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German Pages 164 Year 1992
CORNELIUS RENKEN
Die Zusammenarbeit der Kreditinstitute nach deutschem und europäischem Kartellrecht
Schriften zur wirtschaftswissenschaftlichen Analyse des Rechts herausgegeben von
Heinz Grossekettler, Münster· Bernhard Großfeld, Münster Klaus J. Hopt, München· Christian Kirchner, Hannover Dieter Rückle, Trier· Reinhard H. Schmidt, Trier
Band 14
Die Zusammenarbeit der Kreditinstitute nach deutschem und europäischem Kartellrecht
Von Dr. Cornelius Renken
DUßcker & Humblot . Berliß
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Renken, Cornelius: Die Zusammenarbeit der Kreditinstitute nach deutschem und europäischem Kartellrecht / von Cornelius Renken. - Berlin: Duncker und Humblot, 1992 (Schriften zur wirtschaftswissenschaftlichen Analyse des Rechts; Bd. 14) Zug!.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1991 ISBN 3-428-07516-1 NE:GT
D6 Alle Rechte vorbehalten © 1992 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0935-5065 ISBN 3-428-07516-1
Meinen Eltern
Vorwort Die hier veröffentlichte Arbeit lag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im Wintersemester 1991/92 als Dissertation vor. Mein besonderer Dank gilt Herrn Professor Dr. Bernhard Großfeld, Direktor des Instituts für Internationales Wirtschaftsrecht, der die Untersuchung angeregt und betreut hat. Ihm und Herrn Professor Dr. Dieter Rückle danke ich dafür, daß sie die Arbeit in diese Schriftenreihe aufgenommenhaben. Oldenburg, im April 1992
Cornelius Renken
Inhaltsverzeichnis Einleitung A. Gegenstand der Untersuchung.............................................................................
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B. Eingrenzung.................................... ........................ .............................................
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1. Kapitel Das deutsche Wettbewerbsrecht
A. § 102 GWB vor der 5. Novelle............................................................................ I. Die Entwicklung des Kartellrechts ............................................................. 11. Die Urfassung des § 102 GWB .................................................................. 1. Das Gesetzgebungsverfahren. ..... ........ ... ... ..... ..... ... ..... ... ... ..... ..... ... ... ..... 2. Mißbrauchsaufsicht..... ... ..... ... ..... ... ..... ... ............. ........ ... ..... ... ... ..... ..... ... ill. Die ersten vier Novellen des GWB .... ..... ... ..... ... ..... ... ..... ... ..... ... ..... ... ..... ... IV. Praktische Bedeutung des § 102 GWB.... ... ..... ... ..... ... ..... ... ..... ... ..... ... ..... ... 1. Kundenbezogene Verträge, Beschlüsse und Empfehlungen. ..... ... ..... ... a) Empfehlungen Allgemeiner Geschäftsbedingungen ........................ b) Zinsempfehlungen ............................................................................ c) Empfehlungen von Gebühren, Provisionen und wesentlichen Vertragsbestimmungen ... ..... ........ ... ..... ........ ... ..... ... ..... ... ..... ........ ... ... ..... 2. Maßnahmen zur Geschäftsabwicklung .. ..... ... ..... ... ..... ... ..... ... ... ..... ..... ... 3. Ad-hoc-Geschäfte .................................................................................. V. Der Weg zur 5. Novelle..............................................................................
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B. Die Verbotstatbestände........................................................................................ I. Das Verbot nach § 1 Abs. 1 GWB.............................................................. 1. Persönliche Voraussetzungen ..... ... ..... ... ... ..... ..... ... ..... ... ..... ... ..... ... ..... ... 2. Verträge und Beschlüsse........................................................................ a) Verträge ............................................................................................ b) Beschlüsse ..... ... ..... ... ..... ... ..... ........... ..... ... ..... ... ........ ..... ... ... ..... ..... ... 3. Gemeinsamer Zweck .......................... ........................................ ........... 4. Die Beschränkung des Wettbewerbs ..................................................... 5. Eignung zur Marktbeeinflussung........................................................... a) Verkehr mit Waren oder gewerblichen Leistungen.......................... b) Erzeugung oder Marktverhältnisse ........ ... ... ..... ..... ... ..... ........ ... ..... ... c) Eignung zur Marktbeeinflussung. .. ... ... ..... ..... ........ ... ..... ... ..... ...... .....
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Inhaltsverzeichnis
II. Das Verbot nach § 15 GWB ....................................................................... ill. Das Verbot nach § 38 Abs. 1 Nr. 11 GWB ................................................ IV. Das Verbot nach § 25 Abs. 1 GWB............................................................
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C. Die materiellen Freistellungsvoraussetzungen .... ............. ... ..... ... ..... ... ..... ... ..... ... I. Normadressaten .......................................................................................... II. Zusammenhangsbereich ............................................................................. ill. Leistungssteigerung oder Leistungserhaltung ......... ... ..... ... ..... ... ... ..... ........ 1. Rationalisierung und Leistungssteigerung in § 5 Abs. 2 GWB.. ... ........ a) Rationalisierung................................................................................ b) "Dienen" ........................................................................................... c) Eignung, die Leistungsfähigkeit oder Wirtschaftlichkeit zu heben.. d) Folgerungen... ... ............. ... ..... ... ..... ... ........ ... ..... ........ ..... ... ..... ........ ... 2. Rationalisierung und Leistungssteigerung in § 102 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GWB...................................................................................................... a) Der Rationalisierung dienen .. ........ ...................... ............................. b) Hebung der Leistungsfähigkeit...... ... ..... ... ............. ........ ... ..... ... ..... ... IV. Bedarfsbefriedigung ...................................... ..... ..... ................ .............. ..... V. Angemessenes Verhältnis von Erfolg und Wettbewerbsbeschränkung ..... VI. Auswirkungen der Reform auf die Praxis ..................................................
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D. Die formellen Freistellungsvoraussetzungen ......................................................
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E. Die Mißbrauchsaufsicht. ... ... ..... ... ........ ..... ... ..... ... ........ ........ ..... ... ..... ........ ........ ...
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F. Das Konsortialgeschäft........................................................................................
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G. Einvernehmen - Benehmen ............ .......................................... ........ ...... ........ .....
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H. Altmaßnahmen ......... .............. .......................... ...... ........................ ............. ..... ...
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J.
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Der Freistellungsstreit im Rückblick................................................................... I. Die "Restlösung" und ihre Folgen .............................................................. II. Der Zweck im Recht ................................................................................... m. Der Zweck des § 102 GWB [1957] und [1980] ......................................... 1. Der historische Aspekt ........ ...................... .......................... ................... 2. Der teleologische Aspekt.... ... ..... ... ..... ... ..... ... ........ ..... ... ..... ... ..... ... ..... ... 2. Kapitel Das Kartellrecbt nacb dem EWG-Vertrag
A. Überblick.. ... ..... ... ..... ... ........ ..... ... ........ ..... .......... ...... ... ..... ........ ... ..... ........ ... ... .....
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B. Das Verbot nach Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag................................................... I. Normadressaten ..... ................ .......................... .............. ............................. II. Bankdienstleistungen als Handel..... ... ..... ... ... .......... ... ..... ... ..... ... ..... ... ..... ... 1. Wortlaut .................................................................................................. 2. Systematik....... ..... ... ..... ........ ... ..... ... ..... ... ........ ..... ... ........ ..... ... ..... ... ..... ... 3. Zweck des Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag................................................
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Inhaltsverzeichnis
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ill. Vereinbarungen, Beschlüsse und abgestimmte Verhaltensweisen ............. I. Vereinbarungen...................................................................................... 2. Beschlüsse. .......... .............. ..... ..... ... ............. ........ ...... .......... ...... ............. 3. Abgestimmte Verhaltensweisen ............................................................ 4. Empfehlungen ... ........ .......................... ........................... ........................ a) Empfehlungen als Beschlüsse LS.d. Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag.. b) Empfehlung als Teilnahme an einer abgestimmten Verhaltensweise ................................................................................................ . aa) Unternehmen und Verbände als Täter........................................ bb) Verbandsempfehlung als Teilnahme ..... ................ ..... ........ ..... ... c) Abstimmungsverbot.......................................................................... d) Einheitstäterprinzip........................................................................... N. Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs ......... I. Wettbewerb............................................................................................ 2. Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung................................. 3. Bezwecken oder bewirken ............. ... .......... ... ............. ........ ... ..... ........... 4. Spilrbarkeit............................................................................................. 5. Praxis ..................................................................................................... V. Zwischenstaatlichkeitsklausel.. ... ..... ... ............. ........ ... ..... ........ ........ ...........
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c. Freistellung nach Art. 90 Abs. 2 EWG-Vertrag..................................................
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D. Freistellung nach Art. 85 Abs. 3 EWG-Vertrag.................................................. I. Verbesserung der Waren erzeugung oder -verteilung oder Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts .......................................... . 11. Angemessene Beteiligung der Verbraucher....... ..................... ........ ........... ill. Unerläßlichkeit der Wettbewerbsbeschränkung ......................................... N. Ausschaltung des Wettbewerbs ..................................................................
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I. Dienstleistungsunternehmen .................... ........... ................ ........ ..... ... ..... ... 11. Betraut im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse..... ........ ... .......... ... ..... ...
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3. Kapitel Die deutsche Regelung im Lichte des europäischen Rechts A. Notwendigkeit der Angleichung........................... ...............................................
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B. Erfolg der Angleichung ....................................................................................... I. Die Verbotsvoraussetzungen ...................................................................... 11. Die Freistellungsmöglichkeiten ..................................................................
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C. Die Altemativvorschläge..................................................................................... I. Streichung........ ... ........ ................................ ........ ............. ........ ........ ........... 11. Schaffung einer Generalklausel. .............. ... ........ ............. ... ........ ..... ... ..... ...
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D. DefIzite der Neuregelung ....................................................................................
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Literaturverzeichnis
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Einleitung A. Gegenstand der Untersuchung Zum 1. Januar 1958 trat das Gesetz gegen Weubewerbsbeschränkungen in Kraft. Es folgt, wie sich aus §§ 1 Abs. I, 15,25 Abs. 1 und 38 Abs. 1 GWB ergibt, grundsätzlich dem Verbotsprinzip: an bestimmte tatbestandlieh umschriebene Verhaltensweisen sind eo ipso Sanktionsfolgen geknüpft; sobald eine Maßnahme spürbar wird, ist sie verboten und nichtig.! Diesen Grundsatz durchbrach die Urfassung des Gesetzes unter anderem in den §§ 99 bis 103 GWB, wonach für bestimmte Wirtschafts bereiche, wie z.B. die Landwirtschaft und die Energieversorgung, das Verbotsprinzip nicht galt. An die Stelle des Verbots trat eine Mißbrauchsaufsicht, die wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen bis zu einem bestimmten Maß erlaubt; Sanktionsfolgen treten nur ein, wenn eine Behörde sie im Rahmen einer Ermächtigungsgrundlage ausdrücklich verfügt. 2 Unter eine solche Mißbrauchsaufsicht, die in vielen europäischen Ländern die Grundlage der Kartellgesetze bildet,3 hatte das GWB in § 102 auch die Banken und Versicherungen gestellt. Aufgrund dieser Vorschrift konnten Kreditinstitute leichter zusammenarbeiten als Unternehmen anderer Wirtschaftszweige. Die Sonderbehandlung des Kreditsektors war ein wichtiger Streitpunkt; ein Teil der Literatur erblickte in § 102 GWB eine ungerechtfertigte Privilegierung der Kreditwirtschaft, während ein anderer in der Vorschrift die Besonderheiten des Kreditsektors sachgerecht berücksichtigt sah. Mit der 5. Novelle des GWB, die am 1. Januar 1990 in Kraft trat, hat der Gesetzgeber auf die Diskussion über § 102 GWB reagiert. Er hat die Vorschrift mit dem Ziel reformiert, Privilegien zu beschneiden und die nationale kartellrechtliche Behandlung der Kreditwirtschaft an die europäische anzugleichen.4
Vgl. nur Möschel, Recht der Weubewerbsbeschränkungen, Rz. 96. Möschel, Wettbewerb, Rz. 96. 3 Vgl. Kuhlmann, Versicherungsrecht und Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 36 ff. 4 Vgl. Eckwerte, WuW 1988, S. 757 und die Begründung zu § 102 GWB, BT-Drucksache 11/4610, S. 29. !
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Einleitung
Die Novellierung des § 102 GWB ist Ausgangspunkt der Arbeit. Sie untersucht zunächst nach deutschem und europäischem Recht getrennt, ob und in welcher Form eine Zusammenarbeit auf dem Kreditsektor erlaubt ist. Dazu werden nicht nur die Ausnahmevorschrift § 102 GWB und die Freistellungsmöglichkeiten nach europäischem Recht erörtert, sondern auch die zugrundeliegenden Kartellverbote. Deren Reichweite. bestimmt maßgeblich mit, in welchem Umfang die Wettbewerbsordnungen der Kreditwirtschaft eine Zusammenarbeit ermöglichen. Anschließend soll die deutsche Regelung der Zusammenarbeit auf dem Kreditsektor im Licht des europäischen Rechts betrachtet werden. Dabei wird vor allem geprüft, ob es dem Gesetzgeber gelungen ist, die deutsche an die europäische Wettbewerbsordnung anzupassen.
B. Eingrenzung Die Untersuchung beschränkt sich auf den Bereich der Kreditwirtschaft, der für eine Freistellung nach § 102 GWB in Betracht kommt. Freistellungsfähig sind nur wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen von Kreditinstituten. Kreditinstitute sind, wie aus § 102 Abs. 1 Nr. 1 GWB allgemein gefolgert wird, alle Unternehmen, die nach §§ 6, 1 f. KWG durch das Bundesaufsichtsamt für Kreditwesen beaufsichtigt werden. 5 Die Aufsicht erfaßt nach § 1 Abs. 1 KWG alle Wirtschaftsunternehmen, die Bankgeschäfte in einem solchen Umfang betreiben, daß sie einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Betrieb erfordern. 6 Nicht unter § 102 GWB fallen nach § 101 GWB die Bundesbank und die Kreditanstalt für Wiederaufbau, so daß deren Verhalten von vornherein nicht Gegenstand dieser Arbeit ist. § 102 GWB ist auf diese Unternehmen auch deshalb nicht anzuwenden, weil sie nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 3 KWG keine Kreditinstitute im Sinne des Gesetzes sind. Das gilt nach § 2 Abs. 1 Nr. 2,4,5,8 und 9 KWG außerdem für die deutsche Bundespost - mit der Besonderheit des § 2 Abs. 2 KWG - sowie die Sozialversicherungsträger, die Bundesanstalt für Arbeit, private und öffentliche Versicherungsunternehmen, Unternehmen des Pfandleihgewerbes und Unternehmensbeteiligungsgesellschaften im Sinne des
5 Emmerich, Kartellrecht, S. 454; Hausleutner, Die kartellrechtliche Bereichsausnahme für das Kreditwesen und die Fachaufsicht nach dem Kreditwesengesetz, S. 11 ff.; Möschel, Das Wirtschaftsrecht der Banken, S. 398 f.; Möschel, Wettbewerb, S. 633; Möschel, in: ImmengaIMestmäcker, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 102 Rdz.23. 6 Vgl. dazu im einzelnen Bähre/Schneider, Kreditwesengesetz, § 1 Nr. 2 - 15; Szagunn/Wohlschieß, Gesetz über das Kreditwesen, § 1 Rdz. 2 -9.
B. Eingrenzung
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gleichnamigen Gesetzes.7 Wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen dieser Wirtschaftsuntemehmen, die nicht in den Anwendungsbereich des § 102 GWB fallen, werden nicht behandelt.
7 Vgl. dazu im einzelnen Bähre/Schneider, § 1 NT. 2 bis 15; Szagunn/Wohlschieß, § 1 Rz. 2 bis 9.
1. Kapitel
Das deutsche Wettbewerbsrecht A. § 102 GWB vor der 5. Novelle I. Die Entwicklung des Kartellrechts Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen hat die Aufgabe, den Wettbewerb zu sichern. Wettbewerb setzt voraus, daß der einzelne frei planen und entscheiden kann. Die Freiheit des einzelnen ist aber nicht nur Voraussetzung für Wettbewerb, sondern bietet zugleich auch die Möglichkeit, den Wettbewerb durch Abreden einzuschränken oder auszuschalten.! Die deutsche Wirtschaft begann bereits in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, ihre Freiheit in dieser Weise zu gebrauchen. Die Frage, ob wettbewerbsbeschränkende Abreden zulässig sind, beschäftigte schon bald darauf das Reichsgericht. Es sah in ihnen keine unzulässige Beeinträchtigung der Gewerbefreiheit,2 die in der Gewerbeordnung für das deutsche Reich3 festgelegt war. Begünstigt durch diese Rechtsprechung nahm die Zahl der Kartelle im Deutschen Reich gegen Ende des letzten Jahrhunderts stark zu. 4 ReichsregierungS und Rechtswissenschaft interessierten sich für dieses Phänomen zunächst nicht. 6 Unter dem Einfluß der Kartellrechtsdiskussion in Österreich gerieten die Wettbewerbsbeschränkungen schließlich aber auch in Vgl. Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, S. 114. RGZ 28 (1890), 238, 243 f.; 38 (1897), 155, 158 ff. 3 In der Fassung vom 1. Juli 1883, RGßl. 1883, S. 177. 4 Für das Jahr 1905 werden 400 "festgefügte Kartelle" und eine große Zahl "lockerer Vereinigungen" genannt, vgl. Rittner, Wettbewerb, S. 117. 5 Vgl. dazu F. Klein, Vhdlg. des 27. Dff (1904), ßd.4, S. 472. 6 Großfeld, Zur Kartellrechtsdiskussion vor dem Ersten Weltkrieg, in: CoinglWalter, Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, ßd. N, S. 255, 259. !
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A. § 102 GWB vor der 5. Novelle
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Deutschland ins Blickfeld. Zwischen 1902 und 1905 führte das Reichsamt des Innem eine Kartellenquete durch,? und der 26. und 27. Deutsche Juristentag (1902 und 1904) beschäftigten sich mit der Problematik. 8 Überwiegend blieb man jedoch bei der Ansicht, daß gesetzliche Maßnahmen nicht erforderlich seien. 9
In der Zeit des Ersten Weltkrieges ruhte die Kartellfrage ganz;IO ebenso in den ersten Jahren danach, als die Idee der Sozialisierung die wirtschaftspolitische Diskussion bestimmte. 11 Der Sozialisierungsgedanke verlor dann aber mit zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten in der Nachkriegszeit an Zugkraft, und spätestens 1921 war man endgültig zur kapitalistischen Wirtschaftsordnung der Vorkriegszeit zurückgekehrtY Aus diesem Grund und vor allem wegen der wachsenden Inflation gewann die Kartellfrage wieder an Bedeutung; mit Hilfe von Kartellen wurde die Last der Geldentwertung zunehmend auf den Verbraucher abgewälztY Um dem entgegenzuwirken, entstand 1923 die sogenannte Kartellverordnung, 14 die in § 4 Kartellverträge einer Mißbrauchsaufsicht unterwarf. Die Verordnung blieb eine stumpfe Waffe;ls sie begünstigte sogar die Kartellbildung, weil sie die Voraussetzungen festlegte, unter denen ein Kartell zulässig war. 16 Die Zahl der Kartelle stieg in der Zeit zwischen 1925 und 1930 auf ca. 3000. Gipfel der langjährigen Kartellentwicklung in Deutschland war schließlich das nationalsozialistische Zwangskartellgesetz von 1933,17 das die Kartellbildung auf staatliche Anordnung ermöglichte. 18
Großfeld, Diskussion, S. 269 ff. Großfeld, Diskussion, S. 279 ff.; Vhdlg. des 26. DJT, 1902, Bd. 1, 2 und des 27. DIT,I904. 9 Rittner, Wettbewerb, S. 117. 10 Lehnich, Kartelle und Staat, S. 105. 11 Lehnich, Die Wettbewerbsbeschränkung, S. 307 ff. 12 Lehnich, Wettbewerbsbeschränkung, S. 310. \3 Großfeld, Diskussion, S. 294. 14 Verordnung gegen Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellung vom 2. 11. 1923, RGBl. I 1067; die Gründe der Verordnung finden sich in der "Amtlichen Mitteilung an die Presse bei Bekanntgabe des Gesetzes", abgedruckt bei Lehnich, Wettbewerbsbeschränkung, S. 624. IS Vgl. Emmerich, Kartellrecht, S. 26. 16 Kartte/Holtschneider, Kozeptionelle Ansätze und Anwendungsprinzipien im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen - Zur Geschichte des GWB -, in: Handbuch des Wettbewerbs, S. 193, 200; Rotthege, Die Beurteilung von Kartellen und Genossenschaften durch die Rechtswissenschaft, S. 166. 17 RGBl. 1933 1488; vgl. dazu Rotthege, S. 201 ff. 18 Emmerich, Kartellrecht, S.26. 7
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2 Renken
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1. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
Erst 1947 erließen die Allüerten wirkliche Kartell- und Monopolisierungsverbote. 19 Die Wirkung dieser Verbotsvorschriften blieb aber beschränkt, weil sie nicht konsequent angewandt wurden. 20 Parallel zum allüerten Recht entstand ein deutscher Sachverständigenentwurf "zu einem Gesetz zur Sicherung des Leistungswettbewerbs und zu einem Gesetz über das Monopolamt" , heute weithin nach dem Vorsitzenden der Kommission Josten-Entwurf genannt. 21 Der Entwurf sah ein absolutes Kartellverbot sowie eine weitreichende Monopolaufsicht vor. Damit entsprach er zwar amerikanischen Vorstellungen,22 war jedoch in seiner Strenge für die Vorlage an den Gesetzgeber wenig geeignet. 23 Der Entwurf scheiterte, weil er Vorschriften über die Entflechtung von Unternehmen enthielt, über einen Bereich, den sich die USA und Großbritannien in einem Memorandum selbst vorbehalten hatten.24 Die Bundesregierung begann aber, auf diesen Entwurf und die alliierten Regeln aufbauend, ein Gesetz gegen Wettbewerbs beschränkungen zu erarbeiten. Der Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, der aus dem Wirtschaftsministerium stammte, wurde am 22. Februar 1952 vom Kabinett verabschiedet. 25 Im Verlauf des folgenden Gesetzgebungsverfahrens entstand der ursprünglich nicht vorgesehene § I02GWB.
ß. Die Urfassung des § 102 GWB 1. Das Gesetzgebungsverfahren
Der Entwurf bekannte sich zur Marktwirtschaft. In der Begründung heißt es, das Gesetz solle" die Freiheit des Wettbewerbs sicherstellen und wirtschaftliche Macht da beseitigen, wo sie die Wirksamkeit des Wettbewerbs und die ihm innewohnenden Tendenzen zur Leistungssteigerung beeinträchtigt und die 19 Gesetz Nr. 56 der amerikanischen Militärregierung v. 28. 1. 1947 (Text abgedruckt bei Remmert, Gesetz Nr. 56 - Verbot der übermäßigen Konzentration deutscher Wirtschaftskraft - Text und Erläuterung, hrsgg. von Wilhelm Remmert, S. 5 ff.); damit gleichlautend die britische Verordnung NT. 78 vom gleichen Tag; Dekret Nr. 96 vom 9. 6_1947 (Text abgedruckt bei Remmert, S. 20 b ff.). 20 Emmerich, Kartellrecht, S. 27. 21 Kartte/Holtschneider S. 202 f. 22 Kartte/Holtschneider S. 203. 23 Rittner, Wettbewerb, S. 121. 24 Memorandum 4930 des Zwei-Mächte-Kontrollamtes vom 29.3. 1949, Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, Drucksache 1949 NT. 1093; vgl. z.B. Günther, Die geistigen Grundlagen des sog. losten-Entwurfs, in: Festschrift Boom, S. 183, 197 ff. 25 Vgl. Lehnich, Wettbewerbsbeschränkung, S. 517.
A. § 102 GWB vor der 5. Novelle
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bestmögliche Versorgung der Verbraucher in Frage stellt".26 Dabei sah der Gesetzgeber es als gesicherte Erkenntnis an, daß Voraussetzung des freien Kräftespiels - des "freien Wettbewerbs" - eine vollkommene Wettbewerbssituation ist. Diese läge vor, wenn die Zahl der Wirtschafts subjekte auf beiden Seiten so groß ist, "daß der Marktpreis für den Unternehmer eine von seinem Verhalten im wesentlichen unabhängige Größe ist".Zl Gleichzeitig nahm die Regierung an, daß in einigen Bereichen aus verschiedenen GlÜnden ein vollständiger Wettbewerb weder bestehe noch gesetzlich herzustellen sei. 28 So glaubte sie, daß die automatische Steuerung durch den Markt auf dem Kreditsektor nicht funktionieren könne, weil der Staat hier über die Kreditaufsicht29 großen wirtschaftspolitischen Einfluß nehme. 30 Der Entwurf der Regierung belÜcksichtigte die so angesprochene Besonderheit der Kreditwirtschaft in § 36 Abs. 2. 31 Nach Satz 1 sollte das Kartellamt bei Verfügungen gegen die Kreditwirtschaft immer im Einvernehmen mit der Kreditaufsichtsbehörde handeln müssen. Wäre ein Einvernehmen nicht herzustellen, so sollte der Bundesminister für Wirtschaft gemäß § 36 Abs. 2 S. 2 des Entwurfes durch Weisung entscheiden. Der Bundesrat war mit der geplanten Wettbewerbsaufsicht über Banken und Versicherungen nicht einverstanden. Er schlug vor, den § 76 Nr. 1 des Regierungsentwurfs zu ergänzen, der bis dahin nur die Bank deutscher Länder, die Landeszentralbanken und die Kreditanstalt für Wiederaufbau vollständig vom Kartellverbot befreite. Die Freistellung sollte sich auf Kreditinstitute im Sinne des Kreditwesengesetzes von 1939 sowie Versicherungen und Bausparkassen erstrecken. Der Bundesrat begründete den Freistellungswunsch mit der bestehenden Bankenaufsicht, neben der eine weitere Wettbewerbsaufsicht nicht nötig sei. 32 Das Problem einer doppelten Aufsicht hatte auch die Regierung gesehen und darauf in ihrem Entwurf mit der erwähnten Einvernehmensregelung in § 36 Abs. 2 reagiert. Sie hatte sogar erwogen, die Kartellaufsicht auf die gemäß §§ 30 ff. KWG (1939) ausgeübte Kreditaufsicht zu übertragen?3 Dieser Gedanke wurde aber wegen der unterschiedlichen Zielrichtung von Kredit- und 26 BT-Drucksachen I/3462, Anlage 1, S.15 (Einleitung). Zl BT-Drucksachen I/3462, Anlage 1, S.l6 (V.). BT-Drucksachen I/3462, Anlage 1, S. 16. Damals noch nach dem Gesetz über das Kreditwesen vom 25. September 1939, Reichsgesetzbl. I 1955. 30 BT-Drucksachen I/3462, Anlage 1, S.16 (VI.). 31 BT-Drucksachen I/3462, Anlage 1, S.41. 32 BT-Drucksachen I/3462, Anlage 2, S.64. 33 BT-Drucksachen I/3462, Anlage 1, S.41. 28
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1. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
Wettbewerbs aufsicht verworfen: wo die eine der Sicherung von Einlagen diene, sei die andere auf Sicherung des Wettbewerbs gerichtet. Außerdem wollte die Regierung eine Spaltung der allgemeinen Kartellaufsicht vermeiden. Es bestünde die Gefahr, daß die Fachaufsicht "den Gedanken der Wettbewerbsfreiheit sowie die Interessen der Verbraucher gegenüber vermeintlich schutzbedürftigen Interessen der beaufsichtigten Institute zurückstellt".34 Demgemäß lehnte die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme die Anregung des Bundesrates ab. Eine Sicherung des Wettbewerbs, die auch auf dem Kreditsektor das Ziel sei, könne von der Bankaufsicht nicht erwartet werden?S Die erste Lesung des Entwurfs erfolgte in der 222. Sitzung des Bundestages am 26. Juni 1952. Anschließend wurde der Entwurf zur Beratung an den federführenden Ausschuß für Wirtschaftspolitik verwiesen. Obgleich sieben Beratungen folgten, war der Ausschuß wegen Arbeitsüberlastung und schwieriger materieller Fragen nicht in der Lage, den Entwurf in der ersten Legislaturperiode abschließend zu erörtern. 36 In der zweiten Wahlperiode brachte die Regierung den Entwurf unverändert in ein neues Gesetzgebungsverfahren ein. 37 Der Bundesrat wiederholte daraufhin die bereits bekannten Änderungsvorschläge, die Bundesregierung ihre Stellungnahme.38 Die erste Lesung des Entwurfs erfolgte in der 76. und 77. Sitzung des Bundestages.39 Anschließend wurden die Entwürfe in den Ausschüssen beraten. Dabei entstand der § 102 GWB, der auf unterschiedliche Ansichten der Ausschüsse für Wirtschaftpolitik und für Geld und Kredit zurückgeht. Der Ausschuß für Geld und Kredit ging davon aus, daß auf dem Kreditsektor gewisse Besonderheiten bestehen, die eine kartellrechtliche Sonderbehandlung rechtfertigten; dem Regierungsvertreter gelang es in der 28. Sitzung des Ausschusses jedenfalls nicht, die Ausschußmitglieder von deren Nichtbestehen zu überzeugen. 40 Als Besonderheiten des Banksektors wurde in dieser Sitzung insbesondere das Bestehen einer Kreditaufsicht genannt, die ein leistungsfähiges Kreditgewerbe zu erhal-
BT-Drucksachen 1/3462, Anlage 1, S.41. BT-Drucksachen 1/3462, Anlage 3, S.67. 36 Vgl. zum Ablauf der parlamentarischen Beratung BT-Drucksachen 11/3644, Anlage 4. 37 BT-Drucksachen lI/1158. 38 BT-Drucksachen lI/1158 Anlage 2 und 3. 39 Vgl. Protokoll der 76. Sitzung, Vhdlg. des Deutschen Bundestages, 2. Wahlperiode, Bd. 24, S. 4161,4199 ffund 77. Sitzung, a.a.O., S. 4227, 4238 ff. 40 Vgl. S. 8, 33 im Protokoll der Sitzung vom 27.10.55, abgedruckt in: Materialien zum GWB, Teil A, Bd. 3 Nr. 40. 34
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A. § 102 GWB vor der 5. Novelle
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ten und Zahlungs einstellungen zu vermeiden habe.41 Daneben wurde auch die Sonderrolle der Banken bei der Umsetzung staatlicher Währungspolitik erwähnt. 42 Später stellte der Vorsitzende des Ausschusses fest, daß die Griinde für die verlangte Freistellung weniger in der Existenz einer Fachaufsicht als vielmehr in einer Gläubigergefährdung durch das Wettbewerbsrecht lägen.43 Der Ausschuß für Wirtschaftpolitik verlangte demgegenüber, die Verbotsvorschriften des GWB müßten für die Kreditwirtschaft uneingeschränkt gelten. Er lag damit auf der Linie des Regierungsentwurfs und des Wirtschafts ministers. 44 Der Ausschuß für Geld und Kredit erklärte sich deshalb bereit, mit einer eingeschränkten Regelung vorlieb zu nehmen. Tatbestände, die der Genehmigung oder Überwachung nach dem KWG unterlagen, sollten freigestellt sein, im übrigen sollte das Kartellamt im Einvernehmen mit der Fachaufsicht einschreiten können. 45 Der Vorschlag ging dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik zu weit, da er eine Kartellaufsicht über Banken faktisch ausgeschlossen hätte. Dieser Ausschuß, der von beriicksichtigenswerten Besonderheiten des Kreditsektors nicht überzeugt war und einer Zersplitterung der Kartellaufsicht vorbeugen wollte, schlug folgende Fassung für einen Satz 1 eines § 76 a (später § 102 GWB) vor: "Dieses Gesetz findet keine Anwendung, soweit Wettbewerbsbeschränkungen nach dem Gesetz über das Kreditwesen oder nach dem Gesetz über die Beaufsichtigung der privaten Versicherungunternehmen zulässig sind und der Genehmigung oder Beaufsichtigung der zuständigen Aufsichtsbehörden unterliegen".46 Die heiden befaßten Ausschüsse vereinbarten, daß der Ausschuß für Geld und Kredit auf dieser Grundlage einen neuen Vorschlag für einen § 76 a erarbeiten sollte. Der Formulierungvorschlag47 entstand in Zusammenarbeit mit dem Bundeswirtschaftsministerium und wurde von beiden Ausschüssen ange41 MinRat Hahn in der Sitzung vom 27. 10. 1955, S. 9 des Protokolls, Materialien zum GWB, Teil A, Bd. 3 Nr. 40. 42 Eicke, Bank deutscher Länder, in der Sitzung vom 27. Oktober 1955, S. 20 des Protokolls, Materialien zum GWB, Teil A, Bd. 3 Nr. 40. 43 S. 4 des Protokolls der Sitzung des Ausschusses für Geld und Kredit vom 11. April 1956, Materialien zum GWB, Teil A, Bd. 3 Nr. 43. 44 Vgl. die Stellungnahme des Wirtschaftsministers in WuW 1956, S. 558 ff. 4S Schreiben des Vorsitzenden vom 22. März 1957 an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik, Materialien zum GWB, Teil A, Bd. 3 Nr. 52. 46 S. 8 des Protokolls der 183. Sitzung des Ausschusses für Wirtschaftpolitik am 6. April 1957, Materialien zum GWB, Teil A, Bd. 6 Nr. 151. 47 Anlage 2 zum Protokoll der 185. Sitzung des Ausschusses für Wirtschaftspolitik am 10. April 1957, Mat A. Bd. 6 Nr. 153.
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1. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
nommen. Es handelt sich um die Fassung des § 76 a des Entwurfs, die als § 102 in das GWB übernommen wurde und für den Bereich der Banken und Versicherungen das Mißbrauchsprinzip einführte. 2. Mißbraucbsaufsicbt
Das GWB erfaßt wettbewerbsbeschränkende Handlungsweisen in den §§ 1, 15,25 und 38 Abs. 1 Nr. 1 i. Die Vorschriften der §§ 1 und 15 GWB verbieten den Abschluß von Verträgen, die den Wettbewerb beeinträchtigen. § 25 GWB wendet sich gegen abgestimmte Verhaltensweisen, d.h. gleichförmiges, wettbewerbswidriges Verhalten, das nicht auf vertraglicher Vereinbarung beruht. § 38 Abs. 1 Nr. 11 GWB schließlich untersagt, an die Stelle eines Vertrages eine einseitige Empfehlung zu setzen, an die sich die Wettbewerber halten. § 102 Abs. 1 GWB [1957] befreite die Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen vollständig von den Verboten der §§ 1, 15 GWB und unterwarf sie einer Mißbrauchsaufsicht. Ab 1980 galt die Freistellung ausdrücklich auch für § 38 Abs. 1 Nr. 11 GWB. Gemäß § 102 Abs. 2 GWB [1957] bzw. § 102 Abs. 4 GWB [1980] konnte das Kartellamt gegen Wettbewerbsbeschränkungen von Kreditinstituten einschreiten, die "einen Mißbrauch der durch Freistellung von den §§ 1, 15 und 38 Abs. 1 Nr. 11 erlangten Stellung im Markt darstellen". Ob der Mißbrauch einer Freistellung vorlag, bestimmte sich nach dem Sinn und Zweck des § 102 Abs. 1 GWB. 48 Der Zweck der Vorschrift war bis zur 5. Novelle äußerst umstritten. Entsprechend zweifelhaft war, wann ein Mißbrauch vorlag. Es gibt eine ganze Reihe von volkswirtschaftlich-bankpolitischen Argumenten, die als Gründe für die Sonderbehandlung der Kreditwirtschaft und damit als Freistellungszweck von einem Teil der Literatur genannt wurden.49 Man schloß aus den Materialien, daß § 102 GWB wegen dieser Besonderheiten einen teilweisen Ausschluß des Wettbewerbs durch Absprache ermögliche. so Diese Annahme stellten die Kritiker des § 102 GWB aus zwei Gründen in Frage gestellt. Zum einen machten sie ein historisches Argument geltend: Der
48 Vgl. nur LangenINiederleithinger, Kommentar zum Kartellgesetz, § 12 Rz. 4, § 102 Rz. 32; Möschel, Wettbewerb, S. 637. 49 Schork, Die Auswirkungen des GWB auf das Kreditgewerbe, in: Sparkasse 1957, S. 267; Kindermann, Zur Rechtfertigung der kreditwirtschaftlichen Bereichsausnahme nach § 102 GWB, in: Wettbewerbsrecht und Wettbewerbspolitik, S. 277, 283 ff; WestrickILoewenheim, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 102 Rz. 10 ff.; Hootz, in: Gemeinschaftskommentar, Gesetz gegen Weubewerbsbeschränkungen, § 102 Rz. 2 ff. so Z.B. WestrickILoewenheim, § 102 Rz. 10; Gemeinschaftskommentar-Hootz § 102, Rz.2.
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Gesetzgeber habe die genannten Besonderheiten der gesetzlichen Fassung nicht zugrundegelegt. Aus den Materialien ergebe sich zwar eindeutig, daß die Gesetzesfassung einen Kompromiß zwischen den verschiedenen Ansichten der maßgebenden Ausschüsse darstellte. Die genaue Zielrichtung und Reichweite der Kompromißnorm sei den Materialien aber weniger zu entnehmen. Möschel schrieb: "Es ist schwierig, aus der Begründung einen rational nachvollziehbaren Sinn für die in § 102 GWB statuierte Mißbrauchsaufsicht zu ermitteln".51 Er beklagte "die mangelnde Klarheit und Bestimmtheit des in § 102 GWB enthaltenen rechtspolitischen Programms"52 und bezeichnete die Vorschrift als "Ergebniskompromiß zweier sich ausschließender Konzeptionen ohne eigene positive Fundierung".53 Hollenders bemängelte für den Bereich der Versicherung, daß es Schwierigkeiten bereite, der Entstehungsgeschichte "präzise zu entnehmen, was nun eigentlich der legislative Grund für die Sonderbehandlung ... in Form der Mißbrauchsaufsicht gewesen ist".54 Noch schärfer formulierte StützeI: "Es lohnt sich vermutlich nicht, weiter danach zu forschen. Er (der Gesetzgeber) hat sich nämlich vermutlich fast gar nichts gedacht, gar nichts gedacht".55 Über diese historische Argumentation hinaus versuchten die Kritiker nachzuweisen, daß die genannten Besonderheiten tatsächlich nicht bestehen, sie einen Ausnahmebereich also auch nicht rechtfertigen können. 56 Damit sollte einer möglichen teleologischen Argumentation die Grundlage entzogen werden. 57 Nach dieser Ansicht sollte die Mißbrauchs aufsicht nach § 102 GWB sich an den Kriterien der §§ 2 ff. GWB orientieren; der Zweck des § 102 Abs. 1 GWB erschöpfe sich darin, der Kreditwirtschaft gewisse Verfahrens und Beweislastvorteile zu gewähren. 58
51 Möschel, Wirtschaftsrecht, S. 335, Möschel, Kreditwirtschaft und Bereichsausnahme nach § 102 GWB, in: ZHR 139 (1975), S. 347, 348. 52 Möschel, Wirtschaftsrecht, S. 336. 53 Möschel, Wirtschaftsrecht, S. 392 f. 54 Hollenders, Die Bereichsausnahme fiir Versicherungen nach § 102 GWB, S. 39. 55 Diskussionsbeitrag Stützel in der Sitzung der "Arbeitsgruppe Wettbewerb" in Salzburg 1973, Tagungsbericht, abgedruckt in: Röper (Hrsg.), Wettbewerbsprobleme im Kreditgewerbe, S. 93. 56 Möschel, Kreditwirtschaft, ZHR 139 (1975), S. 347, 350 ff:; Möschel, Wirtschaftsrecht, S. 363 ff.; Soltwedel, Deregulierungspotentiale in der Bundesrepublik, S. 69 ff.; fiir den Versicherungssektor Hollenders, S. 59 ff. 57 So ausdrücklich Hollenders, S. 58. 58 Amold, Wettbewerb, Weubewerbsbeschränkung und Mißbrauchsaufsicht im Kreditwesen, in: WuW 1960, S. 469, 476; Möschel, Wirtschaftsrecht, S. 445; Klaue, Zur Problematik der kartellrechtlichen Mißbrauchsaufsicht über Versicherungsunternehmen, in: WuW 1975, S. 5,11.
