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German Pages 144 [140] Year 2018
Kontroversen um die Geschichte Herausgegeben von Arnd Bauerkämper, Peter Steinbach und Edgar Wolfrum
Dieter Gessner
Die Weimarer Republik 3. Auflage
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. 3., durchgesehene Auflage 2009 © 2009 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt 1. Auflage 2002 Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Einbandgestaltung: schreiberVIS, Seeheim Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-534-22993-2
Inhalt Vorwort der Reihenherausgeber
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I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur Forschungssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zur Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kriegsende und Friedensschluss, Gründung der Republik und Bürgerkrieg (1918–1923) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Beseitigung der wirtschaftlichen Kriegsfolgen: Inflation und Reparationen (1923–1930) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konservativer Schwenk: Der Sieg des deutschen Revisionismus (1930–1933) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Forschungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die deutsche Arbeiterbewegung zwischen 1918 und 1933 . . . . a) Revolution und Räte 1918/19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Soziale Bewegung und Regierungsmacht . . . . . . . . . . . . c) Die soziale Lage der Arbeiter und die Auflösung des Milieus . . d) Wirtschaftskrise und die nationalsozialistische Überwältigung . 2. Die Wirtschaftskrisen der Zwischenkriegszeit . . . . . . . . . . . a) Zur Bedeutung der deutschen Inflation . . . . . . . . . . . . . b) Ursachen der Inflation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Inflationsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Nachwirkungen der Inflation . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) „Versailler System“ und Weltwirtschaftskrise . . . . . . . . . . f) Die USA als neue Wirtschaftsmacht und die Krise . . . . . . . . g) Goldstandard, Währungspolitik und die Krise des internationalen Kapitalmarktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Das Scheitern der internationalen Krisenbekämpfung und das Aufkommen des Neuen Protektionismus . . . . . . . . . . . . i) Der Alleingang Deutschlands im Kampf gegen die Krise . . . . 3. Die Weimarer Republik – Ort der Klassischen Moderne . . . . . . a) Traditionale und moderne Grundlagen der Weimarer Kultur . . b) Avantgarde und Weimarer Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zur Bedeutung des Anti-Modernismus von Weimar . . . . . . . d) Rationalität und Modernität der Weimarer Kultur . . . . . . . . 4. Juden und Antisemitismus in Deutschland vor 1933 . . . . . . . . a) Jüdische und deutsche Geschichte und Geschichtsschreibung .
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Inhalt
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b) Juden als Teil der Weimarer Gesellschaft . . . . . . . . c) Weimarer Antisemitismus . . . . . . . . . . . . . . . . Der Streit um den Mittelstand . . . . . . . . . . . . . . . a) Mittelstand und Nationalsozialismus . . . . . . . . . . b) Die Auflösung des „Mittelstandsblocks“ . . . . . . . . . „Die Krise vor der Krise“ (die Borchardt-Kontroverse) . . . a) Zeitgeschichtlicher Revisionismus . . . . . . . . . . . . b) „Handlungsspielräume“ der Politik am Ende der Republik c) Die „kranke Wirtschaft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . Wer wählte die NSDAP? . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Aufstieg der NSDAP zur Massenpartei . . . . . . . b) Schichtenspezifische Wahlanalysen . . . . . . . . . . . c) Arbeiter als Wähler der NSDAP . . . . . . . . . . . . . d) Milieu und Wahlverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . Das Ende der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . a) Drei Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfassung und Verfassungswandel . . . . . . . . . . . c) „Verrat“ der Eliten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Heinrich Brüning und das Ende von Weimar . . . . . .
IV. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Weimar – „Experiment“ der Moderne? . . . . . . . . . . 2. Was hat die Forschung zu „Weimar“ bisher nicht geleistet? 3. Weimar – „Epoche der Zwischenkriegszeit“ . . . . . . . 4. Methodenpluralismus und der Trend zur Kulturgeschichte Literatur
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Personen- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
Vorwort der Reihenherausgeber Kontroversen begleiten nicht nur die wissenschaftliche Arbeit, sondern sind deren Grundlage. Dies gilt auch für die Geschichtswissenschaft. Weil wissenschaftliche Auseinandersetzungen nicht leicht zu durchschauen und noch schwerer zu bearbeiten sind, ist es notwendig diese aufzubereiten Die Reihe „Kontroversen um die Geschichte“ ist als Studienliteratur konzipiert. Sie präsentiert die Auseinandersetzungen zu Kernthemen des Geschichtsstudiums; ihr Ziel ist es, Studierenden die Vorbereitung auf Lehrveranstaltungen und Examenskandidaten ihre Prüfungsvorbereitung zu erleichtern. Entsprechend kennzeichnet sie ein didaktischer und prüfungspraktischer Darstellungsstil. Über diesen unmittelbaren Nutzen hinaus nimmt die Reihe die Pluralisierung der Historiographie auf, ohne dem Trend zur Zersplitterung nachzugeben. Gerade in der modernen Gesellschaft mit ihrer fast nicht mehr überschaubaren Informationsvielfalt wächst das Bedürfnis nach einer schnellen Orientierung in komplizierten Sachverhalten. Ergebnisse der historischen Forschung werden in dieser neuen Reihe problemorientiert vermittelt. Die einzelnen Bände der „Kontroversen um die Geschichte“ zielen dabei nicht auf eine erschöpfende Darstellung historischer Prozesse, Strukturen und Ereignisse, sondern auf eine ausgewogene Diskussion wichtiger Forschungsprobleme, die nicht nur die Geschichtsschreibung geprägt, sondern auch die jeweilige zeitgenössische öffentliche Diskussion beeinflusst haben. Insofern umschließt der Begriff „Kontroversen“ zwei Dimensionen, die aber zusammen gehören. Die Spannbreite der „Kontroversen um die Geschichte“ reicht vom 16. Jahrhundert bis zur Zeitgeschichte. Einige der Bände sind jeweils einzelnen Themengebieten wie der Verfassungsgeschichte gewidmet, die im historischen Längsschnitt behandelt werden und überwiegend über den deutschen Sprach-, Kultur- oder Staatsraum hinaus eine vergleichende Perspektive zu anderen Regionen und Staaten Europas eröffnen. Andere Bände behandeln einzelne Epochen oder Zeitabschnitte europäischer und deutscher Geschichte wie etwa den Absolutismus oder die Weimarer Republik. Gelegentliche Überschneidungen sind somit nicht nur unvermeidbar, sondern auch durchaus sinnvoll. Der Aufbau der Bände folgt einem einheitlichen Prinzip. Die Einleitung entfaltet den Gesamtrahmen der behandelten Epoche oder des dargestellten Querschnittbereichs. Daran schließt sich ein Überblick an: Er begründet die Auswahl der behandelten Deutungskontroversen und ordnet diese in den Gesamtrahmen ein. Der Hauptteil der Bände umfasst sechs bis acht Forschungsprobleme. Dabei werden nicht vorrangig alle Entwicklungen und Stadien der Forschung nachgezeichnet, vielmehr Schlüsselfragen und zentrale Deutungskontroversen der Geschichtswissenschaft übersichtlich und problemorientiert
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Vorwort der Reihenherausgeber
präsentiert. Der Darstellung dieser Schlüsselfragen folgt zum Schluss eine kritische Bilanz des Forschungsstandes, in der auch offene Probleme der Geschichtsschreibung dargelegt werden. Historische Forschung ist ein nie beendeter Prozess, dessen Befunde immer einer kritisch-distanzierenden Bewertung bedürfen. Auch dies soll in dem abschließenden Kapitel der Bände jeweils deutlich werden. Eine Bibliographie der wichtigsten Werke steigert den Gehalt der Bände; das Register weist zentrale Personen- und Sachbezüge nach und dient einer schnellen Orientierung. Unser Wunsch ist es, dass die Reihe „Kontroversen um die Geschichte“ einen festen Platz in den Bücherregalen von Studierenden der Geschichtswissenschaft, aber auch benachbarter Disziplinen einnimmt, die sich auf Lehrveranstaltungen oder Prüfungen vorbereiten. Darüber hinaus sind die Bände der Reihe an Leserinnen und Leser gerichtet, die Befunde der Geschichtsschreibung sachkundig vermitteln möchten oder ganz generell an historisch-politischen Diskussionen interessiert sind. Arnd Bauerkämper Peter Steinbach Edgar Wolfrum
I. Einleitung Die Weimarer Republik – ein Dauerthema der Zeitgeschichtsforschung? Um mit einer ketzerischen Frage zu beginnen: Rechtfertigen vierzehn Jahre deutscher Geschichte die bis heute unternommenen umfänglichen Forschungsanstrengungen? Selbst wenn wir Weimar als Teil einer umfassenderen Zwischenkriegs-Epoche verstehen, drängt sich der Vergleich mit den historiographischen Bemühungen zu vierzig Jahren deutsches Kaiserreich oder fünfzig Jahren Bundesrepublik auf? Eine rhetorische, eine angesichts der Forschung provozierende Frage, aber Anlass, kurz auf Aktualität und Wahrnehmung des Themas wie ‚Weimarer Republik‘ einzugehen. Bei seinen Forschungen zum deutsch-französischen Verhältnis der Zwischenkriegszeit erhielt ein deutscher Zeithistoriker jüngst auf seine Anfrage beim Auswärtigen Amt die Auskunft, dass Deutschland seit 1990 seine Reparationszahlungen zur Tilgung der Young-Anleihe in Höhe von 176 Mio. DM wieder aufgenommen habe und bis zum Jahre 2010 beendet haben werde (184, S. 455). Kann man sich eine größere Aktualität unseres Themas vorstellen? Aktualität oder Distanz verweisen auf Wahrnehmung. Wie nahmen Zeitgenossen, wie nehmen wir heute ‚Weimar‘ wahr? Im Sinne des optimistischen Fortschrittsgedankens des 19. Jahrhunderts lag die Republik im Fluchtpunkt der im Kaiserreich kontinuierlich gewachsenen sozialen Bewegung, repräsentiert durch SPD und Gewerkschaften, bildete einen Höhepunkt der vom liberal-demokratischen Bürgertum getragenen Emanzipation parlamentarisch-demokratischen Regierens und setzte den Schlussstein einer auf materiellen Fortschritt fixierten Kultur. So erklärt sich die optimistisch vorwärts gerichtete Stimmungslage der Gründungsphase der Republik, die ihren Niederschlag in der Verfassung fand. Mit ihrer Annahme durch die von Berlin nach Weimar exilierte Nationalversammlung am 31. 7. 1919 hatte sich Deutschland die modernste Verfassung seiner bisherigen Geschichte gegeben. Und doch war der dem Verfassungskompromiss zugrunde liegende Konsens von Anbeginn brüchig. Das lag vor allem daran, dass der konservativ-traditionale Teil der deutschen Gesellschaft ihm nicht beitreten konnte. In seinen Augen krankte die rational und ‚vernünftig‘ aufgebaute Republik an einem politischen Übergewicht der Linken und einem Mangel an vaterländischem Patriotismus, Folgen ihrer revolutionären Entstehung und Ausdruck von Deutschlands diskriminierter Stellung im ‚Versailler System‘. Aber auch für die ‚Republikaner‘, einem Bündnis von Sozialdemokratie, Linksliberalismus und politischem Katholizismus, waren nicht alle Erwartungen in Erfüllung gegangen. Für die Sozialdemokratie saß, vergiftet durch die in der
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Einleitung
Revolution eingetretene Spaltung der Arbeiterbewegung, der Stachel im Fleisch „offener sozialer Forderungen“. Liberal-demokratische Republikaner vermissten im Verfassungskompromiss einen entschiedenen Unitarismus und Klarheit in allen Fragen wirtschaftlicher Freizügigkeit. Für das Zentrum stellten, nach Diskriminierungen der Katholiken im Kaiserreich, die nach wie vor ungeklärten Beziehungen zwischen Staat und dem Vatikan ein schmerzhaft empfundenes Defizit dar. Auf diese Weise entstand bei Zeitgenossen und entsteht bis heute eine ambivalente Wahrnehmung des ersten deutschen Demokratieversuches: Nach Verlust der sozialen Statik im Kaiserreich war der im Krieg einsetzende soziale Wandel vielschichtig und unübersichtlich. Mit ihrem Schwanken zwischen unterschiedlichen Revisionismuskonzepten des ‚Versailler Systems‘ war die Republik für ihre Nachbarn schwer kalkulierbar. Innenpolitisch erweckte sie wegen der im Laufe der Jahre eintretenden erstaunlichen Deformationen einer Reihe von Verfassungsinstitutionen wie Parlament und Reichspräsident den Eindruck, größeren politischen Belastungen nicht gewachsen zu sein. Unter normalen Verhältnissen aber hätten diese Voraussetzungen und Belastungen einen zumindest offenen Ausgang der nach dem Krieg betriebenen Integration des besiegten Deutschlands in die europäisch-atlantische Staatengemeinschaft bedeutet. Der Ausbruch der Weltwirtschaftskrise und ihr Übergreifen auf Deutschland verknüpfte allerdings strukturelle Geburtsschwächen und konjunkturelle politische Belastungen in einem sich aufschaukelnden Krisenverlauf zur schwersten Staatskrise der neueren deutschen Geschichte. Mit der Etablierung einer von den Weimarer Parteien, die durch die Fragmentierung ihrer Wählerschaft geschwächten waren, teils aktiv betriebenen, teils passiv hingenommenen autoritären Präsidialregierungen und ihrer der parlamentarisch-demokratischen Kontrolle entzogenen Regierungspraxis verwandelte sich in kurzer Zeit das liberal-demokratische Regierungssystem von Weimar in eine im ersten Schritt gemäßigte, im zweiten uneingeschränkte Diktatur. Die Maßnahmen der Präsidialregierungen wie – Ausschaltung der Parteien als Vorstufe eines Einparteiensystem – Umkehrung des Trends zur pluralistischen Gesellschaft mit Hilfe eines ideologisch motivierten staatlichen Interventionismus – Lenkung der Wirtschaft unter Beibehaltung ihrer privatrechtlich-kapitalistischen Struktur – Mobilisierung innenpolitischer Ressentiments zur Durchsetzung eines aggressiven Revisionismus – Kulturpolitisches Gegensteuern gegen die vollständige Ausbildung der Klassischen Moderne gestalteten die Grenzen zwischen gemäßigter Präsidialdiktatur und autoritärem Führerstaat zunehmend fließend. Auf diese Weise ist das ‚Dritte Reich‘ weit im Vorfeld der Weimarer Republik verankert. Dieselben Gründe, welche die
Zur Forschungssituation
Republik scheitern ließen, haben das Dritte Reich ermöglicht. So sind dann alle Fragen nach Weimar auch Fragen nach dem Deutschland der Jahre 1933 bis 1945. Ist das Ende der Weimarer Republik und der Aufstieg Hitlers auf eine Reihe unheilvoll verketteter Ursachen zurückzuführen, welche die Form eines schicksalshaft erlittenen, von niemandem zu verantwortenden ‚Unglückes‘ annahm? Oder ist es der Erfolg einer kühl kalkulierenden, unter Ausnützung verbreiteter Ressentiments populistisch taktierenden „gegenrevolutionären Reaktion“ zur Aufrichtung eines vormodernen, autoritären Staatswesens? Ist aus weiterer Distanz betrachtet das Scheitern von Weimar das Paradigma eines durch Fortschritt wie Reaktion, Rationalität wie Irrationalität gekennzeichneten doppelköpfigen, vernünftig nicht steuerbaren und unaufhaltsam ablaufenden Modernisierungsprozesses? Oder gibt der Ausgang des „Weimarer Experiments“ allen denen Recht, die in ihm Spätfolgen eines antimodernen deutschen Sonderweges in die Moderne sehen?1 Keine dieser Fragen ist, wie wir sehen werden, im Laufe der Jahre nicht gestellt und geprüft worden.
1. Zur Forschungssituation Man kann, um eines kurzen Überblicks über die Zeitgeschichtsforschung willen, die Entwicklung wissenschaftlicher Fragestellungen zur Weimarer Republik grob in vier Phasen gliedern: 1) In den fünfziger Jahren wird die Forschung von zwei Richtungen dominiert. Zum einen wirkt die bis zum Kriegsende außerhalb Deutschlands weitergeführte linke Kritik an Weimar – wie z. B. durch Arthur Rosenberg – fort. Zum anderen muss sich die Forschung mit zahlreichen Rechtfertigungsversuchen Betroffener auseinander setzen (Brüning, Treviranus, Meissner, Papen u. a.). 2) Ende der fünfziger Jahre hat die deutsche wieder zur internationalen Forschung aufgeschlossen und entwickelt ein methodisches Instrumentarium, welches ihr die Beantwortung struktureller Fragen nach Weimar ermöglicht. Zu nennen ist hier Karl Dietrich Brachers Untersuchung über das Ende der Weimarer Republik (22). Bis in die siebziger Jahre hinein überwiegen in der Anlässlich der Besprechung von Geoff Eleys den deutschen Sonderweg und Modernisierungdruck miteinander verbindender Kulturgeschichte (Geoff Eley [Hrsg.]: Society, Culture, and the State in Germany 1870–1930, University of Michigan Press 1996) fragt der amerikanische Weimar-Forscher Peter Fritzsche: „The next questions: Was Germany exceptional in mobilizing the potentials of modernity, in understanding itself as the special subject of history, and thus in generating ruin and anachronism?“ Journal of Modern History Vol. 70 (1998), S. 496–499. 1
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Einleitung
Nachfolge Brachers, unter Einbeziehung wirtschaftsgeschichtlicher Fragen (Bochumer Symposium 1974), methodisch anspruchsvolle Forschungsansätze. 3) Die achtziger Jahre stehen ganz im Zeichen der Rehabilitation der politikgeschichtlichen Forschung. Horst Möller (464), Gerhard Schulz (86–88), Andreas Hillgruber (187) und Klaus Hildebrand (46) zeigen mit ihren Forschungen ein weniger kritisches, dafür materialgesättigteres Bild der Ersten Republik. Mit seiner dreibändigen Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung in Weimar bricht Heinrich August Winkler das Monopol der DDR-Geschichtsschreibung zu diesem Thema (147–149). Dem Wirtschaftshistoriker Knut Borchardt (355) verdankt die Forschung, sieht man einmal von der Kontroverse über die Rolle Heinrich Brünings nach Veröffentlichung seiner Memoiren ab, ihren ersten engagiert ausgetragenen wissenschaftlichen Grundsatzstreit. 4) Mit den weitgehend in den neunziger Jahren zum Abschluss kommenden umfangreichen Aktenpublikationen (Reichskanzlei, Auswärtige Politik, Parteien) rückt die Forschung zur Weimarer Republik in den klassischen Kanon der deutschen Geschichtswissenschaft. Die stärkere Fokussierung des zeitgeschichtlichen Interesses auf NS-Zeit, Nachkriegsszeit und DDR-Geschichte geht mit einem rückläufigen Interesse an der Weimarer Republik einher. Die über weite Strecken des bisherigen Forschungsganges geltende akklamative Maxime „Bonn ist nicht Weimar“ weicht einer längerfristigen entdramatisierten kulturgeschichtlichen Perspektive auf die deutsche Geschichte der Zwischenkriegszeit.
2. Zur Darstellung In einer ein halbes Jahrhundert dauernden Forschungsgeschichte bleiben wissenschaftliche Kontroversen natürlich nicht aus. Entlang des Weimarer Phasenmodells „Revolution und Friedensschluß“, „Kriegsfolgen und Krisen“ sowie „Ende von Weimar“ sind für die vorliegende Darstellung acht solcher Kontroversen ausgewählt worden. Themen wie „Ende der Weimarer Republik“ und „Wer wählte die NSDAP?“ ordnen sich dabei der politischen Geschichtsschreibung zu, solche wie die „Borchardt-Kontroverse“ oder „Inflation und Weltwirtschaftskrise“ führen auf das Feld der Wirtschaftsgeschichte. Mit den Schwerpunkten „Streit um den Mittelstand“, „deutsche Arbeiterbewegung 1918–1933“ und „Juden und Antisemitismus vor 1933“ wird die Grenze zur Sozialgeschichte überschritten. Ein Thema wie „Die Weimarer Republik – Ort der Klassischen Moderne“ fasst die vielgestaltige und sehr kontroverse Forschung zur „Weimarer Kultur“ als Ursprung der Klassischen Moderne zusammen. Die zahlreichen Forschungen zur Parteiengeschichte, ein die sechziger und siebziger Jahre beherrschendes Thema, bilden keinen eigenen Schwerpunkt. Der eine oder andere Leser und Nutzer wird dies vermissen. Umso mehr, als in den letzten Jahren diese Forschung etwa durch Detlev Lehnerts (66) und Peter
Zur Darstellung
Lösches2 provozierende Feststellungen, Weimar sei kein oder nur ein höchst problematischer Parteienstaat gewesen, neue Anstöße erhalten hat. Ob der Paradigmenwechsel von den kompromissunfähigen Weimarer Weltanschauungsparteien zu den durch ihre „sozialmoralischen Milieus“ fragmentierten Parteien mehr ist als das Abfüllen alten Weines in neue Schläuche, muss sich noch zeigen. Die Grundlagen dieser Forschungen bilden die von Otto Büsch angestoßene Aufarbeitung, Kommentierung und Darbietung des Materials zu Wählerbewegungen und Wählerentwicklungen, das eine erstaunliche Kontinuität der in bestimmten Milieus verwurzelten Wählerschaft zeigt.3
2 Zuletzt ausführlich begründet: Peter Lösche: Parteienstaat Bonn – Parteienstaat Weimar? Über die Rolle von Parteien in der parlamentarischen Demokratie, in: Eberhard Kolb/Walter Mühlhausen (Hrsg.): Demokratie in der Krise. Parteien im Verfassungssystem der Weimarer Republik, München 1997, S. 141–164; sowie Peter Lösche/Franz Walter: Katholiken, Konservative und Liberale: Milieus und Lebenswelten in Deutschland während des 20. Jahrhundert, GG 26 (2000), S. 471–492. 3 Wählerbewegungen in der deutschen Geschichte. Analysen und Berichte zu den Reichstagswahlen 1871–1933, bearb. und hrsg. von Otto Büsch/Monika Wölk/Wolfgang Wölk, Berlin 1978; Horst Nöcker: Die preußischen Reichstagswahlen im Kaiserreich und Republik 1912 und 1924. Analysen – Interpretation – Dokumentation. Ein historisch-statistischer Beitrag zum Kontinuitätsproblem eines epochenübergreifenden Wahlverhaltens, Berlin 1987; und jetzt Jürgen R. Winkler: Sozialstruktur, politische Position und Liberalismus. Eine empirische Längsschnittstudie zur Wahlentwicklung in Deutschland 1871–1933, Opladen 1995.
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II. Überblick 1. Kriegsende und Friedensschluss, Gründung der Republik und Bürgerkrieg (1918–1923) Einen Monat nach der Unterzeichnung des von Deutschland diktierten Friedens von Brest-Litowsk traten im März 1918 die deutschen Truppen im Westen zur großen Offensive „Michael“ an, um den nunmehr vier Jahre dauernden zermürbenden Stellungs- und Grabenkrieg in einen siegreichen Bewegungskrieg zu verwandeln. Doch nach wenigen Monaten erlahmten die Angreifer und nach einigen Erfolgen, die Front der alliierten Armeen aufzuspalten, waren die Kräfte der Deutschen erschöpft. Noch bevor die Alliierten zur Gegenoffensive antreten konnten, forderte die oberste deutsche Heeresleitung die Regierung des Prinzen Max von Baden am 29. September in ultimativer Form auf, den Alliierten und Assoziierten unverzüglich ein Waffenstillstandsangebot zu unterbreiten. Durch Vermittlung der Schweiz bot darauf hin die deutsche Regierung am 3. Oktober 1918 den sofortigen Abschluss eines Waffenstillstandes auf der Grundlage der Vierzehn Punkte des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson an. Wenige Tage später begab sich das deutsche Staatsoberhaupt, Kaiser Wilhelm II., in das deutsche Hauptquartier nach Spa, um sich mit der Armeeführung zu beraten. Zur gleichen Zeit erklärte der letzte Reichskanzler den Rücktritt seiner Regierung und legte die Regierungsgeschäfte in die Hände des Vorsitzenden der stärksten Fraktion im Reichstag und Führers der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Friedrich Ebert. Anstelle der Generale Erich Ludendorff und Paul von Hindenburg übernahm General Wilhelm Groener den Oberbefehl über die deutschen Land- und Seestreitkräfte. Für Tage schien ein Militärputsch, an dessen Spitze sich der Kaiser selbst setzen würde, wahrscheinlich. Gegen die ausdrückliche Anordnung aus Berlin und ohne Befehl der neuen Militärführung gab am 24. Oktober die deutsche Admiralität der in Kiel liegenden, bis auf die unentschieden ausgegangene Schlacht im Skagerrak bisher am Kriegsgeschehen nicht beteiligten deutschen Kriegsflotte den Befehl zum Auslaufen. Der Meuterei der Admiräle folgte die der Matrosen. Ausgehend von Kiel bildeten sich am gleichen Tag im Reich Arbeiter- und Soldatenräte. Der Großberliner Rat berief am 9. November mit dem „Rat der Volksbeauftragten“ eine revolutionäre Regierung, die sich paritätisch zusammensetzte aus führenden Vertretern der beiden sozialistischen Parteien SPD und USPD, der nach Bewilligung der Kriegskredite durch die SPD von einer Gruppe von Abstimmungsabweichlern gegründeten Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei. Ihre vordringlichste Aufgabe musste sein, eine Regierungsarbeit zu ermöglichen und mit den Alliierten über die Aufhebung der Blockade und einen Frieden zu verhandeln. Voraussetzung für die Bewältigung dieser
Kriegsende und Friedensschluss
Aufgabe war, dass die neue Regierung in Berlin das Gesetz des Handelns in die Hand bekam. Angesichts der eingebildeten oder tatsächlichen Gefahr, dass radikale Kräfte im Begriff waren, sich nach russischem Vorbild an die Spitze einer von der Hauptstadt ausgehenden Räte-Revolution zu setzen, war ein Mitglied der Mehrheitssozialisten vorgeprescht. Am 9. November hatte Philipp Scheidemann vor dem Reichstag die „Deutsche Republik“ ausgerufen. Damit war er Karl Liebknecht zuvorgekommen, der wenige Stunden später vom Balkon des Berliner Schlosses eine „freie sozialistische Republik“ ausrufen sollte. Mit den unterschiedlichen Proklamationen hatte die politische Spaltung der Arbeiterbewegung ein Programm bekommen und war irreversibel. Nach den Vorstellungen der Mehrheitssozialisten mussten in Deutschland die Weichen für eine verfassungsmäßig autorisierte und demokratisch legitimierte Regierungsarbeit gestellt werden. Vom 16. bis 20. Dezember tagte der Erste Rätekongress, die Legislative der im November 1918 entstandenen neuen staatlichen Gewalt. Mit 300 von 500 Delegierten stellten die Mehrheitssozialisten die Mehrheit, damit entsprach die Zusammensetzung den realen Machtverhältnissen im Reich. Nach dem Willen ihrer Führer forderten diese die alsbaldige Ausschreibung von Wahlen zu einer verfassunggebenden Nationalversammlung. Der in Konkurrenz zum Rat der Volksbeauftragten auf dem Kongress gebildeten revolutionären Exekutive, dem „Zentralrat der Deutschen sozialistischen Republik“ als oberstem Rätegremium und Kontrollorgan der Regierungsarbeit, sollte keine Zeit für die Gewinnung politischer Macht bleiben. Aus Protest gegen den Beschluss des Rätekongresses, eine Nationalversammlung wählen zu lassen, verließen die drei der USPD angehörenden Mitglieder des Rates der Volksbeauftragten das Gremium. Umgehend wurden sie durch zwei Mehrheitssozialisten ersetzt. Auch die am 19. Januar 1919 gewählte und wegen der Unruhen in Berlin am 6. Februar in Weimar zusammentretende Nationalversammlung dokumentierte das bestehende Übergewicht der Mehrheitssozialisten. Bei überraschend hoher Wahlbeteiligung (83%) war es den Mehrheitssozialisten mit einem Anteil von 37,9% der Mandate offensichtlich gelungen, einen guten Teil der ursprünglichen Stimmen der Unabhängigen auf sich zu vereinen. Die beiden mit der SPD bereits im Vorkriegs-Reichstag zusammenarbeitenden bürgerlichen Parteien, Zentrum und Demokratische Partei, hatten jeweils 20% und 18,5% der Mandate errungen. Diesem parlamentarischen Block der „Weimarer Koalition“ mit über 3/4 der Mandate stand in der Nationalversammlung mit der neu gebildeten konservativen Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) mit nur 10,3% der Mandate eine verschwindend kleine antirepublikanisch-konterrevolutionär gesinnte Opposition gegenüber. Aufgrund ihres Wahlerfolges fiel den Mehrheitssozialisten das Amt des Regierungschefs zu. Scheidemann wurde Kanzler der ersten Weimarer Koalitionsregierung. Das Zusammentreten des Zweiten Allgemeinen Rätekongresses im April 1919 musste zwangsläufig nach Konstituierung der Nationalversammlung und Bildung einer Regierung zum
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Überblick
Konflikt führen. Die Vertreter der USPD forderten die Weiterführung der „sozialen Revolution“, d. h. eine „sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft“, wobei man mit der Sozialisierung der Schwerindustrie, allen voran des Bergbaus, beginnen sollte. Die Mehrheitssozialisten verwiesen auf die klar ablehnende Beschlusslage im Rat der Volksbeauftragten. Während in diesem Streit die Mehrheitssozialisten durch Ablehnung aller revolutionären Anträge die wahren Machtverhältnisse demonstrierten, die USPD sich durch ihren Rückzug aus dem Rat der Volksbeauftragten und ihren geringen Wahlerfolg (7,6 %) aus dem Zentrum der Macht manövriert hatte, fehlte zur notwendigen Legitimierung der eingetretenen Machtverhältnisse eine Verfassung. Der Auftrag hierfür war bereits ergangen. Am 21. Februar 1919, wenige Tage nach dem ersten Zusammentreten der Nationalversammlung, legte der liberale Staatsrechtler und Leiter des Innenministeriums, Hugo Preuß, den Volksvertretern einen ersten Verfassungsentwurf vor. Neben ihrer Parlamentsmehrheit und einem ganz im Sinne der parlamentarischen Demokratie formulierten liberalen Verfassungsentwurf fehlte den Mehrheitssozialisten zur Absicherung ihrer Macht nur noch die Kontrolle über das Militär. Über das ‚Bündnis Ebert/Groener‘ ist viel spekuliert worden. Nüchtern betrachtet hatte sich die Zusammenarbeit, wie alle politischen Zweckbündnissen mit Vorbehalten und Skrupeln behaftet, aus der Notwendigkeit einer geordneten Rückführung des aus fast 8 Mio. Soldaten bestehenden deutschen Kriegsheeres ergeben. Das Bündnis sollte zudem den Mehrheitssozialisten für die nach ihrem Bruch mit den Räten zu erwartenden Konflikte mit radikalen Splittergruppen, die zeitweilig bürgerkriegsähnliche Formen annehmen sollten, den Rücken frei halten. Die Kraftprobe ließ nicht lange auf sich warten. Den Auftakt bildete am 17. Dezember 1918 der Konflikt des nun mehrheitssozialistisch besetzten Rates der Volksbeauftragten mit der Volksmarinedivision, einer in den ersten Tagen der Räteregierung zu deren Schutz gebildeten „republikanische Garde“. Diese hatte Ebert Zusagen für eine Militärreform erpresserisch abgetrotzt. Nach Rücksprache mit Groener erklärte Ebert diese Zusagen für nichtig. Reguläres Militär entwaffnete die im Berliner Marstall untergebrachten, vorwiegend aus revolutionären Matrosen bestehende Truppe. In der ersten Woche des Januar 1919 brach im Berliner Zeitungsviertel unter Führung des im Dezember aus der USPD dissentierten kommunistischen „Spartakusbundes“ ein Aufstand aus. Ebert wurde für abgesetzt erklärt. Bereits nach wenigen Tagen hatten Regierungstruppen, reguläre Einheiten und von dem im Rat der Volksbeauftragten für Militärfragen zuständigen Gustav Noske gebildete Freiwilligenverbände, sogenannte Freikorps, die Revolte niedergeschlagen. Prominenteste Opfer werden die Führer des „Spartakusbundes“ Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Am 4. Februar 1919 besetzten Freikorpseinheiten Bremen und machten dem Spuk einer vom örtlichen Arbeiter- und Soldatenrat ausgerufenen „Sozialistischen Republik“ ein Ende. Am 4. März des gleichen Jahres lief in Berlin ein vom Arbeiter- und Soldatenrat ausgerufener Streik aus dem Ruder. Militär musste eingesetzt werden. In den Annalen der Revolution steht dieses Ereignis als „Berliner Blutwoche“. Bereits im Februar 1919 war der bayerische Minister-
Kriegsende und Friedensschluss
präsident und USPD-Politiker Kurt Eisner erschossen worden. Ende des Jahres 1918 war der führende unabhängige Sozialist und ehemalige Volksbeauftragte Hugo Haase einem Attentat zum Opfer gefallen. Die Linken hatten für ihren Machtverlust einen hohen Blutzoll entrichtet. Der Streit um die Sozialisierung wurde zu einer letzten Kraftprobe der die Revolution tragenden politischen Kräfte. Über diese Frage hatten sich bereits SPD und USPD im Rat der Volksbeauftragten heillos zerstritten. War es den Mehrheitssozialisten in Berlin gelungen, in dieser Sache erfolgreich abzuwiegeln, blieb sie in den Bergbauregionen virulent. Am 13. Januar 1919 konstituiert sich auf einer Konferenz der Arbeiter- und Soldatenräte des Ruhrgebiets in Essen eine Sozialisierungskommission (sog. Neunerkommission). Widerwillig stimmt der Rat der Volksbeauftragten einigen hier gestellten Forderungen, wie der Bildung paritätisch besetzter Arbeitskammern, zu. Unter Einfluss der Ende des Jahres 1918 gegründeten KPD radikalisierte sich das Gremium, so dass einen Monat später der kommandierende General des VII. Armeekorps in Münster, von Watter, sich nicht anders zu helfen wusste, als die Mitglieder des besonders radikalen Arbeiter- und Soldatenrates in Münster zu verhaften. In Essen wurde daraufhin der Generalstreik ausgerufen. An die Bergleute wurden Waffen verteilt. Zeitweilig waren 180 000 zum Teil bewaffnete Bergarbeiter im Ausstand. Zwischen diesen und dem Militär kam es im März zu blutigen Zusammenstößen. Der Streik weitete sich aus und erfasste schließlich 300 000 Bergleute. In Berlin schrillten die Alarmglocken. Die Volksbeauftragten schickten am 7. April 1919 den energischen Gewerkschaftsführer Carl Severing als Staatskommissar in das Ruhrgebiet. Er lässt Sonderrationen an Arbeitswillige verteilen und Streikführer verhaften. Ende März, vier Wochen nach Ausbruch der Unruhe unter den Bergarbeitern, war die Gefahr eines Bürgerkriegs im Ruhrgebiet gebannt. Statt auf ‚Sozialisierung‘ setzten die Mehrheitssozialisten auf Sozialpolitik und fanden unter dem Eindruck der revolutionären Ereignisse 1918/19 in den Industrieführern kompromissbereite Gesprächspartner. In einer Denkschrift „Übergangswirtschaft“ vom März 1918 hatten diese ihren den Wünschen der Gewerkschaften in Einzelfragen entgegenkommenden sozialpolitischen Kurs abgesteckt. Dies war notwendig, weil die Position der Gewerkschaften relativ starr war, und sie nicht hinter die Zugeständnisse des „Hilfsdienstgesetzes“ aus dem Jahre 1917 (betriebliche Vertretung der Arbeitnehmer) zurück konnten. Die Ende Oktober 1918 eingerichtete Demobilisierungsbehörde war paritätisch mit Vertretern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer besetzt. Wenig später fanden Gewerkschaften und Arbeitgeber mit der „Zentralarbeitsgemeinschaft“ eine temporär wirkungsvolle Form institutionalisierten Interessenausgleiches. Die am 7. Mai 1919 von den Alliierten der deutschen Delegation überreichten Friedensbedingungen schlugen in Berlin wie eine Bombe ein. Deutschland wurde in der Präambel sowie in weiteren Artikeln des Vertragswerkes (Art. 228–231) die alleinige Schuld am Krieg zugeschrieben. Dem Kaiser, den Spitzen der Generalität und einer Reihe von Politikern drohten Anklage. Ultimativ
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forderten die Sieger eine Unterzeichnung des Friedensvertrages bis zum 23. Juni. In einer ersten Reaktion erklärte sowohl der deutsche Verhandlungsführer in Paris, Graf Brockdorff, als auch das Berliner Kabinett die alliierten Friedensbedingungen für „unannehmbar“. Diese Haltung bestimmte auch die Taktik der deutschen Seite. Mit ihren Gegenvorschlägen vom 29. Mai versuchte sie, die Nichterfüllbarkeit alliierter Forderungen aufzuzeigen. Nur eine kleine parlamentarische Gruppe unter Führung des Zentrumspolitikers und Finanzministers Matthias Erzberger hielt den eingeschlagenen Weg für falsch und plädierte für die bedingungslosen Annahme. Am 16. Juni verschärfte eine Mantelnote Clemenceaus noch einmal die Situation. Ultimativ wurde Annahme des Vertrages ohne Änderung gefordert. Vier Tage vor Ablauf des Ultimatums trat Scheidemann, entschiedener Gegner des Friedensdiktats, von seinem Amt als Reichskanzler zurück. Sein Nachfolger, der Sozialdemokrat Gustav Bauer, legte der Nationalversammlung den Vertrag zur Abstimmung vor. Im Kabinett waren Erzbergers Bemühungen nicht ohne Erfolg geblieben. Zwischen Befürwortern und Gegnern herrschte ein Patt. Im Parlament hatten die Befürworter bereits eine Mehrheit. Mit 237 gegen 138 Stimmen beugte sich die Nationalversammlung am Tag des Ablaufs des Ultimatums dem Diktat der Sieger. Mit der Annahme der Weimarer Verfassung und des Versailles Diktats hatte die Nationalversammlung ihre Aufgaben erfüllt. Sie löste sich auf. Am 6. Juni 1920 wurde auf der Grundlage eines uneingeschränkten Verhältniswahlrechts das erste ordentliche Parlament der Republik gewählt. Die USPD beteiligt sich an den Wahlen. Die beiden sozialistischen Parteien erhielten fast 40% der Mandate. Damit hatten sie das sozialistische Wählerreservoir ausgeschöpft. Das Spektakuläre des Wahlergebnisses zeigte sich auf den Bänken der bürgerlichen Parteien. Neben der deutlich erstarkten konservativen DNVP hatte sich unter Führung von Gustav Stresemann, einem Verfechter des deutschen „Siegfriedens“, die Deutsche Volkspartei (DVP) mit fast 14% der Mandate als neue bürgerliche Rechtspartei etabliert. Sie verdankte ihren Erfolg dem „Wildern“ in der Klientel der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP), die zu einer Splitterpartei geschrumpft war. Der Wahlausgang ermutigte die konterrevolutionären Kräfte in der in Auflösung begriffenen alten Armee und in den weitgehend aus Offizieren gebildeten Freiwilligenverbänden. Seit Herbst 1919 hat Deutschland eine neue Militärverfassung, deren Bewährungsprobe unmittelbar bevorstand. Nach ihr war Oberster Militär zwar der Chef der Heeresleitung, der jedoch einem zivilen, parlamentarisch legitimierten Reichswehrminister als oberstem Befehlshaber unterstand. In Ausführung der Bestimmungen des verabschiedeten Friedensvertrages – wie Verkleinerung der Reichswehr auf 100 000 Mann und der Einrichtung einer bis 50 km östlich des Rheins entmilitarisierten Zone – verfügte der amtierenden Reichswehrminister Noske, gedrängt von seiner Partei, die Auflösung der beiden größten Freiwillenformationen, der Brigade Ehrhardt und Löwenfeld. Die neue Befehlsstruktur bestand ihre erste Probe nicht. Der für den Wehrbezirk Berlin zuständige General von Lüttwitz weigerte sich, den ihm er-
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teilten Auflösungsbefehl auszuführen. Darauf enthob der Minister den General seines Kommandos. Im Morgengrauen des 12. März 1920 rückten gefechtsmäßig ausgerüstete Soldaten der aufzulösenden Freiwilligenbrigaden in die Hauptstadt ein und patrouillierten im Regierungsviertel. Die amtierende Regierung wurde für abgesetzt erklärt. An ihre Stelle trat, wie aus den von den Putschisten verteilten Flugblättern hervorging, eine Regierung Kapp/Lüttwitz. Doch der offensichtlich dilettantisch vorbereitete Putsch scheiterte innerhalb einer Woche. Ein Generalstreik und die Arbeitsverweigerung der Bürokratie brachte das öffentliche Leben zum Erliegen. Die Anführer der Militärrevolte, unter ihnen der aus dem Exil zurückgekehrte ehemalige kaiserliche Generalquartiermeister Ludendorff, flüchteten erneut nach Schweden. Das Scheitern der Konterrevolution ermutigte die Linken. Zur Abwehr der Kapp-Truppen hatten sich im Ruhrgebiet „bewaffnete Arbeiterwehren“ zu einer „Roten Ruhrarmee“ zusammengeschlossen, die sich nach dem Ende des Kapp/ Lüttwitz-Abenteuers weigerten, ihre Waffen abzugeben. Arbeiter im mitteldeutschen Industriedreieck Merseburg, Halle, Mansfeld folgten ihrem Beispiel. In allen Fällen musste durch Reichsexekution der militärischen Hoheit der Republik Respekt verschafft werden. Das ging nicht ohne Blutvergießen ab. Die nach Niederschlagung der Aufstände eintretende Ruhe war trügerisch. Dieses Mal war die radikale Rechte an der Reihe. Ihr prominentestes Opfer wurde im Juli 1922 der amtierende deutsche Außenminister, der jüdische Industrielle Walther Rathenau. Die gespannte Atmosphäre hielt bis 1923 an. Den Abschluss dieser unruhigen Jahre bildete im Oktober die blutige Reichsexekution gegen Thüringen und Sachsen, wo es zu von SPD und KPD gebildeten Volksfrontregierungen und der Aufstellung von „proletarischen Hundertschaften“ gekommen war. Der „Hamburger Aufstand“ vom 23. Oktober und der nach einer Meuterei der 7. Reichswehrdivision im November 1923 nach dem Vorbild von Mussolinis „Marsch auf Rom“ inszenierte blutige Hitlerputsch in München waren die letzten Bewährungsproben der von Putsch und Bürgerkrieg bedrohten jungen Republik. Wie sah die politische Bilanz am Ende des Jahres 1923 aus? Die ersten Weimarer Regierungen hatten den „Schmachfrieden“ von Versailles aus Sorge vor einer Besetzung Deutschlands durch die Siegermächte und dem Zerfall des Reiches zähneknirschend unterzeichnet. Damit unterwarfen sie sich den mit dem Frieden verbundenen Reparationsforderungen der Alliierten, welche der jungen Republik eine erhebliche Hypothek aufbürdeten. Unausgesprochen hoffen auf deutscher Seite alle Verantwortlichen auf eine schnelle Revision sowohl der materiellen als auch der psychologischen Folgen, der Reparationen wie der „Kriegsschuldlüge“. Die junge Republik hatte sich gegen ihre Gegner links und rechts sowohl mit Mitteln staatlicher Gewalt als auch Rechtsmacht (Erlass von Sondergesetzen zum „Schutz der Republik“) behauptet. Personalentscheidungen hatten daran einen hohen Anteil. In dem per Beschluss der Nationalversammlung vom 11. Februar 1919 als Staatsoberhaupt installierten Mehrheitssozialisten Friedrich Ebert hatte die Republik einen mutigen und energischen Führer gefunden, der sich nicht scheute, alle in der
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neuen Verfassung vorgesehenen Mittel wie z. B. das Notverordnungrecht auch gegen die eigene Klientel, beispielsweise gegen die streikenden Eisenbahnarbeiter im Februar 1922, zum Einsatz zu bringen. Zur Konsolidierung der Verhältnisse trug aber nicht zuletzt das republikanische Staatsrecht bei. Die neue Verfassung des Deutschen Reiches war, nach dem Scheitern einer parlamentarischen Monarchie, wie sie in der ‚Oktoberverfassung‘ von 1918 für Augenblicke möglich erschien, eine solide Grundlage einer zukünftigen politischen Entwicklung. Ein umfänglicher Katalog von Grundrechten suchte alle verfassungsrechtlichen Wege für eine weitere Ausgestaltung offen zu halten. Als Träger der politischen Willensbildung waren die Parteien, wenn auch denkbar knapp, in der Verfassung erwähnt. Ein fortschrittliches, Jugend (Wahlrecht ab 20 Jahre) und Frauen einbeziehendes Verhältniswahlrecht war zur Grundlage des Weimarer Parlamentarismus geworden. Eine wünschenswerte stärkere unitarische Ausrichtung des Preußschen Verfassungsentwurfs war allerdings durch gewiefte, aus der Provinz angereiste Verteidiger des deutschen Föderalismus verhindert worden. Die zentralen Einrichtungen Parlament, Regierung und Staatsoberhaupt waren in einem wohl durchdachten Gleichgewicht austariert. Erstmalig ermöglichten Verfassungsbestimmungen über die Volkswahl des Staatsoberhauptes und die Durchführung von Volksentscheid und Volksbegehren eine direkte Beteiligung des Bürgers am politischen Geschehen (Art. 75). Teile der Sozialverfassung waren durch Verfassungsvorschriften über die Gleichberechtigung der Tarifpartner (Art. 165 Abs. 1) und die Bildung von Betriebsräten (Art. 165 Abs. 2) festgeschrieben. Auf dieser Grundlage konnten die „unaufschiebbaren Veränderungen auch auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet“ vorwärts gebracht werden, „ohne das Reich und sein Wirtschaftsleben zugrunde zu richten“, wie es Friedrich Ebert in optimistischer Einschätzung am 6. Februar 1919 anlässlich der Eröffnung der Nationalversammlung formuliert hatte. Nach der Konsolidierung des politischen Lebens am Ende der „revolutionären Phase“ der jungen Republik drängten nun die wirtschaftlichen Kriegsfolgen nach einer Lösung. Denn die deutsche Wirtschaft, vor dem Krieg stärkste wirtschaftliche Macht auf dem Kontinent, befand sich als Folge des Krieges und der Nachkriegszeit in einem alarmierenden Zustand. Nach einem verlorenen Krieg und einer Revolution drohte der Republik wirtschaftlicher Niedergang und Staatsbankrott.
2. Die Beseitigung der wirtschaftlichen Kriegsfolgen: Inflation und Reparationen (1923–1930) Das Deutsche Kaiserreich hatte wie die anderen am ersten Weltkrieg beteiligten europäischen Staaten den Krieg durch Anhäufung von Staatsschulden finanziert. Die kaiserliche Regierung hatte sich nach Kriegsausbruch, um Mittel für die Mobilisierung zu erhalten, vom Reichstag Kriegsanleihen bewilligen lassen. Da sich wegen der Dauer des Krieges die Aufbringung der Kriegskosten
Die Beseitigung der wirtschaftlichen Kriegsfolgen
durch Anleihen bald erschöpfte, vereinfachte die kaiserliche Regierung die Kreditnahme durch Ausgabe staatlicher Schuldverschreibungen, sogenannte Reichsschatzanweisungen. Ab diesem Zeitpunkt der parlamentarischen Kontrolle enthoben, erhöhte sich der Geldumlauf schnell. Da andere Finanzierungsquellen wie z. B. Auslandsgelder dem Deutschen Reich nicht zur Verfügung standen, rechtfertigte man die gewählte Finanzierungsform mit dem Hinweis, dass nach erfolgreich beendetem Krieg diese Schulden durch dem besiegten Gegner auferlegte Reparationen getilgt würden. Die französischen Kriegskontributionen nach dem deutschen Sieg von 1870 waren zwar nicht mehr in Erinnerung aller Zeitgenossen, doch sie galten als jüngstes Beispiel einer erfolgreichen, die eigene Bevölkerung nicht belastenden Kriegsschädenbeseitigung. Ähnliche Überlegungen wurden auch in den alliierten Staaten angestellt. Zwar spielten, anders als in Deutschland, Auslandsanleihen zur Kriegsfinanzierung, wie solche Frankreichs an Russland aber vor allem der USA an die Kriegsgegner der Mittelmächte, eine zentrale Rolle, doch auch die auf diese Weise entstehende Verschuldung war mit Blick auf die nationale Währung und den Staatshaushalte der betroffenen Staaten risikoreich. Mit dem unpopulären Mittel der Steuererhöhung hatte man sich auf allen Seiten zurückgehalten. Der deutschen Bevölkerung z. B. war nur ca. 15% der Kriegskosten als Steuer zugemutet worden. In den Friedensverhandlungen von Versailles drängten nun die an die USA verschuldeten Alliierten auf deutsche Reparationszahlungen, durch welche Zinsendienst und Tilgung der alliierten Kriegskredite bedient werden konnten. In Deutschland kam in diesem Falle zu der bereits als Kriegsfolge immens gestiegenen Staatsverschuldung der Schuldendienst in Form der Reparationen. Alle übrigen Wege, die in den kriegsführenden Staaten angehäuften Kriegsschulden abzutragen und damit der von den umlaufenden Geldmengen ausgehenden Inflationsgefahr zu begegnen, wie eine rigorose Deflationspolitik und Steuererhöhungen, waren politisch brisant. Die unruhigen Jahre in Deutschland nach 1918 waren ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt für Haushaltssanierung und Steuererhöhungen. Nur für kurze Zeit konnte sich die letzte kaiserliche Regierung bei Unterzeichnung des Diktatfriedens mit Russland in der Hoffnung wiegen, – wie vorgesehen – Kriegsschulden durch Reparationen begleichen zu können. Der Frieden von Brest-Litowsk enthielt neben Bestimmungen über Landabtretungen und Sachleistungen solche über russische Reparationszahlungen. 1919 hatte sich das Blatt gewendet. Nun erwarteten die Alliierten Reparationen vom besiegten Deutschland. Ab diesem Zeitpunkt belastete die Sorge, dass zukünftig ein Teil des in Deutschland erwirtschafteten Sozialproduktes als Reparation an die Siegermächte abfließen und für die notwendige Währungskonsolidierung und anstehenden sozialpolitischen Verteilungskämpfe nicht zur Verfügung stehen würde, unheilvoll die deutsche Innenpolitik. Der Friedensvertrag von Versailles hatte die Höhe der von Deutschland an die ehemaligen alliierten Kriegsgegner zu zahlenden Reparationen offen gelassen. Lediglich eine „Vorableistung“ von 20 Mrd. Goldmark wurde festgelegt.
