing Economy selbst siehe Peuckert/Pentzien, Kompromisse des Teilens: Nachhaltige Governance von Peer-to-Peer Sharing Praktiken, S. 8 f. 62 Tapscott/Tapscott, Die Blockchain Revolution, S. 76. 63 Leprich, ZNER 2013, 101, 102. 64 Vgl. dena, Blockchain in der integrierten Energiewende, S. 20. 65 Breidenbach/Glatz, in: Breidenbach/Glatz, Handbuch Legal Tech, Kapitel 1.1 Rn. 7, S. 2. 66 Breidenbach/Glatz, in: Breidenbach/Glatz, Handbuch Legal Tech, Kapitel 1.1 Rn. 6, S. 2; Hohn-Hein/Barth, GRUR 2018, 1089, 1093. 67 Chatzinerantzis/Bertram, EnWZ 2021, 65, 65.
100
Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
Der Handel mit Energie gegenüber Letztverbrauchern stellt typischerweise ein solches Massengeschäft68 dar.69 Die Möglichkeit der Standardisierung ist dort besonders ausgeprägt. Dies spiegelt sich auch unmittelbar im Gesetz wider, so beispielsweise in § 20 I 5 EnWG, wonach die Netzzugangsregelungen massengeschäftstauglich sein solle. Massengeschäfte zeichnen sich dadurch aus, dass sie nach weitgehend standardisierten Schemata abgewickelt werden; die Verträge werden nicht individualisiert.70 Typischerweise werden bei solchen Geschäften nur die essentialia negotii angepasst, die Rahmenbedingungen und einzelnen Modalitäten bleiben im Wesentlichen gleich. Auch zeigt sich die Charakterisierung als standardisiertes Massengeschäft darin, dass es für den bilateralen Handel im Energierecht Rahmenverträge, so beispielsweise den EFET-Rahmenvertrag71, gibt. Rahmenverträge leben von der Standardisierbarkeit und ergeben lediglich im Kontext sich wiederholender Geschäftsvorfälle Sinn.72 Es besteht eine Parallele zum Einsatz von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, welche ebenso nicht individuell angepasst werden. Die Variablen in solchen Geschäften sind ferner wertungsfrei. Diese objektiv feststellbaren Faktoren kann ein Smart Contract automatisiert ausfüllen. Er kann damit den überwiegenden Teil der anfallenden Prozesse abwickeln und so sein volles Automatisierungspotenzial entfalten.73 Andere Vorgänge beim Energiehandel, welche nicht standardisierbar sind, könnten ergänzend unter Zuhilfenahme menschlicher Interaktion abgewickelt werden.74 Smart Contracts können in den standardisierbaren Bereichen ein68 Zum Begriff im Antidiskriminierungsrecht siehe auch § 19 I 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 610), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 19. Dezember 2022 (BGBl. I S. 2510) geändert worden ist (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz – AGG). 69 Schöne/Garbers, in: v. Westphalen/Thüsing, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Stromlieferverträge, Rn. 65. 70 Schöne/Garbers, in: v. Westphalen/Thüsing, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Stromlieferverträge, Rn. 65. 71 Siehe hierzu https://efet.org/home/documents?id=544 (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 72 Vgl. hierzu auch Riewe, Die EFET-Rahmenverträge, S. 153. 73 So kann der Smart Contract automatisiert auf Basis des Protokolls die determinierten Preisvorstellungen kommunizieren, die einzuspeisenden Mengen automatisch ermitteln und auf dieser Basis ebenso automatisch die korrespondierende Vertragspartei ermitteln, mithin die nötigen, wertungsfreien Handlungen zur Durchführung der abzuwickelnden Geschäfte vornehmen. 74 Solche Vorgänge könnten beispielsweise die Bearbeitung von Härtefällen bei Fragen der Stromsperre, Fragen des Systembetriebs und der generellen Organisation oder der Governance im Microgrid bei der Vernetzung und Verknüpfung der Akteure sein.
D. Status quo der Oracles101
gesetzt und bei wertungsabhängig-individualisierten Fragestellungen durch menschliche Interaktionen ergänzt werden. Somit ist zusammenfassend im Energiehandel im kleineren Umfang wie bei den Prosumern der Einsatz von Smart Contracts sinnvoll, da hier ein hoher Anteil standardisierbarer Geschäfte gegeben ist, welche einer Automatisierung zugänglich sind.
D. Status quo der Oracles Die Schnittstellen zwischen der digitalen und der realen Welt sind die Oracles.75 Für Prosumeraktivitäten sind vor allem Smart Meter76 maßgeblich, wenngleich es auch Oracles abseits der Smart Meter gibt. Maßgebliches Regelungswerk für die Smart Meter ist das MsbG. Smart Meter müssen verlässlich Manipulationen verhindern und die Zuverlässigkeit und Korrektheit der Datenermittlung sicherstellen, um die Funktionalität des Smart Contracts zu gewährleisten.77 Erfasst das Oracle die Daten nicht, nicht korrekt oder können hier Manipulationen vorgenommen werden, wird der Smart Contract fehlerhafte Ergebnisse liefern, da seine Abläufe auf diesen Daten aufbauen und sich die Fehler so im Output des Smart Contracts fortsetzen. Aufgrund der hohen Sensibilität der erfassten Daten78 ist der Datenschutz im Oracle als Kommunikationsschnittstelle sicherzustellen.79 Smart Meter müssen daher dafür sorgen, dass die verwendeten Daten korrekt sind und verlässlich vor unbefugtem Zugriff geschützt werden.80
75 Siehe
hierzu oben Kapitel 2, B.I.4. den einzelnen verwendeten Begrifflichkeiten des Smart Meters, des intelligenten Messsystems, des Smart-Meter-Gateways und der modernen Messeinrichtung siehe unten Kapitel 3, D.I. 77 Siehe hierzu Germanwatch, Chancen und Risiken, S. 47; Kipker/Birreck/Niewöhner/Schnorr, MMR 2020, 509, 509; Koch/Reitwiessner, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 5 Rn. 10, S. 61; Thomas/Zhou/Long/ Wu/Jenkins, Nature Energy 2019, 140, 140. Siehe auch BDEW, Blockchain in der Energiewirtschaft, S. 70. 78 Siehe hierzu überblicksartig Bretthauer, EnWZ 2017, 56, 57; Haubrich, in: Steinbach/Weise, Messstellenbetriebsgesetz, § 19 Rn. 14 m. w. N. sowie unten Kapitel 3, D.III. 79 Siehe hierzu Lüdemann/Ortmann/Pokrant, EnWZ 2016, 339, 343. 80 Siehe hierzu Sieverding/Schneidewindt, Blockchain in der Energiewirtschaft, WISO Direkt 2016, Heft 30, S. 3 f. sowie unten mit speziellem Bezug zu den Smart Metern Kapitel 3, D.III.1. und Kapitel 3, D.III.2. 76 Zu
102
Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
I. Oracles als Einsatzvoraussetzung Smart-Contract-basierte Prosumeraktivitäten hängen maßgeblich von den Kommunikationsschnittstellen ab.81 Im Zuge der Digitalisierung der Energiewende muss eine wachsende Menge an Informationen erfasst, verarbeitet und ausgewertet werden.82 Auch die intelligenten Netze sind auf Oracles angewiesen.83 Das MsbG sieht als Oracles die Smart Meter (intelligenten Messsysteme) vor. Smart Meter sind jedoch nicht die einzig möglichen Geräte für energiewirtschaftliche Kommunikation und Steuerung; dies ermög lichen verschiedene kommunikationseingebundene Geräte insbesondere des IoT.84 Ein Smart Meter85 ist aus zwei funktionswesentlichen und hinsichtlich ihrer Rolle grundverschiedenen Teilinstrumenten zusammengesetzt, der modernen Messeinrichtung und dem Smart-Meter-Gateway.86 Die moderne Messeinrichtung misst die Stromflüsse,87 überwacht die physikalischen Prozesse und liefert so die für die Entscheidung nötigen Informationen und Daten.88 Das Smart-Meter-Gateway gewährleistet dann auf Basis dieser Daten die Kommunikation nach außen und den Austausch mit anderen.89 Dies ermöglicht auch eine bidirektionale Kommunikation,90 da Smart Meter sowohl Daten empfangen als auch aussenden können. Das Smart Meter vereinigt Global Transitions 2020, 16, 21. Nature Energy 2019, 140, 140. Siehe auch Lüdemann/Ortmann/Pokrant, RDV 2016, 125, 125. 83 BT-Drs. 343/11, S. 193; Seckelmann, Auf dem Weg zum Smart Grid, in: Hill/ Schliesky, Auf dem Weg zum Digitalen Staat, S. 243; Wieser, Intelligente Elektrizitätsversorgungsnetze, S. 17. Siehe auch Bundesverband Neue Energiewirtschaft, Positionspapier Flexibilitätsverordnung, S. 16. 84 Siehe hierzu ausführlich Bachor/Freunek, IoT-Lösungen als alternative zum klassischen Smart Metering, in: Doleski, Realisierung Utility 4.0, Band 2, S. 215, 216 ff. 85 Der Begriff des Smart Meter ist identisch mit jenem Begriff des intelligenten Messsystems, welcher vom MsbG verwendet wird, vgl. etwa § 2 Nr. 7 MsbG. Siehe auch Bachor/Freunek, IoT-Lösungen als alternative zum klassischen Smart Metering, in: Doleski, Realisierung Utility 4.0, Band 2, S. 215, 216; Paulus/Matzke, NJW 2018, 1905, 1906. 86 Siehe hierzu BMWi, Gutachten Digitalisierung der Energiewende, Topthema 2, S. 33; Lehner, InTeR 2019, 166, 166 f. Siehe auch § 2 Nr. 13, 15 MsbG. 87 Siehe § 2 Nr. 7 MsbG. 88 Thomas/Zhou/Long/Wu/Jenkins, Nature Energy 2019, 140, 140. 89 Dies ist insbesondere für die Vernetzung von Prosumern von gewichtiger Bedeutung. 90 Gundel/Lange, Vorwort, in: Gundel/Lange, Herausforderungen und Probleme der Digitalisierung der Energiewirtschaft, S. V, VII; Lange/Möllnitz, EnWZ 2016, 448, 448 m. w. N.; Lüdemann/Ortmann/Pokrant, RDV 2016, 125, 127. Vgl. auch Wie81 Brisbois,
82 Thomas/Zhou/Long/Wu/Jenkins,
D. Status quo der Oracles103
eine Mess- und Kommunikationseinheit in einem Gerät.91 Diese umfassende Datenerhebung und -weitergabe ermöglicht eine Flexibilisierung sowohl auf der Einspeise- als auch auf der Nachfrageseite, welche infolge der hohen Volatilität Erneuerbarer Energien wesentlich zur Netzstabilität beitragen kann.92 Kontinuierliche Messungen und Datenübermittlungen leisten einen Beitrag zu einem intelligenten Energienetz, welches Schwankungen zwischen Angebot und Nachfrage ausgleichen und abschwächen kann.93 Angebot und Nachfrage sollen sekundengenau abgeglichen werden.94 Transparente Informationen über Verbrauch und Verbrauchsprognosen erlauben eine Preisbildung auf realistischer Basis.95 Verbrauchsmuster des Einzelnen werden erkennbar,96 da auch Informationen über Einspeisungen und Entnahmen ausgewertet werden.97 Eine genauere, auf realen Messwerten beruhende Mengenkalkulation wird möglich; auf einen Rückgriff auf Standardlastprofile kann regelmäßig verzichtet werden.98 Daneben können auf diesem Weg auch die Informationen beispielsweise über Verbrauchsmengen und aktuelle Zählerstände zwischen den Beteiligten ausgetauscht werden, um so präzise, vollautomatische Abrechnungen zu ermöglichen; die Kommunikation kann dabei zwischen allen beteiligten Personen und Stellen stattfinden und ist nicht auf die Kommunikation nur zwischen Messstellenbetreiber und Verbraucher beschränkt.99 Daneben können Smart Meter auch Steuerungsaufgaben übernehmen und Schaltungen bedienen, so Energieflüsse im Rahmen der Vertragsdurchführung steuern.100 Das Einspeise- und Lastmanagement können die Smart Meter übernehmen.101. Daneben können die Smart Meter auch angeschlossene ser, Intelligente Elektrizitätsversorgungsnetze, S. 23. Zur Bedeutung bidirektionaler Kommunikation siehe VDE, Dezentrale Energieversorgung 2020, S. 50. 91 Lüdemann/Jürgens/Sengstacken, ZNER 2013, 592, 592. 92 Lüdemann/Ortmann/Pokrant, RDV 2016, 125, 125. 93 Lüdemann/Ortmann/Pokrant, EnWZ 2016, 339, 340. Siehe auch Reetz, Welche Chancen ein digitales Energie-Marktdesign bietet, S. 2. 94 Vgl. Büscher/Sumpf, Vertrauen, Risiko und komplexe Systeme, in: Kühne/Weber, Bausteine der Energiewende, S. 129, 136 m. w. N.; Lehner, InTeR 2019, 166, 166; Schwöbel/Bensberg/Gerth, AKWI 2018, Heft 8, S. 55. 95 Zur Bedeutung von Informationen solcher Art für den Energiemarkt siehe Cza kainski/Lamprecht/Rosen, Energiehandel und Energiemärkte, S. 19. 96 Keck, Smart Grid, S. 24, 60. 97 Lüdemann/Ortmann/Pokrant, RDV 2016, 125, 125. 98 BMWi, Gutachten Digitalisierung der Energiewende, Topthema 2, S. 33. 99 Siehe hierzu unten beispielsweise Kapitel 4, B.II.2. und Kapitel 4, B.II.3. 100 Siehe hierzu Lüdemann/Jürgens/Sengstacken, ZNER 2013, 592, 592. 101 BMWi, Gutachten Digitalisierung der Energiewende, Topthema 2, S. 33; Schneidewindt, ER 2013, 226, 229. Im Rahmen der gesetzlichen Anforderungen ist
104
Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
Energiespeicher netzdienlich einsetzen.102 Smart Meter eröffnen somit vielfältige Einsatzfelder neuer digitaler Produkte und Dienstleistungen in der Energiewirtschaft.103 Auch wird so der vollautomatische Kauf und Verkauf selbst kleinster Strommengen104 aufgrund der automatischen Steuerung erst wirtschaftlich sinnvoll möglich.105 Die enge Verbindung des Blockchain- und Smart-Contract-Einsatzes zu den Smart Metern besteht darin, dass nach Einschätzung der betroffenen Fachkreise das Hauptpotenzial des Blockchain-Einsatzes im Messwesen liegt, gefolgt vom Bereich der Übertragung und Verteilung.106 Hierbei handelt es sich um Bereiche, in welchen auch der Einsatz der Smart Meter zentral ist. Die Smart Meter können als Oracles ferner die Hardware-Basis für den Betrieb der Software der Smart Contracts darstellen, diese kann unmittelbar auf das Smart Meter aufgespielt werden.107 Alle für den Betrieb der Smart Contracts nötigen Funktionseinrichtungen – abseits der Erzeugungsanlagen und Netze selbst – können im Smart Meter gebündelt werden. Insgesamt können Smart Contracts daher das volle Potenzial entfalten, wenn sie über ein Oracle mit der realen Welt verbunden sind.108 Die Smart Meter sind dabei eine, aber nicht die einzige mögliche Art von Oracles.
II. Gesetzliche Roll-out-Pflicht Angesichts dieser grundlegenden Bedeutung der Smart Meter verpflichten verschiedene Legislativakte zur Verbreitung derartiger Messsysteme. Dies
dieser Funktionsbereich den Mehrwertdiensten, mithin Diensten und Anwendungen, welche auf dem Smart Meter ausgeführt werden, zuzuordnen, siehe hierzu etwa Eder/ Konar-Serr, EnWZ 2019, 8, 10. Zu den Mehrwertdiensten generell siehe Bartsch, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 51 MsbG Rn. 6. 102 Lüdemann/Ortmann/Pokrant, EnWZ 2016, 339, 340. 103 BMWi, Gutachten Digitalisierung der Energiewende, Topthema 2, S. 13; Dell/ Klaus/Lanz, Smarte Technologien als ein aktueller Bestandteil der Digitalisierung für Energieversorger, in: Köhler-Schute, Die Digitalisierung der Energiewirtschaft, S. 65, 69; Wunderlich/Loose/Nachtigall/Sandau/Bruns/Gómez, Energiemarkt mit Blockchain-Technologie, in: Drews/Funk/Niemeyer/Xie, Tagungsband Multikonferenz Wirtschaftsinformatik 2018, Band III, S. 1259. 104 Siehe oben Kapitel 3, A.I. 105 Scholtka/Kneuper, IR 2019, 17, 18. 106 Siehe Abbildung 6 in BDEW, Blockchain in der Energiewirtschaft, S. 33. 107 Nussbaumer/Schuler, Blockchain für Prosumer, S. 1. 108 Vgl. Paulus/Matzke, NJW 2018, 1905, 1905.
D. Status quo der Oracles105
wird als „Roll-out“109 bezeichnet. Auf der nationalen Ebene schreibt das Messstellenbetriebsgesetz die Verbreitung der Smart Meter in §§ 1 Nr. 1, 29 MsbG vor. Dieses Gesetz geht zurück auf die Richtlinie 2009/72/EG110. Die vormalige gesetzliche Anordnung in den §§ 21b–i EnWG111 wurde im Zuge der Einführung des MsbG wieder aufgehoben,112 die dortigen Regelungen wurden inhaltlicher Art im MsbG aufgegriffen. Bereits 2008 enthielt das EnWG die Verpflichtung, unter dem Vorbehalt technischer Möglichkeit und wirtschaftlicher Zumutbarkeit die Smart Meter zu installieren.113 Diese Vorbehalte verblieben auch in den verschärften Regelungen der §§ 21c ff. EnWG a. F. und setzen sich – in modifizierter und reduzierter Form – im MsbG fort. Zum Einbau verpflichtet werden sollte vor allem bei Neubauten oder Renovierungsprojekten,114 nach der Verschärfung im Jahre 2011 auch bei Letztverbrauchern mit einem Jahresverbrauch größer oder gleich 6.000 kWh, Letztverbrauchern im netzdienlichen Flexibilitätsmechanismus im Sinne des § 14a EnWG sowie EEG-/KWK-Anlagen mit einer Leistung über 7 kW.115 Die hinsichtlich der regulatorischen Vorgaben ursprünglich geplante konkretisierende Rechtsverordnung („Messsystemverordnung“116) sowie eine datenschutzrechtliche Verordnung als Begleitwerk wurden nie erlassen.117 Auch
109 Der Begriff „Roll-out“ lässt sich im Kontext der wirtschaftlichen Infrastruktur als Markteinführung umschreiben, dem klassischen Wortsinn nach ist es mit dem Begriff des „Herausrollens“ zu umschreiben, vgl. Duden, Roll-out. 110 Richtlinie 2009/72/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 13.07.2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG, ABl. 211/55 (Richtlinie 2009/72/EG). 111 Siehe zur Einführung Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften vom 26.07.2011 (BGBl. I S. 1554). 112 Die Aufhebung erfolgte durch das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende vom 29.08.2016 (BGBl. I S. 2034) mit Wirkung zum 02.09.2016. 113 Siehe hierzu § 21b IIIa, b EnWG in der Fassung des Gesetzes zur Öffnung des Messwesens bei Strom und Gas für Wettbewerb vom 29.08.2008 (BGBl. I S. 1790). 114 Vgl. Gabler, Der Smart-Meter-Rollout und sein rechtlichen Folgewirkungen, in: Gundel/Lange, Herausforderungen und Probleme der Digitalisierung der Energiewirtschaft, S. 35, 36. 115 § 21c EnWG in der Fassung vom 04.08.2011, eingeführt durch das Gesetz zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften vom 26.07.2011 (BGBl. I S. 1554), bis 01.09.2016, aufgehoben durch das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende vom 29.08.2016 (BGBl. I S. 2034). 116 Zu diesem Begriff siehe auch Lüdemann/Ortmann/Pokrant, EnWZ 2016, 339, 339. 117 Lüdemann/Ortmann/Pokrant, EnWZ 2016, 339, 339. Siehe auch Gabler, Der Smart-Meter-Rollout und sein rechtlichen Folgewirkungen, in: Gundel/Lange, He rausforderungen und Probleme der Digitalisierung der Energiewirtschaft, S. 35, 36.
106
Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
blieb der konkrete Terminus der „technischen Möglichkeit“ unklar.118 Aufgrund der genannten Vorbehalte hinsichtlich der Umsetzungspflicht und hinsichtlich des fehlenden regulatorischen Rechtsrahmens scheiterte zu diesem Zeitpunkt der Roll-out. Einen flächendeckenden Roll-out forderte dann das dritte EU-Binnenmarktpaket119: Die Richtlinien 2009/72/EG und 2009/73/EG120 verpflichteten die Mitgliedstaaten, dass bis zum Jahre 2020 80 % der Letztverbraucher im Bereich der Elektrizitätsversorgung mit intelligenten Messsystemen auszustatten sind.121 Diese Zahl steht jedoch unter dem Vorbehalt, dass die Einführung gesamtwirtschaftlich positiv bewertet wird.122 Umgesetzt wurden diese Richtlinien durch das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende.123 2017 begann der Roll-out der Smart Meter.124 Verpflichtet zum und verantwortlich für den Einbau ist der grundzuständige Messstellenbetreiber, vgl. § 29 I MsbG. Preisobergrenzen für die einzelnen Smart Meter bestimmt § 30 MsbG. Dies soll einen angemessenen Interessenausgleich zwischen den Verbraucher- und Versorgerinteressen gewährleisten.125 Leistungsbezogene Aufschläge sind nach § 35 MsbG möglich. Angesichts der verbraucherfreundlichen Preisobergrenzen stellte sich jedoch bereits recht schnell die Frage nach der wirtschaftlichen Realisierbarkeit des Messstellenbetriebs zu diesen Konditionen.126 Bei den Smart Metern handelt es sich um hochpreisige Geräte, welche mit einem hohen Installations- und Wartungsaufwand einhergehen. Deswegen erlaubt das Übertragungsverfahren nach den §§ 41 ff. MsbG dem
118 Vgl. zu den Problemen Gabler, Der Smart-Meter-Rollout und sein rechtlichen Folgewirkungen, in: Gundel/Lange, Herausforderungen und Probleme der Digitalisierung der Energiewirtschaft, S. 35, 41 ff. 119 Das betreffende Paket bestand aus drei Verordnungen und zwei Richtlinien vom 13.07.2009, siehe ABl. 211/1–136. 120 Richtlinie 2009/73/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 13.07.2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG, ABl. 211/94 (Richtlinie 2009/73/EG). 121 Anhang 1 II zur Richtlinie 2009/72/EG. 122 Siehe Anhang 1 II zur Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizi tätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG. Vgl. hierzu auch Lüdemann/Ortmann/Pokrant, EnWZ 2016, 339, 339. 123 Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende vom 29.08.2016 (BGBl. I S. 2034). 124 Paulus/Matzke, NJW 2018, 1905, 1905. 125 Vgl. BT-Drs. 18/7555, S. 93. 126 Vgl. Gabler, Der Smart-Meter-Rollout und sein rechtlichen Folgewirkungen, in: Gundel/Lange, Herausforderungen und Probleme der Digitalisierung der Energiewirtschaft, S. 35, 45.
D. Status quo der Oracles107
grundzuständigen Messstellenbetreiber das – möglicherweise höchst unren table – Geschäft des Smart-Meter-Betriebs wieder zu beenden.127 Das MsbG bestimmt in § 29 MsbG Ausstattungspflichten für zusammengefasst große Haushaltsverbraucher und größere Erzeugungsanlagen. Dies sind nach § 29 I Nr. 1 MsbG Letztverbraucher mit einem Jahresstromverbrauch über 6.000 kWh sowie Letztverbraucher, welche an Flexibilitätsmechanismen nach § 14a EnWG teilnehmen. Darüber hinaus sind nach § 29 I Nr. 2 MsbG Anlagenbetreiber mit einer installierten Leistung über 7 kW pflichtig auszustatten. Die übrigen Beteiligten können nach § 29 II MsbG optional mit Smart Metern ausgestattet werden; dies sind vor allem kleinere Verbrauchs- und Erzeugungseinrichtungen. Hier hat der Anschlussnehmer und -nutzer jedoch keinen Anspruch auf Ausstattung. Wenn sich der Messstellenbetreiber weigert, wird kein Smart Meter eingebaut. § 29 III MsbG regelt abseits dessen Sonderfälle, in denen wenigstens eine moderne Messeinrichtung zu verbauen ist. § 19 V MsbG begründet Bestandsschutz für bereits verbaute Messsysteme, welche nicht den Anforderungen des § 19 II, III MsbG genügen.128 Dies führt zu einem zeitlichen Aufschub der Anwendung der strengen Vorschriften des MsbG.129 Eine weitere Einbaubegrenzung ist jene der wirtschaftlichen Vertretbarkeit nach § 30 MsbG. Damit wird nicht jeder mögliche Verbraucher oder Erzeuger ein Smart Meter erhalten. In der Zwischenzeit bis zu einem Voll-Roll-Out können daher – in den Grenzen des § 19 II MsbG – auch alternative IoT-Systeme eingebaut werden.130 Bei größeren und Großanlagen müssen bereits aufgrund von § 9 EEG 2023 bestimmte Smart Meter-Funktionen wie die Ermittlung aktueller Einspeisewerte sowie Funktionen des Einspeisemanagements vorhanden sein. Bei diesen besonders großen Anlagen ist daher die Verbreitung von Smart Meter-Funktionen wesentlich weiter fortgeschritten. Zu einer Verzögerung beim Roll-out führten die Anforderungen der §§ 30, 31 MsbG a. F., wonach drei unabhängige Unternehmen Smart Meter anbieten mussten, damit die technische Möglichkeit des Einbaus im Sinne des § 29 I MsbG gegeben war. Erst am 07.02.2020 wurde diese technische Verfügbarkeit und damit die technische Möglichkeit im Sinne der §§ 30, 31 MsbG a. F. 127 Gegen ein angemessenes, diskriminierungsfreies Entgelt erhält der Messstellenbetreiber Zugang zum Verteilernetz, siehe § 13 MsbG. 128 BT-Drs. 18/7555, S. 82. 129 Siehe hierzu auch Haubrich, in: Steinbach/Weise, Messstellenbetriebsgesetz, § 19 Rn. 44 m. w. N. 130 Siehe hierzu unten Kapitel 4, C.III.3.c).
108
Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
mittels der so genannten „Markterklärung“ festgestellt,131 wobei das OVG NRW diese infolge des Verstoßes gegen gesetzliche Mindestanforderungen wieder außer Kraft setzte.132 In der Folge wurden die Anforderungen in den §§ 29 ff. MsbG a. F. für den Einbau der Smart Meter herabgesetzt,133 indem ein gestaffelter Einbau von Smart Metern verschiedenen Funktionsumfangs ermöglicht wurde.134 Der Bestandsschutz wurde in § 19 VI MsbG entsprechend ausgeweitet, sofern aufgrund der außer Kraft gesetzten Allgemeinverfügung Smart Meter verbaut wurden, sodass diese – obschon sie die Standards nicht einhalten – nicht ausgetauscht werden müssen.135 In der Folge und in Reaktion auf die oben genannten Verzögerungen wurde das Erfordernis der Feststellung der technischen Möglichkeit gestrichen. Der Einbau in den zeitlichen Grenzen des § 45 MsbG kann und muss nunmehr unmittelbar mit Verfügbarkeit der Messsysteme starten, ohne dass es einer entsprechenden Feststellung der Verfügbarkeit bedarf, vgl. §§ 29 ff. MsbG n. F.136 Die Auswirkungen auf die Geschwindigkeit des Roll-out und damit die Digitalisierung des Messwesens bleiben mit Blick auf diese Dynamiken abzuwarten. Der technisch maximal mögliche Funktionsumfang der Smart Meter muss nach dem Gesetz nur rudimentär ausgeschöpft werden. Vorerst müssen nur grundlegende Funktionen gewährleistet werden. Nach Art. 2 Nr. 23 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie muss ein intelligentes Messsystem Ein- und Ausspeisungen messen können, mehr Informationen als ein konventioneller Zähler liefern und mittels elektronischer Kommunikation Daten zu Informations-, Kontroll- und Steuerungszwecken übertragen und empfangen können. Die erfassten Daten lassen sich in drei übergreifende Kategorien der Stammdaten, Netzzustandsdaten und der Messwerte unterteilen.137 Alle drei Kategorien 131 Diese Allgemeinverfügung ist abrufbar unter https://www.bsi.bund.de/ SharedDocs/Downloads/DE/BSI/SmartMeter/Marktanalysen/Allgemeinverfuegung_ Feststellung_Einbau_01_2020.pdf?__blob=publicationFile&v=4 (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 132 Siehe OVG NRW, Beschluss vom 04.03.2021 – 21 B 1162/20. Siehe zur Entscheidung ferner Jahn, IR 2021, 109, 109 f. 133 Siehe hierzu Art. 10 des Gesetzes zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben und zur Regelung reiner Wasserstoffnetze im Energiewirtschaftsrecht vom 16. Juli 2021 (BGBl. I S. 3026). 134 Siehe hierzu insbesondere auch die Möglichkeit des sog. „Agilen Rollout“ in § 31 MsbG, welcher durch Artikel 2 des Gesetzes zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende vom 22.05.2023 (BGBl. 2023 I Nr. 133) eingeführt wurde. 135 Siehe hierzu auch die Allgemeinverfügung 610 01 04/2022_02 des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik vom 20.05.2022. 136 Siehe zu diesen Neuerungen ausführlich auch die Informationen der BNetzA, abrufbar unter https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Vportal/Energie/Metering/ artikel.html (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 137 Lüdemann/Ortmann/Pokrant, RDV 2016, 125, 127.
D. Status quo der Oracles109
sind im Rahmen des Flexibilitätsmanagements von zentraler Bedeutung. Smart Meter müssen danach jedoch nicht selbst steuernd agieren können.138 Dies könnten die aktuell entwickelten intelligenten Messsysteme technisch jedoch bereits.139 Diese Steuerung könnte künftig auch netzdienlich eingesetzt werden,140 insbesondere bei Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten. Smart-Contract-basierte Prosumeraktivitäten profitieren gerade von der Steuerung der Prosumer und Verbraucher, beispielsweise im Rahmen des Lastmanagements auf der Verbrauchs- und der Erzeugungsseite.141 Hierfür wäre beim Einsatz eines Smart Meters mit dem in Art. 2 Nr. 23 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie vorgesehenen Mindestfunktionsumfang ein zusätz liches Gerät zur Steuerung und Koordinierung notwendig. Smart Meter mit dem genannten Mindestfunktionsumfang können diese Steuerungen und Koordinierungen nicht vornehmen. Dies macht insbesondere parallele Steuerungssysteme abseits der Smart Meter notwendig; diese können nach Maßgabe des MsbG eingebaut werden.142
III. Hürden des Roll-outs Den Roll-out behindern verschiedene Hürden und Herausforderungen. Sowohl der Datenschutz als auch die Kosten, die Sicherheit und der Missbrauchsschutz sowie die Messpräzision erweisen sich als problematisch. 1. Datenschutz Das Smart-Meter-Gateway muss aufgrund der enormen Zahl der erfassten und ausgewerteten Daten ein hohes Datenschutzniveau gewährleisten.143 Diese Daten unterfallen dabei dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 I GG i. V. m. Art. 1 I GG144 sowie Art. 7 und 8 GRC145, da 138 BMWi,
Gutachten Digitalisierung der Energiewende, Topthema 2, S. 33. Bretthauer, EnWZ 2017, 56, 60. 140 Siehe hierzu BMWi, Gutachten Digitalisierung der Energiewende, Topthema 2, S. 33. 141 Siehe zu diesem Bereich des Lastmanagement insbesondere auch Padghan/ Daniel/Pitchaimuthu, Sustainable Energy, Grids and Networks 2022, Beitrag 100860. 142 Siehe hierzu unten Kapitel 4, C.III.3.c). 143 Franke/Gorenstein, Auf dem Weg zu einer digitalen Energiewirtschaft, in: Gundel/Lange, Herausforderungen und Probleme der Digitalisierung der Energiewirtschaft, S. 1, 10. 144 Zur Herleitung siehe BVerfGE 65, 1, 41 ff. 145 Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 30.03.2010, 2010/C 83/02, ABl. C 83/389. Die Grundrechtecharta ist hier nach Art. 51 I 1 GRC anwendbar, da der Smart Meter-Roll-out in Durchführung der unionsrechtlichen Pflichten 139 Vgl.
110
Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
sie einen hohen Grad an Personenbezug aufweisen.146 Sicherzustellen ist die Zweckbindung der Daten (Zweckbindungsgrundsatz).147 Der Einzelne muss erkennen können, welche Systeme genutzt werden, welche Auswirkungen der Einsatz der Technologie für ihn hat und welche Risiken sich daraus ergeben können.148 Neue, sehr viel weitergehende Schlüsse können aus diesen Daten gezogen werden, wenn man die ausgewerteten Smart-Meter-Daten sammelt und analysiert.149 Die Analyse der Verbrauchs-, Erzeugungs- und Einspeisedaten erlaubt Rückschlüsse auf Lebensgewohnheiten, beispielsweise, wann und in welchen Räumen die elektrische Heizung oder das Licht eingeschaltet wird, da Menschen daheim sind, wann ein Elektro-PKW geladen wird etc.150 Die (daten)schutzrechtlichen Vorkehrungen müssen daher insbesondere vor Zugriffen von außen schützen; dies liegt nicht nur im Individual-, sondern auch im Allgemeininteresse.151 Der Gesetzgeber erließ hierzu ein Schutzprofil für die Smart Meter Gateway152 und eine technische Richtlinie153, um die rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen festzulegen. Diese Regelwerke wurden im 3. Kapitel des MsbG in den §§ 19–28 MsbG in Bezug genommen. Durch die feinerfolgt, siehe hierzu Wolff, Datenschutz in digitalisierten Energiemärkten, in: Gundel/ Lange, Herausforderungen und Probleme der Digitalisierung der Energiewirtschaft, S. 95, 112. Zum Begriff der Durchführung von Unionsrecht i. S. d. Art. 51 I 1 GRC siehe EuGH NJW 2013, 1415, 1415 ff. 146 Lüdemann/Jürgens/Sengstacken, ZNER 2013, 592, 592; Lüdemann/Ortmann/ Pokrant, RDV 2016, 125, 128 m. w. N.; Seckelmann, Auf dem Weg zum Smart Grid, in: Hill/Schliesky, Auf dem Weg zum Digitalen Staat, S. 250. Siehe auch mit Beispielen Wolff, Datenschutz in digitalisierten Energiemärkten, in: Gundel/Lange, Herausforderungen und Probleme der Digitalisierung der Energiewirtschaft, S. 95, 112 ff.; Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 216 f. 147 Lüdemann/Ortmann/Pokrant, RDV 2016, 125, 128. 148 Siehe hierzu zur Digitalisierung generell Guckelberger, DVBl. 2018, 423, 427. 149 Franke/Gorenstein, Auf dem Weg zu einer digitalen Energiewirtschaft, in: Gundel/Lange, Herausforderungen und Probleme der Digitalisierung der Energiewirtschaft, S. 1, 21. Siehe hierzu auch Deutsche Bundesregierung, Blockchain-Strategie, S. 22; Lüdemann/Ortmann/Pokrant, EnWZ 2016, 339, 343. 150 Lüdemann/Ortmann/Pokrant, EnWZ 2016, 339, 343; Pritzsche/Vacha, Energierecht, § 4 Rn. 414. 151 Haubrich, in: Steinbach/Weise, Messstellenbetriebsgesetz, § 19 Rn. 47 f. m. w. N. 152 Das betreffende Schutzprofil BSI-CC-PP-0073 ist abrufbar unter https://www. bsi.bund.de/DE/Themen/Unternehmen-und-Organisationen/Standards-undZertifizierung/Smart-metering/Smart-Meter-Gateway/Schutzprofil_Gateway/ schutzprofil_smartmetergateway.html (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 153 Die technische Richtlinie TR-03109-1 ist abrufbar unter https://www.bsi.bund. de/DE/Themen/Unternehmen-und-Organisationen/Standards-und-Zertifizierung/ Smart-metering/Smart-Meter-Gateway/TechnRichtlinie/TR_03109-1_node.html (zuletzt abgerufen am 20.06.2023).
D. Status quo der Oracles111
granularen und weitreichenden Vorgaben wird so eine umfassende Absicherung der Smart Meter erreicht. Dies beugt technischen Fehlfunktionen und unbefugten Zugriffen Dritter vor und schützt so sowohl die Smart Meter als auch die angeschlossene Infrastruktur.154 2. Datensicherheit Smart Meter sind vor manipulativen oder erpresserischen Angriffen zu schützen. Es besteht ein erhebliches Risiko, dass beispielsweise Daten manipuliert werden oder sogar über ein angegriffenes Smart Meter auf angeschlossene Verbrauchsgeräte zugegriffen wird.155 Ein hohes Niveau an Datensicherheit ist erforderlich. So könnten beispielsweise Heiz- oder Kochgeräte aus der Ferne vermittelt über die Smart Meter angesteuert und so willkürlich angeschaltet werden.156 Hierfür wurden im Schutzprofil Anforderungen an die Zugriffssicherheit niedergelegt, um dieses Missbrauchsrisiko zu begrenzen, indem die Zugriffsmöglichkeiten von dritter Seite durch technische Sicherheitsvorkehrungen und Schranken begrenzt werden.157 Daneben wurde aus diesem Grund der Funktionsumfang der Smart Meter in der Basisausführung stark beschränkt. So ist durch das Smart Meter keine Steuerung von Verbrauchern möglich, sondern es dient nur als Mess- und Kommunikationseinrichtung, nicht jedoch als Steuerungseinrichtung. Durch diese Beschränkungen wurden jedoch nach Auffassung des OVG NRW die gesetzlichen Mindestanforderungen nicht eingehalten.158 Dies verdeutlicht einen Zielkonflikt im Rahmen des Roll-outs: Einerseits sollen nach der gesetzlichen Vorgabe möglichst funktionale, sichere und zuverlässige Smart Meter verbreitet werden. Andererseits hinkt der technische Fortschritt hinter diesen Vorgaben hinterher, sodass nach den ambitionierten Roll-out-Zeitplänen in dieser Zeit kein Roll-out von Smart Metern mit diesem großen Funktionsumfang möglich ist. Die Begrenzung des Funktionsumfangs wurde daher als (zwischenzeitlicher) Weg gewählt, diesen Zielkonflikt zulasten des Funktionsumfangs aufzulösen.
154 Zu den Problemen, welche diese hohen Anforderungen hinsichtlich des Rollouts mit sich bringen und wie diese den Roll-out verzögern siehe Kapitel 3, D.II. sowie Kapitel 3, D.III.2. 155 Lüdemann/Ortmann/Pokrant, RDV 2016, 125, 129. Siehe hierzu auch ausführlich unten Kapitel 4, C.III.3. 156 Siehe mit derartigen Beispielen im Rahmen des allgemeinen IoT Knittl/Neuberger/Dieterle, HMD 2020, 558, 562. 157 Schutzprofil BSI-CC-PP-0073, S. 73 f. 158 Siehe hierzu OVG NRW, Beschluss vom 04.03.2021 – 21 B 1162/20.
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Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
3. Kosten Ein weiteres Problem ist es, dass die Kosten für die nötigen Geräte und die Infrastruktur sowie der Eigenstromverbrauch des Smart Meters oft das Einsparpotenzial aufzehren oder (teils deutlich) überschreiten.159 Deshalb stellt sich die Frage, in wieweit Letztverbraucher die Kosten für den Einsatz der Smart Meter zu tragen haben, sei es direkt oder mittels einer Umlage im Rahmen der Vergütung gelieferter Energie. Verschärft wird diese Problematik dadurch, dass der Einsatz der Smart Meter abseits der Verwendung als Oracle vorwiegend der Systemstabilität dient, mithin nur mittelbar dem Letztverbraucher zugutekommt.160 Wesentliche Vorteile liegen in den detaillierteren Verbrauchsdaten und damit einer besseren Planbarkeit der Energieversorgung für die Energieversorgungsunternehmen. Dies legt nahe, dass die Energieversorgungsunternehmen als maßgebliche Profiteure die Kosten zu tragen haben.161 Der Letztverbraucher erhält jedoch durch die feingranular aufgezeichneten und analysierten Verbrauchswerte detaillierte Informationen über seine individuellen Stromverbräuche. So kann er analysieren, an welchen Stellen ein Einsparpotenzial besteht, beispielsweise wenn stromintensive Verbrauchsstellen aufgedeckt werden.162 Dies ist ein Vorteil, welcher dem Letztverbraucher unmittelbar zugutekommt. Hier ist jedoch festzuhalten, dass es sich dabei um einen einmaligen Einsparakt handelt, mithin sich der Vorteil der Smart Meter in diesem Bereich darin erschöpft, einmalig verbrauchsintensive Gerätschaften aufzudecken. Der fortdauernde und laufende Kosten produzierende Einsatz der Smart Meter ist hierfür nicht erforderlich. Dieser für den Letztverbraucher unmittelbare Vorteil ist sehr begrenzt. Auf der Basis dieser Interessenlage erscheint es daher vorzugswürdig, die Kosten für den Einbau der Smart Meter nicht ausschließlich vom Letztverbraucher, sondern auch vom Messstellenbetreiber tragen zu lassen. Der Gesetzgeber hat dieses Problem dahingehend gelöst, dass in §§ 32, 33, 35 MsbG Preis obergrenzen aufgenommen wurden. Diese beginnen bei 20 € pro Zählpunkt mit moderner Messeinrichtung und steigern sich je nach Jahresverbrauch, sofern ein intelligentes Messsystem verbaut wird. Dem Kunden dürfen dann 159 Siehe hierzu die Erhebungen in Domschke, Welchen Beitrag kann die Digitalisierung der Energiewende zur Einsparung von Energie und CO2 liefern?, in: KöhlerSchute, Die Digitalisierung der Energiewirtschaft, S. 137 ff. Zum Problem der fehlenden wirtschaftlichen Anreize im Rahmen des Roll-outs siehe Lange/Möllnitz, EnWZ 2016, 448, 450. Vgl. auch Seckelmann, Auf dem Weg zum Smart Grid, in: Hill/ Schliesky, Auf dem Weg zum Digitalen Staat, S. 248. Siehe auch Schneidewindt, ER 2016, 16, 20. 160 Zu dieser gesamtheitlichen Zielrichtung siehe Wesche, in: Steinbach/Weise, Messstellenbetriebsgesetz, § 31 Rn. 10. 161 Siehe hierzu Wagner, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 31 MsbG Rn. 13 ff. 162 BT-Drs. 18/7555, S. 106.
D. Status quo der Oracles113
keine Kosten oberhalb dieser Grenzen in Rechnung gestellt werden, sodass die Kostenlast entsprechend begrenzt und geteilt wird. Anders ist die Wirtschaftlichkeitsabwägung zu beurteilen, wenn die Smart Meter perspektivisch auch dem Einsatz von Smart Contracts dienen. In diesem Fall werden die Smart Meter nicht bloß zu Mess- und Analysezwecken genutzt, sondern können auch die energiewirtschaftlichen Transaktionen abwickeln. Diese zusätzliche Funktion ermöglicht dann die wirtschaftlich sinnvollen163, vollautomatischen Vertragsabwicklungen. Dies bringt unmittelbare Vorteile für den Prosumer. Die Unterhaltungskosten für das Smart Meter werden so relativiert, da es für weitere Zwecke eingesetzt werden kann. 4. Technische Messpräzision der Smart Meter In der Praxis erweist es sich als weiteres Problem, dass die Smart Meter wesentlich ungenauer messen als ihre analogen Vorgänger.164 Auch dies stellte einen zentralen Diskussionspunkt im Rahmen der Einführung von Smart Metern dar. Insbesondere die digitalisierte Energiewirtschaft lebt von zutreffenden und plausiblen Daten, sodass auch hier die technische Entwicklung weiter voranschreiten muss, um adäquate Mess-, Steuerungs- und Koordinationsprozesse durch Smart Meter zu ermöglichen. 5. Roll-out als problematischer Prozess in frühem Stadium Die Einführung der für die Digitalisierung der Energiewende so wichtigen Smart Meter ist mit deutlichen Hürden und Hindernissen verbunden und ist bei weitem noch nicht abgeschlossen. Die zum Roll-out notwendigen Schritte werden daher zu Recht als „enorme Herausforderungen“165 angesehen. Die Smart Contracts benötigen jedoch Oracles, um tatsächlich einsatzfähig zu sein. Dies verdeutlicht erneut, dass sich die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten noch in einem sehr frühen Stadium befinden und stark von technischen Fortschritten und Weiterentwicklungen abhängen.
163 Zur
Kostenreduktion beim Einsatz von Smart Contracts siehe oben Kapitel 3, B. Die Wahl des Messstellenbetreibers nach den §§ 5, 6 MsbG, in: Gundel/Lange, Herausforderungen und Probleme der Digitalisierung der Energiewirtschaft, S. 67, 84. 165 Gabler, Der Smart-Meter-Rollout und sein rechtlichen Folgewirkungen, in: Gundel/Lange, Herausforderungen und Probleme der Digitalisierung der Energiewirtschaft, S. 35, 51. 164 Böhme/Riemer,
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Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
E. Multilaterale Vernetzung durch Smart Contracts Smart Contracts sind in der Lage, eine Vielzahl von Prosumern und auch andere Beteiligte wie reine Verbraucher, Speicherbetreiber oder auch Leitungs- und Netzbetreiber langfristig zu vernetzen. Je mehr Anbieter und Erwerber teilnehmen, desto effizienter können Bedarfe gedeckt werden. Smart Contracts binden die Prosumer vollautomatisch und digitalisiert ein,166 ein Informations- und Austauschnetz wird gebildet. Die Zusammenschlüsse mittels der Smart Contracts unterscheiden sich durch die Art der Vernetzung und die Aufgaben, welche die Beteiligten übernehmen. Für die rechtliche Beurteilung sind diese unterschiedlichen Gestaltungsformen maßgeblich.
I. Konzeptionierung in dezentraler Form oder mit Intermediär Die Beteiligten können entweder dezentral-intermediärslos oder zentralisiert durch einen Intermediär verknüpft werden. Dabei sind Abstufungen und Mittelwege möglich; Elemente aus beiden Grundkonzepten können verbunden werden. 1. Dezentrale Vernetzung Eine dezentrale Versorgungsstruktur verzichtet gänzlich auf Intermediäre. Alle Akteure nehmen gleichgeordnet am Gesamtsystem teil und teilen die anfallenden Aufgaben untereinander auf. In diesem Fall gibt es keinen zentralen koordinierenden Intermediär, dem alle Beteiligten vertrauen. Hier ist die Nutzung der Blockchain naheliegend, wenngleich nicht alternativlos. Diese kann der nötige Vertrauensanker für die einander oftmals nicht oder nur wenig bekannten Beteiligten sein. Eine solche Konzeptionierung entspricht dem Gedanken der Blockchain in ihrer Reinform – intermediärslos und dezentral ohne Hauptverantwortlichen. Jeder Prosumer könnte hierbei einen Knoten (Node) betreiben und so unmittelbar am Betrieb des Systems beteiligt sein. Alle Beteiligten könnten ein solches System gemeinsam einrichten, verwalten und weiterentwickeln. Sie einigen sich hierfür auf ein Protokoll und errichten die benötigte (physische) Infrastruktur. Entscheidungen über die Verwaltung und Weiterentwicklung der Infrastruktur treffen die
166 Säcker/Zwanziger, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 4, 4. Auflage 2017, Einleitung Rn. 2.
E. Multilaterale Vernetzung durch Smart Contracts115
Beteiligten gemeinsam und setzen diese Maßnahmen entsprechend um.167 Eine (zentrale) Plattform und ein Intermediär sind entbehrlich.168 Allerdings kann auch in einem solchen intermediärslosen System einzelnen Akteuren eine tragende Rolle zukommen, wenn sie für das System besondere Beiträge leisten. Beispielsweise könnte ein Beteiligter den SmartContract-Programmcode programmieren oder einen Server zur Verfügung stellen, auf welchem der Smart Contract betrieben wird. Diese systemtragende Funktion ist einem Intermediär vergleichbar. Dennoch kommt diesem exponierten Beteiligten nicht gleichermaßen die für den Intermediär charakteristische Position der zentralen Vertrauensinstanz zu; er bleibt trotz seiner exponierten Rolle ein gleichgeordneter Beteiligter am System, ohne „in der Mitte“ positioniert zu sein. Der Übergang zwischen dem intermediärslosen System zu einem System mit zentralem koordinierendem Intermediär kann fließend sein. Eine abschließende Entscheidung für das eine oder das andere System ist nicht erforderlich. Diese dezentralen Konzeptionierungen sind jedoch mit einem erheblichen technischen und regulierungsrechtlichen Aufwand verbunden und daher für die nähere bis mittlere Zukunft nicht naheliegend.169 So geht die Erarbeitung einer eigenen Software mit einem großen Aufwand einher und erfordert ein umfassendes technisches Know-How. Auch sind weitreichende Abstimmungen und Aufgabenverteilungen nötig, soll das gesamte System durch alle Beteiligten getragen werden. 2. Vernetzung mit einem Intermediär In der Praxis ist es einfacher, ein Smart-Contract-basiertes Prosumersystem mithilfe eines Systemdienstleisters als Intermediär aufzubauen: Ein zentraler Dienstleister erarbeitet, wartet und programmiert dabei die nötige IT-Infrastruktur einschließlich des Codes des Smart Contracts. Es handelt sich hierbei um ein klassisches Provider-System.170 Der Intermediär kann auch mögliche Vertragspartner zusammenbringen oder die nötige technische Infrastruktur in Form der Netze oder der Mess- und Einspeiseeinrichtungen aufbauen. Diese Instanz könnte damit das System und die Infrastruktur für 167 Hierbei ist zu beachten, dass derartige Fragen der Infrastrukturerrichtung, -entwicklung, -wartung und -weiterentwicklung nicht durch Smart Contracts oder die Blockchain selbst abgewickelt und vollzogen werden können. Sie bedürfen als Vorgänge in der realen Welt tatsächlicher, analoger Handlungen. 168 Buchmüller, EWeRK 2018, 117, 118; Potel/Hessel, jM 2020, 354, 354. 169 Buchmüller, EWeRK 2018, 117, 118; Chatzinerantzis/Bertram, EnWZ 2021, 65, 69 f. 170 Buchleitner/Rabl, ecolex 2017, 4, 8.
116
Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
den Peer-to-Peer-Direktkontakt zwischen den Vertragsparteien zur Verfügung stellen171 und vermittelnd tätig werden. Daneben könnte der Intermediär auch sämtlich die Vertragsabwicklung gewährleisten.172 Diese Aufgabe könnten beispielsweise klassische Energieversorgungsunternehmen, insbesondere die Verteilernetzbetreiber173, übernehmen und sich so zu Systemdienstleistern und -betreibern weiterentwickeln.174 Der zentrale Systemdienstleister „in der Mitte“ stünde dann sowohl als kontrollierender und koordinierender Akteur als auch als Ansprechpartner den jeweiligen Prosumern zur Verfügung. Auch bei dieser Gestaltung könnte eine Blockchain als Systembasis genutzt werden, wenngleich diese dann zentral vom Systemdienstleister zur Verfügung gestellt und betrieben wird. Dies widerspräche dem Grundgedanken der Dezentralität der Blockchain.175 Möglich wäre eine solche Konzeptionierung jedoch dennoch. Die Beteiligten müssen dem Systemdienstleister in diesem Fall jedoch dahingehend vertrauen, dass er seine Aufgaben ordnungsgemäß, loyal, adäquat und vertragsgemäß erfüllt.176 Bei einer strikt dezentralen Konzeptionierung – insbesondere in Kombination mit der Blockchain – ist ein solches Vertrauen in eine zentrale Instanz nicht notwendig. Im Rahmen des herkömmlichen Energiewirtschaftssystems genießen die Intermediäre – hier die Energieversorgungsunternehmen – seit Jahrzehnten das Vertrauen der Kunden als verlässliche Vertragspartner, es kam – anders als in der Finanzbranche – nicht zu Vertrauensproblemen. Der Aufwand für die Prosumer fällt beim Einsatz von Intermediären deutlich geringer aus, da dieser verschiedene Pflichten und Aufgaben übernimmt,177 beispielsweise, indem er die Infrastruktur einrichtet und wartet, notwendige Abrechnungen erledigt und als koordinierende Zentralinstanz Ansprechperson der Beteiligten ist.
II. Möglichkeit vollständiger Autarkie Eine weitere grundlegende Weichenstellung beim Einsatz der Smart Contracts für Prosumeraktivitäten ist die Entscheidung, ob die verbundenen 171 Voshmgir, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 2 Rn. 39, S. 25. 172 Chatzinerantzis/Bertram, EnWZ 2021, 65, 66. 173 Siehe etwa hierzu Thomas/Zhou/Long/Wu/Jenkins, Nature Energy 2019, 140, 140. 174 Chatzinerantzis/Bertram, EnWZ 2021, 65, 65, 70. 175 Siehe zu diesem Aspekt auch Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 299. 176 Zu den Anforderungen, welche an einen solchen Intermediär im Detail zu stellen wären, siehe Matthes, in: Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 4 Rn. 49, S. 47. 177 Chatzinerantzis/Bertram, EnWZ 2021, 65, 69 f.
E. Multilaterale Vernetzung durch Smart Contracts117
Prosumer und Akteure autark gegenüber externen Strukturen sein sollen. Die Akteure können vollständig unabhängig von externen Strukturen sein und so eine so genannte Insellösung wählen178 oder aber an das allgemeine Netz angeschlossen bleiben.179 Bei einer Insellösung ist es notwendig, die Fragen der Erzeugung, des Transports und damit des Netzbetriebs, der Finanzierung und Abrechnung sowie der Versorgungssicherheit selbst innerhalb der „Inselstruktur“ zu regeln. Insbesondere ist es in derart begrenzten Strukturen oftmals problematisch, die Versorgungssicherheit sicherzustellen, obschon diese für die Beteiligten unerlässlich ist.180 Im Rahmen des Netzbetriebs muss die gleichmäßige Spannung kontinuierlich erhalten werden.181 Der Aufwand für den Betrieb einer autarken Insellösung ist mithin groß. Auch die Kosten für den Betrieb eines eigenen Netzes sind erheblich.182 Ein besonderer Anreiz hierfür könnte es jedoch sein, dass die Prosumer so die Herrschaft über das Netz innehätten und vor allem eine Zahlung von Entgelten an Externe entfallen würde. Das Mehr an Errichtungs- und Koordinationsaufwand stünde einem deutlichen Autarkiegewinn und Kostenersparnissen bei den laufenden Kosten gegenüber. Bleiben die Akteure hingegen weiterhin parallel zu ihren Aktivitäten innerhalb ihres Zusammenschlusses an das öffentliche Netz angeschlossen, kann bei Defiziten des internen Systems weiterhin auf die allgemeine Versorgungsstruktur zurückgegriffen werden. Diese unterstützen so die Insellösung. Defizite, welche einen Rückgriff auf das allgemeine, externe System erforderlich machen, könnten beispielsweise sein, dass zur Versorgung aller beteiligten Akteure nicht hinreichend Kapazitäten vorliegen oder der Smart Contract ausfällt, mithin die Allokation und Abrechnung nicht korrekt möglich ist und es so zu Problemen bei der Versorgung kommt. Auch können Pro bleme im Netzbetrieb selbst auftreten und so Versorgungsprobleme entstehen. Deswegen sind Lösungen vorzugswürdig, bei denen sich Verbraucher, Prosumer und auch „klassische“ Erzeuger an ein zentrales Netz anschließen.183 Auch die Europäische Kommission spricht davon, dass die neu aufkommenden, dezentralen Strukturen die hergebrachten zentralisiert ausge178 Vgl.
Thomale/Berger, EnWZ 2018, 147, 148 f. hierzu mit Bezug zu den Kundenanlagen auch Burbach, RdE 2019, 56,
179 Siehe
58.
180 Komornyik, Microgrids – alte Sache neu aufgesetzt. Zum Stellenwert und zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit siehe unten Kapitel 4, C. 181 Komornyik, Microgrids – alte Sache neu aufgesetzt; Scholze, Die Stellung des Energievertragsrechts im Verhältnis zum allgemeinen Zivilrecht, S. 56. Siehe hierzu auch unten Kapitel 4, A. 182 Hampel, Die Zukunft der Tarifkundenversorgung, S. 41. 183 Brisbois, Global Transitions 2020, 16, 18.
118
Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
richteten Strukturen ergänzen sollen.184 Auf diese Art können durch die gegenseitige Unterstützung die Vorteile kombiniert werden und einer Überforderung der Prosumer kann vorgebeugt werden.
III. Nutzung bestehender Netzstrukturen, eigener Netzstrukturen oder Direktleitungen Eine bedeutende Weichenstellung ist es, wie die Beteiligten physisch miteinander verbunden werden. Insbesondere ist zu klären, ob ein Netzbetreiber überhaupt existiert und ob dieser dem Kreis der Prosumer angehört185 oder extern tätig ist. In einem ersten Szenario können die Prosumeraktivitäten im bestehenden Netz stattfinden. Hier tritt der (hergebrachte) Netzbetreiber zu den Prosumern des Zusammenschlusses hinzu. Diese Konstellation bedeutet für den Prosumerzusammenschluss einen geringen organisatorischen und finanziellen Aufwand; die bestehende Infrastruktur kann genutzt werden. Auch müssen die Prosumer nicht die komplexen Anforderungen an den Netzbetrieb erfüllen. Insbesondere aufgrund der hohen Kosten, das Netz erstmals zu errichten und zu betreiben, ist der Zugang zu bestehenden Netzstrukturen naheliegend und gesamtwirtschaftlich wünschenswert.186 Eine solche Gestaltung bietet sich mithin als Einstieg an. Allerdings sind in diesem Rahmen dann die Fragen des Netzzugangs und der Netzkosten zu berücksichtigen.187 In einem zweiten Szenario können sich die Prosumer als Verbund dazu entscheiden, selbst ein eigenes Netz zu betreiben,188 und so selbst zum Netzbetreiber oder jedenfalls zum Leitungsbetreiber zu werden. Dann müssen die Prosumer die komplexen Anforderungen des Netzbetriebs erfüllen. Der Aufwand für die Einrichtung und den Betrieb wäre entsprechend höher. Dafür können in diesem Szenario dann die Kosten für die öffentliche Netznutzung eingespart werden.189 Auch kann der Prosumerzusammenschluss den Netzbetrieb dann selbst ausgestalten und die Rechte und Pflichten festlegen. ER 2016, 16, 19. Falle des Netzbetriebs durch den einzelnen Prosumer oder den Verbund der Prosumer und gleichzeitigem Bezug dieses Akteurs zu Energieerzeugung, -speicherung, -transport und -handel sind freilich die Vorgaben des Unbundlings in den §§ 6 ff. EnWG zu wahren. 186 Hampel, Die Zukunft der Tarifkundenversorgung, S. 41. 187 Siehe zu diesen Fragen im Folgenden unter Kapitel 4, D. 188 Zur Existenz solcher Leitungsnetze zwischen mehreren Häusern betrieben beispielsweise durch eine Wohnungseigentümergemeinschaft siehe BGH RdE 2020, 193, 193 f. 189 Bolay/Battaglia, Faktenpapier Eigenerzeugung, Eigenversorgung, Mieterstrom und Stromdirektlieferung, S. 20. 184 Schneidewindt, 185 Im
E. Multilaterale Vernetzung durch Smart Contracts119
In einem dritten Szenario wird auf Direktleitungen zurückgegriffen:190 So können sich Prosumer auch mittels Direktleitungen im Sinne des § 3 Nr. 12 EnWG verbinden und so Energie austauschen. Direktleitungen sind Verbindungsleitungen zwischen Lieferanten, Kunden, Einspeise- und Ausspeisestellen.191 Um eine Direktleitung handelt es sich auch bei der direkten Versorgung einer begrenzten Anzahl von Letztverbrauchern; es muss nicht zwingend ein einzelner Kunde vorliegen.192 Das europäische Recht regelt die Direktleitungen in Art. 7 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie; die Mitgliedstaaten müssen den Direktleitungsbetrieb zwingend erlauben. Das Europarecht anerkennt so die Bedeutung der Direktleitungen und das praktische Bedürfnis nach derartigen Strukturen. Bei Direktleitungen handelt es sich nicht um ein Netz.193 Dies führt zu einem wesentlich geringeren Komplexitätsniveau bei der Planung, Wartung und dem Betrieb.194 Anbieten könnte sich diese Gestaltung bei Nachbarschaftsmodellen, in welchen nur kurze Distanzen zu ex ante klar definierten Personen überbrückt werden müssen. Auch könnte diese Gestaltung mit einem Anschluss an das allgemeine Energieversorgungsnetz verbunden werden, sodass nur die einzelnen Transaktionen der Prosumer über die Direktleitungen abgewickelt werden. Die übrigen Liefervorgänge beispielsweise zur Deckung des Bedarfs, wenn der Prosumerverbund keine Energie liefern kann, könnten dann aber weiterhin über das allgemeine Netz vollzogen werden. Für die Prosumeraktivitäten würde dann allein die Direktleitung genutzt. Bei Direktleitungen tritt mangels Netzes kein Netzbetreiber hinzu, die Beziehungen bestehen direkt zwischen Lieferant und Abnehmer. Auch werden die Prosumer als Betreiber einer Direktleitung nicht zu Netzbetreibern; die daran anknüpfenden Netzpflichten entfallen.195
190 Zu diesem Szenario der Nutzung einer Direktleitung zur Verbindung von Prosumern mit deutlichem Bezug zu Erneuerbaren Energien siehe Moench/Wagner/ Schulz/Wrede, Gutachterliche Stellungnahme „Rechtsfragen des Eigenverbrauchs und des Direktverbrauchs von Strom durch Dritte aus Photovoltaikanlagen“, S. 12. 191 Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 1. Teil, B.I.3.a). 192 Brahms, in: Maslaton, Windenergieanlagen, Rn. 528; Hellermann, in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, § 3 EnWG Rn. 31; Schex, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 3 Rn. 22; Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 3 EnWG Rn. 77. 193 Hack, Energie-Contracting, Teil C Rn. 418; Schex, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 3 EnWG Rn. 35. 194 Vgl. Brahms, in: Maslaton, Windenergieanlagen, Rn. 529. 195 Moench/Wagner/Schulz/Wrede, Gutachterliche Stellungnahme „Rechtsfragen des Eigenverbrauchs und des Direktverbrauchs von Strom durch Dritte aus Photovoltaikanlagen“, S. 94.
120
Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
Wenn sich die Prosumer somit für den eigenen Netzbetrieb entscheiden, muss es sich dabei nicht zwingend um ein Netz der allgemeinen Versorgung im Sinne des § 3 Nr. 17 EnWG handeln.196 In diesen Fällen steht die betreffende Leitung nicht allen Letztverbrauchern offen.197
IV. Token-basierte Systeme Smart-Contract-basierte Prosumeraktivitäten können darüber hinaus so genannte Token-Systeme nutzen.198 Token sind vergleichbar mit virtuellen Wertmarken.199 Ein Token stellt den virtuellen Gegenwert eines Vermögenswertes dar,200 so beispielsweise eine Kilowattstunde zu liefernder Energie.201 Ein Token muss jedoch nicht zwingend mit einer bestimmten Energiemenge gleichgesetzt werden. Sofern eine solche durch den Token verkörpert wird, kann sie vom Inhaber des Tokens verlangt werden, wenn er die Energie benötigt. Der Lieferant erhält nach erfolgter Lieferung den Token und kann ihn selbst einsetzen, wenn er seinerseits Energie beziehen möchte. Der Token stellt mithin eine Art Währung dar. Dieses System bietet sich gerade bei Prosumern an, da diese im Wechsel Strom anbieten und beziehen. Möglich ist es auch, einen Tausch der Token in Geld und vice versa vorzusehen.202 Dies erleichtert vor allem den Ein- und Ausstieg und ermöglicht eine umfangreichere Interaktion mit außenstehenden Strukturen, wenn beispielsweise der Token nicht nur durch eigene Energieproduktion verdient, sondern auch käuflich erworben werden kann. Auf diese Weise können auch Konsumenten Token erlangen. Neben dieser reinen Entgeltfunktion kann der Token auch eine Steuerungsfunktion haben: Ein Token muss nicht zu jeder Zeit denselben Wert verkör196 OLG Dresden OLG-NL 2002, 138, 139; Boesche, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 1, § 3 EnWG Rn. 40. 197 Vgl. zu diesem Merkmal Boesche, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 1, § 3 EnWG Rn. 87. 198 Zu diesem System ausführlich Mihaylov/Jurado/Avellana/Van Moffaert/Magrans de Abril/Nowé, NRGcoin, S. 1 ff. 199 Sixt, Bitcoins und andere dezentrale Transaktionssysteme, S. 10. 200 Deutsche Bundesregierung, Blockchain-Strategie, S. 3; Hasse/von Perfall/Hillebrand/Smole/Lay/Charlet, Blockchain – Chance für Energieverbraucher?, S. 7; Hofmann/Strewe/Bosia, Supply Chain Finance and Blockchain Technology, S. 46. 201 Siehe zu dieser Idee auch Andoni/Robu/Flynn/Abram/Geach/Jenkins/McCallum/Peacock, Renewable and Sustainable Energy Reviews 2019, 143, 164. 202 Mihaylov/Jurado/Avellana/Van Moffaert/Magrans de Abril/Nowé, NRGcoin, S. 1.
F. Steuerungs- und Kooperationsmöglichkeiten121
pern.203 Möglich ist, dass im Falle eines Strommangels für die Produktion von Strom mehr Token als Entgelt vom System ausgelobt werden als im Falle von hinreichender Produktion, um so durch die Vergütungsgestaltung Anreize zu system- und netzdienlichem Verhalten zu schaffen.204 Dies ist auch auf der Nachfrageseite möglich, indem im Falle von Strommangel ein Token zu weniger Energiebezug berechtigt als im Falle einer Überproduktion. Der Einsatz von Token kann mithin netzdienliches Verhalten durch monetäre Anreize fördern. Der Preis orientiert sich an diesen Kriterien und kann daher auch durch Smart Contracts determiniert werden, indem diese das Marktverhalten analysieren und anhand dessen Preisvorschläge für den Handel unterbreiten oder sogar vorgeben.205 Ein marktwirtschaftlicher Anreiz kann so durch die unterschiedliche Wertigkeit des Tokens geschaffen werden. Die Kriterien, welche zur Bestimmung heranzuziehen sind und deren Gewichtung sind dem Smart Contract allerdings im Rahmen der Protokollerstellung vorzugeben. Es handelt sich oftmals um abwägungs- und wertungsunterworfene Entscheidungen, welche Faktoren in welcher Form zu berücksichtigen sind.206 Die Anwendung dieser Kriterien im Einzelfall kann der Smart Contract dann allerdings auf dieser Basis selbstständig vornehmen, da die zu berücksichtigenden Umstände jeweils vom Smart Contract automatisiert festgestellt werden können.
F. Steuerungs- und Kooperationsmöglichkeiten Prosumer können (auch) anbietend am Markt tätig werden. Dies ist zunächst in einem rein bilateralen System möglich. Das volle – vor allem wirtschaftliche – Potenzial entfaltet sich hingegen erst, wenn Prosumer in einen breiteren Austausch untereinander treten. Ihre individuellen Leistungen lassen sich so bündeln, koordinieren und effizienter nutzen. Hierfür bestehen verschiedene Steuerungs- und Kooperationsmöglichkeiten.
I. Aggregatoren Bei den Aggregatoren tritt zu den einzelnen Prosumern eine zusätzliche natürliche oder juristische Person, welche nach Art. 2 Nr. 18 Elektrizitätsbin203 Hasse/von Perfall/Hillebrand/Smole/Lay/Charlet, Blockchain – Chance für Energieverbraucher?, S. 7. 204 Mihaylov/Jurado/Avellana/Van Moffaert/Magrans de Abril/Nowé, NRGcoin, S. 2 f. 205 Mihaylov/Jurado/Avellana/Van Moffaert/Magrans de Abril/Nowé, NRGcoin, S. 4. 206 Zur fehlenden Fähigkeit des Smart Contracts, individuelle Wertentscheidungen vorzunehmen, siehe oben Kapitel 2, B.I.1.b).
122
Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
nenmarktrichtlinie Kundenlasten oder erzeugte Elektrizität zum Kauf, Verkauf oder zur Versteigerung auf einem Elektrizitätsmarkt bündelt und anbietet. Neben dieser reinen Koordinierungsaufgabe kann der Aggregator weitere Aufgaben wie beispielsweise die Abrechnung übernehmen. Die Aggregatoren sollen nach dem Konzept der Europäischen Kommission207 und der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie einen Beitrag zur Flexibilisierung leisten und das Potenzial der aktiven Kunden besser einbinden.208 Die Aggregatoren können dabei sowohl auf der Erzeuger- als auch der Verbraucherseite eingesetzt werden.209 Diese „Intermediatisierung“ in verschiedenen Bereichen und auf verschiedenen Ebenen verspricht für die Verbraucher erhebliche Vorteile und Erleichterungen für die Organisation und ihre Stellung am Markt.210 Der Aggregator fasst andere Akteure zusammen und tritt als zentraler Akteur nach außen am Markt für diese auf. Er bündelt Kapazitäten für den Auftritt nach außen. Die Aggregatoren verhelfen zu mehr Markmacht. So erhalten die Prosumer eine stärkere Wettbewerbsposition und können sich durch die Bündelung besser am Markt behaupten.211 Gemäß Art. 15 II lit. a Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie können die aktiven Kunden auch über Aggregatoren tätig werden. Dies schließt jedoch nicht aus, dass der vormalige Verbraucher auch allein tätig werden darf.212 Ergänzt wird der Begriff des Aggregators durch den „unabhängigen Aggregator“ gemäß Art. 2 Nr. 19 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie, welcher als selbstständiger Marktteilnehmer im Bereich der Aggregierung tätig wird und nicht mit dem Versorger des Kunden verbunden ist. Der unabhängige Aggregator zeichnet sich durch seine Selbstständigkeit aus und tritt neben den Versorger. Auch dies zeigt die Diversifizierung in der Energiewirtschaft. Die Aggregatoren sollen die aktive Einbindung der vormals reinen Verbraucher verstärken und voranbringen.213 Gleiches gilt für die Förderung der Prosumeraktivitäten, welche ebenso auf eine verstärkte Verbrauchereinbindung abzielt. Beide Beteiligungsformen können daher kombiniert werden und sich gegenseitig positiv beeinflussen. Auch zu diesem Zweck legt Art. 13 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie fest, dass Kunden Aggregierungs 207 Europäische Kommission, Horizon 2020, Work Programme 2018–2020, Part 10, S. 24, 134. 208 Wizinger/Pause, RELP 2018, 50, 50. 209 Wizinger/Pause, RELP 2018, 50, 51. 210 Wimmer, ER 2020, 18, 18; Wizinger/Pause, RELP 2018, 50, 60. 211 Wimmer, ER 2020, 18, 18; Wizinger/Pause, RELP 2018, 50, 51, 53. 212 Wizinger/Pause, RELP 2018, 50, 59. 213 Wizinger/Pause, RELP 2018, 50, 57.
F. Steuerungs- und Kooperationsmöglichkeiten123
tätigkeiten nutzen und dafür nötige Verträge abschließen dürfen, auch ohne, dass ihr Energieversorgungsunternehmen zustimmen muss. Weitere Vorgaben oder inhaltliche Beschränkungen stellt die Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie nicht auf. Das nationale Recht greift diese Entwicklungen in den §§ 3 Nr. 1a, 41d, e EnWG auf. § 41d EnWG erlaubt, dass Letztverbraucher Dienstleistungen im Rahmen von Mehr- und Mindererzeugung und -verbrauch erbringen dürfen. § 41e EnWG regelt dabei Verträge zwischen Aggregatoren und Letztverbrauchern oder Erzeugungsanlagenbetreibern und legt hierfür in Abs. 1 die Textform sowie bestimmte weitere Informations- und Unterrichtungspflichten fest. Dies geht auf Art. 13 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie zurück. Die Erlaubnis, derartige Systeme zu nutzen und grundlegende Schutzvorschriften werden geregelt. Weitere Vorgaben macht der Gesetzgeber nicht. Der Aggregator muss jedoch nicht zwingend ein zusätzlicher Dritter sein. Einer der Prosumer kann auch als Aggregator tätig werden.214 Er ist dann Prosumer und zugleich Aggregator. Dabei wird kein zusätzlicher Intermediär eingebunden, sondern der Aggregator-Prosumer übernimmt die Koordinierungs- und Organisationsaufgaben neben seinen Erzeugungstätigkeiten. Zur Erfüllung seiner Aufgabe muss der Aggregator ermitteln, in welchem Umfang die von ihm koordinierten Akteure beispielsweise Energie einspeisen und entnehmen, in welchen Situationen sich Versorgungsdefizite auf zeigen oder wie netzdienlich sich die Prosumer und Verbraucher verhalten. Daneben kann er auch Anreize zu einer Verhaltensänderung setzen.215 Auch können Aggregatoren mithilfe von (proprietären) Gateways in den Smart Metern steuernd eingreifen.216 Der Aggregator kann so die Prosumeraktivitäten bündeln und koordinieren. Zu klären ist insbesondere, welche Rolle dem Aggregator zukommen soll,217 ob er beispielsweise lediglich vermittelnde Mittelsperson oder selbst Vertragspartner ist.218 Dies hängt von der Ausgestaltung der Beziehung zum Aggregator und seiner Rolle im Gesamtsystem ab.
RELP 2018, 50, 53. hierzu Wizinger/Pause, RELP 2018, 50, 54. Siehe auch die Konzeptionierung der Laststeuerung durch Aggregierung in Art. 17 Elektrizitätsbinnenmarktricht linie. 216 BMWi, Gutachten Digitalisierung der Energiewende, Topthema 2, S. 33. 217 Buchmüller, EWeRK 2018, 117, 118. 218 Siehe zu den Gestaltungsoptionen Meller-Hannich, Wandel der Verbraucherrollen, S. 24 ff. 214 Wizinger/Pause, 215 Vgl.
124
Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
Der Aggregator hat koordinierende und steuernde Aufgaben; er ist ein koordinierender Intermediär.219 Er kann einen Ausfall oder eine Minder- oder Mehrleistung Einzelner bereits intern kompensieren.220 Er kann so zur Stabilitätserhaltung beitragen, dies kann den Rückgriff auf Reservekraftwerke reduzieren.221 Auch dies fördert die ökonomische Optimierung. Gleichzeitig können die Aggregatoren durch die Synchronisierung des Verhaltens einer größeren Anzahl von Nutzern Angebots- aber auch Last- und/oder Nachfragespitzen verstärken.222 In diesen Fällen handelt der Aggregator nicht netzund systemdienlich. Auch ein solches Verhalten ist jedoch von Gesetzes wegen nicht untersagt oder sanktioniert, sondern vielmehr ein möglicher negativer Nebeneffekt der Aggregatorentätigkeiten. Für Prosumer bieten die Aggregatoren eine Möglichkeit, ihren individuellen Aufwand zu minimieren, indem sie beispielsweise die administrativen Pflichten und die wirtschaftliche Verwertung in die Hände des Aggregators legen und somit nur mit diesem in Kontakt stehen. Die regulierungsrecht lichen Pflichten kann der Aggregator ebenso wahren, indem er diese gebündelt für alle ihm angeschlossenen Prosumer erfüllt.223 Die Hürden für den Einstieg und den Energiehandel können so reduziert werden, da der Aggregator zu einer Entlastung beitragen kann. Smart Contracts sind für die Aktivitäten der Aggregatoren keine conditio sine qua non. Auch die Aggregatoren können jedoch die Vorteile der Smart Contracts nutzen: Durch die feingranularen Daten, welche durch das Oracle des Smart Contracts aufgenommen werden, kann der Aggregator an wesentlich präzisere Daten gelangen. Der Aggregator kann überdies auch im Bereich der Lasten und der Laststeuerung tätig werden; hierfür muss der Aggregator auch die Daten zu Verbräuchen und Verbrauchsverläufen erhalten. Dafür nutzt er die Transaktionsdaten der durch die Smart Contracts abgewickelten Geschäfte. So kann er ablesen, ob die Bedarfe der ihm angeschlossenen Akteure gedeckt werden, welche Geschäfte priorisiert und welche externen Geschäfte beispielsweise mit außenstehenden Energieversorgungsunternehmen abgeschlossen wurden. So kann der Aggregator diese (Meta-)Daten aus den Smart-Contract-Geschäften heranziehen, um seinen Tätigkeiten nachzugehen. Diese Informationen gehen weit über die bloßen Daten zu Ein- und Ausspeisung, Erzeugung und Verbrauch hinaus, da sie konkrete Leistungs-
RELP 2018, 50, 50. RELP 2018, 50, 52. 221 Wizinger/Pause, RELP 2018, 50, 52. 222 Vgl. hierzu BMWi, Gutachten Digitalisierung der Energiewende, Topthema 2, S. 45. 223 Siehe hierzu ausführlich unten Kapitel 4, B.III.3. 219 Wizinger/Pause, 220 Wizinger/Pause,
F. Steuerungs- und Kooperationsmöglichkeiten125
flüsse und die ihnen zugrundeliegenden vertragsrechtlichen Geschäfte abbilden. Dem Aggregator kommt wegen seiner exponierten Stellung auch eine besondere Pflichtenstellung zu. Er soll nach Art. 17 III lit. d Elektrizitäts binnenmarktrichtlinie die Bilanzkreisverantwortlichkeit für die verursachten Ungleichgewichte übernehmen. Die Aufgaben werden damit neu zugeordnet, nicht jedoch neu geschaffen. Auch im hergebrachten Energieversorgungssystem existiert diese Rolle der Bilanzkreisverantwortlichen nach § 4 II StromNZV224.
II. Virtuelle Kraftwerke Bei virtuellen Kraftwerken werden kleine Produktionsanlagen durch einen Anbieter225 virtuell verknüpft und deren kumulierte Leistung am Markt durch diesen angeboten.226 Dies stärkt die Verhandlungsposition gegenüber dem alleinigen Auftreten als Kleinproduzent am Markt.227 Virtuelle Kraftwerke werden auch als Schwarmkraftwerke bezeichnet.228 Der „Prosumerverbund“ tritt – vergleichbar mit einem konventionellen Kraftwerk – als Anbieter von Energie auf. Das Hauptziel der virtuellen Kraftwerke ist die Vermarktung der Energie nach außen am Markt.229 Die Steuerung durch das virtuelle Kraftwerk kann auch als Beitrag genutzt werden, um Erzeugung und Verbrauch in Balance zu bringen.230 Dies geschieht, indem das virtuelle Kraftwerk – vergleichbar mit einem konventionellen Kraftwerk – angesteuert wird. Charakterisierendes Element ist somit die Steuerbarkeit des Kraftwerks mittels einer zentralen Steuerung der angeschlossenen Prosumer und anderen Beteiligten – auch im Rahmen des De224 Verordnung über den Zugang zu Elektrizitätsversorgungsnetzen vom 25. Juli 2005 (BGBl. I S. 2243), die zuletzt durch Artikel 6 des Gesetzes vom 16. Juli 2021 (BGBl. I S. 3026) geändert worden ist (Stromnetzzugangsverordnung – StromNZV). Siehe hierzu auch unten Kapitel 4, C.III.2. 225 Der Anbieter muss dabei nicht zwingend ein externer Akteur sein, sondern auch einer der als Prosumer, gegebenenfalls sogar lediglich als Consumer/Konsument Beteiligten kann diese Rolle übernehmen. 226 Siehe hierzu Körber, Digitalisierung als Herausforderung und Chance für Energiewirtschaft und Energierecht, in: Ludwigs, FS Schmidt-Preuß, S. 865, 875; Merz, Einsatzpotenziale der Blockchain im Energiehandel, in: Burgwinkel, Blockchain Technology, S. 51, 66; Rodi, EnWZ 2014, 289, 290. 227 Lehnhoff, Dezentrales Vernetztes Energiemanagement, S. 10 f. Siehe auch VDE, Dezentrale Energieversorgung 2020, S. 45. 228 Pritzsche/Vacha, Energierecht, § 4 Rn. 406. 229 Siehe BMWi, Was ist eigentlich ein „Virtuelles Kraftwerk“?. 230 Schäfer-Stradowsky/Timmermann, EnWZ 2018, 199, 200.
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Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
mand Side Management.231 Die Vorteile dezentraler Erzeugung werden dadurch mit den Vorteilen zentraler Steuerbarkeit kombiniert und systemdienlich eingesetzt. Virtuelle Kraftwerke können daher einen Beitrag zur Stabilität der Versorgung und damit der Versorgungssicherheit leisten.232 Virtuelle Kraftwerke können ferner die Produktion steuern, um die Einspeiseleistung möglichst netzdienlich zu nutzen.233 Aggregatoren kann hierbei die Tätigkeit zukommen, die virtuellen Kraftwerke zu bilden, zu koordinieren und zu steuern. Die Schaffung und Verwaltung der virtuellen Kraftwerke kann eines der Betätigungsfelder der Aggregatoren sein.234 Die Besonderheit der virtuellen Kraftwerke liegt darin, dass diese oftmals Smart Contracts oder vergleichbare Software einsetzen.235 Sie nutzen so die Vorteile der Digitalisierung und Automatisierung.236 Verschiedene Prosumer werden mittels der Software untereinander, meist jedoch auch gebündelt mit der Außenwelt, vernetzt; sie treten dadurch nach außen wie ein einheitliches, homogenes Kraftwerk am Markt auf.