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1. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
Eine weitere Gruppe von Autoren teilte zwar die Ansicht, daß den Materialien zum GWB kein konkreter Freistellungszweck zu entnehmen sei, bejahte dessen Bestehen aber trotzdem. Im Gesetzgebungsverfahren sei ein Konflikt zwischen bankpolitischen Zielen und dem Wettbewerbsprinzip zu entscheiden gewesen. Die bankpolitischen Ziele Einlagenschutz und Währungsstabilität, die im geltenden KWG zum Ausdruck gekommen seien, hätten auch in einem Wettbewerbsgesetz berticksichtigt werden müssen, das auf Durchsetzung des Wettbewerbsprinzip ziele. In § 102 GWB, der die Banken besonders behandle, fmde das "partielle Unwerturteil" über den Wettbewerb auf dem Kreditsektor seinen Ausdruck. 59 Im einzelnen wurden folgende Freistellungszwecke diskutiert: - Sicherheits argument Die Befürworter des § 102 GWB machten geltend, Insolvenzen auf dem Kreditsektor führten zu einem Vertrauensverlust für das gesamte Gewerbe, der volkswirtschaftlich fatale Folgen haben könne. 60 Es sei deshalb nötig, ruinösen Wettbewerb und damit Bankenzusammenbrüche zu vermeiden, weil nur dann die Sicherheit der Einlagen gewährleistet sei. Indem § 102 GWB Absprachen über das Verhalten der Wettbewerber ermögliche, diene er der Rentabilitätssicherung der Banken und bewirke somit einen vorbeugenden Insolvenzschutz.61 Danach war § 102 GWB eine Norm, die einen Zielkonflikt zwischen dem Wettbewerbsprinzip und der Bankenaufsicht zu Lasten des Wettbewerbsprinzips regelte. Die Notwendigkeit, Einleger vor den Folgen von Bankinsolvenzen zu schützen, sahen auch die Kritiker des § 102 GWB. Sie gingen aber davon aus, daß private Absprachen nicht das richtige Mittel zum Zweck seien. Es sei nicht gerechtfertigt, die Kunden zur Finanzierung von Reservemitteln heranzuziehen und den Banken eine Kartellrente zukommen zu lassen, bei der nicht gewährleistet sei, daß sie auch tatsächlich zu Sicherungszwecken eingesetzt werde. Auch bestehe die Gefahr, daß die Institute auf den Bereich des Qualitätswettbewerbs auswichen, wenn der Wettbewerb bei den wesentlichen Konditionen ausgeschlossen werde. Dann wäre nichts gewonnen. Außerdem würden schwa59 Immenga, Wettbewerbsbeschränkungen auf staatlich gelenkten Märkten, S. 199 f.; Immenga, Die Zinsfieigabe und das Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, in: BB 1967, S. 696, 698; Klaue, Problematik, WuW 1975, S. 5, 9; ebenso fiir den Bereich der Versicherungen Großfeld, Prämienkartelle in der Versicherungswirtschaft, in: Wettbewerb als Aufgabe, Nach zehn Iahren Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, S. 105,110. 60 Vgl. Bericht der Bundesregierung, BT-Drucksache VIIl3206, S.17. 61 Gemeinschaftskommentar-Hootz, § 102 S. 5; WestrickILoewenheim, § 102 Rdz. 10.
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che Wettbewerber angelockt, die sonst nicht tätig würden.62 Der Versuch der Rentabilitätssicherung sei schließlich auch deshalb untauglich, weil die typischen Insolvenzgefahren in der Vergangenheit im Verlust von Großforderungen und Kursverlusten bei Wertpapieren gelegen hätten. 63 - Kooperationsargument Ein weiteres Argument war das Kooperationsargument. Dessen Reichweite war streitig. Zum Teil wurde damit nur die währungspolitische Rolle der Kreditwirtschaft angesprochen. 64 Die Kreditwirtschaft sei als Medium und Partner ("Transmissionsriemen") der staatlichen Währungs-, Kredit- und Konjunkturpolitik zu sehen. Sie schaffe durch Kreditgewährung (Buch-) Geld und beeinflusse durch Festlegung der Zinshöhe die Nachfrage nach Kredit, habe also maßgeblichen Einfluß auf die Buchgeldmenge.65 Da das Buchgeld ein größeres Volumen als das Stoffgeld habe, seien die Banken wichtige Räder im Triebwerk der Währung;66 der Staat müsse auf die Banken über hoheitliche Entscheidungen hinaus Einfluß nehmen und dadurch seine Währungspolitik durchsetzen können, z.B. indem er Zinsempfehlungen und Absprachen über die Kreditgewährung anrege. 67 Als zweiten Aspekt des Kooperationsarguments sah ein Teil der Literatur den besonderen Charakter der Bankdienstleistung. Das Massengeschäft zwinge zur Kooperation zwischen den Kreditinstituten; es könne nur bewältigt werden, wenn gewisse Standards gelten. 68 Insbesondere die Kritiker des § 102 GWB haben diesen Gesichtspunkt nicht diskutiert. 69 62 Stützel, Bankpolitik heute und morgen - Ein Gutachten, S. 35; Möschel, Wirtschaftsrecht, S. 254 f., 391; Aust, Der Wettbewerb in der Bankwirtschaft, S. 260. 63 So die Argumentation von Möschel, Wirtschaftsrecht, S. 391 f.; ders., Kreditwirtschaft, ZHR 139 (1975), S. 347, 350 ff.; ImmengaIMestmäcker-Möschel, § 102 Rdz. 7. 64 Vgl. ImmengaIMestmäcker-Möschel, § 102 Rdz. 8. 65 Vgl. dazu auch den Bericht der Regierung, BT-Drucks. VII/3206, S. 17. 66 Gnam, Kreditinstitute im Wettbewerb, in: WuW 1956, S. 581, 586. 67 Gemeinschaftskommentar-Hootz, § 102 Rz. 4; Westrick/Loewenheim, § 102 Rdz. 11; Schreihage, Wettbewerb und Wettbewerbsbeschränkungen im Kreditgewerbe, in: Zeitschrift für das ges. Kreditwesen, S. 15. 68 Gemeinschaftskommentar-Hootz, § 102 Rz. 4; vgl. z.B. Klaue, Die Wettbewerbsbeschränkungen im Kreditgewerbe aus der Sicht des Bundeskartellamtes, in: Wettbewerbsprobleme im Kreditgewerbe, S. 66; Klaue, Die Ausnahmeregelung für Banken im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, in: FLF 1987, S. 39. 69 Vgl. ImmengaIMestmäcker-Möschel, § 102 Rdz. 8; Möschel, Kreditwirtschaft, ZHR 139 (1975), S. 347, 352 f.; ähnlich auch Brühann, Grenzüberschreitende Kooperation und Konzentration deutscher Kreditinstitute im Gemeinsamen Markt . zugleich ein Beitrag zur Mißbrauchsaufsicht über Kreditinsitute nach § 102 GWB ., S. 152, der nur die Kooperation zwischen Staat und Kreditwirtschaft erwähnt.
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1. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
Gegen den währungspolitischen Aspekt machten die Kritiker geltend, daß staatliche Politik niemals privatautonome Wettbewerbsbeschränkungen legitimieren könne, solche Zusammenarbeit außerdem gar nicht notwendig sei.70 - Geldschöpfungsargument Dem Geldschöpfungsargument zufolge, das eng mit dem Kooperationsargument verwandt ist, durfte der Kreditsektor wegen seiner währungspolitischen Bedeutung keinem ungeregelten Wettbewerb ausgesetzt werden. 7 ! Die Banken steuerten über die Kreditgewährung die für die Volkswirtschaft eminent wichtige Buchgeldmenge.72 Der Staat unterwerfe sie deshalb einer Vielzahl von Vorgaben, so z.B. den Liquiditätsanforderungen des KWG. Daneben seien sie u.a. vom jeweiligen Habenzins und Einlagevolumen, von dem geltenden Diskont- und Lombardsatz sowie den Rediskontkontingenten abhängig. 73 Wegen dieser vielfältigen Abhängigkeit könne es auf dem Kreditsektor keinen freien Wettbewerb geben. Dem widersprachen die Kritiker unter Hinweis darauf, daß der Staat zwar einen wirtschaftspolitischen Rahmen setze, innerhalb dieses Rahmens Wettbewerb aber uneingeschränkt möglich sein müsse. Die bestehenden hoheitlichen Wettbewerbsbeschränkungen legitimierten jedenfalls keine privaten.74 - Ausgleichsargument Das Ausgleichsargument stellte darauf ab, daß den Banken aufgrund der hoheitlichen Einflußnahme durch die Notenbank Einbußen entstünden; diese wolle § 102 GWB durch die Möglichkeit von Absprachen, die ungebremsten Wettbewerb ausschließen können, zumindest teilweise ausgleichen. 75 Dem hielten die Kritiker entgegen, daß nicht nur die Kreditwirtschaft, sondern alle Wirtschaftszweige unter Rahmenbedingungen zu arbeiten hätten, die
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Möschel, Kreditwirtschaft, ZHR 139 (1975), S. 347, 353; ders., Wirtschaftsrecht,
S. 386 ff.; Immenga/Mestmäcker-Möschel, § 102 Rdz. 8.
7! Westrick,ILoewenheim, § 102 Rdz. 11; Gemeinschaftskommentar-Hootz, § 102 Rz. 4; vgl. Immenga/Mestmäcker-Möschel, § 102 Rdz. 9. 72 Vgl. dazu Amold, WuW 1960, S. 469, 470; Gemeinschaftskommentar-Hootz, § 102 Rz. 4. 73 Vgl. nur Gemeinschaftskommentar-Hootz, § 102 Rz. 4. 74 Möschel, Wirtschaftsrecht, S. 382 ff.; ders., Kreditwirtschaft, ZHR 139 (1975), S. 347,356 f.; Immenga/Mestmäcker-Möschel § 102 Rdz. 9. 75 Schreihage, S. 15; vgl. Immenga/Mestmäcker-Möschel, § 102 Rdz. 10.
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ihrem Einfluß entzogen seien; in allen Bereichen gebe es Lohnerhöhungen, Preiserhöhungen für Rohstoffe, kostentreibende Umweltschutzauflagen etc.76 - Gruppenargument Das Gruppenargument ging davon aus, daß Wettbewerb auf dem Kreditsektor zwischen den einzelnen Instituten zwar weniger verbreitet sei, dafür aber zwischen den einzelnen Gruppen - z.B. Privatbanken, Volks- und Raiffeisenbanken sowie Sparkassen - stattfmde.77 Die Kritiker hielten auch ein solches Argument für wettbewerbspolitisch bedenklich.78 - Vorleistungs argument Als weitereren Punkt, der eine Sonderbehandlung der Banken rechtfertige, nannten die Befürworter des § 102 GWB das Vorleistungs argument. Während in anderen Fällen gemäß § 320 BGB Zug um Zug zu leisten sei, leiste der Einleger vor. Die erst später entstehende Pflicht zur Rückzahlung könne dazu führen, daß Banken ihre künftigen Verpflichtungen falsch einschätzten. Das führe zu einem Wettbewerbsnachteil der qualitativ besseren, weil realistisch kalkulierenden Anbieter, die so aus dem Markt gedrängt werden könnten. 79 Ob es sich hier überhaupt um ein eigenständiges Argument handelte scheint zweifelhaft, weil es dem Sicherheits argument ähnelt. 80 Im übrigen hielten die Kritiker das Vorleistungsargument für verfehlt, weil es einseitig auf das Einlagengeschäft der Banken abstellt. Private Wettbewerbsbeschränkungen jedenfalls ließen sich auch damit nicht rechtfertigen. 8l
BI. Die ersten vier Novellen des GWB Der Zweck des § 102 GWB war nicht nur in der Wissenschaft umstritten, sondern immer wieder auch Gegenstand der Überlegungen zur Novellierung des GWB. Die erste Novelle des GWB, die am 1. Januar 1966 in Kraft trat, ließ 76 Möschel, Kreditwirtschaft, ZHR 139 (1975), S. 347, 357; ders., Wirtschaftsrecht, S. 389 f.; Immenga/Mestmäcker-Möschel § 102 Rdz. 10. 77 Monopolkommission, Hauptgutachten I, S. 281, 283; Tätigkeitsbericht BKartA 1976, BT-Drucks. 8(704, S. 91; vgl. schon Arnold, WuW 1960, S. 469, 474. 78 Möschel, Kreditwirtschaft, ZHR 139 (1975), S. 347, 358; Immenga/MestmäckerMöschel, § 102 Rz. 11. 79 Bömer, Ausnahmebereiche des GWB, S. 4 f., 6, 24; GemeinschaftskommentarHootz, § 102 Rz. 6; vgl. Immenga/Mestmäcker-Möschel, § 102 Rz. 12. 80 WestrickILoewenheim, § 102 Rz. 14. 81 Möschel, Kreditwirtschaft, ZHR 139 (1975), S. 347, 359 f.; Immenga/MestmäckerMöschel, § 102 Rz. 12.
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den § 102 GWB unberührt. Bereits Ende 1967 begannen die Vorarbeiten für ein zweites Gesetz zur Änderung des GWB. 82 Die Überlegungen führten zu einem Referentenentwurf, der eine Änderung der Vorschrift vorsah. 83 Der Entwurf der Bundesregierung verzichtete auf die vorgeschlagene Änderung, weil sie nicht vordringlich84 und die vorgeschlagene Regelung zu unübersichtlich sei.85 Einige Abgeordnete beantragten zwar, in § 102 GWB Teile des genannten Referentenentwurfs 86 zu übernehmen. So sollte bei einer Anmeldung von Absprachen gemäß § 102 GWB eine Stellungnahme der betroffenen Wirtschaftskreise beizufügen sein. Außerdem wurde angeregt, daß die Kartellbehörde lediglich im Benehmen mit der Kartellbehörde und nicht mehr im Einvernehmen solle handeln müssen. Der Bundestag lehnte dies ab,87 verpflichtete aber die Bundesregierung, die kartellrechtlichen Ausnahmebereiche gründlich zu untersuchen und innerhalb eines Jahres einen Bericht vorzulegen. 88 Dieser Bericht ging dem Bundestag am 4. Februar 1975 zu. In ihm heißt es, die Kreditinstitute seien besonders behandelt worden, weil an sie aus gesamtwirtschaftlicher Sicht besondere Anforderungen zu stellen seien. Der notwendige Schutz des Vertrauens der Bürger in die Zuverlässigkeit und Stabilität von Banken und Versicherungen gebiete einen teilweisen Ausschluß des marktwirtschaftlichen Ausleseprinzips. Als weitereren Grund für die Sonderbehandlung der Kreditwirtschaft nannte der Bericht deren Rolle als Mittler für die staatliche Währungs-, Kredit- und Konjunkturpolitik: Der Staat müsse auch auf anderen Wegen als durch hoheitliche Maßnahmen, beispielsweise durch Anregung der Verbände zu Zinsempfehlungen, auf die Kreditwirtschaft einwirken können. 89 Damit übernahm der Bericht - einigermaßen unkritisch - die Freistellungsargumente, mit denen ein Teil der Literatur den § 102 GWB rechtfertigte. Der Bericht fährt fort, es sei von dem Faktum der doppelten Aufsicht auszugehen, die unumgänglich sei. Lediglich über das Gewicht der Aufsicht könne man nachdenken.9O Wegen der praktischen Bedeutung des § 102 GWB, der dem Bankensektor Habenzinsempfehlungen und Empfehlungen zur Regelung Vgl. BT-Drucksachen VI/2520, Begründung S. 14. Entwurf vom 28. Oktober 1970, abgedruckt BT-Drucks. VlI/3206, Anlage 1 (zu Viertes Kapitel), S. 54. 84 BT-Drucksache VI/2520, Anlage 1. 85 Vgl. den Bericht der Regierung, BT-Drucks. VlI/3206, Textziffer 66. 86 Entwurf vom 28. Oktober 1970, abgedruckt BT-Drucks. VlI/3206, Anlage 1, S. 54. 87 Verhandlungen des Bundestages, Stenogr. Bericht zur 42. Sitzung (14.6.1973), S. 2334. 88 Antrag BT-Drucks. VJl{779; einstimmig angenommen am 14.6.1973, BT-Drucksache VlI/3206, S. 3. 89 Bericht der Regierung, BT-Drucks. Vll/3206, Tz. 55 (S. 17). 90 Bericht aaO., Tz. 92. 82
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des Massengeschäfts ermögliche, könne man die Vorschrift allenfalls in Teilen verbessern, sie aber nicht streichen.91 Es wurde vorgeschlagen, eine Begriindungspflicht für geplante Wettbewerbsbeschränkungen und die Anhörung der betroffenen Wirtschaftskreise einzuführen. Außerdem sollte nach Meldung geplanter Maßnahmen eine Wartefrist von drei Monaten einzuhalten sein und die Publizität verbessert werden. An diesem Bericht orientierte sich das vierte Gesetz zur Änderung des GWB. 92 In § 102 Abs. 1 Nr. 2 führte es eine Wartefrist für die Zeit zwischen Anmeldung und Wirksamwerden ein; Abs. 2 S. 3 statuierte eine Begriindungspflicht, Abs. 3 S. 1 eine Publizitätspflicht, und Abs. 3 S. 4 verlangte die Anhörung der betroffenen Wirtschaftskreise.93 Die Reform ließ, dem Bericht vom 4. Februar 1975 Rechnung tragend, das Prinzip des § 102 GWB unangetastet: es blieb bei der Mißbrauchsaufsicht.
IV. Praktische Bedeutung des § 102 GWB § 102 GWB ermöglichte bzw. erleichterte dem Kreditsektor Verhaltensweisen, die in anderen Wirtschaftsbereichen nicht statthaft sind. Für Verträge, Beschlüsse und Empfehlungen, die der Mißbrauchsaufsicht unterlagen, begriindeten § 102 Abs. 1 S. 2 GWB [1957] bzw. § 102 Abs. 1 Nr. 1 lit. b GWB [1980] eine Meldepflicht. Die Maßnahmen mußten zunächst der Bankenaufsicht angezeigt werden, die dann eine Ausfertigung der Meldung an das Kartellamt weiterzuleiten hatte. Aufgrund der Meldepflicht sind die auf dem Bankensektor üblichen Absprachen und Empfehlungen bekannt; das Bundeskartellamt veröffentlicht sie in Umrissen in seinen - neuerdings nur noch alle zwei Jahre 94 - erscheinenden Berichten.
Einzelne Bankinstitute haben in der Vergangenheit nur selten Maßnahmen gemeldet; sie gingen im Regelfall auf die Spitzenverbände der Banken oder den Zentralen Kreditausschuß zurück. Spitzenverbände der Banken sind u.a. der Bundesverband deutscher Banken e.V., in dem die deutschen Privatbanken zusammengeschlossen sind, der Deutsche Sparkassen- und Giroverband e.V. und der Bundesverband der deutschen Volks- und Raiffeisenbanken e.V. Die Spitzenverbände wiederum sind zusammengeschlossen im Zentral'!n Kreditausschuß, dem auch die Bundesbank angehört. 91 92 93
94
Bericht aaO., Tz. 94 - 97. BT-Drucks. Vll/3206. Vgl. auch BR-Drucksache 231/78, S. 31. Vgl. § 50 Abs. 1 S. 1 GWB.
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1. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
Die gemeldeten Maßnahmen lassen sich in zwei große Gruppen unterteilen, die allerdings nicht scharf voneinander zu trennen sind. Auf der einen Seite stehen Beschränkungen, die unmittelbar den Kundenverkehr beeinflussen, z.B. die Empfehlungen einheitlicher Geschäftsbedingungen. Auf der anderen Seite stehen Beschränkungen, welche die Geschäftsabwicklung zwischen den Kreditinstituten betreffen und nur mittelbar auf das Verhältnis zum Kunden wirken. 9S Daneben ist das Ad-hoc-Geschäft zu erwähnen, das nach § 102 Abs. 1 S. 3 GWB [1980] von der Meldepflicht befreit war. 1. Kundenbezogene Verträge, Beschlüsse und Empfehlungen
Die Empfehlung war im Bereich der kundenbezogenen Maßnahmen das übliche Mittel, die Geschäftspolitik zu vereinheitlichen;96 sie stellte die überwiegende Zahl der angemeldeten Wettbewerbsbeschränkungen.97 a) Empfehlungen Allgemeiner Geschäftsbedingungen
Maßnahmen, die bis in die letzten Kartellamtsberichte hinein erwähnt werden, sind die Empfehlungen Allgemeiner Geschäftsbedingungen. Empfohlen wurde beipielsweise, einheitliche Bedingungen für "Auslandsgeschäfte in Wertpapieren"98 oder den Handel in amtlich nicht notierten Werten99 zu verwenden; daneben gibt es eine große Zahl von Empfehlungen, die sich auf die Geschäftsbedingungen für das alltägliche Kundengeschäft beziehen. 1°O Das
95 Vgl. den Überblick in Anlage 3 zum Bericht über die Ausnahmebereiche, BTDrucks. 7/3206; Klaue, Ausnahme, FLF 1987, S. 39. 96 Vgl. Klaue, Kartellamt, S. 67. 97 So der Bericht über die Ausnahmebereiche, BT-Drucks. 7/3206, S. 21. 98 Tätigkeitsberichte BKartA 1961, BT-Drucks. N/378, S. 55 (Empfehlung des Verbandes der privaten Banken); BKartA 1962, BT-Drucks. N/1220, S. 66 (Sparkassenund Giroverband); BKartA 1973, BT-Drucks. 7/2250, S. 106. 99 Tätigkeitsbericht BKartA 1973, BT-Drucks. 7/2250, S. 106. 100 Vgl. nur Tätigkeitsberichte BKartA 1967, BT-Drucks. V/2841, S. 82; BKartA 1969, BT-Drucks. VI,t950, S. 92 (Bundesverband Deutscher Banken); BKartA 1976, BT-Drucks. 81704, S. 92 (V.~rband Volks- und Raiffeisenbanken, Sparkassen- und Giroverband); eine allgemeine Uberarbeitung der geltenden Geschäftsbedingungen erfolgte durch die Verbände der Kreditwirtschaft im Jahre 1977, Tätigkeitsbericht BKartA 1978, BT-Drucks. 8/2960, S. 90; Tätigkeitsbericht BKartA 1981/82, BT-Drucks. 10/143, S. 80 (Bundesverband Deutscher Banken); 1983 erfolgte eine weitere Überarbeitung der Geschäftsbedingungen durch die drei Spitzenverbände, vgl. Tätigkeitsbericht BKartA 1983/84, BT-Drucks. 10/3550, S. 109 sowie Bundesanzeiger NT. 195 vom 19. 10. 1982, Nr. 202 vom 28. 10. 1982, Nr. 160 vom 27. 8.1983 sowie Nr. 33 vom 16.2. 1984.
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Bundeskartellamt ließ diese Empfehlungen nach § 102 GWB zu, wenn sie mit den Grundsätzen des AGB-Gesetzes vereinbar waren. IOI
b) Zinsempjehlungen Eine weitere wichtige Gruppe von Verbandsempfehlungen legte den zulässigen Höchstsatz der Zinsen fest. 102 Kartellrechtlich bedeutsam waren dabei nur die Empfehlungen von Habenzinsen, denn von einem Höchstsatz für Sollzinsen wird der Wettbewerb nicht negativ beeinflußt. Die Zinsempfehlungen setzten 1967 mit dem Ende der Zinsverordnungen ein, mit denen der Staat im Interesse seiner Wirtschaftspolitik auf den Kreditsektor Einfluß genommen hatte. Ursprung der hoheitlichen Zinsfestlegung war die aus der Weltwirtschaftskrise folgende deutsche Bankenkrise im Jahre 1931. 103 Zur Krisenbewältigung erließ der Reichspräsident unter anderem die Vierte Verordnung zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutze des inneren Friedens vom 8. Dezember 1931. 104 Nach § 1 Abs. 1 S. 1 Erster Teil, Kapitel 3, Zweiter Abschnitt der Verordnung hatte der Reichskommissar für das Kreditwesen sicherzustellen, daß die Spitzenverbände eine Vereinbarung über die Höhe der Haben- und Sollzinsen träfen, die zu einer Zinssenkung führen sollte. Die Vereinbarung sollte durch Zustimmung des Reichskommissars Allgemeinverbindlichkeit erlangen (§ 1 Abs. 1 S. 2 der VQ). Die erste Vereinbarung dieser Art wurde am 9. Januar 1932 geschlossen; sie war der Beginn der bis 1967 andauernden hoheitlichen Einwirkung auf die Zinshöhe. l05
101 Vgl. Tätigkeitsbericht BKartA 1974, BT-Drucks. 7/3791, S. 80, wo der AGBGEntwurf herangezogen wurde und Tätigkeitsbericht BKartA 1978, BT-Drucks. 8/2960, S.90. \02 Berichte des BKartA 1967, BT-Drucks. V/2841, s. 81; 1969, BT-Drucks. VI/950, S.92; 1970, BT-Drucks. VI/2380, S. 87 f.; 1971, BT-Drucks. VI/3570, S. 89; 1975, BTDrucks. 7/5390, S. 84; 1977, BT-Drucks. 8/1925, S. 82.; 1978, BT-Drucks. 8/2980, S. 90; 1979/80, BT-Drucks. 9/565, S. 104. 103 Vgl. dazu Möschel, Wirtschaftsrecht, S. 205; ausfiihrlich Born, Vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis zum Ende der Weimarer Republik (1914 - 1933), in: Deutsche Bankgeschichte, Bd. 3, S. 105 ff. 104 RGBI. 1/704. \05 Immenga, Zinsfreigabe, S. 696; Dermitzel, Die "Zinsabkommen" und ihr Einfluß auf den Wettbewerb unter den Kreditinsituten, in: WuW 1955, S. 735 f.
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1. Kapitel: Das deutsche Wenbewerbsrecht
Den Inhalt des § 1 der Verordnung übernahm das Kreditwesengesetz von 1934 in § 38 106 bzw. von 1939 in § 36;107 lediglich die zuständige Behörde wechselte. Auf dieser Grundlage blieb es über den Zweiten Weltkrieg und die Gründung der Bundesrepublik hinweg bei Zinsabkommen mit hoheitlichem Einverständnis. Bedenken gegen diese Praxis entstanden mit Inkrafttreten des GWB. An die Stelle der Abkommen traten deshalb Zinsverordnungen des gemäß § 36 S. 2 KWG [1939] bzw. § 23 Abs. 1 des KWG [1961] zuständigen Wirtschafts ministers. Mit der Zins bindung war der Wettbewerb auf dem Kreditsektor über lange Zeit hinweg weitgehend ausgeschlossen. Eine Wende kam erst 1967, als die letzte Zinsverordnung vom 5. Februar 1965 1a! und Bestimmungen über die Kosten für Teilfinanzierungskredite und Kleinkredite aufgehoben wurdenYl9 Damit war Wettbewerb in diesem Bereich theoretisch wieder möglich. Er blieb aber aus, weil die Spitzenverbände der Kreditwirtschaft die erwähnten Zinsempfehlungen an die Stelle der Zinsverordnungen setzten und damit eine einheitliche Zinshöhe für weite Geschäftsbereiche auch weiterhin sicherten. Das Kartellamt erklärte sich 1967 bereit, die Zinsempfehlungen für eine Übergangszeit als Orientierungshilfe für die Kreditinstitute zu akzeptieren. llo Diese Übergangszeit wollte das Kartellamt 1973 beenden. Es erklärte, Zinsempfehlungen der Verbände seien eine mißbräuchliche Ausnutzung der MarktsteIlung im Sinne des § 102 Abs. 2 GWB [1957]. Zu einer Mißbrauchsverfügung kam es jedoch zunächst nicht, weil das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen das erforderliche Einvernehmen verweigerte. Auch eine Ministerentscheidung gemäß § 102 Abs. 4 S. 1 GWB [1957] erging nicht, weil die betroffenen Verbände ihre letzten Zinsempfehlungen freiwillig aufhoben und zusagten, auf Zinsempfehlungen zunächst zu verzichten. 11I
An die Zusage hielten sich die Verbände bis 1975, als sie auf Wunsch der Bundesregierung erneut Zins empfehlungen abgaben, um die Konjunkturpolitik zu unterstützen. Weil das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen bereits 1973 sein Einvernehmen für eine Mißbrauchsverfügung versagt hatte und unter den genannten Umständen auch mit einer positiven Ministerentscheidung nicht zu rechnen war, verzichtete das Kartellamt auf ein Tätigwerden. 1I2 In den folgen106 RGBI.
I, S. 1203. RGBI. I, S. 1955. 108 BGBI. I, S. 33. 109 VO vom 21.3.1967, BGBI. I, S. 352. 110 Tätigkeitsbericht BKartA 1967, BT - Drucks. V/2841, S. 81 f. 111 Vgl. dazu Tätigkeitsbericht BKartA 1973, BT-Drucks. 7/2250, S. 106 f. 112 So Tätigkeitsbericht BKartA 1975, BT-Drucks. 7/5390, S. 84. 107
A. § 102 GWB vor derS. Novelle
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den Jahren kam es immer wieder zu Zinsempfehlungen. Seit 1980 allerdings sind keine mehr zu verzeichnen. 113 Die Gründe dafür lassen sich den Berichten des Bundeskartellamtes leider nicht entnehmen. c) Empfehlungen von Gebühren, Provisionen und wesentlichen Vertragsbestimmungen
Neben den Empfehlungen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen und den Zinsempfehlungen bilden die Empfehlungen von Gebühren, Provisionen und wesentlichen Vertragsbestimmungen eine dritte Gruppe kundenorientierter Empfehlungen. Bespiele dafür sind die Empfehlung des zentralen Kreditausschusses, Lohn- und Gehaltskonten zinsfrei zu führen und für jede Zahlung Eins von Tausend als Gebühr zu veranschlagen,114 und die Empfehlung des Bundesverbandes des privaten Bankgewerbes, bei Anschaffungsdarlehen bestimmte Mindest- und Höchstbeträge, bestimmte Zinssätze, Laufzeiten, Gebührensätze und Werbeformen einzuhalten.1\S Derselbe Verband hat 1962 seinen Mitgliedern empfohlen, Überweisungsaufträge von Großkunden nicht auf Lochkarten entgegenzunehmen. 116 Weiter gab es die "Richtlinien für die Aktion zur Förderung der Existenzgründung von Handwerkern etc." des Genossenschaftsverbandes, die u.a. Darlehenshöhe, Darlehenslaufzeit und Verzinsung festlegten. 117 Der Sparkassen- und Giroverband empfahl eine einheitliche Gebührentabelle,118 einheitliche Grundsätze für den Umzugsservice 119 und den Verzicht darauf, bei der Auszahlung von Euroschecks Gebühren zu erheben. 120 Die kleine Auswahl zeigt, daß Maßnahmen dieser Art in der Vergangenheit häufig vorkamen. 2. Maßnahmen zur Geschäftsabwicklung
Ähnlich zahlreich wie die kundenbezogenen Maßnahmen waren diejenigen, die der Abwicklung des Geschäfts zwischen den Instituten dienten. Wichtig waren z.B. das Abkommen zwischen der Bundesbank und den SpitzenverbänVgl. auch Klaue, Ausnahme, FLF 1987, S. 39. 114 Tätigkeitsbericht BKartA 1960, BT-Drucks. IIJ/2734, S. 37. I\S Tätigkeitsbericht BKartA 1962, BT-Drucks. IV/1220, S. 66. 116 Tätigkeitsbericht BKartA 1962, BT-Drucks. IV/1220, S. 66. 117 Tätigkeitsbericht BKartA 1963, BT-Drucks. IV/2370, S. 63. 118 Tätigkeitsbericht BKartA 1967, BT-Drucks. V/2841, S. 82. 119 Tätigkeitsbericht BKartA 1976, BT-Drucks. 8/704, S. 9':. 120 Tätigkeitsbericht BKartA 1976, BT-Drucks. 8/704, S. 94. 113
3 Renken
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1. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
den über den Einzug von Orderschecks, 121 die Empfehlung der Spitzenverbände, eine einheitliche Scheckkarte (ec) mit Garantiehaftung einzuführen, 122 die Vereinbarung der Spitzenverbände, einheitliche Zahlungsvordrucke zu verwenden l23 und die Absprache im Zentralen Kreditausschuß über die Geldausgabe durch ein institutsübergreifendes Automatensystem. l24 Weitere Maßnahmen zwischen Banken sind z.B. die Gründung des Einlagensicherungsfonds der privaten Banken l25 oder die Kooperationsverträge deutscher und ausländischer Banken. 126 In dieser Gruppe steht die Bewältigung des Massengeschäfts der Banken im Vordergrund. Der Zahlungsverkehr ist durch den Gebrauch einheitlicher Formulare und einheitlicher Technik zu koordinieren, denn nur wenn das Zusammenspiel zwischen den Instituten möglichst reibungslos funktioniert, läßt sich die große Zahl der Geschäftsvorgänge bewältigen. 127 3. Ad-hoc-Geschäfte
§ 102 Abs. 1 S. 3 GWB befreite zum einen Verträge im Sinne des § 15 GWB, die auf dem Kreditsektor allerdings praktisch nicht vorkommen,l28 von der Meldepflicht. Zum anderen stellte er das Konsortialgeschäft der Kreditinstitute frei. Als Konsortien werden im Bankgeschäft auf Zeit gebildete Vereinigungen von selbständig bleibenden Banken bezeichnet, deren Aufgabe es ist, Einzelgeschäfte auf gemeinsame Rechnung durchzuführen. Konsortien entstehen in der Regel als Gesellschaften bürgerlichen Rechts gemäß § 705 BGB. 129 Während diese Art des Zusammenschlusses in anderen Wirtschaftszweigen Tätigkeitsbericht BKartA 1963, BT-Drucks. N/2370, S. 63. Tätigkeitsbericht BKartA 1968, BT-Drucks. V/4236, S. 82. 123 Tätigkeitsbericht BKartA 1970, BT-Drucks. VII 2380, S. 87. 124 Tätigkeitsbericht BKartA 1979/80, BT-Drucks. 9/565, S. 105. 125 Vgl. Tätigkeitsberichte BKartA 1975, BT-Drucks. 7/5390, S. 84; 1976, BTDrucks. 8/704, S. 92; 1977, BT-Drucks. 8/1925, S. 82. 126 Vgl. Tätigkeitsberichte BKartA 1971, BT-Drucks. VI/3570, S. 89; 1973, BTDrucks. 7/2250, S. 106; 1974, BT-Drucks. 7/3791, S. 81; vgl. dazu insbesondere die Untersuchung von Brühann; außerdem Möschel, Wirtschaftsrecht, S. 490; Frömke, Die Stellung der Kreditinstitute im Wettbewerbsrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nach Art. 90 Abs. 2 EWG-Vertrag, S. 22 ff. 127 Klaue, Kartellamt, S. 66; Klaue, Ausnahme, FLF 1987, S. 39. 128 Vgl. WestrickILoewenheim, § 102 Rz. 48 a.E., als "Beispiel denkbar"; ImmengaIMestmäcker-Möschel, § 102 Rz. 20, 33. 129 Obst/Hintner, Geld-, Bank- und Börsenwesen - Ein Handbuch, S. 340; Scholze (I), Das Konsortialgeschäft der deutschen Banken, Erster Halbband, S. 6 "Gelegenheitsgesellschaft" . 121
122
A. § 102 GWB vor der 5. Novelle
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wenig verbreitet ist,130 blickt sie im Bankenbereich auf eine lange Tradition zurück. \31 Als Zweck des Konsortialgeschäfts werden unter anderem die Ausschaltung störender Konkurrenz und die Rücksichtnahme auf die traditionellen Geschäftsbeziehungen eines Unternehmens genannt. \32 Im Emissionsgeschäft spielt außerdem die verbesserte Plazierungskraft eine Rolle. \33 Zentrales Motiv ist aber wohl die Risikoverteilung. 134 Es gibt Aufgaben, die - gemessen an dem haftenden Eigenkapital - einzelne Institute wirtschaftlich überfordern würden. Das notwendige Kapital kann in diesen Fällen nur gemeinschaftlich aufgebracht werden, das Risiko nur gemeinschaftlich in verantwortlicher Weise übernommen werden. 13S In der Praxis werden verschiedene Geschäfte in konsortialer Form durchgeführt: - Vergabe von Großkrediten Die Kredite, die von großen Unternehmen nachgesucht werden, können Größenordnungen erreichen, daß selbst Großbanken sie nicht ohne Gefahr für die eigene Existenz einräumen können. 136 Auch die Gesetzgebung berücksichtigt diese Erkenntnis, die durch die Erfahrung der Bankenkrise am Anfang der 30er Jahre bestätigt ist: insbesondere § 13 KWG regelt Obergrenzen für die Begebung von Großkrediten oder Anteilen an solchen Krediten durch einzelne Banken. - Das Emissionsgeschäft Im Emissionsgeschäft geht es um die Ausgabe von Wertpapieren. Gegenstand der Emission können z.B. Anleihen, d.h. Schuldaufnahmen gegen Aus-
130 Scholze, Herbert, Das Konsortialgeschäft der deutschen Banken, Erster Halbband, Berlin 1973, S. 66 f. \31 Scholze, Erster Halbband, S. 37 ff. 132 Möschel, Das Konsortialgeschäft der Kreditwirtschaft im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen - Emissionskonsortien als marktbeherrschende Unternehmen, in: ZHR 136 (1972), S. 273,276.
\33 Möschel, Konsortialgeschäft, ZHR 136 (1972), S. 273, 276. 134 Möschel, Konsortialgeschäft, ZHR 136 (1972), S. 273, 276; Scholze, Erster Halbband, S. 67; Obst/Hintner, S. 340. 135 Scholze, Erster Halbband, S. 3, 67; vgl. auch Möschel, Konsortialgeschäft, ZHR 136 (1972), S. 273, 276 f.; Immenga, Konsortien, S. 18. 136 Scholze, Erster Halbband, S. 100 ff.
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I. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
gabe von Schuldverschreibungen oder Aktien sein. 137 Die Emission geschieht in Deutschland in der Regel durch sogenannte Übernahme- und Begebungskonsortien. Die Banken übernehmen die Papiere zu einem festen Preis und geben sie auf eigene Rechnung an die Käufer weiter. 138 Damit nehmen die Banken den Ausstellern das Risiko der Marktplazierung ab. Das bestehende Risiko können die Banken natürlich leichter in Gemeinschaft tragen; außerdem läßt sich das Publikum besser erreichen, wenn verschiedene Banken beteiligt sind, die alle ihr eigenes Netz von Geschäftsstellen haben. - Weitere Konsortialgeschäfte Weitere Geschäfte, die durch Konsortien wahrgenommen werden, sind die Börseneinführung 139 und die Kurspflege. 140 Kurspflegekonsortien stehen in engem Zusammenhang mit Emissionskonsortien; die Mitglieder sind in der Regel identisch. Kurspflegekonsortien treten nach außen nicht in Erscheinung und dienen dazu, den Kursverlauf insbesondere bei wenig gefragten Wertpapieren durch An- und Verkauf nach der Ausgabe zu stützen. Zu nennen ist daneben noch der Pool, in dem Anteile verschiedener Banken zusammengefaßt werden, um beherrschenden Einfluß auf ein Unternehmen zu gewinnen. 141
v. Der Weg zur 5. Novelle Die heute geltende Fassung des § 102 GWB geht auf das Fünfte Gesetz zur Änderung des GWB vom 22. Dezember 1989 142 zurück. Das Ziel des Änderungsgesetzes war unter anderem "die Beseitigung zu weit gehender Sondervorschriften in den Ausnahmebereichen".143 Anlaß für die Novelle war die anhaltende Konzentration im Lebensmittelbereich. Das Kartellamt war nach eigenem Bekunden praktisch nicht in der Lage, mit dem damals geltenden Instrumentarium gegen die Zusammenschlüsse im 137 Scholze, Erster Halbband, S. 305 ff. bzw. 473 ff.; vgl. auch Hennicke, Wertpapiergeschäfte, in: Handwörterbuch der Sparkassen, Bd. 4, Sonderformen des Sparens Zweigstellen, S. 379 ff.; Obst/Hintner, S. 456 ff. 138 Scholze, Erster Halbband, S. 285 f., 291 f. 139 Scholze, Das Konsortialgeschäft der deutschen Banken, Zweiter Halbband, S. 625
ff.
140 Scholze, Zweiter Halbband, S. 664 ff. 141 Scholze, Zweiter Halbband, S. 669 ff. 142 BGBl. L S. 2486. 143 Vgl. BT-Drucks. 11/4610, S. 10.
A. § 102 GWB vor der 5. Novelle
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Handel vorzugehen. l44 Daraufhin wurde in der Koalitionsvereinbarung für die 11. Legislaturperiode (ab 1987) folgender Beschluß gefaßt: "Die Bundesregierung wird entsprechend der Ankündigung im letzten Jahreswirtschaftsbericht und insbesondere mit Blick auf die weitere Entwicklung im Lebensmitteleinzelhandel ... das GWB umfassend - insbesondere auch die Ausnahmebereiche - daraufhin überprüfen, ob eine Novellierung notwendig ist, und zur Gesetzesänderung noch in dieser Legislaturperiode Vorschläge vorlegen".145 Diesem Entschluß entsprach der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom 18. März 1987, in der es heißt: "Unerläßlich bleibt die konsequente Anwendung - und, wo notwendig, Ergänzung - des geltenden gesetzlichen Instrumentariums, insbesondere mit Blick auf die weitere Entwicklung im Lebensmitteleinzelhandel und die kartellrechtlichen Ausnahmebereiche ".146 Im März 1987 setzte der Bundesminister für Wirtschaft eine Arbeitsgruppe ein, die sich unter anderem mit der Stärkung des Wettbewerbs in den kartellrechtlichen Ausnahmebereichen beschäftigen sollte. 147 Die Arbeitsgruppe hatte für den § 102 GWB zu untersuchen, ob es im Bereich der Banken und Versicherungen Formen der Zusammenarbeit gibt, die anderswo nicht vorkommen. Sodann sollte sie prüfen, ob diese Zusammenarbeit kartellrechtlich erheblich ist. Und schließlich sollte sie erörtern, ob die Zusammenarbeit nicht schon nach §§ 2 bis 8 GWB zulässig wäre. 148 Die Bundesregierung wartete das Ergebnis dieser Untersuchung nicht mehr ab; sie veröffentlichte am 29. Juni 1988 "Eckwerte"149 für die geplante Novelle. Die Eckwerte waren die Grundlage eines Referentenentwurfs vom 30. September 1989 150 , dem ein nahezu identischer Regierungsentwurf folgte. l5l Die Entwurfs fassung des § 102 GWB entspricht bereits der jetzigen Gesetzesfassung. Die Änderung des § 102 GWB wird damit begründet, daß die bisher für eine 144 Tätigkeitsbericht 1985/86, BT-Drucks. 11/554, S. 9; Emmerich, Die Reform des GWB, Teil II, in: FLF 1988, 5.52. 145 Zitiert nach WuW 1987, Kurzinformationen, S. 275. 146 Zitiert nach WuW 1987, Kurzinformationen, S. 275. 147 Vgl. Geberth/Janicki, Kartellrecht zwischen Kontinuität und Anpassung, in: WuW 1987,5.447,449. 148 Emmerich, Die Ausnahmebereiche in dem Regierungsentwurf der fünften GWBNovelle, in: WuW 1989, 363, 365. 149 WuW 1988,5.752 ff. 150 Entwurf erwähnt bei Emmerich, Ausnahme, WuW 1989, S. 363, 366. 151 BT-Drucks. 11/4610.