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Erst zu Beginn des Jahres 1921 benannte die in Paris tagende alliierte Reparationskommission erstmalig eine Gesamtsumme: 269 Mrd. Goldmark. Mit der gleichzeitigen Besetzung der entmilitarisierten Zone sowie der Städte Düsseldorf, Duisburg und Ruhrort erhöhten die Alliierten den Druck auf Deutschland. Die Errichtung einer alliierten Verwaltung des Reiches und sein Zerfall in besetzte Zonen schwebte wie ein Damoklesschwert über der deutschen Politik. Es sollte sich bald zeigen, dass dies kein bloßes Schreckgespenst war. Im Mai wurde ein Zahlungsplan für die Gesamtsumme der Reparationen festgelegt: 132 Mrd. Mark in 37 Jahresraten sowie eine 26% Abgabe auf den deutschen Export. Von London aus wurde ultimativ die Annahme verlangt. Der deutschen Regierung unter dem Zentrumspolitiker Joseph Wirth blieb keine Wahl. Sie akzeptierte die im „Londoner Ultimatum“ gestellten Forderungen und zahlte im August eine erste Jahresrate in Höhe von 1 Mrd. Mark. Unter dem unmittelbaren Eindruck der starren Haltung der Gläubiger erhob sich in Deutschland eine Diskussion über die Frage, ob die erforderlichen Annuitäten nicht durch eine Kreditaktion der deutschen Wirtschaft oder durch eine Erfassung und Belastung der Sachwerte, wie sie der SPD vorschwebte, aufgebracht werden könnten. Nachdem dies alles zu keinem konkreten Ergebnis geführt hatte, erklärte die deutsche Regierung, dass sie die für den Januar 1922 fällige Zahlung nicht werde aufbringen können. Im historischen Vergleich entspricht die jährlichen Zahlung von 7% des deutschen Volksvermögens oder 1,7% des Bruttosozialprodukts der Jahre 1925–1931 etwa der Summe, welche die spätere Bundesrepublik über Jahre als Entwicklungshilfe bereitstellen wird. Eine moderate Belastung, wie ein Teil der Forschung feststellen sollte. Doch unter den besonderen Umständen der zwanziger Jahre waren dies spektakuläre Forderungen und – wie sich zeigen sollte – für die deutsche Wirtschaft und vor allem die deutsche Währung von verheerenden Folgen. Neben der Höhe und Aufbringung des Betrages warf seine Transferierung nicht geringe währungstechnische Probleme auf. Allen Beteiligten war klar, dass, wenn auf mittlere und längere Sicht diese Summen nicht auch real erwirtschaftet werden konnten, die Reparationskonstruktion als Teil des Vertrages von Versailles keinen Bestand haben werde. Die beste Garantie für regelmäßige Wiedergutmachungszahlungen waren Zahlungsbilanzüberschüsse als Folge einer aktiven Handelsbilanz. Einem solchen Ziel stand die Abschottung ihrer Märkte durch die Siegermächte entgegen. Der Verlust des oberschlesischen Kohlereviers nach polnischer Besetzung und die Sanktionierung durch eine alliierte Botschafterkonferenz am 20. 10. 1921 ohne Rücksicht auf das für Deutschland ausgegangene Abstimmungsergebnis bedeutete zudem zusammen mit dem Verlust Elsass-Lothringens und des Saargebiets eine erhebliche Verkleinerung der deutschen Rohstoffbasis und eine Schwächung der deutschen Volkswirtschaft. Doch auch die Empfängerländer von Reparationen steckten in einem Dilemma. Einerseits garantierten nur eine leistungsfähige deutsche Industrie und hohe deutsche Exporterlöse die Reparationszahlungen, andererseits spielte der Wunsch, Deutschland möglichst lange als mitteleuropäische Wirtschaftsmacht und Konkurrenz
Die Beseitigung der wirtschaftlichen Kriegsfolgen
auszuschalten, im politischen Kalkül der Siegermächte eine erhebliche Rolle. Eine praktische Antwort auf die Frage, wie die deutschen Reparationszahlungen aufgebracht werden sollten, bot die Hereinnahme ausländischer Kredite. Dies setzte – nimmt man die Kreditwürdigkeit der Republik als gegeben an – einen stabilen und leistungsfähigen internationalen Kapitalmarkt voraus. War dies nicht der Fall, konnte von diesem Mittel im Einzelfalle Gebrauch gemacht werden, kontinuierliche Zahlungen aber waren auf diesem Wege nicht zu finanzieren. Dies zeigte sich sehr schnell, als 1922 nach Zahlung der ersten nach dem Ultimatum von London fälligen Rate weitere Auslandsanleihen ausblieben. Den deutschen Wünschen nach einem Zahlungsmoratorium begegneten die Alliierten im August 1922 mit der Forderung nach „produktiven Pfändern“ zur Absicherung ihrer Forderungen. Nach der Weigerung der deutschen Regierung, über eine solche Frage überhaupt nur zu sprechen, nahmen die Alliierten verzögerte deutsche Sachlieferungen zum Anlass, sich im Alleingang diese Sicherheiten zu beschaffen. Zu Beginn des Jahres 1923 besetzten französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet und stellten die Kohlengruben unter militärisches Ausnahmerecht. Diesen Schritt beantwortete Berlin am 31. Januar mit der Ausrufung des „passiven Widerstandes“ und Organisation des „nationalen Abwehrkampfes“. Das rheinisch-westfälische Kohlesyndikat verlegte seinen Sitz von Essen nach Hamburg. Industrielle wie Fritz Thyssen wurden von französischen Kriegsgerichten zu hohen Geldstrafen verurteilt. Deutschland stellte seine Kohlelieferungen an Frankreich ein. Reichspräsident Ebert belegte durch die Notverordnung jede Zusammenarbeit von deutschen Staatsbürgern und Besetzern mit Strafe. Der 14. Januar, der Tag des Einmarsches, wurde zum nationalen Trauertag erklärt. Als die Regierung Stresemann nach neun Monaten den „Ruhrkampf“ beenden musste, wies die Bilanz mit Albert Leo Schlageter, einem wegen Sabotage durch ein französisches Militärgericht zum Tode verurteilten ehemaligen Offizier, einen nationalen Märtyrer und 132 Tote, 11 Todesurteile, 5 lebenslänglich Verurteilte und 150 000 Ausgewiesene auf. Zu diesen Menschenopfern kamen katastrophale materielle Folgen, wie die endgültig ruinierte Währung. Zur Finanzierung des deutschen Widerstands hatten sich die Berliner Regierungen der Notenpresse bedient. Die deutsche Währung befand sich im Vergleich mit den ausländischen Währungen im ‚freien Fall‘. In der dramatischen Phase einer Hyperinflation verlor die goldgedeckte deutsche Reichsmark, vor 1914 eine der stabilen Weltleitwährungen, im Tagesrhythmus an Wert. Anfang Januar stieg der Umtauschwert des Dollar auf 8800 Mark, bald darauf wurde er in Millionen und Milliarden gerechnet. Die Großindustrie und der Großhandel tätigten ihre Geschäfte nur noch in Devisen. Ziel der einsetzenden Kapitalflucht war Holland. Amsterdam wurde in diesen Monaten zum zentralen deutschen Finanzplatz. Der zur Finanzierung des passiven Widerstandes im April 1923 notwendig werdende Nachtragshaushalt erreichte eine Höhe von 4,5 Billionen Mark. Angesichts des 1922/23 von den bürgerlichen Regierungen unter Wilhelm Cuno und Gustav Stresemann angerichteten währungspolitischen Desasters erklärte sich Frank-
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reich unter der Bedingung eines sofortigen Abbruchs des „Ruhrkampfes“ zur Prüfung der deutschen Zahlungsfähigkeit bereit. Die deutsche Regierung unter Stresemann arbeitete bereits an Plänen zur Schaffung einer neuen Währung. Seit September tagte unter Heranziehung von Sachverständigen der Währungsausschuss des Reichswirtschaftsrates. Auf deren Vorschlag wurde eine RentenBank gegründet, die mit umfassenden, auf Grund und Boden bezogenen Schuldverschreibungen ausgestattet wurde. Diese wurden zur Deckung des neuen Zahlungsmittels genutzt. Die Eröffnung der „Rentenbank“ am 15. November 1923 und die Festlegung eines Wechselkurses (eine Rentenmark = 1 Billion Papiermark) beendete die Schrecken der Hyperinflation. Doch der Preis für eine feste Währung war hoch. Die Hyperinflation hatte den Geld- und Finanzmarkt Deutschland aufs heftigste erschüttert und auf Jahre gelähmt. Deutschland verlor für Jahre die Fähigkeit zur langfristigen Kreditschöpfung und war nun erst recht auf den Zufluss ausländischen Kapitals angewiesen. Der Eigenkapitalanteil der großen Berliner Aktienbanken betrug 1922 0,7% gegen 23% der Vorkriegszeit. Durch hohe Zinsen musste Deutschland den Kapitalimport in Gang halten. Um den Preis minimaler Aufwertungssätze hatte sich über Nacht die öffentliche Hand auf Kosten der Besitzer von Rentenwerten durch den Währungsschnitt entschuldet. Sozialgeschichtlich beförderte die Inflation durch Vernichtung vermögensbedingter Selbständigkeit den Übergang zur Gesellschaft massenhafter Gehaltsund Lohnabhängiger. Politisch folgenreich war, dass im öffentlichen Bewusstsein nicht dem alten, sondern dem neuen Staat die Inflation angelastet wurde. Zeitgleich mit dem Währungsschnitt in Deutschland berief die seit den Versailler Friedensverhandlungen tagende Reparationskonferenz einen unter dem Vorsitz des amerikanischen Bankiers Charles G. Dawes stehenden internationalen Sachverständigenausschuss. Seine Aufgabe war, die deutsche Zahlungsfähigkeit zu prüfen und Erleichterungen bei der Transferierung der Zahlungen vorzuschlagen. Ein wichtiges Etappenziel bei der Liquidierung der krassesten Kriegsfolgen schien erreicht. Nach der Stabilisierung der deutschen Währung wurde dies immer dringlicher, weil die Frage der deutschen Wiedergutmachungszahlungen an die Sieger sich zu einer höchst explosiven innenpolitischen Frage entwickelte. Die seit Januar 1924 in Paris tagenden Reparationssachverständigen legten nach dreimonatiger Arbeit ein Gutachten vor, an dem auf Einladung auch Deutsche mitgearbeitet hatten. Danach sollte Deutschland jährlich 250 bis 290 Millionen Goldmark zugunsten des Kontos des zur Regelung aller Transferfragen und der Prüfung der deutschen Zahlungsfähigkeit bestellten Reparationsagenten überweisen. Der von den Alliierten in dieses Amt berufene amerikanische Bankier Parker Gilbert wurde Mitglied des Beirates der Reichsbank. Unter Aufsicht des Reparationsagenten wurde durch Ausgabe von Industrieobligationen sowie Beleihung der Reichsbahn intern neues Kapital für Reparationen mobilisiert. Der Reparationsagent fungierte als Kontrolleur. Im Rahmen seiner jährlichen Berichte äußerte er sich ungefragt zu Problemen der öffentlichen Haushalte und der Verwendung ausländischer Anleihen.
Die Beseitigung der wirtschaftlichen Kriegsfolgen
Der im Sommer 1924 im Reichstag angenommene Dawes-Plan blieb wegen solcher politischer Schwächen innenpolitisch umstritten. Dazu trug neben der Beeinträchtigung der deutschen Währungssouveränität vor allem die Aufrechterhaltung der sogenannten „Kriegsschuldlüge“ bei. Vergeblich hatten die im August 1924 unter Führung des amtierenden Reichskanzlers Wilhelm Marx nach London gereisten Minister Gustav Stresemann und Hans Luther vor Annahme der neuen Reparationsregelung alliierte Zugeständnis wie die Räumung der französisch besetzten deutschen Gebiete gefordert. Unter dem Beifall des gesamten Hauses hatte der Reichskanzler im Reichstag sogar die Zurücknahme des „Kriegsschuldparagraphen“ von Versailles als Bedingung für die Annahme verlangt. Nur so glaubten die Verhandlungsführer das neue Abkommen in Deutschland vertreten zu können. Nach englischer Vermittlung sagte Frankreich schließlich eine schrittweise Räumung der besetzten Gebiete zu. Das Londoner Abschlussprotokoll hält an diesen Zusagen, die Frankreich allerdings nur schleppend erfüllen sollte, fest. Erst nachdem die Reichsbank eine Auslandsanleihe in Höhe von 967 Mio. RM hatte platzieren können, überwies sie im Namen der deutschen Regierung im September 1924 eine erste Rate von 200 Mio. RM. Die folgenden Jahre sollten zeigen, dass damit das Reparationsproblem durchaus nicht vom Tisch war. Die deutsche Industrie war seit der Dawes-Lösung wegen der ihr auferlegten „Industrieanleihe“ untereinander zerstritten. Das Mitspracherecht des Reparationsagenten bei Haushalts- und Währungsfragen ebenso wie die Anwesenheit französischer Truppen in Köln, Darmstadt und Mannheim erregten zunehmend Unmut und wurden als demütigend empfunden. Doch erst die sich seit 1928 rapide verschlechternde Lage des deutschen Staatshaushaltes sollte die Reparationsfrage erneut auf die Tagesordnung setzen. Denn nur für das Haushaltsjahr 1924 war es dem Reichsfinanzminister gelungen, einen in Einnahmen und Ausgaben ausgeglichenen Etat in Höhe von 5,81 Mrd. RM vorzulegen. Von diesem Zeitpunkt an stieg das Haushaltsdefizit kontinuierlich an. Ende des Jahres 1928 betrug es bei einer langfristigen Gesamtverschuldung von 12 Mrd. RM bereits 1 336 Mio. RM. Verursacht worden waren diese wachsenden Haushaltslöcher durch Ausgabe kurzfristiger Schatzanweisungen, mit deren Hilfe der laufende Zinsendienst des Reiches, die Zuschüsse für die Arbeitslosenhilfe sowie die Ausgaben für den sozialen Wohnungsbau bestritten wurden. Das notorische Haushaltsdefizit hatten die Weimarer Regierungen durch öffentliche Anleihen auszugleichen gesucht. So waren die sogenannte Reinhold-Anleihe (500 Mio. RM) von 1927 und die Hilferding-Anleihe (183 Mio. RM) aus dem Jahre 1929 zustande gekommen. Doch mit geringem Erfolg. Beide Anleihen verkauften sich schlecht und die Reichsregierung war gezwungen, einen Teil der Papiere zu übernehmen. Da Deutschland seine im Dawes-Plan vereinbarten Zahlungen weiterhin nur durch Aufnahme ausländischer Kredite leisten konnte, Überschüsse in der deutschen Zahlungsbilanz nicht zu erwirtschaften waren, ruinierten die deutschen Zahlungen an die Sieger in Verbindung mit den Kosten der staatlichen Sozialleistungen die öffentlichen Finanzen systematisch. Als Allheilmittel empfahl der Reparationsagent in seinen jährlichen Be-
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richten eine sparsamere Haushaltsführung, die Zurücknahme staatlicher Wohlfahrtsmaßnahmen sowie eine rigorose Austerity-Politik. Angesichts des sich rasch vergrößernden Haushaltsdefizits und der nicht zu übersehenden Rolle, die die deutsche Auslandsverschuldung dabei spielte, setzte sich schließlich die Überzeugung durch, dass auch die Dawes-Regelung das Reparationsproblem für Deutschland nicht gelöst hatte und ein neuer Anlauf zur Regelung der leidigen Reparationsfrage notwendig wurde. Doch die Voraussetzungen dafür waren zum Jahreswechsel 1928/29 im Vergleich mit 1924 denkbar schlecht. Nach wie vor weigerten sich die Amerikaner, einen Zusammenhang zwischen den alliierten Schulden und den deutschen Reparationen herzustellen. Die ehemaligen Alliierten beharrten weiterhin auf ihrem Grundsatz, dass sie erst nach Streichung ihrer Kriegsschulden durch die USA auf deutsche Reparationen verzichten könnten. Auch wenn sich zu diesem Zeitpunkt die Amerikaner noch nicht zu diesem Schritt entschließen konnten, fühlten sie sich doch in der Verantwortung. Unter Leitung des amerikanischen Finanzsachverständigen Owen D. Young legte Anfang 1929 ein internationales Sachverständigen-Gremium in Paris ein neues Modell für die deutschen Reparationszahlungen vor. Der am 7. Juni 1929 nach langen Verhandlungen unterzeichnete Young-Plan sah eine Restsumme von 113,9 Mrd. RM vor, verteilt auf 68 Annuitäten. Frankreich sicherte Deutschland nach Annahme des Planes die Räumung des Rheinlandes zum 30. 1. 1930 zu. Im Herbst des Jahres 1929 begann der rasch eskalierende innenpolitische Streit um die neue Reparationsregelung. Seine Heftigkeit fand ihre Erklärung in der veränderten innenpolitische Situation. Die DNVP, seit 1928 unter ihrem neuen Vorsitzenden, dem ehemaligen Krupp-Direktor und Besitzer des Zeitungsverlages Scherl, Alfred Hugenberg, war auf einen unerbittlichen Rechtskurs eingeschwenkt. Anders als sein gestürzter Vorgänger Graf Westarp mobilisierte er im „Reichsausschuss für das deutsche Volksbegehren“ die fundamentalistischen nationalistischen Verweigerungskräfte und scheute dabei auch nicht vor einer Zusammenarbeit mit Hitler zurück. Ein zum Volksbegehren von Hugenberg und Hitler vorgelegtes „Freiheitsgesetz“ bedrohte die Unterzeichner des Young-Plans mit strafrechtlichen Konsequenzen. Nachdem die Kampagne die notwendigen 10% der Wahlberechtigen erreicht hatte, musste sich der Reichstag mit einem entsprechenden Gesetzesentwurf zur Ablehnung des Planes befassen. In der entscheidenden Abstimmung spaltete sich das konservative Lager und brachte den Antrag zu Fall. Auch der von der außerparlamentarischen Opposition daraufhin angestrengte Volksentscheid blieb erfolglos. Doch der Streit um die neue Reparationsregelung ging quer durch die deutsche Wirtschaft und Politik. Repräsentanten des republikanischen Staates schlossen sich der Kritik der Opposition an. Prominentester Fall wurde der Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht. Im Oktober veröffentlichte er eine Denkschrift gegen den neuen Reparationsplan und trat eine Woche vor der Annahme des YoungPlanes im Reichstag am 12. März 1930 von seinem Amt zurück. Die YoungKampagne führte zum ersten Mal das in den letzten Jahren der Republik häu-
Der Sieg des deutschen Revisionismus
figer zu beobachtende Zusammenwirken der extremen Linken mit der extremen Rechten vor Augen. Ein gemeinsam von KPD und NSDAP eingebrachter Misstrauensantrag stürzte die sächsische Landesregierung, die sich offen für die Annahme des Young-Planes erklärt hatte. Wiederum war die Zahlung der ersten Rate der neu ausgehandelten Reparationsregelung nur durch Aufnahme einer Auslandsanleihe in Höhe von 1473 Mio. RM möglich. Nach wie vor blieb also die Reparationsfrage eng mit der Haushaltsfrage verknüpft. Bei der entscheidenden Beratung machte Heinrich Brüning, Haushaltsexperte der Zentrumspartei, die Zustimmung seiner Partei zum Young-Plan von der gleichzeitigen Sanierung des Reichshaushaltes abhängig. Noch einmal verschafften die USA der deutschen Politik eine Atempause. Am 20. Juni 1931 schlug der amerikanische Präsident Hoover ein einjähriges Moratorium für alle internationalen Zahlungsverpflichtungen einschließlich der Reparationsverpflichtungen vor. Nach seinem Ablauf wurde nicht nur endlich das Reparationsproblem mit den alliierten Schulden verbunden, sondern auf der vom 16. Juni bis 9. Juli 1932 in Lausanne tagenden Reparationskonferenz auch eine Einigung über das Ende der Reparationen erzielt. Kein anderes Problem als die von Deutschland geforderten Wiedergutmachungszahlungen hat die deutsche Innenpolitik und das friedliche Zusammenleben der ehemaligen Kriegsgegner in der Zwischenkriegszeit bis 1932 mehr belastet. In den Augen der eigenen Bevölkerung hat die offene Reparationsfrage die Weimar Politik diskreditiert. Neben den politischen Schaden trat der wirtschaftliche. Die ‚auf Pump‘ geleisteten Reparationen haben in Verbindung mit den sozialpolitischen Maßnahmen den öffentlichen Haushalt von Weimar ruiniert. Die endgültige Lösung der Reparationsfrage in Lausanne konnte der Republik nicht mehr helfen. Die Liquidation der Inflation als Kriegsfolge durch den Währungsschnitt 1923 war zwar mit der Entkapitalisierung mittelständischer Schichten mit allen sozialpolitischen und sozialpsychologischen Folgen teuer erkauft worden, war aber eine erfolgreiche politische Kraftanstrengung des neuen Staatswesens. Die Beseitigung des Reparationsproblems als zweite Hinterlassenschaft des Kaiserreiches gelang den demokratischen Regierungen von Weimar nicht mehr.
3. Konservativer Schwenk: Der Sieg des deutschen Revisionismus (1930–1933) Andreas Hillgruber hat den Begriff ‚Revisionismus‘ zur Bezeichnung der deutschen Politik in den Jahren 1918 und 1933 in die Forschung eingeführt (187). An ihm sollte sie bis in die jüngste Zeit festhalten. Hillgruber verstand darunter alle Bemühungen der deutschen Politik, die für Deutschland ungünstigen Ergebnisse des Versailler Friedens Schritt für Schritt zu verbessern bzw. zu verän-
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dern. Als Ergebnis seiner Bemühungen zur Revision des Versailler Vertrages sollte Deutschland nicht nur wieder in seine ursprüngliche ökonomische Schlüsselrolle in Mitteleuropa einrücken, sondern eine Ausgangsposition erreichen, die diese in wenigen Jahren beträchtlich übersteigen sollte. Nach Hillgruber durchläuft die deutsche Außenpolitik als wesentliche Antriebskraft dieses Revisionismus, abgestützt durch besondere innenpolitische Konstellationen, drei Phasen. In einem ersten „defensiven Abschnitt“ gelang es ihr, die Folgen der Niederlage abzuschwächen und eine nachträgliche Ausweitung des Sieges der Alliierten zu verhindern. Diese Anstrengungen gipfeln in dem Scheitern der französischen Politik der „produktiven Pfänder“ und der ersten, Deutschlands wirtschaftlicher Lage angemessenen Reparationsregelung im Dawes-Plan 1924. Mit der Übernahme der Verantwortung der deutschen Außenpolitik durch Gustav Stresemann und der Umsetzung seiner Grundüberzeugung, dass „Europas Zukunft in den Händen der USA“ liege, gelang der deutschen Politik mit der „Parallelisierung von deutschen und amerikanischen Wirtschaftsinteressen“ (Link) einer ihrer größten Erfolge. Als Gegengewicht zu der schwierigen Westpolitik näherte sich Deutschland zeitweilig dem zweiten Verlierer des Krieges, dem revolutionären Russland an. Mit dem Vertrag von Rapallo im Jahre 1922 und dem deutsch-russischen Handelsvertrag von 1926, dem sogenannten Berliner Vertrag, unternahm Deutschland erhebliche diplomatische Anstrengungen, die Wirtschaftsbeziehungen zu dem anderen Außenseiter des Versailler Systems auf eine reale Basis zu stellen. Diese behutsame deutsche Revisionspolitik ging 1930 nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise und dem Rückzug der USA aus Europa in einen deutlich aktiveren und schließlich aggressiven Revisionismus über. Zu seinem Forderungskatalog gehörten: endgültige Beseitigung der Reparationen, Überwindung der einseitigen, Deutschland diskriminierenden Abrüstung, Revision territorialer Bestimmungen des Friedensvertrages im Osten, Anschluss Österreichs und Aufbau einer wirtschaftlichen Einflusszone in Ost-Mitteleuropa. Diese einzelnen Abschnitte des deutschen außenpolitischen Revisionismus bis 1930 stützten innenpolitisch die Parteien der „Weimarer Koalition“, allen voran die SPD. Die Verkündigung des Versailler Friedensdiktats in Form eines deutschen Reichsgesetzes bildete den Handlungsrahmen der „Erfüllungspolitik“ der ersten nachrevolutionären Regierungen und ihrer Repräsentanten: die ersten sozialdemokratischen Reichskanzler Scheidemann und Bauer, Zentrumskanzler Joseph Wirth, Matthias Erzberger als finanzpolitischer Experte und der Großunternehmer Walther Rathenau als Außenminister. Sie trugen wegen ihrer Bemühungen um Vertragserfüllung für die konservativen Gegner der Republik die verächtlich gemeinte Bezeichnung „Erfüllungspolitiker“. Gustav Stresemann, zwischen 1923 bis zu seinem Tode 1929 kurze Zeit Reichskanzler und für längere Zeit Außenminister, repräsentiert den Übergang dieser „Erfüllungspolitik“ zu einer aktiveren Gestaltung deutscher Außenpolitik. Seine in der Summe erfolgreiche, weil Deutschland in den Kreis der Großmächte zurückführende Außenpolitik lässt bestimmte Optionen offen. In allen brisanten Punkten wie Reparationen, Abrüstung und Grenzziehung im Osten
Der Sieg des deutschen Revisionismus
war die deutsche Politik unter Stresemann zwar aktiv, erreichte aber letztlich nichts Substantielles. Deutschland begnügte sich damit, Konstellationen zu respektieren, die sich für den Augenblick nicht ändern ließen, war aber deshalb revisionspolitisch nicht untätig. Als Minister deckte er die seit Beginn der Republik bestehende, die Versailler Rüstungsauflagen unterlaufende geheime militärische Zusammenarbeit der Reichswehr mit Russland auf. Unter dem Reichswehrminister Groener (1928–1931) wurde diese militärische Planung von dem illusionären Großmachtdenken Seeckts befreit und noch unter Stresemann einem realistischen aktiven Revisionskonzept untergeordnet. Hier knüpften Heinrich Brüning, Reichskanzler vom 29. März 1930 bis zu seinem Sturz am 30. Mai 1932, sowie seine Nachfolger Franz von Papen und Kurt von Schleicher an. Die SPD, bis zur Septemberwahl 1930 mit knapp 25% der Mandate stärkste Partei im Reichstag, hatte an der „Erfüllungspolitik“ der ersten Jahre vergleichsweise starken Anteil, in der anschließenden Phase abnehmenden und in der dritten Phase überhaupt keinen Anteil mehr. Zu Beginn stellte die Partei mit Scheidemann, Bauer und Müller kurzfristig drei Kanzler und damit die Mehrheit des Personals der „Weimarer Erfüllungspolitik“. Als die SPD im Juni 1928 – vorübergehend gestärkt – wieder größeren Einfluss gewann und mit Hermann Müller erneut ein Sozialdemokrat an die Spitze des Reiches trat, gaben Partei und Kanzler Stresemanns außenpolitischem Kurs Rückendeckung. Die dabei von ihr als Regierungspartei geübte Staatsräson manövrierte sie in eine Reihe schwieriger Situationen und verärgerte ihre Wähler. Im rechten Spektrum verbreiterte in der gleichen Zeit trotz aller Spaltungstendenzen (Christlich-Sozialer-Volksdienst, Landvolkpartei und Volkskonservative) die zur Radikalopposition gegen Weimar übergehende DNVP ihren Wählerstamm und im linken nahm die KPD der SPD Wähler ab. Wiederholt hatte sich die SPD als direkte oder indirekte Regierungspartei in den vergangenen Jahren ins politische Abseits gebracht. Bei der Reichspräsidentenwahl 1925 hatte sich die SPD im zweiten Wahlgang nach Verzicht auf einen eigenen Kandidaten zusammen mit der Weimarer Koalition auf der Verliererseite wieder gefunden. Zu Beginn des Jahres 1926 geriet die Partei nach einer Initiative der KPD zur Durchführung eines „Volksentscheids über die entschädigungslose Enteignung der Fürsten“ erneut in die Defensive. Im Herbst 1928 drohte sich der Vorfall anlässlich der Kampagne gegen den Bau der ersten deutschen Panzerkreuzer zu wiederholen. Nutznießer solcher ungeschickten Manöver der größten republikanischen Partei von Weimar waren die Rechten oder die KPD, die beide ihren Stimmenanteil von Reichstagswahl zu Reichstagswahl steigern konnten. Bei den Maiwahlen des Jahres 1928 errang die moskauhörige Partei mehr als 10% der Reichstagsmandate (SPD knapp 30%). Angesichts der inzwischen auf 5 Millionen angewachsenen Zahl der Arbeitslosen verweigerte die SPD unter Druck der Gewerkschaften ihre Zustimmung zu der vom Koalitionspartner DVP geforderten Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung und ließ die Koalition platzen. Von nun an hing der SPD im rechten Lager der
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Ruf eines unzuverlässigen Partners an. Die deutsche Innenpolitik vollführte einen konservativen Schwenk und die SPD wurde dessen erstes Opfer. Alle seit Frühjahr 1930 entstehenden Regierungskonstellationen klammerten konsequent die SPD aus. Dabei kam die Führung der Partei der neuen Regierung „verantwortlicher Persönlichkeiten“ weit entgegen. In einer Unterredung mit Brüning sicherten die Sozialdemokraten Wels und Müller der Regierung ihre Unterstützung zu. Der an diesen Gesprächen teilnehmende Staatssekretär Hermann Pünder notierte in sein Tagebuch: „Ein System, das man als Parlamentarismus mit Art. 48 oder als parlamentarisch tolerierte Präsidialregierung bezeichnen kann, ist mit Hilfe der SPD installiert“. Damit waren die Sozialdemokraten ungewollt Teil von Brünings Revisionismuskonzept geworden. Nicht ohne Wirkung auf die Partei konnte die Tatsache sein, dass der politische Kurswechsel auf Reichsebene stimmungsmäßig mit einem nationalistischen Meinungsumschwung in der Öffentlichkeit, wie dies die Reichstagswahlen vom September 1930 gezeigt hatten, zusammenfiel. Das neue Parlament wurde durch 107 Abgeordnete der NSDAP dominiert. Doch nach wie vor konnte sich der nun ohne parlamentarische Mehrheit regierende, deutlich geschwächte Brüning auf die SPD verlassen. Zum wiederholten Male bildete sie für ihn den Rettungsanker. So verdankte der Reichskanzler im Dezember 1930 das Scheitern eines Antrags der Rechtsparteien auf Aufhebung der Notverordnung vom 1. 12. 1930 der Unterstützung durch die SPD. Am 20. März 1931 enthielten sich 143 Abgeordnete der SPD bei der Abstimmung über den Wehretat und den Bau des Panzerkreuzers B der Stimme und verhalfen so dem Antrag zum Erfolg. Selbst Brünings Politik der Ausschaltung des Parlaments durch Nichteinberufung versagt sich die Partei im Ältestenrat nicht. Brünings Revisionismus wurde beherrscht vom Primat der Außenpolitik. Ihm ordnete sich innenpolitisch sein harter Deflationskurs, der die Massenarbeitslosigkeit in Kauf nahm, unter. Eine solche Innenpolitik eröffnete den erwünschten außenpolitischen Spielraum. Bei seiner Nutzung nahm Brüning, anders als Stresemann, auch eine Düpierung wichtiger deutscher Verhandlungspartner in Kauf. Neben dem Abbruch aller Verhandlungen mit Polen ist der Verlauf der Verhandlungen zur Bildung einer deutsch-österreichischen Zollunion ein besonders gutes Beispiel dafür. Die Alliierten hatten im Versailler Frieden dem Anschlusswunsch Österreichs einen Riegel vorgeschoben. Doch war das Thema damit nicht aus der Welt. Von Brüning ermuntert hatte sein Außenminister Curtius, ohne Frankreich und Großbritannien zu konsultieren oder im Völkerbund die Stimmung für die Bildung einer solchen Union zu erkunden, mit der österreichischen Regierung über eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit verhandelt. Am 20. März 1931 veröffentlichte die Reichsregierung den „Zollunionsplan“. Frankreich, das ein wirtschaftliches Zusammengehen Österreichs mit Deutschland wegen seiner eigenen Südosteuropa-Pläne misstrauisch verfolgte, legte im Völkerbund sein Veto ein. Damit war das Projekt, welches mit so wenig Fingerspitzengefühl eingefädelt worden war, gestorben. Als Ersatz für das gescheiterte Zollunionsprojekt forcierten Brüning und
Der Sieg des deutschen Revisionismus
Papen nun die handelspolitischen Initiativen gegenüber den südosteuropäischen Agrarstaaten, insbesondere Ungarn und Rumänien. Die deutsche Politik bediente sich dabei unter Umgehung des Meistbegünstigungsrechtes des protektionistischen Instruments bilateraler Zollpräferenzen. In den im Sommer 1931 mit den beiden Ländern geschlossenen Handelsverträgen sicherte sich Deutschland, den Exportdruck der betroffenen Länder nutzend, eine dominierende Stellung. Am stärksten aber sollte der unter Brüning eingetretene Wechsel zu einer offensiven Revisionspolitik in der Reparationsfrage deutlich werden. Brüning hatte in seinen Gesprächen mit dem vom 25. bis zum 27. Juli 1931 nach Berlin gereisten amerikanischen Staatssekretär Stimson und mit dem in Begleitung seines Außenministers Henderson befindlichen britischen Premier MacDonald Zusagen für eine Überprüfung der deutschen Zahlungsfähigkeit erhalten. Ende des Jahres verlangt Deutschland in der gleichen Frage den Zusammentritt des im Young-Plan vorgesehenen Sonderausschusses der „Bank für Internationalen Zahlungsausgleich“. Nachdem am 23. Dezember Sachverständige Deutschlands Zahlungsunfähigkeit festgestellt hatten und vorschlugen, das weitere Vorgehen auf einer Reparationskonferenz zu erörtern, kommentierte Brüning voreilig diesen Schritt mit der Bemerkung, dass der Young-Plan „überholt“ und Deutschland keine weiteren Reparationen zahlen werde. Nach innen durch die zu diesem Zeitpunkt veröffentlichte Denkschrift „Schluss mit den Reparationen“ des Reichsverbandes der Deutschen Industrie gedeckt, wiederholte er im Februar 1932 anlässlich der Genfer Abrüstungskonferenz diese Erklärung. Auf der Lausanner Reparationskonferenz erklärte sich der deutsche Vertreter zur Zahlung einer Restsumme von 3 Mrd. RM gegen die Streichung des Diskriminierungsartikels (Art. 231) des Versailler Vertrages bereit. Von solchen Schritten ermutigt, verkündete wenig später Brünings Nachfolger, Franz von Papen, der Weltöffentlichkeit, dass der „Kampf gegen den Versailler Vertrag die vornehmste außenpolitische Aufgabe seiner Regierung“ sein werde. Seine Regierung brachte mit der Abrüstungsfrage ein anderes brisantes Thema auf die Agenda des deutschen Revisionismus. Bis 1930 hatte Deutschland regelmäßig auf internationalen Abrüstungskonferenzen Forderungen nach Weiterführung von eingeleiteten Abrüstungsmaßnahmen unterstützt. Seit 1930 änderte sich der Tenor der deutschen Abrüstungsexperten. Nun war von „Parität der Sicherheit“ die Rede, was faktisch der Forderung nach einer deutschen Aufrüstung gleichkam. Auf der im Juli 1932 tagenden Genfer Abrüstungskonferenz verließen die Deutschen nach Ablehnung entsprechender Forderungen die Konferenz. Die Vertreter der Großmächte gaben schließlich, beeindruckt von der Hartnäckigkeit der Deutschen, deren Wünschen nach. In einer Fünf-Mächte-Erklärung wurde Deutschland die Gleichberechtigung in Rüstungsfragen zugestanden. Die deutsche Politik einer offenen Revision des „Versailler Systems“ hatte Erfolge erzielt, die man bis dahin nicht für vorstellbar gehalten hatte.
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III. Forschungsprobleme 1. Die deutsche Arbeiterbewegung zwischen 1918 und 1933 a) Revolution und Räte 1918/19 Ein Bericht wie dieser, vor zehn Jahren geschrieben, hätte der Darstellung der Kontroversen um den Charakter der Revolution vom November 1918 und der Bedeutung der Rätebewegung ein ungleich größeres Gewicht gegeben als dies heute notwendig scheint. Kein Thema der deutschen Zeitgeschichte hat über einen so großen Zeitraum (von den fünfziger Jahren bis Ende der siebziger Jahre) eine so breite Forschung etabliert wie dieses. Heinrich August Winklers minimalistisches Resümee der „Revision der Revision“ aus dem Jahre 1990 (150), dass zwar die SPD um eine Zusammenarbeit mit dem alten Regime nicht umhin konnte, dass diese Zusammenarbeit aber intensiver war, als es die Situation erforderte, täuscht über das Ausmaß und die Grundsätzlichkeit des um die Vorgänge des November 1918 und die Rätebewegung in Gang gebrachten Streites hinweg. Umso erstaunter nimmt man zur Kenntnis, dass heute ein Student der Geschichte in der Seminarbibliothek vergeblich eine neuere Auflage der zentralen Darstellung von Eberhard Kolbs Buch „Die Arbeiterräte in der deutschen Innenpolitik 1918/1919“ (114) sucht, was wohl nur als Abbruch der einst breit geführten Debatte angesehen werden kann. Symptomatisch für einen vor Klärung aller Fragen eingefrorenen Forschungsstand kann die Tatsache angesehen werden, dass in dem Literaturanhang einer der letzten Darstellungen zu diesem Thema aus dem Jahre 1991 (103) von den herangezogenen wissenschaftlichen Untersuchungen zum engeren Thema keine nach 1980 erschienen ist. Die moderne Revolutions- und Räteforschung hatte sich im Widerspruch zu dem Mitte der fünfziger Jahre unternommenen Versuch entzündet, als Voraussetzung für eine intensive wissenschaftliche Beschäftigung mit der Geschichte der Weimarer Republik einen von allen Seiten akzeptablen Grundkonsens zu formulieren. Dies hatte der renommierte Zeithistoriker Karl Dietrich Erdmann (105) übernommen. Nach ihm stand die SPD unter Friedrich Ebert als stärkste politische Kraft nach der Niederlage des Deutschen Reiches im Weltkrieg und dem Untergang des Kaiserreiches vor der Alternative, entweder in Verbindung mit den Eliten des alten Regimes in Verwaltung, Justiz und Militär die Weichen in Richtung einer parlamentarischen Demokratie zu stellen oder die Führung der Revolution in die Hände jener radikalen Kräfte fallen zu lassen, die in Deutschland eine Rätediktatur nach dem russischen Vorbild errichten wollten. Gegen eine solche zugespitzte Entweder-oder-Position wandten sich die For-
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schungen von Walter Tormin (144), Peter von Oertzen (131), Erich Matthias (127), Eberhard Kolb (114), Reinhard Rürup (139) und Ulrich Kluge (115). Sie machten gegen die von Erdmann im Sinne der Mehrheitsmeinung der deutschen Historiker vertretenen Thesen neben vielen anderen drei Grundeinwände geltend. Sie sahen in der Rätebewegung keine unbequeme und ephemere, schon gar nicht eine undemokratische politische Kraft, sondern eine „basisdemokratische“ Volksbewegung, deren Repräsentanten in der USPD und unter den revolutionären Obleuten keineswegs radikale Ideen nach russischem Vorbild vertraten. Die Gefahr, dass sich radikale Kräfte wie der Spartakusbund der Räte hätten bedienen können, hielten diese Forscher angesichts der nachweisbaren organisatorischen und politischen Schwäche der deutschen Kommunisten für unbegründet. Für viel schwerwiegender bewerteten sie hingegen die Folgen des immer wieder unterstellten rigiden ‚Abwürgens‘ der Rätebewegung für die deutsche Geschichte bis 1933, nämlich als Verlust eines dringend notwendigen Modernisierungspotentials der deutschen Gesellschaftsentwicklung. Angesichts der breit einsetzenden Forschung sahen sich bald führende Vertreter der Revolutions- und Räteforschung veranlasst, gegen eine unzulässige Verkürzung bzw. einseitige Interpretation ihrer Ergebnisse Stellung zu nehmen. Für Anhänger und Kritiker einer historisch aufgeklärten Räteforschung hatte sich diese bald zu einem zwischen Reformismus (SPD) und radikaler Diktatur angesiedelten „dritten Weg“ (140) vereinfacht, was einer utopischen Wertung nahe kam. Dagegen wehrten sich die Vertreter der Räteforschung mit der klaren Zuordnung der Räte zu dem demokratischen Spektrum der in den Ereignissen zwischen dem 9. November 1918 und dem Zusammentreten der Nationalversammlung Einfluss nehmenden politischen Kräfte. Diese positive Wertung war verbunden mit dem Vorwurf gegen die unter Friedrich Ebert im Bündnis mit den alten Eliten agierende SPD, es unterlassen zu habe, dieses demokratische Potential als Motor für eine soziale Demokratie in Betracht zu ziehen und gegebenenfalls zu nutzen. Die nie verstummenden Kritiker eines solchen Verständnisses der historischen Rolle der Räte warben dagegen für eine realistische Sicht gerade dieses Zusammenhanges aus einer völlig anderen Perspektive. Nach ihnen war eine Politik der „Nicht-Revolution“ seitens der SPD und ihre Ersetzung durch ein überaus erfolgreiches Krisenmanagement beherrscht von einem verständlichen „Anti-Chaos-Reflex“. Dafür hatte der Politologe Richard Löwenthal (122) mit seiner These, dass in hochmodernen Gesellschaften eine Revolution alten Typs gar nicht möglich sei, ohne diese Gesellschaft in ein Chaos zu stürzen, mit dem Stichwort sogleich auch eine plausible Argumentation geliefert. Für moderate Kritiker der Räteforschung wie Wolfgang J. Mommsen (129) lag die Besonderheit der Situation von 1918/1919 in der fehlenden Synchronisierung von sozialer und politischer Veränderung. In der zunehmenden Überlagerung der sozialen Protestbewegung durch die politische Revolution lagen nach einer solchen Bewertung nicht nur die Gründe für das Scheitern der Rätebewegung und eine verhängnisvolle Einengung des Handlungsspielraumes des Rates der Volksbeauftragten, sondern auch die Ursachen für die Geburtsfehler der
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Weimarer Republik und die in wenigen Jahren wachsende innenpolitische Polarisierung. Lässt man einmal den kaum befriedigend zu lösenden Streit über den Revolutionscharakter der Vorgänge vom 9. November bis 31. Januar 1919 außen vor und konzentriert sich auf einige wenige Probleme der Räteforschung, so bleiben bis heute – auch nach Veröffentlichung einer Reihe von Quellen zur Rätebewegung – wichtige Fragen offen, während gleichzeitig ein Forschungsstillstand zu beobachten ist (113). So ist bis heute die Frage unbeantwortet geblieben, ob man überhaupt durchgängig von einer einheitlichen Rätebewegung sprechen kann oder ob diese nicht innerhalb kürzester Zeit etwa allein durch Schrumpfung ihrer sozialen Basis aufgrund des praktizierten Wahlmodus entscheidende Veränderungen erfahren hat. Damit wären, anders als von der Räteforschung unterstellt, Abstriche bei der Übereinstimmung von Räten und Massenbewegung zu machen bzw. von einer solchen Übereinstimmung nur für kurze Zeit auszugehen, die keineswegs ausreichte, um politisch gestalterisch verwertet und damit wirksam werden zu können. Ebenso offen scheint die Frage, ob nicht mit der Entscheidung für die parlamentarische Demokratie und dem Verzicht auf eine tief greifende gesellschaftliche Umgestaltung erst die realen Voraussetzungen für einen tragfähigen republikanischen Konsens geschaffen worden sind – unbeschadet der Frage, ob es den etablierten nachrevolutionären Kräften im Einzelnen in den folgenden Jahren gelang, diesen zu erhalten oder gar zu erweitern. b) Soziale Bewegung und Regierungsmacht Heinrich August Winkler hat mit seiner dreibändigen „Geschichte der Arbeiter und der Arbeiterbewegung“ im Zeitraum von 1918 bis 1933 die bisher umfassendste Darstellung zu diesem Thema vorgelegt (147–149). Der Autor folgt – in Anlehnung an den zeitgenössischen Politikwissenschaftlern Siegmund Neumann – dem Konzept einer schichtenspezifischen, um nicht zu sagen klassenspezifischen Geschichtsschreibung. Mit der Errichtung der ersten Republik in Deutschland hatte die deutsche Arbeiterbewegung ihr Ende des 19. Jahrhunderts formuliertes Ziel erreicht. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte wurde die deutsche Arbeiterbewegung in die Lage versetzt, aktiv Einfluss auf soziale und wirtschaftliche Bedingungen des Lebens der Arbeiterschaft zu nehmen. Ob die dabei von Winkler in seiner Argumentation und Darstellung vorgenommene Verschränkung von sozialer Bewegung und allgemeiner deutscher Geschichte der Jahre 1918 bis 1933, der Gleichsetzung also der Sozialgeschichte einer Teilgesellschaft mit der allgemeinen Politikgeschichte nicht zeitweilig zu einer verengten Sicht auf das Weimarer Kräfteparallelogramm geführt hat, auf diese Frage soll später zurückgekommen werden. Der überlieferte Forderungskatalog der organisierten Arbeiterbewegung war durch „Kriegssozialismus“ und Revolution noch keineswegs abgearbeitet. Entscheidende noch anstehende Forderung war die unter den gegebenen Umständen größtmögliche Teilhabe an der Macht im republikanischen Staatswesen.
Die deutsche Arbeiterbewegung zwischen 1918 und 1933
Die für diese Aufgabe allein in Frage kommenden politischen Kräfte waren SPD und Gewerkschaften. Sie waren Motor und Steuerungszentrum der sozialen Bewegung der Industriearbeiterschaft auch in der Weimarer Republik. Doch beide Kräfte waren gespalten. Seit 1918 hatte die SPD in der KPD eine Konkurrenz bei der politischen Vertretung der Arbeiterschaft erhalten. Die wirtschaftliche Interessenvertretung, die große, freie, nach Branchen gegliederte Richtungsgewerkschaft ADGB (1919 7,3 Mio. Mitglieder) (134) musste sich die Vertretung der Arbeiterschaft mit dem weltanschaulich begründeten christlichen DGB (1919 1 Mio. Mitglieder) (130, 142) und den Hirsch-Dunkerschen Gewerkvereinen (1919 190 000 Mitglieder) teilen (136). Aus dieser Zersplitterung der organisierten Arbeiterbewegung in Weimar ergaben sich eine Reihe schwieriger taktischer und strategischer Bündnisprobleme. Und schließlich, wie lange würde unter den Bedingungen eines Wandels der Industriekultur das über Jahrzehnte gewachsene, ideologisch befestigte soziale Milieu der Arbeiterschaft erhalten bleiben? Für die anstehenden Verteilungskämpfe stellte sich die Frage nach einem gemeinsamen Ziel der weltanschaulich unterschiedlich ausgerichteten Interessenorganisationen. Welche Macht hatten diese jede für sich allein oder gemeinsam gegenüber der organisierten Unternehmerschaft? Welche Rückwirkungen hatten notwendig werdende Bündnisse bzw. Regierungskoalitionen mit den bürgerlichen Parteien auf die Mitglieder (127a)? Über die Manövrier- und Kompromissfähigkeit als stärkste politische Kraft dieser sozialen Bewegung der Arbeiterschaft entschied innerhalb der SPD ihr parteiinterner und ideologischer Entwicklungsstand. In wenigen Jahren spitzte sich alles auf die Frage zu, ob sie sich im Sinne ihrer Tradition als ‚Klassenpartei‘ oder seit 1918 mit Blick auf die veränderten politischen Rahmenbedingungen als ‚Volkspartei‘ verstehen sollte, welche sich im politischen Wettbewerb mit anderen ‚Klassen‘-Vertretungen befand. Für die Gewerkschaften hieß das, inwieweit auftretende soziale Konflikte bei anstehenden Umverteilungskämpfen – wie dem Kampf um den Achtstundentag bei Lohnausgleich und die innerbetriebliche Mitbestimmung und Tarifautonomie – als konkurrierender Interessenkonflikt oder aber das dichotomischer Klassenkonflikt ausgetragen werden sollten. Die Lebensdauer der unter dem Druck der Revolution geschlossenen Bündnisse der deutschen Arbeiterbewegung sollte sich als begrenzt erweisen. Bei der Eroberung der politischen Macht 1918 hatten sich die Mehrheitssozialisten auf das am Anfang der Republik geschlossene „Zweckbündnis Ebert-Groener“ gestützt. Es hielt ihnen den Rücken frei für die Auseinandersetzung mit den radikalen Kräften in USPD, den „Revolutionären Obleuten“ und Spartakus. Der Preis, den die Partei dafür zahlte, war eine auf unbestimmte Zeit hinausgeschobene demokratische Militärreform. Die Gewerkschaften hatten am 15. November 1918 mit den Unternehmern die „Zentralarbeitsgemeinschaft“ ins Leben gerufen, ein vergleichbar wichtiges Ausgleichsinstitut wirtschaftlicher Interessen. Zwar versetzte diese Zusammenarbeit die Gewerkschaften in die Lage, in allen sozialpolitischen Fragen als
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autorisierte Sprecherin der Arbeiterschaft aufzutreten, aber in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre ließen die Kräfte des Instituts nach, divergierende Wirtschaftsstandpunkte durch einen Kompromiss anzunähern. Doch in den ersten Jahren der Republik fand die Arbeiterschaft Bündnispartner. Nachdem mit den Wahlen zur Nationalversammlung die Weichen für eine parlamentarische Demokratie gestellt worden waren, suchte die SPD, eingedenk der Mahnung ihres Parteitheoretikers Eduard Bernstein, die Partei könne nicht mit allen bürgerlichen Parteien den Kampf aufnehmen, Bündnisse mit dem Weimarer Linksliberalismus und dem katholischen Zentrum. Als Regierungspartei in Koalitionen mit diesen Kräften sollte sie, um der Erfüllung ausstehender Forderungen näher zu kommen, revolutionäre Macht in legale Regierungsmacht transponieren. Denn die SPD wusste, dass aus Sicht ihrer Anhängerschaft die Novemberrevolution „eine große Lohnbewegung“ und das ‚Betriebsrätegesetz‘ der einzige praktische Gewinn der Rätebewegung war. Mit ihrer Etablierung als Regierungsmacht gedachte die SPD ihre Aufgaben als soziale Bewegung der deutschen Arbeiterschaft erfolgreich fortzusetzen. Auf diesem Wege machte sie bittere Erfahrungen. Im Falle des Achtstundentages gelang es der Unternehmerseite mit dem Hinweis auf eine aus Konkurrenzgründen notwendige internationale Regelung – sollte die deutsche Wirtschaft keine Wettbewerbsnachteile davon tragen – sehr bald, die Frage zu verschleppen. Als im Oktober 1919 durch das sogenannte ‚Washington Abkommen‘ schließlich eine solche Regelung vorlag, erklärten nun die Unternehmer den Zeitpunkt für die Einführung des Achtstundentages mit Hinweis auf die noch nicht erreichte Vorkriegsproduktivität in den wichtigsten Branchen für verfrüht. Der Kampf um die Arbeitszeit wurde zu einem Dauerthema der deutschen Gewerkschaften bis 1933. Die Einschaltung des Staates bei Arbeitskämpfen war dagegen eine echte Errungenschaft der Revolution. Durch Verordnung des Rates der Volksbeauftragten vom 23. Dezember 1918 war unter Rückgriff auf entsprechende Regelungen im Hilfsdienstgesetz von 1917 das staatliche Zwangsschlichtungswesen im deutschen Arbeitsrecht eingeführt worden. Danach war ein staatlicher Schlichtungsspruch, in oberster Instanz durch den Reichsarbeitsminister, verbindlich, falls sich die Tarifpartner nicht einigen konnten. Am 3. Oktober 1923 erließ die ‚Große Koalition‘ unter Führung Stresemanns per Ermächtigungsgesetz eine entsprechende Schlichtungsverordnung, welche das Prozedere gegen den bis zum Ende der Republik nie erlahmenden Widerstand der Unternehmer festschrieb (102). Der konsequenteste Ausbau der Weimarer Republik als Wohlfahrtsstaat erfolgte im Bereich der Arbeitslosenversicherung, eines Gesetzes, welches allerdings von einer bürgerlichen Regierung 1927 in Angriff genommen und verabschiedet worden war (119). Während sich die Gewerkschaften gleichsam ideologiefrei auf solche pragmatischen Ziele konzentrierten, bedurfte die SPD, um ihre sozialpolitisch motivierte Regierungspraxis zu rechtfertigen, einer programmatischen Klärung. In den ersten Jahren der Weimarer Republik galt das „Erfurter Programm“ der SPD
Die deutsche Arbeiterbewegung zwischen 1918 und 1933
aus dem Jahre 1891, welches im Sinne Karl Marx die Zukunft der sozialen Bewegung von dem gesetzmäßig zu erwartenden Niedergang des Kapitalismus abhängig machte. Die Führer erwarteten nach einer Phase zugespitzter Klassenkämpfe und steigender Verelendung der Arbeiter den Bankerott des Staates und der Wirtschaft. Das von Karl Kautsky formulierte Programm folgte der von Marx im 24. Kapitel des 1. Bandes des „Kapitals“ vorgenommenen Analyse der „ geschichtlichen Tendenzen der kapitalistischen Akkumulation“. In zeitlich weit auseinander liegenden kleinen Schritten paßte die SPD ihr Programm nach 1918 den veränderten sozialen Verhältnissen an. Die Abspaltung der USPD 1917 und die Gründung der KPD erschwerten diesen Prozess, durfte man sich doch bei allen programmatischen Fragen der links von der SPD etablierten Konkurrenz um Arbeiterstimmen keine ‚kompromisslerische‘ Blöße geben. Auf dem Parteitag von Görlitz 1921 und schließlich in Heidelberg 1925 formulierte man endgültig, unter Beibehaltung eines revolutionären Vokabulars, revisionistische Positionen. In konkreten Regierungsbündnissen mit bürgerlichen Parteien wie z. B. bei der nationalen Vereinahmung von SPD und Gewerkschaften im ‚Ruhrkampf‘ zur Abwehr der Ruhrbesetzung durch Frankreich und Belgien sollten beide Organisationen in den Augen ihrer Mitglieder zeitweilig auf eine schiefe Ebene zu großer Kompromissbereitschaft bei zu geringen Erfolgen geraten. Unter Stresemann war die SPD im August 1923 erstmalig in eine Regierung der ‚Großen Koalition‘ eingetreten. Die bürgerlichen Koalitionspartner im Kabinett hintertrieben alle Bemühungen der SPD um eine Regelung des Achtstundentages. Seine von den Gewerkschaften dringend verlangte Einführung im Bergbau wurde zur gleichen Zeit wiederum mit dem bereits bekannten Argument, dass die Vorkriegsproduktivität noch nicht erreicht sei, abgelehnt. Vergeblich streikten die Arbeiter in der Eisen- und Stahlindustrie für die Reduzierung der 12-stündigen Schichten. Die tragende Rolle von SPD und freien Gewerkschaften im Ruhrkampf und die ausbleibende Regelung der Arbeitszeitfrage führte bei den Mitgliedern zu einem erheblichen Vertrauensschwund. Die Gewerkschaftsorganisationen verlor 300 000 Mitglieder (107). Im Frühjahr 1924 spaltete der Kampf um die Sozialisierung des Bergbaus im Ruhrgebiet die Arbeiterschaft. Bei den folgenden Betriebsratswahlen konnten die Vertreter der kommunistisch ausgerichteten „Union der Kopfund Handarbeiter“ (34,26%) den freigewerkschaftlichen „Alten Verband“ (32,20%) schlagen. Der spürbare Linkstrend von Teilen der Arbeiterschaft stellte auch alle bisher in Regierungsbeteiligungen unternommenen Ausgleichsbemühungen mit den Unternehmern in Frage. Nachdem bereits 1919 der mitgliederstarke Metallarbeiterverband enttäuscht der „Zentralarbeitsgemeinschaft“ den Rücken gekehrt hatte, folgten nach den Erfahrungen der Jahre 1922 und 1923 im Dezember 1923 die liberalen Gewerkschaften und im Januar 1924 die AfA und der ADGB als Gesamtverband. Bei den Reichstagswahlen am 4. Mai 1924 erhielt die SPD die Quittung für ihre „nationalen Extratouren“ sowie ihre Misserfolge bei der Durchsetzung des Achtstundentages in den Jahren 1922 und 1923. Die Partei verlor gegenüber den Wahlen von 1919 5 Mio. Wählerstimmen, die KPD gewann dafür 3 Mio.
