Die Voraussetzung einer verborgenen „Einheit“ im vedischen und frühbuddhistischen Wissen: Untersuchung von Bernhard Uhdes Religionsbegriff in Anwendung auf die altindische Geistesgeschichte 9783495825563, 9783495492352


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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
I. Fragestellung und Ziel der Untersuchung
II. Uhdes Religionsbegriff im Kontext der Diskussion um die Definition von Religion
1. Die Diskussion um die Definition von Religion
1.1. Die Ansätze der Moderne
1.1.1. Etische Ansätze
1.1.2. Emische Ansätze
1.2. Reflexion postmoderner Einwände gegen moderne Ansätze
1.2.1. Eurozentrismus
1.2.1.1 »Religion« als eurozentrischer Begriff
1.2.1.2 Alternativen zu eurozentrischen Religionsbegriffen
1.2.1.3 Fazit: Religionsneutrale Metasprache
1.2.2. Diversität der Religionen
1.2.2.1 Enge moderner Religionsdefinitionen
1.2.2.2 Polythetische Ansätze als postmoderne Alternative
1.2.2.3 Fazit: Rückbindung an Religionstheorie
1.2.3. Multiperspektivischer Blick auf Religion
1.2.3.1 Vielfältige Kommunikation über Religion
1.2.3.2 Mangelnder Konsens zu allgemeiner Bestimmung
1.2.3.3 Fazit: Erstellung von Arbeitsdefinitionen
2. Der Religionsbegriff von Bernhard Uhde
2.1. Ein religionsphilosophischer Ansatz
2.1.1. Grund: Einsicht in den Mangel an anwesender Gegenwart
2.1.2. Inhalt: Wissen um die Voraussetzung einer Einheit
2.1.3. Praxis: Beachten der Herrschaft des »Prinzips von Allem«
2.2. Kritische Reflexion von Uhdes Religionsbegriff
2.2.1. Uhdes Religionsbegriff im Licht moderner Ansätze
2.2.1.1 Diskussion des Begriffs von »Wissen«
2.2.1.2 Diskussion der Grundstruktur Einheit-Vielheit
2.2.2. Uhdes Ansatz im Licht der postmodernen Einwände
III. Anwendung von Uhdes Religionsbegriff auf die altindische Geistesgeschichte
1. Methodische Vorbemerkungen
1.1. Begriffsklärungen
1.1.1. Geistesgeschichte
1.1.2. »altindisch«
1.2. Reflexion bisheriger geistesgeschichtlicher Darstellungen
1.2.1. Auswahl der Inhalte
1.2.2. Chronologie
1.2.3. Quellenanalyse
1.3. Untersuchungsumfang
2. Der Rgveda
2.1. Text und Untersuchungsumfang
2.2. Uhdes Religionsbegriff im Rgveda?
2.3. Das rtá im rgvedischen Kosmos
2.3.1. Der rgvedische Kosmos
2.3.2. Das rtá
2.4. RV 1–9: Das »Eine« als einheitliches Ganzes
2.5. RV 10: Das einheitliche Ganze im Spiegel der Kosmogonien
3. Der frühe Atharvaveda
3.1. Text und Untersuchungsumfang
3.2. Uhdes Religionsbegriff im Atharvaveda?
3.3. Das bráhman im atharvavedischen Kosmos
3.3.1. Der atharvavedische Kosmos
3.3.2. Das bráhman
3.4. Weitere Mächte im frühen Atharvaveda
3.4.1. Der prāṇa
3.4.2. Die virāj
3.5. Heterogene Vorstellungen über das Ganze
3.5.1. Spekulative Bruchstücke aus den Zauberhymnen
3.5.2. Der Skambha
3.5.3. Rätsellieder in den spekulativen Hymnen
3.5.4. Der Brahmacārin
4. Die Brāhmaṇas
4.1. Text und Untersuchungsumfang
4.2. Uhdes Religionsbegriff in den Brāhmaṇas?
4.3. Wirkmächtige Zusammenhänge im Kosmos der Brāhmaṇas
4.3.1. Der Kosmos der Brāhmaṇas
4.3.2. Wirkmächtige Zusammenhänge im Opferritual
4.4. Prajāpati als Ursprung von allem
4.4.1. Schöpfung im Aitareya-Brāhmaṇa
4.4.2. Schöpfung im Śatapatha-Brāhmaṇa
5. Die frühen Upaniṣaden
5.1. Text und Untersuchungsumfang
5.2. Uhdes Religionsbegriff in den Upaniṣaden?
5.3. Der Begriff upaniṣad
5.4. Kausale Beziehungssysteme
5.4.1. Der udgītha
5.4.2. Der Gesang
5.4.3. Das bráhman
5.4.4. Das fünffache Opferfeuer
5.4.5. Der Mensch
5.4.5.1 Der ātman
5.4.5.2 Der ātman vaiśvānara
5.4.5.3 Die zwei puruṣa’s
5.5. Schöpfungsmythen
5.5.1. Der Tod als Schöpfer
5.5.2. Das Seiende
6. Der frühe Pāli-Kanon
6.1. Text und Untersuchungsumfang
6.2. Uhdes Religionsbegriff im frühen Pāli-Kanon?
6.3. Das Weltbild des frühen Pāli-Kanons
6.4. Das bedingte Entstehen (paṭiccasamuppāda)
6.4.1. Drei Versionen des bedingten Entstehens
6.4.2. Das bedingte Entstehen und das Existierende
6.5. Das nibbāna
IV. Ergebnis der Untersuchung
1. Zusammenfassung von Teil I: Theorie
2. Zusammenfassung von Teil II: Anwendung
2.1. Rgveda
2.2. Atharvaveda
2.3. Brāhmaṇas
2.4. Upaniṣaden
2.5. Pāli-Kanon
3. Reflexion der Anwendung
3.1. Inhaltliche Reflexion
3.2. Methodische Reflexion
4. Eine religionswissenschaftliche Arbeitsdefinition
V. Anhang
Transliteration und Aussprache
Abkürzungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Quelleneditionen
Übersetzungen
Sekundärliteratur
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Die Voraussetzung einer verborgenen „Einheit“ im vedischen und frühbuddhistischen Wissen: Untersuchung von Bernhard Uhdes Religionsbegriff in Anwendung auf die altindische Geistesgeschichte
 9783495825563, 9783495492352

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SCI EN T IA

REL IGIO

Eckehart Schmidt

Die Voraussetzung einer verborgenen »Einheit« im vedischen und frühbuddhistischen Wissen Untersuchung von Bernhard Uhdes Religionsbegriff in Anwendung auf die altindische Geistesgeschichte

VERLAG KARL ALBER

https://doi.org/10.5771/9783495825563

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Eckehart Schmidt Die Voraussetzung einer verborgenen »Einheit« im vedischen und frühbuddhistischen Wissen

VERLAG KARL ALBER

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https://doi.org/10.5771/9783495825563 .

SCI EN T IA

REL I G IO

Band 20

Herausgegeben von Markus Enders und Bernhard Uhde Wissenschaftlicher Beirat Peter Antes, Reinhold Bernhardt, Hermann Deuser, Burkhard Gladigow, Klaus Otte, Hubert Seiwert und Reiner Wimmer

https://doi.org/10.5771/9783495825563 .

Eckehart Schmidt

Die Voraussetzung einer verborgenen »Einheit« im vedischen und frühbuddhistischen Wissen Untersuchung von Bernhard Uhdes Religionsbegriff in Anwendung auf die altindische Geistesgeschichte

Verlag Karl Alber Freiburg / München

https://doi.org/10.5771/9783495825563 .

Eckehart Schmidt The Presupposition of a Hidden »Unity« in Vedic and Early Buddhist Knowledge Examination of Bernhard Uhde’s concept of religion in application to ancient Indian intellectual history The lack of consensus on a general concept of religion requires researchers to develop area-specific working definitions of religion. In this book, Bernhard Uhde’s concept of religion will be critically reflected upon as a working definition for a comparative religious intellectual history. According to Uhde, religion develops from the insight into transience a knowledge of the prerequisite of a hidden, imperishable »unity«. Monotheistic knowledge can thus be grasped; but what about the polytheistic Indian Veda and the Buddhist canon? Eckehart Schmidt examines this question on the basis of the ancient Indian sources.

The author: Eckehart Schmidt (born 1976) studied historical anthropology, religious studies and psychology in Freiburg im Breisgau. Since 2018, he has been the commissioner of the Diocese of Erfurt for interreligious dialogue.

https://doi.org/10.5771/9783495825563 .

Eckehart Schmidt Die Voraussetzung einer verborgenen »Einheit« im vedischen und frühbuddhistischen Wissen Untersuchung von Bernhard Uhdes Religionsbegriff in Anwendung auf die altindische Geistesgeschichte Der mangelnde Konsens zu einem allgemeinen Religionsbegriff verlangt von der Forschung, bereichsspezifische Arbeitsdefinitionen von Religion auszubilden. In diesem Buch soll der Religionsbegriff von Bernhard Uhde als Arbeitsdefinition für eine vergleichende religiöse Geistesgeschichte kritisch reflektiert werden. Religion, so Uhde, entwickele aus der Einsicht in die Vergänglichkeit ein Wissen um die Voraussetzung einer verborgenen, unvergänglichen »Einheit«. Monotheistisches Wissen lässt sich damit erfassen; doch wie verhält es sich mit dem polytheistischen indischen Veda und dem buddhistischen Kanon? Eckehart Schmidt untersucht diese Frage auf Grundlage der altindischen Quellen.

Der Autor: Eckehart Schmidt (geb. 1976) studierte Historische Anthropologie, Religionswissenschaft und Psychologie in Freiburg im Breisgau. Seit 2018 ist er Beauftragter des Bistums Erfurt für den interreligiösen Dialog.

https://doi.org/10.5771/9783495825563 .

Originalausgabe Zugl.: Dissertation, Julius-Maximilians-Universität Würzburg, 2020 © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg / München 2021 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz und PDF-E-Book: SatzWeise, Bad Wünnenberg Herstellung: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISBN Print 978-3-495-49235-2 ISBN E-Book (PDF) 978-3-495-82556-3

https://doi.org/10.5771/9783495825563 .

Inhaltsverzeichnis

I.

Fragestellung und Ziel der Untersuchung

II.

Uhdes Religionsbegriff im Kontext der Diskussion um die Definition von Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Diskussion um die Definition von Religion . . . . . 1.1. Die Ansätze der Moderne . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1. Etische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2. Emische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Reflexion postmoderner Einwände gegen moderne Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1. Eurozentrismus . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1.1 »Religion« als eurozentrischer Begriff . 1.2.1.2 Alternativen zu eurozentrischen Religionsbegriffen . . . . . . . . . . 1.2.1.3 Fazit: Religionsneutrale Metasprache . 1.2.2. Diversität der Religionen . . . . . . . . . . . 1.2.2.1 Enge moderner Religionsdefinitionen . 1.2.2.2 Polythetische Ansätze als postmoderne Alternative . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2.3 Fazit: Rückbindung an Religionstheorie 1.2.3. Multiperspektivischer Blick auf Religion . . . 1.2.3.1 Vielfältige Kommunikation über Religion . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3.2 Mangelnder Konsens zu allgemeiner Bestimmung . . . . . . . . . . . . . 1.2.3.3 Fazit: Erstellung von Arbeitsdefinitionen . . . . . . . . . . . . . .

1.

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Die Voraussetzung einer verborgenen »Einheit«

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16 16 18 19 27 33 34 34 37 40 42 42 43 47 48 48 49 51

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Inhaltsverzeichnis

2.

III. 1.

2.

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Der Religionsbegriff von Bernhard Uhde . . . . . . . . . 2.1. Ein religionsphilosophischer Ansatz . . . . . . . . . 2.1.1. Grund: Einsicht in den Mangel an anwesender Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2. Inhalt: Wissen um die Voraussetzung einer Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3. Praxis: Beachten der Herrschaft des »Prinzips von Allem« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Kritische Reflexion von Uhdes Religionsbegriff . . . 2.2.1. Uhdes Religionsbegriff im Licht moderner Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.1 Diskussion des Begriffs von »Wissen« . 2.2.1.2 Diskussion der Grundstruktur EinheitVielheit . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2. Uhdes Ansatz im Licht der postmodernen Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendung von Uhdes Religionsbegriff auf die altindische Geistesgeschichte . . . . . . . . . . . Methodische Vorbemerkungen . . . . . . . . . . 1.1. Begriffsklärungen . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1. Geistesgeschichte . . . . . . . . . . . 1.1.2. »altindisch« . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Reflexion bisheriger geistesgeschichtlicher Darstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1. Auswahl der Inhalte . . . . . . . . . . 1.2.2. Chronologie . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3. Quellenanalyse . . . . . . . . . . . . 1.3. Untersuchungsumfang . . . . . . . . . . . Der R ̥ gveda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Text und Untersuchungsumfang . . . . . . 2.2. Uhdes Religionsbegriff im R ̥ gveda? . . . . . 2.3. Das ̥rtá im ̥rgvedischen Kosmos . . . . . . . 2.3.1. Der ̥rgvedische Kosmos . . . . . . . . 2.3.2. Das ̥rtá . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4. RV 1–9: Das »Eine« als einheitliches Ganzes 2.5. RV 10: Das einheitliche Ganze im Spiegel der Kosmogonien . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

3.

4.

5.

Der frühe Atharvaveda . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Text und Untersuchungsumfang . . . . . . . 3.2. Uhdes Religionsbegriff im Atharvaveda? . . . 3.3. Das bráhman im atharvavedischen Kosmos . . 3.3.1. Der atharvavedische Kosmos . . . . . . 3.3.2. Das bráhman . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Weitere Mächte im frühen Atharvaveda . . . 3.4.1. Der prāṇa . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2. Die virā´j . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5. Heterogene Vorstellungen über das Ganze . . 3.5.1. Spekulative Bruchstücke aus den Zauberhymnen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.2. Der Skambha . . . . . . . . . . . . . . 3.5.3. Rätsellieder in den spekulativen Hymnen 3.5.4. Der Brahmacārin . . . . . . . . . . . . Die Brāhmaṇas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Text und Untersuchungsumfang . . . . . . . 4.2. Uhdes Religionsbegriff in den Brāhmaṇas? . . 4.3. Wirkmächtige Zusammenhänge im Kosmos der Brāhmaṇas . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1. Der Kosmos der Brāhmaṇas . . . . . . 4.3.2. Wirkmächtige Zusammenhänge im Opferritual . . . . . . . . . . . . . . . 4.4. Prajāpati als Ursprung von allem . . . . . . . 4.4.1. Schöpfung im Aitareya-Brāhmaṇa . . . 4.4.2. Schöpfung im Śatapatha-Brāhmaṇa . . Die frühen Upaniṣaden . . . . . . . . . . . . . . . 5.1. Text und Untersuchungsumfang . . . . . . . 5.2. Uhdes Religionsbegriff in den Upaniṣaden? . . 5.3. Der Begriff upaniṣad . . . . . . . . . . . . . 5.4. Kausale Beziehungssysteme . . . . . . . . . . 5.4.1. Der udgītha . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2. Der Gesang . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.3. Das bráhman . . . . . . . . . . . . . . 5.4.4. Das fünffache Opferfeuer . . . . . . . . 5.4.5. Der Mensch . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.5.1 Der ātman . . . . . . . . . . . 5.4.5.2 Der ātman vaiśvānara . . . . . 5.4.5.3 Die zwei puruṣa’s . . . . . . . .

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Die Voraussetzung einer verborgenen »Einheit«

. . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

6.

IV. 1. 2.

3.

4.

5.5. Schöpfungsmythen . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.1. Der Tod als Schöpfer . . . . . . . . . . . . 5.5.2. Das Seiende . . . . . . . . . . . . . . . . . Der frühe Pāli-Kanon . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1. Text und Untersuchungsumfang . . . . . . . . . 6.2. Uhdes Religionsbegriff im frühen Pāli-Kanon? . . 6.3. Das Weltbild des frühen Pāli-Kanons . . . . . . . 6.4. Das bedingte Entstehen (paṭiccasamuppāda) . . . 6.4.1. Drei Versionen des bedingten Entstehens . . 6.4.2. Das bedingte Entstehen und das Existierende 6.5. Das nibbāna . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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199 199 203 208 208 211 214 217 218 223 228

Ergebnis der Untersuchung . . . . . . . . . . . Zusammenfassung von Teil I: Theorie . . . . . Zusammenfassung von Teil II: Anwendung . . 2.1. R ̥ gveda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Atharvaveda . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Brāhmaṇas . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Upaniṣaden . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5. Pāli-Kanon . . . . . . . . . . . . . . . . Reflexion der Anwendung . . . . . . . . . . . 3.1. Inhaltliche Reflexion . . . . . . . . . . . 3.2. Methodische Reflexion . . . . . . . . . . Eine religionswissenschaftliche Arbeitsdefinition

V. Anhang . . . . . . . . . . Transliteration und Aussprache Abkürzungsverzeichnis . . . . Tabellenverzeichnis . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . Quelleneditionen . . . . . . . Übersetzungen . . . . . . . . . Sekundärliteratur . . . . . . .

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Eckehart Schmidt https://doi.org/10.5771/9783495825563 .

I.

Fragestellung und Ziel der Untersuchung

Seit ihren Anfängen im 19. Jahrhundert wird in der Religionswissenschaft und in verwandten Disziplinen die Frage erörtert, wie Religion zu bestimmen sei. 1 Die sehr kontrovers geführte Diskussion hat bis heute zu keinem allgemein anerkannten Religionsbegriff geführt. Die Uneinigkeit der Forschungsgemeinschaft ist vor allem auf die große inhaltliche Heterogenität der Religionen zurückzuführen. Deutlich wird diese Heterogenität angesichts der grundlegenden Unterschiede, die zwischen den »monotheistischen« 2 und den »indischen« 3 Religionen bestehen. So steht in den monotheistischen Religionen der Glaube an Gott als einzige Ursache und Ziel allen Handelns im Mittelpunkt. In den indischen Religionen wird dagegen eine Vielfalt von Göttern angebetet, ein göttliches Selbst verehrt oder – im Falle des Buddhismus – den Göttern keine zentrale Stellung zugebilligt und die Verehrung eines göttlichen Selbst abgelehnt. Die modernen religionswissenschaftlichen Ansätze versuchen, hinter dieser Heterogenität eine allen gemeinsame Substanz oder Funktion zu identifizieren. Abhängig davon, ob Religion aus einer Außen- oder Innenperspektive betrachtet wird, lassen sie sich als »etisch« oder »emisch« klassifizieren. Diese Ansätze werden von der postmodernen Forschung verworfen; sie schlägt stattdessen vor, den eurozentrischen Ausdruck »Religion« aufzugeben, Explikationen statt Definitionen Einen guten Einblick in die Diskussion gibt z. B. Antes, Peter (2000): Religion in den Theorien der Religionswissenschaft. In: Walter Kern et al. (Hg.): Handbuch der Fundamentaltheologie. Traktat Religion. 2. Aufl. Tübingen: Francke (Handbuch der Fundamentaltheologie, 1), S. 13–32; oder auch Figl, Johann (2003): Religionswissenschaft. Historische Aspekte, heutiges Fachverständnis und Religionsbegriff. (Einleitung zum Handbuch Religionswissenschaft). In: Johann Figl (Hg.): Handbuch Religionswissenschaft. Religionen und ihre zentralen Themen. Innsbruck, Wien: Tyrolia-Verl, S. 18– 80. 2 Judentum, Christentum, Islam. 3 Hinduistische Religionen, Buddhismus. 1

Die Voraussetzung einer verborgenen »Einheit«

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Fragestellung und Ziel der Untersuchung

vorzunehmen oder sogar ganz auf eine allgemeine inhaltliche Bestimmung zu verzichten. Obwohl die postmodernen Ansätze berechtigte Kritikpunkte in die Diskussion einbringen, besitzen die von ihr vorgeschlagenen Alternativen große Nachteile. So kann die Wissenschaftlichkeit einer Wissenschaft nur dann gewahrt werden, wenn sie in der Lage ist, ihren zentralen Gegenstand zu bestimmen. Ein Verzicht auf den Ausdruck »Religion« würde zudem nur zu einer Problemverlagerung führen. Dennoch geben die postmodernen Einwände wertvolle Hinweise für die Erstellung von modernen Religionsbegriffen. So müssen diese eine religionsneutrale Metasprache verwenden. Zudem muss ihr zentrales Definitionskriterium begründet werden. Schließlich ist es angesichts des mangelnden Konsenses zu einem allgemeinen Religionsbegriff notwendig, Arbeitsdefinitionen für verschiedene Forschungsbereiche zu entwickeln. Vor diesem Hintergrund soll der religionsphilosophische Ansatz von Bernhard Uhde reflektiert und überprüft werden. Uhdes Ansatz wurde in jüngerer Zeit von Markus Enders in die religionswissenschaftliche Diskussion eingebracht. 4 Uhde bestimmt Religion folgendermaßen: »Religion gründet in der reflektierten Einsicht in den umfassenden Mangel an anwesender Gegenwart, hat das Wissen um die notwendige Voraussetzung der verborgenen Einheit zum Inhalt und ist im Beachten der Herrschaft des ›Prinzips von Allem‹ lebendig.« 5

Zwei Besonderheiten heben diese Bestimmung dabei von den modernen religionswissenschaftlichen Ansätzen ab. Erstens geht Uhde davon aus, dass Religionen ein spezifisches »Wissen« tradieren; den monotheistisch konnotierten Begriff »Glauben« verwendet er dagegen nicht. Zweitens versteht er eine vorausgesetzte, zeitlose »Einheit«, die verborgen hinter der »Vielheit« der Welt steht, als zentralen Inhalt von Religion. Im Gegensatz zu vielen religionswissenschaftlichen Ansätzen, die eine »göttliche oder geistige Entität« in den Mittelpunkt stellen, bezeichnet der Begriff einer zeitlosen Einheit nicht

Siehe Enders, Markus (2013): ›Endlichkeit‹ und Einheit. Zum Verständnis von Religion im Anschluss an Hermann Schrödters Begriff von Religion. In: Tobias Müller & Thomas M. Schmidt (Hg.): Was ist Religion? Beiträge zur aktuellen Debatte um den Religionsbegriff. Paderborn: Schöningh, S. 125–155. 5 Vgl. Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit. Versuch über Religion. Freiburg im Breisgau (Unveröffentlichte Habilitationsschrift), S. 8. 4

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SCIENTIA

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Fragestellung und Ziel der Untersuchung

notwendig eine solche, separate Substanz. 6 Uhdes Ansatz besitzt grundlegende Vorteile: Zum einen entfaltet er »Religion« aus einer anthropologischen Gegebenheit, nämlich der reflektierten Einsicht des Menschen in die Vergänglichkeit des Daseins (»Mangel an anwesender Gegenwart«), die dem religiösen Wissen zugrunde liege und somit den Begriff an eine Religionstheorie rückbindet. Zum anderen verwendet er eine religionsneutrale, philosophische Begrifflichkeit. Allerdings versteht Uhde seinen Religionsbegriff nicht als eine Arbeitsdefinition. Da der inhaltliche Fokus auf einem religiösen, handlungsanleitenden Wissen liegt, kann der Religionsbegriff als Arbeitsdefinition für eine »Geschichte des religiösen Wissens«, mithin für eine religiöse Geistesgeschichte reflektiert und überprüft werden. Der Wert von Uhdes religionsphilosophischem Ansatz als eine Arbeitsdefinition für eine religiöse Geistesgeschichte kann sich erst in der Anwendung auf Religionen zeigen, die keine Berührung zur abendländischen Tradition haben. Uhde hat den Begriff in seiner Habilitationsschrift bereits auf das Christentum angewendet; eine wissenschaftliche historisch-systematische Untersuchung im Bereich nicht-monotheistischer Religionen steht dagegen noch aus. In dieser Arbeit soll darum die altindische Geistesgeschichte vom R ̥ gveda bis zum frühen Buddhismus in den Blick genommen werden, die sich durch eine große Heterogenität ihrer Glaubensvorstellungen (Polytheismus des R ̥ gveda, Monismus der Upaniṣaden, »Atheismus« 7 des frühen Buddhismus) auszeichnet und damit eine besonders große Herausforderung darstellt. Die Anwendung von Uhdes Religionsbegriff auf die altindische Geistesgeschichte bedarf angesichts der Fülle des Materials einer Eingrenzung. Mit Hilfe linguistischer Kriterien und der Berücksichtigung der Wirkungsgeschichte wurde eine Auswahl chronologisch geordneter Texte erstellt, die zumindest ein vorläufiges Urteil zur Angemessenheit und Nützlichkeit des kritisch reflektierten Uhde’schen Religionsbegriffs als Arbeitsdefinition für eine altindische Geistesgeschichte zulässt. So umfasst die Anwendung (1) den R ̥ gveSo kann – wie noch gezeigt werden soll – »Einheit« nicht nur einen von seiner Schöpfung absolut unterschiedenen monotheistischen Gott bezeichnen, sondern auch ein »Ganzes«, das sich aus dem untrennbaren Zusammenhang aller Wesenheiten konstituiert, seien sie nun »göttlich« oder »nicht-göttlich«. 7 »Atheismus« in dem Sinne, dass die im Pāli-Kanon vorkommende Götterwelt keine wichtige Rolle im frühbuddhistischen Denken spielt, wenngleich sie auch nicht negiert wird. 6

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da, (2) den frühen Atharvaveda, (3) zwei exemplarische Brāhmaṇas (Aitareya-Brāhmaṇa; Śatapatha-Brāhmaṇa), (4) zwei frühe Upaniṣaden (Br̥hadāraṇyaka-Upaniṣad; Chāndogya-Upaniṣad) und (5) den frühen buddhistischen Pāli-Kanon (Vinaya- und SuttaPiṭaka). Das Ziel dieser Untersuchung ist es, Uhdes Religionsbegriff durch die Reflexion seiner Anwendung auf die altindische Geistesgeschichte in eine religionswissenschaftliche Arbeitsdefinition umzuwandeln. Eine solche Arbeitsdefinition ist nicht nur nützlich für die Darstellung der Geistesgeschichte einer Religion, sondern auch für religionsvergleichende Ansätze zwischen monotheistischen und indischen Religionen. Damit soll ein Beitrag zur wissenschaftstheoretischen Grundlegung der Religionswissenschaft geleistet werden. Da Uhdes Religionsbegriff bislang nur wenig rezipiert wurde, wird in der vorliegenden Untersuchung Neuland betreten. Zum einen ist sein religionsphilosophischer Ansatz im Licht der Anforderungen und Einwände zu reflektieren, die in der religionswissenschaftlichen Diskussion um die Definition von Religion aufgeworfen werden. Zum anderen sind die wenigen, bisher erfolgten Anwendungen auf die nicht-christlichen Religionen nicht historisch-systematisch. 8 Eine historisch-systematische Anwendung auf eine (alt)indische Geistesgeschichte steht noch aus. Die Untersuchung wird daher in zwei Teile untergliedert: (1) Der Theorieteil dient der Betrachtung und Reflexion von Uhdes Religionsbegriff im Kontext der religionswissenschaftlichen Diskussion um Religion. Er gründet sich im ersten Abschnitt auf die vielfältige Literatur zur Diskussion um die Definition von Religion. Im zweiten Abschnitt wird Uhdes Religionsbegriff auf Grundlage seiner Habilitationsschrift Gegenwart und Einheit. Versuch über Religion vorgestellt und anschließend im Licht der Diskussion kritisch reflektiert. (2) Im Anwendungsteil wird Uhdes Religionsbegriff auf die altindische Geistesgeschichte bezogen. Bisherige Darstellungen zeigen So zum Beispiel die Darstellung des Hinduismus und des Buddhismus in Uhdes populärwissenschaftlichem Werk Warum sie glauben, was sie glauben. Weltreligionen für Andersgläubige und Nachdenkende. (Siehe Uhde, Bernhard (2013): Warum sie glauben, was sie glauben. Weltreligionen für Andersgläubige und Nachdenkende. Freiburg i. Br.: Herder). Uhde erwähnt dort zwar nicht explizit seinen Religionsbegriff, implizit scheint er jedoch eine Rolle zu spielen. Die Darstellung versucht einen kurzen Gesamtüberblick über »Hinduismus« und »Buddhismus« und zieht darum zur Verdeutlichung Texte aus allen Epochen heran.

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die Notwendigkeit, erstens alle Formen des Wissens einzubeziehen, zweitens die inter- und intratextuelle Chronologie zu berücksichtigen und drittens die Quellen als primäre Grundlage der Analyse heranzuziehen. Die Untersuchung der ausgewählten Texte erfolgt dabei immer nach dem gleichen Schema: Zunächst wird durch die Lektüre der Quellen mit Hilfe der wissenschaftlichen Sekundärliteratur sondiert, welche Begriffe und Vorstellungen auf das Wissen um die Voraussetzung einer verborgenen Einheit hinweisen können. Diese werden anschließend durch die Analyse der Quellen genauer in den Blick genommen. Es soll gezeigt werden, in welchem Ausmaß und mit welchen Einschränkungen das von Uhde vorgestellte, handlungsanleitende Wissen und die darin implizierte Grundstruktur »Einheit-Vielheit« aus einer religionswissenschaftlichen Metaperspektive vorkommt. Gleichzeitig soll untersucht werden, inwieweit das jeweilige Selbstverständnis getroffen wird. Aus den altindischen Quellen wird in den Zitaten diejenige Übersetzung verwendet, die – nach Einschätzung des Autors dieser Arbeit – am besten den Originaltext wiedergibt. Daher finden sich gelegentlich englische und deutsche Übersetzungen nebeneinander. An einigen Stellen – in denen der Autor dieser Arbeit den Originaltext anders interpretiert – finden sich auch eigene Übersetzungen. In die Fußnote wird immer der Originaltext der Übersetzung gestellt. Der jeweilige Übersetzer wird durch ein Kürzel gekennzeichnet. Wurde die herangezogene Übersetzung geringfügig verändert, insbesondere Sanskrit- bzw. Pāli-Ausdrücke unübersetzt gelassen, steht vor dem Kürzel der Zusatz »nach«. Das Verzeichnis der Abkürzungen steht im Anhang. Schließlich befinden sich dort auch Anmerkungen zu der in der Arbeit verwendeten Transliteration sowie zu den Ausspracheregeln.

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II. Uhdes Religionsbegriff im Kontext der Diskussion um die Definition von Religion

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In der Religionswissenschaft existieren zahlreiche Versuche, den Begriff »Religion« zu definieren. 9 Diese Bestimmungsversuche werden in der wissenschaftlichen Literatur meist in »substanziell« und »funktional« eingeteilt. Substanzielle Ansätze versuchen zu erklären, Siehe z. B. Donovan, James M. (2003): Defining Religion. In: Stephen D. Glazier (ed.): Selected readings in the anthropology of religion. Theoretical and methodological essays. Westport, Conn.: Praeger (Contributions to the study of anthropology, 9), S. 61–98; Figl, Johann (2003): Religionswissenschaft. Historische Aspekte, heutiges Fachverständnis und Religionsbegriff. (Einleitung zum Handbuch Religionswissenschaft). In: Johann Figl (Hg.): Handbuch Religionswissenschaft. Religionen und ihre zentralen Themen. Innsbruck: Tyrolia-Verl, S. 18–80; Furseth, Inger & Repstad, Pål (2006): An introduction to the sociology of religion. Classical and contemporary perspectives. Aldershot: Ashgate; Gladigow, Burkhard (2005): Religionswissenschaft als Kulturwissenschaft. Hg. v. Christoph Auffahrt und Jörg Rüpke. Stuttgart: Kohlhammer (Religionswissenschaft heute, 1); Hock, Klaus (2002): Einführung in die Religionswissenschaft. Darmstadt: Wissenschaftl. Buchgesellschaft; Kehrer, Günter (1998): Religion, Definitionen der. In: Hubert Cancik et al. (Hg.): Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe. Kultbild – Rolle. Stuttgart: Kohlhammer (Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, 4), S. 418–425; Pollack, Detlef (1995): Was ist Religion? Probleme der Definition. In: Zeitschrift für Religionswissenschaft 3, S. 163–190; Stolz, Fritz (1988): Grundzüge der Religionswissenschaft. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (Kleine Vandenhoeck-Reihe, 1527); Wilson, Brian C. (1998): From the lexical to the polythetic. A brief history of the defnition of religion. In: Thomas A. Idinopulos (ed.): What is religion? Origins, definitions, and explanations. Leiden: Brill (Studies in the history of religions, 81), S. 141–162. Für eine diskursanalytische Reflexion der Diskussion siehe Rohrbacher, Angelika (2009): Eurozentrische Religionswissenschaft? Diskursanalytische Methodik an den Grenzen von Ost und West. Marburg: Tectum-Verlag. Einen umfassenden transdisziplinären Einblick bietet Wagner, Falk (1986): Was ist Religion? Studien zu ihrem Begriff und Thema in Geschichte und Gegenwart. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Mohn; sowie der Sammelband von Kerber, Walter (Hg.) (1993): Der Begriff der Religion. München: Kindt (Fragen einer neuen Weltkultur, 9); siehe hier insbesondere Stietencron, Heinrich v. (1993): Der Begriff der Religion in der Religionswissenschaft. In:

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was der spezifische Inhalt (»Substanz«) von Religion ist; funktionale Ansätze möchten hingegen darlegen, was Religion für den Einzelnen oder für die Gemeinschaft leistet (»Funktion«). Hinsichtlich der funktionalen Ansätze wird oft festgestellt, dass sie gemischt sind, weil sie nicht nur die »Leistung« der Religion bestimmen, sondern diese Leistung mit einem Inhalt in Beziehung setzen. 10 Darüber hinaus existieren Bestimmungsversuche, die Alternativen dazu bieten – zum Beispiel in Form von multifaktoriellen Ansätzen, die Religion durch eine Liste verschiedener Merkmale zu erfassen versuchen. 11 Im Folgenden soll die Betrachtung der Diskussion nicht nach dem Schema »substanziell/ funktional/ Alternativen« vorgenommen werden. Dies begründet sich aus den häufigen Überschneidungen, die in der herkömmlichen Unterteilung der Ansätze gefunden werden können und eine deutliche Abgrenzung nicht zulassen. Die hier vorgeschlagene philosophiegeschichtliche Perspektive soll dagegen ein klares heuristisches Schema anbieten, um ein besseres Verständnis für die spezifische Entwicklung der Diskussion und ihrer Problematik zu gewinnen. Ausgangspunkt der philosophiegeschichtlichen Darstellung der Diskussion ist die Feststellung, dass die im ausgehenden 19. Jahrhundert entstandene Religionswissenschaft ein Produkt der europäischen Moderne ist. 12 Während die mit der cartesianischen Wende entstanWalter Kerber (Hg.): Der Begriff der Religion. München: Kindt (Fragen einer neuen Weltkultur, 9), S. 111–158. 10 Vgl. Donovan, James M. (2003): Defining Religion, S. 90. 11 Siehe z. B. Saler, Benson (1993): Conceptualizing religion. Immanent anthropologists, transcendent natives, and unbounded categories. Leiden: Brill (Studies in the history of religions, 56). 12 Die folgende Einteilung bezieht sich auf die von Heribert Boeder vorgenommene heuristische Untergliederung der abendländischen Geistesgeschichte in drei Epochen: Metaphysik, Moderne und Postmoderne. (Siehe Boeder, Heribert (1980): Topologie der Metaphysik. Freiburg i. Br.: Alber (Orbis academicus/ Sonderband); ders. (1988): Das Vernunft-Gefüge der Moderne. Freiburg i. Br.: Alber; ders. (2006): Die Installationen der Submoderne. Zur Tektonik der heutigen Philosophie. Würzburg: Könighausen & Neumann (Orbis phaenomenologicus/ Studien, 15)). In der Religionswissenschaft wird die Religionswissenschaft häufig als Produkt der Moderne bezeichnet. (Siehe z. B. Kippenberg, Hans Gerhard (1997): Die Entdeckung der Religionsgeschichte. Religionswissenschaft und Moderne. München: Beck). Dabei ist zu beachten, dass der Begriff vieldeutig ist. Eine solche epochale Zuordnung der Religionswissenschaft ist nicht zwingend vorzunehmen. Jürgen Osterhammel verzichtet beispielsweise in seiner Geschichte des 19. Jahrhunderts darauf; er bezeichnet Religion ohne die Erwähnung der Moderne als »Produkt europäischer, insbesondere protestantisch orienDie Voraussetzung einer verborgenen »Einheit«

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denen neuzeitlichen metaphysischen Theorien die Vernunft ins Zentrum ihrer Ausführungen stellten, konzentrieren sich die modernen Überlegungen auf das der Vernunft vorausgehende »Sein« in seiner weltbezogenen, geschichtlichen und sprachlichen Bestimmtheit. 13 In der modernen Religionswissenschaft lässt sich nun Religion als eine erforschbare Gegebenheit der Welt betrachten, die über alle geschichtlichen Epochen hinweg kulturübergreifend aufgefunden werden kann. Die nach dem zweiten Weltkrieg beginnenden postmodernen Reflexionen lassen sich seit den 1960er Jahren auch in der Religionswissenschaft beobachten. Sie setzen sich in einen Unterschied zu den modernen Ansätzen, indem sie sich vor allem auf den Horizont der Sprache beziehen. 14 Orientierte sich die Moderne noch am klar bestimmbaren »Sein« der beforschten Phänomene wie »Religion«, lehnt die Postmoderne eine solche Orientierung in Berufung auf die sprachliche Bedingtheit aller Phänomene ab. Boeder bemerkt dazu: »Die Entkräftung des Vorstellens einer einheitlichen Natur, selbst noch in der Bedeutung des ›Wesens‹, bringt wie nie zuvor die Verschiedenheit der Intentionen des Sprechens in der Kommunikation zur Geltung.« 15

Die postmodernen Ansätze der Religionswissenschaft lassen sich dadurch charakterisieren, dass sie mit Hinweis auf die Sprache die Möglichkeit eines eindeutigen Begriffs von Religion verneinen. Es soll nun im Folgenden näher auf die modernen Ansätze und anschließend auf die postmodernen Einwände eingegangen werden, um auf dieser Grundlage die Voraussetzungen einer modernen Begriffsbestimmung festzuhalten.

1.1. Die Ansätze der Moderne Es wurde bereits festgestellt, dass die modernen Ansätze Religion formal als eine erforschbare Gegebenheit der Welt ansehen, die über alle geschichtlichen Epochen hinweg kulturübergreifend beobachtet wertierter Intellektueller des 19. Jahrhunderts.« (Osterhammel, Jürgen (2010): Die Verwandlung der Welt. eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. 5. Aufl. München: Beck (Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung), S. 1241). 13 Vgl. Boeder, Heribert (1988): Das Vernunft-Gefüge der Moderne, S. 17. 14 Vgl. Boeder, Heribert (2006): Die Installationen der Submoderne, S. 13. 15 Boeder, Heribert (2006): Die Installationen der Submoderne, S. 9.

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den könne. Nun haben sich in der modernen Religionswissenschaft zwei grundsätzliche Methoden ausdifferenziert, Religion zu definieren: Entweder bestimmt man sie aus der Außenperspektive, indem man aus der Menge ihrer geschichtlich, regional und sprachlich unterschiedenen Erscheinungsformen die Gemeinsamkeiten ermittelt; oder man nimmt die Innenperspektive ein und versucht Religion auf Grundlage der Erfahrung des einzelnen religiösen Akteurs zu erfassen. Vor allem im angelsächsischen Raum hat sich hierbei die Unterscheidung »etisch« (Außenperspektive) und »emisch« (Innenperspektive) eingebürgert. 16 Im Folgenden sollen darum die Ansätze der Moderne in etisch und emisch unterschieden werden. Die Methodik der etischen Ansätze entspricht dabei dem kritischen, empirischen Wissenschaftsverständnis der Moderne, während die emischen Ansätze aufgrund ihrer Betonung der religiösen Erfahrung in einem Gegensatz dazu stehen. Formal jedoch zählen auch sie zu den Ansätzen der Moderne, da sie Religion als eine feststellbare Gegebenheit der Welt sehen, die in der gesamten Menschheitsgeschichte gefunden werden kann. 17 Im Anschluss soll versucht werden, mit Hilfe wirkungsgeschichtlich bedeutsamer Definitionsversuche grundlegende inhaltliche Strukturen der etischen und emischen Ansätze offenzulegen. Die dadurch geleistete spezifischere Charakterisierung der Ansätze ist der Ausgangspunkt zum Verständnis der postmodernen Einwände gegen eine moderne Begriffsbestimmung. 1.1.1. Etische Ansätze Zu den wirkungsgeschichtlich bedeutsamsten etischen Ansätzen der Moderne gehören diejenigen von Edward B. Tylor, Émile Durkheim und Clifford Geertz, die exemplarisch näher betrachtet werden sollen. Die Klassifizierung dieser Ansätze als »etisch« begründet sich daVgl. Snoek, Jan A. M. (1994): Classification and definition theory. An overview. In: Ugo Bianchi (ed.): The notion of ›religion‹ in comparative research. Selected proceedings of The XVIth Congress of the International Association for the History of Religions; Rome, 3rd – 8th September, 1990. Roma: »L’Erma« di Bretschneider, S. 741– 754, hier: S. 742. 17 Auch Kehrer geht auf diesen Gegensatz ein und bezeichnet die beiden Ansätze als »fideistisch« und »wissenschaftlich«. (Vgl. Kehrer, Günter (1988): Einführung in die Religionssoziologie. Darmstadt: Wiss. Buchges., S. 15–16). Diese Terminologie wird jedoch nicht übernommen, da »fideistisch« in diesem Zusammenhang eine abwertende Konnotation im Sinne von »nicht-wissenschaftlich« besitzt. 16

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durch, dass deren postulierter Inhalt von Religion quantifizierbar und wissenschaftlich kommunizierbar, mithin aus der Außenperspektive einsehbar ist. Edward B. Tylor nimmt in seiner Monographie Religion in primitive culture (1871) eine evolutionistische Perspektive ein: Jede einzelne Religion unterliege einer Entwicklung; somit lassen sich geschichtlich unterschiedliche Gattungen (races) erkennen. Die ursprüngliche Gattung, aus der sich alle anderen Religionen entwickelten, sei der Animismus. Als einfachste, am wenigsten komplexe Form dient dieser dem Evolutionisten Tylor als Maßstab für seinen Religionsbegriff. 18 Das Grundlegende des Animismus sei dabei der Glauben, der sich auf geistige Wesen beziehe: »It seems best to fall back at once on this essential source, and simply to claim, as a minimum definition of Religion, the belief in Spiritual Beings.« 19

Indem Tylor die Bezeichnung »belief« statt »faith« verwendet, zeigt er an, dass er sich auf die doktrinelle Seite der Religion konzentriert. Kritisiert wurde dabei, dass der Begriff »belief« zu abendländisch geprägt sei. 20 Sutherland erwidert auf diese Kritik, dass »belief« neutral als die Behauptung eines bestimmten Wissens zu verstehen sei; das Wissen umfasse dabei alle möglichen Formen von der Volksfrömmigkeit bis hin zu intellektuellen religiösen Doktrinen. 21 Die starke Emotionalität, welche unbestritten die Religion begleitet, sei, wie Tylor bemerkt, nicht Bestandteil seiner Untersuchung. 22 Da sich der Glauben auf geistige Wesen richtet, führe dies notwendig zu deren Verehrung in Form von Riten. 23 Auf die Beziehung zwischen Glauben und Ritual geht er dabei nicht ein. 24 Tylor ist sich bewusst, dass nicht Vgl. Tylor, Edward Burnett (1958): Primitive culture. Vol. 2. Religions in primitive culture. New York: Harper & Row (Harper torchbooks, 34), S. 422, 444. 19 Tylor, Edward Burnett (1958): Primitive culture. Vol. 2, S. 8. 20 Vgl. Sutherland, Liam T. (2017): Tylor and debates about the definition of ›religion‹. Then and now. In: Paul-François Tremlett et al. (eds.): Edward Burnett Tylor, Religion and Culture. London: Bloomsbury, S. 87–103, hier: S. 93. 21 Vgl. Sutherland, Liam T. (2017): Tylor and debates about the definition of ›religion‹, S. 93. 22 Vgl. Tylor, Edward Burnett (1958): Primitive culture. Vol. 2. 444–445. Das Gleiche gilt für Moralität. (Vgl. Jong, Jonathan (2017): ›Belief in spiritual beings‹ : E. B. Tylor’s (primitive) cognitive theory of religion. In: Paul-François Tremlett et al. (eds.): Edward Burnett Tylor, Religion and Culture. London: Bloomsbury, S. 47–61, hier: S. 50). 23 Vgl. Tylor, Edward Burnett (1958): Primitive culture. Vol. 2, S. 11, 448. 24 Vgl. Jong, Jonathan (2017): ›Belief in spiritual beings‹, S. 50. 18

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in jeder Religion geistige Wesen rituell verehrt werden; jedoch stellen sie den ursprünglichen Glaubensinhalt dar, der sich bei bestimmten Religionen weiterentwickelt habe. Grundsätzlich seien die geistigen Wesen entweder Einzelseelen oder andere Geister (spirits), die dann im Laufe der Geschichte bis hin zur Vorstellung eines alles beherrschenden Hochgottes evolvieren: »In such ways, the result of carrying to their utmost limits the animistic conceptions which among low races and high pervade the philosophy of religion, is to reach an idea of as it were a soul of the world, a shaper, animator, ruler of the universe.« 25

Diese evolutionistische Perspektive lässt im Unklaren, auf welchen Inhalt sich der Glauben bei nicht-animistischen Religionen richtet. In der Cognitive Science of Religion, deren Ausrichtung Jonathan Jong als »Neo-Tylorisch« bezeichnet, 26 wurden deshalb verschiedene Ansätze entwickelt, die statt »spiritual beings« die Begriffe »supernatural agent« oder »counterintuitive agent« als Inhalt von Religion vorschlagen. 27 Tylor und seine Nachfolger erstellen eine rein substanzielle Definition, welche »geistige Wesen«, »übernatürliche Akteure« oder »kontraintuitive Akteure« als unterscheidendes Merkmal von Religion beinhaltet. Dieses Merkmal wurde bereits sehr früh als zu eng kritisiert, da es atheistische Religionen wie den Buddhismus oder Jainismus nicht umfasst. 28 Melford Spiro argumentiert dagegen, dass der Buddha von den Laien als übermenschliches Wesen verehrt würde – dies entspricht freilich nicht dem von den Mönchen gelebten Theravāda-Buddhismus, wie Spiro selbst eingesteht. 29 Auch das in der Cognitive Science of Religion häufig vorgebrachte Argument, dass – auch wenn der Therāvada-Buddhismus als atheistisch zu verstehen sei – doch die buddhistischen Gläubigen »inveterate believers in gods« seien, überzeugt nicht. Denn damit dürfte man die frühe Lehre des Buddha nicht als Religion verstehen. Für den Buddha haben Tylor, Edward Burnett (1958): Primitive culture. Vol. 2, S. 421. Vgl. Jong, Jonathan (2017): ›Belief in spiritual beings‹, S. 47. 27 Vgl. Jong, Jonathan (2017): ›Belief in spiritual beings‹, S. 52–53. 28 Vgl. z. B. Durkheim, Émile (1968): Les formes élémentaires de la vie religieuse. Le système totémique en Australie. 5. Aufl. Paris: Presses univ. de France (Bibliothèque de philosophie contemporaine), S. 40–42. 29 Vgl. Spiro, Melford E. (1966): Religion. Problems of definition and explanation. In: Michael Banton (ed.): Anthropological approaches to the study of religion. London: Tavistock Publ (ASA monographs/ Association of Social Anthropologists of the Commonwealth, 3), S. 85–126, hier: S. 92–94. 25 26

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die vedischen Götter keine Bedeutung für seine Lehre, sondern stellen himmlische Lebewesen dar, die Teil der Welt sind. 30 Émile Durkheim verwirft auf der Suche nach dem wesentlichen Unterscheidungsmerkmal religiöser Glaubensüberzeugungen in seiner Monographie Les formes élémentaires de la vie religieuse (1912) darum sowohl die Idee des Übernatürlichen als auch die Idee der Göttlichkeit. Denn zum einen sei der Begriff des Übernatürlichen als Negation des Natürlichen ein Produkt des neueren philosophischen Denkens; für den Primitiven seien die für uns mysteriösen, übernatürlichen Erklärungen das Naheliegende. 31 Zum anderen schließe der Begriff der Göttlichkeit atheistische Religionen wie den Buddhismus und den Jainismus aus; darüber hinaus finden sich selbst in den theistischen Religionen Riten, welche von den Göttern völlig unabhängig seien. 32 Durkheim nimmt stattdessen eine entscheidende Akzentverschiebung vor. Im inhaltlichen Zentrum jeder Religion sieht er nicht ein einzelnes Objekt, sondern die allen Glaubensüberzeugungen (croyances) und Praktiken vorausgesetzte Dichotomie »heilig – profan«. Die heiligen Dinge und Bereiche seien dabei durch Verbote vor der profanen Sphäre geschützt. Die Riten (rites) schließlich führen den Einzelnen vom profanen in den heiligen Bereich. 33 Er versteht die Dichotomie »heilig – profan« dabei als eine »Dualität«, die sowohl in der Natur des Einzelnen als auch in der Gesellschaft angelegt sei. 34 W. Watts Miller führt hierzu an, dass nach Durkheim nicht nur der Raum in heilig und profan aufgeteilt wird, sondern auch die Zeit: So gibt es Zeiträume, in denen alles heilig sein kann. 35 Wie jedoch der Ethnologe Evans Pritchards anmerkt, kann die explizite Unterscheidung von Raum und Zeit in heilig und profan nicht in

Vgl. Norman, Kenneth R. (1991): The Buddha’s view of devas. In: Kenneth R. Norman (ed.): Collected papers. Vol. II. Oxford: The Pali Text Society, S. 1–8, hier: S. 1. 31 Vgl. Durkheim, Émile (1968): Les formes élémentaires de la vie religieuse, S. 35. 32 Vgl. Durkheim, Émile (1968): Les formes élémentaires de la vie religieuse, S. 41– 47. 33 Vgl. Durkheim, Émile (1968): Les formes élémentaires de la vie religieuse, S. 50– 51. 34 Vgl. Watts Miller, William (2013): The creation and problematic achievement of les formes élémentaires. In: Sondra L. Hausner (ed.): Durkheim in dialogue. A centenary celebration of The Elementary Forms of Religious Life. New York: Berghahn, S. 233– 256, hier: S. 246–247. 35 Vgl. Watts Miller, William (2013): The creation and problematic achievement of les formes élémentaires, S. 238–239. 30

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allen Religionen gefunden werden. 36 Durkheim versteht Religion zudem als ein gesellschaftliches Phänomen und möchte es von verwandten individualisierten Praktiken, die er als »Magie« bezeichnet, abgrenzen. Er bestimmt deshalb das Vorhandensein einer Moral vermittelnden Gemeinschaft als dasjenige Merkmal, welches Religion eindeutig von Magie abgrenze. 37 Seinen Begriff von Religion formuliert er folgendermaßen: »Une religion est un système solidaire de croyances et de pratiques relatives à des choses sacrées, c’est-à-dire séparées, interdites, croyances et pratiques qui unissent en une même communauté morale, appelée Église, tous ceux qui y adhèrent.« 38

Angesichts der Privatisierung der Religion in modernen Gesellschaften, in denen sich Menschen zunehmend von der institutionalisierten Religiosität abwenden und individuelle Glaubensformen für sich entdecken, 39 stellt sich die Frage, ob das Vorhandensein einer »communauté morale« konstituierend für eine Religion ist. Auch wenn durch das Internet individuelle Glaubensformen ein großes Maß an Öffentlichkeit gewinnen, bleiben diese Formen zunächst eine persönliche Aussage: »Die technisch-mediale Entwicklung erlaubt die lokale Entkoppelung der Kommunikation von den Anderen und schafft damit eine Privatsphäre ohne notwendige Gemeinschaft.« 40 Persönliche Aussagen können sich dabei ergänzen und bestärken und zur Einrichtung neuer »Patchwork-Konstellationen« führen, die eine Gemeinschaft konstituieren. 41 Aufgrund ihrer Funktion als mögliche Geburtsstube neuer Religionen sollten individualisierte Glaubensformen, mithin »Magie« im Anschluss an Max Weber als Grundschicht des Religiösen verstanden werden. 42 Hans Joas betont dabei, dass »das Vgl. Allen, N. J. (2013): Durkheim’s sacred/profane opposition. What should we make of it? In: Sondra L. Hausner (ed.): Durkheim in dialogue. A centenary celebration of The Elementary Forms of Religious Life. New York: Berghahn, S. 109–123, hier: S. 110. 37 Vgl. Durkheim, Émile (1968): Les formes élémentaires de la vie religieuse, S. 58– 62. 38 Durkheim, Émile (1968): Les formes élémentaires de la vie religieuse, S. 65. 39 Vgl. Knoblauch, Hubert (1999) Religionssoziologie. Berlin: De Gruyter, S. 122. 40 Knoblauch, Hubert (2009): Populäre Religion. Auf dem Weg in eine spirituelle Gesellschaft. Frankfurt am Main: Campus, S. 210. 41 Vgl. Knoblauch, Hubert (2009): Populäre Religion, S. 217. 42 Vgl. Joas, Hans (2017): Die Macht des Heiligen. Eine Alternative zur Geschichte von der Entzauberung. 2. Auflage. Berlin: Suhrkamp, S. 245. 36

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Magische […] als immerwährende Möglichkeit erkennbar [ist], die nicht einer angeblich überwundenen Kulturstufe zugehört.« 43 Individualisierte Glaubensformen sind also wiederkehrende Elemente in der Religionsgeschichte. Darum muss »eine Moral vermittelnde Gemeinschaft« als konstituierendes Element eines allgemeinen Religionsbegriffs ausgeschlossen werden. Clifford Geertz sieht in seinem Aufsatz Religion as a cultural system (1966) Religion als ein kulturelles System von Symbolen. Er stellt an den Anfang seines Aufsatzes folgende Definition von Religion: »Without further ado, then, a religion is: (1) a system of symbols which acts to (2) establish powerful, pervasive, and long-lasting moods and motivations in men by (3) formulating conceptions of a general order of existence and (4) clothing these conceptions with such an aura of factuality that (5) the moods and motivations seem uniquely realistic.« 44

Geertz folgt damit dem Ansatz der interpretativen bzw. symbolischen Anthropologie. 45 Den Begriff »Symbol« fasst er dabei sehr weit: »(…) any object, act, event, quality, or relation which serves as a vehicle for a conception (…).« 46 Frankenberry und Penner kritisieren diese weite Fassung des Symbolbegriffs, weil sie die Bestimmung von religiösen Symbolen willkürlich mache. 47 In der Anführung eines »Symbolsystems« scheint, so Franz-Peter Burkard, der Gedanke leitend zu sein, dass in einer Kultur Brüche existieren, für die es keine hinreichenden Interpretationsmöglichkeiten gebe und die mit Hilfe eines religiösen Symbolsystems überbrückt werden. 48 Religion gründet sich nach Geertz mithin im Bedürfnis der Menschen, unverständliche Geschehnisse, Leiden und Ungerechtigkeit zu erklären. Entscheidend ist dabei, dass das religiöse Symbolsystem sowohl DeuJoas, Hans (2017): Die Macht des Heiligen, S. 487. Geertz, Clifford (1966): Religion as a cultural system. In: Michael Banton (Hg.): Anthropological approaches to the study of religion. London: Tavistock Publ (ASA monographs/ Association of Social Anthropologists of the Commonwealth, 3), S. 4. 45 Vgl. Burkard, Franz-Peter (2011): Anthropologie der Religion. E. B. Tylor, B. Malinowski, C. Levi-Strauss, C. Geertz. Dettelbach: Röll (Klassiker der Ethnologie; 1), S. 173. 46 Vgl. Geertz, Clifford (1966): Religion as a cultural system, S. 5. 47 Vgl. Frankenberry, Nancy K. & Penner, Hans H. (1999): Clifford Geertz’s longlasting moods, motivations, and metaphysical conceptions. In: The Journal of Religion 79 (4), S. 617–640, hier S. 619–620. 48 Vgl. Burkard, Franz-Peter (2011): Anthropologie der Religion, S. 172. 43 44

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tungs- als auch Handlungsmuster enthält: 49 So stellt Religion zum einen ein Modell der Wirklichkeit bereit, indem sie mit Hilfe von Symbolen die Vorstellung (conception) einer allgemeinen Existenzordnung (order of existence) ausformuliert. 50 Zum anderen bietet Religion ein Modell für die Wirklichkeit, indem sie mit ihren Symbolen (zu denen wie oben zitiert auch Handlungen und Ereignisse gehören) im Menschen Stimmungen und Motivationen erzeugt. 51 Die beschreibende und die vorschreibende Seite von Religion, also »world view« und »ethos« sind dabei wechselseitig miteinander verbunden. 52 Kevin Schilbrack bemerkt, dass sich Geertz damit gegen jene Ansätze wende, die metaphysische Bedeutungen gänzlich ignorieren und Religionen auf ihre sozialen oder psychologischen Funktionen reduzieren. 53 Die Autorität dieser Existenzordnung werde durch Rituale aufrecht erhalten; im Ritual bilde sich nämlich die Überzeugung heraus, dass die religiösen Vorstellungen mit der Wirklichkeit übereinstimmen. 54 Individualisierte religiöse Praktiken wie Meditation oder Askese berücksichtigt er dabei nicht. 55 Talad Asad kritisiert an Geertz, dass ein praktizierender Gläubiger nicht zwangsläufig religiöses Wissen besitzen müsse: »It is a modern idea that a practitioner cannot know how to live religiously without being able to articulate that knowledge.« 56 Allerdings ist Asads Sicht auf das religiöse Wissen und sein Verhältnis zur Praxis theologisch geprägt. So sei die Verbindung zwischen beiden in erster Linie »a matter of intervention – of constructing religion in the world (not in the mind) through definitional discourses, interpreting true meanings, excluding some utterances and practices and including others.« 57 Zwar fasst Geertz die »world view« nicht auf diese Weise eng. 58 Dennoch wird dadurch Vgl. Burkard, Franz-Peter (2011): Anthropologie der Religion, S. 171. Vgl. Geertz, Clifford (1966): Religion as a cultural system, S. 12–19. 51 Vgl. Geertz, Clifford (1966): Religion as a cultural system, S. 8. 52 Vgl. Burkard, Franz-Peter (2011): Anthropologie der Religion, S. 174. Vgl. auch Schildbrack, Kevin (2005): Religion, models of, and reality. Are we through with Geertz? In: Journal of the American Academy of Religion 73 (2), S. 429–452, hier: S. 433. 53 Vgl. Schilbrack, Kevin (2005): Religion, models of, and reality, S. 433–434. 54 Vgl. Geertz, Clifford (1966): Religion as a cultural system, S. 28. 55 Vgl. Burkhard, Franz-Peter (2011): Anthropologie der Religion, S. 177. 56 Asad, Talal (1993): Genealogies of religion. Discipline and reasons of power in Christianity and Islam. Baltimore: Johns Hopkins Univ. Press, S. 36. 57 Vgl. Asad, Talal (1993): Genealogies of religion, S. 44. 58 Vgl. Schilbrack, Kevin (2005): Religion, models of, and reality, S. 440. 49 50

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deutlich, dass er keine Differenzierung zwischen individuellen Ausprägungen religiösen Wissens macht, sondern von einem allgemeinen kulturell-religiösen Wissen ausgeht, zu dem jeder in gleichem Maße Zugang habe. Frankenberry und Penner wenden hierbei ein, dass die Formulierung eines solchen Wissens in Form einer »general order of existence« zu beliebig und inhaltsleer sei. Sie vermuten, dass diese »very vagueness« des Geertz’schen Religionsbegriffs maßgeblich zu seiner Beliebtheit beigetragen hat. 59 Tatsächlich lassen sich auch politisch-ideologische Systeme, die keine Forschungsobjekte der Religionswissenschaft darstellen, gut mit seinem Religionsbegriff umfassen. 60 In allen diesen drei exemplarisch dargestellten etischen Ansätzen der Moderne werden die Religionen aus einer Außenperspektive in ihrer historischen, empirischen und philologischen Erscheinungsform betrachtet. Ziel jedes Ansatzes ist es, mit einem allgemeinen Begriff die Religionen in ihrer Vielfalt zu beschreiben und gleichzeitig von anderen Bereichen abzugrenzen. Gemeinsam ist den Ansätzen, dass sie das religiöse, handlungsanleitende Wissen betrachten und dieses pejorativ als »Glauben« (im Unterschied zum wissenschaftlichen Wissen) oder als »Symbolsystem«, das bestimmte Stimmungen erzeuge, bezeichnen. Das spezifische Charakteristikum von Religion wird dagegen sehr unterschiedlich gefasst. (1) Tylor und seine Nachfolger gehen davon aus, dass der Glaube an bestimmte geistige, übernatürliche oder kontraintuitive Entitäten Religion wesentlich bestimmt. Die Fokussierung auf solche Entitäten, die unbestritten in vielen Religionen eine wichtige Rolle spielen, hat zur Folge, dass der frühe Buddhismus nicht erfasst wird. (2) Durkheim bezieht den Glauben und damit verbundene Praktiken auf heilige Dinge, die in einem Unterschied zum profanen Bereich stehen. Damit erfolgt eine bedeutende Akzentverschiebung: Es wird nicht eine bestimmte Entität in das Zentrum der Religion gestellt, sondern die Aufteilung von Raum und Zeit in heilig und profan. Diese Grundstruktur religiösen Wissens kann jedoch von der ethnologischen Feldforschung nicht in allen Religionen gefunden werden. (3) Der Ethno-

Vgl. Frankenberry, Nancy K. & Penner, Hans H. (1999): Clifford Geertz’s longlasting moods, motivations, and metaphysical conceptions, S. 638–639. 60 Vgl. Saler, Benson (1993): Conceptualizing religion, S. 93–95; Harrison, Victoria S. (2006): The pragmatics of defining religion in a multicultural world. In: International Journal for Philosophy of Religion 59, S. 133–152, hier: S. 139. 59

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loge Geertz begnügt sich darum, als entscheidendes Charakteristikum von Religion eine allgemeine Existenzordnung anzugeben, deren Autorität durch Rituale aufrechterhalten werde. Das Problem hierbei ist, dass eine solche Definition politisch-ideologische Systeme mit einschließt. Zudem geht Geertz von einem allgemeinen kulturell-religiösen Wissen aus, ohne zwischen individuellen Ausprägungen dieses Wissens zu differenzieren. 1.1.2. Emische Ansätze Zu den wirkungsgeschichtlich bedeutsamsten emischen Ansätzen sind diejenigen von William James, Rudolf Otto und Paul Tillich zu zählen, die exemplarisch näher betrachtet werden sollen. Die Klassifizierung dieser Ansätze als »emisch« erklärt sich durch deren Bestreben, statt äußerlichen, allgemeinen Merkmalen die vereinzelte Erfahrung des religiösen Akteurs zum Ausgangspunkt einer Definition zu nehmen. Es wird somit die Innenperspektive eingenommen. William James unterscheidet zunächst zwischen dem institutionellen und dem persönlichen Bereich von Religion. Dabei stelle der institutionelle Bereich alle geistigen, praktischen und materiellen Ausdrucksformen der jeweiligen Religion dar; unter dem persönlichen Bereich versteht James dagegen die Innerlichkeit des Einzelnen: »Worship and sacrifice, procedures for working on the dispositions of the deity, theology and ceremony and ecclesiastical organization, are the essentials of religion in the institutional branch. (…) In the more personal branch of religion it is on the contrary the inner dispositions of man himself which form the centre of interest, his conscience, his deserts, his helplessness, his incompleteness.« 61

Ursprünglicher sei nach James der persönliche Bereich; denn Religion entstehe aufgrund der Erfahrung einer direkten Beziehung zu einer »verborgenen Ordnung« (unseen order), die er auch als »more« oder »wider self« bezeichnet. 62 Die Erfahrung rufe im Einzelnen eine fei-

James, William (1902): The varieties of religious experience. A study in human nature; being the Gifford Lectures on natural religion delivered at Edinburgh in 1901–1902. 5. Aufl. London: Longmans, Green (The Gifford lectures, 1901/1902), S. 29. 62 Vgl. Slater, Michael R. (2009): William James on ethics and faith. Cambridge: Cambridge University Press, S. 114, siehe dort auch FN 2. 61

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erliche, ernsthafte Antwort hervor. 63 Diese Antwort beinhalte dabei ein spezifisches Glücksmoment, das qualitativ alle ähnlichen Momente überrage. 64 Als Psychologe verortet James dieses qualitative »Mehr« der religiösen Erfahrung im Unterbewusstsein. Letztendlich gehe jedoch das persönliche Bewusstsein samt Unterbewusstsein in eine von der alltäglichen Welt völlig unterschiedene Wirklichkeit über, die den Ursprung von allem darstelle. 65 Die Fokussierung auf die religiöse, emotionale Erfahrung zeigt sich in James’ Religionsdefinition: »Religion (…) shall mean for us the feelings, acts, and experiences of individual men in their solitude, so far as they apprehend themselves to stand in relation to whatever they may consider the divine.« 66

Christoph Seibert betont dabei, dass James – trotz aller Kritik an dieser Fokussierung – nicht die gemeinschaftlichen oder theologischen Inhalte von Religion in Frage stellen will. Vielmehr richtet sich James’ Interesse auf die Beziehung des Einzelnen zu einer ursprünglichen Realität. 67 Diese ursprüngliche Realität im Sinne einer »verborgenen Ordnung« liege sowohl der religiösen Erfahrung als auch der Moralität zugrunde. 68 Die verborgene Ordnung wird dabei im Licht der gegebenen religiösen Konzepte und Lehren interpretiert. 69 Die Breite des Begriffs »verborgene Ordnung« hat den Vorteil, dass er sich auf unterschiedlichste Religionen anwenden lässt. Da jedoch immer die persönliche Beziehung zur verborgenen Ordnung betrachtet wird, lassen sich keine allgemeinen Aussagen über die institutionellen Bereiche der Religionen formulieren. Der Einsatzbereich von James’ Religionsbegriff ist somit auf die Erfahrungsdimension beschränkt. Es ist zu befragen, ob in einem wissenschaftlichen Religionsbegriff die transzendente Realität ihres zentralen Gegenstandes gesetzt werden darf oder ob nicht vorsichtiger formuliert werden muss.

Vgl. James, William (1902): The varieties of religious experience, S. 38. Vgl. James, William (1902): The varieties of religious experience, S. 48. 65 Vgl. James, William (1902): The varieties of religious experience, S. 512. 66 James, William (1902): The varieties of religious experience, S. 31. 67 Vgl. Seibert, Christoph (2009): Religion im Denken von William James. Eine Interpretation seiner Philosophie. Tübingen: Mohr Siebeck, S. 234–239. 68 Vgl. Slater, Michael R. (2009): William James on ethics and faith, S. 124. 69 Vgl. Slater, Michael R. (2009): William James on ethics and faith, S. 116. 63 64

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Wie James baut auch der Theologe Rudolf Otto seinen Religionsbegriff auf der Erfahrungsdimension auf. Es geht ihm im Wesentlichen um die »Selbstbeobachtung des religiösen Bewusstseins«. 70 Sein Ziel ist dabei eine religiöse, aber nicht religionsspezifische Interpretation von Religion. 71 Otto unterscheidet zunächst die rationalen und irrationalen Momente einer Religion. Das rationale Moment bezeichne dabei den in Begriffe gefassten, religiösen Glauben und stelle gleichzeitig ein Prädikat des irrationalen Moments dar. 72 Dieses irrationale Moment sei grundlegend für alle Religionen. Otto nennt es das »Numinose«, das sich begrifflich nicht erfassen lasse, sondern nur durch die eigene Erfahrung anhand von Gemütsregungen aufgezeigt werden könne. 73 Der qualitative Gehalt des Numinosen sei etwas Schauervolles (tremendum) und zugleich Wundervolles (fascinans), das dem religiös Erlebenden in der Form eines Mysteriums, das heißt eines »Ganz anderen«, widerfahre: 74 »Dieses aber, nämlich das religiös Mysteriöse, das echte Mirum, ist (…) das ›Ganz andere‹, (…) das aus dem Bereiche des Gewohnten, Verstandenen und Vertrauten und darum ›Heimlichen‹ schlechterdings Herausfallende und zu ihm in Gegensatz sich Setzende und darum das Gemüt mit starrem Staunen Erfüllende.« 75

Das grundlegende Moment des Numinosen schließlich ergebe zusammen mit dem ihn schematisierenden rationalen Moment die Kategorie des Heiligen, die a priori im menschlichen Bewusstsein angelegt sei. 76 Religion hat damit nach Otto seinen Grund im Numinosen und seinen Inhalt im Heiligen. Je ausgeglichener die irrationalen und

Vgl. Barth, Roderich (2015): ›Wer das nicht kann, ist gebeten nicht weiter zu lesen‹. Otto als Pradigma einer unzeitgemäßen Methodologie? In: Wolfgang Gantke & Vladislav Serikov (Hg.): Das Heilige als Problem der gegenwärtigen Religionswissenschaft (Theion, 30), S. 13–22, S. 20. 71 Vgl. Schmidt-Leukel, Perry (2015): Die Bedeutung des ›Heiligen‹ für die Erklärung von Religion. In: Wolfgang Gantke & Vladislav Serikov (Hg.): Das Heilige als Problem der gegenwärtigen Religionswissenschaft (Theion, 30), S. 75–90, hier S. 81. 72 Vgl. Otto, Rudolf (1923): Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen. 11. Aufl. Stuttgart: Perthes, S. 1–2. 73 Vgl. Otto, Rudolf (1923): Das Heilige, S. 6–7, 10–11. 74 Vgl. Otto, Rudolf (1923): Das Heilige, S. 28, 38–39, 52. 75 Otto, Rudolf (1923): Das Heilige, S. 28. 76 Vgl. Otto, Rudolf (1923): Das Heilige, S. 130. 70

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rationalen Momente in diesem Heiligen sind, desto »überlegener« sei eine Religion: 77 »Daß in einer Religion die irrationalen Momente immer wach und lebendig bleiben, bewahrt sie davor, Rationalismus zu werden. Daß sie sich reich mit rationalen Momenten sättige, bewahrt sie davor, in Fanatismus oder Mystizismus zu sinken oder darin zu beharren, befähigt sie erst zu Qualitäts-, Kultur- und Menschheitsreligion.« 78

Ottos Begriff des Heiligen hat in der Rezeption viel Kritik erfahren. So wurde vor allem seine These, das Heilige sei etwas der Erfahrung real Gegebenes, als wissenschaftlich nicht überprüfbar kritisiert. 79 Wolfgang Gantke macht den Paradigmenwechsel der Wissenschaft dafür verantwortlich: »Nach der sogenannten kulturwissenschaftlichen Wende scheint eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Problematik des Heiligen in der Religionswissenschaft eine ausschließlich rückwartsgewandte Angelegenheit zu sein, bei der der neueste Stand wissenschaftlicher Erkenntnis souverän ignoriert wird.« 80

Dagegen erlaube es der Begriff des Heiligen, die Unterschiede in den religiösen Transzendenzvorstellungen als Variationen der Erfahrung einer Macht – nach Otto das Numinose – zu deuten. 81 Perry SchmidtLeukel versteht den Begriff des Heiligen darum als einen »terminoVgl. Otto, Rudolf (1923): Das Heilige, S. 162. Otto, Rudolf (1923): Das Heilige, S. 161. 79 Vgl. z. B. Stolz, Fritz (1988): Grundzüge der Religionswissenschaft, S. 19–20; Gladigow, Burkhard (1988): Gegenstände und wissenschaftlicher Kontext von Religionswissenschaft. In: Hubert Cancik et al. (Hg.): Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe. Systematischer Teil; Alphabetischer Teil: Aberglaube – Antisemitismus. Unter Mitarbeit von Günter Kehrer und Hans Gerhard Kippenberg. Stuttgart: Kohlhammer (Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, 1), S. 26–40, hier: S. 27–28; Haußig, Hans-Michael (1999): Der Religionsbegriff in den Religionen. Studien zum Selbst- und Religionsverständis in Hinduismus, Buddhismus, Judentum und Islam. Berlin: Philo, S. 3; Hanegraaff, Wouter J. (1999): Defining religion in spite of history. In: Johannes G. Platvoet & Arie L. Molendijk (eds.): The pragmatics of defining religion. Contexts, concepts and contests. Leiden: Brill (Studies in the history of religions, 84), S. 337–378, hier: S. 353–354. 80 Gantke, Wolfang (2015): Die Diskussion um das Heilige vor dem Hintergrund der Krise des Naturalismus. In: Wolfgang Gantke & Vladislav Serikov (Hg.): Das Heilige als Problem der gegenwärtigen Religionswissenschaft (Theion, 30), S. 33–40, hier: S. 33. 81 Gantke, Wolfgang, zitiert nach: Schmidt-Leukel, Perry (2015): Die Bedeutung des ›Heiligen‹ für die Erklärung von Religion, S. 83. 77 78

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logischen Platzhalter«, der eine religionsübergreifende Innenperspektive eröffnet. Er entspreche damit dem Selbstverständnis der Religionen. 82 Ottos Ziel, das Selbstverständnis nicht nur des einzelnen Religiösen, sondern der Religionen an sich zu erfassen, ist anzustreben. Doch sein ausdrücklicher Bezug auf eine emotionale Erfahrungsdimension macht den Begriff nur schwer wissenschaftlich objektivierbar. So ist es auch die Frage, ob nicht auch nicht-religiöse Menschen das Gefühl von etwas Schauervollem (tremendum) und zugleich Wundervollem (fascinans) erfahren können. 83 Der Theologe Paul Tillich betont schließlich die Wechselbeziehung von Religion und Kultur. 84 So steht für Tillich Religion nicht neben anderen kulturellen Ausdrucksformen, sondern wird nur in den kulturellen Ausdrucksformen realisiert, was sich in »seine[r] bekannte[n] Formel ›die Kultur ist Ausdrucksform der Religion, und die Religion ist Inhalt der Kultur‹ (GW I, 329)« niederschlägt. 85 Denn jeder kulturelle Sinngebungsprozess ist nur möglich durch die Partizipation an einem allem zugrunde liegenden Sinnzusammenhang, der durch die Religion gegeben ist. 86 Der religiöse Mensch wird sich dieses Sinnzusammenhangs als »Unbedingtheit« bewusst, die in einem Gegensatz zu den bedingten Beziehungen des Lebens steht: »In jedem religiösen Bewußtsein ist das Erste und Grundlegende, das alles Tragende, ein Bewußtsein der Unbedingtheit, der Unabschiebbarkeit dessen, was in der religiösen Wirklichkeit gegeben ist, ein Bewußtsein des ›Mich-konkret-und-unbedingt-Angehens‹, der Entscheidung über Leben und Tod in einem Sinn, der noch über das physische Sein oder Nichtsein hinausgeht. Wo in dieser Weise die Unbedingtheit des Religiösen erlebt wird, da bricht sie herein in alle bedingten Beziehungen unseres Lebens

Vgl. Schmidt-Leukel, Perry (2015): Die Bedeutung des ›Heiligen‹ für die Erklärung von Religion, S. 85. 83 Es sei hier nicht nur an überwältigende Naturschauspiele gedacht, sondern auch an Massenereignisse, die von den Beteiligten sehr emotional erfahren werden. 84 Vgl. Lauster, Jörg (2010): Religion als Substanz der Kultur? Kulturtheologische Aspekte zu Tillichs Theologie der Religionen. In: Christian Danz et al. (Hg.): Religionstheologie und interreligiöser Dialog. Internationales Jahrbuch für die TillichForschung, Bd. 5. Wien: Lit, S. 61–75, hier: S. 68. 85 Vgl. Danz, Christian (2007): Symbolische Form und die Erfassung des Geistes im Gottesverhältnis. Anmerkungen zur Genese des Symbolbegriffs von Paul Tillich. In: Christian Danz et al. (Hg.): Das Symbol als Sprache der Religion. Wien: Lit, S. 71. 86 Vgl. Lauster, Jörg (2010): Religion als Substanz der Kultur? Kulturtheologische Aspekte zu Tillichs Theologie der Religionen, S. 65. 82

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und hat die Tendenz, uns zu lösen aus diesen Beziehungen und uns hinzustellen allein vor diese Unbedingtheit (…).« 87

Religion lässt sich mithin durch ein Ergriffensein von einer Unbedingtheit erklären. Das Unbedingtheitserlebnis hat dabei einen paradoxen Charakter. 88 Tillich ist sich darüber im Klaren, dass die beschriebene Wechselbeziehung zwischen Religion und Kultur idealtypisch ist. Er bezeichnet dieses Verhältnis als »Theonomie«, welcher er die Begriffe »Autonomie« und »Heteronomie« gegenüberstellt: Während autonome Kulturen dazu neigen, letztgültige Sinnzusammenhänge aufzugeben, ordnen heteronome Kulturen ihre kulturellen Ausdrucksformen ganz der Religion unter. 89 Jörg Lauster betont, dass es nach Tillich keine Religion an sich gebe, sondern »immer nur kulturell geprägte Ausdrucksformen dessen, wovon sich der Mensch unbedingt ergriffen weiß und worin er letzten Sinn findet.« 90 Es ist Tillich zudem ein Anliegen, auch religionsähnliche, säkulare Bewegungen autonomer Kulturen in seinen Religionsbegriff einzuschließen. Darum hat er ihn bewusst »weit« formuliert. 91 Unterscheidend zwischen Religionen und »Quasi-Religionen« sei nur die Reinheit des Ergriffenseins; bei letzteren komme ein Ergriffensein von einem Bedingten hinzu. 92 Kritisiert wurde bei Tillich vor allem die bewusst konzipierte Weite seines Begriffs von Religion, die keine klare Unterscheidung zwischen Religionen und politischen Ideologien ermöglicht. 93 In allen drei diskutierten emischen Ansätzen der Moderne dient die Innenperspektive der Religionen in der Form der persönlichen ErTillich, Paul (1964): Gesammelte Werke. Die Frage nach dem Unbedingten. Schriften zur Religionsphilosophie. Hg. v. Renate Albrecht. Stuttgart: Evangel. Verl.-Werk (Gesammelte Werke / Paul Tillich, 5), S. 15. 88 Vgl. Danz, Christian (2007): Symbolische Form und die Erfassung des Geistes im Gottesverhältnis, S. 66–67. 89 Vgl. Lauster, Jörg (2010): Religion als Substanz der Kultur, S. 68–69. 90 Lauster, Jörg (2010): Religion als Substanz der Kultur, S. 67. 91 Vgl. Tillich, Paul (1964): Gesammelte Werke. Die Frage nach dem Unbedingten, S. 52. 92 Vgl. Tillich, Paul (1964): Gesammelte Werke. Die Frage nach dem Unbedingten, S. 102. 93 Vgl. z. B. Saler, Benson (1993): Conceptualizing religion, S. 108–111; Stephenson, Gunther (1995): Wege zur religiösen Wirklichkeit. Phänomene – Symbole – Werte. Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft, S. 77–78; Antes, Peter (2007): Religionen im Brennpunkt. Religionswissenschaftliche Beiträge 1976–2007. Stuttgart: Kohlhammer, S. 192. 87

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fahrung des religiösen Menschen als Ausgangspunkt des jeweiligen Religionsbegriffs. Diese Erfahrung bezieht sich auf eine verborgene, von allem Anderen unterschiedene Qualität. (1) So bezeichnet William James diese verborgene Qualität als »unseen order«, »more« und »wider self«; die Erfahrung dieser Qualität beschreibe einen Übergang in eine vom Alltag völlig unterschiedene Wirklichkeit. (2) Rudolf Otto bezeichnet sie als das »Numinose«, das als das Heilige in unser Bewusstsein rückt und dem Religiösen als das »Ganz Andere« widerfahre. (3) Paul Tillich beschreibt ein Ergriffensein von der »Unbedingtheit« des Sinnzusammenhangs, der jedem kulturellen Sinngebungsprozess zugrunde liegt. Die Grundlegung des Religionsbegriffs in der religiösen Erfahrung hat den Vorteil, dass das Selbstverständnis des religiösen Menschen besser erfasst wird. So wird beschrieben, wie der Mensch den zentralen Inhalt von Religion erfährt. Auf der anderen Seite werden die emischen Ansätze von großen Teilen der Religionswissenschaft abgelehnt, da die Grundlegung in einer vereinzelten Erfahrung keine empirisch überprüfbare Kriterien für eine allgemeine Bestimmung von Religion biete. Zudem kann auch die Abgrenzung von ähnlichen, nicht mit Religion verbundenen Erfahrungen nur schwer geleistet werden.

1.2. Reflexion postmoderner Einwände gegen moderne Ansätze Die religionswissenschaftlichen Ansätze der Moderne bieten eine eindeutige Bestimmung des Begriffs von Religion: Während die etischen Ansätze die Außenperspektive einnehmen und unter Religion ein handlungsanleitendes Glaubenssystem verstehen, konzentrieren sich die emischen Ansätze auf die Innenperspektive der Religionen, die sich durch die Erfahrung einer verborgenen, von allem Existierenden unterschiedenen Qualität auszeichne. Die postmodernen Reflexionen, die sich am Horizont der Sprache und des Sprechens orientieren, lehnen solche Bestimmungen von Religion ab. Drei zentrale Kritikpunkte werden dabei genannt: Zum ersten wird eingewendet, dass »Religion« ein europäisches Konzept sei, das nicht auf andere Kulturen übertragen werden könne. Neben diesem Vorwurf des Eurozentrismus wird zum zweiten kritisiert, dass moderne Definitionen von Religion unzulänglich seien, weil das jeweilige spezifische Definitionskriterium den Blick auf Religionen verenge und willkürlich gewählt sei. Drittens führt der aufgrund der Die Voraussetzung einer verborgenen »Einheit«

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Multiperspektivität der Religionswissenschaft bestehende mangelnde Konsens hinsichtlich eines allgemeingültigen Religionsbegriffs einige Forscher zu dem Gedanken, die Bestimmung von Religion ganz aufzugeben. Da in dieser Untersuchung ein moderner Religionsbegriff diskutiert werden soll, müssen diese drei postmodernen Einwände im Folgenden reflektiert werden. 1.2.1. Eurozentrismus 1.2.1.1 »Religion« als eurozentrischer Begriff

In der ethnologischen Forschung wird mit dem Begriff »Ethnozentrismus« die Tendenz ethnischer Gruppen bezeichnet, Vorstellungen anderer Gruppen im Denkrahmen und in der Terminologie der eigenen Gruppe zu interpretieren. 94 Unter »Eurozentrismus« versteht Gregor Ahn einen Ethnozentrismus, der die Begriffs- und Theoriebildung der westlichen Wissenschaft im Umgang mit Kulturen bestimmt, die ihre Wurzeln nicht in Europa haben. So werden im westlichen Kulturraum bestehende Vorverständnisse unreflektiert auf außereuropäische Kulturen übertragen. 95 Der Vorwurf des Eurozentrismus betrifft auch den Begriff von Religion. Der deutsche Ausdruck »Religion« stammt von dem lateinischen religio und ist etymologisch vermutlich von religere »sorgfältig beachten, Rücksicht nehmen, etwas gewissenhaft tun« abzuleiten. 96 In Vgl. Ahn, Gregor (1997): Eurozentrismen als Erkenntnisbarrieren in der Religionswissenschaft. In: Zeitschrift für Religionswissenschaft 5, S. 41–58, hier S. 43–44. 95 Vgl. Ahn, Gregor (1997): Eurozentrismen als Erkenntnisbarrieren in der Religionswissenschaft, S. 47. Einen guten Überblick zum Diskurs über den Eurozentrismus in der Religionswissenschaft bietet Rohrbacher, Angelika (2009): Eurozentrische Religionswissenschaft? Diskursanalytische Methodik an den Grenzen von Ost und West. Marburg: Tectum-Verlag. 96 Vgl. Rudolph, Kurt (2003): Schwierigkeiten der Verwendung des Begriffs ›Religion‹ und Möglichkeiten zu ihrer Lösung. In: Hans-Michael Haußig & Bernd M. Scherer (Hg.): Religion. Eine europäisch-christliche Erfindung? Beiträge eines Symposiums am Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Berlin: Philo, S. 37–48, hier: S. 37. Zur Geschiche und Problematik der Etymologie von religio vgl. Feil, Ernst (2003): Religion. Begriffsgeschichtliche Analysen und systematische Konsequenzen. In: Hans-Michael Haußig & Bernd M. Scherer (Hg.): Religion. Eine europäisch-christliche Erfindung? Beiträge eines Symposiums am Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Berlin: Philo, S. 49–66. Zu Feils begriffsgeschichtlichen Studien siehe Feil, Ernst (1986–2007): Religio. 4 Bände. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte, 36/70/79/91). 94

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seinem Gebrauch unterlag religio mehreren semantischen Wandlungen, bis er zu »Religion« im heutigen Sprachgebrauch wurde. Kurt Rudolph identifiziert vier entscheidende Stufen des semantischen Gebrauchs: (1) Im römischen Reich bezeichnete religio in erster Linie die kultische Praxis in Form der Verehrung der Gottheiten. (2) In der lateinischen Christenheit behielt der Begriff seine Beziehung zur praktischen Verehrung, nun aber eines einzigen Gottes; religio stellte als »wahre Gottesverehrung« eine Tugend dar, die insbesondere geistlichen Ordensleuten zugeschrieben wurde. (3) Die in der frühen europäischen Neuzeit beginnende Konfessionalisierung führt zu einer Verinnerlichung von religio, mithin zur Verbindung von religio mit einer bestimmten Einstellung des Denkens über Gott und weniger mit der äußeren Gottesverehrung. (4) In der Romantik wird der Fokus dieser Verinnerlichung vom Denken auf das Gefühl gelegt – einflussreichster Vertreter ist Friedrich Schleiermacher mit seiner Formel von Religion als »Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit« (Glaubenslehre von 1821). 97 In der nachmetaphysischen Moderne wurde Religion schließlich in erster Linie als historisch-gesellschaftliches Phänomen betrachtet, das von der neu entstandenen Religionswissenschaft untersucht wurde. Der Begriff »Religion«, wie er heute im Alltag verwendet wird, ist mithin ein Produkt der europäischen Moderne. 98 Wilfred Cantwell Smith stellt in seinem viel rezipierten Grundlagenwerk The meaning and the end of religion vier Bedeutungen heraus, mit denen der moderne Begriff von Religion im zeitgenössischen westlichen Kulturraum aufgrund seiner Begriffsgeschichte verbunden wird. Erstens werde Religion in der Moderne mit persönlicher Frömmigkeit assoziiert; zweitens betrachte man Religion als System von Glaubensüberzeugungen, Werten und Praktiken; drittens nehme man sie als ein historisch-gesellschaftliches Phänomen wahr; viertens sehe man sie als einen Aspekt menschlichen Lebens, der neben anderen Aspekten wie Kunst oder Ökonomie stehe. 99 Vgl. Rudolph, Kurt (2003): Schwierigkeiten der Verwendung des Begriffs ›Religion‹ und Möglichkeiten zu ihrer Lösung, S. 39–41. 98 Vgl. Grünschloss, Andreas (1994): Religionswissenschaft als Welt-Theologie. Wilfred Cantwell Smiths interreligiöse Hermeneutik. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 156–159. 99 Vgl. Smith, Wilfred Cantwell (1978): The meaning and end of religion. A revolutionary approach to the great religious traditions. Neuausg. der 1. Aufl. von 1962. London: SPCK, S. 48–49. 97

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Smith vergleicht dieses eurozentrische Vorverständnis von »Religion« mit ähnlichen Konzepten anderer Kulturen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass sich in anderen Kulturen – mit Ausnahme des islamischen Kulturraums – keine Äquivalente zum modernen Verständnis von Religion im Sinne einer strukturierten Größe bzw. eines organisierten Systems finden. 100 Andreas Grünschloss widerspricht hierbei Smith: Es spreche einiges dafür, dass es in anderen Kulturen Äquivalente für den Religionsbegriff gebe, »auch wenn sie nicht alle Aspekte seines speziell neuzeitlichen Gebrauchs erfüllen« 101. HansMichael Haußig betont allerdings mit Verweis auf sein Werk Der Religionsbegriff in den Religionen, dass unter den nicht-christlichen Weltreligionen »nur der Islam von Anfang an über einen Religionsbegriff im engeren Sinne verfügte« 102. In der von ihm untersuchten Epoche des Judentums hat sich dagegen kein äquivalenter Religionsbegriff herausgebildet, während die in Hinduismus und Buddhismus gefundenen Äquivalente weit über die Funktion eines Religionsbegriffs hinausgehen. 103 Ernst Feil geht sogar noch einen Schritt weiter. So bemerkt er, dass »Religion« als ein epochaler, neuzeitlich-protestantischer Begriff für unsere heutige Zeit nicht mehr brauchbar sei: »Die ›Religion‹ im präzisen Sinn stellt eine neuzeitliche, genau gesagt, neuzeitlich-protestantische Schöpfung dar, die als Exponent einer Epoche gelten darf; sie ist mit dieser Epoche zu Ende gegangen. Ich sehe keine andere Möglichkeit, als sie auch in dieser Epoche zu lassen, in allem Wohl und Wehe.« 104

Damit verschärft Feil den Vorwurf des Eurozentrismus in gewisser Weise. Denn Religion wird damit nicht nur mit einem bestimmten kulturgeografischen Raum verbunden, sondern die Möglichkeit seiner Anwendung gleichzeitig auf eine bestimmte Epoche und ein bestimmtes Milieu beschränkt. Die Eingebundenheit des Ausdrucks »Religion« in einen engen räumlichen, zeitlichen und soziokulturel100 Vgl. Grünschloss, Andreas (1994): Religionswissenschaft als Welt-Theologie, S. 159. 101 Grünschloss, Andreas (1994): Religionswissenschaft als Welt-Theologie, S. 160. 102 Haußig, Hans-Michael (2003): Einleitung. In: Hans-Michael Haußig & Bernd M. Scherer (Hg.): Religion. Eine europäisch-christliche Erfindung? Beiträge eines Symposiums am Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Berlin: Philo, S. 13–33, hier: S. 26. 103 Haußig, Hans-Michael (2003): Einleitung, S. 26–27. 104 Feil, Ernst (2003): Religion. Begriffsgeschichtliche Analysen und systematische Konsequenzen, S. 61.

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len Kontext würde somit nicht nur die Übertragung auf andere Kulturen verbieten, sondern auch eine Anwendung auf andere Epochen als die europäische Neuzeit. Der Vorschlag von Feil verdeutlicht die Konsequenz, die der postmoderne Einwand des Eurozentrismus nach sich zieht. So enthält die grundsätzliche Ablehnung des Ausdrucks »Religion« aufgrund der Kontextualität der Sprache – die bis ins Kleinste weitergedacht werden kann – ein großes Problem für jegliche wissenschaftliche Kommunikation. Denn nicht nur »Religion« wäre betroffen, sondern auch andere Ausdrücke, wie beispielsweise »Politik«. Der Ausdruck geht bekanntlich auf die vom 6. bis 4. Jhd. v. Chr. ihren Höhepunkt besitzende, griechische Polis und die dort ausgeübte politikē; technē »Kunst der Staatsverwaltung« 105 zurück. Konsequenterweise dürfte der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauer, nicht als »Politiker« bezeichnet werden, da sich sein räumlicher, zeitlicher und soziokultureller Kontext von dem des athenischen Alkibiades nicht unerheblich unterschied. Das gleiche gilt für Mahatma Gandhi, bei dem der kulturelle Hintergrund noch verschiedenartiger ist. Diese Beispiele zeigen: Eine Abschaffung von Ausdrücken wie Religion und Politik aufgrund ihrer sprachlichen Kontextualität würde einer Abschaffung jeglicher Möglichkeit zu einer wissenschaftlichen Kommunikation gleichkommen. Darum wurde in der Religionswissenschaft nach Alternativen zu eurozentrischen Religionsbegriffen gesucht. 1.2.1.2 Alternativen zu eurozentrischen Religionsbegriffen

Der postmoderne Vorwurf, der Begriff »Religion« sei aufgrund seiner Entstehung und historischen Entwicklung in Europa in seiner Bedeutung eurozentrisch und werde ähnlichen Gebilden in den anderen Kulturen nicht gerecht, führte einige Forscher zu dem Schluss, »Religion« sei durch einen alternativen, neutralen Ausdruck zu ersetzen. Dadurch können die damit verbundenen kulturellen Konnotationen vermieden werden: Während Smith ein »bipolares Konzept« von »faith« und »cumulative tradition« vorschlägt, 106 empfiehlt Daniel 105 Brockhaus: Politik. Online verfügbar unter: https://brockhaus.de/ecs/, zuletzt geprüft am 02. 11. 2019. 106 Vgl. Grünschloss, Andreas (1994): Religionswissenschaft als Welt-Theologie, S. 162.