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l. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
Freistellung der Kreditwirtschaft angegebenen Gründe in erheblichem Umfang nicht mehr trügen. Darüberhinaus habe man sich - in beschränktem Umfange auch am europäischen Recht orientiert, das Ausnahmebereiche für einzelne Wirtschaftssektoren nicht kenne. 152 Kern der Änderung des § 102 GWB ist der Übergang vom Mißbrauchs- zum Verbotsprinzip.153 Lediglich gewisse auf Dauer angelegte Kooperationen können als Widerspruchskartelle weiterhin freigestellt werden. Außerdem gilt nach § 102 Abs. 2 GWB für die sog. Ad-hoc-Geschäfte weiterhin das Mißbrauchsprinzip. Im übrigen sind wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen des Kreditgewerbes in Zukunft unzulässig. Auf die von vielen Seiten geforderte völlige Streichung des § 102 GWB 154 wurde verzichtet, damit die Kartellbehörde flexibel auf die Erfordernisse des Bank- und Versicherungsgeschäfts reagieren könne und eine Benachteiligung deutscher Unternehmen durch ein im Verhältnis zum EG-Recht strengeres deutsches Recht vermieden werde. 155
B. Die Verbo~tatbestände § 102 Abs. 1 GWB ermöglicht in der neuen Fassung, den Kreditsektor unter gewissen Voraussetzungen von den Verboten in §§ 1, 15, 38 Abs. 1 Nr. 11 GWB freizustellen. Anzuwenden ist § 102 GWB deshalb nur, wenn eine wettbewerbsrelevante Verhaltensweise die Voraussetzungen für ein Verbot nach §§ 1, 15 oder 38 Abs. 1 Nr. 11 erfüllt; sonst ist sie ohnehin zulässig. Die Frage, ob die Verbote anwendbar sind, hat durch die Einführung des Verbotsprinzips erheblich an Bedeutung gewonnen. Sie kann nicht - wie es früher möglich war unter Hinweis darauf offen bleiben, daß kein Mißbrauch vorliege, die geplante Maßnahme also auf jeden Fall zulässig sei. §§ 1 und 15 GWB verbieten Verträge und Beschlüsse. Streitig ist dabei, ob § 1 GWB auch Gentlemen's Agreements erfaßt. Das sind Vereinbarungen, mit denen die Parteien von vornherein keine rechtliche, sondern lediglich eine tatsächliche, d.h. gesellschaftliche, moralische oder wirtschaftliche Verpflich-
152 Eckwerte, WuW 1988, S. 752. 153 Vgl. Martinek, Unruhe an der Kartellfroot. Die 5. GWB-Novelle gegen Industriemarktfixierung und Ausnahmebereichexzeß, in: NJW 1990, S. 793, 799; Möschel, Die 5. GWB-Novelle 1989 - Chance oder Risiko für die Wettbewerbspolitik?, in: ZRP 1989, S. S. 371, 376; Emmerich, Kartellrecht, S. 451. 154 Vgl. fiir die jüngste Zeit nur Emmerich, Kartellrecht, S.451. ISS Eckwerte, WuW 1988, S. 752, 757; Begründung, BT-Drucks. 11/4610, S. 29.
B. Die Verbotstatbestände
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tung eingehen. 156 Zum Teil werden sie zu den abgestimmten Verhaltensweisen gerechnet, mit denen sich der 1973 eingeführte § 25 Abs. 1 GWB befaßt. Empfehlungen schließlich fallen unter den § 38 Abs. 1 Nr. 11 GWB. Im Bankenbereich sind Verträge und Empfehlungen von Bedeutung. 157
I. Das Verbot nach § 1 Abs.l GWB Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 GWB waren von Beginn an umstritten. Ursache dafür ist das Fehlen einer kartellrechtlichen Tradition in Deutschland. ls8 Der Gesetzgeber konnte in den 50er Jahren weder auf Gerichtsentscheidungen noch auf systematisch-begriffliche Untersuchungen wettbewerbsbeschränkender Maßnahmen zurückgreifen. So übernahm er aus der Wirtschaftswissenschaft stammende Begriffe in das GWB, deren Auslegung zum Teil höchst problematisch iSt. 159 Während ein Teil der Streitfragen inzwischen geklärt ist, ist ein anderer auch mehr als 30 Jahre nach Inkrafttreten des GWB noch aktuell. 160 1. Persönliche Voraussetzungen
Das Verbot des § 1 Abs. 1 S. 1 GWB wendet sich an Unternehmen und deren Vereinigungen. Der Begriff Unternehmen, der die Reichweite des Gesetzes maßgeblich bestimmt, wird hier im weitesten, funktionellen Sinne verstanden. Danach ist Unternehmen "jedwede Teilnahme im geschäftlichen Verkehr". 161 Kreditinstitute im Sinne von § 102 GWB nehmen notwendig (vgl. § 1 Abs. 1
156 Vgl. Sandrock, Grundbegriffe des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, S. 248; ImmengaIMestmäcker-Immenga, § 1 Rz. 117; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, S. 898. IS7 Vgl. die DarstellWlg der WeubewerbsbeschränkWlgen, oben S. 30. 158 Vgl. die Geschichte des GWB, oben S. 16 ff. 159 Baur, EntwicklWlgslinien im Recht der WettbewerbsbeschränkWlgen, in: JZ 1978, S. 586, 587; zur Aus1egWlgsprob1ematik ausführlich Ve1tins, Die Zu1ässigkeit von sog. Mittelstandskartellen gern. § 5 b GWB, S. 82 ff., 89. 160 Vgl. zuletzt Baums, Kartellverbot und gemeinsamer Zweck, in: JuS 1990, S. 608; die folgenden Ausführungen werden deshalb teilweise nur in die Problematik einführen, ohne die Streitfragen abschließend zu erörtern. 161 BGHZ GrZS WuW/E BGH 1469 "Autoanalyzer" = BGHZ 67,81; BGH NIW 1974, 2236 "Schreibvollautomat"; BGH WuW/E BGH 1474, 1477 "Architektenkammer"; ebenso die ganz herrschende Lehre, vgl. nur Westriclc/ Loewenheim, § 1 Rz. 5; ImmengaIMestmäcker-Immenga, § 1 Rz. 38, beide mit Nachweisen.
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1. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
KWG) am geschäftlichen Verkehr teil, so daß ihre Unternehmenseigenschaft im Sinne des § 1 GWB außer Zweifel steht. Eine Vereinigung von Unternehmen liegt vor, wenn wirtschaftlich selbständige Unternehmen eine Bindung mit gemeinschaftlicher Organisation eingehen. 162 Dieses Merkmal soll die Fälle erfassen, in denen Vereinigungen nicht eigene, sondern fremde unternehmerische Tätigkeit beeinfluss sen. Bei eigener Tätigkeit werden sie schon über den Begriff Unternehmen erfaßt. 163 Eine Unternehmensvereinigung nimmt Einfluß auf fremde unternehmerische Tätigkeit, wenn sie das Verhalten ihrer Mitglieder koordiniert oder auf Dritte einwirkt. Die erwähnten Bankenverbände fallen unter den Begriff Unternehmensvereinigung. 2. Verträge und Beschlüsse
§ 1 Abs. 1 GWB untersagt wettbewerbs be schränkende Verträge und Beschlüsse. a) Verträge
Der Vertragsbegriff des § 1 Abs. 1 GWB wird allgemein an den des Bürgerlichen Rechts (§§ 145 ff. BGB) angelehnt; zweifelhaft ist dagegen, ob von einem identischen Vertragsbegriff ausgegangen werden kann. Übereinstimmung besteht heute wohl darüber, daß ein Vertrag i.S.d. § 1 GWB voraussetzt, daß die Parteien einander entsprechende Willenserklärungen abgeben und damit eine Regelung schaffen, die ihr Verhältnis zueinander bestimmen SOll.l64 Diskutiert wird dagegen, ob § 1 GWB einen Rechtsfolgewillen voraussetzt. Mit Rechtsfolge- oder Geschäftswillen meint die zivilrechtliehe Dogmatik den 162 Langen/Niederleithinger, § 1 Rz. 15; Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 1 Rz. 103; WestrickILoewenheim, § 1 Rz. 28. 163 Langen/Niederleithinger, § 1 Rz. 15; Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 1 Rz. 99. 164 Statt vieler Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, S. 515 ff.; WestrickILoewenheim, § 1 Rz. 33; Ansätze, den Vertragsbegriff aus wirtschaftlichen Gründen weit auzulegen (Sandrock, Gentlemen·s agreements, aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen und gleichförmiges Verhaltennach dem GWB, in: WuW 1971, S. 858, 862) bzw. eine bloße Willensübereinstimmung ohne Regelungsgehalt genügen zu lassen (Heuss, Ökonomische und logische Bemerkungen zur Teerfarbentscheidung des BGH (BGH NJW 1971,521), in: NJW 1972, S. 11 f.), haben sich mit der Einführung des § 25 Abs. 1 GWB im Jahre 1973 erledigt. Die infolge der Teerfarbenentscheidung des BGH (WuW/E BGH 1147 ff. = NJW 1971, S. 521 ff.) diskutierten "abgestimmten Verhaltensweisen" sind in § 25 Abs. 1 GWB inzwischen ausdrücklich geregelt, so daß eine weite Auslegung des Vertragsbegriffes in § 1 GWB nicht mehr nötig ist.
B. Die Verbotstatbestände
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Willen der Parteien, daß ihre Vereinbarung Grund für den Eintritt bestimmter Rechtswirkungen sein SOIl.165 Gewollte Rechtswirkungen hat eine Vereinbarung nur dann, wenn das positive Recht sie als gültigen Rechtsakt anerkennt. l66 Im Rahmen des § 1 GWB ist der Rechtsfolgewille problematisch. Die Norm setzt zwar das Bestehen eines Vertrages voraus, versagt ihm aber gleichzeitig die Wirksamkeit und erkennt ihn als Rechtsakt nicht an. Wissen die Beteiligten um die Unwirksamkeit ihrer Vereinbarung nach § 1 GWB, kann ein Vertrag nicht zustandekommen, weil der Rechtsfolgewille fehlt. Ein Teil der typischen Kartelle würde damit von vornherein aus dem Anwendungsbereich des § 1 GWB herausfallen. Zugleich wäre eine Ordnungwidrigkeit i.S.d. § 38 Abs. 1 Nr. 1 GWB ausgeschlossen, weil sie einen Vertrag voraussetzt, dessen Unwirksamkeit mißachtet wird. 167 Um diese Folgen zu vermeiden, wird heute ganz überwiegend auf einen Rechtsfolgewillen verzichtet. l68 Ein weiterer Vorteil des autonomen Vertragsverständnisses ist, daß § 1 GWB auch Gentlemen's Agreements erfassen kann. Das Bundeskartellamt hat sich der erweiternden Auslegung angeschlossen und Absprachen, die lediglich auf einer moralischen Bindung beruhen, unter § 1 GWB gefaßt. l69 Auch 1nstanzgerichte haben in diesem Sinne entschieden. 170 Der Bundesgerichtshof hat sich dazu noch nicht eindeutig geäußert, dürfte sich aber ebenfalls auf dieser Linie bewegen. 17I
Ennecccerus/Nipperdey, S. 896; Larenz, Allg. Teil, S. 40 f., S. 515. Vgl. nur Larenz, Allg. Teil, S. 41. 167 Vgl. EnnecceruslNipperdey, S. 898; Westrick/Loewenheim, § 1 Rz. 35; Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 1 Rz. 116; LangenlNiederleithinger, § 1 Rz. 26. 168 Lukes, Der Kartellvertrag - Das Kartell als Vertrag mit Außenwirkungen -, S. 123; Baur, Das Tatbestandsmerkmal "Wettbewerb", in: ZHR 134 (1970), S. 97, 130 f.; Markert, Gegenstandstheorie und Preismeldestellen, in: ZHR 134 (1970), S. 53, 55 f.; Raiser, Anmerkung zu BGH JZ 1971, 391, in: JZ 1971, S. 394 f.; Sandrock, Abgestimmtes Verhalten, WuW 1971, S. 862 ff.; Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 1 Rz. 116 ff., 129 f.; Westrick,ILoewenheim, § 1 Rz. 34; Gemeinschaftskommentar-Milller-Henneberg, § 1 Rz. 24!.27; Langen/Niederleithinger, § 1 Rz. 27; anderer Auffassung allerdings Benkendorff, Uber den Vertrag in § 1 GWB und seine Eignung zur Beeinflussung durch Wettbewerbsbeschränkungen, in: WRP 1962, S. 313 f. und G1eiss/Kleinmann, Zur Teerfarbenentscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH NJW 1971, 521), in: WRP 1971, S. 153, 154. 169 BKartA WuW/BKartA 1179, 1183; vorher schon WuW/E BKartA 585; Tätigkeitsbericht BKartA 1967, BT-Drucks. V/2841 , S. 70. 170 OLG Celle WuW/E OLG 772, 775 "Naturstein"; KG WuW/E OLG 1015, 1018 "Teerfarben"; KG WuW/E OLG 1449, 1450 "Bitumenhaltige Bautenschutzmittel 11". 171 So Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 1 Rz. 126; GemeinschaftskommentarMüller-Henneberg, § 1 Rz. 27, beide unter Hinweis auf die nicht ganz eindeutige Entscheidung WuW/E BGH 495,497 "Putzarbeiten 11" = DB 1963, S. 475. 165
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1. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
In neuerer Zeit gibt es in der Literatur wieder Stimmen, die für einen Vertrag i.S.d. § 1 Abs. 1 GWB einen Rechtsfolgewillen verlangen. 172 Diese Ansicht legt dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen eine völlig neue Systematik zugrunde. Nach herkömmlicher Auffassung bildet § 25 Abs. 1 GWB, der 1973 eingefügt wurde, einen Auffangtatbestand. Die neue Ansicht unterscheidet im Anklang an die strafrechtliche Dogmatik das Verbot von Handlungen und die dazugehörige Sanktion. In den §§ 1, 15 und 38 Abs. 1 Nr. 11 GWB seien nur Sanktionen (zivilrechtliche Unwirksamkeit bzw. Bußgeld) angedroht, von denen auf ein zugrundeliegendes Verbot geschlossen werden könne. 173 Verboten sei ganz allgemein die vertrags unabhängige Verhaltensabstimmung;174 und weil dieses Verbot in § 25 Abs. 1 GWB statuiert werde, sei er auch als Grundtatbestand des GWB anzusehen. 175
Nach dieser Ansicht kann der § 1 GWB auf Verträge im rechtlichen Sinne beschränkt werden, weil er lediglich die zivilrechtliche Unwirksamkeit der Verträge bestimmt, während sich das Verbot wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen aus § 25 Abs. 1 und 38 Abs. 1 Nr. 8 GWB ergibt. Für die herkömmliche Ansicht dagegen bestimmt das Verständnis des Vertragsbegriffes maßgeblich die Reichweite des sich aus § 1 Abs. 1 GWB ergebenden Kartellverbotes. Gegen das neue Verständnis der Systematik des GWB sind mehrere Bedenken geltend zu machen. Zum einen ist es mit der historischen Auffassung des Gesetzgebers nicht zu vereinbaren, wie von der Vertretern dieser Ansicht selbst eingeräumt wird;176 der Gesetzgeber hat § 25 Abs. 1 GWB als Auffang- oder Umgehungs tatbestand formuliert. Dies zeigt sich z.B. auch an den Bußgeldtatbeständen § 38 Abs. 1 Nr. 1 und 8 GWB. Der hier vom Gesetz gemachte Unterschied läßt sich mit dem neuen Verständnis des GWB nicht erklären. 177 Folge der neuen Auffasssung wäre, daß der Abschluß eines Kartellvertrages und der anschließende Versuch, den Partner zu vertragstreuern Verhalten zu bewegen, nicht mehr mit Bußgeld bedroht wäre. Eine Sanktion nach § 38 Abs. 1 Nr. 8 LV.m. § 25 Abs. 1 GWB setzt voraus, daß es zu einer tatsächlichen 172 So ausdrücklich K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht - Kartellverwaltungsrecht Bürgerliches Recht, S. 36 "unwirksames Rechtsgeschäft"; Möschel, Wettbewerb, S. 106; Emmerich, Kartellrecht, S. 49. 173 K. Schmidt, Kartellverfahren, S. 10. 174 K. Schmidt, Kartellverfahren, S. 36. 175 K. Schmidt, Kartellverbot oder "sonstige Wettbewerbsbeschränkungen", S. 9; Emmerich, Kartellrecht, S. 49; vgl. auch Möschel, Wettbewerb, S. 102 f. 176 K. Schmidt, Kartellverfahren, S. 32 f.; K. Schmidt, Kartellverbot, S. 13 ff.; Möschel, Wettbewerb, S. 105. 177 Das Problem sieht auch K. Schmidt, Kartellverfahren, S. 34.
B. Die Verbotstatbestände
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Verhaltensabstimmung gekommen ist. Damit beschränkt sich das Unwerturteil auf das tatsächliche Marktverhalten; die Gefährdung des Wettbewerbs durch den Vertrag bleibt unbeachtet. Nach herkömmlicher Auffassung kann dagegen ein Bußgeld nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 LV.m. § 1 Abs. 1 GWB schon bei einem einseitigen Verhalten verhängt werden, das darauf abzielt, einem unwirksamen Vertrag oder Beschluß Geltung zu verschaffen. 178 Eine angestrebte Wettbewerbsbeschränkung wird hier vor allem nach dem Inhalt der Vereinbarung beurteilt. 179 Nach der neuen Ansicht ist der Vertrag dagegen lediglich als Mittel interessant, eine geplante Verhaltensabstimmung der kartellrechtlichen Kontrolle und damit der FreisteIlung zugänglich zu machen. Das kann nicht überzeugen, denn viele "Kartellverträge" werden nicht zur Vorlage bei dem Bundeskartellamt geschlossen, sondern bleiben im Verborgenen. 180 Es überzeugt auch nicht, wenn § 1 GWB unter Hinweis auf strafrechtliche Erkenntnisse zur bloßen Sanktionsnorm erklärt wird. Denn im Strafrecht wird ein Verbot immer nur durch die Sanktion ausgedrückt. So lautet z.B. § 223 Abs. 1 StOB: "Wer einen anderen körperlich mißhandelt ... wird ... bestraft" und nicht etwa: "Es ist verboten, einen Menschen körperlich zu mißhandeln. Wer es dennoch tut, wird bestraft". Schließt man wie im Strafrecht von der Sanktion auf das Verbot, so bringt § 1 GWB das Verbot zum Ausdruck, das Verhalten im Wettbewerb vertraglich abzustimmen. 181 Aus den genannten Gründen ist das herkömmliche, in der Praxis herrschende Verständnis des GWB vorzuziehen. Ein Vertrag LS.d. § 1 Abs. 1 GWB kommt zustande, wenn die Parteien einander entsprechende Willenserklärungen abgeben und damit eine Regelung für ihr Verhältnis zueinander schaffen. Ein Rechtsfolge- oder Geschäftswille ist nicht erforderlich. Die zur Geschäftsabwicklung geschlossenen Verträge zwischen den Banken fallen als Verträge im zivilrechtlichen Sinne unter den Vertragsbegriff des § 1 Abs. 1 GWB. Sie werden durch die Verbände in Vertretung ihrer Mitglieder abgeschlossen.1 82 Ob die Kreditinstitute rechtlich unverbindliche Gentlemen's Agreements schließen, die nach der hier vertretenen Ansicht ebenfalls unter das Verbot des § 1 Abs. 1 GWB fielen, ist nicht bekannt.
16.
178 ImmengaIMestmäcker-Tiedemann, § 38 Rz. 6; LangenINiederleithiager § 38 Rz.
179 Vgl. zum EWG-Vertrag Mestmäcker, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 208. 180 Vgl. ImmengaIMestmäcker-Immenga, § 1 Rz. 116; GemeinschaftskommentarMüller-Henneberg, § 1 Rz. 28; OLG Celle WuW/E OLG 772,775 "Naturstein". 181 Vgl. Wilhelm, Wo ist das Kartellverbot?, in: ZHR 149 (1985), S. 444, 445. 182 Vgl. Bieneck, Art. 85 EWG-Vertrag und seine Anwendung auf den deutschen Bankensektor, S. 68 und z.B. § 17 Abs. 1 der Satzung des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e.V.
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1. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
b) Beschlüsse Der Beschluß ist ein mehrseitiges unselbständiges Rechtsgeschäft, durch das Rechtsbeziehungen innerhalb bestehender Rechtsverhältnisse geregelt werden. l83 Er kommt durch die Abgabe paralleler Willenserklärungen an einen Verbandsleiter zustande. l84 Im Bereich des kartellrechtlich erheblichen Verhaltens der Kreditinsitute scheint der Beschluß keine Rolle zu spielen.
3. Gemeinsamer Zweck
§ 1 Abs. 1 GWB erfaßt die Verträge oder Beschlüsse, die einen "gemeinsamen Zweck" verfolgen. Der Begriff geht auf die traditionelle Kartelldefinition zurück. Als Kartelle wurden zunächst nur gesell schafts rechtliche Verhältnisse im Sinne des § 705 BGB gesehen, später immerhin auch Abreden mit gesellschaftsähnlichem Charakter. 18s Entscheidend war, daß ein Zweck bestand, den zu fördern die Vertragsparteien verpflichtet waren; der Zweck mußte Inhalt des Vertrages sein. 186 Die Schwierigkeiten, die aus diesem gesellschaftsrechtlichen Verständnis erwuchsen, haben Praxis und Wissenschaft nie wirklich bewältigt;187 die Grenzen der Lösung von § 705 BGB blieben ungeklärt. Die Literatur forderte deshalb schon früh eine Abkehr von dem engen zivilrechtlichen Begriff. l88 Auszugehen sei von der Aufgabe des "gemeinsamen Zwecks" in § 1 Abs. 1 GWB, rechtlich unterschiedlich zu behandelnde Kartell- und Austauschverträge von183 Enneccerus/Nipperdey, S. 911 f; LangenINiederieithinger, § 1 Rz. 29; Mestmäkker, S. 209. 184 Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 1 Rz. 141. 18S Vgl. K. Schmidt, Kartellverbot, S. 25; BaUT, Entwicklungslinien, JZ 1978, S. 586, 587; ImmengaIMestmäcker-Immenga, § 1 Rz. 149; vgl. auch die Begründung zum GWB, BT-Drucksache W1158, Anlage 1, S. 25: "Der Kartellvertrag ist stets ein Gesellschaftsvertrag LS.d. § 705 BGB". 186 Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 1 Rz. 150. 187 Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 1 Rz. 153; Emmerich, Die höchstrichterliche Rechtsprechung zum GWB, in: ZHR 139 (1975), S. 476, 484 ff; vgl. im einzelnen Müller/Giessler, Wirtschaftskommentar - Kommentar zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 1 Rz. 58; Gemeinschaftskommentar-Müller-Henneberg, § 1 Rz. 35. 188 Lukes, S. 126 f; Ballerstedt, Der gemeinsame Zweck als Grundbegriff des Rechts der Persooengesellschaften, in: JuS 1963, S. 253, 263; Fikentscher, Zu Begriff und Funktion des "gemeinsamen Zwecks" im Gesellschafts- und Kartellrecht, in: Festschrift Westermann, S. 87, 108; Mestmäcker, Das Prinzip der Rule of Reason und ähnliche Ausnahmemechanismen im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, in: HoppmannlMestmäcker, Normzwecke und Systemfunktionen im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, S. 30 f.
B. Die Verbotstatbestände
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einander abzugrenzen. Entscheidend müsse deshalb sein, ob die Partner gleichgerichtete oder verschiedengeartete Interessen verfolgen. 189 Diesem vorgezeichneten Weg folgte der BGH in seiner Fertigbeton-Entscheidung,l90 in der er betont, daß der "gemeinsame Zweck" eigenständig nach den Zielen des GWB auszulegen sei. Es genüge, "wenn die Wettbewerbsbeschränkung oder das Ziel der Wettbewerbsbeschränkung oder der durch sie zu bewirkende Erfolg einem gemeinsamen Interesse entspricht und gemeinsam angestrebt wird".191 In der Literatur hat die Lösung vom gesellschaftsrechtlichen Verständnis weitgehende Zustimmung gefunden. l92 Allgemein wurde aber bezweifelt, daß es sachgerecht sei, auf die Motive der Beteiligten abzustellen. 193 Außerdem wurde eingewandt, daß der Ansatz des Bundesgerichtshofs in gewissen Fällen zur Abgrenzung von § 1 GWB und § 15 GWB nicht geeignet sei, weil auch vertikale Bindungen im Interesse beider Parteien liegen können. l94 Vorgeschlagen wurde deshalb, darauf abzustellen, ob sich die Beteiligten als aktuelle oder potentielle Wettbewerber gegenüberstehen. 195 Dem hat sich der Bundesgerichtshof mit seiner Spielkartenentscheidung l96 angeschlossen. Auch
Ballerstedt, JuS 1963, S. 253, 263. WuW/E BGH 1458,1460 ff. = BGHZ 68,6,10 = NJW 1977, 804. 191 WuW/E BGH 1458, 1460; 1599 "Erbauseinandersetzung"; 1601 "Frischbeton"; 1710 "Sortimentsabgrenzung"; vgl. Emmerich, Kartellrecht, S. 56. 192 Ulmer, Anmerkung zu BGH NJW 1977, 804, in: NJW 1977, S. 805; Steindorff, Gesetzeszweck und gemeinsamer Zweck des § 1 GWB, in: BB 1977, S. 569, 570; LangenlNiederIeithinger, § 1 Rz. 19; Emmerich, Kartellrecht, S. 56; Westrick)Loewenheim, § 1 Rz. 40; Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 1 Rz. 157. 193 Baums, JuS 1990, S. 608, 611; Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 1 Rz. 159. 194 Belke, Grundfragen des Kartellverbots, in: ZHR 143 (1979), S. 74, 81; Köhler, Wettbewerbsverbote bei Veräußerung und Stillegung von Unternehmen in kartellrechtlicher Sicht (Besprechung von OLG Stuttg. WuW/E OLG 2983 "Strohgäu Wochenjournal"), in: ZHR 148 (1984), S. 487, 489; vgl. auch Steindorff, Bezugsbindungen und gemeinsamer Zweck in § 1 GWB, in: BB 1981, S. 377, 381, 383; Baums, JuS 1990, S. 608,611; ferner Wilhelm, Der gemeinsame Zweck des Kartellverbots wie der daran anknüpfenden Verbote, in: ZHR 150 (1986), S. 320, 324 ff. 195 Belke, ZHR 143 (1979), S. 74, 81; Schmidt, Kartellverbot, S. 53 ff.; Steindorff, Zweck, BB 1977, S. 569, 570; Schwarz, Kartellvertrag und andere wettbewerbsbeschränkende Verträge, S. 88; Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 1 Rz. 159; Westrick)Loewenheim, § 1 Rz.40. 196 WuW/E BGH 2285, 2287 f. = WM 1986, 1422, 1424; vgl. dazu z.B. Niederleithinger, Der "gemeinsame Zweck" des § 1 GWB in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, in: Festschrift Benisch, S. 277, 282 f. 189
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1. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
dieser Ansatz löst aber wohl nicht alle Zweifelsfragen, so daß der Begriff des gemeinsamen Zwecks weiter in der Diskussion bleibt. l97 Für den Kreditsektor hat die mangelnde Schärfe des "gemeinsamen Zwecks" keine Auswirkungen; die Kreditinstitute sind Unternehmen der gleichen Wirtschaftsstufe (Wettbewerber), die, sofern sie ihr Verhalten koordinieren, unter das Verbot des § 1 Abs. 1 GWB fallen. Verträge im Sinne des § 15 GWB werden auf dem Kreditsektor ohnehin kaum geschlossen, so daß die Frage der Abgrenzung beider Vorschriften hier kaum Bedeutung gewinnt. Streitig ist im Zusammenhang mit dem "gemeinsamen Zweck" auch, ob die Wettbewerbsbeschränkung Teil des gemeinsamen Zwecks sein muß I 98 oder ob - wie die Rechtsprechung annimmt - das Vorliegen eines beliebigen Vertragszwecks ausreicht. l99 Der letztgenannten Ansicht ist zu folgen. Zum einen entspricht sie dem Wortlaut des § 1 GWB, der Verträge zu einem - d.h. beliebigen - Zweck voraussetzt. Zum anderen entspricht sie der Begründung des Gesetzentwurfs von 1952, wonach das Gesetz alle objektiv wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen bekämpfen soll.2°O Der Bundesgerichtshof macht darüber hinaus geltend, daß eine subjektive Fassung des "gemeinsamen Zwecks" zu erheblichen Beweisschwierigkeiten führen würde. 201
197 Vgl. nur Köhler, ZHR 148 (1984), S. 487, 490; Baums, JuS 1990, 612 ff.; vgl. zum Stand der Diskussion auch Wilhelm, Gemeinsamer Zweck, ZHR 150 (1986), S. 320,324 ff. 198 So Gemeinschaftskommentar-Müller-Henneberg, § 1 S. 29; Müller/Giessler, Wirtschaftskommentar, Kommentar zum Gesetz gegen wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz), § 1 Rz. 68 ff; Knöpfte, Anmerkung zu BGH WuW/E BGH 2247, in: WuW/E BGH 2252,2253; Hootz, Anmerkung zu BGH BB 1986,2010, in: BB 1986, S. 2010,2011. 199 So die heute h.M., grundsätzlich BGH WuW/E BGH 359, 363 "Glasglühkörper" = BGHZ 31, 105, 111 f. mwN; WuW/E BGH 519, 520 Kino" = BGHZ 38, 306, 311; WuW/E BGH 1353, 1354 "Schnittblumentransport" = OB 1975,636; ebenso mit weiteren Nachweisen zur Rspr. v.Gamm, Neuere Rechtsprechung zum Kartellverbot und zur Abgrenzung der zu einem gemeinsamen Zweck geschlossenen Verträge, in: NJW 1988, S. 1245, 1247; Niederleithinger, Festschrift Benisch, S. 277, 283 f.; Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 1 Rz. 161; Emmerich, Rechtsprechung, ZHR 139 (1975), S. 476, 485 Fn. 35; Lukes, S. 70 ff.; Ballerstedt, JuS 1963, S. 262 f.; Langen/Niederleithinger, § 1 Rz. 38; WestrickILoewenheim, § 1 Rz. 41; differenzierend Fikentscher, Begriff, Festschrift Westermann, S. 108 f. 200 Begründung 1952, BT-Drucks. 11/1158, S. 31; ebenso BGH WuW/E BGH 359, 363 "Glasglühkörper" = BGHZ 31, 105, 111 f.; vgl. ImmengaIMestmäcker-Immenga, § 1 Rz. 162; Langen/Niederleithinger, § 1 Rz. 38. 201 BGH WuW/E BGH 359,363 "Glasglühkörper" = BGHZ 31, 105,111 f.
B. Die Verbotstatbestände
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4. Die Beschränkung des Wettbewerbs
Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen setzt den Begriff "Wettbewerb" voraus. Es hat viele Versuche gegeben, einen Wettbewerbsbegriff zu entwickeln, unter den subsumiert werden könnte; ein Konsens konnte nie erreicht werden. Verbreitet war eine Formulierung von Fikentscher, wonach Wettbewerb "das selbständige Streben sich gegenseitig im Wirtschaftserfolg beeinflussender Anbieter oder Nachfrager (Mitbewerber) nach Geschäftsverbindung mit Dritten (Kunden oder Lieferanten) durch Inaussichtstellen günstiger erscheinender Geschäftsbedingungen"202 ist. Daneben gab es eine Reihe weiterer Ansätze, Erscheinungsformen und Wirkungen des Wettbewerbs zu defmieren,203 ohne daß einer allgemeine Anerkennung gefunden hätte. Dementsprechend hat sich wohl die Erkenntnis durchgesetzt, daß der Wettbewerb in seinen Bedingungen, Wirkungsweisen und Folgerungen begrifflich nicht zu fassen ist, daß er ein "reales Phänomen ohne jedes normative Element ist".204 Als Entdeckungsverfahren führt er zu immer neuen unbekannten oder nicht erkannten Beziehungen, auf die die Unternehmen auf immer neue Art reagieren. Jeder Versuch, einen Wettbewerbsbegriff festzulegen, birgt die Gefahr, daß neue Abredeformen nicht erfaßt werden. 205 Entscheidend für den Wettbewerbsbegriff des GWB ist, daß wirtschaftliche Handlungsfreiheiten bestehen, die zu wettbewerblichen Prozessen führen. Diese Handlungsfreiheiten soll das Kartellrecht gegen Beeinträchtigungen schützen. 206 Eine Wettbewerbsbeschränkung liegt danach vor, wenn durch tatbestandlich beschriebenes Verhalten in bestehende Handlungsfreiheiten eingegriffen wird. Entsprechend erfaßt § 1 GWB die vertragliche Beeinträchtigung der Handlungsfreiräume. In Wissenschaft und Praxis noch nicht endgültig geklärt ist, wann eine Wettbewerbsbeschränkung einem Vertrag zuzurechnen ist. Vertreten werden im wesentlichen drei unterschiedliche Ansätze: die Gegenstands-, Zweck- und Folgetheorie. 202 Neuere Entwicklungen der Theorie zum Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung, in: WuW 1961, s. 788, 799; Borchart/Fikentscher, Wettbewerb, Wettbewerbsbeschränkung, Marktbeherrschung, in: 24. Beiheft der ZHR, S. 15; weitere Nachweise bei Sandrock, Grundbegriffe, S. 113 Fn. 38, der diese Merkmale aufgenommen und weiterentwickelt hat, S. 123 ff.; vgl. dazu ImmengaIMestmäcker-Immenga, § 1 Rz. 192.
203 Nachweise bei Immenga/Mestmäcker-Immenga, § I Rz. 192 ff. 204 Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 1 Rz. 194. 205 Zum vorstehenden BaUT, ZHR 134, S. 99 ff., 116 ff.; ImmengaIMestmäcker-Immenga, § 1 Rz. 194; Langen/Niederleithinger, § 1 Rz. 72. 206 Möschel, Wettbewerb, Rz. 85; zum europäischen Recht Mestmäcker, S. 171.
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1. Kapitel: Das deutsche Wellbewerbsrecht
Die Gegenstandstheorie verlangt, daß die Parteien die Wettbewerbsbeschränkung zum Gegenstand ihres Vertrages gemacht haben müssen. Aus dem Vertrag bzw. Beschluß müsse sich die Verpflichtung zu einem bestimmten, wettbewerbsbeschränkenden Verhalten ergeben. 207 Nach der weiter gefaßten Zwecktheorie genügt es, daß die Parteien den gemeinsamen Zweck der Wettbewerbsbeschränkung verfolgen. Danach muß die Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens lediglich als gemeinsames Motiv oder Geschäftsgrundlage dem Vertragsschluß zugrundegelegen haben. 208 Die Folgetheorie schließlich erfaßt alle Verträge, die sich wettbewerbsbeschränkend auswirken; auf die Vorstellungen der Parteien kommt es nicht an; entscheidend ist allein die Auswirkung des Vertrages auf Dritte. 209 Der Gegenstandstheorie wird vorgeworfen, daß sie eine Umgehung des § 1 GWB ermögliche. Kooperationsbereite Unternehmen brauchten nur darauf verzichten, geplante Wettbewerbsbeschränkungen vertraglich zu vereinbaren. 210 An der Zwecktheorie wird bemängelt, daß die subjektive Seite, die Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks, schwer zu beweisen sei. 211 Außerdem sei sie problematisch im Hinblick auf den systematischen Zusammenhang der Tatbestandsmerkmale in § 1 Abs. 1 GWB. 212 Der Folgetheorie wird insbesondere entgegengehalten, daß sie zu erheblicher Rechtsunsicherheit führe, da die Unwirksamkeit eines Vertrages für die Beteiligten zufällig und völlig unvorhergesehen eintreten könne. Das sei unzumutbar. 213 In der Diskussion geht es also einerseits um Rechtssicherheit und andererseits um das wettbewerbspolitische Bestreben, wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen möglichst umfassend zu verbieten. 214 W7 Z.B. Beuthien, Kartellverbot und abgestimmtes Verhalten, in: Wettbewerbsordnung im Spannungsfeld von Wirtschaft- und Rechtswissenschaft, Festschrift tur Gunther Hartmann, S. 51, 54; Frankfurter Kommentar zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschrän\rungen, § 1 Rz. 26; Hoffmann, Zur Gegenstands-, Zwecks- und Folgetheorie, in: BB 1975, 628; vgl. zu den Differenzierungen dieser Ansicht ImmengaIMestmäcker-Immenga, § 1 Rz. 304 ff.; Emmerich, Kartellrecht, S. 62 f. ws Begründet von Fikentscher, Begriff, Festschrift Westennann, S. 103; vgl. Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 1 Rz. 299, 312. 209 Baur, Entwicklungslinien, IZ 1978, S. 586, 590; vgl. Emmerich, Kartellrecht, S. 63 f.; Sandrock, Grundbegriffe, S. 243; Steindorff, Zur Novellierung des Kartellrechts, in: BB 1970, S. 824, 826; Möschel, Abschied von der Gegenstandstheorie in § 1 GWB, in: NIW 1975, S. 94,96; Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 1 Rz. 318 ff. 210 Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 1 Rz. 310. 211 Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 1 Rz. 316; Emmerich, Kartellrecht, S. 63. 212 Beuthien, Festschrift Hartmann, S. 63 ff.; Westrick/Loewenheim § 1 Rz. 57 mwN. 213 Gemeinschaftskommentar-Müller-Henneberg, § 1 Rz. 69; vgl. Westrick/Loewenheim, § 1 Rz. 57. 214 Möschel, Wettbewerb, S. 115 f.; Langen/Niederleithinger § 1 Rz. 76.
B. Die Verbotstatbestände
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Der Bundesgerichtshof verfolgt in dieser Frage keine eindeutige Linie; er bewegt sich zwischen Gegenstands- und Zwecktheorie. Die ZVN-Entscheidung215 wird zwar überwiegend als Anerkennung der Zwecktheorie gewertet;216 diese Einordnung ist aber problematisch, weil das Gericht hier eine rechts geschäftliche Einigung der Parteien über den Vertrags zweck voraussetzt und damit die Zweck- der Gegenstandstheorie annähert. 217 Für die Mehrzahl der Vereinbarungen auf dem Kreditsektor ist die Diskussion ohne Bedeutung. Abkommen im technischen Bereich, die der Abwicklung des Zahlungsverkehrs dienen, beschränken die Handlungsfreiheit der beteiligten Kreditinstitute und damit auch den Wettbewerb. § 1 Abs. 1 GWB erfaßt diese Vereinbarungen deshalb auch dann, wenn man die enge Gegenstandstheorie zugrundelegt. Etwas anderes gilt dagegen für die Gründung von Einlagensicherungsfonds. Die Gründungsverträge schränken die Handlungsfreiheit der Beteiligten nicht ein, so daß sie auf dem Boden der Gegenstandstheorie nicht zu erfassen sind. Auch die Zwecktheorie führt zu keinem eindeutigen Ergebnis, weil der Kreditwirtschaft kaum nachzuweisen sein dürfte, Geschäftsgrundlage solcher Verträge sei eine Beschränkung des Wettbewerbs. Ein eindeutiger Verstoß gegen § 1 Abs. 1 GWB läßt sich nur auf der Grundlage der vom Bundesgerichtshof bislang nicht akzeptierten Folgetheorie begründen. Eine Einlagensicherung beeinträchtigt die Marktstellung nicht beteiligter Banken, die ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren. 218 Wenn Bundeskartellamt219 und Gesetzgeber220 von einem Verstoß der Einlagensicherungsfonds gegen § 1 Abs. 1 GWB ausgehen, stehen sie wohl der Folgetheorie nah. Vorzug der Folgetheorie ist, daß sie dem Zweck des GWB, Wettbewerbsbeschränkungen umfassend zu verbieten, am ehesten gerecht wird. Außerdem entspricht sie dem Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag, der durch seinen Wortlaut auf die Folgetheorie festgelegt iSt. 221 Die Erfahrungen mit Art. 85 EWG-Vertrag 215 WuWIE BGH 1367, 1371 ff. = BGHZ 65, 30. 216 So Langen/Niederleithinger, § 1 Rz. 75; Westrick/Loewenheim, § 1 Rz. 55; Im-
menga/Mestmäcker-Immenga, § 1 Rz. 314; Gemeinschaftskommentar-Müller-Hen~ neberg, § 1 Rz. 69; Belke, ZHR 143 (1979), S. 74, 85. 217 BaUT, ZHR 134 (1970), S. 97, 125; Gemeinschaftskommentar-Müller-Henneberg, § 1 Rz. 69. 218 Vgl. Tätigkeitsbericht BKartA 1975, BT-Drucks. 7/5390, S. 84.