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Auffällig war, dass es der SPD nicht gelungen war, das nach Wiedervereinigung mit der USPD 1922 frei gewordene linke Wählerpotential voll auszuschöpfen. Nicht honoriert hatten die linken Wähler, dass es die SPD gewesen war, die sowohl dem Kabinett Cuno wegen seines desaströsen Inflationskurses als auch dem Stresemann-Kabinett wegen seiner Ungleichbehandlung der Putschisten in Bayern und Mitteldeutschland durch ihren Austritt aus der Regierung den Boden entzogen hatte. Auch Hinweise des prominenten Mitglieds des Parteivorstandes Hermann Müller auf die außenpolitischen Verdienste der Partei, die er nochmals anlässlich des Berliner Parteitages vom Juni 1924 wiederholte, erreichten nicht genügend Wähler. Eduard Bernstein hatte bei der Analyse der Wahlniederlage der SPD auf der gleichen Veranstaltung noch auf einen weiteren Schwachpunkt sozialdemokratischer Taktik dieser Jahre hingewiesen, die Übernahme der sogenannten Kriegsschuldlüge durch die SPD. Bei den zweiten Wahlen zum Reichstag des Jahrs 1924 konnte die SPD zwar ihre Schlappe wieder wett machen, während die KPD eine empfindliche Niederlage hinnehmen musste (sie sank von 12,6 auf 9,0%), doch gleichzeitig hatte die Konsolidierung eines rechten nationalistischen Wählerblocks Fortschritte gemacht. Die durch den Tod Friedrich Eberts vorzeitig stattfindende Reichspräsidentenwahl des folgenden Jahres sollte zeigen, dass die SPD trotz aller Bemühungen weder ihr Wählerpotential nach rechts erweitern noch neue, zahlenmäßig ins Gewicht fallende Bündnispartner gewinnen konnte. Nachdem im ersten Wahlgang Otto Braun als Kandidat der SPD gescheitert war und keine Aussicht bestand, einen eigenen Kandidaten im zweiten Wahlgang durchzubringen, entschied sich die SPD für den Zentrumskandidaten Wilhelm Marx. Als Gegenleistung verhalf das Zentrum in Preußen Otto Braun erneut zum Amt des preußischen Ministerpräsidenten. Dem Kandidaten des ‚Volksblocks‘, gebildet aus Zentrum, DDP und SPD, hatte der sogenannte ‚Reichsblock‘ in einem geschickten Schachzug im zweiten Wahlgang den ehemaligen kaiserlichen Feldmarschall Paul von Hindenburg entgegengestellt. Die Rechnung ging auf und Hindenburg wurde zum Reichspräsidenten gewählt. Was die Partei im Falle der Reichspräsidentenwahl hatte vermeiden können, trat beim Volksentscheid über die Fürstenabfindung ein: Bei der Abstimmung über das nach Durchführung eines erfolgreichen Volksbegehrens von SPD und KPD im Reichstag eingebrachte Gesetz fand sich das „Volksfront“-Zweckbündnis beider Parteien am 6. Mai 1926 vereint auf der Verliererbank. Da war es nur ein schwacher Trost, dass die von den beiden Arbeiterparteien gewonnenen 14,45 Mio. Stimmen (19,8 Mio. wären notwendig gewesen) weit über dem lagen, was sie bei den letzten Reichstagswahlen erreicht hatten. Doch die aus aktuellem Anlass kumulierten linken Wählerstimmen waren die eine, die deutlich gewordene Schwäche von SPD und freien Gewerkschaften, ihre fehlenden Integrationskräfte für die Aufnahme neuer Anhänger und Wählerschichten eine andere Sache. Weder der SPD noch den freien Gewerkschaften war es bisher gelungen, die wachsende Angestelltenbewegung von Weimar nachhaltig an sich zu binden.
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Der Trend der Angestellten in den ersten Jahren nach der Revolution nach links hatte episodischen Charakter gehabt. 1920 hatte die AfA nach einem einmaligen gewaltigen Zulauf 690 000 Mitglieder, das waren 47% der gesamten Angestellten. 1926 war ihr Anteil auf 35,8% zurückgegangen. Der Mitgliederstamm des linken Allgemeinen Beamtenbundes betrug 1922 350 000 Mitglieder und sank 1928 auf 166 000 Mitglieder. Während des gleichen Zeitraumes organisierten sich im Deutschen Beamtenbund 1922 774 000, 1924 845 000 und 1930 1 Mio. Mitglieder. Der konservative Deutschnationale Handlungsgehilfen Verband (DHV), die Geda und die liberale GDA steigerten demgegenüber ihre Mitgliederzahlen kontinuierlich. Die Forschung hat die Gründe für die politisch isolierte Stellung der SPD von Weimar als Arbeiterpartei in der verschleppten Modernisierung von Organisation und Programm gesehen. Dazu trat die strukturelle Schwäche eines angesichts des Wandels der sozialen Bewegung nicht ausreichend vorbereiteten Führungspersonals (145). Mit Friedrich Ebert, Hermann Müller, Otto Wels, Philipp Scheidemann, Carl Severing und Otto Braun auf Parteiseite und Theodor Leipart, Carl Legien, Gustav Bauer, Robert Schmidt und Alexander Schlicke auf Seiten der Gewerkschaften stammte es aus der Vorkriegszeit und befand sich bei Ausbruch der Revolution in der zweiten Lebenshälfte, am Ende von Weimar jenseits der 60. Ebenso wie der Kern der Mitgliedschaft der Partei war die Führung überaltert. Jüngere „Novembersozialisten“, intellektuell gebildete Arbeiterführer, wie Julius Leber, waren bisher nicht in hohe Parteiämter gelangt. Dies ist im Vergleich mit der oberen Funktionärsgruppe der KPD auffallend, die durchweg 10 bis 20 Jahre jünger war. Die Verjüngung durch den Mitgliederzufluss nach der Wiedervereinigung von SPD und USPD blieb ein einmaliger Vorgang und konnte, wie sich bei folgenden Wahlen zeigte sollte, nicht in Erfolge verwandelt werden. Neues Führungspersonal hatte er auch nicht gebracht. Die weiteren Abspaltungen, wie die der kommunistischen Parteiopposition (KPO) um Heinrich Brandler, des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes unter Leitung Willi Eichlers bis hin zur Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) um die Reichstagsabgeordneten Kurt Rosenfeld und Max Seydewitz, beeinträchtigten die SPD weiterhin. Und mit der betont jugendlich auftretenden KPD hatte sich ein ‚Linksblock‘ konstituiert, der von Wahl zu Wahl entscheidende Stimmen abzog. Unausrottbar hielt sich an der Basis der SPD der „Einheitsfrontfimmel“ und musste bei allen tagesaktuellen Entscheidungen berücksichtigt werden. Doch auch die KPD konnte ihre zeitweiligen Erfolge unter der deutschen Arbeiterschaft mittel- und langfristig nicht verwerten. Das Fehlen eines flexiblen Kurses im Konflikt zwischen nationalen Erfordernissen und strikten Strategievorgaben der Dritten Internationale wirkte sich für die politische Arbeit verheerend aus. In den Anfangsjahren schwankten ihre Führer zwischen Putschismus und Aktionseinheit, wodurch sie von ideologischen Fraktionskämpfen gelähmt waren. Gewalttätige Aktionen wie der Hamburger Aufstand oder die Mitwirkung an Aktionen der ‚Roten Ruhrarmee‘ im Jahre 1923 bezahlten sie mit organisatorischen Rückschlägen. Aktivitäten auf gewerkschaftlicher Ebene ahndeten die alten Verbände mit Ausschluss und der Auflösung ganzer Organisa-
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tionsteile. Seit 1924 zeigte sich die moskauhörige KPD durch Gründungen wie die des ‚Roten Frontkämpferbundes‘ und der „Revolutionären Gewerkschaftsopposition“ (RGO) zunehmend militanter. c) Die soziale Lage der Arbeiter und die Auflösung des Milieus Der Kern der organisierten Arbeiterbewegung, die Industriearbeiterschaft, traditionell Klientel der SPD, war auf die Gesamtgesellschaft gesehen eine Minderheit. 58% der Arbeiter waren in Klein- und Mittelbetrieben beschäftigt, die sich auf kleinere Gemeinden von weniger als 20 000 Einwohnern verteilten. Das großstädtische Proletariat gehörte zu jenem Teil der Arbeiterschaft, bei dessen Gewinnung SPD und KPD konkurrierten. Dazu kam noch eine andere Entwicklung, welche die SPD mittelfristig ins Hintertreffen brachte. Während die Anzahl der Arbeiter im produzierenden Gewerbe stagnierte, wuchs ihr Anteil im tertiären Sektor, also in allen Dienstleistungsbereichen. Dabei fiel der Anteil der weiblichen Arbeitnehmer besonders hoch aus (1925 bei Beamten und Angestellten 18,7% Männer, 12,5% Frauen). Die Löhne der Facharbeiter hatten sich 1928 gegenüber der Vorkriegszeit um 50,7% erhöht, bei Hilfsarbeitern sogar um 73,9%. Doch der Anteil dieser Beschäftigten – sieht man einmal von den Facharbeitern ab – unter den SPD-Wählern hielt sich in engen Grenzen. Berücksichtigt man aber die Entwicklung der Lebenshaltungskosten, so relativiert sich der Erfolg dieser in der Revolution erzielten „Lohnbewegung“ rasch. Der Erhöhung des Lohnniveaus stand eine Steigerung der Reichsindexziffer der Lebenshaltungskosten von 53,1% gegenüber. Durch das Arbeitszeitnotgesetz vom 14. April 1927 wurden Arbeitgeber verpflichtet, bei Überschreitung des Achtstundentages einen Lohnzuschlag zu entrichten. Der Sozialhistoriker Werner Plumpe (133) hat in seiner branchenvergleichenden (Bergbau und Chemie) Studie über die Ausgestaltung der betrieblichen Mitbestimmung, ein die Tarifauseinandersetzung begleitendes Teilproblem, erstaunliche Unterschiede feststellen können. Unter dem Strich hatte sich in Weimar zwar die Lohnsituation der Arbeiterschaft nominell verbessert, doch bereits vor Ausbruch der Krise fraßen die erhöhten Lebenshaltungskosten diese Steigerung wieder auf (385). Die Schlagkraft der deutschen organisierten Arbeiterbewegung beruhte neben ihrer Organisation vor allem auf der Geschlossenheit des proletarischen Milieus als Basis einer proletarischen Kultur. Nach 1918 war die Frage, wie lange dieses Milieu unter den veränderten sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen der Weimarer Republik Bestand haben würde. Mit seiner Schrift „Zur Psychologie des Sozialismus“ hatte 1926 der an der Frankfurter Akademie der Arbeit lehrende belgische Sozialist Hendrik de Man den Finger auf ein lange vernachlässigtes Problem der Arbeiterbewegung nach 1918 gelegt, auf das ihres kulturellen Selbstverständnisses. Hatte sich der Aufstieg der Arbeiterbewegung in einem Umfeld „proletarische Kultur“ als eine „Surrogatkultur“ vollzogen und folgte sie seither in weitem Abstand der bürgerlichen? Oder war sie eine moderne Form „bürgerlicher Massenkultur“ und vollzog sich kulturge-
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schichtlich mit der steigenden politischen Bedeutung der Arbeiterbewegung deren „Verbürgerlichung“? De Man war pessimistisch, was die Eigenständigkeit der proletarischen Kultur anging. Der von ihm entfachte Streit erreichte zu Beginn der dreißiger Jahre seinen Höhepunkt und war parteipolitisch angesichts des Massenelends unter der Arbeiterschaft der falsche Streit zur falschen Zeit. Worum ging es in der Sache? Verlängert man den Betrachtungszeitraum zurück bis in die Vorkriegzeit, so erkennt man, unabhängig von diesem ideologischen Streit um das Wesen der Arbeiterkultur von Weimar, dass sich eine bisher fest gefügte typische und originäre Gruppenkultur der Arbeiterschaft aufzulösen begann. Die „proletarische Freizeitbeschäftigung“ wie Sport, Naturerlebnis und Bildungskonsum erweiterte sich um den Konsum neuer Medien wie Rundfunk und Film (146). Der Grund für diese in ihren Folgen unterschiedlich bewertete Veränderung war die Auflösung der „sozialistischen Solidargemeinschaft“ im Rahmen eines allgemeingesellschaftlichen Differenzierungsprozesses. Die in den neunziger Jahren verstärkt einsetzende Milieuforschung (117, 118) hat das Axiom vom engen und direkten Zusammenhang des kulturellen Wandels und der Auflösung des Arbeitermilieus allerdings wegen ihres zeitversetzten Ablaufs bisher nur teilweise bestätigt (120, 121). d) Wirtschaftskrise und die nationalsozialistische Überwältigung Bei den Reichstagswahlen vom 20. Mai 1928 errang die SPD mit 9,1 Mio. Wählerstimmen und 153 (bisher 131) Mandaten ihren seit 1919 größten Wahlerfolg. Gleichzeitig sank der Stimmenanteil der KPD um 1,5%. Dieser Zugewinn schien um so wichtiger, weil die stärkste antirepublikanische Partei, die DNVP, Einbußen von 6% hatte hinnehmen müssen. Die SPD verdankte ihren Erfolg weniger dem Einbruch in neue Wählergruppen, sondern ihrem ‚Wildern‘ im Wählerpotential der Zentrumspartei. Doch die Regierungsbildung zog sich nach dem politischen Debakel um den Bau des Panzerkreuzers A und wegen der starren Haltung der Unternehmerseite im ‚Ruhreisenstreit‘ quälend in die Länge. Die Bildung der Koalitionsregierung unter Hermann Müller sollte die mit Abstand schwierigste Regierungsbildung der gesamten Weimarer Republik werden. Bis 1929 war die Regierung unter Einschluss von vier SPD-Ministern gezwungen, als „Kabinett der Persönlichkeiten“ ohne Fraktionsunterstützung zu arbeiten. Die Neuregelung der Reparationsfrage (Young-Plan), die Sanierung des desolaten Haushalts und die steigenden Arbeitslosenzahlen aber machten eine Regierung auf möglichst breiter parlamentarischer Basis, also eine „Große Koalition“ notwendig. Als sie schließlich zustande gekommen war, ließen SPD und DVP sie nach wenigen Monaten am 27. März über die Erhöhung der Arbeitslosen-Versicherung als Teil einer notwendigen Haushaltssanierung wieder scheitern. Angefeindet von rechts (mit der SPD seien schwierige Regierungsfragen nicht zu lösen) und links (nach kommunistischer Doktrin verlängerte die SPD das Leben des zum Untergang anstehenden Kapitalismus) gab die größte der Weimarer Parteien die Regierungsmacht aus der Hand. Erich Matthias hat 1960 das historische Urteil über die SPD am Ende der Weimarer Republik for-
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muliert (70) und die Forschung ist ihm bis heute im Großen und Ganzen gefolgt. Danach hat die SPD unter Druck der Gewerkschaften wider besseres Wissen die Große Koalition verlassen und ihren eigenen Kanzler gestürzt. Neuere Forschungen haben diese These zugespitzt. Dabei haben die Darstellungen von Rainer Schäfer (141) und Wolfram Pyta (135) unter Heranziehung neuer Quellen das Gesamtbild verdichtet und im ersten Falle die Alternativlosigkeit des sozialdemokratischen Pragmatismus, im zweiten Falle Umfang und Hilflosigkeit von Mobilisierungsaktionen untersucht, ohne dabei ein grundsätzlich neues Bild der Partei zu gewinnen. Anders verhält es sich mit der Einschätzung der Rolle der KPD seit der ebenfalls aus dem Jahre 1960 stammenden und im Sammelband von Erich Matthias abgedruckten Bewertung durch Siegfried Bahne (70). Nach ihm war die KPD eine radikalisierte Arbeiterpartei, die sich aufgrund der „Sozialfaschismus“-Formel selbst isolierte und deshalb politisch wirkungslos blieb. Unter Ausklammerung eines Urteils über den ‚Ertrag‘ revolutionärer Theoriediskussionen – wie der zeitgenössischen Fassung der Doktrin von der „Diktatur des Proletariats“, des „Klassenstaates“ und des „untergehenden Kapitalismus“ durch Parteitheoretiker wie Otto Kirchheimer, den „linken Carl Schmitt“ – hat in den letzten Jahren die Deutung der KPD eine Reihe von Korrekturen erfahren. KlausMichael Mallmann (124, 125) hat mit einer von der Milieuforschung inspirierten Untersuchung jenseits des Deutungsmusters ‚Stalinismus‘ das sozialpsychologisch-mentale Verhalten der Mitgliedschaft der KPD untersucht. Dabei ist er auf den Grundwiderspruch kommunistischer Politik „Milieuverwurzelung contra Avantgardeprinzip“ gestoßen. In einer Reihe von regionalen und lokalen Mitgliederuntersuchungen ist ein solcher Ansatz vertieft worden und so ein Mikrokosmos kommunistischer Sozialgeschichte entstanden. Unbeschadet solcher neuer Fragen blieben die alten bestehen, etwa die nach dem Ausmaß des von den deutschen Kommunisten praktizierten politischen Extremismus als „totalitäre Herausforderung“, der heftige Gegenbewegungen der Nationalsozialisten provoziert hat. Oder welche Rolle es spielte, daß das ausbleibende Echo des „revolutionären Voluntarismus“ der KPD–Führung eine fehlende „Amalgamierung“ mit einer starken sozialen Teilgruppe (der Arbeiter) für die politische Gesamtlandschaft nicht ersetzen konnte. Solche Fragen hat zuletzt Andreas Wirsching (152) in einer umfänglichen vergleichenden Untersuchung beantwortet. Er bestätigt dabei die von Dirk Schumann (143) einige Jahre früher vorgelegten Ergebnisse über das Umschlagen des von KPD und NSDAP organisierten sozialen Protests in politische Gewalt und ‚Bürgerkrieg‘. Wirsching (151) hat sich außerordentlich kritisch mit Mallmanns Forschungsansatz auseinandergesetzt. Er bestreitet unter Hinweis auf die bestehende zentralistische Organisationsstruktur und doktrinäre Führungspraxis der Partei, dass der von Mallmann eingeschlagene Weg grundsätzlich eine Neubewertung der Rolle der KPD in Weimar möglich macht. Der Angegriffene hat solche Einwände zurückgewiesen (125). In der letzten Phase der Republik schienen Gewerkschaften und Partei ent-
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schlossen, programmatische Defizite vor allem auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik beseitigen zu wollen. Den Auftakt dieser Diskussion bildete das Thema „Wirtschaftsdemokratie“ auf dem Hamburger Bundeskongress der freien Gewerkschaften im Juni 1928. Getragen vom Hochgefühl des gerade von der SPD errungenen Wahlsieges setzte einer der Hauptredner zu diesem Thema, der Leiter der Forschungsstelle für Wirtschaftspolitik beim ADGB, Fritz Naphtali, den anwesenden Funktionären die damit aufgeworfenen betrieblichen Probleme auseinander. Wie illusionär diese Diskussion zu diesem Zeitpunkt allerdings war, und wie weit die wirtschaftspolitischen Vorstellungen von Unternehmerverbänden und Gewerkschaften nach Ausbruch der Wirtschaftskrise bereits auseinander lagen, sollte wenig später die Denkschrift des Reichsverbandes der Deutschen Industrie „Aufstieg oder Niedergang“ machen. In ihr konnten die Gewerkschaftsführer einen ganzen Katalog rigider Forderungen nach Rücknahme des Weimarer Sozialstaates nachlesen. Aber nicht nur ideologisch und in Fragen tagesaktueller Interessenwahrnehmung lagen zu diesem Zeitpunkt Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen weiter denn je auseinander. Entscheidender war, dass sich das Gleichgewicht der Kräfte im Vergleich mit den vorangegangenen Jahren nach Ausbruch der Krise deutlich zugunsten der Unternehmerseite verändern sollte. Die steigende Massenarbeitslosigkeit, der hohe Anteil, den gewerkschaftlich organisierte Arbeiter daran hatten, beeinträchtigte die Schlagkraft der Gewerkschaften. Die ‚sichtbare‘ Arbeitslosigkeit erreichte ihren Höhepunkt Ende Februar 1932 mit 6,128 Mio. Die Zahl der „unsichtbaren“ Arbeitslosen (ein Begriff des zeitgenössischem Statistikers Willi Hemmer) wurde zu diesem Zeitpunkt auf 1,491 Mio. geschätzt. Damit ergab sich eine Gesamtzahl von 7,619 Mio. Arbeitslosen. Zu der seit 1927 und in der Neufassung von 1929 geltenden Arbeitslosenunterstützung und den allgemeinen Wohlfahrtsmaßnahmen hatte die SPD 1929 in der Großen Koalition spezielle „Krisenunterstützungs-Maßnahmen“ des Reichsarbeitsministers durchgesetzt. Doch fehlende Haushaltsmittel führten bereits vor Brünings rigoroser Deflationspolitik Schritt für Schritt zu einer Einschränkung sozialer Leistungen. Neben der Kürzung der Laufzeiten fiel besonders die Herausnahme Jugendlicher bis 21 ins Gewicht (108). Durch die Notverordnung vom 14. Juni 1932 sank sie schließlich auf das Niveau der Krisenfürsorge. Gleichzeitig wurde eine Reduzierung der Wohlfahrtssätze um 15% wirksam. Damit hatte die Wohlfahrtspflege von Weimar grundsätzlich das Niveau der Armenpflege der Vorkriegszeit erreicht. Nach einer Denkschrift der christlichen Gewerkschaften aus dem Jahre 1932 betrug im Haushalt eines arbeitslosen Arbeiters nach Abzug der Miete der Betrag für die tägliche Lebenshaltung pro Person 29 Pf. Der Ernährungsindex (bezogen auf das Normaljahr 1913/1914 mit einem Wert 100) sank seit 1929 (154,5) auf 1932 (116,1). Nach den Berechnungen von Gerhard Bry entsprach im Gesamtdurchschnitt der reale Wochenverdienst eines Arbeiters 1929 110 (Normaljahr 1913/1914 = 100), sank 1930 auf 105 und unterschritt 1932 das Vorkriegsniveau mit 94 Punkten (106).
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Die Massenarbeitslosigkeit traf quantitativ und in der regionalen Verteilung die Industriearbeiterschaft am stärksten. 1932 betrug die Arbeitslosigkeit unter der Gesamtheit der Arbeiter 32%, unter den Angestellten 1933 22%. Nimmt man die Industriearbeiterschaft im engeren Sinne, war die Arbeitslosigkeit im Vergleich mit derjenigen der Angestellten doppelt so hoch, war also die Klientel der SPD und der freien Gewerkschaften besonders stark von der Krise betroffen. Diese katastrophale Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt führte durch Minderung der Tariflöhne und Beseitigung übertariflicher Zuschläge zu Lohnabbau, Kurzarbeit und Lohnkürzung, ohne dass die Gewerkschaften etwas dagegen unternehmen konnten. In den Augen der Betroffenen gehörte der Aufbau und Ausbau des Weimarer Wohlfahrtsstaates, Verdienst der in SPD und Gewerkschaften organisierten Arbeiterbewegung, zu den Hauptleistungen der Republik. Sein Niedergang musste die Führung der Arbeiterbewegung besonders treffen. David F. Crew (104) hat dabei die Randgruppen der Wohlfahrt und ihre fehlende Integration in den Sozialstaat und in das politische Spektrum der Republik untersucht. Von der ebenfalls aus Amerika stammenden Sozialhistorikerin Young-Sun Hong stammt der beste Gesamtüberblick über den deutschen Wohlfahrtsstaat (153). Wilfried Rudloff (138) hat sich im Rahmen einer umfassenden Detailstudie über die Stadt München bemüht, Stärken und Schwächen der öffentlichen Wohlfahrt, in seinem Falle der „Wohlfahrtsstadt“, darzulegen. Die genauesten Untersuchungen zu der den Niedergang des Sozialstaates vorantreibenden Massenarbeitslosigkeit in Deutschland stammen von den englischen Sozialhistorikern Richard J. Evans und Dean Geary (106). Die existentiellen Nöte der Industriearbeiterschaft, hervorgerufen durch Massenarbeitslosigkeit, Lohnabbau und Lohnkürzung, als sozialpsychologische Erfahrungen sollten nach 1933 Hitler bei der Befestigung seiner Macht helfen. Zu diesen überraschenden, aber dennoch plausiblen Erkenntnissen ist Wolfgang Zollitsch (154) durch eine Reihe von Fallstudien über die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf die deutsche Arbeiterschaft gekommen. Einen Tag nach der Berufung Adolf Hitlers zum Kanzler einer Koalitionsregierung am 30. Januar 1933 tagte der Bundesausschuss des ADGB. Auf dem Tisch lag der Aufruf der KPD zum Generalstreik vom Vortag. Doch einhellig lehnte der Vorstand den von einer Volksfront ausgerufenen „befristeten Generalstreik“ ab. Furcht vor einem „Volksfront“-Bündnis und die Sorge, damit bürgerkriegsähnliche Verhältnissen herbeizuführen, gaben den Ausschlag. Der Reichstagswahlkampf im März 1933 stand im Schatten der am 28. Februar 1933 erlassenen „Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat“. Sie beeinträchtigte durch vor allem in den Reihen der Linksparteien vorgenommene Verhaftungen und Einschüchterungen den Wahlkampf erheblich. Am 5. März errang die NSDAP und die ‚Kampffront Schwarz-Weiß-Rot‘ 51% der Stimmen. SPD und KPD verloren 4,6 und 2,1% gegenüber der letzten Wahl und verfügten so zusammen nur noch über 30,6%. Am 21. März wandte sich Leipart im Namen des Bundesvorstand in einem
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Brief an den neuen Reichskanzler Adolf Hitler: „Die Aufgaben der Gewerkschaften“, schrieb er, „müssen erfüllt werden, gleichwohl welcher Art das Staatsregime ist … Die Gewerkschaften beanspruchen nicht, auf die Politik des Staates unmittelbar einzuwirken.“ Und um Abstand zur SPD zu demonstrieren und damit in einem Akt „hässlichen Opportunismus“ (Gerald D. Feldmann) die eigene Organisation zu retten, fuhr Leipart fort: „Eine wahre Gewerkschaft … muss von den Unternehmern ebenso wie von politischen Parteien unabhängig sein“ (407). War dies der durch Staatskrise und Wahlniederlage den Führern der Arbeiterbewegung abverlangte oder freiwillig vollführte Spagat zwischen Loyalität gegenüber der sozialen Basis und Überlebenswillen der Organisation? Oder kamen nun neue, aus Opportunitätsgründen geänderte politische Präferenzen ins Spiel (126)? Bereits unter dem Reichskanzler Schleicher hatte die Gewerkschaftsführung unter Hintanstellung ihrer Beziehungen zur SPD sich erfolglos um die Bildung neuer Mehrheiten bemüht. Politisch mutiger verhielt sich die SPD unter ihrem Fraktionsvorsitzenden Otto Wels. Trotz ihrer ‚Tolerierungspolitik‘ von Brünings Revisionismus, die für erhebliche Irritation unter ihren Mitgliedern gesorgt hatte, und nach Papens ‚Preußenschlag‘ ihrer preußischen Machtbasis beraubt, stimmte sie mit ihren 94 in der Krolloper anwesenden Reichstagsabgeordnete am 23. März 1933 vergeblich gegen das Ermächtigungsgesetz Hitlers. In wenigen Tagen wurde die Partei ihrer Führungsgruppe beraubt. Ihre Repräsentanten gingen entweder ins Ausland oder wurden, waren sie geblieben, je nach Einschätzung ihrer Gefährlichkeit durch die neuen Machthaber verhaftet, wie Julius Leber, hoffnungsvoller Führungsnachwuchs der Partei. Nach der Sitzung vom 23. verschwand er für vier Jahre in Schutzund Untersuchungshaft. Die amerikanische Zeithistorikerin Donna Harsch (110) hat 1993 in ihrer von Henry A. Turner, Peter Gay und Peter Lösche betreuten Dissertation die Forschung zum Untergang der SPD, Garant des republikanischen Regierungssystem von Weimar, zusammengefasst und durch eigene Untersuchungen erweitert. Bei der Beantwortung der auch von ihr gestellten Frage, wie es möglich war, dass die SPD als größte, bestorganisierte und disziplinierte Partei in wenigen Jahren von Hitler ausmanövriert werden konnte, kommt sie allerdings über die bekannten Antworten (wie „organisatorischer und ideologischer Immobilismus“, „Versäumter Generationswechsel in der Führungsmannschaft“) der bisherigen Forschung (Susanne Miller: 128, Helga Grebing: 109, Peter Lösche und Franz Walter: 120, Heinrich August Winkler: 147–149) nicht hinaus. Deutlicher als bisher hat sie allerdings die grundsätzliche Unterschätzung der Attraktivität des Nationalsozialismus durch die SPD besonders bei ihrer eigenen Klientel herausgearbeitet. Doch bleibt zuletzt die Frage offen, ob die so erstaunlich undramatische Aushebelung der Organisationen der deutschen Arbeiterbewegung aus dem Weimarer Machtgefüge durch die Nazipartei auch zwangsläufig das Ende des Weimarer Staates nach sich ziehen musste. Die Gleichsetzung von republikanischem Staatswesen und Arbeiterbewegung, wie sie durch die Untersuchung von Winkler u. a. vorgenommen wurde, suggeriert
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eine zwingende Kongruenz des Schicksals der organisierten deutschen Arbeiterbewegung und der ersten deutschen Republik. Alternativen sind dabei bisher außer acht geblieben.
2. Die Wirtschaftskrisen der Zwischenkriegszeit a) Zur Bedeutung der deutschen Inflation Die Inflation des Jahres 1923 gehört in Deutschland zu einem historischen Erlebnis- und Erinnerungshorizont, welcher nach allgemeiner Auffassung das sozialpsychologische Verhalten von wenigstens zwei Generationen nachhaltig bestimmt hat. Der Verfall der nationalen Währung nach 1918 war dabei kein auf Deutschland beschränkter Vorgang. In allen vom Weltkrieg direkt oder indirekt betroffenen Volkswirtschaften kam es nach Ende des Krieges zu einer Schwäche der nationalen Währungen und Währungskrisen. Deutschland allerdings bildete sowohl hinsichtlich der Schwere dieser Krise als auch wegen des vorgenommenen rigiden Währungsschnittes einen Sonderfall. Dieser Umstand hat dazu geführt, dass die Inflationsforschung sich nicht auf den Ausbruch und Verlauf der Hyperinflation im Sommer/Herbst 1923 beschränkt, sondern ein umfassendes politisches, soziales und wirtschaftliches Umfeld zu ihrem Untersuchungsgegenstand gemacht hat. Daraus resultierten Analysen der besonderen deutschen Kriegsfinanzierung als mögliche oder wahrscheinliche Inflationsursache ebenso wie der Begleitumstände des politisch vermeidbar oder unvermeidbaren Währungsschnittes vom 15. November 1923 und der Inflationsfolgen, speziell ihrer gesellschaftlichen Nachwirkungen. Mit einer solchen inhaltlichen und zeitlichen Ausweitung des Inflationsthemas „vom Ausbruch des großen Weltkonfliktes bis zum Einbruch der Weltwirtschaftskrise und dem Scheitern der ersten Demokratie in Deutschland“ gab die Währungskatastrophe einer ganzen Epoche ihren Namen. Bereits Zeitgenossen hatten auf die gravierenden Folgen dieses Ereignisses verwiesen und sich alsbald über die Bedeutung der Inflation für die Zwischenkriegszeit ins Einvernehmen gesetzt. „Hitler is the forster-child of the inflation“, formulierte Lionel Robbins (163), ein führender englischer Wirtschaftsexperte, nur vier Jahre nach der Machtergreifung Hitlers im Vorwort zur ersten umfassenden, wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden Darstellung der Inflation in Deutschland. An dieser Einschätzung hat sich im Prinzip bis heute wenig geändert. Nach wie vor und nicht zuletzt im Zeichen der Konjunktur der Kulturgeschichtsschreibung vertreten Forscher die Auffassung, dass die Inflation nachhaltige Schäden vor allem in den gesellschaftlichen „Mittelschichten“ bewirkt hat und somit den Untergang der Bürgergesellschaft der Vorkriegszeit besiegelte. In Anlehnung an die zeitgenössische Wertung überwogen die negativen Urteile über diese Zäsur der deutschen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Erst die
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neuere Inflationsforschung hat eine Reihe positiver konjunktur- und beschäftigungspolitischer Aspekte und außenwirtschaftlicher Wirkungen des Währungsverfalls herausgearbeitet (189). b) Ursachen der Inflation Wegen der schwachen verfassungsmäßigen Stellung des Reiches in allen Fragen der Steuerpolitik wurde der Krieg durch die Aufnahme von Reichsanleihen finanziert. Anders als in Großbritannien und den USA, wo etwa 20–30% der Kriegskosten durch Steuern aufgebracht wurde, beschritt man in Deutschland einen anderen Weg. Die gesamten Kriegskosten in Höhe von 155 Mrd. Mark waren zu 60% durch langfristige Anleihen gedeckt, der Rest durch Schatzanweisungen und Steuern. Damit standen 197,2 Mrd. Mark Anleihenerträge einer Summe von 37,2 Mrd. Mark Steuereinnahmen gegenüber. Die entstehenden Haushaltsdefizite wurden durch Ausgabe von bei der Reichsbank eingereichten Reichsschatzwechseln finanziert. Als Folge des aufgeblähten Geldumlaufs halbierte sich der Wert der deutschen Mark in der Zeit von 1914 bis 1918. Durch die Niederlage des Deutschen Reiches 1918 zerschlugen sich alle Hoffnungen, die Kriegsschulden durch Reparationen der unterlegenen Kriegsgegner abzutragen. Um die nach der neuen Verfassung auf das Reich zukommenden Kriegslasten wie Kriegsopferfürsorge, Kosten für die militärische Demobilmachung, Subventionierung von Lebensmitteln sowie die Umstellung der Produktion auf Bedürfnisse der Friedenswirtschaft finanzieren zu können, schufen die ersten republikanischen Regierungen die verfassungsmäßige Grundlage für eine Verreichlichung des Finanzwesens. Der bisherige Aufbringungsgrundsatz „das Reich ist Kostgänger der Bundesstaaten“ wurde durch die ‚Erzbergersche Finanzreform‘ (Juli 1919 und März 1920) umgekehrt. Das Reich übernahm alle Hoheitsrechte bei der Finanzverwaltung, beim Finanzausgleich und Steuerrecht. Mit dieser Verreichlichung der deutschen Steuer- und Finanzverfassung waren theoretisch die Voraussetzungen sowohl für eine Befriedigung des gegenüber der Vorkriegszeit deutlich gestiegenen öffentlichen Finanzbedarfs (einschließlich des Kriegsschuldendienstes) als auch für eine neue wohlfahrtsstaatliche Sozialpolitik geschaffen. Durch eine gleichmäßige Besteuerung waren zudem alle entsprechenden Nachteile des alten Steuersystems beseitigt worden. Die neue Steuergerechtigkeit ergab sich durch Einbau der Steuerprogression mit Höchstsätzen bis zu 80% bei der Einkommens-, Vermögens- und Erbschaftssteuer sowie einer Verschiebung des Steueraufkommens von den indirekten zu den direkten Steuern. Die Steuerquote setzte sich zu einem Drittel aus Konsumsteuern und zwei Dritteln aus Abgaben von Einkommen und Erbschaft zusammen. Sie stieg auf 25% des Volkseinkommens und war damit dreimal so hoch wie vor dem Krieg. Doch die Finanzgesetze von 1919/1920, durchaus geeignet, auch in Deutschland wie in anderen europäischen Staaten die Inflation wirksam zu bekämpfen, wurden nie in der ursprünglichen Form durchgesetzt und durch eine Reihe von
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Änderungen abgeschwächt. Einkommen- und vermögensbelastende Steuergesetze als Teil des Reformwerkes wurden durch Steuersenkungen für Unternehmereinkommen mit der Folge steuerlicher Einnahmenverluste verändert. Gleichzeitig wurden die neuen Steuergesetze in ihrer Wirkung von der inflationistischen Preisentwicklung unterlaufen. Zwischen Veranlagung und Entrichtung der Steuerschuld lag ein die Steuerhöhe mindernder längerer Zeitraum, was bis März 1923 auch nicht durch Entwertungszuschläge ausgeglichen wurde. Dagegen waren Lohn- und Gehaltsempfänger wegen der gleichzeitig mit der Lohnzahlung erhobenen Steuer benachteiligt. Da durch diese Handhabung der neuen Steuergesetze das erwartete Steueraufkommen hinter dem Finanzbedarf der jungen Republik zurückblieb, wurden die entstehenden Haushaltsfehlbeträge durch steigende Kreditaufnahme gedeckt. Zusammen mit den Altschulden erhöhten die neuen Kredite den Geldumlauf weiter, kurbelten die Nachfrage an und führten wegen des stagnierenden Angebots zu Preiserhöhungen. Die Inflationsschraube begann sich zu drehen. Eine politisch verursachte Geldvermehrung trat hinzu. Um den passiven Widerstand gegen die Besetzung des Ruhrgebietes durch französische und belgische Truppen im Januar 1923 finanzieren zu können, setzte die deutsche Reichsregierung die Notenpresse in Gang. Dabei hätte zu diesem Zeitpunkt nur eine rigorose Sparpolitik und eine konsequente Durchsetzung der erlassenen Steuergesetze der verhängnisvollen Verschlechterung der deutschen Währung Einhalt gebieten können. Vor einer stärkeren Belastung der Produktivvermögen, d. h. der Unternehmensgewinne, zum Zwecke der Sanierung der Staatsfinanzen schreckten die ersten Reichsregierungen aus konjunkturpolitischen Gründen zurück (239). c) Inflationsfolgen Bereits die intensive wissenschaftliche Beschäftigung mit der deutschen Kriegsgesellschaft hatte in den siebziger Jahren den Blick auf den Währungsverfall und die damit verbundenen sozialen und politischen Probleme gelenkt (Jürgen Kocka: 116, Gerald D. Feldman: 170). Seit den sechziger Jahren war vereinzelt Kritik an dem bis dahin vor allem in Deutschland bestehenden Erkenntnisstand über die Inflationsursachen und Folgen geäußert worden (216). Danach hatte die Währungsschwäche in Deutschland, verursacht durch die deutsche Kriegsfinanzierung in Verbindung mit den unmittelbar nach der Novemberrevolution angehäuften Haushaltsdefiziten und den ersten deutschen Reparationszahlungen 1922/23, ein dramatisches Ausmaß erreicht. Nach der gleichen Auffassung hatte dieser kumulative Prozess in Deutschland eine wirtschaftliche Scheinkonjunktur in Gang gebracht, Investitionsanreize gegen Null geführt und in der Folge die deutsche Volkswirtschaft ausbluten lassen (19). Gegen ein solch düsteres, in seiner Argumentation allerdings schlüssiges Urteil hatte sich in den siebziger Jahren im Anschluss an die kritische Überprüfung der Auswirkungen deutscher Inflation durch Pedersen/Laursen (216) vor allem Peter Czada (164, 165) zu Wort gemeldet. Solche kritischen Stimmen griff die Historische Kommission von Berlin 1976 auf und unterwarf den bis dahin erreichten For-
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schungsstand einer zusammenhängenden und systematischen Prüfung (191). Bei der Auflistung der Forschungsergebnisse wurden unter Hinweis auf die vereinzelt geäußerte Kritik doktrinärer Aussagen z. B. über die Inflationsverlierer (= Kapital- und Rentenbesitzer) und Inflationsgewinner (= Sachwertbesitzer) vor allem Forschungsdefizite hinsichtlich der Bedeutung der deutschen Nachkriegskonjunktur für den Arbeitsmarkt sowie die Rolle des Auslandskapitals festgestellt. Besonders skeptisch fielen die Stellungnahmen zu der bisherigen Einschätzung der Inflation als erstem Höhepunkt der „Dauerkrise“ der deutschen Wirtschaft zur Zeit der Weimarer Republik aus. Von besonderer Brisanz war schließlich, dass sich bei der Überprüfung der Generalthese der älteren Forschung zu den Inflationsfolgen, nach der sich die Industrie während einer inflationistischen Scheinkonjunktur auf Kosten der Arbeiterschaft und des Mittelstandes bereichert und die Grundlagen für einen umfassenden Konzentrationsprozess gelegt hatte, diese einer neuerlichen Kritik nicht standhielt. Vor allem diese Kernfrage erklärte der amerikanische Zeithistoriker Gerald D. Feldman, Kenner der deutschen Kriegswirtschaft, der zum Zeitpunkt der Berliner Tagung der Historischen Kommission mit eigenen Untersuchungen über die Rolle der Industrie in der Inflationsperiode hervorgetreten ist, einer dringenden Revision bedürftig (167–170). Welchen forschungspolitischen Sprengstoff das Gesamtunternehmen enthielt, hatte bereits Werner Abelshauser (155) mit seinen sozialgeschichtlichen Untersuchungen gezeigt. Vergeblich hatte er versucht, die zentrale These der bisherigen Inflationsforschung, dass Inflation die „Verelendungs“-Tendenzen der Arbeiterschaft in Deutschland verstärkt habe, an Zahlen festzumachen. Als ebenso fragwürdig hatte sich bei der Überprüfung eine andere bisher geltende Aussage über die Rolle des während der Inflation nach Deutschland einströmenden ausländischen Kapitals durch Carl-Ludwig Holtfrerich (190) erwiesen. Nach solchen Erkenntnissen in zentralen Einzelfragen erschien es nur eine Frage der Zeit, wann die bisherige Gesamteinschätzung der deutschen Inflation nicht mehr haltbar war. Anlässlich der Zusammenstellung der bis dahin für eine Neuinterpretation der deutschen Inflation gesammelten kritischen Argumente 1980 (193) hatte Holtfrerich resümierend festgestellt, dass die deutsche Nachkriegswirtschaft der Inflation entscheidende konjunkturelle Impulse verdankte. Sie hatte nicht nur zur Eliminierung ausländischer Schulden geführt, sondern ihr auch das wichtige, zur Beseitigung der unmittelbaren Kriegsfolgen der deutschen Wirtschaft dringend benötigte Wachstum verschafft. Mit Hilfe amerikanischer Kredite war der deutschen Industrie die notwendige Umstrukturierung von der Kriegszur Friedenswirtschaft gelungen, in deren Verlauf durch die konjunkturell bedingte Vollbeschäftigung sowohl die wirtschaftlichen als auch die sozialen Folgen des verlorenen Krieges abgefedert werden konnten. Der unumgänglich notwendige und durch den politisch inszenierten ‚Ruhrkampf‘ verzögerte Währungsschnitt war nach Holtfrerich nicht End-, sondern Anfangspunkt einer konsolidierten Entwicklung. Mit dieser ersten Bilanz der neuen Sicht der Infla-
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tion sollte Holtfrerich das großangelegte, nationale und internationale Perspektiven entwickelnde Forschungsprojekt nachhaltig beeinflussen. Im Zeitraum der Jahre 1978 bis 1989 sind in vier Sammelbänden (156, 166, 178, 188) die Ergebnisse der von der internationalen Forschergruppe angeregten Untersuchungen publiziert worden. 1985 (212) und 1989 (203) folgten ihnen Sammelbände über Auswirkungen des Währungsschnittes auf Lebensweisen, private und öffentliche Unternehmen sowie auf die Kultur der deutschen Gesamtgesellschaft der Zwischenkriegszeit. Schwerpunkte bildeten dabei, neben der Analyse der strukturellen und konjunkturellen Lage der deutschen Wirtschaft der Jahre 1919 bis 1923, die Rückwirkungen der Inflation auf den Arbeitsmarkt (157, 175), auf die Schichtung der Gesellschaft (226), auf soziale und politische Verteilungskämpfe, auf die deutschen Reparationszahlungen (196) sowie auf die Rolle des internationalen Kapitalmarktes und hier besonders des Kapitalimports in den Jahren des Währungsverfalls (190, 242). Stärker als in der älteren Forschung kamen dabei Anpassungsstrategien von Menschen und Institutionen in den Blick. Dieser Diskussion ist ein eigener Band gewidmet (156). Öffentliche und private Unternehmen bis hin zur Reichsbahn und den Kommunalwirtschaften reagierten auf die Geldentwertung äußerst elastisch. Dies beweisen die Fallstudien zur kommunalen Erwerbslosenfürsorge und über das private Versicherungsgewerbe. Einzelfragen wie z. B. die Auswirkungen der während der Inflation in Gold erhobenen deutschen Zölle auf den deutschen Außenhandel wurden thematisiert. Im Ergebnis bot sich ein breites Spektrum angepasster Strategien zur Beschränkungen der Inflationswirkungen bis hin zu individuellen Überlebensstrategien. Die staatliche Wohnungszwangswirtschaft sowie die kommunale Selbstversorgungswirtschaft spielen dabei eine nicht unerhebliche Rolle. Neben der unregelmäßigen Publikation der Forschungsergebnisse sind von der großen ‚Inflationskonferenz‘ des Jahres 1976 eine Reihe von lokalen und regionalen Studien zur Erforschung der Inflation angeregt worden. So hat Merith Niehus (214) eine vergleichende Studie zu den Auswirkungen der Inflation in Augsburg und Linz vorgelegt. Heidrun Homburg (195) hat in einer langfristig angelegten Studie der Berliner Metallindustrie während der Inflationsjahre ein besonderes Augenmerk geschenkt und Irmgard Steinisch (232) hat in einer komparativ verfahrenden Untersuchung die Arbeitszeitverkürzung in der deutschen und amerikanischen eisen- und stahlerzeugenden Industrie unter Inflationsbedingungen analysiert. Weitere Themen waren die Tarifpolitik im Ruhrbergbau (233), die Folgen der Inflation für die Beamtenschaft (206) sowie der Einfluss der Siegermächte auf die deutsche Währungskrise (227, 235). Nicht in jedem Falle haben die dabei erarbeiteten Ergebnisse die von der Forschergruppe angeregte kritische Problematisierung der älteren Forschung bestätigt. In wichtigen Einzelfällen mussten auf neue Fragen alte Antworten gegeben werden. War z. B. die Arbeiterschaft in der Inflationszeit durch Vollbeschäftigung und Erhaltung ihres Reallohnniveaus wirklich auf der Gewinner-
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seite? Merith Niehus konnte anhand der lokalen Indikatoren wie Reallohnentwicklung, Lebenshaltungskosten, Wohnungspreis, Kriminalität und vor allem Arbeitslosigkeit in den Städten Augsburg und Linz zeigen, dass sich die Lage der Arbeiterschaft nachhaltig verschlechterte. Mit der in der Inflation verlorenen sozialen Mobilität sank sie weit unter das in der Vorkriegszeit erreichte Niveau. Soziale Verelendung als Folge der Inflation – so lautete auch das die ältere, sozialgeschichtlich inspirierte Forschung bestätigende Urteil von Andreas Kunz (206) über die mittlere Beamtenschaft. Ihre Lage verschlechterte sich in der Inflation deutlich. Sie erreichten in diesen und den folgenden Jahren nur 92% ihres Vorkriegseinkommens. Gerade für die Arbeiterschaft hat entgegen der Annahmen schichtenspezifischer Ursachenforschung der Inflationsfolgen die 1976 initiierte Forschung andere als die erwarteten Ergebnisse erbracht. Darauf hat Heike Knortz (202) in ihrer Untersuchung über den Arbeitsmarkt des Rhein-Main-Gebietes hingewiesen. Sie zeigt, dass es keine, wie im Umkreis der Forschergruppe behauptet, durch Inflation verursachte Vollbeschäftigung mit allen Folgen für die Verbesserung des Lebensniveaus der Arbeiter gegeben hat. Der von ihr festgestellte Beschäftigungsschub ist nicht konjunkturbedingt, sondern Folge der Gesetzgebung der Demobilmachungszeit. Bereits zu Beginn der neueren Inflationsforschung waren bei der kritischen Überprüfung der Forschungsstände zu den Inflationsfolgen für einzelne gesellschaftliche Gruppen neben den Arbeitern die Unternehmer in das Blickfeld eines geschärften Erkenntnisinteresses getreten. Noch 1979 hatte Peter Wulf in seiner Monographie über Hugo Stinnes, eine der großen Unternehmerpersönlichkeiten in der Frühphase der Weimarer Republik, zu zeigen gesucht, dass die deutsche Unternehmerschaft, repräsentiert durch Männer wie Stinnes, die Inflation planmäßig vorangetrieben und alle Stabilisierungsversuche der Regierungen unterlaufen habe. Dieter Lindenlaub (208) hält in seiner ebenfalls von der Forschergruppe angeregten Untersuchung über Inflationsgewinner wie Hugo Stinnes und Peter Klöckner Wulf entgegen, dass die deutschen Unternehmer – von Ausnahmen abgesehen – „mit der Inflation als Gesamterscheinung nicht sympathisiert“ hätten. Dafür habe die Inflation viel zu große betriebswirtschaftliche Probleme wie Kalkulation, Beschäftigungs- und Kreditkosten gebracht. Und doch muss auch Lindenlaub zugestehen, dass die Reparationssachlieferungen, die Devisenpolitik, die Geldmengenausweitung durch Notgeld, die Verringerung der Kassenhaltung und das Gleitpreisverfahren seitens der Unternehmer inflationsfördernde Wirkung hatten. Im Ergebnis, räumt Lindenlaub ein, habe das unternehmerische Handeln „inflationsfördernd und eben profitabel“ gewirkt. d) Nachwirkungen der Inflation Im Anschluss an die Beantwortung solcher schichten-, gruppen- oder personenbezogenen Fragestellungen nach den Inflationsgewinnern wandte sich das Interesse der neueren Inflationsforschung den langfristig strukturellen bis hin zu
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sozialpsychologischen Nachwirkungen des Währungsschnittes in Deutschland zu. Der Präsenz des Inflationssyndroms in der deutschen Wirtschaftsgeschichte bis hin zur Weltwirtschaftskrise ist ein von Gerald D. Feldman (212) verantworteter Sammelband gewidmet. In ihm geht Jürgen Reulecke der Frage nach dem kommunalen Finanzwesen und seiner Schwächung durch die Inflation nach. Heidrun Homburg (194) überprüft anhand des immer wieder diskutierten, aber nie erfolgten Zusammenschlusses von AEG und Siemens die These der älteren Forschung, die Inflation habe den Konzentrationsprozess der deutschen Industrie beschleunigt, und kommt zu einem negativen Ergebnis. Demgegenüber sieht Carl-Ludwig Holtfrerich einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Inflation und dem Aufstieg der Berliner Großbanken (192). Larry E. Jones (199) legt dar, dass durch die während der Inflation eingetretenen Vermögensverluste die liberalen Parteien in eine verhängnisvolle Abhängigkeit von industriellen Geldgebern geraten sind. Theodore Balderston (157) weist eine enge Abhängigkeit von Inflation und der Ende der zwanziger Jahre einsetzenden Depression auf dem Kapital- und Arbeitsmarkt nach. Peter-Christian Witt (240) überprüft die Auswirkungen des Währungsschnittes auf die Finanzpolitik für die Jahre 1924 bis 1935. Knut Borchardt (161) erläutert zum ersten Mal ausführlich sein Argument vom „Inflationstrauma“ und stellt damit einen Zusammenhang von Inflationsforschung und der „Borchardt-Kontroverse“ her. Die Furcht vor einer neuen Inflation gehört nach ihm zu den „Zwangslagen“ des Reichskanzlers Heinrich Brüning. Gerhard Schulz (230) widerspricht dieser Auffassung an gleicher Stelle vehement. Von den gesellschaftlichen Spätfolgen der Inflation, ihrer Bedeutung für die Außenbeziehungen des Deutschen Reiches bis hin zu den kulturellen Auswirkungen ist in dem letzten Aufsatzband der Forschergruppe die Rede (203). Jon Jacobson und William C. McNeil fragen hier nach dem Zusammenhang von Währungsstabilisierung und Neuordnung des Reparationsproblems und wie es zu diesem Zeitpunkt um die Zahlungsfähigkeit Deutschlands stand. Jürgen von Kruedener greift noch einmal Borchardts These von der Fernwirkung des „Inflationstraumas“ auf und widmet diesem sozialpsychologischen Aspekt des Themas eine eingehende Behandlung. Frank Costigliola nimmt mit seinem Beitrag über die „Amerikanisierung“ der deutschen Gesellschaft Bezug auf die aktuelle Modernisierungsdebatte und ihre Bedeutung für die Interpretation der deutschen Nachkriegszeit. Literatur- und kulturgeschichtliche Beiträge von Frank Trommler, Anton Kaes, Jost Hermand und Eva Maris Welskop-Deffaa beschließen den Band. Damit hat die Inflationsforschung in Argumentation und Methode eine Sublimierungsstufe erreicht, die sie zwangsläufig auf das weite Feld der Kulturgeschichtsschreibung führen musste. Der schwierigen Aufgabe einer Zusammenfassung der Ergebnisse der neueren Forschung zur Inflation hat sich Gerald D. Feldman (171), Anreger, Hauptinitiator und Autor in einem, 1993 unterzogen. Mit der voluminösen, in die zwei Haupteile „The Inflation in War and Reconstruction“ und „The Hyperinflation“ gegliederten Darstellung hat Feldman das Opus magnum zur deutschen Inflation geschrieben. Nach Feldmann ist die deutsche Inflation weder
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durch außenwirtschaftliche Einflüsse, noch durch Reparationszahlungen und auch nicht durch eine falsche Finanz- und Geldpolitik verursacht worden. Sie wurde weder systematisch geplant noch gibt es bei den Inflationsfolgen ein eindeutiges Gewinner-Verlierer-Schema. Sie ist das Ergebnis von politisch gewollten bis ungewollten Nachlässigkeiten und Versäumnissen. Eine Zwangsläufigkeit der Entwicklung zur Hyperinflation hat es nicht gegeben. Wirtschaftsgeschichtlich hat die deutsche Inflation durch Ankurbelung des Exports und Schaffung von Arbeitsplätzen eine wichtige Rolle bei der Überwindung der Nachkriegsdepression gespielt. Die jüngste, dem Trend kulturgeschichtlicher Deutung der Inflation als „Kulturschock“ konsequent folgende Darstellung stammt von dem deutschstämmigen amerikanischen Kulturwissenschaftler Bernd Widdig (238). Der Ehrgeiz dieses Autors zielt auf nichts weniger als auf die Analyse der „cultural semiotics of inflation“. Auf der Basis seiner Beobachtung über die Auflösung der tradierten Mensch-Geld-Beziehung findet Widdig seine Belege im literarischen und autobiographischen Werk von Elias Canetti, bei der Entschlüsselung eines „Mabuse“-Filmes von Fritz Lang sowie bei der ikonographischen Verwendung der Biographie des Wirtschaftsführers Hugo Stinnes. Für Widdig wird der Prozess rasanter Geldentwertung zur Initialzündung gesamtgesellschaftlicher Umwertungsprozesse im Bereich der Kultur, welche er am nachhaltigsten in der veränderten gesellschaftlichen Rolle von Intellektuellen, Juden und Frauen wirksam werden sieht. Im Vergleich mit einer solchen, aufgrund des methodischen Vorgehens zu einer fast exzentrischen Deutung der Inflation gelangenden Unternehmung ist Feldmans Anliegen und Ergebnis eher konservativ (171). Mit großem intellektuellen Aufwand ist er bemüht, wirtschaftliche, politische und kulturelle Interpretation eng aufeinander zu beziehen. Akribisch reflektiert er den Forschungsstand, wobei er die nach wie vor bestehenden Kontroversen nicht unterschlägt. Auch er liebt Wortspiele, wenn er komplexe und schwierige Situationen wie die währungspolitische Situation in Deutschland nach dem Ende des Krieges „What Price War?/The Price of War“ oder die Dramatik des November 1923 „Regime Change or Change of Regime?“ überschreibt. Feldman stellt der Politik, allen voran der Regierung Cuno, denkbar schlechte Noten aus, während er den Anfängen der deutschen ‚Erfüllungspolitik‘ gerecht zu werden sucht: „The Appropriation of Real Values and the Tactics of Fulfillment“ (S. 344 ff.). Besonderes Gewicht legt der Autor auf die Darstellung der Haltung der deutschen Industrie und die Rolle einzelner Unternehmer in der Währungskatastrophe: „What Kind of Reconstruction? The German Community Faces the Future“ (S. 255–305). Die dabei vorgenommenen Wertungen enthalten die deutlichsten Korrekturen der älteren Forschung. Kern dieses Kapitels ist ein warmherziges Porträt des immer wieder als Inflationsgewinners verteufelten Hugo Stinnes: „The Gospel According to Stinnes?“ (S. 272–305). Auffällig breiten Raum nehmen in der Darstellung die Passagen über die sozialen und kulturellen Folgen der Inflation ein: „The Year of Dr. Mabuse“ (S. 513 ff.). Ein geradezu düsteres Bild entsteht im Epilog „A Mortgaged Democracy“ (S. 837 ff.). Hier entwickelt
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Feldman noch einmal die These von der Inflation als der großen Vernichterin der „Bürgerkultur“ in Deutschland, der schließlich das gesamte deutsche Staatswesen zum Opfer fiel. Gegen die Tendenz, die Ergebnisse der neueren Forschung zur deutschen Inflation einer weitgehend pessimistischen kulturgeschichtlichen Wertung einzupassen, hat sich Widerspruch erhoben. Der englische Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson (173, 174) hat aufgrund eigener Untersuchungen gezeigt, dass eine energische und mit genügend Autorität ausgestattete deutsche Regierung den Währungsverfall keineswegs ‚schicksalhaft‘ hätte hinnehmen müssen. Damit hat die Wirtschaftsgeschichte bei der Frage nach der historischen Verantwortung für das deutsche Währungsdesaster den Ball in die Reihen der Politikgeschichte zurück gespielt. e) „Versailler System“ und Weltwirtschaftskrise Im Abstand von nur fünf Jahren sollte der Ausbruch der Weltwirtschaftskrise die deutsche Wirtschaft nach Überwindung der Inflation in eine zweite existentielle Krise stürzen. Auffällig dabei ist, dass erst die neuere, Mitte der achtziger Jahre einsetzende zeitgeschichtliche Forschung zum Thema Weltwirtschaftskrise (197) aufgrund ihres expliziten politikwissenschaftlichen Erkenntnisinteresses dem globalen Aspekt des Ereignisses gerecht wird. Prinzipieller als bisher berücksichtigt sie die Wechselwirkung von politischen Rahmenbedingungen und Wirtschaftskrise. Letzteres vermittels umfassender Kenntnis über die Auswirkungen der Krise auf einzelne Nationalwirtschaften, etwa auf Deutschland, welche sie der umfangreichen wirtschaftshistorischen „Feldforschung“ (Wolfram Fischer: 37, Dietmar Petzina: 80, Gerd Hardach: 42) verdankt. Auf dieser Grundlage war es ihr möglich, konsequenter als bisher mit der Verbindung von politik-, gesellschafts- und wirtschaftsgeschichtlichen Fragestellungen Ernst zu machen. In dieser neuen Sicht war die Krise rückwärtsgewandt, strukturbedingt und Teil eines universellen Zerfallsprozesses, an dessen Ende die Weltwirtschaft neu organisiert war. Am Anfang des alle Aspekte des Geflechtes internationaler Beziehungen und der Weltwirtschaft verbindenden neuen wissenschaftlichen Fragenkomplexes stand die Erkenntnis, dass die Krise von Anfang an eine „Doppelkrise“ (222) war, nämlich sowohl eine Krise der internationalen und nationalen Politik als auch eine der mit ihr verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Subsysteme. Ihre Merkmale waren exzessive Arbeitslosigkeit und eine von ihr verursachte innenpolitische Instabilität, folgenreiche Umstrukturierungen des internationalen Handels, aggressive Kooperationen oder ihre protektionistischen Verweigerungen. Der Ursachenforschung, der Frage also, warum das ‚Versailler System‘ während der Weltwirtschaftskrise die ihm zugedachte Funktion einer dauerhaften, nach innen und außen wirkenden europäischen Friedenssicherung nur unvollkommen und letzten Endes ohne Erfolg übernehmen konnte, ist 1994 eine deutsch-amerikanische Historikerkonferenz gewidmet worden („The Treaty of Versailles“, 20). Die Überprüfung aller in Versailles gefundenen Kompromisse
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in so wichtigen Fragen wie dem Sicherheitsbedürfnis einzelner Staaten, dem Willen zur Neuordnung der europäischen Zusammenarbeit und einem wirtschaftlichen Interessenausgleich bis hin zur materiellen Wiedergutmachung von Kriegsschäden und ihrer Konfrontation mit den schwierigen Ausgangsbedingungen der verhandelnden Staaten hat neue Einsichten sowohl in die notwendige Wirkungslosigkeit der in Paris getroffenen internationalen Verabredungen als auch in die Gründe für das verheerende Ausmaß der weltweiten Krise eröffnet. Elisabeth Glaser interpretiert die Reparationsforderungen in dem Sammelband als legitimen Ausgleich für nach dem Ende des Krieges eingetretene Bedeutungsverschiebungen der Staaten. Niall Ferguson zeigt, dass die deutsche Zahlungsfähigkeit von Reparationen in der Sache gegeben war, aber durch die Politik unnötig erschwert wurde. Die aufgrund des Versailler Vertragswerkes möglichen Sanktionen bei Vertragsverstößen wie die Rheinlandbesetzung und die Bildung eines Rheinischen Separatstaates enthüllen sich aus neuerer Sicht als Chimären ohne realen Gehalt (Stephen A. Schuker). Doch auch von Versäumnissen ist die Rede: Das Instrument bilateraler Abstimmungen wirtschaftlicher Interessen etwa zwischen Deutschland und Frankreich gehört zu den in der Nach-Versailles-Politik ungenutzten wirtschaftspolitischen Möglichkeiten der Zwischenkriegszeit (Gerald D. Feldman). Das Fehlen einer solchen ‚entspannten‘, vor zu hohen Erwartungen gefeiten realistischen Sicht von ‚Versailles‘ hat der zeitgenössischen Forschung über lange Jahre gefehlt und ihre Einzelergebnisse oft so widerspruchsvoll erscheinen lassen. f) Die USA als neue Wirtschaftsmacht und die Krise Der „Schwarze Freitag“ an der New Yorker Börse am 29. Oktober 1929 und der Fall der Aktienkurse ins Bodenlose signalisierten den Beginn einer weltweiten Rezession. Nicht nur die Tatsache, dass die Krise in einem Land ihren Ausgang nahm, welches im Begriff war, sich als wirtschaftliche Großmacht zu etablieren, war erstaunlich, sondern auch der Zeitpunkt des Ausbruchs der Krise enthielt ein Überraschungsmoment. Der Börsenkrach und die folgende Geld- und Kapitalkrise sowie das Anwachsen eines Heeres von 14 Mio. Arbeitslosen (1933/34) traf die nordamerikanische Wirtschaft in einer prosperierenden Phase unbeherrschten, sogenannten „fordistischen Wachstums“. Krieg und Kriegsende hatten der amerikanischen Wirtschaft nicht nur neue ungeahnte Wachstumsmöglichkeiten eröffnet, sondern die USA, im Besitz von 3/4 des Goldvorrates der Welt, zum internationalen Finanzzentrum gemacht, welches Großbritannien von seinem angestammten Platz als Weltfinanzier verdrängen sollte. Zur gleichen Zeit schickte sich die nordamerikanische Industrie an, die aufnahmefähigen Industriemärkte der europäischen Handelsnationen in Europa zu erobern. Auf dem Weltmarkt führten die USA die Liste der wichtigsten Exportländer an. Als Importland rangierten sie weltweit an zweiter Stelle.