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Dubuisson den Ausdruck »cosmographic formation« als Ersatz. 107 Beide Alternativausdrücke haben sich in der Religionswissenschaft nicht durchgesetzt, wohl auch, weil in der Alltagssprache der Ausdruck »Religion« fest etabliert ist. Michael Bergunder weist zudem auf die zunehmende Globalisierung des Begriffs von Religion hin. So bemerkt er kritisch, dass in der globalisierten Welt von einem »europäischen« Religionsverständnis keine Rede mehr sein könne: »Wenn wir durch die Welt reisen, dann können wir entdecken, dass heute nicht nur in Europa, sondern auch überall in der außereuropäischen Welt und in allen nicht-europäischen Sprachen ein etablierter Gebrauch von ›Religion‹ zu finden ist. Von daher kann von einem ›europäischen‹ Religionsverständnis keine Rede sein.« 108

Dennoch entgeht dieser globale Gebrauch von Religion der Kontextualität der Sprache nicht. Die wissenschaftlichen Traditionen nicht-westlicher Kulturräume müssen sich notwendig dem Vokabular und den Vorstellungen ihrer eigenen Kultur bedienen, um den übernommenen Begriff von Religion inhaltlich zu füllen. So ist anzunehmen, dass ein Inder, der von »religion« spricht, etwas anderes meint als ein Brite. Es ließe sich hierbei zwar nicht von einem Eurozentrismus sprechen, wohl aber von einem spezifischen Ethnozentrismus, der nicht zu umgehen ist und der mit Blick auf den Inder »Hinduzentrismus« genannt werden könnte. Dies verdeutlicht, dass eine von der Kultur unabhängige Forschung nicht möglich ist. Ein anderer Ansatz, mit der Problematik des Eurozentrismus umzugehen, beruht auf der Identifizierung von Begriffen, die in anderen Religionen dem Ausdruck »Religion« entsprechen. Diese Begriffe sollen als kulturell unterschiedliche Religionsbegriffe operationalisierbar gemacht werden. 109 So findet Hans-Michael Haußig in seinem Werk Der Religionsbegriff in den Religionen beispielsweise im Hinduismus 110 den Begriff dharma als Entsprechung; inhaltlich 107 Vgl. Dubuisson, Daniel (2003): The western construction of religion. Myths, knowledge, and ideology. Baltimore, Md.: Johns Hopkins Univ. Press., S. 198. 108 Bergunder, Michael (2011): Was ist Religion? Kulturwissenschaftliche Überlegungen zum Gegenstand der Religionswissenschaft. In: Zeitschrift für Religionswissenschaft 19, S. 3–55, hier: S. 54. 109 Vgl. Haußig, Hans-Michael (1999): Der Religionsbegriff in den Religionen, S. 37. 110 Dabei muss allerdings bemerkt werden, dass der Hinduismus kein einheitliches Gebilde ist, sondern aus einer Vielfalt von unterschiedlichen religiösen Strömungen besteht. (Vgl. Michaels, Axel (1998): Der Hinduismus. Geschichte und Gegenwart. München: Beck, S. 30–37).

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übersteige dieser den Begriff von Religion deutlich. 111 Im Islam findet er sogar vier Religionsbegriffe, nämlich islām, īmān, dīn, milla, die sich in Nuancen unterscheiden. 112 Zwei grundsätzliche Probleme sind in pragmatischer und methodischer Hinsicht in Haußigs Vorgehen zu erkennen. Bestände man erstens auf einer ausschließlichen Verwendung der identifizierten Religionsbegriffe, hätte das weitreichende gesellschaftspolitische Folgen. So müsste beispielsweise das im deutschen Grundgesetz festgeschriebene Recht auf Religionsfreiheit geändert werden; 113 denn schließlich würde dies nur noch die Christen umfassen. Es müsste somit auch eine dīn-Freiheit, eine dharma-Freiheit und viele andere Freiheiten eingeführt werden. Dieses Beispiel zeigt, dass ein konsequentes Befolgen eines solchen Ansatzes die öffentliche Kommunikation nachhaltig verkomplizieren würde. Zudem führte ein solches Vorgehen angesichts der Vielfalt der Religionen in eine scheinbar unendliche Vereinzelung der Begriffe, mithin zur Unmöglichkeit, ein allgemeines wissenschaftliches Urteil zu erstellen. Darüber hinaus ist zweitens methodisch anzumerken, dass Haußig in seiner Analyse einen Religionsbegriff voraussetzt. 114 So bemerkt er nach einer kurzen Reflexion der Religionsbegriffsdiskussion: »Bei der gegenwärtigen Diskussion des Begriffs Religion zeigt sich, daß er immer wieder mit gewissen Begriffen, wie Glaube, Ergriffensein, Ritus, Gemeinschaft und nicht zuletzt auch dem ›Heiligen‹, in Verbindung gebracht wird.« 115

Sein Vorgehen ist mithin abhängig von einer bestimmten abendländischen Vorstellung von Religion. Die Eurozentrismusproblematik lässt sich somit nicht durch die Operationalisierung außereuropäischer Religionsbegriffe umgehen: die Feststellung der entsprechenden Begriffe anderer Religionen wird durch die Brille der westlichen Wissenschaft vollzogen.

111 Vgl. Haußig, Hans-Michael (1999): Der Religionsbegriff in den Religionen, S. 102. 112 Vgl. Haußig, Hans-Michael (1999): Der Religionsbegriff in den Religionen, S. 194–243. 113 Vgl. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 4, Abs. 1–2. 114 Vgl. Schmidt, Karsten (2009): Religionsdefinitionen im Dialog. Definieren und doch nicht definieren. In: Tobias Müller et al. (Hg.): Religion im Dialog. Interdisziplinäre Perspektiven – Probleme – Lösungsansätze. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 77–112, hier: S. 96–97. 115 Haußig, Hans-Michael (1999): Der Religionsbegriff in den Religionen, S. 54.

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Es ist mithin kein gangbarer Weg, aufgrund des berechtigten Einwands, »Religion« sei ein eurozentrischer Ausdruck, alternative Begriffe zu konstruieren oder – ohne Bestimmung von Religion – außereuropäische Religionsbegriffe zu operationalisieren. Auch diese alternativen Ansätze würden mit dem Problem der Kontextualität der Sprache kämpfen. 116 1.2.1.3 Fazit: Religionsneutrale Metasprache

Es zeigt sich somit, dass die Kontextualität der Sprache und damit der Eurozentrismus nicht zu umgehen ist. Vielmehr muss auf die Möglichkeit der Reflexion der Sprache rekurriert werden, indem zwischen einer reflektierenden Metasprache und einer unmittelbaren Objektsprache unterschieden wird. 117 Dabei bedient sich die Metasprache der 116 Vgl. auch Schmitz, Bertram (2000): ›Religion‹ – oder: Eine Gleichung mit (zu) vielen Unbekannten. In: Ernst Feil (Hg.): Streitfall ›Religion‹. Diskussionen zur Bestimmung und Abgrenzung des Religionsbegriffs. Münster: Lit (Studien zur systematischen Theologie und Ethik, 21), S. 121–124, hier: S. 122–123. Markus Enders bemerkt dabei, dass an dem Begriff »Religion« aus »gewohnheitsrechtlichen« Gründen festgehalten werden sollte; entscheidend sei die von diesem Wort bezeichnete Sache. (Vgl. Enders, Markus (2004): Ist ›Religion‹ wirklich undefinierbar? Überlegungen zu einem interreligiös verwendbaren Religionsbegriff. In: Markus Enders & Holger Zaborowski (Hg.): Phänomenologie der Religion. Zugänge und Grundfragen. Freiburg, München: Alber, S. 49–87, hier: S. 85). 117 Vgl. Rudolph, Kurt (1994): Inwieweit ist der Begriff ›Religion‹ eurozentrisch? In: Ugo Bianchi (ed.): The notion of ›religion‹ in comparative research. Selected proceedings of The XVIth Congress of the International Association for the History of Religions; Rome, 3rd – 8th September, 1990. Roma: »L’Erma« di Bretschneider, S. 131– 139, hier: S. 135; vgl. auch Motzki, Harald (1976): Wissenschaftstheoretische und -praktische Probleme der religionswissenschaftlichen Terminologie. In: Gunther Stephenson (Hg.): Der Religionswandel unserer Zeit im Spiegel der Religionswissenschaft. Darmstadt: Wissenschaftl. Buchges., S. 323–338, hier: S. 336–337. Michael Bergunder geht in seinem diskursanalytischen Ansatz einen anderen möglichen Weg: er schlägt vor, das Alltagsverständnis von Religion zu operationalisieren. (Vgl. Bergunder, Michael (2011): Was ist Religion, S. 44). Da Bergunder ein konsensfähiges, heutiges Alltagsverständnis voraussetzt (ebd., S. 54–55) und er explizit auch den Gebrauch von »Religion« in anderen Kulturen einschließt (ebd., S. 50), muss allerdings die Frage gestellt werden, ob sich bei kulturvergleichenden Studien ein gemeinsames Alltagsverständnis finden lässt, das noch eine klare Bestimmung ermöglicht. Denn Schmitz kommt in seiner lexikalischen Untersuchung des Begriffs »Religion« und seiner entsprechenden Lexeme in ca. 100 anderen Sprachen zu folgendem Ergebnis: »Gemeinsamkeiten, die aber über ihre funktionale Gleichsetzung als Oberbegriff hinausgingen, ließen sich in dieser Untersuchung nicht finden.« (Schmitz, Bertram (2000): ›Religion‹ – oder: Eine Gleichung mit (zu) vielen Unbekannten, S. 198).

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Zeichen einer Objektsprache, zum Beispiel des Deutschen. Mit Hilfe einer bestimmten Objektsprache hat man nun die Möglichkeit, über diese Objektsprache zu reflektieren und von ihr zu abstrahieren. Die dadurch erfolgte Ausbildung einer kritisch reflektierten Metasprache kann zwar der Tatsache der Kontextualität der Sprache und somit dem Eurozentrismusvorwurf nicht ausweichen, weil die Verwendung von Zeichen einer (wohl meist europäischen) Objektsprache unvermeidbar ist. 118 Dennoch lässt sich damit die Verwendung des Ausdrucks »Religion« und die Erstellung eines Religionsbegriffs mit ebenfalls kulturgebundenen Ausdrücken wissenschaftlich legitimieren. 119 So bemerkt Heinrich von Stietencron: »Da wir gezwungen sind, Worte einer Sprache – welche auch immer es sei – zu benutzen, diese aber auch auf Gegenstände und Inhalte von Religionen aus anderen Sprachräumen anwendbar sein sollen, ist das Festhalten an der überkommenen kulturspezifischen Bedeutung dieser Worte der falsche Weg. Vielmehr müssen diesen Worten neue, relativ offen gehaltene Inhaltsbereiche zugeordnet werden.« 120

Legitimationsgeber für das Unternehmen einer Begriffsbestimmung ist dabei nicht eine von allen kulturellen Kontexten enthobene, »objektive Wissenschaft«, sondern eine Wissenschaft, die selbst aus einer bestimmten kulturellen Tradition entstammt. Neben der Unterscheidung in Meta- und Objektsprache muss zudem bei neuen oder bestehenden Religionsbegriffen der Abbau von eurozentrischen Inhalten vorangetrieben werden. 121 Als eurozentrisch könnte beispielsweise Durkheims Bezeichnung »église« 122 (Kirche) gesehen werden, die zwar gemäß seiner Definition jede organisierte Glaubensgemeinschaft umfassen soll, jedoch eine starke 118 Vgl. dazu Saler, Benson (1993): Conceptualizing religion, S. 199–200; Kleine, Christoph (2010): Wozu außereuropäische Religionsgeschichte? Überlegungen zu ihrem Nutzen für die religionswissenschaftliche Theorie- und Identitätsbildung. In: Zeitschrift für Religionswissenschaft 18, S. 3–38, hier: S. 10. 119 Vgl. Rudolph, Kurt (2003): Schwierigkeiten der Verwendung des Begriffs ›Religion‹ und Möglichkeiten zu ihrer Lösung, S. 44. 120 Stietencron, Heinrich v. (2000): Religion. Vom Begriff zum Phänomen oder vom Phänomen zum Begriff? In: Ernst Feil (Hg.): Streitfall ›Religion‹. Diskussionen zur Bestimmung und Abgrenzung des Religionsbegriffs. Münster: Lit (Studien zur systematischen Theologie und Ethik, 21), S. 131–136, hier: S. 135. 121 Vgl. Rudolph, Kurt (1994): Inwieweit ist der Begriff ›Religion‹ eurozentrisch, S. 135. 122 Zur Definition von Église vgl. Durkheim, Émile (1968): Les formes élémentaires de la vie religieuse, S. 60.

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christliche Konnotation besitzt. Diese eurozentrischen Konnotationen sollen auf der Sprachebene reflektiert und gegebenenfalls durch neue Bezeichnungen auf der Metaebene ersetzt werden. 123 Hierbei ist zu beachten, dass dies nur in beschränktem Maße vorgenommen werden kann, weil auch die Wissenschaft an eine konkrete Objektsprache gebunden ist. Zum Zwecke der Erstellung eines sich auf der Metaebene befindlichen Begriffs lässt sich darum nur ein Abbau europäisch-christlicher Bezeichnungen leisten. Es ist mithin eine religionsneutrale Metasprache gefordert. 124 Darüber hinaus muss ein metasprachlicher Religionsbegriff, dessen inhaltliche Komponenten von christlichen Konnotationen befreit sind, insbesondere auf nichtmonotheistische Religionen angewendet werden, um die Verwendbarkeit der kritisch reflektierten Terminologie sowohl sprachlich, aber vor allem auch inhaltlich zu überprüfen. 1.2.2. Diversität der Religionen 1.2.2.1 Enge moderner Religionsdefinitionen

Benson Saler gibt in seiner Monographie Conceptualizing religion einen Überblick über die Geschichte moderner Religionsbegriffe und stellt fest, dass diese auf einem einzigen unterscheidenden Merkmal beruhenden, sogenannten »monothetischen« Definitionen zu »eng« seien. Sie lenken die Aufmerksamkeit auf bestimmte Aspekte und verzerren darum die Forschungsergebnisse. 125 Religionen seien, so Jan Platvoet, polymorphisch in ihrer Vielfalt, polysemantisch in den Bedeutungen ihrer Symbolsysteme, polyvalent in den Botschaften ihrer rituellen Praktiken und polyfunktional in ihrem Einsatz in menschlichen Gesellschaften. Deswegen sei es unwahrscheinlich, dass jemals eine Definition gefunden werde, die das Gemeinsame aller Religionen erfasse. 126 Die größte Schwierigkeit, einen allgemeinen Begriff von Religion zu finden, stellt dabei die Einbeziehung des 123 Vgl. Rudolph, Kurt (2003): Schwierigkeiten der Verwendung des Begriffs ›Religion‹ und Möglichkeiten zu ihrer Lösung, S. 44–47. 124 Vgl. Schmitz, Bertram (2000): ›Religion‹ – oder: Eine Gleichung mit (zu) vielen Unbekannten, S. 124. 125 Vgl. Saler, Benson (1993): Conceptualizing religion, S. 156. 126 Vgl. Platvoet, Johannes G. (1999): To define or not to define. The problem of the definition of religion. In: Johannes G. Platvoet & Arie L. Molendijk (eds.): The pragmatics of defining religion. Contexts, concepts and contests. Leiden: Brill (Studies in the history of religions, 84), S. 245–265, hier: S 248.

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nicht-theistischen Theravāda-Buddhismus dar. 127 Das in den modernen Ansätzen übliche Aufstellen einer monothetischen Definition wird mithin als unzulänglich betrachtet, um die Diversität der Religionen hinreichend zu erfassen. Zudem schwingt der Vorwurf der Willkürlichkeit in der Auswahl des entscheidenden Charakteristikums von Religion mit. 1.2.2.2 Polythetische Ansätze als postmoderne Alternative

Unter den postmodernen Forschern, die den Eurozentrismus zwar reflektieren, ihn aber nicht als Hindernis zur Bestimmung von Religion sehen, werden zwei Wege eingeschlagen, um der Diversität der Religionen zu begegnen. Adrian Hermann benennt diese zwei Wege mit den Stichpunkten »Religionstheorie« und »Diskurstheorie«: »Während eine religionstheoretische Herangehensweise an ›Religion‹ diese Kategorie selbst zur Bezeichnung bestimmter Sachverhalte einsetzen möchte und damit zum Beispiel auf einen Vergleich zielt (…), interessiert sich die diskurstheoretische Beschäftigung mit ›Religion‹ für die Art und Weise, wie sich das ›Reden über Religion‹ global etabliert hat.« 128

Die zentrale Aufgabe des diskurstheoretischen Ansatzes ist die historische Rekonstruktion des globalen Religionsdiskurses; der religionstheoretische Ansatz stellt dagegen »Religion« als theoretische Kategorie in den Mittelpunkt. 129 Der diskurstheoretische Ansatz nimmt mithin eine Metaperspektive ein, ohne das Ziel einer Begriffsbestimmung zu verfolgen. Die postmodernen religionstheoretischen Ansätze hingegen grenzen sich von modernen Definitionsversuchen ab, indem sie sich meist an Wittgensteins »Familienähnlichkeiten« anlehnen. Die auf Familienähnlichkeiten beruhenden Ansätze werden polythetisch genannt. Sie basieren – im Unterschied zu den modernen, als monothetisch bezeichneten Ansätzen – auf einer Liste von meh127 Vgl. Snoek, Jan A. M. (1999): Defining ›religions‹ as the domain of study of the empirical sciences of religions. In: Johannes G. Platvoet & Arie L. Molendijk (eds.): The pragmatics of defining religion. Contexts, concepts and contests. Leiden: Brill (Studies in the history of religions, 84), S. 313–333, hier: S. 319. 128 Hermann, Adrian (2015): Unterscheidungen der Religion. Analysen zum globalen Religionsdiskurs und dem Problem der Differenzierung von ›Religion‹ in buddhistischen Kontexten des 19. und frühen 10. Jahrhunderts. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 439. 129 Vgl. Hermann, Adrian (2015): Unterscheidungen der Religion, S. 444–445.

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reren, gleichrangigen Merkmalen, welche die Gruppe »Religion« festlegen. Die Mitgliedschaft zu einer Gruppe besteht dann, wenn eine bestimmte Anzahl dieser Merkmale zutrifft. Dies bedeutet, dass zwei Mitglieder gegebenenfalls keine Gemeinsamkeit haben, weil sie jeweils andere Charakteristika der Gruppe umfassen. 130 Um Willkürlichkeit bei der Erstellung der Liste der Merkmale zu vermeiden, zieht der viel beachtete Ansatz von Benson Saler den an die Familienähnlichkeiten angelehnten, multifaktoriellen prototype approach vor. Dieser beruht auf der Einsicht, dass die monotheistischen Religionen den verschiedenen, im Abendland geprägten Definitionsversuchen als Muster, also »Prototyp«, zugrunde liegen: 131 »I propose that we formally acknowledge what many of us do informally: that we explicitly recognize our individual idealizations of ›mainstream‹ Judaisms and Christianities as ›prototypical‹ in the highest degrees of the category religion.« 132

Die bisherigen prototype approaches beruhen nach Saler auf der natürlichen Sprache, das heißt die Merkmale bestehen aus den Bezeichnungen, die im Sprachgebrauch der Religionen vorkommen, so zum Beispiel »godlike beings« oder »sacred and profane«. 133 Saler möchte nun diese Wörter in analoge Begriffe umwandeln, um so aus der »Volkskategorie« eine »analytische Kategorie« der Religion zu machen. Dies erfordere eine genaue Analyse der prototypischen, monotheistischen Religionen. 134 Eine exakte Trennungslinie zwischen Religion und Nicht-Religion gebe es dabei nicht; stattdessen wird der Grad gemessen, in welchem ein bestimmtes System dem Prototyp entspreche. 135 Dieses Verfahren steht im Gegensatz zu einem Begriff im modernen Sinn, dessen Inhalt eine klare Abgrenzung zu anderen Bereichen geben sollte. Betrachtet man die Art des Verfahrens der Bestimmung genauer, wird deutlich, dass die postmoderne Seite eine

Vgl. Saler, Benson (1993): Conceptualizing religion, S. 168. Vgl. Saler, Benson (1993): Conceptualizing religion, S. 199–200, 212. 132 Saler, Benson (1993): Conceptualizing religion, S. 212. 133 Vgl. Saler, Benson (1993): Conceptualizing religion, S. 219. Saler nimmt Southwolds Definitionsversuch als Beispiel (ebd., S. 171–170); siehe dazu Southwold, Martin (1978): Buddhism and the definition of religion. In: Man 13, S. 362–379. 134 Vgl. Saler, Benson (1993): Conceptualizing religion, S. 212–220. 135 Vgl. Saler, Benson (1993): Conceptualizing religion, S. 218, 225–226. 130 131

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Explikation vornimmt, während die moderne Seite eine Definition im engeren Sinne aufstellt. Eine Explikation, wörtlich die »Ent-faltung« eines Sachverhalts, möchte eine hinreichende Erklärung für diesen Sachverhalt geben. Die Explikation ermöglicht mithin die Gewinnung eines Verständnisses über Religion, welches eine Diskussionsgrundlage darstellen kann. 136 Dazu muss der Inhalt der Explikation gehaltvoll sein, das heißt eine große Zahl von überprüfbaren Folgerungen enthalten. 137 Das Ziel des Verfahrens der Explikation ist kein Begriff, sondern ein Explikat. 138 Eine Definition, wörtlich die »Ab-grenzung«, möchte dagegen einen Sachverhalt von anderen Sachverhalten abgrenzen, um ihn eindeutig zu identifizieren. Eine wissenschaftliche Definition muss dabei ihren Ausgangspunkt in der kulturell gebundenen Alltagssprache nehmen und gleichzeitig darüber hinausgehen. Eine solche Definition wird als regulierend bezeichnet. 139 Im Gegensatz zur Explikation möchte die Definition nicht die Vielfalt der Religionen erfassen, sondern das Spezifikum von Religion herausarbeiten, um eine wissenschaftliche Verständigung zu ermöglichen. Das Ziel des Verfahrens der Definition ist die Erstellung eines Begriffs.

136 Vgl. Carnap, Rudolf (1959): Induktive Logik und Wahrscheinlichkeit. Bearb. von Wolfgang Stegmüller. Wien: Springer, S. 12–13. Siehe auch Figl, Johann (2003): Religionswissenschaft, S. 71. 137 Vgl. Popper, Karl R. (1974): Objektive Erkenntnis. Ein evolutionärer Entwurf. 2. Aufl. Hamburg: Hoffmann u. Campe (Kritische Wissenschaft), S. 215. 138 Carnap zählt folgende Anforderungen an ein Explikat auf: (1) Es soll nicht zu weit vom Alltagsverständnis abweichen. (2) Die Regeln für den Gebrauch des Explikats müssen exakt gegeben sein. (3) Das Explikat sollte fruchtbar für die Diskussion sein. (4) Das Explikat sollte so einfach wie möglich sein. (Vgl. Carnap, Rudolf (1959): Induktive Logik und Wahrscheinlichkeit, S. 15). 139 Pawłowski zählt drei verschiedene Arten der Definition auf: feststellende, festsetzende und regulierende Definition. (1) Die feststellende Definition gibt den Sinn wieder, den ein Ausdruck in einer Sprache hat; (2) Die festsetzende Definition setzt einen dem Sprachgebrauch ungewöhnlichen Sinn fest; (3) Die regulierende Definition hält sich zum Teil an den Sinn, den ein Ausdruck in einer Sprache hat, weicht aber auch von ihm ab. (Vgl. Pawłowski, Tadeusz (1980): Begriffsbildung und Definition. Berlin: De Gruyter (Sammlung Göschen, 2213), S. 18–19). Die feststellende Definition bewegt sich nach dem bisher Gesagten somit auf der Objektebene, während die festsetzende Definition eine Definition ohne Rückbindung an die Objekteebene aufstellt. Nur die regulierende Definition vermittelt zwischen Objekt- und Metaebene und kann somit dem wissenschaftlichen Anspruch gerecht werden, ohne die Glaubwürdigkeit zu verlieren.

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Die Frage, welches Verfahren – Explikation oder Definition – bevorzugt und angewendet werden sollte, kann nur auf wissenschaftstheoretischer Ebene beantwortet werden – falls eine Antwort überhaupt möglich ist. Pragmatisch gesehen besitzt eine Definition gegenüber einem Explikat den Vorteil, dass sie eindeutige Unterscheidungskriterien liefert, mit denen Religion von anderen kulturellen Phänomenen abgegrenzt werden kann. 140 Dies ist insbesondere für vergleichende Studien wichtig. Darum wird die Forderung nach einer eindeutigen Bestimmung von Religion trotz der postmodernen Einwände immer wieder in der Diskussion aufgestellt. 141 So bemerkt Gunther Stephenson, dass die Religionswissenschaft wenigstens heuristisch eine feste Definition zur Verständigung benötige: »Wir sprechen in der Praxis nach wie vor von Religion(en) und sind uns in der Religionswissenschaft doch weitgehend einig, daß das Phänomen ›Religion‹ weltweit heute nicht mehr bestimmbar ist. Doch benötigen wir wenigstens heuristisch einen Begriff – und sei er noch so universal und daher ›leer‹ – zur Verständigung. (…) Das Erkenntnisinteresse des Religionswissenschaftlers verlangt jedenfalls nach pragmatischer Übereinstimmung.« 142

Obwohl eine monothetische Religionsdefinition Nachteile gegenüber einem multifaktoriellen Explikat aufweist, kann auf sie in der Religionswissenschaft daher nicht verzichtet werden.

140 Vgl. Figl, Johann (2013): Der Begriff der Religion im Spannungsfeld zwischen Religionswissenschaft und Religionsphilosophie. In: Tobias Müller & Thomas M. Schmidt (Hg.): Was ist Religion? Beiträge zur aktuellen Debatte um den Religionsbegriff. Paderborn: Schöningh, S. 99–123, hier: S. 121. 141 Siehe z. B. Braun, Willi (2000): Religion. In: Willi Braun & Russel T. McCutcheon (Hg.): Guide to the study of religion. London: Cassell, S. 3–18; Donovan, James M. (2003): Defining Religion; Furseth, Inger & Repstad, Pål (2006): An introduction to the sociology of religion; Gantke, Wolfgang (2009): Die Sprachlosigkeit der Religionswissenschaften im aktuellen Streit um die Religion. In: Jürgen Court & Michael Klöckner (Hg.): Wege und Welten der Religionen. Forschungen und Vermittlungen. Festschrift für Udo Tworuschka. Frankfurt am Main: Lembeck, S. 137–148; Pollack, Detlef (1995): Was ist Religion; Riesebrodt, Martin (2007): Cultus und Heilsversprechen. Eine Theorie der Religionen. München: Beck. 142 Stephenson, Gunther (2007): Von der Gratwanderung des Religionswissenschaftlers. In: Hamid Reza Yousefi et al. (Hg.): Wege zur Religionswissenschaft. Eine interkulturelle Orientierung. Aspekte, Grundprobleme, ergänzende Perspektiven. Nordhausen: Bautz, S. 119–134, hier: S. 121.

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1.2.2.3 Fazit: Rückbindung an Religionstheorie

Die Auswahl eines einzigen inhaltlichen Merkmals von Religion wird im postmodernen Denken als einseitig und willkürlich kritisiert. Die Einseitigkeit ergibt sich aus der Funktion der Definition, ihren Gegenstand klar abzugrenzen. Dadurch erfasst sie zwar nicht die Diversität der Religionen, kann aber das der Diversität Gemeinsame bestimmen. Neben der die Diversität beschreibenden Explikation ist die Definition somit unverzichtbar. Die Willkürlichkeit ist dagegen ein Problem, dem sich bereits die klassische Philosophie bewusst war. Es gebe, so Hegel in seiner Wissenschaft der Logik, kein Prinzip dafür zu entscheiden, welches Merkmal aus der Vielzahl der Merkmale für eine Definition verwendet werden könne. 143 Selbst wenn die Definition zu einem Lehrsatz erweitert würde, der einen in sich geschlossenen und logisch nachvollziehbaren Begriff bildete, so wäre der Anfang eines solchen Begriffs willkürlich. 144 Hegel bemerkt abschließend dazu: »Eine der Hauptschwierigkeiten beym Studium solcher [nicht-mathematischer, E. S.] Wissenschaften ist daher, in sie hineinzukommen; was nur dadurch geschehen kann, daß man sich die Voraussetzungen blindlings gefallen läßt, und ohne weiter einen Begriff (…) davon sich machen zu können, die Bestimmungen (…) vor der Hand ins Gedächtniß einprägt. Wenn man die Notwendigkeit (…) fodert, so ist nicht über den Anfang hinauszukommen.« 145

Der erste Schritt, nämlich die Begründung, dass man genau dieses Merkmal und kein anderes nimmt, ist somit die Schwierigkeit jeder Definition. Ein ernstzunehmender Religionsbegriff muss mithin eine ausdrückliche Begründung liefern, warum er gerade dieses und kein anderes Element als das zentrale Kriterium von Religion bestimmt. Eine Begründung kann zwar die Willkürlichkeit nicht aufheben; sie stellt aber eine Hypothese dar, die den wissenschaftlichen Anspruch

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1981): Wissenschaft der Logik. Band 2. Die subjektive Logik (1816). Hg. von Friedrich Hogemann und Walter Jaeschke in Verbindung mit der Hegel-Kommission der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und dem Hegel-Archiv der Ruhr-Universität Bochum. Hamburg: Meiner (Gesammelte Werke / Georg Wilhelm Friedrich Hegel, 12), S. 211–212. 144 Vgl. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1981): Wissenschaft der Logik. Band 2, S. 221. 145 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1981): Wissenschaft der Logik. Band 2, S. 228. 143

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eines Begriffs erhält. 146 Michael Stausberg bemerkt dazu, dass die meisten Religionsdefinitionen eine implizite Religionstheorie enthalten. 147 Von einer Religionstheorie, so Stausberg, erwarte man die Antwort auf folgende vier Fragen: (1) das Spezifische der Religion; (2) der Ursprung der Religion im Sinne der Mechanismen, welche die Religion hervorbringen; (3) die Leistung oder die Funktion von Religion; (4) die Struktur von Religion. 148 Eine moderne Religionsdefinition – wenn sie sich gegenüber der postmodernen Kritik behaupten will – muss diese Mindestkriterien erfüllen. 1.2.3. Multiperspektivischer Blick auf Religion 1.2.3.1 Vielfältige Kommunikation über Religion

Religion ist der Untersuchungsgegenstand einer Vielzahl unterschiedlicher Forschungsdisziplinen und -bereiche. Jeder Forschungsbereich hat dabei seine eigene Perspektive auf Religion. So spricht die Soziologie von »Religion« im Hinblick auf die Gesellschaft. 149 Auch innerhalb der Religionswissenschaft können verschiedene Perspektiven eingenommen werden, die sich gegebenenfalls mit anderen Forschungsbereichen überschneiden. Der Ansatz von Ninian Smart macht dies deutlich. So postuliert Smart sieben grundsätzliche Dimensionen, mit denen sich jede Religion beschreiben lasse: 1) Die rituelle oder praktische Dimension; 2) die Lehre betreffende oder philosophische Dimension; 3) die Mythen betreffende oder erzählende Dimension; 4) die Erfahrung betreffende oder emotionale Dimension; 5) die ethische oder rechtliche Dimension; 6) die Organisation betreffende oder soziale Dimension; 7) die materielle oder die Kunst 146 Břetislav Horyna bemerkt in diesem Zusammenhang: »Das religionswissenschaftliche Wissen wird wahrscheinlich nie eindeutig (…). Eindeutig aber muß die argumentative Rekonstruktion einer zum Wissen erklärten Tatsache sein, möchte die Religionswissenschaft nicht nur als bloße Erzählung mit einem immer und für alles offenen Ende wahrgenommen werden.« (Horyna, Břetislav (2007): Söldner der Argumentation. Tatsachen, Evidenz und Objektivität in der Religionswissenschaft. In: Hamid Reza Yousefi et al. (Hg.): Wege zur Religionswissenschaft. Eine interkulturelle Orientierung. Aspekte, Grundprobleme, ergänzende Perspektiven. Nordhausen: Bautz, S. 145–167, hier: S. 167). 147 Vgl. Stausberg, Michael (2012): Religion. Begriff, Definitionen, Theorien. In: Michael Stausberg (Hg.): Religionswissenschaft. Berlin: De Gruyter, S. 33–47, hier: S. 44. 148 Vgl. Stausberg, Michael (2012): Religion. Begriff, Definitionen, Theorien, S. 45. 149 Vgl. Hermann, Adrian (2015): Unterscheidungen der Religion, S. 444.

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betreffende Dimension. 150 Diese Dimensionen haben nach Smart zweierlei Nutzen: Zum einen werde eine eingeschränkte Betrachtung der Religionen vermieden. Zum anderen grenze man Religion funktional ab, anstatt eine exakte Definition zu geben; dies vermeide die problematische Festlegung eines allgemeinen Inhalts von Religion, der der Multidimensionalität nicht gerecht werde. Die Verschiedenheit der jeweiligen religiösen Inhalte lasse höchstens einen vagen, unbestimmten Platzhalter zu, den Smart als »focus« bezeichnet. 151 Die verschiedenen Dimensionen von Religion sowie der Blick auf die unterschiedlichen Fächer, die sich auf Religion beziehen, macht verständlich, warum es keinen Konsens zu einem allgemeinen Religionsbegriff gibt und warum auch in der Zukunft ein solcher Religionsbegriff, der von allen Disziplinen anerkannt wird, unwahrscheinlich erscheint. Auch werden im Diskurs über Religion durch die zunehmende Spezialisierung mithin Multiperspektivität der Forschungen über Religion weitere Religionsbegriffe hinzukommen. 1.2.3.2 Mangelnder Konsens zu allgemeiner Bestimmung

Die jahrzehntelange Auseinandersetzung um die Frage, wie Religion zu bestimmen sei, hat einige Religionswissenschaftler soweit verunsichert, dass gelegentlich sogar die Auflösung der Religionswissenschaft, beispielsweise in die Kulturwissenschaften hinein gefordert wurde. 152 Unabhängig davon, dass dies nur eine Problemverlagerung auf den ebenfalls vieldeutigen Begriff von Kultur bedeuten würde, 153 150 Vgl. Smart, Ninian (1997): Dimensions of the sacred. An anatomy of the world’s beliefs. Paperback edition. London: Fontana, S. 10–11. Zudem erwähnt er noch zwei weitere Dimensionen, die berücksichtigt werden könnten: nämlich die politische und die ökonomische Dimension. (Vgl. Smart, Ninian (1997): Dimensions of the sacred, S. 10). 151 Vgl. Smart, Ninian (1997): Dimensions of the sacred, S. 8–9. 152 Dies legt beispielsweise der vielzitierte Vorschlag von Sabbatucci nahe, den Religionsbegriff in den Kulturbegriff aufzulösen. (Vgl. Sabbatucci, Dario (1988): Kultur und Religion. In: Hubert Cancik et al. (Hg.): Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe. Systematischer Teil; Alphabetischer Teil: Aberglaube – Antisemitismus. Unter Mitarbeit von Günter Kehrer und Hans Gerhard Kippenberg. Stuttgart: Kohlhammer (Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, 1), S. 43–58, hier: S. 57). 153 Vgl. Vorwort von Friedrich Jaeger & Burkhard Liebsch in: Jaeger, Friedrich & Liebsch, Burkhard (Hg.) (2004): Handbuch der Kulturwissenschaften. Grundlagen und Schlüsselbegriffe. Stuttgart, Weimar: Metzler (Handbuch der Kulturwissenschaften, 1), S. VIII.

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wäre eine solche Forderung nach Auflösung der Religionswissenschaft konsequent: Denn nur durch eine explizite Bestimmung von Religion bleibt die Wissenschaftlichkeit der Religionswissenschaft gewährleistet. 154 Dies unterstreicht Břetislav Horyna: »Wenn wir die Religion(en) als ein historisches, kulturell bedingtes, relatives und auf eine allgemeingültige Definition grundsätzlich unübersetzbares Phänomen betrachten, dann bedeutet es, dass die Religionswissenschaft notwendigerweise als eine identitäts- und namenslose Sphäre des menschlichen Wissens erscheint, weil für eine Wissenschaftsdefinition eben die Ausgrenzung des Gegenstands der gegebenen Wissenschaft, die Bestimmung ihrer Methoden und die Verifikation der erkenntnistheoretischen Wirksamkeit ihrer Methodologie (…) unabdingbar sind.« 155

So muss eine Wissenschaft ihren Gegenstand bestimmen können, der sie von anderen Wissenschaften abgrenzt. Geschieht dies nicht, bleibt das Verständnis von Religion unreflektiert. Den Forschungen im Bereich Religion würde in diesem Fall eine kulturell geprägte Meinung, was Religion sei, zugrunde liegen. 156 In einer solchen Forschung gefällte Urteile über das Phänomen »Religion« entbehren mithin letzten Endes der Wissenschaftlichkeit und fallen in ein bloßes Meinen ab. Martin Riesebrodt bemerkt dazu: »Wollte man aber auf allgemeine wissenschaftliche Konzepte unter Hinweis auf deren kulturelle und soziale ›Konstruiertheit‹ ganz verzichten, kann man nicht nur Wissenschaft gleich ganz abschaffen, sondern auch jegliche Kommunikation über kulturelle Grenzen hinweg aufgeben.« 157

Da aufgrund der Multiperspektivität auf »Religion« ein Konsens zu einer allgemeinen, von allen Forschungsbereichen akzeptierten Definition sehr unwahrscheinlich erscheint, müssen vorhandene Reli154 Vgl. Müller, Tobias (2009): Religion im Dialog. Bausteine zu einer theoretischen Grundlegung. In: Tobias Müller et al. (Hg.): Religion im Dialog. Interdisziplinäre Perspektiven – Probleme – Lösungsansätze. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 267–299, hier: S. 269. 155 Horyna, Břetislav (2004): Theoretisch-methodologische Koalitionen. Ausweg für die Religionswissenschaft. In: Christoph Kleine et al. (Hg.): Unterwegs. Neue Pfade in der Religionswissenschaft. Festschrift für Michael Pye zum 65. Geburtstag. München: Biblion-Verl., S. 61–74, hier: S. 61. 156 Vgl. Schrödter, Hermann (2013): Die Religion der Religionen. Umriss eines philosophischen Versuchs. In: Tobias Müller & Thomas M. Schmidt (Hg.): Was ist Religion? Beiträge zur aktuellen Debatte um den Religionsbegriff. Paderborn: Schöningh, S. 179–194, hier: S. 179. 157 Riesebrodt, Martin (2007): Cultus und Heilsversprechen, S. 40.

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gionsbegriffe durch eine kritische Reflexion an den aktuellen Forschungsstand angeglichen und einem bestimmten Forschungsbereich zugeordnet werden. 1.2.3.3 Fazit: Erstellung von Arbeitsdefinitionen

Jan Platvoet bemerkt in dem von ihm und Arie Molendijk 1999 herausgegebenen Sammelband The pragmatics of defining religion, 158 dass zwar keine allgemeine Definition von Religion möglich sei, aus pragmatischen Gründen aber Arbeitsdefinitionen erstellt werden müssen, die in verschiedenen Kontexten ihre Anwendung finden. 159 Diese sollten provisorisch und falsifizierbar sein: »An operational definition of religion cannot be used, therefore, as one that is a priori and universally valid, nor for explaining religion as such. It is rather an instrument to facilitate research into the particular varieties of the religions of humankind. It is also explicitly meant as a provisional and constantly corrigible definition.« 160

Die empirische Falsifizierbarkeit verlangt eine Definition mit quantifizierbaren, inhaltlichen Komponenten. Kurt Rudolph bemerkt dazu: »Da das jeder Theologie zugrundeliegende Bezugssystem in das Transzendente reicht, also letzthin Domäne des Glaubens ist, kann der Religionshistoriker oder -wissenschaftler davon keinerlei Gebrauch machen: für ihn müssen die Forschungsgegenstände und -ergebnisse nach den gültigen wissenschaftlichen Methoden nachprüfbar sein, d. h. verifizierbar oder falsifizierbar.« 161

Eine empirisch falsifizierbare Definition kann, wie Hubert Seiwert betont, nur vorläufig sein: 158 Platvoet, Johannes G.; Molendijk, Arie L. (eds.) (1999): The pragmatics of defining religion. Contexts, concepts and contests. Leiden: Brill (Studies in the history of religions, 84). 159 Vgl. Platvoet, Johannes G. (1999): Contexts, concepts & contests. Towards a pragmatics of defining ›religion‹. In: Johannes G. Platvoet & Arie L. Molendijk (eds.): The pragmatics of defining religion. Contexts, concepts and contests. Leiden: Brill (Studies in the history of religions, 84), S. 463–516, hier: S. 463, S. 510–511. 160 Platvoet, Johannes G. (1999): To define or not to define. The problem of the definition of religion. In: Johannes G. Platvoet & Arie L. Molendijk (eds.): The pragmatics of defining religion. Contexts, concepts and contests. Leiden: Brill (Studies in the history of religions, 84), S. 245–265, hier: S. 260–261. 161 Rudolph, Kurt (1992): Geschichte und Probleme der Religionswissenschaft. Leiden: Brill (Studies in the history of religions, 53), S. 32.

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»Wir können also auf deduktivem Weg eine Hypothese oder Theorie niemals endgültig beweisen, d. h. verifizieren, sondern nur vorläufig bestätigen. Aber wir können eine Theorie endgültig widerlegen, d. h. falsifizieren, wenn wir nur einen einzigen Fall aufzeigen, in dem sie nicht zutrifft. Dadurch daß wir eine Theorie falsifizieren können, ist sichergestellt, daß sie nicht zu einem Dogma im oben beschriebenen Sinn werden kann, d. h. zu einem Satz, dessen Anerkennung oder Ablehnung empirisch nicht begründbar ist.« 162

Eine Arbeitsdefinition, so Platvoet, müsse zum ersten eine heuristische Funktion erfüllen, mithin in einem spezifischen Kontext »Religion« als solche identifizieren können. Darüber hinaus müsse sie konkrete Religionen beschreiben, analysieren und erklären können. 163 Eine wichtige Bedeutung besitzt sie vor allem bei vergleichenden Ansätzen. Hier muss sie unterschiedliche Religionen in gleichem Maße erfassen können. Die Aufstellung von Arbeitsdefinitionen löst zwar nicht das Problem der Suche nach einem für alle Perspektiven und Dimensionen gültigen Religionsbegriff. Dennoch wird durch die Festlegung von Arbeitsdefinitionen, die innerhalb des Diskurses um Religion gebildet werden, die Wissenschaftlichkeit der Religionswissenschaft gewahrt. Arbeitsdefinitionen müssen keine neuen Definitionen sein, sondern können durch die kritische Reflexion eines bestehenden Religionsbegriffs entstehen. Im Folgenden soll mit dem Religionsbegriff von Bernhard Uhde eine solche Reflexion vollzogen werden.

162 Seiwert, Hubert (1977): Systematische Religionswissenschaft. Theoriebildung und Empiriebezug. In: Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft 61, S. 1–18, hier: S. 12. 163 Vgl. Platvoet, Jan G. (1999) Platvoet, Johannes G. (1999): Contexts, concepts & contests, S. 503.

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2.1. Ein religionsphilosophischer Ansatz Religionsphilosophischen Definitionsversuchen gegenüber nimmt die Religionswissenschaft im Allgemeinen eine kritische Haltung ein. Der Grund dafür ist die methodisch vornehmlich normative, nichtempirische Ausrichtung der Religionsphilosophie, die meist mit einem Wahrheitsanspruch verknüpft ist. 164 Dennoch können religionsphilosophische Ansätze – sofern sie keine Apologetik betreiben – aufgrund ihrer deduktiven Herangehensweise neue Aspekte in die Religionswissenschaft einbringen. So kann die Religionsphilosophie für systematische Aufgaben in Anspruch genommen werden, auf deren Grundlage die Religionswissenschaft ihre empirischen Analysen durchführt. Gerhard Löhr bemerkt dazu: »In den Fällen aber, wo Religionsphilosophie in nicht-apologetischer und nicht-normativer Weise verwendet wird, (…) erscheint eine Zusammenarbeit zwischen Religionswissenschaft und Religionsphilosophie möglich und könnte in der Tat sehr fruchtbringend sein. Der Unterschied zwischen den zwei Disziplinen wird nicht verwischt, wenn sie auf diese Art und Weise kooperieren, weil Religionsphilosophie systematische und konstruktive Aufgaben übernimmt, wohingegen es die Aufgabe von Religionswissenschaft nach meinem Verständnis ist, falsifizierbare oder verifizierbare Hypothesen aufzustellen, die mit Bezug auf die empirische, d. h. historische und/oder soziale Wirklichkeit überprüft werden können.« 165

In dieser Arbeit soll eine Zusammenarbeit beider Disziplinen erfolgen. So wird der religionsphilosophische Ansatz von Bernhard Uhde reflektiert und religionswissenschaftlich durch die Anwendung auf die altindische Geistesgeschichte als Arbeitsdefinition operationalisiert. Uhde entwickelte seinen Ansatz in seiner unveröffentlicht gebliebenen Habilitationsschrift Gegenwart und Einheit. Versuch über

164 Vgl. Rudolph, Kurt (1992): Geschichte und Probleme der Religionswissenschaft. Leiden: Brill (Studies in the history of religions, 53), S. 19. 165 Löhr, Gebhard (2000): Metaebene oder Objektebene? Die Beziehungen von Religion, Philosophie und Religionswissenschaft. In: Gebhard Löhr (Hg.): Die Identität der Religionswissenschaft. Beiträge zum Verständnis einer unbekannten Disziplin. Frankfurt am Main: Lang (Greifswalder theologische Forschungen, 2), S. 161–167, hier: S. 164–165.

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Religion 166. In einem Aufsatz im Jahrbuch für Religionsphilosophie machte er den Religionsbegriff 2002 einer breiteren Leserschaft bekannt. Während der Aufsatz in der Religionswissenschaft wenig Resonanz fand, wurde er in der Religionsphilosophie von Markus Enders aufgegriffen. 167 2013 brachte Enders den Uhde’schen Religionsbegriff im interdisziplinären Sammelband Was ist Religion? Beiträge zur aktuellen Debatte um den Religionsbegriff einer weiteren religionswissenschaftlichen Leserschaft entgegen. 168 Er unterließ es aber, den Religionsbegriff im Kontext der religionswissenschaftlichen Diskussion kritisch zu reflektieren. Eine solche Reflexion soll in der vorliegenden Arbeit vollzogen werden, um Uhdes Religionsbegriff religionswissenschaftlich nutzbar zu machen. Uhdes Ansatz erscheint vielversprechend, weil der Begriff nicht willkürlich, sondern aus einer allgemeinen Bestimmung des Menschen, nämlich der mit der Sterblichkeit verbundenen Vergänglichkeit entwickelt wird. 169 Zudem führt er mit dem philosophischen Begriff der »Einheit« im Sinne eines »Prinzips von Allem« als zentralem Inhalt von Religion eine neue Begrifflichkeit in die religionswissenschaftliche Diskussion ein, die untersuchungswürdig erscheint. Peter Antes bemerkt über Uhdes Religionsbegriff: »Mit dieser prinzipiellen Bestimmung ist ein Programm anvisiert, das zu entfalten bleibt.« 170

166 Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit. Versuch über Religion. Freiburg im Breisgau (Unveröffentlichte Habilitationsschrift). 167 Siehe z. B. Enders, Markus (2004): Ist ›Religion‹ wirklich undefinierbar? Überlegungen zu einem interreligiös verwendbaren Religionsbegriff. In: Markus Enders & Holger Zaborowski (Hg.): Phänomenologie der Religion. Zugänge und Grundfragen. Freiburg i. Br.: Alber, S. 49–87. 168 Enders, Markus (2013): ›Endlichkeit‹ und Einheit. Zum Verständnis von Religion im Anschluss an Hermann Schrödters Begriff von Religion. In: Tobias Müller & Thomas M. Schmidt (Hg.): Was ist Religion? Beiträge zur aktuellen Debatte um den Religionsbegriff. Paderborn: Schöningh, S. 125–155. 169 In ähnlicher Weise nimmt auch Hermann Schrödter in Anlehnung an Heidegger, Cramer und Cassirer die Bestimmung der Vergänglichkeit in seinen Religionsbegriff auf. (Vgl. Müller, Tobias (2009): Religion im Dialog. Bausteine zu einer theoretischen Grundlegung. In: Tobias Müller et al. (Hg.): Religion im Dialog. Interdisziplinäre Perspektiven – Probleme – Lösungsansätze. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 267–299, hier: S. 273–274). 170 Antes, Peter (2000): Religion in den Theorien der Religionswissenschaft. In: Walter Kern et al. (Hg.): Handbuch der Fundamentaltheologie. Traktat Religion. 2. Aufl. Tübingen: Francke (Handbuch der Fundamentaltheologie, 1), S. 13–32, hier: S. 28.

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Uhdes Ansatz ist der philosophischen Moderne zuzurechnen. So wurzeln seine Überlegungen in der Betrachtung der Existenz des Menschen und stellen nicht – wie die Metaphysik – die Vernunft ins Zentrum. 171 Sein Religionsbegriff zeichnet sich dadurch aus, dass sein Inhalt durch die Angabe eines Grundes nicht willkürlich bestimmt wird. So bildet die Hypothese, dass die Einsicht in die eigene Vergänglichkeit vom Menschen als mangelhaft empfunden werde, die Grundlage des Begriffs. Zudem verwendet Uhde zwar Begrifflichkeiten, die aus dem Bereich abendländischer Philosophie entstammen; jedoch sind sie grundsätzlich religionsneutral. Uhde formuliert seinen Religionsbegriff folgendermaßen: »Religion gründet in der reflektierten Einsicht in den umfassenden Mangel an anwesender Gegenwart, hat das Wissen um die notwendige Voraussetzung der verborgenen Einheit zum Inhalt und ist im Beachten der Herrschaft des ›Prinzips von Allem‹ lebendig.« 172

Der Religionsbegriff weist damit nachstehende Struktur auf: (1) Grund: Reflektierte Einsicht in den Mangel an anwesender Gegenwart. (2) Inhalt: Wissen um die notwendige Voraussetzung der verborgenen Einheit. (3) Praxis: Beachten der Herrschaft des »Prinzips von Allem«. Die reflektierte Einsicht in den Mangel an anwesender Gegenwart begründet mithin ein Wissen um die notwendige Voraussetzung dieser als verborgene Einheit gefassten Gegenwart, die nicht zeitlich, mithin auch nicht vergänglich ist. Indem die zeitlose Gegenwart in Form einer verborgenen Einheit als ein herrschendes »Prinzip von Allem« beachtet wird, ergibt sich die Möglichkeit religiöser Praxis. Im Folgenden soll auf die drei Glieder des Religionsbegriffs genauer eingegangen werden.

171 Vgl. Boeder, Heribert (1988): Das Vernunft-Gefüge der Moderne. Freiburg i. Br.: Alber, S. 17. Uhde nimmt mithin die Kritik Kierkegaards an der Hegel’schen Metaphysik auf. (Siehe Kierkegaard, Sören (2005): Die Krankheit zum Tode. Übers. v. Hans Rochol. Sonderausgabe. Hamburg: Meiner (Philosophische Bibliothek, 470)). 172 Vgl. Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 8.

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2.1.1. Grund: Einsicht in den Mangel an anwesender Gegenwart Uhde versteht den in der abendländischen Tradition vieldeutigen Begriff »Grund« (aitia) 173 als »Grund menschlicher Wissensentfaltung« 174, mithin als einen Erkenntnisgrund. Dieser Erkenntnisgrund ist eine rein formale Bestimmtheit, die den Inhalt eines Wissens – so auch den Inhalt von Religion – begründet. Als rein formale Bestimmtheit ist er auch die allgemeinste Bestimmtheit. 175 Das Aufzeigen eines zureichenden Grundes stellt eines der wichtigsten Prinzipien der klassischen Logik dar, um willkürliche Definitionen zu vermeiden. 176 Bei der Erörterung des Grundes von Religion nimmt Uhde seinen Ausgangspunkt in Feuerbachs These, die Vergänglichkeit sei der Grund von Religion: »Das für den Menschen empfindlichste, schmerzlichste Endlichkeitsgefühl ist aber das Gefühl oder das Bewusstsein, dass er einst wirklich endet, dass er stirbt. Wenn der Mensch nicht stürbe, wenn er ewig lebte, wenn also kein Tod wäre, so wäre auch keine Religion (…). Nur das Grab des Menschen, sage ich daher in meinen Erläuterungen zum Wesen der Religion, ist die Geburtsstätte der Götter.« 177

Die Feststellung, dass der Mensch vergänglich ist, lässt sich in allen großen Religionen finden. So heißt es beispielsweise in den Psalmen: »[Herr,] du machtest meine Tage nur eine Spanne lang, meine Lebenszeit ist vor dir wie ein Nichts. Ein Hauch nur ist jeder Mensch.« (Ps 39, 6) Paulus schreibt im Römerbrief: »Die Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen, nicht aus eigenem Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat (…).« (Röm 8, 20) Im Koran wird verkündet: »(…) Alles ist untergehend: nicht Sein Antlitz. Sein ist die Vgl. Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 9, FN 1. Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 13. 175 Vgl. z. B. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1992): Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, 1830. Hg. von Wolfgang Bonsiepen und HansChristian Lucas unter Mitarbeit von Udo Rameil. Hamburg: Meiner (Gesammelte Werke / Georg Wilhelm Friedrich Hegel, 20), § 122. 176 Siehe dazu z. B. Leibniz, Gottfried Wilhelm (1958): Vernunftprinzipien der Natur und der Gnade. Monadologie. Hg. von Herbert Herring. Hamburg: Meiner (Philosophische Bibliothek, 253), § 31–32. 177 Feuerbach, Ludwig (1960): Vorlesungen über das Wesen der Religion. Nebst Zusätzen und Anmerkungen. Hg. von Wilhelm Bolin & Friedrich Jodl. 2. Aufl. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann (Sämtliche Werke / Ludwig Feuerbach), S. 41. Vgl. auch Stolz, Fritz (1988): Grundzüge der Religionswissenschaft. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (Kleine Vandenhoeck-Reihe, 1527), S. 21–23. 173 174

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Urteilsmacht. Und zu ihm werdet ihr zurückgebracht.« (Koran 28,88) In der hinduistischen Kaṭha-Upaniṣad werden dem Naciketas im Gespräch mit dem Todesgott Yama folgende Worte in den Mund gelegt: »Was uns, o Tod, gegönnt an Kraft der Sinne, die Sorge für das Morgen macht es welken. Auch ganz gelebt, ist doch nur kurz das Leben (…).« (KU 1,26) Und in der ersten Wahrheit des Buddha heißt es: »Und dieses, ihr Mönche, ist die edle Wahrheit vom Leiden: Geburt ist Leiden, Alter ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Sterben ist Leiden (…).« (Vin I 10,26–28) Constantin von Barloewen bemerkt in diesem Zusammenhang, dass der Tod und damit die Vergänglichkeit in allen Kulturen bedacht werde: »Der Tod ist eine Erfahrung, die von den Menschen der gesamten Geschichte geteilt wird, überall in der Welt (…). Wir sind wahrscheinlich die einzigen Lebewesen auf der Erde, die über den Tod vor dem Eintreffen nachdenken, und der Gedanke, daß wir eines Tages sterben, bestimmt jeden Tag, den wir leben. Jede Kultur hat ihre Rollen, Glaubenshaltungen, Werte, Zeremonien und Rituale entwickelt, um den Tod und den Prozeß des Sterbens in die gesamte Kultur zu integrieren.« 178

Das Bewusstsein der Vergänglichkeit ist ein Bewusstsein des Daseins zum Tode, wobei Tod »eigenste, unbezügliche, gewisse und als solche unbestimmte, unüberholbare Möglichkeit des Daseins« 179 ist. In Form der Vergänglichkeit, so Uhde, ist der Tod ein Begleiter des Daseins: »Der Tod als Begleiter des Daseins erscheint in der verwandelten Gestalt der Vergänglichkeit; diese Vergänglichkeit nimmt alles Daseiende in den Wechsel, der als Unruhe vor dem Tod den Tod vergegenwärtigt.« 180

Die Kenntnis der mit der Vergänglichkeit verbundenen Sterblichkeit lässt nach Uhde einen Mangel an Wissen hervortreten, den Uhde als »Mangel an anwesender Gegenwart« bestimmt. 181 Uhde identifiziert dabei zwei Bedeutungsebenen von »Gegenwart«. Zum einen lasse sich Gegenwart »lokal« als »Anwesenheit« Barloewen, Constantin v. (2000): Der lange Schlaf. Der Tod als universelles Phänomen der Weltkulturen und Weltreligionen. In: Barloewen, Constantin v. (Hg.): Der Tod in den Weltkulturen und Weltreligionen. Frankfurt/Main: Insel, S. 12–119, hier: 31–32. 179 Heidegger, Martin (1993): Sein und Zeit. 17. Aufl. Tübingen: Niemeyer, S. 258– 259. 180 Vgl. Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 23–24. 181 Vgl. Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 24. 178

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verstehen. 182 So sei im vergänglichen Dasein, in dem ständig das Künftige ins Vergangene gewandelt werde, »Gegenwart als Ruhe nicht erkennbar« 183. Die Anwesenheit der Gegenwart sei daher verborgen. 184 Zum anderen fasst Uhde Gegenwart »temporär« als »Zeitlosigkeit«. 185 Uhde bezieht sich dabei auf die Augustinische Zeitlehre, in der die Gegenwart keinen Zeitraum bildet, da sie im Augenblick vorbeigeht. 186 Gegenwart, so Uhde resümierend, ließe »das Dasein als Bewegung untergehen, aber als Gegenwart todlos sein« 187. Wenn sich der Mensch von der alles umfassenden Vergänglichkeit berühren lasse, könne er einsehen, so Uhde, dass es ihm an dem Gegensätzlichen der Vergänglichkeit, nämlich einer anwesenden, zeitlosen »Gegenwart« mangele. 188 Die Reflexion dieser Einsicht bilde den Grund von Religion. 189 So kommt Uhde zu folgendem Ergebnis: »›Religion‹ gründet in der reflektierten Einsicht in den umfassenden Mangel an anwesender Gegenwart. Die Erschließung des Daseins als eines Zeitlichen kann als fundamentale Bestimmung aufgenommen werden; zum Grund von Religion ist sie dann geworden, wenn diese reflektierende Ein-

182 Vgl. Uhde, Bernhard (2011): West-östliche Spiritualität. Die inneren Wege der Weltreligionen. Eine Orientierung in 24 Grundbegriffen. Freiburg i. Br.: Kreuz, S, 23. 183 Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 24. 184 Vgl. Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 24. 185 Vgl. Uhde, Bernhard (2011): West-östliche Spiritualität, S. 23. 186 Vgl. Augustinus, Aurelius (2008): Bekenntnisse. Übers. u. hg. von Kurt Flasch u. Burkhard Mojsisch. Mit einer Einl. von Kurt Flasch. Stuttgart: Reclam (Reclam Bibliothek), S. 360. Vgl. dazu auch das Hegel’sche »Jetzt« (Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1992): Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, 1830, § 259). Vgl. auch Hennig, John (1974): Gegenwart. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. G – H. Darmstadt: Wissenschaftl. Buchges. (Historisches Wörterbuch der Philosophie, 3), Sp. 136–137, hier: Sp. 137. 187 Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 25. 188 Vgl. Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 26. 189 Vgl. Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 26. Hans Jonas bemerkt in diesem Zusammenhang: »In dem Maße, in dem das Leben als primärer Zustand der Dinge gilt, ragt der Tod als das verstörende Geheimnis auf. Daher ist das Problem des Todes wahrscheinlich das erste, das diesen Namen in der Geschichte des Denkens verdient. Sein Auftreten als ausdrückliches Problem bezeichnet das Erwachen des fragenden Geistes, lange bevor ein begriffliches Niveau der Theorie erreicht ist (…). Bevor die Verwunderung über das Wunder des Lebens begann, wunderte man sich über den Tod und was er bedeuten möchte (…). Die Erklärung, die er verlangt, mußte in Begriffen des Lebens assimiliert werden.« (Jonas, Hans (1997): Das Prinzip Leben. Ansätze zu einer philosophischen Biologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp (SuhrkampTaschenbuch, 2698), S. 26).

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sicht eine Unruhe hervorbringt, die sich nicht mit der Gegebenheit bescheidet, sondern in deren Verfassung die Endlichkeit entdeckt, die mithin das Mangelhafte des Daseins unzufrieden läßt.« 190

Damit besitzt Uhdes Religionsbegriff eine Rückbindung an eine anthropologische Gegebenheit, nämlich an die Vergänglichkeit. 191 Dies macht allerdings Religion nicht zu einer anthropologischen Grundkonstante, da der Einzelne seine eigene Vergänglichkeit reflexionslos negieren kann. 192 Mit der Religion versucht der Mensch den benannten Grund zu überwinden. Indem Uhde den Begriff der Gegenwart einführt, bleibt er nicht bei der Vergänglichkeit stehen, sondern findet in den Religionen ein Wissen vor, in dem der überwundene Mangel an Gegenwart als ein Wissen um die Voraussetzung einer verborgenen Einheit gefasst werde. Die unterschiedlichen Versuche, die als mangelhaft eingesehene Vergänglichkeit, mithin den Grund von Religion zu überwinden, ergebe die Vielfalt der Religionen. 193 Dieser Grund ist nach Uhde in allen Religionen zu finden, wenngleich er nicht immer »in Wort und Schrift« reflektiert werde. 194 Dies bestätigt auch Markus Enders, der feststellt, dass die reflektierte Einsicht in den Mangel an anwesender Gegenwart nicht allen Religionen als primäre Reflexion zu eigen ist. 195 Die Struktur dieses Grundes sei dagegen, so Uhde, konstitutiv für alle Religionen: »Der genannte Grund von Religion läßt sich in allen erscheinenden Formen von Religion aufweisen. Dabei ist nicht das erscheinende Bewußtsein der Reflexion erforderlich, dessen Ausdruck in Wort oder Schrift gefunden als Erweis der Reflexion aufgenommen werden muß; vielmehr ist deutlich, daß

Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 27. Die sich daraus ableitbare Funktion von Religion als Endlichkeits- bzw. Kontingenzbewältigung wurde vor allem in soziologisch-funktionalistischen Religionsdefinitionen bedacht. (Vgl. Kehrer, Günter (1998): Religion, Definitionen der. In: Hubert Cancik et al. (Hg.): Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe. Kultbild – Rolle. Stuttgart: Kohlhammer (Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, 4), S. 418–425, hier: S. 422–423). Borg bemerkt dazu, dass Religion nicht die einzige Form sei, mit der Endlichkeit umzugehen. (Vgl. Borg, Meerten B. ter (1999): What is religion? In: Johannes G. Platvoet & Arie L. Molendijk (eds.): The pragmatics of defining religion. Contexts, concepts and contests. Leiden: Brill (Studies in the history of religions, 84), S. 397–408, hier: S. 406). 192 Vgl. Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 26. 193 Vgl. Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 27. 194 Vgl. Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 30. 195 Vgl. Enders, Markus (2013): ›Endlichkeit‹ und Einheit, S. 151. 190 191

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die Struktur dieses Grundes ersten Anhalt für jede Form des Beachtens bietet.« 196

Die grundlegende Struktur religiösen Denkens besteht demnach darin, dass der Mensch sich als vergänglich, mithin als zeitlich begreift und sich in einer Differenz gegenüber einer zeitlosen Gegenwart versteht, zu der eine Verbindung gesucht wird. So lässt sich beispielsweise im Christentum der Mangel an Gegenwart in der Struktur erkennen: dem sterblichen Menschen steht ein über alle Vergänglichkeit erhabener Gott gegenüber, zu dem eine Verbindung gesucht wird. Diese grundsätzliche Struktur bildet den Ausgangspunkt von Uhdes inhaltlicher Bestimmung der Religion. Uhdes Konzeption ähnelt Hermann Schrödters Religionsbegriff. So begründet Schrödter seinen Religionsbegriff ebenfalls anthropologisch mit dem Bewusstsein »radikaler Endlichkeit«. 197 Religion möchte, so Schrödter, die bewusst gewordene radikale Endlichkeit denkend überwinden. 198 Überwinden bzw. »Transzendieren« bedeutet nach Schrödter, »dass die Gestaltung des Verhältnisses zur fundamentalen Endlichkeit unserer Existenz in den Horizont unserer Möglichkeiten der Lebensorientierung und -gestaltung eingetreten ist.« 199 Dieses Transzendieren wird von den Religionen dabei als »real« und nicht einfach nur »gedacht« oder »gewünscht« verstanden. 200 Schrödter formuliert seinen Religionsbegriff folgendermaßen: »Religion ist Ausdruck und Erscheinung (Objektivation) des Bewusstseins radikaler Endlichkeit der menschlichen Existenz und deren realer Überwindung (Religiosität).« 201

Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 30. Müller, Tobias (2013): Eigenverständnis, Fremdverständnis und wissenschaftliche Begriffsbestimmung von Religion. Über die Möglichkeit eines allgemeinen Religionsbegriffs. In: Tobias Müller & Thomas M. Schmidt (Hg.): Was ist Religion? Beiträge zur aktuellen Debatte um den Religionsbegriff. Paderborn: Schöningh, S. 157–177, hier: S. 173. 198 Vgl. Schrödter, Hermann (2013): Die Religion der Religionen. Umriss eines philosophischen Versuchs. In: Tobias Müller & Thomas M. Schmidt (Hg.): Was ist Religion? Beiträge zur aktuellen Debatte um den Religionsbegriff. Paderborn: Schöningh, S. 179–194, hier: S. 186. 199 Schrödter, Hermann (2013): Die Religion der Religionen, S. 186. 200 Vgl. Schrödter, Hermann (2013): Die Religion der Religionen, S. 186. 201 Schrödter, Hermann (2013): Die Religion der Religionen, S. 187. 196 197

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Auch für Uhde, der Schrödters Religionsbegriff nicht rezipiert, 202 ist der Mangel an anwesender zeitloser Gegenwart etwas, das überwunden werden muss. Im Unterschied zu Schrödter schließt Uhde analytisch aus der Einsicht in die Vergänglichkeit ein allen Religionen gemeinsames Wissen um die Voraussetzung von etwas Nicht-Vergänglichem, das er in Relation zum »vielheitlichen« Vergänglichen als eine zeitlose »Einheit« fasst. Darauf soll im Anschluss eingegangen werden. 2.1.2. Inhalt: Wissen um die Voraussetzung einer Einheit Es wurde bereits ausgeführt, dass nach Uhde die reflektierte Einsicht in die Vergänglichkeit einen Mangel offenbart, den er als »Mangel an anwesender Gegenwart« bezeichnet. Dieser Mangel sei als ein Mangel an Wissen gekennzeichnet. 203 Die Religion beachte nun diesen Mangel und baue in Folge ein Wissen auf, das sich auf die zeitlose Gegenwart bezieht. 204 Inhaltlich stelle die zeitlose Gegenwart eine verborgene »Einheit« dar, die dem gesamten zeitlichen Dasein zugrunde liege. Dieses zeitliche Dasein entfalte sich als »Vielheit«. 205 Der Religion liegt demnach die Differenz »zeitlose Einheit – zeitliche Vielheit«, also »Unvergänglichkeit – Vergänglichkeit« zugrunde. In den monotheistischen Religionen betrifft das die Differenz »Gott – Schöpfung«. Den Begriff der Einheit – der in der Philosophie sehr unterschiedlich verstanden werden kann – 206 definiert Uhde in Anlehnung an die platonisch-aristotelische Metaphysik. So bestimmt er die »Einheit« unter Verweis auf Platons Parmenides und Aristoteles Physik als unteilbar sowie raum- und zeitlos; als solche trete sie nicht in die Erscheinung: »Dabei zeigt sich zunächst, daß die Einheit als Einheit nicht in die Erscheinung tritt, da sie weder zeitlich noch räumlich ausgedehnt und damit teilbar Schrödters Werk Analytische Religionsphilosophie wurde 1979 im Verlag Karl Alber in Freiburg publiziert, Uhde legte seine Habilitationsschrift im Januar 1982 vor; wie Schrödter beruft er sich (neben Feuerbach) auf Heidegger. Es erfolgt allerdings kein Hinweis darauf, dass Uhde Schrödters Werk in seiner Habilitationsschrift rezipiert hat. 203 Vgl. Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 24. 204 Vgl. Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 27; 33. 205 Vgl. Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 37. 206 Vgl. Mesch, Walter (2011): Einheit. In: Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe. Band 1. Freiburg i. Br.: Alber, S. 594–607, hier: S. 595. 202

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sein kann. Das Unteilbare aber kann unmöglich in Bewegung sein, und da Bewegung stets mit Zeit verbunden ist – Zeit ist das Maß der Bewegung, Bewegung das Maß der Zeit in wechselseitiger Bestimmung – muß das Unteilbare als Einheit auch unbeweglich und deshalb zeitlos sein. Die Einheit ist raumlos und zeitlos, nicht meßbar und keine Zahl; sie ist körperlos und daher nicht mit Körpersinnen zu erfassen.« 207

Es ist hierbei zu betonen, dass Uhde – auch wenn er sich an die platonisch-aristotelische Metaphysik anlehnt – einen eigenen Begriff von Einheit definiert. Er legt den Begriff nicht substanziell aus; vielmehr bezeichne »Einheit« die Form eines Inhalts, der in den Religionen unterschiedlich gefüllt werde. 208 Die Einheit sei zudem, so Uhde, nicht quantitativ, sondern qualitativ zu bestimmen. 209 Als unter der Vergänglichkeit verborgene Qualität trete sie in keine Wechselbeziehung mit der zeitlichen Vielheit, weshalb dem Menschen – hier im expliziten Anschluss an Plotin – ein unmittelbares Wissen um die Einheit verwehrt sei. Sie könne darum nur in der Notwendigkeit ihrer Voraussetzung gewusst werden. 210 Zwar trete die Einheit in manchen Religionen aus der Verborgenheit heraus; dennoch lasse sich auch bei diesem grenzüberschreitenden Hervortreten der Einheit immer eine dahinterliegende Verborgenheit ausmachen: »(…) Hier ist nur an die historische Erscheinung Jesu, die in der Christologie aufgehoben ist, zu erinnern. Auch die bekannte Avatāra-Lehre indischer Religionen kennt solches, um von Mystik gar nicht zu reden. Dieses Hervortreten geschieht aber aus unzugänglicher Verborgenheit heraus und nach dem Willen des Verborgenen.« 211

Obwohl keine Wechselbeziehung zwischen Einheit und Vielheit besteht, stehen beide in einer Relation zueinander. Sichtbar werde diese Relation durch das religiöse Wissen, das um die Voraussetzung der Einheit weiß. 212 Dieses religiöse Wissen sei dabei gleichzeitig selbst durch die Einheit vorausgesetzt. 213 Mit anderen Worten sei, so Uhde, das religiöse Wissen im Selbstverständnis der Religionen ein gegeUhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 36. Vgl. Uhde, Bernhard (2011): West-östliche Spiritualität, S. 85. 209 Vgl. Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 37. 210 Vgl. Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 37. 211 Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 38 FN 81. 212 Vgl. Uhde, Bernhard (2002): ›Fiat mihi secundum verbum tuum‹. Die Zurücknahme des menschlichen Willens als ein Prinzip der Weltreligionen. Ein religionsphilosophischer Entwurf. In: Jahrbuch für Religionsphilosophie 1, S. 87–98, hier: S. 90. 213 Vgl. Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 38 207 208

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benes Wissen. 214 In seiner vollen Entfaltung werde dieses Wissen von den einzelnen Religionen als ein notwendiges Wissen dargelegt. Notwendig ist es hierbei in der Art seiner methodischen Entfaltung, die Aristoteles als epistēmē 215 bezeichnet. Dieses Wissen entspricht somit einem abendländischen Wissenschaftsbegriff. Dennoch könne es, so Uhde, in der Struktur aller Religionen gezeigt werden. 216 Das Verständnis des religiösen Wissens als ein »Wissen um die notwendige Voraussetzung einer verborgenen Einheit« bedeutet nicht, dass das religiöse Wissen abstrakt formuliert würde. Vielmehr werde, so Uhde, »in Bildern und Gleichnissen (…) das Bildlose menschlichem Verstehen nahegebracht.« 217 Religionen stellen mithin die vorausgesetzte Einheit mit Hilfe von anschaulichen Sprachbildern in unterschiedlicher Weise dar. 2.1.3. Praxis: Beachten der Herrschaft des »Prinzips von Allem« Die zeitlose Gegenwart, die eine Einheit darstellt, wird nach Uhde im religiösen Wissen in Relation zur zeitlichen »Vielheit« bzw. zu »Allem« als deren Prinzip begriffen. Dabei sei das Verständnis von »Vielheit« bzw. »Allem« in den einzelnen Religionen sehr unterschiedlich: »›Alles‹ kann sehr unterschiedlich verstanden werden: als Gesamtheit von Allem, sei es im Bereich der Erfahrung und dem Gefüge des Wissens oder ihm ganz oder zu Teilen entzogen; als Gesamtheit von allem, was in den Bereich der Erfahrung und das Gefüge des Wissens tritt; als all dasjenige, was in Beziehung zu Erfahrenden und Wissenden steht; als dasjenige, was in Beziehung zum Erfahrenden und Wissenden steht.« 218 214 Vgl. Uhde, Bernhard (2004): ›Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis.‹ Des Bildlosen Bild. Religion als Grenzüberschreitung. In: Jahrbuch für Religionsphilosophie 3, S. 205–219, hier: S. 213 sowie Uhde, Bernhard (2002): ›Fiat mihi secundum verbum tuum‹, S. 88. 215 »Wir nehmen alle an, daß das, was wir wissen, sich nicht anders verhalten kann, als es tut. Was sich aber auch anders verhalten kann, von dem weiß man nicht, ob es ist oder nicht, wenn es unserm Blicke entschwunden ist. Der Gegenstand des Wissens [epistēmē, E. S.] besteht also auf Grund von Notwendigkeit.« (Aristot., eth. Nic., 1139 b, aus: Aristoteles (2001): Die nikomachische Ethik. Griechisch – deutsch. Übers. von Olof Gigon, neu hg. von Rainer Nickel. Düsseldorf, Zürich: Artemis und Winkler (Sammlung Tusculum)). 216 Vgl. Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 38. 217 Uhde, Bernhard (2004): ›Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis‹, S. 211. 218 Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 60 FN 145.

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Den Begriff »Prinzip« (archē) bestimmt Uhde mit Aristoteles als einheitlich, einsichtig und allgemeingültig. 219 Die Praxis der Religionen bestehe in dem Beachten der Herrschaft eines solchen »Prinzips von Allem«: »Zu begreifen ist: Religion ist im Beachten der Herrschaft des ›Prinzips von Allem‹ lebendig. Um dies zu begreifen, ist die verborgene Einheit als Prinzip von Religion zu erkennen. Ohnehin einheitlich ist sie als Voraussetzung auch einsichtig und als allgemeinste Bestimmung allgemeingültig – so ist ihre Wirkung als prinzipiell zu beachten, um die Einheit als Prinzip zu begreifen.« 220

Das Beachten des einheitlichen Prinzips von Allem ist somit nicht als ein unmittelbares Beachten zu begreifen, sondern bezieht sich auf dessen Herrschaft. Impliziert ist damit eine hierarchische Beziehung zwischen der herrschenden Einheit und der beherrschten Vielheit. Unmittelbar könne dagegen nur das erscheinende Prinzip der Religion beachtet werden, welches das herrschende Prinzip von Allem in der Vielheit reflektiert: »Das ›Prinzip von Allem‹ kann, gemäß seiner Einheitlichkeit, nicht derart in der Vielheit erscheinen, daß es zeitlich oder räumlich gebunden würde. Solches Erscheinen eignet aber den ›Prinzipien der Religionen‹, sei es durch ihre historische Stiftung oder durch ihre in Zeit und Raum vollzogene Vergegenwärtigung. Daher ist das Beachten des ›Prinzips von Allem‹ nur durch das Beachten eines ›Prinzips einer Religion‹ möglich, nicht aber als unmittelbare Beziehung.« 221

Zum Beispiel ist das erscheinende Prinzip des Christentums Jesus Christus als das fleischgewordene Wort Gottes, das erscheinende Prinzip des Islam ist dagegen der Koran als Rede Gottes. Ziel des Beachtens ist das Tilgen des Grunds, nämlich des Mangels an Gegenwart: »Dabei wird eine vollkommene Bekanntschaft dieses Prinzips zum Ziel der Religionen: eine Bekanntschaft, die den Grund von Religion tilgt und die Unverborgenheit des Inhalts bewirkt. Diese Bekanntschaft ist Ziel, mithin noch nicht gegeben; sie wird durch das Beachten der Herrschaft des ›Prinzips von Allem‹ erstrebt, weil dieses Beachten dieser Herrschaft keinen Wi-

219 220 221

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Vgl. Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 58. Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 59. Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 59–60.

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derstand entgegenbringt, also die Entzweiung zu tilgen sucht und so auf Einheit angelegt ist.« 222

Das Beachten führt den Praktizierenden somit zu einer Anwesenheit bei der verborgenen Einheit. Diese Anwesenheit kann postmortal, wie in der himmlischen Gottesschau nach dem Tod, oder im Leben, wie in der Schau des Mystikers, stattfinden. Inhaltlich kann das Beachten der Herrschaft des Prinzips von Allem in sehr unterschiedlichen Formen erfolgen, wie Uhde an einer anderen Stelle beschreibt, nämlich in »Mythos, Ritus, Gebet, Meditation, Kontemplation« oder auch einer »Spiritualität, die tätige Zuwendung zu den Menschen keineswegs ausschließt«. 223 Der Religionsphilosoph Markus Enders wendet bei grundsätzlicher Übereinstimmung mit Uhdes Religionsbegriff ein, dass das Beachten der Herrschaft eines Prinzips von Allem keine Gültigkeit für östliche Religionen besitze. Er verweist stattdessen auf Uhdes später explizierte Einsicht, dass die religiöse Praxis der fünf Weltreligionen in der Zurücknahme der Selbstbestimmung des eigenen Willens durch den Menschen liege. 224 Allerdings sieht Uhde in seinem von Enders zitierten Aufsatz ›Fiat mihi secundum verbum tuum‹. Die Zurücknahme des menschlichen Willens als ein Prinzip der Weltreligionen. Ein religionsphilosophischer Entwurf die »Zurücknahme des menschlichen Willens« als Praxis der Weltreligionen nicht in einem Gegensatz zu seiner Bestimmung der allgemeinen religiösen Praxis als »Beachten der Herrschaft des Prinzips von Allem« stehen, sondern vielmehr als inhaltliche Konkretisierung dieser Praxis. 225 Da die Konkretisierung explizit nur auf die fünf Weltreligionen bezogen wird und im Bezug auf Buddhismus und Hinduismus nur eine kleine, beschränkte Auswahl an Texten zur Belegung der These herangezogen wird, ist kein Beweis erbracht, dass das Beachten durchgängig als Rücknahme des Willens konkretisiert werden kann. Vielmehr kann die Rücknahme des Willens auch ein Beispiel für eine inhaltliche Füllung des Beachtens darstellen. Die Anwendung wird zeigen, ob das »Beachten« in der altindischen Geistesgeschichte als die Rücknahme des eigenen Willens betrachtet werden kann.

222 223 224 225

Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 61. Uhde, Bernhard (2011): West-östliche Spiritualität, S. 87. Vgl. Enders, Markus (2013): ›Endlichkeit‹ und Einheit, S. 151–152. Vgl. Uhde, Bernhard (2002): ›Fiat mihi secundum verbum tuum‹, S. 89.

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Der Kritikpunkt von Enders, dass die Herrschaft eines Prinzips von Allem in den östlichen Religionen generell nicht gefunden werden könne, ist bei der Untersuchung zu berücksichtigen. Mit dem Begriff »Herrschaft« wird ein hierarchisches Verhältnis zwischen einem Herrscher (Einheit) und einem Beherrschten (Vielheit) impliziert. Ein solches Verhältnis scheint die »zeitlose Einheit« in die Nähe der monotheistischen Religionen zu rücken. Bei der Anwendung muss deswegen »Einheit« auch ohne »Herrschaft« in den Blick genommen werden. In einem solchen Fall muss zudem untersucht werden, ob es eine »Herrschaft über Alles« gibt und wem sie zugeschrieben wird.

2.2. Kritische Reflexion von Uhdes Religionsbegriff 2.2.1. Uhdes Religionsbegriff im Licht moderner Ansätze Der Religionsbegriff von Bernhard Uhde lässt sich den etischen Ansätzen der Moderne zuordnen: So lässt sich Religion durch das religiöse Wissen einschließlich des praktischen »Beachtens« aus einer etischen Außenperspektive in ihren geistesgeschichtlichen Erscheinungsformen beschreiben. 226 Gleichzeitig wird die Einsicht der modernen emischen Ansätze in eine verborgene, von allem Anderen unterschiedene Qualität (unseen order, Numinoses, Unbedingtheit) als wesentlicher Kern der Religion in den Religionsbegriff mit eingeschlossen. Denn diese Qualität lässt sich als »Einheit« im Uhde’schen Sinne verstehen, wenn auch bei Uhde die Einheit nicht Gegenstand einer emotionalen Erfahrung, sondern eines Wissens ist. 227 Hierbei öffnet sich ein erster Diskussionspunkt: Ist der Begriff »Wissen« zu eng gefasst, insbesondere weil Uhde darunter ein epistemisches Wissen versteht? Wäre für die Beschreibung der Volksfrömmigkeit einer Religion nicht doch der eurozentrische Begriff »Glauben« angemessener? Zudem ist ein zweiter Punkt zu betrachten: Den Inhalt des religiösen Wissens beschreibt Uhde als eine Einheit, die gegenüber einer Vielheit als Prinzip von Allem gilt. Damit scheint er wie Durkheim von einer dichotomen Grundstruktur der Inhalte religiösen Wissens auszugehen. Diese dichotome Grundstruktur ist zwar nicht in einer 226 227

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Siehe II.1.1.1. Siehe II.1.1.2.

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Zweiteilung der Welt in »heilig« und »profan« zu finden; jedoch scheint die Grundstruktur »Einheit – Vielheit« eine Abstraktion der im monotheistischen Weltbild gegebenen Grundstruktur »transzendenter Gott – immanente Schöpfung« zu sein. Impliziert Uhdes Religionsbegriff mithin die eurozentrische Vorstellung einer Dichotomie? Im Folgenden soll zur Beantwortung der Fragen zunächst der Begriff des Wissens und im Anschluss der Begriff der Einheit in Uhdes Religionsbegriff diskutiert werden. 2.2.1.1 Diskussion des Begriffs von »Wissen«

Die Verwendung des Begriffs »Wissen« vermeidet die zwei Probleme, die mit dem üblicherweise mit Religion assoziierten Begriff »Glauben« verbunden sind. Zum ersten bezeichnet der Begriff »Glauben« ein dialogisches Beziehungsgeschehen, in dem der Glaubende ein festes Vertrauen 228 in die geglaubte Entität besitzt. 229 Glauben impliziert somit einen Dialog zwischen zwei Entitäten, zum Beispiel zwischen Mensch und Gott; dieser Dialog besteht auf einer Vertrauensbasis und konstituiert ein hierarchisches Verhältnis. Die enge Beziehung des Begriffs »Glauben« zu den monotheistischen Religionen wird hierbei deutlich. Zum zweiten kommt die Bedeutungsveränderung hinzu, die der Begriff des Glaubens durch die Aufklärung erfahren hat. In der Scholastik konnte Thomas von Aquin den Glaubensinhalt noch als wissenschaftliches Wissen begreifen und sagen: »Respondeo dicendum, sacram doctrinam esse scientiam.« 230 In der Aufklärung jedoch wurde zwischen wissenschaftlichem Wissen und Glauben unterschieden. Dem Begriff des Glaubens haftet seitdem eine abschätzige Konnotation im Sinne des bloßen Meinens an, das auf keinen objektiven Tatsachen beruht: »Erst der um den religiösen Gegenhalt seiner Verwirklichung verkürzte subjektive Glaubensbegriff der ›Aufklärung‹ faßt ›Glauben‹ als defizienten Modus sachlicher Erkenntnis, ein bloß subjektives Für-wahr-halten, das die Gemeinschaftlichkeit objektivierbaren Wissens aufkündigt und sich in die-

228 Fides, die lateinische Bezeichnung für Glauben, hängt sprachlich und semantisch mit Vertrauen zusammen. 229 Vgl. Vorgrimler, Herbert (2008): Neues theologisches Wörterbuch. 6. Aufl. Freiburg: Herder, S. 232. 230 Thomas v. Aquin: Summa theologica I,1,2.

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sem Sinne auf die Exklusivität eines Verborgenen, Nicht-sinnlich-offenbaren bezieht.« 231

Beide mit dem Begriff »Glauben« verbundenen Probleme werden durch die Verwendung des Begriffs »Wissen« vermieden: So ist mit diesem Begriff weder eine enge Bindung an monotheistische Religionen noch eine generelle Abwertung seines Inhalts impliziert. Dennoch entsteht ein anderes Problem: Der moderne Begriff »Wissen« wird meist mit einer bestimmten Form von Wissen assoziiert, nämlich mit einem wissenschaftlichen bzw. theologischen Wissen, das allen Menschen gleicherweise zugänglich, überprüfbar und kommunizierbar ist. 232 Wenn Uhde in seiner Religionsdefinition von einem »Wissen um die notwendige Voraussetzung der verborgenen Einheit« spricht, zeigt das Prädikat »notwendig«, dass auch Uhde von einem wissenschaftlich-theologischen Wissen auszugehen scheint; denn Aristoteles – auf den sich Uhde explizit bezieht – definiert epistēmē als eine Wissensform, die die Notwendigkeit des gewussten Inhalts darlegen kann. 233 Das Verständnis des religiösen Wissens als epistēmē birgt jedoch zwei Probleme. Zum ersten lässt sich einwenden, dass ein solcher Wissensbegriff – um Karen Gloys Ansatz zur interkulturellen Philosophie heranzuziehen – nur Kulturen mit einem abstrakten Denken erfasst und solche mit einem konkret-anschaulichen Denken ausschließt. Gloy bemerkt mit Blick auf Alexis Kagamés Werk La philosophie Bantu comparée hierzu, dass »prämoderne« Kulturen keine abstrakte Begrifflichkeiten besitzen: »Was für uns selbstverständlich ist, die Abstraktion der Begriffe von der Anschauung, ist es nicht auch für das prämoderne Denken und Sprechen (…). Überhaupt fehlt der prämodernen Mentalität die Möglichkeit eines abstrakten systematischen Denkens mit hypothetischen Annahmen,

Brandner, Rudolf (2002): Was ist Religion? Würzburg: Königshausen & Neumann (Untersuchungen zu Grundlegung und Ausbildung menschlichen Weltverhältnisses, 1), S. 17. 232 Karen Gloy bezeichnet es darum als »Wissen im eigentlichen Sinne« (Gloy, Karen (2007): Von der Weisheit zur Wissenschaft. Eine Genealogie und Typologie der Wissensformen. Freiburg i. Br.: Alber, S. 194). 233 Vgl. Detel, Wolfgang (2005): epistēmē/ Wissen. In: Otfried Höffe (Hg.): Aristoteles-Lexikon. Stuttgart: Kröner, S. 200–207, hier: S. 203. 231

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Deduktionen und Induktionen sowie syllogistischen Schlußfolgerungen gänzlich, da dieses eine abstrakte Begrifflichkeit voraussetzt.« 234

Sie betont, dass die Dominanz einer der beiden Denkformen abhängig von der Erziehung sei, mithin auf einer »kulturhistorische(n) Entscheidung« beruhe. 235 Ein epistemischer Wissensbegriff hat mit Blick auf andere Kulturen daher nur einen beschränkten Einsatzradius. Zum zweiten lässt sich an einem epistemischen Wissensbegriff kritisieren, dass nicht nur »prämoderne« Religionen, sondern auch weite Teile derjenigen Religionen, die zu den »abstrakt denkenden Kulturen« zugeordnet werden könnten, nicht erfasst werden. So zeichnet sich zwar die christliche Theologie durch ein hohes Maß an abstraktem Denken aus; die christliche Volksfrömmigkeit jedoch ist im Gegensatz dazu durch ein hohes Maß an konkret-anschaulichem Denken gekennzeichnet, denkt man an Reliquienkulte und Heiligenverehrung. Der ausschließliche Bezug auf theologische, lehramtliche Dokumente würde eine »Gelehrtenreligion« konstruieren, ohne das möglicherweise davon abweichende Laienwissen zu berücksichtigen. Gladigow bemerkt in diesem Zusammenhang, dass die systematische Innenperspektive der Gelehrten und das rituelle Alltagshandeln der Laien gleich behandelt werden müssen. 236 Es wird somit deutlich, dass ein epistemischer Wissensbegriff für eine religionswissenschaftliche Anwendung zu eng gefasst ist. Zudem würde er den Vorwurf des Eurozentrismus auf sich ziehen. Marianne Sommer, Steffen Müller-Wille und Carsten Reinhardt bemerken in der Einleitung zum »Handbuch Wissenschaftsgeschichte«, dass der in der neueren Forschung verwendete Wissensbegriff sehr breit gefasst werde und das »wissenschaftliche Wissen ganz selbstverständlich neben verschiedenen, mehr oder weniger spezialisierten 234 Gloy, Karen (2012): Kulturüberschreitende Philosophie. Das Verständnis unterschiedlicher Denk- und Handlungsweisen. München: Fink, S. 61. 235 Vgl. Gloy, Karen (2012): Kulturüberschreitende Philosophie, S. 71. 236 Gladigow, Burkhard (2005): Religionswissenschaft als Kulturwissenschaft. Hg. v. Christoph Auffahrt und Jörg Rüpke. Stuttgart: Kohlhammer (Religionswissenschaft heute, 1), S. 37. Stringer bemerkt dazu: »The second assumption is that religion is essentially an intellectual activity. It has to do with the higher things of life. Belief is held, at least implicitly, to be superior to ritual. (…) This is implicit in many Western discourses on religion, and is difficult to distance from any academic definition of what religion is.« (Stringer, Martin D. (2008): Contemporary western ethnography and the definition of religion. London, New York, NY: Continuum (Continuum advances in religious studies), S. 2).

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Formen intuitiven und praktischen Wissens« 237 stehe. Karen Gloys These vom morphologischen Aufbau des Wissens macht deutlich, welche Breite der Wissensbegriff bekommen kann. So unterscheidet Gloy folgende, aufeinander aufbauende Stufen des Wissens: 1) das instinktive Wissen; 2) das emotionale, sinnliche Wissen; 3) das praktische Erfahrungswissen einschließlich des magischen Wissens; 4) das intellektuelle, wissenschaftliche Wissen; 5) das transrationale Wissen wie Traum, Weissagung, Prophetie. 238 Ergänzend sei hinzuzufügen, dass Wissen auch ästhetisch in Form von Tanz, Musik oder Architektur ausgedrückt werden kann. Um seine Anwendbarkeit zu gewährleisten, muss auch Uhdes Wissensbegriff erweitert werden. Dadurch fällt in der Formulierung des religiösen Wissens die »Notwendigkeit« heraus. Ein »Wissen um die Voraussetzung einer verborgenen Einheit« muss – da das Prädikat »notwendig« fehlt – kein epistemisches Wissen bezeichnen, sondern könnte auch ein magisches Wissen sein, das eine solche vorausgesetzte, verborgene Einheit konkret anschaulich in einem Mythos darstellt. Es ist mithin denkbar, dass »Einheit« abhängig von der jeweiligen Wissensstufe spezifisch beschrieben werden kann. 2.2.1.2 Diskussion der Grundstruktur Einheit-Vielheit

In seinem Religionsbegriff bezog Durkheim den »Glauben« und die damit verbundenen »Praktiken« auf heilige Dinge, Zeiten und Bereiche, die in einem Unterschied zu ihren profanen Pendants stehen. Dies bedeutet – wie bereits erwähnt – eine Akzentverschiebung: So wird nicht wie etwa bei Tylor eine Entität bzw. eine bestimmte Gruppe von Entitäten ins Zentrum der Religion gestellt, sondern eine vorausgesetzte Grundstruktur der Welt. 239 Der Religionsbegriff von Uhde schlägt den gleichen Weg ein: »Einheit« wird von Uhde nicht als separate Substanz gefasst, gleichwohl sie ein transzendentes Seiendes wie Gott bezeichnen kann. »Einheit« muss vielmehr in einem Zusammenhang mit »Vielheit« gesehen werden; in der religiösen

237 Müller-Wille, Steffen; Reinhardt, Carsten; Sommer, Marianne (2017): Wissenschaftsgeschichte und Wissensgeschichte. In: Steffen Müller-Wille et al. (Hg.): Handbuch Wissenschaftsgeschichte. Stuttgart: Metzler, S. 2–18, hier S. 3. 238 Vgl. Gloy, Karen (2007): Von der Weisheit zur Wissenschaft, S. 24. 239 Siehe II.1.1.1.

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Praxis werde die Einheit als »Prinzip« begriffen, und zwar als »Prinzip von Allem«, das heißt von aller Vielheit. Joachim Matthes bezeichnet die dichotome Scheidung der Welten und Dinge in direktem Bezug auf Durkheim als »christozentrische Projektionen par excellence«: »(…) Dass ›Religion‹ immer und überall mit einer Scheidung der Welten und Dinge in ›heilige‹ und ›profane‹ zu tun habe, wie uns in der Religionssoziologie seit Durkheim geläufig ist, ist eine christozentrische Projektion par excellence. Sie hat sich in unseren wissenschaftlichen Gebrauch des Terminus ›Religion‹ eingenistet und sich dabei verschwistert mit dem nachreformatorischer Weltsicht entlehnten Verständnis von der diesseitigen Wirklichkeit als der einen unteilbaren Wirklichkeit, die in ihrem Wesen ›profan‹ ist und ›Heiliges‹ nicht realiter, sondern in symbolischer Repräsentation in sich enthält.« 240

Denn eine dichotome Zweiteilung der Welten und Dinge lässt sich nicht in allen Religionen finden. Dies stellte im Hinblick auf Stammesreligionen beispielsweise der Ethnologe Evans Pritchards fest. 241 Trotz dieser Kritik besitzt das an einer solchen Dichotomie festhaltende Luhmann’sche Modell religiöser Kommunikation 242 in der gegenwärtigen Religionswissenschaft eine größere Popularität. So ist nach Luhmann die binäre Codierung »Immanenz – Transzendenz« das Kennzeichen jeder Religion, die durch den »re-entry« der Codierung (zum Beispiel in Form einer göttlichen Offenbarung) als eine solche reflektiert wird: »Religion ist von Anbeginn (was davor liegt, würden wir noch nicht als Religion gelten lassen) durch eine sie identifizierende Unterscheidung cha-

240 Matthes, Joachim (2005): Das Eigene und das Fremde. Gesammelte Aufsätze zu Gesellschaft, Kultur und Religion. Hg. v. Rüdiger Scholz. Würzburg: Ergon, S. 230. 241 Vgl. Allen, N. J. (2013): Durkheim’s sacred/profane opposition. What should we make of it? In: In: Hausner, Sondra L. (ed.): Durkheim in dialogue. A centenary celebration of The Elementary Forms of Religious Life. New York: Berghahn, S. 109–123, hier: S. 110. 242 Adrian Hermann bemerkt hierbei, dass Luhmann keine Religionsdefinition vornimmt, sondern von Religion als einem kommunikativen Geschehen in der Gesellschaft ausgeht. (Vgl. Hermann, Adrian (2015): Unterscheidungen der Religion. Analysen zum globalen Religionsdiskurs und dem Problem der Differenzierung von ›Religion‹ in buddhistischen Kontexten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (Critical Studies in Religion/ Religionswissenschaft; 10), S. 421).