219 Tätigkeitsbericht BKartA 1975, BT-Drucks. 7/5390, S. 84. 220 Begründung zur 5. GWB-Novelle, BT-Drucks. 11/4610, S. 30: Einlagensiche-
rungsfonds können nach § 102 Abs. 1 GWB freigestellt werden. 221 Mestmäcker, S. 224 f.; Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 1 Rz. 327; näher dazu später. 4 Renken
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1. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
zeigen im übrigen, daß die für die Folgetheorie behauptete Rechtsunsicherheit in der Praxis keine Rolle spielt. 222 Legt man sie dem § 1 Abs. 1 GWB zugrunde, erfaßt er auch Vereinbarungen über Einlagensicherungsfonds. 5. Eignung zur Marktbeeinnussung
Vertrag oder Beschluß müssen gemäß § 1 Abs. 1 GWB geeignet sein, "die Erzeugung oder die Marktverhältnisse für den Verkehr mit Waren oder gewerblichen Leistungen ... zu beeinflussen". Dieses Tatbestandsmerkmal soll die Auswirkung der Wettbewerbsbeschränkung auf dem Markt erfassen. a) Verkehr mit Waren oder gewerblichen Leistungen
Der Begriff "Waren" bezeichnet alle Güter, die den Gegenstand eines Marktes bilden. Unter Gütern werden in diesem Zusammenhang bewegliche Sachen sowie Grundstücke und Rechte aller Art verstanden, über die ein Kaufvertrag geschlossen werden kann. 223 Leistungen i.S.d. § 1 GWB sind demgegenüber alle Tätigkeiten, die einem anderen zugute kommen sollen. Zugrunde liegt in der Regel ein Dienst- oder Werkvertrag. 224 Die Abgrenzung der Merkmale Waren und gewerbliche Leistungen, die wegen des weiten Warenbegriffes im Einzelfall schwierig sein kann, spielt in der Praxis keine Rolle. Beide Merkmale gemeinsam erfassen den wirtschaftlichen Verkehr im weitesten Sinne; ausgenommen ist lediglich der Arbeitsmarkt. 225 Demgemäß genügt es für § 1 Abs. 1 GWB, daß ein Kartell sich in irgendeiner Fonn auf dem weiten Feld der Produktion oder der Dienstleistungen auswirken kann. Das ist bei koordiniertem Verhalten der Kreditwirtschaft immer der Fall.
Westrick/Loewenheim, § 1 Rz. 57. Herrschende Meinung, vgl. Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 1 Rz 330 ff.; Westrick/Loewenheim, § 1 Rz. 74; LangenINiederleithinger, § 1 Rz. 51. 224 Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 1 Rz. 333. 225 Vgl. nur ImmengalMestmäcker-Immenga, § 1 Rz. 329; Westrick/Loewenheim, § 1 Rz. 75; Emmerich, Kartellrecht, S. 65. 222 223
B. Die Verbotstatbestände
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b) Erzeugung oder Marktverhältnisse
Der Begriff der Erzeugung erfaßt jede Gewinnung oder Herstellung von Rohstoffen, Halb- und Fertigprodukten. 226 Die Tätigkeit der Banken erfaßt er folglich nicht. Verträge der Kreditwirtschaft betreffen aber die Marktverhältnisse LS.d. § 1 Abs. 1 GWB. Unter Marktverhältnissen versteht man die Summe aller Faktoren, die für Angebot und Nachfrage auf einem bestimmten Markt von Bedeutung sein können. Der relevante Markt ist der gedachte Ort, an dem Angebot und Nachfrage zusammentreffen. Da es einer spürbaren Beeinflussung bedarf, muß der Markt sachlich, räumlich und zeitlich festgelegt werden. Dies geschieht nach den Kriterien, die auch für § 22 GWB verwendet werden. 227 Der sachliche Markt ist aus der Sicht des Verbrauchers zu bestimmen. Er umfaßt alle Waren oder gewerblichen Leistungen, die einander "nach ihren Eigenschaften, ihrem Verwendungszweck und ihrer Preislage so nahe stehen, daß der verständige Verbraucher sie als für die Deckung eines bestimmten Bedarfs geeignet in berechtigter Weise abwägend miteinander vergleicht und als gegeneinander austauschbar ansieht".228 Auf dem Bankensektor wird man hier den in § 1 Abs. 1 S. 2 KWG genannten Bankgeschäften entsprechend einteilen können. Räumlich ist als Markt grundsätzlich das gesamte Bundesgebiet - der Geltungsbereich des GWB - anzusehen, denn Gründe für eine Einschränkung auf regionale Teilmärkte sind nicht ersichtlich. 229 Die allgemein genannte zeitliche Abgrenzung des Marktes spielt in der Praxis keine Rolle,230 so daß sie keiner Erörterung bedarf.
226 WestrickILoewenheim, § 1 Rz. 70; Gemeinschaftskommentar-Müller-Hennberg, § 1 S. 65; Müller/Giessler, § I Rz. 27. 227 Vgl. WestrickILoewenheim, § 1 Rz. 71. 228 KG WuW/E OLG 995,996 "Handpreisauszeichner"; 1599, 1602 "Vitamin B 12"; BGH WuW/E BGH 1447 "Mannesmann/Brueninghaus", ständige Rspr.; BKartA WuW/E 1561, 1563; vgl. WestrickILoewenheim, § 22 Rz. 8; Langen/Niederleithinger, § 22 Rz. 13; in der Praxis wird dieses Kriterium aber häufig vernachlässigt, vgl. Bechtold, Zur Abgrenzung des relevanten Marktes, in: Festschrift für v.Gamm, S. 537 ff., 543 ff. 229 Vgl. Langen/Niederleithinger, § 22 Rz. 25. 230 WestrickILoewenheim, § 22 Rz. 11.
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I. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
c) Eignung zur Mark/beeinflussung Der Vertrag muß nach § 1 Abs. 1 GWB geeignet sein, den Markt für Bankdienstleistungen zu beeinflussen. Das ist der Fall, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, daß ein Vertrag die Marktbedingungen verändern wird. 231 Überwiegend fordern Rechtsprechung und Literatur eine spürbare Beeinträchtigung. Sie liegt vor, wenn die Marktgegenseite nicht ohne weiteres auf andere Anbieter ausweichen kann bzw. deren Wahlmöglichkeiten beeinträchtigt werden. 232 Da § 1 Abs. 1 S. 1 GWB die bloße Eignung verlangt, ist eine hypothetische Betrachtung darüber anzustellen, wie sich der Markt ohne und und wie er sich unter dem Einfluß des Vertrages entwickeln wird. Zu berücksichtigen ist jede nach allgemeiner wirtschaftlicher Erfahrung ernsthaft in Betracht kommende Möglichkeit, daß sich eine Maßnahme bei gewöhnlichem Verlauf der Dinge auf die Marktverhältnisse auswirken wird. 233 Dabei bedarf es konkreter Tatsachen, die den Schluß zulassen, daß es zu einem Eingriff in die Marktverhältnisse kommen wird; eine lediglich theoretisch vorstellbare Beeinflussung genügt nicht. 234 Einen wichtigen Hinweis auf eine mögliche spürbare Marktbeeinträchtigung ergibt sich nach überwiegender Ansicht aus dem Marktanteil der Kartellbeteiligten. Übertrifft er die Größenordnung von ca. 5 - 10 Prozent, so wird in der Praxis angenommen, daß die Ausweichmöglichkeiten eingeschränkt werden und damit eine spürbare Beeinträchtigung zu erwarten ist. 235 Die Grenze kann aber auch niedriger liegen. Entscheidend sind immer die Umstände des Einzelfalls. 236 Die drei großen Bankengruppen auf dem Kreditsektor übertreffen mit ihrem jeweiligen Marktanteil die Grenze von zehn Prozent auf jeden Fall, so daß von ihren Maßnahmen immer eine Marktbeeinträchtigung zu erwarten ist.
Vgl. nur Langen/Niederleithinger, § I Rz. 71. Steindorff, Die Wettbewerbsbeschränkung in § 1 GWB als offener Tatbestand, in: Wettbewerb als Herausforderung und Chance, Festschrift Benisch, S. 255, 263; Westrick/Loewenheim § 1 Rz. 78; ImmengaIMestmäcker-Immenga, § 1 Rz. 347, 354; Emmerich, Kartellrecht, s. 66 f. 233 Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 1 Rz. 350; Langen/Niederleithinger, § 1 Rz. 71; Westrick/Loewenheim, § I Rz. 78. 234 BOH WuW/E BGH 1458, 1462 "Fertigbeton" = BOHZ 68,6, 12; BGH WuW/E BGH 1597, 1600 "Erbauseinandersetzung; BGH WuW/E BGH 1685, 1692 "EIbe Wochenblatt"; ImmengaIMestmäcker-Immenga, § I Rz. 351; Müller/Giessler, § 1 Rz. 136. 235 Westrick/Loewenheim, § 1 Rz. 78. 236 WuW/E BGH 1458, 1462 " Fertigbeton" = BOHZ 68, 6, 12; vgl. Westrick/ Loewenheim, § 1 Rz. 78. 231
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B. Die Verbotstatbestände
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Die üblichen Verträge auf dem Kreditsektor werden demnach von § 1 Abs. 1 GWB ohne weiteres erfaßt. Sie sind in der Regel geeignet, die Marktverhältnisse zu beeinflussen. Im übrigen fallen neben den Verträgen auch etwaige Gentlemen's Agreements unter das Verbot.
ll. Das Verbot nach § 15 GWB Während §§ 1 ff. GWB Weubewerbsbeschränkungen auf der gleichen Wirtschaftsstufe betreffen, erfassen die §§ 15 ff. GWB Vereinbarungen von Wirtschaftssubjekten verschiedener Stufe (vertikale Beschränkungen).237 § 15 setzt immer zwei Verträge voraus, den Erst- und den Zweitvertrag. Der Erstvertrag, der Gegenstand des § 15 GWB ist, muß ein Austauschvertrag über gewerbliche Leistungen sein. Die Unternehmen, die Partner dieses Vertrages sind, müssen vereinbaren, daß für (Zweit-) Verträge, die einer von ihnen mit Dritten schließt, bestimmte inhaltliche Vorgaben aus dem Erstvertrag zu beachten sind. Der Unternehmensbegriff des § 15 GWB ist mit dem des § 1 GWB identisch, so daß Kreditinstitute erfaßt werden. Ob auch hier der weite Vertragsbegriff des § 1 GWB 238 gilt oder der engere zivilrechtliche239 ist dagegen zweifelhaft. In der Praxis dürfte immer ein Vertrag im zivilrechtlichen Sinne vorliegen, weil ein Austausch von Leistungen im gewerblichen Leben regelmäßig rechtsgeschäftlich vereinbart wird. Gegenstand der Wettbewerbsbeschränkung ist die Einschränkung der Freiheit, die Preise und Geschäftsbedingungen im Zweitvertrag frei zu gestalten. "Preise" erfaßt in diesem Zusammenhang jede Einengung der Freiheit, die Preise zu gestalten. Unter § 15 GWB fallen deshalb z.B. auch Rabatte, Preisbestandteile oder die Festlegung von Gewinnspannen. 240 Neben dem Verbot der Preisbindungen steht das Verbot der Bindung von Geschäftsbedingungen. Nach wohl allgemeiner Ansicht erfaßt der Begriff der Geschäftsbedingung sämtliche
237 Vgl. bereits oben "gemeinsamer Zweck"; WestrickILoewenheim, § 1 Rz.4. 238 So LangenlNiederleithinger, § 15 Rz. 12. 239 Dafür z.B. Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 15 Rz. 15; Gemeinschaftskommentar-Straub, § 15 Rz. 82. 240 Westrick/Loewenheim, § 15 Rz. 8; Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 15 Rz. 55. Zum Teil wird allerdings auch vertreten, daß Preisbestandteile nicht erfaßt seien, z.B. Müller/Giessler, § 15 Rz. 16; Frankfurter Kommentar, § 15 Rz. 24. Die Diskussion spielt für die Praxis keine Rolle, weil diese Ansicht Preisbestandteile über den Begriff "Geschäftsbedingung" erfaßt; Müller/Giessler, § 15 Rz. 16; Frankfurter Kommentar, § 15 Rz. 25.
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I. Kapitel: Das deutsche Wenbewerbsrecht
Abreden des Zweitvertrages, d.h. individuelle Abreden ebenso wie Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des AGBG. 241 Die praktische Bedeutung des § 15 GWB für den Kreditsektor ist gering. Er spielt eine Rolle bei zentralen Kreditaktionen (Lastenausgleich, Mittelstandshilfe u.ä.), bei denen die Zentralbanken den im Kundengeschäft tätigen Banken Konditionen für die Weitergabe der Kredite vorgeben. 242 Eine andere Situation, in der eine Bank auf die Marktpreise von Geschäftspartnern Einfluß nehmen könnte, ist kaum denkbar. 243 § 102 Abs. 1 GWB erwähnt den § 15 GWB hauptsächlich wegen einiger Vertragsgestaltungen auf dem Versicherungssektor, die ansonsten zwar nach dem EWG-Vertrag, nicht aber nach dem GWB freigestellt werden könnten. 244
In. Das Verbot nach § 38 Abs.l Nr. 11 GWB Nach wohl allgemeiner Auffassung ist in § 38 Abs. 1 Nr. 11 GWB nicht nur eine Regelung über ordnungswidriges Verhalten zu sehen, sondern zugleich das materiellrechtliche Verbot, Empfehlungen auszusprechen. 24s Adressat des Verbots ist nach ganz überwiegender Ansicht der Empfehlende. 246 § 38 Abs. 1 Nr. 11 GWB definiert den Begriff der Empfehlung nicht. Sie ist nach allgemeinem Verständnis eine rechtlich unverbindliche Erklärung, durch die jemand einem anderen etwas als gut oder vorteilhaft bezeichnet und es ihm deshalb anrät, nahelegt oder vorschlägt. Die Erklärung setzt das Ziel des Emp-
241 Wohl a11g. Auff., vgl. Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 15 Rz. 63; Westrick/Loewenheim, § 15 Rz. 8; Gemeinschaftskommentar-Straub, § 15 Rz. 273; Frankfurter Kommentar, § 15 Rz. 25. 242 Gemeinschaftskommentar-Hootz, § 102 Rz. 34; Möschel, Wirtschaftsrecht, S. 399; Hootz, Die Freistellung von § 15 GWB in der Bereichsausnhme des § 102 GWB, in: Festschrift für R. Schmidt, S. 657. 243 Vgl. Westrick/Loewenheim, § 102 Rz. 48 a.E., als "Beispiel denkbar"; ImmengaIMestmäcker-Möschel, § 102 Rz. 20, 33. 244 So die Begr. zur 5. Novelle, BT-Drucks. 11/4610, S. 29. 24S BGH WuW/E BGH 251,252 "4711" = BGHZ 28,208,210 = NJW 1958, 1868; BGH WuW/E 369, 370 "Kohlenplatzhandel" = BGHSt 14,55,59 ff.; Gemeinschaftskommentar-Benisch, § 38 Rz. 62; ImmengaIMestmäcker-Tiedemann, § 38 Rz. 133. 246 BGH WuW/E BGH 369, 370 f. "Kohlenplatzhandel" = BGHSt 14,55,59 ff.; Huber, Das Empfehlungsverbot, S. 66 f.; Immenga/Mestmäcker-Tiedemann, § 38 Rz. 134, 138; Mü11er/Giessler, § 38 Rz. 40; wohl auch Gemeinschaftskommentar-Benisch, § 38 Rz.62.
B. Die Verbotstatbestände
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fehlenden voraus, den Willen des Erklärungsempfangers zu beeinflussen.247 An den Nachweis dieser Absicht werden allerdings keine hohen Anforderungen gestellt. Sie wird bei entsprechenden Indizien angenommen; es genügt, daß der auf die Einwirkung gerichtete Wille in schlüssiger Form zutage tritt. 248 Das Empfehlungsverbot will den Wettbewerb auf dem Markt vor der Umgehung der primären kartellrechtlichen Vorschriften und behördlichen Verfügungen bewahren. Niemand soll durch eine Empfehlung eine Situation herbeiführen dürfen, die bei vertraglicher Absprache unter ein primäres Verbot fiele. 249 Ein Verstoß gegen das Empfehlungsverbot liegt vor, wenn die Empfehlung zumindest teilweise Erfolg hat, d.h. wenn sich - bei Verbandsempfehlungen mindestens zwei Empfehlungsempfänger an die Empfehlung gehalten haben. 250 Kausal für gleichförmiges Verhalten ist eine Empfehlung dabei bereits dann, wenn sie irgendeinen Einfluß auf die Entschließung des Adressaten ausübt, z.B. den Entschluß zu einem bestimmten Verhalten nur fördert. Keine Kausalität liegt dagegen vor, wenn die Adressaten zu dem gleichförmigen Verhalten auch ohne Empfehlung schon entschlossen waren. 2St Der Tatbestand des § 38 Abs. 1 Nr. 11 GWB setzt, § 10 OWiG entsprechend, weiter voraus, daß der Empfehlende vorsätzlich handelt. Dabei reicht dolus eventualis aus, d.h. es genügt, wenn der Empfehlende billigend in Kauf nimmt, daß sich die Empfänger der Empfehlung entsprechend gleichförmig
247 BGH WuW/E BGH 369, 370 "Kohlenplatzhandel"; vgl. Müller/Giessler, § 38 Rz. 44; Immenga!Mestmäcker-Tiedemann, § 38 Rz. 117; LangenlNiederleithinger, § 38 Rz. 30. 248 KG WuW/E OLG 1097, 1098 f. "Fotohandel-Großvertrieb"; KG WuW/E OLG 1817, 1818 und 1934, 1935 "Uhrmacherpreise"; BKartA WuW/E BKartA 1683, 1684 "Preislisten zur Auswahl"; Schütz, Zur Frage der "faktischen" Preisempfehlung für Markenwaren, in: BB 1975, S. 859, 862 f.; Schütz, Zur Ordnungswidrigkeit von Preisempfehlungen, in: BB 1977, S. 320, 321 f.; Müller/Giessler, § 38 Rz. 44; Immenga!Mestmäcker-Sauter, § 38 a Rz. 17; das Bundeskartellamt läßt tUr den Nachweis eines Empfehlungswillens z.T. sogar schon den Eintritt von Empfehlungswirkungen ausreichen, Tätigkeitsbericht BKartA 1976, BT-Drucks. 8/704, S. 35; ebenso der Bericht der Bundesregierung über unverbindl. Preisempfehlungen, BT-Drucks. 8/703 und KazmeyerlHennig, Zur Ordnungswidrigkeit von Preisempfehlungen, in: BB 1976, S. 941, 944 ff. 249 Langen/Niederleithinger, § 38 Rz. 33; bnmenga!Mestmäcker-Tiedemarm, § 38 Rz.l34. 250 BGH WuW /E BGH 369, 371 "Kohlenplatzhandel"; vgl. Gemeinschaftskommentar-Benisch § 38 Rz. 66; Langen/Niederleithinger, § 38 Rz. 35; InmmengaIMestmäckerTiedemann, § 38 Rz. 158. 25t KG WuW/E OLG 1097, 1099 "Fotohandel-Großvertrieb; Gemeinschaftskommentar-Benisch, § 38 Rz. 67; ImmengaIMestmäcker-Tiedemann, § 38 Rz. 152.
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1. Kapitel: Das deutsche Wenbewerbsrecht
verhalten.2S2 Im Hinblick auf die Willensbeeinflussung wird keine Absicht im technischen Sinne verlangt; es genügt direkter Vorsatz.2~3 Die auf dem Kreditsektor üblichen Empfehlungen der Bankenverbände erfüllen die Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 Nr. 11 GWB in der Regel. Sie zielen auf ein einheitliches Verhalten der Adressaten und wirken wettbewerbsbeschränkend, wenn sie befolgt werden.
IV. Das Verbot nach § 25 Abs.l GWB § 25 Abs. 1 GWB untersagt abgestimmtes Verhalten von Unternehmen bzw. Unternehmensvereinigungen. Verboten ist das Verhalten selbst, nicht der Abstimmungsvorgang.~ Vom Kartellbegriff der §§ 1 und 15 GWB unterscheidet sich § 25 Abs. 1 GWB nur durch das Fehlen des Merkmals Vertrag, die übrigen Voraussetzungen von §§ 1 und 15 GWB sind über den Passus "das nach diesem Gesetz nicht zum Gegenstand einer vertraglichen Bindung gemacht werden darf' in § 25 Abs. 1 GWB aufgenommen.25s
Aufeinander abgestimmt ist unternehmerisches Verhalten, wenn mindestens zwei Unternehmen ihr Vorgehen ohne bindende Wirkung einverständlich aufeinander ausrichten. 256 Eine Abstimmung im Sinne des § 25 Abs. 1 GWB liegt nicht vor, wenn das einzelne Unternehmen sein Marktverhalten am Verhalten von Wettbewerbern orientiert. Solch faktisches Parallelverhalten, z.B. eine Preissenkung als Reaktion auf eine Preissenkung der Konkurrenz, wird nicht erfaßt, weil jeder Wettbewerber die Möglichkeit haben muß, die Marktverhältnisse zu berücksichtigen.257 Weiterhin wird der Begriff abgestimmtes Verhalten durch die systematische Stellung des § 25 Abs. 1 GWB eingeschränkt. Wett252 OLG Stuttgart WuW/E OLG 411,422 "Bierpreisempfehlung"; BKartA Wuw/f!. BKartA 1273, 1278 "Verkehrszeichen-Bildliste"; ImmengaIMestmäcker-Tiedemann, § 38 Rz. 162; Gemeinschaftskommentar-Benisch, § 38 .Rz. 76; anderer Ansicht allerdings Müller/Giessler, § 38 Rz. 70, wo - entgegen § 10 OWiG - direkter Vorsatz verlangt wird. 253 BKartA WuW/E BKartA 1273, 1278 "Verkehrszeichen-Bildliste"; wohl auch BGH WuW/E BGH 1489, 1491 "Brotindustrie" = BGHSt 27, 196,201; Müller/Giessler, § 38 Rz. 70; ImmengaIMestmäcker-Tiedemann, § 38 Rz. 162. ~ LangenINiederleithinger, § 25 Rz. 4; v.Gamm, § 25 Rz. 7. 255 Vgl. Frankfurter Kommentar, § 25 Rz. 22; Gemeinschaftskommentar-Benisch, § 25 Rz. 11. 256 Müller/Giessler, § 25 Rz. 11; v.Gamm, § 25 Rz. 6 und Art. 85 Rz. 16 f.; LangenINiederleithinger, § 25 Rz. 10; Emmerich, Kartellrecht, S. 53. 257 Möschel, Wettbewerb, S. 105; ImmengaIMestmäcker-Immenga, § 25 Rz. 11; LangenlNiederleithinger, § 25 Rz. 8.
B. Die Verbotstatbestände
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bewerbsbeschränkende Verträge i.S.d. §§ 1 und 15 GWB sowie Empfehlungen i.S.d. § 38 Abs. 1 Nr. 11 GWB sind bereits durch diese Verbote untersagt und werden deshalb von § 25 Abs. 1 GWB nicht erfaßt. 258 Wegen des § 102 Abs. 1 GWB stellt sich die Frage, ob § 25 Abs. 1 GWB auch abgestimmtes Verhalten von Kreditinstituten untersagt. Eine Verhaltensweise wird von § 25 Abs. 1 GWB erfaßt, wenn sie "nicht zum Gegenstand einer vertraglichen Bindung gemacht werden darf'. Ein Vertrag müßte folglich gemäß §§ 1 bzw. 15 GWB unwirksam sein, wenn die Beteiligten ihn statt der lockeren Verständigungs form wählten. 259 Daran können wegen der Sonderregelung in § 102 Abs. 1 GWB Zweifel bestehen, weil Verträge unter den in Satz 1 genannten Voraussetzungen und bei Einhaltung des Verfahrens nach Satz 2 legalisiert werden können. Aus dem Verweis des § 102 Abs. 1 S. 1 GWB auf §§ 1, 15 GWB folgt aber nicht, daß § 25 Abs. 1 GWB bereits dann nicht mehr anwendbar ist, wenn ein Vertrag legalisiert werden kann. 260 Vielmehr darf eine Wettbewerbsbeschränkung nur dann "Gegenstand einer vertraglichen Bindung" im Sinne des § 25 Abs. 1 GWB sein, wenn das grundlegende Verbot durch das Gesetz selbst ohne jede weitere Voraussetzung oder Rechtsfolge aufgehoben wird. 261 Beispiele für eine solche unmittelbare Aufhebung des Primärverbotes sind §§ 20 Abs. 2, 99 Abs. 1 und 100 GWB. § 102 Abs. 1 GWB durchbricht das von §§ 1 bzw. 15 GWB ausgesprochene Verbot nur teilweise und auch dann nicht unmittelbar, weil für eine Freistellung zusätzliche Voraussetzungen erfüllt werden müssen. § 25 Abs. 1 GWB erfaßt demgemäß auch abgestimmte Verhaltensweisen der Kreditwirtschaft, weil sie grundsätzlich nicht zum "Gegenstand einer vertraglichen Bindung" i.S.d. § 25 Abs. 1 GWB gemacht werden dürfen.
Diese Feststellung führt gleich zu der weiteren Frage, ob ein abgestimmtes Verhalten auch gemäß § 102 Abs. 1 GWB vom Verbot des § 25 Abs. 1 GWB freigestellt werden kann. Das Bundeskartellamt hat es abgelehnt, § 102 Abs. 1 258 Belke, Die vertikalen Wettbewerbsbeschränkungsverbote nach der Kartellgesetznovelle 1973, ZHR 139 (1975), S. 51, 94; Lübbert, Das Verbot abgestimmten Verhaltens im deutschen und europäischen Kartellrecht, S. 71; Langen/Niederleithinger, § 25 Rz. 9; Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 25 Rz. 10; Müller/Giessler, § 25 Rz. 11. 259 BGH WuW/E BGH 451, 457 f. "Export ohne WBS"; KG WuW/E OLG 1687, 1692 "Laboruntersuchungen"; Langen/Niederleithinger, § 25 Rz. 21. 260 Vgl. Langen/Niederleithinger, § 25 Rz. 22. 261 Hofmann, Der Umfang des Verbots aufeinander abgestimmten Verhaltens in § 25 Abs. 1 GWB, in: Recht und Wirtschaft in Geschichte und Gegenwart, Festschrift für Bärmann, S. 471, 487 ff.; Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 25 Rz. 24; Langen/Niederleithinger, § 25 Rz. 22.
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1. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
GWB auf den nicht ausdrücklich genannten § 25 Abs. 1 GWB entsprechend anzuwenden. 262 Dem wird von einem Teil der Literatur entgegengehalten, daß § 25 Abs. 1 GWB als Auffangtatbestand263 ein Minus gegenüber einer vertraglichen Bindung darstelle. Es sei deshalb zweckwidrig, zwar vertragliche Bindungen, nicht aber abgestimmte Verhaltensweisen nach § 102 Abs. 1 GWB freizustellen. 264 Dieses argumentum a maiore ad minus, wonach abgestimmte Verhaltensweisen gern. § 102 GWB freizustellen seien, weil die "schärfere" vertragliche Bindung freigestellt ist, kann für sich genommen nicht überzeugen. § 102 Abs. 1 GWB ist eine Ausnahmevorschrift und demgemäß - singularia non sunt extenda - eng auszulegen. Für eine enge Auslegung spricht außerdem, daß der Gesetzgeber sich ausdrücklich gegen die Legalisierung abgestimmter Verhaltensweisen ausgesprochen hat. Die Beteiligten sollen sich für eine Legalisierung auf die gesetzlich vorgeschriebene Form - Vertrag bzw. Beschluß - einlassen müssen, damit klare Verhältnisse herrschen.26s In Betracht kommt eine analoge Anwendung des § 102 Abs. 1 GWB auf abgestimmte Verhaltensweisen LS.d. § 25 Abs. 1 GWB. Sie setzt voraus, daß die Nichterwähnung des § 25 GWB in § 102 Abs. 1 GWB eine planwidrige Gesetzeslücke darstellt. Planwidrig lückenhaft ist ein Gesetz, wenn eine bestimmte, "nach dem Regelungsplan oder dem Gesamtzusammenhang des Gesetzes zu erwartende Regel" fehlt. 266 Es stellt sich also die Frage, ob nach der Konzeption des GWB eine Einbeziehung des § 25 GWB in den Freistellungsbereich des § 102 Abs 1 GWB zu erwarten war bzw. ist.
Vor der 4. Novelle wurde als Grund für eine entsprechende Anwendung des § 102 GWB geltend gemacht, daß eine einheitliche Behandlung von Empfeh262 Tätigkeitsbericht BKartA 1974, BT-Drucks. 7/3791, S. 80; ebenso die heute wohl h.M., Sauter, Das Verbot des abgestimmten Verhaltens im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, in: BB 1973, S. 684, 686; LangenlNiederleithinger, § 102 Rz. 11; Immenga/Mestmäcker-Möschel, § 102 Rz. 27; Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 25 Rz. 28, 29; Gemeinschaftskommentar-Hootz, § 102 Rz. 37; Prölls/Schmidt/Frey, Versicherungsaufsichtsgesetz, § 81 Anh. 11 Rz. 13; anderer Ansicht allerdings die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme, Tätigkeitsbericht BKartA 1974, BT-Drucks. 7/3791, Tz. IX. 263 Zur Entstehung des § 25 Abs. 1 GWB vgl. bereits oben S. 40 Fußnote 164; Belke, Novelle, ZHR 139 (1975), S. 51, 55. 264 Frankfurter Kommentar, § 25 Rz. 26; Gemeinschaftskommentar-Benisch, § 25 Rz. 30; wohl auch Großfeld, Allgemeine Versicherungsbedingungen und Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, in: Festschrift R. Schmidt, S. 637, 650, der auf die Sachnähe zwischen § I und § 25 Abs. 1 GWB abstellt. 26S Vgl. Bericht des Wirtschaftsausschusses, BT-Drucks. 7{765, S. 9. 266 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 360; vgl. Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 39.
B. Die Verbotstatbestände
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lung und abgestimmtem Verhalten angebracht sei. Beide beträfen eine Umgehung der Primärverbote. Wenn das Kartellamt Empfehlungen nach § 102 GWB freistelle, müsse dies auch mit abgestimmten Verhaltensweisen geschehen. 267 Dieses Argument ist durch den Lauf der Zeit überholt, denn Empfehlungen werden von § 102 Abs. 1 GWB seit der 4. Novelle des GWB ausdrücklich erfaßt, abgestimmte Verhaltensweisen dagegen selbst nach der 5. Novelle noch nicht. Der Gedanke einer planwidrigen Ungleichbehandlung hat durch das einseitige Handeln des Gesetzgebers seine Grundlage verloren; ein Regelungsdefizit in § 102 Abs. 1 GWB läßt sich auf diesem Weg nicht begründen. Für eine entsprechende Anwendung des § 102 Abs. 1 GWB wurde ferner geltend gemacht, daß Verbandsempfehlung und abgestimmtes Verhalten häufig zwei Aspekte eines einheitlichen Sachverhaltes seien. Es sei nicht sinnvoll, die Empfehlung gem. § 102 GWB freizustellen und anschließend die zugehörige abgestimmte Verhaltensweise als Ordnungswidrigkeit gem. §§ 25 Abs. 1, 38 Abs. 1 Nr. 8 GWB zu verfolgen. 268 Ein solches Ergebnis wäre in der Tat sinnwidrig und eine Einbeziehung des § 25 GWB in § 102 Abs. 1 GWB deshalb geboten. Fraglich ist aber, ob der Ausgangspunkt, daß §§ 25 Abs. 1,38 Abs. 1 Nr. 8 GWB solch "annexes" Verhalten erfassen, richtig ist. Nur in diesem Fall wäre eine Freistellung abgestimmter Verhaltensweisen durch § 102 Abs. 1 GWB geboten. Zweifelhaft scheint zunächst einmal, ob das empfehlungsgemäße Verhalten überhaupt abgestimmtes Verhalten LS.d. § 25 Abs. 1 GWB ist. In der Regel steht bei Empfehlungen die unverbindliche einseitige Einflußnahme im Vordergrund, die nicht unter den Begriff der Verhaltensabstimmung fällt. Auf dem Kreditsektor sind die Empfehlungen aber keine einseitige Sache der Verbände. Vielmehr erarbeiten die Verbände die Empfehlungen im Auftrage und Interesse ihrer Mitglieder, die ein von ihnen selbst zu befolgendes Verhaltenskonzept erwarten. Die Verhaltensabstimmung rückt hier in den Mittelpunkt, so daß das auf einer Verbandsempfehlung beruhende gleichfÖrmige Verhalten von Kreditinstituten regelmäßig als abgestimmtes Verhalten im Sinne des § 25 Abs. 1 GWB anzusehen ist. 269 Widersprüchlich wäre es in der Tat, wenn die im Interesse der Banken erarbeitete Empfehlung gem. § 102 Abs. 1 GWB freigestellt wird, das empfeh~ lungskonforme Verhalten aber von § 25 Abs. 1 GWB untersagt würde. Gleichwohl wäre das der Fall, wenn mit dem Passus "nicht zum Gegenstand einer Vgl. Großfeld, Festschrift Schmidt, S. 637, 650. Vgl. Großfeld, Festschrift Schmidt, S. 637, 650 f. 269 Vgl. Belke, Novelle, ZHR 139 (1975), S. 51, 94; Lübbert, S. 71; Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 25 Rz. 18 mwN.; Gemeinschaftskommentar-Benisch, § 25 Rz. 8; Müller/Giessler, § 25 Rz. 6; Frankfurter Kommentar, § 25 Rz. 21. 267
268
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1. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
vertraglichen Bindung gemacht werden darf' nur Fälle ausklammert wären, in denen das Primärverbot ohne weitere Voraussetzungen durchbrochen wird. Eine solche Auslegung ist aber mit der Systematik des GWB und dem Zweck der nach § 102 Abs. 1 GWB möglichen Freistellung nicht vereinbar. Die Freistellung einer Empfehlung vom Kartellverbot ist nicht Selbstzweck, sondern soll das tatsächliche Verhalten mit seinen Auswirkungen auf den Wettbewerb ermöglichen. Dieser Zweck würde unterlaufen, wenn abgestimmtes Verhalten aufgrund einer freigestellten Empfehlung von § 25 Abs. 1 GWB erfaßt würde. Um dieses systemwidrige Ergebnis zu vermeiden, ist das Merkmal "nicht zum Gegenstand einer vertraglichen Abstimmung gemacht werden darf' ergänzend auszulegen. Wo eine Empfehlung freigestellt wird, könnte auch ein entsprechender Vertrag freigestellt werden. Und nachdem eine Empfehlung freigestellt worden ist, dürfte ihr Inhalt auch Gegenstand einer vertraglichen Verhaltensabstimmung i.S.d. § 25 Abs. 1 GWB sein, weil die Freistellungsvoraussetzungen für Empfehlungen und Verträge gleich sind. Über den Wortlaut des § 25 Abs. 1 GWB hinaus sind deshalb auch solche Verhaltensweisen nicht verboten, die auf einer freigestellten Empfehlung beruhen. Eine spezielle Freistellung des Verhaltens der Empfehlungsadressaten ist nicht erforderlich. Legt man den § 25 Abs. 1 GWB im vorstehenden Sinne aus, so kommt es nicht zum befürchteten Widerspruch zwischen Freistellung der Empfehlung und Verbot des zugehörigen abgestimmten Verhaltens. Eine ausfüllungsbedürftige Lücke besteht folglich nicht, so daß sich eine entsprechende Anwendung des § 102 Abs. 1 GWB auf abgestimmte Verhaltensweisen verbietet. Im Interesse der Rechtsklarheit können abgestimmte Verhaltensweisen deshalb nicht über § 102 Abs. 1 GWB vom Verbot des § 25 Abs. 1 GWB freigestellt werden. 270
c. Die materiellen Freistellungsvoraussetzungen Die 5. Novelle hat in den § 102 Abs. 1 S. 1 GWB die Nr. 2 eingefügt. Die übrigen Voraussetzungen blieben unangetastet.
270 Dies entspricht dem Willen des Gesetzgebers, vgl. Bericht des Wirtschaftsausschusses, BT-Drucks. 7{765, S. 9; Immenga/Mestmäcker-Möschel, § 102 Rz. 27; Langen/Niederleithinger, § 25 Rz. 22; anderer Ansicht allerdings GleissIBechtold, Das deutsche Kartellgesetz, in: BB 1973, 1142, 1144 f.
C. Die materiellen Freistellungsvoraussetzungen
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I. Normadressaten Adressaten des § 102 Abs. 1 GWB sind alle Kreditinstitute, die gemäß §§ 6, 1 f. KWG der Aufsicht durch das Bundesaufsichtsamt für Kreditwesen unterliegen. 271
11. Zusammenhangsbereich Voraussetzung für eine FreisteIlung ist nach § 102 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GWB, daß das verbotene Verhalten (Vertrag, Beschluß oder Empfehlung) "im Zusammenhang mit Tatbeständen steht, die auf Grund eines Gesetzes der Genehmigung oder Überwachung durch das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen ... unterliegen". Gefordert war der Zusammenhang bereits in der Urfassung; in der heutigen Form gibt es die Zusammenhangklausel seit 1980 (§ 102 Abs. 1 S. 1 Nr. llit. a GWB [1980]). Die Kreditaufsicht überwacht zunächst das gesamte Bankgeschäft der Kreditinstute (vgl. § 1 Abs. 1 S. 2 KWG). Zum Teil ist die Aufsicht speziell geregelt, beispielsweise in § 10 KWG hinsichtlich der Kapitalausstattung, in § 11 KWG bezüglich der Liquidität oder in § 13 KWG für das Vorgehen bei der Vergabe von Großkrediten. 272 Im übrigen kontrolliert das Bundesaufsichtsamt nach § 6 KWG auch sonstige, im KWG nicht speziell geregelte Geschäftsvorgänge der Kreditwirtschaft. Die Aufsichtsbehörde darf, dem Sinn des KWG entsprechend, bei jeder Aktivität eines Kreditinstitutes eingreifen, welche die wirtschaftliche Lage des Unternehmens beeinträchtigen kann. 273 Soweit dürfte über das gleichlautende Merkmal des § 102 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a GWB [1980] Einigkeit bestanden haben. Streitig war dagegen, ob durch § 102 Abs. 1 GWB [1980] auch Hilfs- und Nebengeschäfte, z.B. die Beschaffung von Büromaterial, freigestellt waren. Für eine solche FreisteIlung sprach der Wortlaut des § 102 Abs. 1 S. 1 Nr. Ilit. a GWB [1980], wonach alle Tatbe-
Z71 Eingehend dazu bereits die Einleitung; vgi. Jmmenga/Mestmäcker-Möschel, § 102 Rdz. 23; Langen/Niederleithinger, § 102 ff.; Emmerich, Kartellrecht, S. 454; Hausleutner, S. 11 ff.; Möschel, Wirtschaftsrecht, S. 398 f.; Möschel, Wettbewerb, S. 633. Z72 Vgl. Bähre/Schneider, § 6 Anm. 2; komplette Aufstellung bei Szagunn/ Wohl schieß, § 6 Anm. 2. 273 Hootz, Freistellung, Festschrift Schmidt, S. 657, 662 mit Nachweisen; Meyer, Die Kreditwirtschaft im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, S. 23; Immenga/Mestmäcker-Möschel, § 102 Rz. 29.
62
1. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
stände, die einer Überwachung unterliegen, freigestellt sein sollten. Denn einer Überwachung unterliegen eben auch die Hilfsgeschäfte,Z74 so daß aufsichtsrechtliche Belange im Grunde immer berührt sind. Dem wurde jedoch widersprochen, weil die Nebengeschäfte nichts mit den Bankgeschäften zu tun hätten, die Anlaß für die Sonderstellung der Banken im GWB gewesen seien. Der Begriff "Zusammenhang" sei deshalb restriktiv zu interpretieren, er erfasse nur die eigentlichen Bankgeschäfte.Z75 Zu diesem Streit heißt es in der Begründung zur 5. Novelle: "Nur bankenund versicherungsspezifische Geschäfte fallen unter den FreisteIlungstatbestand: Für Wettbwerbsbeschränkungen bei Neben- und Hilfsgeschäften gilt hingegen der Sondertatbestand nicht" .Z76 Nachdem für § 102 Abs. 1 S. 1 GWB [1957] bzw. § 102 Abs. 1 S. 1 Nr. llit. a GWB [1980] der Begriff Zusammenhang nicht geklärt werden konnte, hat diese Willensäußerung des Gesetzgebers große Bedeutung. Sie stellt im Rahmen der historischen Auslegung die Weichen zu einer restriktiven Handhabung des § 102 GWB. Für die Zukunft ist davon auszugehen, daß nur bei bankspezifischen Geschäften ein Zusammenhang i.S.d. § 102 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GWB besteht. Nur sie kommen für eine Freistellung nach § 102 Abs. 1 GWB in Betracht.2n
111. Leistungssteigerung oder Leistungserhaltung Nach Nr. 2 des § 102 Abs. 1 S. 1 GWB können nur solche Verträge, Beschlüsse und Empfehlungen freigestellt werden, die - geeignet und erforderlich sind, die Leistungsfähigkeit der beteiligten Unternehmen in technischer, betriebswirtschaftlicher oder organisatorischer Beziehung insbesondere durch zwischenbetriebliche Zusammenarbeit oder durch Vereinheitlichung von Vertragsbedingungen zu heben oder zu erhalten - und dadurch die Befriedigung des Bedarfs zu verbessern,
Z74 Hootz, Freistellung, Festschrift Schmidt, S. 657, 661 ff.; Gemeinschaftskommentar-Hootz, § 102 Rz. 21; Schork, Banken und versicherungen im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, in: WuW 1958, S. 429, 431 ff. Z75 Immenga/Mestmäcker-Möschel, § 102 Rz. 29; Langen/Niederleithinger, § 102 Rz. 12 f.; Szagunn/Wohlschieß, Anhang zu § 23 Anm. 3; BährelSchneider, § 23 Anm. 5; Meyer, S. 23 ff.; Hausleutner, S. 75; Emmerich, Kartellrecht, 5. Aufl., S. 432. Z76 BT-Drucks. 11/4610, S. 29. m Emmerich, Kartellrecht, S. 457.