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Bei ihrer Europapolitik folgte die amerikanische Außenpolitik den wirtschaftlichen Interessen der amerikanischen Großindustrie, deren Management sich vor allem in den modernen Branchen des Fahrzeugbaus, der Chemie und Elektrotechnik im Verein mit den Großbankiers als neue Weltwirtschaftselite etabliert hatte. Zwar war diese „Business Community“ alles andere als ein homogenes Gebilde – so z. B. herrschten in Fragen des Kapitalexports zwischen Industrie und Großbanken erhebliche Meinungsverschiedenheiten –, doch hinderte dies die USA nicht daran, gegenüber der gesamten übrigen Handelswelt ihre seit dem Ersten Weltkrieg gewachsene finanzpolitische Macht zugunsten des Exports auszuspielen. In den Augen europäischer Politiker war dabei der handelspolitische Kurs infolge der unterschiedlichen inneramerikanischen Interessen – wie z. B. zwischen Industrie und Landwirtschaft – nicht immer klar kalkulierbar, doch in jedem Falle expansiv. Beim Kapitalexport taten die auf ihn angewiesenen, unter Kapitalknappheit leidenden europäischen Partner gut daran, seine wesentlichen Voraussetzungen in ihr Kalkül einzubeziehen: In allen Fragen des neuen internationalen Finanzplatzes New York und der von hier aus in Gang gebrachten Kapitalströme kam dem amerikanischen Staat nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Private Kapitalinteressen gaben im entscheidenden Augenblick den Ausschlag, eine Tatsache, die der deutschen Politik noch zu schaffen machen sollte. Ein zweites Problem sollte der amerikanischen Politik nach Ausbruch der Krise Rücksichten auf europäische Interessen erschweren: die inneramerikanischen Gegensätze in Fragen der Handelspolitik. Vor Ausbruch der Krise gelang der Interessenausgleich auf der Grundlage des sogenannten Meistbegünstigungsprinzips. Mit ihm fand die amerikanische Wirtschaft ihre Interessen in allen Verträgen mit europäischen Handelspartnern abgesichert. Dies hinderte sie jedoch nicht daran, im Wahlkampf aus Rücksicht auf einen „Haufen wildgewordener Farmer“ solche Prinzipien über Bord zu werfen und durch einseitige protektionistische Maßnahmen den inneramerikanischen Markt für Agrarprodukte zu sperren. Nichtsdestotrotz lag die prinzipielle „Open-Door-Politik“ der USA, wie der Fall des amerikanisch-deutschen Handelsvertrages vom Dezember 1925 zeigt, auch in deutschem Interesse. Den USA sicherte er eine hervorragende Ausgangsposition für ihre Exportoffensive in Richtung des europäischen Marktes, der deutschen Industrie ersparte er jedwede Form von Diskriminierung. In dem Maße wie die USA wirtschaftliche Positionen im Nachkriegseuropa offensiv besetzte, ging allerdings der Einfluss der alten europäischen Industriestaaten Großbritannien, Frankreich und Deutschland zurück. Ihr Anteil am Welthandel, gemessen an der Vorkriegszeit, fiel kontinuierlich. So sank der deutsche Exportanteil am Welthandel von der Vorkriegszeit bis 1924/25 von 17,5% auf 14,9%, der Importanteil von 20,2% auf 17%. Die Welthandelskrise musste wegen der verstärkten Handelsbeziehungen gegenüber Europa den amerikanischen Export empfindlich treffen. Dies zeigt dessen wertmäßiger Rückgang von 5,24 Mrd. Dollar (1929) auf 1,61 Mrd. Dollar im Jahre 1932. Während das Welthandelsvolumen in dem gleichen Zeitraum um 30% schrumpfte, sanken die amerikanischen Exporte um 48% (160, 204).
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Zu der Handelskrise kam die Finanzkrise. Nach dem Börsenkrach zogen die USA ihr Kapital aus Europa ab, um die dringenden Bedürfnisse im Inland zu befriedigen. Mit dem pragmatisch motivierten Rückzug von ihrer Rolle als Weltfinanziers legten die USA die Schwächen des nach dem ersten Weltkrieg entstandenen internationalen Währungs- und Kreditsystems offen. g) Goldstandard, Währungspolitik und Krise des internationalen Kapitalmarktes Dabei hatte alles verheißungsvoll begonnen. Mit der Wiederherstellung der Golddeckung der englischen und französischen Währung nach dem Krieg, ein Schritt, den Deutschland ungefragt mit vollzog und der von den USA vorexerziert wurde, verbanden sich mit der Anerkennung der gewachsenen Finanzmacht im Norden von Amerika zumindest für London und Paris Hoffnungen auf die Wiederherstellung ihrer alten Stellung als Weltfinanzplätze. In Ermangelung der benötigten Goldvorräte hatten Frankreich, Großbritannien und Deutschland – nur die USA und Schweden blieben bei der reinen Goldwährung – bei der Rückkehr zum Goldstandard eine Gold-Devisen-Deckung gewählt. Das bedeutete, dass ein Teil der in der jeweiligen Staatsbank lagernden Deckungsreserven aus Devisen bestehen konnte. Durch Ankauf oder Verkauf von Devisenvorräten und den damit hervorgerufenen Währungsspekulationen konnten nationale Währungen unter Druck gesetzt werden, was auch mehr als einmal geschehen sollte. Derek Aldcroft hat die Wirkung des wiedereingeführten Goldstandards der Nachkriegszeit mit der eines „feucht gewordenen Knallfrosches“ verglichen (3). Neben der nicht unproblematischen Wiederaufrichtung des Währungssystems der Vorkriegszeit stellte die internationale Schuldensituation eine weitere Belastung der internationalen Finanz- und Kapitalmärkte dar. Großbritannien (4,6 Mrd. Dollar) und Frankreich waren gegenüber den USA nach Aufnahme von Kriegsanleihen verschuldet. Da sich die jährlichen Zins- und Tilgungsraten nicht aus den Überschüssen der Leistungsbilanz erzielen ließen, waren die ehemaligen Alliierten auf deutsche Reparationszahlungen, Deutschland aber auf den Kapitalzufluss aus den USA angewiesen. Im Zeitraum von 1923 bis 1930 sollte sich Deutschland mit 42 Mrd. RM an das Ausland, vor allem an amerikanische Großbanken verschulden. 21 Mrd. RM hatte das Reich aufgenommen und davon Reparationen bezahlt, den Rest teilten sich Länder und Kommunen (4 Mrd. RM), Privatwirtschaft (10 Mrd. RM) und Banken (7 Mrd. RM). Bereits bei den ersten Anzeichen eines Abzugs der vorwiegend kurz- und mittelfristig festgelegten amerikanischen Kredite aus Deutschland seit Sommer 1928, die nun vom amerikanischen Kapitalmarkt aufgesogen wurden, war allen Verantwortlichen in der deutschen Politik klar, dass damit das „Reparationskarussell“ angehalten wurde und der größte aller möglichen Störfälle eingetreten war. Als auf dem Höhepunkt der internationalen Finanzkrise 1931 die Reichsbank im Auftrag der deutschen Regierung die amerikanische Regierung
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ersuchte, ihr bei Verhandlungen um die Diskontierung abgezogener Kredite behilflich zu sein, holte sie sich einen Korb. Bereits im Mai dieses Jahres hatte der amerikanische Botschafter in Berlin auf Bitten Heinrich Brünings in Washington auf die Folgen des bevorstehenden Kreditdebakels aufmerksam gemacht, wenn amerikanische Anleger weiterhin ihre Kredite aus Deutschland abzögen. Als erste in einer ganzen Reihe von Bankenzusammenbrüchen schloss die Österreichische Kreditanstalt mangels liquider Mittel ihre Pforten. In Deutschland folgte die Danat-Bank, die risikoreiche Industriefinanzierung betrieben hatte. Um dem einsetzenden Ansturm besorgter Bankkunden einen Riegel vorzuschieben, verkündete die Reichsregierung sogenannte Bankfeiertage. Die Reichsbank verlor 164 Mio. Goldmark und unterschritt die bisher eingehaltene Währungsdeckung (162, 184). Endlich reagierte die amerikanische Regierung. Am 20. Juni 1931 verkündete Hoover ein Moratorium aller öffentlichen und privaten Schuldzahlungen und vermittelte als erste Hilfe für das besonders betroffene Deutschland eine 100-Mio.-Dollar-Anleihe. Frankreich, von den USA zur Beteiligung an der Hilfsaktion gedrängt, stellte für seine Mitwirkung politische Bedingungen wie den Verzicht auf die deutsch-österreichische Zollunion, Zurückstellung aller Pläne für den Bau deutscher Panzerschiffe, konsequenteres Vorgehen gegen die nationalistische Propaganda und die Zusage, in den nächsten zehn Jahren auf Anträge zur Revision der Reparationen zu verzichten. Der Reichskanzler lehnte diesen politischen Erpressungsversuch ab, ließ alle Auslandskredite blockieren, dekretierte eine Bewirtschaftung der Devisen und veranlasste unter Führung der staatlichen Golddiskontbank die Bildung eines Haftungsverbandes der Banken (237a). Die Forschung hat die nach Ausbruch der Krise eintretenden Veränderungen auf den internationalen Finanzmärkten konsequent thematisiert. Dabei fiel ihr Blick auf die im Vergleich zur Vorkriegszeit veränderte Rolle von Banken und Bankiers. „Bankers Diplomacy“ trat nach dem Versagen der klassischen Diplomatie – oder wenn sich die staatliche Administration wie im Falle der USA auf Distanz zum ‚Versailler System‘ brachte – als Krisenstrategie an die Stelle der politischen Krisenbekämpfung und bediente sich dabei ihrer personellen Verbindungen auf den internationalen Kapitalmärkten. So erklärt sich die zentrale Rolle führender amerikanischer Bankiers bei Handels- und Finanzfragen der Zwischenkriegszeit. Mit ihnen konnten sich allenfalls die Chefs der nationalen Zentralbanken großer Staaten wie Hjalmar Schacht und Hans Luther (Deutschland) und Montagu Norman (Großbritannien) messen (182). Deutsche Bankiers, deren Häuser aufgrund überdimensionierter Realkapitalbestände und niedriger Geldkapitalbestände schwache Glieder des nationalen und internationalen Kapitalmarktes waren, vermochten in diesem Kreis keine Rolle zu spielen (172).
Die Wirtschaftskrisen der Zwischenkriegszeit
h) Das Scheitern der internationalen Krisenbekämpfung und das Aufkommen des Neuen Protektionismus In der Gründung des Völkerbundes gipfelten nach dem Ende des Krieges alle Hoffnungen auf kollektive Konfliktlösungen. Dabei beschränkte man sich von Anfang an nicht allein auf Konflikte politischer Natur. Doch alle Versuche, Finanz- und Handelsfragen vor und während der Krise entweder durch internationale Vereinbarungen oder multinationale Absprachen kooperativ zu regeln, blieben trotz aller Proklamationen und eingeholter Expertengutachten des Völkerbundes ohne praktische Erfolge. Von der Weltwirtschaftskonferenz in Genua im Jahre 1922, auf der etwa die USA die europäische Rückkehr zum Goldstandard veranlassten, spannt sich ein weiter Bogen von Initiativen zur „wirtschaftlichen Befriedung“ der Weltwirtschaft. Nach Abschluss eines internationalen Zollabkommens auf der vom 4. bis 23. Mai 1927 in Genf tagenden Völkerbundsitzung benötigten die verbleibenden unterschriftswilligen 27 Staaten bis zur endgültigen Unterzeichnung der Schlussakte Jahre (176, 231, 234). Nicht eben erfolgreicher waren alle multilateralen auf Wirtschaftskooperation zielenden Wirtschaftsabkommen. 1929 bildeten die führenden Stahlerzeuger in Deutschland, Frankreich und Großbritannien das „Internationale Stahlkartell“. In der Krise bot jedoch der darin vereinbarte „Länderschutz“ einen willkommenen Ansatzpunkt für protektionistische Maßnahmen. Bereits im September 1926 waren Verträge zur Bildung der „Internationalen Rohstahlgemeinschaft“ unter Beteiligung der belgischen und luxemburgischen Industrie unterschrieben worden. Sie legten für 3 1/2 Jahre Inlandspreise und Kontingente für den Weltmarkt fest. Bei Ausbruch der Krise zementierte der Vertrag lediglich die stabile Monopolstruktur der Branche. Im Bereich der Chemischen Industrie kam es nach der Bildung nationaler Konzerne wie z. B. der I.G. Farben in Deutschland und Solvay in Belgien durch informelle Absprachen zur Aufteilung der Weltmärkte. Doch solche offiziellen oder inoffiziellen Produktions- und Preiskartelle trugen in der Krise weder zur Vermeidung eines Handelskrieges bei, noch retteten sie Reste eines liberalen Welthandels. Als Defensivbündnisse sicherten sie lediglich die rasch schrumpfenden Märkte ab (159, 177, 218a). Der einsetzende Preisverfall für Industrie- und Agrarprodukte auf dem Weltmarkt sowie die Aufgabe des Goldstandards war die Stunde des Protektionismus. Die USA machten den Anfang. Nach Ausbruch der Krise sperrten sie mit dem Hoover-Smoot-Hawley-Zolltarif den amerikanischen Markt für Agrarprodukte. Zusammen mit der von Großbritannien auf Druck seiner Dominions bereits seit 1916 praktizierten Politik der Zollpräferenzen hatten damit zwei führende Handelsnationen dem freien Welthandel einen schweren Schlag versetzt. Gilbert Ziebura (243) hat als entscheidende krisenanfällige Strukturschwäche des Welthandels nach dem Ende des Krieges die „fehlende Kongruenz politisch-strategischer Organisationsformen“ der Weltökonomie bezeichnet. Ihm zufolge fehlte ihr eine alle nationalistischen Ökonomismen überwindende mo-
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derne Idee. Charles Kindleberger nennt wenigstens acht aus der Literatur bekannte strukturelle Erklärungsmuster der Weltwirtschaftskrise (53). Sie reichen von einer verhängnisvoll „asymmetrischen Struktur der Weltwirtschaft“ bis zu den Folgen eines Führungswechsels von „Whitehall zum Weißen Haus“ und „antizyklischen Kapitalbewegungen“. Carl-Ludwig Holtfrerich (191) kommt zu dem Schluss, dass nach Ausbruch der Welthandelskrise und der eintretenden „Bilateralisierung“ und „Regionalisierung“ des Welthandels erst durch den protektionistischen Trend die Krise ihr volles Ausmaß erreicht habe. Die Wirkungen eines nach innen und außen wirkenden staatlichen Wirtschaftsdirigismus hatte man nach dem Ende des Krieges an der russischen Politik studieren können. Nun fanden solche Methoden Eingang auch in die Krisenpolitik der demokratischen Staaten (225). Dieser vor allem außenwirtschaftlich wirkende „Neue Protektionismus“ (177, 244) war eine Spielart des längst überwunden geglaubten wirtschaftlichen Nationalismus (223, 224), dessen unkalkulierbarer Einfluss den Verlauf der Krise bestimmen sollte. Vor allem die großen europäischen Handelsstaaten traf diese Entwicklung im Nerv. Und im Falle Deutschlands nahm sie immer stärker die Züge einer Katastrophe an. Dies lag vor allem daran, dass Deutschland in besonderer Weise dem Land verbunden war, von dem aus die nachhaltigsten Maßnahmen zur Zerstörung des internationalen Handels ausgingen, den USA. Deutschland war das Paradebeispiel für ein von nordamerikanischen Wirtschafts- und Finanzinteressen „penetriertes System“ (209, 210). Die Weltwirtschaftskrise und die nordamerikanische Reaktion auf sie sollte dieses, für die zeitweilige Stabilisierung des Versailler Systems äußerst wichtige Verhältnis allerdings in sein Gegenteil verkehren. Der deutsch-amerikanische Handel – Basis einer zeitweiligen Erfolgspartnerschaft – war, gemessen an dem Rückgang des Welthandelsvolumens, überdurchschnittlich rückläufig. Aus Kooperation wurde Konfrontation, aus der in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre ein folgenreicher deutsch-amerikanischer Antagonismus erwuchs (236). Nach dem Bruch der deutsch-amerikanischen Wirtschaftsallianz in der Krise nun auf Kontinentaleuropa fixiert, erwies sich für Deutschland auch die bis dahin eingegangene Westbindung angesichts der wirtschaftlichen Abwehrmaßnahmen Frankreichs und Großbritanniens als wenig hilfreich (201, 220). Unter taktischen und strategischen Gesichtspunkten eröffnete sich für Deutschland in Ost- und Südosteuropa ein seiner industriellen Stärke angemessener Einflussbereich. Erste Maßnahmen in diese Richtung erfolgten durch außenwirtschaftliche Vereinbarungen mit den Agrarstaaten Südosteuropas. Doch solche Initiativen mussten – wie die gescheiterte deutsch-österreichische Zollunion gezeigt hatte – Abwehrmaßnahmen der ehemaligen Kriegsgegner provozieren und Deutschland isolieren (215, 219). Noch in einer anderen Frage glaubte die deutsche Politik einen Trumpf in der Hand zu halten, dem Russlandhandel. Nach Öffnung der russischen Archive ist die immer wieder behauptete antizyklische Bedeutung des deutsch-russischen Handels in der Weltwirtschaftskrise deutlich relativiert worden (202, 204). Zeitweilig andere zeitgenössische und wissenschaftliche Einschätzungen machen
Die Wirtschaftskrisen der Zwischenkriegszeit
sich an ‚spektakulären‘ Zahlen wie der Steigerung des deutschen Exports nach Russland von 2,6% des Gesamtexports im Jahre 1929 auf 7,9% im Jahre 1931 und an dem Nachweis, dass 1932 74% des deutschen Exports von Maschinen nach Russland gingen, fest. i) Der Alleingang Deutschlands im Kampf gegen die Krise Neben einem solchen in seiner Wirkung problematischen Joker wähnte sich die deutsche Politik nach Ausbruch der Krise gegenüber den Siegerstaaten im Besitz eines von allen Regierungen bisher verschmähten, ja dessen Anwendung noch nicht einmal in Erwägung gezogenen ungleich wirkungsvolleren „Folterwerkzeugs“, der einseitigen Aufkündigung der Reparationsverpflichtungen. Die Situation für eine solche spektakuläre Revision von Versailles war günstig. Repressionen wie die Wiederholung der Ruhrbesetzung waren unter den durch die Krise veränderten Verhältnissen nicht zu erwarten. Die ältere Forschung zu dieser Frage hatte diese bisher ausschließlich unter dem Gesichtspunkt ihres innenpolitischen Gewichts für die Weimarer Regierungen behandelt. Die neuere Forschung dagegen hat mit ihren Ergebnissen allen Anlass gegeben, die deutschen Bemühungen zur Neuregelung der Reparationen seit 1930 stärker als bisher dem revisionistischen Kalkül der deutschen Politik zuzuordnen. So unterstellt Winfried Glashagen (180) dem Reichskanzler Heinrich Brüning in der Reparationsfrage ein wohlkalkuliertes außenpolitisches Konzept. Unter Ausnutzung des nach Verabschiedung des Young-Planes deutlich gestiegenen politischen Spielraumes – Übertragung des Transferschutzes, Einbau einer Gefährdungsklausel, Einschränkung des Sanktionsrechtes – habe Brüning, so Glashagen, das Ziel verfolgt, durch Exportfinanzierung und Senkung der Produktionskosten einen „Exportdruck“ der deutschen Industrie zu erzeugen. Auf diese Weise wollte er die Reparationsgläubiger auf die Gefahr der aus Leistungsbilanzüberschüssen gezahlten Reparationen hinweisen. Parallel dazu sollte eine konsequente Haushaltspolitik als Teil von Brünings Deflationspolitik den Beweis für die Nichterfüllbarkeit der Reparationen bei gleichzeitiger Sanierung des Haushaltes (Abwehr des Arguments unseriöser Haushaltsführung) liefern. Anders als Stresemann nutzte Brüning mit einer solchen Politik die „ökonomische Dimension“ der Reparationen, um sie durch konsequente außenund binnenwirtschaftliche Maßnahmen ad absurdum zu führen. Mit dieser originellen Variante der „Erfüllungspolitik“ ordnete sich der Außenpolitiker Brüning nach dieser Auffassung eher seinem Nachfolger Hitler als seinem Vorgänger Stresemann zu. Das Bekenntnis des vorsichtig agierenden „Erfüllungspolitikers“ Stresemann aus dem Jahre 1925 – „Die einzige große Waffe unserer Außenpolitik sehe ich in unserer wirtschaftlichen Stellung, und zwar in unserer wirtschaftlichen Stellung als Konsumentenland, in unserer wirtschaftlichen Stellung als großes Schuldnerland gegenüber anderen Nationen“ (211) – sollte unter den veränderten Bedingungen der Jahre 1930/31 bei Brüning einen völlig neuen Sinn bekommen. Aus dem Blickwinkel der deutschen Außenpolitik hat Peter Krüger (204) da-
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rauf aufmerksam gemacht, dass über alle Fragen nach der Höhe einer wirtschaftlich tragbaren Reparationsschuld, der möglicherweise nur schwach entwickelten Bereitschaft der deutschen Seite, Reparationen als Kriegsfolge anzuerkennen, oder fehlender wirkungsvoller Sanktionsmaßnahmen, um auf Zahlungsstockungen seitens der Siegermächte reagieren zu können, nicht vergessen werden darf, dass nicht nur nach der „wirtschaftlichen Vernunft“ solcher Kriegsfolgen, sondern vor allem nach dem Sinn ihrer machtpolitischen Instrumentalisierung gefragt werden muss. Von dem amerikanischen Historiker Bruce Kent (200) stammt der heftigste Widerspruch gegen die neueren Urteile über die Reparationsproblematik. Er sieht in Deutschlands intransigenter Haltung, prinzipiell keine Reparationen mehr zu zahlen, die Ursache für den ergebnislosen Verlauf aller Ausgleichsversuche. Im engen Zusammenhang mit der Beobachtung einer machtpolitischen Instrumentalisierung der Reparationsfrage durch Deutschland ist die Wirkung dieser Politik auf die Empfängerländer diskutiert worden. Philipp Heyde (185) hat der Haltung Frankreichs eine ausgedehnte Untersuchung gewidmet und dabei eine gewisse Hilflosigkeit der französischen Politik feststellen können. Deren Folgen hat er in seiner Darstellung der Konferenz zu Lausanne beschrieben (186). Nach dem Rücktritt des Außenministers Curtius übernahm Brüning selbst das Auswärtige Ressort. Bereits bei seiner Amtsübernahme hatte Brüning den Staatssekretär Carl von Schubert, langjähriger Vertrauter Stresemanns, durch den ehemaligen Berufsoffizier Bernhard W. von Bülow, einen Neffen des früheren Reichskanzlers, ersetzt. Dieser verbat sich als Erstes für den Dienstgebrauch die Verwendung des Begriffs „Verständigungspolitik“. Am 6. Juni 1931, einen Tag bevor er zusammen mit Curtius auf Einladung der britischen Regierung nach London reiste, hatte Brüning im Rahmen der Zweiten Großen Notverordnung den sogenannten „Tribut-Aufruf“ erlassen. Mit ihm sollten die verordneten Maßnahmen, die „das letzte Opfer des deutschen Volkes für die Erfüllung der Reparationsleistungen“ sein sollten, wirkungsvoll begründet werden. Zusammen mit der schwelenden Frage der Zollunion, die dem Völkerbund zur Entscheidung vorgelegt wurde, war das Klima für den Besuch vom 7. bis 9. Juni denkbar ungünstig. Und doch blieb die Inszenierung nicht ohne Wirkung. Brüning erreichte in den Gesprächen in Chequers mit dem britischen Premier und Notenbankgouverneur, dass Großbritannien einer Hilfeleistung für Deutschland zustimmte. Nach Brünings Abreise gab Großbritannien seine Zustimmung zur Einberufung einer Internationalen Konferenz zur Beratung der wirtschaftsund finanzpolitischen Probleme Europas. Nach Hause zurückgekehrt, zeigte sich der Reichskanzler unempfindlich für „Verlockungen“, wie sie John M. Keynes’ Rede im Hamburger Überseeclub am 2. Januar 1932 und seine Einladung zum Beitritt zum (abgewerteten) Pfund-Club enthielt. Im Gegenzug war gerade mit der 4. Großen Notverordnung vom 8. Dezember 1931 und der Festschreibung der Goldparität der deutschen Währung die nächste Stufe seiner Deflationspolitik beschritten worden.
Die Weimarer Republik – Ort der Klassischen Moderne
3. Die Weimarer Republik – Ort der Klassischen Moderne a) Traditionale und moderne Grundlagen der Weimarer Kultur Das Verständnis der „Weimarer Kultur“ als Teil einer universell aufsteigenden Moderne verbindet sich mit unterschiedlichen Wahrnehmungen. Aus traditioneller Sicht erscheint ‚Weimar‘ als „Brennpunkt der Moderne – die letzte in einer langen Reihe kultureller Bewegungen von der Romanik bis zur Romantik, welche die Höhepunkte der europäischen Kultur markieren“ (Alan Bullock in „Die Zeit“ v. 1. 1. 1988). Der kritische Blick stößt auf das Paradoxon einer gleichzeitigen „scharfen einhelligen Kritik am Versagen und dem Rechtsdrall in bestimmten Teilen der Kultur und der Bewunderung für die goldenen zwanziger Jahre“ (Karl Dietrich Bracher). Die neueste Sicht diagnostiziert für Weimar ein „Krisenbewusstsein“, Folge einer allgemeinen „Krise der Gegenwart“ (Martin H. Geyer, 179). Ein Blick auf die materielle Kulturentwicklung in Deutschland seit Eintritt in das 20. Jahrhundert bestätigt solcherart zwiespältige Wahrnehmung auf den ersten Blick nicht. Unter dem Gesichtspunkt materieller Kulturentfaltung stellt sich Weimar als Erbe eines seit der Jahrhundertwende optimistisch begonnenen naturwissenschaftlich-technischen Aufbruchs dar. Einige Kennzahlen machen dies deutlich: In den Jahren 1919 bis 1925 fielen sieben Nobelpreise (2 Chemie, 4 Physik und 1 Medizin) an deutsche Forscher. Am 29. Juli 1925 traf Werner Heisenbergs Manuskript „Über die quantentheoretische Umdeutung kinetischer und mechanischer Beziehungen“ bei der „Zeitschrift für Physik“ ein. Nach Überwindung der Inflationsjahre fielen die Daten wegweisender technischer Entwicklungen in Deutschland in dichter Folge. Zu Beginn des Jahres 1926 wurde der erste 1200 PS starke Dieselmotor als preiswerte Antriebsmaschine des aufkommenden Bahn-Verkehrs erprobt. Bereits zwei Jahre später stellte die Reichsbahn erstmalig Schnellzüge in Dienst, die eine Geschwindigkeit von 100 km/h erreichten. Nach Verstaatlichung der deutschen Bahnen 1920 entwickelte sich nicht zuletzt aufgrund solcher technischer und organisatorischer Innovationen die Deutsche Reichsbahn unter ihrem Generaldirektor Julius Dorpmüller zu einem der modernsten europäischen Großunternehmen. Die Erweiterung des straßen-, luft- und schienengebundenen Verkehrsnetzes bildete die Grundlage für die mit dem Namen Weimar verknüpfte neue Kommunikationskultur. Zu ihr gehörte auch die Industrialisierung der menschlichen Kulturtechniken. 1927 waren 1/3 aller Telefonbesitzer an ein Selbstwählsystem angeschlossen. Auf der 6. Internationalen Büroausstellung im September 1928 wurde der erste Fernschreiber vorgestellt. Ein Jahr später verband eine direkte Kabelverbindung Berlin mit New York. Zu Beginn des Jahres 1930 erfolgte die erste Bildübertragung auf einer Drahtleitung von Berlin nach London. Alle diese Entwicklungen aber wurden durch den Aufstieg des Autos als Verkehrsmittel in den Schatten gestellt. Die Interessen des neuen Massenverkehrsmittels waren bereits 1924 in der „Studiengesellschaft für Automobilstraßen
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(STUFA)“ zusammengefasst worden. In das gleiche Jahr fällt die erste, vom „Reichsverband der Automobilindustrie“ unter Beteiligung von 1000 Firmen organisierte Automobil-Ausstellung. Mit dem „Laubfrosch“, einem ZweisitzerAuto von Opel, wurde in Deutschland erstmalig ein Auto am Fließband produziert. Täglich laufen 25 Autos vom Band, deren Verkaufspreis 4500 RM beträgt. 1926 fällt die Luxussteuer auf Automobile. Im gleichen Jahr waren 206 487 PKW zugelassen, davon allein 23 728 in Berlin. 1928 werden es bereits 933 312 sein. Ein Jahr später errichtete die Firma Opel in der deutschen Hauptstadt eine Großgarage für 640 Autos. Bald werden die Opelwerke ein Auto zum Preis unter 2000 RM anbieten. Wer sich kein Auto kaufen kann, schafft sich ein Fahrrad oder Kraftrad, das „Auto des kleinen Mannes“, an. Auch im Luftverkehr sorgt die Technik für eine beschleunigte Erweiterung der Transportkapazitäten. Bereits in der ersten Saison des im April 1926 durch die Luft-Hansa aufgenommenen innerdeutschen Linienverkehrs legen die 110 firmeneigenen Maschinen über 6 Mio. Flugkilometer zurück. 1928 werden es bereits über 10 Mio. sein. Durch Vereinigung der Junkers Luftverkehr AG und der Deutschen Aero-Lloyd-AG zur Deutschen Luft-Hansa-AG mit Sitz in Berlin entsteht unter Beteiligung des Reiches eine erste wirtschaftlich leistungsfähige Luftfahrtgesellschaft. Sie betreibt mit zwei Junkers-Maschinen über Moskau und Irkutsk eine Fluglinie in den Fernen Osten. Mit Dieselmotoren ausgestattete „JU“ fliegen „nonstop“ über 5880 km. 1932 setzt die Luft-Hansa auf der Strecke Berlin – London erstmalig das legendäre und in hoher Stückzahl produzierte Großflugzeug „JU 52/3m“ ein (245). Diese technische Entwicklung sollte im Vergleich mit der Vorkriegszeit die Mobilität von großen Teilen der deutschen Gesellschaft erheblich erhöhen. Neue Medien wie Rundfunk und Tonfilm erweiterten parallel dazu die kulturellen Partizipationsmöglichkeiten. In kurzer Zeit stieg die Zahl der Rundfunkteilnehmer. Am 1. Juli 1924 sind in Deutschland 100 000 Rundfunkteilnehmer gemeldet. Zwei Jahre später sind es bereits 1 Mio. Unter Regie der Reichspost wird 1925 eine „Reichsrundfunk-Gesellschaft“ als Dachverband der über einundzwanzig regionalen Anstalten gegründet. Sie betreibt den Sender Königswusterhausen mit einer Sendeleistung von 18 KW, der im ganzen Reich empfangen werden kann. Bis zum Jahre 1932 sollte die Zahl der Rundfunkteilnehmer auf über 4 Mio. ansteigen. Übertragen werden Musikaufführungen und Sportveranstaltungen. Neue mediengerechte Formen wie Hörspiel und „Rundfunkkantaten“ (259) werden erprobt. Im Vergleich mit dem volkspädagogisch ausgerichteten Rundfunk ist der Tonfilm sehr viel stärker kommerziell gesteuert und auf massenwirksame Unterhaltung abgestellt. Bereits im ersten Jahr des Tonfilms, 1926, besitzt Berlin mit dem 1600 Sitzplätze fassenden Gloria-Palast eine der größten neuartigen Vergnügensstätten. In dem 1927 eröffneten Mercedes-Palast in Berlin-Neukölln finden 3000 Zuschauer Platz. Mit Unternehmen wie den Emelka-Filmwerken und der Phöbus-Film AG etabliert sich in Deutschland nach amerikanischem Vorbild eine Filmindustrie. Sie gebiert Stars und inszeniert einen Starkult. Am 31. Juli 1930 veröffentlicht die „Berliner
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Illustrierte Zeitung“ auf ihrer Titelseite ein Bild des Revuestars Marlene Dietrich mit der Überschrift „Ein Schönheitstyp unserer Zeit“. Starschauspieler wie Elisabeth Bergner und Emil Jannings erhalten Traumgagen von 300 000 Mark (260). Zu dieser neuartigen Unterhaltungskultur gehört das revueartig inszenierte Varietee, Vorläufer des heutigen Musicals. Gleichzeit wird die Unterhaltungsqualität sportlicher Großveranstaltungen entdeckt. Varietee- und Revue-Künstler wie Fritzi Massary und Otto Reutter, legendäre Fußballspieler wie Hans Kalb vom FC Nürnberg, Boxer wie Max Schmeling und Rennfahrer wie Rudolf Caracciola werden zu Idolen der von der zeitgenössischen Kulturkritik als „Zerstreuungskultur“ verspotteten Freizeitgestaltung. Dem Sport kommt dabei wegen der wachsenden Anhängerschaft vor allem unter den breiten Bevölkerungsschichten besondere Bedeutung zu. Dieser Trend findet einen doppelten Niederschlag. Einerseits erhält die traditionelle Turnerbewegung verstärkten Zulauf (1930 übersteigt die „Deutsche Turnerschaft“ die 1,5-Mio.-Grenze, der Arbeitersport veranstaltet massenwirksam inszenierte „Spartakiaden“), andererseits tritt das individuelle Freizeitanliegen zugunsten einer passiven Teilnahme an Massenveranstaltungen in den Hintergrund. Es ist die Zeit des Baus großer Sportstätten. Seit 1923 besitzt Köln das größte Stadion Europas, welches 100 000 Zuschauer aufnehmen kann. Über all diesen „Masseneffekten“ darf nicht übersehen werden, dass der Sport eine nicht unbedeutende Rolle bei der Veränderung der Geschlechterrollen spielt (287). Welche Rückwirkungen hatte das Aufkommen neuer Unterhaltungsformen auf die ‚klassischen‘ Bildungs- und Unterhaltungsgattungen wie Literatur, Theater, Musik, Tanz und die bildenden Künsten? In dem bereits in der Vorkriegszeit zu beobachtenden und sich nun beschleunigenden Trend des Auseinandertretens von „hohem“ und „trivialem“ Kulturkonsum sah die zeitgenössische Kulturkritik einen Zerfall tradierter bildungsbürgerlicher Kulturwerte. Dem entsprach die veränderte Rolle des Künstlers, im Jargon der Zeit „Kulturschaffender“. Er produzierte zunehmend „marktgerechte Gebrauchskunst“. Fotografen wie die Bauhauskünstler László Moholy-Nagy, August Sander und Albert RengerPatzsch entwickelten die Formensprache einer visuellen Werbeästhetik: Wirtschaftlich verwertbare „Gebrauchsgrafik“ als Derivat tradierter Kunstgrafik bekommt einen Markt. Es gibt angewandte Musik in der Form der Filmmusik. „Kriegsliteratur“ und „Kriegsgrafik“ (Ernst Jünger, Erich Maria Remarque, Otto Dix), gesteuert von marktorientierten Verleger- und Galeristenstrategien, florieren als multimediale „Bestseller“. Sie werden gemacht. Autoren sind dabei sowohl Repräsentanten der traditionellen Unterhaltungsliteratur wie Karl May (Aufl. 4,5 Mio.), Edgar Wallace (Aufl. 1,3 Mio.), Felicitas Rose (Aufl. 1 Mio.), Waldemar Bonsels, Ludwig Thoma und Hermann Löns als auch moderne, den Zeitgeist treffende Autoren wie Erich Maria Remarque. Sein Erstling „Im Westen nichts Neues“ wird bis 1931 in über zwei Millionen Exemplaren verkauft und macht seinen Autor zu einem vermögenden Mann. Thomas Manns „Buddenbrooks“ werden in einer Volksausgabe 1,1 Mio. mal verkauft. Daneben erlan-
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gen Bücher von Erfolgsautorinnen des Kolportagesujets wie Thea von Harbou, Vicki Baum u. a. Auflagen in Schwindel erregender Höhe. Das Theater, traditionell auf den bürgerlichen Bildungshunger und Bildungswillen angewiesen, hatte sich bereits vor dem Krieg durch den Volksbühnengedanken ein breiteres Publikum zu erschließen gesucht. Der Weg vom allgemein sozial- zum zeitkritischen Theater aber bekam ihm nicht. Die Versuche Erwin Piscators, die emanzipatorische Volksbühnenbewegung der Vorkriegszeit durch ein zeitnahes experimentelles Theater zu beleben, scheiterten am Publikum. Hingegen profitierten von der Konjunktur des „Volksstückes“ Dramatiker wie Carl Zuckmayer, weniger sein Kollege Ödön von Horváth. Das neusachliche Autoren/Komponisten-Team Brecht/Weill landete mit der „Dreigroschenoper“ einen Publikumshit. Doch beim Versuch einer Wiederholung war die Uraufführung der Oper „Mahagonny“ allenfalls für einen Theaterskandal gut. Im Bereich der E-Musik etablierten sich im deutschen Kulturraum strenge „Neutöner“, an ihrer Spitze Arnold Schönberg und Alban Berg, neben moderaten Modernisten wie Paul Hindemith und konservativen Neueren wie Hans Pfitzner und Richard Strauss. Diese Komponisten in Verbindung mit Dirigenten wie Wilhelm Furtwängler und Otto Klemperer verschafften der „deutschen Musik“ Weltgeltung. Bereits vor dem Krieg hatte sich mit der Etablierung des Expressionismus als Kunststil außerhalb des klassischen Balletts eine avantgardistische Tanzästhetik, bestehend aus einer Mischung ekstatischer und grotesk künstlerischer Gymnastik, ein neues Publikum erschlossen. Akteure wie die Amerikanerin Isadora Duncan, die Deutsche Mary Wigman und der Ungar Rudolf von Laban und ihr Publikum verbanden mit der Darbietung Demonstrationen alternativer Lebensund Kunstentwürfe. b) Avantgarde und Weimarer Kultur In keinem anderen Bereich war die von der „Weimarer Kultur“ erstrebte Verbindung von experimentierfreudiger Avantgarde, gesellschaftspolitischer Verantwortung und Rücksichten auf marktorientierte wirtschaftliche Rationalität so erfolgreich wie in der Architektur. Der Ruhm des „Neuen Bauens“ geht auf das Wirken einer Reihe von Architekten zurück wie Walter Gropius, Mies van der Rohe, Hans Poelzig, Bruno und Max Taut, um nur die bekanntesten Namen zu nennen. Nach zum Teil unspektakulären Anfängen im Stile der „Arts and Crafts“-Bewegung und auftragslosen Jahren der ersten Nachkriegszeit kam ihre Stunde mit dem staatlichen sozialen Wohnungsbau von Weimar. Nun konnten sie ihr an Industriebauten geschultes funktionales Konzept in Auftragsarbeiten des öffentlichen Wohnungsbaus, in Siedlungs- und Stadtplanungsvorhaben erproben. Es war die Stunde der praktischen Umsetzung ästhetisch revolutionärer und volkspädagogisch radikaler Ideen wie der von der „Wohnmaschine“ (279). Einige Architekten wie Gropius und Mies sollten am Dessauer Bauhaus Gelegenheit erhalten, ihre Vorstellungen auch als Lehrer zu verbreiten. Ihr nationaler Erfolg lag in der Tatsache begründet, dass sich ihre Ideen mit Bestrebungen einer
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internationalen Architektengemeinde wie dem Schweizer Le Corbusier und dem Amerikaner Frank Lloyd Wright u. a. trafen. Nicht zuletzt diese Internationalität des „Neue Bauens“ erklärt den Erfolg deutscher Architekten besonders in den USA auch nach dem Untergang der Weimarer Republik (250, 264). Die nahe liegende Annahme, der Aufstieg der Klassischen Moderne in Deutschland nach 1918 sei durch eine weite Verbreitung ‚modernen Denkens‘ ermöglicht worden, ist falsch. Das Weimarer Geistesleben wurde vielmehr bestimmt durch Bildungstradition und Weltanschauungspublizistik (Sloterdijk). Den kleinen Kreis der philosophisch Gebildeten bedienten die den Neukantianismus ablösenden Vertreter der Lebensphilosophie wie Nicolai Hartmann (1882–1959), die Schüler Wilhelm Diltheys, Ernst Cassirer (1874–1945) und der sehr populäre, vom Judentum zum Katholizismus konvertierte Max Scheler (1874–1928). Sie gaben vom Universitätskatheder die Stichworte für die Diskussion in den elitären Zirkeln, die sich in der Regel, allen voran die Professorenschaft, politisch konservativ und republikdistanziert bis republikfeindlich gaben (265). Vertreter der neuesten philosophischen Schule, des erst nach 1945 seinen Siegeszug antretenden Existentialismus wie Martin Heidegger (1889–1976), Schüler des Phänomenologen Edmund Husserl, waren noch weitgehend unbekannt. Erst 1927 veröffentlichte Heidegger sein Hauptwerk „Sein und Zeit“, eine tiefsinnige daseinsbegründende Abhandlung. Der Zeitanalyse „Die geistige Situation der Zeit“ von Karl Jaspers (1883–1969), eines Mitstreiters Heideggers, haftete ein pessimistischer Grundzug an, der ihrer Verbreitung enge Grenzen setzte. Intellektuell weniger anspruchsvolle, dafür in der Erfüllung ganzheitlicher Sehnsüchte wirkungsvolle „Weltanschauungsproduzenten“ fanden ihre Anhänger in der weiteren Öffentlichkeit der Bildungseliten. Das Spektrum reicht von Rudolf Steiner und seiner anthroposophischen Bewegung über den erfolgreichen Dostojewki-Übersetzer und Kulturkritiker Arthur Moeller van den Bruck (Verfasser einer Kulturgeschichte mit dem Titel „Das Dritte Reich“) bis hin zu dem Erfolgreichsten von allen, dem Kulturphilosophen Oswald Spengler. Von dessen 1922 erschienener kulturpessimistischer Abhandlung „Der Untergang des Abendlandes“ waren bis 1929 100 000 Exemplare verkauft, für ein schwer lesbares, stofflich überfrachtetes Buch eine Sensation. Der öffentliche Erfolg Spenglers resultierte aus seiner Fähigkeit, sich mit bestimmten Schlüssel- und Reizworten, wie ihm dies z. B. in seiner Abhandlung „Preußentum und Sozialismus“ gelungen war, mit dem rechten Zeitgeist in Beziehung zu setzen (281). Seine Autorität und Kompetenz im konservativen Lager waren unbestritten, was ihn zu einem gesuchten Festredner machte. Rechte und linke Denker huldigten in Weimar einem exzessiven Jugendkult. Die trotz Entrichtung eines hohen Blutzolls im Kriege eingetretene Niederlage und die nachfolgende zynische Ernüchterung verbanden sich mit dem romantischen Erbe der Wandervogelbewegung zu einer explosiven Mischung, die entschieden mit so unterschiedlichen Erneuerungskonzepten wie der „Reformpädagogik“ des Münchener Stadtschulrates Georg Kerschensteiner, der Idolisie-
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rung des Kindes durch Maria Montessori und völkisch verschrobenen Gruppierungen wie z. B. der des Jenaer Verlegers Eugen Diederichs kontrastierte. Und eine weitere Ungereimtheit: Dieser Weimarer Jugendkult stand in einem grotesken Missverhältnis zu den geringen Angeboten, welche die junge Republik ihrer Jugend machen konnte. Um dies an einem Beispiel zu verdeutlichen. Als 1927 erstmalig die Zahl der Studenten in Deutschland die 100 000-Marke überstieg, befürchtete der von Reich und Ländern gebildete „Ausschuss für das Unterrichtswesen“, dass „der Andrang zur Höheren Schule weit größer ist, als es den Aussichten auf berufliche Verwertung der erworbenen Bildung entspricht“. Im Zuge von Sparmaßnahmen des preußischen Kultusministeriums 1931 wurden 4000 auf Probe angestellte Junglehrer entlassen und eine zulässige Klassenstärke von 55 Schülern festgesetzt (283). Neben dem Jugendlichkeitsmythos bildete die ‚Stadt‘ eine zweite bedeutungsvolle Stereotype der Weimarer Kultur. Deutschland, im 19. Jahrhundert dominiert von einem provinziellen, meist um Residenzen zentrierten Kulturleben, erhält im 20. Jahrhundert eine europäische Metropole. Das Groß-BerlinGesetz des preußischen Landtages vom 26. April 1920 hatte der brandenburgisch-preußischen Residenz 3,8 Mio. Einwohner zugeschlagen und mit einer Stadtfläche von 878 qkm die Dimensionen einer Megastadt verliehen (248). Das hier entstehende Lebensgefühl war ambivalent: einerseits wurde die neue Stadt zum Inbegriff der Moderne, des Fortschritts und neuer Formen menschlichen Zusammenlebens, andererseits wurde sie zum „Moloch“, zum Ort pervertierter sozialer Praxis dämonisiert. Kritisch-verzweifelt und pessimistisch intonieren dieses Gefühl zeitgenössische Großstadtromane wie „Fabian“, „Das kunstseidene Mädchen“ und „Berlin Alexanderplatz“ der Autoren Erich Kästner, Irmgard Keun und Alfred Döblin (285). Wie stark sich das allgemeine kulturgeschichtliche Interesse an dem Thema „Stadt“ festgemacht hat, geht aus dem kürzlich von den amerikanischen Kultur- und Sozialhistorikern Thomas W. Kniesche und Stephen Brockmann verantworteten Sammelband „Dancing on the Volcano“ deutlich hervor (253). Die Mischung von „mainstream“ und Nischenkultur ist ein weiteres Kennzeichen der Weimarer Kultur. Mit steter Regelmäßigkeit tauchten im öffentlichen Leben der Republik Nachrichten über Mitglieder und Anhänger alternativer Lebensweisen auf. Nicht zuletzt ihr Wirken verleiht der Weimarer Gesellschaft jene schrillen lebensreformerischen Züge, die einhergehen mit der Lockerung der Integrationskraft der großen Religionsgemeinschaften (269, 278). Gruppenweise praktizierte „Ersatzreligionen“ mit teils harmlosen skurrilen, teils fundamentalistischen Ansprüchen schossen ins Kraut: Vereine zur Feuerbestattung, zur Kulturvierung des nackten menschlichen Körpers, der freien Liebe, der vegetarischen Kost oder der Weltsprache Esperanto waren die harmloseren Varianten. Gruppen und Vereinigungen wie die Freireligiösen- und sogenannte Gottlosenbewegung oder Gemeinden, die einem charismatischen Propheten folgten, ließen sich schon schwerer in bestehende städtische oder ländliche Sozialräume integrieren.
