Die Einheit von Einheit und Vielheit. Eine Untersuchung zur Fundamentalstruktur des Panentheismus [1. ed.] 9783957430847, 9783957438164


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German Pages 345 Year 2021

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Titel
Impressum
Inhalt
1 Einleitung
2 All-Einheit und Differenz in Metaphysik und Religionsphilosophie
2.1 Die These des Panentheismus: Alles ist in Gott
2.2 Alles
2.2.1 Cantorsche Antinomie, Parakonsistenz und Neuer Realismus
2.2.2 Extensionale und intensionale Totalität – Seiendes und Seindheit
2.2.3 Der Weltbegriff – Synchroner und diachroner Zusammenhang
2.2.4 Objektive Welt und Subjektivität
2.3 ist in
2.3.1 Das In-sein der Welt in Gott und der Begriff der Negation
2.3.2 Die panentheistische Fundamentalstruktur als die Einheit von Einheit und Vielheit
2.3.3 Die direkte Proportionalität von Einheit und Differenz
2.3.4 Der infinite Progress der Fundamentalstruktur
2.4 Gott
2.4.1 Gott als Seiendes oder als Sein (HOLON)
2.4.2 Verstand und Vernunft – Formale Logik und Kategorientheorie
2.4.3 Denkform und Theorierahmen
2.4.4 Fundamentalstruktur und Analogie
3 All-Einheit ohne absolutes System – metasystematische Bemerkungen
4 Historisch-systematischer Ausflug 1 (Thomas von Aquin): Die entia, das esse und das esse totum
4.1 Die thomanische Analogie
4.2 Einheit und Differenz von Gott und Welt
4.3 Das esse totum als Kreisgang der Totalität
4.4 Das esse totum und der totale Akt des Geistes
4.5 Zusammenfassung: Das esse totum als Ähnlichkeit von Ähnlichkeit und Unähnlichkeit
4.6 Leib-Christi-Ekklesiologie im Paradigma der ontologischen Differenz
4.6.1 Gott-Welt-Relation und Leib-Christi-Ekklesiologie von Thomas von Aquin
4.6.2 Exkurs: Die Leib-Christi-Ekklesiologie bei Juan de Torquemada (1388–1468)
5 Historisch-systematischer Ausflug 2 (Meister Eckhart): All-Einheit und die negatio negationis
5.1 Meister Eckhart: Das esse indistinctum
5.1.1 Esse indistinctum
5.1.2 Negatio negationis
5.2 Anmerkung zum Nichtanderen (non-aliud)
6 Historisch-systematischer Ausflug 3 (G.W.F. Hegel): Das All-Eine als sich ausfaltende, reine Relationalität
6.1 Einleitender Exkurs: Gottesidee und Welt bei Immanuel Kant
6.1.1 Transzendentales Ideal und Ding an sich
6.1.2 Analogie und analytisch-synthetische Einheit
6.2 Der Holismus des Hegelschen Systems
6.3 Der Standpunkt des absoluten Wissens
6.4 Eine analytische Relecture: Fundamentalsemantik und umfassende Kohärenz des Denkens
6.5 Die Einheit von Einheit und Vielheit als dialektisch-spekulative Methode
6.5.1 Eine halbformale Darstellung der Methode
6.5.2 Die Modi der Methode
6.5.3 Die Methode und die Dialektik von Sein und Nichts
6.5.4 Die Methode und die Dialektik von Positivem und Negativem
6.5.5 Die Methode, das Urteil und der Schluss
6.5.6 Die Methode als spekulativer Schluss
6.5.7 Die Methode und die drei großen Zusammenschlüsse des Systems
6.5.8 Der infinite Re- und Progress der Methode
6.5.9 Aufhebung und verstandeslogische Kontradiktion
6.6 Hegels Panentheismus
6.6.1 Logik und Realphilosophie, Trinität und Weltgeschichte
6.6.2 Hegel und Thomas von Aquin
6.6.3 Exkurs: Hegel und der Neuplatonismus
6.7 Noch eine analytische Relecture: Die Wissenschaft der Logik als Strukturtheorie
6.8 Überleitung: Bleibt Hegel Subjektivitätsphilosoph?
7 Historisch-systematischer Ausflug 4 (Tübinger Schule): All-Einheit und Differenz in der Ekklesiologie
7.1 J.A. Möhler (1796–1838): Die Einheit zwischen Gott und Mensch als geschichtliche Rückkehr zur Einheit von Einheit und Verschiedenheit
7.2 Leib-Christi-Ekklesiologie im Paradigma der transzendentalen Differenz: Johann Sebastian von Drey (1777–1853) und Johann Adam Möhler
7.2.1 J.A. Möhler: Vom Pneumatozentrismus zum Christozentrismus
7.2.2 Die historische Dialektik der Leib-Christi-Ekklesiologie bei Möhler und v. Drey
8 Historisch-systematischer Ausflug 5 (Denkformenstreit): All-Einheit und Differenz in der Transzendentalphilosophie des 20. Jahrhunderts
8.1 Der kontemporäre Denkformenstreit
8.2 All-Einheits-Denken versus Freiheitsanalytik
8.3 Freiheit und immanente Transzendenz bzw. Retroszendenz (H. Krings, Th. Pröpper)
8.4 Das Sein als Einheit von Beisichsein und Retroszendenz (H. Krings)
8.5 Synthesis des Urteils und subsistierendes Sein (J.B. Lotz)
8.6 Das Sein als Einheit von Einheit und Vielheit (E. Coreth)
9 Morphismus statt Relation: All-Einheit und Differenz in der struktural-systematischen Philosophie
9.1 Der metaphysisch-immanente Realismus
9.1.1 Die transzendentale Wende und die linguistische Wende
9.1.2 Metaphysischer Realismus und semantischer Antirealismus
9.1.3 Die Aufhebung von Realismus und Antirealismus
9.2 Die struktural-systematische Philosophie (SSP): Grundlagen
9.2.1 Der uneingeschränkte universe of discourse
9.2.2 Die Intelligibilitäts- und die Kohärenzthese
9.2.3 Zwei Seiten derselben Medaille: Semantik und Ontologie
9.3 Maximale Totalität und holistischer Pluralismus der Theorierahmen
9.3.1 Extensionale Totalität I: Die Klassentheorien von Kelley-Morse und Neumann-Gödel-Bernays
9.3.2 Extensionale Totalität II: Die Typentheorien von Russell und Quine
9.3.3 Holistischer Pluralismus: Theorierahmen und moderater Wahrheitsrelativismus
9.4 Absolut-maximale Meta-Dimension und das Sein selbst (>uo=i)
9.4.1 Das Sein als solches und das Sein im Ganzen
9.4.2 Die Zweidimensionalität der Seinsdimension/des HOLON
9.4.3 Sein und Subjektivität
9.5 Struktural-systematische Theologie (SST)
9.5.1 Die panentheistische Fundamentalstruktur
9.5.2 Die absolut-notwendige Seinsdimension als schöpferisch-frei
9.5.3 Die methodologische Zäsur
9.6 Morphismus statt Relation! Die mathematische Kategorientheorie als Darstellungsmittel für die Fundamentalstruktur
9.6.1 Semantik und Modell: Das extensionale Dreieck
9.6.2 Die mathematische Kategorientheorie
9.6.3 Extensionale Hinfürung zur immanenten Selbstvermittlung: Die kanonische Faktorisierung
9.6.4 Extensionale und intensionale Begriffsbildung, Negation der Negation
9.6.5 Ein kategorientheoretisches Modell für die panentheistische Fundamentalstruktur
9.6.6 Die Kategorie der Seinsbeziehungen: Das Sein als sich ausfaltendes singulare tantum (überseiendes Eines)
9.6.7 Eine kategorientheoretische Formalisierung der dialektisch-spekulativen Methode Hegels
10 Nicht abschließende Bemerkung
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Die Einheit von Einheit und Vielheit. Eine Untersuchung zur Fundamentalstruktur des Panentheismus [1. ed.]
 9783957430847, 9783957438164

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Die Einheit von Einheit und Vielheit

Ruben Schneider

Die Einheit von Einheit und Vielheit Eine Untersuchung zur Fundamentalstruktur des Panentheismus

Einbandabbildung: Hildegard von Bingen, Liber Divinorum Operum, Miniatur zur zweiten Schau: Der Kosmosmensch, 13. Jhdt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlags nicht zulässig. © 2021 mentis Verlag, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland) Internet: www.mentis.de Einbandgestaltung: Anna Braungart, Tübingen Wissenschaftlicher Satz: satz&sonders GmbH, Dülmen Herstellung: Brill Deutschland GmbH, Paderborn ISBN 978-3-95743-084-7 (hardback) ISBN 978-3-95743-816-4 (e-book)

Inhalt

1

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2

All-Einheit und Differenz in Metaphysik und Religionsphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2.1 Die These des Panentheismus: »Alles ist in Gott« . . . . . 2.2 »Alles« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Cantorsche Antinomie, Parakonsistenz und Neuer Realismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Extensionale und intensionale Totalität – Seiendes und Seindheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Der Weltbegriff – Synchroner und diachroner Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Objektive Welt und Subjektivität . . . . . . . . . . 2.3 »ist in« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Das In-sein der Welt in Gott und der Begriff der Negation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Die panentheistische Fundamentalstruktur als die Einheit von Einheit und Vielheit . . . . . . 2.3.3 Die direkte Proportionalität von Einheit und Differenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 Der infinite Progress der Fundamentalstruktur 2.4 »Gott« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Gott als Seiendes oder als Sein (HOLON) . . . . . 2.4.2 Verstand und Vernunft – Formale Logik und Kategorientheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Denkform und Theorierahmen . . . . . . . . . . . . 2.4.4 Fundamentalstruktur und Analogie . . . . . . . . 3 4

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All-Einheit ohne absolutes System – metasystematische Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Historisch-systematischer Ausflug 1 (Thomas von Aquin): Die entia, das esse und das esse totum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4.1 Die thomanische Analogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Einheit und Differenz von Gott und Welt . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Das »esse totum« als Kreisgang der Totalität . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

4.4 Das »esse totum« und der totale Akt des Geistes . . . . 4.5 Zusammenfassung: Das »esse totum« als Ähnlichkeit von Ähnlichkeit und Unähnlichkeit . . . . . . . . . . . . . 4.6 Leib-Christi-Ekklesiologie im Paradigma der ontologischen Differenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.1 Gott-Welt-Relation und Leib-ChristiEkklesiologie von Thomas von Aquin . . . . . 4.6.2 Exkurs: Die Leib-Christi-Ekklesiologie bei Juan de Torquemada (1388–1468) . . . . . . . 5

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Historisch-systematischer Ausflug 2 (Meister Eckhart): AllEinheit und die negatio negationis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5.1 Meister Eckhart: Das ›esse indistinctum‹ . . 5.1.1 Esse indistinctum . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Negatio negationis . . . . . . . . . . . 5.2 Anmerkung zum Nichtanderen (non-aliud)

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Historisch-systematischer Ausflug 3 (G.W.F. Hegel): Das All-Eine als sich ausfaltende, reine Relationalität . . . . . . . . . . . .

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6.1 Einleitender Exkurs: Gottesidee und Welt bei Immanuel Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Transzendentales Ideal und Ding an sich . . . . . . . 6.1.2 Analogie und analytisch-synthetische Einheit . . . . 6.2 Der Holismus des Hegelschen Systems . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Der Standpunkt des absoluten Wissens . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Eine analytische Relecture: Fundamentalsemantik und umfassende Kohärenz des Denkens . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Die Einheit von Einheit und Vielheit als dialektischspekulative Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.1 Eine halbformale Darstellung der Methode . . . . . . 6.5.2 Die Modi der Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.3 Die Methode und die Dialektik von Sein und Nichts 6.5.4 Die Methode und die Dialektik von Positivem und Negativem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.5 Die Methode, das Urteil und der Schluss . . . . . . . . 6.5.6 Die Methode als spekulativer Schluss . . . . . . . . . . 6.5.7 Die Methode und die drei großen Zusammenschlüsse des Systems . . . . . . . . . . . . . . 6.5.8 Der infinite Re- und Progress der Methode . . . . . .

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Inhalt

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6.5.9

»Aufhebung« und verstandeslogische Kontradiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6 Hegels Panentheismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6.1 Logik und Realphilosophie, Trinität und Weltgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6.2 Hegel und Thomas von Aquin . . . . . . . . . . . . 6.6.3 Exkurs: Hegel und der Neuplatonismus . . . . . 6.7 Noch eine analytische Relecture: Die Wissenschaft der Logik als Strukturtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.8 Überleitung: Bleibt Hegel Subjektivitätsphilosoph? . . . 7

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Historisch-systematischer Ausflug 4 (Tübinger Schule): AllEinheit und Differenz in der Ekklesiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 7.1 J.A. Möhler (1796–1838): Die Einheit zwischen Gott und Mensch als geschichtliche Rückkehr zur Einheit von Einheit und Verschiedenheit . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Leib-Christi-Ekklesiologie im Paradigma der transzendentalen Differenz: Johann Sebastian von Drey (1777–1853) und Johann Adam Möhler . . . . . . 7.2.1 J.A. Möhler: Vom Pneumatozentrismus zum Christozentrismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Die historische Dialektik der Leib-ChristiEkklesiologie bei Möhler und v. Drey . . . . .

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Historisch-systematischer Ausflug 5 (Denkformenstreit): All-Einheit und Differenz in der Transzendentalphilosophie des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 8.1 Der kontemporäre Denkformenstreit . . . . . . . . . . . . . . 8.2 All-Einheits-Denken versus Freiheitsanalytik . . . . . . . . 8.3 Freiheit und immanente Transzendenz bzw. Retroszendenz (H. Krings, Th. Pröpper) . . . . . . . . . . . . 8.4 Das Sein als Einheit von Beisichsein und Retroszendenz (H. Krings) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5 Synthesis des Urteils und subsistierendes Sein (J.B. Lotz) 8.6 Das Sein als Einheit von Einheit und Vielheit (E. Coreth)

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»Morphismus statt Relation«: All-Einheit und Differenz in der struktural-systematischen Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 9.1 Der metaphysisch-immanente Realismus . . . . . . . . . . . . . . 231

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Inhalt

9.1.1

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Die transzendentale Wende und die linguistische Wende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.2 Metaphysischer Realismus und semantischer Antirealismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.3 Die Aufhebung von Realismus und Antirealismus Die struktural-systematische Philosophie (SSP): Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.1 Der uneingeschränkte universe of discourse . . . . . 9.2.2 Die Intelligibilitäts- und die Kohärenzthese . . . . 9.2.3 Zwei Seiten derselben Medaille: Semantik und Ontologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maximale Totalität und holistischer Pluralismus der Theorierahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.1 Extensionale Totalität I: Die Klassentheorien von Kelley-Morse und Neumann-Gödel-Bernays . 9.3.2 Extensionale Totalität II: Die Typentheorien von Russell und Quine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.3 Holistischer Pluralismus: Theorierahmen und moderater Wahrheitsrelativismus . . . . . . . . Absolut-maximale Meta-Dimension und das Sein selbst (αὐϚτoϵῖϚναι) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.1 Das Sein als solches und das Sein im Ganzen . . . . 9.4.2 Die Zweidimensionalität der Seinsdimension / des HOLON . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.3 Sein und Subjektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Struktural-systematische Theologie (SST) . . . . . . . . . . . . . 9.5.1 Die panentheistische Fundamentalstruktur . . . . 9.5.2 Die absolut-notwendige Seinsdimension als schöpferisch-frei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.3 Die methodologische Zäsur . . . . . . . . . . . . . . . . . Morphismus statt Relation! Die mathematische Kategorientheorie als Darstellungsmittel für die Fundamentalstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.6.1 Semantik und Modell: Das extensionale Dreieck . 9.6.2 Die mathematische Kategorientheorie . . . . . . . . 9.6.3 Extensionale Hinfürung zur immanenten Selbstvermittlung: Die kanonische Faktorisierung 9.6.4 Extensionale und intensionale Begriffsbildung, Negation der Negation . . . . . . . .

. 231 . 233 . 239 . 246 . 246 . 249 . 253 . 258 . 258 . 264 . 268 . 272 . 272 . . . .

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Inhalt

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9.6.7

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Ein kategorientheoretisches Modell für die panentheistische Fundamentalstruktur . . . . . . . . 309 Die Kategorie der Seinsbeziehungen: Das Sein als sich ausfaltendes singulare tantum (überseiendes Eines) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Eine kategorientheoretische Formalisierung der dialektisch-spekulativen Methode Hegels . . . . 314

10 Nicht abschließende Bemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341

kapitel 1

Einleitung Im Zuge der Renaissance vieler klassischer Thematiken der philosophischen Theologie in der kontemporären Religionsphilosophie hat sich in den vergangenen Jahrzehnten auch eine intensive Debatte um meta-religionsphilosophische Fragestellungen nach der adäquaten philosophischen Gotteskonzeption und der entsprechenden Bestimmung des Verhältnisses von ›Gott‹ und ›Welt‹ entsponnen (cf. Müller 2014, 43). Im heutigen Diskurs finden sich auf der einen Seite Vertreter (i) eines klassisch-theistischen Gottesbildes, dem zufolge Gott eine von der Welt strikt distinkte und mit absoluten Attributen (Allwissen, Allmacht, Allgegenwart, Unendlichkeit, Einfachheit, Suisuffizienz, Atemporalität...) ausgestattete Entität bzw. Substanz ist – und (ii) auf der anderen Seite Vertreter von Non-standard-views, welche entweder (ii-i) teilweise mit dem klassischen Theismus übereinstimmen, indem sie nur einige der göttlichen Attribute streichen oder modifizieren (z.B. der ›offene Theismus‹, der die Allmacht, Allwissenheit und Atemporalität Gottes negiert, aber ihn weiterhin als eine strikt von der Welt unterschiedene Entität konzipiert), oder in mehr oder weniger grundlegender Weise das Gott-Welt-Verhältnis modifizieren – wie etwa (ii-ii) in der Prozesstheologie, welche Gott als stärker welt-immanenten Urprozess auffasst, oder (iiiii) schließlich in sogenannten (pan-)entheistischen Theoriebildungen, die von einem non-exkludierenden ›In-sein‹ der Welt in Gott ausgehen. Der Ausdruck Pan-en-theismus (stellvertretend für die These »Alles ist in Gott«) wurde zuerst von Karl Christian Friedrich Krause (1781–1832) eingeführt und findet heute immer mehr Anhänger in den religionsphilosophischen Diskursen (cf. Göcke 2012a, 2012b, 2013). Brüntrup (2020, 212) unterscheidet im Gefolge von Nils Gregersen dabei zwischen drei grundlegenden panentheistischen Positionen im heutigen Diskurs: 1. Ein dialektischer »Einheit-in-Differenz Panentheismus«, wie er in den klassischen Konzeptionen des deutschen Idealismus, aber auch der thomanischen Auffassung von Gott als dem Sein selbst, das die Seienden umfängt, auftritt, 2. ein »modal-schwacher bi-direktionaler Panentheismus« bestimmter kenotischer und prozesstheologischer Ansätze (z.B. Moltmann, Clayton), und

12

Einleitung

3. ein »modal-starker bi-direktionaler Panentheismus«, wie er u.a. in whiteheadianischen Konzeptionen vertreten wird. In diesem Band wird ausschließlich die erste Version, der Einheit-in-Differenz Panentheismus behandelt. Prozesstheologische und whiteheadianische Ansätze sind nicht Gegenstand meiner Untersuchung. Wenn ich im Folgenden nur noch von Panentheismus simpliciter rede, ohne den Zusatz ›Einheitin-Differenz‹, dann ist jedoch immer der Einheit-in-Differenz Panentheismus gemeint. Die fundamentale methodische Voraussetzung dieser Untersuchung ist nun, dass religionsphilosophische Konzeptionen eminent Theorierahmenabhängig sind: Ein Theorierahmen ist hierbei die Gesamtheit aller präsupponierten sprachlichen, logischen, semantischen, begrifflichen und ontologischen (Sub-)Strukturen einer Theorie (cf. Puntel 2006, 30). So ist etwa bei der ›pan-en-theistischen‹ Fundamentalthese »Alles ist in Gott« die Bedeutung der verwendeten Terme »Alles«, »ist«, »in« und »Gott« nur hinsichtlich des jeweils vorausgesetzten Theorierahmens angebbar (und dadurch ergeben sich entsprechend mannigfaltige Gestalten von ›Pan-entheismen‹ (cf. Göcke 2015, 38–59). Meistens sind diese Rahmengebungen ausgesprochen partikularer Natur und führen zu den sogenannten ontotheologischen Gotteskonzeptionen des Standard-Theismus (›Gott‹ als Super-Entität neben anderen Entitäten). In der vorliegenden Untersuchung soll ein gesamtsystematischer Rahmen expliziert werden, in welchem eine non-ontotheologische Gotteskonzeption und ihre ontologischen Implikate adäquat artikulierbar sind: ›Gott‹ soll nicht als Entität aufgefasst, sondern in der transkategorialen Dimension der Totalität situiert, bzw. als maximale Totalität bzw. Sein selbst bzw. HOLON konzipiert werden. Dies soll in analytischer und in historisch-systematischer Hinsicht geschehen, etwa in Blick auf die thomanische Auffassung von ›Gott‹ als Sein selbst (esse ipsum subsistens) und nicht als Seiendem (ens), oder in Blick auf das esse indistinctum von Meister Eckhart, das non aliud von Cusanus oder die Theoriebildung des Deutschen Idealismus (insbesondere Hegels und J.A. Möhlers). Die historischen Teile sind dabei jedoch nicht als eine philosophiegeschichtliche Exegese zu verstehen, sondern lediglich als eine Spurensuche in systematischer Absicht. Der systematische Rahmen ist die gegenwärtige analytische Debatte und in ihr der Theorierahmen der struktural-systematischen Philosophie von L.B. Puntel (insbes. Puntel 2006, 2010, desweiteren White 2014, und meine Vorarbeiten in Schneider 2016a, 2016b). Mein Ansatz versteht sich explizit als ein Beitrag zu einem Theorieansatz über das Verhältnis von Absolutem und Endlichem im Theorierah-

Einleitung

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men der struktural-systematischen Philosophie. Dieses Verhältnis soll als die »(primordiale) Einheit von (korrelativer) Einheit und Vielheit« bzw. als »Autoimmanenz von Immanenz und Transzendenz« bestimmt werden, was nach Meinung des Autors zugleich die Fundamentalstruktur eines (richtig verstandenen) Einheit-in-Differenz Panentheismus darstellt: Das allumfassende Absolute stellt eine Einheit dar, die weder in eine atomistische Vielheit zerfällt, noch ihr entgegengesetzt wäre, sondern die als eine Einheit verstanden werden muss, welche die Vielheit der endlichen Entitäten umfasst und ihr dennoch auch gegenübersteht. Diese bei vielen Klassikern vorkommende Konzeption stellt eine analytisch-formallogisch orientierte Philosophie vor erhebliche konzeptuelle Schwierigkeiten: »Die Welt ist ›in‹ Gott, weil Gott das ›ipsum esse per se subsistens‹, das Sein selbst ist, und alles, was nicht Gott ist, in dem Maße existiert, wie es am göttlichen Sein teilhat. Die Ausbuchstabierung dieser Teilhaberelation ist natürlich ein größeres metaphysisches Unterfangen, das keineswegs auf simple anschauliche Lösungen reduziert werden darf und das bekanntlich auch in Schwierigkeiten mit der Standardlogik und Mengentheorie gerät« (Brüntrup 2020, 211).

In der vorliegenden Untersuchung soll genau dieses Unterfangen zumindest in einer größeren Skizze in Angriff genommen werden, wobei insbesondere die formallogischen und mengentheoretischen Schwierigkeiten in den Blick genommen werden. Die Seinstheorie der struktural-systematischen Philosophie wird dabei als ein adäquater, aber nicht alleingültiger oder absoluter Theorierahmen für ein solches Vorhaben vorgeschlagen, der sich aber insbesondere in den gegenwärtigen Diskussionen der analytischen Religionsphilosophie als weiterführende Anregung erweist. Die Untersuchung ist entstanden in fruchtbarer Zusammenarbeit mit Matthias Remenyi, Larissa Kapp und Hartmut Westermann im DFG-Projekt Identität und Differenz in Denkform und Metapher an der Freien Universität Berlin. Zentrale Anregungen und Konzeptionen habe ich zudem von Christina Schneider erhalten, und die intellektuell ungemein bereichernden Diskussionen mit ihr haben das Entstehen dieses Buches wesentlich begleitet. Ich stütze mich in zentralen Ausführungen auf ihr 2020 erschienenes Buch Metaphysik – Anspruch und Offenheit (Schneider 2020). 1

1

Teile meiner hier vorliegenden Untersuchung wurden während des Entstehens dieses Bandes bereits gesondert publiziert und sind hier in überarbeiteter Fassung enthalten. Ich werde entsprechend darauf hinweisen.

kapitel 2

All-Einheit und Differenz in Metaphysik und Religionsphilosophie 2.1

Die These des Panentheismus: »Alles ist in Gott«

Die Fundamentalthese des Panentheismus lautet: »Alles ist in Gott.« Jedoch ist es alles andere als leicht, die verschiedenen Konzeptionen, die sich dieser Fundamentalthese verschrieben haben, auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen – so dass sogar schon bezweifelt wird, ob der Panentheismus überhaupt eine eigene Kategorie von Konzeptionen darstellt oder nicht jeweils in einen Pantheismus auf der einen oder einen neo-klassischen Theismus auf der anderen Seite kollabiert, oder ob er nicht schlichtweg eine leere Formel sei. 2 Im generellen Diskurs werden panentheistische Positionen jedenfalls in irgendeiner Weise dem breiten Mittelfeld zwischen einem religionsphilosophischen Substanzendualismus und einem Substanzenmonismus zugeordnet (cf. zum Folgenden Clayton 2004, 251 f.; Brüntrup 2020, 208 f.; Schneider 2015c, 35–38): 1. Gott hat die Welt als eine distinkte Substanz erschaffen, Gott und Welt sind getrennt (Substanzendualismus). 2. Gott und Welt sind verschieden, aber Gott ist dennoch der Welt immanent. 3. Die Welt ist in Gott – und Gott ist dennoch ›mehr‹ als die Welt. Gott hat sie aus sich entlassen und behält sie zugleich in sich zurück (sog. Exitusreditus-Paradigma). 4. Das Verhältnis von Gott und Welt ist analog zum Verhältnis von Leib und Seele – die Welt ist Gottes Leib (cf. Keller 2014). 5. Gott und Welt sind notwendig korreliert, die Welt geht in notwendiger Emanation aus Gott hervor. 6. Welt und Gott sind ›non-dual‹, es gibt nur eine einzige Substanz, die ›Natur‹ oder ›Gott‹ gleichermaßen genannt wird (Substanzenmonismus). In dieser Schematisierung nimmt die Einheit von Gott und Welt nach unten hin zu – am Anfang steht ein substanzendualistischer Theismus, während 2

Cf. hierzu Mullins 2016, 326: »[...] to commit oneself to panentheism is to commit oneself to nothing.«

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All-Einheit und Differenz in Metaphysik und Religionsphilosophie

nach unten hin die Eigenständigkeit der Welt zunehmend reduziert wird, bis wechselseitig auch Gott seine Eigenständigkeit gegenüber der Welt verliert (cf. 5., notwendige Emanation) und am Ende mit ihr zusammenfällt. In der Mitte (2.-5.) rangieren Positionen, nach denen die Welt in mehr oder minder starkem Sinne ›in‹ Gott ist, ohne mit ihm identisch zu sein. Brüntrup (2020) hat diese mittleren Positionen in Verfeinerung eines Ansatzes von N. Gregerson durch zwei zusätzliche Positionen, zu denen sich die jeweiligen Ansätze in 2.-5. verhalten müssen, genauer klassifiziert: 1. »Gott enthält die Welt. Die Welt ist in Gott. Aber die Welt ist nicht Gott«, 2. »Die Beziehung zwischen Gott und Welt ist wechselseitig« (Brüntrup 2020, 211). Daraus ergibt sich folgende Kombinatorik von panentheistischen Grundpositionen, wie sie in der Einleitung bereits genannt wurden: – Ein Panentheismus, der nur 1. annimmt – der genannte »Einheit-in-Differenz Panentheismus«, – ein Panentheismus, der 1. und 2. annimmt, sowie dass die Welt aus Nichts erschaffen wurde (creatio ex nihilo) – der »modal-schwache bi-direktionale Panentheismus«, – und schließlich ein Panentheismus, der 1. und 2. annimmt, aber eine creatio ex nihilo ablehnt – der »modal-starke bi-direktionale Panentheismus« (Brüntrup 2020, 212). Die zweite und dritte Klasse von panentheistischen Positionen wird, wie eingangs gesagt, hier nicht behandelt – und auch das Thema der creatio ex nihilo werde ich allenfalls streifen. Hier wird es – angeregt durch das Vorgehen von Göcke (2015) – um die Bedeutung der einzelnen Terme der panentheistischen Fundamentalthese »Alles ist in Gott« (in Brüntrups Schematisierung Position 1.) im Rahmen der ersten Theorieklasse, dem Einheit-in-Differenz Panentheismus, gehen. Im Folgenden seien präliminarisch die Problematiken der subsententialen Bestandteile der Fundamentalthese, »Alles«, »ist in« und »Gott« skizziert.

2.2 »Alles« 2.2.1 Cantorsche Antinomie, Parakonsistenz und Neuer Realismus Was ist mit dem ersten Term der Fundamentalthese, »Alles«, gemeint? Hier ist die Totalität oder Gesamtheit aller Dinge oder aller Seienden gemeint. Alle klassischen Gottesbeweise bringen Gott in irgendeiner Weise mit der Totalität von allem in Verbindung, etwa als erste Ursache der Totalität aller

»Alles«

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Seienden. Doch der Begriff der Totalität ist alles andere als unproblematisch (cf. zum Folgenden Schneider 2015, 2019). Totalitäten sind grundsätzlich andere Gebilde als konkrete Entitäten, wie ein Blick in die analytische Philosophie und auf ihr Ringen mit dem Problem uneingeschränkter Begriffe deutlich macht. Alvin Plantinga und Patrick Grim z.B. lieferten sich eine bemerkenswerte Debatte über den uneingeschränkten Begriff der göttlichen Allwissenheit als dem Wissen um die absolute Totalität aller Wahrheiten. Grim lehnt diese Möglichkeit solcher Totalitäten auf Basis des Cantorschen Theorems ab (Plantinga/Grim 1993). Diese Problematik uneingeschränkter Begriffe zeigt sich in der analytischen Sprachphilosophie und Metaphysik darüber hinaus hinsichtlich non-reduktiv realistischer Positionen bezüglich abstrakter Entitäten. Ein Begriff als abstrakte Entität ist herkömmlich als die Intension eines Terms oder als Attribut/Eigenschaft zu verstehen, die nicht auf Extensionen möglicher Welten reduzierbar ist (cf. Runggaldier/Kanzian 1998, 53–57). Hier stellt sich in der analytischen Philosophie das Problem allumfassender Begriffe, welche klassisch unter dem Thema der Transzendentalien abgehandelt wurden (cf. Meixner 2004, 22–19). Realistisch verstanden wird gemäß der Definitionstheorien der formalen Logik jeder natural kind term a durch Angabe eines übergeordneten Begriffs g und durch eine Differenz φ definiert. D.h. für alle a und g gilt (cf. Carls 1974, 172–185): ∃a∀x(x ∈ a → φ(x) ∧ x ∈ g)

(1)

Den intensionalen Differenzen φ entsprechen extensionale Differenzen d: ∃g∀g[(d ∩ g ∕= ∅) → ∃a(a = d ∩ g ∧ a ∈/ g)]

(2)

Hierbei gilt also, dass es für allumfassende Begriffe (Begriffe mit maximaler Extension) bzw. klassische Transzendentalien keine univoken Definitionen geben kann: Jeder univoke Begriff hat seine bestimmende Differenz außerhalb seiner (Kutschera/Breitkopf 2000, 145 f.). Dies ist für allumfassende Begriffe jedoch unmöglich, denn es gilt für einen allumfassenden Begriff, dass alle intensionalen Differenzen in ihm enthalten sein müssen bzw. extensional für die Allklasse V, dass ∀a(a ∈ V). Die Kategorien als (oberste) Gattungen sind nicht mehr unter eine höhere Gattung subsumierbar. Das aristotelische Argument, dass allumfassende Begriffe wie das Seiende oder das Eine keine Gattungen sein können, ist zur in der analytischen Philosophie viel diskutierten Cantorschen Antinomie strukturähnlich, derzufolge es keine Allmenge geben kann. Dieser Antinomie liegt das Cantorsche Theo-

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All-Einheit und Differenz in Metaphysik und Religionsphilosophie

rem zugrunde, dass die Mächtigkeit der Potenzmenge einer Menge M stets größer ist als die Mächtigkeit von M selbst: |P(M)| > |M| (d.h. es gibt keine bijektive Abbildung von M nach P(M), für alle Mengen M) (cf. Carls 1974, 177–194). Neben Patrick Grim, welcher auf Basis des Cantorschen Theorems behauptete, dass die Rede über Totalitäten inkonsistent und daher unmöglich sei, hat sich in jüngster Zeit Guido Kreis in seinem Buch Negative Dialektik des Unendlichen (Kreis 2015) dieser Argumentationsrichtung angeschlossen: Kreis behauptet die Unmöglichkeit einer unrestringierten Allquantifikation und einer maximalen Totalität und übt dabei vorallem Kritik an Kants »limitativer« und Hegels »positiver Dialektik des Unendlichen« (Kreis 2015, 461–463). Die Kernthese von Kreis lautet: Am Cantorschen Theorem orientierte Argumente zeigten, dass Totalitäten wie die Menge aller Tatsachen oder »der begriffliche Gehalt von alle Gegenstände als inkonsistent erwiesen werden« können (ebd., 345) und dass zudem für die Paradoxien des (extensionalen) Unendlichen keine Lösung abzusehen sei (ebd., 465). Hierbei wird neben der genannten Auseinandersetzung von Grim und Plantinga auch auf aktuelle Diskussionen von R. Cartwright und T. Williamson bezug genommen (ebd., 407–434). Kreis lehnt mathematische Antworten wie die Klassentheorie von Von Neumann ab, da sie zu einer endlosen Hierarchie von Hyperklassen führe, da man ja über den Gegenstandsbereich aller Klassen reden müsse (ebd., 392 f.). Ebenso weist er Auswege wie die These der Unterbestimmtheit der Welt (die Plenatheorie von Grim und Rescher) und die These (parakonsistenten) Überbestimmtheit der Welt (G. Priest) ab (Kreis favorisiert dagegen eine »negativen Dialektik« im Sinne T. Adornos ab, cf.ebd., 26 f., 435–456). Darauf sei hier nicht näher eingegangen, was aber im letzten Teil dieser Arbeit geschehen soll. 3 G. Kreis weist überdies die These der Nichtexistenz der Welt als »absolut unendlich großer Totalität« ab (ebd., 456) – was die These von Markus Gabriels »Neuem Realismus« ist. Sie ist für diese Untersuchung mehr von Interesse als Kreis’ negative Dialektik und soll kurz skizziert werden: Nach dem »Neuen Realismus«, der sich selbst als eine Spielart des ontologischen 3

Die These der parakonsistenten Überbestimmtheit der maximalen Totalität wurde in jüngster Zeit von Göcke (2016) zum Gedanken eines »parakonsistenten Gottes« erweitert. Uwe Petersen konnte in Die logische Grundlegung der Dialektik (2010, 50–56) allerdings nachweisen, dass sich in parakonsistenten logischen Systemen keine uneingeschränkte Begriffsbildung durchführen lässt, womit sich das Kernanliegen dieser Ansätze, maximale Totalitäten unter Aufgabe des »ex falso quodlibet« zu retten, als äußerst problematisch erweist.

»Alles«

19

Pluralismus versteht, kann es »die Welt« als Totalität alles Existierenden bzw. als Allumfassendes nicht geben (cf. hierzu und zum Folgenden Gabriel 2013, 2016). Gabriel referiert dabei ein Argument von Alain Badiou, der auf Basis des Cantorschen Theorems eine allumfassende Totalität als allumfassende Menge ablehnt (cf. Gabriel 2016, 142 und 296). Gabriels zentrales Argument gegen die Totalität alles Existierenden basiert jedoch nicht auf dem Cantorschen Theorem, sondern konstruiert einen infiniten Progress. Gabriel setzt in seiner Sinnfeldontologie hierfür einen modifizierten Existenzbegriff voraus (die nähere Herleitung dieses Existenzbegriffs sei hier ausgespart, cf. Gabriel 2016, 183–223). Hierzu definiert Gabriel zunächst, was er unter einem Sinnfeld versteht: »In einer wahren, informativen und widerspruchsfreien Identitätsaussage lernen [...] wir, dass dasselbe Ding (dieselbe Person, dieselbe Tatsache) auf verschiedene Arten präsentiert werden kann. Statt von ›Gegebenheit‹ zu sprechen, ziehe ich das Wort ›Erscheinung‹ vor. Der Sinn ist dann die Art, wie ein Gegenstand erscheint. – Sinnfelder sind Bereiche, in denen Gegenstände, auf eine bestimmte Art erscheinen. [...] Dabei können zwei Sinnfelder sich auf dieselben Gegenstände beziehen, die in beiden Sinnfeldern nur verschieden erscheinen« (Gabriel 2015, 91). 4

Damit kann nun der Existenzbegriff der Sinnfeldontologie wie folgt definiert werden: »›Existenz‹ bedeutet, dass etwas in einem Sinnfeld erscheint. [...] Alles Existierende erscheint in Sinnfeldern. Existenz ist die Eigenschaft von Sinnfeldern, dass etwas in ihnen erscheint. Ich behaupte, dass Existenz nicht eine Eigenschaft der Gegenstände in der Welt oder in den Sinnfeldern, sondern eine Eigenschaft von Sinnfeldern ist, nämlich die Eigenschaft, dass etwas in ihnen erscheint. [...] Es gibt unendlich viele Sinnfelder, die sich teilweise überlappen und die teilweise niemals auf irgendeine Weise in Berührung kommen« (Gabriel 2013, 92 und 94). 5

4

5

Cf. Gabriel 2016, 163: »Was einen Bereich im Unterschied zu einem anderen Bereich individuiert, sind die Anordnungsregeln, denen Gegenstände unterstehen, sofern sie ihm angehören. Ich nenne die Anordnungsregeln ›Sinn‹ und die Relation, die zwischen einem Bereich und den in ihm vorkommenden Gegenständen besteht, ›Erscheinung‹. Gegenstände erscheinen in Sinnfeldern, das heißt in Bereichen, die durch verschiedene Sinne gegeneinander bestimmt sind«, cf. ebd. 170. Cf. Gabriel 2016, 164: »In einer Bereichsontologie bedeutet zu existieren, dass Gegenstäde in einem Bereich erscheinen, was eine Relation zwischen einem Bereich und seinen Gegenständen darstellt. Dies schließt nicht aus, dass Gegenstäde auch über ge-

20

All-Einheit und Differenz in Metaphysik und Religionsphilosophie

Hieraus ergebe sich nun die Unmöglichkeit eines allumfassenden Bereichs, denn wenn Existenz bedeutet, in einem Bereich zu erscheinen, dann können folglich auch nur solche Bereiche existieren, welche »in einem weiteren Bereich erscheinen« (Gabriel 2016, 164). Gegenstände existieren nie absolut, sondern stets relational zu Bereichen, und dasselbe gilt für Bereiche. 6 Daraus folgt für einen allumfassenden Bereich: »Damit gerät die Annahme unter Legitimationsdruck, es gebe überdies einen allumfassenden Bereich aller Bereiche. Denn dieser allumfassende Bereich kann zu keinem derjenigen Bereiche gehören, die er umfasst. Er kann auch nicht in sich selbst erscheinen, denn im allumfassenden Bereich zu erscheinen schließt ein, neben allen anderen Bereichen zu erscheinen, da er eingeführt wurde als derjenige Bereich, in dem Bereiche gegeneinander individuiert sind. Im allumfassenden Bereich als einer der Bereiche zu erscheinen besteht darin, neben anderen Bereichen zu erscheinen – dies ist das Motiv dafür, überhaupt einen allumfassenden Bereich einzuführen. Der allumfassende Bereich kann aber nicht neben anderen Bereichen erscheinen. Sofern er neben anderen Bereichen erschiene, erfüllte er jedenfalls nicht seine eigentliche Bereichsfunktion« (Gabriel 2016, 164).

Gabriel 2015 expliziert diese Unmöglichkeit durch einen infiniten Progress: Wenn der allumfassende Bereich A existieren soll, muss er entsprechend des Existenzbegriffs des Neuen Realismus in einem ebenfalls allumfassenden Bereich B erscheinen (Die folgenden Semi-Formalisierungen stammen nicht von Gabriel, sondern von mir – sie entsprechen aber dem dargelegten Gedanken in Gabriel 2013, 96–106):

A

6

B

gebene Bereiche hiweg in Beziehungen stehen, sofern Bereiche sich in einem weiteren Bereich überlappen können.« »Gegenstände existieren relativ zu ihrem Bereich, und Bereiche sind umgekehrt auch nur relativ zu ihren Gegenständen individuiert, sofern Sinne, die einen Bereich individuieren, bestimmte Gegenstände erscheinen lassen« (ebd.).

»Alles«

21

Aber jeder Bereich / jedes Sinnfeld ist dem Neuen Realismus zufolge selbst ein Gegenstand, der in einem Bereich / Sinnfeld erscheint (Gabriel 2013, 103). Der allumfassende Bereich B müsste demnach in sich selbst erscheinen, in welchem auch noch einmal der allumfassende Bereich A erscheint, da er ja in B erscheinend ist (Gabriel 2013, 97–99, 105 f.):

B

A

B

A

Dieser Schritt lässt sich nach Gabriel ad infinitum fortsetzen. Setzt man (folgende Formalisierung ebenfalls nicht von M. Gabriel, aber in dessen Sinne) A, wenn es im Sinnfeld B erscheint als AB , dann lässt sich das letzte D Venn-Diagramm einfach so schreiben (der Funktor ←− −→ drücke dabei aus, dass eine Differenz zwischen AB und A besteht): D

(AB ←− −→ A)B

(3)

Der nächste Schritt dieses Progresses wäre dann: D

D

((AB ←− −→ A)B ←− −→ A)B

(4)

Man erhält also die unendliche Iteration (wobei der Pfeil »=⇒« hier nicht als strikte Implikation zu lesen ist, sondern einfach als Veranschaulichung der Abfolge): D

D

D

AB =⇒ (AB ←− −→ A)B =⇒ ((AB ←− −→ A)B ←− −→ A)B =⇒ ...

(5)

Bezeichnet man jeden Schritt zusätzlich mit einem Index, so ergibt sich (für natürliche Zahlen n ∈ N):

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All-Einheit und Differenz in Metaphysik und Religionsphilosophie

D

D

D

AB0 =⇒ (AB0 ←− −→ A)B1 =⇒ ... =⇒ (((AB0 ←− −→ A)B1 ←− −→ A)B2 , ...)Bn =⇒ ... (6) Im letzten, formallogischen Teil dieser Arbeit soll jedoch gezeigt werden, dass ein solches Vorgehen nicht zu einer »schlechten Unendlichkeit« eines infiniten Progresses führt, sondern dass hierbei maximale Elemente im Unendlichen entstehen. Dort werde ich bezüglich der Cantorschen Antinomie als Einwand gegen die Möglichkeit einer (extensionalen) Totalität auch aufzeigen, dass es etablierte Mengen- bzw. Klassentheorien gibt, in denen das Cantorsche Theorem für echte Klassen nicht gilt und in denen die Allklasse existiert (die alle Mengen und vermöge der Inklusionsrelation auch alle echten Klassen umfasst), etwa die Mengentheorien von Kelley-Morse oder Gödel-Bernays. Diese Mengentheorien werden dieser Untersuchung hinsichtlich der extensionalen Totalitäten zugrundegelegt. 2.2.2 Extensionale und intensionale Totalität – Seiendes und Seindheit Wenn verschiedenste Autoren den Begriff des Allumfassenden mittels des Cantorschen Theorems ablehnen, so muss hierzu gesagt werden, dass sie lediglich den Begriff einer »extensionalen« Totalität im Sinne einer allumfassenden Menge zurückweisen. Die klassischen Intuitionen zum Allumfassenden beziehen sich jedoch nicht (nur) auf das Allumfassende in seiner »Extension« (also im Sinne seines alles umfassenden »Umfangs«), sondern auch und vor allem hinsichtlich seiner »Inhaltlichkeit« (etwa als »Vollkommenheit aller Vollkommenheiten«). Hierfür stehen in dieser Arbeit die Begriffe der Seiendheit und des Seins (cf. Schneider 2018): 7 Das deutsche »Sein« entspricht dem substantivierten griechischen Verb einai, und nicht dem griechischen ón (das substantivierte Partizip Maskulin Singular von einai) und auch nicht der ousia (das substantivierte Partizip Feminin Singular von einai). Das Lateinische unterscheidet zwischen esse und ens, wobei ersteres dem deutschen »Sein« entspricht und zweites dem deutschen »Seiendes«. Letzteres denotiert das, was die analytische Philosophie mit »Entität« (entity) bezeichnet. »Seiendes« bzw. »Entität« ist in der Regel etwas Gegenständliches wie die konkreten Einzeldinge, wobei es im analytischen Diskurs auch »abstrakte Entitäten« gibt, denen die robuste Gegenständlichkeit der konkreten Entitäten fehlt, die aber in einem weiten Sinne ebenso Einzeldinge sind. Thomas von Aquin unterscheidet weiter zwischen esse ipsum und esse commune bzw. communissime (wobei Thomas

7

Die folgenden Überlegungen verdanke ich einem Austausch mit L.B. Puntel.

»Alles«

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das esse commune mit dem esse creatum identifiziert, cf. Wippel 2000). Letzteres muss mit dem Heideggerschen Terminus »Seiendheit« (»Entitativität«) wiedergegeben werden (Der Ausdruck »Seiendheit« entspräche im Englischen dem Term »beingness« und im Französischen der »étantité«). Die Seiendheit bezeichnet das Sein der Seienden (ihr »Seiend-sein«) und ist einerseits eine extensionale Totalität, die in sich alle Seienden enthält. Unter diesem Aspekt könnte man sie als Allklasse bezeichnen. Andererseits bezeichnet die Seiendheit eine intensionale Totalität: Sie ist eine allen Seienden gemeinsame »quidditas« (ähnlich unterscheidet Gabriel 2016 zwischen einer »additiven« und einer »qualitativen« Totalität). Erst wenn man nach dieser »quidditas« fragt, gelangt man zum Terminus des Seins selbst (autoeinai): Die Seiendheit ist nicht identisch mit dem Sein selbst, aber sie partizipiert an letzterem. Das Sein selbst ist nun keine extensionale und intensionale Totalität mehr und hat keinerlei Klassencharakter. Es ist ein absolutes singulare tantum. Ich werde es später, um jede extensionale Konnotation zu vermeiden, in einer von Puntel terminologisch, aber nicht sachlich abweichenden Weise das HOLON nennen. Der hier angeführte Begriff der Intension bereitet nun bekanntlich notorische Schwierigkeiten. Er sei an dieser Stelle undefiniert und intuitiv verwendet. In der Darstellung der struktural-systematischen Philosophie wird gezeigt, was unter dem Begriff der Intension und der intensionalen Totalität in diesem Theorierahmen genau zu verstehen ist. 2.2.3 Der Weltbegriff – Synchroner und diachroner Zusammenhang Unter dem Begriff »Alles« in der panentheistischen Fundamentalthese »Alles ist in Gott« wird normalerweise »die Welt« verstanden: »Die Welt ist in Gott« (wobei Gott als das Allumfassende noch einmal eine ›höhere‹ oder ›umfassendere‹ Totalität sein muss). Dabei ist jedoch alles andere als klar, was unter ›Welt‹ verstanden werden soll. Wenn man in einem Bild die GottWelt-Relation als eine vertikale Achse auffasst und die innerweltlich-raumzeitlichen Zusammenhänge als eine horizontale Achse (bzw. als eine horizontale Fläche), dann ist die Frage nach dem Relatum ›Welt‹ in der GottWelt-Relation insbesondere eine Frage nach ihrer internen Strukturiertheit. Was ist die Welt als Ganze und woraus besteht sie? Welche Arten Entitäten gehören zu ihr und wie ist jeweils das In-Gott-Sein dieser Entitäten zu verstehen? Besteht die Welt nur aus physikalischen konkreten Entitäten (dann sollte man besser Universum statt Welt sagen, cf. Mullins 2016), oder auch aus abstrakten Strukturen und Relationen (cf. Göcke 2016)? Gehören zur Welt nur tatsächlich existierende Gegenstände oder gehören zu ihr auch in-re-Möglichkeiten bzw. aristotelische Potenzialitäten? Ist die Welt eine

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All-Einheit und Differenz in Metaphysik und Religionsphilosophie

äußerliche Summe von vereinzelten Teilen, oder stellt sie eine innerlich strukturierte Ganzheit dar, die als Ganzheit ›in‹ Gott ist? Sind Raum und Zeit als konkrete, von der Relativitätstheorie beschriebene Strukturen in Gott oder sind sie als absoluter Raum und absolute Zeit in Gott? 8 Und wie steht es mit der biologischen, mentalen und sozialen Welt? Ist der Mensch als quasi atomares Individuum in Gott oder ist der Einzelne als animal sociale oder gar erst vermittelt durch sozialontologische Strukturen in Gott? 9 Und schließlich, in welcher Weise ist die Weltgeschichte in Gott, was sind Einheit und Differenz von Gott und Geschichte (cf. Schneider 2017b)? Ein herausragendes theologisches Untersuchungsobjekt dieser Fragen ist das Thema der Heilsgeschichte und der Geschichtlichkeit der Offenbarung, und in sozialontologischer Rücksicht die Frage dem Wesen der Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen untereinander und mit Gott. Zwei zentrale Autoren, die diesbezüglich in den Blick genommen werden sollen, sind die Tübinger Johann Sebastian von Drey (1777–1853) und Johann Adam Möhler (1796–1838), letzterer insbesondere mit seiner Leib-Christi-Ekklesiologie. Die Denkentwicklung beider Theologen ist in intensiver Weise von der Auseinandersetzung mit den pantheistischen und panentheistischen Theoriebildungen des deutschen Idealismus geprägt. Relevant werden ekklesiologische Fragen im Gefüge der Klärung des Gott-Welt-Verhältnisses überdies innerhalb sogenannter trinitarischer Panentheismen, die gegenwärtig ganz besonders im angelsächsischen Raum reüssieren. Auch Möhlers Ansatz steht vor der Frage nach dem Verhältnis des trinitarischen Gottes zu seiner Schöpfung, wobei er sich hierbei in seiner Spätphase zunehmend von panentheistischen Konzeptionen distanziert, da sie seiner Ansicht nach unweigerlich in einen Pantheismus – etwa einen modalistischen Pantheismus – kollabieren. Dies erzeugt auch interessante Parallelen zum berühmten Pantheismusstreit zwischen 1781 und 1832 (cf. Müller 2005, 60–68).

8

9

Die überraschend anmutende These der Existenz eines absoluten Raums und einer absoluten Zeit wird in der gegenwärtigen Religionsphilosophie tatsächlich vertreten, um die Allgegenwart eines temporalen Gottes in einem präsentistischen Universum zu gewährleisten, cf. Craig 2001, Mullins 2016. So schreibt etwa Thomas von Aquin in seinem Kommentar zum 2. Brief des Paulus an die Thessalonicher, dass die Einheit des Menschen mit Gott und die Einheit der Menschen in einem notwendigen Zusammenhang stehen: »Item homines non uniuntur inter se nisi in eo quod est commune inter eos, et hoc est maxime Deus« (In II Ep ad Thess, c. 3, l. 2, nr. 89).

»ist in«

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2.2.4 Objektive Welt und Subjektivität Bei der Betrachtung der objektiven Welt kann jedoch nicht mehr naivobjektivistisch vorgegangen werden, sondern es muss beim neuzeitlichen erkenntniskritischen Problem, bzw. der epistemologischen Auseinandersetzung zwischen Realismus und Antirealismus angesetzt werden. Auch die Dimension der Subjektivität und ihr Verhältnis zur objektiven Welt gehört zur Bestimmung von »Alles«. Grundlegend ist die Subjekt-Objekt-Dichotomie und wie sie zu überbrücken ist, und es gibt entsprechend objektivistische und subjektivistische Konzeptionen der Gott-Welt-Relation und solche, die von einer übergreifenden Dimension ausgehen. Entsprechend der vorausgesetzten Theorierahmen bzw. Denkformen nehmen diese Relation und ihre Relata jeweils andere Gestalt an. Hierbei stellt sich auch die Frage nach der Konzeption von Subjektivität: In den gegenwärtigen panentheistischen Debatten wird das Augenmerk insbesondere auf eine panpsychistische Variante (sogenannte panpsychistische Panentheismen) gerichtet, die sich an die Diskussionen in der analytischen Philosophie des Geistes und das Qualia-Problem anschließen. Panpsychistische Panentheismen sind eher den Theorieklassen des schwach- bzw. stark-modalen bidirektionalen Panentheismus zuzuordnen (u.a. prozessphilosophische Panentheismen), wobei es auch Varianten gibt, die sich an den Deutschen Idealismus anschließen (etwa die von Göcke in Anlehnung an Krause reformulierte Version eines prozessphilosophisch-panpsychistischen Panentheismus). Im Rahmen der hier vorgelegten struktural-systematischen Philosophie wird sich ein spezifischer Status von Subjektivität hinsichtlich der Verhältnisbestimmung von Allumfassendem und partikularer (endlicher) Subjektivität ergeben, der nicht den genannten Konzeptionen zuzuordnen ist.

2.3 »ist in« 2.3.1 Das In-sein der Welt in Gott und der Begriff der Negation Was in der panentheistischen Fundamentalthese »Alles ist in Gott« unter dem Ausdruck »ist in« zu verstehen ist, stellt eine höchst opake Frage dar. Da das In-Sein von allem bzw. der Welt in Gott nicht pan-theistisch verstanden werden soll, wird in diesem Ausdruck auch auf den Unterschied von Welt und Gott verwiesen: die Welt »ist in« Gott, aber sie »ist nicht« Gott. Und Gott wiederum ist nicht ein von der Welt verschiedenes »Etwas« in einem als reine Negation der Welt verstandenen reinen »Jenseits« (und tritt von dort aus in Interaktion mit der Welt), sondern seine Verschiedenheit von der Welt muss anderer Art sein (cf. Heintel 1958). Hier ist also eminent

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All-Einheit und Differenz in Metaphysik und Religionsphilosophie

zu klären, was die Begriffe der Negation und Verschiedenheit zu bedeuten haben. Was heißt »Negation«, wenn sie auf das Absolute »angewendet« wird? Man kann folgende Differenz-/Negationsparadigmen unterscheiden (folgende Unterscheidungen stammen von Christina Schneider): 1. Das geometrische Paradigma (boundaries): Die Differenz wird als geometrische Grenze interpretiert. 2. Das mengentheoretisch-mereologische Paradigma: Die Differenz wird als Mengenexklusion interpretiert. 3. Das Perfectio-pura-Paradigma: Die Differenz wird intensional bezüglich inhaltlicher Vollkommenheit interpretiert. 4. Das formallogische Paradigma: Die Differenz wird als (aussagen-)logische Negation (oder Negation der Negation) interpretiert. 5. Omni-notions: Analog zum Perfectio-Paradigma werden gegenwärtig Omni-Prädikate als Unterscheidungsgeneratoren diskutiert (darauf sei hier nicht weiter eingegangen). Jedes dieser Paradigmen wirft seine eigenen Problemstellungen auf und insgesamt zeigt sich kaum eine Einheitlichkeit. Sehr beliebt in der panentheistischen Diskussion sind zudem am Deutschen Idealismus angelehnte Argumente der folgenden Gestalt (cf. Brüntrup 2020, 212): 1. »Das Absolute ist ohne jede Begrenzung, daher ist es unendlich.« 2. »Wenn Endlichkeit das Unendliche begrenzte, wäre es selbst endlich.« 3. »Also muss das wahrhaft Unendliche das Endliche umfassen und einschließen« 4. »Wenn aber Gott und Welt als verschieden gedacht werden sollen, so muss es in der Einheit Gottes eine Differenz geben.« Es ist kaum möglich, mit rein formallogisch-mengentheoretischen Ansätzen solche »dialektischen« Intuitionen adäquat zu erfassen. Alles hängt an der Konzeption der Grundbegriffe von ›Einheit/Identität‹ und ›Verschiedenheit/Differenz‹. Dies zeigt die ganze Problematik der Verwendung präpositionaler Ausdrücke wie »in« bei der Verhältnisbestimmung von Gott und Welt. Bereits Hegel polemisierte in den Berliner Schriften gegen das ›Philosophieren in Präpositionen‹ an und verficht die These, dass viel grundlegender nach den Kategorien der Einheit und Verschiedenheit überhaupt gefragt werden muss (cf. Puntel 1973, 145): »Bei den soeben angeführten Formen, daß Gott in dem Menschen, der Mensch in Gott ist, könnte man an Jacobis Gewohnheit, in Präpositionen zu philosophieren, statt die Kategorien, die in jenen nur enthalten sind, wirklich auszudrücken, erinnert werden, – eine Manier, die, indem sie recht bestimmt

»ist in«

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zu sein, die Bestimmtheit auf das Letzte, das Einfachste der Präpositionen hinauszutreiben das Ansehen hat, den Blick vielmehr im Unbestimmten und Trüben läßt und es [das Bewußtsein] abhält, über die Kategorien, in denen der Verstand steckt, wach werden und sich darüber wach erhalten zu können« (Hegel, Werke, Bd. 11, 370). 10

2.3.2

Die panentheistische Fundamentalstruktur als die Einheit von Einheit und Vielheit In den »Kategorien« von Einheit und Verschiedenheit gedacht, kann man grob folgende Gestalten des Verhältnisses von Einheit und Verschiedenheit von Gott und Welt unterscheiden (cf. Brüntrup 2020): – Radikaler Dualismus: Reine Verschiedenheit von Gott und Welt ohne weiter explizierte Einheit. – Moderater Dualismus: Verschiedenheit von Gott und Welt, Einheit innerhalb eines univoken Seins (als Begriff oder Eigenschaft). – Radikaler Monismus: Reine Einheit (Identität) von Gott und Welt ohne Verschiedenheit. – Moderater Monismus: Eine Einheit von Gott und Welt, welche ihre Verschiedenheit nicht ausschließt, und eine Verschiedenheit, welche die Einheit nicht ausschließt. In panentheistischen Positionen muss klarerweise eine Einheit im letztgenannten Sinne intendiert werden, also eine Einheit, die Verschiedenheit nicht ausschließt und eine Verschiedenheit, welche die Einheit nicht ausschließt. Diese ›höhere‹ panentheistische Einheit wird oft als ›Einheit in Differenz‹, als ›Identität in Differenz‹ oder als ›All-Einheit‹ bezeichnet, welche die Vielheit von allem nicht ausschließt (All-Einheit als Einheit von Allem = Vielem) (cf. Müller 2014, 56 f.; Lerch 2009, 119; Schneider 2015b, 531). Die zentrale These dieser Studie ist, dass das Gott-Welt-Verhältnis bzw. Verhältnis von Absolutem und Endlichem in einer fundamentalen Struktur ausgedrückt ist:

10

Hegels Werke außer der Nürnberger Wissenschaft der Logik (WdL) werden hier nach der Suhrkamp-Edition zitiert: G.W.F. Hegel, Werke in 20 Bänden mit Registerband, auf der Grundlage der Werke von 1832–1845 neu edierte Ausgabe, Redaktion Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt a.M: Suhrkamp, 1971. Die Wissenschaft der Logik wird zitiert nach der Lasson-Ausgabe, Meiner Philosophische Bibliothek, Bd. 56/7, 1963 [im Folgenden: WdL].

28

All-Einheit und Differenz in Metaphysik und Religionsphilosophie

Die Fundamentalstruktur des Panentheismus ist die Einheit von Einheit und Verschiedenheit. 11 Mit dem Ausdruck Fundamentalstruktur (was man auch Urstruktur nennen könnte) seien zwei Grundaspekte hervorgehoben, um die es hierbei geht: (a) Zum einen, dass es sich um ein fundamentales, auf nichts Weiteres rückführbares Verhältnis geht, und (b) zum anderen, dass dieses Verhältnis als Struktur aufzufassen ist, d.h. als eine Relation oder Konfiguration von Relationen ganz spezifischer Natur (cf. Puntel 1973, 25, Fn. 20, und 145). Es ist für heutige philosophische Theoriebildung jedoch äußerst schwierig, genau zu erklären, wie ›Einheit‹ und ›Verschiedenheit‹ in dieser Fundamentalstruktur logisch und semantisch genau zu verstehen sind und in welchem Zusammenhang sie stehen. Sind sie selbst Relationen oder Strukturkonfigurationen? Sind sie (hypostasierte) Universalien? Sind sie anderweitig aufgefasste Kategorien? Oder sind sie konkrete Entitäten (Gott als Einheit und Welt als Vielheit bzw. Klasse aller endlichen Entitäten)? Soll der Ausdruck ›Einheit von Einheit und Verschiedenheit‹ mehr als nur eine leere oder bestenfalls völlig unterbestimmte Phrase sein, sind genau diese und sich anschließende Fragen logisch-semantisch-ontologisch genauestens zu klären. Im Folgenden seien sie noch vorläufig in ihrer phrasenhaften ungeklärt-intuitiven Weise verwendet. In einer semi-formalen 12 Veranschaulichung könnte man die zugrundeliegende Intuition so erläutern: Stehe »E« für »Einheit« und »V« für »Vielheit«, dann wäre eine exkludierende Differenz zwischen ihnen eine Relation, die beide strikt auseinanderhält: E ist V entgegengesetzt. Oder anders, die Entgegensetzung bzw. exkludierende Differenz mit einem Funktor D dargestellt: D

E ←− −→ V

(7)

Die besagte All-Einheit wäre hingegen eine umgreifende Einheit, welche die Differenz D in sich enthält: 11

12

Statt ›Einheit von Einheit und Verschiedenheit‹ wird gelegentlich auch der Ausdruck ›Einheit von Einheit und Vielheit‹ verwendet, da Verschiedenheit eine Vielheit impliziert. Der Ausdruck Fundamentalstruktur ist dem Ausdruck Elementarstruktur entlehnt, den Puntel (1973) als Kennzeichnung der elementaren Strukturiertheit der Grunddimensionen des Hegelschen Systems einführt. Die dort explizierte Elementarstruktur steht, wie sich später zeigen wird, in Zusammenhang mit dem, was hier als ›panentheistische Fundamentalstruktur‹ bezeichnet wird. In den folgenden Formeln wird noch kein explizites logisches System und keine explizite Modelltheorie vorausgesetzt, sie dienen zunächst rein erläuterenden Zwecken.

»ist in«

29

z }| { D E ←− −→ V

(8)

z}|{ Hierbei wäre die einschließende Klammer (...) als jene All-Einheit zu verstehen. 13 Jedoch darf diese All-Einheit nicht noch einmal eine Gott übergeordnete Ebene oder Dimension sein (so wie etwa ein univok verstandenes »Sein« in standard-scotistischen oder suárezianischen Konzeptionen 14), sondern muss wiederum Gott selbst sein. So unterscheidet Krause zwischen ›Gott an sich‹ (Krause nennt dies das »Orwesen«), der über allen Gegensätzen steht, und ›Gott in sich‹ (nach Krause das »Urwesen«), d.i. Gott, der in sich selbst der Welt gegenübersteht (cf. Göcke 2012b, 136–144). Zu diesem Sich-in-sich-selbst-Gegenüberstehen schreibt Krause: »Dadurch ist der alte Streit in Ansehung des Verhältnisses Gottes zur Welt, ›ob Gott ein außerweltliches und die Welt ein außergöttliches Wesen sei oder nicht‹, befriedigend gelöst; denn es wird durch die Unterscheidung Wesens [sic!] von ihm selbst als Urwesen eingesehen, dass Gott, als Eines, selbes, ganzes Wesen, weder außer, noch über, noch an, noch in der Welt ist, wohl aber, dass Gott in sich, unter sich und durch sich auch die Welt ist; ebenfalls, dass Gott als Urwesen außer und über der Welt ist, und die Welt außer ihm als dem Urwesen, sowie endlich auch, dass Gott als Urwesen vereint ist mit der Welt, vereint mit der Vernunft, mit Natur und mit dem Vereinwesen Beider, als auch mit der Menschheit« (Krause, System, 401, Anm. 65; zit. nach Göcke 2012b, 136).

Diese ›Doppelseitigkeit‹ Gottes als All-Einem findet ihren Niederschlag auch in den jüngsten religionsphilosophischen Diskussionen: »Zum einen bezieht sich der Ausdruck ›Gott‹ auf das, was der Schöpfung als Schöpfer gegenübersteht (Gott-1). Zum anderen ist mit Gott aber auch das umgreifende Ganze gemeint: das Absolute, das auch die Schöpfung in sich enthält (Gott-2). [...] Es ist nun bemerkenswert, dass ein ähnlicher Gedanke sich bei Eleonore Stump findet, die man zu Recht als eine moderne Hauptvertreterin des klassischen thomistischen Theismus ansieht. Unter dem provokanten Titel ›Quantenmetaphysik‹ entwickelt sie einen Gedanken [...]: [...] So wie die moderne Physik untereinander unverträgliche Beschreibungen

13 14

Cf. zur Darstellung Puntel (2007), 236. Ob und inwiefern Duns Scotus selbst der klassischen Lehre der analogia entis entgegensteht, sei hier noch nicht erörtert. Bei Suárez wird die Analogie der Univozität nachgeordnet, auch wenn damit die Analogie noch nicht gänzlich negiert wird, wie später noch diskutiert werden soll.

30

All-Einheit und Differenz in Metaphysik und Religionsphilosophie

einer einzigen Realität macht, so sind auch die Beschreibungen Gottes nicht vollständig miteinander in Einklang zu bringen. Das ist aber dann kein Problem, wenn die wahre Natur Gottes dem menschlichen Verstand verborgen ist. Wir haben also die Beschreibung von Gott-1 (id quod est) und Gott-2 (esse), die in Gott selbst in einer höheren Einheit aufgehoben sind« (Brüntrup 2020, 216 f.).

Einem Gedanken von Göcke (2012b, 144) folgend, kann dies wie folgt veranschaulicht werden: Sei ›Gott‹ als dieses Gegenüber der Welt mit G∗ bezeichnet. Dann ist in der hier eingeführten Notation die exkludierende Relation D zwischen G∗ und Welt W als Mannigfaltigkeit aufgespannt: D

G∗ ←− −→ W

(9)

›Gott‹ als ›All-Einheit‹ (als »Orwesen«) wäre dann die einschließende Klammer, welche Gott als Gegenüber und die Welt umfasst: z }| { D ∗ G ←− −→ W

(10)

Das Grundmovens derartiger Gedanken ist, wie oben angeklungen, in den religionsphilosophischen Diskussionen unter anderem die Sorge um die wahre Unendlichkeit Gottes: Wenn Gott aktual unendlich ist, dann kann sich das Endliche nicht ›außerhalb‹ seiner befinden, da es dann eine ›Grenze‹ gäbe, jenseits derer das Endliche ›außerhalb‹ Gottes situiert wäre – bzw. es gäbe eine Dimension, die von Gott getrennt und wodurch Gott limitiert und nicht mehr aktual unendlich wäre (er wäre ein gegenständliches Ding unter anderen Dingen, eine Dimension neben einer anderen Dimension, oder ein ›verendlichtes Unendliches‹) (cf. Coreth 1964, 318–321). Dieser Typ von Gedankengängen ist selbstverständlich inspiriert von Hegels Erörterung der Kategorie (im Hegelschen Verständnis) der ›wahren Unendlichkeit‹ in der Wissenschaft der Logik. Die ›wahre Unendlichkeit‹ Hegels kann in einem vagen Sinn als diejenige Unendlichkeit aufgefasst werden, welche die (schlechte) Unendlichkeit und die Endlichkeit in sich einschließt (genauer: in welcher schlechte Unendlichkeit und Endlichkeit im dialektischspekulativen Sinn aufgehoben sind). Sei Us die ›schlechte Unendlichkeit‹ (zu verstehen in etwa als das klassische indefinitum als eine potenzielle Unendlichkeit im Unterschied zum infinitum als aktuale Unendlichkeit) und E ˆ exkludieren die Endlichkeit, welche sich beide in (dialektischer) Differenz D ˆ (jedoch in dialektischer Identität I korreliert bleiben), dann ist die wahre oder primordiale Unendlichkeit die einschließende Klammer beider:

»ist in«

z Us o

}| ˆ D ˆI

31

{

/E

(11)

Dies entspricht in etwa dem, was oben mit dem Ausdruck ›All-Einheit‹ anvisiert wurde, 15 als eine Einheit, welche die jede Differenz ausschließende Einheit und die jede Einheit ausschließende Differenz umfasst, und die als (primordiale) Einheit von (exklusiv-korrelativer) Einheit und Differenz bezeichnet werden könnte. Jedoch ist die Diskussion der wahren Unendlichkeit in der Wissenschaft der Logik in den seinslogischen Sphären der Qualität und der Quantität situiert, welche beschränkte Sphären innerhalb des logischen Ganges sind und keineswegs den adäquaten philosophischen Standpunkt der vollen Thematisierung des Absoluten darstellen (was dieser adäquate Standpunkt im Hegelschen System ist, wird sich im Verlauf dieser Studie noch zeigen) (cf. Puntel 1973, 55). Die Kategorien der Einheit und Vielheit werden – und dies wird oft mißachtet – in der Wissenschaft der Logik erst in der darauf folgenden Sphäre des Fürsichseins artikuliert (cf. WdL I, 132–140; 154–160). Dennoch kann einleitend bereits gesagt werden, dass der Ausdruck ›Einheit von Einheit und Vielheit‹ eine immer wiederkehrende Grundstruktur von Positionen darstellt, welche das Gott-Welt-Verhältnis non-dualistisch und non-pantheistisch konzipieren (ob sie damit schon allesamt als ›panentheistisch‹ klassifiziert werden können, muss sich jedoch erst noch erweisen). So schreibt der Namensgeber des Panentheismus, Krause, in seinen Vorlesungen über das System der Philosophie im Jahr 1829: Es »[...] zeigt sich, dass die Gegenheit nicht gedacht ist als an Gott, als wenn Gott selbst einem Andern außer sich entgegengesetzt wäre, denn, da die Gegenheit den Gedanken der Andersheit und den Gedanken der Zweiheit an sich hat, [...] so kann die Gegenheit nicht an Wesen, nicht an Gott sein, weil Wesen nichts weder ihm Gleiches, noch Ungleiches außer sich hat.« »Wir finden also hier an der bejahigen gleichen Wesenheit beider zugleich die Verneintheit« (Krause, System, 91, 391; zit. nach Göcke 2012b, 138 f., Fn. 347, 349).

