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German Pages [389]
Forschungen zum Alten Testament herausgegeben von Bernd Janowski und Hermann Spieckermann
16
Die Weisheitsgestalt in Proverbien 1-9 Traditionsgeschichtliche und theologische Studien
von
Gerlinde Baumann
J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen
Gerlinde Baumann, geb. 1962; 1982-1990 Studium der Evangelischen Theologie in Tübingen, Hamburg und Göttingen; Studium der Ägyptologie in Hamburg; ab 1991 Stipendiatin des Evangelischen Studienwerks Villigst e.V.; 1995 Promotion an der Universität Heidelberg; seit 1995 Vikarin der Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers.
Die Deutsche Bibliothek -
CIP-Einheitsaufnahme
Baumann, Gerlinde: Die Weisheitsgestalt in Proverbien 1-9 : traditionsgeschichtliche und theologische Studien / von Gerlinde Baumann. - Tübingen : Mohr, 1996 (Forschungen zum Alten Testament ; 16) ISBN 3-16-146597-0 NE: GT 978-3-16-157800-7 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019
© 1996 J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von ScreenArt in Wannweil aus der Times Antiqua gesetzt, von GuideDruck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier der Papierfabrik Weissenstein in Pforzheim gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen gebunden. ISSN 0940-4155
Vorwort „An der Wegkreuzung hat sich die Weisheit aufgestellt." Analog zu dieser Standortbestimmung der Weisheitsgestalt in Prov 8,2b läßt sich der Ausgangspunkt dieser Studie skizzieren. Verschiedene Wege der Forschung kreuzen sich bei diesem Thema: Die Weisheitsgestalt ist Gegenstand exegetischer, systematisch-theologischer, religionsgeschichtlicher, biblischtheologischer, literaturwissenschaftlicher und feministisch-theologischer Untersuchungen gewesen. Thesen zur Herkunft und Entwicklung der israelitischen Weisheitsliteratur sowie zum israelitischen Monotheismus haben ihre Deutung beeinflußt. Was bislang noch aussteht, ist ein Überblick über den Ertrag der unterschiedlichen Fragestellungen und Herangehensweisen. Ihn soll Teil A dieser Arbeit geben. Auch fehlt ein exegetisches Fundament, ohne das es jeder weitergehenden These an Überzeugungskraft ermangeln muß. Ein solches möchte Teil B legen. Der Schwerpunkt der Textuntersuchung befindet sich dabei im Bereich der Traditionsgeschichte, die hier allerdings in einer breiteren Bedeutung zu verstehen ist als sonst innerhalb des exegetischen Methodenkanons. In Teil C wird dann der Ertrag aus Forschungsgeschichte und Textuntersuchung unter verschiedenen im engeren Sinn theologischen Fragestellungen ausgewertet. Diese Studie ist im Sommersemester 1995 von der Theologischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen worden; für den Druck habe ich sie leicht umgearbeitet. Wie die Weisheitsgestalt in Prov 1-9 eine Gestalt ist, die sich aus vielen Quellen speist, so ist auch die vorliegende Arbeit nicht denkbar ohne die Anregungen und die Unterstützung von verschiedenen Seiten. Mein Dank geht zunächst an Prof. Dr. Bernd Janowski, Tübingen, der meinen langen Weg mit dem Thema von Beginn an mit Ermutigung und Kritik begleitet hat und nun auch die Publikation in der Reihe „Forschungen zum Alten Testament" ermöglichte. Die finanzielle Förderung durch das Evangelische Studienwerk Villigst e. V. hat mir die Umsetzung des Forschungsvorhabens überhaupt erst möglich gemacht; desgleichen ein beträchtlicher Zuschuß der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers die Drucklegung. Für Anregungen
IV
Vorwort
und Diskussion danke ich Prof. Dr. Hans-Peter Mathys, Heidelberg, der auch das Zweitgutachten zur Dissertation anfertigte, Prof. Erhard S. Gerstenberger, Gießen/Marburg, Prof. Dr. Bernhard Lang, Paderborn und Prof. Dr. Henning Paulsen (f) in Hamburg sowie dem Doktorandinnen-, Doktoranden- und Habilitanden-Kolloquium von Prof. Dr. Bernd Janowski und dem Kolloquium des Alttestamentlichen Seminars der Universität Hamburg. Durch die Angestellten der Nordelbischen Kirchenbibliothek Hamburg ist mir die Literaturbeschaffung sehr erleichtert worden, und ebenso die Publikation durch die freundliche Betreuung des Mohr-Verlages. Ich widme dieses Buch all den Frauen, die mich auf meinen Weg gebracht, dabei ermutigt oder begleitet haben. Nennen möchte ich nur einige - die, die mir tatkräftig oder finanziell zur Seite standen: Meine Mutter Hanna Cordes, meine Schwester Kirsten Baumann, die Mitglieder des Hedwig-Jahnow-Forschungsprojekts, Marburg/Gelnhausen sowie Almuth Jürgensen, Sabine Mehrtens, Ilsabe Stolt und Regina Terner. Hamburg, im November 1996
Gerlinde Baumann
Inhaltsverzeichnis Vorwort
III
Abkürzungen
XI
Einleitung
1
A. Zur Forschung über die Weisheitsgestalt
in Prov 1-9
I. Vorbemerkungen
1 1
1. Zur Auswahl der Ansätze und zur Darstellung
1
2. Die wichtigsten Linien der alttestamentlichen Weisheitsforschung im 20. Jh
2
II. Die Deutungskategorien
der Weisheitsgestalt
4
1. Die Weisheitsgestalt als Hypostase JHWHs a) Der Begriff der Hypostase b) Darstellung der Forschungspositionen c) Auswertung
4 4 6 12
2. Eine Göttin oder ein Mythos als Ursprung der Weisheitsgestalt.. a) Eine altorientalische Göttin als Vorbild für die Weisheitsgestalt b) Die Weisheitsgestalt als mythologische Gestalt c) Auswertung
13 13 20 24
3. Die Weisheitsgestalt als poetische Personifikation a) Der Begriff der Personifikation b) Darstellung der Forschungspositionen c) Auswertung
27 27 28 35
4. Die Weisheitsgestalt als Gegenüber der fremden bzw. törichten Frau 37 III. Die theologische Funktion der Weisheitsgestalt
41
1. Die Position der Weisheitsgestalt als Mittlerin
42
2. Die Offenbarungsfunktion der Weisheitsgestalt
43
3. Aspekte der Verkündigung der Weisheitsgestalt 46 a) Die ethische Unterweisung 46 b) Das Verhältnis der Weisheitsgestalt zur Schöpfungsordnung .. 47
VI
Inhaltsverzeichnis
4. Die Weisheitsgestalt im Verhältnis zur Konzeption des Messias.. 5. Die feministisch-theologische Perspektive: Die Weiblichkeit der Weisheit als Theologumenon des nachexilischen Israel 6. Einzelaspekte a) Die Freude bei der Schöpfung b) Die Weisheit als Ratgeberin 7. Auswertung IV. Ergebnis B. Die Texte über die Weisheitsgestalt I. Zur Methodik der Textuntersuchungen 1. Der „anthologische Stil" 2. Zum Vorgehen in dieser Arbeit 3. Zur bildhaften Redeweise in Prov 1-9 II. Zur Textkritik 1. Die Proverbien-Septuaginta 2. Die weiteren Textzeugen III. Textuntersuchungen zu Prov 8 1. Der Aufbau des Kapitels 2. Prov 8,1-3 a) Text und Übersetzung b) Die enge Verbindung zwischen Prov 8,1-3 und 8,4-11 c) Der Standort der Weisheitsgestalt (Prov 8,1-3) 3. Prov 8,4-11 a) Text und Übersetzung b) Aufbau und Struktur des Abschnitts c) Die von der Weisheitsgestalt Angesprochenen (Prov 8,4f.) d) Die Qualifizierung der Weisheitsrede (Prov 8,6-9) e) Der Vergleich zwischen Weisheit und kostbaren Materialien (Prov 8,10f.l9) f) Zusammenfassung 4. Prov 8,12-21 a) Text und Übersetzung b) Aufbau und Struktur des Abschnitts c) Die Parallelbegriffe zur Weisheit (Prov 8,12-14) a) Zu den „Begriffen" ß) Parallele Texte im Alten Testament d) Die Weisheit als Regierungsmacht (Prov 8,15f.) e) Die Weisheitsgestalt und die Liebesmetaphorik (Prov 8,17.21)
48 50 54 54 54 55 56 58 58 58 60 61 62 63 65 66 66 68 68 69 69 72 72 73 75 78 81 83 83 83 84 86 86 91 93 98
Inhaltsverzeichnis a) Die Weisheit „lieben" und „umarmen" (Prov 4,6-8; 8,17a.21a) ß) Die Weisheit „suchen" und „finden" (Prov 1,28b; 2,4a; 3,13; 8,17b) f) Die Weisheitsgestalt und der Reichtum (Prov 3,16b; 8,18.21). g) Die Weisheitsgestalt auf dem Weg von Recht und Gerechtigkeit (Prov 8,20) h) Zusammenfassung
VII
98 100 102 107 111
5. Prov 8,22-31 a) Text und Übersetzung b) Aufbau und Struktur des Abschnitts c) H3p» - „erwerben" oder „erschaffen"? (Prov 8,22) d) - die Weisheitsgestalt als „Anfang" oder „Erstling" der Schöpfung? (Prov 8,22) e) Die Vokalisation von VDOJ (Prov 8,23) 0 Die Darstellung der Weltschöpfung in Prov 8,22-31 a) Elemente einer „Vorwelt" in Prov 8,22-31 ß) Das „Weltmodell" von Prov 8,22-31 y) Erschaffen als Abgrenzen und Ordnen g) 11ÖK - „Schoßkind" oder „Werkmeisterin"? (Prov 8,30) h) Die Weisheit als vor J H W H spielendes Vergnügen (Prov 8,30f.) i) Das Gottesbild von Prov 8,22-31 j) Die Weisheitsgestalt - Mitschöpferin oder Geschöpf? k) Exkurs: Das Verhältnis von Prov 8,22-31 zu ausgewählten alttestamentlichen Schöpfungstexten a) Gen 1,1-2,4a ß) Gen 2,4b-25 y) Der Weisheitshymnus Hi 28 S) Die Gottesreden des Hiobbuches: Hi 38,1-40,2; 40,6-41,26 1) Zusammenfassung
111 111 113 116
6. Prov 8,32-36 a) Text und Übersetzung b) Aufbau und Struktur des Abschnitts c) Der Makarismus der Weisheitsgestalt (Prov 3,13.18; 8,32b.34a) d) Weisheit und "lom „Erziehung" (Prov 8,10.33) e) Das Wachen an den Türen der Weisheit (Prov 8,34) f) Die Begründung des Makarismus (Prov 8,35f.) a) Die „Verheißung" (Prov 8,35) ß) Die „Drohung" (Prov 8,36) g) Zusammenfassung
152 152 153 155 157 160 163 163 167 171
7. Zusammenfassung
171
118 120 122 122 123 129 131 139 140 143 144 145 146 147 150 151
VIII
Inhaltsverzeichnis
IV
Textuntersuchungen gestalt
zu den weiteren Ich-Reden
der
Weisheits173
1. Prov 1,20-33 a) Text und Übersetzung b) Aufbau und Struktur des Abschnitts c) Der Standort der Weisheitsgestalt (Prov l,20f.) d) Ein Element der Klage (Prov 1,22) e) Die Umkehr zur Mahnung der Weisheitsgestalt (Prov 1,23a). f) Die Heilszusage (l,23bc) g) Die „Gerichtsankündigung" (Prov 1,24-32) а) Vorbemerkungen zur Formgeschichte und Terminologie.. ß) Parallelen zu Prov 1,24 y) Die Unheilstermini (Prov l,26f.) б) Die „Strafe" der Weisheit (Prov l,26.28.31f.) e) Der Wechsel von der 2. zur 3. Ps. PI. (Prov 1,27.28) h) Das Ziel: „Hören auf die Weisheit bewahrt vor Unheil" (Prov 1,33) i) Zusammenfassung
173 173 174 178 178 179 181 182 182 184 186 188 193
2. Prov 9,1-6 a) Text und Übersetzung b) Aufbau und Struktur des Abschnitts c) Das Haus und die „sieben Säulen" der Weisheit (Prov 9,1)... a) Die Konjektur zu „Säulen mit Flechtwerk" ß) Die architektonische Deutung y) Die metaphorische Deutung als „Sieben Weise" 5) Die metaphorische Deutung mit Bezug auf die Textgliederung e) Eigene Interpretation von Prov 9,1 d) Das Festmahl der Weisheit (Prov 9,2-6) a) Die Vorbereitungen (Prov 9,2) ß) Die Schilderung der Einladung (Prov 9,3) y) Die Eingeladenen (Prov 9,4) 8) Altorientalische und alttestamentliche Vorbilder von Prov 9,1-6 e) Zusammenfassung der Ergebnisse und Deutung des Banketts der Weisheitsgestalt e) Der Schlußvers (Prov 9,6) f) Zusammenfassung
199 199 200 202 202 203 204
V. Textuntersuchungen Prov 1-9
195 197
205 207 209 209 210 211 214 220 221 222
zu den weiteren Vorkommen von „ Weisheit" in 224
1. Vorbemerkungen
224
2. Prov 1,1-7 a) Text und Übersetzung b) Zum Aufbau des Abschnitts
225 225 225
Inhaltsverzeichnis c) Zur Bedeutung von „Weisheit" in Prov 1,2.7
IX 226
3. Prov 2,1-11 a) Text und Übersetzung b) Zum Aufbau des Abschnitts c) Zur Bedeutung von „Weisheit" in Prov 2,1-11
227 227 228 229
4. Prov 3,13-20 a) Text und Übersetzung b) Zum Aufbau des Abschnitts c) „Weisheit" in Prov 3,13-20 a) „Weisheit" in Prov 3,13-17 ß) Die Weisheit als Lebensbaum (Prov 3,18) Y) Weisheit und Schöpfung (Prov 3,19f.) 5) Auswertung 5. Prov 4,5-9 a) Text und Übersetzung b) Zum Aufbau des Abschnitts c) „Weisheit" in Prov 4,5-9
231 231 232 233 233 233 236 238 239 239 239 240
6. Prov 4,10-13 a) Text und Übersetzung b) Zum Aufbau des Abschnitts c) „Weisheit" in Prov 4,10-13
243 243 243 243
7. Prov 5,1 f. a) Text und Übersetzung b) „Weisheit" in Prov 5,lf.
244 244 245
8. Prov 7,4 a) Text und Übersetzung b) „Weisheit" in Prov 7,4
245 245 245
9. Prov 9,10f. a) Text und Übersetzung b) Textliche Probleme c) „Weisheit" in Prov 9,10f.
247 247 248 248
10. Zusammenfassung
249
Übergreifende
251
Untersuchungen zu Prov 1-9
1. Zur Komposition von Prov 1-9
251
2. Zum „Sitz im Leben" von Prov 1-9
260
3. Zur Datierung von Prov 1-9 268 a) Das formgeschichtliche Argument 268 b) Das sprachhistorische Argument: Aramaismen und Graezismen 269 c) Die Proverbien-Septuaginta 270 d) Bezüge zu anderen alttestamentlichen Texten 270 a) Die „Mischehen"-Problematik 271 ß) Die Abgabe des Zehnten 271
X
Inhaltsverzeichnis
y) Motivparallelen zu Tritojesaja e) Auswertung VII. Zusammenfassung
der Ergebnisse der Textuntersuchungen
C. Zur Theologie der Weisheitsgestalt I. Einführung
271 272 272 275 275
1. Vorbemerkungen
275
2. Das Phänomen „Weisheit" in Prov 1-9 a) Weisheit als Klug- und Kundigsein des Menschen b) Weisheit als Klug- und Kundigsein Gottes
277 278 279
3. Die Deutung der Weisheitsgestalt als poetische Personifikation .. 280 II. Die Weisheitsgestalt im Verhältnis zu anderen theologischen Bezugsgrößen Israels
283
1. JHWH und die Weisheitsgestalt 283 a) Das Gottesbild der Proverbien 283 b) Unterschiede zwischen den älteren Proverbien und Prov 1-9 . 284 c) Konsequenzen für die Weisheitsgestalt in Prov 1-9 286 2. Die Weisheitsgestalt als Prophetin
289
3. Die Weisheitsgestalt als Mittlerin
291
4. Die Beziehungen der Weisheitsgestalt zu Weisung und Geboten.. 294 5. Der König, der Messias und die Weisheitsgestalt III. Die Funktion der Weisheitsgestalt auf dem Hintergrund der Persönlichen Frömmigkeit
IV
300
303
1. Weisheit, König und Persönliche Frömmigkeit
303
2. Die theologische Funktion der Weisheitsgestalt in Prov 1-9
307
Die Ergebnisse im Kontext der Forschung
311
1. Die Einordnung der Weisheitsgestalt in die Entwicklung des JHWH-Glaubens 311 a) Die Weisheitsgestalt neben JHWH 312 b) Die Weisheitsgestalt und der nachexilische Monotheismus . . . 315 2. Feministisch-theologische Auslegung der Weisheitsgestalt
316
Literaturverzeichnis
327
Bibelstellenregister
367
Sachregister
372
Abkürzungen Hier werden nur die bei SCHWERTNER 1 9 9 2 (s. u. S. 327) nicht aufgeführten Abkürzungen genannt. AO/ao aramAch Bar ehr GK 28
HAL
Alter Orient/altorientalisch. aramäisches Achiqarbuch. Baruchbuch. chronistisch. KAUTZSCH, Emil, Wilhelm GESENIUS hebräische Grammatik. 28. Auflage, Leipzig 1909, völlig umgearbeitet von Emil KAUTZSCH, Nachdruck Hildesheim 1962. KÖHLER, L u d w i g / BAUMGARTNER, W a l t e r , H e b r ä i s c h e s u n d
sches Lexikon zum Alten Testament, Leiden 31968—1990.
Aramäi-
KTU
DIETRICH, M a n f r i e d / L o R E T Z , Oswald/SANMARTFN, J., D i e K e i l a l p h a b e -
*
tischen Texte aus Ugarit. Einschließlich der keilalphabetischen Texte außerhalb Ugarits, Teil 1: Transkription, AOAT 24, Kevelaer/Neukirchen-Vluyn 1976. im Alten Testament nicht belegte Wortform.
A. Zur Forschung über die Weisheitsgestalt in Prov 1-9 I.
Vorbemerkungen1
1. Zur Auswahl der Ansätze und zur Darstellung Der Abriß der Forschungsgeschichte beschränkt sich zeitlich auf das 20. Jh. 2 Es werden nur ausgewählte Forschungsansätze zur Weisheitsgestalt in Prov 1 9 3 vorgestellt. Die Auswahl erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Die Darstellung der Forschungsgeschichte nimmt in dieser Arbeit einen breiten Raum ein, weil einerseits eine solche zur Weisheitsgestalt bisher nicht vorliegt und andererseits eine Sichtung des bisherigen Forschungshorizontes, seiner Schwerpunkte und Leerstellen vor der exegetischen Arbeit sinnvoll erscheint. Die hier vorgestellten Untersuchungen sollen zunächst vor allem immanent kritisiert werden. Begründete Zustimmung oder Widerspruch werden erst nach der Textexegese möglich sein. Die Ansätze sind innerhalb einer nach den bisherigen Deutungskategorien unterteilten Systematik chronologisch angeordnet. Am Schluß der Abschnitte sowie des gesamten Teils wird jeweils eine Auswertung der bisherigen Forschungslage geboten. Da die Forschung zur Weisheitsgestalt nur ein eingegrenztes Gebiet behandelt, das von größeren Forschungstrends stets beeinflußt wird, soll zu1 Vorab einige eher formale Hinweise zum folgenden: Bei Zitaten werden S p e r r u n g e n , Kursivdruck etc. jeweils übernommen und nur vom Original abweichende Zitationen vermerkt. Längere Zitate werden eingerückt und in Petitdruck gesetzt, ebenso Aufzählungen. Hervorhebungen und Autorinnen- bzw. Autorennamen sind kursiv gestellt. Bei der Schreibung der Autorinnen und Autoren wird ß zu ss. Die Nennung des Vornamens kennzeichnet die erste oder eine wichtige Erwähnung einer bzw. eines Forschenden. Wenn nicht anders vermerkt, bezeichnet „die Weisheit" die Weisheitsgestalt. Wenn von „Gott" oder „JHWH" als Maskulinum die Rede ist, so ist dies nur im grammatischen Sinn gemeint und dient lediglich der Vereinfachung der Sprache. Eine Aussage über das „Wesen" JHWHs/Gottes ist damit nicht verbunden. 2 Ältere Ansätze sind z.B. bei LANG 1972, 11-19 besprochen. 3 Wenn andere Texte, z. B. Hi 28 oder Sir 24, der jeweiligen Untersuchung zugrunde liegen, wird dies vermerkt.
2
Zur
Forschungsgeschichte
nächst als grobe Orientierung innerhalb der weiteren „Forschungslandschaft" ein Einblick in die Linien der alttestamentlichen Weisheitsforschung des 20. Jh. gegeben werden. 4
2. Die wichtigsten Linien der alttestamentlichen Weisheitsforschung
im 20. Jh.
Alttestamentliche Weisheit wird vor Gunkel und dem verstärkten Interesse an altorientalischen Parallelen dem Bereich der philosophischen Frömmigkeit 5 oder der Ethik 6 zugeordnet. Paralleltexte werden vorwiegend im hellenistischen Raum gesucht. 7 Eine erste eigenständige Untersuchung der alttestamentlichen Weisheit liegt durch J. Meinhold im Jahr 1908 vor. Bereits vor der Entdeckung altorientalischer Parallelen zur israelitischen Weisheit stellt Gunkel (1906, 1909) fest, daß weisho ; i liehe Redeformen nicht aus anderen alttestamentlichen Redeformen abzuleiten sind. Als Konsequenz nimmt Gunkel für die weisheitlichen Texte einen eigenständigen „Sitz im Leben" mit einem eigenen Trägerkreis an. Des weiteren vermutet Gunkel die Abhängigkeit des israelitischen vom altorientalischen weisheitlichen Denken. Er sieht dieses weisheitliche Denken als internationales Phänomen an. Einen wichtigen Einschnitt in der Erforschung der religionsgeschichtlichen Parallelen der Weisheitsliteratur markiert Ermans „Die Literatur der Ägypter" (1923) sowie seine Beobachtung der engen Verwandtschaft zwischen Teilen der ägyptischen Weisheit des Amenemope und Prov 22,1724,22, die von ihm und späteren Exegetinnen und Exegeten als literarische Abhängigkeit des alttestamentlichen vom ägyptischen Text gedeutet wird. 8 Von dieser Entdeckung eines altorientalischen Paralleltextes zu einem weisheitlichen Text des Alten Testaments gehen für die weitere Forschung Impulse in mehrere Richtungen aus. 4 Dies geschieht in Zusammenfassung und Auswertung der Forschungsüberblicke von BAUMGARTNER (1933a; 1933b; 1951), TOOMBS (1955), MURPHY (1965b; 1967), GERSTENBERGER (1969), SCOTT (1970), LANG (1972, 19-26), CLEMENTS (1976), REVENTLOW (1982, 183-202), KRAUS (1982, 4 7 7 ^ 8 2 ) sowie SCHMIDT (1983, 2 7 - 3 1 ) und DELKURT (1991). Einen sehr komprimierten Überblick bietet STEIERT (1990, lf.). Für die Problematik einer theologischen Auswertung israelitischen Weisheitsdenkens sei auf Abschnitt C . I . l . der vorliegenden Arbeit verwiesen. 5 Z. B. bei BRUCH, der die israelitische Weisheit als „Religions-Philosophie" bezeich-
n e t ( 1 8 5 1 , 6 0 . 3 8 0 ) , o d e r b e i SCHULTZ 1 8 9 6 , 3 7 2 f . 6 MARTI 1907; Weisheit erscheint hier als eine v o m Utilitaritätsprinzip geprägte, verunreinigte Ethik; aaO. 260f. 7 Exemplarisch bei BRUCH 1851, 152ff. für die Proverbien und 229ff. für Hiob. D i e Parallele zu Hesiods „Werke und Tage" zieht in bezug auf Prov 1 - 9 schon HÖLDERLIN 1790. 8 D a z u vgl. LANG 1972, 23 A n m . 46.
Vorbemerkungen
3
Zum einen wird die Suche nach weiteren altorientalischen Kulturen und Religionen, die die alttestamentliche Weisheit beeinflußt haben könnten, intensiviert. Außer den Verbindungen zwischen Israel und Ägypten 9 werden - auch durch zahlreiche neue archäologische Funde - Vergleiche zu Edom, 10 Sumer,11 Syrien-Kanaan 12 und Babylon/Assur 13 möglich. Zum anderen wird durch die Entdeckung der altorientalischen Parallelen die Bestimmung des ohnehin ungeklärten Verhältnisses der Weisheitsschriften und des weisheitlichen Denkens zum außerweisheitlichen Alten Testament notwendig. Im Hinblick auf die theologische Einordnung des weisheitlichen Denkens werden nun verstärkt Vorbehalte gegenüber der Zugehörigkeit der Weisheit zum restlichen Alten Testament laut. 14 Die Forschenden betonen die Gemeinsamkeiten zwischen der israelitischen Weisheit und dem Alten Orient sowie die Unterschiede zwischen alttestamentlicher Weisheit und dem außerweisheitlichen Alten Testament. In der Folgezeit wird der Prozeß der Einordnung der altorientalischen Weisheit in die israelitische Religion in der Forschung thematisiert. 15 Darüber hinaus wird nach einem der ägyptischen Schreiberschule oder der babylonischen „Edubba" analogen „Sitz im Leben" der Weisheitsliteratur in Israel gesucht. Trotz fehlender alttestamentlicher Belege nimmt eine Reihe von Forschenden die Existenz einer Beamtenschule am Königshof an, der dann auch die ersten israelitischen Weisheitssprüche entstammen sollen.16 Daneben wird die Entstehung der israelitischen Weisheit aus Volkssprichworten,17 aus einem Gruppen- 18 oder Sippenethos 19 sowie aus der familiären Unterweisung 20 vermutet.
9
S o i n d e r F o l g e z e i t a u c h GRESSMANN 1 9 2 4 . 1 9 2 5 ; OESTERLEY 1 9 2 7 ; CAUSSE 1 9 2 9 ;
HUMBERT 1929; ägyptische Onomastika vergleicht im Anschluß an GARDINER (1947) nun ALT 1951, 141-144. In der neuesten Forschung hat SHUPAK 1993 die begrifflichen Entsprechungen zwischen den ägyptischen und israelitischen Weisheitstexten herausgearbeitet. 10 11 12 13 14
15
PFEIFFER 1 9 2 6 . EBELING 1 9 2 8 / 2 9 ; VAN DIJK 1 9 5 3 ; E . GORDON 1 9 5 9 ( n a c h KRAUS 1 9 8 2 , 4 7 9 ) . G . BOSTRÖM 1 9 3 5 . BAUMGARTNER 1 9 5 1 , 2 1 0 f . ; LAMBERT 1 9 6 0 . Z . B . b e i ZIMMERLI 1 9 3 3 .
Paradigmatisch hierfür steht FICHTNER 1933 mit seiner These von der Nationalisierung und Jahwesierung der ao Weisheit im Laufe der Adaption durch Israel. 16 Diese These findet sich schon bei GUNKEL 1909. Weitere Vertreter sind z.B. G. BOSTRÖM 1935, 46; HERMISSON 1968, 97-136; LANG 1975,11 sowie 1986b, 7-12. 17 So v.a. bei WESTERMANN 1971; 1990,10 und 1991, 42f. sowie bei dessen Schüler GOLKA 1983.1986.1989. 18
RICHTER 1966, 9 6 u . ö .
19
GERSTENBERGER 1966, z. B. 1 lOff.
20
AUDET 1 9 6 0 ; LANG 1 9 7 2 , 4 1 ff.
4
Zur
Forschungsgeschichte
Ein Bereich, in dem die Auswirkungen der Entdeckung altorientalischer Parallelen erst später zutage treten, ist die Erforschung der hinter den weisheitlichen Lehren stehenden Lebensauffassung, die als synthetische Lebensauffassung,21 schicksalwirkende Tatsphäre22 u.a.m. bezeichnet wird. Gese stellt gegenüber Fahlgren und Koch den vom Jahwismus in Israel besonders ausgeformten Tun-Ergehen-Zusammenhang heraus.23 Eine gemeinaltorientalische Lebensauffassung postuliert Schmid.24 Sie besteht seiner Meinung nach in einem Weltordnungsdenken, das sich strukturell im gesamten Alten Orient ähnelt, aber mit jeweils unterschiedlichen geschichtlichen Erfahrungen gefüllt wird. Erst von Rad25 unternimmt den Versuch, die Weisheitsschriften in Israel innerhalb ihres eigenen Denkhorizontes theologisch auszulegen. Wie aus dieser groben Übersicht hervorgeht, sind die religionsgeschichtlichen Parallelen der israelitischen Weisheit zum Alten Orient recht gut erschlossen.26 Es besteht aber ein erheblicher Bedarf, eine Theologie dieser Weisheit für sich genommen sowie im Kontext des Alten Testaments auszuarbeiten. Inwieweit sich die dargestellten Schwerpunkte der Forschung bei den Untersuchungen zur Weisheitsgestalt widerspiegeln, wird am Ende dieses Kapitels zu resümieren sein. II. Die Deutungskategorien
der
Weisheitsgestalt
1. Die Weisheitsgestalt als Hypostase
JHWHs
a) Der Begriff der Hypostase Die Beantwortung der Frage, ob die HÖDn in Prov 1-9 als Hypostase zu verstehen ist, „hängt davon ab, wie man Hypostase definiert". 27 In RGG 2 II findet sich im Jahr 1928 eine vielzitierte Begriffsbestimmung von Mowinckel,28 die aber nicht von allen Forschenden übernommen 21
FAHLGREN 1 9 3 2 , 50FF.
22
KOCH 1 9 5 5 , 3 0 .
23
GESE 1 9 5 8 , 4 4 .
1966, v.a. 142f.l96.
24
SCHMID
25
VON R A D 1985.
26 Seit der Entdeckung der ao Parallelen gibt es praktisch keine Forschung in bezug auf hellenistische Parallelgestalten mehr. Genaueres in bezug auf diesen Befund s. u. auf S. 24-27. 27 KEEL 1974a, 4 Anm. 10; ähnlich auch PFEIFER 1967, l l f . 28 „Unter dem ursprünglich stoischen Terminus H. [Hypostase] versteht man r e l i g i o n s g e s c h i c h t l i c h eine halb selbständige, halb als Offenbarungsform einer höheren Gottheit betrachtete göttliche Wesenheit, die eine Personifizierung einer Eigenschaft, einer Wirksamkeit, eines Gliedes usw. einer höheren Gottheit darstellt." MOWINCKEL 1928, 2065.
Die Deutungskategorien
der
Weisheitsgestalt
5
wird. Mowinckel selbst deutet die Problematik des Begriffes in seinem Artikel schon an: „Man spricht dabei [bei einer Hypostase] oft von einer Personifikation eines abstrakten Begriffes; nur ist dann zu beachten, daß Name, Eigenschaft usw. einer Person zwar uns, aber nicht der primitiven Denkweise als Abstraktionen erscheinen." 29 Hier verschwimmt der Begriff der Hypostase mit dem der Personifizierung und der Abstraktion. 3 0 Das könnte dazu beigetragen haben, daß in der weiteren Forschung z. T. schärfere Abgrenzungen oder zumindest eigene Begriffsbestimmungen vorgenommen worden sind. Bei den im folgenden vorgestellten Forschungsbeiträgen soll daher die jeweilige Begriffsbestimmung des Terminus Hypostase - soweit vorhanden - genannt werden. Ein weiteres Problem im Umgang mit dem Begriff der Hypostase ist ebenfalls bei Mowinckel angedeutet: 31 Der Begriff entstamme nicht den betrachteten Religionssystemen selbst, sondern sei ein ontologischphilosophischer. 32 Pfeiffer kritisiert, daß die Verwendung von „Hypostase" in der religionsgeschichtlichen Forschung dadurch problematisch wird, daß der Begriff einen (mittlerweile christlich-) philosophischen Denkkontext evoziert, hier aber zur Erfassung anders strukturierter religiöser Sachverhalte der vorchristlichen Zeit verwendet wird. 33 Eine zusätzliche Schwierigkeit ist die Übertragung des Begriffes von einem polytheistischen Kontext auf einen monotheistischen wie den des Alten Israel. Zudem unterscheidet sich, wie Marcus angedeutet hat, die Hypostase in ihrer Bedeutung im Kontext von einfachem oder höherem Monotheismus. 34
29
Ebd. Auch LANG nennt in seinem Artikel zur Hypostase „zwei verschiedene Ausgangspunkte der Begriffsverwendung", die sich insofern unterscheiden, als der erste der jüdisch-christliche Kontext und der zweite der der griechischen Mythologie ist (LANG 1993, 186f.). 30
31
32
MOWINCKEL 1 9 2 8 , 2 0 6 5 .
Dieser Gebrauch findet sich neben dem stoischen (s. o. in der Definition von MOWINCKEL) so nach SCHENCKE 1913, 6 zuerst bei Aristoteles. Eine Differenzierung hinsichtlich der philosophisch-theologischen und der religionswissenschaftlichen Bedeutung des Begriffs nimmt auch RINGGREN 1959, 504 vor. 33 PFEIFFER 1947, 478, dort auch weitere Literatur zum Thema; eine eingehende Kritik daneben bei PFEIFER 1967, 14-17. Auch STECHER kritisiert die „Sonderschöpfung" der „Hypostasen im religionsgeschichtlichen Sinn" von MOWINCKEL (s. O. Anm. 28) und BOUSSET/GRESSMANN 1966, 342 als Zwitter zwischen poetischer Personifikation und vollendeter Hypostasierung, die „im übrigen nur Zeuge der Verlegenheit, Wesen und Wurzel dieses Phänomens angeben zu können", sei; so STECHER 1953, 445. Ganz anders lautet dagegen die Bewertung von DONNER 1957, 9f; dazu vgl. unten S. lOf. 34 MARCUS 1950/51, 165f.
6
Zur
Forschungsgeschichte
b) Darstellung der Forschungspositionen Eine erste Untersuchung der Weisheitsgestalt im hier betrachteten Zeitraum findet sich im Jahr 1909 bei Charles Hesselgrave. Aufgrund ihrer Ähnlichkeit zu personifizierten Ideen im griechischen Raum wird die Weisheitsgestalt in Prov 1-9 von ihm als Hypostase bezeichnet. Er untersucht zunächst Auftreten und Bedeutung des Wortes ¡173311 Danach erläutert er den Hintergrund der Weisheitsliteratur des Alten Testaments und des Alten Orients und schließlich speziell des palästinischen, spätnachexilischen Judentums. Schließlich datiert er Prov 1-9 in die hellenistische Zeit und faßt zu 8,22-31 zusammen: „The importance of this passage for the development of Hebrew thought can hardly be overestimated. Canon Cheyne has said: ,The bold originality of this passage requires no proof. It cuts away at a blow the old mythical conception of the world as the work of God's hands, and an arbitrary omnipotence.' Prof. Kautzsch says ,this Wisdom is no longer a merely poetical personification, but a being which has come forth from God, and works independently by His side, or, more accurately, with him. And indeed we are probably not mistaken if we see in it a hypostatization of the creative ideas, - the passing into self-conscious personality of the system of archetypes, in accordance with which is determined the nature and measure of created things, - as it were, the fundamental principle of the Divine world-order.' The far reaching relations of the thought are thus expressed by Professor H. P. Smith: ,It is not possible to avoid seeing Greek influence here; and that here is the germ of later Gnostic speculation, Jewish and Christian, is equally obvious.' This conception of Wisdom as a true hypostasis is one of the most fruitful in the history of thought, and we may now follow it in outline through many modifications in a long course of development." 35
Die genaue Bedeutung einer „wirklichen Hypostase" erläutert Hesselgrave nicht explizit, umso mehr dagegen die weitere Entwicklung dieser Vorstellung bis in die Zeit der patristischen Dogmenbildung hinein. Hesselgrave kann als einer der wenigen Forschenden gelten, die sich vor der Entdeckung der wichtigen altorientalischen Parallelen zur israelitischen Weisheit 36 mit dem religionsgeschichtlichen Hintergrund der Weisheitsgestalt befaßt haben und daher noch eine Verwurzelung im griechischen bzw. hellenistischen Bereich annehmen konnten. In der weiteren Forschung findet sich kaum eine Aufnahme seiner diesbezüglichen Gedanken. Eine deutlich umfangreichere Untersuchung der Weisheitsgestalt als Hypostase hat Wilhelm Schencke 1913 verfaßt. Er betrachtet die Weisheitsgestalt längsschnittartig in den Texten von Hi 28 bis hin zu Philo und ordnet sie dann in ein komplexes Modell der israelitischen Religions35
36
15f.; dort auch die Belege der von ihm angeführten Zitate. Dazu s. o. auf S. 2-4. HESSELGRAVE 1 9 0 9 ,
Die Deutungskategorien der Weisheitsgestalt
7
geschiehte ein.37 Innerhalb dieses Systems der zunehmenden Transzendentalisierung JHWHs 38 kommt vor allem der Weisheit - als am meisten ausgearbeiteter Hypostase 39 - die Funktion des „Verkehrsmittels" zwischen Gott und der menschlichen Welt zu. 40 Die Weisheitsgestalt in Prov 8,223141 ist eine für sich bestehende Größe, die JHWH bei der Schöpfung als Assistentin behilflich ist; sie ist keinesfalls eine Abstraktion oder eine rein poetische Personifikation. 42 Als Hypostasen bezeichnet Schencke „ganz eigentümliche Größen, die so zu sagen in der Mitte zwischen persönlichen Wesen im eigentlichen Sinne des Wortes und reinen Abstraktionen stehen." 43 Sie zeichneten sich durch selbständige Existenz sowie durch einen engen Zusammenhang mit dem göttlichen Wesen aus. Ihnen werden neugestaltende, schöpferische Akte zugeschrieben.44 Bei der Ausgestaltung der Weisheit als Hypostase nimmt Schencke - aufgrund des Durchscheinens von Zügen der Göttin bei der alttestamentlichen Weisheitsgestalt altorientalischen, insbesondere persischen Einfluß als naheliegend an; aber auch eine rein innerisraelitische Entwicklung scheint ihm möglich. 45 Abschließend ist zu Schenckes Entwurf anzumerken, daß er nicht untersucht, ob die Weisheit eine Hypostase ist, sondern inwieweit und in welchen Texten sie es ist. Eine im Blick auf die Einordnung der Weisheitsgestalt als Hypostase kritische Position vertritt Schencke also nicht. In ähnliche Richtung wie Schencke geht Johann Göttsberger 1919 in seiner Untersuchung „Die göttliche Weisheit als Persönlichkeit im Alten Testament". Er legt Texte von Hiob bis hin zum Neuen Testament zugrunde und verfolgt darin die als bruchloses Kontinuum angesehene Verselbständigung und Ausgestaltung der Weisheit „zu einer von Gott unterschiedenen Persönlichkeit", 46 die schließlich selbst an Gottes Schöpfung beteiligt sei.47 Die Weisheitsgestalt in Prov 1-9 trägt nach Göttsberger Züge einer Demiurgin. 48 Sie ist mehr als ein bloß poetisches Abstraktum, aber doch noch keine Wesensentfaltung Gottes wie Jesus Christus. 49 Der 37 Auf dieses kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit leider nicht näher eingegangen werden! 38
SCHENCKE 1 9 1 3 , 9 1 f .
39
AaO. 7. 40 AaO. 27. 41 Nach SCHENCKE ist in Prov 1 - 9 nur dort die göttliche Weisheit zu finden; ansonsten ist von der personalisierten menschlichen Weisheit, der Weltklugheit usw., die. Rede; aaO. 25. 42 AaO. 23f. 43 AaO. 6. 44 AaO. 6f. 45 AaO. 92. 46
GÖTTSBERGER 1 9 1 9 , 4 .
47
Ebd. AaO. 22. AaO. 28f.
48 49
8
Zur Forschungsgeschichte
Begriff der Hypostase für die Weisheit in Prov 1-9 fällt in dieser Untersuchung noch nicht, aber Ansätze zur Hypostasierung werden von Göttsberger konzediert. Wird ihre gesamte Entwicklung in den Blick genommen, so sei die Weisheitsgestalt ein Mittelwesen zwischen Gott und der Welt, eine Persönlichkeit und Hypostase. 50 Die Begriffe „Persönlichkeit" und „Hypostase" werden dabei nicht näher bestimmt. Altorientalische Einflüsse sind Göttsberger zufolge insbesondere im Hinblick auf das Anregen des israelitischen „Hypostasierungstriebes" 51 anzunehmen. In der gleichen Reihe wie das Werk von Göttsberger, in den „Biblischen Zeitfragen", erscheinen in den Jahren 1921 und 1923 zwei kurze Abhandlungen von Paul Heinisch, die sich auch 5 2 bzw. schwerpunktmäßig 53 mit dem religionsgeschichtlichen Hintergrund der Weisheitsgestalt des Alten Testaments befassen. Der Grund für Hypostasierungen im Alten Orient überhaupt sieht Heinisch in einer „dem Morgenländer in besonderer Weise innewohnenden Neigung, in bilderreicher Sprache Eigenschaften zu verselbständigen". 54 Nach zusammenfassender Betrachtung „der" persönlichen Weisheit im Alten Testament, 55 in der sie als Mittlerin und Erlöserin qualifiziert wird, 56 schließt Heinisch eine ausführliche Untersuchung der als Vorbildgestalten in Frage kommenden altorientalischen Göttinnen und Götter an. 5 7 Er kommt zu dem Schluß, „daß in Israel die göttliche Weisheit ganz selbständig, ohne äußeren Einfluß, von einer Eigenschaft Jahves zur Hypostase entwickelt worden ist auf Grund des Dranges, in poetischer Sprache göttliche Attribute wie Personen zu zeichnen, wobei die übernatürliche Fügung nicht gefehlt hat." 5 8 Als Hypostasen werden dabei Gestalten angesehen, „welche zwischen vollständig selbständigen Personen und bloßen Eigenschaften in der Mitte schweben, ... [und die] mit Realität und göttlicher Macht ausgestattet sind". 59 Mit dem Begriff der Hypostase kann Heinisch die eindeutige Unterordnung der personifizierten Weisheit unter J H W H herausstellen und eine polytheistische Gefährdung des Monotheismus durch sie ausschließen. Der jahwistische Monotheismus werde durch die Weisheitsgestalt sogar vertieft. 60 Heinisch zufolge ist hier die göttliche Vorsehung am Werk. 50 51 52 53
54
AaO. 60. AaO. 74. HEINISCH 1921. HEINISCH 1923.
AaO. 5. HEINISCH 1923, 5-9; die Weisheitsgestalt wird hier nach Aspekten systematisiert und nicht nach Quellentexten differenziert betrachtet. 56 AaO. 8. 57 AaO. 9-36. 58 AaO. 60. 55
59 60
HEINISCH 1921, 18. HEINISCH 1923, 62.
Die Deutungskategorien
der
Weisheitsgestalt
9
Diese dogmatisierende Auslegung der Weisheitsgestalt wird in der Folgezeit häufig rezipiert. Von der Begriffsbestimmung her betrachtet ist auch der Deutungsansatz des französischen Exegeten André Robert an dieser Stelle einzuordnen. 61 Robert untersucht nicht dezidiert die Weisheitsgestalt, sondern die inneralttestamentlichen literarischen, theologischen und historischen Parallelen bzw. Vorbilder von Prov 1-9 mit Hilfe der sog. „anthologischen Methode". 6 2 Im Rahmen seiner Arbeit ordnet er die Weisheitsgestalt als Hypostase ein, 63 ohne allerdings den Begriff zu bestimmen. Aus dem Kontext geht jedoch hervor, daß der Begriff die Bevollmächtigung der Weisheitsgestalt durch Gott sowie die Korrespondenz der Weisheitsgestalt zur Konzeption des Messias impliziert. 64 Eine erste Problematisierung des Hypostasenbegriffs bei seiner Anwendung auf die Weisheitsgestalt findet sich bei Oliver S. Rankin im Jahr 1936 in einem umfangreichen Werk zur israelitischen Weisheitsliteratur: „Both the words hypostasis and personification have difficulties of definition attached to them when they are applied to the Word, the Spirit, and Wisdom, but it is sufficiently evident in the literature concerned that Wisdom is regarded as a Being dependent on God but in some sense separate from Him." 6 5 Das Phänomen der personifizierten Weisheit ist nach Rankin nicht lediglich poetischen Ursprungs. Im Fortgang seiner Untersuchung wird die Weisheitsgestalt als Personifikation und als „divine Intermediary" bezeichnet, in der der jüdische Glaube nach seinen eigenen Notwendigkeiten Elemente anderer altorientalischer Gottheiten assimilierte, 66 hier insbesondere der persischen Figur der Asha vahishta. 67 Rankin findet zwar auf diese Weise keine eindeutige Zuordnung der Weisheitsgestalt zu Kategorien wie der der Hypostase, aber er öffnet gerade durch die Beschreibung ihrer Funktion und ihrer religionsgeschichtlichen Parallelgestalten unter Umgehung einer Kategorisierung der späteren Forschung neue Wege. In entgegengesetzter Weise, also durch die Zuordnung zu einer Kategorie, hat Helmer Ringgrens „Word and Wisdom. Studies in the Hypostatiza61
ROBERT 1 9 3 4 u n d
1935.
1934, 45; zur anthologischen Methode ausführlicher bei ROBERT 1935, 347 sowie unten auf S. 58f. 63 ROBERT 1935, 523f. 64 „Cette manière d'envisager l'ère messianique appelle une conception correspondante de la personne du Messie ... Sous l'influence de la lumière d'En-Haut, il [der Autor von Prov 1-9] tire de là une idée synthétique qui deviendra la clef de voûte de sa doctrine: elle consiste à camper en hypostase la notion de sagesse, si commune et si fondamentale dans les écrits didactiques, et à prononcer que la dignité messianique convient, par nature, à cette personne divine." AaO. 523. 62
ROBERT
65
RANKIN 1936, 2 2 4 .
66
AaO. 254. AaO. 250.
67
10
Zur
Forschungsgeschichte
tion of Divine Qualities and Functions in the Ancient Near East" aus dem Jahre 1947 die Forschung geprägt. Ringgren bettet die Herausbildung der alttestamentlichen Hypostasen "IDT und Höpn in ein religionsgeschichtliches Entwicklungsmodell ein. Demzufolge schreiten Religionen von Stadien des anfänglichen, primitiven Monotheismus durch die Hypostasierung göttlicher Eigenschaften und Funktionen zum Polytheismus fort. 68 Dies versucht Ringgren im Alten Orient wie auch im Alten Testament nachzuweisen. Die Weisheitsgestalt findet im Entwicklungsmodell ihren Ort als Hypostase. Für Prov 1 9 69 bildet insbesondere 8,22-31 mit der Weisheit als erstem Werk Gottes, als Assistentin bei der Schöpfung die Grundlage einer solchen Einschätzung. 70 „In any case it is obvious that Wisdom is here not an abstraction or a purely personification but a concrete being, self-existent beside God. ... Wisdom ... is thus an independent being but originally nothing but a quality of God manifested in his creation. In other words, Wisdom is a hypostasis."71 Der Begriff der Hypostase wird bei Ringgren72 als „a quasi-personification of certain attributes proper to God, occupying an intermediate position between personalities and abstract beings" 73 bestimmt, wobei er einschränkt, daß das Ergebnis der Personifizierung auch ein anderes als eine Hypostase sein kann. 74 Die Hypostasierung der Weisheitsgestalt im Alten Testament muß nach Ringgren nicht unbedingt auf altorientalische Vorbilder75 zurückzuführen sein. Vielmehr vollziehe sich der Vorgang der Hypostasierung gleichermaßen im Alten Orient wie im Alten Testament. 76 Die erste detaillierte Studie der religionsgeschichtlichen Ursprünge von Prov. 8[,22-31] hat Herbert Donner 1957 vorgelegt. Er verwendet den Hypostasenbegriff in dessen Grundbedeutung als „selbständige, gestaltgewordene Wesenheit"77 und fragt nach „den Voraussetzungen und auslö68 RINGGREN 1947, 7f.; dazu sein Rezensent PFEIFFER 1947, 477: „Why did the author have to arouse the irritation of most readers at the Start with such foolishness?" 69 Von RINGGREN 1947 werden auch andere Texte zur Weisheitsgestalt herangezogen. 70 AaO. 99. 71 AaO. 104. 72 Unter anderem im Anschluß an MOWINCKEL, 1928, 2065 sowie OESTERLEY/BOX
1911, 169. 73
RINGGREN 1947, 8; dort wird OESTERLEY/BOX 1911, 169 zitiert.
74
RINGGREN 1 9 4 7 , 8.
75 Dies, obwohl es seiner Meinung nach phänomenologische Parallelen zwischen der Weisheitsgestalt und der mesopotamischen Ischtar gibt; aaO. 131. 76 AaO. 132f. In seinem Sprüchekommentar trifft RINGGREN keine präzisere Einordnung der Weisheitsgestalt von Prov 8,22-31: „Im Grunde will diese mythologisch gefärbte Darstellung mit ihrer Personifizierung oder Hypostasierung der Weisheit nichts anderes sein als eine Veranschaulichung des schon 3,19 ausgesprochenen Satzes: ,Durch Weisheit hat Jahwe die Welt geschaffen'." RINGGREN in: RINGGREN/ZIMMERLI 1980, 41. 77 DONNER 1957, 10. Die Problematik der Begriffsverwendung soll hier nicht erneut diskutiert werden. Anzumerken sei zu DONNERS Ausführungen nur, daß er die Adäquat-
Die Deutungskategorien
der
Weisheitsgestalt
11
senden Faktoren des Hypostasierungsprozesses in Prov. Sal. 8". 78 Wie im Alten Orient, so gab es auch im nachexilischen Israel eine Tendenz zur Hypostasierung. Als hervorragende altorientalische Vorbildkultur in bezug auf die Hypostasierung wird das Alte Ägypten mit seiner Ma'atgestalt angesehen: „Die Maat ist in demselben Sinne Zentralbegriff, Ziel und Richtschnur der ägyptischen Weisheitslehre wie die Chokmah im Räume der israelitisch-aramäischen Weisheitsliteratur." 79 Donner findet ein Bindeglied in der Überlieferungskette zwischen Ma c at und HQDn in Teilen des in Elephantine verfaßten aramäischen Achiqarbuches (aramAch). 80 Die Parallele zwischen der Weisheit in aramAch und Prov 8,22-31 liegt im Bereich ihrer Funktion und ihres kosmischen Ursprungs. 81 Obwohl Donners These durch das Auffinden eines religionsgeschichtlichen „Bindegliedes" besticht, ist sie doch in der nachfolgenden Forschung eher skeptisch aufgenommen worden. Vor allem Lang&2 kritisiert Donners Einordnung der Weisheit im aramAch; auch sieht er die Ursprünge des Textes nicht in Ägypten, sondern in Mesopotamien, womit er als Bindeglied zwischen der ägyptischen Ma'at und der Weisheit in Prov 1-9 nicht mehr in Frage kommt. 8 3 Darüber hinaus ist die Datierung und die Rekonstruktion des stark beschädigten Textes 84 sehr fraglich. Nach Donner ist die Deutung der Weisheitsgestalt als Hypostase in der Forschung nur noch vereinzelt anzutreffen. Gerhard Pfeifer (1967) sieht die Weisheit in Prov 8,22-31 - die in seiner Untersuchung als eine unter zahlreichen jüdischen Hypostasen erscheint - als eine „ursprünglich von Jahwe unabhängige weibliche Gestalt [an], eine jugendliche Göttin, die er heit des Begriffs Hypostase für Prov 8 mit dem strikten israelitischen Monotheismus begründet, der eine über eine Hypostase hinausgehende Entwicklung der Weisheitsgestalt nicht zugelassen hätte. Hier wird die enge Verbindung der Einordnung der Weisheitsgestalt zu den Prämissen über die Entwicklung der israelitischen Religion, auf die später noch einzugehen ist, deutlich. 78 Ebd. 79 AaO. 17; dem widerspricht allerdings SCHMID 1968, 61: „Der ägyptische Begriff maat umfaßt die gleichen Sachbereiche wie die hebräische Wortwurzel ¡?7X." 80 DONNER 1958, 12-14. Er datiert den Text ins 5. Jh. v. Chr. (aaO. 12). Der Text ist schon 1919/20 von ALBRIGHT als Reflexion des Ischtar-Mythos [!] und als Bindeglied zwischen diesem und der Weisheitsgestalt in Prov 1-9 angesehen worden (ALBRIGHT 1919/20, 285f.). 81 DONNER 1957, 14.18. 82 LANG 1975, 149-152; aber z.B. auch trotz insgesamt positiven Einschätzung KAYATZ 1 9 6 6 , 1 0 - 1 2 .
83 Einen guten Überblick über die Probleme im Zusammenhang mit dem aramAch sowie Lösungsvorschläge gibt KÜCHLER 1979, 325-332. 84 CAMP 1985, 293 Anm. 1: „It should also be noted that the word ,wisdom' has been supplied to this defective text, based on its presence in preceding material. This material, is, however, scribally separated [d. h., es befindet sich auf einem anderen Papyrusblatt] from the verse in question." Anders lautet dagegen die Einschätzung von KÜCHLER 1979, 46 und 3 8 8 .
12
Zur
Forschungsgeschichte
sich zur Geliebten nahm ... Dieser mythologische Ursprung ist natürlich vergessen ... So ist die Weisheit Jahwe als Hypostase zugeordnet."85 Als Hypostase bezeichnet, ist die Weisheit „eine Größe, die teilhat am Wesen einer Gottheit, die durch sie handelnd in die Welt eingreift, ohne daß sich ihr Wesen im Wirken dieser Hypostase erschöpft." 86 Hervorzuheben an dieser Untersuchung ist die fundierte Diskussion über den Hypostasenbegriff, der - obwohl von Pfeifer als inadäquat bezeichnet - doch als wissenschaftlich eingeführter Terminus umdefiniert und weiterverwendet wird. c) Auswertung In der Forschung wird nach Pfeifer in detaillierteren Untersuchungen kaum noch auf die Weisheitsgestalt als Hypostase rekurriert.87 Mit Winter kann sogar sehr allgemein konstatiert werden, daß der Begriff der Hypostase, „sofern er nicht sehr weit gefaßt wird, für das Verständnis der alttestamentlichen Texte eher für hinderlich als förderlich" gehalten wird.88 Zusammenfassend läßt sich zur Einordnung der Weisheitsgestalt als Hypostase feststellen, daß in den genannten Untersuchungen die jeweilige Füllung des Begriffs Hypostase zwischen den Aspekten der Funktion, 89 der Entstehung 90 und des Wesens91 variiert, wobei jeweils andere Schwerpunkte gesetzt werden. 92 85
PFEIFER 1 9 6 7 , 27f.
86
S o PFEIFERS H y p o s t a s e n d e f i n i t i o n , a a O . 15.
87
Eine Ausnahme bildet z. B. BAUER-KAY ATZ 1969, 70f., die trotz der Einordnung der Weisheitsgestalt als Hypostase die Ü b e r n a h m e von Zügen früherer oder verwandter Götter und Göttinnen annimmt; weiterhin wird der Begriff auch von KEEL 1974, 5 A n m . 10 verwendet, der allerdings die Weisheit in Prov 8,22-31 gleichermaßen als Hypostase, als mythologische Gestalt und als Personifikation bezeichnet und durch diese parallele Verwendung der Kategorien ihre Bedeutung relativiert. 88
89
WINTER 1 9 8 7 , 5 1 0 .
So ist die Weisheitsgestalt bei SCHENCKE 1913, 25ff. „Verkehrsmittel" und Schöpfungsassistentin; GÖTTSBERGER 1919, 22 konstatiert Züge einer Demiurgin; nach HEINISCH 1923, 8, ist sie Mittlerin und Erlöserin; RANKIN 1936, 254 bezeichnet sie als „divine Intermediary" und schließlich RINGGREN 1947, 99 als Schöpfungsassistentin. 90 Dies findet sich bei HESSELGRAVE 1909, 15f. Bei RINGGREN 1947, 104, ist die Weisheitsgestalt „originally nothing but a quality of G o d " ; nach DONNER 1957, 10 ist sie eine „selbständige, %t$Xa\tgewordene Wesenheit" (Hervorhebung G. B.). 91 Dies z.B. bei SCHENCKE 1913, 6, der die Weisheitsgestalt in der Mitte zwischen persönlichem Wesen und reiner Abstraktion ansiedelt; GÖTTSBERGER 1919, 4 sieht in ihr ein Mittelwesen zwischen Gott und Welt und eine von G o t t verschiedene Persönlichkeit; HEINISCH 1921, 18 trifft ebenfalls eine Wesensbestimmung; ROBERT 1935, 532 betrachtet sie als göttliches Wesen in großer N ä h e zur Konzeption des Messias und RINGGREN 1947, 104 sieht die Weisheitsgestalt als „independent being" in einer „intermediate Position between personalities and abstract beings" an. 92 Dies weist nochmals auf die eingeschränkte Verwendbarkeit des Begriffs Hypostase hin!
Die Deutungskategorien
der
13
Weisheitsgestalt
Als Ergebnis läßt sich festhalten, daß in weitgehender Übereinstimmung der Forschenden die hypostasierte Weisheitsgestalt - hinsichtlich ihrer Funktion als Mittlerin zwischen Gott und Menschen angesehen wird; 93 - hinsichtlich ihrer Entstehung als Verselbständigung einer Eigenschaft Gottes oder gewordene Gestalt betrachtet wird und - hinsichtlich ihres Wesens zum einen als Personifizierung oder Persönlichkeit, zum anderen als von Gott unterschiedenes, 94 ihm neben- oder untergeordnetes Wesen bezeichnet wird.
2. Eine Göttin oder ein Mythos als Ursprung der
Weisheitsgestalt
In diesem Abschnitt sollen zunächst (a) diejenigen Forschungsansätze betrachtet werden, die (verschiedene) altorientalische Göttinnen als Vorbilder der Weisheitsgestalt ansehen, wobei zumeist Ähnlichkeiten in bezug auf Eigenschaften oder Funktionen festgestellt werden. Danach werden (b) Forschungspositionen dargestellt, die annehmen, daß der Weisheitsgestalt die (in unterschiedlichem Grad) abgewandelte Mythologie einer altorientalischen Göttin zugrundeliegt. Am Schluß des Abschnitts soll dann in einer Auswertung (c) festgestellt werden, ob sich die beiden Deutungsmuster substantiell voneinander unterscheiden und welchen Ertrag die Forschung auf diesem Gebiet bisher ergeben hat. a) Eine altorientalische Göttin als Vorbild für die Weisheitsgestalt Schon Paul Volz erscheint in seinem vielzitierten Kommentar zur Weisheitsliteratur 95 die alttestamentliche Weisheitsgestalt anhand der Texte Prov 8,22—3196 und 1,20-33 als „ p e r s ö n l i c h e g ö t t l i c h e G e s t a l t , wie eine Gottheit". 9 7 Er nimmt für sie daher einen Ursprung im außerisraelitischen Bereich an. „Die Verehrung der ,Weisheit' als einer göttlichen Gestalt haben die jüdischen Spruchdichter also nicht selbst ersonnen und begründet, sondern von alten Zeiten übernommen und mit anderen Völkern geteilt." 98 Dabei sind nach Volz in Israel noch Spuren der „Mythologie" der Weisheit zu finden. Diese beschränken sich darauf, daß die Weisheitsgestalt im Alten Testament wie Ea in Babylonien, Athene in Griechenland oder Isis im ägyptischen Hellenismus ursprünglich als 93 94 95
96 97 98
Vereinzelt ist sie auch Demiurgin oder Assistentin bei der Schöpfung. Dabei wird sie z. T. auch als göttliche Personifikation angesehen. VOLZ 1 9 1 1 , 107.
AaO. 110. AaO. 144. AaO. 107.
14
Zur
Forschungsgeschichte
„ s e l b s t ä n d i g e G o t t h e i t " im Pantheon vorgestellt wurde." Diese These hat, vielleicht wegen ihrer Offenheit, in der Forschung weitgehend Aufnahme gefunden. William F. Albright behauptet 1919/20 in einer motivgeschichtlichen Arbeit semitische Ursprünge für die Weisheitsgestalt. Angeregt zur Suche nach einem Vorbild für die alttestamentliche Weisheitsgestalt wird Albright durch Gunkeh Bemerkung, die Weisheitsgestalt erscheine in einem zu ausländischen und zu mythologischen Gewand, um noch ein ursprünglich jüdisches Produkt zu sein. 100 Albright untersucht allerdings die Motive innerhalb eines Materials, dessen Herkunft sich über den Alten Orient und den Mittelmeerraum sowie über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahrtausenden erstreckt, ohne die chronologischen und geographischen Abstände zu berücksichtigen. Im Anschluß an die motivgeschichtliche Untersuchung von Texten zur mesopotamischen Weingöttin erkennt er eine Traditionslinie von ihr über die Ischtar zur Weisheitsgestalt in Prov8. 1 0 1 Verbindende Elemente zu den altorientalischen Göttinnen sind dabei die Gaben von Leben, (Lebens-) Früchten und Bäumen in Prov 3,16.18; 8,19. Albrights These ist in der Forschung kritisch aufgenommen worden. Dies ist vor allem wegen der methodischen Schwächen seines Vorgehens und der Auswahl letztlich nur eines Randaspektes der Weisheitsgestalt der Fall. Auch kann er zwar Ähnlichkeiten der alttestamentlichen Weisheitsgestalt mit der Weingöttin plausibel machen, aber kaum eine Beeinflussung ersterer durch letztere. 102 Eine erste umfangreiche Bearbeitung einiger Aspekte der Weisheitsgestalt und der „fremden Frau" in Prov 1-9 hat Gustav Boström 1935 vorgelegt. Er betrachtet die Weisheitsgestalt in Prov 9,1 mit ihren sieben Säulen, in ihrer Gegenüberstellung zur „fremden Frau" in Prov 1-9 und in ihrer Rolle als Braut in der Weisheit Salomos. Allerdings liegt der Schwerpunkt bei G. Boström auf der Untersuchung der „fremden Frau", die er in den Kontext des Kultes einer kanaanäischen Liebesgöttin, und zwar der 'Astarte, einordnet. 103 Demgegenüber steht die Weisheitsgestalt „in starkem Gegensatz zum Kulte der Liebesgöttin", 104 wobei sie aber gleichzeitig als innerisraelitische Konkurrenz zur Liebesgöttin dieser ähnelt. 105 G. Boström kann daher zu der Schlußfolgerung gelangen, daß „die Weisheit da 99 100
AaO. 106. Nach ALBRIGHT 1919/20, 285; dazu vgl. GUNKEL 1964, 33-35.
101
ALBRIGHT 1 9 1 9 / 2 0 , 285f.
102
Eine neuerliche Darstellung von ALBRIGHT mit Kritik findet sich bei CAMP 1985,
23-25. 103
G . BOSTRÖM 1935, 1 3 4 - 1 4 5 .
104
AaO. 159. AaO. 170-174.
105
Die Deutungskategorien
der
Weisheitsgestalt
15
[in Prov 1-9] als Kompensation für die verlorene Astarte dient."I06 Verloren ist 'Astarte nach G. Boström deshalb, weil sie - die ursprünglich J H W H s weibliche Genossin, das göttliche Weib, war - vom exklusiven Jahwismus hinausgedrängt wurde. 107 Da ihre weiblichen und mütterlichen Aspekte nicht von J H W H integriert werden konnten, 108 erschien es innerhalb der Entwicklung der israelitischen Religion plausibel, daß „das göttliche Weib sich auf einem Umweg wieder in das Judentum als Weisheit verkleidet hineinschleicht." 109 „Sei es hiermit, wie es will, offenbar ist, dass beim monotheistischen Judentum die Weisheitsgestalt eine verlorengegangene, einheimische oder fremde Göttin hat ersetzen müssen."uo Trotz der vielfältigen Kritik, die G. Boströms Untersuchung erfahren hat, 111 hat sie doch lange Zeit den Tenor der Forschung über die religionsgeschichtlichen Wurzeln der Weisheitsgestalt wie auch der „fremden Frau" bestimmt. Einen anderen Ansatzpunkt als G. Boström wählt Wilfred L. Knox}12 Er geht von der Isis-Aretalogie von Kyme aus, zu deren Ich-Stil er 113 in Prov 8 eine gewichtige Parallele sieht. 114 Da er die alttestamentliche Weisheitsgestalt aufgrund ihres abrupten Auftretens für interpoliert hält 115 und zudem eine sehr frühe Datierung des Isis-Sarapis-Kultes wie auch eine sehr späte von Prov 1-9 zugrundelegt, kann Knox die Weisheitsgestalt in Prov 1-9 als Antwort des orthodoxen nachexilischen Judentums auf den Isiskult des 3. vorchristlichen Jahrhunderts ansehen. 116 Dabei ist - Knox zufolge - von Isis außer der Aretalogie in Prov 1-9 nichts übernommen worden: „... the mythology has been omitted". 1 1 7 Die Position von Knox hat nicht viel Resonanz gefunden; ein Grund hierfür könnte in den schwer vertretbaren Datierungen liegen, auf die die Thesen aufbauen. Eine philologisch ausgerichtete Untersuchung der nordwestsemitischen Parallelen zu den Proverbien findet sich bei Cullen I. K. Story im Jahr 1945. Nach einem Vergleich insbesondere der Weisheit im aramAch 1 1 8 106 107 108 109 110 111 112
AaO. 173. AaO. 172. Ebd. Ebd. AaO. 14. Literatur dazu findet sich bei
CAMP
1985, 293, Anm.4.
KNOX 1937.
113
Dies im Anschluß an DEISSMANN 1909, 94-96, der zwar nicht für Prov 1-9, aber neben anderen LXX-Texten auch für Sirach und Weisheit Salomos Parallelen zur IsisInschrift von los findet. 114
115 116 117 118
KNOX 1937, 230f.
AaO. 232. AaO. 236. AaO. 237. Im Anschluß auch an
ALBRIGHT
1919/20; s.o. S. 14.
16
Zur
Forschungsgeschichte
mit der in den Proverbien kommt er zu dem Schluß, d a ß wegen der Berührungspunkte beider Texte 1 1 9 diesen die gleiche, ältere HockhmethäDichtung zugrunde liegt. 120 Dabei sind allerdings für die Übernahme dieser Dichtung in den Proverbien Einschränkungen zu treffen: „... the Hebrew treatment is free from pagan meaning; Wisdom is personified but Wisdom is not a goddess." 1 2 1 Auch Storys Untersuchung ist in der weiteren Forschung k a u m wieder aufgegriffen worden; es wäre bei dieser These auch anzufragen, welchen Wert eine postulierte literarische Vorlage hat, deren U m f a n g und Inhalt sich nicht annähernd bestimmen lassen. Eine prägnante, wenn auch kurze These zum Ursprung der Weisheitsgestalt in Prov 8 entwirft Hans Friedrich Weiss in seiner umfangreichen Arbeit „zur Kosmologie des hellenistischen und palästinischen Judentums". 1 2 2 Ihm zufolge liegt in der spielenden Weisheit in Prov 8,30f. eine Unterordnung unter J H W H durch die Umdeutung eines polytheistischen Restbestandes vor, „der mit der Vorstellung von der Weisheit als , Schöpfungsmittler' gegeben war". 1 2 3 „Besteht diese Interpretation zurecht, dann hätten wir in Prov 8,30 das Rudiment einer älteren - zweifellos nicht ursprünglich jüdischen - Vorstellung von einer weiblichen Mutter- bzw. Schöpfergottheit vor uns, die das Judentum aufgenommen und nun seinerseits umgestaltet hat, indem jene ,Göttin' Gott untergeordnet wurde und nur mehr als Helferin bei der Weltschöpfung eine Rolle spielte." 124 Eine ähnliche Vorlage postuliert Weiss für die gastgebende Weisheit von Prov 9,1. 125 Leider wird die in den Texten umgedeutete Mutter- oder Schöpfungsgöttin von Weiss nicht näher bestimmt. Trotzdem hat diese These in der Forschung als Novum ihren eigenen Wert, weil erstmalig die religionsge-
119
STORY 1945, 329-331 belegt Parallelen im Bereich der Form der väterlichen Anrede, der moralischen Regeln betreffs der Kindererziehung und der Ermahnung zur Wachsamkeit beim Reden. Weiterhin gibt es enge Berührungen in bezug auf den König, das Geheimnisbewahren, die göttliche Herrschaft sowie weitere Einzelaspekte. 120 AaO. 337; diese Dichtung ist uns leider nicht überliefert und wird von STORY auch nicht rekonstruiert. 121 Ebd. 122
123
WEISS 1 9 6 6 .
AaO. 192. Ebd. 125 „Diese [auf die „sieben Säulen" des Kosmos sich stützende] kosmologische Deutung von Prov 9,1 innerhalb des Judentums spricht nun aber ihrerseits dafür, daß wir in Prov 9,1 den Restbestand einer älteren mythologischen Vorstellung von einer weltschaffenden Muttergöttin o. ä. vor uns haben, der durch die Beziehung auf das Bild vom .Gastmahl' der ,Frau Weisheit' seines ursprünglich mythologischen Charakters entledigt worden ist und nunmehr in der Gegenüberstellung von ,Weisheit' und ,Torheit' als zweier konkurrierender Gastgeberinnen den relativ harmlosen Eindruck eines nur dichterischen Bildes macht." AaO. 195. 124
Die Deutungskategorien
der
Weisheitsgestalt
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schichtliche Vorläuferin der Weisheitsgestalt als Hochgöttin und nicht nur als eine J H W H untergeordnete Figur des Pantheon vorgestellt wird. Die bis heute grundlegende religionsgeschichtliche Vergleichsuntersuchung zur Weisheitsgestalt hat 1966 Christa Kay atz vorgelegt. In ihrer form- und motivgeschichtlichen Analyse von Prov 1,20-33 und 8 im Vergleich mit ägyptischem Material stellt sie Analogien beider Vorstellungskomplexe fest: 126 „Vor allem lassen sich wesentliche Züge der personifizierten Weisheit von der ägyptischen Maatgestalt herleiten: Die Weisheit als vor Jahwe spielender .Liebling', ihre Präexistenz vor der Schöpfung als Ausdruck ihrer Würde und Autorität, die Weisheit als Geliebte, ihre Liebe zu den ihr gehorsamen Menschen, die Weisheit als Leben- und Schutzspenderin, die Weisheit in ihrer Beziehung zum König." 1 2 7 Trotz dieser zahlreichen Übereinstimmungen bewertet Kayatz die Parallelen nicht zu hoch: „Natürlich kann nicht von einer direkten Übernahme des Maatdenkens und der Maatgestalt in das israelitische Weisheitsdenken die Rede sein, sondern die Wesens- und Verhältnisbestimmungen der Weisheit sind das Ergebnis der vollzogenen Assimilation." 1 2 8 Trotz der heute kaum noch vertretenen Frühdatierung von Prov 1-9 1 2 9 nimmt Kayatz' Untersuchung wegen der Differenziertheit ihrer Auswertung 1 3 0 sowie der Fundiertheit ihrer Analyse nach wie vor einen wichtigen Platz in der Forschung ein. 131 Unter Aufnahme auch von Kayatz' Forschungsergebnissen untersucht Urs Winter132 die Weisheitsgestalt. Er erschließt in einem Teil seiner enorm materialreichen Arbeit zum weiblichen Gottesbild im Alten Israel 126 K A Y A T Z geht sogar so weit, zu behaupten, daß „die Reden der Weisheit in Prov. 8 den ägyptischen Götterreden viel näher [stehen] als den alttestamentlichen Gottesreden"; 1966, 92. 127 AaO. 135. 128 AaO. 138. 129 Bei K A Y A T Z ist die Frühdatierung in die Königszeit eng mit ihrer These der Ermöglichung einer Übernahme ägyptischen Materials durch die internationalen Verbindungen des israelitischen Königshofes verknüpft, u.a. aaO. 135. Heutige Auslegerinnen und Ausleger gehen überwiegend von einer Datierung von Prov 1-9 in die nachexilische Zeit aus; exemplarisch vgl. PLÖGER 1984, XVI, sowie A. M E I N H O L D 1991, 26.45. 130 Bis zum Schluß kommen bei KAYATZ 1966, 138f sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede von Weisheitsgestalt und Ma'at zu Wort. Auch nimmt BAUERK A Y A T Z 1969, 89 für die Weisheitsgestalt in Prov 1-9 die Aufnahme von „Vorstellungselemente[n] verschiedener Art und Herkunft" an, was m. E. dem textlichen Befund näher kommt als die Versuche, die Weisheitsgestalt auf eine einzige Konzeption zu reduzieren. 131 So z.B. W I N T E R 1987, 512: „Die Herleitung der Weisheitsgestalt in Spr 8 von der Maat wird in der neueren Forschung seit der eindringlichen Studie von K A Y A T Z kaum mehr radikal in Frage gestellt." 132 Dazu die vorangegangene Anmerkung; W I N T E R S Ergebnis lautet trotz eigener Forschungen schließlich auch, daß die Ma'at „vorläufig von allen außerbiblischen Weiheitsgestalten doch mit Abstand am meisten Vergleichspunkte mit der israelitischen Weisheitsgestalt aufweisen kann." W I N T E R 1987, 513.