Die Weimarer Republik – Ort der Klassischen Moderne
Dieser in der Tendenz teils durch reaktionäre Inhalte, teils durch abrupte Traditionsbrüche bestimmte Charakter in Verbindung mit einer modernistisch und kommerziell genutzten Kommunikationsstruktur prägte das Weimarer Geisteslebens. Dies ist das Thema der beiden umfassendsten Untersuchungen zur Kultur von Weimar von Peter Gay (261) und Walther Laqueur (271). Nach ihnen besteht das Dilemma der avantgardistischen „Außenseiterkultur“ von Weimar in ihrem gegenüber der Vorkriegszeit eingetretenen Rollenwechsel. Vor 1914 weitgehend Protestkultur, übernahm sie für die von Siegfried Kracauer (246) entdeckte und beschriebene „Angestelltenkultur“ nun akklamative Aufgaben. Dies gelingt im Falle der Architektur. In anderen Bereichen nicht. Das kritische Urteil über die „Weimarer Kultur“ steht und fällt mit ihrem Erfolg oder Misserfolg bei der Wahrnehmung einer solchen Tradition, Avantgarde und wirtschaftliche Anforderungen materiellen Kulturkonsums verbindenden Mittlerrolle. Wolfgang Sauer (280) hat zu Beginn der siebziger Jahre diese Situation aus einer etwas anderen Perspektive mit der Formel „Experiments in Modernism“ bezeichnet. Für ihn waren Merkmale dieses Modernismus eine veränderte Position des Künstlers, der, ursprünglich Teil des Bildungsbürgertums, nun zum unabhängigen gesellschaftlichen Außenseiter mit allen Folgen für seine wirtschaftliche Existenz wird. Die sich konstituierende Avantgarde steht in einem kritischen Verhältnis zur beherrschenden Idee des 19. Jahrhunderts, der Idee des Fortschritts. Damit bringt sie sich in einen nachhaltigen Gegensatz zur technischen und wissenschaftlichen Intelligenz und der von dieser beeinflussten Gesellschaft. Auf diesem Wege wird die Avantgarde von der modernen Wertkrise erfasst. Anstelle eines hierarchischen Wertsystems tritt ein pluralistisches. Das Naive, Primitive, das Irrationale, Emotionale und Ekstatische wird zur ästhetischen Kategorie. Künstlerische Autonomie rangiert vor gesellschaftlicher Akzeptanz. Neuartige künstlerische Produktionen entwerten traditionelle Kommunikationsmittel wie Sprache und Bild. Als Ersatz wird ein subjektivistisches Vokabular von Symbolen und Chiffren entwickelt. Solches Vorgehen trägt experimentelle Züge, die nicht immer in der gesellschaftlichen Realität Bestand haben. Vor wie nach dem Krieg steht der Modernismus zum historisch-gesellschaftlichen Kontext in höchst konfliktreicher Beziehung. Gegen einen solchen Modernismus-Trend steht in Weimar der von den Bildungseliten getragene antimodernistische Traditionalismus. c) Zur Bedeutung des Anti-Modernismus von Weimar Wie hat die kulturgeschichtliche Forschung im Laufe von dreißig oder vierzig Jahren dieses Auseinanderdriften von kultureller Entwicklung und ideologischreflexiver Begründung interpretiert? In einem ersten Schritt hat sie nach den geistesgeschichtlichen Gründen dieser Differenzen gefragt. Es ist nicht verwunderlich, dass dabei in den sechziger und siebziger Jahren die Geistesgeschichte, traditionell bei der konservativen Geschichtswissenschaft angesiedelt, mit Erklärungen über das Zurückbleiben des ‚Zeitgeistes‘ hinter dem Weimarer
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Tradtion und Avandgarde vermittelnden Grundkonsens zum Zuge kam. Doch bereits zu Beginn dieses Klärungsprozesses sah die Geistesgeschichte ihr Deutungsmonopol von der politikwissenschaftlichen Ideengeschichte in Frage gestellt. Noch vor Veröffentlichung der Untersuchung des Politikwissenschaftler Kurt Sontheimer (282) über das „Antidemokratische Denken in der Weimarer Republik“ nahm der Historiker Walter Bussmann (251) in Kenntnis von Teilergebnissen Sontheimers die Jahresversammlung der Historiker zum Anlass, die Heroen des Weimarer Geistesleben vor ihrer Verdammung als „Väter des Nationalsozialismus“ gegen die Politikwissenschaft in Schutz zu nehmen. Bussmann musste eingestehen, dass es mit der Breitenwirkung von zur Republik bekehrten „Vernunftsrepublikaner“ wie Ernst Troeltsch, Friedrich Meinecke, Hugo Preuß, Max Weber und Friedrich Naumann nicht weit her war. Die bürgerliche Jugend suchte sich andere Idole. Sie erreichte der optimistische Kulturliberalismus der politisch-historischen Pädagogik der Sechzigjährigen nicht. Jenes andere Denken bestand aus einem Sammelsurium konservativer Ideen, das mit einem Wort des neuromantischen Dichters Hugo von Hofmannsthal als „Konservative Revolution“ bezeichnet wurde. Wenn man nach einem roten Faden in diesem vielgestaltigen Konstrukt sucht, so findet man ihn in der Ablehnung des der Weimarer Republik zugrunde liegenden liberal-fortschrittsbewussten Denkens. Sontheimers ‚Verdammung‘ von Oswald Spengler, Arthur Moeller van den Bruck und anderen suchte Bussmann durch eine individualisierend-historisierende Differenzierung abzuschwächen. Damit befand er sich nicht nur in krassem Gegensatz zum Vorgehen eines forschen Ideengeneralisten wie Sontheimer, sondern auch im Widerspruch zu prominenten Zeitgenossen wie dem Philosophen Helmut Kuhn (270): „Die Jahre der Republik“, schreibt dieser, waren die Bühne, „auf der längst Vorbereitetes ins Rampenlicht trat und zu agieren anfing“. Kuhn nimmt dabei Bezug auf die nicht nur von ihm beobachtete Zeitverschiebung von kultureller und politisch-gesellschaftlicher Entwicklung, eine Beobachtung, die der weit links stehende Philosoph Ernst Bloch mit der später oft bemühten Formel von der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ bezeichnet hat. Nach Kuhn stieß die Begründung der liberal-parlamentarischen Demokratie bei Philosophen und Theologen bestenfalls auf „kritische Distanz“. Martin Heidegger disqualifiziert den kulturoptimistischen Liberalismus der „Weimarer Kultur“ und schätzte ihn gering. Solche Kritik auf konservativer Seite sollte sich mit der kritischen Wahrnehmung von so unterschiedlichen Geistern wie dem religiösen Sozialisten Paul Tillich und den Marxisten wie Ernst Bloch und Karl Korsch berühren (281). In der nationalkonservativen Tradition verbanden sich fundamentalkritische Urteile mit unzeitgenössischen, kulturpessimistischen Anschauungen – wortreich vorgetragen und an Kulturzyklen der Weltgeschichte demonstriert von Oswald Spengler – und minderten die bürgerliche Akzeptanz der ‚Weimarer Kultur‘. In dieser Kritik kehrten Ideen der Dekadenzepoche der Jahrhundertwende wieder. Die Verwendung medizinischer Metaphern wie „kranker Volkskörper“ verweist auf eine in dieser Denktradition nie abgerissene Nietzsche-Rezeption (254, 257, 284).
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Kurt Sontheimer hatte in seiner Untersuchung alle konservativen Ideen generalisierend unter dem Rubrum „antidemokratisch“ zusammengefasst. Sein methodisches Vorgehen hatte nicht nur, wie wir sahen, den Widerspruch von Repräsentanten der konservativen Geistes-Geschichtswissenschaft erregt, sondern auch liberale, ihm im Ergebnis zustimmende Zeitgenossen, wie der deutschamerikanische Historiker Klaus Eppstein (255), hatten an ihm Anstoß genommen. Eppstein vermisste bei Sontheimer die „soziologische“ Beweisführung seiner Thesen, mit deren Hilfe erst die wichtige „Breitenwirkung der antidemokratischen Ideen“ verdeutlichen werden konnte. Weder Bussmanns noch Eppsteins Kritik konnten den Erfolg von Sontheimers Buch mindern. Kein anderes Werk hat mit seinen Urteilen das Bild von der „antidemokratischen Weimarer Kultur“ in der Forschung nachhaltiger geprägt. Sontheimers Diktum: Weimar bringe keinen qualitativen Neuanfang, keine geistige Erneuerung, es mangele an demokratischer Kultur, es fehle der Wille zum Konsens, die politische Kultur konstituiere sich durch Gegensätzen, das Originelle entstehe aus der Spannung der Gegensätze, das Irrationale sei das „Signum der Zeit“. Der kulturgeschichtlichen Forschung der achtziger und neunziger Jahre blieb es vorbehalten, die von den Kritikern Sontheimers angemahnte Differenzierung und Konkretisierung anlässlich der Untersuchung der „Konservativen Revolution“ in den Diskurs zurückzuführen. Die von Bussmann vor totalitärer Inanspruchnahme in Schutz genommene, von Kuhn und Sontheimer aber als Kampfbegriff benutzte „Konservative Revolution“ verdankt dabei ihre Wiederbelebung als positive Bestimmung dieses Denkens dem philosophischen Schriftsteller Armin Mohler (273). Doch die dabei von ihm vorgenommene Operationalisierung und als Epochenbegriff hyperstasierte Begrifflichkeit hat den entschiedenen Widerspruch der Forschung hervorgerufen. So hat der Soziologe und Politologe Stefan Breuer (249) aufgrund eigener Forschungen prinzipielle Zweifel an der Seriosität dieses Ideensynkretismus geäußert und seine wissenschaftliche Verwendbarkeit bestritten. Nach Breuer taugt die entwickelte Begrifflichkeit nicht für den ihr von Mohler zugedachten Zweck der Erfassung konkreter historischer Wirklichkeit. Mit seinem Einwand gegen die Forschung zur „Konservativen Revolution“ verbindet Breuer eine prinzipielle Kritik am Konservatismus als gedankliche und gestalterische Kraft der Zwischenkriegszeit. Nach ihm befindet sich dieser Konservatismus in einem grundsätzlichen Dilemma, weil er sich geschichtlich vom Prozess gesellschaftlicher Modernisierung abgekoppelt hat. Er besitzt weder Einsichten in die Natur des modernen Staates als „Maschine zur Organisation von Macht“, noch solche in die moderne Gesellschaft. Für den Konservatismus ist der Staat nach wie vor „Inkarnation der Allgemeinheit“, die Gesellschaft „Erscheinungswelt des Sittlichen“. Nach Breuer ist der Konservatismus mit diesen Einsichten auf der Stufe der einfachen Modernisierung, die zur Bildung der klassischen bürgerlichen Gesellschaft geführt hatte, stehen geblieben. Den Prozess „reflexiver Modernisierung“ (Breuer), in dem der Staat zur „Maschine“ und die Gesellschaft zu „einer Welt von Zusammenbrüchen und Krisen“ wird, hat der Konservatismus von Weimar nicht zur Kenntnis genommen und ist damit nicht auf der „Höhe der Zeit“.
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Nun mag eine wissenschaftliche Beweisführung noch so stringent sein, sie ist nicht dagegen gefeit, dass von ihr bereits widerlegte Argumente in neuer Gestalt auferstehen. Frei von solchen Zweifeln liest sich die Untersuchung des englischen Germanisten Roger Woods (290). Er spricht zwar auch von einem „konservativen Dilemma“, meint aber damit die dem Weimarer Konservatismus vorenthaltenen politisch-staatlichen wie gesellschaftlich-kulturellen Gestaltungsmöglichkeiten. Alle Stärken und Schwächen bei der Herstellung oder Auflösung von Beziehung zwischen Konservatismus und Nationalsozialismus zeigt der 1993 von dem amerikanischen Historiker und Kenner der deutschen Zeitgeschichte Larry E. Jones herausgegebene Sammelband zu diesem Thema (51). d) Rationalität und Modernität der Weimarer Kultur Sowohl Eppstein als auch Sontheimer waren, unabhängig von ihrem Methodenstreit, fixiert auf einen „deutschen Nationalismus“ als Phänomen der Gesamtgesellschaft der Zwischenkriegszeit, dessen Gefährlichkeit im umgekehrten Verhältnis zu seiner Rationalität stand. Die neuere Forschung hat einem solchen, aus dem Vorwurf übersteigerten Nationalismus‘ abgeleiteten Rationalitätsdefizit der Weimarer Kultur widersprochen. Sie hat dies in einem Kernbereich der deutschen Gesellschaft, der Wirtschaft, und in Verbindung mit der Person von Eugen Schmalenbach (1873–1955) getan. Als Kölner Universitätslehrer für Betriebswirtschaft verband Schmalenbach nach dem Ersten Weltkrieg die in Amerika gemachten Rationalisierungserfahrungen mit eigenen Gedanken und Erfahrungen einer rationalen und erst deshalb menschenwürdigen Arbeitsplatzgestaltung. Früh waren in den USA die von Deutschland unternommenen Rationalisierungsbemühungen registriert worden. Denn nicht nur die Theorie, wie im Falle Schmalenbachs, wurde in Deutschland gepflegt. Auch in der Praxis – bei einem rationellen Einsatz von Maschinen z. B. im deutschen Bergbau, bei der Gestaltung von Produktionsabläufen und Bürotätigkeiten – war es, als Substituierung der nach 1918 steigenden Lohnkosten, nach Modernisierungsanstrengungen zu deutlichen Produktivitätssteigerungen gekommen (267, 272). Diese „Technokratiebewegung“ ist in den letzten Jahren von Stefan Willeke (288) und der Amerikanerin Mary Nolan (274) untersucht worden. Mary Nolan hat dabei dokumentiert, dass dieser auf einer breiten technisch-rationalen Grundlage realisierte Modernisierungsprozess nicht eindimensional und ohne Widerstände (“zu hohe Kosten“, „Menschen contra Maschine“) abgelaufen ist. Nach ihr und Thomas Rohkämper (277) hat Deutschland dabei das amerikanische Beispiel nicht unreflektiert nachgeahmt, sondern partiell adaptierte Rationalisierung mit einem eigenen Technikverständnis zu einer „anderen Moderne“ verbunden. Wenn sich auch auf diesem Wege in Deutschland nicht alle mit der Rationalisierung verbundenen Hoffnungen, wie sie etwa durch die Gründung des „Reichskuratorium für Wirtschaftlichkeit (RKW)“ und des „Deutschen Instituts für Technische Arbeitsschulung“ (Dina) zum Ausdruck kommen, erfüllt haben, so hat der weltweit wirksame wirtschaftliche Rationalisierungstrend vor
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allem in Deutschland nachhaltige Spuren hinterlassen, weil er hier an eine nachweisbar hohe Technikakzeptanz in der Gesellschaft (Amerikabesuche von Gewerkschaftlern) anknüpfen konnte. Was Nolan als nicht erreichte Zielmarke charakterisiert und Rohkämper als eine geglückte Symbiose tradierten deutschen Technikverständnisses in Verbindung mit der Adaption amerikanischer Vorbilder bewertet, hat der amerikanische Soziologe Jeffry Herf (263) als „Reactionary Modernism“ auf den Begriff gebracht. Mit ihm wird die Tradition dieses Weimarer Technikrationalismus bis hinein in die NS-Zeit bezeichnet. In den neunziger Jahren hat die Kulturgeschichtsschreibung in Analogie zum „social change“ den Begriff „culture change“ übernommen und in Verbindung mit dem Prozess der „Cultural Transformation“ zu einem neuen Forschungsansatz über Ursachen und Formen kultureller Wechsel verbunden: „The reevaluation of culture in terms of political, social, and economic factors is leading to an increasingly innovative integration of economic and political models in analyses of culture and – to a much flannted or much feared – culturalization of history“ (252). Aus dieser Sicht waren im Modernisierungstrend nachweisbare dramatische oder weniger dramatische Übergänge und Überschneidungen von „hight culture“ und „massculture“ leichter als vorher zu erklären. In der neu entstandenen „Alltagskultur“ wurden Mythen, Formen der angewandten und freien Ästhetik (286), entdeckt, welche die soziale, ökonomische und politische Befindlichkeit kultureller Eliten widerspiegelten (285). Nur noch bedingt ist man dabei auf Anleihen bei der marxistisch inspirierten Kultursoziologie, die über Jahre die konkrete Forschung zur Weimarer Kultur beherrscht hat, angewiesen (John Wilett, 289). Mit der Verwendung des Modernisierungstheorems aber ist ein Schritt vollzogen worden, von dem Gerald Feldman (256) spöttisch-skeptisch meint, er gleiche der Besteigung eines Berges im Nebel. Der Weg ist gefährlich und der Bergsteiger lebt von der Hoffnung auf einen freien Blick vom Gipfel. Der umfassendste Versuch, die Jahre der Weimar Republik als Modernisierungsprozess zu interpretieren, stammt von dem Soziologen Detlev Peukert (275). Die kritische Auseinandersetzung mit seinem „Essay“, wie der Autor seine Ausführungen nennt, ist schwierig . Die in seinem Sinne geordneten Forschungsbefunde werden in einem schwer überprüfbaren Sinne in einen schlüssigen Argumentationszusammenhang gestellt. Widersprüchliches, dem unterstellten Prozess Zuwiderlaufendes – nach Peukert „Ergebnis innerer Spannungen“ – dokumentiert allenfalls Momente einer „verstörten Modernisierung“ (S. 16).
4. Juden und Antisemitismus in Deutschland vor 1933 a) Jüdische und deutsche Geschichte und Geschichtsschreibung Hat es eine bestimmte Wahrnehmung des ‚Juden‘ in der deutschen Gesellschaft der Zwischenkriegszeit gegeben, aus der man einen speziellen Weimarer Antisemitismus als Vorläufer der Judenverfolgung nach 1933 folgern könn-
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te? Bei der Beantwortung dieser Frage wird die fachliche Zuständigkeit der Zeitgeschichtsforschung in mehrfacher Hinsicht überschritten. Fragen nach der Rolle von Juden als ethnische Minderheit in einer weitgehend homogenen deutschen Gesamtgesellschaft kann nur eine Minderheitenforschung beantworten (292, 311). Der Blick auf die Tradition der Ausgrenzung bringt den Antisemitismus als Bestandteil einer allgemeinen deutschen Geschichte ins Spiel. Die moderne, aus Amerika kommende Vorurteilsforschung überantwortet die Suche nach den Gründen des Antisemitismus in die Zuständigkeit der Politologie (301). „Judenfeindlichkeit“ als Krisensymptom der spätbürgerlichen Gesellschaft gehört schließlich in den Themenkatalog moderner soziologischer und sozialpsychologischer Forschung. Die Reaktion der Betroffenen auf eine solche breit gefächerte Problematisierung jüdischer Existenz führte schließlich in der jüdischen Geschichtsschreibung nach Aufkündigung einer gemeinsamen deutsch-jüdischen Geschichte zum ‚Erfinden‘ einer jüdischen Minderheitentradition in Deutschland (324). Ende der achtziger Jahre glaubten Bergmann und Wetzel bei der Durchsicht der anschwellenden Flut moderner Ortsgeschichten vom Typ „Die Juden in …“ ein Muster zu erkennen, nach welchem das Kaiserreich und die NS-Zeit ausführlich untersucht werden, die Weimarer Republik aber auf wenigen Seiten abgehandelt wird (14). Solche Beobachtungen bestätigt eine Durchsicht jüdischer Erinnerungsliteratur, sowohl die so prominenter jüdischer Persönlichkeiten wie Victor Klemperer, Norbert Elias, Reinhard Bendix, Gershom Scholem und anderer als auch der Dokumentationen kollektiver Erinnerungen d. h. einzelner jüdischer Gemeinden vor 1933. Dem klaren Blick auf die Defizite der Geschichtsschreibung über Juden, verursacht nicht zuletzt durch den eingeschränkten Erinnerungs- und Quellenwert jüdischer Memoiren für weitergehende wissenschaftliche Fragestellungen, verbunden mit einer deutlichen Kritik jüdischer Historiker an den Leistungen deutscher Zeitgeschichtsschreibung (“Jewish history will continue to be an open wound in the flesh of German historiography“) verdankt die neuere sowohl jüdische wie deutsche Forschung zu Themen wie Juden und Antisemitismus ihre wichtigsten Impulse (328). Doch die Geburtsstunde einer so getrennten Forschung liegt, wie ein Blick auf die Geschichte ihres institutionellen Rahmens deutlich macht, viel früher. Bereits kurz nach Ende des Krieges erfolgte mit der Gründung des Leo-BaeckInstituts in London mit Dependancen in Jerusalem und Tübingen der erste Schritt. In den von ihm herausgegebenen Year Books sowie in der „Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo-Baeck-Instituts“ werden bis heute die Ergebnisse der Forschertätigkeit veröffentlicht. Das „Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte“ bildet eine weitere wissenschaftspublizistische Plattform. Die deutsche Geschichtsforschung zum Judentum hat mit zeitlicher Verspätung die eingetretene Trennung von jüdischer und deutscher Judenforschung rezipiert. Seit den neunziger Jahren erscheint „Menora“, Jahrbuch für deutsch-jüdische Geschichte. Zur besonderen Pflege jüdischer Geschichte und Kultur wurden eine Reihe von Lehrstühlen an deutschen Universitäten (z. B. München, Leipzig) eingerichtet. Eingedenk der oben zitierten Mahnung sowie
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der von jüdischen Historikern vertretenen Auffassung, dass die Erforschung des Antisemitismus kein Thema der jüdischen, sondern eines der deutschen Geschichtswissenschaft sei, reagierte die deutsche Zeitgeschichtsforschung mit der Gründung des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden (Hamburg), des Zentrums für Antisemitismusforschung (Berlin), des Moses Mendelssohn Zentrums (Potsdam) und gliederte 1988 der Berliner Gedenkstätte des Deutschen Widerstandes eine jüdische Abteilung an. Ohne Zweifel ist die Separation von jüdischer und deutscher Zeitgeschichtsforschung der Intensität und Breite der Forschungstätigkeit zugute gekommen. Trifft dies auch für die Erforschung der Lage der Juden und der verschiedenen Formen von Judenausgrenzung und Judenfeindlichkeit in der Weimarer Republik zu? b) Juden als Teil der Weimarer Gesellschaft Wie bei anderen Themen der deutschen Zeitgeschichte stehen auch Fragen nach der Entstehung des jüdischen Minderheitenstatus und des Antisemitismus der Jahre 1918 bis 1933 im Schatten des Deutschen Kaiserreichs, d. h. im Schnittpunkt von Traditionslinien des 19. Jahrhunderts. Die judenfreundliche Gesetzgebung des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches hatte die Assimilation der deutschen Juden gefördert und es ihnen um den Preis eines Verlustes religiöser Traditionen ermöglicht, eine ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage angemessene gesellschaftliche Stellung im Kaiserreich zu erlangen. Die politische Konstellation 1918 und die liberale Verfassung ließen eine Fortsetzung dieser jüdischen Emanzipationsbewegung erwarten. Das Auftreten jüdischer Politiker in der Öffentlichkeit wurde sowohl von den Betroffenen selbst als auch von weiten Teilen der Gesellschaft als Fortsetzung der im Kaiserreich begonnenen Entwicklung verstanden und akzeptiert. Nur aus denjenigen Teilen der Weimarer Gesellschaft, die sich, national-konservativ gesinnt, aus innen- und außenpolitischen Gründen dem republikanischen Konsens verweigerten, kamen Signale, die mittel- und langfristig einen weiterführenden Ausgleich von jüdischer Minderheit und Gesamtgesellschaft erschweren sollten. Die Führer der deutschen Juden haben das erkannt und alles unternommen, um gegen zu steuern. Doch nicht nur von dieser Seite drohten Schwierigkeiten. Dem 1893 gegründeten „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“, der gegen das Umsichgreifen zionistischer Agitation unter den deutschen Juden Stellung bezog, fiel nach 1918 eine doppelte Aufgabe zu. Die in ihm organisierten 60 000 deutschen Juden sahen sich neben den deutschnationalen nun zusätzlich von zionistischen Eiferern bedrängt. Gegen die Agitation beider sollte die Gründung des „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten“ einen Riegel vorschieben. Die Kritik an den Juden im öffentlichen Leben der Republik erhielt mit der Zunahme des Anteils der jüdischen Bevölkerung im Reich neue Nahrung. Nach der Volkszählung aus dem Jahre 1925 wohnten in dem verkleinerten Deutschen Reich 564 379 Juden. Das waren knapp 3% der deutschen Bevölkerung. Davon lebten allein 172 700 in Berlin. Über die sogenannten Mischlinge
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machte die Statistik keine Angaben, es ist aber anzunehmen, dass sich auf diese Weise die Zahl noch einmal geringfügig erhöht hätte. In den Reihen der Linken profilierten sich Juden wie Ludwig Haas und Georg Bernhard in der DDP oder Oskar Cohn, Stadtverordneter in Berlin vor dem ersten Weltkrieg und seit 1918 prominentes Mitglied der USPD; Wolfgang Heine, Justizminister in der preußischen Revolutionsregierung 1919–1920 und preußischer Innenminister 1923 bis 1925, Mitglied des Staatsgerichtshofes und langjähriger Reichstagsabgeordneter der SPD; Otto Landsberg, Mitglied im Rat der Volksbeauftragten, Angehöriger der deutschen Friedensdelegation in Paris, 1919 Reichsjustizminister im Kabinett Scheidemann und Rechtsexperte der SPD-Fraktion im Reichstag und Parteivorstand; Bernhard Weiß, 1927 bis 1932 stellvertretender Polizeipräsident in Berlin – um nur einige zu nennen. In der Wirtschaft erlangten die jüdischen Verleger Mosse und die Gebrüder Ullstein mit ihren überaus erfolgreichen Buch- und Zeitungsimperien, Bankiers und Finanzexperten wie Carl Melchior und Jakob Goldschmidt, Industrielle wie Paul Silverberg und Walther Rathenau Bedeutung. Zusammen mit Größen der Kultur- und Unterhaltungsszene wie Max Reinhardt, einflussreicher Theatermann, Richard Tauber und Fritzi Massary, viel gelesenen Schriftstellern wie Jakob Wassermann und Franz Werfel, dem mit offiziellen Ämtern und Ehrungen überhäuften Maler Max Liebermann, gesuchten Modearchitekten wie Erich Mendelsohn, dem Arzt und Psychoanalytiker Magnus Hirschfeld, Gründer und Leiter des Berliner Instituts für Sexualwissenschaft, und den Naturwissenschaftlern Gustav Hertz und Albert Einstein stellten Juden einen Teil der neuen republikanischen Elite (298, 305). Aus der Feder des deutsch-jüdischen Historikers George L. Mosse (313) stammt eine einflussreiche Studie zur Rolle jüdischer Intellektueller in der Weimarer Republik. Eng damit zusammen hängt die Beobachtung der besonderen Rolle, welche Juden bei der revolutionären Entstehungsgeschichte der Republik von Weimar spielen sollten (304, 308). Sowohl aus der Perspektive der Weimarer Revolutionsgeschichte als auch aus der eines besonderen Weimarer Antisemitismus erhält dabei die Zuordnung einzelner jüdischer Persönlichkeiten zum aktiven Handlungspersonal der Ereignisse eine besondere Bedeutung. In beiden Fällen gehören sie in den Augen des nationalistischen Teils der Weimarer Gesellschaft zusammen mit der SPD in die Gruppe der „Vaterlandsverräter“ und „Novemberverbrecher“ (296). Bereits dieses Verständnis der Juden als einer von neuerlicher Ausgrenzung aus dem nationalen Konsens von Weimar bedrohten Gruppe hat eine Vorgeschichte. Um dem verbreiteten Vorurteil über den geringen Anteil der Juden am Krieg entgegenzuwirken, hatte die deutsche Heeresleitung 1916 eine amtliche Zählung jüdischer Soldaten und Offiziere des aktiven Dienstes durchgeführt. Obwohl die Ergebnisse allen Unterstellungen zum Trotz eine angemessene Beteiligung der Juden an den nationalen Kriegsanstrengungen dokumentierten, belebte das Wirken jüdischer Persönlichkeiten in der deutschen Revolution und in den ersten Nachkriegsjahren das alte Vorurteil fehlenden Patriotismus. In der Inflationszeit wurde der jüdischen Minderheit
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eine besondere Rolle als „Schieber“ und „Inflationsgewinnler“ zugewiesen. Das bleibt nicht ohne Folgen. In Berlin kommt es im November 1923 im sogenannten „Scheunenviertel“, bevorzugtes Quartier der ostjüdischen Hauptstadtbewohner, zu progromartigen Krawallen, wobei sich die Polizei, nachdem sie die Mitglieder der jüdischen Selbstschutzorganisation verhaftet hat, mehrere Tage Zeit für ihr Eingreifen lässt. Ein weiterer Befund trägt im öffentlichen Bewusstsein zur Charakterisierung der jüdischen Bevölkerungsgruppe als gesellschaftlich schwerer integrierbar als in der Vorkriegszeit bei. Es ist die bereits vor 1914 in Gang kommende Migrationsbewegung von Ostjuden (300). Nach Ausfall deutscher Arbeitskräfte in Polen angeworben und mit eingeschränktem Bleiberecht ausgestattet, nimmt ihre Zahl laufend zu. Ab 1910 steigt sie von 70 000 auf 108 000 im Jahre 1925 an. Zwar kehrte von den zwischen 1914 bis 1921 eingewanderten Ostjuden ein Großteil wieder in ihre alte Heimat zurück oder wanderte weiter nach Amerika, der verbleibende Rest aber ballte sich in Berlin. Das Selbstbewusstsein dieser neuen gesellschaftlichen Minderheit fand nicht nur in eigenen Organisationen seinen Ausdruck. Als geistig-religiöse Kraft prägte es jüdisches Denken und nahm etwa bei Schriftstellern wie Arnold Zweig und Alfred Döblin Formen eines Ostjuden-Kultes an. Seit den zwanziger Jahren bilden sie die Grundlage der „jüdischen Renaissance“ (Martin Buber) bei der Formung einer eigenständigen jüdischen Identität. Am Anfang dieser Entwicklung steht der Traditionsbruch und die Preisgabe eines deutsch-jüdischen ‚Erbes‘, mit dem „jüdische Deutsche ihre großen Hoffnungen mehr oder weniger verwirklichen konnten“. Nach der Entdeckung eines Deutschlands, welches durch zwei getrennte Kulturen gekennzeichnet war, in dem sich eine „deutsch-jüdische Symbiose“ als „Aberglaube“ (George L. Mosse) enthüllte, beschleunigte die Emanzipation des Ostjudentums mit seiner zionistischen Option das Auseinandertreten von jüdischer Teil- und deutscher Gesamtgesellschaft (314). Auf diesem Weg spielt das jüdische Wahlverhalten in Weimar die Rolle eines Indikators eingetretener Disaggregierung. Im Gegensatz zur älteren Forschungen aus den achtziger Jahren hat die detaillierte Analyse von Martin Liepach (309) große Klarheit gebracht. Hatten frühere Untersuchungen von Peter Pulzer (318) sich auf die Feststellung einer generellen Linksorientierung bei zunehmender Wahlenthaltung beschränkt (55% für SPD und 5% KPD), bringt Liepach den sinkenden Einfluss jüdischer Wähler eng mit dem Niedergang des Weimarer Linksliberalismus in Verbindung. Die Fusion der zu einer Splitterpartei herabgesunkenen demokratischen Staatspartei mit dem „Jungdeutschen Orden“ führte in einem Akt „strategischen Wahlverhaltens“ (dokumentiert in Wahlanalysen und Wahlempfehlungen) zu einer bewussten Zuwendung jüdischer Wähler zu SPD und Zentrum. Anzeichen für eine früher unterstellte, nur fatalistisch zu deutende Wahlenthaltung findet der Autor nicht. Eine weitere, sozial eigenständig konturierte Gruppe innerhalb der deutschen Juden waren die sogenannten Landjuden. Das war jener Teil der jüdi-
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schen Bevölkerung, der im Gegensatz zu der Mehrheit ihrer Glaubensgenossen in Dörfern oder kleinen Städten im engen Kontakt mit ihren christlichen Nachbarn lebten. Im Rahmen einer wissenschaftlichen Tagung des Leo-Baeck-Instituts in der Bundesrepublik ist 1992 dieses wenig bekannte Kapitel jüdischer Geschichte zum Thema erhoben worden (307). Dabei konnte, entgegen dem von der Forschung angenommenen allgemeinen Trend von der frühen Trennung deutscher und jüdischer Kultur, an dieser Gruppe noch einmal die „enge Verbindung von katholischem und jüdischem Milieu“ festgestellt und das konkrete Ausmaß einer „deutsch-jüdischen Symbiose“ beschrieben werden. Die Entstehungsgeschichte der Republik sowie die herausgehobene Rolle, die einige jüdische Politiker in dem neuen Staatswesen spielen sollten, haben in Verbindung mit den Ergebnissen einer im Krieg in Gang kommenden Migrationsbewegung osteuropäischer Juden zu einer besonderen Wahrnehmung der Juden in der Weimarer Gesellschaft geführt. c) Weimarer Antisemitismus Liegen die Ansätze eines Weimarer Antisemitismus in der Sozialgeschichte der jüdischen Minderheit in Weimar begründet? Der bereits erwähnten Auffassung jüdischer Historiker zum Trotz, dass das Thema Antisemitismus vor allem eine Aufgabe deutscher Zeitgeschichtsschreibung ist, stammen die ersten Untersuchungen zum Antisemitismus von jüdischen Autoren. Der jüdische Historiker Peter Pulzer (317), stark von Hannah Arendts Totalitarismusforschung beeinflusst, hatte 1964 als Erster eine übergreifende Studie zum deutschen Antisemitismus vorgelegt. Ihm trat George L. Mosse (314) bei, der den Antisemitismus als konstitutiven Bestandteil eines massenwirksamen Nationalismus deutete. Abhängig von der zeitgenössischen Totalitarismus- und Nationalismusdiskussion war diesen Analysen die Deutung des Antisemitismus als eines allgemeinen Symbols für reaktionäre und antimodernistische Gesellschaften gemeinsam. Eine stärker differenzierende sozialpsychologische Fragestellung verdankt die neuere Antisemitismusforschung einer Reihe von deutschen Historikern wie Werner Jochmann (302), Helmuth Berding (293), Bernd Weisbrod (327) und Reinhard Rürup (320). Nach ihren Erklärungen ist ein neuer, nicht religiös motivierter Antisemitismus eng mit der wirtschaftlichen und sozialen Krise der modernen kapitalistischen Gesellschaft verbunden und steht in einem inneren Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus. Mit solchen Interpretationsrahmen erweiterte die Forschung nicht nur die Ergebnisse von Pulzer und Mosse, sondern brachte sich in einen deutlichen Gegensatz zu historisierenden Antisemitismuserkenntnissen, denen kein Geringerer als Golo Mann (310) 1961 Ausdruck verliehen hatte. Mann konstatierte zwar eine aus dem 19. Jahrhundert stammende Antisemitismustradition, bestritt aber, dass der Antisemitismus Bedeutung für den Aufstieg des Nationalsozialismus hatte. Einer solchen Entkoppelung von Antisemitismus und Nationalsozialismus hat die moderne Antisemitismusforschung mit Recht entschieden widersprochen. Nach ihr gelten für die Forschung vier Axiome: Im Gegensatz zu älteren, ideen-
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geschichtlich akzentuierten Fragestellungen (etwa Golo Manns) muss die themenpluralistische Forschung zur antisemitischen Ideologie davon ausgehen, dass Antisemitismus keine ‚abgeleitete‘ Funktion hat (Totalitarismus/Nationalismus), sondern eine eigenständige Bedeutung besitzt und sich keineswegs allein auf materielle Interessen reduzieren und/oder als „Epiphänomen allgemeiner sozioökonomischer Krisen“ begreifen lässt. Der moderne Antisemitismus verbindet vielmehr Traditionen eines christlichen Antijudaismus mit unterschiedlichen Varianten (also auch rassischen) gesellschaftlicher Ausgrenzung. Die umfängliche Antisemitismusforschung hat einen solchen Katalog genutzt und sehr bald den nationalen Untersuchungsgegenstand zugunsten der Analyse regionaler und lokaler Milieus verlassen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse haben das Bild eines bis dahin unbekannten spezifischen Weimarer Antisemitismus entworfen und vervollständigt. Eines der Ergebnisse war die Feststellung, dass der Antisemitismus von Weimar im Vergleich mit dem der Vorkriegszeit ausgesprochen „terroristische Eigenschaften“ besaß. Dirk Walter (326) hat in seiner Untersuchung über die Judenausgrenzung in Weimar zwar auf das Fortwirken des Antisemitismus des Kaiserreiches hingewiesen, aber mit Blick auf die außerordentlich hohe Zahl judenfeindlicher Gewalttaten nach 1918 auf die Radikalisierung als neues Element der politischen Kultur aufmerksam gemacht. Schwieriger stellt sich für Sibylle Morgenthaler (312) der Zusammenhang von Tradition und Neuem im Weimarer Antisemitismus dar. Sie weist auf „Traditionsbrüche“ dieses besonderen Antisemitismus von Weimar hin. Till van Rahden (322) hatte 1998 in einem ersten Arbeitsbericht über seine Fallstudien die Stufen deutsch-jüdischer Disaggregation im Übergang vom Kaiserreich zu Weimar am Beispiel Breslau beschrieben und die dabei eintretenden qualitativen Veränderungen jüdischen Lebens bewertet. Weitere, wenn auch, wie wir sehen werden, eingeschränkte und zum Teil problematische Erkenntnisse über den neuartigen Antisemitismus der Zwischenkriegszeit verdanken wir hinzukommenden Untersuchungen antisemitischer Aktivitäten. Notger Hammerstein (299) hat 1995 in seiner Studie den Antisemitismus an deutschen Universitäten von 1871 bis 1933 analysiert. Heike Ströle-Bühler (321) und im Zusammenhang mit ihrer Arbeit über die Deutsche Burschenschaft Helma Brunck (295) haben den studentischen Antisemitismus von Weimar thematisiert. Kurt Nowak (315) hat den Antisemitismus des deutschen Kulturprotestantismus einer Prüfung unterzogen. Bilanziert man allerdings diese neueren Arbeiten zum antisemitischen Verhalten repräsentativer deutscher Bevölkerungsgruppen zwischen 1918 und 1933, so stellt man erstaunt eine Tendenz zur Marginalisierung antijüdischen Verhaltens fest. Hammerstein zum Beispiel, der von einer Gleichsetzung jüdischer und katholischer Diskriminierungserfahrung bei der Rekrutierung des akademischen Personals ausgeht, verharmlost den Antisemitismus an deutschen Hochschulen vor und nach 1918. Kurt Nowak dokumentiert die Abwehrmaßnahmen des Protestantismus gegen Judenfeindschaft etwa durch die Gründung des „Vereins zur Abwehr des Antisemitismus“,
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konzidiert Schwächen bei seiner Bekämpfung, möchte aber den aggressiven Antisemitismus protestantischer Prägung auf wenige herausgehobene Beispiele wie den Kulturphilosophen Wilhelm Stapel beschränken. Solchem Minimalismus im Urteil stehen Beobachtungen über den Wahlerfolg der NSDAP in rein protestantischen Gebieten des Deutschen Reiches entgegen, die sich nur mit der vom Protestantismus ausgehenden populistischen Wirkung antisemitischer Wahlpropaganda erklären lassen (301). Einen „rassisch begründeten Antisemistismus“ der organisierten Studenten wie ihn Ströle-Bühler und Brunck als Teil der politischen Universitätskultur der Zwischenkriegszeit beobachten, erfüllt offensichtlich angesichts der schwierigen Lage des akademischen Nachwuchses Ventilfunktion. Der studentische Antisemitismus Weimarer Prägung ist „multifunktional“ angelegt, d. h. er erfüllt gleich eine ganze Reihe von Funktionen. Sie reichen von der umfassenden Modernitäts- und Gesellschaftskritik bis hin zu Konkurrenz- und Existenzängsten wegen ‚Überflutung‘ der Universitäten und Hochschulen. Der neue „rassistische Antisemitismus“ bringt eine gefährliche Dramatisierung bekannter Ausgrenzungsstrategien gegenüber Juden hervor, manifestiert durch „Arierparagraphen“ und „Heiratsverbote“. Die deutsche Landwirtschaft und hier vor allem ihre Großorganisationen steuern ein weiteres Beispiel sowohl für die Fortdauer als auch für die neue Qualität des deutschen Antisemitismus der ersten Zwischenkriegszeit bei. Auch hier, vor allem gestützt und verstärkt durch den der DNVP nahe stehenden Reichs- Landbund, lebte eine antisemitische Vorkriegstradition in der Republik weiter fort. Je weiter man dabei nach Osten kam, um so wirkungsvoller unterstützte diese Ideologie die nationalistische Antistellung des Verbandes gegenüber Weimar. Ein letztes Thema in diesem Forschungskomplex ist der jüdische Widerstand. Gemeint ist damit einmal der Prozess der jüdischen kulturellen Selbstfindung, zum anderen ein politisch-gesellschaftlicher Absetzungs-Prozess bis hin zum Beginn eines aktiven Widerstands gegen das NS-Regime. Auf die ersten Anzeichen des Antisemitismus von Weimar reagierte die jüdische Minderheit durch stimmungsmäßiges Schwanken zwischen „Aufbruch und Reaktion“. Peter Pulzer (319) beschreibt das jüdische Selbstbewusstsein dieser Jahre als einen Wechsel „between Hope and Fear“. Dies ist sicher die Vorgeschichte dessen, was der deutsch-jüdische Historiker Arnold Paucker (206) Anfang der sechziger Jahre als Beginn des jüdischen Widerstandes bezeichnet hat. Anlässlich der Besprechung des von Wolfgang Benz u. a. herausgegebenen Sammelbandes über das „Jüdische Leben in der Weimarer Republik“ (306) hat der israelische Historiker Moshe Zimmermann (328) das Fehlen einer neueren Darstellung zur Geschichte der Juden in der Weimarer Republik beklagt. Eine solche Geschichte müsste alle Zusammenhänge und Brüche in den Beziehungen der jüdischen Minderheit gegenüber der Gesamtgesellschaft aufklären. Oded Heilbronner (301) hat auf die Schwierigkeiten eines solchen Unterfangens hingewiesen: „Even in the Weimar period it is hard to discover a direct
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line leading to the mass extermination of the Jews years later.“ Solche Erkenntnisse lassen den Schluss zu, dass noch nicht alle Defizite der Forschung zum Thema Juden und Antisemitismus zur Zeit der Weimarer Republik beseitigt worden sind und dass der Fragenkatalog der Forschung nach einer auf Kenntnis der jüdischen Sozialgeschichte beruhenden differenzierten Darstellung des speziellen Weimarer Antisemitismus keineswegs abgearbeitet ist. Ausgehend von einer kritischen Würdigung der Gleichsetzung von ‚Weimar‘ und ‚Moderne‘ (Peter Gay, Walther Laqueur ) hat der englisch-amerikanische Historiker Michael Brenner (294) einen Teilaspekt dieses Problems behandelt, indem er die Rolle jüdischer Künstler, den Anteil „jüdischer Kultur“ an der Weimarer Kultur untersucht hat. Er besteht nach ihm in „Authentizität“, „Wissenschaft vom Judentum“ und „Popularisierung“ jüdischer Kultur, also in einem Nischenbeitrag. Einen im Gegensatz dazu deutlich umfassenderen, wenn auch regional beschränkten Ansatz verfolgt der bereits erwähnte junge deutsche Historiker Till van Rahden (323). In seiner nun abgeschlossenen Untersuchung über das deutsch-jüdische Zusammenleben in Breslau im Zeitraum von 1860 bis 1925 richtet er den Blick auf die Zäsur 1916. Ab diesem Jahr datiert die Krise deutsch-jüdischen Zusammenlebens in der Stadtgesellschaft. Ihr wichtigstes Kennzeichen ist der umfassende Verlust an traditioneller Bürgerlichkeit. Rahden beharrt im Widerspruch zu der neuen Antisemitismusforschung auf der Existenz und der Wirksamkeit einer reichen, alle gesellschaftlichen Erscheinungsformen des bürgerlichen Lebens bis hin zur Ehe zwischen Juden und Nichtjuden umfassenden gemeinsamen deutsch-jüdischen Bürgertradition. Sie endet bereits weit vor 1933. Nach solchen Ergebnissen scheint der unter Einbeziehung der Kriegszeit sich ausbildende spezielle Weimarer Antisemitismus seiner besonderen Rolle als Vorbereiter des Holocaust gerecht zu werden.