C. Die materiellen Freistellungsvoraussetzungen
63
- wobei der zu erwartende Erfolg in einem angemessenen Verhältnis zu der damit verbundenen Wettbewerbsbeschränlrung stehen muß. Der Gesetzgeber greift hier bewußt auf § 5 Abs. 2 GWB zUTÜck,278 so daß für die Auslegung der Nr. 2 des § 102 Abs. 1 S. 1 GWB die Literatur zu den RationalisierungskartelIen herangezogen werden kann. Schwierigkeiten entstehen allerdings dadurch, daß der Wortlaut der Nr. 2 gegenüber § 5 Abs. 2 GWB teils eingeschränkt, teils ausgeweitet ist. Es fehlt der Passus, daß die "Regelung der Rationalisierung wirtschaftlicher Vorgänge dienen" muß. Außerdem fehlt das Merkmal "Wirtschaftlichkeit". Während nach § 5 Abs. 2 GWB eine Maßnahme darauf gerichtet sein muß, "Leistungsfähigkeit oder Wirtschaftlichkeit" zu heben, genügt nach Nr. 2 nur eine Steigerung der Leistungsfähigkeit. Andererseits ist das Merkmal der "Erforderlichkeit" hinzugekommen.
Die Veränderungen lassen sich anband des § 5 Abs. 2 GWB einordnen. Leider illustriert die Literatur zu § 5 Abs. 2 GWB ebenso wie die zu § 1 Abs. 1 GWB die mangelnde kartellrechtliche Tradition in Deutschland. Eine scheinbare begriffliche Klarheit offenbart bei näherem Hinschauen, wie wenig geklärt das Zusammenspiel der Tatbestandsmerkmale des § 5 Abs. 2 GWB tatsächlich ist. 1. Rationalisierung und Leistungssteigerung in § 5 Abs. 2 GWB
Ungeklärt ist im Rahmen des § 5 Abs. 2 GWB das Verhältnis der Rationalisierung zu den Merkmalen Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit. Es heißt, die Merkmale "Rationalisierung" und "Hebung der Leistungsfähigkeit oder Wirtschaftlichkeit" stünden in einem "besonders" engen Zusammenhang;279 näher erläutert wird dieser Zusammenhang nicht. Allgemein nimmt die Literatur an, daß Rationalisierung "die Hebung der Leistungsfähigkeit und der Wirtschaftlichkeit der beteiligten Unternehmen in technischer, betriebswirtschaftIicher oder organisatorischer Beziehung" bedeutet.280 Dementsprechend untersucht sie regelmäßig bereits in diesem Zusammenhang, ob die Rationalisierung die Leistungsfähigkeit verbessern kann. 281 Das wirft die Frage auf, warum sich in § 5 Abs. 2 GWB das Merkmal "geeignet die Leistungsfähigkeit oder Wirtschaftlichkeit zu heben" findet, wenn dieser Gesichtspunkt schon bei dem Merkmal Rationalisierung geprüft wird. Wenn die Merkmale den gleichen 10-
58.
278 BT-Drucks. 11/4610, S. 29. 279 Müller/Giessler, § 5 Rz. 39; vgl. Frankfurter Kommentar, § 5 Rz. 89. 280 So unter Hinweis auf das BKartA z.B. Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 5 Rz.
281 Vgl. nur LangenlNiederleithinger, § 5 Rz. 42; ImmengaIMestmäcker-Immenga, § 5 Rz. 62 f.; Westrick/Loewenheim, § 5 Rz. 33; v.Gamm, § 5 Rz. 20.
1. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
64
halt bekommen, erübrigt sich eine Unterscheidung; dann sollte man aber auch nicht von einem besonders engen Zusammenhang sprechen, sondern von Identität. Ein solches inhaltsgleiches Verständnis von Rationalisierung und Wirtschaftlichkeit/Leistungsfähigkeit hätte nahegelegen, wenn der § 5 Abs. 2 GWB die ursprünglich vom Regierungsentwurf vorgesehene und vom wirtschaftspolitischen Ausschuß übernommene Fassung erhalten hätte. Dort hieß es, daß eine Erlaubnis zu erteilen sei, wenn "... die Regelung der Rationalisierung .. wirtschaftlicher Vorgänge dient, insbesondere geeignet ist, die Leistungsfähigkeit oder die Wirtschaftlichkeit der beteiligten Unternehmen in technischer, betriebs wirtschaftlicher oder organisatorischer Hinsicht wesentlich zu heben".282 Danach waren die Hebung der Leistungsfähigkeit bzw. Wirtschaftlichkeit ursprünglich als konkretisierende Regelbeispiele für die Rationalisierung vorgesehen. Die Tatsache, daß die Urfassung des Gesetzes von 1957 diesen Zusammenhang auflöste, spricht dafür, daß Rationalisierung und Hebung der Leistungsfähigkeit oder Wirtschaftlichkeit nicht ohne weiteres gleichzusetzen sind. Ebenso ungeklärt ist die Bedeutung der Merkmale Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit. Allgemein wird angenommen, die Leistungsfähigkeit erfasse in erster Linie die technische Seite eines Betriebes, d.h. beispielsweise die Produktqualität, die Kapazität, die Liefergeschwindigkeit oder den Angebotsumfang. Wirtschaftlichkeit betreffe demgegenüber eher das innerbetriebliche Rechnungswesen, die kaufmännische Seite des Betriebes, auf der es um die Vermeidung von Betriebskosten geht. 283 Die Begriffe werden in der Praxis deshalb alternativ geprüft. 284 Dieses Verständnis führt bei Problemfällen nicht weiter. Die Literatur erwähnt häufig den Fall, daß ein Betrieb eine unrentable Maschine kauft, welche die Leistungsfähigkeit (Kapazität) des Betriebes steigert. Ein solches Vorgehen setzt zugleich die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens herab. Weil aber die Leistungsfähigkeit nun einmal gesteigert wird, hält man die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 GWB für erfüllt. 285 Gegen diese Annahme sträubt sich schon das § 3 der Entwürfe, BT-Drucks.1I/1158, Anlage I, S. 3. BKartA WuW/E 79, 84 f. "Steinzeugsyndikat"; Frankfurter Kommentar, § 5 Rz. 90; Gemeinschaftskommentar-Deringer/Benisch, § 5 Rz. 45 f.; Wemer, Unternehmerische Kooperation zur Steigerung der Leistungsfähigkeit, S. 65; vgl. auch Günther, Bestimmung der Begriffe Rationalisierung, Leistungsfähigkeit, und Wirtschaftlichkeit, in: WuW 1954, S. 449. 284 Vgl. Langen/Niederleithinger, § 5 Rz. 48; Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 5 Rz.75. 285 Veltins, Zulässigkeit, S. 105; Gemeinschaftskommentar-DeringerlBenisch, § 5 Rz. 45; Frankfurter Kommentar, § 5 Rz. 90. 282 283
C. Die materiellen Freistellungsvoraussetzungen
65
Sprachgefühl, wonach Rationalisierung allgemein auf die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit eines Betriebes hindeutet. Das Verständnis für das Verhältnis der Merkmale Rationalisierung einerseits sowie Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit andererseits wird auch nicht erleichtert, wenn der Gesetzgeber in neueren Tatbeständen, die an § 5 Abs. 2 GWB angelehnt sind, die Wirtschaftlichkeit nicht mehr nennt. So findet sich in dem 1973 eingeführten § 5 lit. b GWB und in der Nr. 2 des aktuellen § 102 Abs. 1 S. 1 GWB nur noch die Leistungsfähigkeit. Für § 5lit. b GWB wird allgemein angenommen, daß mit dem Verzicht kein sachlicher Unterschied gewollt sei, weil der Gesetzgeber unmittelbar an die Begrifflichkeit des § 5 GWB anschließt. 286 Auf dem Boden der herrschenden Lehre wäre - zumindest nach dem Wortlaut des § 5 lit. b GWB - die Annahme konsequent, daß eine Einschränkung gewollt war, weil der Gesetzgeber auf eines von zwei unterschiedlichen Merkmalen verzichtet. Die Bestandsaufnahme zu § 5 Abs. 2 GWB fällt also wenig ermutigend aus. Die Tatbestandsmerkmale überschneiden sich scheinbar; zum Teil ergeben sich widersprüchliche Ergebnisse; versuchte Abgrenzungen lassen sich schwerlich aufrechterhalten. Wegen dieser Schwierigkeiten soll im folgenden versucht werden, das Verhältnis der Tatbestandsmerkmale Rationalisierung und Leistungsfähigkeit bzw. Wirtschaftlichkeit zu klären. a) Rationalisierung Kann der Begriff Rationalisierung entgegen der überwiegenden Ansicht nicht ohne weiteres mit Hebung der Leistungsfähigkeit oder Wirtschaftlichkeit umschrieben werden, so fragt sich, welche Bedeutung er hat. Eine Definition findet sich im GWB nicht. Rationalisieren ist verwandt mit "rationell", das vom französischen "rationnei" abstammt und "auf Wirtschaftlichkeit bedacht" oder "zweckmäßig" bedeutet. Einen Vorgang "rationalisieren" heißt deshalb ihn verbessern, ihn zweckmäßiger gestalten oder straffen. 287 Das aus dem Verb gebildete Substantiv "Rationalisierung" bezeichnet demnach eine Handlung, nicht das Ergebnis derselben, wie die überwiegende Ansicht annimmt. Rationalisierung bezeichnet danach eine ökonomisch-gestaltende Tätigkeit. So umschreibt auch das Bundeskartellamt den Begriff:
286 Veltins, Die Mittelstandskooperation in Kartellrecht und Praxis, in: DB 1978, S. 239, 240; Immenga/Mestmäcker-Inmmenga, § 5 b Rz. 22; G~meinschaftskommentar Deringer, § 5 b Rz. 22; Langen/Niederleithinger, § 5 b Rz. 10. 287 Duden, Deutsches Universaiwärterbuch, "rationalisieren" und "rationell".
5 Renken
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l. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
"Wirtschaftliche Vorgänge zu rationalisieren heißt, ... sie im Hinblick auf die Verwirklichung des ökonomischen Prinzips so zu gestalten, daß sie gegenüber einem friiheren Zustand verbessert werden".288 Davon ausgehend stellt sich die Frage, ob die ökonomisch-gestaltende Tätigkeit auf betrieblicher Ebene wirken muß289 oder ob jede gesamtwirtschaftlich positive Maßnahme genügt.290 Für das letztgenannte, volkswirtschaftliche Verständnis des Rationalisierungsbegriffs wird vorgebracht, daß § 5 GWB nach den Gesetzesmaterialien alle Fälle erfassen solle, in denen der Wettbewerb versagt und ihn beschränkende Maßnahmen einen Wirtschaftszweig zu höherer Leistung führen können. Es sei deshalb davon auszugehen, daß jede Verhaltensweise nach § 5 GWB freigestellt werden könne, die gesamtwirtschaftlich gesehen positive Auswirkungen verspreche. Das gelte auch, wenn einige der an einer Absprache beteiligten Unternehmen ihre Produktion einstellen müßten, und sogar dann, wenn vor- oder nachgelagerten Wirtschaftsstufen Nachteile entstünden, solange eine Verhaltensweise nur volkswirtschaftlich gesehen vorteilhaft sei. 291 Gegen das volkswirtschaftliche Verständnis bestehen Bedenken. Einmal ist § 5 Abs. 2 GWB seinem Wortlaut nach erkennbar auf eine Leistungssteigerung in den beteiligten Unternehmen gerichtet. Dieser Erfolg könnte zumindest bei solchen an der Absprache beteiligten Unternehmen nicht eintreten, die ihre Produktion abredegemäß einstellen. Außerdem ist entscheidendes Kriterium für eine Freistellung nach § 5 Abs. 2 GWB, daß die Befriedigung des Verbraucherbedarfs verbessert wird. Die im Rahmen des volkswirtschaftlichen Rationalisierungsbegriffs offenbar denkbaren Nachteile für nachgelagerte Wirtschaftsstufen, d.h. den Verbraucher, stehen im Gegensatz zu dem Zweck des § 5 Abs. 2 GWB. Für den volkswirtschaftlichen Rationalisierungsbegriff läßt demnach schon der Wortlaut des § 5 Abs. 2 GWB keinen Raum. Es ist deshalb mit der über288 KartA WuW/E 1794, 1795 "Bimsbausteine m"; weitere Nachweise zum BKartA bei WestrickILoewenheim, § 5 Rz. 25; vgl. auch Langen/Niederleithinger, § 5 Rz. 36; ImmengaIMestmäcker-Immenga, § 5 Rz. 62. 289 So die h.M., Eckstein, Betriebswirtschaftliche Kriterien zur Beurteilung von Rationalisierungskartellen, S. 183 f.; Segelmann, Zum Begrüf "Rationalisierung wirtschaftlicher Vorgänge" in § 5 Abs. 2 GWB, in: WuW 1964, S. 3, 4 f.; ders., Wettbewerb und Rationalisierung unter Berücksichtigung der Syndikate und Spezialisierungskartelle, in: Zehn Jahre Bundeskartellamt, S. 137 f.; Koppensteiner, Wettbewerbskosten und Leistungsverzicht als Grenzen des Rationalisierungsbegriffes?, in: WuW 1969, S. 539, 543; WestrickILoewenheim, § 5 Rz. 26; Müller/Giessler, § 5 Rz. 40 b. 290 Gabriel, Der Begriff "Rationalisierung" unter wettbewerbspolitischem Aspekt, in: Rationalisierung durch Kartelle, S. 15, 18 ff. 291 Gabriel, in: Rationalisierung durch Kartelle, S. 15,18 ff, 33.
c. Die materiellen Freistellungsvoraussetzungen
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wiegenden Ansicht davon auszugehen, daß man von einer Rationalisierung im Sinne des § 5 Abs. 2 GWB nur sprechen kann, wenn eine Absprache auf die Struktur eines jeden beteiligten Betriebes einwirkt292 und jeder einzelne Betrieb profitiert. 293 In der Praxis durchläuft eine solche Rationalisierung mehrere Stufen: Der Unternehmer untersucht den gegenwärtigen Produktions- und Betriebsablauf; anschließend entwirft er Alternativen und schließlich führt er die Lösung ein, die den größten Erfolg erwarten läßt. 294 Aufgabe der Maßnahmen ist es, die Produktions- und Betriebsabläufe zu optimieren,295 ihr Ziel, das Verhältnis von Aufwand und Ertrag eines Betriebes zu verbessern.296 Das kann geschehen, indem das Unternehmen mit geringerem Material-, Arbeits- und Zeitaufwand den gleichen Produktionsertrag, mit gleichem Aufwand einen höheren Ertrag oder einen höheren Ertrag mit vergleichsweise geringerem Mehraufwand erzielt. 297 Es geht also darum, die wirtschaftlichen Vorgänge im Betrieb - wie das Bundeskartellamt sagt - im Hinblick auf das "ökonomische Prinzip" zu gestalten. Anders gesagt: Es gilt, die Wirtschaftlichkeit der Unternehmen zu steigern. Setzt eine Rationalisierung voraus, daß auf die betriebliche Struktur Einfluß genommen wird, so kann eine bloße Preissteigerung mittels Absprache nicht nach § 5 Abs. 2 GWB freigestellt werden. Sie steigert zwar u.U. auch die Wirtschaftlichkeit, wirkt aber nicht auf die Struktur der Betriebe ein. 298 Die vorstehenden Ausführungen verdeutlichen das Verhältnis der Merkmale "Rationalisierung" und "Hebung der Leistungsfähigkeit oder Wirtschaftlichkeit"in § 5 Abs. 2 GWB. Sie stehen zueinander im Verhältnis von Ursache und Wirkung. "Rationalisierung" ist die Veränderung der Betriebsstruktur, von der die Handelnden sich eine verbesserte Wirtschaftlichkeit erhoffen. "Hebung der Leistungsfähigkeit oder Wirtschaftlichkeit" dagegen bezeichnet den Erfolg der Rationalisierung, die gesteigerte Wirtschaftlichkeit des Unternehmens. Dies 292 Eckstein, S. 183 f.; Segelmann, Rationalisierung, WuW 1964, S. 3, 4 f.; ders., Wettbewerb, in: 10 Jahre Bundeskartellamt, S. 137 f.; Koppensteiner, WuW 1969, S. 543; Westrick/Loewenheim, § 5 Rz. 26; Müller/Giessler, § 5 Rz. 40 b. 293 BKartA WuW/E 1108, 1109 "Zementvertrieb Berlin 11"; Westrick/Loewenheim, § 5 Rz. 27; ImmengaIMestmäcker-Immenga, § 5 Rz. 60. 294 Vgl. Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 15, "Rationalisierung". 295 Vgl. Gemeinschaftskommentar-DeringerlBenisch, § 5 Rz. 4. 296 Westrick/Loewenheim, § 5 Rz. 27; Gemeinschaftskommentar-DeringerlBenisch, § 5 Rz. 4. 297 Statt vieler Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 5 Rz. 64 mit Nachweisen. 298 So auch die ganz h.M. unter Hinweis darauf, daß hier nur die "Austauschbedingungen" verändert werden, vgl. BKartA WuW/E 322, 328 "Textillohnveredelung"; Langen/Niederleithinger, § 5 Rz. 38; ImmengaIMestmäcker-Immenga, § 5 Rz.65.
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1. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
verkennt die Ansicht, die Rationalisierung und Hebung der Leistungsfähigkeit gleichsetzt. Sie steht vor der Schwierigkeit, das Verhältnis zweier inhaltlich gleicher Tatbestandsmerkmale klären zu müssen. Das kann nicht gelingen. Für das hier entwickelte Verständnis der Rationalisierung spricht, daß das Gesetz selbst in § 5 Abs. 2 S. 2 GWB den Begriff "Rationalisierungserfolg" verwendet; er muß in einem angemessenen Verhältnis zur Wettbewerbsbeschränkung stehen. Rationalisierung und Rationalisierungserfolg können auch danach nicht gleichbedeutend sein. 299 b) "Dienen"
Es stellt sich die Frage, wann ein Regelungswerk der Rationalisierung, der Verbesserung der Betriebsstruktur "dient". Der Begriff soll im Zusammenhang mit der vertraglichen Regelung einer Rationalisierung erörtert werden. Ein schuldrechtlicher Vertrag hat die Aufgabe, den Leistungsaustausch zu regeln. Ein Kaufvertrag beispielsweise ordnet den beabsichtigten W arenaustausch. Er legt die Austauschbedingungen fest und verpflichtet die Parteien zu vertragsgemäßem Verhalten. Indem er dies tut, dient der Vertrag dem Warenaustausch. Der Ausdruck, daß ein Vertrag "der Regelung einer Sache dient" ist demnach gleichbedeutend mit "der Vertrag regelt eine Sache". Art und Umfang einer vertraglichen Verpflichtung legen die Parteien im Rahmen der Privatautonomie selbst fest. 3°O Aufgabe oder Zweck eines Vertrages ergeben sich aus der Abrede; im Zweifel ist ein Vertrag gemäß §§ 133, 157 BGB auszulegen. Ob ein Vertrag der Rationalisierung dient, ist somit der Abrede der Parteien zu entnehmen. Dabei ist zu vermuten, daß eine Vereinbarung, die strukturverändernde Maßnahmen in den Betrieben der Beteiligten zum Gegenstand hat, der Verbesserung und damit der Rationalisierung dienen soll. Verträge, die eine Verschlechterung der betrieblichen Struktur zum Ziel haben könnten, sind nicht denkbar, weil sie der wirtschaftlichen Vernunft widersprechen.
Danach ist das Merkmal "der Rationalisierung dienen" rein subjektiv zu verstehen. Entscheidend ist, daß die Beteiligten ein Regelungswerk geschaffen haben, das sie zu strukturverändernden Maßnahmen verpflichtet. Auf die objektive Eignung, den angestrebten Erfolg zu erreichen, kommt es entgegen der
299
300
Vgl. auch Langen/Niederleithinger, 5. Aufl., Vorbem. zu §§ 5 ffRz. 1. Vgl. nur Larenz, Allg. Teil, S. 41.
C. Die materiellen Freistellungsvoraussetzungen
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ganz herrschenden Meinung301 bei diesem Merkmal nicht an. Auch ein Kaufvertrag ist zum Beispiel nicht davon abhängig, ob die Leistungen tatsächlich erfolgreich ausgetauscht werden können. Lediglich im Falle der anfänglichen Unmöglichkeit ist der Vertrag gemäß § 306 BGB nichtig; im übrigen bestehen allenfalls Gewährleistungs- und Schadensersatzansprüche. Erste Voraussetzung des § 5 Abs. 2 GWB ist danach, daß die Parteien von den geplanten Maßnahmen erwarten, daß sie sich auf die Wirtschaftlichkeit ihrer Unternehmen positiv auswirken werden. Ist das der Fall, so können sie eine Erlaubnis für den Vertrag/Beschluß nach § 5 Abs. 2 GWB beantragen. Dieses Verständnis berücksichtigt, daß es auch fehlgeschlagene Rationalisierungversuche gibt. Der Begriff der Rationalisierung setzt nicht voraus, daß eine Maßnahme die Wirtschaftlichkeit tatsächlich verbessert; ausreichend ist, daß sie die Verbesserung anstrebt. c) Eignung, die Leistungsfähigkeit oder Wirtschaftlichkeit zu heben
Die Erwartung der Vertragsschließenden, daß die Maßnahme die Wirtschaftlichkeit verbessern kann, reicht aber nicht aus. Vielmehr müssen die geplanten Rationalisierungsmaßnahmen "geeignet (sein), die Leistungsfähigkeit oder Wirtschaftlichkeit ... wesentlich zu heben". Der Begriff der Eignung wird vor allem im Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht verwendet; er bildet die erste Stufe der Prüfung, ob eine Maßnahme verhältnismäßig ist. Geeignet ist eine Maßnahme danach, wenn mit ihrer Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann. 302 Versteht man das Merkmal in diesem Sinne, so muß das zuständige Kartellamt prüfen, ob die geplanten Maßnahmen objektiv Aussicht auf Erfolg bieten. Als geplanter Erfolg von Rationalisierungsmaßnahmen wurde die "Verwirklichung des ökonomischen Prinzips" genannt; die Maßnahmen müssen darauf gerichtet sein, die Wirtschaftlichkeit der beteiligten Unternehmen zu verbessern. 303
301 Für die h.M. v.Gamm, § 5 Rz. 20, der für den Begriff Rationalisierung ausdrücklich die objektive Eignung der geplanten Maßnahme verlangt, die Leistungsflihigkeit der Betriebe zu steigern; ebenso die übrigen Stimmen in der Literatur, wenn sie die obj. Eignung einer Maßnahme als Voraussetzung des Begriffes Rationalisierung prüfen, so z.B. Langen/Niederleithinger, § 5 Rz. 42; Westrick/Loewenheim, § 5 Rz. 33. 302 Vgl. zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Verfassungsrecht BVerfGE 49, 24,58; 61, 126, 134; 65, 1,44; ferner Stein, Staatsrecht, § 5 m 3 d; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rz. 318; zum Polizeirecht Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rz. 251. 303 Vgl. oben S. 66.
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1. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
Die Annahme, daß die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit das entscheidende Kriterium ist, wird durch den Normzweck bestätigt. Grundsätzlich ist die Rationalisierung, die eine Verbesserung des Verhältnisses von Kosten und Leistung zum Ziel hat, Ergebnis des Wettbewerbsprozesses.304 Der einzelne Anbieter muß, damit er im Wettstreit um Kunden bestehen kann, auf eine möglichst wirtschaftliche Produktionsweise achten. Die "autonome" Rationalisierung ist an sich die wirkungsvollste Form;30s von ihr erwartet der Gesetzgeber des GWB langfristig die günstigsten Preise und damit das Maximum an gesamtwirtschaftlichem Wohls tand. 306
Es ist aber die Situation denkbar, daß eine Rationalisierung mit ihren positiven Wirkungen auf den einzelnen Betrieb nur in Gemeinschaft und mit Hilfe einer Einschränkung des Wettbewerbs möglich ist. 307 Dies zeigt sich besonders deutlich an den nach § 5 Abs. 1 GWB möglichen Vereinbarungen über Normen und Typen. In diesem Fall, in dem der Wettbewerb nicht seine übliche positive Wirkung erzielt, ist es sinnvoll, eine Wettbewerbsbeschränkung zuzulassen. Eine strenge AntikarteUpolitik würde fortschrittsfeindlich wirken308 und deshalb mit dem Ziel des GWB, den Wettbewerb unter anderem wegen seiner positiven wirtschaftlichen Auswirkungen zu bewahren, unvereinbar sein. § 5 GWB gestattet Kartelle, um eine wirtschaftlichere Produktion und damit eine bessere Befriedigung des Verbraucherbedarfs - z.B. in Form einer Preissenkung - zu ermöglichen. Damit fügt die Vorschrift sich in die ökonomische Zielsetzung des GWB ein: es geht um das gesamtwirtschaftlich betrachtet günstigste Ergebnis?09 Weubewerbsbeschränkungen sind zulässig, wenn der zu erwarten-
304 Vgl. Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 5 Rz. 17; Langen/Niederleithinger, § 5 RZ.33. 305 Müller/Giessler, § 5 Rz. 2 a. 306 Soweit die ökonomische Zielsetzung des Gesetzes, das außerdem ein gesellschaftspolitisches Ziel verfolgt: Es will verhindern, daß sich in privater Hand zu große Macht sammelt. Vgl. zur Zielsetzung des GWB statt vieler Emmerich, Kartellrecht, S. 3 ff.; Großfeld, Aktiengesellschaft, Unternehmenskonzentration, und Kleinaktionär, S. 73 ff.; Möschel, Schutzziele eines Wettbewerbsrechts, in: Beiträge zum Handels- und Wirtschaftsrecht, Festschrift Rittner, S. 405 ff. 307 Vgl. BGH WuW/E BGH 655, 656 "Zeitgleiche Summenmessung"; Segelmann, Rationalisierung, in: WuW 1964, 3, 6; Segelmann, Wettbewerb, in: Zehn Jahre Bundeskartellamt, S. 137, 141; Gemeinschaftskommentar-Deringer/Benisch, § 5 Rz. 1. 308 Müller/Giessler, § 5 Rz. 2 a. 309 So auch die Begründung zu § 3 des Entwurfs (jetzt § 5 GWB), BT-Drucks. TI 1158, Anlage 1, S. 32: "Rationalisierungskartelle sind wirtschaftlich sinnvolle Maßnahmen, die dazu beitragen, die Kosten zu senken, die Leistungsfähigkeit und die Leistung zu heben und damit die Wirtschaftskraft im Sinne der vorn Gesetz erstrebten Wettbewerbsordnung zu fördern".
C. Die materiellen Freistellungsvoraussetzungen
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de Rationalisierungserfolg die Nachteile der Wettbewerbsbeschränkung überwiegt3 10 und ein gesamtwirtschaftlicher Vorteil zu erwarten ist. Werden Rationalisierungskartelle zugelassen, wenn von ihnen eine Verbesserung der Wirtschaftlichkeit zu erwarten ist, so fragt sich, warum in § 5 Abs. 2 GWB der Begriff der Leistungsfähigkeit gleichberechtigt neben dem der Wirtschaftlichkeit verwendet wird. Die Ursache dafür dürfte ebenfalls in der mangelnden kartellrechtlichen Tradition in Deutschland liegen. Zwar wurde dem Gesetzgeber bewußt, daß die beiden Begriffe keine Regelbeispiele der Rationalisierung, sondern Beschreibungen des Rationalisierungserfolges sind. Dafür spricht die erwähnte311 , in den Materialien nicht näher begründete3J2 Veränderung des § 3 des Entwurfes (heute § 5 GWB). Das Verhältnis der Begriffe zueinander wurde jedoch nicht geklärt, und das Gesetz übernahm deshalb beide. Da es zu einer wirklichen Klärung des Verhältnisses auch in der Folgezeit nicht gekommen ist, glaubte der Gesetzgeber wegen der großen Nähe beider Begriffe, auf einen verzichten zu können. So findet sich heute in §§ 5 lit. bund 102 Abs. 1 Nr. 2 GWB nur noch der Begriff der Leistungsfähigkeit. Ein sachlicher Unterschied ist damit zumindest in § 5 lit. b GWB nicht gewollt. 3J3 Der Begriff der Leistungsfähigkeit hat aber auch neben dem der Wirtschaftlichkeit durchaus eine eigenständige Bedeutung. Er ist im Zusammenhang mit dem Passus "in technischer, betriebswirtschaftlicher oder organisatorischer Beziehung" zu sehen. Unternehmen können rationalisieren, indem sie ihre Leistungsfähigkeit in den genannten Bereichen verbessern. Bei einem solchen Verständnis konkretisiert der Begriff Leistungsfähigkeit, wie die Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens verbessert werden kann. Diese Auslegung entspricht nicht dem Wortlaut des § 5 Abs. 2 GWB, der Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit gleichgeordnet verwendet. Folgte man jedoch dem Wortlaut und bezöge den Passus "in technischer, betriebswirtschaftlicher oder organisatorischer Beziehung" auch auf die Wirtschaftlichkeit, so ergäbe sich die tautologische Formel "...Wirtschaftlichkeit ... in betriebswirtschaftlieher Beziehung ... zu heben ... ". Das kann ebenfalls nicht überzeugen. 310 Begründung der Novelle von 1964, BT-Drucks. N/2564, S. 11; vgl. ImmengaIMestmäcker-Immenga, § 5 Rz. 13. 311 Oben S. 64. 312 Der § 3 wurde auf Antrag eines Abgeordneten vom Ausschuß für Wirtschaftspolitik geändert, vgl. die Kurzprotokolle der 86. Sitzung des Ausschusses vom 19. November 1955, Protokoll Nr. 86 (Materialien zum GWB, Teil A, Bd. 4 Nr. 88) und der 88. Sitzung vom 6. Dezember 1955, Protokoll NT. 88 (Materialien zum GWB, Teil A, Bd. 4 NT. 89). 313 So die allg. Ansicht, vgl. Veltins, DB 1978, 239, 240; ImmengaIMestmäckerInmmenga, § 5 b Rz. 22; Gemeinschaftskommentar-Deringer, § 5 b Rz. 22; LangenlNiederleithinger, § 5 b Rz. 10.
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1. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
Außerdem bringt jede Verbesserung der Wirtschaftlichkeit bestimmter Unternehmensbereiche gleichzeitig eine Verbesserung der Wirtschaftlichkeit des gesamten Unternehmens mit sich. Eine Betonung der "technischen, betriebswirtschaftlichen oder organisatorischen Beziehung" ist in diesem Zusammenhang entbehrlich. Wegen der Unklarheiten des Wortlauts von § 5 Abs. 2 GWB scheint es statthaft, sich im Hinblick auf den Zweck der Norm über die vorgesehene alternative Anwendung Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit hinwegzusetzen. Entscheidend ist, ob die geplante Rationalisierungsmaßnahme geeignet ist, die Wirtschaftlichkeit der beteiligten Unternehmen314 und damit die Befriedigung des Verbraucherbedarfs zu verbessern. Ihre Wirtschaftlichkeit können die Unternehmen dem Gesetz zufolge unter anderem steigern bzw. halten, indem sie die Leistungsfähigkeit in technischer, betriebswirtschaftlicher oder organisatorischer Hinsicht heben. 31S Das nach herkömmlicher Ansicht bereits im Rahmen des Rationallsierungsbegriffs zu fällende Wahrscheinlichkeitsurteil316 wird dabei erst bei der Frage wichtig, ob die Regelung geeignet ist, die Leistungsfähigkeit und damit die Wirtschaftlichkeit zu heben. d) Folgerungen
Das Merkmal "der Rationalisierung dient" in § 5 Abs. 2 GWB ist ein subjektives: Die Beteiligten müssen per Vertrag oder Beschluß die Verbesserung der Betriebsstruktur planen. Dieser Plan muß geeignet sein, die Wirtschaftlichkeit der beteiligten Unternehmen zu heben und dadurch die Befriedigung des Verbraucherbedarfs zu verbessern. Dieses Verständnis hat den Vorzug, die im Gesetz angelegte Unterscheidung von Rationalisierungsmaßnahme und -erfolg zu berücksichtigen. Die vom Gesetzgeber nebeneinander gestellten Merkmale Rationalisierung und Wirtschaftlichkeit/Leistungsfähigkeit lassen sich voneinander abgrenzen, und jedes erhält eine eigenständige Bedeutung. Von der gängigen Ansicht weicht das hier vertretene Verständnis des § 5 Abs. 2 GWB darin ab, daß eine reine Leistungssteigerung nicht freistellungsfähig ist. Eine Wettbewerbsbeschränkung wird nur
Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 5 Rz. 62; LangenINiederleithinger, § 5 Rz. 42. Den Bezug der Begriffe zur Leistungsfatligkeit stellt z.B. auch Langen/ Niederleithinger, § 5 Rz. 49 heraus. 316 So Langen/Niederleithinger, § 5 Rz. 42; Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 5 Rz. 62 f.; Westrick/Loewenheim, § 5 Rz. 33; v.Gamm, § 5 Rz. 20. 314 315
C. Die materiellen Freistellungsvoraussetzungen
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zugelassen, wenn sie, dem Zweck des § 5 GWB entsprechend,317 ausnahmsweise zu größerer Wirtschaftlichkeit der Unternehmen führt und damit letztlich dem Verbraucher nützt. Ein Rationalisierungskartell liegt deshalb nicht vor, wenn eine zu große und unrentable Maschine aufgestellt wird. Der Verbraucher profitiert davon nicht. 2. Rationalisierung und Leistungssteigerung in § 102 Abs.1 S. 1 Nr. 2 GWH
Auf der Grundlage des § 5 Abs. 2 GWB läßt sich nun auch der Wortlaut des § 102 Abs. 1 S.1 Nr. 2 GWB einordnen. a) Der Rationalisierung dienen
Der Verzicht auf das Merkmal "wenn die Regelung der Rationalisierung wirtschaftlicher Vorgänge dient" könnte zu folgender Annahme verleiten: Es kommt nicht darauf an, daß Regelungsgegenstand einer Absprache Rationalisierungsmaßnahmen sind; entscheidend ist allein, daß die Regelung objektiv geeignet und erforderlich ist, einen Rationalisierungserfolg herbeizuführen. Ein solcher Ausgangspunkt wäre aber wirklichkeits fern, denn regelmäßig werden nur solche Verträge, Beschlüsse oder Empfehlungen die Wirtschaftlichkeit bzw. Leistungsfähigkeit heben, die Maßnahmen im Hinblick auf dieses Ziel vorsehen. Die nach § 102 Abs. 2 S. 2 GWB erforderliche Anmeldung setzt geradezu voraus, daß die Beteiligten einen möglichen wirtschaftlichen Erfolg gedanklich erfaßt haben. Außerdem enthält § 102 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GWB mit den Regelbeispielen "zwischenbetriebliche Zusammenarbeit" und "Vereinheitlichung von Vertragsbedingungen" einen Hinweis darauf, daß nur Verträge eines bestimmten Inhalts für eine Freistellung in Betracht kommen. Es ist deshalb davon auszugehen, daß auch die Nr. 2 des § 102 Abs. 1 S. 1 GWB einen Vertrag oder einen Beschluß voraussetzt, mit dem die Parteien einen bestimmten Zweck verfolgen. Nach § 5 Abs. 2 GWB muß der Vertrag eine Betriebsrationalisierung beabsichtigen. In § 102 Abs. I S. 1 Nr. 2 GWB ist die subjektive Voraussetzung für die Freistellung nach dem Willen des Gesetzgebers etwas weiter zu verstehen. Es soll genügen, wenn die Leistungsfähigkeit der Beteiligten insgesamt gesteigert werden soll.3\8 Die gewollte Erweiterung bringt der Gesetzgeber durch die genannten Regelbeispiele zum Ausdruck: Die geplante Maßnahme muß nicht auf eine Einwirkung auf die betriebliche Struktur gerichtet sein, sondern zuläs317 318
Vgl. nur LangenINiederleithinger, § 5 Rz. 1. Vgl. die Begründung, BT-Drucks. 11/4610, S. 29.
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l. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
sig ist eben auch die zwischenbetriebliche Zusammenarbeit und die Vereinheitlichung von Vertragsbedingungen. Das Beispiel "zwischenbetriebliche Zusammenarbeit" scheint auf den ersten Blick eine Leerformel zu enthalten, denn jedes Rationalisierungskartell hat mit zwischenbetrieblicher Zusammenarbeit zu tun. Tatsächlich ist bei § 5 Abs. 2 GWB die Zusammenarbeit aber nur Voraussetzung für die innerbetriebliche Rationalisierung, die die Wirtschaftlichkeit verbessern soll. § 102 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GWB gestattet dagegen - wie erwähnt - die betriebsübergreifende Zusammenarbeit als Mittel, die Leistungsfähigkeit zu verbessern. Es ist nicht erforderlich, daß auf die Struktur des einzelnen Betriebes eingewirkt wird. Dabei muß in Kauf genommen werden, daß, anders als bei Maßnahmen gern. § 5 Abs. 2 GWB, nicht jeder Betrieb, sondern unter Umständen nur der Wirtschaftszweig insgesamt wirtschaftlich profitiert, während einzelne Betriebe wirtschaftliche Nachteile erleiden. Aus diesem Grund ist der Verzicht auf das Merkmal "der Rationalisierung dient" zu begrüßen. Auslegungsprobleme im Verhältnis zum streng betriebswirtschaftlieh verstandenen Rationalisierungsbegriff in § 5 Abs. 2 GWB können nicht entstehen. Das Merkmal "Vereinheitlichung von Vertragsbedingungen" soll der Begründung zufolge neben der Absprache von Benutzungsbedingungen sogar die Vereinheitlichung von Hauptleistungspflichten ermöglichen.3\9 Damit bringt das zweite Regelbeispiel nicht nur die vom Gesetzgeber gewollte Erweiterung zum Ausdruck, sondern birgt zugleich auch die Gefahr der uferlosen Ausweitung des § 102 Abs. 1 S. 1 GWB. Zur vorherigen Fassung des § 102 Abs. 1 GWB hatte sich wohl die Ansicht durchgesetzt, daß z.B. Zinsempfehlungen unzulässig sind. Nach dem neuen Wortlaut des § 102 Abs. 1 GWB scheint nicht ausgeschlossen, daß solche Empfehlungen wesentlicher Vertragsbedingungen zulässig sind. Gegen diese Annahme spricht aber die mit der Novelle gewollte Einschränkung des Ausnahmebereichs. 320 Sie dürfte außerdem Sinn und Zweck des § 102 Abs. 1 GWB widersprechen. Zu dem lange geführten Streit über den FreisteIlungszweck des § 102 Abs. 1 GWB 321 heißt es in den Eckwerten zur 5. Novelle, die FreisteIlungsargumente trügen weitgehend nicht. 322 Leider geht aus der Verlautbarung nicht hervor, welche für noch tragfähig angesehen werden und welche nicht. Auch die Begründung zu § 102 GWB 323 setzt sich mit den FreisteIlungsargumenten nicht Vgl. die Begründung, BT-Drucks. 11/4610, S. 29. Vgl. S. 36. 321 Vgl. S. 22 ff. 322 In: WuW 1988, S. 752. 323 BT-Drucks. 11/4610, S. 29 f. 319 320
C. Die materiellen Freistellungsvoraussetzungen
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auseinander. Es wird lediglich erwähnt, daß § 102 GWB im Vergleich zu § 5 Abs. 2 GWB erweitert sei, weil es auf dem Kreditsektor einige freistellungswürdige Kooperationssachverhalte gebe, die nach § 5 Abs. 2 GWB nicht legalisierbar seien.324 Damit wird der Aspekt der Zusammenarbeit zwischen den Banken, den die Diskussion über die Freistellungsgründe in der Vergangenheit zum Teil nicht einmal berücksichtigte,32S in den Mittelpunkt gerückt. Es geht vor allem darum, die große Zahl der Geschäftsvorgänge im Bereich des Zahlungsverkehrs möglichst ökonomisch zu bewältigen. Das setzt wegen der institutsübergreifenden Überweisungen, Einzugsermächtigungen etc. eine allgemeine Zusammenarbeit voraus, die durch Absprachen über Systeme, Vorgehensweise und einheitliche Gebühren auch wettbewerbsbeschränkend wirken kann. Darüberhinaus kann es Leistungen geben, die dem Kunden nur bei Mitarbeit aller Kreditinstitute in vollem Umfang zur Verfügung gestellt werden können. Genannt sei hier die Ausgabe von europaweit anerkannten Euroschecks und die Geldausgabe durch Automaten. Auch solche Zusammenarbeit kann im Interesse des Bankkunden zulassungswürdig sein. Einen weiteren freistellungswürdigen Sachverhalt hat der Gesetzgeber in der Begründung erwähnt. Es heißt, daß auch Vereinbarungen über Einlagensicherungsfonds 326 freigestellt werden können. 3Z7 Zweifelhaft ist, ob das nach dem Wortlaut des § 102 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GWB möglich ist, der verlangt, daß die Leistungsfähigkeit bzw. Wirtschaftlichkeit des Kreditsektors gehoben oder zumindest gehalten wird. Ein Einlagensicherungsabkommen verpflichtet die Vertragspartner, im Rahmen der Satzung Ansprüche von Kunden einer zahlungsunfähigen Bank zu erfüllen. Das Abkommen erhält folglich nicht die Leistungsfähigkeit des zahlungsunfähigen Instituts. Es sichert aber die Leistungsfähigkeit des Kreditsektors insgesamt. Zweck der Einlagensicherung ist es, einer Bankenkrise vorzubeugen. Kann ein einzelnes Institut infolge fmanzieller Schwierigkeiten die Ansprüche der Einleger nicht mehr befriedigen, besteht die Gefahr eines Vertrauensverlustes für den gesamten Kreditsektor, der zu einem Run führen und volkswirtschaftlich fatale Folgen haben kann. 328 Insofern erhält die Einlagensi-
BT-Drucks. 11/4610, S. 29. Vgl. oben S. 25; dies macht z.B. Gemeinschaftskommentar-Hootz, § 102 Rz. 3, Mösche1 zum Vorwurf. 326 Zum Einlagensicherungsfonds des privaten Bankgewerbes vgl. die Tätigkeitsberichte des BKartA 1975, BT-Drucks. 7/5390, S. 84; 1976, BT-Drucks. 8/704, S. 92 f.; 1977, BT-Drucks. 8/1925, S. 82; 1979/80, BT-Drucks. 9/565, S. 104. 327 Begründung zu § 102 GWB, BT-Drucks. 11/4610, S. 30. 328 Vgl. das Sicherheitsargument, oben S. 24. 324
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1. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
cherung die Leistungsfähigkeit der Kreditwirtschaft insgesamt, so daß § 102 Abs. 1 Nr. 2 GWB entsprechende Abkommen erfaßt. 329 Zweck des § 102 Abs. 1 GWB ist es demnach, den Banken Absprachen zu ermöglichen, mit deren Hilfe sie den instituts übergreifenden Zahlungsverkehr organisieren oder das Leistungsangebot verbessern können. 33o Darüber hinaus sind Kooperationen freistellungsfähig, die auf eine Absicherung der Einlagen gerichtet sind. Daraus, daß weitere Freistellungsgründe nicht erwähnt werden, läßt sich schließen, daß der Gesetzgeber alle weiteren, früher genannten Argumente für "nicht tragfähig"33) hält. Von den Freistellungsargumenten spielt somit nur noch eines eine Rolle: das Kooperationsargument. Wobei die im Zusammenhang mit dem Kooperationsargument ebenfalls genannte währungspolitische Zusammenarbeit zwischen Staat und Kreditwirtschaft332 in der Begründung zu § 102 GWB 333 nicht erwähnt wird und deshalb als Freistellungsgrund ebenfalls nicht in Betracht kommt. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß nach § 102 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GWB zunächst einmal alle Verträge, Beschlüsse und Empfehlungen für eine Freistellung in Betracht kommen, die der Rationalisierung dienen oder auch nur die Leistungsfähigkeit der Kooperationspartner insgesamt steigern sollen, dem einzelnen Betrieb aber u.V. keine Vorteile bringen. 334 Hauptleistungspflichten dürfen nur vereinheitlicht werden, wenn sie im Zusammenhang mit solchen Abstimmungsvorgängen stehen. Darüber hinaus sind Einlagensicherungsfonds freistellungsfähig. Beispiel für eine Maßnahme in diesem Sinne ist die Vereinbarung über Geldausgabeautomaten. Jedes Institut bzw. jede Bankengruppe könnte ein eigenes System haben, ohne daß das Verhältnis von Aufwand und Ertrag nennenswert anders würde. Möglicherweise würden einige Institute von inkompatiblen Systemen sogar Vorteile haben. Insgesamt aber wird durch ein einheitliches System das Angebot der Kreditwirtschaft verbessert: Der Kunde kann 329 Vgl. z.B. Emmerich, Kartellrecht, S. 458; Markert, Eckwerte, WuW 1988, S. 827,
832.