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Zur
Forschungsgeschichte
und im Alten Orient neue Aspekte für eine Verwandtschaft der Weisheitsgestalt mit der syrisch-kanaanäischen Göttin. Winter findet für die Weisheitsgestalt als Führungsmacht des Herrschers in Prov 8,15f., 133 für die „Spielende" in Prov 8,22-31 134 und für die Mittlerin in Prov 8 1 3 5 jeweils Parallelen in der Ikonographie der Göttin im syrisch-kanaanäischen Raum. Leider ist Winters Arbeit mit einigen methodischen Problemen behaftet. 136 Auch kann er die genannte syrisch-kanaanäische Göttin 1 3 7 nicht näher identifizieren. Es ist also nicht auszuschließen, daß diese Göttin, deren Spuren sich in der Darstellung der Weisheit noch entdecken lassen 138 nicht nur eine Gestalt ist, sondern eine Mehrzahl von Göttinnen beinhaltet. Wegen dieser Unwägbarkeiten ist Winters Ergebnis nur von relativ geringem Wert. Allerdings kann seine Untersuchung ein Anstoß sein, methodisch besser abgesichert nach Parallelaspekten zwischen der Weisheitsgestalt und Göttinnen des syrisch-kanaanäischen Raumes zu forschen. In eine andere Richtung als Winter gehen die Thesen von Bernhard Lang, der 1975 und 1986 zwei detaillierte Arbeiten zur Weisheitsgestalt in Prov 1-9 vorgelegt hat. Lang deutet die Weisheitsgestalt in enger Verbindung mit einem „schulischen Kontext". Er kommt zunächst (1975) zu der Einschätzung, daß es sich bei „Frau Weisheit" keinesfalls um eine Göttin handelt, sondern um „eine didaktische Hilfskonstruktion, die auf den Schüler Eindruck machen soll". 139 Nachdem Lang sich intensiv mit der Entwicklung des israelitischen Monotheismus befaßt hat, modifiziert er seine Deutung der Weisheitsgestalt (1986). Sie erscheint zwar weiterhin auf der Entwicklungsstufe, in der sie in den Kanon aufgenommen wurde, 133
AaO. 516. AaO. 523. 135 AaO. 527f. 136 Z. B. steht die Göttlichkeit der von WINTER als solche bezeichneten „Göttin" nicht in jedem Fall außer Zweifel, wie GROSS 1984, 219 anmerkt. H. WEIPPERT 1990, 186f. weist darauf hin, daß bei WINTER Materialien miteinander verglichen werden und sich gegenseitig interpretieren, die über große zeitliche und räumliche Abstände hinweg in Verbindung gebracht werden. Auch stehen die - interpretationsbedürftigen - ikonographischen Belege, die in vorexilische Zeit datieren, mit Prov 1-9 einer Schriftquelle der nachexilischen Zeit gegenüber, so daß eine Vergleichsebene zwischen beiden unterschiedlichen Materialkomplexen von WINTER zunächst hergestellt werden muß. Seine Ergebnisse bekommen hierdurch einen hypothetischen Charakter. 137 Im einzelnen spricht WINTER 1987 von „einer mesopotamischen oder syrisch/kanaanäischen Weisheits- und Lebensgöttin" (513), von der syrischen Göttin (516, 523, 527), der Göttin Syrien/Palästinas (528), der Göttin in der „kappadokischen Glyptik" (526) sowie in der „neuassyrischen Bildkunst" (526). 138 AaO. 528f. 139 LANG 1975, 170; diese Einschätzung wird unten im Abschnitt zur poetischen Personifikation (A.II.3.b) noch genauer zu betrachten sein. 134
Die Deutungskategorien
der
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als poetische Personifikation, 140 aber in ihr sind Reste einer „divine patroness of scribal education and training" 141 zu finden. Vergleichbare altorientalische Göttinnen findet Lang in der sumerischen Nisaba und der ägyptischen Seschat. 142 Allerdings weist auch diese innovative These Schwachpunkte auf. Das Vorhandensein einer israelitischen Schule ist wegen fehlender textlicher Belege immer noch umstritten. 143 Auch kann Lang zwar altorientalische Vergleichsgestalten für eine göttliche Schulpatronin beibringen, aber alttestamentlich ist eine solche nicht nachweisbar. Plausibilisieren kann Lang lediglich die Möglichkeit, daß der Weisheitsgestalt eine Göttin zugrundeliegt, indem er den Rahmen für die Vorstellungen vom Göttlichen im nachexilischen Israel erweitert. So betrachtet bleibt Längs These zunächst eine wenig beweisbare, aber doch interessante Bereicherung des Forschungsspektrums zur Weisheitsgestalt. Als vorerst letzte Forschende dieser Richtung ist Silvia Schwer zu nennen. Im Anschluß an die Frage nach einer Göttin als Vorbild für die Weisheitsgestalt rezipiert Schwer die für die metaphorische Deutung der Weisheitsgestalt grundlegende Arbeit von Camp.144 Schwer stellt die innerisraelitischen Möglichkeiten dar, eine göttinnenähnliche weibliche Gestalt positiv zu füllen, 145 indem sie die alttestamentlich vorhandenen Bilder von Frauen als Weise und Ratgeberinnen vor Augen führt 1 4 6 sowie die wichtige Rolle von Frauen für die gewandelte Gesellschaft des nachexilischen Israel unterstreicht. 147 Der Ursprung der Weisheitsgestalt in einer altorientalischen Göttin wird von Schwer über die bisherige Forschung hinaus nicht weiter präzisiert. 148 Durch ihre Verbindung zweier sich bisher ausschließender Forschungsrichtungen - d. h., der Herleitung der Weis140
LANG 1986b, 130. AaO. 129. 142 Ebd. 143 So z. B. WHYBRAY 1974 sowie GOLKA 1983 und 1986; von der Existenz von Schulen in Israel gehen dagegen z.B. LEMAIRE 1981 sowie JAMIESON-DRAKE 1991 aus, die vorwiegend von archäologischem Material her argumentieren. Zu diesem Thema s. auch unten auf S. 261-263. 144 CAMP 1985, bei SCHROER 1990, 45ff. sowie 1991a, insbes. 164ff. 145 SCHROER 1990, 45: „Dafür, dass die Weisheit bestimmte Züge und Rollen von Göttinnen annehmen konnte, brauchte es einen innerisraelitisch vorbereiteten Boden." 146 AaO. 45-54. 147 AaO. 54-57. 148 AaO. 44: „Ich möchte allerdings deutlich festhalten, dass ich die Patenschaft der ägyptischen Maat auch für die ratgebende Weisheit, die in Spr 8 offenbar zugleich als Führungsmacht/Patronin der Herrscher erscheint, nicht in Abrede zu stellen gedenke." Ansonsten schließt sich SCHROER 1986, 210 an die Arbeiten von KEEL (1974a; KEEL verzichtet allerdings ausdrücklich auf eine Vorlagefunktion der von ihm herausgearbeiteten Parallelgestalten - Hathor, Ma'at und „Spiel" für die Weisheit 59f.) und von WINTER 1987 an. 141
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Zur
Forschungsgeschichte
heitsgestalt von einer altorientalischen Göttin und der Deutung als eine poetische Personifikation - hat Schwer die Diskussion um eine angemessene Deutung der Weisheitsgestalt stark vorangebracht. b) Die Weisheitsgestalt als mythologische Gestalt Den Beginn der Suche nach einem - vor allem dem Johannesprolog, aber auch der alttestamentlichen Weisheitsgestalt - zugrundeliegenden Mythos markiert Rudolf Bultmann. Er rekonstruiert einen alten Weisheitsmythos 1 4 9 neben anderen Texten 150 auch aus Prov 1,20-32 und stellt fest: „Der Mythos von der Weisheit ist jetzt mit Deutlichkeit zu erkennen: die präexistente Weisheit, die Genossin Gottes bei der Schöpfung, sucht Wohnung auf Erden unter den Menschen; aber sie sucht vergeblich, ihre Predigt wird abgewiesen. Sie kommt in ihr Eigentum, aber die Ihren nehmen sie nicht auf. So kehrt sie zurück in die himmlische Welt und weilt dort verborgen. Die Menschen suchen sie jetzt wohl, aber niemand vermag sie mehr zu finden; Gott allein kennt den Weg zu ihr." 151 Für die kosmische Rolle dieser präexistenten Weisheit findet sich in Prov 8,22-30 ein wichtiger Beleg. 152 Unklar bleibt bei Bultmann, ob es sich bei diesem Mythos um altes Traditionsgut oder um eine eher philosophisch herzuleitende Spekulation handelt. Beide Bezeichnungen verschwimmen bei Bultmann-, darüber hinaus läßt er auch offen, wie er sich die Verbindung von Traditionen chronologisch und geographisch derart divergierender Texte zu einem Mythos vorstellt. 153 Die gleiche Unschärfe findet sich bezeichnenderweise auch bei der Wiedergabe von Bultmanns Gedanken durch Baumgartner,154 Die Herleitung einer mythologischen Vorlage völlig anderen Ursprungs versucht William F. Albright 1955. Ihm zufolge finden sich in der Sprache von Prov 8f. - neben anderen untersuchten Texten - gehäuft Kanaanismen. Besonders auffällig ist dies in Prov 8,22ff. der Fall. Für den Anfang dieses Textes vermutet Albright eine ugaritische Vorlage. „Verse 22 begins with four words which transparently reflect a Canaanite 'L QNN R'ST DRKTH , . . " 1 5 5 Ein dieser „Reflexion" n a h e k o m m e n d e r Text finde 149 Dies geschieht im Anschluß an die Überlegungen von REITZENSTEIN 1 9 1 9 , 5 3 - 5 5 , der für Motive des nachchristlich verfaßten mandäischen „Buches des Herrn der Größe" eine atl Traditionslinie annimmt, die u. a. auch über Prov 9 und 7,26f. führt. 150 Sir 24,1-11.23f.; Bar 3,9^1,4; Dtn 30,11-14; (evtl. Hi 15,7ff.) Hi 28; äthHen 42,13; 84,3; IV Esr 5,9f.; BULTMANN 1923, 6-10. 151 AaO. 10. 152 AaO. 12; neben Sir 1,1-19; 24,3f.9; Weish 7,22-8,1; 9,1 ff.; Hi 28,25-27 und Prov 3,19; slHen 33,3f. 153
BULTMANN 1 9 2 3 , 1 4 . 1 9 .
154
BAUMGARTNER, 1933a, 286.
155
A L B R I G H T 1 9 5 5 , 7.
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der
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sich im Ba'al-Epos. 156 Auch für Prov 8,24 kann Albright eine Parallele aus dem Ba c al-Epos beibringen: „In verse 24 we have direct allusion to the situation repeatedly presupposed in the Baal Epic ... The biblical verse reflects older Canaanite mythological imagery; El brought forth Wisdom even before he had conquered the primordial dragon (Tehom) and established his home. The creation of the mountains (verse 25) was another favourite subject in Canaanite and Hittite mythologies. Among other Canaanite reminiscences we may mention 'ammdn ,.."157
Unbestritten sei bei einer Einschätzung von Albrights Ergebnissen, daß Motiv- und Stichwortparallelen in diesen Texten vorliegen. 158 Daß dabei die Übernahme einer mythologischen Vorlage einschließlich einer Weisheitsgöttin vorliegt 159 und nicht eine sprachliche Aufnahme aus dem Bereich der Schöpfungsmythologie, wird von Albright nicht überzeugend begründet. Eine Verbindung der Ansätze von Bultmann und Albright liegt bei Ulrich Wilckens vor. 160 Der Neutestamen tier untersucht neben anderem den religionsgeschichtlichen Hintergrund des Sophia-Begriffes 161 und dabei auch die hinter Prov 8,22-31 stehenden Vorstellungen. 162 „Von dieser Perikope hat man den Eindruck, daß hier eine dahinterstehende mythische Vorstellung bis zu Unkenntlichkeit beschnitten und verstümmelt worden ist ... Und ein direkter mythologischer Rest ist in der Aussage V. 24 erhalten geblieben, wo es heißt, daß die Weisheit vor der Erde und dem Meer von Jahwe ,gekreißt' worden sei (TlWin): Kaum verhüllt, steht hier die Vorstellung der Geburt einer Göttin im Hintergrund." 1 6 3 Doch gibt Wilckens gleichzeitig zu, daß sich weitergehende Fragen an dieser Stelle kaum beantworten lassen, „da - wie gesagt - in Prv. 8 diese mythologischen Reste nur mehr terminologisch anklingen, und die dahinterstehenden mythischen Gehalte in keiner Weise als solche benutzt werden, sondern sogar mehr oder weniger bewußt verkleidet und umgedeutet worden sind." 164 Es verwundert, daß Wilckens bei einer derartig starken Umdeutung der Mythologie in Prov 8,22ff. diese hinter dem Text noch erkennen kann. Der Verdacht legt sich nahe, daß sich diese Fähigkeiten des Exegeten der Intention verdanken, Prov 8 in seine Gesamtthese des ge156
AaO. 8. Ebd. 158 Dies wird z. B . auch durch THOMAS 1955, D A H O O D 1963 und VAN DER WEIDEN 1970 festgestellt. 159 So folgert es C A M P 1 9 8 5 , 2 5 in ihrer Bemerkung zur These ALBRIGHTS „... [It] runs aground on the assumption that such a goddess and such a myth of her origin actually existed in Canaan, even though there is absolutely no evidence for it." 160 Das ist insofern der Fall, als WILCKENS 1959, 190-197 - wie BULTMANN - eine gemeinsame Quelle für die atl Weisheitsgestalt und den gnostischen Sophia-Mythos annimmt, aber auch die Parallelen zum Ba'al-Epos berücksichtigt (aaO. ¡83). 161 AaO. 97-213. 162 AaO. 182-184. 163 AaO. 183. 164 AaO. 184. 157
22
Zur Forschungsgeschichte
meinsamen Ursprungs der alttestamentlichen Weisheits- und der gnostischen Sophiagestalt einzufügen. In seiner ausführlichen Kritik am Ansatz Wilckens' und Bultmanns bemerkt Lang-}65 „Allerdings steht und fällt diese Anschauung [der gemeinsamen Herkunft von Weisheit und Sophia, s. o.] mit der tatsächlichen Existenz eines ,alten Weisheitsmythos'. Eine kritische Analyse der in Frage kommenden Belegtexte kommt zu dem Ergebnis, daß es einen solchen Weisheitsmythos nie gab: er ist ein Konstrukt der modernen Forschung." 166 Einen Neuansatz der mythologischen Deutung der Weisheitsgestalt hat Burton L. Mack167 unternommen. Er trifft zunächst eine Unterscheidung zwischen Mythos und der Aufnahme des Mythos im Dienst theologischer Reflexion. 168 Letztere ist nach Mack „ohne Rücksicht auf den ,alten' Zusammenhang" 1 6 9 der mythologischen Vorlage geschehen. Von dieser anfechtbaren 1 7 0 Prämisse ausgehend und in Auseinandersetzung mit den Ergebnissen u.a. von Kayatz171 kommt Mack zu dem Ergebnis, daß es naheliegend zu sein scheint, „die Göttin Isis eher als die Maat für die betreffende ägyptische Gestalt [zu] halten, die der Weisheit entspricht." 172 Dies schließt für Mack - eben wegen seines offenen Verständnisses mythologischer Aufnahmen ins Alte Testament - eine Übernahme auch von Aspekten der Ma'at bei der Ausarbeitung der Weisheitsgestalt nicht aus. 173 Zweck der Gestaltung der Weisheit mit Hilfe altorien-
165 166 167
168
LANG 1975, 158-160. AaO. 159. MACK 1970; 1973.
Dies geschieht wohl im Anschluß an den Vorschlag von CONZELMANN, die personifizierte Weisheit nicht auf der Stufe des Mythos, sondern der Mythologie anzusiedeln; CONZELMANN 1964, 234; bei MACK 1970, 48: „On the basis of a methodological distinction between myth and the employment of myth for theological reflection, it is hoped that both the phenomenon of the origin of the wisdom figure, as well as that of the further development of wisdom configurations, may become understandable as expressions of a reflective tradition which used the language of myth to do a most serious piece of theological work." 169
170
MACK 1973, 40.
Kritisiert wird MACKS Vorgehen u.a. von CAMP 1985, 52; sie bestreitet, daß in Israels Poesie eine Trennung von Mythos und Mythologie vorgenommen worden sei: „The theoretical distinction between mythic image and rationally constructed theology seems anachronistic when applied to the biblical authors. Such a distinction may yet be helpful analytically, if it is not used reductively, as Mack certainly does ..." 171 KAYATZ 1966 wird mit der Herleitung der Weisheitsgestalt v. a. von der ägyptischen Ma'at zitiert; bei MACK 1973, 34-42. 172 AaO. 38; es folgt die Begründung: „Denn die Isis hat einen Mythos, sie steht in enger Beziehung zum Wort und dürfte wohl auch der Weisheit die sexuellen Züge verliehen haben." Ebd. 173 AaO. 39.
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talischer Mythologumena ist, sie als theologische Kategorie im nachexilischen Israel zu etablieren. Durch sie soll dem durch das Exil stark erschütterten Glauben der Israelitinnen und Israeliten eine Stütze gegeben werden, weil sie die Möglichkeit bietet, die Ordnung der Schöpfung Gottes in positiver Weise zu verstehen. 174 In der Fortführung der Ansätze von Conzelmann und Mach wirft die Neutestamentlerin Elisabeth Schuessler Fiorenza einen Blick auf die neutestamentlichen Christushymnen sowie auf die Weisheitsgestalt. Dabei präzisiert sie den Begriff der „reflektierten Mythologie" 1 7 5 und plädiert für eine stärkere Berücksichtigung der theologischen Intention der Verwendung solcher reflektierten Mythologie. 1 7 6 In der kurzen Betrachtung von Prov 1-9 kommt Schuessler Fiorenza zunächst zu der Einschätzung, daß die nachträgliche Einfügung von mythischem Material der Ma'at und der Isis in eine ältere Sammlung von Weisheitssprüchen in Prov l,22f. und 8,lff. 1 7 7 theologischen Interessen dient. Die Notwendigkeit solcher Ergänzungen reflektierter Mythologie liegt darin begründet, „either to deal with the problem of theodicy in the post-exilic Jewish wisdom schools or as a result of missionary and apologetic efforts to offset the appeal of the Isis cult." 178 Obwohl die Begründung der Übernahme solcher reflektierten Mythologie in Prov 1-9 wie auch die Einordnung der fraglichen Texte in den größeren Kontext in der Darstellung von Schuessler Fiorenza hinterfragbar scheinen, so hat die Forscherin doch mit ihrem Plädoyer für eine 174
AaO. 48. Gleichzeitig postuliert MACK durch die Aufnahme ägyptischer Mythologumena die Notwendigkeit für Israel, sich mit den im Kontext der Mythologumena auftretenden Jenseitshoffnungen auseinanderzusetzen (48f.). Daß ein Spannungsverhältnis zwischen Letztgenanntem und der weiter oben genannten Prämisse der 'kontextlosen' Übernahme mythologischen Materials (MACK 1970, 40) besteht, soll hier nur angedeutet werden. 175 Dies ist m. E. die adäquate Wiedergabe des von SCHUESSLER FIORENZA (1975) verwendeten Begriffes „reflective mythology". SCHROER benutzt ebenfalls meist diese Wendung „reflektierte Mythologie" (SCHROER 1986, 210; 1989, 21; 1991a, 181; aber „reflektierende Mythologie" 1991a, 168!). 176 ,„ Reflective mythology' is not a living myth but is rather a form of theology appropriating mythical language, material, and patterns from different myths, and it uses these patterns, motifs, and configurations for its own theological concerns. Such a theology is not interested in reproducing the myth itself or the mythic material as they stand, but rather in taking up and adapting the various mythical elements to its own theological goal and theoretical concerns." SCHUESSLER FIORENZA 1975, 29. 177 „Mythic material was added in Prov. l:22f. and 8:Iff. to an older collection of Jewish wisdom sayings that had no reference to a mythological figure of Wisdom." (AaO. 30). Hier liegt m. E. eine grobe Fehleinschätzung des Zusammenhangs der IchReden der Weisheitsgestalt in Prov 1-9 mit dem Rest dieses Abschnitts vor. Dieser ist wie v.a. unten auf S. 249-260 noch aufgezeigt werden soll - wesentlich ausgeprägter, als SCHUESSLER FIORENZA e s a n n i m m t . 178 SCHUESSLER FIORENZA 1 9 7 5 , 30.
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Zur
Forschungsgeschichte
stärkere Betrachtung des Kontextes und der theologischen Intention der „reflektierten Mythologie" einen wichtigen Anstoß gegeben. Aufgenommen werden ihre Ansätze vor allem von Schwer.119 Ihr gelingt es - wie oben schon angedeutet durch die A n n a h m e des Vorliegens „reflektierter Mythologie" eine Brücke zwischen der Übernahme von Aspekten altorientalischer Göttinnen durch die Weisheitsgestalt und der Einordnung der Weisheitsgestalt als poetische Personifikation zu schlagen. c) Auswertung Nach der Darstellung der beiden ähnlichen Deutungsansätze der Weisheitsgestalt als Göttin und als mythologische Gestalt m u ß die am Anfang aufgeworfene Frage, ob es substantielle Unterschiede zwischen beiden Ansätzen gibt, verneint werden. Forschende beider Richtungen postulieren beispielsweise kaum rekonstruierbare Vorlagen 180 oder rekurrieren auf bekannte Texte über altorientalische Göttinnen 1 8 1 . In Aufnahme der z.B. von Lang (1975) geäußerten Kritik läßt sich als Unterschied der Richtungen lediglich festhalten, d a ß frühe Vertreter der mythologischen Deutung wie Bultmann (1923) und Wilckens (1959) einen gesamten Mythos einer Göttin als Vorlage angesehen haben. Dagegen beschränken sich andere Forschende wie (Bauer-) Kayatz (1966; 1969), Mach (1970; 1973), Winter (1987) und Schwer (1991a) auf die Feststellung, daß jeweils nur einzelne Züge von Göttinnen oder Mythen bestimmten Aspekten der Weisheitsgestalt zugrundeliegen. Insofern können im folgenden die unter a) und b) dargestellten Untersuchungen gemeinsam ausgewertet werden. In bezug auf den religionsgeschichtlichen Vergleich soll an dieser Stelle noch hervorgehoben werden, daß es nennenswerte Forschungen im Bereich griechisch-hellenistischer Parallelgestalten nicht gibt. Die wenigen vorhandenen Ansätze 1 8 2 sind zwar ermutigend, liegen aber zum größeren Teil länger zurück. Es besteht daher ein erheblicher Forschungsbedarf in diese Richtung. Bevor die Ergebnisse der bisherigen Forschung dargestellt werden sollen, ist zunächst noch eine Anmerkung zur Methodik der Forschenden voranzustellen. In keinem der hier dargestellten Ansätze werden beim religionsgeschichtlichen Vergleich 183 alle der möglichen Vergleichsebenen 179
180
SCHROER 1986, 210; 1989, 21; 1991a, 168 u n d 181.
Zu nennen sind hier z. B. STORY 1945 und WEISS 1966 einerseits sowie v. a. BULT-
MANN 1923 u n d WILCKENS 1959, a b e r a u c h ALBRIGHT 1955 andererseits. 181
Hier sind (BAUER-)KAYATZ 1966 und 1969 oder MACK 1970 und 1973 anzuführen.
182
HÖLDERLIN 1 7 9 0 ; BRUCH 1 8 5 1 ; HESSELGRAVE 1 9 0 9 u n d d i e d o r t a n g e f ü h r t e n A u -
toren sowie Bemerkungen bei VON RAD 1985, 208. 183 Dieser kommt nicht nur, aber am stärksten bei der Deutungskategorie „Göttin bzw. mythologische Gestalt" zum Tragen.
Die Deutungskategorien
der
Weisheitsgestalt
25
(d. h., die philologische, formgeschichtliche, motivgeschichtliche und - eingeschränkt - ikonographische Vergleichsebene) in den Blick genommen. Es wird immer nur ausschnittweise gearbeitet. Weiterhin werden jeweils nur einzelne Aspekte der Weisheitsgestalt einzelnen Aspekten verschiedener altorientalischer Göttinnen zugeordnet. Es sind bisher also weder in bezug auf die Gestalten der altorientalischen Umwelt noch in bezug auf die Weisheitsgestalt Vergleiche angestellt worden, die alle jeweiligen Aspekte betreffen. Ein Gesamtentwurf in dieser Richtung steht noch aus. 184 Die Ergebnisse der Forschungen über eine Göttin oder einen Mythos als Ursprung der Weisheitsgestalt lassen sich daher am ehesten via negationis festhalten: Es ist bisher nicht gelungen, eine einzige altorientalische Parallel- oder Vorbildgestalt für die personifizierte Weisheit plausibel zu machen. 1 8 5 Auch haben sich keine altorientalischen Texte finden lassen, von denen Teile von Prov 1-9 mehr oder weniger direkt abhängig sein könnten. Ein positives Ergebnis läßt sich daher nur sehr vorsichtig formulieren: 186 Es lassen sich für bestimmte Einzelaspekte der Weisheitsgestalt in Prov 1-9 Ähnlichkeiten zu altorientalischen Göttinnen nachweisen. Dabei bleibt zunächst offen, ob es sich lediglich um Parallelen oder aber um Vorbilder handelt. Die Form der Aufnahme der altorientalischen „Vorbilder" ins Alte Testament wird heute vielfach mit dem Terminus „reflektierte Mythologie" beschrieben. Damit soll ausgesagt werden, daß nicht die direkte Übernahme mythologischer Sprache und Inhalte von den Proverbien-Verfasserinnen oder -Verfassern intendiert ist, sondern daß Elemente im Sinn der Theologie des alttestamentlichen Kontextes in den Dienst genommen werden. Plausibel erscheinen folgende Parallelen, die im weiteren Verlauf der Arbeit zu berücksichtigen sind:
184 Dies hat zur Folge, daß die gravierenden hermeneutischen und theologischen Probleme, die sich im Anschluß an einen erfolgreichen religionsgeschichtlichen Vergleich der Weisheitsgestalt ergeben, bisher nicht ansatzweise zur Sprache gebracht, geschweige denn gelöst wurden. Nur angedeutet werden kann z. B. das Problem der Kohärenz einer solchen Gestalt, die - neben ihren atl Wurzeln - aus verschiedensten Aspekten verschiedener Göttinnen des gesamten AO „zusammengesetzt" wurde. Bis zum Vorliegen eines Gesamtentwurfs wird fraglich bleiben müssen, ob eine solche Gestalt noch einen inneren Zusammenhalt besitzen kann. 185 Auch die als weitreichendste Parallele anerkannte Ma'at umfaßt nicht zu allen Aspekten der Weisheitsgestalt Vergleichsmomente; sie spricht z. B. nicht in der Ich-Rede. 186 KLOPFENSTEIN trifft in seinem Forschungsüberblick eine ähnliche Einschätzung: „Überblickt man die Vorschläge, die für religionsgeschichtliche Herleitungen oder Ver-
26
Zur
Forschungsgeschichte
Für Prov 1-9 insgesamt: - Bei der Untersuchung des Sitzes im Leben 187 der Texte muß auch die „Schulpatroninnen"-These von Lang (1986) überprüft werden. - Die Forschung zur Gegenüberstellung der Weisheitsgestalt mit der „fremden Frau", die G. Boström 1935 begonnen hat, soll weiter unten 1 8 8 eingehender betrachtet werden. - Ebenfalls über alle Kapitel des Textes erstrecken sich philologische Parallelen zu nordwestsemitischen Texten, die Story (1945), Thomas (1955), Dahood (1963; 1968) sowie van der Weiden (1970) herausgearbeitet haben. Ist daraus die These abzuleiten, daß es ältere Vorlagen für Prov 1-9 gegeben hat? 189 Folgende Einzelverse oder Perikopen werden als Parallelen zu Texten über altorientalische Göttinnen angesehen: - Prov 1,22-33 (die Ich-Rede der Weisheitsgestalt): zur Ich-Rede der Isis; 190 - Prov 3,16-18 (die Weisheit als Lebens- und Schutzspenderin): zur Ma'at; 191 - Prov 3,18 (die Weisheit als Lebensbaum): zu mesopotamischen Vorstellungen; 192 - Prov 4,6 (die Weisheit als Geliebte): zur Ma'at; 1 9 3 - Prov 8,4ff. (die Ich-Rede der Weisheitsgestalt): zur Isis 194 sowie zu Hike, Schu und der Rede Ramses' II.; 195 - Prov 8,15f. (die Weisheit als Herrschaftsmacht): zur Ma'at 1 9 6 oder zur syrisch-kanaanäischen Göttin; 1 9 7 - Prov 8,17.20f.30 sowie 7,4 (die Weisheit als Liebende und Geliebte): zur Ma'at; 1 9 8 - Prov 8,19 (die Frucht der Weisheit): zu mesopotamischen Vorstellun-
gleiche vorgebracht worden sind, so fällt überall die behutsame Zurückhaltung in den U r t e i l e n a u f . " KLOPFENSTEIN 1994, 535. 187 188 189 190
S.u. auf S. 260-268. Dazu s.u. auf S. 37-^1. Dazu s. u. auf S. 270-272. K N O X 1 9 3 7 ; SCHUESSLER FIORENZA 1 9 7 5 .
191
K A Y ATZ 1 9 6 6 .
192
ALBRIGHT 1 9 1 9 / 2 0 .
193
K A Y ATZ 1 9 6 6 .
194
K N O X 1 9 3 7 ; SCHUESSLER FIORENZA 1 9 7 5 .
195
KAYATZ
196
Ebd.
197
WINTER 1 9 8 7 .
1966.
198
K A Y ATZ 1 9 6 6 .
199
ALBRIGHT 1 9 1 9 / 2 0 .
Die Deutungskategorien
der
Weisheitsgestalt
27
- Prov 8,22 (die Präexistenz der Weisheit): zur Ma'at 2 0 0 sowie zum Ba'alEpos; 201 - Prov 8,24f. (Weltschöpfung): zu ugaritischen Texten; 202 - Prov 8,30 (die spielende Weisheit): zum syrisch-kanaanäischen Bereich; 203 zur Ma'at 2 0 4 sowie zu Hathor und der „Spiel"-Göttin; 205 - Prov 8,31 (die den Menschen nahe Weisheit): zur Ma'at. 206 In diese Aufstellung sind nur Arbeiten aufgenommen worden, die die Herleitung der Weisheitsgestalt von einer Göttin vertreten. Forschungen zu kleineren Textabschnitten werden vernachlässigt. Daneben erscheint es sinnvoll, zunächst in den Texten nach inneralttestamentlichen Parallelen zu suchen und erst bei deren Fehlen eine Herleitung von altorientalischen Vorbildern in den Blick zu nehmen. 207
3. Die Weisheitsgestalt
als poetische
Personifikation
a) Der Begriff der Personifikation Der Begriff der Personifikation ist in der Forschung lange Zeit ohne Definition verwendet worden. Camp als prononcierteste Vertreterin der Personifikations-Deutung konstatiert diesen Mangel 208 und hilft ihm durch eine Begriffsbestimmung ab. In enger Anlehnung an Camps Definition 209 bestimmt Schwer den Begriff: „Die Personifikation ist, als Untergattung der Metapher, ein Stilmittel, eine Redeweise, die Dinge mit Leben versieht, etwas als Person behandelt, das keine Person ist und so das Abstrakte mit dem Konkreten verbindet, das Unpersönliche personalisiert. In ihrer literarisch-poetischen Funktion betont die Personifikation die Einheit des Subjekts ... Zugleich generalisiert sie die Vielfalt." 210 Diese Begriffsbestimmung wird nicht in allen im folgenden zu nennenden Ansätzen zugrundegelegt. Gemeinsamer Nenner der hier aufgeführen Untersuchungen in Abgrenzung zu den anderen Deutungskategorien ist, 200
KAYATZ 1966; MACK
201
ALBRIGHT
202
Ebd. Ebd. sowie
203
1973.
1955. WINTER
1987.
204
KAYATZ 1966; M A C K 1975; KEEL
205
KEEL 1974a.
206
MACK
207
1974a.
1973.
Zum Vorgehen in der vorliegenden Arbeit vgl. unten auf S. 60f. 208 C A M P 1985, 209f.; ähnlich auch L A N G 1986b, 132. 209 Die Definition von C A M P 1 9 8 5 , 2 1 3 - 2 1 7 soll an dieser Stelle nicht angeführt werden, da sie zu dem hier verfolgten Zweck zu lang erscheint. 210 SCHROER 1991a, 164.
28
Zur
Forschungsgeschichte
daß die Personifizierung der Weisheitsgestalt primär als literarisches Stilmittel angesehen wird, welches von der Autorin bzw. dem Autor von Prov 1-9 bewußt eingeführt wird. Die Aufnahme z. B. von Aspekten altorientalischer Göttinnen tritt bei diesen Untersuchungen in den Hintergrund. b) Darstellung der Forschungspositionen 211 Johannes Meinhold ist der erste Autor, der die Weisheitsliteratur Israels zum Gegenstand einer eigenen Untersuchung macht. 2 1 2 Im Jahr 1908 deutet er die „Weisheitsfigur" 213 unter Bezug auf Hiob, die Proverbien und Sirach als nicht bloß einfache Personifikation, 214 sondern als für die Israelitinnen und Israeliten „wirklich existierende Persönlichkeit", 215 in der die „Gesamtheit menschlichen Wissens ... Jahves ,Tochter', sein Geschöpf', 2 1 6 wird. Dieses Geschöpf tritt - so J. Meinhold - in einer späten Stufe des israelitischen Glaubens zwischen J H W H und die Welt. 217 Ob diese Stufe in den Proverbien, die nach J. Meinhold erst um 250 v. Chr. datieren, schon erreicht ist, wird vom Autor nicht eindeutig geklärt. Im gleichen Jahr wird die Weisheitsgestalt erstmalig von Gustav Diettrich einer eigenen Untersuchung unterzogen. Er bezeichnet sie als „theoretische Weisheit" im Unterschied zur älteren, praktischen, die in Prov lOff. gehäuft anzutreffen ist. 218 Diettrich legt das Gewicht seiner Analyse auf die theologische Seite der Weisheitsgestalt sowie auf ihre Entstehung. Er bestreitet, daß die Weisheitsgestalt „als ein selbständiges, außer Gott existierendes Wesen (Hypostase) gedacht oder gar der Versuch gemacht [wurde], durch diese Hypostase die unterbrochene Verbindung zwischen dem transzendenten Gott und der Welt wiederherzustellen. Das hieße den poetischen Charakter der Darstellung vollständig verkennen ,.." 2 1 9 Hier ist ihm zufolge „nur von einer E i g e n s c h a f t Gottes die Rede", 2 2 0 die zu dem Zweck eingeführt wird, „die Verquickung von Gott und Welt 211
Der Ansatz VON R A D S wird an dieser Stelle noch nicht behandelt, obwohl er die Weisheitsgestalt auch als poetische Personifikation bezeichnet (1985, 226f.). Zum Thema der poetischen Personifikation findet sich bei ihm ansonsten wenig, umso mehr dagegen zur theologischen Stellung der Weisheitsgestalt; daher wird seine Untersuchung unten auf S. 43-46 behandelt. 212 So jedenfalls lautet die Einschätzung von BAUMGARTNER 1933a, 2 6 2 . 213 J. M E I N H O L D 1908, 280ff. 214 AaO. 285.292. 215 AaO. 285. 216 AaO. 284. 217 AaO. 285. 218
219
DIETTRICH 1 9 0 8 , 4 8 4 .
AaO. 491. Dies bedeutet nicht, daß D I E T T R I C H ao Einflüsse auf die Weisheitsgestalt für ausgeschlossen hält; vgl. aaO. 504.512. 220 AaO. 492.
Die Deutungskategorien der Weisheitsgestalt
29
aufs energischste" 221 zu bekämpfen. Diese Yerquickung ist in Prov 1-9 in der Torheit personifiziert worden. 222 Als Antithese 223 zu dem von der Torheit verkörperten theologischen Konzept 2 2 4 wird die Weisheitsgestalt als „genuin hebräisches Produkt, d. h. eine Weiter- resp. Rückbildung älterer •
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israelitischer Gedankenreihen" in frühnachexilischer Zeit eingeführt. Wie Diettrich wendet sich 1930 der katholische Exeget Bernard Botte gegen die Deutung der Weisheitsgestalt als Hypostase. Er untersucht die Entstehungsumstände der Weisheitsgestalt, wobei er als Interpretationsprämisse 227 die Einheitlichkeit der Weisheitsgestalt in allen Texten setzt, in denen sie vorkommt. 2 2 8 Nach Botte werden lediglich - je nach Kontexterfordernis - unterschiedliche Aspekte dieser kohärenten Gestalt betont. 2 2 9 Für ihn ergibt sich, daß die Weisheitsgestalt entweder überall Hypostase oder überall Personifikation zu sein hat. Botte stellt zu Prov 8,2231 fest: „II y a personnification, sans plus, et le portrait de la folie qui lui fait pendant nous interdit d'y voir une hypostase, même dans le sens le plus large du mot." 2 3 0 Also kann die Weisheitsgestalt nur als Personifikation gedeutet werden: „La seule manière de donner de ces textes une interprétation cohérente est d'y voir une personnification qui, comme la plupart des personnifications, ne représente aucun être concret et ne répond à aucun concept métaphysique précis. N o u s sommes dans la domaine de l'imagination et du langage populaire, non dans celui de l'analyse philosophique ,.." 2 3 1
Die Offenbarung einer göttlichen Person wollen die alttestamentlichen Autorinnen oder Autoren nach Botte in der Weisheitsgestalt nicht gesehen haben. 232 Unter Aufnahme u. a. von Bottes Untersuchung geht Paul van Imschoot 1934 der Frage nach, ob es sich bei der Weisheitsgestalt des Alten Testaments um eine Hypostase handelt. Er verneint diese These. 233 Statt dessen stellt er in bezug auf die Weisheitsgestalt in Prov 8,22-31 234 fest, daß hier 221
Ebd. AaO. u. a. 511. 223 AaO. 506f. 224 Dieses ist eher polytheistisch und zeichnet ein immanentes Gottesbild, das eine „sittlich indifferente Größe" darstellt; aaO. 511. 225 AaO. 512. 226 AaO. 476. 227 Diese leitet BOTTE aus der von ihm festgestellten Homogenität der Weisheitsliteratur ab; BOTTE 1930, 85. 228 Dies sind nach BOTTE: Prov 8, Sir 24 und Weish 6.7. 222
229
230 231 232 233
234
BOTTE 1930, 86.
AaO. 87. AaO. 89f. AaO. 94. VAN IMSCHOOT 1934, 9 2 .
Daneben untersucht er auch das Vorkommen der Gestalt in Sir und Weish.
30
Zur
Forschungsgeschichte
der Autor „n'a d'autre but que d'exalter l'antiquité et l'autorité de ses propres enseignements moraux; il ne vise pas à entr'ouvrir des perspectives nouvelles sur la nature intime de la Divinité." 235 Eine Unterscheidung zwischen der Gestalt und Gott finde nur statt, um das göttliche Attribut Weisheit zu betonen, 236 das sich in der Schönheit der Schöpfungsordnung manifestiert, Israel unterweist (Prov 8,1-12) sowie einlädt (Prov 9,Iff.). 237 Im Unterschied zur „Frau Torheit" besitzt die Weisheitsgestalt in den Augen van lmschoon nicht die Charakteristika einer realen Person. 238 Insgesamt gesehen stellt sich für van Imschoot die Weisheitsgestalt in den Proverbien, in Sirach und der Weisheit Salomos als bewußt geschaffene Personifikation dar. 239 „Si on lui attribue une origine divine, c'est par ce qu'elle est une qualité essentielle de Dieu, qui se manifeste dans ses œuvres .,." 2 4 0 Diese Personifikation der Weisheit entwickle sich im antiken Judentum nicht zu einer den Monotheismus gefährdenden Gestalt also z. B. zu einer Hypostase - weiter. 241 Dies unterscheide die israelitische Gedankenentwicklung von der des außerisraelitischen Alten Orients. Ähnlich wie van Imschoot untersucht Ralph Marcus die Grenzlinie zwischen Hypostase und Personifikation am Beispiel der Weisheitsgestalt. In seinem Aufsatz, der sich mit Ringgrens „Word and Wisdom" auseinandersetzt, stellt er zunächst dessen These dar, daß sowohl die Hypostase als auch die Allegorie oder die poetische Metapher Resultate einer Personifizierung sein können. 242 Nach der Analyse von Ringgrens Ansatz stellt Marcus fest, daß ersterer den Begriff „Hypostase" nicht stringent für die Weisheitsgestalt und auch nicht für ähnliche Phänomene verwendet. 243 Er stimmt Ringgren zu, daß die Weisheit in bestimmter Weise in Prov 8,30 hypostasiert ist. „But if we are to distinguish between significant hypostatization leading to the creation of an independent deity and mere poetic personification, as Ringgren himself does in some instances, then I see no justification for failing to make such a distinction here." 244 Als Konsequenz folgt daraus für Marcus, „that Ringgren would have stood on firmer ground, methodologically speaking, if he had concluded that Wisdom 2,5 236
AaO. 6. Als solches erscheint die Weisheit für
237
V A N IMSCHOOT 1 9 3 4 , 6 .
238
AaO. AaO. AaO. AaO.
239 240 241
VAN IMSCHOOT
insbesondere in Prov 3,19f.
6f. 92. 91. 93.
1950/51, 159; nach R I N G G R E N 1947, 8. „Although, as we have seen, Ringgren has no hesitation in saying that the strict monotheism of Israel did not allow hypostases to become real gods, he does regard some of the passages in biblical and apocryphal Wisdom literature as presenting concrete hypostatizations of Wisdom, whereas he regards others as poetic personifications and metaphors." M A R C U S 1 9 5 0 / 5 1 , 1 6 7 . 244 AaO. 166. 242
243
MARCUS
Die Deutungskategorien
der
Weisheitsgestalt
31
in late biblical literature is essentially and uniformly a poetic personification." 2 4 5 In Fortführung von Marcus läßt sich bemerken, daß bei der Weisheitsgestalt von einer vollen Hypostasierung deshalb nicht gesprochen werden kann, weil sie nicht als Göttin im israelitischen Pantheon aufgetreten ist. Dies hätte zur Folge haben müssen, daß sich der Monotheismus in einen Polytheismus transformiert hätte. Angesichts dieses Befundes wird von Marcus die berechtigte Frage gestellt (allerdings leider nicht beantwortet), warum die Israelitinnen und Israeliten so monotheistisch waren, daß sie keine volle Hypostase zulassen konnten, und in welcher Weise ihr Monotheismus mit der Weisheitsgestalt verbunden wurde. 246 Diese Frage soll im letzten Teil der vorliegenden Arbeit aufgenommen werden. 247 In eingeschränkter Weise vertritt Reinhold Stecher die Deutung der Weisheitsgestalt als Personifikation. Er untersucht die Weisheitsgestalt in Prov 8 in bezug auf ihr Verhältnis zu Gott und zum Kosmos. Nach eingehender Diskussion anderer Zuordnungsmöglichkeiten bestimmt er die Weisheit in Prov 8 als eine dynamische Personifikation. 248 Im Unterschied zur rein poetischen Personifikation, als die Stecher die Weisheitsgestalt aus hermeneutischen Gründen nicht bezeichnen will, 249 soll der Begriff „dynamische Personifikation" die spezifisch altorientalische Denkweise berücksichtigen. Am Beispiel von H i n ' "15T und Hin 1 01*1 im Alten Testament verdeutlicht Stecher, daß im Alten Testament und im Alten Orient göttliche Attribute gerne in derartiger Weise abstrahiert werden, daß sie als feinstoffliche Substanzen Träger dieser von Gott ausgegangenen Kräfte werden. 250 Folglich findet sich „der Grund der Personifikation der Weisheit in einer allgemeinen Denkweise und nicht in einem einmaligen dichterischen Einfall", und die Weisheitsgestalt erscheint als „in ihren wesentlichen Zügen im israelitischen Geistesleben gewachsen." 25 ' Der Auslegung dieser Gestalt sind nach Stecher wegen der unterschiedlichen heutigen und antiken Denkweisen enge Grenzen gesetzt.
245 246 247 248
249
AaO. 167. AaO. 169. S. u. auf S.315f. STECHER 1 9 5 3 , 446FF.
Das geschieht wegen der Göttlichkeit der atl Weisheitsgestalt, deren Beschreibung sowohl die Aspekte von Urprinzip, Wirksamkeit und Wirkung beinhaltet und von daher über eine bloße „Personen"-Beschreibung hinausgeht. Nach STECHER läßt sich aus der heutigen Zeit rückblickend nicht entscheiden, „inwieweit der Verfasser die personhafte Seite seiner Weisheitsvorstellung als Bild oder als Wirklichkeit verstanden hat." AaO. 444. 250 AaO. 446f. 251 Beide Zitate aaO. 449.
32
Zur
Forschungsgeschichte
Dieser hermeneutische Vorbehalt des heutigen Verständnisses der Weisheitsgestalt begrenzt von vorneherein die Rezeption des ansonsten in der Forschung innovativen und fruchtbaren Ansatzes von Stecher. Dessen ungeachtet ist die Verortung der Weisheitsgestalt im Kontext der sonstigen israelitischen Literatur und Poesie mit ihren speziellen Sprach- und Denkformen weiterzuverfolgen. Ähnliche hermeneutische Bedenken, wie Stecher sie hinsichtlich der Einordnung der Weisheitsgestalt als rein poetische Personifikation hat, meldet Wilhelm Vischer gegenüber dem Hypostasenbegriff an. 2 5 2 In seinem Aufsatz zu Prov 8,22-31 bestreitet Vischer sowohl die Deutung der Weisheitsgestalt als Hypostase als auch als Göttin neben JHWH. 2 5 3 Statt dessen schließt er sich Scott an, der in 8,22-31 „simply a poetic personification of the thought of Prov. iii 19-20a" sieht. 254 Dabei werden der Begriff der poetischen Personifizierung und die Begründung dieser Zuordnung der Weisheitsgestalt weder von Scott noch von Vischer näher ausgeführt. Vischer betont allerdings bei der Charakterisierung der Weisheitsgestalt, daß sie einerseits weder Schöpferin, Mittlerin noch Werkzeug ist, 255 sich aber andererseits „selbst als wesentlich am Schöpfungswerk beteiligt verkündet." 2 5 6 Folglich versucht Vischer in seiner Wertung der Weisheitsgestalt als Personifizierung eine Einordnung zu treffen, die an den inadäquaten Deutungskategorien der Hypostase etc. vorbeiführt. In ihrer Unbestimmtheit ist sie nur leider wenig aussagekräftig. Nachdem über längere Zeit die Weisheitsgestalt in der Forschung nicht mehr als poetische Personifikation gedeutet worden ist - dafür aber die religionsgeschichtlichen Wurzeln verstärkt erforscht wurden - erscheint 1975 wieder eine Arbeit, die diese Deutungsrichtung vertritt: In der bis dahin umfangreichsten Untersuchung zur Weisheitsgestalt in Prov 1-9 stellt Bernhard Lang diese als „personifizierte Schulweisheit" 257 dar. Grundlage seiner These bildet die exegetische Untersuchung von Prov 1,20-33; 8 und 9. Er bestimmt diese Texte als Poesie. Lang setzt sich ausführlich mit verschiedenen anderen Herleitungen der Weisheitsgestalt (als Göttin, Hypostase, mythologische Gestalt) auseinander, die er allesamt 252
„Die viel diskutierte Frage, ob sie [die Weisheit] als Hypostase gedacht sei, ist schwer zu beantworten, und dies deshalb, weil hier wie in vielen Texten der Bibel die Gedanken und ihr Ausdruck poetische Kraft haben, die sich mit der Begrifflichkeit des modernen Denkens nicht erfassen läßt. So sind wir in der Gefahr, sie entweder rationalistisch oder mythologisch zu entleeren." VISCHER 1962, 315. 253 AaO. 316. 254 255
256 257
SCOTT 1 9 6 0 , 2 2 3 ; b e i VISCHER 1 9 6 2 , 3 1 5 . VISCHER e b d .
AaO. 316. LANG 1975, 170; vgl. auch oben auf S. 18f.
Die Deutungskategorien
der Weisheitsgestalt
33
verwirft. Im Anschluß daran versucht er, den Rahmen für seine Interpretation der Weisheitsgestalt als poetische Personifikation abzustecken. 258 Dazu gibt er zunächst einen Überblick über die Verbreitung von Personifikationen im Alten Testament und im Alten Orient. Die Weisheitsgestalt trägt als Personifikation, als die sie zahlreiche von Lang aufgeführte Parallelen hat, Züge einer Göttin und einer Geliebten, und sie teilt mit diesen analogen Gestalten die Unanschaulichkeit. Auswertend stellt Lang fest, daß die Weisheitsgestalt „eine didaktische Hilfskonstruktion [ist], die auf den Schüler Eindruck machen soll; sie ist nichts anderes als eben ein Requisit der didaktischen Poesie." 259 Weiterhin kann sie als „die attraktive Werbefigur der Schule" 260 charakterisiert werden; sie wirkt durch ihr Handeln statt durch ihr Äußeres, das für die alttestamentlichen Autorinnen oder Autoren Lang zufolge keine Relevanz besitzt. 261 Lang erläutert, daß es sich bei der Weisheitsgestalt mit den beschriebenen Zügen um eine Personifikation handelt. Wenig überzeugend erscheint dagegen seine Absicht, die Weisheitsgestalt in den engeren Interpretationsrahmen seines Ansatzes einzupassen. Die ausschließliche Verortung der Weisheitsgestalt im schulischen Milieu - über dessen tatsächliches Vorhandensein in Israel immer noch kein Forschungskonsens besteht 262 - stellt die Überzeugungskraft von Längs einleuchtender Einordnung der Weisheitsgestalt als poetische Personifikation erheblich in Frage. 263 Dieser Schwachpunkt wird auch in Längs neuerem Werk zur Weisheitsgestalt nicht vollständig behoben. Wie oben 2 6 4 schon ausgeführt, nimmt Lang nun eine Schulpatronin als Vorlagefigur der Weisheitsgestalt an. 2 6 5 Ihre Erscheinung in Prov 1-9 ist jedoch - darin unterscheiden sich Längs Positionen von 1975 und 1986 wenig - die einer „mere figure of poetic speech", 266 einer „goddess degenerated into a mere poetic being of ornamental value." 267 Was liegt Lang zufolge dieser ihres ursprünglichen Hintergrundes beraubten Weisheitsgestalt zugrunde? „In the first place, Wisdom stands for the wisdom teaching with its moral injunctions. But she may also be taken to stand for the book - Proverbs 1-9 - which recommends itself." 268 Darüber hinaus erscheint die Weisheitsgestalt - wie schon in Längs Ent258 259 260 261 262 263 264 265
266 267 268
AaO. 168-176. AaO. 170. AaO. 172. AaO. 176. Vgl. dazu unten S. 260-264. In diese Richtung argumentiert auch Dazu s.o. S. 18f. LANG 1986b, 129.
AaO. 130. AaO. 131. AaO. 135.
CAMP
1985, 60ff.
34
Zur Forschungsgeschichte
wurf von 1975 - als Werbefigur der Schule, die in der Öffentlichkeit spricht. 2 6 9 In dieser breiteren Streuung dessen, was die Weisheitsgestalt verkörpern kann, erscheint Längs These von 1986 überzeugender als seine Arbeit von 1975. Das für die literarische Deutung der Weisheitsgestalt grundlegende Werk stellt die Arbeit von Claudia V. Camp dar. Sie analysiert den Rahmen des Proverbienbuches (Kap. 1-9 sowie 31) mit Hilfe der Kategorien der Metapher, der Personifizierung und des Symbols. 270 Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Untersuchung der Funktion der weiblichen Gestalten in diesen Texten. Dabei sieht es Camp - im Unterschied zu Stecher und Vischer, s. o. - als legitim an, die heutigen literaturwissenschaftlichen Methoden auf den antiken Text anzuwenden, solange dieser dadurch nicht manipuliert wird. 271 In bezug auf die metaphorische Bedeutung 2 7 2 ist die Weiblichkeit der Weisheitsgestalt für Camp von großer Wichtigkeit und wird in engen Zusammenhang zu anderen realen und imaginierten Frauengestalten des Proverbienrahmens sowie des Alten Testaments gebracht. Die Personifizierung 2 7 3 der Weisheit ist nach Camp ein literarischer Kunstgriff der Autorinnen oder Autoren des Proverbienrahmens. Ihnen lag eine ältere Sammlung von Einzelsprüchen vor, wie sie heute in etwa in den Kapiteln Prov 10-29 vorliegt. Dieser Sammlung fehlte eine Rahmung und eine Einbettung in einen Lebenskontext. Durch die Weisheitsgestalt wird der älteren Sammlung eine inclusio verliehen. 274 Die Rahmungs- und Kontextualisierungsfunktion kann die weibliche Weisheitsgestalt erfüllen, da ihre Funktionen Antworten auf die Problemlage des Proverbienbuches geben. Die Weisheit lenkt als Personifikation die Aufmerksamkeit auf die Einheit des Subjektes, 275 verallgemeinert die Vielfalt menschlicher Erfahrung 2 7 6 und verbindet sich mit einem metaphorischen Prädikat, der Frau. 2 7 7 So erfüllt die Weisheitsgestalt nach Camp vielfältige Aufgaben: Sie bietet einen Rahmen für das Proverbienbuch; sie ermöglicht durch die durchgängige weibliche Metaphorik sowohl auf der bildlichen Ebene eine Ver269
AaO. 135f. Dies geschieht in C A M P 1 9 8 5 in den Kapiteln 3, 7 und 9 . Leider spielt in der Untersuchung von CAMP die historisch-kritische Exegese der Texte des Proverbienrahmens nur eine sehr untergeordnete Rolle. 271 AaO. 71. 272 Die Definition bei CAMP lautet: „... a metaphor conjoins the semantic fields of two words in such a way as to create a new meaning." AaO. 72. 273 Zur Definition des Begriffes s. o. auf S. 2 7 das Zitat von SCHROER 1991a, 164. 274 CAMP 1985, 179.184. 275 AaO. 214f. 276 AaO. 215ff. 277 AaO. 217-222. 270
Die Deutungskategorien
der
Weisheitsgestalt
35
einheitlichung des Rahmens als auch auf der theologischen Ebene eine Identifikation für Frauen des nachexilischen Israel, deren gewandelter gesellschaftlicher Stellung die Personifikation als religiöses Symbol Rechnung trägt. 2 7 8 Dies geschieht in der Weise, daß die Weisheitsgestalt durch die in ihr gebündelte weibliche Metaphorik eng mit dem Bild des Hauses verbunden wird. Das Haus, zugleich Bereich der Frauen und zentraler Ort für den Glauben der nachmonarchischen Gesellschaft, wird zum symbolischen Ausdruck des nachexilischen Israel. In ihm regiert die Weisheit anstelle des Königs und übernimmt gleichzeitig die vorher königliche Mittlerfunktion. 279 Diesen Ansatz hat Camp 1987 erneut aufgenommen und in hermeneutischer Richtung unter feministisch-theologischer Perspektive vertieft. Wie oben schon erwähnt, werden ihre Analysen im deutschsprachigen Raum vor allem von Schwer (1990 und 1991) aufgenommen und weitergeführt. Dabei erfährt Camp bisher kaum Widerspruch. Die Komplexität ihres literarischen Analysemodells und die hermeneutischen Konsequenzen wirken ungleich überzeugender als die älteren Forschungsbeiträge dieser Deutungsrichtung. Auch in dieser Arbeit werden ihre Thesen aufzunehmen sein. c) Auswertung Zusammenfassend lassen sich die Ergebnisse der hier genannten Forschungsbeiträge unter fünf Aspekten systematisieren: - Wichtig ist für die Mehrzahl der Autorinnen und Autoren, die Weisheitsgestalt als poetische Personifikation zu bestimmen, weil die Deutung als Hypostase oder die Herleitung von einer Göttin aus unterRA
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schiedhchen Gründen abgelehnt wird. - Für drei ältere Ansätze erscheint die Weisheitsgestalt als eine Eigenschaft Gottes. 282 Durch die Personifizierung wird das göttliche Attribut 278 Bei der Auslegung der Weisheitsgestalt als religiöses Symbol schließt sich C A M P an den symboltheoretischen Ansatz von G E E R T Z (S. bei C A M P 1 9 8 5 , 2 2 9 - 2 3 1 u. Ö.) an. Ein ähnlicher Weg ist - allerdings mit völlig anderem Ergebnis - in Anlehnung an RICOEURS Überlegungen für Prov 1 - 9 schon 1 9 7 2 von H A B E L gewählt worden (bei C A M P 1 9 8 5 , 5 7 6 0 ) . H A B E L 1 9 7 0 , 1 5 6 stellt den „Weg" "¡ITT als „nuclear image" des Textes heraus, dem als „Satellitensymbole" die zwei Herzen und zwei Begleiterinnen (Weisheit und fremde Frau) zugeordnet sind. 279 C A M P 1985, 290f.; dazu vgl. unten S. 291-294.300-303. 280 Vorrangig wird hier mit dem poetischen Charakter der Texte (so D I E T T R I C H 1908, 491) oder der Vorstellungen (so VISCHER 1962, 315; BOTTE 1930, 89f.) argumentiert. 281
D I E T T R I C H 1 9 0 8 , 4 9 1 ; BOTTE 1 9 3 0 , 8 9 f . ; VAN IMSCHOOT 1 9 3 4 , 9 3 ; M A R C U S
51, 166;
1950/
1962, 316; L A N G 1975, 151f.157.160; C A M P 1985, 36. 282 D I E T T R I C H 1908, 492; VAN IMSCHOOT 1934, 6; STECHER 1953, 446f. Hier ist auch die Einschätzung von W H Y B R A Y 1972, 50 zuzuordnen. VISCHER
36
Zur
Forschungsgeschichte
„Weisheit" besonders betont. 2 8 3 Nach Stecher ist besonders die altorientalische Denkweise Hintergrund dieser Personifikation. 2 8 4 - Die Vereinheitlichungsfunktion der personifizierten Weisheit hinsichtlich inhaltlicher Aspekte wird von mehreren Autoren als wichtig erachtet. Dabei wird der Bereich des Personifizierten zunehmend enger gesteckt: Während J. Meinhold in der Weisheitsgestalt noch die Gesamtheit des menschlichen Wissens verkörpert sieht, 285 erscheint sie van Imschoot als Vereinheitlichung der moralischen Unterweisung 2 8 6 und Lang als Personifikation der moralischen und schulischen Unterweisung bzw. Schulweisheit. 287 - Auch in bezug auf einen eher formalen Aspekt, den der Rahmung des Proverbienbuches in Kap. 1-9 und 31, wird eine Vereinheitlichungsfunktion der Weisheitsgestalt konzediert. Diese Beobachtung ist allerdings erst in den neuesten Untersuchungen 2 8 8 zu finden. - Dezidierte Aussagen zur theologischen Funktion 2 8 9 der als poetische Personifikation interpretierten Weisheitsgestalt finden sich nur vereinzelt. Diettrich beschreibt diese Funktion als die einer Art „Abstandhalterin" zwischen G o t t und Welt. 290 Als Aufgabe bleibt die Anregung von Marcus bestehen, das Verhältnis der Weisheitsgestalt zum israelitischen Monotheismus genauer zu untersuchen. 2 9 1 Zu ergänzen ist hier, daß sich das Problem der Einordnung in den israelitischen Monotheismus bei der Deutung der Weisheitsgestalt als poetische Personifikation in weitaus höherem Maße stellt als bei den vorher betrachteten Kategorien, 2 9 2 da nun eine bewußte innerisraelitische Motivierung der Einführung der Gestalt angenommen wird. Eine mögliche Antwort auf dieses Problem versucht Camp zu geben, indem sie in der Weisheitsgestalt ein religiöses Symbol sieht, das in der veränderten gesellschaftlichen Situation im nachexilischen Israel eine theologische Identifikationsmöglichkeit insbesondere für Frauen bietet. Abschließend läßt sich festhalten, d a ß sich fundierte Untersuchungen der Weisheitsgestalt als poetischer Personifikation erst in den Anfängen befinden. Obwohl diese Deutungsrichtung seit langem in der Forschung vertreten wird, ist vor Camp - wie am Anfang dieses Kapitels schon aus1908, 492 sowie van IMSCHOOT 1934, 6. 446f.
283
DIETTRICH
284
STECHER 1 9 5 3 ,
285
J. M E I N H O L D 1 9 0 8 , 2 8 4 .
286
VAN IMSCHOOT 1 9 3 4 , 6 .
287
LANG 1975, 170.
288
CAMP 1985, 179.184 u . a . ; LANG 1986b, 135.
289
Sie werden unten auf S. 41^16 noch eingehend behandelt.
290
DIETTRICH 1 9 0 8 , 4 9 2 .
291
M A R C U S 1950/51, 169; dazu vgl. unten S. 311-315. D . h . , der Hypostase (A.II.L) sowie der Göttin bzw. mythologischen Gestalt
292
(A.II.2.).
Die Deutungskategorien der Weisheitsgestalt
37
geführt - keine genaue Bestimmung des Begriffes „Personifikation" getroffen worden. Die älteren Arbeiten ohne diese Begriffsbestimmung konnten von daher wichtige Implikationen der Personifizierung aufgrund der fehlenden Auseinandersetzung mit dem Begriff überhaupt nicht in den Blick nehmen. Auf der anderen Seite ermangelt es den - terminologisch exakten - Arbeiten von Camp (1985, 1987) und z.T. auch der von Lang (1986) an exegetischer Fundierung. 2 9 3 Die Weisheitsgestalt wird in den letztgenannten Arbeiten eher als Personifikation gesetzt, als daß sie als eine solche erwiesen würde. Von daher ist, bevor die zweifellos anregenden Ergebnisse dieser Deutungsrichtung zu rezipieren sind, eine exegetische Überprüfung der Texte, in denen die poetische Personifikation vorkommt, unabdingbar.
4. Die Weisheitsgestalt als Gegenüber der fremden bzw. törichten
Frau
Die Weisheitsgestalt ist nicht die einzige weibliche Figur in Prov 1-9. Ihr stehen zum einen die HIT niPN oder mT D• :l T' hier als „fremde Frau" TT T • " wiedergegeben, in Prov 2,16-19; 5; 6,24-35 und 7,5-27 gegenüber sowie zum anderen die „törichte Frau" ( m V o s ritt'S) in 9,13-18. 294 Diese Figuren sind für die Interpretation der Weisheitsgestalt von Bedeutung. Die in der Forschung vertretenen unterschiedlichen Verhältnisbestimmungen der Weisheitsgestalt zur „fremden" bzw. „törichten Frau" sollen im folgenden thesenartig zusammengefaßt werden. 295 Eine Beurteilung der Thesen kann erst nach der Einzelexegese vorgenommen werden, 296 weshalb am Schluß dieses Abschnitts auf eine Auswertung verzichtet werden kann. 293
Hiermit ist eine eingehende historisch-kritische Untersuchung der Texte gemeint. Die m ^ ' p ? wird hier nicht - wie meist - als „Frau Torheit" wiedergegeben, da diese Übersetzung grammatisch nicht korrekt ist. Richtig ist, die Constructus-Verbindung als „Frau von Torheit", d. h. „törichte Frau", zu übersetzen (so z. B. ROBERT 1934, 379 und im Anschluß an ihn STEIERT 1990, 306). Beide Figuren - die „fremde Frau" und die „törichte Frau" - werden zumeist als ein typisiertes Gegenüber der Weisheitsgestalt angesehen, so z.B. von PLÖGER 1984, 28.106-109 sowie detaillierter bei MAIER 1995, 256-258 u. ö. Dies soll auch hier geschehen, da zahlreiche Gemeinsamkeiten zwischen fremder und törichter Frau vorhanden sind. Im folgenden wird jeweils die Terminologie der Autorinnen und Autoren übernommen. 295 Hier sollen nur diejenigen Ansätze etwas ausführlicher dargestellt werden, die bisher noch nicht erwähnt wurden (BUCHANAN 1965; HABEL 1972; ALETTI 1977; BREN294
NER 1985; MURPHY 1988; O'CONNELL 1991, MAIER 1995). Alle anderen sind bereits in
den vorangegangenen Teilen breiter dargestellt worden. Eine breitere Darstellung der Forschung zur „fremden Frau" findet sich bei MAIER 1995, 7-24. 296 Unten soll auf S. 322-325 zu diesem Thema abschließend Stellung genommen werden.
38
Zur Forschungsgeschichte
a) Die Weisheitsgestalt findet in der fremden bzw. törichten Frau eine inhaltliche oder theologische Antithese. Diettrich sieht dies als gegeben an, da er der Torheit und der Fremden eine andere „Gottes- und Sittenerkenntnis" 297 als diejenige Israels zuschreibt. Zentral sind für diese „philosophische Spekulation" 298 die Totenanrufung, 2 9 9 der Vortrag der anderen Sittenerkenntnis in „glänzender Form" 3 0 0 sowie insgesamt die Verehrung eines Gottes, der als „sittlich indifferente Größe beurteilt" werden muß. 3 0 1 Diese Thesen sind anhand der Texte kaum verifizierbar und werden in der Forschung nicht mehr vertreten. 302 Direkt widerspricht ihnen Stecher. Die Torheit ist ihm zufolge keine Vorstellung, die sich auf der theologischen Ebene der Weisheitsgestalt befindet, da weder auf Herkunft und Wesen der Torheit reflektiert wird noch die Ewigkeit der Torheit - die sie als der Weisheitsgestalt analoge Vorstellung haben müßte - erwähnt wird. Auch werde diese Vorstellung literarisch in der Bibel nach Prov 9,18 nicht mehr fortgeführt. „Nur auf der Ebene moralischer Auseinandersetzung werden die beiden in dichterischen Bildern geschildert ,.." 3 0 3 In eine ähnliche Richtung geht die These von Christi Maier, die in ihrer exegetisch und sozialgeschichtlich ausgerichteten Studie zu dem Ergebnis kommt: „Der Gegensatz von Weisheit und ,fremder Frau' macht sich ... vor allem an den Folgen fest, die ein Umgang mit ihnen hat ... Die literarischen Gestalten repräsentieren zwei diametral entgegengesetzte Richtungen des .Lebensweges': Die Metapher , Leben' drückt nicht nur die Existenz als solche aus, sondern meint im Verbund mit Reichtum und Ansehen erfülltes, sinnvolles, an den gesellschaftlichen und religiösen Normen orientiertes Leben. Ebenso bezieht sich die Metapher ,Tod' nicht in erster Linie auf das physische Lebensende, sondern umschreibt das Phänomen des sozialen Todes, den Verlust der Gruppensolidarität und den Ausschluß aus der Gemeinschaft." 3 0 4
297
DIETTRICH 1908, 507; dazu vgl. auch oben auf S. 28f. AaO. 510. 299 AaO. 507. 300 AaO. 510. 301 AaO. 511. 302 Allerdings kommt COOK 1994 zu dem Schluß, daß die „fremde Frau" in Prov 2, 5, 6, 7 und 9 in der LXX als Metapher für die fremde, d. h. außerisraelitische Weisheit zu verstehen sei. 303 STECHER 1953, 443; vgl. oben auf S. 31. Ähnlich argumentiert später CAZELLES 298
1959, 515. 304 MAIER 1995, 257.
Die Deutungskategorien
der
Weisheitsgestalt
39
b) Das Verhältnis der fremden Frau zur Weisheitsgestalt spiegelt die Auseinandersetzung zwischen sog. „Fremdkulten'305 und dem JHWHGlauben Israels wider. So läßt sich die entsprechende These von Diettrich306 zusammenfassen. Ähnlich formuliert es Marcus-. „... the mythological associations of Wisdom's rival should not prevent us from recognizing that ,the foreign woman' is a poetic personification of pagan idolatry and foreign culture, contrasted with the Israelite way of life. No other interpretation of this contrast between the two personifications makes equally good sense in the light of Israelite Wisdom literature and the history of ancient literary forms." 307 c) Die Schaffung der Weisheitsgestalt ist durch das Vorhandensein der „fremden Frau " motiviert worden. Diese These wird von G. Boström geäußert. Die Weisheit als Braut (u. a. in Prov 7,4f.) wird „direkt in bewussten Gegensatz zu der sexuellen Verbindung mit dem fremden Weibe gestellt. Die Weisheit als Braut ersetzt das fremde Weib."308 „In Spr. 1-9 erscheint die Weisheit sehr deutlich als ein Ersatz für und ein Schutz vor dem Kult der Liebesgöttin." 309 Ähnlich formuliert es Athalya Brenner in ihrem kurzen Überblick über soziale Rollen und literarische Typen von Frauen im biblischen Israel: „It seems possible that the prototyped description of the Foreign Woman serves as a literary model for the personified figure of Wisdom, notwithstanding their being antithetical in so many ways. Thus a wellknown but negative type is utilized to create a new, original and positive type: Wisdom is, in a sense, the Foreign Woman's daughter." 310 d) Die fremde Frau bildet ein Negativfolie, von der sich die Weisheitsgestalt umso positiver abheben kann. Die Verfolgung dieser Intention vermutet Göttsberger hinter der - nun als sekundär gedachten - Einführung der fremden Frau; es „läßt sich die Absicht des Dichters nicht verkennen, sich dadurch eine wohlklingende Resonanz zu verschaffen für seine ,Frau Weisheit' ,.." 311 Ganz so weit 305 Unter diesem eine alttestamentliche Perspektive spiegelnden Terminus sind hier Religionen zu verstehen, die es im Alten Israel neben der JHWH-Religion gegeben hat. 306
307
DIETTRICH 1 9 0 8 , 5 0 7 - 5 1 3 .
MARCUS 1950/51, 165; vgl. oben auf S. 30f. In den Grundzügen ähnlich, aber in der Konsequenz radikaler vertritt auch G. BOSTRÖM 1935, diese These; dazu s.o. auf S. 14f. 308
G . BOSTRÖM 1 9 3 5 , 1 6 2 .
309
AaO. 174.
310
BRENNER 1 9 8 5 , 4 4 . GÖTTSBERGER 1 9 1 9 , 2 4 .
311
40
Zur Forschungsgeschichte
geht Roland E. Murphy nicht, wenn er die fremde Frau als „a foil for presenting the charms of Wisdom" bezeichnet. 312 e) In Prov 1-7 werden die fremde Frau und die Weisheitsgestalt so geschildert, daß bei den Lesenden eine Sprachverwirrung hervorgerufen wird, die erst in Kap 8 und 9 durch die Rede von der Vorgeschöpflichkeit der personifizierten Weisheit wieder aufgehoben wird. Dies wird in einer gründlichen sprachlichen und strukturellen Analyse von Jean-Noël Aletti für Prov 1-9 überzeugend herausgearbeitet. 313 Auch Robert O'Cornell stellt den zweideutigen Charakter des Handelns der fremden Frau in Prov 7,16f. heraus, ohne allerdings weitere Schlüsse hinsichtlich des Verhältnisses der Fremden zur Weisheitsgestalt zu ziehen. 314 Einen stärkeren Akzent auf die symbolische Einheit, die die fremde Frau trotz ihrer Zweideutigkeit, die sich in ihrer Rolle als Betrügerin ausdrückt - und die Weisheitsgestalt bilden, legt Camp. „In their embodiment, Woman Wisdom and the Strange Woman are one ... As woman, her dual path runs from heaven to Sheol and back, never failing to pass through human territory. The unity of the imagery is important for the same reason the trickster is important. It is a way of representing, and thus encompassing, the anomaly that exists in human life." 315 f) Im Dualismus von fremder Frau und Weisheitsgestalt findet sich eine frühe Form der (Zwei-) Wege-Lehre. Während Marcus lediglich von einer Allegorie der zwei Frauen - fremder Frau und Weisheit - spricht, 316 sieht Stecher in Prov 9 schon eine dualistische Struktur vorliegen, wie sie sich ihm zufolge bei der Darstellung ethischer Unterweisung anbietet. 317 Einen anderen Ansatz wählt George W. Buchanan bei seiner Auslegung von Prov 1-9. Er stellt fest, daß in Prov 2,20-7,3 eine midraschartige Auf312
313
MURPHY 1988, 603.
ALETTI stellt zusammenfassend fest: „Tout l'effort rhétorique des chapitres précédents [in bezug auf Prov 8] visait à démarquer cette faculté que l'homme a, par son discours, de rendre les choses ambiguës, de les détourner de leur fin. Seule donc la sagesse peut nous mener sûrement à Dieu: elle en vient et elle est depuis toujours auprès de lui. A la parole perverse dont le projet caché est de semer le désordre, la sagesse oppose la sienne, parole d'ordre s'il en est, puisqu'elle nous raconte l'ordonnance du monde." ALETTI 1977, 143. 314 O'CONNELL 1991, insbes. 238. 315
316
CAMP 1988, 29.
„Here it may suffice to recall that the personifications of Wisdom and Folly or Vice and Virtue and the like are contrasted women, the one beautiful and simple, the other ugly and painted, appear in a number of ancient pagan and Jewish or Christian writers, such as Empedocles, Prodicus (apud Xenophon), Aeschylus, Philo, Paul, Dio Chrysostom, Lucian and Hermas." MARCUS 1950/51, 165. 317
STECHER 1953, 4 4 3 .
Die theologische Funktion der
Weisheitsgestalt
41
nähme der Ermahnungen von Dtn 11,18-22 (und dessen Paralleltext Dtn 6,4-9) vorliegt,318 wobei die Wege-Lehre319 eine wichtige Rolle spielt.320 Buchanan zieht nicht explizit die Verbindung der zwei Wege zu den zwei weiblichen Gestalten in Prov 1-9. 321 Ausgeführt hat diesen Zusammenhang in bezug auf die symbolische Auslegungsebene Norman C. Habel, bei dem Weisheit und fremde Frau als Untersymbole der zwei Wege erscheinen.322
III
Die theologische
Funktion
der
Weisheitsgestalt
Der Übersichtlichkeit halber wird die Vielzahl der in diesem Abschnitt zu behandelnden Forschungsansätze bereits systematisiert dargestellt. Innerhalb der Systematik soll chronologisch vorgegangen werden. Da einige der hier zu betrachtenden Ansätze schon in den vorangegangenen Abschnitten dargestellt wurden, werden hier nur die noch nicht erläuterten Positionen eingehender besprochen. Innerhalb der Forschung besteht ein breiter Konsens darüber, daß es sich bei der Weisheitsgestalt theologisch gesehen um eine Mittlerin323 handelt. 324 Im folgenden sollen nun die verschiedenen Aspekte dieser Mittlerinnenstellung der Weisheitsgestalt anhand ausgewählter Forschungspositionen dargestellt werden.325 318
319
BUCHANAN 1 9 6 5 , 2 3 8 .
Als spätere Ausformulierungen der Zwei-Wege-Lehre führt BUCHANAN Teile der Gemeinderegel von Qumran (1 QS III 17-18) sowie der Didache (Did l,lff.) an; aaO. 234f. 320 „Le commentateur de Proverbes a choisi pour son interprétation une exhortation qui est au centre du code légal d'Israël. Bien qu'il n'ait pas usé du terme technique, halakah, qui décrit les parties juridiques de la littérature rabbinique, c'est en termes halakiques qu'il expose la voie où le fils fidèle d'Israël doit marcher et celle où il ne doit pas marcher." AaO. 234. 321 Dies hätte BUCHANANS Argumentation nicht weiter gedient. Die Verbindung zwischen den zwei Wegen und den beiden weiblichen Gestalten in Prov 1-9 geht m. E. jedoch so eindeutig aus dem Text hervor, daß sich begründet annehmen läßt, daß sie BUCHANAN präsent gewesen ist. 322 HABEL 1972, 133.141. 323 Unter Verletzung der in der deutschen Sprache geltenden Kongruenzregel wird die - weibliche - Weisheitsgestalt von einigen Forschern männlich tituliert; bei KRAUS 1951, 46 ist sie „Repräsentant"; in der deutschen Übersetzung von TOURNAY 1966, 771 wird sie in ihrer „Mittlerrolle" beschrieben, und VON RAD 1985, 213 spricht sie als „Offenbarungsträger" bzw. „-mittler" an. 324 Die einzige Ausnahme bildet DIETTRICH 1908, 492, der in seiner Untersuchung davon ausgeht, daß die Weisheitsgestalt die göttliche Transzendenz verstärkt und einen größeren Abstand zwischen Gott und Menschen gewährleistet. 325 Dabei entstammt die Unterscheidung zwischen Position und Funktion einer „Mittlergestalt" (zu letzterer zählt die Offenbarung) dem Artikel von GOLDAMMER 1960.