15

ˆ und »dialektische IdenCf. Puntel 2007, 237 f. Was hier »dialektische Differenz« D tität« ˆI genau besagen, wird im Kapitel über Hegel noch zu entschlüsseln sein. Beide spielen eine entscheidende Rolle bei der Klärung dieser Form von primordialer Einheit. Der Einfachheit halber sei in den folgenden einführenden Darstellungen jeweils nur eine exkludierende Differenz D (als Doppelpfeil ↔) angegeben.

32

All-Einheit und Differenz in Metaphysik und Religionsphilosophie

Bei J.A. Möhler findet sich ebenfalls die zentrale These, dass in Gott seine Verschiedenheit und Einheit mit der Welt übereinkommen: »[...] nach [dem Dualismus, R.S.] ist Gott von der Welt getrennt, nach [dem Pantheismus, R.S.] fällt Gott und die Welt zusammen. Der Katholizismus aber hält Gott und Welt auseinander, obschon Gott mit der Welt in innigster Verbindung steht.« »So ist Gott außerweltlich und in der Welt, er ist stets verschieden vom Einzelnen wie vom Ganzen, und doch nicht getrennt« (Möhler, Athanasius III, 313 und 324. Cf. Geiselmann 1954, Himes 1997, 42).

Dass das In-Sein der Welt in Gott eine lange philosophische Tradition hat (man denke an die biblischen Aussagen in Apg 17,27 f.: »Denn in ihm [=Gott, R.S.] leben wir, bewegen wir uns und sind wir«), zeigt sich unter anderem daran, dass bereits Augustinus deutlich artikuliert: »Non enim [Deus] fecit atque abiit, des ex illo et in illo sunt« (Conf., 4,12). Auch Thomas von Aquin beschreibt ein absolutes Zugleich von höchster Immanenz und höchster Transzendenz Gottes: »Cum autem Deus sit ipsum esse per suam essentiam, oportet quod esse creatum sit proprius effectus eius [...]. Esse autem est illud quod est magis intimum cuilibet, et quod profundius omnibus inest, cum sit formale respectu omnium quae in re sunt, ut ex supra dictis patet. Unde oportet quod Deus sit in omnibus rebus, et intime« (S.Th. I, q. 8, a. 1, co.), »Deus est supra omnia per excellentiam suae naturae, et tamen est in omnibus rebus, ut causans omnium esse« (ebd., ad 1). Und Nicolaus Cusanus formuliert explizit den Satz »Deus est ante differentiam differentiae et indifferentiae« 16 zur Charakterisierung der göttlichen alleinen coincidentia oppositorum. In Schellings Dialog Bruno von 1802 liest man schließlich die bedeutsame Aussage: »[...] daß wir die Einheit aller Gegensätze zum Ersten machen, die Einheit selbst aber zusammt dem, was du den Gegensatz nennest, selbst wieder und zwar den höchsten Gegensatz bildet, wir, um jene Einheit zur höchsten zu machen, auch diesen Gegensatz zusammt der Einheit, die ihm gegenübersteht, darin begriffen denken, und jene Einheit als dasjenige bestimmen, worin die Einheit und der Gegensatz, das sich selbst Gleiche mit dem Ungleichen eins ist« (IV, 236, zit. nach Schmidt 1984, 39 f.).

Dieser für den deutschen Idealismus grundlegende Gedanke wurde bereits von Hegel in dessen Systemfragment aus dem Jahr 1800 klar formuliert, wo er das »unendliche All« als »Verbindung der Entgegensetzung und Beziehung« und als »die Verbindung der Verbindung und der Nichtverbin16

De ven. sap., c. 13

»ist in«

33

dung« bzw. als »Verbindung der Synthesis und Antithesis« beschreibt (Hegel, Werke, Bd. I, 421 f.). In der Nürnberger Logik tritt dieser Gedanke dann bekanntlich in der prominenten Formulierung »Identität der Identität und Nichtidentität« als Definition des Absoluten auf. 17 2.3.3 Die direkte Proportionalität von Einheit und Differenz z }| { Die oben angeführte Struktur E ←→ V wird oftmals auch in einem (a) logischen oder (b) temporalen Nacheinander wiedergegeben: (a) In einem logischen Nacheinander findet von einer anfänglichen, unentfalteten EinD heit E mittels der Differenzsetzung D ein Fortgang (−→) durch eine die Einheit ausschließende Vielheit V statt, welcher zugleich ein Rückgang ( ) z}|{ in die (immer schon zugrundeliegende) höhere Einheit (...) von unenfalteter anfänglicher Einheit und exkludierender Vielheit bzw. in die Einheit von Einheit und Vielheit ist: D

E −→ V

z }| { D 〈E ←− −→ V〉

(12)

Der Rückgang in die höhere Einheit und die Differenzierung in die Vielheit sind daher als sich direkt proportional zueinander verhaltend aufzufassen: Ein exkludierendes Verhältnis von Einheit und Vielheit wäre ein indirekt proportionales, d.h. je ›stärker‹ die Einheit wäre, desto ›geringer‹ wäre die Vielheit und umgekehrt; hier jedoch sind je stärkere Einheit und je stärkere Vielheit zugleich bestehend (oder entstehend – womit sich schon andeutet, dass es sich um Stufen und Grade zulassende Einheit und Differenz handelt). Dieser Gedanke wurde von Hegel für den logisch-dialektisch-spekulativen Fortgang der Bestimmungen der WdL ins Zentrum gestellt: »Man muß zugeben, daß es eine wesentliche Betrachtung ist, – die sich innerhalb der Logik selbst näher ergeben wird, – daß das Vorwärtsgehen ein Rückgang in den Grund, zu dem Ursprünglichen und Wahrhaften ist, von dem

17

Der »Begriff [...] der Identität der Identität und Nichtidentität [...] könnte als die erste, reinste, d. i. abstrakteste Definition des Absoluten angesehen werden, – wie er dies in der Tat sein würde, wenn es überhaupt um die Form von Definitionen und um den Namen des Absoluten zu tun wäre. In diesem Sinne würden, wie jener abstrakte Begriff die erste, so alle weiteren Bestimmungen und Entwicklungen nur bestimmtere und reichere Definitionen dieses Absoluten sein« (WdL I, 59). Es ist strikt zu beachten, dass ›Identität‹ und ›Nichtidentität‹ in der Wissenschaft der Logik Reflexionsbegriffe sind und damit der begrenzten Sphäre der Wesenslogik angehören.

34

All-Einheit und Differenz in Metaphysik und Religionsphilosophie

das, womit der Anfang gemacht wurde, abhängt und in der Tat hervorgebracht wird«(WdL I, 55; cf. Puntel 1969, 406). 18

(b) Diese linearisierte Struktur ist dann bekanntlich in den temporalen geschichtsphilosophischen Ansätzen verschiedenster historischer Dialektiken zu finden, nicht nur bei Schelling und Hegel, sondern auch im theologischheilsgeschichtlichen und ekklesiologischen Kontext etwa bei den Tübingern von Drey und Möhler. Nach Möhler stellt die Kirchengeschichte eine, wie W. Kasper trefflich formulierte »dialektische Einheit von regressiver und progressiver Bewegung« (Kasper 2003, 207) dar, die sich im Fortgang der Geschichte direkt proportional an ihren Anfang in Christus rückangleicht – was Möhler mit der starken Metapher der fortwährenden Inkarnation des Logos in der Kirche umschreibt, der sich im Fortgang durch die Geschichte verjüngt (= Rückgang in den Anfang): »So ist denn die sichtbare Kirche von dem eben entwickelten Gesichtspunkte aus, der unter den Menschen in menschlicher Form fortwährend erscheinende, stets sich erneuernde, ewig sich verjüngende Sohn Gottes, die andauernde Fleischwerdung desselben, so wie denn auch die Gläubigen in der heiligen Schrift der Leib Christi genannt werden. [...] [W]ie in Christo Göttliches und Menschliches wohl zu unterscheiden, aber doch auch beides zur Einheit verbunden ist, so wird er auch in ungeteilter Ganzheit in der Kirche fortgesetzt. Die Kirche, seine bleibende Erscheinung, ist göttlich und menschlich zugleich, sie ist die Einheit von beidem« (Möhler, Symbolik5 , 332 f. Cf. Geiselmann 1940, 137–178).

18

Vorallem in der Beschreibung der Erweiterung der Methode zum System stellt Hegel die dialektisch-spekulative absolute Methode (deren Resulat die Identität der Identität und Nichtidentität ist) als Ineinanderfall – bzw. als direkte Proportionalität – der gegenläufigen Bewegungen des Begründens und des Weiterbestimmens: »Jede neue Stufe des Außersichgehens, d. h. der weiteren Bestimmung, ist auch ein Insichgehen, und die größere Ausdehnung [ist] ebensosehr höhere Intensität. Das Reichste ist daher das Konkreteste und Subjektivste, und das sich in die einfachste Tiefe Zurücknehmende das Mächtigste und Übergreifendste [...]. Auf diese Weise ist es, daß jeder Schritt des Fortgangs im Weiterbestimmen, indem er von dem unbestimmten Anfang sich entfernt, auch eine Rückannäherung zu demselben ist, daß somit das, was zunächst als verschieden erscheinen mag, das rückwärtsgehende Begründen des Anfangs und das vorwärtsgehende Weiterbestimmen desselben, ineinanderfällt und dasselbe ist« (WdL II, 502).

»ist in«

35

Selbst neuscholastische Autoren vertraten eine direkte Proportionalität von Transzendenz und Immanenz Gottes (und deuteten diese im geschichtlichen Zusammenhang als Wirken der ökonomischen Trinität gemäß dem klassischen Exitus-reditus-Schema): »Ergo Deus per subsistentiam sui esse est maxime divisus et distinctus ab omni alia re, maximeque transcendens. [...] Nihilominus Deus, ut prima causa efficiens, est etiam maximeque immanens mundo, quatenus intime praesens est unicuique rei« (Gredt 1935b, Bd. II, Nr. 818, 3). Tatsächlich findet sich auch bei Thomas selbst die direkte Proportionalität von Transzendenz (Unähnlichkeit Gottes) und Immanenz (Ähnlichkeit Gottes und der Welt): »Eadem similia sunt Deo et dissimilia: illud secundum contingentiam imitationem; hoc autem secundum quod causata minus habent a causa« (S.Th. II/IIae, q. 163, a. 2, co.; cf. Lakebrink 1968, 267 ff., 435 f.). 2.3.4 Der infinite Progress der Fundamentalstruktur Es stellt sich nun die Frage, ob die Fundamentalstruktur nicht direkt in Absurditäten führt. In der Tat lässt sich mit der Fundamentalstruktur ein infiniter Leerlauf generieren, der die Struktur als letztlich nichtssagende und aporetische Struktur entlarven würde (cf. zum Folgenden Puntel 1996; man vergleiche auch den oben skizzierten infiniten Progress bei Gabriel 2015, wobei beide nicht dasselbe besagen): Versteht man ›Gott‹ als ›AllEinheit‹ und die ›Welt‹ W als die Dimension von kontingenten Entitäten ei (mit natürlichen Indizes i), die sich gegenseitig exkludieren, dann steht diese Dimension der Vielheit dennoch ›Gott‹ in exkludierender Weise gegenüber, denn sie ist nicht ›Gott‹. Mit obiger Notation G∗ für ›Gott‹ als dieses Gegenüber der Welt war ›Gott‹ als ›All-Einheit‹ die Klammer, welche z }| { D1 ∗ Gott als Gegenüber und die Welt umfasst: G ←− −→ W. Hier ist die Differenz D mit dem Index 1 versehen, da gleich höherstufige Differenzen D2 , D3 ,... D auftreten werden. Die Differenz D1 in G∗ ←− −1→ W und die in die höhere z}|{ Einheit (...) eingebundene Differenz D∗1 sind jedoch nicht ohne Weiteres als identisch zu verstehen: Die Differenz D1 ist gerade jene Differenz, welche z}|{ eine Einheit im Sinne von (...) exkludiert. Die Differenz innerhalb der AllEinheit dagegen ist eine Differenz, die bereits in die Struktur der All-Einheit derart einbezogen ist, dass sie nicht ›herausfällt‹: }| { z ∗ ∗ D1 G ←− −→ W

(13)

36

All-Einheit und Differenz in Metaphysik und Religionsphilosophie

Hier scheint nun aber ein neuer Gegensatz zu entstehen, der im Sinne von D1 selbst exklusiv ist: z }| { ∗ ∗ D1 (G ←− −→ W) ←− −→ (G ←− −→ W) ∗

D1

D2

(14)

Dieser neue exkludierende Gegensatz D2 ist in dem Sinne einerseits höherstufig als D1 , da D2 eine Exklusion zwischen Exklusionsverhältnissen ist (eine Relation zwischen Relationen), aber sie hat mit D1 gemeinsam, dass es sich um eine exkludierende Differenz handelt. Daher müsste sie wiederum in eine höhere Einheit einbezogen werden (womit D2 wiederum zu einem D∗2 wird): { }| { z ∗ D1 D2 D (G∗ ←− −1→ W) ←− −→ W) −→ (G∗ ←−

z

}| ∗

(15)

Dann aber ergibt sich eine erneute Exklusion D3 zwischen den letzten beiden Formeln, und so weiter ad infinitum. Allgemein erhält man eine unendliche Kette von Einheiten der folgenden Gestalt (für alle n ∈ N): z

}|

{ { z}|{ D∗ D∗n−1 z}|{ D n−1 n ((...) ←− −→ (...) ) ←− −→ ((...) ←− −→ (...) ) z

}|

(16)

Das zugrundeliegende Problem ist folgendes: Wenn die umfassende Einheit nichts mehr ausschließt, wie kann sie sich dann ihren sich gegenseitig exkludierenden »Teilen« / »Elementen« / »Substrukturen« überhaupt selbst exkludierend entgegensetzen ohne aufzuhören, umfassende Einheit zu sein? Und wenn sie sich ihren Teilen / Elementen / Substrukturen nicht in irgendeiner Weise exkludierend entgegensetzt, wie kann sie dann als solche überhaupt thematisiert geschweige denn sinnvoll dargestellt werden? Theologisch gewendet: Wie kann ein derart als All-Einheit verstandener Gott überhaupt noch sinnvoll als (personal-freies) Gegenüber verstanden werden (oder auch umgekehrt: Wie können die kontingenten Entitäten der Welt – etwa menschliche Individuen – noch als personal-freies Gegenüber der AllEinheit verstanden werden)? Die All-Einheit scheint die exkludierende(n) (das Gegenüber-sein zustandebringende(n)) Differenz(en) Di nie wirklich einholen zu können, was zu einem infiniten Progress führt des Immer-neuEinholens führt. Wäre der freie, dem ebenfalls freien Menschen in geschichtlichem Bund und Partnerschaft gegenübertretende, personale Gott nur ein auf G∗ reduzierter Gott und gar nicht Gott, wie er wirklich an sich ist (eben die All-

»ist in«

37

Einheit)? Dies erinnert in natürlicher Weise an jene Diskussion, die gegenwärtig zwischen Vertretern einer monistischen Konzeption im Anschluss an D. Henrich, die Gott als non-egologischen All-Einheits-Grund auffasst, und den Vertretern einer freiheitstheoretisch-dualistischen Konzeption im Anschluss an Th. Pröpper, in der Gott als ichhaftes Gegenüber von der Welt durch einen Differenzabgrund getrennt ist (cf. Lerch 2009). Dieses Problem hat für die Panentheismusfrage sowohl logisch-semantisch, als auch ontologisch, geschichtsphilosophisch und theologisch höchste Relevanz. Denn der Einwand des infiniten Progresses berührt die panentheistischen Konzeptionen des Gott-Welt-Verhältnisses in ihrem Kern, nämlich das Verhältnis von Exklusion und jener ›höheren Einheit‹ überhaupt. Er gleicht dem Einwand, der gegen Hegels dialektisch-spekulative Methode vorgebracht und ebenfalls von Autoren wie Möhler als Gefahr für ihre eigenen Konzeptionen erkannt wurde, weshalb in dieser Studie auch Hegels Antwort hierauf ein entsprechender Raum zugeteilt werden soll (cf. Geiselmann 1940, 177). Wie der Einwand des infiniten Progresses überdies zeigt, sind die Begrifflichkeiten der Einheit von Einheit und Vielheit, der direkten Proportionalität von Einheit und Vielheit u.a. höchst klärungsbedürftig und opak. Oftmals handelt es sich, wie bereits erwähnt, lediglich um intuitiv eingeführte Phrasen, deren genauer logisch-semantischer Status alles andere als klar ist. Handelt es sich beispielsweise bei der oben lose thematisierten Differenz etwa um eine Negation extensional-geometrischer Grenzen? Handelt es sich um eine mengentheoretische Negation? Oder um eine Negation von logischen oder inhaltlichen Bestimmungen (Perfectio-pura-Paradigma)? Ist der Begriff der exkludierenden Differenz D zwischen Einheit und Vielheit eine intensionale oder eine extensionale Negation? Werden nicht vielfach scholastische, transzendentallogische oder idealistische Begriffe aus ihren jeweils festen Stellungen im entsprechenden Theorierahmen oder System herausgerissen und in völlig andere Kontexte transferiert, ohne die damit einhergehende Bedeutungsverschiebung zu beachten? 19

19

Wie noch zu zeigen sein wird, haben etwa alle Kategorien in Hegels Wissenschaft der Logik einen bestimmten Platz im Ganzen des dialektisch-spekulativen Ganges durch die einzelnen Dimensionen oder Sphären der logischen Gesamtdimension.

38

All-Einheit und Differenz in Metaphysik und Religionsphilosophie

2.4 »Gott« 2.4.1 Gott als Seiendes oder als Sein (HOLON) Oben wurde der Begriff der Welt als eine extensionale Totalität aller Seienden verstanden, die aber auch eine intensionale Seite zeigt: die Seiendheit (esse commune). Davon abzuheben ist wiederum das Sein selbst (ipsum esse), das als nicht-extensionales Absolutes, an dem die intensionale Seiendheit partizipiert, verstanden werden kann. In diesen Zusammenhang wird in dieser Untrsuchung auch der Gottesbegriff gesetzt. Wie oben erwähnt, sind religionsphilosophische Probleme jeweils in einem spezifischen meta-religionsphilosophischen Theorierahmen situiert, in welchem zentrale systematische Vorentscheidungen über Gottesbegriff, Weltbegriff, Gott-Welt-Relation und die applizierte Epistemologie, Logik, Semantik und Ontologie gefällt sind. Dabei kann man grob zwei grundlegende Ansätze unterscheiden: (α) Auf der einen Seite sind in der kontemporären Religionsphilosophie – der berühmten Charakterisierung Heideggers folgend – ›onto-theologische‹ Standard-Paradigmen 20 auf dem Markt, welche Gott nach dem Muster einer konkreten Entität konzipieren (ein ›Seiendes unter anderen Seienden‹), welcher ausgewählte ›Superattribute‹ zukommen (summum ens). Dies entspräche obigem G∗ . Doch alle derartigen Standard-Konzeptionen müssen Gott in irgendeiner Weise in Bezug zu Totalitäten setzen (etwa in den Gottesbeweisen zur Totalität der Welt), was erhebliche Rückwirkungen auf den Gottesbegriff hat. (β) Dem Standard-Paradigma gegenüber stehen non-ontotheologische Theoriebildungen, welche Gott nicht als Entität konzipieren, sondern ihn selbst in der transkategorialen Dimension der Totalität situieren: So wird bei Thomas von Aquin Gott als esse ipsum subsistens die Totalitätsdimension des Seins zugewiesen. Bei Immanuel Kant stellt die Gottesidee einen Modus der die beiden Totalitäten des Subjekts und des Objekts (die Welt) umfassenden Totalität dar (cf. KrV A334/B91), im deutschen Idealismus nach Kant wird die Gottesfrage prinzipiell nicht mehr ›unterhalb‹ der Totalität des Absoluten verhandelt. Derartige non-ontotheologische Konzeptionen werden in der gegenwärtigen subjekttheoretischen und auch analytischen Religionsphilosophie vernachlässigt. 20

Cf. Heideggers Ausführungen in seiner Schrift Der Satz vom Grund: »Weil [...] Leibniz und alle Metaphysik beim Satz vom Grund als einem Grundsatz über das Seiende stehenbleiben, verlangt das metaphysische Denken dem Grundsatz gemäß einen ersten Grund für das Sein: in einem Seienden, und zwar dem Seiendsten«, Heidegger 1957, 205, nach Puntel 2010, 77, Fn. 15 und 79.

»Gott«

39

Es ist neben der Festlegung der genannten Fundamentalstruktur als Definiens für den Panentheismus eine zweite zentrale These dieser Studie, dass diese Fundamentalstruktur erst in der wirklich allumfassenden, gesamtsystematischen Dimension des universalen primordialen Seins selbst in adäquater Weise expliziert werden kann, bzw. dass die Fundamentalstruktur diese gesamtsystematische Dimension impliziert. Diese allumfassende Dimension ist nicht mehr rückführbar auf beschränkte Theorierahmen, welche Dichotomien wie die zwischen Realismus und Antirealismus, Subjekt und Objekt usw. enthalten. Erst in dieser Totalitätsdimension könnten die Aporien des Panentheismus aufgelöst werden. 2.4.2 Verstand und Vernunft – Formale Logik und Kategorientheorie Diese Struktur(en) der ›Einheit von Einheit und Verschiedenheit‹ und der direkten Proportionalität (von Einheit und Verschiedenheit) wurden und werden oft als unintelligible und mit formaler Logik nicht erfassbare Konstrukte betrachtet und daher abgelehnt. Umgekehrt wurde von Verfechtern dieser Struktur(en) immer wieder der Unterschied zwischen Verstand und Vernunft ins Feld geführt. Die traditionelle aristotelisch-scholastische Logik und die moderne mathematische Logik wurden dann dem Verstandesdenken zugeordnet, welches in äußerlichen Negationen und distinkten, endlichen Begriffen denke und von sich her beschränkt und völlig untauglich sei, jene höhere Einheit zu erfassen. Stattdessen wird ein ›überbegriffliches Vermögen‹ (im Gefolge von Cusanus und S.L. Frank) oder eine ›dialektische Logik‹ (etwa in der hegelianischen Tradition) postuliert, welches der eigentliche und angemessene Standpunkt zur Erfassung der höheren Einheit oder All-Einheit sei. Hierbei entsteht jedoch wieder eine Dichotomie zwischen einer formalen Verstandes-Logik und einer höheren VernunftLogik, welche dem Gedanken der All-Einheit widerspricht (cf. hierzu und zum Folgenden Puntel 1996): Eine höhere Weise des Denkens oder eine höhere Logik muss die formale Logik in sich enthalten und darf sie nicht exkludieren, wenn sie wirklich der angemessene Standpunkt der Erfassung der All-Einheit sein will. Dies kann auf zweifache Weise geschehen: (a) Das höhere Denken oder die höhere Logik wird als die eigentliche, voll entfaltete Logik aufgefasst, innerhalb der sich die formale Logik als eine Teilgestalt ergibt (dies wird heute etwa im analytischen Hegelianismus im Rahmen der parakonsistenten Logiksysteme oder unendlichwertiger Logiken versucht, cf. Petersen 2010, 50–59). Oder (b) man bedient sich vorhandener, aber in der analytischen Philosophie völlig unausgeschöpfter (ja sogar ignorierter) formallogischer Systeme bzw. ihrer Modelle, welche die mathematische Logik selbst bereitstellt. Als Modell bietet sich in besonderer Weise die nicht-

40

All-Einheit und Differenz in Metaphysik und Religionsphilosophie

extensionale mathematische Kategorientheorie an (cf. Schneider 2020), welche (im Sinne von Bourbaki) als allumfassende Strukturtheorie aufgefasst werden kann. 21 Ihr Nutzen sei sogleich illustriert: z }| { E ↔ V ist irreführend – Obige rein lineare Darstellung E −→ V besser lässt sich diese Struktur als ein kommutatives Diagramm wiedergeben, wie es von der Kategorientheorie bereitgestellt wird. Diesmal sei der Fortgang in die Vielheit mit F und der direkt proportional dazu erfolgende Rückgang in die höhere Einheit mit R bezeichnet: z }| { E ↔O Vg a

E

(17) R

F

/V

Kategorientheoretisch ergibt sich eine (logische, nicht zeitliche) Hintereinanderausführung der Pfeile F und R: Die ›Erhebung‹ (›Aufhebung‹) der z }| { anfänglichen Einheit E zur höheren Einheit E ↔ V (Pfeil a nach oben) setzt sich zusammen als die Komposition a = R ◦ F. D.h. a besteht aus dem ›Ineinander‹ von Fortgang F und Rückgang R (die Pfeile sind hierbei als Morphismen im kategorientheoretischen Sinn zu verstehen. Der Morphismus F ist dann ein extremaler Epimorphismus und R ein extremaler Mono-

21

Cf. Bourbaki 1948/1974, 148, Fn. 1: »[...] die axiomatischen Untersuchungen des 19. und 20. Jahrhunderts [haben] allmählich den anfänglichen Pluralismus der Vorstellungen von diesen ›Wesen‹ [=Entitäten, R.S.] – die man zuerst als ideale ›Abstraktionen‹ heterogener Sinneserfahrrungen auffasste – ersetzt [...] durch eine einheitliche Vorstellung, indem allmählich die mathematischen Begriffe zuerst auf den Begriff der natürlichen Zahl und dann, in einem zweiten Stadium, auf den Begriff der Menge zurückgeführt wurden. Der Begriff der Menge, der lange Zeit als ›ursprünglich‹ und ›undefinierbar‹ galt, ist der Gegenstand endloser Auseinandersetzungen gewesen, infolge seines außerordentlich allgemeinen Charakters und auf Grund der sehr unbestimmten Vorstellungen, die er hervorruft; die Schwierigkeiten verschwanden erst, als im Licht der jüngsten Arbeiten über logischen Formalismus der Mengenbegriff selbst verschwand und mit ihm auch alle metaphysischen Pseudo-Probleme bezüglich mathematischer ›Wesen‹ unterging [untergingen?]. Nach diesem Standpunkt sind mathematische Strukturen eigentlich die einzigen ›Gegenstände‹ der Mathematik«, zit. nach Puntel 2006, 236.

»Gott«

41

morphismus). 22 Die formallogische Explikation der gegenläufigen direkten Proportionalität stellt damit kein Problem mehr dar. Doch dies bleibe an dieser Stelle nur erwähnt – im letzten Teil dieser Arbeit wird der kategorientheoretische Ansatz ausgeführt. Die mathematische Kategorientheorie besitzt einerseits den Vorteil, ein erhebliches formales Klärungspotenzial mit hoher Anschaulichkeit zu vereinen. In systematischer Hinsicht ist sie anders als die in der analytischen Philosophie weithin benutze Prädikatenlogik mit ihren mengentheoretisch-extensionalen Interpretationen in grundlegender Weise nicht-extensional bzw. operiert noch vor Einführung extensionaler Menge (cf. Pumplün 1999, 16–20; Mac Lane 1998, 9 f.). Gerade für das hier verhandelte Thema ist die Extensionalität der formalen Logik und ihren Modellen eine extrem engführende Vorentscheidung, da das Gott-Welt-Verhältnis keineswegs vorab als extensionales verstanden werden kann (im Sinne einer entsprechend der Wiener-Kuratowski-Definiton extensional-mengentheoretisch interpretierten Relation). 23

22

23

Diese Begriffe werden im folgenden Unterkapitel noch erklärt. Vorab sei gesagt: Ein Morphismus e ist ein Epimorphismus genau dann, wenn für alle Morphismen f und g gilt: f ◦ e = g ◦ e =⇒ f = g, d.h. e ist injektiv. Ein Morphismus m ist ein Monomorphismus genau dann, wenn für alle Morphismen f und g gilt: m ◦ f = m ◦ g =⇒ f = g. Extremal heißen e und m, wenn gilt: m = f ◦ e =⇒ e ist ein Isomorphismus, und e = m ◦ f =⇒ m ist ein Isomorphismus. Cf. Pumplün 1999, 53 f.; cf. Schneider 2020. Hegel drückt dies in vortrefflicher Klarheit aus, wenn er darauf hinweist, dass extensionale logisch-mathematische Darstellungen der seinslogischen und daher beschränkten Sphäre der Quantität angehören, während die Entfaltung der Totalität des Absoluten in der begriffslogischen Sphäre bzw. Dimension, welche Grundlage der Sphäre der Quantität ist, einer nicht-extensionalen Darstellung bedarf: »Als absoluter Grund ist er [= der Begriff, R.S.] die Möglichkeit der Quantität, aber ebensosehr der Qualität, d. h. seine Bestimmungen sind ebensowohl qualitativ unterschieden; sie werden daher dann schon gegen ihre Wahrheit betrachtet, wenn sie unter der Form der Quantität allein gesetzt werden. So ist ferner die Reflexionsbestimmung ein Relatives, in der ihr Gegenteil scheint; sie ist nicht im äußerlichen Verhältnisse wie ein Quantum. Aber der Begriff ist mehr als alles dieses; seine Bestimmungen sind bestimmte Begriffe, wesentlich selbst die Totalität aller Bestimmungen. Es ist daher völlig unpassend, um solche innige Totalität zu fassen, Zahlen- und Raumverhältnisse anwenden zu wollen, in welchen alle Bestimmungen auseinanderfallen; sie sind vielmehr das letzte und schlechteste Medium, welches gebraucht werden könnte« (WdL II, 295). – Die moderne mathematische Kategorientheorie setzt als grundlegende Theorie der Mathematik noch keine extensionalen Mengen voraus. Extensionale Mengen und Klassen treten erst innerhalb der Kategorientheorie auf. Die Stärke von letzterer ist es, dass sie auf fundamentalster Ebene ein umfangreiches Operieren mit reinen Relationen bzw. Morphismen erlaubt. Dies wird im letzten Teil dieser Arbeit weiter erläutert werden.

42

All-Einheit und Differenz in Metaphysik und Religionsphilosophie

2.4.3 Denkform und Theorierahmen In der neueren fundamentaltheologischen Debatte zeigt sich die Theorierahmenabhängigkeit der Konzeptionen insbesondere im sogenannten Denkformenstreit zwischen den monistischen und dualistischen subjekttheoretischen Konzeptionen: Hier tauchte in jüngster Zeit erneut die Frage nach der umgreifenden Einheit von Transzendenz und Immanenz auf, bzw. (transzendentalphilosophisch im Anschluss an H. Krings) nach der umgreifenden Einheit von internaler Einheit und Differenz der transzendentalen Subjektivität (cf. Litz 2005; Lerch 2009, 195–198; Lerch 2015, 418 f.; cf. Schneider 2015b). Auch hier wird u.a. das von K. Rahner favorisierte Proportionalitätsaxiom (der direkten Proportionalität von Einheit und Differenz, von Transzendenz und Immanenz) wieder neu in die Diskussion eingebracht (Lerch 2015, ebd.) – und ebenso findet sich direkte Proportionalität in der Transzendentalen Logik von H. Krings, dem philosophischen Gewährsmann der gegenwärtigen dualistisch-transzendental-philosophischen Konzeptionen, bei seiner Erläuterung der umgreifenden (im letzten göttlichen) Einheit des Beisichseins und der internalen Differenz des transzendentalen Ich (cf. Krings 1964, 168; cf. Schneider 2015b, 544 f.). In diesen Diskussionen ist die Theoriebildung explizit geprägt von epistemologisch-subjektphilosophischen Voraussetzungen, die sich deutlich von ähnlich klingenden Konzeptionen der Einheit von Einheit und Vielheit in der klassischen Metaphysik abheben. Diese Voraussetzungen haben bedeutsame Konsequenzen für die Explikation dieser primordialen Einheit. Entsprechend der Situierung in Denkformen (bzw. Theorierahmen) können in der gegenwärtigen Debatte verschiedene epistemologisch-metaphysische Modi des Gott-Welt-Verhältnisses ausgemacht werden – entsprechend der vorausgesetzten Logiken, Bedeutungstheorien, meta-metaphysischen Grundvoraussetzungen (cf. Schneider 2017, 151 f.): Das Verhältnis kann insgesamt aufgefasst werden als 1. Ontische Differenz: Hier wird das Gott-Welt-Verhältnis in einer reduktionistisch-objektivistischen, onto-theologischen Metaphysik situiert (d.h. es besteht eine Reduktion der Wirklichkeit auf Entitäten/Seiende (entia), Gott wird selbst als ein Seiendes neben anderen Seienden aufgefasst, und das erkennende Subjekt mit seinen Erkenntnisbedingungen steht außerhalb des Theorierahmens). Beispiel: Die analytische Religionsphilosophische, die Gott in rationalistischer Weise als summum ens konzipiert. 2. Ontologische Differenz (hier nicht im Heideggerschen Sinn zu verstehen): Gott-Welt-Verhältnis innerhalb einer klassischen nicht-reduktionistischen, objektivistische und nicht-onto-theologische Metaphysik –

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d.h. es besteht ein Unterschied zwischen Sein (esse) und Seienden (entia), jedoch bleibt das begreifende Subjekt außerhalb des Theorierahmens. Ein Beispiel hierfür wird unten der Theorierahmen von Thomas von Aquin sein. 3. Transzendentale Differenz: Das Gott-Welt-Verhältnis wird in einer nichtreduktionistischen, onto- oder nicht-onto-theologischen, subjektivistischen Konzeption verortet – diese Theorierahmen setzen im Allgemeinen die kopernikanische Wende Kants voraus, d.h. das begreifende Subjekt und sein Erkenntnisapparat sind die transzendentale Voraussetzung des Theorierahmens. Ein Beispiel hierfür werden die Theorierahmen der Tübinger v. Drey und Möhler sein. 4. Meta-transzendentale ontologische Differenz: Das Gott-Welt-Verhältnis wird in einem nicht-reduktionistischen, nicht-objektivistischen, nichtsubjektivistischen und nicht-onto-theologischen Theorierahmen situiert. Ein Beispiel hierfür ist der absolute Idealismus G.W.F. Hegels. 24 Entsprechend dieser Modi unterscheidet sich folglich auch der Begriff der Differenz: 1. Der ontischen Differenz (1.) verhaftete onto-theologische Positionen haben meistens einen aussagenlogisch-abstrakten Differenz- bzw. Negationsbegriff (Differenz als Negation zwischen Gott und Welt). 2. Theorien, die unter (2.)–(4.) einzuordnen sind, haben im allgemeinen einen (jeweils) anderen Differenzbegriff. Zur historischen Begriffsklärung sei unterschieden zwischen abstrakter Differenz, welche in kontradiktorischem Verhältnis zur abstrakten Identität (Einheit) steht (und vice versa) und einer konkreten (konkreszenten) Identität bzw. Einheit, welche Differenz / Negation / Vielheit nicht kontradiktorisch ausschließt. 2.4.4 Fundamentalstruktur und Analogie Die Fundamentalstruktur des Panentheismus ist zugleich die Grundstruktur des klassischerweise Analogie genannten epistemisch-semantisch-ontologischen Gefüges von via affirmativa, via negativa und via eminentiae ist (cf. zum Folgenden Schneider 2016, Schneider 2018b und Coreth 1964, 305–322). Das klassische Schema der via affirmativa – via negativa – via eminentiae hat zu tun mit der Differenz von Allumfassendem und Univok-Partikularem bzw.

24

Inwiefern Hegel dieser Dimension zuzurechnen ist, und ob er tatsächlich der Subjektivitätsphilosophie »entkommt«, wird im Teil über Hegels System zu fragen sein.

44

All-Einheit und Differenz in Metaphysik und Religionsphilosophie

zwischen Allumfassendem und Vielem bzw. zwischen Sein und Seienden: Bei univoken Begriffen sind die teilklassen-erzeugenden Prädikate außerhalb ihrer Intension und Extension, sie werden sozusagen durch Außenbestimmung definiert – sie sind, in Hegels Worten, ein abstrakt Allgemeines und treffen auf eine Vielzahl abgrenzbarer Individuen zu (qualitative Identität bei numerischer Verschiedenheit). Es liegt ein abgrenzbarer Inhalt vor. Bei analogen Begriffen hingegen ist keine Außenbestimmung möglich. An den allumfassenden Begriffen ist dies deutlich zu sehen: Beim allumfassenden Begriff des Seins beispielsweise müssen alle Prädikate ebenfalls ›unter den Seinsbegriff‹ fallen, da sie sonst nichtseiend wären und ein begrifflicher Monismus folgen würde. Sind sie jedoch immer schon fertige, voll entfaltete Fortbestimmungen des Seins, dann würde dieses in eine äquivoke Pluralität zerfallen. Das Enthaltensein der (Fort-)Bestimmungen des Seins im Sein selbst muss also vielmehr als ein Fortgang von ›eingefalteten‹ zu ›ausgefalteten‹ Bestimmungen gedacht werden: Das Neue, was an Fortbestimmung auftritt, ist immer schon das Alte, nämlich das Sein, aber so, dass es sich selbst neu ausgelegt hat. Dies ist genau jene oben beschriebene Struktur der direkten Proportionalität von Fortgang (hier: Ausfaltung, Selbstexplizierung) und Rückgang in den zugrundeliegenden Anfang. Ein Allumfassendes wie das Denotat des Begriffs des Seins kann nicht einfach nur das schlechthin Andere gegenüber den endlichen Bestimmungen als dessen abstrakte Negation darstellen, denn sonst hätte es keinerlei Gemeinsamkeit mit den partikularen Bestimmungen und hätte diese wieder außerhalb seiner. Das ›Ist‹ des Seins ist nicht univok dasselbe ›Ist‹ der Seienden, und dennoch auch nicht etwas völlig anderes, d.h. es ist auch nicht äquivok. Es ist analog, d.h. steht im Verhältnis der primordialen Einheit von Einheit und Verschiedenheit: Das Sein kommt zwar mit dem endlichen Seienden im Sein überein, zugleich aber übersteigt es alles endliche Seiende als die ursprüngliche Einheit und unendliche Fülle des ›Seins selbst‹. Wäre das Verhältnis von Sein zu den endlichen Seienden ein univokes, dann würde es selbst entweder zu einem Seienden unter Seienden (und damit ein »verendlichtes Unendliches«) oder das Seiende wird im absoluten Sein aufgesogen (und damit zu einem »verunendlichten Endlichen«). Ist das Verhältnis von absolutem Sein zu den endlichen Seienden hingegen ein äquivokes, dann bleiben nur absolute Transzendenz und rein negative (Nicht-)Bestimmung übrig. Und genau dieses analoge Verhältnis jedoch wird expliziert in dem Dreischritt ›via affirmationis‹ (Univozität), ›via negationis‹ (Äquivozität), ›via eminentiae‹ (Aufhebung), wobei die letztere den Überstieg in die allumfassende Dimension des Seins markiert. Was sind jedoch genau die semantischen und epistemischen Implikate dieser Dimension der eminentia unter den Bedingungen heutiger Religions-

»Gott«

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philosophie? Eine Antwort hierauf findet man vielleicht, wenn man nach der kompositionalen Semantik der Aussagen bzw. Urteile fragt, in denen man (analog) über Gott reden will. Etwa ein Urteil ›Gott ist ewig‹ besitzt die klassische Subjekt-Prädikat-Struktur: SεP

(18)

oder im Rahmen der Fregeschen Interpretation der Prädikation: P(x) → x ∈ λy(y : P(y))

(19)

Die semantische Bedeutung der ganzen Aussage ergibt sich gemäß der kompositionalen Semantik aus der Bedeutung der logisch relevanten subsententialen Satzkomponenten, hier: Des Subjekts und des Prädikats. 25 Doch kann man ›Gott‹ auf diese Weise denotieren und ihm Attribute zuschreiben, wie Hegel es treffend beschreibt: »Das [Absolute als Subjekt] ist als fester Punkt angenommen, an den als ihren Halt die Prädicate geheftet sind [...]« (Hegel, PdG, Vorrede, 44)? Wenn dem so wäre, hätte man allerdings eine aporetische Situation hinsichtlich des analogen Dreischritts: Wenn die Negation im Übergang von via negativa zu via eminentiae nicht nur etwas Unwesentliches sein soll, dann entschwindet aller durch P ausgesagte Inhalt und übrig bleibt die abstrakte apophatische Theologie (bzw. das leere Absolute). Andernfalls aber, wenn sie den positiven Inhalt von P nicht tangiert, dann bleibt man in der unmittelbaren kreatürlichen Prädikation verhaftet (Heintel 1958, 15–21). Dies ist, wie sich im Teil über Hegels System zeigen wird, auch das Problem des Verhältnisses von analytischer und synthetischer Struktur der Urteile und das darin ausgedrückte Problem der Einheit in Differenz. Bezüglich der allumfassenden Begriffe gilt: P darf nicht äußerlich an S angeheftet sein. Die Differenzen müssen zu einer internen Selbstbestimmung gehören. Schon die klassische Scholastik wusste, dass die Gottesattribute Gott nicht inhärieren wie Akzidentien einer Substanz, sondern dass sie in die Totalität des actus purus eingeschmolzen sind (cf. Heintel 1958, 21 f.).

25

Puntel (2006), Struktur und Sein, 249–272.

kapitel 3

All-Einheit ohne absolutes System – metasystematische Bemerkungen In den folgenden Kapiteln 4 bis 8 möchte ich mich in einigen ausgewählten ›historisch-systematischen Ausflügen‹ den Grundbegriffen nähern, die meines Erachtens bei der Explikation der Fundamentalstruktur eine zentrale Rolle spielen. Jede Station steht sozusagen auf einer Stufe einer jeweiligen ›Gestalt‹ von philosophischer Theoriebildung: auf der ontologischen, der transzendentalen, der objektiv-idealistischen und der meta-transzendentalen Stufe. Am Ende werde ich die struktural-systematische Philosophie (SSP) als den gesamtsystematischen Standpunkt darstellen, auf dem ich die Fundamentalstruktur auch unter Heranziehung moderner Logik, Mathematik und Modelltheorie behandle. Dies soll allerdings keine absolute historische Sequenz von Theorierahmen nach Art eines die Weltgeschichte katalogisierenden absoluten Systems sein, in welchem die historischen Theorierahmen alle gipfeln. Es werden auch wesentliche philosophische Ansätze außer Acht gelassen, die für den (dialektischen) Einheit-in-Differenz Panentheismus von großer Bedeutung sind – so muss allein aus Platzgründen auf eine Behandlung der Gotteslehre von Nicolaus Cusanus verzichtet werden, ebenso auf die Religionsphilosophie von Simon L. Frank, der ebenfalls den Grundgedanken einer Einheit von Einheit und Vielheit favorisiert (zu Frank cf. Stammer 2016). Meine Darstellung des Themas situiert sich – das sei hier vorgreifend zur Darstellung in Kap. 9.3.3 gesagt – wesentlich im Rahmen eines moderaten Wahrheitsrelativismus und eines Pluralismus von Theorierahmen / Denkformen. Dazu sei zunächst noch einmal wiederholt, was unter einem Theorierahmen verstanden werden soll, und was ein wohlgeordneter Theorierahmen ist: Definition 1 Ein Theorierahmen bezeichnet »die Gesamtheit aller jener spezifischer Rahmen (gemeint sind hauptsächlich der sprachliche, der logische, der semantische, der begriffliche, der ontologische Rahmen), die in der einen oder anderen Weise die unverzichtbaren Komponenten des von einer gegebenen Theorie vorausgesetzten (Gesamt-)Rahmens bilden« (Puntel 2006, 30). Wohlgeordnet heiße ein Theorierahmen, wenn er sich nach den Metakriterien der Kohärenz und Intelligibilität ausrichtet.

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All-Einheit ohne absolutes System

Gilt ein Pluralismus von Denkformen bzw. Theorierahmen in der religionsphilosophischen Debatte, so muss also auch ein gesamtsystematischer Ansatz sich selbst als einer unter vielen in dieser Pluralität verstehen. Es ist kein ›absolutes System‹ angestrebt, das sich über alle anderen Rahmen setzt. Es soll daher die Fundamentalthese vorangestellt werden, dass »Wahrheit« eine intrinsische Relativität zu der jeweiligen Denkform bzw. dem jeweiligen Theorierahmen hat, in der/dem sie artikuliert wird. Dieser gemäßigte Relativismus leugnet eine absolute Wahrheit, die unabhängig von irgendwelchen Denkformen / Theorierahmen wäre, aber er leugnet nicht, dass es Wahrheit geben kann, die in allen Theorierahmen / Denkformen gilt. Die so verstandene(n) absolute(n) Wahrheit(en) ist (sind) relativ zu allen Denkformen / Theorierahmen (cf. hierzu und zum Folgenden entspr. Puntel 2006). So verstandene absolute Wahrheit kann jedoch nicht univok konkretisiert werden, sie ist ein Grenzbegriff im Sinne einer regulativen Idee. Der Begriff der absoluten Wahrheit weist Aussagen über große philosophische Fragen ihren jeweiligen systematischen Platz zu. Wie kann absolute Wahrheit in einer Denkform / in einem Theorierahen artikuliert werden? Wenn eine Denkform / ein Theorierahmen sich als eine/r unter vielen versteht, ist sie/er immer schon über sich hinaus und versteht sich als eingebettet in einen holistischen Meta-Theorierahmen. Dieser holistische Meta-Theorierahmen kann jedoch nicht mehr konkret-partikular artikuliert werden (etwa als ein absolutes System). Er wird intuitiv-prospektivholistisch erfasst und artikuliert, ist als solcher aber nicht univok explizierbar. Das bedeutet aber auch: Wohlgeformte Theorien / Denkformen sind also nie falsch simpliciter. Ihre Wahrheit ist relativ zu ihrem Rahmen (man muss sie sozusagen mit dem Index i ihres jeweiligen Rahmens Ti versehen). Diese Relativierung führt aber nicht in einen zerfallenden atomistischen Pluralismus von Denkformen / Theorierahmen, sondern ist im Sinne eines holistischen Pluralismus zu verstehen, in dem eine logisch-kohärenziale Vergleichbarkeit und relative Sequenzierung von Theorierahmen möglich ist, ohne dass je ein fertiges, abgeschlossenes und absolutes System erreicht werden könnte. Es gilt also folgende »Ungleichung«: Ein gesamtsystematischer Ansatz ist nicht per se ein Gesamtsystem. Zum hier angestrebten gesamtsystematischen Ansatz noch drei wichtige Bemerkungen: – Eine relative logische Sequenz historischer Denkformen / Theorierahmen bedeutet eben nicht, ein sequenziales Gesamtsystem anzustreben. Eine

All-Einheit ohne absolutes System

49

logisch-historische Sequenz von Denkformen ist mit obigem gemäßigten Wahrheitsrelativismus eines holistischen Pluralismus von Denkformen vereinbar. Die historische Sequenzierung ist relativ zum Theorierahmen, in dem sich diese Arbeit bewegt, und der selbst nur einer unter vielen ist. – In systematischer Hinsicht wird eine Sequenz historischer Darstellungsgestalten auch von Schärtl 2001 vertreten. Er ist dabei inspiriert von Hegels Sequenz der »Gestalten des Bewusstseins«, setzt dies aber in einer Weise um, die am Ende auch mit freiheitsanalytischem Denken vereinbar ist. – Das Thema »Panentheismus« hat es per se mit Totalität und All-Einheit zu tun. Eine zumindest minimale Einbeziehung von Gestalten der Denkgeschichte und eine minimale holistische Perspektive auf die Denkgeschichte folgt notwendig aus dem Forschungsthema. Das Thema AllEinheit kann per se nicht atomistisch-pluralistisch behandelt werden (sonst hätte man es nicht mit All-Einheit zu tun). Aber es kann im obigen Sinne holistisch-pluralistisch behandelt werden. Diese Untersuchung will also zu einer systematischen und zu einer historischen Klärung der Fragestellung beitragen. Hierbei ist der Term ›systematisch‹ in zweifacher Bedeutung zu nehmen (cf. Puntel 2009): In einem ersten Sinne (systematisch1 ) als nicht-historisch, und in einem zweiten Sinne (systematisch2 ) als holistisch. Die vorliegende Studie ist systematisch und historisch in folgender Kombination: Sie ist nicht-systematisch1 (d.h. historisch-interpretatorisch) und systematisch2 , denn sie will einen (!) jeweils geschichtlich situierten theoretisch-systematischen Gehalt (systematisch1 ) der entsprechenden historischen Konzeptionen extrahieren und in einen holistisch-systematischen Gesamtzusammenhang (systematisch2 ) stellen. In diesem Zusammenhang sollen die jeweils historischen Gehalte einer gesamtsystematischen (systematischen1+2 ) Klärung zugeführt werden. Die erste Station der historisch-systematischen Ausflüge führt zu Thomas von Aquin und zeigt dessen Gedanken des »totum esse« als eine Einheit, vor deren Hintergrund sich Affirmation und Negation vollziehen. Im Anschluss wird der Begriff der Negation und der negatio negationis anhand von Meister Eckhart beleuchtet, worauf ein Sprung zu Hegels absolutem Idealismus erfolgt. Dort erweist sich die ›Fundamentalstruktur‹ als alles durchwaltend und erfährt eine sehr umfangreiche Explikation in all ihren Strukturmomenten und Modi. Die Fundamentalstruktur als ›vertikale‹, in Geschichte und Einheit der Menschheit waltende Struktur wird in den Ekklesiologien von J.A. Möhler und J.S. von Drey behandelt. Es folgt der kontemporäre Denkformenstreit zwischen freiheitsanalytischer Theologie und

50

All-Einheit ohne absolutes System

All-Einheits-Denken. In der Transzendentalen Logik von H. Krings findet die Fundamentalstruktur ihren Niederschlag als ›Einheit von Beisichsein und Retroszendenz‹ des transzendentalen Ich, wobei diese Einheit letztlich das Sein selbst ist. Dies zeigt sich auch bei den transzendentalen Neuthomisten. In der struktural-systematischen Philosophie (SSP) wird es dann die ›Autoimmanenz der Immanenz und Transzendenz‹ der absolut-notwendigen Seinsdimension sein, als welche die Fundamentalstruktur in ihrem metatranszendentalen Modus auftritt.

kapitel 4

Historisch-systematischer Ausflug 1 (Thomas von Aquin): Die entia, das esse und das esse totum 4.1

Die thomanische Analogie

Thomas von Aquin steht nach einem verbreiteten Verständnis auf dem Boden einer objektivistischen Metaphysik, jedenfalls einer Metaphysik, die oft als ›vor-kantisch‹ bezeichnet wird. Was ihm jedoch nicht vorgeworfen werden kann, ist, dass er ein onto-theologisches Gottesbild vertritt. Im Folgenden möchte ich die Thomas-Interpretation von in Puntel 2007 wiedergeben, die auf diesen Punkt besonderes Augenmerk legt. Der Weg wird uns zum Begriff des totum esse und einer allumfassenden Einheit von Affirmation (Einheit) und Negation (Verschiedenheit) bzw. einer (mit B. Lakebrink gesprochen) übergreifenden Ähnlichkeit (similitudo) der korrelativen Ähnlichkeit und Unähnlichkeit (dissimilitudo) führen (zum Folgenden cf. Schneider 2016, 311–332). Puntel (2010, 68) schreibt: »Man kann anhand vieler Einzelheiten deutlich zeigen, dass Thomas letzten Endes alles andere als eine Onto-theo-logie vertreten hat.« Besonders ausführlich wird dies in Puntel 2007 nachgewiesen (eine Neuauflage des entsprechenden Kapitels von Puntel 1969. Puntel legt hier eine umfassende Interpretation der thomanischen Texte hinsichtlich der Analogielehre vor, welche eine absolut entscheidende ›Dimension‹ oder den ›Standort‹ 26 des thomanischen Denkens hinsichtlich der Seinsund Gottesfrage offenlegt, und die zugleich als ein wegweisender Schritt hin zur seinstheoretischen Konzeption der struktural-systematischen Philosophie (SSP) gelten kann. Die Philosophie des Aquinaten ist »[. . . ] kein System im Sinne der neuzeitlichen Philosophie. Jede Interpretation des Thomanischen Denkens, die keine reine Wiederholung sein will, 26

Cf. Puntel 2007, 36. Cf. zur Frage von Sein und Existenz bei Thomas auch die Studien Keller 1968 und Bathen 1988. Eine kritische Auseinandersetzung mit der ThomasInterpretation Puntels findet sich in Müller 1983. Da es hier nicht um die letztlich ›richtige‹ Thomas-Interpretation geht, sondern um einen historisch-systematischen Ausflug, sei auf die Kritikpunkte Müllers nicht eingegangen.

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Historisch-systematischer Ausflug 1

kann nur als Zusammendenken, Reflexion oder Vermittlung der verschiedenen Elemente geschehen. Es wäre naiv zu meinen, man könnte Thomas ›treu‹ interpretieren, ohne das Woher dieses Reflexions- oder Vermittlungsbewußtseins zu berücksichtigen und im Auge zu behalten. Imgrunde sind die mehr im buchstäblichen Sinn das Thomanische Denken deutenden thomistischen Autoren dem Text und Denken des Thomas nicht ›treuer‹ als die anderen, sie gehen nur von einem weniger entwickelten Reflexionsbewußtsein aus« (Puntel 2007, 37).

Hier wird nun also in Auseinandersetzung mit dem gesamten Werk des Aquinaten selbst und mit der kontinental-europäischen Thomasinterpretation des 20. Jahrunderts herausgearbeitet, welch umfassende Totalität des Denkens Thomas wirklich intendiert hat. Diese Totalität des Denkens eröffnet zugleich den ›philosophischen Standpunkt‹, von dem aus die Gottesund Freiheitsfrage in den folgenden Kapiteln adäquat situiert werden soll. Die nun folgende Zusammenfassung von Puntel (2007, 35–176) muss aus Platzgründen jedoch ausschnitthaft bleiben und kann insbesondere nicht alle von Puntel diskutierten Thomasstellen angeben. Puntel konstatiert bezüglich der Entwicklung der Scholastik im Umgang mit dem thomanischen Werk: »Die nachthomistische Scholastik [. . . ] griff nur einzelne Elemente heraus und betrachtete sie für sich, in der Vergessenheit des Ganzen (des Seins [esse]); darin wird die deutliche Verlagerung der Analogielehre auf die rein logische Sphäre ersichtlich.« 27 Doch gibt es bei Thomas eine tatsächliche Übereinkunft der Prädikationsordnung (ordo praedicandi) und der Seinsordnung (ordo essendi) – und diese ursprüngliche Einheit gilt es zu bedenken und zu entfalten, anstatt sich mit den ›klaren‹ Unterscheidungen zwischen ›Analogie des Seienden‹ und ›Analogie der Namen [analogia nominum]‹, oder dem Unterschied von ›realer Analogie‹ und ›begrifflicher Aussageeinheit‹, und mit Konzeptionen wie einem ›entfernten Fundament‹ der Analogie, von welchem McInerny spricht, oder Fabros ›metaphysischen Fundament‹ bzw. einer ›metaphysischen Tragweite‹ (Montagnes) der begrifflichen Analogie zufriedenzugeben. 28 Diese Dualitäten müssen hinterfragt und auf die bei Thomas tatsächlich vorhandene Ebene der ›ursprünglichen Einheit‹ zurückgeführt werden. 29 Thomas unterscheidet zwischen einer Analogie im innerweltlichen Bereich (der kategorialen Analogie zwischen Substanz und Akzidenz) und ei-

27 28 29

Puntel 2007, 38. Puntel 2007, 38 f. Puntel 2007, 39.

Die thomanische Analogie

53

ner Analogie im transzendentalen Bereich, der Analogie zwischen Gott und Welt. Das Sein wird von Substanz und Akzidenz aufgrund eines Partizipationsbezugs ausgesagt (›secundum magis et minus‹, ›per prius et posterius‹), was auf die grundlegende Frage nach der Einheit und Mannigfaltigkeit des Seins bzw. der Einheit der verschiedenen Substanzen im Sein, Teilhabe am Sein führt. 30 Die Analogie zwischen Substanz und Akzidenz ist dabei sowohl Attributions- als auch Proportionalitätsanalogie. 31 Eine zweite innerweltliche Analogie besteht zwischen species und genus. Cornelio Fabro spricht hierbei von einer prädikamentalen Partizipation zwischen individuum und species und zwischen species und genus und von einem Unterschied zwischen ›formaler Univozität‹ und ›realer Analogie‹ – hier wird also eine letzte Dualität des Formalen (Logischen, Univoken) und des Realen (Ontologischen) vorausgesetzt, die von L.B. Geiger sogar noch radikalisiert wird. 32 Thomas stellt nach Geiger eine Synthese zwischen der univoken Logik des Aristoteles (der Unterscheidung von genus und species) und der platonischen Partizipationslogik her, die von Graden der Vollkommenheit und einer Hierarchie der Formen spricht, indem er streng zwischen ordo logicus und ordo realis unterscheidet und die univoke Logik auf die materielle Welt beschränkt (Partizipationsverhältnisse sind hier dann lediglich sprachliche Ausdrucksformen). Im Bereich der reinen Geister und des Ersten Seienden werde diese univoke Logik von Thomas hingegen aufgegeben, auch wenn sie weiterhin die Grundlage für die Versuche, 33 »das Metaphysische zur Sprache zu bringen« 34 bleibt. Geiger unterscheidet also zwischen einer »rein verbalen Dialektik und der ›tiefen Struktur der Wirklichkeit‹« 35. Doch was ist hier die ursprüngliche Einheit von Logik und Realität? Die Vorstellung, dass das Reale jenseits des Logischen verortet ist und wir das letztere nicht auf das erstere übertragen können? Aufgrund welcher Logik aber sprechen wir dann über die Tiefenstruktur der Realität? Hier ist nach Puntel ein »Schritt zurück zur Ursprungseinheit von Sein und Logik« er-

30 31

32 33 34 35

Cf. Puntel 2007, 39 f. Cf. Puntel 2007, 40, unter Berufung auf In VII Met., l. 4 n. 1334: »Propter hoc enim quod omnia alia praedicamenta habent rationem entis a substantia, ideo modus entitatis substantiae, scilicet esse quid, participatur secundum quamdam similitudinem proportionis in omnibus aliis praedicamentis.« Cf. Siewerth [1965]. Cf. Puntel 2007, 40, unter Angabe von Fabro [1950], 185 und Geiger [1953], 51. Puntel 2007, 41. Puntel 2007, 41. Puntel 2007, 41; Geiger [1953], 449–435.

54

Historisch-systematischer Ausflug 1

forderlich. 36 Diese Ursprungseinheit sieht Puntel bei Thomas vorhanden. Genus und species werden von Thomas zwar zum Bereich des nomen intentionis gerechnet, doch anhand von De pot., q. 7, a.6 und ScG II, c. 95 expliziert Puntel, dass Thomas »eindeutig einen Sach- und Realitätsbezug von ›genus‹ und ›species‹« behauptet, indem genus und species (bzw. die differentia speciei) in der »hylemorphen Struktur der Wirklichkeit« gegründet werden. 37 Auch wenn der Bezug von genus und species von Thomas oft univok aufgefasst wird, d.h. »äußerlich und abstrakt für sich« 38, so betont er an anderen Stellen auch die ›Innerlichkeit‹ der species bzw. differentia speciei, so auch in ScG II, 95: »Et ideo ex differentia et genere fit unum sicut ex materia et forma. Et sicut una et eadem est natura quae ex materia et forma constituitur, ita differentia non addit quamdam extraneam naturam super genus, sed est quaedam determinatio ipsius naturae generis.« 39

In II Met., l. 4, n. 321 zeigt sich ebenfalls ein deutlicher Realitätsbezug von species und genus, der in einer ontologischen Hierarchie gründet. 40 Es wird deutlich, dass Thomas von genus und species unbestreitbar »auf der Ebene einer ursprünglichen Einheit von Logik und Realität spricht« 41. Die thomanische Analogielehre kann damit bereits auf dem Gebiet der ›innerweltlichen Analogie‹ nicht den Richtungen zugerechnet werden, die seit der Spätscholastik eine ›Logisierung‹ der Analogie versuchen oder sich sogar wie Ross [1971] im gegenwärtigen analytischen Diskurs auf reine linguistische Untersuchungen beschränken. 36 37

38 39 40 41

Puntel 2007, 41. Puntel 2007, 41 f. De pot, q. 7, a. 6: »Nihil est in rebus quae sunt extra animam, cuius similitudo sit ratio generis vel speciei. Nec tamen intellectus est falsus: quia ea quorum sunt istae rationes, scilicet genus et species, non attribuit rebus secundum quod sunt extra animam, sed solum secundum quod sunt in intellectu. Ex hoc enim quod intellectus in se ipsum reflectitur, sicut intelligit res existentes extra animam, ita intelligit eas esse intellectas: et sic, sicut est quaedam conceptio intellectus vel ratio, cui respondet res ipsa quae est extra animam, ita est quaedam conceptio vel ratio, cui respondet res intellecta secundum quod huiusmodi; sicut rationi hominis vel conceptioni hominis respondet res extra animam; rationi vero vel conceptioni generis aut speciei respondet solum res intellecta.« – ScG II, c. 95: »In rebus [. . . ] materialibus quae sunt diversarum specierum unius generis existentes, ratio generis ex principio materiali sumitur, differentia speciei a principio formali.« Puntel 2007, 43. Cf. Puntel 2007, 43. Cf. Puntel 2007, 43 f. Puntel 2007, 44.

Einheit und Differenz von Gott und Welt

4.2

55

Einheit und Differenz von Gott und Welt

Entscheidend ist jedoch die Frage nach der ›transzendentalen‹ (im scholastischen Sinne) Analogie bzw. dem Gott-Welt-Verhältnis im Denken des Aquinaten. Ausdrücklich wird dies behandelt in der Thematik der »göttlichen Namen«. Thomas unterscheidet drei Arten von Namen: (1) »Namen, die von Gott negativ ausgesagt werden (z.B. Immaterialität)«, (2) »Namen, die seinen Bezug auf das Geschöpf, oder, wie Thomas hinzufügt, eher den Bezug des Geschöpfes zu ihm bezeichnen (z.B. Ursache, Ziel)«, (3) »Namen, die Gott »absolute et affirmative«zugeschrieben werden« (45): »sicut esse, vivere et intelligere«. 42 In S.Th. I, q. 13, a. 3 arbeitet Thomas noch klarer die Kernpunkte seiner Analogielehre heraus: Gott wird aus den Vollkommenheiten (perfectiones) erkannt, welche die Geschöpfe von ihm empfangen haben, die aber in Gott ›auf höhere Weise‹ (secundum eminentiorum modum) enthalten sind. Thomas unterscheidet dann zwischen dem, was die (aus dem Endlichen) hergenommenen Namen für diese Vollkommenheiten an sich bezeichnen (id quod significant huiusmodi nomina) und der Art und Weise des Aussagens (modus significandi) – das erstere kommt Gott zu, aber im endlichen modus significandi ausgesagt, gelten sie von Gott nur im uneigentlichen Sinne. 43 Der Kernbegriff hier ist derjenige der ›Vollkommenheit‹ (perfectio). Thomas definiert in S.Th. I, q. 4, a. 1, ad 1 die perfectio als etwas, das vom Zustand der Möglichkeit (potentia) in den Akt (actus) »gekommen« ist (daher im Deutschen passend: voll-kommen ist 44) und dem zur vollen Verwirkli-

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Puntel 2007, 45. Cf. De pot., q. 7, a. 5: Die göttlichen Namen sind Namen, die »quantum ad rem significatam, nullam imperfectionem important, sicut esse, vivere et intelligere et huiusmodi.« »Huiusmodi nomina significant divinam substantiam, quamvis deficienter et imperfecte.« »Deum cognoscimus ex perfectionibus procedentibus in creaturas ab ipso; quae quidem perfectiones in Deo sunt secundum eminentiorem modum quam in creaturis. Intellectus autem noster eo modo apprehendit eas, secundum quod sunt in creaturis: et secundum quod apprehendit, ita significat per nomina. In nominibus igitur quae Deo attribuimus, est duo considerare, scilicet, perfectiones ipsas significatas, ut bonitatem, vitam, et huiusmodi; et modum significandi. Quantum igitur ad id quod significant huiusmodi nomina, proprie competunt Deo, et magis proprie quam ipsis creaturis, et per prius dicuntur de eo. Quantum vero ad modum significandi, non proprie dicuntur de Deo: habent enim modum significandi qui creaturis competit« (S.Th. I, q. 13, a. 3, co.); cf. Puntel 2007, 45 f. Cf. Puntel 2007, 46.

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Historisch-systematischer Ausflug 1

chung nichts fehlt. 45 Im Ausdruck (der verendlichten) perfectio liegt also die Konnotation eines Übergangs (potentia educitur in actum; transumitur hoc nomen perfectum), und die »zur Ruhe gekommene Bewegung wird aber erfaßt von einer neuen, umfassenderen Bewegung des Mit-hinüber-nehmens (transumitur) in eine universal-absolute Ebene, die als ›esse in actu‹ wieder bewegt ist, insofern sie von ›modi‹ abgehoben und auf sie bezogen bleibt«. 46 Mit dieser Konnotation der ›Bewegung‹ ist (nach dem thomanischen AktPotenz-Schema) die Endlichkeit selbst gemeint. 47 Doch wie ist die nicht-verendlichte, eigentliche perfectio absoluta [considerata, significata] 48 zu verstehen? Wie verhält sich diese perfectio absoluta zur ›Bewegung‹, d.h. zur Endlichkeit? Wenn das Endliche ganz außerhalb der absoluten Vollkommenheit liegt, dann würde es sich um eine Art ›schlechte Transzendenz‹ im Hegelschen Sinne handeln – und es würde sich das Problem stellen, dass die aus dem Endlichen genommenen Namen für sie keinen Inhalt mehr haben würden und völlig leer wären. 49 Damit ist das Kernproblem der Analogielehre erreicht: »Das eigentliche Problem der Analogie liegt in diesem Punkt des Bezugs von ›perfectio‹ und ›Bewegung‹, d.h. allgemein in der Bestimmung des Sinns von Absolutheit. Hegel hat diese Problematik im Zusammenhang mit dem ›spekulativen Satz‹ behandelt und gezeigt, daß die Bewegung nicht außerhalb des Absoluten gedacht werden kann. Auch Thomas weiß, daß die ›Bewegung‹ (hier im Sinne von Endlichkeit überhaupt) nicht außerhalb des Absoluten, des Inbegriffs aller ›perfectiones‹, des ›Esse per se subsistens‹ gedacht werden kann, insofern alles von ihm abhängt, von ihm abgeleitet und im voraus in ihm enthalten (praehabet) ist. [. . . ] Wie muß die Absolutheit des Absoluten gedacht werden, damit die ›Bewegung‹ ihr nicht äußerlich bleibe?« (Puntel 2007, 47; cf. Heintel 1958).

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»Quod [. . . ] factum non est, perfectum proprie dici non potest. Sed quia in his quae fiunt, tunc dicitur esse aliquid perfectum, cum de potentia educitur in actum; transumitur hoc nomen perfectum, ad significandum omne illud cui non deest esse in actu, sive hoc habeat per modum factionis, sive non« (S.Th. I, q. 4, a. 1, ad 1); cf. Puntel 2007, 46. Puntel 2007, 46. Cf. Puntel 2007, 47. S.Th. I, q. 13, a. 3, ad 1; a. 9, ad. 3; cf. Puntel 2007, 46. Cf. Puntel 2007, 46.