III. Virtuelle Speicher Der virtuelle Speicher baut auf tatsächlich bestehenden, physischen Energiespeicheranlagen auf. Bei virtuellen Speichern werden verschiedene, meist kleinere Speichereinheiten digital angesteuert und so gemeinsam genutzt. Beispielsweise können so die Batterien von Elektrofahrzeugen während der Standzeiten als flexible Speicher netzdienlich eingesetzt werden.237 Wenn die Batterien vorrangig dann aufgeladen werden, wenn aktuell überschüssig Strom produziert wird, mithin das Netz vom überflüssigen Strom durch den Ladevorgang „entlastet“ werden muss, ist dies besonders netzdienlich.238 231 VDE,
Dezentrale Energieversorgung 2020, S. 45. Energierecht, § 4 Rn. 407; VDE, Dezentrale Energieversorgung 2020, S. 45. 233 Tschida, Die Systemverantwortung der Netzbetreiber, S. 200. 234 Daneben können die Aggregatoren freilich die unter Kapitel 3, F.I. beschriebenen Tätigkeiten anbieten und vornehmen; ihre Aktivitäten beschränken sich nicht auf die reine Bündelung von Erzeugung innerhalb der virtuellen Kraftwerke. 235 Schneidewindt, Blockchain – Brave New Energy World für Prosumers?. Siehe auch VDE, Dezentrale Energieversorgung 2020, S. 45. 236 Siehe hierzu VDE, Dezentrale Energieversorgung 2020, S. 47; Wizinger/Pause, RELP 2018, 50, 54. 237 Rogall, 100 %-Versorgung mit erneuerbaren Energien, S. 179; Scholtka/Martin, RdE 2017, 113, 116; Seckelmann, Auf dem Weg zum Smart Grid, in: Hill/Schliesky, Auf dem Weg zum Digitalen Staat, S. 246. 238 Germanwatch, Chancen und Risiken, S. 38; Rogall, 100 %-Versorgung mit erneuerbaren Energien, S. 179. Vgl. auch Overkamp/Schings, EnWZ 2019, 3, 5. 232 Pritzsche/Vacha,
F. Steuerungs- und Kooperationsmöglichkeiten127
Dies ist eine weitere mögliche (Neben-)Tätigkeit der Prosumer, dass dieser seine – normalerweise privat genutzte – Infrastruktur hierfür zur Verfügung stellt. Aufgrund des hohen Automatisierungsgrades der Smart Contracts können Prosumer diese netzdienliche Nebentätigkeit im Optimalfall ohne jegliche menschliche Interaktion stattfinden lassen, ggf. sogar ohne, dass dem Prosumer gegenwärtig bewusst ist, dass seine Infrastruktur aktuell genutzt wird. Bei den Microgrids können virtuelle Speicher einen Beitrag zur möglichst Grid-internen Versorgung leisten und so die Abhängigkeit von externen Energiebezügen reduzieren.239
IV. Microgrids Eine in ihrer Komplexität und Vernetzung gesteigerte Form der Zusammenschlüsse sind die Microgrids. Diese Assoziierungs- und Vernetzungsmöglichkeit wird aktuell in verschiedenen Pilotprojekten erprobt.240 Microgrid bedeutet übersetzt in etwa „kleines Netz“.241 Idee des Microgrids ist, dass in einer Nachbarschaft die Nachbarn in einen intensiven (digitalisierten) Austausch treten und sich vernetzen.242 Hier können alle Akteure eingebunden werden, die auch in staatenweiten Energieversorgungsstrukturen existieren.243 Diese lokalen Energiemärkte sind eine Ausprägung der Digitalisierung und Dezentralisierung.244 Anders als bei den virtuellen Kraftwerken und auch bei den Aggregatoren steht nicht das einheitliche Auftreten als „ein Akteur“ nach außen im Vordergrund, sondern der Austausch innerhalb des Microgrids. Das Microgrid stellt eine Gemeinschaft von Akteuren im Austausch untereinander dar. Prosumer können sich so zusammenschließen, dass sie vorrangig untereinander Energiehandel betreiben, somit ihren Bedarf nach Möglichkeit im direkten Austausch innerhalb der „Nachbarschaft“ des Microgrids decken.245 Bei einer Microgrids – alte Sache neu aufgesetzt. hierzu insbesondere die Ausführungen unten in Kapitel 4. 241 Siehe Spilok, Microgrids: Kleines Netz noch ins große eingefügt. 242 Vgl. auch Federau, Ein Beitrag zur Konzeptionierung eines Leitsystems für steuerbare Microgrids, S. I; Komornyik, Microgrids – alte Sache neu aufgesetzt. 243 Andoni/Robu/Flynn/Abram/Geach/Jenkins/McCallum/Peacock, Renewable and Sustainable Energy Reviews 2019, 143, 154; Komornyik, Microgrids – alte Sache neu aufgesetzt. Zu einer Aufzählung möglicher Akteure siehe Federau, Ein Beitrag zur Konzeptionierung eines Leitsystems für steuerbare Microgrids, S. 30. 244 Scholtka/Kneuper, IR 2019, 17, 18. 245 Mengelkamp/Gärttner/Rock/Kessler/Orsini/Weinhardt, Applied Energy 2018, 870, 873. Siehe auch Federau, Ein Beitrag zur Konzeptionierung eines Leitsystems 239 Komornyik, 240 Siehe
128
Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
Überproduktion im Microgrid kann Energie in das allgemeine Netz eingespeist und beispielsweise an Dritte verkauft werden. Für den Fall einer Unterdeckung kann in umgekehrter Weise Energie zur Deckung des Bedarfs eingekauft werden.246 Für diese Interaktionen mit der Außenwelt bedarf es spezieller Schnittstellen.247 Nicht nur Prosumer, sondern auch reine Verbraucher, welche dann ausschließlich Energie beziehen, können beteiligt werden. Ferner können in einem solchen Microgrid reine Produzenten und Speicherbetreiber eingebunden werden, um so eine Diversifikation der Beteiligten und Funktionen zu erreichen.248 Blockheizkraftwerke und andere Biomasseanlagen oder Powerto-X-Systeme können ebenso teilnehmen.249 Dies kann zur Versorgungssicher heit beitragen,250 da derartige Systeme eine hohe Leistungskonstanz aufweisen.251 Bei einem Microgrid wird der größtmögliche Anteil der Verbräuche „inselintern“ durch Transaktionen zwischen den Nachbarn koordiniert. Dies ist ein großer Vorteil dieser Gemeinschaften, da durch geschickte Allokation innerhalb der Gemeinschaft der Bezug von Strom von dritter Seite reduziert und vorrangig „intern“ zugeteilt und verbraucht wird.252 So wird eine gewisse Autonomie gegenüber der „Außenwelt“ erreicht.253 Dies kann jedoch auch ein Aggregator gewährleisten, auch dieser kann sich um „interne“ Ausgleiche bemühen, wenngleich dies nicht Kern seiner Tätigkeiten ist. Insoweit bestehen Parallelen zwischen Aggregatoren und Microgrids. Ein Unterschied ist für steuerbare Microgrids, S. 2; Tundal, Utilizing Blockchain Technology for Settlement in a Microgrid, S. iii. 246 Komornyik, Microgrids – alte Sache neu aufgesetzt; VDE, Dezentrale Energieversorgung 2020, S. 44. Vgl. hierzu im industriellen Kontext etwa auch die Darstellungen in Bundesnetzagentur, Beschluss vom 07.11.2011 – BK6-10-208, S. 6. 247 VDE, Dezentrale Energieversorgung 2020, S. 44. 248 Vgl. hierzu Andoni/Robu/Flynn/Abram/Geach/Jenkins/McCallum/Peacock, Renewable and Sustainable Energy Reviews 2019, 143, 154. 249 Jarass/Obermair, Welchen Netzumbau erfordert die Energiewende?, S. 57. Siehe zur Bedeutung von Wasserstoff als Energiespeicher nur dpa, EnergiespeicherHoffnung – Das Zauberwort heißt Wasserstoff. 250 Vgl. hierzu auch Seckelmann, Auf dem Weg zum Smart Grid, in: Hill/Schliesky, Auf dem Weg zum Digitalen Staat, S. 244. 251 Brahms, Die Integration der Erneuerbaren Energien im Strommarkt, S. 35. 252 BMWi, Gutachten Digitalisierung der Energiewende, Topthema 2, S. 57; Komornyik, Microgrids – alte Sache neu aufgesetzt. Siehe auch Wunderlich/Loose/Nachtigall/Sandau/Bruns/Gómez, Energiemarkt mit Blockchain-Technologie, in: Drews/ Funk/Niemeyer/Xie, Tagungsband Multikonferenz Wirtschaftsinformatik 2018, Band III, S. 1264. 253 Federau, Ein Beitrag zur Konzeptionierung eines Leitsystems für steuerbare Microgrids, S. 31 m. w. N.
F. Steuerungs- und Kooperationsmöglichkeiten129
jedoch, dass der Aggregator das Gesamtsystem als Intermediär zentral steuert. Das Microgrid hingegen schließt die Teilnehmenden auf Augenhöhe im wechselseitigen Austausch zusammen. Innerhalb eines Microgrids können Angebot und Nachfrage abgestimmt werden, da es sich um eine in sich geschlossene und daher in der Regel überschaubare Konstruktion handelt.254 Auch kann dieses Gebilde sukzessiv erweitert und so in seinem Funktionsumfang gesteigert oder an geänderte Umstände angepasst werden. Auf diese Art und Weise kann auch eine Form lokalen Stromhandels und lokaler Strombörsen kreiert werden. Diese baut dann wiederum auf die bilateralen Peer-to-Peer-Geschäfte auf. Für die Einrichtung eines Microgrids sind verschiedene Konzeptionen möglich. Innerhalb des Microgrids kann das allgemeine Netz genutzt werden oder aber die Gemeinschaft kann ein eigenes Netz betreiben.255 Der Aufbau eines eigenen Netzes ist daher nicht zwingend erforderlich. Bei der Nutzung des allgemeinen Netzes ist jedoch notwendig, dass mit dem Netzbetreiber entsprechende Nutzungsvereinbarungen geschlossen werden. Der eigene Betrieb von Netzinfrastruktur ist hingegen sehr aufwändig. Auch bei Microgrids stellt sich die Frage, ob das Microgrid weiterhin am allgemeinen Netz angeschlossen oder ob es autark als „Insel“ ohne Verbindungen zu anderweitigen Strukturen betrieben werden soll. Bei der reinen „Insellösung“ ist zwingend notwendig, dass Last und Erzeugung in Ausgleich gebracht und hierfür entsprechende (Prognose-)Vorkehrungen getroffen werden.256 Es ist ein eigenes Bilanzkreismanagement erforderlich.257 Dies erhöht den Koordinierungs- und Steuerungsaufwand bei autarken Konzepten. Aber auch bei einer Anbindung an das allgemeine Netz kann die Abhängigkeit von diesem reduziert werden. Bei überörtlichen Störungen kann sich das Inselnetz so beispielsweise vom gestörten allgemeinen Netz abkoppeln und in einen autarken „Inselbetrieb“ übergehen.258 So geschah es beispielsweise während des Hurrikans Sandy in den USA 2012,259 als das allgemeine Netz massive Ausfälle aufwies und sich Microgrid-Strukturen hiervon abkoppelten, um autark die lokale Energieversorgung sicherzustellen. Das Mi254 Vgl.
Schwöbel/Bensberg/Gerth, AKWI 2018, Heft 8, S. 55, 63.
Renewable and Sustainable Energy Reviews 2019, 143, 154; Mengelkamp/Gärttner/Rock/Kessler/ Orsini/Weinhardt, Applied Energy 2018, 870, 873. Vgl. auch Tundal, Utilizing Blockchain Technology for Settlement in a Microgrid, S. 4. 256 Vgl. Federau, Ein Beitrag zur Konzeptionierung eines Leitsystems für steuerbare Microgrids, S. 90. 257 Siehe hierzu insbesondere unten Kapitel 4, C.III.2. 258 Tundal, Utilizing Blockchain Technology for Settlement in a Microgrid, S. 4. 259 Tundal, Utilizing Blockchain Technology for Settlement in a Microgrid, S. 4. 255 Andoni/Robu/Flynn/Abram/Geach/Jenkins/McCallum/Peacock,
130
Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
crogrid kann sich im Ausnahmefall vom allgemeinen Netz trennen, im Regelbetrieb jedoch mit diesem verbunden bleiben, insbesondere um Versorgungsengpässe zu vermeiden. Die lokale Energieversorgung im Microgrid kann parallel zu einer Anbindung an hergebrachte Strukturen für Not- und Bedarfsfälle gewährleistet werden. Smart Contracts können im Microgrid über die Smart Meter Zugriff auf die Daten der einzelnen Akteure erhalten und diese potenziell – und dies ist zentral – direkt und unmittelbar steuern.260 Im Microgrid kann so eine zen trale Einheit den einzelnen Akteur durch die automatisierten Smart Contracts ansteuern. Dies gilt gleichermaßen für die Ein- als auch die Ausspeisungsseite. Beispielsweise könnten so beim Erreichen bestimmter Grenzwerte die Akteure alarmiert261 oder sogar selbst steuernd eingegriffen werden. Dies könnte eine Art Mini-Redispatch sein. Ein flexibles und steuerbares Last- und Einspeisemanagement wird so im Microgrid möglich, da auf diese Weise übergeordnete Netzebenen entlastet werden.262 Der möglichst ortsnahe Verbrauch des Stroms reduziert darüber hinaus die Verluste infolge des Transports.263 In Zukunft könnten – den technischen Fortschritt vorausgesetzt – noch weitere Formen von Microgrids entstehen: So könnte ein Microgrid auch ohne lokale, räumlich enge Zusammenhänge realisiert werden, indem rein virtuell mittels der genutzten Software-Komponenten Akteure an verschiedenen Orten zusammengeschaltet werden. Eine virtuelle Gemeinschaft wäre das Resultat.264 Der entscheidende Vorteil wäre, dass beispielsweise Unterschiede in der Erzeugung, welche auf unterschiedliche Wetterverhältnisse oder geographische Verhältnisse zurückzuführen sind, relativiert werden, wenn man Akteure in verschiedenen Regionen über große räumliche Distanzen zusammenschaltet.265 Dies kann die Erzeugung diversifizieren und so Schwankungen abfedern. 260 Siehe
hierzu oben Kapitel 3.D. Ein Beitrag zur Konzeptionierung eines Leitsystems für steuerbare Microgrids, S. 138 f. 262 Scholtka/Kneuper, IR 2019, 17, 17. 263 Andoni/Robu/Flynn/Abram/Geach/Jenkins/McCallum/Peacock, Renewable and Sustainable Energy Reviews 2019, 143, 154. 264 Vgl. BMWi, Gutachten Digitalisierung der Energiewende, Topthema 2, S. 57. Siehe hierzu auch die SonnenCommunity, eine zentralisierte Bündelung verschiedener Akteure, vor allem Prosumer, in rein virtueller Form, https://sonnen.de/sonnen community/ (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 265 Ein Beispiel könnte hier sein, dass Photovoltaikanlagen im Süden Deutschlands zusammen mit Windkrafträdern im Norden Deutschlands zusammengeschaltet werden und so sonnenarme Phasen durch Windkraft und vice versa kompensiert werden könnten. 261 Federau,
G. Rechtliche Einordnung im Energierecht131
G. Rechtliche Einordnung im Energierecht Der anwendbare (Energie-)Rechtsrahmen wird durch die tatsächlichen Gestaltungsoptionen maßgeblich beeinflusst.
I. Betrieb eines geschlossenen Verteilernetzes im Sinne des § 110 EnWG Nur selten handelt es sich bei den Zusammenschlüssen von Prosumern mittels Smart Contracts um geschlossene Verteilernetze im Sinne des § 110 EnWG. Der Wortlaut des § 110 I EnWG verlangt, dass die Prosumer in ihrem Zusammenschluss ein Netz betreiben müssen. Die Nutzung des allgemeinen Netzes genügt nicht. Die Regelung des § 110 EnWG ersetzt die Regelungen zu den bisherigen Objektnetzen266 und geht zurück auf Art. 28 der Richtlinie 2009/72/EG. Die geschlossenen Verteilernetze stehen nicht jedem Letztverbraucher offen und sind daher nicht Netze der allgemeinen Versorgung.267 Anders als bei den Kundenanlagen sind geschlossene Verteilernetze nicht vollständig von der Regulierung befreit, sondern der Regulierungsumfang wird lediglich reduziert. Das geschlossene Verteilernetz nach § 110 EnWG ist mithin ein Unterfall des Verteilernetzes.268 Ziel ist der Schutz vor unangemessenem Bürokratieaufwand infolge der Regulierungsvorgaben.269 Die Voraussetzung des § 110 II S. 2 EnWG ist bei Prosumeraktivitäten regelmäßig nicht erfüllt. Gemäß der ersten Alternative dürfen keine Letztverbraucher, welche Energie für den Eigenverbrauch im Haushalt kaufen, versorgt werden. Ausnahmsweise dürfen nach der zweiten Alternative geringe Zahlen von derartigen Letztverbrauchern versorgt werden, wenn diese in einem Beschäftigungs- oder vergleichbaren Verhältnis zum Eigentümer oder Betreiber des Netzes stehen. Letztverbraucher, welche Energie für den Eigenverbrauch im Haushalt kaufen, sind dabei solche, welche keiner gewerblichen Tätigkeit mit dem Verbrauch nachgehen.270 Ein solcher Eigenverbrauch liegt bei den Prosumern in aller Regel vor, denn sie beziehen Energie, um (auch) ihren eigenen Bedarf zu decken. Somit sind im Rahmen typischer
in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 110 EnWG Rn. 1. in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 110 EnWG Rn. 18. 268 BT-Drs. 17/6072, S. 94; Schulze Düllo, Kundenanlagen, S. 112. 269 Goetzendorf, Geschlossene Verteilernetze, S. 112. 270 Bourwieg, in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, § 110 EnWG Rn. 48. 266 Schex, 267 Schex,
132
Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
Prosumeraktivitäten oftmals auch reine Letztverbraucher inkludiert. Die Anwendbarkeit der ersten Alternative scheidet aus. Auch die zweite Alternative ist nicht einschlägig. Hierfür müsste es sich erstens um eine geringe Zahl von Haushalts-Letztverbrauchern handeln. Der Begriff der geringen Anzahl bestimmt sich sowohl absolut als auch relativ in Bezug auf das erfasste Gebiet und den dortigen Gesamtverbrauch.271 Das absolute Kriterium ist dabei nach Auffassung der Regulierungsbehörden bis zu einer Anzahl von 20 Haushalts-Letztverbrauchern gegeben.272 Andere stellen mit Blick auf die übliche Anwendung des § 110 EnWG im Rahmen von Werkssiedlungen großer Industrieanlagen auf die typischen Größen solcher Werkssiedlungen ab.273 Das absolute Kriterium könnte bei sehr kleinen Zusammenschlüssen von nur wenigen Prosumern erfüllt sein, wenngleich größere Zusammenschlüsse wegen der stärkeren Rollenaufteilung gewinnbringender wären. Hingegen fordert das relative Kriterium, dass die Anzahl der HaushaltsLetztverbraucher auch im Bezug zur Gesamtgröße und zum Gesamtverbrauch des Geländes gering ist.274 Dieses Merkmal erfüllen die Zusammenschlüsse der Prosumer regelmäßig nicht. So sind die Prosumer und gegebenenfalls anderen Letztverbraucher nicht lediglich ein untergeordneter, verschwindend geringer Teil des Systems, sondern tragen und gestalten es maßgeblich. Anders als bei dem Anschluss einzelner Haushalts-Letztverbraucher innerhalb großer Industrie- und Gewerbeparks275 sind die Zusammenschlüsse der Prosumer dadurch geprägt, dass die Prosumer das Gesamtsystem betreiben. Das relative Kriterium ist nicht gegeben. Bereits hieran scheitert die Anwendbarkeit des § 110 EnWG. Über diese quantitativen Elemente hinaus müsste zweitens ein Beschäftigungsverhältnis oder eine vergleichbare Beziehung zum Eigentümer oder Betreiber des Netzes vorliegen. Ein Beschäftigungsverhältnis ist in Anleh-
271 Jacobshagen/Kachel, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 110 EnWG Rn. 51; Schex, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 110 EnWG Rn. 44; Wolf, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 1, § 110 EnWG Rn. 122. Andere nehmen lediglich auf entweder absolute oder relative Elemente Bezug, so beispielsweise Schulze Düllo, Kundenanlagen, S. 120 f. 272 Regulierungsbehörden der Länder und die Bundesnetzagentur, Gemeinsames Positionspapier der Regulierungsbehörden der Länder und der Bundesnetzagentur zu geschlossenen Verteilernetzen gem. § 110 EnWG vom 23.2.2012, S. 14. 273 Schalle, ZNER 2011, 406, 408. 274 Schex, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 110 EnWG Rn. 44. 275 Diese schweben dem § 110 EnWG vor, vgl. Schalle, ZNER 2011, 406, 408; Schulze Düllo, Kundenanlagen, S. 119.
G. Rechtliche Einordnung im Energierecht133
nung an die Kriterien der §§ 611, 611a BGB und § 7 I SGB IV276 bei einem Bezug zu einem Arbeitsverhältnis anzunehmen.277 Klassisches Beispiel ist der Arbeitnehmer einer Netzbetriebsgesellschaft. Zwar könnten die Prosumer beispielsweise auch noch zusätzlich in einem Anstellungsverhältnis zur Prosumergemeinschaft stehen, beispielsweise, wenn diese Wartungs- oder Konstruktionsarbeiten für die Gemeinschaft vornehmen. Jedoch wären solche Fälle eine deutliche Ausnahme, darüber hinaus wäre der Prosumer dann nicht in seiner Rolle als Prosumer erfasst, sondern vielmehr in seiner parallelen Position als Arbeitnehmer. Auch ordnet § 110 II S. 2 EnWG hier an, dass dieses Beschäftigungsverhältnis für alle angeschlossenen Letztverbraucher gelten muss. Dies ist realitätsfern. Somit verbliebe lediglich die Möglichkeit, dass es sich um eine vergleichbare Beziehung zum Eigentümer oder Betreiber des Netzes handeln könnte. Hierfür ist erforderlich, dass ein starkes Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Parteien besteht.278 Besonders beim gemeinsamen Netzbetrieb durch die Prosumer verbinden sich diese sehr eng und auf eine längere Zeit. Sie investieren im signifikanten Maße, da der Netzbetrieb auf der Basis einer physischen Infrastruktur erforderlich ist. Insbesondere treten sie hierdurch in auch gesellschaftsrechtliche Verflechtungen ein.279 Jedoch ist nach dem Wortlaut des § 110 II S. 2 EnWG erforderlich, dass das Abhängigkeitsverhältnis zu allen (!) angeschlossenen Akteuren bestehen muss. Wenn sich jedoch Letztverbraucher beteiligen, welche nicht derart eng beispielsweise durch massive Investitionen beteiligt sind und gegebenenfalls sogar nur Energie beziehen, gibt es keine solche Abhängigkeitsbeziehung. Diese Beteiligten sind nur durch einfache schuldrechtliche Beziehungen eingebunden. Diese genügen nicht.280 Dass mithin alle Letztverbraucher in einem engen Abhängigkeitsverhältnis stehen, ist bei realitätsgetreuer Betrachtung fernliegend. Dass Zusammenschlüsse von Prosumern den (De-)Regulierungsvorgaben des § 110 EnWG nicht unterfallen, ist auch vor dem gesetzgeberischen Ziel des § 110 EnWG konsequent. Erfasst werden sollten industrielle und ge276 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. November 2009 (BGBl. I S. 3710, 3973; 2011 I S. 363), das zuletzt durch Artikel 13 des Gesetzes vom 10. Dezember 2021 (BGBl. I S. 5162) geändert worden ist (Sozialgesetzbuch IV – SGB IV). 277 Vgl. auch Goetzendorf, Geschlossene Verteilernetze, S. 108; Jacobshagen/Kachel, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 110 EnWG Rn. 52. 278 Jacobshagen/Kachel, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 110 EnWG Rn. 53; Schex, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 110 EnWG Rn. 43. 279 Siehe hierzu unten Kapitel 3, G.IX. 280 Schex, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 110 EnWG Rn. 43.
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Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
werbliche Großbetriebe auf einem begrenzten Territorium,281 wobei der Bezug von Energie für den Eigenverbrauch nur ausnahmsweise möglich sein soll.282 Dies ist bei den Prosumeraktivitäten grundlegend anders. Der Betrieb eines geschlossenen Verteilernetzes scheidet daher regelmäßig aus.
II. Betrieb einer Kundenanlage im Sinne des § 3 Nr. 24a EnWG Umfangreich diskutiert und auch in der Rechtsprechung erörtert283 werden die sogenannten Kundenanlagen nach § 3 Nr. 24a EnWG. Kundenanlagen sind gänzlich von der Regulierung ausgenommen; sie sind die Grenze zum regulierten Netz.284 Die Kundenanlagen sind dabei die Ausnahme, der regulierte Netzbetrieb ist die Regel.285 Bereits hieran und am expliziten Wortlaut zeigt sich, dass Schwerpunkt der Kundenanlage der Netzbetrieb ist.286 Anknüpfend daran werden die Kundenanlagen daher auch als „kleine Netze“287 bezeichnet, welche sich der Regulierung entziehen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass in lokal begrenztem Umfang ein eigenes Netz betrieben wird. Die Prosumer können zwar ein Netz betreiben, dies ist jedoch keine notwendige Voraussetzung, sondern vielmehr eine Option, um die produzierte oder gespeicherte Energie nach außen in ein übergeordnetes Netz einzuspeisen oder innen zu verteilen. Nach § 3 Nr. 18 EnWG führt der Betrieb einer Kundenanlage nicht zur Einstufung als Energieversorgungsunternehmen; beide Begriffe stehen in einem Exklusivitätsverhältnis. Die Kundenanlage ist daher bei systematischer Betrachtung von der Erzeugungsanlage zu unterscheiden.288 Für die Unterscheidung ist danach zu fragen, ob für die betroffenen Netzstrukturen ein Regulierungsbedürfnis besteht.289
281 Vgl. hierzu Bourwieg, in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, § 110 EnWG Rn. 5. 282 Bourwieg, in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, § 110 EnWG Rn. 45. 283 Siehe nur OLG Düsseldorf EnWZ 2018, 371, 371. 284 Burbach, RdE 2019, 56, 57; Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 132. 285 OLG Düsseldorf EnWZ 2018, 371, 371; Burbach, RdE 2019, 56, 56 f. 286 Siehe hierzu Held/Mannsdörfer, REE 2018, 129, 131, 132; Schulze Düllo, Kundenanlagen, S. 42 f. 287 So Held/Mannsdörfer, REE 2018, 129, 129. 288 Siehe Schulze Düllo, Kundenanlagen, S. 54; Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 132. 289 Wolf, EnWZ 2018, 387, 388.
G. Rechtliche Einordnung im Energierecht135
Diese Ausnahme gilt allerdings generell nur in Bezug auf den Netzbetrieb. Sobald daneben noch eine andere Tätigkeit wie beispielsweise die Erzeugung ausgeübt wird, handelt es sich dabei um eine Betätigung als Energieversorgungsunternehmen.290 Die Tatbestandsmerkmale der Kundenanlage nennt § 3 Nr. 24a EnWG abschließend.291 Insbesondere § 3 Nr. 24a lit. d EnWG ist bei Smart-Contractbasierten Prosumeraktivitäten regelmäßig nicht erfüllt. Als erste Voraussetzung fordert § 3 Nr. 24a lit. a EnWG in räumlicher Hinsicht ein zusammengehöriges Gebiet. Dieses muss bei der Betrachtung durch einen Dritten als einheitlich und in Verbindung stehend erscheinen.292 Klassisches Beispiel ist eine Platzierung der Anlage auf einem Grundstück.293 Das Gebiet kann sich jedoch auch über mehrere Grundstücke erstrecken, sofern eine Zusammengehörigkeit durch ein übergreifendes Netzgebilde geschaffen wird.294 Die Eigentumszuordnung der involvierten Flächen ist dabei nicht entscheidend.295 Dieses Kriterium dürfte insbesondere bei Nachbarschaftsmodellen, in welchen sich die Prosumer zusammenschließen, erfüllt sein, insbesondere wenn örtlich sogar ein eigenes Netz aufgebaut wird. Wird eine solche lokale Ausgestaltung gewählt, ist dieses Merkmal des § 3 Nr. 24a lit. a EnWG erfüllt. Die rein virtuelle Zusammenschaltung296 genügt allerdings nicht.297 Die wettbewerbliche Relevanz im Sinne des § 3 Nr. 24a lit. c EnWG wurde von der Bundesnetzagentur bei einem Gesamtverbrauch pro Jahr von 1.133 MWh298 beziehungsweise 1.005 MWh299 bejaht. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Bundesnetzagentur den Strom, welcher selbst erzeugt und verbraucht wird, bei dieser Betrachtung als nicht relevant für den Wettbewerb ansieht.300 Dieses interne Potenzial senkt das wettbewerbliche Potenin: Schulte/Kloos, Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 11 Rn. 84. in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 3 EnWG Rn. 205b. 292 OLG Düsseldorf EnWZ 2018, 371, 371; Held/Mannsdörfer, REE 2018, 129, 132; Schulze Düllo, Kundenanlagen, S. 65. Zu den weiteren Charakteristika und Kriterien siehe auch Held/Mannsdörfer, REE 2018, 129, 132 ff. 293 Schex, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 3 EnWG Rn. 53. Vgl. auch Bundesnetzagentur, Beschluss vom 03.04.2017 – BK6-15-166, S. 11. 294 Schex, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 3 EnWG Rn. 53. 295 Bundesnetzagentur, Beschluss vom 03.04.2017 – BK6-15-166, S. 11; Schulze Düllo, Kundenanlagen, S. 66 m. w. N. 296 Zu dieser Möglichkeit im Rahmen der Prosumeraktivitäten siehe oben Kapitel 3, F. 297 Schex, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 3 EnWG Rn. 53 m. w. N. 298 Bundesnetzagentur, Beschluss vom 03.04.2017 – BK6-15-166. 299 Bundesnetzagentur, Beschluss vom 03.04.2017 – BK6-15-166, S. 17. 300 Bundesnetzagentur, Beschluss vom 07.11.2011– BK6-10-208, S. 12. 290 Kloos,
291 Theobald,
136
Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
zial der Anlage für die Belieferung durch (im Wettbewerb stehende) Dritte, da der externe Bedarf so gesenkt und weniger Energie durch potenzielle Wettbewerber zu beziehen ist.301 Dies zeigt auch, dass die Versorgung diverser Letztverbraucher gegen das Vorliegen einer Kundenanlage spricht.302 Besonders bei kleineren Modellen von Prosumerzusammenschlüssen wird dies eher nicht vorliegen; Schwellen von hunderten oder tausenden Beteiligten dürften – gerade zu Beginn der Prosumeraktivitäten – nicht erreicht werden. Dieses Merkmal steht daher der Vielzahl der Prosumeraktivitäten nicht entgegen. Jedoch wird in § 3 Nr. 24a lit. d EnWG gefordert, dass es jedem Lieferanten ermöglicht werden muss, die angeschlossenen Letztverbraucher zu beliefern. Besonderheit der Kundenanlage ist, dass die Letztverbraucher den Versorger frei wählen können sollen und den (externen) Versorgern ein unentgeltlicher und diskriminierungsfreier Zugang zum Netz gewährleistet werden muss; eine Durchleitung ist zu gestatten.303 Die Unentgeltlichkeit verlangt, dass sowohl keine Durchleitungsentgelte als auch keine verbrauchsabhängigen Entgelte vom Lieferanten oder Letztverbraucher erhoben werden.304 Auch Exklusivitätsvereinbarungen, dass die Letztverbraucher nur durch bestimmte Lieferanten versorgt werden dürfen, sind unzulässig.305 Kern der Prosumertätigkeit soll es jedoch sein, dass die Beteiligten im Rahmen der Energieversorgung tätig werden und die Energie zur Verfügung stellen. Es soll die gegenseitige Energieversorgung im Vordergrund stehen und nicht der Betrieb eines lokalen Netzes, welches dann durch einen Drittlieferanten genutzt werden kann und ihm zur Lieferung offensteht. Der lokale Verbrauch in Kombination mit der „Lieferung“ durch die lokalen Produzenten soll privi legiert werden. Die Anforderung des § 3 Nr. 24a lit. d EnWG würde einen hohen Preiswettbewerb durch die Konkurrenz verschiedener Versorger mit sich bringen,306 insbesondere wenn die „Lokalversorger“ nicht zu derartig günstigen Preisen liefern können wie externe Anbieter. Jedoch könnte es ein Geschäftsmodell sein, dass beispielsweise im Microgrid ein eigenes lokales Netz betrieben und den angeschlossenen Verbrauchern die Wahl gelassen wird, ob sie den lokalen Prosumer-Strom oder den REE 2018, 129, 136. 17/6072, S. 51. 303 Kloos, in: Schulte/Kloos, Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 11 Rn. 74 m. w. N.; Schulze Düllo, Kundenanlagen, S. 57. 304 OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 08.03.2018 – 11 W 40/16 (Kart), juris-Rn. 44 f. 305 Boesche, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 1, § 3 EnWG Rn. 113; Burbach, RdE 2019, 56, 60; Hack, Energie-Contracting, Teil C Rn. 427. 306 Held/Mannsdörfer, REE 2018, 129, 136. 301 Held/Mannsdörfer, 302 BT-Drs.
G. Rechtliche Einordnung im Energierecht137
Strom von externen Lieferanten beziehen. Diesen Lieferanten könnte dann im Sinne des § 3 Nr. 24a EnWG Zugang gewährt werden.307 In diesen Fällen könnte das Kriterium des § 3 Nr. 24a lit. d EnWG gewahrt werden. Der umfassende Wettbewerb zwischen interner und externer Versorgung würde für die Prosumer den oben beschriebenen hohen Konkurrenz- und Preisdruck bringen und ist daher eher fernliegend. Der vorrangige Verbrauch derjenigen Energie, die innerhalb des Verbunds produziert wurde, würde so erschwert.308 Lediglich in Konzepten, in welchen insbesondere auch die Belieferung durch Dritte zugelassen wird, kann somit eine Kundenanlage vorliegen. Sobald der Prosumer – wie regelmäßig – auch im Bereich der Erzeugung abseits des Netzbetriebs tätig wird, handelt er jedenfalls insoweit allerdings nicht im Rahmen des Betriebs einer Kundenanlage. Diese Tätigkeit ist separat zu beurteilen.
III. Prosumer als Energieversorgungsunternehmen nach § 3 Nr. 18 EnWG Die Pflichten des Prosumers werden dadurch beeinflusst, ob er Energieversorgungsunternehmen im Sinne des § 3 Nr. 18 EnWG ist. Hiervon hängt ab, ob die Pflichtenkataloge in §§ 41, 40, 20a, 5 EnWG anwendbar sind. Erforderlich ist, dass der Prosumer eine einschlägige energiewirtschaftliche Tätigkeit ausübt.309 Erfasst sind in § 3 Nr. 18 EnWG der Energielieferant, der Betreiber von Energieversorgungsnetzen und der verfügungsbefugte Eigentümer von Energieversorgungsnetzen. Unter die Energielieferanten im Sinne der Var. 1 fallen nicht nur die Produzenten, sondern auch Speicherbetreiber, welche Energie an andere abgeben, da dies eine Lieferung von Energie an andere ist. Die reine Eigenversorgung und Eigenbedarfsdeckung genügen hingegen nicht, da der Gesetzeswortlaut ein Liefern an andere fordert.310 Allerdings reicht bereits die vertragliche Pflicht, Energie zur Verfügung zu stellen, aus; auf den physischen Liefervorgang kommt es nicht zwingend an.311 307 Zu
dieser Idee siehe Held/Mannsdörfer, REE 2018, 129, 131. zu einem ähnlich gelagerten Sachverhalt der Energieversorgung durch den Betreiber der Netzinfrastruktur mit demselben Ergebnis Wolf, EnWZ 2018, 387, 392. 309 Hellermann, in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, § 3 EnWG Rn. 43. 310 So auch Hellermann, in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, § 3 EnWG Rn. 43; Henning/Herz, Rechtsgutachten „Kleiner Mieterstrom“ und gemeinschaftliche Energieversorgung, S. 12 f.; Schex, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 3 EnWG Rn. 38. 311 Siehe Fietze/Papke/Wimmer/Antoni/Hilpert, Der Rechtsrahmen für regionale Peer to Peer‐Energieplattformen unter Einbindung von Blockchains, S. 20. 308 Vgl.
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Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
Dem folgend erfüllen die Prosumer die Kriterien des § 3 Nr. 18 EnWG: Zwar soll auch eine Eigenversorgung stattfinden, ein großer Teil der Tätigkeit ist jedoch, dass der überschüssig produzierte Strom an andere verkauft und in das Netz eingespeist wird. Hier ist für die Zusammenschlüsse von Prosumern zu beachten, dass an einzelne Teilnehmer individuell als natür liche, gegebenenfalls auch juristische312 Personen geliefert wird und dies kein reiner Binnensachverhalt innerhalb des Zusammenschlusses ist. Die einzelnen Prosumer und der Zusammenschluss selbst sind voneinander zu unterscheiden und getrennt zu betrachten.313 Lediglich beim Eigenverbrauch entfällt die Lieferung an andere im Sinne des § 3 Nr. 18 EnWG. Sobald an andere Akteure geliefert wird, ist § 3 Nr. 18 EnWG erfüllt.314 Somit fällt der Prosumer, dessen Tätigkeit auf die Einspeisung von Energie abzielt, unter die Definition des Energieversorgungsunternehmens. Mit der Versorgung Dritter, mithin auch der „Nachbarn“, geht somit die Stellung als regulatorisch voll eingebundenes Energieversorgungsunternehmen im Sinne des § 3 Nr. 18 EnWG einher.315 Damit ist verbunden, dass die an die Stellung eines Energieversorgungsunternehmens anknüpfenden Pflichten316 auch für die Aktivitäten der Prosumer gelten.
IV. Prosumer als Haushaltskunden nach § 3 Nr. 22 EnWG Die Doppelrolle des Prosumers wirft die Frage auf, ob der Prosumer (weiterhin) Haushaltskunde im Sinne des § 3 Nr. 22 EnWG ist. Rechtsfolge der Haushaltskundeneigenschaft ist ein umfassender Schutz durch die Vorschriften des EnWG insbesondere hinsichtlich der Vertrags- und Rechnungsgestaltung, aber auch die Grundversorgungspflicht auf der Verbrauchsseite. Der Prosumer ist regelmäßig weiterhin Haushaltskunde im Sinne des § 3 Nr. 22 EnWG. 312 Dies könnte der Fall sein, sofern sich beispielsweise eine Gesellschaft ebenso mit ihren Erzeugungsanlagen einbringt oder ein Prosumer eine Gesellschaft beispielsweise aus Gründen der Haftungsbeschränkung gründet. 313 So instruktiv Bundesnetzagentur, Leitfaden zur Eigenversorgung, S. 25. Vgl. zur generellen Trennung verschiedener natürlicher und juristischer Personen in diesem Kontext auch Schex, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 3 EnWG Rn. 39. 314 Mit diesem Ergebnis auch Henning/Herz, Rechtsgutachten „Kleiner Mieterstrom“ und gemeinschaftliche Energieversorgung, S. 12 f. 315 dena, Blockchain in der integrierten Energiewende, S. 206; Overkamp/Schings, EnWZ 2019, 3, 5; Schneidewindt, ER 2013, 53, 60 m. w. N. Mit diesem Ergebnis auch Chatzinerantzis/Bertram, EnWZ 2021, 65, 65; Fietze/Papke/Wimmer/Antoni/ Hilpert, Der Rechtsrahmen für regionale Peer to Peer‐Energieplattformen unter Einbindung von Blockchains, S. 20; Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 126 f. 316 Zu den konkreten Auswirkungen dieser Pflichten siehe unten Kapitel 4.
G. Rechtliche Einordnung im Energierecht139
Dem Wortlaut der Norm nach sind Haushaltskunden jene „Letztverbraucher, die Energie überwiegend für den Eigenverbrauch im Haushalt oder für den einen Jahresverbrauch von 10.000 kWh nicht übersteigenden Eigenverbrauch für berufliche, landwirtschaftliche oder gewerbliche Zwecke kaufen“. § 3 Nr. 22 EnWG greift die Modalitäten und den Umfang des Verbrauchs auf; dies sind die weichenstellenden Kriterien. Versteht man diesen Wortlaut als abschließend für die Voraussetzungen des Haushaltskunden, würde eine daneben tretende Produktion von Energie die Haushaltskundeneigenschaft nicht entfallen lassen. Hierfür spricht die systematische Nähe des Haushaltskunden- zum Letztverbraucherbegriff im Sinne des § 3 Nr. 25 EnWG,317 welcher auf die Verbrauchsaspekte abstellt. Auch hier wird nicht auf die Produktions-, sondern lediglich die Verbrauchsseite Bezug genommen. Der Zweck des Haushaltskundenbegriffs stützt dieses Bild, dass eine auch produzierende Tätigkeit nicht die Haushaltskundeneigenschaft ausschließt: So ist eine Folge der Haushaltskundeneigenschaft, dass die verbraucherschutzrechtlichen Normen des § 41 EnWG angewendet werden318 und Haushaltskunden zu den Grundversorgungsberechtigten im Sinne des § 36 EnWG319 gehören. Diese Normen dienen mithin dem Verbraucherschutz im weiteren Sinne. Sowohl § 36 EnWG als auch § 41 EnWG wahren das besondere Schutzbedürfnis der Haushaltskunden.320 Die Grundversorgungspflicht verfolgt das Ziel, den Haushaltskunden auch im Zustand der „Vertragslosigkeit“ mit der (unter Umständen lebensnotwendigen) Energie zu versorgen und so den Anforderungen der Daseinsvorsorge zu entsprechen.321 Die Pflichten nach § 41 EnWG verschaffen die nötigen Informationen zu den Liefer-, Wechsel- und Vertragsanpassungsbedingungen. § 41 EnWG dient
317 Zur Nähe beider Begriffe siehe Schex, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 3 EnWG Rn. 49. Mit der Charakterisierung des Haushaltskundenbegriffs als Teilbegriff des Letztverbraucherbegriffs siehe Hellermann, in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, § 3 EnWG Rn. 67. 318 Siehe hierzu auch Hellermann, in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, § 3 EnWG Rn. 67. 319 Zu den Besonderheiten der Grundversorgungsberechtigung der Prosumer und den damit zusammenhängenden Folgeproblemen siehe Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 150 ff. 320 Hellermann, in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, § 36 EnWG Rn. 2, § 41 EnWG Rn. 2; Heinlein/Weitenberg, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 41 EnWG Rn. 3; Rasbach, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 36 EnWG Rn. 6. 321 Vgl. auch Wübbels/Praetorius, IR 2009, 122, 123. Zur Energieversorgung als Element der Daseinsvorsorge siehe unten Kapitel 4, C.III.1.
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Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
damit auch dem in § 1 I EnWG genannten Ziel der Verbraucherfreundlichkeit.322 Dieses Schutzbedürfnis besteht bei den Prosumern in gleicher Weise: Der Prosumer wird produzierend und nachfragend tätig, seine Aktivitäten sind dem Umfang nach einem typischen Haushalt vergleichbar. Er ist nicht Großproduzent oder bezieht seinen Hauptanteil der Einnahmen aus diesen Tätigkeiten. Für den Verbraucherschutz ist von untergeordneter Bedeutung, ob neben den Letztverbrauch auch eine Energieproduktion im Sinne der oben näher definierten Prosumeraktivität tritt. Somit bleibt sein daraus resultierendes Schutzbedürfnis bestehen. Der Sinn und Zweck, über die §§ 36, 41 EnWG dem Haushaltskunden ein erhöhtes Niveau an Schutz zukommen zu lassen, greift mithin auch beim Prosumer, sodass auch er dem Haushaltskundenbegriff des § 3 Nr. 22 EnWG unterfällt. Festzuhalten ist selbstverständlich, dass der Prosumer nicht mehr Haushaltskunde ist, wenn er die Grenzen in § 3 Nr. 22 EnWG überschreitet. Dies ist jedoch unabhängig von der Charakterisierung als Prosumer. Der Prosumer ist daher in der Regel Haushaltskunde im Sinne des § 3 Nr. 22 EnWG.
V. Prosumer als gemeinsam handelnde Eigenversorger im Bereich erneuerbare Elektrizität nach Art. 2 Nr. 15 Erneuerbare-Energien-Richtlinie Der Begriff der „gemeinsam handelnden Eigenversorger im Bereich erneuerbare Elektrizität“ im Sinne des Art. 2 Nr. 15 Erneuerbare-Energien-Richt linie erfasst nur geringe Ausschnitte der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten.323 Erforderlich ist, dass die eigenversorgende Tätigkeit in demselben Gebäude oder Mehrfamilienhaus betrieben wird. Eine räumliche Nähe und Begrenzung ist Wesensmerkmal der gemeinsam handelnden Eigenversorger. Zusammenschlüsse der Prosumer sind jedoch nur ausnahmsweise und bei sehr begrenzten Modellen lediglich in einem Gebäude verortet. Wie oben dargelegt basieren die Modelle auf der Kombination verschiedener Beteiligter mit unterschiedlichen Rollen. Diese Beteiligten insbesondere in größerer Zahl innerhalb eines Gebäudes unterzubringen, ist fernliegend. Die Restriktion in Art. 2 Nr. 15 Erneuerbare-Energien-Richtlinie beschränkt die Tätigkeiten vielmehr auf Mieterstrommodelle oder Kooperationen innerhalb von in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 41 EnWG Rn. 1. der Beschränkung dieser Begrifflichkeit auf den Bereich der Erneuerbaren Energien und der fehlenden Beschränkung der Prosumertätigkeiten auf diesen Bereich sei nach oben verwiesen, siehe Kapitel 2, A.III.4. 322 Rasbach,
323 Hinsichtlich
G. Rechtliche Einordnung im Energierecht141
Wohnungseigentümergemeinschaften.324 Die Anzahl der auf diese Art und Weise zusammenzuschließenden Beteiligten ist daher stark limitiert. Naheliegender Anwendungsfall für die „gemeinsam handelnden Eigenversorger im Bereich erneuerbare Elektrizität“ ist so der gemeinschaftliche Betrieb einer Photovoltaikanlage auf dem Dach des gemeinsamen (Wohn-)Hauses.325 Hier steht die Selbstversorgung mit Energie im Vordergrund. Gegenüber dem vollen Spektrum der Prosumeraktivitäten ist dies nur ein geringer Ausschnitt.
VI. Prosumer als Erneuerbare-Energie-Gemeinschaft nach Art. 2 Nr. 16, 22 Erneuerbare-Energien-Richtlinie Die Erneuerbare-Energie-Gemeinschaft erfasst gegenüber den gemeinsam handelnden Eigenversorgern im Sinne des Art. 2 Nr. 15 Erneuerbare-Energien-Richtlinie Tätigkeiten eines größeren Umfangs.326 Die Prosumer sollen mit großen Versorgern auf Augenhöhe konkurrieren können.327 Inhaltlich ist die Tätigkeit dieser Gemeinschaft auf die Erneuerbaren Energien beschränkt, die Prosumeraktivitäten kennen keine derartige Beschränkung.328 Damit es sich um eine Erneuerbare-Energie-Gemeinschaft im Sinne des Art. 2 Nr. 16, 22 Erneuerbare-Energien-Richtlinie handelt, müssten die im Gesetzestext genannten drei Voraussetzungskataloge erfüllt sein. Die Offenheit der Tätigkeit fordert, dass eine Teilnahme durch einen nicht ex ante determinierten Personenkreis möglich ist und kein sachlich nicht gerechtfertigter Ausschluss von Personen vorliegt.329 Die Freiwilligkeit schließt einen Anschluss- und Benutzungszwang aus.330 Diese beiden Merkmale sind nach dem Gedanken der Sharing Economy durch die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten problemfrei umsetzbar und liegen regelmäßig vor. Das Kriterium der Unabhängigkeit fordert eine fehlende (gesellschaftsrechtliche) Einflussnahmemöglichkeit auf den Zusammenschluss. Dieses Merkmal soll dem Missbrauch der Erneuerbare-Energie-Gemeinschaft für 324 Siehe
212.
zu diesen Beispielen auch Vollprecht/Lehnert/Kather, ZUR 2020, 204,
ZUR 2020, 204, 212. Europäische Förderung von kollektiver Eigenversorgung und Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften, S. 9. 327 Erwägungsgrund 71 Erneuerbare-Energien-Richtlinie. 328 Siehe zur Herleitung oben Kapitel 2, A.III.4. 329 Boos, Europäische Förderung von kollektiver Eigenversorgung und Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften, S. 10. 330 Boos, Europäische Förderung von kollektiver Eigenversorgung und Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften, S. 10. 325 Vollprecht/Lehnert/Kather, 326 Boos,
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Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
kommerzielle Interessen vorbeugen.331 Auch dieses Merkmal kann gewährleistet werden, sofern die Prosumer die eigentumsrechtliche Herrschaft über ihre Infrastruktureinrichtungen behalten. Das Merkmal der Ansiedlung im Bereich des Betriebs ist bei Prosumeraktivitäten ebenso keine Begrenzung; die Ortsansässigkeit ist gegeben, sieht man von rein virtuellen Zusammenschlüssen332 ab. Die Beteiligungscharakteristika unter lit. b sind ebenso durch die Prosumer aktivitäten einzuhalten. Problematisch ist hier vor allem, dass es nach lit. c kein Ziel sein darf, vorrangig Gewinne zu erzielen. Es steht mithin ein den Genossenschaften vergleichbarer Zweck im Vordergrund,333 denn auch bei den Genossenschaften steht nicht die Gewinnerzielungsabsicht der Genossenschaft selbst sondern allenfalls ihrer Mitglieder im Fokus.334 Jedoch sind schlichte wirtschaftliche Vorteile für die Mitglieder durchaus zulässig, wie sich aus dem expliziten Wortlaut ergibt. Zu analysieren ist daher, wie die (unzulässige) Gewinnerzielungsabsicht von der (zulässigen) Verfolgung wirtschaftlicher Vorteile abzugrenzen ist. Vorgeschlagen wird, dass zwischen den Gewinnen des Zusammenschlusses als solchem (welche unzulässig sein sollen) und den Vorteilen der einzelnen Beteiligten, beispielsweise hinsichtlich eines günstigen Energiebezugs (welche zulässig sein sollen) zu unterscheiden sei.335 Als anderes Kriterium wird vorgeschlagen, dass lediglich auf die Zielsetzung der Prosumeraktivitäten im Zusammenschluss abzustellen sei und dort die Gewinnerzielung nicht das vornehmliche Ziel, jedoch ein Neben effekt geringeren Umfangs sein dürfe.336 Letzteres überzeugt vor dem genossenschaftlichen Hintergrund. Auch bei den Genossenschaften ist nicht die Gewinnerzielung als solche ausgeschlossen, sondern diese darf nur nicht dem Nutzen für die Mitglieder übergeordnet sein.337 Dies korrespondiert auch mit dem erstgenannten Abgrenzungsansatz, wonach zwischen den Gemeinschaftsgewinnen und den individuellen Vorteilen zu unterscheiden ist. Beide Auffassungen schließen sich argumentativ nicht aus, sondern ergänzen sich.
331 Boos, Europäische Förderung von kollektiver Eigenversorgung und Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften, S. 11. 332 Siehe hierzu oben Kapitel 3, F.IV. 333 Boos, Europäische Förderung von kollektiver Eigenversorgung und Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften, S. 9. 334 Siehe hierzu Geibel, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 1 GenG Rn. 3. 335 Boos, Europäische Förderung von kollektiver Eigenversorgung und Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften, S. 14. 336 Boos, Europäische Förderung von kollektiver Eigenversorgung und Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften, S. 14. 337 Geibel, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 1 GenG Rn. 3.
G. Rechtliche Einordnung im Energierecht143
Bei den Prosumeraktivitäten liegt der Fokus auf der eigenständigen, nachbarlichen, stabilen und effizienten Versorgung mit Energie durch die beteiligten Erzeuger. Die Gewinnerzielungsabsicht der Gemeinschaft selbst steht nicht im Vordergrund, sondern der innergemeinschaftliche Austausch.338 In diesem Umfang läge keinerlei Gewinnerzielungsabsicht vor. Fraglich ist jedoch, ob dieses Merkmal weiterhin erfüllt ist, sobald eine Interaktion nach außen beispielsweise durch den Verkauf überschüssig produzierter Energie an Dritte gegeben ist. Die Gewinnerzielungsabsicht könnte hier bereits vorliegen, sofern eine wirtschaftlich möglichst günstige Verwertung der überschüssig produzierten Energie angestrebt wird. Allerdings steht – in Anlehnung an den Gedanken der Sharing Economy – in der üblichen Ausgestaltung der Zusammenschlüsse der vorrangige interne Verbrauch der Energie und die Nutzung der Infrastruktur im Fokus.339 Eine (unter Umständen für den Zusammenschluss gewinnbringende) wirtschaftliche Tätigkeit nach außen – entweder im Rahmen des Ankaufs oder des Verkaufs – findet nur statt, wenn der interne Bedarf dies erfordert. Die Interaktion mit der Außenwelt ist daher nur nachrangig und bleibt sogar komplett aus, sofern der interne Bedarf dies zulässt. Eine vorrangige wirtschaftliche, mit Gewinnerzielungsabsicht vorgenommene Tätigkeit liegt daher in diesen Fällen nicht vor. Sofern jedoch eine Ausgestaltung gewählt würde, in welcher beispielsweise nicht vorrangig innerhalb des Zusammenschlusses die selbst produzierte Energie verbraucht wird, sondern lediglich ein Handel nach außen stattfindet,340 läge ein reines wirtschaftliches System vor. Dabei stünde die Zielrichtung, wirtschaftlich vorteilhaft am Markt tätig zu werden, im Fokus. In diesen Fällen läge mithin die Haupttätigkeit darin, am Markt Gewinne für den Zusammenschluss und seine Mitglieder zu erzielen. Dies geht deutlich über die schlichten wirtschaftlichen Vorteile der Mitglieder hinaus. Dies stützt auch eine Betrachtung der Grundsätze zu Genossenschaften: Auch dort darf die Gewinnerzielungsabsicht keinen Selbstzweck bilden.341 Die reine Tätigkeit nach außen gefolgt von einer Verteilung der Dividende reicht nicht aus. Es ist notwendig, dass Einrichtungen der Genossenschaft durch die Angehörigen genutzt werden, dies wird als genossenschaftliches Förderprinzip bezeichnet.342 Überträgt man dieses Bild auf die Zusammen338 Siehe
oben Kapitel 3, F. Smart Buildings und neue Stadtteile im digitalen Netz, in: Doleski, Realisierung Utility 4.0, Band 2, S. 611, 619; Komornyik, Microgrids – alte Sache neu aufgesetzt. 340 Dies könnte insbesondere im Rahmen virtueller Kraftwerke der Fall sein. 341 Geibel, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 1 GenG Rn. 3. 342 Siehe hierzu Rock/Eisen, Genossenschaft & Soloselbständigkeit, S. 1. 339 Dürr/Schneider,
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Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
schlüsse der Prosumer wird deutlich, dass die reine Tätigkeit nach außen nicht diesem Gedanken entspricht, da keine Nutzung der Infrastruktur für die eigenen Zwecke, sondern nur zur Gewinnerzielung mittels der Tätigkeit am Markt vorliegt. Zusammenfassend würde in dieser Konstellation das Merkmal des Art. 2 Nr. 16 lit. c Erneuerbare-Energien-Richtlinie nicht erfüllt, in den übrigen Fällen jedoch schon. Somit liegt bei den Zusammenschlüssen der Prosumer regelmäßig keine vorrangige Gewinnerzielungsabsicht vor. Die Tätigkeiten bleiben vielmehr im Rahmen der zulässigen wirtschaftlichen Vorteile. Unter den genannten Voraussetzungen handelt es sich mithin bei den Zusammenschlüssen von Prosumern um Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften im Sinne des Art. 2 Nr. 16 Erneuerbare-Energien-Richtlinie.
VII. Zusammenschlüsse von Prosumern als Bürgerenergiegemeinschaften nach Art. 2 Nr. 11 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie In enger Verbindung zu den Microgrids stehen die Bürgerenergiegemein schaften,343 sodass sich die folgende Darstellung daher insbesondere auf diese bezieht. Inhaltlich stellen die Bürgerenergiegemeinschaften in drei Bereichen Anforderungen auf: Nach Art. 2 Nr. 11 lit. a Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie muss es sich bei den Beteiligten und Anteilseignern um natürliche Personen, Gebietskörperschaften oder Kleinunternehmen handeln. Hier zeigt sich die Parallele zu den Prosumern und dem typischerweise geringen Produktionsumfang, welcher bei diesem Adressatenkreis gegeben ist. Dieses Merkmal können Prosumer erfüllen. Eine zweite Dimension greift die inhaltliche Zielsetzung der Gemeinschaft nach Art. 2 Nr. 11 lit. b Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie auf. Hiernach darf nicht die finanzielle Gewinnrichtung handlungsdominant sein, sondern es müssen vielmehr Umwelt-, Wirtschafts- oder soziale Gemeinschaftsvorteile angestrebt werden. Dies zeigt den genossenschaftsähnlichen Charakter der Bürgerenergiegemeinschaften. Die dritte Dimension erfasst die möglichen Aktivitäten innerhalb der Bürgerenergiegemeinschaft; hier werden – nicht abschließend – die Bereiche Erzeugung, Verteilung, Versorgung, Verbrauch, Aggregierung, Energiespeicherung, Energieeffizienzdienstleistungen oder Ladedienstleistungen für Elektrofahrzeuge genannt. Betont wird in besonderem Maße, dass diese Ak343 Siehe
hierzu Pause, ZUR 2019, 387, 393.
G. Rechtliche Einordnung im Energierecht145
tivitäten für die Mitglieder oder Anteilseigner erbracht werden müssen. Dies greift die Orientierung an Gemeinschaftsvorteilen gemäß Art. 2 Nr. 11 lit. b Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie auf. Vergleicht man Art. 2 Nr. 11 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie mit den Charakteristika eines Microgrid, zeigt sich, dass die Bürgerenergiegemeinschaften oftmals Microgrids sind. Die Inhalte, welche Art. 2 Nr. 11 lit. c Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie nennt, sind die klassischen Aktivitäten innerhalb der Microgrids. Es ist somit – je nach Ausgestaltung – naheliegend, dass die Bürgerenergiegemeinschaft ein solches Microgrid betreibt. Die Zweckanforderungen zeigen allerdings eine deutliche Einschränkung gegenüber den Microgrids. Microgrids sind nicht auf bestimmte Zwecke beschränkt. Hier sei auf die obigen Ausführungen zu den Erneuerbare-EnergieGemeinschaften verwiesen. Diese begrenzten Zwecke können, müssen jedoch nicht durch die Prosumer-Gemeinschaften erfüllt werden. Insbesondere der Vergleich zu den übrigen EU-Rechtsakten und -Kon strukten zeigt, dass hier die Aktivitäten nicht auf den Bereich der Erneuerbaren Energien beschränkt sind. Dies zeigt sich maßgeblich durch die Formulierung „einschließlich aus erneuerbaren Quellen“ in Art. 2 Nr. 11 lit. c Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie. Auch hier ist somit ein Gleichlauf zwischen den Zusammenschlüssen der Prosumer und den Bürgerenergiegemeinschaften gegeben. Vorgesehen ist in Art. 16 I lit. c ferner, dass die Rechte und Pflichten, welche aus der Stellung als Haushaltskunden oder aktive Kunden resultieren, nicht verloren gehen. Dies ist vor dem Hintergrund der fortdauernden Stellung als Verbraucher neben der Erzeugungstätigkeit folgerichtig.344 Das Europäische Recht nennt daher ebenso folgerichtig die Bürgerenergiegemeinschaften als eine mögliche Form eines Microgrids. Das Europäische Recht verpflichtet zunächst dazu, dass der Marktzugang nach Art. 16 III lit. a Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie sicherzustellen ist. Dies adressiert insbesondere jene Rechtsordnungen, in welchen im Bereich der Energieversorgung Monopole oder Verbote existieren. In Deutschland steht es im liberalisierten Energiewirtschaftssystem grundsätzlich jedermann offen, sich energiewirtschaftlich zu betätigen; ein spezielles „Erlauben“ derartiger Bürgerenergiegemeinschaften ist im deutschen Recht nicht erforderlich. Korrespondierend mit dem Gedanken, dass in Microgrids bei isoliertem Betrieb Ein- und Ausspeisung koordiniert werden müssen, liegt nach dem Europäischen Regelungsvorbild des Art. 16 III lit. c Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie die Bilanzkreisverantwortlichkeit bei ihnen. 344 Siehe
hierzu auch die Ausführungen oben unter Kapitel 3, G.IV.
146
Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
Art. 6 III Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie ordnet explizit an, dass die Bürgerenergiegemeinschaften auch Verteilernetze betreiben können sollen; dies betonen ebenso Art. 16 II lit. b sowie Art. 16 IV Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie. Der Netzbetrieb könnte insbesondere wegen der Netzentgelte für die Bürgerenergiegemeinschaft attraktiv sein. Hier zeigt sich erneut die Parallele zu den oben genannten Gestaltungsoptionen hinsichtlich des Netzbetriebs.345 Darüber hinaus wird es den Mitgliedstaaten auferlegt, einen Rechtsrahmen für die Zusammenarbeit von Verteilernetzbetreibern mit den Bürgerenergiegemeinschaften vorzusehen, Art. 16 I lit. d. Die Bürgerenergiegemeinschaften können so Unterstützung für die Umsetzung ihrer Aktivitäten erhalten.
VIII. Smart-Contract-basierte Prosumeraktivitäten und Peer-to-Peer-Geschäfte nach Art. 2 Nr. 18, Art. 21 II Erneuerbare-Energien-Richtlinie Die Peer-to-Peer-Geschäfte, welche Art. 2 Nr. 18, Art. 21 II ErneuerbareEnergien-Richtlinie definiert, sind für die Smart-Contract-basierten Pro sumeraktivitäten zentral. Peer-to-Peer im generellen Wortsinn meint dabei vor allem die Leistung oder Lieferung ohne Einschaltung eines zentralen Akteurs.346 Gemäß Art. 2 Nr. 18 Erneuerbare-Energien-Richtlinie erfasst das Peer-to-Peer-Geschäft „im Bereich erneuerbare Energie den Verkauf erneuerbarer Energie zwischen Marktteilnehmern auf Grundlage eines Vertrags mit vorab festgelegten Bedingungen für die automatische Abwicklung und Abrechnung der Transaktion, die entweder direkt zwischen den Beteiligten oder auf indirektem Wege über einen zertifizierten dritten Marktteilnehmer, beispielsweise einen Aggregator, erfolgt“347. Darüber hinaus bleiben „die Rechte und Pflichten der als Endkunden, Produzenten, Versorger oder Aggregatoren beteiligten Parteien […] vom Recht auf Peer-to-Peer-Geschäfte unberührt“348. Inhaltlich wird der Begriff der Peer-to-Peer-Geschäfte innerhalb der Erneuerbare-Energien-Richtlinie nur an einer Stelle in Art. 21 II lit. a Erneuerbare-Energien-Richtlinie aufgegriffen. Dort wird angeordnet, dass der Energiehandel der Eigenversorger auch mittels Peer-to-Peer-Geschäften erlaubt sein muss. Diese Begriffsbestimmung zeigt, dass das Peer-to-Peer-Geschäft die wesentlichen Kriterien und Charakteristika der Smart Contracts aufgreift: Es 345 Siehe
oben Kapitel 3, E.III. EWeRK 2018, 117, 117 m. w. N. 347 Art. 2 Nr. 18 Erneuerbare-Energien-Richtlinie. 348 Art. 2 Nr. 18 Erneuerbare-Energien-Richtlinie. 346 Buchmüller,
G. Rechtliche Einordnung im Energierecht147
wird zunächst die Automatisierung adressiert. Darüber hinaus greift die Begriffsbestimmung auch die ex ante determinierten Bedingungen für die vorzunehmenden Geschäfte auf und umschreibt zuletzt das Anwendungsfeld dahingehend, dass Abwicklung und Abrechnung des Energiehandels Gegenstand dieser Geschäfte sein können. Auch zeigt sich eine weitere Parallele zu den Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten, da auch Intermediäre für die Durchführung und Abwicklung der Peer-to-Peer-Geschäfte eingebunden werden können, beispielsweise die genannten Aggregatoren. Eine erste Einschränkung zeigt sich jedoch dahingehend gegenüber dem Begriff der Prosumeraktivitäten, dass diese nicht auf Erneuerbare Energien beschränkt sind.349 Ein weiterer bedeutender Unterschied ergibt sich daraus, dass die Peer-toPeer-Geschäfte einen engeren Bezugspunkt aufweisen als die Prosumeraktivitäten im Generellen. So knüpft der Begriff der Peer-to-Peer-Geschäfte an den einzelnen Handelsvorgang einer Menge an Energie an, mithin steht hier das einzelne Geschäft im Vordergrund. Die rahmengebenden Umstände dieses Einzelgeschäfts und der Kontext, in welchem dieses durchgeführt wird, werden hingegen nicht adressiert. Die Prosumeraktivitäten zeichnen sich jedoch dadurch aus, dass über das einzelne Geschäft hinaus in einem übergeordneten Rahmen eine umfassende und weiterreichende Bindung zwischen den Beteiligten im Zusammenschluss besteht.350 Sie bestehen nicht lediglich im Direkthandel, sondern auch in der Vernetzung.351 Diese umfangreicheren Beziehungen gehen über den schlichten (bilateralen) Handel von Energie hinaus. Das Peer-to-Peer-Geschäft ist dabei ein einzelner Aspekt dieser umfassenderen Verbindung und stellt ein Teilelement in Bezug auf den Energiehandel dar. Daneben besteht eine Differenz, da Peer-to-Peer-Geschäfte oftmals so verstanden werden, dass sie das allgemeine Versorgungsnetz nutzen.352 Dies ist insbesondere bei Microgrids nicht immer der Fall, auch hier können sich Abweichungen ergeben. Die Peer-to-Peer-Geschäfte stellen somit einen Ausschnitt möglicher Prosumeraktivitäten auf der Basis von Smart Contracts dar, erfassen jedoch nicht sämtliche Aktivitäten. Der Begriff der Prosumeraktivitäten ist nicht gleichzusetzen mit den Peer-to-Peer-Geschäften im Sinne der Art. 2 Nr. 18, 349 Siehe
hierzu oben Kapitel 2, A.III.2. hierzu insbesondere die Assoziationsmöglichkeiten unter Kapitel 3, F. 351 Siehe etwa Buchmüller, EWeRK 2018, 117, 118 f. 352 Buchmüller, EWeRK 2018, 117, 117. 350 Siehe
148
Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
Art. 21 II Erneuerbare-Energien-Richtlinie. Sie sind vielmehr nur ein Ausschnitt im Bereich des punktuellen Energiehandels.
IX. Gesellschaftsrechtliche Charakterisierung der Zusammenschlüsse von Prosumern mittels Smart Contracts Durch Smart Contracts kann eine Verknüpfung zwischen verschiedenen Beteiligten hergestellt werden. Ein Ziel kann die besonders effiziente Energienutzung353 oder das Anbieten der überschüssig produzierten Energie am Markt sein. Daneben kann auch die gegenseitige, möglichst günstige Energieversorgung ein gemeinsames Ziel sein. Diese Ziele können eine indivi duelle und auch eine gemeinschaftliche Zielrichtung aufweisen. Darüber hinaus unterscheiden sich die Ziele dahingehend, ob sie durch ein rein gemeinschaftsinternes Auftreten oder ein Auftreten auch nach außen gekennzeichnet sind. Dies wirft die Frage auf, wie insbesondere bei einem Auftreten nach außen die Zusammenschlüsse gesellschaftsrechtlich zu charakterisieren sind. Dass sich hier in erster Linie zivilrechtliche und dort insbesondere gesellschaftsrechtliche Fragen stellen, zeigt sich insbesondere daran, dass Erwägungsgrund 46 der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie beispielsweise die Bürger energiegemeinschaften354 als eine neue Art von Rechtspersonen nennt. Dieser Befund verstärkt sich durch die auch genossenschaftsähnlichen Strukturen, welche innerhalb der Richtlinie angesprochen werden.355 Es ist daher zu analysieren, ob und wenn ja welche gesellschaftsrechtlichen Strukturen bei den Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten vorliegen können. Zur Klarstellung sei darauf hingewiesen, dass dieser Aspekt den Zusammenschluss der Prosumer betrifft und nicht die im Rahmen dieses Zusammenschlusses abgewickelten einzelnen Transaktionen. 1. Vorliegen des Rechtsbindungswillens Eine gesellschaftsrechtliche Bindung wird eingegangen, indem mittels Rechtsgeschäfts jedenfalls konkludent ein Gesellschaftsvertrag abgeschlos-
353 Mit
diesem Gedanken Buchleitner/Rabl, ecolex 2017, 4, 8. den Inhalten dieses Terminus und dem Verhältnis zum Prosumer-Begriff siehe oben Kapitel 3, G.VII. 355 Siehe Erwägungsgrund 44 sowie Art. 2 Nr. 11 lit. b Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie. 354 Zu
G. Rechtliche Einordnung im Energierecht149
sen wird.356 Notwendig dafür ist das Vorliegen des Rechtsbindungswillens.357 Regelmäßig liegt ein solcher beim Zusammenschluss einer Mehrzahl von Prosumern vor. Gewichtiges Merkmal für das Vorliegen des Rechtsbindungswillens kann die explizite Kundgabe der Beteiligten sein, eine vertragliche Bindung einzugehen, beispielsweise, indem ein Schriftstück entsprechenden Inhaltes aufgesetzt oder eine sonstige Übereinkunft getroffen wird. Dies könnte im Rahmen eines Registrierungsvorgangs zum Anschluss an die „Prosumer-Gemeinschaft“ beispielsweise bei der Registrierung auf einer Website geschehen.358 Jedoch kann auch ohne explizite Übereinkunft der Rechtsbindungswille vorliegen. Dies ist unter objektiver Würdigung aller Umstände und der Berücksichtigung von Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte festzustellen.359 Es handelt sich insoweit um eine Auslegungsfrage im Sinne der §§ 133, 157 BGB in Bezug auf das Parteiverhalten.360 Maßgeblich ist hierbei, ob sich die andere Partei im Rahmen der Betrachtung wirtschaft licher Interessenlagen auf die Verbindlichkeit der Zusage bei objektiver Betrachtung verlassen durfte.361 Ausgeschlossen ist der Rechtsbindungswille demnach bei Gefälligkeiten des täglichen Lebens oder bei Zusagen im rein gesellschaftlichen Bereich.362 Er kann ausgeschlossen sein, wenn für einen Leistenden ein unverhältnismäßiges Haftungsrisiko besteht.363 Bezogen auf die Prosumeraktivitäten auf der Basis von Smart Contracts zeigt sich zunächst, dass es sich um monetäre Zwecke – die üblicherweise entgeltliche Energieversorgung – handelt. Es liegt keine Tätigkeit im Bereich der Gefälligkeiten, sondern der wirtschaftlichen Sphäre vor. Darüber hinaus 356 Schäfer, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 7, § 705 BGB Rn. 1. 357 Geibel, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online Großkommentar, § 705 BGB Rn. 18. 358 Vgl. zum Vorliegen des Rechtsbindungswillens in diesen Fällen Kreutz, ZUM 2018, 162, 166 f.; Meller-Hannich, Wandel der Verbraucherrollen, S. 68. 359 BGHZ 21, 102, 106 f.; BGHZ 56, 204, 208; BGH NJW 2009, 1141, 1142; BGH NJW 2015, 2880, 2880; Bachmann, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 2, § 241 BGB Rn. 237. 360 Möslein, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online Großkommentar, § 145 BGB Rn. 112 m. w. N. 361 BGHZ 56, 204, 208; Möslein, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online Großkommentar, § 145 BGB Rn. 112. 362 Bachmann, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 2, § 241 BGB Rn. 242 m. w. N.; Geibel, in: Gsell/ Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online Großkommentar, § 705 BGB Rn. 18. 363 Bachmann, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 2, § 241 BGB Rn. 242 m. w. N.
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Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
ermöglichen sich die Prosumer gegenseitig untereinander ein hohes Maß an Einwirkung auf die gegenseitigen Rechtsgüter: Insbesondere bei den Peer-toPeer-Lieferungen bestehen große Schadens- und Haftungsrisiken, sollte die gelieferte Energie mangelbehaftet sein oder die Lieferung ausbleiben. Hier können schon durch geringe Schwankungen in der Frequenz und der Spannung Schäden an der angeschlossenen Infrastruktur auftreten.364 Hierbei handelt es sich auch um gegenseitig bestehende Risiken, sodass nicht für bloß einen Beteiligten ein unverhältnismäßiges Haftungsrisiko begründet würde. Insbesondere bei den Prosumern, welche sich über einen längeren Zeitraum in gewichtigem Umfang miteinander verbinden und in Austausch treten, sind die Kriterien des Rechtsbindungswillens mithin erfüllt. Beim gemeinsamen Netzbetrieb oder dem gemeinsamen Erstellen und Betreiben der Software inklusive der zugehörigen (IT-)Infrastruktur werden daneben auch umfangreiche gemeinschaftliche Investitionen getätigt. Dadurch entsteht eine über Gefälligkeitsverhältnisse hinausgehende Bindung. Daher ist nahezu ausnahmslos vom Rechtsbindungswillen auszugehen, wenn sich Prosumer und ggf. weitere Beteiligte zu einem dauerhaften Verbund zusammenschließen. Diese Grundvoraussetzung der gesellschaftsrechtlichen Regelungen ist somit gegeben. 2. Gemeinsamer Zweck Die beteiligten Akteure müssen darüber hinaus einen gemeinsamen Zweck verfolgen.365 Ein gemeinsamer Zweck liegt vor, wenn ein – rechtlich zulässiges366 – wirtschaftliches oder ideelles Ziel gleichwelcher Art verfolgt wird und die Förderung dessen vom jeweiligen Gesellschaftsvertragspartner verlangt werden kann.367 Es genügt nicht, dass rein parallel individuelle, eigene Zwecke verfolgt werden368 oder Zwecke Dritter gefördert werden, sofern diese nicht auch die Zwecke der Gesellschafter sind.369
364 Siehe hierzu nur die technisch-tatsächlichen Ausführungen in BGHZ 200, 242, 242 ff. sowie unten Kapitel 4, A. 365 OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.06.2019 – 15 U 20/16, juris-Rn. 9; Geibel, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online Großkommentar, § 705 BGB Rn. 3, 123. 366 Hadding/Kießling, in: Soergel, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 705 BGB Rn. 35; Schäfer, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 7, § 705 BGB Rn. 148. 367 Ballerstedt, JuS 1963, 253, 255; Schöne, in: Hau/Poseck, BeckOK BGB, § 705 BGB Rn. 63 f. 368 OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.06.2019 – 15 U 20/16, juris-Rn. 9. 369 Geibel, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online Großkommentar, § 705 BGB Rn. 123.
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Überträgt man diese Maßstäbe auf die möglichen Zusammenschlüsse von Prosumern zeigt sich ein ambivalentes Bild: Wenn die zusammengeschlossenen Prosumer die Energie, welche sie überschüssig produzieren und innerhalb ihres Wirkungskreises nicht selbst verbrauchen, am Markt an externe Dritte veräußern, liegt ein solcher gemeinsamer Zweck vor: Der gemeinsame Zweck besteht darin, dass alle Prosumer ein möglichst rentables und wirtschaftlich effizientes Angebots- und Absatzverhalten am Markt anstreben. Sie sind durch den Anreiz verbunden, die Energie, welche sie überschüssig produziert haben, am Markt abzusetzen. Dieser Zweck ist ein klassischer Erwerbszweck, da innerhalb des Zusammenschlusses selbst hervorgebrachte Güter und Waren an Dritte veräußert werden.370 Das gemeinsame, gleichgerichtete Interesse liegt im möglichst positiven Wirtschaften. Auch der Erwerb von Energie zur Deckung des Bedarfs des Zusammenschlusses auf der Nachfrageseite ist hier einzuordnen. Problematischer ist die Betrachtung hingegen, wenn die Prosumer nicht nach außen auftreten. Dies könnten insbesondere jene Fälle sein, in denen lediglich innerhalb des Zusammenschlusses ein Austausch von Energiemengen stattfindet oder einzelne Beteiligte systemdienliche Handlungen wie Speichertätigkeiten vornehmen. Hier liegt der gemeinsame Zweck nicht auch in einem wirtschaftlichen Tätigwerden nach außen, sondern die gemeinsamen Aktivitäten bleiben in der internen Sphäre. Die Anknüpfung für die Frage nach der gesellschaftsrechtlichen Bindung muss erneut darin liegen, ob ein gemeinsamer Zweck existiert. Die zu beurteilenden Faktoren sind abhängig von der konkreten Ausgestaltung. Legt man ein besonders geringes Niveau der Verbindung und Vernetzung zugrunde, so könnten sich die Geschäftsbeziehungen allein auf den Verkauf von Energie beziehen, jeweils unter Nutzung des allgemeinen Netzes, ohne, dass eine gemeinsame Infrastruktur betrieben wird. Die Interaktionen würden sich im reinen Austausch der Güter erschöpfen, ohne, dass darüber hinaus gemeinsame Handlungen beispielsweise im Rahmen von Netzbetriebstätigkeiten vorgenommen würden. Dieses Szenario wäre nah an reinen Peer-to-Peer-Geschäften, mithin Austauschgeschäften klassischer Art. In diesem Szenario würden mithin keine gemeinsamen Interessen und Zwecke verfolgt. In diesen Konstellationen reiner Austauschgeschäfte ist keine gesellschaftsrechtliche, sondern vielmehr eine schlicht schuldrechtliche Verbindung über den Energielieferungsvertrag anzunehmen. Legt man hingegen ein komplexeres Niveau zugrunde, so zeichnet sich ein davon zu unterscheidendes Bild ab: Dieses komplexere Niveau könnte sich 370 Vgl. zu dieser Tätigkeit als hinreichendem gemeinsamem Zweck etwa die Beispiele bei Stürner, in: Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, § 705 BGB Rn. 11 m. w. N.
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Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
dadurch auszeichnen, dass die Beteiligten über den Handel von Energie in singulären Verträgen hinaus auch gemeinsame Infrastruktur betreiben oder die von einem Beteiligten gehaltene Infrastruktur für ihre Prosumeraktivitäten nutzen. Diese Fälle wären vergleichbar mit den oben genannten Microgrids, in welchen sich die Prosumer zu einer dauerhaften Nutzung der gemeinsamen Infrastruktur zusammenschließen und diese auch abseits von singulären, bilateralen Energielieferungen nutzen. Hier treten zu den einzelnen Energielieferungen das längerfristige Halten, Betreiben und Nutzen der Infrastruktur hinzu. Dieses ist gemeinsamer Zweck im Sinne des Gesellschaftsrechts, insbesondere des § 705 BGB.371 Hierbei handelt es sich nicht um reine Austauschbeziehungen, sondern die Akteure nutzen gemeinsam die Güter zur möglichst effizienten Produktion und Allokation von Energie. Dies geht über eine Austauschbeziehung hinaus; ein gemeinsamer Nutzungsanreiz unabhängig von einem individuellen Austausch ist gegeben. Auch handelt es sich hier nicht um einen Fall, in welchem schlicht ein Vermögensgegenstand von den Beteiligten gemeinsam gehalten und verwaltet wird. Der Fokus liegt auch auf einer möglichst gemeinschaftsdienlichen Verwendung der Güter, so beispielsweise der sinnvollen Allokation von Speichern, der gezielten Steuerung der Akteure und so einer Optimierung innerhalb des Systems insgesamt. Ein positiver Effekt für die Gesamtheit der Akteure steht mithin im Vordergrund, anders als bei rein singulärer Nutzung des gemeinsamen Gegenstandes nur innerhalb des eigenen Interessenkreises. Ferner liegt auch ein deutlich höherer Grad an individueller Vernetzung vor, als wenn lediglich ein Vermögensgegenstand gemeinschaftlich gehalten wird. Die Akteure ermöglichen so die systemweite Steuerung und den systemweiten Zugriff auf die jeweiligen Gegenstände. Dies geht mit einer – digital vermittelten – Vernetzung und einem Austausch einher. Eine solch vernetzte und weitreichende Aktivität geht weit über das reine gemeinsame Halten eines Vermögensgegenstandes hinaus. Dem folgend geht auch die Bundesnetzagentur beim Vorliegen der gemeinsamen Nutzung einer Erzeugungsanlage regelmäßig von einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts aus.372 Dies setzt implizit voraus, dass ein gemeinsamer Zweck verfolgt wird. Zusammenfassend wird somit lediglich auf der geringsten Komplexitätsstufe der Zusammenschlüsse mit rein singulären Handelbeziehungen kein gemeinsamer Zweck verfolgt, sondern es ist nur ein Austauschgeschäft gegeben. In den übrigen Anwendungsfällen höherer Komplexität existiert hingegen ein gemeinsamer Zweck.
371 Geibel, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online Großkommentar, § 705 BGB Rn. 160. 372 Bundesnetzagentur, Leitfaden zur Eigenversorgung, S. 25.
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3. Betrieb eines Handelsgewerbes Aufbauend auf den Rechtsbindungswillen und den gemeinsamen Zweck ist somit das (Personen-)Gesellschaftsrecht anwendbar. In den Grundformen stellt sich hier dann die Abgrenzungsfrage, ob ein Handelsgewerbe betrieben wird. Bejahendenfalls läge damit – sieht man von den Möglichkeiten, etwaige Eintragungen vorzunehmen und so die anwendbare Gesellschaftsform zu beeinflussen ab – eine offene Handelsgesellschaft im Sinne der §§ 105 ff. HGB373 vor. Wäre der Betrieb eines Handelsgewerbes zu verneinen, läge vielmehr eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts im Sinne der §§ 705 ff. BGB vor. Auch hier hängt die Einordnung maßgeblich von den Strukturen, insbesondere aber auch der Größe der Zusammenschlüsse, ab. Der Betrieb eines Handelsgewerbes setzt nach § 1 I, II HGB voraus, dass ein Gewerbebetrieb existiert und dieser kumulativ nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert. Ein Gewerbe liegt vor, sofern eine selbstständige, planmäßige, auf gewisse Dauer angelegte, nach außen gerichtete und nicht freiberufliche Tätigkeit mit Gewinnerzielungsabsicht gegeben ist.374 Die Merkmale der Selbstständigkeit, Planmäßigkeit, Anlage auf Dauer sowie der fehlenden Freiberuflichkeit sind bei den Zusammenschlüssen von Prosumern unproblematisch zu bejahen. Ob es sich um Tätigkeiten mit Sichtbarkeit nach außen und Gewinnerzielungsabsicht handelt, hängt von den jeweiligen Ausgestaltungen und Zielrichtungen der Zusammenschlüsse ab, kann jedoch ebenso unproblematisch erfüllt sein. Jedoch müsste es sich bei dem Gewerbe auch um ein Handelsgewerbe handeln. Dafür ist notwendig, dass es nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert. Die Art knüpft an qualitative Kriterien an, der Umfang an quantitative Kriterien.375 Hierbei ist insbesondere festzuhalten, dass es hier nicht auf die Gewerblichkeit der Handlungen des einzelnen Prosumers ankommt, sondern vielmehr der Anknüpfungspunkt bei der Betätigung des Zusammenschlusses der Prosumer liegt.