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rakterisiert, die am re-entry der Unterscheidung in das Unterschiedene greifbar wird.« 243

Stellt nun die von Uhde vorausgesetzte Grundstruktur Einheit-Vielheit eine solche binäre Codierung, mithin eine Dichotomie dar? Uhde selbst versteht seinen Begriff explizit nicht als dichotomisch. So sei die Praxis von Religion darauf ausgerichtet, den vermeintlichen Gegensatz »Einheit – Vielheit« in den Unterschied zu reduzieren. 244 Das letztliche Ziel der Religion sei dabei die vollkommene Tilgung der Entzweiung; Religion sei daher auf »Einheit« angelegt. 245 Eine solche vollkommene Tilgung der Vielheit lässt sich postmortal, im Christentum etwa mit dem Eingehen ins unvergängliche Himmelreich und damit in Gottes Gegenwart, 246 oder auch im Leben, etwa mit Blick auf die visio beatifica des Mystikers vorstellen. Es wird mit der Relation »Einheit – Vielheit« somit keine Dichotomie vorausgesetzt; vielmehr ist die Relation im Selbstverständnis des Religiösen – so Uhde – nur eine vorläufige. Dennoch könnte auch die Vorläufigkeit einer Dichotomie kritisiert werden. So sind auch Religionsformen denkbar, die keine Dichotomie enthalten. Martin Mittwede bemerkt in dem Vorwort zu seiner Übersetzung eines hinduistischen Vedānta-Textes, dass dort »Einheit« keinen Gegensatz zur »Vielheit« darstelle: »Einheitsphilosophie in diesem Sinne betrachtet die Einheit eben nicht mehr als Gegenpol zur Vielheit, sondern als Integrationsrahmen für das Dasein.« 247 Einheit und Vielheit entsprechen sich somit, wie er auch an anderer Stelle betont: »Die Einheitswirklichkeit umfaßt Einheit und Vielheit, d. h. innerhalb der monistischen Struktur bleibt die Pluralität bestehen.« 248 Allerdings fuße, so Mittwede, diese Vorstellung im Selbstverständnis auf einem bestimmten religiösen Wissen; der Nichtwissende besitze dagegen eine »duale Sichtweise«. 249 Dadurch wird zwar

243 Luhmann, Niklas (2002): Die Religion der Gesellschaft. Hg. von André Kieserling. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 1581), S. 88. 244 Vgl.Uhde, Bernhard (2002): ›Fiat mihi secundum verbum tuum‹, S. 97. 245 Vgl. Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 61. 246 Vgl. Vorgrimler, Herbert (2008): Neues theologisches Wörterbuch, S. 293. 247 Mittwede, Martin (2007): Vedānta-Philosophie im interkulturellen Kontext. Einheit, Vielheit und die Relativierung von Standpunkten. Nordhausen: Bautz, S. 14. 248 Mittwede, Martin (2007): Vedānta-Philosophie im interkulturellen Kontext, S. 12. 249 Vgl. Mittwede, Martin (2007): Vedānta-Philosophie im interkulturellen Kontext, S. 13.

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eine Dichotomie angedeutet, die aber den (im Selbstverständnis) religiös Wissenden nicht betrifft. Das Beispiel deutet an, dass die Grundstruktur »Einheit – Vielheit« noch anders gedacht werden kann als im monotheistischen Denken, das im Selbstverständnis eine vorläufige Dichotomie enthält. Hilfreich erscheint hier Karen Gloys systematische Untersuchung zu den Vermittlungsmodellen von Einheit und Vielheit. Gloy identifiziert in der Philosophiegeschichte zwei grundsätzliche »Vermittlungsmodelle von Einheit und Vielheit«, die sie als »substanzontologisch«/ »substanziell« und als »selbstreferentiell« bezeichnet. 250 Sie versteht beide Vermittlungsmodelle als Reaktionen auf die philosophischen Grundpositionen eines radikalen Monismus, den sie mit Parmenides verbindet, sowie eines ebenso radikalen Pluralismus, den sie mit Heraklit assoziiert: »Mit Parmenides beginnt in der abendländischen Geistesgeschichte die Degradierung und Diffamierung der durch Vielheit charakterisierten Erscheinungswelt; auf Heraklit berufen sich alle, die Entzweiung, Gegensätzlichkeit und Widerspruch zum Prinzip und Movens der Geschichte erklären. Da diese beiden Extrempositionen nur schwer mit der Realität kompatibel sind, war der nachfolgenden Philosophie die Aufgabe der Vermittlung gestellt.« 251

Während Aristoteles das substanzontologische bzw. substanzielle Modell entwickelte, formulierte Platon ein selbstreferentielles Modell, auf das sich Hegel berief. 252 Das von Aristoteles begründete substanzontologische Modell besitzt unabhängig von diversen Ausgestaltungen in der Philosophiegeschichte nach Gloy folgende Kriterien: (1) Es basiert auf einer Beziehung zwischen der Substanz und ihren Akzidentien. (2) In dieser Beziehung besteht ein Ungleichgewicht der Bezogenen, da die Substanz eine logische Priorität besitzt, weil sie – im Gegensatz zu den Akzidentien – unabhängig und selbstständig ist. (3) Im Hinblick auf das ontologische Grund-Folge-Verhältnis besitzt die Substanz eine Prinzipienfunktion hinsichtlich der Akzidentien. (4) Das Verhältnis 250 Vgl. Gloy Karen (1990): Vermittlungsmodelle von Einheit und Vielheit. Das substanzontologische, das selbstreferentielle und das offen relationale Modell. In: Odo Marquard (Hg.): Einheit und Vielheit. XIV. Deutscher Kongreß für Philosophie. Gießen, 21.–26. September 1987. Hamburg: Meiner, S. 58–71, hier: S. 58. 251 Gloy, Karen (1990): Vermittlungsmodelle von Einheit und Vielheit, S. 58. 252 Vgl. Gloy, Karen (1990): Vermittlungsmodelle von Einheit und Vielheit, S. 58–59.

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der einen Substanz zu den vielen Akzidentien lässt sich formal als das Verhältnis von Einheit und Vielheit beschreiben. (5) Die Substanz ist mit sich identisch und steht in einem Unterschied zur Verschiedenheit der Vielheit der Akzidentien. 253 Dem substanzontologischen Modell stellt Gloy in ihrem Aufsatz nicht das platonische, sondern das Hegel’sche selbstreferentielle Modell gegenüber, welches das ursprüngliche Modell ausgehend vom neuzeitlichen Paradigma des Selbstbewusstseins interpretiere. 254 Gloy nennt auf dieser Grundlage fünf kontrastierende Kriterien: 255 (1) Es basiert auf einer Beziehung zwischen dem selbstreferentiellen Ganzen (bei Hegel: »Ich«) und seinen Teilen (Ich-Subjekt und -objekt). (2) Das selbstreferentielle Ganze ist auf nichts außer sich bezogen, schließt mithin alles ein. Diese Geschlossenheit ist Ausdruck der Selbstständigkeit. (3) Es gibt keinen an sich seienden Bestand, der sich als Vielheit entfaltet, sondern das selbstreferentielle Ganze ist der Prozess der Selbstentfaltung. (4) Das Verhältnis des selbstreferentiellen Ganzen zu seinen Teilen lässt sich als das Verhältnis einer Einheit zur Vielheit fassen, wobei dieses Verhältnis prozessual gedacht werden muss, mithin als »ein einheitlicher Zusammenhang über die Vielfalt der Momente« 256. (5) Identität mit sich wird gewahrt durch den Prozess der Selbstdifferenzierung und der Selbstidentität. 257 Die Gegenüberstellung beider Modelle zeigt – auch ohne weiter ins Detail zu gehen – zwei sehr unterschiedliche Möglichkeiten, die Grundstruktur »Einheit – Vielheit« zu denken. So ist die »Einheit« beim substanzontologischen Modell als ein »Absolutes« zu fassen, das geschieden von der Vielheit ist; die absolute Einheit behält »gegenüber der Welt und ihrer systematischen Verfassung Transzendenzcharakter.« 258 Beim selbstreferentiellen Modell ist Einheit als »Ganzes« zu fassen, das die Vielheit in sich enthält und deren ursprüngliche Einheit darstellt. 259 Uhdes sehr allgemeine Bestimmung Vgl. Gloy, Karen (1990): Vermittlungsmodelle von Einheit und Vielheit, S. 61–63. Vgl. Gloy, Karen (1990): Vermittlungsmodelle von Einheit und Vielheit, S. 59. 255 Vgl. Gloy, Karen (1990): Vermittlungsmodelle von Einheit und Vielheit, S. 64–66. 256 Gloy, Karen (1990): Vermittlungsmodelle von Einheit und Vielheit, S. 65. 257 Vgl. Gloy, Karen (1990): Vermittlungsmodelle von Einheit und Vielheit, S. 64–66. 258 Gloy, Karen (1981): Einheit und Mannigfaltigkeit. Eine Strukturanalyse des »und«. Systematische Untersuchungen zum Einheits- und Mannigfaltigkeitsbegriff bei Platon, Fichte, Hegel sowie in der Moderne. Berlin: De Gruyter, S. 83–84. 259 Vgl. Gloy, Karen (1981): Einheit und Mannigfaltigkeit, S. 84. 253 254

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von »Einheit«, die mit Zitaten aus Platons Parmenides 260 und Aristoteles’ Physik belegt wird, lässt die Anwendung auf beide Modelle zu. Neben diesen beiden grundsätzlichen Modellen sind weitere Modelle denkbar. 261 Zu beachten ist hierbei, dass solche Modelle abhängig von der Wissensform sehr unterschiedlich beschrieben werden können. Auch eine anschaulich-konkrete Beschreibung ist denkbar, sofern die wesentlichen Elemente einer Einheit erhalten bleiben. 2.2.2. Uhdes Ansatz im Licht der postmodernen Einwände Drei Forderungen haben sich aus der Reflexion der postmodernen Einwände ergeben: (1) Der Religionsbegriff muss eine religionsneutrale Metasprache verwenden; (2) der Religionsbegriff sollte in eine Religionstheorie eingebunden sein; (3) der Religionsbegriff muss als empirisch überprüfbare Arbeitsdefinition (re)formuliert werden. 262 Uhdes Ansatz soll nun mit Blick auf diese Einwände reflektiert werden. (1) Aus dem Einwand des Eurozentrismus ergab sich die Forderung, dass eine Religionsdefinition eine religionsneutrale Metasprache enthalten muss, indem insbesondere europäisch-christliche Konnotationen reduziert werden. Zudem muss das Selbstverständnis der Religionen erfasst werden. In Uhdes Religionsbegriff werden durch Rückgriff auf eine philosophische Sprache typisch christliche Konnotationen minimiert: So verzichtet Uhde auf den Begriff des Glaubens, auf die Postulation einer festen Dichotomie wie beispielsweise »heilig – profan« und auf die Postulation einer spezifischen Substanz als zentralem Inhalt von Religion. Eine religionsneutrale Metasprache ist mithin gegeben. Die Anwendung auf konkrete Religionen muss allerdings zeigen, ob Uhdes Religionsbegriff auch deren Selbstverständnis erfasst. 260 Gloy bemerkt, dass das selbstreferentielle Modell insbesondere in Platons Parmenides erörtert wird. (Vgl. Gloy, Karen (1985): Aristoteles’ Theorie des Einen auf der Basis des Buches I der Metaphysik. In: Karen Gloy & Enno Rudolph (Hg.): Einheit als Grundfrage der Philosophie. Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft, S. 73–101, hier: S. 82). 261 Siehe z. B. Gloys Versuch, ein neues Vermittlungsmodell von Einheit und Vielheit aufzustellen, das sie als »relationales Modell« bezeichnet. (Vgl. Gloy, Karen (1990): Vermittlungsmodelle von Einheit und Vielheit, S. 69–71). 262 Siehe II.1.1.2.

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(2) Aus dem Einwand der Willkürlichkeit bei der Auswahl eines einzigen zentralen Inhalts von Religion ergab sich die Forderung nach einer Rückbindung der Religionsdefinition an eine Religionstheorie. Uhde entwickelt seinen Religionsbegriff auf Grundlage der Hypothese, dass die menschliche Einsicht in die eigene Vergänglichkeit zur Entstehung von Religion führe. Dieser Gedanke wurde in der neueren Religionsphilosophie von Hermann Schrödter ausgearbeitet. Markus Enders zeigt dabei, dass Uhdes implizite Religionstheorie anschlussfähig an die Schrödter’sche Religionstheorie ist. 263 Die nachfolgende Untersuchung wird zeigen, ob die von Uhde aus dieser Theorie geschlossene Folgerung zutrifft, dass Religion inhaltlich ein Wissen enthalte, das die Struktur einer zeitlosen Einheit und einer zeitlichen Vielheit zugrunde lege. (3) Aus dem Einwand des multiperspektivischen Blicks auf Religion, der einen Konsens verhindert, ergab sich schließlich die Forderung, Arbeitsdefinitionen für die verschiedenen Forschungsbereiche zu bilden. Als eine empirisch falsifizierbare Arbeitsdefinition für einen bestimmten religionswissenschaftlichen Forschungsbereich versteht Uhde seinen Ansatz nicht. Gleichwohl ist sein Religionsbegriff empirisch falsifizierbar, da er ein spezifisches »Wissen« in das Zentrum stellt, das von den religiös Praktizierenden beachtet werde. 264 In Anwendung auf eine Religion kann überprüft werden, ob ein solches praxisrelevantes Wissen existiert. Im Christentum konnte Uhde in seiner Habilitationsschrift ein solches Wissen nachweisen. 265 In einem Aufsatz bekräftigt er unter Nennung einiger Beispiele, dass auch im Hinduismus und im Buddhismus dieses Wissen bestehe. 266 Vgl. Enders, Markus (2013): ›Endlichkeit‹ und Einheit, S. 152–153. Es ist an dieser Stelle zu betonen, dass Uhde in seinem Religionsbegriff die religiöse Praxis nicht in ihrer Vereinzelung im Blick hat, sondern nur ihre Form betrachtet und diese in Bezug zum religiösen Wissen setzt. So stellt das praktische »Beachten« die Relation zwischen dem religiösen Akteur und dem Wissen her. (Vgl. Uhde, Bernhard (2011): West-östliche Weisheit, S. 87). 265 Vgl. Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 131. Siehe aber auch die Kritik von Böhm, Thomas (2008): Das Verständnis der Religion in der Alten Kirche. In: Thomas Jürgasch et al. (Hg.): Gegenwart der Einheit. Zum Begriff der Religion. Festschrift anlässlich des 60. Geburtstages Bernhard Uhdes. Freiburg i. Br.: Rombach, S. 105–121. 266 Vgl. Uhde, Bernhard (2002): ›Fiat mihi secundum verbum tuum‹, S. 89 FN 10, S. 96–97. In seinem populärwissenschaftlichen Werk Warum sie glauben, was sie glauben vollzieht er bei der Beschreibung des Hinduismus und Buddhismus keine explizite Anwendung seines Begriffs. (Siehe Uhde, Bernhard (2013): Warum sie glau263 264

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Es stellt sich im Hinblick auf die völlig anders strukturierten indischen Religionen allerdings die Frage, ob dieses Wissen ein generelles Wissen darstellt, das im Zentrum indischer Religionen steht oder ob Uhde nur passende Textstellen herausgegriffen hat, die zu seinem Religionsbegriff zu passen scheinen. Als generelles Wissen müsste es sich auch in den poetischen Hymnen des R ̥ gveda oder in den Zauberformeln des Atharvaveda zumindest anschaulich-konkret oder in einem bestimmten Abstraktionsgrad widerspiegeln. Die Anwendung auf die indischen Religionen wäre nur ein erster Schritt. Denn auch eine Arbeitsdefinition als Ergebnis der Reflexion von Uhdes Religionsbegriff und ihrer Bestätigung in den indischen Religionen würde den Charakter der Vorläufigkeit behalten. Der Vorteil bei einer Anwendung auf die altindischen Religionen wäre, dass hier eine Vielzahl unterschiedlicher Konzeptionen existiert, die schließlich zur Entstehung der hinduistischen Religionen sowie des Theravāda-Buddhismus führte. Dadurch kann nicht nur untersucht werden, ob Uhdes Religionsbegriff mit dem Buddhismus kompatibel ist, sondern auch noch seine Gültigkeit anhand unterschiedlicher Religionsformen überprüft werden. Mit einer Arbeitsdefinition ist nicht nur die Forderung nach empirischer Falsifizierbarkeit verbunden, sondern auch die Forderung nach einer Eingrenzung ihres Gültigkeitsbereichs. Grundlage dieser Forderung ist die Einsicht, dass alle Religionsdefinitionen in einem bestimmten Forschungskontext erstellt wurden. 267 Uhdes Religionsbegriff richtet seinen Fokus als religionsphilosophischer Ansatz auf die Beschreibung von im Selbstverständnis der Religionen liegenden »Denkstrukturen« 268, die gleichzeitig handlungsrelevant sind. Diese Denkstrukturen dürfen nicht als statisch betrachtet werden, sondern unterliegen einer historischen Entwicklung. 269 Wird sein Wissensbegriff, wie oben vorgeschlagen, breiter gefasst, um

ben, was sie glauben. Weltreligionen für Andersgläubige und Nachdenkende. Freiburg i. Br.: Herder). 267 Vgl. Platvoet, Johannes G. (1999): Contexts, concepts & contests. Towards a pragmatics of defining ›religion‹. In: Johannes G. Platvoet & Arie L. Molendijk (eds.): The pragmatics of defining religion. Contexts, concepts and contests. Leiden: Brill (Studies in the history of religions, 84), S. 463–516, hier: S. 511. 268 Uhde, Bernhard (2013): Warum sie glauben, was sie glauben, S. 13. 269 Uhde zeigt dies anhand der Entwicklung des christlichen Wissens auf. (Vgl. Uhde, Bernhard (1982): Gegenwart und Einheit, S. 65–112). Die Voraussetzung einer verborgenen »Einheit«

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den Vorwurf des Eurozentrismus zu vermeiden, lässt sich der Gültigkeitsbereich des Uhde’schen Religionsbegriffs auf die »Geistesgeschichte« beziehen. 270

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Zur Definition von »Geistesgeschichte« siehe III.1.1.1.

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III. Anwendung von Uhdes Religionsbegriff auf die altindische Geistesgeschichte

1.

Methodische Vorbemerkungen

1.1. Begriffsklärungen 1.1.1. Geistesgeschichte Der Brockhaus definiert »Geistesgeschichte« folgendermaßen: »Bezeichnung für eine im deutschsprachigen Raum seit der Romantik entwickelte Form der Kultur-, v. a. der Literatur-, Philosophie- und Religionsgeschichtsschreibung sowie für deren Inhalte und Methoden.« 271

Die Geistesgeschichte richtet ihre Aufmerksamkeit mithin in besonderem Maße auf die historische Analyse des Denkens, wie es in der Literatur, in der Philosophie und in der Religion zum Ausdruck kommt. Während die im deutschsprachigen Raum entstandene »Geistesgeschichte« oft synonym zu der im angelsächsischen Raum entwickelten history of ideas verstanden wird, versteht Geldsetzer die Geistesgeschichte als einen Oberbegriff für drei verschiedene methodische Herangehensweisen: nämlich für (1) die history of ideas, für (2) die Begriffsgeschichte und für (3) die Problemgeschichte. 272 Während sich die history of ideas mit terminologisch wandelnden, inhaltlich aber gleich bleibenden Bedeutungskomplexen (ideas) beschäftige, untersuche die Begriffsgeschichte die historisch wandelnde BeBrockhaus: Geistesgeschichte. Online verfügbar unter: https://brockhaus.de/ecs/, zuletzt geprüft am 02. 11. 2019. 272 Vgl. Geldsetzer, Lutz (1976): Ideengeschichte. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. I – K. Darmstadt: Wissenschaftl. Buchges. (Historisches Wörterbuch der Philosophie, 4), Sp. 135–137, hier: Sp. 135–136; Geldsetzer, Lutz (1989): Problemgeschichte. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. P – Q. Darmstadt: Wissenschaftl. Buchges. (Historisches Wörterbuch der Philosophie, 7), Sp. 1410–1414, hier: Sp. 1412–1413. 271

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deutung bestimmter Begriffe. 273 Die Problemgeschichte gehe schließlich statt von Ideen von grundsätzlich gleichbleibenden Problemen aus, die in verschiedenen Zeiten unterschiedlich thematisiert werden. 274 Probleme entstehen dabei durch die Erfahrung von Brüchen und Grenzen: »Probleme entstehen durch menschliche Erfahrungen und sie hängen mit historischen Anforderungen zusammen. Ein Problem entsteht nicht durch Traditionen oder Spuren, sondern (…) durch Brüche und Grenzen.« 275

Sgarbi bemerkt dabei, dass die Problemgeschichte nicht an eine bestimmte Kultur oder Tradition gebunden sei, sondern interkulturell betrieben werden könne. Die Begriffsgeschichte sei dagegen an ein linguistisches Protokoll und die Ideengeschichte an ein bestimmtes Konzept gebunden, die beide mit einer spezifischen Kultur zusammenhängen. 276 Uhde entwickelt seinen Begriff aus der reflektierten Einsicht in das Problem der Vergänglichkeit. Dieses Problem löse die Religion dadurch, dass sie ein Wissen um die Voraussetzung einer unvergänglichen Einheit anbiete, die als Prinzip von Allem beherrschend sei. Von diesem Rahmen abgesehen lässt Uhde den Inhalt des Wissens offen. Sein Religionsbegriff kann daher als Arbeitsdefinition für eine problemgeschichtlich ausgerichtete Geistesgeschichte genommen werden. 1.1.2. »altindisch« Die Spezifizierung der Geistesgeschichte als »altindisch« verweist auf keinen neuen Ansatz der Periodisierung der indischen Geistesgeschichte, sondern dient der Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes. 277 So ist die »altindische Geistesgeschichte« eine heuristische

Vgl. Geldsetzer, Lutz (1976): Ideengeschichte, Sp. 136. Vgl. Geldsetzer, Lutz (1989): Problemgeschichte, Sp. 1412–1413. 275 Sgarbi, Marco (2010): Umriss der Theorie der Problemgeschichte. In: Riccardo Pozzo & Marco Sgarbi (Hg.): Eine Typologie der Formen der Begriffsgeschichte. Hamburg: Meiner (Archiv für Begriffsgeschichte / Sonderheft, 7), S. 185–199, hier: S. 192. 276 Vgl. Sgarbi, Marco (2010): Umriss der Theorie der Problemgeschichte, S. 197. 277 Zur Problematik der Periodisierung siehe Franco, Eli (2013): On the periodization and historiography of indian philosophy. In: Eli Franco (Hg.): Periodization and historiography of Indian philosophy. Wien: Verein »Sammlung de Nobili, Arbeitsgemeinschaft für Indologie und Religionsforschung«, Institut für Südasien-, Tibet273 274

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Methodische Vorbemerkungen

Bezeichnung für die Geistesgeschichte in der Zeit von der Sammlung des R ̥ gveda bis frühen Pāli-Kanon 278 und erstreckt sich geographisch über Nordindien. Sie umfasst insbesondere die religionsgeschichtliche Epoche der »Vedischen Religion« (ca. 1750–500 v. Chr.) 279 sowie den frühen Buddhismus aus der Epoche des »Asketischen Reformismus« (ca. 500–200 v. Chr.) 280, der eine direkte Reaktion auf Vorstellungen der vedischen Religion(en) darstellt. Die so gefasste »altindische Geistesgeschichte« zeichnet sich durch eine große Heterogenität aus, die eine Vielfalt von Konzepten enthält. Diese heterogenen Werke stellen Bezüge zueinander her: so beziehen sich die Brāhmaṇas und Upaniṣaden explizit auf das tradierte dreifache Wissen (R ̥ gveda, Sāmaveda, Yajurveda). Selbst der Buddha wird im Kanon an vielen Stellen als Meister des dreifachen Wissens verstanden. 281 Das Herstellen von Bezügen zu einer gemeinsamen älteren Literatur gestattet die heuristische Formulierung einer »altindischen Geistesgeschichte«, in der die verschiedenen Konzeptionen als Punkte einer explizit multidimensionalen Entwicklung gefasst werden können.

1.2. Reflexion bisheriger geistesgeschichtlicher Darstellungen 1.2.1. Auswahl der Inhalte Die vorhandenen Darstellungen der indischen Geistesgeschichte, mithin der Geschichte des indischen Denkens werden meist als »Philosophiegeschichte« bezeichnet. 282 Problematisch ist hierbei, dass Re-

und Buddhismuskunde der Universität Wien (Publications of the De Nobili Research Library / Indologisches Institut), S. 1–33. 278 Das heißt Sutta-piṭaka und Vinaya-piṭaka. Obwohl die Redaktionsgeschichte wesentlich später erfolgte, werden beide Teile des Pāli-Kanons im Unterschied zum dritten Teil, dem Abhidhamma-piṭaka, als der frühe Pāli-Kanon gefasst. (Vgl. Hinüber, Oskar von (1996): A handbook of Pāli literature. Berlin: De Gruyter (Indian philology and South Asian studies, 2), S. 64). 279 Vgl. Michaels, Axel (2006): Der Hinduismus. Geschichte und Gegenwart. Broschierte Sonderausgabe. München: Beck, S. 49–53. 280 Vgl. Michaels, Axel (2006): Der Hinduismus, S. 53–55. 281 Vgl. dazu auch: Norman, Kenneth R. (1993): Theravāda buddhism and brahmanical hinduism. In: Kenneth R. Norman (ed.): Collected papers. Vol. IV. Oxford: The Pali Text Society, S. 271–280, hier: S. 278. 282 So z. B. Erich Frauwallners »Geschichte der indischen Philosophie«, Surendranath Die Voraussetzung einer verborgenen »Einheit«

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ligion und Philosophie in den traditionellen indischen Systemen nicht voneinander zu trennen sind. 283 Halbfass bemerkt dazu: »In jedem Falle gilt: Es kommt in Indien nicht zu einem wirklichen Umbruch, zu einer Ablösung des religiös-mythischen und traditionsgebundenen durch ein kritisches und im europäischen Sinne wissenschaftliches Denken. Die unstreitbar vorhandenen, z. T. sehr radikalen Ansätze zur kritisch-reflexiven Auflösung der Tradition werden ihrerseits durch einen umfassenden, explizit gesetzten Traditionalismus aufgehoben.« 284

So findet sich in indischen Philosophiegeschichten – ähnlich wie in der mittelalterlichen Philosophie des Christentums – immer auch der Bezug auf religiöse Quellen, insbesondere auf den Veda. 285 Die Abgrenzung von Religion und Philosophie im klassischen Hinduismus und Buddhismus, die in den gängigen indischen Philosophiegeschichten versucht wird, geht somit an deren Selbstverständnis vorbei. Zu dieser Problematik kommt hinzu, dass der Begriff »Philosophie« in den vorliegenden Darstellungen – wenn überhaupt – unterschiedlich definiert wird und es somit – sowohl inhaltlich als auch formal – zu unterschiedlichen Darstellungen kommt. Es ist dabei auffällig, dass die Darstellungen oft bei den Upaniṣaden bzw. beim Buddhismus beginnen, während die davor stehende Entwicklung nur eine kurze Erwähnung erfährt. So gestaltet Frauwallner das erste Kapitel seiner Geschichte der indischen Philosophie folgendermaßen: Unter der Überschrift Die Philosophie des Veda geht er auf den ersten drei Seiten kurz auf die Sammlungen des Veda, auf die Brāhmaṇas und die Āraṇyakas ein, während die restlichen 54 Seiten allein von den Upaniṣaden handeln. 286 Das diese Aufteilung begründende Urteil über den R ̥ gveda spiegelt die Ansicht vieler Darstellungen wider: »(…) Die umfangreiche Liedersammlung des R̥gveda ist zwar höchst wertvoll als ältestes Dokument des arischen Indertums und sprachlich sowie kulturgeschichtlich überaus wichtig. Aber sie belehrt uns im wesentlichen Dasguptas »A history of indian philosophy«, René Groussets »Les Philosophies indiennes« oder Giuseppe Tuccis »Storia della filosofia indiana«. 283 Vgl. Halbfass, Wilhelm (1981): Indien und Europa. Perspektiven ihrer geistigen Begegnung. Basel: Schwabe, S. 318. 284 Halbfass, Wilhelm (1981): Indien und Europa, S. 323. 285 Vgl. Aklujkar, Ashok (2017): History and doxography of the philosophical schools. In: Jonardon Ganeri (ed.): The Oxford Handbook of Indian Philosophy. Oxford: University Press, S. 32–55, hier: S. 41–42. 286 Siehe Frauwallner, Erich (1953): Geschichte der indischen Philosophie. Band 1. Salzburg: Müller.

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Methodische Vorbemerkungen

über die altindische Götterwelt, die für die indische Philosophie ebensowenig Bedeutung hat wie die homerische Götterwelt für die griechische Philosophie.« 287

So werden mithin die Inhalte des R ̥ gveda nicht als Philosophie betrachtet, während beispielsweise die viel rezipierte Chāndogya-Upaniṣad eine solche Philosophie darstelle. Es fragt sich dabei, wo der Unterschied zwischen beiden liegt, der eine solche Kategorisierung erlaubt. Wie in den alten Büchern des R ̥ gveda geht es auch in der Chāndogya-Upaniṣad um ein spezifisches Wissen, das sich auf das Opferritual bezieht. Zwar wird in der Chāndogya-Upaniṣad die Verbindung zum konkreten Opferritual gelockert; jedoch ist die Symbolik meist eng damit verbunden. Die unterschiedliche Kategorisierung beider erscheint daher zumindest in Bezug auf die frühen Upaniṣaden als problematisch. Es ist darum wichtig, Uhdes Religionsbegriff als strukturierendes Element auf die gesamte altindische Geistesgeschichte anzuwenden und nicht nur auf Texte, die »philosophisch« zu sein scheinen. Die Beliebigkeit in der Auswahl der Texte und Textinhalte wird dadurch aufgehoben. Zwar grenzt der Uhde’sche Begriff aufgrund seines spezifischen Inhalts den Darstellungsbereich ein. Da diese Eingrenzung jedoch begründet wird, bietet sich auf diese Weise eine Grundlage für einen wissenschaftlichen Diskurs, in dem über den Begriff sowie über die Auswahl der Inhalte diskutiert werden kann. 1.2.2. Chronologie Eine weitere Schwierigkeit betrifft die mangelnde Berücksichtigung der Chronologie, die sich auch in den Gesamtdarstellungen findet. So wird meist versucht, die verschiedenen Literaturgattungen gemäß ihrer chronologischen Abfolge aufzuführen; jedoch wird dies nicht immer eingehalten. So findet sich bei Strauss beispielsweise nachstehende Kapitelfolge: drittes Kapitel die »älteren Upaniṣaden«; viertes Kapitel die (postbuddhistischen) »jüngeren Upaniṣaden«; fünftes Kapitel der »ältere Buddhismus und der Jinismus«. 288 Wollte man die korrekte chronologische Reihenfolge einhalten, müsste das fünfte vor dem vierten Kapitel stehen. Die chronologisch inkorrekte Anord-

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Frauwallner, Erich (1953): Geschichte der indischen Philosophie, S. 40. Siehe Strauss, Otto (1925): Indische Philosophie. München: Reinhardt.

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nung entspringt dabei dem Bedürfnis, die einzelnen Literaturgattungen zusammenhängend darzustellen. Noch geringer als die intertextuelle Chronologie wird die intratextuelle Chronologie berücksichtigt. So besteht beispielsweise die Br̥hadāraṇyaka-Upaniṣad aus drei Teilen, die inhaltlich als auch chronologisch zu unterscheiden sind. Eine separate Behandlung der Teile findet sich in keiner der Darstellungen, selbst nicht im sehr umfangreichen zweiten Band von Deussens Philosophiegeschichte, der ganz den Upaniṣaden gewidmet ist. 289 So wird die Br̥hadāraṇyakaUpaniṣad auch dort so behandelt, als ob sie ein in sich geschlossenes Werk aus der Feder eines Autors sei. Durch die Berücksichtigung der intertextuellen und intratextuellen Chronologie können Entwicklungsprozesse differenziert dargestellt werden. Eine Schwierigkeit, die damit verbunden ist, liegt in der unklaren absoluten und relativen Chronologie vieler älterer Werke der indischen Geistesgeschichte. Da geistesgeschichtliche Entwicklungen niemals linear sind, sondern vielfältigen Einflüssen verschiedenster Art ausgesetzt sind und zudem regionale Sonderentwicklungen bedacht werden müssen, kann sie selbst keine Chronologie vorgeben. Vielmehr beruht die Darstellung einer Geistesgeschichte im hohen Maße auf den Ergebnissen der philologischen Forschung. 1.2.3. Quellenanalyse Ein weiteres Problem bisheriger geistesgeschichtlicher Darstellungen ist die Interpretation der Literatur mit Hilfe von Kommentatoren aus einer anderen Zeit. So ist, wie Slaje bemerkt, Deussens Übersetzung der Upaniṣaden maßgeblich vom Kommentar Śaṅkaras geprägt; 290 das gleiche ist für seine indische Philosophiegeschichte festzustellen. Der Zeitabstand zwischen der überlieferten Endredaktion der Chāndogya-Upaniṣad (8.–6. Jhd. v. Chr.) und dem Kommentar Śaṅkaras (ca. 788–820 n. Chr.) liegt dabei bei mindestens 1400 Jahren. Der Einfluss Śaṅkaras lässt sich auch bei Radhakrishnans Indische Philosophie sowie bei anderen Autoren feststellen. Slaje bemerkt dazu:

289 Siehe Deussen, Paul (1919): Die Philosophie der Upanishad’s. 3. Aufl. Leipzig: Brockhaus (Allgemeine Geschichte der Philosophie, 1.2). 290 Kommentar von Walter Slaje (2009) in: Upanischaden. Arkanum des Veda. Übers. und hg. von Walter Slaje (2009). Frankfurt am Main, Leipzig: Verl. der Weltreligionen, S. 392.

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Methodische Vorbemerkungen

»Śaṅkaras Ideen setzen eine lange Entwicklung äußerst differenzierter Geist- und Seins-Konzeptionen voraus, wie sie zur Zeit der älteren Upanischaden noch in keiner Weise bedacht worden waren. Doch die ganz im Banne Śaṅkaras stehende Indologie des 19. Jahrhunderts war seinem ideengeschichtlichen Anachronismus aufgesessen und hat sich – wie auch das neo-hinduistische Indien – bis heute nicht von diesem ahistorischen Irrglauben zu lösen vermocht.« 291

Das Hinzuziehen der Kommentare erhellt mithin nicht den Text in seinem eigenen Licht, sondern zeigt, wie der Text in einer späteren Epoche interpretiert wurde. Eine geistesgeschichtliche Analyse muss mithin auf die vorhandenen textlichen Quellen gegründet sein. Hinzugezogene Sekundärliteratur ist sorgfältig dahingehend zu überprüfen, ob sie selbst mit den Quellen oder auf Grundlage späterer indischer Kommentare argumentiert.

1.3. Untersuchungsumfang Die Untersuchung der verschiedenen Texte der altindischen Geistesgeschichte soll chronologisch erfolgen. Da es in der altindischen Geistesgeschichte keine Zeitrechnung im abendländischen Sinne gab, 292 muss auf die relative Chronologie zurückgegriffen werden, die auf Grundlage der Linguistik erstellt wurde. Witzel führt folgende relative Chronologie der vedischen Literatur auf: 293 • R ̥ gveda. • Mantra language. • Saṃhitā-prose. • Brāhmaṇa-prose. • Sūtra language. Die Sūtras sind größtenteils nachbuddhistisch und werden darum in dieser Arbeit nicht berücksichtigt. Aus ideengeschichtlicher PerspekKommentar von Walter Slaje (2009) in: Upanischaden: S. 390. Vgl. dazu Winternitz, Moriz (1968): Geschichte der indischen Literatur. Band 1. Einleitung. Der Veda. Die volkstümlichen Epen und die Purāṇas. Stuttgart: Kohler, S. 23–25. 293 Vgl. Witzel, Michael (1989): Tracing the vedic dialects. In: Colette Caillat (ed.): Dialectes dans les littératures indo-aryennes. Actes du colloque international. Paris: Collège de France/Institut de civilisation indienne (Publications de l’Institut de civilisation indienne. Série in-8o, 55), S. 97–265, hier: S. 124–127. 291 292

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tive versteht Witzel die Saṃhitā-prose und die Brāhmaṇa-prose als zusammengehörig. 294 Die Brāhmaṇas sollen darum als eine einzige Kategorie untersucht werden, wobei eine Unterscheidung in frühe und späte Brāhmaṇas sinnvoll erscheint. Witzel zählt zur Brāhmaṇa-prose auch die ältesten Upaniṣaden – also Br̥hadāraṇyaka-Upaniṣad, Jaiminīya-Brāhmaṇa-Upaniṣad und Chāndogya-Upaniṣad. 295 Sie sollen in dieser Arbeit jedoch separat untersucht werden, da sie geistesgeschichtlich eine eigene Kategorie darzustellen scheinen. Auf die Upaniṣaden folgt schließlich der in der später entstandenen, mittelindischen Pāli-Sprache verfasste buddhistische Kanon. Daraus ergibt sich folgende geistesgeschichtliche Chronologie: • R ̥ gveda. • Mantra-Texte (v. a. Sāmaveda, Atharvaveda und Teile des Yajurveda). • Saṃhitā- und Brāhmaṇa-Prosa, kurz Brāhmaṇas � Frühere Brāhmaṇas � Späte Brāhmaṇas • Älteste Upaniṣaden. • Früher buddhistischer Pāli-Kanon. Angesichts der Fülle des Materials des Untersuchungszeitraums ist es unbedingt notwendig, eine Textauswahl zu treffen. Diese Auswahl orientiert sich an der Wirkungsgeschichte der Texte: nur wirkungsgeschichtlich bedeutsame Texte sollen analysiert werden. Es steht außer Frage, dass das umfangreiche und heterogene Material Texte enthält, die andere Interpretationen zulassen. Daher wird jeder Versuch einer Systematik einer Konstruktion ähnlich sein müssen. Gelingt aber ein solcher Versuch anhand wirkungsgeschichtlich bedeutsamer Texte, kann er ein besseres Verständnis komplexer Gedankeninhalte altindischer Religiosität ermöglichen. Als Ausgangspunkt der altindischen Religionsgeschichte soll zu294 So fasst Witzel in seinem ideengeschichtlichen Aufsatz On magical thought in the Veda beide Kategorien zusammen: »(…) the Brāhmaṇas and the non-mantra prose sections of the Yajurveda-Saṃhitās (hereafter ›Brāhmaṇas‹ for shortness sake) (…)« (Witzel, Michael (1979): On magical thought in the Veda. (Rede uitgesproken bij de aanvaarding van het ambt van gewoon lector in het Sanskriet aan de Rijksuniversiteit te Leiden op vrijdag 19 oktober 1979 door dr. M. Witzel). Online verfügbar unter http://www.people.fas.harvard.edu/~witzel/Magical_Thought.pdf, S. 3, zuletzt geprüft am 16. 10. 2019). 295 Vgl. Witzel, Michael (1989): Tracing the vedic dialects, S. 126; Witzel, Michael (2009): Moving targets? Texts, language, archaeology and history in the late vedic and early buddhist periods. In: Indo-Iranian Journal 52, S. 287–310, hier: S. 308–310.

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nächst der R ̥ gveda untersucht werden. Daran schließt sich im Bereich der Mantra-Texte der Atharvaveda an, der im Gegensatz zu den anderen drei Veden R ̥ gveda, Sāmaveda und Yajurveda nicht zum heiligen dreifachen Wissen gehört, sondern als volkstümliche Sammlung von Zaubersprüchen eine Sonderstellung besitzt. Im Bereich der Brāhmaṇas soll zum einen das frühe Aitareya-Brāhmaṇa untersucht werden, das zeitlich in eine unmittelbare Nähe zur Saṃhitā-prose steht. 296 Zum anderen soll der Blick auf das sehr späte ŚatapathaBrāhmaṇa gerichtet werden. Unter den ältesten Upaniṣaden werden die Chāndogya-Upaniṣad und die Br̥hadāraṇyaka-Upaniṣad betrachtet, die beide wirkungsgeschichtlich äußerst bedeutsam sind. Schließlich soll der buddhistische Pāli-Kanon in den Blick genommen werden. Neben der intertextuellen muss auch die intratextuelle, relative Chronologie berücksichtigt werden, die aufgrund der Textkritik erstellt wurde. Für die Zwecke der Untersuchung ist es dabei ausreichend, die frühsten Textschichten zu analysieren, soweit diese festgestellt werden können. Spätere Textschichten ragen häufig in die nächste Zeitstufe hinein und verzerren dadurch unter Umständen das Ergebnis der Anwendung. Die jeweiligen textinternen Eingrenzungen werden in den einzelnen Kapiteln begründet. Aus den Quellen wird in den Zitaten diejenige Übersetzung verwendet, die am besten den Originaltext wiedergibt. Daher stehen gelegentlich englische und deutsche Übersetzungen nebeneinander. An einigen Stellen finden sich – wenn eine andere Interpretation vorgenommen wurde – auch eigene Übersetzungen. Der jeweilige Übersetzer wird durch ein Kürzel gekennzeichnet. Das Verzeichnis dieser Abkürzungen findet sich im Anhang.

2.

Der R̥gveda

2.1. Text und Untersuchungsumfang Die Bezeichnung R ̥ gveda (= RV) lässt sich mit »Wissen (véda) über die Verse (r ̥´c)« übersetzen. Der älteste Kern des RV bildet die Sammlung (saṃhitā) dieser Verse (r̥´c), die im Zentrum der folgenden Untersuchung stehen wird. Der RV hat sich bis heute in der Überliefe296

Vgl. Witzel, Michael (1989): Tracing the vedic dialects, S. 250.

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rung zweier vedischer Schulen erhalten, deren Versionen nur geringfügige Unterschiede besitzen. 297 Diese Untersuchung bezieht sich auf die zur vedischen Śākala-Schule gehörenden Version. 298 Der RV in der Śākala-Fassung besteht aus 1028 Hymnen, die durchschnittlich jeweils etwa zehn Strophen enthalten. 299 Diese Hymnen wurden in späterer Zeit wiederum in zehn Büchern bzw. Liederkreisen (maṇḍala) geordnet. 300 Die Anordnung in zehn Büchern erfolgte nach Witzel in zwei Schritten: Die ursprüngliche Sammlung bestand aus den sogenannten Familienbüchern, nämlich den Büchern 2 bis 7, die jeweils einem bestimmten Familienclan zu297 Vgl. dazu Witzel, Michael (1997): The development of the vedic canon and its schools. The social and political milieu. (Materials on vedic śākhās, 8). In: Michael Witzel (ed.): Inside the texts, beyond the texts. New approaches to the study of the Vedas: proceedings of the International Vedic Workshop, Harvard University, June 1989. Cambridge: Harvard University Dept. of Sanskrit and Indian Studies (Harvard oriental series. Opera minora, v. 2), S. 257–345, hier: S. 261–266. 298 Die Śākala-Version des RV wurde von Theodor Aufrecht ediert und im Thesaurus Indogermanischer Text- und Sprachmaterialien (Titus) der Universität Frankfurt – mit Korrekturen von F. J. Martinez García – digitalisiert zur Verfügung gestellt (R̥gveda-Saṃhitā. On the basis of the edition by Theodor Aufrecht, Bonn 1877 (2. Aufl.), entered by H. S. Ananthanarayana, Austin/ Texas; TITUS version with corrections by Fco. J. Martínez García, synoptically arranged with the metrically restored version by B. van Nooten and G. Holland and the »Padapātha« version by A. Lubotsky, by Jost Gippert, Frankfurt a. M. Online verfügbar unter http://titus.uni-frankfurt.de/texte/ etcs/ind/aind/ved/rv/mt/rv.htm, zuletzt aktualisiert am 01. 06. 2000). Unterstützend verwendet wurde dabei die Standardübersetzung von Karl Friedrich Geldner (= Ge) (Der Rig-Veda. 3 Bände. Übers. u. komm. von Karl Friedrich Geldner (1951). Cambridge, Mass.: Harvard Univ. Pr (Harvard oriental series, 33–35)), die im Verlag der Weltreligionen erschienene Übersetzung von Michael Witzel (= Wi), Toshifumi Gotō (= Go) und Salvatore Scarlata (= Sc), die zur Zeit zwei Bände umfasst (I. Band: RigVeda. Das heilige Wissen. Erster und zweiter Liederkreis. Übers. und hrsg. von Michael Witzel und Toshifumi Gotō unter Mitarbeit von Eijirō Dōyama und Mislav Ježić (2007). Frankfurt am Main, Leipzig: Verl. d. Weltreligionen. II. Band: Rig-Veda. Das heilige Wissen. Dritter bis fünfter Liederkreis. Übers. und hrsg. von Michael Witzel, Toshifumi Gotō und Salvatore Scarlata (2013). Berlin: Verl. d. Weltreligionen), die Übersetzung von Stephanie W. Jamison & Joel P. Brereton (= J&P) (The Rigveda. The earliest religious poetry of India. 3 Volumes. Transl. by Stephanie W. Jamison and Joel P. Brereton (2014). Oxford: Oxford University Press (South Asia Research)), sowie die Übersetzung ausgewählter Stellen von Paul Thieme (= Th) (Gedichte aus dem Rig-Veda. Aus dem Sanskrit übers. u. komm. von Paul Thieme (1969). Stuttgart: Reclam (Unesco-Sammlung repräsentativer Werke; Asiatische Reihe). 299 Vgl. Gonda, Jan (1975): Vedic literature. (Saṃhitās and Brāhmanas). Wiesbaden: Harrassowitz (A history of Indian literature, 1), S. 9. 300 Eine Variante dazu war die Einteilung aller Hymnen in acht Abschnitte von ungefähr gleicher Länge. (Vgl. Gonda, Jan (1975): Vedic literature, S. 9).

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geschrieben wurden. In einer Neuanordnung wurden vermutlich die übrigen Bücher 1, 8, 9 und schließlich 10 um diesen Kern gruppiert sowie die Nachträge der Bücher 2–7 hinzugefügt. 301 Dabei muss beachtet werden, dass in sprachlicher Hinsicht nur das Buch 10 signifikant jünger als der Rest ist. So bemerkt Witzel: »Das Nachtragsbuch X zeigt als einziges jüngere sprachliche und inhaltliche Elemente, während die anderen Teile des Rig-Veda im großen und ganzen in etwa die gleiche Sprachstufe aufweisen.« 302

Die Untersuchung soll sich im Folgenden zunächst auf den älteren RV, das heißt die Bücher 1 bis 9 beziehen. Das Nachtragsbuch 10 wird anschließend separat betrachtet.

2.2. Uhdes Religionsbegriff im R̥gveda? Die monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam setzen die Existenz eines einzigen Gottes voraus, eines »von der Welt verschiedenen, aber alle nichtgöttlichen Wirklichkeiten in allem schöpferisch tragenden und durchdringenden Grund[es]« 303. Die verborgene Einheit »Gott« ist mithin als höchstes Seiendes die einzige Ursache aller Vielheit und zugleich völlig von ihr geschieden. 304 Lässt sich eine solche Einheit auch im R ̥ gveda finden? Unter den göttlichen Wesenheiten gibt es keine ausgeprägte Rangordnung: so lässt sich kein göttlicher Oberherr bestimmen. Zwar werden im Opferkult einige Götter in besonderem Maße angerufen: dies gilt zum Beispiel für Indra, Agni oder Soma. Dennoch lässt sich kein Henotheismus, ein »Monotheismus des Augenblicks« feststellen, wie ihn F. Max Müller vorgeschlagen hatte. Müller definiert den Henotheismus in Abgrenzung zum verwandten Polytheismus. Während der Polytheismus ein organisiertes System von

301 Vgl. Witzel, Michael (1997): The development of the vedic canon and its schools, S. 264. 302 Kommentar von Michael Witzel und Toshifumi Gotō (2007) in: Rig-Veda. Erster und zweiter Liederkreis, S. 443. 303 Vorgrimler, Herbert (2008): Neues theologisches Wörterbuch. 6. Aufl. Freiburg: Herder, S. 432. 304 Siehe Uhdes Ausführungen zu diesen Religionen in: Uhde, Bernhard (2013): Warum sie glauben, was sie glauben. Weltreligionen für Andersgläubige und Nachdenkende. Freiburg i. Br.: Herder.

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Göttern aufweise, die einem höchsten Gott untergeordnet sind (zum Beispiel Zeus in der griechischen Götterwelt), herrsche im vedischen Henotheismus eine Egalität unter den Göttern, die jede Gottheit in gleichem Maße anbetungswürdig mache: 305 »Im Veda jedoch stehen die Götter, die von jedem Stamme als die höchsten angebetet werden, noch nebeneinander. Keiner ist immer der erste; keiner ist immer der letzte. Selbst Götter von einem entschieden geringeren und engeren Charakter nehmen für den frommen Dichter einen erhabenen Platz vor allen anderen Göttern ein.« 306

Nach dieser These würden im RV eine Vielzahl von höchsten Gottheiten vorkommen, die abwechselnd von Lied zu Lied angerufen werden. Oldenberg argumentiert gegen Müllers These, indem er zum einen auf die mangelnde Individualität der ̥rgvedischen Göttergestalten verweist, die zum Verschwimmen der Charakteristika führe. Zum anderen sieht er die überproportionale Verehrung als rhetorisches Mittel, den Gottheiten zu schmeicheln: 307 »Meines Erachtens erklären sich die Eigentümlichkeiten der vedischen Poesie, die den Schein des Henotheismus hervorrufen, einerseits aus jener oben charakterisierten Unbestimmtheit der Umrisse, die den vedischen Göttergestalten eigen ist, anderseits aus der begreiflichen Höflichkeit des Sängers oder Priesters gegenüber jedem der himmlischen Herren, mit dem zu reden er augenblicklich die Ehre hat.« 308

Thomas Oberlies bemerkt zudem, dass auch in einem einzigen Lied verschiedene Gottheiten als höchste und mächtigste gerühmt werden. 309 Hinzu kommt, dass in vielen Hymnen gar nicht eine einzige Gottheit, sondern Götterpaare oder Göttergruppen angerufen werden. Ein Gott im monotheistischen Verständnis als eine vorauszusetzende Einheit kann somit nicht gefunden werden. Gibt es aber den305 Vgl. Müller, Friedrich Max (1884): Indien in seiner weltgeschichtlichen Bedeutung. Vorlesungen gehalten an der Universität Cambridge. Vom Verfasser autorisierte Übersetzung von C. Capeller. Leipzig: Engelmann, S. 123–124, hier: S. 138. 306 Müller, Friedrich Max (1884): Indien in seiner weltgeschichtlichen Bedeutung, S. 124. 307 Vgl. Oldenberg, Hermann (1917): Die Religion des Veda. 2. Aufl. Stuttgart: Cotta, S. 99, 102 FN 1; vgl. auch Oberlies, Thomas (2012): Der Rigveda und seine Religion. Berlin: Verl. der Weltreligionen, S. 89. Dem stimmt auch Gonda zu: vgl. Gonda, Jan (1960): Die Religionen Indiens I. Veda und älterer Hinduismus. Stuttgart: Kohlhammer (Religionen der Menschheit, 11), S. 46–47. 308 Oldenberg, Hermann (1917): Die Religion des Veda, S. 102 FN 1. 309 Vgl. Oberlies, Thomas (2012): Der Rigveda und seine Religion, S. 89.

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noch einen einzigen Schöpfer alles Seienden, der sich qualitativ von den Göttern unterscheidet und eine ursprüngliche Einheit darstellt? Der Gott Indra wird im frühen RV am häufigsten mit der Kosmogonie in Zusammenhang gebracht. 310 Im Vr̥tra-Mythos, dem meist besungenen Mythos des RV, kämpft Indra gegen den Vr̥tra, der häufig als Schlange bzw. Drache vorgestellt wird. Der Vr ̥ tra hält die präexistenten Wasser gefangen, die die Grundlage des Lebens darstellen. Durch den Sieg über Vr ̥ tra befreit der vom Somatrank berauschte Indra die Wasser. 311 Im Zusammenhang mit der Befreiung der Wasser wird meist auch das Auseinanderstemmen der präexistenten Welthälften Himmel und Erde genannt, das ebenfalls meist Indra vollbringt. 312 Daneben existieren weitere Ansätze, die anderen Gottheiten kosmogonische Tätigkeiten zuschreiben. 313 Diese Tätigkeiten beruhen nicht auf einem anfangslosen Dasein. So wird Indras Geburt an vielen Stellen erwähnt; über seine »kosmogonischen Taten in illo tempore« 314 wird danach berichtet. Oldenberg kommt daher zum Schluss, dass im ̥rgvedischen Pantheon kein Gott die Rolle eines Weltenschöpfers im monotheistischen Sinne ausfülle; vielmehr gehören alle Götter selbst der Welt an, die selbstverständlich vorausgesetzt werde. 315 Der »Schöpfungsakt« von Indra und anderen Gottheiten ist mithin keine creatio ex nihilo, sondern eine in einer präexistenten Welt stattfindende Heldentat, welche zum Wohl der Menschen ist. Erst in RV 10 kommen kosmogonische Hymnen vor, die ein uranfängliches Eines oder ähnliche Vorstellungen besingen. Ansätze davon gibt es bereits in RV 1–9. Ob diese Hymnen und ihre Vorläufer das Wissen um die Voraussetzung einer Einheit haben, muss in einer näheren Untersuchung überprüft werden. Ungeachtet der Hypothese, dass einige der kosmogonischen Hymnen wie RV 10.90 oder RV 10.129 den Gedanken einer Einheit möglicherweise enthalten, 310 Vgl. auch Oberlies, Thomas (2012): Der Rigveda und seine Religion, S. 223. Einen Überblick zur Kosmogonie des RV gibt Brown, W. Norman (1978): The creation myth of the R̥g Veda. In: W. Norman Brown: India and indology. Selected articles. Hg. v. Rosane Rocher. Delhi: Motilal Banarsidass, S. 20–33. Siehe zudem Kuiper, Franciscus Bernardus Jacobus (1983): Ancient Indian cosmogony. Essays selected and introduced by John Irwin. New Delhi: Vikas. 311 Vgl. z. B. RV 3.32.6, 4.16.7, 6.30.4. 312 Vgl. z. B. RV 2.15.2, 5.29.4, 6.30.3. 313 Vgl. z. B. RV 7.87.1 (Varuṇa), RV 1.96.4 (Agni) oder RV 9.90.1 (Soma). Vgl. dazu Oberlies, Thomas (2012): Der Rigveda und seine Religion, S. 223–231. 314 Oberlies, Thomas (2012) Der Rigveda und seine Religion, S. 146. 315 Vgl. Oldenberg, Hermann (1917): Die Religion des Veda, S. 275–276.

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lässt sich feststellen, dass ein großer Teil der ̥rgvedischen Hymnen diese Vorstellung nicht besitzt. Als Zwischenergebnis lässt sich somit für den frühen RV festhalten: Es wird keine verborgene, absolute Einheit »Gott« als höchstes Seiendes, als einzige Ursache aller Vielheit und als etwas völlig von ihr Geschiedenes vorausgesetzt. Zudem ist auch fraglich, ob im späteren RV 10 eine solche Vorstellung existiert. Ist Uhdes Religionsbegriff folglich nicht auf den RV anwendbar? Hierzu muss eingewendet werden, dass das monotheistische Verhältnis zwischen Einheit und Vielheit nur eine denkbare Möglichkeit ist. So kann, wie Karen Gloy ausführt, eine Einheit als Ganzes hervortreten. 316 Denkbar wäre mithin, dass alle Wesenheiten (das heißt: die »Vielheit«) eine verborgene Einheit zur Grundlage haben, die sie miteinander verbindet. In diesem Fall wäre die verborgene Einheit mit der Vielheit identisch, wenngleich sie als verborgene insgesamt nicht in Erscheinung treten, sondern die notwendige Voraussetzung für die jeweilige vielheitliche Konkretion darstellen würde. Nur diese Konkretion begegnet als Phänomen. Die so gefasste Einheit wird zerstört, wenn auch nur eine der Wesenheiten keine einzige Übereinstimmung mit den anderen Wesenheiten besitzt. In der Vielfältigkeit des ̥rgvedischen Kosmos spielt im Hinblick auf diese Übereinstimmung ein Begriff für alle Lebewesen eine entscheidende Rolle, nämlich der Begriff ̥rtá »ordnende Wahrheit« 317. Gemäß Jamison & Brereton liegt das ̥rtá den Wesenheiten zugrunde und setzt die Dinge miteinander in Beziehung: »The term r̥tá essentially defines what a being or object is and what it does, and it structures the relationships of beings and objects with other beings and objects.« 318

Oberlies definiert das ̥rtá als »eine gegebene richtige Ordnung, der entsprechend Welt und Mensch sich verhalten müssen.« 319 Verbindet mithin das ̥rtá alles Existierende zu einem einheitlichen Ganzen? Im Nachfolgenden soll zunächst darauf eingegangen werden. Danach werden die wenigen Ansätze in RV 1–9 untersucht, in denen explizit ein ursprüngliches »Eines« thematisiert wird. Schließlich wird auf die Siehe II.2.2.1.2. Zum Begriff siehe III.2.3.2. 318 Kommentar von Stephanie W. Jamison & Joel P. Brereton (2014) in: The Rigveda Vol. I, S. 22. 319 Oberlies, Thomas (2012): Der Rigveda und seine Religion, S. 66. 316 317

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kosmogonischen Hymnen in RV 10 eingegangen, in denen der Anfang von allem thematisiert wird.

2.3. Das r̥tá im r̥gvedischen Kosmos 2.3.1. Der ̥rgvedische Kosmos Der ̥rgvedische Kosmos 320 setzt sich aus einer großen Menge von unterschiedlichen Wesenheiten zusammen. Zu diesen Wesenheiten zählen neben den Menschen, Tieren und Pflanzen nach Axel Michaels »Naturgötter«, »Ordnungsgötter«, »Raumgötter«, »Schöpfungsgötter«, »deifizierte Naturerscheinungen«, »Menschen-Götter«, »Potenzen und Mächte«, »Geister und Dämonen« und »feindliche Mächte«. 321 Jan Gonda stellt hierbei fest, dass sich Götter und Menschen in ihren Eigenschaften überschneiden: »Ebensowenig gab es eine feste Grenze zwischen Gott und Mensch; die Eigenschaften, durch die besondere Menschen sich auszeichnen, sind auch den Göttern eigen. Agni, die Aśvin, Soma und andere Götter sind Kavi, d. h. inspiriert, im Besitz des geheimnisvollen Schauens und Wissens; diese Eigenschaft wird aber auch Sängern und Opferern beigelegt. Die Devas [Götter, E. S.] sind keineswegs immer unabhängig, oft sind sie über menschliche Eigenschaften nicht erhaben (…).« 322

Dies gilt selbst für die Eigenschaft amr ̥´ta, die wörtlich als »unsterblich«, im übertragenen Sinne nach Thieme als »Lebenskraft« 323 zu übersetzen ist. So können bereits im frühen RV die Menschen durch ihre Nachkommenschaft Anteil am amr ̥´ta (amr̥tatvám) erlangen. 324 320 Der Kosmos wird in den Hymnen meist in zwei Welthälften (ródasī) – Himmel und Erde – aufgeteilt oder in Himmel, Luftraum und Erde dreigeteilt. Oft werden darüber hinaus auch diese Weltgebiete dreigeteilt; es ist insbesondere häufig von den drei Himmeln und drei Erden die Rede. Die systematische Aufteilung des Kosmos in drei Welten ist dagegen erst seit den Brāhmaṇas zu beobachten. (Vgl. Lüders, Heinrich (1951): Varuṇa I. Varuṇa und die Wasser. Hg. v. Ludwig Alsdorf. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 57–58). 321 Auflistung nach Michaels, Axel (1998): Der Hinduismus, S. 223–224, Tab. 17. 322 Vgl. Gonda, Jan (1960): Die Religionen Indiens I, S. 45. 323 Thieme, Paul (1952): Studien zur indogermanischen Wortkunde und Religionsgeschichte. Berlin: Akademie-Verlag (Berichte über die Verhandlungen der sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig/ Philologisch-historische Klasse, 98, 5), S. 29. 324 Vgl. Olivelle, Patrick (1997): Amr ̥ tā. Women and indian technologies of immortal-

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Alle Wesenheiten stehen in einer kontinuierlichen, dynamischen Beziehung zueinander. Helmuth von Glasenapp merkt dazu an: »Der vedische Mensch glaubte sich umgeben von einer Fülle von Wesenheiten, die ihm gleichen. Er unterschied deshalb noch nicht scharf zwischen Geist und Stoff, zwischen dem, was lebendig und unlebendig ist, zwischen Substanzen und an diesen zutage tretenden Eigenschaften, Zuständen oder Vorgängen. Vielmehr besitzt für ihn alles, was ist, ein eigenständiges, dingliches und persönliches Dasein. Den ganzen Weltprozeß erklärt er sich durch das Zusammenwirken von Wesenheiten, die ineinander eingehen oder sich voneinander lösen.« 325

Die Beziehung wird von zwei Momenten beeinflusst, die eine Wesenheit ausmachen: (1) dem Namen; (2) der Tätigkeit bzw. Funktion des Namensträgers. Jan Gonda bemerkt dazu: »Dabei fällt auf, daß oft die Tätigkeit eines Gottes, auch eines bedeutenden Gottes, stärker hervortritt als seine Person, weil letzterer weniger praktisch-religiöses Interesse zukam. Die Dichter haben nicht die Absicht, eine Beschreibung des Wesens und der Eigenschaften einer göttlichen Gestalt zu geben, sondern ihre Macht, ihre Funktionen und ihre förderliche Tätigkeit zu beleuchten (…). Es ist weiter zu beachten, daß die Existenz eines Namens genügte, um ein numinoses Gefühl sich zu einer Gottheit verdichten zu lassen; denn ein Name deutet auf individuelle Existenz.« 326

In der Fußnote fügt Gonda noch hinzu: »Einem Wesen den Namen wegnehmen, heißt seinen Einfluß nullifizieren.« 327

Der Name setzt mithin eine Wesenheit als Wesenheit. Jamison & Brereton betonen in der Einleitung zu ihrer RV-Übersetzung, dass

ity. In: Journal of Indian Philosophy 25, S. 427–449, hier: S. 431–434. Ein ähnliches Anteilnehmen scheint auch im Somarausch stattzufinden: RV 8.48.3 »Wir haben jetzt Soma getrunken, Unsterbliche sind wir geworden; wir sind zum Lichte gelangt, wir haben die Götter gefunden.« (Ge) (ápāma sómam amr̥´tā abhūmā´ganma \!\ jyótir ávidāma devā´n / kíṃ nūnám asmā´n kr ̥ ṇavad árātiḥ kím u dhūrtír amr̥ta mártyasya //). 325 Vgl. Glasenapp, Helmuth von (1940): Entwicklungsstufen des indischen Denkens. Untersuchungen über die Philosophie der Brahmanen und Buddhisten. Halle: Niemeyer (Schriften der Königsberger Gelehrten Gesellschaft), S. 9. 326 Gonda, Jan (1960): Die Religionen Indiens I, S. 28. 327 Gonda, Jan (1960): Die Religionen Indiens I, S. 28 FN 11.

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das im Namen einer Gottheit liegende ̥rtá entscheidend für die Ausübung seiner Tätigkeit ist: »More than in any other single feature, the essential nature of a deity is expressed in the god’s name. The god is who the god is because the god obeys the truth embedded in that name. Thus the goddess Dawn is the Dawn because she adheres to the truth that she appears in the morning before the sun. The god Parjanya, Thunderstorm, is the Thunderstorm because he adheres to the truth that he sends the rain.« 328

Die Verbindung des Namens mit einer spezifischen Tätigkeit, die sich auf einen spezifischen Wirkungsbereich bezieht, bestimmt die Richtung der Beziehungen dieser Wesenheit. Bedeutendere Gottheiten, denen mehrere Funktionen zugeschrieben werden, besitzen daher eine entsprechende Anzahl von unterschiedlichen Relationen. 329 Da die Tätigkeiten der Wesenheiten mit bestimmten Wirkungen verbunden sind, können die auf dem ̥rtá beruhenden Relationen als kausal bezeichnet werden. Dabei existiert »Kausalität« nicht als ein zentrales Konzept; vielmehr werden Grundlagen für zukünftige Entwicklungen gelegt: »Die Daseinsmächte stehen nun aber auch im Verhältnis von Ursache und Folge. Die diesbezüglichen Erörterungen im Veda sind sehr lehrreich, weil sie Vorstufen der Kausaltheorien der späteren Zeit darstellen.« 330

Die durch das ̥rtá ermöglichten Relationen begründen mithin eine große Anzahl von Ursache- und Wirkungsverhältnissen, die der Sän-

328 Kommentar von Stephanie W. Jamison and Joel P. Brereton (2014) in: The Rigveda. Vol. I, S. 35. 329 Eng mit den Relationen verbunden ist die Formulierung von sogenannten »Identifikationen«, wie zum Beispiel die Identifikation »Indra ist ein Bulle«. (Vgl. Witzel, Michael (1979): On magical thought in the Veda. (Rede uitgesproken bij de aanvaarding van het ambt van gewoon lector in het Sanskriet aan de Rijksuniversiteit te Leiden op vrijdag 19 oktober 1979 door dr. M. Witzel). Online verfügbar unter http://www.people.fas.harvard.edu/~witzel/Magical_Thought.pdf, S. 15). Im Kapitel über die Brāhmaṇas wird näher auf die »Identifikationen« eingegangen, deren Grundlage im RV gelegt wurde. Jamison & Brereton bemerken dazu: »Although the correspondences are not as systematically worked out und presented in the R̥gveda as in those later texts, this way of thinking is just as pervasive in that text (…)« (Kommentar von Stephanie W. Jamison and Joel P. Brereton (2014) in: The Rigveda. Vol. I, S. 23). 330 Vgl. Glasenapp, Helmuth von (1940): Entwicklungsstufen des indischen Denkens, S. 21.

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ger oder Priester im Opferkult aktiviert. Das ̥rtá soll nun näher in den Blick genommen werden. 2.3.2. Das ̥rtá Der Begriff ̥rtá stammt wahrscheinlich von der indogermanischen Wurzel *h2 er, der die drei Bedeutungen »sich (zusammen)fügen«, »nehmen, erwerben« und »gewichtig/ laut sprechen« zugeordnet sind. 331 Oldenberg übersetzt ̥rtá sinngemäß als »Recht, Ordnung«. 332 Er bemerkt dazu: »(…) In der Tat wird es doch dabei zu bleiben haben, daß das Wesentliche in der Idee des R̥ta die Vorstellung der physischen und moralischen Weltordnung ist, die sakrifikale Bedeutung des R̥ta aber darauf beruht, daß die Sphäre des Kultus als besonders mächtig von den Strömungen dieser Weltordnung durchdrungen erschien und erscheinen mußte.« 333

Dieses Verständnis von ̥rtá lehnt Heinrich Lüders ab. Er orientiert sich dagegen an den nach-r ̥ gvedischen Lexikographen, die ̥rtá mit dem Wort satyá, »wahr«, umschrieben. Zwischen beiden Begriffen stellt er allerdings Unterschiede fest. Während satyá in etwa 90 % der Belege grammatikalisch ein Adjektiv darstelle, gibt es nach Lüders im ganzen R ̥ gveda und Atharvaveda keinen einzigen Beleg für eine adjektivische Verwendung von ̥rtá. Stattdessen werde es nur als neutrales Substantiv benutzt. 334 Inhaltlich sei satyá zudem umfassender und werde meist von Personen, Dingen und Abstrakta gebraucht. 335 R ̥ tá dagegen bezeichne ausschließlich die Wahrheit des im rituellen

331 Vgl. Lexikon der indogermanischen Verben. Unter der Leitung von Helmut Rix und der Mitarbeit vieler anderer bearbeitet von Martin Kümmel, Thomas Zehnder, Rainer Lipp und Brigitte Schirmer. 2. Aufl. bearb. von Martin Kümmel und Helmut Rix (2001). Wiesbaden: Reichert, S. 269–271. Wackernagel ordnet ̥rtá unter die -taBildungen ein, die keine glaubhafte verbale oder nominale Grundlage besitzen. (Vgl. Wackernagel, Jakob (1954): Altindische Grammatik. Band II.2. Die Nominalsuffixe. Unter Mitarbeit von Albert Debrunner. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 590). 332 Vgl. Oldenberg, Hermann (1917): Die Religion des Veda, S. 194. In ähnlicher Weise wird ̥rtá im Sammelband von Khanna aufgefasst, wie bereits der Titel verdeutlicht: Khanna, Madhu (Hg.) (2004): R̥ta. The cosmic order. New Delhi: Printworld. 333 Oldenberg, Hermann (1917): Die Religion des Veda, S. 196–197. 334 Vgl. Lüders, Heinrich (1959): Varuṇa II. Varuṇa und das Rta. Hg. v. Ludwig Als̥ dorf. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 633–634. Allerdings übersetzt Geldner in RV 8.60.5 und RV 9.62.30 ̥rtás kavíḥ als »rechter Seher« bzw. »wahrhafter Seher«. 335 Vgl. Lüders, Heinrich (1959): Varuṇa II, S. 636.

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Kontext geäußerten Wortes bzw. Gedankens. 336 Diese Wahrheit sei dabei vermutlich von formaler Art: »Wahrheit war da, wenn die richtigen Worte verwandt wurden.« 337 Für den Ansatz von Lüders spricht, dass er auf dem Verständnis der relativ (!) zeitnahen Lexikographen aufgebaut ist. Auch wenn sich die Semantik von Begriffen wandelt, erscheint eine so fundamentale Umdeutung wie von »Ordnung« zu »rituell geäußerter Wahrheit« eher unwahrscheinlich. Damit ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass sich bei ̥rtá »Wahrheit« ordnende Funktionen finden lassen. Diese Auffassung vertritt Bernhard Kölver, der eine Position zwischen Oldenberg und Lüders einnimmt. So stimmt er der Übersetzung »Wahrheit« zu, bemerkt jedoch, dass der Begriff viel weiter gefasst werden müsse. So stelle ̥rtá eine ewige Wahrheit dar, die dem Menschen nicht vollständig verfügbar sei. Sie enthalte einen präexistenten Plan, der den rechten Lauf allen Seins gewährleiste, sofern ihm Folge geleistet werde. Zudem werde Wahrheit visualisiert, indem ihr ein bestimmter Ort als Wohnstätte zugeschrieben wird. 338 Dieser These ist grundsätzlich zuzustimmen; es sollen im Folgenden die Textfunde hinzugezogen werden. Das ̥rtá, obwohl ein wichtiges Element im frühen ̥rgvedischen Denken, ist kein Gegenstand ritueller Verehrung. Möglicherweise kommt darum im RV nur eine einzige Hymne (RV 4.23) vor, in der das ̥rtá selbst genauer charakterisiert wird. Diese Hymne ist dabei an Indra gerichtet. Die ersten sechs Verse enthalten Fragen nach der Wirkweise und den Hintergründen des Opfers. Thieme fasst diese Verse folgendermaßen zusammen: »Es wird zunächst in immer neuen Abwandlungen die Frage nach dem Mysterium der Theophanie beim Opfer und der göttlichen Gnadenerweisung gestellt. Wie kann der in Vers 4 geäußerte Wunsch des Dichters, daß der Gott die in seinem Lied formulierten Wahrheiten anhört und den Opfertrank entgegennimmt, Erfüllung finden? Wieso ›stärkt‹ der Opferer den Gott, wie gewinnt er ihn zur Freundschaft, wie erreicht er es, daß er seine Hilfe und Gaben in der erwünschten Weise spendet?« 339 Vgl. Lüders, Heinrich (1959): Varuṇa II, S. 635. Lüders, Heinrich (1959): Varuṇa II, S. 635. 338 Vgl. Kölver, Bernhard (1995–96): From transcendent order to reality. Early developments in the indian concept of truth. In: Indologica Taurinensia. Official Organ of the International Association of Sanskrit Studies 21–22, S. 197–214, hier: S. 199– 205. In ähnlicher Weise denkt auch Oberlies, der ̥rtá als »objektive Wirklichkeit« bezeichnet. (Vgl. Oberlies, Thomas (2012): Der Rigveda und seine Religion, S. 66). 339 Kommentar von Paul Thieme (1969) in: Gedichte aus dem Rig-Veda, S. 30. 336 337

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In Vers 7 wird auf diese Fragen entgegnet, dass Indra den Trug (drúh) zerschlage. 340 Anschließend wird auf das Gegenteil des Trugs, nämlich die Wahrheit, ̥rtá, eingegangen: RV 4.23.8–10 »(8) Der Wahrheit Reichtümer gibt es ja viele: das Denken der Wahrheit erschlägt die Krummheiten; der Ruf der Wahrheit hat die tauben Ohren erbohrt, als er erwachte, als er aufleuchtete bei Āyu. (9) Der Wahrheit feste Stützen gibt es viele; leuchtende, prachtvoll prächtige: durch die Wahrheit setzen sich die Labungen in Bewegung auf einen langen Weg; durch die Wahrheit sind die Kühe zur Wahrheit getreten. (10) Die Wahrheit festhaltend gewinnt man die Wahrheit: das Schnauben der Wahrheit ist ein Rinder erkämpfender Renner. Der Wahrheit sind Erde und Himmel fest und tief. Der Wahrheit milchen die beiden höchsten Milchkühe.« (Th) 341

Durch das ̥rtá werden somit erstens die Götter herbeigerufen, indem ihre »tauben Ohren erbohrt« und damit auch die Trug implizierenden Krummheiten (vr ̥ jinā´ni) zerschlagen werden (Vers 8). Deshalb wird in vielen anderen Hymnen der Feuergott Agni, der im Opferritual die Götter herbeiholt bzw. die Opfergaben zu den Göttern bringt, oft mit dem Epitheton ̥r´tāvan- »mit ̥rtá versehen« bezeichnet. 342 Zweitens durchzieht das ̥rtá die Welten, indem es die himmlischen und irdischen »Labungen in Bewegung« setzt: nämlich, wie Thieme in seinem Kommentar anmerkt, von »den Irdischen zu den Himmlischen (in Gestalt von Opfergaben) und von den Himmlischen zu den Irdischen (in Gestalt von Regen usw.)« 343 (Vers 9). Zu den Labungen zählt auch der himmlische Opfertrank Soma, der auf dem Wege des ̥rtá den irdischen Opferplatz erreicht. 344 Drittens wirkt das ̥rtá nicht nur zwischen Göttern und Menschen vermittelnd, sondern aktiviert auch kosmische Vorgänge, wie die tägliche Wiederkehr der Morgenröte, den himmlischen »Kühen« (Vers 9). 345 So wird auch an Vgl. RV 4.23.7. ̥rtásya hí śurúdhaḥ sánti pūrvī´r ̥rtásya dhītír vr ̥ jinā´ni hanti ̥rtásya ślóko badhirā´ tatarda kárṇā budhānáḥ śucámāna āyóḥ ̥rtásya dr ̥ ḷhā´ dharúṇāni santi purū´ṇi candrā´ vápuṣe vápūm ˘˙ ṣi ̥rténa dīrghám iṣaṇanta pr̥´kṣa ̥rténa gā´va ̥rtám ā´ viveśuḥ ̥rtáṃ yemāná ̥rtám íd vanoty ̥rtásya śúṣmas turayā´ u gavyúḥ ̥rtā´ya pr̥thvī´ bahulé gabhīré ̥rtā´ya dhenū´ paramé duhāte. 342 Vgl. RV 3.2.13; 3.13.2; 3.14.2; 3.20.4; 4.1.2; 4.2.1; 4.6.5; 4.7.3; 4.7.7; 4.10.7; 5.1.6; 5.25.1; 6.12.1; 6.15.13. 343 Kommentar von Paul Thieme (1969) in: Gedichte aus dem Rig-Veda, S. 33 FN 19. 344 Vgl. z. B. RV 9.7.1, RV 9.33.2. 345 Es wird auf den Mythos der Gewinnung der Kühe angespielt. (Vgl. Kommentar von Paul Thieme (1969) in: Gedichte aus dem Rig-Veda, S. 33 FN 20). So auch Karl Friedrich Geldner’s Kommentar (1951) in: Rig-Veda. Erster bis vierter Liederkreis, 340 341

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vielen anderen Stellen des RV die Göttin Uṣas »Morgenröte«, die häufig im Plural vorkommt, im Zusammenhang mit dem ̥rtá genannt. 346 Viertens gewinnen die Sänger durch die Tätigkeit des ̥rtá den Opferlohn, wie zum Beispiel in Form von »Rindern« (Vers 10). Auch hier ist auf die oben genannte Funktion von Agni, dem »mit ̥rtá Versehenen«, als Opferfahrer in anderen Hymnen hinzuweisen. Fünftens ist das ̥rtá ein wesentlicher Grund für das Bestehen der erscheinenden Vielheit. So haben sich zum Zwecke 347 des ̥rtá Himmel und Erde – in Vers 10 wörtlich als die »beiden weit Ausgestreckten« 348 bezeichnet – als Räumliche entfaltet (Vers 10). Ebenfalls zum Zwecke des ̥rtá spenden Himmel und Erde, die »beiden Milchkühe«, lebensbegründendes und -erhaltendes Wasser. 349 Auch in anderen Hymnen wird ihr Zusammenhang mit dem ̥rtá erwähnt. So kommt Himmel und Erde gelegentlich der Beiname »mit ̥rtá versehen« zu. 350 Zudem wird bemerkt, dass sie ̥rtá besitzen und es transportieren. 351 Es lässt sich somit erkennen, dass das ̥rtá der gesamten erscheinenden Welt zugrunde liegt: es beherrscht die Relationen zwischen Himmel und Erde, mithin Göttern und Menschen sowie kosmische Vorgänge wie die Wiederkehr des Lichts in Form der Morgenröte oder den Lauf der Wasser, die für den Erhalt der erscheinenden Welt unabdingbar sind. Das ̥rtá liegt nicht nur der gesamten erscheinenden Welt zugrunde, sondern auch dem gesamten Wissen. In RV 3.4.7 werden die R ̥ ṣis, die »mythischen Ahnherren« 352 und ersten Empfänger des hei-

S. 450. Oldenberg bemerkt zu diesem Mythos: »Es ist bekannt, wie lebendig in der Vedasprache das Bild der roten Kühe für die Morgenröten ist.« (Oldenberg, Hermann (1917): Die Religion des Veda, S. 147). Vgl. auch Lüders, Heinrich (1959): Varuṇa II, S. 528. 346 Vgl. RV 3.31.5; 3.56.2; 3.62.7; 4.1.13; 4.2.14; 4.2.16; 4.2.19; 4.3.11; 4.51.8. 347 An dieser und an der folgenden Stelle steht ̥rtá im Dativ, der als finaler Dativ gesehen werden kann. 348 Als »Himmel und Erde« übersetzt Thieme an dieser Stelle den Ausdruck pr̥thivī´, wörtlich die »beiden weit Ausgestreckten«; diese Übersetzungsmöglichkeit gibt auch Graßmann für diese Stelle an. (Vgl. Graßmann, Hermann (1964): Wörterbuch zum Rig-Veda. 4. Aufl. Wiesbaden: Harrassowitz, Sp. 858). 349 So der Kommentar von Paul Thieme (1969) in: Gedichte aus dem Rig-Veda, S. 33 FN 25. 350 Vgl. RV 3.6.10; 3.54.4; 4.56.2. 351 Vgl. RV 3.54.3; 4.56.6. 352 Kommentar von Michael Witzel und Toshifumi Gotō (2007) in: Rig-Veda. Erster und zweiter Liederkreis, S. 842. Die Voraussetzung einer verborgenen »Einheit«

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ligen Wissens, als »r ̥ tá Verkündende« (r̥tám śáṃsantaḥ) bezeichnet, die »r̥tá sprechen« (r̥tám ít té āhuḥ). RV 3.4.7 »(…) Die sieben Kraftvollen [R̥ṣis] 353 erfreuen sich mit ihrer Selbstbestimmung. Die Wahrheitskraft [r̥tá] verkündend sprechen sie nur Wahrheitskraft [r̥tá], als Hüter des Gebotes dem (göttlichen) Gebot [vratá] nachsinnend.« (Wi) 354

Die Sänger des RV möchten den R ̥ ṣis nacheifern, indem sie das Lied wie diese gemäß dem ̥rtá anstimmen: RV 4.2.16 »Und wie unsere fernsten Ahnen, die sich vor alters für das r̥tá ereiferten, o Agni, (so) mögen (jetzt) die in Liedern Redenden zur Klarheit, zur Erkenntnis kommen (…).« (nach Ge) 355

Da im Selbstverständnis der Sänger jede Hymne des RV gemäß dem ̥rtá »Wahrheit« verfasst wurde, 356 besitzt der gesamte RV das ̥rtá als seine Voraussetzung. Es lässt sich also erkennen, dass nicht nur die erscheinende Welt, sondern auch das gesamte menschliche Wissen in Form des RV das ̥rtá als Voraussetzung hat. Das ̥rtá liegt somit allem Existierenden zugrunde. Ohne das ̥rtá würde weder die Welt bestehen noch würde es ein Wissen über die Welt geben, das Götter und Menschen miteinander verbindet. Gleichzeitig erscheint das ̥rtá als wesenhafter Begriff im vedischen Kosmos. Daher kann das ̥rtá als ein erscheinendes Prinzip von Allem verstanden werden, dessen Herrschaft von Menschen wie Göttern beachtet wird. Unter »Allem« muss die Gesamtheit aller Ursache-Wirkungsverhältnisse begriffen werden, wozu sowohl die welterhaltende Tätigkeit der Götter als auch die lebenserhaltenden rituellen Gesänge der Menschen zählen. Nach Uhde vermittelt ein erscheinendes Prinzip von Allem zwischen Einheit und Vielheit. 357 So

353 So auch Geldner, der noch weitere ähnliche Stellen angibt. (Vgl. Kommentar von Karl Friedrich Geldner (1951) in: Rig-Veda. Erster bis vierter Liederkreis, S. 339–340). Vgl. ebenfalls den Kommentar von Michael Witzel et al. (2013) in: Rig-Veda. Dritter bis fünfter Liederkreis, S. 357. 354 (…) saptá prkṣā ˘˙ santam ˘˙ ̥rtám ít tá āhur ánu vrḁ ´ saḥ svadháyā madanti ̥rtáṃ śám táṃ vratapā´ dī´dhyānāḥ. 355 ádhā yáthā naḥ pitáraḥ párāsaḥ pratnā ´ so agna ̥rtám āśuṣāṇā´ḥ śúcī´d ayan dī´dhitim ukthaśā´saḥ (…). 356 Vgl. Kommentar von Stephanie W. Jamison & Joel P. Brereton (2014) in: The Rigveda. Vol. 1, S. 22. 357 Siehe II.2.1.3.

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konstituiert das Wirken des ̥rtá aus einer religionswissenschaftlichen Metaperspektive die Vielheit des ̥rgvedischen Kosmos als ein einheitliches Ganzes. Denn die erscheinende Vielheit, die auf dem kausalen Zusammenwirken der Wesenheiten beruht, würde ohne das ̥rtá in sich zusammenfallen. Das Ganze wird dabei nicht benannt, sondern kann nur auf der religionswissenschaftlichen Metaebene vorausgesetzt werden. Dennoch bleibt die Voraussetzung eines verborgenen einheitlichen Ganzen, die durch die Tätigkeit des erscheinenden ̥rtá impliziert ist, keine religionswissenschaftliche Hypothese, sondern kann vereinzelt auch auf der ̥rgvedischen Objektebene nachgewiesen werden. So gibt es in den Brahmodyāni, den »Redewettkämpfen« des frühen RV und in den kosmologischen Hymnen des Nachtragsbuchs 10 Ansätze, die unter anderem ein uranfängliches »Eines« thematisieren. Darauf soll nun eingegangen werden.

2.4. RV 1–9: Das »Eine« als einheitliches Ganzes Der durch das ̥rtá gegebene Gedanke, dass die Fülle der Wesenheiten im Verborgenen ein einheitliches Ganzes bildet, wird nur an wenigen Stellen des frühen RV explizit ausgedrückt. Die bekannteste Stelle findet sich in RV 1.164, einer »Sammlung von sogenannten Brahmodyāni«, in der die »Wunder der Natur und des Menschenlebens, Spekulationen über die Zeit, über die menschliche, besonders die dichterische Sprache (…) in Allegorien und Rätselfragen gekleidet« 358 werden. Der Blick soll im Folgenden auf diejenigen der 52 Verse gerichtet werden, die als Wissen um die Voraussetzung einer Einheit interpretiert werden können. In Vers 2 wird das Bild eines Wagens geprägt: RV 1.164.2 »Sieben schirren den einrädrigen Wagen an; ein Pferd zieht ihn, das sieben Namen hat. Dreinabig, niemals altersschwach, unübertroffen ist das Rad, auf dem alle diese Wesen stehen.« (Ge) 359

358 Kommentar von Michael Witzel und Toshifumi Gotō (2007) in: Rig-Veda. Erster und zweiter Liederkreis, S. 734. Zu den Brahmodyāni siehe Kuiper, Franciscus Bernardus Jacobus (1960): The ancient aryan verbal contest. In: Indo-Iranian Journal 4, S. 217–281. 359 saptá yuñjanti rátham ékacakram éko áśvo vahati saptánāmā trinā ´ bhi cakrám ajáram anarváṃ yátremā´ víśvā bhúvanā´dhi tasthúḥ.

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Es ist anzunehmen, dass unter den Sieben die sieben urzeitlichen R ̥ ṣis zu verstehen sind, also die »mythischen Ahnherren« 360 der Sänger des RV, die das religiöse Wissen »hörten« und damit begründeten. 361 Der Wagen, den die R ̥ ṣis anschirren, ist nach Geldner der »(Sonnen) wagen als sichtbares Symbol des Jahres oder der Zeit« 362. Diese Interpretation wird in Vers 11 und 12 unterstützt, wo das Rad aus je 360 Tagen und Nächten, 12 Monaten und fünf Jahreszeiten bestehend beschrieben wird. 363 Jamison & Brereton deuten das Rad als die Sonne. 364 Auf diesem Rad stehen alle Wesenheiten (víśvā bhúvanā); es selbst wird aber als nicht alternd (ajáram) und schrankenlos bzw. unangreifbar (anarváṃ) 365 bezeichnet. Das Rad ließe sich als das Ganze aller zeitlichen Existenz betrachten. Mit dem Sprachbild des einen Pferdes, das einen Wagen mit einem Rad zieht, scheinen die R ̥ ṣis daher ein Wissen um die Voraussetzung eines verborgenen einheitlichen Ganzen vorzutragen, das die erscheinende Vielheit umfasst. Die Benennung des Pferdes mit sieben Namen kann bedeuten, dass die Vielheit der Namen (die nach ̥rgvedischem Verständnis je eine eigene Wesenheit darstellen) zu einem einzigen Ganzen zusammengefasst werden kann. Ein paar Verse weiter, in RV 1.164.6, wird dann – nachdem in Vers 5 das Opfer angesprochen wurde – explizit nach dem Einen (ékam) gefragt:

360 Kommentar von Michael Witzel und Toshifumi Gotō (2007) in: Rig-Veda. Erster und zweiter Liederkreis, S. 842. 361 Jamison & Brereton vermuten in ihrem Kommentar zum RV, dass damit die »primarily priests« gemeint sind. (Vgl. Kommentar von Stephanie W. Jamison and Joel P. Brereton (2014) in: The Rigveda. Vol. I, S. 351). Geldner versteht in seinem Kommentar zum RV darunter hingegen die »sieben Sonnenrosse« (Kommentar von Karl Friedrich Geldner (1951) in: Der Rig-Veda. Erster bis Vierter Liederkreis, S. 228). Da im gleichen Vers jedoch bereits von einem siebennamigen Pferd die Rede ist, das den Wagen zieht, ist die Annahme, dass die sieben Pferde selbst ihren Wagen aktiv anschirren, eher unwahrscheinlich. 362 Kommentar von Karl Friedrich Geldner (1951) in: Der Rig-Veda. Erster bis Vierter Liederkreis, S. 228. 363 Vgl. RV 1.164.11–12. Zwar verweist der Sonnenumlauf auf die Zeitlichkeit; jedoch kann man an dieser Stelle noch nicht – wie in den Brāhmaṇas – von einem divinisierten Jahr sprechen. Auch der im späten Atharvaveda vorkommende Gedanke der divinisierten Zeit (kālá) ist hier noch fern. 364 Vgl. Kommentar von Stephanie W. Jamison and Joel P. Brereton (2014) in: The Rigveda. Vol. I, S. 351. 365 Unassailable übersetzen Stephanie W. Jamison & Joel P. Brereton (2014).

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RV 1.164.6 »Als Unkundiger befrage ich darüber die kundigen Seher um es zu wissen, (selbst) nicht wissend. Was ist denn ferner das Eine in Gestalt des Ungeborenen, der diese sechs Welträume auseinander gestemmt hat?« (Ge) 366

Bei Geldners Übersetzung ist dabei anzumerken, dass ajá- »Ungeborener« auch als »Ziege« übersetzt werden kann. 367 Die an anderen Stellen erwähnte »einfüßige Ziege« (ajá ékapād) ist dabei nach Jamison & Brereton ein Symbol der Sonne; sie deuten auch den »unborn« darum als »sun«. 368 Falls diese Gleichsetzung der Intension der ̥rgvedischen Sänger entspricht, wiederholt sich die im vorherigen Abschnitt gedeutete Stelle des Sonnenwagens (RV 1.164.2) in einer größeren Konkretion. Während dort das grundsätzliche Verhältnis zwischen Einheit und Vielheit – vermittelt durch die Sonne – angesprochen wurde, wird dieses Verhältnis nun auf die Schöpfung übertragen. Die eine Sonne in Form (rūpá) des Ziegenbocks stemmt die sechs Welträume auseinander. Anders als bei gewöhnlichen Schöpfungsmythen mit Indra wird der Ziegenbock nicht geboren, sondern ist zeitlos vorhanden, sofern man das Homonym ajá- auch als »Ungeborener« versteht. Damit wird in RV 1.164.6 die beginnende Entfaltung des Einen in die erscheinende Welt beschrieben. In Vers 10 wird diese Entfaltung fortgeführt:

366 ácikitvāñ cikitúṣaś cid átra kavī´n prchāmi vidmáne ná vidvā ´ n ví yás tastámbha ̥ ṣáḷ imā´ rájāṃsy ajásya rūpé kím ápi svid ékam. 367 Kuiper bemerkt in diesem Zusammenhang: »From a purely formal point of view, therefore, it is impossible to analyse ajá- as a + jā´-. It follows that the word must everywhere mean ›he-goat‹, and that the meaning ›unborn‹, which was later attached to it, is the result of a re-interpretation.« (Kuiper, Franciscus Bernardus Jacobus (1997): The interpretation of Chāndogya upaniṣad III.1.2. In: Kuiper, Franciscus Bernardus Jacobus: Selected writings on Indian linguistics and philology. Hg. v. Alexander Lubotsky, M. S. Oort und Michael Witzel. Amsterdam: Rodopi (Kern Institute miscellanea, 2), S. 377–382, hier: S. 382). 368 Vgl. Kommentar von Stephanie W. Jamison and Joel P. Brereton (2014) in: The Rigveda. Vol. I, S. 351. Horsch nimmt allerdings an, dass die einfüßige Ziege (ajá ékapād) der Pfeiler ist, der die Sonne stützt. (Vgl. Horsch, Paul (1965/1966): Aja Ekapād und die Sonne. In: Indo-Iranian Journal 9, S. 1–30, hier: S. 13). Die im Rahmen der Anwendung vorgenommene Interpretation des Verses würde durch diese alternative Übersetzung nur unwesentlich verändert.

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RV 1.164.10 »Drei Mütter, drei Väter trägt der Eine und steht doch aufrecht da; nicht ermatten sie ihn. Auf dem Rücken jenes Himmels ersinnen sie die allwissende Rede, die nicht einen jeden bewegt.« (Ge) 369

Jamison & Brereton deuten den Einen als Sonne (sū´rya); sū´rya ist im Vedischen ein Maskulinum. Die drei Mütter sind nach Jamison & Brereton die drei Erden, die drei Väter die drei Himmel. Die konkrete Entfaltung der Schöpfung ist hier deutlich: aus den sechs Welträumen werden drei Erden und drei Himmel; der Ungeborene bzw. der Ziegenbock wird zu dem Einen Sonnengott, den man sichtbar am Himmel sehen kann. Zu den drei Erden und Himmel muss angemerkt werden, dass in RV 3.56.2, wo ein ähnlicher Vers vorkommt, 370 von den drei Erden nur eine als sichtbar bezeichnet wird. Dies erklärt sich aus der in RV 1.164.45 artikulierten, mangelnden Fähigkeit der menschlichen Sprache, die Dinge in ihrer Ganzheit zu erfassen; nur den Wissenden ist eine ganzheitliche Auffassung möglich. 371 Dies kann auch auf diesen Vers übertragen werden. Im Anschluss an die konkretisierte Entfaltung des Einen wird in den Versen 11 bis 14 auf das Rad eingegangen, das – wie oben besprochen – das Ganze aller zeitlichen Existenz bedeutet. Auf dieses Rad, so Vers 14, »sind alle Wesen gesetzt« (Ge). Es zeigt sich somit deutlich, dass in den ersten vierzehn Versen von RV 1.164 der Unterschied von Einheit und Vielheit eingeführt und die langsame Entfaltung und Konkretion der Einheit als Vielheit beschrieben wird. Gegen Ende von RV 1.164, im Vers 46, wird nochmals auf das »Eine« eingegangen. Voran geht die bereits angesprochene Erörterung über die Sprache in Vers 45. RV 1.164.45–46 »Auf vier Viertel ist die Sprache bemessen; die kennen die nachsinnenden Brahmanen. Die drei (Viertel), die geheim gehalten werden, bringen sie nicht in Umlauf. Das vierte (Viertel) der Sprache reden die Menschen. Sie nennen (es) Indra, Mitra, Varuṇa, Agni, und es ist der himm-

369 tisró mātr ̥¯´s trī´n pitr̥¯´n bíbhrad éka ūrdhvás tasthau ném áva glāpayanti mantráyante divó amúṣya pr̥ṣṭhé viśvavídaṃ vā´cam áviśvaminvām. 370 RV 3.56.2: »Sechs Bürden trägt der Eine, ohne sich zu bewegen. Zur höchsten Wahrheitskraft sind die Kühe gekommen. Die drei großen (Erden) stehen da als untere Begrenzungen [átyāḥ]; zwei sind verborgen, sichtbar ist eine.« (Wi) (ṣáḍ bhārā´m ˘˙ éko ácaran bibharty ̥rtáṃ várṣiṣṭham úpa gā´va ā´guḥ tisró mahī´r úparās tasthur átyā gúhā dvé níhite dárśy ékā). Diese Hymne wird aufgrund der Parallelen zu RV 1.164.10 nicht gesondert besprochen. 371 Vgl. RV 1.164.45.