42
Zur
Forschungsgeschichte
1. Die Position der Weisheitsgestalt als Mittlerin Erstmalig wird die Weisheitsgestalt in den Proverbien, in Sirach und der Weisheit Salomos von Heinisch326 in ihrer Rolle als Mittlerin gewürdigt. Nach einer Darstellung ihrer Beziehung zu Gott, zum Kosmos und zu den Menschen faßt er zusammen: „So ist also die Weisheit M i t t l e r i n , indem sie den Menschen zu Gott hinführt ,.." 327 Dezidiert als Mittlerin zwischen IAO "ÎOQ Gott und den Menschen bezeichnen Kraus sowie Tournay die Weisheitsgestalt von Prov 1-9. Überzeugend entwickelt Jean-Noël Aletti anhand der sprachlichen Struktur des Textes Prov 8,22-31 die Mittlerinnenposition der Weisheitsgestalt. Er arbeitet nach gründlicher Analyse des Stils, der Komposition sowie der syntagmatischen und semantischen Veränderungen 330 die Beschreibung des Ursprungs der Weisheit und Entfaltung ihrer Mittlerinnenposition zwischen Gott und Menschen als Thema des Textes heraus. 331 In der Textstruktur ließe sich die Mediation als Aussageabsicht332 festmachen, weil die Weisheit im Textverlauf zwischen Gott und den Menschen auftritt. Auch dadurch, daß sie zwar der vorweltlichen Zeit, also - wie Gott - der Ewigkeit entstammt, andererseits aber doch - wie Welt und Menschen - erschaffen wurde, werde ihre Mittlerinnenposition deutlich. 333 Über Prov 1-9 hinausgehend wertet Pierre Bonnard die Texte zur Weisheitsgestalt aus. Er begründet ihre Mittlerinnenposition damit, daß schon das Wesen ihrer Personifikation Gott und Mensch umfaßt: „A coup sûr cette personnification nous conduit vers une Personne et laisse pressentir la double parenté qui sera la sienne: parenté avec Dieu, parenté avec l'homme... Son aspect à la fois divin et humaine, sa parenté avec le Créateur et avec la créature, son rôle de médiatrice entre le Seigneur et les enfants d'adam, son champ d'activité aussi vaste que le monde, son influence sur la marche de l'histoire sainte considérée ... postulent pour elle l'envergure d'une personnalité qui serait en même temps Dieu et homme. Tant qu'elle n'est représentée ici-bas que par des porte-parole occasionnels et une loi figée dans sa lettre, les hommes saluent en elle la Sagesse de Dieu personnifiée, qui s'approche d'eux ... " 334
Inwieweit sich dies für die auf Prov 1-9 beschränkte Weisheitsgestalt aussagen läßt, ist noch zu erweisen. 326
Breiter dargestellt wurde sein Ansatz oben auf S. 8.
327
HEINISCH 1923, 8. KRAUS 1951, 39. TOURNAY 1966, 771.
328 329
330 331 332 333 334
So beschreibt ALETTI 1976, 25 selbst sein Vorgehen. AaO. 35. AaO. 37. AaO. 31. BONNARD 1979, 135.
Die theologische Funktion der
Weisheitsgestalt
43
Auf die Texte von Prov 1-9 und 31 bezieht sich Camp, wenn sie der Weisheitsgestalt die Kraft zuschreibt, zwischen den Bereichen von Gott und Mensch zu vermitteln. 335 Ihr Ansatz soll unten 336 noch eingehender behandelt werden.
2. Die Offenbarungsfunktion
der
Weisheitsgestalt
Eine Vorform der Offenbarungsfunktion der gesamtalttestamentlichen Weisheitsgestalt wird zuerst von J. Meinhold337 beschrieben. Allerdings verwendet er den Begriff der Offenbarung nicht. J. Meinhold zufolge hat Gott die Weisheit in die Menschen eingehen lassen, wodurch die menschliche Vernunft nun einen göttlichen Funken enthält. 338 Die hierin ausgedrückte eher dingliche Vorstellung der Weisheit wird in der späteren Forschung zu Prov 1-9 nicht mehr aufgenommen; der Schwerpunkt liegt danach auf der Person der Offenbarungsmittlerin. Hans-Joachim Kraus legt in seiner Untersuchung zur Weisheitsgestalt in Prov 8 den Akzent auf die Offenbarungsfunktion der Weisheit als Person. 339 Im Anschluß vor allem an theologische Erwägungen Karl Barths stellt Kraus besonders den Begegnungscharakter der Offenbarung heraus. 340 Auch die Verbindung zum außerweisheitlichen Alten Testament hat Kraus im Auge, wenn er formuliert: „Die Weisheit ist die Offenbarung Gottes selbst ... Doch ist sie keine natürlich-sittliche Manifestation, sondern eine im Räume der alttestamentlichen Heilsgeschichte sich ereignende Selbsterschließung des Bundesgottes." 341 Zu Prov 8,36 merkt Kraus an: „So steht denn die Weisheit auf einer Linie mit dem Gesetz und den Propheten. Auch in ihr ist die O f f e n b a r u n g des gnadenvollen Zuspruchs und Anspruchs Gottes gegenwärtiges Ereignis. Die Weisheit gibt das Leben wie Gott selbst. Sie ist der neue, dem Menschen n a h e Repräsentant des Heilswillens Gottes." 342 Diese theologisch sehr weitgreifenden Aussagen von Kraus sind - so anregend sie für die weitere Forschung hätten sein können - kaum aufgegriffen worden. 335
CAMP 1985, 291; vgl. o b e n a u f S. 34f.
336
Dazu s. u. auf S. 50. J. MEINHOLDS Ansatz wurde oben auf S. 28 breiter dargestellt.
337 338
339
J. MEINHOLD 1908, 292f.
In seiner Arbeit soll neben der Analyse von Prov 8 auch eine Einführung in die Weisheitstheologie des AT sowie ein Einblick in die Zusammenhänge mit dem N T gegeben werden (KRAUS 1951, 5). Dies kann auf insgesamt nur 48 Seiten lediglich unbefriedigend ausgeführt werden. 340 KRAUS 1951, 13 (ZU Prov 8,1) und 17 (zu Prov 8,3). 341 AaO. 44. 342 AaO. 46.
44
Zur
Forschungsgeschichte
Erst Gerhard von Rad setzt in seiner grundlegenden theologischen Untersuchung zur israelitischen Weisheit die Auslegung auch der Texte über die Weisheitsgestalt fort. Nachdem über einen längeren Zeitraum hin in der Forschung vorwiegend nach außerisraelitischen Einflüssen auf die Weisheit im Alten Testament gesucht worden war,343 unternimmt es im Unterschied dazu von Rad, die Weisheit Israels aus ihrem eigenen Denkhorizont heraus zu verstehen 344 und ihr eigenes Wirklichkeitsverständnis zu erfassen. 345 Dabei untersucht er die Weisheitsgestalt in Hiob, Prov 1-9, Sirach und der Weisheit Salomos unter der programmatischen Überschrift „Die Selbstoffenbarung der Schöpfung". 346 Nach von Rad erscheinen in Prov 8 inhaltlich keine völlig neuen theologischen Vorstellungen.347 Das Ordnungsganze, das die Weisheitsgestalt verkörpert, wurde in Israel immer schon als hinter der Welt stehend angesehen. 348 Neu ist nach von Rad der personale Ausdruck dieser Ordnung und die Verhältnisbestimmung zu JHWH: „Das Interessanteste an dem Neuen ist doch dies, daß sich diese Weltordnung wie eine Person in einer direkten Anrede werbend und fördernd an den Menschen wendet." 349 Von Rad bestimmt die Rolle der Weisheitsgestalt folgendermaßen: „Nach der Meinung der Lehrer konnte sich Jahwe neben Priestern und Propheten noch eines ganz anderen Mediums bedienen, um die Menschen zu erreichen, nämlich der aus der Schöpfung ergehenden Stimme der Urordnung, und diesem Offenbarungsmittler galt das besondere Interesse der Weisen."350 Auch für die Einführung der Weisheitsgestalt bietet von Rad eine Erklärung. In der Königszeit, in die er Prov 1-9 datiert, „war ja die Epoche einer gewissen Individualisierung angebrochen", 351 die ein stärkeres Fragen der Einzelnen nach ihrem Verhältnis zu JHWH hervorbrachte. Darauf war nach von Rad der ältere JHWH-Glaube nicht vorbereitet. Innerhalb der weisheitlichen Theologie352 wird diese „theologische Lücke" durch die Lehre von der Selbst343 Innerhalb einer solchen Untersuchung kann z.B. SCHMID (1966, 151) auch eine Einordnung der Weisheitsgestalt als Offenbarungsmittlerin treffen. 344 VON RAD 1985, 8; die erste Auflage von „Weisheit in Israel" ist 1970 erschienen. 345 AaO. 17. 346 AaO. 189-228. 347 AaO. 201. 348 Kritik an dieser „Lokalisierung" der Weisheitsgestalt und damit an VON RADS theologischem Konzept äußert u.a. LANG 1986b, 146, der die Weisheit als Göttin, die über der Welt steht, ansieht. 349 VON R A D 1985, 204. 350 AaO. 213. 351 AaO. 214. 352 Das Verhältnis der Weisheit zum außerweisheitlichen israelitischen Glauben wird bei VON RAD m. E. nicht hinreichend thematisiert. Auch die Tatsache, daß er die „Weisheit in Israel" in einem eigenen Werk nicht mehr im Kontext einer Theologie des AT behandelt, läßt darauf schließen, daß VON RAD den theologischen Bruch zwischen weisheitlichen und nichtweisheitlichen atl Schriften als sehr stark eingeschätzt hat. Eine in
Die theologische Funktion der Weisheitsgestalt
45
Offenbarung der Schöpfung, die an die Einzelnen in der Person der Weisheitsgestalt ergeht, gefüllt. 3 5 3 D a s - theologisch problematische - Verhältnis dieser neuen Offenbarungsweise J H W H s zu anderen, älteren alttestamentlichen OfTenbarungsträgern wird nach von Rad erst zur Zeit Sirachs geklärt. Davor, zumal in Prov 1-9, ist darin jedenfalls für die Weisen keine Schwierigkeit gesehen worden, zu der sie hätten Stellung nehmen müssen. 354 Diese theologische Einordnung der Weisheitsgestalt ist mit ihrem Bemühen u m eine Erklärung der Gestalt aus der historischen und theologischen Situation Israels heraus in der Forschung lange Zeit ohne Alternative gewesen. Erst in der feministisch-theologischen Forschung, insbesondere in der Arbeit Camps, wird ein ähnlich umfassendes Erklärungsmodell geboten. 3 5 5 Die Auslegerinnen und Ausleger der Weisheitsgestalt nach von Rad nehmen seine Thesen selten direkt auf. Aletti zufolge drückt sich in der Weisheitsgestalt der Wunsch Gottes aus, bei den Menschen zu sein: „En Pr 8,22-31 (et plus largement en Pr 8), la terre permet à l'homme de subsister, mais elle ne lui donne pas accès à Dieu: c'est à la sagesse d'aller à la rencontre de l'homme." 3 5 6 Bonnard gesteht der Weisheitsgestalt einen Offenbarungscharakter zu: „... elle est une personnification révélatrice ,.."357 In einer Untersuchung, die eine Linie der Offenbarungen Gottes von den Texten der Weisheitsgestalt (Hi 28; Prov 8; Sir 24) bis hin zu Jesus Christus zieht, geht Hartmut Gese noch einen Schritt weiter: „In der Schöpfungsordnung vermittelt sich Gott an die Welt, und in der Erkenntnis der Weisheit kommt diese Vermittlung zum Ziel. Daß die Vorstellung der Weisheit als Gott und Mensch gegenüberstehende Person revelatorischen Charakter hat, dem biblischen Offenbarungsdenken entspricht, wird hier vollends deutlich. Die Sophia erscheint als mediatrix Dei. Jede Erkenntnis der Sophia auf Seiten des Menschen führt zur Teilnahme an Gott. In ihr erschließt sich Gott dem erkennenden und denkenden Menschen. In der Welt ist der Mensch nicht absolut von Gott getrennt, sondern in der Erkenntnis der Schöpfungsordnung nimmt er teil am Werk der Schöpfung und ist der Welt nicht nur dumpf und bewußtlos unterworfen." 358 diese Richtung gehende Aussage macht VON RAD aaO. 390: „Diese Weisheit [die Weisheit Israels] ist also unter allen Umständen als eine Form des Jahweglaubens anzusprechen; obwohl - bedingt durch die Besonderheit der gestellten Aufgaben - als eine besondere Form und in der theologischen Struktur ihrer Aussagen sehr verschieden von anderen Selbstdarstellungen des Jahweglaubens." (Hervorhebung G. B.) 353 AaO. 215. 354 Ebd. 355 Dazu s. u. auf S. 50. 356 357 358
ALETTI 1976, 36. BONNARD 1979, 135. GESE 1979, 87.
46
Zur
Forschungsgeschichte
Der hier geäußerte Gedanke der Teilnahme an Gott durch die Erkenntnis der Schöpfungsordnung in der Person der Weisheit ist es wert, noch genauer am Text von Prov 1-9 verifiziert zu werden, was Gese in seinem Aufsatz nicht leisten kann. Der Gedanke soll aber im weiteren Fortgang der Untersuchung im Blick behalten werden.
3. Aspekte der Verkündigung der
Weisheitsgestalt
In diesem Abschnitt werden die beiden in der Forschung am häufigsten genannten Aspekte der Verkündigung der Weisheitsgestalt dargestellt: die ethische Unterweisung und die Offenbarung der Schöpfungsordnung. Die Auslegung der Weiblichkeit der Weisheitsgestalt wird in einem eigenen Abschnitt dargestellt, da der Aspekt innerhalb eines eigenständigen theologisch-hermeneutischen Ansatzes behandelt wird. 359 a) Die ethische Unterweisung In der Hauptsache wird dieser Aussageaspekt von älteren Exegeten 360 erwähnt. Diettrich spricht davon, daß in Prov 1-9 erstmals „die Jahwefurcht als unentbehrliches Fundament der Sittlichkeit erkannt" 361 wird. Letztgenanntes meint die Einsicht in das Leben als höchstes Gut und in die Pflicht des Menschen gegenüber Gott und den Nächsten. 362 Ausgeschlossen ist Diettrichs Meinung nach „das weite Gebiet des Weltklugen", 363 womit „eine Vertiefung der Auffassung vom Sittlichen" 364 gegeben ist. Die nachfolgende Forschung nennt zumeist nur den ethisch-„sittlichen" Aspekt der Weisheitsunterweisung, ohne ähnlich genaue Beschreibungen ihres Inhaltes zu geben wie Diettrich. Heinisch schreibt der alttestamentlichen Weisheitsgestalt die Funktion einer Erlöserin zu, da sie den Menschen „von der Sünde abhält und befähigt, ein sittenreines Leben zu führen." 365 Analog zum Messias erfüllt die Weisheitsgestalt in Prov 1-9 nach Roberts Entwurf eine doppelte Aufgabe; „... d'une à juger les méchants, l'autre à procurer l'avènement de la perfection morale et du bonheur 359 360
Dazu s. u. unter A.III.5. Daneben fällt auf, daß die hier vertretenen Exegeten bis auf
DIETTRICH
katholisch
sind. 361
362 363 364 365
D I E T T R I C H 1908, 488; zur breiteren Darstellung des Ansatzes s. o. auf S. 34f. AaO. 492-497. AaO. 497. Ebd. H E I N I S C H 1923, 8; vgl. oben auf S. 8.
Die theologische Funktion der
Weisheitsgestalt
AI
,.." 3 6 6 Auf letzteres hebt auch Tournay ab. Ihm zufolge ist die Weisheitsgestalt „zu den Menschen gesandt, um ihnen das Glück zu bringen." 367 In der neueren Forschung findet sich zu diesem Aspekt der Weisheitsverkündigung lediglich die These Längs, daß die israelitischen Schulmeister der Weisheitsgestalt ihre eigenen Ermahnungen in den Mund gelegt hätten, 3 6 8 sowie die Anregung von Korenhof zur stärkeren feministischtheologischen Rezeption der Ethik der Weisheitsgestalt. 369 Bemerkenswert ist m. E., daß der Aspekt der ethischen Unterweisung in der Forschung nicht eingehender zur Kenntnis genommen bzw. mit der theologischen Bedeutung der Weisheitsgestalt in Beziehung gesetzt wird, zumal ein wesentlicher Teil von Prov 1-9 aus ethischen Unterweisungen besteht. b) Das Verhältnis der Weisheitsgestalt zur Schöpfungsordnung Dieser Schwerpunkt weisheitlicher Verkündigung ist breiter gewürdigt worden als der vorangehende. Als Textgrundlage wird zumeist Prov 3,19f. und 8,22-31 gewählt. Nachdem zunächst J. Meinhold den allgemeinen Zusammenhang zwischen Weisheit und Ordnung der Schöpfung durch Gott anführt, 3 7 0 bezeichnet später Kraus die Weisheitsgestalt in Prov 8,29 als „Schöpfungsmittlerin". 371 Raymond Jacques Tournay hebt in seinem kurzen Aufsatz zu Prov 1-9 darauf ab, daß in den o. g. Texten die Weisheit durch die Rede von der Schöpfung ihr Verhältnis zu Gott darstellt. 372 Für Prov 1-9 stellt er fest, daß dort ständig ältere alttestamentliche Schriften verwertet sowie in die neue Perspektive der Schöpfung gestellt werden. 373 Der Aspekt der Verarbeitung älterer alttestamentlicher Schriften in Prov 1-9 ist außer von Robert und Tournay kaum bemerkt worden. Die Wertschätzung der Schöpfungstheologie durch die Weisheit Israels insgesamt wird dagegen in der Forschung allgemein anerkannt. 3 7 4
1935, 523f.; vgl. oben auf S. 9. 1966, 771; mehr zu seinem Ansatz s. u. auf S. 47. 368 „Perhaps the school goddess was a rather pale figure of which the students were not particularly fond, despite of her erotic appeal. It was all too evident that the schoolmasters were putting their own exhortations into her divine mouth." L A N G 1986b, 130. 366
ROBERT
367
TOURNAY
369
KORENHOF 1 9 8 8 , 1 2 5 f .
1908, 292; vgl. oben auf S. 28. 1951, 41: „Weisheit hat Gottes Tun geleitet. Die in unserem Kapitel als Person, als Hypostase auftretende Machtgröße ist die Schöpfungsmittlerin. Sie offenbart j e t z t die Vollkommenheit des Wirkens Gottes." 370
J. MEINHOLD
371
KRAUS
372
TOURNAY 1 9 6 6 , 7 7 1 .
373
AaO. 772.
374
S o z . B . b e i ZIMMERLI 1 9 6 3 , 3 0 2 .
48
Zur Forschungsgeschichte
Den Bezug der Weisheitsgestalt zur Schöpfung hat besonders von Rad herausgearbeitet. Wie oben 375 schon ausgeführt, offenbart sich seiner These zufolge in der Weisheitsgestalt die Schöpfungsordnung selbst und spricht zu den Menschen. 376 „Dieses weltimmanente Etwas, das die Texte ,Weisheit' nennen, können wir nur umschreiben." Es kann dabei „als ,Urordnung', als ,Ordnungsgeheimnis' oder ,Weltvernunft'", als der „der Welt von Gott eingeschaffene[n] ,Sinn' oder als die zurückreflektierte , Herrlichkeit' der Welt" 377 angesprochen werden. Israel findet diese „Urordnung" Weisheitsgestalt als „ein Weltgeheimnis, das ihm helfend zugekehrt ist, das sich schon auf dem Weg zu ihm befindet, ja schon vor seiner Türe sitzt und auf ihn wartet." 378 Von Rad sieht allerdings auch das Problem, das eine derart positive theologische Sicht von Welt und Schöpfung mit sich bringt: „Der Preis freilich, den Israel zu zahlen hatte für diese Weigerung, die Welt dualistisch aufzuspalten, um sie stattdessen als gute Schöpfung anzusehen, offen in jeder ihrer Bewegungen nach Gott hin, könnte hoch erscheinen. Israel war nun genötigt, alle die beunruhigenden Störungen als Setzungen oder Fügungen Jahwes zu verstehen." 379 Gegen von Radi, Gesamtentwurf der Weisheitstheologie sind zahlreiche Stimmen laut geworden. 380 Die nachfolgende Forschung ist insbesondere von von Radi, Einschätzung1 Qder Weisheitsgestalt als einer Eigenschaft der IQ 1 ^ OOl Welt abgewichen. Aletti sowie Gese nehmen den göttlichen Ursprung der Weisheitsgestalt an bzw. die Vermittlung Gottes in der Schöpfungsordnung durch die Weisheit an die Welt. Eine zwischen diesen Positionen vermittelnde theologische Untersuchung steht in der Forschung noch aus. Darüber hinaus liegt noch kein Ansatz vor, der die hier unter a) und b) aufgeführten Aspekte gemeinsam auswerten würde. 4. Die Weisheitsgestalt
im Verhältnis zur Konzeption des Messias
Dieser Aspekt ist bisher nur wenig erforscht worden. Robert384 zieht in seiner Untersuchung das Resümee, daß in Prov 1-9 eine der messianischen Zeit sehr ähnliche Epoche anvisiert wird. Dies erfordert eine der Person 375 376 377 378 379 380 381
S. o. auf S. 43-45. VON RAD 1985, 204.213. AaO. 204. AaO. 228. AaO. 389. Exemplarisch sei ZIMMERLI V O N R A D 1985, 204.
382
ALETTI 1 9 7 7 , 1 4 2 .
383
GESE 1 9 7 9 , 8 7 .
384
1971
Dazu eingehender s. o. auf S. 9.
genannt.
Die theologische Funktion der
Weisheitsgestalt
49
des Messias korrespondierende Konzeption, welche in der Weisheitsgestalt vorliegt. 385 Eine knappe Untersuchung der Geburt der Weisheit in Prov 8 hat Henri Cazelles vorgelegt. Er kommt zu dem Schluß, daß es in diesem Punkt starke Berührungen mit der messianischen Tradition gibt. „Elle est comme un Super-Roi et possède justement les qualités royalesque [sic! corr.: royales que] Isaïe (XI, I ss.) attribue au rejeton de Jesse ,.." 3 8 6 „La Sagesse est née d'un enfantement supernaturel, dans la ligne de ce qu'Isaïe disait du Roi Messie ,.." 3 8 7 In1 0 0bezug auf die Rolle als1 0 QMittlerin vergleichen Raymond Jacques Tournay und Martin Hengel die Weisheitsgestalt mit dem Messias bzw. Jesus Christus. In der jüngeren neutestamentlichen Forschung wird auf die Verbindung zwischen der Christologie und der alttestamentlichen Weisheitsgestalt, insbesondere der präexistenten Weisheit in Prov 8, verstärkt eingegangen. 390 Hier ist vor allem die Arbeit von Gottfried Schimanowski391 zu nennen. Er untersucht die „Präexistenz von Weisheit und Messias in der jüdischen Tradition" 392 , wobei er sich bei der Einordnung der Weisheitsgestalt in Prov 8 an die These von Gese anlehnt 3 9 3 und von der Weisheit als „mediatrix Dei" spricht. 394 Schimanowski spricht davon, daß die Präexistenz der Weisheit „auf den Messias, den von Gott beauftragten eschatologischen Gesandten", 3 9 5 übertragen wurde: „Wie die Weisheit gehört auch er in die unmittelbare Nähe des göttlichen Thrones; hier wird er inthronisiert'; und wie die Weisheit erhält auch er seinen Auftrag schon vor dem Beginn der Geschichte ... Er nimmt dann in den BR [Bilderreden, d.h. Kap. 37-71] des äth. Henoch direkt Motive der präexistenten Weisheit von Spr 8 auf." 3 9 6 Aus alttestamentlicher Perspektive gesehen gibt es - abgesehen vom Ansatz von Gese (1979), der exegetisch aber sehr knapp gehalten ist - noch keine umfassenden Untersuchungen der Zusammenhänge zwischen Weis385 R O B E R T 1935, 523; zu den analogen Funktionen von Weisheitsgestalt und Messias vgl. das Zitat von R O B E R T oben in Anm. 64. 386
CAZELLES 1 9 5 9 , 5 1 4 .
387
AaO. 515.
388
TOURNAY 1966, 7 7 1 .
389
HENGEL 1979, 176f.
390
In der älteren ntl Forschung vgl. B U L T M A N N 1923 und W I L C K E N S 1959; neuere Ansätze sind bei C H R I S T 1970, SCHUESSLER F I O R E N Z A 1975, VON L I P S 1990 und SCHROER 1991b ZU f i n d e n . 391
SCHIMANOWSKI
392
So lautet der Titel der Dissertation, die der Publikation zugrundeliegt.
393
Z u GESE S. O. S. 4 5 .
1985.
394
SCHIMANOWSKI 1 9 8 5 , 3 4 . 3 0 5 .
395
AaO. 307. Ebd.
396
50
Zur Forschungsgeschichte
heitsgestalt und messianischer Konzeption. Gegen Schluß dieser Arbeit 397 soll das Problem noch genauer in den Blick genommen werden.
5. Die feministisch-theologische Perspektive: Die Weiblichkeit der Weisheit als Theologumenon des nachexilischen Israel In der Arbeit von Claudia V. Camp398 wird die theologische Funktion der Weisheitsgestalt in Prov 1-9 als die einer Mittlerin in einem umfassenderen Sinn verstanden, als es bisher in der Forschung der Fall gewesen ist. Die weibliche Metaphorik der Weisheitsgestalt hat die Kraft, „to mediate the divine and human realms. N o t only is it capable of this sort of mediation, but it does so in such a way as to take over the symbolic role of the king in this regard. As counselor, lover, and administrator of divine justice, female Wisd o m assumes the functions and images once belonging to the king and his court. Further, in the image of exalted female Wisdom, the power of the traditional indirection of wisdom is poetically magnified by association with the typical effective indirection of women in a way that theologically interprets the situation of a politically powerless community. A new image of faith is held u p that effectively mediated the post-exilic community's view of Yahweh's universal rulership in wisdom with their own diminished political stature. This new image suggests a suitable approach to life in these circumstances, namely, one of effectiveness through the wisdom of subtlety and indirection and of identity based in the home built by wisdom." 3 9 9
Etwas anders wird der Akzent bei Susan Cady, Marian Ronan und Hai Taussig gesetzt. Die Autorinnen betrachten die Weisheitsgestalt des Alten Testaments mitsamt der zwischentestamentlichen Literatur und werten sie feministisch-theologisch aus. „She is a co-creator with the Hebrew God, she is a heavenly queen, she is a messenger from God, and she is God's lover."400 In der Weisheitsgestalt wird ihnen zufolge in Abgrenzung zu anderen alttestamentlichen Strömungen ein Votum für eine theologische Auseinandersetzung mit der Welt und dem Heute gegeben. 401 Auch die Aufnahme göttinnenähnlicher Attribute durch die Weisheit verdient eine eigene theologische Würdigung: „That Sophia developed into a figure in 397 398 399 400
401
Dazu s. u. S. 300-303. CAMP 1985; ihr Ansatz wurde oben auf S. 33-35 schon ausführlicher dargestellt. AaO. 291. CADY U . A. 1986, 32.
„She encourages or rather demands reflection on the meaning of a wide variety of happenings in the world. In this she runs counter to the tendencies (particularly among the priestly class of Israel) in later Hebrew tradition to withdraw Hebrew faith into a nostalgia for the earlier, ,holier' times. Sophia calls for humans to think about what is happening in their world. She promises that such disciplined reflection will be rewarded in this world. She makes this call in a way which relates such reflective worldliness to the Hebrew God." AaO. 36f.
Die theologische
Funktion der
Weisheitsgestalt
51
her own right is noteworthy in itself; that she took on goddess-like qualities, calling people to herself in much the way that G o d does and even taking G o d ' s place as a saving figure in history, is even more remarkable." 4 0 2 Unter einer literaturwissenschaftlich und ideologiekritisch orientierten Fragestellung betrachtet Carol Newsom die Texte in Prov 1 - 9 einschließlich der Weisheitsgestalt. 403 Sie dekonstruiert in ihrer Untersuchung den Diskurs in Prov 1-9 besonders im Hinblick auf die Verwendung der Rede von sexueller Differenz. Dominierend ist im Text der „väterliche" Diskurs. D a ß die Lehrperson eine männliche ist, begründet Newsom dabei nicht näher. Die Lehrrede ist die Rede eines die traditionellen Werte der Gesellschaft vertretenden Vaters zu einem schweigenden Sohn, dessen Subjektposition einzunehmen den Lesenden nahegelegt wird. Als „Negativfolie" innerhalb der Vaterrede dient vor allem die „fremde Frau", die den inferioren Aspekt von Weiblichkeit in patriarchaler Sichtweise verkörpert und die als „anders" im Gegensatz zu allem Bekannten, Männlichen angesehen wird. Beide weiblichen Gestalten stehen als „Andere" auf der Grenze der väterlichen Wertewelt: Während die „Fremde" die Grenze zum chaotischen Bereich markiert, in dem traditionelle gesellschaftliche Regeln keine Geltung besitzen, nimmt die Weisheitsgestalt den anderen Pol, den „superioren" Aspekt, ein. Sie markiert die Grenze zum Himmel. Ihren besonderen Ort innerhalb von Prov 1-9 gewinnt die Weisheitsrede durch die N ä h e zur väterlichen Mahnung: „Her voice, of course, is the cultural voice that speaks through the father, the voice that grounds the socialfathers: the kings, rulers, princes, nobles of verses [Prov 8,] 15-16. Hers is the voice that mediates between the transcendent father and his earthly sons." 4 0 4 Die Weisheit dient dank zahlreicher Parallelen zur väterlichen Rede sie spricht wie er öffentlich, direkt und autoritativ - dieser als transzendente Legitimation. So versucht die Vaterrede, sich der Kritik der Lesenden durch Bezug auf eine höhere Autorität zu entziehen. 4 0 5 Die Weisheitsgestalt wird also von Newsom - anders als von Camp und Cady u. a. negativ bewertet und als eine literarische Gestalt angesehen, die innerhalb frauenunterdrückender Verhältnisse die Stimme dieser Ordnung repräsentiert und deren Aufrechterhaltung dient. Unter Aufnahme der Ergebnisse der Ansätze von Camp und Cady u. a. betrachtet Silvia Schwer die Weisheitsgestalt innerhalb der Diskussion um den nachexilischen Monotheismus Israels.
402
AaO. 37.
403
NEWSOM 1989; zur Weisheitsgestalt v.a. 155-157.
404 405
AaO. 156. AaO. 150.
52
Zur
Forschungsgeschichte
„Die personifizierte Chokmah ist kein Angriff auf die alte israelitische und in der Weisheitstradition nie grundsätzlich in Frage gestellte Überzeugung, daß J H W H der Nationalgott Israels ist. Sie ist auch kein Angriff auf den seit dem Exil explizit formulierten Glauben, daß neben J H W H überhaupt keine anderen Gottheiten existieren. Und die Verfasser scheinen es gar nicht für nötig erachtet zu haben, apologetisch das .richtige', monotheistische Verständnis der Chokmah zu verteidigen. Die personifizierte Weisheit ist vielmehr der völlig unpolemische Versuch, an die Stelle des männlichen Gottesbildes und neben dieses Gottesbild ein weibliches zu setzen, das den Gott Israels mit der Erfahrung und dem Leben besonders der Frauen in Israel, den Nationalgott mit dem Bereich der Hausreligion und darüber hinaus mit den Bildern und Rollen der altorientalischen Göttinnen verbindet." Die Weisheitsgestalt ist „ein weisheitlicher Beitrag zur Entwicklung des frühnachexilischen Monotheismus, eine Spielart des Monotheismus, die sich Freiheiten über die patriarchalen Gottesbilder hinaus nehmen konnte und ohne Hemmungen die Göttinnen sogar mit ihrer erotischen Sphäre zu integrieren vermochte." 4 0 6
Dabei ist für Schwer die Weisheitsgestalt nicht - wie für die meisten Exegetinnen und Exegeten vor ihr - Gestalt unter oder neben J H W H . „Die Chokmah ist ein Gegenüber für JHWH, ein göttliches Gegenüber. Aber sie ist nicht Kind, nicht Tochter, nicht Göttin neben J H W H und auch keine vermittelnde Hypostase, die einen Aspekt dieses Gottes divinisiert. Die Chokmah ist der Gott Israels im Bild der Frau und in der Sprache der Göttinnen." 4 0 7 Sie „personifiziert in besonderer Weise im Bild der Frau die Frauenweisheit, die für das Leben eines Israeliten und einer Israelitin identitätsstiftende und lebenssichernde Bedeutung hat." 4 0 8 - Ob sich eine Identität von J H W H und Weisheitsgestalt tatsächlich an Prov 1-9 festmachen läßt, haben die Untersuchungen im Fortgang dieser Arbeit zu erweisen. Einen methodischen Neuansatz der feministisch-theologischen Bibelinterpretation haben Athalya Brenner und Fokkelien van Dijk-Hemmes vorgelegt. 409 In ihrer Monographie analysieren sie alttestamentliche Texte mit einer auf literaturwissenschaftlichen und ethnologischen Theorien aufbauenden Methodik. Ihr Interesse ist es, die in den Texten vertretenen Geschlechterperspektiven zu bestimmen, was sie durch den englischen Ausdruck „gendering" bezeichnen. Sie suchen nach alttestamentlichen Texten, in denen sich trotz männlicher Verfasserschaft die Stimmen und Traditionen von Frauen geäußert haben. Solche „F-Texte", die sie von den durch eine männliche Perspektive geprägten „M-Texten" abheben, spiegeln SCHROER 1991a, 169. AaO. 167. Damit modifiziert SCHROER eine Aussage von SCHUESSLER F I O R E N Z A (1988, 180): „Die göttliche Sophia ist Israels Gottheit in der Sprache und der Gestalt der Göttin." 408 SCHROER 1991a, 162. 406
407
409
BRENNER/VAN DIJK-HEMMES
1993.
Die theologische Funktion der
Weisheitsgestalt
53
Frauenerfahrungen der unterschiedlichsten Art. Das von Brenner und van Dijk-Hemmes zugrundegelegte kulturelle Modell geht vom Vorhandensein einer von der dominanten männlichen Kultur unterschiedenen Frauenkultur aus; dies wird ethnologisch untermauert. Diese Frauenkultur stimmt daneben aber auch in Teilen mit der dominanten Kultur überein. Van Dijk-Hemmes kommt in ihrer Untersuchung zur Figur am Fenster aus Prov 7,6 zu dem Schluß, daß hier wahrscheinlich eine Frau spricht. 410 In den Reden der Weisheitsgestalt und insbesondere in Prov 8,14-16 kann van Dijk-Hemmes zwar ein Echo der alttestamentlichen Traditionen weiser Frauen vernehmen; 411 diese F-Stimme ist jedoch durch die Einbettung in den androzentrischen Rahmen der Lehrreden zum Schweigen gebracht worden 412 Mehr noch: „It is not only ,muted', but undergoes a transformation that enrolls her as advertiser for the dominant male culture." 413 Brenner versucht am Beispiel von Prov 1-9 zu erweisen, daß sich in den Reden der Lehrperson - obwohl sie eine männliche Perspektive wiedergeben - auch eine in weitgehender Übereinstimmung mit männlichen Interessen sprechenden Stimme einer Frau äußern kann, die ihren Sohn unterweist.414 In der Weisheitsgestalt sieht Brenner analog dazu eine mütterliche, ihre Söhne unterweisende Figur. 415 Die Zielgruppe der Texte seien Männer, die Metaphorik z. T. erotisch, aber der Ton in der Ich-Rede der Weisheitsgestalt sei vorwiegend mütterlich oder geschäftsmäßig. Das Verhältnis der Weisheitsgestalt zu JHWH werde in den Rollen einer gesellschaftlich angepaßten Frau geschildert: „Wisdom is God's possession, consort ... and then child ..." 416 Daneben ist die Weisheitsgestalt in Prov 9,1-6 - wie die Torheit - als nährende Mutter gezeichnet. Zusammenfassend läßt sich an dieser Stelle festhalten, daß die verschiedenen feministisch-theologischen Interpretationen der Weisheitsgestalt zu sehr unterschiedlichen Bewertungen kommen. Während Newsom und Brenner/van Dijk-Hemmes zu einer Negativeinschätzung der Weisheitsgestalt gelangen, deuten die anderen Ansätze die Weiblichkeit der Weisheitsgestalt positiv und auch unter theologischer Perspektive.417 Dies geschieht 410
AaO. 57-62. AaO. 53f. 412 AaO. 54. 413 Ebd. 414 AaO. 113-126. „I am aware that even when my reading is deemed viable it can nevertheless be argued that the textual voice is an M voice, presented as typically guarding paternity and its ensuing morality. Could it not, however, be the reflected dominant voice of a culture as it is introjected by F participants of that same culture ... ?" (AaO. 125). 415 Zur Weisheitsgestalt s. aaO. 126f. 416 Dieser Darstellung entspricht auch die Einschätzung der Weisheitsgestalt bei 411
BRENNER 1 9 9 3 , 1 9 6 f . 417 Diese Thesen schlagen sich z. B. schon im Proverbien-Kommentar von HOLD (1991, 45) nieder.
A . MEIN-
54
Zur Forschungsgeschichte
- zumindest bei Camp und Schwer - unter Auswertung alttestamentlicher und altorientalischer Frauen- bzw. Göttinnenbilder und unter Einbeziehung der historischen Situation Israels. Damit kann diese Deutung einen ähnlich umfassenden Auslegungsanspruch erheben wie sonst in der Forschung nur der Ansatz von Rads.
6.
Einzelaspekte
a) Die Freude bei der Schöpfung Den Aspekt des Spiels der Weisheitsgestalt in Prov 8,30f. hat Othmar Keel zum Gegenstand einer eingehenden Vergleichsuntersuchung mit Material aus der altorientalischen, vor allem ägyptischen, Ikonographie gemacht. Er stellt fest, daß - im Unterschied zur sonst in der Forschung vertretenen Meinung 418 - die Verbindung von Weisheit und Scherz durchaus möglich ist. 419 npnu>p in Prov 8,30f. läßt sich dahingehend auslegen, daß die Weisheit angesichts der Schöpfung Gottes, der sie beiwohnt, große Freude empfindet. 4 0 Auch ein kultisches oder liturgisches Element konzediert Keel dem Spiel der Weisheit: Im Erfreuen JHWHs liegt auch eine Absicht des Spiels.421 Für die theologische Sicht auf den Schöpfungsvorgang folgt daraus: „Nicht ein großer Kummer oder ein irrer Zufall, sondern eine übermütige Heiterkeit und eine untödliche Lebensfreude liegen dem All zugrunde." 422 b) Die Weisheit als Ratgeberin Auf die Funktion der Weisheitsgestalt als Ratgeberin beschränkt sich die Untersuchung Pieter A. H. de Boers. Er analysiert zunächst das im Alten Testament vorhandene Bild des Ratgebers bzw. der Ratgeberin, 423 um dann zu schließen: „On the supposition that the world of God is a counterpart of human life, the poems of Job (xxviii) and Proverbs (viii) picture divine counsel and divine counsellor." 424 „Wisdom in Proverbs
418
Exemplarisch repräsentiert durch STECHER 1953. KEEL 1974a, 60-66. 420 AaO. 61. 421 AaO. 62f. 422 AaO. 64. 423 „The counsellor, a dignitary of the royal court, or at any rate associated with the leaders of the tribe or the nation, is considered as one who knows commonly hidden, occult matters which are decisive for the future." D E BOER 1955, 62. 424 AaO. 70. 419
Die theologische Funktion der
Weisheitsgestalt
55
(viii) is Jhwh's counsellor denominated with her action, counsel, the wise word which is life-giving." 425 Camp knüpft in ihrer Arbeit an de Boers These an und entwickelt sie partiell weiter. Sie setzt die Ratgeberinnen-Funktion der Weisheitsgestalt in Verbindung zu dieser Funktion von Frauen im Alten Testament. Dabei spielt insbesondere der Rat der Ehefrauen und der weisen Frauen in Israel eine herausragende Rolle 426 und bildet den kulturellen Kontext für die theologische Wertschätzung einer - wie in Prov 8,14-16 - ratgebenden weiblichen Weisheitsgestalt 427 Eine ähnliche Feststellung trifft Schwer, nachdem sie die Rolle der Weisheitsgestalt als Ratgeberin in Prov 8,12.14-16 auf dem Hintergrund der weisen Frauen und Ratgeberinnen Israels betrachtet hat: „Dass die personifizierte Weisheit gerade als weibliche Ratgeberin auftritt, ist also innerisraelitisch begründbar, d . h . begründet in sozial-kulturellen Gegebenheiten der israelitischen Tradition und Geschichte." 428
7. Auswertung Als Konsens in der Forschung läßt sich festhalten, daß die Weisheitsgestalt als Mittlerin zwischen Gott und Mensch angesehen wird. Dies ist hinsichtlich der Position der Weisheitsgestalt unumstritten, in bezug auf ihre Offenbarungsfunktion aber werden unterschiedliche Standpunkte vertreten. Umstritten ist dabei, ob sich in der Weisheitsgestalt als Mittlerin Gott den Menschen annähert 4 2 9 oder ob sich in ihr eine personifizierte Eigenschaft der Welt findet.430 In gewissen Maße nimmt Gese (1979) dabei eine Mittelposition ein: Ihm zufolge wird in den Texten zur Weisheitsgestalt ausgedrückt, daß es den Menschen möglich ist, durch die Erkenntnis der Schöpfungsordnung in Person der Weisheit auch zur Erkenntnis Gottes zu gelangen. 425 AaO. 71; diese Ratgeberinnen-Funktion der Weisheitsgestalt sieht DE BOER aaO. 69f. u. a. in Prov 8,27 (die Anwesenheit der Weisheit gibt JHWH Rat) und 8,30f. (der Rat der Weisheit erfreut JHWH, und die Weisheit ist eine Ii HS, eine Art beratende Mutter. Gegen diese Schreibung und Auslegung argumentiert überzeugend M C K A N E 1970, 356f.); zum Problem der Übersetzung von Tins vgl. unten S. 131—138. 426 CAMP 1985, 86-90.120-123. 427 „... Israel's experience and evaluation of wise women, both in life and in literary imagination, do provide a cultural context for this people's theological appropriation of a female Wisdom ..."AaO. 123. 428 SCHROER 1 9 9 0 , 5 3 ; ähnlich aaO. 54: „Die literarischen und historischen Ratgeberinnen Israels ermöglichen es, dass die personifizierte Weisheit in dieser Rolle auftreten kann oder dass religionsgeschichtliche Einflüsse rezipiert werden können." 429
S o z. B. KRAUS 1 9 5 1 ; ALETTI 1 9 7 6 ; BONNARD 1 9 7 9 .
430
So v.a. VON R A D 1985.
56
Zur
Forschungsgeschichte
Eine Verhältnisbestimmung dieser Funktion der Weisheitsgestalt zu anderen theologischen Aussagen des Alten Testaments steht noch aus. Folgende Einzelaspekte sind bisher in verschiedenen Forschungsansätzen angeschnitten worden: - die Verbindung zur Messiaskonzeption, 431 - die Ratgeberinnen-Funktion der Weisheitsgestalt, 432 - Parallelen zu anderen Frauenrollen im Alten Testament 433 - sowie der Zusammenhang zu einer stärkeren Individualisierung des israelitischen Glaubens. 434 Wesentliche Lücken weist die Forschung in folgenden Punkten auf: - Es gibt bisher kein schlüssiges Konzept, das die ethischen Unterweisungen der Weisheitsgestalt theologisch in Beziehung zu ihrer Mittlerinnenoder Offenbarungsfunktion setzt. Welche Bilder von Gott und Mensch - zwischen denen schließlich die Weisheit vermittelt - werden in Prov 1 9 sichtbar? - Die alttestamentlichen Hintergründe und eventuelle Parallelen dieser Weisungen und weiterer Aspekte der Weisheitsgestalt sind weitgehend unerforscht. - Die feministisch-theologischen Versuche, die Weiblichkeit der Weisheit auf dem historisch-sozialen Hintergrund des nachexilischen Israel zu erklären, sind bisher nicht auf die These der Weisheit als Schöpfungsmittlerin bezogen worden. - Zu einer ganzen Anzahl von Aspekten der Weisheitsgestalt, die oben 435 genannt wurden, fehlen Auswertungen in theologischer Hinsicht.
IV. Ergebnis An dieser Stelle muß zunächst auf die Ergebnisse der bisherigen Zwischenauswertungen verwiesen werden, zu denen diese Bilanz als Zusammenfassung und Ergänzung hinzutritt. 436 Da sich in allen Zuordnungen Zutreffendes über die Weisheitsgestalt gefunden hat, soll hier nicht eine einzelne Deutungskategorie bevorzugt ausgewertet werden. Vielmehr soll es darum gehen, den Konsens der Forschung kurz zu summieren und nochmals auf die wichtigsten Leerstellen der bisherigen Forschung hinzuweisen. 431 432 433 434 435 436
S. o. S. 48f. S. o. S. 54f. S. o. S. 50-53. Nach VON RAD 1985; s. o. S. 44. S. o. auf S. 24-27. Diese finden sich oben auf S. 12f.; 24-27; 35-37 sowie auf S. 55f.
Ergebnis
57
Die Weisheitsgestalt in Prov 1-9 ist als Mittlerin zwischen Gott und Menschen sowohl in ihrer Position als auch in ihrer Funktion weithin anerkannt. Eine weitere Aufgabe der Gestalt besteht in der Zusammenfassung der Begriffsaspekte von „Weisheit". Zudem rahmt sie mit anderen weiblichen Figuren das Proverbienbuch. In bezug auf die Ausgestaltung der Weisheitsgestalt in Prov 1-9 lassen sich sowohl inner- wie außerhalb des Alten Testaments Parallelen finden: Innerisraelitisch können Ratgeberinnen und Ratgeber sowie die Messiaskonzeption in Beziehung zur Weisheitsgestalt gesetzt werden. Zahlreiche Gemeinsamkeiten sind auch zwischen der Weisheitsgestalt und verschiedenen altorientalischen Göttinnen auszumachen. Sofern diese Aspekte auf Textvorbilder zurückgehen, sind sie wahrscheinlich in der Form „reflektierter Mythologie" aufgenommen worden. Es läßt sich ein enger Zusammenhang bei der Ausgestaltung der Weisheitsgestalt zur historischen und religiösen Situation des Alten Israel annehmen, und zwar in bezug auf die gewandelte Rolle der Frauen in der nachexilischen Gesellschaft oder aber - bei vorexilischer Datierung - eine stärkere Individualisierung des israelitischen Glaubens in der Königszeit. Die Gegenüberstellung zur „fremden Frau" spielt eine gewisse, bisher allerdings unklare Rolle für die Deutung der Weisheitsgestalt. Im Anschluß an diesen Befund muß konstatiert werden, daß die meisten der bisherigen Deutungsmodelle für die Weisheitsgestalt der Vielschichtigkeit ihrer Bedeutungen nicht gerecht werden. Es erweist sich als notwendig, in der Weisheitsgestalt eine facettenreichere Figur zu sehen als bisher, da sowohl alttestamentliche wie altorientalische Parallelen für einige ihrer Aspekte plausibel zu machen sind. In welcher Weise eine solche Gestalt eine innere Kohärenz besitzt und wie diese Figur hermeneutisch zu betrachten ist, stellt sich dann als völlig neue Frage. Leerstellen in der Forschung bestehen zudem vor allem im Hinblick auf die Untersuchung der traditionsgeschichtlichen Hintergründe, 437 der theologischen Bedeutung und der Zusammenführung der Befunde dieser Bereiche mit denen des - noch stärker methodisch zu reflektierenden - religionsgeschichtlichen Vergleichs. Die vorliegende Arbeit widmet sich vor allem den traditionsgeschichtlichen und theologischen Fragen zur Weisheitsgestalt.
437 Dies ist sicher ein Faktum, das auf die oben auf S. 2-4 dargestellte größere Forschungslinie zurückzuführen ist, in der erst verhältnismäßig spät und nicht sehr intensiv nach atl Parallelen der lange als nicht „genuin israelitisch" abgewerteten biblischen Weisheitsliteratur gesucht wurde.
B. Die Texte über die Weisheitsgestalt I. Zur Methodik der
Textuntersuchungen
1. Der „anthologische
Stil"
Eine der gründlichsten Untersuchungen von Prov 1-9 in bezug auf die darin verwendeten Traditionen hat Robert 1934/35 vorgelegt. 1 Er nimmt dabei keine herkömmliche traditionsgeschichtliche Untersuchung vor, sondern erforscht die „attaches littéraires", die literarischen Beziehungen zwischen Prov 1-9 und dem sonstigen Alten Testament. Der Unterschied zur Traditionsgeschichte liegt darin, daß Robert literarische Abhängigkeiten untersucht, wohingegen die Traditionsgeschichte diese - nach Steck2 gerade ausschließt. „Comme l'expression l'indique, il consiste à remployer, littéralement ou equivalemment, les mots ou formules des Écritures antérieures." 3 Gegen Ende seiner Aufsatzreihe systematisiert Robert zwar die von ihm gefundenen Beziehungen; 4 er erläutert allerdings sein eigenes Vorgehen nicht. So bleiben die Kriterien für die Auswahl der Bezüge und der Weg, auf dem Robert zu seinen Ergebnissen gelangt ist, im Dunkel. Dies macht eine entscheidende Schwäche von Roberts Vorgehen aus und beeinträchtigt die Gültigkeit seiner Ergebnisse. Abgesehen von dieser Schwäche hat Robert aber eine bahnbrechende Beobachtung gemacht, die von seinen Schülerinnen und Schülern 5 aufgegriffen und weiterentwickelt worden ist: „II [sc. der Autor von Prov 1-9] ne transcrit pas ses sources, il ne les juxtapose pas, comme tant de fois les auteurs historiques; il ne les cite pas, à proprement parler, mais il procède par allusions. Encore n'est-ce pas pour les gloser, ni essayer de les prolonger dans leur ligne, mais pour les transposer sur un plan nouveau. En somme, pour parler le langage de l'Herméneutique, l'auteur de Prov. I - I X prend
1 2 3 4
ROBERT 1 9 3 4 u n d 1 9 3 5 . STECK 1 9 8 9 , 1 2 8 . 1 3 7 . ROBERT 1 9 5 7 , 4 1 1 . ROBERT 1 9 3 5 , 3 4 5 - 3 4 7 .
5 Z u nennen sind hier u. a. BLOCH (1957) und DEISSLER (1955.1957 u. ö.); letzterer hat hinsichtlich der Methode wiederum z . B . in KUBINA (1979) und STEIERT (1990) eine
Nachfolgerin bzw. einen Nachfolger gefunden.
Zur Methodik der
Textuntersuchungen
59
systématiquement ses sources au sens accommodatice [sic! corr.: accomodatrice], quelquefois peut-être extensif, mais pour l'ordinaire simplement allusif." 6
Diesen in Prov 1-9 verwendeten „Stil" bezeichnet Robert als „anthologischen Stil"7 und die Weise, in der solche Texte komponiert werden, als „anthologische Methode" 8 . Unter dieser nicht sehr glücklichen Bezeichnung9 ist das Phänomen der Anspielung, wie es sich im Alten Testament vor allem in nachexilischen Texten findet, in der deutschsprachigen Forschung rezipiert worden. Die US-amerikanische Exegese hat dagegen den Ausdruck „Midrasch" aufgenommen, mit dem die Äofeeri-Schülerin Bloch 1957 den „anthologischen Stil" bezeichnet hat. 10 Eine zweite wichtige Quelle dieses Forschungszweiges ist ein Aufsatz Seeligmanns, in dem er die „Voraussetzungen der Midraschexegese" - so der Titel - auch in bezug auf alttestamentliche Texte beschreibt. Grundlage solcher innerbiblischer Auslegung ist - neben der „Nachgeschichte alttestamentlicher Texte innerhalb des Alten Testaments" 1 1 - „das Aufkommen eines Kanonbewußtseins"12. Diese Beobachtung mag mit dazu beigetragen haben, daß sich die „Midraschexegese" bei den Vertreterinnen und Vertretern des „canonical approach" einiger Beliebtheit erfreut. 13 Ob der Begriff „Midrasch" den zu bezeichnenden Sachverhalt besser trifft als die „Anthologie", ist allerdings umstritten. 14 Ein neutraler Terminus liegt mit „innerbiblischer Exegese bzw. Interpretation" in den Werken von Fishbane vor; er liefert allerdings keine Kriterien dafür, wann von „innerbiblischer Exegese bzw. Interpretation" zu sprechen ist und wann nicht.15 Das führt zu der Not6
ROBERT 1 9 3 5 , 3 4 7 .
7
Im Französischen „style anthologique"; so bei ROBERT 1957, 412. „Procédé anthologique"; aaO. 411. 9 DEISSLER 1955, 23 Anm. 27 spricht davon, daß ROBERTS Terminus „nicht im engen Sinn eines .Florilegiums' [zu] verstehen [ist], sondern er ist im denkbar weitesten Sinne zu nehmen. Es ist ein Ausdruck, der ,faute de mieux' gewählt wurde." 10 BLOCH 1957, 1271-1276. 11 So der Titel eines zum Thema grundlegenden Aufsatzes von HERTZBERG 1936. 12 SEELIGMANN 1953, 152. SEELIGMANN scheint ROBERTS Arbeiten nicht zu kennen; zumindest führt er sie in seinem Aufsatz nicht an. Grundlegend ist für die Proverbienforschung außerdem BUCHANANS Untersuchung der Beziehungen zwischen Prov 2,20-7,3 und Dtn 6,4-9; 11,18-22; er bezeichnet den Proverbien-Text als „exposé midrashique" auf die dtn Passage (BUCHANAN 1965, 238). 13 So z. B. als „comparative midrash" bei SANDERS 1972, xiii-xv; 1984, 26f. 14 Während SANDERS 1972, xv im Anschluß an LEDÉAUT 1971, 269.282 eine sehr weite Bedeutung von „Midrasch" favorisiert, weist PORTON 1991, 134 daraufhin, daß ein Midrasch in der Regel einen klaren und deutlichen Hinweis auf den in ihm ausgelegten Bibeltext enthält. Danach könnte also bei Anspielungen auf andere Texte nicht von deren midraschartiger Auslegung die Rede sein, wenn die ausgelegten Texte nicht explizit genannt werden. 8
15
FISHBANE 1 9 8 5 . 1 9 8 9 . A u f P r o v 1 , 8 - 3 3 u n d 6 , 1 - 1 9 w e n d e t HARRIS 1 9 8 8 B e g r i f f u n d
Vorgehen FISHBANES an. „Innerbiblische Schriftauslegung" findet sich als gängiger Begriff in der Forschung z.B. über die späte Prophetie (z.B. WILLI-PLEIN 1971; DONNER
60
Die Texte über die
Weisheitsgestalt
wendigkeit, eine eigene Beschreibung des methodischen Vorgehens vorzunehmen. 2. Zum Vorgehen in dieser Arbeit Robert weist in seinen Untersuchungen daraufhin, daß sich in Prov 1-9 innerbiblische Exegese finden läßt. In diesen Kapiteln wird auf andere alttestamentliche Texte angespielt. Solche Anspielungen und Aufnahmen älteren Traditionsguts sollen in dieser Arbeit untersucht werden. Die hier gewählte Herangehensweise baut dabei z. T. auf Beobachtungen von Vertreterinnen und Vertretern des „anthologischen Stils" auf: - Prov 1-9 bezieht sich auf bereits schriftlich fixiertes Material. Anders lassen sich die z. T. recht genauen Anspielungen, die Robert feststellt, nicht erklären. - Die folgenden Untersuchungen beschränken sich auf Anspielungen in Prov 1-9, die sich auf Worte und Wortverbindungen in anderen alttestamentlichen Texten beziehen. Der Grund für diese Beschränkung liegt darin, daß sich Anspielungen auf Motive bzw. gesamte Wortfelder nicht genau feststellen lassen. - Bei der Bestimmung von Wortbedeutungen fällt dem Kontext entscheidendes Gewicht zu.16 - Als Texte, auf die sich Prov 1-9 rückbeziehen kann, kommen nur solche in Frage, die sich mit einiger Wahrscheinlichkeit als älter als Prov 1-9 ansehen lassen.17 - Bei der Aufnahme älteren Traditionsguts gibt es Abstufungen. 18 Welche Form der Anspielung oder Aufnahme in den Reden der Weisheitsgestalt
1990, STECK 1993), die Chronikbücher (z. B. WILLI 1972; vgl. dort 52-69 die Diskussion um die Chronikbücher als „Midrasch" oder „Auslegung") oder verschiedene hymnische Texte des AT (MATHYS 1994). 16 Diese Bemerkung bezieht sich auf die Kritik von BARR (1965, 205-269) am Vorgehen des ThWNT. Durch die Deutung der Worte in engem Bezug zu ihrem Kontext möchte ich bei der Rezeption der Ergebnisse des ThWAT diesem Aspekt der Kritik BARRS Rechnung tragen. 17 Auf die Notwendigkeit, die zeitliche Abfolge der Textabfassung bei der Untersuchung innerbiblischer Exegese zu berücksichtigen, hat ESLINGER 1992, 53 in einer Kritik an FISHBANES Vorgehen aufmerksam gemacht. Für die vorliegende Arbeit hat das zur Folge, daß z. B. das Buch Hiob nur am Rande behandelt wird, obwohl sich in ihm zahlreiche Parallelen zu Prov 1-9 finden. 18 SHEPPARD (1980) führt eine Liste solcher Abstufungen auf, in der er zwischen „Means of Referring to specific OT Texts or Traditions" (100) und „Redactional Means of Interpreting Specific OT Texts of Traditions with Alterations of Their Original Contexts" (103) unterscheidet. Innerhalb dieser Unterteilung stuft er noch einmal die Arten
Zur Methodik der
Textuntersuchungen
61
jeweils vorliegt, wird im folgenden zu prüfen sein. Zum Teil werden dann auch weiterführende Untersuchungen vorzunehmen sein, die Motive oder Traditionskomplexe betreffen. - Zudem sollen Untersuchungen zu Aufbau und Struktur der Texte einen Einblick in die kunstvolle Komposition der einzelnen Unterabschnitte von Prov 1-9 gewähren. Daneben sollen die Strukturuntersuchungen Aufschluß über die Unterteilung des Textes, Hervorhebungen einzelner Textpassagen u. ä. geben. - Der „Nahkontext" bildet den primären Bereich für eine Suche nach der Herkunft der verwendeten Traditionen oder Texte. Erst wenn sich in Prov lOff. keine Verwendung eines bestimmten Wortes bzw. einer Wortverbindung finden läßt, wird der Suchhorizont auf das Alte Testament ausgedehnt. Läßt sich auch dort keine Quelle finden, wird der Blick auf den Alten Orient gerichtet. Diese Vorgehensweise lehnt sich an Keels „Grundsätze zur Interpretation des Hohenliedes" an. 19 3. Zur bildhaften Redeweise in Prov 1-9 Daß es möglich ist, die Weisheitsgestalt als eine poetische Personifikation zu deuten, hat die Auswertung der bisherigen Forschung ergeben.20 Ob es sich tatsächlich so verhält, wird im Anschluß an die Textuntersuchungen zu entscheiden sein. Neben der Weisheitsgestalt finden sich in Prov 1-9 eine Reihe anderer „Sprachbilder" 21 , d.h. bildhafter und metaphorischer Ausdrücke.22 Hier sei am Beispiel von Bergmam Ausführungen zum „Weg" die Schwierigkeit der Interpretation solcher Sprachbilder verdeutlicht: „Ein besonderes Problem stellt die Unterscheidung zwischen einem .wörtlicheigentlichen' Gebrauch der Substantive für eine begehbare Strecke im Gelände und einem sogenannten ,übertragenen' Gebrauch dar ... Teilweise sind beide Gebrauchsweisen schon vorisraelitisch b e l e g t . . . und die übertragene läuft durch zwei Jahrtausende mit der eigentlichen so eng verbunden einher, daß eine Unterschei-
der Aufnahme zwischen den Polen „Zitation" und „metaphorische Aufnahme" von Texten ab. 19 KEEL 1984, 16-22. Dort formuliert er im Blick auf die Bilder des Hohenliedes: „Der primäre Verstehenshorizont der konventionellen Bilder sind das Alte Testament und Palästina" (aaO. 16); und weiter: „Mesopotamische oder ägyptische Einflüsse sind erst anzunehmen, wenn das Alte Testament und Palästina als Referenzsystem nicht ausreichen" (aaO. 17). Ein allgemeiner gehaltenes Methodenschema zur Interpretation ao Bilder gibt KEEL 1992, 2 6 8 - 2 7 3 . 20 21 22
S. o. auf S. 35-37 sowie 56f. So der Terminus bei KRIEG 1988, 135-141 u. ö. „Bildhaft" und „metaphorisch" verwende ich im folgenden synonym.
62
Die Texte über die
Weisheitsgestalt
dung schwierig wird." 2 3 A m Beispiel des Artikels im T H A T zu TV724 zeigt Bergman die Probleme einer dort vollzogenen Trennung beider Bedeutungen auf. Er fragt: „Kann ..., wenn U n t e r n e h m u n g ' noch einen wörtlichen Sinn darstellt, ,Verhalten' als grundsätzlich anderer, übertragener Gebrauch davon abgehoben werden? In Psalmen und Proverbien meint darcek kaum je eine Strecke im Gelände, trotzdem entsteht nirgends der Eindruck, als werde das Substantiv metaphorisch benutzt für eine Sache, die sich auch anders und genauer ausdrücken ließe. Die Unterscheidung von eigentlichem und übertragenem Gebrauch steht somit in Verdacht eines Vorurteils, das von modern-westlichen Sprachen her eingetragen ist, wo wir uns den Lebensvollzug nicht primär als zusammenhängende (zielbewußte) Bewegung vorstellen. Sie führt dazu, die kultische, weisheitliche und prophetische Rede von dcercek, 'orah u. ä. zu einem erbaulich-blumigen Jargon zu depravieren und die anthropologischen sowie geschichtstheologischen Implikationen dieser Substantive für hebräisches Selbstverständnis ... zu verdecken. Dazu kommt, daß mit dem Etikett Überträgen' eine Art Gemeinsamkeit mit anderen Sprachbereichen und Vorstellungsräumen suggeriert wird, die in dieser Form kaum zutreffend ist." 25
Bergman schlägt vor, statt zwischen „wörtlicher" und „übertragener" Bedeutung zwischen vordergründigem und hintergründigem Sinn zu unterscheiden. TT7 ist dann entweder „als räumliche Erstreckung im Gelände" oder als „Verhalten und Ergehen"26 zu verstehen. M. E. hat Bergman in seiner Problembeschreibung Richtiges beobachtet; allerdings ist seine Einschätzung eines abwertenden Beiklangs des Metaphernbegriffs unzutreffend. Dies belegt auch die neuere Forschung zu diesem Thema. 27 Ich werde deshalb im folgenden anstelle von „hintergründigem Sinn" von „metaphorischer Bedeutung" sprechen, sofern eine solche Unterteilung der Verstehensweisen notwendig erscheint.
II. Zur
Textkritik
Der masoretische Text von Prov 1-9 ist relativ gut erhalten. Nur an wenigen Stellen läßt er sich nicht bzw. nicht sinnvoll wiedergeben, so daß eine Konjektur unumgänglich erscheint (in Prov 1,27; 2,10; 3,15.18; 8,13.20.35). Da die Textform der LXX - so jedenfalls die Meinung der Mehrzahl der Forschenden - die wichtigste Alternative zum masoretischen Text darstellt, in ihr aber gewichtige Probleme liegen, soll sie in einem eigenstänin: BERGMAN U. 1978, insbes. 457f.
288f.
23
BERGMAN
24
SAUER
25
BERGMAN i n : BERGMAN U. A. 1 9 7 7 , 2 8 9 .
26
A. 1 9 7 7 ,
Ebd. In der US-amerikanischen Forschung zur Weisheitsgestalt v. a. Anschluß an M C F A G U E 1 9 8 2 , 4 2 ; im deutschsprachigen Kontext u.a. 27
JAUSS 1 9 9 1 .
im sowie
CAMP 1987, 4 8 KRIEG 1988
Zur
Textkritik
63
digen Abschnitt (1) behandelt werden. Erst danach wird über die weiteren Textzeugen zu sprechen sein (2).
1. Die
Proverbien-Septuaginta
Gegenüber dem masoretischen Text setzt die Proverbien-Septuaginta als Textzeugin eigene Akzente. Wenn der masoretische und der SeptuagintaText eine gemeinsame hebräische Vorlage gehabt haben, dann ist einer der beiden stark von dieser Vorlage abgewichen.28 Gemser bemerkt zum Problem der Unterschiede zwischen Proverbien-Septuaginta und masoretischem Text zusammenfassend, daß die LXX „in Prv durchgehends eine absichtliche Hellenisierung der Form und des Inhalts der hebräischen Vorlage zeigt: eigene Stilistik, metrische Formen, Synonyma, Parallelismen, Mehrung und Dämpfung von Metaphoren und realistischen Ausdrücken, Spiritualisierung, religiös-moralisierende Umdeutung, Reminiszenzen an griechische Autoren und eine in vielen Hinsichten der Stoa verwandte Geistesrichtung." 29 Einem solchen Befund schließen sich auch andere Exegeten an. Barr bezeichnet die Proverbien- (und Hiob-) Septuaginta als Paradebeispiel eines „free rewriting" des hebräischen Textes,30 und Barthélemy reiht die Proverbien in die Reihe derjenigen biblischen Bücher ein, die mit dem masoretischen und dem Septuaginta-Text zwei unterschiedliche literarische Traditionen besitzen.31 Auch in der neuesten Septuaginta-Forschung wird festgehalten, daß die Proverbien-Septuaginta den hebräischen Text eher paraphrasiert als übersetzt. 32
28 Das Problem soll hier anhand von Prov 8 illustriert werden: Allein in diesem Kapitel verändert die L X X gegenüber dem M T mehrfach das Satzsubjekt (z. B. V. 1 : von der Weisheit zur Schülerin bzw. zum Schüler). „Von neun Ich-Aussagen der Weisheit im hebräischen Text sind im griechischen nur mehr vier übriggeblieben ... Durch die konsequente Benutzung des Aktivums bei der Formulierung der Schöpfertätigkeit Gottes in gr [LXX] 22-26 und durch die Umformulierung der scherzenden Weisheit in den sich ergötzenden G o t t . . . [in V. 30f.] ging die Weisheit als Subjekt und tragende Gestalt fünfmal verloren." (KÜCHLER 1992, 136) Daneben ergänzt L X X Sätze (V. 10 wird um einen Versteil c ergänzt; V. 21a bietet einen völlig neuen zweistichigen Vers) oder läßt sie weg (V. 22b.29a.b sowie 33 des M T fehlen), oder aber sie verschiebt einzelne Stichoi gegenüber der masoretischen Verseinteilung (V. 24aa der L X X entspricht V. 23b des MT; ebenso gleicht V. 34aß L X X V. 32b des MT). Darüber hinaus gibt es eine Anzahl von Versen, in denen die L X X einen erheblich von der masoretischen Fassung abweichenden Text bietet (V. 3a; 12a; 16b; 17b; 27b; 28b; 35). 29
S o GEMSER 1 9 6 3 , 9 f . i n A u s w e r t u n g d e r F o r s c h u n g e n v o n GERLEMAN 1 9 5 0
1956, 43-57 sowie von BERTRAM 1936, 162-164. 30 BARR 1968, 255-259. 31
BARTHÉLÉMY 1 9 7 8 , 3 6 8 f .
32
HARL
U. A. 1 9 8 8 , 2 3 2 ; e b e n s o COOK 1 9 9 2 , 3 4 6 .
und
64
Die Texte über die
Weisheitsgestalt
Dabei wird zunehmend angezweifelt, daß es sich bei den zahlreichen Abweichungen der Septuaginta gegenüber dem masoretischen Text um Hellenisierungen handelt, wie es die ältere Forschung angenommen hatte. 33 Als derzeitiger Konsens der Forschung über die Proverbien-Septuaginta läßt sich festhalten, daß gravierende Unterschiede zwischen Septuaginta und masoretischem Text gesehen werden. Ob sie sich einer freien Übersetzung der Septuaginta verdanken oder dem Umstand, daß Septuaginta und masoretischer Text verschiedene Vorlagen hatten, ist zur Zeit umstritten. 34 Deutlich ist, daß sich die Textänderungen der Septuaginta dem Bemühen verdanken, einen poetischen Text voller literarischer Stilmittel der griechischen Sprache und von harmonischer Struktur zu schaffen. 35 Ein Konsens darüber, ob dabei gleichzeitig eine Hellenisierung des Textinhalts vollzogen wurde, ist bislang nicht in Sicht. Allerdings hat Küchler die unterschiedlichen theologischen Profile der Weisheit in Hi 28 und Prov 8,2231 in der Septuaginta und im masoretischen Text untersucht. Für Prov 8,22-31 (LXX) ist festzuhalten, daß u.a. „eine klare Zurückdrängung der Weisheit als selbständiger Größe" vollzogen wurde. 36 Die Tendenz aller Unterschiede zwischen der Proverbien-Septuaginta und dem masoretischen Text ist bisher noch nicht untersucht worden. 37 33 Die ältere Forschung wird repräsentiert durch GEMSER und die oben auf S. 63 in Anm. 29 genannten Autoren. Die Kritik an der Hellenisierungsthese findet sich bei
GAMMIE 1 9 8 7 s o w i e b e i COOK 1 9 9 2 . 34 Tov 1990, 56 u. ö. votiert dafür, daß die Proverbien-LXX eine andere Vorlage hatte als der masoretische Text. 35
So s. o. GEMSER etc. (s. o. S. 63 A n m . 29) sowie COOK 1992, 343.351.
36
KÜCHLER 1 9 9 2 , 136.
37
Es liegt zwar eine kurze Untersuchung von COOK (1992) zu hellenistischen Einflüssen speziell in der Septuaginta-Übersetzung von Prov 2 und 8 vor, jedoch ist diese Arbeit m. E. insbesondere zur Weisheitsgestalt in Prov 8 sehr lückenhaft. COOK stellt zwar zutreffend fest, daß sich in der Septuaginta inhaltliche Verschiebungen gegenüber dem masoretischen Text finden, aber gleichzeitig bewertet er diese Verschiebungen als jüdisches Gedankengut in griechischem Gewände: „The Greek Version of Proverbs contains disguised Jewish ideas, which, at face value, seem to be typically Greek-orientated." (AaO. 351) Zu diesem Ergebnis gelangt COOK durch einen Vergleich des Gedankengutes von Prov 2 und 8 mit späteren hellenistischen Aussagen über die Weisheitsgestalt, wobei er feststellt, daß die Prov-LXX als ein Dokument der Anfänge der Hellenisierung des Judentums anzusehen ist (350f.) und keine Ansätze der später bei Philo und in der Weisheit Salomos zu findenden „Hypostasierung" (zur Problematik dieser Denkfigur und Terminologie s. in dieser Arbeit oben A.II. 1 .a) der Weisheit zeigt. An dieser erwarteten Tendenz zur „Hypostasierung" der Weisheitsgestalt, die ein Beleg für eine Hellenisierung wäre, macht COOK seine These einer fehlenden Hellenisierung fest. Statt einer „Hypostasierung" der Weisheitsgestalt läßt sich in Prov 8 der LXX eine Einschränkung der Rolle der Weisheitsgestalt gegenüber dem masoretischen Text feststellen. Leider vertieft COOK diesen Vergleich zwischen M T und LXX nicht. Seine Untersuchung ist insofern lückenhaft, als COOK eine gegenüber der LXX ältere Form der Weisheitsgestalt (daß diese im masoretischen Text recht gut erhalten ist, wird von Cook anerkannt) nicht als
Zur
Textkritik
65
In der Forschung überwiegen im Moment die Argumente dafür, daß eher die Septuaginta als eine freie Übersetzung anzusehen ist, als daß sie und der masoretische Text unterschiedliche Vorlagen hatten. Diese These sieht einen möglichen Grund für die Abweichung der Septuaginta von ihrer - dem masoretischen Text ähnelnden - Vorlage in dem Bemühen um die Schaffung eines stilistisch herausragenden griechischen Textes, der an einigen Stellen auch inhaltliche Umakzentuierungen enthält. Diese Tendenz der momentanen Forschung, der auch die vorliegende Arbeit folgt, hat zur Konsequenz, daß dem griechischen Text von Prov 1-9 bei textkritischen Entscheidungen gegen den masoretischen Text kein entscheidendes Gewicht beizumessen ist. 2. Die weiteren
Textzeugen
Zunächst ist an dieser Stelle festzuhalten, daß alle weiteren Textzeugen von der Septuaginta abhängig sind und sich daher ihre textkritische Bedeutung an der - wie oben ausgeführt, geringen - Bedeutung der Septuaginta orientiert.38 Zur Einschätzung der Peschitta stellt Pinkuss nach eingehender Untersuchung fest, daß sie wegen der Abweichungen dieser Textform von der masoretischen bei gleichzeitiger Abhängigkeit vom Septuaginta-Text „für die Textkritik von Pr. ... nur geringen Nutzen bieten wird." 39 Da auch Tov in die gleiche Richtung geht, ist dieser Ansicht kaum zu widersprechen.40 Was die textkritische Bedeutung des Targum anbelangt, so gelangen Pinkuss, Kaminka und Roberts übereinstimmend zu dem Urteil, daß hier eine Übersetzung der Peschitta unter Berücksichtigung der masoretischen Textform vorliegt.41 Hieraus folgt wiederum eine nur geringe textkritische Relevanz.
Ausprägung jüdischen Gedankengutes ansieht, sondern dieses jüdische Gedankengut ohne Angabe von Charakteristika oder Gründen nur in der Prov-LXX zu finden meint. 38 Eine andere These vertritt in diesem Punkt Tov 1992, 337: „Beyond the freedom of ö's translation of Proverbs, one discerns in the translation editorial features in its differences in order, minuses, and pluses, all differing from 6 2ft Er begründet dies allerdings lediglich mit der unterschiedlichen Abfolge der Proverbien-Sammlungen. U m die in der Forschung sonst übereinstimmend geäußerte These der Abhängigkeit der Peschitta, des Targums und der Vulgata von der LXX zu widerlegen, wären allerdings noch weitere Argumente vonnöten. Da Tov keine solchen anführt, soll an dieser Stelle dem Konsens der älteren Forschung gefolgt werden. 39
PINKUSS 1 8 9 4 ,
40
Tov 1992, 152: „... in Proverbs the Syriac translator may have been based on 6 . " AaO. 109; KAMINKA 1931/32, 171-174; ROBERTS 1951, 209.
41
119.
66
Die Texte über die
Weisheitsgestalt
Die Bedeutung der Vulgata für die Textkritik ist ebenfalls nicht sehr hoch einzuschätzen. Wie Würthwein42 darstellt, besitzt die Vulgata nur dort Gewicht, wo sie mit dem masoretischen Text zusammen eine Textform gegen die Septuaginta bezeugt. Zuletzt ließe sich noch anfügen, daß seit einiger Zeit auch der koptische Text der Proverbien zugänglich ist. Wie allerdings Kosack anmerkt, ist der textkritische Wert dieser Textform bisher nicht abschätzbar. 43 Aus diesen Ausführungen folgt, daß zwar nach wie vor die Septuaginta die neben dem masoretischen Text wichtigste Textform darstellt, ihr textkritischer Wert sich aber durch die deutliche - formal und/oder inhaltlich - umgestaltende Intention in engen Grenzen hält. Da die anderen Textzeugen - bis auf die späte Vulgata und die nicht einschätzbare koptische Überlieferung - sämtlich von der LXX abhängig sind, ist auch deren textkritisches Gewicht gegen den masoretischen Text als gering einzustufen. Für konkrete textkritische Entscheidungen legt sich daher folgendes Vorgehen nahe: Zunächst ist dem masoretischen Text höchste Priorität einzuräumen. Nur wo er verderbt ist, kann im Einzelfall geprüft werden, wie zu konjizieren ist. Die Septuaginta ist dabei als Textzeugin am ehesten dort von Wert, wo sie eine ihren eigenen Bemühungen stilistischer oder inhaltlicher Art zuwiderlaufende Textform bietet. Daneben sind die Vulgata, das Targum und die Peschitta zu beachten, sofern sie gegen die LXX gehen.