373 Handelsgesetzbuch in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 4100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 51 des Gesetzes vom 10. August 2021 (BGBl. I S. 3436) geändert worden ist (Handelsgesetzbuch – HGB). 374 BGHZ 33, 321, 324 f.; Schwartze, in: Häublein/Hoffmann-Theinert, BeckOK HGB, § 1 HGB Rn. 10; vgl. auch BGHZ 63, 32, 33 m. w. N. 375 Kindler, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Handelsgesetzbuch, Band 1, § 1 HGB Rn. 49 f.; Schwartze, in: Häublein/Hoffmann-Theinert, BeckOK HGB, § 1 HGB Rn. 33.
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Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
Die Art des betriebenen Gewerbes stellt auf die Komplexität und Schwierigkeit der jeweiligen Tätigkeit ab.376 Dabei sind auch besonders komplexe Abrechnungssysteme zu berücksichtigen.377 Insbesondere die umfangreichen Verwaltungs- und Anmeldepflichten, welche mit den oben genannten Qualifizierungen insbesondere als Energieversorgungsunternehmen im Sinne des § 3 Nr. 18 EnWG einhergehen, schaffen hier einen erheblichen Aufwand administrativer Art, welcher zu berücksichtigen ist. Je nach Ausgestaltung und Größe des Zusammenschlusses kann zu diesen Pflichten auch ein weiterer Aufwand insbesondere hinsichtlich der Administration von Wartung, Abrechnung etc. treten. Hier kann vor allem ein gewichtiger Aufwand bei der Beschäftigung von Arbeitnehmern, beispielsweise zur technischen Wartung der Infrastruktur, aufkommen. Insbesondere wenn größere Zahlen von Arbeitnehmern beschäftigt werden, führt dies daher oftmals zur Bejahung eines nach der Art erforderlichen kaufmännischen Gewerbebetriebes.378 Auch geht mit einer wachsenden Akteurszahl und -vielfalt innerhalb des Zusammenschlusses der Prosumer ein immer weiter steigender Abwicklungs- und damit auch Buchführungsaufwand einher. Sofern der Zusammenschluss ein gewisses Größen- und Komplexitäts niveau erreicht, kann mithin die Art einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Gewerbebetrieb erforderlich machen, wenngleich dies – insbesondere in der Anfangszeit der Prosumeraktivitäten – selten vorliegen dürfte. Es ist vielmehr zunächst von kleineren lokalen und daher nicht derart administrationsintensiven Zusammenschlüssen auszugehen. Hinsichtlich des Umfangs haben sich Kategorien vor allem orientiert am Umsatz etabliert.379 Orientierungsgröße ist hier nach verbreiteter Auffassung ein Jahresumsatz von 250.000 €.380 Partiell wird die Grenze jedoch in Anlehnung an § 141 I Nr. 1 AO381 bei 600.000 € gezogen.382 Gerade in Nachbarschaftsmodellen sind derartige Umsatzgrenzen nicht unbedingt naheliegend, in: Häublein/Hoffmann-Theinert, BeckOK HGB, § 1 HGB Rn. 34. Hamm DB 1969, 386, 386. 378 Schmidt, in: Münchener Kommentar zum Handelsgesetzbuch, Band 1, § 1 HGB Rn. 72. 379 Schwartze, in: Häublein/Hoffmann-Theinert, BeckOK HGB, § 1 HGB Rn. 35. 380 Kindler, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Handelsgesetzbuch, Band 1, § 1 HGB Rn. 52; Schwartze, in: Häublein/Hoffmann-Theinert, BeckOK HGB, § 1 HGB Rn. 35. 381 Abgabenordnung vom 16. März 1976 in der Fassung der Neubekanntmachung vom 01. Oktober 2002 (BGBl. I S. 3866), die zuletzt durch Artikel 33 des Gesetzes vom 5. Oktober 2021 (BGBl. I S. 4607) geändert worden ist (Abgabenordnung – AO). 382 Vgl. zur Kasuistik Schmidt, in: Münchener Kommentar zum Handelsgesetzbuch, Band 1, § 1 HGB Rn. 74. 376 Schwartze, 377 OLG
G. Rechtliche Einordnung im Energierecht155
jedoch durchaus möglich zu erreichen, vor allem bei Zusammenschlüssen mit dreistelligen Akteurszahlen. Problematisch ist hierbei jedoch, ob bei der Umsatzgrenze auch die innerhalb des Zusammenschlusses getätigten Austauschgeschäfte zu berücksichtigen sind oder nur die jeweils „außen“ am Markt vorgenommenen Geschäfte mit Dritten. Für letzteres spräche, dass reine Binnensachverhalte nicht den „allgemeinen“ Rechtsverkehr betreffen. Andererseits soll die Anknüpfung an die Umsatzgrenze auch das Größenkriterium der Gesellschaft aufgreifen, um tendenziell größere Gesellschaften dem Recht der offenen Handelsgesellschaften zu unterstellen. Für die Größe der Gesellschaft ist es jedoch nicht von Belang, ob die Geschäfte innerhalb der Gesellschaft vorgenommen werden oder durch Interaktion mit der Außenwelt zutage treten. Neben reinen Umsatzaspekten ist auch die Ausstattung mit Umlaufvermögen ein maßgeblicher Aspekt, um die Vollgewerbeeigenschaft im Rahmen des Umfangsmerkmals zu beurteilen.383 Gerade beim Betrieb eines eigenen Transportnetzes oder umfangreicher und kostenintensiver Speichersysteme kann dies ein gewichtiger Faktor sein. Auch dies hängt maßgeblich von der konkreten Ausgestaltung des Zusammenschlusses ab. Abschließend ist festzuhalten, dass jedoch deutliche Interdependenzen zwischen Art und Umfang bestehen, mithin ein Minus eines Merkmals durch ein Plus eines anderen Merkmals aufgewogen werden kann. So ist eine insgesamte Beurteilung auf der Basis der konkreten Ausgestaltung unter Würdigung der jeweils individuellen Charakteristika geboten. Daher ist im Regelfall nicht von einem Erfordernis eines kaufmännisch eingerichteten Betriebes und damit auch nicht vom Vorliegen eines Handelsgewerbes auszugehen, sofern nicht ein besonders gewichtiger und administrationsintensiver Umfang der Tätigkeiten im Zusammenschluss gegeben ist. 4. Gesellschaftsrechtliche Folgen und Gestaltungsmöglichkeiten Somit findet das Gesellschaftsrecht beim Zusammenschluss von Prosumern Anwendung und die gesellschaftsrechtlichen Gestaltungsoptionen sind eröffnet. Treffen die Akteure keine weiterreichende Vereinbarung, so stellt sich der Zusammenschluss als Gesellschaft bürgerlichen Rechts dar. Bei Erreichen eines gewissen Umfangs der Betätigung ist ferner das Vorliegen einer offenen Handelsgesellschaft möglich. Der Beitritt zum Smart-ContractNetzwerk beziehungsweise der Anschluss an eine Nachbarbarschafts-Infrastruktur durch den Prosumer ist daher dann gleichzeitig auch als Gesellschaftsbeitritt zu deuten. Auf diese Art und Weise beteiligt sich der jeweilige 383 Schwartze,
in: Häublein/Hoffmann-Theinert, BeckOK HGB, §1 HGB Rn. 36.
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Kap. 3: Smart Contracts im Kontext der Prosumer
Akteur am System, welches die Grundlage für die jeweilige Gesellschaft bildet. Entscheiden sich die Akteure für eine Eintragung, so könnte auch – insbesondere mit Blick auf die noch näher zu thematisierenden Haftungsrisiken – eine Gesellschaftsform mit beschränkter Haftung gewählt werden, insbesondere die Rechtsform der UG (haftungsbeschränkt) oder der GmbH. Diese Gestaltungsoptionen stehen den Akteuren offen.
Kapitel 4
Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf der Basis von Smart Contracts Ausgehend von den Ausführungen in Kapitel 2 und 3 stellen sich grundlegende Fragen des zivil- und öffentlich-rechtlichen (Regulierungs-)Rechts, wenn sich Prosumer auf der Basis von Smart Contracts im Bereich der Energiewirtschaft betätigen. Müssen Prosumer umfangreiche Rechtspflichten erfüllen, behindert dies die Einrichtung dezentraler und intermediärsloser Strukturen.1 Die umfangreichen Pflichtenstellungen wirken abschreckend und blockieren so die Aktivitäten. Technische, wirtschaftliche und rechtliche Aspekte sind bei der Nutzung von Innovationen in Ausgleich zu bringen.2 Die Diversifizierung der Akteure sowie deren hohe Anzahl stellen die Regulierungsbehörden dabei vor weitere Herausforderungen.3 Ein Handelsbinnenmarkt unter Einbeziehung auch kleinerer Akteure fordert, dass Wettbewerb möglich bleibt und die regulatorischen Hürden keine prohibitive Wirkung entfalten.4 Kleinere Akteure dürfen nicht überfordert werden, um deren Aktivierung nicht im Wege zu stehen;5 auch sie sollen sich am Markt behaupten können. Dies erkennt auch das Europarecht an: Erwägungsgrund 42 der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie nennt bürokratische Erschwernisse als Hindernisse der Aktivierung von Verbrauchern. Es ist daher abseits der schlichten Anwendbarkeit bestimmter Rechtsregeln auch zu fragen, inwieweit der bestehende Rechtsrahmen angesichts der Herausforderungen der Digitalisierung und Dezentralisierung ergänzt, erweitert und angepasst werden muss. Die bestehenden rechtlichen Regelungen erfassen die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten in weiten Bereichen. Sie orientieren sich jedoch 1 Mit besonderem Bezug zur Blockchain siehe Lang/Müller, International Mining and Oil & Gas Law, Development, and Investment 2019, 17B-1, S. 8. 2 Siehe hierzu auch Grundmann/Möslein, ZfPW 2015, 435, 447. 3 Peuckert/Pentzien, Kompromisse des Teilens: Nachhaltige Governance von Peer-to-Peer Sharing Praktiken, S. 25. Vgl. auch Meister, Systemdienstleistungen und Erneuerbare Energien, S. 62. 4 Riewe, Die EFET-Rahmenverträge, S. 154. 5 Buchmüller, EWeRK 2018, 117, 120; siehe auch Schneidewindt, ER 2016, 16, 21.
158 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
an verschiedenen Stellen stark an zentralisierten Strukturen mit wenigen, dafür großen Akteuren und schaffen daher für kleinere, dezentrale Akteure keinen geeigneten Rechtsrahmen. Der Rechtsrahmen muss jedoch nicht grundlegend reformiert werden; überwiegend genügen punktuelle Anpassungen. Diese müssen sich am dezentralen und digitalisierten Charakter der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten mit typischerweise kurzfristigen, nicht auf Vollversorgung über einen längeren Zeitraum angelegten Verträgen orientieren. So können auch die verschiedenen Potenziale optimal genutzt werden. Gewichtige Teile der angesprochenen Themenfelder basieren auf den Analysen realer Experimente und Pilotprojekte in Reallaboren6 oder ersten Erfahrungen existierender Wirtschaftskonzepte. An die dort festgestellten Tat sachen wird aus rechtlicher Perspektive anknüpft und auf diese aufgebaut.
A. Verantwortlichkeit und Haftung Ein erster – stark zivilrechtlich geprägter – Bereich ist jener der Verantwortlichkeit und Haftung bei Energielieferungen und daraus resultierenden Schadensereignissen. Obwohl das Energierecht auch im öffentlichen Regulierungsrecht verortet ist, sind die Verhältnisse im Bereich des Energiewirtschaftsrechts dem Privatrecht zuzuordnen.7 Es handelt sich um schuldrechtliche Verträge.8 Der Energielieferungsvertrag wird nach ganz herrschender Meinung dem Kaufrecht in direkter9 oder analoger10 Anwendung zugeordnet. 6 Ein Reallabor stellt einen Testraum für Innovationen und Regulierung dar und ermöglicht es, unter möglichst realen Bedingungen Erkenntnisse und Erfahrungen verschiedenster – auch rechtlicher – Art hinsichtlich neuartiger, innovativer Geschäftsmodelle und Technologien zu sammeln, vgl. BMWi, Reallabore – Testräume für Innovation und Regulierung. 7 So schon bereits vor der Liberalisierung im Energiesektor der Bundesgerichtshof, siehe BGHZ 89, 226, 230. Siehe auch Bruhn, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 1, § 41 Rn. 6; Scholze, Die Stellung des Energievertragsrechts im Verhältnis zum allgemeinen Zivilrecht, S. 127. 8 Kühling/Rasbach/Busch, Energierecht, S. 222. Auf die Frage, ob auch durch konkludentes Verhalten, namentlich den schlichten Bezug von Energie, ein schuldrechtlicher Vertrag oder vielmehr ein gesetzliches Schuldverhältnis zustande kommt, soll hier nicht eingegangen werden. Zur Problematik siehe Klees, Einführung in das Energiewirtschaftsrecht, Kapitel 4 Rn. 65; Kühling/Rasbach/Busch, Energierecht, S. 221. 9 BGH NJW 1969, 1903, 1905 m. w. N.; BGH NJW 1983, 1777, 1777; OLG Düsseldorf BeckRS 9998, 16204; Pritzsche/Vacha, Energierecht, § 4 Rn. 477; Schöne/ Garbers, in: v. Westphalen/Thüsing, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Stromlieferverträge, Rn. 59 lehnt die Analogie wegen fehlender Regelungslücke durch die Einführung des § 453 I BGB und der Erfassung des „sonstigen Gegenstandes“ ab.
A. Verantwortlichkeit und Haftung159
Auch der Stromeinspeisevertrag in ein öffentliches Versorgungsnetz ist ein Kauf- bzw. kaufähnlicher Vertrag.11 Dies gilt, obschon die Energieversorgung auch der öffentlich-rechtlichen Daseinsvorsorge zuzuordnen ist.12 In der Energiewirtschaft sind spannungs- und ausfallbedingte Schädigungen schon durch geringe technische Defekte oder Bedienfehler möglich, sodass ein besonderes Bedürfnis nach einer klaren Haftung besteht und Haftungsfragen von besonderer Bedeutung sind. Aber auch in allgemein-schuldrechtlichen Situationen wie der Nicht- oder Schlechtleistung oder verzögerten Versorgung mit Energie stellen sich entsprechende Haftungsfragen. Zu fragen ist, ob der geltende Rechtsrahmen die aufkommenden Haftungsund Verantwortlichkeitsfragen regelt und somit ein angemessenes Rechts regime zur Verfügung stellt. Die Analyse zeigt, dass das Haftungsrecht flexibel und technologieoffen auf neuartige Versorgungskonzepte reagiert und so einen adäquaten Haftungsrahmen bereitstellt. Die Parteien können ihre vertraglichen Beziehungen weitestgehend frei gestalten und so das gesetzliche Haftungsrecht modifizieren. Ein Anpassungsbedarf besteht nicht.
I. Problemaufriss Bei Prosumeraktivitäten bestehen Haftungsfragen auf zwei Ebenen: Zu unterscheiden ist die Haftung für fehlerhaft arbeitende Smart Contracts von der Haftung, wenn die physische Infrastruktur im Rahmen der Energieerzeugung und des Energietransportes versagt oder die Beteiligten ihren Pflichten nicht angemessen nachkommen. Ein Schaden kann durch eine Fehlfunktion auf Softwareebene, aber auch ein Versagen auf der physikalischen Einspeise-, Verteil- und Transportebene verursacht werden. Dies ist maßgeblich für die Fragen der Haftung und die zusammenhängenden Regressfragen. Möglich sind beispielsweise Schäden an Verbrauchsgeräten oder der Infrastruktur oder (Gewinn-)Ausfälle bedingt durch ausbleibende oder mangelbehaftete Energielieferungen. Daneben sind Smart Contracts nur automatisierte Ausführungen des zugrundeliegenden Protokolls. Die Haftungsfrage stellt sich daher nicht nur auf der Ebene des einzelnen ausgeführten Vertrags, sondern ebenso auf der 10 Siehe hierzu Westermann, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 4, § 433 BGB Rn. 11. So auch Brahms, Die Integration der Erneuerbaren Energien im Strommarkt, S. 64 f. m. w. N. Ohne endgültige Entscheidung für die konkrete Einordnung Herrmann, RdE 1998, 218, 222; Klees, Einführung in das Energiewirtschaftsrecht, Kapitel 4 Rn. 18. 11 OLG Koblenz NJW 2000, 2031, 2032 m. w. N. 12 Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, S. 28; Kreuter-Kirchhof, ET 2019, 25, 26.
160 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
Ebene des Protokolls, wenn dieses beispielsweise Leistungsstörungen hervorruft. Hierbei handelt es sich regelmäßig um technische Fehlfunktionen.13 Darüber hinaus ist zu analysieren, in welchem Verhältnis die Haftung des „Protokollverantwortlichen“ und die Haftung der Vertragspartner des Einzelvertrags, welchen der Smart Contract herbeiführt, stehen. Bei Prosumeraktivitäten wirkt eine Vielzahl von Beteiligten zusammen: Beteiligt sind die Ersteller der Smart Contracts, mithin die „Programmierer“ des Protokolls, die Betreiber der Netzinfrastruktur und die einspeisenden Prosumer. Daneben können weitere Akteure wie beispielsweise die oben genannten Aggregatoren treten.14 In hergebrachten zentralisierten Systemen mit weniger Beteiligten sind die Haftungspositionen klarer verteilt.15 In dezentralen Systemen ist dies mit Blick auf die Vielzahl der Akteure wesentlich komplexer.16
II. Anwendbare Haftungsregelungen Smart Contracts begründen schuldvertragliche Beziehungen im Sinne des BGB,17 die Rechtsregeln des BGB sind mithin anwendbar. Die Verträge werden zunächst mittels der Smart Contracts abgeschlossen und in der Folge vollzogen. Auf allen Ebenen der Haftung können die Vertragsparteien in den Grenzen des ius dispositivum abweichende individualvertragliche Regelungen treffen. Solche können auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (§§ 305 ff. BGB) niedergelegt werden. Es steht den Parteien im Rahmen der Vertragsgestaltung frei, die Haftungsfragen vertraglich zu regeln und so eine individualisierte Haftungsverteilung und -zuordnung zu begründen.18 Im Rahmen des Haftungsrechts bietet eine große Parteiautonomie Gestaltungsoffenheit.
Information & Communications Technology Law 2017, 116, 131. oben Kapitel 3, F.I. 15 Brisbois, Global Transitions 2020, 16, 16. 16 Siehe hierzu grundlegend Börding/Jülicher/Röttgen/von Schönfeld, CR 2017, 134, 137 f. Siehe auch Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 144 m. w. N. 17 Siehe oben Kapitel 2, B.IV.2. Siehe auch Kipker/Birreck/Niewöhner/Schnorr, MMR 2020, 509, 510 f. 18 Grundmann/Möslein, ZfPW 2015, 435, 445. 13 Savelyev, 14 Siehe
A. Verantwortlichkeit und Haftung161
1. Haftung bei nicht-softwarebasierten Schäden im Bereich der physischen Stromlieferungen Haftungsfragen stellen sich, wenn physikalisch mangelhafter und damit schadensträchtiger Strom geliefert wird. Dieser Haftungsfall ist zu unterscheiden von den Haftungsfragen, welche Fehler und Mängel des SmartContract-Protokolls als Abwicklungsgrundlage betreffen. Die konkrete Ausgestaltung der Prosumeraktivitäten bestimmt auch hier das Haftungsrecht. Die Art des Netz- und Leitungsbetriebs hat großen Einfluss. Strom wählt aufgrund seiner physikalischen Eigenart immer den Weg des geringsten Widerstands. Deswegen handeln die Vertragsparteien bei Stromlieferverträgen nicht konkrete physische Güter, sondern vielmehr Bezugsoder Entnahmerechte für Strom.19 Es liegt keine Direktlieferung des „konkreten“ Stroms des Einspeisenden an den Entnehmenden vor, sondern es wird vielmehr durch alle Einspeisenden ein „Pool“ geschaffen, aus welchem dann der Strom entnommen wird.20 Dies begründet die herausgehobene Stellung der Netzbetreiber in Bezug auf den Ausgleich von Ein- und Ausspeisung sowie die Stromeigenschaften. a) Grundsätze der Haftung und Schadensursachen bei Energielieferungen Vor den einzelnen Anspruchsgrundlagen sind zunächst jene Grundsätze und technischen Schadensursachen bei Energielieferungen zu analysieren, welche für alle Bereiche und Anspruchsgrundlagen gelten. Dies sind konkret die Spannungs- und Frequenzabhängigkeit und die Rolle des § 18 NAV21. aa) Spannungs- und Frequenzabhängigkeit Das Schadens- und damit das Haftungspotenzial der Lieferung elektrischer Energie hängt davon ab, ob die Frequenz und Spannung konstant und stabil gewährleistet werden. Bereits geringe Abweichungen können zu Fehlfunk tionen, Ausfällen und Schäden an den Geräten oder verbundener Infrastruktur führen.22 Bei Erzeugungsanlagen für Erneuerbare Energien kann beispielsDie Systemverantwortung der Netzbetreiber, S. 46. WuW 2001, 1042, 1043. Siehe auch Hampel, Die Zukunft der Tarifkundenversorgung, S. 36. 21 Niederspannungsanschlussverordnung vom 1. November 2006 (BGBl. I S. 2477), die zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 19. Juli 2022 (BGBl. I S. 1214) geändert worden ist (Niederspannungsanschlussverordnung – NAV). 22 Strohmayer/Reetz, Smarte Sektorenkopplung, Digitalisierung und Distributed Ledger Technologien, S. 7; Tschida, Die Systemverantwortung der Netzbetreiber, S. 44. 19 Tschida,
20 Schwintowski,
162 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
weise ein defekter Wechselrichter zu einer Spannungsabweichung führen.23 Auch viele Erzeugungsanlagen sind sehr spannungsempfindlich und schalten sich bei einer Überschreitung der Grenze von 50,2 Hertz ab, wodurch wiederum Versorgungsausfälle entstehen können.24 Frequenz- oder Spannungsschwankungen können die gelieferte Energie daher mangelhaft und schadens trächtig machen.25 Die Besonderheit bei Haftungsfragen in der Energiewirtschaft besteht ferner darin, dass der rein einspeisende Verkäufer von Energie26 nur sehr begrenzt auf die Rechtsgüter und Interessen des Letztverbrauchers einwirken kann, da die Lieferung aus den genannten physikalischen Gegebenheiten durch den Netz- und Leitungsbetrieb vermittelt wird. Im Rahmen des Netzbetriebs werden die wesentlichen Energieeigenschaften der Spannung und Frequenz beeinflusst. Maßgeblich für das Haftungsregime ist daher, ob der Prosumer selbst oder die Prosumergemeinschaft das Netz beziehungsweise die Leitung betreibt oder ob das allgemeine Netz genutzt wird. bb) Rolle des § 18 NAV Das Energierecht begründet eine spezielle Haftungsregelung für die Netzbetreiber. § 18 NAV ordnet eine Beschränkung der Haftung in verschiedenen Dimensionen sowie verschiedene Verschuldensvermutungen an. Konkret wird so die Haftungssumme in § 18 II NAV je nach Anzahl der angeschlossenen Kunden betragsmäßig begrenzt. Ferner wird in § 18 I NAV „1. hinsichtlich eines Vermögensschadens widerleglich vermutet, dass Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorliegt, [und] 2. hinsichtlich der Beschädigung einer Sache widerleglich vermutet, dass Vorsatz oder Fahrlässigkeit vorliegt“. Die Niederspannungsanschlussverordnung stellt zwingendes Recht dar.27 § 18 NAV regelt nur den Modus der Haftung, begründet aber keine eigene Anspruchsgrundlage und verdrängt andere Anspruchsgrundlagen nicht.28 Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 18 NAV29 ist die Anwendbarkeit der Niederspannungsanschlussverordnung. Gemäß § 18 I EnWG in Ver23 BDEW,
Produkthaftung bei übermäßiger Überspannung, S. 7. ZNER 2013, 101, 103. 25 Tschida, Die Systemverantwortung der Netzbetreiber, S. 146 m. w. N. 26 Dies meint, dass nur die Einspeisung, jedoch kein Leitungs- oder Netzbetrieb vom Akteur vorgenommen wird. 27 Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 1 NAV Rn. 21. 28 LG Wuppertal BeckRS 2014, 1876, Rn. 65. 29 Zur speziellen Frage der Anwendbarkeit des § 18 NAV im Rahmen der Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz und zu den korrespondierenden Argumenta 24 Leprich,
A. Verantwortlichkeit und Haftung163
bindung mit § 1 NAV muss es sich dafür um ein Netz der allgemeinen Versorgung nach § 3 Nr. 17 EnWG handeln.30 Übrige Netz- und Leitungsstrukturen sind vom Anwendungsbereich nicht umfasst.31 Diese Haftungserleichterung gilt daher nur im Energieversorgungsnetz der allgemeinen Versorgung, nicht pauschal in der gesamten Energiewirtschaft. Ferner gilt § 18 NAV nur für den Netzbetreiber.32 Für den Anschluss von Erneuerbare-Energien-Anlagen ist darüber hinaus § 1 I 4 NAV zu berücksichtigen. Die Niederspannungsanschlussverordnung gilt nicht für den Netzanschluss von Anlagen zur Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien und aus Grubengas; dies wahrt den Vorrang des Erneuerbare-Energien-Gesetzes.33 Zur Anwendbarkeit des § 18 NAV sind dabei verschiedene Szenarien34 zu unterscheiden: Zunächst kann durch einen oder mehrere Prosumer ein Netz der allgemeinen Versorgung betrieben werden. In diesem Fall kommt § 18 NAV diesen Prosumern als Netzbetreibern zugute. Betreiben die Prosumer hingegen eine Direktleitung im Sinne des § 3 Nr. 12 EnWG, so ist § 18 NAV nicht anwendbar, da es sich nicht um ein Netz handelt. Nutzen die Prosumer für ihre Aktivitäten das von einem Dritten betriebene Netz,35 kommt dem Prosumer selbst § 18 NAV nicht zugute, sondern lediglich dem Netzbetreiber als Drittem. Die Niederspannungsanschlussverordnung ist daher nicht anwendbar, sofern die vom Prosumer betriebenen Netzstrukturen keine Netze allgemeiner Versorgung sind. Zu Beginn der Aktivitäten der Prosumer werden diese regelmäßig kein Netz der allgemeinen Versorgung betreiben.36 Der hohe Aufwand wirkt prohibitiv. Zu erwarten ist vielmehr der Betrieb einer Direktleitung zwischen Prosumern oder aber die Nutzung der bereits bestehenden Netzinfrastruktur. In beiden Fällen ist § 18 NAV nicht anwendbar. § 18 NAV kommt daher nur unter den oben genannten Bedingungen und damit nur im Ausnahmefall im Rahmen der Haftung der Prosumer zur Anwendung. tionsansätzen sei auf die Ausführungen bei BR-Drs. 367/06, S. 60; BGHZ 200, 242, 252; LG Wuppertal, Urteil vom 05.03.2013 – 16 S 15/12, juris-Rn. 32; de Wyl/Rieke, IR 2015, 5, 8; Ehring, ER 2019, 188, 188; Oechsler, NJW 2014, 2080, 2082 verwiesen. 30 Siehe hierzu auch Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 1 NAV Rn. 26. 31 Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 1 NAV Rn. 26. 32 Unberath/Fricke, NJW 2007, 3601, 3604. 33 Siehe hierzu auch Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 1 NAV Rn. 30. 34 Zu den verschiedenen Szenarien siehe oben Kapitel 3, E. 35 Siehe hierzu oben Kapitel 3, E.III. 36 Siehe oben zu den Konzeptionierungsmöglichkeiten Kapitel 3, E.III.
164 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
b) Haftung der Prosumer bei der Nutzung des bestehenden Netzes der allgemeinen Versorgung Den geringsten Konzeptionierungsaufwand für die Prosumer bringt es mit sich, wenn diese das bestehende Netz der allgemeinen Versorgung nutzen. In diesem Fall bestehen Netznutzungsverträge der Prosumer und aller übrigen Erwerbenden mit dem bestehenden Netzbetreiber. Zusätzlich dazu werden die Energielieferungsverträge zwischen den einzelnen Prosumern und den Erwerbern geschlossen. Bei dieser – für die nahe Zukunft naheliegendsten – Konzeptionierung haften die Prosumer regelmäßig nicht für jene Schäden, welche sich aus fehlerhaften Stromlieferungen, insbesondere bei Spannungsund Frequenzabweichungen, ergeben. Hierfür hat vielmehr der Netzbetreiber einzustehen. Unter Umständen verpflichten sich die Prosumer als Lieferanten jedoch im Rahmen eines All-inclusive-Vertrags dazu, auch für Aspekte des Netzbetriebs einzustehen, gewissermaßen ein Gesamtpaket anzubieten.37 Dies liegt im Rahmen der Parteiautonomie. Bei All-inclusive-Verträgen kann sich so eine Zurechnung des Netzbetreiberverhaltens insbesondere auf der vertragsrechtlichen Ebene ergeben. Für Nebenleistungs- und Nebenpflichtverletzungen, welche nicht auf Eigenschaften des konkret gelieferten Stroms zurückzuführen sind, haften die Prosumer hingegen freilich dennoch unabhängig von Fragen des Netzbetriebs selbst. aa) Vertragliche Haftung Die vertragliche Haftung zeigt die Flexibilität des Haftungsrechts hinsichtlich der Gestaltungoptionen für die Parteien und auch hinsichtlich der Tat bestandsmerkmale der vertraglichen Haftungsnormen. Diese erfassen die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten und geben diesen einen individuell modifizierbaren Rechtsrahmen. In inhaltlicher Hinsicht wird deutlich, dass die Haftungsposition stark von der Frage des Netzbetriebs abhängt. Die zentrale Anspruchsgrundlage ist in diesem Kontext § 280 I BGB, entweder allein oder in Verbindung mit den §§ 281–286 BGB sowie den kaufrechtlichen Mängelgewährleistungsrechten in den §§ 434 ff. BGB. Sowohl der Vertrag über die Lieferung von Energie als auch der Netzanschlussvertrag sind Rechtsverhältnisse im Sinne der §§ 241, 311 BGB38 und unterfallen dem schuldrechtlichen Haftungsregime.
37 Siehe hierzu de Wyl, in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, § 12 Rn. 272. 38 Scholze, Die Stellung des Energievertragsrechts im Verhältnis zum allgemeinen Zivilrecht, S. 153.
A. Verantwortlichkeit und Haftung165
(1) Pflichtverletzung des haftenden Schuldners Die Pflichtverletzung zeigt die privatautonomen Gestaltungsmöglichkeiten der Parteien im Haftungsrecht. Individuelle Abreden über den Pflichtenkreis sind möglich. Die Pflichtverletzung bestimmt darüber hinaus den Haftungsverantwortlichen, da der Pflichtenkreis maßgeblich von der individuellen Position im Gesamtgefüge abhängt. Eine Pflichtverletzung liegt bei jedem Verhalten des Schuldners vor, welches nicht mit seinem Pflichtenkreis in Einklang steht.39 Der Pflichtenkreis des Schuldners bestimmt sich maßgeblich nach der Parteivereinbarung.40 Die Parteien können hier umfassend auf die Haftungstatbestände einwirken. Dies betont die starke Ausprägung der Privatautonomie. Die individuellen Anforderungen und Erwartungen sind im Vertrag möglichst präzise festzuhalten, um auch im potenziellen Haftungsfall feststellen zu können, ob gegen eine vertragliche Pflicht verstoßen wurde. Sofern keine explizite Absprache getroffen wurde, muss der Pflichtenkreis anhand der gesetzlichen Vorgaben und der Verkehrserwartung festgestellt werden.41 Eine Pflichtverletzung kann in mangelhaft gelieferter Energie liegen, insbesondere bei nicht vereinbarter Stromfrequenz oder -spannung.42 Daneben begründen auch – anders als nach hier vertretener Auffassung bei der Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz43 – ein Ausfall der Lieferung und auch eine verspätete Lieferung eine Pflichtverletzung. Abseits dessen können auch Defekte an der Leitungsinfrastruktur zu Haftungsfällen führen.44 Da die Haftung voraussetzt, dass gegen eine dem Schuldner (!) obliegende Pflicht verstoßen werden muss, muss bestimmt werden, wem welche Pflicht obliegt und wer eine Pflicht verletzt hat. Dies hängt davon ab, wer welche Aufgabe im Zusammenschluss der Prosumer übernimmt und wer vertraglich für welches Verhalten einzustehen hat. Im hier zugrundeliegenden Szenario des Netzbetriebs durch einen externen Dritten, dessen Netz die Prosumer nutzen, sind diese Rollen klar verteilt. Der Netzbetreiber verantwortet sämt39 Ernst, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 2, § 280 BGB Rn. 18; Lorenz, in: Hau/Poseck, BeckOK BGB, § 280 BGB Rn. 11; Stadler, in: Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, § 280 BGB Rn. 8 m. w. N.; Reiner, in: Schulze, Bürgerliches Gesetzbuch, vor § 275 Rn. 7. 40 Schulze, in: Schulze, Bürgerliches Gesetzbuch, § 241 Rn. 5. 41 Dörner, in: Schulze, Bürgerliches Gesetzbuch, § 157, Rn. 1, 6; Rhiem, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online Großkommentar, § 280 BGB Rn. 13, 17. 42 BGH NJW 1969, 1903, 1905. 43 Siehe zur Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz unten Kapitel 4, A.II.1.b) cc) und Kapitel 4, A.II.1.c)cc). 44 BGH NJW 1969, 1903, 1905.
166 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
liche Fragen des Netzbetriebs, die Rolle des Prosumers beschränkt sich auf die Energieerzeugung und -einspeisung. Spannung und Frequenz steuert der Netzbetreiber durch Umwandlungen und Spannungsanpassungen; hierfür trägt er die Verantwortung.45 Der lediglich Einspeisende ohne Einfluss auf die Leitungsinfrastruktur ist für die Spannung und Frequenz der Energie, die beim Entnehmenden abgeliefert wird, nicht verantwortlich; beides fällt nicht in seinen Pflichtenkreis.46 Zu unterscheiden ist somit zwischen den Verantwortungsbereichen von Lieferant und Netzbetreiber.47 Der Netzbetreiber sorgt für die Erhaltung der vereinbarten Spannung und Frequenz. Er tritt zwischen Lieferant und Entnehmenden und verbindet beide. Konsequenterweise wird der Lieferant beim reinen Energielieferungsvertrag nach § 275 I BGB von der Leistungspflicht frei, sofern das Netz nicht funktionstüchtig ist.48 Auch Spannungsschäden resultieren aus dem nicht ordnungsgemäßen Netzbetrieb; sie sind der Haftungssphäre des Netzbetreibers zuzuordnen.49 Störungen in der Belieferung sind aufgrund der physikalischen Rahmenbedingungen generell Folgen eines gestörten Netzbetriebs.50 Die Haftung trifft daher beim hier zugrundeliegenden externen Netzbetrieb zunächst den Netzbetreiber aus dem Netznutzungsvertrag.51 Eine Erweiterung des Pflichtenkreises des Lieferanten – gepaart mit einer Verschuldenszurechnung nach § 278 BGB – kommt jedoch in Betracht, wenn der abnehmende Kunde einen All-inclusive-Vertrag mit dem Lieferanten schließt. Hier verpflichtet sich der Lieferant, auch für die netzbezogenen Aspekte einzustehen.52 Die Haftung tritt dabei dann neben jene des Netzbetreibers, beide haften parallel.53 Auf diese Weise kann der Pflichtenkreis des Lieferanten erweitert werden. In den Konstellationen des All-inclusive-Vertrags hat somit auch der Prosumer als Lieferant für den Netzbetriebs einzustehen, in übrigen Fällen, in denen unabhängige Verträge des Kunden jeweils mit dem Netzbe45 BDEW, Produkthaftung bei übermäßiger Überspannung, S. 10 f.; de Wyl, in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, § 11 Rn. 272, 276. 46 de Wyl, in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, § 11 Rn. 274. 47 de Wyl, in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, § 11 Rn. 272; Klees, Einführung in das Energiewirtschaftsrecht, Kapitel 4 Rn. 67. 48 Klees, Einführung in das Energiewirtschaftsrecht, Kapitel 4 Rn. 71. 49 Klees, Einführung in das Energiewirtschaftsrecht, Kapitel 4 Rn. 67. 50 BR-Drs. 306/06, S. 28. 51 Kloos, in: Schulte/Kloos, Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 11 Rn. 55. 52 Antoni/Selinger, Bereitstellung von Flexibilität in der Niederspannung, S. 15; de Wyl, in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, § 11 Rn. 272; Unberath/ Fricke, NJW 2007, 3601, 3604. Siehe hierzu auch Hilpert, Rechtliche Bewertung von Power Purchase Agreements (PPAs) mit erneuerbaren Energien, S. 12. 53 de Wyl, in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, § 11 Rn. 272.
A. Verantwortlichkeit und Haftung167
treiber und dem Prosumer als Lieferanten bestehen, scheidet eine direkte Haftung des Prosumers für spannungs-, ausfall- und frequenzbedingte Schädigungen aus. Diese Aspekte fallen nicht in seinen Pflichtenkreis. Daneben existieren jedoch auch im Energielieferungsvertrag zwischen Prosumer und beliefertem Kunden Pflichten, welche nicht mit dem Netzbetrieb zusammenhängen und bei welchen sich die Verantwortlichkeit auch in dezentralen Systemen wie in hergebrachten Systemen deutlich bestimmen lässt. Hierzu gehören Nebenpflichten wie Rücksichtnahme- und Aufklärungspflichten oder auch Pflichten zur Einhaltung von Abrechnungsmodalitäten. Beispiele hierfür sind Geheimhaltungs- und Vertraulichkeitspflichten, vereinbarte Datenschutzpflichten oder auch Vereinbarungen, wann und in welcher Form die gelieferte Energie zu vergüten ist. In diesen Fällen ergeben sich keine Besonderheiten durch die Leitungsgebundenheit der Energielieferungen54, die Pflichtenkreise und Haftungspositionen sind durch die vertragliche Parteistellung festgelegt. Eine weitere Haftungs- und Pflichtenkonstellation ergibt sich durch den Netznutzungsvertrag. Auch hier tritt der Prosumer als Einspeisender in Pflichtenstellungen ein. Diese bestehen dann jedoch gegenüber dem Netzbetreiber. Auch hier kann es zu Pflichtverletzungen und damit zu Haftungsfragen kommen, beispielsweise wenn der Prosumer nicht wie vereinbart einspeist oder die Rechte und Rechtsgüter des Netzbetreibers schädigt. Dies ist jedoch keine Haftung, welche unmittelbar im Energielieferungsvertrag zwischen einspeisendem Prosumer und abnehmendem beliefertem Kunden besteht. Es handelt sich hierbei um ein Verhältnis der Haftung, in welches der belieferte Kunde nicht eingebunden ist. (2) Verschulden Die vertragliche Haftung insbesondere nach den §§ 280 ff. BGB ist eine Verschuldenshaftung; dem Schuldner muss sein Verhalten individuell vorzuwerfen sein.55 Dem Grundsatz des § 276 BGB nach hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. § 280 I 2 BGB schafft – anders als § 823 I BGB – eine Verschuldensvermutung. Dies erleichtert den Beweis der Anspruchsvoraussetzungen deutlich. Das vertragliche Haftungsregime gewinnt an Schlagkraft, denn am Nachweis des Verschuldens scheitern im Energiewirtschaftsrecht samt seiner komplexen Strukturen oftmals die An54 Siehe
hierzu auch Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, S. 14 f. in: Hau/Poseck, BeckOK BGB, § 280 BGB Rn. 31 m. w. N.; Rhiem, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online Großkommentar, § 280 BGB Rn. 174 m. w. N. 55 Lorenz,
168 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
sprüche der Geschädigten,56 so beispielsweise, wenn technisch hoch komplexe Komponenten im Zusammenspiel mit anderen Infrastrukturelementen Schäden aufgrund von Fehlfunktionen hervorrufen oder durch nicht erkennbaren Verschleiß Defekte eintreten.57 In diesen Fällen ist ein individueller Verschuldensvorwurf oftmals nicht nachweisbar. Die vertragliche Haftung weist hier gegenüber der deliktischen Haftung deutliche Vorzüge auf. Auch § 18 NAV – sofern anwendbar – erleichtert den Nachweis der Haftung und macht die Ansprüche schlagkräftiger. Den Parteien steht es daneben – im Rahmen des zwingenden Rechts – frei, die Haftungsmaßstäbe bedürfnisgerecht anzupassen.58 An diesem Merkmal zeigt sich somit erneut die Flexibilität des Haftungsregimes insbesondere auf der vertraglichen Haftungsebene. (3) Schaden Bei Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten ist die vertragliche Haftung nicht auf bestimmte Rechtsgüter beschränkt. Sämtliche Schäden sind nach Maßgabe der §§ 249 ff. BGB vollumfänglich ersatzfähig; der Grundsatz der Naturalrestitution59 bildet die Grundlage für den Ersatz. Schäden insbesondere bei Abweichungen hinsichtlich der Frequenz oder Spannung und im Falle von Nichtlieferungen sind sowohl an den Rechtsgütern des abnehmenden Kunden selbst, wenn beispielsweise durch eine Überspannung ein Verbrauchsgerät beschädigt wird, aber auch durch den Ausfall der Versorgung, so beispielsweise, wenn Kühlsysteme ausfallen und Lebensmittel verder ben,60 möglich. Denkbar sind darüber hinaus auch Gesundheitsschädigungen in der Gestalt von Stromschlägen. Ersetzt wird neben materiellen Schäden auch der entgangene Gewinn nach § 252 BGB. Ein solcher Gewinnausfall könnte dann eintreten, wenn beispielsweise gewerblich genutzte Maschinen und Produktivgüter nicht für gewerbliche und berufliche Tätigkeiten eingesetzt werden können und dadurch der wirtschaftlichen Tätigkeit nicht nachgegangen werden kann. Darüber hinaus kann auch Schmerzensgeld nach § 253 II BGB verlangt werden.
56 Siehe zu den Problemen in diesem Bereich siehe ausführlich Bartsch/vom Wege, EnWZ 2014, 152, 153 f. 57 Siehe hierzu LG Wuppertal BeckRS 2014, 1876. 58 Schaub, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online Großkommentar, § 276 BGB Rn. 135. 59 Flume, in: Hau/Poseck, BeckOK BGB, § 249 BGB Rn. 55. 60 Vgl. etwa BGHZ 41, 123, 126 ff.
A. Verantwortlichkeit und Haftung169
(4) Fazit: Absicherung der Parteien durch das vertragliche Haftungsrecht Das vertragliche Haftungsrecht sichert die Parteien im Falle von Schadensereignissen umfangreich ab. Insbesondere die Verschuldensvermutung erleichtert die Durchsetzung von Ansprüchen. Der Tatbestand der vertrag lichen Haftung in Bezug auf physische Schäden bei Energielieferungen ist auch bei Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten regelmäßig erfüllt. Die Tatbestandsmerkmale der Haftungstatbestände ermöglichen es, auf die Besonderheiten dezentraler, innovativer Versorgungsstrukturen einzugehen, da das Haftungsrecht an die konkreten Handlungen und vertraglichen Risikoübernahmen anknüpft. Die Bezugspunkte werden flexibel festgelegt. Die vertragliche Haftung unterstreicht auch dahingehend die Flexibilität des Haftungsrechts, dass die Parteien umfassend auf die jeweiligen Pflichtenkreise einwirken können. In der zentralen Verantwortung steht dabei der Netzbetreiber. Die Pflichtenkreise und damit die einzelnen Haftungspositionen werden stark durch die konkrete Ausgestaltung der Prosumeraktivitäten beeinflusst. bb) Deliktische Haftung Neben die vertragliche Haftung61 tritt als erster Aspekt der gesetzlichen Haftung die deliktische Haftung. Diese ist als Jedermann-Haftung ausgestaltet, es liegt keine Begrenzung im Sinne einer Relativität der Schuldverhältnisse vor.62 Sie kann allerdings in den Grenzen des dispositiven Rechts ebenso angepasst werden.63 Die deliktische Haftung knüpft an Kriterien an, welche der vertraglichen Haftung vergleichbar sind. Es existiert jedoch keine dem § 280 I 2 BGB vergleichbare Verschuldensvermutung. Dies lässt die Ansprüche oftmals scheitern. Auch ist die Haftung hinsichtlich der erfassten Rechtsgüter beschränkt. Die Zentralnorm der Haftung ist § 823 BGB. Eine Haftung nach § 823 I BGB besteht vor allem bei der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten im Rahmen des Netzbetriebs.64 Sofern zugleich auch ein Schutzgesetz ver61 Zur Anspruchsparallelität siehe Förster, in: Hau/Poseck, BeckOK BGB, § 823 BGB Rn. 1. 62 Zur Natur des Deliktsrechts als „Jedermann-Haftung“ unabhängig vom Bestehen eines Schuldverhältnisses siehe Staudinger, in: Schulze, Bürgerliches Gesetzbuch, vor § 823 Rn. 1; Teichmann, in: Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, Vorbemerkungen vor § 823 Rn. 1; Wagner, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 7, Vorbemerkung vor § 823 BGB Rn. 1. 63 Förster, in: Hau/Poseck, BeckOK BGB, § 823 BGB Rn. 64; Wagner, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 7, Vorbemerkung vor § 823 BGB Rn. 91. 64 Siehe etwa LG Karlsruhe BeckRS 2013, 10817, Rn. 33.
170 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
letzt wird, kommt auch eine Haftung nach § 823 II BGB in Verbindung mit dem entsprechenden Schutzgesetz in Betracht. (1) Haftung nach § 823 I BGB § 823 I BGB begründet einen verschuldensabhängigen Haftungstatbestand; der Kreis der geschützten Güter ist beschränkt. Anknüpfungspunkt ist ein deliktisches Verhalten, welches insbesondere in einer Organisations-, Überwachungs-, Kontroll- oder Aufklärungspflichtverletzung, mithin einer Verkehrssicherungspflichtverletzung, besteht.65 Die Haftung nach § 823 I BGB ist verhaltensbezogen. Da die Haftung nach § 823 I BGB verschuldensabhängig ist und ex lege keine Verschuldensvermutung besteht, ist die Relevanz in der Energiewirtschaft deutlich begrenzt, da der Verschuldensnachweis oftmals nicht zu führen ist.66 Im Rahmen des dispositiven Rechts können allerdings auch vertraglich vereinbarte Modifikationen die deliktische Haftung anpassen oder verändern.67 So verknüpfen sich die beiden Ebenen. Die oben genannten Ausführungen zu den möglichen Parteidispositionen über die Haftung gelten daher entsprechend. Die Prosumer können durch individuelle Abreden so ihre Pflichtenkreise, aber auch den Verschuldensmaßstab beeinflussen. § 823 I BGB fordert die Verletzung eines absoluten Rechts.68 Wegen der explizit benannten Rechtsgüter kann eine solche Verletzung vor allem bei Körperverletzungen durch Stromschläge oder Beschädigungen von angeschlossenen Verbrauchsgeräten vorliegen,69 daneben sind Rechtsgutsverletzungen denkbar, wenn durch einen Stromausfall Beschädigungen an beispielsweise zu kühlenden oder zu heizenden Eigentumsgegenständen auftreten.70 Neben den explizit benannten Rechtsgütern ist vor allem das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb geschützt.71 Dieses ist insbe65 Siehe
hierzu Ehring, EnWZ 2017, 262, 263. hierzu oben Kapitel 4, A.II.1.b)aa)(2). 67 Förster, in: Hau/Poseck, BeckOK BGB, § 823 BGB Rn. 64; Wagner, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 7, Vorbemerkung vor § 823 BGB Rn. 91. 68 Teichmann, in: Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, § 823 BGB Rn. 1; Wagner, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 7, § 823 BGB Rn. 65. 69 de Wyl, in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, § 11 Rn. 278. 70 Siehe hierzu BGHZ 41, 123, 126 ff. 71 Siehe zu diesem Rechtsinstrument nur Spindler, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online Großkommentar, § 823 BGB Rn. 205 ff. m. w. N. Die Besonderheit liegt beim Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb darin, dass 66 Siehe
A. Verantwortlichkeit und Haftung171
sondere dann verletzt, wenn durch schadensträchtige Energielieferungen Produktions- und Wirtschaftsgüter nicht länger genutzt werden können oder sogar beschädigt werden. Abseits dessen wird kein Ersatz für reine Vermögensschäden geleistet.72 Dies grenzt den Haftungstatbestand ein, soweit durch die mangelhafte Energielieferung nicht physische Gegenstände oder Personen beschädigt werden, sondern lediglich Gewinnausfälle oder vergleichbare Einbußen entstehen.73 Der Haftungsumfang ist gegenüber der vertraglichen Haftung deutlich begrenzt. Das schadensträchtige Verhalten kann insbesondere in der Lieferung von Energie liegen, welche durch fehlerhafte Spannung oder Frequenz Personen und Gegenstände beschädigen kann. Im hier zugrundeliegenden Szenario, in welchem das bestehende Netz eines externen Netzbetreibers genutzt wird, wird die schadensträchtige Energie jedoch vom Netzbetreiber noch in ihrer Spannung und Frequenz angepasst und so der Mangel behoben. Es entsteht kein Schaden beim belieferten Kunden. Der Netzbetreiber korrigiert mithin das deliktische Fehlverhalten des einspeisenden Prosumers. Allerdings können hier auch zusätzliche Fehlerquellen entstehen, beispielsweise, wenn die Infrastruktur des Netzbetreibers nicht korrekt funktioniert oder aufgrund maroder Netzstrukturen ein Spannungsabfall oder gar ein Stromausfall entsteht. In diesen Fällen ist dann nach der Haftung des Netzbetreibers zu fragen, da das schadensträchtige Verhalten in der Sphäre des Netzbetreibers liegt. Die Infrastruktur hat der Netzbetreiber zu warten und zu überwachen.74 Vergleichbar zur vertraglichen Haftung ist mithin der Netzbetreiber auch im Rahmen der deliktischen Haftung der zentrale Haftende. Der rein einspeisende Prosumer kann jedoch unter Umständen durch fehlerhafte Einspeisungen beispielsweise aufgrund zu hoher Spannung auch die Netzstrukturen des Netzbetreibers beschädigen. In diesem Fall kann sich eine deliktische Haftung – neben der Haftung aus dem Netznutzungsvertrag – im Verhältnis zwischen einspeisendem Prosumer und Netzbetreiber ergeben. Dieses Haftungsverhältnis ist jedoch unabhängig von der Haftung gegenüber dem abnehmenden Kunden. Abseits dessen begrenzt das Verschuldenserfordernis im Rahmen des § 823 I BGB die Haftung. Das Verschulden ist – abseits der punktuellen
die
Schädigung unmittelbar und betriebsbezogen sein muss. Dies begrenzt die Haftung deutlich, vgl. Teichmann, in: Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, § 823 BGB Rn. 98. 72 Förster, in: Hau/Poseck, BeckOK BGB, § 823 BGB Rn. 3 m. w. N. 73 Vgl. Förster, in: Hau/Poseck, BeckOK BGB, § 823 BGB Rn. 3. 74 Ehring, EnWZ 2017, 262, 263.
172 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
Regeln über eine Beweislastumkehr75 – positiv nachzuweisen.76 Dies erweist sich vor dem Hintergrund der starken Technik- und Infrastrukturabhängigkeit der Energieversorgung als problematisch.77 Deliktische Ansprüche scheitern oftmals am Verschuldensnachweis des § 823 I BGB. Auch hier sind im Rahmen der Privatautonomie in den Grenzen des zwingenden Rechts aber Haftungsmodifikationen möglich. Auch bei der Haftung nach § 823 I BGB zeigt sich mithin der besondere Bezug zum Netzbetrieb und Energietransport. Das schädigende Verhalten und damit die Haftung wird maßgeblich durch die konkret vorgenommenen Handlungen und Umgestaltungsvorgänge der einzelnen Akteure bestimmt. Daneben ist das Verschuldenserfordernis ein hemmender Faktor bei der Jedermannhaftung nach § 823 I BGB. (2) Haftung nach § 823 II BGB Die Haftung nach § 823 II BGB weicht in einem entscheidenden Punkt von der Haftung nach § 823 I BGB ab, da notwendig ist, dass ein Schutzgesetz verletzt wird. Aus diesem Grund ist eine Verletzung eines absoluten Rechts nicht erforderlich; ein reiner Vermögensschaden kann genügen.78 Ein solches Schutzgesetz kann sowohl dem Energierecht als auch sämtlichen anderen Rechtsbereichen entspringen, so insbesondere auch dem Strafrecht wie beispielsweise § 229 StGB79 im Fall von Körperverletzungen durch schadensträchtige Energielieferungen. Dies schließt jene Lücken, welche sich im Rahmen der Haftung nach § 823 I BGB ergeben,80 sofern ein entsprechendes Schutzgesetz vorliegt. Auf diese Art und Weise greifen die Anspruchsgrundlagen des § 823 I BGB und des § 823 II BGB ineinander und ergänzen sich. Allerdings ist auch hier ein Verschulden erforderlich; die Reichweite des Haftungstatbestandes ist dadurch deutlich eingegrenzt.
75 Spindler, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online Großkommentar, § 823 BGB Rn. 728 ff. 76 Spindler, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online Großkommentar, § 823 BGB Rn. 728; Teichmann, in: Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, § 823 BGB Rn. 63. 77 Siehe hierzu oben Kapitel 4, A.II.1.b)aa)(2). 78 Spindler, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online Großkommentar, § 823 BGB Rn. 257; Teichmann, in: Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, § 823 BGB Rn. 41. 79 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 22. November 2021 (BGBl. I S. 3544) geändert worden ist (Strafgesetzbuch – StGB). 80 Siehe hierzu oben Kapitel 4, A.II.1.b)bb)(1).
A. Verantwortlichkeit und Haftung173
cc) Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz Parallel zu den zuvor erörterten Anspruchsgrundlagen81 haftet der Prosumer auch nach § 1 I ProdHaftG82 nicht für spannungs- und frequenzbedingte Schäden, sofern er an das allgemeine Netz angeschlossen ist und nicht selbst ein Netz betreibt.83 Auch hier hängt die Haftung von der Ausgestaltung des Netz- und Leitungsbetriebs ab, da diese die Herstellereigenschaft im Sinne des Produkthaftungsrechts maßgeblich beeinflusst. Besonderes Charakteristikum dieses Haftungstatbestands ist die Verschuldensunabhängigkeit. Auch aus diesem Grund fand die Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz im Falle schadensträchtiger Energielieferungen in der Vergangenheit größere Beachtung, da oftmals der von anderen Haftungsnormen geforderte Verschuldensnachweis wegen der technisch hoch anspruchsvollen und komplexen Energielieferungen nicht erbracht werden konnte.84 Anders als bei der vertraglichen und deliktischen Haftung können die Parteien die Produkthaftung gemäß § 14 ProdHaftG nicht abbedingen. Dies ist ein gewichtiger Unterschied zu den zuvor betrachteten Haftungsnormen. Anknüpfungspunkt der Haftung nach § 1 I ProdHaftG ist nicht ein individuell vorwerfbares Fehlverhalten, sondern ein Fehler eines Produktes. Haftungsschuldner ist der Hersteller beziehungsweise eine ihm gleichgestellter Beteiligter wie beispielsweise der Importeur. Hersteller ist im hier zugrundeliegenden Szenario nicht der einspeisende Prosumer, sondern der Netzbetreiber. Nach dem Wortlaut des § 2 ProdHaftG handelt es sich bei Elektrizität um ein Produkt im Sinne des Produkthaftungsgesetzes. Der Tatbestand des § 1 I ProdHaftG kann auch im Rahmen von Energielieferungen erfüllt werden. Der Herstellerbegriff bestimmt dabei den Haftenden. Dieser ist im hier zugrundeliegenden Szenario des externen Netzbetriebs der Netzbetreiber. Gemäß § 4 I ProdHaftG ist ein „Hersteller im Sinne dieses Gesetzes (…), wer das Endprodukt, einen Grundstoff oder ein Teilprodukt hergestellt hat. Als Hersteller gilt auch jeder, der sich durch das Anbringen seines Namens, seiner Marke oder eines anderen unterscheidungskräftigen Kennzeichens als Hersteller ausgibt“. § 4 II ProdHaftG stellt den Importeur in den Europäi81 Zur
Anspruchsparallelität siehe Ehring, ER 2019, 188, 188. über die Haftung für fehlerhafte Produkte vom 15. Dezember 1989 (BGBl. I S. 2198), das zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2421) geändert worden ist (Produkthaftungsgesetz – ProdHaftG). 83 Hack, Energie-Contracting, Teil C Rn. 292 f. Zu ähnlich gelagerten, hier wegen des reinen Netzbezuges jedoch ausgeklammerten Ansprüchen aus Gefährdungshaftung im Netzbetriebsbereich siehe Bartsch/vom Wege, EnWZ 2014, 152, 154 84 Siehe hierzu oben Kapitel 4, A.II.1.b)aa)(2) und Kapitel 4, A.II.1.b)bb). 82 Gesetz
174 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
schen Wirtschaftsraum dem Hersteller gleich. Die Herstellereigenschaft ist – anders als bei körperlichen Produkten – bei Energie nicht eindeutig. Bei Energielieferungen könnte einerseits auf die Energieerzeugung oder andererseits auf die Einwirkung auf die Energie bei der Konvertierung und Transformation abgestellt werden. Dabei ist der Herstellerbegriff auch vor dem europarechtlichen Hintergrund der Richtlinie 85/374/EWG85 zu bestimmen. Das gesetzgeberische Ziel ist der Verbraucherschutz.86 Der Herstellerbegriff orientiert sich daher daran, dass primär derjenige haften soll, der Einwirkungsmöglichkeiten auf die Beschaffenheit des Produkts hat.87 Aus diesem Grund sollen die Personen haften, welche am Produktionsprozess beteiligt waren und einen Beitrag zur Fehlerhaftigkeit des Produkts leisteten.88 Maßgeblich für die Produkthaftung ist daher ein weiter Herstellerbegriff,89 der auf die individuellen Einwirkungsmöglichkeiten hinsichtlich der Fehlerhaftigkeit abstellt. In der Energiewirtschaft hängt daher die Herstellereigenschaft von den Einwirkungsmöglichkeiten auf die Energieeigenschaften ab. Die konkrete Spannung der Elektrizität beeinflusst im hergebrachten, zentralisierten Energieversorgungssystem der Netzbetreiber.90 Er hat jene Strukturen unter seiner Kontrolle, welche für die Lieferung der Energie maßgeblich und somit im Falle von Fehlfunktionen auch dahingehend schadensträchtig sind, dass sie angeschlossene Verbrauchsgeräte sowie Personen und Sachen beschädigen können. Hersteller ist daher bei einer Transformation der Energie auf verschiedenen Spannungsebenen derjenige, der die Energie transformiert.91 Der Verteilernetzbetreiber, welcher den Strom vor der Weiterleitung auf die Niederspannungsebene transformiert, haftet daher nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei übermäßigen Frequenz- oder Spannungsschwankungen nach dem ProdHaftG verschuldensunabhängig.92 Der Netzbetreiber ist damit Hersteller und Verantwortlicher im Sinne des Produkthaftungsgesetzes. 85 Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. 210/29 (Richtlinie 85/374/EWG). 86 BGHZ 200, 242, 247. 87 BGHZ 200, 242, 247. Siehe auch Ehring, ER 2019, 188, 191. 88 Erwägungsgrund 4 der Richtlinie 85/374/EWG; BGHZ 200, 242, 247 f. Vgl. auch EuGH EuZW 2012, 147, 147. 89 Unberath/Fricke, NJW 2007, 3601, 3605. 90 Vgl. Bartsch/vom Wege, EnWZ 2014, 152, 153, 155; BDEW, Produkthaftung bei übermäßiger Überspannung, S. 10 f. 91 BGHZ 200, 242, 242, 249; Unberath/Fricke, NJW 2007, 3601, 3605. Siehe auch Ehring, ER 2019, 188, 191. 92 BGHZ 200, 242, 242, 245 f. m. w. N.; Schäfer-Stradowsky/Timmermann, EnWZ 2018, 199, 205.
A. Verantwortlichkeit und Haftung175
Dies ist konsequent mit Blick auf die oben im Rahmen der vertraglichen Haftung bestimmten Pflichtenkreise. Der reine Produzent von Energie haftet in diesen Konstellationen nicht nach dem ProdHaftG.93 Damit scheitert in dieser Konstellation des externen Netzbetriebs bereits an diesem Merkmal die Haftung des Prosumers.94 c) Haftung der Prosumer beim eigenen Betrieb eines Netzes Den zuvor genannten Haftungskonstellationen lag die Nutzung der bestehenden Netzstrukturen mit einem externen Netzbetreiber zugrunde. Sofern die Prosumer jedoch ein eigenes Netz für ihre Aktivitäten betreiben, entfällt der Netzbetreiber als externer Dritter. Die Haftung trifft somit die netzbetreibenden Prosumer. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass nicht zwingend der liefernde Prosumer der Netzbetreiber sein muss, sondern auch entweder ein weiterer Prosumer oder auch ein Verbund von Prosumern das Netz betreiben kann. Die obigen Ausführungen gelten mithin dahingehend, dass der oder die Prosumer zusätzlich das Netz betreiben und in jene Haftungspositionen eintreten, welche im oben genannten System den Netzbetreiber treffen. Die Privilegierung des § 18 NAV kann hier den netzbetreibenden Prosumern zugutekommen. aa) Vertragliche Haftung Betreiben die Prosumer ein eigenes Netz, sind die netzbetreibenden Prosumer auf der vertraglichen Ebene die Netzbetreiber. Die oben genannten Aspekte der Haftung von Netzbetreibern gelten dann für die Prosumer gleichermaßen, da sie die Netzbetreiber sind. Diese Haftung der netzbetreibenden Prosumer ist dann – anders als im obigen Fall – unabhängig von der Frage, ob ein All-inclusive-Vertrag vorliegt. Freilich kann auch ein solcher geschlossen werden, wenn durch Prosumer das Netz betrieben wird: Dies wären dann derartige Fälle, in denen das Netz durch andere Prosumer betrieben wird, als durch welche die Energielieferung vorgenommen wird. Hier zeigt sich die mögliche Divergenz zwischen dem liefernden Prosumer als Vertragspartner des individuellen Energielieferungsvertrags und dem netzbetreibenden Prosumer oder Prosumerverbund. Es muss sich nicht um identische Akteure handeln; auch hier kann das Netz durch andere Prosumer betrieben Wyl, in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, § 11 Rn. 276. systematischen Gründen werden die weiteren Merkmale der Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz im Rahmen des Netzbetriebs durch die Prosumer selbst erörtert, nur dort kann der Haftungstatbestand durch Prosumer erfüllt werden. 93 de
94 Aus
176 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
werden als durch den Prosumer, der sich zur Energielieferung verpflichtete. Die Haftungsverhältnisse orientieren sich – wie beim externen Netzbetrieb – an den jeweiligen Pflichtenstellungen, welche aus den geschlossenen Verträgen erwachsen. bb) Deliktische Haftung Auch auf der Ebene der deliktischen Haftung verschiebt sich die Haftung auf die Prosumer, sofern das Netz durch diese betrieben wird. Die netzbetreibenden Prosumer haben Einfluss auf die Parameter der gelieferten Energie und determinieren damit die möglicherweise schadensträchtigen Faktoren. Sie sind somit die Haftungsverantwortlichen auch im Rahmen der deliktischen Haftung. Die Ausführungen zur Haftung des Netzbetreibers gelten somit dahingehend entsprechend, dass die netzbetreibenden Prosumer in die Haftungsposition des Netzbetreibers eintreten. cc) ProdHaftG Wie oben dargelegt95 ist für die Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz insbesondere maßgeblich, wer Einfluss auf die Stromeigenschaften hat. Hiervon hängt die Herstellereigenschaft ab. Im hier zugrundeliegenden Fall, dass Prosumer das Netz selbst betreiben, haben die Prosumer dann konsequenterweise den Einfluss auf die Stromeigenschaften und werden so zum Hersteller. Dieses Merkmal ist mithin in dieser Konstellation des Netzbetriebs durch die Prosumer gegeben, hieran scheitert die Haftung anders als im obigen Falle nicht. Auch die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 I ProdHaftG sind gegeben. Zentrales weiteres Tatbestandsmerkmal ist der Produktfehler. Ein Produktfehler liegt dabei nach § 3 ProdHaftG vor, sofern das Produkt „nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere a) seiner Darbietung, b) des Gebrauchs, mit dem billigerweise gerechnet werden kann, c) des Zeitpunkts, in dem es in den Verkehr gebracht wurde, berechtigterweise erwartet werden kann“. Es ist darauf abzustellen, ob das Produkt diejenige Sicherheit aufweist, welche nach der objektiven Verkehrserwartung für erforderlich gehalten 95 Siehe
oben Kapitel 4, A.II.1.b)cc).
A. Verantwortlichkeit und Haftung177
wird.96 Ein objektiver Maßstab wird zugrunde gelegt, nicht wie im vertrag lichen (Sach-)Mangelrecht ein subjektiver Maßstab.97 In Anlehnung an § 16 III NAV besteht ein Fehler bei Energielieferungen dann, wenn nicht unerhebliche Spannungs- oder Frequenzschwankungen oder -abweichungen vorliegen.98 Dies gilt insbesondere dann, wenn sie zu Überspannungsschäden führen können, mit welchen der Verkehr nicht rechnen muss.99 Der schadensfreie Betrieb von herkömmlichen Verbrauchsgeräten muss möglich sein.100 Im Fall einer Versorgungsunterbrechung handelt es sich nach überwiegender Auffassung allerdings nicht um einen Produktfehler, da das Produkt hier ausbleibe.101 Demnach könne in diesen Fällen auch kein Produktfehler vorliegen. Die Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz komme nur in Betracht, wenn zwar grundsätzlich Strom geliefert wird, dieser jedoch nicht die gebotene Qualität aufweist, mithin eine Abweichung im Bereich der Spannung oder Frequenz vorliegt. Nach anderer Auffassung vermag dies nicht zu überzeugen, da der Ausfall der Versorgung dieselben Ursachen und Konsequenzen haben könne wie beispielsweise eine Überspannung und beide Fälle daher gleich behandelt werden müssten.102 Es mache keinen Unterschied, ob bloß die Spannung oder Frequenz fehlerhaft ist oder die Versorgung in Gänze ausfällt, mithin hinsichtlich beider Maßeinheiten auf null abfällt. Das Produkt allerdings ist die Elektrizität als solche. Dieses existiert nicht bei einem gänzlichen Ausfall. Mithin besteht hier eine Grenze des Wortlauts, dass ein nicht existentes Produkt nicht genügen kann. Bei ausgebliebener Energie wird kein Produkt geliefert, welches fehlerhaft sein könnte. Der Fehler wäre die Nichtlieferung, diese haftet jedoch nicht dem Produkt an. Eine Schädigung durch Nichtleistung begründet deshalb keine Haftung nach dem ProdHaftG. Gemäß § 1 II Nr. 2 ProdHaftG besteht die Ersatzpflicht erst, wenn der Hersteller das Produkt in den Verkehr gebracht hat. Energie wird nicht be96 BGHZ 200, 242, 244 m. w. N.; Unberath/Fricke, NJW 2007, 3601, 3604 m. w. N. 97 Förster, in: Hau/Poseck, BeckOK BGB, § 3 ProdHaftG Rn. 4 f. 98 Unberath/Fricke, NJW 2007, 3601, 3604 m. w. N. 99 BGHZ 200, 242, 245 f.; OLG Brandenburg, Urteil vom 26.02.2019 – 6 U 26/18, juris-Rn. 9; LG Essen, Urteil vom 16.10.2017 – 6 O 152/17, juris-Rn. 24. Siehe auch Ehring, ER 2019, 188, 189. 100 Ehring, ER 2019, 188, 189. 101 LG Essen ER 2019, 39, 39; Brüggemeier, ZHR 1988, 511, 533; Klein, BB 1991, 917, 920; Kullmann, ProdHaftG, § 2 Rn. 5; Oechsler, NJW 2014, 2080, 2081 m. w. N.; Unberath/Fricke, NJW 2007, 3601, 3604; Witzstrock, VersR 2002, 1457, 1460. 102 Ehring, ER 2019, 188, 189 m. w. N.
178 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
reits im Zeitpunkt der Einspeisung in das Netz in den Verkehr gebracht, sondern erst mit der Belieferung des Verbrauchers über den Netzanschluss.103 Erst an diesem Punkt wird das Produkt Elektrizität an eine andere Person außerhalb der Herstellersphäre übergeben; bis dahin reicht die Verantwortung für die Stromqualität.104 Wurde das Produkt „Energie“ nachweislich fehlerhaft in den Verkehr gebracht, besteht regelmäßig eine haftungsbegründende Kausalität zwischen dem Produktfehler und dem Schaden. Der Haftungstatbestand ist somit – abgesehen vom Fall der Nichtlieferung – erfüllt. Das Produkthaftungsgesetz begründet jedoch auch Ausschlusstatbestände hinsichtlich etwaiger Haftungsansprüche. So besteht gemäß § 1 II Nr. 3 ProdHaftG keine Ersatzpflicht des Herstellers, wenn der Hersteller „das Produkt weder für den Verkauf oder eine andere Form des Vertriebs mit wirtschaft lichem Zweck hergestellt noch im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit hergestellt oder vertrieben hat“. Abgestellt wird auf eine kommerzielle Zwecksetzung im Rahmen entgeltlicher Verträge im weiteren Sinne.105 Die Ausnahme ist eng zu verstehen; ausgenommen werden rein private und sozial geprägte Tätigkeiten.106 Hintergrund ist, dass der Hersteller in diesen Fällen keine Gegenleistung einfordert, sein Schadensrisiko so nicht einpreisen und sich nicht absichern kann.107 Beim (Direkt-)Handel von bestimmten Mengen Energie ist jedoch eine Verkaufstätigkeit gegen Entgelt gegeben, sei es monetär oder im Bereich der Token-Systeme108. Auch dem Sinn und Zweck nach kann sich der Verkäufer über die eingeforderte Gegenleistung absichern. Dies spricht mithin gegen die Anwendbarkeit dieser Ausnahme im Rahmen der Prosumertätigkeiten. Allenfalls in den Fällen, in denen Energie kostenlos überlassen wird, könnte die Ausnahme damit näher erwogen werden. Solche Konstellationen sind jedoch nach den obigen Ausführungen eher fernliegend. Somit ist § 1 II Nr. 3 ProdHaftG in der überwiegenden Zahl der Haftungsfälle nicht erfüllt und so die Haftung nicht ausgeschlossen. Auf der Rechtsfolgenseite erfasst das Produkthaftungsgesetz nur Beschädigungen von Sachen, die nach § 1 I 2 ProdHaftG für den privaten täglichen 103 BGHZ
200, 242, 251. 200, 242, 249 ff. m. w. N.; siehe hierzu auch BT-Drs. 11/2447, S. 14. 105 Seibl, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online Großkommentar, § 1 ProdHaftG Rn. 101. 106 Siehe etwa Taschner, NJW 1986, 611, 613. Siehe auch Förster, in: Hau/Po seck, BeckOK BGB, § 1 ProdHaftG Rn. 45. 107 BT-Drs. 7/5812, S. 5; Wagner, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 7, § 1 ProdHaftG Rn. 39. 108 Zu diesen Systemen siehe oben Kapitel 3, E.IV. 104 BGHZ
A. Verantwortlichkeit und Haftung179
Ge- und Verbrauch bestimmt sind; unternehmerisch genutzte Güter unterfallen dem Schutz nicht.109 Auch für reine Vermögensschäden wird kein Ersatz geleistet. Darüber hinaus schafft § 10 ProdHaftG Haftungshöchstbeträge sowie § 11 ProdHaftG eine Selbstbeteiligung in Höhe von 500 € bei Sachschäden. Der Hersteller haftet mithin nur begrenzt für die Schäden. Zusammenfassend wird die exponierte Stellung desjenigen, welcher Einfluss auf die Qualität und damit auch die Schadensträchtigkeit der zu liefernden Energie hat, deutlich. Der lediglich Einspeisende, welcher nicht gleichzeitig auch die beim Entnehmenden ankommende Spannung und Frequenz beeinflusst, haftet hingegen nicht nach dem Produkthaftungsgesetz. Auch bei der Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz zeigt sich erneut die funktionale, flexible Betrachtung der Haftungspositionen: Der Akteur, welcher Einfluss auf die schadensträchtigen Eigenschaften hat, ist in der haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit. Dies ist mit Blick auf die Bedeutung der Stromqualität als Schadensursache folgerichtig. Die Haftung wird der Einflussnahmemöglichkeit auch hier zugeordnet. d) Haftung der Prosumer beim eigenen Betrieb einer Direktleitung Grundlegend anders ist die Haftung beim Direktleitungsbetrieb durch Prosumer ausgestaltet. Dabei ist kein Netzbetreiber zwischengeschaltet, welcher auf die Parameter des Stroms einwirkt, sondern der Strom wird unmittelbar vom Einspeisenden an den Entnehmenden geliefert.110 Auf die Fragen des Netzbetriebs kommt es nicht an, auch existiert in diesem Szenario mangels Netzes auch kein Netznutzungsvertrag. Sind Einspeisender und Entnehmender durch eine Direktleitung verbunden, ist kein koordinierender Netzbetreiber zwischengeschaltet; einspeisender und entnehmender Akteur sind unmittelbar miteinander verbunden. In diesem Fall hat der Einspeisende für die vereinbarte Qualität des Stromes zu sorgen, da nur er hierauf Einfluss hat. Der Lieferant ist stärker eingebunden, sofern Direktleitungen genutzt werden. Da es regelmäßig an einem Netzbetreiber als zwischengeschaltetem Akteur mit Einfluss auf Frequenz und Spannung fehlt, fallen diese Aspekte in den Pflichtenkreis des Lieferanten. Er ist somit für die korrekte Frequenz und Spannung vertraglich verantwortlich. Er verpflichtet sich zur entsprechenden Lieferung unter Einsatz der eigenen DirektER 2019, 188, 189. wäre allenfalls, dass ein Dritter den Direktleitungsbetrieb übernimmt, in diesem Fall wären die Konstellationen mit dem externen Netzbetrieb durch Dritte vergleichbar. 109 Ehring,
110 Denkbar
180 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
leitung. Die Aufteilung der Verantwortlichkeiten zwischen dem Prosumer als Lieferanten und einem Netzbetreiber entfällt folglich.111 Dies gilt gleichermaßen auch bei der deliktischen Haftung: Wird Energie im Rahmen einer Direktleitung geliefert, existiert kein zwischengeschalteter Konvertierungsvorgang; die eingespeiste Energie wird in ihrer derartigen Form unmittelbar an den „Empfänger“ geleitet. Der Mangel wird nicht durch einen Netzbetreiber im Rahmen von Konvertierungsvorgängen ausgeglichen. Die korrekten Stromeigenschaften fallen somit in den Verantwortungsbereich des Liefernden, hier des Prosumers. Auf der Produkthaftungsebene ist der Prosumer in diesem Szenario dann Hersteller, denn er hat den maßgeblichen Einfluss auf die Stromeigenschaften. Er haftet unter den oben genannten Voraussetzungen somit nach dem Produkthaftungsgesetz112 und es ergeben sich keine Abweichungen zu den obigen Ausführungen. Die Haftung trifft somit den Prosumer deutlich umfassender als bei der Einschaltung weiterer Akteure im Rahmen des Netzbetriebs. Mit Blick auf die Einwirkungsmöglichkeiten des Prosumers auf sämtliche Stromeigenschaften ist dies konsequent. e) Gesamtbetrachtung der Haftungstatbestände Eine Gesamtbetrachtung der Haftung bei schadensträchtigen (physischen) Energielieferungen zeigt, dass eine Vielzahl von Anspruchsgrundlagen auch in digitalisierten, dezentralisierten Erzeugungs- und Versorgungsstrukturen eingreift. Demjenigen, der das Netz oder die Direktleitung betreibt, kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Dieser ist regelmäßig insbesondere für ausfall-, spannungs- und frequenzbedingte Schädigungen verantwortlich. Im Prosumerverbund kann diese Rolle von verschiedenen Akteuren eingenommen werden, dies hängt von der konkreten Ausgestaltung der Aktivitäten ab. Die Haftung ist daher nicht derart klar und eindeutig verteilt wie in hergebrachten, zentralisierten Energieversorgungsstrukturen, in welchen der Netzbetrieb durch den Netzbetreiber als zentralen Akteur gewährleistet wird. Je nach Ausgestaltung des Zusammenschlusses können Prosumer das Netz respektive die Direktleitung betreiben und auch gleichzeitig Energie liefern. Beide Aufgaben können jedoch durch verschiedene Akteure innerhalb des Zusammenschlusses übernommen werden oder aber auch auf gänzlich externe Dritte ausgelagert sein. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die allgemeine bestehende Netzinfrastruktur genutzt wird. Der Pflichtenkreis der jeweiligen Beteiligten und damit auch der Haftungsschuldner hängt somit maßgeblich da111 Vgl.
Hack, Energie-Contracting, Teil B Rn. 293. Energie-Contracting, Teil B Rn. 293.
112 Hack,
A. Verantwortlichkeit und Haftung181
von ab, wie genau die physische Verbindung der Prosumer untereinander ausgestaltet ist. Dem Grundsatz nach muss derjenige, der Einfluss auf die Qualität und die Eigenschaft des Stroms hat, haften. Darüber hinaus ist von entscheidender Bedeutung, welche (vertraglichen) Pflichten welcher Akteur übernommen hat, so beispielsweise der Lieferant im Rahmen eines All-inclusive-Vertrags. Die Tatbestände erfassen sämtliche Konstellationen mit sämtlichen möglichen Akteurskompositionen. Möglich wird dies dadurch, dass die Tatbestände der zivilrechtlichen Haftung flexibel an bestimmte Funktionen und Verhaltensweisen anknüpfen und dabei nicht auf lediglich zentralisierte Strukturen mit einer geringen Anzahl von Großakteuren zugeschnitten sind. Die einzelnen Tatbestände sind offen für alternative Konzepte und binden hier einerseits die Einwirkungs- und Steuerungsmöglichkeit an die Verantwortlichkeit, ermöglichen aber auch die Übernahme dieser durch vertraglich-schuldrechtliche Abreden. Dieses vielschichtige Haftungssystem auf der Ebene der schadensträchtigen Energielieferungen ermöglicht, dass der potenziell Geschädigte umfassend durch verschiedene Haftungsnormen abgesichert ist. Einzig das Deliktsrecht erweist sich wegen des positiv nachzuweisenden Verschuldens als wenig schlagkräftig. f) Exkurs: Handhabung der Haftungsproblematik in der aktuellen Praxis Die Bedeutung von Haftungsfragen speziell beim Ausfall der Lieferung wird besonders deutlich im Rahmen eines Projekts der Stadtwerke Wuppertal: Im so genannten Tal.Markt werden verschiedene Produzenten Erneuer barer Energien und interessierte Abnehmer über eine Plattform zusammengeführt. Die Stadtwerke Wuppertal stellen die Plattform bereit und statten die Beteiligten mit der notwendigen Infrastruktur, insbesondere den Smart Metern, aus und binden die Beteiligten an das Netz an. Auch stellen sie eine Software für die Abwicklung bereit. So kann der Stromerwerber – gesteuert mittels einer App – individuell und weitestgehend automatisiert bestimmen, von welchem Erzeuger er wie viel Energie anteilig bezieht.113 Der Tal.Markt vernetzt die Akteure und wirkt so als zentralisierter, koordinierender Intermediär „in der Mitte“. Das Netz betreiben die Prosumer nicht selbst. Dies zeigt hier erneut, dass es grundsätzlich dezentrale Systeme gibt, welche jedoch nicht zwingend intermediärslos ausgestaltet sein müssen. Die Stadtwerke Wuppertal gewährleisten als zentraler Vermittler und Vertragspartner, dass bei Ausfällen einzelner Akteure dennoch die Energiever113 Siehe hierzu die Angebote auf der Website des Tal.Marktes unter https:// talmarkt.wsw-online.de/productinformation (zuletzt abgerufen am 20.06.2023).
182 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
sorgung sichergestellt ist. Die Belieferung übernehmen dann die Stadtwerke Wuppertal.114 Als Intermediär kommt ihnen eine Garantiefunktion für die Erfüllung der Lieferverpflichtungen zu. Ein solcher Haftungsfall wurde hier explizit antizipiert und eine Möglichkeit etabliert, Ausfälle zu vermeiden, indem die Stadtwerke Wuppertal die Belieferung übernehmen. Durch diese Einstandspflicht wird der Eintritt etwaiger Schäden weitestgehend vermieden. Es wurde der Empfehlung aus der Wissenschaft nachgekommen, entsprechende Vorkehrungen zu treffen, dass der Ausfall eines Prosumers aufgefangen werden kann und dadurch nicht die Systemstabilität und die Versorgungssicherheit gefährdet werden.115 2. Haftung bei fehlerhaft arbeitendem Smart Contract Bei Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten tritt neben die Haftung für die einzelnen Energielieferungen die weitere Ebene der Haftung für fehlerhafte Smart Contracts. Vor allem eine fehlerhafte Programmierung des Smart Contracts kann zu Fehlfunktionen führen. Bei der Protokollerstellung können Fehler unterlaufen und so vereinbarte Funktionen nicht oder nicht korrekt ausgeführt werden. Mögliche Fehlerfolgen sind, dass Transaktionen zwischen den Parteien des veranlassten Geschäfts nicht korrekt ausgeführt werden und eine Energielieferung ausbleibt oder fehlerhaft vollzogen wird oder Verträge nicht wie vereinbart abgewickelt werden. Verhindert die Software die Ausführung einer Transaktion oder sorgt die Software für eine fehlerhafte Transaktion, kann dies zu Schäden bei allen Beteiligten des ausgeführten Geschäfts führen.116 Der Smart Contract ist ein Softwareprotokoll,117 sodass sich die Haftung in diesem Bereich nach den Kriterien der Haftung und Verantwortlichkeit für fehlerhafte Software richtet.