Einheit und Differenz von Gott und Welt

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Eine verendlichte Vollkommenheit ist im modus participandi 50, das Aussagen dieser Vollkommenheiten von Gott wäre dann ein »Rück bezogenwerden auf oder Rückangeglichenwerden an Gott, und zwar in der und als die (Selbst-)Bewegung (oder sogar in der und als die Selbstbezogenheit) Gottes selbst« 51. Hier ergibt sich allerdings eine Aporie: Wenn wir die Vollkommenheiten zuerst aus ihrer Verendlichung kennen, woher wissen wir dann überhaupt von ihrer Begrenztheit? Unser Intellekt ist einerseits nach Thomas an seinen endlichen modus significandi gebunden, in welchem er die Vollkommenheiten von Gott aussagt, aber er weiß andererseits darum, dass die Vollkommenheiten Gott in einem nicht-endlichen, eigentlichen Sinn zukommen. 52 Er weiß sogar, dass sie primär von Gott, und erst sekundär von den Kreaturen gelten. 53 Aber woher kennen wir eigentlich diese Differenz zwischen modus significandi/intelligendi und res significata, wenn unser Intellekt nur endlich ist? Die bloße Behauptung der Endlichkeit des Verstandes ist in sich widersprüchlich, aber wie vermittelt man das quoad nos (modus significandi) und das quoad se (perfectio absolute significata)? Wir können auch nach Thomas über das An-sich reden, doch um überhaupt die Unterscheidung zwischen modus significandi und res significata machen

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»Intellectus [. . . ] noster cum a rebus creatis cognitionem accipiat, informatur similitudinibus perfectionum in creaturis inventarum, sicut sapientiae, virtutis, bonitatis et huiusmodi. [. . . ] Quandocumque [. . . ] intellectus per suam formam intelligibilem alicui rei assimilatur, tunc illud quod concipit et enuntiat secundum illam intelligibilem speciem verificatur de re illa cui per suam speciem similatur: nam scientia est assimilatio intellectus ad rem scitam. Unde oportet quod illa quae intellectus, harum specierum perfectionibus informatus, de Deo cogitat vel enuntiat, in Deo vero existant, qui unicuique praedictarum specierum respondet sicut illud cui omnes similes sunt.« (De pot., q. 7, a. 5, co.). Cf. Puntel 2007, 47. Puntel 2007, 48. »In operatione [. . . ] intellectus possunt differentes gradus distingui dupliciter. Uno modo ex diversitate intelligibilium. Quanto enim aliquis excellentius intelligibile intelligit, tanto excellentior est eius intelligentia. [. . . ] Aliomodo in operatione intellectus accipiuntur gradus ex modo intelligendi. Possibile est enim unum et idem intelligibile diversimode a diversis intelligi, ab uno perfectius, ab alio minus perfecte [. . . ] in istis modis intelligendi possunt considerari infiniti gradus, quo unus alio perfectius intelligit« (De Ver., q. 18, a. 1, co.); cf. Puntel 2007, 49. »Quantum ad rem significatam per nomen, per prius dicantur de Deo quam de creaturis: quia a Deo huiusmodi perfectiones in creaturas manant. Sed quantum ad impositionem nominis, per prius a nobis imponuntur creaturis, quas prius cognoscimus. Unde etmodum significandi habent qui competit creaturis« (S.Th. I, q. 13, a. 6, co.).

58

Historisch-systematischer Ausflug 1

zu können, braucht unser Intellekt irgendeinen Zugang zur res significata bzw. zum ›quoad se‹, unser Geist muss »seinen eigenen ›modus intelligendi‹ übersteigen« 54 können. Dies führt zu der grundlegenden Frage nach der letzten Zusammengehörigkeit von Geist und Sein und damit auch danach, was unser Geist eigentlich ist. 55 Dies wird sich vor allem erhellen, wenn herausgehoben wird, was Thomas unter ›Sein‹ versteht. Thomas nennt folgende Gründe, warum die ›göttlichen Namen‹ bzw. die perfectiones analoge und nicht univoke Begriffe sind, d.h. »warum sie nur ›deficienter et imperfecte‹ von Gott ausgesagt werden können«: 56 (a) »Die Geschöpfe repräsentieren Gott, weil Gott »in se praehabet omnes perfectiones creaturarum, quasi simpliciter et universaliter perfectus«« (S.th. I, q. 13, a. 2). 57 1. Denn Gott ist die universale Wirkursache, so dass alle distinkten Formen in ihm vereint sind (De pot, q.7, a.5). 2. Zudem, weil Gott das ipsum esse per se subsistens ist, »ex quo oportet quod totam perfectionem essendi in se contineat« (S.th. I, q. 4., a. 2). (b) Der Beweis nun dafür, dass Gott das ipsum esse per se subsistens ist, läuft bei Thomas über die Zusammensetzung des Endlichen aus esse und essentia, welche in Gott zusammenfallen, 58 »wobei diese Zusammensetzung durch den Gedanken der Partizipation erklärt wird« 59. Damit zeigt sich, dass die Frage nach dem ›esse‹ und die »Partizipationsproblematik [die] letzte Grundlage der Thomanischen Analogielehre« sind. 60 Dem soll im folgenden Abschnitt nachgegangen werden. 54 55 56 57

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Puntel 2007, 49. Puntel 2007, 49. Puntel 2007, 51. Puntel 2007, 51. »[. . . ] Deus in se praehabet omnes perfectiones creaturarum, quasi simpliciter et universaliter perfectus. Unde quaelibet creatura in tantum eum repraesentat, et est ei similis, inquantum perfectionem aliquam habet« (S.Th. I, q. 13, a. 2, co.). »in omni autem creato essentia differt a suo esse et comparatur ad ipsum, sicut potentia ad actum« (S.Th. I, q. 54, a. 3, co.); »impossibile est ergo, quod in Deo sit aliud esse et aliud eius essentia« (S.Th. I, q. 3, a. 4, co.). Puntel 2007, 51. S.Th. I, q. 3, a. 4, co.: »quia sicut illud quod habet ignem et non est ignis, est ignitum per participationem, ita illud quod habet esse et non est esse, est ens per participationem. Deus autem est sua essentia, ut ostensum est. Si igitur non sit suum esse, erit ens per participationem, et non per essentiam. Non ergo erit primum ens, quod absurdum est dicere. Est igitur Deus suum esse, et non solum sua essentia.« Puntel 2007, 51.

Das »esse totum« als Kreisgang der Totalität

4.3

59

Das »esse totum« als Kreisgang der Totalität

Ein Seiendes (ens) ist nach Thomas ein Zusammengesetztes aus Sein (esse) und einem Etwas, das zu diesem esse hinzukommt (›ens est id cui competit esse‹): Das Wesen (essentia). Die Frage danach, was Thomas letztlich unter Sein (esse) versteht, muss also bei der Frage nach der Zusammensetzung des Seienden (ens), nach dem Zusammenhang von ›Seiend durch Partizipation‹ (ens per participationem) und ›Realdifferenz‹ von esse und essentia beginnen. 61 In der Thomasliteratur werden hauptsächlich drei Erklärungsversuche des Partizipationsgedankens unternommen: (a) Erklärung der Partizipation am Sein durch Zusammensetzung aus esse und essentia. (b) Erklärung der Partizipation durch formale Hierarchie der Essenzen. (c) Erklärung der Partizipation durch kausale Abhängigkeit. Zu (a): Hier wird mit den Begriffspaaren potentia/actus, participans / participatum, recipiens/receptum, habens / habitum gearbeitet: Das esse ist das »metaphysische Anderere« (aliud) der essentia (es ist »praeter essentiam«): 62 »In quocumque enim aliud est essentia, et aliud esse eius, oportet quod aliud sit quod sit, et aliud quo aliquid sit« (Compendium theologiae, lib. 1, c. 11, co.).

Das esse wird in dieser Lesart rein als actus essendi aufgefasst, als äußerlich dem Wesen hinzukommender Seinsakt. Andererseits aber konstatiert Thomas, dass dem Sein, dem esse nichts äußerlich sein und nichts hinzugefügt werden kann, außer dem Nichtsein: »Nihil [. . . ] potest addi ad esse quod sit extraneum ab ipso, cum ab eo nihil sit extraneum nisi non-ens« (De pot, q. 7., a. 2, ad 9).

Wie lassen sich diese beiden Aussagen in Einklang bringen, einerseits dass dem Sein nichts äußerlich sein kann und andererseits die behaupteten Realdifferenz zwischen Sein und Wesen? 63 Wird das Sein nur als actus essendi aufgefasst, so wird es »durch eine Intensivierung, Steigerung ins Unendliche

61 62 63

Cf. Puntel 2007, 52 f. Puntel 2007, 53. Cf. Puntel 2007, 54.

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Historisch-systematischer Ausflug 1

in seiner Reinheit gefaßt: Eine Differenz kann ihm nur äußerlich sein und wird erklärt durch die als Potenz konzipierte ›essentia‹« 64 Puntel referiert sodann die Kritik von L.-B. Geiger an dieser Sichtweise. Die Zusammensetzung aus esse und essentia kann die Herkunft der endlichen Seienden nicht erklären, »da sie diese Herkunft schon voraussetzen muß: Es kann nämlich keine Zusammensetzung geben, ohne die Elemente, die in eine Zusammensetzung eingehen können« 65. Es ist also eine ursprünglichere Synthese erforderlich, denn die Essenz wäre ansonsten reine Negativität und als solches ein Nichtsein (wie es der Suárezianismus ja auch tatsächlich behauptet hat). Puntel würdigt diese Kritik, indem er festhält: »Diese Kritik ist sehr bedeutend, zeigt sie doch einen Anfang des Bedenkens der Differenz als Differenz, oder anders: des echten Sinns von Transzendenz, die nicht dadurch Transzendenz ist, daß sie in der Bewegung der Los-lösung (Ab-solut-werdung) in Richtung auf eine in ihrem Wesen nie durchdachte ›separatio‹ (forma separata, actus purus) das Andere außer oder hinter sich läßt, sondern nur dadurch, daß sie das Andere in eins ein-löst und aus sich entspringen läßt« (Puntel 2007, 55).

Das Absolutsein des Absoluten (d.h. Gottes als esse ipsum subsistens) kann die Wesenheiten und damit die Seienden also nicht ›außerhalb‹ seiner haben, sie müssen in ihm ›enthalten‹ sein – wie das genauer zu verstehen ist, wird sich jedoch erst noch zeigen müssen. Dass dies aber notwendig ist, will man nicht nicht in eine völlige Entleerung des Absoluten abgleiten, ist deutlich geworden. Wird unter dem esse also ausschließlich der actus essendi verstanden, so ist das ipsum esse ebenfalls nur ein Existenzakt, und zwar reiner Existenzakt, der inhaltlich völlig entleert ist. 66 Die Folge wäre 64 65 66

Puntel 2007, 54. Cf. Menn [2006], 160–162. Puntel 2007, 55. Cf. Puntel 2007, 55. Der versuchte Ausweg durch Verlegung der Einheit (der Identität der Differenz) nicht auf Ebene des esse selbst, »sondern auf der Ebene des Begriffs des ›ens‹: Alles, d.h. alle Seienden kommen darin überein, dass sich in allen das proportionale Verhältnis ›esse – essentia‹ verwirklicht« (ebd., 55) führt dann zu einer völligen Logisierung der Analogie und ist eine rein begriffliche Ausflucht: »Daß im Laufe der Zeit der ursprüngliche Sinn von Analogie sich so verdünnt und verbegrifflicht hat, ist von einem Wandel im Seinsverständnis her zu erklären« (ebd., 55). Ein weiterer versuchter Ausweg (unter Berufung auf De pot., q. 3, a. 5, ad 2) besteht darin »[d]aß das ›esse‹ die ›essentia‹ in der Sicht der Realzusammensetzung in sich nicht einholen bzw. aus sich nicht entspringen lassen kann, das wird so erklärt, daß beide von Gott geschaffen sind« (ebd., 56). Hiermit wird zwar eine »Identität der Differenz« behauptet, aber damit ist nicht die Äußerlichkeit überwunden: »Die Frage ist aber, wie diese

Das »esse totum« als Kreisgang der Totalität

61

eine radikale Differenz zwischen Gott und der Welt zum Preis einer radikal negativen Theologie. In der Zusammensetzungstheorie wird das esse als Akt durch die essentia als Potenz limitiert und damit verendlicht, womit ein Seiendes konstituiert wird. So gesehen hätte aber Gott als actus purus, dem keinerlei Potenzialität zukommt, auch keine essentia. Dann stellt sich aber die Frage, woher die Essenzen als Potenzialitäten überhaupt kommen – sie wären letztlich ein dem esse subsistens äußerliches Prinzip und von ihm unabhängig. 67 Diese Frage nach der Herkunft der Wesenheiten wurde, wie oben gesehen, unter den Molinisten eifrig diskutiert, und äußerst unterschiedlich beantwortet. Hat Thomas selbst eine Antwort hierauf – bzw. was ist wirklich seine Konzeption des Verhältnisses von Sein und Wesen? Zu (b): In der Erklärung der Partizipation durch Zusammensetzung und durch formale Hierarche der Essenzen (als Partizipation durch Ähnlichkeit) wird das esse nicht als actus essendi verstanden, sondern als perfectio essendi, in welcher sowohl der actus essendi als auch die essentia enthalten sind – die Seienden sind dann zu verstehen als modi essendi, als Verwirklichungs-Modi des Seins. Hier stellt sich dann die Frage nach der Differenz zwischen perfectio essendi und modus essendi. Sind die modi essendi deswegen modi (d.h. Begrenzungen) des Seins, weil sie zusammengesetzt sind aus actus essendi und essentia? Montagnes [1963, 109] verneint dies: Die Begrenzung entsteht durch ›formale Hierarchie‹ der Wesenheiten – jedoch sei die Zusammensetzung die notwendige Bedingung dieser formalen hierarchischen Abstufungen der Wesenheiten. Warum aber zerfällt die perfectio essendi in Koprinzipien, bzw. warum zerfallen diese in Deo geeinten Koprinzipien in der defizienten Ähnlichkeit (similitudo deficiens) des Geschaffenen in Wesen und Sein? 68 Geiger [1953, 396] weist auf die »notwendige Zusammengehörigkeit von Einfachheit (Nichtzusammengesetztheit) und Fülle (perfectio)« 69 hin, und dass esse und essentia ›gleichursprüngliche‹, aber nicht homogene Elemente/Aspekte des ›einfachen transzendentalen Seins‹ sind. Allerdings er-

67 68 69

Identität der Differenz gedacht wird. Diese Identität ist Gott« (ebd., 56). De pot, q. 7, a. 2, ad 9 verlangt aber »die Einholung der ›essentia‹ auf der Ebene des ›esse‹, nicht erst auf der Ebene eines vorgestellten Gottes« (ebd., 56). Die essentia kann nicht nur als non-ens gegenüber dem esse als actus aufgefasst werden. Hinzu kommt, dass die essentia auch Positivität besagt (ebd., 56). Cf. Puntel 2007, 57. Cf. Puntel 2007, 57. Puntel 2007, 60.

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Historisch-systematischer Ausflug 1

gibt sich bei dieser Ansicht das Problem, dass Thomas die Zusammensetzung in der strukturalen Architektonik des Akt-Potenz-Schemas erklärt und dass hier der Akt stets primär ist und eben gerade nicht gleichursprünglich. 70 Zu (c): Nach D.-J. Robert [1965] ist die Begrenztheit der Seienden weder Folge der Zusammensetzung aus Koprinzipien, noch einer formalen Hierarchie von Wesenheiten. Es handle sich gemäß dem thomanischen Axiom »causae ad invicem sunt causae« um komplementäre Aspekte: Gott als Wirkursache (der freie Wille Gottes) ist Ursache des Seinsaktes und Gott als Exemplarursache (das Denken Gottes) ist Ursache der Essenz. Die Realzusammensetzung ist also die eigentliche Wirkung der göttlichen Wirkursache. 71 »Die Vielheit der das ›esse‹ einschränkenden Wesenheit gehört [dabei] zur Ebene der formalen Bestimmungen: Diese Bestimmungen sind Akte in einer eigenen Ordnung, die auf die Ordnung des Seinsaktes (actus essendi) absolut irreduktibel ist. Diese Ordnung ist die der Intelligibilität des Seienden« 72 (ens et verum convertuntur). Die formalen Akte (d.h. Wesenheiten) sind Abbilder (similitudines) der göttlichen Wesenheit. Damit gilt, dass das esse durch die formalen Akte in der Ordnung der Wirkursache bestimmt wird, »insofern sie aufgrund der Vermittlung des göttlichen Willens Abbilder des göttlichen ›esse‹ sind« 73. Robert unterscheidet folglich zwei Ebenen: Ebene A: »›esse‹ (actus essendi) – Wirkursache – Liebe (freier Wille) – ›esse per se subsistens‹ – Partizipation durch Zusammensetzung«, und Ebene B: »spezifizierte Wesenheit – Exemplarursächlichkeit – göttliches Denken – Partizipation durch formale Hierarchie der Wesenheiten (durch formale Begrenzung)« 74. Beide Ebenen schließen sich gegenseitig ein, sie sind, wie bereits erwähnt, causae ad invicem. Damit gilt: »In einer Hinsicht nimmt die Partizipation durch formale Limitation die Primärstellung ein; da diese Partizipation dem göttlichen Denken und die Partizipation durch Zusammensetzung dem göttlichen Willen entspricht, kann nämlich gesagt werden, daß die erste die primäre ist, insofern das Denken dem Willen immer vorausgeht: Nihil volitum nisi praecognitum [. . . ]. In einer anderen Hinsicht, nämlich der des ›ordo executionis‹ [. . . ], kommt der Partizi-

70 71 72 73 74

Puntel 2007, 61. Cf. Puntel 2007, 62. Puntel 2007, 62. Puntel 2007, 62. Puntel 2007, 62.

Das »esse totum« als Kreisgang der Totalität

63

pation durch Zusammensetzung die Primärstellung zu, insofern die göttliche Exemplarursächlichkeit nur durch die Setzung des ›esse‹ wirklich wird.« 75

Doch bei aller Gleichursprünglichkeit dieser beiden Ordnungen bedarf es, wenn sie nicht in schlechthin disparate Bereiche zerfallen sollen, einer gemeinsamen Einheit beider. Aber was ist die Einheit dieser differenten Ordnungen? Sie wird von Thomas »weder auf der Ebene des ›ens‹ noch auf der Ebene des Seins selbst [esse] und noch weniger im Hinblick auf Gott als ›esse per se subsistens‹ eigens und thematisch erörtert. ›Ens‹ – ›esse‹ – Gott: diese drei Ebenen beinhalten die Weite des Problems der Differenz«. 76 Was ist aber die Einheit als solche? Hierzu muss genau untersucht werden, was Thomas letztlich unter esse versteht und was das ›metaphysische Andere‹ des esse ist. 77 Das Sein selbst (ipsum esse) wird nicht in der Potenz eines endlichen Wesens aufgenommen, sondern das esse commune. Was ist aber das esse commune bei Thomas? Puntel referiert die maßgeblichen Positionen zu dieser komplizierten Interpretationsfrage. 78 Darauf sei hier nicht weiter eingegangen. Es sei lediglich festgehalten: Das esse commune darf nicht im Sinne eines Gott und Welt umfassenden, übergeordneten Seins verstanden werden, »dessen Anwendungsfälle Gott und die Welt wären« 79, denn »sonst müsste man etwas Früheres als Gott annehmen«, wie Thomas sagt. 80 Das esse commune kann einerseits als Universalbegriff aufgefasst werden (ens rationis), oder andererseits in einem ontologischen Sinne als Partizipation. Alle entia haben teil am singulare tantum namens esse. Diese Teilhabe ist nicht eine Teilhabe an einem Universale, sondern am esse ipsum: Das ›esse‹ eines Seienden (sein Seiend-sein) ist eine Partizipation am esse als singulare tantum, welches vollexpliziert das esse ipsum per se subsistens ist (weshalb es strenggenommen auch keine ›analogia τo´υ esse‹, d.h. Seinsanalogie gibt, sondern nur eine ›analogia entis‹, eine Analogie der Seienden 81). 75

76 77 78 79 80 81

Puntel 2007, 62. Cf. In Sent. I, dist. 38, q. 1, a. 3: »Etiam in ipso Deo est considerare naturam ipsius et esse ipsius; et sicut natura sua est causa et exemplar omnis naturae, ita etiam esse suum est causa et exemplar omnis esse. Unde sicut cognoscendo essentiam suam cognoscit omnem rem, ita cognoscendo esse suum cognoscit esse cuiuslibet rei.« Puntel 2007, 63. Cf. Puntel 2007, 63 f. Cf. Puntel 2007, 64–67. Puntel 2007, 66. »oportet [. . . ] aliquid Deo ponere prius« (ScG I, c. 34), cf. Puntel 2007, 66. Cf. Puntel 2007, 145–149. Cf. Puntel 2010, 93, 267 und 393 f., cf. auch Coreth [1964], 295 f.: »Die philosophische Tradition spricht von einer ›analogia entis‹: einer Analogie

64

Historisch-systematischer Ausflug 1

Als Unterscheidungsmerkmal zwischen esse commune und esse ipsum per se subsistens wird von Thomas die Subsistenz des esse ipsum subsistens angegeben. Was besagt ›Subsistenz‹ in diesem Fall? Diese Frage ist gleichbedeutend damit, wie Thomas das esse als es selbst, eben als subsistentes esse denkt. Subsistenz (In-sich-stehen, stans per seipsum) bedeutet nun negativ, nicht ›in einem Anderen‹ zu sein, und positiv, ›durch sich selbst‹ zu sein. 82 Der Unterschied zwischen esse commune und esse ipsum subsistens wird von Thomas nun weiterhin damit angegeben, dass das esse commune vom Intellekt her bestimmt wird (als Universale ist es solum in intellectu), während das esse subsistens auch in sich selbst real, d.h. außerhalb eines es erfassenden Intellekts ist. 83 Und auch hier stellt sich wiederum die Frage nach der letzten Einheit, vor der diese Differenz steht: »Wieder und in verschärfter Form entsteht die Frage: Worin liegt das Mehr oder das Andere des ›esse per se subsistens‹ über das ›esse commune‹ hinaus? Etwa in der Existenz, Wirklichkeit, Realität, im Gegensatz zur bloßen Gedachtheit? Dann wäre wieder zu fragen: Worin liegt die Differenz zwischen der Gedachtheit (in intellectu solum) und derWirklichkeit (in rerum natura) des ›esse‹?Wie kann dieser Unterschied überhaupt angegeben werden? Ist diese ganze Problematik anders einer Lösung zuzuführen als durch Verlassen der nachträglichen, ontisch-abgeleiteten Ebene der Dualität von ›intellectus‹ und ›rerum natura‹, d. h. durch einen Rückgang in die ursprüngliche Identität von Denken und Sein?« (Puntel 2007, 75).

Diese ursprüngliche Ebene, auf der Denken und Sein in eins gehen, findet sich bei Thomas. Doch dies bedarf weiterer Schritte. In De Hebdomadibus, l. 2, charakterisiert Thomas das esse als dasjenige, was einem subiectum zuge-

82 83

des Seienden, nicht einer Analogie des Seins. Dies ist streng genommen richtig. Denn das Sein als Sein, d.h. das Sein als Prinzip, ist von sich aus nicht analog; es ist vielmehr das sich selbst Gleiche, das schlechthin Identische. Erst dadurch, daß das Sein in die je verschiedene Begrenztheit endlicher Wesen gesetzt ist, ist es in den Seienden analog. Also sind die endlichen Seienden in ihrem, durch ihr Wesen je verschieden begrenzten Sein einander analog und vor allem gegenüber dem absoluten Sein selbst analog. Das Sein ist aber analog, nicht insofern es Sein ist, sondern insofern es Sein von Seienden ist und im Seienden in die, wenn auch vom Sein her ermöglichte, je verschiedene Begrenzheit des Seinsgehaltes gesetzt ist. In diesem, aber nur in diesem Sinn ist es auch richtig, von einer Analogie des Seins, nicht nur des Seienden zu reden.« Cf. Puntel 2007, 67–72. Cf. Puntel 2007, 72–75.

Das »esse totum« als Kreisgang der Totalität

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schrieben wird. 84 Das Grundschema der thomanischen Metaphysik ist die Komposition von ›subiectum‹, ›essentia‹ und ›esse‹ zu einem ›ens‹. Damit ist das ›esse‹ das dem Subjekt (dem Zugrundeliegenden) gegenüber Andere, das ihm zukommt, um zusammen mit der Essenz ein Seiendes (ens) zu konstituieren, d.h. das esse ist hierbei wesentlich actus essendi, während das Subjekt ein subiectum essendi ist. Andererseits gilt für Thomas aber auch, was oben bereits angeführt wurde: Dem esse kann nichts äußerlich sein, es kann ihm nichts hinzugefügt werden. 85 Wie sind dann subiectum und essentia zu verstehen, wenn das esse nicht einfach nur ein completum substantiae existentis oder die actualitas substantiae vel essentiae, d.h. eine Vollendung einer bereits existierenden Substanz sein kann? Ist das esse eine perfectio essendi, welche »die Trias ›substantia-essentia-esse‹ in sich begreift« 86? Dann wäre die Differenz zwischen dem Seienden (ens) als modus essendi und dem Sein (esse) als perfectio essendi tatsächlich die Differenz zwischen Sein und Seiendem – und diese Sichtweise ist bei Thomas vorhanden; das Sein ist bei Thomas definitiv kein Seiendes (entitas) und auch nicht in einer

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»Ipsum esse non significatur sicut ipsum subiectum essendi, sicut nec currere significatur sicut subiectum cursus: unde, sicut non possumus dicere quod ipsum currere currat, ita non possumus dicere quod ipsum esse sit: sed sicut id ipsum quod est, significatur sicut subiectum essendi, sic id quod currit significatur sicut subiectum currendi: et ideo sicut possumus dicere de eo quod currit, sive de currente, quod currat, inquantum subiicitur cursui et participat ipsum; ita possumus dicere quod ens, sive id quod est, sit, inquantum participat actum essendi: et hoc est quod dicit [Boetius]: Ipsum esse nondum est, quia non attribuitur sibi esse sicut subiecto essendi; sed id quod est, accepta forma essendi, scilicet suscipiendo ipsum actum essendi, est, atque consistit, idest in seipso subsistit. Non enim ens dicitur proprie et per se, nisi de substantia, cuius est subsistere«, zit n. Puntel 2007, 77. Cf. Puntel 2007, 77. Puntel [2007, 78 f.] bemerkt hierzu weiter: »Die ontologische Differenz von Seiendem und Sein wird demnach von Thomas grundsätzlich im Rahmen des Schemas Subjekt-Form (Akt) konzipiert«; die ontologische Differenz »wird von Thomas aber auch als Differenz zwischen modus essendi und perfectio essendi gefasst: Die Partizipation als similitudo deficiens (Geiger, Montagnes); das ens ist dann eine endliche Weise der Seinsvollkommenheit. Wie wird dann aber die Zusammensetzung aus Subjekt und Akt (Form) erklärt? Weiterhin gilt: Die Zusammensetzung SubjektForm(Akt) wird bei Thomas durch die essentia vermittelt. Aber dennoch gilt, dass auf der einen Seite ein Etwas steht (aliquid, subiectum oder essentia), auf der anderen Seite das esse als Akt, das hinzukommt. Das ens besagt in diesem Schema immer die Dreifalt subiectum-essentia-esse(actus essendi).« Cf. Puntel 2007, 79–81; cf. ScG II, c. 53 und c. 94; S.Th. I, q. 54, a. 1.

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›seinsvergessenen‹ Weise als abgetrenntes reines ›Jenseits‹ des Seienden gedacht. 87 In Gott nun, dem esse ipsum subsistens, fallen nach Thomas substantia (subiectum), essentia und esse in eins. 88 Was bedeutet das aber für das esse? Ist diese Identität eine letzte Undifferenziertheit, eine differenzlose Nacht, oder nur die schiere Negation der Zusammengesetztheit? Was würde dies dann positiv überhaupt noch besagen? 89 Wenn die ›Identität‹ positiv bestimmt werden soll, dann müsste dieses Zusammenfallen von Subjekt (subiectum), Wesen (essentia) und Sein (esse) in Gott, im Absoluten, das nicht-differenzlose Zusammenspiel aller drei sein, der Kreisgang dieser drei: »Der Ausdruck ›ipsum esse subsistens‹ müßte eigentlich die Kennzeichnung der Identität im Gefüge ›substantia-essentia-esse‹ sein; dann aber könnte das ›esse‹ nicht nur Akt, nicht nur Form (essentia) und nicht nur SubstratSubjekt (substantia, subsistentia) besagen; es müßte das Zusammenspiel oder der Zusammenfall der drei Momente sein (die ›circumincessio‹: das Herumschreiten): des ›suum‹ (das auf ein letztes Selbst oder einen letzten Ursprung hindeutet), der ›essentia‹ und des ›esse‹. Erst dann wäre die Identität positiv bestimmt: das ›Esse‹ (im vollen Sinn) wäre die Urgeschichtlichkeit des Geschehens von ›Insichsistenz‹ – ›essentia‹ (Form) – ›esse‹ (Akt)« (Puntel 2007, 82).

Dies ist eine völlig andere Bestimmung Gottes als die üblichen Bezeichnungen »primum ens« 90, »maxime ens« 91, »ens per essentiam« 92. Und bei Thomas finden sich eindeutige Stellen, die dieses umfassende Seinsverständnis artikulieren, so in ScG IV, c. 11: »In Deo est quicquid pertinet ad rationem vel subsistentis, vel essentiae, vel ipsius esse: convenit enim ei non esse in aliquo, inquantum est subsistens; esse quid, inquantum est essentia; et esse in actu, ratione ipsius esse.«

87 88

89 90 91 92

Cf. Puntel 2007, 81 und 88 f., unter Verweis auf S.Th. I, q. 7, a. 1; q. 8, a. 1; De pot., q. 7, a. 2, ad 9. Cf. Puntel 2007, 82; S.Th. I, q. 3, a. 3: »In his [. . . ] quae non sunt composita ex materia et forma, in quibus [. . . ] ipsae formae per se individuantur, oportet quod ipsae formae sint supposita [hypokeimenon] subsistentia. Unde in eis non differt suppositum et natura [d. h. essentia]. Et sic, cum Deus non sit compositus ex materia et forma [. . . ] oportet quod Deus sit sua deitas« (Anm. L.B.P.); und S.Th. I, q. 3, a. 4: »Est Deus [. . . ] suum esse, et non solum sua essentia.« Cf. Puntel 2007, 82. ScG I, c. 14. S.Th. I, q. 11, a. 4. S.Th. I, q. 4, a. 3, ad 3.

Das »esse totum« und der totale Akt des Geistes

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Hier entfaltet sich das Sein (esse) als schlechthinnige Totalität aller Seinsprinzipien, es ist die »Ursprungsdimension« all der Momente, in die sich dann die endlichen Seienden entfalten, und als diese Ursprungsdimension ist das esse nicht der differenzlose Zusammenfall ihrer Momente: »Dreimal, d. h. bei jedem der drei Momente ist die Rede von ›esse‹: ›non esse in aliquo‹ – ›esse quid‹ – ›esse in actu‹. Als was zeigt sich hier verborgenerweise das ›esse‹ in seinem Gesamtsinn, d.h. in seiner Dreifalt? Dieser Gesamtsinn als das Einheitsgeschehen der Dreifalt des Gefüges wäre das erfüllte Sein, das Sein im ursprünglichen Sinn (das ›totum esse‹, von dem Thomas gelegentlich spricht: z. B. De pot. q. 1 a. 2): das ›Sistente‹ als das Worauf und Woraus der ›suum‹- Aussage wäre das anfängliche Selbst, dessen Selbstheit sich inhaltlich durch die Momente des ›esse quid‹ und ›esse in actu‹ entfaltet. Damit wäre das Problem des metaphysischen Anderen in seiner letzten Wurzel gesehen und bedacht: das Andere hätte sich als die Ursprungsdimension des ›esse quid‹ und des ›esse in actu‹ enthüllt« (Puntel 2007, 83).

Damit ist das esse per se subsistens ein »rückbezügliches Geschehen«, eine »Auseinanderlegung ebenso wie [. . . ] Rückkehr ins einfache Selbst«. 93 Die für die endlichen Seienden charakteristische Differenz von essentia und actus essendi ist damit dem Sein selbst nicht fremd, sondern sie ist ursprünglich Seinsdifferenz und enthüllt das Seinsgeschehen selbst. 94 4.4

Das »esse totum« und der totale Akt des Geistes

Oben trat immer wieder die Frage nach der inneren »Zusammengehörigkeit von Mensch und Sein« auf. Puntel zeigt nun, dass das totum esse erst im vollständigen, Intellekt und Willen einschließenden Akt des Geistes aufgeht und dass das totum esse und der Geist in seinem totalen Akt keine getrennten Dimensionen darstellen. Die im obigen Schema der ›doppelten kausalen Abhängigkeit‹ von D.J. Robert »aufgewiesene Entsprechung von ›intellectus-verum-essentia-causa exemplaris‹ und ›voluntas-bonum-actus essendicausa efficiens‹« wird dabei eine Bedeutung zeigen »als nur die im Grunde nichtssagende Unterscheidung von zwei Ebenen oder zwei Gesichtspunkten«. 95 Auch in der thomanischen Erkenntnis- und Prädikationstheorie erscheint das Gefüge von substantia (subiectum), essentia (forma, quidditas) 93 94 95

Puntel 2007, 83 f. Puntel 2007, 84. Puntel 2007, 83 f.

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Historisch-systematischer Ausflug 1

und esse: Eine Form wird von einem Subjekt ausgesagt und »auf die ›rerum natura‹, auf das ›esse‹ bezogen« – in der thomanischen Abstraktionstheorie besagt ›Abstraktion‹ der Form dabei, dass eine Form »im Hinblick auf ihre letzte Weite, auf den letzten sie tragenden Grund, nämlich das ›esse‹« entschränkt wird. 96 Das ›esse‹ wird von Thomas dann auch als ›lumen‹ (Licht) bezeichnet – diese Metapher bekommt ihre spezifische Bedeutung in der Erklärung des Zustandekommens des ›Begriffs‹ des Seienden, bzw. der conceptio (nicht: conceptus) entis: Die conceptio entis ist dasjenige, was zuallererst in den Intellekt »fällt« (quod primum quod cadit in intellectum) und »ist das Ergebnis dieser in einen Punkt zusammenlaufenden doppelten Bewegung (con-fluentia): der apriorischen des ›lumen intellectus agentis‹ und der aposteriorischen der ›species intelligibilis‹. Oder anders: die ›conceptio entis‹ ist das Zusammentreffen der unendlichen Apriorität des vom ›lumen increatum‹ abgeleiteten ›lumen intelligibile‹ und der aposteriorischen Endlichkeit der vom bestimmten Diesda befreiten ›forma‹«. 97 Wie gehören nun dieses ›lumen‹ und der menschliche Geist letztlich zusammen? Dazu muss die thomanische Seinsauffassung weiter entfaltet werden und hierzu bedarf es einer Untersuchung seiner Transzendentalienlehre. Die Transzendentalien (res, unum, aliquid, verum, bonum) sind bekanntlich ›Weiterbestimmungen des ens‹ (bestimmte modi des Seienden bzw. eine expressio entis als Selbstvermittlung des ens universale), wobei das aliquid den negativen Bezug der Abhebung von Anderem meint, das verum und bonum hingegen eine Übereinkunft mit anderem Seienden: 98 »Negatio autem consequens omne ens absolute, est indivisio; et hanc exprimit hoc nomen unum: nihil aliud enim est unum quam ens indivisum. Si autem modus entis accipiatur secundo modo, scilicet secundum ordinem unius ad alterum, hoc potest esse dupliciter. Uno modo secundum divisionem unius ab altero; et hoc exprimit hoc nomen aliquid: dicitur enim aliquid quasi aliud quid; unde sicut ens dicitur unum, in quantum est indivisum in se, ita dicitur aliquid, in quantum est ab aliis divisum. Alio modo secundum convenientiam unius entis ad aliud; et hoc quidem non potest esse nisi accipiatur aliquid quod natum sit convenire cum omni ente: hoc autem est anima, quae quodam modo est omnia, ut dicitur in III de anima. In anima autem est vis cognitiva et appetitiva. Convenientiam ergo entis ad appetitum exprimit hoc nomen bonum, unde in principio Ethicorum dicitur quod bonum est quod omnia ap-

96 97 98

Puntel 2007, 85 f. Puntel 2007, 87. Cf. Puntel 2007, 94 f.

Das »esse totum« und der totale Akt des Geistes

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petunt. Convenientiam vero entis ad intellectum exprimit hoc nomen verum« (De Ver, q. 1, a. 1, co.).

Die Transzendentalien bilden also ein Gefüge von Einheit und Differenzierheit, welches das ens inhaltlich weiterbestimmt – wie hängt dies nun zusammen mit dem inneren Gefüge des ens, dem Gefüge von ›subiectum – essentia – esse‹? 99 Die Übereinkunft der Transzendentalien wird bei Thomas über ein weiteres ›aliquid‹ erreicht, nämlich die anima: »Et hoc quidem [scil. convenientia unius ad aliud, LBP] non potest esse nisi accipiatur aliquid quod natum sit convenire cum omni ente. Hoc autem est anima, quae quodammodo est omnia.« Die ›anima‹, also der Geist, besitzt nun zwei Vermögen, den Intellekt und den Willen/das Streben. Das Transzendentale des verum drückt nun die Übereinkunft mit dem Vermögen des Intellekts aus, und das bonum mit dem Vermögen des Willens. Wie ist die Einheit dieser Vermögen zu denken? Und wie ist zu verstehen, dass der Sinngehalt des verum und des bonum einerseits nicht identisch mit dem Sinngehalt des ens sein sollen, denn sie sind Weiterbestimmungen desselben – aber auf der anderen Seite dem ens nichts äußerlich sein und ihm nichts hinzugefügt werden kann? 100 Das Gefüge ›ens/verum/bonum‹ ist nun nicht zu verstehen als die ›expressio‹, die »Weiterbestimmung des schon als Gefüge von ›subiectum-essentia-esse‹ voll konstituiert vorauskonzipierten ›ens‹« 101, sondern als das ›Geschehen‹ der Selbstbestimmung bzw. Selbstkonstituierung des ›ens‹ selbst, bzw. als Selbstmitteilung des Seins. 102 Nun fügen verum und bonum dem ens eine weitere Bestimmung hinzu, weil sie eine Hinordnung auf Intellekt und Willen der anima besagen. Doch der letzte Grund des Wahrseins und Gutseins des Seienden ist für Thomas der göttliche Intellekt. Das Seiende ist immer schon auf den göttlichen Intellekt hingeordnet, und seine Bestimmungen gehören nicht zur bloß ontischen Ebene, sondern »zum Bereich der universalen Offenbarkeit und Zusammenkunft, d.h. des Seins«. 103 Überdies 99 100 101 102 103

Cf. Puntel 2007, 94 f. Cf. Puntel 2007, 96 f. Puntel 2007, 97. Cf. Puntel 2007, 97 f. Puntel 2007, 98 f. S.Th. I, q. 16, a. 1: »Sicut bonum nominat id in quod tendit appetitus, ita verum nominat id in quod tendit intellectus. Hoc autem distat inter appetitum et intellectum, sive quamcumque cognitionem, quia cognitio est secundum quod cognitum est in cognoscente: appetitus autem est secundum quod appetens inclinatur in ipsam rem appetitam. Et sic terminus appetitus, quod est bonum, est in re appetibili: sed terminus cognitionis, quod est verum, est in ipso intellectu.«

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sind verum und bonum aufeinander bezogen, ja fallen im Letzten sogar in eins: »Verum et bonum in se invicem coincidunt.« 104 Andernorts beschreibt Thomas das Wechselverhältnis von verum und bonum auch als »Kreislauf« (circulatio, circulus). 105 Überdies zeigt sich eine Isomorphie zwischen beiden und der metaphysischen Struktur des ens: Die ratio veri ist auf die essentia bezogen und zu ihr isomorph und die ratio boni ist auf das esse (als actus essendi) bezogen und zu ihm isomorph. 106 Und schließlich sind die ratio veri und die ratio veri aufeinander bezogen und kommen überein (convenientia). 107 Dies verweist auf eine Selbigkeit der Gefüge von verum-essentia und bonum-actus essendi, bzw. auf eine ursprüngliche, einheitliche Dimension. Doch wie ist diese ursprüngliche Dimension zu charakterisieren? 108 Dies führt auf das Verhältnis von Intellekt und Wille und auf den »totalen Akt« der anima: Die Dualität von anima und ens wird nach Thomas im

104 105 106

107

108

Cf. De Ver, q. 3, a. 3, ad 9; Puntel 2007, 100 f. So in De Ver., q. 1, a. 2; De Pot., q. 9, a. 9; cf. Puntel 2007, 102. Cf. Puntel 2007, 103: S.Th. I, q. 5, a. 1:»Ratio [. . . ] boni in hoc consistit, quod aliquid sit appetibile [. . . ] unde bonum est quod omnia appetunt. Manifestum est autem quod unumquodque est appetibile secundum quod est perfectum: nam omnia appetunt suam perfectionem. Intantum est autem perfectum unumquodque, inquantum est actu: unde manifestum est quod intantum est aliquid bonum, inquantum est ens: esse enim est actualitas omnis rei.« - Und: »Ipsum [. . . ] esse habet rationem boni« (De Ver., q. 21, a. 2); »esse [. . . ] inquantum huiusmodi bonum est« (De Pot., q. 3, a. 6); »bonum habet rationem perfecti« (S.Th I-IIae, q. 52, a. 1); »naturaliter bonum uniuscuiusque est actus et perfectio eius« (ScG I, c. 37); »[boni] ratio in positione consistit« (De Ver., q. 21, a. 5 ad, 7); »esse actu [. . . ] in unoquoque est bonum ipsius [. . . ] Esse autem actus est« (ScG I, c. 38); »de ratione boni est ipsa plenitudo essendi« (S.Th. I-IIae, q. 18, a. 1). Cf. Puntel 2007, 104: »Ex ipsa specie [quidditate, natura, essentia] tantum constituitur ratio veri, in quantum verum est perfectivum secundum rationem speciei tantum; sed ex specie simul et numero constituitur ratio boni, quod est perfectivum non solum secundum speciem, sed secundum esse« (De Ver., q. 21, a. 6, ad 3). Und: »Considerando [. . . ] verum et bonum secundum se, sic verum est prius bono secundum rationem, cum sit perfectivum alicuius secundum rationem speciei; bonum autem non solum secundum rationem speciei, sed secundum esse quod habet in re [. . . ] Si autem attendatur ordo inter verum et bonum ex parte perfectibilium, sic bonum est naturaliter prius quam verum [. . . ] A vero enim non sunt nata perfici nisi illa quae possunt aliquod ens percipere in seipsis vel in seipsis habere secundum suam rationem, et non secundum illud esse quod ens habet in seipso [. . . ] Sed a bono nata sunt perfici illa quae secundum materiale esse aliquid recipiunt: cum ratio boni in hoc consistat quod aliquid sit perfectivum tam secundum rationem speciei quam secundum esse« (De Ver., q. 21, a. 3). Cf. Puntel 2007, 105.

Das »esse totum« und der totale Akt des Geistes

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Erkennen in eine Identität überführt: »Idem est intellectus et quod intelligitur« (In de An., c. 9). Aber auch der Willensakt ist nach Thomas letztlich ein Identitätsakt. 109 Es besteht nach Thomas infolgedessen eine mutua inclusio von Intellekt und Wille, was auf eine letzte Einheit beider verweist: auf den totalen Akt des Geistes. 110 Die convenientia zeigt sich also als ein ursprüngliches Einheitsgeschehen, als eine Selbstmitteilung des Seins in der hintergründigen Identität von ens und anima – das Sein teilt sich in den Gefügen anima – intellectus – voluntas und in den Gefügen »Selbst – intellectus – voluntas« und »subiectum – essentia – esse« mit, es handelt sich bei diesen Gefügen um dieselbe »partizipierte Selbstheit des Seins«. 111 Das Sein erscheint als Zusammenspiel der Gefüge von »Selbst – verum – bonum« und »Selbst – Wesen – Akt« und als Ausfaltung in die Momente »Wahrheit – Gelichtetheit – Wesenhaftigkeit« und »Gutheit – Willenhaftigkeit – Akthaftigkeit«. Das im vorangegangenen Kapitel in Erscheinung getretene totum esse suum (De Ver., q. 21, a. 2, ad 4), die Totalität des Seins als das Zusammenspiel von »esse non in alio (subsistentia)«, »esse quid (essentia)« und »esse in actu (ratione ipsius esse)« (ScG IV, c. 11) erscheint nun als zweifache Dimensionalität von Wahrheit und Willenhaftigkeit bzw. Wesenhaftigkeit und Aktualität. 112 Dieses totum esse geht nur im totalen Akt der anima auf – nur im Zusammenspiel von Vernunft und Wille, die beide ursprünglich geeint sind und nicht nur »nachträglich in Kohärenz zu bringende Teilakte« darstellen. 113 Die Dimensionalität des Intellekts bzw. der Vernunft ist die Wahrheit bzw. Wesenhaftigkeit des Seins, der Intellekt erfasst das totum esse, als Wahrheit bzw. Wesenhaftigkeit – die Vernunft geht in den Vollzug des Seinsgeschehens als des totum esse ein, aber sie kann nicht den ursprünglichen Willen ersetzen, d.h. die Akthaftigkeit des Seins ist ihr offenbar, aber 109 110

111 112 113

Cf. Puntel 2007, 106. Cf. Puntel 2007, 107. Cf. S.Th. I, q. 16, a. 4, ad 1: »Voluntas et intellectus mutuo se includunt: nam intellectus intelligit voluntatem, et voluntas vult intellectum intelligere. Sic ergo inter illa quae ordinantur ad obiectum voluntatis, continentur etiam ea quae sunt intellectus; et e converso. Unde in ordine appetibilium, bonum se habet ut universale, et verum ut particulare: in ordine autem intelligibilium est e converso. Ex hoc ergo quod verum est quoddam bonum, sequitur quod bonum sit prius in ordine appetibilium: non autem quot sit prius simpliciter«, wobei Thomas auch immer wieder auf eine relative Priorität des Intellekts in diesem Gefüge herausstellt, cf. S.Th. I-IIae, q. 19, a. 3, ad 1; De Pot., q. 10, a. 4, ad 17; cf. Puntel 2007, ebd. Cf. Puntel 2007, 105–108. Puntel 2007, 108 f. Puntel 2007, 109.

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Historisch-systematischer Ausflug 1

aus ihrer ›Perspektive‹ als Dimension des Anderen, während diese Akthaftigkeit als sie selbst in ihrer Eigenheit vom Willen her als ursprüngliche Willenhaftigkeit des Seins aufgeht. 114 Dass die Vernunft aber das Andere ihrer selbst offenbaren kann, d.h. dass sie die Wesenhaftigkeit als Wesenhaftigkeit des totum esse erfassen kann, verdankt sie gerade der ursprünglichen Willenhaftigkeit des Seins, die Wesenhaftigkeit als solche kann sich als solche nur »deuten«, indem sie sich durch das Moment der Willenhaftigkeit bzw. Akthaftigkeit in das totum esse hineindeutet, so dass damit das totum esse selbst offenbar wird. 115 Diese ursprüngliche Willenhaftigkeit des Seins steht nun in engstem Zusammenhang mit dem Ur-Streben des Geistes, mit dem appetitus naturalis: »Aus den Aussagen des Thomas ergibt sich, daß er das ›esse‹ als Moment deutet, auf das die Vernunft sich und ihre Dimensionalität bezieht, das sich aber in seiner Eigenheit der Vernunft entzieht und nur im totalen Akt der ›anima‹ aufgeht. Darauf deutet das hin, was Thomas sonst von dem im Urteil geschehenden ›assensus [Zustimmung]‹ sagt, den man mit J. Maréchal richtig als (ontologische) Affirmation interpretieren muß: ›Potest [. . . ] dici quod intellectus assentit, inquantum a voluntate movetur. [Es kann gesagt werden, dass der Verstand zustimmt [d. h. die Affirmation vollzieht], insofern er vom Willen dazu bewogen wird.]‹ (S. Th. I II q. 15 a. 1 ad 3) Dabei muß der Wille bei Thomas in Zusammenhang mit dem ›appetitus naturalis vel amor [mit dem natürlichem Streben oder der Liebe])‹ (d. h. mit der ›inclinatio naturalis secundum voluntatem [mit der natürlichen Neigung gemäß dem Willen]‹: S. Th. I q. 60 a. 1), der dem expliziten Willensakt noch vorausgeht, gesehen werden« (Puntel 2007, 112).

Vor diesem Hintergrund gilt nun: »Die Frage, als was und wie Thomas Gott denkt, ist nur zu beantworten aufgrund seiner Auffassung über das ›esse‹«. 116 In S.Th. I, q. 13, a. 11 sagt Thomas, dass der Name »›Qui est [Der Seiende]‹ ›magis proprium nomen Dei quam hoc nomen Deus [ein angemessenerer Name für Gott ist als der Name Gott‹] ist«, dass aber hiermit das Sein selbst (ipsum esse) bezeichnet wird und dass diese Bezeichnung »maxime proprie«, höchst angemessen sei für Gott. 117 Die Analogieproblematik zeigt sich nun als grundlegende Frage nach der Angemessenheit unserer sprachlichen Ausdrücke. S.Th. I, q. 10 und q. 11, in denen Thomas die

114 115 116 117

Puntel 2007, 109. Puntel 2007, 110. Puntel 2007, 114. Puntel 2007, 117.

Das »esse totum« und der totale Akt des Geistes

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Frage behandelt, ob das Nomen ›Gott‹ univok oder analog ausgesagt werde, verweisen deutlich auf diese Tiefenfrage nach der ursprünglichen Einheit von Sprache und Sache: 118 »In diesen Aussagen wird der Sachverhalt offenkundig, daß die Sprachlichkeit absolut universal ist; oder anders: daß alles notwendigerweise immer schon sprachvermittelt ist.« 119 Aufgrund der letzten Zusammengehörigkeit von Geist und Sein bedeutet dies einen »Auf- und Rückstieg in die spekulative Ebene des Urgeschehens des Seins«. 120 Klassischerweise werden in der thomanischen Analogielehre nun die in der Welt anzutreffenden ›verendlichten Vollkommenheiten‹ gemäß dem dreifachen Weg der Affirmation (via affirmationis), Negation (via negationis) und des Überstiegs (der via eminentiae) zu ›reinen Vollkommenheiten‹ gesteigert 121 und dann auf ›Gott‹ angewandt. Die eminentia (bzw. der »excessus«, wie Thomas auch sagt), zeigt sich dabei als der ursprüngliche Boden, auf dem Affirmation und Negation überhaupt vollzogen werden können, und dies ist umfassende Einheit der totalen Dimension des totum esse. 122 Dieser »ursprüngliche Boden, auf dem Affirmation und Negation überhaupt vollzogen werden können«, wird von Puntel mit Hegels ›Identität der Identität und Nichtidentität‹ parallelisiert (ebd.). Damit ist nun die philosophische ›Dimension‹ erreicht, in der erst wirklich angemessen von ›Gott‹ 118 119 120 121

122

Cf. Puntel 2007, 116. Puntel 2007, 117. Puntel 2007, 118. Dabei dürfen diese Prädikate aber nicht rein bestimmungslos werden, sondern müssen durch das Endliche vermittelt werden: »Denkt man das Unendliche nicht als durch das Endliche vermittelt, so entschwindet es in der Nacht der Bestimmungslosigkeit; nimmt man aber eine Vermittlung durch das Endliche an, so ist es um seine Eigenständigkeit, um die ›Sistenz‹ des Unendlichen geschehen [. . . ]. Es muß aber gesagt werden, daß sich dieses Problem weder bei Thomas noch bei Hegel aufgrund solch simpler Alternativen stellen oder gar lösen läßt. Auch nach Thomas kann in Wahrheit gesagt werden, daß das Unendliche durch das Endliche vermittelt ist; die Frage ist nur, wie diese Vermittlung zu begreifen ist. Das Unendliche ist nach Thomas nur aussagbar, d.h. bestimmbar, aufgrund der Vollkommenheiten, die wir in den endlichen Dingen erfassen. Schon dies besagt eine Vermittlung. Der große Unterschied zwischen Thomas und Hegel besteht darin, daß nach Hegel das Unendliche ganz in seiner Selbstvermittlung aufgeht, während nach Thomas das Unendliche sich immer mehr absetzt oder entzieht. Aber wieder ist zu fragen, ob das Aufgehen des Absoluten in der Selbstvermittlung und sein Sichentziehen überhaupt etwas Anderes (Unterschiedenes) besagen oder ob es sich nicht vielmehr um die beiden Aspekte ein und desselben Geschehens handelt: Ist nicht das Sichentziehen des Absoluten sein eigentliches Aufgehen als sein Offenbarwerden für uns?« (Puntel 2007, 138 f.). Puntel 2007, 139.

74

Historisch-systematischer Ausflug 1

gesprochen werden kann. Wer wirklich mit Thomas gehen will, der kann nicht stehen bleiben bei onto-theologischen Gotteskonzeptionen wie der Gleichsetzung von Gott mit dem ›summum ens‹, dem unendlichen Seienden, usw. Erst wenn wirklich die absolute Totalität des Seins erreicht wird – und damit auch der Geist als Intellekt und Wille in seinem ›totalen Akt‹ seine volle Weite und Koextensionalität mit dem Sein selbst manifestiert –, erst dann kann wirklich adäquat von Gott als dem ›Absoluten‹ oder dem ›göttlichen Gott‹ gesprochen werden und erst dann kann die ›panentheistische Fundamentalstruktur‹ von Einheit der Einheit und Verschiedenheit bzw. als Einheit des ›totum esse‹, das der ursprüngliche Boden von Einheit (Affirmation) und Verschiedenheit (Negation) ist, wirklich sinnvoll behandelt werden.

4.5

Zusammenfassung: Das »esse totum« als Ähnlichkeit von Ähnlichkeit und Unähnlichkeit

Wiederholend-zusammenfassend kann also festgehalten werden (cf. Schneider 2015b): Thomas legte dar, wie die von den Geschöpfen ausgesagten Vollkommenheiten (perfectiones) in Gott ›auf höhere Weise‹ (secundum eminentiorum modum) enthalten sind. Er hat weiterhin zwischen den aus dem Endlichen hergenommenen Namen für diese Vollkommenheiten (id quod significant huiusmodi nomina) und dem Modus der Prädikation (modus significandi) unterschieden. Im endlichen modus significandi können die Vollkommenheiten von Gott nur im uneigentlichen Sinne ausgesagt werden (Puntel 2007, 45 f.). Aber wenn unser Intellekt an den endlichen modus significandi gebunden ist, woher wissen wir dann um die Differenz zwischen dem quoad nos (dem modus significandi/intelligendi) und dem quoad se (der perfectio absolute significata)? D.h. woher wissen wir darum, dass die Vollkommenheiten Gott in einem nicht-endlichen, eigentlichen Sinn zukommen? Braucht unser Intellekt hierfür nicht bereits irgendeinen Zugang zur res significata bzw. zum ›quoad se‹ (Puntel 2007, 49)? Dass die Vollkommenheiten in eminenter Weise in Gott enthalten sind, erklärte Thomas damit, dass Gott das subsistierende Sein selbst (esse ipsum subsistens) ist, in welchem Sein (esse) und Wesen (essentia) in eins fallen – während in den geschaffenen Seienden Wesen und Sein auseinandertreten und somit verendlicht werden. Sie sind als Zusammensetzungen aus Wesen und Sein Partizipationen am göttlichen Sein (Puntel 2007, 51). Wenn nun aber das esse als reiner Seinsakt (actus essendi) verstanden wird, welches dem Wesen äußerlich gegenübersteht, dann wird die Transzendenz

Zusammenfassung

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des esse ipsum zu einem reinen, inhaltsleeren Existieren. Jede Steigerung der aus dem Endlichen genommenen Vollkommenheiten ins Unendliche des esse ipsum hinein lässt all ihre Inhaltlichkeit entschwinden, und Gott als reiner actus purus wäre der Welt radikal äußerlich gegenüberstehend und unerkennbar im Sinne der negativen Theologie (Puntel 2007, 54 f.). Allerdings gibt es bei Thomas eine umfassendere Seinskonzeption, derzufolge dem Sein nichts äußerlich sein kann: »Nihil autem potest addi ad esse quod sit extraneum ab ipso, cum ab eo nihil sit extraneum nisi non-ens« (De pot., q.7, a.2, ad 9). Dem Sein im allumfassenden Sinn (dem »esse totum«) sind die Wesenheiten nicht mehr als limitierende reine Negativitäten (als ein »non-ens«) äußerlich, sondern das esse totum enthält das nichtdifferenzlose Zusammenspiel der Prinzipien aller Seienden, d.h. der Dimensionen, aus denen alle Seienden ›bestehen‹ bzw. durch die alle Seienden konstituiert sind: non esse in alio/subsistentia, essentia/esse quid und esse in actu: »In Deo est quicquid pertinet ad rationem vel subsistentis, vel essentiae, vel ipsius esse: convenit enim ei non esse in aliquo, inquantum est subsistens; esse quid, inquantum est essentia; et esse in actu, ratione ipsius esse« (ScG IV, c. 11).

So verstanden ist Gott das wahrhaft Absolute, die letzte Ursprungsdimension, welche die Dimension der Seienden umfasst und diesen zutiefst immanent und zugleich transzendent sein kann. Das esse totum umgreift weiterhin nicht nur alle Seienden im objektiven Sinne, sondern auch die Subjektivität der anima: Die Seele ist in intentionaler Weise selbst allumfassend (»anima esse quodammodo omnia, quia nata est omnia cognoscere«, De Ver, q. 2, a. 2, co.), und die convenientia von anima und den Transzendentalien des verum und bonum (De Ver., q. 1, a. 1, co.) offenbart eine Geistigkeit des absoluten Seins (seine Gelichtetheit und Willenhaftigkeit) (Puntel 2007, 92–114). Von hier aus ist es möglich, dass der menschliche Geist jener Dimension des quoad se nicht fremd gegenübersteht und der analogen Anwendung seiner Prädikate auf Gott befähigt wird. Das unendlich Verschiedene kann nun proportional vermittelt werden, da das endliche Erkennen selbst eine Modifikation des allumfassenden Seins ist (cf. Lakebrink 1968, 275 f.). Die Proportionalitätsanalogie zeigt die innere Vermitteltheit des totum esse an, als »Zusammenhang aller Zusammenhänge« (Puntel 2010, 193 f.), bzw. als übergreifende Ähnlichkeit (similitudo) der korrelativen Ähnlichkeit und Unhähnlichkeit (dissimilitudo), so dass das, was in Gott in eingefalteter Weise zu denken ist, in der freien Setzung der Schöpfung zur Ausfaltung wird: Wie sich das göttliche Wesen zum göttlichen Sein in konkreter Identi-

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Historisch-systematischer Ausflug 1

tät 123, in ihrer Einfaltung verhält, so verhalten sich endliches Wesen und endliches Sein in ihrer ausgefalteten, gelockerten Einheit (cf. Lakebrink 1968, 272–278; cf. Puntel 2007, 121–143). Die Dimension der Eminenz, des analogen Überstiegs, zeigt sich also letztlich als die ursprüngliche Dimension der allumfassenden Totalität des esse totum, welches in vollexplizierter Weise Gott selbst ist und an dem das esse der Seienden (ihr Seiend-Sein) als aus der Freiheit Gottes entlassene endliche Ausfaltung partizipiert. Diese ursprüngliche Dimension ist die ›All-Einheit‹, in der sich Affirmation und Negation überhaupt erst vollziehen können (Puntel 2007, 139).

4.6

Leib-Christi-Ekklesiologie im Paradigma der ontologischen Differenz 4.6.1 Gott-Welt-Relation und Leib-Christi-Ekklesiologie von Thomas von Aquin Nun sei die Fundamentalstruktur in ihrer vertikal-historischen Ausfaltung anhand der Ekklesiologie von Thomas von Aquin betrachtet (cf. zu den folgenden beiden Kapiteln Schneider 2017a, 153–159). Die grundlegende ontologische Architektonik der thomanischen Philosophie kann als die einer linearen, irreflexiven und asymmetrischen Ordnung von Akt-Potenz-Korrelationen angesehen werden, deren unterer Abschluss die materia prima, und deren oberster Abschluss der actus purus bzw. das esse ipsum subsistens ist. Die dazwischenliegenden endlichen Seienden sind zusammengesetzt aus Akt und Potenz (Wesen und Existenz, Form und Materie, Substanz und Akzidentien...), wobei diese Vermittlungsstrukturen der endlichen Seienden ebenso wie die Possibilien nicht in abstrakter Negation dualistisch ›außerhalb‹ des actus purus situiert werden können. Dies muss hier jedoch als These formuliert bleiben, die aus Platzgründen nicht weiter begründet wird. 124

123

124

Mit dem Terminus ›konkrete Identität‹ sei hier eine differenzierte Einheit bezeichnet, im Gegensatz zu ›abstrakt-negativer Identität‹ als alle Differenz exkludierende rein numerische Identität, entsprechend der Aussage des Thomas: »Quae sunt divisum et multipliciter in creaturis, in Deo sunt simpliciter et unite« (S.Th. I, q. 13, a. 4, ad 3), cf. Lakebrink 1968, 277. Cf. ScG IV, c. 11: »In Deo est quicquid pertinet ad rationem vel subsistentis, vel essentiae, vel ipsius esse: convenit enim ei non esse in aliquo, inquantum est subsistens; esse quid, inquantum est essentia; et esse in actu, ratione ipsius esse.« Zur genaueren Begründung sei verwiesen auf Puntel 2007, 35–176; cf. Schneider 2016a, 311–332.

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Die vertikale Struktur der Gott-Welt-Relation ist bei Thomas nun gemäß partizipationslogischer direkter Proportionalität konzipiert: Das Heraustreten der Seienden in Differenz und Unähnlichkeit (dissimilitudo) zum actus purus ist zugleich (in direkter Proportionalität) eine Rückangleichung an denselben. 125 Exitus und reditus sind dabei zwei Modi einer Grundbewegung – der je stärkere endliche Eigenstand ist er selbst nur aufgrund einer je stärkeren Partizipation am absoluten Eigenstand. Gott muss als die umfassende All-Einheit des Seins selbst aufgefasst werden, welche die Einheit von Einheit und Verschiedenheit ist. Die direkte Proportionalität von Exitus und reditus und die Einheit von Einheit und Differenz sind hierbei zwei Darstellungsweisen derselben Grundstruktur, wobei die geschichtliche Bewegung von exitus und reditus die Wirkung der missiones der ökonomischen Trinität darstellt. 126 Exitus und reditus sind dabei temporal-diachron-geschichtliche Gestalten der synchron-abstrakten Gestalt der Ähnlichkeit von Ähnlichkeit und Unähnlichkeit. (Man vergleiche hierzu auch den Aufbau der Summa Theologiae, welcher genau gemäß dem exitus-reditus-Schema konzipiert ist. 127) Dieses Schema überträgt sich in der thomanischen Gnadenlehre auf das horizontale Vermittlungsverhältnis zwischen den einzelnen menschlichen Individuen: Zwischen Gott und Welt besteht von Seiten Gottes nur eine relatio rationis, von Seiten der Welt zu Gott jedoch eine relatio realis, welche das Sein der Welt und aller Entitäten grundsätzlich charakterisiert. Das Seiend-Sein der endlichen Seienden ist in ihrem tiefsten Kern ein esse ab alio bzw. ein relationales esse ad. Substantialität und Relationalität sind bei Thomas nicht gegeneinander ausspielbar – die Seienden sind stets auf das Absolute bezogen, und zugleich auch auf jeweils alles andere und insbesondere auf die anderen menschlichen Indivduen. 128 In der Gnadenlehre (Gnade als reditus) bedeutet dies mit Thomas, dass die Gnade stets auch eine »gratia fraterna« (Sth II-IIae, q. 14, a. 2, ad 4) bzw. eine »gratia tendens ad alios« (In Sent I, d. 16, q. 1, a. 2, ad 1) ist, welche Ge-

125 126

127 128

Cf. zum Folgenden gesamten Kapitel Schneider 2016a, Teil 3, und die entsprechenden Ausführungen in Lakebrink 1968, hier insbes. Kap. 5. Cf. In Sent. IV, d. 49, q. 1, a. 3; cf. Emery 2007, 357–359: »In the return (reditus), the influence of the divine processions is brought to bear in [the] gifts through which we adhere to the end. Such are the missions, the temporal processions of Son and Holy Spirit into the hearts of the saints: the persons themselves are given, and possessed in a new way, as leading to or uniting with the end« (ebd., 359). Cf. Pesch/Peters 1981, Kap. 2, II. Cf. Weissmahr 1991, 163–169.

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Historisch-systematischer Ausflug 1

meinschaft erzeugt – insbes. kirchliche Gemeinschaft: »Item homines nun uniuntur inter se nisi in eo quod est commune inter eos, et hoc est maxime Deus« (In II Ep ad Thess, c. 3, l. 2, n. 89) (cf. Grabmann 1903, 78 f.). Vertikale und horizontale Vermittlungsstruktur haben nun ihren Kulminationspunkt in der Inkarnation des Logos, und daher ist die Kirche der zentrale Ort, an dem sich dieses Netz von Strukturen in höchster Form verdichtet (die hypostatische Union ist eine Einheit, in welcher Einheit und Verschiedenheit keine sich ausschließenden Bestimmungen sind – die also nicht indirektproportional zueinander stehen): In der hypostatischen Union ist das Verhältnis Gottes zur ganzen Menschheit ausgedrückt, weshalb die menschliche Natur Christi sich maximal in die soziale Dimension hineinvermittelt. So wie die Gnade den gefallenen Menschen in Leib und Seele heilt und in seinen Potenzen wirksam wird, so wird die göttliche Gnade auch in den Potenzen der kirchlichen Gemeinschaft wirksam (cf. Grabmann 1903, insbes. Kap. IV. Die Eucharistie ist dabei der Subsistenzgrund der Kirche. Im Empfang der Kommunion wird die Substanz des Gläubigen in die Substanz des Leibes Christi integriert: »Omnia, quae in Eucharistia sunt, pertinent ad idem repraesentandum scilicet mortem Domini et idem efficiendum scilicet gratiam, per quam homo incorporatur corpori mystico« (In Sent IV, d. 8, a. 2, sol. 2, ad 4); und: »Quicumque ergo hoc sacramentum sumit, ex hoc ipso significat se esse Christo unitum et membris ejus incorporatum« (Sth III, q. 80, a. 4, co.). In der Kirche führt sich damit das Mysterium der Inkarnation in der Geschichte fort. Die sichtbare Kirche ist damit die Instrumentalursache des Gnadenwirkens ihres Hauptes (cf. Grabmann 1903, Kap. V). Gemäß der hylemorphistischen Unterscheidung der Koprinzipien essentia (Wesen) und actus essendi (Dasein) ist nach Thomas der Heilige Geist nun das Wesensprinzip der Kirche, während Christus ihr Daseinsprinzip (und damit ihr Tätigkeitsprinzip) ist: Metaphorisch unterscheidet Thomas, dass der Heilige Geist das Herz und Christus das Haupt der Kirche ist. Der Heilige Geist ist als Wesensprinzip auch zugleich das Innerlichkeitsprinzip der Kirche (ihr inneres geistiges Leben und ihre geistliche Kraft), während sich im Haupt das innere Leben äußert und durch Christus die äußere, sichtbare Gestalt der Kirche als durch die Geschichte fortlebender Leib Christi konstituiert wird (cf. Grabmann 1903, Kap. IV und V). Haupt und Herz stehen jedoch wie Akt und Potenz in einem nicht-äußerlichen Verhältnis zueinander und sind Koprinzipien (das Haupt kann nicht ohne Herz wirken und umgekehrt): »Quidquid fit per Spiritum sanctum, etiam fit per Christum« (In Eph 2, lect. 5). Der Heilige Geist vermittelt als Wesensprinzip die Einheit des Hauptes (des actus essendi) in die Vielheit der

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Glieder und in die Vielheit geschichtlicher Entwicklungsgestalten. Durch Christus als Haupt auf der anderen Seite ist die Vielheit der Glieder mit Christus in eine Einheit gesetzt – Christus und Kirche sind eine einzige mystische Person (una persona mystica). So wie die Person des Logos und seine menschliche Natur in der hypostatischen Union nur ein Sein haben, so auch Christus und seine Kirche (cf. Grabmann 1903, ebd.). 4.6.2

Exkurs: Die Leib-Christi-Ekklesiologie bei Juan de Torquemada (1388–1468) Kardinal Juan de Torquemada OP hat die thomanische Ekklesiologie in entscheidenden Punkten weiterführend interpretiert, insbesondere was die Frage von Inklusivismus und Exklusivismus der Leib-Metaphorik bezüglich der Kirche und was den Beginn der Kirche, die ecclesia ab Abel, betrifft. Dies sei im Folgenden kurz ausgeführt. 129 Torquemada weist die seines Erachtens falsche Ansicht zurück, Christus sei erst mit seiner Menschwerdung das Haupt der Kirche geworden – vielmehr sei Christus seiner göttlichen Natur und der göttlichen Vorherbestimmung nach nach auch bereits das unsichtbare Haupt des Alten Bundes gewesen (cf. Binder 1955, 164 f.) Dass die Väter des Alten Bundes noch keinen (potenziellen) Glauben an Christus hatten, weist Torquemada als Häresie ab. Auch die Väter gehören zur Kirche als mystischer Leib Christi. Die Gerechten von Adam und Abel an sind aber nur das materiale in denominacione ecclesiae, während das Formale erst durch die Menschwerdung des Logos in die Welt tritt (das Opfer des Abel wird hierbei als eine Präfiguration der Sakramente gesehen). Sogar unter den Heiden gebe es Erstlinge der an Christus Glaubenden. Seine Erfüllung findet dieser, bei den Altvätern bereits angebrochene Glaube an Christus dann ab der Empfängnis, und seine Vollgestalt aber erhält er erst mit Erlösungstat Christi und Pfingsten. 130 Ebenso, wie jedoch die Kirche der mystische Leib Christi genannt werden muss, vertritt Torquemada auch eine Zusammenschließung der Bösen zum Leib des Antichristen (cf. Binder 1955, ebd.). Torquemada spricht überdies von Altersstufen der Kirche: Die von Abel bis zum letzten Gerechten dauernde Gesamtkirche (ecclesia universalis) durchläuft gestufte Zeitalter bzw. Weltalter und dazu korrelierte Kirchenalter – geschichtlich sich vollziehende Zusammenschließung der Glieder 129

130

Die folgende Darstellung folgt dem hervorragenden Werk von Binder 1955. Dort finden sich auch die Verzeichnisse der Schriften Torquemadas, auf die hier nicht im Detail eingegangen wird. Cf. Binder, Wesen und Eigenschaften der Kirche, 165 ff.