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lische Vogel Garutmat [= die Sonne]. Was nur das Eine ist, benennen, die Redekundigen vielfach. Sie nennen es Agni, Yama, Mātariśvan.« (Ge) 372

Die Möglichkeit der menschlichen Sprache, die verborgene Einheit der Wesenheiten zu erfassen und auszudrücken, wird mithin als begrenzt angesehen; nur den »nachsinnenden Brahmanen« wird die Fähigkeit einer tieferen Einsicht zugesprochen. So werden die Götter Indra, Mitra, Varuṇa und Agni – die als eigenständige Gottheiten gelten – im zitierten Beispiel mit der Sonne gleichgesetzt. Ein Phänomen kann mithin unterschiedlich benannt werden, ohne dass für den gewöhnlichen Menschen erkennbar ist, dass nur ein einziges Wesen dahinter steht. Die Sprache begründet daher die erscheinende Vielheit, ohne die Einheit hinter dieser zu erkennen. Es ist mit Geldner anzunehmen, dass sich dieser Gedanke nicht nur auf die genannten Wesenheiten bezieht, sondern auf die »Einheit der Welt« 373, die sich hinter der Fülle der sprachlichen Benennungen verbirgt. Dadurch schließt sich der am Beginn von RV 1.164 begonnene Kreis, der den Unterschied von Einheit und Vielheit sowie die Differenzierung der Einheit in die Vielheit zum Thema hatte. Neben RV 1.164 gibt es im frühen RV nur wenige Hymnen, die den Gedanken der Einheit explizit ansprechen. Im Folgenden soll exemplarisch RV 3.54 untersucht werden. RV 3.54, eine Hymne an »alle Götter«, enthält in den Versen 5 bis 9 eine »Spekulation über das Urprinzip« 374. In Vers 5 wird zunächst festgestellt, dass nur ein Teil der Wirklichkeit sichtbar erscheint, während der Rest verborgen ist: RV 3.54.5 »Wer weiß es sicher, wer wird es hier verkünden, welcher Weg ganz bis hin zu den Göttern geht – sichtbar sind ihre untersten Sitze –, welcher (Weg) zu ihren fernsten, verborgenen Geboten führt?« (Wi) 375

Im Vers 8 folgt die Überleitung auf das Eine:

372 catvā´ri vā´k párimitā padā´ni tā´ni vidur brāhmaṇā´ yé manīṣíṇaḥ gúhā trī´ṇi níhitā néṅgayanti turī´yaṃ vācó manuṣyā` vadanti índram mitráṃ váruṇam agním āhur átho divyáḥ sá suparṇó garútmān ékaṃ sád víprā bahudhā´ vadanty agníṃ yamám mātaríśvānam āhuḥ. 373 Kommentar von Karl Friedrich Geldner (1951) in: Der Rig-Veda. Erster bis Vierter Liederkreis, S. 236. 374 Kommentar von Michael Witzel (2013) in: Rig-Veda. Dritter bis fünfter Liederkreis, S. 443. 375 kó addhā ´ veda ká ihá prá vocad devā´m ˘˙ áchā pathyā` kā´ sám eti dádr ̥ śra eṣām avamā´ sádāṃsi páreṣu yā´ gúhyeṣu vratéṣu.

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RV 3.54.8 »Diese beiden [Himmel und Erde, E. S.] fassen alle Geschöpfe [jániman] in sich; sie tragen die großen Götter und kommen doch nicht ins Wanken. Das Eine beherrscht alles was sich regt und was fest ist, was geht und was fliegt, das Verschiedenartige, verschieden Geborene.« (Ge) 376

Die beiden Welthälften bilden mit den von ihnen getragenen Geschöpfen (jániman) 377 die erscheinende Vielheit, über die ein Einziges herrscht. Dieses Eine wird nicht als Wesenheit benannt, sondern nur als alles (viśvá) Beherrschendes vorausgesetzt. Der anschließende Vers 9 geht auf den »großen Vater« ein: RV 3.54.9 »Das von jeher Alte gehe ich aus der Ferne an: vom großen Vater, dem Erzeuger, das ist unsere Blutsverwandtschaft, wo die Götter mit Eile Preisende auf ihrem weiten, besonderen Pfad dazwischenstehen.« (Wi) 378

Es ist hierbei nicht klar, ob das Eine, von dem im Vers 8 die Rede ist, mit dem großen Vater gleichgesetzt werden kann. Deutlich ist nur, dass der große Vater, die Götter und die Menschen in einer direkten Blutsverwandtschaft zueinander stehen. Dies zeigt, dass zumindest Götter und Menschen einen einzigen Ursprung haben. Dieser Ursprung ist verborgen. Weiteres wird über den großen Vater nicht gesagt. Möglicherweise wird damit der in RV 3.38 vorkommende ásura bezeichnet, der auch viśvárūpa »Allgestaltiger« 379 genannt wird und als solcher auch in RV 3.56.3 auftritt. Es könnte mit dem verborgenen großen Vater bzw. dem viśvárūpa »Allgestaltigen« ebenfalls die Vorstellung einer ursprünglichen Einheit angedeutet werden, aus der die Vielheit der existierenden Welt hervorkommt. Es zeigt sich, dass in einzelnen Hymnen des frühen RV ein Wissen um die Voraussetzung eines verborgenen einheitlichen Ganzen aufkommt, als das die Vielheit explizit gefasst werden kann. Zudem wird vereinzelt der einheitliche Ursprung der Vielheit des vedischen Kosmos thematisiert. Der Umstand, dass nur wenige Hymnen des frühen RV eine solche Einheit bzw. einheitliches Ganzes zum Thema 376 víśvéd eté jánimā sáṃ vivikto mahó devā ´ n bíbhratī ná vyathete éjad dhruvám patyate víśvam ékaṃ cárat patatrí víṣuṇaṃ ví jātám. 377 Witzel (2013) übersetzt »Geschlechter«; es wird Geldners Übersetzung »Geschöpfe« (1951) bevorzugt, da im Zusammenhang mit den beiden Welten bzw. Welthälften »Himmel« und »Erde« wahrscheinlich alles Existierende gemeint ist, nicht nur die Geschlechter der Götter und Menschen. 378 sánā purāṇám ádhy emy ārā´n maháḥ pitúr janitúr jāmí tán naḥ devā´so yátra panitā´ra évair uraú pathí vyùte tasthúr antáḥ. 379 So Witzel (2013) in seiner Übersetzung.

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haben, lässt sich so deuten, dass das Wissen ein noch nicht im Ritual oder im allgemeinen ̥rgvedischen Denken verwurzeltes Wissen ist, das einzelne Sänger entwickelt haben. Sie scheinen den durch das ̥rtá implizierten Gedanken eines einheitlichen Ganzen, eine bisher unausgesprochene Voraussetzung im Weltbild der ̥rgvedischen Āryas, auszusprechen.

2.5. RV 10: Das einheitliche Ganze im Spiegel der Kosmogonien Das 10. Buch des RV ist – zusammen mit einzelnen Nachträgen innerhalb der ersten neun Bücher – sowohl sprachlich als auch inhaltlich der jüngste Teil des RV. 380 Es wurde dem bestehenden Textkorpus der Bücher 1 bis 9 angehängt und wird darum auch als »Buch der Nachträge« bezeichnet. 381 Inhaltlich lässt sich feststellen, dass einige, in den Büchern 1 bis 9 bedeutende Gottheiten nicht mehr angerufen werden; stattdessen treten andere Gottheiten – oft mit kosmogonischen oder rituellen Funktionen – in den Vordergrund. Hermann Oldenberg fasst die Veränderungen folgendermaßen zusammen: »Der Götterkreis, welchem die Poesie der Familienbücher geweiht war, kann sich nicht in seinem vollen Umfange im Interesse der neuen Zeit lebendig erhalten. Nur einige so hervorragende Liedertypen wie der des Agniliedes […] und des Indraliedes bestehen in alter Weise weiter; die Lieder an die Viṣve devâs gewinnen sogar an Terrain. Aber Varuṇa und Mitrâvaruṇau verschwinden nahezu, ebenso Ushas und vermuthlich auch der Pavamâna […], während die Maruts und die Aṣvin ziemlich nur als Specialität der Dichter von 39–41 resp. 77–78 übrig bleiben. Dafür treten jetzt Wesenheiten wie Viṣvakarman, Manyu, Ṣraddhâ in den Vordergrund; die Massen der kosmogonischen und philosophischen Hymnen, der Âkhyânahymnen, der Hymnen für die Riten des Gr̥ihyaopferkreises (Begräbniss, Hochzeit, Weihe der Heerden u. s. w.), der Zauberlieder, Beschwörungen u. dergl. mehr geben dem Maṇḍala sein besonderes Gepräge.« 382

Die Hymnen des 10. Buches spiegeln mithin eine Umbruchphase wider: Tradiertes mythologisches Wissen steht neben neuen Denk380 Vgl. Kommentar von Michael Witzel et al. (2013) in: Rigveda. Erster und zweiter Liederkreis, S. 443. 381 Vgl. Oldenberg, Hermann (1888): Metrische und textgeschichtliche Prolegomena. Berlin: Verlag von Wilhelm Herz (Die Hymnen des Rigveda, 1), S. 263–264. 382 Oldenberg, Hermann (1888): Metrische und textgeschichtliche Prolegomena, S. 267–268.

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modellen, von denen einige wirkungsgeschichtlich eine große Bedeutung besitzen. Dazu zählen insbesondere die kosmogonischen Entwürfe, auf die nun eingegangen werden soll. Nach traditioneller kosmogonischer Vorstellung der Bücher 1 bis 9 hat Indra – wie der Vr̥tra- und der Vala-Mythos erzählt – die präexistenten Welthälften entfaltet und das präexistente Licht befreit. Im 10. Buch des RV kommt Kritik daran auf. Eindrücklich zeigt sich dies am Hymnus RV 10.121, der eine Nachbildung des alten Hymnus RV 2.12 darstellt. 383 In RV 2.12 werden in 14 von 15 Versen Indras Heldentaten – unter anderem drei kosmogonische Strophen – angeführt. Jede Strophe endet mit dem Refrain sa janāsa indraḥ »der, ihr Menschen, ist Indra«. So zum Beispiel in Vers 2: RV 2.12.2 »Der die wankende Erde festmachte, der die bebenden Berge befriedete, der den Luftraum sehr weit durchschritt, der den Himmel befestigte, der – ihr Menschen – ist Indra.« (ES) 384

In ähnlicher Weise wird in RV 10.121 in 10 Versen ausführlich über kosmogonische Taten berichtet, die traditionell Indra zugeschrieben werden. Doch der obige Refrain, der in 9 der 10 Verse wiederholt wird, lautet kásmai devā´ya havíṣā vidhema »Welcher Gottheit sollen wir mit Opfertrank huldigen?« Als Beispiel der RV 2.12.2 entsprechende Vers: RV 10.121.5 »Durch den der mächtige Himmel und die Erde festgemacht wurde, durch den die Sonne befestigt wurde sowie das Himmelsgewölbe. Der im Luftraum der Durchschreiter des Raumes ist – welcher Gottheit sollen wir mit Opfertrank huldigen?« (ES) 385

Nicht Indra wird in den Mittelpunkt gestellt, sondern eine Gottheit, deren Namen nicht bekannt ist. 386 Auffällig ist im Vergleich beider Verse zudem, dass zwei typische traditionelle Tätigkeiten Indras – 383 Vgl. dazu Deussen, Paul (1920): Allgemeine Einleitung und Philosophie des Veda bis auf die Upanishad’s. 4. Aufl. Leipzig: Brockhaus (Allgemeine Geschichte der Philosophie, 1.1), S. 128–133. 384 yáḥ prthivī´ṃ vyáthamānām ádrṃhad yáḥ párvatān prákupitām ˘˙ áramṇāt yó an̥ ̥ tárikṣaṃ vimamé várīyo yó dyā´m ástabhnāt sá janāsa índraḥ. 385 yéna dyaúr ugrā ´ pr̥thivī´ ca dr ̥ ḷhā´ yéna svà stabhitáṃ yéna nā´kaḥ yó antárikṣe rájaso vimā´naḥ kásmai devā´ya havíṣā vidhema. 386 Vgl. dazu auch Bodewitz, Henk W. (2008): The refrain kasmaí devāyá haviṣā ´ vidhema (RV 10.121). In: Leonid Kulikov & Maxim Rusanov (eds.): Indologica. Sbornik statej pamjati T. Ja. Elizarenkovoj. Moskau: Russian State University for the Humanities (T. Ja. Elizarenkova memorial volume, 1), S. 79–98, hier: S. 97.

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nämlich das Auseinanderstemmen bzw. Festmachen von Himmel und Erde sowie das Befestigen des Sonnenlichts – in RV 10.121 nicht wie in RV 2.12 mit dem Nominativ ya »der« eingeleitet wird, sondern mit dem Instrumental yena »durch den«. Dies könnte sprachlich ein Hinweis sein, dass hinter der traditionell geglaubten Schöpfungstat Indras etwas vermutet wurde, durch das die Tat vollzogen werden konnte. Eine namentliche Identität dieser Gottheit wird nicht vergeben. Zwar wird im 10. Vers diese befragte Gottheit als Prajāpati identifiziert; dies ist jedoch eine spätere Hinzufügung aus der Zeit der Brāhmaṇas. 387 Während der Name im Dunkeln bleibt, wird die Form dieser Gottheit deutlich beschrieben: RV 10.121.1–2 »(1) Der goldene Keim ballte sich im Anfang zusammen. Der entstandene Herr des Seienden war alleine (eka). Er bewahrt/ trägt (dadhāra) die Erde und diesen Himmel. Welcher Gottheit sollen wir mit Opfertrank huldigen, (2) die den Lebenshauch (ātma) und die Kraft gibt, deren Weisung alle achten, deren (Weisung) die Götter (achten), deren Schatten das Unsterbliche ist, deren (Schatten) das Sterbliche/ der Tod ist (…).« (ES) 388

Im Anfang wird die unbenannte Gottheit als »alleine« bzw. wörtlich als »eines« (eka) gesehen. Das »Eine« wird als anfänglich zusammengeballter Keim beschrieben. Im Nomen garbha »Keim« bzw. »Embryo« ist dabei seine Bewegungsrichtung enthalten: Ein Keim wächst und entfaltet sich. Als Schatten des Sterblichen und des Unsterblichen ist er das Verborgene, das alles Existierende vereint und dessen Herrschaft alle achten. In Vers 7 wird das »Eine« explizit als die »Lebenskraft« (asu) der Götter bezeichnet. Der anfängliche goldene Keim kann daher als eine verborgene Einheit gefasst werden, die sich als Vielheit entfaltet. Als Lebenskraft, Lebenshauch und Kraft wohnt der entfaltete einheitliche Keim in allen Wesenheiten und verbindet sie miteinander zu einem einheitlichen Ganzen. Die Einheitlichkeit dieses Ganzen bleibt in der Vielheit verborgen. In der Hymne RV 10.129 wird ebenfalls über ein ursprüngliches »Eines« berichtet. Während die ältere Forschung diese Hymne als 387 Vgl. Oldenberg, Hermann (1888): Metrische und textgeschichtliche Prolegomena, S. 248. Siehe auch den Kommentar von Stephanie W. Jamison and Joel P. Brereton (2014) in: The Rigveda. Vol. III, S. 1593. 388 hiraṇyagarbháḥ sám avartatā´gre bhūtásya jātáḥ pátir éka āsīt sá dādhāra pr̥thivī´ṃ dyā´m utémā´ṃ kásmai devā´ya havíṣā vidhema yá ātmadā´ baladā´ yásya víśva upā´sate praśíṣaṃ yásya devā´ḥ yásya chāyā´mr ̥´taṃ yásya mr̥tyúḥ (…).

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einen kosmogonischen Mythos versteht – Geldner übertitelt den Text mit »Der Ursprung der Dinge« –, hat Brereton der Forschung einen neuen Impuls gegeben. Er stellt die Hypothese auf, dass keine Kosmogonie, sondern der Prozess des Denkens in der Hymne dargestellt wird. 389 Ausgangspunkt seiner Hypothese ist die Feststellung, dass Vieles in dieser Hymne im Unklaren bleibt. 390 So werden im ersten Vers Fragen gestellt, die im weiteren Verlauf des Textes nicht beantwortet werden: RV 10.129.1 »Weder Nichtsein noch Sein war damals; nicht war der Luftraum noch der Himmel darüber. Was strich hin und her? Wo? In wessen Obhut? Was war das unergründliche tiefe Wasser?« (Ge) 391

Vielmehr wird im letzten Vers sogar gesagt, dass hierauf keine Antworten gegeben werden können: RV 10.129.7 »Woraus diese Schöpfung sich entwickelt hat, ob er sie gemacht hat oder nicht – der der Aufseher dieser (Welt) im höchsten Himmel ist, der allein weiß es, es sei denn, daß auch er es nicht weiß.« (Ge) 392

Eine klassische Kosmogonie stellt die Hymne somit nicht dar. Doch auf der anderen Seite gibt es in der Hymne viele Begrifflichkeiten, die auf eine Kosmogonie hinweisen. Nicht zuletzt hat sowohl die indische Tradition als auch die moderne Indologie die Hymne fast immer als eine kosmogonische verstanden. 393 Brereton hat den Blick auf die große Bedeutung des Denkens in dieser Hymne gerichtet. Es muss jedoch untersucht werden, ob sich die bestehenden Unklarheiten nicht durch den Begriff der Einheit als Voraussetzung für eine Schöpfung erklären lassen. Im bereits angeführten ersten Vers wird etwas ins Bild gerufen, das jenseits jeder Begrifflichkeit ist, also weder als seiend (sat) noch als nicht-seiend (a-sat) bezeichnet werden kann. Die Fragen, die gestellt werden, können mithin nicht beantwortet werden. Sie sind rein rhetorischer Natur und führen dem Zuhörer das Unwissen über die 389 Vgl. Brereton, Joel P. (1999): Edifying puzzlement. Rgveda 10.129 and the uses of ̥ enigma. In: Journal of the American Oriental Society 119 (2), S. 248–260, hier: S. 258. 390 Vgl. Brereton, Joel P. (1999): Edifying puzzlement, S. 250. 391 nā ´ sad āsīn nó sád āsīt tadā´nīṃ nā´sīd rájo nó vyòmā paró yát kím ā´varīvaḥ kúha kásya śármann ámbhaḥ kím āsīd gáhanaṃ gabhīrám. 392 iyáṃ vísr ̥ ṣṭir yáta ābabhū´va yádi vā dadhé yádi vā ná yó asyā´dhyakṣaḥ paramé vyòman só aṅgá veda yádi vā ná véda. 393 Vgl. Brereton, Joel P. (1999): Edifying puzzlement, S. 248.

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ersten Anfänge vor Augen. Im zweiten Vers wird dieses ins Bild gerufene Bildlose etwas konkreter als »das Eine« gefasst: RV 10.129.2 »Weder Tod noch Unsterblichkeit war damals; nicht gab es ein Anzeichen von Tag und Nacht. Es atmete nach seinem Eigengesetz ohne Windzug dieses Eine. Irgend ein Anderes als dieses war weiter nicht vorhanden.« (Ge) 394

Dieses Eine scheint jenseits der Zeitlichkeit zu sein: weder das Sterbliche noch sein Gegenteil gibt es; weder existiert Tag noch Nacht. Es wird als ein vollkommen Unbewegliches dargestellt, das gleichzeitig belebt ist: So atmet es ohne Windzug. Zudem wird betont, dass es vollkommen allein ist. Zusammenfassend lässt sich für die ersten zwei Verse sagen, dass deutlich der Gedanke einer ursprünglichen Einheit eingeführt wird, die sich durch explizite Raum- und Zeitlosigkeit und als unbeweglich kennzeichnet. Im dritten Vers wird die Entwicklung dieses Gedankens weitergeführt: RV 10.129.3 »Im Anfang war Finsternis in Finsternis versteckt; all dieses war unkenntliche Flut. Das Lebenskräftige, das von der Leere eingeschlossen war, das Eine wurde durch die Macht seines heißen Dranges (tapas) geboren.« (Ge) 395

Es wird der »Anfang« erwähnt, bei dem die meisten Kosmogonien wie die oben besprochene Hymne RV 10.121 erst einsetzen. Dort wird nun die Flut bzw. der Urozean (salilaṃ) erwähnt, der ein häufiges Motiv in den vedischen Kosmogonien ist. Die Einheitlichkeit ist im ersten Halbvers noch gewahrt, da der Urozean als »unkenntlich« bzw. »zeichenlos« (apraketaṃ) beschrieben wird. Im zweiten Halbvers beschreibt der Dichter den Übergang in die Vielheit. Das Eine wird als das Lebenskräftige (ābhu) 396 bezeichnet, das durch »heißen 394 ná mrtyúr āsīd amr ̥ ̥´taṃ ná tárhi ná rā´tryā áhna āsīt praketáḥ ā´nīd avātáṃ svadháyā tád ékaṃ tásmād dhānyán ná paráḥ kíṃ canā´sa. 395 táma āsīt támasā gūḷhám ágre ’praketáṃ saliláṃ sárvam ā idám tuchyénābhv ápihitaṃ yád ā´sīt tápasas tán mahinā´jāyataíkam. 396 Die Übersetzung dieses Wortes ist uneindeutig. Thieme übersetzt »Keim«. (Vgl. Gedichte aus dem Rig-Veda, S. 66). Brereton bemerkt dagegen, dass aufgrund der Assimilation des ersten Vokals an das »a« des vorausgehenden Wortes zwei Übersetzungen möglich seien: a-bhū und ā-bhū, die eine gegensätzliche Bedeutung haben: »Thus, the world could imply non-existence, or it could imply just the opposite, a coming into existence.« (Brereton, Joel P. (1999): Edifying puzzlement, S. 253). Brereton entscheidet sich für »coming into existence« (ebd.). Sowohl bei Thiemes als auch bei Breretons Übersetzung kommt das Wachstumspotential des Einen zum Ausdruck, das auch in Geldners Übersetzung »das Lebenskräftige« enthalten ist. Darum

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Drang« bzw. »Hitze« (tapas) zur Geburt gebracht wird. Eng verbunden mit der Hitze ist das Liebesverlangen (kāma), welches das Eine nun befällt: RV 10.129.4 »Über dieses kam am Anfang das Liebesverlangen (kāma), was des Denkens erster Same (retas) war. Im Herzen forschend machten die Weisen durch Nachdenken das Band des Seins im Nichtsein ausfindig.« (Ge) 397

Mit dem Begriff »Liebesverlangen«, das dieses erhitzte »Lebenskräftige« befällt, ist implizit der Wunsch nach Vervielfältigung verbunden. Das ursprünglich Eine geht in die Vielheit über. Das Denken gilt als der erste Same des Liebesverlangens, mithin als das erste, die Vielheit begründende Fruchtbringende. 398 Die Frucht, die das Denken hervorbringt, wird im letzten Halbvers angedeutet. Das »Band des Seins im Nichtsein«, das die Weisen ausfindig machen, beschreibt das entdeckte Wissen, das ein Gegebenes und Ursprüngliches ist. Der Begriff »Band« (bandhu), der als Relation zwei Enden impliziert, bringt zudem bildlich die entstandene Vielheit zum Ausdruck, die durch das Denken, mithin das Wissen entsteht. Dabei ist der Übergang von der ursprünglichen Einheit in die Vielheit nicht frei gewählt, sondern er geschieht in einem kontinuierlichen Prozess. Die in die Vielheit übergegangene Einheit vervielfältigt sich weiter, was durch den Plural »Besamer« bzw. »Samengeber« (reta-dhā) angedeutet wird: RV 10.129.5 »Quer hindurch ward ihre Richtschnur gespannt. Gab es denn ein Unten, gab es denn ein Oben? Es waren Besamer, es waren Ausdehnungskräfte da. Unterhalb war der Trieb, oberhalb die Gewährung.« (Ge) 399

So entsteht ein Raum, in dem das Eine als »Besamer« wirkt, sich mithin vervielfältigt. Den weiteren Ablauf der Weltentfaltung lässt der Dichter offen: So äußert er in den beiden letzten Versen sowohl inhaltlich (Vers 6 & 7) als auch metrisch (Vers 7) Kritik an den Ver-

wurde Geldners Übersetzung beibehalten. Beachtet man Breretons Hinweis hinsichtlich der Zweideutigkeit des Wortes, deutet der Dichter durch dieses Wort zudem die Gegensätzlichkeit an, die das Einheitliche in sich vereint. 397 kā ´ mas tád ágre sám avartatā´dhi mánaso rétaḥ prathamáṃ yád ā´sīt sató bándhum ásati nír avindan hr̥dí pratī´ṣyā kaváyo manīṣā´. 398 Brereton konstruiert den Satz über die pāda-Grenzen hinweg allerdings anders. (Vgl. Brereton, Joel P. (1999): Edifying puzzlement, S. 254). 399 tiraścī´no vítato raśmír eṣām adháḥ svid āsī´d upári svid āsīt retodhā ´ āsan mahimā´na āsan svadhā´ avástāt práyatiḥ parástāt.

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suchen, den Ablauf der Schöpfung bildhaft darzustellen. 400 Es lässt sich erkennen, dass in RV 10.129 die ursprüngliche Einheit durch die präexistente Entfaltung als Raum als einheitliches Ganzes verstanden werden kann. Allerdings bleibt die Beziehung zur Vielheit unklar. In den kosmogonischen Hymnen RV 10.81 & 82 wird im Unterschied zu RV 10.129 explizit ein »Weltenschöpfer« (Geldner) genannt, nämlich Viśvakarman. Der Name ist dabei kein Eigenname. Vielmehr bedeutet das attributive Kompositum viśvá-karman wörtlich »alle Werke verrichtend« 401 bzw. »der jedes Werk verrichtet«. Die häufig im übertragenen Sinn vorgenommene substantivische Übersetzung »der Allschaffende« 402 hat dagegen eine monotheistische Konnotation, die besser zu vermeiden ist. Das hintere Kompositumsglied karman weist einen starken Bezug zum Opferritual auf, das im Zentrum des ̥rgvedischen religiösen Lebens stand. So bedeutet karman neben seiner allgemeinen Bedeutung als »Werk, Handlung, Tat« insbesondere »Opferwerk, Opferhandlung« 403. Diese Ambiguität findet sich auch in den beiden Hymnen an Viśvakarman. So bemerken Brereton & Jamison in ihrem Kommentar zu RV 10.82, dass es dort zwei parallele Bezugsrahmen gebe: Die Ebene des Kosmos und die Ebene des Opfers, die gleichzeitig angesprochen werden. 404 In RV 10.81 ist dies stellenweise auch zu entdecken. Über Viśvakarman heißt es im ersten Vers von RV 10.81: RV 10.81.1 »Der Seher, der sich als Opferpriester niedersetzte, goss alle diese Wesen hier [als Opfergabe ins Opferfeuer]. Unser Vater, der – mit einem Bittgebet bewegliche Güter begehrend – als Erster erscheinend (prathama-chad) in die Späteren einging.« (ES) 405

400 Vgl. Knobl, Werner (2008): Conspicuous absence. A new case of intended metrical irregularity. The catalectic line R̥V 10.129.7b. In: Leonid Kulikov & Maxim Rusanov (eds.): Indologica. T. Ya. Elizarenkova memorial volume. Moskau: Russian State University of the Humanities, S. 183–195, hier: S. 194–195. 401 Wackernagel, Jakob (1985): Altindische Grammatik. Band II.1. Einleitung zur Wortlehre. Nominalkomposition. Unter Mitarbeit von Albert Debrunner. Neudruck der 2., unveränderten Auflage. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 115 (§ 50); siehe auch Wackernagels Nachbemerkung, S. 121. 402 Graßmann, Hermann (1964): Wörterbuch zum Rig-Veda, Sp. 1299. 403 Graßmann, Hermann (1964): Wörterbuch zum Rig-Veda, Sp. 316 404 Vgl. Kommentar von Stephanie W. Jamison and Joel P. Brereton (2014) in: The Rigveda. Vol. III, S. 1515–1516. 405 yá imā ´ víśvā bhúvanāni júhvad ̥´ṣir r hótā ny ásīdat pitā´ naḥ sá āśíṣā dráviṇam ichámānaḥ prathamachád ávarām ˘˙ ā´ viveśa.

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Mit dem Bild des Opfers wird angedeutet, dass alle Wesenheiten (bhuvanāni) – mit dem Begriff wird Belebtes wie Unbelebtes bezeichnet – 406 in einem einzigen Opfer vereint sind. Viśvakarman ist der eine Opferpriester, der durch das Opfer bewegliche Güter erlangen möchte. Darum geht er – als Erster der Vielheit erscheinend – in die nach ihm Kommenden ein. 407 Es zeigt sich mit Rückblick auf die besprochene Hymne RV 10.129, dass hier die Vorstellung einer ursprünglichen Einheit bildhaft beschrieben wird, die sich als Vielheit entfaltet und als einheitliches Ganzes unter der Vielheit verborgen liegt. Ähnlich wie in RV 10.129 befragt der Dichter im folgenden Vers die Natur dieser ursprünglichen Einheit, ohne eine Antwort zu geben: RV 10.81.2 »Welches war denn der Standort, welches war wohl der Anfang, und wie war er denn, woraus Viśvakarman die Erde erschuf und den Himmel in ganzer Größe enthüllte, er der ganz Auge ist?« (Ge) 408

Auch wenn er in Vers 3 eine bildhafte Bestimmung von Viśvakarman wagt, stellt er fest, dass es unterschiedliche Formen von ihm gibt: RV 10.81.5 »Was deine höchsten Formen, deine niedrigsten und diese mittleren, o Viśvakarman, sind, (die) versuche den Genossen bei dem Opfer (begreiflich) zu machen, du Eigenartiger; bring dir selbst das Opfer, deinen Leib stärkend.« (Ge) 409

Mit Blick auf RV 10.82 lässt sich vermuten, dass unter den verschiedenen Formen die verschiedenen Stufen des Prozesses von einer ursprünglichen Einheit über das erste Erscheinende bis hin zur Vervielfältigung in allen Wesen gemeint sind. So wird in RV 10.82 Viśvakarman zunächst als »Vater«, »Anordner« (dhātā), »Erzeuger«, »Kenner aller Wesen & Wohnstätten« und »Namensgeber der Götter« bezeichnet. 410 In den letzten Versen wird auf die verschiedenen Vgl. Graßmann, Hermann (1964): Wörterbuch zum Rig-Veda, Sp. 941. Graßmann bemerkt, dass āvviś »eingehen in« besonders »von der Somaflüssigkeit, die in die Somagefässe, oder in den Bauch der Götter, in diese selbst einströmt« gesagt wird. (Graßmann, Hermann (1964): Wörterbuch zum Rig-Veda, Sp. 1293). Ähnlich wie der Soma im Bauch der Götter wohnt mithin Viśvakarman in allen Wesen. 408 kíṃ svid āsīd adhiṣṭhā ´ nam ārámbhaṇaṃ katamát svit kathā´sīt yáto bhū´miṃ janáyan viśvákarmā ví dyā´m aúrṇon mahinā´ viśvácakṣāḥ. 409 yā´ te dhā´māni paramā´ṇi yā´vamā´ yā´ madhyamā´ viśvakarmann utémā´ śíkṣā sákhibhyo havíṣi svadhāvaḥ svayáṃ yajasva tanvàṃ vr̥dhānáḥ. 410 Vgl. RV 10.82.1–3. 406 407

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Formen eingegangen, die Viśvakarman angenommen hat. 411 In Vers 5 wird die ursprüngliche Einheit befragt, die jenseits von allem Existierenden, einschließlich der Götter liegt. 412 In Vers 6 wird auf den ersten Keim (garbha) eingegangen, in dem sich alle Götter vereinen. Auf diesem Einen (ekaṃ) »sitzen alle (belebten wie unbelebten) 413 Wesen« (viśvāni bhuvanāni tasthuḥ). 414 Im Vers 7 wird schließlich auf die Schwierigkeit eingegangen, ohne das Wissen des Dichters den Viśvakarman zu finden. 415 In RV 10.82 lässt sich mithin wie in RV 10.81 die Vorstellung eines einheitlichen Ganzen finden, das im Verborgenen die Vielheit vereint. Die Bewegung von der ursprünglichen Einheit zur Vielheit wird durch unterschiedliche Formen von Viśvakarman gekennzeichnet. RV 10.72 steht in einem Unterschied zu den bisher besprochenen Hymnen. Geldner bemerkt dazu in der Einleitung seiner Übersetzung: »Das Lied handelt nicht nur, wie Str. 1 als Thema angibt, vom Ursprung der Götter, sondern ist eine kurze Schöpfungsgeschichte. Es hat fast den Anschein, als habe der Dichter absichtlich die Unlösbarkeit dieses Problemes dartun wollen, denn er stellt eine Reihe sich widersprechender Theorien zusammen, ohne deren Synthese zu versuchen.« 416

Paul Thieme versuchte, diese sich scheinbar »widersprechenden Theorien« durch ein »Streitgespräch« zu erklären: So führe die Hymne die Ansichten unterschiedlicher Dichter auf. 417 Erst Harry Falk hat gezeigt, dass »wir es mit einem einheitlichen Gedankengebäude zu tun haben« 418, sowohl inhaltlich als auch kompositorisch. 419 Joel P. Brereton hat schließlich überzeugend argumentiert, dass die kosmo-

411 So auch der Kommentar von Stephanie W. Jamison and Joel P. Brereton (2014) in: The Rigveda. Vol. III, S. 1516. 412 Vgl. RV 10.82.5. 413 Vgl. Graßmann, Hermann (1964): Wörterbuch zum Rig-Veda, S. 941. 414 Vgl. RV 10.82.6. 415 Vgl. RV 10.82.7. 416 Kommentar von Geldner, Karl-Friedrich (1951) in: Der Rig-Veda. Neunter bis zehnter Liederkreis, S. 250. 417 Vgl. Thieme, Paul (1986): Zu RV 10.72. In: Etter, Annemarie (Hg.): O-o-pe-ro-si. Festschrift für Ernst Risch zum 75. Geburtstag. Berlin: De Gruyter, S. 159–175, hier: S. 160. 418 Falk, Harry (1994): Die Kosmogonie von RV X 72. In: Wiener Zeitschrift für die Kunde Südasiens 38, S. 1–22, hier: S. 19. 419 Vgl. Falk, Harry (1994): Die Kosmogonie von RV X 72, S. 18–21.

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gonische Hymne gleichzeitig ein konkretes vedisches Ritual abbildet. 420 Auch seine Analyse erweist die Hymne mithin als ein zusammenhängendes Werk. Das Besondere und scheinbar Widersprüchliche an dieser Hymne sind die wechselseitigen Abhängigkeiten kosmogonischer Entwicklungsstufen. Der Dichter von RV 10.72 sieht den Anfang alles Seienden (sat) im Nichtseienden (asat). 421 Mit der Entfaltung des Seienden beginnen die wechselseitigen Abhängigkeiten, die noch außerhalb der Zeitlichkeit gedacht werden müssen: RV 10.72.3 »(…) Dem [Seienden] folgend wurden die Räume geboren, aus dem [Wesen] mit nach oben gekehrten Füßen (uttānapad) wiederum das [Seiende].« (Fa) 422

Harry Falk hat differenziert dargelegt, dass der Begriff uttānapad, übersetzt als »nach oben gekehrte (uttāna) Füße (pad)« als Weltenbaum vorgestellt werden muss, dessen Wurzeln nach oben gekrümmt im Himmel befestigt sind. Bereits im früheren RV 1.24.7 existiert die Vorstellung eines Weltenbaumes. Mit dem Verweis auf weitere Stellen argumentiert Falk, dass der zwischen Himmel und Erde wachsende Baum dem Raum entspricht. 423 Wenn das »Wesen mit nach oben gekehrten Füßen«, also der im Himmel wurzelnde »Weltenbaum«, ein bildhaftes Symbol für den Raum wird, dann ist der in Vers 3 beschriebene Vorgang folgendermaßen zu beschreiben: Das Seiende bringt die Räume hervor und die durch den Weltenbaum symbolisierten Räume bringen das Seiende hervor. Verkürzt gesagt: Seiendes und Räume/ Weltenbaum entstehen in wechselseitiger Abhängigkeit. Im anschließenden Vers 4 wird dieses Schema weitergeführt. Dort sind im ersten Halbvers der Weltenbaum bzw. die Räume ebenfalls wechselseitig mit der Entstehung der Erde (bhū) im Sinne einer festen materiellen Grundlage verbunden. 424 Im zweiten Halbvers tritt die Göttin Aditi, wörtlich die »Ungebundenheit« oder »Unbeschränktheit«, mit dem Gott Dakṣa, wörtlich der »rituellen GeschickVgl. Brereton, Joel P. (2016): The births of the gods and the kindling of fire in R̥gveda 10.72. In: Dieter Gunkel et al. (eds.): Sahasram Ati Srajas. Indo-Iranian and Indo-European Studies in Honor of Stephanie W. Jamison. Ann Arbor: Beech Stave Press, S. 8–17, hier: S. 16. 421 Vgl. RV 10.72.2. 422 (…) tád ā´śā ánv ajāyanta tád uttānápadas pári. 423 Vgl. Falk, Harry (1994): Die Kosmogonie von RV X 72, S. 10–11. 424 Vgl. RV 10.72.4. 420

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lichkeit« oder der »Geisteskraft« in eine wechselseitige Beziehung. Zu Aditi ist zu bemerken, dass sie bereits im RV gelegentlich mit der Erde (pr̥thivī) identifiziert wird, wenn vom »Schoß der Aditi« die Rede ist. 425 Zudem wird im älteren RV 1.72.8–9 wie am Ende dieser Hymne (RV 10.72.8–9) – die Ähnlichkeit der Versnummerierung dürfte kein Zufall sein – von Aditi und ihren Söhnen gesprochen. Dabei wird sie explizit mit der Erde (pr ̥ thivī) gleichgesetzt. Darum kann man das im vorherigen Vers verwendete Wort bhū (Erde) mit Aditi gleichsetzen. Dadurch wird ein Bruch des sich wiederholenden Schemas wechselseitiger Abhängigkeiten vermieden: So entstehen die Erde/ Aditi und Dakṣa in wechselseitiger Abhängigkeit. Es scheint, dass dieses, ein zusammenhängendes Ganzes implizierende Schema die präexistente Entstehung von Raum und Materie erklären möchte, die im frühen RV ohne Erklärung vorausgesetzt wird. Ein Bruch dieses Schemas ist erst im anschließenden fünften Vers zu finden, in der Mitte der aus neun Versen bestehenden Hymne: RV 10.72.5 »Denn Aditi entstand, Dakṣa, als deine Tochter. Nach dieser wurden die Götter geboren, die glücklichen, verbunden mit Unsterblichkeit.« (Fa) 426

An dieser Stelle tritt in der präexistenten Welt durch die Geburt der Vielheit der Götter das eigentliche Dasein ins Licht. Obwohl kein expliziter Ursprung der Götter genannt wird, kann man nach der Bemerkung, dass Aditi die Tochter von Dakṣa sei, die im nächsten Satz genannten Geburten ebenfalls Dakṣa zuschreiben. Dakṣa als »rituelle Geschicklichkeit« und »Geisteskraft« ist ein Attribut, das eng mit den Göttern verbunden ist. Im sechsten Vers werden die Götter im Urozean zusammenstehend beschrieben. Erst im siebten Vers bringen die Götter die Sonne sowie alle belebten und unbelebten Wesen (bhuvanāni) hervor: RV 10.72.7 »Ihr Götter, als ihr wie Zauberer alle Wesen anschwellen ließet, da brachtet ihr dabei die im Meer verborgene Sonne herbei.« (Fa) 427

pffi Das Verb »anschwellen« ( pinv) wird im Zusammenhang mit den Zauberern (Yatis) genannt, die nach Thieme Regenmacher sind, die Vgl. Oberlies, Thomas (2012): Der Rigveda und seine Religion, S. 174. áditir hy ájaniṣṭa dákṣa yā´ duhitā´ táva tā´ṃ devā´ ánv ajāyanta bhadrā´ amr̥´tabandhavaḥ. 427 yád devā yátayo yathā bhúvanāny ápinvata átrā samudrá ā ´ gūḷhám ā´ sū´ryam ajabhartana. 425 426

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die Pflanzen zum Wachsen bringen. 428 Die Wesen sind mithin implizit potentiell vorhanden und müssen wie Pflanzen durch Hilfe der Götter wachsen. Es fällt im Unterschied zu den bisher besprochenen Ansätzen auf, dass in dem ausführlich beschriebenen kosmogonischen Vorgang vom Nichtseienden bis zur Entstehung der Wesen kein »Eines« oder etwas Ähnliches erwähnt wird. Die Kette der in den Versen 3 und 4 aufgeführten wechselseitigen Abhängigkeiten beschreibt, wie Falk bemerkt, »Modifikationen des Ausgangspunktes« 429, nämlich des Seienden. Das Seiende bildet die Räumlichkeit, die Räumlichkeit wiederum die Materie (d. h. Erde/Aditi), die Materie schließlich die Geisteskraft. Durch die wechselseitigen Abhängigkeiten sind alle vier Faktoren – wie vier Ringe, die eine Kette bilden – miteinander verbunden und bilden ein einheitliches Ganzes. Da aus diesem Ganzen die gesamte Welt der unsterblichen und sterblichen Wesen entsteht, lässt sich mit anderen Worten feststellen, dass hinter der erscheinenden Vielheit ein verborgenes einheitliches Ganzes liegt. In der wirkungsgeschichtlich sehr bedeutsamen Hymne RV 10.90 steht puruṣa, der unendlich große »Mann« oder »Mensch«, im Mittelpunkt. In Vers 1 bis 3 wird der puruṣa beschrieben. In Vers 1 wird der puruṣa bildhaft als tausendköpfig, tausendäugig und tausendfüßig dargestellt. Das Wort sahasra kann neben »tausend« auch einfach eine große Menge anzeigen. 430 Der puruṣa bedeckt dabei die ganze Erde. 431 Anschließend wird bemerkt, dass er allein »dieses Ganze« (idaṃ sarvaṃ) sei, womit die gesamte erscheinende Welt bezeichnet wird. 432 Dies gelte alle Zeitlichkeit überschreitend sowohl für das »Gewordene« (bhūtam) als auch für das »Werdende« (bhavyam). 433 Am Ende dieser Beschreibung wird bemerkt: RV 10.90.3 »Solches ist seine Größe und noch gewaltiger als dies ist Puruṣa. Ein Viertel von ihm sind alle Geschöpfe, drei Viertel von ihm ist das Unsterbliche im Himmel.« (Ge) 434

Vgl. Thieme, Paul (1986): Zu RV 10.72, S. 171. Falk, Harry (1994): Die Kosmogonie von RV X 72, S. 20. 430 Vgl. Graßmann, Hermann (1964): Wörterbuch zum Rig-Veda, Sp. 1500. 431 Vgl. RV 10.90.1. 432 So auch Geldner (1951) und Jamison & Brereton (2014) in ihren Übersetzungen. 433 Vgl. RV 10.90.2. 434 etā ´ vān asya mahimā´to jyā´yāṃś ca pū´ruṣaḥ pā´do ’sya víśvā bhūtā´ni tripā´d asyāmr̥´taṃ diví. 428 429

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Damit wird zum einen explizit ausgedrückt, dass das »Ganze« sowohl die unsterblichen Götter als auch die auf der Erde lebenden Wesen (bhūtāni) umfasst. Zum anderen wird durch die Phrase »noch gewaltiger als dies« 435 ausgedrückt, dass die Beschreibung der Größe des puruṣa an seine eigentliche Größe nicht herankommt. Mit anderen Worten ist die Größe des puruṣa jenseits der Vorstellung, weil er unendlich groß ist und die Zeitlichkeit überschreitet. Bis zu diesem besteht – trotz der Beschreibung seiner unendlichen Größe – noch das Bild eines auf der Erde und über die Erde hinaus ausgebreitet liegenden Mannes. Als solcher umfasst er alles Existierende. In Vers 4 wird anschließend beschrieben, wie er nach oben steigt und auseinander geht: RV 10.90.4 »Zu drei Vierteln stieg Puruṣa empor, ein Viertel von ihm verjüngte sich hienieden. Von dem aus ging er nach allen Seiten auseinander und (erstreckte sich) über alles was Speise ißt und was nicht ißt.« (Ge) 436

Falk vergleicht den puruṣa mit dem Weltenbaum in RV 10.72 und betont, dass er wie der Weltenbaum mit den Füßen im Himmel steht. 437 Nachdem also beschrieben wurde, dass der puruṣa alles Existierende – sei es nun sterblich oder unsterblich – umfasst, wird durch seine Aufrichtung dargelegt, dass er – wie der Weltenbaum – den gesamten Raum umfasst. Im fünften Vers wird schließlich die wechselseitige Abhängigkeit von puruṣa und virāj beschrieben: So werde die virāj aus ihm geboren und er gebäre wiederum die virāj. Virāj bedeutet wörtlich »herrschend«, »an der Spitze befindlich« 438. Gleichzeitig ist es ein vedisches Versmaß. Der puruṣa, der im zweiten Vers als »gebietend über die Unsterblichkeit« (amr̥tatvasyeśāno) bezeichnet wird, differenziert sich somit in den (grammatisch maskulinen) puruṣa und die (grammatisch feminine) virāj, die Herrschende, die als Versmaß eine enge Assoziation zum Opfer besitzt. Ab Vers 6 wird beschrieben, wie die Götter – die plötzlich und ohne Erklärung als Akteure eingeführt werden – mit dem puruṣa als Opfergabe das Opfer vollziehen und die Zeitlichkeit in Form der vier Jahreszeiten entsteht. 439 Hierbei wird zum ersten Mal der Begriff »Anfang« erwähnt, Jamison & Brereton (2014) übersetzen »but the man is more than this«. tripā´d ūrdhvá úd ait púruṣaḥ pā´do ’syehā´bhavat púnaḥ táto víṣvaṅ vy àkrāmat sāśanānaśané abhí. 437 Vgl. Falk, Harry (1994): Die Kosmogonie von RV X 72, S. 11–13. 438 PW: virāj. 439 Vgl. RV 10.90.6. 435 436

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der die Entstehung von allem andeutet. 440 So entstehen aus dem Opfervorgang die wilden Tiere 441, die im Opfer verwendeten Verse, Singweisen, Metren und Opfersprüche 442 und schließlich die Haustiere 443. Aus vier Teilen des puruṣa (Mund, Arme, Schenkel, Füße) werden die vier Kasten gemacht. 444 Aus anderen Körperteilen entstehen die Himmelskörper sowie die erscheinende Räumlichkeit in Form von Himmel, Erde und Luftraum. 445 Da die Entfaltung der Vielheit erst in Vers 6 beginnt, können die vorher erwähnten Vorgänge ähnlich wie in RV 10.72 als prozesshafte Veränderung der ursprünglichen Einheit verstanden werden. So steht der alles Existierende in sich enthaltene puruṣa für die ursprüngliche Einheit, die in den ersten drei Versen beschrieben wird. Sein in Vers 4 erwähntes Aufrichten ähnlich dem Weltenbaum in RV 10.72 bedeutet die Entwicklung einer präexistenten Räumlichkeit. In Vers 5 kommt es zur Ausbildung von Herrschaft (in Form der virāj), die eng mit dem Opfer verbunden ist. In Vers 6 beginnt schließlich durch das Opfer die Entfaltung der ursprünglichen Einheit in eine Vielheit. Die ursprüngliche Einheit zerbricht äußerlich, ist jedoch in allem Existierenden vorhanden. Es lässt sich mithin deutlich im puruṣa die Vorstellung eines einheitlichen Ganzen finden, das verborgen die gesamte erscheinende Vielheit miteinander verbindet.

3.

Der frühe Atharvaveda

3.1. Text und Untersuchungsumfang Die Bezeichnung Atharvaveda (= AV) lässt sich mit »Wissen (véda) der Atharvans« übersetzen, wobei átharvan einen mythischen Feuerpriester bezeichnet. 446 Obwohl die Redaktion des AV deutlich jünger

Vgl. RV 10.90.7. Vgl. RV 10.90.8. 442 Vgl. RV 10.90.9. 443 Vgl. RV 10.90.10. 444 Vgl. RV 10.90.12. 445 Vgl. RV 10.90.13–14. 446 Vgl. Winternitz, Moriz (1968): Geschichte der indischen Literatur. Band 1. Einleitung. Der Veda. Die volkstümlichen Epen und die Purāṇas. Stuttgart: Kohler, S. 103– 104. 440 441

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als jene des RV ist, sind möglicherweise einige Teile älteren Ursprungs. So bemerkt Witzel dazu: »Many of the small Atharvavedic sorcery rites may even be older than the RV. However, they have been preserved in a language that is definitely younger than that of RV 10.« 447

Die AV-Saṃhita ist in zwei Rezensionen überliefert, die als Śaunaka und Paippalāda bekannt sind und die ein ähnliches Alter besitzen. 448 In dieser Arbeit soll die Śaunaka-Rezension untersucht werden. 449 Unter den 20 Hymnen beider Rezensionen, die unterschiedlich angeordnet sind, lassen sich aufgrund linguistischer und inhaltlicher Merkmale die ältesten Bestandteile identifizieren. Witzel kommt in seiner Analyse zu folgendem Schluss: Witzel, Michael (1997): The development of the vedic canon and its schools. The social and political milieu. (Materials on vedic śākhās, 8). In: Michael Witzel (ed.): Inside the texts, beyond the texts. New approaches to the study of the Vedas: proceedings of the International Vedic Workshop, Harvard University, June 1989. Cambridge: Harvard University Dept. of Sanskrit and Indian Studies (Harvard oriental series. Opera minora, v. 2), S. 257–345, hier: S. 275–276. 448 Witzel bemerkt dazu: »Both AV Saṃhitās are of considerable age. The differences in certain Mantras cannot – a priori – be declared to be earlier or later in one or the other Śākhā.« (Witzel, Michael (1997): The development of the vedic canon and its schools, S. 282). 449 Die hier verwendete digitalisierte Śaunaka-Version des Thesaurus Indogermanischer Text- und Sprachmaterialien (Titus) der Universität Frankfurt wurde auf Basis der Editionen von Chiati Orlandi und von R. Roth & W. D. Whitney erstellt (Atharva-Veda Saṃhitā. Śaunaka Recension. On the basis of the editions Gli inni dell’Atharvaveda (Śaunaka), trasliterazione a cura di Chatia Orlandi, Pisa 1991 and Atharva Veda Sanhita, herausgegeben von R. Roth und W. D. Whitney, Berlin 1856, entered by Vladimir Petr and Petr Vavroušek, Praha 1996; TITUS version by Jost Gippert, Frankfurt am Main. Online verfügbar unter: http://titus.uni-frankfurt.de/ texte/etcs/ind/aind/ved/av/avs/avs.htm, zuletzt aktualisiert am 21. 4. 2012). Dazu wurden die Standardübersetzung von William D. Whitney (= Wh) (Atharva-Veda Saṁhitā. 2 Volumes. Transl. with a critical exegetical commentary by William D. Whitney (1962). Delhi: Motilal Banarsidass) sowie die Übersetzung der Bücher 1 bis 5 von Albrecht Weber (= We) (Weber, Albrecht (1858): Erstes Buch des Atharvaveda. In: Indische Studien 4, S. 393–430; Weber, Albrecht (1873): Zweites Buch der Atharva-Saṃhitā. In: Indische Studien 13, S. 129–216; Weber, Albrecht (1885): Drittes Buch der Atharva-Saṃhitā. In: Indische Studien 17, S. 177–314; Weber, Albrecht (1898): Viertes Buch der Atharva-Saṃhitā. In: Indische Studien 18, S. 1–153; Weber, Albrecht (1898): Fünftes Buch der Atharva-Saṃhitā. In: Indische Studien 18, S. 154– 288) sowie die Übersetzung philosophischer Stücke von Paul Deussen (= De) (Deussen, Paul (1922): Allgemeine Einleitung und Philosophie des Veda bis auf die Upanishad’s. 5. Aufl. Leipzig: Brockhaus (Allgemeine Geschichte der Philosophie, 1.1) unterstützend verwendet. 447

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»Taking all of the preceding into account, it seems to be the case that AVŚ 1– 5, 8–12 = PS 1–15, 16–17 are the two older sections. They form the core of the Atharvaveda texts dealing with sorcery and speculation and can be dated ad quem with the introduction of iron (1200 B.C.). In fact, they agree in general with Mantra period language.« 450

Die folgende Untersuchung soll sich daher auf die Kapitel 1–5 und 8– 12 der Śaunaka-Rezension (= AVŚ) erstrecken.

3.2. Uhdes Religionsbegriff im Atharvaveda? Die hier untersuchten atharvavedischen Zauberformeln lassen sich nach Witzel in »speculative hymns« (AVŚ 8–12) und »sorcery hymns« (AVŚ 1–5) aufteilen. 451 Der ̥rgvedische Gedanke, dass die Vielheit der Wesenheiten ein Ganzes bildet, scheint andeutungsweise in den Zauberhymnen und ausgearbeitet in den spekulativen Hymnen vorzukommen. Unabhängig davon verfolgen alle Zauberformeln – auch die mit spekulativem Gehalt – einen expliziten praktischen Zweck. So bemerkt Franklin Edgerton resümierend in seiner Analyse des philosophischen Materials des AV: »There is, therefore, no reason for surprise at the inclusion of such hymns in the Atharva Veda, nor any reason to question the statements of the ritual texts, which make clear the practical purposes associated with nearly all of the philosophic hymns, at least in the minds of the Atharvan compilers. And there is every reason to believe that these, or at least similar, practical purposes were associated with these and the like productions from the very start. It is not a question of a secondary fusion of unrelated activities, philosophy and magic. On the contrary, all Vedic philosophy may be described as a sort of philosophic magic, or magical philosophy.« 452

Der praktische Zweck, den die Zauberformeln verfolgen, lässt sich mit der Beeinflussung einer bestimmten Wesenheit durch eine andere Wesenheit beschreiben. Es ist dabei zu beachten, dass eine Zauberformel (bráhman) genauso als Wesenheit zählt wie die Lebenskraft 450 Witzel, Michael (1997): The development of the vedic canon and its schools, S. 281. 451 Vgl. Witzel, Michael (1997): The development of the vedic canon and its schools, S. 277. 452 Edgerton, Franklin (1920): The philosophic materials of the Atharva Veda. In: Studies in honor of Maurice Bloomfield, ed. by a group of his pupils. New Haven: Yale University Press, S. 134.

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(ayus). So lässt sich mit Hilfe einer Zauberformel ein Todkranker heilen: AVŚ 3.31.8 »Leb mit dem Hauch der lang Leben Habenden, Schaffenden! Stirb nicht! Von allen Übeln löse ich, vom Schund, gürte mit Lebenskraft.« (We) 453

Es wird mithin durch die Zauberformel eine Kausalität in Gang gesetzt. Im RV unterlag den verschiedenen kausalen Beziehungen zwischen einer Wesenheit, zum Beispiel einer Gottheit, und seiner Wirkung auf andere Wesenheiten das ̥rtá. 454 Im AV spielt es allerdings eine untergeordnete Rolle. Dies spiegelt den Bedeutungsverlust des ̥rtá wider, der nach der Zeit des RV eintritt. Stattdessen gewinnt die Zauberformel, bráhman genannt, an Relevanz in Bereichen, die zuvor der Herrschaft des ̥rtá unterlagen. Der Blick soll darum zunächst – nach einem Überblick über den atharvavedischen Kosmos – auf das bráhman gerichtet werden. Anschließend werden die kosmogonischen Hymnen betrachtet.

3.3. Das bráhman im atharvavedischen Kosmos 3.3.1. Der atharvavedische Kosmos Das Weltbild des AV weist große Ähnlichkeiten zu dem des RV auf. Der im RV festgestellte Zusammenhang aller Wesenheiten scheint sich im AV zu bestätigen. So bemerkt Oldenberg über den Hintergrund der – insbesondere atharvavedischen – Zauberei: »Überall zeigt sich das starke (…) Bewußtsein von der unbegrenzten Bedeutung des Zusammenhangs, der gegenseitigen Abhängigkeit, ja einer gewissen Identität aller durch irgendwelche in Wahrheit noch so schwache Bande verknüpften Wesenheiten: jene Anschauungsweise, die mit der alten für uns kaum begreiflichen Macht des gentilizischen Gefühls zusammengehört oder genauer dies Gefühl als einen speziellen Fall in sich begreift.« 455

Der Zusammenhang aller Wesenheiten und damit die Möglichkeit einer Einflussnahme durch atharvavedische Zauberformeln und Ri453 ā ´ yuṣmatām āyuṣkr ̥´tāṃ prāṇéna jīva mā´ mr ̥ thāḥ vy àháṃ sárveṇa pāpmánā ví yákṣmeṇa sám ā´yuṣā. 454 Siehe III.2.3.2. 455 Oldenberg, Hermann (1917): Die Religion des Veda. 2. Aufl. Stuttgart: Cotta, S. 480.

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tuale beruht auf Herstellung von Verbindungen, die oftmals kaum ersichtlich sind. So betont Gonda, dass jegliche oberflächliche Affinität ausgenutzt werde: »Die verschiedenen Größen in der Natur hängen aufs engste zusammen. Jeglicher Zusammenhang, jede wesentliche oder äußerliche Zusammengehörigkeit, aber auch jede nur oberflächliche Affinität wurden praktisch ausgenutzt.« 456

Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal einer Wesenheit ist wie im RV der Name. 457 Die Wesenheiten stehen in einer dynamischen Beziehung zueinander, die der Mensch (als Wesenheit) ausnutzt, indem er Einfluss auf die ihn umgebenden Wesenheiten nimmt. Diese Einflussnahme bezieht sich zum einen auf bestehende Ursache-Wirkungs-Verhältnisse – zum Beispiel ein durch ein bestimmtes Ereignis hervorgerufenes Auftreten von böswilligen Geistern, das durch die entsprechende Zauberformel abgewehrt wird. Zum anderen bezieht sich die Einflussnahme auf intendierte Ursache-Wirkungs-Verhältnisse: so sollen bestimmte, gewünschte Substanzen zum Zauberer selbst gelenkt werden oder Schaden bringende Geister zu seinen Feinden. 458 Die Welt des AV ist – wie schon die Welt des RV – mithin von unzähligen Ursache-Wirkungs-Verhältnissen durchzogen. Während im RV jedoch der Bezug des Menschen zu bestimmten Göttern im Vordergrund stand, sind es im AV die eben erwähnten schädlichen »Geister«, gegen die sich der von bestimmten »Mächten« unterstützte Zauber richtet: »Die Mächte, die durch den Zauber für oder gegen das menschliche Wohl in Bewegung gesetzt werden, sind nur zum Teil als Götter oder Geister vorgestellt: wobei die Götter vielfach hinter jenen überwiegend tückischen und schädlichen Geistern zurücktreten (…). Neben den Geistern aber – für das vedische Entwicklungsstadium vielleicht vor ihnen voranstehend – ist es noch eine andere Klasse von Wesenheiten, mit denen der Zauber operiert: unpersönliche oder kaum persönliche Substanzen und Kräfte, die mit verschiedensten Wirkungsweisen ausgestattet bald selbständig existieren, bald anderen Wesenheiten innewohnen, auf Wegen aller Art an und in den

456 Gonda, Jan (1960): Die Religionen Indiens I. Veda und älterer Hinduismus. Stuttgart: Kohlhammer (Religionen der Menschheit, 11), S. 111. 457 Vgl. Edgerton, Franklin (1920): The philosophic materials of the Atharva Veda, S. 133. 458 Vgl. Oldenberg, Hermann (1917): Die Religion des Veda, S. 483.

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Menschen und was dem Menschen gehört, gelangen, Glück und Unglück hervorbringen.« 459

Jan Gonda bemerkt über die »Mächte« und »Kräfte«: »Für den vedischen Menschen war die Welt nicht nur voll von Wesen und Substanzen, sondern auch voller Mächte und Kräfte, die sich auf verschiedene Weise in Natur und Menschenwelt offenbaren und manifestieren und den menschlichen Interessen günstig und feindlich sein konnten.« 460

Er definiert dabei »Macht« folgendermaßen: »Macht kann sich auf verschiedene Weise äußern und an verschiedenartigen Wesen und Sachen, Vorfällen und Phänomenen manifestieren; allerlei Personen, Dinge und Naturerscheinungen können davon erfüllt, dadurch mächtig, wirksam und einflußreich und durch etwas alle menschlichen Begriffe Übersteigendes gekennzeichnet sein. Diese Macht kann erzeugt, ausgestrahlt oder übertragen und in Tätigkeit gesetzt werden, im Prinzip ist sie jedoch autonom und eigenmächtig. Es geht weder an, hier von Kraftfluidum oder Zaubermacht zu sprechen, noch allgemeine Ausdrücke wie Mana zu verwenden: es gab nämlich für den Inder eine große Menge von Mächten, deren spezielle Art und besonderer Wirkungsbereich nicht immer leicht zu bestimmen sind.« 461

Eine »Macht« ist mithin eine autonome Wesenheit, die mit bestimmten Wirkungen verbunden ist. Der Mensch nutzt die Wirkweise dieser Mächte zu seinen Gunsten aus. Eine sehr bedeutende Stellung unter den Mächten des AV nimmt das bráhman ein. Darauf soll nun eingegangen werden. 3.3.2. Das bráhman Die Diskussion um die Semantik und Etymologie des Begriffs bráhman ist bis heute nicht befriedigend abgeschlossen. 462 Im RV hat er die Bedeutung einer magische Kraft enthaltenden Formel, Hymne

Oldenberg, Hermann (1917): Die Religion des Veda, S. 478. Gonda, Jan (1960): Die Religionen Indiens I, S. 26. 461 Gonda, Jan (1960): Die Religionen Indiens I, S. 30. 462 Vgl. Brereton, Joel P. (2004): Bráhman, brahmán, and sacrificer. In: Arlo Griffiths & Jan E. M. Houben (Hg.): The Vedas. Texts, language & ritual; proceedings of the third International Vedic Workshop, Leiden 2002. Groningen: Forsten (Groningen Oriental Studies, 20), S. 325–344, hier: S. 325–326. 459 460

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oder Formulierung. 463 Diese Bedeutung kann grundsätzlich auch für den AV angenommen werden. 464 So lassen sich dort die bráhman’s als Zauberformeln verstehen, wovon auch die später hinzugekommene, alternative Bezeichnung des AV als brahmaveda, »Wissen um die Zauberformeln«, zeugt. 465 Darum besitzt das bráhman unter den Mächten des AV eine Sonderstellung. Anders als im RV, wo die Formulierung einer Hymne (r ̥ c) gemäß dem ̥rtá erfolgen musste, unterliegt das bráhman im AV keinen Regeln. Ähnlich wie das ̥rtá beruht es direkt auf Wissen und hat eine aktivierende Funktion. So dient das bráhman dazu, bestimmte Wesenheiten zu aktivieren, die bestimmte Wirkungen hervorbringen. Auf diese Weise sollen beispielsweise todbringende Krankheiten geheilt werden: AVŚ 4.7.1 »Dieses Wasser, das von der Varaṇāvatī herkommt, wehre [das Gift] ab! Da ist von Unsterblichkeit eingemischt. Damit wehre das Gift ab.« (We) 466

Entscheidend ist hierbei das im bráhman ausgesprochene Wissen um kausal wirksame Verbindungen, wie im zitierten Beispiel das Wasser eines bestimmten Flusses, in das Unsterblichkeit eingemischt ist und das darum das Gift abwehren kann. In zwei der spekulativen Hymnen des AV steht das bráhman selbst im Fokus. Auf diese Abschnitte soll nun der Blick gerichtet werden. In AVŚ 10.2 werden in den ersten acht Versen zunächst Fragen gestellt, die den Bau des menschlichen Körpers betreffen, so zum Beispiel:

463 Siehe die verschiedenen Studien zum Begriff bráhman, insbesondere Oldenberg, Hermann (1967): Zur Geschichte des Worts bráhman. In: Hermann Oldenberg: Kleine Schriften. Teil 2. Hg. v. Klaus L. Janert. Wiesbaden: Franz Steiner Verlag (Glasenapp-Stiftung, 1, 2), S. 1127–1156; Renou, Louis (1949): Sur la notion de bráhman. In: Journal asiatique 237, S. 7–46; Thieme, Paul (1971): Bráhman. In: Paul Thieme: Kleine Schriften. Teil I. Hg. von G. Buddruss. Wiesbaden: Franz Steiner Verlag (Glasenapp-Stiftung, 5,1), S. 100–137. Siehe auch Shende, N. J. (1952): The religion and philosophy of the Atharvaveda. Poona: Bhandarkar Oriental Research Institute (Bhandarkar Oriental Series, 8). 464 Vgl. Thieme, Paul (1971): Bráhman, S. 131. 465 Vgl. Roth, Rudolf (1856): Abhandlung über den Atharva Veda. Tübingen: Fues, S. 16–17. 466 vā ´ r idám vārayātai varaṇā´vatyām ádhi tátrāmr ̥´tasyā´siktaṃ ténā te vāraye viṣám.

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AVŚ 10.2.4 »Wieviel Götter und welche sind’s gewesen, die Brust und Nacken ausgedacht des Menschen? Wer brachte die Brustzitzen an, die Schultern, die Ellenbogen? Wer erfand die Rippen?« (De) 467

Diese Fragen werden nicht beantwortet. Nach dem gleichem Muster werden in den nächsten neun Versen Fragen nach den Funktionen des menschlichen Organismus gestellt, beispielsweise in Bezug auf den Atem: AVŚ 10.2.13 »Wer wob in ihm den Aushauch ein, den Einhauch und den Zwischenhauch, den Allhauch auch? Wer war der Gott, der sie im Menschen setzte ein?« (De) 468

Auch hier gibt der Verfasser der Hymne keine Antwort. Mit Vers 18 verändern sich die Fragen: nicht mehr die Zusammensetzung und Funktion des »Mikrokosmos« Mensch ist das Thema. Vielmehr wird der Mensch (puruṣa) nun als Makrokosmos betrachtet. So wurde im alten ̥rgvedischen Hymnus RV 10.90 das einheitliche Ganze als ein unendlich großer Mensch vorgestellt. 469 Auf diesen makrokosmischen Menschen scheinen sich die folgenden Fragen zu beziehen: AVŚ 10.2.18–19 »(18) Durch wen bedeckte er diese Erde? Durch wen umfängt er den Himmel? Durch welche Macht (reicht er) bis zu den Bergen hin? Durch wen (umfasst) der Mensch die Opferwerke? (19) Durch wen sucht er Parjanya (= Regengott) auf? Durch wen den weit leuchtenden Soma (= Mond)? Durch wen sowohl das Opfer als auch den Glauben? Durch wen ist in ihm der Geist hineingelegt?« (ES) 470

Es wird mithin nach dem gefragt, was sowohl im Kleinen wie auch im Großen herrscht. Auch hier erfolgt noch keine Antwort. Dies geschieht erst im Anschluss an die folgende Frage: AVŚ 10.2.20 »Durch wen erlangt er Gelehrtheit? Durch wen (erlangt er) diesen höchsten (Lehrer)? Durch wen (erlangt) der Mensch dieses Opferfeuer? Durch wen hat er das Jahr gemessen?« (ES) 471 467 káti devā´ḥ katamé tá āsan yá úro grīvā´ś cikyúḥ púruṣasya káti stánau vy àdadhuḥ káḥ kaphodaú káti skandhā´n káti pr ̥ ṣṭī´r acinvan. 468 kó asmin prāṇáṃ avayat kó apānáṃ vyānám u samānám asmin kó devó ’dhi śiśrāya púruṣe. 469 Siehe III.2.5. 470 kénemā ´ ṃ bhū´mim aurṇot kéna páry abhavad dívam kénābhí mahnā´ párvatān kéna kármāṇi púruṣaḥ kéna parjányam ánv eti kéna sómaṃ vicakṣaṇám kéna yajñám ca śraddhā´ṃ ca kénāsmin níhitaṃ mánaḥ. 471 kéna śrótriyam āpnoti kénemáṃ parameṣṭhínam kénemám agníṃ pū ´ ruṣaḥ kéna saṃvatsaráṃ mame.

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Die Antwort lautet: AVŚ 10.2.21 »Das bráhman erlangt die Gelehrtheit. Das bráhman (erlangt) diesen höchsten (Lehrer). Das bráhman als Mensch (erlangt) dieses Opferfeuer. Das bráhman hat das Jahr gemessen.« (ES) 472

Auffällig ist zunächst einmal der Subjektwechsel: so ist das bráhman das logische Subjekt, das »Gelehrtheit« (śrótriya), den »höchsten (Lehrer)« (parameṣṭhina) sowie das »Opferfeuer« erlangt und das die für das Ritual wesentliche Ausmessung des Jahres vornimmt. In der Frage war das logische Subjekt dagegen noch der Mensch. Whitney bemerkt in seiner Übersetzung dazu: »Here and in vss. 23 and 25 an instrumental is distinctly and strongly called for, instead of nominative bráhma; yet to call bráhma an instr., and translate it as such, does not seem possible.« 473

Die Gebiete, in denen das bráhman nun das logische Subjekt darstellt, sind allesamt auf das religiöse Wissen bezogen: dies gilt auch für das Feuer, das im RV als Vermittler des Heiligen Wissens galt und damit eine große Nähe zur »Gelehrtheit« und zum »höchsten (Lehrer)« besitzt. Der Subjektwechsel weist somit darauf hin, dass das bráhman das Prinzip des Wissens ist, mit dem etwas bewirkt werden kann. Gleichzeitig scheint das bráhman die Antwort auf die Fragen zu sein, durch wen (kéna) etwas im Mikrokosmos und im Makrokosmos bewirkt wird. Der Instrumental kéna »durch wen« zeigt an, dass hier nicht nach einem Agens gefragt wird – sonst hätte man den Fragepartikel »wer« benutzt – sondern vielmehr nach dem Mittel in Form einer bewirkenden Macht. Diese bewirkende Macht in Form des bráhman besitzt die Herrschaft über Mikrokosmos wie Makrokosmos. Dies gilt explizit nicht nur für den mikrokosmischen und makrokosmischen Menschen, sondern auch für die im Makrokosmos wirkenden Götter: AVŚ 10.2.23 »The bráhman dwells upon the gods, the bráhman [upon] the people of the god-folk; the bráhman this other asterism; the bráhman is called real authority.« (Wh) 474

472 bráhma śrótriyam āpnoti bráhmemáṃ parameṣṭhinam bráhmemám agníṃ pū´ruṣo bráhma saṃvatsaráṃ mame. 473 Kommentar von William D. Whitney (1962) in: Atharva-Veda Saṁhitā, S. 570. 474 bráhma devā ´m ˘˙ ánu kṣiyati bráhma daívajanīr víśaḥ bráhmedám anyán nákṣatraṃ bráhma sát kṣatrám ucyate.

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Auch die Schöpfung von allem wird durch das bráhman bewirkt: AVŚ 10.2.25 »By the brahman is the earth disposed; the brahman [is] the sky set above, the brahman this atmosphere, the expanse, set aloft and across.« (Wh) 475

Das bráhman kann in diesem Abschnitt mithin als eine selbsttätige Wirkmacht verstanden werden, die den Handlungen der Götter und Menschen zugrunde liegt. Mit anderen Worten werden durch das bráhman spezifische kausale Verhältnisse innerhalb und zwischen den Wesenheiten aktiviert. Damit ist Herrschaft über alles verbunden, die der Zauberer beachtet und anwendet. Dennoch ist das bráhman kein verborgenes Prinzip von Allem, sondern ein wesenhaft erscheinendes Prinzip, das vom Zauberer formuliert werden kann, um Herrschaft auszuüben. In AVŚ 11.8 wird auf die Entstehung des Menschen eingegangen. Auch hier ist wieder die Doppeldeutigkeit eines mikro- und makrokosmischen Menschen festzustellen. Als Ausgangspunkt dieser Entstehung wird im Sprachbild die Hochzeit von »erregtem Sinn« (manyú) mit einer Tochter des »Entschlusses« (saṃkalpá) verstanden, die auf die sexuelle Vereinigung hinweist. Das Hochzeitspaar wird von Brautführern und Werbern begleitet; der oberste Werber ist dabei das bráhman. 476 Als oberster Werber stellt das bráhman die Voraussetzung für das Zustandekommen der Hochzeit, mithin für die Entstehung des Menschen dar. Die Hochzeit findet im Meer statt, in dem sich tápas (Hitze/ Askese) und kárman (Werk/ Opferwerk) aufhalten. Dieses Bild erinnert an Kosmogonien, in denen im Urwasser – in RV 10.129 ebenfalls durch tápas – die Ausdehnung des »Einen« in Gang gesetzt wird. 477 Auf dieser Grundlage werden zehn Götter geboren, die Funktionen des menschlichen Lebens darstellen: Ein- und Ausatmung, Sehsinn, Hörsinn, Vergänglichkeit, Unvergänglichkeit, Aus- und Einhauch, Sprache, Denken. 478 Diese zehn Götter fügen nun das bereits vorhandene Material wie Knochen, Haare und Sehnen zusammen und gehen in den Menschen ein:

475 bráhmaṇā bhū ´ mir víhitā bráhma dyaúr úttarā hitā´ bráhmedám ūrdhváṃ tiryák cāntárikṣaṃ vyáco hitám. 476 Vgl. AVŚ 11.8.2. 477 Vgl. AVŚ 11.8.2. Siehe III.2.5. 478 Vgl. AVŚ 11.8.4.

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AVŚ 11.8.13 »Zusammengießer heißen sie, die Götter, die dies sammelten; zusammen gossen ihn Götter und gingen in den Menschen ein.« (De) 479

Danach ziehen bestimmte Eigenschaften und Merkmale wie Schlaf, Alter, Hunger, Glauben und Freude sowie die acht Körperflüssigkeiten in den Körper ein. 480 Zum Abschluss des Entstehungsprozesses wird schließlich wieder auf das bráhman eingegangen: AVŚ 11.8.30 »Welches Wasser auch, welche Gottheiten, welche Virā´j – [sie sind] zugleich mit dem bráhman. Das bráhman ging in den Leib ein; [es ist] der Prajāpati über den Leib.« (ES) 481

Das bráhman wird somit zum einen als Begleiter des Entstehungsprozesses verstanden; zum anderen wird es als Herrscher (Prajāpati) über den Leib bezeichnet. Es lässt sich damit auch hier als eine Macht bestimmen, die die verschiedenen Prozesse, die zur Entstehung des Menschen führen, aktiviert und beherrscht. Der Agens der Prozesse ist dabei unterschiedlich; so heißt es beispielsweise: AVŚ 11.8.19 »Schlaf, Mattigkeit und Auflösung – Götter, die Übel sind genannt – Alter, Kahlheit und Grauwerden, die gingen in den Körper ein.« (De) 482

Hierbei muss der Schlaf etc. als eine eigenständige Wesenheit betrachtet werden: seine Bezeichnung als Gottheit (devatā) unterstreicht dies. Der Schlaf als eigenständige Wesenheit steht nun in einer wechselseitigen Relation zum menschlichen Leib; unter entsprechenden Umständen wirkt der Schlaf auf den Leib ein und der Mensch empfindet Müdigkeit. Da das bráhman diesen Prozess aktiviert hat und beherrscht, lässt sich die Qualität des Schlafes beeinflussen. So wird beispielsweise gegen schlechte Träume folgendes bráhman formuliert:

479 saṃsíco nā ´ ma té devā´ yé saṃbhārā´nt samábharan sárvaṃ saṃsícya mártyaṃ devā´ḥ púruṣam ā´viśan. 480 Vgl. AVŚ 11.8.11–29. 481 yā ´ ā´po yā´ś ca devátā yā´ virā´ṭ bráhmaṇā sahá śárīraṃ bráhma prā´viśac chárīré ’dhi prajā´patiḥ. 482 svápno vaí tandrī´r nírrtiḥ pāpmā ´ no nā´ma devátāḥ jarā´ khā´latyaṃ pā´lityaṃ ̥ śárīram ánu prā´viśan.

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AVŚ 7.100.1 »I turn away from evil-dreaming, from bad dreaming, from ill-success; I make bráhman my inner [defense]; [I put] away the pains having the aspect of dreams.« (Wh) 483

Die mit dem bráhman implizierte Macht beruht mithin auf der Ausnutzung bestehender kausaler Relationen zwischen verschiedenen Wesenheiten wie dem Schlaf und dem Leib. Zusammenfassend kann das bráhman als eine Wirkmacht begriffen werden, die – neben seiner grundsätzlichen Funktion als Zauberformel – der Entstehung des Menschen zugrunde liegt. In AVŚ 10.2 gilt dies auch für die Entstehung des makrokosmischen Menschen, das heißt: der Welt, was auch in AVŚ 11.8 angedeutet wird. Dadurch kann das bráhman aus religionswissenschaftlicher Metaperspektive als ein erscheinendes Prinzip verstanden werden, das alles beherrscht und ein einheitliches Ganzes impliziert. Neben dem bráhman gibt es zwei weitere Mächte, deren Wirkmacht auch im Makrokosmos besteht und auf die kurz eingegangen werden soll. Danach werden die Abschnitte betrachtet, in denen ein einheitliches Ganzes explizit erwähnt wird.

3.4. Weitere Mächte im frühen Atharvaveda 3.4.1. Der prāṇa In AVŚ 11.4 wird eine andere Macht gepriesen, nämlich der prāṇa, wörtlich »Atem, Lebenshauch«. Der prāṇa ist dort etwas, das sowohl in der gesamten Welt als auch im Einzelnen wirkt. Zum einen wird er mit Donner und Regen identifiziert und wirkt befruchtend. 484 Auf diese Weise belebt er die Pflanzen, die magische Wirkkräfte besitzen. 485 Zum anderen wird der Mensch durch Anstoß des prāṇa geboren. 486 Verlässt der prāṇa den Menschen, stirbt der Mensch. Darum wird er ex negativo mit Tod und Krankheit gleichgesetzt. 487 In anderen Hymnen wird er deshalb auch angerufen, das Leben zu ver-

483 paryā ´ varte duṣvápnyāt pāpā´t svápnyād ábhūtyāḥ bráhmāhám ántaraṃ kr̥ṇve párā svápnamukhāḥ śúcaḥ. 484 Vgl. AVŚ 11.4.2–3. 485 Vgl. AVŚ 11.4.16. 486 Vgl. AVŚ 11.4.14. 487 Vgl. AVŚ 11.4.11.

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längern und das des Feindes zu verkürzen. 488 Als belebende Macht werden alle Wesenheiten von ihm beherrscht, auch dasjenige, das nicht atmet: AVŚ 11.4.10 »Der Prāṇa hüllt ein die Wesen wie ein Vater den lieben Sohn, der Prāṇa ist des Weltalls Herr, des, das atmet, und des, das nicht.« (De) 489

Diese alles umfassende Herrschaft besteht somit in seiner Funktion als Prinzip über Leben und Tod. Anders als das bráhman ist der prāṇa keine Macht, die der Mensch unter direkter Kontrolle hat. So wird er in den abschließenden Versen des Hymnus um Beistand gebeten: AVŚ 11.4.24 »Der du hier über jedes, was entsteht und sich reget, bist, unermüdlich und treu bleibend durch Gebet, Prāṇa, steh mir bei.« (De) 490

Während das bráhman ein Werkzeug darstellt, dem sich Götter und Menschen bedienen, aktiviert der prāṇa die Wesenheiten als solche: Seine Anwesenheit verursacht Leben, seine Abwesenheit Tod. Gleichwohl begründet er wie das bráhman als ein erscheinendes Prinzip eine Herrschaft, die sich über alles erstreckt. Damit impliziert er ebenfalls ein einheitliches Ganzes, ohne dass er selbst wesenhaft als ein solches betrachtet werden kann. Diese prāṇa-Lehre kann als ein konkurrierendes Modell zum Gedanken des bráhman verstanden werden, bei dem in AVŚ 10.2.13 explizit der Atem durch das bráhman bewirkt wird. 3.4.2. Die virā´j Virā´j bedeutet wörtlich »weithin beherrschend, gebietend« und stellt bereits zu ̥rgvedischen Zeiten ein Versmaß dar. 491 Schon in RV 10.90 wurde die virā´j mit der Kosmogonie in Verbindung gebracht. Dort stand sie mit dem mythischen puruṣa (Mensch) in einer unendlichen Wechselbeziehung, aus der dann die Entfaltung der Welt hervor-

Vgl. z. B. AVŚ 3.31.8–9; 5.30.13; 6.104.1; 7.31.1. prāṇáḥ prajā´ ánu vaste pitā´ putrám iva priyám prāṇó ha sárvasyeśvaró yác ca prāṇáti yác ca ná. 490 yó asyá sarvájanmana ī´śe sárvasya céṣṭataḥ / átandro bráhmaṇā dhī´raḥ prāṇó mā´nu tiṣṭhātu // 491 Vgl. Graßmann, Hermann (1964): Wörterbuch zum Rig-Veda. 4. Aufl. Wiesbaden: Harrassowitz, Sp. 1290. 488 489

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ging. 492 In AVŚ 8.10 wird die virā´j dagegen zunächst als Einziges bestimmt, das am Anfang von allem steht: AVŚ 8.10.1 »Virāj verily was this [universe] in the beginning; of her when born everything was afraid, [thinking] ›this one indeed will become this [universe]‹.« (Wh) 493

In den darauffolgenden Versen wird jeweils erwähnt, dass sie heraus pffi tritt (ut kram) und in eine bestimmte Wesenheit eintritt (nipffi kram). Mit dem Wissen sind darum bestimmte Wirkungen verbunden. So heißt es zum Beispiel: AVŚ 8.10.2 »Sie trat heraus. Sie trat ins Feuer des Hausherrn ein. Ein das Hausopfer vollziehender Hausvater wird, wer dies weiß.« (ES) 494

Mit ihrem Heraustreten erschafft die virā´j auch den Ritualkalender. So wird beispielsweise das monatliche Ahnenopfer dadurch begründet, dass sie von den Ahnen getötet wurde und einen Monat brauchte, um wieder ins Dasein zu kommen: AVŚ 8.10.19 »She ascended; she came to the Fathers; the Fathers slew her; she in a month came into being; therefore to the Fathers they give in a month the monthly [oblation]; he understandeth the road that goes to the Fathers who knoweth thus.« (Wh) 495

Auch hier sind mit dem Wissen um diese Zusammenhänge bestimmte Wirkungen verbunden. Schließlich begründet die virā´j die Existenz aller Gruppen von Wesenheiten: der Dämonen, der Ahnen, der Menschen, der sieben Seher, der Götter, der Gandharvas und Apsaras, der Schlangen und der übrigen Geschöpfe (itara-jana). 496 Denn die virā´j kommt zu allen Gruppen zusammen mit der Wesenheit, durch die pffi diese Gruppen existieren (upa jīv). Im Hinblick auf die Schlangen ist es beispielsweise das Gift. Zu ihnen kommt die virā´j mit Gift: AVŚ 8.10.29 »She ascended; she came to the serpents; the serpents called to her: ›O poisonous one, come!‹ Of her Takshaka descendant of Viśāla was young, the gourd-vessel [was] vessel; her Dhr̥tarāṣṭra son of Irāvant milked;

Vgl. RV 10.90. virā´ḍ vā´ idám ágra āsīt tásyā jātā´yāḥ sárvam abibhed iyám evédáṃ bhaviṣyátī´ti. 494 sód akrāmat sā ´ gā´rhapatye ny àkrāmat gr̥hamedhī´ gr̥hápatir bhavati yá eváṃ véda. 495 sód akrāmat sā´ pitr ̥¯´n ā´gachat tā´ṃ pitáro ’ghnata sā´ māsí sám abhavat tásmāt pitr̥´bhyo māsy úpamāsyaṃ dadati prá pitr̥yā´ṇaṃ pánthāṃ jānāti yá eváṃ véda. 496 Vgl. AVŚ 8.10.22–29. 492 493

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from her he milked poison; upon that poison the serpents subsist; one to be subsisted upon becometh he who knoweth thus.« (Wh) 497

Die virā´j begründet mithin kausale Verhältnisse zwischen den Wesenheiten, so zum Beispiel zwischen dem Gift und den Schlangen. Gleichzeitig ist dieses Wissen selbst kausal wirksam. In AVŚ 8.9.9 wird die Beziehung der virā´j zu allem auf den Punkt gebracht: AVŚ 8.9.9 »(…) virāj that touches, that is adapted to everything – some see her, some see her not.« (Wh) 498

Die virā´j bildet mithin die kausalen Abhängigkeitsverhältnisse ab, die zwischen allen Wesenheiten existieren. Als solches übt sie – wie schon ihr Name »weithin beherrschend« sagt – Herrschaft über alles aus. Wie das bráhman oder der prāṇa ist sie als ein erscheinendes Prinzip zu begreifen, dessen Tätigkeit aus religionswissenschaftlicher Metaperspektive ein einheitliches Ganzes impliziert.

3.5. Heterogene Vorstellungen über das Ganze Im frühen AV lässt sich durch die Tätigkeit der allbeherrschenden Mächte in Form des bráhman, des prāṇa oder der virā´j die erscheinende Vielheit als ein einheitliches Ganzes verstehen. Explizit thematisiert wird ein solches einheitliches Ganzes jedoch nur in bestimmten Abschnitten, auf die nun eingegangen werden soll. Wie auch bei den Mächten gibt es hier mehrere Vorstellungen, die in Konkurrenz miteinander zu stehen scheinen. 3.5.1. Spekulative Bruchstücke aus den Zauberhymnen In den Zauberhymnen des frühen AV finden sich einige spekulative Bruchstücke über den Gedanken eines einheitlichen Ganzen. Darauf soll zunächst eingegangen werden. Im ersten Vers des ersten Kapitels des AV ist folgender Spruch zu finden:

497 sód akrāmat sā ´ sarpā´n ā´gachat tā´ṃ sarpā´ úpāhvayanta víṣavaty éhī´ti tásyās takṣakó vaiśaleyó vatsá ā´sīd alābupātráṃ pā´traṃ tā´ṃ dhr̥tárāṣṭra airāvató ’dhok tā´ṃ viṣám evā´dhok tád viṣáṃ sarpā´ úpa jīvanty upajīvanī´yo bhavati yá eváṃ véda. 498 (…) víśvaṃ mr̥śántīm abhírūpāṃ virā´jaṃ páśyanti tvé na tvé paśyanty enām.

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AVŚ 1.1.1 »Die dreimal-sieben, die umherwandern, die alle Gestalten (rūpā´ṇi) tragen, deren Körper (tanvò) Kräfte hat mir jetzt der Herr der Rede zu gewähren!« (ES) 499

Der Sprechende nimmt somit Bezug auf etwas, das die gesamte erscheinende Vielheit (»alle Gestalten«) trägt. Dieses »Etwas« trägt keinen eigenen Namen, sondern wird in der Zahlenoperation »dreimalsieben« angedeutet. Im späteren Sprachgebrauch bedeutet triṣapta neben »dreimal-sieben« bzw. »einundzwanzig« auch »eine unbestimmte größere Zahl«. 500 Für den AV ist zu vermuten, dass hier noch die im RV übliche wörtliche Übersetzung »dreimal-sieben« gilt. Berücksichtigt man den Bezug auf die gesamte erscheinende Vielheit, lässt sich vermuten, dass eine Anspielung auf den ̥rgvedischen Vers RV 1.164.2 gemacht wird, in dem mit dieser Zahlenoperation das Hervortreten der verborgenen Einheit angedeutet wird, wie es dort hieß: 501 RV 1.164.2 »Sieben schirren den einrädrigen Wagen an; ein Pferd zieht ihn, das sieben Namen hat. Dreinabig, niemals altersschwach, unübertroffen ist das Rad, auf dem alle diese Wesen stehen.« (Ge) 502

Sieben ziehen hier das dreinabige Rad, das Eines ist. Die in AVŚ 1.1.1 erfolgte Erwähnung der einen Zahlenoperation »dreimal-sieben« scheint dieses Sprachbild mathematisch wiederzugeben: Die »dreimal-sieben« als Hervortreten der notwendig vorausgesetzten Einheit trägt die gesamte Vielheit. Dabei tritt der dynamische Aspekt dieses Ganzen, ausgedrückt durch deren »Umherwandern« und deren »Kräfte« deutlich hervor. Da das Ganze keine eigene Wesenheit darstellt, wird es als Zahlenoperation dargestellt, deren Tätigkeit der erscheinenden Vielheit verborgen ist. In AVŚ 4.2 wird der Hymnus RV 10.121 in Teilen wiedergegeben. 503 Das Thema des gesamten Hymnus ist die Suche nach dem verborgenen Gott. So wird jede Strophe mit der Phrase kásmai devā´ya havíṣā vidhema »Wer ist der Gott, dem wir mit Opfer dienen sollen?« (Ge) abgeschlossen. Davor werden die Leistungen dieses 499 yé triṣaptā ´ ḥ pariyánti víśvā rūpā´ṇi bíbhrataḥ vācás pátir bálā téṣāṃ tanvò adyá dadhātu me. 500 Vgl. PW: triṣapta. 501 Siehe III.2.4. 502 saptá yuñjanti rátham ékacakram éko áśvo vahati saptánāmā trinā´bhi cakrám ajáram anarváṃ yátremā´ víśvā bhúvanā´dhi tasthúḥ. 503 Siehe III.2.5.