III.
Textuntersuchungen
zu Prov 8
1. Der Aufbau des Kapitels Das Kapitel Prov 8,1-36 läßt sich in fünf Teile untergliedern. Auf die einleitenden V. 1-3 folgen vier stilistisch und inhaltlich voneinander abgrenzbare Abschnitte der direkten Rede der Weisheitsgestalt: V. 4—11, V. 12-21, V. 22-31 sowie V. 32-36. Im folgenden werden die Charakteristika der einzelnen Textteile genauer betrachtet und die Abgrenzungen eingehender begründet, bevor die Texte untersucht werden sollen. Die Einleitung (V. 1-3) spricht in der dritten Person von der rufenden Weisheitsgestalt und beschreibt in V. 2f. den Ort, an dem sie spricht. In V. 4 beginnt dann die direkte Rede der Weisheitsgestalt. In diesem ersten Teil der Rede (V. 4-11) preist sich die Weisheitsgestalt selbst. Sie fordert in V. 4f. ihre Adressatinnen und Adressaten zum Hören auf, da sie Gutes und Wahres zu vermelden hat (V. 5-9). Im Anschluß 42
Dies geschieht bei WÜRTHWEIN 1988, 108 unter Aufnahme der Argumentation von
STUMMER 1 9 2 8 , 123. 43 KOSACK 1 9 7 3 , X .
Textuntersuchungen
67
zu Prov 8
daran hebt sie in V. lOf. ihren Wert hervor, der materielle Kostbarkeiten bei weitem übertrifft. Die Imperative in V. 5.6.10 bringen den auffordernden Charakter ihres Sprechens zum Ausdruck. Der zweite Teil der Ich-Rede (V. 12-21) ist thematisch eng mit dem ersten verbunden. Er setzt sich jedoch von diesem mit einem Neueinsatz ab: Die Weisheit stellt sich jetzt vor und preist sich in V. 12-14 anhand verschiedener Begabungen: in V. 15f. als Herrschaftsmacht und in V. 17.21a als die Menschen Liebende und deren Geliebte. Thematische Parallelen zum ersten Teil bilden die Hervorhebung ihres Wertes in V. 18f.21 (par Y. lOf.) sowie der Selbstpreis ihrer Gerechtigkeit in Y. 20 (par V. 5-9). Es fehlen gegenüber jenem ersten Teil die direkte Anrede der Angesprochenen und der imperativische Stil. Ein deutlicher Bruch im Text befindet sich thematisch und sprachlich zwischen zweitem und drittem Teil (V. 22-31). Erstmals in Kap. 8 ist JHWH das Subjekt eines Satzes. Dies ist in diesem Abschnitt außer in V. 22 auch noch in V. 26.27aab.28.29 der Fall. Die Weisheit erzählt in diesem Teil von ihrer Geburt durch JHWH vor der Erschaffung der Welt und von ihrem Spiel vor JHWH und den Menschen in den Anfängen der Welt. Die Sprache des Abschnitts wirkt durch die Häufung von Synonymen „schwerfällig und ganz besonders feierlich" 44 ; die Themen knüpfen an kein Motiv eines anderen Abschnitts von Prov 8 an.
Eine mögliche Schlußfolgerung aus diesen Beobachtungen besteht darin, anzunehmen, d a ß der Abschnitt V. 22-31 sekundär in das Kapitel eingefügt worden ist. Dies erwägen aus stilistischen oder inhaltlichen Gründen z. B. Gemser45 oder McKane46, aber sie verwerfen diese Vermutung. In der Sichtweise von Dahood dagegen geben die sprachlichen Parallelen zu phönizischen Texten den Ausschlag dafür, den V. 22-31 eine besondere Herkunft zuzuweisen. 47 Die meisten Exegetinnen und Exegeten gehen allerdings nicht so weit wie Dahood. Obwohl eine altorientalische Beeinflussung der Sprache von V. 22-31 in stärkerem Maße angenommen wird als bei anderen Teilen von Prov 1-9 4 8 , wird hieraus sonst nicht die Konsequenz gezogen, daß die V. 22-31 erst später zu Kap. 8 hinzugefügt wurden. G a n z im Gegenteil: A. Meinhold z.B. ordnet V. 22-31 aus inhaltlichen G r ü n d e n ausdrücklich dem Argumentationsgang von Kap. 8 zu. 49 Der vierte Teil des Kapitels (V. 32-36) ähnelt thematisch und sprachlich den ersten beiden Teilen. Zudem besteht durch die Wendung a v Di'' (V. 34b) auch eine Verbindung zu V. 30b. In imperativischer Sprache und mit einem Neueinsatz durch nrisn mit direkter Anrede fordert die Weis44
LANG 1975,
45
GEMSER 1 9 6 3 , 4 7 .
46
MCKANE
47
So
48
Z.B.
49
A . MEINHOLD 1 9 9 1 ,
111.
1970, 343f. 1968, 512-521 in Anlehnung an von RINGGREN in: RINGGREN/ZIMMERLI
DAHOOD
135.
ALBRIGHT 1980, 40,
1955, 7f. oder PLÖGER
1984, 91.
68
Die Texte über die
Weisheitsgestalt
heitsgestalt in V. 32ff. erneut dazu auf, auf ihre Ermahnungen zu achten und ihr nachzufolgen. Dazu preist sie in zwei Makarismen (V. 32b.33 sowie 34) diejenigen Menschen, die auf sie hören. Verheißungen im positiven (V. 35) wie negativen Sinn (V. 36) schließen das Kapitel ab. Der Hauptakzent des Kapitels liegt deutlich auf seiner zweiten Hälfte (V. 22-36) mit den Abschnitten drei und vier. In den ersten beiden Teilen wendet sich die Weisheitsgestalt wortreich preisend an die Angeredeten. Sie unterbreitet ihnen in einer Art Werberede ein verlockendes Angebot, dessen Annahme als Konsequenz die materielle Absicherung nach sich zieht. In der zweiten Hälfte (V. 22-31) folgen jedoch der Hinweis auf ihr hohes Alter und ihre Erschaffung durch J H W H , ihre daraus hervorgehende fast göttliche Vollmacht in V. 35 sowie Drohungen in V. 36. Dies fügt ihren Aussagen eine dramatische Komponente hinzu. Nachdem die Weisheitsgestalt ihre Autorität begründet hat, fordert sie zu einer existentiellen Entscheidung auf, die niemand leichthin fällen sollte. Es geht für die Angesprochenen nun um Leben und Tod.
2. Prov
8,1-3
a) Text und Übersetzung : n"?ip inri n j i a n i * n p n n a a n - x ^ n : naxa n i a ' n j r r a ,n"n-,,727 t r a i n a - t f i n a : nahri • , n n D x i a a rnj?- , s 1 ? o n s t f - r ' ? T T -
1 2 3
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Ruft nicht 5 0 (die) 51 Weisheit, und erhebt (nicht) (die) Einsichtigkeit ihre Stimme? Am Gipfel der Höhen, auf dem Weg, zwischen 52 den Pfaden stehend, seitlich der Tore, am Eingang der Stadt 5 3 , bei den Toröffnungen ruft sie lautstark:
50 Gegen G E S E N I U S 1 7 , 374 und GK 2 8 , § 150c sowie VAN DER W E I D E N 1970, 74, die an dieser Stelle den hinweisenden Charakter hervorheben und es ähnlich wie nan als Interjektion übersetzen. Da dann die Verneinung ungerechtfertigterweise wegfallen würde, soll der Passus hier anders wiedergegeben werden. 51 Im folgenden stehen in den Übersetzungen diejenigen Worte in Klammern ( ), die aus stilistischen Gründen der deutschen Sprache oder als Erläuterungen über den hebräischen Text hinaus eingefügt sind. In eckigen Klammern [ ] stehen Worte, die aus denselben Gründen im Deutschen nicht wiedergegeben werden. 52 So die Grundbedeutung nach HAL, 124. 53 n~lj? ist ein im AT selten (nur in Prov und Hiob), im Ugaritischen dagegen häufig vorkommendes Wort; vgl. AISTLEITNER 1 9 6 7 , 283f.
Textuntersuchungen
zu Prov 8
69
b) Die enge Verbindung zwischen Prov 8,1-3 und 8,4-11 Der Einleitungsabschnitt von Kapitel 8 ist, wie verschiedene stilistische Hinweise verdeutlichen, eng mit V. 4-11 verbunden. 54 Sowohl in V. 1 wie 4 werden die Worte X~ip und Vip verwendet. Die parallele Verwendung hebt sowohl eine Verbindung zwischen beiden Versen bzw. Abschnitten hervor und akzentuiert gleichzeitig den Beginn der Weisheitsrede. Was in V. 1 aus der Distanz über Weisheit und Einsicht berichtet wird, sagt die Weisheit in V. 4 unter Wiederaufnahme der zwei Worte von sich selbst. Dabei liegt die Betonung in V. 4 über die bloße Wiederholung des in V. 1 Gesagten hinaus auf den von ihr Angesprochenen, den Menschen. Sie werden durch ihre zweimalige Erwähnung in V. 4a.b D"m '33) in deutlicher Weise zum Hören aufgefordert. Daneben wird auch durch die Verwendung von Mund- bzw. Öffnungsmetaphorik in den V. 3 und 6f. eine Verbindung zwischen V. 1-3 und V. 4 11 hergestellt. Daß zwischen den V. 3 und 4 ein Wechsel von der Rede der Weisheit in der dritten Person zur Weisheit als Sprecherin erfolgt, trennt die Abschnitte voneinander. Jedoch ist die Rede über die Weisheit auch in V. 11 zu finden, so daß die V. 1-3 und 11 dadurch die V. 4-10 rahmen. Das wird auch durch die ausschließliche Nennung der n a ? n in V. 1 und V. 11 unterstrichen. c) Der Standort der Weisheitsgestalt (Prov 8,1-3) Der Ort, an dem sich die Weisheitsgestalt aufgestellt hat und an die Menschen wendet, wird nicht nur in Prov 8,2f. genauer angegeben. Auch in l,20f. und 9,3 wird der Ort beschrieben, von dem aus sie ihre Ermahnungen spricht. Dies geschieht jedoch anders als in 8,2f. Doch zunächst zu 8,2f.: In vier Stichoi wird der Standort der Weisheitsgestalt geschildert. Dabei wird das Bild dieses Ortes so vor Augen geführt, daß der Blick auf verschiedene Aspekte fällt: In 8,2f. ist vom „Gipfel" oder „Anfang" der „Höhen" ( D ' S h a ) als Standort der Weisheitsgestalt die Rede. Die Schwierigkeit bei der Deutung dieser im Alten Testament singulären Wortverbindung besteht darin, sie in Einklang mit der Lokalisierung der Weisheit im Stadttor in V. 3 zu bringen. •''Qiin (im Plural) sind im Alten Testament erhabene Orte, die entweder rein geographisch aus der sie umgebenden Landschaft herausragen 55 oder - öfter - als Wohnort Gottes 56 angesehen werden. Sie werden 54 Ein Strukturschema, das den Aufbau des Abschnitts V. 1-11 verdeutlicht, wird unten auf S. 74 gegeben. 55 So in Jdc 5,18. 56 Dies ist in Ps 148,1; Hi 16,19; 25,2; 31,2 der Fall.
70
Die Texte über die
Weisheitsgestalt
mit Ehre und Schutz57 in Verbindung gebracht. IPX"13 wird nun im Alten Testament außer in Prov 8,2 nicht mit D'piip in Verbindung gebracht, wohl aber des öfteren mit anderen Erhebungen, und zwar meistens Bergen58. Von daher liegt es nahe, mit „auf dem Gipfel der Höhen" wiederzugeben. Dies läßt sich allerdings nicht immer mit dem in 8,2f. mittels dreier Ausdrücke verdeutlichten Standort der Weisheitsgestalt in der Nähe der Stadttore in Übereinstimmung bringen. Die Stadttore 59 in den altisraelitischen Städten sind in die Stadtmauern eingelassen bzw. ihnen vorgebaut. Einige Städte liegen durch ihre Anlage auf Hügeln bzw. Plateaus 60 von vornherein erhöht. Andere befinden sich in Ebenen, sind aber in der hier in Betracht kommenden Eisenzeit auf Hügeln von älteren Siedlungsresten gelegen und daher auch meist etwas erhaben. In diesen Fällen führen zu den Stadttoren Wege oder regelrechte Rampen hinauf. Das Stadttor befindet sich also an einem im Vergleich zur umliegenden Landschaft erhöhten Ort, aber von der Stadt aus gesehen auf gleicher Ebene bzw. unterhalb des höchsten Punktes der Stadt. 61 In jedem Fall befindet sich das Stadttor nicht auf dem „Gipfel der Höhen" einer Stadt, sondern an deren Fuß. Die Weisheit kann in diesem Fall entweder in der Nähe der Stadttore oder auf dem Gipfel der Höhen einer Stadt bzw. sie umgebender Anhöhen stehen. Die Lokalisierung der Weisheitsgestalt in V. 2 stimmt bei diesem Städtetyp nicht mit der in V. 3 überein. Es gibt jedoch auch Städte, die innerhalb der Stadtmauern gegenüber dem Umland tiefer gelegene Areale aufweisen.62 In diesem Fall ist es möglich, die verschiedenen Aussagen über den Standort der Weisheitsgestalt in Prov 8,2f. miteinander in Einklang zu bringen. Eine weitere Möglichkeit des übereinstimmenden Verständnisses der Standorte der Weisheitsgestalt nach Prov 8,2f. besteht darin, sie analog zu Prov 1,21 als Ort auf der Stadtmauer zu interpretieren. 63 Die Weisheitsgestalt befindet sich also in Prov 8,2f. an einem erhöhten Punkt einer Stadt in der Nähe der Stadttore. Dabei wird nicht genau be-
57 58 59
Ersteres in Koh 10,6, letzteres in Jes 33,16. In N u m 20,28; Jdc 9,7; Jes 2,2; Am 9,3; Mi 4,1 und Ps 72,16. Dies gilt durchgängig für alle Städte vom Chalkolithikum bis in die Perserzeit und
s p ä t e r ; vgl. HERZOG 1986. 60 So z . B . Hazor (vgl. K U S C H K E 1977, 141), Samaria (vgl. H. W E I P P E R T 1977C, 268) oder Lachisch (vgl. H. W E I P P E R T 1977a, 196). 61 Bezeichnend hierfür ist z. B. der Ausdruck in Hi 29,71: „als ich (noch) hinaufging (KS') durch das Tor zur Stadt (n-|jp-,,75?)''. F R I T Z 1990, 115 stellt in bezug auf das israelitische Stadttor fest: „Aus Gründen des Zugangs lag das Tor zumeist an der niedrigsten Stelle der Stadt." 62 Dies sind z.B. Jerusalem (DONNER 1977, 159) oder Ekron/Tell Miqne (KEEL/-
KÜCHLER 1 9 8 2 , 8 3 2 ) . 63
Diese Interpretation von n v a f t findet sich in der LXX als xsr/ot, „Mauern".
Textuntersuchungen zu Prov 8
71
stimmt, ob sie sich inner- oder außerhalb 64 der Stadt, auf einer natürlichen Erhebung oder auf der Stadtmauer aufhält. Im Unterschied zu Prov 8,1-3 befindet sich der Ort der Weisheitsgestalt Prov l,20f. zwar auch in der Nähe der Stadttore, aber durch die Erwähnung von Gasse (Tin) und Plätzen ( n i a f n ) deutlich innerhalb der Stadt. In beiden Texten findet sich ähnliches Vokabular; so Nif in 8,1a; 1,21a; "7ip> i n j in 8,1b u n d in 1,20b; na'iri in 8,3b u n d in 1,20a; n n s t f in 8,3a u n d
1,21b; WX-13 in 8,2a und 1,21a sowie nriB PI. in 8,3b und in 1,21b. Weniger zahlreich sind die Verbindungen zwischen Prov 8,2f. und 9,3. Drei Worte kommen sowohl in 9,3 als auch in 8,1-3 vor: K~ip, nilO PI. sowie n~lj?. In Prov 9,3 lädt die Weisheitsgestalt durch ihre Mägde an den Ort ihres Banketts ein. Dieser befindet sich „auf den Höhen der Stadt" und ist damit der in l,20f. gegebenen Vorstellung näher als der von 8,2f., da er deutlich innerhalb der Stadt liegt. In allen drei parallelen Texten hat sich die Weisheitsgestalt an demjenigen Ort aufgestellt, an dem es in der altisraelitischen Stadt am belebtesten ist.65 Das Stadttor ist zunächst einmal der Ort, den alle passieren müssen, die sich in die Stadt hinein oder aus der Stadt hinaus begeben. Es ist auch der Ort, an dem die Ältesten Recht sprechen66, an dem also die israelitische sog. Ortstorgerichtsbarkeit 67 angesiedelt ist. Im bzw. vor dem Stadttor finden Volksversammlungen statt68; in Krisenzeiten sitzen dort die Könige.69 Auch gibt es Hinweise auf einen Kult im Stadttor. 70 Handel wird dort getätigt,71 und Prophetinnen oder Propheten verkünden ihre Botschaft im Tor einer Stadt. 72 Für die Lokalisierung der Weisheitsgestalt im Stadttor sind vor allem der erste wie der letzte Aspekt von Bedeutung. Daß sie im Tor als Ort der Rechtsprechung auftritt, entspricht ihrer Selbstcharakterisierung als einer, deren Rede voller Recht und Redlichkeit ist (V. 6b; 7a; 8a; 20). Allerdings ist die Weisheit hier nicht sicher im Bild einer Richterin gezeichnet; nach 64
Außerhalb der Stadtmauern meint ROBERT 1934, 182 die Weisheitsgestalt lokalisieren zu können: „Comme 'S, Xiaa suppose une vue par le dehors ... La sagesse cherche en effet ä apercevoir de loin ceux qui se dirigent vers la ville, eile rejoint sur le chemin les voyageurs, eile se tient devant les portes." LANG 1975, 26 nimmt an, daß sich der „Platz beim Tor" im Alten Israel meist außerhalb der Stadt befunden hat. 65 Die folgende Darstellung bezieht sich weitgehend auf HERZOG 1986, 163-165 und U. MÜLLER 1977, 347f.
66 So Ruth 4,1-11; Dtn 21,19; Sach 8,16; ohne Erwähnung der Ältesten wird das Stadttor als Ort des Richtens und der Richter in Jes 29,21; Am 5,10.12.15 bezeichnet. 67
68 69 70
71
BOECKER 1984, 23ff.
Gen 34,20-24; Neh 8,1. So HERZOG 1986, 163 unter Verweis auf Ahab, Josafat, Hiskia und Zedekia. HERZOG a a O . 1 6 4 .
Dies läßt sich aus II Reg 7,1 rückschließen. So z. B. Jeremia in Jer 17,19; weitere Parallelen der Wirkungsorte zwischen Jeremia und der Weisheitsgestalt in Prov 8,1-3 zählt HULSBOSCH 1962, 15 auf. 72
72
Die Texte über die
Weisheitsgestalt
Boecker73 sitzen Richtende im Alten Testament. Die Weisheit aber steht in der N ä h e des Tores (3X3 Nif.) und ruft lautstark Q.), was darauf hinweist, daß sie eher die Haltung einer Prophetin als die einer Richterin einnimmt. Daneben weisen auch die Ergebnisse formgeschichtlicher Forschung auf die Rede der Weisheitsgestalt als eine prophetische hin, insbesondere was ihre erste Ich-Rede innerhalb von Prov 1 - 9 in 1,20-33 anbelangt. 7 4 Neben den zu Prov l,20f. ; 8,2f. und 9,3 parallelen Lokalisierungen findet sich in 8,2f. eine singulare Formulierung. Die Weisheit steht zwischen den „Pfaden" bzw. an deren Kreuzungspunkt, n ^ ' n ? wird oft in metaphorischer Bedeutung verwendet, so innerhalb der Proverbien in 1,15; 3,17; 7,25 sowie in 8,20. Der einzige Ausdruck, dem eine wörtliche Bedeutung zukommen kann, liegt in 8,2 vor. Zu fragen ist, ob nicht auch hier der metaphorische Bedeutungsaspekt mitschwingt. Die Weisheitsgestalt hätte sich dann am Kreuzungspunkt der Lebensmöglichkeiten oder -wege aufgestellt: Die Menschen müssen sich beim Hören ihrer Worte zwischen dem Pfad der Frevler bzw. der fremden Frau (1,15; 7,25) und dem Pfad der Weisheit (3,17; 8,20) entscheiden. Die Lokalisierung der Weisheitsgestalt in der N ä h e des Stadttores in Prov 8,1-3 charakterisiert sie als eine Gestalt, die mit prophetischen oder eventuell auch richterlichen Zügen ausgestattet ist und die Menschen zu einer Entscheidung über ihren weiteren Lebensweg auffordert.
3. Prov
8,4-11
a) Text und Übersetzung : D"TX ^a-'^K iqpK Da^X 4 : a1? i r a n D'^DDI n a n » Q ' x n s i r a n 5 : a n t ^ a ' n s i p nrisai n a i x D , " p j : r , a isratf 6 : yun n a i f i n i ran n s r r n a i p a 7 : o n a p x ^D-nax-Va Pf.?? 8 : n s n 'xxa 1 ? a n t f v ! •paa'? • , n a j n"?a 9 : -maa r n n a n s n i n p a ^ x i n o i a - i n p 10 : n a - i n p ' x1? D , 'S3rr , 7ai a r r a s a n a a n n a i ü ~ , a 11
73 BOECKER 1984, 25: „Daß die Richter während des Verfahrens sitzen, wird [neben Ruth 4,1 f.] auch an vielen anderen alttestamentlichen Belegstellen gesagt (z. B. Ex 18,13; Ps 122,5; Prv 20,8; Dan 7,9f.)." 74 Dies wird unten auf S. 182-184 genauer ausgeführt.
Textuntersuchungen zu Prov 8
73
4 Euch, Menschen75, rufe ich, und meine Stimme die Menschenkinder. 5 Habt Einsicht, Unerfahrene, (in die) Klugheit; Dumme, habt Einsicht (in den) Verstand. 6 Hört, denn Erhabenes rede ich; und das Öffnen meiner Lippen ist Aufrichtigkeit76; 7 denn Wahres gibt mein Gaumen von sich, und der Greuel meiner Lippen ist Unrecht. 8 Gerecht sind alle Worte meines Mundes; es gibt unter ihnen nichts Verschlungenes und Verkehrtes. 9 Sie alle (sind) Redliche für den Einsichtigen, und Aufrichtige (sind sie) für die, die Erkenntnis finden. 10 Ergreift meine Erziehung und nicht Silber, und Erkenntnis statt erlesenen Goldes! 11 Denn besser ist Weisheit als Korallen, und alles Kostbare ist nicht an Wert ihr gleich. b) Aufbau und Struktur des Abschnitts Auf die mit V. 1-3 verbindenden Textmerkmale wurde oben 77 schon eingegangen. Die V. 1-11 sind aufgrund ihrer Verbindungen als Einheit zu betrachten. Die V. 4-11 werden hier jedoch wegen der trennenden Merkmale separat behandelt. Wie eine Untersuchung ihres Aufbaus zeigt, weisen auch sie eine in sich geschlossene Struktur auf. Dabei ist V. 11 zunächst als rahmender Schlußvers zu betrachten, der sowohl durch die Erwähnung der Weisheit als auch durch die Rede in der 3. Person die Verbindung zu V. 1 bzw. V. 1-3 herstellt. Eine Anbindung des Verses an den Abschnitt V. 4-10 geschieht durch die mit V. 10 gemeinsame Metaphorik der Kostbarkeiten (HD3, "in33 f l i n , ÜT3S sowie D'SDn)78. Innerhalb des Abschnitts V. 4-10 spricht die Weisheitsgestalt am Anfang (V. 4), am Ende (V. 10) sowie in den mittleren Versen (V. 6-8) als Subjekt in der 1. Person Sg. In den V. 5 und 9 wird eine andere Ausdrucksweise verwendet. In diesen Versen formuliert die Weisheit ohne Erwähnung ihrer eigenen Person absolute Aussagen, die so einen Rahmen um 75
Zu beachten ist hier die im AT nur dreimal vorkommende Pluralform D,tP,N; in Jes 53,3 und Ps 141,4 legt der Kontext eine negative Konnotation nahe. Nach HAL, 41f. liegt hier eine jüngere Pluralform vor, die im Phönizischen und Punischen die ausschließliche Pluralform zu B^K bildet. Zur Übersetzung vgl. BRATSIOTIS 1973, 240, der als Grundbedeutung für tP'N insbesondere im Parallelismus membrorum zu D"TN"13 - der hier vorliegt - „Mensch" vorschlägt. 76 Entgegen den nicht zwingenden Änderungsvorschlägen von z. B . TORCZYNER 1917, 103 soll hier dem verständlichen masoretischen Text gefolgt werden. 77 Dazu s. o. auf S. 69. 78 Durch diese Metaphorik werden auch die V. 10 und 19 miteinander verbunden.
74
Die Texte über die
Weisheitsgestalt
die mittleren und von der Aussage her auch zentralen Verse des Abschnitts (V. 6-8) bilden. Daneben wird die Ansprache der Weisheitsgestalt - V. 4 benennt zunächst nur die Angesprochenen - durch imperativische Formen in den V. 5.6 und 10 gerahmt. 79 Diese doppelte Rahmung hebt nochmals die Mittelverse 7 und 8 heraus, die die beiden einzigen antithetischen Parallelismen des Abschnitts V. 1-11 sind und sich im Aufbau ähneln: Die Versteile a beschreiben die Weisheitsrede in positiver Weise, während die Versteile b negative Abgrenzungen treffen. Dieses Zentrum des Abschnitts V. 4-10 wird erweitert durch V. 6, mit dem es durch die Metaphorik verschiedener Ausdrücke für Mund, Öffnung etc. (Formen oder Derivate von n r s , HSiP, in und HS) verbunden ist. An dieser Stelle liegt auch eine weitere Beziehung zum Eingangsteil V. 3 vor, der sich ebenfalls dieser Metaphorik bedient, allerdings in bezug auf die Öffnung etc. der Stadt. Eine weitere Gemeinsamkeit des Abschnitts-Zentrums liegt in der Metaphorik der V. 5.6.7a.8a und 9 vor: Hier werden Ausdrücke der Erkenntnis und Einsicht Cpa Hif., na*l37, a"? sowie nsn), Aufrichtigkeit und Geradheit etc. (anB^a, n a s , plX, BTOI und verwendet, mit deren Hilfe die Weisheitsgestalt ihre Botschaft qualifiziert. Der Abschnitt V. 4-11 ist also ein auf vielfältige Weise in sich verwobener, konzentrisch aufgebauter Text, dessen Zentrum die V. 7 und 8 bilden. Dies soll das folgende Schema verdeutlichen: Ortsbestimmung der Weisheit
Weisheit in der 3. Ps. Sg.
Imperativ Imperativ Imperativ 7 8
Qualifizierung der
antithetische Parallelismen
Weisheits-
Weisheit in der 1. Ps. Sg.
rede 10 11
Imperativ
Kostbarkeitenvergleich
Weisheit in der 3. Ps. Sg.
79 A. MEINHOLD (1991, 137) hebt darüber hinaus den symmetrischen Aufbau des Abschnitts V. 4-11 hervor: „Zwei Zeilen mit vier Bezeichnungen für die Adressaten (V. 4f.) und zwei Zeilen mit vier Bezeichnungen für Kostbarkeiten, die anstelle der Weisheit nicht erworben werden sollen bzw. einen Vergleich mit ihr nicht aushalten (V. 10f.), rahmen vier Langzeilen mit acht Aussagen über die Güte ihrer Rede (V. 6-9)."
Textuntersuchungen zu Prov 8
75
c) Die von der Weisheitsgestalt Angesprochenen (Prov 8,4f.) Im hier zu untersuchenden Textabschnitt wird der Kreis der von der Weisheit Angesprochenen auf zwei verschiedene Weisen beschrieben. Z u m einen wendet die Weisheit sich in V. 4 an die Menschen, zum anderen in V. 5 an Unerfahrene (D'KriB) und D u m m e (D ,1 7 , 03). Während die in V. 4 Gemeinten schon oben 8 0 als „alle Menschen" bestimmt wurden, ist nun die eingeschränkte Hörerschaft von V. 5 genauer in den Blick zu nehmen. Dabei sollen auch die parallelen Stellen in Prov 1-9 herangezogen werden. 81 Spricht die Weisheit wirklich alle Menschen an, wie es V. 4 vorauszusetzen scheint? U m diese Frage zu beantworten, sollen zunächst die in Prov 1-9 vorkommenden Menschengruppen kurz betrachtet werden. Es finden sich in diesen Kapiteln zwei Menschentypen, die gegeneinander gestellt werden. Z u m einen gibt es die G r u p p e der eindeutig positiv konnotierten Menschen. Dies sind Weise ( • , a a n in 9,8.9), Einsichtige Cpaa in 8,9), Gute (D'aiü in 2,20), Gerechte in 2,20; 3,33; 4,18 und 9,9), Aufrichtige ( a n r in 2,7.21; 3,32), Untadelige ( 0 ' » ' a n in 2,21) und Demütige (D,'U57 in 3,34). Sie werden als gutes Beispiel dargestellt; ihr Lebensweg ist der erstrebenswerte. Zielgruppe der Reden der Weisheitsgestalt sind sie allerdings nicht: An keiner Stelle spricht die Weisheitsgestalt direkt zu Menschen aus dieser Gruppe. Eindeutig negativ werden in den jeweiligen Zusammenhängen die Menschen der „Kontrastgruppe" bewertet. Dabei handelt es sich um Sünder (D'Kön in 1,10), Unerfahrene (D'ris/D'sns in 1,22.32; 7,7; 8,5 und 9,4.16), D u m m e (D' ,, 7'p3 in 1,22.32; 3,35;'8,5),'Frevler ( E T ? ? ! in 2,22; 3,25.33; 4,14.19; 5,22 und 9,7), Treulose (DHJia in 2,22), einen M a n n der Gewalt 82 (Dan tf'K in 3,31), Abirrende (b'ti 1 ?? in 2,15; 3,32), Spötter (D'X1? in 3,34; 9,7.8.12), Böse (D'SH in 4,14), einen Faulen 0?X5/ in 6,6.9), Heillose und Unrechtsmenschen („"p.X tt^K ^SP^a D"TN" in 6,12) sowie Menschen, die a r m an Verstand sind ( a V i o n in 7,7; 9,4.16). Diese Menschen werden als abschreckende Beispiele beschrieben, deren böses Tun auf sie zurückfallen und sie ein schlimmes Ende nehmen lassen wird. Zu der letztgenannten G r u p p e gehören die von der Weisheitsgestalt in Prov 8,5 explizit Angesprochenen. Dabei werden aber nicht alle dieser „schlechten" Menschen von der Weisheitsgestalt direkt angeredet. Direkt spricht sie ausdrücklich nur die Unerfahrenen (D'flS/D'NfiS in 1,22; 8,5; 80
S. o. Anm. 75 auf S. 73. Eine Untersuchung zu dem Problem, ob Männer und/oder Frauen von der Weisheitsgestalt angesprochen werden, folgt unten auf S. 169. 82 „Obwohl hämäs auch von einer Frau verübt werden kann (Gen 16,5), ist er doch in der Regel Sache des Mannes. Das alte Israel kennt die 'escet hajil (Spr 31,10), nicht aber die 'escet hämäs, sondern nur den 'is hämäs (Ps 18,49; 140,12; Spr 3,31; 16,29) bzw. 'is h"mäsim (2 Sam 22,49; Ps 140,2.5)." H. HAAG 1977, 1054. 81
76
Die Texte über die
Weisheitsgestalt
9,4), Dummen (D,17,p3 eingeschränkt in 1,22; explizit in 8,5), die an Verstand Armen (31? ion in 9,4) sowie die Spötter nur implizit in 1,22) an. Diese Menschen zeichnen sich dadurch aus, daß sie noch für Belehrung und Veränderung offen sind. Das gilt insbesondere für die Unerfahrenen: „ptj/h kennzeichnet ... einen Menschentyp, dem eine notwendige Reife und Vernünftigkeit fehlt - darum ist er öfter jugendlich vorgestellt der jedoch auf Belehrung und Erziehung angewiesen und hierfür offen ist." 83 Ähnlich verhält es sich mit den an Verstand Armen. Beide Typen sind nicht wesensmäßig schlechte oder unbelehrbare Menschen. Letzteres gilt aber wohl für die Dummen und Spötter. Bei dem V'ps „scheint ... ein junger Mensch im Blick zu sein, bei dem alle Erziehungs- und Bildungsmaßnahmen versagen, der sich also uneinsichtig verhält, als untauglich und dumm erweist ..." 8 4 Er hasse Erkenntnis und unterdrücke Weisheit. 85 Der an Verstand Arme, der im Alten Testament ausschließlich in den Proverbien erwähnt wird, ist in die Nähe des TIS zu rücken. Er ist durch die ihm offensichtlich fehlende Fähigkeit zur Abschätzung der Folgen seiner Taten 86 ein leichtes Opfer der „fremden Frau" Prov 7,7 oder der Torheit Prov9,16f. Zwar zeigt sein Verhalten, daß er Freude an der Torheit hat (Prov 15,21), aber er ist augenscheinlich kein Mensch, der durch seine Taten (konkreter: Prov 11,12; 12,11; 17,18; 24,30) der Gemeinschaft schweren Schaden zufügt. Eher schädigt er sich selbst. Die Gruppe der von der Weisheitsgestalt explizit Angesprochenen wird in Prov 1-9 nicht mit negativen Tatfolgen in Verbindung gebracht. In 1,32 spricht die Weisheit zwar vom schlimmen Schicksal der D'riS und D,1?''D3, doch liegen diese Tatfolgen lediglich im Bereich des Möglichen und treten erst bei der zum Zeitpunkt der Rede noch nicht erfolgten Abkehr von der Weisheit ein. Deutlich negativer ausgeprägt erscheint dagegen die Gruppe der „Eine typische Erscheinungsform des ,Nicht-Weisen', ist der les in seinem Planen, Tun und Reden ,überheblich', ,arrogant' und eingebildet'." 8 7 Er kann weder durch Mahnung noch durch Zurechtweisung oder Strafe eines Besseren belehrt werden. 88 In den Kreis der von der Weisheit direkt Angesprochenen wird dieser Mensch nicht ausdrücklich aufgenommen, sondern nur parallel zu den direkt Angesprochenen in 1,22 erwähnt.
83
Mosis 1989, 824f.
84
SCHÜPPHAUS 1 9 8 4 , 2 8 0 .
85
AaO. 281. So Prov 6,32 im Fall von Ehebruch. BARTH 1984a, 570. AaO. 569.
86 87 88
Textuntersuchungen zu Prov 8
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Ebenfalls negativ erscheint in den Proverbien der Faule, der „Insgesamt eignet dem Wort ein nachhaltig pejorativer Charakter, der nicht nur oberflächlich abwertend den Faulenzer, sondern konzentriert jenen bezeichnet, der durch seine Faulheit sowohl einerseits sein Wohlergehen, ja seine Existenz und sein Leben gefährdet als andererseits auch gesellschaftszerstörend ... wirkt." 89 Dieses Urteil kann allerdings für den an den Faulen gewandten Abschnitt Prov 6,6-11 nicht gelten. Hier ist der Faule als „Faulenzer" gezeichnet, der der Ermahnung und Belehrung der Weisen bedarf, damit er nicht in Armut und Not gerät. Die überwiegende Anzahl der Menschen in der Gruppe der „Schlechten" werden von der Weisheit oder von anderen Belehrenden in Prov 1-9 gar nicht angesprochen. Dies sind D'Kön, ITJ/tth, D ,- Ui3, Dan tf •>«, Q'Ti1??, D'V"! sowie die in 6,12 genannten Menschen. Sie werden in Prov 1-9 ausnahmslos als warnende Beispiele genannt und mitsamt der Folgen ihrer Taten geschildert. Die Tatfolgen liegen bei den D'Kön, • i yUH, und den Menschen in 6,12 in einem extrem negativen Bereich. Sie umfassen den Verlust des Lebens in 1,18f. und des Landes in 2,22, Verderben in 3,25, Greuel oder Fluch JHWHs in 3,32f„ Straucheln in 4,19 und 5,22 sowie Verhängnis und Zerbrochenwerden in 6,15. Die in Prov 1-9 ohne Tatfolgen genannten „Schlechten" sind von ihren sonstigen Erwähnungen her als in hohem Maße Gemeinschaftsschädigende einzustufen. Die Männer der Gewalt werden parallel zu den Frevlern erwähnt (Ps 140,5.9); ihr Schicksal wird das Unheil sein (Ps 140,12). Für die Bösen gilt das gleiche. Auch sie werden häufig mit den D'ytsn parallelisiert. Als Böse haben unter anderem diejenigen Menschen zu gelten, die sich Vergehen zuschulden kommen lassen, die im Deuteronomium mit der sog. „bi'artä härä'-Formel" 90 mit Todesstrafe belegt werden und infolgedessen aus Israel hinweggeschafft werden sollen. Die in hohem Maße gemeinschaftsschädigenden Menschen befinden sich also nicht im Kreis der von der Weisheitsgestalt Angesprochenen. Sie werden als abschreckende Beispiele vor Augen geführt, deren Lebenswandel die Angesprochenen nicht nachahmen sollen. Als Ursache für ihren „Ausschluß" von weisheitlicher Ermahnung kann angenommen werden, daß sie in der Entscheidung über ihren Lebensweg durch ihr Verhalten gegenüber der Gemeinschaft bereits in derart negativer Weise festgelegt sind, daß sie gegenüber der Belehrung durch die Weisheit nicht mehr aufgeschlossen sind. Andererseits teilen sie das Merkmal des Nicht-Angesprochenseins durch die Weisheitsgestalt ja - wie oben schon erwähnt - mit der Gruppe der „Guten". Wer bereits einen weisen Lebenswandel pflegt, bedarf nicht der 89
REITERER 1 9 8 9 ,
90
Dazu vgl.
306.
DOHMEN/RICK
1993, 608.
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Die Texte über die
Weisheitsgestalt
Ermahnung durch die Weisheitsgestalt. Das gleiche gilt also offensichtlich für die, die in ausgeprägtem Maße unweise handeln. Angesprochen werden von der Weisheit die Menschen des „Zwischenbereichs", die aufgrund ihrer Unerfahrenheit oder Dummheit weder der Gruppe der Weisen noch der der Gemeinschaftszerstörer zuzuordnen sind. Nur diese Menschen, bei denen eine Entscheidung bezüglich des Lebenswegs noch offen scheint, ermahnt die Weisheitsgestalt. Ihre Rede erscheint von daher als eine Werberede; sie wirbt bei den Jungen und Unerfahrenen um Verständnis und Einsicht. d) Die Qualifizierung der Weisheitsrede (Prov 8,6-9) Innerhalb des Abschnitts Prov 8,4—11 preist die Weisheitsgestalt den Wert ihrer Rede in den V. 6-9 mittels abstrakter Ausdrücke. Diese Verse sind oben 91 als strukturelle Mitte des Abschnitts herausgearbeitet worden, in deren Zentrum sich wiederum die V. 7 und 8 befinden. Während die V. 6 und 9 die Weisheitsrede in synonymen Parallelismen in positiver Weise qualifizieren, finden sich in den V. 7 und 8 antithetische Parallelismen, in deren jeweils zweitem Halbvers ausgesagt wird, was die Weisheitsrede nicht ist. Hier wird eine negative Abgrenzung der Weisheitsrede vorgenommen. Die Ausdrücke, die die Weisheitsrede in positiver Weise bestimmen, sind die Abstraktplurale O'Taa und n n f ö in V. 6, n»X und ¡?T23 in V. 7a.8a sowie die Pluralformen DTlb] und •"HU''' in V. 9. Sie sind nun genauer zu betrachten. in V. 6 hat hier - wie auch sonst in weisheitlichem Kontext 92 eine profane Bedeutung. Die Erhabenheit bringt an dieser Stelle keine besondere Herrscher- oder Königsfunktion zum Ausdruck, wie das sonst beim Bezug auf Personen außerhalb weisheitlicher Texte der Fall ist. 93 Die Verwendung von Derivaten der Wurzel mit O'lBP'a in V. 6b sowie n n t p in V. 9b bringt die Geradheit bzw. Gemeinschaftsgemäßheit der weisheitlichen Rede zum Ausdruck. Beide Worte sind charakteristisch für weisheitliche und psalmistische Sprache. 94 Daneben hat das Vorkommen beider Worte in der Weisheitsrede noch eine weitere Bedeutung: Wird sonst mit derartiger Sicherheit eine Person oder Rede mit "ittr bezeichnet, so handelt es sich um J H W H oder dessen Worte. 95 Durch die Derivate der 91
S. o. auf S. 73f.
92
So n a c h HASEL 1986, 217 in H i 29,10; 31,37; P r o v 28,16 u n d evtl. in II C h r 29,11;
dort findet sich auch (aaO. 208) eine Argumentation gegen Emendationsversuche zu D'TJJ in Prov 8,6. 93 So aaO. 217. 94 So LIEDKE 1978b, 792f. 95 „Persönliche Verwendung des Adjektivs findet sich da, wo Gott als jäsär bezeichnet wird (Dtn 32,4; Jes 26,7?; Ps 25,8; 92,16). Auch Jahwes Befehle, sein Wort u. ä. sind .gerade' (Ps 19,9; 33,4; 119,137; Neh 9,13." (AaO. 793f.).
Textuntersuchungen
zu Prov 8
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Wurzel "ittT wird die Weisheitsrede doppelt qualifiziert, da die Weisheit für ihre Worte eine Autorität beansprucht, die sonst nur göttliche Worte besitzen. Bei Dax, „Wahres", in V. 7a handelt es sich in den älteren Proverbien (Prov 23,23) noch um einen Parallelbegriff zur Weisheit. In 8,7 findet sich das „Wahre" jedoch als zusammenfassender Ausdruck der Qualität dessen, was die personifizierte Weisheit spricht. Die Wortbedeutung hat sich gegenüber den älteren Proverbien nicht verändert, aber die Heraushebung der Weisheit durch ihre Personifizierung bringt die Unterordnung des früher parallel zu ihr verwendeten Begriffes für zuverlässiges und rechtmäßiges Verhalten mit sich. Ähnliches ist bei p"TX3 in 8,8a zu beobachten. Wie das Aneignen der Weisheit an anderen Stellen zum Verstehen der Gerechtigkeit (Prov l,2f.; 2,9f.) führt, so kann die personifizierte Weisheit hier Rechtmäßigkeit für ihre Rede in Anspruch nehmen. Dies geschieht parallel zur Qualifikation J H W H s und seiner Rede insbesondere in Jes 45,19 als plX und O'IWO . 96 Bemerkenswert ist das Vorkommen von mehreren Worten gleicher Wurzeln in Prov 8,6-9 und in Jes 11,4f. Ähnlich der Weisheitsrede wird das Richteramt des erwarteten Davidsprosses p"T.X3, „in Gerechtigkeit", erfolgen sowie -ritt^pa, „in Geradheit" (Wurzel -itf"'). Er ist mit PfX und r m n x (Wurzel l ö s wie n a x ) gegürtet. Die Rede der Weisheitsgestalt wird demnach mit ähnlichen Ättributen charakterisiert, wie sie dem Richteramt des Davidsprosses in Jes 11 beigemessen werden. 97 Die letzte positive Qualifizierung der Weisheitsrede liegt in V. 9a D'nba, „redliche [Worte]", vor. Wie auch die Derivate von Itt*1 98 in V. 6b.9b, so findet sich r b J * im Bereich der Wegemetaphorik 9 9 des Alten Testaments in Jes 57,2. D e m Bereich der Wegemetaphorik entstammt auch einer der Negativbegriffe zur Qualifizierung der Weisheitsrede, und zwar tPp? „Verkehrtes" in V. 8b. Im Kontext der Wegemetaphorik kommt es in den Proverbien in 2,15; 10,9; 28,6.18 vor. Daneben existiert auch die abstrakte Verwendung; sie liegt in den Proverbien noch in 4,24; 6,12; 17,20 vor. Wpy ist auch ohne explizite Nennung des Weges als Bezeichnung für das K r u m m e und Verkehrte eindeutig. 100 In gleicher Weise besitzt *7flS3 in V. 8b „eine metaphorische, negativ wertende Bedeutung im Sinne von ,verdreht'." 1 0 1 96
So nach ROBERT 1934, 184. D a die Parallelität v o n Jes 11,2-5 und der Weisheitsrede in Prov 8 komplexer ist und für andere Verse in Kap. 8 relevanter ist, wird sie erst auf S. 9 2 - 9 8 ausgewertet. 98 D a z u vgl. ALONSO SCHÖKEL in: W. MAYER/ALONSO SCHÖKEL/RINGGREN 1982, 1064f. 99 D a z u s. S. 107-109. 100 So WARMUTH 1989a, 347 in Anlehnung an NÖTSCHER 1958. 101 WARMUTH 1989b, 853. Vns? und U>p» stehen im A T sonst noch in bezug auf Israel in D t n 32,5 parallel sowie zum Ausdruck des Tun-Ergehen-Zusammenhanges in Ps 18,27 par II Sam 22,27. 97
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Die Texte über die Weisheitsgestalt
Die letzte negative Formulierung, mittels derer die Weisheitsgestalt ihre Rede preist, ist in V. 7b der Ausdruck 57ttn 'nstP n n y i n , „der Greuel meiner Lippen ist Unrecht". Mit dem Wort n a s i n werden Dinge oder Sachverhalte bezeichnet, „die wesensmäßig nicht zu einer definierten Sache gehören, diese vielmehr durch ihr Hinzutreten auflösen oder in Frage stellen würden." 102 Unrecht bzw. gemeinschaftsschädigendes Verhalten (37CHJ wird also als mit der Weisheitsgestalt unvereinbar gekennzeichnet. Darüber hinaus liegt in der Verwendung von ri3J?in mit Bezug auf die Lippen der Weisheitsgestalt - die pars pro toto für sie insgesamt stehen - eine deutliche Parallele zur rnrp r o s i n - F o r m e l vor, die sich im Alten Testament fast ausschließlich in den Proverbien (3,32; 11,1.20; 12,22; 15,8.9.26; 16,5; 17,15; 20,10.23) sowie im Deuteronomium (7,25; 12,31; 17,1; 18,12; 22,5; 23,19; 25,16; 27,15) findet. Dabei ist anzunehmen, daß die Verwendung der Formel in den älteren Proverbien der im Deuteronomium vorausgegangen ist. 103 Die Formel wendet sich gegen heuchlerisches und betrügerisches Tun gegenüber den Mitmenschen (vor allem in den Proverbien 104 ) bzw. gegen Gott (vor allem im Deuteronomium). 105 Als Greuel wahrnehmende Subjekte werden in den Proverbien außer J H W H und der Weisheit noch die Toren (13,19), Könige (16,12), Menschen (24,9) sowie Gerechte (29,27) genannt. In Prov 1-9 bezeichnen allerdings nur J H W H (3,32; 6,16-18) und die Weisheit etwas als Greuel. Dies und auch die inhaltliche Bestimmung der Greuel in 8,7 weisen darauf hin, daß 8,7 den Aussagen über J H W H s bzw. der Könige Greuel besonders nahesteht. In Prov 11,20 werden die Menschen mit verkehrtem Verstand ( ^ " ' I t ^ y ) als Greuel J H W H s bezeichnet. Dabei wird das gleiche Wort (tt>i?J7) wie für die Negativbeschreibung der Weisheitsrede in 8,8b verwendet. Das Begehen von Unrecht (57BH) ist - parallel zum Greuel der Weisheitsgestalt in 8,7 - Gegenstand des Greuels der Könige in Prov 16,12. 102
103
GERSTENBERGER 1 9 7 9 ,
1053.
„There is no warrant then for assuming that the book of Proverbs was influenced by Deuteronomy, particularly with respect to this subject. On the contrary, an examination of parallel passages in Proverbs, Deuteronomy and the Teaching of Amenemope will demonstrate that the author of Deuteronomy was influenced in this respect by the school of wisdom rather the converse." W E I N F E L D 1972, 265. Diese Aussage WEINFELDS hat weiterhin Geltung, obwohl seine zugrundeliegende These vom Ursprung des Dtn aus weisheitlichen Schreiberkreisen Jerusalems (Darstellung und Kritik bei BREKELMANS 1978, 28.37f.) nicht zu halten ist. „If wisdom was not a private property of the sages but the common property of all educated classes, it seems natural enough for at least some of its ideas and part of its terminology to be shared by other authors." (BREKELMANS 1978, 37). W E I N F E L D ordnet außerdem die Rede von der rnrr r n s p n der dtn/dtr Phraseologie zu; dazu W E I N F E L D 1972, 323. 104 Dies geschieht z.B. durch die Verwendung falscher Gewichte in Prov 11,1; 20,10.23, die ein Greuel JHWHs sind. 105 W E I N F E L D 1972, 268f.
81
Textuntersuchungen zu Prov 8
Zusammenfassend qualifizieren die Attribute D'T}?, riöK, und D'nbJ, die Verwendung von Derivaten von "Utf1 sowie die Anlehnung an die Hin' m y i n - F o r m e l die Weisheitsrede in Prov 8,6-9 als eine Rede, die höchste und in göttliche Nähe gerückte Autorität beansprucht. T
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7
e) Der Vergleich zwischen Weisheit und kostbaren Materialien (Prov 8,10f.l9) In Prov 8,10f. 19 wird die Weisheitsgestalt zu Gold, Silber, Korallen und Kostbarkeiten in Beziehung gesetzt. Diese Verhältnisbestimmung ist nun im Vergleich zu ihren Parallelstellen (Prov 2,4; 3,14f.; 16,16; Hi 28,15-18) zu untersuchen. Vier der genannten Verse (Prov 3,14; 8,10.19; 16,16) beinhalten das Wortpaar „Gold-Silber" Q"nn - ^03). Diese poetische Wendung kommt außer an den genannten Stellen im Alten Testament nur noch - ohne Weisheit - in Ps 68,14 und Sach 9,3 vor. f t i n ist ausschließlich zusammen mit HP? anzutreffen „Im Hinblick auf das häufige akk. kaspu uhuräsu (AHw 454b) und kanaan. ksp ... hrs (KAI 13,4f.; CTA 24 [NK] 20f. u. ö.) scheint hier eine fremde stereotype Wortverbindung übernommen zu sein." 106 An drei der genannten Stellen in den Proverbien wird betont, daß dem Erwerb dieser sehr wertvollen Metalle der Erwerb der Weisheit (Prov 3,14; 16,16) bzw. ihrer Früchte und ihres Ertrages (8,19) vorzuziehen ist. Auf die Spitze getrieben wird der Vorzugsgedanke in 8,10a: Dort empfiehlt die Weisheit sich nicht mehr im Vergleich zu Gold und Silber und behält sich dabei den Vorrang vor, sondern sie rät ausdrücklich dazu, ihre Erziehung an Stelle von Silber zu ergreifen. Dieser Rat der Weisheit ist in Verbindung mit den kostbaren Materialien singulär. Die anderen Ratschläge bringen allesamt - soweit es sich um den Vergleich mit anderem wertvollen Gut handelt - Gleich- oder Höherwertigkeit zum Ausdruck und nicht wie Prov 8,10a das Ersetzen. Dies gilt für das Silber (1P3) 107 ebenso wie für die Korallen (D'r^S) 108 , die Kostbarkeiten ( • , S p n ) ' 0 9 und das Feingold (TS)110. Die kostbaren Dinge wer106
107
KEDAR-KOPFSTEIN 1977, 537.
Gleichwertigkeit wird zum Ausdruck gebracht: mit der Weisheit in Prov 2,4; mit kluger Rede 10,20; göttlicher Weisung Hi 22,25 vgl. Ps 12,7; als höherwertig wird benannt, meist mit 10 comparativum: guter Name, d.h. Beliebtheit Prov 22,1; Tora Ps 119,72; die W e i s h e i t H i 28,15; P r o v 3,14; 8,19; 16,16; d a z u vgl. G . MAYER 1984, 296.
108 Sie werden im AT - bis auf Thr 4,7 - immer im Vergleich zu etwas genannt, das mehr wert ist als sie: die Weisheit Prov 3,15; 8,11; Hi 28,15; Lippen der Erkenntnis Prov 20,15 sowie eine Frau von Wert Prov 31,10. Auch das Hapaxlegomenon niaN"J in 24,7 bezeichnet evtl. Korallen. Sie sind dort nur für die Törichten der Weisheit gleichwertig. 109 In dieser Bedeutung finden sie sich im AT nur im Vergleich zur Weisheit, und zwar in Prov 3,15; 8,11 parallel zu den Korallen; die Wortbedeutung ist wohl von in
Jes 54,12 h e r z u l e i t e n (GERLEMAN 1978C, 626; e b e n s o BOTTERWECK 1982, 109).
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Die Texte über die
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den an keiner Stelle in Prov 1-9 nur für sich genommen oder in ihrem eigenen Wert gepriesen. Sie dienen allein als Vergleichspunkt für den Wert der Weisheit bzw. ihrer Früchte. Dabei sind sie entweder gleichviel wert wie sie (2,4), meist aber eindeutig geringerwertig (3,14f.; 8,11.19), und nach 8,10 ist ihr Erwerb dezidiert nicht empfehlenswert. Der Bezug der Erwähnung von kostbaren Dingen in Prov 1-9 zu 16,16 ist sehr eng. Parallel in 16,16 ist die Verwendung des Wortpaares Tnn-HP? zu 3,14; 8,10.19, von 3ÍC zu 3,14; 8,11.19 und von inaa zu 8,10.19/16,16 ist der einzige Vers im älteren Teil der Proverbien, der die Weisheit und die kostbaren Materialien gemeinsam erwähnt. Daher ist anzunehmen, daß die Verse mit gleicher Metaphorik und gleicher Verhältnisbestimmung 16,16 wieder aufnehmen und z.T. umakzentuieren. Inhaltlich steht 16,16 dabei 3,14 am nächsten, wohingegen 2,4 das Suchen nach Weisheit und Kostbarkeiten als gleichwertig bestimmt und 8,10 vom Erwerb dieser Dinge abrät. 2,4 und 8,10 entfernen sich von der Aussage von 16,16.1U Ob 8,10 eine kritische Haltung gegenüber einer bestimmten Form von Reichtum zum Ausdruck bringt, kann erst später 112 in Verbindung mit anderen Aussagen über den Reichtum genauer betrachtet werden. Außerhalb der Proverbien, aber wohl in zeitlicher Nähe zu ihnen 113 besteht - allerdings auf dem Hintergrund eines anderen, eher materiellen Verständnisses von Weisheit114 - eine enge Verbindung dieser Metaphorik zu Hi 28,15-19. Dort wird der unvergleichliche Wert der Weisheit anhand einer Reihe wertvoller Materialien beschrieben, unter denen sich wie in Prov 1-9 auch Silber (Hi 28,15b) und Korallen (Hi 28,18b) befinden. Nach Hi 18,15-19 reicht keine der aufgezählten Kostbarkeiten an den Wert der Weisheit heran. Wie Steck im Anschluß an die Forschung zu Hi 28 ausführt, handeln die V. 15-19 „von Pretiosen ..., die Menschen durch Warenverkehr auf dem Seeweg zugänglich werden." 115 Hi 28,1519 expliziert im Kontext des ganzen Kapitels den Bereich des Meeres, in dem die Weisheit (auch) nicht aufzufinden ist. Gegenüber dieser Akzentuierung ist diejenige in Prov 8,10f.l9 eine andere: Die Auswahl der Kostbar-
110 Mit diesem Wort wird Seltenheit Jes 13,12, Segen Ps 21,4 und Schönheit Cant 5,11.15 verglichen. Daneben dient es als Material, das weniger wert ist als die Weisungen etc. JHWHs Ps 19,11, die Gebote Ps 119,127, die Weisheit oder ihre Frucht Hi 28,17; Prov 8,19 sowie die Kinder Zions Thr 4,2. 111 Aufgrund der Ähnlichkeit von 16,16 mit 3,14; 8,11.19 und der Isolierung des Verses innerhalb seines Kontextes sieht W E H R L E 1993, 156f. Prov 16,16 als redaktionellen Vers an. WEHRLES Beobachtungen können allerdings m. E. eine solche Einschätzung nicht hinreichend begründen. 112 Dazu s.u. auf S. 102-107. 113
114 115
Z u r D a t i e r u n g v o n H i 28 ins 5. J h . v. C h r . vgl. z. B. SCHIMANOWSKI 1985, 18.
Dazu s.u. S. 147-150. STECK 1 9 9 4 , 4 5 9 .
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keiten, die eine andere ist als in Hi 28,15-19, enthält keinen Verweis auf den Bereich des Seehandels bzw. des Meeres. Hier geht es um den Bereich des Handelns zwischen Menschen und der Evaluation der Weisheit. f) Zusammenfassung Im Abschnitt Prov 8,4-11 spricht die Weisheitsgestalt diejenigen Menschen an, deren Lebensweg bisher weder eindeutig zum Positiven, Gemeinschaftsfördernden noch zum Negativen, Gemeinschaftsschädigenden hin orientiert ist, also die bisher Unentschiedenen. Ihren Worten zuzuhören ist den Menschen zuträglich. Sie beanspruchen höchste Autorität, die insbesondere in den V. 6 - 9 unter Aufnahme geprägter Wendungen zum Ausdruck kommt. Im Vergleich mit kostbaren Materialien ist der Erwerb der Weisheit ersteren eindeutig vorzuziehen bzw. wird ihm als Alternative gegenübergestellt. D a s inhaltliche wie formale Gewicht des Abschnitts liegt dabei auf der Autorität (V. 6-9) und dem Wert (V. 10f.), die bzw. den die Weisheit für sich reklamiert.
4. Prov
8,12-21
a) Text und Übersetzung : x x a x n i a r a n s n ] na-iy "»riaaip n a a n - ' j x 12 : ' f i X i ^ n i s s n r i 'sn s n ^-vn l i s a i nxä s n n s j i r n i r r n x - r 13 : rrvaa n r a '?x r w i r r i n x 1 4 : pnx i p p f r D^ri-n rtyw D'?1?» ' 3 15 : P7.S 'üSttT 1 ?? D , 3 , 7J1 TltT^ D ' l » ' 3 16 : ' m s a 1 n n t f a i a n x r r a n x ' j x 17 : n j m i p n y Tin 'rix " p a a r - i t f » 18 : -maa HP?» ' n x i a ™ r s a i f n n a " - i ? a i ö 19 : üstpa nia'-na i p n a -|)>nx n p i x - r r i x a 20 : xVax a n ' n h s x i ' a n x ^ m n 1 ? 21 12 Ich bin (die) Weisheit (und) wohne bei 116 (der) Klugheit, und Erkenntnis der Pläne finde ich. 13 Furcht J H W H s ist, Böses zu hassen, 117 Hochmut und Hoffart und den Weg des Bösen und den M u n d der Verdrehtheit hasse ich. 116 So kann + Akk. trotz fehlender Präposition übersetzt werden; vgl. GK 2 8 , § 117bb. 117 Es ist möglich, daß Versteil a (37 "1 Hin1 nX"V) gegenüber einem ursprünglichen Text als sekundär zu betrachten ist (So auch M C K A N E 1970, 348f.; A. MEINHOLD
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14 Mein sind Rat und Gelingen; ich bin die Einsicht, mein ist die Stärke. 15 Durch mich sind Könige König, und ordnen Würdenträger Rechtes an. 16 Durch mich sind Mächtige mächtig, und Edle sind alle Richter des Rechten118. 17 Ich bin es, die liebt die sie Liebenden119, und die nach mir Suchenden finden mich gewiß. 18 Reichtum und Ehre sind bei mir, altehrwürdiges Gut und Gerechtigkeit. 19 Besser ist meine Frucht als Gold und als Feingold, und mein Ertrag als erlesenes Silber. 20 Auf dem Gang der Gerechtigkeit wandle ich, mitten auf den Pfaden des Rechts, 21 um Anteil zu geben den mich Liebenden am Besitz; [und] ihre Vorratskammern werde ich füllen. b) Aufbau und Struktur des Abschnitts Im Unterschied zu V. 4-11 ist der Abschnitt V. 12-21 nicht konzentrisch angeordnet. Auf den ersten Blick erscheint eine sinnvolle Strukturierung schwierig. Formale Gliederungsprinzipien - wie in V. 4-11 die Imperative 1991, 140 u.a.). Eventuell hat an dieser Stelle Versteil a als Glosse in einer Zwischenzusammenfassung - im Sinne etwa von Prov 1,7; 3,7; 16,6 oder besonders 9,10, das wohl ebenfalls sekundär hinzugefügt wurde - in den Text Eingang gefunden. Ein auch inhaltlich analoges Phänomen findet sich in Hi 28,28. Die theologische Motivierung einer Glosse könnte in einer Identifikation von JHWH-Furcht mit der Weisheit gesehen werden, wie sie später bei Sirach (insbes. in Kap. 1) ausgeführt wird. Da der Versteil jedoch textkritisch sehr gut bezeugt ist, ist auch hier dem M T zu folgen. 118 BHK/BHS führen hier wichtige Textzeugen an, die statt P7S p i s schreiben. Ein zwingender Grund für eine Änderung des M T liegt im Text selbst, der in dieser Form übersetzbar ist, nicht vor. Auch aus stilistischen Gründen läßt sich für das Belassen des masoretischen Textes argumentieren: So, wie die Verse 15 und 16 jeweils durch 'S und durch die gleiche Stilfigur eingeleitet werden, werden sie auch beide durch ¡?7X beschlossen. Dem durch die genannten Stilelemente erweckten Eindruck der engen Zusammengehörigkeit der Verse würde das konjizierte Versende entgegenstehen. - Ein Übersetzungsproblem bietet Versteil b in der masoretischen Fassung. Der vorliegende Nominalsatz weicht zunächst vom bisherigen „Schema" der drei vorausgehenden Verbalsätze V. 15a.b.l6a ab. Auch hebt die Bezeichnung „aller" 0??) Richter den Versteil gegenüber den vorangehenden Halbversen heraus. Die Formulierung p I S 'üSttr^S soll hier als Erläuterung zu verstanden werden, wie z.B. A. MEINHOLD 1991, 133 es tut: „und Vornehme, (kurz) alle gerechten Herrscher." 119 Hier soll mit dem Ketib ' a n s als r r n n x gelesen werden („die sie Liebenden"), da der Text in der bestehenden Form übersetzbar und verständlich ist. Eine Textänderung würde lediglich aus stilistischen Gründen erfolgen, die hier nicht zu überzeugen vermögen.
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oder antithetische Parallelismen - stechen nicht ins Auge. Versverbindungen durch ähnliche Wortwahl sind vorhanden, lassen sich aber nur teilweise auswerten. Daher soll eine Gliederung vor allem nach inhaltlichen Gesichtspunkten versucht werden. In den drei Versen 12, 14 und 17 trifft die Weisheitsgestalt unter Verwendung von '3N Aussagen über ihr Wesen. Diesem Aussagekomplex ist V. 13 als Bestimmung dessen, was der Weisheitsgestalt verhaßt ist, dazuzurechnen. V. 18 steht diesem Bereich ebenfalls nahe, da die Weisheit Dinge bzw. Sachverhalte aufzählt, die sich in ihrer Nähe ('fix) befinden. Als zweiter Aussagekomplex in V. 12-21 findet sich die Beschreibung von Auswirkungen des konkreten Handelns der Weisheitsgestalt, d.h. ihrer Früchte. Die Folgen ihrer Nähe schildert die Weisheit in bezug auf politische Machthaber in V. 15f. Über die Konsequenzen ihrer Nähe für alle „sie Liebenden" (V. 17.21) spricht die Weisheitsgestalt in den V. 19-21. Sie preist ihre Frucht und ihren Ertrag (V. 19) und verspricht denjenigen, vor denen sie auf den Wegen von Gerechtigkeit und Recht wandelt (V. 20), Anteil an ihrem Besitz (V. 21). Nach der Unterteilung des Abschnitts in zwei Aussagekomplexe läßt sich folgende Grobstruktur ausmachen: Der Wesensbestimmung V. 12-14 folgt die Schilderung der Weisheitsfrüchte für politische Machthaber in V. 15f. Danach wiederholt sich das Schema; eine erneute Wesensbestimmung in V. 17f. ist einer zweiten, allgemeineren Beschreibung der Früchte der Weisheit in V. 19-21 vorangestellt: 12 13 14
Wesensbestimmung der Weisheit 15 16
17 18
Frucht der Weisheit für politische Machthaber
Wesensbestimmung der Weisheit 19 20 21
Früchte der Weisheit
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Die Texte über die Weisheitsgestalt c) Die Parallelbegriffe zur Weisheit (Prov 8,12-14) a) Zu den „Begriffen"
In den V. 12-14 1 2 0 wird die Weisheit in unterschiedlicher Weise in die N ä h e bestimmter „Begriffe" gerückt. Das Wort „Begriff" wird hier nicht zur Bezeichnung eines exakten, genau abgrenzbaren Sachverhaltes verwendet. Dies geschieht in Anlehnung an die Ausführungen bei von Rad: „Nicht selten verschlingen sie [die Begriffe] sich im Parallelismus fast zu einer Synonymität, die für uns manchmal schwer verständlich ist. Natürlich sind diese Worte im strengen Sinne nicht synonym, aber die Lehrer glauben ihre Gegenstände nicht besser, nicht durch die Verwendung sauber voneinander abgegrenzter Begriffe sachgerechter darstellen zu können, sondern durch das Gegenteil, nämlich durch die Nebeneinanderstellung sinnverwandter Wörter. Man achte ... nur auf die fast spielerische Koordination der Begriffe ,Weisheit', E i n sicht', ,Erkenntnis', ,Klugheit' und frage sich, welche Aufgabe aus diesem Befund dem Ausleger zuwächst ... Offenbar käme man dieser Redeform nicht bei, wenn man die Worte um jeden Preis auf ihre begriffliche Abtönung hin abhorchen wollte. Eine begriffliche Unterscheidung ist dabei gewiß auch im Spiel, aber man muß hier doch auch ein gewisses Zeremoniell des Redens in Rechnung setzen, eine zum Spiel gewordene Umständlichkeit des Sagens. Fragt man, was sich in dieser Formgebung ausspricht, so sind es gewiß weniger erkenntnismäßige Nuancen als viel mehr ein Wille, nämlich ein Wille zu überzeugen. Die Verwendung des Kunstmittels einer gewissen Wiederholung liegt ja ohnehin der didaktischen Rede von vornherein nahe." 121 D a m i t sei aber nicht jegliche „Begriffsuntersuchung" für unmöglich oder zwecklos erklärt. Hier soll eine Ebene bei der Wortbedeutung angen o m m e n werden, die zwischen Begriff und verschwimmendem Wortfeld liegt. Sie gilt es zu ermitteln. Die Worte können und sollen anhand ihres Vorkommens in anderen Texten und Kontexten untersucht werden, ohne daß die Ergebnisse dieser Untersuchung zu stark auf eine Exaktheit der Wortbedeutung hin präzisiert werden sollen. V. 12a erwähnt das Wohnen der Weisheit bei der Klugheit (na~\V). Dieses selten verwendete Wort hat nur in seinen Erwähnungen in den Proverbien (1,4; 8,5.12) eine positive Bedeutung, ansonsten bezeichnet es eine List (Ex 21,14; Jos 9,4). 1 2 2 D a ß DIIS? in den Proverbien positiv konnotiert ist, zeigt sich daran, daß der Kluge, der DTiy, Weisheit (Prov 14,8) oder Erkenntnis (12,23; 13,16) besitzt.
120
Dies trifft im engeren Sinne nur auf die V. 12, 13a und 14 zu. VON RAD 1985, 75-77; weitere Ausführungen zum Thema aaO. 25.27. 122 „Durch die Parallelbegriffe da'at ünfzimmäh (Spr 1,4) bzw. daat nfzimmöt (Spr 8,12) und leb (Spr 8,5) ist 'örmäh wie auch 'ärüm in Spr positiv konnotiert, während seine Verwendung außerhalb von Spr in Ex 21,14 und Jos 9,4 negativ konnotiert ist." 121
NIEHR 1989, 388.
Textuntersuchungen
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Die Erkenntnis (nyr) ist häufiger Parallelbegriff der Weisheit.123 Das Wort bezeichnet sowohl menschliche Fähigkeiten als auch - vor allem in Prov 1-9 - eine Fähigkeit und Gabe JHWHs in 2,6; 3,20. 124 In 8,12 ist nsn mit naTp zu „Erkenntnis der Pläne" zusammengesetzt. Eine gemeinsame Erwähnung beider Worte findet sich im Alten Testament nur noch - neben zahlreichen anderen Parallelbegriffen - in Prov 1,4. Dort allerdings sind beide Worte mit 1 verbunden: Der Ausdruck ist als Aufzählung zu verstehen. Auf JHWH bezogen kommt natZ? noch in Jer 23,20; 30,24 und in Hi 42,2 vor. Das Wort bezeichnet je nach Kontext Positives oder Negatives. 125 In Prov 1-9 findet sich nur die positive Seite des Bedeutungsspektrums: so in 1,4; 2,11; 3,21; 5,2; 8,12. Im Unterschied dazu wird das Wort in Prov lOff. mit positiver (14,17) wie negativer (12,2; 24,8) Konnotation verwendet. Außerhalb der Proverbien ist die Bedeutung überwiegend negativ. Dieses Faktum läßt darauf schließen, daß es sich bei natp in Prov 8,12bß um ein innerhalb des Alten Testaments in seiner Konnotation ähnlich schillerndes Wort handelt wie bei HS"]» in 8,12aß. Beide Worte werden jedoch in Prov 1-9 nur in positiver Bedeutung verwendet.126 In Y. 13a wird die absolute Aussage getroffen, daß Furcht JHWHs im Hassen des Bösen besteht. Mit den Versteilen 13b und c zusammengesehen erscheint Hin' nx~P dabei ebenfalls als Parallelbegriff zur Weisheit: Besteht JHWH-Furcht hier im Hassen des Bösen, so haßt die Weisheit in V. 13bc u. a. den Weg des Bösen. Unter JHWH-Furcht ist hier zunächst
123
Innerhalb der Proverbien steht n s n parallel zur Weisheit in 1,7; 2,6.10; 8,12; 9,10; 14,6; 24,3f.; 30,3; weitere in den Proverbien mit „Erkenntnis" zusammengestellte Worte sind n a t a in 1,4; 2,10f.; 5,2; 8,12; n r n n in 2,6.10f.; 17,27; 24,3f. (vgl. Ex 31,3 par 35,31; I Reg 7,14; Jes 44,19); HBTS in 1,4; 8,12; n r a in 9,10 sowie n i ; r n X T in 1,7.29; 2,5f.; so BOTTERWECK i n : BERGMAN/BOTTERWECK 1 9 8 2 , 4 9 6 . 124 Dazu vgl. ebd: „Eine stärkere Theologisierung scheint im jüngeren Teil der Spruchsammlung stattgefunden zu haben." 125
126
S o STEINGRIMSSON 1 9 7 7 , 6 0 1 .
Anders NIEHR 1989, 388: „Allerdings ist diese für die Verwendung von 'örmäh in Spr festgestellte positive Konnotation auch wieder nicht zu überschätzen, da 'örmäh gleich wie nfzimmäh immer auf der Grenzlinie zum Pejorativen steht, was damit zusammenhängt, daß der Erziehungsprozeß mehr mit der Erweiterung intellektueller Fähigkeiten als mit Moral beschäftigt war." - Die letztgenannte Behauptung NIEHRS entbehrt jeglicher Grundlage; dazu vgl. z. B. die zahlreichen Warnungen vor Frevlern und anderen Ü b e l t ä t e r n in P r o v 1 - 9 , so in 1,11-19; 2 , 1 2 - 1 5 ; 6 , 1 2 - 1 9 (s. o. a u f S. 7 5 - 7 8 ) sowie v o r d e r
fremden oder törichten Frau und ihren Taten z. B. in 2,16-19; 6,24-35; 7,5-27; 9,13-18. Von daher ist auch NIEHRS Bewertung der Wortbedeutung von NO"LS und n a t a zu hinterfragen. Es ist eher davon auszugehen, daß beide Worte eine Bedeutungsentwicklung durchgemacht haben. In Prov 12,2; 24,8 wird n a t a in eindeutig negativer Weise verstanden. Innerhalb von Prov 1-9 werden NA")» und NATB in einer Weise verwendet, in der sie ausschließlich positiv zu interpretieren sind. Die große Nähe zur mit göttlicher Vollmacht ausgestatteten Weisheitsgestalt läßt eine andere, negative Deutung der Worte, wie NIEHR sie vorschlägt, nicht zu.
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Die Texte über die
Weisheitsgestalt
mit von Rad Bindung an oder Gehorsam gegenüber JHWH zu verstehen. 127 An anderen Stellen der Proverbien finden sich anders akzentuierte und z. T. genauere Zuordnungen von JHWH-Furcht und Weisheit. In den älteren Proverbien werden sie nur in 15,33a miteinander in Beziehung gesetzt: „JHWH-Furcht ist na?n "lOlö". Auffällig ist diesem singulären Vorkommen gegenüber, daß es in Prov 1-9 vier solcher Verhältnisbestimmungen gibt. In l,29f. und 22-5 sind sie nicht genauer bestimmt, aber in 9,10 wird die JHWH-Furcht als Anfang der Weisheit (n»an nVnfi) bezeichnet. Dieser Satz findet sich ähnlich in Ps 111,10: „JHWH-Furcht ist Anfang (n'BNO) der Weisheit"; eine ähnliche Formulierung wird auch in Prov 1,7 verwendet: „JHWH-Furcht ist Anfang (n't^KI) der Erkenntnis (nsn)." 128 „Klar ist, daß die Frage nach dem Ort der Weisheit und nicht die nach dem Ort der Gottesfurcht beantwortet werden soll. Klar ist weiter, daß diese Ortsbestimmung dadurch vollzogen wird, daß die Weisheit in ein enges Verhältnis zur Gottesfurcht gesetzt wird, und klar ist endlich, daß die Gottesfurcht als etwas angesehen wird, das aller Weisheit vorgeordnet gilt. In ihrem Schatten wird der Weisheit ihr Ort angewiesen; sie ist also ihre Vorbedingung und erzieht zu ihr hin ... Sachverständig, kundig in den Ordnungen des Lebens wird man erst, wenn man vom Wissen um Gott ausgeht." 129
Dieses Zitat von Rads spricht über das Verhältnis von menschlicher und nicht von personifizierter Weisheit zu JHWH. Doch sowohl in 8,12f. wie auch in 1,29f. geht es um die personifizierte Weisheit. In der Weisheitsrede in l,29f. stehen Erwählung von JHWH-Furcht und Hören auf den weisheitlichen Rat parallel zueinander; ihr Verschmähen hat die gleichen Folgen. Das Verhältnis beider Größen gleicht dem in 8,12f. Demnach wird bei der Verhältnisbestimmung von Weisheitsgestalt und JHWH-Furcht im Vergleich zum Verhältnis von JHWH-Furcht und menschlicher Weisheit ein Unterschied gemacht: Der Erwerb menschlicher Weisheit ist immer dem Anerkennen JHWHs nachgeordnet, während dieses Verhältnis für die personifizierte Weisheit nicht festgelegt wird. Hier werden beide Größen ohne Vor- oder Nachordnung nebeneinandergestellt. Besitz von JHWH-Furcht ist nicht explizit Anfang oder Vorbedingung für das Hören auf die Weisheitsgestalt. Cox stellt in seiner Untersuchung zu Hin' 1"IN"P in Prov 1-9 in bezug auf die Verwendung der Wortverbindung in 8,13 fest, daß sie durch die Gleichsetzung mit dem „Hassen des Bösen" (8,13aß) eine bewußte moralische Entscheidung des 127
128
VON RAD 1985, 92.