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zum einen Leib und mit Gott, beginnend mit Abel ganz gemäß dem Exitusreditus-Schema. 131 Wer alles ist nun Glied des Leibes Christi? Torquemada lehnt es als die falsche Ansicht der Hussiten und Waldenser ab, dass nur die Prädestinierten Glieder der Kirche als des Leibes Christi seien – eine Begründung dieser Irrlehre ist nach Torquemada, dass der wahre Leib Christi ein Typus des mystischen Leibes Christi sei und so wie der ganze wahre Leib Christi zur Verherrlichung bestimmt gewesen sei, seien auch nur die Prädestinierten im mystischen Leib Christi. Torquemada hält dagegen: Die Prädestination sei nur ein Modus des Vorherwissens und fügt dem Vorhergewussten keine neue Seinsweise hinzu – auch tatsächliche Sünder können zum Leib Christi gehören, wie auch immer sie prädestiniert seien. Umgekehrt folgt aus der Prädestination noch keine aktuale Gliedschaft im Leib Christi, und überdies können auch tatsächliche Glieder des Leibes Christi diese Gliedschaft wieder verlieren. Aktual ungläubige Prädestinierte können auch keine toten Glieder des Leibes Christi sein, da an diesem nichts tot und alles durch den Geist belebt ist (cf. Binder 1955, 172–183). Zum Status der sündhaften Glieder des Leibes Christi führt Torquemada weiter aus: Es besteht ein Unterschied zwischen wirklichem und mystischem Leib – in letzterem sind nicht immer alle Glieder gleichzeitig anwesend (manche Menschen sind nur in vorübergehendem Gnadenstand); allerdings gehören zum mystischen Leib Christi auch alle Gläubigen der Potenz nach (selbst wenn sich diese Potenz in ihnen nie aktualisieren sollte), und gleiches gilt für die getauften Todsünder. Sie gehören in uneigentlichem Sinne zum Leib Christi (wie eine verdorrte Hand, die aber dennoch nicht abgeschnitten wird, weil sie noch geheilt werden kann), im eigentlichen Sinne gehören zu ihm nur lebendige Glieder – Torquemada unterscheidet folglich zwischen dem Leib Christi im weiten und im engen Sinn (cf. Binder 1955, ebd.). Torquemada führt noch weitere Unterscheidung zwischen corpus mysticum und corpus politicum der Kirche ein, bzw. zwischen corpus organicum mysticum vs. corpus organicum physicum, wobei er die Analogie zwischen beiden stark restringiert. Interessant für heutige gendertheoretische Debatten bezüglich der Leib-Christi-Ekklesiologie ist die Tatsache, dass Torquemada (sich hier an Heinrich von Kalteisen anschließend) explizit festhält, dass in der Kirche als corpus mysticum keine Rücksicht auf Rangordnung und Geschlecht der Glieder gilt, sondern dies ausschließlich im corpus politi-

131

Cf. Binder, Wesen und Eigenschafen der Kirche, 107 – 111, 165 f.

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cum (d.h. in der juristisch-äußerliche Kirche) situiert werden darf (cf. Binder 1955, 182). Was ist nun nach Torquemada die Einheit der Kirche als corpus organicum mysticum? Torquemada unterscheidet eine vierfache Einheit der Glieder der Kirche: (1) Die Einheit der Gattung oder Art, (2) die Einheit des Zusammenhangs der Glieder, (3) die Einheit des Lebensgeistes (Einheit im Hl. Geist), (4) die Einheit der Seele (»quasi una persona«, nicht im Sinne einer substanzial-hypostatischen Einheit, sondern als habituelle Einheit). Diese Formen der Einheit sind jedoch für Torquemada keine Wesenseinheit wie in der Trinität und keine personale Einheit wie in der hypostatischen Union (höchstens in einem analogen Sinne), sondern eine Willenseinheit (im Sinne eines kollektiven Willens, der nicht lediglich das arithmetische Mittel der Einzelwillen ist). 132

132

Cf. Binder 1955, 183 – 195.

kapitel 5

Historisch-systematischer Ausflug 2 (Meister Eckhart): All-Einheit und die negatio negationis 5.1 Meister Eckhart: Das ›esse indistinctum‹ 5.1.1 Esse indistinctum Die nächste Station der historisch-systematischen Ausflüge führt zu Meister Eckhart und seinen Negationsbegriffen (cf. zum gesamten Eckhart-Kapitel Schneider 2016a, 353–362). Im Folgenden sei ›Negation‹ in einem intuitiven, basalen Sinn zu verstehen, d.h. in einem weiten Sinn als Gegensatz zu ›affirmatio‹ bzw. ›positio‹. Im selben intuitiven Sinn ist die folgende Skizze des Unterschieds-Verhältnisses zwischen Absolutem und Endlichem zu verstehen. Hier kommt es darauf an, lediglich das Bild eines Gedankens zu liefern, der noch mannigfaltiger theoretischer Präzisierung bedarf. Die folgenden Gedanken sind inspiriert von Meister Eckharts Idee des ›esse indistinctum‹ (cf. zu diesem Kapitel Grotz 2009, 17–118. Den eckhartschen Gedanken sei diese Interpretation von Grotz 2009 zugrundegelegt. Es kann hier in keiner Weise um eine Eckhart-Exegese gehen, sondern es soll lediglich einer Intuition gefolgt werden. Für einen Ansatz jüngeren Datums cf. Göcke 2014, 182–196. Meister Eckhart geht in seiner Expositio libri Sapientiae, n. 144–157, von der Bestimmung der Bestimmung des ›Einen‹ von Thomas in De Veritate aus. Dass Gott ›der Eine‹ sei, ist nicht nur im Sinne des Monotheismus zu verstehen (›es gibt nur einen Gott‹), sondern auch im Sinne einer ›Ununterschiedenheit‹ Gottes: »Man muss also wissen, dass ›eines‹ dasselbe besagt wie ununterschieden [indistinctum]. Denn alles, was unterschieden ist, ist zwei oder mehreres, alles aber, was ununterschieden ist, ist eines. Ferner gehört die Ununterschiedenheit zum Wesen Gottes; denn erstens ist er unendlich und zweitens unterliegt er nicht den Schranken und Grenzen einer Gattung oder eines Seienden. Zum Wesen des Geschaffenen gehört aber, eben weil es geschaffen ist, Eingeschränkt- und Begrenztsein: ›alles hast du nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet‹ (11,21). – Wenn er also sagt, Gott sei einer, will er damit ausdrücken, daß Gott von allem ununterschieden ist, und das ist die Eigentümlichkeit des höchsten und ersten Seins und seine überströmende Gutheit. Deshalb folgt an

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Historisch-systematischer Ausflug 2

der eben angegebenen Stelle: ›du liebst alles, was da ist‹ (11,25).« (Expositio, n. 144)

Hier sieht man also: Die Definition des »unum« ist, dass es ›indistinctum‹ ist, um Gegensatz zur Vielheit bzw. den Vielen, welche jeweils ein Unterschiedenes sind aufgrund ihrer Begrenztheit. Das ›Ununterschiedene‹ ist nicht an die Schranken bzw. Grenzen des Seienden (des Unterschiedenen und Vielen) gebunden. Die Unterschiedenheit des Endlichen ist eine extrinsische Negation, die Identität und Ununterschiedenheit des Endlichen impliziert diese extrinsische Unterschiedenheit (äußerliche Negation). Dies begründet Eckhart weiter damit, dass Gott das Sein ist: »Ferner drittens: daß Gott einer, das heißt ununterschieden ist, bezeichnet die höchste göttliche Vollkommenheit, kraft deren ohne ihn und unterschieden von ihm nichts ist oder sein kann. Das ist ganz deutlich, wenn man Sein statt Gott setzt. Denn Gott ist das Sein. Es steht aber fest, daß das Sein von allem, was ist, ununterschieden ist und daß nichts vom Sein Unterschiedenes und Getrenntes ist noch sein kann: ›alles ist durch ihn geworden, und ohne ihn ward nichts‹ (Joh. 1,3). [. . . ] Alles Geschaffene stammt von ihm, und ohne ihn ist es in sich selbst nichts.« (Expositio, n. 145.)

Hier wird Gott also ganz im thomanischen Sinn als esse ipsum definiert. Als Sein selbst ist Gott von nichts unterschieden – er ist ununterschieden (indistinctum). Von Seiten des Geschaffenen kann es nichts vom Sein Unterschiedenes /Getrenntes geben, es besteht eine radikale Immanenz des Seins in allen Seienden (cf. S.Th. I, q. 8, a. 1, co.). D.h. es gibt keine äußere Differenz zwischen Gott und Welt. Doch zugleich sagt Eckhart, dass zwischen Gott und Welt die ›schärfste Differenz‹ bestehe: »[Es] ist zu bemerken, daß das Eine als Eines wesenhaft von der Zahl [d.h. dem Vielen] unterschieden ist wie das Entgegengesetzte vom Entgegengesetzten [tamquam oppositum ab opposito], und das ist die schärfste Unterscheidung« (Expositio, n. 150). Es bestehen also Ununterschiedenheit und Unterschiedenheit zugleich: »Ferner verleiht das Eine der Zahl Sein, denn die Zahl ist eine aus Einheiten zusammengesetzte Vielheit. Ferner: das Eine bewahrt auch die Zahl und die Vielheit im Sein. »Alle Vielheit nimmt nämlich an dem Einen teil«, wie Proklus sagt. Das meint auch Makrobius, wenn er sagt: die Einheit ist (zwar) »selbst nicht zählbar« – sieh die Entgegensetzung und die Unterscheidung – es folgt: »sie bringt (aber) unzählige Arten aus sich hervor und enthält sie in sich« – sieh da die Ununterschiedenheit.« (Expositio, n. 151.)

Meister Eckhart: Das ›esse indistinctum‹

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Und in n. 154 f. fährt Eckhart fort: »[. . . ] nichts ist so unterschieden von Zahl und Gezähltem oder Zählbarem [d.h. Vielem], nämlich Geschaffenem, wie Gott, und nichts ist so ununterschieden. [. . . ] [D]as Ununterschiedene ist vom Unterschiedenen mehr unterschieden als zwei beliebige Unterschiedene voneinander. [. . . ] [Und] nichts steht so weit von jedem beliebigen ab wie das ihm Entgegengesetzte. Gott und Geschöpf sind aber einander entgegengesetzt [. . . ]. [A]lles, was sich durch seine Ununterschiedenheit unterscheidet, ist um so mehr unterschieden, je mehr es ununterschieden ist; es unterscheidet sich ja gerade durch seine Ununterschiedenheit. Und umgekehrt: je mehr etwas unterschieden ist, um so mehr ist es ununterschieden, da es durch seine Unterschiedenheit vom Ununterschiedenen unterschieden ist. Je mehr es also unterschieden ist, desto mehr ist es ununterschieden; und je mehr es ununterschieden ist, umso mehr ist es, wie gesagt, unterschieden. Gott aber ist ein Ununterschiedenes, das sich durch seine Ununterschiedenheit unterscheidet, wie Thomas (in der Summe der Theologie) Teil I Frage 7 Artikel 1 am Schluß sagt. 133 Denn Gott ist, wie Johannes von Damaskus sagt, ein Meer von unendlicher und infolgedessen ununterschiedener Substanz. – Andererseits ist jedoch auch dies zu bemerken, daß nichts so eins und ununterschieden ist wie Gott und alles Geschaffene.« (Expositio, n. 154 und 155.)

Dies erinnert ganz an die thomistische Aussage, dass Gott sowohl maximal immanent als auch maximal transzendent sei. Doch bedürfen die eckhartschen Ausführungen weiterer Klärung. Das Folgende soll dabei nicht im Sinne einer strengen Textexegese verstanden werden, sondern will die Intuition ans Licht heben, die für den weiteren Fortgang benötigt wird. Zunächst sei der Gedanke Eckharts in eine weitere Definition gefasst, um von ihr aus fortzuschreiten: Definition. Unter der endlichen Einheit E∗ sei die intrinsische Nicht-Differenz (Selbst-Identität, »Etwas-sein«) von endlichen Entitäten Ei verstanden. Und unter endlicher Unterschiedenheit/Differenz D∗ sei die extrinsische Unterschiedenheit/Differenz (Differenz zu etwas »Äußerem«, »Etwas-nichtsein«) verstanden, d.h. für Ei , Ej aus der Klasse E aller endlichen Seienden 134 sei D∗ = {(Ei , Ej ) ∈ E2 : Ei und Ej sind einander extrinsisch}: 133

134

S.Th. I, q. 7, a. 1, ad 3: »ex hoc ipso quod esse Dei est per se subsistens non receptum in aliquo [d.h. unununterschieden ist], prout dicitur infinitum, distinguitur ab omnibus aliis, et alia removentur ab eo, sicut, si esset albedo subsistens, ex hoc ipso quod non esset in alio, differret ab omni albedine existente in subiecto.« Dass es so etwas wie eine Klasse aller endlichen Seienden gibt, sei hier für die Formulierung einfach vorausgesetzt. Diese Annahme ist natürlich problematisch. Sie dient hier jedoch nicht als eine Beweisprämisse.

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Historisch-systematischer Ausflug 2

D∗

−→ E2 E1 ←−

(20)

D∗ (Ei , Ej ) ist extrinsisch für alle i ∕= j und eine bidirektionale Relation Ei = ¬Ej und Ej = ¬Ei . d.h. der Unterschied zwischen endlichen Seienden ist eine reine Negation (negatio) von Anderem, als ›äußerliche‹ Negation bzw. ›äußerlicher‹ Unterschied; endliche Einheit impliziert endliche, d.h. extrinsische Unterschiedenheit: E∗ → D∗ . Anders muss es sich jedoch beim Absoluten A verhalten: Die absolute Einheit E ist zu denken als eine absolute Nicht-Differenz (Selbst-Identität, Einheit), die keine endliche, d.h. extrinsische Unterschiedenheit/Differenz D∗ zu etwas Äußerem mehr besagt, denn sonst wäre (wie oben ausgeführt) das Absolute nur ein ›Seiendes unter Seienden‹, und stünde den Seienden wie ein Objekt äußerlich gegenüber. Wenn sich das Absolute A jedoch (aufgrund seiner ›absoluten Ununterschiedenheit bzw. Einheit‹) nicht durch D∗ von anderem unterscheidet, ist es genau darin von allen endlichen Entitäten Ei unterschieden (mit Meister Eckhart gesprochen: »indistinctione distinguitur«), durch eine Differenz D = {(A, Ei ) ∈ {A} × E : A unterscheidet sich von Ei }, für alle i – denn alles Endliche unterscheidet sich voneinander durch D∗ . D.h. also: Die definierenden Eigenschaften (scholastisch: die fundamenta) der Relationen D und D∗ müssen verschieden sein, mithin muss die Unterschiedenheit des Absoluten von den endlichen Seienden eine andere sein als die Unterschiedenheit der endlichen Seienden untereinander (cf. Grotz 2009, 20–32). Ist nun die ›absolute Differenz‹ bzw. ›absolute Negation‹ D aber nicht doch eine exkludierende und damit extrinsische Negation, welche die durch D∗ endlich-differenten endlichen Seienden Ei aus dem Absoluten ausschließt – weil es ihnen durch seine nicht-endliche Differenz D∗ gerade doch als anders bzw. als Anderes gegenübersteht (als reine negatio A = ¬Ei für alle i)? Es würde dann also doch gelten, dass D und D∗ hinsichtlich ihrer definierenden Eigenschaft nicht verschieden sind. Folglich müsste das Absolute, um wirklich extrinsische Differenz auszuschließen, diese (durch seine absolute Nicht-Differenz/Einheit induzierte) als negatio verstandene Differenz D selbst noch einmal negieren (negatio negationis). Damit bliebe aber die negatio dennoch konstitutiv für das Absolute (negierender Selbstbezug auf eine dergestaltige Nicht-Differenz, die sich extrinsisch distinkt gegenüber den endlichen Seienden hält – der aber dann selbst nochmal negiert werden müsste, wenn negatio nicht konstitu-

Meister Eckhart: Das ›esse indistinctum‹

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tiv/notwendig für das Absolute sein soll, wie es bei den endlichen Seienden der Fall ist ([E∗ → D∗ ]) (cf. Grotz 2009, 32–39). Dies würde sich alles ergeben, wenn die Negation des Absoluten eine objektbezogene Negation wäre, d.h. genau genommen eine »negatio negativi«, eine Negation von Negativem (eine Negation von im Verhältnis zu ihm negativen Objekten als dem Anderen seiner selbst bzw. eine Unterschiedenheit ab aliis). Die Negation des Absoluten als dem Einen ist jedoch keine »negatio negativi«, sondern eine reine »negatio negationis«, wie Eckhart ausführt: »Man muß also nunmehr wissen, daß das Begriffswort das Eine [li unum] zunächst dem Klang nach verneinend [d.h. es bedeutet ungeteilt zu sein 135], der Sache nach aber bejahend ist. Ferner ist es die Verneinung der Verneinung [negatio negationis], das ist die reine Bejahung [purissima affirmatio] und der bejahte Begriff im Vollsinn [plenitudo termini affirmati].« (Expositio, n. 147.)

5.1.2 Negatio negationis Der Ausdruck ›negatio negationis‹ kann jedoch zweifach aufgefasst werden: Einmal als genitivus obiectivus, dann bezeichnet er eine Negation, welche die Negation selbst zum Objekt hat. Andererseits aber als genitivus subiectivus, dann ist damit das Negieren der Negation, d.h. ihr Akt oder ›Inhalt des Negierens‹ gemeint. 136 Als genitivus obiectivus ist die Negation der Negation nun (a) nicht nachträglich (d.h. nicht »stattfindend« an unabhängig schon daseienden Objekten als dem Anderen seiner selbst, denen der negative Charakter genommen werden soll), sie ist also (b) nicht objektbezogen und betrifft (c) vielmehr den relationalen Charakter der Negation selbst, d.h. den negativen Bezug auf die Objekte; sie ist eine »Unterschiedenheit ab omni distincto« (Gegensatz zu Verschiedenheit überhaupt) (cf. Grotz 2009, 23–32, 115 f.). Dabei ist die (a) Negatio negativi die völlige Abgeschiedenheit von allen endlichen Seienden, und die (b) Negatio negationis weder die Abgeschiedenheit (Dualismus) noch der Zusammenfall (Monismus bzw. Pantheismus), sondern sie ist absolute Affirmation, die zunächst überhaupt nichts negiert (cf. Grotz 2009, 27 f.)

135

136

Cf. Thomas von Aquin, De Ver., q. 1, a. 1, co.: »Negatio autem consequens omne ens absolute, est indivisio; et hanc exprimit hoc nomen unum: nihil aliud enim est unum quam ens indivisum [Die Negation aber, die zu jedem absolut betrachteten Seienden {d.h. nicht in Beziehung zu anderen betrachtet} gehört, ist seine Ungeteiltheit. Dies drückt das Wort ›eins‹ {unum} aus, denn ›eins‹ bedeutet ja nichts anderes als das Seiende, insofern es ungeteilt ist].« Zu dieser Unterscheidung cf. Grotz [2009], 315–326.

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Historisch-systematischer Ausflug 2

Was bedeutet aber nun ›Unterschiedenheit vom Unterschiedenen‹ bzw. ›Gegensatz zu Verschiedenheit‹? Gefordert ist eine Unterschiedenheit, welche die endlichen Seienden nicht einfach negiert (cf. Grotz 2009, 35): »Solch ein Bezug, der sich zu allem Unterschiedenen verhält und gerade nicht negiert, meint [. . . ] eine gleich-gültig affirmative Bezugsform [aequalitas] auf alles und jedes« (Grotz 2009, 35). Es handelt sich also um eine Relation, »die sich nicht auf einzelne, voneinander unterschiedene Relata ausrichtet«, sondern die auch und vor allem eine Relation darstellt, »deren relationaler Charakter bzw. deren Bezugnahme selbst nicht mehr von Differenz zwischen zwei [eigenständigen] Relata geprägt ist« (Grotz 2009, 36). Eckhart expliziert diese Bezugnahme, die keine Differenz zwischen zwei Relata bedeutet, dadurch, dass eines der Relata, nämlich das Geschaffene, »nicht ist« (»extra Deum, utpote extra esse, nihil est«, »infinitum enim est, extra quod nihil est« 137). Aber wie ist das genau zu verstehen? Das Sein des Geschaffenen (das »Seiend-sein«) wird von Eckhart aufgefasst als »›analogische‹ Bezogenheit auf das Eine« (Grotz 2009, 36)., wie Stephan Grotz in seiner jüngsten Eckhart-Interpretation ausführt: »Das Geschaffene ist [. . . ] nicht das Nichts im Gegensatz zu Gott, das dann gleichsam ›als ein Vakuum neben Gott‹ zu stehen käme, sondern nichts gegenüber Gottes Sein: In seiner [=des Geschaffenen, R.S.] ausschließlichen Relationalität fügt es Gottes Sein weder etwas hinzu, noch geht es in seine Substanz über. Wenn daher das Geschaffene ›selbst in seiner Verschiedenheit von Gott, d.h. in seinem Außerhalb, als Nichts aufzufassen‹ ist [d.h. es gibt kein esse sine Deo], dann meint dies nicht nur, daß das Sein der geschaffenen Dinge nun im Gegensatz als ein ›Insein‹ in Gott vorzustellen ist, sondern auch und vor allem, daß das kreatürliche Sein in seiner Abhängigkeit von Gott, außer dieser Abhängigkeit nichts ist – oder besser noch: nichts als diese Abhängigkeit ist.« 138

Das Seiend-Sein der Geschöpfe besteht also in ihrem »Insein in Gott« und in ihrer relationalen Abhängigkeit von Gott. Wie dies genauer zu verstehen ist, wird unten deutlicher werden. Näherhin gilt bezüglich der absoluten Negation: Die reine Ununterschiedenheit als solche dient nicht als adäquate Beschreibung für Gottes Unterschiedenheit aufgrund seiner eigenen Ununterschiedenheit, es ist vielmehr »die Fülle des Seins (pelagus infinitae substantiae), die hier Gottes Ununterschiedenheit ›erklärt‹«: Die ununterschiedene Fülle des Seins muss sich 137 138

Nach Grotz [2009], 82. Grotz [2009], 36 f.

Meister Eckhart: Das ›esse indistinctum‹

89

nicht erst in Form einer Selbstnegation einschränken, »um Anderes als sie selbst zu setzen, d.h. sein lassen, zu können«, ebensowenig muss sie das Andere ihrer selbst negieren, »um dadurch ihre Reinheit bewahren zu können.« Es wird »der von Anfang an mehrdeutig gelassene Begriff des Ununterschiedenen durch den Gedanken einer Seinsfülle, die absolute Affirmation ist, sukzessive von seinen Einschränkungen befreit« (Grotz 2009, 38). Die »negatio negationis« (als überzeitliche Operation) ist also nicht in einem relativen Sinn zu verstehen, sondern in »einem absoluten, Gott vorbehaltenen Sinn«, was nicht nur »›die Negation des Negativen‹, sondern auch und vor allem den Ausschluß eines negierenden Bezugs auf etwas, das ein in sich Selbstständiges neben und außer Gott«bedeutet (Grotz 2009, 38). Zusammenfassend sind also zwei Modi der Ununterschiedenheit auseinanderzuhalten: [i] Die Ununterschiedenheit, für die »ein negierender Bezug konstitutiv« ist, und [ii] die Ununterschiedenheit, für die ein negierender Bezug nicht konstitutiv ist. 139 Diese beiden Modi der Ununterschiedenheit stehen nun nicht in »einer wechselseitigen und gleichrangigen Differenz«, denn »wenn daher Gottes Ununterschiedenheit keinen negierenden Bezug auf das Geschaffene kennt, dann meint dies nicht einfach, daß dies eine Relation wäre, die zwischen zwei Relata keine Differenzen mehr zuläßt (und also die beiden Relata faktisch ununterscheidbar werden läßt)«, sondern es bedeutet, dass »diese Relation selbst keine Differenz zwischen zwei eigenständigen Relata aufspannt und somit den negativen Charakter einer Differenz von vornherein übersteigt« – die affirmative Ununterschiedenheit ist damit eine Relation, »die keine reale Differenz zu einem Etwas aufspannt« (Grotz 2009, 38 f.). Daraus folgt die irreduzible Relationalität des Geschaffenen (cf. zum Folgenden Grotz 2009, 78–96): Die Differenz zwischen dem Absoluten und dem Geschaffenen spannt also keine reale Relation zwischen zwei eigenständigen, ›vorab‹ schon existierenden Relata auf. Auch das ›Nichts‹ des Geschaffenen außerhalb des Absoluten ist kein ›Nichts‹ als ein quasi-substanzielles oppositum zum Absoluten. Es hat kein eigenständiges bzw. überhaupt kein Sein außerhalb Gottes (Grotz 2009, 82). D.h. das Sein des Geschaffenen (das ›Seiend-sein‹ der Seienden) ist, wie oben bereits angedeu-

139

Grotz 2009, 38.

90

Historisch-systematischer Ausflug 2

tet, als »In-sein« im Sein des Absoluten zu verstehen, doch dieses ›In-sein‹ darf nicht falsch verstanden werden: Das Geschaffene ist wesentlich Relation auf das Absolute hin (esse ad). Diese Relation ist der Substanz Gottes aber nicht pantheistisch wie ein Akzidens inhärierend. (Grotz 2009, 84, Fn. 221). Der Unterschied zwischen Gott und dem Geschaffenen wird im Sein Gottes durch den Seinsmodus des Geschaffenen angezeigt (es ist nicht das Unum des Absoluten). Der Charakter der Schöpfung ist keine factio wie jede andere (als ein Wirken, deren Wirkung außerhalb des Wirkenden liegt); aber dennoch bedeutet das nicht, dass das Geschaffene in Gott mit diesem platt identisch wird (Pantheismus).(cf. Grotz 2009, 81 und 108). Das Sein Gottes schließt die Schöpfung weder ein noch aus, das Absolute ist gleichgültig gegenüber Exklusivität und Inklusivität(cf. Grotz 2009, 83). Das Geschaffene besteht in einer irreduziblen Relation in Gott gegenüber dessen Substanz (d.h. Gott in seinem Sein bleibt davon unberührt). Dies bedeutet eine totale Relationalität des Geschaffenen: Es ist kein X, das dann nachträglich noch in Relation zu Gott stünde, und es inhäriert auch nicht der Substanz Gottes als eine Art akzidentelle Relation und es besitzt auch kein identisches Sein mit Gott (es hat nicht pantheistisch das Sein Gottes zu seinem subiectum) (cf. Grotz 2009, 104–114). D.h. Sein hat das Geschaffene nicht in einem platten Sinne in Gott, sondern nur als Relationales auf Gott hin 140 – und diese Relation trägt keinen Unterschied in das Sein Gottes hinein (cf. Grotz 2009, 113). (»ratio relationis quae est genus, cum non sit esse, quia nec inesse [. . . ] non distinguit esse et essentiam. . . «, Meister Eckhart, In Ex. n. 71 141). Das Geschaffene hat keinen Bestand in sich selbst (intrinsische Nichtigkeit), d.h. Geschaffensein ist gleichbedeutend mit »Beziehung-sein«, und nur insofern kommt dem Geschaffenen Sein zu. Dies ist also nicht als ein substantielles Sein des Seienden aufzufassen, an dem nachträglich ein Seinsmangel auftritt – es handelt sich vielmehr beim Sein des Geschaffenen um ein »immer schon erfülltes Streben auf Gott hin« (immer schon erfüllt, da die Relation auf Gott hin von Gott selbst stammt) (cf. Grotz 2009, 86 f.). Es ist demnach zweierlei festzuhalten: Das Geschaffene ist irreduzibel Relationalität selbst, aber dennoch nicht in absolutem Sinn Nichts in sich selbst. Es besitzt kein substanzielles Sein »außerhalb« oder unabhängig von Gott, sondern das Geschaffene ist irreduzible Relation selbst, die nicht an einem unabhängigen Träger auftritt (cf. Grotz 2009, 89 f.) – das Geschaffene

140 141

Damit wird auch die Einordnung dieses Ansatzes als ›Pan-en-theismus‹ grundsätzlich erläuterungsbedürftig, wenn nicht gar inadäquat. Zit. nach Grotz [2009], 113, Fn. 332.

Anmerkung zum Nichtanderen (non-aliud)

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ist, in Heideggers Worten, im Ent-stand und nicht ein Gegen-stand zu Gott, es tritt im Geschaffenwerden – in seinem Relation-werden – ›ins Sein‹ (cf. Heidegger 1973, 29–31). Die geschaffenen Dinge sind, aber als Geschaffene – das ihnen charakteristische Sein ist ein »esse ad«(und dies erinnert an den Partizipationsgedanken bei Thomas, s.u.). Das Proprium des relationalen Seins liegt in der »Affirmation des relationalen Bezugs«, nicht in der Negation eines substanziellen Eigenseins 142 – das Proprium des relativum ist ein non esse ad se, ein nicht auf sich selbst bezogen sein (auch nicht negierend), sondern ein Bezogensein auf Anderes hin (affirmatives Aus-sein-auf) (cf. Grotz 2009, 95). Es besteht hier eine Proportionalität, die für das Absolute nicht gilt: »quo magis non suum, tanto magis suum, et quo magis suum, tanto minus suum [. . . ].« 143 Gott ist also nicht in dem Sinne absolut, dass er in äußerlicher Relation steht bzw. den Bezug auf die Schöpfung verneint. Gottes Bezug auf die Schöpfung ist sein absolutes Sein selbst, »das nicht eingeschränkt wird durch die Relationen, in denen es steht« (Grotz 2009, 105). Die Relationalität der Geschöpfe fügt Gottes Sein nichts hinzu, und dennoch geht sie nicht platt in Gottes Substanz über. In diesem Sinne ist die Schöpfung auch nicht als eine »Selbsteinschränkung« Gottes zu verstehen (cf. Grotz 2009, 106 f.). Gottes schöpferisches Denken ist kein »esse ad aliud« (die negatio negationis bedeutet eben keine Differenz) und damit auch keine Setzung von Anderem als Anderem und anschließender Rückholung oder Aufhebung dieses Anderen in die Einheit des Absoluten. Das Geschaffene ist für Gott nicht das Andere seiner selbst, das in äußerlicher Relation zu ihm stünde – »außerhalb« Gottes »ist« nichts (»extra Deum, utpote extra esse, nihil est«), daher muß Gott auch nicht das »Nichts« aktiv aus sich ausschließen (negieren); die Schöpfung spannt keine Differenz zwischen zwei unabhängigen Relata auf – und dennoch ist die Welt kein absolutes Nichts (Grotz 2009, 82).

5.2

Anmerkung zum Nichtanderen (non-aliud)

Auf die Gotteskonzeption und das Gott-Welt-Verhältnis bei Nicolaus Cusanus kann hier nicht eingegangen werden, da dies den Rahmen der vorliegenden Arbeit komplett sprengen würde. Es sei hier nur ein interessanter

142 143

Grotz [2009], 95. Meister Eckhart, In Io. n 425, zit. nach Grotz 2009, 95.

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Historisch-systematischer Ausflug 2

Hinweis gegeben, der später in der Darstellung von Hegels System noch einmal aufgegriffen wird: Cusanus entwickelt in seiner Schrift »De li non aliud« für Gott den Begriff des ›Non-aliud‹, des Nichtanderen. Dies besagt, dass Gott als die reine Einheit zu nichts in der Relation der Andersheit steht. Damit ist jedoch zugleich keine exkludierende Negation gegenüber den Vielen ausgesagt, denn das Viele als Anderes hat (da es selbst nichts anderes ist als es selbst) das Nichtandere zum Seinsgrund seines Selbstseins. Das Non-aliud ist selbst ein Anderes gegenüber dem Vielen und zugleich ein Nichtanderes. In ähnlicher Weise werden wir später sehen, dass für Hegel das Absolute in seiner Selbstvermittlung (in seinem Sich-Anders-Werden mit sich selbst) seinem Anderen ist, d.h. mit dem Negativen, gegenüber zugleich ein Anderes und ein Nichtanderes (Stallmach 1970, 16 f.) Cusanus gibt in De ven. sap. 14, n. 41, 3–8 eine Explikation des Gedankens des ›Non-aliud‹, welche sich nach Grotz in folgenden Vierkant (Tetralemma) bringen lässt (Grotz 2009, 163 f.): 1. Gott ist nichts anderes als der Himmel (non est aliud a caelo). 2. Gott ist nicht der Himmel (non est idem cum caelo). 3. Gott ist der Himmel und zugleich nicht der Himmel (sicut deus non est aliud a caelo, ita non est idem cum caelo). 4. Gott ist weder der Himmel, noch nicht der Himmel (sicut deus non est aliud a caelo, ita non est idem cum caelo). Dies zeigt, welche logischen Schwierigkeiten insbesondere für eine analytisch orientierte Theologie auftreten, wenn man versucht ist, die klassischen Negationsbegriffe, welche zur Beschreibung des Gott-Welt-Verhältnisses eingeführt werden, in heutige analytische Diskurse zu übersetzen. Hier hat insbesondere Meixner 1998 in einer Relecture des Cusanischen Gedankens der concidentia oppositorum im Rahmen der Boolschen Algebra Bemerkenswertes geleistet. Interessierten Leser*innen sei dieser Aufsatz mit Nachdruck empfohlen.

kapitel 6

Historisch-systematischer Ausflug 3 (G.W.F. Hegel): Das All-Eine als sich ausfaltende, reine Relationalität 6.1 Einleitender Exkurs: Gottesidee und Welt bei Immanuel Kant 6.1.1 Transzendentales Ideal und Ding an sich Zunächst sei als Anlauf zu Hegels Standpunkt Kants transzendental-idealistische Lehre von der Gottesidee vorgestellt. Kants Gotteslehre lässt sich am besten anhand seiner negativen Theologie und der Lehre vom analogen Schematismus der Idee explizieren. Dazu seien zunächst Kants Aussagen über den Gegenstandsbezug des transzendentalen Ideals und die Analogie expliziert. Dieser Exkurs kann beim zügigen Lesen jedoch ohne Verlust des roten Fadens übersprungen und es kann gleich zu Kap. 6.3 übergegangen werden (cf. zu diesem Exkurs Schneider 2011, 2013 und 2015b). Kant spricht von einer apriorischen transzendentalen Analogie der Erfahrung, einer praktischen Analogie der Gotteserkenntnis hinsichtlich der sittlichen Lebensführung und einer regulativ-organischen Analogie in der konkreten Naturforschung. 144 Doch bereits in der theoretischen Philosophie tritt die Thematik der Analogie hinsichtlich der Gotteserkenntnis an prominenter Stelle auf: Neben einschlägigen Paragrafen aus den Prolegomena ist der zentrale Ort der theoretischen Behandlung der Analogieproblematik der Anhang zur transzendentalen Dialektik in der KrV. Im zweiten Anhang (»Von der Endabsicht der natürlichen Dialektik der menschlichen Vernunft«) expliziert Kant die ›Deduktion der Ideen‹ als die »Vollendung des kritischen Geschäfts der reinen Vernunft« 145. Den Ideen kommt zwar keine konstitutive Rolle im Erkennen, dennoch kommt ihnen eine ›objektive Realtät‹ hinsichtlich ihrer regulativen Funktion zu: Im 3. Absatz des zweiten Teils des Anhangs unterscheidet Kant zwischen dem »Gegenstand schlechthin« und dem »Gegenstand in der Idee« 146 – der erstere Gegenstand ist der Gegenstand, welcher in einem naiv-realistischen Sinn durch die Idee

144 145 146

Cf. Lakebrink 1960, 257. KrV, A670/B698; Cf. Adickes 1927, 83. KrV, A670/B698.

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Historisch-systematischer Ausflug 3 (G.W.F. Hegel)

direkt bestimmt würde, der letztere Gegenstand »in der Idee« ist der durch die Idee inhaltlich vorgestellte Gegenstand, welcher jedoch nur »Realität als eines Schema« 147 besitzt und das regulative »Princip der systematischen Einheit alles Verstandesgebrauchs« 148 darstellt. Den Ideen ist damit kein »Gegenstand in concreto« 149 gegeben, doch sie besitzen indirekten Gegenstandsbezug auf die Gegenstände der Erfahrung 150 – d.h. an sich bleiben ihre Objekte unbestimmt, doch besitzen sie eine Bestimmtheit »respectiv auf die Welt und mithin auf uns« 151. Der Gegenstand in der Idee wird folglich nur in relativer Supposition vorausgesetzt, nicht aber in absoluter Supposition. 152 Das Schema der Ideen ist damit kein Schema der Anschauung wie bei den Kategorien, sondern »ein Analogon eines solchen Schema [...], welches die Idee eines Maximum der Abtheilung und der Vereinigung der Verstandeserkenntnis in einem Princip ist. Denn das Größte und Absolutvollständige läßt sich bestimmt gedenken, weil alle restringirende Bedingungen, welche unbestimmte Mannigfaltigkeit geben, weggelassen werden. Also ist die Idee der Vernunft ein Analogon von einem Schema der Sinnlichkeit« 153. Dies ist die inhaltlich gefüllte Vernunftidee des Prototypon trancendentale bzw. des transzendentalen Ideals als Modus der absoluten Totalität der Konkurrenz 154, bzw. der »Einheit der Bedingung aller Gegenstände des Denkens überhaupt« 155. Diese inhaltliche Füllung besteht nun aber in der Anwendung der Kategorien auf die Idee, welche von Kant hier als Analogie aufgefasst wird. 156 Die letzte Einheit und der letzte Zusammenhang der Welt sind niemals empirisch feststellbar, daher vereinigt die Vernunft das Mannigfaltige der Begriffe durch Ideen. Diese richten den Verstand auf ein Ziel aus, in welchem alle Richtungslinien seiner Regeln in einem Punkt zusammenlaufen,

147 148 149

150 151 152 153 154 155 156

KrV, A674/B702. KrV, A665/B693. KrV, A664/B692. Cf. Refl, 5657, AA 18: 317: »Dadurch lege ich nun eigentlich diesem Wesen nichts bey, sondern denke mir nur ein mir unbekantes Princip zu für meinen theoretischen, vornehmlich practischen Vernunftgebrauch [. . . ]« und Refl, 5923, AA 18: 385. Cf. Andersen 1983, 243. Prol, § 58, Orig. 176, AA 04: 358; cf. Puntel 1969, 309. Cf. KrV, A676/B704. KrV, A665/B693; cf. Puntel 1969, 309. Cf. KrV, A336/B393. KrV, A334/B391. Cf. Puntel 1969, 309 f. Cf. Puntel 1969, 310.

Einleitender Exkurs

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der »focus imagniarius« 157. Diese Bezeichnung bedeutet aber nicht, dass die Ideen bzw. das von ihnen denotierte schlechthin unwirklich seien, sondern dass sich aus ihnen keine Verstandesbegriffe deduzieren lassen. Der focus imaginarius ist der »Gegenstand in der Idee« selbst und er wird nur insofern als ›imaginär‹ bezeichnet, als dass er ein der Vernunft notwendig vorschwebender und inhaltlich unerreichbarer Punkt ist. 158 Die von Kant im Anhang wiederholt gebrauchte Wendung, dass wir die Sinnenwelt zu betrachten hätten, »als ob« sie einen »allgenugsamen Grund außer ihrem Umfange« 159 besäße, bezieht sich hierbei explizit auf die inhaltlich bestimmte Gottesidee, und nicht auf die Voraussetzung eines unbekannten Urgrundes der Welt. 160 Sieben mal fällt nun im zweiten Anhang zur transzendentalen Dialektik das Wort »Analogie« bzw. »analogisch«. Alle Stellen stehen allesamt in Zusammenhang mit dem Gegenstandsbezug der transzendentalen Ideen. Diesen Gegenstandsbezug präzisiert Kant im fünften Abschnitt in prägnanter Weise: »Und nun denken wir uns ein Etwas, wovon wir, was es an sich selbst sei, gar keinen Begriff haben, aber wovon wir uns doch ein Verhältnis zu dem Inbegriffe der Erscheinungen denken, das demjenigen analogisch ist, welches die Erscheinungen untereinander haben.« 161

157 158

159 160

161

Cf. KrV, A642–644/B670–672. Cf. Adickes 1927, 82, Anm. 5. Cf. Refl, 5925, AA 18: 387.15–19: »synthetische [...] Erkentnisse aus Begriffen, die nicht zu Bestimmung der Gegenstände der Erfahrung überhaupt dienen können, dergleichen die transscendentalen Ideen sind, haben die Bedeutung, daß sie die Grentze aller Erfahrungserkentnis bestimmen, d.i. zeigen, daß diese niemals sich selbst zulänglich und vollstandig sey [. . . ]« und Refl, 5938, AA 18: 395.02–07: »Die transscendentalen Ideen dienen dazu, die Erfahrungsgrundsätze zu beschränken, damit sie nicht auf Dinge an sich selbst ausgedehnt werden, und zu zeigen, daß, was gar kein Gegenstand moglicher Erfahrung ist, darum kein Unding sey und daß [es außer der] die Erfahrung sich selbst und der Vernunft nicht zureichend sey, sondern immer weiter und also von sich abweise.« KrV, A672/B700. »[...] obgleich wir darum, außerhalb aller Erscheinungen, die bloß intelligiblen Gründe derselben nicht leugnen, aber sie doch niemals in den Zusammenhang der Naturerklärungen bringen dürfen, weil wir sie gar nicht kennen« (KrV, A672/B700); cf. Adickes 1927, 86. Die sich auf diese als-ob-Wendungen stützende fiktionalistische Interpretation Hans Vaihingers wird in im bereits erwähnten Adickes 1927, 110 ff. anhand der Textstellen einer ausführlichen Kritik unterzogen. KrV, A674/B702.

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Historisch-systematischer Ausflug 3 (G.W.F. Hegel)

Im sechsten bis achten Absatz darauf heißt es ganz ähnlich, »daß wir ein der Idee korrespondierendes Ding, ein Etwas, oder wirkliches Wesen setzen, [doch] dadurch ist nicht gesagt, wir wollten unsere Erkenntnis der Dinge mit transzendenten Begriffen erweitern; denn dieses Wesen wird nur in der Idee und nicht an sich selbst zum Grunde gelegt [. . . ].« 162 »[...] [D]ie Vernunft gibt nicht einmal die objektive Gültigkeit eines solchen Begriffs, sondern nur die Idee von Etwas an die Hand, worauf alle empirische Realität ihre höchste und notwendige Einheit gründet, und welches wir uns nicht anders, als nach der Analogie einer wirklichen Substanz, welche nach Vernunftgesetzen die Ursache aller Dinge sei, denken können [. . . ].« 163

Im neunten Absatz sagt Kant sodann: »[...] so werde ich nicht allein befugt, sondern auch genötigt sein, diese Idee zu realisieren, d. i. ihr einen wirklichen Gegenstand zu setzen, aber nur als ein Etwas überhaupt, das ich an sich selbst gar nicht kenne, und dem ich nur, als einem Grunde jener systematischen Einheit, in Beziehung auf diese letztere solche Eigenschaft gebe, als den Verstandesbegriffen im empirischen Gebrauche analogisch sind.« 164

Svend Andersen sieht hier einen »doppelten Gegenstandsbezug der Idee« 165 gegeben: »Einmal ist sie durch den Gedanken der systematischen Einheit – also ›indirekt‹ – auf Gegenstände der Erfahrung bezogen. Zum anderen ist es aber nach Kant sinnvoll und notwendig, von einem – erfahrungs-transzendenten – ›Gegenstand in der Idee‹ zu sprechen.« 166 Der ›Gegenstand in der Idee‹ werde »[. . . ] als etwas gedacht, was von der systematischen Erfahrungseinheit verschieden und damit erfahrungstranszendent ist. Aber es wird nicht ›absolut‹ oder ›an sich selbst‹ gedacht, sondern ›relativ‹, d.h. auf die systematische Einheit bezogen.« 167 Erfahrungs-transzendent nennt Andersen den ›Gegenstand in der Idee‹ insofern, weil die Vernunft die Erfahrung als vollendete systematische Einheit denken müsse und diese Vollendung, »etwa im Falle einer unendlich fortgesetzten Spezifikation« ein »Moment« darstelle, »welches niemals in der Erfahrung realisiert werden kann« 168. Der ›Gegenstand in der Idee‹ ist damit eben 162 163 164 165 166 167 168

KrV, A675/B703. KrV, A675/B703. KrV, A677–678/B705–706. Andersen 1983, 244. Andersen 1983, 244. Andersen 1983, 245. Andersen 1983, 242.

Einleitender Exkurs

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»nur ein Schema« 169. Darüber hinaus denotiert die Idee jedoch auch ein inhaltlich unbekanntes Ding an sich, von welchem die angeführten Ausdrücke »ein Etwas, wovon wir, was es an sich selbst sei, gar keinen Begriff haben« und »ein Etwas überhaupt, das ich an sich selbst gar nicht kenne« sprechen. 170 Erich Adickes bemerkt hierzu: »Dies Etwas ist also nach Kants Überzeugung auch ›etwas an sich selbst‹, d.h. es entspricht der Idee ohne Zweifel etwas Transzendentes, wenn dieses auch der theoretischen Philosophie unfaßbar und unerkennbar ist.« 171

Würde dieses Etwas nicht an sich existieren, könnte Kant gar nicht davon sprechen, dass ich jenes Etwas an sich selbst nicht kenne. 172 Besonders klar kommt dies in B706–707 zum Ausdruck: »[...] so darf ich ein Wesen, das ich von der Welt unterscheide, ganz wohl durch Eigenschaften denken, die lediglich zur Sinnenwelt gehören. Denn ich verlange keineswegs, diesen Gegenstand meiner Idee, nach dem, was er an sich sein mag, zu erkennen.« 173 Zu der Formulierung »was er an sich sein mag« wiederum Adickes: »Die in dem ›mag‹ liegende Ungewißheit bezieht sich nur auf das So-Sein, auf die Beschaffenheit des Tranzendenten, nicht auf seine Existenz, die vielmehr als sicher vorausgesetzt wird. Hätte Kant auch nur ernstlich an ihr gezweifelt, so würde er geschrieben haben: ›nach dem, was er etwa an sich sein möchte, falls ihm überhaupt ein An-sich zukommen sollte.‹« 174

Bezüglich der Ideen muss also auch ein inhaltlich unbekannter, transsubjektiv existierender Gegenstand als ein an-sich-seiendes ›Etwas‹ vorausgesetzt wird. 175 Dieser ist zu unterscheiden von der inhaltlich bestimmten 169 170

171 172 173 174 175

KrV, A670/B698. Ebenso: »Ich denke mir nur die Relation eines mir an sich ganz unbekannten Wesens zur größten systematischen Einheit des Weltganzen [. . . ]«, KrV, A679/B707, AA 03: 448.03–04 (Herv. von mir). Adickes 1927, 88, Anm. 14. Cf. Adickes 1927, 96, Anm. 27. KrV, A678–679/B706–707, AA 03: 447.32–36. Adickes 1927, 88 f., Anm. 15. So schreibt Kant auch ganz explizit bezüglich der Gottesidee: »Auf solche Weise aber können wir doch (wird man fortfahren zu fragen) einen einigen weisen und allgewaltigen Welturheber annehmen? Ohne allen Zweifel; und nicht allein dies, sondern wir müssen einen solchen voraussetzen. Aber alsdann erweitern wir doch unsere Erkenntnis über das Feld möglicher Erfahrung? Keineswegs. Denn wir haben nur ein Etwas vorausgesetzt, wovon wir gar keinen Begriff haben, was es an sich selbst sei (einen bloß transzendentalen Gegenstand), aber, in Beziehung auf die systematische und

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Historisch-systematischer Ausflug 3 (G.W.F. Hegel)

Idee und dem durch sie gegebenen ›Gegenstand in der Idee‹, welcher nur »problematisch« 176 vorausgesetzt wird: »Dieses Vernunftwesen [d.h. Gott] (ens rationis ratiocinatae) ist zwar eine bloße Idee, und wird also nicht schlechthin und an sich selbst als etwas Wirkliches angenommen, sondern nur problematisch zum Grunde gelegt [. . . ]« 177, als Grund der systematischen Ordnung der Welt. Die Vernunft lässt »[...] es gänzlich unausgemacht, was der unseren Begriffen sich entziehende Grund derselben an sich für Beschaffenheit habe [...]« 178. Dem entspricht Kants doppelte Verwendung des Ausdrucks ›Etwas‹, indem er nämlich einerseits von einem »bloße[n] Etwas in der Idee« 179 spricht, welches nur nach relativer Supposition vorausgesetzt werden kann, und dem an-sich-seienden Etwas, das uns in seinen Beschaffenheiten unzugänglich ist. 180

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179 180

zweckmäßige Ordnung des Weltbaues, welche wir, wenn wir die Natur studieren, voraussetzen müssen, haben wir jenes uns unbekannte Wesen nur nach der Analogie mit einer Intelligenz (ein empirischer Begriff) gedacht [. . . ]« (KrV, A697–698/B725–726). Wenn Kant hier davon spricht, dass das transzendentale Objekt der Ideen als »problematischer Begriff« »zugelassen« wird, so verwendet er dieselbe Terminologie wie beim »Noumenon im negativen Verstande« im Kapitel über »Phaenomena und Noumena« in der KrV. Dies bedeutet, dass wir die Beschaffenheiten des transzendentalen Objekts nicht erkennen können, seine Existenz an sich aber nicht in Frage gestellt wird. KrV, A681/B709. Cf. auch KrV, A338–339/B396–397: »Man kann sagen, der Gegenstand einer bloßen transzendentalen Idee sei etwas, wovon man keinen Begriff hat, obgleich diese Idee ganz notwendig in der Vernunft nach ihren ursprünglichen Gesetzen erzeugt worden. Denn in der Tat ist auch von einem Gegenstande, der der Forderung der Vernunft adäquat sein soll, kein Verstandesbegriff möglich [. . . ]. Besser würde man sich doch und mit weniger Gefahr des Mißverständnisses, ausdrücken, wenn man sagte: daß wir vom Objekt, welches einer Idee korrespondiert, keine Kenntnis, obzwar einen problematischen Begriff [d.h. eine inhaltliche Bestimmung, R.S.] haben können.« KrV, A682/B710. Kant nennt den durch die Idee problematisch vorausgesetzten, inhaltlich bestimmten Gegenstand in diesem Absatz auch ein »transzendentales Ding«, was vom Terminus des »transzendentalen Gegenstandes«, insofern er das an-sichseiende Etwas denotiert, abgegrenzt werden muss, cf. Puntel 1969, 337. KrV, A679/B707. Cf. KrV, A686/B713; und KrV, A679/B707: »Werfen wir unseren Blick nun auf den transzendentalen Gegenstand unserer Idee, so sehen wir, daß wir seine Wirklichkeit nach den Begriffen von Realität, Substanz, Kausalität usw. an sich selbst nicht voraussetzen können, weil diese Begriffe auf etwas, das von der Sinnenwelt ganz unterschieden ist, nicht die mindeste Anwendung haben. Also ist die Supposition der Vernunft von einem höchsten Wesen, als oberster Ursache, bloß relativ, zum Behuf der systematischen Einheit der Sinnenwelt gedacht, und ein bloßes Etwas in der Idee, wovon

Einleitender Exkurs

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Dass wir überhaupt Kategorien auf einen erfahrungstranszendenten Gegenstand anwenden können, 181 ist wiederum nur möglich, wenn die eigentliche semantische Bedeutung 182 der Kategorien (ihr »transzendentaler Inhalt« 183) nicht mit ihrer Anwendung auf die Anschauung zusammenfällt. Im »Denken« ist eine unbestimmte ›Anwendung‹ der Kategorien auf Dinge an sich möglich (d.h. sie unbestimmt vorzustellen 184), nicht aber im »Erkennen« (d.h. sie »in concreto« darzustellen, bzw. mit konkreter Anschauung und Zeitschema zu versehen 185). Der Unterscheidung zwischen Denken und Erkennen entspricht eine zweifache Bedeutung des Terminus »Kategorie«: Kategorien sind einmal als Synthesisfunktionen aufzufassen, die nur am Empfindungsmaterial ausgeübt werden können und andererseits als inhaltliche Ausgangspunkte und Resultate der Synthesis, die von der Summe der unter den Begriff subsumierten Wahrnehmungen zu unterscheiden sind. 186 Als bloße Synthesisfunktionen haben die Kategorien keine »Bedeutung«, d.h. keine Referenz auf ein Objekt und sind daher »leere« Gedankenformen. 187 Als Ausgangspunkte und Resultate der Synthesis jedoch haben die Kategorien ohne Anschauung und Schemata eine unbestimmte Referenz auf einen »transzendentalen Gegenstand« (bzw. ein »transzendentales Objekt«). 188 Wie bei den transzendentalen Ideen sahen, besteht hier ein doppelter Gegenstandsbezug, einmal ein indirekter auf die

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183 184 185 186 187 188

wir, was es an sich sei, keinen Begriff haben.« Das »höchste Wesen« meint hier das »ens summum«, welches gleichbedeutend ist mit dem inhaltlich maximal gefüllten ens realissimum, cf. KrV, A578/B606; cf. KrV, A288/B344–345. Cf. Adickes 1924, 38–41, 61–70. Der Terminus »semantische Bedeutung« ist hier zu verstehen als Intension des Begriffs. Kant verwendet den Terminus »Bedeutung« auch als »Bezug auf ein Objekt« cf. KrV, B300 (= objektive Bedeutung, wobei »transzendentale Bedeutung« dann die Referenz auf das transzendentale Objekt meint). KrV, A79/B10. Cf. KrV, B167, Anm.; cf. Adickes 1924, 49–52 und 62. Cf. Prol, § 45, Orig.: 133, AA 04: 332.12–19. Cf. Adickes 1924, 75 und 84. Cf. Adickes 1924, 80. Cf. z.B. KrV, A247/B304: »Das Denken ist die Handlung, gegebene Anschauung auf einen Gegenstand zu beziehen. Ist die Art dieser Anschauung auf keinerlei Weise gegeben, so ist der Gegenstand bloß transzendental, und der Verstandesbegriff hat keinen anderen, als transzendentalen Gebrauch, nämlich die Einheit des Denkens eines Mannigfaltigen überhaupt.« Vom transzendentalen Objekt als dem Referenzobjekt der Kategorien ist neben dem Kapitel über »Phaenomena und Noumena« besonders in der »Synthesis der Rekognition im Begriffe« der transzendentalen Deduktion von KrV A die Rede (cf. KrV, A104–109). In der Deduktion in KrV B taucht dieser Terminus

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Objekte der Erfahrung und einmal ein unbestimmter Bezug auf das transzendentale Objekt als in seinen an-sich-seienden Beschaffenheiten bzw. seinem inneren Wesen unbekanntes Ding an sich (das »Noumenon im negativen Verstande«). 189 Mit der Referenz auf das transzendentale Objekt

189

jedoch nicht mehr auf. Er ist der Sache nach aber immer noch vorhanden, denn es gibt durch die synthesis intellectualis bereits einen allgemeinen Objektbezug des reinen Verstandes, d.h. einen Bezug auf eine reine Objektstruktur auf Verstandesebene (in der Terminologie der A-Deduktion: auf das »transzendentale Objekt«, cf. Lotz 1955, 144–154), noch vor der Ausdifferenzierung der synthesis speciosa auf Anschauungsebene. Es gibt also eine Intentionalität des reinen Bewusstseins (der transzendentalen Apperzeption), deren Objekt weiter ist als das einer schematisierten Erkenntnis (cf. KrV, B137). Weiterhin gilt: Jeder Term, der ein Referenzobjekt besitzt, besitzt auch eine Intension. Als ein solches transzendentales Objekt wird unter anderem Gott selbst in der Auflösung der Vierten Antinomie eingeführt (cf. KrV, A565/B593). Der Terminus des ›transzendentalen Objekts‹ hat ebenfalls zwei Bedeutungen: Zunächst handelt es sich nur um einen epistemischen Begriff als das Etwas als der allgemeinen Objektstruktur, die der Einheit der Apperzeption korrespondiert (cf. KrV, A250–251; cf. u.a. Refl, 5642, AA 18: 283.29–31, und Refl, 5554, AA 18: 230.15–231.07; cf. Adickes 1924, 99, Anm. 1, und 100–101; Adickes 1920, 618; cf. Allison 1968, 176–184). Der transzendentale Idealismus soll aber explizit kein Berkeleyscher Idealismus sein, weshalb das transzendentale Objekt bzw. der transzendentale Gegenstand in einer zweiten Bedeutung das den Erscheinungen korrespondierende Ding an sich denotiert (cf. Allison 1968, 171 f.; cf. KrV, A252–253; A288/B344; vgl auch Refl, 5652, AA 18: 305.11–12 und Refl, 5654, AA 18: 312.08–31). Der Terminologie von Henry E. Allison zufolge unterscheidet Kant zwischen einem transzendentalen Objekt für uns und dem transzendentalen Objekt an sich (bzw. für sich). Letzteres ist semantisch identisch mit dem Ding an sich als Ursache der Erscheinungen, wobei sich beide Termini bedingen (cf. Allison 1968, 183). Wir können also durch die Kategorien Dinge jenseits der Erfahrungsgrenzen (inhaltlich) denken, wir wissen aber nicht, ob wir damit auch auf derart beschaffene Objekte referieren: Der Verstand weiß um die Existenz der Dinge an sich, ohne sie inhaltlich bestimmen zu können und erhält damit eine »negative Erweiterung« (KrV, A256/B312; cf. Adickes 1920, 615 f.): Das Ding an sich bzw. transzendentale Objekt an sich ist das »Noumenon im negativen Verstande« als ein inhaltlich unbekanntes »Etwas überhaupt außer unserer Sinnlichkeit« (KrV, B306–307; Cf. KrV, B307–308). Im ›positiven Verstande‹, d.h. inhaltlich bestimmt, ist es der Gegenstand einer intellektuellen Anschauung, die uns nicht zugänglich ist (cf. KrV, B308–309; cf. Refl, 6048, AA 18: 433.16–21; cf. OP, AA 22: 26.26–29). Unter die Noumena fallen auch die Gegenstände der Ideen, welche, wie wir sahen, auch explizit als transzendentale Gegenstände bzw. Objekte bezeichnet werden (cf. Adickes 1924, 110; cf. KrV, B308–309, und KrV, B306). Die Restriktionen des transzendentalen Idealismus beziehen sich

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in abstracto (mit der »transzendentalen Bedeutung« 190) besitzen die Kategorien also auch einen »transzendentalen Inhalt«, welcher (zumindest bei den Kategorien der Relation und der Modalität) nicht identisch ist mit dem Inhalt der zugehörigen Zeitschemata. 191 Beispielsweise bedeutet die Kategorie der Substanz Selbststand und nicht endlose Dauer bzw. Beharrlichkeit in der Zeit. Der Unterschied zwischen transzendentalem Inhalt und Inhalt des Schemas bedeutet hierbei keine Äquivokation: Die Schemata sind analog aufzufassende Vermittlungen zwischen reinem Begriff und Anschauung, bzw. Folgen im Fall der empirischen Realisierung (so hat der Selbststand in empirischer Realisierung notwendig eine Beharrlichkeit in der Zeit zur Folge). Nur so lässt sich begründen, dass die Freiheit eine Kausalität genannt wird und dass wir die Gottesidee »der Analogie nach« durch die Kategorien der Realität, der Substanz, der Kausalität und der Notwendigkeit denken können. 192 Auf diese Weise wird auch der Schematismus der Idee zur Vermittlung zwischen Sinnlichem und dem Erfahrungstranszendenten: Während das Ding an sich die reine Negation der Erscheinung ist, das reine An-sich, so steht der Schematismus der Idee zwischen der Erscheinung und dem, was die Erscheinung bzw. Erfahrungswelt unendlich übersteigt, aber durch den Schematismus für uns inhaltlich bestimmt wird – und zwar »der Analogie nach«. 193 Doch was wird hier genau analog bestimmt? Das Ding an sich als transzendentales Objekt bzw. Gegenstand schlechthin der Idee, oder der Gegenstand in der Idee? Um dies zu klären, muss wiederum der Gegenstandsbezug der Idee betrachtet werden. Kant schreibt im neunten Abschnitt des zweiten Anhangs: »Ich denke mir alsdann dieses höchste Wesen durch lauter Begriffe, die eigentlich nur in der Sinnenwelt ihre Anwendung haben; da ich aber auch jene transscendentale Voraussetzung zu keinem andern als relativen Gebrauch habe, nämlich daß sie das Substratum der größtmöglichen Erfahrungseinheit abgeben solle, so darf ich ein Wesen, das ich von der Welt unterscheide, ganz wohl durch Eigenschaften denken, die lediglich zur Sinnenwelt gehören. Denn ich verlange keinesweges und bin auch nicht befugt es zu verlangen, diesen Gegenstand meiner Idee nach dem, was er an sich sein mag, zu erken-

190 191 192 193

nicht auf die Existenz der transzendentalen Objekte an sich, sondern darauf, dass wir über die an-sich-seienden Beschaffenheiten nichts wissen können. KrV, B305. Cf. Klemme 1996, 256 f. und 272. KrV, A697/B724; KpV, AA 05: 100. Cf. Adickes 1924, 90 f. Cf. Specht 1952, 57 f.

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nen; denn dazu habe ich keine Begriffe, und selbst die Begriffe von Realität, Substanz, Causalität, ja sogar der Nothwendigkeit im Dasein verlieren alle Bedeutung und sind leere Titel zu Begriffen ohne allen Inhalt, wenn ich mich außer dem Felde der Sinne damit hinauswage. Ich denke mir nur die Relation eines mir an sich ganz unbekannten Wesens zur größten systematischen Einheit des Weltganzen, lediglich um es zum Schema des regulativen Princips des größtmöglichen empirischen Gebrauchs meiner Vernunft zu machen.« 194

Worauf bezieht sich hier der Ausdruck »leere Titel« für die Kategorien, wenn oben von einer inhaltlichen Bestimmung des Erfahrungstranszendenten die Rede war? In den Prolegomena expliziert Kant nun in aller Klarheit, wie die Verknüpfung zwischen dem uns Bekannten und dem uns völlig Unbekannten zu denken ist: 195 »[...] [W]ie verhält sich unsere Vernunft bei dieser Verknüpfung dessen, was wir kennen, mit dem, was wir nicht kennen und auch niemals kennen werden? Hier ist eine wirkliche Verknüpfung des Bekannten mit einem völlig Unbekannten (was es auch jederzeit bleiben wird), und wenn dabei das Unbekannte auch nicht im Mindesten bekannter werden sollte [...]. Denn alsdann eignen wir dem höchsten Wesen keine von den Eigenschaften an sich selbst zu, durch die wir uns Gegenstände der Erfahrung denken, und vermeiden dadurch den dogmatischen Anthropomorphismus; wir legen sie aber dennoch dem Verhältnisse desselben zur Welt bei und erlauben uns einen symbolischen Anthropomorphism, der in der That nur die Sprache und nicht das Object selbst angeht.« 196

Einerseits spricht Kant hier von einer wirklichen Verknüpfung des Bekannten mit dem völlig Unbekannten, andererseits erzeugt der Verknüpfungsund damit Bestimmungsversuch sofort, das das An-sich, mit dem verknüpft werden soll, sofort radikal unbekannt wird und nur noch für uns bestimmt 194

195 196

KrV, A678 f./B706 f.; ebenso kurz vorher: »[...] [W]enn dem größtmöglichen empirischen Gebrauche meiner Vernunft eine Idee (der systematisch vollständigen Einheit [...]) zum Grunde liegt, die an sich selbst niemals adäquat in der Erfahrung kann dargestellt werden, ob sie gleich, um die empirische Einheit dem höchstmöglichen Grade zu nähern, unumgänglich nothwendig ist: so werde ich nicht allein befugt, sondern auch genöthigt sein, diese Idee zu realisiren, d.i. ihr einen wirklichen Gegenstand zu setzen, aber nur als ein Etwas überhaupt, das ich an sich selbst garnicht kenne, und dem ich nur als einem Grunde jener systematischen Einheit in Beziehung auf diese letztere solche Eigenschaften gebe, als den Verstandesbegriffen im empirischen Gebrauche analogisch sind« (KrV, A677 f./B705 f.). Cf. Puntel 1969, 312. Prol, § 57, Orig. 170–175, AA 04: 354–357. Herv. v. mir.

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ist (in den Worten der KrV als ›Gegenstand in der Idee‹ in relativer Supposition) und sich alle Bestimmungen in radikaler Weise nicht mehr auf das Ansich beziehen können. 197 Dennoch scheint diese Restriktion an manchen Stellen durchlässig zu sein: Es wird dem »[...] höchsten Wesen, so fern es den Grund dieser Vernunftform der Welt enthält, zwar Vernunft beigelegt, aber nur nach der Analogie, d.i. so fern dieser Ausdruck nur das Verhältniß anzeigt, was die uns unbekannte oberste Ursache zur Welt hat« 198, und man solle »nicht etwa sich blos ein Wesen zu erdichten, sondern, da außer der Sinnenwelt nothwendig Etwas, was nur der reine Verstand denkt, anzutreffen sein muß, dieses nur auf solche Weise, obwohl freilich blos nach der Analogie, zu bestimmen« 199. Wie kann nun dem höchsten Wesen ›zwar Vernunft beigelegt‹ werden, wenn jede Bestimmung an sich ausgeschlossen ist? Bezieht sich diese Beilegung der Vernunft nun auf den ›Gegenstand in der Idee‹, insofern er uns erfahrungs-transzendent ist (d.h. bezüglich der unendlichen Spezifikation), oder auf den Gegenstand der Idee an sich, insofern dieser durch sein An-sich-Sein erfahrungstranszendent ist? Eine Klärung kann nur geschehen, wenn man berücksichtigt, was Kant nun genau unter ›analoger Bestimmung‹ versteht. 6.1.2 Analogie und analytisch-synthetische Einheit In § 58 der Prolegomena expliziert Kant zwei Arten der Analogie: Die Attributionsanalogie (»eine unvollkommene Ähnlichkeit zweier Dinge«) und die Proportionalitätsanalogie (»eine vollkommene Ähnlichkeit zweier Dinge«). 200 Zur Proportionalitätsanalogie schreibt Kant: »Vermittelst einer solchen Analogie [der vollkommenen Ähnlichkeit zweier Dinge, R.S.] kann ich daher einen Verhältnißbegriff von Dingen, die mir absolut unbekannt sind, geben. Z.B. wie sich verhält die Beförderung des Glücks der Kinder =a zu der Liebe der Eltern =b, so die Wohlfahrt des menschlichen Geschlechts =c zu dem Unbekannten in Gott =x, welches wir Liebe nennen; nicht als wenn es die mindeste Ähnlichkeit mit irgend einer menschlichen Neigung hätte, sondern weil wir das Verhältniß desselben zur Welt demjenigen ähnlich setzen können, was Dinge der Welt unter einander haben. Der Verhältnißbegriff aber ist hier eine bloße Kategorie, nämlich der Begriff der Ursache, der nichts mit Sinnlichkeit zu thun hat. « 201

197 198 199 200 201

Cf. Puntel 1969, 311. Prol, § 58, Orig. 178, AA 04: 359; cf. Puntel 1969, 313. Herv. R.S. Prol, § 59, Orig. 182, AA 04: 361. Cf. Prol, § 58, Orig. 176–180, AA 04: 357–360; cf. Natterer 2003, 574. Prol. § 58, Orig. 176, Anm.; AA 04: 358.