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Gottes aufgezählt: Er gibt allen Kraft und beherrscht alle (viśve) (AVŚ 4.2.1); sein Schattenbild ist Unsterblichkeit (amr̥taṃ) und Tod (mr̥tyu) (AVŚ 4.2.2); ihm gehören die drei »Welten« Himmel, Erde, Luftraum an (AVŚ 4.2.4). Es lässt sich erkennen, dass hier eine Einheit bestimmt wird, die jeglicher Vielheit, nämlich »allen«, »Unsterblichkeit und Tod« und »allen drei Welten« vorausgesetzt ist. Diese Einheit ist verborgen, weshalb ihre Identität in jeder Strophe befragt wird. In den darauffolgenden Versen wird auf den Ur-Keim (garbha) eingegangen: AVŚ 4.2.6 »Die (Ur-)Wasser erquickten im Anfang alles. Einen Keim empfingen die unsterblichen r̥tá-Kennenden, die Göttinnen, in denen der Gott war (…).« (ES) 504

Die Wasser beschreiben den ungeordneten, formlosen Urzustand, der alles umfasst. Durch die Empfängnis des einen Keims bekommt das Ungeordnete eine Form, wie im folgenden Vers mit der Befestigung von Erde und Himmel angedeutet wird: AVŚ 4.2.7 »Der Goldene Keim stellte sich im Anfang pffi ein. Er war der eine geborene Herr des Daseins (bhūtá); er befestigt ( dhr̥) Erde und Himmel (…).« (ES) 505

Der eine Keim ist mithin die verborgene Voraussetzung für die Vielheit der erscheinenden Welt. Er kann als einheitliches Ganzes bestimmt werden, das aus der vollkommen differenzlosen Einheit – symbolisiert durch das Bild der Ur-Wasser – hervortritt. Es lässt sich erkennen, dass in den Zauberhymnen an einigen Stellen ein explizites Wissen um die notwendige Voraussetzung einer verborgenen Einheit erkennbar wird, die als ein Ganzes hervortritt. Der Blick soll nun auf die spekulativen Hymnen gerichtet werden. Lässt sich dort dieses Wissen ebenfalls finden? 3.5.2. Der Skambha Im Abschnitt AVŚ 10.7, der zu den spekulativen Hymnen gezählt wird, geht es um den Skambha, wörtlich die »Stütze«. 506 In den ers504 ā ´ po ágre víśvam āvan gárbhaṃ dádhānā amr ̥´tā ̥rtajñā´ḥ yā´su devī´ṣv ádhi devá ā´sīt (…). 505 hiraṇyagarbháḥ sám avartatā´gre bhūtásya jātáḥ pátir éka āsīt sá dādhāra pr̥thivī´m utá dyā´ṃ (…). 506 Paul Horsch sieht die im R ̥ gveda-Kapitel besprochene einfüßige Ziege (ajá

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ten 14 Versen wird die Allumfassenheit des Skambha deutlich gemacht. Diese Allumfassenheit wird mit Fragen erschlossen, auf die keine Antworten gegeben werden. So heißt es im Bezug auf die Welten: AVŚ 10.7.3 »In welchem seiner Glieder steht die Erde, in welchem seiner Glieder steht der Luftraum, in welchem Gliede steht gestützt der Himmel, in welchem Gliede, was vom Himmel jenseits?« (De) 507

Die Teile der erscheinenden Welt sind mithin nur »Glieder« des Skambha. Nach diesem Muster werden auch die wichtigen religiösen Begriffe tapas (Askese), ̥rta (ordnende Wahrheit), vrata (Gelübde), śraddha (Glaube) und satya (Wahrheit) (AVŚ 10.7.1) sowie das rituell bedeutsame Feuer, der Feuerbringer Mātariśvan und der die Zeiten einteilende Mond als Glieder des Skambha bestimmt (AVŚ 10.7.2). Die keine Antwort hervorrufenden Fragen zeigen die Verborgenheit des Skambha an. So wird er notwendig vorausgesetzt, ohne in der Vielheit sichtbar zu sein. Dass der Skambha kein Gegenstand eines unmittelbaren Wissens ist, zeigt die Phrase skambháṃ táṃ brūhi katamáḥ svid evá sáḥ »Verkünde diesen Skambha, wer er wohl mag sein« (De), die ab der vierten Strophe stets an das Ende der Fragen gesetzt wird. Zum Skambha strebt das Opferfeuer (AVŚ 10.7.4) und die verschiedenen Zeitmaße (AVŚ 10.7.5–6). Er stützt die Gesamtheit der Welten (AVŚ 10.7.7), erstreckt sich von der Vergangenheit bis zur Zukunft (AVŚ 10.7.9), ist in allem Seienden und Nichtseienden (AVŚ 10.7.9), enthält alle Götter (AVŚ 10.7.13) und wohnt in dem heiligen Opferwissen (AVŚ 10.7.14). In Anspielung auf den bereits besprochenen Hymnus AVŚ 4.2 508 heißt es gegen ein wesenhaftes Verständnis des goldenen Keims: 509

ékapād) als einen Pfeiler (skambhá), auf den die (sichtbare) Sonne gründet. (Vgl. Horsch, Paul (1965/1966): Aja Ekapād und die Sonne. In: Indo-Iranian Journal 9, S. 1–30, hier S. 13–14). Damit wäre eine direkte ideengeschichtliche Verbindung zu Vorstellungen des R ̥ gveda gefunden. Siehe dazu III.2.4. 507 kásminn áṅge tiṣṭhati bhū ´ mir asya kásminn áṅge tiṣṭhaty antárikṣam kásminn áṅge tiṣṭhaty ā´hitā dyaúḥ kásminn áṅge tiṣṭhaty úttaraṃ diváḥ. 508 Siehe III.3.5.1. 509 Das Skambha-Lied lässt sich mit Deussen als einen Versuch fassen, das bereits besprochene Lied RV 10.121 bzw. AVŚ 4.2 zu verbessern und ähnelt ihm darum in seiner Struktur. (Vgl. Paul Deussen (1922): Allgemeine Einleitung und Philosophie des Veda bis auf die Upanishad’s, S. 310). Die Voraussetzung einer verborgenen »Einheit«

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AVŚ 10.7.28 »Der ›goldene Keim‹ sei als Höchstes unübersagbar, meint das Volk; Nun, Skambha hat dies Gold anfangs gegossen in die Welt hinein.« (De) 510

Auch hier erweist sich der Skambha als etwas vollständig Verborgenes, das nur in seiner Voraussetzung gewusst wird. Im Gegensatz zu allen Göttern wird der Skambha vollkommen jenseits (parás) gedacht: AVŚ 10.7.25 »Groß sind freilich auch die Götter, die dem Nichtseienden entstammen. Doch sind sie nur ein Glied Skambha’s. Was jenseits ist, ist dem Pöbel nichts.« (De) 511

Der Skambha umfasst somit als Verborgenes die gesamte Vielheit in allen denkbaren Dimensionen. Er kann als eine verborgene Einheit bestimmt werden, die als Ganzes hervortritt und als solches der Vielheit der erscheinenden Welt vorausgesetzt werden muss. Das Hervortreten der ursprünglichen Einheit reicht bis in die Vielheit hinein, in welcher sich der Skambha wesenhaft als Indra manifestiert: AVŚ 10.7.29 »Auf Skambha sind gestützt Welten, auf ihn Kasteiung und das Recht, und dich, o Skambha, sichtbarlich in Indra weiß verkörpert ich.« (De) 512

Als Wesenheit ist Indra ein Teil der Vielheit, weist aber auf die verborgene Einheit hin. 3.5.3. Rätsellieder in den spekulativen Hymnen In AVŚ 10.8 sind neben zwei weiteren Versen über den Skambha eine Vielzahl von oft unverbundenen Rätselversen zu finden, deren Deutung Deussen als »problematisch« bezeichnet. 513 Im Vers AVŚ 10.8.11 wird der Gedanke, dass der erscheinenden Vielheit eine Einheit vorauszusetzen ist, sehr deutlich betont. So heißt es dort:

hiraṇyagarbhám paramám anatyudyáṃ jánā viduḥ skambhás tád ágre prā´siñcad dhíraṇyaṃ loké antarā´. 511 brhánto nā ´ ma té devā´ yé ’sataḥ pári jajñiré ékaṃ tád áṅgaṃ skambhásyā´sad ̥ āhuḥ paró jánāḥ. 512 skambhé lokā ´ ḥ skambhé tápaḥ skambhé ’dhy ̥rtám ā´hitam skámbha tvā´ veda pratyákṣam índre sárvaṃ samā´hitam. 513 Vgl. Paul Deussen (1922): Allgemeine Einleitung und Philosophie des Veda bis auf die Upanishad’s, S. 314. 510

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AVŚ 10.8.11 »Was regsam ist, was fliegt und dennoch stillsteht, was atmet und nicht atmet, was die Augen schließt, das trägt die ganze Erde allgestaltig, und das zusammengehend, wird zur Einheit [ékam].« (De) 514

Hinter der erscheinenden Vielheit ist mithin ein einheitliches Ganzes verborgen, das alles umfasst. In gleicher Weise muss auch AVŚ 10.8.6 betrachtet werden: AVŚ 10.8.6 »Offen [āvíḥ] ist, und geheim [gúhā] bleibt es, ›uralt‹ heißt es, ein großes Land, in ihm steht dieses Weltganze [sárvam], was lebt und webt, gegründet fest.« (De) 515

Als alles umfassendes Ganzes ist es sichtbar (āviḥ), wohl in Form seiner konkreten Teile. Da eine Ganzheit als solche jedoch sinnlich nicht erfasst werden kann, ist sie gleichzeitig verborgen (guhā). Die gleichzeitige Sichtbarkeit und Verborgenheit der ursprünglichen Einheit wird auch in anderen Versen betont. So heißt es in AVŚ 10.8.7: AVŚ 10.8.7 »One-wheeled it rolls, one-rimmed, thousand-syllabled, forth in front, down behind; with a half it has generated all existence; what its [other] half is – what has become of that?« (Wh) 516

Die Einheit, im Sprachbild das eine Rad (ékacakraṃ), tritt als Ganzes hervor, was im Sprachbild durch den sich drehenden einen Radkranz (ékanemi) symbolisiert wird, in dem sich 1000 Silben 517 – die aus Namen bestehende Vielheit – befinden. Dieses einheitliche Ganze kann nicht vollständig erkannt werden – darum ist nur eine Hälfte bekannt. So trägt das einheitliche Ganze die gesamte Vielheit, ohne ein Gegenstand unmittelbaren Wissens zu sein; vielmehr ist es nur in der Notwendigkeit seiner Voraussetzung bestimmbar.

514 yád éjati pátati yác ca tíṣṭhati prāṇád áprāṇan nimiṣác ca yád bhúvat tád dādhāra pr̥thivī´ṃ viśvárūpaṃ tát saṃbhū´ya bhavaty ékam evá. 515 āvíḥ sán níhitaṃ gúhā járan nā ´ ma mahát padám tátredáṃ sárvam ā´rpitam éjat prāṇát prátiṣṭhitam. 516 ékacakraṃ vartata ékanemi sahásrākṣaraṃ prá puró ní paścā ardhéna víśvaṃ bhúvanaṃ jajā´na yád asyārdháṃ kvà tád babhūva. 517 Das Wort akṣara »Silbe« hat dabei eine beachtenswerte zweite Bedeutung, nämlich a-kṣara »nicht-vergänglich«. Es zu vermuten, dass diese Doppeldeutigkeit beabsichtigt ist und sich auf die Unvergänglichkeit des einheitlichen Ganzen bezieht, das die Vielheit umfasst. Denn für das Sprachbild hätte das Wort ará »Radspeiche« besser gepasst.

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3.5.4. Der Brahmacārin In AVŚ 11.5 wird der Mensch verherrlicht, der die durch das bráhman verliehene Macht ausübt: der Brahmacārin. Während dieser Begriff im klassischen Hinduismus für eine der vier idealtypischen Lebensstufen (āśrama) steht, muss er im Kontext des AV in seiner ursprünglichen, wörtlichen Bedeutung begriffen werden. 518 Gemäß Paul Thieme ist der Brahmacārin wörtlich derjenige, »der sich mit der Wahrheitsformulierung [brahman] beschäftigt« 519. In der Hymne AVŚ 11.5 heißt es über ihn: AVŚ 11.5.1 »The vedic student [Brahmacārín] goes on setting in motion (iṣ) both firmaments; in him the gods become like-minded; he maintains earth and heaven; he fills his teacher with fervor (tápas).« (Wh) 520 AVŚ 11.5.7 »The vedic student [Brahmacārín], generating the bráhman, the waters, the world, Prajāpati, the most exalted one, virāj, having become an embryo in the womb of immortality; having become Indra, he has shattered (tr̥h) the Asuras.« (Wh) 521

Der Brahmacārin wird somit mit dem Ursprung von allem, mithin mit der Manifestation des einheitlichen Ganzen, dem ursprünglichen Keim, gleichgesetzt. Wie aus dem einheitlichen Ganzen gehen auch aus ihm die Zeiten sowie die erscheinende Vielheit hervor: AVŚ 11.5.20 »Vergangenes und was künftig, Tag und Nacht, Kräuter und der Baum, das Jahr mitsamt den Jahreszeiten vom Brahmanschüler sind erzeugt.« (De) 522

518 Axel Michaels bemerkt dazu: »Ursprünglich waren die Āśramas, wie Moriz Winternitz und Patrick Olivelle gezeigt haben, theologische Konzepte von gleichwertigen Lebenswegen, zu denen sich ein männlicher Erwachsener lebenslang berufen fühlen konnte (…). Doch ab der späten 3. Epoche wurden diese Wege zu einem theologischen Ideal von nachgeordneten Lebensstufen mit spezifischen Aufgaben und Lebenszielen (puruṣārtha), durch das vor allem die Askese integriert wurde.« (Michaels, Axel (1998): Der Hinduismus. Geschichte und Gegenwart. München: Beck, S. 108). 519 Thieme, Paul (1971): Bráhman, S. 133. 520 brahmacārī´ṣṇáṃś carati ródasī ubhé tásmin devā ´ ḥ sáṃmanaso bhavanti sá dādhāra pr ̥ thivī´ṃ dívaṃ ca sá ācāryàṃ tápasā piparti. 521 brahmacārī´ janáyan bráhmāpó lokáṃ prajā ´ patiṃ parameṣṭhínam virā´jam gárbho bhūtvā´mr ̥´tasya yónāv índro ha bhūtvā´surāṃs tatarha. 522 óṣadhayo bhūtabhavyám ahorātré vánaspátiḥ saṃvatsaráḥ sahá rtúbhis té jātā ´ brahmacāríṇaḥ.

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Die Brāhmaṇas

AVŚ 11.5.21 »Der Erde und der Luft Tiere, wilde Tiere und zahme auch, die ohne Flügel, mit Flügeln, vom Brahmanschüler sind erzeugt.« (De) 523

Seine Macht, die die Gleichsetzung mit dem Ganzen rechtfertigt, stammt dabei explizit vom bráhman: AVŚ 11.5.24 »The Vedic student bears a shining bráhman; in that [are] woven together all the gods (…)« (Wh) 524

Der Lobpreis, der dem Brahmacārin zukommt, ist durch die Herrschaft zu erklären, die der Mensch durch die Kenntnis des bráhman im Sinne einer Zauberformel erlangt. Mit Hilfe des bráhman kann er die kausalen Relationen zwischen den Wesenheiten für seine Zwecke ausnutzen. Der Brahmacārin kann als mikrokosmisches Abbild eines makrokosmischen einheitlichen Ganzen verstanden werden. Seine Herrschaft ist durch das bráhman gegeben, dessen Tätigkeit das Ganze erst als Ganzes konstituiert.

4.

Die Brāhmaṇas

4.1. Text und Untersuchungsumfang Die Bezeichnung Brāhmaṇas bedeutet wörtlich »das sich auf das Gebet, das brahman, beziehende.« 525 Es ist eine Bezeichnung, die dieser vedischen Literaturgattung erst spät gegeben wurde. 526 Die Brāhmaṇas wurden den Textsammlungen (saṃhitā) der drei Veden – 523 pā ´ rthivā divyā´ḥ paśáva āraṇyā´ grāmyā´ś ca yé apakṣā´ḥ pakṣíṇaś ca yé té jātā´ brahmacāríṇaḥ. 524 brahmacārī´ bráhma bhrā ´ jad bibharti tásmin devā´ ádhi víśve samótāḥ prāṇāpānaú janáyann ā´d vyānáṃ vā´caṃ máno hr̥´dayaṃ bráhma medhā´m. 525 Weber, Albrecht (1852): Akademische Vorlesungen über indische Literaturgeschichte. Gehalten im Wintersemester 1851/52. Berlin: Dümmler’s Verlagsbuchhandlung, S. 12. 526 So stellt Weber fest, dass der Begriff in seiner Bedeutung als Literaturgattung zum ersten Mal im 13. Buch des Śatapatha-Brāhmaṇa auftaucht. (Vgl. Weber, Albrecht (1852): Akademische Vorlesungen über indische Literaturgeschichte, S. 12). Das 13. Buch stellt Witzel in unmittelbare Nähe zu den ersten Upaniṣaden; es ist damit zeitlich nach den in diesem Kapitel untersuchten Texten zu datieren. (Vgl. Witzel, Michael (1989): Tracing the vedic dialects. In: Colette Caillat (ed.): Dialectes dans les littératures indo-aryennes. Actes du colloque international. Paris: Collège de France/ Institut de civilisation indienne (Publications de l’Institut de civilisation indienne. Série in-8o, 55), S. 97–265, hier: S. 251).

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R ̥ gveda, Sāmaveda und Yajurveda, später auch dem Atharvaveda – zugeordnet. Sie stellen Erläuterungen zu den in diesen Textsammlungen enthaltenen rituellen Rezitationen, Gesängen und Opferhandlungen dar, deren Kenntnis essentiell für die Durchführung des Rituals war. Dabei gibt es für jeden Veda eine Vielzahl von Brāhmaṇas, die jeweils von unterschiedlichen vedischen Schulen tradiert wurden. 527 Für die Untersuchung wurde exemplarisch ein frühes Brāhmaṇa aus einer R ̥ gveda-Schule, nämlich das Aitareya-Brāhmaṇa und ein spätes Brāhmaṇa aus einer Yajurveda-Schule, nämlich das Śatapatha-Brāhmaṇa ausgewählt. 528 Es ist dabei anzumerken, dass die bestehende Chronologie auf rein linguistischen Kriterien beruht, die nicht zwingend die Chronologie der Ideengeschichte abbildet. 529 Zunächst folgt ein Überblick über beide Brāhmaṇas. Die Bezeichnung Aitareya stellt vermutlich das Matronym eines legendären Gelehrten namens Mahidāsa dar. Zum ersten Mal wurde das Aitareya-Brāhmaṇa (= AB) in der deutlich späteren ChāndogyaUpaniṣad so genannt; im AB selbst findet sich diese Bezeichnung hingegen nicht. 530 Das AB besteht aus acht Kapiteln, die in 40 Abschnitte aufgeteilt sind. Von diesen acht Kapiteln sind die letzten drei beträchtlich jünger; deren Entstehungszeit fällt mit derjenigen der ersten Upaniṣaden zusammen. 531 Die Untersuchung soll sich nur auf

527 Einen allgemeinen Überblick gibt Witzel, Michael (1997): The development of the vedic canon and its schools. The social and political milieu. (Materials on vedic śākhās, 8). In: Michael Witzel (ed.): Inside the texts, beyond the texts. New approaches to the study of the Vedas: proceedings of the International Vedic Workshop, Harvard University, June 1989. Cambridge: Harvard University Dept. of Sanskrit and Indian Studies (Harvard oriental series. Opera minora, v. 2), S. 257–345. Siehe auch die tabellarische Übersicht von Glasenapp, Helmuth von (1929): Die Literaturen Indiens. Von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. Wildpark-Potsdam: Akad. Verlagsges. Athenaion (Handbuch der Literaturwissenschaft), S. 45. 528 Zur Chronologie vgl. die tabellarische Übersicht von Witzel, Michael (1989): Tracing the vedic dialects, S. 249–251. 529 Vgl. dazu die Kritik von Bodewitz an Cohens Chronologie der Upaniṣaden, die man auch für die Brāhmaṇas erheben könnte. (Bodewitz, Henk (2011): The chronology of the Upaniṣads and their basic ideas. Some criticisms on a recent study by Signe Cohen. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 161, S. 405–414, hier: S. 407). 530 Vgl. Weber, Albrecht (1852): Akademische Vorlesungen über indische Literaturgeschichte, S. 52–53. 531 Vgl. Witzel, Michael (1989): Tracing the vedic dialects, S. 250–251.

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Die Brāhmaṇas

den ursprünglichen, wesentlich älteren Kerntext von Kapitel 1 bis 5 richten. 532 Die Bezeichnung Śatapatha bedeutet »hundert Wege« und bezieht sich auf die 100 Abschnitte, die sich auf 14 Kapitel der Rezension der Mādhyandina-Schule verteilen. Die alternative Rezension der Kāṇva-Schule weist eine andere Einteilung des Textes auf. Es soll in dieser Untersuchung auf die Mādhyandina-Rezension dieses Brāhmaṇas Bezug genommen werden, die mit ŚB (bzw. ŚB(M) in den Zitaten) abgekürzt wird. 533 Die ersten neun Kapitel bilden den ältesten Teil des ŚB, während die fünf letzteren eines späteren Ursprungs sind. 534 Die Untersuchung soll sich darum auf ŚB 1–9 richten. 532 Als textliche Grundlage der Untersuchung dient die Edition von Theodor Aufrecht, die im Thesaurus Indogermanischer Text- und Sprachmaterialien (Titus) der Universität Frankfurt/ Main online zur Verfügung gestellt wurde (AitareyaBrāhmaṇa. On the basis of the edition by Theodor Aufrecht, Das Aitareya Brāhmaṇa. Mit Auszügen aus dem Commentare von Sāyaṇācārya und anderen Beilagen, Bonn 1879, entered, converted and edited in Wordcruncher format by Fco. Javier Martínez García, Erlangen/Madrid 1991–1992; TITUS version by Jost Gippert. Frankfurt am Main. Online verfügbar unter http://titus.uni-frankfurt.de/texte/etcs/ind/aind/ved/ rv/ab/ab.htm, zuletzt aktualisiert am 21. 04. 2012). Unterstützend wurde die Übersetzung von Arthur Berriedale Keith (= Ke) (Rigveda Brāhmaṇas. The Aitareya and Kauṣītaki Brāhmaṇas of the Rigveda. Transl. by Arthur Berriedale Keith (1971). Repr. Delhi: Motilal Banarsidass (Harvard oriental series, 25)) verwendet. 533 Die textliche Grundlage der Untersuchung bildet die Edition von Albrecht Weber, die im Thesaurus Indogermanischer Text- und Sprachmaterialien (Titus) der Universität Frankfurt/ Main online verfügbar ist (Śatapatha-Brāhmaṇa. Mādhyandina-Recension. On the basis of the edition by Albrecht Weber, The Çatapatha-Brāhmaṇa in the Mādhyandina-Çākhā with extracts from the commentaries of Sāyaṇa, Harisvāmin and Dvivedānga, Berlin 1849 / Repr. Varanasi 1964 (Chowkhamba Sanskrit Ser., 96) entered (books 1–11, 13–14) by H. S. Anantanarayana (supervisor W. P. Lehmann), Austin, Texas, 1971; reedited by J. R. Gardner, Iowa, 1998; book 12 entered by Makoto Fushimi, Kyoto / Harvard 1999; corrections by Matthias Ahlborn; TITUS version by Jost Gippert. Frankfurt am Main. Online verfügbar unter http://titus.unifrankfurt.de/texte/etcs/ind/aind/ved/yvw/sbm/sbm.htm, zuletzt aktualisiert am 21. 04. 2012). Unterstützend wurde die Übersetzung von Julius Eggeling (= Eg) (The Śatapatha-Brāhmaṇa according to the text of the Mādhyandina school. Part I-IV. Transl. by Julius Eggeling (1966) 2. ed. of the reprint. Delhi: Motilal Banarsidass (The sacred books of the east)) sowie die Übersetzung philosophischer Stücke von Paul Deussen (= De) (Paul Deussen (1922): Allgemeine Einleitung und Philosophie des Veda bis auf die Upanishad’s. 5. Aufl. Leipzig: Brockhaus (Allgemeine Geschichte der Philosophie, 1.1) verwendet. 534 Vgl. Weber, Albrecht (1852): Akademische Vorlesungen über indische Literaturgeschichte, S. 131. Witzel bezeichnet nur ŚB 1–5 als »older portion« (Witzel, Michael (1989): Tracing the vedic dialects, S. 131); jedoch sieht er ŚB 6–10 als »western (Śāṇḍilya) portion« als fast zeitgleich an (ebd., S. 251). In einem anderen Aufsatz

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Anwendung von Uhdes Religionsbegriff auf die altindische Geistesgeschichte

4.2. Uhdes Religionsbegriff in den Brāhmaṇas? In den Brāhmaṇas kann mit Prajāpati, dem »Herrn der Geschöpfe«, eine durchgängig anerkannte Gottheit gefunden werden, die als »höchster Gott« und »Weltschöpfer« bezeichnet werden kann. 535 Weist diese Vorstellung auf einen Paradigmenwechsel in der altindischen Religiosität hin? Ist Prajāpati im monotheistischen Sinne ein höchstes Seiendes, das einzige Ursache aller Vielheit und zugleich völlig von ihr geschieden ist? Dieser Überlegung ist zu entgegnen, dass Prajāpati – obwohl er der Ursprung der erscheinenden Vielheit ist – in keiner Weise über die Götter herrscht. So wird er in einem bekannten Mythos aufgrund eines moralischen Vergehens sogar von einem Dämon getötet; 536 nur mit Hilfe der Götter wird er wieder hergestellt. 537 Oldenberg bemerkt zu Prajāpati: »Kein lebendiger Gott, der im Leben der Menschenseele, in Kämpfen, Leiden, Siegen der Völker seine Macht beweist, kein Gott, wie es später Śiva war. So hat denn Prajāpati auch seine Herrschaft, soweit er solche je besessen hat, rasch und ziemlich spurlos wieder verloren: die altbuddhistische und die epische Literatur legt dafür Zeugnis ab.« 538

Die Schwäche des Prajāpati sollte nicht zum Umkehrschluss führen, dass die Götter über ihn oder gar alles dominieren. Im Gegenteil, in vielen Erzählungen gewinnen die Götter ihren Kampf gegen die Dämonen nur mit Hilfe des Prajāpati oder auch anderer Wesenheiten. 539 Als Schöpfer von allem ist Prajāpati daher zwar eine wirkmächtige Ursache, aber nicht allherrschend und völlig erhaben über alle. Die für den RV und AV gemachte Feststellung, dass dort das monotheistische Gottesbild nicht gefunden werden kann, trifft mithin auch hier zu. Daher muss geprüft werden, ob es – wie im RV und AV – die bemerkt er: »But how to understand the Āraṇyaka/Upaniṣad-like chapter ŚB 10, apparently an early Śāṇḍilya-Up.? Or was it taken over en bloc into the *Vāj. Br. with chapters 6–9?« (Witzel, Michael (1997): The development of the vedic canon and its schools, S. 315 FN 298). 535 Vgl. Oldenberg, Hermann (1919): Vorwissenschaftliche Wissenschaft. Die Weltanschauung der Brāhmana-Texte. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 26. 536 Vgl. z. B. AB 3.33, ŚB(M) 1.7.4.1–9. 537 Vgl. z. B. ŚB(M) 6.1.2.21. 538 Oldenberg, Hermann (1919): Vorwissenschaftliche Wissenschaft, S. 32. 539 Vgl. z. B. AB 2.15–16, 3.13, 4.5; ŚB(M) 1.2.5.1–7, 5.1.1.1–2; in ŚB(M) 7.1.2.3 bezeichnen die Götter Prajāpati als ihre Grundlage (pratiṣṭhā´).

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Die Brāhmaṇas

Voraussetzung eines einheitlichen Ganzen gibt und welche Beziehung Prajāpati als Schöpfer von allem zu diesem Ganzen hat. Zu diesem Zweck soll der Blick zunächst auf den Kosmos der Brāhmaṇas gerichtet werden, der von einer Vielzahl kausal wirksamer Zusammenhänge zwischen den Wesenheiten beherrscht wird.

4.3. Wirkmächtige Zusammenhänge im Kosmos der Brāhmaṇas 4.3.1. Der Kosmos der Brāhmaṇas Der Kosmos der Brāhmaṇas weist eine große Diversität auf. So bevölkert eine Fülle von Wesenheiten die »drei Welten« Himmel, Luftraum und Erde. Die alten Götter, denen ein Großteil der Hymnen im RV gewidmet war, haben dabei ihre Bedeutung und Machtfülle verloren. 540 Stattdessen rücken Wesenheiten in den Vordergrund, die mit dem Opferritual verbunden sind, insbesondere bestimmte Metren, Ritualgegenstände und das Opfer selbst. 541 Im Resümee seines Überblicks über die Fülle der Wesenheiten stellt Oldenberg fest, dass die Wesenheiten eng miteinander verbunden sind: »Diese Sammlungen veranschaulichen, in wie weitgehender Gleichartigkeit unter einander die verschiedenen Gruppen von Wesenheiten vorgestellt werden. Die Gestalt, in der sie erscheinen, ist alles andre eher als von festen Umrissen eingeschlossen (sic). Gern verwandeln sie sich in einander.« 542

Diese enge Verbindung besteht durch Ursache-Wirkungs-Verhältnisse: »Wie für den uralten Volksglauben im blitzgetroffenen Baum die Wesenheit des Blitzes gegenwärtig ist, in der Fußspur die Wesenheit dessen, der die Spur hinterlassen hat, so sind diese Substanzen da, wo sie wirken; wohin die Sonne scheint, da ist die Sonne.« 543

Die in kausalen Relationen verbundenen Wesenheiten lassen sich – wie im RV und AV – nur anhand ihres Namens unterscheiden. 544 So bemerkt Oldenberg: Vgl. Oldenberg, Hermann (1919): Vorwissenschaftliche Wissenschaft, S. 15–16. Vgl. Oldenberg, Hermann (1919): Vorwissenschaftliche Wissenschaft, S. 90–91. 542 Oldenberg, Hermann (1919): Vorwissenschaftliche Wissenschaft, S. 93. 543 Oldenberg, Hermann (1919): Vorwissenschaftliche Wissenschaft, S. 93. 544 Vgl. Gonda, Jan (1960): Die Religionen Indiens I. Veda und älterer Hinduismus. Stuttgart: Kohlhammer (Religionen der Menschheit, 11), S. 28, S. 176. 540 541

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Anwendung von Uhdes Religionsbegriff auf die altindische Geistesgeschichte

»Noch ist viel von der alten Vorstellungsweise lebendig, für die der Name, weit entfernt davon zu einem bloß konventionellen Zeichen abgeblaßt zu sein, auf das engste mit dem Wesen der benannten Sache zusammengehört, geradezu ein Teil dieses Wesens ist.« 545

Der ̥rgvedische und atharvavedische Gedanke scheint somit fortgesetzt zu werden. So stehen auch hier die Wesenheiten in einem engen Zusammenhang. Gonda beschreibt diesen Zusammenhang als einen dynamischen »Weltprozeß«, der aus der »Aktivität, Kooperation und Dissoziation, der Vereinigung und wechselseitigen Einwirkung der miteinander zusammenhängenden Potenzen« besteht. 546 Die miteinander verbundenen Wesenheiten begründen dabei im Opferritual bestimmte Wirkungen, die nur der Wissende kennt und hervorrufen kann. 547 Das Wissen verhilft mithin zu Macht, so dass der wissende Priester die Wesenheiten kontrollieren kann. 548 Es stellt sich die Frage, ob die kausal verbundene, erscheinende Vielheit als einheitliches Ganzes verstanden werden kann. Zu diesem Zweck muss der Blick zunächst auf die kausalen Zusammenhänge im Opferritual gerichtet werden, die im Zentrum der religiösen Praxis stehen. 4.3.2. Wirkmächtige Zusammenhänge im Opferritual In den Brāhmaṇas ist eine Mannigfaltigkeit von Relationen zwischen den verschiedenen Wesenheiten zu erkennen. Angezeigt werden diese Relationen durch Gleichsetzungen der in einer Relation stehenden Wesenheiten, die in der Literatur meist als »Identifikationen« bezeichnet werden. 549 Diese Identifikationen werden während dem Vgl. Oldenberg, Hermann (1919): Vorwissenschaftliche Wissenschaft, S. 103. Vgl. Gonda, Jan (1960): Die Religionen Indiens I, S. 176. 547 Vgl. Gonda, Jan (1960): Die Religionen Indiens I, S. 176. 548 Vgl. Oldenberg, Hermann (1919): Vorwissenschaftliche Wissenschaft, S. 13. 549 Zu den Identifikationen siehe Witzel, Michael (1979): On magical thought in the Veda. (Rede uitgesproken bij de aanvaarding van het ambt van gewoon lector in het Sanskriet aan de Rijksuniversiteit te Leiden op vrijdag 19 oktober 1979 door dr. M. Witzel). Online verfügbar unter http://www.people.fas.harvard.edu/~witzel/Magical _Thought.pdf; Mylius, Klaus (1977): Die Identifikationen im Kauṣītaki-Brāhmaṇa. In: Altorientalische Forschungen 5, S. 237–244; Smith, Brian K. (1989): Reflections on resemblance, ritual, and religion. New York: Oxford University Press; Wezler, Albrecht (1996): Zu den sogenannten Identifikationen in den Brāhmaṇas. In: HannsPeter Schmidt & Albrecht Wezler (Hg.): Veda-vyākaraṇa-vyākhyāna. Festschrift. Paul Thieme zum 90. Geburtstag am 18. März 1995. Studien zur Indologie und Iranistik 20. Reinbek: Verlag für orientalische Fachpublikationen, S. 485–522. 545 546

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Vollzug des Opferrituals vorgenommen und sind darum »handlungsbezogen«. 550 Voraussetzung dafür ist das Auffinden eines gemeinsamen Merkmals, welches eine Wesenheit mit einer anderen teilt. Ein solches gemeinsames Merkmal rechtfertigt eine Identifikation. 551 Die Identifikationen erscheinen oft als willkürlich 552, weil (1) dieselbe Wesenheit an unterschiedlichen Textstellen mit verschiedenen, entsprechenden Wesenheiten gleichgesetzt wird und (2) ein gemeinsames Merkmal nicht immer ersichtlich ist. Der Eindruck der Willkürlichkeit entsteht jedoch vermutlich nur aus unserer mangelnden Kenntnis des damaligen enzyklopädischen Wissens. 553 Die Wesenheiten, die miteinander identifiziert werden, teilt Klaus Mylius in seiner Analyse der vedischen Identifikationen anhand der Kauṣītaki-Brāhmaṇa in acht Gruppen ein: 1) Götter, ihre Attribute und Wohnsitze. 2) Metren. 3) Begriffe und Einrichtungen des Rituals. 4) varṇa’s [gesellschaftliche Stände, E. S.]. 5) Menschen im biologischen Sinne einschließlich ihrer Lebensfunktionen, Körperteile und Nahrungsmittel. 6) Pflanzen, Tiere und Mineralien. 7) Geographische und astronomische Objekte und Begriffe. 8) Sonstiges. 554

Gegen die von Brian K. Smith (1989) vorgeschlagene Alternative »resemblances« entgegegnet Axel Michaels: »Smith will die Identifikationen als Ähnlichkeiten (›resemblances‹) verstanden wissen und weist den Begriff der Identität explizit zurück. Doch verkennt er gerade dabei, daß die vedischen Identifikationen kaum aus Naturbeobachtung oder Erfahrung abgeleitet sind, also nicht Realitätsauffassungen wiedergeben oder ›Realität‹ zu erfassen versuchen, sondern diese erst herstellen. Nicht Identitäten, sondern Identifikationen sind gewollt.« (Michaels, Axel (1998): Der Hinduismus. Geschichte und Gegenwart. München: Beck, S. 371). 550 Vgl. Michaels, Axel (1998): Der Hinduismus, S. 370. 551 Vgl. Hoffmann, Karl (1975): Die Komposition eines Brāhmaṇa-Abschnittes (MS. I 10,14–16). In: Karl Hoffmann: Aufsätze zur Indoiranistik. Band 1. Hg. v. Johanna Narten. Wiesbaden: Reichert, S. 207–220, hier: S. 207. 552 Vgl. Staal, Frits (1989): Rules without meaning. Ritual, mantras and the human sciences. New York: Lang (Toronto studies in religion, 4), S. 118. 553 Vgl. Witzel, Michael (1979): On magical thought in the Veda, S. 14–18; sowie Mylius, Klaus (1977): Die Identifikationen im Kauṣītaki-Brāhmaṇa, S. 238, 244. 554 Mylius, Klaus (1977): Die Identifikationen im Kauṣītaki-Brāhmaṇa, S. 149. Die Voraussetzung einer verborgenen »Einheit«

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Ausgangspunkt der Identifikationen sind an erster Stelle die Begriffe und Einrichtungen des Rituals, an zweiter Stelle die ebenfalls zum Ritual zu zählenden Metren. 555 Für die Frage, wie die durch die Identifikationen angezeigten Verbindungen beschaffen sind, sollen die Begriffe betrachtet werden, die die Relationen bezeichnen. Nach Oldenberg sind dies bandhu, nidāna, āyatana und pratiṣṭhā. 556 Schayer fügt noch brāhmaṇa, rūpa und pratimā hinzu. Dabei bildet Schayer drei Gruppen: (1) Die Begriffe bandhu, nidāna und brāhmaṇa zeigen eine Verbindung zwischen zwei Wesenheiten an. (2) Die Begriffe āyatana und pratiṣṭhā bezeichnen formal eine Wesenheit, an die eine andere Wesenheit durch die jeweilige Verbindung gebunden ist. (3) Die Begriffe rūpa und pratimā implizieren eine Verbindung, indem sie die sichtbare Erscheinung dieser Verbindung darstellen. 557 Die Nennung dieser Begriffe ist in AB und ŚB sehr unterschiedlich. So kommt im AB 1–5 bandhu gar nicht vor, 558 nidāna nur an einer Stelle, 559 das mehrdeutige brāhmaṇa an 13 Stellen, während āyatana immerhin an 26 Stellen aufgezählt wird. 560 Der Begriff pratiṣṭhā wird 36 mal genannt, pratimā dafür an keiner Stelle, der vielVgl. Mylius, Klaus (1977): Die Identifikationen im Kauṣītaki-Brāhmaṇa, S. 150. Vgl. Oldenberg, Hermann (1919): Vorwissenschaftliche Wissenschaft, S. 117 inkl. FN 1. Vgl. auch Gonda, Jan (1975): Āyatana. In: J. Gonda: Selected studies. Volume II. Sanskrit word studies. Presented to the author by the staff of the Oriental Institute, Utrecht University, on the occasion of his 70th birthday. Leiden: Brill, S. 178–256, hier: S. 181. Siehe zudem Gonda, Jan (1965): Bandhu- in the Brāhmaṇa-s. In: The Adyar Library Bulletin 29 (1–4), S. 1–29. Siehe auch Renou, Louis (1953): Études védiques III. Quelques termes du R̥gveda. In: Journal asiatique 241, S. 167–183; Schayer, Stanislav (1924): Die Struktur der magischen Weltanschauung nach dem Atharva-Veda und den Brāhmaṇa-Texten. In: Zeitschrift für Buddhismus und verwandte Gebiete 4, S. 259–299; Abegg, Emil (1959): Das magische Weltbild der Inder. In: Studia Philosophica. Jahrbuch der Schweizerischen Philosophischen Gesellschaft 19, S. 1–21. 557 Vgl. Schayer, Stanislav (1924): Die Struktur der magischen Weltanschauung nach dem Atharva-Veda und den Brāhmaṇa-Texten, S. 275–280. 558 Vgl. Viśvabandhu Śāstrī (1973): A Vedic word-concordance. Vol. 2 Brāhmaṇas. Pt. 2. Hoshiarpur: Vishveshvaranand Vedic Research Inst. (Vishveshvaranand Institute publication/ Śāntakuṭī Vedic Series, 8), S. 1052. Das mit bandhu verwandte Wort bandhutā kommt im AB 1–5 zweimal vor. 559 Vgl. Viśvabandhu Śāstrī (1973): A Vedic word-concordance. Vol. 2 Brāhmaṇas. Pt. 1. Hoshiarpur: Vishveshvaranand Vedic Research Inst. (Vishveshvaranand Institute publication/ Śāntakuṭī Vedic Series, 7), S. 806. 560 Vgl. Viśvabandhu Śāstrī (1973): A Vedic word-concordance. Vol. 2 Brāhmaṇas. Pt. 1, S. 345–346. 555 556

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deutige Begriff rūpa schließlich 44 mal. 561 Im wesentlich umfangreicheren ŚB 1–9 sind entsprechend mehr Stellen zu verzeichnen, in denen nidāna, brāhmaṇa, pratiṣṭhā oder āyatana vorkommen; am häufigsten wird allerdings bandhu erwähnt. 562 Während pratimā kaum genannt wird (6 Stellen), erfährt auch rūpa eine ähnlich häufige Nennung wie bandhu. 563 Interessant ist hierbei, dass die »Verbindung« selbst (Gruppe 1) im AB 1–5 fast gar nicht genannt wird, wohl aber die eine solche implizierenden Begriffe (Gruppe 2 und 3). Es soll nun im Folgenden die Bedeutung der drei häufigsten Begriffe jeder Gruppe exemplarisch erörtert werden: nämlich (1) bandhu, (2) pratiṣṭhā, (3) rūpa. In seinem Aufsatz bandhu- in the Brāhmaṇa-s bestätigt Gonda in der Analyse einiger Textstellen die geläufige Übersetzung von bandhu als »connection, relation«. Schayer versteht darunter das »›Verbundensein‹ im Sinne der ›Verwandschaft‹«; denn so wie »das Band der Blutsverwandtschaft die Angehörigen eines Stammes (…) magisch zusammenhält, genau so beruhen auch die symbolischen Äquivalenzen der Magie auf einer tiefen, geheimnisvollen Affinität der Substanzen.« 564 So wird in ŚB 2.1.4.15–16 im Kontext des agnyādhāna-Rituals 565 folgender Mythos erzählt: Um in diesem Ritual das Opferfeuer geschützt vor den Dämonen (asura und rakṣa) entzünden zu können, bedienen sich die Götter dem vajra, Indras Waffe. Der vajra sei dabei – hier erfolgt der Umbruch von der mythologischen auf die rituelle Ebene – mit dem Pferd gleichzusetzen. So besteht implizit eine verborgene Verbindung (bandhu) zwischen beiden; er beruht wahrscheinlich auf dem beiden gemeinsamen Merkmal der »Stärke« (vīrya), wie in Vers 17 angedeutet wird. Ist dem 561 Vgl. Viśvabandhu Śāstrī (1973): A Vedic word-concordance. Vol. 2 Brāhmaṇas. Pt. 2, S. 980, 982–984, 1248–1250. 562 Vgl. Viśvabandhu Śāstrī (1973): A Vedic word-concordance. Vol. 2 Brāhmaṇas. Pt. 2, S. 1052. 563 Vgl. Viśvabandhu Śāstrī (1973): A Vedic word-concordance. Vol. 2 Brāhmaṇas. Pt. 2, S. 980, 1052, 1248–1250. 564 Schayer, Stanislav (1924): Die Struktur der magischen Weltanschauung nach dem Atharva-Veda und den Brāhmaṇa-Texten, S. 276–277. 565 Das Ritual zur erstmaligen Errichtung der Opferfeuer durch einen jungen Hausherrn. Für eine ausführliche Untersuchung dieses Rituals siehe Krick, Hertha (1982): Das Ritual der Feuergründung (Agnyadheya). Hg. v. Gerhard Oberhammer. Wien: Verl. d. Oesterr. Akad. d. Wiss (Sitzungsberichte / Österreichische Akademie der Wissenschaften, Veröffentlichungen der Kommission für Sprachen und Kulturen Südasiens / Österreichische Akademie der Wissenschaften, 16).

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Ausrichter des Opfers kein Pferd verfügbar, wird eine andere Verbindung ins Gedächtnis gerufen: so sei dieses Opferfeuer der bandhu des Stiers, der traditionell ebenfalls mit »Stärke« verbunden ist: ŚB(M) 2.1.4.17 »Es sollte ein junges 566 Leitpferd sein; denn es wächst zu unbegrenzter Stärke (vīrya) heran. Wenn man aber kein junges Leitpferd findet, dann kann es irgendein Pferd sein. Wenn man aber kein Pferd findet, kann es ein Stier sein; denn dieses hier (d. i. das Opferfeuer) 567 ist der bandhu des Stieres.« (ES) 568

Aufgrund der verborgenen Verbindung (bandhu) kann der Priester die »Stärke« des Stiers für das geschützte Entzünden des mit ihm verbundenen Feuers instrumentalisieren. Schayer bemerkt dazu: »Um eine Wesenheit zu beherrschen, genügt es ihren bandhu zu kennen.« Um das Opferfeuer ohne die sonst zu erwartenden dämonischen Angriffe anfachen zu können – und es in diesem Sinne zu beherrschen – gilt es mithin, seine bandhu’s zu kennen: sei es nun der mythologische bandhu »vajra – Pferd« oder der rituelle bandhu »Feuer – Stier«. Die Bedeutung von bandhu geht noch weiter, wie Schayer bemerkt: »Jedem rituellen Akt kommt eine besondere magische Wirkung zu und diese Wirkung ist sein bandhu.« 569 So wird bei vielen Opferhandlungen mit der Phrase tasyokto bandhuḥ »dessen bandhu wurde (bereits) besprochen« auf den bereits erklärten bandhu verwiesen. In ŚB 7.1.1.41 wird zum Beispiel vorgegeben, dass Sand in die Opferpfanne geschüttet werden muss, da dieser Sand der Same der Gottheit Agni Vaiśvānara ist: ŚB(M) 7.1.1.41 »He then pours sand into it, for sand (sikatā) is the seed of Agni Vaiśvānara: he thus pours (sic) Agni Vaiśvānara as seed into it. It should be even with the brim: the bandhu of this has been explained.« (nach Eg) 570 566 So Julius Eggeling (1966) in seinem Kommentar in: The Śatapatha-Brāhmaṇa according to the text of the Mādhyandina school. Part I, S. 297. 567 Auch Eggeling bezieht eṣa »dieses hier« auf das Opferfeuer und führt ŚB(M) 13.8.4.6 »where the ox is said to be sacred to Agni (āgneya)« an. (Kommentar von Julius Eggeling (1966) in: The Śatapatha-Brāhmaṇa according to the text of the Mādhyandina school. Part I, S. 297). 568 sa vaí pūrvavāṭ syāt sa hyáparimitaṃ vīryámabhivardhate yádi pūrvavā ´ haṃ ná vindedápi yá eva kaścā´śvaḥ syādyádyaśvaṃ ná vindedápyanaḍvā´nevá syādeṣa hyèvā`naḍúho bándhuḥ. 569 Schayer, Stanislav (1924): Die Struktur der magischen Weltanschauung nach dem Atharva-Veda und den Brāhmaṇa-Texten, S. 277. 570 Bandhu wurde unübersetzt gelassen. áthāsyāṃ síkatā ā´vapati agnéretádvaiśvā-

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In den davor angeführten Textstellen wird folgendes Bild aufgebaut: Die mit Sand gefüllte Opferpfanne steht in der Feuerstelle des Gārhapatya-Feuers, eines der drei Opferfeuer des Rituals. Die Gārhapatya-Feuerstelle entspricht dieser Welt, der Sand ist der Samen der Sonne, das heißt des Agni Vaiśvānara, des »zu allen Menschen zugehörigen« (vaiśvānara) Feuers. 571 Gleichzeitig ist Agni der zu errichtende Feueraltar und entspricht dem Schöpfer Prajāpati. 572 Die zitierte Opferhandlung ist also ein Teil einer Reihe von Handlungen, die gleichzeitig die Wiederholung der Schöpfung darstellen und als ihr Ziel die Wiederherstellung des Schöpfers Prajāpati in Form des Feueraltars haben. Die bandhu’s zeigen mithin Verbindungen zum Schöpfungsvorgang an. Auch Opfersprüche besitzen einen bandhu. So heißt es im gleichen Abschnitt nach Rezitation eines Opferspruches, in dem Agni gebeten wird, sich auf die Feuerstelle zu setzen: 573 yathaiva yajustáthā bandhuḥ »Wie der Opferspruch, so der bandhu«. Gonda erklärt den bandhu der Opfersprüche als »their connection with the processes going on outside the sacrificial ground, which at the same time are their motivation (…).« 574 Der Opferspruch, so könnte man die angeführte Stelle interpretieren, stellt eine Verbindung zur himmlischen Gottheit Agni her, der das Entzünden seiner irdischen Erscheinung in Form des Opferfeuers Agni bewirken soll. Es lässt sich somit erkennen, dass in allen drei Fällen der bandhu den Ritualraum mit der äußeren Welt verbindet, die wechselseitig aufeinander einwirken. Der Begriff pratiṣṭhā kann nach Schayer als »das worauf man steht«, »fester Stützpunkt« oder »Grundlage« übersetzt werden. 575 Er bemerkt dazu: »Jede magische Substanz hat ihre pratiṣṭhā, d. h. sie ist in einer anderen Substanz magisch begründet und gegründet.« 576 In AB 3.14 wird ein Mythos über Agni erzählt, der dort die Stellung des Hotr ̥ , des für die Rezitation zuständigen Priesters, einnarásya réto yatsíkatā agnímevā`syāmetádvaiśvānaraṃ réto bhūtáṃ siñcati sā´ samambilā´ syāttásyokto bándhuḥ. 571 Vgl. Hayakawa, Atsushi (2000): Three steps to heaven. In: Asiatische Studien. Zeitschrift der Schweizerischen Asiengesellschaft 54 (1), S. 211–247, hier: S. 235. 572 Vgl. ŚB(M) 7.1.1.1–7.1.1.40. 573 Vgl. RV 3.29.20; VS 12.52. 574 Gonda, Jan (1965): Bandhu- in the Brāhmaṇa-s, S. 16. 575 Vgl. Schayer, Stanislav (1924): Die Struktur der magischen Weltanschauung nach dem Atharva-Veda und den Brāhmaṇa-Texten, S. 280. 576 Schayer, Stanislav (1924): Die Struktur der magischen Weltanschauung nach dem Atharva-Veda und den Brāhmaṇa-Texten, S. 280. Die Voraussetzung einer verborgenen »Einheit«

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nimmt. Dort dringt der Tod in das Soma-Ritual ein, genauer gesagt in den Gesang (stotra) der dafür zuständigen Priester (udgatr̥); Agni kann ihm durch seine Rezitation (śastra) jeweils entgehen. Im letzten Abschnitt des Rituals, der Abendpressung, wird dieses Schema nochmals wiederholt, bevor der Tod dann endgültig vertrieben wird: AB 3.14.3 »Dieser (Tod) setzte sich in das dritte Pavamāna-Stotra. Er (Agni) nahm Zuflucht zum Vaiśvadeva-Śastra mit dem Anuṣṭubh; dadurch entging er dem Tod. Dieser (Tod) setzte sich in das Yajñāyajñīye-Stotra. Er (Agni) nahm Zuflucht zum Āgnimāruta-Śastra, des mit Vaiśvānara Verbundenen; dadurch entging er dem Tod. Das mit Vaiśvānara Verbundene ist der vajra (= Indras mächtige Waffe); das Yajñāyajñīye-Stotra ist die pratiṣṭhā. Mit dem vajra, von der pratiṣṭhā her, wurde der Tod vertrieben (…).« (ES) 577

Das Yajñāyajñīye-Stotra ist mithin die pratiṣṭhā, die Grundlage für das Wirken des Āgnimāruta-Śastra: dies entspricht der im Ritual tradierten Abfolge. Es lässt sich erkennen, dass pratiṣṭhā an dieser Stelle ein Kausalverhältnis innerhalb des Ritualraums impliziert. In ŚB(M) 1.1.1.19 – um noch ein Beispiel aus dem ŚB anzuführen – wird im Rahmen des Rituals Wasser an eines der Opferfeuer, nämlich das Feuer des Hausvaters (gārhapatya) gebracht. Da das Wasser bereits mit dem vajra, Indras Waffe, gleichgesetzt wurde, wird nun erklärt, warum diese Waffe den sie tragenden Priester nicht verletzt: ŚB(M) 1.1.1.19 »Er (der Priester) bringt es (Wasser = vajra) zum gārhapatya-Feuer, weil das gārhapatya-Feuer das Haus (des Gr̥hapati, Hausherrn) ist; als das Haus gründet es (das gārhapatya-Feuer) in einer pratiṣṭhā. Auf diese Weise schädigt der vajra ihn nicht. Darum wird es (das Wasser) zum gārhapatya-Feuer gebracht.« (ES) 578

Da das Feuer des Hausvaters (gārhapatya) das Haus als pratiṣṭhā hat, gewährt es – wie im Vers 18 auch explizit gesagt wird – wie ein Haus Schutz. Deshalb kann der Topf mit Wasser – trotz dessen Wirkung als vajra – an das Feuer gestellt werden. Auch hier wird ein Kausalverhältnis angezeigt, allerdings zwischen dem Ritualraum und der äußeren Welt. taṃ tr ̥ tīyapavamāne ’sīdat. so ’nuṣṭubhā vaiśvadevam pratyapadyata, mr̥tyum eva tat paryakrāmat. taṃ yajñāyajñīye ’sīdat. sa vaiśvānarīyeṇāgnimārutam pratyapadyata, mr̥tyum eva tat paryakrāmad. vajro vai vaiśvānarīyam pratiṣṭhā yajñāyajñīyaṃ, vajreṇaiva tat pratiṣṭhāyā mr̥tyuṃ nudate. 578 sa yadgā ´ rhapatye sādayati. gr ̥ hā vai gārhapatyo gr̥hā vaí pratiṣṭhā´yām pratitiṣṭhati tátho hainameṣa vájro ná hinasti tásmādgā´rhapatye sādayati. 577

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Schließlich soll auf den Begriff rūpa in seiner Funktion, eine Relation zwischen zwei Wesenheiten anzuzeigen, in den Blick genommen werden. Oldenberg bemerkt zum Gebrauch von rūpa in den Brāhmaṇas: »Es pflegt, ebenso wie tanū häufiger von der Beziehung zweier Wesenheiten als vom Dasein einer einzigen gebraucht, die eine als Erscheinungsform der andern zu bezeichnen (sic!).« 579

In AB 2.1 geht es um die Beschaffenheit des Opferpfostens, an den das Opfertier im Rahmen des Soma-Rituals gebunden wird. So wird auf die verschiedenen Holzarten eingegangen, aus denen ein solcher Opferpfosten hergestellt werden kann. Baut der Wissende den Opferpfosten aus dem Holz des Khadira-Baumes (eine Akazienbaumart), dann gewinnt er den Himmel für sich, so wie es die Götter mit Hilfe eines so beschaffenen Opferpfostens taten. 580 Verwendet er dagegen Bilva-Holz (eine Quittenbaumart), erlangt er Nachkommen und Rinder. Denn diese Holzart ist das rūpa der Nahrung und – implizit – auch des Wohlstandes: AB 2.1.6–7 »Of Bilva should he make the post, who desires proper food and desires prosperity. Year by year is Bilva taken; this is the rūpa of proper food. It should be covered with branches up to the root, this is (the symbol) of prosperity. He prospers in offspring and cattle who knowing thus makes the post of Bilva.« (Ke) 581

Die Nahrung erscheint mithin im Opferritual in Form (rūpa) eines Pfostens aus Bilva-Holz. Dieser durch rūpa aufgezeigte verborgene Zusammenhang ist kausal wirksam: so bedeutet reichhaltige Nahrung wiederum eine große Zahl an Nachkommen. Es lässt sich festhalten, dass die exemplarische Untersuchung einiger Begriffe die kausale Beziehung bestimmter Wesenheiten zueinander offenlegt. So besitzt eine spezifische Wesenheit eine Wirkung auf eine ihr entsprechende Wesenheit. Diese Beziehungen können überall gefunden werden: sowohl zwischen dem Ritualraum und der äußeren Welt als auch innerhalb beider Bereiche bzw. »hori-

Oldenberg, Hermann (1919): Vorwissenschaftliche Wissenschaft, S. 105. Vgl. AB 2.1.5. 581 bailvaṃ yūpaṃ kurvītānnādyakāmaḥ puṣṭikāmaḥ. samāṃ-samāṃ vai bilvo gr̥bhītas, tad annādyasya rūpam; ā mūlāc chākhābhir anucitas, tat puṣṭeḥ puṣyati prajāṃ ca paśūṃś ca ya evaṃ. 579 580

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zontal« und »vertikal«, wie Smith sie unterscheidet. 582 Die jeweilige kausale Beziehung ist – wie gezeigt wurde – nicht willkürlich, sondern beruht auf dem Begründungszusammenhang eines Priesters, der um eine Gemeinsamkeit der miteinander verbundenen Wesenheiten weiß. Dieser Bezug zum Wissen ist dabei fundamental: nur wenn der Priester um diesen Begründungszusammenhang weiß, wird die Verbindung auch kausal wirksam. Darum wird im obigen Zitat AB 2.1.6–7 auch die Formel ya evaṃ veda »wer (dies) so weiß« an das Ende gesetzt. Diese Formel wird in den Brāhmaṇas immer dann angeführt, wenn es um die Wirkungen für die am Opfer Beteiligten geht. Sie unterstreicht die zusätzliche kausale Wirksamkeit des Wissens um die Zusammenhänge. Witzel bemerkt dazu: »These explanations, if known to the priest performing a sacrifice, carry an additional power: Without this esoteric and secret knowledge the magical goal of the ritual (whether white or black magic) cannot be attained.« 583

Die kausale Wirksamkeit des Wissens erklärt sich daraus, dass auch dieses als Wesenheit zu verstehen ist. Deutlich wird dies durch die Schöpfungsmythen, die im folgenden Kapitel genauer betrachtet werden. Im AB 5.32 bringt Prajāpati durch Bebrüten dreier Götter (= Sonne, Wind und Feuer) das dreifache Wissen in Form des R ̥ gveda, des Sāmaveda und des Yajurveda hervor. 584 Im ŚB(M) 6.1.1.8 emaniert er als allererste Wesenheit das bráhman, welches explizit das dreifache Wissen enthält. 585 Es lässt sich zusammenfassen, dass alle Wesenheiten durch kausale Relationen unterschiedlicher Art verbunden sind. So bemerkt Witzel: »The Vedic Indian regards any force of nature (such as the wind), good or bad luck, illnesses, feelings und even abstract notions like revenge as living, personified powers. These forces have their own life, yet they are bound by certain general laws, especially the one of cause and effect: Nothing is without cause to the Vedic Indian (…).« 586

Es existiert jedoch in den untersuchten Brāhmaṇas kein allgemeiner Begriff von Kausalität. Die einzelnen Begriffe, die kausale Relationen 582 583 584 585 586

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Vgl. Smith, Brian K. (1989): Reflections on resemblance, ritual, and religion, S. 73. Witzel, Michael (1979): On magical thought in the Veda, S. 5. Siehe III.4.4.1. Siehe III.4.4.2. Witzel, Michael (1979): On magical thought in the Veda, S. 6.

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anzeigen – bandhu, nidāna, brāhmaṇa, āyatana, pratiṣṭhā, rūpa, pratimā – sowie das ebenfalls Kausalität begründende Wissen (veda) implizieren ein einheitliches Ganzes. Denn wäre die Vielheit nicht als ein Ganzes verbunden, wären die vielfältigen kausalen Relationen nicht erklärbar. Dies gibt zunächst eine religionswissenschaftliche Metaperspektive wieder. Es stellt sich deswegen die Frage, ob die Vorstellung von Prajāpati als Ursprung von allem – obwohl er gleichzeitig Teil der in kausalen Relationen gebundenen Götterwelt ist – ein Wissen um die Voraussetzung eines einheitlichen Ganzen darstellt.

4.4. Prajāpati als Ursprung von allem Prajāpati bedeutet wörtlich der »Herr der Geschöpfe«; die alternative Übersetzungsmöglichkeit »Herr der Nachkommen« deutet seine gebärende Rolle an, die er als der primäre Schöpfergott der Brāhmaṇas ausfüllt. Im Folgenden soll anhand der Schöpfungstätigkeit des Prajāpati in den Erzählungen des frühen AB und des späten ŚB untersucht werden, welchen Bezug er zur Vorstellung eines einheitlichen Ganzen hat, das durch die Vielfalt der Kausalbeziehungen konstituiert wird. 4.4.1. Schöpfung im Aitareya-Brāhmaṇa Die bedeutendste Kosmogonie des AB, nämlich AB 5.32 beginnt mit Prajāpati: AB 5.32.1 »Prajāpati desired ›May I be propagated; may I be multiplied‹. He pffi practised fervour (tapas); having practised fervour he created ( sr̥j,pE.ffi S.) these worlds; the earth, the atmosphere, the sky. He brooded over (abhi tap, E. S.) these worlds; from these worlds when brooded over these luminaries were born; Agni was born from the earth, Vāyu from the atmosphere, Āditya from the sky (…).« (Ke) 587

Die Entstehung der Welten entspringt somit dem Wunsch des Prajāpati, zahlreicher (bhūyas) zu sein. Diesen Wunsch erreicht er 587 Prajāpatir akāmayata: prajāyeya bhūyān syām iti. sa tāpo ’tapyata, sa tapas taptvemām ˘˙ l lokān asr ˘˙ l lokān abhyatapat, tebhyo ̥ jata: pr̥thivīm antarikṣaṃ divaṃ. tām ’bhitaptebhyas trīṇi jyotīṃṣy ajāyantāgnir eva pr̥thivyā ajāyata, Vāyur antarikṣād, Ādityo divas.

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hier und an anderen Stellen des AB durch tapas, das wörtlich mit »Wärme, Hitze, Glut« übersetzt wird und im übertragenen Sinne für »Askese« steht. 588 Das Erglühen des Prajāpati führt dazu, dass er die drei Welten Erde (pr ̥ thivī), Luftraum (antarikṣa) und Himmel (div) aus sich entlässt. Die Verwendung des Ausdrucks »aus sich entlassen« pffi ( sr j im Medium) zur Kennzeichnung der schöpferischen Tätigkeit ̥ muss dabei ausdrücklich von den impR ̥ffi gveda üblichen Ausdrücken wie dem »Auseinanderstemmen« (vi skabh) der Welten durch Indra unterschieden werden. 589 Während die Ausdrücke des R ̥ gveda eine manuelle Tätigkeit suggerieren, die auf eine präexistente Materie gerichtet ist, wird hier eine Emanation der drei Welten aus einer einzigen Wesenheit angedeutet. Diese Emanation wird durch weipffi teres Erwärmen (abhi tap) der Welten fortgesetzt. So werden aus den drei Welten drei Götter geboren, die sich als sichtbare »Lichter« (jyotis) manifestieren: die Sonne (āditya) im Himmel, der Wind (vāyu) im Luftraum und das Opferfeuer Agni auf der Erde. Möglicherweise wird mit den drei Lichtern die Schaffung der Zeitlichkeit angedeutet: So bringt die Sonne einen Tag-Nacht-Rhythmus in die Welt; der Wind (in Form des Monsun) die Jahreszeiten; das Feuer schließlich strukturiert in Form des Opferfeuers den Ritualkalender. Für diese Deutung spricht, dass Prajāpati an vielen Stellen im AB mit dem Jahr gleichgesetzt wird. 590 Prajāpati emaniert somit die (göttlichen) Welten, mithin die Räumlichkeit, und bestimmte Götter, möglicherweise die Zeitlichkeit, aus sich. Es ist wahrscheinlich, dass mit der Entfaltung der Welten die Erzeugung der sie bewohnenden Wesen – Götter, Menschen, Tiere, Pflanzen – impliziert ist. Anschließend erwärmt Prajāpati die aus den drei Welten geborenen Götter Sonne, Wind und Feuer weiter, worauf das dreifache Wissen entsteht: AB 5.32.1–2 »(…) He brooded over these luminaries. From these brooded over the three Vedas were born; the R̥gveda was born from Agni, the Yajurveda from Vāyu, the Sāmaveda from Āditya. He brooded over these Vedas; Vgl. PW: tapas. Thomas Oberlies nennt diese Kosmogonien »technomorph«; daneben kommen im frühen R ̥ gveda vereinzelt auch »biomorphe« Kosmogonien vor, die denen der Brāhmaṇas ähneln. (Vgl. Oberlies, Thomas (2012): Der Rigveda und seine Religion. Berlin: Verl. der Weltreligionen, S. 224–231). 590 Vgl. z. B. AB 1.28; 1.29; 2.17; 2.39; 4.25; ŚB(M) 1.2.5.12; 1.3.5.10; 1.5.1.16; 1.6.3.35; 2.2.2.3; 2.3.3.18; 3.2.2.4; 4.1.1.15; 5.1.3.2. Siehe auch Gonda, Jan (1984): Prajāpati and the year. Amsterdam: North-Holland Publ. Co (Verhandelingen der Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen, Afd. Letterkunde). 588 589

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Die Brāhmaṇas

from these (Vedas) when brooded over three pure (sounds) were born; bhūḥ from the R̥gveda was born, bhuvaḥ from the Yajurveda, svar from the Sāmaveda. He brooded over these pure ones; from them when brooded over the three sounds were born; the letter a, the letter u, and the letter m (…).« (Ke) 591

Aus der Sonne wird der Sāmaveda erzeugt, das Wissen um die Gesänge; aus dem Wind der Yajurveda, das Wissen um die Opferformeln; aus dem Feuer Agni der R ̥ gveda, das Wissen um die Verse. Dieses dreifache Wissen wandelt sich durch weiteres Erwärmen in je einen Opferruf und schließlich in die drei Buchstaben A, U und M. An dieser Stelle endet die Emanation des Prajāpati. Im Anschluss daran heißt es: AB 5.32.2–3 »(2) (…) Them he brought together; that made (the word) om. Therefore with om does he say the Praṇava. Om is the world of heaven; om is he that yonder gives heat. (3) Prajāpati extended the sacrifice; he took it; he sacrificed with it (…).« (Ke) 592

Nachdem aus ihm somit das dreifache Wissen emaniert ist, wendet er es an, indem er die Buchstaben A, U und M zur Formel om verbindet und danach das Opfer (yajña) ausbreitet. Oldenberg bemerkt über das Opfer: »Das Opfer ist sehr viel mehr als eine einfache Handlung der Menschen, durch die sie den Göttern Verehrung bezeugen. Auch die Götter selbst üben diese heilige Lebensäußerung, die des Universums Ordnung und den Einklang des eigenen Ich damit aufrecht erhält. (…) Vor allem aber ist dies zu beachten: das Opfer hat überhaupt sein Dasein nicht allein darin, daß irgend welche Wesen es vollziehen. Vielmehr existiert es aus eigenem Recht.« 593

Ähnlich auch Lévi:

591 tāni jyotīṃṣy abhyatapat, tebhyo ’bhitaptebhyas trayo vedā ajāyanta: rgveda ̥ evāgner ajāyata, yajurvedo Vāyoḥ sāmaveda Ādityāt. tān vedān abhyatapat, tebhyo ’bhitaptebhyas trīṇi śukrāṇy ajāyanta: bhūr ity eva ̥rgvedād ajāyata, bhuva iti yajurvedāt, svar iti sāmavedāt. tāni śukrāṇy abhyatapat, tebhyo ’bhitaptebhyas trayo varṇā ajāyantākāra ukāro makāra iti. 592 tān ekadhā samabharat, tad etad om iti. tasmād om-om iti praṇauty. om iti vai svargo loka, om ity asau yo ’sau tapati. sa Prajāpatir yajñam atanuta, tam āharat, tenāyajata. 593 Oldenberg, Hermann (1919): Vorwissenschaftliche Wissenschaft, S. 150.

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»Le sacrifice a donc tous les caractères d’une opération magique, indépendante des divinités, efficace par sa seule énergie et susceptible de produire le mal comme le bien.« 594

Das Opfer ist mithin eine eigenständige Wesenheit, die nach Lévi als »une combinaison savante et compliquée d’actes rituels et de paroles sacrées« 595 bestimmt werden kann. Das Ausbreiten des Opfers durch Prajāpati erfolgt durch die Ausübung der vier Opferämter, die mit dem dreifachen Wissen sowie dessen Kern, ausgedrückt durch die Formel om, verbunden sind: AB 5.32.3 »(…) He performed the Hotr̥’s office with the R̥c alone, the Adhvaryu’s with the Yajus, the Udgātr̥’s with the Sāman. He performed the Brahman’s office with the pure (part) of the threefold knowledge.« (Ke) 596

Anschließend erfolgt die Weitergabe des Opfers und das damit verbundene Wissen an die Götter: AB 5.32.4 »Prajāpati handed over the sacrifice to the gods; the gods extended the sacrifice; they took it, they sacrificed with it. They performed the Hotr̥’s office with the R̥c alone, the Adhvaryu’s with the Yajus, the Udgātr̥’s with the Sāman. They performed the Brahman’s office with the pure (part) of the threefold knowledge.« (Ke) 597

Prajāpati entlässt somit das ganze Dasein einschließlich des Opferwissens und des ebenfalls eine Wesenheit darstellenden Opfers aus sich und gibt die auszuführenden Opferhandlungen an seine Geschöpfe weiter, mit denen er selbst in Beziehung tritt. Die Interaktion mit seinen Geschöpfen erweist Prajāpati – wie bereits erwähnt wurde – nicht als Herrscher über alles. Vielmehr wird er in einem Mythos sogar von einem Dämon durchspießt; als Konsequenz fließt er nach »oben« (ūrdhva) und läßt seinen Samen in Form eines Teiches zurück. 598 594 Lévi, Sylvain (1966): La doctrine du sacrifice dans les Brāhmaṇas. 2. éd. Paris: Presses Universitaires de France (Bibliothèque de l’École des Hautes Études, Sciences Religieuses / École Pratique des Hautes Etudes, 73), S. 129. 595 Lévi, Sylvain (1966): La doctrine du sacrifice dans les Brāhmaṇas, S. 77. 596 sa rcaiva hautram akarod, yajuṣādhvaryavaṃ sāmnodgīthaṃ. yad etat trayyai ̥ vidyāyai śukraṃ, tena brahmatvam akarot. 597 sa Prajāpatir yajñaṃ devebhyaḥ samprāyachat, te devā yajñam atanvata, tam āharanta, tenāyajanta. ta ̥rcaiva hautram akurvan, yajuṣādhvaryavaṃ, sāmnodgīthaṃ. yad evaitat trayyai vidyāyai śukraṃ, tena brahmatvam akurvaṃs. 598 Vgl. AB 3.33.

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Die Brāhmaṇas

Es lässt sich feststellen, dass Prajāpati die Vielheit in Form der drei Welten sowie des Opferkosmos aus sich hervorbringt. Der Vielheit ist daher ein einheitliches Ganzes vorauszusetzen. Gleichzeitig ist Prajāpati als Gottheit selbst ein Teil dieser Vielheit und unterliegt der dort vorherrschenden Kausalität. Es lässt sich mithin ein mythologisches Wissen um die Voraussetzung eines einheitlichen Ganzen feststellen, dessen Schöpfung Prajāpati zugeschrieben wird. Prajāpati kann jedoch nur als ein erscheinendes Prinzip dieses unbenannten Ganzen verstanden werden, das sich durch die Gesamtheit der kausalen Zusammenhänge konstituiert. 4.4.2. Schöpfung im Śatapatha-Brāhmaṇa Der Schöpfungsmythos ŚB 6 hat dagegen einen anderen Beginn. So steht dort am Anfang nicht Prajāpati, sondern das Nicht-Seiende (asat): ŚB(M) 6.1.1.1 »Nichtseiendes, wahrlich, war dieses hier im Anfang (…).« 599 Dabei bezeichnet das im Neutrum stehende idam »dieses hier« das direkt vor den Augen liegende, welches in diesem Zusammenhang als die erscheinende Vielheit verstanden werden muss. Im unmittelbaren Anschluss greift eine unbestimmte Anzahl von Redenden diese Aussage auf und stellt dem Vortragenden folgende Frage: ŚB(M) 6.1.1.1 »(…) Was (kim) ist dieses Nichtseiende?« 600 Das nominativische, im Neutrum befindliche Interrogativ kim »was« zielt auf den Namen, mithin die Identität dieses Nichtseienden. Die Antwort lautet: ŚB(M) 6.1.1.1 »Die Seher! Im Anfang war das Nichtseiende diese (Seher).« 601 Das Nichtseiende – als Subjekt des Satzes – wird also mit den Sehern (r̥ṣi), den sieben »mythischen Ahnherren« 602, die den Menschen das Wissen brachten, gleichgesetzt. Diese Gleichsetzung transformiert das »Nichtseiende« in einen Namen, mithin in eine Wesenheit, die »seiend« ist und in Kausalbeziehungen mit anderen Wesenheiten steht. Die kausalen Verknüpfungen werden noch weiter geführt. So entsprechen die sieben Seher (r ̥ ṣi) wiederum ásadvā´ idamágra āsīt. kiṃ tadásadāsīditi. 601 r ̥´ṣayo vāva te gré sadāsī´t. 602 So Witzel & Gotō über Rṣi im Rgveda. (Vgl. Kommentar von Michael Witzel & ̥ ̥ Toshifumi Gotō (2007) in: Rig-Veda. Das heilige Wissen. Erster und zweiter Liederkreis. Übers. und hrsg. von Michael Witzel und Toshifumi Gotō unter Mitarbeit von Eijirō Dōyama und Mislav Ježić (2007). Frankfurt am Main, Leipzig: Verl. d. Weltreligionen, S. 660). 599 600

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den sieben Lebenshauchen (prāṇā), von denen der in der Mitte stehende Lebenshauch mit dem primären Schöpfergott des RV, Indra, gleichgesetzt wird: ŚB(M) 6.1.1.1–2 »Und wer sind die Rishi [Seher, E. S.]? Die Lebenshauche (prāṇāh) sind die Rishi. Weil sie vor dieser ganzen Welt, dieselbe wünschend, durch Abmühung und Tapas litten (arishan), darum heißen sie Rishi. Der Lebenshauch hier in der Mitte, der ist Indra; der hat diese Lebenshauche von der Mitte her durch Kraft (indriya) entzündet. Weil er sie entzündete (ainddha), darum heißt er Indha; denn eigentlich heißt er Indha, aber sie nennen ihn Indra um des Geheimnisvollen willen, denn die Götter lieben das Geheimnisvolle.« (De) 603

Die durch den mittleren Lebenshauch Indra entzündeten Lebenshauche bringen durch tapas (»Wärme, Hitze, Glut« bzw. »Askese«) sieben Männer (puruṣā) hervor, die sie zu einem Mann (puruṣa) vereinigen: ŚB(M) 6.1.1.2–3 »(2) (…) They (the vital airs), being kindled, created seven separate persons (purusha). (3) They said, ›Surely, being thus, we shall not be able to generate: let us make these seven persons one Person!‹ They made those seven persons one Person: they compressed two of them (into) what is above the navel, and two of them (into) what is below the navel; (one) person was (one) wing (or side), one person was (the other) wing, and one person was the base (i. e. the feet).« (Eg) 604

Dieser Mann wird schließlich zu Prajāpati: ŚBM 6.1.1.5 »That same Person became Prajāpati (…).« (Eg) 605

Es zeigt sich somit, dass Prajāpati im Unterschied zum AB nicht am Anfang von allem steht, sondern Ergebnis einer präexistenten Zustandsveränderung ist, die beim Nichtseienden beginnt. Dieses Nichtseiende, konkretisiert als die sieben Seher (r̥ṣi), liegt allem zugrunde. Es ist mithin gegenüber dem frühen AB ein Paradigmenwechsel festzustellen. Die Zustandsveränderung impliziert Kausalität 603 ke ta r r yátpurā`smātsárvasmādidámichántaḥ śrámeṇa ̥´ṣaya íti prāṇā vā ̥´ṣayaste tápasā´riṣaṃstásmādr ̥´ṣayaḥ dhyatá indriyéṇainddha yadaínddha tásmādíndha índho ha vai tam sa yò yam mádhye prāṇáḥ eṣá evéndrastā´neṣá prāṇā´nmaíndra ityā´cakṣate paró ’kṣam paró ’kṣakāmā hí devāstá iddhā´ḥ. 604 iddhā ´ ḥ sapta nā´nā púruṣānasr̥jantá te ’bruvan na vā´ itthaṃ sántaḥ śakṣyāmaḥ prájanayitumimā´ntsapta púruṣānékam púruṣaṃ karavāméti tá etā´ntsapta púruṣānékam púruṣamakurvanyádūrdhvaṃ nā´bhestau dvaú samaúbjanyadávāṅnā´bhestau dvaú pakṣaḥ púruṣaḥ pakṣaḥ púruṣaḥ pratiṣṭhaíka āsīt. 605 sá eva púruṣaḥ prajā´patirabhavat.

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und zeigt, dass die Schöpfungstätigkeit des Prajāpati nicht voraussetzungslos ist. Der Blick soll nun auf den Ablauf der Schöpfung gerichtet werden. So bringt Prajāpati zunächst das dreifache Wissen in Form des bráhman ins Dasein: ŚB(M) 6.1.1.8 »Now this Person (puruṣa) Prajāpati desired, ›May I be more (than one), may I be reproduced!‹ He toiled, he practised austerity. Being worn out with toil and austerity, he created first of all the Brahman (neut.), the triple science. It became to him a foundation: hence they say, ›the Brahman (Veda) is the foundation of everything here‹ (…).« (Eg) 606

Das bráhman wird explizit als Erstgeborenes des Prajāpati bezeichnet. 607 Anschließend schafft er aus der Rede (vāc) – das heißt dem artikulierten Opferwissen 608 – die Urwasser, woraus wiederum die Urmaterie hervorgeht. 609 Danach entfaltet er schrittweise die drei Welten Erde, Luftraum und Himmel mit Hilfe der ihnen entsprechenden Lichter, dem Feuer (agni), dem Wind (vāyu) und der Sonne (āditya). Mit der Entfaltung der drei Welten schafft Prajāpati zudem die Himmelsrichtungen. 610 Schließlich verzehrt er die auf der Erde wachsenden Pflanzen und wird dadurch schwanger. Er entlässt aus seinen oberen Lebenshauchen (prāṇā) die Götter; 611 aus seinen unteren Lebenshauchen entlässt er dagegen die Sterblichen (mártyāḥ), wozu auch die Menschen gehören: ŚB(M) 6.1.2.11 »And so they say, ›Prajāpati, having created these worlds, was firmly established on the earth. For him these plants were ripened into food: that he ate. He became pregnant. From the upper vital airs he created the gods, and from the lower vital airs the mortal creatures.‹ In whatever

606 so ’yam púruṣaḥ prajā ´ patirakāmayata bhūyāntsyām prajāyeyéti so ’śrāmyatsa tápo ’tapyata sá śrāntástepāno bráhmaivá prathamámasr̥jata trayómevá vidyāṃ saìvā`smai pratiṣṭhābhavattásmādāhurbráhmāsya sárvasya pratiṣṭhéti tásmādanū´cya prátitiṣṭhati pratiṣṭhā hyèṣā yadbráhma tásyām pratiṣṭhā´yām. 607 Vgl. ŚB(M) 6.1.1.10. 608 So auch Julius Eggeling (1966) in seinem Kommentar in: The ŚatapathaBrāhmaṇa according to the text of the Mādhyandina school. Part III, S. 145 FN 1. 609 Vgl. ŚB(M) 6.1.1.9, 12–15. 610 Vgl. ŚB(M) 6.1.1.2.1–4; als Nebenprodukte dieser Hervorbringungen entstehen auch Vögel, Luft, Sonnenstrahlen, Mond und Sterne. 611 Davor bringt er bereits die drei Klassen der Götter hervor, nämlich die Vasu’s, die Rudra’s und die Āditya’s. (Vgl. ŚB(M) 6.1.2). Möglicherweise sind im Gegensatz zu diesen abstrakten Klassen hier die konkreten, einzelnen Götter gemeint.

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way he created thereafter, so he created; but indeed it was Prajāpati who created everything here, whatsoever exists.« (Eg) 612

Somit hat das Nichtseiende, vermittelt über seine schöpferische Kraft Prajāpati, die Vielheit des Existierenden einschließlich des Opferwissens aus sich hervorgebracht. Die Vielheit kann damit als ein einheitliches Ganzes betrachtet werden. Am Ende des Schöpfungsmythos in ŚB 6 fällt Prajāpati – von seinem Schöpfungswerk erschöpft – auseinander und wird von seinem Atem (prāṇa) und den Göttern verlassen: ŚB(M) 6.1.2.12 »Having created creatures he, having run the whole race, became relaxed; and therefore even now he who runs the whole race becomes indeed relaxed. From him being thus relaxed, the vital air went out from within. When it had gone out of him the gods left him.« (Eg) 613

Erst durch das Feueraltarritual 614, das von den Göttern und später von den Menschen praktiziert wird, kann er mit der Hilfe des Feuers Agni wieder hergestellt werden: ŚB(M) 6.1.2.21 »But they say, – Prajāpati, when relaxed, said to the gods, ›Restore me!‹ The gods said to Agni ›In thee we will heal this our father Prajāpati.‹ – ›Then I will enter into him, when whole,‹ he said. – ›So be it!‹ they said. Hence, while being Prajāpati, they yet call him Agni.« (Eg) 615

612 átho āhuḥ prajā ´ patirevèmā´ṃlokā´ntsr ̥ ṣṭvā´ pr ̥ thivyām prátyatiṣṭhattásmā imā óṣadhayó ’nnamapacyanta tádāśnātsá garbhyábhavatsa ūrdhvébhya evá prāṇébhyo devānásr̥jata yé vāñcaḥ prāṇāstébhyo mártyāḥ prajā ityáto yatamathā´sr ̥ jata táthāsr ̥ jata prajā´patistvèvèdaṃ sárvamasr̥jata yádidaṃ kíṃ ca. 613 sá prajā ´ ḥ sr ̥ ṣṭvā´ sárvamājímitvā vyásraṃsata tásmādu haitadyaḥ sárvamājiméti vyèvá sraṃsate tásmādvísrastātprāṇó madhyata údakrāmattásminnenamutkrānte devā´ ajahuḥ. 614 Das agnicayana, wörtlich »Schichten des Feuer(altars)« wird von 16 oder 17 Priestern durchgeführt und erstreckt sich über mehrere Wochen oder Monate. Seine Ausrichtung erfolgt durch einen Opferherrn, der am ersten Tag einer Weihe unterzogen wird, die ihn für die Zeit der Dauer des Rituals mit bestimmten Gelübden belegt. Im Mittelpunkt des agnicayana steht die Errichtung eines großen Altars, der aus fünf Schichten von Ziegeln besteht. Auf dem Altar wird schließlich ein mehrtägiges Soma-Opfer vollzogen. Die Bezeichnung des Altars – Agni – unterscheidet sich dabei nicht von der des Opferfeuers. (Vgl. Staal, Frits (1983): Agni. Volume I. In collaboration with C. V. Somayajipad and M. Itti Ravi Nambudiri. Berkeley: Asian Humanities Press, S. 54–56). 615 átho āhuḥ prajā´patireva vísrasto devā´nabravītsám mā dhattéti té devā´ agnímabruvaṃstváyīmám pitáram prajā´patim bhiṣajyāméti sa vā´ ahámetásmintsárvasminnevá viśānī´ti tathéti tásmādetám prajā´patiṃ sántamagnirityā´cakṣate.

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Die frühen Upaniṣaden

Dieses Ereignis bestätigt die oben gemachte Aussage, dass Prajāpati selbst der Kausalität unterliegt. Zusammenfassend lässt sich erkennen, dass die Kausalität aus dem Nicht-Seienden entstammt und es in ein Seiendes umwandelt. Am Ende dieser präexistenten Zustandsveränderung steht Prajāpati, der aus sich heraus die gesamte Vielheit entfaltet. Gleichzeitig ist Prajāpati als Gottheit nach seiner Schöpfung selbst ein Teil dieser Vielheit und unterliegt der dort vorherrschenden Kausalität. Es lässt sich mithin wie im AB ein mythologisches Wissen um die Voraussetzung eines einheitlichen Ganzen feststellen, dessen Schöpfung allerdings aus dem Nichtseienden entstammt. Prajāpati kann jedoch nur als erscheinendes Prinzip dieses unbenannten Ganzen verstanden werden, das sich durch die Gesamtheit der kausalen Zusammenhänge konstituiert.

5.

Die frühen Upaniṣaden

5.1. Text und Untersuchungsumfang Die frühen Upaniṣaden stellen eine Textgattung dar, die zur Zeit der späten Brāhmaṇas entstand. Witzel rechnet sie darum linguistisch zur »Brāhmaṇa-prose«. 616 Die Bedeutung der Bezeichnung upaniṣad ist umstritten; 617 üblicherweise wird er als »Sitzung zu Füssen des Lehrers; die dabei vorgetragene Geheimlehre« 618 übersetzt. In neuerer Zeit wurde diese klassische Übersetzung von Harry Falk kritisiert, mit dem Hinweis, dass der Begriff upaniṣad bereits in den Brāhmaṇas die Bedeutung einer »bewirkenden Macht« habe. 619 In den Upaniṣaden komme dem Begriff eine weitere Bedeutung zu, nämlich »hierarchische Beziehung«. 620 Die Benennung einer gesamten Text616 Vgl. Witzel, Michael (1989): Tracing the vedic dialects. In: Colette Caillat (ed.): Dialectes dans les littératures indo-aryennes. Actes du colloque international. Paris: Collège de France/Institut de civilisation indienne (Publications de l’Institut de civilisation indienne. Série in-8o, 55), S. 97–265, hier: S. 126. 617 Vgl. Kommentar von Walter Slaje in: Upanischaden. Arkanum des Veda. Übers. und hg. von Walter Slaje (2009). Frankfurt am Main, Leipzig: Verl. der Weltreligionen, S. 384. 618 Vgl. Falk, Harry (1986): Vedisch upaniṣád. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 136, S. 80–97, hier: S. 96. 619 Vgl. Falk, Harry (1986): Vedisch upaniṣád, S. 83. 620 Vgl. Falk, Harry (1986): Vedisch upaniṣád, S. 95.

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Anwendung von Uhdes Religionsbegriff auf die altindische Geistesgeschichte

gattung als Upaniṣaden erfolgte erst in beträchtlich späterer Zeit. 621 So schreibt Slaje: »Die Bezeichnung Upanischaden kam erst viel später auf, als man diese Texte rückblickend als Gattung zu reflektieren und zu kategorisieren begann. Die eigentlichen Verfasser upanischadischer Lehren konnten zu ihrer Zeit jedoch noch keine Vorstellung davon haben, daß das, was sie da formulierten, irgendwann einmal von Redaktoren unter der Gattungsbezeichnung upaniṣad zusammengetragen werden würde.« 622

Die Upaniṣaden stehen inhaltlich nicht in einem Gegensatz zu den Brāhmaṇas, sondern bauen auf ihnen auf. 623 Witzel bemerkt dazu: »They are a intensified continuation of Brāhmaṇa speculation, in a ›new‹ style.« 624 Dabei sind sie inhaltlich deutlich heterogener als noch die Brāhmaṇas. Die vedischen Schulen entwickelten die alten Upaniṣaden meist im Anschluss an die Brāhmaṇas; dies erklärt ihre Vielfalt. Signe Cohen zählt 19 »classical Upaniṣads« auf und ordnet sie chronologisch. Allerdings betont sie, dass sie nur die bestehenden Rezensionen linguistisch analysieren könne und somit Rückschlüsse auf die relative Chronologie nur bedingt möglich seien. 625 Witzel zählt drei Upaniṣaden auf, die seiner Ansicht nach sicher vorbuddhistisch sind und damit für die Untersuchung in Frage kommen: die Br̥hadāraṇyaka-Upaniṣad (BĀU), das Jaiminīya-Upaniṣad-Brāhmaṇa (JUB) und die Chāndogya-Upaniṣad (ChU). 626 Für die Untersuchung

621 Vgl. Kommentar von Walter Slaje (2009) in: Upanischaden, S. 383–384. Falks Diskussion über den Begriff upaniṣad wird weiter unten angeführt. 622 Kommentar von Walter Slaje (2009) in: Upanischaden, S. 384. 623 Vgl. Witzel, Michael (1997): The development of the vedic canon and its schools. The social and political milieu. (Materials on vedic śākhās, 8). In: Michael Witzel (ed.): Inside the texts, beyond the texts. New approaches to the study of the Vedas: proceedings of the International Vedic Workshop, Harvard University, June 1989. Cambridge: Harvard University Dept. of Sanskrit and Indian Studies (Harvard oriental series. Opera minora, v. 2), S. 257–345, hier: S. 329. 624 Witzel, Michael (1997): The development of the vedic canon and its schools, S. 329. 625 Vgl. Cohen, Signe M. (2008): Text and authority in the older Upaniṣads. Leiden: Brill (Brill’s indological library), 287–288; vgl. dazu auch Bodewitz, Henk (2011): The chronology of the Upaniṣads and their basic ideas. Some criticisms on a recent study by Signe Cohen. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 161, S. 405–414, hier: S. 407. 626 Vgl. Witzel, Michael (2009): Moving targets? Texts, language, archaeology and history in the late vedic and early buddhist periods. In: Indo-Iranian Journal 52, S. 287–310, hier: S. 310.

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wurden exemplarisch die BĀU, die einzige vorbuddhistische Yajurveda-Upaniṣad sowie die ChU, die zusammen mit der JUB zu den Sāmaveda-Upaniṣaden gehört, ausgewählt. Es soll im Folgenden kurz auf die BĀU und die ChU eingegangen werden. Der Begriff Br̥hadāraṇyaka bedeutet wörtlich »hohes Āraṇyaka«. Da die Āraṇyakas »Wildnistexte« 627 eine eigene Literaturgattung darstellen, wurde die Br̥hadāraṇyaka-Upaniṣad (= BĀU) vor ihrer Kategorisierung als Upaniṣad offensichtlich zu diesen gerechnet. Die BĀU gehört zum jüngeren Textkorpus des bereits analysierten ŚB. Darum gibt es auch hier Rezensionen zweier Schulen, nämlich der Mādhyandina- und der Kāṇva-Schule. Wie beim ŚB wird in der Untersuchung auf die Mādhyandina-Rezension zurückgegriffen, die in den Zitaten als BĀU(M) abgekürzt wird. 628 Die BĀU besteht aus sechs Kapiteln, die sich aus zwei ursprünglich selbststän627 Auf diese Weise übersetzt Angelika Malinar den Begriff. (Vgl. Malinar, Angelika (2009): Hinduismus. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (Studium Religionen), S. 35). Der Begriff stammt von araṇya »Wildnis, Wald«. (Vgl. PW: araṇya). Die Āraṇyakas sind eine Literaturgattung, »die sich mit besonders riskanten bzw. geheimen Ritualen beschäftigen« (ebd.), die in Abgeschiedenheit studiert und durchgeführt werden. 628 Für die Untersuchung wird die auf den Editionen von Albrecht Weber und Willem Caland basierende Edition von Marcos Albino verwendet, die im Thesaurus Indogermanischer Text- und Sprachmaterialien (TITUS) verfügbar ist (Br̥had-ĀraṇyakaUpaniṣad. Mādhyandina-Recension / Kāṇva-Recension. On the basis of the editions by Albrecht Weber, The Çatapatha-Brāhmaṇa in the Mādhyandina-Çākhā with extracts from the commentaries of Sāyaṇa, Harisvāmin and Dvivedānga, Berlin 1849 / Repr. Varanasi 1964 (Chowkhamba Sanskrit Ser., 96) and Willem Caland, The Śatapatha Brāhmaṇa in the Kāṇvīya Recension, rev. ed. by Raghu Vira, Lahore 1926/ repr. Delhi 1983; edited by Marcos Albino, Erlangen 1996–1997; corrections by Matthias Ahlborn; TITUS version by Jost Gippert. Frankfurt am Main. Online verfügbar unter http://titus.uni-frankfurt.de/texte/etcs/ind/aind/ved/yvw/ upanisad/bau/bau.htm, zuletzt aktualisiert am 21. 04. 2012). Zur Unterstützung wurde auf die Übersetzungen von Walter Slaje (= Sl) (Upanischaden. Arkanum des Veda. Übers. und hg. von Walter Slaje (2009). Frankfurt am Main, Leipzig: Verl. der Weltreligionen) sowie von Patrick Olivelle (= Ol) (The early Upaniṣads. Annotated text and translation. Ed. and transl. by Patrick Olivelle (1998). New York, Oxford: Oxford University Press (South Asia research)) und Paul Deussen (= De) (Upanishaden. Die Geheimlehre des Veda. In der Übers. von Paul Deussen (Leipzig 1938). Hg. und eingl. von Peter Michel (2007). 2. Aufl. Wiesbaden: Marix) zurückgegriffen. Zwar beziehen sich die beiden Letzteren auf die Kāṇva-Version – in den vielen, mit der Mādhyandina-Version übereinstimmenden Passagen konnten sie jedoch konsultiert werden. Schließlich wurde die Übersetzung ausgewählter Stücke von Paul Thieme (= Th) (Upanischaden. Ausgewählte Stücke. Übers. und erl. von Paul Thieme (1966). Stuttgart: Reclam (Reclams Universal-Bibliothek, 8723)) hinzugezogen.