5. Der Streit um den Mittelstand a) Mittelstand und Nationalsozialismus Jede sozialgeschichtliche Analyse von hoch entwickelten europäischen Gesellschaften der Zwischenkriegszeit muss sich durch eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Rolle sozialer Mittelschichten ausweisen. Die Bedeutung des mit dem pauschalisierenden Begriff ‚Mittelstand‘ bezeichneten Teils der Gesamtgesellschaft steht dabei in einem umgekehrten Verhältnis zu unserem Wissen über ihn. Sozialökonomisch ist er wegen der differenzierten wirtschaftlichen Tätigkeit seiner Mitglieder im Vergleich mit der anderen Großgruppe, der Arbeiterschaft, deutlich uneinheitlicher konturiert. Der soziale Habitus mittelständischer Gruppen ist unübersichtlich, politische Optionen schwankend, sozialpsychologisch, wegen ihrer sensiblen Reaktion auf wirtschaftliche Konjunkturen, sind diese Gruppen abrupt wechselnden Integrations- bzw. Desintegrationskräften unterworfen. Aufgrund solcher Gegebenheiten bleibt ohne
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gleichzeitige Einbeziehung der Ergebnisse historischer Mittelstandsforschung auch jede zeitgeschichtliche Untersuchung der Weimarer Republik unvollständig. Dabei fällt sofort eine Besonderheit auf. Auffälligstes Merkmal des historischen Auftretens von Mittelschichten nach dem Ersten Weltkrieg ist ihre Nähe zum Faschismus. Verallgemeinert man eine solche Beobachtung, dann kann man sagen, dass mittelständische Gruppen zu einer bedeutenden einflussreichen „geschichtsmächtigen Kraft“ sowohl für das Schicksal liberaler Parteien als auch einer parlamentarisch-demokratischen Regierungspraxis werden können (331, 341). Voraussetzung für eine forschungsmäßig angemessene Erfassung dieser historischen Funktion des Mittelstandes war die Gewinnung einer fächerübergreifenden, verbindlichen und operationalisierbaren Definition des Gegenstandes, mit deren Hilfe sozialgeschichtlich gesicherte Erkenntnisse über die Wirkung dieser Gruppe gewonnen werden konnten. Bei der Lösung dieser schwierigen Aufgabe hat die historische Mittelstandsforschung Anleihen bei den großen Gesellschaftsentwürfen der amerikanischen Soziologen in den vierziger und fünfziger Jahren gemacht. Um gravierende Abweichungen von seinem Demokratiemodell zu demonstrieren, hatte Talcott Parsons einen historischen Exkurs in die moderne deutsche Zeitgeschichte unternommen (346). Das Scheitern des ersten Demokratieversuchs in Deutschland 1933 führte er auf das Überhandnehmen „tiefverwurzelter romantischer Tendenzen in der deutschen Gesellschaft“ und deren Mobilisierung „im Dienste einer aggressiven politischen Bewegung“ zurück. Bei seinem historischen Exkurs hatte Parsons von einem „Sonderweg“ der Deutschen in die Moderne aufgrund ihrer „vormodernen“ Mentalität gesprochen. Kein Ergebnis der führenden amerikanischen Sozialwissenschaften sollte für die deutsche Geschichtswissenschaft größere Folgen haben: der Mittelstand – sozialstatistisch größte Gruppierung der deutschen Gesellschaft –, Antimodernismus und Faschismus wurden entwicklungsgeschichtlich fest verbunden. Die Aufgabe zeitgeschichtlicher Forschung bestand darin, die gesellschaftliche, politische und kulturelle Wirkung solcher „vormoderner“ Mentalitäten unterschiedlicher Mittelstandsgruppierungen zu untersuchen und ihre Nähe zum Faschismus plausibel zu erklären. Beispielhaft hatte das, ohne übertriebene terminologische Skrupel zu zeigen, Seymour M. Lipset in den fünfziger Jahren mit seinen Erläuterungen der Gründe, die den Aufstieg des deutschen Faschismus ermöglicht hatten, getan (344). Nach ihm erlangt der Nationalsozialismus als „Faschismus der Mitte“ erst dann seine historische Bedeutung, als er eine enge Verbindung mit den „middle classes“ einging. Dabei sah Lipset diese Verbindung in Abhängigkeit zum Liberalismus, da faschistische und mittelständische Forderungen mit solchen des politischen Liberalismus übereinstimmten: Kritik an der modernen industriellen Gesellschaft. Als Beweis für diesen Vorgang wurde die Koinzidenz des Aufstiegs des Nationalsozialismus und des Niedergangs der liberalen Parteien in Deutschland angesehen. Reinhard Bendix, amerikanischer Soziologe und Erforscher des Faschismus, sprach zwar nicht von „Mittelstand“, meinte ihn aber,
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wenn er seinerseits den Aufstieg des Nationalsozialismus durch ein massentheoretisches Erklärungsmodell plausibel zu machen suchte und in diesem Prozess den mittelständischen Gruppen eine herausgehobene Rolle zuwies (329). Nach ihm verdankte Hitler seine Wahlsiege der Radikalisierung unpolitischer, in ihrer Klassenloyalität verunsicherter Wechselwähler, in der Masse orientierungslose Repräsentanten mittelständischer Gruppen. Bendix Erklärungen waren mit einer entschiedenen Kritik des schichtenspezifischen Ansatzes seines Fachkollegen Lipset verbunden und sollten großen Einfluss auf die Totalitarismusforschung gewinnen. Herman Lebovic hat diese soziologischen Erklärungsmuster Ende der sechziger Jahre stringent zusammengefasst (342). Das Verdienst allerdings, die deutsche Sozialgeschichte mit solchen Erkenntnissen befruchtet zu haben, gebührt dem deutschen Soziologen M. Rainer Lepsius (343). Seit ihm bedarf der nach der Theorie zwingende Zusammenhang von sozialem Wandel, politischer Ordnung und modernem Parteiensystem in entwickelten Staaten keines ausdrücklichen Beweises mehr. Neben solchen zeitgenössischen „soziologischen Vorgaben“ konnte die einsetzende sozialgeschichtliche Mittelstandsforschung Anleihen bei Vertretern der historischen Soziologie in Deutschland wie Theodor Geiger (1891–1952) machen. Der Marxist Geiger hatte in den zwanziger Jahren ein eigenes Klassen-Modell der deutschen Gesellschaft entwickelt, in dem er die einzelnen, sich durch ihr Verhältnis zum Produktionsvermögen definierenden Klassen durch schichtenspezifische mentale Lagerungen ersetzte (335). Diese bildeten sich nur zu einem geringeren Teil – das war das eigentlich Sensationelle – durch ihre materiellen, zum größeren Teil durch ihre mentalen und ideologischen Bedingungen. Diese beruhten auf Deutungsmustern sozialer Realität, die der ökonomischen Lage nicht unbedingt entsprachen. Nach Geiger bestand die deutsche Gesellschaft in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in der Rohgliederung aus 1% Kapitalisten und 25% Mittelstand. Den Rest bildete das Proletariat. Doch erst in der Feingliederung zeigte das Geiger’sche Modell seine für alle sozialgeschichtlichen Fragestellungen nach dem Mittelstand praktische, weil sozialökonomisch außerordentlich differenziert angelegte Verwendbarkeit. Nach diesem Modell zerfiel der Mittelstand in den sogenannten alten Mittelstand – d. s. selbständige Handwerker und Handeltreibende mit ca. 18% –, den neuen Mittelstand – d. s. lohnabhängige Angestellte beiderlei Geschlechts mit 16% – und die von Geiger zum Mittelstand gerechneten „Proletaroide“ in einer Größenordnung von 14% der Gesamtgesellschaft. Für die Politikanalyse von Weimar kam bei Zugrundelegung eines solchen Schichtenmodells neben der zahlenmäßig ins Gewicht fallenden Arbeiterschicht nur den Mittelschichten Bedeutung zu. Damit hatten Geiger und seine Schüler, wie Rudolf Heberle, jenen alten und neuen, abhängigen und selbständigen, gewerblichen und nichtgewerblichen, landwirtschaftlichen und industriellen Mittelstand wieder entdeckt, dem bereits in der Vorkriegszeit die erhöhte wissenschaftliche Aufmerksamkeit vor allem von Vertretern der historischen Nationalökonomie gegolten hatte. Als Erster hat der Historiker Heinrich August
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Winkler (353) 1972 in einer Untersuchung über die politische Rolle des Mittelstandes auf das Geiger’sche Gesellschaftsmodell zurückgegriffen, ohne allerdings an diesem Modell sozialgeschichtliche Differenzierungen vorzunehmen. Mit der das politische Verhalten mittelständischer Schichten charakterisierenden Formel „Panik im Mittelstand“ verband Winkler die Mittelstandsstruktur Geigers mit der sozialprotektionistischen Vorkriegsmentalität, einer bestimmten, auf das Verhältnis von Mittelstand und Staat zielenden sozialpsychologischen Verfasstheit, und erklärte diese zur allgemeinen Disposition mittelständischer Gruppen in Krisenzeiten. Dieser sehr grob festgelegte Mittelstandsbegriff wurde erst in den achtziger Jahren im Rahmen einer umfassenden Neuinterpretation der deutschen Gesellschaft kritisch hinterfragt. b) Die Auflösung des „Mittelstandsblocks“ Nach Paul Noltes (345) Untersuchung über das Gesellschaftsbild der zwanziger Jahre war die Weimarer Gesellschaft eine in Auflösung begriffene Klassengesellschaft. Obwohl noch nach Besitz-, Berufs- und Bildungsklassen gegliedert, zeichnete sich bereits in vagen Umrissen eine neue Arbeitnehmer/ Konsumenten-Struktur ab. Während die Politik des Weimarer Parteiensystems noch die im 19. Jahrhundert entwickelte dichotomische Klassenspaltung widerspiegelte, die in der Novemberrevolution sogar kurzfristig eine Vitalisierung erfuhr, zeigte die Entwicklung der sozialen Gruppe der Industriearbeiterschaft markante Veränderungen. Entgegen allen marxistischen und revisionistischen Vorhersagen stagnierte sie. Der Anteil der Arbeiterschaft an der Gesamtgesellschaft überschritt entgegen allen Prophezeiungen die 1/3-Marke nicht. Der in Gang befindliche gesellschaftliche Differenzierungsprozess löste die noch vor 1914 beobachtete kastenmäßige Abgeschlossenheit des Arbeitermilieus auf. Die neue Gesellschaft hielt, anders als in der Vorkriegszeit, auch für Arbeiter soziale Aufstiegsmöglichkeiten bereit, die sie in eine der expandierenden und ausdifferenzierenden Mittelstandsgruppen integrierte. An die Stelle der sozialen Erfahrung fundamentaler Nivellierung der Lebensverhältnisse traten neue Differenzierungs- und Konfliktlinien. Massenkultur und Freizeitverhalten begannen traditionell bestehende Klassengrenzen zu verwischen. Entgegen marxistischer Vorhersagen stabilisierten sich die bürgerlichen Mittelschichten und dehnten sich zahlenmäßig aus. Solche freigelegten Wachstumskräfte fanden das Interesse soziologischer Gesellschaftsanalytiker aller Couleur. Auf konservativer wie auf liberaler Seite regten Wachstumsmuster und komplexe Zusammensetzung des Mittelstandes Vorstellungen von einer vom Mittelstand dominierten Gesamtgesellschaft an. Eine solche Analyse und ein davon abgeleiteter Gesellschaftsentwurf verbindet sich mit dem Namen des konservativen Soziologen Hans Freyer (1887–1969). Selbst doktrinäre marxistische Klassenanalytiker wie Karl Korsch, die in der Regel den Mittelstand als „anarchistischen Klassenrest“ denunzierten, konnten vor einem solchen Prozess nicht die Augen verschließen. Die schwerwiegendsten Probleme brachte diese Entwicklung allerdings für
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die größte politische Kraft der Arbeiterbewegung, die SPD. Traditionell neben dem Zentrum als einzige politische Partei um die Integration der Arbeiter bemüht, suchte sie vorsichtig Anschluss an die Entwicklung bei der Auflösung des Arbeitermilieus zu bekommen. Zögernd trat die SPD in ihrer Programmatik der „Mittelstandsfrage“ näher. Sie sprach von „Volksgemeinschaft“ und meinte damit ein notwendiges Überschreiten der Klasse hin zum Mittelstand (so z. B. im Görlitzer Programm der SPD von 1921). Schon theoretisch ein schwieriger Balanceakt, sollte die praktisch-politische Hinwendung zum mittelständischen Mikrokosmos – bestehend aus selbständigen und unselbständigen Handwerkern, Bauern verschiedener Besitzgrößen, Handeltreibenden unterschiedlicher Branchen, abhängig beschäftigten Angestellten, Privatbeamten und Staatsbeamten, Angehörigen der technischen Intelligenz sowie Selbständigen wie Rechtsanwälten, Ärzten, Apothekern, Architekten u. a. – die Kräfte des Parteiapparates übersteigen. Neue sozialpsychologische Differenzierungskriterien, die der Soziologe Helmuth Plessner (1892–1985) zur Diskussion gestellt hatte, mussten in der Praxis berücksichtigt werden. Hierbei handelt es sich um Unterscheidungen wie ‚Stadt‘ und ‚Land‘, Geschlecht und Religion, Organisationsgrad und familiäres Herkommen. Geographische und sozialpsychologische Kriterien wie Wohnquartier und Lebensalter bei Bestimmung mittelständischer Gruppen wurden relevant. Es war ein Unterschied, ob Kleinhändler und Handwerker in Arbeiterquartieren oder bürgerlichen Wohngegenden angesiedelt waren. Anders als die Gruppe der Arbeiter wurde damit der Mittelstand zu einem äußerst komplexen und für die Sozialgeschichte unübersichtlichen Untersuchungsgegenstand (337, 352). Die Auflösung des ursprünglich fest gefügten „Mittelstandsblocks“ bereitete nicht nur praktisch politische, sondern auch theoretisch analytische Probleme. Nach Arthur Rosenberg, dem ersten, weit links stehenden Chronisten und Kritiker der Weimarer Republik, war das Verhältnis von Mittelstand und Arbeiterparteien offen. Mittelständische Gruppen konnten politisch sowohl nach rechts wie nach links optieren. Sowohl der Wahlerfolg des Linksliberalismus in Deutschland 1919 als auch die seit Mitte der zwanziger Jahre massenhafte Abwanderung nach rechts sollten beide möglichen Optionen vor Augen führen. Heinrich August Winkler hatte in seiner frühen Mittelstandsstudie von einer „steigenden Rechtswanderung des Mittelstandes“ gesprochen und damit die Abwendung bestimmter mittelständischer Wählergruppen von der DDP, ihre zeitweilige Annäherung an die DNVP, aber vor allem nach ihrer Gründung an die „Wirtschaftspartei“ und schließlich ihre Integration in die Anhänger- und Wählerschaft der NSDAP gemeint, ohne diesen Prozess im einzelnen nachzuweisen. Er konnte sich dabei ganz auf die von der Soziologie vorgegebenen Muster „vorindustrielle Tradition“ und „Solidarprotektionismus“ berufen. Existenzangst und das Gefühl großer Unsicherheit setzten sich unmittelbar in politisches Verhalten dieser Gruppen um. Obwohl zum Beispiel das Handwerk „überorganisiert“ war, vermisste es trotz des in Art. 164 der Weimarer Verfassung verankerten Mittelstandsschutzes nach Winkler in der Republik die staatliche
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Fürsorge. Auf einer solchen Grundlage wurde der Mittelstand zur Klientel der NSDAP. Solche Vorgaben aufgreifend, ist das politische Verhalten des Mittelstandes im Rahmen der Parteiengeschichte untersucht worden. Daher haben wir Kenntnis von der „Mitte-rechts“-Wanderung des Mittelstandes. Das 1928 gegründete „Reichskartell des selbständigen Mittelstandes“, das die Basis der temporär innenpolitisch das Zünglein an der Waage spielenden mittelständischen Wirtschaftspartei war, ist so eine mittelständische Sammlungsbewegung. Sie wird 1930 unter Brüning Regierungspartei und trat mit Forderungen nach Sondersteuern für Warenhäuser und Konsumgesellschaften im Sinne ihrer Klientel an die Öffentlichkeit (349). Jürgen Kocka (340) ist bei seiner Untersuchung mittelständischer Gruppen in der Vorkriegs- und Nachkriegszeit zu vergleichbaren Ergebnissen gekommen, wenn auch sein besonderes Interesse bestimmten Teilen des „neuen Mittelstandes“ galt, den lohnabhängigen Angestellten, einer anderen, im Prozess der Ausdifferenzierung des Mittelstandes sich bildenden und rasch vergrößernden Gruppierung. Auch er glaubte – ablesbar an dem großen Zulauf der linken Angestelltengewerkschaft (Afa) unmittelbar nach dem Krieg und dem Zurückgehen von deren Mitgliederzahlen in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre zugunsten der rechten Konkurrenzorganisation (Gedag) –, sowohl die von Arthur Rosenberg beobachtete ambivalente Option des Mittelstandes als auch den massenhaften „Rechtsschwenk“ nachweisen zu können. Die Stärke von Kockas Untersuchung liegt im Unterschied zu der Winklers in der sehr viel griffigeren sozialgeschichtlichen Differenzierung ihres Untersuchungsgegenstandes. Seine Unterscheidung spezieller Angestelltengruppen wie Privatangestellte (mit größerer Nähe zur Leitung) und Angestellte, die sozial nur undeutlich von den ihnen unterstellten Lohnarbeiter getrennt sind, ermöglicht ihm einen Blick auf den Sozialstatus und seine Veränderung als Folge von Rationalisierung und Arbeitslosigkeit. Doch auch er konstatiert bei den Angestellten ein sozialpsychologisch ausgeprägtes vorkapitalistisches bzw. vorindustrielles mittelständisches Sonderbewusstsein und erkennt wie Winkler beim Handwerk und Detailhandel in den lohnabhängigen Angestellten eine potentielle Wahlklientel der Hitlerpartei. Kocka bezog sich in seiner Arbeit über die nationalsozialistische Option großer Angestelltengruppen auf die Untersuchung des amerikanischen Sozialwissenschaftlers Samuel A. Pratt aus dem Jahr 1948 über die Juliwahl des Jahres 1932. Pratt war bei der Untersuchung der Ergebnisse einzelner Wahlbezirke auf signifikante Korrelationen zwischen Stimmen für die NSDAP und hohen Angestelltenanteilen an der Bevölkerung gestoßen. Eine Parteistatistik der NSDAP aus dem Jahre 1935 weist einen überproportional hohen Anteil der Angestellten an der Mitgliederschaft der Partei auf und schien Pratts Erkenntnisse zu bestätigen. Dagegen ist quellenkritisch die Verwendung der ungenaue Bezeichnung ‚Angestellter‘ eingewandt worden. Im Ergebnis schienen die konkreten historischen Studien zu einzelnen Mittelstandsgruppen das bis in die achtziger Jahre unterstellte ursächliche Verhältnis von politischer Mittelstandsbewegung und Aufstieg des Nationalsozialismus zu bestätigen.
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Erst Jürgen W. Falter (332) sollte der modernen Sozialgeschichte das methodische Instrumentarium zur Erfassung schichten- und gruppenspezifischen politischen Verhaltens zur Verfügung stellen, mit Hilfe dessen komplexe Verläufe politischer Prozesse, wie z. B. der Aufstieg der NSDAP, angemessen erfasst werden konnten. In dem Maße, in dem die Kenntnis der sozialgeschichtlichen Komplexität des Mittelstandes als wirtschaftliche, soziale und politische Teilgesellschaft wuchs, in dem Maße vermehrte sich auch der Differenzierungsdruck der modernen Mittelstandsforschung. An Stelle generalisierender Thesen von den ruinösen Folgen von Inflation und Wirtschaftskrise für Handwerk und Detailhandel taten nun die bei der Untersuchungen des mittelständischen Mikrokosmos zur Anwendung kommenden neuen Untersuchungsparameter ihre Wirkung. Hartmut Kaelble (339) z. B. macht am Anteil von Handwerkerkindern und Kindern von Kleinhändlern an den Oberschulen, Universitäten und Hochschulen in Preußen ein höchst differenziertes Bild mittelständischen Bildungs- und Sozialverhaltens fest. Entgegen den im politischen Tagesgeschäft geäußerten Klagen über die Last der mittelständischen Sozial- und Steuergesetzgebung von Weimar zeigt eine Untersuchung von Michael Prinz (347), dass 68% der mittelständischen Betriebe von ihr gar nicht betroffen wurden. Auch die pauschalisierende Formel von der „vorindustriellen Mentalität“ lässt sich nach diesen Forschungen nicht mehr aufrecht erhalten. Entgegen der bisherigen Auffassung, Angestellte hätten sich aus Furcht vor Rationalisierung und Arbeitslosigkeit infolge der Modernisierung von Staatsund Industrieverwaltungen in die Rolle des ‚Bremsers‘ begeben, sieht die Forschung heute in dem Angestellten einen potentiellen „Modernisierungsagenten“ (334, 348, 351). Der amerikanische Soziologe Richard Hamilton (336) hat diese neue Mittelstandssicht auf den Punkt gebracht. Nach Neuinterpretation älterer Forschungsergebnisse und eigenen Untersuchungen der Sparquoten, Kaufkraftgewinne, aber vor allem der Gehaltsdaten der Sozialversicherungsstatistik erklärte er die bisherige Verelendungstheorie der Angestellten in der Wirtschaftskrise für falsch. Ebenso wie Falter bestreitet er eine positive Korrelation von Angestelltenstrukturen und Wahlergebnissen für die Hitlerpartei. Mit solchen Forschungsergebnissen löst sich die bisher unterstellte Verbindung von Mittelstand und Nationalsozialismus auf. Hamilton behauptet, dass bei einer sozial so heterogen zusammengesetzten Gruppe wie dem „Kleinbürgertum“ (so nennt er den Großteil des Mittelstandes missverständlich) überhaupt keine zuverlässigen generalisierenden Aussagen über das politische Verhalten gemacht werden können. Z.B. trifft eine von der älteren Mittelstandsforschung in der Krise konstatierte zunehmende politische Isolierung des Mittelstandes nicht zu und unterschlägt nach Hamilton die zu diesem Zeitpunkt erreichte konkrete Integration mittelständischer Gruppen in das Sozialleben. Die vom Mittelstand propagierten „ständischen“ Ideale sind nicht nur Ausdruck einer zunehmend konservativen Umorientierung, sondern müssen auch als Mittel gegen die Gefahr zu großer politischer Zersplitterung verstanden werden. Einzelne Formen des mittelständischen Protests können dabei mit Martin Broszat (330) als Kritik an verkrusteten Verbandsstrukturen, als Form des in der Zwischenkriegszeit
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weit verbreiteten antibürgerlichen Affekts interpretiert werden. Die neuesten konkreten Einzelstudien über den sozialen Habitus und das politische Verhalten mittelständischer Gruppen haben solche Vorarbeiten weitergeführt. So hat z. B. eine Untersuchung des Einzelhandels in Bremen (338) entgegen den Annahmen der älteren Forschung gezeigt, dass die Zahl aktiver „Detaillisten“ in der NSDAP klein, der Einfluss der Hitlerpartei in den Organisationen des Einzelhandels marginal und die Resonanz auf nationalsozialistische Standardthemen wie „Warenhaussteuer“ und „Verbot der Konsumgenossenschaft“ begrenzt war. Solche Befunde lassen es geraten erscheinen, auf Formeln vom mittelständischen „Protofaschismus“ oder „antizipierter Gleichschaltung“ des Mittelstandes zu verzichten. Ganz allgemein verbietet es sich, auf der Grundlage solcher sozialgeschichtlich ausdifferenzierter Struktur- und Mentalitätsanalysen generalisierende Aussagen über das politische Verhalten mittelständischer Gruppen zu machen. Folgerichtig orientiert sich die aktuelle historische Mittelstandsforschung (350) weniger am soziologisch-politikwissenschaftlichen als vielmehr am kulturgeschichtlichen Begriff Bürgertum, hier als „Bürgerlichkeit“ definiert. Der zurzeit erreichte Forschungsstand zum Thema Mittelstand und NSDAP legt eine grundsätzliche Revision der ursprünglichen Arbeitshypothese nahe, die Hitlerpartei habe ihre Wahlerfolge und schließlich ihre Machtübernahme im wesentlichen mittelständischen Bevölkerungsgruppen zu verdanken. Nach den zahlreichen Einwänden jüngerer Forscher und dem Insistieren auf der komplexen sozialökonomischen und kulturellen Formation dessen, was in früheren Jahren grob als in „alten“ (Handwerk und Handel) und „neuen“ (Angestellte/Selbständige) Mittelstand gegliederter „Mittelstandsblock“ bezeichnet wurde, ist die Frage nach dem Aufstieg des Nationalsozialismus und der Zusammensetzung sowohl seiner Wähler als auch seiner Mitglieder neu zu beantworten. Darauf hat die Forschung mit der Hinwendung zur Wähleranalyse der NSDAP und mit ihren Erkenntnissen über die Zusammensetzung der Wähler der Hitlerpartei außerhalb des Mittelstandes reagiert (333).
6. Die „Krise vor der Krise“ (die Borchardt-Kontroverse) a) Zeitgeschichtlicher Revisionismus Mit seinem im Jahre 1979 veröffentlichten Beitrag über die Strukturprobleme der deutschen Wirtschaft und die daraus erwachsenden „Zwangslagen“ und „fehlenden Handlungsspielräume“ in der Wirtschaftskrise hat der Wirtschaftshistoriker Knut Borchardt der zeitgeschichtlichen Forschung zu Weimar nachhaltige Anstöße gegeben. Mit seiner Forderung nach einer Revision des bis dahin überwiegend negativen Urteils über Brünings Wirtschaftspolitik hat er eine Diskussion angestoßen, die bis heute andauert (355). Borchardts in den siebziger und achtziger Jahren immer wieder zur Diskussion gestellten These von der „Krise vor der Krise“ der deutschen Wirtschaft (356, 357) ist deswegen von so großer Bedeutung, weil sie mit Brünings Wirtschaftspolitik ein zentrales
Die „Krise vor der Krise“ (die Borchardt-Kontroverse)
Thema der Weimar-Forschung anspricht. Weniger Borchardt selbst als seine Schüler haben die vorgestellten Erklärungsmuster so zugespitzt (367, 268, 372, 373), dass das Für und Wider die Form einer Forschungs-Kontroverse annahm, in deren Verlauf zentrale Fragen der Weimarer Sozial- und Wirtschaftspolitik zur Sprache kamen. Verschärft wurde der Streit durch die Tatsache, dass Borchardts neoliberale Kritik an den sozialen ‚Errungenschaften‘ von Weimar im Kern mit der zeitgenössischen Kritik an dem Weimarer Sozialstaat, wie sie von Unternehmerseite etwa in der Denkschrift des Reichsverbandes der Deutschen Industrie „Aufstieg oder Niedergang“ aus dem Jahre 1929 geäußert worden war, übereinstimmt. Borchardts Argumentation beginnt mit der Beschreibung der wirtschaftlichen Situation nach Ausbruch der Wirtschaftskrise und diskutiert Voraussetzungen und Möglichkeiten einer antizyklischen Wirtschaftspolitik. Nach den Erfahrungen der konjunkturellen Einbrüche der Jahre 1920/21 und 1926 habe man, so Borchardt, auf die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft vertrauen können. 1931 ließ der konjunkturelle Zyklus einen bekannten Verlauf erwarten. Doch dann habe die deutsche Bankenkrise, die drohende Zahlungsunfähigkeit der Bank von England und die Lösung vom Goldstandard zu einer dramatischen Zuspitzung der Krise geführt. Erst zu diesem Zeitpunkt hätte ein staatliches Krisenbekämpfungsprogramm moderner, d. h. keynesianischer Prägung (unter Absehung der Tatsache, dass J.M. Keynes seine Ideen erst 1936 in Buchform veröffentlicht hat) einsetzen können. Zu seiner Finanzierung hätten Auslandskredite oder notenbankfinanzierte Mittel zur Verfügung gestellt werden müssen. Beide Möglichkeiten waren nach Borchardt nicht praktikabel. Einerseits hätte Brüning angesichts einer erstarkten Rechtsopposition die politischen Auflagen für neue ausländische Kredite nicht erfüllen können. Andererseits sei es seit der Reparationsregelung im Dawes-Plan von 1924 der Reichsbank untersagt gewesen, dem Staat Kredite zu gewähren. Im ersten Falle hätte eine solche Kreditgewährung das Bemühen um den Nachweis der deutschen Zahlungsunfähigkeit in der Reparationsfrage konterkariert, im zweiten Falle wäre mit einer solchen Geldvermehrung das Trauma der Hyperinflation wieder ins Bewusstsein gehoben worden. Damit war nach Borchardt die antizyklische Politik des Defizit-Spendings blockiert. Kein Urheber zeitgenössischer Wirtschaftspläne, so argumentiert er, habe eine einigermaßen realistische Vorstellung der zur Deckung der eingetretenen Nachfragelücke und Stützung des gesunkenen Sozialproduktes notwendigen Mittel besessen. Sodann kommt Borchardt auf seine zweite Generalthese zur Weimarer Wirtschaft zu sprechen, auf deren sozialpolitisch verursachte Deformation. Nach Borchardt hat die starke Position der Gewerkschaften und das System der staatlichen Zwangsschlichtung verhindert, dass die hohen Löhne nach dem Ende der Inflation an den Verbraucher weitergegeben werden konnten. Als Folge davon sei es in Deutschland zu exorbitant hohen Reallohnkosten gekommen, die eine negative Erlös-Kosten-Relation und eine Investitionsschwäche nach sich gezogen hätten. Investitionsschwäche und eine relative Stagnation des Wirtschaftswachstums habe eine unnormal hohe Arbeitslosigkeit bewirkt. So disponiert sei die deutsche Wirtschaft von der Krise überrascht worden. Eine zu
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früh erfolgreiche Stabilisierungspolitik hätte nach Borchardt eine prinzipiell ‚kranke‘ Wirtschaft konserviert. Konjunkturpolitik als Stabilisierungspolitik habe also demnach gar nicht im Interesse derjenigen Kräfte gelegen, die sich von der Krise eine grundsätzliche Umstrukturierung der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik einerseits und der Lohnpolitik andererseits erhofft hätten. Borchardt spricht von einer „Tragödie“, die darin liege, dass schon vor der Krise „ein auf Dauer nicht funktionierendes wirtschaftliches System in einem schon kaum noch funktionierenden politischen System“ existiert habe. Folgt man einer solchen Einschätzung der wirtschaftspolitischen Situation der Jahre 1930/31, so verbiete sich eine Kritik an Brünings Politik. b) Handlungsspielräume der Politik am Ende der Republik Bereits in den ersten Reaktionen auf Borchardts provozierende Thesen durch den Politikhistoriker Gerhard Schulz (380) und den Wirtschaftshistoriker CarlLudwig Holtfrerich (363–365) wurde Borchardt in fast allen Punkten widersprochen. Unter Rückgriff auf die Berechnungen von Dietmar Keese (369), der Brünings Deflationsmaßnahmen in Form der vier großen Notverordnungen mit dem jeweiligen Entwicklungsstand der Konjunktur korreliert hatte, weist Holtfrerich nach, dass die von Borchardt ins Spiel gebrachten Argumente nicht zutreffen. Das Argument etwa, dass die Reichsbank seit der Bankenkrise keine Mittel habe zur Verfügung stellen können, sei unzutreffend, weil die Reichsbank bereits Ende der zwanziger Jahre die vorgeschriebene 40%-Deckung des Reichsbanknotenumlauf in Gold und Devisen permanent unterschritten habe. Brünings Hinweis auf fehlende Finanzierungsquellen von Krisenbekämpfungsmaßnahmen im Sinne Keynes seien vielmehr und vor allem politisch motiviert gewesen. Borchardts Argument, Brüning habe für alternative, und das heißt hier keynesianische Krisenbekämpfung neben fehlender Mittel keine politische Unterstützung erwarten können, weist Holtfrerich unter Hinweis auf die von Schulz vorgebrachten Fakten zurück. Danach war der Widerstand gegen Brünings Politik von der DVP bis zur SPD erstaunlich gering und wird von Borchardt überschätzt. Selbst aus Brünings engstem Beraterkreis, von politischen Freunden und loyalen Mitarbeitern seien Pläne zur Beendigung einer Deflationspolitik durch Erweiterung des Geldschöpfungsspielraumes und Lockerung der Währungsdeckung vorgelegt worden. Solche Vorschläge reichten von den Ausarbeitungen des Mitarbeiters des Wirtschaftsministerium Wilhelm Lautenbach aus dem Jahr 1931, der Denkschrift des Staatssekretärs im Finanzministerium Hans Schäffer, dem sog. Wagemann-Plan und dem Arbeitsbeschaffungsprogramm des Kabinettsmitgliedes Adam Stegerwald aus demselben Jahr bis zu dem bekanntesten Arbeitsbeschaffungsprojekt, dem Ende 1931 veröffentlichten WTB-Plan der freien Gewerkschaften. Sowohl von der Autorität ihrer Verfasser als auch der Seriosität dieser Pläne sei nachweislich Druck auf Brüning ausgegangen, seine die Krise verschärfende Deflationspolitik zu beenden.
Die „Krise vor der Krise“ (die Borchardt-Kontroverse)
Aus Brünings hartnäckiger Weigerung, solche Vorstellungen näher in Betracht zu ziehen, folgert Holtfrerich bereits bei einer ersten Prüfung von Borchardts Thesen, dass der von Hindenburg berufene Zentrumspolitiker eine grundsätzlich andere Wirtschaftspolitik im Sinn gehabt habe. Er geht noch weiter. Der Kritiker Brünings und seines Verteidigers Borchardt unterstellt der ersten Präsidialregierung ein politisches Programm, welches unter dem Vorwand, eine Konsolidierung der öffentlichen Finanzen anzustreben, einen Umbau des Weimarer Sozialstaats durchsetzen wollte. Eine Zielsetzung, der Borchardt bei seiner Einschätzung der Lage der deutschen Wirtschaft gewiss zustimmt. Nach eigenem Bekenntnis nahm Brüning dabei anhaltende Massenarbeitslosigkeit, ein langjähriges Zurückbleiben des Lebensstandards in Deutschland unter dem Niveau von 1927/28 und die Verschiebung eines „gleichmäßigen Wiederanstiegs“ der deutschen Wirtschaft bis 1935 in Kauf. Den Tiefpunkt der Depression prognostizierte Brüning für den Sommer 1932. Das lässt den Schluss zu, dass er nichts von einer wie auch immer gearteten Krisenbekämpfung erwartete. Wäre Brüning nicht, so folgert Holtfrerich, in einer Argumentation „ex eventu“ bei seiner Deflationspolitik geblieben, wäre mit ihm eine mehr oder weniger demokratisch legitimierte Regierung anstelle Hitler in den Genuss der durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen überwundenen Depression gekommen. In den achtziger Jahren haben sich beim Fortgang der Debatte um Borchardts Thesen sowohl Befürworter (385) als auch weitere Kritiker (371, 383) zu Wort gemeldet. Unter ersteren kommt dem englischen Wirtschaftshistoriker Harold James, Autor einer umfassenden Darstellungen der deutschen Wirtschaft der Zwischenkriegszeit (48), besondere Bedeutung zu. c) Die „kranke Wirtschaft“ Nachdem sich Borchardt selbst kurz zu der Form der ersten Kritik seiner Thesen zu Wort gemeldet hatte (358, 358a), haben sich in der Folge seine Kritiker auf Kernfragen, wie die eines zu hohen deutschen Lohnniveaus konzentriert (359), oder wie im Falle von Henning Köhler (370) eigene Perspektiven auf die Wirtschaftspolitik Brünings entwickelt. Nach Köhler fallen weder die von Borchardt ins Spiel gebrachten „Zwangslagen“ noch bewusste Versäumnisse oder „vergebene Chancen“ (so Reinhard Neebe) für Brünings Scheitern ins Gewicht. Vielmehr habe der Reichskanzler nur versucht, recht und schlecht durch die Krise zu kommen. Unter Heranziehung umfangreicher Wirtschaftsdaten hat der englische Wirtschaftshistoriker Theodore Balderstone (354) das Argument Borchardts von den im Vergleich zu anderen Industriestaaten zu hohen deutschen Lohnniveau geprüft. Er ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass das in Deutschland herrschende Lohnniveau keineswegs international wettbewerbsverzerrend gewirkt habe. Ein anderer Kritiker Borchardts, der amerikanische Historiker Charles S. Maier (374), ergreift mit Blick auf die „Nicht-Determinanten“ ökonomischer Modelle gegen Borchardt Partei. Er wirft Borchardt eine überzogene und einseitig ökonomische Begründung der „Zwangslagen“ vor. Wie die Beispiele Eng-
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lands, Schwedens und nicht zuletzt der USA zeigen, besaß die zeitgenössische fiskalische Krisenbekämpfung Erfolgsaussichten, wenn der „politische Wille vorhanden war“. „Wäre auf monetäre Wachstumspolitik gesetzt worden“, argumentiert Maier, „vorausgesetzt, dass das keynesianische Modell der Arbeitslosigkeit im weiteren Sinne stichhaltig ist, was Borchardt nicht grundsätzlich verneint – dann hätten die Reallöhne vermindert werden können, um die Zwänge aufzulockern, die er für so unüberwindlich erachtet.“ Neben solchen Reklamationen der von Borchardt unterstellten fehlenden Alternativen ist im Rahmen der Borchardt-Kontroverse sowohl die von ihm hergestellte ursächliche Verknüpfung von Lohnentwicklung und Strukturproblemen aufgelöst als auch der von Borchardt in Verruf gebrachte Weimarer Sozialstaat in einem größeren Zusammenhang als Teil einer gesellschaftlichen Gesamtmodernisierung behandelt worden. Zu Beginn der neunziger Jahren hat Rainer Meister (375) in einer von dem Wirtschaftshistoriker Sidney Pollard angeregten Untersuchung die nach Borchardt bestehenden Koinzidenz eines nicht funktionsfähigen wirtschaftlichen Systems mit einem „kaum noch funktionsfähigen“ politischen System und das daraus resultierende „KatastrophenSzenarium“ überprüft. Meister relativiert die Kritik an Borchardts Thesen, indem er wie dieser Zweifel an einer positiven Entwicklung der deutschen Wirtschaft der zwanziger Jahre und erst recht an ihrer Bewertung als „Zeit der Stabilität“ äußert. Doch anders als Borchardt sieht er die Gründe hierfür sowohl in der „Feindseligkeit“ der Unternehmer gegen den Weimarer Sozialstaat als auch in der „unseriösen“ Politik der deutschen Banken. Brünings Handicaps sind nach ihm seine fehlende parlamentarische Legitimation, sein „inadäquater“ Informationsstand in Fragen moderner Konjunkturpolitik und die mangelnde Verankerung der diskutierten Beschäftigungsprogramme in den Machtzentren der Jahre 1930 bis 1932, in den Industrieverbänden und Gewerkschaften. Borchardts Argumente wie „Inflationsangst“, die „Ausweglosigkeit in der Reparationsfrage“ sowie „verpasster Zeitpunkt“ möglicher Arbeitsbeschaffungsprogramme hält er dagegen für nicht stichhaltig. Auf die Diskussion des zu hohen deutschen Lohnniveaus geht Meister nur indirekt ein. Dies holt Hans-Joachim Voth (382) nach, indem er nicht nur Borchardts Lohnthese und ihre verhängnisvollen Folgen für die Investitionsbereitschaft ein weiteres Mal bestätigt, sondern zudem in der fehlenden Preisflexibiltät auf der Angebotsseite ein die Krise verschärfendes Moment benennt. Holtfrerich (366) nutzt anlässlich einer ausführlichen Besprechung der Festschrift für seinen Kontrahenten Borchardt die Gelegenheit, einer in seinen Augen vorzeitigen und zu positiven Bilanzierung der Kontroverse im Sinne Borchardts vorzubeugen. Bei seiner Durchsicht zeigt sich, dass sich Befürworter und Kritiker mit einem leichten Plus der Ersteren die Waage halten. So widerspricht Barry Eichengreen (362) Borchardts Lohnkostenargument mit dem Hinweis, dass trotz des Anstiegs der Lohnkosten seit 1927 diese 1929 längst nicht das Vorkriegsniveau erreicht hätten. In der Frage der politisch machbaren Alternative zu Brünings Deflationspolitik tritt Eichengreen Borchardt dagegen bei.
Die „Krise vor der Krise“ (die Borchardt-Kontroverse)
Deutschland habe vor dem Problem gestanden, entweder den Goldstandard mit einer deflationären Politik zu verteidigen oder nach Preisgabe der Parität und Konvertibilität der Währung expansive Maßnahmen zu Ankurbelung der Konjunktur zu ergreifen. Wegen Deutschlands defizitärer Leistungsbilanz, seiner Verschuldung, der innenpolitischen Labilität und der lebhaften Erinnerung an die Hyperinflation seien die temporäre Aufgabe der Goldparität und die Abwertung der Währung kein gangbarer Weg gewesen. Dagegen macht Holtfrerich geltend, dass Deutschland nach Erklärung des Hoover-Moratoriums zur Deckung seiner „reparationspolitischen Flanke“ der Abwertung des englischen Pfunds im September 1931 hätte folgen können, um der deutschen Wirtschaft die krisenverschärfenden Deflationsmaßnahmen zu ersparen. Er führt bei der Abwehr des Arguments, Deutschland habe eine solche Politik wegen des internationalen Vertragsnetzes des Dawes- und Young-Planes und der Bestimmungen im Reichsbankgesetz nicht betreiben können, das aus der Wirtschaftsgeschichte bekannte „Ausnahmerecht in Extremsituationen“ an. Neben dem Beitrag von Eichengreen sieht Holtfrerich die Borchardt-Kontroverse durch die von Richard Tilly und Norbert Huck (381) unternommenen Modellrechnungen kritisch weitergebracht. Nach ökonometrischer Auswertung der in den konjunkturstatistischen Handbüchern veröffentlichten Daten lassen sich nach ihnen „keine Spuren ab 1925 zu stark gestiegener Lohnkosten und des mit ihm zusammenhängenden kompatiblen Angebotsschocks … finden. Die Berechnungen zur Lohnbildung deuten eher auf einen allerdings nicht vollständig friktionslos funktionierenden Arbeitsmarkt hin.“ Aus dieser Sicht werden nicht zu schnell steigende Reallöhne vor 1929, sondern zu schnell sinkende Preise nach 1929 zum Problem. Eine weitere Ursache für den Konjunktureinbruch sehen die Autoren in dem seit 1928 einsetzenden Rückgang der Investitionen. Dieser Vorgang wird seit 1930/31 von der Verringerung der Geldmenge überlagert, eine Entwicklung, der die Reichsbank nicht entschieden genug gegen gesteuert habe. Lapidar heißt es abschließend: „Damit geben unsere Berechnungen den Literaturmeinungen, die auf die Notwendigkeit geldund fiskalpolitischer Expansion im Zusammenhang mit einer Währungsabwertung als geeignetes Mittel zur Krisenbekämpfung hinweisen, quantitative Unterstützung.“ Nicht weitergebracht wurde nach dem Urteil Holtfrerichs die Borchardt-Kontroverse in der Frage der Lohnkosten. Er hält alle, einschließlich der in der Festschrift unternommenen Versuche, etwa durch vergleichende Analysen der Lohn- und Produktivitätsentwicklung in Großbritannien und Deutschland diesen Teil der These Borchardts vor allem gegen Balderstons Forschungsergebnisse zu retten, für misslungen. Albrecht Ritschl (379), Verteidiger der Thesen Borchardts, hat zuletzt die deutschen Reparationen und die 1930 erreichte Staatsverschuldung als Grund für Brünings fehlende Handlungsspielräume für eine antizyklische Konjunkturpolitik noch einmal ins Spiel gebracht. Den umfassendsten Versuch Borchardts These von der „kranken Wirtschaft“ zu widerlegen, hat der bereits erwähnte englische Wirtschaftshistoriker Theodore Bal-
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derston (354) unternommen. Balderston weist nicht nur Borchardts und Harold James (367) Argument zu hoher ‚politischer‘ Löhne zurück, sondern begründet die fehlende Handlungsfreiheit nach Ausbruch der Krise auch völlig anders. Nach ihm sind „business pessimism“ und „currency nervousness“ für die Schwäche der deutschen Wirtschaft verantwortlich. Die gewollt oder ungewollt aus „Sozialisierungs-“ und „Umverteilungsängsten“ herbeigeredete defensive Unternehmerhaltung und die überhastete und unüberlegte Geld- und BudgetPolitik als Folge der Reparationsforderungen sind nach ihm verantwortlich für die verheerenden Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf Deutschland. Strukturell befand sich Deutschland nach den von Balderston vorgelegten umfangreichen Wirtschaftsdaten in keiner anderen Lage als alle anderen europäischen Industriestaaten und die USA. Zweifel anderer Art hat Volker Wellhöner (384) 1994 vorgetragen, der feststellte, dass der zwischen Knut Borchardt als Urheber und Carl-Ludwig Holtfrerich als seinen Hauptexponenten ausgetragene Streit auf unterschiedlichen ökonomischen Theoriekonzepten beruhe. Auf der Basis hochaggregierter makroökonomischer Daten würde zwischen zwei unvereinbaren theoretischen Ausgangspositionen, der neoklassischen Wachstumstheorie und der keynesianischen Beschäftigungstheorie, ohne Aussicht auf einen Konsens diskutiert. Aus einer solchen Sicht der Kontroverse konnte auch auf die im Verlauf des Streits aufgetretenen methodischen Mängel hingewiesen werden, so z. B. die Tatsache, dass bei der Auseinandersetzung um die Lohnhöhe nicht immer zwingend die gleichen Daten herangezogen wurden (die Jahre 1913, 1924 oder 1926). In zweierlei Hinsicht, so kann man kritisch einwenden, hat sich die Borchardt-Kontroverse im Laufe von fast dreißig Jahren von ihrem konkreten historischen Gegenstand entfernt. Im ersten Falle kann man die dabei erreichte Distanz zum Menschen durch ein Zitat aus einer zeitgenössischen Quelle verdeutlichen. Aus Sicht des zeitgenössischen Beobachters stellt sich seit 1930 das Für und Wider einer Austerity-Politik als erkennbare politische Fehlentscheidung dar. So heißt es in einem Kommentar der Brüning´schen Notverordnung vom 8. Dezember 1931: „Die Republik und die republikanischen Parteien, die sich alle aufopfern, um Staat und Republik zu erhalten, werden durch die Deflationspolitik der Regierung gezwungen, im Grunde genommen für Hitler zu arbeiten. Es ist auf die Dauer keine Regierung möglich, die 95 v. H. der Bevölkerung gegen sich aufbringt, indem sie ihre tatsächlichen, manchmal auch ihre scheinbaren Interessen aufs schwerste verletzt … Die neue Notverordnung bringt für Hitler ebenso gewiss einen gewaltigen neuen Zulauf wie alle vorherigen. Da hilft kein politischer Kampf gegen Hitler. Wer Hitler bekämpfen will, muss den Deflationsprozess, diese gewaltige Zerstörung von Arbeit, Werten und Kapital beenden.“ (360). Einen zweiter Einwand gegen dieses im Verlauf der Kontroverse eingetretene „Abstrahieren“ von „den gesellschaftlichen und institutionellen Bedingungen der ökonomischen Entwicklung“ ebenso wie von den „historisch-konkreten Produktions- und Reproduktionsprozessen und den
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eingeschlagenen Akkumulationspfad der Unternehmen“, hat jüngst der Wirtschaftshistoriker Alfred Reckendrees (378) vorgetragen. In seiner umfänglichen unternehmensgeschichtlichen Untersuchung der 1926 gegründeten Vereinigten Stahlwerk A.G. als „multidivisionaler Managerkonzern“ hat er den fragwürdigen wirtschaftlichen Erfolg des nach nordamerikanischen Vorbild und mit Blick auf die Gewinnung amerikanischen Anlagekapitals gebildeten Konzerns nicht im Sinne Borchardts auf überhöhte Lohnkosten, sondern auf zu hohe Kapitalkosten, auf die „Fixkostenfalle“ zurückgeführt. Ohne sich direkt an der Kontroverse zu beteiligen, führt Reckendrees die Probleme der deutschen Industrie in der Zwischenkriegszeit auf in der Rekonstruktionsphase der zwanziger Jahre gemachten Fehler zurück. In den ersten Nachkriegsjahren habe die Industrie unter allen Umständen bei einem verkleinerten Reichsgebiet Anlagekapital nicht zur Modernisierung, sondern zur Erreichung der Vorkriegsproduktion investiert und damit den Grund für eine Strukturschwäche ganz anderer Art gelegt. Es scheint, dass mit dem Hinweis auf die starke Theorielastigkeit der Kontroverse sowie neuer, anhand von Fallstudien erlangter Argumente der Höhepunkt des Streits um den Zustand der deutschen Wirtschaft der zwanziger Jahre und der Möglichkeiten der Brüning´schen Krisenbekämpfung überschritten ist. Was hat die mit erheblichem Aufwand geführte Kontroverse gebracht? Der von Borchardt losgetretene Streit über zwei zentrale Themen der Weimarer Wirtschaftspolitik und ihre Bedeutung für die Gesamtpolitik hat zur Aufhellung komplexer Fragen der Weimarer Wirtschafts- und Sozialgeschichte beigetragen, die ohne die von Knut Borchardt ausgelöste Kontroverse gewiss nicht in gleicher Weise erreicht worden wäre.