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Wenn man diese Aussagen Kants zur Proportionalitätsanalogie vergleicht mit einschlägigen Ausführungen des Aquinaten zur Proportionalität zwischen Unendlichem und Endlichem, zwischen Gott und Geschöpf, so fällt auf, dass im Gegensatz zur thomanischen Lehre bei Kant Gott (x) nur als ein Glied des Verhältnisses auftritt (Glück der Kinder = a, Liebe der Eltern = b, Wohlfahrt des Menschengeschlechts = c): a c = b x Bei Thomas hingegen ist beispielsweise das Verhältnis von endlicher Existenz (e1 ) zu endlicher Wesenheit (w) gleich dem Verhältnis von Gottes durch Kausalschlüsse bekannter Existenz (e2 ) zum uns unbekannten Wesen Gottes (x): 202 e1 e2 = w x Das Unendliche nimmt also ganz die eine Seite der Verhältnisgleichheit ein und diese Seite beschreibt somit ein Verhältnis in Gott selbst. In der kantischen Proportionalitätsanalogie hingegen kann das für Gott vorbehaltene Glied nicht mit etwas anderem in Gott verglichen werden, sondern es wird mit einer Eigenschaft der Welt verglichen. 203 Ganz ähnlich sagt Kant hinsichtlich der Bestimmung der Kausalität durch Vernunft: »die Causalität der obersten Ursache ist dasjenige in Ansehung der Welt, was menschliche Vernunft in Ansehung ihrer Kunstwerke ist.« 204 Damit wird klar: Die Eigenschaft der Vernunft kann durch die Analogie niemals der obersten Ursache der Welt an sich beigelegt werden – sie trifft überhaupt kein Ansich. Die Analogie als Bestimmung Gottes im Verhältnis zur Welt ist somit radikalisiert, die Bestimmungen besitzen – scholastisch gesprochen – kein fundamentum in re. Dennoch ist diese analoge Bestimmung für die Vernunft notwendig. Anders verhält es sich bei der Proportionalitätsanalogie im erfahrungsweltlichen Gebrauch: In §90 der KdU spricht Kant von einer regulativen Analogie innerhalb der empirischen Welt des Organischen, welche die Identität von Verhältnissen besagt, bei welchen auf beiden Seiten der Identitätsrelation jeweils beide Verhältnisteile ganz auf einer Seite stehen: Wie sich das menschliche Bauwerk zur Vernunft verhält, so der tierische Bau

202 203 204

Cf. De Ver, q. 23, a. 7, ad 9; cf. Lakebrink 1968, 273 und Puntel 1969, 313. Cf. Puntel 1969, 313. Prol,. § 58, Orig. 180, Anm., AA 04: 360.

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zum tierischen Instinkt. Dies ist möglich aufgrund der gemeinsamen Gattung von Mensch und Tier, was im Falle Gottes nicht mehr gegeben ist, da Gott nicht unter eine Gattung fällt. 205 Dieses Fehlen einer gemeinsamen, übergreifenden Dimension, in der Gott und Welt situiert wären, macht die theoretische analoge Bestimmung des transzendentalen Objekts an sich der Gottesidee unmöglich. Es kann also gefolgert werden: Was der Analogie nach bestimmt wird, ist nicht der erfahrungstranszendente Gegenstand an sich, sondern der ebenfalls erfahrungstranszendente Gegenstand in der Idee. Ersterer bleibt in theoretischer Hinsicht das unerreichbare Ding an sich im Sinne der negativen Theologie. Das An-sich scheint erst in Relation zur Moralität ins Spiel zu kommen: »so bleibt von den Begriffen, durch die wir uns ein reines Verstandeswesen denken, nichts mehr übrig, als gerade zur Möglichkeit erforderlich ist, sich ein moralisch Gesetz zu denken, mithin zwar ein Erkenntniß Gottes, aber nur in praktischer Beziehung« 206

Diese Möglichkeit der Erreichung des An-sich beruht auf dem Faktum der Vernunft, 207 d.h. der Tatsache, dass es in unserem Willen ein unbedingtes 205

206 207

KdU, §90, AA 05: 464, Anm. 1: »Analogie (in qualitativer Bedeutung) ist die Identität des Verhältnisses zwischen Gründen und Folgen (Ursachen und Wirkungen), sofern sie ungeachtet der specifischen Verschiedenheit der Dinge, oder derjenigen Eigenschaften an sich, welche den Grund von ähnlichen Folgen enthalten (d.i. außer diesem Verhältnisse betrachtet), Statt findet. So denken wir uns zu den Kunsthandlungen der Thiere in Vergleichung mit denen des Menschen den Grund dieser Wirkungen in den ersteren, den wir nicht kennen, mit dem Grunde ähnlicher Wirkungen des Menschen (der Vernunft), den wir kennen, als Analogon der Vernunft; und wollen damit zugleich anzeigen: daß der Grund des thierischen Kunstvermögens unter der Benennung eines Instincts von der Vernunft in der That specifisch unterschieden, doch auf die Wirkung (der Bau der Biber mit dem der Menschen verglichen) ein ähnliches Verhältniß habe. [...] Das Princip der Befugniß, so zu schließen, liegt in der Einerleiheit eines Grundes, die Thiere in Ansehung gedachter Bestimmung mit dem Menschen, als Menschen, so weit wir sie äußerlich nach ihren Handlungen mit einander vergleichen, zu einerlei Gattung zu zählen. Es ist par ratio. Eben so kann ich die Causalität der obersten Weltursache in der Vergleichung der zweckmäßigen Producte derselben in der Welt mit den Kunstwerken des Menschen nach der Analogie eines Verstandes denken, aber nicht auf diese Eigenschaften in demselben nach der Analogie schließen: weil hier das Princip der Möglichkeit einer solchen Schlußart gerade mangelt, nämlich die paritas rationis, das höchste Wesen mit dem Menschen (in Ansehung ihrer beiderseitigen Causalität) zu einer und derselben Gattung zu zählen.« Cf. Lakebrink 1960, 256 f. KpV, AA 05: 137; cf. Lakebrink (1960), 255 f. Cf. Lakebrink 1960, 256.

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praktisches Gesetz gibt, das nicht auf empirisch-kontingenten Gründen beruht und damit den Bereich der Erscheinung in den Bereich der Noumena überschreitet: Das Moralgesetz ist ein unbezweifelbares und unableitbares Faktum innerhalb der spontanen Aktivität der praktischen Vernunft, deren Standpunkt der noumenale 1.-Person-Standpunkt ist (der Bewusstseinszustand des empirischen Ich ist ein empirisches Datum, das darin enthaltene normative Faktum hat jedoch seinen Ursprung in der Tiefe unserer noumenalen Identität). 208 Hatte man bisher von dem klassischen scholastischen Dreischritt der Analogie vorallem die via affirmativa (Univokation, Bejahung) und die via negativa (Äquivokation, Verneinung), 209 so wird hier nun der dritte Schritt deutlich, die via eminentiae (Überstieg): 210 »Hiebei, und um das Eigenthümliche dieser Begriffe kenntlich zu machen, merke ich nur noch an: daß, da man Gott verschiedene Eigenschaften beilegt, deren Qualität man auch den Geschöpfen angemessen findet, nur daß sie dort zum höchsten Grade erhoben werden, z.B. Macht, Wissenschaft, Gegenwart, Güte etc. unter den Benennungen der Allmacht, der Allwissenheit, der Allgegenwart, der Allgütigkeit etc., es doch drei giebt, die ausschließungsweise und doch ohne Beisatz von Größe Gott beigelegt werden, und die insgesammt moralisch sind: er ist der allein Heilige, der allein Selige, der allein Weise; weil diese Begriffe schon die Uneingeschränktheit bei sich führen.« 211

Die Eminenz, d.h. die Erhebung »zum höchsten Grade«, gilt für die Bestimmungen der Allmacht, Allwissenheit, usw. Doch führt Kant sodann drei Bestimmungen Gottesan, die moralisch und in sich entschränkt sind und daher Gott in eigentümlichster Weise beschreiben – und die als absolute Begriffe gelten können (die Spätscholastik würde von perfectiones purae sprechen 212): Die Heiligkeit, die Seligkeit und die Weisheit. Dies erinnert an die Ausführungen von Thomas von Aquin in der siebten Quästion von De potentia, a. 5 (»Quinto quaeritur utrum praedicta nomina significent divinam substantiam«), ad 2, in welchen er die Bestimmung der Weisheit (sapientia) 208 209 210 211 212

Cf. hierzu ausführlich Trampota 2003, 34–122. Cf. Coreth 1964, 309–318. Cf. Lakebrink 1960, 256. KpV, AA 05: 131, Anm. 2. Auch für Thomas werden die perfectiones primär von Gott ausgesagt, und erst nachträglich von den Geschöpfen: »Quantum ad rem significatam per nomen, per prius dicantur de Deo quam de creaturis: quia a Deo huiusmodi perfectiones in creaturas manant. Sed quantum ad impositionem nominis, per prius a nobis imponuntur creaturis, quas prius cognoscimus. Unde etmodum significandi habent qui competit creaturis« (S.Th. I, q. 13, a. 6, co.).

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ebenfalls in den Prozess der Eminenz hineinnimmt und zur supersapientia werden lässt, 213 »weil in der Thomanischen Analogie trot aller ›similitudo‹ im Verhältnis von erkennendem Geschöpf zum Schöpfer die ›dissimilitudo‹ Gottes dennoch das letzte Wort behält und darum alle menschliche Begrifflichkeit aufsprengt und über sie hinaus ist« 214. Auch bei Kant wird die letzte Kluft nicht übersprungen, denn die Bestimmung Gottes bleibt bei allem Ausgreifen auf das An-sich rein regulativ. (b) Bestimmung und Status der Gottesidee bei Kant: Die Vernunft denkt Erfahrung notwendigerweise als eine vollendete systematische Einheit, und im ersten Anhang diskutiert Kant die Prinzipien dieser Einheitsstiftung. Die unendliche Spezifikation der Formen (datur continuum formarum) drückt beispielsweise aus, dass alle Unterschiede der Arten kontinuierlich bzw. stetig sind. Dieses stetige Kontinuum kann niemals in der Erfahrung realisiert werden, daher muss diese Vollendung der Einheit der Erfahrung notwendigerweise durch eine erfahrungs-transzendente Idee gedacht werden, die dann lediglich von regulativem Gebrauch sein kann. 215 Die Objekte unserer Erfahrung werden nun bei Kant bekanntlich konstituiert durch Anschauung und Kategorien. Letztere sind die Urteilsfunktionen, und die Urteile liefern durch die Beziehung ihrer Copula auf die analytische Einheit der Apperzeption die für die Objektivität der Urteile und die Objektkonstitution nötige Konstanz und Selbstständigkeit gegenüber bloß subjektiver, durch bloße Assoziationsgesetze der reproduktiven Einbildungskraft zustandegekommener Einheit. Die Copula verbindet somit die analytische und synthetische Einheit der Apperzeption, numerische Identität und Vielheit. 216 Doch damit ist es nicht getan. So wie die Mannigfaltigkeit der Anschauung durch die Einheit der transzendentalen Apperzeption verbunden wird, muss die erfahrungstranszendente letzte Einheit von allem als in einer höchsten In213

214 215 216

De pot., q. 7, a. 5, ad 2: »[...] tripliciter ista de Deo dicuntur. Primo quidem affirmative, ut dicamus, Deus est sapiens; quod quidem de eo oportet dicere propter hoc quod est in eo similitudo sapientiae ab ipso fluentis: quia tamen non est in Deo sapientia qualem nos intelligimus et nominamus, potest vere negari, ut dicatur, Deus non est sapiens. Rursum quia sapientia non negatur de Deo quia ipse deficiat a sapientia, sed quia supereminentius est in ipso quam dicatur aut intelligatur, ideo oportet dicere quod Deus sit supersapiens. Et sic per istum triplicem modum loquendi secundum quem dicitur Deus sapiens, perfecte Dionysius dat intelligere qualiter ista Deo attribuantur.« Cf. Lakebrink 1960, ebd. Lakebrink 1960, ebd. Cf. KrV, A659–660/B787–688 und Andersen 1983, 242. Cf. die Paragraphen 19 und 20 der transzendentalen Deduktion der Kategorien der BAusgabe der KrV, B140–146.

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telligenz verbunden gedacht werden: Denn die transzendentale Apperzeption selbst benötigt für ihre analytische Identität das durch die Gottesidee gewährleistete synthetische Kontinuum: Gemäß der transzendentalen Deduktion der Kategorien kann sich die Einheit der Apperzeption nur dann im Mannigfaltigen der Vorstellungen durchhalten, wenn letztere in einer notwendigen Synthesis zusammengehalten sind. Wäre das Mannigfaltige der Vorstellungen zerfallend, so wäre auch die Apperzeption selbst zerfallend. Doch dies ist unmöglich, da die analytische Einheit der Apperzeption (d.h. die notwendige Identität des Ich) logisch vorgängig zur Mannigfaltigkeit der Vorstellung ist. 217 Daher muss die Einheit der Erfahrungswelt bis in ihre letzten Momente reichen, es darf keine letzten Unstetigkeiten geben. Die Erfahrungswelt muss im Letzten ein überabzählbar-unendliches Kontinuum sein (wie es etwa in der Kontinuität der Formen des datur continuum formarum gefordert wird). Ein überabzählbar-unendliches Kontinuum ist natürlich erfahrungstranszendent, und die Gottesidee als die Idee der letzten und allumfassenden Einheit, welche auch die Einheit von Subjekt und Welt ermöglicht, ist nun die Idee dieser letztendlichen Einheitsstiftung als notwendige Voraussetzung der Vernunft, ohne welche sie nicht mehr Vernunft sein könnte. 218 Diese Idee ist aber nun lediglich für uns bestimmt, hinsichtlich eben dieser letzten Einheitsstiftung, und diese Bestimmung in Relation zu uns ist die Analogie. Doch damit wird nicht der Gegenstand, den die Idee an sich denotiert (das ›transzendentale Objekt an sich‹) bestimmt, sondern der Gegenstand in der Idee als erfahrungstranszendenter Gegenstand für uns. Der Gegenstand an sich bleibt im Sinne einer radikalen negativen Theologie unbekannt. Ist dann aber nicht die Einheit der transzendentalen Apperzeption (und damit die Apperzeption selbst) ebenfalls ›nur‹ vom selben ›Realitätsstatus‹ wie die Gottesidee für uns und damit etwas (relativ zur empirischen Realität) Irrealeres als die durch die Kategorien konstituierten Objekte der Anschauung? Ist damit nicht die Grundlegung des Realitätsbezugs (der Objektkonstitution) der erfahrungsbeundenen Erkenntnis nicht durch etwas weniger Reales als sie selbst gewährleistet? 219

217 218 219

Cf. KrV, A122, cf. Allison 1968, 173. Cf. KrV, A583/B661, Anm. Cf. Schöndorf 1995, 190.

Der Holismus des Hegelschen Systems

6.2

109

Der Holismus des Hegelschen Systems

Immanuel Kant hinterließ also zwei Grundprobleme, an die Hegel einmal negativ und einmal positiv anknüpft: (1) Die Dichotomie von Erscheinung und Ding an sich, und (2) das Problem der transzendentalen Apperzeption als Einheit von analytischer und synthetischer Einheit des Verstandes. Das Problem der Dichotomie von Erscheinung und Ding an sich besagt, dass der erkenntnistheoretische Status von Kants eigener Erkenntniskritik unklar bleibt: Kant schränkt alle (endliche) Erkenntnis auf Erscheinungen ein, das Ding an sich bleibt uns radikal unerkennbar. Doch von welchem Standpunkt aus wird diese Feststellung getroffen? Es kann nicht der transzendentale, erkenntnis-immanente Standpunkt sein, für den die Erkenntnis auf Erscheinung restringiert ist, sondern es muss sich um einen meta-transzendentalen Standpunkt handeln, von dem aus über den transzendentalen Standpunkt gesprochen wird. Kants meta-transzendentale Sätze enthalten dabei eine Voraussetzung, die der expliziten Behauptung der Limitierung unserer Erkenntnis auf Erscheinung widerspricht: die Voraussetzung, dass wir in der Lage sind, zu erkennen, dass unsere Erkenntnis an sich auf Erscheinung beschränkt ist, was jedoch von der Beschränkung unserer Erkenntnis auf Erscheinungen her ausgeschlossen ist (cf. Puntel 2007, 208 f.; Puntel 2006, 145–154, 481–491; Schneider 2011, 111, Fn. 46 und 223–225). Hegel kommentiert diesen Sachverhalt in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie mit scharfer Zunge: Die »Kantische[...] Philosophie [...] wird auch kritische Philosophie genannt, indem ihr Zweck zunächst ist, sagt Kant, eine Kritik des Erkenntnisvermögens zu sein. Vor dem Erkennen muß man das Erkenntnisvermögen untersuchen. [...] Das Erkennen wird vorgestellt als ein Instrument, die Art und Weise, wie wir uns der Wahrheit bemächtigen wollen; ehe man also an die Wahrheit selbst gehen könne, müsse man zuerst die Natur, die Art seines Instruments erkennen. Es ist tätig; man müsse sehen, ob dies fähig sei, das zu leisten, was gefordert wird, – den Gegenstand zu packen; man muß wissen, was es an dem Gegenstand ändert, um diese Änderungen nicht mit den Bestimmungen des Gegenstandes selbst zu verwechseln. – Es ist, als ob man mit Spießen und Stangen auf die Wahrheit losgehen könnte. Vor der Wahrheit erkennt das Erkennen nichts Wahres [...]. Die Forderung ist also diese: man soll das Erkenntnisvermögen erkennen, ehe man erkennt; es ist dasselbe wie mit dem Schwimmenwollen, ehe man ins Wasser geht. Die Untersuchung des Erkenntnisvermögens ist selbst erkennend« (Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III (Werke, Bd. 20), 333 f.).

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Das Problem der Einheit analytischer und synthetischer Einheit der transzendentalen Apperzeption besagt, dass in Kants Transzendentaler Deduktion der reinen Verstandesbegriffe in der KrV die Apperzeption in jedem Urteil eine synthetische Einheit stiftet (vermöge der Kopula des Urteils), was sie kraft ihrer apriori notwendigen analytischen Einheit zu leisten vermag, dass aber umgekehrt die analytische Einheit ebenso von der synthetischen Einheit der Vorstellungen abhängt. Hegels dialektisch-spekulative Methode ist insbesondere im Gang der Urteilslehre in der Wissenschaft der Logik eine Explikation der ›aufgehobenen Einheit‹ von Analysis und Synthesis (cf. Puntel 1969, 356–386). Das reine Denken (nicht als Denken eines partikularen Subjekts gedacht, sondern als logische Dimension des Denkens überhaupt) ist für Hegel eine zusammenhängende (kohärente) Totalität. Seine Philosophie kann in entscheidenden Teilen als eine konsequente Transformation aristotelischer Metaphysik vor dem Hintergrund der kantischen Wende betrachtet werden (cf. Ferrarin 2001). Die folgende Behandlung des Hegelschen Systems will keine philosophiegeschichtlich-exegetische Untersuchung sein, sondern folgt dem systematischen Interesse, den holistischen Charakter des Hegelschen Systems und die das System durchwaltende Grundstruktur der dialektisch-spekulativen Methode als eine »Einheit von Einheit und Verschiedenheit« herauszuarbeiten. Ich folge dabei vor allem der Interpretation von Puntel 1973 und seiner Herausarbeitung der großen »Entsprechungseinheiten« im Hegelschen System, ebenso in Puntel 1977, 1982 und 2007, und der systematischen Weiterführung dieses Ansatzes durch Knauer 2008. 220 Der holistische Chrakter des Hegelschen Systems zeigt sich insbesondere daran, dass die Grundstruktur der dialektisch-spekulativen Methode eine Darstellung des fundamentalen Verhältnisses der gesamten großen Dimensionen oder Sphären des Hegelschen Systems ist (Sphäre der Logik, Sphäre

220

Die großen Themen der Nürnberger Logik werden bisweilen als eine Abarbeitung der klassischen Kategorienlehre unter Einbeziehung der Eckhartschen und Cusanischen Grundgedanken zur ›absoluten Negation‹ verstanden. Die Parallelen zwischen Hegel und Cusanus wurden insbesondere von Josef Stallmach (1970) und Stephan Grotz (2009, 225–330), herausgearbeitet. Über die Vermittlung von Johann Georg Hamann (1730–1788) gelangte der Cusanische Gedanke der coincidentia oppositorum zu den Protagonisten des Deutschen Idealismus. Hegel selbst bezeichnet in seiner Rezension der Hamannschen Schriften das »Koincidieren« als den »geballten Kern der Wahrheit«, cf. Jahrbücher für wiss. Kritik, 1828, Nr. 77–80, 109–114; cf. Stallmach (1970, 224).

Der Holismus des Hegelschen Systems

111

der Natur und Sphäre des Geistes), welche sich netz-struktural in allen Untersphären wiederholt (innerlogische und realphilosophische Untersphären, usw.) und die entsprechend ihres systematischen ›Ortes‹ auch eine jeweilige spezifische Gestalt erhält (z.B. seinslogischer Gang, wesenslogischer Gang, usw. Darauf wird unten detailliert eingegangen). Der dialektisch-spekulative Fortgang der großen Dimensionen bzw. Sphären geht gemäß der Darstellung in der Enzyklopädie von der Logik über die Naturphilosophie zur Geistphilosophie. In der Logik (gesondert in der großen Nürnberger Logik von 1812–1816) wird eine fundamentale Semantik entwickelt, welche zur »absoluten Idee« als absoluter Einheit von Methode und Inhalt führt. In der absoluten Idee ist die »vollkommene Vermittlung mit aller Realität [...] bereits antizipiert« (Schmidt 1997, 80), und sie entlässt am Ende der Logik die Sphäre der Natur aus sich, welche die absolute Idee »in der Form des Andersseins« (Enz. § 247) darstellt. Im weiteren dialektisch-spekulativen Gang geht die Sphäre der Natur über in die Sphäre des Geistes, die im absoluten Geist als höchster Vermittlung aller Wirklichkeit gipfelt (cf. Schmidt 1997, 90–98). Jedoch stellt Hegel in den letzten drei Paragraphen der ersten und dritten Ausgabe der Enzyklopädie noch andere Gestalten bzw. Stufen der (Selbst-)Auslegung des Systems dar: Die möglichen (Zusammen-)Schlüsse der Sphären des Systems sind in einem ersten Schluss die Entfaltung der Natur in Geist und Logik (»äußerliches Übergehen«), im zweiten Schluss die Ausfaltung des Geistes in Natur und Logik (Standpunkt der »Reflexion«) und im dritten, höchsten Schluss, die Entfaltung der Logik in Natur und Geist (»Entwicklung«) (HEnz., §§ 475–477; Enz., 575–577). Alle drei Modi – äußerliches Übergehen, Reflexion, Entwicklung – entsprechen den Modi der dialektisch-spekulativen Methode in den Untersphären der Logik selbst (Seinslogik: äußerliches Übergehen, Wesenslogik: Reflexion, Begriffslogik: Entwicklung) (cf. Puntel 1973, 45). Der große Zusammenhang aller Sphären bzw. Totalitäten und damit die letzendliche Bestimmung des Verhältnisses von Identität und Differenz bei Hegel wird hierbei gemäß der Elementarstruktur des spekulativen Satzes bzw. des spekulativen Schlusses expliziert, weswegen sich insbesondere die Vorwürfe des Monismus, Panlogismus und des Pantheismus an Hegels Denken als haltlos erweisen werden (cf. Puntel 1973, 69–71). Die Hegelsche Philosophie sollte daher in einem top-down-Vorgehen betrachtet werden, welches vom absoluten fundamentalsemantischen Standpunkt des Systems und dessen maximaler logischer Struktur ausgeht (d.h. von der absoluten Idee als dialektisch-spekulative Methode und ihrer Strukturiertheit gemäß des spekulativen Satzes), um dann die einzelnen Untergestalten der Methode behandelt.

112

6.3

Historisch-systematischer Ausflug 3 (G.W.F. Hegel)

Der Standpunkt des absoluten Wissens

Die Wissenschaft der Logik setzt den Standpunkt des absoluten Wissens, der am Ende der Phänomenologie des Geistes erreicht wird, voraus (Coreth 1952, 71 f.). Dabei entfaltet die Logik entsprechend dem holistisch-netzstrukturalen Charakter der Hegelschen Philosophie die fundamentalen Strukturen der Phänomenologie des Geistes zumindest bis zum Vernunftkapitel noch einmal in »formaler« Gestalt (Purpus 1908). Inwiefern sich aber die logischen Strukturen der Phänomenologie mit der »Logik und Metaphysik« von 1804 oder den Nürnberger Logikentwürfen decken, oder ob sie bruchlos mit den Logikstrukturen der Wissenschaft der Logik und der Enzyklopädie in Einklang gebracht werden können, ist in der Hegelforschung umstritten (cf. Pöggeler 1966, 27–74 und Fulda 1966, 75–101). Der zweite Teil der Phänomenologie, der die konkreten Gestalten des Geistes behandelt, wurde im Gegensatz zum ersten Teil, der Bewusstseinslehre (welche die abstrakten Gestalten des Geistes enthält) verschiedentlich bereits als Darlegung der Realphilosophie interpretiert (cf. Puntel 1969). Nach Puntel bilden die abstrakten Gestalten des Bewusstseins (der Dreischritt Bewusstsein – Selbstbewusstsein – Vernunft) zusammen mit der Logik und der Noologie in gleichursprünglicher Einheit die Elementarstruktur des Systemganzen der Hegelschen Philosophie: Die Logik ist nicht eindimensional die strukturale Grundlage der Phänomenologie, sondern die Logik kann in ihrem Aufbauprinzip selbst erst durch die Sphären der Realphilosophie eingesehen werden, welche die Ausfaltung und »Vertiefung« der Logik sind: Die Struktur der Logik ist die des absoluten Geistes als Folge von Kunst, Religion und Philosophie, strukturiert als Folge von Anschauung, Vorstellung und Denken. Diese dreidimensionale Elementarstruktur von Logik, Phänomenologie und Noologie ist die »ursprüngliche Totalität«, innerhalb derer sich die dialektischspekulative Methode und insbesondere die bestimmte Negation erklären. Die Phänomenologie des Geistes in ihrer Gesamtheit (also abstrakte und konkrete Gestalten des Geistes zusammengenommen) ist nach Puntel die Darstellung des Gesamtsystems gemäß dem zweiten der drei großen Zusammenschlüsse des Systems, die Hegel am Ende der Enzyklopädie darlegt. Die Elementarstruktur von Logik, Phänomenologie und Noologie ist zwar in einem gewissen Sinne transzendental-subjektiv, aber dies nicht ausschließlich, sondern vorläufig. Der subjektive Geist ist der Ort, an dem das Absolute als Begriff zur Erscheinung gelangt, wobei der subjektive Geist koextensiv mit dem Ganzen ist (gemäß dem Diktum des Aristoteles: »anima quodammodo omnia«). Die höchste Darstellung im Modus der Entwicklung (Selbstentfaltung) erhält das Ganze des Systems im dritten großen Zusammenschluss,

Eine analytische Relecture

113

in welchem die Logik als die sich wissende Vernunft aus sich die Sphären des Geistes und der Natur entlässt (cf. Puntel 1973, 45–47, 142 f., 277–284, 322–333; cf. Rohs 1974, 211 f., Schmidt 1997, 71. Cf. Enz. I, § 25).

6.4

Eine analytische Relecture: Fundamentalsemantik und umfassende Kohärenz des Denkens

Der Standpunkt der Wissenschaft der Logik kann insbesondere durch die »analytische Relecture« der Logik als einer »Fundamentalsemantik« durch Puntel erhellt werden (das Folgende ist eine Darstellung der Ausführungen in Puntel 1977, cf. ebenso Knauer 2008, 7–13, 40–49). Puntel unterscheidet hierbei drei »Dimensionen des Bedeutungsbegriffs« und drei entsprechende Typen von Semantik unterschieden (Puntel 1977, 611), nämlich (a) »die Referenzsemantik, die die sprachexterne Bedeutung sprachlicher Ausdrücke untersucht«, (b) »die Inhaltssemantik, die die sprachinterne Bedeutung sprachlicher Ausdrücke behandelt«, und die (c) »Sprechhandlungssemantik, die die Bedeutung sprachlicher Äußerungen in Kommunikationssituationen herausarbeitet« (ebd., 611 f.). Puntel zeigt, dass Hegels Logik keiner dieser drei Arten von Semantik zugeordnet werden kann: (1) Sie ist keine Referenzsemantik, »weil die logischen Bestimmtheiten keinen direkten Sachbezug beinhalten. Sie sind nicht als sprachliche Ausdrücke zu deuten, die Gegenstände, Tatsachen u.ä. bezeichnen« (ebd., 612). Sie sind stattdessen »Artikulationsmodi« von »sprachlichen Handlungen, die sich direkt auf Gegenstände (Tatsachen usw.) beziehen« – die Kategorien der Hegelschen Logik gehören einer Metasprache an, nicht einer Objektsprache (ebd.). (2) Hegels Logik ist auch keine Inhaltssemantik, wenn es sich um eine Semantik sach- bzw. gegenstandsbezogener Ausdrücke handelt, die bezüglich ihrer Relationen zu anderen Ausdrücken behandelt werden (ebd.). Handelt es sich jedoch um eine Inhaltssemantik, welche die Aussagenschemata der Verwendung gegenstandsbezogener Ausdrücke untersucht (eine kategoriale Inhaltssemantik), so ist Hegels Logik als eine solche Inhaltssemantik zu verstehen (ebd.). (3) Hegels Logik ist zudem keine Sprechhandlungssemantik, wenn man von illokutionären Akten absieht (ebd., 612 f.). Hegels Logik muss also als eine kategoriale (formale) Inhaltssemantik angesehen werden, welche Bedeutungen (sprachliche Ausdrücke) untersucht, die als Abbreviaturen von Regeln für den gegenstandsbezogenen Gebrauch

114

Historisch-systematischer Ausflug 3 (G.W.F. Hegel)

einer Sprache fungieren (ebd., 613). Die WdL will die Kategorien »an ihnen [den Kategorien, R.S. ] selbst« begreifen, was gleichbedeutend ist mit dem »Begreifen ihrer Kohärenz« (ebd., 613), als das Hervorgehen einer Kategorie aus der anderen (als Einheit von analytischer und synthetischer Einheit des Denkens). »An ihnen selbst« sind die Kategorien nicht bloße ontologische Strukturen oder Urteilsfunktionen einer transzendentalen Subjektivität, sondern »Elemente eines kohärenten Ganzen von Bedeutungen«, eines »Systems von Bedeutungen« (ebd., 614; cf. Knauer 2008, 8). Das methodische Vorgehen einer kategorialen Inhaltssemantik besteht darin, die Einheit von drei Sprachebenen aufzuweisen (Puntel 1977, 614 f.): (a) Die Ebene der Umgangssprache als vorgegebener Metasprache jedweder Verständigung, (b) die Ebene der objektlogischen Sprache, welche die Ebene der darzustellenden logischen Bestimmungen bzw. der kategorialen Bedeutungen ist, (c) die Ebene der methodologischen Sprache als explizierender Ebene bzw. Ebene der Explikationsmittel. Die Umgangssprache enthält die herauszuarbeitenden kategorialen Bedeutungen, welche in der objektlogischen Sprache in einer »kreativen Ausdifferenzierung« entwickelt und systematisiert werden, hin zu einer objektsprachlichen Logik. Die kategorialen Bedeutungen dieser objektsprachlichen Logik sind »Abbreviaturen«. Diese Herausarbeitung geschieht in einer Metasprache zur objektlogischen Sprache, d.h. in einer methodologischen Sprache unter Anwendung von Explikationsmitteln bzw. Methoden (ebd., 615). Zu diesen methodologischen Explikationsmitteln gehören hierbei »übergreifende Begriffe« wie »Vermittlung, Bewegung, Negation, Bestimmheit usw.«, die jeweils an einem ganz bestimmten systematischen Ort vorkommen (ebd., 615 f.). Alle drei Sprachebenen sind in einer Einheit und Differenz zu begreifen, es darf also keine der Ebenen jeweils absolut gesetzt werden, der gegenüber die anderen beiden Ebenen nachträglich wären; Hegels Logik ist also insbesondere weder eine rein umgangssprachliche Semantik, noch eine rein formallogische und wissenschaftsformale Semantik (die formale Logik sondert lediglich bestimmte Ausschnitte aus der kategorialen Inhaltssemantik aus und betrachtet sie für sich). Eine Nichtthematisierung der methodologischen Explikationsmittel würde das Verfahren unintelligibel machen, eine von den anderen Ebenen losgelöste Begründung der Explikationsmittel wäre zirkulär (ebd., 616 f.). In Hegels Logik bilden Methode und Sache eine Einheit, Darstellung und Sache fallen zusammen und der Anfang setzt das Resultat voraus – doch dies bedarf hinsichtlich der Sprachebenen einer genauen Explikation:

Eine analytische Relecture

115

Eine Absolutsetzung der Differenz zwischen Objektsprache und Metasprache wird in der Interpretationssemantik Tarskis vorgenommen: In der Metasprache wird festgelegt, dass in der zu untersuchenden Objektsprache die objektsprachlichen Ausdrücke dasselbe bedeuten wie die durch eine Interpretationsfunktion bestimmten Ausdrücke der Metasprache (ebd., 617). Etwa wird für eine objektsprachliche Aussage π festgelegt, dass »π ist wahr genau dann, wenn p« (ebd.). Hierfür muss jedoch bereits eine Metasprache zur Verfügung stehen, in welcher auch genau jene Ausdrücke vorkommen, die dann auch genau jene Bedeutungen haben, welche die objektsprachlichen Ausdrücke erhalten sollen – wie jedoch erhalten nun die metasprachlichen Ausdrücke selbst ihre Bedeutung? Wird dies wieder durch eine Interpretationssemantik festgelegt, gerät man in einen infiniten Regress. Den metasprachlichen Termen muss also unmittelbar und nicht durch Übersetzung eine Bedeutung verliehen werden (ebd.). Dies ist der Gedanke einer Fundamentalsemantik, die über den Begriff des illokutionären Aktes expliziert wird, kombiniert mit Wittgensteins These »meaning is use« (ebd., 618; cf. Knauer 2008, 10). J.L. Austin unterscheidet zwischen lokutionären, perlokutionären und illokutionären Sprechakten (cf. Runggaldier 1990, 44–48). Ein lokutionärer Akt ist das bloße Äußern eines bedeutungsvollen sprachlichen Ausdrucks, d.h. die Erzeugung eines Vorkommnisses. Das Bewirken von etwas, das vom Sprechakt verschieden ist (etwa das Überreden, Überraschen, Irreführen usw.) nennt Austin den perlokutionären Akt. Ein illokutionärer Akt schließlich ist dasjenige, was ein Sprecher tut, indem er etwas äußert bzw. indem einen lokutionären Akt tätigt. Illokutionäre Akte sind etwa die Darstellung eines Sachverhalts, eine Absichtserklärung, eine Fragestellung, oder auch performative Äußerungen, welche ihre illokutionäre Rolle explizit angeben, z.B. die Aussage »Hiermit warne ich dich« (Runggaldier 1990, 46 f.). Es ist zwischen dem Modus von Sätzen und dem ausgedrückten Sachverhalt zu unterscheiden. In einer Fundamentalsemantik wird für eine logische Sprache die Verwendung der Modifikatoren und der logischen Zeichen festgelegt, und zwar durch die Bestimmung, wann ein durch einen Modifikator ausgedrückter illokutionärer Akt vollzogen wird (Puntel 1977, 618). Letztlich ist in einer Fundamentalsemantik die absolut gesetzte Differenz zwischen Objekt- und Metasprache überwunden; die Metasprache ist eine Erläuterungssprache, in welcher die semantischen Festlegungen normalerweise erfolgen, aber letztere können auch in der Objektsprache stattfinden (ebd.). Als logische illokutionäre Akte sind nun alle grundlegenden logischen Operationen anzusehen, wie Annahme, Behauptung, Setzung, definitorische Setzung, Deduktion, Ableitung, Beweis, Folgerung usw.; durch den Vollzug

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Historisch-systematischer Ausflug 3 (G.W.F. Hegel)

dieser illokutionären Akte erfolgt jeweils eine semantische Festlegung (ebd., 619). Diese logischen illokutionären Akte sind nun nicht als willkürlich anzusehen, sondern stehen in einer umfassenden Kohärenz – sie sind eingebettet in einen »umfassenden, alle anderen Akte tragenden übergeordneten illokutionären Akt«, der das Begreifen der totalen Kohärenz aller Bestimmtheiten des Denkens ist (ebd.). Dieser umfassende illokutionäre Akt ist nicht abhängig von abstrakten formallogischen Gesetzen, sondern umgekehrt sind alle logischen illokutionären Akte »Formen, Teilaspekte, Stufen usw. des grundlegenden illokutionären Aktes, d.h. jener Handlung, die als das Begreifen der totalen Kohärenz des Denkens zu bezeichnen ist« (ebd.). Das Begreifen der umfassenden Kohärenz des Denkens wird in den einzelnen logischen illokutionären Akten formuliert, aber selbst nicht mehr durch einen weiteren illokutionären Akt begründet (denn es gibt keinen grundlegenderen Akt mehr), dessen Formulierung auf einer weiteren methodologischen Metaebene stattfinden würde, sondern »Sinn und Begründung der Kohärenz des Denkens liegen im Vollzug dieser Kohärenz selbst«. Hier zeigt sich am deutlichsten die Hegelsche Einheit von Methode und Sache (ebd., 619 f.). Der umfassende Kohärenzakt ist in der WdL zerlegbar in einzelne Modi, d.h. kategoriale Bedeutungen (was in der Metasprache erfolgt, während die Modi in der Objektsprache festgeschrieben werden, cf. Knauer 2008, 11). Der umfassende illokutionäre Akt zergliedert sich dabei in folgende Teilakte: (a) Die Systematisierung der logischen Bestimmungen, dadurch (b), dass die Negation einer Bestimmung stets zu einem positiven Resultat führt, (c) dass diese Positivität der Negation eine reichhaltigere Bestimmung herausstellt, und (d), dass alle kategorialen Bedeutungen bzw. logischen Bestimmungen einen eindeutigen Platz im Gesamtsystem der kategorialen Bedeutungen haben (Puntel 1977, 620). Insbesondere sind also die einzelnen Momente der dialektisch-spekulativen Methode Teilakte des umfassenden Kohärenzaktes, was u.a. die Rolle der »bestimmten Negation« bzw. die »Positivität der Negation« als innere Struktur des umfassenden analytisch-synthetischen Zusammenhangs deutlich werden lässt (cf. Puntel 1973, 237): »Hegel behauptet also, daß die dialektisch verstandene Negation deshalb als bestimmte Negation zu fassen ist, weil sie Negation einer bestimmten Sache ist, oder: weil das Resultat der Negation das enthält, woraus es resultiert. Ist diese Behauptung einsichtig? Der springende Punkt liegt in der behaupteten Notwendigkeit der Rückwendung der Denk- oder Begriffsbewegung in das Erste oder Unmittelbare. Diese Notwendigkeit kann folgendermaßen aufgezeigt werden: Wird die Negation nicht als ein abstrakter oder isolierter Schritt des Denkens, sondern als ein Moment im Denkprozeß aufgefasst, so impliziert die Negation notwendigerweise den Bezug auf das vorhergehende Moment; dieser Bezug

Eine analytische Relecture

117

aber ist konsequenterweise ein Rückbezug; denn die Negation war eine Bewegung des Weg- oder Weitergehens. Der Rückbezug aber bedeutet dann, daß die Negation als Bewegung nicht ins Leere verläuft, sondern die anfängliche Sache wieder ›erfaßt‹, d. h. wiederherstellt oder erfüllt, kurz: bestimmt. Damit erweist sich die Negation als eine bestimmte« (Puntel 1973, 236).

Es gilt also (cf. zum Folgenden Knauer 2008, 7–13, 40–49): Die Bestimmungen bzw. Kategorien der Logik sind einerseits Abbreviaturen für die Aussageschemata des objektbezogenen Sprechens (der Objektsprache), andererseits selbst schon ontologische Strukturen (was den Standpunkt des absoluten Wissens voraussetzt – die Semantik ist das Wirkliche qua Semantik). Die Kohärenz als Totalität begreift das Denken im übergreifenden illokutionären Akt, durch welchen alle weiteren objektsprachlichen Festlegungen erfolgen und dessen einzelne Modi (die Kategorien) in einer Metasprache expliziert werden (Selbstauslegung des Denkens). Dabei wird jedoch stets wieder die Trennung von Meta- und Objektsprache neu vorausgesetzt, weswegen sich das Denken reflexiv seine Kohärenz je neu vergegenwärtigt, indem diese Trennung von Meta- und Objektsprache in partikulären illokutionären (Sub-)Akten durchbrochen wird – die inhaltlich-logischen Ausdrücke dieser partikulären illokutionären Subakte sind dabei nichts anderes als die Kategorien (Puntel 1977, 620 f.). Auf der Ebene der Metasprache werden diese Modi/Ausdrücke bereits verwendet, um die Bestimmungen der Objektsprache in ihrem Gang zu artikulieren, auch wenn sie in der Objektsprache in der jeweiligen Stufe noch nicht aufgetreten sind (z.B. wird in der Sein-Nichts-Dialektik bereits die Kategorie der »Negation« verwendet, obwohl diese sich erst später auf der Stufe des Daseins ergibt. Die Sein-NichtsDialektik selbst ist selbst ein erster illokutionärer Akt, cf. Knauer 2008, 12). Der Fortgang bzw. die Reihenfolge der partikulären illokutionären Subakte führt dann zu immer reicheren kategorialen Bedeutungen (Kategorien) als Partikularisationen des umfassenden Kohärenzaktes – sie sind alle für sich jeweilige »Antizipationen des Ganzen« und werden durch sich selbst, d.h. durch ihren Vollzug begründet. Dieser Fortgang der Kategorien bzw. illokutionären Akte ist dem umfassenden Kohärenzakt immanent, es handelt sich um eine »Eigendynamik dieses Aktes bzw. um die Selbstexplikation dieses Prinzips« – im Ganzen dieser Selbstexplikation erhalten die logischmetasprachlichen Ausdrücke des Beweises, der Begründung, der Ableitung usw. überhaupt erst ihren Sinn (Puntel 1977, 621). Am Ende des gesamten Ganges steht die absolute Idee als Aufgipfelung und Totalvermittlung aller Bestimmungen der objektlogischen Sprache und aller auf dem Weg zu ihr hin notwendig aufgetretenen metasprachlichen

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Historisch-systematischer Ausflug 3 (G.W.F. Hegel)

(methodologischen) Bestimmungen. Die absolute Idee ist Einheit von Objekt- und Metasprache (methodologischer Sprache) und daher Methode. In ihr sind alle Kategorien deduziert und die Metasprache ist als reine Erläuterungssprache erwiesen (Knauer 2008, 12). Als Methode ist sie selbst die Einsicht in die negative Aktivität des Absoluten, die jede beschränkte, endliche Einzelbestimmung einerseits setzt und andererseits aufhebt – und gerade weil sie dadurch nicht die Auseinandersetzung mit einem partikulären Inhalt ist, können Idee und Methode identifiziert werden. Als fundamentalsemantische Struktur ist sie auch nicht nur leere formale Methode, sondern Methode und Sache sind letztlich eins, die Subjekt-Objekt-Dichotomie ist überwunden (cf. Knauer 2008, 12 f., 40–49). Die Wissenschaft der Logik ist dabei als Ganze bereits auf dem Standpunkt der Überwindung der SubjektObjekt-Dichotomie, jedoch sind die niederen Sphären der Logik (Seinslogik und Wesenslogik), noch einmal die Darstellung des Weges zur Überwindung der Dichotomie (cf. Puntel 1973, 208): Die Logik als eine Semantik, die auf dem umfassenden illokutionären Kohärenzakt beruht, muss selbst in umfassender Kohärenz mit dem Rest der gesamten Wirklichkeit stehen (cf. Knauer 2008, 12, Fn. 32). Die Logik selbst steht damit, wie sich unten noch deutlich zeigen wird, in einem dialektisch-spekulativen Kohärenzverhältnis zur Sphäre der Realphilosophie. Nur in diesem allumgreifenden Zusammenhang also sind die Begriffe »bestimmte Negation« und »absolute Negation« explizierbar. Die absolute Idee selbst ist »absolute Negativität« (Knauer 2008, 40 und 67), die Methode ist hierbei letztlich die analytisch-synthetische Struktur des spekulativen Satzes, und diese durchzieht alle einzelnen dialektischen Schritte der niederen Sphären bis hinauf zur absoluten Idee als Einheit von subjektivem und objektivem Begriff 221 / subjektiver und objektiver Idee. 222 Ganz funda221

222

Die Stufen der Realisierung des Begriffs sind Stufen der Selbstaussage des Begriffs als ›reines Selbst‹ des Geistes – und in jeder einzelnen Stufe legt sich jeweils stets der totale Begriff aus, jedoch auf nicht-totale Art (cf. Puntel 1973, 205): »Innerhalb der jeweiligen Stufe (Sphäre, Bestimmung) geschieht immer die vollständige Selbstaussage des Begriffs, so daß hinsichtlich des Begriffs in der Immanenz der Stufe oder Sphäre von einer Einseitigkeit oder Unvollständigkeit nicht die Rede sein kann. Was aber noch einseitig, was dem ganzen Begriff noch unangemessen ist, ist die Stufe als Stufe: diese nämlich ist noch beschränkte Selbst-aussage des Begriffs. [...] Die Sphäre der Subjektivität des Begriffs ist zwar einseitig hinsichtlich der ganzen Entwicklung des Begriffs, ›in sich‹ selbst betrachtet aber ist sie die Darstellung des ganzen Begriffs« (Puntel 1973, 205 f.). In der absoluten Idee »erkennt der Geist die Idee als seine absolute Wahrheit, als die Wahrheit, die an und für sich ist; die unendliche Idee, in welcher Erkennen und Tun

Eine analytische Relecture

119

mental handelt es sich also bei »absoluter Negation« um das Verhältnis von absolutem Begriff bzw. absoluter Idee und ihren (endlichen) Setzungen. Alle niederen Sphären (Seinslogik und Wesenslogik) sind nur begreifbar als Setzungen der absoluten Idee: »Die Frage nach der Methode ist die Frage nach der Idee, die also qua Methode in all ihren Formen die sich realisierende, auf den einzelnen Stufen setzende Idee ist. Diese niedrigeren Stufen sind die Idee in Form von Sein, Wesen etc« (Knauer 2008, 41, Fn. 84). Dies darf jedoch nicht so verstanden werden, dass die Idee »als ewig um sich selbst kreisender Selbstvollzug konzipiert wäre, dessen Beschäftigung nun darin bestünde, unvollkommenere Gestalten seiner selbst zu produzieren«, sondern die Setzung der niederen Sphären muss als »Befreiungsprozess« auf etwas hin verstanden werden, »in dem die Idee sich selbst in freiem Miteinander nochmals begegnen kann« (Knauer 2008, 44, Fn. 94), was aber gerade die Struktur der absoluten Negativität ist (des ›sich-im-Anderenseiner-selbst-Findens‹). Die Idee ist dabei konkrete Totalität, bzw. Totalität der Totalitäten, da ihre setzende Tätigkeit erst alle Totalitäten hervorbringt (als analytisches Moment ihrer Tätigkeit), sie in ihren Eigenstand entlässt (synthetisches Moment) und wieder in sich zurücknimmt in höhere, die Vielheit nicht vernichtende Einheit (wiederum analytisches Moment): Die Analysis faltet Einheit in Vielheit auseinander ohne Trennung, die Synthesis schließt zusammen ohne abstrakte Identität zu erzeugen. Diese Synthesis (via absoluter Negation) ist dabei nur begreifbar, weil sie vor dem Hintergrund ursprünglicher Einheit stattfindet. Die Idee als Methode hat damit wesentlich die Urteilsstruktur des spekulativen Satzes, sie ist der sich in die Urteilsextreme diremptierende Begriff (die ›Ur-Teilung‹ des Begriffs), wobei diese Extreme durch die absolut-negative Metastruktur der Idee zurückgebunden werden in die ur-sprüngliche Einheit, welche durch die Copula des Urteils dargestellt wird. Die Idee ist hiermit die erfüllte Copula selbst (cf. Knauer 2008, 40–58). Mit der absoluten Negation wird also letztlich eine »Nicht-

sich ausgeglichen hat und die das absolute Wissen ihrer selbst ist« [...]. Die absolute Idee ist »der vernünftige Begriff, der in seiner Realität nur mit sich selbst zusammengeht«, sie ist »nicht nur Seele, sondern freier subjektiver Begriff, der für sich ist und daher die Persönlichkeit hat, – der praktische, an und für sich bestimmte objektive Begriff, der als Person undurchdringliche atomare Subjektivität ist, – der ebensosehr nicht ausschließende Einzelheit, sondern für sich Allgemeinheit und Erkennen ist und in seinem Andern seine eigene Objektivität zum Gegenstande hat [...], die absolute Idee allein ist Sein, unvergängliches Leben, sich wissende Wahrheit und ist alle Wahrheit« (WdL II, 327 f.).

120

Historisch-systematischer Ausflug 3 (G.W.F. Hegel)

Andersheit« der umfassendsten Totalität gegenüber ihren Setzungen artikuliert. Diese Nicht-Andersheit besagt eine Differenz, die keine abstrakte Geschiedenheit ist, aber auch keine platte Identität (cf. zu diesem Absatz entspr. Coreth 1952).

6.5

Die Einheit von Einheit und Vielheit als dialektisch-spekulative Methode 6.5.1 Eine halbformale Darstellung der Methode Die Kohärenzialität des Hegelschen Systems hat also ihren zentralen Ort in der alles durchwaltenden dialektisch-spekulativen Methode. Die Methode wird oft als ›Dreischritt‹ oder als Abfolge von »These – Antithese – Synthese« wiedergegeben, innerhalb derer die »bestimmte« und »absolute Negation« walten. Doch dies ist ein oberflächliches Schema, das schon von Hegel verworfen wurde: »Schon der Ausdruck: Synthesis leitet leicht wieder zur Vorstellung einer äußerlichen Einheit und bloßen Verbindung von solchen, die an und für sich getrennt sind« (WdL II, 227; cf. entspr. Puntel 1973). Die Sache ist etwas komplexer, wie folgendes ›allgemeines‹ Schema der Methode zeigt, das sich an den Ausführungen in Puntel 1996, 2007 orientiert (cf. entspr. Knauer 2008; Coreth 1952, 28–36): Dialektische Zusammenhänge sind dergestalt, dass ein X dadurch bestimmt werden soll, dass es durch Negation von seinem Negativen X abgegrenzt wird, und dass diese erste Negation wiederum negiert wird (Negation der Negation) und zu einer neuen, durch das Negative vermittelten und höheren Gestalt von X zurückführt. Dies soll der positive, bestimmende Charakter der Negation sein: Das Unendliche ist nicht das Endliche, es ist damit vom Endlichen abgegrenzt und selbst begrenzt, d.h. endlich. Diese Abgrenzung muss also wieder negiert werden, das Unendliche ist erst dadurch wahrhaft das Unendliche, indem es nicht vom Endlichen abgregrenzt ist und die Einheit seiner selbst (als Abgegrenztes) und des Endlichen ist. Genauer sei dies wie folgt erläutert (cf. Puntel 2007, 235–239): (a) Behauptung des Verstandes: Sei X ein abstraktes (unbestimmtes) Unmittelbares. Dies ist ein erstes analytisches Moment der Methode. (b) Schritt der dialektischen (negativen) Vernunft: Beim Versuch, X zu bestimmen, wird es über die (verstandesmäßige) Negation nX zu seinem Negativen X bestimmt, mit nX als Funktor symbolisiert durch: nX X −→ X. Dabei, und dies ist das beginnende dialektische Moment, vererbt sich die Struktur von X auf X. Dies bedeutet, dass X sein Negatives »in seinem Begriffe« enthält und durch dieses Negative X intern

Die Einheit von Einheit und Vielheit

121

(weiter-)bestimmt bzw. »vermittelt« wird: X ist durch X »gesetzt«. D.h., dialektische Vermittlung besagt ebenso einen Übergang in die »dialekiX tische (Binnen-)Identität« iX von X und X: X −→ X. Das Zusammenspiel von Negation nX und (Binnen-)Identität iX ist die dialektische beDX stimmte Negation DX : X −→ X. (c) Schritt der spekulativen (positiven) Vernunft: Jedoch negiert X diese Setzung durch X in einer »Negation der Negation« (bzw. »absoluten Negation«) D2X . Diese Negation der Negation besagt einen Rückbezug, DX eine Aufhebung und neues Selbstverhältnis von X zu sich selbst: X −→ D2

X X −→ X. (d) Dasselbe mit X, es enthält sein Negatives, X, »in seinem Begriffe« und

D

X ist durch dieses gesetzt (dialektische Vernunft): X −→ X, negiert dies jedoch in einer Negation der Negation D2X (spekulative Vernunft) und kehrt so »bereichert« durch den »Durchgang« durch sein Negatives zu sich zurück (Rückbezug, Aufhebung, neues Selbstausdrucksverhältnis):

D

D2

X X X −→ X −→ X. Dies ist das synthetische Moment der Methode. (e) Am Ende ergibt sich eine »höhere Einheit« X, in der X und X dialektisch identisch und verschieden zugleich sind: Die erste Unmittelbarkeit ist wieder hergestellt, aber als höhere Einheit des Unmittelbaren mit dem Vermittelten / Vermittelnden (d.h. als vermittelte oder konkrete Unmittelbarkeit oder als Identität der Identität und Nichtidentität). Dies ist ein zweites, höheres analytisches Moment der Methode: Beide haben im Übergang in ihr Anderes »nur sich selbst wiedergefunden und kehr[en] bereichert und vertieft um die Bestimmung des Anderen in sich selbst zurück«; das Andere ist als Anderes überwunden in der sich »auf sich beziehenden Negation« (d.h. der Negation der Negation); beide sind aufgehoben in einer höheren Einheit, in der Hegelschen Identität der Identität und Nichtidentität bzw. der vermittelten Unmittelbarkeit (cf. Coreth 1952, 23, 33, u.a.). Entscheidend für die Hegelsche dialektischspekulative Methode ist die zentrale Rolle der absoluten Negation D2 beim Übergang in die umfassende Klammer:

z X= Xo

}| DX DX

{

/X

(21)

Als Abbreviation sei eine solche Darstellung wie folgt abgekürzt: z }| { D X = X ←− −→ X

(22)

122

Historisch-systematischer Ausflug 3 (G.W.F. Hegel)

Wichtig ist noch eine weitere wesentliche Beobachtung: Während bei einer aussagenlogischen Negation, bei der ein ¬X »in sich noch völlig unbestimmt« ist und dementsprechend ein indirekt proportionales Verhältnis von Bestimmtheit und Unbestimmtheit von X und ¬X vorliegt (je bestimmter X ist, desto unbestimmter ist ¬X), handelt es sich in der dialektischspekulativen Methode um eine direkte Proportionalität (Coreth 1952, 41): »Die Bestimmtheit bzw. Unbestimmtheit beider Glieder ist vollkommen parallel, in direkter Proportion« (ebd.). Hier erkennt man deutlich die im ersten Teil dieser Arbeit bereits anhand der hegelianischen Explizierung der Einheit von wahrer und schlechter Unendlichkeit entwickelte ›panentheistische‹ Struktur des Verhältnisses von All-Einheit und Vielheit. Die Verwandtschaft wird sich auch unten weiter bestätigen, wenn es darum geht, die Kohärenzproblematik beider Strukturen angesichts der Gefahr eines infiniten Progresses zu untersuchen. 6.5.2 Die Modi der Methode Die dialektisch-spekulative Methode zeigt sich, wie oben bereits angeklungen ist, in drei grundlegenden »Modi«: – Äußerliches Übergehen: X und X »gehen ineinander über«, d.h. sie erhalz}|{ ten sich nicht als solche in der höheren Einheit (...) bzw. im dialektischspekulativen Fortgang (Beispiel: Sein und Nichts sind in der Kategorie des Werdens nur als »Verschwinden« und »Entstehen« aufgehoben). Dies ist der Modus der Methode in der untersten, der seinslogischen Sphäre. z}|{ – Reflexion: X und X erhalten sich in der höheren Einheit (...) als solche, sie sind im jeweiligen Korrelat »gesetzt« und sind »Reflexionen ineinander« (Beispiel: Die Dialektik des Positiven und des Negativen, s.u.). Dies ist der Modus der Methode in der mittleren, der wesenslogischen Sphäre. z}|{ – Entwicklung: X, X und X = (...) sind jeweils selbst alle drei die höz }| { z}|{ here Einheit (...) der jeweils anderen beiden Momente: X = X ↔ X, z }| { z }| { X = X ↔ X, X = X ↔ X (Beispiel: Das dialektisch-spekulative Verhältnis von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit des Begriffs, insbesondere in der Schlusslehre). Dies ist der Modus der Methode in der dritten und obersten, der begriffslogischen Sphäre. Auch hier sind Iterationen innerhalb der Sphären möglich, als allgemeine Allgemeinheit, besondere Allgemeinheit, einzelne Allgemeinheit usw. Auch die Sphären der Seinslogik, Wesenslogik und Begriffslogik selbst stehen wieder in einem dialektisch-spekulativen Verhältnis, bereits entsprechend

Die Einheit von Einheit und Vielheit

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des begriffslogischen Modus (cf. entspr. Werckmeister 2009; Schäfer 2001; Coreth 1952, 97–102; Sans 2004). Mit der Iteration der Modi sei auch darauf hingewiesen, dass es bei Hegel nicht die Dialektik als eine abstrakte und übergeordnete, auf alles gleichermaßen anwendbare Methode gebe – dies wäre ein zu äußerliches Verständnis –, sondern dass über die Gestaltwandlung durch ihre Modi die Methode selbst in den dialektisch-spekulativen Gesamtgang des Systems sozusagen eingewoben ist und nicht aus ihm zu trennen ist (cf. Puntel 1975, 157). 6.5.3 Die Methode und die Dialektik von Sein und Nichts Anhand des paradigmatischen »Anfangs« der Logik als erstem Setzungsakt der Idee sei nun erläutert, dass Hegels Anliegen darin besteht, die reine Relationalität als solche zu denken, ähnlich der subsistenten Relationen in der klassischen Trinitätslehre (cf. Coreth 1952, 30, Fn. 22): Die unmittelbaren Anfänge in der Logik sind gemäß der Parallelität der Sphären wiederum streng parallel: In der Seinslogik stellen das reine, unmittelbare Sein den ersten Anfang dar, und das Dasein den Anfang des Rückgangs in das Wesen. In der Wesenslogik zeigt sich der Anfang als Existenz und als Wirklichkeit der Substanzialität (die der Rückgang in den Begriff ist), und in der Begriffslogik ist der erste Anfang schließlich die abstrakte Allgemeinheit, und die Objektivität als Anfang des Rückgangs in die Idee (cf. Coreth 1952, 106–109). Die Sein-Nichts-Dialektik ist der erste Fall der Diremtion der logischen Idee (Schäfer 2001, 244; cf. Knauer 2008, 45; entspr. Coreth 1952): Am Anfang der Logik steht das ›Sein‹, in welchem nach Erreichung des Standpunktes des absoluten Wissens am Ende der PhG das Denken in reiner Unmittelbarkeit selbst gegeben ist. Dem absoluten Selbstbewußtsein am Ende der PhG ist nichts äußerlich, aber dennoch ist es nicht ohne jede Bezüglichkeit: das leere Denken zu Beginn der WdL ist sein Anderes, das aber in seiner Andersheit aufgehoben ist. Das ›Sein‹ am Anfang der WdL ist der Begriff an sich, der noch nicht zum Begriff für sich geworden ist (cf. Grotz 2009, 285 f.; Schmidt 1997; Coreth 1952). Im unmittelbar gesetzten Anfang liegt das Sein als absolute Bestimmungslosigkeit und Ununterschiedenheit (Gleichheit mit sich selbst) vor, die damit auch nichts negiert, insbesondere nicht die Unterschiedenheit (von Anderem). Das Sein ist einfache Totalität, die kein ›Außerhalb‹ kennt, keine externe Relation auf ein Anderes seiner selbst. Hier kommt folglich die Immanenz der Dialektik zum Vorschein: Das Sein S kennt in seiner reinen Selbstgleichheit S = S kein Außerhalb (Knauer 2008, 41 f.), aber gerade durch seine Selbstgleichheit ist es (mit sich) vermittelt (das Un-vermittelte

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Historisch-systematischer Ausflug 3 (G.W.F. Hegel)

besagt selbst schon einen negativen Bezug auf Vermittlung und ist damit bezogen und vermittelt). Es ist das Andere seiner selbst, das vermittelnde ›Nichts‹ als absolute Ungleicheit an sich selbst. Das ›Sein‹ verschwindet somit in seinem Gegenteil, welches nichts anderes als es selbst ist (Grotz 2009, 302 f.; Knauer 2008). Fasst man ›Sein‹ als Subjekt und ›Nichts‹ als Prädikat auf, ergibt sich die Struktur eines (gewöhnlich-)spekulativen Satzes (cf. Knauer 2008, 45–51): Sein – Nichts || Subjekt – Prädikat || das Unmittelbare – das Vermittelte ›Das Unmittelbare ist das Vermittelte‹ 223 Die Selbstgleichheit der reinen Einfachheit des Anfangs ist der analytische Aspekt (S = S), die Vermittlung ist der synthetische Aspekt, und die Tatsache, dass es eine immanente Vermittlung bleibt, ist wiederum als (höheres) analytisches Moment anzusehen. »Dieser Fortgang ist ebensowohl analytisch, indem durch die immanente Dialektik nur das gesetzt wird, was im unmittelbaren Begriffe enthalten ist, – als synthetisch weil in diesem Begriffe der Unterschied noch nicht gesetzt war« (Enz., § 238, Zusatz; cf. Knauer 2008, 41). Der analytische Anfang ist bereits in sich differenziert und damit ein synthetischer – die Setzung eines reinen X als abstraktes Unmittelbares führt eben zu immanenter Vermittlung: Das Sein ist die reine Relation der Selbstgleichheit als eine Relation ohne (fertige = abstrakt fixierte bzw. fixierbare) Relata – das ›Sein‹ ist also nicht zu sich als einem (fertigen) Relatum gleich und auch nicht ungleich zu einem hypostasierten ›Nichts‹ (Grotz 2009, 294–303). ›Sein‹ und ›Nichts‹ sind nicht sowohl identisch als auch nicht-identisch, da es keine Relation der Identität oder Differenz zwischen ihnen als (komplettierten) Relata gibt. Die resultierende synthetische Kategorie des ›Werdens‹ ist damit nicht so zu begreifen, dass zunächst ein leeres ›Sein‹ für sich besteht und dieses nachträglich in ›Nichts‹ überginge oder in welches hinein es verschwinden würde, sondern ›Sein‹ und ›Nichts‹ gibt es nur in einem Verschwinden, das an sich selbst Entstehen ist: in einem nicht abgeschlossenen Vergehen und Entstehen beider. Der logische Anfang ist damit nicht die absolute Negation bzw. Negation der Negation als auto-

223

Cf. WdL II, 495.

Die Einheit von Einheit und Vielheit

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nome Negation in dem Sinne, dass sie (nur) sich selbst zum externen Objekt (Relatum) hat (›Negation der Negation‹ als genitivus obiectivus) – und er ist ebenso keine statische Prolongation der Negation (›Negation der Negation‹ als genitivus subiectivus), sondern die Negation der Negation oder »absolute Negativität« ist zu verstehen als eine reine Relation, die weder Disjunktion noch Koinzidenz zweier komplettierter Relata besagt (kategorientheoretisch: R(id(a), id(b)), mit id(x) = x) (Grotz 2009, 258–282, 315–326). Eine reine Relation, welche ihre Relata aus sich heraussetzt und in nichtabstrakter Differenz für sich bestehen lässt, sie aber in nicht-abstrakter Identität in ihre Einheit rückgebunden hält, wäre damit letztlich genau das, was die »erfüllte Copula« am Ende der Urteilslehre und Beginn der Schlusslehre in der Begriffslogik aussagt, wie unten dargelegt werden soll. Diese »erfüllte Copula« wird sich letztlich als die Idee selbst (der durch die Objektivität hindurchgegangene und sie bewältigt habende Begriff) zeigen. Exkurs: Vom ›Sein‹ am logischen Anfang lässt sich nach Grotz 2009, 292–294, folgendes Tetralemma aufstellen: 1. Das ›Sein‹ ist Unmittelbarkeit. 2. Das ›Sein‹ ist nicht Unmittelbarkeit (d.h. es ist vermittelt). 3. Das ›Sein‹ ist sowohl vermittelt, als auch unvermittelt. 4. Das ›Sein‹ ist weder vermittelt, noch unvermittelt. Hegels ›Negation der Negation‹ weist damit eine deutliche Parallelität zu Grotz’ Interpretation des ›Non-aliud‹ bei Nicolaus Cusanus auf. Für Cusanus ist Gott als ›Non-aliud‹ vorgängig zur Differenz von Indifferenz und Differenz (»Deus est ante differentiam indifferentiae et differentiae«, De ven. sap., c. 13). Dies weist eine Parallelität zur zentralen Hegelschen Formel der ›Identität der Identität und Nichtidentität‹ auf. Dennoch besteht nach Stallmach (1970) ein gewichtiger Unterschied zwischen beiden Konzeptionen: Für Cusanus ist Gott noch einmal jenseits der Koinzidenz der Gegensätze, Cusanus lässt das Nichtandere nicht vom Anderen her bestehen. Bei Hegel dagegen ist das Absolute Ausgangspunkt und Ziel seiner notwendigen Selbstentfaltung in den Gegensätzen und ihrer Aufhebung, d.h. das Absolute ist der Ursprung der dialektischen Widersprüche selbst. Bei Cusanus aber ist das Absolute die reine Einheit jenseits aller Koinzidenz (cf. Stallmach 1970, 249–253). Ende des Exkurses. In der seinslogischen Sphäre der Qualität handelt Hegel auch die berühmte Dialektik von Endlichkeit und von schlechter und wahrer Unendlichkeit ab, die moderne Panentheismen beeinflusst hat. Dass sich diese Stufe der Methode nicht für die Ausbuchstabierung der panentheistischen Fundamentalstruktur eignet, zeigt sich daran, dass die Dialektik von End-

126

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lichkeit und Unendlichkeit der niederen Sphäre der Seinslogik angehört, die nicht in der Lage ist, das Ganze des Systems zu adäquat zu artikulieren. Zudem wird meist außer Acht gelassen, dass in der Seinslogik (am Ende der Sphäre des Maßes) erst das »fürsichseiende Unendliche« (WdL I, 385) die Aufgipfelung aller seinslogischen Bestimmungen darstellt, die dann übergeht in die Sphäre der Wesenslogik. 6.5.4 Die Methode und die Dialektik von Positivem und Negativem Nun sei die Gestalt der dialektisch-spekulativen Methode anhand des wesenslogischen Ganges von Positivem und Negativem illustriert (der paradigmatisch ist und im Schlusskapitel der WdL über die absolute Idee als adäquate Begriffstruktur angeführt wird, ich folge hierbei der entsprechenden Darstellung in Coreth 1952): (1.1) Stufe des Verstandes (des »anschauenden Denkens« mit seinem Fokus auf abstrakte Identität): Der dialektische Gang ›beginnt‹ mit dem Versuch, ein Unmittelbares als solches (als analytisches Moment des Dialektischen) zu erfassen und zu fixieren – ein unmittelbar Positives (das Positive sei mit P abgekürzt 224). Dieses Positive ist in sich ein »Nicht-Anderes«, es ist in sich unreflektiert und in seinem Wesen unbestimmt. Es zeigt sich nun, dass sich dieses Unmittelbare beim Versuch, es als reines Unmittelbares zu erfassen, sofort entzieht und als ein Vermitteltes zeigt. Dies geschieht folgendermaßen: (1.2) Stufe der dialektischen Vernunft: Beim Versuch, das unmittelbar Positive P zu bestimmen, zeigt es sich als durch Anderes vermittelt: Es muss bestimmt werden, was P nicht ist (denn jede Definition ist eine Abgrenzung). P hat damit eine Wesensbeziehung auf sein Anderes, d.h. auf seine Negation (welches mit N bezeichnet sei; N ist das Negative der Position P): P ist non-N. Der Versuch also, die reine Positivität zu fixieren bzw. als solche zu erfassen, zeigt dieses Positive als bereits durch negative Relation auf das Andere ihrer selbst – durch »ein erstes Negatives« – vermittelt (weiterbestimmt, expliziert), welches »im Begriffe« des ersten Unmittelbaren eingefaltet war und nicht ein »leere[s] Negative[s], das Nichts« ist, sondern sich durch einen wesentlichen Rückbezug auf dieses erste Unmittelbare auszeichnet (»be-

224

Hegel selbst bezeichnet das Positive in der WdL in Anlehnung an die Arithmetik auch als »+a«, cf. WdL, Bd. II, 44 f.