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digen Texten und einem Nachtragsteil zusammensetzt. Kapitel 1 und 2 bilden den madhu-kāṇḍa, den »Abschnitt über den Honig«, der seinen Namen von der letzten Abhandlung dieses Abschnitts hat. Kapitel 3 und 4 formen den Yājñavalkya-kāṇḍa, den »Abschnitt des Yājñavalkya«, der nach einem mehrfach erwähnten Gelehrten des Abschnitts benannt wurde. Kapitel 5 und 6 bilden den khila-kāṇḍa, »Abschnitt der Ergänzungen«. Der »Abschnitt der Ergänzungen« besteht aus später hinzugefügten, »disparate and often unconnected fragments« 629 und soll darum nicht berücksichtigt werden. Nicht berücksichtigt werden soll auch der Yājñavalkya-kāṇḍa, der nach Meinung von Bronkhorst postbuddhistisch ist. 630 Obwohl die Diskussion darüber noch nicht abgeschlossen ist, wird deshalb nur auf den madhu-kāṇḍa (= BĀU 1–2) eingegangen. Die Bezeichnung Chāndogya bedeutet »zum Chandoga gehörend« oder »mit dem Chandoga in Beziehung stehend«. 631 Chandoga wiederum ist die Bezeichnung für den Gesangspriester des Sāmaveda. 632 Im Opferritual nehmen mehrere Gesangspriester teil: Der leitende Gesangspriester wird Udgātr ̥ genannt, der mehrere Gehilfen hat. 633 Die Chāndogya-Upaniṣad (= ChU) wurde von den vedischen Schulen der Rāṇāyanīya und der Kauthuma überliefert. 634 Der Untersuchung liegt die Rezension der Kauthuma-Schule zugrunde. 635 Die ChU besteht aus acht Kapiteln, die zwar sprachlich reKommentar von Patrick Olivelle (1998) in: The early Upaniṣads, S. 29. Vgl. Bronkhorst, Johannes (2007): Greater Magadha. Studies in the culture of early India. Leiden: Brill (Handbuch der Orientalistik, Sect. 2, Vol. 19), S. 258. 631 Es stellt eine Ableitung auf -ya mit Vrddhi dar, die ein Adjektiv der Zugehörigkeit ̥ und der Beziehung darstellt. (Vgl. Wackernagel, Jakob (1954): Altindische Grammatik. Band II.2. Die Nominalsuffixe. Unter Mitarbeit von Albert Debrunner. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 129 [§ 39], S. 817–819 [§§ 656–657]). 632 Vgl. Kommentar von Paul Deussen (1938/2007) in: Upanischaden, S. 104 (61). 633 Vgl. Mylius, Klaus (1995): Wörterbuch des altindischen Rituals. Mit einer Übersicht über das altindische Opferritual und einem Plan der Opferstätte. Wichtrach: Inst. für Indologie, S. 11; 48. 634 Vgl. Glasenapp, Helmuth von (1929): Die Literaturen Indiens. Von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. Wildpark-Potsdam: Akad. Verlagsges. Athenaion (Handbuch der Literaturwissenschaft), S. 45. 635 Die Kautuma-Rezension der ChU basiert auf den Editionen von V. P. Limaye & R. D. Vāḍekara und Émile Senart und ist im Thesaurus Indogermanischer Text- und Sprachmaterialien (TITUS) der Universität Frankfurt/ Main verfügbar (ChāndogyaUpaniṣad. On the basis of the editions Aṣṭādaśa-ūpaniṣadaḥ, Gaṃdhī-smārakabhūtaṃ saṃskaraṇam. Prathamaḥ khaṇḍaḥ, ed. V. P. Limaye and R. D. Vāḍekara. Puṇyapattanam: Vaidika-Saṃśodhana-Maṇḍalam, 1958, pp. 68–173 and Chāndog629 630

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lativ homogen, inhaltlich aber sehr heterogen sind. 636 Slaje bemerkt dazu: »Dieser relativen sprachlichen Homogenität steht eine – nach systematischen Kriterien beurteilt – bemerkenswerte Heterogenität gegenüber: Die acht Kapitel (adhyāya) dieser Upanischad fallen thematisch weit auseinander und sind in sich keineswegs völlig geschlossen, was mit dem Umstand redaktioneller Bearbeitungsschübe zusammenhängt.« 637

Aufgrund der sprachlichen Homogenität sollen alle Kapitel untersucht werden.

ya-Upaniṣad, traduite et annotée par Emile Senart, Paris: Société d’Édition »Les Belles Lettres«, 1930, 33, 1–121, 123–142 pp.; edited under the direction of Peter Schreiner by M. Christof, J. Gengnagel, K.-P. Gietz, A. Heckel, H. Petzel, M. Püschel, K. Sahni, J. Schiefele, Th. Weinert, Zürich 1985–1986; and corrected by Andreas Bigger, Gerald Grobbel, Salvatore Scarlata, Peter Schreiner, Heinz-Werner Weßler, Zürich 1990; corrections by Matthias Ahlborn; TITUS version by Jost Gippert, Frankfurt am Main. Online verfügbar unter http://titus.uni-frankfurt.de/texte/etcs/ind/aind/ ved/sv/upanisad/chup/chup.htm, zuletzt aktualisiert am 21. 04. 2012). Als unterstützende Übersetzungen wurden die oben genannten Werke von Walter Slaje (2009), Patrick Olivelle (1998), Paul Deussen (1938/2007) und Paul Thieme (1966) verwendet. 636 Olivelle nimmt jedoch an, dass die ChU ähnlich wie die BĀU aus mehreren, selbstständig existierenden Abschnitten zusammengesetzt ist. Seiner Ansicht nach formen Kapitel 1–3, 4–5 und 6–8 einen inhaltlich eigenständigen Abschnitt. (Vgl. Olivelle, Patrick (1996): Dharmaskandāḥ and brahmasaṃsthaḥ. A study of Chāndogya Upaniṣad 2.23.1. In: Journal of the American Oriental Society 116, S. 205–219, hier: S. 213; Olivelle, Patrick (1999): Young Śvetaketu. A literary study of an upaniṣadic story. In: Journal of the American Oriental Society 119 (1), S. 46–70, hier: S. 66). So sei in ChU 1–3 der Fokus auf »the fivefold sāman chant and its central part, the udgītha« (Olivelle, Patrick (1996): Dharmaskandāḥ and brahmasaṃsthaḥ, S. 213), in ChU 4–5 auf »the preeminence of wind/breath« (Olivelle, Patrick (1999): Young Śvetaketu, S. 66) und in ChU 6–8 auf den »three episodes of instruction, at the human (Uddālaka to his son) and the divine (Nārada to Sanatkumāra) levels, and finally the creator god Prajāpati own instruction to the leaders of gods and demons, Indra and Virocana.« (Olivelle, Patrick (1999): Young Śvetaketu, S. 66). Dabei ist anzumerken, dass zum einen diese inhaltliche Anordnung nachträglich im Zuge der Kompilation der ChU erfolgte. Zum anderen darf nicht übersehen werden, dass auch innerhalb eines einzigen Kapitels verschiedene Vorstellungen nebeneinander stehen können. Die Analyse soll darum unabhängig von der inhaltlichen Anordnung erfolgen. 637 Kommentar von Walter Slaje (2009) in: Upanischaden, S. 534. Die Voraussetzung einer verborgenen »Einheit«

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5.2. Uhdes Religionsbegriff in den Upaniṣaden? Die Upaniṣaden sind in ihrer Rezeption eng mit dem Kommentator Śaṅkara (ca. 9. Jhd. n. Chr.) verbunden; diese Verbindung muss vor der Anwendung von Uhdes Religionsbegriff beachtet werden. So hat, wie Slaje bemerkt, der Kommentar Śaṅkaras maßgeblich das abendländische Verständnis der Upaniṣaden geprägt und klassische indologische Übersetzungen, wie jene von Paul Deussen, entscheidend beeinflusst. 638 Der Zeitabstand zwischen der überlieferten Endredaktion der ChU und BĀU (ca. 6.–8. Jhd. v. Chr.) und dem Kommentar Śaṅkaras (ca. 788–820 n. Chr.) liegt dabei bei mindestens 1400 Jahren. Dieser große zeitliche Abstand legt nahe, dass Śaṅkaras Auslegung der Upaniṣaden nicht zwangsläufig deren Selbstverständnis wiedergibt. Die Indologie des 19. Jahrhunderts, so Slaje, stand im Bann des Śaṅkara und konnte sich bis heute nicht davon lösen: »Śaṅkaras Ideen setzen eine lange Entwicklung äußerst differenzierter Geist- und Seins-Konzeptionen voraus, wie sie zur Zeit der älteren Upanischaden noch in keiner Weise bedacht worden waren. Doch die ganz im Banne Śaṅkaras stehende Indologie des 19. Jahrhunderts war seinem ideengeschichtlichen Anachronismus aufgesessen und hat sich – wie auch das neo-hinduistische Indien – bis heute nicht von diesem ahistorischen Irrglauben zu lösen vermocht.« 639

Unter diesem Einfluss stehend bemerkt Deussen, dass sich das gesamte Denken der Upaniṣaden um die Begriffe bráhman und ātman drehe: »Alle Gedanken der Upanishad’s bewegen sich um zwei Grundbegriffe; sie sind: 1) das Brahman und 2) der Ātman.« 640

Seine »Philosophie der Upanishad’s« verfasst er auf Grundlage dieser Hypothese. So ist seine Darstellung des »Systems der Upanishad’s« in vier Hauptteile untergliedert. In den ersten beiden Teilen »Theologie« und »Kosmologie« steht das bráhman im Mittelpunkt; 641 die Kommentar von Walter Slaje (2009) in: Upanischaden, S. 391–393. Kommentar von Walter Slaje (2009) in: Upanischaden, S. 390. 640 Deussen, Paul (1919): Die Philosophie der Upanishad’s. 3. Aufl. Leipzig: Brockhaus (Allgemeine Geschichte der Philosophie, 1.2), S. 36. 641 Dies kann durch die Untergliederungspunkte verdeutlicht werden: (Theologie) I. Über die Erkennbarkeit des Brahman; II. Das Suchen nach dem Brahman; III. Symbolische Vorstellungen vom Brahman; IV. Das Brahman an sich; V. Das Brahman und die Welt; (Kosmologie) VI. Brahman als Weltschöpfer; VII. Brahman als Erhalter 638 639

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letzten beiden Teile »Psychologie« und »Eschatologie« drehen sich dagegen vornehmlich um den Begriff ātman, der die Bedeutung »Seele« besitze. 642 In seiner textkritischen Untersuchung der beiden älteren Upaniṣaden BĀU und ChU kommt Erhardt Hanefeld dagegen zu dem Schluss, dass die »Ātman-Brahman-Lehre« dort keine große Rolle spiele. So bemerkt er: »Offenbar spielt also die Ātman-Brahman-Theorie in den älteren Upaniṣaden noch keine große Rolle; in einem der wichtigsten Texte (Belehrung des Śvetaketu) kommt sie überhaupt nicht vor (und auch keine Ātman-Lehre!), in anderen wird deutlich, daß nur die letzte Redaktion von Anhängern der Ātman-Brahman-Lehre stammt, die deshalb auch versuchen, sie überall einzuführen – meist mit den primitiven Mitteln des Einschubs und der Erweiterung.« 643

Die Anwendung von Uhdes Religionsbegriff darf mithin nicht a priori die Begriffe bráhman und ātman ins Zentrum der Untersuchung stellen. Erich Frauwallner bietet eine alternative Interpretation des Inhalts der Upaniṣaden an. So werden nach Frauwallner dort verschiedene Fragen beantwortet; die Kernfrage sei dabei die Frage nach dem Träger des Lebens, die mit Wasser, Wind oder Feuer beantwortet werde: »Die Fragen, welche dabei den Ausgangspunkt bilden und um die sich zunächst alles dreht, sind die Fragen nach Leben und Tod, nach dem Träger des Lebens und nach dem Schicksal nach dem Tode. Als drittes kommen Versuche hinzu, die Vorgänge im Schlaf zu deuten. Denn der Schlaf erschien dem einfachen Menschen immer als der Zwillingsbruder des Todes, und es lag daher nahe, beide Erscheinungen miteinander zu verknüpfen und eines und Regierer; VIII. Brahman als Weltvernichter; IX. Die Nichtrealität der Welt; X. Die Genesis des Sāṅkya-Systems. (Vgl. Deussen, Paul (1919): Die Philosophie der Upanishad’s, S. XII-XIII). 642 Da es neben dem Begriff ātman verwandte Begriffe gibt, verwendet Deussen die Übersetzung »Seele« in den Kapitelüberschriften dieser beiden Teile. (Vgl. Deussen, Paul (1919): Die Philosophie der Upanishad’s, S. XIII-XIV). Ganz am Beginn bemerkt er, dass dabei – ganz im Sinne von Śaṅkaras Denken – die Universalseele von den individuellen Seelen abgegrenzt werden müsse: »Der Vedānta des Śaṅkara unterscheidet von der einen höchsten Seele (parama ātman) eine Vielheit individueller Seelen (jīva ātman, śārīra ātman).« (Deussen, Paul (1919): Philosophie der Upanishad’s, S. 231 [es wurden kleinere Änderungen in den Zeichensetzungen vorgenommen, E. S.]). 643 Hanefeld, Erhardt (1973): Philosophische Haupttexte der älteren Upaniṣaden. Wiesbaden: Harrassowitz (Freiburger Beiträge zur Indologie, 9), S. 187. Die Voraussetzung einer verborgenen »Einheit«

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durch das andere zu erklären. Die Kernfrage, nämlich die Frage nach dem Träger des Lebens, wurde dabei verschieden beantwortet, und zwar glaubte man das lebentragende Element bald im Wasser zu finden, bald im Wind, oder besser gesagt im Atem, und bald wieder im Feuer.« 644

Diese naturphilosophischen Ansätze werden dabei abgegrenzt von der »Opfermystik und Symbolik«, die Frauwallner bei seinem Unternehmen, die Philosophie der Upaniṣaden darzustellen, nicht als wichtig erachtet. So bemerkt er über seine Methode: »Die Upaniṣaden sind also zunächst nichts anderes als die losgelösten und selbständig überlieferten philosophisch wertvollen Teile der liturgischen Brāhmaṇa-Texte, die ihrerseits ursprünglich nichts mit Philosophie zu tun hatten. Dabei muß eines betont werden (…), daß die Lostrennung dieser Abschnitte aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang sehr oberflächlich und willkürlich erfolgte. Es ist mancher philosophisch bedeutende Text in den Brāhmaṇas stehengeblieben, der nicht in die Upaniṣaden aufgenommen wurde, und es sind noch viel mehr Stücke in die Upaniṣaden übernommen worden, die nichts als krause Opfersymbolik und Priesterspekulation enthalten, philosophisch aber herzlich unbedeutend sind. Hier gilt es, die Spreu vom Weizen zu sondern und mit sicherem Gefühl das Bedeutende herauszugreifen und an der richtigen Stelle einzuordnen.« 645

Die Vorgehensweise Frauwallners, »mit sicherem Gefühl das Bedeutende herauszugreifen« und die in den Upaniṣaden enthaltene »krause Opfersymbolik und Priesterspekulation« den Brāhmaṇas zuzurechnen, erscheint methodisch bedenklich. Bei Frauwallners Unternehmen, eine Geschichte der indischen Philosophie zu erstellen, mag dieses Vorgehen zu rechtfertigen sein; für die Zwecke der in dieser Arbeit gestellten Aufgabe müssen die Upaniṣaden jedoch in ihrer heterogenen Gesamtheit betrachtet werden. Darum wird für die Untersuchung auch nicht Frauwallners Schema angewendet. Möchte man die frühen, vorbuddhistischen Upaniṣaden betrachten, ist zunächst ihre chronologisch große Nähe zu den Brāhmaṇas zu betonen. Sie stellen deren unmittelbare Fortsetzung dar; 646 darum ist anzunehmen, dass ihr Wissen auf dem Wissen der Brāhmaṇas aufbaut. Zentral für die Brāhmaṇas war die Vorstellung, 644 Frauwallner, Erich (1953): Geschichte der indischen Philosophie I. Die Philosophie des Veda und des Epos. Der Buddha u. der Jina. Das Samkhya und das klassische YogaSystem. Einführung von Leo Gabriel. Salzburg: Müller, S. 49. 645 Frauwallner, Erich (1953): Geschichte der indischen Philosophie I, S. 43. 646 Vgl. Witzel, Michael (1997): The development of the vedic canon and its schools, S. 329.

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dass alle Wesenheiten in einem engen Zusammenhang zueinander stehen, der durch ein Geflecht kausaler Relationen besteht. 647 Walter Slaje bemerkt, dass die upaniṣadischen Denker ihr Wissen um die kausalen Relationen zwischen Makro- und Mikrokosmos nicht nur – wie in den Brāhmaṇas – für irdische, sondern auch für jenseitige Heilsziele nutzbar machten: »Das Interesse der frühen upanischadischen Denker galt dem Erkennen solcher inneren Zusammenhänge des von ihnen angenommenen, zwischen Makro- und Mikrokosmos bestehenden Beziehungsgeflechts sowie der Nutzbarmachung dieses Wissens für irdische und jenseitige Heilsziele des Menschen.« 648

Zudem werden – anders als in den Brāhmaṇas – in den Upaniṣaden die kausalen Relationen systematisiert. Im Folgenden soll – nach einem Blick auf den Begriff upaniṣad – zunächst auf diese kausalen Beziehungssysteme eingegangen werden.

5.3. Der Begriff upaniṣad Die Vorstellung eines engen Zusammenhangs aller Wesenheiten, die in den vorangegangenen Literaturepochen festzustellen war, gilt auch für die Upaniṣaden, wie Patrick Olivelle bemerkt: »The central concern of all vedic thinkers, including the authors of the Upaniṣads, is to discover the connections that bind elements of these three spheres to each other. The assumption then is that the universe constitutes a web of relations, that things that appear to stand alone and apart are, in fact, connected to other things.« 649

Die Upaniṣaden systematisieren, wie bereits bemerkt, bestimmte kausale Relationen, indem Beziehungssysteme erstellt werden, die die Vielheit abzubilden scheinen. Mit dieser Vorgehensweise ist der Begriff upaniṣad eng verbunden, wie Harry Falks Reflexion über den Begriff zeigt. Der Begriff upaniṣad, grammatikalisch ein feminines Abstraktpffi nomen, stammt von der Wurzel ṣad »sitzen«, die mit den Präfixen upa »hin-zu« und ni »nieder, hinein« verbunden wird. Die seit Mitte 647 648 649

Siehe III.4.3.2. Kommentar von Walter Slaje (2009) in: Upanischaden, S. 402. Kommentar von Patrick Olivelle (1998) in: The early Upaniṣads, S. 24.

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des 19. Jahrhunderts bestehende, heute noch geläufige Übersetzung als »Sitzung zu Füssen des Lehrers; die dabei vorgetragene Geheimlehre« habe, so Falk, »den ursprünglichen Sinn des Wortes am wenigsten erfaßt.« 650 Falks Analyse zeigt, dass der bereits in den Brāhmaṇas verwendete Begriff dort die Bedeutung einer »bewirkenden Macht« habe, mithin einer Macht, die »auf der höheren Ebene andere, ›untergeordnete‹ Begriffe regiert.« 651 In den Upaniṣaden komme dem Begriff eine weitere Bedeutung zu, nämlich »hierarchische Beziehung«. 652 Dabei enthalte eine »hierarchische Beziehung« immer eine bewirkende Macht, die über ihr untergeordnete Wesenheiten gebietet. 653 Die wesentliche Veränderung, die mit diesem semantischen Wechsel einhergeht, bezieht sich auf den Zusammenhang der Wesenheiten zueinander: »Die Dependenz ist nicht mehr linear (A → B → C → D), sondern verläuft strahlenförmig (A → B, A → C, A → D).« 654 Die strahlenförmige Dependenz erlaubt es, unter dem Oberbegriff A die mit ihnen verbundenen Begriffe zu einem Ganzen zu vereinen. So schreibt Joel Brereton: »In general, each Upanishadic teaching creates an integrative vision, a view of the whole which draws together the separate elements of the world and of human experience and compresses them into a single form. To one who has this larger vision of things, the world is not a set of diverse and disorganized objects and living beings, but rather forms a totality with a distinct shape and character.« 655

Die Identifizierung einer bestimmten, bewirkenden Macht als Grundlage für ein Beziehungssystem findet auf mehreren Ebenen statt. Wie in den Brāhmaṇas werden in den hier untersuchten Upaniṣaden bewirkende Mächte im »Ritualkosmos« und im »Makrokosmos« gefunden. Diese werden wesentlich stärker als noch in den Brāhmaṇas mit dem »Mikrokosmos« Mensch in Beziehung gesetzt. Olivelle bemerkt dazu:

Vgl. Falk, Harry (1986): Vedisch upaniṣád, S. 96. Falk, Harry (1986): Vedisch upaniṣád, S. 83. 652 Vgl. Falk, Harry (1986): Vedisch upaniṣád, S. 95. 653 Vgl. Falk, Harry (1986): Vedisch upaniṣád, S. 88. 654 Falk, Harry (1986): Vedisch upaniṣád, S. 88. 655 Brereton, Joel P. (1990): The Upanishads. In: Wm. Theodore de Bary & Irene Bloom (Hg.): Approaches to the Asian classics. New York: Columbia University Press, S. 115–135, hier: S. 118. 650 651

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»While in the earlier vedic texts the focus is on the connections between the ritual and cosmic spheres, the concern of the Upaniṣadic thinkers shifts to the human person; the connections sought after are between parts of the human organism and cosmic realities.« 656

Zudem werden auch im Mikrokosmos »Mensch« bewirkende Mächte identifiziert, die wirkungsgeschichtlich sehr bedeutsam wurden, so der ātman 657 oder die puruṣa’s 658.

5.4. Kausale Beziehungssysteme 5.4.1. Der udgītha Die Verehrung des udgītha (Hochgesang) steht im Mittelpunkt des ersten Kapitels der ChU. Der udgītha ist im Ritual ein Bestandteil des rituellen Gesangs. 659 In ChU 1.3 werden die drei Silben ud-gītha mit den drei Welten, den in ihnen herrschenden Gottheiten, dem dreifachen Wissen sowie den menschlichen Lebensgrundlagen, nämlich Atem (prāṇa), Sprache (vāc) und Nahrung (anna) gleichgesetzt: ChU 1.3.6–7 »Man könnte dem udgītha 660 aber auch (in der Form seiner einzelnen) Silben huldigen: ud, gī, tha. Ut ist allein der Atemzug, denn mittels des Atemzugs erhebt man sich (ut-tiṣṭhati). Gī ist die Sprechfähigkeit, denn die Worte heißen (auch) gir. Tha ist Nahrung, denn all dies hier gründet sich auf Nahrung. Ut ist allein der Himmel, gī der Raum zwischen Firmament und Erde, tha die Erde. Ut ist allein die Sonne, gī der Wind, tha das Feuer. Ut ist allein der Sāmaveda, gī der Yajurveda, tha der R̥gveda.« (nach Sl) 661

Es ergibt sich folgendes Beziehungssystem:

Kommentar von Patrick Olivelle (1998) in: The early Upaniṣads, S. 24. Siehe III.5.4.5.1. 658 Siehe III.5.4.5.3. 659 Zum rituellen Gesang (sāman) siehe III.5.4.2. 660 Der Ausdruck udgītha wurde in allen Zitaten dieses Kapitels unübersetzt gelassen: Slaje übersetzt ihn als »Litanei des Anstimmens«. 661 atha khalūdgīthākṣarāṇy upāsīta ud gī tha iti prāṇa evot prāṇena hy uttiṣṭhati vag gīḥ vāco ha gira ity ācakṣate annaṃ tham anne hīdaṃ sarvaṃ sthitam dyaur evot antarikṣaṃ gīḥ pr̥thivī tham āditya evot vāyur gīḥ agnis tham sāmaveda evot yajurvedo gīḥ ̥rgvedas tham. 656 657

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Silbe

ud-

-gī-

-tha

Mensch

Atem

Sprache

Nahrung

Welten

Himmel

Luftraum

Erde

Gottheiten

Sonne

Wind

Feuer

Wissen

Sāmaveda

Yajurveda

R ̥ gveda

Tab. 1: Beziehungssystem des udgītha. (Vgl. ChU 1.3.6–7).

Jede Ebene beschreibt für sich ein Ganzes: So wird traditionell die erscheinende Welt in drei Teile untergliedert und das gesamte Wissen als dreigeteilt beschrieben. Auch die Zuordnung der herrschenden Gottheiten zu den Welten wird bereits im frühen AitareyaBrāhmaṇa gefunden. 662 Das Gleiche gilt für die Verbindung der drei Ebenen »Welten«, »Gottheiten« und »Wissen«. Versteht man wie im Aitareya-Brāhmaṇa die drei Welten als die gesamte existierende Räumlichkeit und die in ihnen herrschenden Gottheiten als Begründer der Zeitlichkeit 663, begründet und umfasst dieses Beziehungssystem die gesamte erscheinende Vielheit. Neu hinzu kommt die Verbindung zum einzelnen Menschen, der sich durch Atmung, Kommunikation und Nahrungsaufnahme auszeichnet. Unklar ist hierbei, ob nur der Mensch oder etwa auch andere Wesenheiten wie Tiere gemeint sind. Da der Mensch nicht explizit genannt wird, ist zu vermuten, dass alle irdischen und himmlischen Lebewesen damit bezeichnet werden. Die Wesenheiten der verschiedenen Ebenen sind horizontal und vertikal miteinander verbunden und können kausal aufeinander einwirken. Das Wissen um das mit dem udgītha verbundenen Beziehungssystem hat selbst eine kausale Relevanz. So heißt es direkt im Anschluss an die Vorstellung des Beziehungssystems: »Dem läßt die Rede Melktrank strömen, den Melktrank, der der Rede eigen ist, der wird nahrungsreich, nahrungsgenießend, wer, solches wissend, diese Silben des Wortes ud-gī-tha verehrt.« (De) 664

Siehe III.4.4.1. Die Sonne erschafft den Tag-Nacht-Rhythmus, der Wind begründet durch seine Tätigkeit (Monsun) die Jahreszeiten und das Feuer strukturiert als Opferfeuer den Ritualkalender. Siehe III.4.4.1. 664 dugdhe asmai vāg dohaṃ yo vāco dohaḥ annavān annādo bhavati ya etāny evaṃ vidvān udgīthākṣarāṇy upāsta ud gī tha iti. 662 663

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Das Wissen ist mithin kausal wirksam, indem es dem Wissenden zu Nahrung verhilft. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass mit dem udgītha als bewirkende Macht ein Beziehungssystem verbunden ist, das ein verborgenes einheitliches Ganzes voraussetzt. Dieses Ganze konstituiert sich mit anderen Worten durch die kausalen Relationen, die alles durchziehen und beherrschen. Der Mensch erlangt durch Wissen Anteil an dieser Herrschaft. Nach Uhdes Terminologie kann der udgītha als erscheinendes Prinzip betrachtet werden, durch dessen Beachtung die Herrschaft des Prinzips von Allem, mithin des unbenannten, nicht-wesenhaften einheitlichen Ganzen, beachtet wird. 5.4.2. Der Gesang Das zweite Kapitel der ChU handelt vornehmlich vom Gesang (sāman), von wenigen Nachträgen abgesehen. In ChU 2.2–7 wird ein System von Beziehungen erstellt, die jeweils ein Ganzes abbilden. So werden zunächst die fünf Teile des Gesangs (sāman) – nämlich: (1) Einführungsformel (hiṃkāra) 665; (2) Einleitungsgesang (prastāva); (3) Hochgesang (udgītha); (4) Abgesang (pratihāra); (5) Schlusssatz (nidhana) – mit den fünf Welten (loka) Erde, Feuer, Luftraum, Sonne und Himmel gleichgesetzt: ChU 2.2.1–3 »In den Welten (lokā) soll man das fünffache Sāman verehren: hiṃkāra ist die Erde, prastāva das Feuer, udgītha der Luftraum, pratihāra die Sonne, nidhana der Himmel. So in aufsteigender Folge. Nun in umgekehrter Folge: hiṃkāra ist der Himmel, prastāva die Sonne, udgītha der Luftraum, pratihāra das Feuer, nidhanam die Erde. Dem dienen die Welten (lokā), in aufsteigender und umgekehrter Folge, wer, dieses so wissend, in den Welten das fünfache Sāman verehrt.« 666

Die am Beginn stehende Einführungsformel hiṃ, die in tiefem brummenden Ton gesprochen wird. (Vgl. Mylius, Klaus (1995): Wörterbuch des altindischen Rituals, S. 142). 666 lokeṣu pañcavidhaṃ sāmopāsīta prthivī hiṃkāraḥ agniḥ prastāvaḥ antarikṣam ̥ udgīthaḥ ādityaḥ pratihāraḥ dyaur nidhanam ity ūrdhveṣu athāvr ̥ tteṣu dyaur hiṃkāraḥ ādityaḥ prastāvaḥ antarikṣam udgīthaḥ agniḥ pratihāraḥ pr̥thivī nidhanam kalpante hāsmai lokā ūrdhvāś cāvr̥ttaś ca ya etad evaṃ vidvāṃl lokeṣu pañcavidhaṃ sāmopāste. 665

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Der Gesang steht mithin für das Ganze der Welten. Im Anschluss daran werden weitere Beziehungssysteme des Gesangs (sāman) aufgestellt; 667 die folgende Tabelle gibt eine Auswahl davon wieder: Gesang (sāman)

Welten

Regen

Wasser

Jahreszeiten Lebenskräfte

Einführungs- Erde formel (hiṃkāra)

Wind

Wolkenballung

Frühling

Atem

Einleitungsgesang (prastāva)

Feuer

Wolkenbildung

Wolkenregen

Sommer

Sprache

Hochgesang (udgītha)

Luftraum Regen

Abgesang (pratihāra)

Sonne

Blitz + Donner westl. Herbst strömende Flüsse

Hörsinn

Schlusssatz (nidhana)

Himmel

Aufhören des Regens

Denksinn (manas)

östl. Regenzeit strömende Flüsse

Salzmeer

Winter

Sehsinn

Tab. 2: Beziehungssysteme des sāman. (Vgl. ChU 2.2–7).

Es lässt sich erkennen, dass auch hier der Gesang jeweils das Ganze abbildet: das Ganze des Regens, des Wassers, der Jahreszeiten und der Lebenskräfte. Nach Anführung weiterer Beziehungssysteme 668 geht der letzte Abschnitt über den Gesang (sāman) an sich. Dort heißt es: ChU 2.21.1–4 »Hiṃkāra (entspricht) dem dreifachen Wissen. Prastāva (entspricht) diesen drei Welten. Udgītha (entspricht) Agni (Feuer), Vāyu (Wind) und Āditya (Sonne). Pratihāra (entspricht) den Sternen, Vögeln und Lichtstrahlen. Nidhanam (entpricht) den Schlangen, Gandharvas und Vätern. Dieses Sāman ist im Ganzen (sarvam) eingewoben. Wer dieses Sāman im Ganzen eingewoben weiß, der wird zum Ganzen.« (ES) 669

Die auf diesen Abschnitt folgenden Identifikationen sind nur in einer Reihenfolge angeordnet. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass auch für diese die Möglichkeit einer umgekehrten Gliederung besteht. 668 Es wird in ChU 2.8–10 der siebenteilige Gesang (sāman) angeführt, der mit weiteren Beziehungssystemen verbunden ist. In ChU 2.11–20 geschieht dies mit den verschiedenen Typen der Gesänge. 669 trayī vidyā hiṃkāraḥ traya ime lokāḥ sa prastāvaḥ agnir vāyur ādityaḥ sa udgīthaḥ nakṣatrāṇi vayāṃsi marīcayaḥ sa pratihāraḥ sarpā gandharvāḥ pitaras tan 667

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Dieses Beziehungssystem umfasst somit das Wissen (hiṃkāra), die Welten (prastāva), die diese Welten beherrschenden Gottheiten (udgītha) und die sie bewohnenden Wesenheiten (pratihāra & nidhanam), wobei von den Wesenheiten nur eine Auswahl genannt wird. Die Kenntnis der das Ganze abbildenden Beziehungssysteme ist mit verschiedenen Wirkungen verbunden. So wird nach der Darstellung eines Beziehungssystems die Formel ya etad evaṃ vidvān »wer in dieser Weise wissend ist« oder auch ya evam etad (…) veda »wer in dieser Weise weiß« angeführt, die die kausale Wirksamkeit der Kenntnis betont. Die Kenntnis des mit dem Regen zusammenhängenden Beziehungssystems ruft beispielsweise den Regen hervor: ChU 2.3.2 »Wer es in dieser Weise richtig versteht [und] der Melodie des Sāmaveda mit Bezug auf den Regen in fünffacher Weise huldigt, für den regnet es und er läßt regnen.« (Sl) 670

Es lässt sich also ein Wissen um die Voraussetzung eines verborgenen einheitlichen Ganzen erkennen. So ist mit der bewirkenden Macht des rituellen Gesangs (sāman) ein Beziehungssystem verbunden, das ein Ganzes voraussetzt und explizit als ein solches bezeichnet wird. In seiner Vielfalt der kausalen Relationen beherrscht dieses Ganze die gesamte erscheinende Vielheit. Nach Uhdes Terminologie kann der rituelle Gesang (sāman) als erscheinendes Prinzip betrachtet werden, dessen Kenntnis Anteil an der Herrschaft der Kausalitäten gewährt. 5.4.3. Das bráhman Die Diskussion um die Semantik und Etymologie des Begriffs bráhman ist bis heute nicht befriedigend abgeschlossen. 671 Er kommt bereits im R ̥ gveda vor und hat dort – darin besteht relative Einigkeit – die Bedeutung einer magische Kraft enthaltenden Formel, Hymne oder Formulierung. 672 In den Brāhmaṇas bleibt diese Bedeutung nidhanam etat sāma sarvasmin protam sa ya evam etat sāma sarvasmin protaṃ veda sarvaṃ ha bhavati. 670 varṣati hāsmai varṣayati ha ya etad evaṃ vidvān vrṣṭau pañcavidhaṃ sāmopāste. ̥ 671 Vgl. Brereton, Joel P. (2004): Bráhman, brahmán, and sacrificer. In: Arlo Griffiths & Jan E. M. Houben (eds.): The Vedas. Texts, language & ritual; proceedings of the third International Vedic Workshop, Leiden 2002. Leiden. Groningen, S. 325–344, hier: S. 325–326. 672 Siehe die verschiedenen Studien zum Begriff bráhman, insbesondere Oldenberg, Die Voraussetzung einer verborgenen »Einheit«

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grundsätzlich erhalten: so lässt sich bráhman nach Thieme im R ̥ gveda als »(dichterische) Formulierung« und in den Brāhmaṇas als »(Wahrheits-) Formulierung« bzw. »geformte priesterliche Rede« übersetzen. 673 Thieme bemerkt, dass »in jüngeren āraṇyaka- und upaniṣad-artigen Abschnitten ein brahman mit einer ganz anderen Bedeutung« 674 auftrete; es bedeute »›die durch das Wort brahman bezeichnete Kraft‹ und hat den Sinn ›das letzte Prinzip‹.« 675 Patrick Olivelle betont in der Einleitung seiner Early Upaniṣads, dass auch in den frühen Upaniṣaden immer die ursprüngliche Bedeutung von bráhman als priesterliche Wahrheitsformulierung mitbedacht werden müsse: »Brahman thus stands at the summit of the hierarchical scheme, or at the bottom as the ultimate foundation of all things, although it is important to remember that the concept always retains its verbal character as ›the sound expression‹ of truth or reality.« 676

Es ist zudem daran zu erinnern, dass in der zeitlich nahen Kosmogonie des Śatapatha-Brāhmaṇa, ŚB 6.1, das bráhman als Essenz des rituellen Wissens bezeichnet wird. 677 Da in ChU 1 der udgītha (Hochgesang) und in ChU 2 das sāman (Gesang) als rituelle Manifestation für das einheitliche Ganze bestimmt wurde, liegt die Annahme, dass auch hier von einem Ritualbegriff die Rede ist, nicht so fern. In ChU 4.4–9 wird der Vedaschüler Satyakāma von vier verschiedenen Wesen – einem Stier, dem Feuer, einem Ganter und einem Tauchervogel 678 – über das bráhman belehrt. Jedes der Wesen offenbart ein Viertel des bráhman. Das erste Viertel heißt »hell« (prakāśavant) und besteht aus den vier HimHermann (1967): Zur Geschichte des Worts bráhman. In: Hermann Oldenberg: Kleine Schriften. Teil 2. Hg. v. Klaus L. Janert. Wiesbaden: Franz Steiner Verlag (Glasenapp-Stiftung, 1, 2), S. 1127–1156; Renou, Louis (1949): Sur la notion de bráhman. In: Journal asiatique 237, S. 7–46; Thieme, Paul (1971): Bráhman. In: Paul Thieme: Kleine Schriften. Teil I. Hg. von G. Buddruss. Wiesbaden: Franz Steiner Verlag (Glasenapp-Stiftung, 5,1), S. 100–137. 673 Vgl. Thieme, Paul (1971): Bráhman, S. 126–127. 674 Thieme, Paul (1971): Bráhman, S. 130. 675 Thieme, Paul (1971): Bráhman, S. 131. 676 Kommentar von Patrick Olivelle (1998) in: The early Upaniṣads, S. 27. 677 Siehe III.4.4.2. 678 So Slaje (2009) für madgu. Das PW führt als Übersetzung »ein bestimmter Wasservogel« an. (Vgl. PW: madgu). Möglicherweise wird damit ein Kormoran bezeichnet, der auch in Indien vorkommt und nach Fischen taucht.

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melsrichtungen Osten, Westen, Süden und Norden. Das zweite Viertel wird als »unendlich« (anantavat) bezeichnet und umfasst die vier Bereiche Erde, Luftraum, Himmel und Ozean. Das dritte Viertel heißt »leuchtend« (jyotiṣmant) und konstituiert sich aus den Lichtern Feuer, Sonne, Mond und Blitz. Das vierte Viertel wird schließlich »einen Standort besitzend« (āyatanavant) genannt und bezeichnet die jedem Wesen eigenen »Vermögen« Atem, Sehen, Hören und Denken (manas). 679 Es lässt sich erkennen, dass auch hier wieder ein Beziehungssystem erstellt wird. Dieses Beziehungssystem umfasst (1) die gesamte räumliche Ausdehnung ausgedrückt durch die Himmelsrichtungen, (2) die drei Welten und damit auch deren Bewohner, (3) die Lichter, die die Welten beleben und (4) die »Vermögen«, die jedes Wesen ausmachen. Mit dem Wissen über jedes Viertel des bráhman’s sind bestimmte Wirkungen verbunden. So heißt es in Bezug auf das erste Viertel, die Himmelsrichtungen: ChU 4.5.3 »Wer dieses aus vier Sechzehnteln bestehende Viertel des brahman so (in dem hier gegebenen Wortlaut) kennt und es als ›das den Raum umfassende‹ verehrt, der wird raumreich in dieser (der irdischen) Welt. Raumreiche Welten (im Jenseits) gewinnt, wer dieses aus vier Sechzehnteln bestehende Viertel des brahman so kennt und als ›das den Raum umfassende‹ verehrt.« (Th) 680

Die Wirkungen beziehen sich mithin auf diese Welt (asmiṃ loke) und auf nicht näher bezeichnete Welten (lokān), die Thieme als jenseitig interpretiert. 681 Das bráhman ist somit – analog zum udgītha und zum sāman – eine im rituellen Kontext bewirkende Macht, welche das einheitliche Ganze abbildet, das sich in der erscheinenden Vielheit – ausgedrückt durch das obige, kausal wirksame Beziehungssystem – widerspiegelt. Auch das bráhman ist dabei als ein erscheinendes Prinzip zu verstehen. In der anschließenden Erzählung (ChU 4.10–15), in der Satyakāma nun selbst als Lehrer auftritt, wird das Wissen um das bráhman Vgl. ChU 4.5–8. sa ya etam evaṃ vidvāṃś catuṣkalaṃ pādaṃ brahmaṇaḥ prakāśavān ity upāste prakāśavān asmiṃl loke bhavati prakāśavato ha lokāñ jayati ya etam evaṃ vidvāṃś catuṣkalaṃ pādaṃ brahmaṇaḥ prakāśavān ity upāste. 681 Ob diese Interpretation zutrifft, muss offen bleiben; deutlich ist jedoch, dass ein Gegensatz zu »dieser Welt« aufgebaut wird. Berücksichtigt man die mit dieser Erzählung verbundene folgende Episode ChU 4.10–15, wo der Weg des Wissenden nach dem Tod dargestellt wird, liegt der Gedanke nahe, dass mit »Welten« solche Orte bezeichnet werden, die nach dem Sterben erreicht werden können. 679 680

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vertieft und erweitert. Dort wird der Vedaschüler Upokosala von den traditionellen drei Feuern des Opferrituals (!) über das bráhman unterwiesen. Zu diesem Zweck identifiziert sich jedes Opferfeuer mit einem bestimmten puruṣa (»Mann«) 682: (1) mit dem puruṣa in der Sonne, (2) mit dem puruṣa im Mond und (3) mit dem puruṣa im Blitz. Wer den puruṣa in dieser Weise kenne und huldige, erreiche ein langes Leben. 683 Nach dieser Belehrung kommt der Lehrer Satyakāma hinzu, der – nachdem er darüber zögerlich informiert wurde – die Belehrung fortsetzt. Er geht auf den puruṣa im Auge ein, den er als unsterblichen Wesenskern (ātman) und als bráhman begreift: ChU 4.15.1 »Der Mann (puruṣa), den man im Auge sieht, ist der Wesenskern (ātman). Er ist unsterblich, ungefährdet, ist das bráhman (…).« (nach Sl) 684

Der puruṣa im Auge wird sehr positiv beschrieben: er sei »vereinigungskostbar«, »Kostbarkeitenführer« und »Glanzführer«, da er Kostbarkeiten und Glanz verleihe. 685 Nach dem Tod führe er den Verstorbenen über eine Kette von Zwischenstufen wie Sonne, Mond und Blitz zum bráhman: ChU 4.15.5 »Wenn sie nun diesem die Kremation bereiten oder auch nicht: sie gelangen direkt zur Flamme, von der Flamme zum Tag, vom Tag zur zunehmenden Monatshälfte, von der zunehmenden Monatshälfte zu den sechs Monaten des nördlichen Sonnenlaufs, von (diesen) Monaten zum Jahr, vom Jahr zur Sonne, von der Sonne zum Mond, vom Mond zum Blitz. Dieser Mann (puruṣa) dort (im Blitz, der aber kein menschliches Wesen ist), geleitet sie zum bráhman. Dies ist der Weg zu den Göttern, der Weg zum bráhman. (Diejenigen, die) diesen (Weg) beschreiten, kehren nicht zur Rotation (āvarta) der Menschen zurück – kehren nicht zurück.« (nach Sl) 686

Das bráhman ist mithin in diesem Abschnitt das Ziel eines Wegs, der nach dem physischen Sterben beschritten wird. Obwohl das bráhman Zum Begriff puruṣa siehe III.5.4.5.3. Vgl. ChU 4.10–13. 684 ya eṣo ’kṣiṇi puruṣo drśyata eṣa ātmā iti hovāca etad amrtam abhayam etad ̥ ̥ brahmeti. Der Ausdruck bráhman wurde unübersetzt gelassen. 685 Vgl. ChU 4.15.2–4. 686 atha yad u caivāsmiñ chavyaṃ kurvanti yadi ca nārciṣam evābhisaṃbhavanti arciṣo ’haḥ ahna āpūryamāṇapakṣam āpūryamāṇapakṣād yān ṣaḍ udaṅṅ eti māsāṃs tān māsebhyaḥ saṃvatsaram saṃvatsarād ādityam ādityāc candramasam candramaso vidyutam tat puruṣo ’mānavaḥ sa enān brahma gamayati eṣa devapatho brahmapathaḥ etena pratipadyamānā imaṃ mānavam āvartaṃ nāvartante nāvartante. Der Ausdruck bráhman wurde unübersetzt gelassen. 682 683

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Teil der Vielheit ist, wird es in diesem Abschnitt als ein »Ort« gedacht, in dem der verstorbene Einzelne von Wiedergeburt und (erneutem) Tod, mithin von der Zeitlichkeit nicht mehr berührt wird. Dies lässt sich aus religionswissenschaftlicher Metaperspektive aus seiner Kategorisierung als erscheinendes Prinzip verstehen: Das erscheinende Prinzip, so Uhde, reflektiere das einheitliche Prinzip von Allem – hier das einheitliche Ganze – in der Vielheit. 687 Während die bisherigen erscheinenden Prinzipien der vedischen Religionen in der religiösen Praxis beachtet und rituell instrumentalisiert wurden, gewinnt das bráhman eine neue Dimension: Es dient nicht nur als Mittel des Praktizierenden, um die vorherrschende Kausalität für eigene Zwecke zu benutzen, sondern wird für den Praktizierenden selbst zum finalen Zweck. Die postmortale Anwesenheit beim bráhman lässt den Gläubigen einen unmittelbaren Zugang zur Nicht-Zeitlichkeit und damit zu dem einheitlichen Ganzen selbst gewinnen. Diese Anwesenheit beim Nicht-Zeitlichen gleicht den von Uhde festgestellten Mangel an zeitloser Gegenwart aus, der zur Bildung des religiösen Wissens führte. 5.4.4. Das fünffache Opferfeuer In ChU 5.3–10 lassen sich zwei Lehren ausmachen, nämlich die FünfFeuer-Lehre (ChU 5.3–9) und die Zwei-Wege-Lehre (ChU 5.3.10), die möglicherweise aus zwei unterschiedlichen Quellen stammen. 688 Da jedoch in der heute vorliegenden Fassung beide Lehren explizit miteinander verknüpft werden, sollen sie in der folgenden Untersuchung gemeinsam behandelt werden. In der Fünf-Feuer-Lehre belehrt ein Angehöriger des Adelsstandes (kṣatriya) einen Priester. Vor seiner Belehrung betont der Adeli-

Siehe II.2.1.3. Vgl. Bronkhorst, Johannes (2007): Greater Magadha, S. 123–124. Zum ideengeschichtlichen Kontext siehe Bodewitz, Henk W. (1996): The Pañcāgnividyā and the Pitr̥yāna/ Devayāna. In: Ashok Kumar Goswami (ed.): Studies on indology. Professor Mukunda Madhava Sharma felicitation volume. Delhi: Sri Satguru Publ (Sri Garib Das oriental series, 201), S. 51–57; sowie Sakamoto-Gotō, Junko (2001): Zur Entstehung der Fünf-Feuer-Lehre des Königs Janaka. In: Stefan Wild & Hartmut Schild (Hg.): Norm und Abweichung. Akten des 27. Deutschen Orientalistentages (Bonn – 28. September bis 2. Oktober 1998). Würzburg: Ergon-Verl. (Kultur, Recht und Politik in muslimischen Gesellschaften, 1), S. 157–167. 687 688

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ge, dass nur dieses Wissen der Grund ist, warum die Herrschaft in der Welt bei den Adeligen und nicht bei den Priestern liege: ChU 5.3.7 »(…) Du hast es mir da in einer Weise auseinandergesetzt, Gautama, daß dieses Wissen vor Dir noch niemals bis zu den Brahmanen gelangt sei. Und deshalb fiel in allen Regionen die Herrschaft [immer] nur dem Adelsstand zu (…).« (Sl) 689

Ausgangspunkt der Belehrung sind die fünf Opferfeuer. Diese werden mit Himmel (»jene Welt«), Luftraum (symbolisiert durch den in den Wolken wohnenden Regengott Parjanya) und Erde sowie mit Mann und Frau gleichgesetzt. Das fünffache Opferfeuer steht mithin zum »Makrokosmos« wie zum »Mikrokosmos« in einer Relation. Die zum Opferfeuer gehörenden Bestandteile Brennholz, Rauch, Flamme, Kohlen und Funken werden mit Wesenheiten identifiziert, die jeweils einen Bezug zu dessen Entsprechung besitzen. Daraus ergibt sich folgendes Beziehungssystem: Opferfeuer

Brennholz

Rauch

Flamme

Kohlen

Funken

Jene Welt

Sonne

Strahlen

Tag

Mond

Sterne

Parjanya

Wind

Wolke

Blitz

Donnerkeil

Hagel

Erde

Jahr

leerer Raum

Nacht

Himmelsrichtungen

Zwischenrichtungen

Mann

Rede

Atem

Zunge

Auge

Ohr

Frau

Schoß

dass man sie anspricht

Scham

Einfügung

Lustgefühl

Tab. 3: Beziehungssystem der Fünf-Feuer-Lehre I. (Vgl. ChU 5.4–8).

Es bestehen somit auf verschiedenen Ebenen kausale Zusammenhänge: so wie das Opferfeuer aus Brennholz entfacht wird, aus Flammen besteht, Rauch entfaltet, Funken sprüht und auf dem niedergebrannten Brennholz (= Kohlen) ruht, so sind auch zwischen den fünf Ebenen derartige Zusammenhänge gegeben. Diese Ebenen stehen nicht für sich, sondern sind miteinander durch das Opferfeuer verbunden. Dies wird durch den Opfervorgang ausgedrückt. So opfern die Götter im Opferfeuer bestimmte Wesenheiten, worauf

689 taṃ ha ciraṃ vasety ājñāpayāṃ cakāra taṃ hovāca yathā mā tvaṃ gautamāvadaḥ yatheyaṃ na prāk tvattaḥ purā vidyā brāhmaṇān gacchati tasmād u sarveṣu lokeṣu kṣatrasyaiva praśāsanam abhūd iti.

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eine andere Wesenheit entsteht. Dieser Opfervorgang wird für alle fünf Ebenen wiederholt. Dabei ist die auf der höheren Ebene entstandene Wesenheit die Opfergabe für die nächste Ebene. So ergibt sich folgendes Schema: Opferfeuer:

In diesem Feuer opfern die Götter:

Aus dieser Opferung entsteht:

Jene Welt

śraddha (Glauben)

König Soma

Parjanya

König Soma

Regen

Erde

Regen

Nahrung

Mann

Nahrung

Samen

Frau

Samen

Leibesfrucht

Tab. 4: Beziehungssystem der Fünf-Feuer-Lehre II. (Vgl. ChU 5.4–8).

Auf diese Weise werden die fünf Ebenen durch das eine Opferfeuer miteinander kausal verbunden. Die kausale Verbindung erklärt zudem, wie ein Mensch geboren wird. Die fünf Ebenen repräsentieren die sich aus kausalen Relationen zusammensetzende Vielheit, in der sich ein einheitliches Ganzes widerspiegelt, das durch das Opferfeuer als erscheinendes Prinzip manifestiert wird. Das Beziehungssystem des Opferfeuers zeigt, dass alle Teile des Ganzen sowohl »vertikal« als auch »horizontal« miteinander kausal verbunden sind. In der unmittelbar anschließenden Zwei-Wege-Lehre wird der durch das Wissen gegebene kausale Zusammenhang dieses Beziehungssystems mit dem wissenden Menschen dargestellt. So beginnt die Zwei-Wege-Lehre mit der Einlassung tad ya itthaṃ viduḥ »diejenigen, die dies auf diese Weise wissen«; das Demonstrativpronomen tad »dies« bezieht sich dabei auf das Beziehungssystem des Opferfeuers. Die Wissenden können nach ihrem Tod den »Weg der Götter« (deva-yāna) gehen: ChU 5.10.1–2 »Die nun so wissen und die hier (im diesseitigen Leben) in der Wildnis lebend, im Gedanken: ›Askese ist Frömmigkeit [śraddha]‹, sie (die Askese) verehren, die verwandeln sich (wenn sie nach dem Tod zum Feuer gebracht werden) zur Flamme (des Einäscherungsfeuers), von der Flamme zum Tag, vom Tag zur Monatshälfte des zunehmenden Mondes, von der Monatshälfte des zunehmenden Mondes zu den sechs Monaten, während derer die Sonne nach Norden geht, von den Monaten zum Jahr, vom Jahr zur Sonne, von der Sonne zum Mond, vom Mond zum Blitz. Da erscheint ein nicht-menschlicher Mann, dieser bringt ihn (den Blitz, zu dem Die Voraussetzung einer verborgenen »Einheit«

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der Tote geworden ist) zum brahman. Das ist, was der ›Pfad der Himmlischen‹ genannt wird.« (Th) 690

Diejenigen, die kein Wissen über dieses Beziehungssystem haben bzw. das Wissen nicht praktizieren, verbleiben in der Vielheit, indem sie entlang anderer kausaler Verbindungen zum Mond gelangen und schließlich – wiederum vermittelt durch eine Kausalkette – wiedergeboren werden. 691 Die Anwesenheit beim bráhman als Ziel des »Wegs der Götter« impliziert dagegen, nicht wiedergeboren zu werden und damit nicht mehr der Zeitlichkeit zu unterliegen. Sie gewährt dem Gläubigen einen unmittelbaren Zugang zur Nicht-Zeitlichkeit des einheitlichen Ganzen. Sie gleicht den von Uhde festgestellten Mangel an zeitloser Gegenwart aus, der zur Bildung des religiösen Wissens führte. 692 5.4.5. Der Mensch 5.4.5.1 Der ātman

Der Begriff ātman, dessen Etymologie bislang ungeklärt ist, 693 wird meist mit »Selbst« 694 oder »Wesenskern« 695 übersetzt. Es ist dabei zu betonen, dass der Begriff aus dem Kontext des brāhmaṇischen Rituals stammt. 696 So betont Jan Heesterman, dass dort der ātman als »Universal-Seele« vom Opferherrn angeeignet werde: 690 tad ya itthaṃ viduḥ ye ceme araṇye śraddhā tapa ity upāsate te arciṣam abhisaṃbhavanti arciṣo ’haḥ ahna āpūryamāṇapakṣam āpūryamāṇapakṣād yān ṣaḍ udaṅṅ eti māsāṃs tān māsebhyaḥ saṃvatsaram saṃvatsarād ādityam ādityāc candramasam candramaso vidyutam tat puruṣo ’mānavaḥ sa enān brahma gamayati eṣa devayānaḥ panthā iti. 691 Vgl. ChU 5.10.3–7. 692 Siehe II.2.1.3. 693 Für einen ausführlichen Überblick über die Diskussion hinsichtlich der Etymologie des Begriffs siehe Levitt, Stephan Hillyer (2001): III. Sanskrit ātmán/ tmán and dravidian *āḷ. A possible solution to a problem based on a postulated nostratic sound correspondence. In: Indologica Taurinensia. Official Organ of the International Association of Sanskrit Studies 27, S. 95–120. 694 So Paul Deussen (1938/2007). 695 So Walter Slaje (2009), der daneben noch weitere Differenzierungen wie »Ursubjekt«, »entpersönlichter« sowie »personaler Wesenskern« hat. (Vgl. Kommentar von Walter Slaje (2009) in: Upanischaden, S. 602–603). 696 Im R ̥ gveda wird der Begriff dagegen vornehmlich als »breath, the life breath, and the principle of life and sensation« verstanden. (Vgl. Levitt, Stephan Hillyer (2001): III. Sanskrit ātmán/ tmán and dravidian *āḷ, S. 96).

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»Daß der Mensch einen einheitlichen, beständigen und unverfremdbaren Wesenskern, eine Seele, habe, ist keineswegs ein von vornherein selbstverständlicher Gedanke. So ist es wohl bezeichnend, daß in der soeben zitierten Stelle, wo vom ātman gesprochen wird, nicht die Rede ist vom unverfremdbaren individuellen Selbst des Opferers, sondern vom ātman aller Lebewesen und Götter. Es handelt sich also um eine Universal-Seele, eine Totalität allen göttlichen und irdischen Lebens, die zwar vom Opferveranstalter vereinnahmt wird, ihm aber nicht von vornherein zusteht. Dazu muß er eben erst ohne Fehl das Opfer-Ritual vollziehen.« 697

Darum bestimmt Heesterman den ātman als interiorisiertes Opfer. 698 In ähnlicher Weise ist in den folgenden Textabschnitten das Wissen um den ātman etwas, das sich der befähigte Mensch aneignen sollte. So belehrt in BĀU 2.4 Yajñavalkya seine Frau Maitreyī über den ātman. Ausgangspunkt dieser Belehrung ist die Frage von Maitreyī, ob man durch Reichtum unsterblich werden könne. Yajñavalkya verneint dies und zeigt ihr den einzigen Weg zur Unsterblichkeit auf. 699 Zuerst beginnt er damit, dass Maitreyī alles um des ātman willen lieben soll. Er begründet dies folgendermaßen: BĀU(M) 2.4.6f–j »Wenn jemand alles, (was es gibt), auf etwas anderes als den ātman bezogen annimmt, würde all das ihn (aus dieser Beziehung) verstoßen. (Denn) es ist der ātman, (der) der Brahmanstand, der Fürstenstand, die Daseinsbereiche, die Götter, die Wesen, (der einfach) alles ist, (was es gibt).« (nach Sl) 700

Der ātman wird mithin an dieser Stelle als das einheitliche Ganze bestimmt, das die erscheinende Vielheit umfasst. Diese Bestimmung

697 Heesterman, Jan C. (1995): Feuer, Seele und Unsterblichkeit. In: Gerhard Oberhammer (Hg.): Im Tod gewinnt der Mensch sein Selbst. Das Phänomen des Todes in asiatischer und abendländischer Religionstradition; Arbeitsdokumentation eines Symposions. Wien: Verl. d. Österreich. Akad. d. Wiss (Österreichische Akademie der Wissenschaften/ Philosophisch-historische Klasse/ Beiträge zur Kultur- und Geistesgeschichte Asiens, 14), S. 27–42, hier: S. 29. 698 Vgl. Heesterman, Jan C. (1997): Die Interiorisierung des Opfers und der Aufstieg des Selbst (ātman). In: Bsteh, Andreas & George Chemparathy (Hg.): Der Hinduismus als Anfrage an christliche Theologie und Philosophie: Referate – Anfragen – Diskussionen. Dritte Religionstheologische Akademie St. Gabriel. Mödling: Verl. St. Gabriel (Studien zur Religionstheologie, 3), S. 289–327, hier: S. 289. 699 Vgl. BĀU(M) 2.4.1–4. 700 sárvaṃ táṃ párādād yò ’nyátrātmánaḥ sárvaṃ védedáṃ bráhmedáṃ kṣatrám imé lokā´, imé devā´ imā´ni bhūtā´nīdám ˘˙ sárvaṃ yád ayám ātmā´.

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begründet sich daraus, dass der ātman allem sinnlich-geistigen Erkennen zugrunde liegt. So betont Yajñavalkya seine Einheit im Unterschied zur Vielheit der Welt anhand der verschiedenen »Sinnesvermögen« Riechen, Sehen, Hören, Reden, Denken und Erkennen: BĀU(M) 2.4.15 »Denn in dieser (Welt hier), wo Zweiheit (dvaita) vorzuherrschen scheint, da ist (immer) einer, (der) einen anderen riecht, (immer) einer, (der) einen anderen sieht, (immer) einer, (der) einen anderen hört, (immer) einer, (der) einen anderen anredet, (immer) einer, (der) an einen anderen denkt, (immer) einer, (der) einen anderen erkennt.« (Sl) 701

Alle Wesenheiten können durch diese »Sinnesvermögen« erfasst werden; der ātman als verborgene Einheit tritt in den sinnlich-geistigen Erkenntnisakten als Ganzes hervor, das heißt er liegt allem Erkannten zugrunde. Die Ausgangsfrage in ChU 7 ist wie in BĀU 2.4 die Frage nach dem ātman. Dabei werden zwei mythische Gestalten als Gesprächspartner genannt. So fragt der gelehrte Nārada den »ewigen Jüngling« (sanatkumāra) 702, nachdem er ihm erzählt hat, dass er das gesamte vedische Wissen memorieren könne, nach der Kenntnis des offensichtlich verborgenen ātman: ChU 7.1.3 »Ich kenne aber, Weihevoller, eben nur die Formeln, nicht den ātman. Nun habe ich von Euresgleichen gehört, wer den ātman kennt, überwindet den Kummer. Und ich hier, Weihevoller, bin bekümmert. Daß doch der Weihevolle mir hier zur Überwindung des Kummers verhelfe!« (nach Sl) 703

Das Motiv, den ātman zu kennen, ist dabei der Wunsch, den Kummer (śoka) zu überwinden. Der »ewige Jüngling« beginnt mit der Belehrung, indem er die Memorierung des Wissens letztlich auf den Atem (prāṇa) des Memorierenden zurückführt. Er bemerkt, dass die Lehre vom Atem als alles bewirkende Macht, wie sie ja auch im Atharvaveda gefunden werden tád ítara ítaraṃ jighrati tád ítara ítaraṃ paśyati tád ítara ítaram ˘˙ śr ̥ ṇoti tád ítara ítaram abhívadati tád ítara ítaraṃ manute, tád ítara ítaraṃ víjānāti. 702 Ist damit eventuell das personalisierte, in der Götterwelt manifestierte bráhman in Form von Brahmā gemeint? Dafür spricht, dass im Pāli-Kanon Brahmā, der Schöpfergott, mit eben diesem Namen bezeichnet wird. (Vgl. DN no. 27). 703 so ’haṃ bhagavo mantravid evāsmi nātmavit śrutaṃ hy eva me bhagavaddr̥śebhyas tarati śokam ātmavid iti so ’haṃ bhagavaḥ śocāmi taṃ mā bhagavāñ chokasya pāraṃ tārayatv iti taṃ hovāca yad vai kiṃcaitad adhyagīṣṭhā nāmaivaitat. 701

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kann, 704 von ativādin’s verbreitet würde, also von Rednern, die klug genug sind, eine Diskussion zu gewinnen, aber in Wirklichkeit keine 705 Darum fragt Narāda, wie er die Wahrheit erWeisheit besitzen. pffi kennen (vi jñā) kann. Über eine Reihe weiterer Zwischenstufen bemerkt der »ewige Jüngling« schließlich, dass Narāda dazu die Fülle (bhūman) erkennen müsse. Die Fülle ist streng von dem »Wenigen« bzw. »Mangel« 706 (alpa) zu unterscheiden, wo man anderes sieht: ChU 7.24.1 »Where a man sees, hears, or discerns no other thing – that is plenitude. Where one sees, hears, or discerns some other thing – that is scarcity. Now, plenitude is the immortal, while scarcity constitutes what is mortal (…)« (Ol) 707

Somit impliziert die Kenntnis der Fülle die Abwesenheit des Mangels. 708 Die Fülle basiert dabei nur auf ihrer eigenen Herrlichkeit und steht nicht in einer (kausalen) Abhängigkeit wie alles andere: ChU 7.24.1–2 »(…) Sir, on what is plenitude based (pratiṣṭhita)? – On one’s own greatness. Or, maybe, it is not based on greatness. Cattle and horses, elephants and gold, slaves and wives, farms and houses – these are what people here call greatness. But I don’t consider them that way; no I don’t, for they are all based on each other.« (Ol) 709

Die Fülle wird anschließend dem Verfahren der Substitution (ādeśa) unterzogen, die Gleiches durch Gleiches ersetzt: ChU 7.25.1 »Plenitude, indeed, is below; plenitude is above; plenitude is in the west; plenitude is in the east; plenitude is in the south; and plenitude is in the north. Indeed, plenitude extends over this whole world. Now, the substitution of the word ›I‹ – ›I am, indeed, below; I am above; I am in the west; I am in the east; I am in the south; and I am in the north. Indeed, I extend over this whole world.‹« (Ol) 710 Siehe III.3.4.1. Vgl. Kommentar von Patrick Olivelle (1998) in: The early Upaniṣads, S. 566. 706 So übersetzt Olivelle (1998): scarcity. 707 yatra nānyat paśyati nānyac chr ̥ ṇoti nānyad vijānāti sa bhūmā atha yatrānyat paśyaty anyac chr ̥ ṇoty anyad vijānāti tad alpam yo vai bhūmā tad amr̥tam atha yad alpaṃ tan martyam. 708 So auch der Kommentar von Walter Slaje (2009) in: Upanischaden, S. 573. 709 sa bhagavaḥ kasmin pratiṣṭhita iti sve mahimni yadi vā na mahimnīti go ’śvam iha mahimety ācakṣate hastihiraṇyaṃ dāsabhāryaṃ kṣetrāṇy āyatanānīti nāham evaṃ bravīmīti hovāca anyo hy anyasmin pratiṣṭhita iti. 710 sa evādhastāt sa upariṣṭāt sa paścāt sa purastāt sa dakṣiṇataḥ sa uttarataḥ sa evedaṃ sarvam iti athāto ’haṃkārādeśa eva aham evādhastād aham upariṣṭād ahaṃ paścād ahaṃ purastād ahaṃ dakṣiṇato ’ham uttarato ’ham evedaṃ sarvam iti. 704 705

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So wird die (allgemeinere) Fülle zunächst durch das (konkretere) »Ich« (aham) substituiert. In ChU 7.25.2 folgt schließlich die Substitution des »Ich« durch den noch konkreteren ātman: ChU 7.25.2 »Next, the substitution of self – The self, indeed, is below: the self is above; the self is in the west; the self is in the east; the self is in the south; the self is in the north. Indeed, the self extends over this whole world.« (Ol) 711

Der ātman ist damit die Essenz dessen, was als Wahrheit angefragt wurde. Als Substitution von Fülle ist er wie diese allumfassend. Der ātman wird als Prinzip von Allem noch vor den Atem (prāṇa) gesetzt: ChU 7.26.1 »Nur bei jemandem, der es in dieser Weise sieht, es so denkt, es so erkennt, (gehen) aus dem ātman der prāṇa, die Erwartung, die Aufmerksamkeit, der Raum, die Hitze, das Wasser, das Erscheinen und Verschwinden, die Nahrung, die Stärke, das Erkennen, die Vertiefung, die Intelligenz, die Absicht, das Denken, die Sprechfähigkeit, der Name, die Formeln, die Werke, aus dem ātman geht das ganze All hervor.« (nach Sl) 712

Da alles aus dem ātman hervorkommt und er gleichzeitig nicht absolut getrennt von der Vielheit ist, kann er als wesenhafter einheitlicher Ursprung betrachtet werden, der als einheitliches Ganzes die gesamte Vielheit umfasst. Im Abschnitt ChU 8.7–12 wird der Weg zur Erkenntnis des ātman in mythologischer Form ausgeführt. Dort spricht Prajāpati, der höchste Gott der Brāhmaṇas, Folgendes: ChU 8.7.1 »›Der ātman ist makellos: Er ist alterslos, unsterblich, kummerlos, ohne Hunger, ohne Durst. Seine Begehren verwirklichen sich, seine Absichten verwirklichen sich. Ihm soll man auf den Grund gehen, nur ihn zu erkennen trachten. Derjenige gewinnt alle Bereiche, (erfüllt sich) alle Begehren, der diesen ātman aufspürt und erkennt‹, sprach Prajāpati.« (nach Sl) 713

athāta ātmādeśa eva ātmaivādhastād ātmopariṣṭād ātmā paścād ātmā purastād ātmā dakṣiṇata ātmottarata ātmaivedaṃ sarvam iti. 712 tasya ha vā etasyaivaṃ paśyata evaṃ manvānasyaivaṃ vijānata ātmataḥ prāṇa ātmata āśātmataḥ smara ātmata ākāśa ātmatas teja ātmata āpa ātmata āvirbhāvatirobhāvāv ātmato ’nnam ātmato balam ātmato vijñānam ātmato dhyānam ātmataś cittam ātmataḥ saṃkalpa ātmato mana ātmato vāg ātmato nāmātmato mantrā ātmataḥ karmāṇy ātmata evedaṃ sarvam iti. 713 ya ātmā apahatapāpmā vijaro vimr̥tyur viśoko vijighatso ’pipāsaḥ satyakāmaḥ 711

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Daraufhin kommen der Gott Indra und der Dämon Virocana als Schüler zu Prajāpati, um den ātman zu finden. Prajāpati lügt sie zuerst an, indem er sagt, ihre äußere Erscheinung sei der ātman. Während Virocana zufrieden von dannen zieht, kehrt Indra unzufrieden mit der Antwort zurück. Die Zufriedenheit des dämonischen Virocana deutet an, dass der ātman ursprünglich als der sichtbare Körper verstanden wurde. 714 Die Unzufriedenheit des göttlichen Indra scheint darauf hinzuweisen, dass dieser Begriff in den frühen Upaniṣaden einen Bedeutungswandel erfährt. So erklärt Prajāpati ihm zunächst, dass der im Traum Umherschweifende der ātman sei. Auch diese Antwort befriedigt Indra nicht, so dass er wieder umkehrt. Erst jetzt enthüllt ihm Prajāpati in zwei Belehrungsgesprächen die wahre Natur des ātman. Der ātman zeige sich im traumlosen Schlaf: ChU 8.11.1 »When one is fast asleep, totally collected and serene, and sees no dreams – that is the self; that is the immortal; that is the one free from fear; that is brahman.« (Ol) 715

Indra wendet ein, dass bei einem solchen ātman keine Wahrnehmung bestehe und er mithin nichtig sei: ChU 8.11.2 »But, sir, this self as just explained, you see, does not perceive itself fully as ›I am this‹, nor even does it know any of these beings here. It has become completely annihilated. I see nothing worthwhile in this.« (Ol) 716

Nach einer weiteren Wartezeit geht Prajāpati auf diesen Einwand ein. Zunächst weist er ihn darauf hin, dass der Körper etwas Vergängliches sei, während der ātman unkörperlich und unsterblich sei. Nur Körperliches sei dabei Liebem (priya) und Unliebem (apriya) ausgesetzt. 717 Der verborgene ātman ist – im Unterschied zum sichtbaren satyasaṃkalpaḥ so ’nveṣṭavyaḥ sa vijijñāsitavyaḥ sa sarvāṃś ca lokān āpnoti sarvāṃś ca kāmān yas tam ātmānam anuvidya vijānātīti ha prajāpatir uvāca. 714 So gibt Eggeling (1966) in seiner Übersetzung des Śatapatha-Brāhmaṇa häufiger ātman mit »body« wieder. Siehe auch die Vorstellung des ātman vaiśvānara in III.5.4.5.2. 715 tad yatraitat suptaḥ samastaḥ saṃprasannaḥ svapnaṃ na vijānātyeṣa ātmeti hovāca. 716 sa hovāca nāha khalv ayaṃ bhagava evaṃ saṃpraty ātmānaṃ jānāty ayam aham asmīti no evemāni bhūtāni vināśam evāpīto bhavati nāham atra bhogyaṃ paśyāmīti. 717 Vgl. ChU 8.12.1. Die Voraussetzung einer verborgenen »Einheit«

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ātman des Virocana! – jenseits der Gegensätzlichkeit der erscheinenden Welt und kann damit als Einheit verstanden werden. Er manifestiert sich dabei in der Erscheinungsform (rūpa) des höchsten puruṣa (Mann). 718 Der ātman als puruṣa liegt dabei jeglichem sinnlichen Erkennen – wozu auch das Denken gehört – zugrunde: ChU 8.12.4–5 »(4) (a) Dann: Dort, wo das Sehvermögen auf diesen Raum hier gerichtet ist, der ist der Sehvermögen habende puruṣa: (nämlich im Hinblick auf) das Sehen das Sehvermögen. (b) Dann: Der, der weiß ›Ich muss riechen!‹, ist der ātman: (nämlich im Hinblick auf) das Riechen das Riechvermögen. (c) Dann: Der, der weiß ›Ich muss sprechen!‹, ist der ātman: (nämlich im Hinblick auf) das Sprechen das Sprechvermögen. (d) Dann: Der, der weiß ›Ich muss hören!‹, ist der ātman: (nämlich im Hinblick auf) das Hören das Hörvermögen. (5) (e) Dann: Der der weiß ›Ich muss denken!‹, ist der ātman: (nämlich) das Denkvermögen, dessen himmlisches Sehvermögen.« (nach Sl) 719

In diesem Sinne umfasst der ātman alles Erkannte, mithin die gesamte Vielheit und kann als einheitliches Ganzes betrachtet werden. Wird er in dieser Weise erkannt, gewinnt der Wissende alle Welten und erfüllt sich alle Begehren: ChU 8.12.6 »Wenn jemand ihn als den ātman aufspürt und erkennt, gewinnt er alle Bereiche und (erfüllt sich) alle Begehren, so sprach Prajāpati (…).« (nach Sl) 720

Es wird an dieser Stelle also betont, dass die Kenntnis des ātman Macht und Herrschaft über die kausal bestimmte Welt verleiht. Es lässt sich erkennen, dass der ātman als eine bewirkende Macht in einem Unterschied zu den bisherigen bewirkenden Mächten steht. Wurden diese als erscheinende Prinzipien bestimmt, die sich – als Teil der Vielheit – in der Vielheit als Ganzes manifestieren, kann der ātman als verborgenes, einheitliches Prinzip von Allem verstanden werden, das der erscheinenden Vielheit als ein wesenhaftes Ganzes zugrunde liegt. Vgl. ChU 8.12.2–3. Zum Begriff puruṣa siehe III.5.4.5.3. atha yatraitad ākāśam anuviṣaṇṇaṃ cakṣuḥ sa cākṣuṣaḥ puruṣo darśanāya cakṣuḥ atha yo vededaṃ jighrāṇīti sa ātmā gandhāya ghrāṇam atha yo vededam abhivyāharāṇīti sa ātmā abhivyāhārāya vāk atha yo vededaṃ śr ̥ ṇvānīti sa ātmā śravaṇāya śrotram atha yo vededaṃ manvānīti sa ātmā mano ’sya daivaṃ cakṣuḥ. 720 sa sarvāṃś ca lokān āpnoti sarvāṃś ca kāmān yas tam ātmānam anuvidya vijānāti iti ha prjāpatir uvāca (…). 718 719

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5.4.5.2 Der ātman vaiśvānara

In ChU 5.11–24 steht der ātman im Mittelpunkt, der allen Menschen gemeinsam ist (vaiśvānara). Die Verwendung des Begriffs ātman unterscheidet sich hier signifikant von bisher besprochenen Stellen der ChU und der BĀU. Hier scheint der ātman besser mit »Leib, Körper« oder der »Leib bzw. Rumpf im Gegensatz zu den Gliedern« 721 wiedergegeben zu werden, eine Übersetzungsmöglichkeit, die häufig im Śatapatha-Brāhmaṇa vorkommt. 722 Die Nähe zum Śatapatha-Brāhmaṇa ist zudem dadurch gegeben, dass in ŚB(M) 10.6.1 eine ältere Version dieser Geschichte vorkommt. Zwar geht es dort nicht um den ātman vaiśvānara, sondern um den agni vaiśvānara, der mit dem wesenhaften Ur-Mann (puruṣa) 723 identifiziert wird. 724 Dennoch wird in beiden Fällen ein makrokosmischer »Leib« in den Mittelpunkt gestellt. Wie schon bei der unmittelbar vorangehenden Fünf-FeuerLehre 725 belehrt in ChU 5.11–24 ein Angehöriger des Adelsstandes die Priester. Die Ausgangsfrage der Priester lautet dabei: (ChU 5.11.1) »Was ist unser ātman, was ist das brahman?« 726 Mit dieser Frage im Hinterkopf gehen sie zu dem Adeligen Aśvapati Kaikeya und fragen ihn nach dem ātman vaiśvānara, also nach dem ātman, der allen Menschen gemeinsam ist. 727 Der Adelige stellt allen Priestern die Gegenfrage, wen sie denn als ātman verehren. Jeder Priester nennt eine

Vgl. PW: ātman. So übersetzt Julius Eggeling (1966) ātman häufig als »body« (zum Beispiel in seiner Übersetzung von ŚB(M) 8.1.4.10). 723 Der Mythos vom Ur-Mann, der die gesamte erscheinende Welt entfaltet, kommt erstmalig in RV 10.90 vor. Wie der weitere Verlauf der Untersuchung zeigen wird, ist hier diese ältere Bedeutung von puruṣa gemeint, nicht etwa die ebenfalls in den untersuchten Upaniṣaden vorkommende Assoziation mit »Wesenskern«. 724 Vgl. Kommentar von Paul Deussen (1938/2007) in: Upanischaden, S. 200. Im R ̥ gveda dagegen konnte der agni vaiśvānara noch als Sonne identifiziert werden. (Vgl. Hayakawa, Atsushi (2000): Three steps to heaven. In: Asiatische Studien. Zeitschrift der Schweizerischen Asiengesellschaft 54 (1), S. 211–247). 725 Siehe III.5.4.4. 726 ko na ātmā kiṃ brahmeti. An dieser Stelle muss das bráhman fast zwingend als Ausdrucksform des höchsten Wissens betrachtet werden; denn wie die Antwort zeigt, geht der Befragte nur auf den ātman ein, während das bráhman nicht erwähnt wird. Siehe die Bemerkungen zum bráhman in III.5.4.4. 727 Vgl. ChU 5.11.4–6. Interessanterweise gehen die Priester zuerst zu Uddālaka Āruṇi, der große Weise in ChU 6, der ihnen die Frage nach dem ātman vaiśvānara auch nicht beantworten kann. 721 722

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makrokosmische Wesenheit: Himmel, Sonne, Wind, Raum (ākāśa), Wasser, Erde. Der Adelige antwortet zunächst, dass die jeweilige Wesenheit als ātman vaiśvānara zu begreifen sei, der unterschiedlich charakterisiert wird: so wird der Himmel als der schön glänzende (sutejas) ātman vaiśvānara bezeichnet, der Raum dagegen als der ausgedehnte (bahula) ātman vaiśvānara. Mit der jeweiligen Erscheinungsform sind bestimmte Wirkungen verbunden: verehrt man den Himmel als ātman vaiśvānara, findet in der Familie das Soma-Opfer stetig statt. 728 Verehrt man dagegen den Raum als ātman vaiśvānara, ist man reich (bahula) an Nachkommen und Gütern. 729 Daraufhin bemerkt der Adelige, dass die jeweils charakterisierte Form des ātman vaiśvānara nur ein Teil des ātman vaiśvānara sei. Dazu setzt er jede makrokosmische Wesenheit mit einem Körperteil gleich, so dass sich das Bild eines Menschen ergibt: Teil des ātman vaiśvānara:

Makrokosmische Entsprechung:

Kopf

Himmel

Auge

Sonne

Atem (prāṇa)

Wind

Leib (saṃdeha)

Raum (ākāśa)

Blase

Wasser

Füße

Erde

Tab. 5: Beziehungssystem des ātman vaiśvānara. (Vgl. ChU 5.12–17).

Es ist zu erkennen, dass mit dem ātman vaiśvānara auf eine verborgene Einheit hingewiesen wird, die als Ganzes in Form der makrokosmischen Wesenheiten hervortritt. Schließlich fasst der Adelige die Ergebnisse zusammen und stellt die Verbindung zum Opferritual her: ChU 5.18.1–2 »Und er sprach zu ihnen: Ihr alle, wie ihr da seid, fasst diesen Ātman Vaiśvānara auf, als wäre er ein von euch Gesondertes, und so esst ihr die Nahrung. Wer aber diesen Ātman Vaiśvānara so (zeigend) als eine Spanne groß auf sich selbst (abhi) bezogen (vimāna) verehrt, der ißt die Nahrung in allen Welten, in allen Wesen, in allen Selbsten. Und von eben hier diesem Ātman Vaiśvānara ist der glanzvolle (Himmel) das Haupt, die allgestaltige (Sonne) das Auge, der sonderpfadige (Wind) der Atem, der vielfache 728 729

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Vgl. ChU 5.12. Vgl. ChU 5.15.

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(Raum) sein Rumpf, sein Leibesbestand, der Reichtum (Wasser) seine Blase, seine Füße sind die Erde, das Opferbett ist seine Brust, die Opferstreu seine Haare, das Gārhapatya-Feuer sein Herz, das Anvāhāryapacana-Feuer sein Manas, das Āhavanīya-Feuer sein Mund.« (nach De) 730

Damit ist der ātman vaiśvānara ein erscheinendes Prinzip des verborgenen einheitlichen Ganzen, das sich in der äußeren Welt und im Ritualraum manifestiert. Gleichzeitig ist er »allen Menschen gemeinsam«, da sie ein Teil dieses Ganzen sind. Das Ganze wird von kausalen Relationen durchzogen. Dies betrifft nicht nur die oben erwähnten Wirkungen, die mit der jeweiligen Form des ātman vaiśvānara zusammenhängen. Auch in der anschließenden Beschreibung des Feueropfers werden Ketten kausaler Abhängigkeiten aufgestellt. So beschreibt der Adelige die erste der fünf Opferspenden folgendermaßen: ChU 5.19.1–2 »(…) Diese allererste Spende opfere man mit [den Worten]: ›Dem Atemhauch ein svāha!‹ Der Atemhauch gibt sich zufrieden. Ist der Atemhauch zufriedengestellt, gibt die Sehkraft sich zufrieden. Ist die Sehkraft zufriedengestellt, gibt die Sonne sich zufrieden. Ist die Sonne zufriedengestellt, gibt der Himmel sich zufrieden. Ist der Himmel zufriedengestellt, gibt sich all das zufrieden, was Himmel und Sonne kontrollieren. Im Anschluß an deren Befriedigung wird man [selbst] zufrieden durch Nachkommenschaft, Vieh, Nahrung, Kraft [und] des Vedawissens Glanz.« (Sl) 731

Es lässt sich mithin eine kausale Abhängigkeit zwischen dem Atemhauch, der Sehkraft, der Sonne, dem Himmel und dem, was von Himmel und Sonne kontrolliert wird, feststellen. In den vier übrigen Opferspenden werden weitere Ketten kausaler Abhängigkeiten aufgestellt, die – wie auch hier – mikrokosmische Wesenheiten (zum Beispiel den Atemhauch) mit makrokosmischen Wesenheiten (zum tān hovāca ete vai khalu yūyaṃ pr ̥ thag ivemam ātmānaṃ vaiśvānaraṃ vidvāṃso ’nnam attha yas tv etam evaṃ prādeśamātram abhivimānam ātmānaṃ vaiśvānaram upāste sa sarveṣu lokeṣu sarveṣu bhūteṣu sarveṣv ātmasv annam atti tasya ha vā etasyātmano vaiśvānarasya mūrdhaiva sutejāś cakṣur viśvarūpaḥ prāṇaḥ pr ̥ thagvartmātmā saṃdeho bahulo bastir eva rayiḥ pr̥thivy: eva pādāv ura eva vedir lomāṇi barhir hr̥dayaṃ gārhapatyo mano anvāhāryapacana āsyam āhavanīyaḥ. 731 tad yad bhaktaṃ prathamam āgacchet tad dhomīyam sa yāṃ prathamām āhutiṃ juhuyāt tāṃ juhuyāt prāṇāya svāheti prāṇas tr ̥ pyati prāṇe tr ̥ pyati cakṣus tr ̥ pyati cakṣuṣi tr ̥ pyaty ādityas tr ̥ pyati āditye tr ̥ pyati dyaus tr̥pyati divi tr̥pyantyāṃ yat kiṃca dyauś cādityaś cādhitiṣṭhatas tat tr ̥ pyati tasyānu tr ̥ ptiṃ tr ̥ pyati prajayā paśubhir annādyena tejasā brahma varcaseneti. 730

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Beispiel den Himmel) verknüpfen. 732 Schließlich ist auch das Wissen über die Zusammenhänge kausal wirksam: ChU 5.24.3 »Wenn jemand [sein tägliches] Feueropfer darbringt, indem er es in dieser Weise richtig versteht, verbrennen all seine Übeltaten so, wie trockene Halme und Baumwolle, die man ins Feuer steckt.« (Sl) 733

Es zeigt sich somit, dass die erscheinende Vielheit im Wesentlichen von kausalen Abhängigkeiten bestimmt ist, die sie als ein einheitliches Ganzes konstituieren. 5.4.5.3 Die zwei puruṣa’s

Der Begriff puruṣa bedeutet wörtlich »Mann« 734. Der Begriff ist dabei doppeldeutig: Denn puruṣa kann sowohl eine makrokosmische als auch eine mikrokosmische Bedeutung haben. Im Makrokosmos weist er auf den bereits in RV 10.90 besungenen Ur-Mann hin, der sich selbst als erste Opfergabe darbietet und dadurch die Welt begründet. 735 Dass diese Bedeutung auch noch in den Upaniṣaden präsent ist, betont Patrick Olivelle: »The term literally means ›man‹, but in this literature it has cosmological and cosmogonic dimensions (…).« 736 Im Mikrokosmos kann er als »erkennendes Subjekt« 737 verstanden werden, eine Bedeutung, die erst in den Upaniṣaden zu finden ist. In den hier untersuchten Textabschnitten behält der puruṣa seine Doppeldeutigkeit. In BĀU 2.5 wird in 14 Versen ein Beziehungssystem erstellt, das genauer in den Blick genommen werden soll. Am Beginn jedes Verses wird eine Wesenheit des Makrokosmos mit »allen Wesenheiten« (bhūtānām) in Beziehung gesetzt. So heißt es beispielsweise in Bezug auf die Erde: »This earth is the honey of all beings, and all beings are the honey of this earth.« (BĀU(M) 2.5.1) Als Honig (madhu) wird im R ̥ gveda oft der Soma, die Lieblingsspeise der Götter verstanden. So Vgl. ChU 5.20–23. tad yatheṣīkātūlam agnau protaṃ pradūyetaivaṃ hāsya sarve pāpmānaḥ pradūyante ya etad evaṃ vidvān agnihotraṃ juhoti. 734 Vgl. PW: puruṣa. 735 Zu RV 10.90 siehe III.2.5. Hierbei zeigt sich auch, dass der Begriff puruṣa – ähnlich wie auch ātman – eng mit dem Ritualkosmos verbunden ist. 736 Kommentar von Patrick Olivelle (1998) in: The early Upaniṣads, S. 495. 737 Kommentar von Walter Slaje (2009) in: Upanischaden, S. 610. 732 733

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steht der Honig im Sprachbild für etwas Wünschenswertes und gleichzeitig Lebensnotwendiges. 738 Indem beide Seiten – die Wesenheit des Makrokosmos und »alle Wesenheiten« – jeweils als der Honig des Anderen bezeichnet werden, wird ihre wechselseitige Abhängigkeit und Verbundenheit betont. Nach dieser Einleitung wird der puruṣa der jeweiligen makrokosmischen Wesenheit mit dem puruṣa einer ihr entsprechenden mikrokosmischen 739 Wesenheit in Relation gesetzt: BĀU(M) 2.5.1 »This earth is the honey of all beings, and all beings are the honey of this earth. The radiant and immortal person [puruṣa] in the earth and, in the case of the ātman, the radiant and immortal person [puruṣa] residing in the physical body – they are both one ātman. It is the immortal; it is brahman; it is the Whole.« (Ol) 740

Nach diesem Muster ergibt sich folgendes Beziehungssystem: Stelle

puruṣa im Makrokosmos

puruṣa im Mikrokosmos

BĀU(M) 2.5.1

Erde

physischer Körper

BĀU(M) 2.5.2

Wasser

Sperma

BĀU(M) 2.5.3

Feuer

Sprechfähigkeit

BĀU(M) 2.5.4

Raum

Raum im Herzen

BĀU(M) 2.5.5

Wind

Atem

BĀU(M) 2.5.6

Sonne

Sehkraft

BĀU(M) 2.5.7

Mond

Denkkraft

BĀU(M) 2.5.8

Horizonte

Hörkraft

BĀU(M) 2.5.9

Blitz

Licht

BĀU(M) 2.5.10

Donner

Schall

BĀU(M) 2.5.11

dharma

dhārma

BĀU(M) 2.5.12

satya

sātya

Thieme (1966) interpretiert den Honig in seiner Übersetzung dagegen als »Essenz«. 739 Wörtlich adhy-ātman »auf den ātman bezogen«. Thieme (1966) übersetzt »Körper«. 740 iyáṃ prthivī´ sárveṣāṃ bhūtā ´ nāṃ mádhv asyaí pr̥thivyaí sárvāṇi bhūtā´ni mádhu ̥ yáś cāyám asyā´ṃ pr̥thivyā´ṃ tejomáyo ’mr ˘˙ ̥ tamáyaḥ púruṣo yás cāyám adhyātmám śārīrás tejomáyo ’mr̥tamáyaḥ púruṣo ’yám evá sá yò ’yám ātmèdám amr̥´tam idáṃ bráhma, idám ˘˙ sárvam. 738

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Anwendung von Uhdes Religionsbegriff auf die altindische Geistesgeschichte

Stelle

puruṣa im Makrokosmos

puruṣa im Mikrokosmos

BĀU(M) 2.5.13

Menschsein

Menschsein

BĀU(M) 2.5.14

ātman

ātman

Tab. 6: Entsprechungen zwischen Mikro- und Makrokosmos.

Der Begriff des puruṣa verbindet damit Makrokosmos und Mikrokosmos. Die Bezeichnung beider als ātman und Ganzes (sarvam) zeigt gleichzeitig ihre Zugehörigkeit zu einem einheitlichen Ganzen auf, das sich durch ihre Beziehung aufeinander konstituiert. Die beiden puruṣa’s lassen sich mithin als Manifestationen bzw. erscheinende Prinzipien des einheitlichen Ganzen bestimmen, das sich in beiden Ebenen widerspiegelt. Der ātman wird – wie bereits im Kapitel über den ātman ausgeführt – 741 als dieses wesenhafte, einheitliche Ganze bestimmt: BĀU(M) 2.5.15 »Dieser ātman ist Herr über alle, der König aller Wesen. Wie alle Speichen an der Radnabe und am Radkranz befestigt sind, genau so sind an diesem ātman (auch) alle Wesen, alle Götter, alle Welten, alle Lebenskräfte [prāṇā, E. S.], alle [mikrokosmischen] ātman’s befestigt.« (nach Sl) 742

Das Bild vom ātman als Rad, das sich unendlich dreht und an dem die makro- und mikrokosmischen Wesenheiten befestigt sind, weist darauf hin, dass von ihm jegliche Bewegung, mithin auch die kausalen Relationen ausgehen. Auch in ChU 1.6–7 spielen die zwei puruṣa’s eine zentrale Rolle. Zunächst wird die R ̥ gveda-Rezitation (r̥c) und der Sāmaveda-Gesang (sāman) mit folgenden makrokosmischen Wesenheiten identifiziert: Stelle

̥ gveda-Rezitation) ̥rc (= R

sāman (Sāmaveda-Gesang)

ChU 1.6.1

Erde

Feuer

ChU 1.6.2

Luftraum

Wind

ChU 1.6.3

Himmel

Sonne

Siehe III.5.4.5.1. sá vā´ ayám ātmā´ sárveṣāṃ ádhipatiḥ sárveṣāṃ bhūtā´nām ˘˙ rā´jā tád yáthā rathanābhaú ca rathanemaú cā´rāḥ sárve sámarpitā evám evā`smínn ātmáni sárvāṇi bhūtā´ni sárve devā´ḥ sárve lokā´ḥ sárve prāṇā´ḥ sárva etá ātmā´naḥ sámarpitāḥ. 741 742

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Die frühen Upaniṣaden

Stelle

̥ gveda-Rezitation) ̥rc (= R

sāman (Sāmaveda-Gesang)

ChU 1.6.4

Sterne

Mond

ChU 1.6.5

helles Sonnenlicht

tiefschwarzes Sonnenlicht

Tab. 7: Makrokosmisches Beziehungssystem des ̥rc und des sāman.

Anschließend werden die Entsprechungen im Mikrokosmos gesucht: Stelle

̥rc

sāman

ChU 1.7.1

Sprechvermögen

Atemhauch

ChU 1.7.2

Sehkraft

ātman

ChU 1.7.3

Hörkraft

manas (Geist/ Denken)

ChU 1.7.4

helles Augenlicht

tiefschwarzes Augenlicht

Tab. 8: Mikrokosmisches Beziehungssystem des ̥rc und des sāman.

Die Einheit der beiden, unter ̥rc und sāman vereinten Wesenheiten, wird in jedem Vers durch ein weiteres Beziehungssystem ausgedrückt: so wird ̥rc mit der Silbe sā und sāma mit der Silbe ama gleichgesetzt, die zusammen sāma(n) 743 ergeben. So heißt es in Bezug auf Erde und Feuer: ChU 1.6.1 »Die ̥rc ist allein die (Erde) da. Das sāman ist das Feuer. In dieser Weise wird die Melodie einer Strophe aufgebürdet. Deshalb wird die einer Strophe aufgebürdete Melodie gesungen. Sā ist allein die (Erde) da. Ama ist das Feuer. Das ergibt sāma(n).« (nach Sl) 744

Die Doppelung des Sāmaveda-Gesangs (sāman) zeigt, dass mit dem Wort sā-ama die Einheit symbolisiert wird, die sich in der Vielheit als sāman und ̥rc manifestiert. Da in den beiden Beziehungssystemen das Ganze des Makrokosmos und des Mikrokosmos dargestellt wird, lässt sich ein einheitliches Ganzes erkennen. Anschließend wird auf die beiden puruṣa’s eingegangen, die in diesem Textabschnitt in ihrer Herrschaft dargestellt werden. So herrscht der puruṣa in der Sonne über den Makrokosmos: ChU 1.6.6–8 »(…) Nun sieht man in der Sonne einen goldenen Mann mit goldenem Bart und goldenem Haar, ganz aus Gold bis zu den Nagelspitzen.

Das Wort sāman (Gesang) wird im Nominativ Singular sāma dekliniert. iyam evark agniḥ sāma tad etad etasyām ̥rcy adhyūḍhaṃ sāma tasmād ̥rcy adhyūḍhaṃ sāma gīyate iyam eva sā agnir amaḥ tat sāma.

743 744

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Seine Augen sind Wasserlilien wie kapyāsa. Sein Name lautet ud. Er ist nämlich über alle Übel hinweggelangt (ud-ita). Wer es so versteht, gelangt allerdings über alle Übel hinweg. Seine Gesänge sind die r̥gvedische Strophe und die sāmavedische Meldodie. Darum ist er der udgītha und infolge davon selbst der Anstimmer (udgātr̥), denn er singt sie. Er kontrolliert die Bereiche jenseits der (Sonne) da (oben) und die Verlangen der Götter. So weit in Anwendung auf die Mächte.« (nach Sl) 745

Der puruṣa im Auge herrscht dagegen über den Mikrokosmos: ChU 1.7.5–6 »Die r̥gvedische Strophe ist nun der Mann (puruṣa), den man im Auge sieht. Er (ist) die Melodie, die Rezitation, die yajurvedische Formel, das brahman. Seine Gestalt gleicht der jenes (Mannes in der Sonne), seine beiden Gesänge denen jenes (Mannes in der Sonne), sein Name dem jenes (Mannes in der Sonne). Er kontrolliert die Bereiche diesseits der (Sonne) da (oben) und die Verlangen der Menschen. Darum besingen ihn die, die zur Laute singen. Das läßt sie Schätze gewinnen.« (nach Sl) 746

Da der Herrschaftsbereich beider puruṣa’s – Makrokosmos und Mikrokosmos – die gesamte Vielheit umfasst und da beide die gleiche Gestalt (rūpa) haben, lassen sie sich als Manifestationen bzw. erscheinende Prinzipien des verborgenen einheitlichen Ganzen betrachten. Die Gleichsetzungen des puruṣa in der Sonne mit dem Hochgesang (udgītha) und des puruṣa im Auge mit dem ̥rc »Vers« (R ̥ gveda), dem sāman »Gesang« (Sāmaveda), dem uktham »Rezitation« (R ̥ gveda), dem yajus »Opferformel« (Yajurveda) und dem bráhman (upaniṣadisches Wissen) zeigen, wie diese Herrschaft zu verstehen ist. Sie besteht in dem Wissen, das bestimmte Wirkungen hervorruft. Damit wird eine Kausalität des Wissens impliziert, die mit den mikro- und makrokosmischen kausalen Beziehungssystemen verbunden ist und deren Tätigkeit alles zu einem Ganzen vereint.

745 atha ya eṣo antarāditye hiraṇmayaḥ puruṣo drśyate hiraṇyaśmaśrur hiraṇyḁ keśa ā praṇakhāt sarva eva suvarnaḥ tasya yathā kapyāsaṃ puṇḍarīkam evam akṣiṇī tasyod iti nāma sa eṣa sarvebhyaḥ pāpmabhya uditaḥ udeti ha vai sarvebhyaḥ pāpmabhyo ya evaṃ veda tasyark ca sāma ca geṣṇau tasmād udgīthaḥ tasmāt tv eva udgātā etasya hi gātā sa eṣa ye cāmuṣmāt parāñco lokās teṣāṃ ceṣṭa devakāmānāṃ ca ity adhi daivatam. 746 atha ya eṣo antar akṣiṇi puruṣo drśyate saivark tat sāma tad uktham tad yajuḥ ̥ tad brahma tasya etasya tad eva rūpaṃ yad amuṣya rūpam yāv amuṣya geṣṇau tau tau goṣṇau yan nāma tan nāma sa eṣa ye caitasmād arvāñco lokās teṣāṃ ceṣṭe manuṣyakāmānāṃ ceti tad ya ime vīṇāyāṃ gāyanty etaṃ te gāyanti tasmāt te dhanasanayaḥ.