114 Siehe hierzu https://talmarkt.wsw-online.de/principle (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 115 Siehe etwa Laszka/Eisele/Dubey/Karsai/Kvaternik, TRANSAX: A Blockchainbased Decentralized Forward-Trading Energy Exchange for Transactive Microgrids, S. 3. 116 Zu den möglichen Schäden bei fehlerhaften Energielieferungen siehe Kapitel 4, A.II.1.b)aa)(3). 117 Siehe Giannakaris/Trakadas/Zahariadis/Gkonis/Papadopoulos, Using Smart Contracts in Smart Energy Grid Applications, Sinteza 2019 – International Scientific Conference on Information Technology and Data Related Research, S. 597, 599.
A. Verantwortlichkeit und Haftung183
a) Haftungsrechtlich Verantwortliche Die Verantwortlichkeit für das Protokoll wird an die (vertragliche) Übernahme einer Verantwortlichkeit und/oder an die tatsächlichen Einwirkungsund Einflussnahmemöglichkeiten geknüpft. Basis der Ausführungsgeschäfte ist ein Softwareprotokoll, der Smart Contract. Dieses Protokoll ist die Grundlage aller Einzelausführungen in der Folge.118 Es bildet den „Rahmen“ aller folgenden Transaktionen. Damit ist jedoch auch festzuhalten, dass die hier erörterte Verantwortlichkeit die generelle Funktionstüchtigkeit der Software betrifft, nicht prima facie die Verantwortlichkeit für die darauf aufbauenden Einzeltransaktionen119 – hier die konkreten Energielieferungen. Die Verantwortlichkeit knüpft daran an, ob Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechtsgüter eines anderen bestehen.120 Die Einwirkungsmöglichkeit liegt bei der Erstellung von Software wie einem Smart Contract beim Ersteller des Protokolls, mithin dem Programmierer. Dieser hat den maßgeblichen Einfluss auf die Ausgestaltung der Funktionalitäten. Der von ihm erstellte Code determiniert die Funktionsweisen und damit auch etwaige Fehlfunktionen. Diese tatsächliche Verantwortlichkeit korreliert insbesondere im Bereich der außervertraglichen Haftung somit auch mit der rechtlichen Haftung. An die Möglichkeit, die Funktionsweise zu beeinflussen, knüpft das Deliktsrecht die Haftung.121 Im Fall von Lieferketten und anderen gestreckten Prozessen kommt daneben auch ein weiterer Haftender in Betracht. Hierbei schließt nicht der Ersteller mit dem endgültigen Nutzer einen Vertrag, sondern es tritt ein weiterer Akteur, beispielsweise ein Softwarehändler, als Zwischenhändler dazwischen. Hier divergieren die (außervertragliche) Haftung nach dem Deliktsrecht und die vertragliche Haftung innerhalb der jeweiligen vertraglichen Bindungen. Beide Ebenen treten nebeneinander.122 Diese Fälle sind Ausprägung der Unterteilung in Verkäufer- und Produzentenhaftung, welche aus dem Schuldrecht bekannt ist: Der programmierende Ersteller ist der Produzent, der ver118 Siehe
oben Kapitel 2, B.II. die gegenseitige Beeinflussung beider Ebenen ist unten unter Kapitel 4, A.II.3. einzugehen. 120 Spindler, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online Großkommentar, § 823 BGB Rn. 10 m. w. N. 121 Vgl. etwa Spindler, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online Großkommentar, § 823 BGB Rn. 20, 73 m. w. N.; Wagner, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 7, § 823 BGB Rn. 66. 122 Spindler, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online Großkommentar, § 823 BGB Rn. 34 m. w. N.; Wagner, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 7, vor § 823 BGB Rn. 82. 119 Auf
184 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
kaufende Softwarehändler der Verkäufer. Dies wirkt sich auf die entstehenden vertraglichen Verhältnisse aus, da wegen der Relativität der Schuldverhältnisse eine vertragliche Haftung nur gegenüber dem jeweiligen Vertragspartner begründet wird.123 Eine vertragliche Haftung des Protokollerstellers gegenüber dem Letztverbraucher ergibt sich bei der Zwischenschaltung eines weiteren Akteurs nicht von selbst; ein spezieller Tatbestand ist erforderlich, um die vertragliche Haftung auf Dritte, welche keine unmittelbaren Vertragspartner sind, zu erstrecken. Andernfalls bleibt allein die außervertragliche Haftung gegenüber dem Protokollersteller. Die Haftung kann somit durch die Urheberschaft für das Protokoll begründet werden. Daneben können jedoch weitere Personen haften, wenn sie vertraglich eine Einstandspflicht übernommen haben, ohne zugleich Urheber zu sein. b) Anzuwendendes Haftungsregime Sofern das Protokoll fehlerhaft programmiert wurde, greift das Haftungsregime für fehlerhafte Software; das Protokoll des Smart Contracts stellt eine Software dar. Diese ist ein Gegenstand im Sinne des Vertragsrechts, auch wenn dieser nicht zwingend körperlich greifbar ist.124 Die Vertragstypen des besonderen Schuldrechts finden daher Anwendung.125 Das anwendbare Haftungsrecht hängt vom Individualisierungsgrad der Software ab: Es handelt sich um einen Kaufvertrag, wenn die Übereignung eines Gegenstandes im Vordergrund steht, sei es verkörpert auf einem Datenträger oder auch unkörperlich mittels Downloads.126 Ist die Lieferung und Leistung von Standard-Software ohne umfangreiche Individualisierung vereinbart, liegt der Schwerpunkt der Tätigkeit in der Eigentumsübertragung an der Software. Dies ist dem Kaufrecht zuzurechnen. In der Konsequenz findet bei der Lieferung und Übereignung standardisierter Software das Kaufrecht Anwendung.127 123 Oetker, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 2, § 249 BGB Rn. 280. Siehe zur Relativität der Schuldverhältnisse unten Kapitel 4, A.II.3.a); Sutschet, in: Hau/Poseck, BeckOK BGB, § 241 BGB Rn. 8; Mansel, in: Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, § 241 Rn. 4. 124 Lutzenberger, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online Großkommentar, § 631 BGB Rn. 699.1 m. w. N. 125 Busche, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 6, § 631 BGB Rn. 143 m. w. N. 126 Wilhelmi, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online Großkommentar, § 453 BGB Rn. 205. 127 BGH JuS 2010, 710, 710 m. w. N.; LG Landshut, Urteil vom 20.08.2003 – 2 HK O 2392/02; Wilhelmi, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online Großkommentar, § 453 BGB Rn. 205; Wilke, VuR 2021, 283, 288.
A. Verantwortlichkeit und Haftung185
Anders ist die Situation hingegen bei individuell zugeschnittener Software speziell für den Erwerber. Ist eine individualisierte Erstellung geschuldet, handelt es sich um eine Werkleistung im Rahmen eines Werkvertrags.128 Dort steht nicht die Übereignung eines vorgefertigten Gegenstands im Vordergrund wie beim Kaufrecht, sondern die Software wird an die Bedürfnisse des Erwerbers angepasst. Wegen dieses kreierenden Elements handelt es sich um einen Werkvertrag.129 Bei den Smart Contracts könnte eine solche Anpassung beispielsweise darin bestehen, dass bestimmte steuernde Funktionen in die Software aufgenommen werden sollen oder Bedingungen wie Netz zustandsdaten von der Software zu prüfen sind, welche bei Standardsoftware nicht gegeben sind. Im Einzelfall können die Grenzen zwischen Werkvertrags- und Kaufvertragsrecht verschwimmen, wenn eine im Kern standardisierte Software nur in unwesentlichen Randbereichen an die Erwerberwünsche angepasst wird. Hier ist anhand des Schwerpunkts abzugrenzen, ob die Anpassung der Software im Vordergrund stehen soll.130 Wird die Software durch einen Dritten betrieben und den Parteien lediglich die Nutzungsmöglichkeit eingeräumt, handelt es sich um einen Mietvertrag, da allein diese Nutzungsmöglichkeit am Programm selbst und keine Übertragung des Eigentums an Gegenständen die geschuldete Leistung ist.131 In diesen Fällen kann die Software auf Servern des Anbieters betrieben, gewartet und aktualisiert werden und die Nutzer erhalten lediglich Zugriffsund Nutzungsmöglichkeiten, nicht jedoch den Softwarecode selbst.132 Die 128 Zur generellen Abgrenzung der beiden Vertragstypen siehe Busche, in: Säcker/ Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 6, § 631 BGB Rn. 10; Faust, in: Hau/Poseck, BeckOK BGB, § 433 BGB Rn. 17; Merkle, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online Großkommentar, § 631 BGB Rn. 156, 157 m. w. N. 129 Busche, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 6, § 631 BGB Rn. 143 m. w. N.; Mansel, in: Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, Vorbemerkungen vor § 631 BGB Rn. 6; Peters, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, BGB Buch 2, Schuldrecht, vor § 631 Rn. 79. Siehe hierzu auch Potel/Hessel, jM 2020, 354, 358. 130 Lutzenberger, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online Großkommentar, § 631 BGB Rn. 700 ff. m. w. N. 131 BGH NJW 2007, 2394, 2394 f.; Spindler, in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, Vorbemerkung zu §§ 69a–g UrhG Rn. 59. Siehe hierzu beispielsweise das Projekt Exnaton, im Rahmen dessen die notwendige Software über eine Plattform für lokale Energiegemeinschaften zur Verfügung gestellt wird, siehe https://www.exnaton. com (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 132 Hierbei handelt es sich um einen Application Service Provider-System im Kontext der „Software as a Service“, vgl. Ehrmann/von Wallis, in: Hoeren/Sieber/Holz nagel, Multimedia-Recht, Teil 27 Rn. 207 f.
186 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
Prosumer würden in diesem Szenario dann ihre Smart-Contract-Software extern anmieten und ihre Transaktionen dort auf den externen Servern mit der gemieteten Software abwickeln. Auf der schuldrechtlich-vertraglichen Ebene hängt somit das anwendbare Haftungsregime von der jeweiligen Ausgestaltung der Software und dem Umgang mit dieser ab. Grundlage der vertraglichen Haftung sind die §§ 280 ff. BGB in Verbindung mit den vertragsspezifischen Mängel- und Haftungs regimen, vgl. §§ 434 ff., 536 ff., 634 ff. BGB. Pflichtverletzungen sind vor allem bei Sicherheits-, Zuverlässigkeits- oder Funktionsdefiziten möglich.133 Der Software können beispielsweise zugesagte Funktionen fehlen, wodurch es zu Problemen und Fehlern bei der Abwicklung kommt, wenn die konkrete Energielieferung oder Steuerung der Vertragsabwicklung nicht wie geplant funktioniert. Dies kann wiederum auf der Ebene der Energielieferung zu den oben genannten Schäden führen.134 Der Mangel der Software kann sich somit auch in Schädigungen im Rahmen der konkreten Energielieferung auswirken. Darüber hinaus können Programmierfehler zu Systemausfällen und Softwareabstürzen führen, welche dann ebenso die Abwicklung von Transaktionen und damit Energielieferungen stören oder verhindern. Abschließend kann die Software auch hinter vereinbarten Sicherheitsstandards zurückbleiben und so Schädigungen oder Zugriffe durch Dritte zulassen, welche mit Haftungsfällen einhergehen. Maßgeblich für die Mangelfreiheit der Software sind die individuell ausgehandelten und vertraglich vereinbarten Anforderungen; auch sind seit dem 01.01.2022 die Haftungsregelungen für digitale Produkte in den §§ 327 ff. BGB samt den Verweisnormen135 zu berücksichtigen. Bei Lücken bestimmt die Verkehrserwartung den Pflichtenkreis.136 Daneben tritt die außervertragliche Haftung nach dem Deliktsrecht sowie dem Produkthaftungsrecht. c) Besonderheiten bei Open-Source- und Freeware-Software Besonderheiten können sich für die Haftung ergeben, sofern die SmartContract-Software nicht individuell in einem proprietären Kontext veräußert oder vermietet wird, sondern die Allgemeinheit die Software frei und kosten133 Busche, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 6, § 633 BGB Rn. 38 m. w. N.; Peschel/Rockstroh, NJW 2020, 3345, 3350. Siehe auch mit speziellem Bezug zu den Smart Contracts Potel/Hessel, jM 2020, 354, 358. 134 Siehe hierzu oben Kapitel 4, A.II.1.a)aa) sowie Kapitel 4, A.II.1.b)aa)(3). 135 Diese Regelungen wurden eingeführt durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen vom 25. Juni 2021 (BGBl. I S. 2123). 136 Siehe zur Bedeutung des Pflichtenkreises oben Kapitel 4, A.II.1.b)aa)(1).
A. Verantwortlichkeit und Haftung187
los im Rahmen eines Open-Source-Kontextes nutzen kann. Bei der klassischen Open Source wird der Softwarecode der Öffentlichkeit frei einsehbar und damit frei nutzbar und veränderbar zur Verfügung gestellt.137 Auch Freeware-Software steht frei zugänglich zur Nutzung zur Verfügung, jedoch wird der Softwarecode nicht zwingend offengelegt.138 Ein solches freies Zurverfügungstellen gepaart mit einer etwaigen Unentgeltlichkeit schließt nicht per se jede Haftung aus.139 Es finden jedoch Haftungserleichterungen des Schenkungsrechts140 Anwendung, sofern die Zurverfügungstellung – wovon regelmäßig auszugehen ist – als Schenkung zu qualifizieren ist.141 Auch bei der Open-Source- und Freeware-Software kann das gesetzliche Haftungsregime modifiziert werden. Dies kann zunächst individuell vereinbart werden. Oftmals bestehen jedoch auch Lizenzvereinbarungen, welche Haftungsausschlüsse und -begrenzungen speziell für diese Software begründen.142 Solche Begrenzungen sind im Rahmen der Privatautonomie möglich und zulässig, sofern sie sich in den Grenzen des zwingenden Rechts halten.143 In diesen Fällen richtet sich die Haftung zwischen dem Programmierer und dem Verwender vorrangig nach dem dort niedergelegten Regime. Die Haftung ist bei Open Source- und Open-Access-Software somit oftmals speziell ausgestaltet und erleichtert; eine pauschale Haftungsfreistellung existiert jedoch nicht.
137 Dreier, in: Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, § 69c UrhG Rn. 38; Mantz, in: Kilian/Heussen, Computerrechts-Handbuch, 32.6 Rn. 1; Redeker, IT-Recht, Teil A. Rn. 97. 138 Lehmann/Spindler, in: Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts, § 82 Rn. 63 f. m. w. N. 139 Vgl. Bachmann, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 2, § 241 BGB Rn. 241. 140 Siehe § 521 BGB. 141 Kast, in: Auer-Reinsdorff/Conrad, Handbuch IT- und Datenschutzrecht, § 12 Rn. 143 m. w. N. 142 Siehe hierzu die besonderen Lizenzen wie GNU-GPL 3.0 und Apache 2.0; vgl. auch Gyr, Blockchain und Smart Contracts, S. 192. 143 Hier sind insbesondere auch die Regelungen zu Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach §§ 305 ff. BGB zu berücksichtigen, vgl. Chatzinerantzis/Bertram, EnWZ 2021, 65, 67.
188 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
d) Besonderheiten beim Einsatz der Blockchain Die Blockchain als mögliche Betriebsumgebung modifiziert die Haftungsverhältnisse und auch die Haftungsgrundlagen, da sie auf dezentralen und von allen Beteiligten getragenen Strukturen basiert.144 Beim Einsatz der Blockchain sind zwei Ebenen zu unterscheiden: Wird auf einem Blockchain 2.0-System145 ein Smart Contract ausgeführt und ist allein dieser fehlerhaft, richtet sich die Haftung nach den oben genannten Regeln für fehlerhaft arbeitende Software. Die Blockchain ist dabei nur eine Ausführungs- und Abwicklungsumgebung für die individuell programmierten Softwareprotokolle;146 sie funktioniert in diesem Szenario ohne Defizite. Vergleichen lässt sich dies mit dem Fall, dass beispielsweise ein Server für den Betrieb einer Software genutzt wird, der Server einwandfrei funktioniert, die Software jedoch Fehler aufweist. Auch hier haftet nicht der Serverbetreiber; der Server ist nur die Hardwarebasis für die Nutzung der Software. Daneben kann allerdings das Softwareprotokoll funktionstüchtig sein, jedoch die Blockchain-Infrastruktur fehlerhaft arbeiten oder die an der Blockchain beteiligten Akteure verletzen ihre Pflichten. Zieht man erneut die oben genannte Parallele zum Server heran, würde in diesem Fall die Software, jedoch nicht der Server korrekt funktionieren. Bei der Blockchain könnte dies insbesondere ein Szenario sein, in welchem die Nodes eine an sich zulässige Transaktion ablehnen und so der Vertragsvollzug ausbleibt, beispielsweise weil die Nodes irrig annehmen, die Parteien dürften diese Transaktion nicht durchführen. Auch könnten Fehler im Blockchain-Programmcode dazu führen, dass Transaktionen nicht korrekt abgewickelt werden. In der Folge könnte so dann erneut die Energielieferung ausbleiben und beim Kunden ein Schaden entstehen. Wer in diesen Fällen einer fehlerhaften Blockchain haftet, ist umstritten. Eine eindeutige Zuordnung der Verantwortlichkeiten wird von verschiedenen Seiten angezweifelt.147 Es steht keine zentrale Stelle für das Funktionieren in der direkten Verantwortung.148 Freilich wäre es möglich, die Haftung ver144 Siehe
hierzu oben Kapitel 2, B.III. Begriff siehe oben Kapitel 2, B.III.2.b). 146 Vgl. Prinz/Schulte, Blockchain und Smart Contracts, S. 20. 147 Hasse/von Perfall/Hillebrand/Smole/Lay/Charlet, Blockchain – Chance für Energieverbraucher?, S. 31; Scholtka/Martin, RdE 2017, 113, 114. 148 Siehe hierzu Scholtka/Martin, RdE 2017, 113, 117. Dies ist bei der reinen Form der gänzlich dezentralisierten Blockchain der Fall. Wird das Protokoll von einem zentralen Anbieter zur Verfügung gestellt und betrieben und sind die Vertragsparteien des Smart Contracts bzw. jedenfalls der Geschädigte Kunden dieses zentralen Anbieters, kann dieser für die Fehlfunktion seines Blockchain-Konstruktes nach Dienst- bzw. Werkvertragsrecht aus dem Blockchain-Bereitstellungsvertrag in An145 Zum
A. Verantwortlichkeit und Haftung189
traglich zu regeln.149 Dies würde dem Geltungsanspruch des Rechts jedoch nicht gerecht. Auch in Fällen, in denen eine vertragliche Übereinkunft fehlt, muss ein Haftungsregime bestehen. Mangels spezialgesetzlicher Haftungsregelungen ist auf die allgemeinen Grundsätze des (Vertrags-)Rechts zurückzugreifen. Hiernach richtet sich die Haftung nach Risikosphären. Das Vertragsrecht überträgt durch die Leistungs- und Preisgefahr150 die Verantwortlichkeit dementsprechend, dass jede beteiligte Partei für eine bestimmte Leistungshandlung oder den Eintritt eines bestimmten Leistungserfolgs verantwortlich ist. Dies umfasst auf dieser Primärebene (!) auch die Verantwortlichkeit für Umstände, welche nicht in den Einflussbereich einer der Parteien fallen und ohne ihr Zutun auftreten.151 Bei der Bringschuld ist so beispielsweise der Verkäufer verschuldensunabhängig dafür verantwortlich, dass die Kaufsache den Käufer erreicht. Geht die Sache auf dem Weg unter, muss der Verkäufer die Leistungshandlung erneut vornehmen. Auf diese Weise wird das Risiko, dass bestimmte Umstände eintreten, einer Partei zugewiesen, auch wenn diese keinen unmittelbaren Einfluss auf diese Umstände hat. Ob in der Folge daran auf der Sekundärebene auch Schadensersatzansprüche geknüpft sind, hängt von den jeweiligen Schadensersatztatbeständen ab, insbesondere regelmäßig davon, ob die Partei ein Ver schulden trifft. Gleichermaßen verhält es sich bei der Haftung bei (unkontrollierbaren) Fehlfunktionen der dezentralen Blockchain: Auch dies sind Umstände, welche für die Parteien der Transaktion zufällig und unkontrollierbar auftreten. Sie haben keinen Einfluss auf die Funktionsweise der Blockchain selbst, sondern nutzen diese nur als Abwicklungsumgebung. In Anlehnung an die obigen Kriterien zur Risikoverteilung bei Störungen, welche nicht in die Risikosphäre einer der Parteien fallen, ergibt sich somit auch eine Lösung für die Haftung bei Fehlfunktionen der Blockchain. Derjenige, der für die jeweilige Handlung oder den jeweiligen Erfolg nach diesen Regeln verantwortlich ist, bei der Bringschuld beispielsweise der Schuldner der Hauptleistung hinsichtlich der „Lieferung“ an den Erwerber, muss entsprechend einstehen, kommt es bei diesem Schritt zu – für beide Parteien zufälligen – Blockchainbedingten Fehlern. Die Gefahrtragungsregeln ermöglichen eine Zuordnung des (primären) Risikos, auch ohne, dass spezielle Blockchain-spezifische Tatbestände existieren. Ob aus dieser primären Risikoverteilung dann Schaspruch genommen werden. Hier besteht dann ein zentraler Akteur, welche für den ordnungsgemäßen Betrieb einsteht. 149 So der Vorschlag von Scholtka/Martin, RdE 2017, 113, 117. 150 Zu den Begriffen und dem Bezug zur Gefahrtragung siehe Schmidt, in: Weber, Rechtswörterbuch, Gefahrtragung. 151 Vgl. Medicus/Lorenz, Schuldrecht I AT, § 35 Rn. 8 ff.
190 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
densersatzansprüche erwachsen können, hängt insbesondere davon ab, ob den Verantwortlichen ein Verschulden trifft. Dies ist mangels spezialgesetz licher Regelungen nach den allgemeinen Regeln zu bestimmen; es kommt maßgeblich auf das Verschulden hinsichtlich der Blockchain-Fehlfunktionen an. Bei der Bestimmung vor allem des Fahrlässigkeitsmaßstabs ist auch zu berücksichtigen, ob derartige Fehlfunktionen für den Verantwortlichen vorhersehbar und vermeidbar gewesen wären. Sollte feststellbar sein, wer konkret für die Fehlfunktion verantwortlich ist, beispielsweise wenn einzelne Nodes fehlerhaft handelten, können sich Ansprüche im dortigen Verhältnis gegen den Verursacher ergeben. Diese bestehen jedoch unabhängig von der Rechtslage zwischen den Parteien, deren Geschäft über die Blockchain abgewickelt wird. e) Gesamtbetrachtung der Haftung auf Softwareebene Die Haftung bei Fehlfunktionen des Protokolls steht mit Blick auf die weitestgehend geklärten Haftungsfragen für fehlerhafte Software vor keinen rechtstechnischen Problemen. Hier ergeben sich für die Smart Contracts im Bereich der Prosumeraktivitäten generell keine Friktionen; ein adäquates Haftungsregime besteht mit den schuldrechtlichen Regelungen des Kauf-, Werk- und Mietrechts. Die Haftung orientiert sich insbesondere an den schuldrechtlichen Vertragstypen und den dortigen Mängelrechten. Einzig im Fall des Einsatzes der Blockchain ergeben sich dahingehend Probleme, dass kein individuelles Regelungswerk existiert. Hier verhelfen jedoch die allgemeinen Grundsätze zur Lösung der Haftungsfragen, indem auf die grundsätzlichen Risikoverteilungen des Schuldrechts zurückgegriffen wird. 3. Verbindung der Software- und Energielieferungsebene Softwarebasierte und nicht-softwarebasierte, stromlieferungsbezogene Haftungsfälle können sich gegenseitig beeinflussen. Denkbar wäre der Fall, dass ein Software-Fehler eine Haftung auch im Rahmen der Energielieferung auslöst, weil durch den Fehler der Software keine Energie geliefert wird oder sonstige vertragliche Pflichten im Bereich der Vertragsdurchführung verletzt werden. Dies begründet auf der vertraglichen Ebene vor allem Regresskonstellationen, wenn der Nutzer des Smart Contracts als Energielieferant tätig wird, der genutzte Smart Contract jedoch mangelbehaftet ist, da der Ersteller des Smart Contracts als Dritter eine Pflichtverletzung beging. So kann dann beim Abnehmer der Energie als Partei des Energielieferungsvertrags ein Schaden eintreten, für welchen der Prosumer haftet. Wegen dieser Haftung ist der Prosumer dann auf einen Rückgriff beim Verantwortlichen für den
A. Verantwortlichkeit und Haftung191
Smart Contract angewiesen. Die Relativität der Schuldverhältnisse sorgt dafür, dass keine unmittelbare vertragliche Direkthaftung des Erstellers des Smart Contracts gegenüber dem geschädigten Abnehmer besteht, sofern nicht zwischen beiden auch eine vertragliche Verbindung eingegangen wurde. Es reihen sich vielmehr regelmäßig die vertragliche Haftung des Erstellers gegenüber dem Prosumer und des Prosumers gegenüber dem Abnehmer der Energie aneinander. Eine privatautonome Abweichung hiervon ist jedoch möglich. Daneben schafft die außervertragliche Haftung eine Direkthaftung. a) Relativität der Schuldverhältnisse Grundsatz des vertraglichen Schuldrechts ist, dass ohne separate Anordnung nur innerhalb der schuldrechtlichen Beziehungen gehaftet wird und Dritte nicht ohne separate Anordnung in die Schuldverhältnisse einbezogen werden.152 Diese Relativität der Schuldverhältnisse begrenzt die Reichweite der vertraglichen Haftung. Dies ist insbesondere dahingehend wichtig, da sich bei den Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten zwei Ebenen verbinden, namentlich die Protokoll-Ebene sowie die Ebene der physisch-realen Energielieferung.153 Die reine Fehlerhaftigkeit des Protokolls lässt keine unmittelbare vertragliche Direkthaftung des „Protokollverantwortlichen“ gegenüber dem Erwerber der Energie zu, sofern nicht zwischen beiden auch eine schuldrechtliche Beziehung begründet wurde. Dies kann insbesondere die Position des Geschädigten schwächen, sofern sein Energielieferant, der Prosumer, nicht greifbar oder insolvent ist. Den Verantwortlichen für das Protokoll kann er auf vertraglicher Basis dann nicht unmittelbar in Anspruch nehmen. Der Prosumer, welcher gegenüber seinem Abnehmer für eine fehlerhafte Energielieferung haftet, kann den Verantwortlichen für Fehlfunktionen des Smart Contract in die Haftung nehmen. Dies setzt voraus, dass auch der Verantwortliche für den Smart Contract einen Haftungstatbestand verwirklicht, so beispielsweise, weil der Smart Contract fehlerhaft programmiert wurde und so die vertraglichen Pflichten verletzt wurden. Hier reihen sich verschiedene Haftungstatbestände hintereinander. Die Haftung für die fehlerhafte Erstellung des Smart Contracts umfasst dann auch jene Schadensposten, welche der Energie liefernde Prosumer, mithin der Verwender des Smart Contracts, gegenüber dem Abnehmer der Energie als seinem Vertragspartner 152 Oetker, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 2, § 249 BGB Rn. 280; Schulze, in: Schulze, Bürger liches Gesetzbuch, Vorbemerkung zu §§ 241–853, Rn. 10; Teichmann, in: Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, Vorbemerkung zu den §§ 249–253 BGB Rn. 17. 153 Zu den beiden Ebenen siehe oben Kapitel 4, A.II.1. und Kapitel 4, A.II.2.
192 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
tragen muss: Auch Schadensersatzzahlungen an Dritte können von eigenen Schadensersatzansprüchen gegen „Zulieferer“, welche Pflichten verletzen, gedeckt sein.154 So kann dann der Prosumer seinen Schaden liquidieren. Damit trägt der Prosumer jedoch das Insolvenzrisiko desjenigen, der für den fehlerhaft arbeitenden Smart Contract verantwortlich ist. Der Regress ist somit nicht garantiert. Eine weitere Regressebene ergibt sich dadurch, dass ein Netzbetreiber als zusätzlicher Akteur zwischengeschaltet sein kann: Nach dem oben Gesagten kommt dem Netzbetreiber eine besondere Rolle im Bereich der Energielieferungen zu. Auch gegenüber ihm können sich Regressansprüche ergeben, insbesondere in All-inclusive-Verträgen, in denen der Lieferant auch für Netzaspekte einzustehen hat. Daneben wird die Haftung auch nicht kraft Gesetzes auf alle Beteiligten erstreckt. An einem Tatbestand, welcher die Haftung auf Dritte ausweiten würde, fehlt es sowohl für Energielieferungsverträge als auch für Verträge bei der Softwareerstellung. Eine Einbeziehung wäre allenfalls unter den Voraussetzungen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter155 oder nach § 311 III BGB denkbar. Für beides besteht jedoch hier üblicherweise kein Anhaltspunkt. Davon unberührt bleibt die außervertragliche Jedermannhaftung156 beispielsweise nach § 823 I BGB oder § 823 II BGB i. V. m. (drittschützenden) Schutzgesetzen.157 Diese kann auch den Ersteller der Software treffen, sollte durch seine fehlerhafte Erstellung des Smart Contracts auch gegenüber Geschädigten der Haftungstatbestand erfüllt werden. Wurde die Ausarbeitung des Protokolls von beiden Parteien des ausgeführten Geschäfts oder zentral durch den Verbund der Prosumer in Auftrag gegeben, kann sich auch in diesen Verhältnissen eine Haftung des „Programmierers“ als Vertragspartner des Geschädigten ergeben. Die vertragliche Haftungsposition ist mithin auch davon abhängig, ob und in welchen Verhältnissen vertragliche Bindungen eingegangen wurden.
154 Lorenz, in: Hau/Poseck, BeckOK BGB, § 281 BGB Rn. 43; Potel/Hessel, jM 2020, 354, 358. 155 Siehe zu diesem Konstrukt Gottwald, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 3, § 328 BGB Rn. 167 ff.; Mäsch, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online Großkommentar, § 328 BGB Rn. 160 ff. m. w. N. 156 Zum Begriff siehe oben Kapitel 4, A.II.1.b)bb)(1). 157 Zur Verbindung der Haftungsebenen siehe Kapitel 4, A.II.3.
A. Verantwortlichkeit und Haftung193
b) Modifikationen kraft Parteivereinbarung Neben den Regresskonstellationen haben die Parteien darüber hinaus auch die Möglichkeit, selbst eine Verbindung zwischen den beiden Haftungsebenen zu schaffen. So kann beispielsweise der Haftungsverantwortliche für den Smart Contract einen Garantievertrag mit allen beteiligten Parteien des Energielieferungsvertrags abschließen158 oder es kann zu umfassenden Vertragswerken kommen, in welchen alle Parteien in vertragliche Übereinkünfte miteinander eintreten und so unmittelbare vertragliche Haftungsverhältnisse zueinander entstehen. Individuelle Absicherungen und Querverbindungen zwischen den Akteuren werden durch die Privatautonomie möglich.
III. Adäquanz dieser Regelungen und Anpassungsmöglichkeiten Die zuvor beleuchteten Haftungsregelungen bieten zusammengefasst auch für die dezentrale Energieversorgung im Rahmen der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten einen adäquaten Regelungsrahmen. Das Haftungs regime schafft durch die verschiedenen nebeneinander anwendbaren Anspruchsgrundlagen ein angemessenes Schutzniveau für potenziell Geschädigte. Einer überbordenden Inanspruchnahme des Schädigers kann durch individuelle Vereinbarungen im Rahmen der Privatautonomie begegnet werden. 1. Gesamtschau der Haftungstatbestände a) Ausbleiben von Haftungslücken Die Gesamtschau der Tatbestände zeigt, dass – insbesondere infolge der weiten Reichweite des vertraglichen Haftungsrechts – der Geschädigte im Rahmen der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten umfassend abgesichert wird. Haftungslücken bestehen nicht; sämtliche möglichen Schadensszenarien werden erfasst und in den systematischen Rahmen des Schuldrechts eingefügt. In Fällen, in welchen die Haftungstatbestände beispielsweise infolge fehlenden Verschuldens nicht erfüllt werden, entspricht dies einer individuellen (Wirtschafts-)Risikoverteilung. In diesen Bereichen steht es den Parteien jedoch frei, sich durch individuelle Abreden und Garantien abzusichern.159 Auch greift hier das verschuldensunabhängige Produkthaftungs158 Zur Herleitung einer solchen Garantieerklärung aus § 311 I BGB siehe Emmerich, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 3, § 311 BGB Rn. 26 m. w. N. 159 Zur Flexibilität siehe unten ausführlich Kapitel 4, A.III.1.
194 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
recht. Das Haftungsrecht deckt die Haftungsrisiken der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten ab. Im Rahmen der Haftung bei Blockchain-Fehlverhalten ist die Determinierung der Haftungspositionen zwar schwieriger, dennoch kann auch hier den Haftungsfragen durch das geltende Recht angemessen begegnet werden. Dies zeigt, dass dem Schutzbedürfnis der potenziell Geschädigten entsprochen werden kann. b) Flexibilität durch Gestaltungsspielräume Eine Besonderheit der zivilrechtlichen Haftung ist es, dass die Parteien den Rechtsrahmen im Rahmen des ius dispositivum gestalten können.160 Dies ist Ausprägung der Privatautonomie. Eben diese Gestaltungsspielräume zeigen auch, dass von legislativer Seite kein Liberalisierungs- oder Regulierungsbedarf besteht. Das geltende Haftungsrecht stellt den Beteiligten einen Rahmen zur Verfügung, welcher die verschiedenen Wertungen berücksichtigt. Sollten die Parteien von einer individuellen Haftungsanpassung absehen, verbleibt es hierbei. Die Möglichkeit, eine solche individuelle Haftungsanpassung vorzusehen, schafft daneben die Flexibilität, auf die jeweiligen Bedürfnisse und Besonderheiten einzugehen. Dies ist ein besonderer Aspekt der Haftung, dass ein hoher Grad individueller Einwirkungsmöglichkeiten besteht. Auch berücksichtigt dieser gesetzliche und in großen Teilen dispositive Rahmen die einzelnen Risiken sowie die allgemeinen Grundsätze des Schuldrechts. Es wird ein angemessener, den Verkehrserwartungen entsprechender Rechtsrahmen zur Verfügung gestellt. Diese Wertung zeigt sich sowohl auf der Ebene der Haftung für die fehlerhaften Smart Contracts als auch im Bereich der Haftung für die pflichtverletzenden, schadensträchtigen Energielieferungen. Hier ist insbesondere die Unterteilung in die Haftung von Einspeisendem und Netzbetreiber adäquat, um die jeweilig möglichen Schadensursachen und Pflichtenstellungen angemessen zu würdigen. Die tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeiten und Risikoübernahmen gehen mit der rechtlichen Einstandspflicht einher. In Bezug auf die Energielieferungen zeigt das spezifische Energierecht noch zusätzlich Haftungsanpassungen und -modifikationen, welche auch bei den Energielieferungen von Prosumern eine angemessene Risiko- und Haftungsverteilung ermöglichen. Durch die Charakterisierung als Prosumer ergeben sich hier keine Besonderheiten, welche Abweichungen von diesen 160 Lediglich das Produkthaftungsrecht nach dem Produkthaftungsgesetz ist hier infolge der strengen Klausel in § 14 ProdHaftG von diesem Gesichtspunkt auszunehmen.
A. Verantwortlichkeit und Haftung195
Grundsätzen gebieten. Die individuelle Einstandspflicht wird an Einwirkungsmöglichkeiten und vertragliche Bindungen und Pflichtübernahmen geknüpft. Den Haftungsrisiken können Prosumer darüber hinaus auch durch die Wahl einer Gesellschaftsform mit beschränkter Haftung161 begegnen. c) Flexibilität der Rechtsregeln hinsichtlich der Anknüpfungskriterien Neben der Flexibilität hinsichtlich der (individual-)vertraglichen Gestaltung durch die Parteien selbst existiert ein weiterer Flexibilitätsaspekt im Haftungsrecht: Die Tatbestände knüpfen allesamt nicht an formal definierte Positionen oder Rollen an, sondern binden die Verantwortlichkeit an die zivilrechtlich-vertragliche (freiwillige) Übernahme einer Pflicht oder ein pflichtverletzendes oder gefahrträchtiges Verhalten. Dabei kommt es nicht entscheidend auf eine formal ex ante definierte Funktion im Gesamtgefüge an, sondern die Haftungspositionen werden in der konkret-individuellen Einzelfallsituation je nach Verhalten und Stellung beurteilt. Das Zivilrecht ist technologieneutral ausgestaltet162 und orientiert sich daran, wer im Einzelfall welche Pflicht und Tätigkeit übernimmt. Dies ermöglicht es, auf die neuartigen Konstrukte der dezentralisierten und digitalisierten Energieversorgung flexibel einzugehen. Das Haftungsrecht knüpft an die jeweils neu entstehenden Positionen und Funktionen die jeweiligen Verantwortlichkeiten, ohne diese Strukturen dabei orientiert an hergebrachten, zentralisierten Systemen zu regulieren. Die Tatbestände erfassen neuartige Konstellationen und geänderte Rahmenbedingungen, indem sie auf konkrete Handlungen im Einzelfall und nicht auf formal ex ante definierte Rollen aufbauen. 2. Fazit: Angemessene Haftungsverteilung und angemessenes Schutzniveau Eine Vielzahl von Anspruchsgrundlagen des Haftungsrechts greift ineinander. Die dabei wohl umfassendste Haftung kann auf vertraglicher Ebene bestehen, sofern hier Absprachen im Rahmen des dispositiven Rechts getroffen werden. Abseits dessen stellt die produkthaftungsrechtliche Ebene das stärkste Haftungsregime dar, insbesondere wegen der Verschuldensunabhängigkeit. Hier besteht – nach hier vertretener Auffassung – lediglich eine Haftungslücke, sofern die Energielieferung in Gänze ausbleibt. Dies ist dann 161 Siehe
zu dieser gesellschaftsrechtlichen Ebene oben Kapitel 3, G.IX. jM 2020, 354, 357.
162 Potel/Hessel,
196 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
jedoch eine Nichtleistung im Rahmen der schuldrechtlichen Vereinbarung, sodass dort eine Haftung gegeben sein kann. Die Normen vor allem der deliktischen Haftung, welche auf Verschulden aufbauen, stellen in der Energiewirtschaft oftmals kein schlagkräftiges Haftungsregime dar, da der Verschuldensnachweis im Rahmen der Lieferung von Energie nur schwer möglich ist. Hier kann § 18 NAV jedenfalls in Fragen des Netzbetriebs weiterhelfen. Daneben sind manche gesetzlichen Haftungstatbestände dem Umfang oder den erfassten Gütern nach beschränkt. Die deliktische Jedermannhaftung ist weniger schlagkräftig. Insgesamt ist die Haftung dennoch nicht lückenhaft, da die vertraglichen und gesetzlichen Haftungsregime nebeneinander treten und sich gegenseitig ergänzen. Etwaige Haftungslücken der einzelnen Tatbestände werden so weitestgehend abgedeckt. Insbesondere können über entsprechende vertragliche Absprachen noch weitergehende Haftungstatbestände geschaffen werden. Dies kann kraft individualvertraglicher Übereinkunft Haftungslücken schließen. Hierbei besteht auch die Möglichkeit, die Haftung sowohl dem Umfang als auch dem Personenkreis nach zu erweitern. Die Parteiautonomie gewährt die nötige Flexibilität. Der jeweilige Vertragspartner ist auf diese Weise haftungsrechtlich abgesichert, indem er auf die Haftungsmodalitäten im Rahmen der Verhandlungen einwirken kann. Ein legislativer Bedarf nach einer Ausweitung der Haftung beispielsweise in der Form einer Gefährdungshaftung für Energielieferungen besteht nicht. Damit einher geht jedoch ein umfangreiches Haftungsrisiko für den Prosumer und die Zusammenschlüsse der Prosumer. Jede Absicherung einer Partei ist mit einer erweiterten Haftung einer anderen Partei verbunden. Auch hier können Abreden und kautelarjuristische Vertragsgestaltungen das Haftungsrecht aber auch zugunsten der Prosumer anpassen.
B. Pflichtenstellung des Prosumers nach dem EnWG Der Prosumer wird durch seine produzierende und einspeisende Tätigkeit zum Energieversorgungsunternehmen im Sinne des § 3 Nr. 18 EnWG. Dies bringt verschiedene administrative Pflichten mit sich. Der Bezug zu den Smart Contracts ergibt sich daraus, dass diese eine Teilnahme auch ohne zwischengeschaltete Intermediäre ermöglichen. Der Prosumer kann auf diesem Weg eigenständig und vollautomatisiert nach außen tätig werden. Durch den hohen Grad an Standardisierbarkeit wird eine aktive Marktteilnahme des Individuums möglich. Darüber hinaus ergibt sich der besondere Bezug zu den regulierungsrechtlichen Pflichten daraus, dass Smart Contracts das Ni-
B. Pflichtenstellung des Prosumers nach dem EnWG197
veau menschlicher Interaktion herabsenken und hieraus erst die (wirtschaft lichen) Potenziale erwachsen. Fordern die regulierungsrechtlichen Pflichten dann jedoch – jedenfalls faktisch – eine menschliche Handlung, so ergeben sich Hemmnisse: Im Bereich der Mikrotransaktionen kann die Wirtschaftlichkeit bereits dadurch entfallen, dass der Prosumer persönlich und individuell im Rahmen jeder einzelnen Transaktion tätig werden muss, beispielsweise weil manuell Dokumente erstellt, Verbräuche abgelesen oder Dokumente von Hand signiert werden müssen. Nur wenn ein hoher Grad an Automatisierung möglich ist, sind Transaktionen über geringe Mengen Energie für Prosumer wirtschaftlich sinnvoll. Die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten zeichnen sich dadurch aus, dass nicht wie im hergebrachten Versorgungssystem langfristige und vollversorgende Lieferbeziehungen bestehen müssen, sondern oftmals ex ante vereinbarte Energiemengen in wesentlich geringerem Umfang über kurze Zeiträume gehandelt werden.163 Das Umfangs- und nicht das Zeitelement steht im Vordergrund; Verträge über bestimmte Energiemengen und nicht über die Vollversorgung über einen längerfristigen Zeitraum sind charakteristisch. Auch handelt es sich um tendenziell kürzere Austauschbeziehungen; Vertragspartner werden häufiger gewechselt.164 Dies hat Auswirkungen auf die Bedeutung der regulierungsrechtlichen Pflichten und macht Anpassungen erforderlich. Zwei Fragen stellen sich: Zunächst ist zu analysieren, welche Pflichten die Prosumer im Rahmen der Aktivitäten, mithin insbesondere des Energiehandels, de lege lata erfüllen müssen. Daran knüpft sich die Folgefrage an, ob diese Pflichten auch für die dezentralisierten und digitalisierten Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten adäquat sind und welche Anpassungen geboten sein könnten. Manche Pflichten hemmen die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten. Die Normen sind oftmals auf langfristige, auf Vollversorgung zielende Verträge mit großen, zentralisierten Energieversorgungsunternehmen zugeschnitten165 und bedürfen daher einer Anpassung. Der grundsätzliche Zweck hinter den einzelnen Pflichten trifft jedoch nahezu ausnahmslos auch auf Smart-Contract-basierte Prosumeraktivitäten zu. Daher bedarf es regelmäßig einer Anpassung und keiner Ausnahme. Auch im Rahmen der europarecht lichen Werke wurde für die Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie erwogen, die Prosumer vom Begriff der Energieversorgungsunternehmen und daher von
163 Siehe
hierzu oben Kapitel 3, A.I. hierzu oben Kapitel 3, A.I. 165 Siehe hierzu auch Chatzinerantzis/Bertram, EnWZ 2021, 65, 68 ff. 164 Siehe
198 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
weitreichenden Regulierungsvorgaben auszunehmen.166 Dies wurde als Möglichkeit großer Erleichterung für Prosumeraktivitäten gesehen,167 schlussendlich jedoch nicht in die endgültige Fassung übernommen. Dies unterstreicht, dass eine generelle Ausgrenzung der Prosumer aus dem Kreis der regulierungsrechtlich eingebundenen Energieversorgungsunternehmen unterbleiben muss. Kollidierende Schutzinteressen bestehen weiterhin und der Rechtsrahmen ist daher lediglich punktuell neu auszurichten.
I. Praktische Erfahrungen Regulierungsrechtliche Pflichten können bei Tätigkeiten geringen Umfangs hohe Kosten verursachen und so von großem Gewicht sein. Daher wird das geltende energierechtliche Regulierungsrecht für die Prosumeraktivitäten generell als Hemmnis gesehen, da die umfangreichen Pflichten abschrecken können.168 Das Unternehmen Prosumergy hat hieraus ein Geschäftsmodell im geltenden Rechtsrahmen entwickelt.169 Das Geschäftskonzept basiert darauf, dass Vermieter auf ihren Dächern Solaranlagen installieren (lassen) und den Strom ihren Mietern (mittelbar) zur Verfügung stellen, indem sie ihre Anlagen an Prosumergy vermieten. Prosumergy als Betreiber übernimmt sämtliche administrativen Tätigkeiten.170 Damit wird Prosumergy zum Lieferanten und Stromversorger und kehrt die Gewinne (partiell) an die Vermieter aus. Prosumergy wird dadurch zum einzigen Akteur, welcher nach außen energiewirtschaftsrechtlich auftritt. Prosumergy treffen die entsprechenden Pflichten. Dies zeigt bereits, dass für den individuellen Anlagenbetreiber erhebliche Anforderungen bestehen, sodass ein solches (zu vergütendes) Geschäftsmodell erst geschaffen wurde. Auch andere Akteure nehmen den Prosumern die notwendigen Anmeldungen und Formalitäten insgesamt oder punktuell ab, um die Prosumeraktivitä-
166 European Commission, Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council on the promotion of the use of energy from renewable sources (recast), COM(2016) 767 final/2, Article 21(1)(c). Siehe auch Lang/Müller, International Mining and Oil & Gas Law, Development, and Investment 2019, 17B-1, S. 8. 167 Lang/Müller, International Mining and Oil & Gas Law, Development, and Investment 2019, 17B-1, S. 8 m. w. N. 168 So Lauckner/Oberzig, Das (Anti-)Speicherpapier der BNetzA. 169 Die Website des Unternehmens ist abrufbar unter https://prosumergy.de/ (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 170 Siehe hierzu https://prosumergy.de/hauseigentumer/ (zuletzt abgerufen am 20.06.2023).
B. Pflichtenstellung des Prosumers nach dem EnWG199
ten attraktiver zu gestalten.171 Dass trotz dezentralisierter Strukturen wieder Intermediäre eingebunden werden, nun um den regulatorischen Pflichten entsprechen zu können, widerspricht dem Gedanken der selbstständigen, aktivierten Kunden. Diese begeben sich so erneut in Abhängigkeit von zentralisierten Akteuren und verlieren Teile ihrer neu gewonnenen Selbstständigkeit.
II. Anwendbare Regelungen und deren Anpassungsbedarf Anwendung finden auf die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten alle allgemeinen energiewirtschaftlichen (Rechts-)Regeln; es existiert kein speziell auf diese Akteure zugeschnittenes Rechtsregime. Das Regulierungsrecht knüpft im Rahmen der Energiewirtschaft bestimmte Pflichten an formal determinierte Stellungen – insbesondere niedergelegt in § 3 EnWG: Sobald die genannten Kriterien erfüllt sind, geht damit ein Schweif an Pflichten einher. Dies bedingt eine gewisse Starrheit. Die Kriterien orientieren sich am zur Zeit der gesetzlichen Niederlegung bestehenden Zustand und der zu dieser Zeit bestehenden Akteurslandschaft. Eine spätere Veränderung der tatsächlichen Strukturen kann so nicht unmittelbar berücksichtigt werden, der Gesetzgeber muss dafür erst die formalen Anknüpfungskriterien novellieren. Der Anpassungsbedarf fällt daher entsprechend umfassender aus als im deutlich flexibleren zivilrechtlichen Haftungsrecht. Dass Anpassungen notwendig werden, liegt in der Diversifizierung und Veränderung der Akteurslandschaft begründet: Die Energieversorgung war zuvor durch eine geringere Anzahl größerer Akteure wie Energieerzeugungsunternehmen sowie Netzbetreiber der verschiedenen Ebenen geprägt. Im Zuge der Liberalisierung der Energiewirtschaft172 traten hierzu zusätzlich Energiehändler ohne eigene Erzeugungsstrukturen sowie Akteure, welche Vermittlertätigkeiten übernahmen.173 Diese erste Dezentralisierung wurde weiter vorangetrieben, als durch die zunehmenden Preissenkungen für Er
171 Siehe hierzu etwa die Services der E.ON AG, vgl. https://www.eon.de/de/pk/ solar/photovoltaik-loesungen.html (zuletzt abgerufen am 20.06.2023), oder der Sonnen GmbH, vgl. https://sonnen.de/stromtarife/sonnen-flat-direkt/ (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 172 Siehe hierzu nur Albrechtskirchinger, EuZW 2004, 70, 70; Keil, in: Maslaton, Windenergieanlagen, Rn. 413; Tödtmann/Arens, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 1, § 42 Rn. 3. 173 Im Jahr 2020 existierten so beispielsweise 59 reine Stromhändler im bundesdeutschen Energiewirtschaftssystem, siehe BDEW, Energiemarkt Deutschland 2020, S. 14.
200 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
zeugungsanlagen Erneuerbarer Energien174 immer mehr und immer kleinere Akteure am Markt auftraten und sich etablierten.175 Dies brachte – neben der größeren Zahl von Akteuren – mit sich, dass auch koordinierende Akteure wie beispielsweise Aggregatoren176 entstanden; dies diversifizierte die Akteurslandschaft weiter. Die geltenden Rechtsregeln sind jedoch oftmals noch an den zentralisierten Strukturen mit wenigen, dafür großen Akteuren orientiert. An verschiedenen Stellen sind die Regelungen auf die kleineren, dafür vielzähligeren Akteure neu auszurichten. Gleiches gilt für die Entwicklung hin zu häufigeren Wechseln der Energieversorgungsunternehmen und die damit einhergehenden Verträge über ex ante festgelegte Energiemengen geringen Umfangs. Zuletzt fordert die digitalisierte, hochgradig automatisierte Abwicklung der Verträge über geringere Energiemengen, dass digitalisierte Abwicklungsmöglichkeiten existieren. Zutreffend wird daher argumentiert, dass die geltenden Normen oftmals unpassend für Prosumeraktivitäten sind, da der Prosumer nicht vollständig Bedarfe über einen längeren Zeitraum deckt.177 Die Lieferungen durch den Prosumer sind vielmehr in zeitlicher und quantitativer Hinsicht begrenzt und nicht auf eine Vollversorgung zugeschnitten. Das mengenmäßige Element, also der Handel bestimmter, aktuell verfügbarer Mengen, tritt in den Vordergrund. Dies ist folgerichtig, hält man sich vor Augen, dass die Prosumer vorwiegend jene Energiemengen zum Kauf anbieten, welche aktuell nicht benötigt werden.178 Den Pflichten de lege lata liegt oftmals jedoch das klassische Bild einer zeitorientierten, längerfristigen179 Bindung an ein einziges, vollversorgendes Energieversorgungsunternehmen zugrunde. Insbesondere kürzere, dem Umfang nach begrenzte Lieferbeziehungen verändern die Anforderungen an den Rechtsrahmen. Die Informationspflichten entsprechen bereits zu großen Teilen hinlänglich den Anforderungen an eine dezentralisierte und digitalisierte Energieversorgung; die Pflichten sind dabei nahezu ausnahmslos vollautomatisch und digital erfüllbar. Die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes im Jahr 2021 entwi174 Thobe/Lehr/Edler, Betrieb und Wartung von Anlagen zur Nutzung von erneuerbaren Energien: Kosten und Struktur in der Literatur, S. 7; siehe auch Lang, European Energy Law Report 2018, 135, 136. 175 Siehe oben Kapitel 1 A.; siehe auch Lang, European Energy Law Report 2018, 135, 135 f. 176 Siehe hierzu oben Kapitel 3, F.I. 177 Scholtka/Kneuper, IR 2019, 17, 19. 178 Siehe hierzu oben Kapitel 3, A.I. 179 Siehe zu diesem Merkmal etwa Hampel, Die Zukunft der Tarifkundenversorgung, S. 37.
B. Pflichtenstellung des Prosumers nach dem EnWG201
ckelt das Gesetzesrecht hier in die entsprechende Richtung weiter: Verschiedene Pflichten wurden dahingehend angepasst, dass ein dynamischerer Anbieterwechsel möglich wird und die vom Lieferanten zu erfüllenden Pflichten der Automatisierung zugänglich werden. Auf die Dezentralisierung hingegen geht die Novelle nur sehr begrenzt ein. Für alle Normen ist festzuhalten, dass diese sowohl bei der Nutzung der bestehenden Netzstrukturen als auch im Rahmen der Nutzung von Direkt leitungen oder dem eigenen Netzbetrieb durch Prosumer gelten, sofern dies nicht anders gekennzeichnet ist.180 1. § 5 EnWG § 5 EnWG ist die erste sehr grundlegende und weitreichende Regulierungsvorgabe. Diese Zentralnorm hemmt insbesondere in ihrer aktuellen Ausgestaltung und Handhabung durch die Regulierungsbehörde die SmartContract-basierten Prosumeraktivitäten;181 sie stellt eine deutliche Markteintrittshürde dar. Ein angepasster Zuschnitt auf dezentrale Akteure ist erforderlich, aber auch möglich und umsetzbar. § 5 EnWG begründet eine Anzeigepflicht bei der Regulierungsbehörde und stellt darüber hinaus in Verbindung mit §§ 40, 41 EnWG Vorgaben für die Lieferung an Haushaltskunden im Sinne des § 3 Nr. 22 EnWG auf. Der Bundesnetzagentur kommt im Gefüge des § 5 EnWG eine exponierte Stellung zu; sie ist Empfängerin der Anmeldungen und hat Untersagungsbefugnisse. Anzeigepflichtig sind dem Wortlaut nach Aufnahme und Beendigung der Liefertätigkeit sowie Firmenänderungen. Diese Anzeigen stellen somit auf selten auftretende, grundlegende Handlungen ab. Die Regelung ist – anders als die Vorgängerregelung182 – als Anzeige- nicht jedoch als Genehmigungspflicht ausgestaltet.183 Allerdings sind nach § 5 IV EnWG auch bereits zusammen mit der Anzeige verschiedene Leistungsfähigkeitskriterien materieller Art im Hinblick auf die personelle, technische und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit nachzuweisen. § 5 V EnWG ordnet daneben eine Untersagungsbefugnis in der Gestalt einer ex-post-Kontrolle an, 180 Siehe hierzu Hilpert, Rechtliche Bewertung von Power Purchase Agreements (PPAs) mit erneuerbaren Energien, S. 10. 181 So auch Scholtka/Martin, RdE 2017, 113, 117. 182 Siehe § 3 des Gesetzes über die Elektrizitäts- und Gasversorgung vom 24. April 1998 (BGBl. I S. 730) (Energiewirtschaftsgesetz 1998 – EnWG 1998). Siehe hierzu auch Büdenbender, DVBl. 1999, 7, 9. 183 Hermes, in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, § 5 EnWG Rn. 1; Säcker, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 1, § 5 EnWG Rn. 2; Schex, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 5 EnWG Rn. 1.
202 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
sofern „die personelle, technische oder wirtschaftliche Leistungsfähigkeit oder Zuverlässigkeit nicht gewährleistet ist“. a) Anwendbarkeit der Regelung Die Belieferung im Sinne des § 5 EnWG knüpft nicht an den physischtechnischen Durchleitungsvorgang, sondern die schuldrechtliche Pflicht zur Versorgung mit Energie an. Adressat der Norm ist, wer als Energielieferant die Versorgung von Haushaltskunden im eigenen Namen und auf eigene Rechnung übernimmt.184 Es muss sich nicht zwingend um einen Kauf handeln.185 Reine Vermittler von Energielieferungsverträgen oder Großhändler unterfallen konsequenterweise nicht § 5 EnWG.186 Der Adressatenkreis des § 5 EnWG ist daher enger gefasst als der des § 3 Nr. 18 EnWG. Ihm unterfallen auch Prosumer im Rahmen ihrer Aktivitäten auf der Basis von Smart Contracts: Sie sind schuldrechtlich – vermittelt über die Smart Contracts – verpflichtet, Energie an ihre Vertragspartner zu liefern und werden so ebenso als Energie- und damit Stromlieferanten gemäß §§ 3 Nr. 15c, 31a EnWG im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit in diesem Rahmen der Energieversorgung tätig. Der oftmals geringe Umfang ihrer Aktivitäten steht dabei der Annahme der Geschäftstätigkeit nicht entgegen, da – anders als die Gewerbsmäßigkeit – die Geschäftstätigkeit als Begriff keine qualifizierten Anforderungen an Umfang und Ausmaß der (wirtschaftlichen) Tätigkeiten stellt.187 Die Vertragspartner werden regelmäßig – wie auch die Prosumer selbst188 – Haushaltskunden im Sinne des § 3 Nr. 22 EnWG sein. Eine Ausnahme von der Anzeigepflicht existiert für die Belieferung innerhalb einer Kundenanlage oder in geschlossenen Verteilernetzen. Die Ausnahme für die Kundenanlagen will die vorwiegend dezentralen Anlagen ent-
184 BGH, Beschluss vom 07.06.2016 – EnVZ 30/15, juris-Rn. 15; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.06.2015 – VI‐3 Kart 190/14, juris-Rn. 130; Schex, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 5 EnWG Rn. 3. Siehe hierzu auch Fietze/Papke/Wimmer/ Antoni/Hilpert, Der Rechtsrahmen für regionale Peer to Peer‐Energieplattformen unter Einbindung von Blockchains, S. 22. 185 Hermes, in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, § 5 EnWG Rn. 10; Schex, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 5 EnWG Rn. 3. Als Alternative ließe sich beispielsweise ein Tausch oder eine Schenkung im Rahmen von Nachbarschaftsmodellen oder kombinierten Angeboten erwägen. 186 Schex, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 5 EnWG Rn. 4. 187 Siehe hierzu mit abweichender Auffassung Hermes, in: Bourwieg/Hellermann/ Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, § 5 EnWG Rn. 8. 188 Zur Charakterisierung der Prosumer als Haushaltskunden im Sinne des § 3 Nr. 22 EnWG siehe oben Kapitel 3, G.IV.
B. Pflichtenstellung des Prosumers nach dem EnWG203
lasten, welche kumulativ alle Kriterien des § 3 Nr. 24a EnWG erfüllen.189 Wenn eine Kundenanlage samt der dargelegten Voraussetzungen190 vorliegt, ist eine Ausnahme vom Anwendungsbereich des § 5 EnWG gegeben. Die Ausführungen im Folgenden gelten daher für jene Fälle, in welchen es sich nicht um eine ausschließliche Belieferung innerhalb einer Kundenanlage handelt. Teilweise wird angenommen, dass diese Ausnahme erst recht gelten müsse, sofern eine Direktleitung im Sinne des § 3 Nr. 12 EnWG genutzt wird, da diese ein Weniger zur Kundenanlage sei.191 Dies wäre für die Prosumeraktivitäten, welche auch Direktleitungen nutzen können, von Belang. Diese Auffassung ist jedoch nicht überzeugend. Zunächst spricht der Wortlaut des § 5 I 1 Hs. 2 EnWG von Kundenanlagen und knüpft dabei an die Terminologie des § 3 Nr. 24a EnWG an. Direktleitungen sind jedoch keine Kundenanlagen, sie erfüllen die Begriffskriterien nicht, insbesondere sind Direktleitungen kein Minus zu den Kundenanlagen. Kundenanlagen fordern nach § 3 Nr. 24a lit. d EnWG, dass Dritten ein diskriminierungsfreier und unentgelt licher Zugang zwecks Belieferung zur Verfügung zu stellen ist. Ein solches Kriterium ist den Direktleitungen fremd. Es besteht ein struktureller Unterschied zwischen Kundenanlagen und Direktleitungen; sie sind ein aliud zueinander. Auch werden explizit nicht auf Dauer angelegte Leitungen als Ausnahmen genannt. Diese stellen jedoch nur einen Ausschnitt aus der Gesamtmenge aller Direktleitungen dar und werden explizit adressiert. Würden mithin alle Direktleitungen auch als Minus der Ausnahme für Kundenanlagen unterfallen, wäre diese Variante der nicht auf Dauer bestehenden Leitungen überflüssig; sie würden dann bereits der Ausnahme für Kundenanlagen unterfallen. Bei einer Verbindung über Direktleitungen ist somit keine Ausnahme von § 5 EnWG gegeben. Auch der Ausnahme für die Versorgung über eine nicht auf Dauer angelegte Leitung unterfallen die Direktleitungen nicht. Direktleitungen und den nicht auf Dauer angelegten Leitungen gemein ist, dass in beiden Fällen keine umfangreiche, weitverzweigte Netzinfrastruktur besteht; es handelt sich um singuläre Verbindungen mittels einzelner Leitungen. Jedoch scheitert die Anwendbarkeit dieser Ausnahme am Kriterium fehlender Dauerhaftigkeit: Zu fordern ist, dass in zeitlicher Hinsicht nur ein vorübergehender Versorgungsakt vorgenommen wird; dies wird insbesondere bei der Versorgung von 189 BT-Drs. 17/6072, S. 53. Siehe auch Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 5 EnWG Rn. 19b. 190 Siehe hierzu oben Kapitel 3, G.II. 191 So Brahms, in: Maslaton, Windenergieanlagen, Rn. 528; Moench/Wagner/ Schulz/Wrede, Gutachterliche Stellungnahme „Rechtsfragen des Eigenverbrauchs und des Direktverbrauchs von Strom durch Dritte aus Photovoltaikanlagen“, S. 93.
204 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
Baustellen oder Märkten angenommen.192 Zwar kann sich bei den Prosumeraktivitäten auch eine einmalige kurzzeitige Versorgung ergeben, wenn in der Zukunft zwischen den Parteien nicht erneut kontrahiert wird. Im Regelfall – insbesondere, wenn sich die Parteien zur Errichtung einer (Direkt-)Leitung entscheiden – wird es jedoch verschiedene, über Dauer angelegte, obschon gegebenenfalls unregelmäßige, aber dennoch nicht zeitlich derartig begrenzte Belieferungsvorgänge geben.193 Somit sind Direktleitungen nach § 3 Nr. 12 EnWG und nicht auf Dauer angelegte Leitungen nach § 5 I 1 Hs. 2 EnWG nicht gleichzusetzen. § 5 EnWG findet daher grundsätzlich – abhängig von der konkreten Ausgestaltung der Zusammenschlüsse der Prosumer – auf Prosumeraktivitäten Anwendung.194 b) Inhalt der Regelung Mit Blick darauf stellt sich die Frage nach den inhaltlichen Anforderungen, die § 5 EnWG aufstellt. Da die Prosumer typischerweise Energie im kleineren Umfang produzieren und liefern, ist vor allem der in § 5 IV EnWG genannte Nachweis über die persönliche, technische und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit problematisch. Zwar spricht § 5 IV EnWG explizit nur vom Nachweis über die Leistungsfähigkeit; dieser formellen Nachweispflicht wohnt jedoch auch ein materielles Kriterium inne,195 wonach das Energieversorgungsunternehmen auch tatsächlich-inhaltlich leistungsfähig sein muss, damit ein solcher Nachweis erbracht werden kann. Für diese Beurteilung bedarf es einer Zukunftsprognose.196 192 Hermes, in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, § 5 EnWG Rn. 11. Siehe auch BT-Drs. 17/6072, S. 53. 193 Diese Ausnahme der nicht auf Dauer angelegten Leitungen könnte daher allenfalls in Gestaltungsoptionen gegeben sein, in welchen die beteiligten Akteure sich bewusst für eine derartig punktuell-kurzzeitige Einrichtung einer Leitung entscheiden, obschon dies nicht naheliegend oder wirtschaftlich sinnvoll erscheint. 194 Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 142; so im Ergebnis ohne eingehendere Herleitung auch Chatzinerantzis/Bertram, EnWZ 2021, 65, 69; Seltmann, Prosumer im Irrgarten der Paragrafen, S. 7. Zur abweichenden – vor dem o. g. Hintergrund und der o. g. Systematik abzulehnenden – Auffassung, wonach für Prosumer aufgrund der europarechtlichen Regelungen zu aktiven Kunden § 5 EnWG wegen einer teleologischen Reduktion des Begriffs der „Geschäftstätigkeit“ hier nicht anzuwenden sei; Hermes, in: Bourwieg/Hellermann/ Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, § 5 EnWG Rn. 8. 195 Siehe hierzu auch Hermes, in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, § 5 EnWG Rn. 30. 196 Hermes, in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, § 5 EnWG Rn. 30.
B. Pflichtenstellung des Prosumers nach dem EnWG205
In personeller Hinsicht muss das Energieversorgungsunternehmen über technisch und kaufmännisch sachkundiges und hinreichend qualifiziertes Personal verfügen.197 Die Bundesnetzagentur fordert den Nachweis mittels eines Organigramms sowie die Darlegung der Anzahl fest angestellter Mit arbeiter.198 Die technische Leistungsfähigkeit sichert den störungsfreien Betrieb und dient daher der Versorgungssicherheit.199 Hier sind ein digitaler Informationsaustausch und hinreichende Kommunikationsmöglichkeiten nachzuweisen.200 Für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist notwendig, die wesentlichen Wirtschaftsbilanzdaten für einen nachhaltigen Geschäftsbetrieb des Energieversorgungsunternehmens, insbesondere mit Blick auf die zuverlässige Erfüllbarkeit der Verpflichtungen, darzulegen.201 Gefordert wird, dass eine fünfjährige Finanzierungsprognose zur Darlegung der wirtschaft lichen Leistungsfähigkeit vorliegt.202 Zuletzt setzt § 5 EnWG voraus, dass auch die Zuverlässigkeit der Geschäftsleitung nachzuweisen ist. Dazu muss für jedes Mitglied der Geschäftsführung ein Führungszeugnis nach § 30 BZRG203 sowie eine Bonitäts-Auskunft vorgelegt werden.204 197 Hermes, in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, § 5 EnWG Rn. 31. Siehe auch Büdenbender, DVBl. 1999, 7, 15; Franke, in: Schneider/ Theobald, Recht der Energiewirtschaft, § 3 Rn. 44; Säcker, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 1, § 5 EnWG Rn. 30. 198 Bundesnetzagentur, Anzeige der Energiebelieferung von Haushaltskunden § 5 EnWG, abrufbar unter https://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Downloads/ DE/Sachgebiete/Energie/Unternehmen_Institutionen/HandelundVertrieb/Lieferanten Anzeige/FormularPar5Anzeige.pdf?__blob=publicationFile&v=9 (zuletzt abgerufen am 20.06.2023); Schex, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 5 EnWG Rn. 15. 199 Büdenbender, DVBl. 1999, 7, 15; Schex, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 5 EnWG Rn. 16. 200 Bundesnetzagentur, Anzeige der Energiebelieferung von Haushaltskunden § 5 EnWG, abrufbar unter https://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Downloads/ DE/Sachgebiete/Energie/Unternehmen_Institutionen/HandelundVertrieb/Lieferanten Anzeige/FormularPar5Anzeige.pdf?__blob=publicationFile&v=9 (zuletzt abgerufen am 20.06.2023); Hermes, in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, § 5 EnWG Rn. 32; Rauch, IR 2011, 26, 27; Schex, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 5 EnWG Rn. 22; Säcker, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 1, § 5 EnWG Rn. 31. 201 Büdenbender, DVBl. 1999, 7, 15; Schex, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 5 EnWG Rn. 17, 23. Siehe auch Bundesnetzagentur, Anzeige der Energiebelieferung von Haushaltskunden § 5 EnWG, abrufbar unter https://www.bundesnetzagentur. de/SharedDocs/Downloads/DE/Sachgebiete/Energie/Unternehmen_Institutionen/ HandelundVertrieb/LieferantenAnzeige/FormularPar5Anzeige.pdf?__blob=publica tionFile&v=9 (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 202 Schex, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 5 EnWG Rn. 15. Siehe auch Bundesnetzagentur, Beschluss vom 26.06.2007 – BK6-07-008, S. 12. 203 Gesetz über das Zentralregister und das Erziehungsregister in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. September 1984 (BGBl. I S. 1229, 1985 I S. 195), das
206 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
Diese Anforderungen zeigen, dass § 5 EnWG auf große, gesellschaftsrechtlich organisierte Energieversorgungsunternehmen zugeschnitten ist, insbesondere wenn expressis verbis auf die „Geschäftsleitung“ Bezug genommen wird. Dies korreliert mit dem Leitbild der hergebrachten Energieversorgungsstrukturen, in welchen zentralisierte Großunternehmen die Energieversorgung übernehmen. Die im Rahmen des § 5 EnWG vorzulegenden Informationen werden nach § 5 I 2 EnWG veröffentlicht. Ein Formblatt der Bundesnetzagentur zu § 5 EnWG205 dient als Handreichung zur Unterstützung und konkretisiert die Anforderungen. Zusammenfassend begründet § 5 EnWG die Pflicht zum Nachweis und zur Erfüllung bestimmter Anforderungen an die Leistungsfähigkeit des Ener gieversorgungsunternehmens. Diese sind prima facie an den zentralisierten, hergebrachten Energieversorgungsstrukturen orientiert. Dies verdeutlicht sich durch die gewählten Modalitäten der Nachweise und die verwendeten Termini. Derartige Strukturen bestehen in zentralisierten Großunternehmen, nicht jedoch bei Aktivitäten im kleinen Umfang. c) Problem fehlender Ausweichmöglichkeiten Bestünden für die Prosumer Möglichkeiten, die Anforderungen des § 5 EnWG nicht selbst erfüllen zu müssen, indem bestimmte Gestaltungen gewählt werden, könnten die Prosumer die Erfüllung der Anforderungen um gehen. Die Anforderungen des § 5 EnWG müssen die Prosumer nach dem gesetzlichen Leitbild aber selbst erfüllen. Sie sind das Energieversorgungs unternehmen im Sinne des § 3 Nr. 18 EnWG und Lieferant der Energie. Verschiedene Ansätze sind jedoch denkbar, wie Prosumer im geltenden Regelungsgefüge des § 5 EnWG aktiv werden können, ohne dessen Anforderungen erfüllen zu müssen.206 In diesen Gestaltungen ist der Prosumer jedoch zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 04. Dezember 2022 (BGBl. I S. 2146) geändert worden ist (Bundeszentralregistergesetz – BZRG). 204 Bundesnetzagentur, Anzeige der Energiebelieferung von Haushaltskunden § 5 EnWG, abrufbar unter https://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Downloads/ DE/Sachgebiete/Energie/Unternehmen_Institutionen/HandelundVertrieb/Lieferanten Anzeige/FormularPar5Anzeige.pdf?__blob=publicationFile&v=9 (zuletzt abgerufen am 20.06.2023); Schex, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 5 EnWG Rn. 18; Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 5 EnWG Rn. 22. 205 https://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Downloads/DE/Sachgebiete/ Energie/Unternehmen_Institutionen/HandelundVertrieb/LieferantenAnzeige/Formular Par5Anzeige.pdf?__blob=publicationFile&v=9 (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 206 Siehe hierzu auch Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 143.
B. Pflichtenstellung des Prosumers nach dem EnWG207
wiederum von anderen Akteuren abhängig und verliert so seine Unabhängigkeit und Selbstständigkeit. Eine hinreichende Ausweichmöglichkeit existiert mithin nicht. Wird ein Intermediär zwischengeschaltet, so beispielsweise im Rahmen eines virtuellen Kraftwerks, und tritt nur dieser nach außen auf, muss dieser Intermediär die Anforderungen des § 5 EnWG erfüllen. Er allein verpflichtet sich nach außen zur Lieferung von Energie. Dieses Szenario ist mit dem klassischen Energieversorgungssystem vergleichbar, indem mit dem Intermediär kontrahiert wird und dann dem Bild der Bündelung entsprechend umfassendere Mengen Energie über längere Zeiträume durch einen größeren Akteur gehandelt werden. Hier tritt der Prosumer nicht nach außen auf; er bleibt vielmehr im Innenverhältnis zum Intermediär und ist somit auch von diesem abhängig. Von einer umfassenden Selbstständigkeit und Unabhängigkeit im Sinne einer Aktivierung der Prosumer kann in diesen Fällen nur eingeschränkt gesprochen werden. Einen ähnlichen Ansatz wählt auch das oben genannte Unternehmen Prosumergy: Prosumergy selbst ist bei der Bundesnetzagentur nach § 5 EnWG als Energieversorgungsunternehmen gelistet207 und tritt somit nach außen auf. Auf diese Weise können die Probleme rund um § 5 EnWG umgangen werden, indem der Prosumer selbst nicht entsprechend § 5 EnWG nach außen liefernd auftritt. Ermöglicht wird die „Umgehung“ der Verpflichtung der Prosumer dadurch, dass Prosumergy die Photovoltaikanlagen auf den Dächern der Vermieter mietet und selbst den Strom zur Verfügung stellt.208 Daher ist nur Prosumergy, nicht jedoch der einzelne Vermieter Adressat des § 5 EnWG. Jedoch entspricht auch dieses Vorgehen nicht der unmittelbaren Einbindung der Prosumer als aktivierten, unabhängigen und selbstständigen Akteuren. Abhängigkeiten entstehen, wenn ein Intermediär zwischengeschaltet wird.209 Dies betont auch Art. 15 II lit. a Elektrizitätsbinnenmarktricht linie, wonach die Kunden mittels Aggregatoren, mithin einer speziellen Form von Intermediären, tätig werden dürfen, aber nicht müssen. Eine adäquate Option, auch ohne Intermediäre aktiv werden zu können, ist mithin erforder207 Siehe die von der Bundesnetzagentur gemäß § 5 S. 2 EnWG veröffentlichte Liste der Energieversorgungsunternehmen auf S. 16, abrufbar unter https://www. bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Downloads/DE/Sachgebiete/Energie/Unternehmen _Institutionen/HandelundVertrieb/LieferantenAnzeige/StromVersorgerListe.pdf;jsessi onid=6EFA120EE7651B63A3A91A0F7B405470?__blob=publicationFile&v=112 (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 208 Siehe hierzu https://prosumergy.de/hauseigentumer/ (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 209 Siehe hierzu auch Liu/Chai/Zhang/Chen, Peer-to-peer electricity trading system: smart contracts based proof-of-benefit consensus protocol, S. 2.
208 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
lich. In diesen Fällen sind de lege lata die Anforderungen des § 5 EnWG einzuhalten. Als ein weiterer Lösungsvorschlag wird eine Kombinationsanzeige vorgeschlagen:210 Der Prosumer versichert der Bundesnetzagentur, dass er nur in Kooperation mit einem hergebrachten Energieversorger tätig wird und dieser ihn unterstützt, sollte der Prosumer seinen Pflichten nicht hinreichend nachkommen (können). Abseits der rein praktischen Fragen, wie eine solche Kombinationsanzeige aussehen muss, um anerkannt zu werden, würde dies jedoch der Selbstständigkeit der Prosumer diametral entgegenstehen, müssten sich die Prosumer an ein hergebrachtes Energieversorgungsunternehmen binden, um am Markt beliefernd tätig werden zu können. Von unabhängigen, dezentralen und eigenverantwortlichen Kleinstlieferanten könnte auch in diesem Fall nicht gesprochen werden. Zuletzt können die Prosumer Gestaltungen wählen, welche einer der Ausnahmen des § 5 EnWG unterfallen. Naheliegend wäre dabei eine Kundenanlage im Sinne des § 3 Nr. 24a EnWG. In diesen Fällen ist jedoch keine Einspeisung in das Netz zur Belieferung von Haushaltskunden außerhalb der Kundenanlage möglich; die Ausnahme des § 5 I 1 Hs. 2 EnWG greift nur ein, sofern nur innerhalb der Kundenanlage als räumlich sehr begrenztem Gebiet211 versorgt wird. Allerdings wäre die Einspeisung in das Netz möglich, sofern hierdurch keine Haushaltskunden versorgt werden. Es ergäbe sich hier mithin die Möglichkeit der Versorgung (auch) von Haushaltskunden innerhalb der Kundenanlage und von lediglich Nicht-Haushaltskunden außerhalb der Kundenanlage. Dies würde den Handlungsspielraum, insbesondere die Belieferung anderer Haushaltskunden-Prosumer außerhalb der Kundenanlage, stark beschränken. Darüber hinaus müsste die genutzte Netzstruktur ferner die Anforderungen der Kundenanlage erfüllen. Damit müssen Prosumer die Anforderungen von § 5 EnWG erfüllen, wollen diese nicht in eines der genannten Abhängigkeitsverhältnisse eintreten.
210 Fietze/Papke/Wimmer/Antoni/Hilpert, Der Rechtsrahmen für regionale Peer to Peer‐Energieplattformen unter Einbindung von Blockchains, S. 28. Siehe hierzu auch die Bekanntmachungen der Bundesnetzagentur nach § 5 S. 2 EnWG beispielsweise betreffend Norbert Neuburger, welcher hiernach ebenso nur zusammen mit einem anderen Energieversorgungsunternehmen tätig wird, vgl. https://www.bundesnetz agentur.de/SharedDocs/Downloads/DE/Sachgebiete/Energie/Unternehmen_Institutio nen/HandelundVertrieb/LieferantenAnzeige/StromVersorgerListe.pdf;jsessionid=F850 A946E8E91605E555A1B582382383?__blob=publicationFile&v=118 (zuletzt abgerufen am 20.06.2023), S. 15. 211 Siehe hierzu oben Kapitel 3, G.II.