Die Einheit von Einheit und Vielheit

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stimmte Negation«). Das »erste Negative« ist als das Negative des Unmittelbaren daher ein Vermitteltes und Vermittelndes zugleich (WdL II, 496) und enthält umgekehrt das erste Positive »in seinem Begriffe« (WdL II, 494 f.). In Hegels Terminologie ausgedrückt: P wird durch N »gesetzt« (durch die negative Relation auf sein Anderes), N ist eingefaltet in seinem Begriff: »Dies ist nun selbst der vorhin bezeichnete Standpunkt, nach welchem ein allgemeines Erstes, an und für sich betrachtet, sich als das Andere seiner selbst zeigt. Ganz allgemein aufgefaßt, kann diese Bestimmung so genommen werden, daß hierin das zuerst Unmittelbare hiermit als Vermitteltes, bezogen auf ein Anderes, oder daß das Allgemeine als ein Besonderes gesetzt ist. Das Zweite, das hierdurch entstanden, ist somit das Negative des Ersten und, indem wir auf den weiteren Verlauf zum voraus Bedacht nehmen, das erste Negative. Das Unmittelbare ist nach dieser negativen Seite in dem Anderen untergegangen[. . . ]« (WdL, II, 494 f.).

(1.3) Stufe der spekulativen Vernunft: Zugleich aber gilt nun, dass P in der Identität mit sich selbst seine Selbstständigkeit wahrt, die sich dem Anderen entgegensetzt: P ist die Negation des eigenen bloßen Gesetztseins durch N: Dies bedeutet eine Rückkehr zu sich als »sich auf sich beziehende Negation« (WdL II, 13). Das erste Positive hat somit das Negative nicht nur »in seinem Begriffe«, sondern ist selbst ein Anderes, ein zweites Negatives (cf. WdL II, 496), nämlich »absolute Negation in sich«. Es findet ein Übergang von P in sein Anderes (in N) statt: »Es ist aber, auch für die äußere Reflexion, eine einfache Betrachtung, daß fürs erste das Positive nicht ein unmittelbar Identisches ist, sondern teils ein Entgegengesetztes gegen das Negative, und daß es nur in dieser Beziehung Bedeutung hat, also das Negative selbst in seinem Begriffe liegt, teils aber, daß es an ihm selbst die sich auf sich beziehende Negation des bloßen Gesetztseins oder des Negativen, also selbst die absolute Negation in sich ist« (WdL, II, 54).

Dies ist der dialektische Gang für P. Für N stellt sich die Sache genau parallel dar: (2.1) Stufe des Verstandes: N negiert die Unmittelbarkeit in 1.1. (2.2) Stufe der dialektischen Vernunft: Aber N ist nicht »das leere Negative, das Nichts«, sondern das Vermittelnde und das Vermittelte – es enthält die Bestimmung von P in sich: Als vermittelndes Negatives ist es Beziehung, Verhältnis, Vermittlung des Positiven mit sich selbst – es ist »das Andere des Anderen« (sonst wäre es kein Anderes):

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»Die zweite Bestimmung, die negative oder vermittelte, ist ferner zugleich die vermittelnde. Zunächst kann sie als einfache Bestimmung genommen werden, aber ihrer Wahrheit nach ist sie eine Beziehung oderVerhältnis; denn sie ist das Negative, aber des Positiven, und schließt dasselbe in sich. Sie ist also das Andere nicht als von einem, wogegen sie gleichgültig ist – so wäre sie kein Anderes, noch eine Beziehung oder Verhältnis –, sondern das Andere an sich selbst, das Andere eines Anderen; darum schließt sie ihr eigenes Anderes in sich und ist somit als der Widerspruch die gesetzte Dialektik ihrer selbst« (WdL II, 496).

Das Negative schließt also das andere in sich ein: N ist durch P »gesetzt« (durch die negative Relation auf sein Anderes), es enthält P »in seinem Begriffe«, N ist non-P: »Ebenso das Negative, das dem Positiven gegenübersteht, hat nur Sinn in dieser Beziehung auf dies sein Anderes; es enthält also dasselbe in seinem Begriffe.« (WdL II, 54). »[. . . ] das Andere ist wesentlich nicht das leere Negative, das Nichts, das als das gewöhnliche Resultat der Dialektik genommen wird, sondern es ist das Andere des Ersten, das Negative des Unmittelbaren; also ist es bestimmt als das Vermittelte, – enthält überhaupt die Bestimmung des Ersten in sich. Das Erste ist somit wesentlich auch im Anderen aufbewahrt und erhalten« (WdL II, 494 f.).

(2.3) Stufe der spekulativen Vernunft: Aber zugleich gilt (parallel zu Schritt (1.3)): Auch dieses »erste Negative«, N, behauptet, um sich überhaupt dem ersten Positiven entgegensetzen zu können, seine Selbstständigkeit gegenüber dem ersten Positiven, P, es besitzt seine eigene Identität ohne jenes: Das Negative und Vermittelte/Vermittelnde kann sich nur als Anderes entgegensetzen durch seine Identität mit sich selbst, ohne Beziehung auf P: Damit ist N gesetzt als Positives. Es negiert sein eigenes Gesetztsein und kehrt zurück in sich als »identisch mit sich«: »Das Negative hat aber auch ohne Beziehung auf das Positive ein eigenes Bestehen; es ist mit sich identisch; so ist es aber selbst das, was das Positive sein sollte« (WdL II, 54 f.).

Hier bricht der dialektische Widerspruch auf und es ergibt sich eine dialektische Bewegungseinheit von P und N: (3) Die höhere Einheit: Wenn P und N jeweils ineinander übergehen, stellt sich eine (dialektische) Identität ein: »Das Positive und das Negative ist dasselbe« (WdL II, 54) – aber diese Identität besteht gerade aufgrund der Tatsache, dass P und N verschieden sind. Es handelt sich um die Hegelsche

Die Einheit von Einheit und Vielheit

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Aufhebung des Widerspruchs. Die erste Unmittelbarkeit ist wieder hergestellt: aber als Einheit des Unmittelbaren mit dem Vermittelten: P und N sind identisch nur, »weil und sofern sie verschieden sind, da die Verschiedenheit Bedingung der Relation ist, welche die Identität vermittelt« (Coreth 1952, 29) – Beide haben im Übergang in ihr Anderes »nur sich selbst wiedergefunden und kehr[en] bereichert und vertieft um die Bestimmung des Anderen in sich selbst zurüuck«; das Andere ist als Anderes überwunden in der sich »auf sich beziehenden Negation« (Coreth 1952, ebd.); das Positive muss durch das Negative hindurchgehen, um zur vertieften Bestimmung des positiven Wesens zu gelangen (ebenso N via Schritt (2.3) – die Unmittelbarkeit als Vermittlung); beide sind aufgehoben in einer höheren Einheit, in der hegelschen Identität der Identität und Nichtidentität bzw. der vermittelten Unmittelbarkeit. Jedes enthält sein Anderes, es ist mit ihm identisch und zugleich von ihm verschieden: Es besteht eine Widerspruchseinheit, d.h. der Widerspruch ist »aufgehoben«, d.h, bewahrt und verneint zugleich. Hegel spricht auch von einer »Bewegungseinheit«, und diese ist der dialektische Prozess, in dem sich immer erfülltere, reichere Bestimmungen des Begriffs ergeben, »bis schließlich die absolute Wahrheit in der Gestalt eines ›Kreises von Kreisen‹ [WdL, V 351] erscheint« (Coreth 1952, 33). »Diese Gleichheit mit sich oder Unmittelbarkeit ist daher nicht ein Erstes, von dem angefangen wird und das in seine Negation überginge; noch ist es ein seiendes Substrat, das sich durch Reflexion hindurch bewegte; sondern die Unmittelbarkeit ist nur diese Bewegung selbst« (WdL, II, 13). »Dabei ist dieser Kreis ein Kreis von Kreisen; denn jedes einzelne Glied, als Beseeltes der Methode, ist die Reflexion-in-sich, die, indem sie in den Anfang zurückkehrt, zugleich der Anfang eines neuen Gliedes ist. Bruchstücke dieser Kette sind die einzelnen Wissenschaften. . . « (WdL, II, 504). 225

6.5.5 Die Methode, das Urteil und der Schluss Der Begriff ist die Totalität des Absoluten, wie sie aus der Wesenslogik hervorgeht und Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit sind seine Momente. Man interpretiert sie gelegentlich als die klassischen Einteilungen in genus, species und individuum der Arbor porphyreana. Beim Begriff im Gang der Begriffslogik handelt es sich jedoch nicht um einen abstrakten Allgemeinbegriff, sondern um das konkret Allgemeine (Coreth 1952, 103).

225

Hegels System als ein einziger großer spekulativer Satz, der ein Satz von Sätzen ist, wobei jeder einzelne spekulative Satz »beseelt ist von der immanenten Bewegung des einen Satzes« (Puntel 1969, 391).

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Historisch-systematischer Ausflug 3 (G.W.F. Hegel)

Die Allgemeinheit der analytischen Einheit des Bewusstseins, wie sie bei Kant vorliegt, kann nicht der begriffslogische Anfang sein, da sie vom Besonderen und Einzelnen absieht, und ist somit nicht die gesuchte konkrete Allgemeinheit ist, die eine synthetische Allgemeinheit und kein loses Bündel von Bestimmungen darstellt (Schäfer 2001, 235–237). Die Allgemeinheit kann dabei einmal als Universalbegriff aufgefasst werden, d.h., als Begriff, dessen Inhalt jeweils ganz im Einzelgegenstand verwirklicht ist, und ein andermal als Kollektivbegriff, der (wie etwa der Begriff »Wasser«) nur auf Vielheiten von Einzeldingen zutrifft und in kollektiven Mengen verwirklicht ist (cf. hierzu und zum Folgenden Coreth 1952, ebd.). Bei letzteren kann man noch einmal zwischen statischen und dynamischen Kollektivbegriffen unterscheiden, wobei diese u.a. temporal-geschichtliche Vielheiten bezeichnen können. Der Begriff der Begriffslogik ist nun eine dialektischspekulative Einheit aus Universal- und Kollektivbegriff: Universalbegriff ist er, weil das Einzelne das Allgemeine als immanente Wesensform besitzt (es ist ein »vereinzeltes Allgemeines«), was das Verhältnis der Subsumption anzeigt. Kollektivbegriff ist er, weil das Einzelne gemeinsam mit anderen Einzelnen eine Bewegungseinheit bildet und indem jedes Einzelne selbst eine kollektive Allgemeinheit vieler Eigenschaften ist, was das Verhältnis der Inhärenz anzeigt. Der Begriff ist als Universalbegriff die »Aufhebung« des Einzelnen in einem negierenden Sinn und als Kollektivbegriff dessen »Aufhebung« in einem bewahrenden Sinn. Diese Verhältnisse werden in der Urteilsstruktur des Begriffs manifest: »Indem die Totalität des Allgemeinen die Einzelheit seiner Bestimmungen aus sich heraus setzt, wird der Begriff zum Urteil« (Coreth 1952, 106). Die verschiedenen Beziehungen zwischen Allgemeinheit und Einzelheit sind die Urteilsformen in ihrem Gang, an dessen Ende sich das Urteil selbst aufhebt und in der erfüllten Copula zum Schluss wird. Die Problematik, an der die Urteilslehre ansetzt, ist das von Kant herstammende Problem der analytisch-synthetischen Einheit der Apperzeption, die in der KrV in § 19 der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe mit der Urteilskopula in Verbindung gebracht wird: 226

226

KrV, B 141: »Wenn ich aber die Beziehung gegebener Erkenntnisse in jedem Urtheile genauer untersuche und sie als dem Verstande angehörige von dem Verhältnisse nach Gesetzen der reproduktiven Einbildungskraft (welches nur subjektive Gültigkeit hat) unterscheide, so finde ich, daß ein Urteil nichts andres sei, als die Art, gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen. Darauf zielt das Verhältniswörtchen ist in denselben, um die objektive Einheit gegebener Vorstellungen

Die Einheit von Einheit und Vielheit

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(a) Das Problem der Analysis (Einheit): Analytische Urteile liefern lediglich (partielle) Identitäten von Subjekt und Prädikat, sie sind Tautologien und enthalten keine neue Erkenntnis. (b) Das Problem der Synthesis (Differenz): Entweder sind sie apriori oder aposteriori. Wie können sich ausschließende Begriffe apriori verbunden werden? Ist dies nicht die Erzeugung einer Kontradiktion? Herrscht Willkür bei der Begriffsverbindung? Woher kommen die Urteilsfunktionen und Kategorien im Subjekt? Wenn synthetische Urteile aber aposteriori sind, wie kann Erfahrung Begriffe verknüpfen, die keinerlei Identität besitzen? (Cf. Knauer 2008, 23.) Mit Knauer 2008 gesprochen ist die Kopula die Einheit von Analsis und Synthesis, d.h. sie ist die Einheit von Einheit (Analysis) und Verschiedenheit (Synthesis), was sich im Gang der Urteilslehre zeigen wird. Die Problematiken von Analysis und Synthesis sind die klassischen, auch von Kant diskutierten Probleme der analytischen und synthetischen Urteile. Anders gesagt: Ist das Subjekt als ein leeres X überhaupt durch das Prädikat in der Synthesis inhaltlich anreicherbar oder bleibt die durch das Prädikat ausgedrückte Bestimmung rein äußerlich angeheftet (wenn ein leeres X durch ein Prädikat gleichsam ausgefüllt wird, so bleibt dies doch rein äußerlich, da nicht klar ist, was der prädizierte Inhalt mit dem leeren X innerlich zu tun haben sollte)? Oder wird durch die Prädikation bloß rein analytisch und tautologisch wiederholt, was durch das Subjekt ohnehin schon mitgesagt ist? Dass ein Subjekt nicht unabhängig von seinen Eigenschaften bestehen kann, bedeutet nicht, dass das Subjekt überflüssig wäre und bündeltheoretisch eliminiert werden kann (cf. Knauer 2008, 53). Hegel beantwortet die Frage nach der Herkunft der Urteilsfunktionen mit der totalen Kohärenz des Denkens, welche sich in der dialektisch-spekulativen Methode niederschlägt und die Funktionen und Kategorien generiert. Um zu rekapitulieren, sei noch einmal daran erinnert, dass die Totalität der absoluten Idee wesentlich eine Urteilsstruktur besitzt. Sie setzt die ihr untergeordneten Subdimensionen bzw. Momente und entlässt sie in ihren Eigenstand, was den synthetischen Charakter der Ur-Teilung der Idee ausmacht. Die beschränkten Subdimensionen bzw. Momente kehren in der Entwicklung der Logik zurück in die absolute Idee, was den analytischen Charakter der Urteilsstruktur der Idee darstellt (cf. Knauer 2008, 51). Das Urteil ist der Begriff selbst als Besonderheit, der in seiner Diremtion bzw. Ur-Teilung von der subjektiven zu unterscheiden. Denn dieses bezeichnet die Beziehung derselben auf die ursprüngliche Apperzeption und die notwendige Einheit derselben [...].«

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seine Einheit nicht verliert, sondern sich in die immer schon eingefaltet vorhandenen Urteilsextreme ausfaltet (cf. Knauer 2008, 54–56 und 97 f.). Im Durchgang der Urteilslehre kann gezeigt werden, dass diese analytischsynthetische Struktur der Idee die erfüllte Kopula ist, welche sich im spekulativen Satz (und schließlich im spekulativen Schluss) artikuliert. 227 Der spekulative Satz zeigt sich damit als die semantische Struktur einer reinen Relation, die nicht-identische, aber auch nicht getrennte Relata ausfaltet: »[...] [D]ie unterschiedslose Identität macht eigent- lich die wahre Beziehung des Subjekts auf das Prädikat aus. Die Begriffsbestimmung ist wesentlich selbst Beziehung, denn sie ist ein Allgemeines; dieselben Bestimmungen also, welche das Subjekt und Prädikat hat, hat damit auch ihre Beziehung selbst. Sie ist allgemein, denn sie ist die positive Identität beider, des Subjekts und Prädikats; sie ist aber auch bestimmte, denn die Bestimmtheit des Prädikats ist die des Subjekts; sie ist ferner auch einzelne, denn in ihr sind die selbständigen Extreme als in ihrer negativen Einheit auf- gehoben« (WdL II, 309; cf. Knauer 2008, 55).

Von zentraler Bedeutung für die vorliegende Untersuchung ist, dass die reine Relation, welche die Kopula des spekulativen Satzes darstellt, jene Fundamental- bzw. Elementarstruktur der Einheit von Einheit und Differenz ist: »Bemüht man sich also bspw. den Hegelschen Identitätsbegriff von der Identität der Identität und der Nichtidentität zu begreifen, so tut man gut daran, ihn als Beziehung zu interpretieren, will man nicht einer abstrakten, verstandeslogischen Betrachtung in die Falle gehen« (Knauer 2008, 55). Die Kopula ist schließlich die »Totalvermittlung von Allgemeinheit und Besonderheit in der konkreten Bestimmung des Einzelnen« (Knauer 2008, 55), die sich in der letzten Urteilsform E – (B) – A als terminus medius des Schlusses entpuppt (cf. Coreth 1952, 107; Sans 2004; Werckmeister 2009, 21). In der Urteilslehre zeigt sich die zentrale Rolle der Kopula darin, dass sowohl Subjekt als auch Prädikat getrennt von der Kopula nicht mehr sinnvoll konzipiert werden können, und dass im Durchgang durch die Urteilslehre das abstrakte Inhärenz- und Subsumptionsverhältnis des Urteils (Inhärenz: P inhäriert S – hier ist S das Selbstständige, Subsumption: S fällt unter P – hier ist P das Selbstständige) nach den Begriffsmomenten entwickelt werden und am Ende zusammenfallen, womit gezeigt ist, dass die Kopula zugleich verbindet und auseinanderhält; die Urteilslehre stellt damit den Gang von der Einheit des Begriffs zu einer Differenz dar, in welcher die Einheit ge227

Im Detail ist dieser Nachweis in Knauer 2008 ausgeführt, auf den auch im Folgenden weiter rekurriert sei.

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wahrt bleibt, und die Schlusslehre ist sodann der Gang von der Differenz zurück zu einer Einheit, in welcher umgekehrt die Differenz gewahrt bleibt (Knauer 2008, 56–58; Werckmeister 2009, 21 f.). Hegels Urteilslehre in der Wissenschaft der Logik orientiert sich an der Urteilstafel in Kants Kritik der reinen Vernunft. Im Folgenden sei der Gang der Urteilslehre in der Logik in einer sehr knappen und auf die hier relevanten Aspekte beschränkten Darstellung gegeben (cf. zu dieser Darstellung Coreth 1952, 55–70; Knauer 2008, Martin 2012, 235–305; Burbidge 2006, 85–87): Hegel interpretiert die Kopula des Urteils als »identische Beziehung zwischen Subjekt und Prädikat« (WdL I, 93), die sich aber von abstrakter Identität zur Einheit von Analysis und Synthesis entwickelt. Der Kopula kommen dabei zwei synthetische Funktionen zu: Erstens die der Synthesis von Subjekt und Prädikat, und zweitens die Funktion der Setzung des Urteilsinhalts, was als eine zweite Synthesis angesehen werden kann: Die Synthesis des »bestimmten Urteilsinhalts mit dem Sein, und damit zugleich die Objektivation der Erkenntnis« (Coreth 1952, 56). Das Urteil ist eine Phase der »dialektischen Selbstentfaltung des Begriffs«, es ist ein Moment des Begriffs. Letzterer ist die Tiefendimension der Wirklichkeit, in welcher »alles Vielfältige seinen Grund hat« (Coreth 1952, 57). Er schließt daher sowohl Allgemeinheit als auch Einzelheit in einer höheren Einheit in sich ein, »d.h. alle Einzelbestimmtheit ist ›aufgehoben‹, verneint und bewahrt, in der Allgemeinheit des Begriffs«, welcher in der Diremption seiner selbst und durch sich selbst die Einzelmomente aus sich heraussetzt, er ist »die ursprüngliche Teilung des ursprünglich Einen« (WdL II, 304): Der Begriff ist »Ur-teil« (Coreth 1952, ebd.). Das Urteil ist somit nichts anderes als der bestimmte Begriff und der Gang durch die verschiedenen Urteilsformen ist die Fortbestimmung des Begriffs selbst. Dies ist aufgrund der dargelegten Fundamentalsemantik der WdL die Fortbestimmung der Dinge selbst: »[A]lle Dinge sind ein Urteil, d.h. sie sind Einzelne, welche eine Allgemeinheit oder innere Natur in sich sind; oder ein Allgemeines, das vereinzelt ist; die Allgemeinheit und Einzelheit unterscheidet sich in ihnen, aber ist zugleich identisch« (Enz. I, 318 f.; cf. Coreth 1952, 58). Die Urteilsklasse des Daseins (Urteile der Qualität und Inhärenz, Fokus auf P, an dem sich die Veränderungen vollziehen, S als feste Grundlage, cf. Knauer 2008, 60–94, 74 und 132): Das positive Urteil hat die abstrakte Form »Das Einzelne ist das Allge-

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meine« (WdL II, 561), kurz: »S ist P« oder E – A, 228 als Beziehung zwischen einem abstrakten einzelnen Subjekt und einem abstrakt-allgemeinen Prädikat und der Kopula als abstrakter Identität. Das Prädikat als anfangs abstrakter Allgemeinbegriff konkretisiert sich im Subjekt, welches dadurch ebenfalls konkretisiert wird. Dem Subjekt inhärieren viele Eigenschaften, denen gegenüber die durch das Prädikat P ausgesagte Eigenschaft eine einzelne Bestimmung ist – wohingegen das Subjekt als Bündel aller seiner Eigenschaften das Allgemeinere ist. Das positive Urteil erhält damit inhaltlich die umgekehrte Gestalt: »[D]as Allgemeine ist einzeln«, kurz: A – E (WdL II, 316; Coreth 1952, 58). Dieser Widerspruch im positiven Urteil setzt die Bewegung der Urteilsformen in Gang: Gemäß der dialektisch-spekulativen Methode geht das unmittelbar genommene positive Urteil über in seine Negation: Das negative Urteil (WdL II, 317–324; zum Folgenden cf. Knauer 2008, 65–68): »Das Einzelne ist nicht allgemein, das Allgemeine ist nicht einzeln« (Coreth 1952, 59), kurz: »non-(S ist P)« bzw. »S ist nicht P«. Die Kopula ist hier die abstrakte Differenz des »ist nicht«. Das abstrakt-allgemeine Prädikat ist als abstrakt-allgemeines bestimmt und damit ein Besonderes. Positiv ausgedrückt lautet das negative Urteil also: »Das Einzelne ist ein Besonderes« (dasselbe ergibt sich aus der Negation der zweiten Formulierung des positiven Urteils), kurz: E – B (WdL II, 318). Das Einzelne wird durch seine Situierung in einem allgemeinen, übergreifenden Raum zu etwas Besonderem (es gehört qua Situierung in einem Genus zu einer Spezies). Das negative Urteil besitzt gegenüber dem unmittelbaren positiven Urteil einen Vermittlungscharakter, da die Besonderheit zwischen Einzelheit und Allgemeinheit vermittelt. Im negativen Urteil ist die Abstraktheit des Prädikats von der Negation betroffen, aber nicht seine Allgemeinheit. 229 Doch zugleich ist das Einzelne eben nicht Besonderes, weswegen auch das negative Urteil in seiner Unwahrheit untergeht. 230 Die positive Formulierung des

228 229

230

Abstrakte Kurzformeln wie »E – A« benutzt Hegel erst in der Schlusslehre. Sie sei hier in Anlehnung an Werckmeister 2009 auch in der Urteilslehre verwendet. »Der oben angegebene Übergang von der Form der Beziehung zur Form der Bestimmung macht die unmittelbare Konsequenz aus, daß das Nicht der Kopula ebensosehr zum Prädikate geschlagen und dasselbe als das Nicht-Allgemeine bestimmt werden muß. Das Nicht-Allgemeine aber ist durch eine ebenso unmittelbare Konsequenz das Besondere« (WdL II, 320). Die »Unwahrheit« der Urteile bedeutet nicht, dass sie eine von sich unabhängige Wirklichkeit nicht treffen (im Sinne einer Korrespondenztheorie der Wahrheit), sondern dass sie nur »vorläufig wahr« sind, da sie nur ein abstrakter Ausdruck (in der Dimen-

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negativen Urteils wird nun in der »von innen her aufhebenden Tätigkeit« (Knauer 2008, 67) der absoluten Methode einer zweiten Negation unterzogen, welche in Hinsicht auf die erste Negation (des positiven Urteils durch das negative Urteil) die Negation der Negation ist. Die Negation der Besonderheit aber ist die Einzelheit. 231 Die Negation des negativen Urteils führt auf das unendliche Urteil, welches das Prädikat nun in seinem gesamten Umfang komplett negiert: »S ist non-P«. Hier besteht keinerlei »positive Beziehung mehr zwischen ihm [dem Prädikat, R.S.] und dem Subjekte« (WdL II, 324). Es handelt sich um keine sinnvollen Urteile mehr, etwa die Urteile »der Geist [ist] nicht rot, gelb usf., nicht sauer, nicht kalisch usf., die Rose ist kein Elephant, der Verstand ist kein Tisch« (WdL II, 324). Positiv ausgedrückt, lautet das unendliche Urteil ›Das Einzelne ist einzeln‹ oder E – E 232 Das unendliche Urteil ist ein analytisches Urteil, aber dennoch nicht inhaltlich leer (cf. Knauer 2008, 69). Der Gang durch die Urteile des Daseins zeigte ein Zusammenspiel von Ana-

231

232

sion der Endlichkeit) der letzten, konkreten und unendlichen Wahrheit der absoluten Idee sind; kurz gesagt: Dass die partikularen Urteilsformen in ihrer Unwahrheit untergehen, bedeutet, dass es im Endlichen keine endgültige, abgeschlossene Wahrheit gibt, sondern dass die Wahrheit das Ganze ist, cf. Coreth 1952, 60 f. Das negative Urteil »negiert die Bestimmtheit des Prädikats des positiven Urteils, dessen abstrakte Allgemeinheit oder, als Inhalt betrachtet, die einzelne Qualität, die es vom Subjekt enthält. Die Negation der Bestimmtheit ist aber schon die zweite, also die unendliche Rückkehr der Einzelheit in sich selbst. Hiermit ist also die Herstellung der konkreten Totalität des Subjekts geschehen, oder vielmehr ist es jetzt erst als Einzelnes gesetzt, indem es durch die Negation und das Aufheben derselben mit sich vermittelt worden. Das Prädikat seinerseits ist damit aus der ersten Allgemeinheit zur absoluten Bestimmtheit übergegangen und hat sich mit dem Subjekte ausgeglichen. Das Urteil heißt insofern: ›Das Einzelne ist einzeln‹« (WdL II, 323; cf. Knauer 2008, 67). Die Einzelheit ist, vom Subjekt aus gesehen, die »erfüllte, selbstbezügliche Allgemeinheit« (Knauer 2008, 68), ausgedrückt in dem Urteil: »Das Allgemeine ist das Allgemeine« (WdL II, ebd.). »Das Positive des unendlichen Urteils, der Negation der Negation, ist die Reflexion der Einzelheit in sich selbst, wodurch sie erst als die bestimmte Bestimmtheit gesetzt ist. ›Das Einzelne ist einzeln‹ war der Ausdruck desselben nach jener Reflexion. Das Subjekt ist im Urteile des Daseins als unmittelbares Einzelnes, insofern mehr nur als Etwas überhaupt. Durch die Vermittlung des negativen und unendlichen Urteils ist es erst als Einzelnes gesetzt. – Das Einzelne ist hiermit gesetzt als sich in sein Prädikat, das mit ihm identisch ist, kontinuierend; somit ist auch die Allgemeinheit ebensosehr nicht mehr als die unmittelbare, sondern als ein Zusammenfassen von Unterschiedenen. Das positiv-unendliche Urteil lautet ebensowohl: ›Das Allgemeine ist allgemein‹, so ist es ebensowohl als die Rückkehr in sich selbst gesetzt« (WdL II, 325).

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lysis und Synthesis, das nun zu einem höheren analytischen Satz führte, der die Synthesis nicht abstrakt ausschließt. Die hier erreichte Allgemeinheit und Einzelheit sind nicht mehr die abstrakte Allgemeinheit und Einzelheit des Anfangs (cf. Knauer 2008, 69). Jedoch ist im unendlichen Urteil der Unterschied zwischen Subjekt und Prädikat »zu groß« (WdL II, 325), so dass dieser Urteilstyp untergeht und einen neuen Zerfall des Begriffs erzeugt: Die Kopula der übriggebliebenen identischen Urteile dirimiert sich erneut, was zu den Urteilen der Reflexion führt: »[...] es ist damit das gesetzt, was die Kopula des Urteils enthält, daß die qualitativen Extreme in dieser ihrer Identität aufgehoben sind. Indem aber diese Einheit der Begriff ist, so ist sie unmittelbar ebenso wieder in ihre Extreme dirimiert und ist als Urteil, dessen Bestimmungen aber nicht mehr unmittelbare, sondern in sich reflektierte sind. Das Urteil des Daseins ist in das Urteil der Reflexion übergegangen« (WdL II, 326).

In den Urteilen des Daseins besitzt die Kopula »nur die Bedeutung eines unmittelbaren, abstrakten Seins« (WdL II, 312): Subjekt und Prädikat sind unmittelbar genommen und »abstrakte Einzelheit und Allgemeinheit« (WdL II, 311; Coreth 1952, 63). Das positive Urteil ist dabei in der seinslogischen Sphäre die Unmittelbarkeit des reinen Seins und das negative Urteil das reine Nichtsein, die beide übergehen in das Werden. Ebenso entwickelt sich die Kopula weiter zur »schlechten Unendlichkeit« im unendlichen Urteil (Coreth 1952, 63 f.). Der Wandel der Kopula im Durchgang der Urteilsformen entspricht dem Wandel des ursprünglichen Seins als Begriff an sich durch die großen Sphären der Logik hindurch (Seinslogik, Wesenslogik, Begriffslogik) hin zum Begriff an und für sich (Coreth 1952, 63). In formallogischer Hinsicht wandelt sich im Gang durch die Urteile der Qualität bzw. des Daseins das Prädikat von einer abstrakten intensionalen Universalie zu einer Klasse und die Kopula von der einfachen Identität oder Inhärenz hin zur Subsumption, womit die Urteile der Quantität oder, in Hegels Worten, der Reflexion erreicht sind (cf. Burbidge 2006, 85). Die Urteilsklasse der Reflexion (Urteile der Quantität und Subsumption, Fokus auf S): Nachdem die Kopula im Urteil des Daseins als unmittelbare Beziehung versagt hat, geht sie (wie die Sphäre des Seins in die Sphäre des Wesens) über in das Urteil der Reflexion, d.h. die Kopula artikuliert jetzt Vermittlung und Reflexion. Subjekt und Prädikat sind nun – wie die Bestimmungen der Wesenslogik – in sich reflektiert: »Insofern nämlich das Subjekt sich in die Allgemeinheit erhoben hat, ist es in dieser Bestimmung dem Prädikate gleich geworden, welches als die reflektierte Allgemeinheit auch die Besonderheit in sich begreift; Subjekt und Prädikat sind daher

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identisch, d. i. sie sind in die Kopula zusammengegangen« (WdL II, 334; cf. Coreth 1952, 64). Diese Urteilsklasse umfasst das singuläre Urteil (»Dies ist P« oder x ∈ P, nach den Begriffsmomenten: E – A), das partikuläre Urteil (»Einige S sind P«, bzw. B – A) und das universelle Urteil (»Alle S sind U«, bzw. A – A). Das Subjekt entwickelt sich im Gang durch diese Urteile von einem einzelnen ›Dieses‹ des singulären Urteils zu einer umfassenden Klasse U des universellen Urteils, die sowohl P als auch non-P umfasst. Nun hat man es mit Urteilen zu tun, welche zwei Klassen via Klasseninklusion verbinden: S ⊆ U. Hier wandelt sich die Kopula nun zu der notwendigen, essentiellen Verbindung des kategorischen Urteils, womit die Urteilsklasse der Relation – in Hegels Worten: die Klasse der Urteile der Notwendigkeit – erreicht ist; während in den qualitativen Urteilen des Daseins die Rolle des Prädikats und in den quantitativen Urteilen der Reflexion die Rolle des Subjekts weiterentwickelt wurde, haben die Urteile der Notwendigkeit die Verbindung von Subjekt und Prädikat zum Gegenstand (cf. Burbidge 2006, 86 f.). Einem Urteil der Notwendigkeit entspricht in der Wesenslogik die Sphäre der Substanzialität und es besagt »die gesetzte Notwendigkeit ihrer Bestimmungen« (WdL II, 335; Coreth 1952, 64 f.). Während im Urteil des Daseins »das, was vom Subjekt ausgesagt wird, ein einzelner zufälliger Inhalt« ist, ist es im Urteil der Notwendigkeit »die Totalität der in sich reflektierenden Form. Die Kopula hat daher in ihm die Bedeutung der Notwendigkeit, in jenen nur des abstrakten, unmittelbaren Seins« (WdL II, 336; cf. Coreth 1952, 65). Die Urteilsklasse der Notwendigkeit umfasst das kategorische Urteil, das hypothetische Urteil und das disjunktive Urteil: Von der Form sind kategorische Urteile den positiven Urteilen gleich (S ist P, nach den Begriffsmomenten: E – A), doch inhaltlich handelt es sich nun um die Unterordnung einer Klasse unter einen höheren Genus (›Rosen sind Pflanzen‹). Diese notwendige Verbindung führt zu den hypothetischen Urteilen, welche den inneren Zusammenhang als Implikation setzt: »Wenn S, dann P« (S =⇒ P; nach den Begriffsmomenten: A–E). Die Kopula hat nun die Bedeutung des ›wenn-dann‹. Doch auch die Implikation ist noch zu schwach, um die Notwendigkeit der Verbindung zu setzen. Es muss genauer expliziert werden, in welcher Weise ein Begriff ›immanent‹ andere Begriffe impliziert. Dies leistet das disjunktive Urteil: ›A ist entweder B oder C oder D...‹ (nach den Begriffsmomenten: A – B). Hier wird das Allgemeine auf der einen Seite des Urteils als Gattung und auf der anderen Seite als Ausfaltung bzw. Entwicklung seiner internen Unterschiede. d.h. der besonderen Arten expliziert. Die Gattung als echter Allgemeinbegriff ist (anders als reine Kollektivbegriffe) in jeder besonderen Art vollständig

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und als »immanente und konkrete« anwesend – das »objektive Allgemeine erhält sich vollkommen in seiner Besonderheit« (WdL II, 340). Die Gattung verhält sich somit in ihren Arten zu sich selbst. Die Arten sind dabei negativ im kontradiktorischen (nicht bloß konträren) Entweder-Oder (wenn A als Totalität die »substantielle Allgemeinheit« von B ist, ist A nicht zugleich C, D,...) und positiv im Sowohl-als-auch besondert (wenn A die »substantielle Allgemeinheit« von B als Besonderes ist, dann gibt es auch Besondere C, D,..., deren substantielle Allgemeinheit A ebenso ist). 233 Diese konkrete Allgemeinheit der Gattung ist positive Einheit und zugleich »das Prinzip der negativen Einheit [...], wodurch sie [= die Arten, R.S.] sich gegenseitig [kontradiktorisch, R.S.] ausschließen« (WdL II, 341). Die Arten explizieren das der Gattung immanente Selbstdifferenzierungs- bzw. Selbstentfaltungsprinzip; hier stellt sich die Einheit des Begriffs, der selbst auf beiden Seiten des Urteils steht, wieder her – die Kopula ist somit einmal als strukturelle Identität des disjungierenden Urteils mit der Ur-Teilung des Begriffs aufzufassen, und andererseits ebenso als substanzielle Einheit zwischen Gattung und Art und als Einheit von Allgemeinheit und Konkretisierung des Begriffs, welche die Totalität der Besonderungen ist. (cf. Knauer 2008, 83 f., 135; Martin 2012, 292). Der Begriff ist damit nicht nur »als das beide Seiten (also Allgemeinheit und Totalität des Besonderen) umgreifend[...] [...] die gesamte, sich disjungierende Struktur, sondern auch die Einzelnen, sich durch die Disjunktion ergebenden Glieder« (Knauer 2008, 84). Hier zeigt sich ganz besonders die dem Begriff eigentümliche dialektisch-spekulative Figur, dass er sowohl die Totalität des Allgemeinen als auch jedes seiner ›einzelnen Teile‹ ist, welche selbst jeweils die Totalität des Ganzen sind, auf ihre je eigene Weise – das disjunktive Urteil hebt die bisher latent gebliebene Selbstdifferenzierung und Einheit des ›Begriffs-als-Moment‹ und des ›Begriffs-als-das-Moment-generierende-Struktur‹ ins Licht, »nämlich den Begriff als Einheit in Differenz« (Knauer 2008, 84 f.). Im disjunktiven Urteil sind Form (die Disjunktion) und Inhalt (die intensionale Einheit) »erstmals

233

Cf. Suares 2011, 62: »In the context of disjunctive judgement, which is the judgement of the form ›A is either B or C,‹ Hegel calls the whole-part relation negative totality. It is negative because if A is equal to B, it excludes (negates) C, and if it is equal to C, it excludes B. It is a totality in the sense that the ›either-or‹ forms the total universe of A. Within universal A, entities B and C are particulars, i.e., they are parts of the universal. Insofar as the universal is one of B or C, it is both the totality (the universal itself) and its own part. Hegel presents us here with a variant of the familiar pattern in which a totality or form reflects itself in a partial objectification or content: in B or C, A relates to itself.«

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vollständig ausgeglichen« und das »ist« der Kopula erstmals erfüllt (Knauer 2008, 85). Die dadurch ausgedrückte begriffsgemäße Einheit geht nun über in die Urteile des Begriffs: »Diese Einheit, die Kopula dieses Urteils, worin die Extreme durch ihre Identität zusammen gegangen sind, ist somit der Begriff selbst, und zwar als gesetzt; das bloße Urteil der Nothwendigkeit hat sich damit zum Urteil des Begriffs erhoben« (WdL II, 344; cf. Coreth 1952, ebd.)

Die Urteilsklasse des Begriffs umfasst das assertorische Urteil, das problematische Urteil und das apodiktische Urteil (»S ist tatsächlich P«, nach den Begriffsmomenten: E – A), das problematische Urteil (»S ist möglicherweise P«, bzw. A – B) und das apodiktische Urteil (»S ist notwendig P«). Sie thematisieren nicht mehr die Entsprechung von Subjekt und Prädikat in äußerer Reflexion, sondern die Modalität der Entsprechung und Nichtentsprechung zwischen Begriff und vereinzeltem Gegenstand – welche, da der Begriff gemäß der Hegelschen Fundamentalsemantik auf beiden Seiten steht, durch den Begriff selbst bestimmt wird (cf. Knauer 2008, 135; Burbidge 2006, 87). Auch in dieser Urteilsklasse wiederholt sich der dialektisch-spekulative Kreisgang, so dass auf der Stufe des Begriffsurteils die Begriffsmomente zur Totalität entwickelt werden sollen: Aus dem disjunktiven Urteil ist wiederum eine unmittelbare Identität hervorgegangen, die als negative Einheit zur ›bestimmten Bestimmtheit‹, zur Einzelheit des assertorischen Urteils wird: »Diese Handlung ist gut« usw. Derartige Urteile geben jedoch nur ein bloßes Sollen vor, das als eine bloße Versicherung negiert wird: Eine andere Behauptung ist jederzeit möglich, was im problematischen Urteil artikuliert wird. In diesem bestimmt das Subjekt in seiner Ambiguität die Kopula, doch das Subjekt enthält »gerade in seiner konkreten Beschaffenheit den jeweiligen Allgemeinheitsbezug auf das Prädikat [...], so daß es sich in seiner Konkretion mit der Prädikatsallgemeinheit ausgleicht«; die Allgemeinheit des Prädikats ist dabei »die Allgemeinheit des Begriffes in ihrer sich besondernden Bewegung«, und auf diese Weise hebt sich der Gegensatz zwischen Prädikat und Subjekt auf – beide sind für sich genommen nur einseitig: Das apodiktische Urteil geht hervor (Knauer 2008, 136). Die Verbindung der Extreme ist nun in ihrem gedoppeltem Charakter explizit geworden: Beide Extreme sind für sich genommen einseitig und die sie verbindende und setzende Relation, die Kopula, ist auf keines der Extreme reduzierbar; alle Urteile sind nun als Ausfaltungen der Kopula begriffen (Knauer 2008, ebd.). Im apodiktischen Urteil zeigt sich »in aller Deutlichkeit die semantische Bedeutsamkeit der Copula«: Die Kopula ist

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die Erfüllung der Beziehung der Urteilsextreme, die aber nicht auf eine der beiden Extreme reduzierbar ist. Es ist die Kopula selbst, die sich in den Urteilen der Urteilslehre ausfaltet, und die einzelnen Urteile sind umgekehrt die »konkreten Realisationen« der Kopula, »so daß man das Urteil vielmehr von dieser als von den Extremen her aufzufassen hätte und man es, poetisch gesprochen, als ›Epiphanie des Begriffes‹ zu bezeichnen hätte« (Knauer 2008, 91 f.). Nach Werckmeister 2009, 18 f., besitzt das apodiktische Urteils nach den Begriffsmomenten dargestellt bereits den Übergang zur Schlusslehre: E – (B) – A. Hier ist die Kopula nun »von der Einheit der drei Begriffsmomente erfüllt [...], zu der sich am Ende des Urteils Subjekt und Prädikat entwickelt haben. Zwischen die Einzelheit des Wirklichen und seine Allgemeinheit ist die unmittelbare Beschaffenheit (Besonderheit) als vermittelnder Grund getreten«; die Kopula ist »zur Einheit des Begriffs geworden«, die als Vermittlung der unterschiedenen, aber nicht getrennten Momente nichts anderes als der terminus medius des Schlusses ist, »in dem zwischen die beiden Seiten jeweils das dritte Moment tritt, um sie zu vermitteln« (Werckmeister 2009, ebd.). Was sich nun im Gang durch die Urteilslehre ergeben hat, ist Hegels Lösung für das Problem von Analysis und Synthesis: Semantisch primär sind nicht die Urteilsextreme Subjekt und Prädikat, sondern es ist die vorgängige Einheit der Kopula, die nicht auf eines der beiden Urteilsextreme reduzierbar ist. Indem die Urteilsextreme Ausfaltungen der Kopula sind, sind sie einerseits als selbstständige Totalitäten gesetzt, stehen aber andererseits nicht nur in rein äußerlicher Beziehung und es ist auf diese Weise eine echte Synthesis möglich – ebenso ist aber auch eine echte Analysis möglich, da die Urteilsextreme Ausfaltungen und Explikationen der »bei sich bleibenden Einheit« der Kopula sind: Durch das Prädikat kommt dem Subjekt nichts Äußerliches hinzu (das analytische Moment), und doch ist das Urteil mehr als ein tautologisches A = A (das synthetische Moment), da die Entwicklung der Extreme aus der ursprünglichen Einheit der Kopula keine reine Wiederholung desselben ist, sondern die Extreme sich als neue, gehaltvolle und eigenständige Totalitäten erweisen (Knauer 2008, 92 f.). Hier zeigt sich überdies eine bleibende Spannung zwischen der eigentlichen spekulativen Tiefenstruktur des Urteils und seiner Darstellung, die immer eine äußerliche und verstandesmäßige bleibt (cf. Puntel 1973, 32–34). Auf Basis von Puntels These der Entsprechungseinheit und Gleichursprünglichkeit der Sphären der Logik, Phänomenologie und Noologie in Hegels System und auf Basis von Hegels Ausführungen über die Idee des Erkennens expliziert Knauer 2008 die nun erreichte Einsicht der Urteilslehre

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als deckungsgleich mit der Lehre vom spekulativen Satz in der Phänomenologie des Geistes (cf. auch entspr. Sans 2004): Gemäß dem fundamentalsemantischen Standpunkt ist das wahre Urteil eine Selbst-Setzung der Sache selbst und kein rein subjektiver oder rein logischer Vorgang – die Kantische transzendentale Apperzeption als analytisch-synthetische Einheit der Urteilssetzung ist sozusagen das Ding-an-sich selbst, das sich artikuliert (cf. Puntel 1969, 372–397). Das Urteil wird vom absoluten Geist gesetzt, dem realphilosophischen Korrelat der absoluten Idee und dem ›eingeklappten Standpunkt‹ des absoluten Wissens, der in jedem Urteil vorausgesetzt wird (cf. Knauer 2008, 98): »Ist jedes Urteil eine Selbst-Setzung des Begriffes im absoluten Geist, die auf zweipolige Weise in Subjekt und Prädikat erfolgt und einen konkreten, allgemeinen, in subjektiver Struktur vorliegenden Inhalt ausspricht, so ist klar, das das Urteil analytisch und synthetisch zugleich ist: Analytisch ist es von seinem Ausgangspunkt, der Selbstidentität des Geistes oder des Denkens her, die niemals verlassen wird und durch die Copula formuliert wird. Synthetisch ist es von der Warte der Zweipoligkeit her betrachtet: Diese bedeutet kein Zusammenheften grundsätzlich getrennter, sondern expliziert den informativen Charakter des Identitätsvollzugs des Geistes, der Setzung und Aufhebung zugleich ist, indem das jeweilige Urteil zwar einen bestimmten Einzelaspekt des Begriffs ausdrückt, jedoch im Zusammengebundenwerden der Pole über die Copula gleichzeitig wieder den ›Akzent verklingen‹ läßt, der eine Absonderung vom Begriff zu besagen schien« (Knauer 2008, 98).

Anders gesagt bedeutet dies: Wenn der Geist, welcher per se eine unendliche reflexive Struktur ist, den Gedanken der Totalität denkt, so gewinnt die Unendlichkeit des Geistes eine neue Gestalt, die sowohl hinsichtlich ihrer Basisstruktur (dem Geist), als auch hinsichtlich des gedachten Gehalts (der Totalität) selbst unendlich ist. Der Geist wird dadurch jedoch nicht vermehrt, er kommt nicht über sich selbst heraus, sondern erfasst seine eigene unendliche Struktur in immer neuen Gestalten, welche in den Urteilen als die aus der Kopula ausgefalteten Totalitäten erscheinen. 234 Der spekulative Satz dient nun in der Sphäre des Geistes als sprachliche Artikulation dieser Struktur bzw. als Artikulation der Einheit von Setzung und Aufhebung. In der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes bringt Hegel als prominentes Beispiel eines spekulativ transformierten Satzes den Satz ›Gott ist das Sein‹. Es sei der gesamte Text zitiert (cf. Knauer 2008, 96):

234

Diese andere Formulierung verdanke ich einem Austausch mit G.M. Knauer.

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»[I]n dem Satz: Gott ist das Seyn, [ist] das Prädicat das Seyn; es hat substantielle Bedeutung, in der das Subject zerfließt. Seyn soll hier nicht Prädicat, sondern das Wesen seyn; dadurch scheint Gott aufzuhören, das zu seyn, was er durch die Stellung des Satzes ist, nemlich das feste Subject. – Das Denken, statt im Uebergange vom Subjecte zum Prädicate weiter zu kommen, fühlt sich, da das Subject verloren geht, vielmehr gehemmt und zu dem Gedanken des Subjects, weil es dasselbe vermißt, zurückgeworfen; oder es findet, da das Prädicat selbst als ein Subject, als das Seyn, als das Wesen ausgesprochen ist, welches die Natur des Subjects erschöpft, das Subject unmittelbar auch im Prädicate; und nun, statt daß es im Prädicate in sich gegangen die freye Stellung des Räsonnirens erhielte, ist es in den Inhalt noch vertieft, oder wenigstens ist die Forderung vorhanden, in ihn vertieft zu seyn. – So auch wenn gesagt wird: das Wirkliche ist das Allgemeine, so vergeht das Wirkliche als Subject in seynem Prädicate. Das Allgemeine soll nicht nur die Bedeutung des Prädicats haben, so daß der Satz diß aussagte, das Wirkliche sei allgemein; sondern das Allgemeine soll das Wesen des Wirklichen ausdrücken. – Das Denken verliert daher so sehr seinen festen gegenständlichen Boden, den es am Subjecte hatte, als es im Prädicate darauf zurückgeworfen wird und in diesem nicht in sich, sondern in das Subject des Inhalts zurückgeht« (PhG, Vorrede, 41–49).

Ebenso in der Vorrede fährt Hegel fort: »Das Bedürfniß, das Absolute als Subjekt vorzustellen, bediente sich der Sätze: Gott ist das Ewige, oder die moralische Weltordnung, oder die Liebe u.s.f. In solchen Sätzen ist das Wahre nur geradezu als Subjekt gesetzt, nicht aber als die Bewegung des sich in sich selbst Reflectirens dargestellt. Es wird in einem Satze der Art mit dem Worte: Gott angefangen. Diß für sich ist ein sinnloser Laut, ein blosser Name; erst das Prädicat sagt, was er ist, ist seine Erfüllung und Bedeutung; der leere Anfang wird nur in diesem Ende ein wirkliches Wissen. Insofern ist nicht abzusehen, warum nicht vom Ewigen, der moralischen Weltordnung u.s.f. oder, wie die Alten thaten, von reinen Begriffen, dem Seyn, dem Einen u.s.f., von dem, was die Bedeutung ist, allein gesprochen wird, ohne den sinnlosen Laut noch hinzuzufügen. Aber durch diß Wort wird eben bezeichnet, daß nicht ein Seyn oder Wesen oder Allgemeines überhaupt, sondern ein in sich reflectirtes, ein Subject gesetzt ist. Allein zugleich ist diß nur anticipirt. Das Subject ist als fester Punkt angenommen, an den als ihren Halt die Prädicate geheftet sind, durch eine Bewegung, die dem von ihm Wissenden angehört und die auch nicht dafür angesehen wird, dem Punkte selbst anzugehören; durch sie aber wäre allein der Inhalt als Subject dargestellt. In der Art, wie diese Bewegung beschaffen ist, kann sie ihm nicht angehören; aber nach Voraussetzung jenes Punkts kann sie auch nicht anders beschaffen, kann sie nur äusserlichseyn. Jene Anticipation, daß das Absolute Subject ist, ist daher nicht nur nicht die Wirklichkeit dieses Begriffs,

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sondern macht sie sogar unmöglich; denn jene setzt ihn als ruhenden Punkt, diese aber ist die Selbstbewegung« (PhG, 44).

Knauer 2008 analysiert die Rolle von Subjekt, Prädikat und Kopula im spekulativen Satz in folgenden Punkten: (a) »Copula: (a) Aussprechen des Vorliegens eines Setzungszusammenhanges. (b) Aussprechen der begriffsmäßigen Einheit, Identität der Extreme. (c) ›Hinweischarakter‹ auf die Tatsache, daß die Extreme als Ausfaltungen des Begriffes in ihrem konkreten Explizieren des jeweiligen Begriffsaspektes als Aspekte des Begriffes diesem gegenüber partikularisiert sind und deshalb aufzuheben. (b) Subjekt: (a) Nomenklatur: Die entsprechende begriffliche Setzung erhält durch das Subjekt ihren Namen. (b) Strukturierung: Der jeweilige Setzungszusammenhang erhält durch das Subjekt seine strukturelle Bestimmung (Organimus, Handlung etc.), woraus folgt (c) Konkretion: Anzeige, daß nicht von einem rein allgemeinen Gehalt, sondern von einem Allgemein-Einzelnem die Rede ist. (c) Prädikat. (a) Bestimmung: Der vorliegende Setzungszusammenhang wird durch das Prädikat konkret seinem Gehalt nach bestimmt. [Nur bei Begriffsurteile formulierenden Sätzen:] (b) Anzeigen des jeweiligen Entsprechungszusammenhanges zwischen den Extremen (»Diese Handlung ist gut/schlecht...« usw.)« (Knauer 2008, 103 f.). 235 Gemäß der im ersten Teil dieser Arbeit eingeführten halbformalen Notation könnte man den spekulativen Satz mit seiner dialektisch-spekulativen Einheit von Ausfaltung und Einfaltung der Kopula folgendermaßen darstellen: z

S o/

}| ˆ D ˆI

{

/o P

(23)

Hierbei stehen das Subjekt S und das Prädikat P zueinander in dialektischer ˆ und dialektischer Identität ˆI, die unter der höheren Einheit der Differenz D z}|{ Kopula (...) zusammengeschlossen werden. Knauer 2008, 105 f., unterscheidet weiter zwischen (1) reflexiv-spekulativen Sätzen, (2) gewöhnlich-spekulativen Sätzen und (3) krypto-spekulativen Sätzen. Sätze der Gruppe (1) artikulieren die eigene spekulative Struktur und gehören einer methodologischen Metasprache an. Sätze der

235

Nummerierungszeichen angeglichen.

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Gruppe (2) artikulieren andere (etwa seins- und wesenslogische oder realphilosophische) Inhalte und gehören der objektlogischen Sprache an. Und Sätze der Gruppe (3) erscheinen sowohl inhaltlich als auch formal als unspekulativer Satz und gehören der Umgangssprache an, können aber ebenso als verborgene spekulative Sätze enthüllt werden. Dies bedeutet, dass der Begriff in Gestalt der Kopula in jedem Urteil implizit anwesend ist. Jedes Urteil bringt als ein spekulativer Satz den Begriff selbst auf seiner jeweiligen Stufe zum Ausdruck, welcher sich in die Urteilsextreme ausfaltet. Aufgrund des fundamentalsemantischen Standpunktes ist die konkrete Wirklichkeit als Urteilsextreme somit die Ausfaltung des Begriffs selbst (cf. Knauer 2016, 4 f. 236). Dabei ist der Unterschied zwischen substanzieller und akzidenteller Prädikation nicht mehr streng durchhaltbar, da ›Substanz‹ und ›Akzidenz‹ wesenslogische Kategorien sind, die auf den begriffslogischen spekulativen Satz nicht mehr schlechthin anwendbar sind. Auch ist die Kopula nicht als Substanz aufzufassen, deren Akzidentien die Urteilsextreme wären (womit ein spinozistischer Pantheismus folgte), da auch dies ein Rückfall in wesenslogische Kategorien wäre (cf. Knauer 2016, 5). Die Semantik des spekulativen Satzes ist hingegen, dass sich die Kopula als die Urteilsextreme darstellt, die jeweils die Totalität der Kopula selbst sind, und dass sich die Kopula als ›schwebende Mitte‹ zwischen dem Akt des Setzens in der Kopula und den gesetzten Urteilsextremen hält. Sie ist in den Extremen voll und ganz zugegen, ohne in ihnen aufzugehen. Damit ist die Kopula nicht einfach auf eines der Extreme (oder beide) reduzierbar, und eine Urteilsstruktur der Fregeschen Form F(x) ist ausgeschlossen (cf. Knauer 2016, ebd., Fn. 11). Doch ist damit eine Unterscheidung von Substanz und Eigenschaft nicht völlig hinfällig: Während im strengen semantischen Sinn der spekulative Satz besagt, dass die Elemente des Urteils untrennbar miteinander und mit dem Weltganzen holistisch verwoben sind, lassen sie sich unter verschiedenen Perspektiven, ob pragmatischer oder theoretischer Natur, sehr wohl unterscheiden: Substanzielle und akzidentelle Elemente gelten jeweils unter der Hinsicht eines bestimmten vorausgesetzten Rahmens bzw. in einer bestimmten vorausgesetzten (nicht notwendigerweise rein subjektiven) Perspektive oder Sphäre (cf. Knauer 2016, 5). Die nachfolgende Tabelle liefert abschließend einen Rückblick auf die Urteilslehre gemäß der Permutation der Begriffsmomente. 236

Cf. G.M. Knauer 2016, Versuch des Aufweises grundlegender Kongruenzen zwischen Strukturen in der Philosophie G.W.F. Hegels und im Zen-Buddhismus, unveröffentlichtes Typoskript.

Die Einheit von Einheit und Vielheit

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1. Urteile des Daseins Positives Urteil E–A Negatives Urteil E–B Unendliches Urteil E–E 2. Urteile der Reflexion Singuläres Urteil E–A Partikuläres Urteil B–A Universelles Urteil A–A 3. Urteile der Notwendigkeit Kategorisches Urteil E–A Hypothetisches Urteil A – E Disjunktives Urteil A–B 4. Urteile des Begriffs Assertorisches Urteil E–A Problematisches Urteil A – B Apodiktisches Urteil E – (B) – A Tabelle 1: Übersicht über die Urteilslehre (nach Werckmeister 2009, 21).

Abschließend zur Urteilslehre sei angemerkt, dass die erfüllte Kopula in Zusammenhang gebracht werden kann mit der von Grotz 2009 herausgearbeiteten reinen Relation der Sein-Nichts-Dialektik und den von Coreth (1952, 30) erwähnten subsistenten Relationen: Die erfüllte Kopula als dialektisch-spekulative Einheit von Subjekt und Prädikat, die beide aus sich hervorgehen lässt und in sich zurückgebunden behält, ist das Ursprüngliche in diesem Gefüge (die Folge wäre – aber das kann hier nur angedeutet bleiben – eine kontextuale Semantik, in der der Satz die semantische Priorität gegenüber den subsententialen Satzbestandteilen Subjekt und Prädikat hat – er ist der Begriff –, im Gegensatz zu einer kompositionalen Semantik, in welcher die subsententialen Bestandteile eine semantische Eigenständigkeit gegenüber ihrer Einheit im Satz besitzen).

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Historisch-systematischer Ausflug 3 (G.W.F. Hegel)

6.5.6 Die Methode als spekulativer Schluss Die Fortbewegung vom Urteil zum Schlusses ist nun die fortschreitende Erfüllung der Konkretion der Kopula als terminus medius: »Das Urteil ist nicht nur das Ergebnis der ursprünglichen Teilung, sondern zugleich der Ort, an dem der Begriff wiederhergestellt wird. Insofern der Mittelbegriff des Schlusses an die Stelle der Kopula tritt, steht er buchstäblich mitten im Urteil« (Sans 2004, 86).

Im Schluss stellt sich die Einheit des im Urteil auseinandergegangenen Begriffs in Gestalt der Totalvermittlung seiner Bestimmungen vermöge des terminus medius wieder her (cf. Coreth 1952, 106 f.). Nach dem Durchgang durch die Schlusslehre ergibt sich dann eine neue Unmittelbarkeit des Anfangs, indem der Begriff übergeht in die Objektivität. Durch die Bewältigung der Objektivität wird der Begriff durch die Vermittlung von formaler und materialer Ebene zur Idee als der adäquate Begriff oder die Totalität der Totalitäten. Die Idee selbst geht noch einmal in einen dialektisch-spekulativen Prozess ein, in welchem die Gegensätze von Objektivität und Subjektivität (objektive Idee des Lebens und subjektive Idee des Erkennens und Wollens) vollends vermittelt werden. Die absolute Idee stellt sodann die letzte Einheit und konkrete Identität aller Gegensätze dar und ist als Methode ein universaler Schluss. Hegels Darlegungen zur Methode als Schluss, wie er sie im Schlusskapitel der Logik über die absolute Idee darstellt, seien nun anhand von Schäfer 2001 erläutert: Der unmittelbare Anfang des Ganges der Methode ist die abstrakte Allgemeinheit, da Besonderheit und Einzelheit bereits vermittelte Bestimmungen darstellen. Die Allgemeinheit ist auch der Anfang des reinen Denkens bzw. des sich selbst denkenden Begriffs. Als Unmittelbarkeit ist sie eine einfache Selbstbeziehung; sie ist eine unmittelbare Einheit, welche die Besonderheit und Einzelheit bereits an sich, d.h. potenziell in sich enthält – die abstrakte Allgemeinheit des Anfangs ist bereits die latente konkrete Allgemeinheit, welche als Resultat der Methode manifest wird, d.h. die abstrakte Allgemeinheit ist der Begriff an sich, der bereits die höhere Einheit aller Begriffsbestimmungen ist, dies aber noch nicht für sich vollzogen hat (Schäfer 2001, 239–241). Dass am Anfang bereits der Gang der dialektisch-spekulativen Methode einsetzt, bedeutet, dass es keinen ruhenden Anfangspunkt des reinen Denkens geben kann, der nicht von selbst bereits als solcher überschritten und in Denkbewegung umgeschlagen wäre (ähnlich wie für Fichte aus der Perspektive des Ich die Frage sinnlos ist, was ich war, bevor ich zum Selbstbewusstsein kam – da das Ich kein Ich ist, wenn es sich nicht bereits als Ich setzt). Sein und Nichts gehen am Anfang der Logik nicht prozesshaft

Die Einheit von Einheit und Vielheit

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ineinander über, sondern ihr Übergang ist bereits immer schon geschehen (cf. Schäfer 2001, 242 f.). Das »Sein« am Anfang der Logik ist ebensowenig die wie materia prima in der aristotelischen Akt-Potenz-Hierarchie eine selbstständige Größe, von der zu irgendetwas weitergeschritten würde. Der unbestimmte Anfang der Seinslogik »hat bereits das Ende, die absolute Idee, in sich« (Schäfer 2001, 244), welche den Anfang von innen heraus über sich selbst hinaustreibt. Die unbestimmte Unmittelbarkeit des Anfangs ist am Beginn der Seinslogik und im Anfang der absoluten Idee analog, da beides eben eine unbestimmte Unmittelbarkeit ist – jedoch ist der Anfang der Seinslogik noch radikaler als der Anfang der Begriffslogik (Schäfer 2001, 243). Der Anfang der Seinslogik ist ganz aus sich selbst heraus zu explizieren, jedoch wird er erst mit dem Erreichen der absoluten Idee vollständig intelligibel. Hier wiederholt sich in der Schlusslehre die Betrachtung der Sein-Nichts-Dialektik unter dem begriffslogischen Blickwinkel, der im Anfang der Logik bereits »das Ende, die absolute Idee, in sich« weiß, was aus der Perspektive der Seinslogik noch nicht klar ist (Schäfer 2001, 244). Die absolute Negativität der Idee führt also zur ersten Diremtion der Idee, sie setzt das Negative ihrer selbst, welches das leere Sein als Negation des Begriffs ist. Das Sein ist die Unbestimmtheit des Begriffs in der ersten UrTeilung der Idee (Schäfer 2001, 245). Dabei setzt der Anfang der Logik das Ende bereits voraus, das »Telos der Logik ist zugleich das Eidos der vorangehenden Stufen« (ebd.). Der Anfang selbst ist nun sowohl analytisch als auch synthetisch: Analytisch, insofern das Sein am Anfang und der Begriff am Ende identisch sind, und synthetisch, insofern sie nicht identisch, aber wesentlich in Andersheit verbunden sind (Schäfer 2001, 246). 237 Der Fortgang vom Anfang zeigt sich nun als erste Prämisse des spekulativen Schlusses: 1. Prämisse: A – E (Die Allgemeinheit ist Besonderheit). 238 Das heißt: »Die Unbestimmtheit des Anfangs ist selbst eine Bestimmtheit« (Schäfer 2001, 249), und zwar dadurch, dass der Anfang eben durch seine Unbestimmtheit gegen Bestimmtheit überhaupt abgegrenzt und damit als

237

238

Nach Schäfer liegt der eigentliche Beginn der Subjektivität in Hegels Logik erst in den der Sein-Nichts-Werden-Dialektik folgenden Bestimmungen des Daseins und des Etwas, wo das erste Mal explizit die Negation der Negation in ihrem konkreten Vollzug als In-sich-sein auftritt, cf. Schäfer 2001, 247 f. Cf. WdL II, 494; Schäfer 2001, 247.

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Unbestimmtheit bestimmt ist. Der Anfang treibt so immanent über sich selbst hinaus, die Methode ist ihm nicht äußerlich: Es handelt sich um eine immanente Selbstbewegung des Anfangs (ebd.). Dass das Allgemeine als Besonderes gesetzt ist, besagt, dass das Unmittelbare als Vermitteltes gesetzt wird, was eine erste Negation darstellt: Das Allgemeine hat sowohl das Besondere als auch den Unterschied zum Besonderen in sich – das Allgemeine ist als in sich Unterschiedenes gesetzt, es ist bestimmtes Allgemeines gegen das Besondere und somit zugleich selbst ein Besonderes. Die Negation ist damit eine bestimmte Negation, welche sowohl Gleichheit als auch Ungleichheit ausdrückt (ebd., 250). Die erste Prämisse hebt also den latenten Unterschied im Anfang auf, er ist ein Vermitteltes – und die Besonderheit ist ebenso selbst vermittelt, indem sie vom Allgemeinen in der Allgemeinheit gesetzt ist: »Dieses ›erste Negative‹ ist die erste Prämisse des methodisch-dialektischen Schlusses der absoluten Idee« (ebd., 251). Doch in ihr ist zunächst nur Verschiedenheit und noch kein Widerspruch gesetzt, der Unterschied »hat sich noch nicht zum Widerspruch zugespitzt« (ebd.). In dieser immanenten Verschiedenheit verhält sich das Allgemeine »zu sich selbst, wenn es sich besondert, denn die Ausschließung des Besonderen geschieht im Allgemeinen selbst. Deswegen gibt es eine durchgängige Einheit, die sich im Allgemeinen und Besonderen durchhält« – es ist dies jedoch nur eine vorläufige höhere Einheit beider Bestimmungen, vollgültig wird sie erst in der zweiten Prämisse des dialektischspekulativen Schlusses (ebd., 252). Die Verschiedenheit von Allgemeinheit und Besonderheit ist auf dieser Stufe als wesenslogische Verschiedenheit zu verstehen. Auch hier gilt, was für die Sein-Nichts-Dialektik festgehalten wurde: die wesenslogische Dialektik der Reflexionsbestimmungen tritt hier erneut unter höherer, begriffslogischer Perspektive auf (Schäfer 2001, 252 f.) Auf der Stufe der ersten Prämisse des dialektisch-spekulativen Schlusses hat sich noch kein »eigentlicher Gegensatz der Unterschiedenen ausgebildet. Allgemeinheit und Besonderheit sind nur Verschiedene« (ebd., 254). Die erste Prämisse ist eine erste Explikation der Lehre von der bestimmten Negation und der dialektischen Aufhebung, d.h. der Einheit vom Ausgrenzung und Enthaltensein: Die Bestimmung des Allgemeinen ist eine Ausgrenzung des Besonderen (»omnis determinatio est negatio«), andererseits dadurch das Enthaltensein des Besonderen im Allgemeinen (ebd., 255). Das Besondere ist dabei nicht das dem Allgemeinen kontradiktorisch entgegengesetzte Nicht-Allgemeine, sondern es ist dem Allgemeinen konträr entgegengesetzt: Das Allgemeine bleibt in seiner Besonderung erhalten, es teilt seinen Inhalt dem Besonderen mit und ist ihm damit ähnlich (ebd.).