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5.5. Schöpfungsmythen 5.5.1. Der Tod als Schöpfer Der Schöpfungsmythos BĀU 1.2, der wahrscheinlich zu den ältesten Teilen der BĀU gehört, 747 beschreibt eine ungewöhnliche Entfaltung der Welt. So existiert am Anfang nichts. Im zweiten Satz des Mythos wird der Tod als Wesenheit eingeführt; offensichtlich stellt er eine wesenhafte Konkretion des »Nichts« dar. Mit dem Tod kommt zudem der Hunger: BĀU(M) 1.2.1 »Am Anfang existierte hier überhaupt nichts. Der Tod nur umfing das hier mit Hunger. Denn Hunger ist Tod (…).« (Sl) 748

Der Tod hat den Wunsch, einen Leib (ātman) 749 zu besitzen und stimmt liturgische Rezitationen 750 an. Zunächst entsteht das Wasser und daraufhin die Erde. Durch Hitze (tapas) wird seine Essenz (rasa) zum Feuer (agni): BĀU(M) 1.2.1–2 »(1) (…) So fasste er den Gedanken: ›Ich will ātman-besitzend (ātmanvin) sein!‹ Er beschäftigte sich lobsingend. Während er sang, entstand Wasser. ›Da ist mir doch etwas Gutes zuteil geworden, da ich sang!‹ Genau das macht die Verherrlichung zur Verherrlichung. (…) (2) Verherrlichung ist in der Tat Wasser. Die Essenz des Wassers verfestigte sich (und) wurde zur Erde. Auf ihr verausgabte er sich. Die Erhitzung (tejas), die flüssige Essenz (rasa) von ihm, der sich (so) verausgabt, sich (so) erhitzt hatte, wurde zu Feuer (agni).« (nach Sl) 751

Seinen feuerhaften Leib teilt der Tod anschließend in drei Teile: Sonne (āditya), Wind (vāyu) und Feuer (agni): 752 747 BĀU(M) 1.1–1.2 stellt ein Teil von ŚB(M) 10 dar, während die anderen Abschnitte erst im späteren ŚB(M) 14 auftreten. 748 naìvèhá kíṃ canā ´ gra āsīn mr̥tyúnaivèdám ā´vr̥tam āsīd aśanāyáyāśanāyā´ hí mr̥tyús. 749 So auch Olivelle (1998) (»body«) und Slaje (2009) (»leiblich«). Zum Begriff ātman siehe III.5.4.5.1. pffi 750 So gibt Olivelle (1998) das Verb arc mit »strahlen, lobsingen, verehren« wieder; da der Schöpfungsmythos zur Erklärung des Pferdeopfers erzählt wird, scheint diese Übersetzungsmöglichkeit passend zu sein. 751 tán máno ’kurutātmanvī´ syām íti só ’rcann acarat. tásyā ´ rcata ā´po ’jāyantā´rcate vaí me kám abhūd íti. tád evā`rkyàsyārkatváṃ. (…) ā´po vā´ arkás. tád yád apā´m ˘˙ śára ā´sīt, tát sámahanyata sā´ pr ̥ thivy àbhavat. tásyām aśrāmyat tásya śrāntásya taptásya téjo ráso níravartatāgníḥ. Der Begriff ātman wurde unübersetzt gelassen; die in Klammern stehenden Hinweise zu den Wortspielen wurden weggelassen. 752 Vgl. BĀU(M) 1.2.2–3. Feuer ist nicht explizit angegeben; jedoch kommt die Drei-

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BĀU(M) 1.2.3 »Er teilte sich in drei Teile: ein Drittel als Sonne, ein Drittel als Wind (und ein Drittel als Feuer, E. S.). Der ist (sein) dreigeteilter Atemhauch (prāṇa). Sein Kopf ist die östliche Himmelsrichtung, die (angrenzende Himmelsrichtung) da und jene dort (sind) seine Arme. Sein Hinterteil dagegen ist die westliche Himmelsrichtung, die (angrenzende Himmelsrichtung) da und jene dort (sind seine) Schenkel; (seine) Flanken (sind) der Süden und der Norden; (sein) Rücken das Firmament; (seine) Bauchhöhle der Raum zwischen Firmament und Erde; (sein) Brustkorb hier die (Erde). Im (salzigen) Wasser ist er fest gegründet.« (Sl) 753

Sonne (āditya), Wind (vāyu) und Feuer (agni) sind bereits in den Brāhmaṇas die Lichter der drei Welten: die Sonne für den Himmel, der Wind für den Luftraum, das Feuer für die Erde. 754 Diese Teilung seines ātman bedingt die räumliche Ausdehnung der drei Welten »Himmel«, »Luftraum« und »Erde«. Danach wünscht sich der Tod einen zweiten Leib (ātman). Er begattet darum die Sprechfähigkeit (vāc) mit seinem Samen, der zum Jahr wird: BĀU(M) 1.2.4 »Er begehrte: ›Möge mir ein zweiter ātman entstehen!‹ Im Geiste (manas) begattete er, der Tod, der Hunger ist, die Sprechfähigkeit (vāc). Was da an Sperma (retas) war, das wurde zum Jahr. Davor gab es noch kein Jahr.« (nach Sl) 755

Das Jahr wird somit zum wesenhaften Leib des Todes. 756 Schließlich erzeugt der Tod mit der Sprechfähigkeit (vāc) und dem Jahr als seinem Leib das Opferwissen, die Opfer, Geschöpfe/ Nachkommen (prajā) 757 und Vieh (paśū): teilung Sonne, Wind und Feuer sehr häufig vor, gerade auch in Schöpfungserzählungen wie beispielsweise dem mit der BĀU verbundenen ŚB 6.1, wo die Schöpfung ebenfalls beim Nichtseienden beginnt. So denkt auch Olivelle (1998) in seiner Übersetzung, nicht aber Slaje. (Vgl. Kommentar von Slaje (2009) in: Upanischaden, S. 488). 753 sá tredhā`tmā´naṃ vyàkurutādityáṃ tr̥tī´yaṃ vāyúṃ tr ˘˙ sá eṣá prāṇás ̥ tī´yam tredhāvihitás tásya prā´cī dík śíro ’saú cāsaú cermā´v áthāsya pratī´cī dík púccham asaú cāsaú ca sakthyaù dákṣiṇā códīcī ca pārśvé dyaúṣ pr̥ṣṭhám antárikṣam udáram iyám úraḥ sá eṣò ’psú prátiṣṭhito. 754 Siehe III.4.4.2. 755 sò ’kāmayata: dvitī´yo ma ātmā ´ jāyetéti sá mánasā vā´caṃ mithunám ˘˙ sámabhavad aśanāyā´ṃ mr̥tyús tád yád réta ā´sīt sá saṃvatsarò ’bhavan ná ha purā´ tátaḥ saṃvatsará āsa. 756 Die Identifizierung des Jahres mit dem zweiten Leib (ātman) des Todes ist an dieser Stelle nicht zwingend. In BĀU(M) 1.2.8 wird der Tod jedoch mit dem Pferd identifiziert; als dessen Leib wird das Jahr genannt (so auch in BĀU(M) 1.1.1). 757 Der Begriff prajā kann mit »Geschöpfe« oder »Nachkommen« übersetzt werden;

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BĀU(M) 1.2.5 »So, with that speech and that body (ātman) he gave birth to this whole world, to everything that is here – R̥gvedic verses, Yajurvedic formulas, Sāmavedic chants, meters, sacrifices, people, and animals (…).« (Ol) 758

Die Macht des Todes wird dabei deutlich artikuliert: so konsumiert der Tod alles Erzeugte wieder: 759 BĀU(M) 1.2.5 »(…) He began to eat whatever he gave birth to.« (Ol) 760

Alles ist mithin dem Tod unterworfen. Daraufhin wünscht der Tod sich wieder einen Leib (ātman); er verwandelt sich schließlich in ein Opferpferd, womit die Verbindung zu dem in BĀU 1.1 erwähnten Pferdeopfer hergestellt wird: BĀU(M) 1.2.7 »Er begehrte: ›Opferwürdig (medhya) sei dieser mein (Leib) hier! Durch ihn will ich ātman-besitzend (ātmanvin) werden!‹ Daraufhin wurde (der Leib) zu einem Pferd (aśva). Weil er anschwoll (aśvat), wurde er opferwürdig (medhya).« (nach Sl) 761

Das Opferpferd ist damit die Manifestation des Todes im Ritual. Der Wissende, der das Hervortreten des Todes bis hin zum Opferpferd kennt, entkommt ihm schließlich: BĀU(M) 1.2.8 »(Whoever knows this) averts repeated death (punarmr̥tyu) – death is unable to seize him, death becomes his very body (ātman), and he becomes one of these deities.« (Ol) 762

in diesem Kontext bleibt diese Doppeldeutigkeit erhalten. Da neben den Nachkommen und dem Vieh nur das dreifache Opferwissen sowie die Opfer als Hervorbringungen des Todes genannt werden, ist es möglich, dass hier der Opferlohn bezeichnet wird. Denn prajā »Nachkommen« und paśū »Vieh« stellen einen wichtigen Opferlohn dar: sie sind Symbole für Reichtum und Macht. Gleichzeitig wird aber die Sterblichkeit aller »Geschöpfe« angedeutet, die vom Tod in Form der Vergänglichkeit durchdrungen sind. 758 sá táyā vācā ´ ténātmánedám ˘˙ sárvam asr ˘˙ ṣi sā´māni ̥ jata yád idáṃ kíñcárco yájūm chándām ˘˙ si yajñā´n prajā´ṃ paśū´nt. 759 Dies ist vermutlich eine Anspielung darauf, dass die Opferrituale keine ewige Gültigkeit haben, sondern immer wieder erneuert werden müssen. Möglicherweise spielt es auch darauf an, dass der Akt des Tötens des Opfers ein wichtiger Bestandteil des Rituals ist. 760 sá yád-yad evā ´ sr ̥ jata tát-tad áttum adhriyata. 761 sò ’kāmayata: médhyaṃ ma idám ˘˙ syād ātmanvy ànéna syām íti tátó ’śvaḥ sámabhavad yád áśvat tán médhyam abhūd íti. 762 mrtyúr evā ´ pa punarmr ̥ ̥ tyúṃ jayati naìnaṃ mr̥tyúr āpnoti, mr̥tyúr asyātmā´ bhavaty sárvam ā´yur ety etā´sāṃ devátānām éko bhavati yá eváṃ véda. Die Voraussetzung einer verborgenen »Einheit«

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Damit ist der Tod nicht alles beherrschend. Durch die Kenntnis der mit ihm verbundenen kausalen Zusammenhänge kann das »erneute Sterben« (punarmr ̥ tyu) überwunden werden. Olivelle bemerkt zum Begriff des »erneuten Sterbens« (punarmr̥tyu), dass es als Vorläufer der späteren Vorstellung eines ewigen Kreislaufs der Wiedergeburt betrachtet werden muss: »The meaning of repeated death is not altogether clear, but the implication is that a person subject to this type of death would die a second or third time after his natural death on earth. This idea is important because it probably influenced the development of the pivotal doctrines of later religion: rebirth and karma.« 763

Indem der Wissende sich den Tod als Leib (ātman) zu eigen macht, entkommt er dem »erneuten Sterben«. Es lässt sich erkennen, dass im Mythos die Vielheit der erscheinenden Welt aus dem Nichts bzw. dem Zeitlichkeit implizierenden Tod entsteht. Die Beschreibung der einheitlichen Entfaltung der Vielheit hat starke Ähnlichkeiten mit den Schöpfungsmythen der Brāhmaṇas. Doch kann die Vielheit hier als zeitloses Ganzes betrachtet werden, wo doch in allem Erscheinenden der Tod wohnt? Würde der Tod bzw. das Sterben als ein einmaliges Ereignis für den Einzelnen verstanden werden, müsste die Frage verneint werden. Auf Grundlage der Konzeption des »erneuten Sterbens« (punarmr̥tyu) besteht jedoch der Gedanke, dass der Tod zu einem Verbleib und zur Wiedergeburt in der gleichen Vielheit führe. Er ist mithin nur ein Übergang in ein anderes irdisches Dasein und stellt kein Ende der Zeit dar; vielmehr verbindet er alles Seiende. Darum kann die Vielheit als ein einheitliches Ganzes begriffen werden. Doch wie lässt sich der Tod aus religionswissenschaftlicher Metaperspektive einordnen? Zum einen ist hervorzuheben, dass der Tod – aus dem Nichtseienden kommend – zwar die Entfaltung der Vielheit anstößt, aber – wie schon Prajāpati – nicht alles beherrscht. Wie Prajāpati kann er darum nicht als das wesenhafte einheitliche Ganze begriffen werden: vielmehr ist er selbst ein Teil der Vielheit. Dennoch ist er gemäß der Uhde’schen Terminologie als das erscheinende Prinzip zu begreifen, welches das einheitliche Ganze in der Vielheit reflektiert. Als erscheinendes Prinzip bietet er gleichzeitig dem Wissenden einen Zugang zur Zeitlosig-

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Kommentar von Patrick Olivelle (1998) in: The early Upaniṣads, S. 489.

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keit des einheitlichen Ganzen. 764 Interessanterweise erfüllt der Tod somit die gleiche Funktion wie das bráhman an einigen Stellen der ChU: Beides sind Wesenheiten der Vielheit, bilden aber als »erscheinende Prinzipien« nach der Uhde’schen Terminologie eine Brücke zum einheitlichen Ganzen und dessen Zeitlosigkeit. 765 5.5.2. Das Seiende Am Beginn von ChU 6 soll der junge Śvetaketu auf Geheiß seines Vaters Āruṇi das Opferwissen bei auswärtigen Lehrern studieren. Als er nach zwölf Jahren stolz zurückkommt, weist ihn sein Vater zurecht und zeigt ihm, dass er nicht allwissend ist. Es fehlt ihm nämlich das Wissen um die Substitution (ādeśa); diese mache Ungedachtes gedacht und Unerkanntes erkannt. 766 Zur Veranschaulichung der Substitution nimmt der Vater Āruṇi unter anderem die Substanz »Eisen« als Beispiel: ChU 6.1.6 »Wie, mein Junge, mittels einer einzigen Nagelschere alles, was aus Eisen besteht, erkannt wäre. (Jede) Umformung (ist immer nur) sprachliche Handhabe, (bloße) Namensgebung. Wahr ist, daß es einzig ›Eisen‹ ist (…).« (Sl) 767

Die Substitution zeigt mithin die Einheit (Eisen) auf, die hinter der Vielheit der Erscheinungen (Eisenwaren) verborgen ist. Im Anschluss daran geht Āruṇi, um dies weiter auszuführen, auf den Anfang allen Seins ein, in der keine Vielheit, sondern nur Einheit existiert: ChU 6.2.1 »Dieses Universum, mein Lieber, war im Anfang ein lediglich Seiendes, ein einzelnes, alleiniges (…).« (Th) 768

Dabei wird der in BĀU 1.2 vorkommende, bereits ausgeführte Gedanke verworfen, dass alles aus dem Nichtseienden entstehe: 769 ChU 6.2.1–2 »(1) (…) Dazu sagen Einzelne: ›Dieses Universum war im Anfang ein Nichtseiendes, ein einzelnes, alleiniges. Dann wurde aus diesem Nichtseienden das Seiende geboren.‹ (2) Woher aber, mein Lieber, könnte Siehe III.5.4.3. Siehe II.2.1.3. 766 Vgl. ChU 6.1.1–2. 767 yathā somyaikena nakhanikrntanena sarvaṃ kārṣṇāyasaṃ vijñātaṃ syāt ̥ vācārambhaṇaṃ vikāro nāmadheyaṃ kr̥ṣṇāyasam ity eva satyam. 768 sad eva somyedam agra āsīd ekam evādvitīyam. 769 Siehe III.5.5.1. 764 765

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das so sein? Wie sollte aus einem Nichtseienden ein Seiendes geboren werden? Vielmehr war, mein Lieber, dieses Universum im Anfang ein lediglich Seiendes, ein einzelnes, alleiniges.« (Th) 770

Im Anschluss an diese Abgrenzung geht Āruṇi auf das Hervortreten des pffi Einen ein; auch hierfür wird das771bereits besprochene, mediale sr ̥ j »aus sich entlassen« verwendet: ChU 6.2.3–4 »Dieses (Seiende) dachte bei sich: ›Ich will zahlreich sein, will zeugen.‹ Da emanierte es die Wärme. Die Wärme dachte bei sich: ›Ich will zahlreich sein, will zeugen.‹ Da emanierte sie das Wasser (…). Das Wasser dachte bei sich: ›Ich will zahlreich sein, will zeugen.‹ Da emanierte es die Nahrung (…).« (Sl) 772

Das anfängliche Eine bringt mithin die (1) Wärme hervor, diese wiederum das (2) Wasser und dieses wiederum die (3) Nahrung. Nach deren Hervorbringung geht das Eine als belebender ātman in alle drei ein, verdreifacht sie jeweils und entfaltet dadurch die Namen und Formen (nāma-rūpa): ChU 6.3.2–4 »Then that same deity thought to itself: ›Come now, why don’t I establish the distinctions of name and appearance by entering these three deities here with this living self (ātman), (3) and make each of them threefold.‹ So, that deity established the distinctions of name and appearance by entering these three deities here with this living self (ātman), (4) and made each of them threefold.« (Ol) 773

Die zur Entfaltung von Namen und Formen führende Verdreifachung von Wärme, Wasser und Nahrung wird im Anschluss ausführlicher erklärt. So heißt es in Bezug auf das Feuer: ChU 6.4.1 »The red appearance (rūpa) of a fire is, in fact, the appearance (rūpa) of heat, the white, that of water, and the black, that of food. So vanishes from the fire the character of fire – the transformation is a verbal 770 tad dhaika āhur asad evedam agra āsīd ekam evādvitīyam tasmād asataḥ saj jāyata kutas tu khalu somyaivaṃ syād iti hovāca katham asataḥ saj jāyeta sat tv eva somyedam agra āsīd ekam evādvitīyam. 771 Siehe III.4.4.1. 772 tad aikṣata bahu syāṃ prajāyeyeti tat tejo ’srjata tat teja aikṣata bahu syāṃ ̥ prajāyeyeti tad apo ’sr ̥ jata (…) tā āpa aikṣanta bahvyaḥ syāma prajāyemahīti tā annam asr̥janta. 773 seyaṃ devatā aikṣata hantāham imās tisro devatā anena jīvenātmanā anupraviśya nāmarūpe vyākaravāṇīti tāsāṃ trivr ̥ taṃ trivr ̥ tam ekaikāṃ karavāṇīti seyaṃ devatemās tisro devatā anenaiva jīvenātmanā anupraviśya nāmarūpe vyākarot tāsāṃ trivr̥taṃ trivr ̥ tam ekaikām akarot.

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handle, a name – while the reality is just, ›It’s the three appearances (rūpa).‹« (Ol) 774

Das Feuer ist mithin die Erscheinung von Wärme, Wasser und Nahrung, den drei primären Manifestationen des verborgenen Einen. Das wird in dieser Weise auch für die Sonne, den Mond und den Blitz ausgeführt. Schließlich werden die drei primären Manifestationen auf die gesamte erscheinende Vielheit bezogen. So erkennen die Wissenden die Zugehörigkeit einer beliebigen Wesenheit an der mit den Manifestationen verbundenen Farbe, nämlich rot (Wärme), weiß (Wasser), schwarz (Nahrung) oder gemischt: ChU 6.4.5–7 »It was, indeed, this that they knew, those extremely wealthy and immensely learned householders of old, when they said: ›Now no one will be able to spring something upon us that we have not heard of or thought of or understood before.‹ For they derived that knowledge from these three – when they noticed anything that was reddish, they knew: ›That is the appearance of heat‹ ; when they noticed anything that was whitish, they knew: ›That is the appearance of water‹ ; when they noticed anything that was blackish, they knew: ›That is the appearance of food‹ ; and when they noticed anything that was somehow indistinct, they knew: ›That is a combination of these same deities.‹« (Ol) 775

Die gesamte erscheinende Vielheit besteht somit aus diesen drei primären Manifestationen des Einen. Die ursprüngliche Einheit tritt vermittelt über ihre Manifestationen als ein Ganzes hervor. Ihre Verborgenheit bleibt dabei erhalten, da das einheitliche Ganze nur in der Vereinzelung erkannt werden kann. Dies bestätigt sich auf der mikrokosmischen Ebene, die im Anschluss dargestellt wird. So besteht auch der Mensch aus den drei primären Manifestationen des Einen, die hier in grobe, mittlere und feine Elemente (dhātu) aufgeteilt werden. Dadurch ergibt sich folgendes Bild:

yad agne rohitaṃ rūpaṃ tejasas tad rūpam yac chuklaṃ tad apām yat kr ̥ ṣṇaṃ tad annasya apāgād agner agnitvam vācārambhaṇaṃ vikāro nāmadheyaṃ trīṇi rūpāṇīty eva satyam. 775 etad dha sma vai tadvidvāṃsa āhuḥ pūrve mahāśālā mahāśrotriyāḥ na no ’dya kaścanāśrutam amatam avijñātam udāhariṣyati iti hy ebhyo vidāṃ cakruḥ yad u rohitam ivābhūd iti tejasas tad rūpam iti tad vidāṃ cakruḥ yad u śuklam ivābhūd ity apāṃ rūpam iti tad vidāṃ cakruḥ yad u kr̥ṣṇam ivābhūd ity annasya rūpam iti tad vidāṃ cakruḥ yad v avijñātam ivābhūd ity etāsām eva devatānāṃ samāsa iti tad vidāṃ cakruḥ. 774

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Substanz:

teilt sich in: grobes Element: Kot.

Nahrung

mittleres Element: Fleisch. feines Element: Denken (manas). grobes Element: Urin.

Wasser

mittleres Element: Blut. feines Element: Atem (prāṇa). grobes Element: Knochen.

Wärme

mittleres Element: Mark. feines Element: Sprache (vāc).

Tab. 9: Mikrokosmische Manifestationen des Seienden. (Vgl. ChU 6.5).

Auch hier steht hinter der Vielheit der Elemente die verborgene Einheit, die vermittelt über ihre primären Manifestationen als Ganzes hervortritt. Das einheitliche Seiende wird als erste Ursache von allem bestimmt. Jedes Ereignis kann letztlich kausal auf dieses Seiende zurückgeführt werden. So heißt es in Bezug auf den Hunger: ChU 6.8.3–4 »Junge, lerne von mir über Hunger und Durst: Wo es so ist, daß ein Mann hungert, da mußt Du wissen, mein Junge, daß es so ist, daß da eine Wirkung (śuṅga = Knospe) aufgetreten ist, die nicht ohne Ursache (amūla) sein kann: Allein das Wasser (ap) entzieht (nayante) (ihm), was er gegessen hat. Darum nennt man das Wasser ›Nahrungs-Entzieher‹ (aśanāyā), ganz so wie (man vom) Kuh-Treiber (go-nāya), Pferde-Führer (aśva-nāya) (oder vom) Männer-Anführer (puruṣa-nāya) (spricht). Was denn sonst als Nahrung wäre die Ursache dieser (Wirkung des Hungers)? Forsche auf genau diese Weise, mein Junge, nach der Ursache, dem Wasser, mittels der Nahrung, die (seine emanierte) Wirkung ist. Forsche, mein Junge, nach der Ursache, der Wärme, mittels des Wassers, das (seine emanierte) Wirkung ist. Forsche nach der Ursache, dem Seienden, mittels der Wärme, die (seine emanierte) Wirkung ist. Alle diese Geschöpfe hier, mein Junge, sind vom Seienden verursacht; das Seiende ist ihr Ruhepol, das Seiende ihr Fundament.« (Sl) 776

776 aśanāpipāse me somya vijānīhīti yatraitat puruṣo ’śiśiṣati nāmāpa eva tad aśitaṃ nayante tad yathā gonāyo ’śvanāyaḥ puruṣanāya ity evaṃ tad apa ācakṣate ’śanāyeti tatraitac chuṅgam utpatitaṃ somya vijānīhi nedam amūlaṃ bhaviṣyatīti tasya kva mūlaṃ syād anyatrānnāt evam eva khalu somyānnena śuṅgenāpo mūlam

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Die frühen Upaniṣaden

Der Hunger lässt sich mithin über die kausale Kette Wasser – Nahrung – Wärme auf das einheitliche Seiende zurückführen, das als Ursache (mūla), Bereich (āyatana) und Grundlage (pratiṣṭhā) von allem bestimmt wird. Als Ursache von allen Wesenheiten lässt sich das einheitliche Seiende als das wesenhafte Prinzip von Allem verstehen. Beherrschend wirkt es durch die kausalen Verhältnisse, die von ihm als Prinzip der Kausalität ausgehen. Mit seinem Tod geht der Mensch den Weg zum Seienden zurück, indem die oben als »Feinheit« bezeichneten Vermögen »Sprache«, »Denken und »Atem« in die Wärme eingehen und diese in das Seiende: ChU 6.8.6 »Wenn, mein Lieber, dieser Mensch hinscheidet, dann geht zunächst seine Sprache in das Denken ein (d. h., er wird unfähig zu sprechen, behält aber das Bewußtsein); dann sein Denken in den Atem (er verliert das Bewußtsein, aber atmet noch); dann sein Atem in die Glut (= Wärme, E. S.) (er atmet nicht mehr, ist aber noch warm); dann die Glut in das höchste kosmische Element (= das ›Seiende‹).« (Th)

Der Mensch steht also durch diese »Feinheiten« mit dem einheitlichen Ganzen in einer Verbindung. Sie konstituieren den menschlichen ātman (Selbst), der mit dem Ganzen und damit dem Seienden gleichgesetzt wird: ChU 6.8.7 »Das, was die Feinheit (nämlich manas, vāc, prāṇa) ist, diese zum ātman (des Seienden) gehörige (ātmya) (Feinheit) (ist) dieses Ganze hier (idam sarvam). Diese (Feinheit) ist das Wahre. Diese (Feinheit) ist der ātman (des Menschen). So geartet (tad) bist Du, Svetaketu!« (ES) 777

In ChU 6.9 und ChU 6.10 wird verdeutlicht, dass die Verbindung des vielheitlichen Erscheinenden mit dem einheitlichen Seienden den Wesen nicht bewusst ist. Sie wissen mithin nicht, dass sie beim Schlaf anviccha adbhiḥ somya śuṅgena tejo mūlam anviccha tejasā somya śuṅgena sanmūlam anviccha sanmūlāḥ somyemāḥ sarvāḥ prajāḥ sadāyatanāḥ satpratiṣṭhāḥ. 777 Ich folge Brereton in der Lesart etad-ātmya (= »zum ātman gehörig«); dies steht im Unterschied zu den Kommentaren, die aufgrund der Unklarheit der Phrase stattdessen aitadātmya (= »dessen-ātman-sein«, vgl. PW: aitadātmya) lesen. (Vgl. Brereton, Joel P. (1986): ›Tat tvam asi‹ in context. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 136, S. 98–109, hier: S. 98). Etad bezieht sich dabei auf die Feinheit (aṇiman). (Vgl. ebd., S. 99). Die Feinheit in Form von vāc, manas und prāṇa ist auf drei Elemente aufgeteilt, in welche die anfängliche Einheit als ātman eingegangen ist. (Vgl. ChU 6.6.1–4). In diesem Sinne gehören alle drei Formen der Feinheit zum ātman. Zudem ist Brereton zuzustimmen, wenn das tad in der Endphrase tat tvam asī adverbiell mit »that way are you« übersetzt wird. (Vgl. ebd., S. 109). Die Voraussetzung einer verborgenen »Einheit«

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Anwendung von Uhdes Religionsbegriff auf die altindische Geistesgeschichte

oder beim Tod in das verborgene Seiende eingehen und wieder aus ihm hervorgehen: ChU 6.9.1–2 »Wenn, o Teurer, die Bienen den Honig bereiten, so sammeln sie die Säfte von mancherlei Bäumen und tragen den Saft zur Einheit zusammen. Sowie in dieser jene Säfte keinen Unterschied behalten des bestimmten Baumes, dessen Saft sie sind, also, fürwahr, o Teurer, haben auch alle diese Kreaturen, wenn sie (in Tiefschlaf und Tod) in das Seiende eingehen, kein Bewusstsein davon, dass sie eingehen in das Seiende.« (De)

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in ChU 6 das anfänglich Seiende, das sich entfaltet, als ein einheitliches Ganzes betrachtet werden kann, das in seiner Voraussetzung gewusst wird und als Prinzip von Allem durch die Kausalität herrscht. Trotz seiner Verborgenheit ist das Seiende allpräsent, indem es dem ātman (Selbst) gleichgesetzt wird.

6.

Der frühe Pāli-Kanon

6.1. Text und Untersuchungsumfang Der Pāli-Kanon ist nach der mittelindischen Sprache Pāli benannt und bezeichnet die Version des buddhistischen Kanons, die durch die Schule der Theravādins überliefert wird. Pāli ist nicht die Sprache des historischen Buddha 778, sondern die weiterentwickelte Form eines »buddhistischen Mittelindisch«, das als literarische lingua franca diente. Die Sprache, welcher sich der Buddha tatsächlich bediente, kann dagegen nicht identifiziert werden. 779 Gemäß der singhalesischen Überlieferung wurde der Kanon auf dem 3. buddhistischen Konzil fixiert, das zur Zeit der Regentschaft des Aśoka (reg. 268–232 v. Chr.) im nordostindischen Pāṭaliputra abgehalten wurde. Anschließend erfolgte seine Verbreitung durch die Mission. In diesem Zusammenhang brachten Missionare aus Zentralindien den Kanon in der Buddha ist ein Ehrentitel, den der Begründer des Buddhismus, Siddhārtha Gautamaffi von seinen Anhängern verliehen bekam. Der Begriff stammt von der Wurzel p budh »erwachen, erkennen, etwas gewahr werden« (u. a.). (Vgl. PW: budh). Als Partizip Perfekt Passiv lässt er sich als der »Erwachte« oder als der »(etwas) erkannt Habende« übersetzen. 779 Vgl. Hinüber, Oskar von (2001): Das ältere Mittelindisch im Überblick. 2. Aufl. Wien: Verlag der Österr. Akad. d. Wiss (Veröffentlichungen der Kommission für Sprachen und Kulturen Südasiens, 20), S. 38–39. 778

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Der frühe Pāli-Kanon

Pāli-Sprache nach Sri Lanka. 780 Der auf dem Konzil fixierte UrKanon, von dem es keine Zeugnisse gibt, stimmte entgegen der Überlieferung wahrscheinlich nicht vollständig mit dem Pāli-Kanon in seiner heutigen Form überein. Jedoch sind sie vermutlich sehr ähnlich. 781 Die Annahme eines Ur-Kanons bestätigt sich im Vergleich des Pāli-Kanons mit weiteren Versionen des Kanons, die in anderen Sprachen überliefert sind. So resümiert Winternitz, dass sich »ein Grundstock nicht nur von Lehren, sondern auch von Texten feststellen [lässt, E. S.], der mit der Überlieferung des Pālikanons in allem wesentlichen übereinstimmt.« 782 Trotz der langen Redaktionsgeschichte lässt sich somit der Pāli-Kanon als Quelle der frühbuddhistischen Lehre heranziehen. Der Pāli-Kanon besteht in seiner heutigen Form 783 aus drei Teilen, den sogenannten »drei Körben« (ti-piṭaka) 784: (1) Vinayapiṭaka »Korb der Regeln«; (2) Sutta-piṭaka »Korb der Lehrsätze«; (3) Abhidhamma-piṭaka »Korb über die Dinge (dhammā)«. Unter diesen ist der Abhidhamma-piṭaka mit Abstand der jüngste Teil des Kanons; 785 er kann nicht mehr zum frühen Pāli-Kanon gezählt werden, der den Gegenstand dieser Untersuchung bildet. Darum soll dieser Teil nicht berücksichtigt werden. Da sich der Vinaya-piṭaka (Vin), von einzelnen Abschnitten abgesehen, auf die Darlegung der in der buddhistischen Gemeinschaft geltenden Regeln beschränkt, soll der Schwerpunkt der Analyse auf dem Sutta-piṭaka liegen. Der Sutta-piṭaka ist in fünf sogenannte nikāya’s »Gruppen« (von Texten) eingeteilt: (1) Dīgha-nikāya (DN) »Gruppe der langen Texte«; 780 Vgl. Winternitz, Moriz (1968): Geschichte der indischen Literatur. Band 2. Die buddhistische Literatur und die heiligen Texte der Jainas. Stuttgart: Kohler, S. 7; Frauwallner, Erich (1956): The earliest Vinaya and the beginnings of Buddhist literature. Roma: Istituto Italiano per il Medio ed Estremo Oriente (Serie orientale Roma, 8), S. 23. 781 Vgl. Winternitz, Moriz (1968): Geschichte der indischen Literatur. Band 2, S. 6– 11. 782 Winternitz, Moriz (1968): Geschichte der indischen Literatur. Band 2, S. 16. 783 Es waren auch andere Unterteilungen üblich. (Vgl. Hinüber, Oskar von (1996): A handbook of Pāli literature. Berlin: De Gruyter (Indian philology and South Asian studies, 2), S. 7). 784 Oskar von Hinüber bemerkt dazu: »The origin of and the idea behind this designation are not known.« (Hinüber, Oskar von (1996): A handbook of Pāli literature, S. 7). 785 Vgl. Winternitz, Moriz (1968): Geschichte der indischen Literatur. Band 2, S. 9 sowie Hinüber, Oskar von (1996): A handbook of Pāli literature, S. 64.

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Anwendung von Uhdes Religionsbegriff auf die altindische Geistesgeschichte

(2) Majjhima-nikāya (MN) »Gruppe der mittellangen Texte«; (3) Saṃyutta-nikāya (SN) »Gruppe der verbundenen Texte«; (4) Aṅguttara-nikāya (AN) »Gruppe der aufsteigend gegliederten Texte«; und schließlich (5) Khuddaka-nikāya »Gruppe der kleinen Texte«, der aus mehreren sehr heterogenen Texten zusammengesetzt ist, die auch in ihrem Alter weit auseinander gehen. 786 Aus dem Khuddaka-nikāya soll darum nur eine Auswahl von Texten berücksichtigt werden, die vermutlich älteren Ursprungs ist, insbesondere Udāna (Ud) »Feierliche Aussprüche« und Itivuttaka (It) »So gesprochen«. 787 Es muss zudem angemerkt werden, dass es auch innerhalb 786 Vgl. Winternitz, Moriz (1968): Geschichte der indischen Literatur. Band 2, S. 60– 61. Zudem gibt es Differenzen zwischen den Rezitatoren verschiedener nikāya’s, die aber für die Zwecke dieser Untersuchung nicht relevant sind. (Vgl. Hinüber, Oskar von (1996): A handbook of Pāli literature, S. 25). 787 Als textliche Grundlage der Untersuchung dienen die verschiedenen Editionen der Pāli Text Society (PTS) (The Aṅguttara-Nikāya. Part I-II. Ed. by Richard Morris; rev. by Anthony Kennedy Warder (1955/ 1961). 2. Aufl. London: Luzac (Pali Text Society); The Aṅguttara-Nikāya. Part III-V. Ed. by Edmund Hardy (1958). Repr. London: Luzac (Pali Text Society); The Dīgha Nikāya. Vol. I-III. Ed. by Thomas William Rhys Davids & Joseph Estlin Carpenter (1947–1966). Repr. London: Luzac/ Oxford: Oxford University Press (Pali Text Society); The Majjhima-Nikāya. Vol. I. Ed. by Vilhelm Trenckner (1948). Repr. Oxford: Oxford University Press (Pali Text Society); The Majjhima-Nikāya. Vol. II & III. Ed. by Robert Chalmers (1951). Repr. Oxford: Oxford University Press (Pali Text Society); The Saṃyutta-Nikāya. Part I-V. Ed. by Léon Feer (1960). Repr. London: Luzac (Pali Text Society); Iti-Vuttaka. Ed. by Ernst Windisch (1889). London: Frowde (Pali Text Society); Udānam. Ed. by Paul Steinthal (1885). London: Frowde (Pali Text Society)) sowie die Vinaya-Edition von Oldenberg (The Vinaya Piṭakaṃ. Vol. I. The Mahāvagga. Ed. by Hermann Oldenberg (1879). London: Williams and Norgate). Dazu wurden die Übersetzungen von I. B. Horner (= Ho) (The book of the discipline (Vinaya-Piṭaka). Vol. IV (Mahāvagga). Transl. by Isaline Blew Horner (1951). London: Luzac (Sacred books of the buddhists); The collection of the Middle Length Sayings (Majjhima-Nikāya). Vol. I-III. Transl. by Isaline Blew Horner (1954–1959). London: Luzac (Pali Text Society)), Maurice Walshe (= Wa) (The long discourses of the Buddha. A translation of the Dīgha Nikāya. Transl. by Maurice Walshe (1996). Kandy: Buddhist Publication Society (The Teachings of the Buddha)), Wilhelm Geiger (= Gg), Nyānaponika (= Np) & Hellmuth Hecker (= He) (Die Reden des Buddha. Gruppierte Sammlung. Saṃyutta-Nikāya. Übers. von Wilhelm Geiger, Nyānaponika Mahāthera und Hellmuth Hecker (1997). Herrnschrot: Beyerlein-Steinschulte), Nyānatiloka (= Nt) (Die Lehrreden des Buddha aus der Angereihten Sammlung. Band I-V. Übers. von Nyānatiloka; hg. von Nyānaponika (1969). 3. Aufl. Schauberg: DuMont) und Karl Seidenstücker (= Se) (Itivuttaka. Das Buch der Herrnwort. Eine kanonische Schrift des Pāli-Buddhismus. Übers. von Karl Seidenstücker (1922). Leipzig: Altmann; Udāna. Das Buch der feierlichen Worte des Erhabenen. Eine kanonische Schrift des Pāli-Buddhismus. Übers. von Karl Seidenstücker (1920). Augsburg: Lampart) konsultiert; ergänzend wurden die Übersetzungen

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der Texte der vier anderen nikāya’s verschiedene zeitliche Schichten gibt. In der Forschung hat sich jedoch noch keine Datierungsmethode durchgesetzt, so dass spätere Hinzufügungen nicht ausgegrenzt werden können. 788 Abschließend muss bemerkt werden, dass gelegentliche Zuschreibungen von Zitaten zum Buddha aus stilistischen Gründen gemacht werden; tatsächlich lässt sich nur feststellen, dass der von den verschiedenen Rezitatoren (bhāṇakas) überlieferte PāliKanon dem Buddha bestimmte Worte in den Mund legt.

6.2. Uhdes Religionsbegriff im frühen Pāli-Kanon? Der Buddhismus stellt für diese Untersuchung eine besondere Herausforderung dar, da in ihm die Verehrung eines Gottes bzw. mehrerer Götter keine zentrale Rolle spielt. So scheitern moderne Religionsdefinitionen oft daran, dass sie den Buddhismus nicht in ihre Definition einschließen können; oder sie stellen eine so allgemeine Definition auf, dass kein Unterschied mehr zu politischen Ideologien gemacht werden kann. 789 In den monotheistischen Religionen wird die Existenz eines einzigen Gottes vorausgesetzt; in den untersuchten vedischen Schriften besteht der Gedanke eines einheitlichen Ganzen, das alles – Götter, Menschen, Natur – zu einer Welt verbindet und als Kausalität in allem wirkt. Doch lässt sich im Buddhismus ein Wissen um die Voraussetzung einer verborgenen Einheit finden, die in ihrer Herrschaft als Prinzip von Allem beachtet wird?

von Karl Eugen Neumann (Die Reden Gotamo Buddhos. Aus der mittleren Sammlung Majjhimanikāyo des Pāli-Kanons. Übers. von Karl Eugen Neumann (1956). 4. Aufl. Zürich: Artemis-Verlag (Karl Eugen Neumanns Übertragungen aus dem Pāli-Kanon, 1); Die Reden Gotamo Buddhos. Aus der längeren Sammlung Dīghanikāyo des Pāli-Kanons. Übers. von Karl Eugen Neumann (1957). 3. Aufl. Zürich: Artemis-Verlag (Karl Eugen Neumanns Übertragungen aus dem Pāli-Kanon, 2) sowie von Rudolf Otto Franke (Dīghanikāya. Das Buch der langen Texte des buddhistischen Kanons. In Auswahl übersetzt von Rudolf Otto Franke (1913). Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht (Quellen der Religionsgeschichte, 4)) hinzugezogen, die wertvolle Kommentare zu den Textstellen liefern. 788 Vgl. Witzel, Michael (2009): Moving targets? Texts, language, archaeology and history in the late vedic and early buddhist periods. In: Indo-Iranian Journal 52, S. 287–310, hier: S. 294. Vgl. Hinüber, Oskar von (1996): A handbook of Pāli literature, S. 25. 789 Siehe II.1.2.2.1. Die Voraussetzung einer verborgenen »Einheit«

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Anwendung von Uhdes Religionsbegriff auf die altindische Geistesgeschichte

Der große Religionswissenschaftler F. Max Müller bemerkt in einem Vortrag vor der deutschen Philologen-Versammlung im Jahre 1869: »Es gab ja für den Buddhismus kein Göttliches, kein Ewiges, kein Absolutes, und auch die Seele, sei es als Ich, oder als blosses Selbst – als Atman, wie es die Brahmanen nannten – wurde in der orthodoxen Metaphysik des Buddhismus als vergänglich, als nichtig, als ein blosses Trugbild dargestellt.« 790

Auf der anderen Seite begreift er das Nirvāṇa als »summum bonum des Buddhismus« 791 und als »unsterbliche(n) Ort« 792. Schließlich setzt er das Nirvāṇa in die Nähe der christlichen Mystik, »wo vom Abgrund des Nichts in ganz Buddhistischer Weise gesprochen wird.« 793 Allerdings stellt das Nirvāṇa keinen Urgrund des Seins dar, wie ihn die christlichen Mystiker voraussetzen. Vielmehr ist es im Kontext der vedischen Kultur zu verstehen, in der der Buddha lebte. Das Nirvāṇa ist die notwendige Voraussetzung für das Entkommen aus einem scheinbar endlosen Kreislauf der Wiedergeburten; deshalb wird es im Kanon am häufigsten als »ending of suffering (dukkha)« 794 umschrieben. Das Nirvāṇa steht nicht für sich allein, sondern ist ein integraler Bestandteil des frühbuddhistischen Weltbilds, das sich am deutlichsten in einem zentralen buddhistischen Lehrsatz, den vier »Edlen Wahrheiten« ausdrückt. Rupert Gethin bemerkt dazu: »In a Nikāya passage the Buddha thus states that he has always made known just two things, namely suffering and the cessation of suffering. This statement can be regarded as expressing the basic orientation of Buddhism for all times and all places. Its classic formulation is by way of ›four noble truths‹.« 795

790 Müller, Max (1869): Ueber den Buddhistischen Nihilismus. Vortrag, gehalten in der allgemeinen Sitzung der deutschen Philologen-Versammlung in Kiel. Kiel: C. F. Mohr, S. 14. 791 Müller, Max (1869): Ueber den Buddhistischen Nihilismus, S. 14. 792 Müller, Max (1869): Ueber den Buddhistischen Nihilismus, S. 16. 793 Müller, Max (1869): Ueber den Buddhistischen Nihilismus, S. 18. 794 Vgl. Collins, Steven (2010): Nirvāṇa. Concept, imagery, narrative. Cambridge: Cambridge Univ. Press, S. 45 795 Gethin, Rupert (1998): The Foundations of Buddhism. Oxford: Oxford University Press, S. 59.

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Untrennbar verbunden mit dem Nirvāṇa, dem Ende des Leidens, ist mithin das Leiden einschließlich seiner Entstehung. Die vier »Edlen Wahrheiten« bestehen aus der Wahrheit (1) vom Leiden (dukkham), (2) von der Entstehung des Leidens (dukkhasamudayo), (3) vom Hemmen 796 des Leidens (dukkhanirodho) und (4) vom zum Hemmen des Leidens führenden Achtfachen Pfade (dukkhanirodhagāminī patipadā). Paul Williams betont dabei, dass das Wort für Wahrheit, satya, semantisch nicht als »truth« sondern eher als »real« oder »actual thing« verstanden werden sollte: 797 »That is, we are not dealing here with propositional truths with which we must either agree or disagree, but with four ›true things‹ oder ›realities‹ whose nature, we are told, the Buddha finally understood on the night of his awakening.« 798

Nyānatiloka fasst die vier Wahrheiten folgendermaßen zusammen: »(1) Die erste Wahrheit, kurz gesagt, lehrt, daß alles Dasein elend, unbefriedigend und dem Leiden unterworfen ist. (2) Die zweite Wahrheit lehrt, daß das Leiden durch das alles Leiden und alle Wiedergeburt erzeugende Begehren bedingt ist. (3) Die dritte Wahrheit lehrt, daß durch Erlöschung des Begehrens es notwendigerweise zur Erlöschung der Wiedergeburt und des Leidens kommen muß. (4) Die vierte Wahrheit vom Achtfachen Pfade gibt die Mittel an zur Erreichung dieser Leidenserlöschung.« 799

Mit der zweiten Wahrheit von der Entstehung des Leidens eng verbunden ist die Formel vom bedingten Entstehen (paṭiccasamuppāda), die ein zentrales Element in der Lehre des Buddha darstellt. 800 Her796 Nirodha wird im Deutschen häufig mit »Erlöschen« übersetzt; nach dem PED bedeutet es: »oppression, suppression; destruction, cessation, annihilation (of senses, consciousness, feeling & being in general: sankhārā)«. Das PW übersetzt unter anderem: »Hemmung, Zurückhaltung, Verhaltung, Unterdrückung, Bezwingung, Beherrschung«. Es wurde die Übersetzung »Hemmen« gewählt, um zu betonen, dass der Prozess, der »nirodhisiert« wird, nicht einfach verschwindet, sondern in seiner Dynamik gehemmt wird und erst mit dem Tod des Einzelnen völlig erlischt. 797 Vgl. Williams, Paul (2000): Buddhist thought. A complete introduction to the Indian tradition. With Antony Tribe. London: Routledge, S. 60. 798 Williams, Paul (2000): Buddhist thought, S. 60. 799 Nyānatiloka (1953): Buddhistisches Wörterbuch. Kurzgefaßtes Handbuch der buddhistischen Lehren und Begriffe in alphabetischer Anordnung. Konstanz: Christiani (Buddhistische Handbibliothek), online verfügbar unter: http://www.palikanon. de/wtb/sacca.html, zuletzt geprüft am 16. 10. 2019. 800 Oldenberg, Herrmann (1923): Buddha. Sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde. 10. bis 12. Auflage. Stuttgart: Cotta, S. 252–253.

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mann Oldenberg bemerkt, dass nach buddhistischer Vorstellung das bedingte Entstehen, die »Kausalitätsformel«, alles Existierende beherrscht: »Die Welt ist der Weltprozeß, und der Ausdruck dieses Weltprozesses (…) ist die Kausalitätsformel. Die Überzeugung von der in dieser Formel ausgesprochenen absoluten Gesetzmäßigkeit, die den Weltprozeß beherrscht, verdient als eines der wesentlichsten Elemente des buddhistischen Gedankenkreises hervorgehoben zu werden.« 801

Die vier Wahrheiten samt des in ihnen enthaltenen bedingten Entstehens (paṭiccasamuppāda) und des Nirvāṇa bilden die Pfeiler der buddhistischen Lehre (dhamma) im frühen Kanon. Dies zeigt die praktische Ausrichtung der ursprünglichen Lehre. Paul Williams bemerkt dazu: »The teaching of the Buddha is through and through goal-oriented (teleological). It is entirely dependent upon its goal of freedom from suffering and ultimate frustration.« 802

Im frühen Kanon findet sich mithin weder eine ausformulierte Kosmologie noch ein kohärentes Weltbild. Eine ausgereifte Systematik ist erst im späteren Abhidhamma-piṭaka zu finden, der hier nicht untersucht werden soll. Für den Sutta-piṭaka ist festzustellen, dass der Buddha den Menschen einen Weg zum Ende des bedingt entstandenen Leidens, dem Nirvāṇa, weisen möchte. Im Folgenden soll nach einem Überblick über das Weltbild des frühen Pāli-Kanons auf das bedingte Entstehen eingegangen werden und untersucht werden, ob es aus einem einheitlichen Ursprung kommt oder ein einheitliches Ganzes impliziert. Abschließend wird der Blick auf das Nirvāṇa gerichtet.

6.3. Das Weltbild des frühen Pāli-Kanons In seinen Predigten greift der Buddha auf Vorstellungen des Weltbilds seiner Kultur zurück, die vedisch oder zumindest stark vedisch beeinflusst ist. 803 Er lehnt zwar die vedischen Vorstellungen, wie zum Beispiel die Existenz bestimmter Götter, nicht grundsätzlich ab, inter801 802 803

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Oldenberg, Herrmann (1923): Buddha, S. 252–253. Williams, Paul (2000): Buddhist Thought, S. 36. Siehe Bronkhorst, Johannes (2007): Greater Magadha.

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pretiert aber das gegebene Weltbild vollständig neu. Während in den vedischen Texten immer zeitlose, unsterbliche Entitäten vorkommen, ist dem Buddha zufolge ausnahmslos alles Dasein durch drei Faktoren gekennzeichnet: (1) Leiden (dukkha), (2) Vergänglichkeit (anicca) und (3) Nicht-ātman (anattā). Zum Ersten ist alles Dasein dem Leiden unterworfen. Gemäß der ersten »Edlen Wahrheit« begründet sich das Leiden aus der eigenen Vergänglichkeit, die durch Geburt, Alter, Krankheit und Tod gekennzeichnet ist. Zudem resultiert das Leiden aus dem Bezug auf andere Objekte, seien es Personen oder Gegenstände: so ist man mit Unliebem verbunden, vom Lieben getrennt und bekommt nicht das, was man will. Folglich ist das Dasein, das sich aus den fünf Gruppen (khandhā) des Anhaftens konstituiert – nämlich Körper (rūpa), Affektion (vedanā), Wahrnehmung (saññā), Absicht (saṅkhāra) und Erkennen (viññāna) – an sich Leiden. 804 Zweitens betrifft die mit dem Leiden eng verbundene Vergänglichkeit das gesamte Dasein. Selbst die Götter 805 einschließlich des Schöpfers Brahmā unterliegen dem Entstehen und Vergehen, mithin der Zeitlichkeit. So erklärt der Buddha die bestehenden Welten als eine einzelne Episode eines sich unendlich wiederholenden Prozesses des Zusammenziehens und Wiederausdehnens, für den es keinen Anfang gibt. 806 Er weist deshalb die Lehren von einem ersten zeitlosen Ursprung, von einer nachtodlichen Anwesenheit einer »Seele« in einem zeitlosen Ort und Kombinationen beider zurück. 807 So bemerkt er in DN no. 1 nach der Aufzählung von 62 falschen Lehren, dass die Nicht-Wissenden im Netz ihrer eigenen Vorstellungen gefangen seien: DN I 45,22–28 »Whatever ascetics and Brahmins who are speculators about the past or the future or both, having fixed views on the matter and put forth speculative views about this, these are all trapped in the net with its sixty-two divisions, and wherever they emerge and try to get out, they are caught and held in this net.« (Wa) 808 Vgl. Vin I 10,26–30. Zur buddhistischen Sicht der Götter siehe Norman, Kenneth R. (1991): The Buddha’s view of devas. In: Kenneth R. Norman (ed.): Collected papers. Vol. II. Oxford: The Pali Text Society, S. 1–8. 806 Vgl. DN no. 27. 807 Vgl. z. B. das sehr ausführliche DN no. 1. 808 ye hi keci bhikkhave samaṇā vā brāhmaṇā vā pubbanta-kappikā vā aparantakappikā vā pubbantāparantakappikā vā pubbantāparantānudiṭṭhino pubbantāpa804 805

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Drittens führt die Feststellung, dass alles Dasein der Vergänglichkeit unterliegt und damit leidvoll ist, den Buddha zu dem Schluss, dass ein ātman oder etwas zum ātman Gehöriges (attaniya = ātmīya: »dies ist mir«, »dies bin ich«) nicht nachgewiesen werden kann. 809 Es wird daraus deutlich, dass der Buddha nur auf die Welt schaut, wie sie sich den Sinnen – einschließlich des »Denksinns« (manas) – präsentiert. Hans Wolfgang Schumann bemerkt dazu, dass der frühe Buddhismus zwischen objektiver und subjektiver Realität der Welt unterscheide: »Die Welt ist objektiv existent, insofern sie dem Menschen die Grundlage für sein physisches Dasein bietet (…). Zur geistigen, subjektiven Wirklichkeit wird sie für ihn jedoch erst dann, wenn er sie mit den Sinnesorganen aufgefaßt und wahrgenommen hat.« 810

In dieser sinnlich wahrgenommenen Welt, die als zeitlich und leidvoll erfahren wird, soll das Heil gefunden werden. Annahmen über zeitlose Prinzipien, die in ihrer Voraussetzung gewusst werden, lehnt der Buddha ab. Denn solche Ansichten führen den Menschen in Verstrickung und nicht zum Heil. 811 Die drei Daseinsfaktoren Leiden (dukkha), Vergänglichkeit (anicca) und Nicht-ātman (anattā) bilden somit die Eckpfeiler des sich noch im Entstehen befindlichen Weltbilds des frühen Pāli-Kanons. Sie zeigen deutlich, dass der Buddha einzig und allein das Dasein in den Blickpunkt rückt, wie es mit den Sinnen einschließlich des Denkens erfahren wird. Diese Perspektive der sinnlich-geistigen Anschauung der Welt bringt den Buddha auf den Gedanken der bedingten Abhängigkeit verschiedener Dinge voneinander. Darauf soll nun eingegangen werden.

rantaṃ ārabbha aneka-vihitāni adhivutti-padāni abhivadanti sabbe te imeh’ eva dvā-saṭṭhiyā vatthūhi anto-jāli-katā ettha sitā va ummujjamānā ummujjanti ettha pariyāpannā anto-jāli-katā va ummujjamānā ummujjanti. 809 Vgl. MN I 138,4. 810 Vgl. Schumann, Hans Wolfgang (1994): Buddhismus. Stifter, Schulen und Systeme. 2. Aufl. München: Diederichs, S. 73–74. 811 Vgl. z. B. MN no. 63, wo der Buddha, nachdem ihn ein Anhänger bittet, auf eine Reihe gegensätzlicher Thesen über Welt, Leib (sarīra), Seele (jīva) und Vollendeten (tathāgata) zu antworten, das Gleichnis vom vergifteten Pfeil anführt: Gleich einem Arzt, der die durch einen vergifteten Pfeil beigebrachte Wunde sofort versorgen muss anstatt mehr über die Hintergründe des Pfeilschusses zu erfahren, möchte auch der Buddha den Menschen zum Heil führen und sich nicht mit der Erörterung von Thesen befassen, die ihn von diesem Ziel ablenken.

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6.4. Das bedingte Entstehen (paṭiccasamuppāda) Die zweite »Edle Wahrheit« des Buddha hat das Entstehen des Leidens zum Inhalt, das durch den »Durst« (taṇhā), mithin das »Strebevermögen« bedingt werde. 812 Die in unterschiedlichen Versionen vorkommende Formel vom »bedingten Entstehen« (paṭiccasamuppāda) 813 kann als eine Elaboration der zweiten »Edlen Wahrheit« verstanden werden, die Erweiterungen enthält. 814 Diese Erweiterungen betten die zweite »Edle Wahrheit« in einen Rahmen ein, der – so Joanna Jurewicz – »several striking similarities« 815 zu den vedischen Schöpfungsmythen enthüllt. Die Formel vom »bedingten Entstehen« wie Jurewicz als reine Polemik gegenüber der vedischen Kosmologie zu verstehen, 816 scheint dabei etwas zu weit gegriffen, da die Formel wichtige Elemente der buddhistischen Lehre vermittelt. Jedoch kann sie als eine Gegenposition zu den vedischen Schöpfungsmythen verstanden werden. Die Formel vom »bedingten Entstehen« hat unterschiedlichste Deutungen innerhalb des Buddhismus und in der Wissenschaft erfahren. 817 Eine besondere Schwierigkeit besteht darin, dass im frühen Pāli-Kanon die Formel – trotz ihrer häufigen Verwendung – zwar Vgl.Vin I 10,30–33. Der Terminus paṭiccasamuppāda ist ein Kompositum, das aus zwei Gliedern besteht: paṭicca und samuppāda. Die Bezeichnung paṭicca ist grammatikalisch ein Verbalsubstantiv, das aus dem direktionalen Präfix paṭi und vi »gehen, kommen« zusammengesetzt ist. Das daraus entstehende Verb pacceti bedeutet gemäß dem PED wörtlich »to come on to, come back to«. Es lässt sich erkennen, dass das Verb die Bewegung in beide Richtungen implizieren kann: hin- und zurück. Das dazugehörige Verbalsubstantiv paṭicca lässt sich mit »bedingt« wiedergeben. Das Nomen samuppāda bedeutet wörtlich unter Berücksichtigung der zugrundeliegenden Wurzel pffi pad »Hervorgehen« und kann auch als »Entstehen« übersetzt werden. 814 Vgl. Gethin, Rupert (1998): The Foundations of Buddhism, S. 74. 815 Vgl. Jurewicz, Joanna (2000): Playing with fire. The pratītyasamutpāda from the perspective of vedic thought. In: Journal of the Pali Text Society 26, S. 77–103, hier: S. 77. 816 Vgl. Jurewicz, Joanna (2000): Playing with fire, S. 77. 817 Siehe hierzu z. B. Schmithausen, Lambert (2000): Zur zwölfgliedrigen Formel des Entstehens in Abhängigkeit. In: Hōrin. Vergleichende Studien zur japanischen Kultur; eine Veröffentlichung des Hauses der Japanischen Kultur (EKŌ) in Düsseldorf (7), S. 41–76; La Vallée Poussin, Louis de (1913): Théorie des douze causes. Bouddhisme, études et matériaux. Gand: Van Goethem (Recueil de travaux / Rijksuniversiteit, 40); Williams, David (1974): Translation and interpretation of the twelve terms. In: Numen 21, S. 35–63; Yoshida, Osamu (1994): Uniqueness of dependent origination (Paticcasamupâda). In: Journal of Indian and Buddhist Studies 23 (43), S. 23–26; Stcher812 813

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wiedergegeben, aber nicht erklärt wird. Darum besteht ein großer Interpretationsspielraum. Es soll in dieser Arbeit – um das Selbstverständnis des frühen Pāli-Kanons besser zu erfassen – ein enger Bezug zur Quelle bewahrt werden, ohne die späteren Interpretationen, wie jene in Buddhaghosas Visuddhimagga (5. Jhd. n. Chr.) zu berücksichtigen. 818 Im Anschluss soll zunächst untersucht werden, wie der Beginn von allem im frühen Pāli-Kanon gedacht wird. Anschließend wird auf die Frage eingegangen, ob das bedingte Entstehen ein einheitliches Ganzes impliziert. 6.4.1. Drei Versionen des bedingten Entstehens Im Pāli-Kanon existieren verschiedene Versionen der Formel vom »bedingten Entstehen« (paṭiccasamuppāda); zudem wird die Formel gelegentlich verkürzt dargelegt. Auch die bereits angeführte zweite »Edle Wahrheit« von der Entstehung des Leidens ist – wie bereits erwähnt – als eine solche Kurzfassung zu verstehen. 819 Die drei häufigsten Langfassungen werden in der folgenden Grafik dargestellt: Version 2

Version 3

1.

Nicht-Wissen ( = bedingt)

---

---

2.

saṅkhāra’s

---

---

3.

Erkennen/ Bewusstsein

Erkennen/ Bewusstsein

---

4.

nāmarūpa (Name & Form )

nāmarūpa (Name & Form)

Einzelne Sinnestätigkeiten + Sinnesobjekte

5.

sechs Sinnesbereiche

(sechs Sinnesbereiche )

Jeweiliges Sinneserkennen

6.

Berührung

Berührung

Jeweilige Sinnesberührung

7.

Gefühl

Gefühl

Gefühl



Version 1 →









→ →





















batsky, Fjodor I. (1923): The central conception of Buddhism and the meaning of the word ›dharma‹. London: Royal Asiatic Society. 818 Siehe dazu das 17. Kapitel von Buddhaghosa (2002): Der Weg zur Reinheit. Die größte und älteste systematische Darstellung des Buddhismus. Aus dem Pali übers. von Nyānatiloka Mahathera. 8. Aufl. Uttenbühl: Jhana. 819 Vgl. Gethin, Rupert (1998): The foundations of buddhism, S. 74.

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8.

Durst

Durst

Durst

9.

Aneignen

Aneignen

(Aneignen )



Version 3



Version 2



Version 1







(Geburt )

12. Altern, Sterben, Sorge, Kummer, Leiden, Betrübnis und Verzweiflung

Altern, Sterben, Sorge, Kummer, Leiden, Betrübnis und Verzweiflung

Altern, Sterben, Sorge, Kummer, Leiden, Betrübnis und Verzweiflung

→ →

(Werden )

Geburt

→ →

Werden

→ →

10. Werden 11. Geburt

Tab. 10: Drei Versionen des bedingten Entstehens (paṭiccasamuppāda). 820

Alle drei Versionen besitzen im frühen Pāli-Kanon eine große Bedeutung; ihr Vorkommen in den nikāya’s ist dabei sehr unterschiedlich verteilt. Obwohl sich wirkungsgeschichtlich die Version 1 durchsetzte, sollen deshalb alle drei Versionen in den Blick genommen werden. Wie die Tabelle zeigt, unterscheiden sich die Versionen durch ihren Beginn, der im Folgenden gegenüber gestellt wird. Ab dem sechsten Glied der Berührung stimmen die Versionen meist überein. Zunächst zum Beginn der Version 2, die in Form von DN no. 15 als »locus classicus« 821 für die Darstellung des bedingten Entstehens bekannt ist. 822 Ausgangspunkt der Erläuterung des bedingten Entste→

Erklärung der Zeichen: = bedingt; ( ) = Varianten, in denen dieser Punkt nicht vorkommt. Die Tabelle beruht auf der Sichtung des Pāli-Kanons durch den Autor dieser Untersuchung und hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es soll dadurch nur ein Eindruck von der Vielfalt des paṭiccasamuppāda und seinen wesentlichen Formen gegeben werden. Vgl. auch Schlieter, Jens (1997): Buddhismus zur Einführung. Hamburg: Junius, S. 52–53, der neben diesen drei Hauptversionen weitere Varianten tabellarisch darstellt. 821 Gombrich, Richard (2009): What the Buddha thought. London: Equinox Publ. (Oxford Centre for Buddhist Studies monographs), S. 132. 822 Genauer gesagt, ist DN no. 15 eine Variante der Version 2; Schmithausen begreift sie als älteste Fassung der Formel vom bedingten Entstehen. (Vgl. Schmithausen, Lambert (2000): Zur zwölfgliedrigen Formel des Entstehens in Abhängigkeit, S. 48). Da der Beginn jedoch nicht variiert, kann der Text beispielhaft verwendet werden. Dagegen wird in dieser Variante der Faktor »sechs Sinnesbereiche« – der normalerweise immer zu finden ist – weggelassen: nāmarūpa bedingt direkt die Berührung. Zudem bildet der Durst den Ausgangspunkt für eine parallele Bedingungskette, die in der Tradition nicht weiter beachtet wurde. Schließlich beginnt der Buddha die Formulierung des »bedingten Entstehens« beim letzten Glied, indem er fragt, was dieses Glied bedinge und als Antwort das davor liegende Glied nennt. Beim Ausgangspunkt angelangt, wiederholt er die Bedingungskette in der gewöhnlichen Reihenfolge. Es 820

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hens ist die Bemerkung des engsten Vertrauten des Buddha, Ānanda, dass er das bedingte Entstehen verstehe. Der Buddha antwortet, dass er das nicht so leichtfertig sagen solle, denn durch das Nicht-Verstehen (an-anubodha) und Nicht-Durchdringen (a-paṭivedha) dieses Gesetzes (dhamma) leben die Lebewesen (pajā) im Leiden. 823 Anschließend lehrt er rückläufig 824 – vom letzten Glied an – und in der gewöhnlichen Reihenfolge – vom ersten Glied an – das bedingte Entstehen. Unabhängig davon geht die Bedingungskette immer in eine Richtung: den Endpunkt des bedingten Entstehens bildet immer das letzte Glied, also »Altern, Sterben, Sorge, Kummer, Leiden, Betrübnis und Verzweiflung«. Die einzige Ausnahme von dieser Linearität stellt bei Version 2 – wie in der Tabelle dargestellt – die Beziehung zwischen Erkennen/ Bewusstsein (viññāna) 825 und Name & Form (nāmarūpa) dar: Erkennen bedingt Name & Form und umgekehrt. Im weiteren Verlauf des Textes erklärt der Buddha, warum die Beziehung zwischen Erkennen und Name & Form wechselseitig ist. Er führt die Entstehung und Reifung eines Menschen zur Veranschaulichung an. Das Erkennen, so der Buddha, sei die notwendige Voraussetzung dafür, dass sich im Mutterleib etwas entwickele, das pffieinen Namen und eine Form trage. Würde das Erkennen zerstört (ud chid), könne auch Name & Form nicht mehr wachsen. 826 Gleichzeitig bedinge Name & Form das Erkennen. Name & Form bezeichnet der Buddha in diesem Zusammenhang als Grundlage (patiṭṭhā) des Erkennens. 827 So kann das Erkennen nicht unabhängig von Name & Form, mithin von einer Wesenheit arbeiten, sondern bedarf dieser als »Ort«, um tätig zu werden. In SN no. 12.67, auch ein Beispiel für die Version 2, werden Erkennen/ Bewusstsein und Name & Form damuss betont werden, dass die Bedingungsverhältnisse trotz der anfänglichen Umkehrung gleich bleiben. 823 Vgl. DN II 55,17 – 56,30. 824 Vgl. DN II 55,5–16. 825 »Erkennen« ist die wörtliche Übersetzung. Die Übersetzung im übertragenen Sinne als »Bewusstsein« ist mit Vorsicht zu genießen, da leicht moderne Konzeptionen von Bewusstsein in den Begriff viññāna einfließen könnten. Darum wird der Begriff wörtlich als »Erkennen« wiedergegeben und nur an einigen Stellen zur Erinnerung die übertragene Bedeutung »Bewusstsein« zusätzlich angeführt. 826 Vgl. DN II 62,38–63,17. 827 Vgl. DN II 63,18–64,2. Im vedischen Kontext bezeichnet pratiṣṭhā (= patiṭṭhā) eine bewirkende Macht (siehe III.4.3.2). Es wäre lohnend, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der vedischen und buddhistischen Bedeutung des Begriffs zu untersuchen.

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rum als Rohrbündel begriffen, die aneinander gelehnt stehen: zöge man eines von beiden weg, fiele das andere um. 828 Somit erklärt der Buddha das Entstehen eines Wesens – und damit letztlich das Entstehen des Leidens bei diesem Wesen 829 – aus dem Zusammenspiel eines aktiven erkennenden Teils und eines passiven materiellen Teils im Mutterleib. Die wechselseitige Abhängigkeit der beiden Ausgangspunkte der Bedingungskette macht die Vorstellung eines Ersten Ursprungs oder einer wesenhaften Einheit, aus der die erscheinende Welt entstanden ist, überflüssig. Am Beginn der Version 3 wird Name & Form weggelassen; stattdessen bedingen die Sinnestätigkeiten wie Sehen, Hören etc. und die Sinnesobjekte wie die sichtbaren Formen, die Töne etc. gemeinsam das Erkennen, ohne dass eine Wechselseitigkeit besteht: SN II 73,8–23 »Der Erhabene sprach also: Welches, ihr Bhikkhus, ist der Welt Ursprung? – Infolge des Sehens, Hörens etc. und der (sichtbaren) Formen, Töne etc. entsteht das Erkennen des Sehens, Hörens etc; die Verbindung der drei ist die Berührung. Aus der Berührung als Ursache entsteht die Empfindung; aus der Empfindung als Ursache entsteht der Durst etc. (…). Dies, ihr Bhikkhus, ist der Welt Ursprung.« (Gg) 830

Hier wird mithin ein Dasein vorausgesetzt, dessen Herkunft nicht erklärt wird. Die Sinnestätigkeiten – zu denen im altindischen Kontext auch das Denken gehört – nehmen dieses Dasein wahr und setzen es in kognitive Kategorien wie dem Erkennen von Formen oder Tönen um. Da das Erkennen nicht an erster Stelle genannt wird, besteht nicht die Gefahr, es als eine Form von erkennendem ātman, mithin einer vorauszusetzenden Einheit zu verstehen. 831

Vgl. SN II 114,17–19. Hierbei muss daran erinnert werden, dass der Buddha von einer Vielzahl von Geburten ausgeht und es das Ziel ist, aus dem Kreislauf der Geburten auszubrechen. 830 katamo ca bhikkhave lokassa samudayo cakkhuṃ ca paṭicca rūpe ca uppajjati cakkhuviññāṇaṃ tiṇṇam saṅgatiphasso phassapaccayā vedanā vedanāpaccayā taṇhā taṇhapaccayā upādānaṃ upādānapaccayā bhavo bhavapaccayā jāti jātipaccayā jarāmaraṇaṃ sokaparidevadukkhadomanassupāyāsā sambhavanti ayaṃ lokassa samudayo sotañca paṭicca sadde ca pe ghānaṃ ca paṭicca gandhe ca pe jivhaṃ ca paṭicca rase ca pe kāyaṃ ca paṭicca poṭṭhabbe ca manaṃ ca paṭicca dhamme ca uppajjati manoviññāṇam tiṇṇam saṅgatiphasso phassapaccayā vedanā pe jātipaccayā jarāmaraṇaṃ sokaparidevadukkhadomanassupāyāsā sambhavanti ayaṃ kho bhikkhave lokassa samudayo. 831 MN no. 38 berichtet von einem Mönch, der eine solche Ansicht bildete: »In so far as I understand dhamma taught by the Lord it is that this consciousness itself runs on, 828 829

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Der Beginn der Version 1, die sich wirkungsgeschichtlich durchsetzen konnte, umgeht den möglichen Vorwurf, in der Kette der Abhängigkeiten werde zwar die ātman-Vorstellung explizit zurückgewiesen, jedoch von einem ersten Anfang ausgegangen, sei es die Wechselbeziehung »Erkennen/ Bewusstsein – Name & Form« (Version 2) oder das implizit vorausgesetzte Dasein (Version 3). So nehmen die Dependenzen der Version 1 stattdessen in einer Negation ihren Ausgangspunkt, nämlich dem Nicht-Wissen. 832 Dieser Beginn scheint zunächst eine Polemik gegen das vedische Wissen darzustellen. 833 Gleichzeitig wird durch die Negation ausgeschlossen, dass das erste Glied der Kette als wesenhafte Einheit bzw. Prinzip von Allem missinterpretiert wird. Die Setzung eines positiven Faktors am Beginn der Kette könnte diese Assoziation zulassen. Zudem impliziert das Nicht-Wissen, dass der gesamte, im bedingten Entstehen beschriebene Prozess nur dann stattfinden kann, wenn kein Wissen besteht. Es lässt sich daher erkennen, dass in der Formel vom »bedingten Entstehen« (paṭiccasamuppāda) bewusst keine wesenhafte Einheit an den Anfang von allem gesetzt wird. Die Entwicklung der Formel lässt zudem den Schluss zu, dass – um möglichen Missverständnissen vorzubeugen – der Beginn von allem schließlich in einer Negation, dem Nicht-Wissen, lokalisiert wurde. Es soll nun untersucht werden, ob – trotz der Abwesenheit eines einheitlichen Ursprungs von allem – die gesamte Existenz als ein einheitliches Ganzes betrachtet werden kann.

fares on not another« (MN I 256,12–14). Im Laufe der Erzählung widerlegt der Buddha diese Ansicht. 832 Vgl. z. B. SN II 1,10–12. 833 Joanna Jurewicz interpretiert den gesamten Lehrsatz vom bedingten Entstehen als eine Polemik des Buddha gegen das vedische Denken, indem der Lehrsatz die vedische Kosmologie imitiere und diese als »a chain of absurd, meaningless changes« bloßstelle. (Vgl. Jurewicz, Joanna (2000): Playing with fire, S. 101). Im ersten Glied des »Nicht-Wissens« sieht sie eine Imitation des »state of total inexpressibility« (ebd., S. 81), der am Beginn jeder Schöpfung im vedischen Denken stehe: »Using the Buddha’s term, one could call it pre-creative avidyā.« (ebd., S. 81). Eine solche Deutung ist abzulehnen, da der Lehrsatz inhaltlich mehr als nur Polemik ist. Polemisch ist nur der Beginn, in dem das vedische, religiöse Wissen, das ebenfalls am Beginn der Weltenentfaltung entsteht (siehe z. B. III.4.4.2) als Nicht-Wissen uminterpretiert wird, durch welches das Leiden nicht aufgehoben und der Kreislauf der Wiedergeburt nicht angehalten werden kann.

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6.4.2. Das bedingte Entstehen und das Existierende Die drei Langfassungen der Formel vom bedingten Entstehen haben zwar einen unterschiedlichen Anfang; dennoch eint sie der grundsätzliche Gedanke, dass der Einzelne durch das Erkennen/ Bewusstsein (viññāna) die erscheinende Welt wahrnimmt. 834 In Version 1 werden zwischen das Nicht-Wissen und das Erkennen die saṅkhāra’s gestellt, ein Glied, das in den anderen Versionen nicht genannt wird. Die Übersetzung des Begriffs saṅkhāra ist sehr umstritten, da keine Einigkeit über seine genaue Bedeutung besteht. 835 Schumann stellt in seiner Dissertation über den Begriff von saṅkhāra fest, dass er in Bezug auf die sinnlich wahrnehmbare Welt deren »Objekte« bezeichnet. 836 Die Objekte der erscheinenden Welt bedingen mithin das Erkennen dieser Welt. In den drei Versionen wird das Erkennen als eine reine Tätigkeit verstanden: Es konstituiert kein wesenhaftes Subjekt des Erkennens im Sinne eines ātmans wie noch in den Upaniṣaden. Deshalb werden in Version 1 – neben dem Nicht-Wissen – die saṅkhāra’s vorangestellt, um jegliche Vorstellung eines erkennenden Subjekts vor der Entstehung einer Vielheit auszuschließen. In Version 2, wo das Erkennen an erster Stelle steht, wird eine wechselseitige Abhängigkeit zu Name & Form (nāmarūpa) angenommen: So werden – wie bereits erwähnt – in SN no. 12.67 beide als Rohrbündel begriffen, die aneinander gelehnt stehen: zöge man eines von beiden weg, fiele das andere um. 837 In der Version 3 bedingen die Sinnesorgane und -objekte gemeinsam das Erkennen. 838 Indem das Erkennen nicht an erster Stelle steht, besteht keine Gefahr, es als eine Form von erkennendem ātman zu verstehen. MN no. 38 berichtet nämlich von einem Mönch, der eine solche Ansicht bildete; im Laufe der Erzählung widerlegt der Buddha diese Ansicht. 839 Das so beschaffene Erkennen, das Siehe Tab. 10 in III.6.4.1. Vgl. Hinüber, Oskar von (2004): Besprechung von Vetter, Tilmann: The ›khandha passages‹ in the Vinayapiṭaka and the four main Nikāyas. In: Orientalistische Literaturzeitung 99, Sp. 93–100, hier: S. 95. 836 Vgl. Schumann, Hans Wolfgang (1982): Saṃkhāra im frühen Buddhismus. 2. Aufl. Ochsenfurt: Triltsch Druck und Verlag, S. 93–94. Neben dieser Bedeutung hat es nach Schumann noch zwei weitere Bedeutungen, nämlich »Absicht« und »Synonym für khandha (Persönlichkeitsbestandteil)« (ebd.). 837 Vgl. SN II 73,8–23. 838 Vgl. SN II 73,8–23. 839 Vgl. MN I 256,12–14. 834 835

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jedem erkennenden Wesen zugeschrieben werden kann, 840 nimmt nun die durch »Name & Form« differenzierten Objekte mit den sechs Sinnesvermögen wahr, wozu neben dem Seh-, Hör-, Riech-, Schmeck- und Tastvermögen explizit auch das Denkvermögen zählt. 841 Dieses sinnliche In-Beziehung-Treten des erkennenden Wesens mit der Welt führt zu einer Berührung mit einem spezifischen Sinnesobjekt. Die Berührung löst wiederum ein Gefühl aus. Dieses Gefühl beinhaltet eine affektive Haltung in Form eines »Wohl oder Wehe« gegenüber dem Objekt. Daraus entwickelt sich ein »Durst«, das heißt ein Begehren, das sich auf das Objekt richtet. Mit anderen Worten: Eine affektive Haltung zu einem Objekt aktiviert den Willen zu einer bestimmten Handlung gegenüber diesem Objekt. Die schließlich auf den Durst folgende Bedingung upādāna »Aneignen« lässt das erkennende Wesen die gewollte Handlung aneignen und sie ausführen. Es zeigt sich, dass von der Berührung bis zum Ergreifen das intentionale In-Beziehung-Treten zu einem sinnlichen Objekt thematisiert wird. Die letzten drei Glieder zeigen in allen drei Versionen die Konsequenzen an, die sich aus diesem Prozess ergeben. So bedingt das Ergreifen das »Werden« (bhava). Im PED wird »Werden« als »rebirth« oder »existence« beschrieben. 842 Das Ergreifen bedingt mithin den Fortgang der (leidvollen) Existenz – sei es in diesem Leben oder im nächsten Leben. Damit ist zudem Zeitlichkeit impliziert. Zeitlichkeit ist auch mit den letzten beiden Gliedern verbunden. Das Werden bedingt nämlich die (Wieder-)Geburt, den Beginn eines Daseins. Diese bedingt wiederum Alter, Tod, Schmerz und Verzweiflung, mithin Leiden. Das intentionale In-Beziehung-Treten hat somit bestimmte Auswirkungen zur Folge, die allesamt leidvoll sind und einen Verbleib im zeitlichen Dasein bedeuten. Dieser Verbleib im zeitlichen Dasein dauert nach buddhistischer Vorstellung nicht ewig und kann aus eigener Kraft aufgehoben werden. Mit dieser Möglichkeit eng verbunden ist der Begriff dhamma, Man denke nur an die Textgattung der zum Pāli-Kanon gehörenden Jātakas, in denen dem Buddha frühere Geburten in Form von erkennenden und handelnden Tieren zugeschrieben werden. 841 Vgl. Lamotte, Étienne (1988): History of indian buddhism. From the origins to the Śaka era. Translated from the French by Sara Webb-Boin under the supervision of Jean Dantinne. Louvain-La-Neuve: Institut Orientaliste (Publications de l’Institut Orientaliste de Louvain, 36), S. 29–31. 842 Vgl. PED: bhava. 840

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einer der am schwersten zu fassenden Begriffe des Buddhismus, der in diesem Kontext am besten als »handlungsanleitende Lehre« übersetzt werden kann. 843 Voraussetzung für das Entkommen aus dem zeitlichen Dasein ist, dass der Mensch den dhamma des Buddha einsieht und nach ihm handelt. So wird der dhamma als Floß verstanden, das den Heilsuchenden zum anderen Ufer bringt. Am anderen Ufer muss der dhamma losgelassen werden: MN I 135,23–26 »Even so, monks, is the Parable of the Raft dhamma taught by me for crossing over, not for retaining. You, monks, by understanding the Parable of the Raft, should get rid even of (right) mental objects (dhammā), all the more of wrong ones (adhammā).« (Ho) 844

Die Kenntnis des dhamma und das Handeln gemäß dem dhamma stellt mithin die Bedingung der Möglichkeit dar, die Wirksamkeit des bedingten Entstehens zu hemmen. Zur Illustration dieser Möglichkeit wird im Anschluss an die Darstellung des bedingten Entstehens meist sein »Hemmen« (nirodha) 845 beschrieben, das gleichbedeutend mit dem nibbāna ist, auf das im folgenden Kapitel noch näher eingegangen wird. 846 So heißt es beispielsweise am Beginn des Mahāvagga, nachdem der obige Entstehungsprozess angeführt wurde:

843 Einen grundlegenden Überblick geben Geiger, Wilhelm & Magdalene Geiger (1920): Pāli dhamma. Vornehmlich in der kanonischen Literatur. München: Verlag der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften/ Philosophisch-philologische und historische Klasse, 31); siehe zudem Gethin, Rupert (2004): He who sees dhamma sees dhammas. Dhamma in early Buddhism. In: Journal of Indian Philosophy 32, S. 513–542. 844 evam-eva kho bhikkhave kullūpamo mayā dhammo desito nittharaṇatthāya no gahaṇatthāya kullūpamaṃ vo bhikkhave ājānantehi dhammā pi vo pahātabbā, pageva adhammā. pffi 845 Der Begriff nirodha stammt von ni rudh »zurück-, fest-, auf-, anhalten, in seiner Bewegung hemmen« u. a. (vgl. PW: rudh). Das daraus gebildete Verbalsubstantiv übersetzt Neumann als »Auflösung«, Seidenstücker als »Aufhebung« und Horner als »stopping«. (Vgl. z. B. die Übersetzung zu MN I 263,8–16 bei Neumann (1956) und bei Horner (1954)). Nirodha stellt im Lehrsatz des bedingten Entstehens das Gegenteil zu paccaya »Bedingung« dar. Im bedingten Entstehen ist mit der Bedingung (paccaya) immer auch Bewegung impliziert – so entsteht aus dem Nichtwissen der gesamte, zum Leiden führende Prozess. Da nirodha in seiner Grundbedeutung die Hemmung einer Bewegung darstellt, erscheint Horners Übersetzungsversuch sehr sinnvoll. Die hier gewählte Übersetzung »Hemmen« ist mithin – wie auch Horners englische Übersetzung – sehr nahe an der ursprünglichen Wortbedeutung dran. 846 Siehe III.6.5.

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Vin I 1,13–2,1 »Aber das restlose, leidenschaftslose Hemmen des NichtWissens (führt zum) Hemmen der saṅkhāra’s, das Hemmen der saṅkhāra’s zum Hemmen des Erkennens, das Hemmen des Erkennens zum Hemmen des nāmarūpa, das Hemmen des nāmarūpa zum Hemmen der sechs Sinnesbereiche, das Hemmen der sechs Sinnesbereiche zum Hemmen der Berührung, das Hemmen der Berührung zum Hemmen des Empfindens, das Hemmen des Empfindens zum Hemmen des Durstes, das Hemmen des Durstes zum Hemmen des Aneignens, das Hemmen des Aneignens zum Hemmen des Werdens, das Hemmen des Werdens zum Hemmen der Geburt; durch das Hemmen der Geburt werden Altern und Sterben, Sorge, Kummer, Leiden, Betrübnis und Verzweiflung gehemmt. So ist das Hemmen der gesamten Masse des Leidens.« (ES) 847

Die einzelnen Glieder werden somit in der gleichen Reihenfolge, in der sie entstanden sind, »gehemmt«. Bei der Version 1 ist dies das Nicht-Wissen, das durch den Aufbau von Wissen »gehemmt« werden soll. Das Hemmen des Nicht-Wissens führt zum Hemmen aller anderen Glieder wie Erkennen, Durst, Wiedergeburt bis hin zum Hemmen des ganzen Leidens des Wissenden. Die deutsche Übersetzung »Hemmen« für nirodha macht deutlich, dass der Wissende zwar in der bedingt entstandenen Welt weiterhin lebt und einen Namen und eine Form sowie ein erkennendes Bewusstsein hat, jedoch die Dynamik des bedingten Entstehens bis zu seinem Tod unterdrückt wird, bis sie danach völlig erlischt. Für den Einzelnen ist das bedingte Entstehen nur dann beherrschend, solange er in eine intentionale Beziehung zu sinnlichen Objekten tritt. Gemäß der praktischen Ausrichtung des buddhistischen Denkens im frühen Kanon wird keine Aussage über den Einzelnen hinaus gemacht. Zusammenfassend ist festzustellen: (1) In der Formel des »bedingten Entstehens« wird die Perspektive des einzelnen Erkennenden eingenommen, ohne diesen an den Anfang von allem zu stellen. (2) Der Erkennende tritt in eine Beziehung zu spezifischen Objekten. (3) Der Erkennende bleibt aufgrund seiner Verstrickung mit Objekten der Welt Teil dieser bedingt entstandenen Welt. (4) Das Einsehen und Beachten des dhamma, kontextual als »handlungsanleitende 847 avijjāya tv eva asesavirāganirodhā saṅkhāranirodho saṅkhāranirodhā viññāṇanirodho viññāṇanirodhā nāmarūpanirodho nāmarūpanirodhā saḷāyatananirodho saḷāyatananirodhā phassanirodho phassanirodhā vedanānirodho vedanānirodhā taṇhānirodho taṇhānirodhā upādānanirodho upādananirodhā bhavanirodho bhavanirodhā jātinirodho jātinirodhā jarāmaraṇaṃ sokaparideva dukkhadomanassūpāyāsā nirujjhanti evam etassa kevalassa dukkhakkhandhassa nirodho hotīti.

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Lehre« übersetzt, ist die Voraussetzung, das bedingte Entstehen zu hemmen und so einen Weg aus dem zeitlichen Dasein zu finden. Es lässt sich erkennen, dass die Bewusstseinsperspektive – die implizit allen erkennenden Wesen zugeschrieben werden muss – alles Existierende eng miteinander verbindet. Hans Wolfgang Schumann betont dabei, dass hier – anders als im vedischen Wissen – keine kausalen Verbindungen zwischen allem Existierenden bestehen, sondern ein »Konditionismus« vorherrsche. 848 Im Buddhismus steht also kein Geflecht kausaler Relationen, mithin keine alles umfassende »Kausalität«, sondern eine alles umfassende »Konditionalität« im Zentrum. 849 Alles Existierende ist in der Tatsache vereint, dass es dem Prozess des bedingten Entstehens unterliegt. Dieser Prozess ist dabei als unendlich zu betrachten, insbesondere wenn man die Anschauung des Buddha hinzuzieht, dass die bestehenden Welten eine einzelne Episode eines sich unendlich wiederholenden, anfangslosen Prozesses des Zusammenziehens und Wiederausdehnens darstellen. 850 Deshalb ließe sich das Dasein als ein durch das bedingte Entstehen verbundenes einheitliches Ganzes fassen, wobei dieses keine wesenhafte Einheit wie den ātman zur Grundlage hat. Die Bedingungsverhältnisse, die dieses Ganze konstituieren, begründen seine Herrschaft. Bei dieser religionswissenschaftlichen Bestimmung kann eingewendet werden, dass das bedingte Entstehen wesentlich »Zeitlichkeit« impliziert und somit gar kein zeitloses Ganzes konstituieren kann. Dem ist zu entgegnen, dass die das Ganze konstituierenden Bedingungsverhältnisse anfangs- und endlos sind, unabhängig von der Vergänglichkeit des einzelnen Wesens. In diesem Sinne kann das Ganze auf der religionswissenschaftlichen Metaebene als zeitlos betrachtet werden. Da der Buddha jedoch nur die Bewusstseinsperspek-

Vgl. Schumann, Hans-Wolfgang (1994): Buddhismus, S. 88. Vgl. Uhde, Bernhard (2013): Warum sie glauben, was sie glauben. Weltreligionen für Andersgläubige und Nachdenkende. Freiburg i. Br.: Herder, S. 221–222. Lambert Schmithausen wendet sich allerdings gegen die Tendenz, »die Bedingungsverhältnisse der Formel als gegenseitige zu interpretieren und Abhängigkeit als Interdependenz zu verstehen«, weil die Texte dies nicht ausdrücklich wiedergeben. Er weist aber gleichzeitig darauf hin, dass ein großer Dissens in dieser Frage besteht. (Vgl. Schmithausen, Lambert (2000): Zur zwölfgliedrigen Formel des Entstehens in Abhängigkeit, S. 43– 44). Dieser Dissens in der Forschung verlangt eine genauere Untersuchung der Formel des bedingten Entstehens in ihrem ursprünglichen Kontext, die an dieser Stelle aber nicht geleistet werden kann. 850 Vgl. DN no. 27. Siehe auch III.6.3. 848 849

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tive des Heilssuchenden im Blick hat, entspricht eine solche Bestimmung nicht dem buddhistischen Selbstverständnis.

6.5. Das nibbāna Im Kanon existieren verschiedene Begriffe, die das Ziel der buddhistischen Lehre (dhamma) benennen. 851 Unter diesen Umschreibungen entwickelte sich in der Wirkungsgeschichte nicht der in den vier »Edlen Wahrheiten« verwendete Begriff nirodha, sondern der Begriff Nirvāṇa, pali: nibbāna, zum Ausdruck für das zentrale Heilsziel des frühen Buddhismus. 852 Da nibbāna im Gegensatz zu seinen Synonymen an wenigen Stellen des Kanons vom Buddha explizit definiert wird, soll dieser Begriff im Folgenden stellvertretend untersucht werden. Dadurch soll festgestellt werden, ob und inwiefern es sich beim Nirvāṇa/ nibbāna um eine verborgene Einheit und um ein Prinzip von Allem handelt. Die etymologische Herkunft von Nirvāṇa/ nibbāna ist nicht eindeutig geklärt. Favorisiert wird pffi jedoch die Ansicht, der Begriff stamme von der Verbalwurzel vā »wehen«, die zusammen mit dem Präfix nis die Bedeutung »erlöschen« hat. 853 Durch das Suffix -na wird es ein substantiviertes Verbalabstraktum. 854 Das PED gibt als volkstümliche Bedeutung »the going out (of a lamp or fire)« 855 an; Childers übersetzt den Begriff unter anderem mit »extinction« 856; Mylius schließlich führt als wörtliche Bedeutung »Erlöschen« 857 an. Vgl. z. B. die umfangreiche Aufzählung in SN no. 43. Einen Überblick über nibbāna im frühen Buddhismus gibt Kumoi, Shozen (1968/ 1969): Der Nirvāṇa-Begriff in den kanonischen Texten des Frühbuddhismus. In: Wiener Zeitschrift für die Kunde Süd- und Ostasiens und Archiv für indische Philosophie (12–13), S. 205–213. Zu beachten ist auch Norman, Kenneth R. (1996): Mistaken ideas about nibbāna. In: Norman, Kenneth R. (ed.): Collected papers, VI. 1. publ. Oxford (Volume VI), S. 9–30. 853 Vgl. Hwang, Soonil (2006): Metaphor and literalism in Buddhism. The doctrinal history of nirvana. London: Routledge (Routledge critical studies in Buddhism), S. 9. 854 Wackernagel, Jakob (1954): Altindische Grammatik. Band II.2. Die Nominalsuffixe. Unter Mitarbeit von Albert Debrunner. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 585, S. 726. 855 PED: nibbāna. 856 Childers, Robert Caesar (1875): A dictionary of the Pali language. London: Trübner & Co., S. 265. 857 Mylius, Klaus (2008): Wörterbuch Deutsch-Pāli. Wiesbaden: Harrassowitz (Beiträge zur Kenntnis südasiatischer Sprachen und Literaturen, 18), S. 209. 851 852

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Das Erlöschen bezieht sich ursprünglich im Sprachbild auf das Erlöschen der drei Feuer Hass (dosa), Gier (lobha) und Verblendung (moha), den sogenannten unheilsamen Wurzeln. 858 Im Kanon finden sich nur wenige Stellen, die das nibbāna versuchen zu bestimmen. Viel rezipiert wird die Begriffsbestimmung in Ud no. 8.1–4. Dort heißt es jeweils am Beginn der ersten vier Abschnitte, dass der Buddha die Mönche durch einen feierlichen Ausspruch (udāna) über das nibbāna erfreute. Der erste Ausspruch ist der Folgende: Ud 80,9–15 »Es ist [atthi], ihr Mönche, das Gebiet (āyatana), wo nicht Erde, Wasser, Feuer noch Luft sind, wo nicht das Gebiet der ›Raumunendlichkeit‹ noch das Gebiet der ›Erkennensunendlichkeit‹ ist, wo nicht das Gebiet der ›Nicht-Irgendetwasheit‹ noch das Gebiet der ›Weder-Wahrnehmung(sañña)-noch-Nicht-Wahrnehmung‹ ist, wo nicht diese Welt noch eine jenseitige Welt ist, wo [nicht] beide sind, Sonne und Mond. Das [Gebiet], ihr Mönche, nenne ich weder Kommen noch Gehen noch Stehen noch Vergehen noch Entstehen. Ohne Stütze (appatiṭṭaṃ), ohne Prozess (appavattaṃ) 859, ohne [Geistes-]Grundlage (anārammaṇam) 860 ist es; dies ist das Ende des Leidens.« (ES) 861

Das nibbāna wird somit als ein Gebiet (āyatana) bezeichnet, das sich jeder positiven Bestimmung entzieht. Der Begriff āyatana »Gebiet« bezieht sich auf die vier anschließend im Text genannten »Gebiete«, die während der Meditation fortschreitend erreicht werden können: (1) Das Gebiet der »Raumunendlichkeit«; (2) das Gebiet der »Erkennensunendlichkeit«; (3) das Gebiet der »Nicht-Irgendetwaskeit«; (4) das Gebiet der »Weder-Wahrnehmung-noch-Nicht-Wahrnehmung«. Das nibbāna lässt sich als keines dieser vier Gebiete bestimmen, sondern übersteigt diese. Damit ist es auch nicht etwas sinnlichgeistig Wahrnehmbares. Und doch wird ausgesagt, dass es etwas »ist«. Inhaltlich kann dieses »ist« nicht gefüllt werden; es kann nur durch Negationen beschrieben werden. In Ud no. 8.2 wird darum die

Vgl. Norman, Kenneth R. (1996): Mistaken ideas about nibbāna, S. 25. CPD: »Not acting, inactive; without action« (CPD: a-ppavatta). 860 CPD: »(a) Not having an object, (b) without mental object«. 861 atthi bhikkhave, tad āyatanaṃ yattha n’ eva paṭhavī na āpo na tejo na vāyo na ākāsānañcāyatanaṃ na viññāṇānañcāyatanaṃ na ākiñcaññāyatanaṃ na nevasaññānāsaññāyatanaṃ n’āyaṃ loko na paraloko ubho candimasūriyā tad amhaṃ bhikkhave n’eva āgatiṃ vadāmi na gatiṃ na ṭhitiṃ na cutiṃ na upapattiṃ, appatiṭṭhaṃ appavattaṃ anārammaṇam eva taṃ es’ ev’ anto dukkhassā ’ti. 858 859

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schwere Einsehbarkeit des nibbāna betont. 862 In Ud no. 8.3 beschreibt der Buddha das nibbāna wieder in Negationen: Ud 80,22–81,3 »Es gibt, ihr Mönche, ein nicht Geborenes, nicht Gewordenes, nicht Geschaffenes, nicht Gestaltetes (asaṅkhata). Wenn es, ihr Mönche, dieses nicht Geborene, nicht Gewordene, nicht Geschaffene, nicht Gestaltete nicht gäbe, dann wäre hier ein Entrinnen aus dem Geborenen, Gewordenen, Geschaffenen, Gestalteten nicht zu erkennen. Weil es nun aber, ihr Mönche, ein nicht Geborenes, nicht Gewordenes, nicht Geschaffenes, nicht Gestaltetes gibt, darum lässt sich ein Entrinnen aus dem Geborenen, Gewordenen, Geschaffenen, Gestalteten erkennen.« (Se) 863

Das nibbāna ist somit unterschieden von allem Existierenden: es ist nicht geboren, nicht geworden, nicht geschaffen und nicht gestaltet. Dies steht in einem starken Gegensatz zur allgemeinen vedischen Vorstellung, dass alles Existierende eine Entstehungsgeschichte besitzt, durch welche einzelne Elemente miteinander kausal verbunden sind. Und dennoch wird in dieser Textstelle betont, dass es das nibbāna gibt. Ud 8.4 bestätigt die bisherigen Befunde: Ud 81,6–10 »Für das, was abhängig ist, gibt es auch Bewegung, für das was nicht abhängig ist, gibt es keine Bewegung; wo keine Bewegung ist, ist Ruhe; wo Ruhe ist, ist kein Verlangen; wo kein Verlangen ist, ist kein Kommen und Gehen; wo kein Kommen und Gehen ist, ist kein Vergehen und Neuentstehen; wo kein Vergehen und Neuentstehen ist, ist weder ein Hienieden noch ein Jenseits noch (ein Etwas) zwischen beiden; eben dies ist das Ende des Leidens.« (Se) 864

Das nibbāna ist als vollkommen Bewegungsloses und als vollkommene Ruhe das Gegenteil der vedischen Vorstellung eines dynamischen, aus unzähligen Kausalbeziehungen bestehenden Daseins, das im Verborgenen ein einheitliches Ganzes bildet. Es lässt sich vielmehr als eine vollkommene Negation eines solchen einheitlichen Ganzen bestimmen.