B. Pflichtenstellung des Prosumers nach dem EnWG209
d) Keine generelle Ausnahme von Leistungsfähigkeitskriterien Zur Entlastung könnte eine generelle Ausnahme von den Leistungsfähigkeitserfordernissen des § 5 EnWG für die Prosumer erwogen werden. So schlug der Bundesrat vor, generell eine bloße Veröffentlichungspflicht ohne jegliche Leistungsfähigkeitsprüfung zu schaffen.212 Dieser Vorschlag wurde jedoch nicht übernommen. Vor dem Hintergrund von Sinn und Zweck des § 5 EnWG ist dies zu begrüßen: Der grundsätzliche Sinn und Zweck des § 5 EnWG ist für die bestehenden Strukturen und dem Grundsatz nach auch für die Prosumeraktivitäten zutreffend. Hintergrund der Leistungsfähigkeitskriterien in § 5 EnWG ist, dass nur zuverlässige Akteure im zentralen Bereich213 der Energieversorgung gegenüber Haushaltskunden tätig werden sollen. Der Schutz vor leistungsunfähigen Energieversorgern als Ausprägung des Verbraucherschutzes steht im Fokus.214 § 5 EnWG ist an der Langfristigkeit und Dauerhaftigkeit der Energieversorgung ausgerichtet; die Leistungsfähigkeit über eine gewisse Dauer soll gewährleistet werden.215 Dies geht damit einher, dass die Energieversorgung im hergebrachten Energieversorgungssystem langfristiger und zeitraumbezogen angelegt ist. Bei den Prosumeraktivitäten hingegen steht der Abschluss vieler kleiner Verträge über ex ante festgelegte Energiemengen im Vordergrund. Dies führt zu häufigeren Wechseln zwischen den Anbietern; eine langfristige, mengenungebundene Versorgung durch ein Energieversorgungsunternehmen wird in der Regel nicht angestrebt.216 Die Leistungsfähigkeit auf Dauer ist daher nicht von derart entscheidender Bedeutung. Sofern es zu Ausfällen kommt, ist dies mit Blick auf die tendenziell geringeren Umfänge der individuell abgeschlossenen Verträge ein weniger bedeutsamer Ausfall und mit einer weniger intensiven Interessenbeeinträchtigung verbunden. Über die automatisiert ablaufenden Prozesse auf der Basis von Smart Contracts kann Ersatz schneller gefunden werden. Ferner ist das Risiko durch mögliche Insolvenzen dadurch geringer. Dennoch bleibt ein Schutzbedürfnis der Haushaltskunden bestehen, denn durch die ausbleibende Lieferung der Energie können auch gewichtige Fol212 Siehe
BT-Drs. 15/3917, S. 80. staatlichen Gewährleistungsverantwortung hinsichtlich der Versorgungssicherheit siehe unten Kapitel 4, C.III.1. 214 Hermes, in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, § 5 EnWG Rn. 1 f.; Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 5 EnWG Rn. 23, 26; Säcker, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 1, § 5 EnWG Rn. 1. 215 Vgl. Säcker, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 1, § 5 EnWG Rn. 1. 216 Siehe hierzu auch oben Kapitel 3, A.I. 213 Zur
210 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
geschäden auftreten.217 Ebenso ist einem Missbrauch vorzubeugen.218 Dies dient dazu, die Kredibilität der Prosumer-Aktivitäten zu sichern und ein Gesamtsystemvertrauen zu erhalten. Der Schutz vor leistungsunfähigen Pro sumern stellt deshalb ein legitimes Schutzziel dar. Die besondere Stellung der Versorgungssicherheit fordert dies.219 Das Schutzbedürfnis der Kunden der Prosumer ist somit zwar reduziert, jedoch nicht aufgehoben. Prosumer sind daher nicht generell von den Leistungsfähigkeitskriterien auszunehmen. e) Punktuelle Anpassungen in Bezug auf Einzelaspekte Es ist daher nach punktuellen Anpassungen zu suchen.220 Diese haben sich an den einzelnen Anforderungen des § 5 IV EnWG zu orientieren und diese vor dem Hintergrund der Besonderheiten der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten abzuändern. Insbesondere auf den kleineren Zuschnitt der Akteure in dezentralisierten Energieversorgungssystemen ist Rücksicht zu nehmen, ebenso wie auf den geringeren Umfang der einzelnen Transak tionen. Dies geschieht aktuell noch nicht; besonders deutlich zeigt sich der Zuschnitt des § 5 IV EnWG auf zentralisierte Systeme. Die Genese des § 5 EnWG stützt dabei das Bild einer Liberalisierung und Anpassung an veränderte Umstände: So handelte es sich bei der Vorgängervorschrift des § 5 EnWG in § 3 EnWG 1998 um einen Genehmigungsvorbehalt.221 Im Zuge der Liberalisierung der Energiewirtschaft ist nun keine Genehmigung mehr erforderlich, sondern es wird in § 5 EnWG eine reine Anzeige- und Nachweispflicht begründet.222 An diese Entwicklung ist anzuknüpfen und sie ist weiterzuführen. Deutlich wird auch, dass nicht sämtliche in der Realität gestellten Anforderungen im Rahmen des § 5 EnWG auch im Gesetzestext selbst niedergelegt sind. Die Exekutive prägt vielfach die konkrete Anwendung und Ausfüllung der Merkmale. Hier ist zur Anpassung an die dezentralisierten und digitalisierten Prosumer-Systeme insbesondere auf der Basis von Smart Contracts keine Anpassung des Gesetzestextes selbst erforderlich, sondern es genügt, wenn die entsprechende exekutive Praxis angepasst wird. Eine Klarstellung auch auf Gesetzesebene kann jedoch zur Rechtsklarheit beitragen. 217 Zu
diesen möglichen Schäden siehe oben unter Kapitel 4, A.II.1.b)aa)(3). hierzu Guckelberger, DVBl. 2015, 1213, 1213 f. 219 Siehe hierzu unten Kapitel 4, C.III.1. 220 Mit diesem Gedanken punktueller Anpassungen auch Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 327. 221 Siehe hierzu oben Kapitel 4, B.II.1. 222 Zu dieser Charakterisierung siehe Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 5 EnWG Rn. 1. 218 Siehe
B. Pflichtenstellung des Prosumers nach dem EnWG211
aa) § 5 I 1 EnWG: Anzeigepflicht im Generellen Die grundsätzliche Pflicht, die Tätigkeit hinsichtlich des Beginns und des Endes der Belieferung von Haushaltskunden mit Energie sowie Änderungen der Firma anzuzeigen, ist kein Hindernis für die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten. Es handelt sich hierbei um einen sehr punktuellen und selten auftretenden Akt, welcher keines größeren Aufwands bedarf. Bei diesen selten, oftmals nur einmalig auftretenden Pflichten können Digitalisierung und Automatisierung zwar keine Potenziale entfalten, da dies wiederkehrende Aufgaben erfordern würde.223 Mit Blick auf den lediglich sehr selten auftretenden Akt der bloßen Anmeldung und Mittelung derart grundlegender Änderungen im eigenen Betrieb selbst stellt dies jedoch kein Hindernis dar. Insbesondere handelt es sich nicht um eine regelmäßig im laufenden Betrieb zu erfüllende Pflicht. Darüber hinaus kann diese Pflicht auch durch Dritte namens und im Auftrag des Prosumers erfüllt werden.224 bb) § 5 I 2 EnWG Gemäß § 5 I 2 EnWG sind die „Firma und die Adresse des Sitzes des angezeigten Unternehmens“ zu veröffentlichen. Diese Formulierung legt nahe, dass nur Unternehmen im Sinne von juristischen Personen, nicht aber auch natürliche Personen aufgenommen werden können. Dies ist jedoch nicht der Fall. Auch natürliche Personen können aufgenommen werden, so geschieht es auch in der Anwendungspraxis durch die Bundesnetzagentur.225 Im Zuge der Dezentralisierung der Energieversorgung werden zunehmend auch natürliche Personen ohne zwischengeschaltete gesellschaftsrechtliche Konstrukte energiebeliefernd tätig werden. Der europäische Regelungsrahmen sieht dies in Art. 15 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie explizit vor. Dass § 5 I 2 EnWG daher einen terminologischen Zuschnitt auf Unternehmen und unternehmensrechtliche Konstrukte vorsieht, entspricht dem Energieversorgungssystem vergangener Zeit mit zentralisierten Energieversorgungsunternehmen als Großversorgern. Der Wortlaut des § 5 I 2 EnWG erklärt sich jedoch mit einem Blick auf den Begriff des Energieversorgungsunternehmens in § 3 Nr. 18 EnWG: Dieser erfasst nach seinem eindeutigen Wortlaut natürliche wie juris223 Siehe
hierzu oben Kapitel 3, C. dieser Möglichkeit siehe unten ausführlich Kapitel 4, B.III.3. 225 Siehe hierzu innerhalb der Veröffentlichungsliste der Bundesnetzagentur beispielsweise auf S. 11 Hermann Hansen, abrufbar unter https://www.bundesnetzagentur. de/SharedDocs/Downloads/DE/Sachgebiete/Energie/Unternehmen_Institutionen/ HandelundVertrieb/LieferantenAnzeige/StromVersorgerListe.pdf;jsessionid=6EFA12 0EE7651B63A3A91A0F7B405470?__blob=publicationFile&v=112 (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 224 Zu
212 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
tische Personen und ist nicht auf Unternehmen im Sinne von Gesellschaften begrenzt. Auf diesen legaldefinierten Begriff nimmt auch § 5 I 2 EnWG durch den (weiten) Begriff des Unternehmens Bezug, ohne dabei natürliche Personen auszuschließen. Allerdings wird auch explizit auf unternehmensrechtliche Begriffe wie Firma und Anschrift des Sitzes Bezug genommen, welche natürliche Personen nicht besitzen. Zur Klarstellung ist daher zu empfehlen – ohne dass es eine rechtstatsächliche Änderung mit sich brächte – den Wortlaut dahingehend anzupassen, dass nicht länger rein unternehmensrechtliche Begriffe verwendet werden, sondern eine Formulierung gefunden wird, welche auch offener für natürliche Personen ist. Diese drängen im Zuge der Dezentralisierung vermehrt auf den Markt und sollten daher vom Gesetz eindeutig adressiert werden. Der Wortlaut des § 5 I EnWG wäre dahingehend anzupassen, dass hinter den Passus „sowie Änderungen ihrer Firma“ ergänzt wird „im Falle von natürlichen Personen ihres Namens“. § 5 I 2 EnWG könnte dahingehend abgeändert werden, dass hinter den Passus „veröffentlicht werden die Firma und die Adresse des Sitzes der angezeigten Unternehmen“ eingefügt wird „im Falle von natürlichen Personen der Name und die Adresse der natürlichen Person“. cc) § 5 IV EnWG: Dimensionen des Leistungsfähigkeitskriteriums Die verschiedenen Dimensionen des Leistungsfähigkeitskriteriums sind hingegen nicht bloß klarstellungs- sondern in hohem Maße anpassungsbedürftig. Insbesondere die Handhabung in der Praxis ist deutlich auf zentralisierte Systeme mit Großakteuren ausgerichtet. Hier können Hürden für die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten herabgesetzt werden, ohne zwingende Schutzbedürfnisse zu vernachlässigen. Die Kriterien sind für die Prosumer als dezentrale Akteure dem Umfang nach anzupassen. Konkret sollte sich der Rechtrahmen in diesem Bereich an den individuellen Größen und damit den korrespondierenden Anforderungen und Potenzialen orientieren. Kleinere Prosumer, welche persönlich haften und nicht vermittelt über eine Kapitalgesellschaft tätig werden, überfordert es, wenn – wie aktuell – eine fünfjährige Finanzierungsprognose für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eingefordert wird.226 Auch ist beim singulären Betrieb einer Photovoltaikanlage durch Privatpersonen keine Personalstruktur oder Geschäftsleitung im Sinne des § 5 IV EnWG gegeben, über welche informiert werden könnte. § 5 IV EnWG muss daher eine deutlich größere Flexibilität erhalten, jedenfalls in der Handhabung durch die Exekutive. Es sind keine pauschalen Anforderungen an die Nachweise zu stellen, sondern es ist 226 Vgl. Schex, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 5 EnWG Rn. 15. Siehe auch Bundesnetzagentur, Beschluss vom 26.06.2007 – BK6-07-008, S. 12.
B. Pflichtenstellung des Prosumers nach dem EnWG213
im individuellen Einzelfall das Nachweisniveau zu bestimmen. Dieses hat sich an der konkreten Größe und damit dem Schadenspotenzial des Prosumers zu orientieren. Eine pauschale Entlastung aller Prosumeraktivitäten ist dadurch jedoch nicht geboten. Bei Zusammenschlüssen von Prosumern können Strukturen entstehen, welche ihrer Größe nach keine kleinen Erzeuger geringen Umfangs sind. Vielmehr können in diesen Zusammenschlüssen – nach dem Vorbild des virtuellen Kraftwerks – verschiedene Beteiligte gebündelt werden und so größere Volumina erreichen. Treten diese gemeinsam nach außen auf, trifft nur den Verbund als solchen die Anzeigepflicht, da nur dieser nach außen Energie liefert und somit Lieferant im Sinne der Norm ist. In diesen Fällen ist der Unterschied zur zentralisierten Energieversorgung gering. Es stellen sich dort andere Anforderungen an die Prosumer (in ihrer Gemeinschaft) als bei der individuellen Kleinsttätigkeit einzelner privater Prosumer. Eine pauschale Entlastung der Prosumeraktivitäten ist nicht geboten, sondern es ist vielmehr nach der Größe und Ausgestaltung zu fragen. Demnach bietet es sich an, Erleichterungen hinsichtlich des Leistungsfähigkeitsnachweises an der Größe und damit dem Schadenspotenzial des jeweiligen Prosumers beziehungsweise Prosumerverbunds zu orientieren.227 Maßgebliche Kennzahlen können die Anzahl der angeschlossenen Letztverbraucher, die Komplexität der zu übernehmenden Tätigkeiten auf Erzeugungs-, Verteilungs- und Abwicklungsebene sowie der Umfang der Energielieferungen sein. Diese Kriterien sind maßgeblich dafür, welche realen Anforderungen an das jeweilige Energieversorgungsunternehmen zu stellen und inwieweit die Haushaltskunden schutzbedürftig sind. Die Anforderungen variieren je nach Art und Umfang der Tätigkeiten stark. Hieran haben sich die geforderten Leitungsfähigkeitskriterien zu orientieren. Es ist eine größere Flexibilität nötig. Ausschlaggebend für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sind zudem die Gesellschafts- und Haftungsform. Auch dies ist eine Besonderheit im Rahmen der Dezentralisierung, dass die Akteure nicht mehr zwingend haftungsbeschränkte Kapitalgesellschaften sind. Für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist besonders wichtig, ob eine beschränkte Haftung existiert oder die persönliche, unbeschränkte Haftung gegeben ist. Die Erfüllung von Verbindlichkeiten, welche durch das wirtschaftliche Leistungsfähigkeitskriterium sichergestellt werden soll,228 ist bei haftungsbeschränkten Kapitalge227 Zu diesem Gedanken generell im Bereich der von den Prosumer einzuhaltenden Pflichten Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 327 ff. 228 Bundesnetzagentur, Beschluss vom 26.06.2007 – BK6-07-008, S. 12; Rauch, IR 2011, 26, 27.
214 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
sellschaften verändert, da die Haftungsmasse begrenzt ist.229 Bei der persönlichen Haftung besteht eine zeitlich und dem Umfang nach (in den Grenzen des Insolvenzrechts) unbegrenzte Haftung der Person. Bei den haftungsbeschränkten Kapitalgesellschaften hingegen ist das haftende Vermögen begrenzt, sodass die bestehende Liquidität und Liquiditätsplanung von größerer Bedeutung sind,230 da insbesondere keine natürliche Person mit ihrem gesamten persönlichen Vermögen für die Verbindlichkeiten haftet. Zwar kann auch eine natürliche Person haftungstechnisch ausfallen, sofern sie in die Insolvenz fällt. Im Vergleich zur Insolvenz einer Kapitalgesellschaft stellt dies jedoch einen substanziell anderen, wesentlich tiefer in das persönliche Leben und die persönlichen Verhältnisse eingreifenden Vorfall dar, sodass hier eine geringere Risikolage für die Gläubigerforderungen gegeben ist. Dies zeigt bereits die Insolvenzantragspflicht nur bei juristischen Personen nach § 15a InsO. Aufgrund dessen bietet es sich an, die Anforderungen insbesondere des wirtschaftlichen Leistungsfähigkeitskriteriums auch an der Haftungsverfassung zu orientieren. Es ist somit ein abgestuftes System der Anforderungen geboten, welches sich an der Größe und an den Charakteristika des liefernden Akteurs orientiert. Nur so kann den individuellen Besonderheiten und dem individuellen Potenzial entsprochen werden, da die Akteurslandschaft und ihre Ausgestaltung deutlich diversifiziert sind. Für die Umsetzung dieser Anpassung bestehen zwei Optionen, denn die gestellten detaillierten Anforderungen ergeben sich aus einem Zusammenspiel des Gesetzestextes und seiner Handhabung in der Praxis. Der Gesetzestext an sich gibt nicht die konkret geforderten Nachweise vor, sondern umreißt nur äußerst grob die Dimensionen der Leistungsfähigkeit. Die individuelle Handhabung mit den präzisen Nachweisobliegenheiten wird erst durch die Bundesnetzagentur konkretisiert. Eine Anpassung an die dezentralisierten Erzeugungsstrukturen und damit auch kleinen Akteure kann somit auf zwei Ebenen vorgenommen werden: Zum einen könnte auf gesetzlicher Ebene festgelegt werden, dass Nachweise entsprechend der Größe und Kapazität erforderlich sind und beispielsweise durch Regelbeispiele (nicht abschließend) aufgezählt wird, auf welche Art und Weise die Nachweise zu erbringen sind.231 Daneben 229 Siehe
Grigoleit, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 1 AktG Rn. 17 f. verdeutlicht sich besonders durch die Insolvenzantragspflicht nach § 15a der Insolvenzordnung vom 5. Oktober 1994 (BGBl. I S. 2866), die zuletzt durch Artikel 35 des Gesetzes vom 10. August 2021 (BGBl. I S. 3436) geändert worden ist (Insolvenzordnung – InsO). 231 Mit Blick auf die Ordnungswidrigkeit fehlerhafter Anzeigen würde sich eine explizite Klarstellung auf gesetzlicher Ebene anbieten, vgl. § 95 I Nr. 2 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 230 Dies
B. Pflichtenstellung des Prosumers nach dem EnWG215
könnte auch die Verwaltungspraxis der Bundesnetzagentur in den Grenzen der bestehenden rechtlichen Regelungen angepasst werden. Im Fall einer Anpassung der Norm sollte diese de lege ferenda derart ausgestaltet werden, dass der Gesetzestext in fließender, flexibler Form umschreibt, dass charakter- und leistungsadäquate Nachweise zu erbringen sind. Der Wortlaut des § 5 IV EnWG könnte in diesem Fall wie folgt ergänzt werden: „Umfang und Inhalt der Nachweise haben sich an den Eigenschaften und Charakteristika der Energieversorgungsunternehmen zu orientieren. Hierbei sind insbesondere die Größe und angeschlossene Leistung, die Anzahl der versorgten Letztverbraucher und Haushaltskunden sowie die Haftungsverfassung und die Komplexität der zu erbringenden Tätigkeiten zu berücksichtigen“. Eine Orientierung an fixen Grenzen232 für den nötigen Umfang der Nachweise beispielsweise in Bezug auf die angeschlossene Leistung, eingespeiste Energiemengen oder die Haftungsverfassung ist hierbei jedoch nicht naheliegend. Für eine angemessene Bewertung sind in einer Gesamtschau eine Vielzahl von Kriterien zu berücksichtigen, welche allesamt das nötige Niveau an Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit bestimmen. Dies können fixe Grenzen nur sehr bedingt widerspiegeln. Darüber hinaus handelt es sich im Bereich der dezentralisierten Energieversorgung um ein sehr dynamisches Feld, in welchem eine flexible Berücksichtigung von künftigen Entwicklungen auch vor dem Hintergrund der zunehmenden Elektrifizierung233 und der technischen Entwicklung erforderlich ist. Diese Flexibilität entfällt, wenn an fixe Grenzen angeknüpft wird. Die Leistungsfähigkeitskriterien sind im Ergebnis punktuell dahingehend anzupassen, dass auf die Besonderheiten und Ausprägungen der jeweiligen Prosumeraktivitäten einzugehen ist. Dies vermeidet inadäquate Belastungen der Prosumer und wirkt damit einer Hemmung der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten entgegen. dd) § 5 IV EnWG: Zuverlässigkeit der Geschäftsführung Die Anforderungen an die Zuverlässigkeit der Geschäftsführung, welche durch eine Bonitätsauskunft sowie ein Führungszeugnis nachzuweisen
1987 (BGBl. I S. 602), das zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 14. März 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 73) geändert worden ist (Ordnungswidrigkeitengesetz – OWiG). 232 So beispielsweise die handelsbilanzrechtlichen Grenzen des HGB in §§ 238 ff. HGB, insbesondere § 267 II HGB. 233 Siehe hierzu Jope, EWeRK 2021, 145, 147.
216 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
sind,234 sind im Rahmen digitalisierter und dezentralisierter Abwicklungsmechanismen in der aktuell bestehenden Form nicht geboten. Es bedarf einer abweichenden Regelung für kleine Akteure mit kleinem Handlungsradius. Der Vergleich mit anderen Wirtschaftsbereichen zeigt, dass bei Geschäften geringen Umfangs keine derartig hohen Anforderungen persönlicher Art zu stellen sind. Die Tätigkeiten sind den übrigen – in dieser Hinsicht nicht regulierten – Wirtschaftsbereichen gleichzustellen. Auch ohne einen derartigen Zuverlässigkeitsnachweis kann den Redlichkeitsinteressen des Rechtsverkehrs entsprochen werden. Dies wird dem dezentralen und damit kleineren Betätigungsrahmen gerecht. Jene Bereiche des öffentlich-rechtlichen Gewerberechts, in welchen Führungszeugnisse eingefordert werden, zeigen ein deutlich abgewandeltes Schutzbedürfnis im Vergleich zu den Smart-Contract-basierten Prosumerak tivitäten: § 38 GewO235 als zentrale Norm fordert das Führungszeugnis ausschließlich dort, wo ein großes Straftat- und Betrugspotenzial besteht236, besonders emotionale, persönliche und zentrale Lebensbereiche237 oder individuelle Sicherheitsinteressen238 betroffen sind. Diese Umstände liegen beim Energiehandel im geringen Umfang in Sinne der Prosumeraktivitäten nicht vor; derartige weitreichende Sicherheits- und Rechtsgüterschutzinteressen sind nicht tangiert. Zwar finden die Aktivitäten im Bereich der Energieversorgung als kritischer Infrastruktur239 statt, sodass die zentralisierten Strukturen ein besonderes Schutzbedürfnis aufweisen.240 Der einzelne Prosumer wird jedoch nur in einem begrenzten Aktionsradius tätig und hat individuell auch nur eine geringe Einflussmöglichkeit. Die Sicherheitsanforderungen an ihn sind daher reduziert.241 Die Aktivitäten zeigen daher vielmehr Parallelen zu einer allgemeinen, generellen wirtschaftlichen Betätigung. Die Unterschiede zwischen den hergebrachten zentralisierten und den dezentrali234 Siehe
oben Kapitel 4, B.II.1.b). in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Februar 1999 (BGBl. I S. 202), die zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 10. August 2021 (BGBl. I S. 3504) geändert worden ist (Gewerbeordnung – GewO). Vgl. auch § 14 GewO und § 59 GewO. 236 So der professionelle Gebrauchtwarenhandel nach § 38 I Nr. 1 GewO, siehe hierzu Ennuschat, in: Pielow, BeckOK GewO, § 38 GewO Rn. 8; Schönleiter, in: Landmann/Rohmer, GewO, § 38 Rn. 7. 237 So § 38 I Nr. 2, 3 GewO, siehe hierzu Schönleiter, in: Landmann/Rohmer, GewO, § 38 GewO Rn. 19, 22. 238 So § 38 I Nr. 4–6 GewO und § 34a GewO, siehe hierzu Ennuschat, in: Ennuschat/Wank/Winkler, GewO, § 38 GewO Rn. 25, 26; Schönleiter, in: Landmann/ Rohmer, GewO, § 38 GewO Rn. 26 ff. 239 Siehe hierzu unten Kapitel 4, C.III.3. 240 Siehe hierzu unten Kapitel 4, C.III.3. 241 Siehe unten Kapitel 4, C.III.3.d). 235 Gewerbeordnung
B. Pflichtenstellung des Prosumers nach dem EnWG217
sierten Strukturen treten deutlich hervor. Die Gefahr, dass ein Prosumer durch unzuverlässiges Geschäftsgebaren Risiken für einzelne Akteure oder den Markt selbst darstellt, ist geringer. In hergebrachten Versorgungsstrukturen mit großen, zentralisierten Akteuren ist das Schadensrisiko durch den einzelnen Akteur erheblich größer; ein starkes Bedürfnis nach Absicherung besteht. Dieses rechtfertigt in diesen Strukturen hohe persönliche Anforderungen an die Geschäftsführung. Die Tätigkeiten der Prosumer entsprechen daher in der Gefährdungslage den Tätigkeiten im Sinne des allgemeinen Gewerberechts nach der Gewerbeordnung. Das Gefährdungspotenzial ist weit entfernt vom Gefährdungspotenzial in zentralisierten Strukturen mit Großakteuren. Im allgemeinen Gewerberecht existieren nur ausnahmsweise und vereinzelt Möglichkeiten zur Untersagung, so nach § 35 I 1 GewO, wenn „Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden oder einer mit der Leitung des Gewerbebetriebes beauftragten Person in Bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersagung zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist“. Für die erstmalige Aufnahme der Tätigkeiten bedarf es regelmäßig keines entsprechenden Sachkunde-, Leistungsfähigkeits- oder Zuverlässigkeitsnachweises.242 Die Handlungsmöglichkeiten beschränken sich auf die ex-post-Untersagungsbefugnis. Ein Ansatz, der dem öffentlich-rechtlichen Gewerberecht in § 35 GewO folgt, ist es somit, dass kein ex-ante-Nachweis von staatlicher Seite vor Aufnahme der Prosumer-Tätigkeit gefordert, sondern vielmehr bei Bekanntwerden von Umständen, welche die Eignung infrage stellen, eine Untersagungsbefugnis eröffnet wird.243 So kann die Tätigkeit zunächst aufgenommen werden, ohne dass bestimmte persönliche Anforderungen nachgewiesen werden müssen. Es besteht bei den kleinen und weniger umfangreichen Tätigkeiten kein derartiges Schutzbedürfnis, welches intensive Vorabdarlegungen erforderlich machen würde, wie sie in der zentralisierten Energieversorgung bestehen. Deswegen werden aktuell die gegenüber dem allgemeinen Gewerberecht verschärften Kriterien in § 5 EnWG angeordnet.244 § 5 V EnWG begründet dem Wortlaut nach sogar einen derartigen Mechanismus, wie er im Gewerberecht vorgesehen ist: So besteht keine Genehmigungspflicht, sondern eine Untersagungsbefugnis, sollten sich nachträglich in: Pielow, BeckOK GewO, Vorbemerkung zu § 35 GewO. diesem Gedanken des Gewerberechts auch der Bundesrat im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum EnWG unabhängig von Prosumeraktivitäten BT-Drs. 15/3917, S. 80. Siehe hierzu auch Säcker, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 1, § 5 EnWG Rn. 14. 244 Säcker, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 1, § 5 EnWG Rn. 14. 242 Brüning, 243 Mit
218 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
Umstände herausstellen, welche die Eignung für die Tätigkeit infrage stellen. Rechtspraktisch in der Anwendung wird dadurch, dass ein entsprechender Nachweis nach § 5 IV EnWG bei der Anmeldung eingefordert wird, allerdings sehr wohl auch eine ex-ante-Darlegungspflicht etabliert. Die Bundesnetzagentur kontrolliert nicht lediglich ex post,245 wie es § 5 V EnWG suggeriert. Ein Absehen von der Pflicht, ein polizeiliches Führungszeugnis schon bei der Anmeldung vorlegen zu müssen, würde somit dem Leitbild des § 5 V EnWG entsprechen und sich teleologisch für die Prosumer anbieten. Selbige Überlegungen gelten entsprechend auch für das – eher in finanziellen Dimensionen denkende – Erfordernis der Bonitätsauskunft. In umfangreicheren und größeren Strukturen sind darüber hinaus beispielsweise bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung schon kraft Rechtsform Zuverlässigkeitsanforderungen nachzuweisen, so bei der Bestellung zum Geschäftsführer einer solchen Kapitalgesellschaft.246 Mit den Leistungsfähigkeitskriterien in § 5 IV EnWG steht dieser Anpassungsvorschlag nicht in Widerspruch: Bei den Leistungsfähigkeitskriterien handelt es sich um technisch-betriebsbezogene Kriterien. Das Zuverlässigkeitskriterium ist personenbezogen auf Eigenschaften des Betreibers. Bei dezentralisierten, kleineren Prosumern bleibt die technische Funktionstüchtigkeit weiterhin zentral. Das individuelle menschliche Verhalten tritt in den vollautomatisierten Tätigkeiten im geringeren Umfang in den Hintergrund. Die persönlichen Anforderungen an die beteiligten Personen betreffen vielmehr die Integrität im Geschäftsleben. Maßgeblich ist insbesondere, ob und wie Verpflichtungen aufgrund persönlicher Verhaltens- und Handlungsweisen erfüllt werden. Dies ist in dezentralisierten Strukturen von untergeordneter Bedeutung, da durch ein malöses Verhalten weniger weitreichende Schäden zu befürchten sind. Daneben besteht in dezentralisierten Strukturen auf der persönlichen Verantwortungsebene kein derartig großes Missbrauchs- und Verdeckungspotenzial wie in großen, zentralisierten und damit oft stärker anonymisierten Strukturen. In Letzteren ist das malöse Verhalten einzelner von größerer Schlagkraft, sodass ein deutlicheres Bedürfnis nach Absicherung besteht, indem Führungszeugnisse und Bonitätsauskünfte eingefordert werden. in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 5 EnWG Rn. 14. hierzu § 6 II des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 4123-1, ver öffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 9 des Gesetzes vom 22. Februar 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 51) geändert worden ist (Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung – GmbHG) sowie § 76 III des Aktiengesetzes vom 6. September 1965 (BGBl. I S. 1089), das zuletzt durch Artikel 6 des Gesetzes vom 19. Juni 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 154) geändert worden ist (Aktiengesetz – AktG). 245 Schex, 246 Siehe
B. Pflichtenstellung des Prosumers nach dem EnWG219
2. Pflichten im Rahmen der Vertragsgestaltung § 41 I 1, 2 EnWG ordnet spezielle Pflichten zur Vertragsgestaltung und Mitteilungspflichten bei Verträgen mit einem Letztverbraucher an. Eine solche Belieferung liegt im Rahmen Smart-Contract-basierter Prosumeraktivitäten regelmäßig vor.247 Sinn und Zweck der Regelung ist die Transparenz der und die Information über Vertragsbedingungen.248 Die Vorschrift dient damit auch dem in § 1 I EnWG niedergelegten Ziel des Verbraucherschutzes. Ein korrespondierendes Ziel der Europäischen Rechtssetzung ist es, die Transparenz bei Energie abrechnungen zu erhöhen.249 Diesem Schutzzweck diente auch die Novellierung des EnWG im Jahr 2021250, welche insbesondere die Inhalte und Gestaltungen der Verträge, Rechnungen und Wechselprozesse verbraucherfreundlicher ausgestaltete, indem weitere, modernisierte Informationspflichten aufgenommen wurden. Hierdurch werden die Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit erhöht. Diese Änderung insbesondere im Bereich der beschleunigten und vereinfachten Wechsel- und Vergleichsmöglichkeiten entwickelt die Normen weiter in Richtung diversifizierter, kurzfristigerer Verträge, mithin auch in die Richtung Smart-Contract-basierter Prosumeraktivitäten. Auf diese Weise werden der Vergleich zwischen verschiedenen Angeboten sowie der Vertragswechsel selbst erleichtert und beschleunigt. Eine Dynamisierung der Vertragsverhältnisse ist die Folge. Die Pflichten können in Bezug auf den einzelnen abgeschlossenen Vertrag vollends automatisch und ohne menschliche Interaktion erfüllt werden, nachdem das System einmal in Gang gesetzt wurde. Die einzelnen Verträge können durch den Smart Contract mit den jeweiligen individuellen Vertragsdaten ausgefüllt und an den Vertragspartner übersandt werden. Hat der Prosumer somit einmalig eine „Vorlage“ erstellt, kann diese durch den Smart Contract automatisiert mit den Daten ausgefüllt werden, die dieser erfasst hat. Im Anschluss kann er den Vertrag vollautomatisch übermitteln. Die Abwicklung der einzelnen Verträge bedarf dann keiner menschlichen Interaktion mehr. Die Informations- und Mitteilungspflichten im Einzelfall zu erfüllen, bringt keinen Mehraufwand für den Betreiber mit sich. Allenfalls kann ein Aufwand
247 Siehe hierzu eingehend und umfassend Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 166 ff. 248 Bruhn, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 1, § 41 EnWG Rn. 4; Hellermann, in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, § 41 EnWG Rn. 2. 249 Siehe Erwägungsgrund 48 der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie. 250 Siehe hierzu oben Kapitel 1, A.
220 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
anfallen, sofern sich die mitzuteilenden Daten und Angaben ändern, in diesem Fall müsste dann die Vorlage angepasst werden. Von der rein technischen Realisierbarkeit zu unterscheiden ist jedoch jeweils die Frage, ob die einzelnen Anforderungen auch im Rahmen der SmartContract-basierten Prosumeraktivitäten geboten sind oder ob der Sinn der jeweiligen Anordnungen fehlgeht. a) § 41 I 1 EnWG Das Erfordernis der Einfachheit und Verständlichkeit der Verträge in § 41 I 1 EnWG begründet keine Besonderheit für Smart-Contract-basierte Prosumeraktivitäten. Es fordert, dass trotz der zunehmenden Diversifizierung von Energielieferungsverträgen eine hinreichende Transparenz gewahrt werden muss.251 Dies kann durch die Vertragsgestaltung gleichermaßen wie in hergebrachten Energieversorgungssystemen geschehen, die Anforderungen verändern sich hier nicht. Smart-Contract-basierte Prosumeraktivitäten werden nicht vor anders- oder neuartige Herausforderungen gestellt. In dieser Hinsicht ergibt sich kein rechtlicher Anpassungsbedarf. b) § 41 I 2 Nr. 1–5 EnWG § 41 I 2 Nr. 1–5 EnWG fordert eine Mitteilung über die wesentlichen schuldrechtlichen Parameter: Zu informieren ist über Namen und Anschrift des Energielieferanten (Nr. 1), die belieferte Verbrauchsstelle des Letztverbrauchers samt ihrer Identifikationskennzeichen (Nr. 2), Vertragsbeginn, -dauer und Verlängerungs- und Beendigungsbedingungen (Nr. 3), das Leistungsspektrum samt gebündelter Dienste (Nr. 4), Preise und deren Anpassung, Kündigungstermine und -fristen sowie Rücktrittsrechte (Nr. 5). Hierbei handelt es sich um schlichte Mitteilungen über den geschlossenen Vertrag und seine Merkmale, mithin um reine Vertragsparameter. Die hiernach zu erbringenden Informationen können automatisiert erfasst und mitgeteilt werden. So sind Informationen über den konkreten Vertragsinhalt und dessen Durchführungsmodalitäten zu kommunizieren. Diese betreffen essentialia und accidentalia negotii; sie müssen bei einem Vertragsschluss mittels Smart Contract generell durch diesen automatisiert festgelegt und festgehalten werden; diese Daten betreffen den Vertragsgegenstand. Die Kommunikation dieser – sowieso zu erhebenden – Angaben stellt mithin kein Hindernis für die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten dar. Für 251 Siehe BT-Drs. 17/6072, S. 85. Siehe auch Rasbach, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 41 EnWG Rn. 4.
B. Pflichtenstellung des Prosumers nach dem EnWG221
den Vertragspartner auf der anderen Seite sind diese Informationen von hoher Relevanz. Nur mittels dieser kann er Sicherheit über das zu erwartende Leistungsspektrum in zeitlicher wie inhaltlicher Hinsicht erlangen und erhält die notwendigen Daten über seinen Lieferanten als Vertragspartner. Auf diese Weise ist erkennbar, über welchen Zeitraum die Versorgung stattfinden wird und wer die Ansprechperson ist. Diese Informationen sind bei den kurzfristigeren, mengenorientierten Lieferverträgen im Rahmen der Smart-Contractbasierten Prosumeraktivitäten gleichermaßen wie bei den hergebrachten Energieversorgungsstrukturen essenziell; Abweichungen ergeben sich nicht. Für den Letztverbraucher sind diese Informationen für seine eigene Planung, aber auch die etwaige Durchsetzung von Ansprüchen notwendig. Der Letztverbraucher benötigt eine sichere Kenntnis darüber, welche konkreten Inhalte sein abgeschlossener Vertrag hat. Ohne dass dies ein Hindernis wäre, zeigt der Wortlaut dieser Norm jedoch, dass auch § 41 I 2 EnWG an hergebrachten, langfristigen und vollversorgenden Energieversorgungsverträgen orientiert ist. Preisanpassungsklauseln, Kündigungstermine und -fristen sind typische Elemente langfristiger Verträge und nicht typisch für Verträge über ex ante festgelegte Güter und Umfänge. Grundmodell des Gesetzes ist auch nach der Novellierung des EnWG daher ein längerfristiger, vollversorgender Energielieferungsvertrag. c) § 41 I 2 Nr. 6–12 EnWG Auch die Vorgaben gemäß § 41 I 2 Nr. 6–12 EnWG, welche sich insbesondere auf Leistungsstörungen, Tarife, Abrechnungen und Vertragswechsel beziehen, sind der Automatisierung zugänglich und stellen die Prosumer vor keine Hindernisse. Der jeweilige Zweck greift bei den Liefergeschäften auf der Basis von Smart Contracts ebenso ein. § 41 I 2 Nr. 6 und 7 EnWG fordern Informationen über die Tarif- beziehungsweise Produktbezeichnung, daneben darüber, ob es sich um eine Versorgung im Rahmen der Grundversorgung handelt sowie über den Zeitpunkt der Abrechnung und die Zahlweisen. Diese Informationspflichten sind vollautomatisch zu erfüllen, es handelt sich lediglich um übliche Vertragsaspekte, über welche zu informieren ist und welche vom Smart Contract ohnehin erfasst werden. Hinsichtlich der Bedeutung der Informationen für Letztverbraucher gilt das oben Gesagte252 entsprechend. Im Rahmen des § 41 I 2 Nr. 8 EnWG gelten jedoch Besonderheiten. Gefordert sind Angaben über Haftungs- und Entschädigungsregelungen. Eine eigene Anspruchsgrundlage oder Modifikation der Haftungstatbestände ergibt 252 Siehe
oben Kapitel 4, B.II.3.b).
222 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
sich hieraus nicht, es ist schlicht über die gesetzlichen Haftungsregelungen zu informieren.253 Die Inhalte der Haftungsregelungen hängen von diversen Rahmenbedingungen – insbesondere jenen des Netzbetriebs – ab, welche je nach Konzeptionierung der Aktivitäten variieren können. Hier fällt der Erfüllungsaufwand für die Prosumer mithin umfangreicher aus, da je nach konkreter Ausgestaltung mitzuteilen ist, welche Ansprüche in welcher Form gegenüber wem bestehen.254 Auch hierbei handelt es sich jedoch um Inhalte, welche für große Teile der abgeschlossenen Geschäfte identisch sind. Befassen sich die Prosumer einmalig mit dieser Thematik und implementieren die Ergebnisse in den Algorithmus, kann dies für eine Vielzahl von Geschäften genutzt werden. Dennoch bringt diese Informationspflicht wegen der verschiedenen möglichen Ausgestaltungen der Haftung in Abhängigkeit von der tatsächlichen Konzeptionierung einen größeren Aufwand mit sich als die reinen Mitteilungspflichten über Vertragsparameter. Eine reine Weitergabe automatisch erfasster Daten genügt nicht. Dem Zweck nach muss an dieser Anforderung jedoch auch in dezentra lisierten Versorgungsstrukturen festgehalten werden: Die Norm dient dazu, dem Kunden offenzulegen, welche Rechte ihm zustehen; das Wissen hierüber ist landläufig unter Laien nicht verbreitet. Auch sind im Rahmen der Prosumeraktivitäten verschiedene Konstellationen und Konzeptionierungsmöglichkeiten denkbar,255 welche allesamt Einfluss auf die Haftungspositionen und -ansprüche haben. Die Diversifizierung der Akteure trägt zu einer gleichzeitigen Diversifizierung der Haftungsszenarien bei.256 Eine Information darüber hilft dem Kunden zu ermitteln, welche Ansprüche gegen wen im Schadensfall bestehen. Insbesondere ist für den Letztverbraucher oftmals nicht unmittelbar erkennbar, wie der Netzbetrieb ausgestaltet ist und welche Intermediäre in welcher Form eingeschaltet werden. Die Informationen hierüber sowie über die daraus resultierenden Konsequenzen sind daher besonders nützlich. Das Bedürfnis nach Information besteht somit in besonderer Form im Rahmen der Prosumeraktivitäten. § 41 I 2 Nr. 9 EnWG stellt kein Hindernis dar, es ist lediglich über den unentgeltlichen und zügigen Lieferantenwechsel zu informieren. Es handelt sich um eine reine Informationspflicht über die Inhalte des § 20a EnWG.257 Auch § 41 I 2 Nr. 10–12 EnWG erweisen sich als gänzlich unproblematisch für die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten: Zu informieren ist über die Art und Weise, wie aktuelle Informationen über Tarife und gebünin: Theobald/Kühling, Energierecht, § 41 EnWG Rn. 31. den einzelnen Modalitäten der Haftung siehe oben Kapitel 4, A. 255 Siehe hierzu oben Kapitel 3, E. und Kapitel 3, F. 256 Siehe hierzu oben ausführlich Kapitel 4, A. 257 Zu den Inhalten betreffend § 20a EnWG siehe unten Kapitel 4, B.II.5. 253 Heinlein/Weitenberg, 254 Zu
B. Pflichtenstellung des Prosumers nach dem EnWG223
delte Leistungen erhalten werden können (Nr. 10), daneben über Streitbei legungs- und Beschwerdemöglichkeiten des Verbrauchers (Nr. 11) sowie Kontaktdaten des Verbraucherservices der Bundesnetzagentur (Nr. 12). Diese statischen Informationen können automatisiert und vor allem stark standardisiert übermittelt und zugänglich gemacht werden. Allenfalls muss deren Aktualität turnusmäßig überprüft werden, ein darüberhinausgehender Aufwand ergibt sich nicht. Für die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten bestehen hier keine Hindernisse. Der verbraucherschützende Hintergrund, dass über diese Angebote und Optionen informiert wird, ist auch im Rahmen der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten sinnvoll. Insbesondere bei der Vielzahl möglicher Vertragspartner kann es im Konfliktfall erforderlich sein, eine Beratung oder Schlichtung in Anspruch zu nehmen, sodass Informationen hierüber dem verbraucherschützenden Gedanken der Anordnungen entsprechen und diese Informationen ihre Bedeutung behalten. d) § 41 II EnWG § 41 II EnWG verpflichtet den Energielieferanten dazu, verschiedene Zahlungsmöglichkeiten zu adäquaten, näher umschriebenen Bedingungen anzubieten. Geregelt werden somit nicht Informationspflichten, sondern Gegenleistungsmodalitäten. Konkret fordert die Norm, dass – der Formulierung im Plural entsprechend – mindestens zwei Zahlungsoptionen zur Verfügung gestellt werden müssen.258 Diese Anforderung ist kein Hindernis für die Prosumer: Das digitalisierte Umfeld der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten kann verschiedene hergebrachte oder auch innovative Zahlungsmittel und auch alternative Bezahlmodalitäten vorsehen, welche auf beiden Seiten mit geringen Kosten verbunden sind und ohne größeren Aufwand genutzt werden können. Dies könnte – neben hergebrachten Zahlungsmitteln – die Bezahlung mittels erworbener oder verdienter Token259 umfassen. In diesem Umfeld zwei verschiedene Zahlungsmöglichkeiten anzubieten, stellt keine Belastung für die Prosumer dar. Vielmehr ist es im allgemeinen digitalen Zivilrechtsverkehr gang und gäbe, dass eine Vielzahl von Zahlungsmöglichkeiten besteht.260 Auch für den Letztverbraucher ist dies ein deutlicher Freiheitsgewinn, kann er zwischen verschiedenen Modalitäten wählen und auf diese Weise die für ihn nützlichste Form aussuchen. 258 So Rasbach, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 41 EnWG Rn. 8 m. w. N. Offengelassen in BGH NJW 2013, 2814, 2816. 259 Siehe hierzu oben Kapitel 3, E.IV. 260 Siehe hierzu beispielsweise nur die Vielzahl von Zahlungsmöglichkeiten im Rahmen rein privater ebay-Käufe, vgl. https://www.ebay.de/help/payment-methodspolicy/default/grundsatz-zu-zahlungsmethoden?id=4269 (zuletzt abgerufen am 20.06.2023).
224 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
e) § 41b I EnWG Die EnWG-Novelle brachte darüber hinaus Nachweis- und Bestätigungserfordernisse bei der Versorgung von Haushaltskunden außerhalb der Grundversorgung. Gemäß § 41b I EnWG sind Verträge in Textform niederzulegen und Kündigungen binnen einer Woche in Textform zu bestätigen. Der Sinn und Zweck einer solchen Bestätigung, dem Kunden Klarheit über die vertragswesentlichen Umstände in dauerhaft abrufbarer Form zu gewähren,261 greift auch bei den oftmals kurzfristigen Verträgen im Rahmen der SmartContract-basierten Prosumeraktivitäten. Auch hier sind die Kunden darauf angewiesen, Klarheit über diese Inhalte zu erhalten, insbesondere für die eigene Versorgungsplanung und als Nachweis im Rahmen etwaiger Streitigkeiten. Die geforderte Textform unterfällt den Anforderungen des § 126b BGB und kann somit auch in elektronischer Form erfüllt werden. Dies ermöglicht die Abwicklung in automatisierter Form;262 es kann mithin auch mittels Smart Contracts vollautomatisiert diesem Erfordernis genügt werden. Es bedarf keiner persönlichen Interaktion oder einer Verschriftlichung auf Papier. Auch die Gesetzesbegründung nennt explizit die digitale Erfüllbarkeit.263 Diese Anforderung stellt mithin kein Hindernis für die vollautomatisierte Abwicklung der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten dar. Die Textform ist digitalisierungs- und automatisierungsfreundlich. Ein Anpassungsbedarf besteht nicht. f) Digitalisierungs- und Automatisierungsfreundlichkeit der Pflichten im Rahmen der Vertragsgestaltung Es ist somit festzuhalten, dass die Anforderungen insbesondere des § 41 I 2 EnWG von Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten eingehalten werden können. Diesen Anforderungen kann auch in automatisierter Form nachgekommen werden; für das einzelne Ausführungsgeschäft ist keine menschliche Interaktion erforderlich; die Vorschriften hemmen die automatisierte Vertragsabwicklung nicht. Die Anforderungen räumen daneben eine hinreichende Flexibilität auch für digitalisierte und dezentralisierte Versorgungsstrukturen ein. Sie befriedigen darüber hinaus das Informationsbedürfnis der 261 Siehe
hierzu Wendtland, in: Hau/Poseck, BeckOK BGB, § 126b BGB Rn. 1. automatisierten Abgabe von Willenserklärungen, welche den Postulaten des § 126b BGB genügt, siehe Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431, 448. 263 Bundesregierung, Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben und zur Regelung reiner Wasserstoffnetze im Energiewirtschaftsrecht, abrufbar unter https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/ Downloads/Gesetz/gesetzentwurf-enwg-novelle.pdf?__blob=publicationFile&v=4 (zuletzt abgerufen am 20.06.2023), S. 151. 262 Zur
B. Pflichtenstellung des Prosumers nach dem EnWG225
Letztverbraucher und erfüllen damit auch im Rahmen Smart-Contract-basierter Prosumeraktivitäten eine wichtige Funktion. 3. Anforderungen an Rechnungen Daneben begründet § 40 EnWG zentrale Erfordernisse für die Rechnungsstellung. § 40 I EnWG betrifft sehr generell die Gestaltung der Rechnungen. In § 40 II EnWG reichen die Anordnungen von Informationen über den Lieferanten selbst über Vertragsdaten des konkreten Vertrags bis zu Rechten von Letztverbrauchern. § 40 III–V EnWG erweitern und präzisieren diese Anforderungen und fordern eine feingranulare Aufschlüsselung der Berechnungen. §§ 40a–c EnWG ergänzen diese Regelungsinhalte um Ermittlungs-, Fälligkeits- und Informationszeitpunkte. Die Regelungen ermöglichen auch elektronische Übermittlungen von Rechnungen. Dies ist digitalisierungsfreundlich und nützlich für die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten. Anwendung findet die Norm bei allen Energielieferungen an Letztverbraucher nach § 3 Nr. 25 EnWG und somit auch in den Konstellationen der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten. Das generelle Erfordernis, Rechnungen zu übermitteln, ist selbstverständlich auch im Rahmen der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten angemessen. Eines Nachweises und einer Dokumentation der Lieferungen und Leistungen bedarf es auch in diesem Kontext. Die Rechnungen können vollautomatisiert über die Smart-Contract-Mechanismen erstellt und übermittelt werden. Hier besteht kein Bedarf nach einer andersartigen Regulierung. Die Norm ist zugeschnitten auf längerfristige Liefer- und Vertragsverhältnisse im Sinne von Vollversorgungsverhältnissen. Die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten mit ihren kurzfristigen, mengenbezogenen und nicht auf Vollversorgung angelegten Konzepten stehen hierzu in Konflikt. Viele der Anforderungen sind einer automatisierten Abwicklung zugänglich und stellen jedenfalls kein Hindernis für die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten dar. Auch der Sinn und Zweck vieler der Anordnungen greift bei diesen Aktivitäten gleichermaßen ein wie im hergebrachten Energieversorgungssystem. a) § 40 I EnWG Die Vorgaben des § 40 I EnWG stellen für die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten keine Hindernisse dar. Die dort getroffenen Anordnungen, dass die Rechnungen einfach und verständlich sein müssen, sind im hergebrachten wie auch im digitalisierten und dezentralisierten Versorgungs-
226 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
system gleichermaßen zu erfüllen. Die Gestaltung der Rechnungen, welche durch den Smart Contract übermittelt werden, ist hierbei vergleichbar zu hergebrachten Systemen. Die aufzunehmenden Inhalte und deren Aufbereitung kann der Lieferant einmalig im Sinne eines Musters gestalten. Auf der Basis eines solchen Musters können die Abrechnungen vom Smart Contract automatisiert im Einzelfall individualisiert ausgefüllt und übermittelt werden.264 Die durch die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes im Jahr 2021 aufgenommene Bestimmung in § 40 I 2 EnWG besagt darüber hinaus, dass – im Interesse des Verbraucherschutzes – die Rechnungen auf Wunsch verständlich und unentgeltlich zu erläutern sind. Freilich brächte dieses Erfordernis einen Mehraufwand für die Prosumer mit sich, müssten diese unter Umständen jedem Vertragspartner die Rechnung im persönlichen Gespräch erläutern. Dieser Aufwand kann jedoch umgangen werden, wenn der Prosumer auch die Erläuterung automatisiert und digitalisiert. Dies könnte beispielsweise durch Informationsfenster oder -übersichten oder sogar Chatbots, welche häufige Fragen von selbst beantworten und dabei dem Fragenden den Eindruck einer individuellen Kommunikation vermitteln,265 geschehen. Eine persönliche Erläuterung durch einen Menschen im Rahmen eines Zwie gesprächs fordert der Wortlaut nicht. Eine Erläuterung ist so vollautomatisch möglich und dem Verbraucherschutzinteresse kann entsprochen werden. b) § 40 II 1 Nr. 1, 2 EnWG § 40 II 1 Nr. 1 EnWG erweist sich zu größeren Teilen als unproblematisch, die Anordnung verpflichtet lediglich dazu, dass Name, ladungsfähige Anschrift, Registergericht und weitere Kontaktdaten mitgeteilt werden. Hierbei handelt es sich um Informationen, welche leicht auch automatisiert übermittelt werden können und zentrale Vertragsparameter betreffen. Hier ergibt sich keine Abweichung zur Interessenlage in hergebrachten Energieversorgungssystemen, ferner sind die Informationen statisch und eindeutig zu ermitteln. Der Aufwand zur Ermittlung und Mitteilung ist begrenzt. Gleichzeitig sind diese Informationen für den Letztverbraucher von großer Relevanz, denn er erhält so eine Möglichkeit, den liefernden Prosumer bei Schadensereignissen oder Problemen im Rahmen der Vertragsabwicklung zu kontaktieren. Die grundsätzlichen Kontaktdaten sind daher für den Letztverbraucher besonders wichtig. 264 Zu den Automatisierungsmöglichkeiten bei der Nutzung von Smart Contracts siehe oben Kapitel 2, B.I.1.b) sowie Kapitel 3, C. 265 Siehe zu dieser Umschreibung der Chatbots Freyler, NZA 2020, 284, 285; Guggenberger, NVwZ 2019, 844, 847.
B. Pflichtenstellung des Prosumers nach dem EnWG227
Abweichend zu beurteilen ist jedoch die Pflicht, eine Telefonnummer der so genannten Kunden-Hotline bereitzuhalten. Diese Anforderung bildet ein deutliches Hindernis für die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten, da sie vom einzelnen Prosumer einen individuell-persönlichen Aufwand fordert. Diese Pflicht geht auf die europarechtliche Vorgabe in Art. 18 VI in Verbindung mit Anhang I 1.2.b) Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie zurück. Der Prosumer muss danach seine telefonischen Kontaktdaten angeben und als Gesprächsperson zur Verfügung stehen oder eine Gesprächsperson zur Verfügung stellen. Dies begründet einen erheblichen, zeitintensiven Aufwand. Dies verdeutlicht erneut, dass den Vorschriften zentralisierte, größere Strukturen zugrunde gelegt sind, in welchen Call-Center oder institutionalisierte Kontakt- und Anlaufstellen üblich sind. Dort kann eine Kunden-Hotline leicht zur Verfügung gestellt werden. Dies ist bei den Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten grundlegend anders, hier existiert in der Regel kein entsprechender Personalstab oder ein entsprechend eingerichteter Bürobetrieb, sodass eine solche Anlaufstelle im Sinne einer Kundenhotline nicht besteht, wenn eine Privatperson im begrenzten Umfang Energie verkauft. Einrichtung und Betreuung einer solchen Hotline gehen mithin mit einem deutlichen Aufwand einher. Daneben ist auch der Mehrwert einer Kunden-Hotline gegenüber schriftlichen Anfragen begrenzt. Die notwendigen Informationen können auch auf schriftlichem Weg im Rahmen elektronischer Kommunikation mitgeteilt werden. Dies geht mit einem deutlich geringeren Aufwand gegenüber der persönlichen mündlichen Individualkommunikation einher, insbesondere können im Rahmen der Schriftlichkeit auch Automatisierungspotenziale genutzt werden.266 Daneben bietet eine schriftliche Kommunikation eine größere Flexibilität für den Beantwortenden. Ein Mehrwert an Informationen ist mit der mündlichen Erörterung nicht verbunden, es können dieselben Informationen auch schriftlich kommuniziert werden. Das Ziel des Verbraucherschutzes wird dadurch nicht weniger erreicht. Auch eine umfassende Automatisierung von Hotline-Gesprächen mit einem automatisch antwortenden System ist zum aktuellen Zeitpunkt fernliegend. Wegen des begrenzten Informationsmehrwerts und hohen Mehraufwands für die Prosumer ist eine solche Regelung zu einer Kundenhotline nicht adäquat und hemmend. Es würde sich vielmehr anbieten, die Angabe einer Kunden-Hotline als bloße Option zu formulieren oder Ausnahmen für kleinere Akteure vorzusehen, welche beispielsweise standardmäßig über keine Kunden-Hotline verfügen. Dies brächte eine deutliche Erleichterung. Hierbei ist jedoch aufgrund des europarechtlichen Hintergrundes zu berück266 Siehe
hierzu oben Kapitel 3, A.III.
228 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
sichtigen, dass eine derartige Regelung auch eine Änderung der Vorgaben in Art. 18 VI in Verbindung mit Anhang I 1.2.b) Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie erfordern würde. Die nationale Vorschrift ist europarechtlich determiniert. De lege lata könnte der Prosumer einen externen Dritten, beispielsweise ein Call-Center, beauftragen, für ihn eine solche Hotline zur Verfügung zu stellen, um so im geltenden (europa-)rechtlichen Rahmen den Anforderungen zu genügen und gleichzeitig nicht persönlich als Gesprächspartner zur Verfügung zu stehen.267 c) § 40 II 1 Nr. 3, 4 EnWG Bei den Anforderungen des § 40 II 1 Nr. 3, 4 EnWG handelt es sich erneut um Angaben, welche im engen Bezug zum jeweiligen Energieversorgungsvertrag stehen, konkret die Vertragsdauer, die geltenden Preise sowie die Kündigungsmodalitäten. Dies sind lediglich Umstände, welche durch die automatisiert abgeschlossenen Verträge als Vertragsinhalte festgelegt werden. Es handelt sich um standardisiert erfasste Daten. Diese können erneut automatisiert kommuniziert werden, ein Hindernis für die Prosumeraktivitäten ergibt sich hieraus nicht. Der Preis wird meist schon beim Vertragsschluss mittels der Smart Contracts vereinbart und kann als essentialia negotii dementsprechend leicht mitgeteilt werden. Gleiches gilt für die Vertragsdauer, welche sich regelmäßig auf einen gegenüber hergebrachter Energieversorgung kürzeren Zeitraum beschränkt. Kündigungsmodalitäten treten wegen des eher kurzfristigen, mengenbezogenen Handels von Energie meist in den Hintergrund; freilich steht es den Parteien im Rahmen der Privatautonomie frei, separate Kündigungsmöglichkeiten vorzusehen, sofern dies gewünscht ist. Auch über diese vertraglichen Abreden kann dann jedoch ohne individuellen Aufwand informiert werden, da diese Umstände ebenso automatisch determiniert und festgehalten werden. Sollte wegen der Kurzfristigkeit der Verträge keine Kündigungsmöglichkeit vereinbart sein, kann über diesen Umstand informiert werden. Die jeweiligen Modalitäten sind dem Smart Contract notwendigerweise bekannt, damit dieser den Vertrag entsprechend abwickeln kann. d) § 40 II 1 Nr. 5, 6 EnWG Die Anordnungen in § 40 II 1 Nr. 5, 6 EnWG beziehen sich auf das Messwesen. § 40 II 1 Nr. 5 EnWG ist dabei eine grundsätzlich unproblematische 267 Zur
Einbindung von Intermediären siehe unten Kapitel 4, E.III.
B. Pflichtenstellung des Prosumers nach dem EnWG229
reine Mitteilungspflicht, welche auf die Modalitäten des Messstellenbetriebs Bezug nimmt und fordert, dass der zuständige Messstellenbetreiber samt seiner Identifikationsdaten genannt wird. Diese Information ist erneut leicht zu ermitteln, konstant und kann automatisiert mitgeteilt werden. Sie birgt mithin für die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten kein Hindernis. Die Daten sind vielmehr schon für die Vertragsdurchführung und -abwicklung zu erfassen, sodass hier kein zusätzlicher Aufwand anfällt. Für den Letztverbraucher sind diese Daten von besonderem Interesse, da er auf diese Weise erfahren kann, an wen sich bei Problemen oder Schadensereignissen mit Bezug zum Messwesen zu wenden ist. Hier können sich Abweichungen zum Netz betrieb oder zum Energielieferungsvertrag ergeben; bei den jeweiligen Vorgängen und Fragen sind unterschiedliche Ansprechpersonen zu kontaktieren, die jeweiligen Kontaktdaten sind daher von besonderem Interesse.268 § 40 II 1 Nr. 6 EnWG fordert die Mitteilung des Verbrauchs sowie des Anfangs- und Endzählerstands. Da zur Erfassung der Werte im Rahmen der Abwicklung der Einzelverträge regelmäßige eine eigene Messvorrichtung oder jedenfalls eine eigene Erfassung der Daten innerhalb einer gemeinsam genutzten Messvorrichtung erforderlich ist, stellt auch diese Anforderung keine zusätzlichen Hürden auf. Ohne eine individuelle Zählerstandsmessung wäre keine präzise Erfassung der konkreten Verbräuche möglich. Die Daten liegen jedenfalls dem Netzbetreiber vor; die digitale Ermittlung der Zählerstände ist schon für die generelle Vertragsabwicklung und insbesondere die Abrechnung auf der Basis von Smart Contracts notwendig. Entsprechende Vereinbarungen zwischen dem Prosumer, dem Netzbetreiber oder gegebenenfalls dem abweichenden Messstellenbetreiber können für den Datenaustausch jedoch erforderlich sein. Auch ist es möglich, dass direkt zwischen dem Letztverbraucher und dem Prosumer ein Austausch der betreffenden Daten über die Oracles stattfindet.269 Ein solcher digitaler Austausch kann bereits im Vertrag vereinbart werden, um die entsprechende Pflichterfüllung zu ermöglichen. Das digitalisierte Messwesen samt den entsprechenden Kommunikationssystemen leistet hier einen entscheidenden Beitrag. So könnten beispielsweise die Anfangs- und Endzählerstände mitgeteilt und daneben – automatisiert – die Summe als Differenz errechnet werden. Auch diese Anforderungen in § 40 II 1 Nr. 6 EnWG können automatisiert werden270 und stellen keine Hindernisse auf. Den Letztverbraucher informieren 268 Zu dieser Diversifizierung der Rollen siehe insbesondere Kapitel 1, A. sowie Kapitel 4, A.II. 269 Zu dieser Möglichkeit des Datenaustauschs siehe oben Kapitel 2, B.I.4. und Kapitel 3, D. 270 In diesem Bereich des Messwesens im weiteren Sinne kommt den Smart Metern eine entscheidende und gewichtige Rolle zu. Siehe zu den Smart Metern ausführlich oben Kapitel 3, D. sowie unten Kapitel 4, C.III.3.c)bb).
230 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
diese Daten über seine konkreten Verbräuche, daneben kann er so nachprüfen, ob die vertraglichen Liefervereinbarungen eingehalten wurden. Diese Daten sind gleichermaßen wie in hergebrachten Energieversorgungssystemen von Interesse, sodass auch wegen des Zwecks der Informationspflichten keine Abweichung geboten ist. e) § 40 II 1 Nr. 7, 8 EnWG sowie § 40 II 2 EnWG Deutlich anpassungsbedürftiger sind die Anforderungen in § 40 II 1 Nr. 7, 8 EnWG sowie § 40 II 2 EnWG. Die aktuelle Ausgestaltung steht den Bedürfnissen und Anforderungen der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten entgegen.271 Inhaltlich fordert die Norm, dass einerseits – sowohl textalisch als auch grafisch – der ermittelte Verbrauch im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (Nr. 7) und der eigene Jahresverbrauch im Vergleich zu Vergleichskundengruppen darzulegen ist (Nr. 8). Dies widerspricht dem Gedanken eines flexiblen, schnellen Wechsels zwischen verschiedenen Anbietern im Rahmen von Peer-to-Peer-Geschäften. Bei diesen Geschäften werden geringe Strommengen über geringe zeitliche Umfänge gehandelt.272 Dies steht in Widerspruch zu den Anordnungen in §§ 40 II 1 Nr. 7, 8, 40 II 2 EnWG, welche auf langfristige Lieferbeziehungen abstellen, indem Informationen zu Verbräuchen im Jahresturnus gefordert werden. Noch verstärkend sind nach § 40 II 1 Nr. 7 EnWG vom Lieferanten sogar Vorjahreswerte anzugeben. § 40 II 1 Nr. 8 EnWG steht hierzu in enger Verbindung und zwingt zur Angabe grafischer Aufbereitungen der Daten zum Jahresverbrauch im Vergleich zu Vergleichskundengruppen. Der Unterscheid zwischen den möglichen und vom Gesetz aktuell zugrunde gelegten Wechselzyklen wird besonders deutlich vor dem Hintergrund, dass individuelle Wechsel der Energiemix-Zusammenstellungen und Bezugsquellen alle 15 Minuten schon heute im Tal.Markt Wuppertal möglich sind.273 So kann mehrfach je Stunde der Anbieter gewechselt werden; die digitalisierte Abwicklung und Koordination machen dies möglich. Die Information über Jahresverbräuche und Vorjahreszeiträume setzt konträr dazu voraus, dass Verträge über lange Zeiträume geschlossen werden. Im Rahmen des Tal.Marktes stellt der „Wechsel“ jedoch kein Hindernis dar, da die Stadtwerke Wuppertal im Tal.Markt als Intermediär Vertragspartner sind und die Energielieferungen im rechtlichen Sinne vornehmen. Nicht direkt der Pro sumer und Verbraucher kontrahieren unmittelbar miteinander, sondern die 271 So
auch Chatzinerantzis/Bertram, EnWZ 2021, 65, 69. hierzu Kapitel 3, A.I. 273 Siehe hierzu die Informationen des Tal.Markt Live, abrufbar unter https:// talmarkt.wsw-online.de/productinformation#flex (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 272 Siehe
B. Pflichtenstellung des Prosumers nach dem EnWG231
Stadtwerke Wuppertal beziehen die Energie erst von den erzeugenden Pro sumern und verkaufen diese dann an die Verbraucher weiter.274 Der Intermediär vermittelt hier nicht lediglich, sondern wird unmittelbar Vertragspartner. Im gänzlich intermediärslosen, dezentralen System bleibt nicht ein Intermediär konstant der Vertragspartner, sondern es wechselt im Falle des Wechsels der Bezugsquellen auch der Vertragspartner. Spätestens bei einem solchen Wechsel wäre eine Rechnung im Sinne des § 40 EnWG mit den korrespondierenden Anforderungen zu erstellen. Dies könnte mithin mehrfach pro Stunde der Fall sein. Für den Prosumer und das seinen Tätigkeiten zugrundeliegende Geschäftsmodell ist dieser Umstand ein großes Hindernis: Durch die Bezugnahme auf den Verbrauch im vergleichbaren Vorjahreszeitraum in § 40 II 1 Nr. 7 EnWG muss der liefernde Prosumer zunächst wissen, wer genau im betreffenden Zeitraum im Vorjahr beliefert hat. Dies wird bei zügigen, flexiblen Wechseln nicht der ihm vorangehende Lieferant sein, sondern es wird eine Vielzahl vorheriger Lieferanten geben. Dies kann bei kurzfristigen Lieferkontrakten besonders kritisch werden, wenn unter Umständen nur für wenige Stunden Energie von einem bestimmten Lieferanten bezogen wurde. Es kann eine (unter Umständen dreistellige) Vielzahl von Lieferanten im letzten Jahr gegeben haben. Der Prosumer muss dann ermitteln, welcher der vorherigen Lieferanten für die mitzuteilenden Angaben von Relevanz ist. Auch muss es sich nicht zwingend um bloß einen Lieferanten handeln, der in dem Zeitraum, in dem der Prosumer in diesem Jahr beliefert, im vergangenen Jahr belieferte: Beliefert der Prosumer zum aktuellen Zeitraum länger, als dies von den Lieferanten des Vorjahres geschehen ist, können für den Vorjahreszeitraum die Daten diverser Lieferanten einzuholen sein, um den Verbrauch im vergleichbaren Vorjahreszeitraum zu bestimmen. Die Diskrepanz zu den hergebrachten, langfristigen Vertragsbeziehungen zeigt sich hier besonders deutlich.275 Die in § 40 II 2 EnWG geschaffene Verpflichtung des beziehungsweise der vormaligen Lieferanten, die Verbrauchsdaten des Vorjahres zu übermitteln, ist daher nur begrenzt hilfreich, da zunächst vom Prosumer zu ermitteln ist, welcher der vorherigen Lieferanten in welchem konkreten Zeitraum belieferte, um zu wissen, an wen er sich wenden muss. Die von der Bundesnetzagentur herausgegebenen Geschäftsprozesse zur Kundenbelieferung mit Elektrizität (GPKE)276 sollen beim Lieferantenwech274 Siehe hierzu die AGB des Tal.Marktes unter https://www.wsw-online.de/ fileadmin/0_WSW_Redesign/Dokumente/Energie/Tarif/Antrag/Auftrag-TALMARKT-FIX.pdf (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 275 So auch Chatzinerantzis/Bertram, EnWZ 2021, 65, 69. 276 Die GPKE sind abrufbar unter https://www.bundesnetzagentur.de/DE/ Beschlusskammern/BK06/BK6_83_Zug_Mess/831_gpke/gpke_node.html (zuletzt ab
232 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
sel einen reibungslosen Ablauf ermöglichen, sind jedoch wegen der Orientierung an zu kündigenden Dauerschuldverhältnissen ebenso auf längerfristige, zeitbezogene Verträge zugeschnitten. In dieser Vorschrift kristallisiert sich mithin ein deutlicher Anpassungsbedarf mit Blick auf die Dynamisierung der Energielieferverträge heraus. Die gesetzlichen Anforderungen zeigen den Zuschnitt auf langfristige Lieferbeziehungen. Eine Anpassung würde erfordern, dass entweder ein übergreifender Informationszugriff auch auf vorherige Daten ermöglicht wird, um so auf die Verbrauchsdaten des entsprechend ein Jahr zurückliegenden Zeitraums zugreifen zu können. Damit einher gingen jedoch deutliche datenschutzrecht liche Bedenken277, da so jegliche Verbrauchsdaten offenzulegen wären, damit ein solcher Zugriff erst möglich wird. Alternativ dazu wäre es jedoch auch möglich, auf die Informationen zum Vorjahreszeitraum zu verzichten: Bei besonders kurzfristigen Lieferabschnitten ist die Information, wie viel Energie in exakt diesem kurzen Zeitraum im Vorjahr verbraucht wurde, nur von sehr geringer Aussagekraft. Bei langfristigen Verträgen sind dies wertvolle Informationen über den zeitraumübergreifenden Verbrauch der vergangenen Zeit; eine realistische Vorstellung von Verbräuchen über das Jahr hinweg wird möglich. Der Verbraucher kann so sein Verbrauchsverhalten evaluieren und gegebenenfalls überdenken. Werden jedoch Informationen über Verbräuche im Stunden- oder gar nur Viertelstundenbereich mitgeteilt, vermittelt dies kein aussagekräftiges Bild. Im Rahmen eines solchen Anpassungsvorschlags ist der nationale Gesetzgeber jedoch erneut an das Europarecht gebunden. Art. 18 in Verbindung mit Anhang I Nr. 1.3.a) Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie schreibt vor, dass die Informationen zum vergleichbaren Vorjahreszeitraum anzugeben sind. Die Anordnung im nationalen Recht setzt diese europarechtliche Vorgabe um, welche der Transparenz dient.278 Neben einer Gesetzesänderung – dann freilich auch der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie – können allerdings auch die Prosumer selbst steuernd eingreifen: Handelt es sich um einen großen Verbund von Prosumern, innerhalb dessen unterjährig verschiedene Prosumer und sonstige Akteure mit einander über geringe Mengen Energie kontrahieren, kann automatisiert im gerufen am 20.06.2023). Zu den Besonderheiten, welche die GPKE zu Meldefristen und -pflichten beim Anbieterwechsel aufstellen können sowie den bestehenden Lösungsmöglichkeiten siehe Fietze/Papke/Wimmer/Antoni/Hilpert, Der Rechtsrahmen für regionale Peer to Peer‐Energieplattformen unter Einbindung von Blockchains, S. 28. 277 Die datenschutzrechtlichen Gesichtspunkte dezentraler Energieversorgungskonzepte werden in der vorliegenden Arbeit keiner eingehenden Analyse unterzogen. Siehe hierzu ausführlich Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 215 ff. 278 Siehe hierzu Erwägungsgrund 48 der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie.
B. Pflichtenstellung des Prosumers nach dem EnWG233
Sinne der § 40 II 1 Nr. 7, 8 EnWG sowie § 40 II 2 EnWG abgerechnet werden: Innerhalb des Verbundes als koordinierender Ebene stehen dann die maßgeblichen Informationen aller Einzeltransaktionen und -belieferungen aller Beteiligten zur Verfügung und können ausgewertet werden. Die digitale Messinfrastruktur ist dabei notwendige, aber auch hinreichende Bedingung für den Informationsaustausch. Entscheiden sich die einzelnen Prosumer mithin zu einem derartigen Zusammenschluss und beziehen ihre Energie ausschließlich in diesem Rahmen, könnten die Pflichten aus § 40 II 1 Nr. 7, 8, II 2 EnWG leichter erfüllt werden, da die maßgeblichen Daten insbesondere zu Vorjahresverbräuchen im Verbund vorliegen. Die Abwicklung von autarken, individuellen Peer-to-Peer-Geschäften ohne Anschluss an einen größeren, konstanten Verbund vereinfacht dies jedoch nicht. f) § 40 II 1 Nr. 9–13 EnWG Die Informationen im Rahmen von § 40 II 1 Nr. 9–13 EnWG sind statisch und erschöpfen sich einerseits in Informationen zu den Rechten des Letztverbrauchers im Bereich der Streitbeilegungsverfahren (Nr. 9), Kontaktdaten zum Verbraucherservice der Bundesnetzagentur (Nr. 10), Informationen zu Kontaktstellen zur Beratung in Energieangelegenheiten (Nr. 11), daneben Informationen zum Lieferantenwechsel und Preisvergleichen (Nr. 12) und dazu, ob es sich um eine Versorgung im Rahmen der Grundversorgung handelt (Nr. 13). Diese Informationen dienen in besonderem Maße dem über geordneten Ziel des Verbraucherschutzes, da Informationen über Streitbei legung, Konfliktprävention und -lösung für die Letztverbraucher oftmals wenig bekannt, jedoch zur Durchsetzung ihrer Rechte besonders wichtig sind.279 Die Informationen sind im Rahmen der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten leicht zu erheben und stellen keine Hindernisse dar. Die Daten sind für alle abzuwickelnden Einzeltransaktionen identisch, somit kann der Prosumer die Daten einmalig festlegen und der Smart Contract übermittelt diese dann im Einzelfall individuell gemeinsam mit den übrigen, individualisierten Inhalten. Insbesondere ist im Rahmen des § 40 II 1 Nr. 10–12 EnWG zu beachten, dass die dort genannten Anlauf- und Kontaktstellen nach dem eindeutigen Wortlaut nicht vom Prosumer selbst betrieben werden müssen, sondern in der Rechnung lediglich auf die von Dritten betriebenen Stellen hinzuweisen ist. Die Angaben erschöpfen sich somit in einer Hinweis- und Mitteilungspflicht über die Kontaktdaten Dritter. Der einzige Aufwand neben der einmaligen Aufnahme dieser Daten in das Muster des Vertrags liegt dann in einer turnusmäßigen Kontrolle, ob sich An279 Siehe
etwa Erwägungsgründe 36 und 48 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie.
234 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
schriften oder Kontaktdaten verändert haben. Dies stellt einen geringen Aufwand dar.280 g) §§ 40a–c EnWG § 40a EnWG regelt Modalitäten der Verbrauchsmessung und -feststellung und gibt dem Energielieferanten hierbei eine Vielzahl von Befugnissen, um die nötigen Messwert- und Abrechnungsinformationen zu erhalten. Im Rahmen der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten werden regelmäßig vollautomatische und digitalisierte Schnittstellen zur Ermittlung von Einspeisung, Verbrauch und Verteilung genutzt, sodass ein automatisierter Fernzugriff regelmäßig möglich ist.281 Die nötigen Werte können so bereits auf diesem Wege ohne die Hilfestellung des § 40a EnWG in Erfahrung gebracht werden. Eine Hürde oder ein Hindernis für die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten ergibt sich hieraus jedenfalls nicht. Die in § 40b I 2 Nr. 3 EnWG niedergelegte Papierform birgt ein Problem. § 40b I 2 Nr. 3 EnWG fordert, dass mindestens einmal im Jahr die unentgeltliche Übermittlung der Abrechnungen und Abrechnungsinformationen in Papierform angeboten werden muss. Diese Papierform wird europarechtlich nicht durch Art. 18 in Verbindung mit Anhang I der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie gefordert. Auch wird keine Erheblichkeitsschwelle im Sinne eines Mindestbelieferungszeitraums gefordert, ab welcher eine solche Information in Papierform angeboten werden muss. Für die Prosumer bedeutet dies, dass sie auch bei einer nur geringfügigen Belieferung, beispielsweise für eine einzige Viertelstunde, eine Abrechnung in Papierform anbieten müssen. Für rein digitalisierte Abwicklungsmechanismen wie jene im Rahmen der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten ist eine solche Papierform ein deutliches Hindernis. Zum einen produzieren solche Abrechnungen Druckund Portokosten, welche bei Mikrotransaktionen prohibitiven Charakter haben können. Gleichermaßen erfordert die Verpackung, Frankierung und Versendung von Schreiben in der Regel eine menschliche Interaktion; vollautomatisierte Versendungen von Briefen sind wesentlich komplexer und im privaten Kontext nicht naheliegend. Die Kosten und der Aufwand sind hier beträchtlich. Dem gegenüber steht auch kein zwingendes Informationsbedürfnis der Letztverbraucher. Durch die zu erstellende Aufstellung werden keine neuen Informationen mitgeteilt; die Inhalte beschränken sich ausweis280 Zu der daraus resultierenden Folge, dass der Letztverbraucher bei häufigen Wechseln der Vertragspartner gepaart mit dem Abschluss einer Vielzahl von Einzelverträgen in redundanter Weise über diese Themen informiert wird, siehe Kapitel 4, B.III.4. 281 Siehe hierzu oben Kapitel 2, B.I.4. und Kapitel 3, D.
B. Pflichtenstellung des Prosumers nach dem EnWG235
lich des Wortlauts auf eine Ansammlung der im Jahr aufgelaufenen Abrechnungen. Ein Informationsmehrwert geht mit dieser jährlichen Information nicht einher. Einziger Vorteil für den Letztverbraucher ist es, dass ihm eine verkörperte Information statt der gegebenenfalls „flüchtigeren“ elektronischen Information zugeht. Indem hier auf die Jahresperspektive Bezug genommen wird, wird erneut erkennbar, dass dem Gesetz eine langfristige, zentralisierte Versorgungsstruktur vorschwebt. In Abwägung mit dem Aufwand und auch vor dem Hintergrund, dass die übrige Abwicklung rein digital möglich ist, tritt dieser Aspekt jedoch in den Hintergrund. Dokumente in Papierform stellen einen Bruch in sonst digitalisierten Strukturen dar. Den Vertragsparteien stünde es jedoch selbstverständlich frei, auf eine solche Abrechnung zu verzichten. § 40b I 2 Nr. 3 EnWG fordert nur das Angebot einer solchen Abrechnung in Papierform. Wenn diese nicht eingefordert wird, muss diese auch nicht erstellt werden. Der Anpassungsbedarf ist somit mit Blick auf die Möglichkeit des Nicht-Einforderns herabgesetzt, da eine solche Ausweichmöglichkeit besteht. Er ist jedoch dennoch gegeben, da ein Berufen auf das Recht in § 40b I 2 Nr. 3 EnWG möglich bleibt. Zur Umsetzung der gebotenen Änderung böte es sich an, die Forderung nach der Papierform zu streichen – jedenfalls im Rahmen rein digitalisierter Abwicklungssysteme. In elektronischer Form könnten die aggregierten Informationen automatisiert übermittelt werden. § 40c EnWG zeigt erneut den Zuschnitt der energierechtlichen Regelungen auf Dauerschuldverhältnisse, zwingt jedoch nicht zur Anpassung. § 40c I EnWG ordnet an, dass Rechnungsbeträge und Abschläge frühestens zwei Wochen nach Zugang der Zahlungsaufforderung fällig werden. Hält man sich hier erneut den unter Umständen viertelstündigen Wechsel der Vertragspartner vor Augen, ist eine Verschiebung der Fälligkeit um zwei Wochen ein erheblicher Zeitraum, anders, als würde beispielsweise im Rahmen eines mehrjährigen Lieferverhältnisses eine Einzelrechnung mit einem derartigen Zahlungsziel gestellt. Bei den Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten wird jedoch wegen der Kurzfristigkeit regelmäßig eine unmittelbare Bezahlung der gelieferten Energie gewünscht sein, sodass Lieferung und Bezahlung kurzfristig und im direkten Austausch vollzogen werden. Diese Möglichkeit haben die Parteien auch weiterhin. Die fehlende Fälligkeit hindert nicht daran, bereits zuvor die Schuld zu tilgen; die Erfüllbarkeit wird durch eine reine Fälligkeitsregelung nicht tangiert.282 Durch die konsensuale Nutzung der Abwicklungsautomatismen kann so auch unter Geltung des § 40c EnWG eine direkte Abwicklung der Transaktion erreicht werden. Bei der Nutzung
282 Krafka,
MittBayNot 2011, 459, 459.
236 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
von Token- oder auch automatisierten Vorkasse-Systemen283 wird die empfangende Partei regelmäßig unmittelbar die Bezahlung veranlassen und nicht die volle Zwei-Wochen-Frist ausschöpfen. Jedoch auch falls die zahlungspflichtige Partei den Zeitraum bis zur Fälligkeit voll ausschöpft, beispielsweise weil eine erst nachträgliche Bezahlung in nicht automatisierter Form vereinbart wird, ergibt sich für den liefernden Prosumer eine nur geringe Interessenbeeinträchtigung: Er muss lediglich länger auf die Vergütung warten. Ein Mehraufwand oder Vergleichbares ist für ihn nicht gegeben. Auch kann dennoch vollautomatisch ein Zahlungseingang geprüft werden.284 Eine solche Fristregelung ist somit zwar für voll automatisch abgewickelte, auf Kurzfristigkeit basierende Energielieferungssysteme nicht naheliegend, stellt diese jedoch auch nicht vor Hindernisse. h) Orientierung der Vorschriften an langfristigen, vollversorgenden Vertragsverhältnissen Auch im Rahmen der §§ 40–40c EnWG zeigt sich zusammenfassend, dass dem Regulierungsrecht des Energiewirtschaftsgesetzes die hergebrachten Versorgungsstrukturen zugrunde liegen.285 Insbesondere § 40 II 1 Nr. 7, 8 EnWG verdeutlichen dies sehr deutlich, indem sie auf Vorjahresverbräuche und Jahreszeiträume abstellen, so explizit Jahre als Bezugsgröße nehmen.286 Auch die Pflicht, nach § 40 II 1 Nr. 4 EnWG über Kündigungszeiträume und Vertragsdauern zu informieren, zeigt, dass dem Gesetz ein zeitbezogener und nicht wie bei den Smart-Contract-basierten Aktivitäten auch ein (ex ante festgelegter) mengenbezogener Vertragsumfang zugrunde liegt. Gleiches gilt für die zweiwöchige Fälligkeitsregelung des § 40c I EnWG. Kurzfristige und damit häufig wechselnde Vertragsverhältnisse sind diesen Normierungen fremd. Die Inbezugnahme einer Kunden-Hotline in § 40 II 1 Nr. 1 EnWG zeigt daneben einen Zuschnitt auf größere, zentralisierte Akteure. Dieser Zuschnitt kann auf verschiedene Weisen Hürden für dezentralisierte Prosumeraktivitäten bilden und diese unter Umständen sogar gänzlich unwirtschaftlich machen. Dies gilt insbesondere, wenn persönliche Interaktionen und Aufwände oder kostenträchtige Handlungen wie die Ausstellung von papierhaften Rechnungen gefordert werden.
283 Siehe zur implizit vorausgesetzten Zulässigkeit solcher Vereinbarungen § 41b III 1 EnWG sowie § 35 II 3 Nr. 3 MsbG. 284 Zur automatischen Prüfung derartiger Umstände siehe oben Kapitel 2, B.I.1.b). 285 Chatzinerantzis/Bertram, EnWZ 2021, 65, 69. 286 Zu diesen langen Zeiträumen siehe auch Chatzinerantzis/Bertram, EnWZ 2021, 65, 69.
B. Pflichtenstellung des Prosumers nach dem EnWG237
Das Regulierungsrecht ist in dieser Hinsicht nicht flexibel. Neuartige und andersartige Konzepte werden an verschiedenen Stellen nicht adäquat erfasst, da die Anknüpfungskriterien an bestimmten (hergebrachten) Marktzuschnitten orientiert sind. Die dort bestehenden Üblichkeiten und Eigenschaften werden als Maßstab für die Pflichten genommen, ohne dass dabei individuell auf Besonderheiten der jeweilig Verpflichteten eingegangen werden könnte. Dies fordert jedoch nicht zwingend eine Anpassung des Gesetzes, da die bloße Orientierung an längerfristigen, auf Vollversorgung zielenden Verträgen nicht zwingend auch Hindernisse für kurzfristige, automatisiert abgewickelte Strukturen mit sich bringt. Viele der Pflichten können auch hier häufig automatisiert und ohne Hindernisse erfüllt werden. Die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes im Jahr 2021 entwickelte die Normen bereits in die Richtung der Digitalisierung und Dynamisierung. Konkrete Anpassungen sollten sich an den oftmals kurzfristigeren und mengenbezogenen Handelsbeziehungen der Prosumer orientieren und Abweichungsmöglichkeiten vorsehen. Jedoch ist bei § 40 EnWG besonders der europarechtliche Hintergrund zu berücksichtigen, welcher die Umsetzungsmöglichkeiten des nationalen Gesetzgebers begrenzt. 4. Stromkennzeichnung nach § 42 EnWG Hinsichtlich § 42 EnWG ergibt sich kein Regulierungs- und Anpassungsbedarf für die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten. Die Norm verpflichtet in § 42 I–IV EnWG Stromlieferanten, damit auch die Prosumer, im Rahmen von Rechnungen und der Werbung Informationen zum Energieträgermix und den Umweltauswirkungen aufzunehmen. Sinn und Zweck ist es, dass der Verbraucher über die Eckdaten der von ihm bezogenen Energie informiert wird und so seine Nachfrageentscheidung auch an ökologischen Faktoren orientieren kann.287 Diese Stromkennzeichnung ist für die Prosumer oftmals leicht zu erbringen, da sie typischerweise ihren selbst erzeugten Strom verkaufen und somit genaue Kenntnis über die Erzeugungsquelle haben.288 Die zur Erfüllung dieser Pflicht notwendigen Informationen sind leicht zu beschaffen und bleiben konstant. Auch unterliegt die Mitteilung keinen bestimmten Formanforderungen und kann daher vollautomatisch vollzogen werden. § 42 V, VI EnWG regeln Detailfragen zur Kennzeichnung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen in Bezug zum EEG 2023 sowie zum Informationsaustausch zwischen Erzeugern und Vorlieferanten. Die in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 42 EnWG Rn. 1. hierzu auch Moench/Wagner/Schulz/Wrede, Gutachterliche Stellungnahme „Rechtsfragen des Eigenverbrauchs und des Direktverbrauchs von Strom durch Dritte aus Photovoltaikanlagen“, S. 92. 287 Rasbach, 288 Vgl.