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Allerdings bewirkt die bestimmte Negation in der ersten Prämisse noch keine vollständige Bestimmung, es treten hier zwei in gewisser Weise einander gleichgültige Verschiedene auf (ebd.). Die erste Negation in der ersten Prämisse ist noch eine »abstrakte Negativität«, die zu unterscheiden ist von der zweiten Negation, der Negation der Negation, die Hegel als »konkrete, absolute Negativität« bezeichnet (WdL I, 103; cf. Schäfer 2001, 255 f.). Jedoch ist, wie Schäfer bemerkt, die erste Negation nicht schlechthin abstrakt, sonst wäre sie nicht bereits eine bestimmte Negation. Sie ist abstrakt nur in Hinsicht auf die zweite Negation – schlechthin abstrakt ist nur die formallogische Negation (Schäfer 2001, 256). Abstrakt ist die erste Negation insofern, als dass sie den Unterschied zwischen Allgemeinheit und Besonderheit noch nicht zum Widerspruch entwickelt hat. Dahinter steht Hegels zentrale These, dass nur die Einheit von kontradiktorisch Entgegengesetztem eine tatsächliche konkrete und letzte Einheit ist, da alles, dessen Gegensatz auf verschiedene Rücksichten verteilt werden kann, die Frage offen lässt, in welcher Einheit wiederum die Rücksichten stehen (Schäfer 2001, 277). Die bestimmte Negation in der ersten Prämisse stellt hingegen nur eine Einheit her, die besagt, dass die Position des Anfangs ihre eigene Negation in sich enthält und umgekehrt, d.h. dass das Allgemeine das Besondere in sich enthält und vice versa, wobei dieses Enthaltensein eben noch nicht als Kontradiktion expliziert ist (Schäfer 2001, 256). Mit der ersten Negation in der ersten Prämisse ist bereits ein entscheidender Unterschied zur formallogischen Negation gegeben, denn sie hebt das Gesetz von der Reziprozität von Inhalt und Umfang der Begriffe auf: In der klassischen Logik ist ein Begriff von größerem Umfang inhaltlich ärmer als ein Begriff von geringerem Umfang; der allgemeinere Begriff subsumiert mehr Fälle unter sich als der weniger allgemeine, ist aber dadurch auch inhaltlich unbestimmter als letzterer. Nach Hegel jedoch hat der allgemeinere Begriff durch das dialektisch-spekulative Enthaltensein des besonderen in ihm einen reicheren Inhalt als der besondere Begriff; höhere, allgemeinere Begriffe sind in Hegels dialektisch-spekulativer Methode stets auch »reichere« Begriffe (Schäfer 2001, 256 f.). Dies ist der Sinn der Hegelschen »Aufhebung«, welche nicht nur Verneinung, sondern auch Aufbewahrung und Aufhebung in einem ist (ebd., 257). Die erste Prämisse beinhaltet sowohl analytische als auch synthetische Momente: Es handelt sich um einen analytischen Fortgang, da die Allgemeinheit expliziert wird und sie dabei selbst bleibt, und es handelt sich um einen synthetischen Fortgang, insofern in der Allgemeinheit ein Unterschied gesetzt wird und sich das Allgemeine zum Besonderen verändert (Schäfer 2001, 258). In der ersten Prämisse zeigen sich »gleichursprünglich

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Historisch-systematischer Ausflug 3 (G.W.F. Hegel)

Einheit, Verschiedenheit und Einheit der Verschiedenen« (ebd.). Die immanente Dialektik der Idee ist, wie oben bereits gesehen, sowohl analytisch als auch synthetisch. Allerdings reicht ein einzelnes Urteil nicht aus, um diese dialektisch-spekulative Bewegung der Idee zum Ausdruck zu bringen: Ein positives Urteil muss durch ein negatives Urteil ergänzt werden, und ein jedes Urteil bedarf der Ergänzung durch ein entgegengesetztes Urteil (Schäfer 2001, 259 f.). Hegels Theorie des spekulativen Satzes ist im Kern eine Theorie des spekulativen Schlusses (ebd., 260). Dies lässt sich mit Knauer 2008 dadurch zeigen, dass die zentrale Struktur des spekulativen Satzes in der Urteilslehre durch die erfüllte Kopula zu explizieren ist, welche selbst bereits der terminus medius des Schlusses ist (WdL II, 308) und ihre Einfaltungsund Ausfaltungsbewegung in der Schlusslehre zur vollen Explikation bringt (cf. entspr. Coreth 1952). Die zweite Prämisse des spekulativen Schlusses lautet nun: 2. Prämisse: B – E (Die Besonderheit ist Einzelheit). 239 Während die erste Prämisse das Ur-teil der Idee expliziert, findet in der zweiten Prämisse eine gegenwendige Bewegung zur ersten Prämisse statt. Allgemeinheit und Besonderheit entwickeln sich weiter, ihr in der ersten Prämisse noch konträres Gegenüberstehen (im Sinne der wesenslogischen Kategorie der Verschiedenheit) verschärft sich nun zur Kontradiktion. Der Widerspruch liegt darin, dass die Identität von Allgemeinheit und Besonderheit auf der einen und die Setzung ihrer Differenz auf der anderen Seite einen kontradiktorischen Gegensatz beinhalten, d.h. dass das Besondere nicht nur partiell mit dem Allgemeinen identisch und verschieden ist, sondern ganz und in selber Rücksicht. Die so verschärfte Besonderheit ist die Einzelheit. Die Einzelheit ist in einem substanziellen Sinn allgemein und umfasst Allgemeinheit und Besonderheit, sie ist »diejenige Besonderheit, d.h. Bestimmtheit, die allgemein ist« (Schäfer 2001, 263 f.). Die erste Negation in der ersten Prämisse ist eine bestimmte Negation, welche die Einheit und Verschiedenheit von Allgemeinheit und Besonderheit und damit ihre innerliche Bezogenheit expliziert; diese erste Negation entwickelt sich in der zweiten Prämisse zum »zweiten Negativen«, bzw. zur Negation der Negation (WdL II, 496 f.): Hier wird »die spezifische Struktur einer Negation bestimmt [...], die zugleich das Positive des Anfangs vollständig in sich ent-

239

Cf. WdL II, 496 f.; Schäfer 2001, 263.

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hält« (Schäfer 2001, 264), 240 d.h. die Negation der Besonderheit als Negation der Negation der Allgemeinheit generiert die Einzelheit, welche sowohl die Allgemeinheit als auch die Besonderheit vollständig in sich enthält. Hier zeigt sich die Dialektik von Positivem und Negativen (die auch in der Wesenslogik bereits die Begriffsstruktur antizipiert, cf. Sparby 2014, 244 f.) auf der Stufe des adäquaten Begriffs: »Die erste Negation als bestimmte Negation stellt einerseits den Unterschied und andererseits die Einheit der einander Negierenden als aufeinander einheitlich bezogen dar. Wird diese Einheit, das Bestehen des Positiven im Negativen bestimmt, so entwickelt sich die erste Negation zur zweiten Negation, zur Negation der Negation. [...] Die Allgemeinheit bildet die Position, affirmative Gleichheit mit sich, das Besondere bildet die Negation der Position, und die Einzelheit negiert die Negation der Besonderheit.« (Schäfer 2001, 265).

Die Einheit von Allgemeinheit und Besonderheit in der ersten Prämisse war noch eine unbestimmte Einheit von Verschiedenen, während die zweite Prämisse eine höherstufige Einheit herstellt, in der Einheit und Unterschiedenheit in selber Hinsicht gelten (Schäfer 2001, 266): »Das Allgemeine soll in der selben Hinsicht Besonderes sein, in der auch das Besondere Allgemeines ist, und ebenso soll in der selben Hinsicht der Unterschied gesetzt werden, daß das Allgemeine nicht das Besondere und das Besondere nicht das Allgemeine ist« (ebd.). Während das unmittelbare Positive nur Bedeutung hat durch den negativen Bezug auf das Negative (und das unmittelbare Allgemeine als das Positive nur durch den negativen Bezug auf das Besondere als sein Negatives), so hat auch umgekehrt das Negative nur Bedeutung durch seinen Bezug auf das Positive (und das Besondere nur durch seinen Bezug auf das Allgemeine). Allgemeines und Besonderes werden jeweils zur Totalität, der nichts äußerlich ist, und zuwar indem sie als voneinander Unterschiedene ihr Entgegengesetztes in sich haben (Schäfer 2001, 268): »[...] [J]edes der beiden ist einerseits es selbst und andererseits das von ihm Verschiedene. Auf diese Weise totalisieren sich die Momente. Damit spitzt sich die Verschiedenheit zum Gegensatz und zum Widerspruch zu« (Schäfer 2001, ebd.). Die Zuspitzung des Unterschieds zum Widerspruch in der zweiten Prämisse des methodisch-spekulativen Schlusses ist nach Schäfer das Herz240

Nach Schäfer 2001, 287, sind die bestimmte und die doppelte Negation nicht voneinander trennbar, die Position der bestimmten Negation findet im Resultat der Negation der Negation ihren Abschluss: »[...] das Positive im Negativen festzuhalten, gelingt erst vollständig, wenn die Affirmation durch die doppelte Negation gesetzt ist« (ebd.).

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stück der Dialektik des reifen Hegel (Schäfer 2001, ebd.). Hegel greift hier zurück auf die Entwicklung der wesenslogischen Reflexionsbestimmungen von Verschiedenheit, Gegensatz und Widerspruch: Den eigentlichen Gegensatz bildet hier die negative Einheit von Gleichheit und Ungleichheit, in welcher sich die Gleichheit zum Positiven und die Ungleichheit zum Negativen wandelt; das Positive ist »die Gleichheit, die in sich auch Ungleichheit ist, weil in dieser Gleichheit gesetzt ist, daß sie der Ungleichheit ungleich ist; und das Negative ist die Ungleichheit, die in sich auch Gleichheit ist, weil diese Ungleichheit der Gleichheit ungleich und daher mit sich selbst gleich ist« (Schäfer 2001, 268). Das Positive als das Nichtsein der Ungleichheit und das Negative als das Nichtsein der Gleichheit besitzen ihre Bedeutung lediglich durch den ausschließenden Bezug auf ihr Entgegengesetztes, sie implizieren einander notwendigerweise (ebd.). »Damit entwickelt sich jedes einzelne Moment zum Ganzen, zur Totalität. Das Positive impliziert das Negative, das Negative impliziert das Positive« (ebd.). Das bedeutet nicht nur rein äußerliche negative Relationen auf das jeweils Entgegengesetzte, sondern das besagt, dass das Positive wesentlich negativ und das Negative wesentlich positiv ist: »Indem das Positive positiv und negativ und umgekehrt das Negative negativ und positiv ist, werden beide Bestimmungen selbstständig. Selbstständigkeit besteht bei den Reflexionsbestimmungen Positives und Negatives darin, daß sich die einzelnen Momente zur Totalität des ganzen Gegensatzes entwickeln. Beide Momente sind nicht auf Äußerliches angewiesen, weil jedes einzelne Moment des Gegensatzes selbst bereits der ganze Gegensatz ist« (Schäfer 2001, 269).

Der Unterschied entwickelt sich zum Widerspruch, indem Positives und Negatives zu Totalitäten werden und voneinander in derselben Hinsicht ausgesagt werden. Sie sind beide ein Negatives, da sie ihr Gegenteil ausschließen, und sie sind beide ein Positives, da sie mit sich selbst identisch sind: »Indem die selbständige Reflexionsbestimmung in derselben Rücksicht, als sie die andere enthält und dadurch selbständig ist, die andere ausschließt, so schließt sie in ihrer Selbständigkeit ihre eigene Selbständigkeit aus sich aus; denn diese besteht darin, die ihr andere Bestimmung in sich zu enthalten und dadurch allein nicht Beziehung auf ein Äußerliches zu sein, – aber ebensosehr unmittelbar darin, sie selbst zu sein und die ihr negative Bestimmung von sich auszuschließen. Sie ist so der Widerspruch« (WdL II, 49; cf. Schäfer 2001, 272).

Ob diese Hinsichtengleichheit jedoch bei Hegel tatsächlich so der Fall ist, wird im Laufe dieses Kapitels noch genauer zu betrachten sein. Was Hegel

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durch die Zuspitzung zum Widerspruch explizieren will, ist der Umstand, dass die negative Beziehung der Relata in der dialektisch-spekulativen Methode eine rein interne Beziehung ist: Die des Seins eines Relatums ist zugleich die Setzung seines Nichtseins, d.h. ihres Entgegengesetzten, in derselben Totalität – beide Momente werden zum Ganzen des Widerspruchs (Schäfer 2001, 273). Dadurch aber, dass die Selbstständigkeit der Reflexionsbestimmungen zugleich zerstört wird, heben sich die Bestimmungen durch ihren immanenten Widerspruch auf (ebd.). Positives und Negatives werden zur Kategorie des »Grundes« als ihrer Aufhebung. In dieser Aufhebung des Widerspruchs bleibt jedoch die Selbstständigkeit der Relata latent erhalten. Der Grund ist selbst eine Totalität, die keines Äußeren mehr bedarf (ebd.). Der beiderseitige Übergang der Momente ineinander in ihrer Totalisierung findet dabei auf jeder Stufe der dialektisch-spekulativen Methode statt, jedoch in einem unterschiedlichen Grad an Explizitheit (Schäfer 2001, 274). In diesem beiderseitigen, doppelten Übergang der Momente ineinander beginnt bereits eine gegenläufige Bewegung in der dialektisch-spekulativen Methode, die sich in der Konklusion vollenden wird: Gehen in der ersten und zweiten Prämisse die Momente bzw. Bestimmungen fortschreitend über von der Allgemeinheit zur Besonderheit und zur Einzelheit, so vollzieht sich die rückläufige Bewegung als Bewegung zurück zur Einheit der Momente. Diese Rückkehr zur vollen Einheit wird durch die Aufhebung des Widerspruchs in der Konklussion vollendet (Schäfer 2001, 274 f.). Der aufzuhebende Widerspruch besteht darin, dass die Einzelheit als Einheit von Allgemeinheit und Besonderheit zugleich Allgemeinheit und Besonderheit unter derselben Rücksicht ist (ebd., 275). Diese Einheit ist die konkrete Allgemeinheit. Sie ist »[...] eine Allgemeinheit, die das Besondere in sich selbst enthält und nach Hegel ohne Hinsichtenunterscheidungen ihre eigene Allgemeinheit in den Besonderheiten selbst realisiert. Die Allgemeinheit ist in diesen Besonderheiten zugleich mit sich identisch, verhält sich in den Besonderungen nur zu sich selbst, weil sie als Einzelheit zugleich ein vollständig individueller Begriff ist und die Besonderheiten in sich selbst allgemein sind. Die Einzelheit bedeutet einen vollständigen Ausschluß aller äußerlichen Andersheit, also reine Selbstbezüglichkeit. [...] Sofern Allgemeinheit und Besonderheit in der Einzelheit ihre Einheit haben, sind sie auf widersprüchliche Weise vereint. Die Besonderheit ist in der selben Hinsicht als Allgemeinheit zu denken, wie die Allgemeinheit als Besonderheit zu denken ist. Beide sind identisch, aber in sich unterschieden identisch, gesetzt« (Schäfer 2001, 275).

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Der Unterschied zwischen der wesenslogischen Einheit von Positivem und Negativem und der begriffslogischen Einheit von Allgemeinheit und Besonderheit liegt nun darin, dass das Positive und das Negative jeweils das Nichtsein ihres Gegenübers sind (dies ist der Modus der Reflexion in der Methode: das Positive ist das, was das Negative nicht ist und vice versa), bei den Begriffsbestimmungen hingegen besitzt jede Bestimmung ihre Identität positiv in ihrem Entgegengesetzten – dies ist der Modus der Entwicklung in der Methode: das Allgemeine impliziert positiv das Besondere und umgekehrt, und diese ›Entwicklung ineinander‹ zeigt sich bereits auf der Ebene des disjunktiven Urteils in der Urteilslehre (Schäfer 2001, 275 f.). Die Identität des Allgemeinen ohne das Besondere ist bereits in sich widersprüchlich und der Fortgang des dialektisch-spekulativen Schlusses lässt diesen von Anfang an vorhandenen Widerspruch manifest werden (für alle Stufen des dialektischspekulativen Ganges gilt, dass die jeweils anfängliche Unmittelbarkeit als isolierte bereits latent widersprüchlich ist, was den dialektischen Gang zu allererst in Bewegung setzt, cf. ebd.). Hegels zentraler Vorwurf an das Verstandesdenken und damit die zentrale Motivation für seine gesamte dialektisch-spekulative Konzeption ist, dass der Verstand durch die strikte Vermeidung von kontradiktorischen Widersprüchen und durch die ständige Verteilung von kontradiktorisch Entgegengesetztem auf verschiedene Hinsichten nicht in der Lage ist, wirkliche und letzte Einheit zustande zu bringen. Denn bei aller Verteilung auf verschiedene Hinsichten stellt sich wiederum die Frage, in welcher Einheit diese Hinsichten wieder stehen. Soll nicht ein letztes Zerfallen in Hinsichten übrig bleiben (was dem Hegelschen Kohärenzdenken widerspräche), so muss an irgendeinem Punkt kontradiktorisch Entgegengesetztes in eins fallen – d.h. unter derselben Hinsicht, und das, obwohl es eben kontradiktorisch entgegengesetzt bleibt und nicht zu planer undifferenzierter Identität wird. Auch eine temporal-lineare Auseinanderziehung der kontradiktorisch Entgegengesetzten in ein Nach- und Auseinander bringt ebensowenig eine echte Einheit zustande (cf. Schäfer 2001, 277), was vielleicht auch an die Adresse jener, die Hegels Logik als temporalen Prozess auffassen und generell an prozessphilosophische Ansätze gerichtet werden mag. Hegel drückt dies explizit im Schlusskapitel der WdL aus: »Wenn deswegen das Negative, Bestimmte, das Verhältnis, Urteil und alle unter dies zweite Moment fallenden Bestimmungen nicht für sich selbst schon als der Widerspruch und als dialektisch erscheinen, so ist es bloßer Mangel des Denkens, das seine Gedanken nicht zusammenbringt. Denn das Material, die entgegengesetzten Bestimmungen in einer Beziehung, sind schon gesetzt und für das Denken vorhanden. Das formelle Denken aber macht sich die

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Identität zum Gesetze, läßt den widersprechenden Inhalt, den es vor sich hat, in die Sphäre der Vorstellung, in Raum und Zeit herabfallen, worin das Widersprechende im Neben- und Nacheinander außereinander gehalten wird und so ohne die gegenseitige Berührung vor das Bewußtsein tritt. Es macht sich darüber den bestimmten Grundsatz, daß der Widerspruch nicht denkbar sei; in der Tat aber ist das Denken des Widerspruchs das wesentliche Moment des Begriffes. Das formelle Denken denkt denselben auch faktisch, nur sieht es sogleich von ihm weg und geht von ihm in jenem Sagen nur zur abstrakten Negation über« (WdL II, 562 f.).

Die absolute Negation, die Negation der Negation, generiert in ihrer Selbstbezüglichkeit die Einzelheit, welche ebenso selbstbezüglich ist. Die Einzelheit ist aktive, fürsichseiende Selbstbestimmung und logische Subjektivität bzw. konkrete Individualität, die in derselben Rücksicht Allgemeinheit und Besonderheit ist (Schäfer 2001, 279). Sie ist weder als ein Eigenschaftsbündel, noch als ein hypokeimenon zu denken, was wiederum eine Trennung von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit bedeuten würde. Die Einzelheit ist als die konkrete Allgemeinheit selbst die aktive Selbstbestimmungsbewegung (Schäfer 2001, 281 f.). Die zweite Prämisse beinhaltet wie die erste sowohl ein analytisches als auch ein synthetisches Moment (cf. Schäfer 2001, 282 f.): Da die Einzelheit nicht unmittelbar in der ersten Prämisse auftritt, ist die zweite Prämisse synthetisch (die »sich vereinzelnde Besonderheit ist synthetische ›Beziehung des Unterschiedenen‹ auf sich«, ebd., 283). Und da die neue Bestimmung der Vereinzelung selbst aus dem Begriff entspringt, ist die zweite Prämisse analytisch. Analytisches und synthetisches Moment sind in der zweiten Prämisse gleichursprünglich, die analytische Einheit ist die synthetische Verschiedenheit (ebd., 284). Die Konklusion des spekulativen Schlusses lautet nun: 3. Konklusion A – E (Die Allgemeinheit ist Einzelheit). 241 Damit lautet der gesamte spekulative Schluss: 1. Prämisse: A – B 2. Prämisse: B – E Konklusion: A – E In der Konklusion stellt sich die anfängliche Unmittelbarkeit wieder her, als neue und vermittelte Ganzheit. Die Konklusion bringt die rückkehrende 241

Cf. WdL II, 498 f.; Schäfer 2001, 284 f.

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Bewegung der dialektisch-spekulativen Methode zum Ausdruck, als der zur Ausfaltung in die Differenz gegenläufige Rückgang in die anfängliche Einheit als höhere und aufhebende Einheit. Die abstrakte Allgemeinheit des Anfangs ist nun die Allgemeinheit, die »sich aus der Besonderheit und der Einzelheit entwickelt hat« (Schäfer 2001, 285). Die Lehre vom spekulativen Schluss des reifen Hegel ergänzt nach Schäfer 2001 damit Hegels frühere Lehre vom spekulativen Satz in der PhG. 6.5.7 Die Methode und die drei großen Zusammenschlüsse des Systems In der Schlusslehre wird jedes Begriffsmoment (Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit) noch einmal explizit zur Kopula selbst. Der Schluss ist nichts anderes als das Urteil, nur sozusagen in seiner Feinstruktur dargestellt. In dieser zum Schluss gewordenen Struktur permutieren die Begriffsmomente einmal vollständig durch (cf. Sans 2004, 124–127), so dass am Ende jedes Begriffsmoment die Stellung der Kopula inne hatte und damit tatsächlich alles gleich allem und verschieden von allem zugleich geworden ist. Alle Bestimmungen und die Kopula haben an der Stelle der je anderen gestanden und waren in der eigenen und der Bestimmung aller anderen gesetzt. Die Schlusslehre ist also eine dialektisch-spekulative Permutation. Diese vollständige Permutation kann kategorientheoretisch (im mathematischen Sinn) eingeholt werden, wie unten noch gezeigt werden soll. Hier soll es nun nur um einige das Gesamtsystem betreffende Aspekte gehen. Ein Schluss des Modus Barbara (cf. zum Folgenden Burbidge 2006, 88–94; Werckmeister 2009, 23–44) kann lauten: 1. Prämisse: Alle Menschen (B) sind sterblich (A). 2. Prämisse: Nun ist Caius (E) ein Mensch (B). Konklusion: Also ist Caius (E) sterblich (A). Oder in Kurzform: 1. Prämisse: B – A 2. Prämisse: E – B Konklusion: E – A bzw. in Hegels Notation: E–B–A Dies ist die Grundfigur des Schlusses. Hegel nennt noch eine zweite Figur, A – E – B, und eine dritte Figur, B – A – E. Alle in der Schlusslehre der subjektiven Logik behandelten Schlüsse folgen diesen drei Grundfiguren. Eine

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eingehende Darstellung der Schlusslehre in Hegels Logik und Enzyklopädie kann im Rahmen dieser Studie aber nicht geleistet werden, es sei dafür auf die ausführliche Untersuchung in Sans 2004 und Krohn 1972 verwiesen. Auch die Schlusslehre teilt sich wieder auf in Gruppen von Schlüssen gemäß der logischen Grundsphären, wobei diesmal die Schlüsse des Begriffs fehlen. Die Schlüsse des Begriffs scheinen sich erst in den drei großen Zusammenschlüssen des Systems am Ende der Enzyklopädie zu ergeben (cf. Werckmeister 2009, 43), worauf unten eingegangen wird. Die nachfolgende Tabelle zeigt eine Tafel der Schlüsse, die sich gemäß der Permutation der Begriffsmomente ergibt. 1. Schluss des Daseins 1. Figur E–B–A 2. Figur A–E–B 3. Figur B–A–E 2. Schluss der Reflexion Schluss der Allheit E–B–A Schluss der Induktion A–E–B Schluss der Analogie B–A–E 3. Schluss der Notwendigkeit Kategorischer Schluss E–B–A Hypothetischer Schluss A – E – B Disjunktiver Schluss B–A–E Tabelle 2: Übersicht über die Schlusslehre (nach Werckmeister 2009, 40).

Der disjunktive Schluss ist in der Schlusslehre der vorläufige Höhepunkt der Vermittlung aller Begriffsmomente, er besitzt entscheidende Parallelen zum disjunktiven Urteil: Der terminus medius »ist aber die mit der Form erfüllte Allgemeinheit; sie hat sich als die Totalität, als entwickelte objektive Allgemeinheit bestimmt. Der Medius Terminus ist daher sowohl Allgemeinheit als Besonderheit und Einzelheit. Als jene ist er erstlich die substantielle Identität der Gattung, aber zweitens als eine solche, in welche die Besonderheit, aber als ihr gleich, aufgenommen ist, also als allgemeine Sphäre, die ihre totale Besonderung enthält, - die in ihre Arten zerlegte Gattung: A, welches sowohl B als C als D ist. Die Besonderung ist aber als Unterscheidung ebensosehr das Entweder-Oder des B, C und D, negative Einheit, das gegenseitige Ausschließen der Bestimmungen. – Dies Ausschließen

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ist nun ferner nicht nur ein gegenseitiges und die Bestimmung bloß eine relative, sondern ebensosehr wesentlich sich auf sich beziehende Bestimmung, – das Besondere als Einzelheit mit Ausschließung der anderen.«

Wie im disjunktiven Urteil steht auch hier das Absolute auf beiden Seiten, als die umfassende Totalität und als die Vielheit der Bestimmungen. Der terminus medius erscheint nun als die erfüllte, konkrete Allgemeinheit, welche die Totalvermittlung von abstrakter Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit ist. Die Bestimmungen (Arten) sind auch hier wieder zum einen negativ im kontradiktorischen Entweder-Oder und zum anderen positiv im Sowohl-als-auch besondert. Die Schlüsse der Notwendigkeit besitzen überdies eine klare Parallelität zu Kants Herleitung der vollendeten Totalitäten der Bedingungen der Prosyllogismen, welche zu den Vernunftbegriffen bzw. transzendentalen Ideen führen (KrV, B355–396): Entsprechend der Dreiheit der Vernunftschlüsse – kategorischer, hypothetischer und disjunktiver Vernunftschluss – gibt es drei Klassen von transzendentalen Ideen: (1) Ein »Unbedingtes der kategorischen Synthesis in einem Subjekt« (B 379), dies ist die absolute Totalität der Inhärenz, sie enthält die unbedingte Einheit des denkenden Subjekts (B 391–393). (2) Ein Unbedingtes »der hypothetischen Synthesis der Glieder einer Reihe« (B 379), dies ist die absolute Totalität der Dependenz, sie enthält die Einheit der objektiven Welt bzw. die »absolute Einheit der Reihe der Bedingungen der Erscheinung« (B 391–393), und (3) ein Unbedingtes »der disjunktiven Synthesis der Teile in einem System« (B 379), dies ist die absolute Totalität der Konkurrenz (Gemeinschaft) und enthält die Subjekt und Objekt übergreifende »absolute Einheit der Bedingung aller Gegenstände des Denkens überhaupt« (B 391–393). Unter die erste Klasse fällt als Modus die transzendentale Idee der Seele (psychologia rationalis), unter die zweite die vier kosmologischen Ideen (cosmologia rationalis) und unter die dritte die Gottesidee bzw. das Prototypon transcendentale oder das transzendentale Ideal (theologia rationalis) (B 392 f.; cf. Schneider 2011, 124–127). Wohlgemerkt ist die Gottesidee bei Kant aus der Idee der Subjekt und Objekt übergreifenden Einheit hervorgegangen. Auch in Hegels Schlusslehre stellt der disjunktive Schluss eine Struktur dar, in der die umfassende Einheit erreicht zu sein scheint. Ebenso scheint auch der äußerliche Verstandesschluss endgültig überwunden zu sein, und hinsichtlich der im terminus medius artikulierten umfassenden Einheit gilt, dass sie den Extremen des Schlusses nicht mehr abstrakt und äußerlich gegenübersteht wie ein weiteres, unterschiedenes Extrem – sie ist vielmehr der über den Gegensätze schwebende, »haltende Grund«: »Zunächst ist nun der Schluß wie das Urteil unmittelbar; so sind die Be-

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stimmungen (termini) desselben einfache, abstrakte Bestimmtheiten; er ist so Verstandesschluß. Wenn bei dieser Gestalt desselben festgeblieben wird, so ist freilich die Vernünftigkeit in ihm, obzwar vorhanden und gesetzt, unscheinbar. Das Wesentliche desselben ist die Einheit der Extreme, die sie vereinigende Mitte und [der sie] haltende Grund. Die Abstraktion, indem sie die Selbständigkeit der Extreme festhält, setzt ihnen diese Einheit als eine ebenso feste für sich seiende Bestimmtheit entgegen und faßt dieselbe auf diese Art vielmehr als Nichteinheit denn als Einheit. Der Ausdruck Mitte (medius terminus) ist von räumlicher Vorstellung hergenommen und trägt das Seinige dazu bei, daß beim Außereinander der Bestimmungen stehengeblieben wird. Wenn nun der Schluß darin besteht, daß die Einheit der Extreme in ihm gesetzt ist, wenn diese Einheit aber schlechthin einerseits als ein Besonderes für sich, andererseits als nur äußerliche Beziehung genommen und zum wesentlichen Verhältnisse des Schlusses die Nichteinheit gemacht wird, so hilft die Vernunft, die er ist, nicht zur Vernünftigkeit« (WdL II, 310).

Wenn jedoch erst die vollständige Permutation der Begriffsmomente die Totalvermittlung herstellt, dann scheint in der Schlusslehre dies noch nicht gelungen zu sein – es fehlen die Permutationen A – E – B, B – E – A und E – A – B. Auf die Unvollständigkeit der Schlusslehre deutet auch das Fehlen eines ›Schlusses des Begriffs‹ hin (cf. Werckmeister 2009, 43). Nach Schäfer 2001 ist die Vollständigkeit erst im (oben dargestellten) methodischdialektischen Schluss der absoluten Idee erreicht, 242 andere Interpreten hingegen sehen die Vollständigkeit erst dann erreicht, wenn der ›absolute

242

»Hegel macht auf einen zentralen Unterschied zwischen der Subjektivität, d. h. dem Begriff im engeren Sinne und der absoluten Idee aufmerksam [...]. Die Bestimmungen der Subjektivität, des Begriffs im engeren Sinn, wie sie der erste Abschnitt der ›Lehre vom Begriff‹ darlegt, sind [...] der ›Boden‹, das Fundament der Bestimmungen der Idee. Dies zeigt sich insbesondere daran, daß die absolute Idee sich in den Begriffsbestimmungen Allgemeines, Besonderes und Einzelnes vollzieht. Es zeigt sich auch daran, daß die Ideen des Lebens und des Erkennens wie die absolute Idee jeweils einen Schluß bilden. Die Momente der Idee sind aber im Gegensatz zu den Momenten der einseitigen Subjektivität, des Begriffs im engeren Sinn, selbst schon konkret. So zeigt sich z. B. ein Unterschied zwischen der konkreten Allgemeinheit in Hegels Lehre vom Schluß aus dem Begriff im engeren Sinne und der konkreten Allgemeinheit in der absoluten Idee daran, daß im Schluß aus dem Begriff im engeren Sinne die konkrete Allgemeinheit nur im erfüllten Mittelbegriff anwesend ist, wogegen sich im methodisch dialektischen Schluß der absoluten Idee die konkrete Allgemeinheit in allen drei Begriffsbestimmungen selbst gestaltet; also sowohl in der Allgemeinheit, der Besonderheit als auch in der Einzelheit. Es gibt daher nicht mehr bloß einen erfüllten Mittelbegriff, sondern eine dreimalige Selbstgestaltung der konkreten Allgemeinheit, bei der jeweils eine der drei Begriffsbestimmungen prävaliert, wodurch die Unter-

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Schluss‹ bzw. die drei großen Zusammenschlüsse des Systems am Ende der Enzyklopädie hinzugezogen werden. 243 Diese drei Zusammenschlüsse seien im Folgenden kurz wiedergegeben (eine detaillierte Analyse der Permutationen der Begriffsmomente möchte ich im letzten Teil dieser Arbeit geben): Nachdem am Ende der Enzyklopädie die Philosophie aus Kunst und Religion als deren Einheit hervorgetreten ist, hat sich der Geist letztendlich wieder zur Einheit zusammengeschlossen (Werckmeister 2009, 58). Religion und Philosophie stellt Hegel nun als dreifaches System von Schlüssen dar, in denen jeder Terminus die anderen totalvermittelt (ebd.). In § 575 ff. der Enzyklopädie sind die drei großen Zusammenschlüsse der Philosophie nun die drei Gestalten der Zusammenschlüsse der Sphären von Logik (dem Logischen / dem Logos), Natur und Geist, was den absoluten Schluss darstellt (ebd., 46: cf. zum Folgenden Werckmeister 2009, 46–57): (a) Der erste Schluss ist derjenige, »welcher das Logische zum Grunde als Ausgangspunkt und die Natur zur Mitte hat, die den Geist mit derselben zusammenschließt. Das Logische wird zur Natur und die Natur zum Geiste« (Enz. § 575): Die logische Idee bringt die Natur aus sich hervor und waltet in ihr als ihre Tiefenstruktur, und bringt im Gang durch die Geschichte den Geist hervor und schließt die Natur mit diesem zusammen. Die Natur als das Besondere (B) vermittelt damit zwischen dem Logischen als dem Allgemeinen (A) und dem Geist als dem Einzelnen (E), wie Hegel weiter im Zusatz zu § 187 expliziert: »Hier ist zunächst die Natur das mittlere, zusammenschließende Glied. Die Natur [...] entfaltet sich in die beiden Extreme der logischen Idee und des Geistes. [...] Der Geist aber ist nur Geist, indem er durch die Natur vermittelt ist« (cf. Werckmeister 2009, 47). Die Prämissen dieses Schlusses haben die Gestalt »Das Logische wird zur Natur« in den Begriffsbestimmungen A – B (1. Prämisse) und »Die Natur wird zum Geist« in den Begriffsbestimmungen B – E. Die Konklusion lautet: »Also wird das Logische zum Geist«, in den Begriffsbestimmungen A – E. Der Schluss hat also die Gestalt A – B – E. Dies ist der Gang der Darstellung in der Enzyklopädie. In diesem Schluss ist die dialektisch-spekulative Methode im seinslo-

243

schiedenheit der absoluten Idee gewährleistet wird, sonst gäbe es nur eine einfache Identität, ohne Unterschied« (Schäfer 2001, 221 f.; cf. Werckmeister 2009, 41–43). Cf. Utz, Konrad (2006), »Alles Vernünftige ist ein Schluss«, in: Arndt, Andreas / Iber, Christian / Kruck, Günter (Hrsg.), Hegels Lehre vom Begriff, Urteil und Schluss, Berlin, 186–189; cf. Werckmeister 2006, 43.

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gischen Modus des äußerlichen Übergehens, dies ist die Betrachtungsweise des Systems aus einer äußerlich-objektivistischen Perspektive (cf. Puntel 1973, 322–333). (b) Der zweite Schluss (§ 576) ist der Zusammenschluss des Systems aus phänomenologischer Perspektive (cf. Puntel 2009): In ihm bildet der Geist das vermittelnde Mittelglied und schließt die Natur, die er voraussetzt, mit dem Logischen zusammen. Auch hier ist das Logische das Allgemeine (A), die Natur das Besondere (B) und der Geist das Einzelne (E), und die Prämissen dieses Schlusses haben die Gestalt »Die Natur wird zum Geist« bzw. B – E (1. Prämisse), »Der Geist wird zum Logos« bzw. E – A. Der Schlusssatz lautet: »Also wird die Natur zum Logos«, bzw. B – A. Der Schluss hat daher die Gestalt B – E – A. In diesem Schluss ist die dialektisch-spekulative Methode im wesenslogischen Modus der äußerlichen Reflexion, dies ist die Betrachtungsweise einer Transzendentalphilosophie (cf. Puntel 1973, 324 f.). (c) Der dritte Schluss (§ 577) ist der Zusammenschluss des Systems aus einer absoluten Perspektive (cf. Puntel 2009): In ihm ist die sich wissende Vernunft selbst zum Gegenstand geworden – sie ist das ›Denken des Denkens‹ (noesis noeseos) des Aristoteles, was von Hegel auch ausdrücklich zitiert wird (cf. Werckmeister 2009, 51). Die sich wissende Vernunft als Mitte des Schlusses ist die logische Idee selbst als das Absolut-Allgemeine, und Natur und Geist sind die Selbstmanifestationen der sich wissenden Vernunft. Der 3. Schluss hat dabei letztlich als terminus medius die »Freiheit des Ganzen« (Enz., § 14), welche mit der sich wissenden Vernunft identisch ist (cf. Puntel 1973, 344 f.). Die Freiheit steht bei Hegel also im Herzen der Verhältnisbestimmung von Absolutem und Endlichem, und von diesem 3. Schluss aus muss die Frage nach der Abgeschlossenheit des Hegelschen Systems beantwortet werden: Die »Freiheit-als-Manifestation kann geradezu definiert werden als der Aus-Schluß jedes Ab-Schlusses. Manifestation ist zwar ›Bewegung‹, nicht aber als Über-gang von einem zum anderen und somit als ›Gang‹ zu einem Ende, eben zu einem Abschluß« (Puntel 1973, 345), in Hegels Worten: »Das Wirkliche ist darum Manifestation; es wird durch seine Äußerlichkeit nicht in die Sphäre der Veränderung gezogen, noch ist es Scheinen seiner in einem Anderen, sondern es manifestiert sich, d. h. es ist in seiner Äußerlichkeit es selbst und ist nur in ihr, nämlich nur als sich von sich unterscheidende und bestimmende Bewegung, es selbst« (WdL II, 201; cf. Puntel 1973, 346). Die Darstellung des Systems im 3. Schluss wird von Hegel in seinen Vorlesungen zur Religion und

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Geschichte ausgeführt, und darin zeigt sich die Geschichtlichkeit der absoluten Methode (cf. Puntel 1973, 325–331; Angehrn 1991, 103). In der hier verwendeten halbformalen Darstellung wäre im dritten Schluss z}|{ das Logische L die umfassende Klammer (...) von Geist G und Natur N , z }| { also: G ↔ N , bzw. wenn man den Geist als das der Natur gegenüberstehende, noch äußerliche Logische L∗ betrachtet: z L∗ o

}|

D L∗ DN

{

/N

(24)

Alle drei Schlüsse bilden den Gang der Modi der Methode ab, sie sind jeweils die Abfolge des seinslogischen Übergehens, der wesenslogischen Reflexion und der begriffslogischen Entwicklung und Manifestation. Sie seien kurz tabellarisch zusammengefasst (cf. Werckmeister 2009, 51–55): Die Schlüsse der Philosophie 1. Schluss Logos – Natur – Geist A – B – E 2. Schluss Natur – Geist – Logos B – E – A 3. Schluss Geist – Logos – Natur E – A – B Tabelle 3: Übersicht über die Zusammenschlüsse des Systems.

6.5.8 Der infinite Re- und Progress der Methode Puntel 1996 wirft der dialektisch-spekulativen Methode Hegels vor, in einen infiniten Progress zu geraten und somit letztlich doch ins Leere zu laufen. Damit ist eine Frage in Puntel 1973, 240 f. aufgegriffen: Die konkrete Unmittelbarkeit am Ende jedes dialektisch-spekulativen Ganges ist zugleich ein neuer Anfang, eine neue abstrakte Unmittelbarkeit, zu der sie durch die Operation des Verstandes im Übergang zu jedem neuen dialektisch-spekulativen Kreisgang gemacht wird. Es scheint sich auf diese Weise ein infiniter Progress zu ergeben. Ebenso ergibt sich rückwärts ein infiniter Regress: Wenn Bestimmung durch Negation zustande kommt (»omnis determinatio est negatio«) und die abstrakte Unmittelbarkeit (anfängliches Allgemeines) nicht die konkrete Unmittelbarkeit (erfülltes Allgemeines) am Ende eines dialektischen Ganges, d.h. durch Negation von diesem abgehoben ist, und wenn sie auch nicht das Vermittelnde nach der ersten Negation ist, dann ist die abstrakte Unmittelbarkeit bereits vorgängig zur ersten Negation ein Bestimmtes gegenüber dem Vermittelnden und der resultierenden konkreten

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Unmittelbarkeit. Dann ist die abstrakte Unmittelbarkeit aber nicht Anfang, sondern bereits von einer Unmittelbarkeit, die ›davor‹ liegt, vermittelt und daher selbst eine konkrete Unmittelbarkeit (cf. Puntel 1973, ebd.). Die Methode scheint sich also in zwei Richtungen ins Unendliche zu verlieren (U = abstrakte Unmittelbarkeit, V = Vermittlung, VU = vermittelte (= konkrete) Unmittelbarkeit): ... −→ Vn−1 −→ VUn−1 = Un −→ Vn −→ VUn = Un+1 −→ Vn+1 −→ VUn+1 = Un+2 −→ ...

(25)

Die Seite des infiniten Progresses kann man gemäß der Notationen von Kap. 2 auch wie folgt darstellen (auch hier sei die dialektische Differenz D im ersten Schritt mit dem Index 1 versehen, da nachfolgende Differenzen D2 , D D3 ,... nicht notwendigerweise dieselben sind. Die Differenz D1 in U ←− −1→ V z}|{ und die in die Einheit der vermittelten Unmittelbarkeit (...) eingebundene Differenz D∗1 sind nicht dieselben: Die Differenz D1 ist eine Differenz, welz}|{ che eine Einheit im Sinne von (...) exkludiert. Die Differenz innerhalb der Einheit der vermittelten Unmittelbarkeit dagegen ist eine Differenz, die bereits in die Struktur der vermittelten Unmittelbarkeit dergestalt einbezogen ist, dass sie nicht ›herausfällt‹: z }| { D∗1 U ←− −→ V

(26)

Hier entsteht nun durch die sich auf jeder Stufe wiederholende Operation des Verstandes ein neuer Gegensatz, der im Sinne von D1 wiederum exkludierend ist: z }| { D∗1 −→ V) (U ←− −→ V) ←− −→ (U ←− D1

D2

(27)

Diese neue exkludierende Differenz D2 ist auch hier wie in Kap. 2 in dem Sinne höherstufiger als D1 , da D2 eine Exklusion zwischen Exklusionsverhältnissen ist, aber sie kommt mit D1 darin überein, dass es sich eben um eine exkludierende Differenz handelt. Daher muss sie wiederum in eine höhere Einheit einer neuen vermittelten Unmittelbarkeit einbezogen werden (womit D2 wiederum zu einem D∗2 wird): z

}|

{ z }| { D∗2 D∗1 D (U ←− −1→ V) ←− −→ V) −→ (U ←−

(28)

164

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Dann aber ergibt sich eine erneute verstandesmäßige Exklusion D3 zwischen den letzten beiden Formeln, und so weiter ad infinitum. Allgemein erhält man auch hier eine unendliche Kette von Einheiten der folgenden Gestalt (für alle n ∈ N): }| { z }| { z}|{ z}|{ ∗ D n−1 D∗n D n−1 −→ ((...) ←− −→ (...) ) ←− ((...) ←− −→ (...) ) z

(29)

Die Seite des infiniten Regresses wird in dieser Notation erfasst, wenn man sich den Fortgang rückwärts innerhalb jeder kleinsten Klammer verlaufend vorstellt. Insgesamt ergibt sich eine abzählbar-unendliche Schachtelung von Klammerungen. Dass dies jedoch schon rein formal nicht das letzte Wort über das Problem des Re- bzw. Progresses ist, soll im letzten Kapitel dieses Bandes gezeigt werden. Von zentraler Bedeutung ist, dass Hegel die Unendlichkeit in der Methode nicht tout court ausschließt, sondern lediglich eine schlechte Unendlichkeit solcher Regresse und Progresse (cf. hierzu und zum Folgenden Puntel 1973, 240 f. und 182, Fn. 125). Das Ergebnis der dialektischen Bewegung ist die Unendlichkeit als konkrete Totalität. Die Inhaltslosigkeit der ›absoluten ersten Anfänge‹ ist in Wahrheit die Bestimmtheit dieser Anfänge selbst. Darum sind die Anfänge unterscheidbar (Sein, Wesen, Allgemeinheit) – aber diese Bestimmtheit impliziert keinen unendlichen Regress, ebensowenig wie ihre Inhaltslosigkeit (Unbestimmtheit) sie zu absoluten Anfängen macht (Puntel 1973, 240 f.). Ein ›schlechter‹ unendlicher Regress und Progress werden von der dialektischen Methode ausgeschlossen (Puntel 1973, 241): Das Resultat ist Moment, insofern es »den Unterschied zum unmittelbaren Anfang als zum ersten Moment ›setzt‹; erst diese Bestimmtheit als Resultat aber macht den unmittelbaren Anfang zu einem Bestimmten, d.h. Vermittelten; denn diese Bestimmtheit ist nur im Gegenzug gegen die Bestimmtheit des Resultats – oder genauer: gegen die Bestimmtheit als Resultat – gegeben. [...] [D]ie Bestimmtheit des Anfangs ist nicht schon am Anfang gegeben, sondern tritt allererst durch das Ende – also durch das Fortgehen – auf« (Puntel 1973, ebd.). Ein infiniter Regress würde hingegen voraussetzen, dass der Anfang unabhängig vom weiteren Vorgehen als fertiger bereits vorliegt (cf. ebd.). Die Bestimmtheit des Anfangs ist aber durch das Resultat vermittelt. Umgekehrt lässt auch das Resultat den Anfang nicht »hinter sich oder außer sich, sondern im Resultat – genauer als Resultat – ist [die Methode] in aller Wahrheit die Vermittlung, d.h. die Bestimmung des Anfangs: die Bestimmtheit des Resultats bzw. als Resultat ist daher die wiederhergestellte Unmittelbar-

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keit als der bestimmte Anfang selbst. Aber die Bestimmtheit des Resultats ist nicht nur die wiederhergestellte Unmittelbarkeit des Anfangs, sondern sie ist ›in dieser Allgemeinheit gleichfalls in die einfache Bestimmtheit zusammengegangen, welche wieder ein Anfang sein kann‹ (WdL II, 499) (Puntel 1973, 241 f.). Hier ist eine schlechte Unendlichkeit im Fortgang ausgeschlossen, weil die Entwicklung der logischen Bestimmtheiten zur Idee, d.h. zum Sichselbsterfassen der Bewegung als Ganzer führt« (Puntel 1973, ebd.): Die jeweilige Bestimmtheit ist der ›ganze Begriff‹ oder die ganze Idee »in einer bestimmten Weise« (Puntel 1973, ebd.). Die Erweiterung der Methode zum System bedeutet also: Die jeweilige resultierende Bestimmtheit erweist sich auf einer weiteren Ebene als neuer Anfang, d.h. als Unbestimmtheit »oder anfängliche Bestimmtheit« eines neuen Zusammenschlusses (ebd., 242). In Zusammenhang mit der Gleichursprünglichkeit von Logik, Phänomenologie und Noologie bedeutet das: Die Erweiterung von der ersten Unmittelbarkeit des reinen Seins bis zur letzten Vollbestimmtheit, der absoluten Idee, ist die Selbstauslegung des Logischen oder der Vernunft als ursprünglich gegebene Totalität (innerhalb der einzelnen Schritte hat die Unmittelbarkeit eine je eigene Bedeutung, was auf den realsystematischen Zusammenhang verweist) (Puntel 1973, ebd.). Die logische Kurzformel der Elementarstruktur: Die Erweiterung der Methode ist als Bereicherung aufzufassen, als Ineinanderfall der gegenläufigen Bewegungen des Begründens und des Weiterbestimmens (Puntel 1973, 243): »Jede neue Stufe des Außersichgehens, d. h. der weiteren Bestimmung, ist auch ein Insichgehen, und die größere Ausdehnung [ist] ebensosehr höhere Intensität. Das Reichste ist daher das Konkreteste und Subjektivste, und das sich in die einfachste Tiefe Zurücknehmende das Mächtigste und Übergreifendste [. . . ]. Auf diese Weise ist es, daß jeder Schritt des Fortgangs im Weiterbestimmen, indem er von dem unbestimmten Anfang sich entfernt, auch eine Rückannäherung zu demselben ist, daß somit das, was zunächst als verschieden erscheinen mag, das rückwärtsgehende Begründen des Anfangs und das vorwärtsgehende Weiterbestimmen desselben, ineinanderfällt und dasselbe ist« (WdL II, 502).

Diese gegenläufige Bewegung ist genau das, was von Hegel durch die Formel »Identität der Identität und Nichtidentität« ausgedrückt wird: Der von abstrakter Identität ausgehende Fortgang durch die abstrakte Nichtidentität ist zugleich ein Rückgang in die zugrundeliegende konkrete, primordiale Identität (cf. Puntel 1969, 406).

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6.5.9 »Aufhebung« und verstandeslogische Kontradiktion Hierzu einige weitere grundsätzliche Gedanken zum Verhältnis der dialektisch-spekulativen Methode und dem Problem der »verstandeslogischen« Kontradiktion (cf. zum Folgenden Puntel 1973, 1996; Coreth 1952, insbes. 35–54; Schneider 2017, 179–183): – »Omnis determinatio est negatio«: Die Vermittlung ist die negatio, welche das abstrakte Unmittelbare bestimmt. Aber das abstrakte Unmittelbare ist nicht das vermittelte Unmittelbare, und damit durch Negation von dem vermittelten Unmittelbaren abgehoben. Dann ist das abstrakte Unmittelbare bereits vor seiner Vermittlung bestimmt (Puntel 1973, 240 f.) – Wenn die Stufe des Verstandes die traditionelle aristotelische Logik bezeichnet, welche das Nichtwiderspruchsprinzip zwischen X und X bzw. non-X aufstellt, ist dann auf der Stufe der dialektischen Vernunft, also der Setzung und des Übergangs von X in X das Nichtwiderspruchsprinzip verletzt? – Das Verhältnis des kontradiktorischen Widerspruchs ist ein indirekt proportionales: Die abstrakte Negation eines X, also X, ist als solches unbestimmt (es ist lediglich im Komplement des gesamten logisch-semantischen Raums situiert). Je bestimmter X wird, desto größer wird der Komplement-Unterraum, also desto unbestimmter wird X (Puntel 1996). – Anders jedoch beim dialektischen Gegensatz: X und X stehen im Verhältnis mutueller Konstitution: X wird umso bestimmter, je bestimmter X wird und umgekehrt. Bei X handelt es sich nicht um den gesamten Komplementraum, sondern um ein ganz bestimmtes X (dies hängt mit der Kohärenzialität des Hegelschen Systems zusammen). Beinhaltet aber nicht auch dieser dialektische Gegensatz an einer Stelle einen Bruch mit dem Nichtwiderspruchsprinzip (während es für alles andere außer X gültig bleibt)? Es handelt sich bei der Stufe der dialektischen Vernunft nicht um Negationen in bestimmter, je verschiedener Rücksicht. – Gibt es wirklich eine Einheit von Kontradiktorischem oder nicht doch wieder nur Verteilung auf Hinsichten? Nach Hegel ist das Verstandesdenken deswegen geringer als die spekulative Vernunft, weil es Widersprüche dadurch vermeiden will, dass es Hinsichtenunterscheidungen einführt (Schäfer 2001, 277). Die spekulative Vernunft soll jedoch tatsächlich kontradiktorische Gegensätze vereinen. Doch ist dies hinsichtlich der oben beschriebenen Dialektik von Positivem und Negativem der Fall? Schäfer 2001, 270, konstatiert zu der Frage, ob sich in der Wesenslogik der Widerspruch aus dem Gegensatz entwickelt: »In Hegels Konzeption ist

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das Positive aber in Hinsicht auf sich selbst positiv und in Hinsicht auf das Negative negativ. Damit liegen eigentlich doch zwei verschiedene Hinsichten vor, die keinen Gegensatz im Hegelschen Sinne, nämlich als latenten Widerspruch, auftreten lassen, sondern ihn vielmehr vermeiden. Auch das Negative ist nicht in derselben Hinsicht negativ, wie es positiv ist: Positiv ist das Negative in Hinsicht auf sich selbst, nämlich als mit sich selbst Identisches, negativ ist es in einer anderen Hinsicht, nämlich gegen das Positive. [...] Auch bei Hegel ist das widersprüchlich Entgegengesetzte nicht in derselben Hinsicht als vereint gedacht.« Das, was den Widerspruch zwischen Positivem und Negativem ausmacht, ist vielmehr, dass sie sich für »sich selbst jeweils zur Totalität des Gegensatzes entwickeln, dieses Moment ist es, was sie in den Widerspruch treibt [...]. Der entstehende Widerspruch kann [...] so beschrieben werden, daß in ihm die Beziehung auf das negierende andere zu einer rein inneren Beziehung beider Relata aufeinander wird. Die Setzung des eigenen Seins und Bestehens ist zugleich die Aufhebung, bzw. das Setzen des eigenen Nichtseins, der Relata. Das Positive und das Negative haben das eigene Nichtsein, also ihr jeweils Entgegengesetztes zur Bedingung ihres eigenen Seins. Indem das Entgegengesetzte immanente Bedingung des eigenen Seins ist, totalisieren sich die Momente, sie werden jeweils zum Ganzen der Entgegensetzung« (Schäfer 2001, 272 f.). Im Unterschied zu den Reflexionsbedingungen ist für die Begriffsbestimmungen das jeweils Entgegengesetzte als positive Bestimmung, nicht als das eigene Nichtsein, in ihnen enthalten, daher entwickeln sie sich ineinander und gehen nicht mehr bloß ineinander über oder reflektieren sich bloß ineinander – dies ist bereits in der Struktur des disjunktiven Urteils vorhanden (cf. Schäfer 2001, 275 f.). – Wenn der verstandeslogische Gegensatz (die Kontradiktion) aus der höheren, spekulativen Einheit verbannt wird, dann ist die höhere Einheit in verstandeslogischem Gegensatz zu ihren Momenten. Dies betrifft den Begriff der »Aufhebung«. Bekanntlich meint er beides: Elevare (im Sinne von hinter sich lassen, d.h. »aufheben« als negieren) und conservare (Beibehaltung des verstandeslogischen Gegensatzes). Das spekulative Moment der Aufhebung wurde oft einseitig als reines elevare interpretiert: Die höhere Einheit ist jenseits der Widersprüche. Von anderen wurde es hingegen einseitig als conservare interpretiert: Die höhere Einheit beinhaltet durch kein logisches Verfahren auflösbare echte Kontradiktionen. Beides ist richtig, und Hegel schätzt die formale (Verstandes-)Logik keineswegs gering (cf. Puntel 1969; Coreth 1952). – Die dialektisch-spekulative Methode (welche am Ende der WdL nichts

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anderes als die absolute Idee in Gestalt der logischen Idee selbst ist) führt zu einem infiniten Progress, allerdings mit derselben Erzeugung maximaler Elemente, wie es oben rein formal ausgeführt wurde. Innerhalb der maximalen Totalität ist der Fortgang der Methode offen und grenzenlos. Der interessante Punkt hierbei ist, dass die wirkliche Vollbestimmung des X in Schritt (1.) erst durch die holistische Einbettung in die unendliche Totalität aller dialektisch-spekulativen Schritte und Sphären geschehen kann, es ist nie als isoliertes X oder nach einer endlichen Folge von Einbettungen gegeben (sondern dann immer nur zu einem gewissen endlichen Grad der Bestimmung oder innerhalb einer beschränkten »Perspektive«). Die holistische Vollbestimmung von X wäre jedoch dann genau auch die Bestimmung der vollständigen exkludierenden Differenz zwischen X und allem anderen. Mit anderen Worten: Die holistisch-unendliche Einbettung eines anfänglichen Unmittelbaren X in immer umfassendere Einheiten und die Differenz dieses X zu dem, was es nicht ist, wachsen direkt proportional zueinander. Unsere obigen Differenzen D z}|{ und die Einheiten (...) »wachsen« also beide parallel, je stärker das eine, desto stärker wird auch das andere. – Dies ergibt einen dritten Sinn von Aufhebung (Coreth 1952; Sparby 2014): Die dialektisch-spekulative Methode ist nicht univok auf jeder Stufe dieselbe. Die Methode verändert sich im Gang durch die Sphären von »Äußerlichem Übergehen« (Seinslogik), »Reflexion« (Wesenslogik) zu »Entwicklung« (Begriffslogik) – es besteht eine Schichtung der Sphären in einer sehr umfassenden Weise im gesamten System: Einmal tritt die gesamte Methode im Modus der seinslogischen Unmittelbarkeit auf (und innerhalb dessen noch einmal in subordinierten Schritten innerhalb der Substrukturen), einmal im Modus der wesenslogischen Vermittlung und einmal im Modus der begrifflogischen vermittelten Unmittelbarkeit. Die Veränderung der Modi ist jeweils eine Veränderung der Operationen des Verstandes (und mit ihm der Operationen der dialektischen und der spekulativen Vernunft). Im Gang durch alle Sphären der Logik von der einfachen Unmittelbarkeit des Seins (des Begriffs an sich) bis zur absoluten Idee (des Begriffs an und für sich) findet eine Höherentwicklung des Verstandesdenkens statt: Der verstandeslogische Gegensatz bricht auf jeder Stufe, wenn die spekzulative z}|{ Vernunft eine Einheit (...) erreicht hat, erneut auf. Der Verstand greift ein und transformiert die jeweils erreichte dialektisch-spekulative Einheit wieder in eine einseitige Unmittelbarkeit, jedoch von Sphäre zu Sphäre in anderer Weise, entsprechend der eigenen großen spekulativen Dialektik der großen logischen Sphären. Der Verstand wird »schlauer« von Sphäre zu

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Sphäre, er gleicht sich den »Resultaten« der dialektischen und spekulativen Vernunft an und interveniert erneut entsprechend dieser Resultate, er passt sich ihnen an (cf. Carlson 2007, 104, 448 f.) – Hebt sich dann am Ende der Verstand in die spekulative Vernunft auf? Das hieße jedoch, dass die verstandeslogischen Gegensätze verschwinden würden. Das Problem des infiniten Progresses würde sich erneut stellen (jedoch wie, wenn der Verstand sich selbst aufgehoben hat?). Oder aber werden vereinende spekulative Vernunft und trennender Verstand in der Höherentwicklung beide stärker und schärfer, d.h. auch die spekulative Vernunft nimmt umgekehrt – direkt proportional – Verstandesstruktur an? Oder gehen Verstand und spekulative Vernunft am Ende, vermittelt über die dialektische Vernunft, ineinander über? Das hieße, dass Einheit und Differenz am Ende direkt proportional gleich stark geworden und erst wirklich zu sich gekommen sind, d.h. dass echte Differenz und echte Einheit erst am Ende in der Totalität der absoluten Idee (der All-Einheit) auftreten würden – alle verstandeslogische Differenz vorher wäre keine echte, sondern nur eine intendierte Differenz und alle spekulative Einheit vorher wäre keine echte, sondern nur eine intendierte Einheit. – Hierfür spricht, dass in der Begriffslogik die Totalitäten der Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit jeweils Subdimensionen der allumfassenden Totalität als auch jeweils die gesamte allumfassende Totalität selbst sind. Jedoch nimmt auch ihre gegenseitige Vermittlung noch einmal verschiedene Rangordnungen an, wie Hegels Schlusslehre in der WdL und die Lehre von den drei großen Zusammenschlüssen des Systems zeigen. Hier scheint dann doch letztlich die Allgemeinheit als terminus medius im disjunktiven Syllogismus (B–A–E) die höchste Vermittlung zu leisten, und dieser Schluss spielt im realsystematischen Gang der Heilsgeschichte dann die Rolle der absoluten Negation bzw. Aufhebung, oder historisch gesprochen, des reditus in die All-Einheit Gottes, was im Folgenden noch kurz besprochen wird.

6.6 Hegels Panentheismus 6.6.1 Logik und Realphilosophie, Trinität und Weltgeschichte Die drei großen Sphären der Logik, Seins-, Wesens- und Begriffslogik, sind jeweils Darstellungen der Einheit und Differenz von Absolutem und Endlichem. Der Gang durch diese Sphären stellt eine zunehmende Selbstexplikation der Idee und zugleich eine Zunahme des Eigenstandes der »Momente« des Begriffs (d.h. des Endlichen) [...]dar. Es kann bei Hegel daher keineswegs von einem Monismus oder Pantheismus die Rede sein (cf. Puntel 1973,

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76 f.). Jede Sphäre wiederholt dabei die Struktur der logischen Idee in der jeweiligen Tiefe der Stufe der Sphäre, d.h. insbesondere, dass jede Bestimmung des Unterschieds von Absolutem und Endlichem gemäß der Kategorien der jeweiligen Stufe erfolgt. Nun sind aber die Stufen der Logik jeweils nur inadäquate, beschränkte Dimensionen, erst die Dimension des adäquaten Begriffs am ›Ende‹ der Logik ist die volle Explikation. Das heißt aber auch, dass die Dimension der Logik als solche nicht adäquat ausdrückbar ist, da dies immer durch beschränkte Kategorien innerhalb des logischen Ganges erfolgt – alle Bestimmungen, mit denen das Verhältnis von Logik und Realsystematik beschreibbar ist (Form/Inhalt; Allgemeines/Besonderes,...) sind Bestandteil der Logik und gehören beschränkten Sphären an. Das Verhältnis der Logik als Ganzer zur Realsystematik ist also grundsätzlich nicht mehr mit logischen Bestimmungen ausdrückbar. Sobald die Logik sich als Ganze selbst expliziert, fällt dies mit dem ›Umschlagen‹ in die Realsystematik zusammen, und zwar von sich aus als freies Entlassen (Puntel 1973 spricht von einer ›Selbstaufhebung der Logik‹ und einem Übergang in den ›Vollsinn des Logischen‹). Wird dann aber beispielsweise die Logik als das ›Innere‹ der Realsystematik bezeichnet, so wird dies wiederum mit den beschränkten wesenslogischen Kategorien des Inneren und Äußeren ausgedrückt, ebenso wenn das Logische als die ›Form‹ der realsystematischen Gestaltungen aufgefasst wird (Form und Materie sind ebenfalls wesenslogische, also beschränkte Kategorien). Im Hegelschen Gesamtsystem ist nun die Weltgeschichte die Realisierung der reinen logischen Bestimmungen bzw. die Selbstauslegung oder Vertiefung der logischen Dimension. Die Logik ist letztlich nur von ihrer geschichtlichen Selbstauslegung her als Ganze artikulierbar. Grundsätzlich muss nach Puntel 1973 das Verhältnis von Logik und Realsystematik selbst als ein dialektisch-spekulatives gemäß dem spekulativen Satz begriffen werden (zu diesem gesamten Absatz cf. Puntel 1973, 72–92; Puntel 2006). 244 In der theologischen Hegelinterpretation wird die Dimension der Logik als die immanente und die Realsystematik als ökonomische Trinität interpretiert (cf. Splett 1965, 52–72, 77–81) gemäß Hegels eigener Aussagen: 245

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Cf. Angehrn 1991, 103: »Aufgehoben wird letztlich der Bruch zwischen Fundamentalphilosophie und Geschichtsphilosophie. Geschichte ist nicht nachträgliche Affizierung eines zugrundeliegenden Wesens, sondern gehört zu dessen innerster Seinsbestimmung.« Zu einer ausführlichen Kritik der theologischen Hegelinterpretation cf. Puntel 1973, 101–117.

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»Die Logik ist sonach als das System der reinen Vernunft, als das Reich des reinen Gedankens zu fassen. Dieses Reich ist die Wahrheit, wie sie ohne Hülle an und für sich selbst ist. Man kann sich deswegen ausdrücken, daß dieser Inhalt die Darstellung Gottes ist, wie er in seinem ewigen Wesen vor Erschaffung der Natur und des endlichen Geistes ist« (WdL I, 31).

Unter dieser Interpretation ergibt sich, dass Gott als immanente Trinität vollständig und unabhängig ist, und dass die Welt als Schöpfung in der ökonomischen Trinität als Ausfaltung oder Selbstexplikation der Freiheit der immanenten Trinität angesehen werden kann (cf. Hodgson 2007, 63–70). Auch die oft als hegelianisch angesehene Rede vom ›Werden Gottes‹ in der Welt ist eine inadäquate Beschreibung, da ›Werden‹ eine beschränkte Kategorie der Seinslogik innerhalb der Logik ist (cf. Puntel 1973, 103, Fn. 159). 246 Gottes ›panentheistische Abhängigkeit‹ von der Welt ist nach Hodgson (2007, 67) als eine interne ›Abhängigkeit‹ in dem Sinne zu verstehen, dass »in« Gott notwendigerweise alle mögliche Welten und Weltgeschichten (d.h. Freiheitsgeschichten) enthalten sind.« 247 Die aktuale Weltgeschichte wird von Hegel in den Vorlesungen zur Philosophie der Geschichte auch als Vorsehung Gottes interpretiert: »Der Weltgeist ist der Geist der Welt, wie er sich im menschlichen Bewußtsein expliziert; die Menschen verhalten sich zu diesem als zu dem Ganzen, das ihre Substanz ist. Und dieser Weltgeist ist gemäß dem göttlichen Geiste, welcher der absolute Geist ist. Insofern Gott allgegenwärtig ist, ist er bei jedem Menschen, erscheint im Bewußtsein eines jeden; und dies ist der Weltgeist. Der besondere Geist eines besondern Volkes kann untergehen; aber er ist ein Glied in der Kette des Ganges des Weltgeistes, und dieser allgemeine Geist kann nicht untergehen« (Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der

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Jedoch kann von einem »Werden des Geistes« gesprochen werden: »Die Weltgeschichte spiegelt die sich verwirklichende Idee, d.h. die ›Idee der Freiheit, welche nur ist als Bewußtsein der Freiheit‹. Die Weltgeschichte ist ›dieser Entwicklungsgang und das wirkliche Werden des Geistes‹ (Möller 2003, 144, u. Ber. auf Hegel, Philosophie der Weltgeschichte, 48 f. In diesem Sinne muss auch von einem »pan-en-theistischen« Enthaltensein der aktualen Weltgeschichte in der Logik, d.h. immanenten Trinität gesprochen werden: Die realsystematischen Sphären und Geschichte sind nicht außerhalb der Logik, und mit Splett (Die Trinitätslehre G.W.F. Hegels) sei festgehalten, dass bei Hegel von einem Enthaltensein der ökonomischen Trinität in der immanenten Trinität die Rede sein muss. Hieraus folgt keine pantheistische Notwendigkeit der faktischen Geschichte, denn das Selbstbegreifen der Logik geschieht bereits in möglichen Weltgeschichten und ihrem jeweiligen immanenten Freiheitsgeschehen, cf. Hodgson 2007, 67.

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Weltgeschichte, Bd. 1: Die Vernunft in der Geschichte, Hg. von Johannes Hoffmeister, Hamburg: Meiner: 1994, 60). – »Die Einsicht nun, zu der, im Gegensatz jener Ideale, die Philosophie führen soll, ist, daß die wirkliche Welt ist, wie sie sein soll, daß das wahrhafte Gute, die allgemeine göttliche Vernunft auch die Macht ist, sich selbst zu vollbringen. Dieses Gute, diese Vernunft in ihrer konkretesten Vorstellung ist Gott. Gott regiert die Welt, der Inhalt seiner Regierung, die Vollführung seines Plans ist die Weltgeschichte. Diesen will die Philosophie erfassen; denn nur was aus ihm vollführt ist, hat Wirklichkeit, was ihm nicht gemäß ist, ist nur faule Existenz. Vor dem reinen Licht dieser göttlichen Idee, die kein bloßes Ideal ist, verschwindet der Schein, als ob die Welt ein verrücktes, törichtes Geschehen sei. Die Philosophie will den Inhalt, die Wirklichkeit der göttlichen Idee erkennen und die verschmähte Wirklichkeit rechtfertigen. Denn die Vernunft ist das Vernehmen des göttlichen Werkes.« (Hegel, Philosophie der Geschichte, Werke Bd. 12, 53).

Nun gestaltet sich in der Enzyklopädie der Wissenschaften (§§564 – 571) die heilsgeschichtliche Exitus-reditus-Bewegung bei Hegel gemäß der logischen Strukturen von Begriff, Urteil und Schluss, deren Vertiefung oder geschichtliche Explikation sie ist (cf. zum Folgenden auch Burbidge 2006, 144 f.). Die immanente Trinität in sich ist der allgemeine Begriff in seiner inneren trinitarischen Struktur der Methode. Dabei ist die trinitarische ›Personalität‹ Gottes nicht einfachhin gemäß der Formulierung des Bei-sichseins im Anderen seiner selbst zu verstehen (das ›Andere‹ ist eine seinslogische Kategorie), sondern wird von Hegel durch die Begriffsmomente der Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit gefasst. Die Personalität ist nicht nur dadurch erfasst, dass ein Ich als ein unbestimmtes X durch seine Relation auf ein Du bestimmt wird, sondern darin, dass das Ich an sich selbst »der absolute Gegensatz, d.h. als Einzelheit Allgemeinheit« ist (Wagner 1971, 130–135, 246): »Die Darstellung der Trinität als Einheit von drei Personen hat ihren logischen Grund in dem Begriff der Einzelheit. Diese Einzelheit, die an ihr selbst die Einheit von Allgemeinheit und Besonderheit ist, wird in der Sphäre des Geistes als individuelle Persönlichkeit gedacht. Diese individuelle Persönlichkeit wird aber nur adäquat erfaßt, insofern sie als Einzelheit zugleich Allgemeinheit ist, denn nur dann wird einsichtig, warum die Persönlichkeit sich in der Hingabe an die andere Persönlichkeit nicht verliert, sondern gewinnt. Da die Persönlichkeit an ihr selbst die Einheit von Allgemeinheit und Besonderheit ist, so ist sie a priori bestimmt, ihre Persönlichkeit in der Gemeinschaft mit anderen Persönlichkeiten zu erfüllen, denn nur in dieser Gemeinschaft wird die Persönlichkeit als das manifest, was sie an ihr selbst ist. [...] Deshalb offenbart die Persönlichkeit in der Dreieinigkeit der Personen nicht ihr inneres Wesen, sondern sich selbst als ihr eigener Begriff [...]« (Wagner 1971, 247 f.).

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Diese vermittelte Einzelheit, welche die Personalität Gottes ausmacht, ist, wie oben gezeigt wurde, die absolute Negativität der Idee: »Die absolute Negativität ist der Einzelheit adäquat zu denken. In der absoluten Negativität, als Einzelheit gedacht, sind Allgemeines und Besonderes als Einzelnes, als bestimmt Bestimmtes so untrennbar gesetzt, daß die Bestimmtheit qua Negation sich auf sich als Bestimmtheit bezieht. [...] Wird die Einzelheit als absolute Negativität gedacht, so ist diese die mit sich identische Negation, als welche die Negation qua Bestimmheit nur mit sich selbst zusammengeht. Die Bestimmtheit, die sich nur auf sich bezieht, ist die absolute Bestimmtheit, die für sich gesetzt ist« (Wagner 1971, 237 f.).