7. Wer wählte die NSDAP? a) Der Aufstieg der NSDAP zur Massenpartei Die Frage, wer die NSDAP wählte und welchen Bevölkerungsgruppen sie bei Wahlen die massenhafte Unterstützung vor 1933 verdankte, konnte lange nicht befriedigend beantwortet werden. Der erste Grund liegt auf der Hand: in Weimar gab es noch keine moderne Wählerbefragung also auch keine Wählerforschung, die den Namen verdient. Der zweite Grund ist komplizierter. Lange Zeit konnte die Forschung– moderne Parteienforschung hin oder her – mit den überlieferten Daten wie den historischen Bevölkerungs- und Wahldaten wenig anfangen. Punktuell waren vor 1933 bereits wirtschaftliche Konjunkturdaten und Wählerwanderungen korreliert worden (Rudolf Heberle). Doch sind solche Ansätze nach 1933 verständlicherweise nicht weitergeführt worden. Bevor wir uns ihrer Wiederaufnahme nach 1945 zuwenden, zuvor ein Blick auf das Objekt der Wählerforschung, die NSDAP. Bei den Reichstagswahlen vom September 1930 errang die NSDAP über Nacht 6,4 Mio. Stimmen, d. s. 18,2% aller Wählerstimmen, und trat aus den
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Schatten einer Splitterpartei (1928, 2,6%) heraus. Dass dies kein spektakulärer Einzelfall war, sollte das Ergebnis der auf den 31. Juli 1932 vorgezogenen Wahlen zum höchsten deutschen Parlament zeigen. Die Partei verdoppelte ihren Anteil und kam auf 13,75 Mio. Stimmen. Mit 37,3% aller abgegebenen Stimmen bildete sie nun einen Block, der mit dem der sogenannten Weimarer Parteien (SPD/DDP/Zentrum/BVP) gleich auf lag. Woher kamen diese Wähler und was band sie an die NSDAP? (390) Die bisherige Geschichte der Partei war geprägt von einem ständigen Wechsel zwischen Legalität und Illegalität, also alles andere als eine beständige Erfolgsgeschichte. Der Verlauf der Gründung der NSDAP, die sektenartige Züge aufwies, ließ alles andere als eine große Zukunft erwarten. Im Januar 1919 in München von Anton Drexler als „Deutsche Arbeiterpartei“ gegründet, fristete sie auch nach der putschartigen Übernahme des Parteivorsitzes durch den österreichischen Weltkriegsteilnehmer Adolf Hitler ein Schattendasein. Ihre aggressive Propaganda stand im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Mitgliederstärke. Im November 1922 wurde die Hitlerpartei in Preußen, Sachsen, Thüringen und Hamburg verboten. In Spekulation auf die angespannte innenpolitische Situation des Jahres 1923 und den latenten bayerischen Separatismus putschte die Partei am 9. November 1923 und bildete in München kurzfristig mit konservativen Gegnern der Republik eine „Deutsche Nationalregierung“. Ein „Marsch auf Berlin“ scheiterte am Odeonsplatz im Kugelhagel der bayerischen Polizei. Während die auf Seiten der Putschisten Gefallenen bis 1945 als Märtyrer verehrt wurden, gedenken wir heute der bei der Schießerei zu Tode gekommenen Polizisten, erste Opfer Hitlers. Ihre Namen stehen auf einer in das Pflaster des Odeonplatzes eingelassene Bronzeplatte. Die geflüchteten Anführer des blutigen Putsches, unter ihnen Adolf Hitler, wurden verhaftet und im Februar 1924 in einem Hochverratsprozess zu fünf Jahren Haft verurteilt. Die Partei wurde verboten. Ihre versprengten Mitglieder sammelten sich in Nachfolgeorganisationen wie der „Großdeutschen Volksgemeinschaft“ und der „Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung“. Bereits am 7. Dezember 1924 zogen 19 Abgeordnete der „Freiheitsbewegung“ in den Preußischen Landtag ein. Nachdem Hitler am 20. Dezember 1924 vorzeitig aus der Festungshaft in Landsberg entlassen worden war, erfolgte am 27. Februar 1925 im Münchner Bürgerbräukeller die Wiedergründung der NSDAP. Mit ihren „Grundsätzlichen Richtlinien für die Neuaufstellung der NSDAP“ von Anfang 1925 legte Hitler nun die Partei auf eine strikt legalistische Taktik fest. Zugleich erhielt die neue Organisation eine zentralistische und autoritäre Organisationsstruktur. Mit der SA und SS sowie einer eigenen Jugendorganisation, der Hitlerjugend, gab sich die neue NSDAP betont militaristisch und jugendlich. Alle Neugründungen wurden Hitler direkt unterstellt. Der aus dem Rheinland stammende Literat Joseph Goebbels wurde von Hitler mit dem Aufbau einer Berliner Parteiorganisation betraut. Der neue Kurs zahlt sich aus. Bereits1926 betrug die Zahl der Mitglieder wieder 50 000. Nach Aufhebung des Redeverbots für Hitler in Bayern führt die Partei am 9. März 1927 im „Zirkus Krone“ ihre erste Massenveranstaltung durch. Im gleichen Jahre bekam Hitler erste Kontakte zu Wirtschaftskreisen. Die Vermittlung übernahm der ein-
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flussreiche Schwerindustrielle Emil Kirdorf. Dieser finanzierte Hitler im Anschluss an eine Unterredung 1927 den Druck seines Wirtschaftsprogramms „Der Weg zum Wiederaufstieg“. Durch Vermittlung Kirdorfs sprach Hitler, in der Hoffnung auf weitere finanzielle Unterstützung, im Herbst 1927 in Mühlheim vor führenden Schwerindustriellen. Der dringend benötigte Erfolg bei den Reichstagswahlen 1928 aber blieb aus. Im Herbst fiel das Redeverbot für Hitler in Preußen. Die Partei hatte inzwischen 108717 Mitglieder. Auf dem vierten Reichsparteitag in Nürnberg 1929 paradierten 60 000 uniformierte SA-Männer. Der Parteiapparat wurde zügig ausgebaut. Neben den Nationalsozialistischen Betriebszellen (NSBO), gegründet 1929, organisierte die NSDAP zur Unterstützung ihrer Agitation auf dem Land unter dem Diplomlandwirt Walter Darré den „Agrarpolitischen Apparat“. Bei den Wahlen zum preußischen Gemeinde- und Provinziallandtag im November 1929 trugen die zielstrebigen Organisationsanstrengungen der straff nach dem Führerprinzip organisierten Kaderpartei zum ersten Mal bei Wahlen Früchte. Die NSDAP konnte 895911 Stimmen auf sich vereinen. Der Schwerpunkt der Parteiarbeit lag in den kleineren und mittleren deutschen Ländern. Zu Beginn des Jahres 1930 trat der Nationalsozialist Wilhelm Frick als Innenminister in eine thüringische Koalitionsregierung des Deutschnationalen Baum ein. Die Partei übernahm damit zum ersten Mal Regierungsverantwortung. So viel zur Vorgeschichte des ‚Triumphs‘ vom 19. September 1930. Die Erklärungen für den Aufstieg der NSDAP zum Machtfaktor der Weimarer Republik sind vielfältig. Die Schaffung einer straffen Parteiorganisation nach erfolgreicher Überwindung der „Putsch“-Taktik seit der Wiedergründung 1925 wird ebenso als Grund genannt wie Hitlers Führerqualitäten, die Schwäche der Weimarer Parteien und die als Folge des Übergreifens der Weltwirtschaftskrise auf Deutschland steigende Zahl der Arbeitslosen. Solche Erklärungen enthalten jedoch nur vage Hinweise darauf, woher denn eigentlich die Stimmen der NSDAP kamen. b) Schichtenspezifische Wahlanalysen Dabei hatte es früh Versuche gegeben, gerade auf diese Frage eine Antwort zu finden. Rudolf Heberle, ein Schüler des Soziologen Theodor Geiger (siehe Kapitel III, 5) hatte in einer Fallstudie über das schleswig-holsteinische Landvolk, welches zu Beginn der Agrarkrise durch die anarchistische „Landvolksbewegung“ eine politische Radikalisierung erfahren hatte, die Verbindung von Wählerwanderung und Wirtschaftskrise untersucht (417). 1946 haben die amerikanischen Soziologen Charles P. Loomis und Allan J. Beegle durch eigene Forschungen Heberles Ergebnis, dass die zu Beginn der Republik liberalen Parteien zufallenden Stimmen nordwestdeutscher Landwirte mit dem Verfall der Preise für Mastvieh in das Lager der nationalistischen Parteien abwanderten, bekräftigt (396). Ihr Kollege Samuel A. Pratt konnte in seiner Untersuchung über die Wahl vom 31.7.1932 diese Ergebnisse noch einmal bestätigen und zeigen, dass die Stimmen für die NSDAP aus kleinen und mittleren Städten und
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von dem hier dominierenden ‚alten‘ Mittelstand kamen. Innerhalb der deutschen Zeitgeschichtsforschung brachte Karl Dietrich Bracher in seiner großen Untersuchung über das Ende von Weimar den Erfolg der NSDAP mit dem Wahlverhalten vor allem ländlicher Wähler in Verbindung (22). Doch alle diese Erklärungsansätze unterließen es, systematisch die Daten der Wahlen mit denen der Bevölkerungs- und Berufszählung in Beziehung zu setzen. Alle bis dahin unternommenen Anstrengungen einer schichtenspezifischen Wähleranalyse waren Fallstudien und ihre Ergebnisse konnten nicht den Anspruch erheben, repräsentativ zu sein. Während Loomis/Beegle sich ausschließlich auf ländliche Bezirke beschränkten, hatte Pratt 193 Städte zwischen 25 000 bis 100 000 Einwohnern untersucht. Bracher hatte sich auf 17 ‚typische‘ Städte beschränkt. Dies änderte sich 1959 nach der Einführung der „korrelativen Regressionsanalyse“ in die historische Wählerforschung durch den amerikanischen Soziologe Leo Goodman. Nicht von deutschen, aber durch eine Reihe ausländischer Forscher wurden diese Ansätze auf die deutsche Geschichte übertragen. Mitte der siebziger Jahre griff der amerikanische Politologe Thomas Childers (391) ein weiteres Mal die Frage nach der Bedeutung bestimmter sozialer Gruppen der deutschen Gesellschaft vor 1933 für den nationalsozialistischen Wahlerfolg auf. Ihm assistierte der deutsch-kanadische Historiker Michael H. Kater (423), dessen Interessen der Anwendung quantifizierender Verfahren in den Geschichtswissenschaften und ihrem Gebrauch bei der Erforschung des NS-Geschichte galt. Katers 1983 veröffentlichte Untersuchung (424) über die soziale Herkunft von Mitgliedern und Führern der NSDAP kam schon deshalb einer Sensation gleich, weil er zum ersten Mal in einem exakt beschriebenem Umfeld die Tragfähigkeit der Goodman’schen „korrelierenden Regressionsanalysen“ nachweisen konnte. Er hatte für die einzelnen Phasen der Parteigeschichte der NSDAP deren jeweilige Mitgliederzusammensetzung untersucht, wobei er sich noch mit einem schlichten Schichtenmodell ‚alter‘ und ‚neuer‘ Mittelstand, Arbeiter und Oberschicht begnügt hatte. Die Reaktion auf seine Untersuchung spiegelte Unverständnis und Ablehnung wider (421, 422). Es konnte nicht anders sein, weil noch bis Mitte der achtziger Jahre renommierte deutsche Zeithistoriker umfassende Deutungen des Aufstiegs Hitlers und der NSDAP unter völliger Vernachlässigung solcher schichtenspezifischer Analysen veröffentlicht hatten. Doch wenn auch noch keine exakten Ergebnisse vorlagen, im Gefolge der von Kater begonnen Diskussion hatte sich zu Beginn der achtziger Jahre eine entsprechende Forschung unter dem Dach der Politikwissenschaft auch in Deutschland etabliert. Ihren Vertretern ging es anders als Kater (425) weniger um die Soziologie der Parteimitgliedschaft oder die Anteile von Parteimitgliedern an einzelnen Bevölkerungsgruppen wie z. B. bei Studenten, sondern ihr Augenmerk galt umfassend und systematisch der schichtenspezifischen Wählerstruktur der NSDAP. Jürgen W. Falter (393–395), mit dessen Namen die Einführung einer solche soziometrische Verfahren nutzenden Wählerforschung verbunden ist, rechtfer-
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tigte den neuen Forschungsansatz mit einer vehementen Kritik an den bis dahin unbestritten geltenden, sehr groben schichtenspezifischen Modelle amerikanischer Faschismusforschung. Vor allem Lipsets Theorem vom Nationalsozialismus als „Faschismus der Mitte“ (344, vgl. weiter unten) unterzog Falter (397, 398) einer vernichtenden Kritik; es sei in der bestehenden Form nicht beweisbar. Damit entzog er einem Teil der auch in Deutschland etablierten zeithistorischen Mittelstandsforschung den Boden. Unterstützung erhielt er dabei von Thomas Childers (392), der 1983 eine eigene, umfangreiche schichtenspezifische Untersuchung über die Wähler der NSDAP vorlegte hatte. In Fortsetzung seiner früheren Arbeiten hatte Childers eine komplette Reihe der Weimarer Reichstagswahlen mit NSDAP-Beteiligung von 1924–1932 auf Korrelationen zwischen Sozialstruktur und Anteilen der NSDAP untersucht. Auf einer Grundgesamtheit von 212 Gebietseinheiten korrelierte er die Wahlergebnisse mit Blick auf diese Anteile. Nach Childers verteilte sich der Rückhalt der NSDAP ungleichmäßig auf die verschiedenen Gruppen der Mittelstandswähler. Dabei war die NSDAP keineswegs auf Wähler des unteren Mittelstandes oder sozialer Randgruppen beschränkt. Den Kern der NSDAP-Gefolgschaft, so hatte etwa der amerikanische Historiker Jonathan Osmond (430) gezeigt, bildeten Kleinbauern, Einzelhändler und freie Handwerker. Nach Ausbruch der Wirtschaftskrise wurde dieser harte Kern von Naziwählern durch Protestwähler aus dem ‚neuen‘ Mittelstand und dem RentnerMittelstand verstärkt. Childers fand hohe Zustimmung zur NSDAP beim ‚oberen‘ Mittelstand (Universitäten, Beamte). Stimmen erhielt die NSDAP nach Childers auch von Arbeitern in kleineren Betrieben und städtischen Versorgungsbetrieben. Die NSDAP war 1932, und dies sprach Childers zum ersten Mal aus, aus der Perspektive ihrer Wähler eine Volkspartei. Das einigermaßen Sensationelle an Childers’ Ergebnissen war die Erkenntnis eines heterogenen Wählerpotentials der NSDAP, für das im Sinne der älteren Forschung weder das Stadt-Land-Gefälle noch die Konfession nachhaltig konstituierende Bedeutung hatte. Neben Childers und Katers Forschungen konnte sich Falter durch die Forschungen des amerikanischen Politsoziologen Richard Hamilton (414, 415) bestätigt fühlen. Hamilton hatte sich als Kritiker der These von dem „präfaschistisch“ disponierten Mittelstand in Deutschland einen Namen gemacht. Auch er nannte alle generellen Annahmen über die besondere Bedeutung mittelständischer Gruppen für den Aufstieg des Nationalsozialismus schlicht nicht nachweisbar. Seiner eigenen umfangreichen Untersuchung über das Wahlverhalten von Mittelschichten hatte er Daten von vierzehn deutschen Städten mit Einwohnerzahlen über 100 000 zugrunde gelegt. Die nach städtischen Stimmbezirken geordneten Wahlergebnisse zeigten hohe Stimmenanteile der NSDAP in Quartieren der Oberschicht. Mit diesen Ergebnissen sah er den ‚unteren‘ Mittelstand auf Kosten der Oberschicht entlastet. Beim Datenmaterial berücksichtigte er für Berlin und Hamburg die Wahlen von 1924–1932, für alle übrigen Städte beschränkte er sich auf Wahlen des Jahres 1932.
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Im Unterschied zu Childers und Hamilton löste sich Falter bei der Entwicklung seiner Fragen im Rahmen des von ihm geleiteten Forschungsprojektes „Wählerbewegungen zum Nationalsozialismus“ radikal von der Doktrin von der zentralen Bedeutung des Mittelstandes für den Aufstieg der NSDAP. Mit dieser Trennung auch von den Vertretern einer ‚aufgeklärten‘ Mittelstandsforschung verband er den Anspruch, alle Fragen nach dem Wahl- und Abstimmungsverhalten der deutschen Bevölkerung mit Hilfe des von ihm zur Perfektion entwickelten methodischen Instrumentariums „ökologischer Korrelationsanalysen“ neu und systematischer als bisher zu beantworten. Seine ersten eigenen Ergebnisse veröffentlicht er 1983. Sie fallen zusammen mit denen der Untersuchung von Dirk Hänisch (416), zeitweiliger Mitarbeiters in Falters Team, der die gleichen Daten und Methode genutzt und in Konkurrenz zu Falter eine eigene Auswertung vorgelegt hatte, ohne dabei zu anderen Ergebnissen als Falter zu kommen. 1986 hat Falter (434) schließlich das von ihm aufbereitete und benutzte Datenmaterial der wissenschaftlichen Öffentlichkeit überlassen. Falter und sein Team werten erstmalig systematisch mit Hilfe elektronischer Datenverarbeitung zwei Datenbasen aus. Die erste Basis erfasste das gesamte offizielle Material aller Kommunal-, Landtags- und Reichstagswahlen sowie Daten, die von den zwischen 1919 und 1933 durchgeführten Volksbegehren und Volksabstimmungen sowie den Reichspräsidentenwahlen stammten. Diese Daten wurden auf kleinste, über den gesamten Zeitraum möglichst stabil gehaltene Kreise verteilt. Jedem dieser Kreise wurden Variablen wie Konfession, Bevölkerungsdichte und Beschäftigten- und Berufsstruktur zugewiesen. Die zweite Datenbasis bildeten die Ergebnisse der Volkszählung aus den Jahren 1925 und 1933. Die aggregierten Daten wurden in maschinenlesbarer Form zu einem umfangreichen Datensatz „German Weimar Republic Data 1919–1933“ zusammengefasst und stehen seither der Forschung zur Verfügung. Falters aus dem Blickwinkel der Fragen nach den Ursachen des Wahlerfolges der NSDAP vorgenommene Interpretation harter Sozial- und Wahldaten haben einen Großteil der bisher von der Forschung vertretenen Thesen auf den Kopf gestellt. Mit Lipset hatte z. B. die Forschung vor Falter immer von einem „Mittelstandsbauch“ der NSDAP gesprochen. Das besagte, dass der Schwerpunkt der Wähler der NSDAP außerhalb der Großstädte vor allem beim alten und neuen Mittelstand lag. Falter sah dagegen die NDSAP-Wähler erst nach 1930, gemessen an ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung, auf dem Lande überrepräsentiert. Nur die Zugehörigkeit zum Katholizismus wirkt nach ihm hemmend. Diese Einschränkung sollte die von der „Milieuforschung“ kommende Wählerforschung, wie wir noch sehen werden, kritisch hinterfragen. Bei der Verteilung der NSDAP-Wähler auf die von Falter und anderen Nutzern von Korrelationsanalysen gebildeten Klassen „alter Mittelstand“ (Handwerker/ Händler) „Arbeiter“, „neuer Mittelstand“(Angestellte/Beamte) und „Oberschicht“ stellte Falter fest, dass alle einen festen Prozentsatz von Wählern der NSDAP aufwiesen. Beim Vergleich ihrer Anteile an der Gesamtgesellschaft mit denen an der NSDAP-Wählerschaft zeigte der „alte Mittelstand“, eine leichte
Wer wählte die NSDAP?
Überrepräsentanz, der „neue Mittelstand“ eine geringe Unterrepräsentanz. Die Gruppe „Arbeiter“ dagegen zeigte im selben Vergleich eine markante Unterund die „Oberklasse“ eine starke Überrepräsentanz von NDSAP-Wählern. Damit waren neue Fragen aufgeworfen. c) Arbeiter als Wähler der NSDAP Neben der Erkenntnis, dass die NSDAP in allen gesellschaftlichen Schichten der Weimarer Gesellschaft Wähler mobilisieren konnte, ist die Beobachtung Falters über Wählerwanderungen für die Forschung wichtig geworden. Nach Falter erhielt die NSDAP den größten Zustrom aus dem bürgerlich-protestantischen Lager. Daneben mobilisiert sie Nichtwähler, gewann aber auch Wähler von der SPD und allen übrigen Parteien. In schwächerem Maße gab sie Wähler an KPD und SPD ab. Insgesamt zeigen die Ergebnisse Falters (408), dass die NSDAP in allen sozialen Klassen (einschließlich der Arbeiterschaft) Wähler hatte. Damit löste sich der von der älteren Forschung behauptete Wählerschwerpunkt im Mittelstand auf. Insgesamt zeigte die sozialstrukturelle Herkunft der NSDAP-Wähler keine schichtenspezifische Relevanz, sondern war höchst differenziert. In Ableitung dieser Ergebnisse hat Falter, Childers Formulierung aufnehmend, von der NSDAP als einer „modernen Integrationspartei“, ja als „Volkspartei“ gesprochen, der es gelang, aus allen Bevölkerungsschichten Wähler zu gewinnen. Aus seiner fundamentalen Kritik der vor allem auf Lipset basierenden älteren „Mittelstandsthese“ folgerte Falter (400, 404), dass im Gegensatz zur herrschenden Meinung der Anteil der Arbeiter unter den Wählern der Hitler-Partei nicht gering war. Damit hatte er gegen ein Tabu verstoßen. Doch bereits vor Falter war ein solcher Verdacht geäußert worden, ohne dass ihm die Forschung nachgegangen war. Der englische Sozialhistoriker Timothy Mason (427) war in seiner groß angelegten Untersuchung der deutschen Arbeiterschaft unter dem Nationalsozialismus von einem beachtlichen Anteil von Arbeiterstimmen an dem Wählerpotential der NSDAP vor 1933 ausgegangen. Er quantifizierte diesen grob durch eine Negativschätzung, indem er von den „freibleibenden“ Arbeiterstimmen, das waren sozialstatistisch feststellbare Arbeiterstimmen, die weder der SPD/KPD noch dem Zentrum oder der BVP und Restparteien zugerechnet werden konnten, der NSDAP zuschlug. Bei seinen Berechnungen konnte er, ausgehend von einem geschätzten Anteil von 16,6 Mio. Arbeiterstimmen, nur 10,4 Mio. auf die oben genannten Parteien verteilen. Der Rest von 6,2 Mio. „freibleibenden“ Arbeiterstimmen rechnete er der NSDAP zu. Falter konnte aufgrund seiner Methode präzisere Angaben als Mason zum Anteil der Arbeiter an Hitlers Wählerschaft machen. Im Reichsdurchschnitt, so zeigte er, schnitt die NSDAP in Kreisen mit hohen Arbeiteranteilen kaum schlechter als in Kreisen mit weniger Arbeitern ab. Rein quantitativ waren die so errechneten Arbeiterstimmen für die NSDAP, anders als bisher außer von Mason angenommen, keine zu vernachlässigende Größe. Ab 1928 kamen regelmäßig 40% der NSDAP-Wähler aus Arbeiterhaushalten. Zwar war bei einem Arbeiteranteil von 45% an der Sozialstruktur der Gesamt-
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gesellschaft die Arbeiterschaft unter den Wählern der NSDAP unterrepräsentiert, sie stellte aber dennoch einen festen Anteil. Auch wenn man die soziale Großgruppe „Arbeiter“ in „Industriearbeiter“, „Handwerksarbeiter“ „Arbeiter im Dienstleistungssektor“ „Arbeiter im sekundären und tertiären Sektor“ ausdifferenziert, ändert sich an Falters Rechnung nichts (405, 406). Gerade in diesem Teil standen Falters Ergebnisse im Gegensatz zu Aussagen der Geschichtsschreibung zur Arbeiterbewegung. Diese hatte, wenn überhaupt, nur bestimmten Arbeitergruppen wie ehemalige Landarbeiter, Heimarbeiter, Arbeiter des öffentlichen Dienstes (Arbeiter bei Post, der Eisenbahn, bei Wasser-, Gas- und Elektrizitätswerken), unselbständige Handwerker, Arbeiter in Kleinbetrieben und ehemalige Hausangestellte wegen ihrer größeren Abhängigkeit vom Arbeitgeber sowie aufgrund einer unterstellten „mittelständischen Mentalität“ eine Nähe zur NSDAP konzidiert. Bereits nach Bekanntwerden der ersten Ergebnisse der Falter´schen Wählerforschung hatte Heinrich August Winkler (436) bei der Frage, ob die NSDAP eine „Mittelstandspartei“ oder eine „Volkspartei“ sei, eingeräumt, dass dem Wählerpotential der NSDAP diejenigen Gruppen von Arbeitern zuzurechnen seien, die einen geringen gewerkschaftlichen Organisationsgrad aufwiesen. Auf solche Randgruppen wollte man die Unterstützung der NSDAP durch Arbeiterstimmen beschränkt wissen. Doch dem widersprach Falter: „Davon zu sprechen“, schreibt er, „dass Arbeiter keine oder keine nennenswerte Rolle bei der Entstehung der nationalsozialistischen Wahlerfolge gespielt hätten, erscheint angesichts der hier ausgebreiteten Materialien als verfehlt.“ (404) Die Frage, welche Bedeutung die Arbeiterschaft außer oder innerhalb der organisierten Arbeiterbewegung für den Aufstieg der NSDAP hatte, ist mit solchen Kontroversen längst nicht zur Ruhe gekommen. Einmal festgestellt, wurde der „Nazi-Arbeiter“ zur „unbekannten Figur“, den die Forschung noch zu untersuchen habe (427). Mit einem Mal erinnerte man sich zeitgenössischer, nie veröffentlichter Umfragen wie die des Frankfurter Instituts für Sozialforschung zum „Klassenbewusstsein“ aus den Jahren 1929 bis 1931. Bei 20% der befragten Arbeiter und Angestellten waren hohe „autoritäre Tendenzen“, also dem Nationalsozialismus nicht fremde Dispositionen festgestellt worden (413). Durch den schottischen Zeithistoriker Conan Fischer (409) ist die Frage nach der Rolle der Arbeiter als Wahlklientel der NSDAP auf der Basis der Forschungen Falters noch einmal zugespitzt worden. Nach seiner Einschätzung ist von der bisherigen Forschung das Konkurrenzverhältnis von KPD und NSDAP zugunsten des von KPD und SPD unterschätzt worden. Die geläufige Gegenüberstellung von „Kleinbürgerpartei“ gleich NSDAP und „Arbeiterpartei“ gleich KPD vermittelt nach ihm einen irreführenden Eindruck von dem Arbeiterstamm unter den Wählern der NSDAP. Nach seinen Rechnungen zählte 1932 die NSDAP 267 000 und die KPD 240 000 Arbeiter als Mitglieder. Ende 1932 stieg nach Fischer die Zahl bei der NSDAP auf 300 000. Der immer wieder als Beispiel für die „Berührung der Extreme“ beschriebene Berliner Verkehrsarbeiterstreik von 1932 ist nach ihm nur die Spitze eines Eisberges der konkurrieren-
Wer wählte die NSDAP?
den Nähe von NSDAP und KPD. Die Wählerwanderung zwischen den beiden Parteien hält Fischer – im Vergleich mit der zwischen NSDAP und SPD – allerdings für marginal. Im Zusammenhang mit der Untersuchung des Anteils der Arbeiter an der Wählerschaft Hitlers hat Falter (399, 401–403) Aussagen der älteren Forschung über den Zusammenhang von Nationalsozialismus und Massenarbeitslosigkeit korrigiert. Immer wieder war von ihr pauschal der steigende Wahlerfolg der NSDAP in ursächlichem Zusammenhang mit dem Anstieg der Massenarbeitslosigkeit gebracht worden. Nach Falters differenzierter Darlegung existiert ein solcher Zusammenhang zwar, doch erfolgte die durch die Arbeitslosigkeit zu beobachtende Radikalisierung der Wähler milieuspezifisch. Falter kann keine prinzipiell positive Korrelation von Arbeitslosigkeit und Zustimmung zur NSDAP feststellen. Arbeitslose Arbeiter wählten KPD, arbeitslose Angestellte NSDAP. Da Arbeiter ca. 80% der Arbeitslosen ausmachten, war nicht nur die NSDAP Nutznießer der einsetzenden Radikalisierung unter den Wählern (434a). Die mit den Namen von Thomas Childers, Richard Hamilton, Michael H. Kater und Jürgen W. Falter verbundene schichtenspezifische Wählerforschung zur NSDAP hat sich aufgrund der von ihr gewählten Methoden und vorgelegten differenzierten Ergebnisse zu einem höchst komplizierten Forschungsbereich entwickelt. Damit war die Gefahr einer sich der übrigen historischen Forschung entziehenden Spezialforschung entstanden. Sowohl mit eigenen Forschungen zu diesem Thema als auch durch seinen kritischen Forschungsbericht hat Peter Manstein (426) dieser Tendenz entgegengewirkt. Falter selbst hat diese Gefahr gesehen und hat die von ihm und seiner Forschungsgruppe angewandten Methoden und die während der Arbeit eingetretenen Fortschritte und Korrekturen nicht nur einer engeren wissenschaftlichen, sondern auch der einer breiteren Forschungsöffentlichkeit vorgestellt und diskutiert. Bei solchen Gelegenheiten ist er auch auf die Argumente seiner Kritiker z. B. über die nicht immer herstellbare Kongruenz zwischen historischer Berufsstatistik und Wählerstruktur eingegangen. Wiederholt hat er dabei diese Kritiker aufgefordert, das von ihm aufbereitete und verwendete Datenmaterial, niedergelegt im Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrum Köln, für eigene Fragestellungen zu nutzen. 1991 hat Falter (407) schließlich seine vorher in zahlreichen Einzelveröffentlichungen publizierten Forschungsergebnisse zusammenhängend der breiteren Öffentlichkeit vorgestellt. Aus diesem Anlass hat er in einer zuspitzenden Verallgemeinerung seiner Forschungsergebnisse die NSDAP eine „Volkspartei des Protestes mit Mittelstandsbauch“ bezeichnet und dabei das Ausmaß der von ihm an der älteren Forschung vorgenommenen Korrekturen deutlich gemacht. Zudem brachte er durch die Verwendung des Terminus „Volkspartei“ das Spektakuläre seiner Erkenntnisse noch einmal auf den Punkt. Eine Überprüfung von Falters Ergebnissen wird nur mit Hilfe einer Vielzahl von lokalen Einzeluntersuchungen möglich sein. Diese sind parallel zu seiner Arbeit und verstärkt nach den ersten Veröffentlichungen seiner Thesen entstanden. Die Frage, ob es einen stabilen „marxistischen Wählerblock“ in Weimar gegeben
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habe, was Falter bezweifelt, der einen Zulauf von Arbeitern zur NSDAP verhindert habe und damit Falters Hinweis auf Arbeiterstimmen für die NSDAP relativiert, ist bis in die jüngste Zeit diskutiert worden. Dies zeigt, dass vor allem die Thesen Falters zum Thema NSDAP und Arbeiter noch lange nicht abschließend formuliert sein dürften. In einem von dem bereits erwähnten Conan Fischer (433) herausgegebenen Sammelband haben Jürgen F. Falter, Detlef Mühlberger, William Brustein und Claus-Christian Szejnmann nicht nur den Versuch unternommen, die Arbeiterklientel unter der Mitgliedschaft der Partei Adolf Hitlers regional festzumachen, sondern, ein weiterer Aspekt gruppenspezifischer Wählerforschung, auch Fragen nach dem Anteil der Generationen („A Demographic and Social Profile“) zu bestimmen und einzelne regionale Dispositionen der Arbeiterschaft wie z. B. in Sachsen zu beschreiben. Dies verdeutlicht eindrucksvoll, dass seit Falter Fragen nach der Unterstützung der NSDAP durch Teile der Arbeiterschaft nicht mehr tabuisiert sind. d) Milieu und Wahlverhalten Parallel und zum Teil sich überschneidend hat seit den achtziger Jahren eine milieubestimmte Wählerforschung Erkenntnisse über die Wählerklientel der NSDAP gewonnen. Auch diese Forschungsrichtung basiert, ähnlich wie die Faschismusforschung, auf politisch-soziologischen Gesellschaftsanalysen moderner Demokratien. Sie sind enthalten in den Forschungen von Rainer Lepsius und dessen methodisch bahnbrechenden Untersuchungen über die Zusammenhänge von Parteien- und Sozialstruktur aus dem Jahre 1966. Warum erst mit einer erstaunlich großen Zeitverzögerung die Forschung zum Wählerverhalten lokaler und regionaler „sozialer Milieus“ Lepsius Hinweis gefolgt ist, soll hier unerörtert bleiben. Die auf diesem Wege in Gang gekommene erneute Befragung schichtenspezifischer Milieus wie die Landwirtschaft nach ihrer Nähe zur NSDAP, ist dabei durch ein ganzes Bündel milieuwirksamer Faktoren beantwortet worden. So bei Autoren wie Pyta (432), Bergmann/Megerle (387) und zuletzt Baranowski (386). Letztere hat in einer detaillierten Untersuchung sozialpsychologisch angereicherte schichtenspezifische Wahlgründe für die NSDAP in Pommern herausgearbeitet. Wolfram Pyta hat den Prozess der ‚Überwältigung‘ des bäuerlich-protestantischen Milieus durch die NSDAP mit Hilfe eines milieuanalysierenden Verfahrens der „informellen Teilgesellschaft“ Dorf nachgezeichnet. Dabei nutzt der Autor bei der Untersuchung der dörflichen Mentalgeschichte neue Quellen (Berichte von Pfarrern und Lehrern). Auf diese Weise entsteht eine von kulturgeschichtlich gestütztem Politikverständnis getragene breite Politikgeschichte, welche zu erweiterten Einsichten führt. In gleicher Weise von gesteigertem Interesse sind die Ergebnisse der Untersuchung des katholischen Milieus auf dessen Verhältnis zur NSDAP. Im Gegensatz zum protestantischen Milieu galt und gilt das katholische Milieu traditionell als „Bollwerk“ – so auch in Falters Argumentation – gegen den Ansturm des Nationalsozialismus. Untersuchungen von Heilbronner (419, 120) und Mühlberger (429) haben solche langlebigen und pauschalen Vorurteile auf-
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grund mikrozensischer Analysen korrigiert. Nur kurze Zeit hielten Teile dieses Milieus dem Ansturm der nationalsozialistischen Propaganda stand. Mit dem Namen des amerikanischen Faschismusforschers Peter Fritzsche (410–412) verbindet sich seit einigen Jahren ein dritter Zugang zur NSDAP-Wählerforschung. Fußend auf einer sowohl vertikal als auch horizontal justierten Milieuforschung, verbindet dieser Autor Erkenntnisse zur schichten- und milieuspezifisch bestimmten Wahlklientel der Hitlerpartei mit der Modernisierungsforschung. Ausgangspunkt Fritzsches und seiner Anhänger ist dabei die Abwehr von allen Vorstellungen, der Wahlerfolg der NSDAP sei die vorrangige Folge der Wirtschaftskrise gewesen. Nach Fritzsche bewirkten nicht die krisenabhängigen materiellen, sondern die ideologischen Faktoren den Erfolg Hitlers. Der Nationalsozialismus wird als eine „Erneuerungsbewegung“ gesehen, die sozialreformerische Züge trägt und in bestimmten Milieus „volkstümlich“ auftritt. Ihre Massenwirksamkeit verdankt sie einem von ihren politischen Gegnern unterschätzten populistischen Zug ihrer Politik. Dieter Ohr (430) hat die NSDAP-Wählerforschung um eine regionale Fallstudie solcher schichtenübergreifender propagandistischer Wirkung der NSDAP bereichert. Unter Nutzung der Falter´schen Datenbasis für hessische Gemeinden ist er der Frage nachgegangen, ob diese ihre Wähler „verführt“ oder „manipuliert“ habe oder ob die nachweisbare Wirkung der Propaganda durch „Besetzung nationalistischer Positionen“ erzielt worden sei. Das Ergebnis der lokal begrenzten Untersuchung ist eindeutig und widerlegt wie nebenbei ältere Vorstellungen von der zu vernachlässigenden, weil „irrationalen“ Wirkung nationalsozialistischer Propaganda (388). Im Gegenteil. Nach Ohr wirkt Nazi-Propaganda „konditional“ d. h., Propaganda und inhaltlich-ideologische Orientierung bedingen sich. Die zwischen solchen Teilergebnissen etwa den Falters, Heilbronners und Mühlbergs entstehenden Differenzen und Widersprüche bleiben vorerst ungeklärt. Deutlich schwingt mit solchen Ansätzen das Pendel von der von Kater, Falter, Childers, Hamilton und anderen angestoßenen Wählerforschung zur NSDAP mit ihrer Anwendung extrem soziometrischer Methoden – einem allgemeinen Trend folgend – hin zu mentalitäts- und kulturgeschichtlich argumentierenden und wertenden Arbeitsweisen.
8. Das Ende der Weimarer Republik a) Drei Perspektiven Ian Kershaw, einer der besten Kenner der deutschen Geschichte der Zwischenkriegszeit, bezeichnet den 30. Januar 1933 als das „unnötige, durchaus vermeidbare Ende einer in der Geschichte von hoch entwickelten, pluralistischen Staatensystemen und Industriegesellschaften ungewöhnlich tiefen multidimensionalen Staatskrise“. Den Grund sieht er in dem Zusammentreffen und der Kombination einer ganzen Reihe von Krisen wie die der Wirtschaft, der Regierung, des Parteiensystems und des Parlamentarismus, einer gesellschaftlichen
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Krise und schließlich einer, alle diese Krisen umklammernden, prinzipiellen Legitimationskrise „an der Spitze und an der Basis“ (460). In Anlehnung an Kershaw kann man die Forschung über das Ende der Weimarer Republik aus drei Perspektiven betrachten. Früh hat die Zeitgeschichtsforschung zu Weimar auf die zum Zeitpunkt der Installierung der Präsidialregierungen erreichte Diskrepanz zwischen geschriebener und praktizierter Verfassung und damit auf die institutionellen Bedingungen der Krise aufmerksam gemacht. Nicht weniger Interesse hat das Verhalten gesellschaftlicher und ökonomischer Eliten nach Ausbruch der Krise und die entstehenden gesellschaftlichökonomischen Interessen- und Zielkonflikte sowie ihre politische Umsetzung erregt. Zum Forschungskanon gehören zudem Fragen nach den Handlungsbedingungen und Antrieben derjenigen Persönlichkeiten, die, wie Heinrich Brüning, ab 1930 in das Zentrum der Macht rückten und deren Krisenverständnis entscheidenden Einfluss auf das Schicksal der Weimarer Republik gewinnen sollte. Ein Blick auf den bis heute erreichten Stand der Zeitgeschichtsforschung über das Ende von Weimar zeigt, dass bisherige Einschätzungen, wie die lange Zeit als communis opinio geltende These Karl Dietrich Brachers, das Scheitern der Weimarer Republik sei allein auf die antirepublikanische Gesinnung eines großen Teils der Öffentlichkeit und den Kampf um die Erhaltung der Herrschaft alter Eliten zurückzuführen, einer ganzen Reihe miteinander konkurrierender politik-, gesellschafts- und wirtschaftswissenschaftlicher Interpretationen mit jeweils unterschiedlichem methodischem Zugriff gewichen sind. b) Verfassung und Verfassungswandel Seit Beginn der zeitgeschichtlichen Forschung zu Weimar hat es nicht an Versuchen gefehlt, die Grade von „Verfassungskonformität“ und „Verfassungsbruch“ beim Wandel des parlamentarischen Regierungssystems hin zu einem autoritären Präsidialsystem in ihren verfassungsrechtlichen Gehalt zu bewerten. Es ging dabei immer um die Frage, in welchem Maße in den einzelnen Phasen der Geschichte der Weimarer Republik das in der Weimarer Verfassung (RV) verankerte Gleichgewicht von exekutiver und legislativer Gewalt im Rahmen eines stillen Verfassungswandels aus dem Lot geriet. War damit der Schluss zulässig, dass Weimar eine „Schönwetter-Verfassung“ besaß? Nach der Verfassung sollten z. B. die Befugnisse des Reichspräsidenten und der Reichsregierung einen möglichen „Parlamentsabsolutismus“ im Zaum halten. Die Rechte des Präsidenten waren andererseits verfassungsmäßig durch das Parlament beschränkt. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit konnte den Präsidenten absetzen, sein ersatzweise wirkendes legislatives Notverordnungsrecht nach Art. 48 RV blieb ohne Mitwirkung des parlamentarisch kontrollierten Reichskanzlers und seiner Minister unwirksam. Sogar mit 2/3 Mehrheit erlassene „Ermächtigungsgesetze“ waren nach der Verfassung möglich, wenn auch kein republikanisches
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Parlament bis zum Januar 1933 davon Gebrauch gemacht hatte. Anders stand es mit dem präsidialen Notverordnungsrecht. In den Jahren 1919 bis 1925 waren 135 Gesetze auf dem Verordnungsweg, versehen mit der Unterschrift Friedrichs Eberts, erlassen worden. Die Regierungen Brüning und Papen brachten es in den Jahren 1930 bis 1932 immerhin auf insgesamt 109 Notverordnungen. In unterschiedlichen Phasen der Geschichte der Republik von Weimar hatte die präsidiale Notgesetzgebungsmaschinerie die reguläre Gesetzgebungspraxis substituiert. Ihre Anwendung ab 1930 vermittelt dann das bis heute anhaltende Unbehagen. Die Direktwahl des Reichspräsidenten, die ihm seine herausgehobene Stellung verlieh, gehörte neben den Bestimmungen über Volksbegehren und Volksentscheide zu jenem Teil der Weimarer Verfassung der plebiszitäre Elemente als Gegengewicht bzw. Ergänzung des repräsentativen Parlamentarismus ins Spiel brachte. Erst in der krisenbestimmten Tagespolitik sollte diese Form direkter Demokratie ihr Doppelgesicht zeigen. In dem Reichspräsidentenwahlkampf der Jahre 1925 und 1932 bot der Streit um die Kandidaten für das höchste Amt allen politischen Kräften Gelegenheit, das politische Leben von Weimar zu polarisieren. Vergleichbares wiederholte sich bei der Anwendung der Bestimmungen über Volksentscheid bzw. Volksbefragung. Viermal, 1926 im Streit um die „Fürstenenteignung“, 1928 in der Frage des Panzerkreuzerbaus, 1929 beim Kampf der Rechten gegen den Young-Plan und 1931 bei der Initiative zur Ablösung der preußischen Minderheitsregierung, vergiftete die jeweilige Kampagne das innenpolitische Klima. Die ältere zeithistorische Forschung hat die Weimarer Republik aufgrund der zentralen Bedeutung, welche die Parteien in ihr hatten, als „Parteienstaat“ definiert. Im Rahmen der umfänglichen Parteienforschung wurden alle Parteien in den verschiedenen Phasen Weimarer Republik bis hin zum „Ende der Parteien“ 1933 detailliert untersucht. Dabei wurden das geltende Verhältniswahlrecht, das Fehlen eines speziellen Weimarer „Parteiengesetzes“, die fehlende Tradition einer Regierungsverantwortung der Parteien als Gründe für die nicht zu übersehende Schwäche des Weimarer Parteienstaates genannt. Zwar geriet bei der Erforschung der Parteien auch das Verbandswesen in den Blick, doch es rückte nicht in das Zentrum des Interesses. Dies ist verwunderlich, weil sich das kritische Urteil über die Weimarer Parteien gerade mit Blick auf deren starke Verflechtung mit den in Verbänden organisierten Sonderinteressen begründete: Weimar war Parteien- und Verbandsstaat (443). Neuere Forschungen haben die personelle und institutionellen Verzahnung von einzelnen Parteien mit Interessengruppen bis hin zur finanziellen Abhängigkeit offen gelegt und deren Einflussnahmen nachgezeichnet. Dabei bildeten die Beziehungen der SPD zu den freien und des Zentrums zu den christlichen Gewerkschaften einen Sonderfall. Die Verbindung von Gewerkschaften und Parteien unterlag Konjunkturen. Nach Ausbruch der Wirtschaftskrise trieb die Arbeitslosigkeit und sozialdemokratische Regierungsbeteiligung Gewerkschaften und Arbeiterpartei gegeneinander. Unter den Präsidialkabinetten lockerte sich sogar die
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jahrelange enge Zusammenarbeit von SPD und Gewerkschaften (477). Im Zentrum wurde nach Ausbruch der Staatskrise der bis dahin erhebliche Einfluss des christlichen Gewerkschaftsflügels unter Adam Stegerwald zugunsten konservativer Gruppen zurückgedrängt. Früh ist die historische Forschung bei der Untersuchung des Weimarer Parlamentarismus auf dessen verfassungswidrige Deformationen gestoßen. Allein die Beobachtung, dass von dreizehn Weimarer Regierungen nur vier bei ihrer Bildung und während ihrer Arbeit vom erklärten Vertrauen des Parlaments getragen, alle übrigen entweder nur toleriert oder einfach geduldet wurden, verstärkte die Skepsis gegenüber der Konsensfähigkeit der damaligen Parteipolitiker. Hätte eine funktionierende Verfassungsgerichtsbarkeit die auftretenden Spannungen zwischen geschriebener und praktizierter Verfassung beilegen können? Hätte ein substantielles Verfassungsrecht und seine Anwendung ein politisch und verfassungsrechtlich so spektakuläres Ereignis wie den „Preußenschlag“, die Absetzung der gewählten preußischen Landesregierung Braun/Severing durch die Reichsregierung unter Franz von Papen am 20. Juli 1932, und die Etablierung einer autoritären Staatsführung verhindern können? Der von Preußen angerufene Staatsgerichtshof verneinte in seinem Urteil vom 20. Oktober die Voraussetzungen für eine Reichsexekution nach Art. 48 Abs. 1, stellt dies aber gleichzeitig unter Berufung auf Abs. 2 in das Ermessen des Reichspräsidenten (442, 446). Wie war es um die Stabilität eines anderen Grundpfeilers der Weimarer Verfassung, des Föderalismus, in der letzten Phase der Republik bestellt? Nicht ohne Widerspruch zu finden (470) hatte sich nach Horst Möller (464) bis 1930 in dem bei weitem größten Weimarer Reichsland Preußen ein stabiles parlamentarisches Regierungssystem ausgebildet. Sein Garant war die über Jahre gewachsene Zusammenarbeit der Parteien der „Weimarer Koalition“ (SPD, Zentrum und DDP). Der Generalisierung eines solch positiven Urteils über den Weimarer Föderalismus steht die Beobachtung der parlamentarischdemokratischen Entwicklung kleinerer Länder seit 1930 entgegen. Der Etablierung starker NSDAP-Fraktionen in die Länderparlamente gestaltete die Regierungsbildung schwierig. Ohne je eine mit Preußen vergleichbare Stabilität erlangt zu haben, beteiligte sich die NSDAP nach einem spektakulären Wahlerfolg an der Regierung in Thüringen und besetzte mit Wilhelm Frick 1930 zum ersten Mal das wichtige Innen- und Kulturressort. Im Herbst tritt die Partei in die braunschweigische Landesregierung ein. Auch hier ist der Innenminister ein Nationalsozialist. Im November wird die NSDAP bei den Bürgerschaftswahlen in Bremen nach der SPD mit 32 Sitzen mit Abstand zweitstärkste Partei; im Mai 1931 bildet sie die größte Fraktion im Oldenburgischen Landtag. In anderen Ländern wird wie in Hessen wegen der Größe der Landtagsfraktion der NSDAP die Regierungsbildung nahezu unmöglich. Solche Vorgänge zeigen, dass sich der Föderalismus nach dem Aufstieg der Hitler-Partei keineswegs zum Hort des Widerstandes gegen Hitler eignete. Im Gegenteil: Angesichts der anhaltenden Wahlerfolge der NSDAP zeigt der verfassungsrechtlich verankerte Föderalismus in der Praxis deutliche Erosionserscheinungen (480).
Das Ende der Weimarer Republik
c) „Verrat“ der Eliten Welchen Anteil haben politische und wirtschaftliche Eliten am Ende der Weimarer Republik? Wie stand es z. B. um die Integrität des Inhabers des höchsten Amts der Republik? Hindenburg hatte als ehemaliger kaiserlicher Generalfeldmarschall alles andere als ein ziviles Verständnis von seinem Verfassungsamt. Die Verbindungen zur Reichswehr waren eng. Der Leiter des Truppenamtes, General Kurt von Schleicher, seit 1930 der eigentliche politische Kopf im Reichswehrministerium unter Groener, entwickelte eigene Vorstellungen über die „Bändigung“ des Weimarer Parlamentarismus. Er gilt als der ‚Erfinder‘ der ‚Lösung Brüning‘ (457). Jüngst hat Harald Zaun (486) in einer Untersuchung über den Einfluss Hindenburgs auf die deutsche Außenpolitik auch auf diesem Feld der Person des Reichspräsidenten ein im Vergleich zur früheren Forschung deutlich stärkeres Gewicht zugeschrieben. Noch bevor es nach Aufdeckung nationalsozialistischer Umtriebe im Offizierskorps im September 1930 vor dem Reichsgericht zu einem Hochverratsprozess kam, hatte in einem schleichenden Prozess das Offizierskorps seinen unter Groeners Vorgänger Seeckt und Gessler selbstgewählten Elfenbeinturm verlassen. Der Ulmer Reichswehrprozess bot Hitler als Zeuge der Verteidigung Gelegenheit mit Blick auf die Reichswehr der Öffentlichkeit die Legalitätstaktik seiner Partei zu erläutern: „Die Verfassung schreibt uns nur die Methoden vor, nicht aber das Ziel. Wir werden auf diesem verfassungsmäßigen Wege die ausschlaggebende Mehrheit in den gesetzgebenden Körperschaften zu erlangen suchen, um in dem Augenblick, wo uns das gelingt, den Staat in die Form zu gießen, die unserer Idee entspricht“. Bereits 1954 hatte Thilo Vogelsang (484) die Aufzeichnungen der seit 1930 im vierteljährlichen Abstand durchgeführten Befehlshaberbesprechungen der Reichswehr publiziert. Sie dokumentieren eine Involvierung der höheren Armeekadern in tagespolitische Fragen. In Anwesenheit des Reichswehrminister und des Chefs der Heeresleitung diskutierten sie neben wehr- auch innen- und außenpolitische Fragen. In Ulm waren allerdings nur Offiziere im Leutnantsrang wegen nationalsozialistischer Unterwanderung der Reichswehr angeklagt. Solche Entwicklungen begleiteten den Übergang vom parlamentarischen zum autoritären Regierungssystem und lassen die Entwicklung des Jahres 1930 nicht als spektakulären Vorgang erscheinen, sondern allenfalls als einen Prozess, der dem bis zu diesem Zeitpunkt eingetretenen Verfassungswandel Rechnung trug. Untersuchungen aus den achtziger Jahren haben den den einzelnen Präsidialkabinetten zugrunde liegenden politischen Konzeptionen und Kräftekonstellationen im Vergleich zu der bisherigen Forschung ein deutlich anderes Gewicht gegeben. Heidrun Holzbach (455) hat 1981 das Scheiterns des „Systems Hugenberg“, einer späten Form „bürgerlicher Sammlungspolitik“, bereits als eine Folge des eingetretenen Verfassungswandels und seiner Auswirkungen auf das konservative Lager beschrieben. Autoritäre Alternativen zur Rettung der Republik vor der Machtübernahme durch Hitler sind dabei ernsthaft diskutiert worden (Hans Mommsen, Eberhard Kolb).
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Welche Rolle spielten in dieser sich wandelnden Verfassungswirklichkeit die politischen und gesellschaftlichen Eliten? In welchem Ausmaße suchten sie diesen Wandel für die Durchsetzung eigener Interessen und politischer Ziele zu nutzen? Zu Beginn der Forschung über das Ende der Weimarer Republik wurde diese beherrscht durch das Diktum, „Großagrarier“ und Repräsentanten der Großindustrie hätten Hitler zur Macht verholfen. Für die „Junker“ standen Namen wie Elard von Oldenburg-Januschau, ein politischer Dilettant, und nur in die Öffentlichkeit gelangt als Freund und Nachbar Hindenburgs auf dessen ostpreußischem Gut Neudeck. Von ihm stammt ein privater Brief an den Reichspräsidenten, in dem er die „Osthilfe“ Brünings des „Bolschewismus“ verdächtigte. Für die „Mitschuld“ der Industrie am Niedergang der Republik stand das durch den Bankier Kurt von Schroeder vermittelte Treffen Hitlers mit einer Reihe von Industriellen in Köln 1932. Einzelne Personen und mehr oder weniger spektakuläre Ereignisse wurden als Beweis für das Ziel deutscher Eliten, das ihnen nach dem Sturz der Monarchie aufgezwungene Weimarer System bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zu beseitigen, gewertet. Es ist das Verdienst des amerikanischen Historikers Henry Ashby Turner aufgrund einer intimen Kenntnis der in Frage kommenden Quellen immer wieder auf den fragwürdigen Erkenntniswert solcher „Verschwörungstheorien“ hingewiesen zu haben (481–483). Sehr viel ernsthafter als einzelne Personen für das Ende von Weimar verantwortlich zu machen, sind jene Versuche zu bewerten, die das Scheitern der Republik auf die Wirkung sozialökonomisch bedingter kollektiver Verhaltensweisen zurückführen. Nach wie vor und trotz aller geäußerten Kritik nehmen dabei die Arbeiten des amerikanischen Historikers David Abraham (437) eine Sonderrolle ein. In Anlehnung an die soziologischen Gesellschaftsanalysen des italienischen Marxisten Antonio Gramsci sieht Abraham die Funktion des Weimarer politischen Systems in enger Abhängigkeit von der Konstellation sozialökonomisch strukturierter Machtgruppen. Da diese Gruppen keine monolithischen Blöcke bilden, regelt die Konjunktur wirtschaftlicher Interessen das gruppenmäßige Zusammenwirken, stabilisieren oder destabilisieren soziale Reflexe das politische System. Nachdem Abraham für seine Untersuchung von prominenter Seite (Knut Borchardt) Zustimmung erfahren hatte, wurde sein Buch nach einem heftig geführten Streit über Methoden und unterlassene Quellenkritik verworfen, und seine Argumente und Ergebnisse wurden von der Forschung nicht mehr ernsthaft in Betracht gezogen worden. Doch damit war der in den sechziger Jahren begonnene Streit um Rolle und Einfluss von Machteliten auf das Schicksal der Weimarer Republik nicht beendet. Auf deutlich verbreiterter Materialbasis wurden Ende der siebziger und in den achtziger Jahren alte Fragen neu beantwortet. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse über aktive Einflussnahme industrieller (459, 485) und agrarischer Gruppen (448, 471, 487) haben das Ineinandergreifen von wirtschaftlichen Interessen und politischen Entscheidungen vor und nach Ausbruch der Krise deutlicher als bisher dokumentieren können.