238 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
Meldepflicht in § 42 VII EnWG kann in entsprechender Form automatisiert abgewickelt werden und betrifft sowieso zu erhebende Daten. Sie stellt mithin keine Hürde dar. 5. Lieferantenwechsel „Lieferantenwechselprozesse von mehreren Wochen passen nicht zu automatisiert und kurzfristig ausgeführten Smart Contracts.“289 Die Digitalisierung und Dezentralisierung der Energiewirtschaft ändern die Interessenlage beim Lieferantenwechsel erheblich. Die Vertragspartner werden schnell und dynamisch gewechselt und die Geschäfte im Rahmen der Smart-Contractbasierten Prosumeraktivitäten charakteristischerweise über konkrete Energiemengen abgeschlossen, namentlich über jene Energiemengen, welche aktuell vom Prosumer überschüssig produziert werden.290 Zentrale Norm im Kontext der Lieferantenwechsel ist § 20a EnWG. Die Vorgaben wurden im Rahmen der EnWG-Novelle im Jahr 2021 reformiert und stärker auf flexiblere Anbieterwechsel angepasst. Die Entwicklungen zeigen, dass der Gesetzgeber den grundsätzlichen Handlungsbedarf erkannt hat und die Normen punktuell und partiell weiterentwickelt. a) § 20a I EnWG Der Inhalt des § 20a I EnWG bedarf keiner Neuregelung. Die Anforderungen sind der Automatisierung zugänglich und belasten den Prosumer nicht. Die Informationen sind auch im Rahmen Smart-Contract-basierter Prosumeraktivitäten nützlich und sinnvoll. § 20a I EnWG schafft die Pflicht, dass der neue Lieferant den Letztverbraucher unverzüglich in Textform zu informieren hat, ob und ab wann die Belieferung aufgenommen werden kann. Für den Letztverbraucher sind dies wichtige Informationen hinsichtlich der Planung künftiger Strombezüge. Besondere Potenziale der Automatisierung und Digitalisierung bestehen, da bei den Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten häufig Verträge über geringe Mengen Energie geschlossen werden und damit zahlreiche Wechsel in der Belieferung stattfinden. Inhaltlich kann dieser Pflicht leicht nachgekommen werden: Der konkrete Zeitpunkt, ab welchem die Belieferung vorgenommen wird, ist mit Blick darauf, dass in der Regel aktuell überschüssig produzierte Energie gehandelt wird, unproblematisch festzustellen. Daneben wird dies im Rahmen der Vertragsschlüsse mit289 Buchmüller, EWeRK 2018, 117, 121. Zum Lieferantenwechsel auch im Bezug zur Bilanzkreisverantwortlichkeit siehe auch Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 170 ff. 290 Siehe hierzu insgesamt oben Kapitel 3, A.I.
B. Pflichtenstellung des Prosumers nach dem EnWG239
tels der Smart Contracts automatisiert festgelegt. In der überwiegenden Zahl der Fälle wird die Lieferung unmittelbar bevorstehen,291 mithin beginnen, sobald diese möglich ist. Auch über einen gegebenenfalls später beginnenden Lieferbeginn kann so informiert werden. Dieser Umstand ist auch automatisiert feststellbar, bedarf mithin keiner menschlichen Interaktion. Die geforderte Textform stellt kein Hemmnis dar, sie kann automatisiert erfüllt werden.292 Die Informationspflichten hinsichtlich des Wechselprozesses stehen somit insbesondere der digitalisierten Abwicklung offen und sind für die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten adäquat und nicht hindernd. b) § 20a II EnWG Fraglich ist jedoch, wie die Fristregelung für den Anbieterwechsel in § 20a II 1 EnWG in Bezug auf die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten zu bewerten ist. So schreibt § 20a II 1 EnWG für den Wechsel eine Obergrenze von 3 Wochen vor. Berechnet wird diese ab dem Zeitpunkt des Zugangs der Anmeldung zur Netznutzung durch den neuen Lieferanten bei dem Netzbetreiber, an dessen Netz die Entnahmestelle angeschlossen ist. Sinn und Zweck dieser Obergrenze ist die Dynamisierung der Stromanbieterwechsel durch schneller mögliche Anbieterwechsel; der Wettbewerb soll hierdurch intensiviert werden.293 § 41 I Nr. 9 EnWG bestimmt daran anknüpfend, dass der Verbraucher über die Wechselmöglichkeiten zu informieren ist. Für hergebrachte Energielieferverträge ist diese Grenze angemessen: Der hergebrachte Energielieferungsvertrag ist auf eine jedenfalls mehrmonatige, oftmals sogar mehrjährige Vertragslaufzeit ausgerichtet. In diesen klassischen Szenarien findet mithin ein Anbieterwechsel nur seltener statt. Eine Frist von 3 Wochen stellt vor dem Hintergrund langer Planbarkeit keine Verzögerung dar. Da hingegen die Prosumeraktivitäten üblicherweise nicht auf einen derart langen Zeitraum angelegt sind, wäre eine dreiwöchige Frist hier mit einer deutlichen Verzögerung verbunden. Es ist jedoch zu beachten, dass für die Prosumer die Möglichkeit besteht, kürzere Fristen zu vereinbaren. § 20a II EnWG schafft nur eine Maximalfrist, kein zwingendes Recht hinsichtlich einer Mindestfrist. Kürzere Fristen gestattet das Gesetz auch zum jetzigen 291 Andernfalls wäre eine Speicherung der Energie vonnöten, diese ist jedoch mit einem hohen Verlustgrad und hohen Kosten verbunden, vgl. Wieser, ZUR 2011, 240, 241. 292 Zur Textform siehe oben Kapitel 4, B.II.2.e). 293 Siegel, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 20a EnWG Rn. 1.
240 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
Zeitpunkt. Sofern die Prosumer und ihre Geschäftspartner es wünschen, kann so ein besonders schneller, flexibler Wechsel ermöglicht werden.294 Auch besteht hier wieder die Möglichkeit, einen Intermediär einzuschalten, sodass diese Pflicht erst gar nicht zum Tragen kommt. Wird der Intermediär, wie beim Tal.Markt, selbst der Vertragspartner und kauft dieser selbst die Energie beim Prosumer ein und verkauft sie an den Verbraucher weiter, stellen sich keine Fragen des Wechsels: Vertragspartner bleibt immer der Intermediär, dieser wird lediglich vom Kunden angewiesen, von einem bestimmten Prosumer den Strom einzukaufen. Auf diese Weise wird mittels des Intermediärs eine Konstanz hinsichtlich der Vertragsverhältnisse erreicht. Folge dessen wäre aber erneut, dass der Intermediär als zusätzlich zu vergütender und mit eigenen Interessen ausgestatteter Beteiligter hinzutritt und die Unabhängigkeit des Prosumers sinkt. Das novellierte EnWG reagiert bereits auf die veränderten Anforderungen, indem § 20a II 4 EnWG bestimmt, dass – in Umsetzung des Art. 12 I Elek trizitätsbinnenmarktrichtlinie – ab dem Jahr 2026 der technische Wechselvorgang binnen 24 Stunden vollzogen und an jedem Werktag möglich sein muss. Dies zeigt die Entwicklung des Rechts hin zu dynamischen und flexibleren, kurzfristigeren Energielieferungsverträgen, obschon auch diese Frist noch immer deutlich länger ist als beispielsweise eine viertelstündliche Taktung. Den Entwicklungen im Rahmen der Energiewende folgt das Recht mithin, wenn auch aktuell nur sehr punktuell und partiell.
III. Fazit: Notwendigkeit punktueller Anpassungen Die Gesamtbetrachtung der Pflichten nach dem Energiewirtschaftsgesetz zeigt, dass die Prosumer keinesfalls von jeglicher Regulierung freigestellt werden sollten, sondern der Rechtsrahmen punktuell an die neuen Anforderungen und Charakteristika anzupassen ist. Der jeweilige Sinn und Zweck trifft nahezu ausnahmslos auch auf die Lieferbeziehungen im Rahmen der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten zu. Durch die punktuellen Anpassungen können Hürden abgebaut werden, ohne dass zwingende Schutzbedürfnisse vernachlässigt würden. Daneben stellt sich heraus, dass die Pflichten auch auf anderen Ebenen erfüllt werden können als in der konkreten individuellen Liefer-Geschäftsbeziehung.
294 Zur Bedeutung der GPKE mit Blick auf die Beziehung zwischen Lieferanten und Netzbetreibern im Bereich des Peer-to-Peer-Energiehandels siehe Fietze/Papke/ Wimmer/Antoni/Hilpert, Der Rechtsrahmen für regionale Peer to Peer‐Energieplattformen unter Einbindung von Blockchains, S. 28.
B. Pflichtenstellung des Prosumers nach dem EnWG241
1. Keine Freistellung von sämtlicher Regulierung Die Prosumer sind nicht gänzlich von energierechtlichen Pflichten freizustellen. Die grundsätzlichen Schutz- und Ordnungsaspekte, welche die Normen des energiewirtschaftsrechtlichen Regulierungsrechts verfolgen, greifen auch bei den Prosumern weitestgehend ein. Das Informations- und Schutzinteresse vor allem der Verbraucher295 ist nicht dadurch aufgehoben, dass die Belieferung nunmehr automatisiert im Rahmen eines Prosumerverbunds oder im Rahmen singulärer Peer-to-Peer-Geschäfte stattfindet. Die Interessenlage ist den hergebrachten Energieversorgungsstrukturen vergleichbar, jedoch durch die eher mengen- und nicht zeitbezogenen, auf Vollversorgung ab zielenden Belieferungen partiell angepasst. Dies fordert nur eine punktuelle Anpassung der Regulierung, keinen gänzlichen Entfall. Wie oben dargelegt296 geht auch das europäische Recht von einer solchen Handhabung aus, indem die Prosumer entgegen der Entwurfsfassung der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie nicht von jeglicher Regulierung ausgenommen, sondern punktuelle Anpassungen vorgenommen werden. Dieses Bild stützt auch die insgesamte Betrachtung der Prosumeraktivitäten: Die Prosumer sollen nach den oben genannten Konzepten perspektivisch vollumfänglich und unter Umständen sogar gänzlich autark für die Energieversorgung in ihrem Aktionsradius sorgen. Es sollen keine zusätzlichen Akteure hingezogen werden müssen. Würde man somit nun pauschal alle Prosumeraktivitäten von der Regulierung ausnehmen, würde insgesamt jede Regulierung entfallen; die gesamten Aktivitäten wären der Regulierung entzogen. Dies ist mit Blick auf das fortbestehende Schutzbedürfnis der Letztverbraucher und Haushaltkunden zu verhindern. 2. Partielle Anpassung der regulierungsrechtlichen Vorgaben Es sind vielmehr einzelne punktuelle Anpassungen notwendig. Der grundsätzliche Sinn und Zweck vieler energierechtlicher Pflichten passt auch im Rahmen der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten. Diese punktuelle, teleologisch orientierte Anpassung zeigt stückweit Parallelen zur Regelungstechnik des § 110 EnWG. Auch dort werden individuell zugeschnittene Erleichterungen für spezielle Konzepte vorgesehen, welche sich an den jeweiligen Besonderheiten orientieren. In der Rechtsfolge werden nur bestimmte Regelungen auf diese Konzepte angewendet und so der Regulierungsrahmen angepasst. Durch punktuelle Anpassungen kann auch ein adäquater Rahmen 295 Zum verbraucherschutzrechtlichen Hintergrund siehe auch Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 147 f. 296 Siehe oben Kapitel 4, B.
242 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
für die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten geschaffen werden, welcher auf die individuellen Besonderheiten eingeht und so Hürden für die Prosumer reduziert. Allerdings ordnet § 110 EnWG lediglich an, welche konkreten Regelungen Anwendung finden und welche nicht. Dies genügt für die Prosumeraktivitäten nicht. Es reicht nicht aus, lediglich die Geltung bestimmter Regelungen anzuordnen oder zu unterbinden, sondern speziell infolge des vielschichtigen Anwendungsbereichs sind individuelle inhaltliche Anpassungen notwendig und geboten. Diese haben sich an den oftmals kleineren Akteuren, den kurzfristigeren Verträgen über konkrete Energiemengen und den digitalisierten Abwicklungsumgebungen zu orientieren.297 Für die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten sind daher punktuelle und individuell zugeschnittene Anpassungen des Rechtsrahmens erforderlich. 3. Adäquanz der Erfüllung speziell durch Prosumer: Möglichkeit einer Ebenenverschiebung auf Intermediäre Im Rahmen der Pflichterfüllung selbst stellt sich die Frage, ob es adäquat ist, den Prosumern die Erfüllung dieser Pflicht aufzuerlegen oder ob auch andere Akteure kumulativ oder alternativ verpflichtet werden sollten. So könnten beispielsweise die Pflichten bei der Einschaltung eines Intermediärs, zum Beispiel eines Aggregators, auf diesen übergehen und der Prosumer aus seiner Pflichtenstellung entlassen werden. In Konstellationen, in welchen der Intermediär selbst Vertragspartei der konkreten Energielieferungen wird, ist dies automatisch der Fall, da dieser dann allein gegenüber dem Verbraucher nach außen auftritt. Mit der Entlastungsfunktion aus dem Europäischen Recht, keine überbordenden Regulierungsvorgaben vorzusehen,298 würde es in Einklang stehen, eine solche befreiende Pflichterfüllung durch Intermediäre auch vorzusehen, sofern der Prosumer selbstständig tätig wird und nach außen handelt. Der Intermediär wäre dann der tatsächlich und letztverantwortlich Verpflichtete. Eine Hilfestellung durch Intermediäre im Sinne von Dienstleistern ist auch de lege lata möglich. Diese können die nötigen Informationen übermitteln und beispielsweise durch digitale Formulare oder Muster den Prosumer unterstützen.299 So könnte ein Intermediär auch die Kontaktdaten zu Stellen Dritter, wie sie beispielsweise nach § 40 II 1 Nr. 10–12 EnWG gefordert werden, auf ihre Aktualität hin prüfen und bei Änderungen diese im Smart 297 Siehe
hierzu oben unter Kapitel 3, A.I. hierzu Erwägungsgrund 42 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie. 299 Fietze/Papke/Wimmer/Antoni/Hilpert, Der Rechtsrahmen für regionale Peer to Peer‐Energieplattformen unter Einbindung von Blockchains, S. 27 f.; Scholtka/Martin, RdE 2017, 113, 118. 298 Siehe
B. Pflichtenstellung des Prosumers nach dem EnWG243
Contract hinterlegen, damit er immer die aktuellen Informationen für die Vertrags- und Rechnungserstellung nutzen kann. Auch könnte ein Intermediär Mechanismen vorsehen, um die Erläuterung der Rechnungen nach § 40 I 2 EnWG für den Prosumer zu erleichtern. So kann der Intermediär unterstützend tätig werden. Dies ist als geringste Stufe der möglichen Einbindung zu sehen. Daneben zeigen sich – wie bei Prosumergy – auch Gestaltungsoptionen, welche engere Zusammenschlüsse mit dem Prosumer herbeiführen und so Gestaltungen ermöglichen, welche den Prosumer noch stärker entlasten. Wegen der Vielzahl der sich stellenden Fragen und der zu erfüllenden Pflichten bietet sich die Einschaltung eines Intermediärs an.300 Somit könnte – jedenfalls in der Zwischenzeit der Transformation der Energiewirtschaft – ein Intermediär diese Pflichten erfüllen.301 Für die hergebrachten Energieversorgungsunternehmen kann dies ein Betätigungsfeld für die dezentralisierte, digitalisierte und dekarbonisierte Zukunft der Energieversorgung sein. Ein befreiender Übergang der Pflichten vom Prosumer(verbund) auf den Intermediär ist jedoch abzulehnen, obschon dies den Prosumer besonders entlasten würde. Sofern der Prosumer den Tatbestand der Pflicht erfüllt, hat dieser auch die Letztverantwortung für die Erfüllung zu tragen, auch wenn zur Unterstützung ein Intermediär eingeschaltet werden kann. Andernfalls müsste der Prosumer bei Schlechterfüllung der Pflicht durch den Intermediär keinerlei Konsequenzen tragen, dies würde zu Fehlanreizen führen. Auch bleibt der selbstständig agierende Prosumer der Akteur, welcher den Regulierungsanlass gibt. Er tätigt das Verhalten, an welches die Regulierung anknüpft und welches regulierungsbedürftig ist. Daher ist es nur folgerichtig, dass auch der Prosumer weiterhin die Letztverantwortung für die Pflicht erfüllung trägt. Eine motivierende Wirkung hat es darüber hinaus, wenn der Prosumer zwar dem Grundsatz nach die Pflichterfüllung an einen Intermediär delegieren kann, sich dessen Schlecht- oder Nichterfüllung jedoch zurechnen lassen muss. Dies belässt einen gewissen Erfolgsdruck beim Prosumer, dass dieser den eingeschalteten Intermediär überwacht. Die dann ordnungsgemäße Pflichterfüllung wird sichergestellt. Auch auf diese Weise wird der Prosumer entlastet; die Entlastung fordert nicht die endgültige Freistellung von den Pflichten und der Letztverantwortung.
300 Germanwatch,
Chancen und Risiken, S. 41. hierzu auch Buchmüller, EWeRK 2018, 117, 120 mit dem Vorschlag, dass diese Rolle auch die hergebrachten Energieversorgungsunternehmen einnehmen könnten. 301 Siehe
244 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
Wenn der eingeschaltete Intermediär seine Pflichten nicht erfüllt, kann der Prosumer, welcher nach dem zuvor Genannten haftbar bliebe, dann aus seinem (vertraglichen) Verhältnis zum Intermediär Regress nehmen. 4. Problem der redundanten Mitteilung von Informationen Vergegenwärtigt man sich die häufigen Wechsel der Bezugsquellen und damit der Vertragspartner, so erkennt man, dass eine Vielzahl der Informa tionen bei jedem einzelnen Vertrag identisch bleibt und bei jedem Vertrag erneut mitgeteilt wird. Dies betrifft insbesondere die Informationen zu Kontaktstellen nach § 40 II 1 Nr. 10–12 EnWG und § 41 I 1 Nr. 11, 12 EnWG, aber auch die Informationen zum Lieferantenwechsel nach § 41 I 1 Nr. 9 EnWG. Der Letztverbraucher erhält diese Informationen bei jedem einzelnen Vertrag erneut. Ihm werden somit Informationen mitgeteilt, welche ihm unter Umständen schon vielmals kommuniziert wurden und daher spätestens nach einer gewissen Zeitspanne bekannt sein dürften. Allenfalls bei einer Veränderung beispielsweise hinsichtlich der Kontaktdaten kann sich aus der erneuten Information ein Mehrwert ergeben. Eine Minimierung des Bürokratie- und Datenaufwands wäre es, würden diese Informationen nicht bei jedem erneuten Vertragsschluss kommuniziert. Dieser Grundsatz der mehrmaligen Information liegt jedoch generell den verbraucherschützenden Vorschriften zugrunde. Auch beim zivilrechtlichen Verbraucherwiderrufsrecht nach den §§ 312 ff. BGB sind bei jedem einzelnen Vertragsschluss, gleichgültig, wie oft die Parteien bereits miteinander kontrahierten oder ob dem Verbraucher die Informationen bereits bekannt sind, gemäß § 312a II 1 BGB die Informationen nach Art. 246 EGBGB302 mitzuteilen.303 Der Verbraucher soll so generell geschützt werden, unabhängig davon, ob im individuellen Einzelfall ein Informationsbedürfnis besteht. Ähnlich verhält es sich mit dem „Cookie-Consent“ auf Websites, welche man bereits häufiger besuchte,304 oder den Datenschutzhinweisen bei Formularen, welche man schon mehrfach ausfüllte.305 Auch diese Pflichten sind zu erfüllen, selbst wenn die Informationen in vorherigen Kontakten bereits mit302 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. September 1994 (BGBl. I S. 2494; 1997 I S. 1061), das zuletzt durch Entscheidung des BVerfG – 1 BvL 7/18 vom 19. April 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 108) geändert worden ist (Einführung zum Bürgerlichen Gesetzbuche – EGBGB). 303 Mit dem Begriff des präsumtiv bestehenden Informationsgefälles als Begründung Wendehorst, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 2, § 312a BGB Rn. 6. 304 Siehe hierzu Leibold/Kamm, ZD-Aktuell 2021, 05299; Sesing, MMR 2021, 544, 545. 305 Siehe hierzu Leibold/Kamm, ZD-Aktuell 2021, 05299.
B. Pflichtenstellung des Prosumers nach dem EnWG245
geteilt wurden. Eine redundante Erfüllung von Informationspflichten ist mithin im Rahmen des Verbraucherschutzes üblich. Das Verbraucherschutzrecht mit seinen Informationspflichten orientiert sich somit nicht an einem individuellen Informationsbedürfnis im Einzelfall, sondern fordert die Erfüllung der Informationspflichten unabhängig davon in jedem Fall.306 Eine redundante Erfüllung der Pflichten unter Inkaufnahme zusätzlicher Bürokratie ist bewusst akzeptiert. In diese Entwicklung reiht sich mithin auch das Informationspflichtenregime im Bereich der Energielieferungsverträge ein. Auch im Bereich der Energielieferungsverträge besteht nach § 1 I Var. 3 EnWG das Ziel der Verbraucherfreundlichkeit. Hier existieren keine – eine andersartige Regulierung fordernden – Besonderheiten. Vorteilhaft ist in diesem Modell auch, dass der Verbraucher auf diesem Weg alle Informationen aus einer Hand – namentlich von seinem Lieferanten als Vertragspartner – erhält und so alle wesentlichen Informationen zu Lieferung, Netz- und Messbetrieb gebündelt vom Lieferanten mitgeteilt werden. Dies erleichtert die Übersicht und dient somit dem übergeordneten Ziel des Verbraucherschutzes. Auch fällt die rein tatsächliche „Belastung“ des Verbrauchers durch diese redundante Informationspolitik in der digitalisierten Welt gering aus: Die Informationen werden rein digital übermittelt und können dadurch leicht archiviert oder auch gelöscht werden, sofern diese nicht benötigt werden. 5. Möglichkeit der Pflichterfüllung durch Rahmenverträge Die Tätigkeiten der Prosumer können darüber hinaus auch ohne Intermediär erleichtert werden, wenn weite Teile der Pflichten einmalig in einem zugrundeliegenden Rahmenvertrag und nicht in jedem individuellen Energielieferungsvertrag erfüllt werden. Dies bietet sich insbesondere für Informa tionspflichten an, da so die einzelne automatisierte Vertragsabwicklung nicht mehr die genannten Pflichten erfüllen muss.307 Dieses Szenario weist jedoch eine Schwäche auf: Beim reinen Peer-to-Peer-Handel soll für den konkreten einzelnen Fall ein beliebiger Anbieter gewählt werden können, um die notwendige Flexibilität bei der Vertragspartnerwahl zu schaffen. Ein Rahmenvertrag macht es aber notwendig, dass schon vorab mit potenziellen Partnern 306 Siehe hierzu Martens, in: Hau/Poseck, BeckOK BGB, § 312a BGB Rn. 1 sowie den Wortlaut von § 312a II BGB. 307 Chatzinerantzis/Bertram, EnWZ 2021, 65, 69; Scholtka/Martin, RdE 2017, 113, 117. Zum Gedanken des Rahmenvertrags im Peer-to-Peer-Handel siehe auch Overkamp/Schings, EnWZ 2019, 3, 5 m. w. N. Zur Idee des Rahmenvertrags siehe auch Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 169 f.
246 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
eine Verhandlung oder jedenfalls Kontakt aufgenommen werden muss. Die Flexibilität, einen der potenziell Millionen Prosumer als Lieferanten zu wählen, wenn dies (wirtschaftlich) sinnvoll erscheint, schränkt dies ein.308 Dies ist jedoch dahingehend zu relativieren, dass Rahmenvertrag und konkreter Energiehandelsvertrag unterschiedliche Vertragswerke bilden. Haben sich einem Rahmenvertrag verschiedene Akteure angeschlossen, so kann mit jedem der Angeschlossenen kontrahiert werden. Abseits dessen kann dann noch immer unter individueller Erfüllung der Pflichten im Einzelfall mit anderen Akteuren, welche nicht dem Rahmenvertrag angehören, kontrahiert werden. Diese Möglichkeit würde durch die reine Existenz eines Rahmenvertrages, welcher bei anderen Vertragsverhältnissen zum Tragen kommt, nicht ausgeschlossen. Der Rahmenvertrag bringt somit für eine Vielzahl von Fällen mit naheliegenden oder häufig kontaktierten Vertragspartnern eine Erleichterung mit sich. Jedoch kann er hinsichtlich der Informationspflichten, die für die einzelnen Transaktionen jeweils individuell zu erfüllen sind, von vornherein keinen Beitrag leisten.
C. Regulierungsbedarf kraft der Gewährleistungsverantwortung des Staates für eine zuverlässige Energieversorgung Die Gewährleistung einer funktionstüchtigen Energieversorgung ist Aufgabe der Daseinsvorsorge und damit staatliche Aufgabe.309 Der Staat hat die Energieversorgung gleichwohl Privaten anvertraut. Er hat seiner Gewährleistungsverantwortung dadurch zu genügen, dass er ein adäquates Regelwerk für die privaten Akteure erlässt310 und auf diese Weise die Versorgungssicherheit gewährleistet. Die Dekarbonisierung und Dezentralisierung der Energieversorgung führen zu veränderten Anforderungen an die Gewährleistung von Versorgungssicherheit, insbesondere infolge der hohen Volatilität Erneuerbarer Energien311 und der gewachsenen Akteursanzahl312. Dies erfordert einerseits eine angepasste Koordinierung von Ein- und Ausspeisung, bietet daneben aber auch Chancen für das Bilanzkreismanagement und die technische Sicherheit der genutzten Geräte und Instrumente. EnWZ 2019, 3, 5. hierzu unten Kapitel 4, C.III.1.; siehe auch Kreuter-Kirchhof, ET 2019,
308 Overkamp/Schings, 309 Siehe
25, 26. 310 Ruge, Gewährleistungsverantwortung des Staates und der Regulatory State, S. 251 f.; Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, S. 112 f. 311 Siehe hierzu oben Kapitel 2, A.III.2. 312 Siehe hierzu oben Kapitel 1, A.
C. Regulierungsbedarf kraft der Gewährleistungsverantwortung des Staates 247
Bei Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten stellt sich daher die Frage, welche Auswirkungen die Digitalisierung und Dezentralisierung insbesondere im Bereich der Erzeugung, Einspeisung und Steuerung auf die Bilanzkreisverantwortlichkeit und die technische Sicherheit haben und ob die geltenden Rechtsregeln hierfür angemessen sind. Dabei wird deutlich, dass die technische Sicherheit und die Bilanzkreisverantwortlichkeit in weiten Bereichen auch bei den Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten effektiv zur Versorgungssicherheit beitragen, jedoch aktuell Anwendungs- und Schutzlücken bestehen. Die Regelungen sind zu erweitern, um dem verfassungsmäßigen Schutzauftrag zu entsprechen.
I. Technische Erfahrungen im Reallabor und in der Praxis Das Projekt „NEW 4.0 – Norddeutsche Energiewende“ als eines der Sinteg-Schaufenster313 soll zeigen, wie dezentralisierte und digitalisierte Energieversorgungssysteme auf der Basis regenerativer Energieerzeugung ausgestaltet werden können, um eine sichere und zuverlässige Energieversorgung zu gewährleisten.314 Produktion und Verbrauch sollen in Einklang gebracht werden,315 um so die Versorgungssicherheit sicherzustellen. NEW 4.0 kombiniert verschiedene Mechanismen: Zusammengefügt werden ein digitales Systemmanagement zur automatisierten Koordination von Speichern, Er zeugern und Verbrauchern mit Elementen der Sektorenkopplung, der Verbrauchsflexibilisierung und der Netzertüchtigung,316 um so auf die geänderten Umstände der digitalisierten und dezentralisierten Versorgungssysteme zu reagieren. Den Fragen der Versorgungsstabilität kommt damit eine zentrale Rolle zu. Dies geht auch damit einher, dass infolge des hohen Grades an Volatilität der Erneuerbaren Energien die Kalkulierbarkeit der Produktion abnimmt und der Koordinationsaufwand anwächst.317 Die Nachfrageprognosen werden dabei aus technischer Sicht als große Hürde für (Klein-)Prosumer
313 Siehe hierzu die Website des Projektes „Schaufenster intelligente Energie“ unter https://www.sinteg.de (zuletzt abgerufen am 20.06.2023), wonach „in groß flächigen Modellregionen übertragbare Musterlösungen für eine sichere, wirtschaft liche und umweltverträgliche Energieversorgung bei zeitweise 100 % Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien entwickelt und demonstriert“ wurden. 314 Beba/Boxberger/Schneller/Weinmann/Westhagemann, Innovationsallianz aus Hamburg und Schleswig-Holstein zum Energiesystem der Zukunft, S. 4. 315 Beba/Boxberger/Schneller/Weinmann/Westhagemann, Innovationsallianz aus Hamburg und Schleswig-Holstein zum Energiesystem der Zukunft, S. 4. 316 Beba/Boxberger/Schneller/Weinmann/Westhagemann, Innovationsallianz aus Hamburg und Schleswig-Holstein zum Energiesystem der Zukunft, S. 4. 317 Siehe hierzu oben Kapitel 1, A.
248 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
gesehen,318 obschon diese zugleich für einen stabilen und zuverlässigen Netzbetrieb unerlässlich sind.319 Dies unterstreicht auch, dass im Rahmen des Projekts NEW 4.0 vor allem technische Aspekte im Zentrum stehen. Dieses Reallabor präsentiert die besonderen Potenziale, welche durch die Vernetzung von Prosumern entstehen: Die Kombination verschiedener Akteure und Erzeuger schafft eine Diversifizierung; so können Defizite abgeschwächt oder ausgeglichen und insgesamt eine höhere Systemstabilität erreicht werden. Dieser Aspekt steht in engem Konnex zu den Konzeptionierungsmöglichkeiten in Microgrid-Strukturen.320 Die Akteursvielfalt kann einen Beitrag zur Stabilität und zur Versorgungssicherheit leisten. Auch kann in diesem Kontext erneut auf Tal.Markt in Wuppertal Bezug genommen werden. Hier zeigt sich die besondere Rolle der Versorgungssicherheit darin, dass die Stadtwerke Wuppertal als Garant einstehen, sollte es einmal zu Versorgungsproblemen kommen.321 So wird sichergestellt, dass die zuverlässige Energieversorgung gewährleistet werden kann. Mit Blick auf den Teilaspekt der technischen Sicherheit existieren bereits praktische Handlungs- und Anwendungsfelder: Die TÜV Trust IT GmbH der TÜV Austria Group, ein privates Unternehmen, bietet speziell für IoT- Devices Prüfungen hinsichtlich bestimmter Kriterien an und vergibt entsprechende Prüf- und Gütesiegel, um nach eigenen Angaben so die Anwendungssicherheit und die Marktchancen von zertifizierten Produkten zu verbessern.322
II. Problemaufriss Aufgrund der gesteigerten Anzahl kommt den kleinen, dezentralen Erzeugungsanlagen eine zunehmend gewichtige Rolle bei der Gewährleistung von Systemstabilität zu.323 Schon im Zug der ersten Liberalisierung des Strommarkts324 war die Deckung der Strombezugsspitzen eine der wesentlichen 318 Lang/Müller, International Mining and Oil & Gas Law, Development, and Investment 2019, 17B-1, S. 7. 319 Siehe hierzu oben Kapitel 3, E.III. 320 Siehe oben Kapitel 3, F.IV. 321 Siehe https://talmarkt.wsw-online.de/principle (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 322 Siehe https://it-tuv.com/leistungen/zertifizierungen/pruefung-und-zertifizierung -von-iot-devices/ (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 323 BT-Drs. 17/6071, S. 63. Siehe auch Tschida, Die Systemverantwortung der Netzbetreiber, S. 195. 324 Siehe hierzu oben Kapitel 4, B.II.
C. Regulierungsbedarf kraft der Gewährleistungsverantwortung des Staates 249
Herausforderungen.325 Mit Blick auf die für das Jahr 2020 ermittelte Zeit von 10,73 Minuten pro Jahr, in denen es in Deutschland je Letztverbraucher zu einem Stromausfall kam,326 besteht für die nahe Zukunft kein Risiko einer Gefährdung der Versorgungssicherheit generell; die Ausfallzeiten gehören zu den geringsten in ganz Europa.327 Hier gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass schon jetzt durch den Ausstieg aus der Kohleverstromung und den Umstieg auf die weitaus volatileren Erneuerbaren Energien328, kombiniert mit Stromimporten aus dem Ausland, mit einer Abnahme der Versorgungssicherheit generell zu rechnen ist.329 Dies ist vor allem auf die dekarbonisierten Energieträger zurückzuführen, nicht unmittelbar auf Prosumeraktivitäten oder Smart Contracts. Daneben stellt auch der erhöhte Koordinationsaufwand infolge der dezentralen Erzeugung durch kleine Akteure eine maßgebliche Veränderung dar. Die höhere Flexibilität bei dezentraler Energieversorgung mit vielen Prosumern wird jedoch auch als Stärkung der Versorgungssicherheit gesehen, da die breite Streuung eine Grundstabilität erreichen kann.330 Jedoch wird es von politischer Seite kritisch gesehen, ob eine autarke, dezentrale Energieversorgung einen hinreichenden Grad an Versorgungssicher heit sicherstellen kann; insbesondere wird es als erforderlich angesehen, Energie beispielsweise in Gasform zu speichern.331 Die Ausdehnung dezentraler Systeme fordert zunehmend ausgefeiltere und weitreichendere Governance-Systeme, um den Anforderungen des Energiewirtschaftssystems gerecht zu werden.332 Ganz generell ist dabei das Netzengpassmanagement auch ein bedeutender wirtschaftlicher Faktor; es erzeugt jährlich Kosten in dreistelliDezentrale Energiesysteme, S. 387. hierzu die Pressemitteilung der Bundesnetzagentur, abrufbar unter https://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/2021 0823_SAIDI-Strom.html (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). Siehe auch Pentalateral Energy Forum Support Group 2, Generation Adequacy Assessment, S. 47. 327 Kühling/Rasbach/Busch, Energierecht, S. 236. 328 Siehe hierzu mit naturwissenschaftlich-stochastischem Bezug Dittmann/ Zschernig, Energiewirtschaft, S. 49 ff.; siehe auch Karl, Dezentrale Energiesysteme, S. 15; zum Begriff generell siehe Klees, Einführung in das Energiewirtschaftsrecht, Kapitel 1 Rn. 102; Rademacher/Sommerer/Riecken, Relevanz mobiler Endkundenlösungen für Energie- und Versorgungsunternehmen, in: Köhler-Schute, Die Digitalisierung der Energiewirtschaft, S. 52. 329 Siehe hierzu auch Karl, Dezentrale Energiesysteme, S. 306. 330 Siehe hierzu Scholtka/Kneuper, IR 2019, 17, 18 m. w. N.; Scholtka/Martin, RdE 2017, 113, 115. 331 Siehe etwa mit sehr deutlichen Worten den Redebeitrag der Bundesabgeordneten Nicola Beer im Deutschen Bundestag, Stenografischer Bericht der 98. Sitzung des Deutschen Bundestages der 19. Wahlperiode am 09.05.2019, abrufbar unter https:// dserver.bundestag.de/btp/19/19098.pdf (zuletzt abgerufen am 20.06.2023), S. 11727 f. 332 Brisbois, Global Transitions 2020, 16, 17. 325 Karl,
326 Siehe
250 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
ger Millionenhöhe.333 Die Energiewende mit der geringeren Kalkulierbarkeit und dem größeren Aufwand der Koordination einer Vielzahl von Akteuren erhöht die Anforderungen weiter.334 Im Kontext der Versorgungssicherheit ist auch die technische Sicherheit verortet: Auch diese ist von grundlegender Bedeutung für eine stabile und zuverlässige Energieversorgung.335 Die Infrastrukturabhängigkeit schafft eine besondere Schutzbedürftigkeit. Zentralisierte Strukturen wie die Netze und große Erzeugungsanlagen sind hochempfindlich und stellen einen Single Point of Failure, mithin ein zentrales Angriffsziel, dar. Werden diese Akteure angegriffen, wird die Energieversorgung für große Zahlen von angeschlossenen Letztverbrauchern gefährdet.336 In digitalisierten Strukturen ist das Gefährdungspotenzial noch größer, da nicht länger physisch auf die betreffenden Anlagen zugegriffen werden muss, sondern auch über Netzwerkstrukturen aus der Ferne angegriffen werden kann. Auch dies ist – zusammengefasst als technische Sicherheit – eine Dimension der Versorgungssicherheit und damit des staatlichen Schutzauftrags.
III. Status quo der Rechtslage Die verfassungsrechtliche staatliche Gewährleistungsverantwortung zugunsten einer funktionierenden, stabilen Energieversorgung zeigt sich in verschiedener Hinsicht: Zum einen existiert eine zeitliche Dimension, dass mengenmäßig ausreichend Energie zuverlässig und nachhaltig zur Verfügung steht.337 Dies wird flankiert durch eine technische Ebene, dass die technische (Ausfall-)Sicherheit und technische Zuverlässigkeit erforderlich ist.338 Als dritte Dimension tritt daneben die angemessene Sicherstellung der Investitionen in die Infrastruktur, um Sicherheit und Kapazität gewährleisten zu können.339 Zentral für die Prosumeraktivitäten ist die zeitliche Kapazitätsdimension, realisiert durch die Bilanzkreisverantwortlichkeit; für einen stabilen Netzbetrieb muss zur richtigen Zeit die richtige Menge an Energie zur Verfügung stehen.340 Ebenso zentral ist die technische Sicherheit. Die Dimension Energierecht, § 4 Rn. 260. hierzu auch oben Kapitel 1, A. 335 Siehe hierzu auch Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 282 f. 336 Siehe etwa Bourwieg/Frechen, in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, § 11 EnWG Rn. 46 f. 337 Callies, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 194 AEUV Rn. 13; Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 1 EnWG Rn. 17. 338 Callies, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 194 AEUV Rn. 13. 339 Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 1 EnWG Rn. 18 f. 340 Siehe hierzu oben Kapitel 3, F.IV. 333 Pritzsche/Vacha, 334 Siehe
C. Regulierungsbedarf kraft der Gewährleistungsverantwortung des Staates 251
betreffend Investitionen ist hingegen im hier gegebenen Kontext von nachgelagerter Bedeutung und sei daher an dieser Stelle ausgeblendet. 1. Bestehen der verfassungsrechtlichen Gewährleistungsverantwortung „Das Interesse an einer Stromversorgung ist heute so allgemein wie das Interesse am täglichen Brot“.341 Mit diesen Worten umschrieb das Bundesverfassungsgericht schon 1994 den Stellenwert der Energieversorgung in der modernen, industrialisierten Welt. Die Energieversorgung ist ein Teil der Daseinsvorsorge,342 der Versorgungssicherheit kommt daher eine grundlegende Funktion im alltäglichen Leben zu.343 Eine gesicherte Energieversorgung ist in der modernen Gesellschaft nicht zu entbehren.344 Ein starker Bezug zum Sozialstaatsgebot aus Art. 20 I, 28 I GG besteht.345 Daneben ist bei Individualbezug auch eine deutliche Nähe zur menschenwürdigen Existenz und damit zur Menschenwürde gegeben.346 Dies zugrunde legend kommt der zuverlässigen Energieversorgung ein verfassungsrechtlich besonderer Stellenwert zu: Bereits in den Entscheidungen zur Erdölbevorratung347 und Enteignung zugunsten der Energieversorgung348 zeigte das Bundesverfassungsgericht diese grundlegende Bedeutung auf. In der modernen, hoch technisierten Welt ist eine noch größere Abhängigkeit von Energie gegeben.349 Die Versorgungssicherheit ist daher auch auf supranationaler Ebene ein Ziel des Energiebinnenmarkts.350 Art. 28 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie nennt in diesem Rahmen insbesondere die Abhängigkeit der Gesundheit von Energie 341 BVerfGE
91, 186, 206. nur BVerfGE 30, 292, 293 f.; BVerfGE 66, 248, 258; Mehde, in: Dürig/ Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, Art. 28 Abs. 2 Rn. 93; Kreuter-Kirchhof, ET 2019, 25, 26; Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 1. Teil, A.I.1.a). 343 Mit diesem Begriff Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, S. 121. Siehe auch Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, S. 28. 344 Säcker, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 1, Einleitung A. EnWG Rn. 40. 345 Di Fabio, Der Ausstieg aus der wirtschaftlichen Nutzung der Kernenergie, S. 79. 346 Siehe hierzu explizit LSG Hessen BeckRS 2009, 73980. 347 BVerfGE 30, 292, 294. 348 BVerfGE 66, 248, 258. 349 Ringel, Die wirtschaftliche Zumutbarkeit im Energierecht, S. 36. 350 Siehe hierzu Art. 194 I lit. b des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der konsolidierten Fassung vom 26.10.2012, ABl. 2012/C 236/01 (AEUV); Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 194 AEUV Rn. 16; Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, S. 50. 342 Siehe
252 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
und die besonders schutzbedürftigen Kunden. Auch das Völkerrecht anerkennt die Bedeutung im Rahmen des Rechts auf Lebensstandards in Art. 11 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte351.352 Diese grundlegende und stark grundrechtsbezogene Stellung der Energieversorgung begründet im Rahmen der liberalisierten Energiemärkte eine Gewährleistungsverantwortung des Staates.353 Dies fordert nicht, dass der Staat die Tätigkeit selbst ausüben müsste.354 Er hat vielmehr die Rahmenbedingungen zu schaffen, dass durch private Akteure ein angemessenes Schutzniveau sichergestellt wird; diese Gewährleistungsverantwortung wird durch das Regulierungsrecht abgebildet.355 In der Folge ist daher zu beleuchten, wie die einfachgesetzlichen Regelungen der Versorgungssicherheit dienen und ob für die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten Anpassungen vorzunehmen sind, um der staatlichen, verfassungsrechtlichen Gewährleistungsverantwortung angemessen zu entsprechen. 2. Bilanzkreisverantwortlichkeit als maßgeblicher Mechanismus Ein wichtiger Mechanismus zur Erfüllung der Gewährleistungsverantwortung unter Kapazitätsgesichtspunkten ist die Bilanzkreisverantwortlichkeit.356 Bei Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten und dem Peer-to-PeerHandel kommt der Bilanzkreisverantwortlichkeit ein hohes Gewicht zu.357 Die Analyse zeigt abermals, dass die Anwendbarkeit der betreffenden Normen maßgeblich von der konkreten Ausgestaltung der Aktivitäten abhängt. Für eine Vielzahl der Zusammenschlussmöglichkeiten der Prosumer existiert bereits eine Anbindung an bestehende Bilanzkreisverantwortlichkeiten. Ab351 International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights adopted and opened for signature, ratification and accession by General Assembly resolution 2200A (XXI) of 16 December 1966, entry into force 3 January 1976, in accordance with article 27. 352 Zur Inklusion energiebezogener Faktoren in dieses Recht siehe ausführlich United Nations High Commissioner for Human Rights, The Right to Adequate Housing, Fact Sheet No. 21 (Rev. 1), S. 4, 11. 353 BVerfGE 66, 248, 258; Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, S. 336 f.; siehe auch Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, S. 126 f. 354 Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, S. 126. 355 Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 5. Teil, A.I. 356 Zur Bedeutung der Bilanzkreisverantwortlichkeit für die Sicherstellung der Versorgungssicherheit siehe Kment, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 1a EnWG Rn. 5. Siehe ferner § 1a II EnWG. 357 Chatzinerantzis/Bertram, EnWZ 2021, 65, 69. Siehe hierzu ausführlich Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, S. 128 ff.
C. Regulierungsbedarf kraft der Gewährleistungsverantwortung des Staates 253
seits dessen ist ein reduziertes, wenngleich nicht aufgehobenes Bedürfnis nach Bilanzkreisverantwortlichkeit gegeben. a) Inhalte Der sichere Betrieb eines Netzes setzt voraus, dass eingespeiste und entnommene Energie in Ausgleich stehen. Die Bilanzkreisverantwortlichkeit knüpft hieran an und hat daher einen unmittelbaren Bezug zur Versorgungssicherheit.358 Bilanzkreisverantwortliche stellen innerhalb eines bestimmten Netzbereichs sicher, dass sich Einspeisung und Ausspeisung stets die Waage halten.359 Strom kann ohne zwischengeschaltete Speichermöglichkeit nicht auf Vorrat produziert werden,360 daher kommt diesem Ausgleich ein besonderes Gewicht zu, um die Netzstabilität zu erhalten. Nach § 3 Nr. 10d EnWG handelt es sich bei einem Bilanzkreis um eine Zusammenfassung von Einspeise- und Entnahmestellen innerhalb einer Regelzone, die dem Zweck dient, Abweichungen zwischen Einspeisungen und Entnahmen durch ihre Durchmischung zu minimieren und die Abwicklung von Handelstransaktionen zu ermöglichen. Zu diesem Zweck ist nach § 20 Ia 5 EnWG ein Bilanzkreisvertrag zur näheren Ausgestaltung abzuschließen.361 Im Rahmen der Bilanzkreisverantwortung sind Prognosen aufzustellen und die jeweiligen Bedarfe anzumelden.362 Eine Netznutzung im Verbundnetz ohne Bilanzkreiszuordnung ist rechtswidrig;363 jeder Netznutzer muss einem Bilanzkreis zugeordnet werden, damit Angebot und Nachfrage zu jeder Zeit im Interesse der Netzstabilität ausgeglichen werden können. Auch die Einspeisung von Überschussmengen muss einem Bilanzkreis zugeordnet werden.364 Kommt es zu einer Differenz zwischen Einspeisung und Entnahme, ist der Bilanzkreisverantwortliche verpflichtet, (kostenpflichtig) Ausgleichs-
358 Siehe
hierzu nur § 1a II 1 EnWG. Energiehandel und Energiemärkte, S. 19; Lehberg, Rechtsfragen der Marktintegration Erneuerbarer Energien, S. 22 m. w. N.; Pritzsche/Vacha, Energierecht, § 4 Rn. 144. 360 Lehberg, Rechtsfragen der Marktintegration Erneuerbarer Energien, S. 22 m. w. N. 361 Zum Bilanzkreisvertrag siehe ausführlich de Wyl/Thole/Bartsch, in: Schneider/ Theobald, Recht der Energiewirtschaft, § 17 Rn. 368 ff.; Lüdtke-Handjery, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 26 StromNZV Rn. 10. 362 Kment, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 20 EnWG Rn. 56 ff. 363 Fietze/Papke/Wimmer/Antoni/Hilpert, Der Rechtsrahmen für regionale Peer to Peer‐Energieplattformen unter Einbindung von Blockchains, S. 54. 364 Bolay/Battaglia, Faktenpapier Eigenerzeugung, Eigenversorgung, Mieterstrom und Stromdirektlieferung, S. 17. 359 Czakainski/Lamprecht/Rosen,
254 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
energie zu beschaffen.365 Es besteht so ein monetärer Anreiz, dem Ausgleich von Ein- und Ausspeisung nachzukommen und für einen ausgeglichenen Energiefluss zu sorgen. In personeller Hinsicht kann jeder Akteur Bilanzkreisverantwortlicher werden,366 es besteht kein numerus clausus der Berechtigten. b) Anwendbarkeit der Regelungen im Rahmen der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten Die aktuell geltenden Rechtsregeln über die Bilanzkreisverantwortlichkeit sind auf eine Vielzahl der Prosumeraktivitäten anwendbar, da sie an die Einordnung in eine Regelzone anknüpfen. Gewisse Konstellationen sind jedoch nicht erfasst. Der verpflichtete Akteur variiert je nach Ausgestaltung der Prosumeraktivitäten. Dies verdeutlicht erneut, dass die Art des Netzbetriebs von großer Bedeutung ist. § 4 StromNZV ordnet die Unterteilung in Bilanzkreise an. Diese gesetzliche Anordnung fordert jedoch die Anwendbarkeit der StromNZV. Diese wiederum knüpft gemäß § 1 StromNZV an das Vorliegen eines Elektrizitätsversorgungsnetzes an. Somit ist nur im Rahmen dieser Voraussetzungen die Bilanzkreisverantwortlichkeit überhaupt gegeben. Darüber hinaus fordert die Bilanzkreisverantwortlichkeit den Bezug zu einer Regelzone, vgl. § 4 I StromNZV. Dieser Begriff ist in § 3 Nr. 30 EnWG legaldefiniert und bezeichnet ein „Netzgebiet, für dessen Primärregelung, Sekundärregelung und Minutenreserve ein Betreiber von Übertragungsnetzen im Rahmen der Union für die Koordinierung des Transports elektrischer Energie (UCTE) verantwortlich ist“. Es ist der Bezug zu einem (übergeordneten) Übertragungsnetz erforderlich. Prosumer können je nach Ausgestaltung ihrer Aktivitäten Konstellationen nutzen, welche diesem Anwendungsbereich nicht unterfallen. Hier ist zwischen den verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten367 der Zusammenschlüsse zu unterscheiden: Nutzen die Prosumer das bestehende Verbundnetz der allgemeinen Versorgung, sind sie in die dort bestehende Bilanzkreisverantwortlichkeit des Bilanzkreisverantwortlichen in ihrem Bereich eingebunden. Dies wird durch die pflichtige Einbindung in einen bestehenden Bilanzkreis nach
365 de Wyl/Thole/Bartsch, in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, § 17 Rn. 380. Siehe hierzu auch § 8 StromNZV. 366 Fietze/Papke/Wimmer/Antoni/Hilpert, Der Rechtsrahmen für regionale Peer to Peer‐Energieplattformen unter Einbindung von Blockchains, S. 56. 367 Zu den einzelnen Konzeptionierungsmöglichkeiten siehe oben Kapitel 3, F.
C. Regulierungsbedarf kraft der Gewährleistungsverantwortung des Staates 255
§ 4 StromNZV sowie über den betreffenden Netznutzungsvertrag368 sichergestellt. Für sie ergibt sich hier keine Besonderheit; die Bilanzkreisverantwortung wird durch die bestehenden Bilanzkreisverantwortlichen übernommen. Daneben existieren Gestaltungsoptionen, bei welchen die Prosumer das Netz selbst betreiben. Sofern die von den Prosumern betriebenen Strukturen an das vorgelagerte, allgemeine Netz angeschlossen sind, werden sie in die bestehenden Bilanzkreisverantwortlichkeiten eingebunden; sie sind dann zugleich Netznutzer.369 Auch in diesen Fällen ist mithin eine Anbindung des jeweiligen Letztverbrauchers an das bestehende Bilanzkreissystem des vorgelagerten Netzes sichergestellt.370 Prosumer können jedoch auch autarke Inselnetze und Direktleitungen betreiben. Hier sind die Beteiligten nicht länger auch an das allgemeine Netz angebunden, während sie ihren Aktivitäten nachgehen. Sie sind gänzlich unabhängig von übrigen Netzstrukturen und nicht an einen Übertragungsnetzbetreiber371 und damit auch nicht an eine Regelzonenverantwortlichkeit angebunden. Die Vorschriften über die Bilanzkreisverantwortlichkeit in § 4 StromNZV finden keine Anwendung; es ist keine Anbindung an einen bestehenden Bilanzkreis mit einem Bilanzkreisverantwortlichen gegeben.372 Ein Inselnetz ist gerade das Gegenteil eines Verbundnetzes mit Regelzonen, dies zeigt sich hier sehr deutlich.373 Aus diesem Grund wird auch als eine Grundanforderung an Inselnetze formuliert, dass diese die wesentlichen Aufgaben des Übertragungsnetzbetriebs selbst erfüllen müssen, da diese vorgeschaltete Ebene nicht besteht.374 Es existieren mithin Gestaltungsoptionen für die Prosumeraktivitäten, in welchen keine Bilanzkreisverantwortlichkeit gegeben ist. Dies ist abhängig vom Modus des Netz- und Leitungsbetriebs.
368 Siehe hierzu Hartmann/Wagner, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 20 EnWG Rn. 57 ff. 369 Schwintowski/Strauß/Sauer, Batterie-Speicheranlagen im Multi-Purpose-Betrieb, Fragestellung 2, S. 21. Siehe auch Komornyik, Microgrids – alte Sache neu aufgesetzt. 370 Vgl. Bundesnetzagentur, Beschluss vom 07.11.2011 – BK6-10/208, S. 12 f. 371 Mit diesem müsste der Bilanzkreisverantwortliche den Bilanzkreisvertrag schließen, sodass auch hieran die Zuordnung zu einem Bilanzkreis scheitert, vgl. Lüdtke-Handjery, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 5 StromNZV Rn. 5. 372 Schwintowski/Strauß/Sauer, Batterie-Speicheranlagen im Multi-Purpose-Betrieb, Fragestellung 2, S. 21. 373 Siehe hierzu RheinEnergie, Verzeichnis der Begriffserklärungen, Verbundnetz. 374 VDE, Dezentrale Energieversorgung 2020, S. 165.
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c) Erforderlichkeit der Bilanzkreisverantwortlichkeit Aufgrund der fehlenden Anwendbarkeit der Regelungen zur Bilanzkreisverantwortlichkeit in einigen Konstellationen de lege lata stellt sich die Frage, ob die Bilanzkreisverantwortlichkeit auch in diesen Konstellationen – mithin den Konstellationen der autarken Inselnetze und Direktleitungen – Anwendung finden sollte und erforderlich ist. Generell wird die volatile, dezentrale Erzeugung die Zahl der notwendigen Maßnahmen zur Gewährleistung von System- und Netzsicherheit wachsen lassen.375 Innerhalb der Inselnetze bestehen ähnliche Strukturen wie im allgemeinen Netz, auch hier ist es daher notwendig, dass Ein- und Ausspeisung im Gleichgewicht gehalten werden. Daneben besteht in Inselnetzen die Besonderheit, dass nach einem einmaligen Zusammenbruch der Versorgung diese nicht ohne Weiteres wieder unmittelbar aufgenommen werden kann, sondern umfangreiche Abläufe erforderlich sind, um den stabilen Netzbetrieb wiederherzustellen.376 Dies kann Versorgungsengpässe und -ausfälle noch verstärken, sollte es einmal zu einem Ungleichgewicht im Netz gekommen sein. Bei den Direktleitungen verhält es sich ähnlich: Auch hier können verschiedene Akteure angeschlossen sein; es muss sich nicht um eine alleinige Verbindung nur eines Einspeisenden und eines Entnehmenden handeln.377 Auch dabei ist durch angemessene Mechanismen dafür zu sorgen, dass jederzeit die passenden Mengen Energie zur Verfügung stehen, um Ausfälle oder Schäden bei den angeschlossenen Anlagen zu vermeiden.378 Eine weitere besondere Anforderung ergibt sich durch die bidirektionale Netznutzung: Das Netz wird nicht nur zur Entnahme durch Letztverbraucher genutzt, sondern diese speisen im Rahmen der Doppelrolle gleichzeitig auch Energie in das Netz ein.379 Ein- und Ausspeisung müssen somit auch hier umfassend koordiniert werden, sodass eine Bilanzkreisverantwortlichkeit erforderlich ist.
375 Franke, in: Schulte/Kloos, Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 10 Rn. 47; Schäfer-Stradowsky/Timmermann, EnWZ 2018, 199, 200 m. w. N. Siehe hierzu auch die Mechanismen im Bereich des Regelreservemarkts nach Art. 6 Elektrizitätsbinnenmarktverordnung. Siehe ferner auch die Einzeldarstellungen auf der Website der Bundesnetzagentur unter https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Fachthemen/Elektrizitaet undGas/Versorgungssicherheit/start.html (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 376 VDE, Dezentrale Energieversorgung 2020, S. 165. Siehe hierzu auch oben Kapitel 3, E.II., Kapitel 3, E.III. sowie Kapitel 3, F.IV. 377 Siehe hierzu ausführlich oben Kapitel 3, E.III. Siehe auch Brahms, in: Maslaton, Windenergieanlagen, Rn. 528. 378 Siehe zu den Konsequenzen oben Kapitel 4, A. 379 Siehe hierzu ausführlich oben Kapitel 2, A.I.
C. Regulierungsbedarf kraft der Gewährleistungsverantwortung des Staates 257
Das Schutzbedürfnis ist jedoch auf zwei Ebenen reduziert: So sind keine höheren Spannungsebenen angeschlossen, auf welche sich Ausfälle auswirken könnten. Die Reichweite ist auf den lokalen Netz- und Leitungsbereich begrenzt. Darüber hinaus handelt es sich um in sich abgeschlossene Strukturen, sodass sich die Folgen eines Ausfalls nicht umfassend ausdehnen. Der fehlende Anschluss an ein Verbundnetz verringert die mögliche Reichweite von Ausfällen. Das Bedürfnis nach Bilanzkreisverantwortlichkeit ist somit abgeschwächt, aber nicht aufgehoben. Dieses generelle Erfordernis der Bilanzkreisverantwortlichkeit bei gleichzeitiger Abschwächung des Schutzniveaus erkennt auch das europäische Recht an, indem in Art. 5 I Elektrizitätsbinnenmarktverordnung angeordnet wird, dass eine Einstandspflicht für Bilanzkreisabweichungen – freilich nur im Verbundnetz – auch in diesen Fällen gegeben sein muss. Ferner wird hier auch eine Delegationsmöglichkeit genannt. Allerdings wird den Mitgliedstaaten nach Abs. 2 anheimgestellt, Freistellungen hiervon vorzusehen, sofern es sich nach lit. a um Demonstrationsvorhaben oder nach lit. b um Gesamteinrichtungen im Bereich der Erneuerbaren Energien mit installierter Kapazität unter 400 kW handelt oder aber eine Anlage unter beihilferechtlicher Förderung mit Genehmigung der Kommission betrieben wird. Nach Art. 5 II 2 Elektrizitätsbinnenmarktverordnung kann jedoch – im Einklang mit dem europäischen Beihilfenrecht – ein Anreiz geschaffen werden, die vollständige Bilanzkreisverantwortung zu übernehmen. Insbesondere die Anordnung in Art. 5 II 1 lit. b im Verhältnis zu Art. 5 II 2 Elektrizitätsbinnenmarktverordnung zeigt das grundsätzlich bestehende, jedoch geringer ausfallende Bedürfnis nach Bilanzkreisverantwortlichkeit in kleineren, dezentralen Versorgungsstrukturen. d) Anpassungsbedarf Orientiert daran könnte sich auch für die autarken Inselsysteme und Direktleitungen eine solche Regelung anbieten, dass – abseits der Anbindung an übergeordnete Netzstrukturen –Bilanzkreisverantwortliche individuelle Bilanzkreisverantwortlichkeit übernehmen. Hinsichtlich der konkreten Anpassungsvorschläge sind für Direktleitungen und isolierte Inselnetze ohne Anbindung an weitere Netz- und Versorgungsstrukturen unterschiedliche Regelungen zu finden.380 Für autarke, lokale Inselnetze, die nicht § 4 StromNZV unterfallen, ist dem Betreiber eine Verantwortlichkeit für die Stabilitätserhaltung und damit eine abgeschwächte Form der Bilanzkreisverantwortlichkeit zu übertragen. Eine 380 Zu
den einzelnen Konzeptionierungsmöglichkeiten siehe oben Kapitel 3, E.III.
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Vielzahl auch von Letztverbrauchern kann angeschlossen sein. Dies steigert das mögliche Schadensausmaß, wenngleich dieses selbstverständlich nicht derartig umfangreich wie im Verbundnetz ist. Kommt der Verantwortliche seiner Bilanzkreisverantwortlichkeit nicht nach, haben die Abnehmer zwar potenziell individuelle Haftungs- und Schadensersatzansprüche gegen den Netzbetreiber.381 Dies hält diesen dann zu einem vertragsgemäßen und damit bilanzkreisgerechten Verhalten an und vermag so Schäden abzufedern, sollte der Verantwortliche nicht seiner Bilanzkreisverantwortlichkeit nachkommen. Bei Inselnetzen kann allerdings regelmäßig die Privilegierung des § 18 NAV382 hinsichtlich der Haftungshöchstgrenzen eingreifen: So sind nicht zwingend länger alle Schäden aus dem pflichtwidrigen Netzbetrieb abgedeckt. Auch ist in solchen Inselnetzstrukturen die Wiederaufnahme nach einem Versorgungszusammenbruch nicht ohne weiteres möglich,383 sodass ein größeres Bedürfnis besteht, Ausfällen ex ante vorzubeugen. Ein Gleichlauf mit hergebrachten Netzstrukturen ist daher zu erreichen. Die reinen schuldrechtlichen Haftungsansprüche sind nicht ausreichend, um die Beteiligten zu schützen. Deshalb existiert ein objektiviertes, unabhängig von individualvertraglichen Haftungen bestehendes Bedürfnis nach einer Regelung orientiert an der Bilanzkreisverantwortlichkeit: Die Inselnetze weisen wie zentralisierte, herkömmliche Energieversorgungsnetze eine gesteigerte Komplexität auf, selbst wenn diese gänzlich autark betrieben werden. Es ist den Anforderungen der Primär- und Sekundärregelung, der Spannungs-Blindleistungsregelung und der Schwarzstartfähigkeit zu genügen, um einen sicheren Netzbetrieb im Inselnetz sicherzustellen.384 Die Anforderungen unterscheiden sich nur unwesentlich von noch komplexeren Verbundnetzstrukturen. Gleichwohl sollten Inselnetze nicht in das Regelungsregime des § 4 StromNZV aufgenommen werden. Zunächst ist die StromNZV aus systematischen Gründen nur auf die Verbundnetze anwendbar.385 Die strengen Regelungen der Bilanzkreisverantwortlichkeit im Verbundnetzsystem reagieren auf die große Abhängigkeit der verschiedenen Netzebenen voneinander sowie die dadurch bedingten Kaskadeneffekte.386 Beide Aspekte sind bei den lokalen Inselnetzen nicht gegeben. So wäre insbesondere der Ausgleich in Geld für 381 Siehe
hierzu oben Kapitel 4, A. hierzu oben Kapitel 4, A.II.1.a)bb). 383 Siehe hierzu oben Kapitel 3, E.II. und Kapitel 3, E.III. 384 VDE, Dezentrale Energieversorgung 2020, S. 165. Vgl. auch Metzger/Hammer/Amthor/Szabo/Mesanovic, Abschlussbericht zum Verbundvorhaben IREN2, S. 17. 385 Siehe hierzu oben Kapitel 4, C.III.2.b). 386 Siehe hierzu ausführlich Reichl et al., Blackoutprävention und -intervention – Endbericht, S. 13 f. 382 Siehe
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Ungleichgewichte keine sinnvolle Regelung in autarken Strukturen, denn es existiert keine übergeordnete Instanz, welche das Ungleichgewicht ausgleichen und dafür vergütet werden könnte. Auch die entsprechenden Anmeldungen der Mengen sind nur sinnvoll, sofern eine übergeordnete Struktur besteht. In angemessener Weise könnte eine Bilanzkreisverantwortlichkeit dadurch begründet werden, dass – beispielsweise im Rahmen des § 5 EnWG387 – im Fall eines Inselnetzbetriebs nachzuweisen ist, dass ein hinreichendes Potenzial gegeben ist, um die Versorgungssicherheit sicherzustellen. Darzulegen sein könnte, welche konkreten Mechanismen zum Ausgleich von Ein- und Ausspeisung vorgesehen werden, welche Planungen bestehen, um auf Netzausfälle zu reagieren und wie im Falle eines Blackouts verfahren werden soll. Auf diese Weise wird einerseits den Prosumern persönlich vor Augen geführt, dass solche Mechanismen erforderlich sind und gleichzeitig erhält die Regulierungsbehörde die realistische Möglichkeit, die Stichhaltigkeit der Mechanismen jedenfalls „auf dem Papier“ zu prüfen und bei Defiziten die Handlungsmöglichkeiten des § 5 EnWG, insbesondere des § 5 V EnWG, zu nutzen. Eine Darlegungslast erlaubt so durch eine staatliche Stelle prüfen und einschätzen zu können, ob der Gewährleistungsverantwortung hinreichend entsprochen werden kann. Anders stellt es sich jedoch bei den Direktleitungen dar: Auch Direktleitungen können eine Mehrzahl von Akteuren verbinden.388 Es bedarf mithin einer Prognose und eines Kapazitätsmanagements, um die zuverlässige Energieversorgung sicherzustellen. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass diese Strukturen nicht eine derart hohe Komplexität aufweisen wie die Netze oder die Inselnetze. Darüber hinaus sind bei Direktleitungen geringere Anforderungen an Ein- und Ausspeisungsausgleich und damit die Frequenzhaltung zu stellen, da die Nutzer nicht weit verzweigt und intensiv vernetzt sind. Dem gesetzlichen Leitbild nach handelt es sich um wenige Ein- und Ausspeisepunkte.389 Deshalb fällt der Koordinierungsbedarf geringer aus. Auch sind die Ausfallwirkungen weniger umfassend. Daher ist hier kein den Inselnetzen vergleichbares, hohes Schutzniveau erforderlich. Darüber hinaus existieren in diesen Systemen zivilrechtlich gut durchsetzbare Ansprüche. Dies ist ein Anreiz für den Einspeisenden und Leitungsbetreiber, Schädigungen zu vermeiden, insbesondere da ihm die Privilegierung des § 18 NAV mangels Netzes nicht zugute kommt.390 Auch kann der Betrieb bei den wenig kom387 Siehe hierzu oben Kapitel 4, B.II.1. Besonders naheliegend wäre eine Verbindung mit den Nachweisen zur technischen Leistungsfähigkeit. 388 Schex, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 3 EnWG Rn. 22; Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 3 EnWG Rn. 77. 389 Siehe oben Kapitel 3, E.III. 390 Siehe oben Kapitel 4, A.II.1.a)bb).
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plexen Direktleitungen leichter wiederaufgenommen werden. Zuletzt sind hier geringere Zahlen von Infrastrukturelementen angeschlossen, welche geschädigt werden könnten. Daher besteht bei den Direktleitungen kein Bedürfnis nach einer eigenen Bilanzkreisverantwortlichkeit. Die bestehenden Haftungstatbestände und individualvertraglich möglichen Abreden gewährleisten eine hinreichende Absicherung. 3. Technische Sicherheit Die staatliche Gewährleistungsverantwortung fordert eine funktionierende technische Infrastruktur. Eng mit dem Begriff der Versorgungssicherheit zusammen hängt somit die Frage, wie ein effektiver Rechtsrahmen zum Schutz vor technischen Ausfallrisiken und gegen Sabotageakte geschaffen werden kann. Betroffen sein können in der Energiewirtschaft insbesondere die Erzeugungs-, Verbrauchs- und Transportinfrastruktur, mithin die Netze, Erzeugungsanlagen sowie korrespondierenden Einrichtungen zur Kommunikation und Koordination. Hierzu gehört auch die Infrastruktur beim Letztverbraucher. Die IT-Sicherheit birgt ein großes Risiko, sofern eine Sicherheitslücke ausgenutzt wird.391 Die technische Sicherheit ist auch für die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten in einer weiteren Dimension zentral: In hergebrachten Versorgungsstrukturen bestehen wenige große Akteure, bei welchen die technische Sicherheit zu gewährleisten ist. In den dezentralisierten Strukturen gibt es hingegen eine umfangreichere Kommunikation zwischen den vielen Beteiligten; sie sind bidirektional und umfassend vernetzt. Hierdurch entstehen deutlich mehr Einfallspunkte für mögliche Angriffe, insbesondere, da ein Großteil der Erzeugungs- und Verbrauchsanlagen sowie der Steuerungsgeräte vernetzt ist.392 Anders könnten die Transaktionen und Liefervorgänge nicht digitalisiert durchgeführt werden. Die Anbindung an digitale Kommunikationsstrukturen birgt das Risiko, dass diese Strukturen missbraucht werden. Im Rahmen der Energiewirtschaft ist diese Missbrauchsmöglichkeit besonders prekär, da so nicht bloß die Steuerungs- und Datenerfassungsgeräte als solche angegriffen werden, sondern auch auf die durch sie gesteuerten Geräte zugegriffen werden kann und diese unter Umständen dann „ferngesteuert“ werden können.393 Dies ist in den digitalisierten Strukturen ein gänzlich neu aufkom-
391 So deutlich Scholtka/Martin, RdE 2017, 113, 117. Siehe hierzu auch Lüdemann/Ortmann/Pokrant, EnWZ 2016, 339, 343; siehe ferner zu diesem Themenbereich instruktiv Rath/Ekardt/Schiela, MMR 2023, 83, 84 ff. 392 Siehe hierzu mit besonderem Bezug zum IoT Knittl/Neuberger/Dieterle, HMD 2020, 558, 559.
C. Regulierungsbedarf kraft der Gewährleistungsverantwortung des Staates 261
mendes Risiko, beispielsweise wenn auf Verbraucher zugegriffen werden kann und so ein Gefahrenpotenzial durch willkürliche Nutzung der Gerätschaften entsteht. Zudem begründet die hohe Abwicklungsgeschwindigkeit ein weiteres besonderes Schutzbedürfnis: Ohne menschliche Interaktionen werden die Trans aktionen mit höchster Geschwindigkeit in Taktungen weit abseits mensch licher Wahrnehmbarkeit abgewickelt. Hat sich ein verdecktes Sicherheits risiko realisiert und werden Prozesse von dritter Seite manipuliert, fällt dies unter Umständen erst spät oder gar nicht auf. Werden vollautomatisierte Systeme mit hohen Abwicklungsgeschwindigkeiten genutzt, können sich Schäden so schnell und zunächst unbemerkt weit verbreiten. a) Stellenwert Angesichts der Anfälligkeit der energiewirtschaftlichen Anlagen und Systeme für Angriffe von außen kommt der Gewährleistung technischer Sicherheit ein besonderer Stellenwert zu. So können Systemausfälle in der Indus trie, im Gesundheits- und Finanzsektor oder auch in Privathaushalten zu immensen Problemen führen. Weite Bereiche sind auf die stabile und zuverlässige Energieversorgung angewiesen. Damit einher geht auch ein hohes Gefährdungspotenzial bei Angriffen Dritter. So kann es ein Druckmittel sein, bringt man beispielsweise eine Erzeugungsanlage unter seine Kontrolle oder droht man mit der Abschaltung der Stromversorgung bei einem Krankenhaus. Diesen besonderen Status erkennt auch das Recht an. § 11 I 1 EnWG definiert beispielsweise die Anforderungen an den Netzbetrieb und damit an die Netzbetreiber dahingehend, dass ein „zuverlässiges und leistungsfähiges Energieversorgungsnetz diskriminierungsfrei zu betreiben, zu warten und bedarfsgerecht zu optimieren, zu verstärken und auszubauen [ist], soweit es wirtschaftlich zumutbar ist“. Mit dem Netzbetrieb geht eine Organisationsund Wartungsverantwortung einher.394 Der Netzbetrieb wird darüber hinaus nach der Maßgabe des § 11 Ia, Ib EnWG als kritische Infrastruktur eingestuft. Dies begründet ein hohes Schutzniveau.395 Daraus resultiert auch die 393 Bei den hergebrachten Ferraris-Zählern besteht eine solche Manipulationsgefahr hinsichtlich der angeschlossenen Geräte nicht, da diese ausschließlich Verbräuche messen. 394 Siehe hierzu etwa LG Karlsruhe BeckRS 2013, 10817, Rn. 24. Vgl. auch Hölscher, in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, § 7 EnWG Rn. 8 sowie Bourwieg, in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, § 11 EnWG Rn. 60 ff. 395 Kment, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 11 EnWG Rn. 73 f.; Sötebier, in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, § 11 EnWG Rn. 60 ff.; Wieser, Intelligente Elektrizitätsversorgungsnetze, S. 72.
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Pflicht in § 8a I BSIG396, technische Vorkehrungen zur Prävention einer ITStörung zu treffen. Gleichzeitig sind auch Angriffe „von innen“ möglich. So kann auch ein Nutzer selbst bewusst schädigend handeln. Beispielsweise beim Grid-eigenen Netzbetrieb könnte einer der beteiligten Akteure den Strom durch den von ihm kontrollierten Netzteil nicht weiterleiten397 oder manipulierte Messoder Steuerungssysteme nutzen. Auch der Blick auf die Oracles398 zeigt den besonderen Stellenwert der technischen Sicherheit: Die Oracles sind die Schnittstellen zwischen digitaler und realer Welt. Werden hier Angriffe verübt, kann sich dies auf die gesamte angeschlossene Infrastruktur auswirken.399 Wenn Oracles auch steuernde Funktionen übernehmen, sind die oben beschriebenen verheerenden Folgen möglich. Die digitale Infrastruktur wird von den Prosumern darüber hinaus nach dem Vorbild der Microgrids oftmals „in der Nachbarschaft“ errichtet und betrieben. Regelmäßig besteht hier kein professionalisierter Hintergrund wie bei den hergebrachten Großversorgern, welcher sich der Datensicherheit etc. widmet. Die Abläufe finden vielmehr im „kleinen“ Rahmen statt. Die Systeme werden durch die Prosumer als weniger versierte Nutzer betrieben. b) Ebenen technischer Sicherheit Die technische Sicherheit betrifft die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten auf verschiedenen Ebenen. Neben die Ebene der physischen Erzeugungs- und Transportanlagen samt ihren Steuerungssystemen tritt die Ebene der Smart Contracts, welche die zugrundeliegenden Verträge schließen sowie deren Durchführung veranlassen. Ein Vergleich mit den hergebrachten Systemen zeigt jedoch, dass auch dort bereits diese Ebenen existieren: Auch in den hergebrachten Energieversorgungsstrukturen sind Erzeugungsanlagen digital eingebunden und auch dort werden Softwaresysteme genutzt, um die Prozesse zu koordinieren.
396 Gesetz über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik vom 14. August 2009 (BGBl. I S. 2821), das zuletzt durch Artikel 12 des Gesetzes vom 23. Juni 2021 (BGBl. I S. 1982) geändert worden ist (BSI-Gesetz – BSIG). 397 Zu diesem Beispiel siehe Thomas/Zhou/Long/Wu/Jenkins, Nature Energy 2019, 140, 145. 398 Zum Begriff und den Charakteristika siehe oben Kapitel 2, B.I.4. und Kapitel 3, D. 399 Knittl/Neuberger/Dieterle, HMD 2020, 558, 563.
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c) Anwendbare Regelungen Im Bereich der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten kommen verschiedene existierende Regelungen zur Anwendung. Diese decken einige, jedoch nicht alle Risiken ab. Auch hier ist der Netzbetrieb von zentraler Bedeutung, da die Pflichten betreffend die technische Sicherheit oftmals an die Eigenschaften des Netzbetriebs anknüpfen. Für wesentliche andere IT-Bereiche abseits dessen besteht jedoch kein individueller Schutz. aa) Zwingende Schutzvorgaben des EnWG, BSIG und der KritisV Zentrale Regelungswerk für die IT-Sicherheit ist das BSIG in Verbindung mit der auf dieser Basis ergangenen KritisV400. Dieses Regelungswerk geht zurück auf das IT-Sicherheitsgesetz,401 welches sektorspezifische Änderungen im Energiewirtschaftsgesetz vornahm402 und wurde im Jahr 2021 durch das IT-Sicherheitsgesetz 2.0403 grundlegend reformiert, um auf die zunehmenden Cyber-Risiken404 zu reagieren. Zentrale Norm ist § 8a BSIG. Dieser ordnet konkrete Pflichten für die Betreiber kritischer Infrastruktur mit Blick auf technische Sicherheit an. § 8a I BSIG legt fest, dass vom Betreiber organisatorische und technische Vorkehrungen zu treffen sind, damit Verfügbarkeit, Integrität, Authentizität und Vertraulichkeit der genutzten Systeme und Elemente gewährleistet werden und so die kritische Infrastruktur sicher betrieben werden kann. § 8a III BSIG erweitert dies um turnusmäßige Nachweispflichten. Allerdings sind diese Regelungen nur auf einen sehr geringen Teil der Systemelemente Smart-Contract-basierter Prosumeraktivitäten anwendbar. Die KritisV definiert nach § 2 X, 10 I BSIG, wann es sich um kritische Infrastruktur handelt:405 Demnach sind Erzeugungsleistungen von 104 MW Netto-Nennleistung pro Erzeugungsanlage beziehungsweise Speicher-, Steu400 Verordnung zur Bestimmung Kritischer Infrastrukturen nach dem BSI-Gesetz vom 22. April 2016 (BGBl. I S. 958), die durch Artikel 1 der Verordnung vom 23. Februar 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 53) geändert worden ist (BSI-Kritisverordnung – KritisV). 401 Gesetzes zur Erhöhung der Sicherheit informationstechnischer Systeme vom 15. Juli 2015 (BGBl. I S. 1324) (IT-Sicherheitsgesetz). 402 von Bremen, EWeRK 2020, 29, 29. 403 Zweites Gesetz zur Erhöhung der Sicherheit informationstechnischer Systeme vom 18. Mai 2021 (BGBl. I S. 1122) (IT-Sicherheitsgesetz 2.0). Siehe hierzu ausführlich Müllmann/Ebert/Reissner, CR 2020, 584, 587; Schallbruch, CR 2021, 450, 451. 404 Siehe zu den Cyber-Risiken in Deutschland Dreißigacker/von Skarczinski/ Wollinger, Cyberangriffe gegen Unternehmen in Deutschland, S. 89 ff. 405 Anhang 1, Teil 1 Nr. 3 i. V. m. Teil 3 Spalte B KritisV.
264 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
erungs- und Bündelungsanlage erforderlich, damit eine Erzeugungsanlage unter den Begriff der Kritischen Infrastruktur fällt.406 Bei Verteiler- und Übertragungsnetzbetreibern handelt es sich um kritische Infrastruktur, sofern bei einem Übertragungs- oder Verteilernetz Jahresarbeit von 3.700 GWh pro Jahr entnommen wird407 oder in zentralen Anlagen oder Systemen für den Stromhandel 3,7 TWh pro Jahr gehandelt werden.408 Diese Regelungen werden jedoch durch die Anforderungen des § 11 Ia EnWG zu Fragen des reinen Netzbetriebes modifiziert. Hierbei handelt es sich um ein lex specialis zu den allgemeinen Anforderungen des BSIG und der KritisV, vgl. § 8d II Nr. 2 BSIG.409 Daneben wird der Anwendungsbereich auch durch § 8d BSIG weiter beschränkt: § 8d I BSIG ordnet an, dass inter alia § 8a BSIG keine Anwendung bei Kleinstunternehmen im Sinne des Art. 2 III des Anhangs der Empfehlung 2003/361/EG410 findet. Dies sind Unternehmen, welche weniger als 10 Personen beschäftigen und deren Jahresumsatz bzw. Jahres bilanz 2 Mio. EUR nicht überschreitet. Insbesondere bei einzeln tätigen Prosumern und nachbarschaftlichen Verbindungen von Prosumern werden diese Größengrenzen regelmäßig nicht erreicht, sodass diese Schutzvorgaben nicht greifen. Ein beschränkter Anwendungsbereich besteht auch für den im Jahr 2021 neu in das Gesetz aufgenommenen Mechanismus in § 8c BSIG: Danach haben Anbieter digitaler Dienste ihrer Größe nach angemessene Vorsorge zu treffen, um Risiken für die Netz- und Informationssysteme vorzubeugen und die Auswirkungen von Vorfällen gering zu halten. Darüber hinaus sind Sicherheitsvorfälle nach § 8c III BSIG meldepflichtig. Auch der Anwendungsbereich dieser Norm ist jedoch stark begrenzt. Nach § 8d IV BSIG sind im Rahmen des § 8c I–III BSIG kleine Unternehmen im Sinne des Art. 2 II des Anhangs der Empfehlung 2003/361/EG vom Anwendungsbereich ausgenommen. Dabei handelt es sich um Unternehmen, welche weniger als 50 Personen beschäftigen und deren Jahresumsatz bzw. Jahresbilanz 10 Mio. EUR nicht übersteigt. Diese Grenzen überschreiten Prosumer-Verbindungen regelmäßig nicht. Die Regelungen erfassen daher nur Großstrukturen und damit zentralisierte Systeme sowie nach § 11 Ia EnWG die Netze. Prosumeraktivitäten – gerade in der Anfangszeit – erreichen diese Grenzen nicht, es handelt sich hierbei 406 Anhang
1, Teil 3 Nr. 1.1.1–1.1.2 KritisV. 1, Teil 3 Nr. 1.2.1 und 1.3.1 KritisV. 408 Anhang 1, Teil 3 Nr. 1.4.1 KritisV. 409 Siehe hierzu auch von Bremen, EWeRK 2020, 29, 30. 410 Empfehlung 2003/361/EG der Kommission vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen, ABl. L 124, 36. 407 Anhang
C. Regulierungsbedarf kraft der Gewährleistungsverantwortung des Staates 265
um Grenzwerte im Bereich von Großkraftwerken.411 Gänzlich vom Anwendungsbereich ausgeschlossen sind auch einfache Steuerungsgeräte und vernetzte IoT-Devices bei Letztverbrauchern und Kunden. Die Anforderungen von BSIG und KritisV sind somit nur in äußerst geringen Bereichen SmartContract-basierter Prosumeraktivitäten zu erfüllen und bieten nur dort Schutz. bb) Zwingende Schutzvorgaben des MsbG Für die Smart Meter als Oracles existieren jedoch auch bereits Schutz vorkehrungen: Gemäß § 22 I, II MsbG müssen die Smart Meter bestimmte Voraussetzungen und Zertifizierungen erfüllen. Diese sind niedergelegt in Schutzprofilen und Technischen Richtlinien des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik.412 Insbesondere existieren für das Gateway und auch das Sicherheitsmodul Anforderungen an die technische Sicherheit. Dies soll vor allem davor schützen, dass auf persönlichkeitsrelevante Daten unbefugt zugegriffen wird oder Stromausfälle durch Manipulationen hervorgerufen werden.413 Aus diesem Grund adressieren die Regelungswerke vor allem die Kommunikationseinrichtungen. § 25 MsbG begründet daneben grundsätzliche Sicherheitsanforderungen beim Smart-Meter-Betrieb; die Norm fordert zusammengefasst, dass ein zuverlässiger technischer Betrieb des Smart Meter gewährleistet wird. Diese Anforderungen sind den Pflichten der Betreiber von kritischer Infrastruktur vergleichbar414 und umfassen auch die Sicherheit bei der Informationserfassung und -übermittlung. § 19 II MsbG fordert darüber hinaus, dass alle technischen Bestandteile und Systeme, die zur Datenverarbeitung energiewirtschaftlich relevanter Mess- und Steuerungsvorgänge im Messwesen eingesetzt werden, die Anforderungen der §§ 21 f. MsbG einhalten müssen. Dies gilt nur insoweit, als die Einbaupflichten und -optionen hinsichtlich der Smart Meter reichen. Nur die vom MsbG erfassten Messsysteme unterfallen diesen Anordnungen415 und werden auf diese Weise zu intelligenten Messsystemen im Sinne des § 2 411 Mit diesem Ergebnis auch Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 288. 412 Eine Übersicht über den aktuellen Stand dieser Regelungswerke kann auf den Seiten des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik abgerufen werden: https://www.bsi.bund.de/DE/Themen/Unternehmen-und-Organisationen/Standardsund-Zertifizierung/Smart-metering/Uebersicht-Schutzprofile-und-TR/uebersichtschutzprofile-und-tr_node.html;jsessionid=F317F7C712FEE4C85BEC032E1F60DE 31.internet482 (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 413 Haubrich, in: Steinbach/Weise, Messstellenbetriebsgesetz, § 19 Rn. 19 m. w. N. 414 von Bremen, EWeRK 2020, 29, 30. 415 Schnurre/Nasrun, in: Rohrer/Karsten/Leonhardt, Messstellenbetriebsgesetz, § 19 Rn. 2, 36.