Als weitere „Variation" des Satzes nennt FUHS 1982, 890 Hi 28,28 und verweist zum Vergleich auf Jes 11,2; 33,6. 129 VON RAD 1985, 93f.
Textuntersuchungen zu Prov 8
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Menschen beinhaltet. 1 3 0 Durch den Kontext V. 12-14 ist es in den Zusammenhang von weltlicher wie religiöser Weisheit gestellt. „It paints a typical wisdom picture of moral .wholeness', as applied to secular and religious life alike; an awareness of the fact that human life is a unity (material as well as spiritual) and is ultimately lived before a personal G o d . This is, admittedly, a re-interpretation of the older sapiential tradition, and represents the mind of the editors of Proverbs. The traditional portrait of the successful statesman or administrator is now infused with a new quality of , goodness' that envelops the whole of h u m a n life, worldly and religious. ,Fear' has become the element that unifies both secular and religious aspects of life." 131
Ähnlich wie in niiP nN~P liegt auch mit HS?? in Prov 8,14a ein in theologischer Bedeutung verwendetes Wort vor. 132 In den älteren Proverbien bezeichnet HSV sowohl menschlichen Ratschlag als auch den Plan J H W H s ; letzteres ist in 19,21 der Fall. In Prov 1-9 wird es dagegen ausschließlich in den Ich-Reden der Weisheitsgestalt und als deren Attribut genannt; so in 1,25.30 ('IIS») und in 8,14 (nX57~,,7). Wie die Parallelen zum Plan J H W H s oder der Begabung des Davidsprosses in Jes 9,5; 11,2 einzuschätzen sind, wird später 1 3 3 zu erläutern sein. Hier kann zunächst festgehalten werden, d a ß ein sonst im Alten Testament sowohl auf J H W H wie auf Menschen beziehbares Wort sich in Prov 1-9 ausschließlich in Parallelstellung zur Weisheitsgestalt findet. Auch hierin läßt sich ein Hinweis auf die Stellung der Weisheitsgestalt zwischen J H W H und den Menschen sehen. Der Begriff rpltflii in 8,14a ist in seiner Bedeutung sehr offen. „Er macht dem Übersetzer immer Schwierigkeiten, weil es kein Äquivalent im Deutschen gibt." 1 3 4 Übersetzungsmöglichkeiten dieses Wortes ungeklärter Etymologie liegen mit „Gelingen, Erfolg" oder „Umsicht" vor. 135 An zwei Stellen bezieht sich das Wort auf J H W H (Jes 28,29; Hi 12,16); ansonsten bezeichnet es menschliches Wissen oder menschlichen Erfolg. In Prov 2,7 ist rrirnn J H W H s Gabe f ü r die Aufrichtigen; in 3,21 ist sie wie in 8,14 Parallelbegriff der Weisheit. Aus diesen Hinweisen läßt sich für die Wortbedeutung in Prov 1 - 9 lediglich entnehmen, daß rPttflfi den Sachverhalt einer der Weisheit nahestehenden Gottesgabe bezeichnet. Gemsers Erläuterung des 130 131
Cox 1982a, 86. Ebd.
132 RUPPERT 1 9 8 2 , 7 4 1 spricht mit Bezug auf JHWHs H S » von einem jesajanischen Theologumenon. Ob Jesaja dieses Theologumenon aus weisheitlichen Kreisen aufgriff und umformte, wie FICHTNER es zu erweisen versucht hat, sei hier dahingestellt. Anzumerken ist jedoch, daß FICHTNER 1 9 4 9 , 7 8 aus den Proverbien lediglich ältere Königssprüche zum Vergleich mit jesajanischen Aussagen herangezogen hat. Ein Traditionsstrom von Jesaja quasi „zurück" zu Prov 1-9 kommt für ihn wegen dieser Beschränkung nicht in den Blick, kann grundsätzlich aber nicht ausgeschlossen werden! 133 S. u. auf S. 92-98. 134 VON R A D 1985, 109 Anm. 8. 135 HAL, 1579f.
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Die Texte über die Weisheitsgestalt
Wortes als das, „was das Dasein fördert" oder „was den Versuch gelingen läßt" 136 , scheint daher in seiner Offenheit hier passend zu sein. Mit n r a , „Einsicht", setzt die Weisheit in 8,14b einen Begriff mit sich gleich, der neben n j n und n j i a n einer der am häufigsten parallel zu ihr verwendeten Ausdrücke ist.137 Im Unterschied zu HJiafi, einem Begriff der gleichen Wurzel V?, bezeichnet HP3 an keiner Stelle ihrer Erwähnung eine göttliche Eigenschaft. 138 Die Weisheitsgestalt wird hier also innerhalb von Kap. 8 zum zweitenmal nach na"ii? in 8,12 mit einem ihr ähnlichen Begriff in Verbindung gebracht, der sonst nur menschliche Weisheit benennt. Anders verhält es sich mit dem letzten zur Weisheit parallel gesetzten Begriff innerhalb von Prov 8,12-14, der n"VDä. Sie kann Stärke und Fähigkeiten sowohl Gottes als auch der Menschen bezeichnen.139 „Das Reden von der Stärke Jahwes (gbüra) hat vor allem in den Psalmen seinen Ort ..." 140 Die Erwähnung von rniaa mit Bezug auf die Weisheit in 8,14b ist die einzige innerhalb der Proverbien. Damit ist n"TDA gleichzeitig der einzige der Weisheits-Parallelbegriffe in 8,12-14, der ohne weiteren Beleg in den Proverbien ist. Möglich scheint, daß die Erwähnung von HTDä hier die Parallelität der Reihung zu Jes 11,2 und Hi 12,13 hervorheben soll; dazu weiter unten in diesem Abschnitt. Zu den acht Parallelbegriffen der Weisheit in 8,12-14 läßt sich zusammenfassend festhalten, daß sie in anderen Kontexten - bis auf n»"]y und n r a - sowohl menschliche als auch göttliche Fähigkeiten oder Eigenschaften bezeichnen können. HT3 ist innerhalb dieser Reihung zusätzlich dadurch herausgehoben, daß allein dieser Begriff mit der Weisheit gleichgesetzt wird. Während die Weisheit in 8,12-14 bei rinny wohnt, niST!? n?n findet, Ähnliches haßt wie die JHWH-Furcht und sich bei ihr Rat, Gelingen und Stärke befinden, wird eine ausdrückliche Identität der Weisheit nur in Hinsicht auf die Einsicht ausgesprochen: rtPD 'iS in V. 14b. Es findet sich in Prov 1-9 keine Formulierung, die eine ähnlich ausgeprägte Gleichsetzung eines Wortes mit der Weisheit zum Ausdruck bringt. Die Weisheitsgestalt identifiziert sich also mit keinem der „doppeldeutigen", auf menschliche wie göttliche Weisheit beziehbaren Begriffe so sehr wie mit der nur-menschlichen n r a . T
Dies alles deutet darauf hin, daß durch die Auswahl der Parallelbegriffe der Weisheitsgestalt hervorgehoben werden soll, in welch hohem Maße in ihrer Gestalt menschliche und göttliche „Weisheit" zusammenfließen. 136
137
GEMSER 1 9 6 3 , 2 4 .
n r a steht parallel zur Weisheit in Dtn 4,6; Jes 11,2; 29,14; Hi 28,12.20.28; 38,36; 39,17; Prov 1,2; 2,2f.; 4,5.7; 7,4; 8,14; 9,10; 16,16; 23,23; Dan 1,20. 138 So auch R I N G G R E N 1973c, 628. 139 Dazu vgl. KOSMALA 1973, 903-908. 140 K Ü H L E W E I N 1978b, 4 0 0 .
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Textuntersuchungen zu Prov 8
Prägnant drückt sich dies auch in ihrem Verhältnis zur JHWH-Furcht und zur Einsicht aus. Einerseits wird die Weisheitsgestalt der sonst gottgegebenen Vorbedingung menschlichen Erkennens, der JHWH-Furcht, nicht unter-, sondern nebengeordnet und ihr so in ihrer Bedeutung nähergerückt. Andererseits wird die Weisheitsgestalt nur mit der lediglich das menschliche Einsichtsvermögen zum Ausdruck bringenden n ^ a identifiziert. Auszuwerten ist dies m. E. vor allem im Blick auf die MittlerinnenStellung der Weisheitsgestalt. Sie partizipiert ebenso an göttlicher wie an menschlicher Weisheit; sind ihr doch überwiegend jene Begriffe zugeordnet, die für beide „Weisheiten" verwendet werden können. So hat die Weisheitsgestalt Anteil an göttlicher wie menschlicher Weisheit und repräsentiert beide gleichermaßen.141 ß) Parallele Texte im Alten Testament Ein weiterführender Untersuchungsschritt ist der Vergleich von 8,12-14 mit anderen Texten, in denen sich ähnliche Reihungen von Weisheit und parallelen Begriffen finden. Als solche Texte kommen vor allem Ex 31,3 par 35,31; I Reg 7,14; Jes 11,2; Hi 12,13 sowie Prov 1,2-7 in Betracht. Der Text Ex 31,3 (par 35,31) schildert bzw. preist den Kunsthandwerker Bezaleel, den JHWH zur Arbeit am Heiligtum ausersehen hat: :
nas'JA-^sai
nsnrn njinnai narina
DVI 1 ?«
m i inx xVaio
... und ich (sc. JHWH) habe ihn (sc. Bezaleel) erfüllt mit dem Geist Gottes, mit Weisheit und mit Einsicht und mit Erkenntnis und mit jeglicher Arbeit(sfertigkeit). (Ex 31,3) Bezaleel ist mit c n ^ K n n erfüllt, wodurch er u.a. mit n313n, n&an und FISH begabt ist. Die drei letztgenannten Gaben besitzt auch der Kunstschmied Hiram von Tyrus in I Reg 7,14, den Salomo beim Bau des Tempels beschäftigt. Beide Männer scheinen mit außergewöhnlichem handwerklichen Geschick ausgestattet zu sein, so daß sie würdig sind, beim Bau von Heiligtum und Tempel mitzuwirken. Allerdings werden in Hi 12,13 mit nasn, r r r m , HXV und n j m n Fähigkeiten oder Attribute JHWHs bezeichnet. Eine ähnliche Synthese zwischen göttlicher und menschlicher Begabung wie in Prov 8,12-14 könnte in Jes 11,2 vorliegen. Der Text innerhalb des Abschnitts Jes 11,1-8 über die „Wurzel Isais" 142 , d. h. den in der Zukunft V:
141 142
-
'
Diese Beobachtung soll unten auf S. 277-280 ausgewertet werden. Die Abgrenzung folgt der Argumentation von SEEBASS 1992, 30.
T
:
7
T
:
T
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Die Texte über die
Weisheitsgestalt
erwarteten Davidsohn, spricht in V. 2 über die diesem durch JHWHs Geist verliehenen Gaben: n r a i naan irn nin? n n v^y nmi : nirr r>K-j?i nsn n n rrvnai ns» n n ... und es wird ruhen auf ihm (sc. dem Davidsproß) der Geist JHWHs, der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht JHWHs. (Jes 11,2) Der Davidsproß besitzt die Charismen von na?n, HJ'a, HXS7, HTiaa, nsn sowie Hin' n * n \ Alle diese Gaben sind auch - allerdings nicht als Geistesgaben, sondern als Parallelbegriffe der Weisheit - in Prov 8,12-14 zu finden.143 Weitere Gemeinsamkeiten bestehen zwischen Prov 8,6-9, der Charakterisierung der Weisheitsrede,144 und Jes 11,3b—5, der Qualifizierung des Richteramts des Davidsohnes: : r r a v v j t s S7atfal?-x17i ois»? vrs? ntne^-KVi 3b r ^ p u s ? 1 ? -ntzraa rroini d , ! h p-rsa üseh 4 : n'a^ vnsip n n a i v a üatfa pnicnani : vxVn UTK njinsrn vana -iitk p f s n^ni 5 3b ... und nicht nach dem Augenschein wird er richten, und nicht nach dem Hörensagen wird er entscheiden. 4 Er wird richten in Gerechtigkeit die Armen und entscheiden in Geradheit für die Frommen der Erde; und er wird schlagen die Erde mit dem Stab seines Mundes, und mit dem Geist seiner Lippen wird er den Frevler töten. 5 Und Gerechtigkeit wird der Schurz seiner Hüften sein, und Zuverlässigkeit der Schurz seiner Lenden. (Jes ll,3b-5) Beide Gestalten, Davidsohn wie Weisheitsgestalt, sind demnach in ganz ähnlicher Weise begabt bzw. ausgestattet. Dabei besteht der Unterschied darin, daß der Davidsproß durch die Hin' n n mit den Charismen begabt wird, die Weisheit hingegen sozusagen selbst diese Begabung ist. Auf ihr ruht kein Geist. Im Gegenteil, sie ist in Prov 1,23 im Besitz einer ihr eigenen n n . Auch verbindet sie mit der D'H'^K n n in Gen 1,2 die Anwesenheit bei JHWH vor der Schöpfung. 145 Dies deutet daraufhin, daß an die Stelle 143 Dies bemerkt auch C A Z E L L E S 1 9 5 9 , 5 1 4 : „Elle [sc. die Weisheitsgestalt] est comme un Super-Roi et possède justement les qualités royalesque [sic! corr.: royales que] Isaïe (XI, I ss.) attribue au rejeton de Jessé ..."Allerdings finden sich in Prov 8 , 1 2 - 1 4 über Jes 11,2 hinausgehend noch n»"i», n s t a sowie r r t f w . 144 Zum Text s. o. S. 7 8 - 8 i ' 145 Dies wird unten auf S. 145f. noch näher auszuführen sein. Detaillierter zu den Gemeinsamkeiten zwischen Weisheit und Geist Gottes im AT vgl. B A U K S / G . B A U M A N N 1994, 48-50 sowie G. B A U M A N N 1994, 142f.
Textuntersuchungen zu Prov 8
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der wohl älteren Vorstellung der Hin' nn/D'H^X n n in Prov 1-9 die Weisheitsgestalt getreten ist und dabei die Fähigkeiten ersterer an sich gezogen hat. 146 Wie im nächsten Abschnitt zu Prov8,15f. noch auszuführen ist, handelt es sich dabei besonders um die Befähigung zu gerechtem Regieren. Eine letzte Häufung der Weisheit und ihrer Parallelbegriffe ähnlich der in Prov 8,12-14 findet sich in den einleitenden Versen des Proverbienbuches in 1,2-7. Die Parallelbegriffe heben an dieser Stelle nicht erkennbar auf die personifizierte Weisheit ab, sondern stellen eine Art Motivierung zum Lesen des Proverbienbuches dar. Die Begriffe, die in 8,12-14 der Weisheit an die Seite gestellt werden, werden in 1,2-7 als menschliche Weisheit, als Erkenntnisgewinn nach dem Studium der Proverbien verheißen.147 Die in Prov 8,12-14 zur Weisheit parallel gesetzten Begriffe werden also in vergleichbaren Texten zur Bezeichnung sowohl von menschlicher Fertigkeit und Weisheit als auch der Fähigkeiten JHWHs und der Gestalt des Davidsohnes verwendet. Hier ist zu beachten, daß bis auf Prov 1,2-7 die menschlichen Fähigkeiten Gaben JHWHs sind. Von der Anzahl der parallel erwähnten Begriffe wie von der Konzeption der Gestalten her bestehen dabei die engsten Beziehungen zwischen Prov 8,12-14 und Jes 11,2. Anders als in Jes 11,2 ist die Weisheit in Prov 8,12-14 aber eine Art zusammenfassender Oberbegriff für die ihr zugeordneten übrigen Termini. d) Die Weisheit als Regierungsmacht (Prov 8,15f.) Durch mehrere Stilelemente sind V. 15 und V. 16 als eng zusammengehörig gekennzeichnet. Beide Verse beginnen mit 3 + Suffix 1. Sg. comm., das auf die Weisheitsgestalt als diejenige verweist, durch die das gerechte Regieren der genannten Gruppen ermöglicht wird. 3 ist hier als Beth causae zu verstehen, das die Weisheit als Mittel gerechten Regierungshandelns bezeichnet.148 Auf die Anapher 'S folgen in V. 15a wie V. 16a jeweils Nomen und Substantiv der gleichen Wurzel (V. 15 "fra; V. 16 Tittf), womit zwei Gruppen von Regierenden und ihre Tätigkeiten bezeichnet werden. Die Versteile 15b und 16b unterscheiden sich stilistisch wie formal von den ersten Vershälften; es werden Nomina und ein Verbum verschiedener Wurzeln verwendet. Zudem liegt in V. 16b ein Nominalsatz vor, wobei durch die folgenden Worte erklärt wird. Die Epipher p"rx verbindet dann
146 Diese These wird u. a. dadurch gestützt, daß PH") sonst in Prov 1-9 als eigene Größe nicht vorkommt. 147 Der Textabschnitt Prov 1,2-7 wird unten unter B.V.2 noch eingehender behandelt. 148
S o JENNI 1 9 9 2 ,
115.
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Die Texte über die Weisheitsgestalt
beide Versenden wieder; diese Stellung hebt die Bedeutung von pHS hervor. Die in V. 15f. erwähnten Mächtigen lassen sich unterschiedlichen Gruppen zuordnen. Neben den D ' ^ D als Monarchen finden sich V. 15b die hier mit „Würdenträger" wiedergegeben werden sollen. Hier und in anderen alttestamentlichen Texten werden sie häufig parallel zu „Königen" genannt. 149 Vom alttestamentlichen Vorkommen her ist es nicht möglich, sie als eigenständige Gruppe mit einem bestimmten Profil zu beschreiben. Ihre Aufgabe, die sie im vorliegenden Text mit Hilfe der Weisheit erfüllen, wird ähnlich derjenigen, die sonst allgemein Königen zugewiesen wird, bestimmt: Rechtsetzen bzw. das Anordnen von Gerechtigkeit. Im Unterschied zu den D'3n"i sind die in V. 16a in nachexilischer Zeit als Angehörige der israelitischen Oberschicht zu identifizieren, die sich in Machtpositionen befinden. 150 Sie sind aus der Gruppe der Beamten in der Königszeit hervorgegangen. Ihr Spezifikum bei ihrer Machtausübung ist es, sich eher am Interesse des Königs als an Gesetzen zu orientieren.151 Im Alten Testament werden sie häufig parallel zu Königen genannt; dabei ist in Prov 8,15f. anders als in vorexilischen Texten kein Unterordnungsverhältnis der D'ltP unter den König impliziert.152 Die letzte der genannten Gruppen, die der („Edle"), ist eher eine ethisch-moralisch qualifizierte als eine von Machthabern: „Der nädib verkörpert ... das weisheitliche Ideal des Gerechten und Weisen und ist damit der vollkommene Mensch schlechthin ..." 153 Insofern ist es wahrscheinlich, daß die sich in Prov 8,16b zusammenfassend und qualifizierend auf die drei zuvor genannten Gruppen der Mächtigen rückbeziehen. Durch den summarischen Vers 8,16b wird dann ausgesagt, daß nur solche Mächtige vermittels der Weisheit regieren und als Edle anzusehen sind, die ihre Ämter in Gerechtigkeit ausüben. 149 So außer in Jes 40,23 in allen ihren Erwähnungen: Jdc 5,3; Hab 1,10; 2,2; Prov 8,15; 31,4. 150 So NIEHR 1993, 876: „In Spr hat sar zur Bezeichnung der Oberschicht vor allem die Konnotation ,Herrscher'." Ohne direkten Bezug auf Prov präzisiert ALBERTZ (1992, 472f.) das Amt des "IU> in der Perserzeit: Unter D'-liP sind „meist judäische Notabein" zu verstehen, die den insgesamt neun Verwaltungsbezirken vorstehen. 151 „Das Amt ist persönliches Recht des Beamten, nicht Folge sachlicher Interessen. Dabei orientiert sich der Auftrag des Beamten nicht an einer - wie immer gearteten Qualifikation, sondern der jeweilige Herrscher wählt denjenigen aus, dem er die Aufgabe zutraut und dem er vertraut, meist einem Mitglied des Hofstaates oder einem Tischgenossen; entscheidend ist die Nähe zum Herrscher. An dessen Willen orientieren sich zudem die zu treffenden Entscheidungen; sie sind nicht in demselben Maße wie beim bürokratischen Beamtentum an Gesetze und Ausführungsbestimmungen gebunden."
RÜTERSWÖRDEN 1985, 2. 152 S o NIEHR 1993, 876. 153
CONRAD 1986, 243; dort finden sich auch Belege für diese Einschätzung.
Textuntersuchungen
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Eine Erklärungsmöglichkeit dafür, warum in den beiden Versen vier verschiedene Bezeichnungen für Regierende verwendet werden, bietet eine Überlegung, die die wahrscheinlich nachexilische Abfassungszeit von Prov 1-9 berücksichtigt:154 Zu dieser Zeit hat es in Israel zwar eine Reihe von Mächtigen, jedoch keine Könige mehr gegeben. Daß überhaupt angesichts dieser Situation noch Könige als Regierende vom Text erwähnt werden, kann darin begründet liegen, daß die von der Weisheitsgestalt übermittelte Regierungsfähigkeit in den älteren Texten des Alten Testaments Königen zugesprochen wird. Weisheit ist nach I Reg 3,9.12 geradezu als „Königscharisma" zu bezeichnen.155 In I Reg 3,28 z.B. liegt die Umsetzung dieses Charismas ebenso wie in Prov 8,16b in gerechter Regierung. Es bestehen auffällige Ähnlichkeiten zwischen der von der Weisheitsgestalt übermittelten Regierungsmacht und der Weisheit als Regierungsmacht in anderen alttestamentlichen Texten. Um die Verbindungen zwischen diesen Texten und der Weisheitsgestalt genauer betrachten zu können, ist zunächst die Königsvorstellung Israels kurz in den Blick zu nehmen. Der judäische König wird unter Aufnahme ägyptischer und mesopotamischer Vorstellungen als durch Gott Legitimierter angesehen. 156 Er ist „Gottes ,Erwählter' (Ps 89,4.20; vgl. Ps 45,5), ,Sohn' (Ps 2,7; 2 Sam 7,14) und .Erstgeborener' (Ps 89,28), den YHWH selber ,geboren' bzw. ,gezeugt' hat (Ps 2,7; 110,3; vgl. Ez 28,13 [...])." 157 Bestandteil seines Am154
Hierzu Näheres unten auf S. 268-272. So die Terminologie bei METTINGER 1976, 233-253 (engl, „royal Charisma"). METTINGER vertritt in seiner Monographie die These, daß es zwei verschiedene „Königscharismen" gegeben habe: ein „Kriegscharisma", wie es v. a. Saul beigelegt werde (aaO. 234-238) sowie ein „richterliches Charisma", das v. a. Salomo zukomme (aaO. 238246). Dieses Modell ist m. E. hinsichtlich der Beschreibung der königlichen Begabungen im AT nicht sehr überzeugend. Im übrigen sagt METTINGER ausdrücklich, daß bei Jes 11,2, einem wichtigen Paralleltext zu Prov 8,15f., sein Schema nicht greift, da in Jes 11,2 beide Linien vereinigt seien: „... the two lines from the martial Charisma of Saul and the judicial one of Solomon have merged in the image of the ruler in Jes Ch. 11." (aaO. 249). 156 Ich verwende den Terminus „messianisch" u. ä. nicht, da er unzutreffende Konnotationen hervorruft und forschungsgeschichtlich zu belastet ist. Dazu vgl. STRAUSS 1992, 620: „Es läßt sich exegetisch im einzelnen zeigen, daß alle diese Texte in ihrem Grundbestand je ihren geschichtlichen Ort u. a. gegenüber dem einen oder anderen der (davidischen) Herrscher in Israel gehabt haben. Weiter läßt sich im einzelnen zeigen, wie im Zuge der Fortschreibung vor allem prophetischer Überlieferung auch diese herrscherlichen Texte - um, theologisch exakt, nicht alles, was königliche Momente aufweist, ,messianisch' und nicht schon alles in Zukunft Blickende .eschatologisch' zu nennen! z.T. auch durch ihre nächsten Kontexte futurisiert und ausgeweitet werden konnten, doch immer als Erwartung des (erneuten) Handelns Jahwes selber und nach dem Maß des - noch wachsenden - Vertrauens auf seine universale Herrschaft." Die Benennung dieser Texte als „herrscherlich" bringt darüber hinaus gut zum Ausdruck, daß die Texte im Umkreis der Davidsproß-Vorstellung Bestandteil der atl Königsideologie sind. Primär als solche werden sie hier behandelt. Zum Thema vgl. auch unten auf S. 300-303. 155
157
JANOWSKI 1994a, 517.
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Die Texte über die Weisheitsgestalt
tes ist das gerechte Richten und überhaupt gerechtes Handeln, insbesondere den gesellschaftlich Schwachen gegenüber (Ps 72,2-4.12-14). Die Erwartung an den König beinhaltet, daß er DStPa und plX/np'TX, Recht und Gerechtigkeit, verwirklicht (z.B. nach II Sam 8,15; I Reg 10,9; Jer 22,3.15). Typisiert dargestellt wird dies an Salomo als weisem, gerechtem König in I Reg 3. Daß gerechtes Handeln bei Königen nicht immer selbstverständlich ist, belegt die häufige Kritik an ihnen im Alten Testament. Daher wird besonders vom erwarteten Heilskönig der Zukunft Gerechtigkeit erwartet; so z. B. in Jes 9,6; 11,3-5; 16,5; 32,1; Jer 23,5 par 33,15; Sach 9,9. Dabei wird außer in I Reg 3,9.12; Jes 11,2; Ps 72,1 und Prov 8,15f. im Alten Testament nichts darüber gesagt, daß es eine Art Begabung oder Herrschaftsmacht gibt, die den König oder Davidsohn zum gerechten Regieren befähigt. Salomo erhält nach seiner Bitte um ein „hörendes Herz" in I Reg 3,9 von JHWH eine Art „Königscharisma" 158 I Reg 3,1 laß. b.l2a.ba: D'an d'ep fft n^xttrxV; njn na^n-nx nVxtf -itfx isr ... llaß.b 1 : üstr» vhv^? n^xun WT x'ViS -itf» ^1 : n^xarx ?!: T : * ~ : * r* a•nT T : - T : t1 A^V n tfsa VV n T ^: ~ V T: - T 1 : ... liaji Dan i ? 'riria nan T">.?7? •»ri-'irs? nan I2a.ba 11 ... Weil du [sc. Salomo] um diese Sache gebeten hast und nicht gebeten hast um ein langes Leben für dich, und nicht gebeten hast um Reichtum für dich, und nicht gebeten hast um das Leben deiner Feinde, sondern gebeten hast um Einsicht für dich, um auf das Recht zu hören: 12 Siehe, ich will deiner Rede gemäß handeln. Siehe, ich gebe dir ein weises und verständiges Herz ... (I Reg 3,1 laß.l2ba) Diese Gabe besteht in der ständigen Befähigung zu gerechtem Richten159, die im Falle Salomos in I Reg 3,28 als Weisheit bezeichnet werden kann: 160 •q^an 'asa i x - n ^ a n üdw -itfx ü s w a r r n x iva^-'i : üswa nws?1? ia-ipa trn 1 ?» n a a n - ' ? i*n 'a
158
Zum Begriff vgl. oben auf S. 95 Anm. 155 zu METTINGER 1976. „The ,hearing heart' does not stand for an attitude of pious subordination and obedience to God (ct. Germ. ,Hörigkeit') but for a charismatic sensivity (cf. Germ. .Hellhörigkeit'), given once and for all, and which enables Solomon to settle justly every legal case that comes before him." METTINGER 1976, 242. 160 Salomo erbittet ein „hörendes Herz" (I Reg 3,9), bekommt aber ein weises und verständiges Herz von JHWH (3,12); es ist sichtbar, daß JHWHs Weisheit in ihm ist 159
(3,28). D a z u vgl. a u c h METTINGER a a O . 244.
Textuntersuchungen
zu Prov 8
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U n d es hörte ganz Israel das Urteil, das der König erlassen hatte; und sie fürchteten sich vor dem König, denn sie sahen, daß die Weisheit Gottes in ihm war, u m Recht zu vollziehen. (I Reg 3,28) Dieses Königscharisma Salomos ist eines unter mehreren Elementen religiöser Herrscherlegitimation, wie Ahn feststellt. 161 Innerhalb des Alten Testaments m u ß dieses Element als ein sehr spätes und höchstwahrscheinlich aus Vorbildern der Umwelt Israels entnommenes angesehen werden. 1 6 2 Wichtig ist an dieser Stelle, daß es sich in jedem Fall um ein Element religiöser Herrscherlegitimation handelt. Die Befähigung zu gerechter Regierung besitzt der König also nicht von sich aus, sondern es ist eine Gabe Gottes an ihn. Dies drückt sich explizit nur - wie oben schon gesagt - in wenigen Texten des Alten Testaments aus: Während in Ps 72,1 an G o t t die Bitte ergeht, seine Herrschaftsmacht ( J H W H s ö f t f » und np-TS) dem König zu geben, wird die Fähigkeit zum gerechten Richten in Jes 11,2-5 durch J H W H s Geist übermittelt. In Prov8,15f. ist es schließlich die Weisheitsgestalt, die als Trägerin solcher Kompetenz fungiert. Hier besteht also eine enge Parallele zwischen Hin 1 n n in Jes 11,2 und der Weisheitsgestalt, was die Befähigung zur gerechten Machtausübung angeht. Vergleichbare „Mittlerbefähigungen" außer der Weisheit(sgestalt) lassen sich sonst im Alten Testament nicht auffinden; es bestehen allerdings enge Parallelen zu altägyptischen Traditionen 1 6 3 . Was die Befähigung zum Übermitteln der Gottesgabe von gerechter Regierung angeht, soll nun noch ein genauerer Blick auf die Weisheitsgestalt geworfen werden. Die Weisheit in Prov 8,15f. erscheint in verschiedenen Bedeutungsnuancen: Zunächst ist „Weisheit" auf dem Hintergrund von I Reg 3,11 f. als eine Gabe Gottes zu verstehen, die zur gerechten Regierung befähigt. Als Terminus für einen Aspekt des gerechten Regierens dient in I Reg 3 öfttfö. In Jes 11,4f. wird statt dessen der Begriff p"7S verwendet. In Ps 72,1 sind beide Termini, üStPH und HplX, zu finden; dort ist allerdings nicht von Weisheit die Rede. Weisheit erscheint also sowohl in I Reg 3 und Jes 11 als auch in Prov8,15f. als eine Gabe Gottes, die ein durch Ausdrücke der Wurzeln 161 Dazu insgesamt AHN 1992, 17-91. S. E. kommt der Fähigkeit zu gerechtem Richten und Regieren z. B. gegenüber dynastischer Legitimation nur sehr untergeordnete Bedeutung zu. 162 So aaO. 69. 163 Hier ist vor allem die Vorstellung der Ma'at-Gabe an den Pharao mit der Weisheitsgestalt als Regierungsmacht in Verbindung zu bringen. Daneben gibt es auch Parallelen zwischen den Göttinnen Hathor und Isis in der Spätzeit Ägyptens und der Funktion der Weisheitsgestalt in Prov 8,15f. (so nach K A Y A T Z 1966, 117-119). Ob die Weisheitsgestalt in Prov 1-9 Aspekte ägyptischer Vorstellungen oder Göttinnen in sich aufgenommen hat - wie K A Y A T Z aaO. 119.135 annimmt - muß hier offen gelassen werden.
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Die Texte über die
Weisheitsgestalt
BStt? und p7X charakterisierbares Handeln zur Folge hat. In Prov 8,15f. erscheint die Weisheit gegenüber den anderen genannten Texten nun noch in einer zusätzlichen Funktion: Sie ist die Personifizierung dieser Gottesgabe. Sie steht inhaltlich in deutlicher Entsprechung zur Weisheit als Gottesgabe der gerechten Regierung. Gleichzeitig ist die Weisheit auch die Gestalt, die sich sprechend über die Mächtigen äußert. Es findet gegenüber den älteren Texten bei ähnlicher inhaltlicher Aussage also eine Verschiebung der Perspektive statt: Die Gottesgabe Weisheit ist nun handelndes Subjekt und eigenständiges Wesen, das sich zwar allen Menschen zuwendet, aber besonders den Mächtigen die Fähigkeit gerechten Regierens übermittelt. e) Die Weisheitsgestalt und die Liebesmetaphorik (Prov 8,17.21) Das Verhältnis der Hörenden zur Weisheitsgestalt wird in Prov 1-9 an verschiedenen Stellen und in unterschiedlicher Weise mit Hilfe von Liebesoder dieser nahestehender Metaphorik geschildert. Dabei lassen sich zwei Bereiche unterscheiden. Zum ersten wird direkt, mittels 3HN „lieben", oder pDn „umarmen", von der Weisheit als Liebender und Geliebter gesprochen (a). Dies geschieht in 8,17a in einer reziproken Formel: „Ich bin es, die liebt die sie Liebenden ..."; nur dort wird in Prov 1-9 ausgedrückt, daß die Weisheit aktiv liebt. In 4,6-8; 8,21a wird auch vom Lieben oder Umarmen der Weisheitsgestalt gesprochen, aber nun ist die menschliche Seite aktiv. Zum zweiten wird - in 1,28b; 2,4a; 3,13; 8,17b - die Metaphorik des Suchens und Findens zur Beschreibung der Beziehung der Menschen zur Weisheitsgestalt oder ihrer Parallelbegriffe verwendet (ß). Diese unterschiedlichen Aspekte sind nun im einzelnen zu untersuchen. a) Die Weisheit „lieben" und „umarmen" (Prov 4,6-8; 8,17a.21a) Die Rede von der Weisheit als Geliebter tritt in Zusammenstellung mit anderen Motiven auf. In 4,6-8 ist das die Rede vom Bewahrt- und Erhöhtwerden durch Weisheit. In 8,17 liegt das Motiv in enger Verbindung mit dem Motiv des Suchens und Findens vor (s. u. ß), und in 8,21 wird es mit der Erlangung von Reichtum zusammengestellt. Zunächst sind nun die Wortfelder von 3HX und p3n zu erhellen. Da 3HK und seine Derivate im Alten Testament sehr häufig und breit gestreut verwendet werden, 164 soll hier vor allem das Vorkommen innerhalb der Proverbien genauer betrachtet werden. Subjekte von 3HX sind Menschen (9,8; 13,24; 15,12; 17,17; König: 16,13) sowie J H W H (3,12; 15,9; 22,11) oder die Weisheit (8,17). Die „Lie164
Dazu vgl.
WALLIS
in:
BERGMAN/HALDAR/WALLIS
1973,
108.
Textuntersuchungen
zu Prov 8
99
besobjekte" sind wiederum Menschen (3,12; 8,17; 9,8; 13,24; 14,20; 15,9; 18,24; 22,11; 27,6), worunter insbesondere Frauen hervorgehoben werden (die eigene Ehefrau 5,19; die Fremde 7,18), aber auch negativ konnotierte Größen wie die Einfalt (1,22), Tod (8,36), Schläge und Streit (17,19), Schlaf (20,13) und Vergnügungen (21,17). An positiven Größen werden Weisheit (4,6; 8,17.21; 29,3), Erkenntnis (12,1), Reden von Redlichem (16,13), Leben (19,8) sowie die Zunge (18,21) genannt. Auf den ersten Blick erscheint die Verwendung von 3HX in den Proverbien relativ unspezifisch zu sein. Es fällt jedoch auf, daß die Weisheit - zusammen mit der Einsicht - in Prov 1-9 das am häufigsten genannte nicht-menschliche „Liebesobjekt" ist. Im Vergleich zu anderen Texten des Alten Testaments sticht hervor, daß JHWH in den Proverbien nicht in der Rolle des Geliebten zu finden ist, was sonst mehrfach (Dtn 5,10; 6,5; 7,9; 10,12; 11,13.22; 19,9; 30,20; Ps 97,10; 145,20) gesagt wird. Neben der Liebe zu JHWH findet sich auch - unter verschiedenen Bezeichnungen - die Rede von der Liebe zu JHWHs Geboten und Ermahnungen (Ps 119,97.113.119.127.159.163.165.167) sowie zu Elohims Namen (Ps 69,37). Die deuteronomische und psalmistische Rede von JHWH als „Liebesobjekt" fehlt also in den Proverbien. Von JHWH als Liebendem wird wesentlich häufiger im Alten Testament gesprochen.165 JHWH liebt u.a. Israel (Dtn 4,37; 7,13; 23,6; Jes 43,4; Jer 31,3; Hos 11,1; 14,5; Mal 1,2; Ps 47,5), den Fremdling (Dtn 10,18), die Gerechten (Ps 11,7; 146,8 vgl. Prov 15,9). Von konkreten einzelnen Menschen ist ebenfalls die Rede: Salomo wird von JHWH (II Sam 12,24; Neh 13,26) ebenso wie Kyros (Jes 48,14) geliebt. Auch liebt JHWH abstrakte Größen wie das Recht (Jes 61,8; in Verbindung mit Gerechtigkeit Ps 33,5; 37,28) oder auch den Zionsberg, sein Heiligtum (Mal 2,11; Ps 78,68; 87,2). Im Unterschied zu diesen zahlreichen Belegen für JHWH als Liebenden erscheint die Weisheit nur an einer Stelle, in Prov 8,17, explizit als Liebende. Im Alten Testament einzigartig ist die reziproke Formel, die die Weisheitsgestalt in Prov 8,17 verwendet.166 Die Untersuchungen von Kayatz zeigen auf, daß sich die reziproke Formel über das Verhältnis GottMensch in ägyptischen Texten seit der 18. Dyn. findet. Kayatz folgert daraus:
165 Gegen KAYATZ 1966, 101, die m. E. unzutreffend konstatiert: „Wendungen mit a n x von Gott den Menschen gegenüber kommen im Alten Testament überhaupt nur dreimal vor und beziehen sich auf Könige (2 Sam 11,24 [sie! corr.: 12,24] und Neh. 13,26 auf Salomo; Jes 48,14 auf Kyros), was mit der Theorie von der Gottessohnschaft der Könige zusammenhängen mag." 166
S o KAYATZ e b d .
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Die Texte über die
Weisheitsgestalt
„Dieser Befund legt die A n n a h m e nahe, daß wir es in Prov. 8,17 mit einer formelhaften Wendung zu tun haben, die auf ägyptisches Vorbild zurückgeht. Verstärkt wird diese Vermutung durch ein grammatisches Indiz, denn im Ketib steht sogar: ,Ich liebe, die ,sie lieben' (rranx)', es erscheint also genau die im Ägyptischen festgeprägte Formulierung . . . " l 6 7
Allerdings muß hinzugefügt werden, daß in einigen dtr Formulierungen des Deuteronomiums ein in der Konsequenz ähnliches Verhältnis zwischen JHWH und den Menschen zum Ausdruck gebracht wird. Das Fürchten bzw. Lieben JHWHs zieht dessen Zuwendung und das Wohlergehen der Menschen nach sich (Dtn 6,5.24f.; 30,16.20). Im Unterschied zum häufigen 3HX läßt sich für pnn im Alten Testament leichter ein Profil erstellen. Das mit diesem Wort ausgedrückte Lieben als „Umarmen" läßt sich als freundschaftlicher Gefühlsausdruck beschreiben. Es kann in unterschiedlichen Kontexten und zur Bezeichnung verschiedenartiger Beziehungen verwendet werden, so z. B. sowohl für eine familiär-freundschaftliche Umarmung unter Brüdern in Gen 29,13; 33,4; 48,10 als auch für eine Umarmung mit sexueller Konnotation in Cant 2,6; 8,3; Prov 5,20. In Prov 4,8 wird pari eher in der Bedeutung für eine freundschaftliche Umarmung verwendet; darauf weisen die parallel zu pnn stehenden Worte V?0 Pilp., Dil Pil. und 133 Pi. hin. Alle drei verweisen in den Bereich der Erhöhung als Verehrung und nicht in eine sexuelle Richtung. Die Ergebnisse der Untersuchungen von 3HN und p3n lassen sich dahingehend zusammenfassen, daß in Prov 8,17.21 vom Lieben der Weisheit in enger Anlehnung an das Lieben JHWHs die Rede ist. Daß nur die Weisheit und nicht mehr JHWH in Prov 1-9 als „Liebesobjekt" genannt wird, kann als Hinweis darauf gewertet werden, daß sie hier JHWHs Stelle einnimmt. ß) Die Weisheit „suchen" und „finden" (Prov 1,28b; 2,4a; 3,13; 8,17b) Vom Suchen und Finden der Weisheit ist in Prov 1-9 in widersprüchlicher Weise die Rede. Während in 1,28b vom Nichtfinden der Weisheit trotz des menschlichen Suchens gesprochen wird, sagt 8,17b genau das Gegenteil aus: „... die nach mir Suchenden finden mich gewiß." Die dazwischenliegenden Verse 2,4a; 3,13 schildern in positiven Farben das Leben derer, die die Weisheit oder ihre Parallelbegriffe suchen (2,4a), bzw. preisen die, die sie gefunden haben (3,13).168 167
Ebd. Zum Motiv des Liebens in der ägyptischen Persönlichen Frömmigkeit vgl. auch unten S. 306f. 168 Der sich hier ergebende Widerspruch von Nichtfinden in Prov 1,28b und Finden in 8,17b läßt sich durch den besonderen Kontext der einführenden Weisheitsrede 1,20-33 mit ihrem Rekurs auf prophetische Redeweise erklären; vgl. unten S. 182-195.
Textuntersuchungen zu Prov 8
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Daß im Motiv des Suchens und Findens ein Topos der Liebesmetaphorik vorliegt, verdeutlicht ein Blick auf das Hohelied. In Cant 3,1-4; 5,6 ist mit den Ausdrücken tP¡?2 Pi., 3HN und KXS vom Suchen, Nichtfinden und Finden (letzteres nur 3,4) des Geliebten die Rede. Hos 2,9 schildert das Suchen und Nichtfinden von Sexualpartnern mit diesen Worten. In einem ähnlichen Bild, aber mit anderen Worten wird in Prov 7,15 auch das nächtliche Suchen der „Fremden" nach einem unerfahrenen Mann beschrieben. Für das Suchen der Weisheit in Prov 1-9 werden unterschiedliche Termini verwendet: In 1,28b und 8,17b wird das Suchen durch "int? II Pi. ausgedrückt. Diese im Alten Testament nur dreizehnmal169 vorkommende Wurzel hat als Suchobjekt des transzendenten Bereichs nur JHWH (Jes 26,9; Hos 5,15; Ps 63,2; 78,34; Hi 8,5) und an den hier untersuchten Stellen die Weisheit bei sich. In Verbindung mit NXö Q., „finden", steht es nur in Prov 1-9 (1,28; 7,15; 8,17). Die Suche nach der Weisheit in Prov 2,4a wird mit Pi. zum Ausdruck gebracht. Die häufig vorkommende Wurzel bezeichnet an vielen Stellen Gott als Gesuchten, wobei Gott auch als Suchender vorkommt. 170 Daneben sind in den Proverbien die Weisheit (2,4; 14,6) und ihre Parallelbegriffe (z. B. nsn 15,14; 18,15) Objekte des Suchens. Für das Sprüchebuch läßt sich zudem feststellen, daß dort, wo Positives gesucht wird, stets Gott oder die Weisheit und ihr benachbarte Begriffe die Objekte sind. Das Ziel der Suche, das Finden, wird in den hier betrachteten Stellen (1,28b; 2,5b; 3,13a; 8,17b) durchgängig mit KXa bezeichnet. In den Proverbien wird das Wort fast nur in übertragener Bedeutung für das Finden abstrakter Inhalte verwendet. Außer in mit Ehebruch zusammenhängenden Texten ist das Gefundene immer etwas, das positiv einzuschätzen ist. Auch Wagner ist die enge sprachliche Verbindung zwischen dem Auffinden von JHWH und Weisheit aufgefallen: „Weisheit als göttliche Gabe und Aufgabe des Menschen tritt in den Sprüchen Salomonis syntaktisch an die Stelle Gottes. Weisheit gilt es zu suchen, d. h. sich um sie zu bemühen, nach ihr zu streben, und sie gilt es zu finden."171 Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß im Motiv des Suchens und Findens der Weisheit in Prov 1-9 eine Parallele zu diesem Motiv mit Bezug auf JHWH vorliegt. Das Motiv wird, in übertragener Bedeutung, in Prov 1-9 unbefangen auf die Weisheit und ihre Parallelbegriffe bezogen so wie sonst auf JHWH (Dtn 4,29; Jer 29,13f.). Mit diesem Motiv und mit 169
So HAL, 1359. „Der Hauptakzent im theologischen Gebrauch von IP¡?3 liegt freilich auf dem Felde der Beziehungen zwischen Mensch und Gott, wo Gott als Zielpunkt von Suchvorgängen vorgestellt wird." W A G N E R 1973b, 768. 170
171
WAGNER 1984,
1058.
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der Rede vom „Lieben" und „ U m a r m e n " ruft die Weisheit dazu auf, zu ihr einen besonders innigen, einem Liebesverhältnis oder der Gottesbeziehung vergleichbaren Kontakt aufzubauen. Darüber hinaus wird, wie Murphy herausstellt, besonders auf dem Feld der Liebesmetaphorik die Gegenüberstellung von Weisheit und fremder Frau in Prov 1-9 deutlich zum Ausdruck gebracht. 172 f) Die Weisheitsgestalt und der Reichtum (Prov 3,16b; 8,18.21) Die Beurteilung des Reichtums bzw. der Reichen ist in den Proverbien zwiespältig wie sonst auch im Alten Testament. 1 7 3 Es werden durchaus positive Stimmen gegenüber dem Reichtum laut: Er bietet Sicherheit (10,15; 13,28) und schafft Freunde (14,20). Erworben wird er durch Fleiß (10,4; 11,16) oder Sparsamkeit (21,17); oder aber er ist allein Gabe J H W H s (10,22). Reichtum ist die Krone der Weisen (14,24); er läßt sich nicht herbeizwingen (23,4; 28,20). Andererseits wird bezweifelt, daß Reichtum die erstrebte Sicherheit bietet (11,28; 18,11); auch ist ein guter Name höher zu schätzen als Reichtum (22,1). Kritisch gegenüber den Reichen wird geäußert, daß Reichtum hart macht (18,23) oder Abhängigkeiten für Nicht-Reiche erzeugt (22,7). Reichen gegenüber herrscht ein gewisses Mißtrauen (22,16; 28,8). Auch die Spanne der theologischen Bewertungen ist breit. Diese reichen von der Gleichheit von Reichen und Armen vor J H W H (22,2) über die Höherbewertung der Gerechten über die Reichen (11,28) bis hin zu Reichtum etc. als Frucht von Weisen (14,24), als Folge von Demut (22,4) und n j i a s (28,28a) und als Gabe J H W H s (10,22). Zum letzten Aspekt lassen sich auch die Aussagen in Prov 1-9 von der Weisheit als Reichtumsspenderin hinzurechnen (3,16b; 8,18.21). Sofern Reichtum mit Weisheit, gerechtem Verhalten und ähnlichem zusammentrifft, scheint er für die Proverbien keine grundsätzlich kritikwürdige Gegebenheit im menschlichen Leben zu sein. Deutlich zeigt die Übersicht über die mit Reichtum ("IW57) befaßten Texte, daß das Verhältnis von Weisheit, Gerechtigkeit u. ä. zum Reichtum als ein Problem empfunden wird, das nach Lösungsvorschlägen verlangt. Dabei werden unterschiedliche Wege beschritten: Einerseits korrelieren Weisheit etc. und Reichtum (3,16b; 8,18; 14,24; 22,4; 28,20) bzw. ist Reichtum als Folge göttlichen Segens zu verstehen (10,22), andererseits werden Weise und Gerechte den Reichen entgegengesetzt (11,28; 28,11). Die letzt172 173
Murphy 1988.
So auch S^B0 1989, 452 nach Auswertung der Worte der Wurzel UPS. P l e i n s 1987, 68 hebt die entgegengesetzte Haltung von Weisen und Propheten zur Armut hervor: Während die Weisen sie als selbstverschuldet betrachten, sehen die Propheten die sozio-ökonomischen Strukturen der Gesellschaft als ihre Ursache an.
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genannte, kritische Haltung in den älteren Teilen der Proverbien wird in Prov 1-9 nicht mehr vertreten. Vermutlich deshalb charakterisiert Whybray die Haltung von Prov 1-9 zum Thema „Reichtum und Armut" so: „Perhaps the most remarkable characteristic of these discourses [sc. in Prov 1-9] is that the poor are not mentioned at all... The main concern of these admonitions appears to be the happiness and success of the pupil as he will go through life. Piety and the acquisition of wisdom are stressed, but because the neglect of these will lead to personal desaster."174 „The implication is that wealth without wisdom is a dubious advantage because it can easily be lost; the only sure way to success is to acquire wisdom first, for this will confer the practical shrewdness to enable one not only to make money but to keep it and increase it and to use it so as to acquire influence and power."175 „... standing well with the world and being in God's good books are equally important as the way to achieve success. There is no room here for disinterested concern for others."176
Im folgenden wird zu untersuchen sein, ob diese sehr kritische Haltung Whybrays gegenüber dem Ethos der Autorinnen oder Autoren von Prov 1-9 sich - zumindest für die Verse über den Reichtum innerhalb der Weisheitsrede in Prov 8 - anhand der Texte verifizieren läßt. Dazu sollen zunächst Prov 8,18a mit dem ähnlich lautenden Vers 3,16b und danach 8,18b und 8,21 genauer betrachtet werden. In 3,16b; 8,18a steht „Reichtum" in Verbindung mit "Tías. 7133 wird in den Proverbien nicht - wie sonst im Alten Testament z. B. in priesterschriftlicher Tradition und bei Ezechiel - als 1133T JHWHs verstanden, sondern ausschließlich in bezug auf Menschen verwendet. 177 Oft steht 1133 in Zusammenhang mit anderen positiv konnotierten Begriffen: mit "itfS? (außer in 3,16b; 8,18a noch in 11,16; 22,4), mit Leben (21,21; 22,4) und Gerechtigkeit (21,21). Besonders eng ist dabei außer der Verbindung zum Reichtum die zur Demut, die dem 1133 vorangeht (15,33; 20,3) sowie die zur Weisheit: Die Weisheit ist Verwalterin oder Geberin von 1133 (3,16b; 8,18a); Weisen wird 1133 zugesagt (3,35). Parallel stehen Weisheit und 1133 in 15,33. So, wie die Furcht JHWHs zu Erziehung und Weisheit führt,' so führt Demut zu 1133. T Unter 1l33 läßt sich in den Proverbien am ehesten die Würde oder Ehre von Menschen verstehen, die sich in Reichtum, aber auch in weisem und gerechtem Handeln und in Demut ausdrücken kann. Die in Prov 3,16b; 8,18a (und zusammen mit D"n auch in 22,4) vorliegende Wortverbindung 11331 ist sonst im Alten Testament nur noch in bezug auf Könige zu finden: in I Chr 29,28 in Verbindung zu David, J
174 WHYBRAY 1990, 102. Diese Einschätzung WHYBRAYS bezieht sich auf das gesamte Textcorpus von Prov 1-9. 175 AaO. 104. 176 AaO. 105. 177 Die einzige Ausnahme hierzu bildet Prov 25,2a mit D'H^X 133.
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Die Texte über die
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II Chr 17,5; 18,1 zu Josaphat und in II Chr 32,27 zu Hiskia. Diesen drei Königen ist gemeinsam, daß die Texte sie überwiegend als durch J H W H positiv bewertet ansehen. Die Weisheit verwaltet und spendet demnach in Prov 3,16b und 8,18a mit „Reichtum und Ehre" sonst nur Königen zukommende Gaben. Da hier - anders als in 8,15f. - nicht speziell von Regierenden als Empfangenden dieser Gaben die Rede ist, ist davon auszugehen, daß sich an dieser Stelle eine „Demokratisierung" der Gabe von Reichtum und Ehre in der Weisheitsrede niedergeschlagen hat. Nicht mehr nur gottgefälligen Königen, sondern allen Menschen macht die Weisheit Reichtum und Ehre zugänglich. In Tin „Besitz" liegt eine eher neutrale Bezeichnung des Besitztums von Menschen vor; 178 d. h., daß nicht unbedingt - wie etwa bei "iwi? - von sehr viel Besitz die Rede ist. N u n ist die Beziehung von fin zur Weisheit in den Proverbien genauer zu betrachten. Im Unterschied zu n¡?7X nützt Tin am Tag von J H W H s Zorn nichts (11,4). Weisheit u. ä. geben Tin (24,4; in ganz ähnlicher Weise 8,18b). In den Psalmen haben Gottesfürchtige mehr Freude am Weg J H W H s als an lin (Ps 119,14), aber auch eine gleichzeitige Anwesenheit von npfX und lin ist denkbar (Ps 112,3). Anders als wird lin nirgends als hinderlich für ein gerechtes oder gottgefälliges Leben angesehen. Eher ist Besitztum dessen Frucht, wie aus Prov 8,18b und 24,4 zu ersehen ist: Wo ein weisheitsgemäßer Lebenswandel praktiziert wird, finden sich Besitztümer von selbst ein. Die Zusammenstellung von lin und dem Hapaxlegomenon priy 179 bringt eine Steigerung des Besitztums zum Ausdruck. So bezeichnen die Versteile 8,18aa und 8,18ba ( I ^ V und pny lin) ähnliche Sachverhalte; es handelt sich bei dem Gemeinten um wirklichen Reichtum, nicht nur einfach um Besitz. Als letzte der sich in der Nähe der Weisheit befindlichen Gaben wird np"TS, „Gerechtigkeit" oder „Gemeinschaftstreue" 180 , genannt. Wie schon bei den vorangegangenen Gaben und besonders dem parallel zu n¡?"7S stehenden "7Í33 ist auch hier nicht von einem Attribut JHWHs, sondern von einer menschlichen Fähigkeit die Rede. Das erschließt sich aus der sonstigen Verwendung von nplX in den Proverbien 181 , die nicht repräsen178
So auch KUTSCH 1977, 391: „Im allgemeinen bezeichnet hon Besitz und Vermögen des einzelnen." 179 Dazu SCHMOLDT 1989, 488: „So lassen sich 'ätiq und 'äteq (je lmal) als ,vom Herkömmlichen abgerückt' = ,prächtig', ,reich' verstehen: ... reiches Vermögen (hon) (Spr 8,18)." 180
181
S o KOCH 1979, 515f.
Ein sicherer Bezug auf menschliches Tun liegt in Prov ll,6.18f.; 15,9; 16,8.12.31; 21,3.21 vor.
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tativ für den Gebrauch des Wortes im gesamten Alten Testament ist; dort ist oft explizit von der np"TS JHWHs die Rede.182 In den Blick zu nehmen ist nach 3,16b und 8,18 auch 8,21 und die dort entworfenen Vorstellungen von der Gabe des Reichtums durch die Weisheitsgestalt. Die Weisheit kündigt an, an ihre Liebhaber oder Freunde ttf' zu vererben. Dieses Wort wird außer an dieser Stelle, an der es substantiviert ist, im Alten Testament nur adverbiell in der Bedeutung „es ist da", „es gibt" verwendet. Eine Parallele zum substantivierten Gebrauch findet sich lediglich in dem - vom Textbestand her schwierigen183 - Vers Sir 42,3. Deshalb ist die Bedeutung des Wortes mit „Besitz" nicht mit letzter Sicherheit zu bestimmen, befindet sich aber wahrscheinlich in diesem Bereich. Deutlich ist, daß die Weisheit den mit ihr Befreundeten etwas Materielles verspricht. Daß es sich dabei um Reichtümer handelt, ist eher unwahrscheinlich. Die Verbindung von tP' mit "?na Hif. ist schon wegen des einmaligen Vorkommens von UT als Substantiv singulär. "7113 Hif. und Pi., „vererben", wird im Alten Testament überwiegend auf das Land Kanaan bezogen, das JHWH Israel als Erbteil gegeben hat, 184 oder auf etwas, das JHWH Israel zukünftig geben wird (Jes 49,8; Jer51,8; Ez 46,18; Sach 8,12). Daneben kommt es auch als juristischer Terminus in säkularen Zusammenhängen vor (Dtn 21,16; 32,8; I Sam 2,8; Prov 13,22). Zum letztgenannten Bedeutungsbereich ist auch Prov 8,21 zu rechnen. Daneben wird Q. und Hif. in den Proverbien meist metaphorisch verwendet: Geerbt wird 7133 3,35; „Wind" 11,29; Torheit 14,18 sowie Gutes 28,10. Auch 8,21 wird metaphorisch zu verstehen sein. In Versteil 8,21b verspricht die Weisheit parallel zu Versteil a, die Vorratskammern (n IIS ix) ihrer Liebhaber zu füllen. "iSiK dient im Alten Testament häufig zur Bezeichnung der Tempel- oder Palastschätze oder deren Aufbewahrungsräumen, dies vor allem in den Könige- und Chronikbüchern. Daneben werden aber auch die Schätze oder Speicher einfacher Menschen damit bezeichnet. Dies ist z. B. bei den Erwähnungen in den Proverbien der Fall (8,21; 10,2; 15,16; 21,6.20). Eine zu 8,21 parallele Verbindung des Verbs mit "IX1N liegt sonst im Alten Testament nicht vor. Es könnte sich beim Füllen der Vorratskammern also um ein von den Autorinnen oder Autoren der Proverbien eingeführtes Bild handeln. Diese Vermutung wird dadurch gestützt, daß Ähnliches in 1,13 und 3,9a geschildert wird: In 1,10-19 ist von den Sündern die Rede, die die Unerfahrenen dazu verlocken wollen, mit ihnen - neben anderem - zu rauben und zu stehlen. Dabei verheißen sie in 1,13, „wertvolles Gut" ("ip^ Tin) zu finden 182 D a z u vgl. B. JOHNSON 1989, 912FF.; mehr zu diesem Thema wird im nächsten Abschnitt (g) zu sagen sein. 183
V g l . VATTIONI 1 9 6 8 , 2 2 5 .
184
So bei 12 der insgesamt 21 Vorkommen, v. a. in D t n und Jos.
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(NXn), mit dem sie ihre Häuser füllen (K^a Pi.) wollen. Durchaus wahrscheinlich ist, daß die Weisheit als Kontrastangebot zu diesen Verführungen durch die Sünder ihre Verheißung ausspricht, die Speicher ihrer Liebhaber anzufüllen. Die Weisheitsfreundinnen und -freunde haben es demnach nicht nötig, auf Raub auszugehen, denn für ihr Wohl sorgt die Weisheit. Ein ähnliches Versprechen wird in Prov 3,9f. gegeben: Wenn ein Mensch JHWH mit seinem Besitz (Tin) ehrt (133 Pi.) und die Erstlingsabgaben leistet, dann werden sich seine Speicher (DDK* PI.) und Fässer wie von selbst füllen. Dieser Vers erinnert an die Folgen des Segens JHWHs, wie sie den JHWH-Nachfolgenden in Dtn 28,8 verheißen werden: In ihren Speichern (wie Prov 3,9 DDK* PI.) wird JHWHs Segen sein, was sich nur als Gefülltsein der Vorratsräume verstehen läßt. Die Weisheitsgestalt verheißt also den sie Liebenden Ähnliches wie JHWH seinen Anhängerinnen und Anhängern in Dtn 28,8 oder nach Prov 3,9f.185 Nach all dem ist die oben wiedergegebene Einschätzung Whybrays zu korrigieren. Es ist zwar zutreffend, daß der Weisheitsgestalt in Prov 3,16b; 8,18 eine ungebrochen positive Haltung zum Reichtum beigelegt wird, die sich so in den älteren Proverbien nicht findet. Es muß aber in Ergänzung zu Whybray gesagt werden, daß die Proverbien insgesamt keine besonders mitfühlende Haltung gegenüber den Armen einnehmen. Das Urteil über die Armut ist „recht kühl und unsentimental, denn oft genug ist sie selbstverschuldet. Mit einem Wort, sie ist einfach da (Prov 17,5)."186 Auch ist in Prov 1-9 an zwei Stellen doch - und damit anders, als Whybray behauptet187 - von Armut bzw. den Armen die Rede. Die an diesen Stellen gegebene Einschätzung unterscheidet sich kaum von der der älteren Proverbien: In 6,11 ist Armut die Folge von Faulheit (wie 24,34), und in 3,34 können sich die Armen oder Demütigen 188 (W^V oder - mit dem Qere gelesen - D'ljy) der Gnade JHWHs sicher sein. Auch wenn eine besondere Fürsorgepflicht der Reichen gegenüber Ärmeren in Prov 1-9 nicht mit Hilfe konkreter Beispiele thematisiert wird, so ist sie doch im Terminus nplS gegenwärtig; dies kann u. a. aus der rabbinischen Literatur rückgeschlossen werden.189 Gerechtes und weises Verhalten des Menschen ohne Fürsorge für die Nächsten ist auch für Prov 1-9 undenkbar. Eine zu 185 Eine weitere, terminologisch aber nicht verwandte Parallele liegt in Ps 34,10-12 vor: Wer J H W H sucht, hat keinen Mangel zu leiden und kein Gut zu entbehren. 186 So VON R A D 1985, 105. 187 W H Y B R A Y 1990, 102; vgl. das Zitat oben auf S. 103. 188 M I C H E L 1979, 72 rechnet alle Worte der Wurzel I I zum Wortfeld „arm". 189 „Zur Bezeichnung der einzelnen Gabe wie der Fürsorge allgemein hat sich nachbiblisch s e däqäh durchgesetzt. Seine nachexilisch-spätbiblische Bedeutung: rechtes Handeln, Wohltun, Wohlergehen, Almosen (vgl. Dtn 24,14; Ez 18,5f.f.l9; Prov 10,2; Tob 4,10.11; 12,9; Sir 3,30; 7,11; 16,4; 40,17)." BROCKE 1979, 11.
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weitgehende Kritik gegenüber der Hochschätzung des Reichtums in den Reden der Weisheitsgestalt wird auch dadurch abgeschwächt, daß die Weisheit in 8,21 sich mit dem Bild vom Anfüllen der Speicher ähnliche Aussagen über J H W H in 3,9a und Dtn 28,8 zum Vorbild nimmt. In diesem Bild dominiert der Aspekt sozialer Absicherung deutlich den des Anhäufens unermeßlicher Reichtümer. Daneben ist zu erwägen, ob sich Prov 1-9 auf die Reichtumsgabe durch die Weisheitsgestalt beschränkt und dabei das Thema der privaten Armenfürsorge ausspart, weil es zur Zeit der Abfassung von Prov 1-9 bereits eine organisierte Armenfürsorge gegeben hat. Damit wäre der Fürsorgepflicht bereits durch die Gabe an den Tempel, wie sie in Prov 3,9 erwähnt wird, Genüge getan worden. Ein gewisser Ausgleich der insgesamt deutlichen Hochschätzung des Reichtums an den hier untersuchten Stellen besteht also darin, daß in 8,20f. mit n f T S neben den Reichtum ein ethischer Begriff gestellt wird. Die Weisheitsgestalt als Verwalterin und Geberin der Reichtümer läßt diese nur ihren Anhängerinnen und Anhängern, also den gerecht Lebenden, zukommen. Wie darüber hinaus in Verbindung mit den Vergleichsaussagen zwischen Weisheit und den materiellen Kostbarkeiten deutlich wird, geht es dem Text darum, daß Geld und Gut nicht dem „Besitz" von Weisheit vorgezogen werden. Wer sich an diese Anweisung hält, wird - so sind V. 18-21 im Zusammenhang zu verstehen - frei von Sorgen um die eigene materielle Absicherung leben können. g) Die Weisheitsgestalt auf dem Weg von Recht und Gerechtigkeit (Prov 8,20) Die Rede der Weisheitsgestalt von ihrem Wandel auf den Wegen bzw. Pfaden von Gerechtigkeit und Recht (npiS/üStfp) in Prov 8,20 ist der vor allem in den Psalmen und Proverbien weit verbreiteten - Wegemetaphorik zuzuordnen. 190 Die Ausdrücke für die Wege sind dabei vor allem •?|T7 sowie r n x , n'jpp, und ns'n}. 1 9 1 In metaphorischer Bedeutung stehen „Wege" für den Lebenswandel und die Lebenseinstellung von Menschen, wobei sie in den Proverbien oft wertend verwendet werden. Der Weg der Guten, Gerechten etc. wird in 2,20; 15,19; 16,17 als Vorbild empfohlen. Deutlich häufiger findet sich dagegen die Warnung vor dem Weg der Frevler und Schlechten etc. sowie der „fremden Frau" in 1,15; 2,15; 4,14.19; 5,6; 7,25; 8,13; 12,15.26.28; 13,15; 15,9; 22,5. 192 Auch mit abstrak190
Zur Wegemetaphorik vgl. auch oben auf S. 61f. Daneben besteht das Wortfeld nach KOCH (in: BERGMAN U. A. 1977, 294-301) noch aus pltr, pin, T 1 ??. HD'^H und die aber bei dieser Untersuchung keine Rolle spielen. 192 Dazu vgl. oben S. 75-78. 191
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ten Begriffen werden die Lebenswege oft verbunden: Der Weg der Weisheit begegnet in 3,17; 4,11; 8,32, derjenige der Einsicht in 9,6; der Weg des Lebens bzw. zum Leben in 2,19; 10,17; 15,24 und der zum Tod in 12,28. Neben der Erwähnung in 8,20 kommen die Wege von Recht (üSttto; 2,8; 17,23) und Gerechtigkeit (npl?; 12,28; 16,31) noch an den o. g. Stellen in den Proverbien vor; ansonsten liegt im Alten Testament nur in Jes 40,14 genau diese Formulierung vor. Eine wichtige Rolle spielt die Wegemetaphorik daneben auch im dtn/dtr Schrifttum. Weinfeld rechnet der „deuteronomic phraseology" vor allem folgende Ausdrücke in Verbindung mit Wegen zu: Hin1 , 3TT3/"p73 "frn „auf dem Weg/den Wegen JHWHs wandeln"193 sowie "pin "733 "fm/TOTT "733 „auf dem gesamten Weg/allen seinen Wegen wandeln"194. Speziell zur Bedeutung und dem Stellenwert der Wegemetaphorik in Prov 1-9 liegen zwei Untersuchungen neueren Datums von Habel und Camp vor. Habel deutet die Wegemetaphorik in Prov 1-9 mit Hilfe der Symboltheorie von Ricaeur. „It is our contention that among the various primary .spontaneous' symbolic expressions in the wisdom material of Proverbs 1-9, derek, ,the route,' ,the way,' ,the road,' is the basic or nuclear expression. ,The way' is itself interpreted at one point as ,the way of wisdom' (4:11), an interpretation which introduces an additional ambiguity as to the potential relationships of ,the way' to ,wisdom'. As a nuclear symbol, ,the way' has a system of satellite symbols or images which may be isolated, highlighted, or exalted to a more favorable position in the hierarchy of symbols which develops with a persistent use of and reflection upon the basic symbol and its satellites." 195 Als „Satellitensymbole" ordnet Habel die zwei Herzen sowie die zwei Begleiterinnen - Weisheitsgestalt und „fremde Frau" - ein. 196
Der Ansatz von Habel ist darin wenig überzeugend, daß er die Weisheitsgestalt und die „fremde Frau" dem „Weg" lediglich als „Satellitensymbole" unterordnet. Diese Hierarchie wird bei Habel nicht näher begründet und nimmt in seiner Argumentation den Rang einer Prämisse ein. Diese ist anfechtbar und auch bereits - m. E. zu Recht und überzeugend - von Camp angefochten worden: „Although the ,way' of wisdom is certainly an important motif in these chapters, it is unclear on exactly what basis Habel subordinates the female imagery to it. Habel notes regarding 4.1-7.5, for example, that the ,,way' seems to be relegated to the background' here (p. 141). He refutes this by citing 5.5-8 and 6.20-24. Unfortunately, these two pericopes only support his thesis when removed from context. 193
Dazu führt WEINFELD 1972, 333 folgende Stellen an: Dtn 8,6; 19,9; 26,17; 28,9;
30,16; J d c 2,22; I R e g 2,3; 3,14; 11,33.38. 194 195
196
Dazu aaO. 333f.; so in Dtn 5,10; 10,12; 11,22; Jos 22,5; I Reg 8,58; II Reg 21,21. HABEL 1972, 133.
AaO. 139-143.
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When 5.5-8 is set back between 5 . 1 ^ and 9-14, and 6.20-24 put in front of 6.25— 26, the emphasis is clearly on the woman. From a slightly different perspective, the opposite conclusion could thus be reached. The woman here is not just a guide or counselor, whether human or divine; rather she is wisdom itself, metaphorically speaking. The ,way' was a very common motif, and would not have carried the impact that the original, dynamic, and multifaceted presentation of wisdom in female form undoubtedly did."197
Damit wird deutlich, daß die Wegemetaphorik in Prov 1-9 den beiden weiblichen Gestalten nicht über-, sondern zugeordnet wird. Mit der Wahl der „Lebensbegleiterin" - Weisheitsgestalt oder „fremder Frau" - entscheiden sich die Angesprochenen gleichzeitig für den in den Augen der Autorinnen oder Autoren positiven oder negativen Lebensweg. Ist nun der Aussage der Weisheitsgestalt in Prov 8,20 eine weitere Bedeutung abzugewinnen? Außer der häufigen Wegemetaphorik findet sich in ihm auch das Wortpaar „Gerechtigkeit"/„Recht" (njp-TX/üSWa) im synonymen Parallelismus membrorum. Dieses Wortpaar ist ebenfalls häufig im Alten Testament anzutreffen. Je 20 mal im Alten Testament finden sich beide Worte in der Constructus-Verbindung (meist npfSI üSttfa) oder im Parallelismus membrorum wie in Prov 8,20. Als Wortpaar dient es vereinzelt zur Bezeichnung des Tuns JHWHs bzw. als „sein Recht und seine Gerechtigkeit" (z.B. in Jes 5,16; Jer 9,23; Mi 7,9; Ps 36,7; 99,4; 103,6). Überwiegend wird aber mit dem Wortpaar das gemeinschaftsgemäße, Gott wohlgefällige Verhalten des Menschen bezeichnet. Im Israel der exilisch-nachexilischen Zeit ist die ausführlichste (allerdings nur Männer ansprechende) Formulierung solchen gemeinschaftsgemäßen Verhaltens, die das Wortpaar verwendet, in Ez 18,5-9 zu finden: : np-TSi ostfa nfryi p n x rrrr~ , 3 crxi ^tnto? r r a ''ri'ra-'rx xfra x1? v r s n ^sx xS nnnn-Vx : n-jp' x'1? rna n^K-^si Kap x1? insn n^x-rixi x1? n"7ta a ' a r ain in^nn nav x1? c^xi : Tja-nt?^ nVsn irr asn1? inn1? VP Visa np 1 x'1? i r a n r n lrp-x 1 ? •qtraa : tzrx1? t ^ x r ? nfrsr nax oswa nax ni»» 1 ? 'üstpai 'rripna : nin? ' a l s ax? r r r r rrn xm ¡rnx 5 6
197
5 6 7 8 9
Wenn ein Mensch gerecht ist und Recht und Gerechtigkeit übt, auf den Bergen nicht ißt und seine Augen nicht zu den Götzen des Hauses Israel erhebt, und die Frau seines Nächsten nicht unrein macht, und einer Frau zur Zeit ihrer Unreinheit nicht nahekommt, CAMP 1 9 8 5 , 59f.
110 7
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und niemanden bedrückt, dem Schuldner das Schuldige zurückgibt, nicht raubt, sein Brot dem Hungernden gibt und den Nackten mit Kleidung kleidet, nicht (Geld) für Zinsen gibt und keinen Wucherzins nimmt, vom Unrecht seine Hand fernhält, treu das Recht vollzieht zwischen Mann und Mann, in meinen Satzungen wandelt und meine Rechtsbestimmungen beachtet, um (sie) in Treue zu vollziehen - gerecht ist er, er wird leben. Spruch des Herrn J H W H . (Ez 18,5-9)
Innerhalb der Proverbien kommt das Wortpaar npIX/üSttfö nur in 8,20 im synonymen Parallelismus membrorum vor. 198 Da es sich, wie bereits oben angedeutet wurde, innerhalb des Alten Testaments - und insbesondere in Jesaja und Ezechiel - um eine geprägte und häufiger vorkommende Wendung handelt, ist anzunehmen, daß in Prov 8,20 mit dem Wortpaar bewußt ein Bezug zu einer außerweisheitlichen Tradition hergestellt werden soll. Zu welchem Zweck? Schon oben 199 ist von der engen Beziehung zwischen Weisheit und Regierungsbefähigung gesprochen worden. In Prov 8,15 „werden Königtum, Regieren, p>7X und Weisheit als zusammengehörig empfunden - alles Größen, die an der Erhaltung der Ordnung teilhaben ...". 200 In 8,20 nun wird der Kreis der Angesprochenen durch die Einbettung in den Kontext der Wegemetaphorik über die Regierenden hinaus ausgeweitet: Die Ähnlichkeiten mit prophetischen und dtn/dtr Texten verdeutlichen, daß - wie dort auch - in der Rede der Weisheit in 8,20 alle Menschen angesprochen sind. Die Weisheit wendet sich zunächst in 8,15 den Regierenden und Mächtigen in ganz besonderer Weise zu, aber sie entgrenzt diesen Kreis der Adressatinnen und Adressaten in 8,20. Allerdings werden „normale" Menschen der Weisheit erst nach entsprechenden Aufforderungen und eigenen Bemühungen teilhaftig. Nur Mächtige und Regierende bekommen bei gerechter Machtausübung - Weisheit als Regierungsmacht qua Amt. Wo Ordnungshandeln praktiziert werden muß - so ließe sich die Beobachtung von Schmid ausdeuten - , ist in jedem Fall Weisheit zugegen. Im normalen Alltagsleben von Menschen, die keine administrativen Aufgaben ausführen, kann Weisheit aber auch wirksam sein. Wie dieses Handeln genauer auszusehen hat, wird unten 201 näher zu untersuchen sein.
198 199
Im antithetischen Parallelismus liegen die Worte in 16,8 vor. S. o. S. 93-98.
200
SCHMID 1 9 6 8 , 8 4 .
201
Dazu s.u. S. 163-170.