330 Vgl. dazu Möschel, Novelle, ZRP 1989, 371, 376; Emmerich, Ausnahme, WuW 1989, S. 363, 371; Emmerich, Kartellrecht, S. 458. 33) Vgl. die Eckwerte, WuW 1988 S. 752. 332 Vgl. oben S. 25.
333 BT-Drucks. 11/4610, S. 29 f. 334 Vgl. die Begriindung zur 5. Novelle, BT - Drucksache 11/4610, S. 29; der Rechtsanwender soll dies aus den Regelbeispielen "zwischenbetriebliche Zusammenarbeit" und "Vereinheitlichung der Vertragsbedingungen " zum Begriff Leistungsfähigkeit schließen, vgl. Emmerich, Kartellrecht, S. 457 f.
C. Die materiellen Freistellungsvoraussetzungen
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gegen Zahlung einer Gebühr - an jedem beliebigen Ort bei jeder beliebigen Bank Geld mittels eines Automaten erhalten. Entsprechendes gilt für Vereinbarungen über ein Euroschecksystem. Jede Bank könnte eine eigene Scheckkarte herausgeben. Es ist auch hier zweifelhaft, ob sich durch ein gemeinsames System das Verhältnis von Aufwand und Ertrag jedes einzelnen Institutes verbessern läßt. Aber ein institutsübergreifendes System mit allseitiger Akzeptanz verbessert das Angebot insgesamt. Insbesondere wird die Möglichkeit geschaffen, auch im Ausland zu zahlen. Solche Verträge kommen deshalb für eine Freistellung nach § 102 Abs. 2 GWB in Frage. Es dient dem Kunden, wenn es zu einer effektiveren Zusammenarbeit zwischen den Kreditinstituten kommt. Demgegenüber können z.B. die erwähnten Zinsempfehlungen nicht nach § 102 Abs. 1 GWB freigestellt werden. Sie haben weder zum Ziel, den Zahlungverkehr zu bewältigen oder zu verbessern, noch sichern sie die Einlagen wechselseitig. Das gleiche gilt für Empfehlungen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Gebühren. b) Hebung der Leistungsfähigkeit
Die Verträge bzw. Beschlüsse oder Empfehlungen müssen "geeignet und erforderlich" sein, "die Leistungsfähigkeit zu heben oder zu halten". Für § 5 Abs. 2 GWB wurde festgestellt, daß die gleichrangige Verwendung von leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit einen Fehlgriff des Gesetzgebers darstellt und daß die Wirtschaftlichkeit der entscheidende Begriff ist. Das gleiche dürfte für § 5 lit. b GWB gelten, obgleich der Begriff Wirtschaftlichkeit hier nicht vorkommt. Maßgeblich kann auch hier nicht jede beliebige Erhöhung der leistungsfähigkeit sein; entscheidend ist vielmehr, daß die WeUbewerbsposition kleiner und mittlerer Unternehmen durch wirtschaftlicheres Arbeiten verbessert wird. 335 Den strukturellen Nachteil der geringen Größe können nur Maßnahmen ausgegleichen, welche die Wirtschaftlichkeit verbessern. Anderenfalls tritt ein Wettbewerbsnachteil für den Mittelstand ein, so daß der Zweck der Kartellzulassung verfehlt wird.
Es stellt sich die Frage, ob in diesem Sinne auch § 102 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GWB zu sehen ist, oder ob dem Begriff Leistungsfähigkeit hier eine spezifische Bedeutung zukommen soll. Der Wortlaut der Vorschrift ist wegen der in der Vergangenheit inkonsequenten Verwendung des Begriffes Leistungsfähigkeit wenig hilfreich. Dabei spricht aber die Anlehnung der Nr. 2 an § 5 Abs. 2 335 ImmengaIMestmäcker-Immenga, § 5 b Rz. 10; WestrickILoewenheim, § 5 b Rz. 19; Gemeinschaftskommentar-Benisch, § 5 b Rz. 2.
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1. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
GWB dafür, daß die Leistungsfähigkeit hier die gleiche Bedeutung haben soll wie in §§ 5 Abs. 2, 5 lit. b GWB. Auch § 102 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GWB stellt die verbesserte Befriedigung des Verbraucherbedarfs in den Vordergrund. Damit fügt sich § 102 Abs. 1 GWB in das System des GWB ein, das Kartellverbote und deren Durchbrechung gleichermaßen im gesamtwirtschaftlichen Interesse vorsieht. 336 Steht für § 102 Abs. 1 S. 1 GWB fest, daß es entscheidend auf die Wirtschaftlichkeit ankommt, so muß jede Leistungsstärkung sich zugleich auch auf die Wirtschaftlichkeit des Kreditsektors auswirken; ein unwirtschaftlicheres, d.h. teureres Leistungsangebot kann diesem Ziel nicht dienen. 337 Als Besonderheit ist aber zu vermerken, daß nicht jedes einzelne Kreditinstitut von einer Maßnahme profitieren muß. Dies ergibt sich im Vergleich zu § 5 Abs. 2 GWB daraus, daß keine Rationalisierung, d.h. keine Einwirkung auf den einzelnen Betrieb erforderlich ist. Nach dem Willen des Gesetzgebers genügt es bereits, wenn eine generelle Steigerung der Wirtschaftlichkeit der beteiligten Unternehmen zu erwarten ist. 338 Die geplante Maßnahme muß geeignet und erforderlich sein, die Wirtschaftlichkeit der beteiligten Unternehmen in der beschriebenen Weise zu heben oder zu halten. Die Erweiterung des Wortlauts um den Begriff "Halten" bedeutet im Verhältnis zu § 5 Abs. 2 GWB keinen sachlichen Unterschied, denn hier reicht es für eine Hebung der Wirtschaftlichkeit aus, wenn die Rationalisierungsmaßnahmen eine drohende Verschlechterung verhindern. Die Eignung einer Maßnahme ist ebenso zu prüfen wie im Rahmen des § 5 Abs. 2 GWB: Es ist eine Prognose darüber zu erstellen, ob die geplanten Maßnahmen die Wirtschaftlichkeit der Unternehmen steigern können. Erforderlich ist eine Maßnahme dann, wenn sie, einen bestimmten Erfolg vorausgesetzt, den geringstmöglichen Eingriff darstellt. 339 Das bedeutet, daß eine wettbewerbsbeschränkende Maßnahme nur dann zulässig ist, wenn die Wirtschaftlichkeit der Unternehmen nicht in einem ähnlichen Umfang durch eine weniger oder sogar ganz ohne wettbewerbsbeeinträchtigende Maßnahme verbessert werden kann. Das ergibt sich eigentlich schon aus dem Sinn der Kartellzulassung: Absprachen sollen möglich sein, wenn von ihnen ein geVgl. oben S. 70. Vgl. die Ausführungen zu § 5 Abs. 2 GWB, S. 73. 338 BT-Drucks. 11/4610, S. 29; vgl. oben S. 73. 339 Vgl. zum Grundsatz der Verhältnis mäßigkeit im Verfassungsrecht BVerfGE 49, 24,58; 61, 126, 134; 65, 1,44; ferner Stein, § 5 III 3 d; Hesse, Rz. 318; zum Polizeirecht Götz Rz. 251.; Drews/Wacke, Gefahrenabwehr, Allgemeines Polizeirecht (Ordnungsrecht) des Bundes und der Länder, S. 389. 336
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C. Die materiellen Freistellungsvoraussetzungen
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samtwirtschaftlicher Vorteil zu erwarten ist. Ist zu erwarten, daß sich die Lage ohne oder bei weniger einschneidenden Maßnahmen ebenso entwickelt, gibt es keinen Grund, eine Ausnahme vom Kartellverbot zu machen. Diesem Zweck entsprechend legt die Lehre auch den Begriff der Eignung in § 5 Abs. 2 GWB aus: Sie erklärt Maßnahmen für ungeeignet, deren Erfolg ohnehin eintreten würde. 340 Demnach ist dem Gesetzgeber zugute zu halten, daß er den Wortlaut des § 102 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GWB um die übliche zweite Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung - die Erforderlichkeit - ergänzt hat. Besonders zu beachten ist bei der Prüfung einer Maßnahme, ob mit ihr im Zusammenhang stehende Vereinbarungen über Gebühren und Allgemeine Geschäftsbedingungen geeignet und insbesondere erforderlich sind, die Wirtschaftlichkeit des Kreditgewerbes zu heben. Kann ein Abkommen über den Zahlungsverkehr sich ohne solche nach dem Wortlaut des § 102 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GWB möglichen Absprachen ebenso positiv auswirken, so sind sie nicht erforderlich und deshalb unzulässig. Aus diesem Grunde können Absprachen von Vertragsbedingungen und insbesondere von Preisen im Verhältnis zum Kunden nicht freigestellt werden. Ein zentralisiertes System, z.B. zur Scheckverrechnung, erfordert zwar, daß die Banken untereinander die Preise gemeinsam und einheitlich festsetzen. Anderenfalls müßten die Preise für diese Dienstleistung jeweils zwischen den einzelnen Banken ausgehandelt werden, was eine zentralisierte Abrechnung unmöglich machte. Dagegen kann aber jedem einzelnen beteiligten Unternehmen überlassen bleiben, welche Kosten es an seine Kunden weitergibt. Eine unterschiedliche Preisgestaltung im Verhältnis zum Kunden gefährdet eine zentrale Verrechnung nicht und ist deshalb nicht erforderlich.
IV. Bedarfsbefriedigung Kartelle sind nach § 102 Abs. 1 GWB nur zulässig, wenn von ihnen eine verbesserte Befriedigung des Verbraucherbedarfs zu erwarten ist. "Bedarf' bezeichnet die Nachfrage, deren Befriedigung durch die strukturverbessemden Maßnahmen betroffen ist. 341 Die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit ist danach ihrerseits nur Mittel zum Zweck. Ziel der Kartellzulassung ist der gesamtwirtschaftliche Vorteil, die effektivere und preiswertere Versorgung des Verbrauchers.342 Daneben genügt, Vgl. nur WestrickILoewenheim, § 5 Rz. 41. Vgl. nur Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 5 Rz. 88. 342 Vgl. oben S. 70. 340 341
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1. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
wie sich aus § 102 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GWB ergibt, daß eine zu befürchtende Leistungsschwächung der Unternehmen verhindert wird. Die Bedarfsbefriedigung ist für § 102 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GWB das zentrale Tatbestandsmerkmal. Es muß immer beachtet werden, daß das Gesetz die Kartellbildung im gesamtwirtschaftlichen Interesse gestattet. Entscheidend für die Zulässigkeit ist, daß die Kartellbildung den Verbraucher begünstigt. Im Zeitpunkt der Anmeldung eines Kartells ist das noch ungewiß; das Kartellamt hat aus der erwarteten größeren Wirtschaftlichkeit der Kreditinstitute zu schließen, daß es zur Verbesserung der Bedarfsbefriedigung kommen wird. Schwachpunkt dieser Regelung wie auch der des § 5 Abs. 2 GWB ist, daß bei den freigestellten Maßnahmen der Wettbewerb fehlt, der über kurz oder lang zur Weitergabe der anfallenden Gewinne zwingen könnte. Die beteiligten Unternehmen müssen freiwillig bereit sein, zumindest einen Teil des Vorteils weiterzugeben.343 Das Problem wird dadurch gemildert, daß das Kartellamt jederzeit eine Mißbrauchsverfügung gern. §§ 102 Abs. 4,12 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 GWB erlassen kann, wenn die Unternehmen nicht wenigsten einen Teil des Gewinns an die Verbraucher weitergeben.
V. Angemessenes Verhältnis von Erfolg und Wettbewerbsbeschränkung Gemäß § 102 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GWB müssen der zu erwartende Erfolg - die Verbesserung der Bedarfsbefriedigung - und die Wettbewerbsbeschränkung in einem angemessenen Verhältnis stehen. Bei der Auslegung dieses Merkmals kann auf die Literatur zu dem gleichlautenden § 5 Abs. 2 S. 2 GWB zurückgegriffen werden. Das Merkmal des angemessenen Verhältnisses ermöglicht dem Kartellamt, gesamtwirtschaftliche Belange zu berücksichtigen. 344 Das Verhältnis zwischen Beschränkung und Erfolg ist angemessen, wenn die zu erwartenden Nachteile der Weubewerbsbeschränkung durch den zu erwartenden Erfolg der Maßnahme aufgehoben werden. Dem Zweck des § 102 Abs. 1 GWB entsprechend liegt der zu berücksichtigende Erfolg in der verbesserten Bedarfsbefriedigung. 345 Vgl. zu dieser Problematik auch LangenlNiederleithinger, § 5 Rz. 33. BKartA WuW/E BKartA 1051 f. "Westdeutsche Düngekalkwerke"; KG WuW/E OLG 1117, 1121 "Femme1dekabe1-Gemeinschaft". 345 Vgl. zu § 5 BKartA WuW/E 271, 278 "Einheitshydraulik"; 400, 421 "Süddeutsche Zementwerke"; 516, 522 "Langfräsmaschinen"; Tätigkeitsbericht BKartA 1960, BTDrucks. III/2734, S. 28. 343 344
C. Die materiellen Freistellungsvoraussetzungen
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Die geforderte Abwägung ist problematisch. Der Erfolg einer Maßnahme, der tatsächliche wirtschaftliche Nutzen ist schwer zu kalkulieren;346 die Nachteile, die durch die Wettbewerbsbeschränkung eintreten können, lassen sich überhaupt nicht berechnen.347 Die hier verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe lassen dem Kartellamt deshalb einen Beurteilungsspielraum in der Frage, ob der zu erwartende gesamtwirtschaftliche Vorteil die mit der Wettbewerbsbeschränkung verbundenen Nachteile aufwiegen kann. 348 Der Zweck des § 102 Abs. 1 GWB gebietet, bei der Abwägung nicht nur kurzfristige, sondern auch mittel und langfristige strukturelle Auswirkungen der Wettbewerbsbeschränkung zu berücksichtigen,349 denn nur so kann sichergestellt werden, daß eine wettbewerbs beschränkende Maßnahme auch tatsächlich den von § 102 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GWB geforderten gesamtwirtschaftlichen Vorteil herbeiführt.
VI. Auswirkungen der Reform auf die Praxis Nach § 102 Abs. 1 GWB sind auch weiterhin Vereinbarungen im technischen Bereich zulässig. Dazu zählen Abkommen über Zahlungsverkehrssysteme und Einlagensicherungsfonds.350 Zulässig sind ferner Absprachen von Vertragsbedingungen, die im Rahmen eines Zahlungsverkehrsabkommens getroffen werden und nur das Verhältnis der Banken untereinander betreffen. Solche Absprachen können freigestellt werden, soweit sie geeignet und erforderlich sind, den wirtschaftlichen Erfolg von Maßnahmen zur Bewältigung des Massengeschäfts sicherzustellen. Unzulässig sind dagegen Zinsempfehlungen und Empfehlungen von Gebühren und Provisionen im Verhältnis zum Kunden. Außerdem nicht mehr von § 102 Abs. 1 S. 1 GWB erfaßt werden die Empfehlungen Allgemeiner Geschäftsbedingungen. Sie allerdings bleiben unter den Voraussetzungen des 346 Etwas zuversichtlicher Langen/Niederleithinger, § 5 Rz. 62. 347 Vgl. Langen/Niederleithinger, § 5 Rz. 62. 348 Vgl. ZU § 5 Westrick/Loewenheim, § 5 Rz. 48, 55; ImmengaIMestmäcker-Immenga, § 5 Rz. 94, wo allerdings von Ermessen die Rede ist. Da es um die Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegrüfs geht, sollte man im Anklang an die heutige Verwaltungsrechtsdogmatik besser von Beurteilungsspielraum sprechen. Vgl. dazu z.B. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rz. 18 f. 349 Vgl. insbes. die Verwaltungsgrundsätze des BKartA für die Beurteilung von Strukturkrisen- und Rationalisierungskartellen, abgedruckt in Westrick/Loewenheim, Textteil, M, S. 111, 113; Westrick/Loewenheim, § 5 Rz. 55; GemeinschaftskommentarDeringerlBenisch, § 5 Rz. 55; Immenga/Mestmäcker-Immenga, § 5 Rz. 95 f. 350 So auch Markert, Die Novellierung des § 102 GWB nach den "Eckwerten" der Bundesregierung vom 29. Juni 1988, in: WuW 1988, S. 827, 832; Emmerich, Ausnahme, WuW 1989, S. 363, 371. 6 Renken
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1. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
allgemein geltenden § 38 Abs. 2 Nr. 3 GWB i.V.m. § 2 Abs. 1 GWB auch in Zukunft möglich.
D. Die formellen FreisteIlungsvoraussetzungen Die formellen Voraussetzungen für eine Freistellung sind in § 102 Abs. 1 S. 2 bis 5 GWB geregelt. Die freizustellenden Maßnahmen sind gemäß § 102 Abs. 1 S. 2 GWB anzumelden. Die Meldepflicht bestand auch bisher nach § 102 Abs. 1 S. 2 GWB [1957] bzw. § 102 Abs. 1 S. 1 Nr. llit. b GWB [1980]. Aber anders als früher muß die Anmeldung jetzt beim Kartellamt erfolgen, das eine Ausfertigung an das Bundesaufsichtsamt für Kreditwesen weiterleitet. Mit Satz 4 hat die Novelle die in den §§ 2 bis 5 lit. b GWB gebräuchliche Form des Widerspruchskartells für § 102 Abs. 1 GWB eingeführt.3S\ Entsprechend legt § 102 Abs. 4 S. 1 GWB ausdrücklich fest, daß die §§ 9, 10, 12, 13, 14 und 38 Abs. 3 GWB auch für die von § 102 Abs. 1 GWB erfaßten Maßnahmen gelten. Die Umwandlung des § 102 Abs. 1 GWB in ein Widerspruchskartell hat für das Kartellamt einen wesentlichen Vorzug: Die Behörde kann die Kreditwirtschaft daran hindern, ihrer Meinung nach nicht freistellungsfähige Maßnahmen in die Praxis umzusetzen. Nach bisheriger Rechtslage konnte das Kartellamt während der Widerspruchsfrist zwar eine Mißbrauchsverfügung nach § 102 Abs. 4 GWB [1980] erlassen. Eine Beschwerde der Kreditwirtschaft gegen die Verfügung hatte aber nach §§ 62 Abs. 1 S. 1,63 Abs. 1 Nr. 2 GWB aufschiebende Wirkung, so daß die zweifelhafte Maßnahme bis zur rechtskräftigen Entscheidung praktiziert werden konnte. Demgegenüber hindert ein Widerspruch des Kartellamtes gem. § 102 Abs. 1 S. 4 GWB der geltenden Fassung die Umsetzung von Maßnahmen, bis eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung zugunsten der Kreditwirtschaft ergangen ist. 352 Diese Änderung dürfte in der Praxis kaum Auswirkungen zeigen, da die Kreditwirtschaft in der jüngeren Vergangenheit nur solche Maßnahmen angemeldet hat, bei denen zuvor in formloser Weise mit dem Kartellamt geklärt worden war, ob sie auch zulässig sind. Erfolgt die Anmeldung unter solchen Umständen, so kommt es gar nicht erst zu Widersprüchen gemäß § 102 Abs. 1 S.4GWB.3S3
Vgl. Emmerich, Kartellrecht, S. 455 f; Markert, Eckwerte, WuW 1988, 827, 831. Markert, Eckwerte, WuW 1988, S. 827, 831. 353 Markert, Eckwerte, WuW 1988, S. 827, 831. 35\
352
E. Die Mißbrauchsaufsicht
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Eine Besonderheit ergibt sich für das Widerspruchskartell gemäß § 102 Abs. 1 GWB im Zusammenhang mit § 10 GWB, der die Bekanntmachung im Bundesanzeiger regelt. Die Bekanntmachungspflicht steht nach § 102 Abs. 4 S. 2 GWB unter der Einschränkung, daß das Kartellamt zum Schutz von Belangen Dritter oder bei geringfügigen Beschränkungen von der Bekanntmachung absehen kann. Dieser Vorschrift entsprach § 102 Abs. 3 S. 3 GWB [1980], so daß die Novelle auch insoweit nichts Neues enthält. Unverändert blieben ferner die in § 102 Abs. 1 S. 3, 4 und 5 GWB geregelte Begründungspflicht und die dreimonatige Wartefrist.
E. Die Mißbrauchsaufsicht Eine Mißbrauchsausicht besteht gemäß §§ 12, 102 Abs. 4 S. 1 GWB soweit, wie das Verbotsprinzip durch § 102 Abs. 1 S. 1 GWB durchbrochen wird. Sind die Voraussetzungen des § 102 Abs. 1 GWB nicht erfüllt, unterliegen auch Absprachen der Kreditwirtschaft einem Verbot, und das Kartellamt hat die üblichen Möglichkeiten einzuschreiten. Zu denken ist hier an ein Bußgeldverfahren nach §§ 81 ff. GWB. Nach § 102 Abs. 1 GWB legalisierte Maßnahmen sind mißbräuchlich im Sinne des § 12 GWB, weun der Freistellungszweck der Norm sie nicht abdeckt. 354 Zweck des § 102 Abs. 1 GWB ist es, dem Kreditgewerbe eine Zusammenarbeit zu ermöglichen, damit es das Mengengeschäft möglichst wirtschaftlich bewältigen, das Angebot kundenfreundlich erweitern und die Einlagen sichern kann. 355 Ein Mißbrauch der Freistellung liegt demgemäß vor, wenn sich nach der Legalisierung gemäß § 102 Abs. 1 S. 2 GWB herausstellt, daß das Ziel einer Zusammenarbeit nicht erreicht wird und der Verbraucher von der wettbewerbs beschränkenden Maßnahme deshalb nicht profitiert. Anwendungsgebiet der Mißbraucbsaufsicht ist damit die nachträgliche Prüfung bereits in die Praxis umgesetzter Maßnahmen. Raum für die sofortige Prüfung eines Mißbrauchs verbleibt im Zusammenhang mit § 102 GWB nicht, weil alle geplanten Maßnahmen vor einer Freistellung nach § 102 Abs. 1 GWB umfangreich im Hinblick auf den Gesetzeszweck bewertet werden. Die vorausgehende umfangreiche Bewertung dürfte außerdem dazu führen, daß eine nachträgliche Prüfung nur ausnahmsweise einen Mißbrauch ergeben wird. 356
355
Vgl. oben S. 22. Vgl. S. 76.
356
Vgl.
354
ZU
§ 5 Abs. 2 und 3 LangenINiederleithinger, § 12 Rz. 20.
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1. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
F. Das Konsortialgeschäft Gemäß § 102 Abs. 2 S. 1, 2. Halbsatz GWB ist das Konsortialgeschäft357 weiterhin vom Kartellverbot freigestellt. Eine Meldepflicht hat auch die Novelle nicht eingeführt. Die bislang nach § 102 Abs. 2 GWB [1957] bzw. § 102 Abs. 4 GWB [1980] ausgeübte Mißbrauchsaufsicht besteht nach § 102 Abs. 2 S. 2 GWB LV.m. § 12 GWB fort. Neu ist jedoch, daß § 102 Abs. 1 S. 1 Nr.2 GWB bei der Bewertung, ob ein Mißbrauch vorliegt, entsprechend anzuwenden ist. Diese Übernahme der Freistellung beantwortet nicht die in der Vergangene heil streitige Frage, ob die Konsortialgeschäfte unter das Verbot des § 1 Abs. 1 GWB fallen. Eine Freistellung wäre entbehrlich, wenn das Kartellverbot die wichtigen Konsortialverträge gar nicht erfaßt. Es ist allgemein anerkannt, daß es sich bei den Konsortialgeschäften um Gesellschaftsverträge LS.d. § 705 BGB handeh,358 weil sie auf einen gemeinsamen Zweck gerichtet sind. Ihr Ziel ist es in der Regel, ein Kredit- oder Emissionsgeschäft gemeinschaftlich abzuwickeln?59 Insoweit sind die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 GWB erfüllt. Streitig ist dagegen, ob sie die Handlungsfreiheit Dritter:l6O in spürbarer Weise beeinträchtigen und damit in die Freiheit des Wettbewerbs eingreifen. Dies wird z.B. für Emissionskonsortien häufig verneint, weil die Banken wegen des - gemessen am haftenden Eigenkapital hohen finanziellen Risikos in der Regel nicht in der Lage seien, die Emissionen allein durchzuführen. Danach läge keine Wenbewerbsbeschränkung LS.d. § 1 Abs. 1 GWB vor, weil die Emissionskonsortien den Handlungsfreiraum der Kunden erweitern. 361 Dem hält Immenga entgegen, daß die Großbanken im Jahre 1977 für ihren Anteil am Bundesanleihekonsortium erheblich mehr Kapital aufgewandt haben, als für die gesamten Aktienemissionen jenes Jahres erforderlich war. Daraus könne man folgern, daß die Großbanken einzelne Emissionsgeschäfte auch allein hätten durchführen können. 362 Folgte man dieser Ansicht, so unterläge ein
357 Vgl. dazu S. 34. 358 Vgl. oben S. 34.
Möschel, Konsortialgeschäft, ZHR 136 (1972), 273, 281. Vgl. zu dieser Voraussetzung des § 1 Abs. 1 GWB S. 48. 361 So Möschel, Konsortialgeschäft, ZHR 136 (1972), 273, 282; Immenga/Mestmäcker-Möschel, § 102 Rz. 34; Gemeinschaftskommentar-Hootz, § 102 Rz. 13. 362 Immenga, Die Stellung der Emissionskonsortien in der Rechts- und Wirtschaftsordnung, S. 18. 359 360
F. Das Konsortialgeschäft
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erheblich größerer Anteil der Konsortien dem Verbot des § 1 Abs. 1 GWB, als die wohl überwiegende Auffassung annimmt. Ob das Kartellverbot eingreift hängt demnach davon ab, wie das Verhältnis von haftendem Eigenkapital zum Volumen einer Emission beschaffen sein muß, damit das fmanzielle Risiko für ein einzelnes beteiligtes Kredituntemehmen tragbar wird. Dies festzustellen, bedürfte einer grundsätzlichen und umfassenden Untersuchung. Generelle Grenzen sind schwer zu ziehen, weil ein Kreditinstitut in kurzer Zeit mit mehreren Problemfällen belastet sein und deshalb in finanzielle Schwierigkeiten geraten kann. Das geltende Recht erübrigt eine solche Grenzziehung auch weiterhin, weil alle von § 1 Abs. 1 GWB erfaßten Konsortialverträge gemäß § 102 Abs. 2 S. 1, 2. Halbsatz GWB vom Verbot befreit und einer Mißbrauchsaufsicht unterstellt sind. Für die Zulässigkeit von Konsortialgeschäften ist allein die Schwelle zum Mißbrauch gemäß §§ 12, 102 Abs. 2 S. 2 GWB von Bedeutung. Über die Frage, ob ein Mißbrauch vorliegt, entscheidet der Zweck der freistellenden Vorschrift. 363 In der Begründung heißt es, für die nachträgliche Überprüfung seien die Kriterien des § 102 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GWB unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Ad-hoc~Geschäfts entsprechend heranzuziehen. 364 Die Besonderheiten des Konsortialgeschäfts liegen im wesentlichen in dem Gedanken der Risikoverteilung und in der wünschenswerten besseren Streuung der Anlagewerte bei Beteiligung mehrerer Institute. 365 Das Mißbrauchsprinzip ermöglicht, diese Aspekte zu berücksichtigen und Konsortialgeschäfte zu dulden. Die Neufassung des § 102 GWB knüpft die Duldung eines Konsortiums an eine weitere Voraussetzung: Bei der Untersuchung, ob ein Geschäft mißbräuchlich ist, ist § 102 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GWB entsprechend heranzuziehen. Dieser Verweis scheint auf den ersten Blick wenig geglückt. § 102 Abs. 2 GWB stellt das Konsortialgeschäft aus Gründen der Risikoteilung frei, während der Zweck des § 102 Abs. 1 S. 1 GWB insbesondere darin liegt, den Banken eine Zusammenarbeit zu ermöglichen, damit sie das Mengengeschäft möglichst wirtschaftlich bewältigen können. Beide Aspekte haben scheinbar kaum etwas gemeinsam. Die Begründung selbst hebt aber den verbindenden Gedanken hervor. Es kommt darauf an, daß der Erfolg des Geschäfts in einem angemessenen Ver-
Vgl. bereits oben S. 22 und S. 83. BT-Drucks. 11/4610, S. 30. 365 Vgl. oben S. 35; Möschel, Konsortialgeschäft, ZHR 136 (1972), S. 273, 276; Immenga, Konsortien, S. 18, 19. 363 364
1. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
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hältnis zu der damit verbundenen Wettbewerbsbeschränkung steht. 366 Damit wird auf den Kerngedanken des § 102 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GWB hingewiesen: Entscheidend ist, daß der Verbraucherbedarf besser befriedigt wird. Der Gesetzgeber weicht das Kartellverbot auf, weil er erkennt, daß ausnahmsweise nicht der Wettbewerb, sondern die Kartellbildung zu diesem Ziel führt. 367 Dieser Gedanke läßt sich auf das Konsortialgeschäft übertragen: Die Bildung eines Konsortiums ist nicht mißbräuchlich, wenn sie im Interesse des Bankkunden erfolgt. Der Hinweis auf die entsprechende Anwendung des § 102 Abs. 1 S. 1 Nr.2 GWB bei der Mißbrauchs aufsicht über Konsortien bringt keine wirkliche Veränderung. Bei Emissionen liegt die Konsortialbildung in der Regel wegen der erweiterten Placierungskraft im Kundeninteresse. Bei Kreditkonsortien sind Mißbrauchsverfügungen problematisch, weil das langfristige Kundeninteresse schwer zu ermitteln ist. Bei großen Summen kann leicht der Fall eintreten, daß einzelne Banken zur Kreditvergabe nicht bereit sind, weil ihnen das Risiko zu groß scheint. Unter diesen Umständen begünstigt die Konsortialbildung den Kunden. Auch in Zukunft dürfte die nach §§ 12, 102 Abs. 2 S. 2 GWB bestehende Mißbrauchs aufsicht deshalb kaum das geeignete Mittel sein, um gegen Emissions- oder Kreditkonsortien vorzugehen. 368 Trotz der Probleme mit dem Mißbrauchsmaßstab sollte der Gesetzgeber eine Meldepflicht für den Bereich des Konsortialgeschäfts einführen. Das Kartellamt erhielte auf diese Art zumindest einen Marktüberblick.369 Laut Begründung hat sich der Gesetzgeber auch bei der 5. GWB-NovelIe gegen eine Anmeldung entschieden, weil die Ad-hoc-Geschäfte häufig unter erheblichem Zeitdruck durchgeführt werden müssen. 370 Dieses Argument gegen eine Meldepflicht verliert seine Gültigkeit in dem Augenblick, wo im Rahmen des Abs. 2 auf eine Wartefrist, wie sie in § 102 Abs. 1 S. 4 GWB vorgesehen ist, verzichtet wird. Konsortialverträge könnten jederzeit geschlossen und abgewickelt werden, während das Kartellamt sie unter erleichterten Bedingungen - zumindest nachträglich - auf einen Mißbrauch hin untersuchen könnte. Sollten sich dabei mißbräuchliche Konsortialkonstellationen herausstellen, so hätte es das Kartellamt bei Wiederholungen leichter, zügig einzuschreiten.
366 367
BT-Drucks. 11/4610, S. 30. Vgl. S. 70.
368 Vgl. zur Rechtslage nach § 102 [1957] bzw. [1980] Möschel, Konsortialgeschäft, ZHR 136 (1972), S. 273, 285; Immenga/Mestmäcker-Möschel, § 102 Rz. 34; Immenga, Konsortien, S.19 f. 369 So schon Möschel, Konsortialgeschäft, ZHR 136 (1972), S. 273, 284. 370 BT-Drucks. 11/4610, S. 30.
G. Einvernehmen - Benehmen
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G. Einvernehmen - Benehmen Gemäß § 102 Abs. 5 S. 1 GWB hat das Kartellamt Verfügungen nach § 102 Abs. 1, 2 und 4 GWB im Benehmen mit der Kreditaufsicht zu erlassen. Damit ist die bisherige Bindung des Kartellamtes an das Einvernehmen der Fachaufsicht aufgehoben. Das Kartellamt hat zwar die von der Aufsichtsbehörde vorgetragenen Gesichtspunkte zu beriicksichtigen,371 kann Verfügungen aber auch entgegen der Ansicht der Kreditaufsicht erlassen. 372 § 102 Abs. 5 S. 2 GWB entzieht solche Fälle der Wettbewerbs aufsicht, in denen die Kreditaufsicht das Verhalten der Kreditinstitute mittels einer förmlichen Erklärung verbindlich festlegt. Damit sollen solche unternehmerischen Verhaltensweisen der Wettbewerbs aufsicht entzogen werden, die die Kreditaufsicht im Rahmen einer gesetzlichen Ermächtigung durch Verwaltungsakt oder schlichtes Verwaltungshandeln herbeiführt. Die Begründung geht davon aus, daß in diesen Fällen ein von den Unternehmen beschränkbarer Handlungsfreiraum nicht vorhanden sei.373
Die Funktion des § 102 Abs. 5 S. 2 GWB ist zweifelhaft. Das GWB erfaßt die private Beeinträchtigung wirtschaftlicher Handlungsfreiheiten. Wird den Unternehmen ein bestimmtes Verhalten hoheitlich vorgeschrieben, so fallen die hoheitlichen Maßnahmen unter kein Kartellverbot. Und den Unternehmen selbst bleibt, soweit die Maßnahme ein bestimmtes Verhalten vorschreibt, kein Handlungsfreiraum. Weil dieser aber Voraussetzung für Wettbewerb ist,374 fällt das den Unternehmen vorgeschriebene Verhalten unter kein Kartellverbot. Damit läuft § 102 Abs. 5 S. 2 GWB ins Leere, weil der von ihm verfolgte Zweck allein aufgrund des Systems des GWB erreicht wird. 375
Vgl. die Begründung, BT-Drucks. 11/4610, S. 30. So auch Bunte, Die Auswirkungen der 5. GWB-Novelle auf die Kreditwirtschaft, in: WM 1990, S. 829, 832. 373 Vgl. die Begründung, BT-Drucks. 11/4610, S. 30; vgl. auch Markert, Eckwerte, WuW 1988, S. 827, 833; Bunte, Auswirkungen, WM 1990, S. 829, 832. 374 Vgl. S. 47. 371
372
375 So auch Emmerich, Ausnahme, WuW 1989, 363, 370 und 372; vgl. Möschel, Novelle, ZRP 1989, S. 371, 376, Fußnote 45; Markert, Eckwerte, WuW 1988, S. 827, 833; Bunte, Auswirkungen, WM 1990, S. 829, 832; zu dieser Eigenschaft hoheitlicher Maßnahmen hat sich bereits 1956 der Wirtschaftsminister Erhardt geäußert, WuW 1956, S. 561.
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1. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
H. Altmaßnahmen Für Verträge, Beschlüsse und Empfehlungen, die vor Inkrafttreten der Novelle wirksam geworden sind, enthält § 102 Abs. 6 GWB eine Übergangsregelung. Das Bundeskartellamt hat alle gemeldeten kreditwirtschaftlichen Maßnahmen innerhalb von drei Jahren - d.h. bis zum 31. 12. 1992 - darauf zu überprüfen, ob sie den engen Voraussetzungen des § 102 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GWB genügen. Soweit das nicht der Fall ist, hat das Kartellamt sie für unzulässig zu erklären. Die meisten Verhaltensweisen, die der Kreditsektor in den letzten Jahre vor der Novelle angemeldet hat, sind auch nach der neuen Fassung zulässig, da sie in erster Linie Zahlungsverkehrsregelungen und Einlagensicherungssysteme betreffen. 376
J. Der Freistellungsstreit im Rückblick Mit der Neufassung des § 102 GWB hat der Gesetzgeber den Streit um dessen Zweck erledigt. Die Aufgabe der Vorschrift beschränkt sich heute darauf, den Banken eine Zusammenarbeit im Bereich des institutsübergreifenden Zahlungsverkehrs zu ermöglichen. Die lange geführte Diskussion wirft aber methodische Fragen auf.
I. Die "Restlösung" und ihre Folgen Die Feststellung der Kritiker, für § 102 gebe es "keinen präzisen legislativen Grund", der "Gesetzgeber habe sich bei dieser Norm nichts gedacht",377 erweckt den Anschein, als sei § 102 Abs. 1 GWB bis zum 31. 12. 1989 bar jeder ratio legis gewesen. Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn im Rahmen einer teleologischen Betrachtung sämtliche volkswirtschaftlich-bankpolitischen Freistellungs argumente verworfen wurden. Da sich ein solches Auslegungsergebnis mit der Aufgabe der Jurisprudenz, einen Normzweck zu ermitteln, schwer vereinbaren läßt, ermittelten die Kritiker einen "Restzweck" .378 Sie sahen den Grund der FreisteIlung in dem Gedanken der Verfahrens- und BeweiserleichteVgl. Markert, Eckwerte, WuW 1988, S. 827, 832. Vgl. oben S. 23. 378 Vgl. die "Restlösung" Möschels, Möschel, Wirtschaftsrecht, S. 445 ff.; Immenga/Mestmäcker-Möschel, § 102 Rz. 43; Emmerich, Das Wirtschaftsrecht der öffentlichen Unternehmen, S. 287; Klaue, Problematik, WuW 1975, S. 5, 10 f. 376 377
J. Der Freistellungsstreit im Rückblick
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rung im Verhältnis zu den Freistellungsmöglichkeiten gemäß den §§ 2 ff. GWB. Materiell sollten die Kriterien der §§ 2 ff. GWB über die Zulässigkeit einer Wettbewerbsbeschränkung entscheiden, so daß die Banken insoweit nicht privilegiert wären. Das Verfahren der Freistellung wäre jedoch erleichtert, weil ein Vertrag etc. der Kreditwirtschaft bereits mit der Anmeldung praktiziert werden könnte, während andere Wirtschaftszweige auf die erforderliche Legalisierung warten müßten. 379 Diese Restlösung, die vor der 4. GWB-Novelle entwickelt worden war, aber auch danach noch vertreten wurde, ruft aus heutiger Sicht Bedenken hervor. Der Gesetzgeber hatte mit der 4. Novelle in den § 102 Abs. 1 GWB eine dreimonatige Wartefrist eingefügt und das Freistellungsverfahren damit dem nach §§ 2 ff. GWB erforderlichen Erlaubnisverfahren angenähert. Der von den Kritikern ermittelte Freistellungsgrund ist somit durch die 4. Novelle seiner Gültigkeit weitgehend beraubt worden. Übrig blieb bei Ablehnung der volkswirtschaftlich-bankpolitischen Freistellungsgründe eine praktisch zweckfreie Norm. Das ist ein aus der Sicht eines Normanwenders wenig befriedigendes Ergebnis.