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Nr. 7 MsbG. Für andere Messsysteme gelten diese Anforderungen nicht. Ebenso gelten diese Anforderungen nicht für „Smart Home“-Produkte wie intelligente Haushaltssteuerungen etc. abseits der energiewirtschaftlichen Vorgänge im Sinne des § 19 II MsbG. Diese stehen zwar nicht zwingend im unmittelbaren Konnex zu den Prosumeraktivitäten, können jedoch durchaus ebenso im Rahmen der Konzeptionierungen eingesetzt werden, um die Funktionsumfänge auch abseits rein energiewirtschaftlich relevanter Mess- und Steuerungsvorgänge zu erweitern. § 19 MsbG begründet daher nur allgemeine Anforderungen an die Messsysteme im Sinne des MsbG, nicht Anforderungen genereller Art an jegliche Infrastruktur, welche in der Energiewirtschaft – insbesondere abseits der hergebrachten Netzstrukturen und abseits des Anwendungsbereichs des MsbG – eingesetzt wird. Dies ergibt sich schon aus der Überschrift sowie dem Anwendungsbereich des MsbG.416 Auch würden sonst alle Akteure, welche nicht mit Smart Metern ausgestattet werden können, von jeglicher energiewirtschaftlicher Datenkommunikation ausgeschlossen, wenn diese nur über Smart Meter zulässig wäre. Nur bei einem Voll-Roll-out, welchen das MsbG aktuell nicht vorsieht, könnte jegliche Kommunikation über Smart Meter abgewickelt und damit über §§ 19 II, 21, 22 MsbG der Kommunikations- und Datenschutz gewährleitet werden. § 40a I Nr. 3 EnWG stärkt diesen Befund dahingehend, dass dort auch Datenkommunikation in Bezug auf das Messwesen, welche nicht über Smart Meter abgewickelt wird, erwähnt wird. Eine solche muss mithin auch weiterhin möglich sein, dies wird implizit vorausgesetzt. Daher existieren in diesen Bereichen Konstellationen, in welchen über alternative Wege abseits der regulierten und gesicherten Smart Meter Energiedaten gesammelt und verwertet werden.417 Diese unterfallen dann nicht den Schutzvorgaben des MsbG. Steuerungssysteme für Erzeugungs- und Verbrauchsanlagen generell fielen bis zur Novellierung des MsbG im Juli 2022418 auch nicht unter den Begriff der Messsysteme in § 19 MsbG.419 § 19 II MsbG a. F. schloss dabei rein tatsächlich Handlungen wie die Steuerung über eine parallele, nicht den Anforderungen der §§ 19 II i. V. m. 21, 22 MsbG genügende Infrastruktur nicht 416 Siehe hierzu auch Schnurre/Nasrun, in: Rohrer/Karsten/Leonhardt, Messstellenbetriebsgesetz, § 19 Rn. 36. 417 Strohmayer/Reetz, Smarte Sektorenkopplung, Digitalisierung und Distributed Ledger Technologien, S. 5. 418 Siehe hierzu Artikel 8a des Gesetzes vom 19.07.2022 (BGBl. I S. 1214) zur Änderung des Energiewirtschaftsrechts im Zusammenhang mit dem KlimaschutzSofortprogramm und zu Anpassungen im Recht der Endkundenbelieferung. 419 Schnurre/Nasrun, in: Rohrer/Karsten/Leonhardt, Messstellenbetriebsgesetz, § 19 Rn. 11, 36.
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aus.420 Seit der Novellierung ist diese Schutzlücke geschlossen, da nunmehr nach § 19 II MsbG sämtlich energiewirtschaftlich relevanten Mess- und Steuerungsvorgänge den Vorgaben unterfallen, somit keine Ausnahme mehr für die Steuerung von Akteuren gegeben ist. Smart Meter sollen in Zukunft als zentrale Drehscheibe jegliche Datenkommunikation steuern und koordinieren. Konsequenterweise müsste dann jeder Akteur mit einem Smart Meter ausgestattet werden.421 In diesem Fall würde dann das hohe Schutzniveau des MsbG für Smart Meter in seiner Reichweite erweitert. Vor dem Hintergrund der aktuell begrenzten Roll-outReichweite und den technisch bisher nur rudimentären Funktionsumfängen der Smart Meter liegt dies jedoch recht weit in der Zukunft. cc) Anwendungsbereiche ohne explizite zwingende Schutzvorgabe Damit bestehen nicht für jegliche Bereiche, die den Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten offenstehen, Schutzvorkehrungen. Dies betrifft insbesondere Fälle, in denen noch keine Smart Meter verbaut werden (können) und Bereiche abseits der gesicherten Kommunikationsstrukturen der Smart Meter. Die dortigen Aktivitäten unterfallen dann nicht den Sicherheitsvorgaben des MsbG. Hier besteht eine deutliche Nähe zum IoT, dem Internet of Things. Die Schutzanforderungen des MsbG greifen hier nicht, sofern der Anwendungsbereich des MsbG nicht eröffnet ist, ebenso greifen nicht die Anforderungen der KritisV und des BSIG. Von technischer Seite werden mithin keine Schutzanforderungen definiert. Auch im Rahmen der IoT-Systeme bestehen oftmals Lücken bei der IT-Sicherheit, da keine derartig vergleichbaren gesetzlichen422 Vorkehrungen existieren. Dieser Umstand wird im Bereich des Internet of Things oftmals bemängelt, da so bei den Einzelkomponenten die Sicherheit nur begrenzt gewährleistet ist.423 Auf diese Weise können Daten ausgespäht oder Steuerungssysteme feindlich übernommen werden. Gerade im Bereich der alltagsrelevanten Energieversorgung ist dies ein besonders großes Risiko. Dies führte bereits dazu, dass Elemente einer digitalisierten 420 Antoni/Selinger, Bereitstellung von Flexibilität in der Niederspannung, S. 14; Schnurre/Nasrun, in: Rohrer/Karsten/Leonhardt, Messstellenbetriebsgesetz, § 19 Rn. 20. 421 Siehe hierzu BMWi/BSI, Technische Eckpunkte für die Weiterentwicklung der Standards, S. 7 ff. 422 Freilich bestehen auch hier Branchenstandards, welche bestimmte Vorgaben oder Einstellungen ermöglichen, aber jedoch damit keinesfalls universelle Verbindlichkeit erlangen. 423 Schreier, IoT oder das Internet der unsicheren Dinge. Siehe hierzu auch Wieler, Die Sicherheit für das Internet der Dinge ist mangelhaft.
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Energieversorgungsinfrastruktur durch Dritte kompromittiert werden konnten, da diese Zugriff auf die Steuerungs- und Informationssysteme erhielten.424 Das Schutzbedürfnis und die Gefährdungslage werden hier besonders deutlich. d) Punktueller Anpassungsbedarf Die Regelungen zur technischen Sicherheit knüpfen nicht an bestimmte Gesamtsysteme an, sondern greifen vielmehr einzelne Elemente des Energieversorgungssystems auf. Dieser punktuelle Ansatz zeigt sich offen für neue, unbekannte Konzeptionierungen und Kompositionen. Nutzen die Prosumer die schon bekannten Strukturen und Systeme, beispielsweise die Netze, greifen die Regelungen zur kritischen Infrastruktur auch hier ein. Dabei erfahren jedoch einzelne Elemente keinen speziellen Schutz. Diese sind jedoch gleichermaßen schutzbedürftig. Aufgrund der dezentralen Strukturen der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten ist allerdings das Schadensausmaß je Vorfall stärker begrenzt als in zentralisierten Strukturen. Die Prosumer haben ferner die Herrschaft über ihre Aktivitäten inne, wodurch ein partiell reduziertes Schutzbedürfnis gegeben ist. Dass die Regelungen zum Schutz der kritischen Infrastruktur nach den §§ 8a ff. BSIG nur für große Akteure gelten, ist daher folgerichtig. Eine Einbindung jeglicher Strukturen, welche Bezüge zur energierechtlichen Infrastruktur aufweisen, in die Anordnungen zur kritischen Infrastruktur ist nicht geboten: Diese erfasst nur Strukturen, welche einen deutlichen Bezug öffentlichen Versorgung aufweisen. Sinn und Zweck ist somit der Schutz einer breiten Öffentlichkeit.425 Dies ist bei den Netzen und den großen Erzeugung-, Steuerungs- und Verteilungsstrukturen als zentralen Angriffspunkten im Sinne von Single Points of Failure gegeben. Darauf sind die Anordnungen zur Kritischen Infrastruktur zugeschnitten; nur bei derartigen Strukturen sind die Regelungen angemessen. Bei den Prosumeraktivitäten hingegen handelt es sich aufgrund der dezentralen Strukturen um dem Raum und dem Umfang nach begrenzte Tätigkeiten. Die Prosumer-Systeme sind daher keine Single Points of Failure. Der Bezug zur breiten Öffentlichkeit ist nicht gegeben wie bei den bisher erfass424 Siehe hierzu https://www.datensicherheit.de/iot-steckdose-mcafee-sicherheits luecke (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 425 So die maßgeblichen Kriterien des BSI, abrufbar unter https://www.bsi.bund. de/DE/Themen/KRITIS-und-regulierte-Unternehmen/Kritische-Infrastrukturen/Allge meine-Infos-zu-KRITIS/allgemeine-infos-zu-kritis_node.html (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). Siehe auch Spannowsky, in: Spannowsky/Runkel/Goppel, Raumordnungsgesetz, § 2 ROG Rn. 87.
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ten, zentralisierten Strukturen. Dass diese somit den Anordnungen über kritische Infrastruktur nicht per se unterfallen, ist folgerichtig und konsequent. Insbesondere tritt in dieser Sphäre auch der individuelle Austausch verbunden mit vertraglichen Haftungen in den Vordergrund, sodass hierdurch bereits eine grundlegende Absicherung erreicht werden kann: Kommt es zu Ausfällen oder Problemen, tritt die vertragliche Haftung der einzelnen Parteien ein. Auf diese Art und Weise ist einerseits der Geschädigte abgesichert, andererseits aber auch der Schädiger motiviert, den vertraglichen Pflichten nachzukommen. In zentralisierten Systemen mit der oben dargestellten Vielzahl an Akteuren und der Haftungsbegrenzung nach § 18 NAV, gegebenenfalls in Verbindung mit § 25a StromNZV, ist eine solche individuelle Haftungsverbindung nicht gegeben. Auch fallen die dortigen Schadenereignisse wegen der Vernetzung derart großer Anzahlen an Akteuren deutlich weitreichender und tiefgreifender aus. Allerdings ist bei der Haftung zu berücksichtigen, dass diese bei externen Angriffen Dritter, welche unter Umständen anonym bleiben, nur sehr bedingt schützt.426 Mit Blick auf potenzielle Hacker-Angriffe zeigt sich jedoch dennoch ein verringertes Schutzbedürfnis gegenüber zentralisierten Strukturen: Diese öffentlichkeitsrelevanten Strukturen sind als Single Points of Failure attraktiv für malös handelnde Hacker, da dort ein besonderes Schadens- und Erpressungspotenzial besteht. Diese Breitenwirkung ist bei den Prosumeraktivitäten wegen des hohen Grades an Dezentralität nicht gegeben. Allerdings ist das Schutzbedürfnis dennoch nicht aufgehoben: So werden bei den Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten verschiedene technische und oftmals vernetzte Geräte wie Wechselrichter, automatisierte Schaltsysteme und internetfähige Steckdosen etc. eingesetzt. Auch diese können bei einem kompromittierenden Zugriff erhebliche Schadenspotenziale mit sich bringen, wenn beispielsweise auf einen Wechselrichter oder eine internetfähige Steckdose zugegriffen und so die Steuerung der angeschlossenen Geräte möglich wird.427 Das Erpressungs- und Drohpotenzial besteht dort auch.428 Für diesen Bereich existieren jedoch keine zwingenden Schutz- oder Sicherheitsanforderungen. Hier auf vertragliche Haftungsansprüche zu verweisen, ist auf verschiedenen Ebenen problematisch: In digitalisierten Strukturen sind oftmals externe Urheber von Angriffen nicht greifbar und verschwinden in der Anonymität. 426 Siehe
hierzu ausführlich sogleich im Folgenden. könnte auf diesem Wege damit gedroht werden, essenzielle Geräte abzuschalten oder sogar zu aktivieren, um so beispielsweise den Nutzer zu erpressen. Siehe hierzu auch Chang, Inside the Smart Home: IoT Device Threats and Attack Scenarios; Knittl/Neuberger/Dieterle, HMD 2020, 558, 562. 428 Chang, Inside the Smart Home: IoT Device Threats and Attack Scenarios. 427 So
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Daneben kann die potenzielle Haftung nur ein Anreiz für Hacker sein, Angriffe zu unterlassen. Effektiv verhindert werden kann die Rechtsgutsverletzung nicht. Die Ersatzansprüche stellen vielmehr nur einen Ausgleich auf sekundärer Ebene dar, ersetzen jedoch nicht den Schutz auf der Primärebene. Dies zeigt, dass hier partielle Schutzlücken mit Blick auf fehlende zwingende gesetzliche Sicherheitsvorgaben bestehen. e) Mögliche Modalitäten der Umsetzung Die technische Vielfalt ermöglicht verschiedene Gestaltungsoptionen, um technische Sicherheit zu gewährleisten. Vorzugswürdig ist es, die technische Sicherheit der Einzelkomponenten wegen des geringeren Schutzbedürfnisses gegenüber großen, zentralen und gemeinwohlrelevanten Anlagen nicht von gesetzlicher Seite zwingend vorzuschreiben. Den Prosumern ist eine Handreichung und Orientierungshilfe zur Umsetzung zukommen zu lassen und ihnen darüber hinaus die Gestaltungsmöglichkeit zu belassen, Sicherheitsstandards nach ihren Vorstellungen zu etablieren. Das IT-Sicherheitsgesetz 2.0 brachte hierfür im Jahr 2021 in § 9c BSIG einen auch für die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten passenden Mechanismus, welcher auf den EU Cybersecurity Act429 zurück geht. Dieser knüpft an die Anordnungen in § 9 BSIG zu IT-Sicherheitszertifizierungen an und ist für die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten weiterzuentwickeln: Für die generelle IT-Sicherheit wurde ein freiwilliges Sicherheitskennzeichen eingeführt, welches durch eine Herstellererklärung angibt, dass das Gerät, Produkt oder die Dienstleistung mit grundlegenden Sicherheitsstandards einer Produktkategorie vereinbar ist und so Sicherheitsrisiken ausgeschlossen oder jedenfalls reduziert sind.430 Darüber hinaus werden im Rah429 Verordnung EU 2019/881 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über die ENISA (Agentur der Europäischen Union für Cybersicherheit) und über die Zertifizierung der Cybersicherheit von Informations- und Kommunikationstechnik und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 526/2013 (Rechtsakt zur Cybersicherheit), ABl. 151/15 (EU Cybersecurity Act). In diesem Kontext sind perspektivisch auch die Auswirkungen der Richtlinie (EU) 2022/2555 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2022 über Maßnahmen für ein hohes gemeinsames Cybersicherheitsniveau in der Union, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 und der Richtlinie (EU) 2018/1972 sowie zur Aufhebung der Richtlinie (EU) 2016/1148 (NIS-2-Richtlinie) zu beachten. Die sich hierdurch ergebende Anpassung der zu beachtenden Schutzniveaus bleibt abzuwarten 430 Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Erhöhung der Sicherheit informationstechnischer Systeme vom 16.12.2020, abrufbar unter https://www.bmi.bund.de/ SharedDocs/gesetzgebungsverfahren/DE/Downloads/kabinettsfassung/it-sicherheits gesetz.pdf;jsessionid=57BB640BD07106AE93BDC044E969DD11.1_cid373?__ blob=publicationFile&v=2 (zuletzt abgerufen am 20.06.2023), S. 69.
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men des Kennzeichens nach § 9c II Nr. 2 BSIG Informationen des BSI über sicherheitsrelevante IT-Eigenschaften mitgeteilt. Dies dient auch dem Auftrag des BSI, im Bereich der Sicherheit in der Informationstechnik zu warnen und zu beraten.431 Dieses Kennzeichen fordert jedoch keine Prüfung des Produkts durch eine unabhängige (hoheitliche) Stelle, sondern lediglich durch den Hersteller im Rahmen der Herstellererklärung. Es ist daher kein Gütesiegel für eine objektive Prüfung durch einen unabhängigen Dritten.432 Die Maßstäbe, anhand derer die Herstellererklärung abgegeben wird, orientieren sich an Produktkategorien, welche samt ihren Anforderungen in Technischen Richtlinien und nachrangig in branchenabgestimmten Sicherheitsvorgaben präzisiert werden, vgl. § 9c III 1 BSIG.433 Den Nutzen derartiger Siegel respektive Zertifizierungen verdeutlichen auch bereits existierende Systeme zur freiwilligen Zertifizierung durch Dritte: So ermöglicht ein Service der TÜV Austria Group zur Zertifizierung von IoT-Devices, bestimmte Qualitäts- und Gütesiegel für Produkte zu erlangen, um so gegenüber Kunden und Partnern (objektiv nachgeprüft) nachweisen zu können, dass bestimmte Anforderungen und Voraussetzungen eingehalten werden. Daneben existieren in anderen Kontexten bereits freiwillige Möglichkeiten der Zertifizierung auch durch staatliche Stellen, namentlich durch das BSI, welches Zertifizierungen von Einzelprodukten, Personen und Services für die Bundesverwaltung vorsieht.434 Hierbei handelt es sich im Kern um einen ähnlichen Mechanismus wie bei der Vergabe eines Siegels und einer Zertifizierung, jedoch sind hier deutliche Begrenzungen des Prüfungsumfangs und des -maßstabs vorgesehen.435 Dies bringt auch mit sich, dass dieser Zertifizierungsmechanismus nur für eine sehr geringe Zahl von Pro431 Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Erhöhung der Sicherheit informationstechnischer Systeme vom 16.12.2020, abrufbar unter https://www.bmi.bund.de/ SharedDocs/gesetzgebungsverfahren/DE/Downloads/kabinettsfassung/it-sicherheits gesetz.pdf;jsessionid=57BB640BD07106AE93BDC044E969DD11.1_cid373?__ blob=publicationFile&v=2 (zuletzt abgerufen am 20.06.2023), S. 101. 432 Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Erhöhung der Sicherheit informationstechnischer Systeme vom 16.12.2020, abrufbar unter https://www.bmi.bund.de/ SharedDocs/gesetzgebungsverfahren/DE/Downloads/kabinettsfassung/it-sicherheits gesetz.pdf;jsessionid=57BB640BD07106AE93BDC044E969DD11.1_cid373?__ blob=publicationFile&v=2 (zuletzt abgerufen am 20.06.2023), S. 102. 433 Siehe zu diesem Mechanismus generell Schallbruch, CR 2021, 450, 457. 434 Siehe hierzu § 9 BSIG in Verbindung mit der Verordnung über das Verfahren der Erteilung von Sicherheitszertifikaten und Anerkennungen durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik vom 17. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2231), die zuletzt durch Artikel 74 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328) geändert worden ist (BSI-Zertifizierungs- und -Anerkennungsverordnung – BSIZertV). 435 Vgl. §§ 8, 9 BSIZertV. Siehe hier auch den Bezug zu den Common Criteria for Information Technology Security Evaluation, ISO/IEC 15408 sowie die ISO/IEC27000-Reihe.
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dukten in Anspruch genommen wird.436 Eine weitreichende Sicherheitszertifizierung wird durch diesen Mechanismus zum aktuellen Zeitpunkt nicht erreicht. Eine sichtbare Kennzeichnung zur Zertifizierung der Sicherheit im Einsatzfeld der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten, mithin der vernetzten Infrastruktursteuerung, des IoT und der Energieerzeugung im privaten Kontext, dient dem Verbraucher- und Anwenderschutz: So kann der potenzielle Verwender erkennen, welches Schutzniveau eingehalten wird. Der Zusammenschluss der Prosumer könnte sich dann intern darauf verständigen, lediglich solche Produkte einzusetzen, welche festgelegten Standards genügen. Die Vereinbarkeit mit diesen Standards wäre durch das Siegel erkennbar. Bei Fragen der vernetzten Infrastruktursteuerung, welche im Zuge der Digitalisierung massiven Einzug in private Umfelder erlangt, wäre dies auskunftsreich. Die Nutzer könnten so erkennen, welche qualitativen Eigenschaften maßgeblich sind und worauf bei der Konzeptionierung der Infrastruktur zu achten ist. Gleiches könnte auch für Dienstleistungen beispielsweise von Service-Providern im Bereich der Smart Contracts geschaffen werden, indem die Service-Provider dahingehend zertifiziert werden, dass auch sie bestimmte Standards einhalten. Die Folgefrage ist hierbei jedoch, ob diese Sicherheitsanforderungen von gesetzlicher Seite zwingend vorgegeben werden sollten. Dies hängt damit zusammen, wer über den einzuhaltenden Standard entscheiden soll: Wird von gesetzgeberischer Seite keine Vorgabe gemacht, steht es im Belieben der Prosumer, ob ein bestimmter Sicherheitsstandard etabliert wird oder nicht. Den Prosumern ist diese Freiheit und Gestaltungsmöglichkeit zu gewähren. Das Schutzniveau des Zusammenschlusses sollten die Betroffenen konsensual festlegen. In lokal abgegrenzten, autarken Strukturen sind unmittelbar nur die Interessen der Beteiligten betroffen, eine weiterwirkende Ausdehnung auf Drittinteressen gibt es nicht. Wenn sich die Betroffenen entsprechend auf ein bestimmtes Niveau einigen, fällt dies in ihren Autonomiebereich, ohne, dass Schutzinteressen Dritter betroffen sind. Auch mit Blick auf das geringere Schutzbedürfnis gegenüber jener kritischen Infrastruktur, welche der KritisV und dem BSIG unterfällt, ist es konsequent, hier nicht die Erfüllung der Sicherheitsvorgaben gesetzlich festzulegen. Die Prosumer sollen entscheiden, ob und in welcher Form sie Schutzniveaus für ihre Aktivitäten 436 Siehe hierzu die recht gering ausfallenden Listen unter https://www.bsi.bund. de/DE/Themen/Unternehmen-und-Organisationen/Standards-und-Zertifizierung/ Zertifizierung-und-Anerkennung/Zertifizierung-von-Produkten/Zertifizierung-nachCC/Zertifizierte-Produkte-nach-CC/zertifizierte-produkte-nach-cc_node.html (zuletzt abgerufen am 20.06.2023) unter besonderer Beachtung der geringen Anzahl zertifizierter Netzwerk- und Kommunikationskomponenten.
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etablieren möchten. Der Grundsatz minimalinvasiver staatlicher Regulierungspraxis im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gebietet es, dass nur so weit wie nötig eingegriffen wird.437 Zu berücksichtigen ist dabei jedoch, dass auf diese Weise Dritte – insbesondere die Grundversorger – unter Umständen Ausfälle der Prosumer und Prosumerverbände auffangen müssen, können diese aufgrund beispielsweise technischer Defekte oder aufgrund von Angriffen nicht ihrem vertraglich übernommenen Versorgungsauftrag nachkommen. Die Drittinteressen vor allem der einspringenden Grundversorger sind somit dahingehend mittelbar betroffen, dass diese dann die Versorgung übernehmen müssen. Ihre Interessen werden jedoch dadurch geschützt, dass in solchen Szenarien die Grundversorgungsleistung zu vergüten ist und auf diese Weise jedenfalls eine monetäre Absicherung stattfindet.438 Insbesondere aus Gründen der praktischen Handhabbarkeit und vor dem Hintergrund, dass es sich bei Prosumern oftmals um Privatpersonen und keine Infrastruktur- oder IT-Experten handelt, böte es sich daher an, den Prosumern eine von einer Autorität geprüfte Handreichung zur Verfügung zu stellen, wie die notwendigen Sicherheitsstandards gewahrt werden können. Eine solche Funktion erfüllt die Sicherheitsinformation nach § 9c II Nr. 2 BSIG. Gepaart mit der Herstellererklärung, welche konkreten Standards durch die Produkte eingehalten werden, würde dies eine mündige Entscheidung der Prosumer ermöglichen, auch wenn hierdurch nicht durch den Staat bescheinigt wird, dass die Anforderungen erfüllt sind. Vergleichbar ist dies mit dem (einfachen) CE-Kennzeichen.439 Auch hier entscheidet keine hoheitliche Stelle über die Einhaltung der Kriterien und dennoch bietet das CEKennzeichen einen etablierten und informativen Anhaltspunkt für die Verwenderentscheidung. Die Prosumer könnten sich so einigen, dass die von ihnen genutzte Infrastruktur ein bestimmtes Maß an Daten- und Zugriffssicherheit aufweisen muss. Dies könnte verhindern, dass Gerätschaften genutzt werden, welche nicht den entsprechenden Sicherheitsanforderungen entsprechen. Ein Siegel, welches die Einhaltung der entsprechenden Standards be437 Siehe nur Kotzur, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 20 GG Rn. 163; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, Band 2, Art. 20 GG (Rechtsstaat) Rn. 179 m. w. N.; Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 20 GG Rn. 308 m. w. N. 438 Siehe hierzu de Wyl, in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, § 15 Rn. 77 ff. 439 Siehe hierzu Erwägungsgrund 37 sowie Art. 1 IV, Artt. 30 ff. der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 9. Juli 2008 über die Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung im Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 339/93 des Rates, ABl. 218/30 (CE-Verordnung).
274 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
scheinigt, könnte hier einen Beitrag leisten und die notwendige Klarheit gewähren. Um Sicherheitsanforderungen für die einzusetzenden Produkte und Systeme und damit für die Vergabe des Siegels angemessen festzulegen, wäre ein staatliche Festlegung von Sicherheitsstandards und -empfehlungen im Rahmen einer Technischen Richtlinie speziell für Komponenten des Internet of Things sowie der vernetzten Infrastruktur mit Bezug zur Energiewirtschaft naheliegend. So existieren beispielsweise bereits mit der Technischen Richtlinie TR-03161 Festlegungen für digitale Gesundheitsanwendungen oder mit der Technischen Richtlinie TR-03148 Festlegungen für sichere BreitbandRouter, ebenso die Technische Richtlinie TR-03109 im Bereich der Smart Meter. Eine derartige Festsetzung würde sich für den Produktbereich der Infrastrukturelemente, insbesondere der Geräte zur Vernetzung, Steuerung und Koordination auch alltäglicher Gegenstände anbieten, um hier das notwendige Sicherheitsniveau zum Schutz vor kompromittierenden Zugriffen zu schaffen.440 Die Normierung in der DIN SPEC 27072 und EN 303 645 sieht bereits grob derartige Umstände für die Einbindung von Smart-Home-Elementen vor und könnte als Vorbild für weitere speziell energie- und versorgungsinfrastrukturspezifische Vorgaben dienen. Alternativ könnte im Rahmen des Verfahrens nach § 9c III BSIG auch statt auf eine Technische Richtlinie direkt auf eine DIN-Norm Bezug genommen werden und so eine Kennzeichnung auf der Basis dieser DIN-Norm ermöglicht werden. Die maßgeblichen Regelungen sollten auch den Infrastrukturschutz für Elemente im Rahmen der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten umfassen, insbesondere im Bezug zu Steuerungs-, Koordinierungs- und Kommunikationseinrichtungen abseits der Smart Meter. Eine spezifische und individuelle Formulierung von Sicherheitsmaßstäben von einer staatlichen Stelle könnte in diesem Kontext zur Erhöhung der Sicherheitsstandards beitragen. Eine solche Zertifizierung unter spezieller Nutzung eines sichtbaren Siegels und unter Berücksichtigung individueller Anforderungen der digitalisierten Energieinfrastrukturbereiche hätte daneben den Vorteil einer erhöhten Sichtbarkeit beim privaten Nutzer. Darüber hinaus könnte so auch ein sektorspezifischer Bezug, vergleichbar zu hochspezialisierten ISO-Regelwerken, erreicht und nicht bloß eine generelle Vereinbarkeit mit breit gefassten Standards bescheinigt werden. Es handelt sich somit bei diesem Vorschlag nicht um eine hoheitliche Festlegung von zentralen Anforderungen, welche Geräte zwingend erfüllen müssen, um überhaupt (!) in den Verkehr gebracht werden 440 Siehe zu diesem Vorschlag auch Abendroth/Kleiner/Nicholas, Cybersecurity Policy for the Internet of Things, S. 13 f.; Knittl/Neuberger/Dieterle, HMD 2020, 558, 558.
C. Regulierungsbedarf kraft der Gewährleistungsverantwortung des Staates 275
zu dürfen, sondern um eine Vorgabe allein dafür, welche Anforderungen zu erfüllen sind, um das entsprechende Siegel bzw. Kennzeichen zu erhalten. Eine weitere Weichenstellung für ein solches Kennzeichen ist abseits der materiellen Standards die Entscheidung zwischen Security by Design441 und Security by Default442. Die zur Verleihung erforderlichen Sicherheitskriterien könnten bei Security by Design unabänderbar in der Software niedergelegt werden; die Geräte wären dann besonders sicher. Beim Einsatz des entsprechenden Geräts wären alle Betroffenen sicher, dass dieses Gerät bestimmte Standards erfüllt. Das Kennzeichen könnte dann auf solchen verbindlichen, unveränderbaren Standards aufbauen und attestieren, dass diese durch das Produkt unabänderlich eingehalten werden. Im Rahmen eines Security-by-Default-Ansatzes würden hingegen nach der Grundkonfiguration bestimmte Standards gewahrt, es bestünde jedoch im Rahmen der individuellen Anpassung die Option anderer Konfigurationen und damit anderer Sicherheitsniveaus. Dieses Vorgehen ist bei WirelessLAN-Routern üblich.443 Der Rahmen möglicher Adaptionen kann jedoch unterschiedlich weit ausgestaltet werden, sodass beispielsweise ein Mindestmaß an Sicherheit unabdingbar eingestellt sein könnte, darüber hinaus jedoch Entscheidungsfreiheit besteht. Ein fest vorgegebener Mindeststandard könnte grundlegende Ausfälle verhindern und so die Inanspruchnahme Dritter, insbesondere der Grundversorger, vermeiden. Gebannt werden könnte auf diesem Weg auch das Risiko eines malösen Teilnehmers, mithin eines „Angriffs von innen“: So könnte durch fest in den Gerätschaften und der Software vorgegebene (Mindest-)Sicherheits- und Funktionsstandards sichergestellt werden, dass selbst der Nutzer des Geräts keinerlei Veränderungen vornehmen kann, welche ihm ein malöses Verhalten erlauben würden. Vergleichbar wäre dies mit der Verplombung der FerrarisZähler444. Auf diese Weise kann der Nutzer die Geräte nicht manipulieren beziehungsweise wird dies deutlich erschwert. Dies könnte das Verbund-interne Vertrauen stärken und zusätzliche Sicherheit gewährleisten. Freilich stünde dies unter der Voraussetzung, dass die Prosumer untereinander verein441 Security by Design meint, dass durch eine bestimmte, voreingestellte und unabwählbare Programmgestaltung bestimmte Sicherheitsstandards etabliert werden, diese mithin zwingend für den Betrieb vorgesehen sind, Schnurre/Nasrun, in: Rohrer/ Karsten/Leonhardt, Messstellenbetriebsgesetz, § 19 Rn. 2. 442 Dieser Terminus bezeichnet eine derartige Produktgestaltung, dass Voreinstellungen getroffen werden, welche den intendierten Sicherheitsstandard erfüllen, es jedoch dennoch Möglichkeiten für den Nutzer zur Anpassung gibt, siehe Erwägungsgrund 13 EU Cybersecurity Act. 443 Siehe etwa die Hinweise bei https://routersecurity.org (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 444 Vgl. OLG Düsseldorf NJW-RR 1998, 490, 490.
276 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
baren, dass lediglich solche Geräte eingesetzt werden, welche eine entsprechende Zertifizierung mittels des Kennzeichens aufweisen. Durch die interne Governance im Prosumer-Verbund könnte dies jedoch leicht als Standard etabliert und so sichergestellt werden, dass derartig gekennzeichnete Geräte bestimmte Sicherheitsstandards nicht unterschreiten. Abseits dessen könnte selbstverständlich – die zuvor genannten Nachteile inkaufnehmend – auch von staatlicher Seite ein gewisser Standard einheitlich, rechtsverbindlich und hoheitlich vorgegeben werden, um so Ausfälle und Schädigungen und damit vor allem die Inanspruchnahme von Grundversorgern etc. zu reduzieren. So könnte ein Mindeststandard an Sicherheit und Zuverlässigkeit gesetzlich zwingend für den Einsatz festgelegt werden. Dies würde den Prosumern die Freiheit nehmen, auch „unzertifizierte“ Geräte zu verwenden. Durch eine Fortentwicklung grundsätzlich bestehender Instrumente kann somit auch ohne gesetzlich zwingende Vorgaben ein angemessenes IT-Sicherheitsniveau geschaffen werden. Dies ermöglicht es, für die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten eine sichere Abwicklungsumgebung zu nutzen und sich hierfür aktiv zu entscheiden, indem die Prosumer übereinkommen, nur entsprechend zertifizierte und gekennzeichnete Produkte zu verwenden. Ein Anforderungskatalog von staatlicher Seite beispielsweise in der Form einer Technischen Richtlinie bietet sich hierbei besonders an.
IV. Gesamtbetrachtung: Zentrale Bedeutung der Versorgungssicherheit und technische Potenziale in der Zukunft Eine Gesamtbetrachtung zeigt, dass die Versorgungssicherheit auch in digitalisierten und dezentralisierten Versorgungsstrukturen nicht an Bedeutung verliert. Der Stellenwert bleibt unangetastet und wird vor dem Hintergrund der fortschreitenden Elektrifizierung des alltäglichen Lebens sogar wachsen. Dabei wird die Versorgungssicherheit vor neue Herausforderungen gestellt. Die bisherigen Regelungen bedürfen einer stückweiten Ausdehnung, da die dezentralisierten Strukturen teils abseits jener Infrastrukturen angesiedelt sind, die unter dem Gesichtspunkt der Versorgungssicherheit reguliert sind. Die Regelungen sind daher an diese Umstände anzupassen und weiterzuentwickeln. Hier bestehen Potenziale, die Sicherheit und Zuverlässigkeit zu stärken und dennoch die nötige Flexibilität für die Prosumeraktivitäten beizubehalten. Auf diese Weise kann durch eine Ausdehnung und Anpassung der bestehenden Regelungen ein angemessenes Niveau an Versorgungssicher heit sichergestellt werden.
C. Regulierungsbedarf kraft der Gewährleistungsverantwortung des Staates 277
Hinsichtlich eines möglichen Ausblicks zeigt sich auch ein besonderes Potenzial der virtuellen Kraftwerke445 für die Versorgungssicherheit: Diese könnten ein Pendant zu Spitzenlastkraftwerken werden und so zur Netzstabilität beitragen.446 Ein Vorteil ist, dass die kleinen Anlagen erheblich schneller zu- und abgeschaltet werden können als Großanlagen. Dies ermöglicht ein flexibles Lastmanagement.447 Ein (lukratives) Einsatzgebiet von virtuellen Kraftwerken ist daher auch die Frequenzerhaltung mittels des Einsatzes als Reservekraftwerke.448 In anderer Hinsicht können die virtuellen Kraftwerke dahingehend einen Beitrag leisten, dass sie – sofern kein Verbund-interner Ausgleich von Ein- und Ausspeisung möglich ist – den Prosumerverbund nach außen gegenüber den vorgelagerten Netzstrukturen als einen „großen“ Verbraucher erscheinen lassen und so nur diesem gegenüber ein Ausgleich vorzunehmen ist, nicht jedoch gegenüber jedem einzelnen angeschlossenen Prosumer oder Letztverbraucher. Diese Bündelungswirkung kann zur Versorgungssicherheit beitragen. Auch könnten perspektivisch in diesem Kontext die Aufgaben des Verteilernetzbetreibers für die dezentralen Systeme mit einem eigenständigen Engpassmanagement gekoppelt werden. Es wird dem folgend vorgeschlagen, Vorkehrungen zum eigenständigen Versorgungswiederaufbau und Maßnahmen zum Bilanzausgleich in den Aufgabenkatalog des Verteilernetzbetreibers aufzunehmen.449 Dies könnte – dem Gedanken der Dezentralität entsprechend – zu autarken Verteilernetzen führen450 und so die Versorgungssicherheit stärken. Die Mittelebene könnte so zu einer Art „Operation-Center“ werden,451 welche als Koordinierungsebene der Erhaltung der Netzstabilität dienen452 und so auch die Aktivitäten von Prosumern koordinieren könnte. Alternativ könnte auch ein Aggregator in diesem Kontext die Bilanzkreisverantwortlichkeit übernehmen.453 Daneben kann auch die Blockchain die Versorgungssicherheit unterstützen und weist damit ein weiteres Potenzial für die Zukunft auf: Ein Blockchainbasiertes Engpassmanagement wird als Faktor eines effektiven Netzmanage-
445 Siehe
hierzu oben ausführlich Kapitel 3, F.II. hierzu Karl, Dezentrale Energiesysteme, S. 328. 447 Siehe hierzu Karl, Dezentrale Energiesysteme, S. 338. 448 Karl, Dezentrale Energiesysteme, S. 340. 449 Siehe hierzu Schäfer-Stradowsky/Timmermann, EnWZ 2018, 199, 202. 450 Siehe zu diesem Gedanken auch Schäfer-Stradowsky/Timmermann, EnWZ 2018, 199, 202. 451 Schäfer-Stradowsky/Timmermann, EnWZ 2018, 199, 202. 452 Siehe etwa Brisbois, Global Transitions 2020, 16, 17. 453 Wimmer, ER 2020, 18, 18. 446 Siehe
278 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
ments und damit als ein (Teil-)Garant für Versorgungssicherheit gesehen.454 Die spezielle Funktion der Blockchain liegt darin, dass dort bisherige Lastgänge gespeichert werden können (sog. Fahrpläne), dort für alle einsehbar sind und daraus ein Erfahrungsgewinn für das zukünftige Lastmanagement geschöpft werden kann.455 Lastprognosen können so verbessert werden. Die Besonderheit liegt dabei auch darin, dass diese Daten jedermann zum Zugriff offenstehen und genutzt werden können. In dieser Dimension kann die Blockchain durch die umfassende Dokumentation und Aggregation der Daten an einem Ort eine solide Basis für die Analysen im Rahmen der Netzkalkulationen liefern. Auch mit Blick auf die technische Sicherheit kann die Blockchain Beiträge leisten:456 Hacks und malöse Angriffe werden schwieriger, da kein zentraler Angriffspunkt wie bei einem zentralisierten System existiert. Nicht ein „Zentralrechner“ kann der Angriffspunkt sein, sondern viele dezentrale Rechnerknoten müssen angegriffen werden.457 Aufgrund der redundanten Speicherung der Daten und der dezentralen Struktur gibt es keinen zentralen Single Point of Failure oder – im Falle einer von Schädigungsvorsatz getragenen Attacke – Single Point of Attack. Auch dies verbessert die technische Sicherheit insbesondere auf der Softwareebene. Die Problematik um die adäquate Sicherung der Oracles hingegen stellt sich auch bei der Blockchain gleichermaßen.458
D. Regulierungsbedarf im Bereich der Netznutzung Eine zentrale Weichenstellung bei der Ausgestaltung der Smart-Contractbasierten Prosumeraktivitäten ist, ob das allgemeine Netz genutzt oder ein eigenes Netz- oder Direktleitungssystem aufgebaut wird. Gerade in der Anfangszeit der Prosumeraktivitäten ist die Nutzung des bereits bestehenden Netzes naheliegend, da der Aufbau eigener Leitungs- und Netzinfrastrukturen mit großem Aufwand verbunden ist.459 Das geltende Recht des Netzzugangs erlaubt es den Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten, die bestehenden Strukturen zu nutzen. Auf der Ebene der Netznutzung weisen vor allem die Netzkosten ein gewichtiges Steuerungspotenzial auf, welches für die 454 dena,
Blockchain in der integrierten Energiewende, S. 39. dena, Blockchain in der integrierten Energiewende, S. 39. 456 Siehe hierzu generell Strohmayer/Reetz, Smarte Sektorenkopplung, Digitalisierung und Distributed Ledger Technologien, S. 1. 457 Vgl. Rasinski, Blockchain-Technologie, S. 113. 458 Siehe hierzu ausführlich Caldarelli, Understanding the Blockchain Oracle Problem: A Call for Action, Information 2020, 509, S. 1 ff. 459 Siehe oben Kapitel 3, E.III. 455 Vgl.
D. Regulierungsbedarf im Bereich der Netznutzung279
Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten genutzt werden kann: Durch eine abgestufte und individuelle Bemessung der Netzkosten für einzelne Aktivitäten können bestimmte Betätigungsformen finanziell attraktiver oder unattraktiver gemacht werden. Dies kann eine Steuerungswirkung erzielen. Hierfür ist jedoch eine Anpassung des geltenden Rechtsrahmens nötig. Die durch die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes 2021 eröffneten Optionen schaffen neue Gestaltungsmöglichkeiten, schöpfen jedoch nicht sämtliche Potenziale aus. In diesem Rahmen ist jedoch auch festzustellen, dass den Prosumern nicht per se eine netzentlastende Funktion zukommt und sie nicht pauschal bei den Netzkosten zu entlasten sind.
I. Erfahrungen im Reallabor und Handhabung in der Praxis Im Brooklyn Microgrid Program als dem bekanntesten Reallabor für Microgrids auf internationaler Ebene460 wurde im Jahr 2016 im Rahmen einer Nachbarschaftsinitiative eine eigene parallele (Micro-)Netzstruktur entwickelt und genutzt,461 welche am ehesten mit einer Kundenanlage nach deutschem Recht zu vergleichen ist. Das Brooklyn Microgrid Program kombiniert verschiedene Bestandteile: Zum einen existieren kleine, dezentrale Produk tionsanlagen, insbesondere Photovoltaikanlagen, aber auch größere Erzeugungsstätten lokaler Energieversorgungsunternehmen. Verschiedene Speicher, beispielsweise von elektrisch betriebenen Kfz werden ebenso eingebunden. Diese Akteure sind jeweils mit Smart Metern ausgestattet, um eine Steuerung und Kommunikation zu ermöglichen. Neben den Prosumern sind auch reine Verbraucher beteiligt. Die von allen Beteiligten genutzte Software, welche auf einer Blockchain basiert, ermöglicht den Peer-to-Peer-Energiehandel als zentralen Austausch zwischen den einzelnen Prosumern und Verbrauchern. Sie schafft einen lokalen Energiemarkt, an welchem sich alle Akteure beteiligen können.462 Dies gibt den Beteiligten die Entscheidungshoheit darüber, aus welchen Quellen sie Energie beziehen möchten, und ermöglicht es, Maximalbudgets für den Energiebezug festzulegen. Prosumer können so ihren überschüssig produzierten Strom verkaufen und hierfür die Bedingungen 460 Die Website des Projektes ist abrufbar unter https://www.brooklyn.energy (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 461 Mengelkamp/Gärttner/Rock/Kessler/Orsini/Weinhardt, Applied Energy 2018, 870, 876. Siehe auch https://reset.org/blog/ein-mikro-stromnetz-brooklyn-demons triert-die-saubere-energieversorgung-blockchain-05232018 (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 462 Siehe hierzu https://www.brooklyn.energy/about (zuletzt abgerufen am 20.06.2023).
280 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
festlegen.463 Mittels der Software werden die Energielieferungsverträge geschlossen und die lokalen Handels- und Speicheraktivitäten abgewickelt. Die Software, welche wegen der Dezentralität auch als „distributed system operator“ bezeichnet wird, koordiniert ferner den Netzbetrieb samt aller Anforderungen464, indem die von den Smart Metern erfassten Daten analysiert und auf dieser Basis Steuerungsentscheidungen getroffen werden. Daneben besteht eine lokale Microgrid-Netzstruktur, über welche die Transaktionen physisch abgewickelt werden.465 Dieses lokale Netz ist daneben grundsätzlich mit dem allgemeinen Netz verbunden, kann jedoch im Bedarfsfall abgeschottet werden. An diese Strukturen sind alle Akteure angeschlossen. Es wurde mithin ein Hybridmodell zwischen der alleinigen Nutzung eigener oder bestehender Netzstrukturen gewählt. Der partiell eigene Netzbetrieb soll vor allem eine Abschottung vom hergebrachten Netz beispielsweise in Fällen größerer Blackouts, welche in den USA durchaus üblich sind, ermöglichen und so die Versorgungssicherheit verbessern.466 In einem Reallabor in Wildpoldsried mit dem Namen IRENE467 und da rauf aufbauend IREN2 als Folgeprojekt468 wurde ebenso eine Inselnetzstruktur geschaffen, welche grundsätzlich an das allgemeine Netz angeschlossen bleibt, jedoch auch autark betrieben werden kann.469 Ziel war insbesondere die Erforschung von digitalen Netzmanagement- und Steuerungssystemen in lokalen Netzstrukturen.470 Der Fokus dieses Projekts lag somit im Bereich des technischen Netzbetriebs, weniger in der (wirtschaftlichen) Erprobung von lokalen Energiemärkten. Als Ergebnis wurde insbesondere festgehalten, dass netzgekoppelte Microgrids die Versorgungssicherheit erhöhen können, sofern die lokalen Netzanforderungen hinreichend gewährleistet werden, jedoch wurde gleichzeitig festgestellt, dass aktuell herstellerübergreifend stan463 Siehe hierzu https://www.brooklyn.energy/about (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 464 Siehe zu diesen Anforderungen Kapitel 3, E.III. 465 Siehe zu diesen genannten Elementen des Brooklyn Microgrid Program die Darstellungen auf der Website des Projektes unter https://www.brooklyn.energy (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 466 Mengelkamp/Gärttner/Rock/Kessler/Orsini/Weinhardt, Applied Energy 2018, 870, 876. 467 Die Website des Projektes ist abrufbar unter http://www.projekt-irene.de (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 468 Die Websites des Projektes ist abrufbar unter http://www.iren2.de/de/ (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 469 Metzger/Hammer/Amthor/Szabo/Mesanovic, Abschlussbericht zum Verbundvorhaben IREN2, S. 15. 470 Naumann, Analyse und Validierung der Netzmodellierung, S. 2. Siehe auch Metzger/Hammer/Amthor/Szabo/Mesanovic, Abschlussbericht zum Verbundvorhaben IREN2, S. 64 f.
D. Regulierungsbedarf im Bereich der Netznutzung281
dardisierte Produkte und Lösungen nicht bestehen.471 Auch derartige Aktivitäten befinden sich noch in einer frühen Anfangsphase. Ein gänzlich unter allen Umständen autarkes, von übrigen Netzstrukturen abgekoppeltes Netzgebilde bestand somit in beiden Fällen nicht. Allerdings wurden Möglichkeiten vorgesehen, im Bedarfsfall auf einen autarken Inselbetrieb umzustellen und so eine größere Unabhängigkeit zu erreichen. In den allermeisten Fällen wurde bei den Reallaboren jedoch ein anderer Ansatz gewählt: Es wurde der Zugang zu bestehenden Netzstrukturen gesucht472 und es wurden keine eigenen Netzstrukturen geschaffen. Dies liegt insbesondere daran, dass Aufbau und Betrieb eines Netzes einen hohen Aufwand mit sich bringen.473 Dies kann eine Hürde darstellen, selbst als Prosumer aktiv zu werden. Besonders für kleinere Prosumer-Gemeinschaften bietet sich daher die Nutzung des bereits bestehenden Netzes an. Die Charakterisierung des Netzes als natürliches Monopol unterstreicht dies: Bei einem natürlichen Monopol ist die Errichtung einer parallelen, vom bestehenden Netz komplett autarken Infrastruktur möglich, jedoch mit prohibitiv hohen Hürden verbunden.474 Erwogen werden kann allenfalls – wie oben dargestellt –, lokal eigene, jedoch dennoch weiter an das Verbundnetz angeschlossene Netzstrukturen zu errichten. Allerdings stellen sich auch hier die Fragen des Netzzugangs, da auch diese lokalen Strukturen jedenfalls als solche an das Verbundnetz angeschlossen werden müssen.
471 Siehe hierzu http://www.iren2.de/de/ergebnisse/kernaussagen (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 472 So der Tal.Markt Wuppertal, vgl. https://talmarkt.wsw-online.de/principle (zuletzt abgerufen am 20.06.2023), oder das Projekt SMAAS, vgl. https://smaas.iism.kit. edu/veranstaltung/ (zuletzt abgerufen am 20.06.2023) als nur wenige der bestehenden Projekte, welche bestehende Netzstrukturen nutzen. 473 Siehe oben Kapitel 3, E.II. sowie Kapitel 3, E.III. 474 Siehe hierzu BGHZ 163, 296, 304; OLG Düsseldorf EnWZ 2018, 371, 375; Büdenbender, DVBl. 2005, 1161, 1164; Franke, in: Schulte/Kloos, Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 10 Rn. 49; Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, S. 316 ff.; Hufendiek, in: Schwintowski/Scholz/Schuler, Handbuch Energiehandel, Erster Teil A. Rn. 75, S. 35; Klees, Einführung in das Energiewirtschaftsrecht, Kapitel 1 Rn. 116; Lehberg, Rechtsfragen der Marktintegration Erneuerbarer Energien, S. 23; Pritzsche/ Vacha, Energierecht, § 4 Rn. 215; Rogall, 100 %-Versorgung mit erneuerbaren Energien, S. 184; Thomas/Zhou/Long/Wu/Jenkins, Nature Energy 2019, 140, 145; Tschida, Die Systemverantwortung der Netzbetreiber, S. 4; Zerche, Distributed Ledger als In strument einer dezentralen Energiewende, S. 63.
282 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
II. Netznutzung als zentraler Bereich der Prosumeraktivitäten Wird das allgemeine Netz genutzt, sind die Regelungen insbesondere zu Netzkosten und Netzzugang zu beachten. Wird hingegen ein eigenes Netz betrieben, stellen sich die Fragen der Stellung als Netzbetreiber. Soweit kein eigenes lokales Netz betrieben, sondern das allgemeine Netz genutzt wird, stellt sich damit die Frage, ob der Regulierungsrahmen hinsichtlich des Netzzugangs und der Netzkosten für die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten adäquat ist. Besonders zu betonen ist daher, dass in den zugrundeliegenden Szenarien ein bestehendes Netz im Sinne des Energiewirtschaftsgesetzes und der korrespondierenden Verordnungen genutzt und damit auf externe Strukturen für die Aktivitäten zurückgegriffen wird. Insbesondere der Direktleitungsbetrieb zwischen den Prosumern ist daher in diesem Rahmen nicht erfasst. Das Netz als solches – insbesondere in der Hand Privater – ist geschützt durch die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG.475 Aufbau, Betrieb und Erhalt sind jedoch dennoch umfangreich reguliert, um dem Versorgungsauftrag im Rahmen der Daseinsvorsorge zu genügen.476 Die Gestaltungsmöglichkeiten über die Netznutzungsverträge sind eingeschränkt.477 Der besonderen Rolle der Netze folgend sind auch die Netzentgelte von großer Bedeutung für das Energiewirtschaftsrecht. Der Netzbetrieb geht mit hohen Kosten einher, insbesondere, da die Versorgungssicherheit maßgeblich durch einen stabilen Netzbetrieb gewährleistet wird. Die Nettonetzentgelte machen daher einen gewichtigen Anteil am Gesamtstrompreis aus; im Jahre 2020 betrug dieser 23 %.478 Werden bestimmte Aktivitäten bei den Netzentgelten entlastet oder belastet, kommt diesem Umstand ein erheblicher wirtschaftlicher Steuerungsfaktor zu, da die Netzkosten einen derart großen Anteil an den Gesamtstromkosten ausmachen. Auch der Netzausbau hat deutliche Auswirkungen auf die Netzkosten: Im Zuge der Energiewende muss das Übertragungsnetz an die Dezentralisierung 475 Siehe nur Schmidt-Preuß, Energie und Eigentum, in: Shirvani, Eigentum im Recht der Energiewirtschaft, S. 21 f.; Baur/Pritzsche/Garbers, Anreizregulierung nach dem Energiewirtschaftsgesetz 2005, S. 54. 476 Siehe hierzu oben Kapitel 4, C.III.1. 477 Dies betont insbesondere der von der BNetzA herausgegebene Netznutzungsvertrag auf der Basis des Beschlusses vom 20.12.2017 – BK6-17-168, welcher abrufbar ist unter https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Beschlusskammern/1_GZ/BK6GZ/2017/BK6-17-168/BK6-17-168_anlage1_vertrag_lesefassung_ab_01_04_2018.pd f;jsessionid=CDDFFAEA865365341C81687C9430D09E?__blob=publicationFile& v=2 (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 478 Bundesnetzagentur/Bundeskartellamt, Monitoringbericht 2020, S. 276.
D. Regulierungsbedarf im Bereich der Netznutzung283
und das Erfordernis höherer Flexibilität angepasst werden.479 Das Netz ist aktuell auf monodirektionale Verteilung ausgerichtet: Der Strom wird vom zentralen Ort der Einspeisung durch ein zentrales Kraftwerk durch die Netz ebenen hin zu den Endverbrauchern transportiert. Ein Rückfluss durch eine Einspeisung auf unterster Ebene – durch einen Prosumer – ist in diesem System nicht in größerem Maße vorgesehen, das System ist darauf nicht ausgelegt.480 Es besteht daher ein erheblicher Anpassungs- und Ausbaubedarf, welcher mit nicht unerheblichen Installations- und Wartungskosten verbunden ist. Gleichzeitig kann die Dezentralität aber auch die Transportwege verkürzen und auf diese Weise dazu beitragen, dass das Verteilernetz weniger stark ausgebaut werden muss.481 Die Prosumer speisen daneben regelmäßig auf der Niederspannungsebene ein;482 hier sind die Netze überwiegend noch nicht digitalisiert.483 Um die Prosumer aktiv in das Netz einzubinden und die von ihnen zur Verfügung gestellte Einspeiseleistung effektiv nutzen zu können, müssen die Netze allerdings digitalisiert werden. Auch im Rahmen dieses Ausbaus gilt das (n-1)-Kriterium, wonach beim Vorliegen einer Anzahl von n Betriebsmitteln im ungestörten Betriebsablauf ein solcher weiterhin gewährleistet sein muss, selbst wenn eines der Betriebsmittel ausfällt484.485 Eine große Zahl von dezentralen Akteuren kann dazu beitragen, die Ausfälle 479 Burbach, RdE 2019, 56, 61; Karl, Dezentrale Energiesysteme, S. 306; Kühne/ Weber, Bausteine der Energiewende, in: Kühne/Weber, Bausteine der Energiewende, S. 6; vgl. auch BMWi, Gutachten Digitalisierung der Energiewende, Topthema 2, S. 3; dena, Blockchain in der integrierten Energiewende, S. 39; Körber, Digitalisierung als Herausforderung und Chance für Energiewirtschaft und Energierecht, in: Ludwigs, FS Schmidt-Preuß, S. 865, 866. 480 Vgl. zum Problem Keck, Smart Grid, S. 14. Siehe auch BMWi, Gutachten Digitalisierung der Energiewende, Topthema 2, S. 18. 481 Antoni, IR 2020, 2, 2; Schex, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 3 EnWG Rn. 19; Taskforce Lastmanagement, Anregungen zur Ausgestaltung von § 14a EnWG, S. 28. Siehe auch Fietze/Papke/Wimmer/Antoni/Hilpert, Der Rechtsrahmen für regionale Peer to Peer‐Energieplattformen unter Einbindung von Blockchains, S. 1; Strohmayer/Reetz, Smarte Sektorenkopplung, Digitalisierung und Distributed Ledger Technologien, S. 1. 482 Siehe hierzu Strohmayer/Reetz, Smarte Sektorenkopplung, Digitalisierung und Distributed Ledger Technologien, S. 3. 483 Körber, Digitalisierung als Herausforderung und Chance für Energiewirtschaft und Energierecht, in: Ludwigs, FS Schmidt-Preuß, S. 865, 866. 484 Siehe hierzu Jarass/Obermair, Welchen Netzumbau erfordert die Energiewende?, S. 71; Tschida, Die Systemverantwortung der Netzbetreiber, S. 49. Vgl. zur Bedeutung des (n-1)-Kriteriums auch Jarass/Obermair, Welchen Netzumbau erfordert die Energiewende?, S. 71. 485 Vgl. BVerwG BeckRS 2020, 22736 Rn. 37; Posser, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 12b EnWG Rn. 24.
284 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
einzelner kleinerer Beteiligter leichter zu kompensieren.486 Durch intelligente Netznutzung soll daneben eine maximierte Netzauslastung ermöglicht und damit der Umfang des Netzausbaus möglichst gering gehalten werden. Insgesamt dient die Regulierung von Rechten und Pflichten auf der Netzebene daher auch der Integration der Erneuerbaren Energien unter dem Gesichtspunkt einer möglichst effektiven Ressourcenallokation.487 Daher kann der Rolle der Prosumer ganz generell auch eine netzentlastende Wirkung zugeschrieben werden. Sie hat auf diese Weise große Auswirkungen auf den Netzausbaubedarf und die Netzkosten. Die Prosumeraktivitäten sind aufgrund dessen eng verknüpft mit dem Netzbetrieb. Es stellt sich die Frage, wie sie netzdienlich eingesetzt werden können und ein netzdienliches Verhalten – insbesondere auf der Kostenebene – angereizt werden kann.
III. Status quo der Rechtslage Der geltende Rechtsrahmen erlaubt die Netznutzung durch die SmartContract-basierten Prosumeraktivitäten. Gleichzeitig bestehen dennoch große Potenziale zur Incentivierung anhand der Netzkosten. Diese werden aktuell durch den Rechtsrahmen nicht ausgeschöpft. Die Ausführungen gelten nur für das Szenario, dass die Prosumer bestehende Netzstrukturen, vor allem das öffentliche allgemeine Verbundnetz, nutzen. Betreiben sie das Netz selbst, sind die Kosten vielmehr selbst zu tragen, auch ist der Netzzugang in diesen Fällen nicht problematisch.488 Die folgenden Ausführungen betreffen vielmehr die – für die kurz- und mittelfristige Zeit naheliegenden – Aktivitäten, welche das bestehende Netz nutzen. 1. Netzzugang a) Genereller Netzzugang Der Netzzugang ist Grundvoraussetzung für alle Prosumer, die kein eigenes Netz betreiben.489 Da es sich bei den Netzen um natürliche Monopole handelt,490 ordnet das Energierecht einen grundsätzlichen491 Zugangs- und 486 Vgl.
Schäfer-Stradowsky/Timmermann, EnWZ 2018, 199, 200. Systemdienstleistungen und Erneuerbare Energien, S. 72. 488 Vgl. zu diesem Problemkreis auch Hilpert, Rechtliche Bewertung von Power Purchase Agreements (PPAs) mit erneuerbaren Energien, S. 10. 489 Siehe zu diesen möglichen Konzeptionierungen oben Kapitel 3, E.III. 490 Siehe hierzu oben Kapitel 4, D.I. 491 Dieser Anspruch besteht nur im Rahmen der Nutzung Erneuerbarer Energien nach § 8 I EEG 2023 ohne Einschränkungen, abseits dessen kann – jedoch lediglich 487 Meister,
D. Regulierungsbedarf im Bereich der Netznutzung285
Anschlussanspruch in §§ 17, 18, 20 EnWG an. Der Anspruch auf Anschluss an das Netz ist nach § 20 Ia EnWG verbunden mit der Pflicht, einen Netznutzungsvertrag abzuschließen. Der Vertrag vermittelt somit den Zugang zum Elektrizitätsversorgungsnetz.492 Für Prosumer ist hierbei § 18 II in Verbindung mit § 17 I 1, II EnWG zu berücksichtigen, wonach für die Einspeisung eine Verweigerung des Netzanschlusses nach § 17 II 1 EnWG nur möglich ist, „soweit sie [die Verpflichteten] nachweisen, dass ihnen die Gewährung des Netzanschlusses aus betriebsbedingten oder sonstigen wirtschaftlichen oder technischen Gründen unter Berücksichtigung des Zwecks des § 1 nicht möglich oder nicht zumutbar ist“. Eine Rückausnahme, mithin eine unbedingte Anschlusspflicht nach § 18 I EnWG, gilt jedoch nach § 18 II 3 EnWG insbesondere für Anlagen, welche Erneuerbare Energien nutzen. Dies ist bei Prosumern regelmäßig, jedoch nicht ausschließlich, der Fall. Der Anschluss an das Netz ist daher insgesamt in sehr umfassender Form gewährleistet.493 b) Zugang für Smart-Contract-basierte Prosumeraktivitäten Neben diesem generellen Zugangsanspruch zum Netz und dem Anspruch auf Netzanschluss ist auch die Möglichkeit gegeben, das Netz für Tätigkeiten im Rahmen der Prosumeraktivitäten, insbesondere für die eigene Erzeugung, Einspeisung und den Energiehandel, aktiv zu nutzen. Die nationalen Regelungen sehen keine Restriktionen in dieser Hinsicht vor und genügen damit den europarechtlichen Vorgaben. Ohne Zweifel fällt hierunter die Entnahme von Strom, umfasst sind aber auch die einspeisenden und gesteuerten Tätigkeiten der Prosumer. Der Zugang zum Netz nach § 20 EnWG ermöglicht eine vollumfängliche Nutzung für die Lieferung zur Entnahmestelle eines Dritten.494 Hier wird keine Einschränkung hinsichtlich der vollautomatischen Abwicklung mittels Smart Contracts gemacht; die Regelungen zur Netznutzung nehmen keine Unterscheidungen vor. Es werden mithin alle von den Prosumern vorzunehmenden Tätigkeiten durch den Netzzugangsanspruch abgedeckt. Sollte sich ein Netzbetreiber diesem Anspruch entgegensetzen, sieht § 32 EnWG entsprechende Sanktionen vor. Auch Art. 21 Erneuerbarein engen Grenzen – im Einzelfall eine Verweigerung nach § 17 II 1 EnWG vorliegen, jedoch nur, wenn „die Gewährung des Netzanschlusses aus betriebsbedingten oder sonstigen wirtschaftlichen oder technischen Gründen unter Berücksichtigung des Zwecks des § 1 nicht möglich oder nicht zumutbar ist“, siehe hierzu sogleich. 492 Lüdtke‐Handjery, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 26 StromNZV Rn. 1. 493 So auch Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 180. 494 Hahn, in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, § 20 EnWG Rn. 11.
286 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
Energien-Richtlinie fordert, dass die dort genannten Tätigkeiten, namentlich insbesondere die Erzeugung, die Einspeisung und der Verkauf, erlaubt sein müssen; den Prosumern muss das Netz für diese Aktivitäten offenstehen. Dies wird durch das nationale Recht gewährleistet. Somit ist für sämtliche der Prosumertätigkeiten der Netzzugang gegeben. 2. Netznutzung und Kostentragung Neben dem Netzzugang ist die Netznutzung grundlegende Voraussetzung für die Prosumeraktivitäten. Einen gewichtigen Faktor stellen hier die Netzkosten und -entgelte dar; sie sind die Gegenleistung insbesondere für die Netznutzungsmöglichkeit und ein maßgeblicher Bestandteil der Gesamtstromkosten. Sie sind wirtschaftlich von großer Bedeutung.495 Maßgeblich für die Netzkosten sind die StromNEV496, die ARegV497, sowie das EnWG. Diese sind finanzierungs- und auch anreizorientiert ausgestaltet.498 Netz kosten fallen daneben nur an, sofern ein Energieversorgungsnetz genutzt wird.499 Besonderheiten ergeben sich hier mit Blick auf die oben genannten Gestaltungsoptionen: Tätigkeiten innerhalb von Kundenanlagen sind von den Netzkosten ausgenommen, da diese kein Netz sind.500 Soweit die Kriterien des § 3 Nr. 24a EnWG erfüllt werden und so eine Kundenanlage genutzt wird, kann den Netzkosten ausgewichen werden. Dies kann die Wirtschaftlichkeit steigern.501 Dasselbe gilt für die Direktleitungen, denn auch hier sind keine Netzkosten zu tragen, da die Tätigkeiten nicht am Netz stattfinden. Dies kann – obschon des großen Aufwands der Konzeption und Wartung – ein Anreiz sein, Direktleitungen oder Kundenanlagen zu errichten
Bereitstellung von Flexibilität in der Niederspannung, S. 17 f. über die Entgelte für den Zugang zu Elektrizitätsversorgungsnetzen vom 25. Juli 2005 (BGBl. I S. 2225), die zuletzt durch Artikel 6 des Gesetzes vom 20. Juli 2022 (BGBl. I S. 1237) geändert worden ist (Stromnetzentgeltverordnung – StromNEV). 497 Verordnung über die Anreizregulierung der Energieversorgungsnetze vom 29. Oktober 2007 (BGBl. I S. 2529), die zuletzt durch Artikel 8 des Gesetzes vom 20. Juli 2022 (BGBl. I S. 1237) geändert worden ist (Anreizregulierungsverordnung – ARegV). 498 de Wyl/Thole/Bartsch, in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, § 17 Rn. 310. 499 Siehe hierzu auch von Bredow/Valentin/Herz, Rechtsgutachten „Kleiner Mieterstrom“ und gemeinschaftliche Energieversorgung, S. 18. 500 Peiffer, in: Assmann/Peiffer, BeckOK EnWG, § 3 Nr. 24a Rn. 3. 501 Fietze, ER 2020, 149, 149. 495 Antoni/Selinger, 496 Verordnung
D. Regulierungsbedarf im Bereich der Netznutzung287
und die Nachteile in Kauf zu nehmen502, um auf diese Weise die Netzkosten zu umgehen. Auch ergibt sich eine Besonderheit mit Blick auf die Doppelrolle der Prosumer: Für die Einspeisung als solche ist nach § 15 I 3 StromNEV kein Entgelt zu entrichten. Dies zeigt, dass die Einspeisung als solche gefördert und erleichtert werden soll und die Netzkosten durch die Bezieher und Verbraucher zu tragen sind. Dies ist für die Prosumer von besonderem Interesse, da somit ihre einspeisende Tätigkeit mit keiner weiteren Kostenbelastung einhergeht. Sofern Prosumer Energie beziehen, müssen sie – wie jeder andere Netznutzer auch – de lege lata die üblichen Netzkosten entrichten.
IV. Adäquanz der Regelungen Die Regelungen zum Netzzugang sind nicht anpassungsbedürftig. Die Kosten für die Netznutzung können de lege ferenda zu einem Instrument der Anreizsteuerung werden, wenn diese netzschonende und -entlastende SmartContract-basierte Prosumeraktivitäten privilegieren.503 So kann ihnen eine Steuerungsfunktion für den Energiewirtschaftsmarkt zukommen. 1. Kein Regulierungsbedarf hinsichtlich des Netzzugangs Der Netzzugang behindert die Prosumeraktivitäten nicht. Prosumer erhalten sowohl für die Entnahme als auch für die Einspeisung Zugang zum Netz. Sie können Energie über das bestehende Netz ein- und ausspeisen und ihre Aktivitäten vornehmen. Diese prosumerfreundliche Ausgestaltung des Netzzugangs zeigt mithin keinen Anpassungs- oder Änderungsbedarf. Die Prosumer erhalten hier sämtliche notwendigen Freiheiten. 2. Netzkosten als Steuerungs- und Anreizinstrument Die Netzkosten stellen einen wichtigen Gesamtkostenfaktor der Stromkosten dar. Durch ebendiese Kosten können die Prosumeraktivitäten beeinflusst werden. Netzkosten können so gezielt in den Dienst der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten gestellt werden. Die Kosten sind als Anreizinstru ment nicht mehr reines Mittel zur Finanzierung, sondern auch zur Verhaltenssteuerung. Es wird daher vorgeschlagen, die Prosumer im Rahmen der 502 Siehe
hierzu oben Kapitel 3, E.II. und Kapitel 3, E.III. Möglichkeit der Steuerung beispielsweise durch Steuern siehe ausführlich und eingehend Weber-Grellet, NJW 2001, 3657, 3658 ff. Zur Möglichkeit der Steuerung durch die EEG-Umlage siehe Ludwigs, NVwZ 2019, 909, 912 f. 503 Zur
288 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
Netzkosten zu entlasten, um so einen Anreiz zu setzen, sich in diesem Bereich zu engagieren.504 Dies würde einerseits den Ausbau der Erneuerbaren Energien weiter vorantreiben, da die Prosumeraktivitäten maßgeblich in diesem Bereich stattfinden. Andererseits würde dies aber auch den Wettbewerb im Energierecht ausbauen, indem die Akteurslandschaft weiter diversifiziert wird. Die Förderung und Incentivierung der Prosumeraktivitäten – insbesondere in ihrer besonders wirtschaftlichen da vollautomatisierten Form auf der Basis von Smart Contracts – ist im Rahmen der Energiewende wünschenswert. Durch ortsnahe Verbräuche auf unterster Netzebene können Prosumeraktivitäten den Netzausbaubedarf begrenzen. Gegenwärtig wird die Vernetzung und netzdienliche Einbindung dezentraler Systeme nicht hinreichend incentiviert, der Rechtsrahmen lässt keine adäquaten Spielräume und ist starr und restriktiv gefasst.505 Es stellt sich jedoch die Frage, ob eine Entlastung bei den Netzkosten ein geeigneter Weg zur Förderung der Prosumeraktivitäten ist und wie diese auszugestalten wäre. a) Rechtliche Grenzen der Netzkostenfestlegung und -bemessung Der rechtliche Rahmen lässt nur geringe Spielräume zu, sodass zunächst der Gesetzgeber gefragt ist, entsprechende Anpassungen vorzunehmen.506 Der gesetzliche Handlungsrahmen ist nicht hinreichend groß, dass Prosumer und Netzbetreiber selbst die Anpassungen unmittelbar vornehmen könnten. Gegenwärtig sind individuelle, bedarfsorientierte Privilegierungen nur unter engen Voraussetzungen und vor allem nur im Bereich des Verbrauchs möglich.507 Allerdings brachte die EnWG-Novelle 2021 abseits der Netzkosten Möglichkeiten, durch zusätzliche vertragliche Abreden Anreize zur Betätigung im Bereich der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten zu schaffen. Diese sind jedoch nicht derart weitreichend wie eine mögliche Entlastung direkt auf der Netzkostenebene.508 Grundlegender Maßstab für die Netzkostenbemessung ist § 21 II EnWG: Die Netzentgelte sollen auf den an Effizienz orientierten, vergleichbaren Betriebsführungskosten basieren und dabei Anreize für eine effiziente Betriebsführung setzen. Die konkreten Netzentgelte werden durch die Strom504 Vgl. zu diesem Gedanken für regionale Energiemärkte auch Fietze/Papke/ Wimmer/Antoni/Hilpert, Der Rechtsrahmen für regionale Peer to Peer‐Energieplattformen unter Einbindung von Blockchains, S. 34 f., 114. 505 Strohmayer/Reetz, Smarte Sektorenkopplung, Digitalisierung und Distributed Ledger Technologien, S. 4. 506 Antoni/Selinger, Bereitstellung von Flexibilität in der Niederspannung, S. 18. 507 Siehe unten sogleich. 508 Siehe unten Kapitel 4, D.IV.2.a).
D. Regulierungsbedarf im Bereich der Netznutzung289
NEV festgelegt. §§ 16, 17, 19 StromNEV geben den rechtlichen Gestaltungsrahmen vor. § 14a EnWG flankiert diese Regelungen,509 weitere maßgebliche Normen im Rahmen der Gestaltungsmöglichkeiten sind § 17 IX StromNEV sowie § 18 StromNEV. § 16 StromNEV ordnet an, dass die Kosten möglichst verursachungsgerecht auf die Netznutzer umzulegen sind. Als Grundregel ordnet § 17 I, II StromNEV dafür an, dass sich die Netzentgelte aus Grundpreisen je kW in stallierter Leistung und Arbeitspreisen je kWh entnommener Energie zusammensetzen. Die Entgelte werden damit unabhängig von der Art und Weise des Strombezugs oder der konkreten Ausgestaltung der angeschlossenen Netznutzer festgelegt. Es handelt sich um einen starren Mechanismus der Berechnung allein auf Basis der installierten Leistung und der entnommenen Energie, unabhängig davon, wann oder wie diese Energie entnommen oder ob gleichzeitig eingespeist wird. Lastverlagerndes Verhalten wird hierdurch nicht berücksichtigt.510 § 17 IX StromNEV begrenzt die Steuerungsmöglichkeiten zusätzlich.511 Die Norm ordnet an, dass andere Entgelte als jene, welche in der Verordnung genannt werden, nicht zulässig sind. Zusätzliche Entgelte können so nicht erhoben werden. § 19 StromNEV behindert zusammenfassend ebenso netzdienliches Verhalten.512 Die Norm schafft in Absatz 2 Möglichkeiten für individuelle Netzentgelte. Hier ist der Rahmen jedoch auf Abweichungen des individuellen Höchstlastbeitrags von der zeitgleichen Jahreshöchstlast aller Entnahmen des entsprechenden Netzbereichs beschränkt. § 19 II 1 StromNEV513 sieht angepasste und insofern dynamische Netzentgelte vor, beschränkt dies jedoch gleichzeitig auf diese Spezialfälle. Auch § 19 III und IV StromNEV erfassen lediglich Spezialkonstellationen besonderer Netznutzung. Diese Spezialfälle umfassen die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten nicht. § 19 Strom NEV ist wegen dieser starren, eng gefassten Ausnahmetatbestände als flexibilitätshemmend einzustufen.514
509 Siehe
zu § 14a EnWG eingehend Antoni, IR 2020, 2, 3 ff. Bereitstellung von Flexibilität in der Niederspannung, S. 18. 511 Fietze/Papke/Wimmer/Antoni/Hilpert, Der Rechtsrahmen für regionale Peer to Peer‐Energieplattformen unter Einbindung von Blockchains, S. 35. 512 Fietze/Papke/Wimmer/Antoni/Hilpert, Der Rechtsrahmen für regionale Peer to Peer‐Energieplattformen unter Einbindung von Blockchains, S. 36. Vgl. auch Fabritius, in: Elspas/Graßmann/Rasbach, EnWG, § 19 StromNEV Rn. 7. 513 Fietze/Papke/Wimmer/Antoni/Hilpert, Der Rechtsrahmen für regionale Peer to Peer‐Energieplattformen unter Einbindung von Blockchains, S. 44. 514 Antoni, IR 2020, 2, 5. 510 Antoni/Selinger,
290 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
§ 18 StromNEV begründet daneben ein besonderes „Vergütungssystem“, die so genannten vermiedenen Netzentgelte. Vermiedene Netzentgelte, welche an den Einspeisenden ausgezahlt werden, sind jene Zahlungen, welche vom Netzbetreiber, in dessen Netz eingespeist wird, normalerweise für den betreffenden Stromtransport an vorgelagerte Netzbetreiber hätten gezahlt werden müssen. Diese werden bei dezentraler Einspeisung eingespart und deshalb an den dezentral Einspeisenden weitergegeben. Dies verhindert, dass die Vorteile dezentraler Einspeisung beim Netzbetreiber verbleiben. Es handelt sich somit im Kern nicht um einen Mechanismus der Netzkostenbemessung, sondern vielmehr um eine besondere Form der Marktprämie respektive Einspeisevergütung515 im Bereich der Netznutzung.516 Auch diese Anordnung reagiert jedoch nicht auf die konkreten Modalitäten der Einspeisung und ihre Netzdienlichkeit, sondern vergütet pauschal jede Einspeisung in jeder Form zu jeder Zeit. § 14a II517 EnWG knüpft das reduzierte Netzentgelt an Vereinbarungen, dass eine netzdienliche Steuerung der angeschlossenen Letztverbraucher möglich ist. Solche Vereinbarungen sind vom Netzbetreiber zwingend anzubieten.518 Durch § 14a II EnWG wird jedoch ausschließlich die Steuerung der Verbrauchseinrichtungen geregelt.519 Es wird keine Option eingeräumt, dass auch bei der flexiblen und steuerbaren Einspeisung von Energie das Netzentgelt reduziert wird. Allerdings böte jedoch die Möglichkeit, auch Erzeuger steuern und gegebenenfalls abschalten zu können, ein gewichtiges Potenzial zur Netzentlastung und -schonung.520 Nicht erfasst werden hierdurch auch jene Konstellationen, in welchen der Netzbetreiber keine Zugriffsmöglichkeit auf konkrete Verbraucher erhält, jedoch gleichwohl die Netze durch ortsnahe oder Grid-interne Verbräuche entlastet werden oder beispielsweise nicht der Netzbetreiber steuernd einwirkt, sondern diese Steuerung von Erzeugung und Verbrauch unmittelbar durch die Prosumer vorgenommen wird. Es könnte sich in komplexeren Prosumer-Verbänden anbieten, 515 Ohms, Recht der Erneuerbaren Energien, Rn. 674; Portela/Staake, in: Maslaton, Windenergieanlagen, Rn. 435. 516 Zur sukzessiven Auflösung dieses privilegierenden Tatbestandes siehe unten Kapitel 4, D.IV.2.b). 517 Mangels Nutzung der Festlegungsmöglichkeiten nach § 14a I EnWG durch die BNetzA zum aktuellen Zeitpunkt bleiben die damit eröffneten Möglichkeiten in diesem Kontext außer Betracht. 518 Antoni, IR 2020, 2, 4; Tüngler, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 14a EnWG Rn. 8. 519 Dies gilt gleichermaßen auch für die perspektivisch zu erwartenden Festlegungen nach § 14a I EnWG. 520 Siehe hierzu etwa Taskforce Lastmanagement, Anregungen zur Ausgestaltung von § 14a EnWG, S. 8.