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h) Zusammenfassung In V. 12-21 wird die Weisheitsgestalt zunächst durch eine Zusammenstellung mit „Parallelbegriffen" als eine Größe bestimmt, die sich zwischen göttlicher und menschlicher Weisheit befindet. Der Vergleich von 8,12-14 mit Texten ähnlicher Reihungen von Parallelbegriffen läßt „Weisheit" als Gabe Gottes erscheinen. Diesen Gabecharakter betonen auch V. 15f.: Die Weisheitsgestalt vermittelt die Fähigkeit zu gerechter Regierung. Sie erscheint hier analog zu älteren Vorstellung von der Gottesgabe an Könige. In V. 17 - wie auch sonst oft in Prov 1-9 - erscheint die Weisheit als „Liebesobjekt" der Menschen. Diese Redeweise wie auch die vom „Suchen" und „Auffinden" rückt durch ihre Parallelität zur Rede von J H W H die Weisheit in die Nähe JHWHs. In V. 18-21 bestimmt die Weisheitsgestalt ihr Verhältnis zu Reichtum und Besitz. Diejenigen, die gerecht leben und die Weisheit mehr als kostbare Materialien schätzen, werden dennoch materiell abgesichert leben können. Was Sprache und Inhalt angeht, so schließt sich die Rede der Weisheitsgestalt in ihren Zielen mit Hilfe der Wegemetaphorik und Termini der Wurzeln üDttf und p"TX an die dtn/dtr Rede vom Weg J H W H s an. So steigert sich in V. 12-21 der Autoritätsanspruch der Weisheitsgestalt durch die Begriffe oder Traditionen, in deren Nähe ihre Rede gestellt wird. Befindet sie sich zu Beginn des Abschnitts noch zwischen menschlicher und göttlicher Weisheit, so erscheint sie in V. 15f. wie die Gottesgabe der Regierungsmacht. Ab V. 17 schließlich finden sich vor allem Parallelen zu Reden von oder über J H W H . J H W H wird dann auch zu Beginn des nächsten Textabschnitts explizit erwähnt, und das Verhältnis der Weisheit zu ihm bildet ein wichtiges Thema der Verse 8,22-31.
5. Prov
8,22-31
a) Text und Übersetzung : rxa v ^ y s a a f p i ? - n rr^x-i. •'aap n i r r : n . i p n i i ? » tftf-ia 'riDDa o ^ i s a : t r a - n a a ? nia^ya t»k3 ' f i ^ i n n i a r m r x a : '•fiypn r r i J n j 'as1? i s a o n a n n a-ioa : Van rri-isy wx-n rrixim kV™ : a i n n ' a s - ^ y vin ipina 'ax atf D'aw ia'ana : a i n n nia , y TiTya "?»aa B'pntf i x a x a : h . k ' l o i a ipina v s - n a » ! x1? t r a i ipn n»'? i a i f r a : n s r ^ a a vas1? npnfca o v Di' a ' s w s w n ^ j o l i a x iVxx n ^ x i : nix 'aa-ns i s n s "nria n p n w a
22 23 24 25 26 27 28 29 30 31
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2 2 J H W H hat m i c h erschaffen 2 0 2 als Erstling 2 0 3 seines Weges, als das früheste seiner Werke v o n jeher. 23 I n 2 0 4 der Urzeit w u r d e ich g e w o b e n 2 0 5 , i m A n f a n g , z u d e n frühesten Erdzeiten. 2 4 A l s es die U r f l u t e n ( n o c h ) nicht gab, w u r d e ich geboren, als es ( n o c h ) nicht die Quellen gab, v o n Wasser schwer. 25 Bevor die Berge eingesenkt w u r d e n , vor d e n H ü g e l n w u r d e ich geboren. 26 A l s er n o c h nicht g e s c h a f f e n hatte Erde u n d Fluren u n d die ersten S c h o l l e n des Festlandes; 27 als er aufstellte d e n H i m m e l , da war ich dabei; als er absteckte d e n (Erd-) Kreis über der Urflut; 28 als er befestigte die W o l k e n droben, als stark waren 2 0 6 die Quellen der Urflut; 2 9 als er festsetzte d e m M e e r dessen Grenze, damit die Wasser seinen Befehl nicht überträten; als er feststeckte die G r u n d f e s t e n der Erde: 30 D a war ich a n seiner Seite als S c h o ß k i n d 2 0 7 u n d w a r (das) Vergnügen 2 0 8 Tag für Tag, vor i h m spielend z u jeder Zeit, 31 spielend a u f seinem Erdkreis, u n d m e i n Vergnügen (hatte ich) an d e n M e n s c h e n k i n d e r n .
202
Zur Übersetzung s. u. auf S. 116-118 zu n:p. Zur Übersetzung s. u. auf S. 118-120 zu r r i r i n 204 Gegen die Übersetzung z. B. bei PLÖGER 1984, 86, der 1» mit „vor" wiedergibt, ist einzuwenden, daß sich diese Bedeutung des Wortes weder in Lexika noch in Grammatiken findet. Das zeitliche ist dagegen in der Bedeutung „gleich nach" zu finden (HAL, 565); es soll hier in den zusammengesetzten Ausdrücken mit temporalem „in" bzw. „zu" wiedergegeben werden. 205 Zu den Problemen von Vokalisation und Übersetzung s. u. S. 120-122 zu TD03. 206 Der masoretische Text (TiTS3) ist an dieser Stelle gut erhalten und verständlich. Es soll daher keine Konjektur zu iTT?3 vorgenommen werden wie z. B. von GEMSER 1963, 46 sowie DAHOOD 1963, 16. Durch die masoretische Schreibweise wird allerdings die Reihe der suffigierten Infinitive der V. 27-29 unterbrochen; m. E. ist diese stilistische Unterbrechung kein Argument für eine Konjektur, sondern kann durchaus beabsichtigt sein, um die Besonderheit bei der Erschaffung der Urflutquellen hervorzuheben. 207 Zum Problem der Vokalisation und Übersetzung von 11ÖN s.u. S. 131-138. 208 Der u. a. von HAL, 1495, BHK und BHS vorgeschlagenen Konjektur soll hier nicht gefolgt werden, da der Text in der masoretischen Fassung verständlich und sinnvoll ist. Die Konjektur geht v. a. auf die LXX zurück (zur textkritischen Gewichtung und Tendenz der LXX s. o. S. 63-65) und stellt eine Parallelität zu V. 31b her. 203
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b) Aufbau und Struktur des Abschnitts Der Abschnitt Y. 22-31 ist in vier Teile zu gliedern: 209 - Einleitung V. 22f., - erster Hauptteil V. 24-26, - zweiter Hauptteil V. 27-29, - Schluß V. 30f.210 In der Einleitung (V. 22f.) wird zunächst wie in einer Überschrift das Thema des Abschnitts genannt: die Vorgeschöpflichkeit der personal vorgestellten Weisheit. Sie wird durch eine „Kumulation von temporalen Bestimmungen" 211 ausgedrückt, die in die Vergangenheit weisen. Dies zeigen Zusammensetzungen mit temporalem 0*7157, Olj?, p sowie die perfektische Sprache. Der erste Hauptteil (V. 24-26) nennt mittels Aufzählung und unpersönlichen präpositionalen „Als-noch-nicht"-Formulierungen 212 CPX3, D"iü3 und 'iS1?) die Schöpfungswerke, die es noch nicht gab, als die Weisheit bereits geboren war. Diese Verse sind durch die gemeinsame perfektische, die Vorzeitigkeit ausdrückende Sprache eng mit der Einleitung verbunden. Die Nennung des aktiv handelnden Schöpfers in V. 22 ("»33¡p Hin') und in V. 26 (ntP57) sowie die in V. 22f. und 26 vorkommenden Formen der Wurzel rahmen die Einleitung und den ersten Hauptteil. Die unterschiedlichen temporalen Präpositionen grenzen die Einleitung und den ersten Hauptteil voneinander ab. Das in V. 22f. viermal verwendete temporale wird in V. 24—26 nicht erwähnt. In den letztgenannten Versen findet sich statt dessen an drei Stellen temporales 213 3, das wiederum in V. 22f. fehlt. Im zweiten Hauptteil (V. 27-29) werden die Werke aufgezählt, die in Anwesenheit der Weisheit (V. 27: 'SS DU?) geschaffen wurden, wobei die Verbformen (Infinitive mit 3 zu Anfang jedes Halbverses bzw. Imperfekte) Gleichzeitigkeit ausdrücken. Dieser Teil ist durch die Verwendung des temporalen 3 mit dem ersten Hauptteil und durch die gemeinsame, nun Gleichzeitigkeit ausdrückende Sprache eng mit dem Schluß V. 30f. verbun209 Andere Gliederungsmodelle werden weiter unten in diesem Abschnitt vorgestellt und diskutiert. Die vierteilige Gliederung des Textes nimmt sonst z. B . noch K E E L 1974a, 12 vor; er unterteilt den Text allerdings in zwei je zweiteilige Hauptteile (V. 22-26 und 27-31). 210 Angemerkt sei hier, daß jeder Vers aus zwei Halbversen besteht; dies mit Ausnahme der V. 29f., die aus drei Drittelversen bestehen. 211
212
S o ScfflMANOWSKi 1985, 29.
Auf Begriff und Sachverhalt wird unten auf S. 123 näher eingegangen. 213 JENNI 1992, 357 bezeichnet allerdings den Gebrauch von 3 in V. 24a.b als einen parallelisierenden. Er sieht 3 in Funktion einer „Nominalisierung eines NichtexistenzSatzes" (ebd.). Trotz dieser abweichenden Klassifizierung bleibt m. E. der verbindende Aspekt des 3 zwischen beiden Textteilen bestehen.
114
Die Texte über die Weisheitsgestalt
den. Auch tritt verbindend zu Anfang beider Abschnitte die Weisheit als Subjekt auf. Im Schlußteil (V. 30f.), der den Höhepunkt des Abschnitts V. 22-31 bildet, wird das Verhältnis der Weisheit zu JHWH (V. 30) und zu seinen Geschöpfen im weiteren Sinne (Erdkreis V. 31a und Menschen V. 31b) beschrieben. Verbindende Stichworte sind rPHNI in V. 30a und 30b sowie die in V. 30aßb und V. 3lab chiastisch angeordneten Formen von D'ytpyw und npnfra. Die größte Zäsur des Textes liegt zwischen V. 26 und 27, weil dort der Wechsel von Vorzeitigkeit zu Gleichzeitigkeit geschieht. Es gibt aber auch ein den gesamten Text - über diesen gravierenden Einschnitt hinweg formal verbindendes Element: Jeweils im letzten Vers jedes Abschnitts (V. 23.26.29 und 31) kommt das Stichwort f i x vor, am Ende des ersten Hauptteils und im Schlußvers (V. 26 und 31) in Verbindung mit Die graphische Darstellung soll die Gliederung des Abschnitts veranschaulichen: v : v T
22 Einleitung: 23
Vorgeschöpflichkeit der Weisheit; positive Formulierungen mit temporalem ]a
24 1. Hauptteil: Erschaffung der Weisheit; Vorzeitigkeit: „Als-noch-nicht25 Formulierungen " und temporales 3 26
TIN
^an/f-is—
27 2. Hauptteil: Schöpfungshandeln JHWHs in Anwesenheit der Weisheit; 28 Gleichzeitigkeit: Impf./Inf. 29
30 Schluß:
Weisheit als spielendes Vergnügen vor JHWH
31 und bei den Menschen
HS
is-ix 'pari —
Andere Untergliederungen des Abschnitts V. 22-31 finden sich in der neueren Forschung bei Aletti (1976), Yee (1982)214 und A. Meinhold (1991). 214 Bei YEE 1982, 58f. liegt auch eine Aufzählung bisheriger Untersuchungen zu Prov 8,22-31 vor, die aber selten die sprachliche Struktur in den Blick nehmen.
Textuntersuchungen zu Prov 8
115
Aletti unternimmt eine Analyse des Abschnitts und seiner Komposition sowie der „transformations syntagmatiques et sémantiques" mit Hilfe literaturwissenschaftlicher Methoden. 215 Seiner Untersuchung zufolge vollzieht sich vor allem an der Stelle des Auftretens der Weisheitsgestalt in V. 27 eine Wende im Text, die eine Zweiteilung des Abschnitts in die V. 22-26 und 27-31 rechtfertigt. 216 Diese Zweiteilung vernachlässigt aber die oben genannten Beobachtungen, die in meiner Gliederung zur Abgrenzung von Einleitungs- und Schlußteil geführt haben. Lohnend ist es dagegen, an Alettis Untersuchung der „graphischen Disposition des Textes" 217 anzuknüpfen. Wie die Weisheitsgestalt im Text inhaltlich als Mittlerin auftritt, so ist sie es auch von der Textgrafik her: „ Yahweh est le premier mot du poème et hommes le dernier; et juste au milieu du poème, à la fin du onzième stique, se trouve le pronom moi (= sagesse)." 218 „Elle est entre les hommes et Dieu, auprès de Lui et auprès d'eux, médiatrice en quelque sorte." 219 Auf Alettis Untersuchung aufbauend analysiert Yee die Bedeutungsgebung von rhetorischen und stilistischen Formen in bezug auf die Textstruktur des Abschnitts. Die engen chiastischen Verbindungen zwischen den V. 30bc und 31 führen sie dazu, diese vier Stichoi zu einem dritten Textteil zusammenzufassen, der die Interaktion der Weisheit mit den Menschen zum Gegenstand hat. 220 Davon abgesehen, daß diese Inhaltsbeschreibung der V. 30bc.31 nicht zutrifft - nur die beiden letzten Stichoi betreffen Weisheit und Menschen - , vernachlässigt auch Yee die zwischen den V. 22f. und 24—26 bestehenden Unterschiede, die m. E. zu einer Separierung der Eingangsverse führen müssen. In der Auswertung 221 führt die Dreiteilung des Textes mit Hervorhebung des letzten Teiles durch Yee zu keinem über Aletti nennenswert hinausführenden Ergebnis. A. Meinhold begründet die Dreigliederung des Textes sowohl mit inhaltlichen als auch mit stilistischen Argumenten: „Die Weisheit macht ... drei Phasen durch, die in ihrer Abfolge eine sinnvolle Entwicklung ergeben: Zuerst war sie völlig passiv, denn an ihr geschah Schöpferhandeln (V.22-26); dann war sie anwesend, als J H W H die Welt mit den Großgeschöpfen Himmel und Erde geschaffen und die Wasserversorgung geregelt hat (V.27-30a), und schließlich nahm sie eine aktive, erheiternde Rolle wahr, die den Schöpfer vergnügte und auf andere Weise auch die Menschen einbezog (V.30b-31)." 222 Die Verwendung der Präposition p (V. 22f.), die fünf Zeitbestimmungen in V. 24-26, die Verwendung von 3 in V. 2730a und den Chiasmus in V. 30b-31 führt A. Meinhold als stilistische Belege für eine Dreigliederung an. 223 Obwohl er dabei die Abgrenzung der - von mir als solche bezeichneten - Einleitung V. 22f. zum ersten Hauptteil V. 24—26 bemerkt, gewichtet
215
216
ALETTI 1 9 7 6 , 2 5 .
AaO. 27f. AaO. 28; bei ALETTI: „disposition graphique du texte" (aaO. 37). AaO. 28. 219 AaO. 34. Diese interessante Beobachtung wird weiter unten auf S. 153-159 noch auszuwerten sein. 220 YEE 1982, 61. 221 AaO. 65f. 2,7
218
222
223
A . MEINHOLD 1991, 143.
Ebd.
116
Die Texte über die
Weisheitsgestalt
er die inhaltliche Zugehörigkeit h ö h e r als diese stilistische U n t e r g l i e d e r u n g des Textes.
Im folgenden sollen die Motive innerhalb des Textes genauer untersucht werden. Dabei werden teils einzelne Worte oder Verse, teils zusammenfassende Aspekte in den Blick genommen. c) H3p - „erwerben" oder „erschaffen"? (Prov 8,22) Von jeher ist - wie sich in den alten Übersetzungen niedergeschlagen hat 224 - das Verb m p in Prov 8,22 in unterschiedlicher Weise verstanden worden. Dabei dominieren zwei Hauptaspekte: zum einen der des „Erwerbens" und „Besitzens", und zum anderen der des „Erschaffens", „Gebärens" und „Zeugens". 225 In der älteren und neueren Forschung finden sich die alternativen Übersetzungen des Verbs ausführlich begründet vor allem bei Burney226 und Keefi21, die für die Bedeutung „erschaffen" votieren, sowie bei Vawter22i, der mit „erwerben" wiedergibt. 229 Wie Schmidt ausgeführt hat, bestehen die Übersetzungsprobleme für m p keineswegs nur in bezug auf Prov 8,22, da „Etymologie und Grundbedeutung von qnh letztlich ungeklärt sind." 230 Diese Probleme haben zu der Hypothese geführt, daß es zwei Wurzeln des Verbs mit unterschiedlichen Bedeutungen, also H3p I und H3p II, geben könne. 231 Diese These wird in der Forschung mittlerweile eher abgelehnt. 232 Im Ugaritischen, das das Vorbild für die These von zwei Wurzeln abgegeben hat, sind ebenfalls Belege für die Wurzel mit den Bedeutungen „zeugen/erschaffen" und „erwerben" vorhanden 233 . Alternativ zu dieser
224 225 226 227 228
Diese werden z.B. von STEIERT 1990, 273, aufgeführt. Dazu vgl. L A N G 1 9 7 5 , 9 0 . BURNEY 1925/26, 160-166. KEEL 1974a, 7-9.11 mit den entsprechenden Anmerkungen. VAWTER 1980, 2 0 8 - 2 1 4 .
229
Die Diskussion um N : P in Prov 8,22 u. a. findet sich hauptsächlich bei BURNEY 1925/26; H U M B E R T 1950; DE SAVIGNAC 1954, 430f. sowie 1969, 196f.; CAZELLES 1959, 513f.; VISCHER 1962, 310; K E E L 1974a, 7-9.11; L A N G 1975, 90f.; V A W T E R 1980, 208214 sowie STEIERT 1990, 271.273. 230
SCHMIDT 1 9 7 9 , 6 5 2 .
231
HUMBERT 1 9 5 0 .
1038; LIPINSKI 1993a, 66. So HAL, ebd.; ähnlich K E E L 1974a, 8 Anm. 24: „Das ugaritische Material fordert keineswegs so überzeugend die Bedeutung ,gebären', wie oft geglaubt wird." Hier muß ergänzt werden, daß im Ugaritischen - anders als im Hebräischen - die Mehrzahl der Belege die Bedeutung „erschaffen, zeugen" aufweist. Deshalb sollen hier noch zwei Beispiele für die im Ugaritischen seltener vertretene Bedeutung von qny, „erwerben", genannt werden: Für K T U 3.9 ist nach D I E T R I C H / L O R E T Z 1982, 73 sicher die Bedeutung 232
233
HAL,
Textuntersuchungen zu Prov 8
117
These ließe sich für H3p eine gemeinsame Grundbedeutung „hervorbringen" annehmen, deren Bedeutungsnuancen dann „zeugen/erschaffen", „erwerben" etc. wären. 234 Am meisten in der Forschung umstritten sind die Übersetzungen von njp in Gen 4,1; 14,19.22; Ex 15,16; Dtn 32,6; Ps 74,2; 104,24; 139,13 sowie in Prov 8,22. An diesen Stellen läßt sich die Bedeutung von H3p am ehesten vom Kontext her bestimmen. Für Prov 8,22 bedeutet das, daß die Parallelverben sowie der Kontext des Abschnitts V. 22-31 zu berücksichtigen sind.235 Wegen der Ungewißheit einer adäquaten Wiedergabe von TD03 (V. 23)236 kann dieses Verb im Unterschied zu Vri (V. 24f.) dabei nur wenig Gewicht bekommen. Von dem letztgenannten Verb mit der Bedeutung „gebären" sowie dem Schöpfungskontext in Prov 8,22-31 her läßt sich für H3p in Prov 8,22 für die Übersetzung „erschaffen" plädieren.237 Dabei kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, daß H3p einen bisher im Text nicht vorhandenen Gedanken wie „erwerben" ausdrücken soll.238 Dieser ist im übrigen gut mit der sonstigen Bedeutung von H3p im Proverbienbuch in Verbindung mit der Weisheit - nämlich ihrem Erwerb - in Deckung zu bringen. Demzufolge soll an dieser Stelle für ein weniger eingeengtes Verständnis von n3p plädiert werden. Die Bedeutung „erschaffen" liegt im Kontext von Prov 8,22-31 nahe, aber die Möglichkeit der Konnotation des „Erwerbens" läßt sich nicht völlig ausschließen. Es scheint möglich, daß die alttestamentlichen Autorinnen oder Autoren beide Bedeutungsnuancen im Text ausdrücken wollten - andernfalls hätten sie an dieser Stelle auf „eindeutige" Schöpfungsverben zurückgreifen können. In der hier vorgelegten Übersetzung soll dem „Erschaffen" der Vorrang gewährt werden. Dies geschieht primär aufgrund der Unmöglichkeit, beide Aspekte von H3p im Deutschen in einem Wort wiederzugeben,239 und „kaufen, erwerben" anzunehmen. Für K T U 1 . 1 9 , I V , 5 8 schwankt HERRMANN 1 9 9 1 , 1 7 3 zwischen den Bedeutungen „besitzen", „hervorbringen" und „schaffen". 234 So der Vorschlag von STOLZ 1970, 170: „Möglicherweise kommt man am nächsten an die Grundbedeutung des Wortes heran, wenn man bedenkt, daß qnj/w auch .gebären' bedeuten kann, so daß man als allgemeinsten Ausdruck .hervorbringen' annehmen kann, woraus sich als Bedeutungsvariationen ,besitzen, in Besitz bringen', .gebären', ,erschaffen' herausdifferenzierten." Ähnlich lautet der Vorschlag von LIPINSKI 1993a, 66. 235 Diesen Weg schlägt auch BURNEY 1925/26, 165f. ein. 236 Zu einer Übersetzung im Kontext von Prov 8 vgl. unten auf S. 120-122. 237 So auch SCHMIDT 1979, 656f. 238 Gegen SCHMIDT (aaO. 6 5 7 ) , der m. E . hier nicht zu überzeugen vermag: „So würde die Übersetzung qnh ,erwerben' den im Text sonst nicht belegten Gedanken eintragen, daß die (Person) Weisheit erst von Gott zu gewinnen war." Zum Problem vgl. auch BURNEY 1 9 2 5 / 2 6 , 239
164.
„Hervorbringen" ist zwar als gemeinsame Grundbedeutung der verschiedenen Aspekte denkbar, besitzt aber nicht die für eine Übersetzung notwendige unmittelbare
118
Die Texte über die
Weisheitsgestalt
sekundär aufgrund der besseren Integration in den Kontext des betreffenden Abschnitts im Proverbienbuch. Dabei soll das „Erwerben" als Bedeutungsnuance nicht ausgeschlossen werden. d) rPtPN"i - die Weisheitsgestalt als „Anfang" oder „Erstling" der Schöpfung? (Prov 8,22) In Prov 8,22-31 finden sich an zwei Stellen 240 Ausdrücke, die das Verhältnis J H W H s zur Weisheitsgestalt beschreiben. Leider sind beide Erwähnungen in ihrer Bedeutung ziemlich unklar. Hier soll zunächst das Problem der Weisheitsgestalt als Anfang oder als Erstling von J H W H s Schöpfung in V. 22 in den Blick genommen werden. Während z. B. Robert241 entschieden für die Bedeutung des „Erstlings" plädiert, neigen andere Ausleger 242 - zumeist ohne Nennung von Gründen - eher der Übersetzung als „Anfang" zu. Die Wiedergabe mit „Erstling" bestimmt das Verhältnis der Weisheitsgestalt zu J H W H näher. Sie bewegt sich im Bereich der Terminologie von Opfer oder Erwählung. Die zweite Übersetzung lehnt sich eher an das Vorkommen des Wortes mit der Präposition 3 in Gen 1,1 an, das an dieser Stelle - wie auch sonst im Alten Testament immer 243 - in rein zeitlichem Sinn zu verstehen ist. Läßt sich für Prov 8,22 eine Festlegung der Bedeutung von rpttfan treffen, und wenn ja, welche? Anhand anderer weisheitlicher Texte, die wie der vorliegende vom Verhältnis der JHWH-Furcht zur Weisheit oder zur Erkenntnis als „Anfang" sprechen (Prov 1,7; 9,10; Ps 111,10), läßt sich feststellen, daß n ' W n eher mit zeitlicher als mit einer anderen Konnotation verwendet wird. Dies ergibt sich aus Prov 9,10. Hier wird - wie in Ps 111,10 und ähnlich wie Prov 1,7 - die Furcht J H W H s eindeutig als „Anfang" der Weisheit bezeichnet, da statt des in der Bedeutung offenen n ' t P i p das Wort nVnfi verwendet wird, das ausschließlich zeitliche Bedeutung hat. Weil Kongruenz der Bedeutungen, da im Deutschen dort der Aspekt des „Erwerbens" nicht mitschwingt. 240 Hier ist die Weisheitsgestalt als i3~n rPWiO in V. 22 und auch als l i a s an der Seite J H W H s in V. 30 gemeint. 241 ROBERT 1934, 193: „II faut donc traduire n'tfin par prémices, en sous-entendant que la Sagesse est par là présentée sous la figure d'un premier-né, produit le plus exquis de la vie divine. D'emblée elle est située sur un plan transcendant, et on comprend qu'elle soit appellée à jouir de privilèges exceptionnels (cf. la suite du développement). On voit maintenant combien l'interpretation n ' t r x i a au commencement, est pauvre et banale. D a n s cette hypothèse, la Sagesse n'a plus pour elle que l'autorité temporelle. C'est oublier que l'idée de temps n'intervient que dans la suite et qu'ici il est seulement question de génération divine." 242
243
Z . B . MCKANE 1970, 2 2 3 , WHYBRAY 1972, 4 8 o d e r LANG 1986b, 54.
An allen Stellen seines Vorkommens hat r r t p m a zeitliche Bedeutung: Gen 1,1; Jer 26,1; 27,1; 28,1; 49,3; Hos 9,10.
Textuntersuchungen zu Prov 8
119
Prov 9,10 sich wie Prov 1,7 innerhalb der Prov 1-9 rahmenden Verse244 befindet, ist anzunehmen, daß beide Aussagen das Verhältnis der Weisheit zur JHWH-Furcht in ähnlicher Weise bestimmen und sich somit in ihren Aussagen decken.245 Es liegt dann auch für Prov 8,22 als von diesen Aussagen „gerahmten" Vers nahe, rPBftn als weitere Verhältnisbestimmung von JHWH und Weisheit in seiner zeitlichen Bedeutung wiederzugeben. Für die Verwendung von n'lPin im Kontext der Weltschöpfung ist Gen 1,1 der einzige Parallelbeleg246 zu Prov 8,22. Von dieser Tatsache ausgehend ist wiederum die zeitliche Bedeutung des rPtt'N"! in Prov 8,22 zu bevorzugen. Eine andere Deutung von rPttfXl vertritt Keel. Er schlägt die Übersetzung „Prinzip" vor, 247 ohne sie aber näher zu begründen. Sie erscheint allerdings als stark vom hebräischen Text und Kontext abgehoben und eher von systematischtheologischen Interpretationsmustern als von exegetischen Erwägungen beeinflußt. Es mag möglich sein, daß bei J l ' t f i n in Prov 8,22 eine Bedeutungsnuance „Prinzip" mitschwingt; das Wort deshalb mit „Prinzip" wiederzugeben, stellt m. E. eine Überbetonung dieses Aspekts dar und läßt die Parallele zu Gen 1,1 außer acht.
Es scheint also am wahrscheinlichsten zu sein, daß sich Prov 8,22 als der gegenüber Gen 1,1 vermutlich jüngere Text durch die Verwendung des Wortes rr«Nn bewußt auf den einzigen älteren Schöpfungstext beziehen will, in dem dieses Wort verwendet wird.248 Auch ist es möglich, daß Prov 8,22 auf Gen 1,1 als Bestandteil der „Überschrift" des jeweiligen Textes anspielt: V. 22a faßt das im folgenden entfaltete Geschehen (V. 22b-31) ebenso knapp zusammen, wie Gen 1,1 als thematische Einführung zu Gen 1,3-2,4a fungiert. Für Prov 8,22 läßt sich demnach festhalten, daß n'ttfan hier eher eine zeitliche Bedeutung hat, ohne daß der Aspekt des „Erstlings" und damit des „Besten" ausgeschlossen werden könnte oder sollte.249 Jedoch sollte 244 Selbstverständlich fungieren die Verse Prov 1,1-7 auch als Prolog des gesamten Proverbienbuches, doch kann eine Rahmenfunktion für die Kapitel 1-9 mit ebensolchem Recht angenommen werden. Zumindest 1,7 und 9,10 werden z.B. von A. MEINHOLD 1991, 51 als rahmende, redaktionelle Verse gleichen Inhalts angesehen. Dazu vgl. auch unten auf S. 225f. 245 So auch in knapper Formulierung FUHS 1982, 890: „re'sit ist weniger als .Hauptsache, bester Teil, Inbegriff zu verstehen, sondern wegen 9,10 als ,Anfang'." In die gleiche Richtung geht VON RAD 1985, 92f., der sich auf BECKER 1965, 214f. bezieht. 246 Die Bedeutung von rpttfin in Hi 40,19 ist in diesem Zusammenhang zu vernachlässigen, da hier weder klar zu ermitteln ist, ob es sich um den Kontext von Schöpfung handelt, noch, ob hier „Erstling" oder „Anfang" gemeint ist. 247
248
KEEL 1993, 149f.
Selbst wenn die Bedeutungen sich in der deutschen Übersetzung unterscheiden, so liegt doch im Hebräischen das gleiche Wort vor; mithin gibt es eine gewisse Verbindung zwischen Gen 1 und Prov 8 unabhängig von der Wortbedeutung von n'tf JH. 249 In dieser Weise „zweideutig" übersetzt bzw. deutet A. MEINHOLD 1991 JPTF JH als „Anfang" (133) bzw. (144) als „Erstgeborene" JHWHs.
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Die Texte über die
Weisheitsgestalt
die zweite Bedeutungsnuance bei der Interpretation nicht überstrapaziert werden, wie es m. E. Robert tut. 250 In diesem Wort findet sich außerdem einer von mehreren Hinweisen auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Prov 8,22-31 und Gen 1,1.251 e) Die Vokalisation von T1303 (Prov 8,23) In welche Aporien die Übersetzung von TD03 in Prov 8,23 die Auslegenden schon geführt hat, macht ein Blick in das KBL deutlich: In der 2. Auflage252 wird das Wort als Nif. von "|DD „absperren, den Zugang versperren" ausgelegt. In der 3. Auflage finden sich zwei Übersetzungen nebeneinander: Zum einen wird TIDD3 als Nif. von 103 II 253 , „flechten, weben" interpretiert und zum anderen als Nif. von "po II254, „weben, formen". Im folgenden sollen zunächst die gängigen255 Vokalisierungen mit ihren verschiedenen Übersetzungsmöglichkeiten256 aufgelistet werden,257 um dann die Alternativen darzustellen und zu einer Entscheidung zu gelangen. a) Das masoretische 'fi??} bietet vier Möglichkeiten der Herleitung: 1. Nif. von 103 I: - „emanieren, hervorgehen"; 258 - „eingesetzt werden";259 - „gebildet werden"; 260 - „zum Leben erweckt werden";261 2. Nif. von 103 II; Bedeutung: „gewoben, geformt sein";262 250
Dazu vgl. das Zitat oben in Anm. 241 auf S. 118.
251
Vgl. d a z u a u c h : BAUKS/G. BAUMANN 1994, 47f.
252
KBL 2 , 657. 253 H A L , 664. 254 AaO. 712. 255 Nicht berücksichtigt werden dabei: ' r p o : als Q. von 1 0 : I mit der Bedeutung „ausgießen" sowie TISPI als Nif. von 110 II mit der Bedeutung „gesalbt werden" im profanen Kontext. Diese Übersetzungsmöglichkeiten finden sich in der Forschung nicht bzw. werden - m. E. zu Recht - vernachlässigt, da sie keinen Sinn ergeben. 256 Die Übersetzungen folgen - außer unter a.l - H A L , 712. 257 Die Auflistung bildet eine Erweiterung zu derjenigen von LANG 1975, 90. 258 259
S o ALBRIGHT 1 9 1 9 / 2 0 , 3 8 6 ; DAHOOD 1 9 6 8 , 5 1 5 u n d DE SAVIGNAC 1 9 6 9 , 1 9 7 . S o ROBERT 1 9 3 4 , 197f.; RINGGREN 1 9 4 7 , 1 0 0 ; PLÖGER 1 9 8 4 , 8 7 s o w i e STEIERT 1 9 9 0 ,
271.273. 260 Diese Übersetzung findet sich bei BARUCQ 1964, 92; ZERAFA 1967, 56f. und KEEL 1974a, 9-11. 261 CAZELLES 1959, 514: „... la racine du verbe évoque une émission d'eau, probablement une lustration symbolique d'une vivification p a r Dieu." 262
S o b e i KEEL 1 9 7 4 a , 9 - 1 1 ; GILBERT 1 9 7 9 , 2 1 0 .
Textuntersuchungen zu Prov 8
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3. Nif. von 130 II; nach Bergsträsser263 ist dies als Nebenform des Nif. möglich. Die Bedeutung lautet „geformt, gebildet werden"; 4. Nif. von "po III (ebenfalls eine Nebenform, s. o. 3.) mit der Bedeutung „abgesperrt, verborgen gehalten werden". ß) Die wichtigste Konjektur des M T bildet 'fiSOi. Diese Form läßt sich auf zweierlei Weise herleiten: 1. wie oben unter a.l, nur daß es nun die Hauptform des Nif. von "130 II bildet. Als Übersetzungen werden „gewebt, gewirkt werden" vorgeschlagen 264 sowie „erschaffen, gebildet werden"; 265 2. wie oben unter a.4 ; an dieser Stelle ebenfalls die Hauptform des Nif. von 130 III 266 . Die bisherige Forschung vertritt zumeist die Möglichkeiten a.l und a.2 sowie ß.l. An dieser Stelle soll aufgrund der Zuverlässigkeit des masoretischen Textes das Augenmerk hauptsächlich auf die Möglichkeiten unter a gelegt werden. Problematisch ist bei den Übersetzungen dieser Vokalisationsmöglichkeit, daß sich ausgehend von der Grundbedeutung „(aus)gießen" von 103 I die vier unter a. 1 dargestellten Nebenbedeutungen kaum ableiten lassen und Sonderbedeutungen lediglich für Prov 8,23 darstellen. Eine Ausnahme bildet dabei die Bedeutung „eingesetzt werden"; sie wird - im Sinne der Weihung des Königs - gelegentlich für ' f p O J in Ps 2,6 vorgeschlagen. 267 Wie Gese ausgeführt hat, 268 läßt sich allerdings diese hypothetische Bedeutung für "103 I nicht plausibilisieren, so daß er für Ps 2,6 (wie auch für Ps 139,13 und Prov 8,23) für eine Herleitung des Wortes 269 von 130 und eine Übersetzung mit „erschaffen" votiert. Diese Übersetzung läßt sich, wie schon Condamin im Blick auf Prov 8,23 betont hat, auch am besten mit dem Kontext vereinbaren. 270 Wie also die unter a. 1 aufgezählten Möglichkeiten, so ist auch die unter a.2 genannte Übersetzung unsicher, da sie sich für ihre Bedeutung nur auf 263
BERGSTRÄSSER 1 9 6 2 , § 2 7 i.
264
DONNER 1957, 9.
265
S o GESE 1 9 7 4 , 1 3 9 ; L A N G 1 9 7 5 , 9 0 f . u n d SCHIMANOWSKI 1 9 8 5 , 2 8 .
266
Mit der gleichen Bedeutung KBL 2 , 657. 267 So z. B . K R A U S 1 9 7 8 , 1 5 0 : „ L O : bedeutet: .Trankopfer ausgießen', ,weihen'"; bietet (664) „geweiht, gefürstet werden.". 268
269
GESE 1 9 7 4 ,
HAL
138f.
Hierbei vokalisiert GESE (ebd.) allerdings an den genannten Stellen abweichend vom masoretischen Text, und zwar T O O l Diese Änderung ist aber, um eine korrekte Nif.-Form von "PO zu erlangen, nicht unbedingt notwendig; s. o. in diesem Abschnitt unter a.3. 270 C O N D A M I N 1 9 1 2 , 1 5 7 : „... l'exégèse qui voit dans ce texte des Proverbes la sagesse consacrée par l'onction ou installée comme une reine néglige trop le contexte, puisque dans les versets suivants, 24 et 25, il s'agit encore de la formation et de la naissance ..."
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die ebenfalls unsichere Parallele Jes 25,7 271 berufen kann, in der eher ein „Verhüllen" als ein „Gewobensein" zum Ausdruck gebracht wird. Zu den verbleibenden Möglichkeiten a.3 und a.4 sowie ß ist mit Kronholm212 darauf hinzuweisen, daß die Existenz der Wurzeln "130 II und III keineswegs gesichert ist. Die Belege für diese von "po I abweichenden Bedeutungen sind sehr unsicher. Bei genauer Überprüfung der in Frage kommenden Texte ist festzustellen, daß wohl eine Wurzel 130 III (Q.: „verhüllen"; Hif.: „bedecken")273 in ihrer Bedeutung nicht genug eigenständiges Profil gegenüber "po I (Q.: „schirmend absperren"; „etw. absperrend, [sie!] anbringen"; Hif.: „absperren, unzugänglich machen") besitzt und mithin hier Kronholms Kritik zu Recht besteht. Allerdings gilt dies nicht für seine gegenüber "po II vorgebrachten Einwände, insbesondere gegen das göttliche „Weben, Formen" in Ps 139,13 und Hi 10,11. Für diese beiden Stellen liegen keine überzeugenden Alternativen zum „Gewobensein" des Menschen durch JHWH im Mutterleib vor.274 Somit läßt sich von diesen beiden Stellen ausgehend sowie aufgrund des Kontextes Prov 8,22-31 (ähnlich wie oben 275 ) auch für Prov 8,23 eine solche Bedeutung „gewoben, geformt" als Nebenform des Nif. von "po annehmen. Eine Konjektur von 'JnDDJ zu 'fDD} ist wegen der unter a.3 genannten Möglichkeit nicht notwendig. f) Die Darstellung der Weltschöpfung in Prov 8,22-31 Die Darstellung der Erschaffung von Weisheit und Welt, wie sie sich in Prov 8,22-31 findet, läßt sich unter verschiedenen Aspekten betrachten. An dieser Stelle sollen drei Gesichtspunkte ausgewählt werden, die für die Deutung der Weisheitsgestalt von besonderer Relevanz sind.276 a) Elemente einer „Vorwelt" in Prov 8,22-31 Auf das Vorhandensein einer „Vorwelt", also auf eine vor der eigentlichen Schöpfung schon existierende Welt, weisen innerhalb von Prov 8,22-31 die V. 24-26 hin. 271
S o überzeugend DOHMEN 1986, 492.
272
KRONHOLM 1 9 8 6 , 8 4 5 .
273
Die Wiedergaben der Wortbedeutungen beziehen sich auf HAL, 712. Im Gegenteil: In allen drei Texten (Ps 139,13; Hi 10,11; Prov 8,23) findet sich nach UTZSCHNEIDER 1991b, 7 9 der gemeinsame Handlungstypus des göttlichen Webens eines Individuums. Wie UTZSCHNEIDER weiter ausführt (ebd.), wird JHWH zudem bei einer typischerweise von Frauen ausgeübten Tätigkeit dargestellt, so daß JHWH in diesen Texten gynomorph handelt. 275 Dazu s. o. auf S. 116-118 zu m p . 276 Dies geschieht in Anlehnung an die Ausführungen in B A U K S / G . BAUMANN 1 9 9 4 , 274
34—46.
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123
In diesen Versen findet sich mit l'xa, t n p a , 3*7 und ntoJ? N1?"!?? die klassische Form der altorientalischen „Als-noch-nicht"-Formulierungen.277 In dem Textabschnitt ist die Rede von der Erschaffung der Weisheit vor Schöpfungsbeginn, also im Bereich einer „Vorwelt". Diese wird mit Hilfe der „Als-noch-nicht"-Formulierungen im direkten Kontrast zur Schöpfungswelt geschildert. Deutlich ist die formale Kontrastsetzung von Vorwelt und Welt in Prov 8,22-31. Wird die dortige „Als-noch-nicht"-Formulierung (V. 2426) mit den positiven Schöpfungsaussagen in den V. 27-29 verglichen, so läßt sich feststellen, daß unterschiedliche Aspekte von Welt ohne eindeutige Zuordnung beider Textteile zueinander aufgeführt werden. Während in den „Als-noch-nicht"-Formulierungen von Urfluten und Quellen, den Bergen und Hügeln sowie der Erde, den Fluren und Schollen des Festlands die Rede ist, handeln die folgenden Verse von Himmel und Weisheit, dem Erdkreis, den Wolken, dem Meer sowie den Grundfesten der Erde. Erst zusammengenommen ergeben die verschiedenen Aspekte von Schöpfung ein umfassendes Weltbild.278 Das bedeutet, daß die „Als-noch-nicht"-Formulierungen in bezug auf die genannten Schöpfungswerke letztlich Aussagen über die geschaffene und nicht über die Vorwelt treffen. In Prov 8,22-31 findet sich lediglich eine Aussage über ein tatsächlich in der „Vorwelt" vorhandenes Schöpfungswerk JHWHs. Zu Beginn der Zeit, als noch keines der dem Menschen bekannten, räumlichen Schöpfungswerke erschaffen war, ist die Weisheit bereits erschaffen worden (V. 27a). Unmittelbare Konsequenz daraus ist ihre Anwesenheit bei der Erschaffung des gesamten menschlichen Kosmos.279 ß) Das „Weltmodell" von Prov 8,22-31 Um das Besondere an der Auswahl der in Prov 8,22-31 genannten Schöpfungselemente hervorzuheben, empfiehlt sich die Kontrastierung mit einem anderen biblischen Schöpfungsbericht. Gen 1 bietet sich dafür aus mehreren Gründen an. Zum einen ist es die umfassendste biblische Schöpfungserzählung; es ist deswegen wahrscheinlich, daß wirklich nur 277 Auf diese im AO weitverbreitete Wendung ist ausführlich von WESTERMANN 1974b, 59-41.86-88 eingegangen worden; zur Verwendung der Formulierung in Prov 8 vgl. WHYBRAY 1965, 504ff., der jegliche traditionsgeschichtliche Verbindung ablehnt. Siehe
a u c h KAYATZ 1966, 94f.
278 Dabei bildet die Erschaffung der verschiedenen „Wasser" in negativer wie in positiver Schilderung die Rahmung um die Weltschöpfung. Eine Doppelung liegt hierbei nicht vor; während V. 24 - negativ - über die noch nicht erfolgte Erschaffung von „Urflut" und „wasserschweren Quellen" spricht, schildert V. 28a - in positiver Weise - die Stärkung der Wolken, also der oberen Wasser, und V. 28b das Vorhandensein kräftiger „Urflutquellen". 279 Zur Rolle der Weisheit als Mitschöpferin vgl. unten S. 143f. sowie 236-238.
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explizite Besonderheiten des Proverbien-Schöpfungshymnus - falls vorhanden - ohne Parallele in diesem Text bleiben. Zum anderen deutete sich schon oben 280 an, daß eventuell Beziehungen zwischen beiden Texten bestehen. 281 In bezug auf Anzahl und Benennung der Schöpfungswerke bestehen erhebliche Unterschiede zwischen beiden Texten. Hierzu soll zunächst Landes mit seinen Beobachtungen zu Wort kommen: „In the terminology indicating what is created - the constituent elements of the world and the c o s m o s - Prov 8:22 ff and G e n 1 are in basic agreement on the following: thwm, mym, smym, ym,'rs, and possibly 'dm (though no explicit Creation vocabulary is used with 'dm in Prov 8:31). Prov 8:22 ff, however, has one or more synonyms for several of these words: for thwm: thmwt, mynwt, nbkm-ym or nbkymym,'ynwf, for smym: hwg, shqym; for 'rs: hwswt, 'prwt tbl, tbl 'rsw. G e n 1 uses rqy for smym and ybsh for 'rs. Of these, perhaps only hkmh, hrym, gb'wt, and mwsdy 'rs should be understood as not covered by another expression in Gen l." 2 8 2
Dieser zutreffende Befund von Landes bedarf einer Erklärung. Daß die Weisheit in Prov 8,22-31 als Schöpfungswerk genannt wird, versteht sich dabei von selbst, da es ja um ihre Erschaffung vor allen anderen Schöpfungswerken geht. Nicht so einfach dagegen ist es, die anderen Unterschiede zwischen beiden Texten auszuwerten. Dabei ist zu klären, in welcher Weise die in Prov 8,22-31 abweichend von Gen 1 verwendeten Ausdrücke eine besondere Aussage treffen wollen. 283 So sollen nun die Berge und Hügel ( a n n / n i s a a ) sowie die Grundfesten der Erde ( f i x HOiö) näher betrachtet werden. Das erste Wortpaar (Prov 8,25) tritt im Parallelismus membrorum an 40 weiteren Stellen im Alten Testament auf. 284 Dabei werden die Aspekte von Alter 285 oder Festigkeit 286 betont, und/oder das Wortpaar dient zur Bezeichnung eines Teils der Welt 287 . Im Zusammenhang der Weltschöpfung ist die Erwähnung des Wortpaares in Prov 8,25 singulär. Jedoch erschei280
Auf S. 119f. Dazu vgl. B A U K S / G . S. 145f. 281
282
283
BAUMANN
1994. Zu diesem Thema Näheres auch unten auf
LANDES 1 9 7 4 , 2 8 2 .
Vorab ist - in Ergänzung zu LANDES 1 9 7 4 - anzumerken, daß in den V. 22b.23 zwar vom hohen Alter der Weisheit, nicht aber von einer Erschaffung der Zeit die Rede ist. Diese Verse bringen lediglich den großen Abstand der damaligen zu ihrer Zeit zum Ausdruck; sie treffen aber im Unterschied zu Gen 1 , 5 . 1 4 keine Aussagen über die göttliche Erschaffung der Zeit oder einer Zeitstruktur. 284 Abweichend von TALMON 1977, 463, der insgesamt nur 31 Belege zählt. 285 Dies geschieht meist durch temporale Näherbestimmung: Gen 49,26; Dtn 33,15; Mi 6,1; Hab 3,6. 286 Dieser Aspekt wird im Rahmen von Theophanieschilderungen (Nah 1,5; Hab 3,6) betont; außerhalb dieser kommt er in Jes 40,12; 54,10; Ps 114,4 vor. 287 So in Jes 40,12; Ps 148,9.
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nen „Berge" und „Hügel" je für sich in diesem Kontext: erstere in Ps 90,2 und letztere in Hi 15,7. Auffällig ist im Unterschied zu den parallelen Vorkommen der Worte oder des Wortpaares die Verknüpfung mit dem Verb J/2Ü Hof. „eingesenkt werden" in Prov 8,25. In seinen anderen Erwähnungen bezeichnet S73Ü ausnahmslos und in allen Stammesmodifikationen eine Bewegung nach unten hin („einsenken, einsinken" etc.).288 Dies scheint paradox zu sein, denn Berge erheben sich in der Regel in die Höhe. 289 Die Höhe ist eine der wichtigsten Konnotationen der Berge im wörtlichen wie im übertragenen Sinn.290 Wie ist nun die Wortverbindung des „Einsenkens der Berge" in Prov 8,25 zu erklären? Das Verb findet sich nur an einer Stelle im Kontext der Weltschöpfung: in Hi 38,6. Dort wird Hiob von Gott gefragt, worauf die „Pfeiler (von TTN*) der Erde" eingesenkt seien. Dieses Bild von Erdpfeilern ähnelt dem der „Grundfesten der Erde" in Prov 8,29. In bezug auf Berge und Hügel kann in diesem Zusammenhang an die Vorstellung von Bergen oder einem Weltberg als Weltachse, die die verschiedenen Weltebenen verbindet, gedacht werden.291 Die Berge/Hügel reichen ähnlich wie die Grundfesten in die Unterwelt hinab 292 und gewährleisten dadurch die Stabilität der Erde. Die Vorstellung von Bergen als Weltachse oder von Grundfesten der Erde treten außer in Prov 8,25.29 nicht mehr im Kontext der Weltschöpfung, sondern vorwiegend in Theophanieschilderungen auf. Nur anläßlich des Auftretens Gottes schwanken die Berge,293 was ihre sonst sprichwörtliche Unverrückbarkeit und ihr festes Gegründetsein unterstreicht. Die Berge und Hügel sowie die Grundfesten der Erde weisen also in Prov 8,25.29 auf ein Weltbild hin, das eine senkrechte Achse und in die Tiefe eingesenkte Fundamente besitzt. Dieses Weltbild ist nun auf dem 288 Dabei ist am häufigsten das Einsenken etc. in die Erde; im einzelnen: in den Sumpf: Jer 38,22; Ps 69,15; in den Schlamm: Jer 38,6; Ps 69,3; in den Boden: Thr 2,9. 289 Bei der Weltschöpfung z.B. in Ps 104,8 nach der Wiedergabe von T A L M O N 1977, 473. 290 So z. B. in Jes 2,14; 30,17; 40,4; 41,15 und an zahlreichen anderen Stellen. 291 „Im AT findet sich die auch in anderen semitischen und nichtsemitischen Kulturen vorhandene Vorstellung, daß Berge oder ein bestimmter Berg die Weltachse ist, das Band, das senkrecht die drei Hauptkomponenten des Kosmos, d. h. die Erde, die obere und die untere Welt verbindet. Andererseits wurzeln die Grundlagen der Berge im tiefsten Abgrund, in der Scheol, wo das Land des Mot gelegen ist, und dienen als säulenähnliche Stützen der Erde und des Himmels. Andererseits stellt man sich vor, daß die Berggipfel in die oberen Sphären hinaufreichen, die Gottes Wohnung sind und die auch als märöm bezeichnet werden, so daß sie an der himmlischen Herrlichkeit teilhaben." T A L M O N 1977 (unter Weglassung der dort aufgeführten Klammern), 473f. Allgemein formuliert ELIADE 1986, 47: „Das Symbol eines in der Weltmitte aufragenden Berges, Baumes oder Pfeilers ist [in den alten Religionen] überaus weit verbreitet." 292
293
TALMON 1977, 4 7 4 .
So Berge und Hügel: Nah 1,5; Hab 3,6; Ps 114,6; die Grundfesten der Erde: Jes 24,18; Mi 6,2; Ps 82,5.
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Hintergrund der Anordnung der Schöpfungswerke in Prov 8,24-31 zu präzisieren. Dazu soll noch einmal die Grobstruktur des Textes in Erinnerung gerufen werden. Hier sind die beiden Hauptteile, V. 24-26 und 27-29 sowie der Schluß294 von Belang. Während in V. 24-26 der Zustand der Schöpfung vor der Erschaffung der Weisheit in negativer Weise mit Hilfe von „Als-noch-nicht"-Formulierungen illustriert wird, drücken die V. 27-29 die Erschaffung der Welt in Anwesenheit der Weisheit in positiver Weise aus. Eine erste Untersuchung der unterschiedlichen Anordnung der Schöpfungswerke in beiden Textteilen bestätigt die Beobachtung von A. Meinhold: „Werden in VV. 24-26 noch ausstehende Schöpfungsgegebenheiten im ,Weltgebäude' von unten nach oben ins Auge gefaßt, so ist die Blickrichtung nun [in V. 2729] umgekehrt von oben nach unten." 295
Darüber hinaus lassen sich bei einer genaueren Analyse des Textes noch weitere Strukturunterschiede bemerken: Die V. 24-26 zeichnen zunächst mit groben Strichen ein dreistufiges Weltbild. Untere Welt (V. 24), Anhöhen/Weltachse (25) und die bewohnbare Erde (26) sind „noch nicht da", als die Weisheit bereits geboren ist. Die Anordnung der Weltbestandteile folgt dem Schema, das zuerst die extremen Pole „unten" und „oben" nennt (und die Weltachse in Verbindung mit „oben") und zum Schluß die Mitte. Eine himmlische Sphäre fehlt noch; ihre Existenz wird erst in V. 27a in bereits positiver Ausdrucksweise beschrieben. Allerdings wird durch die Berge, die bis an den Himmel reichen können, auf diesen Bereich verwiesen.296 Das einfache Weltmodell, das die V. 24-26 entwerfen, wird im folgenden in den V. 27-29 differenziert, und die Ebenen werden miteinander verwoben. Der Blick der Lesenden ist in V. 27 bei der Erschaffung des Himmels in expliziter Anwesenheit der - himmlischen! - Weisheit auf dem Höhepunkt angelangt. Das Weltmodell ist damit gegenüber V. 24-26 um eine Ebene erweitert. Nun geht die Blickrichtung wieder abwärts, und dabei werden jeweils zwei „Weltebenen" miteinander verbunden: Der Himmel (V. 27a) wird mit der unteren Abgrenzung des menschlichen Lebensraumes (27b) verbunden. Die Wolken droben (28a), d. h. die Grenze zwischen menschlicher und himmlischer Sphäre,297 werden im Text in Verbindung mit der äußersten Tiefe, den Quellen der Urflut (28b), genannt. Danach grenzt der Text die für die Erde gefährlichen Wasserfluten vom menschlichen Lebens294 Der Anfangsteil V. 22f. hebt nicht auf die hier zu betrachtende räumliche, sondern auf die zeitliche Dimension ab und ist deshalb hier nicht in den Blick zu nehmen. 295 A. MEINHOLD 1991, 145; die gleiche Beobachtung findet sich schon bei SCHREINER
1989, 52. 296 Vgl. TALMON 1977, 474. 297
Zum Verständnis der Wolken mehr unten auf S. 130f.
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räum ab (29ab), und zum Schluß wird diesem Raum das Fundament gegeben und seine Grundfesten werden festgesteckt (29c). Die Schilderung der Weltschöpfung nach Prov 8,24-29 ist also zunächst ein Prozeß des Anordnens der Weltebenen auf einer vertikalen Achse (24-26) und danach ein Vorgang der Abgrenzung der Lebensräume voneinander bei gleichzeitiger Verbindung miteinander (27-29). Zur unteren Welt mit ihren Wasserfluten kehrt der Text im Fortgang nicht mehr zurück. Er konzentriert sich jetzt ganz auf die Weisheit, die sich zunächst (30) in JHWHs Nähe und dann (31) im menschlichen Lebensraum bewegt. Die in Anwesenheit der Weisheit geschaffene Welt erscheint in einem Bild, bei dem die Anordnung in verschiedene, abgegrenzte wie verbundene horizontale Ebenen das dominante Strukturprinzip darstellt. Dabei ist das erste, in Anwesenheit der Weisheit geschaffene Werk JHWHs der Himmel. Weisheit und Himmel befinden sich zum einen im Hinblick auf die Textanordnung gemeinsam in der Mitte (V. 27) des Abschnitts 8,22-31. Zum anderen markieren sie den geographischen Höhepunkt von Prov 8,22-31. Es ist deshalb evident, daß Weisheit und Himmel eine wichtige Rolle im Text spielen und daß zwischen ihnen eine enge Beziehung besteht. Eine Erklärung hierfür kann darin bestehen, daß die Weisheit als Gestalt in Prov 1-9 deutlich als von Gott kommendes, transzendentes Geschöpf erkennbar ist. Und da der Himmel im Alten Israel nicht nur von Gott geschaffen ist, sondern auch als Wohnsitz Gottes angesehen wird,298 von dem her z. B. seine Boten kommen, 299 ist eine himmlische Herkunft der Weisheit auch im räumlichen Sinne durchaus einleuchtend. Analog dazu erscheint die Weisheit bei ihrem Spiel vor Gott Prov 8,30 als Wesen in Gottes Nähe, also wohl im Himmel. Die Erschaffung des Himmels als erstem räumlichen Werk - er ist im Text nach der Weisheit überhaupt das erste Schöpfungswerk JHWHs läßt in Prov 8,22-31 einen Moment lang den Blick der Lesenden auf dem räumlichen Höhepunkt haften, um nach dem zunächst groben Weltentwurf der „Als-noch-nicht"-Formulierungen (V. 24-26) den Schöpfungsraum zur göttlichen Sphäre hin zu öffnen. Das Schöpfungshandeln JHWHs aus dieser Sphäre heraus bringt mit der Weisheit eine erste Frucht hervor, und der Himmel ist danach das zweite, unter den für die Menschen sichtbaren Schöpfungswerken das Gott am nächsten stehende Werk.300 298
So z.B. in Dtn 26,15; I Reg 8,30.39; Jes 63,15; Ps 11,4; 20,7; vgl. auch SOGGIN 1979b, 968f. 299 Z. B. in Gen 21,17; 22,11.15. 300 KOCH 1984, 104 votiert allerdings dafür, daß hekin grundsätzlich nicht ein Erschaffen an sich, sondern „ein Ausstatten und Zurüsten bereits erstellter Größe" bezeichnet. Somit wäre hier der Himmel - wie die Weisheit und die Urflut nach V. 28a „vorgeschöpfliches Werk" JHWHs. Eventuell ließe sich dies dadurch erklären, daß J H W H nach Ansicht des Textes nicht „ortlos" schaffen konnte, sondern bereits einen
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Nach diesem geht - wie oben ausgeführt - die Blickrichtung des Textes wieder in Richtung auf die DiHfl, die den unteren Bereich der Welt darstellt. Sie hat in Prov 8,24.27f. eine noch ansatzweise mythische Qualität als ein bedrohliches Wasserwesen, da sie zusammen mit „Meer" und „Wassern" (DJ und D'!?) in V. 28b.29 nachdrücklicher Sicherungsmaßnahmen bedarf. Ein Aspekt, der sich zur Vorstellung der Dinn in Prov 8,22-31 parallel setzen läßt, ist der der Unterwelt. 301 Beiden gemeinsam ist, daß sie sich unterhalb der Erde als mittlerem Bestandteil des Kosmos befinden. Dinn kann daher als eine Art Hinweis auf den Bereich der Unterwelt verstanden werden. Diese ist in Prov 1-9 in den Texten, die vor dem Handeln der „fremden" bzw. „törichten Frau" warnen, 302 als Ort der Verderbnis und des Todes präsent. 303 Sie ist die gottferne Sphäre. 304 Die fremde oder törichte Frau ist das Gegenbild zur Weisheitsgestalt in Prov 1-9; statt den Reden der ersteren zu folgen, werden die Angesprochenen ermahnt, sich der Weisheit zuzuwenden und ihr Leben an deren Forderungen auszurichten. Wie die beiden Gestalten polarisiert sind, so sind auch die mit ihnen verbundenen Räume diametral entgegengesetzt angeordnet: Die Weisheit ist das Geschöpf des Himmels, das Gottes Nähe entstammt. Ihr entgegengesetzt ist die „fremde" oder „törichte Frau", die ihren Wohnsitz in der Unterwelt hat. Der „fremden" oder „törichten Frau" nachzufolgen bedeutet Verderben. Kontrastierend dazu verspricht die Weisheit, daß die Menschen, die ihrem Ruf folgen, Wohlgefallen J H W H s erlangen werden (Prov 8,36). In die Abfolge und Anordnung der Weltsphären könnte eine theologische Aussage verwoben sein. Zuerst werden Weisheit und Himmel als Gott nahe, positiv konnotierte Bereiche erschaffen. Erst in einem zweiten Schritt hat J H W H die - vom Himmel als seinem Bereich - entfernte untere Welt ins Leben gerufen. Sie weist in ihrer Lage und Bedrohlichkeit für die Menschen auf die Gegenfigur zur Weisheitsgestalt hin. 305 Ort gehabt haben mußte, an dem vor der Erschaffung des Himmels die Weisheit geboren werden konnte. 301 Eine der Hauptkonnotationen der Dinn ist die Tiefe, vgl. WESTERMANN 1979, 1026-1031. Auch W Ä C H T E R äußert sich zum Verhältnis von Urflut und Unterwelt: „Nach dem israelit. Weltbild liegt die Scheol unter dem unterirdischen Ozean, auf dem die Erdscheibe schwimmt (vgl. Ijob 26,5; 37,16f.). Der Weg dorthin geht also durch tiefe Wasser hindurch." (1993, 904). 302 Dies sind Prov 2,16-19; 5; 6,24-35; 7,5-27 sowie 9,13-18; zu ihrer Deutung vgl. oben S. 37-41. 303 So in Prov 2,18; 5,5; 7,27; 9,18. Die entsprechenden hebräischen Ausdrücke sind
^ixtfund rna. 304
In der "jiKlP gibt es beispielsweise kein Loben Gottes (Jes 38,18; Ps 6,6). Parallelen bestehen unter inhaltlichen Gesichtspunkten zur Darstellung der Schöpfung in den Gottesreden im Hiobbuch. Nach K E E L 1 9 7 8 , 1 2 6 - 1 5 1 sind dort Behemot und Liwjatan - Hi 40,15—41,26 - analog zu altägyptischen Vorstellungen als Mächte des Bösen geschildert, deren bedrohliches Handeln immer wieder von J H W H 305
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y) Erschaffen als Abgrenzen und Ordnen Die in Prov 8,22-31 vorkommenden Schöpfungsverben 306 sind zunächst zwei Gruppen zuzuordnen: Zum einen sind Verben wie niPJ/, "po, Vn Pol., 573ü und TTS7 zu finden, die auch sonst im Alten Testament vorwiegend im Kontext von Schöpfung verwendet werden.307 Daneben gibt es Verben, die zwar im Schöpfungszusammenhang auftreten, außerdem aber in anderen Traditionsbereichen verwendet werden, und dies z. T. in theologisch pointierter Bedeutung. Hierzu zählen HJp, 113 Hif., f a x , ppn Pi. und D'tP. Interessant sind dabei vor allem drei Verben: 113 Hif., ppn und D'tP. Sie werden sonst überwiegend im Zusammenhang des Rechtshandelns JHWHs verwendet. Alle drei Verben sind im zweiten Hauptteil des Textes in V. 27-29 plaziert, also im Abschnitt nach der Erschaffung der Welt in ausdrücklicher Anwesenheit der Weisheit (nach '3S Dtp V. 27a). Das prägnanteste der drei Verben ist ppn in seiner Doppelbedeutung sowohl des Erschaffens wie des Rechtsetzens. Es ist in Prov 8,22-31 durch seine doppelte Nennung - in V. 27b wie auch in V. 29b - hervorgehoben. 308 In V. 29 ist daneben in Versteil a von der „Grenze" (pfl), einem von ppn abgeleiteten Substantiv, die Rede, ppn hat neben der hier auf das Schöpfungshandeln zu beziehenden Bedeutung „aushauen, einritzen" 309 die des „Festsetzens" und „Bestimmens". Das Substantiv pn weist in seiner Verwendung deutlich in die gleiche Richtung: Es ist Terminus für Rechtssätze310 bzw. für Vorschriften und gesetzliche Ordnungen 311 . Ringgren merkt zu Prov 8,29 an, daß „hier ... vielleicht die Begriffe ,Befehl' und ,Ordnung'" 312 mitklingen. Diese Beobachtung wird dadurch gestützt, daß die Weisheit selbst in 8,15f. von sich als derjenigen spricht, durch die Mächtige Rechtes festsetzen (ppn Po.). Es läßt sich somit festhalten, daß in Prov 8,27-29 - in Anwesenheit der Weisheit - der Aspekt des Begrenzens und Rechtsetzens beim Schöpfungshandeln JHWHs betont wird. verhindert oder eingeschränkt werden muß. Auch sie sind Bestandteil der von JHWH geschaffenen Welt. 306 Diese sind: n j p , ^ n Pol., - p o Nif., »ati Hof., nfe», y o Hif., ¡?p>n, f ö « Pi., TT» sowie •1iz>. 307 Dabei ist für Prov 8,26 anzumerken, daß hier NIPS innerhalb einer „Als-nochnicht"-Formulierung verwendet wird und somit kein Schöpferhandeln JHWHs damit ausgesagt ist. 308 Zweimal kommt von den Schöpfungsverben in Prov 8,22-31 sonst nur noch "7T1 Pol. vor. 309
310
RINGGREN 1982, 150.
Ebd. AaO. 152. Dies ist z.B. in Dtn 4,1.5.8.14u.ö. der Fall. LIEDKE 1971, 170 bemerkt zur Bedeutung von p>n in Schöpfungstexten darüber hinaus, daß die mit Hilfe des Grenzensetzens vollzogene Schöpfung nicht - wie z. B. in Gen 1 - durch das Sprechen, sondern durch das Handeln Gottes geschieht. 311
312
RINGGREN 1982, 151.
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Gestützt wird diese Auslegung durch die Bedeutung der Verben 113 Hif. und D'iP. 113 Hif. wird nicht nur für das Festsetzen oder Aufstellen von Erde, Welt oder Menschen und der Zionsstadt verwendet, sondern auch für J H W H s Setzen der Lebensordnungen Israels 313 und für das Vollenden des Tun-Ergehen-Zusammenhangs durch J H W H 3 1 4 . D'tP kommt in Verbindung mit dem Objekt pfl außer in Prov 8,29 und Jer 5,22 noch an Stellen vor, an denen es um das Setzen von Rechtssätzen oder Gesetzen geht, so in Ex 15,25; Jos 24,25. 315 Die hier gesammelten Hinweise lassen sich dahingehend auslegen, daß J H W H schon bei der Schöpfung der Welt - auch im auf den menschlichen Bereich übertragbaren Sinn - Recht und Ordnung eingestiftet hat. D a ß dieses Handeln J H W H s erst nach dem Hervorbringen der Weisheit vollzogen wird, hat eine Bedeutung: Die Weisheit steht in besonderer N ä h e zu gerechten Ordnungen des menschlichen Zusammenlebens, wie sie selbst in Prov 8,15f. kundtut. Sie selbst vermittelt die Gabe des Recht-Schaffens an die weltlichen Machthaber. N u r durch sie können diese Rechtes tun. Die Herkunft dieser besonderen Befähigung der Weisheit wird innerhalb von Prov 8,22-31 in den V. 27-29 begründet: Die Weisheit war bei J H W H s Ordnungshandeln zugegen; sie war seine unmittelbare „Beobachterin" und vielleicht diejenige, die ihn beim Schöpfungswirken und Setzen der Grenzen inspirierte (V. 30). Sie ist die „Weltordnungs-Expertin" an J H W H s Seite. 316 Neben dem Erschaffen als Ordnungshandeln, wie es sich in den o. g. Verben findet, ist in Prov 8,22-31 an einer weiteren Stelle ein Schöpfungswerk zu finden, dessen Abgrenzungscharakter schon bei der Weltschöpfung J H W H s zum Ausdruck kommt. Die Vorstellung findet sich in V. 28a, wo die Wolken (D'pntf) von J H W H stark gemacht werden ft>öN Pi.). Wolken finden sich alttestamentlich im Kontext der Weltschöpfung nur an drei Stellen: in Hi 37,18, Prov 3,20 und in 8,28. Dabei werden sie an den beiden letztgenannten Stellen im Parallelismus mit der Urflut erwähnt, wobei in Prov 3,20 auf den Wasserreichtum beider abgehoben wird. Aufschlußreicher ist für die Bedeutung von Prov 8,28 aber Hi 37,18. Hier wird an Hiob die ironische Frage gestellt, ob er denn dabei war, als G o t t die Wolken wie einen Metallspiegel festgehämmert hat. Letzteres wird durch das Verb J7pT Hif. ausgedrückt, zu dem Görg bemerkt, d a ß dessen Bedeutung von STp"], der Himmelsfeste u . a . in Gen 1,6-8, 313
GERSTENBERGER 1 9 7 8 , 8 1 6 f .
314
KOCH 1984, 102.
315
Eine interessante Mittelstellung zwischen dem Rechtsetzen in Schöpfung und Gesellschaft nimmt in diesem Zusammenhang Jer 33,25 ein: J H W H sagt, er habe seinen Bund ('IV-ia) mit Tag und Nacht geschlossen und die Gesetze (flipn) von Himmel und Erde festgesetzt. 316 Zur Rolle der Weisheit als Mitschöpferin s.u. S. 143f. sowie 236-238.
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abgeleitet ist. 317 In Hi 37,18 findet sich also die Vorstellung von Wolken in der Funktion des Firmamentes (S'i?"]) in einem Schöpfungstext. Dieser Gedanke scheint nun auch in Prov 8,28a zugrundezuliegen, wenn vom Stärken der Wolken 318 die Rede ist. Es liegt also in Prov 8,28 die Vorstellung von einer Art Firmament vor, das ähnlich wie in Gen 1,6-8 die Funktion hat, die oberen von den unteren Wassern zu trennen. Dieses Schöpfungswerk der Abgrenzung findet eine Entsprechung im Bereich des menschlichen Lebensraumes in der Festsetzung der Grenze des Meeres durch J H W H in Prov 8,29a. In Prov 8,24—29 wird, wie sich nun zusammenfassen läßt, bei der Weltschöpfung J H W H s vor allem das Element des Ordnens betont. Dies wird durch die Verwendung der Verben ppn, fiD Hif. und D'tP sowie die Vorstellungen des (implizit ausgedrückten) Firmaments und der Meeresgrenze hervorgehoben. Auf die hier bestehende inhaltliche Parallele zu den Gottesreden des Hiobbuches soll unten 3 1 9 näher eingegangen werden. g) TlöN - „Schoßkind" oder „Werkmeisterin"? (Prov 8,30) Mit TIDN in Prov 8,30 liegt ein gravierendes Übersetzungsproblem vor. Gravierend deshalb, weil in diesem Vers unmittelbarer als an jeder anderen Textstelle in Prov 1-9 eine Aussage über das Verhältnis der Weisheitsgestalt zu J H W H getroffen wird. In der bisherigen Exegese sind zahlreiche Vorschläge zu Vokalisation und Übersetzung des Wortes gemacht worden. Trotz eines sich herausbildenden Konsenses - die Mehrzahl der neueren Exegetinnen und Exegeten votiert für die Übersetzung „Liebling, Schoßkind" - fehlt bisher eine detaillierte Darlegung der Gründe, die für diese bzw. gegen die anderen möglichen Wiedergaben von 11DK sprechen. Dies soll hier im Anschluß an die ertragreichsten der bisherigen Forschungsbeiträge (dabei vor allem Scott 1960 und Bonnard 1979) erfolgen. Dabei werden die bisher diskutierten Möglichkeiten zunächst aufgelistet und die weniger plausiblen gleich ausgeschieden (a). Darauf folgt eine Diskussion der verbleibenden Möglichkeiten (ß), und schließlich soll eine Entscheidung getroffen werden (y). Als mögliche Kriterien für eine Argumentation schlägt Scott vor: „Of the various possible forms and meanings we must ask which (i) has the strengest support from the ancient versions, (ii) is most clearly reflected in later writings which quote or allude to this passage in Proverbs, and (iii) best suits the context." 3 2 0 317
GÖRG 1993a, 670.
318
Die Verbindung von f S S und ü y n t r j n p r o v 8,28 ist im AT singulär. Dazu s.u. S. 150f.
3,9 320
SCOTT 1 9 6 0 , 2 1 5 .
132
Die Texte über die Weisheitsgestalt
Zu ergänzen ist hierbei vor allem, daß die Variante möglichst der Schreibung des verläßlichsten Textzeugen, des masoretischen Textes321, entsprechen sollte. Dabei besitzt selbstverständlich der Konsonantenbestand ein größeres Gewicht als die masoretische Vokalisation. Allerdings ist darauf zu achten - und hier wäre Scott zu widersprechen daß die Bezeugung in den alten Versionen nicht von vorneherein stark gewichtet wird, sondern daß an der jeweiligen Textstelle geprüft wird, ob eine Version eher eine Übersetzung oder eine Deutung intendiert. Im Anschluß an die Diskussion bei Barr322 soll allerdings von Scott die Wichtigkeit des Kontextes für die Ermittlung der Wortbedeutung übernommen werden. a) Auflistung der Vokalisations- und Übersetzungsmöglichkeiten: Folgende Möglichkeiten der Vokalisierung und Übersetzung sind für •pEN vorgeschlagen worden 323 : 1. liOS; verstanden als Variante zu IHK (oder umvokalisiert l a s ) in Cant 7,2. Die Schreibung liöN findet sich im Alten Testament außer in Prov 8,30 lediglich einmal in Jer 52,15, wobei es zumeist als Lehnwort des akkadischen umm(i)änu/ummänu(m) angesehen und mit „Werkmeister, Handwerker, Künstler" übersetzt wird. 324 2. TiZDK oder "pON325; als Part. pass. Q. von p x kommt es im Alten Testament nur im Plural und nur in Thr 4,5 vor. Es wird mit „gestützt, getragen" übersetzt 326 und bezeichnet an dieser Stelle kleine Kinder. 327 Die Substantivierung dieser Form läßt sich also - analog zur Substantivierung des Part. akt. Q. „Erzieher, Wärter, Amme" 328 - mit „Säugling, Schoßkind" übersetzen. 3. IIBK329 oder *TlOK/*lias330; dieses Adjektiv wird ebenfalls von der Wurzel l ö s abgeleitet. Es wird mit „treu, zuverlässig" übersetzt und ist in 321
S. oben S. 62-66. BARR 1965, 219 in seiner Kritik am Vorgehen des ThWNT. Die Auflistung folgt weitgehend derjenigen von SCOTT 1960. Bei der Diskussion von p a s muß das Problem berücksichtigt werden, daß in der Forschung bisher nicht geklärt werden konnte, ob es im biblischen Hebräisch eine (so JEPSEN 1973a, 316 sowie GESENIUS 18 , 73) oder zwei Wurzeln (so HAL, 61f. sowie WILDBERGER 1978, 180) des Wortes 1 » S gibt. Die vor allem von GÖRG ( Z . B . 1990, 127f.; 1991, 99f.) vertretene Deutung von liaK in Prov 8,30 als - im AT singulare - Prädikation JHWHs mit dem Namen des ägyptischen Schöpfergottes Amun scheint doch zu unwahrscheinlich; sie soll hier deshalb nicht weiter diskutiert werden. 324 So bei GESENIUS 18 , 7 4 sowie H A L , 6 0 . 6 2 . 325 Beide Vokalisationen sind möglich; vgl. GK 28 , § 84 h. 322
323
326 327 328
329 330
GESENIUS 18 , 7 3 . S o z . B . b e i KAISER 1 9 9 2 , 179f. GESENIUS 18 , 7 3 .
AaO. 72. HAL, 60.
Textuntersuchungen
zu Prov 8
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II Sam 20,19; Ps 12,2; 31,24 (sowie in Sir 37,13) belegt. Die Substantivierung des Adjektivs findet sich mit der Schreibweise ""pas/ias als „Treue, Zuverlässigkeit" in Dtn 32,20; Jes 26,2 sowie in Prov 13,17; 14,5; 20,6.331 4. l i a s soll nach de Boer als Ableitung von „Mutter" DK in zwei Bedeutungen übersetzbar sein: „(a) ,mother-officiar, a descriptive term for the function of counsellor, or (b) ,little mother', a diminutive ..," 332 Folgende Vokalisierungen und Übersetzungen sind unter geringfügiger (5. und 6.) bzw. weitergehender Veränderung (7.) des masoretischen Konsonantenbestandes möglich: 5. "jax; das substantivierte Part. akt. mask. Q. von lax kommt in Nu 11,12; II Reg 10,1.5; Jes 49,23; Est 2,7 in der Bedeutung „Erzieher, Wärter, Vormund, Pflegevater" vor. 333 6.1DK in gleicher Schreibung wie 5., nur in nicht substantivierter Bedeutung, wird von Scott334 als „binding, uniting, fashioning" wiedergegeben. 335 7. Ii an wird als Konjektur von Stecher336 vorgeschlagen, der das Wort als „unter Saitenspiel" (als Inf. Nif. von "pa von „Saite", abgeleitet) wiedergibt. Das Verb p a ist im Alten Testament sonst nicht belegt. Diese Vokalisations- und Übersetzungsmöglichkeit ist nach der begründeten Kritik von Rüger337 beiseite zu lassen. ß) Diskussion der verbleibenden Möglichkeiten (1., 2., 3.): 1. l i a s als „Werkmeister, Handwerker, Künstler": Diese Möglichkeit wird in zweierlei Weise vertreten: zum einen in bezug auf die Weisheit und zum anderen in bezug auf JHWH. 3 3 8 Dabei wird von 331 Ebd. sowie GESENIUS18, 74. Diese Möglichkeit vertritt BONNARD 1966, 21: „la fidélité même"; allerdings nur alternativ zur „Werkmeisterin"-Deutung. 332 DE BOER 1955, 70. Abgesehen davon, daß DE BOER seinen Vorschlag kaum untermauert, fehlt dieser Variante ebenfalls die Bezeugung in alten Übersetzungen. Diese Variante soll daher im folgenden nicht weiter berücksichtigt werden. 333 Die rabbinischen Belege für diese Wiedergabe von l i a s als l a s „Pädagoge, Pfleger" führt RÜGER 1977, 158, auf. - Die feminine Form zur diskutierten Variante liegt mit D i a s in II Sam 4,4; Ruth 4,16 mit der parallelen Bedeutung „Wärterin, Amme, Pflegemutter" vor; jeweils nach HAL, 62 sowie GESENIUS18, 73. 334
SCOTT 1 9 6 0 , 2 1 9 .