Vgl. Ud 80,18–19. atthi bhikkhave ajātaṃ abhūtaṃ akataṃ asaṅkhataṃ no ce taṃ bhikkhave abhavissa ajātaṃ abhūtaṃ akataṃ asaṅkhataṃ na yidha jātassa bhūtassa katassa saṅkhatassa nissaraṇaṃ paññāyetha yasmā ca kho bhikkhave atthi ajātaṃ abhūtaṃ akataṃ asaṅkhataṃ tasmā jātassa bhūtassa katassa saṅkhatassa nissaraṇaṃ paññāyatī ’ti. 864 nissitassa calitaṃ anissitassa calitaṃ n’ atthi calite asati passaddhi passaddhiyā sati rati na hoti ratiyā asati āgatigati na hoti āgatigatiyā asati cutūpapāto na hoti cutūpapāte asati n’ ev’ idha na huraṃ na ubhayamantare es’ ev’ anto dukkhassā ’ti. 862 863

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In It no. 44, einer weiteren viel rezipierten Textstelle, werden zwei Arten des nibbāna erwähnt, nämlich ein nibbāna mit einem Rest von Aneignung und ein nibbāna, das frei von einem solchen Rest ist. 865 Weist diese Unterscheidung auf eine Differenz innerhalb des nibbāna hin? Würde eine solche Differenz bestehen, wäre eine Bewegung von dem einen zum anderen nibbāna hin möglich. Dann würde ein Widerspruch zwischen dieser Stelle und den vorher untersuchten Stellen bestehen, die die Bewegungslosigkeit des nibbāna betonen. Die Textstelle in It no. 44 lautet folgendermaßen: It 38,5–22 »Was, ihr Mönche, ist der mit einem Rest von Aneignung (upādi) 866 versehene nibbāna-Bereich? Da ist ein Mönch, ein Heiliger, für den der schädliche Einfluss (āsava) 867 schon bei Lebzeiten vernichtet ist (…). Und die Vernichtung seiner Gier, seines Hasses und seiner Verblendung nennt man, ihr Mönche, den mit dem Rest von Aneignung versehenen nibbāna-Bereich. Und was, ihr Mönche, ist der von dem Rest von Aneignung freie nibbāna-Bereich? Da ist ein Mönch, ein Heiliger, für den der schädliche Einfluss (āsava) schon bei Lebzeiten vernichtet ist (…). Alle seine hier gewordenen Empfindungen (vedayita), ihr Mönche, werden kalt. Das nennt man, ihr Jünger, den von dem Rest von Aneignung freien nibbāna-Bereich.« (nach Se) 868

865 In der Sekundärliteratur wird häufig zwischen dem nibbāna und dem parinibbāna unterschieden, das mit dem Tod eintrete. (Vgl. z. B. Schumann, Hans Wolfgang (1994): Buddhismus, S. 114). Norman zeigt, dass diese Unterscheidung nicht korrekt ist. Vielmehr bezeichnet nibbāna den Zustand der Befreiung, während parinibbāna das Erreichen dieses Zustandes meint. (Vgl. Norman, Kenneth R. (1996): Mistaken ideas about nibbāna, S. 16–17). 866 Der Ausdruck entspricht upādāna, dem 9. Glied der Formel des bedingten Entstehens. (Vgl. Hwang, Soonil (2006): Metaphor and literalism in Buddhism, S. 16). 867 Der Begriff āsava »schädlicher Einfluss« bedeutet wörtlich »that which flows (out or on to), outflow & influx«; er lässt sich im psychischen Bereich als Terminus technicus »for certain specified ideas which intoxicate the mind (bemuddle it, befoozle it, so that it cannot rise to higher things)« spezifizieren. (Vgl. PED: āsava). Das CPD übersetzt den Begriff mit »affliction, pain« (CPD: 2āsava). Norman vermutet, dass in den Anfängen des Buddhismus der Begriff āsava synonym zu dem Begriff saṅkhāra war. (Vgl. Norman, K. R. (1993): Aspects of early Buddhism. In: K. R. Norman (ed.): Collected papers, IV. 1. publ. Oxford (Volume IV), S. 125–138, hier: S. 133). 868 katamā bhikkhave saupādisesā nibbānadhātu idha bhikkhave bhikkhu arahaṃ hoti khīṇāsavo vusitavā (…) tassa yo rāgakkhayo dosakkhayo mohakkhayo, ayaṃ vuccati bhikkhave saupādisesā nibbānadhātu katamā ca bhikkhave anupādisesā nibbānadhātu idha bhikkhave bhikkhu arahaṃ hoti khīṇāsavo vusitavā (…) tassa idheva bhikkhave sabbavedayitāni anabhinanditāni sītī bhavissanti ayaṃ vuccati bhikkhave anupādisesā nibbānadhātu.

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Anwendung von Uhdes Religionsbegriff auf die altindische Geistesgeschichte

Während das nibbāna mit einem Rest von Aneignung die drei Feuer Gier, Hass und Verblendung zum Erlöschen bringt, deutet beim von Aneignung freien nibbāna das Kaltwerden der Empfindungen auf das Erkalten des Körpers nach dem Tod hin. So interpretiert auch Norman diese Stelle: es gibt ein nibbāna, das mit dem geistigen Erwachen und eines, das mit dem Tod eintritt. 869 Hwang fügt hinzu, dass das mit Aneignung versehene nibbāna zum Zeitpunkt des physischen Todes vermutlich in das nibbāna ohne einen Rest von Aneignung führt. 870 Das nibbāna ist somit nach dieser Lesart nicht zweigeteilt, sondern wird nur im Hinblick auf Leben und Tod unterschieden. Erst nach dem Tod erfolgt ein vollständiges Erlöschen, da keine Interaktion mehr mit der zeitlichen Welt besteht. Die Untersuchung zeigt, dass das nibbāna nur in Negationen beschrieben werden kann. Es ist jenseits aller sinnlich-geistigen Wahrnehmung und übersteigt auch die höchste Stufe der Meditation. Der Einzelne kann Anwesenheit beim nibbāna bereits im Leben erreichen. Es wird vom bedingten Entstehen nicht berührt und unterliegt damit nicht der Zeitlichkeit. Die vollkommene Geschiedenheit vom bedingten Entstehen, mithin von allem Dasein sowie seine Zeitlosigkeit erweist das nibbāna auf der religionswissenschaftlichen Metaebene formal als eine absolute Einheit, die allerdings nicht als Prinzip von Allem herrscht. Vielmehr wird mit dem Eintreten des nibbāna die Herrschaft des bedingten Entstehens überwunden. Auf der buddhistischen Objektebene wird jedoch nicht das Selbstverständnis getroffen, da das nibbāna nicht positiv als »Einheit«, sondern nur negativ bestimmt werden kann. Auf der religionswissenschaftlichen Metaebene ergibt sich für den frühen Pāli-Kanon eine dualistische Konzeption: Neben (1) dem durch bedingte Relationen konstituierten einheitlichen Ganzen steht völlig unberührt davon (2) das nibbāna als eine absolute Einheit. Mit »Herrschaft« sind nur die bedingten Relationen verbunden; mit dem Eintreten des nibbāna überwindet der Einzelne ihre Herrschaft. Eine Schwierigkeit dieser religionswissenschaftlichen Bestimmung ist, dass sie das Selbstverständnis des frühen Pāli-Kanons nicht befriedigend erfasst. So gibt es im Vinaya- und Sutta-piṭaka des PāliKanons noch keine ausgearbeitete Theorie des saṃsāra, dem »Kreis869 870

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Vgl. Norman, Kenneth R. (1996): Mistaken ideas about nibbāna, S. 14. Vgl. Hwang, Soonil (2006): Metaphor and literalism in Buddhism, S. 23.

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Der frühe Pāli-Kanon

lauf des Daseins«, dem das nibbāna wie im späteren Abhidhammapiṭaka als ein positiv bestimmbares Element im Sinne eines asankhata dhamma, eines »unbedingten Daseinsfaktors« gegenüber steht. 871 Erst im weiteren Verlauf der frühbuddhistischen Geistesgeschichte wird die implizit vorhandene dualistische Konzeption expliziert.

871 Vgl. Ronkin, Noa (2005): Early buddhist metaphysics. The making of a philosophical tradition. New York: Routledge Curzon, S. 47.

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IV. Ergebnis der Untersuchung

1.

Zusammenfassung von Teil I: Theorie

Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung war die religionswissenschaftliche Diskussion um die Bestimmung von Religion, in der bis heute kein Konsens gefunden wurde. Die unterschiedlichen Bestimmungsversuche lassen sich in »moderne« und »postmoderne« Ansätze unterscheiden. »Modern« sind Ansätze, die Religion als eine erforschbare Gegebenheit der Welt betrachten, die über alle geschichtlichen Epochen hinweg kulturübergreifend aufgefunden werden kann. »Postmodern« sind die Ansätze, die mit Hinweis auf Sprache und Kommunikation die Möglichkeit eines eindeutigen Begriffs von Religion verneinen. 872 Moderne Ansätze können in »etisch« und »emisch« unterteilt werden. Wirkungsgeschichtlich bedeutsame etische Ansätze sind die von Edward B. Tylor, Émile Durkheim und Clifford Geertz. Sie betrachten in unterschiedlicher Weise Religion aus einer Außenperspektive. Gemeinsam ist diesen Ansätzen, dass sie das religiöse, handlungsleitende Wissen (»Glauben«, »Symbolsystem«) betrachten, in dessen Mittelpunkt das spezifische Charakteristikum von Religion steht. Dieses Charakteristikum wird sehr unterschiedlich gefasst: So versteht Tylor darunter »geistige Entitäten«. Das hat allerdings zur Folge, dass der frühe Buddhismus nicht eingeschlossen wird. Durkheim begreift als spezifisches Charakteristikum von Religion die Aufteilung von Raum und Zeit in »heilig« und »profan«. Die Relevanz einer solchen Dichotomie für alle Religionen wurde von der ethnologischen Feldforschung in Frage gestellt. Geertz geht davon aus, dass eine »allgemeine Existenzordnung« im Mittelpunkt der Religionen

872

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Siehe II.1.

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Zusammenfassung von Teil I: Theorie

stehe. Hier wurde bemängelt, dass auch politisch-ideologische Systeme eingeschlossen werden. 873 Wirkungsgeschichtlich bedeutsame emische Ansätze sind die von William James, Rudolf Otto und Paul Tillich. Ihre Betrachtung von Religion gründet auf der Innenperspektive der religiösen Erfahrung, die sich auf eine verborgene von allem Anderen unterschiedene Qualität bezieht. James nennt die »unseen order«, deren Erfahrung einen Übergang in eine vom Alltag völlig unterschiedene Wirklichkeit darstelle. Otto bezeichnet die Qualität als das »Numinose«, das als das »Heilige« in unser Bewusstsein rücke. Tillich beschreibt ein Ergriffensein von der »Unbedingtheit« des Sinnzusammenhangs, der jedem kulturellen Sinngebungsprozess zugrunde liege. Die Grundlegung des Religionsbegriffs in der religiösen Erfahrung hat den Vorteil, dass das Selbstverständnis des religiösen Menschen besser erfasst wird. Auf der anderen Seite werden die emischen Ansätze von großen Teilen der Religionswissenschaft abgelehnt, da sie keine empirisch überprüfbaren, objektiven Kriterien heranziehen. Zudem kann die Abgrenzung von ähnlichen, nicht mit Religion verbundenen Erfahrungen nur schwer geleistet werden. 874 Die postmodernen Reflexionen lehnen die moderne – etische oder emische – Bestimmung von Religion ab. Drei zentrale Kritikpunkte werden dabei genannt: Zum ersten wird eingewendet, dass »Religion« ein europäisches Konzept sei, das nicht auf andere Kulturen übertragen werden könne. Neben diesem Vorwurf des Eurozentrismus wird zum zweiten kritisiert, dass die moderne Definition von Religion unzulänglich sei, da das jeweilige spezifische Definitionskriterium den Blick auf Religionen verenge und willkürlich gewählt sei. Drittens führt der aufgrund der Multiperspektivität der Religionswissenschaft bestehende, mangelnde Konsens hinsichtlich eines allgemeingültigen Religionsbegriffs einige Forscher zu dem Gedanken, die Bestimmung von Religion ganz aufzugeben. Da in dieser Untersuchung mit dem Ansatz von Bernhard Uhde ein moderner Religionsbegriff diskutiert wird, mussten diese Einwände reflektiert werden. (1) Der Einwand des Eurozentrismus ist aufgrund der Kontextualität der Sprache nicht zu umgehen. Vielmehr muss auf die Möglichkeit der Reflexion der Sprache rekurriert werden, indem zwischen einer reflektierenden Metasprache und einer unmittelbaren 873 874

Siehe II.1.1.1. Siehe II.1.1.2.

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Ergebnis der Untersuchung

Objektsprache unterschieden wird. Zudem muss bei neuen oder bestehenden Religionsbegriffen der Abbau von europäisch-christlichen Inhalten vorangetrieben werden. 875 (2) Die Enge und Willkürlichkeit eines einzigen inhaltlichen Merkmals von Religion ergibt sich aus der Funktion der Definition, seinen Gegenstand klar zu bestimmen. Eine Definition soll dagegen nicht – wie die postmodern bevorzugte Explikation – eine möglichst umfangreiche Beschreibung eines Phänomens liefern. Die Rückbindung der Definition an eine Religionstheorie hebt zwar die Willkürlichkeit nicht völlig auf, erhält aber den wissenschaftlichen Anspruch eines Religionsbegriffs. 876 (3) Die Multiperspektivität der religionsbezogenen Forschung, die einen Konsens über einen allgemeinen Religionsbegriff verhindert, ist nicht zu umgehen. Um die Wissenschaftlichkeit der Religionsforschung zu erhalten, müssen jedoch für verschiedene Forschungsbereiche Arbeitsdefinitionen entwickelt und überprüft werden. 877 Vor diesem Hintergrund der Diskussion um einen allgemeinen Religionsbegriff wurde der religionsphilosophische Ansatz von Bernhard Uhde untersucht, um ihn religionswissenschaftlich nutzbar zu machen. 878 Uhdes Religionsbegriff ist dreiteilig: (1) Als Erkenntnisgrund von Religion sieht Uhde die »reflektierte Einsicht in den Mangel an anwesender Gegenwart«. Religion entstand nach Uhde dadurch, dass der Mensch sich seiner eigenen Vergänglichkeit bewusst wurde. Die Einsicht in die Vergänglichkeit des eigenen Daseins ließ einen Mangel an Wissen hervortreten. Dieser Mangel an Wissen ist als ein Mangel an dem Gegensätzlichen der Vergänglichkeit zu verstehen. Uhde bezeichnet diesen Mangel als einen Mangel an anwesender Gegenwart, wobei er »anwesende Gegenwart« mit Zeitlosigkeit verbindet. Religion sei nun ursprünglich entstanden, um den eingesehenen Mangel an anwesender, zeitloser Gegenwart auszugleichen. 879 (2) Als Inhalt von Religion begreift Uhde das Wissen um die notwendige Voraussetzung der verborgenen Einheit. Die Einsicht in den Mangel an anwesender, zeitloser Gegenwart führt nach Uhde zum Aufbau eines Wissens um eine solche Gegenwart. Die zeitlose Gegenwart werde als eine verborgene »Einheit« begriffen,

875 876 877 878 879

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Siehe II.1.2.1. Siehe II.1.2.2. Siehe II.1.2.3. Siehe II.2.1. Siehe II.2.1.1.

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Zusammenfassung von Teil I: Theorie

die hinter der »Vielheit« der erscheinenden Welt vorausgesetzt werde. Am Beispiel der monotheistischen Religionen ist hierunter »Gott« zu verstehen, der seine »Schöpfung« bewirkt. 880 (3) Die Praxis von Religion definiert Uhde als ein »Beachten der Herrschaft des Prinzips von Allem«. Die zeitlose Gegenwart, die im Wissen als verborgene Einheit gegenüber der Vielheit der Welt vorausgesetzt wird, »beachtet« der Religiöse in seiner Praxis als ein »Prinzip von Allem«. Die Verwendung des Verbs »beachten« für die praktische Tätigkeit lässt einen großen Interpretationsspielraum. Uhde betont, dass das »Prinzip von Allem« kein Gegenstand direkter Beachtung ist, sondern dass sich dafür das »erscheinende Prinzip der Religion« eignet. Zum Beispiel ist das erscheinende Prinzip des Christentums Jesus Christus als das fleischgewordene Wort Gottes; das erscheinende Prinzip des Islam ist dagegen der Koran als Rede Gottes. Ziel des Beachtens ist letztlich das Tilgen des Grunds, nämlich des Mangels an Gegenwart. 881 Uhde merkt an, dass der genannte Grund in gewachsenen Religionen nicht unbedingt expliziert werde. Die durch ihn begründete Struktur einer verborgenen Einheit, die einer Vielheit gegenüber stehe und als herrschendes Prinzip von Allem beachtet werde, lasse sich aber in jeder Religion finden. 882 Mit Blick auf die modernen Ansätze lässt sich erkennen, dass Uhdes Religionsbegriff zwar den etischen Ansätzen zuzurechnen ist, weil er Religion aus einer Außenperspektive mit einem bestimmten, handlungsrelevanten Wissen beschreibt. Der Begriff einer verborgenen Einheit ist dagegen eng mit den emischen Ansätzen verbunden, der dort allerdings zum Gegenstand einer Erfahrung wird. James nennt diese Einheit »unseen order«, Otto »das Numinose« und Tillich »die Unbedingtheit«. Uhdes Religionsbegriff vereint mithin in gewisser Weise etische und emische Ansätze. 883 Zwei Begriffe wurden in der anschließenden kritischen Reflexion genauer betrachtet: »Wissen« und »Einheit«. Die Verwendung von »Wissen« statt – wie oft üblich – »Glauben« vermeidet zum einen die Assoziation von Religion mit einem dialogischen, hierarchisch strukturierten Beziehungsgeschehen, wie es in den monotheistischen Religionen zwischen Gott und Mensch besteht. Zum anderen wird 880 881 882 883

Siehe II.2.1.2. Siehe II.2.1.3. Siehe II.2.1.1. Siehe II.2.2.1.

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Ergebnis der Untersuchung

mit »Glauben« neuzeitlich oft eine Abwertung seines Inhalts impliziert; mit dem Begriff »Wissen« wird diese Abwertung neutralisiert. Dennoch entsteht ein anderes Problem: Wissen wird modern meist mit einem wissenschaftlichen Wissen verbunden. Auch Uhde deutet an, dass er ein solches wissenschaftlich-theologisches Wissen bezeichnet, wenn er von der notwendigen Voraussetzung einer Einheit spricht. So definiert schon Aristoteles epistēmē als eine Wissensform, die die Notwendigkeit des gewussten Inhalts darlegen kann. Mit der Verwendung eines epistemischen Wissensbegriffs entsteht ein Problem: So gibt es Kulturen, deren Denken ausschließlich konkret-anschaulich und nicht abstrakt ist. Das religiöse Wissen von konkret-anschaulich denkenden Kulturen würde somit nicht erfasst werden. Das Gleiche würde beispielsweise auch für den konkret-anschaulichen Glauben der christlichen Volksfrömmigkeit gelten, bei dem es durchaus Abweichungen zum wissenschaftlichen Wissen der Theologie gibt. Um seine Anwendbarkeit zu gewährleisten, muss auch Uhdes Wissensbegriff erweitert werden. Dadurch fällt in der Formulierung des religiösen Wissens die »Notwendigkeit« heraus. Ein »Wissen um die Voraussetzung einer verborgenen Einheit« muss – da das Prädikat »notwendig« fehlt – kein epistemisches Wissen bezeichnen, sondern könnte auch ein magisches Wissen sein, das eine solche vorausgesetzte, verborgene Einheit konkret anschaulich in einem Mythos darstellt. Es ist mithin denkbar, dass »Einheit« abhängig von der jeweiligen Wissensform spezifisch beschrieben werden kann. 884 Der Begriff »Einheit« wird philosophiegeschichtlich sehr unterschiedlich verwendet. Uhde versteht die zeitlose Gegenwart als eine »Einheit«, die der Mensch der »Vielheit« des Existierenden voraussetze. Ein Vorteil der Verwendung des Begriffs von Einheit in der Uhde’schen Lesart ist, dass er nicht notwendig eine separate göttliche Substanz bezeichnen muss. 885 Vielmehr gibt der mit »Einheit« notwendig verbundene Begriff »Vielheit« die Grundstruktur des religiösen Wissens vor. Karen Gloy zeigt, dass man das Modell EinheitVielheit in zwei unterschiedlichen Weisen denken kann: Zum einen lässt sich »Einheit« substanzontologisch verstehen und als ein AbsoSiehe II.2.2.1.1. So kann damit beispielsweise auch die vedische Vorstellung erfasst werden, dass allem Seienden einschließlich der Götter ein Geflecht kausaler Relationen zugrunde liegt, das als einheitliches Ganzes alles verbindet. (Siehe z. B. IV.2.3). 884 885

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lutes denken, das geschieden von der Vielheit ist. Hier wird deutlich auf das monotheistische Modell verwiesen. Zum anderen lässt sich »Einheit« als selbstreferentiell verstehen und als ein Ganzes fassen, das die Vielheit in sich enthält. Einzelne Untersuchungen insbesondere zum hinduistischen Vedānta zeigen, dass in der indischen Philosophie eine solche Vorstellung von Einheit existiert. Die beiden Modelle von Einheit zeigen, dass mit der Grundstruktur »EinheitVielheit« nicht notwendig eine Dichotomie verbunden sein muss. Die Postulation einer solchen Dichotomie, die beispielsweise auch in Durkheims Ansatz festzustellen ist, wurde von großen Teilen der religionswissenschaftlichen Forschung als typisch europäisch-christlich abgelehnt. Uhde begreift die Dichotomie beim ersten Modell nur als eine vorläufige, da Religion auf die Aufhebung der Differenz EinheitVielheit angelegt sei: spätestens postmortal. Im zweiten Modell besteht aufgrund der Identität von Einheit und Vielheit gar keine Dichotomie. 886 Mit Blick auf die postmodernen Einwände lässt sich erkennen, dass Uhdes Religionsbegriff zwei der drei sich daraus ergebenen Forderungen entspricht. (1) So zeigt sich, dass Uhdes Religionsbegriff durch den Verzicht auf den Begriff des Glaubens, den Verzicht auf die Postulation einer festen Dichotomie wie beispielsweise »heiligprofan« und den Verzicht auf die Postulation einer spezifischen Substanz als zentralen Inhalt von Religion typische christliche Konnotationen vermeidet. (2) Zudem entwickelt Uhde seinen Religionsbegriff auf Grundlage der Hypothese, dass die menschliche Einsicht in die eigene Vergänglichkeit zur Entstehung von Religion führte. Dieser Gedanke wurde in der neueren Religionsphilosophie vor allem von Hermann Schrödter ausgearbeitet. Markus Enders hat gezeigt, dass Uhdes Religionsbegriff anschlussfähig an die Schrödter’sche Religionstheorie ist. (3) Ein Desiderat ist es hingegen noch, Uhdes religionsphilosophischen Begriff in eine religionswissenschaftliche Arbeitsdefinition im Bereich »religiöse Geistesgeschichte« umzuwandeln. Dies wurde in der vorliegenden Untersuchung vorgenommen. Der Fokus liegt dabei auf dem Wissen, das in der religiösen Praxis beachtet wird und das anhand von Quellen falsifiziert werden kann. 887 Siehe II.2.2.1.2. Siehe II.2.2.2. An dieser Stelle muss daran erinnert werden, dass der von Uhde angenommene Grund von Religion sich in der Struktur von Einheit und Vielheit 886 887

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Ergebnis der Untersuchung

2.

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Die Anwendung des Uhde’schen Religionsbegriffs erfolgte exemplarisch auf die »altindische Geistesgeschichte«, die sich durch eine große Heterogenität ihrer Glaubensvorstellungen auszeichnet. Die Spezifizierung der Geistesgeschichte als »altindisch« verweist auf keinen neuen Ansatz der Periodisierung der indischen Geistesgeschichte, sondern dient der Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands. So ist die »altindische Geistesgeschichte« eine heuristische Bezeichnung für die Geistesgeschichte in der Zeit von der Sammlung des R ̥ gveda bis zum frühen Pāli-Kanon und erstreckt sich geographisch über Nordindien. Sie umfasst insbesondere die religionsgeschichtliche Epoche der »Vedischen Religion« (ca. 1750–500 v. Chr.) sowie den frühen Buddhismus aus der Epoche des »Asketischen Reformismus« (ca. 500–200 v. Chr.), der eine direkte Reaktion auf Vorstellungen der vedischen Religion(en) darstellt. 888 Bisherige geistesgeschichtliche Darstellungen werden vor allem als »Indische Philosophie« bezeichnet und nehmen aus diesem Zeitraum meist nur eine Auswahl bestimmter Upaniṣaden und einiger R ̥ gveda-Hymnen heraus, die sich durch ein höheres Maß an abstraktem Denken auszeichnen. Nicht immer wird dabei die inter- und intratextuelle Chronologie ausreichend berücksichtigt, was die Darstellung von geistesgeschichtlichen Entwicklungen erschwert. Zudem ist bei bisherigen geistesgeschichtlichen Darstellungen zu bemerken, dass die Interpretation altindischer Texte durch die Brille späterer Kommentatoren erfolgt. Diese Probleme wurden in der Untersuchung berücksichtigt, indem (1) eine Anwendung auf alle Formen des Wissens erfolgte und indem (2) die inter- und intratextuelle Chronologie berücksichtigt und (3) eine reine Quellenanalyse vorgenommen wurde. 889 Die Untersuchung erfolgte nach der relativen Chronologie, die Michael Witzel aufgestellt hat. Zuerst wurde Uhdes Religionsbegriff auf den R ̥ gveda angewandt, anschließend auf den frühen Atharvaveda, die Brāhmaṇas, die frühen Upaniṣaden und den frühen buddhistischen Pāli-Kanon. Im Folgenden sollen die Ergebnisse der Anwen-

widerspiegelt und daher nicht gesondert untersucht werden musste. Zudem richtet Uhde seinen Blick nicht auf die Vielfalt der Praxis, sondern nur auf die Haltung, die hinter der Praxis steht und ein »Beachten« des religiösen Wissens bedeutet. 888 Siehe III.1.1.2. 889 Siehe III.1.2.

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dung vorgestellt und anschließend eine Reflexion der Ergebnisse vorgenommen werden.

2.1. R̥gveda Die Anwendung von Uhdes Religionsbegriff auf den R ̥ gveda (= RV) zeigte zunächst, dass keine absolute Einheit im monotheistischen Sinne gefunden werden kann: So steht kein einheitlicher Gott seiner vielheitlichen Schöpfung gegenüber. Vielmehr existiert eine vielfältige Götterwelt, in der sich keine klare Hierarchie erkennen lässt. Zudem findet auch die Entfaltung allen Daseins in einer präexistenten Welt statt. Der Schöpfungsakt im RV ist keine creatio ex nihilo, sondern wird als eine Heldentat – meist des Gottes Indra – in dieser präexistenten Welt beschrieben. Das monotheistische Verhältnis einer absoluten Einheit, die einer geschaffenen Vielheit gegenüber steht, ist jedoch nur eine denkbare Möglichkeit. So lässt sich »Einheit« als selbstreferentiell verstehen und als ein Ganzes fassen, das die Vielheit umfasst. 890 Ein zentraler Begriff des RV, der alle Wesenheiten des ̥rgvedischen Kosmos verbindet, ist das ̥rtá. Der ̥rgvedische Kosmos setzt sich aus einer Vielfalt unterschiedlicher Wesenheiten zusammen, zu denen verschiedene Göttergruppen, Geister, Menschen, Tiere, Pflanzen und unpersönliche Mächte gehören. Eine strikte Trennung zwischen den verschiedenen Wesenheiten ist nicht zu erkennen, da sie sich auch in ihren Eigenschaften überschneiden. Dies gilt selbst für die göttliche Eigenschaft der Unsterblichkeit, an der die Menschen ebenfalls Anteil erlangen können. Alle Wesenheiten stehen in einer kontinuierlichen, dynamischen Beziehung zueinander. Diese Beziehung wird von zwei Momenten geprägt, die eine Wesenheit ausmachen: dem Namen und der Tätigkeit. Das in dem Namen einer Wesenheit liegende ̥rtá ist entscheidend für die Ausübung seiner Tätigkeit. Da mit der Tätigkeit bestimmte Wirkungen auf andere Wesenheiten verbunden sind, begründet das ̥rtá eine große Anzahl von kausalen Zusammenhängen. 891 Das ̥rtá, wahrscheinlich von der indogermanischen Wurzel *h2 er abstammend, hat unterschiedliche Übersetzungen erfahren, wobei 890 891

Siehe III.2.2. Siehe III.2.3.1.

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Ergebnis der Untersuchung

sich die Übersetzung »Wahrheit« durchgesetzt hat, eine Wahrheit aber, die ordnende Funktionen besitzt. Das ̥rtá ist selbst kein Gegenstand direkter ritueller Verehrung, seine Tätigkeit ist jedoch die Voraussetzung für den ordnungsgemäßen Lauf der Welt, der das Dasein erhält. So liegt es den von Göttern vollzogenen kosmischen Vorgängen wie der Wiederkehr des Lichts oder dem Fließen des Wassers zugrunde. Das Opferritual, das die Götter belebt und den Menschen Kraft und Schutz schenkt, bedarf der Tätigkeit des ̥rtá. Schließlich ist das Wissen, das im RV gesammelt wurde, immer ein Wissen gemäß dem ̥rtá. Ohne das ̥rtá würde weder die Welt fortbestehen noch würde es ein Wissen über die Welt geben. Seine Herrschaft wird von Göttern wie Menschen beachtet. Da das ̥rtá gleichzeitig ein wesenhaftes Erscheinendes ist, lässt es sich als ein erscheinendes Prinzip von Allem verstehen, dessen Herrschaft von Menschen wie Göttern beachtet wird. Unter »Allem« muss die Gesamtheit aller UrsacheWirkungs-Verhältnisse begriffen werden, wozu sowohl die welterhaltende Tätigkeit der Götter als auch die lebenserhaltenden rituellen Gesänge der Menschen zählen. Nach Uhde vermittelt ein erscheinendes Prinzip von Allem zwischen Einheit und Vielheit. So konstituiert das Wirken des ̥rtá aus einer religionswissenschaftlichen Metaperspektive die Vielheit des vedischen Kosmos als ein einheitliches Ganzes. Denn die erscheinende Vielheit, die auf dem kausalen Zusammenwirken der Wesenheiten beruht, würde ohne das ̥rtá in sich zusammenfallen. Das Ganze wird dabei nicht benannt, sondern kann nur auf der religionswissenschaftlichen Metaebene vorausgesetzt werden. 892 Ein explizites Wissen um ein einheitliches Ganzes kann auf der ̥rgvedischen Objektebene im frühen RV 1–9 nur vereinzelt und unabhängig von der Vorstellung des ̥rtá gefunden werden. So finden sich in den Brahmodyāni von RV 1.164, den »Redewettkämpfen« Stellen, die das »Eine« zum Thema haben, das allem zugrunde liegt. Gleichzeitig wird bemerkt, dass die Sprache durch die Benennung der Wesenheiten das Eine verdeckt. Darüber hinaus wird in RV 3.54 ein einziger Ursprung der Götter und Menschen erwähnt, der möglicherweise mit dem viśvárūpa »Allgestaltigen« übereinstimmt, der an zwei anderen Stellen des dritten Buches verehrt wird. Der Umstand, dass nur wenige Hymnen des frühen RV eine solche Einheit zum Thema haben, lässt sich so deuten, dass das Wissen ein noch nicht 892

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im Ritual oder im allgemeinen ̥rgvedischen Denken verwurzeltes Wissen ist. Nur einzelne Sänger scheinen den durch die Tätigkeit des ̥rtá implizierten Gedanken eines einheitlichen Ganzen, eine bisher unausgesprochene Voraussetzung im Weltbild der ̥rgvedischen Menschen, auszusprechen. Dieses Wissen kann als ein vereinzeltes Erfahrungswissen betrachtet werden. 893 Das jüngere Nachtragsbuch 10 des RV ist das Buch neuer kosmogonischer Entwürfe. So wird in RV 10.121 die Vorstellung eines Einzigen am Anfang von allem beschrieben, das sich als Keim entfaltet. Aus diesem Keim entstehen Götter und Menschen, weshalb er auch als Schatten der Sterblichen und Unsterblichen bezeichnet wird. In RV 10.129 wird ebenfalls über ein ursprüngliches Eines berichtet, das ein über die Zeitlichkeit erhabener Ursprung von allem ist. Dieses Eine möchte sich vervielfältigen und schafft zunächst das Wissen, bevor es den Raum entfaltet und überall seinen Samen hinterlässt. In den kosmogonischen Hymnen RV 10.81 & 82 wird ein Weltenschöpfer genannt, Viśvakarman, wörtlich »alle (Opfer)werke verrichtend«. Viśvakarman vereint in RV 10.81 im Sprachbild als Opferpriester alle Wesenheiten zu einem Opfer und geht als Erster in alle nach ihm kommenden Wesenheiten ein. In RV 10.82 wird ausgesagt, dass Viśvakarman unterschiedliche Formen annimmt; diese Formen nehmen Bezug auf andere Hymnen, die ein ursprünglich Eines zum Thema haben. 894 RV 10.72 und RV 10.90 stellen einen Unterschied zu diesen Ansätzen dar und sind als Fortführungen der traditionellen Schöpfungsmythen des RV 1–9 zu verstehen. Denn hier wie dort gibt es eine Urmaterie. Im Unterschied zu den traditionellen Ansätzen wird jedoch hier der Gedanke einer Einheit berücksichtigt. So stellt in RV 10.72 das ursprünglich Seiende ein einheitliches Ganzes dar, das vor aller Vielheit existiert und sich zunächst in sich differenziert. Erst durch die Differenzierung der Geisteskraft aus der Materie und die bestehende Wechselwirkung zwischen beiden entsteht aus diesem einheitlichen Ganzen die gesamte Welt der unsterblichen und sterblichen Wesen. In RV 10.90 ist der Ansatz ähnlich, wenn auch wesentlich bildhafter. Hier steht der puruṣa, der unendlich große »Mann« oder »Mensch« im Mittelpunkt. Er wird zunächst ausführlich als einziges Ganzes vor aller Vielheit beschrieben. Die Entfaltung der Viel893 894

Siehe III.2.4. Siehe III.2.5.

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heit wird mit der Opferung des puruṣa durch die Götter eingeleitet. Unter anderem entstehen aus seinen Körperteilen die vier Kasten der Menschen sowie die drei Welten »Himmel«, »Luftraum« und »Erde«. 895 Es zeigt sich, dass im frühen RV 1–9 – aus der religionswissenschaftlichen Metaperspektive – die Tätigkeit des ̥rtá ein einheitliches Ganzes impliziert, ohne dass dieses jedoch im ̥rgvedischen Selbstverständnis als Wissen aufscheint. Beachtet wird die Herrschaft des ̥rtá, das als das erscheinende Prinzip betrachtet werden kann, das zwischen der (impliziten) Einheit und der Vielheit vermittelt. Da nur an wenigen Stellen der Gedanke eines einheitlichen Ganzen expliziert wird, kann das religiöse Wissen auf der ̥rgvedischen Objektebene als ein vereinzeltes Erfahrungswissen betrachtet werden. Im Nachtragsbuch 10 ist festzustellen, dass aus dem Erfahrungswissen unterschiedliche, ebenfalls vereinzelte Ansätze eines mythologisch-technischen Wissens entwickelt wurden. Diese Ansätze thematisieren die Voraussetzung eines einheitlichen Ganzen, das den Ursprung von allem darstellt.

2.2. Atharvaveda Im Atharvaveda (= AV) gewinnt die Zauberformel (bráhman) in Bereichen an Bedeutung, die zuvor der Herrschaft des ̥rtá unterlagen. Das Weltbild des AV weist dennoch große Ähnlichkeiten zu dem des R ̥ gveda auf. Der im R ̥ gveda festgestellte Zusammenhang aller Wesenheiten bestätigt sich auch im AV. Auch die Welt des AV ist von unzähligen Ursache-Wirkungs-Verhältnissen durchzogen. Während im R ̥ gveda jedoch der Bezug des Menschen zu Göttern im Vordergrund stand, sind es im AV die schädlichen Geister, gegen die sich die Zauberformeln richten. Die Zauberformel (bráhman) wird zu den Mächten des AV gezählt, die autonom und mit bestimmten Wirkungen verbunden sind. 896 Das bráhman aktiviert bestehende Ursache-Wirkungs-Verhältnisse zwischen Wesenheiten und kann vom Menschen für eigene Zwecke instrumentalisiert werden. In einigen Abschnitten der spekulativen Hymnen des AV steht das bráhman selbst im Fokus. Das 895 896

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Siehe III.2.5. Siehe III.3.3.1.

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bráhman wird dort als bewirkende Macht verstanden, die sowohl der Entstehung des Menschen (Mikrokosmos) als auch der Entstehung von allem Existierenden (Makrokosmos) zugrunde liegt. Es wird nicht als Agens betrachtet, sondern als die Macht, mit deren Hilfe verschiedene göttliche Akteure Mensch und Welt schaffen. Zudem wird das bráhman als Prinzip des Wissens verstanden. Die kausalen Zusammenhänge, die dem bráhman als einem erscheinenden Prinzip unterliegen, durchziehen die gesamte Vielheit und konstituieren sie als ein verborgenes, einheitliches Ganzes. 897 Neben dem bráhman gibt es weitere Mächte, die eine alles durchdringende Herrschaft haben: So der prāṇa (»Atem«), der alles Existierende – ob atmend oder nicht atmend – belebt und die virā´j (»weithin Beherrschende«), die allen kausalen Relationen zugrunde liegt. Beide konstituieren durch ihre Tätigkeit wie das bráhman ein verborgenes einheitliches Ganzes und können als weitere erscheinende Prinzipien betrachtet werden. 898 Explizit thematisiert wird ein einheitliches Ganzes in einigen Abschnitten des AV. Dabei gibt es unterschiedliche Ansätze. In den Zauberhymnen des AV finden sich nur wenige Bruchstücke über den Gedanken eines einheitlichen Ganzen. So wird in Bezug auf den RV das Eine bzw. der eine Keim erwähnt. In den spekulativen Hymnen des AV finden sich dagegen genauer explizierte Ansätze. So geht es in AVŚ 10.7 um den Skambha, die »Stütze«. Die Teile der erscheinenden Welt sind Glieder des allumfassenden Skambha, ebenso bestimmte wichtige Begriffe wie beispielsweise das ̥rtá. Der Skambha ist kein Gegenstand unmittelbaren Wissens, erstreckt sich über alle Zeiten, befindet sich in allem Existierenden und wohnt im heiligen Wissen. Er kann daher als ein einheitliches Ganzes betrachtet werden, das die Vielheit durchdringt und vereint. Darüber hinaus wird in AVŚ 10.8 explizit von einem Einzigen und von einem Ganzen gesprochen, das alles in sich vereint. In AVŚ 11.5 wird schließlich der Brahmacārin, wörtlich »einer der sich mit dem bráhman beschäftigt«, als makrokosmischer Ursprung von allem beschrieben, der seine Macht durch das bráhman ausübt. Dabei wird er mit analogen Begriffen anderer Textabschnitte wie dem »einen Keim« gleichgesetzt. 899

897 898 899

Siehe III.3.3.2. Siehe III.3.4. Siehe III.3.5.

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Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass im AV stellenweise ein Wissen um die Voraussetzung eines einheitlichen Ganzen gefunden werden kann. Herrschaft wird dabei nicht durch dieses einheitliche Ganze ausgeübt, sondern durch erscheinende Prinzipien wie das bráhman bzw. ähnliche Mächte. In der religiösen Praxis werden diese erscheinenden Prinzipien beachtet, während das Ganze nur den Rahmen stellt, in dem die erscheinenden Prinzipien wirken. Das Wissen lässt sich dabei als ein mythologisch-technisches Wissen beschreiben.

2.3. Brāhmaṇas In den Brāhmaṇas gibt es mit Prajāpati, dem »Herrn der Geschöpfe«, einen durchgängig anerkannten Schöpfer von allem. Dennoch wird er weder als allbeherrschend noch als erhaben über alle dargestellt. Vielmehr steht er in dem von ihm hervorgebrachten Kosmos gleichberechtigt neben den Göttern. Daher wurde in der Untersuchung zunächst auf den Kosmos und die in ihm enthaltene Kausalität eingegangen und anschließend Prajāpati in Beziehung dazu gesetzt. 900 Der Kosmos der Brāhmaṇas weist eine große Diversität auf. So bevölkert eine Fülle von Wesenheiten die drei Welten »Himmel«, »Luftraum« und »Erde«. Die alten Götter, denen ein Großteil der Hymnen im RV gewidmet war, haben dabei ihre Bedeutung und Machtfülle verloren. Stattdessen rücken Wesenheiten in den Vordergrund, die mit dem Opferritual verbunden sind, insbesondere bestimmte Metren, Ritualgegenstände und das Opfer selbst. Die Wesenheiten stehen in einem engen Zusammenhang und wirken kausal aufeinander ein. Diese Verbindungen nutzen die Priester im Opferritual für ihre Zwecke aus. 901 In der indologischen Literatur werden die Verbindungen meist als »Identifikationen« bezeichnet. Voraussetzung für eine Identifikation ist ein gemeinsames Merkmal, welches eine Wesenheit mit der anderen teilt. Dabei gibt es drei unterschiedliche Typen der durch Identifikationen angezeigten Verbindungen: Die Begriffe bandhu, nidāna und brāhmaṇa zeigen eine Verbindung zwischen zwei We900 901

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Siehe III.4.2. Siehe III.4.3.1.

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senheiten an. Die Begriffe āyatana und pratiṣṭhā bezeichnen formal eine Wesenheit, an die eine andere Wesenheit durch die jeweilige Verbindung gebunden ist. Die Begriffe rūpa und pratimā implizieren eine Verbindung, indem sie die sichtbare Erscheinung dieser Verbindung darstellen. Die Untersuchung dieser unterschiedlichen Verbindungen zeigt, dass eine spezifische Wesenheit eine Wirkung auf eine ihr entsprechende Wesenheit hat. Diese Verbindungen können überall gefunden werden: sowohl zwischen dem Ritualraum und der äußeren Welt als auch innerhalb beider Bereiche. Entscheidend für die religiöse Praxis ist dabei die kausale Wirksamkeit des Wissens über eine bestimmte kausale Verbindung. Nur wenn der Priester im Opferritual dieses Wissen besitzt, kann er die kausale Verbindung für seine Zwecke nutzen. Es lässt sich somit erkennen, dass alle Wesenheiten durch kausale Relationen unterschiedlicher Art verbunden sind. Dieses alles umfassende Geflecht der Kausalität – für die es in den untersuchten Brāhmaṇas noch keinen allgemeinen Begriff gibt – impliziert ein einheitliches Ganzes. Denn wäre die Vielheit nicht als ein Ganzes verbunden, wären die vielfältigen verborgenen kausalen Relationen nicht erklärbar. 902 In den mit dem Schöpfergott Prajāpati verbundenen Mythen konnte ein solches Wissen um die Voraussetzung eines einheitlichen Ganzen explizit aufgezeigt werden. So beginnt der bedeutendste Schöpfungsmythos des frühen Aitareya-Brāhmaṇa (AB 5.32) mit Prajāpati als einem uranfänglich Einen, der den Wunsch hat, sich zu vervielfältigen. Er erhitzt sich zu diesem Zweck selbst und entlässt aus sich »Räumlichkeit« in Form von Himmel, Luftraum und Erde; »Zeitlichkeit« in Form von den Wesenheiten, die den Jahreskreis konstituieren; und schließlich »Wissen« in Form des Veda. Anschließend breitet Prajāpati das Opfer aus und gibt das Wissen an die Götter weiter. Es lässt sich feststellen, dass Prajāpati die Vielheit in Form der drei Welten und des Opferkosmos aus sich hervorbringt. Der Vielheit ist daher ein einheitliches Ganzes vorauszusetzen. Gleichzeitig ist Prajāpati als Gottheit selbst ein Teil dieser Vielheit und unterliegt der dort vorherrschenden Kausalität. Es lässt sich mithin ein mythologisches Wissen um die Voraussetzung eines einheitlichen Ganzen feststellen, dessen Schöpfung Prajāpati zugeschrieben wird. Prajāpati kann jedoch nur als ein erscheinendes Prinzip dieses unbe-

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Siehe III.4.3.2.

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Ergebnis der Untersuchung

nannten Ganzen verstanden werden, das sich durch die Gesamtheit der kausalen Zusammenhänge konstituiert. 903 Der bedeutendste Schöpfungsmythos des Śatapatha-Brāhmaṇa (ŚB 6.1) hat einen anderen Beginn. Hier steht das Nichtseiende am Anfang, das sich in einer präexistenten Zustandsveränderung zunächst als die sieben vorzeitlichen Seher und schließlich als die sieben Lebenshauche konkretisiert. Diese Lebenshauche werden schließlich zu Prajāpati vereint. Die Zustandsveränderung des Nichtseienden zum ersten Seienden in Form von Prajāpati impliziert Kausalität. Sie zeigt, dass die anschließende Schöpfungstätigkeit des Prajāpati nicht voraussetzungslos ist. Das erste Schöpfungsprodukt des Prajāpati nach dieser präexistenten Zustandsveränderung ist das Wissen in Form des bráhman. Erst danach kommt es zur Entfaltung der gesamten raumzeitlichen Vielheit. Es lässt sich darum ein dem Nichtseienden entstammendes, einheitliches Ganzes dieser erscheinenden Vielheit voraussetzen. Gleichzeitig ist Prajāpati als Gottheit nach seiner Schöpfung selbst ein Teil dieser Vielheit und unterliegt der dort vorherrschenden Kausalität. Es ist mithin wie im Aitareya-Brāhmaṇa ein mythologisches Wissen um die Voraussetzung eines einheitlichen Ganzen festzustellen, dessen Schöpfung allerdings aus dem Nichtseienden entstammt. Prajāpati kann jedoch nur als erscheinendes Prinzip dieses unbenannten Ganzen verstanden werden, das sich durch die Gesamtheit der kausalen Zusammenhänge konstituiert. 904 Zusammenfassend lässt sich erkennen, dass es in den Brāhmaṇas ein Wissen um die Voraussetzung eines verborgenen einheitlichen Ganzen gibt, das sich als ein Geflecht kausaler Relationen konstituiert und keinen eigenen Namen besitzt. Prajāpati ist das erscheinende Prinzip dieses Ganzen in der Götterwelt. In der religiösen Praxis wird die Herrschaft des Wissens beachtet, das als Uranfängliches aus Prajāpati hervorkommt und sich auf die kausalen Relationen (bandhu, nidāna, brāhmaṇa, āyatana, pratiṣṭhā, rūpa, pratimā) bezieht. Das Wissen der Brāhmaṇas ist dabei kein epistemisches Wissen, das die Voraussetzung eines einheitlichen Ganzen in seiner Notwendigkeit systematisch beschreibt. Vielmehr steht ein konkret-anschauliches mythologisches Wissen im Zentrum, bei dem technischrituelle Kenntnisse von Bedeutung sind.

903 904

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Siehe III.4.4.1. Siehe III.4.4.2.

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2.4. Upaniṣaden Die frühen, vorbuddhistischen Upaniṣaden stellen chronologisch und inhaltlich die unmittelbare Fortsetzung der Brāhmaṇas dar. Wie dort besteht auch hier die Vorstellung, dass alle Wesenheiten in einem engen Zusammenhang zueinander stehen, der durch ein Geflecht kausaler Relationen hergestellt wird. Dabei werden auch jenseitige Heilsziele in den Blick genommen. Im Unterschied zu den Brāhmaṇas haben die Upaniṣaden die Vielfalt der kausalen Relationen mit Bezug auf das Ganze systematisiert. In der Analyse wurden zuerst – nach Betrachtung des Begriffs upaniṣad – die kausalen Beziehungssysteme in den Blick genommen und die kosmogonischen Vorstellungen untersucht. 905 Der Begriff upaniṣad bezeichnet nach Harry Falk eine bewirkende Macht, die eine hierarchische Beziehung zu anderen Wesenheiten begründet. 906 Aus dem Bereich des Opferrituals wurden mehrere bewirkende Mächte identifiziert, deren Beziehungssysteme ein Wissen um die Voraussetzung eines einheitlichen Ganzen belegen. So begründen sowohl der udgītha, der im Opferritual angestimmte Hochgesang, als auch der Gesang (sāman) Beziehungssysteme, in denen die unterschiedlichsten Bereiche und Wesenheiten zu einem Ganzen verbunden sind. Dieses Ganze wird nicht wesenhaft verstanden, sondern spiegelt sich in der durch kausale Relationen konstituierten Vielheit wider. Der Mensch erlangt durch Wissen Anteil an der Herrschaft der alles beherrschenden kausalen Relationen. Nach Uhdes Terminologie können udgītha und sāman als erscheinende Prinzipien von Allem betrachtet werden, in denen sich die Einheit in der Vielheit manifestiert und die Gegenstand der unmittelbaren Beachtung sind. 907 Das bráhman als bewirkende Macht ist in dieser frühen Zeit noch eine im rituellen Kontext ausgesprochene Formel. Das mit dem bráhman verbundene Beziehungssystem umfasst wie beim udgītha und sāman die gesamte Vielheit. Es kann wie diese beiden als erscheinendes Prinzip betrachtet werden. Gleichzeitig wird eine Erweiterung vorgenommen. So ist das bráhman darüber hinaus das explizite Ziel eines Wegs, der von dem Wissenden nach seinem Tod beschritten wird. Obwohl das bráhman Teil der Vielheit ist, wird es in diesem 905 906 907

Siehe III.5.2. Siehe III.5.3. Siehe III.5.4.1+2.

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Ergebnis der Untersuchung

Abschnitt als ein »Ort« gedacht, in dem der Verstorbene von Wiedergeburt und (erneutem) Tod, mithin von der Zeitlichkeit nicht mehr berührt wird. Dies lässt sich aus religionswissenschaftlicher Metaperspektive durch seine Kategorisierung als erscheinendes Prinzip verstehen: Das erscheinende Prinzip, so Uhde, reflektiere das einheitliche Prinzip von Allem – hier das einheitliche Ganze – in der Vielheit. Während die bisherigen erscheinenden Prinzipien der vedischen Religionen in der religiösen Praxis beachtet und rituell instrumentalisiert wurden, gewinnt das bráhman eine neue Dimension: Es dient nicht nur als Mittel des Praktizierenden, um die vorherrschende Kausalität für eigene Zwecke zu benutzen, sondern wird für den Praktizierenden selbst zum finalen Zweck! Die postmortale Anwesenheit beim bráhman lässt den Gläubigen einen unmittelbaren Zugang zur Nicht-Zeitlichkeit und damit zu dem einheitlichen Ganzen selbst gewinnen. Diese Anwesenheit beim Nicht-Zeitlichen gleicht den von Uhde festgestellten Mangel an zeitloser Gegenwart aus, der zur Bildung des religiösen Wissens führte. 908 Der Gedanke einer postmortalen Anwesenheit beim bráhman wird auch in ChU 5 in der auf die »Fünf-Feuer-Lehre« folgende »Zwei-Wege-Lehre« beschrieben. Zunächst wird in der Fünf-FeuerLehre ein Beziehungssystem mit dem Opferfeuer als bewirkende Macht beschrieben. Das Opferfeuer lässt sich als ein erscheinendes Prinzip verstehen. Das Beziehungssystem beschreibt eine Kausalkette, die vom fernen Himmel bis zur Geburt eines Menschen führt. Nach dem Tod – so die »Zwei-Wege-Lehre« – verbleibe der unwissende Mensch in dieser Kausalität und werde wiedergeboren. Die Anwesenheit beim bráhman, die der Wissende nach dem Tod erlangt, lasse ihn dagegen nicht mehr der Wiedergeburt, mithin der Zeitlichkeit unterliegen. Das bráhman ist – wie oben ausgeführt – dabei wie das Opferfeuer ein erscheinendes Prinzip.909 Neben diesen Beziehungssystemen spielt der Begriff des ātman eine wichtige Rolle. Die Etymologie des Begriffs ist bislang ungeklärt; klar ist nur, dass er aus dem Kontext des Rituals stammt. Meist wird er mit »Selbst« oder »Wesenskern« übersetzt. In ChU 7 und ChU 8 sowie in BĀU 2.4 wird der ātman in unterschiedlicher Weise als »Selbst« betrachtet, das allen Sinnesvermögen einschließlich des Denkvermögens zugrunde liegt. Der ātman umfasst alles Existieren908 909

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Siehe III.5.4.3 & II.2.1.3. Siehe III.5.4.4.

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Zusammenfassung von Teil II: Anwendung

de, ist selbst aber als ein wesenhaftes Einziges verborgen. Er gilt als Prinzip des Wissens und der Kausalitäten, mithin als Ursprung von allem. Das Wissen über ihn verleiht Herrschaft über alles, weil er als verborgenes einheitliches Ganzes alle Kausalbeziehungen in sich enthält und damit beherrscht. Es lässt sich erkennen, dass der ātman als eine bewirkende Macht in einem Unterschied zu den bisherigen bewirkenden Mächten steht. Wurden diese als erscheinende Prinzipien bestimmt, die – als Teil der Vielheit – die Vielheit als ein einheitliches Ganzes reflektieren, kann der ātman als verborgenes, einheitliches Prinzip von Allem verstanden werden, das der erscheinenden Vielheit als ein wesenhaftes Ganzes zugrunde liegt. 910 In ChU 5.11–24 stellt der ātman vaiśvānara dagegen einen makrokosmischen »Leib« dar, der den gesamten Raum umfasst und dem mikrokosmischen Leib entspricht. Die verbindenden Kausalitäten konstituieren die erscheinende Vielheit im Verborgenen als ein einheitliches Ganzes. 911 In BĀU 2.5 und ChU 1.6–7 spielen jeweils der mikro- und makrokosmische Mann (puruṣa) eine wichtige Rolle. In BĀU 2.5 wird ein Beziehungssystem vorgestellt, in dem mikro- und makrokosmische Wesenheiten in einer engen kausalen Verbindung stehen. Ihnen allen liegt der ātman zugrunde, der an dieser Stelle wie oben als ein wesenhaftes, einheitliches Ganzes bestimmt werden kann. Die beiden erscheinenden Prinzipien des ātman sind der mikro- und der makrokosmische Mann (puruṣa), die in allen Wesenheiten des Mikro- bzw. des Makrokosmos wohnen. Sie begründen die kausale Verbindung und Einheit von Mikrokosmos und Makrokosmos. In ChU 1.6–7 wird ebenfalls ein Beziehungssystem angeführt, das die erscheinende Vielheit abbildet. Auch hier können die beiden puruṣa’s als erscheinende Prinzipien des einheitlichen Ganzen betrachtet werden, als das die Vielheit zu fassen ist. 912 Der Schöpfungsmythos BĀU 1.2, der wahrscheinlich zu den ältesten Teilen der BĀU gehört, beschreibt eine ungewöhnliche Entfaltung der Welt. So existiert am Anfang nichts. Im zweiten Satz des Mythos wird der Tod als Wesenheit eingeführt; offensichtlich stellt er eine wesenhafte Konkretion des »Nichts« dar. Die anschließende Entfaltung der Vielheit ähnelt sehr den Schöpfungsmythen der 910 911 912

Siehe III.5.4.5.1. Siehe III.5.4.5.2. Siehe III.5.4.5.3.

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Ergebnis der Untersuchung

Brāhmaṇas, nur dass hier nicht Prajāpati der Ausgangspunkt ist, sondern der Zeitlichkeit implizierende Tod. Doch kann die Vielheit hier als zeitloses Ganzes betrachtet werden, wo doch in allem Erscheinenden der Tod wohnt? Würde der Tod bzw. das Sterben als ein einmaliges Ereignis verstanden, müsste die Frage verneint werden. Durch die Konzeption des »erneuten Sterbens« (punarmr̥tyu), einer frühen Formulierung des Wiedergeburtsgedankens, muss jedoch festgestellt werden, dass das erneute Sterben zu einem Verbleib und zur Wiedergeburt in der gleichen Vielheit führt. Ausnahmslos alle Wesenheiten der Vielheit eint, dass sie dem Tod unterliegen bzw. (in Bezug auf einige Gottheiten) ihn manifestieren. Darum kann auch hier die Vielheit als ein Ganzes begriffen werden. Doch wie kann der Tod aus religionswissenschaftlicher Metaperspektive eingeordnet werden? Zum einen ist hervorzuheben, dass der Tod – aus dem Nichtseienden kommend – zwar die Entfaltung der Vielheit anstößt, aber – wie schon Prajāpati – nicht alles beherrscht. Wie Prajāpati kann er darum nicht als das wesenhafte einheitliche Ganze begriffen werden: vielmehr ist er selbst ein Teil der Vielheit. Dennoch ist er gemäß der Uhde’schen Terminologie als das erscheinende Prinzip zu begreifen, das das einheitliche Ganze in der Vielheit reflektiert. Als erscheinendes Prinzip bietet er gleichzeitig – wie das bráhman an einigen Stellen der ChU – dem Wissenden einen Zugang zur Zeitlosigkeit des einheitlichen Ganzen. 913 Der Schöpfungsmythos in ChU 6 stellt ein namenloses Seiendes an den Anfang. Dies setzt einen Unterschied zu den Brāhmaṇas, in denen Prajāpati als etwas Namen Besitzendes an den Anfang der Vielheit gesetzt wurde. So ist das Seiende als das einheitliche Ganze zu betrachten, das sich als Vielheit entfaltet, alles zusammenhält und doch selbst verborgen bleibt. Als ātman (Selbst) ist es in allen Dingen gegenwärtig und kann vom Wissenden als solches erkannt werden. 914 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in den Upaniṣaden in unterschiedlicher Form ein Wissen um die Voraussetzung eines einheitlichen Ganzen festgestellt werden kann. Zum Ersten gibt es Ansätze, die ein kausales Beziehungssystem in den Mittelpunkt stellen, das die gesamte Vielheit durchzieht und somit ein einheitliches Ganzes impliziert. Mit diesen kausalen Beziehungssystemen verbunden sind bewirkende Mächte bzw. in Uhdes 913 914

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Siehe III.5.5.1. Siehe III.5.5.2.

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Terminologie »erscheinende Prinzipien«, die dem Wissenden die Herrschaft über das kausale Beziehungssystem vermitteln. Diese erscheinenden Prinzipien sind dem rituellen Opferkontext entnommen: udgītha, der im Opferritual angestimmte Hochgesang; sāman, der Opfergesang; bráhman, die rituelle (Zauber)Formel; und schließlich die fünf Opferfeuer. Zum Zweiten gibt es Ansätze, die ein wesenhaftes einheitliches Ganzes voraussetzen. Das heißt, die Vielheit kann nicht nur aufgrund der engen Verbundenheit aller sie konstituierenden Wesenheiten als ein Ganzes verstanden werden, sondern es liegt ihr eine wesenhafte Einheit zugrunde, die in allem wohnt, mithin ein einheitliches Ganzes darstellt. Hierzu ist die Konzeption eines ātman als innerster Wesenskern zu zählen sowie der Schöpfungsmythos, der ein sich als Vielheit entfaltendes Seiendes an den Anfang von allem stellt, das als ātman in allem wohnt. Zum Dritten gibt es Ansätze, die die Vergänglichkeit der Vielheit in den Mittelpunkt rücken sowie die Möglichkeit, aus dieser Vergänglichkeit zu entkommen. Die Vielheit wird hierbei auch als ein einheitliches Ganzes betrachtet. Das Sterben bedeutet kein Verlassen dieses Ganzen, sondern ein Verbleib in Form einer erneuten Wiedergeburt. Das Entkommen aus der Vergänglichkeit gelingt durch das Eingehen in eine Wesenheit (als Teil der Vielheit), die jedoch Unvergänglichkeit verheißt, so der »Tod« oder das bráhman.

2.5. Pāli-Kanon Der Buddhismus stellt für Religionsdefinitionen eine besondere Herausforderung dar, weil in ihm die Verehrung eines Gottes bzw. mehrerer Götter keine zentrale Rolle spielt. Die buddhistische Lehre (dhamma) im frühen Pāli-Kanon ist sehr praktisch ausgerichtet. Dort stehen die vier »Edlen Wahrheiten« im Zentrum, die in Kurzform die Lehre vom bedingten Entstehen (paṭiccasamuppāda) und von dessen Erlöschen (nibbāna) enthalten. Eine ausgereifte Systematik findet sich erst im späteren Abhidhamma-piṭaka, der nicht Teil der Untersuchung war. 915 Der Buddha greift auf Vorstellungen des vedischen Weltbilds zurück, interpretiert sie aber neu. So ist alles Dasein – das heißt nicht 915

Siehe III.6.2.

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Ergebnis der Untersuchung

nur das Dasein der Menschen, sondern auch das Dasein der Götter – durch drei Charakteristika gekennzeichnet: (1) Jedes Dasein bedeutet Leiden (dukkha); (2) ausnahmslos alles unterliegt der Vergänglichkeit (anicca); (3) ein ātman, wie ihn die Upaniṣaden beschreiben, ist nicht zu finden (anattā). Die drei Daseinsfaktoren zeigen, dass der Buddha einzig und allein das Dasein in den Blickpunkt rückt, wie es mit den Sinnen einschließlich des »Denksinnes« erfahren wird: nämlich als ein leidvolles und vergängliches Dasein, ohne die Postulation einer verborgenen Entität, die hinter diesem Dasein stehe. 916 Die Perspektive der sinnlich-geistigen Anschauung der Welt bringt den Buddha auf den Gedanken der bedingten Abhängigkeit der Dinge voneinander. Die aus diesem Grundgedanken gebildete Formel vom bedingten Entstehen (paṭiccasamuppāda), die als eine Elaboration der zweiten »Edlen Wahrheit« verstanden werden kann, stellt eine explizite Gegenposition zu vedischen Vorstellungen, insbesondere zur Vorstellung eines ātman dar. Da die Formel im frühen Pāli-Kanon nicht erklärt oder kommentiert wird, hat sie unterschiedlichste Deutungen erfahren. Darum wurde in dieser Untersuchung ein enger Bezug zur Quelle gewahrt. 917 Das bedingte Entstehen wird in drei grundsätzlichen Versionen überliefert. Zunächst wurde der Blick auf den Beginn des Entstehens gerichtet, der in allen Versionen unterschiedlich ist. In der vermutlich ältesten Formulierung steht am Anfang das »Erkennen/Bewusstsein«, das mit »Name & Form« in einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis steht, was die Vorstellung einer wesenhaften, ursprünglichen Einheit überflüssig macht: Denn alles Erscheinende kann aus dem Zusammenwirken des geistig-sinnlichen und des materiellen Aspekts erklärt werden. In einer anderen Version wird sinnlich-geistig erfassbares Dasein an den Anfang gesetzt, dessen Herkunft nicht erklärt wird. Die Version, die sich schließlich wirkungsgeschichtlich durchsetzen konnte, umgeht den möglichen Vorwurf, im bedingten Entstehen werde zwar die ātman-Vorstellung explizit zurückgewiesen, jedoch werde immer noch von einem ersten Anfang ausgegangen, sei es in Form der Wechselbeziehung »Erkennen/Bewusstsein – Name & Form« oder eines bereits vorhandenen materiellen Daseins. So wird eine Negation an den Anfang des bedingten Entstehens gesetzt, nämlich das »Nicht-Wissen«. Alle Ver916 917

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Siehe III.6.3. Siehe III.6.4.

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sionen sind so formuliert, dass kein einheitlicher Ursprung von allem identifiziert werden kann. 918 Die drei Langfassungen der Formel vom bedingten Entstehen haben zwar einen unterschiedlichen Anfang; dennoch eint sie der grundsätzliche Gedanke, dass zunächst ein »Erkennen« des Einzelnen gesetzt wird, der die erscheinende Welt wahrnimmt. Das Erkennen, das jedem lebenden Wesen zugeschrieben werden kann, wird dabei als reine Tätigkeit verstanden und konstituiert kein wesenhaftes Subjekt. Es führt zu einem intentionalen In-Beziehung-Treten zu Objekten dieser Welt, was wiederum letztlich den Fortgang der zeitlichen Existenz bedingt. Auf der anderen Seite kann dieses scheinbar unendliche bedingte Entstehen vom einzelnen Wissenden »gehemmt« werden. Das Mittel dazu ist der dhamma, der selbst Teil der bedingten Welt ist und darum nur eine Brücke zum Ziel dieses Hemmens, zum nibbāna darstellt. Unabhängig von diesem Heilsziel ist festzustellen, dass die Bewusstseinsperspektive, die die Formel vom bedingten Entstehen impliziert und die allen erkennenden Wesen zugeschrieben werden muss, alles Existierende eng miteinander verbindet. Alle sind in der Tatsache vereint, dass sie dem bedingten Entstehen unterliegen. Der Prozess des bedingten Entstehens ist dabei als unendlich zu betrachten. Deshalb lässt sich das Dasein als ein einheitliches Ganzes fassen, wobei dieses keine wesenhafte Einheit wie den ātman zur Grundlage hat. Bei dieser religionswissenschaftlichen Bestimmung kann eingewendet werden, dass das bedingte Entstehen wesentlich »Zeitlichkeit« impliziert und somit gar kein zeitloses Ganzes konstituieren kann. Dem ist zu entgegnen, dass die das Ganze konstituierenden Bedingungsverhältnisse immerwährend sind, auch angesichts der Vergänglichkeit des Einzelnen und seiner Möglichkeit, das Entstehen zu hemmen. In diesem Sinne kann das Ganze auf der religionswissenschaftlichen Metaebene als zeitlos betrachtet werden. Auf der frühbuddhistischen Objektebene würde eine solche Bestimmung jedoch nicht vorgenommen werden, da der Blick auf die Bewusstseinsperspektive des Einzelnen gerichtet ist und bewusst eine solche Metaperspektive vermieden wird. 919 Das nibbāna, so zeigte die anschließende Untersuchung, lässt sich nur in Negationen beschreiben. Es ist jenseits aller sinnlich-geistigen Wahrnehmung und übersteigt auch die höchste Stufe der Me918 919

Siehe III.6.4.1. Siehe III.6.4.2.

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Ergebnis der Untersuchung

ditation. Der Einzelne kann Anwesenheit beim nibbāna bereits im Leben erreichen. Es wird vom bedingten Entstehen nicht berührt und unterliegt damit nicht der Zeitlichkeit. Die vollkommene Geschiedenheit vom bedingten Entstehen, mithin von allem Dasein sowie seine Zeitlosigkeit erweist das nibbāna auf der religionswissenschaftlichen Metaebene formal als eine absolute Einheit, die allerdings nicht als Prinzip von Allem herrscht. Vielmehr wird mit dem Eintreten des nibbāna die Herrschaft des bedingten Entstehens überwunden. Auf der buddhistischen Objektebene wird jedoch nicht das Selbstverständnis getroffen, da das nibbāna nicht positiv, sondern nur negativ bestimmt werden kann. 920 Auf der religionswissenschaftlichen Metaebene ergibt sich für den frühen Pāli-Kanon eine dualistische Konzeption zweier »Einheiten«: Neben dem durch bedingte Relationen konstituierten einheitlichen Ganzen steht davon völlig unberührt das nibbāna als eine absolute Einheit, deren Anwesenheit gesucht wird. Beherrschend sind nur die bedingten Relationen; mit dem Eintreten des nibbāna überwindet der Einzelne ihre Herrschaft. Es muss aber kritisch angemerkt werden, dass diese religionswissenschaftliche Bestimmung das Selbstverständnis des frühen Pāli-Kanons nicht befriedigend erfasst. So gibt es im Vinaya- und Sutta-piṭaka noch keine ausgearbeitete Theorie, die diese dualistische Konzeption reflektiert. 921

3.

Reflexion der Anwendung

3.1. Inhaltliche Reflexion Die Anwendung hat gezeigt, dass aus der religionswissenschaftlichen Metaperspektive in allen untersuchten Texten der altindischen Geistesgeschichte ein Wissen um die Voraussetzung einer verborgenen Einheit gefunden werden kann. Mit Ausnahme des buddhistischen nibbāna ist diese Einheit nicht als eine absolute Einheit, sondern als ein einheitliches Ganzes zu fassen. 922 Dieses unter der Vielheit der erscheinenden Welt verborgene Ganze wird durch unterschiedliche, in der Vielheit »erscheinende Prinzipien« ins Wissen der Menschen 920 921 922

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Siehe III.6.5. Siehe III.6.5. Siehe II.2.2.1.2.

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Reflexion der Anwendung

gebracht. Diese »erscheinenden Prinzipien« sind Gegenstand des praktischen »Beachtens« des Gläubigen. Dagegen kann das einheitliche Ganze meist nicht als »Prinzip von Allem« betrachtet werden, da es in seiner vollkommenen Identität mit der Vielheit nicht als logisches Subjekt begriffen wird, das »Allem« als »Prinzip« gegenübersteht. Darum ist das einheitliche Ganze auch nicht das herrschende Subjekt; vielmehr wird es im vedischen Kontext durch das Geflecht der herrschenden kausalen Relationen konstituiert. Eine Ausnahme bildet die upaniṣadische ātman-Lehre, in der mit dem ātman ein einheitliches Prinzip von Allem angenommen wird, das als wesenhaftes Ganzes alles hervorbringt und umfasst. 923 Im frühen buddhistischen Pāli-Kanon distanziert sich der Buddha von einer Vorstellung eines solchen wesenhaften, einheitlichen Ganzen. Allerdings geht auch der Buddha implizit von einem (nicht-wesenhaften) einheitlichen Ganzen aus, das sich aber nicht – wie in den vedischen Religionen – aus beständigen, kausalen Relationen, sondern aus Bedingungsverhältnissen konstituiert. Obwohl der Einzelne die Wirksamkeit dieser Bedingungsverhältnisse hemmen kann, sind sie universell betrachtet über alle Zeiten hinweg tätig und begründen die Vielheit, wie sie sich den Sinnen präsentiert. Das Heilsziel befindet sich, anders als in der upaniṣadischen Vorstellung vom bráhman nicht innerhalb der erscheinenden Vielheit und bietet somit auch keinen Zugang zur Zeitlosigkeit des einheitlichen Ganzen. 924 Vielmehr ist im Buddhismus aus einer religionswissenschaftlichen Metaperspektive eine dualistische Konzeption festzustellen: Das Heilsziel nibbāna ist vollkommen geschieden und unberührt von allem Existierenden und kann – als zeitloses Einziges – als eine absolute Einheit betrachtet werden. Als solche ist es allerdings kein Prinzip von Allem und impliziert auch keine Herrschaft; vielmehr wird die Herrschaft des bedingten Entstehens aufgehoben. Hinsichtlich des Begriffs »Herrschaft« ergibt sich in der Anwendung ein inhomogenes Bild. So wird in einzelnen Abschnitten der Upaniṣaden dem ātman die Herrschaft über alles zugeschrieben. In den meisten anderen Abschnitten sowie in den vorangehenden vedischen Texten des R ̥ gveda, des Atharvaveda und der Brāhmaṇas gibt es jedoch kein derartiges herrschendes Subjekt. Vielmehr ist – Nicht dazu gezählt werden kann allerdings die Lehre vom ātman vaiśvānara. (Siehe III.5.4.5.2). 924 Zum upaniṣadischen bráhman siehe III.5.4.3. 923

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Ergebnis der Untersuchung

wie eben schon erwähnt – mit den kausalen Relationen, die die Vielheit zu einem einheitlichen Ganzen konstituieren, Herrschaft verbunden. Diese Herrschaft ist mithin nicht von der Vielheit getrennt, weshalb der Einzelne Anteil an ihr gewinnen kann. Im Buddhismus wird schließlich auch von der Herrschaft bedingter Relationen ausgegangen, die jedoch überwunden werden soll. So impliziert das nibbāna die Nicht-Herrschaft des bedingten Entstehens. Neben der monotheistischen und monistischen Zuschreibung der Herrschaft zu einem einheitlichen Prinzip von Allem gibt es also die Vorstellung, dass in dem als Vielheit erscheinenden Ganzen Herrschaft enthalten ist. Mit Hilfe der »erscheinenden Prinzipen« – wie ̥rtá oder dhamma – nimmt der Einzelne entweder Anteil an dieser Herrschaft oder überwindet sie. Auf der Objektebene entspricht die religionswissenschaftliche Feststellung eines Wissens um die Voraussetzung eines einheitlichen Ganzen, das in Form von mit Herrschaft verbundenen »erscheinenden Prinzipien« beachtet wird, dem Selbstverständnis des R ̥ gveda, des Atharvaveda, der Brāhmaṇas und der Upaniṣaden. Allerdings muss angemerkt werden, dass beispielsweise im R ̥ gveda ein solches Wissen durch die Tätigkeit des ̥rtá nur impliziert wird; 925 nur einige Stellen im R ̥ gveda explizieren es. 926 In den Brāhmaṇas und in den Upaniṣaden spiegelt sich dieses Wissen dagegen in Kernelementen der Vorstellungen wider. Allerdings kann eingewendet werden, dass ein Religiöser sein religiöses Wissen nicht mit diesen Worten beschreiben würde. Dem ist zu entgegnen, dass es der Anspruch von Uhdes Religionsbegriff ist, eine Metaperspektive auf Religion zu geben, die dem religiösen Selbstverständnis auf der Objektebene zwar entspricht, jedoch bewusst nicht auf die Objektsprache zurückgreift. In dem Zusammenhang ist ein Widerspruch zwischen Metaund Objektebene in der Untersuchung des frühen Pāli-Kanons festzustellen. So deckt sich die religionswissenschaftliche Bestimmung, das nibbāna sei eine absolute Einheit, nicht mit dem frühbuddhistischen Selbstverständnis. Eine derartige inhaltliche Kategorisierung stellt eine positive Bestimmung dar und widerspricht der Auffassung des frühen Pāli-Kanons, das nibbāna befinde sich jenseits aller Be-

Siehe III.2.3.2. Zumindest in Bezug auf den älteren R ̥ gveda. (Siehe III.2.4). Im jüngeren R ̥ gveda (RV 10) wird einem solchen Wissen mehr Platz eingeräumt. (Siehe III.2.5).

925 926

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Reflexion der Anwendung

stimmungen und sei nur in Negationen beschreibbar. 927 Auch die Interpretation des von bedingt entstandenen Relationen beherrschten Daseienden als ein verborgenes einheitliches Ganzes gibt nicht das Selbstverständnis des Buddha wieder. Unabhängig davon, ob in der späteren Entwicklung des frühen Buddhismus in der Lehre des unendlichen saṃsāra, des »Kreislaufs des Daseins«, ein solches Ganzes expliziert wird, lässt sich für den hier untersuchten frühen PāliKanon feststellen, dass sich das frühbuddhistische Wissen nur auf die Beobachtung und Reflexion des bedingten Entstehens bezieht. Die Entwicklung einer Weltsicht steht der ursprünglich rein praktischen Ausrichtung des Buddha entgegen. 928 Dennoch lässt sich feststellen, dass ohne die implizite Voraussetzung eines einheitlichen Ganzen, das sich aus dem die Zeiten übersteigenden Wirken des bedingten Entstehens konstituiert, die All-Aussagen des Buddha hinsichtlich der Leidhaftigkeit und der Vergänglichkeit aus vedischer Sicht nicht gemacht werden könnten. Die aus religionswissenschaftlicher Sicht dualistische Konzeption des frühen Buddhismus stellt eine weitere Herausforderung dar. So kann der Einzelne das aus Bedingungsverhältnissen konstituierte einheitliche Ganze durch den dhamma, die »handlungsanleitende Lehre« (und selbst Teil dieses Ganzen), negieren. Diese durch Beachten des dhamma erfolgte Negation – hier sei an das sprachbildliche Verständnis des dhamma als Floß erinnert, das am anderen Ufer zurückgelassen wird – 929 führt zur Anwesenheit bei der absoluten Einheit des nibbāna. Der Uhde’sche Religionsbegriff gibt diese Dualität nicht wieder. Gleichwohl stellt er dennoch ein Instrument dar, um sie festzustellen. Unter Berücksichtigung dieser Schwierigkeiten lässt sich das Uhde’sche »Wissen um die Voraussetzung einer Einheit bzw. eines einheitlichen Ganzen«, das vermittelt über ein »erscheinendes Prinzip« beachtet wird, als nützliche Arbeitsdefinition für die Analyse heterogener Geistesgeschichten betrachten. Der kritische Blick muss dabei – wie die Reflexion des Ergebnisses zum frühen Pāli-Kanon gezeigt hat – immer gewahrt bleiben. Die Anwendung von Uhdes Religionsbegriff soll nun im Anschluss methodisch reflektiert werden.

927 928 929

Siehe III.6.5. Siehe III.6.2. Siehe III.6.4.2.

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Ergebnis der Untersuchung

3.2. Methodische Reflexion Der Religionsbegriff von Bernhard Uhde erfordert eine Vertrautheit mit philosophischen Termini wie »Einheit«, »Vielheit«, »Prinzip« oder »Ganzes«. Ohne eine solche Vertrautheit bzw. die Bereitschaft, diese Vertrautheit aufzubauen, kann es leicht zu Fehldeutungen kommen. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Termini selbst nicht eindeutig sind, sondern in der Philosophie in unterschiedlichen Kontexten Anwendung finden. In der Durchführung der Anwendung bestand daher die Schwierigkeit, sich an Uhdes Verständnis dieser Begriffe zu orientieren, ohne andere Deutungen mit hineinzunehmen. Gleichzeitig musste der Uhde’sche Begriff von »Wissen« und »Einheit« analytisch erweitert werden, um eine Anwendung auf die altindische Geistesgeschichte überhaupt zu ermöglichen. 930 So kommt mit Blick auf den Begriff von »Einheit« hinzu, dass in Bezug auf die »Vielheit« zwei Grundmodelle gedacht werden können: (1) Einheit als ein Absolutes, das von der Vielheit vollkommen getrennt ist; (2) Einheit als ein Ganzes, das mit der Vielheit identisch ist. Da Uhde diese Unterscheidung nicht explizit reflektiert, besteht die Gefahr, dass bei einer Anwendung seines Religionsbegriffs das in der eigenen Religion vorkommende Grundmodell auf die anderen Religionen übertragen wird. So könnte ein Europäer vor dem Hintergrund eines christlichen Verständnisses von Gott als einer absoluten, von aller Vielheit unterschiedenen Einheit dieses Verhältnis von »Einheit – Vielheit« auf die Schöpfung in den Brāhmaṇas anwenden. In einem solchen Fall würde entweder kein Ergebnis gefunden – denn das Modell einer absoluten Einheit lässt sich in den Brāhmaṇas nicht finden. Oder es würde versucht, die Schöpfergottheit Prajāpati als eine absolute Einheit im monotheistischen Sinn zu interpretieren, obwohl sie selbst Teil der Schöpfung ist und sogar angegriffen bzw. getötet wird. Umgekehrt könnte ein indischer Wissenschaftler, welcher – zur besseren Veranschaulichung – der frühupaniṣadischen ātman-Lehre anhängt, die Inkarnation Jesu Christi als eine Manifestation eines einheitlichen Ganzen interpretieren (etwa wie in BĀU 2.5 der puruṣa »Mann« eine solche Manifestation darstellt) 931. In beiden Fällen würde das Ergebnis stark verzerrt werden. Die An-

930 931

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Siehe II.2.2.1.1. Siehe III.5.4.5.3.

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Eine religionswissenschaftliche Arbeitsdefinition

wendung von Uhdes Religionsbegriff verlangt mithin nicht nur eine Einarbeitung in philosophische Termini sowie eine Verinnerlichung der Uhde’schen Lesart, sondern auch eine explizite Abstandnahme vom jeweils religiös-kulturell vorherrschenden Modell des Verhältnisses von Einheit und Vielheit. Diese Schwierigkeiten erschweren die unmittelbare Zugänglichkeit des Religionsbegriffs.

4.

Eine religionswissenschaftliche Arbeitsdefinition

Die Reflexion der Anwendung hat gezeigt, dass mit dem Religionsbegriff von Bernhard Uhde sowohl inhaltliche als auch methodische Schwierigkeiten verbunden sind. Dennoch ermöglicht die Anwendung seines reflektierten Religionsbegriffs die Darstellung einer geistesgeschichtlichen Entwicklung zentraler Konzepte der altindischen Religionen sowie eine klare Verhältnisbestimmung zwischen den vedischen Religionen und dem frühen Pāli-Kanon. Der Versuch, Uhdes religionsphilosophischen Religionsbegriff auf Grundlage der vorliegenden Untersuchung in eine religionswissenschaftliche Arbeitsdefinition umzuwandeln, erscheint daher nützlich. Eine solche Arbeitsdefinition wird nicht die schwierige Zugänglichkeit des Begriffs aufgrund seiner philosophischen Termini umgehen können. Die Reflexion der Anwendung hat aber einige Probleme aufgezeigt, die in einer Arbeitsdefinition berücksichtigt werden können: 1. Ein herrschendes »Prinzip von Allem« kann in der altindischen Geistesgeschichte nur vereinzelt gefunden werden. 2. Dennoch gibt es durchgängig »erscheinende Prinzipien«, die eine Brücke zwischen Einheit und Vielheit darstellen und in unterschiedlicher Weise mit dem Begriff »Herrschaft« verbunden sind. 3. Die Erweiterungen der Begriffe »Wissen« und »Einheit« sind zu berücksichtigen. Über den Umgang mit diesen Problemen bei der Formulierung einer Arbeitsdefinition soll nun eingegangen werden. Zu (1): Uhde bezeichnet die »verborgene Einheit« im dritten Teil seines Religionsbegriffs als »Prinzip von Allem«, weil er sie als »Herrschende« in einer hierarchisch strukturierten Relation zur »Vielheit« sieht. Die Anwendung hat jedoch gezeigt, dass eine solche

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Ergebnis der Untersuchung

Struktur in der altindischen Geistesgeschichte meist nicht besteht. 932 Daher sollte auf die begriffliche Erweiterung der als Einheit gefassten zeitlosen Gegenwart zu einem »Prinzip von Allem« verzichtet werden. Zu (2): Im Gegensatz zu einem »Prinzip von Allem« kann der von Uhde angenommene Gedanke einer zwischen Einheit und Vielheit »vermittelnden«, zur Vielheit gehörigen Wesenheit, die er als »erscheinendes Prinzip« bezeichnet, bestätigt werden. Uhde hat sowohl »erscheinendes Prinzip« als auch »Vielheit« nicht in seinen Religionsbegriff aufgenommen, obwohl er sie in seinen Ausführungen nennt und sie – wie die Anwendung gezeigt hat – eine wichtige Rolle spielen. Daher müssen beide Begriffe in eine Arbeitsdefinition eingeschlossen werden. Das in der Vielheit erscheinende Prinzip weist auf die Herrschaft der Einheit hin, gibt Anteil an dieser Herrschaft oder überwindet sie. Diese unterschiedliche Bezugnahme auf »Herrschaft« muss in die Arbeitsdefinition einfließen. Zu (3): Beim »Wissen« müssen explizit bildhafte, magische Wissensformen mit einbezogen werden. Auch wenn in dieser Untersuchung nur auf schriftliche Quellen zurückgegriffen werden konnte, muss in einer Arbeitsdefinition zudem darauf hingewiesen werden, dass Wissen auch ästhetisch, beispielsweise in Tanz, Kunst oder Musik ausgedrückt werden kann. Bei der »Einheit« muss explizit auf die zwei Grundmodelle hingewiesen werden. Eine religionswissenschaftliche Arbeitsdefinition, die helfen soll, eine Geistesgeschichte besser zu erschließen, muss sich zudem auf das Wissen, das in der religiösen Praxis beachtet wird konzentrieren. 933 Der Grund in Form der »Einsicht in den Mangel an anwesender Gegenwart« stellt die theoretische Grundlage dar, auf welcher die Arbeitsdefinition beruht. Als religionswissenschaftliche Arbeitsdefinition kann darum folgende Formulierung gewählt werden: Religion besteht aus (1) einem Wissen um die Voraussetzung einer verborgenen, zeitlosen »Einheit« und (2) einem in der Praxis vollzogenen Beachten eines mit der Einheit verbundenen »erscheinenden Prinzips«. Dieses erscheinende Prinzip weist in der »Vielheit« der erscheinenden Welt auf die mit der Einheit verbundene Herrschaft hin, gibt Anteil an dieser Herrschaft oder überwindet diese. Unter »Einheit« kann dabei (a) eine absolute, von aller Vielheit ge932 933

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Eine Ausnahme bilden die ātman-Vorstellungen, siehe III.5.4.5.1. Siehe II.2.2.2.

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Eine religionswissenschaftliche Arbeitsdefinition

trennte Einheit oder (b) ein mit der Vielheit identisches, einheitliches Ganzes verstanden werden. Unter »Wissen« werden alle möglichen Formen des Wissens von einem Erfahrungswissen über ein mythologisch-technisches Wissen bis hin zu einem theologisch-epistemischen Wissen verstanden. Wissen kann dabei nicht nur in schriftlichen oder mündlichen Quellen, sondern auch ästhetisch seinen Ausdruck finden. Eine solche Arbeitsdefinition mag als Ausgangspunkt für die Untersuchung von Geistesgeschichten anderer Religionen dienen. Trotz der erwähnten Schwierigkeiten hat die Anwendung auf die altindische Geistesgeschichte gezeigt, dass der Uhde’sche Religionsbegriff bzw. die daraus entwickelte Arbeitsdefinition eine neue Perspektive bietet, Religion zu betrachten und eine religiöse Geistesgeschichte zu erschließen. Aufgrund ihrer metasprachlichen Perspektive, die es erlaubt, sehr heterogene Vorstellungen miteinander in Beziehung zu setzen, erscheint die Arbeitsdefinition insbesondere für die religionsvergleichende Forschung nützlich.

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Transliteration und Aussprache Die Umschrift erfolgt in der für die relevanten altindischen Sprachen – Vedisch, präklassisches Sanskrit und Pāli – üblichen wissenschaftlichen Transliteration, die vom angelsächsischen Sprachraum geprägt wurde. Es wird immer die vorherrschende Schreibweise eines Begriffs in der jeweiligen Literaturgattung angegeben. Der Plural wird – sofern die Begriffe im Fließtext verwendet werden – in Abweichung von der üblichen Schreibweise durch das Anhängen eines »’s« an den Ausdruck im Singular gekennzeichnet. Eine Ausnahme bilden die Namen von Texten, deren Plural – wie in vielen Publikationen üblich – eingedeutscht wurde. So wird Upaniṣad im Plural als Upaniṣaden bezeichnet. Die Namen von Texten, Schulen, menschlichen und göttlichen Akteuren wurden im Beginn groß geschrieben und nicht akzentuiert. In den direkten Zitaten wird im Gegensatz zum bisher Angeführten die jeweils verwendete Transliteration des Übersetzers wiedergegeben. Die Betonung eines Wortes wird nur im Vedischen durch eine Akzentuierung der Vokale angezeigt. Der Akut kennzeichnet bei den Vokalen wie á, í, ú etc., dass sie höher ausgesprochen werden. Gewöhnlicherweise weist ein vedisches Wort einen Akut auf. Daneben gibt es auch Wörter, die einen fallenden Vokal aufweisen, der durch ein Gravis markiert wird: à, ì, ù etc. Im Sanskrit und Pāli fällt diese Akzentuierung weg. Es soll nun eine Übersicht über die Aussprache der Vokale und Konsonanten gegeben werden, sofern diese von der im Deutschen üblichen Aussprache wesentlich abweicht: • ā, ī, ū: lang gesprochene Vokale, im Gegensatz zu den kurz artikulierten Vokalen a, i, u. Die Vokale e und o sind immer lang. • r̥: vokalisches r wie in der kroatischen Insel Krk. Wird heute meist als ri ausgesprochen, z. B. R̥gveda = Rigveda. Die Voraussetzung einer verborgenen »Einheit«

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kh, gh, ch, jh, ṭh, ḍh, dh, ph, bh: ein h direkt nach dem Konsonanten bedeutet, dass er aspiriert, das heißt mit einem nachfolgenden Hauch ausgesprochen wird. Dies bildet den Unterschied zu den nicht-aspirierten Konsonanten k, g, c etc. • ṭ, ṭh, ḍ, ḍh, ṇ: ein Punkt unter den Konsonanten kennzeichnet eine retroflexe Aussprache: bei der Artikulation biegt sich die Zunge nach oben und berührt den hinteren Mundraum. • c, ch: tsch wie im beim italienischen Ciabatta. • j, jh: dsch (im Gegensatz zu c, ch stimmhaft), wie in englisch John. • Nasale: � ṅ: ng wie in Stengel. � ñ: nj wie im spanischen señor. � ṇ: retroflexe Aussprache von n, siehe oben. � ṃ: nasaliert den vorangehenden Vokal wie in französisch santé • y: Aussprache als j wie in englisch yes. • v: Aussprache als w wie in englisch very. • ś, ṣ: beide wie sch; das ś wird dabei ohne Anheben der Zunge ausgesprochen, ähnlich wie beim Zischen von Scht! für Still! Die nicht angeführten Vokale und Buchstaben entsprechen ungefähr der deutschen Aussprache.

Abkürzungsverzeichnis AB AN AV, AVŚ BĀU, BĀU (M) ChU CPD DN De Eg ES Fa Ge 266

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= Aitareya-Brāhmaṇa. = Aṅguttara-Nikāya. = Atharvaveda (Śaunaka-Rezension). = Br̥hadāraṇyaka-Upaniṣad (MādhyandinaRezension). = Chāndogya-Upaniṣad. = Critical Pāli dictionary. = Dīgha-Nikāya. = Übersetzung von Deussen. = Übersetzung von Eggeling. = Eckehart Schmidt (Kommentar oder Übersetzung). = Übersetzung von Falk. = Übersetzung von Geldner.

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Gg Go He Ho It J&B Je Ke MN Ol PED PW RV ŚB, ŚB (M) Sc Se Sl SN Th Ud Wa We Wh Wi

= Übersetzung von Geiger. = Übersetzung von Gotō. = Übersetzung von Hecker. = Übersetzung von Horner. = Itivuttaka. = Übersetzung von Jamison & Brereton. = Übersetzung von Ježić. = Übersetzung von Keith. = Majjhima-Nikāya. = Übersetzung von Olivelle. = Pāli-English-dictionary. = Großes Petersburger Wörterbuch. = R̥gveda. = Śatapatha-Brāhmaṇa (Mādhyandina-Rezension). = Übersetzung von Scarlata. = Übersetzung von Seidenstücker. = Übersetzung von Slaje. = Saṃyutta-Nikāya. = Übersetzung von Thieme. = Udāna. = Übersetzung von Walshe. = Übersetzung von Weber. = Übersetzung von Whitney. = Übersetzung von Witzel.

Tabellenverzeichnis Tab. 1: Beziehungssystem des udgītha. (Vgl. ChU 1.3.6–7). . Tab. 2: Beziehungssysteme des sāman. (Vgl. ChU 2.2–7). . . Tab. 3: Beziehungssystem der Fünf-Feuer-Lehre I. (Vgl. ChU 5.4–8). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tab. 4: Beziehungssystem der Fünf-Feuer-Lehre II. (Vgl. ChU 5.4–8). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tab. 5: Beziehungssystem des ātman vaiśvānara. (Vgl. ChU 5.12–17). . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tab. 6: Entsprechungen zwischen Mikro- und Makrokosmos. Tab. 7: Makrokosmisches Beziehungssystem des r̥c und des sāman. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Voraussetzung einer verborgenen »Einheit«

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Tab. 8: Mikrokosmisches Beziehungssystem des r̥c und des sāman. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tab. 9: Mikrokosmische Manifestationen des Seienden. (Vgl. ChU 6.5). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tab. 10: Drei Versionen des bedingten Entstehens (paṭiccasamuppāda). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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