D. Regulierungsbedarf im Bereich der Netznutzung291
dass dort durch die Smart-Contract-basierte Steuerung Grid-intern zunächst der Verbrauch gedeckt wird und so das vorgelagerte Netz durch ortsnahe Verbräuche entlastet wird.521 § 14a EnWG erfasst diese Möglichkeiten nicht, obschon ihnen ein großes Potenzial hinsichtlich der Netzentlastung zukommt. Insgesamt ist damit die Möglichkeit, durch Netzkosten Anreize für netzschonende Aktivitäten der Prosumer zu schaffen, stark begrenzt. Der durch die EnWG-Novelle eingebrachte § 14c EnWG eröffnet nun die Möglichkeit, Verträge über Flexibilitätsdienstleistungen zu schließen. Es kann so zwischen dem Netzbetreiber und dem Prosumer ein separater Vertrag geschlossen werden, wonach unter bestimmten Voraussetzungen Vergütungen für Flexibilitätsdienstleitungen möglich sind. Die Parteien können so regeln, dass der Prosumer nur dann einspeist, wenn das Netz entsprechende Kapazitäten aufweist. Netzfreundliche Handlungsweisen könnten so vertraglich geregelt und vergütet werden. Zwar wird der Begriff der Flexibilität und damit auch der Flexibilitätsdienstleistung dahingehend weit verstanden, dass „Flexibilität […] die Veränderung von Einspeisung oder Entnahme in Reaktion auf ein externes Signal (Preissignal oder Aktivierung), mit dem Ziel eine Dienstleistung im Energiesystem zu erbringen [ist]“ und „die Parameter um Flexibilität zu charakterisieren beinhalten: die Höhe der Leistungsveränderung, die Dauer, die Veränderungsrate, die Reaktionszeit, [den] Ort etc.“522 Somit würden nach diesem Verständnis auch netzlastverlagernde Entnahmen, Einspeisungen und Koordinierungen des Verbrauchs auf lokaler Ebene erfasst. Diese Entlastung für die Prosumer wäre dann jedoch nicht auf der Ebene der Netzkosten, sondern auf der Ebene der vertraglichen Vereinbarung verortet. Auch würde es zu einem reinen Hin- und Herzahlen beziehungsweise gegebenenfalls einer Verrechnung führen, müsste der Prosumer zunächst in jeder Situation die vollen anfallenden Netzkosten zahlen und würde dann in der Folge über die zusätzliche Vereinbarung eine Rückerstattung als Gegenleistung für seine Flexibilitätsdienstleistung erhalten. Dieser Mechanismus wäre mithin mit einem deutlichen Mehraufwand durch die zusätzlichen Zahlungen, Abrechnungen und Verhandlungen verbunden. Er erfasst ferner nur einen Teilbereich der relevanten Aktivitäten, namentlich lediglich den Bereich der Flexibilitäten. Grid-interne Steuerungen und Koordinierungen, welche ebenso große netzentlastende Effekte haben können, werden nicht erfasst. Darüber hinaus räumt § 14c EnWG keinen Anspruch ein, sondern gibt den Verteilernetzbetreibern lediglich die Möglichkeit, solche Flexibilitätsdienstleistungen zu erwerben. § 14c EnWG ist nicht mit einer Regulierung direkt Microgrids – alte Sache neu aufgesetzt. Diskussionspapier Flexibilität im Stromversorgungssystem, S. 6. Eine konkrete gesetzliche Definition auf gesetzlicher Ebene existiert hingegen nicht. 521 Komornyik,
522 Bundesnetzagentur,
292 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
auf der Ebene der Netzkosten vergleichbar und ermöglicht daher keine vergleichbaren Effekte. Die Norm anerkennt somit die besondere Bedeutung der Flexibilität im dezentralisierten und digitalisierten Energiewirtschaftssystem auf gesetzlicher Ebene, transferiert diese jedoch nicht auf die Ebene der Netzkosten. Die EnWG-Novelle hat das Recht somit dem Grundsatz nach in eine passende Richtung entwickelt, dabei jedoch nicht alle Potenziale und Möglichkeiten auf der Netzkostenebene ausgeschöpft. Gegenwärtig können daher die Netzkosten keinen anreizorientierten Einsatz der Smart-Contractbasierten Prosumeraktivitäten ermöglichen. b) Sinnhaftigkeit einer Entlastung anhand der Netzkosten Eine Entlastung der Prosumer bei den Netzkosten wäre de lege ferenda in Konstellationen besonders netzdienlichen Verhaltens sinnvoll, um deren Potenziale vollends zu nutzen. Im Sinne von Erwägungsgrund 42 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie ist eine angemessene Verteilung der Kosten auf die Akteure zu suchen. Die Erneuerbare-Energien-Richtlinie fordert in Erwägungsgrund 68 eine angemessene Beteiligung an den Kosten für Produktion, Verteilung und Verbrauch. Dabei bleibt offen, was konkret unter der Angemessenheit der Beteiligung zu verstehen ist. Es ist nach einem interessengerechten Ausgleich zu suchen. Sicherzustellen ist, dass die Tätigkeit als Prosumer attraktiv bleibt,523 damit die Chancen dieser Akteure als Triebkräfte der Dekarbonisierung und Dezentralisierung im Rahmen der Energiewende genutzt werden. Eine entsprechende Anreizstruktur ist zu schaffen. Auch jetzt sind Netzkosten partiell anreiz- und nicht allein kostenorientiert ausgestaltet.524 Auf der Makroebene wird dies besonders durch die ARegV verdeutlicht.525 Dies zeigt, dass derartige Mechanismen dem Recht nicht fremd sind. Als Gründe für eine Privilegierung der Prosumer und damit auch der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten werden sowohl die Einsparung von Kosten bei rein lokalen Stromlieferungen als auch das Entfallen von Übertragungsnetzentgelten bei rein lokalen Verbräuchen ohne Nutzung des Übertragungsnetzes genannt.526 Dies gilt besonders für ortsnahe Verbräuche Ökologisches Wirtschaften 2016, Heft 2, S. 18, 19. hierzu Klees, Einführung in das Energiewirtschaftsrecht, Kapitel 2
523 Flaute/Großmann/Lutz, 524 Siehe
Rn. 180 ff. 525 Zur Anreizregulierungsverordnung siehe ausführlich Lismann, NVwZ 2014, 691, 691 ff.; Schütz/Schreiber, in: Holznagel/Schütz, Anreizregulierungsrecht, § 21a EnWG Rn. 77 ff.; Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, Einführung zum EnWG Abschnitt III. Rn. 16 ff. 526 Vgl. dena, Blockchain in der integrierten Energiewende, S. 145.
D. Regulierungsbedarf im Bereich der Netznutzung293
in Nachbarschaften. Daneben tritt die Netzentlastung, sofern die Prosumer besonders netzdienlich einspeisen und verbrauchen. Als Hintergrund ist dabei jedoch auch zu beachten, dass den Netzkosten ein Solidarprinzip zugrunde liegt.527 Es handelt sich um eine gemeinsam genutzte Infrastruktur, sodass jeder Nutzer einen – näher zu bestimmenden – Beitrag zu leisten hat. Systemdienstleistungen sind durch die Netzentgelte zu finanzieren.528 Auch Netzinstandhaltung, Netzausbau und Netzbetrieb müssen finanziert werden.529 Die Netze und damit auch der Netzausbau und dessen Finanzierung sind Rückgrat der Versorgungssicherheit und daher von zentraler Bedeutung.530 Auch gemäß Erwägungsgrund 42 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie sind die Netzkosten solidarisch zu tragen. Vor diesem Hintergrund ist eine gänzliche Freistellung der Prosumer von allen Netzkosten ausgeschlossen. Dies widerspräche dem Gedanken des Solidarprinzips. Sicherzustellen ist im Rahmen der Suche nach einem angemessenen Interessenausgleich, dass durch die etwaige Privilegierung von Prosumern nicht gleichermaßen die „klassischen“ Letztverbraucher über Gebühr belastet werden.531 Die Netzentgelte sollen neben der Finanzierung der Infrastruktur aber auch Anreize zur effizienten Netznutzung setzen.532 Art. 18 I UAbs. 2 Elektrizitätsbinnenmarktverordnung fordert, dass die Netzentgelte hier jedenfalls keine Negativanreize setzen dürfen. Die Prosumer könnten als moderne, dezentralisierte und digitalisierte Erzeuger und Verbraucher der lokalen Ebene durch Reduzierungen bei den Netzentgelten pauschal entlastet werden. So könnte die Netzkostenbeteiligung der Prosumer reduziert werden, um die weitere Verbreitung der Prosumeraktivitäten zu fördern.533 Damit würden die Netzkostenbeiträge weniger als Finanzierungselement für Netzausbau und Netzerhaltung fungieren. Dies würde einen besonderen Anreiz für die Prosumeraktivitäten setzen und die Kosten für Energielieferungen durch diese senken.534 Ihnen käme damit ein Wettbewerbsvorteil zu.
RdE 2019, 56, 61; Fietze, ER 2020, 149, 150. ZNER 2013, 101, 103. 529 Vgl. zur Problematik Ringel, Die wirtschaftliche Zumutbarkeit im Energierecht, S. 31 ff. 530 Vgl. Tschida, Die Systemverantwortung der Netzbetreiber, S. 140. 531 Held/Mannsdörfer, REE 2018, 129, 131. 532 BDEW, Positionspapier zur Ausgestaltung des § 14a EnWG, S. 4; BMWi, Gutachten Digitalisierung der Energiewende, Topthema 2, S. 51. 533 Vgl. hierzu Scholtka/Kneuper, IR 2019, 17, 20. 534 Zur Bedeutung der Netzkosten siehe oben Kapitel 4, D.III.2. 527 Burbach, 528 Leprich,
294 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
Die Netzkosten könnten so zu einem verhaltensabhängigen Preiselement535 bei der Zusammensetzung des Strompreises werden. So könnte beim Eigenverbrauch das Netzentgelt nur auf der Basis des aus dem Netz bezogenen Stroms bemessen werden, um einen Anreiz zur Maximierung des Eigenverbrauchs zu schaffen und so das Netz insbesondere auf lokaler Ebene zu entlasten.536 Auch ist zu beachten, dass – insbesondere bei Microgrid-Lösungen – durch einen vorrangigen Verbrauch innerhalb der Nachbarschaft zwar das Verteilernetz genutzt und damit (bidirektional) beansprucht wird, gleichzeitig jedoch auch das Übertragungsnetz entlastet werden kann: Es müssen weniger Kapazitäten extern beschafft werden, um den örtlichen Bedarf zu decken. So wird das Netz optimal genutzt.537 Dies kann den Ausbaubedarf eingrenzen und die Kosten im Rahmen des Netzausbaus senken. Hier liegt eine wichtige Chance der Prosumeraktivitäten. Die Prosumer können damit auch das Netz entlasten.538 Allerdings nutzen sie im öffentlichen Netz das Verteilernetz weiterhin intensiv, um die (lokalen) Austauschgeschäfte abzuwickeln. Eine Netzentlastung findet hier auf dieser Ebene nicht statt. Bei der rein virtuellen Zusammenschaltung von Prosumern über größere Distanzen539 entfällt dieser Effekt sogar nahezu gänzlich; in diesen Fällen muss sogar der Strom über größere Distanzen übertragen werden. Die Netznutzung bleibt nicht auf das lokale Verteilernetz beschränkt. Auch können unkoordinierte und ungesteuerte Prosumeraktivitäten unter Umständen Netzengpässe oder ähnliche Probleme noch verstärken: Besteht im Netzbereich des Prosumers aktuell eine – durch die Volatilität bedingte – Hochphase der Energieproduktion gekoppelt mit einer umfangreichen Einspeisung durch die dort befindlichen Erzeugungsanlagen und speist der einzelne Prosumer – welcher zu dieser Zeit dann auch im erheblichen Umfang produziert – seine überschüssig produzierte Energie ein, so belastet er dadurch das Netz noch weiter. Eine pauschal netzentlastende Funktion gibt es durch die Prosumeraktivitäten mithin nicht. Diese tritt lediglich dann ein, wenn der Prosumer auf den 535 BMWi, Gutachten Digitalisierung der Energiewende, Topthema 2, S. 35. Siehe hierzu auch ausführlich Bundesverband Neue Energiewirtschaft, Positionspapier Flexibilitätsverordnung, S. 12 ff. 536 Vgl. zu dieser Idee BMWi, Gutachten Digitalisierung der Energiewende, Topthema 2, S. 47. Zur lokalen Ebene siehe insbesondere Taskforce Lastmanagement, Anregungen zur Ausgestaltung von § 14a EnWG, S. 28. 537 Strohmayer/Reetz, Smarte Sektorenkopplung, Digitalisierung und Distributed Ledger Technologien, S. 7. 538 VDE, Dezentrale Energieversorgung 2020, S. 55. 539 Siehe hierzu oben Kapitel 3, F.IV.
D. Regulierungsbedarf im Bereich der Netznutzung295
aktuellen Netzzustand Rücksicht nehmen muss, sei es durch sein eigenes Verhalten oder eine externe Steuerung. Dementsprechend wurde auch das Konzept des § 18 StromNEV gänzlich neu bewertet: So wird dort keine Flexibilität bei der Einspeisung „belohnt“, sondern jegliche Form von Einspeisung pauschal vergütet. Auch die „netzschädlichen“ Einspeisungen zu Erzeugungshochzeiten, welche die Netzüberlastung sogar noch forcieren, werden so privilegiert. Um dies zu vermeiden hat der Gesetzgeber in § 120 EnWG angeordnet, dass die vermiedenen Netzentgelte sukzessive auslaufen, da dezentrale Einspeisung nicht pauschal netzentlastend wirkt, sondern das Netz genauso oder gegebenenfalls sogar noch stärker belasten kann.540 Besonders die Vergütung bei volatiler Erzeugung wird nach § 120 I Nr. 2, III EnWG sogar noch deutlicher reduziert, da dort die Belastung des Netzes besonders stark ausfallen kann.541 Netzdienliches Verhalten könnte durch die Netzkosten jedoch grundsätzlich belohnt werden, so zum Beispiel, wenn Strom in wenig frequentierten Bereichen des Netzes oder zu entsprechenden Zeiten zur Verfügung gestellt wird und so zur Netzentlastung beiträgt.542 Angebotsorientierte Erzeugung bietet ein großes Potenzial.543 Dies könnte ein Anreizsystem zum flexiblen Nutzen des Netzes nicht nur auf der Verbrauchs-, sondern auch auf der Einspeiseseite schaffen. Die Doppelrolle des Prosumers544 tritt hier deutlich in Erscheinung. Ähnliche Wirkungen hat eine Netzentgeltfestsetzung für bedingte Leistungen: Hier wird dem Verbraucher nicht zugesichert, dass eine bestimmte hohe Leistung sicher und unbedingt zur Verfügung gestellt wird. Vielmehr erhält der Verbraucher diese nur, sofern das Netz dies aktuell zulässt. Im Gegenzug wird der Verbraucher mit einem niedrigeren Netzentgelt „belohnt“.545 Dieser Ansatz kann auch mit einem Grundstock an garantierter, unbedingter Leistung kombiniert werden.546 Dies gibt Anreize, zur effektiven Netznutzung beizutragen, indem man auf die „reservierte“ Leistung verzichtet und so das Netz in Spitzenzeiten entlastet.547 Der Netzbetreiber kann so flexibler agiein: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 120 EnWG Rn. 2. Winkler, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 120 EnWG Rn. 10. 542 Zu diesem Gedanken siehe auch Reetz, Welche Chancen ein digitales EnergieMarktdesign bietet, S. 8, 18 f. 543 Steinbach/Weise, in: Steinbach/Weise, Messstellenbetriebsgesetz, Einleitung Rn. 7. Siehe auch Erwägungsgrund 10 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie. 544 Siehe hierzu oben Kapitel 2, A.I. 545 Siehe BMWi, Gutachten Digitalisierung der Energiewende, Topthema 2, S. 5 sowie die Beispielrechnungen ebendort auf S. 95 ff. 546 BMWi, Gutachten Digitalisierung der Energiewende, Topthema 2, S. 77. 547 Siehe hierzu BMWi, Gutachten Digitalisierung der Energiewende, Topthema 2, S. 5. 540 Winkler, 541 Vgl.
296 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
ren, da er nicht zwingend verpflichtet ist, auch hohe Individualnachfragen stets zu bedienen. Insbesondere im Bereich verschiebbarer Lasten ist dies ohne Komfortbeeinträchtigung beim Letztverbraucher möglich. Darauf aufbauend könnte der Prosumer ebenso nur einspeisen, sofern dies für das Netz vertretbar und angemessen ist. Eine Entlastung bei den Netzkosten reduziert schließlich auch den Anreiz, parallele Netzstrukturen – durch zusätzliche eigene Netze oder Direktleitungen – zu schaffen. Dies stärkt die Verbundnetzstrukturen, was gesamtwirtschaftlich wünschenswert ist. c) Orientierung an tatsächlicher Netzdienlichkeit als Lösungsvorschlag Die Netzentgelte und Netzkosten können somit Anreize für Prosumeraktivitäten setzen. Ihre Finanzierungsfunktion kann dabei gewahrt werden, sodass ein Zusammenspiel von Finanzierung und Verhaltenssteuerung entsteht. Mangels pauschal netzentlastender oder netznützlicher Funktion der Prosumeraktivitäten sollte kein genereller, unspezifizierter Anreiz auf der Ebene der Netzkosten gesetzt werden. Es sollte vielmehr nur Aktivitäten, welche netzentlastende Wirkung aufweisen, eine Privilegierung zukommen. Gefördert werden können so beispielsweise die netzdienliche und netzfreundliche Einspeisung, aber auch der netzschonende ortsnahe, beispielsweise Grid-interne Verbrauch. Smart Contracts können dies unterstützen. Die gegenwärtigen Regelungen zu den Netzentgelten sind jedoch sehr restriktiv und wenig flexibel. Sie privilegieren darüber hinaus nicht ausschließlich netzentlastende Aktivitäten. Künftig sollten daher besonders netzdienliche und damit förderungswürdige Smart-Contract-basierte Prosumeraktivitäten bei den Netzkosten privilegiert werden. Hier könnten insbesondere solche Mechanismen genutzt werden, welche – in Anlehnung an die Idee der Microgrids und der lokalen Versorgung – auf der lokalen Micro-Ebene für einen möglichst umfangreichen Ausgleich sorgen. Schon im Verbund der Prosumer könnte beispielsweise für einen ortsnahen Ausgleich von Ein- und Ausspeisung gesorgt werden.548 Der Prosumer-Verbund samt seiner Abwicklungsprogramme könnte vorrangig intern zwischen den Beteiligten Erzeugung und Verbrauch koordinieren und nur bei einer Unter- oder Überdeckung einen Austausch mit „außenstehenden“ Akteuren durchführen.549 Dieser ortsnahe, selbst voll548 Siehe zu diesem Gedanken auch Winkler, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, § 120 EnWG Rn. 2. 549 Siehe hierzu in besonderem Verhältnis zu den Microgrids oben Kapitel 3, F.IV.
D. Regulierungsbedarf im Bereich der Netznutzung297
zogene Ausgleich könnte mithin die Netzbetreiber, die „übergeordneten“ Netzebenen und damit auch die Bilanzkreisverantwortlichen entlasten und so mittelbar einen Beitrag zur Netzstabilität leisten. Dieser Beitrag könnte dann entsprechend monetär entlohnt werden. Autonome Verteilernetze könnten ein Ziel dieser Entwicklung sein.550 Eine Entlastung derartiger Aktivitäten im Rahmen der Netzkosten würde auch dem Grundsatz der Verursachungs gerechtigkeit als Grundsatz des § 16 StromNEV sowie dem Solidarprinzip entsprechen: Die netzfreundlich handelnden Prosumer beanspruchen das Netz in geringerem Umfang und begrenzen den Netzausbaubedarf. Daher sollten sie bei der Kostenverteilung privilegiert werden. Eine weitere Möglichkeit netzdienlichen Verhaltens der Prosumer besteht darin, dass die Prosumer ihre Erzeugung und ihren Verbrauch auf die Besonderheiten der Volatilität abstimmen und ihr Einspeise- und Entnahmeverhalten hieran anpassen.551 So könnte die Einspeisung beispielsweise zu Erzeugungshochzeiten unterlassen und die produzierte Energie dann einem Speicher oder einer Power-to-X-Einheit zugeführt werden, um so das Netz zu entlasten und nicht durch weitere Einspeisungen noch stärker zu belasten. Solche Fälle der Flexibilität erfassen § 19 II StromNEV sowie § 14a EnWG nach aktueller Ausgestaltung nicht.552 Ein solches Verhalten könnte den Ausbaubedarf553 deutlich begrenzen, indem das Netz in Zeiten volatiler Höchsterzeugung entlastet wird. Zur Umsetzung der oben entwickelten Ideen sollte § 14a EnWG derart gefasst werden, dass auch Erzeugungsanlagen erfasst und somit in die schon bestehenden Flexibilitätsmechanismen orientiert an der Netzdienlichkeit einbezogen werden.554 Dies könnte einerseits in § 14a II EnWG durch explizite Aufnahme auch von Erzeugungsleistungen geschehen, andererseits wäre es möglich, den Katalog des § 14a EnWG auch um Erzeugungsanlagen zu erweitern. Dies würde der Bundesnetzagentur dann die Möglichkeit einräumen, entsprechende Festlegungen im Bereich der Erzeugungssteuerung zu treffen. Gleichzeitig wären diese Akteure dann nach § 29 I Nr. 1 MsbG mit Smart Metern auszustatten. So wäre dann auch die digitale, gesicherte Anbindung EnWZ 2018, 199, 202. hierzu aus technischer Sicht Strohmayer/Reetz, Smarte Sektorenkopplung, Digitalisierung und Distributed Ledger Technologien, S. 7. 552 Vgl. Brahms, in: Maslaton, Windenergieanlagen, Rn. 550; Hack, EnergieContracting, Teil C Rn. 456. 553 Zu den konkreten Fakten und Bedarfen im Bereich des Netzausbaus siehe Bundesnetzagentur, Bericht zum Zustand und Ausbau der Verteilnetze 2020, S. 7 ff. 554 So auch BDEW, Positionspapier zur Ausgestaltung des § 14a EnWG, S. 3; mit diesem Gedanken ohne konkreten Bezug zu Prosumern auch Taskforce Lastmanagement, Anregungen zur Ausgestaltung von § 14a EnWG, S. 8. Siehe zu diesem Vorschlag ausführlich im Folgenden. 550 Schäfer-Stradowsky/Timmermann, 551 Siehe
298 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
sichergestellt. Gleichzeitig würde so nicht jegliche Einspeisung privilegiert, sondern die Netzdienlichkeit stünde im Fokus. Diese Entlastung respektive Entlohnung kann nicht durch eine reine Reduzierung der Entgelte bei der Einspeisung erreicht werden. § 15 I 3 StromNEV ordnet an, dass für die Einspeisung bereits keine Netzentgelte anfallen. Hier können die Prosumer mithin nicht durch eine Reduzierung der Netzentgelte bei der Einspeisung entlastet werden, da hierfür bereits gar keine Entgelte anfallen. Dies stellt bereits einen monetären Anreiz zur Einspeisung dar, welcher jedoch erneut undifferenziert und pauschal ist und nicht die konkreten Potenziale der Prosumeraktivitäten für die Netzentlastung ausnutzt.
V. Möglichkeit der Privilegierung netzdienlichen Prosumerverhaltens de lege ferenda „Netzschonende“ Prosumeraktivitäten könnten somit insbesondere über eine Vergütung555 oder durch eine Reduzierung der Netzentgelte bei der Entnahme von Energie durch einen ebenso einspeisenden Akteur gefördert werden, sofern der Prosumer die Energie innerhalb einer netzschonenden Aktivität bezieht. Prosumer zeichnen sich durch diese Doppelrolle aus: Sie entnehmen Energie aus dem Netz und speisen parallel in dieses ein. Eine solche Privilegierung könnte vorsehen, dass diese besteht, wenn auf der Basis der Netzzustands-, Einspeisungs- und Ausspeisungsdaten eine besonders netzschonende und damit förderungswürdige Verhaltensweise der Prosumer im oben genannten Sinne gegeben ist. Die Digitalisierung und Automatisierung vor allem mittels der Smart Contracts ermöglicht dabei die nötige Datenerfassung und -auswertung, sodass die Berechnung und Feststellung einer Netzdienlichkeit anhand ex ante definierter und vereinbarter Kriterien möglich ist. Eine Nähe zu den vermiedenen Netzentgelten nach § 18 StromNEV ist hier erkennbar, jedoch nicht länger pauschal für jede eingespeiste Menge Energie, sondern nur für jene Handlungen, welche besonders netzdienlich sind. Dies führt zum gewünschten steuernden Effekt.556 Ein solcher Mechanismus insbesondere mit Bezug zur flexiblen, netzdienlichen Einspeisung könnte in § 14a EnWG aufgenommen werden. Schon jetzt sieht § 14a II EnWG in seiner geltenden Fassung eine Flexibilität der555 So wohl BDEW, Positionspapier zur Ausgestaltung des § 14a EnWG, S. 4. Ohne Festlegung, wie die Incentivierung mit Blick auf die fehlenden Netzentgelte bei der Einspeisung stattfinden soll Antoni/Selinger, Bereitstellung von Flexibilität in der Niederspannung, S. 21. 556 Zur Anerkennung der Bedeutung des datengestützten Netzbetriebs und den damit einhergehenden Vorteilen beim Netzbetrieb siehe auch die Wertung des § 1 MsbG.
E. Schlussfolgerungen des Kapitels299
gestalt vor, dass die konkrete Höhe der Entlastung in das Verhandlungs ermessen der beteiligten Akteure gestellt wird.557 Durch eine Ausweitung auch auf die Einspeiseebene könnte individuell auf die Netzdienlichkeit im Einzelfall eingegangen werden. Die aktuelle Ausgestaltung von § 14a EnWG, welche nur die Verbrauchs-, nicht aber die Einspeiseebene erfasst, ermöglicht dies nicht. Dies hat sich auch durch Einführung der Festlegungsmöglichkeiten nach § 14a I EnWG nicht geändert, da auch für die Festlegungen allein die Verbrauchseinrichtung maßgeblicher Anknüpfungspunkt ist. Eine solche Entlastung würde auch nicht mit dem in § 120 EnWG niedergelegten Ziel, die vermiedenen Netzentgelte sukzessive abzuschaffen, kollidieren. Es handelt sich bei § 14a EnWG nicht um eine Erstattung eingesparter Netzentgelte im Sinne des § 120 I EnWG, sondern um einen anreizorientierten Mechanismus zur effektiven Netznutzung. Dieser wird nicht abstrakt von der tatsächlichen Netzdienlichkeit anhand fiktiver Netzkosten berechnet. Netzkosten können somit Anreize zur Steuerung der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten setzen. Es wird hierdurch nicht bloß einer Finanzierungsfunktion nachgegangen, sondern auch verhaltenssteuernde Potenziale sind gegeben. Diese Möglichkeiten werden durch den geltenden Rechtsrahmen noch nicht ausgeschöpft, wenngleich auch de lege lata bereits Optionen bestehen, über zusätzliche Verträge, mithin über Umwege, Flexibilität und netzdienliches Verhalten zu incentivieren, vgl. § 14c EnWG. Der zu § 14a EnWG geführten Diskussion, dass dort auch die Erzeugungsebene aufgenommen werden soll, ist beizupflichten und es ist ein Mechanismus vorzusehen, welcher netzdienliches Verhalten auch auf der Einspeiseseite durch Rücksichtnahme auf Netzzustände und durch ortsnahe, netzschonende Verbräuche in besonderem Maße fördert. Auch hier entwickelt die EnWG-Novelle insbesondere durch Einführung des § 14c EnWG das Recht in eine zutreffende Richtung, schöpft dabei jedoch die Potenziale nicht vollends aus. Die übrigen Regelungen zu Netzzugang und Netznutzung sind im Hinblick auf die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten nicht anpassungsbedürftig.
E. Schlussfolgerungen des Kapitels Bei den Prosumeraktivitäten bestehen gewichtige Unterschiede zwischen den verschiedenen Rechtsbereichen. Insbesondere das Haftungsrecht unterscheidet sich deutlich von den Bereichen des Regulierungsrechts mit Blick auf die Interessenlagen. Die Gleichordnung im überwiegend parteidisponi 557 Siehe hierzu Bourwieg, in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, § 14a EnWG Rn. 38. Vgl. auch Missling, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 14a EnWG Rn. 12.
300 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
blen Haftungsrecht steht in Kontrast zur hoheitlichen Festlegung zwingender Regelungen im Regulierungsrecht. Auch sind die einzelnen Tatbestände deutlich unterschiedlich flexibel in Bezug auf die Änderungen durch die Dezentralisierung sowie die Automatisierungszugänglichkeit. Dies wirkt sich massiv auf den Anpassungsbedarf der jeweiligen Normen aus. Darüber hinaus sind für die Umsetzung von möglichen Änderungen verschiedene Akteure der Energiewirtschaft gefragt, welche auf die geänderten Anforderungen auf verschiedenen Wegen reagieren können.
I. Vergleich der Interessenlagen 1. Divergierende Regelungsinteressen und Bezugspunkte des Haftungs- und Regulierungsrechts Die Bereiche der Gleichordnung, vor allem die zivilrechtlich ausgestaltete vertragliche Haftung, sind sehr flexibel und können an die individuellen Bedürfnisse und Vorstellungen angepasst werden. Die Privatautonomie gibt Gestaltungsfreiheit. Das Haftungsrecht ist gekennzeichnet durch eine Vielzahl dispositiver Normen; zwingendes Recht bildet die Ausnahme. Diese Flexibilität erleichtert es, die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten adäquat in das bestehende System zu integrieren. Insbesondere das Haftungsrecht ist aufgrund der Flexibilität der Anknüpfungskriterien innovationsoffen; auch neuartige Konzepte lassen sich in die bestehenden Normgefüge einordnen. Dies ist jedoch nicht ausschließlich im Rahmen des Haftungsrechts der Fall. Das energierechtliche Regulierungsrecht hingegen zeichnet sich durch üblicherweise unabdingbare Normen aus. Es handelt sich dabei häufig um zwingende Regelungen im Interesse der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, insbesondere im Interesse der Versorgungssicherheit und des Verbraucherschutzes. Wegen der Bindung an Gemeinwohlbelange haben die Parteien wesentlich geringeren Einfluss auf die Regelungen. Das privatrechtliche Vertrags- und Haftungsrecht sucht die Interessen aufeinandertreffender Personen in Ausgleich zu bringen.558 Die Rechtsbeziehungen zwischen Privatrechtssubjekten werden so geordnet. Hier wird jedoch auf der Mikroebene geordnet, es wird keine übergreifende Ordnung zwischen allen Akteuren geschaffen. Das Regulierungsrecht, das Gemeinwohlbelange verfolgt, knüpft infolge dieser Interessenlage vorwiegend an formale Kriterien und Definitionen an. Besonders deutlich wird dies durch die Begriffsdefinitionen in § 3 EnWG: 558 Köhler,
BGB AT, § 2 Rn. 2; Stadler, BGB AT, § 1 Rn. 2.
E. Schlussfolgerungen des Kapitels301
Hier knüpfen sich an die formal definierten Rollen ganze Pflichtenbündel, ohne dass im jeweiligen Einzelfall die Situation individuell für jede einzelne Pflicht konkret bewertet wird. Sobald die Kriterien erfüllt sind, gilt in der Rechtsfolge eine ganze Reihe konkreter Pflichten, so beispielsweise infolge der Charakterisierung als Energieversorgungsunternehmen. Im Haftungsrecht hingegen wird vielmehr bei jedem einzelnen Tatbestandsmerkmal und jeder einzelnen Pflicht eine individuelle Bewertung der konkreten Rolle im Einzelfall vorgenommen. Es wird nicht an eine einzige Definition einer generellen Eigenschaft wie beispielsweise des Energieversorgungsunternehmens eine ganze Reihe von Pflichten geknüpft. Das Haftungsrecht begründet so beispielsweise Ansprüche des Einzelnen im Einzelfall bei schadensträchtigen und damit risikobehafteten Verhaltensweisen oder begründet die Verantwortlichkeit für Zustände. Haftungssubjekt ist dabei derjenige, der sich im konkreten Fall entweder aktiv für die Übernahme entscheidet oder aber die angeknüpfte, haftungsrelevante Handlung und Verhaltensweise vornimmt. Die generelle Rollendefinition unabhängig von der individuellen Tätigkeit im Einzelfall ist dabei nicht entscheidend. Dies korreliert mit den beiden zentralen Funktionen des Haftungsrechts, welche darin bestehen, einerseits Schädigungen und Einbußen auszugleichen, hierbei aber auch einen individuellen Anreiz zur Prävention von Schädigungen im Einzelfall zu setzen.559 2. Unterschiedlicher Grad an Flexibilität Ein weiterer gewichtiger Unterschied zwischen den einzelnen Rechtsbereichen ist die Flexibilität und Gestaltungsoffenheit. Das Haftungsrecht lässt umfangreiche Modifikationen im Rahmen der Parteiautonomie zu. Das Regulierungsrecht hingegen knüpft an starre, formale Kriterien an und ist daher weniger flexibel. Dies verhindert es aktuell insbesondere, vom Gesetz nicht explizit vorgesehene Anreizsysteme zu schaffen.560 Daneben wird aber auch das Eingehen auf neu- und andersartige Konzepte wie die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten erschwert. Anpassungen müssen von gesetzlicher Seite angeordnet werden und können nicht im Rahmen der Parteiautonomie umgesetzt werden. Allerdings können die Parteien auch in diesem Bereich Einfluss auf die anwendbaren Rechtsregeln nehmen: Durch die Wahl aus verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten kann beeinflusst werden, welche Rechtssätze Anwendung finden. Durch die Ausgestaltung des Netzbetriebs kann so beispielsweise auf der 559 Siehe zu diesen Funktionen des Haftungsrechts ausführlich Schlösser, Grüne Gentechnik, Koexistenz und Haftung, S. 81 ff. Siehe ebenso Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 33 ff. 560 Siehe hierzu insbesondere die Problematiken betreffend die Netznutzung und damit einhergehende Netzkostenbemessung oben unter Kapitel 4, D.IV.2.
302 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
Netzkostenebene beeinflusst werden, ob Netzkosten zu entrichten sind, indem sich für die Ausgestaltung als Kundenanlage entschieden wird.561 Dadurch, dass Intermediäre auf der Vertrags- und Abwicklungsebene eingesetzt werden, kann beeinflusst werden, wie und durch wen die Informationspflichten und Leistungsfähigkeitskriterien des EnWG zu erfüllen sind.562 Freilich geht diese Wahl auch mit unterschiedlichen tatsächlichen Anforderungen einher. Es handelt sich nicht um eine direkte Wahl der anwendbaren rechtlichen Regelungen im Sinne einer Rechtswahl, sondern um eine Beeinflussung des Rechtsrahmens durch eine bestimmte tatsächliche Gestaltung. Die Einflussnahmemöglichkeiten sind somit weniger flexibel. Auf neue, bisher unbekannte Konstellationen und Systeme wie die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten kann dadurch weniger schnell reagiert werden. Diese Unterschiede spiegeln sich auch in der Adäquanz der Rechtsregeln auch für die neuartigen Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten wider: Das Haftungsrecht weiß auf diese interessengerecht zu reagieren.563 Der Anpassungsbedarf fällt damit geringer aus. Hingegen lassen sich diese neuartigen Konstrukte im Rahmen des Regulierungsrechts, welches an formalen Kriterien orientiert ist, teilweise weniger leicht einordnen; die Tatbestände sind oftmals auf andere Systeme insbesondere zentralisierterer Art ausgerichtet. Daher orientieren sich viele regulierungsrechtliche Normen an langfristigen, zeitorientierten Energielieferungsverträgen im Sinne einer Vollversorgung durch einen Großakteur. Diese unterscheiden sich deutlich von den kurzdauernden, mengenorientierten Energielieferungsverträgen auf der Basis von Smart Contracts. Diese neuartigen Strukturen lassen sich partiell nur schwer mit einzelnen, an anderen Typiken ausgerichteten Normen in Einklang bringen. Es besteht ein größerer Anpassungsbedarf. 3. Unterschiedlicher Grad an Automatisierungszugänglichkeit Die regulierungsrechtlichen Pflichten können unterschiedlich stark automatisiert und damit in digitalisierter Form erfüllt werden. Maßgeblich ist einerseits, ob nur Informationen weitergegeben werden oder auch materielle Kriterien gegeben sein müssen, um die zugrundeliegende Pflicht zu erfüllen. Derartige materielle Kriterien müssen dann zunächst in der realen Welt geschaffen werden, bevor die korrespondierende Pflicht erfüllt werden kann. Ein Beispiel hierfür sind die Leistungsfähigkeitsanforderungen in § 5
561 Siehe 562 Siehe
zu dieser Ausgestaltung oben Kapitel 3, G.II. hierzu beispielsweise im Rahmen des § 5 EnWG oben Kapitel 4, B.
II.1.c). 563 Siehe oben Kapitel 4, A.III.1.c).
E. Schlussfolgerungen des Kapitels303
EnWG.564 Dort sind nicht bloß Informationen an die Bundesnetzagentur mitzuteilen, sondern den Anordnungen wohnt auch ein materielles Kriterium inne, welches zu erfüllen ist, um entsprechende Nachweise erbringen zu können. Die damit einhergehenden Anforderungen stellen die zentrale Anforderung dar, nicht das schlichte Übermitteln von Daten und Informationen. Dies erfordert bestimmte Vorkehrungen und Strukturen rein tatsächlicher Art. Diese materiellen Anforderungen begründen den maßgeblichen Aufwand für die Prosumer. Diese müssen im Zentrum der Anpassung stehen.565 Daneben ist von entscheidender Bedeutung, ob sich Informationspflichten auf Daten beziehen, welche vom Smart Contract automatisiert erfasst und weitergegeben werden können. Ist dies der Fall, ist die Automatisierungszugänglichkeit gegeben. Auch Formanforderungen beeinflussen die Automatisierungszugänglichkeit: Insbesondere die Informationspflichten verlangen regelmäßig lediglich die Textform566 oder sind formfrei. Eine vollends automatische Übermittlung ist so möglich. Auch können die maßgeblichen Daten mittels der digitalisierten Systeme überwiegend vollautomatisch erfasst werden. Daneben sind die mitzuteilenden Daten zu großen Teilen standardisiert. Der individuelle Aufwand für den Prosumer ist somit begrenzt.567 Nur vereinzelt werden hier hemmende Anforderungen gestellt, in diesen Bereichen sind abweichende Regelungen zu finden. Andere Pflichten wie die Bilanzkreisverantwortlichkeit oder die Anforderungen der technischen Sicherheit sind hingegen gänzlich unabhängig von der Automatisierungszugänglichkeit und begründen vielmehr materielle Anforderungen an die Konzepte und Betätigungen der Prosumer.
II. Einbindung verschiedener Akteure zur Umsetzung Verschiedene Akteure sind gefragt, um die notwendigen Anpassungen vorzunehmen. Manche Aspekte werden bereits vom geltenden Recht zugelassen und sind daher schon de lege lata Handlungsoptionen für die Prosumer. Hier können die Prosumer unmittelbar aktiv werden und die Gestaltungsräume nutzen. Auch kann der Gesetzgeber durch entsprechende Anpassungen des
564 Siehe
hierzu oben Kapitel 4, B.II.1.b). oben exemplarisch Kapitel 4, B.II.1.e). 566 So beispielsweise §§ 20a, 41b, 41e EnWG. 567 Dieses Ergebnis ist unabhängig von der Frage, ob die Anordnung dieser Pflichten auch für die Prosumer als charakteristischerweise kleine, dezentrale Akteure sinnvoll ist. 565 Siehe
304 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
geltenden Rechts gewisse Entwicklungen steuern und den Handlungsrahmen vorgeben.568 Dem stehen Bereiche diametral gegenüber, in welchen das Gesetz besonders eng und strikt formuliert ist und keine oder nur sehr geringe Spielräume vorsieht.569 Hier muss der Gesetzgeber das Recht unmittelbar anpassen. Daneben existiert ein dritter, zwischen diesen Bereichen angesiedelter Bereich: Dies ist jener Bereich, in welchem vom Gesetz lediglich unbestimmte Rechtsbegriffe vorgesehen werden, somit hier ex lege ein gewisser Rahmen gegeben ist, die Exekutive im Rahmen der Normanwendung jedoch bestimmte Begrenzungen vornimmt.570 In diesen Fällen ist eine Anpassung einerseits durch eine schlichte Änderung der Verwaltungspraxis ohne Verän derung des zugrundeliegenden Gesetzestextes möglich. Andererseits kann jedoch auch explizit der Gesetzestext angepasst werden, um so einen klaren und verlässlichen Rahmen zu setzen und Spielräume der Exekutive zu begrenzen. Hier sind die Handlungsoptionen umfassender. Aus Gründen der Rechtssicherheit bietet sich dieser Weg einer Anpassung des Gesetzestextes an.
III. Möglichkeit der Ebenenverschiebung: Übernahme der Pflichterfüllung als Dienstleistung Schließlich stellt sich die Frage, wer rein faktisch die Pflicht erfüllt. Dies ist davon zu unterscheiden, wer der Pflichtige ist. Pflichtiger und der konkret die Pflicht Erfüllende können auseinanderfallen.571 Im Bereich des Regulierungsrechts knüpft die Verantwortlichkeit vorwiegend an formale Kriterien an. Dies schließt jedoch nicht aus, dass ein Dritter eingesetzt wird, um die Pflichten für den Pflichtigen zu erfüllen. Er wird zur Vornahme der notwendigen Berichte, Anmeldungen etc. ermächtigt.572 Die Verpflichteten werden hierdurch nicht aus ihrer Pflicht entlassen. Sollte der Dritte die versprochene Handlung nicht vornehmen, begründet dies einen Pflichtverstoß seinerseits. 568 Zentrales Beispiel für diesen Fall ist das zivilrechtliche Haftungsrecht, welches durch einen großen Anteil dispositiver Normen, aber auch legislative Modifikationen wie § 18 NAV geprägt ist, siehe oben Kapitel 4, A. 569 Als besonders prominentes Beispiel sei hier der gesamte Bereich der Netzkosten genannt, siehe oben Kapitel 4, D.III.2. und Kapitel 4, D.IV.2. 570 Als Beispiel sei hier § 5 EnWG genannt, siehe oben Kapitel 4, B.II.1. 571 Chatzinerantzis/Bertram, EnWZ 2021, 65, 69. Siehe zu den Folgen auch OLG Celle NVwZ-RR 1998, 481, 481. 572 Vgl. zu diesem Gedanken auch Chatzinerantzis/Bertram, EnWZ 2021, 65; Fietze/Papke/Wimmer/Antoni/Hilpert, Der Rechtsrahmen für regionale Peer to Peer‐ Energieplattformen unter Einbindung von Blockchains, S. 27.
E. Schlussfolgerungen des Kapitels305
Bekannt ist dieses Vorgehen beispielsweise bei der Anmeldung von Photovoltaikanlagen durch die Unternehmen, welche die Systeme installierten.573 Der eigentlich Pflichtige wird durch die bloße Delegation nicht frei. Er bleibt der Letztverantwortliche. Eine solche Delegation kann jedoch den Prosumer dennoch entlasten. Die formalen Vorgaben des Regulierungsrechts werden gewahrt, weil der Prosumer hinsichtlich der Pflichterfüllung letztverantwortlich bleibt. Der Dritte, welcher mit der Pflichterfüllung betraut wird, kann dies als Servicedienstleistung anbieten und Synergien nutzen, wenn er Anmeldungen für eine Vielzahl seiner Kunden vornimmt oder entsprechenden Informationspflichten der Kunden gebündelt nachkommt. Der Erbringer dieser Dienstleistung ist dann jedoch ein Intermediär: Diese Konzeption schafft kein gänzlich dezentrales System mit ausschließlich unabhängigen, selbstständigen und aktiv handelnden Beteiligten.574 Interme diäre können aber in der Anfangszeit die Einstiegshemmnisse herabsetzen und so den Einstieg für die Prosumer erleichtern. Intermediären kann – wie beispielsweise beim physischen Netzbetrieb auch575 – eine gewichtige unterstützende Funktion zukommen. Die Intermediäre können ihre Dienste einheitlich dem gesamten, auf Dauer angelegten Verbund anbieten. Dies wäre effizienter, als an der konkret-individuellen Transaktion über individuelle Energiemengen anzusetzen und im Rahmen jeder einzelnen Transaktion individuelle Vereinbarungen über die Pflichterfüllung zu treffen. Diese übergeordnete Ebene zeichnet sich dadurch aus, dass es sich um wesentlich langfristigere Bindungen zwischen Prosumern und auch anderen Akteuren handelt. Auf diese Weise könnte der Prosumer entlastet werden, indem er einmalig mit dem Intermediär die Rahmenbedingungen klärt und der Intermediär dann für alle einzelnen Transaktionen aller von ihm betreuten Prosumer die von ihm übernommenen Pflichten erfüllt. Insgesamt könnten die energievertragsrechtlichen Pflichten bei der Nutzung von Smart Contracts so nicht allein im Rahmen der kurzfristigen individuell-bilateralen Lieferverbindung, sondern auf der übergeordneten Ebene der Teilnahme am Prosumerverbund geregelt werden. Anders als zuvor besteht bei Smart Contracts keine derart langfristige Beziehung zwischen einem Energieversorgungsunternehmen und einem Letztverbraucher, sondern das System lebt vom schnellen, dynamischen Wechsel der Parteien je nach aktueller Gebots- und Nachfragelage. Konstant hingegen sind das zugrundelie573 Siehe hierzu beispielsweise den Service des größten schwedischen Photovoltaikanlagenbauers unter https://sveasolar.de/de-de/photovoltaikanlage (zuletzt abgerufen am 20.06.2023). 574 Siehe zu diesem Gedanken auch Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 299. 575 Siehe hierzu oben Kapitel 3, E.I.2. und Kapitel 3, E.III.
306 Kap. 4: Rechtsfragen der Prosumertätigkeiten auf Basis von Smart Contracts
gende System der Nutzung der Smart Contracts und der Prosumerverbund selbst. Dieser Zusammenschluss bildet die Basis für die in der Folge geschlossenen Energielieferungsverträge und ist von längerer Dauer. Diese Ebene ist insoweit mit den vormaligen, längerfristigen Energielieferungsverträgen strukturell vergleichbar. Daher ist es konsequent, soweit möglich, die Pflichten auch auf dieser übergeordneten Ebene zu erfüllen. Zusammenfassend kann es für die Prosumer ein deutlicher Aufwand sein, selbstständig und unabhängig tätig zu werden. Die Einschaltung eines Intermediärs ist daher in der Anfangszeit Smart-Contract-basierter Prosumeraktivitäten sinnvoll.576
576 Siehe
hierzu auch Scholtka/Kneuper, IR 2019, 17, 19.
Kapitel 5
Fazit und Schlussfolgerungen A. Reflexion hinsichtlich der Forschungsfrage Auch die neu aufgekommenen Smart-Contract-basierten Prosumeraktivi täten werden vom geltenden Rechtsrahmen erfasst. Dieser Rechtsrahmen muss jedoch an verschiedenen Stellen punktuell angepasst werden, um Hürden abzubauen, ohne dabei Schutzlücken aufkommen zu lassen. Gleichzeitig können so Anreize für Smart-Contract-basierte Prosumeraktivitäten gesetzt werden. Der Abbau von Hürden dient der Verbreitung und Akzeptanz dieser neuartigen und für die Energiewende vielversprechenden Konzepte der digitalisierten, dezentralisierten und oftmals auch dekarbonisierten Energieversorgung. Hier besteht von gesetzgeberischer Seite ein deutliches Potenzial. Derartige Aktivitäten befinden sich aktuell noch in einem sehr frühen Stadium, sodass der Gesetzgeber deutlichen Einfluss auf die Entwicklung und Ausprägung nehmen kann.
I. Grundlegende Veränderung des tatsächlichen Rahmens durch Dezentralisierung, Digitalisierung und Dekarbonisierung Die Energiewirtschaft durchlebt im Zuge der Energiewende eine umfassende und tiefgreifende Veränderung: Die hergebrachten Strukturen werden durch dezentrale, digitalisierte sowie dekarbonisierte Erzeugungs-, Transport-, Verteilungs- und Abrechnungsmechanismen ergänzt und stückweise auch ersetzt. Teil dieses Prozesses sind die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten. Viele Standard-Prozesse werden durch den Einsatz der Smart Contracts auf der Prosumer-Ebene automatisiert; erst so werden die Aktivitäten wirtschaftlich sinnvoll. Ihr Einsatzfeld finden die Smart Contracts vor allem beim Abschluss und der Durchführung von Verträgen über ex ante festgelegte Energiemengen, welche die Prosumer am Markt anbieten. Smart Contracts stoßen jedoch nach aktuellem Entwicklungsstand bei komplexen Wertungsfragen im Rahmen von unbestimmten Rechtsbegriffen und Ermessensentscheidungen an ihre Grenzen. Daher besteht das größte Potenzial für den Einsatz aktuell in einer Integration der Smart Contracts in die bestehenden Strukturen. So können die Vorzüge der automatisierten und
308
Kap. 5: Fazit und Schlussfolgerungen
nicht automatisierten Abwicklungsmechanismen kombiniert werden. Aktuell ist nicht absehbar, dass jegliche individuelle Prüfung durch Menschen entbehrlich würde. Gleichwohl besteht in der Energiewirtschaft aufgrund der Vielzahl standardisierter Massengeschäfte ein großes Automatisierungspotenzial. Die quantitativ überwiegende Zahl der „problemlosen“ Vorkommnisse im Rahmen der Energieversorgung kann durch Automatismen wie Smart Contracts effizient automatisiert werden. Diese Effizienzsteigerung ermöglicht es den Prosumern, auch kleinste Energiemengen wirtschaftlich sinnvoll zu handeln. Eine feste, definitionsscharfe und einheitliche Ausgestaltung der SmartContract-basierten Prosumeraktivität existiert jedoch nicht. Es besteht vielmehr eine Vielzahl möglicher Gestaltungen und Konzeptionierungen. Die weitere Entwicklung wird zeigen, welche Ausgestaltungen besonders praxis tauglich sind.
II. Grundsätzliche Existenz eines anwendbaren Rechtsrahmens für Smart-Contract-basierte Prosumeraktivitäten Die Analyse insbesondere in Kapitel 3 und 4 zeigt, dass es für sämtliche Smart-Contract-basierten Aktivitäten anwendbare Regelungen gibt. Ungeregelte Bereiche existieren nicht. Selbst bei den disruptiven und neuartigen Technologien wie der Blockchain gilt dies; das Recht hält hier dem Grundsatz nach anwendbare Regelungen bereit. Alle bestehenden Konzeptionen lassen sich in den bestehenden Rechtsrahmen einfügen, obschon zur system adäquaten und angemessenen Integration die oben genannten, punktuellen Anpassungen geboten sind. Dies ist – gerade mit Blick auf kritische Stimmen hinsichtlich der Anpassungsfähigkeit und Zukunftssicherheit des Rechts1 – grundlegend.
III. Abhängigkeit des Rechtsrahmens von der Ausgestaltung der Aktivitäten Der anwendbare Rechtsrahmen wird maßgeblich durch die individuelle, tatsächliche Ausgestaltung der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten bestimmt. Die Nutzer haben große Entscheidungsspielräume und können durch die Ausgestaltung der Aktivitäten Einfluss auf den anwendbaren Rechtsrahmen nehmen. Insbesondere der Netzbetrieb und die Einbindung 1 Siehe hierzu Schliesky, Informationsverarbeitung und Wissensgenerierung im Föderalismus, in: Hill/Wieland/Ziekow/Sommermann, Brauchen wir eine neue Verfassung? – Zur Zukunftsfähigkeit des Grundgesetzes, S. 215 ff. Siehe auch Amos, Vom Recht der Zukunft und der Zukunft des Rechts.
A. Reflexion hinsichtlich der Forschungsfrage309
von weiteren Beteiligten wie Netzbetreibern, Aggregatoren oder sonstigen Dienstleistern und Intermediären bestimmen, welche Rechtsregeln anwendbar sind. Diese tatsächliche Ausgestaltung beeinflusst auch, welcher Akteur konkret verpflichtet wird. Die Gestaltungsoptionen der Prosumer sind daher vielseitig und bestehen auf verschiedenen Ebenen. Dies zeigt auch, dass es keine feststehende Art von Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten gibt, sondern diese in vielen Gestaltungen auftreten kann.
IV. Erfordernis punktueller Anpassungen des Rechtsrahmens Die rechtlichen Regelungen sind oftmals an zentralisierten Energieversorgungsstrukturen orientiert. Dennoch schafft eine Vielzahl der Regelungen grundsätzlich adäquate Rahmenbedingungen für die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten, insbesondere, wenn sie offen und flexibel gegenüber alternativen Konzepten sind. In eine Vielzahl der Normen fügen sich die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten adäquat ein. Auch Smart-Contract-basierte Prosumeraktivitäten greifen auf dem Recht bereits bekannte Elemente zu und kombinieren diese lediglich in anderer Form. Dabei kann eine Vielzahl der bisherigen Pflichten und Anforderungen automatisiert erfüllt werden. Dies gilt allerdings nicht für alle Regelungen, welche die Smart-Contractbasierten Prosumeraktivitäten betreffen. Der Rechtsrahmen behindert diese Aktivitäten oftmals, sofern er auf hergebrachte Energieversorgungsstrukturen mit langfristigen Lieferbeziehungen im Sinne einer Vollversorgung durch zentralisierte Großakteure zugeschnitten ist und keine individuellen Anpassungen ermöglicht. Diese Grundausrichtung erfordert eine Öffnung für dezentralisierte, dynamische und mengenbezogene Lieferbeziehungen zwischen diversifizierten und kleinen Akteuren. Die Anforderungen sind an diese dezentralen, kleineren Strukturen anzupassen. Zu berücksichtigen sind dabei insbesondere die geringe Größe und Reichweite der singulären Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten gegenüber zentralisierten Strukturen.2 Gleichzeitig muss darauf eingegangen werden, dass die Aktivitäten neuartige Strukturen sowohl im Software-, als auch Netz- und Leitungsbetrieb nutzen und sich hierdurch abweichende Interessenlagen gegenüber hergebrachten Versorgungsstrukturen ergeben. Die Prosumer sind dabei jedoch nicht ausnahmslos auf Handlungen und Anpassungen von gesetzgeberischer Seite angewiesen, sondern können durch die verschiedenen Gestaltungsoptionen aktiv Einfluss auf den anwendbaren 2 Vgl. hierzu auch Zerche, Distributed Ledger als Instrument einer dezentralen Energiewende, S. 327.
310
Kap. 5: Fazit und Schlussfolgerungen
Rechtsrahmen nehmen. Soweit es sich um zwingendes Recht handelt, ist der Anpassungsbedarf größer, da dort nur der Gesetzgeber die angemessene Abhilfe schaffen kann. Die Gestaltungsmacht der Prosumer ist geringer. Auch in diesen Bereichen weisen die Normen jedoch keine generell unzutreffende ratio legis auf, sondern die geltende Rechtslage ist vielmehr an die neuartigen Strukturen im Sinne einer Feinabstimmung anzupassen. Der Regulierungsbedarf ist geringer, sofern die Rechtsregeln an kleinere Einzelaspekte wie einzelne Tätigkeiten oder individuelle Tatbestandsmerkmale und nicht an große Gesamtstrukturen und -systeme anknüpfen. Oftmals greifen die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten verschiedene, bereits bekannte Einzelelemente auf und kombinieren diese lediglich in andersartiger Form. Knüpfen die Rechtsregeln hieran an, bildet das geltende Recht auch im Rahmen der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten einen geeigneten Rechtsrahmen. Die Abweichungen zur hergebrachten Energieversorgung sind bei diesen Einzelelementen geringer.
V. Möglichkeit individueller Steuerung und Anreize Das Recht kann im Bereich der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten steuernd eingreifen. Hierbei sind zwei Ebenen zu unterscheiden: Zum einen können Anpassungen gewisse Aktivitäten attraktiver oder unattraktiver machen. Denkbar sind monetäre Anreize wie beispielsweise im Rahmen der Netzkostenbemessung. Daneben können Regulierungserleichterungen die Aktivitäten für den Prosumer vereinfachen, beispielsweise weil der administrative Aufwand reduziert wird. Abseits dessen kann das Recht auch andersartige Anreize setzen, beispielsweise umweltverträgliche und nachhaltige Prosumer-Konzepte fördern und so einen Anreiz zu umweltverträglichem Wirtschaften geben. Der Regelungsrahmen kann durch den Gesetzgeber anreizorientiert ausgestaltet werden. Nicht nur die Legislativorgane können jedoch Anreize setzen, um Prosumeraktivitäten zu fördern. Auch privatrechtliche Akteure können die SmartContract-basierten Prosumeraktivitäten so gestalten, dass sich möglichst viele Prosumer und auch andere „ihren“ Systemen anschließen oder mit ihnen in Austausch treten. Durch die verschiedenen Gestaltungsoptionen können sie Modelle wählen, welche für die aktuell und potenziell Beteiligten besonders attraktiv sind, beispielsweise weil ein flexibles Token-System genutzt wird, besonders geringe Einstiegshürden bestehen oder die Abwicklung möglichst ohne individuellen menschlichen Aufwand und damit besonders komfortabel abläuft. Das Potenzial erschöpft sich daher nicht in den Anreizmöglichkeiten durch den Gesetzgeber.
A. Reflexion hinsichtlich der Forschungsfrage311
Sowohl der Gesetzgeber als auch die Prosumer und Prosumerzusammenschlüsse können so zur Attraktivität von Smart-Contract-basierten Prosumer aktivitäten beitragen. Zu unterscheiden ist dabei auch zwischen dem zivilrechtlichen Vertrags- und Haftungsrecht und dem Regulierungsrecht: Anreize können sowohl auf der Ebene des Vertrags- und Haftungsrechts als auch auf der Ebene des Regulierungsrechts geschaffen werden. Auf der privatrechtlichen Ebene der gleichgeordneten Akteure führt diese Incentivierung auf der einen Seite jedoch regelmäßig zu einer Schwächung der Rechtspositionen auf der anderen Seite: Wird beispielsweise die Haftung für eine Person (den Schädiger) begrenzt, belastet dies den Geschädigten. Die Haftungsvorteile auf der einen korrespondieren mit Haftungsnachteilen auf der anderen Seite. Beim Regulierungsrecht ist dies grundlegend anders: Wird dem Privaten eine Erleichterung zuteil, werden dadurch nicht zwingend unmittelbar Drittinteressen beeinträchtigt. Dies kann jedoch der Fall sein, wenn beispielsweise durch geringere Kontrollen im Rahmen des Regulierungsrechts dolose oder nicht leistungsfähige Akteure am Markt verbleiben und so schädigendes Geschäftsverhalten nicht unterbunden wird. Schäden bei anderen Marktteilnehmern entstehen dann mittelbar, vermittelt durch die Verfehlung einer regulatorischen Zweck- und Zielrichtung.
VI. Frühes Stadium der aussichtsreichen Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten Die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten bieten somit Potenziale für das Gelingen der Energiewende. Sie dienen einerseits dem Ausbau der Erneuerbaren Energien, indem zusätzliche Erzeuger gewonnen und so die Kapazitäten ausgebaut werden, ermöglichen gleichzeitig aber auch die Flexibilität und Koordination, welche im Rahmen der volatilen Erzeugung Erneuerbarer Energien zwingend notwendig ist. Smart-Contract-basierte Prosumeraktivitäten können somit Schlüsselakteure der Energiewende werden. Sie vereinen die Potenziale der Digitalisierung und Dezentralisierung und stellen diese im Rahmen der Energiewende in den Dienst der Dekarbonisierung. Diese Aktivitäten stehen jedoch noch deutlich am Anfang einer langfristigen Entwicklung. In der Breite der Energiewirtschaft sind sie zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht angekommen. Bei den bisherigen Einsatzfeldern handelt es sich um punktuelle und oftmals auch experimentelle Konzepte. Vor dem Hintergrund der schnellen und umfassenden technischen Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung besteht jedoch die Perspektive einer Skalierung und breitentauglichen Anwendung in der Zukunft. Auf lange Sicht versprechen die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten somit einen zen
312
Kap. 5: Fazit und Schlussfolgerungen
tralen Beitrag im Rahmen der dekarbonisierten Energieversorgung der Zukunft zu leisten. Mit diesem aktuell frühen Entwicklungsstadium geht einher, dass eine Vielzahl an Gestaltungsoptionen denkbar und möglich ist, deren praktische Realisierbarkeit und Sinnhaftigkeit jedoch noch erprobt werden muss. Die weiteren Entwicklungen und Erfahrungen können so aufzeigen, welche der theoretisch denkbaren Konzepte in der Praxis sinnvoll sind. Der rechtliche Rahmen kann die Entwicklungen unterstützen und die Potenziale nutzbar machen, sofern die herausgearbeiteten punktuellen Anpassungen der gegenwärtigen Gesetzeslage vorgenommen werden. So können Hindernisse abgebaut, Anreize aufgebaut und die Entwicklungen beschleunigt werden. Indi viduellen Schutzbedürfnissen und den energierechtlichen Besonderheiten, insbesondere mit Blick auf das Zieldreieck der Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit3 kann dabei gleichermaßen weiter hin entsprochen werden. So kann das Recht mithin (auch) einen Beitrag zur Innovationsförderung dieser neuartigen Konzepte im Rahmen der digitalisierten und dezentralisierten Energieversorgung leisten.
B. Abschließende Thesen: Ergebnisse und Schlussfolgerungen I. Ergebnisse und Schlussfolgerungen rechtstatsächlicher Art 1. Der Prosumer zeichnet sich durch eine Doppelrolle auf der Verbrauchsund Erzeugungsseite von Energie aus. Prosumer kann dabei auch sein, wer nur privat einen Speicher betreibt und daraus Energie in das Netz einspeist. Eine Erzeugung von Energie aus Primärenergieträgern ist kein zwingendes Erfordernis. Jedoch ist ein Bezug zur Energiegewinnung erforderlich, um Prosumer zu sein. Die bloße Zurverfügungstellung von Daten genügt nicht.4 2. Smart Contracts sind nahezu ausnahmslos nicht selbst Verträge. Sie sind Mechanismen zum Abschluss und zur Durchführung von Verträgen.5 3. Smart Contracts weisen, anders als der Begriff es nahelegt, nicht zwangsläufig eine eigenständige Intelligenz auf.6
3 Siehe
hierzu Kreuter-Kirchhof, ET 2019, 25, 25 ff. oben Kapitel 2, A.III. 5 Siehe oben Kapitel 2, B.I. 6 Siehe oben Kapitel 2, B.I.1.c). 4 Siehe
B. Abschließende Thesen: Ergebnisse und Schlussfolgerungen 313
4. Smart Contracts abseits Künstlicher Intelligenz können keine eigenen Wertentscheidungen treffen. Dies begrenzt den Anwendungsbereich. Wertentscheidungen können jedoch ausgelagert und damit menschlichen Entscheidungsprozessen überantwortet werden.7 5. Das dem Smart Contract zugrundeliegende Protokoll bildet die Basis aller Handlungen des Smart Contracts. Es unterliegt der Kontrolle des Nutzers hinsichtlich des Funktionsumfangs. Das Protokoll ist das Zen trum der Steuerung der Smart-Contract-Handlungen.8 6. Manche Bereiche, insbesondere Wertentscheidungen und unbestimmte Rechtsbegriffe, sind nicht zu codieren. Hier können konventionelle und „smarte“ Vertragselemente kombiniert werden, um die Vorzüge beider Bereiche zu nutzen.9 7. Oracles als digitalisierte und kommunikationsfähige Anbindungen zur realen Welt sind notwendige Voraussetzung für den effektiven Einsatz der Smart Contracts. Sie sind das Bindeglied zwischen der virtuellen und realen Welt.10 8. Die Oracles müssen die Integrität der Daten und damit die Zuverlässigkeit des gesamten Systems sichern. Es ist daher unerlässlich, dass die Oracles ein angemessenes Integritäts- und Schutzniveau gewährleisten.11 9. Für die Smart Meter ist das Schutzniveau durch die Vorgaben des MsbG und die maßgeblichen technischen Richtlinien und Schutzstandards sichergestellt.12 10. Die Blockchain ist eine mögliche, aber nicht notwendige Basis für den Einsatz von Smart Contracts. Bei ihrem Einsatz verändern sich insbesondere die Zurechenbarkeit von Handlungen, die Abgabe von Willenserklärungen und die Verhältnisse der verschiedenen Akteure zueinander, da die Blockchain als gänzlich dezentrales, von einer Vielzahl von Akteuren getragenes System dazwischentritt.13 11. Das volle Potenzial der Prosumeraktivitäten entfaltet sich erst, sobald sich Prosumer verschiedener Charakteristika mit verschiedenen Beiträgen, beispielsweise Speichern, Erzeugungs- sowie Steuerungsanlagen, assoziieren und ihre Potenziale bündeln.14 7 Siehe
oben Kapitel 2, B.I.1.b). oben Kapitel 2, B.II. 9 Siehe oben Kapitel 2, B.I.1.b). 10 Siehe oben Kapitel 2, B.I.4. 11 Siehe oben Kapitel 2, B.I.4. und Kapitel 3, D. 12 Siehe oben Kapitel 3, D. und Kapitel 4, C.III.3.c)bb). 13 Siehe oben Kapitel 2, B.III. 14 Siehe oben Kapitel 3, E.V. und Kapitel 3, F. 8 Siehe
314
Kap. 5: Fazit und Schlussfolgerungen
12. Prosumer können sich beispielsweise intermediatisiert durch einen Aggregator oder in einem virtuellen Kraftwerk zusammenschließen. Möglich ist ein Zusammenschluss jedoch auch ohne Intermediär beispielsweise im Rahmen eines Microgrid.15 13. Intermediäre werden in der näheren Zukunft nicht überflüssig; ihre Funktion wandelt sich lediglich. Sie behalten ihre zentrale Bedeutung für die Infrastrukturfragen und als Koordinatoren auch beim weit verbreiteten Einsatz der Smart-Contract-Systeme.16 14. Im Rahmen der Zusammenschlüsse der Prosumer bestehen vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten. Insbesondere ist die Entscheidung grundlegend, ob das bestehende Netz genutzt oder eigene Leitungs- und Netzstrukturen aufgebaut werden.17 15. Peer-to-Peer-Geschäfte im Sinne der Erneuerbare-Energien-Richtlinie stellen einen Ausschnitt der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten dar. Sie bilden die Basis des Energiehandels und sind so die Grundlage für komplexere Zusammenschlüsse von Prosumern.18
II. Ergebnisse und Schlussfolgerungen rechtlicher Art Rechtliche Charakterisierung der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten 1. Prosumer sind Energieversorgungsunternehmen im Sinne des § 3 Nr. 18 EnWG. Parallel kann es sich bei ihnen um Haushaltskunden im Sinne des § 3 Nr. 22 EnWG handeln.19 2. Die von Smart Contracts abgegebene Erklärung ist regelmäßig eine bindende Willenserklärung und keine invitatio ad offerendum.20 3. Die Vertragsschlüsse auch auf der Basis von Smart Contracts unterliegen den hergebrachten Regeln des Bürgerlichen Rechts. Smart Contracts sind trotz der Automatisierung an den geltenden Rechtsrahmen gebunden.21
15 Siehe 16 Siehe 17 Siehe 18 Siehe 19 Siehe 20 Siehe 21 Siehe
oben oben oben oben oben oben oben
Kapitel 3, Kapitel 3, Kapitel 3, Kapitel 3, Kapitel 3, Kapitel 2, Kapitel 2,
F. E.I.2. E., insbesondere Kapitel 3, E.III. G.VIII. G.III. und Kapitel 3, G.IV. B.IV.2.c)aa). B.IV.1.b).
B. Abschließende Thesen: Ergebnisse und Schlussfolgerungen 315
Haftungsrecht 4. Das allgemeine Haftungsrecht bleibt auch beim Einsatz von Smart Contracts anwendbar.22 5. Es ist zwischen der Haftung für mangelhafte Software und Pflichtverletzungen im Rahmen der physischen Energielieferungen zu unterscheiden. Aus der Verbindung beider Ebenen ergeben sich Konsequenzen auch für die Regressmöglichkeiten und die Haftungspositionen der einzelnen Akteure. Insbesondere die energierechtlichen Haftungscharakteristika knüpfen vorwiegend an die physischen Liefer- und Handlungsprozesse an und sind somit von der Softwareebene zu unterscheiden.23 6. Für die Haftung der Akteure ist es von essenzieller Bedeutung, durch wen und in welcher Form das Netz oder die Leitungen betrieben werden. Zu fragen ist insbesondere, ob das allgemeine Verteilernetz genutzt oder eine Direktleitung durch die Prosumer selbst oder deren Zusammenschluss betrieben wird. Die Haftungsfragen werden maßgeblich durch die Spezifika des Netzbetriebs bestimmt.24 7. Die Haftungsfragen sind anhand des bestehenden Haftungsregimes des BGB zu lösen; hierfür bedarf es keiner weitergehenden Regulierungen oder Anpassungen.25 Energierechtliche Pflichten des EnWG 8. Eine Vielzahl der Informations- und Mitteilungspflichten des Regulierungsrechts kann vollautomatisch erfüllt werden. Diesen Pflichten können die Prosumer durch den Einsatz von Smart Contracts nachkommen. Hier besteht kein spezifischer Regulierungsbedarf; diese Pflichten behindern die Prosumeraktivitäten nicht.26 9. § 5 EnWG ist in seiner aktuellen praktischen Anwendung auf zentralisierte Strukturen mit Großakteuren ausgerichtet. Wegen der Schutzfunktionen des § 5 EnWG sind die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten von den Anforderungen nicht freizustellen, sondern sie sind punktuell an die dezentralisierten und digitalisierten Versorgungssysteme anzupassen. Auf die größenspezifischen Besonderheiten ist einzugehen.27 22 Siehe 23 Siehe 24 Siehe 25 Siehe 26 Siehe 27 Siehe
oben oben oben oben oben oben
Kapitel 4, A.II.1.e). Kapitel 4, A.II.3. Kapitel 4, A.II.1.e). Kapitel 4, A.III.2. insbesondere Kapitel 4, B.II.2. und Kapitel 4, B.II.3. Kapitel 4, B.II.1.e).
316
Kap. 5: Fazit und Schlussfolgerungen
10. Die verbraucherschützenden Vorgaben der §§ 41 I 1, 2, 41b EnWG erweisen sich auch für die Prosumer als angemessen; die Pflichten können weitgehend automatisiert werden und stellen die Prosumer nicht vor Hindernisse.28 11. § 40 II EnWG ist auf längerfristige und zeitorientierte Energielieferungsverträge zugeschnitten. Hier besteht ein deutlicher Konflikt mit dem eher kurzfristigen, auf ex ante determinierten Mengen basierenden Handel im Rahmen der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten, welcher nicht auf dauerhafte Vollversorgung ausgelegt ist. Die Vorschriften sind an die kurzfristigen Lieferbeziehungen anzupassen.29 12. Die Novellierung der EnWG-Vorschriften trägt zur adäquaten Integration der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten in das Energierecht bei, schöpft jedoch nicht alle Potenziale aus. Auch nach der Novellierung verbleiben Anpassungsbedarfe. Insbesondere Informations- und Mitteilungspflichten, welche individuelle menschliche Interaktionen erfordern, weil sie nicht automatisierbar sind, können die Wirtschaftlichkeit und Attraktivität Smart-Contract-basierter Prosumeraktivitäten schmälern.30 Versorgungssicherheit, Bilanzkreisverantwortlichkeit und technische Sicherheit 13. Die Versorgungssicherheit ist in digitalisierten und dezentralisierten Versorgungsstrukturen von grundlegender Bedeutung. Aufgrund der begrenzten Reichweite ist jedoch vereinzelt ein abgeschwächter Maßstab anzulegen. Dieser sollte als Darlegungspflicht dahingehend ausgestaltet werden, dass über die vorgesehenen Mechanismen zur Sicherstellung von Versorgungssicherheit zu berichten ist.31 14. Die allgemeinen Regeln der Bilanzkreisverantwortlichkeit sind nicht auf alle Ausgestaltungen der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten anwendbar. Die Anwendbarkeit hängt von der konkreten Ausgestaltung der Prosumeraktivitäten, insbesondere erneut dem Netzbetrieb, ab.32 15. Im Rahmen von autarken Inselnetzen kommt der Bilanzkreisverantwortlichkeit wie im Verbundnetz eine zentrale Bedeutung zu. Es ist vom
28 Siehe
oben oben 30 Siehe oben 31 Siehe oben 32 Siehe oben 29 Siehe
Kapitel 4, Kapitel 4, Kapitel 4, Kapitel 4, Kapitel 4,
B.II.2.f). B.II.3.h). B.III. C.III.2.c) und Kapitel 4, C.III.2.d). C.III.2.b).
B. Abschließende Thesen: Ergebnisse und Schlussfolgerungen 317
Betreiber zu erklären, wer die Bilanzkreisverantwortlichkeit trägt. Dies ist als Darlegungs- und Nachweisobliegenheit auszugestalten.33 16. Die technische Sicherheit ist gegenwärtig nur in begrenztem Maße gewährleistet. Gewichtige Bereiche verbleiben ohne expliziten Schutz. Dies ist nicht hinzunehmen, obschon das Schutzbedürfnis in diesen Bereichen geringer ausfällt. Angesichts der oftmals geringeren technischen Versiertheit der Prosumer ist ein freiwilliges Zertifizierungssystem in Anlehnung an § 9c BSIG einzurichten, um das nötige Sicherheitsniveau zu realisieren.34 Netzzugang und Netznutzung 17. Nach geltendem Recht haben die Prosumer bereits jetzt einen Anspruch auf Zugang zum Netz auch für die Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten.35 18. Die Vorgaben zu den Netzkosten weisen einen nur geringen Handlungsspielraum für die Akteure auf. Ein Anreizmechanismus auf Netzkosten ebene für die Prosumer bedürfte daher einer vorherigen legislativen Anpassung.36 19. Eine Entlastung über die Netzkosten besitzt ein deutliches Steuerungsund Anreizpotenzial, da die Netzkosten einen großen Anteil der Stromkosten ausmachen.37 Die Entlastung sollte an die Netzdienlichkeit geknüpft werden. Diese hängt stark von der konkreten Ausgestaltung der Prosumeraktivitäten ab.38 Gesamtbetrachtende, grundsätzliche Schlussfolgerungen 20. Die Anwendbarkeit vieler der regulatorischen Vorgaben hängt von der konkreten Ausgestaltung der Beziehungen der Prosumer und anderer Akteure untereinander ab. Diese Ausgestaltung stellt die Weichen für den maßgeblichen Rechtsrahmen. Für die Verwender ergeben sich hier gewichtige Stellschrauben.39
33 Siehe 34 Siehe 35 Siehe 36 Siehe 37 Siehe 38 Siehe 39 Siehe
oben oben oben oben oben oben oben
Kapitel 4, Kapitel 4, Kapitel 4, Kapitel 4, Kapitel 4, Kapitel 4, Kapitel 5,
C.III.2.d). C.III.3.e). D.II. sowie Kapitel 4, D.III.1. D.IV.2.a). D.IV.2. D.IV.2.c) sowie Kapitel 4, D.V. III.
318
Kap. 5: Fazit und Schlussfolgerungen
21. Die Digitalisierung und Dezentralisierung der Energieversorgung zeigen unterschiedliche Auswirkungen im zivilrechtlich geprägten Haftungsrecht und im Regulierungsrecht. Insbesondere im Bereich des Regulierungsrechts wird vermehrt an formale Stellungen und Kriterien angeknüpft. Daneben sind die Normen in diesem Bereich oftmals orientiert an zentralisierten Strukturen mit wenigen, dafür großen Akteuren.40 22. Die Einbindung von Intermediären kann – insbesondere in der Anfangszeit Smart-Contract-basierter Prosumeraktivitäten – die Aktivitäten für einzelne Prosumer erleichtern und koordinieren. Dies kann die Attrak tivität deutlich steigern. Durch die Einbindung von Intermediären in die Pflichterfüllung sollten die Prosumer nicht gänzlich aus ihrer Verantwortlichkeit entlassen werden, um eine adäquate Pflichterfüllung sicherzustellen. Den Intermediären kann auf diese Weise eine unterstützende Funktion zukommen.41 23. Generell gehalten sollten Pflichten in dezentralen Systemen wie denen der Smart-Contract-basierten Prosumeraktivitäten nicht gänzlich entfallen, sondern an die Situation der Prosumer angepasst werden. Dies erfordert ein Eingehen auf die kurzfristigen, mengenorientierten Einzelverträge über die Lieferung bestimmter Energiemengen und die diversifizierte Akteurslandschaft. Diese unterscheiden sich maßgeblich von den hergebrachten Strukturen.42 24. Der Rechtsrahmen wird infolge der Leitungsgebundenheit der Energieversorgung auf diversen Ebenen maßgeblich dadurch beeinflusst, wie der Netz- und Leitungsbetrieb ausgestaltet wird. Diese Frage wird ferner dadurch beeinflusst, auf welchem Weg sich die Prosumer und andere Akteure zusammenschließen.43
40 Siehe
oben oben 42 Siehe oben 43 Siehe oben 41 Siehe
Kapitel 4, E.I. Kapitel 4, E.III. Kapitel 5, A.I. sowie Kapitel 5, A.IV. Kapitel 5, A.III.
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Stichwortverzeichnis Aggregator 121 ff., 146 f., 160, 200,
207, 242, 277, 309 Aktiver Kunde 25 f., 28, 122, 145, 204 Algorithmus 45, 48, 50, 61, 62, 72, 78, 86, 222 siehe auch Protokoll Anreizregulierung 282, 286, 292 Anzeigepflicht 201 f., 211, 213 Bilanzkreisverantwortung 125, 145, 247, 250, 252 ff., 277, 297, 303, 316 f. Blockchain 53 ff., 88 f., 94 f., 98, 104, 114, 116, 188 ff., 277 ff., 308, 313 –– Fälschungssicherheit 63 ff. –– Funktionsweise 57 ff. –– Hash-Wert 61 ff. –– Mining 63, 66 –– Nachteile 75 Bürgerenergiegemeinschaft 144 ff. Eigenanlage 27 Eigenversorger 26, 140 ff., 146 Eigenversorgung 26 f., 137 f. Energielieferungsvertrag 19, 92, 94, 151, 158f, 166 ff., 175, 190, 221, 229, 239 –– Abschluss 19, 42 ff., 77, 80 ff., 209, 234, 307, 312 –– Anforderungen an Rechnungen 225 ff. –– Informationspflichten und Vertragsgestaltung 219 ff. Energieversorgungsunternehmen 116, 134, 137 f., 154, 196 ff., 243, 279, 301, 305, 314 Energiewende 15 ff., 250, 307 Erneuerbare-Energie-Gemeinschaft 141 ff.
geschlossenes Verteilernetz 131 ff., 202 Gesellschaftsrechtliche Bezüge 56, 133, 148 ff., 195, 213 Gewährleistungsverantwortung 246 ff. Haftung 85, 149 f., 156, 158 ff., 213 ff., 258, 260, 269 f., 299 ff., 315, 318 –– Abhängigkeit von den Modalitäten des Netzbetriebs 161 –– Beschränkung kraft Gesellschaftsform 138, 155 f. –– Besonderheiten im Energierecht 161 ff. –– deliktisch 169 ff., 176 –– Dispositivität 193 ff. –– für schadensträchtige Energielieferungen 161 ff. –– für softwarebasierte Schäden 182 ff. –– Modifikation 162 ff., 194 ff. –– Produkthaftung 173 ff. –– vertraglich 164 ff., 175 f., 182 ff. Handelsgewerbe 153 ff. Haushaltskunde 92, 138 ff., 201 f., 205, 208 f., 224, 314 Intermediär 54 ff., 69, 71, 76, 87, 95, 97, 114 ff., 147, 157, 181, 182, 196, 199, 207, 228, 230 f., 240, 242 ff., 302, 305, 309, 314, 318 IT-Sicherheit 260, 263, 267 ff. Konzeptionierungsmöglichkeiten 90 ff. Kryptographie 54 ff., 70 f. siehe auch Blockchain Kundenanlage 131, 134 ff., 202 ff., 279, 286, 302 Leistungsfähigkeit, technische, personelle und wirtschaftliche 201 ff., 212 ff., 259, 302
Stichwortverzeichnis349 Microgrid 100, 127 ff., 144 ff., 248, 262, 279 f., 294, 296, 314 Nachweispflichten siehe Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit Nebentätigkeit 25, 31 ff., 127 Netzbetrieb 93, 117 f., 120, 134 f., 137, 146, 150 f., 162, 164 ff., 169, 172 f., 175 f., 179 f., 196, 201, 222, 248, 250, 254 ff., 258 ff., 280 ff., 301 –– Direktleitungen 118 f., 163, 179 f., 203 f., 255 ff., 278, 282, 286, 296, 315 –– Formen 118 –– Haftung des Netzbetreibers 161 f., 164 ff., 175 ff. –– Netznutzung 278 ff. –– Netzzugang 284 ff. Netzkosten 286 ff. Netzstabilität 29, 94, 103, 253, 277, 297 siehe auch Versorgungssicherheit Niederspannungsanschlussverordnung 162 ff., 175, 177, 196, 258 ff., 269, 304 Oracles 46 f., 81, 91, 93, 101 ff., 229, 262, 265, 278, 313 Peer-to-Peer-Geschäfte 90 f., 93, 116, 129, 146 ff., 230, 233, 241, 245, 252, 279, 314 Prosumer 23 ff., 90 ff., 121 ff., 131 ff., 164 ff. –– Begriff und Definition 23 ff. –– Doppelrolle 23 f. –– rechtliche Verortung 131 ff. Protokoll 34, 38, 42, 47 ff., 64, 67 f., 77 ff., 84, 100, 114, 121, 159 f., 182 ff., 188, 190 ff., 313 –– Anforderungen 49 ff. –– Anpassungen 51 ff., 67 f. –– Bedeutung 47 f. Reallabor 97, 158, 247 f., 279 ff.
Rechnungsinformationen siehe Energielieferungsvertrag Roll-out 104 ff., 266 f. –– Begriff 104 f. –– Gesetzliche Ausgestaltung 104 ff. –– Hürden 109 ff. Schadensersatz 38, 189, 192 Smart Contracts 34 ff., 90 ff., 99 ff., 114 ff., 146 ff., 157 ff. –– Automatisierung 19, 34 ff., 74, 96, 100, 126 f., 147, 314 –– Begriff und Charakteristika 34 ff. –– Einsatzfelder 90 ff. –– Verhältnis zur Rechtsordnung 77 ff. –– „wenn-dann“-Struktur 34 ff., 50, 78, 87 Smart Meter 18, 101 ff., 123, 130, 265 ff., 274, 279 f., 297, 313 –– Begriff 18, 101 ff. –– Roll-out siehe Roll-out Technische Sicherheit 111, 246 f., 250, 260 ff., 270, 278, 316 f. Token 120 f., 178, 223, 236, 310 Versorgungssicherheit 18, 21, 29 ff., 117, 126, 205, 210, 246 ff., 260, 276 ff., 312, 316 Vertrag siehe Energielieferungsvertrag Vertragsinformationen siehe Energielieferungsvertrag Virtueller Speicher 125 f. Virtuelles Kraftwerk 126 f., 143, 207, 213, 277, 314 Willenserklärung 38, 42 f., 51 f., 60, 75, 80 ff., 224, 314 –– Abgabe und Zugang 80 f. –– voll automatisierte 80 ff. –– Zurechnung 82 ff. –– Zuverlässigkeit 98, 215 ff.