Diese Interpretationsmöglichkeit von lias ist - entgegen der Behauptung von SCOTT - wegen der fehlenden Belege in alten Übersetzungen im folgenden zu vernachlässigen. 335
336
337
STECHER 1 9 5 3 , 4 3 5 .
RÜGER 1977, 155f. Er weist daraufhin, daß an Stechers Belegstelle für einen ähnlichen Ausdruck - N a h 3,8 - lias nicht mit àpnôÇco (das im betreffenden Vers ebenfalls vorkommt) wiedergegeben, sondern lediglich als Ajicov transskribiert wird. 338 Hinter diesen unterschiedlichen Zuordnungen stehen mehrere Probleme. Zum syntaktischen Problem läßt sich mit KEEL 1974a, 16 bemerken, daß bei einer klaren Zu-
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Die Texte über die Weisheitsgestalt
der Mehrzahl der Exegetinnen und Exegeten die erste Variante vertreten, 339 also die Übersetzung „Werkmeisterin" etc. in bezug auf die Weisheit. Eine Bedeutungserweiterung für das Wort in Richtung auf „Expertin" hat Gaster340 vorgeschlagen. Die Überlegungen derjenigen, die diese Übersetzungsvariante vertreten, gehen auf die LXX-Übersetzung des Wortes als ápiiói^oocra und die im Anschluß daran wiedergebende Peschitta, Vulgata und einige Rabbinen zurück. Auch Weish 7,21; 8,6 scheint mit der Titulierung der Weisheit als xzyylxic, diese Übersetzung zu stützen. Inneralttestamentlich findet sich das Wort - wie bereits oben erwähnt in dieser Form nur in Jer 52,15 und in anderer Schreibweise in Cant 7,2. Gegen die genannten Argumente läßt sich folgendes einwenden: Zunächst ist die LXX-Wiedergabe des Wortes nicht zwingend als dessen sinngemäße Übersetzung anzusehen. Wie bereits Sellin bemerkt hat 341 , ist es durchaus möglich, daß die Proverbien-Septuaginta und die Weisheit Salomos umdeutende Interpretationen der Stelle sind. Gerleman hat diese These untermauert, indem er rivou|i£vr| durch Aquila angeführt, der sich um eine wortgetreue Übersetzung des hebräischen Textes bemüht hat. Die Bedeutung des griechischen Wortes kommt der hier vorgeschlagenen hebräischen mit „Gepflegte, Gewartete" sehr nah. 357 352
DISO, 17. Diese Deutung wird z.B. von LIPIÑSKI 1988, 63 vertreten: „Les mots 'âmôn (Prov 8,30) et mmän (Cant 7,2) ne sont peut-être, que des variants dialectales ou orthographiques d'un vocable emprunté à l'akkadien ummânu, „maître d'œvre", forme contactée d'ummiânu." 354 SELLIN 1 9 0 5 , 1 7 : „In v. 2 6 - 2 9 ist so scharf wie nur möglich gesagt, Gott selbst habe das All geschaffen, so daß daneben ein anderer Werkmeister gar keinen Raum hat, vgl. 3,19. Zweitens, seit wann ist es die einzige Tätigkeit eines solchen, zu spielen und zu scherzen?" 355 Dogmatische Argumente, wie sie oft gegen die sich in der „Werkmeisterin"-Übersetzung andeutende Mitschöpferinnen-Rolle der Weisheit vorgebracht werden, sollen an dieser Stelle als für exegetische Entscheidungen irrelevant beiseite gelassen werden; anzuführen seien hier exemplarisch STECHER 1953, 473; D O N N E R 1957, 9 Anm. 3 sowie trotz der Übersetzung „Werkmeisterin" - STEIERT 1990, 293. 353
356
S o b e i K A Y A T Z 1 9 6 6 , 9 6 ; L A N G 1 9 7 5 , 1 0 7 ; R Ü G E R 1 9 7 7 ; SCHIMANOWSKI 1 9 8 5 , 3 2 f . ;
A . MEINHOLD 1991,
134.
gibt TIIÎT|VÉCO mit „warten, pflegen" wieder; 1966, 1792 übersetzen es mit „take care of, tend, nurse". 357
REHKOPF 1989, 2 8 7
LIDDELL/SCOTT
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zu Prov 8
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Daneben kommt - wie oben schon erwähnt - "pöK in dieser Bedeutung im Alten Testament in Thr 4,5 und an der gleichen Stelle auch xiur|vo6Hevoi in LXX vor. Wie Rüger in seiner im vorangegangenen Abschnitt genannten wortgeschichtlichen Untersuchung ausgeführt hat, spricht seiner Meinung nach vor allem die rabbinische Exegese des Wortes dafür, 1ÍDK als „Schoßkind" wiederzugeben. Des weiteren paßt sich die Bedeutung „Schoßkind" für TiöK ohne Schwierigkeiten in den Kontext ein. Es läßt sich sowohl mit der Tatsache in Deckung bringen, daß die Weisheit gerade erst erschaffen wurde (V. 24f.), 358 als auch damit, daß sie JHWHs Freude ist und vor ihm und den Menschen auf dem Erdkreis spielt (V. 30bc.31). Als Probleme bei dieser Übersetzung von l i n s sind lediglich diejenigen (grammatischen) zu nennen, die sich auch bei einer Deutung als „Werkmeisterin" stellen: zum einen die Tatsache, daß es sich bei TiSX nicht um ein Femininum handelt, sowie zum anderen die für eine Apposition ungewöhnliche Stellung des Wortes. Nach den oben 359 referierten Argumenten ist es trotz der vorhandenen Schwierigkeiten möglich, 1Í0N als Substantiv zu übersetzen und auf die Weisheit zu beziehen, so daß nichts einer Übersetzung als „Schoßkind" entgegensteht. 3. TtOK/*^»»? Eine Wiedergabe des l i a s als Adjektiv in den oben genannten Formen ist nicht möglich, da im Hebräischen - im Unterschied zum Substantiv 360
358 Ob es angemessen ist, wie SELLIN ZU argumentieren, sei hier dahingestellt: „Der Gedankengang ist der: Das Werden und Wachstum der Weisheit verläuft ganz nach den natürlich-menschlichen Stadien, vor Urzeiten ist sie als Embryo im Mutterleibe gewirkt v. 22, als die Welt noch nicht war, wurde sie geboren v. 24-26, und als Gott die Welt in die Wirklichkeit rief, war sie ein spielendes, von ihm gepflegtes Kind v. 30f." Auf jeden Fall soll die Argumentation SCOTTS einer Überprüfung unterzogen werden. SCOTT behauptet zum einen (1960, 218): „The metaphor of begetting and birth is used elsewhere of the origin of earth and mountains, sea and dew, without any suggestion that these are personified." Dies trifft nicht zu, wie schon die beiden vorherigen Exkurse zu rnp und "130 verdeutlichen. Auch wird "jti durchaus für das Geborenwerden von - realen oder bildlichen - Personen verwendet, vgl. z.B. Jes 13,5; 26,17f.; 45,10; 54,1; 66,7; Jer 4,13; Mi 4,10. Zum anderen geht SCOTT von einer - durch KEELS Untersuchung (KEEL 1974a, 1722) als unrichtig erwiesenen - Wiedergabe von pniP als u. a. „ritual singing and dancing" (SCOTT 1960, 218) aus und formuliert als Konsequenz: „The fact is that the thought of Wisdom as a child playing is not really congruous with the total context of Prov. viii, and its suggestions, based on the metaphors of birth and play, is superficial." (SCOTT ebd.) Aus dem Vorgenannten geht hervor, daß diese Schlußfolgerung SCOTTS nicht zutreffend ist. 359 S.o.S. 133f. Anm. 338. 360 Vgl. ebd.
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Die Texte über die
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- beim Adjektiv zwingend eine Flexion stattfindet und sich in bezug auf die Weisheit mithin eine feminine Form finden müßte. Dagegen wäre die Annahme eines Adverbs der Wurzel p x möglich, das dann ""pöK vokalisiert werden könnte und die Bedeutung „in treuer, beständiger Weise" hätte.361 Diese Übersetzungsmöglichkeit wird bisher - zu Unrecht - nicht 362 vertreten. Sie kann aber in grammatischer wie lexikalischer Hinsicht durchaus in Betracht kommen. Auch würde sie innerhalb des Kontextes einen passenden Sinn ergeben. Gegen diese Möglichkeit spricht, daß bisher kein Adverb mit dieser Vokalisation und Bedeutung im alttestamentlichen Hebräisch bekannt ist. Zum zweiten existiert von der Wurzel 1!3X bereits die adverbielle Zustimmungspartikel 363 1ÖK, die - außer in Dtn 27,15-26, wo sie in jedem Vers vertreten ist - elfmal im Alten Testament vorkommt. Von den alten Textzeugen lesen allerdings Symmachus, Theodotion sowie das Targum •pas in der Bedeutung „fest". y) Entscheidung Nach Abwägung der in der vorangegangenen Diskussion genannten Argumente läßt sich resümieren, daß die Übersetzungsmöglichkeit 2., „Schoßkind", dem Sinn des hebräischen liax in Prov 8,30 am nächsten zu kommen scheint. Gegen diese Wiedergabe sprechen keine gravierenden Gründe. Dagegen handelt es sich bei Möglichkeit 1., der „Werkmeisterin", wohl um eine deutende Übertragung (AI Tiqre) im Anschluß an Cant 7,2 und eventuell Jer 52,15, die zudem kaum in den Kontext von Prov 8,22-31 zu integrieren ist. Die Möglichkeit 3., l i a s als Adverb zu verstehen, ist aufgrund des fehlenden Vorkommens des Wortes im Alten Testament und des parallel vorkommenden l^S unwahrscheinlich. So ist - im Anschluß an die vorsichtige Formulierung bei van Dorsseni64 - die Übersetzung „Schoßkind" für zu favorisieren.
361
Diesen Hinweis verdanke ich Manfred WEIPPERT, Heidelberg. Eine Ausnahme bildet hierbei BONNARD 1966, 21, der das Wort allerdings als Substantiv wiedergibt; vgl. oben S. 133 Anm. 331. 362
363
364
GESENIUS 18 , 7 4 .
„Op de vraag, of de Wijsheid hier den dichterlijk gepersonificeerd is als .troetelkind' of als ,werkmeester', is het antwoord misschien niet met absolute stelligheid te geven, maar, naar het ons voorkomt, zijn de sterkste argumenten aan de zijde van hen, die hier willen vertalen .troetelkind, pleegkind'." VAN DORSSEN 1951, 33.
Textuntersuchungen zu Prov 8
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h) Die Weisheit als vor J H W H spielendes Vergnügen (Prov 8,30f.) npntP?? in Prov 8,30f. ist - wie die Untersuchungen von KeeP65 und Bartelmus366 erweisen - nicht primär als „Tanzen", sondern als „Spielen" der Weisheit vor J H W H zu verstehen. Die Grundbedeutung von pntVpnx Pi. ist mit Jenni als „eine fröhliche Tätigkeit, die aus verschiedenen, abwechslungsreichen, aufeinanderfolgenden Einzelaktionen besteht", zu bestimmen. 3 6 7 n p n ^ P trifft dabei eher eine Aussage über die Wirkung des Spielens der Weisheit, als daß der Charakter des Spiels dadurch näher bestimmt würde. Auch ist - entgegen der gängigen Auslegung 368 - zu beachten, daß die Weisheit keineswegs für J H W H spielt, sondern „vor ihm" bzw. „auf seinem Erdkreis" 3 6 9 tätig ist. Hier liegt also eher eine Lokalisierung der Weisheit als eine Näherbestimmung der Beziehung zu J H W H vor. 370 Analog dazu ist die Weisheitsgestalt auch in V. 30b nicht das Vergnügen JHWHs, sondern das Vergnügen an sich. Sie ist also Mittelpunkt des Geschehens. J H W H ist in V. 30f. lediglich in drei Suffixen (V7XK, VJD1?, iX"lK) präsent; die Weisheit dagegen ist durchgängig handelndes Subjekt. Sie ist es, die spricht. J H W H kommt nicht zu Wort; seine Taten werden von der Weisheit zur Sprache gebracht. Zu diesem sehr machtvollen Verhältnis der Weisheit gegenüber J H W H paßt die Beobachtung von A. Meinhold zu rPHST: „Das erste hebräische Wort von V.30b.c ist dasselbe wie das erste Wort von V. 30a (,und ich war'). Diese Doppelung ergibt eine beredte Anspielung auf die Erklärung des JHWH-Namens in 2.Mose 3,14. Aber während es dort zweimal 'aehjae ,Ich werde dasein, als der ich (für euch) dasein werde' heißt, steht hier zweimal
w ä'aehjae
,Da war ich'.
Die Weisheit war nicht an sich, sondern lediglich neben ihm, und ihre Gottunmittelbarkeit wird nicht für alle Zeiten, sondern nur für die Schöpfung ausgesagt." 371
Diese Deutung durch A. Meinhold greift m. E. etwas zu kurz; sie wird den theologisch weitreichenden und innerhalb des nachexilischen israelitiKEEL 1974a, 60-65. BARTELMUS 1993, 7 4 2 . 367 JENNI 1968, 156. 368 Z . B . die Auslegung von KEEL 1974a, 63 oder A . MEINHOLD 1991, 147. 369 Für das Part. Pi. PNTR + 3 in V. 31 ist mit BARTELMUS 1993, 7 4 2 eine lokale deutung anzunehmen; desgleichen JENNI 1992, 187. 370 LINK bezieht in seiner systematisch-theologischen Arbeit zur Schöpfung 365
366
Be-
das „Spiel" der Weisheit in Prov 8,30f. auf das Verhältnis des Menschen zur Schöpfung (1991, 373-377). Er gelangt bei der Entfaltung des Gedankens vom Weltgeschehen als Spiel zu der Konsequenz, daß der Mensch bei einer solchen Sichtweise nicht mehr so stark im Mittelpunkt der Schöpfung steht - eine Konsequenz, die in der vorliegenden Arbeit - allerdings aus anderen Gründen - auch gezogen wird (unten auf S. 151). 371
A . MEINHOLD 1991, 146f.
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Die Texte über die
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sehen Monotheismus gewagten Aussagen der V. 22-31 und insbesondere von V. 30f. nicht gerecht. Die Weisheit ist zwar Geschöpf JHWHs; sie wird wie ein Kind von JHWH geboren und ist das „Schoßkind" bei ihm. Diese Nähe oder - nach A. Meinhold - „Gottunmittelbarkeit" kann jedoch außer von ihr sonst von keinem Teil seiner Schöpfung selbst zur Sprache gebracht werden. Die Weisheit ist derart gleichrangig mit Gott, daß im zweimaligen rPHNl die Rede von ihrer Anwesenheit bei der Schöpfung eine Anspielung auf JHWHs Dasein für Israel in Ex 3,14 enthalten kann. In ihrer Selbstidentifikation als „Vergnügen" in V. 30b verwendet die Weisheit einen sprachlichen Topos, der sonst Größen in der Nähe JHWHs (Israel in Jes 5,7; Ephraim in Jer 31,20) oder in Ps 119 die Wirkung von JHWHs n-iin (Ps 119,77.92.174), n m (Ps 119,24) o d e r n i s p (Ps 119,143) bezeichnet. Die Weisheit ist also Vergnügen,372 das bei der Weltschöpfung JHWHs zugegen gewesen ist. Diesem ihrem Wesen entsprechend „spielt" sie (V. 30c. 31a) vor JHWH auf dessen Erdkreis. Hier ist, wie oben schon gesagt, eine zweckfreie und lustbetonte Beschäftigung der noch jungen Weisheit gemeint. Von einer Ausrichtung des Spiels auf JHWH ist nicht die Rede. Die Aussageintention scheint eher in eine andere Richtung zu gehen: Zu Anfang der Schöpfung war es noch nicht Aufgabe der Weisheit, die Menschen zu ermahnen und zum gerechten Lebenswandel anzuhalten; die Haupttätigkeit der Weisheit bestand im Spiel und ihrem eigenen Erfreuen an den Menschen. In V. 31b wird eine Aussage über den ethischen Zustand der Menschheit im Uranfang der Welt getroffen. Die Menschen handelten zu dieser Zeit noch so, daß die Weisheit an ihnen „ihr Vergnügen" haben konnte. Dieser Versteil leitet damit über zu den folgenden, Kap. 8 abschließenden Versen (32-36), die bezeichnenderweise mit dem kontrastierenden nnsn beginnen. War vorher von der uranfänglichen Zeit die Rede, so versetzt die Weisheit ihr Publikum nun wieder in die beiden Seiten weniger Vergnügen stiftende „Jetzt"-Zeit. i) Das Gottesbild von Prov 8,22-31 Um das Gottesbild des Textabschnitts zu untersuchen, sind vor allem die Verben in den Blick zu nehmen, die JHWH zum Subjekt haben. Sie lassen sich in drei Gruppen unterteilen: in Verben des Machens (mp, des Ausgestaltens u n d O r d n e n s (573Ü Hof., yi3 Hif., p p n , f Ö S Pi., TT5?
und Q,tP) sowie des Hervorbringens ("po Nif. und Vn Pol.). Die zur ersten und zweiten Gruppe gehörigen Verben sind bereits oben 373 näher betrachtet und ausgewertet worden. Durch die schmale Erwähnung des „Ma372 373
Dazu s. KEEL 1974a, 61. S.o. S. 122-131.
Textuntersuchungen zu Prov 8
141
chens" und die sehr breit bezeugte des Ausgestaltens und Ordnens liegt der Schwerpunkt des Gottesbildes in bezug auf diese beiden Gruppen von Schöpfungsaussagen eindeutig auf dem letztgenannten Aspekt. Nun steht noch eine genauere Untersuchung der dritten Verbgruppe aus. Auf die Bedeutung von "130 Nif. wurde oben 374 schon genauer eingegangen. Nach der Auswertung der in Frage kommenden Vokalisationsund Übersetzungsmöglichkeiten ist dort die Entscheidung zugunsten der Bedeutung „gewoben, geformt" gefallen. Es ist jetzt noch das bisher nicht eingehender betrachtete ^Tl Pol. zu analysieren. Wie auch in den altorientalischen Parallelvorkommen ist die Grundbedeutung von "7'n Q. als „in Geburtswehen liegen, kreißen" belegt.375 Es „ist zusammenfassender Ausdruck für den ganzen Zustand zwischen dem Einsetzen der Geburtswehen und der Geburt selbst."376 Dabei wird es - außer im Polel - auch in übertragener Bedeutung zur Beschreibung von Zuständen des Schmerzes oder des Ausgeliefertseins verwendet.377 Im Polel kommt das Verb - außer in Prov 8,24f. - noch an zwei anderen Stellen im Alten Testament vor: in Ps 51,7 sowie in Hi 15,7. An beiden Stellen wird vom Geborensein eines menschlichen Individuums gesprochen; analog dazu ist wohl auch Prov 8,24f. zu deuten. Nach dieser Beschreibung der Bedeutung von "7T1 Pol. ist anzumerken, daß sich damit in Prov 8,22-31 schon ein zweiter Hinweis auf eine gynomorphe Tätigkeit JHWHs findet. Der erste Hinweis liegt bei "po Nif.378 vor: JHWH hat die Weisheit „gewoben". Das Bild verwendet die Analogie zu einer im Alten Israel typischerweise von Frauen ausgeübten Tätigkeit.379 Und auch ein dritter Hinweis auf diesen Aspekt des Handelns JHWHs bei der Erschaffung der Weisheit fällt ins Auge: Das Spiel der Weisheit vor JHWH als dessen Schoßkind verweist erneut auf eine gynomorphe Tätigkeit. Allerdings läßt sich i n s Q., von dem Tins abgeleitet ist,380 nur an zwei Stellen eindeutig auf Frauen beziehen. Als Partizip femininum Q. n i a s tritt es in II Sam 4,4 und Ruth 4,16 auf. Hier geht es um das Pflegen sehr kleiner Kinder wohl durch eine Amme. Grammatisch maskulin erscheint die Form TDK in Num 11,12; II Reg 10,1.5; Jes 49,23 sowie Est 2,7. Davon beziehen sich II Reg 10,1.5 und Est 2,7 auf Vormünder, d.h. Pfle374
S. o.S. 120-122. 1977b, 898f. 376 AaO. 899. 377 Ebd. 378 S. o. S. 120-122. 379 So UTZSCHNEIDER 1 9 9 1 B , entlehnt ist. 380 S.o. S. 131-138. 375
A . BAUMANN
79,
von dem hier der Begriff „gynomorphe Tätigkeit"
142
Die Texte über die
Weisheitsgestalt
gepersonen mit in juristischem Sinne mitentscheidender Kompetenz über das Leben der - schon älteren - Kinder. Diese Funktion wird nicht im Wort selbst, sondern im größeren Zusammenhang der Texte ausgesagt. Eine andere Bedeutung findet sich in N u m 11,12; dort beklagt sich Mose, daß er Israel wie einen Säugling an seiner Brust tragen soll, ohne daß er es im Schoß getragen oder geboren hätte. D a ein Säugling gestillt werden muß, ist anzunehmen, daß das Bild hier von einer weiblichen Pflegeperson spricht, also von der leiblichen Mutter oder einer Amme. In Jes 49,23 dagegen weisen Form ( T i p x ) und Bezugswort (D1?1???) auf männliche Pflegepersonen hin. Die Mehrzahl der Stellen, an denen p K Q. ohne nähere Qualifizierung in juristischem o. ä. Sinne verwendet wird, deutet jedoch darauf hin, daß es sich bei der Pflege von Säuglingen oder kleinen Kindern um eine Tätigkeit gehandelt hat, die im Alten Israel vorwiegend von Frauen ausgeübt wurde. 381 Wird in Prov 8,30 auch der Kontext des Spielens der Weisheit an der Seite und vor ihrem „Pfleger" J H W H berücksichtigt, so läßt sich eher an eine betreuende Rolle J H W H s gegenüber dem „Schoßkind" Weisheit als an die des Vormunds ihr gegenüber denken. Es ist also auch für die in diesem Vers ausgedrückte Tätigkeit J H W H s anzunehmen, daß es sich dabei um eine gynomorphe Tätigkeit handelt. Nicht eindeutig auf eine typische Frauentätigkeit, aber auch in Richtung auf ein Bild von Elternschaft weist eine Bedeutungsnuance von in V. 22. Wie schon oben 382 ausgeführt wurde, läßt sich die Bedeutung des Wortes nicht eindeutig auf „erwerben" oder „erschaffen" festlegen. Daneben wird im Alten Testament auch als Ausdruck der Mutter- oder Vaterschaft verwendet: in Gen 4,1 von Evas Hervorbringen eines Mannes zusammen mit JHWH 3 8 3 sowie in Dtn 32,6 von JHWHs Vatersein und Erzeugerrolle gegenüber Israel.
Es läßt sich zusammenfassen, daß bei der Bestimmung des Verhältnisses von J H W H zur Weisheitsgestalt in Prov 8,22-31 Ausdrücke verwendet werden, die sonst im Alten Testament ganz überwiegend typische Frauentätigkeiten beschreiben. Im Anschluß an Utzschneiders Terminologie 384 kann deshalb in bezug auf diesen Aspekt von einem gynomorphen Gottesbild in Prov 8,22-31 gesprochen werden. Die Erschaffung der Weisheitsgestalt wird in diesem Abschnitt in den Termini der (menschlichen) Individualschöpfung zum Ausdruck gebracht. Die Weisheitsgestalt ist durch diese „Schöpfungsart", wie Yee heraushebt, von der übrigen Schöpfung
381
„Die Tätigkeit der Frau umfaßte neben der Kindererziehung vor allem die Fürsorge für Nahrung und Kleidung." FRITZ 1990, 148. 382 S. o. S. 116-118. 383 So LIPINSKI 1993a, 6 7 . 384 UTZSCHNEIDER 1991b, 79.
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zu Prov 8
143
unterschieden. 385 Durch die Metaphorik der „Schöpfungsart" ist die Weisheit gleichzeitig stärker mit J H W H verbunden als die übrige Schöpfung: Als von J H W H Geborene steht sie ihm näher als das, was von ihm lediglich gemacht oder gestaltet worden ist. 386 Gegenüber der Welt erscheint J H W H in diesem Textabschnitt als Erschaffer, noch mehr aber als Ordner der Schöpfungselemente. Das Verhältnis beider Aspekte zueinander - gynomorphes Gebären und Machen/Ordnen - wird im Text nicht explizit thematisiert. Allerdings befinden sich die gynomorphen Aspekte gegenüber denen der Welterschaffung und -Ordnung in rahmender Stellung, nämlich am Anfang - in V. 22-25 - und gegen Ende - in V. 30 - des Textes. Dadurch wird ihre Bedeutung und mit ihr die Bedeutung der Weisheitsgestalt hervorgehoben. j) Die Weisheitsgestalt - Mitschöpferin oder Geschöpf? Diese Frage konnte in der Forschung zur Weisheitsgestalt bisher nicht geklärt werden. Läßt sich hier nach der Textuntersuchung eine Entscheidung fällen? Zunächst ist dafür das Verhältnis der Weisheitsgestalt zu den anderen Werken J H W H s zu bestimmen. Durch rrtPN~i in 8,22a wird verdeutlicht, daß die Weisheitsgestalt am Anfang des Schaffens J H W H s entstanden ist. 387 V. 22b bezeichnet die Weisheitsgestalt als „das früheste seiner [JHWHs] Werke von jeher". 388 Die Weisheitsgestalt ist also Geschöpf JHWHs, und zwar das allererste. Die Verben, die ihr Geschaffensein durch J H W H zum Ausdruck bringen, werden sonst im Alten Testament im Kontext der Individualschöpfung verwendet. 389 In der Weisheitsgestalt erscheint also ein von J H W H wie ein Mensch gestaltetes und hervorgebrachtes Geschöpf. Zu der Frage, ob die Weisheit auch Mitschöpferin ist, schweigt der Text. Die meisten Vermutungen über eine kreative, also mitschöpferische Rolle der Weisheitsgestalt in Prov 8,22-31 lehnen sich entweder an die Überset385 YEE 1992, 90: „While metaphors of the Wisdom's origin are those of birth, the metaphors describing the creation of the world in Strophe D/D' [= V. 27-30] are those of construction and building. Thus the origin of Wisdom is envisioned metaphorically as comparable to that of human beings themselves. Her beginning is not only temporally but also qualitatively distinct from the rest of the created world." 386 So auch aaO. 91.95. 387 Zu i r t f J O s.o. S. 118-120. 388 D a ß ip bei v ' j y p a an dieser Stelle eher partitiv - „seiner Werke" - statt temporal „seit seinen Werken", „von ... an" - zu verstehen ist, sei hier nur angemerkt, da es an der Auslegung dieser Stelle nichts ändert. Die Vorzeitigkeit wird eindeutig durch die Worte Dip und TSn ausgedrückt. 389 Näheres zu den Verben der Erschaffung der Weisheitsgestalt s. o. auf S. 116-118; die prägnantesten Parallelen zu nap und "po Nif. finden sich in Ps 139,13 und Hi 10,11; dazu vgl. oben S. 120-122.
144
Die Texte über die Weisheitsgestalt
zung des umstrittenen liax 3 9 0 an oder sie ziehen außerhalb dieses Abschnitts zu findende Texte und Traditionen als Belege heran. 391 Die einzige explizite Aussage über die Rolle der Weisheitsgestalt bei der Schöpfung, die in Prov 8,22-31 getroffen wird, ist die über ihre Anwesenheit, ihr Dabeisein in Prov 8,27aß. Diese Anwesenheit wird noch näher beschrieben. Die Weisheitsgestalt bewegt sich in spielender Weise vor J H W H auf dessen Erdkreis (V. 30c.31a). 392 Die Weisheit als J H W H s Schoßkind in V. 30a ist in V. 30b angesichts der Schöpfung das pure Vergnügen und erlebt gleiches bei den Menschen (V. 31b). Ob sie gestaltend bei der Schöpfung J H W H s mitgewirkt hat oder ob ihre Freude in den Kosmos eingegangen ist, bleibt im Text offen. Die Frage danach, ob die Weisheitsgestalt in Prov 8,22-31 als Mitschöpferin tätig ist, muß also nach Auswertung der expliziten Textaussagen verneint werden. 393 Bestritten sei damit nicht, daß der Text die Weisheit als „Weltordnungsexpertin" darstellt und eine in diese Richtung gehende Tätigkeit impliziert. Allerdings findet sich innerhalb von Prov 1-9 neben 8,22-31 in Prov 3,19f. eine zweite wichtige Aussage, die zu diesem Problem Stellung bezieht. Sie soll weiter unten untersucht werden. 394 k) Exkurs: Das Verhältnis von Prov 8,22-31 mentlichen Schöpfungstexten395
zu ausgewählten
alttesta-
Das Ziel dieses Abschnitts ist es nicht, exegetische Einzelprobleme der jeweiligen Vergleichstexte zu diskutieren. Statt dessen ist der Vergleich von Motiven, Textstrukturen oder Anklänge einzelner Worte beabsichtigt, um zu zeigen, auf welche alttestamentlichen Traditionslinien sich Prov 8,2231 bezogen haben kann oder welche beiseite gelassen worden sind.
390 Dazu s. o. S. 131-138; dort auch Vertreter der einzelnen Positionen. Wird die von mir zurückgewiesene Wortübersetzung „Werkmeisterin" gewählt, so fällt in der hier behandelten Frage die Antwort eindeutig positiv aus. 391 Z. B. an die Rolle der Weisheit in Hi 28, die sich in den Versen 25-27 als eine Art „Bauplan" der Welt verstehen läßt. In christlichem Verständnis hat Jesus Christus im Hymnus Kol 1,15-20, der sich in vielen Elementen an Prov 8,22-31 anlehnt, mitschöpferische Funktion, vgl. Kol 1,16c. Ähnlich verhält es sich mit dem Prolog des Johannesevangeliums, insbesondere Joh 1,3. 392 Dazu vgl. oben S. 139f. 393 Dagegen nimmt z.B. KEEL 1974a, 63 an, daß das kultische Spiel der Weisheit einen aktiven Einfluß auf JHWH und dadurch auf das Schöpfungsgeschehen ausübt. 394 S. u. auf S. 236-238. 395 Über die hier ausgewählten Texte hinaus wären bei einem umfassenden Vergleich sicherlich noch andere in den Blick zu nehmen. Exemplarisch sei auf die Untersuchung
von GOSSE 1993, 189-193 verwiesen, die die Beziehungen zwischen Jes 40,12-24 und
Prov 8,12-31 zum Thema hat.
Textuntersuchungen
zu Prov 8
145
a) Gen 1,1-2,4a Zu einem Vergleich der Texte Prov 8,22-31 und Gen 1,1-2,4a stellt bereits Jastrow die These auf, daß es sich bei Prov 8 um eine „poetical paraphrase of the account of Creation in Genesis" 396 handelt. Dem soll an dieser Stelle zusammenfassend 397 nachgegangen werden. Es bestehen an mehreren Stellen parallele Vorstellungen zwischen beiden Texten: - In Gen 1,1-2,4a und Prov 8,22-31 werden Aussagen über die Schöpfung jeweils mit Aussagen über die Vorwelt kontrastiert. 398 Letztere unterscheiden sich in den Texten in ihrer sprachlichen Form und Ausdrücklichkeit. In Gen 1,2 wird die Vorwelt als Finsternis, Wasser und D'n'VN n n qualifiziert, wohingegen der Sachverhalt in Prov 8,24—26 etwas anders beschrieben ist. In den „Als-noch-nicht"-Formulierungen ist von einem vorweltlichen Zustand die Rede, der positiv in der Weise qualifiziert wird, daß zu dieser Zeit bereits die Weisheit als vorgeschöpfliche Gestalt existierte. - In beiden Texten spielt Erschaffen als Ordnen eine große Rolle.399 Allerdings ist im Unterschied zu Gen 1 in Prov 8,22-31 eine Schöpfung durch das Wort nicht vorhanden. - In beiden Texten wird der Himmel als erstes der von Gott/JHWH geschaffenen räumlichen Werke genannt. 400 In Gen 1,6-8 wird durch das Machen von SPpn zwischen den Wassern unterschieden; SPp*] wird in V. 8 als D'/DW bezeichnet. In Prov 8,27 ist der Himmel das erste räumliche Schöpfungswerk nach den „Als-noch-nicht"-Formulierungen in 8,24-26, von dessen Schöpfung in positiver Weise die Rede ist und damit auch das erste Schöpfungswerk, bei dessen Erschaffung die Weisheit definitiv zugegen ist. - RPTT>N~i(3) kommt am Anfang beider Texte - wahrscheinlich in ähnlicher Wortbedeutung - vor.401 - Beide Texte sprechen von einem Wesen, einer Qualität, die schon vor der Weltschöpfung bei JHWH/Elohim war: von n n bzw. na?n. In anderen alttestamentlichen Schöpfungstexten fehlt eine vergleichbare prä396
397
JASTROW 1914, 125.
Detailliertere Vergleiche beider Texte liegen vor bei: WHYBRAY 1965; LANDES 1974
sowie BAUKS/G. BAUMANN 1994. 398
Dazu für Prov 8,22-31 s. o. S. 122f. Zu Prov 8,22-31 s. o. S. 129-131; zu Gen lf. s. z. B. SCHMIDT 1974, 168: „Die Ordnung, die sich im Aufteilen, Unterscheiden vollzieht, ist ein überaus gewichtiger Punkt der Ausführungen von Gen 1." 400 Gen 1,1 erwähnt den Himmel lediglich im Merismus „Himmel und Erde"; diese formelhafte Wendung ist mit „Welt" in ihrer gegenwärtigen und geordneten Form wiederzugeben und thematisiert nicht Himmel oder Erde an sich. Siehe dazu bereits GUNKEL 1964, 101. 401 Zur Übersetzung in Prov 8,22 s. o. S. 118-120. 399
146
Die Texte über die
Weisheitsgestalt
existente Gestalt. Es ist gut möglich, daß sich der Proverbien-Text bewußt an Gen lf. anlehnt, indem er die dort präfigurierte, bei Gott vor der Schöpfung befindliche Gestalt aufnimmt. Nach dieser knappen Aufzählung der Gemeinsamkeiten von Gen 1,110 und Prov 8,22-31 ist festzustellen, daß der eingangs aufgeführten These von Jastrow grundsätzlich zuzustimmen ist: Prov 8,22-31 ist eine Art von poetischer Paraphrase auf Gen 1,1-2,4a; allerdings unter eigener Ziel- und Akzentsetzung. Die in Gen 1,1-2,4a auf den menschlichen Lebensraum konzentrierte Welt wird in Prov 8,22-31 in ein in horizontaler Weise angeordnetes Modell abgewandelt. Zielpunkt dieses Modells bleibt dabei die Erde mit den Menschen; seine Höhepunkte allerdings sind Himmel und Weisheit. An diesem Bereich sollen sich die Menschen ausrichten und nicht an der Unterwelt und der „törichten" bzw. „fremden Frau". Einzelne Elemente und Begriffe des ersten Schöpfungsberichts sind auf diese Weise in die Aussageabsicht der weisheitlich geprägten Verfasser eingepaßt worden. Sie bildeten offenbar ein Wissensgut, das es in Richtung auf eine bestimmte Ethik für die Menschen zu pointieren galt. ß) Gen 2,4b-25 Die Gemeinsamkeiten von jahwistischer bzw. vorpriesterschriftlicher Schöpfungserzählung und Prov 8,22-31 sind gegenüber den Unterschieden zwischen beiden Texten sehr gering. Bei genauerer Betrachtung kann nur von einer einzigen Parallele gesprochen werden: der Verwendung von „Als-noch-nicht"-Formulierungen in Gen 2,5. Wie in Prov 8,25a wird die Zeit vor der Weltschöpfung JHWHs in Gen 2,5a mit Hilfe von D"iü zum Ausdruck gebracht. In Versteil b geschieht dies durch S ^ + I ü ö Hif. (vgl. Prov 8,26a nitfi? «Vis?) bzw. "pN (vgl. Prov 8,24ab VX1). „Die vier negativen Sätze zusammengenommen bestimmen den Zeitpunkt des Erschaffens des Menschen als urzeitlich."402 Demgegenüber ist in Prov 8,22-31 die Weisheit das urzeitliche Geschöpf JHWHs. Auch sonst sind die Unterschiede zwischen beiden Texten zahlreich. An der Schöpfungsperspektive des Jahwisten, der Ausgestaltung des menschlichen Lebensraumes mit Pflanzen und Tieren und an der Menschenschöpfung selbst zeigt der weisheitliche Text kein Interesse. Ihm geht es um die Stellung der Weisheitsgestalt bei der Erschaffung des Kosmos und um ihre Stellung zwischen JHWH und den Menschen. Eine andere Beziehung zwischen der Weisheit in Prov 1-9 und Gen 2,4b-3 kann in der gemeinsamen Verwendung des Lebensbaum-Motivs in Gen 2,9; 3,22.24 und
402
WESTERMANN
1974b,
271.
Textuntersuchungen zu Prov 8
147
Prov 3,18 gesehen werden. 4 0 3 Das Essen vom „Baum der Erkenntnis" (Gen 2,9; 3,5) kann mit dem Erlangen von Weisheit verglichen werden. Allerdings wird dieser Baum in der Genesis vom eigentlichen Lebensbaum (Gen 2,9; 3,22.24) unterschieden. Das Verhältnis von Prov 3,18 zu Gen 2f. kann von daher in unterschiedlicher Weise gedeutet werden: Geht Prov 3,18 davon aus, d a ß die Menschen mittlerweile entgegen der Anordnung J H W H s (Gen 3,22-24) - durch weisheitliche Bemühungen befähigt - doch vom Baum des Lebens kosten können? Oder gibt J H W H den Menschen in Abänderung seines ursprünglichen Willens nun durch die Weisheitsgestalt doch Anteil an der Frucht des Lebensbaums? Oder ist der Lebensbaum in Prov 3,18 als Aufnahme eines altorientalischen Motivs ohne Bezug zu Gen 2f. zu verstehen? Die Beantwortung dieser Fragen bedürfte eingehenderer Untersuchungen, die hier aber nicht ihren Ort haben können. E s k a n n hier nicht abschließend geklärt werden, wie e n g die B e z i e h u n g z w i s c h e n Prov 1 - 9 u n d G e n 2f. ist. A u f g r u n d der v o r h a n d e n e n U n t e r schiede ist j e d o c h nicht a n z u n e h m e n , d a ß der Textabschnitt Prov 8 , 2 2 31 einen so ausgeprägten B e z u g zur j a h w i s t i s c h e n S c h ö p f u n g s e r z ä h l u n g herstellen m ö c h t e , w i e er ihn z u G e n 1 sucht. y) D e r Weisheitshymnus H i 28 T h e m a t i s c h ähnlich w i e in Prov 8 , 2 2 - 3 1 werden in d i e s e m „Weisheitsgedicht" 4 0 4 , insbesondere in der vierten Strophe (den Y. 2 0 - 2 8 ) , Weisheit u n d W e l t s c h ö p f u n g in ein Verhältnis zueinander gesetzt. 4 0 5 U n t e r s c h i e d lich ist dabei allerdings die A k z e n t u i e r u n g . sinn r x a naanni
20
: a n n o ? Q ' a w n n i s a i VT*?? T ? ? » a a * ? » ^
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21
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24
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403
Dazu vgl. unten S. 233-236. So FOHRER 1963, 392. Kapitel 28 ist wahrscheinlich einer Sonderüberlieferung außerhalb des Hiob-Dialoges zuzurechnen. Trotzdem ist nicht notwendig davon auszugehen (wie FOHRER, ebd.), daß es eine spätere Ergänzung zum bereits vollendeten Buch darstellt, die nicht dem Hiobdichter zuzurechnen ist. Dazu bestehen zu viele inhaltliche und stilistische Anknüpfungspunkte zwischen Hi 28 und Hi 38. 405 Eine sprachliche Verbindung zwischen Prov 8,22-31 und Hi 28,20-28 findet sich z. B. in der parallelen Verwendung von pfl HITS in Hi 28,26 und pfl •,tl> in Prov 8,29. 404
148
Die Texte über die Weisheitsgestalt
20 Woher kommt die Weisheit, und wo ist der Ort der Einsicht? 21 Sie ist vor den Augen alles Lebendigen verborgen, vor den Vögeln des Himmels ist sie versteckt. 22 Unterwelt und Totenreich sagen: „Mit unseren Ohren haben wir nur ein Gerücht von ihr vernommen." 23 Gott weiß den Weg zu ihr, und er kennt ihren Ort. 24 Denn bis zu den Enden der Erde blickt er, und unter den ganzen Himmel sieht er. 25 Als er das Gewicht des Windes bestimmte, und die Wasser mit einem Maß begrenzte, 26 als er dem Regen ein Ziel gab und der Gewitterwolke einen Weg: 27 Damals sah er sie (sc. die Weisheit) und hat sie abgezählt, er bestimmte und erforschte sie. 28 Und zum Menschen sprach er: Siehe, die JHWH-Furcht, das ist Weisheit, und das Meiden des Bösen ist Einsicht! In diesem Text wird von der vergeblichen Suche (V. 21) nach einer materiell vorgestellten Weisheit gesprochen. Im Unterschied zu Prov 8,22-31 ist hier nicht von einer personhaften Gestalt die Rede, sondern eher von einer dinglichen. 406 Diese Weisheit wird von Gott bei der Ordnung wichtiger Weltelemente entdeckt. Wie Steck ausführt, sind die Lebensbereiche in Hi 28 in einer ähnlich sinnhaften Weise angeordnet Prov 8,22-31: „Der Blick richtet sich nämlich zunächst [in Hi 28,1-22] breit auf die Horizontale (Erde und Meer jeweils samt ihrer Tiefe) und sodann knapp auf die menschlicher Aktivität entzogenen Bereiche darüber (Luftraum) und darunter (Unterwelt)." 407 Dabei geht es aber um die Vollständigkeit der Lebensbereiche und nicht, wie in Prov 8,22-31, um deren Abfolge. In allen Bereichen ist die Weisheit unauffindbar. Der positive Aussagegang in Hi 28,23-27 „orientiert sich an Zügen der Anlage des negativen." 408 Weisheit ist dabei nicht in einem einzelnen Schöpfungswerk zu finden: „Nur dem Gesamtüberblick des einen, des Schöpfers erschließt sie sich ... Weg und Ort der Weisheit bleiben so außerhalb Gottes unerkennbar." 409
Die Weisheit in Hi 28 ähnelt einem kosmischen Schöpfungsplan (V. 2527), der zwar von Gott in der Schöpfung verwirklicht ist, sich aber vom Menschen nicht aus ihr ersehen läßt. Undeutlich bleibt, ob sie eine prä406
STECK 1994, 466 spricht von einem „Etwas, vergleichbar Metallen, Edelsteinen mit Weg und Ort, das ausgezählt werden kann." 407 AaO. 459. 408 AaO. 460. 409 AaO. 466
Textuntersuchungen zu Prov 8
149
existente Größe ist: Zum einen erschuf Gott sie nicht, sondern entdeckte sie, aber zum anderen ist von ihrer Erschaffung vor aller Schöpfung nicht direkt die Rede. Diese Größe wird in V. 28410 mit derjenigen „Weisheit" identifiziert, von der sonst im Buch Hiob überwiegend die Rede ist: der menschlichen Lebensklugheit.411 Sie ist für die Menschen nicht unauffindbar, sondern gerade zu erstreben und zu erlernen. Parallel zu Prov 8,22-31412 findet sich also in Hi 28 die Rede von einer selbständigen Größe „Weisheit", die jedoch im Buch Hiob nicht personhaft dargestellt wird.413 Durch die Anfügung von Hi 28,28 wird die Identifikation dieser materiell vorgestellten Weisheit mit der Lebensklugheit der älteren Weisheitstradition vollzogen; dies ist ein ähnlicher Vorgang wie die Ineinssetzung von Lebensklugheit und Weisheitsgestalt in Prov 1-9. Hi 28,28 und Prov 1-9 insgesamt setzen den Schwerpunkt darauf, daß sich die Menschen Weisheit im Sinne von Lebensklugheit aneignen sollen. Von diesem Impetus ist weder in Hi 28,20-27 noch in Prov 8,22-31 etwas zu spüren. Der Schöpfungshymnus in Prov 8 schildert im letzten Vers das Spiel der Weisheit und ihre Freude an den Menschen. Dieses paradiesähnliche Bild unterscheidet sich stark von der unterschwelligen Resignation in Hi 28,20-27 über die Unauffindbarkeit der Weisheit. Die Verbindung von Weisheit und Weltschöpfung wird also in Hi 28,20-27 und Prov 8,22-31 in völlig konträren Bildern zum Ausdruck gebracht. Trotzdem ähnelt sich die Absicht beider Texte. In Hi 28 ist die kosmische Weisheit unerkennbar für die Menschen in die Schöpfung verwoben (V. 20-27). Den Menschen 410 Dieser Vers ist vermutlich als reflektierender, späterer Zusatz zum Kapitel zu betrachten, der sich durch seine unterschiedliche Beschreibung der Weisheit als Lebensklugheit und durch die sonst nicht verwendete Gottesanrede ' J l x vom Kontext abhebt;
vgl. FOHRER 1963, 392. 411
Sie findet sich z.B. in Hi 11,6; 12,2.12f.; 13,5; 32,7; 33,33; 38,36 und 39,17. Für die Datierung von Hi 28 beziehe ich mich auf SCHIMANOWSKI 1985, 18, der das 5. Jh. v. Chr. als Entstehungszeitraum annimmt. Trotzdem bleibt, gerade auch in bezug auf das Hiobbuch als ganzes, eine genaue Datierung unsicher. Es ist zwar möglich und in manchen Zügen auch wahrscheinlich, daß sich in Hi 28 ältere Vorstellungen erhalten haben als in Prov 8,22-31, aber beide Entwürfe von Weisheit können m. E. auch zur gleichen Zeit nebeneinander in den verschiedenen theologischen Konzepten beider Bücher entstanden und tradiert worden sein. Denkbar ist auch, daß Hi 28 als bewußte Abwehr der in Prov 1-9 den Menschen sehr nahen Weisheit konzipiert wurde. 413 Diese Ansicht soll hier z.B. gegen GESE 1979, 83 vertreten werden, der feststellt, daß die Weisheit in Hi 28 „zunächst im physikalischen Sinne, aber darüber hinaus natürlicherweise universal Norm und Gesetz des Seins [ist]; dabei wird auf den mathematischen Charakter besonders Wert gelegt: man kann sie zählen." Unklar bleibt, wie diese „mathematische" Weisheit mit GESES späterer Einschätzung zu vereinbaren ist: „In Hi 28 tritt uns die Weisheit als ein Wesen entgegen, das mit Gott in einem bestimmten personal gedachten Verhältnis steht, das gleichsam als Person gedacht wird." (AaO. 84). 412
150
Die Texte über die Weisheitsgestalt
bleibt es, sich um die Gottesfurcht zu bemühen (V. 28). Prov 8,22-31 dagegen legt den Grund für die Nähe und Erkennbarkeit der Weisheit durch die Menschen. Gerade weil die Weisheit schon bei der Schöpfung anwesend war, begleitet sie die Menschen auch weiterhin als wichtige Gefährtin durch ihr Leben. 5) Die Gottesreden des Hiobbuches: Hi 38,1^*0,2; 40,6-41,26 Die Gottesreden des Hiobbuches sollen im Anschluß an den methodischen Ansatz von Kubina (1979) als eine in der vorliegenden Gestalt sinnvolle Komposition angesehen werden. Das wichtigste Moment eines Vergleiches von Prov 8,22-31 mit den Gottesreden des Hiobbuches ist die Verbindung von Schöpfungs- und Ordnungshandeln JHWHs, das parallel in den Bereichen der Natur und der menschlichen Gesellschaft vollzogen wird.414 Dies kommt im Hiobtext auf mehrere Weisen zum Ausdruck. Zunächst wird - ganz ähnlich Prov 8,22-31 - im ersten Teil der ersten Gottesrede (Hi 38,4-38) das Schöpfungshandeln JHWHs als anfängliches Ordnungshandeln u. a. mit Hilfe des Rechtsterminus pin in Hi 38,10f.33 zur Sprache gebracht. Dies entspricht der oben 415 konstatierten Verwendung in Prov 8,29. Stärker expliziert wird der Aspekt des Ordnungs- und Rechtshandelns JHWHs und hier treten die Unterschiede zwischen den Hiob- und Proverbientexten zutage - im ersten Teil der zweiten Gottesrede, in Hi 40,6-14. In diesen Versen wird auf das fortdauernde Rechtshandeln JHWHs hingewiesen. Dabei werden Termini des weisheitlichen und rechtlichen Sprachgebrauchs des Alten Testaments verwendet: BSWö ,p7X Hif. und S7BH Hif. Daneben schließen sich mehrere andere Motive an ältere, geprägte alttestamentliche Traditionsbereiche an. 416 Die zweiten Teile der beiden Gottesreden - Hi 38,39-39,30; 40,15-41,26 - befassen sich mit Problemen, die der speziellen Thematik des Hiobbuches entsprechen und von daher keine Entsprechungen in Prov 1-9 haben: Ihre Themen sind die Undurchschaubarkeit der Dynamik von JHWHs Schöpfung für die Menschen (Hi 38,39-39,30) bzw. der Sieg JHWHs über die von ihm geschaffenen „Kräfte des Bösen" (40,15-41,26).417
414
Es sollen hier bewußt die Termini „creatio originis" bzw. „creatio continua" vermieden werden, da sie in der christlichen Theologie geprägte Wendungen sind, deren Verwendung eine Reihe von Bedeutungen hervorrufen kann, die den Zugang zu einem alttestamentlichen Text eher verstellen als öffnen. 415 S. o. S. 129-131. 416 Dies ist an dieser Stelle nicht näher auszuführen; vgl. dazu aber z. B. FOHRER 1963, 520; POPE 1974, 3 1 9 s o w i e KUBINA 1979, 84f. 417
So die Deutung dieser Teile der Gottesreden nach KEEL 1978.
Textuntersuchungen zu Prov 8
151
Es läßt sich zusammenfassen, daß sich in den Gottesreden des Hiobbuches eine ähnliche, aber explizitere Verbindung zwischen Gottes Handeln am Beginn der Schöpfung und seinem Rechtshandeln in der menschlichen Gemeinschaft findet. Den deutlichsten Anknüpfungspunkt bietet dabei die Verwendung des Terminus pin. 418 1) Zusammenfassung Was sich an einigen Stellen der Textuntersuchung nur andeuten ließ, soll nun zugespitzt zusammengefaßt werden. Prov 8,22-31 ist nicht als ein bloßer „Schöpfungshymnus" zu bezeichnen, sondern erscheint als eine Kosmogonie oder Kosmologie, die in allen Elementen bedeutungsvoll ist. Das in diesem Text entworfene Bild von Weltschöpfung, Gott, Weisheit und Menschen zielt auf die Stellung der Weisheit als Mittlerin ab. Nicht wie in Gen 1-3 stehen die Menschen oder die Welt als ihr Lebensraum im Zentrum der Schöpfung. Menschen sind in der Perspektive des Textes eindeutig der Weisheitsgestalt und ihrer Positionierung innerhalb des Kosmos untergeordnet. Dafür werden sie in den anderen Texten in Prov 1-9 ausdrücklich angesprochen. In Prov 8,22-31 ist die Weisheitsgestalt Mittlerin. Räumlich wie zeitlich - sowie von der Textgrafik her - ist sie zwischen J H W H und die Menschen gestellt. Ihre Anwesenheit bei der Weltschöpfung J H W H s ermöglicht ihr ein profundes Wissen um kosmische wie soziale Ordnungen. Letzteres deshalb, weil JHWHs Ordnungshandeln bei der Schöpfung mit Termini benannt wird, die das Alte Testament auch auf zwischenmenschliche Ordnungen bezieht. Die Weisheit ist also „Weltordnungsexpertin" im ganz umfassenden Sinn. Ihr Wissen um die Ordnungen und Zusammenhänge ist entscheidend gegenüber einem oft angenommenen Mitgestalten, das im Text nicht ausgesagt wird. Dieses Wissen um die kosmische wie menschliche Ordnung verbindet sie mit derjenigen Weisheit, die als Lebensklugheit in der älteren alttestamentlichen Weisheitsliteratur bekannt ist. Die Kosmologie von Prov 8,22-31 beinhaltet in impliziter Weise auch die Gegenspielerin der Weisheitsgestalt, die „fremde" oder „törichte Frau". Verbunden mit dem Bereich der Unterwelt, ist auch bei ihr das Entsprechungsverhältnis von kosmischem Ort und Stellung zu Gott und Menschen deutlich. Die „fremde" oder „törichte Frau" ist von J H W H weit entfernt. Zwischen ihr und der Weisheitsgestalt befinden sich die 418 Beachtet werden muß bei einem solchen Vergleich allerdings die Konsequenz der Reduktion auf die gewählten Textausschnitte: Während die Gottesreden des Hiobbuches ein recht umfassendes Erklärungsmodell für menschliches Leben und Leiden bieten wollen, ist in Prov 8,22-31 nur ein kleiner Ausschnitt dessen abgebildet, was weisheitlich Denkende in Prov 1-9 niedergelegt haben.
152
Die Texte über die
Weisheitsgestalt
Menschen. Letzteren ist auch aus räumlicher Sicht ein Standort zugedacht, der eine Entscheidung zwischen der „Fremden" und der Weisheit erforderlich macht. Die Entscheidung zugunsten der Weisheitsgestalt wird dadurch begünstigt, daß die Nähe der Weisheit zu den Menschen betont wird. Dies geschieht auf zweierlei Weise. Zum einen durch die sehr anthropomorphe, genauer: gynomorphe Schilderung der Erschaffung der Weisheit durch JHWH. Wie ein Menschenkind ist die Weisheit von JHWH zur Welt gebracht worden und spielt bei „ihm" wie bei einer Mutter. Zum anderen werden die Menschen mit stilistischen Mitteln in die Nähe JHWHs gerückt, wobei die Weisheitsgestalt gleichzeitig das Bindeglied zwischen beiden bildet. Dies geschieht durch die chiastisch angeordneten Formen von wnuixw und durch n p n ^ ö in Prov 8,30bc und 8,31ab: Wie die Weisheit die Schöpfungsfreude an der Seite JHWHs ist, so hat sie selbst ihre Freude an den Menschen; und wie sie vor J H W H spielt, so auch auf dem Erdkreis, dem menschlichen Lebensraum.
6. Prov
8,32-36
a) Text und Übersetzung : mötf? 'D-n n w o ^ - w a t f a ' j n nnsn : w-jDfi-^iö l a a m t o i a isatf : ' n n s n n r a natp1? a v a v ' r m ^ - 1 ? » ipw^? ^ yair a"m n.trx : nirra liin psn a«n 'xxa 'xxa ^ : n j a i n n s 'safea-Va iiitoi oan 'Köhl
32 33 34 35 36
32 Nun, ihr Kinder 419 , hört auf mich; wohl denen, die meine Wege achten! 33 Hört auf (die) Erziehung und werdet weise, und laßt nicht nach 420 ! 34 Wohl dem Menschen, der auf mich hört, um zu wachen an meinen Türflügeln Tag für Tag, um zu hüten die Pfosten meiner Türen! 419 Nach übereinstimmender Meinung von KÜHLEWEIN (1978, 319) und H. HAAG (in: BERGMAN/RINGGREN/H. HAAG 1973, 672) kann der hier verwendete Plural von 13 für Kinder beiderlei Geschlechts verwendet werden; mehr zur Anrede von Männern und/ oder Frauen s. auf S. 168-170. 420 SIS Q. ist hier - wenn nicht konjiziert wird - schwierig zu übersetzen. Es wird nur hier und Ez 24,14 absolut gebraucht, wobei auf dieses Spezifikum weder von HAL, 913, noch von KRONHOLM 1989, 759 eingegangen wird. Ich schlage in Anlehnung an GESENIUS17, 660 die Übersetzung „nachlassen" für Prov 8,33 und Ez 24,14 im Sinne von „aufgeben, eine Sache zu verfolgen" vor.
Textuntersuchungen
zu Prov 8
153
35 Denn wer mich findet, hat Leben gefunden 421 und wird Wohlgefallen von J H W H erhalten; 36 wer mich aber verfehlt, fügt seiner Lebenskraft Gewalt zu. Alle, die mich hassen, lieben (den) Tod. b) Aufbau und Struktur des Abschnitts Vom vorhergehenden Abschnitt sind die V. 32-36 durch den Neueinsatz der Anrede durch die Weisheitsgestalt in V. 32a abgesetzt. Durch nns?1 wird eine Zäsur gegenüber V. 31 markiert und erneut die Aufmerksamkeit der Hörenden geweckt. Das Hören (3/Bttf) auf die Weisheit ist als ein Hauptthema des Abschnitts gleich zu Beginn durch sein dreifaches Vorkommen in V. 32a, 33a und 34a markiert. Das zunächst auffälligste Strukturmerkmal der V. 32-36 liegt in dem sich wiederholenden '"lBte in V. 32b und 34c. Dieses Wort leitet jeweils einen dreistichigen „Heilruf' 4 2 2 ein. Die Heilrufe liegen in V. 32a-33b sowie V. 34a-c vor. Die ersten Stichoi beider Heilrufe oder Makarismen ähneln sich inhaltlich in der Aussage des Bewahrens der Wege der Weisheit (32b) bzw. des Hörens auf die Weisheit (34a). Ob sich die zweiten und dritten Stichoi ebenfalls inhaltlich entsprechen, wird erst nach einer genaueren Textanalyse zu entscheiden sein. Auf den ersten Blick ist dies jedenfalls nicht zu ermitteln; es fällt hier lediglich die Unterschiedlichkeit der Themen von „Erziehung" und „Wachen vor den Türen der Weisheit" ins Auge. Der durch die beiden Makarismen markierte Unterabschnitt innerhalb von V. 32-36, V. 32-34c, erhält eine eigene Rahmung durch die Verwendung des Wortes "löltf Q. im ersten wie im letzten Stichos. Eine Verbindung zu dem den Abschnitt einleitenden Stichos V. 32a wird durch dessen Strukturähnlichkeit mit dem Beginn des zweiten Makarismus, V. 34a, hergestellt: In beiden Stichoi werden nach der Satzeinleitung durch nn571 bzw. "HIPX die Menschen angesprochen. Danach werden jeweils Formen von VtiVi Q. mit der den Hinweis auf die Weisheitsgestalt einschließenden Präposition mit Suffix, 'V, gesetzt. Voneinander abgesetzt sind beide Makarismen dadurch, daß der erste an die 2. Ps. Plural, der zweite aber an eine Einzelperson gerichtet ist. Eine Verbindung besteht zwischen V. 32a und dem Anfang des ersten Makarismus, V. 33a. Beide verwenden den Imperativ von 57»tP Q., IVÜW, der allerdings mit unterschiedlichen Objekten verbunden ist. In V. 32a ist 421 Hier soll dem masoretischen Qere gefolgt und zu XSS geändert werden, da 'KSH in der masoretischen Vokalisation keinen Sinn ergibt. Eine Vorlage des M T könnte hier einen Plural gelesen haben, den die Masoreten wegen der in diesem Abschnitt durchgängig vorhandenen Singulare auch als Singular gelesen haben könnten. 422 Zu den verschiedenen formgeschichtlichen Einordnungen s. u. auf S. 155-157.
154
Die Texte über die
Weisheitsgestalt
das Objekt des Hörens die Weisheit, die im Suffix von b präsent ist. In V. 33a wird IDIfS „Erziehung" als Objekt benannt. Der zweite Unterabschnitt des Textes besteht aus den V. 35f. Durch die Einleitung mittels der Partikel 'S wird deutlich gemacht, daß es sich um eine Fortführung der Gedanken der Makarismen handelt. Kayatz sieht in den V. 35f. eine Erweiterung der Heilszusage,423 Koch in V. 35f. die Begründung der Makarismen. 424 Jedenfalls werden in V. 35f. die Konsequenzen geschildert, die das Verhalten gegenüber den Aufrufen der vorangegangenen Verse hat. Dabei ist ein deutlicher Wechsel der Metaphorik festzustellen: War das Thema der vorangehenden Verse „Erziehung" und „Wachen" etc., so geht es in V. 35f. buchstäblich um „Leben und Tod". Die V. 35f. sind durch verschiedene Elemente eng verwoben. Die Struktur beider Verse ist durch mehrere parallele bzw. chiastische Anordnungen geprägt. Beide Verse beginnen mit der gleichen Verbform: NXa in V. 35 und Nün in V. 36 treten jeweils im Partizip Sg. aktiv mit angeschlossenem Suffix der 1. Ps. Sg. comm. auf, das auf die Weisheit bezogen ist. Der Sinn beider Verben - „finden" und „verfehlen" - bildet eine genaue Entgegensetzung. Am Ende jedes der vier Stichoi finden sich die zentralen Substantive. Die Gegensätze „Leben" und „Tod" bilden den Schluß des ersten bzw. letzten Stichos. Die beiden mittleren Stichoi enden in positiv konnotierter Weise: mit „Wohlgefallen von JHWH" bzw. „Lebenskraft". Allerdings wird durch die Verben von V. 36 - „verfehlen", „schädigen", „hassen" WD} in V. 36a in einen eindeutig negativen Zusammenhang gestellt. So wird eine allmähliche „Negativierung" der Aussagen der Verse zunächst über die Verben erreicht. Sie gipfelt in V. 36bß in der Aussage, daß die „Weisheitshasser" den Tod lieben. In drei der Stichoi ist die Weisheit durch Suffixe der 1. Ps. Sg. comm. präsent; nur in V. 35b wird sie nicht erwähnt. Dort spricht sie allerdings davon, daß diejenigen, die sie finden, Wohlgefallen von JHWH erlangen werden. Pluralische Verbformen (V. 32.33 sowie 36b) rahmen schließlich den gesamten Abschnitt der V. 32-36. Die folgende Skizze soll die Struktur veranschaulichen:
423 424
So KAY ATZ 1966, 51. KOCH 1989, 22.
Textuntersuchungen
32 a b
155
zu Prov 8
saw
Aufforderung zum Hören i n © Q.
1. Makarismus ( n t p s )
> Plural
33 a b 34 a
2. Makarismus (nWK)
vav
b c
Singular
n a » Q. ,
35 a
Begründung ( 3);
b
Verheißung: Leben H--, Drohung:
36 a b
Tod
Plural
c) Der Makarismus der Weisheitsgestalt (Prov 3,13.18; 8,32b.34a) Innerhalb von Prov 1-9 werden Worte der Wurzel UTK II 425 in den Versen 3,13; 8,32b.34a ('"MX; „Heil der/dem") 426 sowie 3,18 OlWKö; „glücklich zu preisen die/der")427 verwendet. Durch sie wird im Alten Testament an 53 Stellen eine Gratulation 428 zum Ausdruck gebracht, die in großer Nähe zur Segensformel steht. 429 Kayatz bezeichnet '"i.WX als „weltoffene Gratulationsformel" und ordnet sie als „Formtyp" den imperativisch eingeleiteten Einheiten in Prov 1-9 zu.430 Koch führt Prov3,13f. und 8,34f. als die einzigen „Seligpreisungen" im hebräischen Alten Testament auf, denen eine Begründung folgt.431 Eine knappe Untersuchung hat Westermann 1974 zum Vorkommen von •HWX im Alten Testament vorgelegt. Er kommt zu dem Ergebnis, daß für die „Gratulation" drei Gründe genannt werden: zunächst das Erlangen von Segen, daneben das Gottesverhältnis und zuletzt das menschliche Verhalten. 432 Eine genauere Betrachtung der Verwendung von '"l.t^K in den Proverbien zeigt, daß hier nur die beiden letztgenannten Gratulationsgründe ge425 426 427 428
mel".
Nach HAL, 94-96. Diese Form ist als Plural constructus des wahrscheinlich in seiner Grundform lautenden Substantivs - so aaO. 96 - zu betrachten. Dies ist das Partizip Pu. des Verbs UTK II; so aaO. 94. So WESTERMANN 1974a, 191 als Angabe des ursprünglichen Sinnes der NIRX-„For-
429
So
430
KAYATZ 1 9 6 6 , 51.
1973b,
CAZELLES
482.
22 Anm.2. 1974a, 193f.
431
KOCH 1 9 8 9 ,
432
WESTERMANN
156
Die Texte über die
Weisheitsgestalt
nannt werden. Die Haltung des Menschen zu J H W H wird in 16,20 und indirekt in 29,18 gepriesen. Daneben ist das Verhalten gegenüber anderen Menschen in 14,21; 20,7; 28,14 Preisungsgrund. Demgegenüber nehmen die Erwähnungen von in Prov 1-9 eine besondere Stellung ein: In ihnen werden jeweils diejenigen Menschen für glücklich erklärt, die ein besonders enges Verhältnis zur Weisheit besitzen. In 3,13 ist es der Mensch, der Weisheit gefunden hat; in 3,18 wird gepriesen, wer Weisheit ergreifen und festhalten kann, wodurch sie zum Baum des Lebens wird. Die beiden Makarismen in 8,32b.34a beglückwünschen, nun aus dem Mund der Weisheitsgestalt, diejenigen, die auf die Wege der Weisheit achten und auf sie hören. Diese Preisungen derjenigen, die - zusammenfassend gesagt - sich in besonderer Nähe zur Weisheit befinden, haben innerhalb des Alten Testaments nur eine Parallelstelle: I Reg 10,8 par II Chr 9,7. An diesen Stellen werden diejenigen gepriesen, die ständig in der Nähe Salomos sind und auf seine Weisheit hören (können). Ebenfalls nur eine Parallele im Alten Testament besitzt Prov 8,32b.34a unter dem Aspekt, daß die bzw. der Heilausrufende das menschliche Verhalten ihr bzw. ihm gegenüber zum Kriterium erhebt. Außer bei der Weisheit an den genannten Stellen wird dies nur in den Eingangsversen des Tritojesajabuches in Jes 56,lf. von J H W H ausgesagt: 433 njp-rs ifrsn üstito n a ® nirr -ins na 1 : niVan1? ' n ^ s i xia1? ' n s n u r n a i i p - , 3 na p n r r a ^ n a i n x r n w s r tfijg n a t e 2 : sn.-^a n i i r y a i v -lafen iVpna nattf 1
2
So spricht JHWH: Haltet Recht ein und vollzieht Gerechtigkeit, denn nahe ist meine Rettung, zu kommen, und meine Gerechtigkeit, offenbar zu werden. Heil dem Menschen, der solche tut, und dem Menschenkind, das festhält an ihr; das bewahrt den Sabbat vor seiner Entweihung und bewahrt seine Hand vor dem Tun alles Bösen. (Jes 56,1 f.)
Wie in Prov 8,32b.34a, so kommt auch hier in enger Verbindung zum Makarismus die Mahnung zum „Einhalten" oder „Bewahren" (~iatP) von JHWHs Recht bzw. einzelner Vorschriften vor. Solche Verbindungen be433 In seiner formgeschichtlichen Untersuchung zum atl Makarismus macht KÄSER 1970, 236 darauf aufmerksam, daß als „eigentliche Gottessprüche konzipierte Makarismen [im AT] kaum nachweisbar" sind. „Höchstens käme Jes 56,2 hierfür in Betracht, weniger Jes 32,20 und Prov 8,32.34." Seine Skepsis gegenüber Prov 8,32.34 begründet K Ä S E R allerdings nicht formal, sondern inhaltlich. Er hat Vorbehalte, die Rede im Mund der Weisheitsgestalt als Gottesrede anzuerkennen (ebd., Anm. 25), obwohl sie es als Makarismus in formaler Hinsicht durchaus ist: „Seligpreisung ist Lobpreis der heilschaffenden Gnade Gottes am erwählten Menschen." (aaO. 250).
Textuntersuchungen
zu Prov 8
157
stehen auch in Ps 106,3 und Prov 29,18. Eine der in Prov 8,32b verwendeten Wegemetaphorik ähnliche Sprache findet sich auch in Ps l,lf.; 119,lf.; 128,1. Ohne diese sprachlichen Anknüpfungen wird in Ps 94,12 und 112,1 von den positiven Folgen von J H W H s Erziehung und der Freude an seinen Geboten gesprochen, worin auch eine Parallele zu den hier untersuchten Vorstellungen in Prov 1-9 zu sehen ist. 434 Alle diese von Form und Sprache her Prov 8,32b.34a; 3,13.18 ähnlichen alttestamentlichen Verse beziehen sich auf eine Heilsgabe an Menschen, die sich in positiver Weise auf J H W H ausrichten. Auf dem Hintergrund aller hier erwähnten Stellen läßt sich das Verhältnis zwischen menschlichem Heil und Weisheit in Prov 1-9 nun deuten: Ähnlich wie sonst im Alten Testament J H W H , so ist in Prov 1-9 die Weisheit und das Verhältnis ihr gegenüber das Kriterium für menschliches Glück. Menschliche Anstrengungen sind dabei wichtig: „finden" in 3,13; „ergreifen" und „festhalten" in 3,18; „auf die Wege der Weisheit achten" in 8,32 435 und „auf die Weisheit hören" in 8,34. Ähnliche Anstrengungen werden z. B. in Jes 56,1 f. genannt; nur geht es dort um das Verhältnis des Menschen zu J H W H , das heilsentscheidend ist. Die Vorkommen in Prov 1-9 übertragen diesen Gedanken auf das Verhältnis Mensch-Weisheit. Die Weisheit befindet sich damit nun in einer Position, die für Menschen „heilsentscheidend" ist. Wie sonst in sprachlich eng verwandter alttestamentlicher Rede über J H W H , so kann in Prov 8,32b.34a; 3,13.18 über die Weisheitsgestalt gesprochen werden. d) Weisheit und "lOlQ „Erziehung" (Prov 8,10.33) Im Abschnitt Prov 8,32-36 besteht - wie oben im vorletzten Abschnitt (b) schon angedeutet - eine Parallele zwischen Weisheit und "lOin „Erziehung", was Wortwahl und Wortstellung anbelangt. In den Versen 32a und 33a werden die Menschen mittels des Imperativs (PI. m.) von VßUi Q. dazu aufgerufen, auf Weisheit (32a) und Erziehung (33a) zu hören. Im letztgenannten Vers wird die Nähe zur Weisheit noch dadurch hervorgehoben, daß das Hören auf IDia zum Weisewerden (DDn Q.) führt. 434
TOURNAY 1966, 769.772 verweist als Parallele zum Makarismus auch auf ältere
V e r s e d e r P r o v e r b i e n : 1 4 , 2 1 ; 16,20; 2 0 , 7 ; 2 8 , 1 4 u n d 2 9 , 1 8 . 435
Die „Wege der Weisheit" werden in Prov 1-9 sonst noch in 3,17; 4,11 und 8,20 erwähnt. An diesen Stellen werden sie als Wege von „Freundlichkeit" (D57Í) und „Wohlergehen" (DI'JSO gepriesen (3,17), die den Schritt nicht hemmen oder die Gehenden straucheln lassen (4,12). In 8,20 preist die Weisheit ihren Weg als den von Gerechtigkeit und Recht (dazu s. o. S. 107-110). In besonderer Weise wird die Weisheit explizit mit dem Weg JHWHs in 8,22 verbunden, wo sie als Anfang seines Weges oder Wirkens (Í3"H) bezeichnet wird. Die Rede vom Din' TVT ist sonst in den Proverbien nur noch in 10,29 zu finden; häufiger dagegen wird sie im dtn/dtr Schrifttum verwendet.