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Auf Seiten der Landwirtschaft, lange ein forschungsgeschichtliches Stiefkind, konnte gezeigt werden, wie agrarische Verbandsfunktionäre wie Martin Schiele (DNVP und Landbund), Andreas Hermes (Zentrum und Christlicher Bauernverband) und Georg Heim (BVP und Bayerischer Bauernbund) durch ein geschickt in parlamentarisch/außerparlamentarische Strategien umgesetztes „gouvernementales Konzept“ unter dem Label „Grüne Front“ (463) Erfolg hatten. Die vereinte Agrarlobby gewann auf diesem Wege nicht nur in einzelnen Parteien erheblichen Einfluss, sondern erzwang von allen Weimarer Regierungen erhebliche agrarprotektionistische Zugeständnisse (451a). Auf Seiten der Industrie standen zu Beginn der Republik einzelne Unternehmerpersönlichkeiten wie Hugo Stinnes für ein politisches Konzept bedingter Zusammenarbeit mit dem neuen Staat. Der Zechenbesitzer Emil Kirdorf, Fritz Thyssen und zeitweise Friedrich Flick dagegen repräsentierten einen kompromisslosen Kurs gegen das „System“. Männer wie Paul Reusch (Gutehoffnungshütte), Paul Silverberg (Deutsches Braunkohle Syndikat), Carl Duisberg (Bayer) und Carl Bosch (IG Farben) wiederum steuerten über Jahre einen zwischen Kooperation und Opposition wechselnden Kurs. Unterschiedliche Einschätzung über die Rolle der Industrie gegenüber der Republik behinderten konsensuale Willensbildung und praktisches kollektives politisches Handeln. Die Haltung des „Reichsverband der Deutschen Industrie“ oder der Arbeitgeberverbände gegenüber den Parteien und den Weimarer Regierungen war höchst widersprüchlich. In Fallstudien wie der über den prominenten und politisch engagierten jüdischen Industriellen Paul Silverberg (468) sind erstaunliche Voraussetzungen dieser Politik bis hin zu ganz persönlichen Haltungen gegenüber der NSDAP deutlich geworden. Sucht man auf Unternehmerseite nach einem roten Faden politischen Handels, so ist es wohl die weit verbreitete Skepsis, dass nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise eine parlamentarische Regierung von „Weimarer Format“ in der Lage sein würde, die Haushaltssanierung, die Reparationsregelung und den Kurswechsel in der Handelspolitik zu einem guten Ende zu führen. Es mehrten sich vielmehr die Stimmen, welche die Krise zu einer grundsätzlichen Revision des Regierungssystems zu nutzen gedachten. Wie sehr die Bereitschaft hierfür gewachsen war, zeigt der unversöhnliche Kurs der Unternehmer in den großen Arbeitskämpfen dieser Jahre. So nahmen Teile der Schwerindustrie die durch einen staatlichen Schiedsspruch beendeten Lohnkämpfe des Jahres 1928 zum Anlass, das gesamte Tarifrecht zur Disposition zu stellen. Dies gab sowohl den umfangreichen Aussperrungen in der sächsischen Metallindustrie als auch der Zuspitzung bei den Lohnverhandlungen in der nordwestdeutschen Eisenindustrie im Herbst 1928 ihre Dramatik. Der „Ruhreisenstreit“ dauerte vom Oktober bis zum Jahresende und führt zum Streik bzw. zur zeitweiligen Aussperrung von 230 000 Arbeitern (447). In diesen Konflikten wurde nicht nur die Gewerkschaft bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit geprüft, sondern sie stellten zudem für die SPD in ihrer zweifachen Rolle als Regierungs- und Interessenpartei (469) eine große, schließlich nicht mehr zu bewältigende Herausforderung dar. Auf allen politischen Ebenen spitzte sich gegen Ende der Republik die
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Forschungsprobleme
Frage zu, welche gesellschaftlichen Kräfte und die mit ihnen verbundenen sozialen und wirtschaftlichen Interessen die Oberhand behalten würden. d) Heinrich Brüning und das Ende von Weimar Nach Ausbruch der Krise fiel dem bereits durch eine Reihe von Einzelmaßnahmen übermächtigen Weimarer Interventionsstaat in den Augen der Befürworter der Präsidiallösung die Aufgabe zu, notwendige antizyklische Wirtschafts- und Finanzmaßnahmen mit einer inneren Verfassungsrevision und einer Neuformulierung einer revisionistischen Außenpolitik zu verbinden (474) Dabei kam den seit 1931 frei von allen parlamentarischen Kontrollen handelnden Personen eine entscheidende Rolle zu. Dies führt in den dritten eingangs angerissenen Forschungskomplex, in dem es um die Bedingungen und den Handlungsspielraum derjenigen Personen geht, die auf dem Höhepunkt der Krise politische Verantwortung übernommen hatten. Anders als in der Diskussion um die ‚richtige‘ d. h. antizyklische oder ‚falsche‘ d. h. prozyklische Politik in den fünfziger und sechziger Jahren schließt die derzeitige Forschung (438) die Diskussion von Varianten und/oder Alternativen zu den getroffenen Entscheidungen ein. Seit den fünfziger Jahren bietet die Forschung auf die Fragen nach den Handlungsspielräumen der im Gegensatz zu den vorangegangenen parlamentarischen Regierungen mit außerordentlichen Machtmitteln ausgestatteten autoritären Reichsführungen ein breites Spektrum von Antworten. Borchardt (siehe Kap. III, 6) hatte bestritten, dass unter Brüning eine erfolgreiche antizyklische Politik möglich gewesen wäre, deren Erfolge die ‚Machtergreifung‘ Hitlers hätte verhindern können. Damit wären Heinrich Brüning und mit ihm alle zeitgenössischen Entscheidungsträger als Politiker und Persönlichkeiten entlastet (454, 473). Diese Forschungsmeinung hat bis heute alle Frage nach weitergehenden Absichten Brünings im Zeitraum vom März 1930 bis Mai 1932 beeinflusst. Ob man überhaupt angesichts einer ganzen Reihe nachweisbarer Zielkonflikte des Brüning’schen Konzeptes zur Bekämpfung der politischen und wirtschaftlichen Krise von einem solchen reden darf, ist bis heute trotz vieler Antworten nicht einleuchtend geklärt (449, 450). Dies gilt auch für die Frage, welchen Zwängen der Vertrauensmann Hindenburgs intern ausgesetzt und welchen Loyalitäten er verpflichtet war. Nach wie vor aber kann, ja muss die Brüningforschung davon ausgehen, dass ab 1930 die Wirtschaftskrise zum Umbau der deutschen Politik instrumentalisiert worden ist. Mit der Veröffentlichung seiner Memoiren im Jahre 1970 (476), in denen er feststellt, er sei kurz vor Erreichung seines Zieles durch Intrigen gestürzt worden und sein langfristiges Ziel sei die Wiedereinführung der Monarchie in Deutschland gewesen, hat Brüning selbst nichts zur Beantwortung dieser nach wie vor offenen Fragen beigetragen. Die Nutzung der lange Zeit gesperrten „Brüning-Papers“ in Amerika hat keine neuen Erkenntnisse erbracht (467). So bleibt die Person des Zentrumspolitikers weiterhin rätselhaft und unterliegt seine Politik einer höchst schwankenden, in der Tendenz aber überwiegend kritischen Beurteilung. 1992 wurde ein neuer, nicht unspektakulärer Schritt zur politischen Bewer-
Das Ende der Weimarer Republik
tung der Konstellation „Präsidialkabinette – Restauration – Krisenmanagement“ unternommen. Er basiert auf neueren verfassungsgeschichtlichen Untersuchungen von Bernd Hoppe (456) und Lutz Berthold (439), der die Rolle des Staatsrechtlers Carl Schmitt noch einmal mit Blick auf den Staatsnotstand bewertet. Ähnlich diskutieren Peter Blomeyer (444), Hans Boldt (445) und Dieter Grimm (453) noch einmal die Folgen der Diskrepanz zwischen Verfassungswirklichkeit und Verfassungsnorm. Gegenüber programmatischen Fragestellungen wie „Komplott der Machteliten oder Selbstpreisgabe einer Demokratie?“, „Verfassungsumbau?“ von Hans Mommsen (466) sowie „Rolle der Machteliten?“ von H. A. Turner (482), Jürgen John (459) und Wolfgang Zollitsch (487) scheinen wirtschaftliche Fragestellungen zurückzutreten. Beiträge wie der von Eberhard Kolb/Wolfram Pyta (462) unterstreichen den bis zu diesem Zeitpunkt eingetretenen Paradigmenwechsel. Unabhängig von der Glaubwürdigkeit des Gewährsmannes Brüning wird der Konstruktion der Präsidialkabinetten eine innere politischen Logik zuerkannt, welche die autoritären Straffung der Exekutivgewalt mit dem Ziel, die Hitler-Partei von der Macht fern zu halten, als reale Krisenstrategie diskutiert (475, 477). Ein solcher Ansatz ist 1997 bei verschiedenen Anlässen zum Teil von den gleichen Autoren (465) vertieft und erweitert worden, ohne dass die dabei erzielten neuen Erkenntnisse wegen der noch ausstehenden ausführlichen Darlegung der „intrakonstitutionellen Stärkung der Exekutive“ in Gänze hätten überprüft werden können. Das „präsidiale System“, eine „Regierung ohne Parteien“ (Hans Mommsen) als Lösung der deutschen Staatskrise ist in der Tat eine, verglichen mit dem Beginn der Forschung zu Weimar, Tabus brechende Sicht. Aus ihr sind die „Handlungsspielräume und Alternativen“ des Regierens seit 1930 anders zu bewerten als in jenen Zeiten, in denen der kleinste Schritt vom Pfad des Parlamentarismus in das verminte Gelände einer historischen Demokratiekritik führen musste. Ob es erst der Erfahrung der neunziger Jahre (also der nur bedingt steuerbaren Wiedervereinigungspolitik) bedurfte, um ein solch aufgeklärtes Verständnis für die Probleme der Weimarer Republik aufzubringen, wie ein Teilnehmer dieses wissenschaftlichen Diskurses meint, sei dahin gestellt. Mit seiner jüngsten Veröffentlichung hat der ausgewiesene Zeithistoriker Hermann Graml (452) anhand seiner Untersuchung über die Außenpolitik der Präsidialkabinette noch einmal alle Argumente für die Existenz eines handfesten deutschen Revisionismus zusammengetragen. Danach müssten Brüning und seinen Nachfolgern antiparlamentarische und auch nationalistische Absichten unterstellt werden, die als Handlungsmotiv einen „klaren Bruch“ mit den Grundsätzen der Stresemannschen Politik bedeuten. Mit diesem Resümee entscheidet Graml für sich den Streit zwischen Revisionismus und fehlenden Handlungsspielräumen als Gründe für den Untergang Weimars noch einmal klar für Ersteren.
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IV. Schluss 1. Weimar – „Experiment“ der Moderne? Das imponierende Wissen über Teile des historischen Gesamtprozesses von Weimar, unsere detaillierten Kenntnisse über antizyklische Wirtschaftspolitik, sozialökonomisch motivierte Interessenpolitik, wechselnde innenpolitische Optionen bei der Formulierung von außenpolitischen Konzepten oder über die innovative Handhabung der Instrumente des nationalen und internationalen Finanz- und Kapitalmarktes und vieles andere hat dazu geführt, Weimar auch unter einem „experimentellen“ Gesichtspunkt zu diskutieren. Weimar als „Experiment der Moderne“ (266) meint, dass nach Feststellung der historischen Wirklichkeit die Forschung „vernünftige“ Varianten dieser Wirklichkeit „durchspielt“ und „nachstellt“, um mögliche, in der Zeit nicht ausgeschöpfte wohl aber angelegte Potentiale einer umfassenden Aktionsmatrix auch zukünftiger Entwicklungen zu erkennen. Gleichsam so, als öffne unser Wissen über Anläufe, Begleitumstände, Zusammenhänge und Ursachen dem forschenden Historiker den Blick für eine neue, „virtuelle“ Existenz von Geschichte. Der englische Historiker Niall Ferguson1 hat diese Vorstellungen auf die Spitze getrieben und ihren Sinn dargelegt. Mehr praktisches Gewicht haben jedoch eine Reihe anderer Fragen.
2. Was hat die Forschung zu „Weimar“ bisher nicht geleistet? Unsere Kenntnis von den Bewohnern der Dörfer und Landstädte der zwanziger und dreißiger Jahre und folgender Jahrzehnte ist- sieht man von wenigen Beispielen ab- in jeder Hinsicht fragmentarisch und bewegt sich noch immer auf der Ebene punktueller Einsichten. Doch nicht nur die sozial reich gegliederte Gruppe der Landbewohner ist wenig erschlossen. Erst seit wenigen Jahren hat eine Minderheitenforschung die von diesen repräsentierten politischen, gesellschaftlichen oder kulturellen Alternativen zu Weimar mentalgeschichtlich thematisiert. Um ein anderes Beispiel zu nennen. Wir wissen bis heute wenig über die Bedeutung des Antisemitismus von Weimar und seiner Bedeutung als Vorbereiter des Nazi-Terrors. Man kann solche bestehenden Defizite zuspitzend verallgemeinern: Weitgehend bekannt sind die ‚Objekte‘ der Weimarer Geschichte, die Rahmenbedingungen, Institutionen und Prozesse, weitgehend un1 Ferguson, Niall (Ed.): Virtual History: Alternatives and Counterfactuals, London 1997, in dt. Übersetzung Darmstadt 1999.
Weimar – „Epoche der Zwischenkriegszeit“
bekannt sind die sozial aggregierten oder individuell separierten ‚Weimarer Subjekte‘. Unsere Kenntnis vom Denken und Fühlen des/der Zeitgenossen als Einzelner oder als Gruppe ist gering. Eine Mentalitätsgeschichte, in der sich objektiver Verlauf und das entsprechende individuelles/kollektives Bewusstsein zusammenschließt, steht noch aus. Solche Untersuchungen müssten etwas über den ‚Klimasturz‘ von der ausgeglichenen Wetterlage des wilhelminischen Obrigkeitsstaates und seiner Gesellschaft zum atmosphärisch aufgeladenen staatlich/gesellschaftlichen Umfeld einer brutalisierten Nachkriegsgeneration in Erfahrung bringen (90, 101). Wie steht es mit der Massenhaftigkeit dieses von Ernst Jünger mal polemisch/agitatorisch, mal literarisch/diskursiv beschriebenen Vorgang? Was bedeutet etwa das Aufkommen eines „Amerikanismus“ als kultureller Ersatz für eine unscharf werdende „Nationalkultur“?
3. Weimar – „Epoche der Zwischenkriegszeit“ Fülle und Defizite provozieren in gleicher Weise Versuche, die dichte und breit ausdifferenzierte Forschungslage zu Weimar unter Ausgrenzung der ‚weißen Flecken‘, epochenmäßig zu strukturieren d. h. Weimar in ein größeres Raster deutschem Geschichtsverständnis zuzuordnen. Der Bogen spannt sich dabei von Karl Dietrich Brachers Versuch aus den fünfziger Jahren über Karl Dietrich Erdmanns Beitrag für den „Gebhardt“ von 1979 bis zu Heinrich August Winklers Aufarbeitung der Geschichte der sozialen Bewegung aus den Jahren 1996 und 2000 als einer geschichtlichen Wende nach dem Vorbild westlicher Demokratien. Wie selbstverständlich wird dabei die Zwischenkriegszeit als Epoche der deutschen Geschichte zweigeteilt: Auf die liberal-demokratische Republik von Weimar von 1918 bis 1933 folgt ohne stringenten inneren Bezug das autoritäre NS-Regime und sein Untergang 1945. Nach Wegfall der das bundesrepublikanische Staatsbewusstsein mitkonstituierenden Formel „Bonn ist nicht Weimar“ hat sich der Blick schärfer auf die Gemeinsamkeiten und den Zusammenhang dieser beiden Abschnitte der deutschen Geschichte gerichtet. Inspiriert durch politikwissenschaftliche Modelle wurden die historischen Besonderheiten der ersten deutschen Republik beschrieben als „improvisierter“ Staat, als „ unvollendete Demokratie“, als „Republik auf Zeit“ als „unvollendeter Parteienstaat“, der am Ende einem „Komplott der Machteliten“ erlegen war. Aus sozialpsychologischer Sicht waren der Weimarer Republik Selbstauflösungs-Tendenzen unterstellt worden, wobei ihr Absturz im Bild von der „Belagerten Civitas“ schicksalhaft beschlossen schien. Mitte der siebziger Jahre wurden solche Bemühungen durch nüchterne, stärker sozial- und wirtschaftsgeschichtlich akzentuierte Analysen der besonderen Weimarer Probleme abgelöst. Sie gingen von der Beobachtung bestehender Strukturfehler und einer von der Weimarer Politik nicht geleisteten Synchronisierung von Politik-, Gesellschafts- und Wirtschaftsentwicklung (Bochumer Symposion von 1974 und Borchardt – Kontroverse 1979) aus. Schritt für Schritt
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Schluss
näherte man sich dabei dem Paradigmenwechsel: Weimar als Teil der Zwischenkriegszeit.2 Bis heute unbeantwortet ist dabei die Frage, wie die in zwei so ungleiche Phasen zerfallende Gesamtepoche „Zwischenkriegszeit“ inhaltlich-begrifflich zu fassen ist. Welche Tragfähigkeit kommen aus der Kunstgeschichte entlehnten Begriffen wie Expressionismus und Spätexpressionismus, „Neue Sachlichkeit“ oder „Neuer Klassizimus“ zu, die anhand von Wechsel und Dauer bestimmter Stilelemente etwa im Werk von Max Beckmann, Gottfried Benn, Hans Henny Jahnn u. a. durch kulturkritische Überhöhung den Epochencharakter ableiten (Georg Bollenbeck)? Taugt der Begriff „Klassische Moderne“ als jener Mischkultur von Avantgarde, tradierter ‚hoher‘ Kunst und kommerzieller „Massenkunst“ für diesen Zweck (Peter Gay)? Ist es plausibel, angesichts des umfassenden gesellschaftlich-politischen Wandlungsprozesses zwischen 1918 und 1945 vom Ende des „Bürgerliche Zeitalters“ zu reden (Hans Mommsen)? Welchen Sinn hat es, mit Ernst Nolte als Repräsentant einer ideengeschichtlichen Geschichtsauffassung das 20. Jahrhundert als ein „mit Blut und Tränen“ eröffnetes praktisches Einübungs- und Erprobungsfeld der Ideologien des 19. Jahrhunderts wie Liberalismus, Sozialismus und Nationalismus zu begreifen? Oder kennzeichnet der in der Weltwirtschaftskrise aufkommende „moderne Interventionsstaat“ als Metamorphose eines „organisierten Kapitalismus“ durchgehend die Epoche (Heinrich August Winkler)? Prägt der Zerfall einer alten und der Aufbau einer neuen Weltwirtschaftsordnung mit allen Folgen das Zusammenleben der Staaten, die Welt (Gilbert Ziebura; Gustav Schmidt)? Oder sollte man die Zwischenkriegszeit als Teil einer sich beschleunigenden, nur bedingt steuerbaren Modernisierung voller Verwerfungen und Paradoxien begreifen (Detlev J. K. Peukert)? Oder trifft keines der Merkmale oder alle zu?
4. Methodenpluralismus und der Trend zur Kulturgeschichte In den sechziger und siebziger Jahren erschien es mit Blick auf die umfassende Forschungstätigkeit zu Weimar bei der Bewertung einzelner ihrer Erträge ein Gewinn, in die kritische Ergebniskontrolle auch eine Bewertung des jeweils vom Autor verwendeten methodischen Instrumentariums einzubeziehen (451). Solcher Ehrgeiz, bei Wertung und Kritik neuer Erkenntnisse Fragestellung, methodisches Instrumentarium und erzielte Ergebnisse aufeinander zu beziehen, Wie selbstverständlich benutzt die neuere Forschung den Terminus Zwischenkriegszeit als Epochenbezeichnung, siehe: Stabilization Europe 1918–1945–1989; Three Postwar eras in comparison, Conference Report University of Keele 31. March–1. April 1995, in: Contemporary History Vol. 4, (1995), S. 393–396 und Manfred Kittel/Daniela Neri/Thomas Raithel/Andreas Wirsching: Faktoren der Stabilität und Instabilität in der Demokratie der Zwischenkriegszeit. Ein vergleichendes Forschungsprojekt des Instituts für Zeitgeschichte zur deutschen und französischen Geschichte, VjhZG 46 (1998), S. 807–831. 2
Methodenpluralismus und der Trend zur Kulturgeschichte
hat deutlich nachgelassen. Mit Blick auf die jüngste Forschung scheint es, als würden die unterschiedlichen politik-, wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Fragestellungen und angewandten Methoden in die eine Geschichtsschreibung einmünden, in der alle Widersprüche in einem ‚höheren‘ kulturgeschichtlichen Sinne aufgehoben sind. Die Ergebnisse kurzfristiger Analysen erhalten erst in ihr eine längerfristige Einordnung und abschließende Bewertung. Alles hat seinen Preis! Die dabei zu beobachtende Verwendung des Modernisierungstheorems hat die gewonnenen Erkenntnisse – um es milde zu sagen – höchst komplex, sich punktueller Kritik entziehend werden lassen. Andererseits nimmt man mit Erstaunen die dabei entstehende Fülle neuer Fragestellungen zur Kenntnis.
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Literatur Gesamtdarstellungen, Handbücher, thematische und themenübergreifende Sammelwerke (1) Abelshauser, Werner (Hrsg.): Die Weimarer Republik als Wohlfahrtsstaat. Zum Verhältnis von Wirtschafts- und Sozialpolitik in der Industriegesellschaft, VSWG Sonderheft 81, Stuttgart 1987. (2) Albertin, Lothar (Hrsg.): Politischer Liberalismus in der Bundesrepublik, Göttingen 1980. (3) Aldcroft, Derek H.: Die zwanziger Jahre. Von Versailles zur Wall Street 1919–1929. Geschichte der Weltwirtschaftskrise im 20. Jahrhundert. Bd. 3, München 1978. (4) Alter, Peter (Hrsg.): Im Banne der Metropolen. Berlin und London in den zwanziger Jahren. Fünfzehn Beiträge, Göttingen 1993. (5) Ambrosius, Gerhard/Dietmar Petzina/Werner Plume (Hrsg.): Moderne Wirtschaftsgeschichte. Eine Einführung für Historiker und Ökonomen, München 1996. (6) Bajohr, Frank/Werner Johl/Uwe Lohalm (Hrsg.): Zivilisation und Barbarei: Die widersprüchlichen Potentiale der Moderne. Detlev Peukert zum Gedenken, Hamburg 1991 (zitiert als Bajohr, Zivilisation und Barbarei). (7) Bajohr, Frank (Hrsg.): Norddeutschland im Nationalsozialismus, Hamburg 1993. (8) Balderstone, Theodore: The Origins and Course of the German Economic Crisis. November 1929 to May 1932, Berlin 1993. (9) Becker, Josef/Klaus Hildebrand (Hrsg.): Internationale Beziehungen in der Weltwirtschaftskrise 1929–1933. Beiträge und Diskussionen eines Augsburger Symposions vom 29. 3.–1. 4. 1979, München 1980 (zitiert als Becker, Internationale Beziehungen). (10) Benz, Wolfgang (Hrsg.): Antisemitismus in Deutschland. Zur Aktualität eines Vorurteils. München 1995. (11) Benz, Wolfgang/Arnold Paucker/Peter Pulzer (Hrsg.): Jüdisches Leben in der Weimarer Republik. Jews in the Weimar Republic, Tübingen 1998 (zitiert als Benz, Jüdisches Leben). (12) Berend Ivan T./Knut Borchardt (Eds.): The Impact of the Depression of the 1930s and its Relevation for the Contemporary World. Comparative studies prepared for the A/5 session of the 9th International Economic History Congress, 24.–29. August 1986, Bern/Budapest 1986.
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5. Der Streit um den Mittelstand (329) Bendix, Reinhard: Social Stratification and Political Power, in: The American Political Science Review, Vol. XLVI (1952), S. 357–375. (330) Broszat, Martin: Die Machtergreifung. Der Aufstieg des Nationalsozialismus und die Zerstörung der Weimarer Republik, München 1984. (331) The European Petite Bourgeoisie 1914– 1945: Encounters with the State, ed. und eingeleitet von Jonathan Morris, in: Contemporary European History 5 (1996), S. 279–426. (332) Falter, Jürgen W.: Radikalisierung des Mittelstandes oder Mobilisierung der Unpolitischen?, in: Steinbach (Hrsg.): Probleme der politischen Partizipation, S. 438–471. (333) Fischer, Conan: Workers, the Middle Classes and the Rise of National Socialism, in: German History 9 (1991), S. 357–373. (334) Franz, Heike: Betriebswirte in Deutschland 1900–1930 oder „Professionals“, in: Tenfelde/ Wehler (Hrsg.): Wege zur Geschichte des Bürgertums, S. 249–272. (335) Geiger, Theodor: Die soziale Schichtung des deutschen Volkes. Berlin 1932. (336) Hamilton, Richard: Die soziale Basis des Nationalsozialismus. Eine kritische Betrachtung, in: Kocka (Hrsg.): Angestellte im europäischen Vergleich, S. 354–375. (337) Haupt, Heinz-Gerhard: Mittelstand und Kleinbürgertum in der Weimarer Republik. Zu Problemen und Perspektiven ihrer Erforschung, in: AfS XXVI (1986), S. 217 ff. (338) Haupt, Heinz-Gerhard/Charlotte Niesmann: Bremer Einzelhandel zwischen Einheit und Zersplitterung in der Weimarer Republik, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte, Bd. XVII (1988), S. 107 ff. (339) Kaelble, Hartmut: Soziale Mobilität 1900– 1960, in: Ders (Hrsg.), Probleme der Modernisierung, S. 235–327. (340) Kocka, Jürgen: Die Angestellten in der deutschen Geschichte 1850–1980. Vom Privat-
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Literatur Beamten zum angestellten Arbeitnehmer, Göttingen 1981. (341) Koshar, Rudy (Ed.): Splintered Classes. Politics and the Lower Middle Classes in Interwar Europa, New York 1990. (342) Lebovic, Herman: Social Conservatism and the Middle Classes in Germany 1914–1933, Princeton University Press 1969. (343) Lepsius, Rainer M.: Demokratie in Deutschland als historisch-soziologisches Problem, in: Ders., Demokratie in Deutschland. Soziologisch-historische Konstellationsanalysen. Göttingen 1993, S. 11–24. (344) Lipset, Seymour M.: Soziologie der Demokratie, Neuwied/Berlin 1962 (Kap. 5: „Faschismus“ – rechts, links und in der Mitte). (345) Nolte, Paul: Die Ordnung der deutschen Gesellschaft. Selbstentwurf und Selbstbeschreibung im 20. Jahrhundert, München 2000. (346) Parsons, Talcott: Demokratie und Sozialstruktur in Deutschland vor der Zeit des Nationalsozialismus, in: Ders., Beiträge zur soziologischen Theorie, hrsg. von Dietrich Rüschemeyer, Neuwied 1964, S. 256–281. (347) Prinz, Michael: Vom neuen Mittelstand zum Volksgenossen. Die Entstehung des sozialen Status der Angestellten von der Weimarer Republik bis zum Ende der NS-Zeit, München 1986. (348) Roche, Georg: Ingenieure als Hüter der technisch-wissenschaftlichen Legitimität, in: Möller/Raulet/Wirsching (Hrsg.): Gefährdete Mitte?, S. 159–178. (349) Schumacher, Martin: Mittelstandsfront und Republik. Die Wirtschaftspartei-Reichspartei des deutschen Mittelstandes 1919–1933, Düsseldorf 1972. (350) Sperber, Jonathan: Bürger, Bürgertum, Bürgerlichkeit, Bürgerliche Gesellschaft: Studies of German (Upper) Middle Class and Sociocultural World, in: Journal of Modern History 69 (1997), S. 271–297. (351) Spree, Reinhard: Angestellte als Modernisierungsagenten, in: Kocka (Hrsg.): Angestellte im europäischen Vergleich, S. 279–308. (352) Unterstell, Rembert: Mittelstand in der Weimarer Republik. Die soziale Entwicklung und politische Orientierung von Handwerk, Kleinhandel und Hausbesitzer 1919–1933. Ein Überblick, Frankfurt a. M. 1989. (353) Winkler, Heinrich August: Mittelstand, Demokratie und Nationalsozialismus. Die politische Entwicklung von Handwerk und Kleinhandel in der Weimarer Republik, Köln 1972.
6. „Die Krise vor der Krise“ (die Borchardt-Kontroverse) (354) Balderstone, Theodore: The Origins of Economic Instability in Germany 1924–1930. Market Forces versus Economic Policy, in: VSWG 69 (1982), S. 488–514. (355) Borchardt, Knut: Zwangslagen und Handlungsspielräume in der großen Wirtschaftskrise der frühen dreißiger Jahre: Zur Revison des überlieferten Geschichtsbildes, in: Bayerische Akademie der Wissenschaft, Jahrbuch 1979, München 1979, S. 87–132 (in engl. Übersetzung, mit einem neuen Beitrag: „Perspectives on Modern Germany Economic History, Cambridge 1991). (356) Borchardt, Knut: Zwangslagen und Handlungsspielräume in der großen Wirtschaftskrise, in: Stürmer (Hrsg.), Die Weimarer Republik, S. 318– 339. (357) Borchardt, Knut: Wirtschaftliche Ursachen des Scheiterns der Weimarer Republik, in: Erdmann (Hrsg.), Weimar, S. 211–249. (358) Borchardt, Knut: Zum Scheitern eines produktiven Diskurses über das Scheitern der Weimarer Republik: Replik auf Claus-Dieter Krohns Diskussionsbemerkungen, in: GG 9 (1983), S. 124–137. (358a) Borchardt, Knut: Alternativen zu Brünings Wirtschaftspolitik, HZ 237 (1983), S. 67–83. (359) Broadberry, Stephen N./Albrecht O. Ritschel: The Iron Twenties Real Wages, Productivity and the Lack of Prosperity in Britan and Germany Before the Great Depression, in: Buchheim, Zerrissene Zwischenkriegszeit, S. 15–43. (360) Büttner, Ursula: Politische Alternativen zum Brüning’schen Deflationskurs. Ein Beitrag zur Diskussion über „ökonomische Zwangslagen“ in der Endphase der Weimarer Republik, in: VjhZG 37 (1989), S. 209–251. (361) Conze, Werner: Zum Scheitern der Weimarer Republik. Neue wirtschafts- und sozialgeschichtliche Antworten auf alte Kontroversen, in: VSWG 70 (1983), S. 215–221. (362) Eichengreen, Barry: Wages and the Gold Standard. Perspectives on the Borchardt Debate, in: Buchheim, Zerrissene Zwischenkriegszeit, S. 177–203. (363) Holtfrerich, Carl-Ludwig: Alternativen zu Brünings Wirtschaftspolitik in der Weltwirtschaftskrise?, in: HZ 235 (1982), S. 605–631. (364) Holtfrerich, Carl-Ludwig: Zu hohe Löhne in der Weimarer Republik? Bemerkungen zur Borchardt These, in: GG 10 (1984), S. 122–141. (365) Holtfrerich, Carl-Ludwig : Economic Policy Opinions and the End of the Weimar Republic, in: Kershaw (Ed.), Weimar: Why German Democracy fail?, S. 58–91. (366) Holtfrerich, Carl-Ludwig: Zur Debatte über
Literatur die deutsche Wirtschaftspolitik von Weimar zu Hitler, in: VjhZG 44 (1996), S. 119–132. (367) James, Harold: Gab es eine Alternative zur Wirtschaftspolitik Brünings?, in: VSWG 70 (1983), S. 523–541. (368) James, Harold: Economic Reasons for the Collaps of the Weimar Republic, in: Kershaw (Ed.), Weimar: Why did German Democracy fail?, S. 30–57. (369) Keese, Dietmar: Die volkswirtschaftlichen Gesamtgrößen für das Deutsche Reich in den Jahren 1925–1936, in: Conze, Die Staats- und Wirtschaftskrise, S. 39 ff. (370) Köhler, Henning: Knut Borchardts „Revision des überlieferten Geschichtsbildes“ der Wirtschaftspolitik in der großen Krise. Eine Zwangsvorstellung, in: IWK 19 (1983), S. 164–180. (371) Krohn, Claus-Dieter: „Ökonomische Zwangslagen“ und das Scheitern der Weimarer Republik. Zu Knut Borchardts Analysen der deutschen Wirtschaft in den zwanziger Jahren, in: GG 8 (1982), S. 415–426. (372) Kruedener, Jürgen von: Die Überforderung der Weimarer Republik als Sozialstaat, in: GG 11 (1985), S. 358–376. (373) Kruedener, Jürgen von: Hätte Brünings Deflationspolitik erfolgreich sein können?, in: Buchheim, Zerrissene Zwischenkriegszeit, S. 289– 306. (374) Maier, Charles S.: Die Nicht-Determiniertheit ökonomischer Modelle. Überlegungen zu Knut Borchardts These von der „kranken Wirtschaft“ der Weimarer Republik, in: GG 11 (1985), S. 275–294. (375) Meister, Rainer: Die große Depression. Zwangslagen und Handlungsspielräume der Wirtschafts- und Finanzpolitik in Deutschland 1929– 1932, Regensburg 1991. (376) Petzina, Dietmar: Was There a Crisis Bevor the Crises? The State of German Economy in the 1920s, in: Kruedener, Economic Crisis, S. 190 ff. (377) Plumpe Gottfried: Wirtschaftspolitik in der Weltwirtschaftskrise. Realität und Alternativen, in: GG 11(1985), S. 326–357. (378) Reckendrees, Alfred: Das „Stahltrust“-Projekt. Die Gründung der Vereinigten Stahlwerke A.G. und ihre Unternehmensentwicklung 1926– 1933/34, Regensburg 1991. (379) Ritschl, Albrecht: Zu hohe Löhne in der Weimarer Republik? Eine Auseinandersetzung mit Holtfrerichs Berechnungen zur Lohnposition der Arbeiterschaft 1925–1932, in: GG 16 (1990), S. 375–402. (380) Schulz, Gerhard: Reparationen und Krisenprobleme nach dem Wahlsieg der NSDAP 1930. Betrachtungen zur Regierung Brüning, in: VSWG 67 (1980), S. 200–222. (381) Tilly, Richard/Norbert Huck: Die deutsche
Wirtschaft in der Krise 1925 bis 1934 – Ein makroökonomischer Ansatz, in: Buchheim, Zerrissene Zwischenkriegszeit, S. 45–95. (382) Voth, Hans-Joachim: Did High Wages or High Interest Rates bring down the Weimar Republic? A Cointegration Model of Investment in Germany 1925–1930, in: The Journal of Economic History 55 (1995), S. 801–823. (383) Weisbrod, Bernd: Die Befreiung von der „Tariffessel“. Deflationspolitik als Krisenstrategie der Unternehmer in der Ära Brüning, in: GG 11 (1985), S. 295–325. (384) Wellhöner, Volker: Auf der Suche nach den wirtschaftlichen Sachzwängen der Weimarer Republik. Konzeptionelle Probleme in Knut Borchardts Argumentation, in: PROKLA, Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft 96 (1994) Nr. 3, S. 490–504. (385) Zahn, Clemens: Arbeitskosten und Lebenslagen zwischen Inflation und großer Krise. Zur Geschichte der Weimarer Lohnbewegungen, St. Katharinen 1996.
7. Wer wählte die NSDAP? (386) Baranowski, Shelley: The Sanctity of rural Life. Nobility, Protestantism and Nazism in Weimar Prussia, New York/Oxford University Press 1995. (387) Bergmann, Jürgen/Klaus Megerle: Protest und Aufruhr der Landwirtschaft in der Weimarer Republik (1924–1933). Formen und Typen der politischen Agrarbewegung im regionalen Vergleich, in: Ders. u. a. (Hrsg.), Regionen im historischen Vergleich, S. 200–287. (388) Bessel, Richard: The Rise of the NSDAP and the Myth of Nazi Propaganda, in: Wiener Library Bulletin 33 (1980), S. 20–29. (389) Blessing, Werner K.: Nationalsozialismus unter regionalem Blick, in: Möller (Hrsg.), Nationalsozialismus, S. 47–56. (390) Broszat, Martin: Die Struktur der NS-Massenbewegung, in: VjhZG 21 (1983), S. 240 ff. (391) Childers, Thomas: The Social Basis of the National Socialist Vote, in: Journal of Contemporary History 11 (1976), S. 17–42. (392) Childers, Thomas: The Nazi Voter. The Social Foundations of Fascism in Germany 1919– 1933, Chapel Hill/London 1990. (393) Falter, Jürgen W.: Wer verhalf der NSDAP zum Sieg? Neuere Forschungsergebnisse zum parteipolitischen und sozialen Hintergrund der NSDAP-Wähler 1924–1933, in: Aus Politik und Zeitgeschehen Bd. 28/29 (1979), S. 3–21. (394) Falter, Jürgen W.: Wählerbewegungen zur NSDAP 1924–1933. Methodische Probleme. Empirisch abgesicherte Erkenntnisse. Offene Fragen,
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Literatur in: Büsch (Hrsg.), Wählerbewegungen, S. 159– 202. (395) Falter, Jürgen W.: Wahlen und Wählerverhalten unter besonderer Berücksichtigung des Aufstiegs der NSDAP nach 1928, in: Bracher (Hrsg.), Die Weimarer Republik, S. 484–504. (396) Falter, Jürgen W.: Wählerwanderungen vom Liberalismus zu (rechts-)extremen Parteien, in: Albertin (Hrsg.), Politischer Liberalismus, S. 92–124. (397) Falter, Jürgen W.: Radicalization of the middleclasses or mobilization of the un-political? The theories of Seymour M. Lipset and Reinhard Bendix on the electoral support of the NSDAP in the light of recent Research, in: Social Science Information, Vol. 20 Nr. 1 (1981), S. 389–429. (398) Falter, Jürgen W.: Radikalisierung des Mittelstandes oder Mobilisierung der Unpolitischen?, in: Steinbach (Hrsg.), Probleme politischer Partizipation, S. 438–469. (399) Falter, Jürgen W./Andreas Link/Jan-Bernd Lohmöller/Johann de Rijke/Siegfried Schumann: Arbeitslosigkeit und Nationalsozialismus. Eine empirische Analyse des Beitrags der Massenarbeitslosigkeit zu den Wahlerfolgen der NSDAP 1932 und 1933, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 35 (1983), S. 252– 554. (400) Falter, Jürgen W.: Wähler der NSDAP 1928– 1933, in: Michalka (Hrsg.), Die nationalsozialistische Machtergreifung, S. 47–59. (401) Falter, Jürgen W.: Politische Konsequenzen von Massenarbeitslosigkeit. Neue Daten zu kontroversen Thesen über die Radikalisierung der Wählerschaft am Ende der Weimarer Republik, in: PVS XXV (1984), S. 275–296. (402) Falter, Jürgen W./Jean-Bernd Lohmöller/ Andreas Link/Johann de Rijke: Hat Arbeitslosigkeit tatsächlich den Aufstieg des Nationalsozialismus bewirkt? Eine Überprüfung der Analyse von Frey und Weck, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 200 (1985), S. 121–136. (403) Falter, Jürgen W.: Unemployment and the Radicalization of German Electorate 1928–1933. An Aggregate Data Analysis with Special Emphasis on the Rise of Nationalsocialism, in: Stachura (Ed.), Unemployment an the Great Depression, S. 187–208. (404) Falter, Jürgen W./Dirk Hänisch: Die Anfälligkeit von Arbeitern gegenüber der NSDAP bei den Reichstagswahlen 1928–1933, in: AfS XXVI (1986), S. 179–216. (405) Falter, Jürgen W./Siegfried Schumann: Methodische Probleme der Wahlforschung und Wahlprognosen, in: Aus Politik und Zeitgeschehen Bd. 43 (1989), S. 3–14. (406) Falter, Jürgen W.: Weltwirtschaftskrise und NSDAP-Wahlerfolge. Ein Erklärungsversuch mit
Hilfe eines „rationalistischen“ Ansatzes und ökologischer Regressionsanalysen, in: Ders./Rattinger/Troitzsch (Hrsg.), Wahlen und politische Einstellungen, S. 122–174. (407) Falter, Jürgen W.: Hitlers Wähler, München 1991. (408) Falter, Jürgen W.: War die NSDAP die erste Volkspartei?, in: Prinz/Zitelmann (Hrsg.), Nationalsozialismus und Modernisierung, S. 1–46. (409) Fischer, Conan: Gab es am Ende der Weimarer Republik einen marxistischen Wählerblock?, in: GG 21 (1995), S. 63–79. (410) Fritzsche, Peter: Rehearsals for Fascism: Populism and Political Mobilization in Weimar Germany, New York 1990. (411) Fritzsche, Peter: Wie aus Deutschen Nazis wurden, Zürich 1999. (412) Fritzsche, Peter: Landscape of Danger, Landscap of Design: Crisis and Modernism in Weimar Germany, in: Dancing on the Vulcano, S. 29–46. (413) Fromm, Ernst: Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches. Eine sozialpsychologische Untersuchung, bearb. und hrsg. von Wolfgang Bonß, Stuttgart 1980. (414) Hamilton, Richard: Die soziale Basis des Nationalsozialismus. Eine kritische Bemerkung, in: Kocka (Hrsg.), Angestellte im europäischen Vergleich, S. 354–375. (415) Hamilton, Richard: Who voted for Hitler?, New York 1982. (416) Hänisch, Dirk: Sozialstrukturelle Bestimmungsgründe des Wahlverhaltens in der Weimarer Republik. Eine Aggregatdatenanalyse der Ergebnisse der Reichstagswahlen 1924 bis 1933, Duisburg 1983. (417) Heberle, Rudolf: Landbevölkerung und Nationalsozialismus. Eine soziologische Untersuchung der politischen Willensbildung in Schleswig-Holstein 1918 bis 1932, Stuttgart 1963. (418) Heilbronner, Oded: The Failure that Succeeded Nazi Party Activity in the Catholic Region in Germany, 1929–1933, in: Journal of Contemporary History 3 (1992), S. 531–549. (419) Heilbronner, Oded: Der verlassene Stammtisch. Vom Verfall der bürgerlichen Infrastruktur und dem Aufstieg der NSDAP am Beispiel der Region Schwarzwald, in: GG 19 (1993), S. 178– 201. (420) Heilbronner, Oded: The Black Forest: The Disintegration of the Workers Catholic Milieu and the Rise of Nazi Party, in: Fischer, The Rise of National Socialism, S. 217–236. (421) Jäckel, Eberhard: Hitlers Herrschaft. Vollzug einer Weltanschauung, Stuttgart 1986. (422) Jäckel, Eberhard: [Kritische Besprechung von Falters Forschungen], in: HZ 240 (1985), S. 473–476.
Literatur (423) Kater, Michael H.: Quantifizierung und NS-Geschichte. Methodische Überlegungen über Grenzen und Möglichkeiten einer EDV-Analyse der NSDAP-Sozialstruktur, in: GG 3 (1977), S. 453–484. (424) Kater, Michael H.: Methodologische Überlegungen über Möglichkeiten und Grenzen einer Analyse der sozialen Zusammensetzung der NSDAP von 1925–1945, in: Mann (Hrsg.), Die Nationalsozialisten, S. 155–185. (425) Kater, Michael H.: Generationskonflikt als Entwicklungsfaktor in der NS-Bewegung, in: GG 11 (1985), S. 212–243. (426) Manstein, Peter: Die Mitglieder und Wähler der NSDAP 1919–1933. Untersuchungen zu ihrer schichtenspezifischen Zusammensetzung, 3. erg. Aufl. Frankfurt a. M. 1990. (427) Mason, Timothy W.: Sozialpolitik im Dritten Reich. Arbeiterklassen und Volksgemeinschaft, Opladen 21978. (428) Mooser, Josef: Arbeiterleben in Deutschland 1800–1970, Frankfurt a. M. 1984. (429) Mühlberger, Detlef: A „Workers Party“ or a „Party Without Workers“? The Extent and the Nature of the Working-Class Membersship of the NSDAP, 1919–1933, in: Fischer (Ed.), The Rise of National Socialism, S. 47–78. (430) Ohr, Dieter: Nationalsozialistische Propaganda und Weimarer Wahlen. Empirische Analyse und Wirkung von NSDAP-Versammlungen, Wiesbaden 1997. (431) Osmond, Jonathan: A Second Agrarian Mobilization? Peasant Association in South and West Germany, 1918–1924, in: Robert G. Moeller (Ed.): Peasant and Lords in Modern Germany. Recent Studies in Agricultural History, Boston 1986, S. 168–197. (432) Pyta, Wolfram: Dorfgemeinschaft und Parteipolitik 1918–1933. Die Verschränkung von Milieu und Parteien in den protestantischen Landesteilen Deutschlands in der Weimarer Republik, Düsseldorf 1996. (433) The Rise of National Socialism and the Working Classes in Weimar Germany, ed. by Conan Fischer, Oxford 1996 (zitiert als Fischer, The Rise of National Socialism). (434) Saldern, Adelheit von: Sozialmilieu und Aufstieg des Nationalsozialismus in Norddeutschland (1930–1933), in: Bajohr (Hrsg.), Norddeutschland im Nationalsozialimus, S. 35 ff. (434a) Stögbauer, Christian: Measuring the Impact of the Depression on the Radical Vote in the Weimar Republic. A spatio-temporal Approach, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, 2000/01, S. 157–172. (435) Wahlen und Abstimmungen in der Weimarer Republik. Materialien zum Wahlverhalten 1919–1933, hrsg. von Jürgen W. Falter/Tho-
mas Lindenberger/Siegfried Schumann, München 1986. (436) Winkler, Heinrich August: Mittelstandsbewegung oder Volkspartei, in: Schieder (Hrsg.), Faschismus als soziale Bewegung, S. 97–118.
8. Das Ende der Weimarer Republik (437) Abraham, David: The Collaps of the Weimar Republic. Political Economy and Crisis, Sec. Ed. New York 1986. (438) Becker, Heinrich: Handlungsspielräume in der Agrarpolitik in der Weimarer Republik zwischen 1923 und 1929, Stuttgart 1990. (439) Berthold, Lutz: Carl Schmitt und der Staatsnotstandsplan am Ende der Weimarer Republik, Berlin 1999. (440) Bessel, Richard: Germany after the First World War, Oxford 1993. (441) Bessel, Richard: Die Krise der Weimarer Republik als Erblast des verlorenen Krieges, in: Schieder (Hrsg.), Deutsche Umbrüche, S. 33–173. (442) Biewer, Ludwig: Der Preußenschlag vom 20. Juli 1932, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 119 (1993), S. 159–172. (443) Blaich, Fritz: Staat und Verbände in Deutschland zwischen 1871 und 1945, Wiesbaden 1979. (444) Blomeyer, Peter: Der Notstand in den letzten Jahren von Weimar. Die Bedeutung von Recht, Lehre und Praxis der Notstandsgewalt für den Untergang der Weimarer Republik und die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten. Eine Studie von Macht und Recht, Berlin 1998. (445) Boldt, Hans: Die Stellung des Parlaments in der Weimarer Reichsverfassung. Verfassungstheorie und Verfassungswirklichkeit, in: Kolb (Hrsg.), Demokratie in der Krise, S. 113–140. (446) Bracher, Karl Dietrich: Dualismus oder Gleichschaltung: Der Faktor Preußen in der Weimarer Republik, in: Bracher (Hrsg.), Die Weimarer Republik, S. 535–551. (447) Fraenkel, Ernst: Der Ruhreisenstreit 1928– 1929 in historisch-politischer Sicht, in: Hermens (Hrsg.), Staat, Wirtschaft und Politik, S. 97–117. (448) Gessner, Dieter: Agrarverbände in der Weimarer Republik. Wirtschaftliche und soziale Voraussetzungen agrarkonservativer Politik vor 1933, Düsseldorf 1976. (449) Gessner, Dieter: Agrardepression und Präsidialregierungen in Deutschland 1930–1933. Probleme des Agrarprotektionismus am Ende der Weimarer Republik, Düsseldorf 1977. (450) Gessner, Dieter: Agrarprotektionismus und Weltwirtschaftskrise 1929/1932. Zum Verhältnis von Agrarpolitik und Handelspolitik in der End-
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Abkürzungen AfS Archiv für Sozialgeschichte GG Geschichte und Gesellschaft GWU Geschichte in Wissenschaft und Unterricht HZ Historische Zeitschrift IWK Internationale wissenschaftliche Korrespondenz PVS Politische Vierteljahresschrift VjhZG Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte VSWG Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte ZAA Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie
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Personen- und Sachregister „Angestelltenkultur“ 61 Alternative Lebensweisen 60 Anti-Modernismus 61, 62, 63 Antisemitismus (Weimarer) 65–73 Automobilisierung 55, 56 Avantgarde 58, 61, 108 Baden, Prinz Max von 6 Bandler, Heinrich 31 „Bankers Diplomacy” 50 Bauer, Gustav 10, 20, 21, 31 Baum, Alfred 89 Baum, Vicki 58 Bendix, Reinhard 66 Berg, Alban 58 Bergner, Elisabeth 57 Bernhard, Georg 68 Bernstein, Eduard 28, 30 Bloch, Ernst 62 Bonsels, Waldemar 57 Bosch, Carl 103 Braun, Otto 30, 100 Brecht, Bertolt 58 Brockdorff-Rantzau, Ulrich Carl Graf von 10 Brüning, Heinrich 21, 22, 23, 35, 44, 53, 80, 81, 82, 83, 84, 86, 99, 104 Buber, Martin 69 Bülow, Bernhard W. von 54 Bündnis Ebert/Groener 8, 27 Caracciola, Rudolf 57 Cassirer, Ernst 59 Clemenceau, Georges 10 Cohn, Oskar 68 Cuno, Wilhelm 15, 30, 45 Curtius, Julius 22 Darré, Walter 89 Dawes, Charles G. 16 Dawes-Plan 17, 81 Deflationspolitik Brünings 35, 54, 82, 83, 84, 104 Diederichs, Eugen 60 Dietrich, Marlene 57 Dilthey, Wilhelm 59 Dix, Otto 57 Döblin, Alfred 60, 69 Dorpmüller, Julius H. 55 Drexler, Anton 88 Duisberg, Carl 103 Duncan, Isadora 58
Ebert, Friedrich 6, 8, 11, 12, 15, 24, 25, 30, 31, 99 Eichler, Willi 31 Einstein, Albert 68 Eisner, Kurt 9 Elias, Norbert 66 E-Musik 58 „Erfüllungspolitik” 20, 21, 53 Erzberger, Matthias 10, 20, 39 Film 56 Flick, Friedrich 103 Föderalismus 1, 100 Fotografie 57 Freyer, Hans 76 Frick, Wilhelm 100 Friedensvertrag von Versailles 9, 10, 13, 46 Furtwängler, Wilhelm 58 Geiger, Theodor 75, 89 Genfer Abrüstungskonferenz 23 Gessler, Otto 101 Gilbert, Parker 16 Goebbels, Joseph 88 Goldschmidt, Jakob 68 Goldstandard 49, 51, 81, 85 Groener, Wilhelm 6, 8, 21, 101 Gropius, Walter 58 Große Koalition 28, 33, 35 Grüne Front 103 Haas, Ludwig 68 Haase, Hugo 9 Harbou, Thea von 58 Hartmann, Nicolai 59 Heberle, Rudolf 75, 87, 89 Heidegger, Martin 59, 62 Heim, Georg 103 Heine, Wolfgang 68 Henderson, Arthur 23 Hermes, Andreas 103 Hertz, Gustav 68 Hilferding, Rudolf 17 Hindemith, Paul 58 Hindenburg, Paul von Beneckendorff und von 6, 30, 83, 101 Hirschfeld, Magnus 68 Hitler, Adolf 18, 36, 37, 38, 53, 86, 88, 89, 97, 101 Hofmannsthal, Hugo von 62 Hoover, Herbert 50
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Personen- und Sachregister Horváth, Ödön von 58 Hugenberg, Alfred 18, 101 Husserl, Edmund 59 Inflation/Hyperinflation 15, 16, 38–46, 81, 84, 85 Jannings, Emil 57 Jaspers, Karl 59 Juden 65–70 „Jugendkult” 59, 60 Jünger. Ernst 57 Kalb, Hans 57 Kapp, Wolfgang 11 Kästner, Erich 60 Kautsky, Karl 29 Kerschensteiner, Georg 59 Keun, Irmgard 60 Keynes, John Maynard 54, 81, 82 Kirchheimer, Otto 34 Kirdorf, Emil 89, 103 Klemperer, Otto 58 Klemperer, Victor 66 Klöckner, Peter 43 „Konservative Revolution” 63 Korsch, Karl 62, 76 Kracauer, Siegfried 61 Kriegskosten 12, 39 „Kriegsschuldlüge” 11, 30 Laban, Rudolf von 58 Landsberg, Otto 68 Lautenbach, Wilhelm 82 Leber, Julius 31 Le Corbusier, Charles-Edouard 59 Legien, Carl 31 Leipart, Theodor 31, 36, 37 Liebermann, Max 68 Liebknecht, Karl 7, 8, Literatur (Belletristik) 57 Löns, Hermann 57 Ludendorff, Erich 6, 11 Luftverkehr 56 Luther, Hans 17, 50 Lüttwitz, Walther Freiherr von 10, 11 Luxemburg, Rosa 8 MacDonald, Ramsay 23 Man, Hendrik de 32 Mann, Thomas 57 Marx, Wilhelm 17, 30 Massary, Fritzi 57, 68 Massenarbeitslosigkeit 35, 36, 46, 81, 83, 95 May, Karl 57 Meinecke, Friedrich 62 Meissner, Otto 3 Melchior, Carl 68
Mendelsohn, Erich 68 Mies van der Rohe, Ludwig 68 Mittelstand 73–80, 90–94 Moeller van den Bruck, Arthur 59 Moholy-Nagy, László 57 Montessori, Maria 60 Müller, Hermann 21, 22, 30, 31 Musical 57 Naphtali, Fritz 35 Nationalversammlung (Weimarer) 1, 7, 28 Naumann, Friedrich 62 Neuer Protektionismus 51, 52 „Neues Bauen” 58, 59 Norman, Montagu 50 Noske, Gustav 8 Oldenburg-Januschau, Elard von 102 Ostjuden 69 Papen, Franz von 3, 21, 23, 37, 99, 100 Pfitzner, Hans 58 Philosophie (zeitgenössische) 59 Piscator, Erwin 58 Plessner, Helmuth 77 Poelzig, Hans 58 Preuß, Hugo 8, 62 Rapallo (Vertrag von) 20 Rat der Volksbeauftragten 6–9, 25, 28 Rathenau, Walther 11, 20, 68 Rationalisierung/Technikakzeptanz 64, 65 Reichspräsidentenwahlen 1925 21, 30, 92 Reichstagswahlen September 1930 22, 87, 89 Reinhardt, Max 68 Remarque, Erich Maria 57 Renger-Patzsch, Albert 57 Reparationen 13–19, 23, 39, 40–49, 53, 54, 81, 84, 86 Reusch, Paul 103 Reutter, Otto 57 Revisionismus 2, 19, 20, 22, 103, 105 Rose, Felicitas 57 Rosenberg, Arthur 77, 78 Rosenfeld, Kurt 31 Ruhreisenstreit 33, 103 „Ruhrkampf” 15, 16, 29, 41 Rundfunk 56 Rußlandhandel 52 Sander, August 57 Schacht, Hjalmar 18, 50 Schäffer, Hans 82 Scheidemann, Philipp 7, 20, 21, 31 Scheler, Max 59 Schiele, Martin 103 Schlageter, Leo 15 Schleicher, Kurt von 21, 37, 101
Personen- und Sachregister Schlicke, Alexander 31 Schmalenbach, Eugen 64 Schmeling, Max 57 Schmidt, Robert 31 Schmitt, Carl 105 Scholem, Gershom 66 Schönberg, Arnold 58 Schroeder, Kurt von 102 Schubert, Carl von 54 Seeckt, Hans von 21, 101 Severing, Carl 9, 31, 100 Seydewitz, Max 31 Silverberg, Paul 68, 103 Sozialisierung 8, 9 Spartakusbund 8, 25 Spengler, Oswald 59, 62 Sport 57 Stadt/Verstädterung/Metropolen 60 Stegerwald, Adam 82, 100 Steiner, Rudolf 59 Stimson, Henry Louis 23 Stinnes, Hugo 43, 45, 103 Strauss, Richard 58 Stresemann, Gustav 10, 15, 16, 17, 20, 21, 30, 53 Tanz 58 Tauber, Richard 68 Taut, Bruno 58 Taut, Max 58 Theater 58 Thoma, Ludwig 57
Thyssen, Fritz 15, 103 Tillich, Paul 62 Treviranus, Gottfried Reinhold 3 Troeltsch, Ernst 62 Verfassung (Weimarer) 1, 12, 98, 105 Völkerbund 51 Wallace, Edgar 57 Wassermann, Jakob 68 Weber, Max 62 Weill, Kurt 58 Weiß, Bernhard 68 Wels, Otto 22, 31, 37 Weltwirtschaftskrise 46–52, 80, 97, 99, 103, 108 Werfel, Franz 68 Westarp, Kuno Graf von 18 Wigman, Mary 58 Wilson, Woodrow 6 Wirth, Joseph 14, 20 „Wirtschaftsdemokratie” 35 Wright, Frank Lloyd 59 Young, Owen D. 18 Young-Plan 18, 23, 33, 53 Zentralarbeitsgemeinschaft 9, 27, 29 Zollunion (deutsch-österreichische) 22, 50, 52, 54 Zuckmayer, Carl 58 Zweig, Arnold 69
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