ß. Der Zweck im Recht 1877 schrieb von Ihering, "daß der Zweck der Schöpfer des gesamten Rechts ist, daß es keinen Rechtssatz gibt, der nicht einem Zweck seinen Ursprung verdankt" .380 Auf dieser Grundlage entwickelte Heck die sogenannte Interessenjurisprudenz.38 I Ihr liegt die Erkenntnis zugrunde, daß Gesetzesgebote nicht nur das Ziel haben, Interessen abzugrenzen, sondern selbst Interessenprodukte sind. Als "Interessen" sieht Heck in diesem Zusammenhang alle Begierden, die in der menschlichen Gesellschaft wirksam sind, materielle wie ideelle. Mit jeder Entscheidung für ein Gesetz werde zugleich auch über die damit in Zusammenhang stehenden Interessen entschieden.382 Entweder setzten sich bestimmte, im Gesetzgebungsverfahren stärker vertretene Interessen vollständig durch, oder 379 V gl. bereits oben S. 23; Möschel, Wirtschaftsrecht, S. 445 ff.; Emmerich, Kartellrecht, 5. Aufl., S. 434; vgl. Langen/Niederleithinger, § 102 Rz. 34. 380 v.Ihering, Der Zweck im Recht, Vorrede S. VI. 381 Den Zusammenhang mit v.Ihering stellt Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, S. I, selbst heraus. 382 Heck, S. 17.
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1. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
es komme zu einem Kompromiß zwischen den wirksamen Interessen. 383 Der Interessenkonflikt könne dabei im verborgenen geblieben oder aber offen zutage getreten sein. Letzteres sei der Fall, wenn ein zukünftiger Interessenkonflikt geregelt werden soll, bei dem die Bedeutung für die gesellschaftliche Realität bereits während des Gesetzgebungsverfahrens deutlich wird. Die "Regelung der zukünftigen Interessenkonflikte (erzeuge dann) einen aktuellen Konflikt der Interessenten".384 Aus der Interessenjurisprudenz entwickelte sich die heute herrschende Wertungsjurisprudenz. 385 Auch sie geht davon aus, daß Gesetze Interessenkonflikte regeln und das eine Interesse zu Lasten des anderen vorziehen. Die Wertungjurisprudenz verlangt, die im Spiel befmdlichen Interessen festzustellen und deren Bewertung durch den Gesetzgeber aufzudecken. 386 Es gilt, die in der Norm enthaltenen Gerechtigkeits- und Zweckmäßigkeits erwägungen herauszuarbeiten. Dazu können in beschränktem Umfang die Materialien herangezogen werden, im übrigen ist ein Vergleich mit ähnlichen Institutionen anzustellen. Außerdem sind die historische Entwicklung und die Situation zur Zeit des Gesetzeserlasses heranzuziehen. 387 Aus einer Kenntnis der Interessenwertung lassen sich dann Anhaltspunkte für die Auslegung einer Norm gewinnen. 388 Ausgangspunkt ist somit immer die Frage nach dem Zweck einer Vorschrift, "die Vorstellung, daß der Gesetzgeber ja irgendetwas gewollt haben muß, wenn er die Vorschrift einführt".389 Zu diesem Ansatz der heutigen Jurisprudenz steht die Feststellung, daß mit § 102 Abs. 1 GWB [1957] bzw. [1980] kaum etwas oder nichts gewollt war, in scharfem Kontrast. Gegen das Auslegungsergebnis der Kritiker bestehen deshalb Bedenken, die näher begründet werden sollen.
383
183.
Coing, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Enleitung, Rz.
384 Heck, S. 17.
385 Larenz, Methode, S. 118; Fikentscher, Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung, Bd. III, Mitteleuropäischer Rechtskreis, S. 415. 386 Westermann, Wesen und Grenzen der richterlichen Streitentscheidung im Zivilrecht, S. 14 f. 387 Westermann, S. 21. 388 Larenz, Methode, S. 117. 389 Fikentscher, Bd. III, S. 678; vgl. Schmalz, Methodenlehre für das juristische Studium, Rz. 276.
J. Der Freistellungsstreit im Rückblick
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In. Der Zweck des § 102 GWB [1957] und [1980] 1. Der historische Aspekt
Ob die historische Methode bei der Auslegung von Gesetzen überhaupt heranzuziehen ist, war zumindest in der Vergangenheit streitig. Die Vertreter der subjektiven Theorie, wie z.B. Windscheid und Bierling,39O zogen den historisch-psychologischen Willen des Gesetzgebers zur Gesetzesauslegung heran. Dem stand die objektive Theorie gegenüber, wonach der dem Gesetz innewohnende Sinn völlig losgelöst von den Erwägungen des Gesetzgebers zu ermitteln sei. Es sei nur nach der Gegenwartsbedeutung und dem Gegenwartssinn des Gesetzes zu fragen. 391 Ein solcher Ansatz muß die historische Auslegung völlig ablehnen. 392 So streng wird die heute herrschende objektive Theorie aber nicht vertreten. 393 Sie wendet die historische Methode an, weil Rechtsgesetze von Menschen gemacht sind und hinter ihnen bestimmte Regelungsabsichten, Wertungen, Bestrebungen und sachliche Überlegungen stehen, die in dem Gesetz mehr oder minder deutlich Ausdruck finden. 394 Die Gesetzesgeschichte ist damit ein wichtiges Hilfsmittel, um den objektiven Sinn des Gesetzes, die ratio legis, zu ermitteln. 395 Eine erkennbare Regelungsabsicht und ihr zugrundeliegende Wertentscheidungen des Gesetzgebers müssen wegen der verfassungsrechtlichen Bindung des Richters an das Gesetz beachtet werden. 396 Die Kritiker gingen somit zu Recht von der Geschichte des § 102 GWB aus. Sie beschränkten sich aber zu sehr darauf, die Begründung zur Norm zu untersuchen. Darüber vernachlässigten sie, daß sich der Ausschuß für Geld und Kredit mehrfach zu den Besonderheiten auf dem Kreditsektor geäußert hat. Der Ausschuß hat insbesondere den notwendigen Insolvenzschutz und währungspolitische Gesichtspunkte angesprochen. 397 Richtig ist, daß sich der Ausschuß
390 Vgl. Larenz, Methode, S. 302. 391 Vgl. Larenz, Methode, S. 32; Fikentscher, Bd. m, S. 662. 392 Fikentscher, Bd. m, S. 674. 393 Larenz, Methode, S. 302 ff.; Fikentscher, Bd. m, S. 669, 674. 394 Larenz, Methode, S. 302. 395 Larenz, Methode, S. 302 ff.; Fikentscher, Bd. III, S. 678; Schmalz, Rdz. 273 f.; Weber-Fas (Hrsg.), Jurisprudenz, Die Rechtsdiziplinen in Einzeldarstellung, S. 444; Heinrichs, in: Palandt, Kommentar zum BGB, Einleitung VI 3 a; Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, S. 138. 396 Larenz, Methode, S. 304.
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1. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
für Wirtschaftspolitik dieser Auffassung nicht angeschlossen hat398 und daß auch die Materialien keine genaue Interessenbewertung erkennen lassen. Es ist aber nicht zu übersehen, daß in dem Streit zwischen den Ausschüssen der von Heck angesprochene Konflikt der Interessenten deutlich zu Tage tritt. Der Ausschuß für Geld und Kredit verteidigte, vielleicht unter dem Einfluß der Kreditwirtschaft, das Interesse an einer Sonderbehandlung des Wirtschaftszweiges; der Ausschuß für Wirtschaftspolitik trat dafür ein, das Wettbewerbsprinzip auch hier uneingeschränkt einzuführen. So entstand § 102 GWB als Komprorniß zwischen den möglichen Extremen völlige Einbeziehung und völlige Freistellung. Eine solche Vergünstigung für den Kreditsektor läßt kaum einen anderen Schluß zu als den, daß der Gesetzgeber bei der kartellrechtlichen Behandlung des Kreditgewerbes Zurückhaltung üben wollte. Und welche Gründe könnte die Zurückhaltung des Gesetzgebers haben, wenn nicht die, die in der Entstehungsphase des Gesetzes diskutiert wurden? Es befriedigt jedenfalls nicht, wenn die erwähnten Gründe abgelehnt werden und das Gesetz zu einem inhaltsleeren Komprorniß erklärt wird. Es spricht auch noch ein anderer Gesichtspunkt für die Annahme, daß der Gesetzgeber die Argumente Insolvenzschutz und Währungssicherung berücksichtigt hatte. Die Existenz des Kreditwesengesetzes von 1939 konnte dem Gesetzgeber den Gedanken einer Sonderbehandlung des Kreditsektors zumindest nahelegen. Zweck dieses Gesetzes war es vor allem, die Einlagen zu sichern. Es ist nicht zu übersehen, daß ein Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen zu diesem Ziel zumindest theoretisch in Widerspruch steht. Denn uneingeschränkter Wettbewerb hat die Tendenz, die Gewinne der Unternehmen zu minimieren und leistungsschwache Wettbewerber aus dem Markt auszuscheiden. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, daß es im Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens noch kein Einlagensicherungssystem im heutigen Sinne gab. Bankenzusammenbrüche hätten zu damaliger Zeit für Einleger fatale Folgen gehabt. Das sprach dafür, aus dem KWG ein "partielles Unwerturteil" über den Wettbewerb auf dem Kreditsektor herzuleiten. 399 Weiteres wichtiges Ziel des KWG von 1939 wie auch des heutigen von 1961 ist die Währungs stabilität. In deren Interesse hat der Staat in Deutschland über einen langen Zeitraum hinweg Einfluß auf das Kreditgewerbe ausgeübt und den Wettbewerb beeinträchtigt. Ein Beispiel dafür ist die langandauernde Beein-
397 Vgl. oben S. 20; anderer Auffassung ist Hol.~enders, Die Bereichsausnahme für Versicherungen nach § 102 GWB, S. 42, der solche Außerungen für irrelevant hält. 398 So insbesondere Hollenders, S. 42; vgl. Möschel, Wirtschaftsrecht, S. 334 f. 399 Immenga, Wettbewerb, S. 199 f.; Immenga, Zinsfreigabe, BB 1967, S. 696, 698; Klaue, Problematik, WuW 1975, S. 9; ebenso für den Bereich der Versicherungen Großfeld, Prämie, in: Wettbewerb als Aufgabe, S. 110.
J. Der Freistellungsstreit im Rückblick
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flussung der Zinshöhe. Auch diese bereits bestehende Einschränkung kam einem partiellen Unwerturteil über den Wettbewerb auf dem Kreditsektor gleich.4°O Die Entstehung des § 102 GWB und die historischen Zusammenhänge sprechen dafür, als Motiv des Gesetzgebers für den ursprünglichen § 102 Abs. 1 GWB das Sicherheitsargument und das Kooperationsargument in seiner währungspolitischen Ausprägung anzusehen. 2. Der teleologische Aspekt
Der historische Aspekt ist aber, wie erwähnt, nur ein Mittel, das dabei hilft, den objektiven Normzweck zu ermitteln. Ist man, wie die Kritiker des früheren § 102 Abs. 1 GWB [1957] bzw. [1980], von der historischen Argumentation nicht überzeugt, so ist der Normzweck letztlich objektiv zu ermitteln. Es gilt herauszufmden, welche Interessen der gesetzlichen Regelung zugrundeliegen. Im nächsten Schritt ist dann zu fragen, wie das Gesetz diese Interessen bewertet hat. 401 Die Argumentation der Kritiker des § 102 GWB diente aber weniger dazu, einen Normzweck zu ermitteln, als dazu, mit Hilfe einer objektiven Betrachtungsweise die Tragfähigkeit der genannten Freistellungsgrtinde zu widerlegen. Ergebnis dieser objektiven Betrachtung war dann - wie erwähnt - eine im Grunde zweckfreie Norm, weil zumindest mit der 4. GWB-Novelle 1980 auch das Verfahrens- und Beweisargument an Bedeutung verloren hatte. So richtig die von Möschel, Hollenders und anderen an § 102 Abs. 1 GWB geübte Kritik gewesen sein mag, so unbefriedigend war es aus dem Blickwinkel des Normanwenders, wenn die Vorschrift für zweckfrei erklärt wurde. Die Rechtspraxis muß im Hinblick auf das Prinzip der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG) handeln und darf eine Norm nicht einfach aushebeln. Die Argumentation der Kritiker überschritt damit die Grenze zwischen teleologischer Auslegung und rechtspolitischer Bewertung. Beide Fragen sind sicherlich nicht immer leicht zu trennen, ermöglicht doch die objektiv-teleologische Methode die Korrektur gesetzgeberischer Entscheidungen, die als überholt angesehen werden. 402 Die Grenzen der Korrekturmöglichkeit dürften aber da überschritten sein, wo dem Gesetzgeber völlige Gedankenlosigkeit vorgehalten und eine 400 Vgl. Immenga, Wettbewerb, S. 199 f.; Immenga, Zinsfreigabe, BB 1967, S. 696, 698; Klaue, Problematik, WuW 1975, S. 5, 9; ebenso für den Bereich der Versicherungen Großfeld, Prämie, in: Wettbewerb als Aufgabe, S. 105, 110. 401 Vgl. Schmalz, Rz. 276 ff. 402 Vgl. lescheck, S. 139.
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1. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht
Norm für zweckfrei erklärt wird. Hatte der Gesetzgeber sich entschlossen, die Banken vom Verbotsprinzip freizustellen, so war davon auszugehen, daß er sich etwas dabei gedacht hatte. Die von Möschel nachgewiesene - und vom Gesetzgeber inzwischen mit der 5. GWB-Novelle anerkannte - mangelnde Tragfähigkeit der Freistellungsgründe für den Kreditsektor ist somit als rechtspolitische Kritik einzuordnen. Das Verdienst der Kritiker liegt darin, daß sie den Weg zu einer restriktiven Behandlung wettbewerbsbeschränkender Maßnahmen auf dem Kreditgewerbe geebnet haben. Die Kritik hat aber, weil sie im Gewand der Normauslegung daherkam, den Blick für die Frage verstellt, ob eine unangemessene Privilegierung der Kreditwirtschaft bei Annahme der volkswirtschaftlich-bankpolitischen Gründe zwangsläufig eintreten mußte. Dabei scheint, daß die Anerkennung der hauptsächlich genannten Freistellungszwecke Insolvenzschutz und Währungssicherung eine restriktive Behandlung der Kreditwirtschaft keineswegs ausgeschlossen hätte. Man hätte nur den Maßstab des Mißbrauchs entsprechend wählen müssen. Jede Maßnahme, die nicht zum lnsolveozschutz oder zur Sicherung der Währung erforderlich war, hätte als mißbräuchlich untersagt werden können. Unter dem Gesichtspunkt Insolveozschutz wären dann angesichts der im Regelfall guten wirtschaftlichen Lage der Kreditinstitute viele, vielleicht sogar alle Maßnahmen mißbräuchlich gewesen. Es ist jedenfalls nicht erkennbar, daß beispielsweise die erwähnten Gebührenempfehlungen403 oder die Empfehlungen Allgemeiner Geschäftsbedingungen notwendig gewesen wären, um Bankeozusammenbrüche abzuwenden. Ebensowenig ist einzusehen, warum eine privat veraolaßte Zins empfehlung im währungspolitischen Interesse des Staates erforderlich sein sollte. Es ist zwar denkbar, daß eine solche mögliche Handhabung der Mißbrauchsaufsicht in der Praxis am Widerstand der Kreditaufsicht gescheitert wäre. Die Erfahrungen des Kartellamtes beim Einschreiten gegen die Zinsempfehlungen404 zeigen, daß einer wirksamen Mißbrauchsaufsicht teilweise die Bindung des Kartellamts an das Einvernehmen der Kreditaufsicht entgegenstand.4os Danach wäre aber nur die Abschaffung der Einvernehmensregelung nötig gewesen, um die von den Kritikern zu Recht beanstandete Privilegierung der Kreditwirtschaft zu beseitigen.
Nach allem scheint es, daß die Diskussion über § 102 Abs. 1 GWB darunter gelitten hat, daß rechtspolitische Frage - ob die Privilegierung der Banken gerechtfertigt ist - und Normauslegung nicht genügend getrennt wurden. Der Vorwurf an den Gesetzgeber, eine rechtspolitisch verfehlte Norm geschaffen zu 403
S. 33.
Tätigkeitsbericht BKartA 1973, BT-Drucks. 712250, S. 106 f.; vgl. oben S. 32 . 405 In diesem Sinne auch Emmerich, Ausnahme, WuW 1989, S. 363, 369. 404
J. Der Freistellungsstreit im Rückblick
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haben, trifft zwar zu. Es ist dem Gesetzgeber aber zu Gute zu halten, daß die von ihm 1957 erlassene Regelung immerhin eine flexible Reaktion des Kartellamtes in einem Bereich ermöglichte, in dem die Konsequenzen einer kompromißlosen Einführung des Verbotsprinzips vielleicht schwer abzuschätzen waren. Auf schwierigem Boden ist ein schrittweises Vortasten des Gesetzgebers die angemessenere Vorgehensweise. ZumaI die wohl wichtigste Wettbewerbsbeschränkung auf dem Kreditsektor zur Zeit der Gesetzgebung - die hoheitliche Zinsbeeinflussung - kein kartellrechtliches Problem war. Die Zinsabkommen der Kreditwirtschaft, denen ab Inkrafttreten des GWB kartellrechtliche Bedenken begegneten, wurden schließlich sofort durch staatliche Zinsverordnungen gemäß § 36 S. 2 KWG [1939] bzw. § 23 Abs. 1 KWG [1961] ersetzt, die nicht unter die Verbotsvorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen fielen.
2. Kapitel
Das Kartellrecht nach dem EWG-Vertrag A. Überblick Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag verbietet alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, sofern diese den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken. Die Wettbewerbsvorschriften sind unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht;1 das Verbot des Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag bedarf nach Art. 1 der Verordnung Nr. 17 2 zum EWG-Vertrag keiner vorherigen Entscheidung. Verstößt eine Vereinbarung oder ein Beschluß gegen Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag, sind sie gemäß Art. 85 Abs. 2 EWG-Vertrag nichtig.
Unter bestimmten Voraussetzungen können allerdings wettbewerbserhebliche Verhaltensweisen nach Art. 85 Abs. 3 EWG-Vertrag freigestellt werden. Das Gemeinschaftsrecht folgt damit der Konzeption eines Verbotes mit Erlaubnisvorbehalt: Sämtliche Absprachen sind zunächst untersagt, die Kommission kann aber einzelne nach Art. 85 Abs. 3 EWG-Vertrag LV.m. Art. 9 Abs. 1 der Verordnung Nr. 17 nachträglich freistellen. Eine Sonderregelung für den Kreditsektor nach dem Vorbild des § 102 GWB gibt es im EWG-Vertrag nicht.
1 VgI. VO Nr. 17 vom 6. Februar 1962; EuGH Slg. 1962, 105, 112, Rs. 13/61 "Bosch"; LangenINiederleithinger, Vorbem. zur Einbeziehung des EG-Kartellrechts, Rz. EG2. 2 Vom 6. 2.1962, ABI. 21. 2.1962, S. 202.
B. Das Verbot nach Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag
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B. Das Verbot nach Art. 8S Abs.l EWG-Vertrag J. Normadressaten Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag verbietet Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen von Unternehmen sowie Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen. Der Begiff Unternehmen wird in Art. 85 EWG-Vertrag nicht definiert. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaft, die für die Anwendung der Wettbewerbsregeln vorrangig zuständig ist, geht davon aus, daß jedes Wirtschaftssubjekt Unternehmen im Sinne des Art. 85 EWG-Vertrag ist. 3 In der Literatur herrscht ein funktionaler Unternehmensbegriff, wonach Unternehmen jede selbständige, nicht rein private Wirtschaftstätigkeit einer Person ist. Auf die Rechtsform und die Absicht der Gewinnerzielung kommt es nicht an. 4 An der Unternehmenseigenschaft von Kreditinstituten besteht danach kein Zweifel. Eine Unternehmensvereinigung oder - wie Art. 65 EGKS-Vertrag formuliert - ein Verband entsteht, wenn Unternehmen eine Zweckgemeinschaft begründen, die gemeinsame Interessen vertreten soll. Auf die rechtliche Organisation kommt es nicht an; selbst bloße Interessengemeinschaften können Unternehmensvereinigungen im Sinne des Art. 85 EWG-Vertrag sein.s Die erwähnten deutschen Bankenverbände als rechtsfähige Zusammenschlüsse sind deshalb als Unternehmensvereinigungen anzusehen.
11. Bankdienstleistungen als Handel Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag verbietet alle Maßnahmen, die den Handel beeinträchtigen können. Aus diesem Wortlaut wurde in Bankkreisen zum Teil geschlossen, daß Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag nur den Warenverkehr, nicht aber den Bereich der Dienstleistungen erfasse. 6 Weniger einschränkend wurde auch vertreten, daß der Begriff Handel zwar grundsätzlich Dienstleistungen, nicht Vgl. GleisslHirsch, Kommentar zum EWG-Kartellrecht, Art. 85 Rdz. 1. Streitig ist in diesem Zusammenhang lediglich, ob die zivilrechtliche Rechtsfähigkeit erforderlich ist, damit man von einem Unternehmen sprechen kann. Dafür z.B. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 618; vgl. Koch, in: Grabitz, Kommentar zum EWG-Vertrag, Art. 85 Rdz. 6 f.; Smit!Herzog, The Law of The European Community, A Commentary on the EEC Treaty, Art. 85.11. 5 Vgl. Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rdz.l4. 6 Vgl. dazu Meyer-Horn, Die Bedeutung des EWJ-Vertrages für das Kreditwesen, Sparkasse 1966, S. 304, 307; Möschel, Wirtschaftsrecht, S. 515; Frömke S. 14; Markert, Eckwerte, WuW 1988, S. 827, 828. 3
4
7 Renken
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2. Kapitel: Das Kartellrecht nach dem EWG-Vertrag
aber Bankdienstleistungen erfasse. Grund dieser Ausnahme sei, daß der EWGVertrag den Kapitalverkehr, an dem die Banken maßgeblich beteiligt sind, in den Art. 61,67 ff. und 106 EWG-Vertrag grundsätzlich anders behandele als den übrigen Waren- und Dienstleistungsverkehr. Außerdem spreche die weitgehende hoheitliche Beeinträchtigung des Bankenwettbewerbs in Deutschland gegen eine Behandlung nach Art. 85 EWG-Vertrag. 7 Der Europäische Gerichtshof und die Kommission fassen ohne weiteres auch Bankdienstleistungen unter Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag.8 Ebenso verfährt die inzwischen ganz herrschende Literatur. 9 Damit treten sie der Bankpraxis entgegen, die sich in der Vergangenheit vehement gegen die Anwendbarkeit des Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag ausgesprochen hat. Weil sich nach dem Wortlaut auch die gegenteilige Auffassung begründen ließe, soll näher untersucht werden, ob der Kreditsektor unter die Vorschrift fällt. I. Wortlaut
Der Wortlaut des Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag enthält den Begriff Handel. Handel bezeichnet zunächst nur den Austausch von Wirtschaftsgütem. Banken dagegen erbringen Dienstleistungen, sie verwahren oder verleihen Geld gegen Bezahlung (Zinsen). Andererseits ist es aber ohne weiteres denkbar, den Begriff "Handel" mit der ganz überwiegenden Ansicht so auszulegen, daß durch ihn der Wirtschaftsverkehr im weiteren Sinne, also auch die Dienstleistung, erfaßt wird. Aus dem Wortlaut heraus läßt sich die Frage, wieweit Dienstleistungen von Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag erfaßt sind, deshalb nicht beantworten.
7 Szagunn in Szagunn/Neumann, 2.Aufl., Anh. § 23 Rdz. 18; aufgegeben durch Wohl schieß in Szagunn/Neumann, 3. Aufl., Anh.§ 23 Rz. 18. 8 EuGH Slg. 1981, S. 2021, 2028 ff. "Züchner"; Entscheidungen der Kommission ABI. 1985 L 35/43,48 "Einheitliche Euroschecks"; ABI. 1986 L 295/28,30 "Irish Banks' Standing Comitee"; ABI. 1987 L 7/27,31 ff. "BVB/ABB"; ABI. 1987, L 43/51,56 ff. "ABI"; vgl. ferner 2. Bericht Wettbewerbspolitik 1973 Tz. 51 ff., 8. Bericht 1979 Tz. 32 ff., 13. Bericht 1984 Tz. 67, 14. Bericht 1985 Tz. 74, 15. Bericht 1986 Tz. 68, 16. Bericht Tz. 58 ff. 9 Vgl. die umfangreiche Untersuchung von Bieneck aus dem Jahre 1989, S. 11 ff., S. 61; Möschel, Wirtschaftsrecht, S. 516 f.; Emmerich, Wirtschaftsrecht, S. 464; Emmerich, Kartellrecht, S. 452; Schröter, in: Groeben/Boeckh/Thiesing/Ehlennann, Kommentar zum EWG-Vertrag, Art. 85 Rz. 83; Frömke, S. 15 ff.; Markert, Eckwerte, WuW 1988, S. 827, 828.
B. Das Verbot Dach An. 85 Abs. I EWG-Vertrag
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2. Systematik
Ist der Wortlaut mehrdeutig, so ist bei der Auslegung des EWG-Vertrages auf den Sacbzusammenhang zurückzugreifen, in dem die Vorschrift steht. Dabei ist davon auszugehen, daß sämtliche Vertragsbestimmungen untereinander in Zusammenhang stehen. Der Vertrag ist so auszulegen, daß alle Vorschriften miteinander harmonieren und Widersprüche vermieden werden. 10 Gegen die enge Auslegung des Begriffs Handel, wonach dieser nur den Austausch von Wirtschaftsgütern umfassen soll, bestehen in systematischer Hinsicht erhebliche Bedenken. In engem Zusammenhang mit Art. 85 EWGVertrag steht Art. 90 Abs. 2 EWG-VertragY Er stellt Unternehmen vom KarteUverbot des Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag frei, soweit sie mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind und die Anwendung der Wettbewerbsregeln sie hindern würde, die übertragenen Aufgaben zu erfüllen. Die Existenz dieser Vorschrift ließe sich nicht erklären, wenn man davon ausginge, daß Dienstleistungen von Art. 85 EWG-Vertrag gar nicht erfaßt werden. Art. 90 Abs. 2 EWG-Vertrag hätte keinen Anwendungsbereich. Die in Bankenkreisen früher vertretene Ansicht, Dienstleistungen würden von Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag nicht erfaßt, ist deshalb v~rfehlt.12 Soweit allerdings Dienstleistungen allgemein dem Art. 85 Abs. 1 EWGVertrag unterworfen werden und lediglich für Bankdienstleistungen eine Ausnahme gemacht wird,13 läßt sich ein systematisches Argument aus Art. 90 Abs. 2 EWG-Vertrag nicht herleiten. Die Vorschrift behielte ein weites Anwendungsfeld. Auch eine isolierte Ausnahme für den Kreditsektor paßt aber nicht in das System des EWG-Vertrages. Das Kreditgewerbe unterläge auf europäischer Ebene keinem Verbot von Wettbewerbsbeschränkungen mehr; es könnte nach Belieben Absprachen treffen. Die FreisteIlung eines ganzen Wirtschaftssektors von den Wettbewerbsregeln ist dem EWG-Vertrag zwar nicht ganz unbekannt. So stellt Art. 42 EWG-Vertrag die Landwirtschaft von den Wettbewerbsregeln frei. Außerdem schafft die Verordnung Nr. 1017 14 zum Teil Legalausnahmen für den in Art. 74 - 84 EWG-Vertrag geregelten Verkehrssek-
10 Statt vieler Bleckmann, in: Bleckmann, Europarecht, S. 127; Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften, S. 821; Schweitzer/Hummer, Europarecht, S. 135; Mestmäcker, S. 31 f. 11
Zu dessen Bedeutung für den Bankensektor im einzelnen später.
12 Allg. Ansicht, vgI. Möschel, Wirtschaftsrecht, S. 516; Grabitz-Koch, Art. 85 Rdz.
90; Frömke, S. 16.
13 Szagunn/Neumann, 2. Aufl., Anh. § 23 Rdz. 18; erwogen auch von Bieneck, S. 11 ff., aber abgelehnt, vgI. S. 51. 14 ABI. 1968 Nr. L 175/1 ff.
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2. Kapitel: Das Kartellrecht nach dem EWG-Vertrag
tor. 15 Beide Ausnahmen sind aber in ihrer Reichweite nicht mit der hier erwogenen Ausnahme für den Kreditsektor zu vergleichen. 16 Auf dem Verkehrs sektor nimmt die Verordnung Nr. 1017 nur einen Teil der möglichen Absprachen vom Kartellverbot aus, das grundsätzlich nach Art. 2 der Verordnung auch für den Verkehr gilt. Eine vollständige Bereichsausnahme bewirkt die Verordnung also nicht. Im übrigen stützt sich die beschränkte Ausnahme auf die nach Art. 87 Abs. 2 lit. c EWG-Vertrag ergangene Verordnung, sie ist also im Gemeinschaftsrecht ausdrücklich angelegt. Bleibt als möglicherweise vergleichbarer Tatbestand noch der Art. 42 EWGVertrag, der als einziger eine Bereichsausnahme innerhalb des Vertragswerkes selbst vorsieht. Die Vorschrift begünstigt die Produktion landwirtschaftlicher Güter und den Handel mit ihnen. Aber selbst in diesem Fall der ausdrücklichen Ausnahmeregelung gibt es Einschränkungen. Die Ausnahme gilt gemäß Art. 38 Abs. 3 EWG-Vertrag nur für die Produktpalette, die in der dem Vertrag als Anhang 11 beigefügten Liste 17 enthalten ist. Im übrigen unterliegt auch der privilegierte Landwirtschaftssektor den kartellrechtlichen Vorschriften des Vertrages. 18 Danach bestehen gegen eine vollständige Bereichsausnahme für den Kreditsektor erhebliche systematische Bedenken. Die beiden genannten Bereichsausnahmen gehen auf eine ausdrückliche Regelung im primären (Art. 42) oder sekundären (VO Nr. 1017) Gemeinschaftsrecht zurück, während es für den Kreditsektor keine Spezialregelung gibt. Außerdem würde eine durch Auslegung erzielte Ausnahme für den Kreditsektor in ihrem Umfang weit über die im Gemeinschaftsrecht ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen hinausgehen. 3. Zweck des Art. 85 Abs.l EWG-Vertrag
Die systematischen Überlegungen allein lassen keine abschließende Aussage zu, weil der EWG-Vertrages nicht das Niveau einer in sich geschlossenen Kodifikation hat. 19 Nicht zuletzt deshalb spielt die Frage nach dem Zweck einer
15 Art. 3, 4 der Verordnung, die den Eisenbahn-, Binnenschiffs- und Straßenverkehr betrifft; vgl. dazu z.B. Emmerich, Wirtschaftsrecht, S. 439 mwN. 16 Vgl. Möschel. Wirtschaftsrecht, S. 516. 17 Diese Liste ist mit der Verordnung NT. 26 vom 20. April 1962 ergänzt worden, ABI. 1962, Nr. 30, S. 993, geändert durch Verordnung Nr. 49 vom 29. Juni 1962, ABI. 1962, Nr. 53, S. 1571. 18 Vgl. Groeben/Boeckh-Schröter, Art. 87 Rz. 19; Bleckmann-Schollmeier S. 526 f. 19 Vgl. Ipsen, S. 134.
B. Das Verbot nach Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag
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Vorschrift bei der Vertrags auslegung eine zentrale RoUe. 2O Die historische Methode hat daneben kaum Gewicht, weil große Teile der Verhandlungen nicht schriftlich fixiert wurden21 und die vorhandenen Verhandlungsniederschriften nicht veröffentlicht sind,z2 Außerdem bestünden größte Schwierigkeiten, aus der Vielzahl der geäußerten Ansichten die maßgeblichen herauszufinden. 23 Gegen eine historische Auslegung spricht ferner, daß sie statt zu der anzustrebenden dynamischen, integrationsfördernden Auslegung zu einer restriktiven führen könnte. 24 Eine FreisteIlung des Kreditsektors vom Kartellverbot des Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag könnte nach Zweck und Ziel des EWG-Vertrages gefordert sein. Seine Ziele formuliert der Vertrag im Ersten Teil. Art. 1 EWG-Vertrag lautet: "Durch diesen Vertrag gründen die Hohen Vertrags parteien untereinander eine Europäische Wirtschaftsgemeinschaft". Aufgabe dieser Gemeinschaft ist es Art. 2 EWG-Vertrag zufolge, einen Gemeinsamen Markt zu errichten und die Wirtschaftspolitik schrittweise anzunähern. Auf diesem Wege soll bis Ende 1992 der Binnenmarkt LS.d. Art. 8 a EWG-Vertrag geschaffen werden. Der Gemeinsame Markt soll, so Art. 2 EWG-Vertrag, "eine harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft, eine beständige und ausgewogene Wirtschafts ausweitung, eine größere Stabilität, eine beschleunigte Hebung der Lebenshaltung und engere Beziehungen zwischen den Staaten fördern, die in dieser Gemeinschaft zusammengeschlossen sind". Darüber hinaus formuliert die Präambel als "wesentliches Ziel der Gemeinschaft" (Satz 3) die stete Besserung der Lebens- und Beschäftigungsbedingungen. Auch soll die Gemeinschaft "die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluß der europäischen Völker schaffen" (Satz 1 der Präambel).25 Damit ist die (Fern) Zielsetzung der Gemeinschaft im weitesten Sinne politisch. 26 Es geht letztlich 20 Vgl. EuGH Slg. 1973, 215 ff., 244; Rs. 6n2 "Europemballage Corporation und Continental Can Company"; Bleckmann-Bleckmann, S. 128 f.; Constantinesco, S. 820 ff.; Schweitzer/Hummer, S. 135. 21 Vgl. Pescatore, Zehn Jahre Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, in: Kölner Schriften, Bd. 1, S. 209. 22 Zuleeg, Die Auslegung des europäischen Gemeinschaftsrechts, in: Europarecht 1969, S. 97, 101; Hoffmann-Becking, Normaufbau und Methode, Eine Untersuchung zur Rechtsprechung des Gerichtshofs der EG; S. 244; Bieneck, S. 9. 23 Zuleeg, Europarecht 1969, S. 97, 101. 24 Zuleeg, Europarecht 1969, S. 97,102; Ipsen, S. 134. 25 Scherer, Die Wirtschaftsverfassung der EWG, S. 100; zur unmittelbaren rechtlichen Bedeutung der Präambel vgl. GroebenlBoeckh-Schwartz, § 235 Rdz. 112 ff.; Pescatore, Die Gemeinschaftsverträge als Verfassungsrecht - ein Kapitel Verfassungsgeschichte in der Perspektive des europäischen Gerichtshofs, systematisch geordnet, in: Festschrift Kutscher, S. 319, 330. 26 Smit/Herzog, Art. 1.03.
102
2. Kapitel: Das Kartellrecht nach dem EWG-Vertrag
um eine umfassende Europäische Gemeinschaft, die zu einer politischen Union, einem Staatenbund oder gar Bundesstaat führen soll.27 Man kann denmach zwischen Nah- und Fernzielen des Vertrages unterscheiden. Nahziel ist es, einen marktwirtschaftlich organisierten Gemeinsamen Markt,28 den Binnenmarkt i.S.d. Art. 8 lit. a EWG-Vertrag zu schaffen und die Wirtschaftspolitik zu vereinheitlichen. Damit will der Vertrag den Wohlstand der Vertragsstaaten sichern und die in Art. 2 EWG-Vertrag und der Präambel genannten politischen Fernziele - gewissermaßen automatisch - verwirklichen. Der Vertrag stellt ein umfassendes Programm auf, mit dessen Hilfe er die Volkswirtschaften aller Mitgliedsstaaten zu einem einzigen Markt zusammenführen will. 29 In Kurzform beschreibt der Vertrag das Programm in Art. 3 EWG-Vertrag; anschließend konkretisiert er es in seinen einzelnen Abschnitten. Der Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag ist Teil dieses Programms: Er soll Wettbewerbsbeschränlrungen im Gemeinsamen Markt verhindern und ist damit eines der drei Elemente einer idealen Marktordnung, die den Rechtsbegriff Gemeinsamer Markt prägen. Erstes Element ist die Freiheit nach innen, die auf die Freiheit des Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs sowie die Freizügigkeit der Arbeitnehmer aufbaut. Zweites Element ist die Marktgleichheit, die für alle Marktteilnehmer gleiche oder zumindest annähernd gleiche Wettbewerbsbedingungen voraussetzt; im Binnenmarkt darf es keine Wettbewerbsverfälschungen durch ungleiche steuerliche Behandlung u.ä. geben. Drittes Element ist der Schutz des Wettbewerbs. Privatleuten und Mitgliedsstaaten ist es untersagt, den Wettbewerb im Gemeinsamen Markt zu beeinträchtigen. 3O Zwischen den drei Elementen besteht ein enger funktionaler Zusammenhang. Die Marktfreiheitsrechte öffnen den Markt, die Marktgleichheitsrechte zielen darauf ab, bestehende Erschwernisse des Marktzugangs abzubauen, und die Vorschriften über die Wettbewerbsfreiheit erhalten den so entstandenen Markt. 3 !
Il
Bleckmann-Bleckmann, S. 19.
28 Vgl. das Schlußkommunique von Messina vom 3. Juni 1955, Europa-Archiv 1955,
S. 7974; Scherer, S. 90; Ophüls, Grundzüge europäischer Wirtschaftsverfassung, ZHR 124 (1962), S. 136; Hallstein, Wirtschaftliche Integration als Faktor politischer Einigung, in: Festschrift Müller-Armack, S. 267, 275; B1eckmann-B1eckmann, S. 19. 29 Bleckmann-B1eckmann, S. 19. 30 Ipsen, S. 550 ff; Grabitz, Das Recht auf Zugang zum Markt nach dem EWG-Vertrag, in: Hamburg, Deutschland, Europa, Festschrift Ipsen, S. 645, 646 f.; Grabitz-Grabitz, Art. 2 Rdz. 15 f. 3! Grabitz, Recht auf Zugang, Festschrift Ipsen, S. 645, 647; Scherer, S. 134.
B. Das Verbot nach Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag
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Die marktwirtschaftlichen Ordnungsvorstellungen, die dem EWG-Vertrag zugrundeliegen, können in der Praxis zwar nicht vollständig umgesetzt werden. Sie sind aber "ein dauernd wirksamer, im Sinne der Integration optimaler Maßstab der Gestaltung, Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftrechts aller Erscheinungsformen".32 Ihnen kommt Verfassungsrang zu und sie sind justiziabier Maßstab für den gesamten EWG-Vertrag. 33 Im Rahmen dieser Ordnung hat Art. 85 EWG-Vertrag also die Funktion, den durch andere Vorschriften des Vertrages ermöglichten Wettbewerb aufrechtzuerhalten. Die Vorschrift konkretisiert gemeinsam mit den Art. 86 - 94 EWGVertrag den Art. 3 lit. f des Vertrages, der den Wettbewerb als Element des Gemeinsamen Marktes, als Institution garantiert.34 Das Vertragsziel, die umfassende Integration der Volkswirtschaften zu verwirklichen, spricht gegen den diskutierten wettbewerbsrechtlichen Ausnahmebereich für den Kreditsektor. Andererseits wäre eine Ausnahme aber denkbar, wenn der EWG-Vertrag darauf verzichtete, Wettbewerb auf dem Bankensektor zu schaffen. Wo der EWG-Vertrag die Marktöffnung unterläßt, wäre auch ein weitreichender Ausnahmebereich möglich. Einen Markt, den der Vertrag nicht verwirklichen wollte, brauchte er auch nicht g«gen private oder staatliche Beschränkungen zu schützen.3s Demnach stellt sich die Frage, ob der Vertrag die Marktfreiheitsrechte auch auf dem Kreditsektor durchsetzen will. Das Geschäft der Kreditinstitute fällt in den Bereich der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit. Die Niederlassungsfreiheit ist in Art. 52 EWG-Vertrag geregelt, der das in Art. 7 EWG-Vertrag ausgesprochene allgemeine Verbot der Diskriminierung konkretisiert. 36 Art. 52 EWG-Vertrag sieht vor, daß der Angehörige eines Gemeinschaftsstaates sich in jedem anderen Mitgliedsstaat niederlassen kann. Sich niederlassen bedeutet nach Art. 58 Abs. 2 EWG-Vertrag, eine selbständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen und auszuüben oder Unternehmen zu gründen und zu führen. Die wirtschaftliche Tätigkeit im anderen Staat wird zur Niederlassung, wenn aus ihr eine "andauernde Integration" in die
32Ipsen, S. 551; vgl. Mestmäcker, S. 14. 33 EuGH Slg. 1973, S. 215, 244, Rs. 6{72 "Europemballage Corporation und Continental Can Company"; EuGH Slg. 1977, 2115, 2145 f., Rs. 13{77 "GB-INNOBM/ATAB"; Grabitz-Grabitz, Art. 2 Rdz. 2; Smit/Herzog, Art. 2.05; Groeben/BoeckhSchwartz, § 235 Rz. 112 ff.; Pescatore, Festschrift Kutscher, S. 319, 330 34 Mestmäcker, S. 13 ff.; Ipsen, S. 608. 35 Anderer Ansicht insoweit Möschel, Wirtschaftsrecht, S. 516 f., der davon ausgeht, daß unabhängig vom Umfang der gewollten Integration auf dem Kreditsektor jedenfalls der bestehende Wettbewerb zu schützen sei. Prämisse für diese Ansicht ist jedoch, daß ein Ausnahmebereich für den Kreditsektor vom Vertrag nicht gewollt ist. 36 Grabitz-Randelzhofer, Art. 52 Rz. 2.