158
Die Texte über die
Weisheitsgestalt
Eine weitere enge Zuordnung von Weisheit und Erziehung findet sich in Prov 8,10. Dort fordert die Weisheit dazu auf (Imperativ Pl.m. Q von np1?), ihre Erziehung Cnoia) anzunehmen, statt Silber und andere Kostbarkeiten vorzuziehen.436 Wie ist nun der Begriff "lOlö an diesen Stellen zu deuten? Weit über die Hälfte (30) der 50 Vorkommen des Wortes im Alten Testament finden sich in den Proverbien. Daneben ist es u. a. auch achtmal im Jeremiabuch anzutreffen. 437 Die Wortbedeutung variiert - je nach Kontext - innerhalb des Feldes von „Erziehung". Sie erstreckt sich von der Bezeichnung des Lehrumfanges über die des Lehrinhaltes bis hin zur Züchtigung oder Bestrafung. 438 Auch kann sowohl der Prozeß der Erziehung als auch deren Ziel durch "lOia ausgedrückt werden.439 Während das Wort bei Jeremia als Wendung "lOW np1? (X1?) - nur in negativer Bedeutung440 verwendet wird, finden sich in den Proverbien in weitaus größerer Zahl positiv formulierte Aufrufe, "lOia anzunehmen. Daneben handelt es sich in den Proverbien bei IDID oft um die elterliche Mahnung oder Erziehung.441 Im Unterschied dazu findet sich "101/3 als Erziehung JHWHs in ihren verschiedenen Aspekten im Alten Testament ganz überwiegend außerhalb der Weisheitsliteratur.442 Diese Erziehung JHWHs ist allerdings fast immer auf Israel bzw. andere kollekive Größen bezogen. Nur in Hi 5,17 und Prov 3,11 wird JHWH als Erzieher einzelner Menschen angesprochen. 443 Auf dem Hintergrund dieser Beobachtungen sollen nun die Verse Prov 8,10.33 gedeutet werden. Dabei ist auch zu fragen, ob in diesen Versen etwas dezidiert Neues, über ältere alttestamentliche Texte Hinausgehendes gesagt wird. Prov 8,10 knüpft mit der Wendung "lOW np1? an den oben erwähnten Ausdruck im Jeremiabuch an. Dieser findet sich außerdem in Zeph 3,2.7. In den Proverbien wird die Wendung außer in 8,10 nur in 1,3 - also wohl 436
Dazu s.o. S. 81-83. „Am häufigsten erscheint es [das Wort "I0ia] in der Weisheitsliteratur, die der natürliche Sitz im Leben zu sein scheint; der Gebrauch in kultischen Texten aus Ugarit mahnt jedoch zur Vorsicht gegenüber der Vermutung, daß dieses Wort nur einen einzigen Bezugspunkt in der hebr. Gesellschaft hatte, von wo es in andere hinüberwechsel437
t e . " BRANSON 1 9 8 2 , 6 9 0 . 438
So die Aufschlüsselung aaO. 692-695. Unter Bezug auf Prov 13,18; 15,32; 19,27; 23,23 u. a. stellt schon VON RAD (1987a, 444 Anm. 33) fest: „Noch weiter entfernt sich dann der Sprachgebrauch in einigen Belegen der Proverbien, wo der Begriff den strafenden Hintergrund, die Voraussetzung des Wehtuns verloren hat." Ähnlich auch G E R L E M A N 1966, 112. 440 Damit ist gemeint, daß die Erziehung J H W H s von den Israelitinnen und Israeliten nicht angenommen wird; so Jer 2,30; 5,3; 7,28; 17,23; 32,33; 35,13. 441 So explizit in Prov 1,8; 4,1; 13,24 und 15,5; implizit in 19,27; 22,15 und 23,13. 442 J H W H erscheint im AT als Erzieher in Wendungen mit "1018 in: Dtn 11,2; Jes 26,16; Jer 2,30; 5,3; 7,28; 17,23; 30,14; 32,33; 35,13; Hos 5,2; Zeph 3,2.7; Ps 50,17; Hi 5,17 (mit n3'); 36,10; Prov 3,11. 439
Textuntersuchungen
zu Prov 8
159
in einer zeitlich sehr nahen Redaktionsstufe - sowie in 24,32 erwähnt; an der letztgenannten Stelle allerdings in einem sehr allgemeinen Sinn von „Lehre". Bemerkenswert ist, daß außer in Prov 1,3 und 8,10 nur 1010 Gottes mit der Wendung bezeichnet wird. Der Imperativ inj? findet sich zusammen mit 1010 nur in Prov 8,10. In diesem Vers fordert die Weisheitsgestalt zum Annehmen ihrer Erziehung ( n o i o ) auf. In Verbindung mit einem Genitiv wird 1010 im Alten Testament mit verschiedenen Objekten und an verschiedenen Stellen verwendet: Es gibt JHWHs 1010 (Dtn 22,1; Jer 32,33; - Hi 5,17 mit Htf - ; Prov 3,11), 1018 des Vaters (Prov 1,8; 4,1; 13,1; 15,5), daneben in Hi 12,18 101/2 der Könige und schließlich in Prov 8,10; 15,33 101» der Weisheit. Nur im Textkomplex Prov 1-9 ist die Rede von 1010 JHWHs, der Eltern sowie der Weisheit gemeinsam anzutreffen. Alle anderen Texte kennen nur jeweils eine Zuordnung von 1010. In Prov 8,33 mahnt die Weisheitsgestalt, zum Zweck des Weisewerdens auf 1010 zu hören (1370t?). Mit Hilfe des Imp. Q. von J70W wird daneben auch in Prov 1,8; 4,1 und 19,27444 zum Hören auf 1010 ermuntert. 445 Etwas dezidiert Neues, so ist also festzustellen, wird weder in Prov 8,10 noch in 8,33 zur Sprache gebracht. Allerdings ist auffällig, in welch großer Nähe zur Weisheit 1010 jeweils angesiedelt wird; dies wurde am Anfang dieses Abschnitts schon angedeutet. Die Verbindung nosn 1010 begegnet schon in Prov 15,33 und wird dort mit JHWH-Furcht gleichgesetzt. Es handelt sich bei 1010 um ein Wort, das dem Bereich familiärer Erziehung entstammt, aber auch in theologischer Rede verwendet werden kann. 446 So ist auch seine Bedeutung in 8,10 zu bestimmen: 1010 bezeichnet hier in Anlehnung an Wendungen älterer Texte die in engem Verhältnis zur Weisheit stehende Erziehungsbemühung. Für die Deutung der Weisheitsgestalt läßt sich aus der Verwendung von 1010 mehreres entnehmen. Durch die Nähe zu 1010 wird in Prov 8,10.33 der erzieherische Anspruch der Weisheitsrede hervorgehoben. Neben den schon genannten Parallelen haben Weisheitsrede und Erziehung zudem gemeinsam, daß beide zum Leben führen. 447 In Prov 1-9 vereinigt die T
443
'
Eine knappe Darstellung der gedanklichen Entwicklung einer göttlichen Erziehung in der Bibel bis hin zum Hebräerbrief versucht MENDE 1991, 31 f. Sie sieht Prov 3,1 lf. als frühesten Beleg für eine Erziehung von Einzelnen durch J H W H an. 444 Prov 19,27: „Unterlasse es, mein Sohn, auf (die) Erziehung zu hören; dich zu vergehen an den Worten der Erkenntnis." Dieser Vers ist durch die direkte Sohnesanrede und durch die in ihm anklingende Verbitterung (PLÖGER 1984, 227) oder die Zuhilfenahme „äußerster, ungewöhnlicher Mittel" (A. MEINHOLD 1991, 327) innerhalb der Sammlung Prov 10,1-22,16 hervorgehoben. 445 Auch dtn/dtr ist 5?att> ein geläufiger Terminus, um zum Hören auf die Gebote oder Stimme J H W H s aufzufordern; vgl. WEINFELD 1972, 337. 446 Dazu vgl. VON RAD 1987a, 444 (s. o. S. 158 Anm. 439) sowie ders. 1985, 75.
160
Die Texte über die
Weisheitsgestalt
Weisheitsgestalt durch ihre Nähe zu 101/D zweierlei Weisen von Erziehung auf sich: zum einen die elterliche, die sonst vor allem in den älteren Proverbien erwähnt wird, und zum anderen die - auch in Hi 5,17 und Prov 3,11 genannte - auf Einzelne bezogene Erziehung durch J H W H . e) Das Wachen an den Türen der Weisheit (Prov 8,34) Dieses Motiv hat in der bisherigen Forschung wenig Beachtung gefunden. Weder ist nach eventuellen Parallelmotiven gesucht, noch ist das Motiv selbst hinreichend erläutert worden. Zwei m. E. problematische Einordnungen des Motivs werden in der neueren Forschung vertreten: Kayatz rechnet es dem Bereich der Liebesmetaphorik zu: „Deutlich steht hinter diesen metaphorischen Ausdrücken [Prov 8,17.20f.34] die Vorstellung von der Weisheit als Geliebter." 448 Alttestamentliche Belege für eine solche Zuordnung fehlen bei ihr allerdings. Die Konkordanzuntersuchung ergibt, daß sich sonst keine Verbindungen der Reden von DDS und seinen Derivaten mit dem Wachen vor den Türen finden. 449 Die zweite Deutung des Motivs zielt auf das Wachen vor den Türen eines Lehrenden oder eines Lehrhauses ab. McKane bemerkt dazu: „As the disciples of the wisdom teacher gathered for instruction at the door of his house, Wisdom urges men to maintain a like vigil outside her residence ,.." 4 5 0 Lang ist sich sicher: „Proverbs 8:34 praises the Student who is overpunctual in attending his lessons." 451 In Anbetracht der Tatsache, daß für die Zeit der Abfassung von Prov 1-9 keine sicheren Belege für eine Schule bzw. ein Lehrhaus existieren, 452 bleibt diese Deutung des Verses hypothetisch. Zudem hat Lang selbst die These vertreten, daß der Unterricht im Alten Israel wahrscheinlich „am Wegrand und an der Straßenkreuzung" 453 abgehalten wurde, was wiederum eine Verbindung zum Wachen vor dem Schulhaus obsolet macht. 447
In der Nähe zum „Leben" steht 10=10 in Prov 4,13; 6,23; 10,17; 15,32; bei der Weisheit ist dies in 8,33-35 der Fall. 448 KAY ATZ 1966, 98. 449 Allerdings gibt es die Wortverbindung von 3HN und im AT, aber nur zur Bezeichnung „nichtmenschlicher" Liebesverhältnisse und insofern nicht eindeutig der Liebesmetaphorik zuzuordnen: In Ps 145,20 behütet J H W H die, die ihn lieben; wer nach Prov 4,6 die Weisheit liebt, wird von ihr behütet. Die weitaus häufigeren Vorkommen der Wortverbindung beziehen sich jedoch darauf, J H W H zu lieben und seine Gebote zu halten: Ex 20,6; Dtn 7,9; 10,12f.; 11,1.22; 13,4f.; 19,3; 30,16; Jos 22,5; Neh 1,5 und Ps 119,167. 450 451
452
M C K A N E 1970, 358. LANG 1 9 8 6 b , 8 0 .
Zur Diskussion um eine Schule in Israel vgl. unten S. 261-264. LANG 1979, 201. In seinem Plädoyer für das Vorhandensein eines altisraelitischen Schulwesens geht LANG sogar so weit, einen „Lehrplan des altisraelitischen Unterrichts" aufzustellen (aaO. 199). 453
Textuntersuchungen zu Prov 8
161
Eine V e r b i n d u n g beider Z u o r d n u n g e n - derjenigen zur L i e b e s m e t a p h o rik u n d der z u m S c h u l w e s e n - findet sich bei A. Meinhold: „ Ä h n l i c h wie in 4,6.8f. wird die Weisheit als einflußreiche F r a u vorgestellt, die über ein H a u s oder gar einen Palast verfügt (vgl. 9,1), a n dessen E i n g ä n g e n der Schüler wie ein Liebender unablässig - ,Tag für Tag' (wie V.30b) - w a c h t , u m der Geliebten ansichtig zu werden. W a s für die Weisheit E n t z ü c k e n in der urgeschichtlichen Zeit war, das k a n n d e m M e n s c h e n als Glückseligkeit zuteil werden. Vorstellungen u n d Begrifflichkeiten der Liebessprache bes t i m m e n d e n S c h l u ß dieses Weisheitsgedichts." 4 5 4 U m die B e d e u t u n g des M o t i v s z u erhellen, sollen hier genauere Wortu n t e r s u c h u n g e n durchgeführt werden. „wachen" wird im Alten Testament außer in Prov 8,34 nicht mehr im Zusammenhang mit Türen o. ä. gebraucht. A m nächsten kommen dieser Wortverbindung noch das Wachen der Stadtwächter Ps 127,1, das Wachen a m Grabhügel Hi 21,32 und das Bewachen der Tempelschätze Esr 8,29. In Esr 8,29 und in Ps 12,71 steht I p V - wie in Prov 8,34 - parallel zu m w . Die Wortbedeutungen an den übrigen Stellen des Vorkommens sind meist negativ geprägt; d. h. das Bewachtwerden hat für das jeweils Bewachte negative Konsequenzen. 4 5 5 „hüten, bewahren" wird oft in der Bedeutung des Einhaltens von Geboten etc. verwendet. 4 5 6 Es tritt besonders gehäuft im Deuteronomium, in Ps 119 und in Prov 1 - 9 auf. Eine Untersuchung der Wortbedeutung in den Proverbien zeigt zunächst, daß das Verb sowohl in der Bedeutung „bewachen, hüten" als auch als „bewahren, einhalten" vorkommt. Während die Subjekte des „Einhaltens" ausnahmslos Menschen sind, 457 kann „behüten, bewachen" u. a. auch von J H W H (2,8; 3,26), seinen Geboten und Gesetzen (6,22.24) und der Weisheit (7,5) ausgesagt werden. 458 Unter den Objekten des Bewachens oder Einhaltens sind bei beiden Bedeutungen vorwiegend abstrakte und theologische Größen vertreten, so z. B. Leben (1,33; 16,7; 22,5) oder E r m a h n u n g (13,18; 15,5 etc). Außer in 8,34 ist in den Proverbien nicht vom Bewachen von Türen o. ä. die Rede. Diese Wortverbindung ist aber außerhalb der Proverbien im Alten Testament zu finden: in I Reg 14,27 = II Chr 12,10; Neh 11,19; 12,25 und 13,22. Dabei handelt es sich allerdings bei dem Bewachten um das Tor (TSttf), das in Prov 8,34 nicht erwähnt wird. Die in diesem Vers vorkommende H ä u f u n g dreier Ausdrücke für Türen/Türpfosten (nl7,7, HTITQ, nris) ist im Alten Testament sonst nur an zwei Stellen anzutreffen. Sowohl in I Reg 6,31 wie auch in Ez 46,2f. beziehen sie sich auf die Tempeltüren. Zwei der in Prov 8,34 zur Bezeichnung der Türen gewählten Worte kommen gemeinsam in bezug auf Wohnhäuser (Gen 19,6; Ex 12,22f.; Jdc 19,27) oder in bezug auf den Tempel (I Reg 6,33; 7,5; Ez 41,20f.; II Chr 4,22) vor. Von einer Bewachung ist an diesen Stellen nicht die Rede. 454 455
456 457
A . MEINHOLD 1991, 148. S o in Jes 29,20; J e r 1,12; 5,6; 4 4 , 2 7 ; T h r 1,14; D a n 9 , 1 4 .
Zum dtn/dtr Gebrauch vgl. WEINFELD 1972, 336. S o i n P r o v 2 , 2 0 ; 4 , 4 . 2 1 ; 5,2; 7,1; 8,32; 10,17; 13,3.18; 15,5; 19,8.16; 22,18; 28,4;
29,18; hier sind nur die sicher dieser Bedeutung zuzuordnenden Belege aufgeführt.
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Die Texte über die Weisheitsgestalt
Zur allgemeinen Bedeutung von Türen läßt sich für das Alte Israel festhalten, daß Türen - außer an Tempeln, Palästen und als Stadttore - nur bei Wohnhäusern Wohlhabender anzutreffen sind. Literarisch sollen Türflügel (n17'7 PI. oder Du.) „offensichtlich der Veranschaulichung eines möglichen Hindernisses, eines Verschlusses" 459 dienen. „Um auch die Durchgangsmöglichkeit einer Tür zum Ausdruck zu bringen, muß im AT dcelcet mit pcetah bzw. saar parallelisiert werden ..." 4 6 0
Innerhalb von Prov 1-9 fällt auf, daß zweimal von Eingängen (D'nns) und Toren (•'"lytt') gemeinsam und in Verbindung mit der Weisheitsgestalt gesprochen wird. Dies geschieht in 1,21 und 8,3 im Zusammenhang mit der Schilderung des Standortes der Weisheit. 461 In 9,14 sitzt die Torheit - in Parallele zur einladenden Weisheitsgestalt - an der Tür ihres Hauses. Dabei ist ebensowenig an reale Stadttore oder Häuser zu denken, wie die Weisheit oder die Torheit als reale Frauen vorzustellen sind. Für Prov 8,34 ist wichtig, daß bereits an anderen Stellen in Prov 1-9 in übertragener Weise von Türen und Toren gesprochen wird. In solcher metaphorischen Rede läßt sich auch Prov 8,34 verstehen. Deshalb ist die von McKane und Lang vorgeschlagene Deutung 4 6 2 zurückzuweisen, da sie die bildhafte Rede der Weisheitsgestalt ausschließlich mit konkreten Gegebenheiten identifiziert. Zudem liegt von der Struktur der Verse 32b-36 her 463 eine Deutung ähnlich dem parallelen Vers 8,33 nahe: Die Weisheit fordert ebenfalls in 8,34c die Menschen in metaphorischer Rede dazu auf, die von ihr gegebenen Lebensregeln einzuhalten und intensiv auf sie achtzugeben. Dieser Sinn wird durch die Mehrdeutigkeit von ~i!3ti> ermöglicht; es bezeichnet ja an zahlreichen Stellen - wie oben erwähnt - das Einhalten der Gebote JHWHs. Für "TptP in 8,34b ist dann von Versteil c her ebenso eine übertragene Bedeutung anzunehmen. In dieser Weise verstanden, fordert die Weisheitsgestalt ihre Anhängerinnen und Anhänger in Prov 8,33f. mittels konkreter sowie bildhafter Rede auf, die von ihr gegebenen Lebensregeln zu beachten. Daneben kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Autorinnen oder Autoren hier einen Hinweis auf einen kultischen Aspekt der Weisheitsgestalt angebracht haben. Er macht sich an dem Tatbestand fest, daß die in 8,34 in der Türmetaphorik verwendeten Worte in dieser Zusammenstellung sonst nur zur Bezeichnung der Tempeltüren dienen (s. o.). Analog zu den Tempeltüren des Hauses J H W H s würde dann die Weisheit in 8,34 einen - imaginären - Tempel besitzen. Diejenigen, die ihr nachfolgen, 458 Daneben finden sich auch Menschen als Subjekte von „behüten" und „bewachen": Prov 16,17; 21,23; 22,5. 459 A. B A U M A N N 1977a, 247. 460 Ebd. 461 Dazu s. o. S. 69-72. 462 S. o. S. 160. 463 Dazu s.o. S. 153-155.
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Textuntersuchungen zu Prov 8
sollen sich in der Nähe dieses „Tempels", d. h. konkret ihrer Gebote und Lebensregeln, aufhalten. Damit wäre noch keine Sakralisierung der weisheitlichen Gebote ausgesprochen, aber die Gebote wären sozusagen die „Eingangstore" zum „Heiligtum", zum „Lebenskreis" der Weisheit selbst. f) Die Begründung des Makarismus (Prov 8,35f.) a) Die „Verheißung" (Prov 8,35) Im zweiten Unterabschnitt von Prov 8,32-36, V. 35f., spricht die Weisheit mit bislang nicht dagewesener Deutlichkeit über die Folgen des positiven (V. 35) wie negativen (V. 36) Verhaltens der Menschen ihr gegenüber. Was sich hinter den Zusagen der Weisheit vom Leben-Finden und vom Erlangen des Wohlgefallens von J H W H (V. 35) verbirgt, sollen die folgenden Untersuchungen erhellen. • " n „Leben" ist, wie Ringgren ausführt, im Alten Testament ein positiv qualifiziertes Wort, das über die Bezeichnung des bloßen physischen Daseins hinausreicht: „häjäh heißt ... nicht nur ,am Leben sein oder bleiben' sondern auch ein vollwertiges, reiches und glückliches Leben führen." 4 6 4 Gerleman stellt darüber hinaus fest: „hajjTm , Leben' ist im Unterschied zu ncefces kein selbstverständliches Wesensmerkmal des Menschen, sondern eine Gabe Gottes." 465 Dieser besondere Charakter des Lebens findet vor allem in Dtn 30,15-20 466 einen Ausdruck: n i t a r r n s i a , 9 n n - n x a v n t?? 1 ? ' n n ? 15 : snn-nxi nian-nxi VDTja t ^ K n i r r - n s nanx 1 ? a v n ^ i x a ' 3 i s -itfx 16 v o s t f a i v r i p m v r i i s a -ibip^i 1 : nntth ? n aT Tu r x aT nnx—itfx p' -VuT «T t ^ xVS mT r rS ?pnai rram n "* Tm! T • : T V I . - .. TS T 1
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T
T —. R
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' ••.
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18
~
464
RINGGREN 1 9 7 7 , 8 8 5 .
465
GERLEMAN 1978b, 555. Die Verse sind mit PREUSS 1982, 60 als deuteronomistisch anzusehen.
466
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19
20
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Die Texte über die Weisheitsgestalt
15 Sieh, ich habe heute vor dich hingestellt das Leben und das Gute, den Tod und das Böse, 16 indem ich dir heute befehle, JHWH, deinen Gott, zu lieben, auf seinen Wegen zu wandeln und seine Gebote, [und] Satzungen und Rechtsbestimmungen einzuhalten; du wirst leben, du wirst zahlreich werden, und JHWH, dein Gott, wird dich segnen in dem Land, in das du gehst, um es in Besitz zu nehmen. 17 Aber wenn du dein Herz (ab)wendest und nicht hörst und dich abbringen läßt und dich verneigst vor anderen Göttern und ihnen dienst: 18 (so) teile ich euch heute mit, daß ihr sicher umkommen werdet, und ihr werdet nicht lange leben auf dem Erdboden, auf dem zu gehen und den in Besitz zu nehmen du den Jordan überquerst. 19 Ich rufe gegen euch heute als Zeugen den Himmel und die Erde an: Das Leben und den Tod habe ich vor dich hingestellt, den Segen und den Fluch. Du sollst das Leben auswählen, damit du lebst, du und deine Nachkommen, 20 zu lieben JHWH, deinen Gott, und auf seine Stimme zu hören und an ihm festzuhalten. Denn darin besteht dein Leben und die Länge deiner Tage, daß du wohnst auf dem Landbesitz, den JHWH deinen Vätern Abraham, Isaak (und) Jakob zu geben geschworen hat. (Dtn 30,15-20) In diesem Text werden Gebotserfüllung und Liebe zu JHWH eng mit der Verheißung von Leben verknüpft. Die Nähe der Aussagen dieses Textes zu verschiedenen Aussagen über die Weisheit in Prov 1-9 hat u. a. schon Weinfeld betont: „The author of Deuteronomy enjoins Israel to choose life and the good and to reject death and the bad (30:15 and 19); Wisdom similarly avers that ,he who finds me finds life ... all who hate me love death' (Prov. 8:35-6). The author of Deuteronomy says of Law: ,For (it) means life to you and length of days' T T ! Sin '3 •pa' "pir (30:20); the sages similarly say of Wisdom: ,For she is your life' STI 'D D'Tl (Prov. 4:13) 467 or ,long life is in her right hand' n r a ' a D'H1 l i s (3:16), the only difference being that in wisdom literature the Israelite is addressed as an individual whereas in Deuteronomy he is addressed as a member of the national body." 468 467 Zu dieser Stelle muß - gegen WEINFELD 1972, 308 - angemerkt werden, daß sich die genannte Aussage in Prov 4,13 auf "lOin „Erziehung" und nicht unmittelbar auf die Weisheit bezieht. 468
WEINFELD e b d .
Textuntersuchungen zu Prov 8
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Neben der Lebensverheißung besteht auch in bezug auf die Wegelehre eine Parallele zwischen Prov 1-9 und Dtn 30,15—20.469 Der Unterschied zwischen beiden Texten besteht darin, daß in Dtn 30,15-20 über den Weg JHWHs gesprochen wird, der das Leben ist, während in Prov 1-9 die Entscheidung für den Weg der Weisheit derjenigen für den Weg des Lebens gleichkommt. Wie weit die inhaltliche Nähe von Dtn 30,15-20 zu Prov 8,35f. geht, ist erst nach der Untersuchung von Prov 8,35b zu entscheiden. Zunächst ist aber noch nach eventuellen Parallelen zum „Finden des Lebens" in V. 35a zu suchen.470 Im Alten Testament gibt es außer Prov 8,35a nur noch einen Vers, in dem die Wortverbindung D,9n XXD vorliegt: : Ti3Di n j m D,9n xx»? Tom n p i x «iri Wer Gerechtigkeit und Gnade nachjagt, wird Leben [, Gerechtigkeit]471 und Ehre finden. (Prov 21,21) Wie in Prov 8,35a - und ähnlich in Dtn 30,15-20 - wird auch hier das Finden von Leben mit gerechtem Verhalten verbunden. Dies wird in unterschiedlicher Weise zur Sprache gebracht: In 8,35a ist es im Finden der Weisheit angesprochen,472 und in 21,21 im „Jagen" nach np"7S und "TOn. Neben dieser direkten Parallele der Wortverbindung D"n XXD besteht auch sonst in den Proverbien eine enge Beziehung zwischen Leben und Weisheit samt ihren Parallelbegriffen. In über der Hälfte aller Belege von • v , n in den Proverbien wird davon gesprochen, daß die Weisheit und ihre Parallelbegriffe (3,18.22; 4,13.23; 6,23; 8,35; 10,17; 11,19; 12,28; 14,27; 15,31; 16,22; 19,23 und 21,21) oder die Worte von Lehrenden (3,2; 4,10.22; evtl. 9,11) oder Weisen (13,14) zum Leben führen. Die Verbindung zwischen Weisheit bzw. weisem oder gerechtem Verhalten und „Leben" ruht also im gesamten Proverbienbuch auf einer breiten Basis. Sie ist nicht erst in den Kapiteln 1-9 zu finden. In Versteil 35b wird das Finden von Weisheit und Leben nun mit dem „Erlangen" 473 (pis II Hif.) des Wohlgefallens von JHWH (nirra tfari) verknüpft. Im „Sprachgebrauch des AT [ist] rsh nicht nur als zentraler 469 „The conception of life as a ,way' that man is to choose for himself is found in Deut. 30:15-20 and accords, in effect, with the doctrine of the ,path of life' or ,way of life' which predominates in the book of Proverbs and is equally common in Egyptian wisdom literature." AaO. 307f. Dazu vgl. auch oben S. 107-110. 470 Das Finden der Weisheit - Haan NXB - ist schon oben auf S. 100-102 genauer untersucht worden. 471 Die Wiederholung von n f T S in Versteil b ist aufgrund inhaltlicher Gründe an dieser Stelle zweifelhaft. 472 Zur ethischen Qualifizierung von „Weisheit" s.o. S. 107-110. 473 Diese Bedeutung hat die Wurzel nach HAL, 869 nur in Prov 3,13; 8,35; 12,2; 18,22; Sir 4,12 und 35,15.
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Die Texte über die
Weisheitsgestalt
theologischer Terminus aufzufassen, in dem grundlegende Beziehungen zwischen Gott und Menschen zum Ausdruck kommen, sondern auch als besonderer term. techn. des Opferkultes ,.." 4 7 4 In Prov 8,35 wird Iis"], was nur hier und in Prov 12,2; 18,22 der Fall ist, in Verbindung mit p + rnrr verwendet. Diese Verwendung verleiht dem Wort eine andere Bedeutung, als es sonst innehat. An den meisten anderen Stellen ist "pX"l ein relationaler Begriff, der die Haltung J H W H s z. B. zu den ihm dargebrachten Opfern oder zu einem bestimmten menschlichen Verhalten zum Ausdruck bringt. „Wohlgefallen" J H W H s bezieht sich dort immer auf eine andere Größe, der gegenüber J H W H wohlgefällig ist. In Prov 8,35; 12,2 und 18,22 wird TiX"l selbst als eine Größe gedacht, die die Menschen von J H W H wie ein Geschenk in Empfang nehmen können; die Bedeutung könnte eher „Wohlgefälliges" sein. 475 Inhaltlich ist bei dieser Bedeutung eine Nähe zu ri3"]3 „Segen" festzustellen. 476 Es ist daher auch für "pan in Prov 8,35 ein anderer als ein kultischer Bedeutungshintergrund zu vermuten. Eher scheint es sich bei der Wendung PID Hif. + Hin 1 » Iis") um eine in der älteren israelitischen Spruchweisheit (Prov 12,2; 18,22) geprägte Wendung zu handeln, die zunächst in bezug auf das Verhalten des Guten (aiü; 12,2) wie auch in bezug auf das Finden einer Frau, die ein „Gut" ist (18,22a: aiü XXB ntPN KSö), gebraucht wird. Der zweite Halbvers von Prov 18,22 stimmt mit 8,35b wortwörtlich überein, und auch in den ersten Halbversen gleicht sich die doppelte Erwähnung von XXö Q. Allerdings ist es in 8,35 die Weisheitsgestalt, die solches von sich aussagt. Es ist anzunehmen, daß von den Autorinnen oder Autoren von Prov 1-9 die ältere Wendung, wie sie sich in 18,22 findet, wegen der Verbindung über die Weisheit als weibliche Personifikation bewußt aufgenommen und umgestaltet worden ist. So wird den in 8,35 Angesprochenen nahegelegt, ihr Verhältnis zur Weisheit analog zu einem ehelichen Verhältnis zu gestalten. Die mögliche Analogie wird aber in 8,35 in mehreren Punkten durchbrochen: Die Weisheitsgestalt spricht hier über sich selbst. Als transzendente Gestalt kann sie eine solche Verheißung aussprechen. Im Mund einer Frau wäre ein Selbstlob wie 18,22 kaum denkbar. Ebenfalls ist es nur schwer vorstellbar, daß sich 8,35 ausschließlich an Männer richtet wie aber offensichtlich bei 18,22 angenommen werden muß. Schließlich ist die Zusage der Weisheitsgestalt mit der Lebensverheißung auf der einen Seite (8,35) und mit Drohungen auf der anderen Seite (8,36) verbunden. Auch dies wäre als Aussage einer Frau kaum glaubwürdig. 474
475
BARST AD 1 9 9 3 , 6 4 3 .
„räsön wird auch objektiviert benutzt: ,das was wohlgefällig (usw.) ist'. Manchmal ist es semantisch unmöglich, zwischen dem Verbderivat räsön und Formen von rsh zu scheiden." AaO. 648. 476 Für das Verb n m stellt dies BARSTAD aaO. 641.643 fest.
Textuntersuchungen
zu Prov 8
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Die Veränderung des Kontextes bei der Aufnahme des leicht abgewandelten Verses 18,22 bewirkt also eine erhebliche Verschiebung in der Bedeutung des Verses. Trotzdem läßt sich wegen der weitgehenden Übereinstimmungen annehmen, daß den Hörenden von 8,35 die ursprüngliche Aussage des Volkssprichwortes noch gegenwärtig war, um auf diesem Hintergrund den umgestalteten Vers zu verstehen. Demnach beinhaltet Prov 8,35 in der jetzigen Form beides: sowohl die Zusage, göttliches „Wohlgefallen" zu erlangen, als auch die hinter dem Vers stehende Anspielung auf ein Eheverhältnis nach Prov 18,22. Theologisch besonders herausgehoben ist in V. 35, daß die Weisheit für sich quasi die „Verfügungsmacht" über JHWHs Wohlgefallen reklamiert. Die Haltung der Menschen ihr gegenüber - so kann die Weisheit hier sprechen - spiegelt sich in direkter Weise in JHWHs Haltung den Menschen gegenüber. Dies kann außer der Weisheit niemand sonst im Alten Testament von sich behaupten. ß) Die „Drohung" (Prov 8,36) In Prov 8,36 qualifiziert die Weisheit die Haltung derjenigen Menschen genauer, die nicht auf ihre Weisung zu hören bereit sind. Das tut sie zunächst unter Zuhilfenahme des Verbs XOH In diesem Vers wird Kün anders verwendet, als es meist der Fall ist. Hier geht es nicht darum, daß sich jemand (eventuell an etwas) versündigt, sondern daß jemand etwas verfehlt. Kün mit direktem Objekt bzw. in transitiver Verwendung kommt sonst nur noch an wenigen Stellen im Alten Testament vor: in Jes 65,20; Hi 5,24477 sowie in Jdc 20,16 und Prov 19,2 478; außerdem rechnet Porübcan auch Gen 31,39; Ps 25,8 und Lev 5,15f. dieser speziellen Bedeutung zu.479 Auch Hab 2,10 kann hier genannt werden. Mit Knierim ist festzuhalten, daß das Verb Xün im Alten Testament fast ausschließlich in übertragener, also metaphorischer Bedeutung verwendet wird.480 Nur an wenigen Stellen liegt wie in Prov 8,36 der wörtliche Gebrauch vor. Außer hier sowie in Prov 20,2; Hab 2,10 - an allen drei Stellen mit dem Objekt - werden dabei konkrete Menschen oder Dinge „verfehlt". Die einzige theologische Größe, die verfehlt wird, ist die Weisheit. 477
So HAL, 292f.
478
S o KOCH 1 9 7 7 , 8 6 0 .
479
PORÜBCAN 1 9 6 3 , 5.
480 KNIERIM 1965, 56f. stellt fest, daß „die Wurzel hf im alttestamentlich-biblischen Sprachgebrauch ihrer profanen Bedeutung entkleidet und als Begriff zur Bezeichnung eines fast ausschließlich religiösen Sachverhaltes nahezu völlig einseitig in Anspruch genommen wurde." Eine Diskussion darüber, ob der wörtliche oder der übertragene Gebrauch des Verbs älter ist, trägt für die hier vorzunehmende Untersuchung nichts aus und ist daher an dieser Stelle nicht zu führen.
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Die Texte über die
Weisheitsgestalt
Überwiegend in theologischem Kontext jedoch findet sich die übertragene Verwendung von Nün. Es kann daher angenommen werden, daß durch die besondere Verwendungsweise von Xün in Prov 8,36 nicht nur ausgesagt werden soll, daß es sich um ein „willentliches Verfehlen"481 der Weisheit handelt, sondern daß durch die Verwendung innerhalb eines theologisch geprägten Kontextes auch die übertragene Bedeutung des Wortes „sich versündigen" anklingen soll. Es wird mit dieser Verwendung von xon nahegelegt, das Verfehlen der Weisheit mit dem sonst als „sich verfehlen" wiederzugebenden religiösen Gebrauch von Xün in eins zu setzen. Die Weisheit zu verfehlen bzw. sich an ihr zu versündigen wird nicht von den gleichen Folgen begleitet wie das Sich-Versündigen JHWH gegenüber. Die Folgen von letzterem werden in Teilen des Alten Testaments drastischer formuliert: „Deutlich ist in jedem Falle, daß hattät und mäwat zusammengehören (Ex 10,17). Wer sich mit hattat umgibt, muß notwendigerweise sterben." 482 Demgegenüber werden die Folgen der Sünde in den älteren Proverbien als relativ harmlose geschildert: Sie bestehen z. B. in einer nicht weiter spezifizierten Vergeltung (Prov 11,31), Unglück (13,21) oder Besitzübertragung an die Gerechten (13,22). In Prov 1-9 werden allerdings, ganz im Sinne der oben genannten Stellen, Sünde und Tod miteinander in Verbindung gebracht; in 5,22f. wird der J7BH als derartig in seine Sünden verstrickt geschildert, daß er sterben muß. Diese Verbindung von Nüfl und Todesnähe findet sich auch in Prov 8,36. Wie tf sa Dan und das „Lieben des Todes" in 8,36aßb zum Ausdruck bringen, ist das Verfehlen der Weisheit von gravierender Lebensminderung begleitet. Beide Ausdrücke sollen nun genauer betrachtet werden. Das Verb Dan I 483 „Gewalt antun" ist im Q. nur fünfmal im Alten Testament belegt. Dieser Bedeutung korrespondiert noch ein Beleg im Nif. Nur in Prov 8,36 ist WS} Objekt von Dan. Allerdings wird in Ez 22,26 und Zeph 3,4 ausgesagt, daß der rnifi (JHWHs) Gewalt angetan wird. Dan wird also nicht nur in Prov 8,36 in metaphorischer Bedeutung verwendet. Bei der Verwendung von in Prov 8,36 ist zu beachten, daß das Wort hier zwei unterschiedliche Implikationen hat. Zum einen bezeichnet t^Qp. „Vitalität" oder „Lebenskraft". 484 Zusammen mit • 1 , n - mit dem es nicht 481 KNIERIM ZU Prov 8,36; „Wir stellen zweierlei fest: 1. ht' steht in Antithese zu ms (V. 35a), bedeutet also ,verfehlen'. 2. Der Kontext legt ein willentliches Verfehlen nahe, so daß darin nicht nur das Ergebnis des Tuns, sondern auch dessen Motiv enthalten ist." (AaO. 56) 482
KOCH 1977, 861.
483
Nach HAL, 316. So SEEBASS 1986a, 546.
484
Textuntersuchungen
169
zu Prov 8
vollständig bedeutungsgleich ist - bildet WD} das Gegenteil zu „Tod". 485 WD} „... erschließt die menschliche Existenz als ein Verhältnis zu sich selbst als der Lebensenergie, und diese gibt es nicht ohne ein Verhältnis zu Gott." 486 In Prov 1-9 wird über WD} vor allem ausgesagt, daß sie durch gemeinschaftsschädigendes Verhalten, das sich sowohl gegen die Mitmenschen wie gegen JHWH richtet, geschädigt oder vernichtet werden kann (durch Raub in 1,18f.; durch Ehebruch in 6,26.32; 7,23). Daraus ist zu schließen, daß das Schädigen der WD} dem Handeln eines „Frevlers", eines 3?W"l, gleichkommt. Daneben ist WD} ein geschlechtsneutraler Ausdruck. Es kann - in der Verwendung als Reflexiv- oder Personalpronomen - zur Bezeichnung von Personen beiderlei Geschlechts verwendet werden.487 Ähnliche geschlechtsneutrale Ausdrücke sind, wie Untersuchungen der häufigsten Anreden wie D"TS, W'X/HWX, la/na und WD} ergeben, nicht oft in Prov 1-9 zu finden. la/D'ia als „Kind/er", D"rx-,12 als „Menschenkinder" und D1S als „Mensch" sind zwar potentiell geschlechtsneutral verwendbar, doch in Prov 1-9 in einem Drittel der Erwähnungen durch den Kontext - Ehebruch mit einer verheirateten Frau - eindeutig auf eine maskuline Bedeutung festgelegt. Bei den Vorkommen von tt^x ist dies sowieso der Fall; und auch WD} ist in 6,26.30.32; 7,23 durch den Kontext als maskulin bestimmt. Frauen kommen in Prov 1-9 bis auf wenige Ausnahmen nur in negativer Beschreibung vor: als sich prostituierende, ehebrechende oder törichte Frauen (2,16; 6,24.26.29.32; 7,5.10; 9,13) oder als die „Fremde" n n s j (in 2,16; 5,20; 6,24; 7,5), die wiederum als Ehebrecherin dargestellt wird. Die wenigen positiven Erwähnungen von Frauen findet sich in 5,18 in der „Frau der Jugend", der ein Mann treu bleiben soll, und in der lehrenden Mutter in 1,8; 6,20.488 Kein einziges Mal wird in Prov 1-9 in expliziter Weise eine Frau angesprochen. Jedoch findet sich keine der negativen Qualifizierungen von Frauen im Munde der Weisheitsgestalt. In den IchReden der Weisheitsgestalt wird das Thema „Ehebruch" nicht berührt. Demnach ist davon auszugehen, daß alle inklusiv zu verstehenden Ausdrücke in den Anreden der Weisheitsgestalt sich tatsächlich an Menschen beiderlei Geschlechts wenden. Die Verwendung des geschlechtsneutralen WD} in 8,36 ist ein weiterer Hinweis hierauf. Zum Ausdruck gebracht wird also durch WS} in 8,36 zweierlei: zum einen, daß sich die Warnung der Weisheit an Männer wie Frauen richtet, und zum anderen, daß ein Verfehlen der Weisheitsgestalt einem gemeinschaftsschädigenden, die D'yBn kennzeichnenden Verhalten gleichkommt. 1
••
• T
"
TT
" !
485
So aaO. 538; zum Verhältnis von D"n zu WS: s. o. S. 163.
486
SEEBASS 1986a, 552.
487
So aaO. 536.550; hierzu vgl. auch z. B. JOÜON 1947, 453. Der hier verwendete Ausdruck 11.1S3 niPN findet sich auch in Mal 2,15.
488
TT
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Die Texte über die
Weisheitsgestalt
Es bleibt noch V. 36b zu untersuchen. Zum Hassen (NJttf) ist zunächst anzumerken, daß das Partizip im Pi. wie im Q. sonst die Hasser bzw. Feinde JHWHs 489 oder verschiedener Menschen (-gruppen) 490 bezeichnet. In Prov 8,36b handelt es sich um die unmittelbaren Antipoden derer, über die die Weisheitsgestalt in 8,17.21 gesprochen hat: die sie Liebenden. Vom Lieben ist unmittelbar nach dem Hassen der Weisheit auch in 8,36 die Rede: Wer die Weisheit haßt, liebt den Tod. Dieser Ausdruck „den Tod lieben" (3nx Q.+ nia) ist im Alten Testament singulär. Es gibt aber Aussagen, die inhaltlich in die gleiche Richtung gehen; gemeint ist dabei, den Tod dem Leben (Jer 8,2f.) bzw. Schmerzen (Hi 7,15) vorzuziehen ("IM Q.). Zur Verwendung von 3HX in Prov 8,36 ist die Feststellung von Wallis erwähnenswert: Das Lieben bewegt sich „nicht mehr allein auf der Ebene der Emotionen, sondern auf der der ethischen Verantwortlichkeit des Handelns, die dem subjektiven Ausleben des Empfindens und Begehrens feste Schranken setzt. In solchen Zusammenhängen bezeichnet 3HX das positive Verhältnis zu einer bestimmten - guten oder bösen - Handlungsweise."491 Das „Hassen" und „Lieben" in Prov 8,36 hat, auch durch diese ethische Bedeutung, wiederum eine enge Parallele in Dtn 30,16.20.492 Die Liebe zu J H W H konkretisiert sich dort im Halten der Gebote und hat ein gutes Leben zur Folge. Die Verse im Deuteronomium gehen nicht so weit, den „anderen Weg" als den des Hassens JHWHs zu beschreiben. Allerdings führt das Abwenden von JHWH zum Tod (Dtn 30,15.19), aber das Verfehlen und Hassen der Weisheitsgestalt impliziert die Todesliebe, nicht den Tod selbst. Der Tod (niö) kommt in Prov 1-9 außer in 8,36 nur in der Bedeutung „Totenreich" u. ä. vor, nämlich zur Bezeichnung des Ortes, zu dem die „Fremde" oder Ehebrecherin die Verführten geleitet (2,18; 5,5; 7,27). Insofern knüpft die Rede der Weisheitsgestalt hier durch die Erwähnung des Todes an die Rede von der „Fremden" an. Die Weisheit stellt die Menschen - ähnlich J H W H in Dtn 30,15-20 vor die Alternative, sie entweder selbst zu finden und zu lieben (mit 8,17) und dadurch Leben und Wohlgefallen von JHWH zu erlangen, oder aber sie zu verfehlen, sie zu hassen und Liebende des Todes zu werden. Weisheitsliebe und Todesliebe sind die Alternativen, vor die die Menschen in 8,17.35f. gestellt werden, ähnlich wie sie sich in Dtn 30,15-20 zwischen JHWH-Liebe und Tod entscheiden müssen.
489
So in Ex 20,5; Dtn 5,9; 7,10; 32,41; N u m 10,35; Ps 68,2; 81,16; 83,3; 139,21; II Chr
19,2.
490
Hierzu vgl. LIPINSKY 1993b, 830.
491
WALLIS in: BERGMAN/HALDAR/WALLIS 1 9 7 3 ,
492
Dazu s.o. S. 163-165.
119.
Textuntersuchungen
zu Prov 8
171
g) Zusammenfassung In Prov 8,32-36 bündelt die Weisheitsgestalt ihre Botschaft von Kap. 8 und führt die Konsequenzen von Annahme und Ablehnung ihres Appells, auf sie zu hören, vor Augen. In den zwei Makarismen wird zunächst (V. 32b-33) expressis verbis der erzieherische Anspruch der weisheitlichen Rede als ein zum Heil führender hervorgehoben und dann in bildhafter Sprache (V. 34) derjenige Mensch gepriesen, der sich an die Mahnungen der Weisheit hält. In der Begründung der Makarismen (V. 35f.) präsentiert sich die Weisheit als eine zum Leben führende Gestalt. Wer sich um ein gutes Verhältnis zu ihr bemüht, dem kann sie vollmächtig die Gabe des Lebens und das Wohlgefallen von JHWH zusichern. Wer sich ihr dagegen nicht zuwendet, ist den Frevlern und Gottesfeinden gleichzusetzen. Diesen Menschen bleibt statt der Liebe zur Weisheit als Alternative nur die Liebe zum Tod. In vielfältiger Weise werden in diesem Schlußteil von Prov 8 (V. 32-36) schon vorher anklingende Motive wieder aufgenommen: das Hören auf die Weisheit (8,4) und die Liebe zur Weisheit (8,17.21), das Beachten ihrer Erziehung (8,5.9f.) und die Zusage von Wohlgefälligem (8,18.21). Die Drohung in 8,36 erinnert an die Warnung in 1,32, und die Erwähnung des Todes verweist auf die Folgen einer Hinwendung zur „Fremden". Der Abschnitt 8,32-36 ist in sprachlicher und inhaltlicher Hinsicht mit Dtn 30,15-20 verwandt. In Prov 8,32-36 spricht die Weisheit mit einer Vollmacht, die sonst nur JHWH für sich in Anspruch nimmt.
7.
Zusammenfassung
In ihrer Rede in Prov 8 tritt die Weisheit als Gestalt am belebtesten Ort der israelitischen Stadt auf (V. 3). Das Sprechen bzw. Rufen gerade an diesem Standort verleiht ihr den Charakter einer Prophetin. Die Positionierung an der Wegkreuzung (V. 2b) verdeutlicht im Bild, was auch durch die Wortwahl für die Angesprochenen hervorgehoben wird: Die Weisheitsgestalt wirbt um Gehör bei unerfahrenen Menschen (V. 5) und ruft sie zu einer Entscheidung über ihren zukünftigen Lebensweg auf, und zwar für den Weg der Weisheit (V. 20). Daß ihrem Ruf zu vertrauen ist, begründet die Weisheitsgestalt mit der einzigartigen Qualität ihrer Rede. In direkter Weise preist sie ihre Worte und Wege als über jeden Zweifel erhabene (V. 6-9). Die außerordentlich hohe Autorität ihrer Rede wird auch dadurch betont, daß sie in der rnspfl-Formel an JHWH-Rede erinnert (V. 7). Augenfälliger hebt dann der Vergleich mit materiellen Kostbarkeiten (V. lOf. 19) den hohen, über jeden konkreten Besitz erhabenen Wert der Weisheit hervor.
172
Die Texte über die
Weisheitsgestalt
Wie diese einzigartige Weisheit zu dem, was Menschen bisher über Weisheit und Erkenntnis wußten, in Verbindung steht, schildern die Verse 12-16. Zum einen entspricht die in der Weisheitsgestalt verkörperte Weisheit der sonst nur Menschen eigenen DJ'3, zum anderen aber auch der die theologische Ebene einbeziehenden JHWH-Furcht. In der Weisheitsgestalt ist beides vereinigt. Wie der Vergleich mit anderen alttestamentlichen Texten zeigt, in denen eine ähnliche Häufung von Weisheitssynonymen anzutreffen ist, kann die Weisheitsgestalt beide „Weisheiten", göttliche wie menschliche, in sich vereinigen. Das ist möglich, weil auch menschliche Weisheit letztlich Gabe Gottes ist; dies wird in V. 15f. am Beispiel der Fähigkeit zu gerechter Regierung verdeutlicht. Die besondere Gabe, die sich in der Weisheitsgestalt darstellt, soll und kann von den Menschen geliebt werden. Ein Vorbild für die Weisheitsliebe besteht im dtr Topos vom Lieben JHWHs. Die menschliche Liebe zur Weisheit soll von einer derartigen Intensität sein, wie sie sonst nur von Verliebten empfunden wird (V. 17). Solch intensiver Liebe folgt, daß die Weisheitsgestalt die sie Liebenden von materiellen Sorgen befreit (V. 18.21). Wer dagegen die Suche nach Reichtum derjenigen nach Weisheit vorzieht, wählt die wesentlich unsicherere und gefährlichere Alternative. Die Grundlage für die vollmächtige Position der Weisheitsgestalt wird am Beispiel der Welterschaffung erläutert. Die Weisheit erscheint hier als nächst JHWH höchste Expertin für die Ordnung der Welt, da sie schon bei der uranfänglichen Schöpfung anwesend war. JHWHs Erschaffen der Welt, das mit den gleichen Termini ausgedrückt wird wie das Rechtsetzen JHWHs für Israel (V. 27-29), wird von den Blicken der jungen Weisheitsgestalt an JHWHs Seite begleitet. So kann sie, JHWHs erstes und bestes Werk, aus berufenem Munde über die Ordnung der Welt zu den Menschen sprechen. Daß die Weisheit ein „hohes" Geschöpf Gottes ist, läßt sich aus ihrer Erschaffung direkt vor der des Himmels erschließen (V. 27). In anderen Texten von Prov 1-9 ist ihr die fremde Frau als Gestalt der Scheol entgegengesetzt. So wird die Entscheidungssituation, vor die die Menschen gestellt sind, in kosmischen Dimensionen abgebildet. Während der Beginn der von der Weisheitsgestalt geschilderten Weltschöpfung durch eine heitere Stimmung geprägt ist (V. 30f.), die das enge Verhältnis von JHWH, Weisheit und Menschen unterstreicht, ist der Abschluß von Prov 8 durch einen ernsten Ton bestimmt. Allerdings beginnt er, die hymnische Form der vorangegangenen Verse aufnehmend, mit zwei Makarismen. In diesen preist die Weisheit diejenigen, die auf sie hören bzw. ihr gehorchen. Dadurch stellt sie sich erneut als eine Gestalt dar, die für das menschliche Wohlergehen sehr wichtig ist: In der Stellung zur Weisheit entscheiden die Menschen darüber, ob sie Leben oder Tod
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Weisheitsgestalt
als bestimmende Größe für ihre Zukunft wählen. Damit legt die Weisheitsgestalt zum Schluß ihrer Werberede das Gewicht auf den mahnenden Aspekt ihrer Worte. Den Menschen wird hierdurch noch einmal die Tragweite ihres Tuns und die Wichtigkeit der Weisheit vor Augen geführt. IV. Textuntersuchungen zu den weiteren Ich-Reden der Weisheitsgestalt 1. Prov 1,20-33 a) Text und Übersetzung : n ^ i p I n n n i a f n a na-in r i n a n i a a n
20
: - i a N h n n a s *rs?a a n s ? » ' n n s a t n p n n v a n » K h a
21
: ns?•T-^K3» , B ' V ' D a i an 1 ? n a n l i s V a , x'?'i ' n s l a n x n a ' n s ' n a - i s ?
22
n y i i s ' n n aa 1 ? n y a x n a n 'rinain 1 ? l a i t f n
23
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1
: a i v a x s ? ' f i n a i n i 'fix»"1?? i s - i s i t i : a a ^ n ? s a a as?1?« : npixi r m
a r n ^ a 'aaraa
aa^s? s a a nntr natoa a a i - x i a a i n s nixtra x a a :
24 25 26 27
kVi ' i n n ® ) n a s w x ^ i ' ^ x - i i p ' m
28
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29
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30
: watt" an'risyaai a r n n s a ^ a i r i
31
: aiasn a'^pa
aa-inri a ' n s n a i t f a ' a
: ns?n i n s a l a s a n n ö s n a t f ? ^
32
5?afen 3 3
20 (Die) Weisheit493 ruft lautstark auf der Gasse, auf den Plätzen erhebt sie ihre Stimme. 21 An der Ecke494 der lauten Orte495 ruft sie, an den Öffnungen der Stadttore spricht sie ihre Worte: 22 „Wie lange noch, ihr Unerfahrenen, liebt ihr die Einfalt, haben die Frechen Gefallen an ihrer Frechheit und hassen die Dummen die Erkenntnis? 493 Die pluralisch aussehende Endung muß hier wie in 9,1 (mit GK 2 8 , § 86 1) wegen des singularischen Verbs als Sonderform der Singularendung, vergleichbar z. B. n'Bfan, verstanden werden; vgl. auch die Diskussion bei Bühlmann 1976, 216f. 494 Bröl soll hier nach HAL, 1087 als Ende bzw. Ecke von Gassen (Jes 51,20; Thr 2,19; 4,1) oder Wegen (Ez 16,25) wiedergegeben werden. 495 Hier ist zum Verständnis des Textes keine Konjektur notwendig; vgl. den Hinweis von P l ö g e r 1984, 13 auf die adjektivische Verwendung von n»öin in Jes 22,2. Die Über-
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Die Texte über die
Weisheitsgestalt
23 Kehrt ihr zurück zu meiner Mahnung, siehe, (dann) werde ich für euch meinen Geist überquellen lassen; ich werde euch meine Worte erkennen lassen. 24 Weil ich rief und ihr euch geweigert habt, ich meine Hand ausstreckte und niemand aufmerkte, 25 ihr nicht beachtet habt all meinen Rat, und meine Mahnung nicht wolltet, 26 (darum) werde ich mich über euer Unglück freuen, werde spotten, wenn euer Unheil kommt. 27 Wenn wie Verderben 496 euer Unheil kommt, und euer Unglück wie ein Sturmwind naht; wenn über euch Not und Bedrängnis kommen 28 dann werden sie mich rufen, und ich werde nicht antworten; sie werden nach mir suchen, und sie werden mich nicht finden. 29 Da sie (die) Erkenntnis haßten und die Furcht J H W H s nicht erwählten, 30 nicht wollten meinen Rat, all meine Mahnung verschmähten 31 werden sie essen von der Frucht ihres Weges und sich sättigen an ihren (eigenen) Ratschlägen. 32 Denn die Abtrünnigkeit der Unerfahrenen tötet sie, und die Sorglosigkeit der Dummen vernichtet sie. 33 Wer aber auf mich hört, wohnt in Sicherheit und lebt in Ruhe vor verderbendem Unheil." b) Aufbau und Struktur des Abschnitts Die erste Ich-Rede der Weisheitsgestalt umfaßt die Verse 20-33 des ersten Kapitels des Proverbienbuches. Sie steht zwischen zwei Reden der weisheitlichen Lehrperson, die mit der Anrede ' j a „mein Kind" beginnen (1,8.10; 2,1). Die Weisheitsgestalt wendet sich in 1,20-33 nicht an die D'ia, sondern spricht ihr Publikum als D'HS, D'S'? und Q'Vpa, als „Unerfahrene" und deshalb Dumme, an (1,22). 497 Im gleichen Vers bringt die Weisheitsgestalt diese Anrede in Form einer Klage ('ria - !?? „wie lange noch") vor. Damit diese Klage in Zukunft gegenstandslos werden kann, fordert sie in V. 23 dazu auf, zu ihrer Mahnung (nnain) hin umzukehren (31® Q.). Es folgt die Verheißung der „Offenbarung" der weisheitlichen Lehre in V. 23bc. Setzung erfolgt in Abwandlung der wenig geeigneten in HAL, 241; die dort zu findende Wendung „lärmende Orte" läßt die Orte als Urheber des Lärms erscheinen, was eigentlich nicht beabsichtigt sein kann. 496 Hier soll dem Qere gefolgt werden, da der Text sonst nicht verständlich ist. 497 Zum Inhalt der Qualifizierung s. o. auf S. 75-78.
Die weiteren Ich-Reden
der
Weisheitsgestalt
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Der weitere Verlauf der Rede ist durch sich abwechselnde Zweiergruppen von Versen zu den Aspekten „Grund" und „Folgen" gekennzeichnet. Entfalten die Verse 24f. die negativ bewerteten Handlungen des Publikums, wobei die Anrede in der 2. Ps. PI. steht, 498 so folgt auf sie die Ankündigung negativer Konsequenzen in V. 26-28: Die Weisheit wird ihre Zuhörenden beim Eintreffen von Unheil nicht schützen, sondern verspotten. Selbst wenn dann eine Umkehr der - nun in der 3. Ps. PI. - Angesprochenen erfolgt und sie nach der Weisheitsgestalt rufen und suchen sollten, so kündigt die Gesuchte für diesen Fall jetzt schon Schweigsamkeit und Unauffindbarkeit an. Es gibt anscheinend keine zweite Chance zur Umkehr, wenn einmal der weisheitliche Weg verlassen wurde. In V. 29f. wird erneut der „Grund" beschrieben, und zwar, wie im ganzen Abschnitt V. 28-33, in der 3. Ps. PI. Dabei bezieht sich V. 30 eng auf V. 25: Beide Verse haben die Ablehnung ( m x N1?) von Rat (nS37) und Mahnung (nrnin) der Weisheit zum Gegenstand, jeweils mit dem Suffix der l. Ps. Sg. Die Verse 3lf. gehen - wie oben V. 26f. in der 2. Ps. PI. - auf die Konsequenzen dieses Tuns ein: Die, die nicht auf die Weisheit gehört haben, werden von den eigenen Früchten leben (V. 31), was in V. 32 Tod und Ausrottung zur Folge hat. In V. 33 erreicht der Text sein Ziel und seinen Gipfelpunkt. Das Hören (VllVi) auf die Weisheit läßt ihren Rat und ihre Mahnung aus V. 23.25.30 wieder anklingen. Die Weisheit ermuntert die Menschen dazu, zu ihr eine positive Beziehung statt eines ablehnenden Verhältnisses (V. 24f.29f.) aufzubauen. Das Hören auf die Weisheit allein genügt dabei, um vor Unheil und Schrecken ( i n ? V. 26f.33b) völlig sicher zu sein. Eine an den literarischen und rhetorischen Stilmitteln sowie an Form und Inhalt der Verse orientierte Gliederung des Abschnitts hat Trible 1975 vorgeschlagen. Sie arbeitet innerhalb einzelner Verse bzw. Versgruppen Chiasmen heraus (V. 25.26.26-27.27.29) 499 und kann für die ganze Rede 1,20-33 einen chiastischen Aufbau mit konzentrischer Anordnung nachweisen: „A Introduction: an appeal for listeners (vss. 20-21) B Address to the untutored, scoffers, and fools (vs. 22) C Declaration of disclosure (vs. 23) D Reason for the announcement (vss. 24—25) E Announcement of derisive judgement (vss. 26-27) D ' Result of the Announcement, with interruption (vss. 28-30) C' Declaration of retribution (vs. 31) B' Address about the untutored and fools (vs. 32) A' Conclusion: an appeal for a hearer (vs. 33)" 500 498 TRIBLE 1975, 512 bewertet den Wechsel zwischen 2. und 3. Ps. PI. bei den Angesprochenen als Wechsel von Nähe zu Distanz der Weisheitsgestalt ihnen gegenüber. Dieser findet sich auch schon in V. 22 zwischen Versteil a und b.c. 499 AaO. 513-516. 500 AaO. 511.
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Die Texte über die Weisheitsgestalt
Verbindende Elemente zwischen den sich entsprechenden Teilen der Rede sind: - A - A' (V. 20f. - 33): Ansprechen der Zuhörerschaft; Personen werden im Singular bezeichnet. 501 - B - B' (V. 22 - 32): Parallelität von D ^ S und D ^ Q S . 5 0 2 - C - C' (V. 23 - 31): Es bestehen kaum Parallelen; diese Tatsache wird von Trible als rhetorisches Äquivalent zum synthetischen Parallelismus membrorum bezeichnet. 503 - D - D' (V. 24 - 30): „It begins with Reason; it centers on Announcement; it ends with Result." 504 Das „Herzstück" V. 26f. ist doppelt chiastisch aufgebaut: zum einen die Verse je für sich (V. 26: durch Anordnung Objekt-Verb-VerbObjekt; V. 27: zum ersten Kl3/nnK, zum zweiten nNny/nsiD/^y und zum dritten •Tns/TS/n-}S/ni?1X), zum anderen die Verse zueinander (über die Stichworte I N ? u n d
"PS).505
V. 29 durchbricht die Schilderung des „Resultats" in V. 28-30, was den Vers nach Meinung Tribles besonders hervorhebt; die Weisheit verbindet hier ihre Motivation direkt mit göttlicher Autorität. 506 Die V. 24f. und 28.30, „Grund" und „Folge", sind durch vier verbale Negationen verbunden. 507 Als Zielpunkt des Gedichts sieht Trible V. 33 an. 508 Tribles beeindruckendes Schema hat m. E. einige Schwachpunkte. Nicht erkennbar bzw. kaum ausgeprägt ist die Parallelität zwischen V. 20f. und 33 (A - A') sowie die zwischen V. 23 und 31 (C - C'). 509 Auch bezieht Trible die Verslängen sowie den Wechsel zwischen Perfekt und Imperfekt consecutivum (neben V. 22b gehäuft in V. 24f.29f.) und Imperfekt (in V. 22ac.23.26-28.31f.) innerhalb des Textes nicht in ihre Gliederung ein. Die vorwiegend im Perfekt gehaltene Rede der Verse 24f.29f. rahmt den Abschnitt V. 26-28. An dieser Stelle führt die Beobachtung von Aletti weiter, daß V. 27 innerhalb der Weisheitsrede als zentral anzusehen ist. 510 Da der konditional gehaltene Vers aber für sich allein genommen keine sinnvolle Aussage macht und erst zusammen mit V. 26 und 28 einen Sinn ergibt, bildet m. E. der ganze Abschnitt V. 26-28 das Textzentrum.
Werden die grammatischen Aspekte und die Verslängen in die Textgliederung mit einbezogen, so ergibt sich folgendes Bild: V. 27 ist mit drei Stichoi das von den je zwei Stichoi umfassenden Versen 26 und 28 eingefaßte „Herzstück", dessen Sprache imperfektisch gehalten ist. Um dieses herum angeordnet sind je zwei zweistichige Verse, in perfektischer Spra501 502 503 504
AaO. AaO. Ebd. AaO. AaO. AaO. AaO. AaO.
518. 517.
512. 513. 506 515. 507 516. 508 518. 509 TRIBLE übersetzt RIN in V. 23b mit „thoughts" (aaO. 512), womit sie AT singulare Bedeutung gibt. 510 ALETTI 1977, 130.132. 505
NN
eine im
Die weiteren Ich-Reden der
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Weisheitsgestalt
che, die mit „weil" beginnen (24f.29f.). Eingebettet ist diese konzentrische Anordnung in zwei bzw. drei Verse, deren Verbformen vorwiegend im Imperfekt stehen und je sechs Stichoi umfassen (V. 22f.31—33). Nach Einbeziehung aller genannten Faktoren läßt sich für die V. 22-31 ein symmetrischer und konzentrisch angeordneter Aufbau erkennen: 20 a
Einführung: Lokalisierung und erste Charakterisierung
b 21 a
der Weisheitsrede als prophetische Rede
b 22 a
Klage über das Publikum
b D^'DS-
c 23 a b
> v. a. Impf.-
Aufforderung zur Umkehr zu n n ? i n und Verheißung
c 24 a b
> v. a. Perf. —
25 a b 26 a b 27 a
> Impf.; Inf.
b c 28 a b 29 a b
> v. a. Perf.
30 a b 31 a
Folgen allgemeinerer
Art
b 32 a >v. a. Impf.
b 33 a b
Ziel: Hören auf die Weisheit bewahrt vor Unheil
"ins-
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Die Texte über die Weisheitsgestalt
c) Der Standort der Weisheitsgestalt (Prov 1,20f.) Ähnlich, aber doch anders als in Prov 8,2f. wird der Standort der Weisheitsgestalt in l,20f. beschrieben. 511 Sie befindet sich deutlicher als in 8,2f. in der Stadt: Sie ruft auf der Gasse (yina V. 20a), auf den Plätzen in der Nähe des Stadttores ( J i i a f n a V. 20b), an der Ecke lauter Orte (»Kha n v a n V. 2la), also wohl an den Straßenecken, sowie an der Öffnung der Stadttore (V. 21b). Hier wird hervorgehoben, daß die Weisheitsgestalt mitten im lärmenden Treiben einer israelitischen Stadt steht. Dort, wo sich das öffentliche Leben abspielt, kann die Stimme der Weisheitsgestalt vernommen werden. Die Lokalisierung transportiert in weniger starkem Maße als in 8,2f. eine Charakterisierung der Weisheit als einer Figur, die die Menschen zur Entscheidung zwischen zwei Wegen aufruft; die in 8,2 verwendete Wegemetaphorik kommt in 1,20f. nicht vor. Das läßt sich vom unterschiedlichen Kontext der Weisheitsreden her interpretieren: In der ersten Weisheitsrede wird zunächst die Alternative aufgezeigt, vor die die Weisheit ihr Publikum stellt. Sie ist den Hörenden in 1,20f. noch nicht so deutlich, wie sie es gegen Ende der Proverbien-Einleitung in Kap. 8 ist. Durch das Rufen und Sprechen der Weisheitsgestalt mitten im öffentlichen Treiben der Stadt wird angedeutet, daß sie in der Rolle einer Prophetin auftritt. Hulsbosch schreibt dazu: „Les gestes de la Sagesse font penser aux circonstances les plus dramatiques de la prédication de Jérémie. Lui aussi parle dans les rues (11,6), et surtout près des portes les plus fréquentées: celle du Temple (7,2; 26,2) de la ville (17,19s) du palais royal (22,2-6)." 512
Die Parallelität zur prophetischen Rede 513 wird noch durch mehrere sprachliche Hinweise in den folgenden Versen betont, die in den nächsten Abschnitten (d, e und g) zu untersuchen sind. d) Ein Element der Klage (Prov 1,22) Der Vers beginnt mit der Wendung 'ri/D""^, die im Alten Testament tyisch für rhetorische Fragen vor allem in prophetischem und psalmistischem Kontext ist, „in denen ein unwilliger oder ungeduldiger Vorwurf in verschiedenen Abtönungen zum Ausdruck kommt." 5 1 4 Typisch ist weiterhin das Vorkommen der Wendung in Klagepsalmen 515 mit Gott als Adressaten 516 . Gott wird jedoch in der Rede der Weisheitsgestalt nicht angeru511
Dazu s.o. S. 69-72.
512
HULSBOSCH 1 9 6 2 , 15.
513
Diese Einschätzung widerspricht z. B. der von LANG 1975, 37-47 sowie 1986b, 2942, der die Weisheitsgestalt in der Rolle einer Lehrerin sieht. 514
515 516
JENNI 1978, 9 3 4 .
AaO. 934f. So z. B. Ps 6,4; 74,10; 80,5; 90,13; 94,3.
Die weiteren
Ich-Reden
der
Weisheitsgestalt
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fen. Die Weisheit erhebt ihrem als unerfahren und dumm charakterisierten Publikum gegenüber die Klage, daß es die Einfalt liebe, an der Frechheit Gefallen habe und die Erkenntnis hasse, 'na - !!? wird im Alten Testament häufig zu Menschen gesprochen; dabei ist eine Klage über menschliches Fehlverhalten durchaus gängig.517 Besonders ähnelt die Klage der Weisheitsgestalt derjenigen über Krieg und Verwüstung im Jeremiabuch: : -isitf
nyatpx ojrntnN 'na-is? 21 13/t xS 'nix ' a y "rix '3 22 nan D'ain; x^i nan Q'1??? : w r k1? 3,ü,n17!i ynn1? nan D'nan
21 Wie lange muß ich die Standarte sehen, hören den Ruf des Horns? 22 Denn dumm ist mein Volk, mich kennen sie nicht; törichte Kinder sind sie, und nicht Verständige (sind sie); weise sind sie, Böses zu tun, doch Gutes zu tun verstehen sie nicht. (Jer 4,21 f.) Hier finden sich allerdings die Wendung ,ria~157 und die Beschreibung des sich verfehlenden Volkes in verschiedenen Versen. Trotzdem ist anzunehmen, daß sich die Klage der Weisheitsgestalt an ähnliche Klagen wie die in Jer 4,21f. anlehnt. 518 So wird deutlich gemacht, daß die Weisheit unter dem Verhalten der von ihr Angesprochenen leidet, drückt sich doch in deren Verhalten wortwörtlich eine Ablehnung von „Weisheit" als „Erkenntnis" aus. Typisch für die prophetische Rede, auf die die Rede der Weisheitsgestalt sich hier formal bezieht,519 ist auch die Aufforderung, mit der der folgende Vers beginnt. e) Die Umkehr zur Mahnung der Weisheitsgestalt (Prov 1,23a) Q. findet sich in theologischer Bedeutung - Umkehr bzw. Rückkehr zu JHWH - vor allem in prophetischer, dtr sowie ehr Rede.520 Während für die dtr und ehr Tradition das Unheil, das durch die Umkehr des Volkes noch hätte abgewandt werden können, schon eingetroffen ist,521 ist 517 Diese findet sich z. B. in Num 14,27; I Sarn 1,14; I Reg 18,21; Jer 4,14.21; 23,26; 31,22; Hos 8,5; Hab 2,6; Prov 6,9. 518 K A Y A T Z 1 9 6 6 , 1 2 0 führt als Vergleichsstellen noch Jer 3 1 , 2 2 und Hos 8 , 5 an. 519 Die zu den Versen 22-27 sehr pointierte Auslegung von B U L T M A N N 1923, 8f. auf dem Hintergrund seiner mythologischen Deutung der Weisheit (dazu s. o. S. 20) soll hier nicht widerlegt werden, da bereits KAYATZ 1966, 121 herausgearbeitet hat, daß sie unzutreffend ist und zudem auf einer sehr gewagten Übersetzung von V. 23b basiert: „Nun lasse ich meinem Zorn den Lauf: ..." 520
521
S o SOGGIN 1979a, 8 8 8 - 8 9 0 .
AaO. 890.
180
Die Texte über die Weisheitsgestalt
dies im Bereich der Prophetie nur in der nachexilischen Zeit der Fall. Wolff hat letzterem Aspekt eine kurze Untersuchung gewidmet.522 Er stellt fest, daß „das Thema ,Umkehr' ... formgeschichtlich zuerst in die Gerichtspredigt ..., sodann in die Verheißungen des eschatologischen Handelns Jahwes ..." einzuordnen ist. „Erst vom Heilswort aus kommt das Thema ,Umkehr' in die Mahnrede, die so niemals einen bedrohlichen Charakter, sondern grundsätzlich den der Einladung gewinnt." 523 Analog dazu ist in Prov 1,23 der Ruf zur Umkehr in Versteil a mit einer Heilszusage in den Versteilen b und c verbunden. Die Heilszusage ist an die Umkehr wie an eine Bedingung geknüpft. Eine Unheilsansage folgt erst später in V. 26f. Nach Ansicht von Murphy kann laittto hier keinen Ruf zur Umkehr bezeichnen, da der Kontext von einer Bestrafung durch die Weisheitsgestalt spricht und deshalb die Möglichkeit zur Umkehr für die Hörenden gar nicht mehr besteht. 524 Von daher interpretiert Murphy hier als Teil der weisheitlichen Anklage. 525 Um eine kongruente Aussage für V. 23 zu erhalten, muß er m i mit „Zorn" oder in anderer Weise, die den bedrohlichen Aspekt des Wortes hervorhebt, wiedergeben. 526 M. E. berücksichtigt Murphy dabei zu wenig die formgeschichtlichen Parallelen des Textes, die deutlich auf einen „ U m k e h r r u f ' hinweisen. Auch legt er bei seiner Deutung zuviel Gewicht auf die temporale Bedeutung des hebräischen Wortaspekts.
Die Weisheitsgestalt fordert zur Umkehr zu ihrer „Mahnung" (nn?in) auf. Das Wort kommt allein in der Rede 1,20-33 schon dreimal vor, und zwar immer als Mahnung der Weisheitsgestalt mit dem Suffix der 1. Ps. Sg. (23a.25b.30b). Dadurch wird es zum zentralen „Begriff"527 dieser ersten Weisheitsrede, nrnin wird innerhalb des Alten Testaments vor allem in den Proverbien verwendet; hier tritt es häufig parallel zu "lOia „Erziehung" auf, 528 seltener dagegen parallel zu „Rat" nsy (1,25.30) oder in Verbindung mit Weisheit (29,15). Ihm haftet im Unterschied zum Verb ns 1 Hif., von dem es abgeleitet ist, weniger eine forensische als stärker eine pädagogische Bedeutung an; so bedeutet es „Zurechtweisung, Rüge, Tadel, Warnung" 529 . 530 Allerdings kann das Hassen der nnDin nach Aus522
523
WOLFF 1 9 5 1 .
AaO. 148. M U R P H Y 1986, 457f. Ebd. 526 Ebd. 527 Zu der Verwendung dieses Terminus s. o. S. 86. 528 So in 3,11; 5,12; als Constructus-Verbindung in 6,23; wieder im Parallelismus in 10,17; 12,1; 13,18; 15,5.10.32. 529 So G . MAYER 1982, 627; im gleichen Sinn auch LIEDKE 1978a, 731. SEELIGMANN 1967, 267 macht durch seine Wortwahl darauf aufmerksam, daß alle Sinnaspekte von nn?in, so auch der pädagogische, aus der forensischen Bedeutung heraus entstanden sind. 530 Daß sich forensische und pädagogische Bedeutung allerdings scharf trennen lassen, darf aufgrund der Beobachtung von SEELIGMANN (ebd.) bezweifelt werden. Gerade 524
525
Die weiteren Ich-Reden der Weisheitsgestalt
181
sage der älteren Proverbien den Tod nach sich ziehen (15,10). In Prov 1-9 ist n r o i n außer der Weisheit nur JHWH zugeordnet (3,1 lf.). Das Wort wird damit zu einem Begriff, der mit 31® zusammengenommen die Rede von göttlicher Drohung und weisheitlicher Ermahnung in sich vereinigt.531 f) Die Heilszusage (l,23bc) Die Weisheitsgestalt kündigt denjenigen, die auf ihre Mahnung hin umkehren wollen, die „Ausgießung" ihres Geistes und parallel dazu das Erkennenlassen oder Kundtun (57T Hif.) ihrer Worte an. n n kommt sonst in Prov 1-9 nicht vor; eine besondere Bedeutung hat es in 1,23 dadurch, daß es sonst keinen Geist gibt, der wie hier der Weisheit zugerechnet wird bzw. einer ihrer Aspekte ist. Die sonst im Alten Testament vorkommende Verbindung nnpn r m bezeichnet in Ex 28,2; Dtn 34,9 sowie Jes 11,2 denjenigen Geist, der die Weisheit beinhaltet oder zu ihr führt. In Prov 1,23b ist die Anordnung von Geist und Weisheit gegenüber diesen älteren Vorkommen der Wortverbindung umgekehrt worden.532 Hieran läßt sich die Tendenz in späten Teilen des Alten Testaments und in zwischentestamentlicher Literatur festmachen, den Geist der Weisheit unter- oder nebenzuordnen. 533 Die Deutung von n n in 1,23b ist aufgrund dieser Erstmaligkeit der Anordnung von Weisheit und Geist nicht unproblematisch, zumal r m im Alten Testament sonst nicht mit dem Verb V33 zusammen vorkommt. Vergleichbare Objekte von 3733 sind am ehesten verschiedene „Worte" (Ps 19,3; 119,171; Prov 18,4) oder aber freche oder frevlerische Reden (Ps 59,8; 94,4; Prov 15,2.28).534 Eine Hilfe zur Deutung von n n kann die Parallelität zu in Versteil c sein. „Der Begriff däbär ist in besonderem Maße für die Prophetie typisch und spezifisch."535 n n und werden in in einem Text wie diesem mit gerichtlichem Charakter (vgl. unten Abschnitt g) ist es wahrscheinlich, daß die Bedeutung von nnsifi in Richtung auf „Beweis" oder „Urteilsspruch" geht (so die forensische Bedeutung nach G. MAYER 1982, 627). 531 Zu HX57, das in V. 25.30 parallel zu nn?iP steht, vgl. oben S. 89. 532 Dies läßt KAYATZ 1966, 127 m. E. außer acht, wenn sie den Geist der Weisheit als Amtscharisma in Jes 11,2 und den Geist JHWHs in Prov 1,23 in eine enge Verbindung bringt. 533 Hierzu habe ich mich an anderer Stelle ausführlich geäußert (G. BAUMANN 1994). 534 Nach ZERAFA 1967, 17 wird 5733 im AT sonst nur noch - wie in Prov 1,23 - in Ps 19,3 mit der Präposition verwendet. ZERAFA übersetzt daher an beiden Stellen ähnlich mit „to pour out". In Ps 19,3 wird y a b e r zudem mit m x verbunden, was ZERAFA nicht berücksichtigt. Daher ist in Prov 1,23 nicht die - im Unterschied zur sonstigen Bedeutung von 5733 sehr prosaisch klingende - Übersetzung „kundtun" von Ps 19,3 zu wählen. 535
SCHMIDT in: BERGMAN/LUTZMANN/SCHMIDT 1977, 116. D i e s e T a t s a c h e u n d
die
formgeschichtlichen Parallelen des Textes läßt z.B. VAN IMSCHOOT 1919, lOf. außer
182
Die Texte über die
Weisheitsgestalt
ähnlicher Weise wie in Prov 1,23 im Alten Testament sonst nur in Jes 59,21 in Beziehung gesetzt. In diesem Vers, der vermutlich ein späterer Zusatz zum Kapitel ist, 536 wird den Umkehrwilligen in Israel zugesagt, daß künftig J H W H s n n auf ihnen ruhen wird und J H W H seine Worte bleibend in ihren Mund gelegt hat: T ö 3 "»riatr—itrx n n i i t 1 ? ? ' n n n i r r -ins orrix ' n n a nxr 'aio : aViv-Tsn nriya n i r r -iax ^»-¡t yiT ' s a i ^snr ' s a i t?