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2. Kapitel: Das Kartellrecht nach dem EWG-Vertrag
Wirtschaft des Aufnahmestaates folgt. 37 - Die Dienstleistungsfreiheit ist in Art. 59 EWG-Vertrag geregelt. Dienstleistungen sind Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden und nicht unter die Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen fallen (Art. 60 EWG-Vertrag). Beide Freiheiten erfassen im Prinzip den Kreditsektor. Die Gründung einer Tochtergesellschaft im Ausland fällt unter den Begriff der Niederlassung. Die Vergabe eines grenzüberschreitenden Kredits Z.B. fällt dagegen unter den Begriff der Dienstleistung. Diese prinzipielle Geltung der genannten Freiheiten erfährt aber für den Kreditsektor eine wichtige Modifikation. Art. 52 Abs. 2 EWG-Vertrag nimmt von den Vorschriften über die Niederlassung ausdrücklich das Kapitel über den Kapitalverkehr (Art. 67 - 73 EWG-Vertrag) aus. 38 Und gemäß Art. 61 Abs. 2 EWG-Vertrag sind die Dienstleistungen der Banken, soweit sie mit den Kapitalverkehr in Verbindung stehen, ebenfalls nach den Vorschriften über den Kapitalverkehr zu behandeln. Somit unterliegt jeder Geschäftsvorgang der Banken, der den Kapitalverkehr betrifft, den Art. 67 ff. EWG-Vertrag und nicht den Art. 52 ff. und 59 ff. EWG-Vertrag. Nach Art. 67 EWG-Vertrag ist die Freiheit des Kapitalverkehrs neben der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit sowie der Freizügigkeit der Arbeitnehmer die vierte der Grundfreiheiten des Gemeinsamen Marktes (Art. 3 lit. c EWG-Vertrag). Allerdings verlangen die Art. 67 ff. EWG-Vertrag nicht wie die übrigen Freiheiten, daß alle Beschränkungen beseitigt werden. Der Kapitalverkehr ist nach Art. 67 EWG-Vertrag nur soweit zu liberalisieren, wie es für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes notwendig ist. Der Vertrag selbst verlangt demnach nur eine eingeschränkten Liberalisierung der mit dem Kapitalverkehr verbundenen Aktivität auf dem Kreditsektor. 39 Das hat sich jedoch 1973 durch eine Richtlinie der Europäischen Wirtschafts gemeinschaft geändert, die die Dienstleistungs- und Niederlasssungsfreiheit betrifft.40 Nach der Richtlinie ist der Kapitalverkehr umfassend zu liberalisieren, soweit er mit Dienstleistung oder Niederlassung von Kreditinstituten in Verbindung steht.41 In Zusammenhang mit der genannten Richtlinie steht eine Reihe weiterer Richtlinien. Am 12. Dezember 1977 erging die Erste Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme
Grabitz-Randelzhofer, Art. 52 Rz. 8, 10 mit Nachweisen. VgI. dazu Grabitz-Randelzhofer, Art. 52 Rz. 5. 39 Damit begründet Szagunn, 2. Aufl., Anh. § 23 Rz. 18, seine Bedenken gegen eine Anwendung der Art. 85 ff. 40 Richtlinie NT. 73/183/EWG vom 28.6.1973, ABI. 1973 Nr. L 194 S. 1 ff. 41 VgI. Groeben/Boeckh-Troberg, Art. 61 Rz.6. 37
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B. Das Verbot nach Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag
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und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute. 42 Am 13. Juni 1983 wurde die Richtlinie über die Beaufsichtigung der Kreditinstitute auf konsolidierter Basis erlassen.43 Eine Richtlinie vom 8. Dezember 1986 betrifft den Jahresabschluß und den konsolidierten Abschluß von Banken und anderen Finanzinstituten,44 eine weitere vom 17. April 1989 regelt die Eigenmittel von Kreditinstituten.45 Vom 18. Juni 1989 stammt die Solvabilitätsrichtlinie,46 vom 15. Dezember 1989 schließlich die zweite Bankrechtskoordinierungsrichtlinie.47 Weitere Richtlinien sind zu erwarten, z.B. über die Liquidation von Instituten oder bezüglich der Harmonisierung von Vorschriften über Liquiditäts-, Markt-, Zinssatz- und Wechselkursrisiken. 48 Alle Richtlinien gemeinsam zielen darauf, die Vorschriften über den Kreditsektor zu harmonisieren und dadurch die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit in diesem Bereich zu verwirklichen.49 Ab 1993 soll ein Kreditinstitut, das in einem einzigen Mitgliedsstaat zugelassen ist, ohne weitere Genehmigung auch in allen anderen Mitgliedsstaaten tätig sein dürfen. Demnach ist das europäische Recht inzwischen auch für den Kreditsektor und dessen Funktion im Kapitalverkehr auf vollständige Liberalisierung und Schaffung des Binnenmarktes gerichtet. Damit nicht zu vereinbaren ist ein Ausnahmebereich, der die Liberalisierung des Kreditsektors privaten oder staatlichen Wettbewerbsbeschränkungen aussetzt. Der gewollte Gemeinsame Markt kann nur gesichert werden, wenn die Wettbewerbsregeln auf den Kreditsektor angewandt werden. Auch der Maßstab der Zielverwirklichung spricht also dafür, die Wettbewerbsregeln auf den Kreditsektor anzuwenden. Gleichwohl wurden gegen ihre Anwendung in der Vergangenheit immer wieder Bedenken geäußert. Es gab die Ansicht, der Wettbewerb könne seine Funktionen auf dem Kreditsektor nicht erfüllen,so und müsse deshalb auch nicht geschützt werden. Darüber hinaus hatte das Kreditgewerbe Bedenken, ob die besondere Situation der Kreditwirtschaft, ihre Einbindung in die staatliche Wirtschafts- und Währungspolitik 42 Richtlinie Nr. 77n80, ABi. 1977 Nr. L 322, S. 30 ff. 43 Richtlinie Nr. 83/350, ABi. 1983 Nr. L 193, S. 18 ff. 44
Richtlinie Nr. 86/635, ABi. 1986 Nr. L 372, S. 1 ff.
45 Richtlinie Nr. 89(299, ABi. 1989 Nr. L 124, S. 16 ff. 46 Richtlinie Nr. 89{647, ABi. 1989 Nr. L 386, S. 14 ff. 47 Richtlinie Nr. 89/646, ABi. 1989 Nr. L 386, S. 1 ff. 48
Vgi. die Gründe des Rates zur Richtlinie Nr. 89/646, ABi. 1989 Nr. L 386 S. 1.
49 Vgi. die Gründe des Rates für die Richtlinie Nr. 89/646, ABi. 1989 Nr. L 386 S. I
und fUr die Richtlinie 89/647, ABi. 1989 Nr. L 386 S. 14. so Vgi. dazu Möschel, Wirtschaftsrecht, S. 363 ff.; Bieneck, S. 22 ff.
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2. Kapitel: Das Kartellrecht nach dem EWG-Vertrag
sowie die bestehenden Kooperationszwänge in Art. 85 EWG-Vertrag hinreichend berücksichtigt werden könnten. SI Nicht zuletzt wurde das Verhältnis des Art. 85 EWG-Vertrag zu § 102 GWB als problematisch angesehen. Der Vorrang des GemeinschaftsrechtsS2 und damit des Art. 85 EWG-Vertrag könne eine zumindest teilweise Bedeutungslosigkeit des § 102 GWB und damit eine größere Rechtsunsicherheit verursachen. 53 Solche Gründe können eine Ausnahme von der Anwendung der Wettbewerbsvorschriften des EWG-Vertrages nur begründen, wenn die Interessen der Mitgliedsstaaten oder des Kreditsektors anders nicht geschützt werden können. Das Argument, der Wettbewerb könne seine Aufgaben auf dem Kreditsektor nicht erfüllen, haben Möschel54 und Bieneck55 in umfangreichen Untersuchungen widerlegt, und auch der deutsche Gesetzgeber hat es mit der 5. GWB-Novelle endgültig verworfen. Lediglich für den Bereich des Zahlungsverkehrs scheint es erforderlich, Wettbewerbsbeschränkungen zu gestatten. Der institutsübergreifende Zahlungsverkehr kann nur effektiv funktionieren, wenn die Kreditinstitute zusammenarbeiten. 56 Dafür benötigt man aber keine Bereichsausnahme zugunsten der Kreditwirtschaft. Es genügt, entsprechende Absprachen gezielt vom Kartellverbot freizusteHen. Auch der Gedanke, die Einbindung der Kreditwirtschaft in die staatliche Wirtschafts- und Währungspolitik schließe das Wettbewerbsprinzip aus, kann aus deutscher Sicht nicht mehr vertreten werden. Wo der nationale Gesetzgeber das Wettbewerbsprinzip aus diesem Grund nicht einschränkt,57 steht es einer wirksamen nationalen Wirtschafts- und Währungspolitik nicht entgegen. In
Vgl. Bieneck, S. 2. Heute allg. Ansicht, vgl. nur EuGH Slg. 1964, S. 1251, 1269 ff., Rs. 6/64 "Costa/ENEL"; speziell zum Kartellrecht EuGH Slg. 1969, S. 1, 14, Rs. 14/68 "Walt Wilhelm"; EuGH Slg. 1980, S. 2327,2374 f., Rs. 253fi8 und 1 bis 3fi9 "Guerlain"; vgl. Emmerich, Kartellrecht, S. 515 f.; Oppermann, Europarecht, S. 194 ff.; Immenga, Nationale Ausnahmeregelungen vom Recht der Wettbewerbsbeschränkungen als Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht, in: Festschrift Steindorff S. 967, 974; Lukes, Energiewirtschaftliehe Demarkationsverträge und EWG-Wettbewerbsrecht, in: DB 1987, S. 1925, 1928; Bleckmann-Bleckmann, S. 305; Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Bd. I: Weltwirtschaftsrecht und Europäisches Wirtschaftsrecht, S. 464; Klaue, Einige Bemerkungen über die Zukunft der Zweischrankentheorie, in: Festschrift Steindorff, S. 979, 986; Groeben/Boeckh-Schröter, Vorbern. zu Art. 85 - 89, Rz. 39; v.Gamm, Art. 85 Rz. 3; GleisslHirsch, Einleitung Rz. 56 f. 53 Vgl. Bieneck, S. 2 f. 54 Möschel, Wirtschaftsrecht, S. 367 ff. 55 Bieneck, S. 24 ff. 56 Kindermann S. 289 ff., Bieneck, S. 28 f.; vgl. S. 75. 57 Vgl. oben S. 76. 51
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B. Das Verbot nach Art. 85 Abs. I EWG-Vertrag
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diesem Fall ist es nicht erforderlich, die EWG-Weubewerbsregeln zugunsten nationaler Interessen einzuschränken. Soweit in der Vergangenheit aus dem Verhällnis von § 102 GWB zu Art. 85 EWG-Vertrag eine gewisse Rechtsunsicherheit resultierte,58 dürften sich diese Probleme durch die Einschränkung und angestrebte Anpassung des § 102 GWB an das europäische Kartellrecht reduziert haben. Im übrigen trifft ein gewisses Maß an Rechtsunsicherheit, daß durch die parallele Geltung zweier Wettbewerbsordnungen entsteht, alle Bereiche der Wirtschaft. Wer hier sichergehen möchte, kann sich jederzeit an der Wettbewerbsordnung mit den strengeren Maßstäben orientieren. Die verbleibende Unsicherheit kann jedenfalls kein Anlaß sein, die Geltung des europäischen Wettbewerbsrechts für den Kreditsektor abzulehnen und eine Bereichsausnahme zu schaffen. Nach allem geben weder systematische noch teleologische Erwägungen Anlaß, die Kreditwirtschaft aus dem Anwendungsbereich des Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag herauszunehmen. Der Begriff Handel umfaßt demgemäß - im Sinne der weiten Wortbedeutung - den gesamten Wirtschaftsverkehr einschließlich des Kreditsektors.
III. Vereinbarungen, Beschlüsse und abgestimmte Verhaltensweisen I. Vereinbarungen
Der Begriff Vereinbarung LS.d. Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag orientiert sich, ähnlich wie der Vertragsbegriff des § 1 Abs. 1 GWB, am zivilrechtlichen Vertragsbegriff. Es besteht Einigkeit darüber, daß eine Vereinbarung einander entsprechende Willenserklärungen der Beteiligten voraussetzt, die eine Regelung für ihr Verhältnis zueinander schaffen sol1. 59 Zweifelhaft ist dagegen wie im deutschen Kartellrecht, ob ein Rechtsfolgewille erforderlich ist. Ein Teil der Lehre nimmt das an,60 während ein anderer die Ansicht vertritt, daß eine Vereinbarung auch vorliege, wenn die Beteiligten keinen Rechtsbindungswillen haben, den Absprachen also keine rechtliche Verbindlichkeit zukommt.61
58 Vgl. Bieneck, S. 22 ff. 59
Vgl. oben S. 40.
60 Vgl. Bleckmann-Schollrneier, S. 535, Grabitz-Koch, Art.85 Rdz. 19;
GleisslHirsch, Art. 85 Rz. 16 f.; Groeben/Boeckh-Schröter, Art. 85 Rz. 5. 61 Johannes, Zum Begriff der Wetthewerbsbeschränkung in Art. 85 Abs. 1 des EWGVertrages, AWD 1968,409 ff.; Mestmäcker, S. 208; Emmerich, Kartellrecht, S. 532; Fikentscher, Wirtschaftsrecht, S. 591; LangenlNiederleithinger, § 1 Rz. EG 41;
108
2. Kapitel: Das Kartellrecht nach dem EWG-Vertrag
Beide Auffassungen berufen sich auf die "Chinin-Boehringer" Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs. 62 In ihr hatte der Gerichtshof über Absprachen der chemischen Industrie zu entscheiden, die als Gentlemen's Agreements bezeichnet wurden. Er faßte sie unter den Begriff Vereinbarung, weil eine Verletzung der Absprachen "ipso facto" die Verletzung eines anderen, zulässigen Exportkartellvertrages darstellen sollte, der zwischen den Beteiligten bestand. Die Entscheidung ist, wie sich schon an der unterschiedlichen Interpretation zeigt, schwer einzuordnen. Daraus, daß sie ein "Gentlemen's Agreement" als Vereinbarung LS.d. Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag ansieht, läßt sich aber nicht folgern, der Gerichtshof verlange einen Rechtsbindungswillen. 63 Die vom Gerichtshof vorgenommene Einordnung ist sowohl möglich, wenn er auch Absprachen ohne Rechtsbindungswillen unter den Begriff Vereinbarung faßt, als auch dann, wenn er von der rechtlichen Verbindlichkeit des fraglichen Agreements ausgegangen ist. Im ersten Fall wäre die enge Ansicht, die dem Urteil das Erfordernis eines Rechtsbindungswillens entnimmt, widerlegt. Im zweiten hätte der Gerichtshof zu der Frage, wie unverbindliche Absprachen zu behandeln sind, nicht Stellung genommen. Anders als von den Vertretern der engen Ansicht häufig behauptet wird, ist die Frage nach dem Rechtsbindungswille auch nicht von lediglich theoretischem Interesse. 64 Es ist zwar richtig, daß alle Absprachen, die vom Begriff Vereinbarung nicht erfaßt werden, jedenfalls als abgestimmte Verhaltensweisen LS.d. Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag verboten sind. Ein solcher Ansatz übersieht jedoch die zivilrechtsdogmatischen Probleme. Deutlicher noch als das deutsche Kartellrecht spricht Art. 85 Abs. 2 EWG-Vertrag die Rechtsfolge aus, daß Kartellvereinbarungen nichtig sind. Soweit die Beteiligten um ihren Verstoß gegen Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag wissen, können sie also gar keinen Rechtsfolgewillen haben. Das führte dazu, daß gerade die typischen Kartellabsprachen nur als abgestimmte Verhaltensweisen erlaßt wären. 6S Das Vorliegen einer kartellrechtlichen Vereinbarung i.S.d. Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag wäre damit davon abhängig, ob die Parteien unwissentlich gegen das Kartellverbot verstoßen; bei wissentlichen Verstößen läge keine Vereinbarung i.S.d. Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag vor. In diesen Fällen wäre die Kommission damit belastet
Smit/Herzog, Art. 85 Nr. 85.07; Waelbroeck, in: Megret/Louis/Vignes/Waelbroeck, Le droit de la Communaute Europ6enne, Volume 4: Concurrence, Art. 85 Ziff. 6, 7. 62 Vom 15.7.1970, EuGH Slg. 1970,769,803, Rs. 45/69. 63 So aber Grabitz-Koch, Art. 85 Rz. 21; Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rz. 17. 64 So aber Grabitz-Koch, Art. 85 Rz. 21; Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rz. 17; Deringer, Das Wettbewerbsrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Art. 85 Abs. 1 Rz. 19. 6S Vgl. oben, S. 41.
B. Das Verbot nach Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag
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nachzuweisen, daß die Absprachen faktisch eingehalten wurden. 66 Stößt der Nachweis auf Schwierigkeiten, so könnten sieh die Beteiligten der Verhängung eines Bußgeldes gem. Art. 15 Abs. 2 a) VO Nr. 17 auch in Fällen entziehen, in denen schriftliche Absprachen bekannt sind. Die Unternehmen brauchten sich nur darauf berufen, sie hätten um die Nichtigkeit der Absprache gewußt. Eine solche Lücke ist mit dem Zweck des Art. 85 EWG-Vertrag, den Schutz des Wettbewerbs umfassend zu gewährleisten, unvereinbar. Sie verbessert die Aussichten der Unternehmen, bei wettbewerbsbeschränkenden Absprachen ungestraft davonzukommen. Um das zu vermeiden, sollte der Begriff Vereinbarung weit ausgelegt und auf einen Rechtsbindungswillen verzichtet werden. Das gilt um so mehr, als der Vertrag selbst das weite Verständnis nahelegt. Er benutzt in der deutschen Fassung "Vereinbarung" statt "Vertrag", in der französiehen "accords" statt "contrats", in der italienischen "accordi" statt "contratti" und in der englischen "agreement" statt "contract", meidet also die zivilrechtlichen Vertragsbegriffe. Lediglich in der niederländischen Fassung wird der formale Terminus "overeenkomsten" verwendet. 67 Aus diesen Gründen ist es zu begrüßen, daß die Kommission in neueren Entscheidungen auf einen Rechtsbindungswillen ausdrücklich verzichtet. 68 Damit dürfte sich auch in der Praxis die Auffassung durchsetzen, daß für eine Vereinbarung i.S.d. Art. 85 EWG-Vertrag zwar eine Willensübereinstimmung nötig ist, die das Verhältnis der Beteiligten regeln soll, nicht aber ein Rechtsbindungswille. 69 2. Beschlüsse
Beschlüsse sind rechtliche Handlungen, die aufgrund eines bereits bestehenden Gesamtrechtsaktes - z.B. Vereinssatzung - ergehen, durch den die Beteiligten zu einer organisatorischen Einheit, der Unternehmensvereinigung, zusammengefaßt sind. Die organisatorische Einheit muß nicht unbedingt auf einer formalisierten Rechtsgrundlage beruhen; sie kann auch ad hoc geschaffen werden. 70
MestmäckeT, S. 208. Vgl. Smit/HeTtzog, Art. 85 NT. 85.07. 68 ABI. 1986 NT. L 230, S. 1,26 "Polypropylen" und ABI. 1989 Nr. L 33, S. 44, 61 "Flachglas" . 69 So zutreffend Johannes, AWD 1968, 409 ff.; Mestmäcker, S. 208; Emmerich, Kartellrecht, S. 532; Langen/NiedeTleithingeT § 1 Rz. EG 41; Smit/Herzog, Art. 85 NT. 85.07; Megret-Waelbroeck, Art. 85 Ziff. 6, 7. 70 MestmäckeT, S. 209. 66 67
llO
2. Kapitel: Das Kartellrecht nach dem EWG-Vertrag
Ein Beschluß kommt durch Abgabe gleichgerichteter Willenserklärungen an die geschäftsführenden Organe der Einheit zustande; der gemeinsame Wille wird im Wege der Abstimmung gebildet. 71 Eine rechtliche Verbindlichkeit ist für den Beschluß ebensowenig erforderlich wie für eine Vereinbarung. Es genügt eine faktische Verbindlichkeit, die auf wirtschaftlichen, gesellschaftlichen oder moralischen Umständen beruht.72 3. Abgestimmte Verhaltensweisen
Der Begriff "aufeinander abgestimmte Verhaltensweise" bezeichnet eine Form der Koordinierung zwischen Unternehmen, "die zwar unverbindlich geblieben ist, jedoch bewußt eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten läßt".73 Das Merkmal ist im Hinblick darauf zu sehen, daß in einer Marktwirtschaft - die der EWG-Vertrag anstrebt - jeder Unternehmer sein Verhalten selbst zu bestimmen hat. Dieses Selbständigkeitspostulat wird verletzt, wenn Unternehmen sich über ihr zukünfiges Marktverhalten verständigen und sich gegenseitig "ins Bild setzen".74 Entscheidend ist danach das "kommunikative Element": die Beteiligten müssen in irgendeiner Weise Kontakt gehabt haben, der auf eine Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens hinausläuft. Bloßes Parallelverhalten - bewußtes wie unbewußtes - fällt nicht unter den Begriff, weil es an dem "kommunikativen Element" fehlt. 7s Ebensowenig werden Übereinkünfte erfaßt, die bereits unter den Begriff Vereinbarung fallen.
71 Mestmäcker, S. 209; Groeben/Boeckh-Schröter, Art. 85 Rz. 11; Deringer, Art. 85 Abs. 1 Rz. 20; Grabitz-Koch, Art. 85 Rz. 23. 72 Anderer Ansicht z.B. Fikentscher, Wirtschaftsrecht, S. 596, der einen Rechtsbindungswillen verlangt. 73 v.Gamm Art. 85 Rz. 16; ähnlich der EuGH Slg. 1975, 1663, 1942, Rs. 40 u.a.n3 "'Suiker Unie"'; EuGH Slg. 1981,2021, 2031, Rs. 172/80 "'Züchner"'; Groeben/BoeckhSchröter, Art. 85 Rz. 15; Grabitz-Koch, Art. 85 Rz. 26, allerdings alle mit der Formulierung "'eine Form der Koordinierung, die zwar noch nicht bis zum Abschl'-if3 eines Vertrages im eigentlichen Sinne gediehen ist, jedoch bewußt eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle ... des Wettbewerbs treten läßt"'. Der Unterschied ergibt sich daraus, daß diese Formulierung für eine Vereinbarung i.S.d. Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag noch die rechtliche Verbindlichkeit verlangt. 74 EuGH Slg. 1975, 1663, 1966, Rs. 40 u.a.n3 "'Suiker Unie"'; EuGH Slg. 1972, S. 619,646, Rs. 48/69 "'Imperial Chemical Industrie"'. 75 Bleckmann-Schollmeier, S. 536; Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rz. 25; Groeben/BoeckhSchröter, Art. 85 Rz. 16.
B. Das Verbot nach Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag
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4. Empfehlungen
Noch nicht endgültig geklärt ist, wie die auf dem deutschen Kreditsektor verbreiteten Verbandsempfehlungen einzuordnen sind. Eine spezielle, dem § 38 Abs. I Nr. 11 GWB entsprechende Regelung fmdet sich in den europäischen Wettbewerbsvorschriften nicht.76 a) Empfehlungen als Beschlüsse i.S.d. Art. 85 Abs.l EWG-Vertrag Zum Teil wird vertreten, Empfehlungen fielen unter das Beschlußverbot des Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag, wenn sie für die Verbands mitglieder rechtlich oder faktisch verbindlich sind.77 Gegen die Einordnung rechtlich oder faktisch verbindlicher Verhaltensanleitungen als Beschluß ist nichts einzuwenden. Man sollte aber in diesen Fällen nicht vom Vorliegen einer Empfehlung sprechen, weil eine Empfehlung begrifflich die Unverbindlichkeit voraussetzt. 78 Unverbindliche Empfehlungen sind keine Beschlüsse i.S.d. Vorschrift und werden allenfalls durch das Merkmal "aufeinander abgestimmte Verhaltensweise" erfaßt. b) Empfehlungen als Teilnahme an einer abgestimmten Verhaltensweise Die wohl überwiegende Meinung geht davon aus, daß bloße Teilnahmehandlungen nicht unter das Verbot des Art. 85 Abs. 1 EWGVertrag fallen. Das ergebe sich aus dem Wortlaut der Vorschrift, der nur das tatsächliche Verhalten selbst, nicht dagegen den vorausgehenden Abstimmungsvorgang verbiete.79 Danach verstieße der Empfehlende nur gegen Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag, wenn die Empfehlung selbst den Wettbewerb beeinträchtigt. Zweifelhaft ist in Vgl. Grabitz-Koch, nach Art. 87 Rz. 49. EuGH Slg. 1980, 3125, 3250 ff, Rs. 209{78 "FEDETAB"; EuGH Slg. 1972,977, 990 f., Rs. 8{72 "V.C.H."; EuGH NJW 1987, 2150, 2151, Rs. 45/85 "Vereinigung der Feuerversicherer"; v. Gamm, Art. 85 Rz. 14; ähnlich Grabitz-Koch, Art. 85 Rz 24 f., der in diesem Zusammenhang die rechtliche Verbindlichkeit fordert. 78 Vgl. oben § 38 Abs. 1 Nr. 11 GWB, S. 55. 79 Mestmäcker, S. 210; BaumbachlHefermehl, Wettbewerbsrecht, Art. 85 Rz. 8; Deringer, Art. 85 Abs. 1 Rz. 23; Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rz. 23; Megret-Waelbroeck, S. 8; vgl. aber auch Ehle, Verbot von Empfehlungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen nach nationalem und EWG-Kartellrecht, in: NJW 1964, S. 1593, 1595 und Kleier, Freistellung von den Empfehlungsverboten nach deutschem (§ 38 Abs. 2 EWGVertrag) und europäischem (Art. 85 EWG-Vertrag) Kartellrecht, S. 214, die beide annehmen, daß Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag Verbandsempfehlungen schon deshalb nicht erfasse, weil das Verbot abgestimmter Verhaltensweisen sich nur an Unternehmen richte. 76
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2. Kapitel: Das Kartellrecht nach dem EWG-Vertrag
diesem Zusammenhang zweierlei. Es stellt sich die Frage, ob ein empfehlender Verband, d.h. eine juristische Person, überhaupt "Täter" eines Verstoßes gegen ein Kartellverbot sein kann. Ist das möglich, so bleibt zu klären, ob ein empfehlender Verband Täter oder Teilnehmer eines Verstoßes gegen Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag ist. aa) Unternehmen und Verbände als Täter Das geltende deutsche Recht kennt die Strafbarkeit juristischer Personen und Verbände nicht. 80 Die ganz überwiegende Ansicht hält deren Strafbarkeit prinzipiell für ausgeschlossen, weil sie begrifflich unmöglich und mit dem Schuldprinzip unvereinbar sei. 81 Aus dem gleichen Grund hält man die Geldbuße gegen Verbände für systemwidrig.82 Entsprechend können sich nach deutschem Recht nur natürliche Personen ordnungswidrig verhalten, die für ein Unternehmen handeln (vgl. § 14 StGB, § 9 OWiG).83 Sanktionen gegen die Unternehmen bzw. die Verbände, für die eine ordnungswidrige Handlung begangen wurde, sind nur als Nebenfolge nach § 30 OWiG möglich. Unternehmenstäterschaft ist dem deutschen Recht also fremd. Nach dem Wortlaut von Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag, Art. 15 Abs. 2 a) VO Nr. 17 gibt es die Verbands täterschaft dagegen. Die Kommission kann gegen die Unternehmen und Unternehmensvereinigungen, die gegen Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag verstoßen, ein Bußgeld verhängen. Für eine Verbandstäterschaft im Europäischen Recht spricht, daß die unmittelbare strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen und Verbänden in anderen Rechtsordnungen selbstverständlich vorausgesetzt wird. So können z.B. in den Niederlanden Straftaten durch Unternehmen begangen werden. 84 Das gleiche gilt für Japan,85 England86 und die USA. 87 Auch in Frankreich ist geplant, die Strafbarkeit von
Vgl. nur Iescheck, S. 204. Iescheck, S. 204 f.; vgl. Schünemann, Untemehmenskriminaltät und Strafrecht, S. 174 f. 82 Vgl. Schünemann, S. 175 mit Nachweisen in Fußnote 35. 83 Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, § 1 Rz. 1; GemeinschaftskommentarFischötter, Vorbem. Ordnungswidrigkeiten, Rz. 10; Immenga/Mestmäcker-Tiedemann, vor § 38 Rz. 28. 84 Pompe, Das niederländische Strafrecht, in: Das ausländische Strafrecht der Gegenwart, Bd. 5: Niederlande, Schweden, S. 7, 96; Schünemann, S. 186. 85 Schünemann, S. 190. 86 Willms, Die Strafbarkeit der "company" im englischen Recht, S. 42 ff.; vgl. Schünemann, S. 191 ff; Iescheck, S. 204. 80 81
B. Das Verbot nach An. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag
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Unternehmen einzuführen.88 In den USA sehen z.B. die Art. 1, 2 und 3 des Sherman Act in der Fassung von 1974 ausdrücklich höhere Strafen vor, wenn eines der Kartellverbote durch ein Unternehmen verletzt wird. Einer dem Wortlaut der Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag, Art. 15 Abs. 2 a) VO Nr. 17 entsprechenden Annahme einer Verbandsstäterschaft steht demnach nichts im Wege. Ein Verband kann im Rahmen des europäischen Rechts Täter sein. bb) Verbandsempfehlung als Teilnahme Ein Verstoß des empfehlenden Verbandes gegen Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag läge nur vor, wenn er Täter wäre. Täter ist - der Definition von § 25 Abs. 1 des deutschen StGB entsprechend - "wer die Straftat selbst begeht". Danach kann ein empfehlender Verband kein Täter sein, weil die Empfehlung sich nicht unmittelbar auf den Wettbewerb auswirkt. Sie bedarf der Umsetzung durch die Adressaten, damit sie wettbewerbsbeschränkend wirkt. Täter ist aber auch, wer mit mehreren Personen gemeinschaftlich eine Tat begeht.89 Ein empfehlender Verband verstieße deshalb auch dann gegen Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag, wenn er Mittäter und nicht lediglich Teilnehmer LS.d. §§ 26,27 deutsches StGB an einer abgestimmten Verhaltensweise wäre. Die in Europa überwiegend zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme verwandte Methode ist die restriktiv-objektive: Täter ist nur, wer die tatbestandsmäßige Handlung selbst begeht.90 Danach ist der Empfehlende kein Mittäter, weil er die tatbestandsmäßige Handlung, das gleichförmige Verhalten im Wettbewerb, lediglich vorbereitet. Die deutsche Rec:htsprechung geht überwiegend von der subjektiven Teilnahmetheorie aus. Danach ist Täter jeder, der einen kausalen Tatbeitrag leistet und Täterwillen hat, d.h. wer die Tat "als eigene" will; Teilnehmer ist, wer einen Tatbeitrag leistet und dabei bloß Teilnehmerwillen hat. 91 Ein Verband hat
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Schünemann, S. 191 ff; Iescheck, S. 204.
Vgl. Schünemann, S. 189; Iescheck, S. 204 Fußnote 38. Vgl. § 25 Abs. 2 deutsches StGB. 90 Iescheck, S. 586; dieser Ansatz liegt z.B. dem französischen, spanischen, niederländischen und englischen Strafrecht zugrunde, vgl. Iescheck, S. 598 f. 91 BGH IR 1955,304,305; BGHSt 8, 393, 396; 19, 135, 139; ebenso Grabitz-Koch, nach Art. 87 Rz. 46; vgl. Iescheck, S. 588 f.; WesseIs, Straf: ~cht, Allgemeiner Teil, S. 148. 88
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2. Kapitel: Das Kartellrecht nach dem EWG-Vertrag
als solcher zwar keinen Täterwillen, ihm ist aber der Wille des handelnden Mitarbeiters zuzurechnen.92 Über diese Zurechnung des Willens der Mitarbeiter wird teilweise eine Täterschaft des Empfehlenden begründet.93 Es wird darauf abgestellt, daß Verbands mitglieder häufig nicht nur Adressaten von Empfehlungen sind, sondern gleichzeitig auch an deren Ausarbeitung im Verband mitwirken. In einem solchen Fall seien Gehilfen- und Tätervorsatz nicht mehr unterscheidbar. Der Empfehlungsbeschluß, der eine Handlungsbeschränkung aller Adressaten bezwecke, sei deshalb ein täterschaftlicher Verstoß aller Beschließenden gegen Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag. Das gleiche soll für Verbands angehörige gelten, die als Mitglieder eines Verbandsorgans über eine Empfehlung beschließen.94 Auf dem Boden der subjektiven Teilnahmetheorie läßt sich eine Täterschaft des Empfehlenden demnach begründen. Der Ausgangspunkt der subjektiven Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme ist aber wegen grundsätzlicher Bedenken abzulehnen. Der EWG-Vertrag geht, wie das deutsche Strafrecht, von objektiv umschriebenen und abgegrenzten Tatbeständen aus. Die Funktion solcher Tatbestände wird praktisch aufgelöst, wenn jeder kausale und schuldhafte Tatbeitrag bei entsprechendem Vorsatz die Täterschaft begründen könnte. 95 Das zeigt sich auch an den Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag, Art. 15 Abs. 2 a) VO Nr. 17, die an das Verhalten der Unternehmen bzw. Verbände anknüpfen. Entscheidend ist, daß der Verband objektiv gegen Art. 85 Abs. 1 EWGVertrag verstößt, nicht, welchen Vorsatz die Mitarbeiter bzw. Organe haben. Deren Verschulden ist nur interessant, weil es dem Verband mangels eigener Schuldfähigkeit zugerechnet werden muß. Die subjektive Teilnahmetheorie der deutschen Rechtsprechung ist somit zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme nicht geeignet. Sie kann deshalb auch nicht herangezogen werden, um die Täterschaft eines empfehlenden Verbandes zu begründen. Die herrschende deutsche Lehre grenzt Täterschaft und Teilnahme nach dem Kriterium Tatherrschaft ab. Täter ist, wer nach der objektiven Bedeutung seines Tatanteils den Ablauf der Tat mit beherrscht,96 d.h. wer die Tatbestandsver-
92 Vgl. Grabitz-Koch, nach Art. 87 Rz. 41; Gleiss/Hirsch, Art. 15 VO Nr. 17 Rz. 2; GroebenIBoeckh-Schröter, Art. 87 Rz. 32, die sich zur Verbandstäterschaft allerdings nicht ausdrücklich äußern. 93 Grabitz-Koch, nach Art. 87 Rz. 49. 94 Grabitz-Koch, nach Art. 87 Rz. 49. 95 So dte ganz herrschende Lehre, vgl. nur Jescheck, S. 589; Wesseis, S. 151. 96 Vgl. nur Jescheck, S. 590; Wesseis, S. 150.
B. Das Verbot nach Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag
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wirklichung nach seinem Willen hemmen oder ablaufen lassen kann. 97 Auch danach läßt sich der Tatbeitrag eines empfehlenden Verbandes nicht als täterschaftlicher Verstoß gegen Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag einordnen. Der Verband bzw. seine Mitarbeiter beherrschen den Tatablauf nicht, weil die Umsetzung der Empfehlung allein bei den Adressaten liegt. Wo der Empfehlende keinen Einfluß darauf hat, ob die Empfehlung beachtet wird, fehlt es ihm an einer Tatherrschaft. Ein täterschaftlicher Verstoß des Empfehlenden gegen Art. 85 Abs. 1 EWGVertrag läßt sich folglich nicht begründen, wenn man mit der herkömmlichen Strafrechtsdogmatik zwischen Täterschaft und Teilnahme unterscheidet. Der Empfehlende leistet zwar einen kausalen Tatbeitrag - ohne die Empfehlung fehlte es an der Grundlage für die abgestimmte Verhaltensweise -, ist aber kein Täter, sondern lediglich Teilnehmer i.S.d. §§ 26, 27 des deutschen StGB. Als solcher verstößt er, so die überwiegende Ansicht, nicht gegen Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag.98 Ein Verstoß des Empfehlenden gegen das Verbot abgestimmten Verhaltens läßt sich auf diesem Wege also nicht begründen. c) Abstimmungsverbot
Die daraus folgende Verbotslücke versucht eine neuere Ansicht dadurch zu vermeiden, daß sie unter das Merkmal "abgestimmte Verhaltensweise" jedwede Form der Abstimmung faßt, die eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs bezweckt,99 Dadurch fällt schon die im subjektiven Bereich liegende Abstimmung unter das Verbot des Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag, wenn sie darauf gerichtet ist, den Wettbewerb zu beeinträchtigen. Das ist z.B. bei Empfehlungen der Fall, die den Empfängern ein bestimmtes einheitliches Verhalten nahelegen. Dem Zweck des Kartellverbots, den Wettbewerb umfassend gegen Beeinträchtigungen zu schützen, kommt eine solche Auffassung sehr viel näher. Die Vertreter dieser Ansicht berufen sich auf Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs, der davon spricht, das Selbständigkeitspostulat stehe "jeder unmittelbaren oder mittelbaren Fühlungnahme zwischen Unternehmen entgegen, die bezweckt oder bewirkt, entweder das Marktverhalten eines Mitbewerbers ... zu beeinflussen oder einen solchen Mitbewerber über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen ist oder
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Wesseis, S. 150.
Vgl. nur GleisslHirsch, VO Nr. 17 Art. 15 Rz. 5; Grabitz-Koch, nach Art. 87 Rz. 46 f.; GroebenIBoeckh-Schräter, Art. 87 Rz. 32. 99 Groeben/Boeckh-Schröter, Art. 85 Rz. 18; Grabitz-Koch, Art. 85 Rz. 28. 98
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2. Kapitel: Das Kartellrecht nach dem EWG-Vertrag
in Erwägung zieht". 100 Hier legt der Gerichtshof jedoch nur fest, wann eine Abstimmung i.S.d. Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag vorliegt. Wenig später stellt er fest, daß ein abstimmungsgemäßes Verhalten vorliegt101 und daß "die in Rede stehende Abstimmung und ihre Umsetzung in die Praxis" geeignet waren, den freien Verkehr der Waren zu beeinträchtigen. l02 Die im subjektiven Bereich liegende Abstimmung allein hat dem Gerichtshof in diesem Fall folglich nicht genügt; er hat das objektive Element des wettbewerbsrelevanten Verhaltens geprüft. Gegen die ergebnisorientierte Auslegung des Merkmals "aufeinander abgestimmte Verhaltensweise" bestehen rechtsstaatliche Bedenken. Art. 15 Abs. 2 der VO Nr. 17 103 gibt der Kommission die Möglichkeit, für einen Verstoß gegen Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag ein Bußgeld zu verhängen. Diese Sanktionen sind zwar - wie sich aus Art. 15 Abs. 4 VO Nr. 17 ergibt - nicht strafrechtlicher Natur, stehen einer Strafe aber nah. In Deutschland gilt für Straftaten nach Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB die Garantiefunktion des Strafgesetzes: Die Strafbarkeit muß gesetzlich bestimmt sein, bevor die Tat begangen wird. Eine Folgerung dieses Gesetzlichkeitsprinzips betrifft die Auslegung der Strafgesetze. Die Analogie als Mittel der Neuschöpfung oder Ausdehnung von Strafvorschriften ist verboten. 104 Das Gesetzlichkeitsprinzip erstreckt sich gemäß § 3 OWiG auch auf Ordnungswidrigkeiten. Zu dieser Gleichbehandlung zwingt der Wortlaut des Art. 103 Abs. 2 GG, der von "Strafbarkeit" spricht, nicht. Rechtsprechung und Lehre halten sie aber wegen der Nähe von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten für verfassungsrechtlich geboten. lOS Beide verbindet, daß auch im Ordnungswidrigkeitenrecht eine "Strafe" - das Bußgeld - dafür verhängt wird, daß der Täter Verbotsvorschriften bewußt oder fahrlässig verletzt hat. In beiden Fällen wird an geschehenes Unrecht angeknüpft. 106 Die Möglichkeit, ein Bußgeld nach Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag, Art. 15 Abs. 2 lit. a VO Nr. 17 zu verhängen, ist mit der nach dem GWB vergleich100 EuGH Slg. 1975,1663,1965 f., Rs. 40 u.a.{73 "Suiker Unie". 101 S. 1966, Tz. 178 der Entscheidung. S. 1966, Tz. 180 der Entscheidung. Vom 6. 2. 1%2 ABI. 21. 2.1962, S. 204. 104 Vgl. Jescheck, S. 120; Tröndle, in: Leipziger Kommentar, Strafgesetzbuch, § 1 RZ.30. lOS OLG Celle NJW 1957, S. 642 f.; OLG Neustadt NJW 1957, 1155 f.; Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Art. 103 Abs. 2 Rz. 114; Rüping, in: Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Art. 103 Abs. 2 Rz. 79 ff.; Schmidt-BleibtreulKlein, Kommentar zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Art. 103 Anm. 10. 106 So ausfiihrlich Dürig, in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 103 Abs. 2 Rz. 114. 102 103
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bar. 107 Sie könnte deshalb gegen ein auch im europäischen Recht geltendes Analogieverbot für strafbegründende Vorschriften verstoßen. Der Methode nach handelt es sich jedenfalls um eine Analogie, wenn das Verbot aufeinander abgestimmten Verhaltens so ausgelegt wird, daß es bereits die im subjektiven Bereich liegende Abstimmung verbietet. Fraglich ist zunächst, ob die Organe der EG bei der Rechtsanwendung an rechtsstaatliche Prinzipien gebunden sind. Der EWG-Vertrag enthält keinen Grundrechtskatalog und auch kaum andere Regeln, die einen Rechtsstaat kennzeichnen. Eine der wenigen rechtsstaatlich geprägten Vorschriften ist Art. 215 Abs. 2 EWG-Vertrag, der die Haftung für außervertragliche Schädigung nach den "allgemeinen Rechtsgrundsätzen vorsieht, die den Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten gemeinsam sind" .I