Gott als der absolute Geist und Schöpfer der Welt ist als Vater die Allgemeinheit (A), die in sich selbst den Sohn als die Besonderheit (B) erzeugt und sich mit diesem in der konkreten Einzelheit (E) des Heiligen Geistes zusammenschließt; dies ist wiederum ein dialektisch-spekulativer Schluss der Gestalt A – B – E. Der Sohn ist dabei bereits der potenzielle Mittler zwischen Gott und der Besonderheit der Welt (cf. hierzu und zum Folgenden Enz., §§ 566–571 und Werckmeister 2009, 58–70). Der erste Schluss des Glaubens hat die Figur des ersten großen Zusammenschlusses des Systems, er befindet sich damit im dialektisch-spekulativen Modus des äußerlichen Übergehens. Die immanente Trinität ist in diesem ersten Schluss der Religion selbst noch eine unvermittelte Unmittelbarkeit und Sphäre der Allgemeinheit. Durch eine Diremtion des Begriffs in seiner Unmittelbarkeit vollzieht sich der Schöpfungsakt in die Sphäre der Besonderheit. Hier steht der Sohn als Besonderheit am Anfang des zweiten Schlusses des Glaubens (Enz., § 568). Als der ewige Vermittler zerfällt er in die Zweiheit der Gegensätze von Natur und Geist. Letzterer Pol verselbstständigt sich als menschlicher Geist, der sich in der Negativität bis zur Zurückweisung Gottes radikalisiert – er ist das Allgemeine, welches, durch die Besonderheit der Natur bestimmt, das Göttliche negiert (cf. Werckmeister 2009, 61): Das Besondere bestimmt das Einzelne, als Prämisse des Schlusses: B – E. Doch als Geist steht der Mensch weiterhin in der Beziehung auf das Ewige, auf Gott als die Allgemeinheit. Dies ist die zweite Prämisse des Schlusses: E – A. Diese Spannung mündet in die Konklusion des zweiten Schlusses der Religion: B – A. 248 Der zweite 248

»Im Momente der Einzelheit als solcher, nämlich der Subjektivität und des Begriffes selbst, als des in seinen identischen Grund zurückgekehrten Gegensatzes der Allgemeinheit und der Besonderheit, stellt sich 1. als Voraussetzung die allgemeine Substanz aus ihrer Abstraktion zum einzelnen Selbstbewußtsein verwirklicht und dieses als un-

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Schluss hat also die Gestalt B – E – A. Dies ist die Figur des zweiten großen Zusammenschlusses des Systems, der Schluss befindet sich damit im dialektisch-spekulativen Modus der Reflexion. Diese bleibende Beziehung der Welt auf Gott führt im dritten Schluss des Glaubens zur Rückkehrbewegung, Versöhnung und ›Aufhebung‹ der zersplitterten Vielheit in Gott hinein. Dieser Schluss steht in der Sphäre der Einzelheit. Da die Einzelheit die Einheit von Allgemeinheit (Gott als Totalität) und Besonderheit (Welt) ist, vereinen sich in ihr Gott und Welt. Diese Einzelheit ist die Subjektivität des menschlichen Geistes. Dieser ist in der Versöhnung der inkarnierte Gottessohn – die erste Prämisse lautet: »Dieser Mensch ist Gott«, E – A. Vermittelt durch Kreuz und Auferstehung versöhnt Christus die Besonderheit des menschlichen Wesens mit der Allgemeinheit der Erlösung und des Heiligen Geistes – die zweite Prämisse lautet: A – B. In der Konklusion vermittelt sodann die Allgemeinheit Gottes durch die Ausschüttung des Heiligen Geistes zwischen der Besonderheit der erlösten Menschheit und Einzelheit der Gläubigen in der Einheit der Kirche: E – B. 249 Der gesamte dritte Schluss ist daher im Modus E – A – B. Dies ist die Figur des dritten großen Zusammenschlusses des Systems, er befindet sich damit im dialektisch-spekulativen Modus der Entwicklung.

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mittelbar identisch mit dem Wesen, jenen Sohn der ewigen Sphäre in die Zeitlichkeit versetzt, und in ihm das Böse als an sich aufgehoben dar; aber ferner diese unmittelbare und damit sinnliche Existenz des absolut Konkreten sich in das Urteil setzend und in dem Schmerz der Negativität ersterbend, in welcher es als unendliche Subjektivität identisch mit sich, aus derselben als absolute Rückkehr und allgemeine Einheit der allgemeinen und einzelnen Wesenheit für sich geworden ist, – die Idee des ewigen, aber lebendigen und in der Welt gegenwärtigen Geistes« (Hegel, Enz., §569). »Diese objektive Totalität ist die an sich seiende Voraussetzung für die endliche Unmittelbarkeit des einzelnen Subjekts, für dasselbe daher zunächst ein Anderes und Angeschautes, aber die Anschauung der an sich seienden Wahrheit, durch welches Zeugnis des Geistes in ihm es wegen seiner unmittelbaren Natur zunächst sich für sich als das Nichtige und Böse bestimmt und weiter nach dem Beispiel seiner Wahrheit, vermittels des Glaubens an die darin an sich vollbrachte Einheit der allgemeinen und einzelnen Wesenheit, auch die Bewegung ist, seiner unmittelbaren Naturbestimmtheit und des eigenen Willens sich zu entäußern und mit jenem Beispiel und seinem Ansich in dem Schmerze der Negativität sich zusammenzuschließen und so als vereint mit dem Wesen sich zu erkennen, welches 3. durch diese Vermittlung sich als inwohnend im Selbstbewußtsein bewirkt und die wirkliche Gegenwärtigkeit des an und für sich seienden Geistes als des allgemeinen ist« (Hegel, ebd., § 570). – »[I]t is this universal spirit of God that brings together the individual who overcame the finitude of life through the crucifixion and the many particular people who have been incorporated into the life of the church« (Burbidge 2007, 145).

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Übersichtshalber lauten die Schlüsse der Religion damit: Die Schlüsse der absoluten Vermittlung des Glaubens 1. Schluss Vater – Sohn – Geist A–B–E 2. Schluss Natur – Geist – Gott B–E–A 3. Schluss Geist – Gott – Sohn E–A–B Tabelle 4: Übersicht über die Schlüsse des Glaubens (cf. Werckmeister 2009, 70).

Diese drei Schlüsse des Glaubens machen nach Hegel einen einzigen Syllogismus der Selbstvermittlung des Geistes aus: Aus dem »Auseinandertreten und zeitlichen und äußerlichen Aufeinanderfolgen nimmt sich die Entfaltung der Vermittlung in ihrem Resultat, dem Zusammenschließen des Geistes mit sich selbst, nicht nur zur Einfachheit des Glaubens und der Gefühlsandacht zusammen, sondern auch zum Denken, in dessen immanenter Einfachheit ebenso die Entfaltung ihre Ausbreitung hat, aber gewußt als ein untrennbarer Zusammenhang des allgemeinen, einfachen und ewigen Geistes in sich selbst« (Enz., §571; cf. Burbidge 2006, 145.). Die historische Dialektik der Kirche als Instrument des reditus ist bei Hegel also im Modus der ›Entwicklung‹ in der dialektisch-spekulativen Methode expliziert, hier gestuft entsprechend der Schlusslehre. Der disjunktive Syllogismus, der als die adäquateste Explikation der Einheit und Verschiedenheit von Absolutem und Endlichem angesehen werden kann, ist hier die Dimension des geschichtlichen reditus in und durch die Gemeinde/Kirche. Die Kirche steht in innerster logisch-dialektisch-spekulativer Einheit mit der Inkarnation und Heilstat Christi. Die Gemeinde (hier bei Hegel die protestantische Gemeinde) kann daher mit Fug und Recht als ›Verkörperung‹ Christi bezeichnet werden. Insbesondere sieht man anhand von Hegel, wie stark die vertikale und die horizontale Elementarstruktur verschränkt sind. Für die gesamte Panentheismus-Debatte zeigt sich daran, dass die Probleme der horizontal-diachron-geschichtlichen Elementarstruktur der Exitus-reditus-Bewegung letztlich auch Probleme der vertikalen Elementarstruktur der Einheit von Einheit und Vielheit sind. 6.6.2 Hegel und Thomas von Aquin Das leere Sein am Anfang der Logik ist der Begriff an sich, welcher im Gang durch die Logik am Ende als Begriff an und für sich manifest wird. Was ist dann aber dieses Sein in der Retrospektive? Gegen Ende der Wissenschaft der Logik fasst Hegel das Sein als den »sich begreifenden Begriff« und die »intensive Totalität«:

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»So ist [...] die Logik in der absoluten Idee zu dieser einfachen Einheit zurückgegangen, welche ihr Anfang ist [...]. Die Methode ist der reine Begriff, der sich nur zu sich selbst verhält; sie ist daher die einfache Beziehung auf sich, welche Sein ist. Aber es ist auch erfülltes Sein, der sich begreifende Begriff, das Sein als seine konkrete, ebenso schlechthin intensive Totalität«, WdL, I, 56 (Herv. R.S.).

Es scheint so, dass das »erfülltes Sein« der Logik (entgegen Interpretationen wie der von Kreis 2015) nicht nur eine extensionale Totalität im Sinne der extensionalen Seiendheit (vgl. die Einteilungen in Kap. 2) meint, sondern eine intensionale Totalität. Hier ergibt sich eine interessante Parallele zum Begriff des »esse« bei Thomas von Aquin (cf. zum Folgenden Puntel 2007, 145–176): So wie die Sphäre des Begriffs die Einheit der Sphären des Seins und des Wesens ist, konnte oben im Kapitel über Thomas das totum esse als das Gefüge bzw. Kreisgang (circulatio) von esse quid (die Dimension der Seinsbestimmungen), non esse in aliquo (die Dimension der Wesensbestimmungen) und esse in actu (der Übergang von der Essenz in die existentia und in die Wirklichkeit) ausgewiesen werden. Das Gefüge von non esse in aliquo, esse quid und esse in actu ist bei Thomas in ScG IV, c. 11, die »abstrakteste Kurzformel des trinitarischen Gottes« (Puntel 2007, 174), so wie bei Hegel die »Identität der Identität und der Nichtidentität« als die abstrakteste Definition des Absoluten gilt (ebd.). Die absolute Idee zeigt auch darin eine Ähnlichkeit zum totum esse des Thomas, dass letzteres oben ebenso als die Einheit von Theorie und Praxis ausgewiesen wurde (als Gefüge von verum–bonum–subsistentia): Die absolute Idee als der adäquate Begriff ist ebenso die Einheit der theoretischen Idee (der Idee des Wahren) und der praktischen Idee (der Idee des Guten), sie ist die »›intensivste‹ Einheit oder Konstellation, in welche ›alle Bestimmungen zusammengegangen sind‹ [Enz., § 236]« (Puntel 2007, 171). Die absolute Idee ist somit wie das totum esse der Inbegriff aller Vollkommenheiten, und das Verhältnis von esse und entia kehrt wieder in der Gestalt des Verhältnisses von absoluter Idee und ihren Setzungen – hier liegt eine Ähnlichkeit vor zur Partizipation der entia am esse durch defiziente Ähnlichkeit bzw. zur Selbstmitteilung (communicatio) des esse; das Verhältnis der absoluten Idee zu ihren Setzungen entspricht dem thomanischen Verhältnis von perfectio essendi subsistens und den modi essendi (cf. Puntel 2007, 172 f.). Die Ur-Teilung der Idee ist in der Logik der Ausdruck der höchsten Freiheit, so dass gesagt werden kann: »Das Gott-Welt-Verhältnis als das Verhältnis zwischen der Idee und den Ideen ist also das Verhältnis zwischen der Freiheit und den Freiheiten« (ebd., 172).

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Insbesondere die Tatsache, dass das Verhältnis von Wesen und Sein bei Thomas gemäß der transzendentalen Relation gedacht werden muss, welche eine Nähe zum Kerngedanken des spekulativen Satzes enthält, verdient eine besondere Erwähnung. Dabei sei noch einmal rekapituliert: Wenn das Sein nicht von ›außen‹ begrenzt werden kann (De pot., q 7, a. 7), müsste das Wesen gegenüber dem Sein als reine Negation / Negativität und als ein non-ens aufgefasst werden, was aber widersprüchlich wird. Das Wesen muss dem Sein selbst entspringen, es muss eminenter im Sein enthalten sein. Das heißt aber, dass keine mutuelle abstrakte Exklusion von Sein und Wesen besteht (als reine Positivität und reine Negativität, man vergleiche dies mit Hegels Dialektik von Positivität und Negativität). Das bedeutet, dass sich das Sein (esse) durch die Vermittlung der Negativität selbst begrenzt, es ist damit die ursprüngliche Identität (eminentia) der Identität (seiner selbst als reiner Positivität / Einheit) und der Nichtidentität (der Negativität des Wesens). Dies ist aber die Einheit-in-Differenz-Struktur des Hegelschen Begriffs. Die transzendentale Relation als Verbindung zwischen Akt und Potenz besagt nun, dass das Wesen eine relative und nicht totale Negation ist. Als Potenzialität steht es zwischen Sein und Nichts (universale potentiale). Potenz und Akt, Wesen und Sein sind Koprinzipien, entia quibus, und es besteht eine »ontologische Differenz« (keine bloße distinctio rationis und auch keine isolierende distinctio realis) zwischen den entia quibus (nicht aber zwischen den entia quae): In der Einheit der entia quae ist die Differenz der entia quibus aufgehoben. Dies erinnert an die Einheit des Begriffs, in der die Differenz der Urteilsextreme aufgehoben ist (die Struktur des spekulativen Satzes): Absolutes Sein (esse ipsum subsistens) | Seiend-Sein (esse commune) | Seiendes (ens quod) / Materie (ens quo) ↔ Form (ens quo) Wesen (ens quo) ↔ Existenz (ens quo) Negativität ↔ Positivität | transzendentale Relation → Copula des spekulativen Satzes Dimension der eminentia = esse totum (Trinität)

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6.6.3 Exkurs: Hegel und der Neuplatonismus In der Wissenschaft der Logik zeigt sich am Ende der Wesenslogik bezüglich der radikalen negativen Theologie ein aufschlussreicher Schritt: Hegel erreicht im dritten Abschnitt der Wesenslogik (»Die Wirklichkeit«) das Absolute als die »Negation aller Prädikate und als das Leere« (WdL II, 157). Aber gerade dies ist wiederum eine Bestimmung des Absoluten. Eine ›transzendierende Negation‹, die »das Leere« als Resultat hat, führt zu einem neuen dialektisch-spekulativen Umschlag, der jedoch nicht mehr eine erneute Prädikation vom Absoluten (innerhalb einer linear-kompositionalen Subjekt-Prädikat-Semantik) nach sich zieht, sondern zur »eigene[n] Auslegung des Absoluten« führt, als »ein Zeigen dessen, was es ist« (ebd.), d.h. als Manifestation. Dies ist in der Wissenschaft der Logik der Punkt, an dem die Methode vom Modus der Reflexion in den Modus der immanenten Entwicklung übergeht. Es handelt sich um die immanente Entwicklung der Idee als Einheit von Einheit und Differenz. Dies kann insbesondere nicht mehr als ein prädikatives Zusammenraffen von Bestimmungen zu einer (möglicherweise parakonsistenten) omnitudo realitatis verstanden werden, und auch nicht als ein rein prädikatives Zu- und Absprechen aller Bestimmungen, da dies weiterhin in einer verstandeslogischen, äußerlichen Reflexion verharren würde: »Insofern jenes Negieren und dieses Setzen der äußeren Reflexion angehört, so ist es eine formelle unsystematische Dialektik, die mit leichter Mühe die mancherlei Bestimmungen hierher und dorther aufgreift und mit ebenso leichter Mühe einerseits ihre Endlichkeit und bloße Relativität aufzeigt, als andererseits, indem es ihr als die Totalität vorschwebt, auch das Inwohnen aller Bestimmungen von ihm ausspricht, – ohne diese Positionen und jene Negationen zu einer wahrhaften Einheit erheben zu können« (WdL II, ebd.). Diese wahrhafte Einheit wäre statt als parakonsistenter Prädikathaufen viel eher in einer Cusanischen Einfaltungs-Ausfaltungs-Struktur zu denken. 250 Doch kehrt die Frage nach der transzendierenden Negation auf anderer Ebene des Hegelschen Systems wieder. Die zentrale These in Puntel 1973 ist, dass im Systemganzen der Hegelschen Philosophie die Dimension der Logik und die Subdimensionen der Philosophie des subjektiven Geistes, Phänomenologie und Noologie (»Psychologie«) gleichursprünglich sind. Ihr Verhältnis zueinander bildet, wie oben angeführt, die Elementarstruktur des Systems, was zugleich die Elementarstruktur der dialektisch-spekulativen Methode ist (Puntel 1973, 130–149, 173; cf. hierzu und zum Folgenden

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Diese Gedanken verdanke ich einem Austausch mit Josef Schmidt SJ.

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auch Rohs 1974). Die Logik und ihre Aufbauprinzipien können nur auf Basis der ursprünglichen dialektisch-spekulativen Identität von Logik und Realsystematik verstanden werden – die Struktur der Logik ist die Struktur des absoluten Geistes, d.h. die Abfolge von Kunst, Religion und Philosophie, welche wiederum in einer Entsprechungseinheit mit den subjektiven Strukturen von Anschauung, Vorstellung und Denken stehen. Das Denken aber kann nicht allein in den jeweiligen Dimensionen Logik, Phänomenologie oder Noologie allein, sondern muss aus der »gleichursprünglichen Einheit dieser Dimensionen« begriffen werden (Puntel 1973, 149; cf. Rohs 1974, 211). Rohs 1974 wendet gegen die These der Gleichursprünglichkeit von Logik, Phänomenologie und Noologie ein, dass der Terminus der ›Gleichursprünglichkeit‹ unhegelsch und undialektisch sei: »Dialektik beruht darauf, daß Unterschiede nichts Vorhandenes sind, sondern in der Bewegung entstehen, die Hegel die des Begriffs nennt. Auch für die Unterschiede zwischen solchem, was gleichursprünglich sein soll, müßte dies gelten. Das Gleichursprüngliche könnte also wenigstens nichts Ursprüngliches sein, weil ihm, insofern die Differenz darin erst entsteht, eine vorgängige Einheit zugrundeliegen muß, durch deren ›Sich-dirimieren‹ die Gleichursprünglichen erst möglich werden. Als diese Einheit könnte P. [= Puntel, R.S.] weder etwas Logisches noch sonst etwas fassen. ›Gleichursprünglichkeit‹ impliziert letztlich eine falsche Unmittelbarkeit, vor allem den Schein eines unmittelbaren Unterschiedenseins« (Rohs 1974, 212).

Die Frage nach der »vorgängigen Einheit« des Gesamtsystems führt wieder zu dem, was Hegel hinsichtlich des »haltenden Grundes« oder der haltenden Mitte der Extreme des Urteils oder des Schlusses sagte: Die Einheit kann nicht wieder als ein Gegenstand den Extremen (den Unterschiedenen) gegenübergestellt werden, als wäre es selbst ein weiteres Unterschiedenes. Sie ist ein, fast im Eckhartschen Sinne, »Ununterschiedenes« oder im Cusanischen Sinne ein bzw. »das« non aliud. Žižek 1991, 179 f., nennt als viertes Moment der nicht triadisch, sondern als Quadruplizität zu fassenden dialektisch-spekulativen Methode einen »non-dialecticizable excess«, welcher die »inherent condition of possibility of the dialectical movement« darstellt; er ist die »negativity of a pure expenditure that cannot be sublated [...], re-collected, in its result«. Dieses »silent fourth« wird von Carlson 2007, 601, mit der absoluten Negativität der absoluten Idee selbst identifiziert (cf. ebd, 56 f.). Hier könnte, ebenso wie bei der obigen Aufhebung von substanzieller und akzidenteller Prädikation im spekulativen Satz, eine Brücke zu neuplatonischen Gedanken des Über-

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seienden (zu Hegels Verhältnis zum Neuplatonismus cf. Halfwassen 2005) oder gar zum Mahayana-Buddhismus geschlagen werden (zur Hegel-Rezeption im Buddhismus cf. Suares 2011). Aber dies kann nur als Andeutung stehen bleiben und nicht weiter diskutiert werden.

6.7

Noch eine analytische Relecture: Die Wissenschaft der Logik als Strukturtheorie

Wolfgang Krohn betont, dass Hegel nicht die formale Logik aufgrund ihrer Formalität kritisiert, sondern ihr vorwirft, nicht formal genug zu sein (Krohn 1972, 20). Die Logik in ihrem vollen Formalismus begriffen ist eine strukturale Theorie der Vermittlung aller Bestimmungen. Puntel 1982 hat (in einer für seine eigene struktural-systematische Philosophie bedeutsamen Weise) Hegels Logik nicht nur als Fundamentalsemantik, sondern auch als strukturale Logik interpretiert: Die WdL behandelt nach Puntel im strengen Sinn nicht abgeschlossene Begriffe (Kategorien), sondern reine Strukturen, und zwar die fundamentalsten Strukturen, die schlechthin alles strukturieren (die Dimension der Theoretizität ebenso wie die Dimension der Realsystematik). Dies kann ganz im Sinne der modernen Unterscheidung zwischen Struktur und Modell expliziert werden: In der modernen formalen Logik wird zur Axiomatisierung einer Theorie erstens ein mengentheoretisches Prädikat angegeben, welches die metalogisch relevanten strukturalen Eigenschaften angibt (für die Prädikatenlogik 1. Stufe etwa die Angabe einer zweiwertigen, klassisch-wahrheitsfunktionalen Sprache k1 erster Stufe, so dass es eine Sprache s1 derart ist, dass die Klasse ihrer Individuenkonstanten abzählbar-unendlich ist und durch die Angabe zweier wahrheitsfunktionaler Prädikate F1 und W1 – »falsch« und »wahr« –, womit das gesamte strukturale Prädikat lautet: k1 = (s1 , W1 , F1 ) ∧ W1 ∩ F1 = ∅). Zweitens wird die Frage, ob es eine solche Sprache gibt, durch die Angabe eines Modells entschieden, d.h. durch eine Entität, die ein solches Prädikat erfüllt (cf. Puntel 1982, 46 f.). Die Modellbeziehung bzw. die Beziehung zwischen Struktur und Modell ist das Verhältnis des Allgemeinen zum Besonderen bzw. des Abstrakten zum Konkreten. Dabei gibt es ebenfalls eine Hierarchie von Strukturen selbst: Abstrakt heißen Strukturen, wenn sie von Modellen erfüllt werden können, konkret heißen Strukturen, insofern sie selbst Modelle noch abstrakterer Strukturen sein können. Darüber hinaus gibt es Strukturen, welche nicht mehr Modelle einer weiteren, höheren Struktur sind, sondern Konstellationen weiterer abstrakter, höherer Strukturen sind – etwa die

Noch eine analytische Relecture

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Struktur der mathematischen Gruppe und die Struktur der Boolschen Algebra (cf. Puntel 1982, 47, 51, Fn. 31). Vor diesem Hintergrund lässt sich die WdL nun folgendermaßen charakterisieren: »Ihrer Grundidee nach ist Hegels Logik das System der höchsten, abstraktesten, reinen Strukturen; sie ist eine strukturale Logik oder eine (logische) Strukturtheorie. Die »Denkformen« oder »Denkbestimmungen« sind nichts als reine Strukturen, die unter sich einen Zusammenhang bilden, den Hegel »Idee« nennt, und die Konkretisierungen in den verschiedensten Bereichen, ja prinzipiell allen Bereichen, haben (können). Diese Konkretisierungen können im strengen Sinne als Modelle einer Struktur oder als Kombinationen bzw. Konstellationen von mehreren Strukturen aufgefaßt werden« (Puntel 1982, 48).

Die objektive Logik, also die ersten zwei Bücher der WdL (Seinslogik und Wesenslogik) behandeln damit die höchsten und reinen Strukturen der Wirklichkeit (seinslogische Kategorien und Reflexionsbestimmungen bzw. wesenslogische Kategorien). Die subjektive Logik des dritten Buches der WdL hingegen behandelt in ihrem ersten Kapitel die Themen der traditionellen Logik (Begriff, Urteil, Schluss), was nun nicht zu einer strukturalen Logik im Sinne der objektiven Logik gehört. In der subjektiven Logik werden Begriff, Urteil und Schluss sozusagen als Materialien mithilfe der Strukturen der »Allgemeinheit«, »Besonderheit« und »Einzelheit«, angewandt auf den Begriff – und der Strukturen »Dasein«, »Reflexion« und »Notwendigkeit«, angewandt auf Urteil und Schluss bearbeitet (wobei die Strukturen der Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit als solche in der WdL nicht eigene Stufen im Gang der Darstellung sind, anders als die Strukturen des Daseins, der Reflexion und der Notwendigkeit, welche wesenslogische Strukturen sind). Begriff, Urteil und Schluss sind also nicht wiederum als reine Strukturen dargestellt, sondern als Erfüllungsfälle anderer reiner Strukturen. Da sie aber nicht einfachhin als Modelle bezeichnet werden können, muss in der WdL eine zweifache Gestalt von »Logik« unterschieden werden: Eine strukturale Logik bzw. logische Strukturtheorie (Seinslogik und Wesenslogik) und eine formal-operationale Logik. Letztere ist die Dimension konkreter logischer Operationen und Regeln, mit denen logische Strukturen wie Terme, Prädikate, Urteile und Schlüsse strukturiert werden. Diese operationale Logik ist ein innerlogisches Modell der strukturalen Logik. Sie ist notwendig mit der reinen Strukturtheorie mitgegeben, da die theoretische Darstellung der reinen Strukturen sich innerhalb eines sprachlichen Darstellungsmediums vollzieht, welches durch die operationale Logik geregelt ist (cf. Puntel 1982, 48 f.).

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Historisch-systematischer Ausflug 3 (G.W.F. Hegel)

Die letzte Sphäre der WdL, die Idee des Erkennens (mit ihrer Aufgipfelung, der absoluten Idee), gehört nun jedoch weder zur strukturalen noch zur operationalen Logik, sondern bildet eine eigene Sphäre der – heute würde man sagen –Wissenschaftstheorie und Methodologie. Hier sind auch alle fundamentalen erkenntnistheoretischen Aussagen Hegels situiert. In dieser Sphäre werden die Strukturen des Erkenntnisprozesses als Modelle der vorherigen reinen Strukturen dargestellt (cf. Puntel 1982, 49). Hinsichtlich der operationalen Logik gilt nun: Die »[...] logischen Strukturtypen können – global gesprochen – entweder auf der Ebene des Verstandes oder auf der Ebene der Vernunft verstanden und thematisiert, kurz operationalisiert, d.h. herangezogen werden, um bestimmte Sprachelemente im Hinblick auf bestimmte Werte (sogenannte Wahrheitswerte) zu strukturieren, zu regeln usw.« (Puntel 1982, 50).

Der Verstand ist nun bekanntlich jenes Vermögen, das die Denkbestimmungen fixiert und in äußerliche Gegensätze bringt. Die zugehörige Operationsgestalt ist undialektisch. Die negative Vernunft hingegen ist dialektisch, und die positive Vernunft spekulativ. Was nun die dialektisch-spekulative Operationsgestalt bzw. dialektisch-spekulative Logik ist, soll im Folgenden dargestellt werden. Sie hängt (entsprechend der hier gewählten topdown-Methode) eng zusammen mit Hegels Methodologie und Erkenntnistheorie – in der analytischen Relecture mit seinem eingangs besprochenen fundamentalsemantischen Grundansatz. 6.8

Überleitung: Bleibt Hegel Subjektivitätsphilosoph?

Ist Hegel im letzten nicht doch Subjektivitätsphilosoph, trotz aller Bemühung, die Subjektivitätsphilosophie zu überwinden (cf. zum Folgenden Puntel 1973, 134 f.)? Wenn die Logik zwar einerseits auf dem Boden der Überwindung der Subjekt-Objekt-Dichotomie steht, aber andererseits die reine Strukturalität der Wirklichkeit ist (aber nach Puntels Ansicht doch wieder alle Strukturen als Explikation der Subjekt-Objekt-Relation artikuliert), und wenn sie gleichursprünglich mit den phänomenologischen und noologischen Sphären des subjektiven Geistes ist und »das Strukturprinzip der Logik an der Struktur des subjektiven Geistes abgelesen wird« (Puntel 1973, 142), eignet ihr dann nicht ein transzendentaler Status im Kantischen Sinne an? Wird hier nicht doch wieder die transzendentale Subjektivität durch die Hintertüre hineingeschmuggelt? Bei Hegel bleiben sich informierende und durchdringende Struktur und realsystematischer Gehalt jedoch nicht äußerlich und fremd, sondern die reine Strukturalität wird »in dem Sinn

Überleitung: Bleibt Hegel Subjektivitätsphilosoph?

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radikal ›einbezogen‹, daß sich diese Struktur als die eigene Struktur jenes realsystematischen Gegenstandes (Stoffes, Inhaltes) enthüllt« (Puntel 1973, 135). Puntel 1973, ebd., stellt fest, dass die »phänomenologisch-noologische Struktur als die ›abstrakt-formelle‹ Struktur des Geistes [...] mit dem Ganzen koextensiv [ist]: es gibt kein grundsätzliches Jenseits oder Außerhalb der Reichweite dieser geistigen Struktur (in dieser Hinsicht lehnt Hegel die Kantische Transzendentalität radikal ab); es gibt nur ein vorläufiges Jenseits oder Außerhalb, und zwar hinsichtlich des bloß ›formellen oder abstrakten‹ Charakters der geistigen (phänomenologisch-noologischen) Struktur (in dieser Hinsicht wird bei Hegel die Transzendentalität aufbewahrt). Kurz: Der ›subjektive‹ Geist als phänomenologisch-noologische Struktur ist nicht nur subjektiv, sondern ist noch subjektiv, denn ›insofern das Wissen mit seiner ersten Bestimmtheit behaftet, nur erst abstrakt und formell ist, ist das Ziel des Geistes, die objektive Erfüllung und damit zugleich die Freiheit seines Wissens hervorzubringen‹ [Enz., § 442]«. Dieses freie Hervorbringen aber ist die Darstellung des Systems im dritten großen Zusammenschluss, welcher nach Puntel 2006 von Hegel nur angedeutet, aber nicht oder höchstens fragmentarisch ausgeführt wurde. Insofern wäre Hegel als noch der Subjektivitätsphilosophie verhaftet zu betrachten, aber nicht nur als Subjektivitätsphilosoph, da seine Philosophie bereits die Anlage für die Ausführung des dritten Zusammenschlusses in sich birgt. Dies werde ich im Übergang zur struktural-systematischen Philosophie erneut beleuchten.

kapitel 7

Historisch-systematischer Ausflug 4 (Tübinger Schule): All-Einheit und Differenz in der Ekklesiologie 7.1

J.A. Möhler (1796–1838): Die Einheit zwischen Gott und Mensch als geschichtliche Rückkehr zur Einheit von Einheit und Verschiedenheit

Oben sahen wir als Materialobjekt zur Untersuchung des Verhältnisses von horizontaler und vertikaler Fundamentalstruktur die Ekklesiologie von Thomas von Aquin. Hier sei nun anhand der Ekklesiologien von Johann Adam Möhler und Johann Sebastian von Drey das Thema der Kirche als horizontal-vertikal-synchroner und -diachroner Subtotalität der Welt gewählt, in der sich die Fundamentalstruktur innerweltlich und in ihrem Gottesbezug ausfaltet. Möhler und v. Drey stehen dabei vor dem Hintergrund der großen Auseinandersetzung mit dem deutschen Idealismus und einer nichtreduktionistischen, transzendental-subjektivistischen Philosophie (cf. zum historisch-systematischen Ausflug 4: Schneider 2017a). In seinem Frühwerk »Die Einheit der Kirche« von 1825 entwickelt Möhler eine en-theistische bzw. pan-en-theistische Konzeption des Gott-WeltVerhältnisses, in welcher das In-Sein des Menschen in Gott vermittelt ist durch das In-Sein des Menschen im Universum als Ganzen: Der Mensch partizipiert an der All-Einheit des Seins, und hierüber ist er eins mit Gott. Hier verbindet Möhler – vermittelt über Johann Michael Sailer und Johann Sebastian von Drey die ›Innerlichkeit des gottvernehmenden Gemüts‹ Schleiermachers mit der Schellingschen Philosophie des Universums. Individual- und Universalleben des Menschen sind im Innesein in Gott in Harmonie verbunden und geeint – wobei es im Sündenfall zu einer Auflösung dieser Harmonie kam, hin zum radikalen Individualismus. Diese Auflösung der Einheit von Individual- und Universalleben ist der Abfall von Gott, während die Einheit von Gott und Mensch zugleich die Rückkehrbewegung des Menschen zu dieser harmonischen Einheit von Einheit und Verschiedenheit ist. In dieser Rückkehrbewegung steht die Kirche als Leib Christi (cf. hierzu zum Folgenden Schneider 2015c, 41–53).

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Historisch-systematischer Ausflug 4

Die Kirche als Leib Christi wird von Möhler in seinem Frühwerk vorallem pneumatologisch und bewusstseinsphilosophisch gefasst, während in seinem reifen Werk, der »Symbolik« von 1832, das inkarnatorische Paradigma im Vordergrund steht: Die Kirche ist, wie eingangs bereits zitiert wurde, die ›fortwährende Inkarnation‹, in welcher Gott und Welt ›unvermischt und ungetrennt‹ sind. Die Einheit von Gott und Mensch ist in beiden Werken jedoch geschichtlich vermittelt, und diese geschichtliche Einigungs- und Rückkehrbewegung soll im Folgenden genauer betrachtet werden, vorallem unter der Rücksicht von Inklusivismus und Exklusivismus: Welchen Status hat das historische ›Außerhalb‹ der Kirche, wenn sich in der Kirche die Einigung von Gott und Mensch vollzieht?

7.2

Leib-Christi-Ekklesiologie im Paradigma der transzendentalen Differenz: Johann Sebastian von Drey (1777–1853) und Johann Adam Möhler 7.2.1 J.A. Möhler: Vom Pneumatozentrismus zum Christozentrismus Die Werke »Athanasius« und »Anselm« markieren eine Übergangsphase, in welcher Möhler den Panentheismus Schleiermacherscher Provinienz zunehmend für inadäquat erachtet und in seiner Kritik explizit Rekurs auf die Trinitätslehre nimmt. Im III. Buch seiner Monographie über den Hl. Athanasius und seine Zeit diskutiert er die dualistische Fassung des GottWelt-Verhältnisses im Arianismus, welche er mit einem Argument des infiniten Regresses zurückweist: Wenn Christus rein auf der geschaffenen Seite steht, dann braucht es zwischen ihm und Gott wiederum einen Mittler, der, wenn er erneut rein auf der geschaffenen Seite steht, einen weiteren Mittler benötigt und so ad infinitum. 251 Dass Möhler kein Dualist ist, ist nicht weiter verwunderlich – interessanter ist seine Abwehr des Modalismus bzw. Sabellianismus, welchem er (ob zu recht oder zu Unrecht, sei dahingestellt) auch die Trinitätslehre Schleiermachers zurechnet. Schleiermacher zufolge ist die transzendente Kausalität Gottes koextensiv mit der Gesamtheit endlichen Kausalität der geschaffenen Dinge, sie ist ›hinter‹ der endlichen Kausalität am Werk. Durch diese Kausalität wird Gott als Vater offenbar, während – sabellianisch gedacht – Sohn und Geist spätere Offenbarungen sind: Der Sohn wird in der erlösten Menschheit offenbar und der Geist in der Kirche. Vater, Sohn und Geist sind jeweils nichts weiter als Offenbarungen des einen, monadischen Gottes, sie sind

251

Cf. Athanasius III, 313.

Leib-Christi-Ekklesiologie

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die eine göttliche Aktivität, welche jeweils mit dem Universum (Vater), der erlösten Menschheit (Sohn) und dem Geist (Kirche) koinzidiert (Gott Vater als Schöpfer und der Logos sind also in der Schöpfung nicht gleichermaßen aktiv, der Logos ist kein Weltenschöpfer). Möhler stellt die Frage, wieso es überhaupt noch nötig sei, hinter dieser göttlichen Aktivität einen transzendenten Gott anzunehmen, d.h. warum hinter der ökonomischen Trinität überhaupt noch eine immanente Trinität anzunehmen sei. 252 Diese Form von Panentheismus kollabiert für Möhler schlichtweg in einem Pantheismus: »Gemäß dem Sabellianismus ist [...] die erste Evolution der Gottheit [...] die Welt, die zweite die Erlösung, wenn man so sagen will, und die dritte die Kirche [...]. Abgesehen von diesen Evolutionen läßt sich von der Gottheit, als einer Monas, die weder Vater, noch Sohn, noch Geist ist, nichts aussagen. [...] indem die Sabellianer alles auf einen zurückbringen, heben sie Jenen auf. [...] so verschwindet allerdings das, was der Christ unter Gott sich denkt« (Athanasius III, 322).

Die Gefahr des Kollabierens des Hl. Geistes in den Gemeingeist der Kirche, wie ihn Möhler bei Schleiermacher sieht (und welcher Gefahr er selbst in der Einheit auch sehr nahe stand), wehrt Möhler vor diesem Hintergrund entschieden ab. Die starke Annäherung von kirchlichem einheitlichem Bewußtsein und Hl. Geist nährt die Gefahr des Pantheismus und der Divinisierung der Kirche. 253Im Athanasius will Möhler also der pantheistischen Falle des schleiermacherschen Panentheismus entkommen, und die weitere Entwicklung zeigt, dass sich Möhler hier vom romantischen Panentheismus

252 253

Cf. Himes 1997, 181–198. Athanasius III, 324 f.: »Stets wurde von den Katholiken die Kirche so hoch gehalten; eben weil sie das Haus Gottes ist, erfüllt vom heil. Geiste, die Stiftung des Sohnes, der bei ihr und in ihr bleibt bis ans Ende der Welt. Aber daß sie soweit in ihrer Verehrung sich verirrt hätte, wie es nach der sabellianischen Theorie geschehen muß, das war ihr stets fremd. Wir werden stets bekennen, und nur wenn die Kirche vertilgt würde, würde dieses Bekenntnis mit aufhören, daß der Geist des Ganzen, ihr Gemeinsinn, ihr Gemeingeist, und alle Wahrheit, und alles Herrliche, welches sie besitzt, eine Wirkung des heil. Geistes in ihr sei; aber nie wird sie sagen, der Geist des Ganzen sei eben der heil. Geist, die Gottheit selbst [...]. Da nach dem Sabellianismus die Kirche durch und durch Gott ist, denn die allgemeinen lebendigen Kräfte, die wie die Kräfte der Natur überhaupt, sich zum Vater verhalten wie die Charismen zum Geist, sind doch auch in den Gläubigen, so wäre gewiß der Fanatismus undenkbar, der sich der Kirche bemächtigt haben würde, wenn sie die sabellianische Trinitätslehre angenommen hätte, die Kirche selbst wäre die dritte Person der Gottheit.« Cf. Himes 1997, 188 f.

188

Historisch-systematischer Ausflug 4

und Enpneumatismus überhaupt verabschiedet. 254Ein integrales Movens dieser Abwendung ist dabei überdies die Frage nach der menschlichen Freiheit, welche Möhler durch die modalistische Trinitätslehre bedroht sieht, da in ihr das Freiheitsgeschehen zwischen Gott und Mensch abgelöst wird durch die notwendige Evolution Gottes in der Welt. 255Nach katholischem Verständnis jedoch müssen bei aller Immanenz Gottes in der Welt Selbststand und Freiheit des Menschen in starkem Sinne erhalten bleiben: »So leben die Erlösten wahrhaft in Gott, Gott ist uns unendlich nahe, er ist in uns [...]. Aber Gott ist deswegen noch nicht Wir. [...] [D]er Sohn, durch welchen der Vater Alles erschaffen hat, ist verschieden vom All, verschiedenes [sic] Wesens; der heil. Geist eben so. Und wenn manche Väter sagten, wesenhaft sei dieser in uns, so heißt das nichts anderes, als er selbst wirkt in uns, die wir ihn mit Freiheit aufnehmen, die wir ihn durch die mit Freiheit begangene Sünde wieder vertreiben können; er ist also verschieden von uns, obschon alles Gute in uns aus ihm, durch ihn, und in ihm ist.« (Athanasius III, 323).

Der Mensch nun für Möhler nicht mehr in Gott, sondern steht als freies Geschöpf vor Gott. 256 Möhler hält den Extrempositionen des arianischen Dualismus und des sabellianischen Pantheismus die katholische Lehre folglich als mittleren Weg entgegen: »Das Verhältnis des Arianismus zum Sabellianismus können wir so ausdrücken: nach jenem ist Gott von der Welt getrennt, nach diesem fällt Gott und die Welt zusammen. Der Katholizismus aber hält Gott und Welt auseinander, obschon Gott mit der Welt in innigster Verbindung steht« (Athanasius III, 313). »So ist Gott außerweltlich und in der Welt, er ist stets verschieden vom Einzelnen wie vom Ganzen, und doch nicht getrennt« (Athanasius III, 324).

254 255

256

Cf. Geiselmann 1954, 187. Athanasius III, 319 f.: »Nach der sabellianischen Trinitätslehre ist der Mensch nicht gefallen. Hatte er je vor dem Christenthum im Sohne den Vater geschaut, und war er im heil. Geiste geheiligt, so daß er durch die Sünde aus seinem heiligen Zustande hätte herausfallen können? Er wurde also auch nicht von einem freien Falle erlöset; das Christenthum ist nicht die Erlösung, und der Mensch wird nicht wiedergeboren in ihm. Sondern in einer nie vorhergewesenen Weise entfaltet sich die Gottheit. Das Christenthum ist eine neue Evolution der Gottheit, wodurch gleichsam die ursprüngliche Unreife der Schöpfung gehoben, und die Schöpfung, wenn es gewiß ist, vollendet wird, da die Gottheit in ihrer ganzen Fülle in dieselbe sich ergießet.« Cf. Himes 1997, 184. Cf. Himes 1997, 187.

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Es soll mit den eingeführten kategorientheoretischen Methoden erklärt werden, dass Möhlers Konzeption des Gott-Welt-Verhältnisses ganz dem des Krauseschen Panentheismus entsprechen muss, bzw. der Elementarstruktur der Einheit (= das Zugleich) von Einheit und Differenz. Um dieses Verhältnis von Transzendenz und Immanenz Gottes zu explizieren, beschreitet Möhler nicht mehr den pneumatologisch-romantischen Weg, sondern wendet sich dem Inkarnationsdogma der Unvermischtheitund Ungetrenntheitvon göttlicher und menschlicher Natur in Christus und der klassischen Explikation der Natur des Menschen als Bild Gottes zu. 257Der erste Mensch, so Möhler, ist als Abbild Gottes erschaffen, und das bedeutet als Abbild der zweiten Person der Trinität, des Logos, in welchem der Mensch sein gottgleiches Leben besitzt. 258 Dieses Zugleich der Unvermischtheit und Ungetrenntheit ist hierbei wiederum als ein direkt proportionales Verhältnis von Einheit und Differenz zu deuten und entspricht damit der panentheistischen Fundamentalstruktur. In seiner Mongraphie über Anselm von Canterburyvon 1828, einer »Untersuchung über das Wesen der Freiheit und ihr Verhältnis zur Gnade« 259entwickelt Möhler nun die scholastische Urbild-Abbild-Konzeption weiter. Hier wird die fundamentale Unterscheidung zwischen »Bild Gottes« (imago Dei) und »Ähnlichkeit« (similitudo) eingeführt, die in der späteren Symbolik eine entscheidende Rolle in der Behandlung der Gnadenlehre spielen wird. Durch seine Rationalität bzw. Vernunft und durch seinen freien Willen ist der Mensch Bild Gottes und bleibt dies auch nach dem Sündenfall; 260im Sündenfall geht jedoch seine Gottähnlichkeit (seine »Gerechtigkeit« bzw. iustitia originalis) verloren und die Wahlfreiheit wird zum Vermögen der Wahl zwischen Gut und Böse, doch die menschliche Natur als Bild Gottes bleibt der Anknüpfungspunkt der ihr entsprechenden und nicht widersprechenden Gnade zur Wiederherstellung der Gottähnlichkeit. Die Freiheit besitzt die bleibende Kapazität, unter Hilfe der Gnade wieder stets das Gute zu wählen. 261 Möhlers Freiheitsbegriff der Frühphase fußte darauf, dass es keine natura pura gibt und die formale Freiheit bzw. Wahlfreiheit nur im Stand der Sünde vorhanden sei und nicht zur eigentlichen Natur des Menschen gehört. In der weiteren Entwicklung, vorallem in Auseinandersetzung mit 257 258 259 260 261

Cf. Himes 1997, 191 und 260. Cf. Himes 1997, 192. Anselm, 170; cf. Geiselmann 1954, 162. Anselm, 162–165. Cf. Geiselmann 1954, 165 f.; Himes 1997, 193.

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dem pantheisierenden reformatorischen Bild des alleinwirksamen Gottes schreibt Möhler die Wahlfreiheit dann aber der menschlichen Natur überhaupt zu, als Ausdruck der Geistnatur des Menschen. In der Symbolik erfolgt schließlich die Übernahme des thomistischen Modells von causa prima und causa secunda, von der Kohärenz von Gott als Erstursache und den geschaffenen Ursachen als Zweitursachen – Gott wirkt stets durch die Zweitursachen, nie jedoch an ihnen und ihrer Natur vorbei. Die materiale Freiheit bzw. Wesensfreiheit wird dann zur »höheren Freiheit«, für welche die Wahlfreiheit zur notwendigen Bedingung wird. 262 Wie ist dann aber im gefallenen Zustand des Menschen die Tendenz der Wahlfreiheit zum Bösen zu erklären? Wenn der Wahlfreiheit eine reine Indifferenz zwischen Gut und Böse und als solche auch der Natur des Menschen an sich (auch im prälapsarischen Zustand) zugehörte, dann würde unweigerlich eine pelagianische Selbsterlösungslehre folgen. Möhler antwortet hierauf in einer erneuten Adaption des organologischen Denkens: Die Wahlfreiheit ist kein rein formales aequilibrium – keine indifferente Waage -, dies wäre ein mechanistisches Denken. Möhler vertritt dagegen einen organischen Begriff der Wahlfreit: Es besteht eine Verbindung mit dem Streben nach dem höchsten Ziel, die Freiheit folgt nicht mechanischen Gesetzen, sondern den teleologischen Gesetzen des organischen Lebens: Eine Waage kehrt mechanisch immer zum Ausgangspunkt (zur reinen Indifferenz) zurück, eine organische Kraft aber geht zugrunde, wenn sie dauerhaft schlecht angewendet wird. Ebenso verhält es sich bei der ethischen Kraft der Freiheit, die in einem organischen Zusammenhang mit dem Ganzen steht. Als reines Vermögen hat die Wahlfreiheit keine Grade, wohl aber im Gebrauch, hier nimmt sie eine Richtung an, es entstehen Neigungen zum Guten oder zum Bösen. Dadurch wird auch der Hang zum Bösen im gefallenen Zustand erklärbar. 263 Diese Sicht ermöglicht Möhler nun auch eine Vereinbarkeit von Wahlfreiheit und Gnade: Der Mensch bedarf bei einer Neigung zum Bösen der Gnade Gottes, nimmt sie aber frei an. 264 Die Gnadenlehre ist nun auch der zentrale Ort, an dem Möhler in seinem Weg zur Symbolik von 1831 einen Mittelweg zwischen pelagianischem Anthropozentrismus und reformatorischem Theozentrismus zu etablieren

262 263 264

Cf. Geiselmann 1954, 168 und 258–260.; zur Urbild-Abbild-Relation bei Möhler auch Kasper 2003, 206 f. Cf. Neue Untersuchungen, § 16. Cf. Anselm, 162–176; Geiselmann 1954, 260–265.

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versucht, um von einem hierdurch neu gewonnen Standpunkt auch seine Leib-Christi-Ekklesiologie neu zu situieren. 265 Durch die Zurückweisung des sabellianischen Modalismus ändert sich auch die Bestimmung dessen, was die eigene Natur des Menschen ist. Dies behandelt Möhler anhand der Frage, wie die Differenz zwischen menschlicher Natur vor und nach dem Sündenfall genau zu bestimmen ist. Der prälapsarische Adam war in einem Zustand ursprünglicher Gerechtigkeit (iustitia originalis), als »sittlich idealem Zustand« 266 doch auch nach dem Sündefall besteht weiterhin eine Potenz zur Vollkommenheit des Urstandes, welche die Bestimmung des Menschen als imago Dei ist. Die menschliche Natur ist nicht völlig korrumpiert, womit Gott auch nicht zur Gewährung seiner Gnade gezwungen ist, um den Menschen im Sein zu erhalten. Zur Vervollkommung hin zur Gottähnlichkeit und damit Wiederherstellung der iustitia originalis als ursprünglicher Gottähnlichkeit (similitudo) bedarf es sodann der übernatürlichen Gnade Gottes, da die natürliche Potenz sich nicht von selbst in einen übernatürlichen Akt überführen kann. Dieser Akt als donum supernaturale ist für Möhler nun ein Akzidenz, jedoch nicht rein extrinsisch, als ob durch den Sündenfall nichts Essentielles verlorengegangen wäre – dies wäre dann letztlich nicht wieder eine Form des Deismus, in welcher die menschliche Natur ohne die übernatürliche Gnade an sich intakt und unbedürftig wäre. Diesem Einwand Christian Baurs begegnet Möhler mit der erst in der 5. Auflage der Symbolik eingearbeiteten skotistischen Unterscheidung zwischen ursprünglicher Gerechtigkeit und Heiligkeit (als sittlicher Gemeinschaft mit Gott): 267 Beide sind Akzidenzien, jedoch ist die Gerechtigkeit ein natürliches Akzidenz und die Heiligkeit ein übernatürliches. 268 Mit dieser Unterscheidung zwischen natürlicher Gerechtigkeit und übernatürlicher Heiligkeit gelingt Möhler eine neue Bestimmung des GottWelt-Verhältnisses: Die menschliche Natur ist nicht völlig korrumpiert, sie ist eines natürlichen Vernunftglaubes und der freien Antwort auf Gottes übernatürliche Gnade fähig. Da die Übernatürlichkeit der menschlichen Natur nicht gänzlich zerstört wurde, gibt es keine natura pura im Sinne eines völligen Getrenntseins von Gott. Die Natur des Menschen als imago Dei ist bereits ein gnadenhafter Ausdruck des göttlichen Willens, der Mensch steht in seinem ganzen Sein immerzu in Relation zu Gott, auch in seiner 265 266 267 268

Cf. Geiselmann 1954, 265 f. Symbolik5 , 28 f. Cf. Symbolik5 , 29. Cf. Geiselmann 1954, 229 und 257; Himes 1997, 241–253.

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postlapsarischen Natur. Diese Natur bleibt Natur, aber nicht als natura pura –handelt sich um eine Verschränkung von Natur und Übernatur, die Michael J. Himesals ›Natural Supernaturality‹ und ›Supernatural Naturality‹ umschreibt und womit nicht getrennte Realitäten, sondern zwei modi derselben Realität beschrieben werden. Die Notwendigkeit und Gratuität der Gnade ergeben sich dann aus der Tatsache, dass der postlapsarischen Natur die übernatürliche Gemeinschaft mit Gott (Heiligkeit) abhanden gekommen ist und sie diese Gottähnlichkeit, auf die sie notwendig ausgerichtet ist, und die Überwindung der Sünde nicht mehr aus eigenen Stücken zu erreichen vermag. 269 Hieraus ergibt sich für Möhler eine neue Bestimmung der ekklesiologischen Grundkoordinaten: Der Mensch ist fähig geblieben, Gottes Selbstmitteilung zu empfangen, seine Rezeptivität ist nicht völlig zerstört. Doch diese innere Rezeptivität ist auf externale Vermittlung angewiesen, denn unsere postlapsarische gefallene Natur ist trotzallem irrtumsanfällig und bedarf neben der Schrift auch notwendig der sichtbare Kirche als des weiterlebenden Christus zur Reifung des imago Dei hin zur vollen similitudo. 270 Zwischen göttlicher und menschlicher Freiheit besteht ein Verhältnis der Anerkennung, welches ermöglicht wird durch die Tatsache der Inkarnation als geschichtlich objektiv angebotener Gnade: Der Anknüpfungspunkt dieser objektiven Gnade im Menschen sind seine natürliche Vernunft und Freiheit als imago Dei (Möhler nennt sie auch die »gottverwandte Substanz« 271 des Menschen). Die Aktivität der freien Vernunftnatur gegenüber der in der Inkarnation angebotenen Gnade besteht in der Potenz des Emfangens, genauerhin in der menschlichen Anerkennung, dass er die Gnade nur passiv empfangen kann – und dies ist nach Möhler zugleich »seine höchste Aktivität, deren er überhaupt fähig ist« 272. Es handelt sich hierbei also um eine dynamischen Verschränkung von Akt und Potenz, um einen durch das Zusammenspiel von Natur und Übernatur ermöglichten aktiven Mitvollzug der Aktsetzung in der aktualisierten Potenz. Dies induziert eine subjektive Aneignung der Objektivität und eine Externalisierung der Subjektivität: Durch den Empfang der Gnade findet eine Erhebung zur absoluten Wahrheit statt, d.h. zur »absoluten Vernunft«, und in dieser gründet die »›lebendige, sittliche Gemeinschaft‹ zwischen Endlichem und Absolutem« 273. 269 270 271 272 273

Cf. Himes 1997, 250 und 281. Cf. Himes 1997, 265. Symbolik5 , 72; cf. Eschweiler 1930, 114. Symbolik5 , 115 f.; cf. Eschweiler 1930, 112 f. Eschweiler 1930, 113.

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Durch die Gnade Christi kann das Christentum also objektive Wirklichkeit werden, und die gottmenschliche Wirklichkeit besteht forthin im sittlichen Christentum (im objektiven und sittlich freien Geist), dessen objektives »gottmenschliches Werk« die Kirche ist. 274 Hiermit hat Möhler nun einen neuen Verkörperungsbegriff erreicht, der nicht mehr romantisierend ist. Das Christentum kann sich nicht in der Subjektivität eines Gnadengefühls oder der moralischen Gesinnung erschöpfen, sondern muss sich zur subjektiv-objektiven Sittlichkeit entfalten, die fähig ist, als vollkommene Wirkung das Unsichtbare ins Sichtbare zu überführem und so die innere Kirche zur äußeren Kirche werden zu lassen. 275 Der Heilige Geist ist nun dem inkarnierten Christus ekklesiologisch untergeordnet, der Gemeingeist ist nicht mehr das Werk des Geistes allein, sondern ist die kreatürliche Antwort auf Christi Heilswirken, die Öffnung des individuellen Geistes auf dem Weg seiner Vervollkommnung von der imago Dei zur similitudo durch das Wirken des inkarnierten Gottessohnes, welcher den Heiligen Geist gesandt hat. Die Vermittlung zwischen dem Wirken Christi und der Gemeinschaftwerdung Gläubigen und Sichtbarwerdung der Kirche sind die Sakramente, durch welche das Individuum in den Leib Christi aufgenommen wird. 276 Es besteht damit keine extrinsische Relation zwischen Inkarnationsdogma und Ekklesiologie. Die sichtbare Kirche ist intrinsisch gegründet auf der Inkarnation – d.h. wer das Inkarnationsdogma affirmiert, muss auch die sichtbare Kirche affirmieren. Die Relation der Trintät alleine zur Welt, ohne Inkarnation, begründet also noch keine Kirche, sondern nur einen ›Gemeingeist‹, welcher panentheistisch mit dem Heiligen Geist zusammenfiele. Unter dem inkarnatorischen Paradigma hingegen ist Kirche die sichtbare, fortwährende Inkarnation des Logos selbst, und wie im fleischgewordenen Logos Gott und Welt unvermischt und ungetrennt sind, so auch in der Kirche: 277 »So ist denn die sichtbare Kirche von dem eben entwickelten Gesichtspunkte aus, der unter den Menschen in menschlicher Form fortwährend erscheinende, stets sich erneuernde, ewig sich verjüngende Sohn Gottes, die andauernde Fleischwerdung desselben, so wie denn auch die Gläubigen in der heiligen Schrift der Leib Christi genannt werden. [...] [W]ie in Christo Gött-

274 275 276 277

Eschweiler 1930, 114. Eschweiler 1930, 122 f. Cf. Himes 1997, 279 f. Cf. Himes 1997, 258–260.

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liches und Menschliches wohl zu unterscheiden, aber doch auch beides zur Einheit verbunden ist, so wird er auch in ungeteilter Ganzheit in der Kirche fortgesetzt. Die Kirche, seine bleibende Erscheinung, ist göttlich und menschlich zugleich, sie ist die Einheit von beidem. Er ist es, der in irdischen und menschlichen Gestalten verborgen in ihr wirkt; sie hat darum eine göttliche und menschliche Seite in ungeschiedener Weise, so daß das Göttliche nicht von dem Menschlichen, und dieses nicht von jenem getrennt werden mag.« (Symbolik5 , 332 f.)

Die Kirche beginnt demnach nicht erst mit dem Pfingstereignis, sondern bereits mit der Inkarnation (261). Pfingsten begründet trotz äußerer Zeichen des Pfingstereignisses nur eine internale Kirche, die zwar nach Externalisierung strebt, aber dieser gegenüber ontologisch primär bleibt (dies gilt nach Möhler letztlich auch auch diachron, wenn das Pfingstereignis das kirchenkonstitutive Ereignis wäre). In der Ekklesiologie der Symbolik dagegen ist Christus bereits die perfekte Verkörperung des Gottesreichs und er spricht zuerst durch seine Verkörperung zu den Jüngern. Somit ist die sichtbare Kirche nun ontologisch und auch temporal nicht mehr nachfolgend, sondern geht der unsichtbaren Kirche voraus. Durch diese inkarnatorische Sicht wird sodann auch eine Idiomenkommunikation zwischen göttlicher und menschlicher Seite der Kirche und darüber eine Explikation ihrer Eigenschaften der Infallibilität und Unzerstörbarkeit möglich. 278 Nach Karl Eschweiler erlaubt das inkarnatorische Paradigma Möhler eine Überwindung der romantisierenden Innerlichkeit und eine Adaption der Hegelschen Theorie des objektiven Geistes: Möhlers Ekklesiologie lasse sich parallelisieren mit der Lehre des Staates als sittlicher Verkörperung des Absoluten in der entsprechenden realphilosophischen Sphäre. 279 Michael J. Himes hingegen sieht Möhler von der Methodenschrift des mittleren Schelling beeinflusst: So versteht Möhler in §37 der 5. Auflage der Symbolik die sichtbare Kirche als heiliges Kunstwerk, ganz wie in der Romantik Schlegels und Schellings die Kunst die Verbindung mit dem gesamten Universum herstellt und das Schöne als Manifestation und Verkörperung der Wahrheit zu begreifen ist, in welcher in einer ›ersten Idee‹ der Inkarnation das Unendliche ins Endliche gebracht ist. So wie die Kunst eine Externalisierung des Inneren ist, so ist die Kirche die Externalisierung der Religion, und in ihr ist Christus selbst Künstler und Kunstwerk in einem. 280 Die Frage,

278 279 280

Cf. Himes 1997, 261–263. Cf. Eschweiler 1930, 113 f.; 138; 146 f. Symbolik5 , 337 f.; cf. Himes 1997, 284; zur Kritik an Eschweilers These: 287, Anm. 29.

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ob der Möhler der Symbolik eher von Hegel oder vom mittleren Schelling beeinflusst ist, kann hier selbstverständlich nicht entschieden werden. Im Hinblick auf den gegenwärtigen Denkformenstreit sei jedoch ein unstrittiges zentrales Element von Möhlers neuer Ekklesiologie betont: Möhlers Abwendung von der pantheisierenden All-Einheits-Lehre seiner Frühphase ist entscheidend geprägt von der Insistenz auf einen starken Freiheitsbegriff und vom Gedanken der Anerkennung von göttlicher und menschlicher Freiheit, die aufgrund der Adaption der scholastischen Akt-Potenz-Lehre nicht in einen differenztheoretischen Dualismus übergeht. 7.2.2

Die historische Dialektik der Leib-Christi-Ekklesiologie bei Möhler und v. Drey Wie eingangs angeführt, beschreibt Walter Kasper die Kirchengeschichte bei Möhler treffend als die »[...] dialektische Einheit von regressiver und progressiver Bewegung«, d.h. als eine dynamische Rückangleichung an Christus als Ursprung (den ›Anfang der Fülle‹) im progressiven Fortgang der Geschichte. Diese Struktur soll nun genauer beleuchtet werden. Dafür ist zunächst die entsprechende Konzeption bei J.S. von Drey zu betrachten. 281 J.S. von Drey vertritt eine romantische Organologie und mit ihr den Begriff einer geschichtlichen Einheit, der ein Verflochtensein des Einzelnen mit allem, synchron und diachron, impliziert. Die geschichtliche Einheit ist eine durch Gegensätze bestimmte Bewegung in einer Entwicklung des Ganzen. 282 Hierbei rekurriert Drey auf die dialektisch-spekulative Methode Hegels und die Gegensatzlehre Schellings. Bei Hegel findet eine Verlagerung des organischen Entwicklungsgedankens von der Biologie in die Sphäre des Geistes statt, und Drey überträgt die Dialektik auf die sich entwickelnde Einheit der Kirche in ihrem Verhältnis zu Spaltungen und Häresien. 283 Dabei verfolgt er einen Einbau der Spaltungen/Häresien in das Ganze der einen

281

282

283

Dieses Kapitel folgt im Wesentlichen der Darstellung in Geiselmann, Josef R.: J. A. Möhler, die Einheit der Kirche und die Wiedervereinigung der Konfessionen, Paderborn, 1940. Cf. Geiselmann, Wiedervereinigung der Konfessionen, 138 f., im Folgenden unter Berufung auf J.S. von Drey, Über den Satz von der alleinseligmachenden Kirche, 1822, und ders., Ideen zur Geschichte des katholischen Dogmensystems, 1812 f., ders. Tagebücher; für eine neuere Edition der Werke und Schriften v. Dreys cf. Nachgelassene Schriften, Hrsg. von Max Seckler, Tübingen, 2015. Cf. Geiselmann 1940, 138 f.

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Kirche – sie sind dann Gegensätze, »welche die ursprünglich unbewußte Einheit der Kirche zur bewußten und entfalteten Totalität führen« 284. Die schlichte Hinnahme der Spaltungen und ihre Relationsbeschreibungen sind auf der Ebene des Verstandes und der Reflexion angesiedelt. Auf der Ebene der spekulativen Vernunft hingegen gehören die Spaltungen/Häresien zum Ganzen der Kirche als »notwendige Erscheinungen in der Geschichte der Entwicklungen der religiösen Ideen« – die spekulative Vernunft ist hierbei das Begreifen der umfassenden Einheit aus der Perspektive Gottes. 285 Die Spaltungen sind als uneigentliche Gegensätze ein Nichtseinsollendes, das aber dennoch im Durchgang notwendig ist. Die Gegensätze heben sich in die primordiale Einheit der katholischen Kirche auf. So ist der Protestantismus die bestimmte Negation des Katholizismus (das Verhältnis ist also nicht rein abstrakt negativ), aber nur dann, wenn er nicht als »Vereinzelung vor der kirchlichen Einheit der Individuen« sondern als »katholischer Protestantismus« verstanden wird, d.h. als Gegensatz zur übersteigerten und mißbrauchten kirchlichen Autorität; ein »antikatholischer Protestantismus« dagegen wäre ein unechter Gegensatz im Schellingschen Sinne (man vergleiche hierzu Schellings Dialektik der polaren Gegensätze). 286 Hieraus resultiert die Dynamik des kirchliches Lebens: Die Kirche gewinnt ihre Katholizität durch die Häresien, am Gegensatz bildet sich das Bewusstsein ihrer selbst (das Selbstbewusstsein der Kirche, und mit diesem auch das ihrer Glieder). Daher gehören die Spaltungen zur Kirche dazu; die eine Kirche setzt die Spaltungen aus sich heraus und trennt sich von ihnen, um sie wieder in ihre Einheit aufzuheben, 287 »insofern sie für das Ganze eine Lebensfunktion ausüben« 288. Dies ist bei Drey kein Schleiermacherscher Relativismus, aber dennoch der Grundsatz, dass »jede zeitliche Gestaltung ihren Gegensatz hervorruft und nur durch ihn ihre Bestimmtheit erhält« 289. Die katholische Kirche ist die ursprüngliche Kirche, aus der sich erst später die anderen Gemeinschaften oder Kirchen heraussetzten, und auch die von der katholischen Kirche getrennten Gemeinschaften bleiben hierbei zum Ganzen gehörig. Das in der katholischen Kirche erscheinende Christentum ist das echt erscheinende Christentum, die katholische Kirche 284 285 286 287 288 289

Geiselmann 1940, 139. Geiselmann 1940, 140 f. Geiselmann, Wiedervereinigung der Konfessionen, 142 f. Cf. Geiselmann, Wiedervereinigung der Konfessionen, 142 – 145. Geiselmann 1940, 144. J.S. von Drey, Über den Satz von der alleinseligmachenden Kirche, 1822, zit. nach Geiselmann 1940, ebd.

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ist die Einheit von Einheit und echtem Gegensatz, und nicht nur ein unvollkommener Versuch neben anderen Konfessionen. 290 Nach Möhler sind wahre Gegensätze nur innerhalb einer umfassenden Einheit denkbar (»Einheit«, §46), jedoch bedarf für Möhler die katholische Kirche nicht der Häresien und Spaltungen. Der Aufbau des ersten Teils (Abtheilung) der »Einheit« von 1825 wird vom Möhler jedoch klar in Anschluss an seinen Lehrer v. Drey als dialektisch-spekulativer Gang gestaltet: 291 (A) 1. und 2. Kapitel: Die mystische und die verständige Einheit (Identität), (B) 3. Kapitel: Die Vielheit ohne Einheit (Nichtidentität), (C) 4. Kapitel: Die Einheit in der Vielheit (Identität der Identität und Nichtidentität). Der geschichtliche Fortgang der katholichen Kirche als ursprünglicher Einheit und ecclesia ab Abel durch die Vielheit der Spaltungen ist also zugleich der Gang durch die Differenz und der Rückgang in die höhere Einheit als Einheit in der Vielheit. Der erste Teil von Möhlers »Einheit« ist hierbei, wie eingangs erwähnt, pneumatologisch aufgezogen, der zweite Teil (Abtheilung) somatologisch (der Leib der Kirche), und auch dieser zweite Teil ist selbst wieder ein dialektisch-spekulativer Gang: 292 (A) 1. und 2. Kapitel: Einheit des Ortsbistums und im Metropoliten (Identität) (B) 3. Kapitel: Vielheit des Episkopats (Nichtidentität) (C) 4. Kapitel: Die Einheit in der Vielheit: Der Primat (Identität der Identität und Nichtidentität) Dies ist offensichtlich an Hegel angelehnt, der einen solchen sozialontologischen dialektischer Gang ebenfalls kennt: Familie (Identität) – bürgerliche Gesellschaft (Nichtidentität) – Staat (Identität der Identität und Nichtidentität). Überdies folgen die Vorlesungen Möhlers über Kirchengeschichte demselben dialektisch-spekulativen Gang: Die Kirchengeschichte ist, wie eingangs gezeigt, eine Rückangleichung an Christus als Ursprung im progressiven Fortgang der Geschichte. Es handelt sich um den »durch die Zeit schreitende[n] Christus« und dessen organische Entwicklung hin zum Man-

290 291 292

Cf. Geiselmann 1940, 145 f. Cf. Geiselmann, Wiedervereinigung der Konfessionen, 146 f. Cf. Geiselmann 1940, 147 f.

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nesalter. Die katholische Kirche geht durch die Spaltungen hinfort, um sich direkt proportional dazu rückanzugleichen an sich selbst als ursprüngliche Einheit, als ursprünglicher (jüngster) Leib Christi als Anfang der Fülle, der zugleich das erfüllte Ende (»Mannesalter«) der Heilsgeschichte ist. 293 Bedeutet dies eine Notwendigkeit der Häresie? § 32 der »Einheit« Möhlers besagt, dass die Häresie als notwendiges Prinzip zu gelten habe, da das göttliche Prinzip in der Kirche verendlicht ist und sich erst durch die Gegensätze hindurch entfalten muss. 294 Jedoch ist auch eine Entwicklung des Gegensatzbegriffs bei Möhler zu verzeichnen: So unterscheidet er Gegensatz und Widerspruch (letzterer ist der Schellingsche unechte bzw. verfehlte Gegensatz), und später ist die Häresie nicht mehr Gegensatz, sondern »Widerspruch« (§46) – hier vollzieht Möhler nach Geiselmann eine Wende von Schelling zu Hegel. 295 Bei Drey waren Häresien eine notwendige, von der Vorsehung vorherbestimmte Form des Gegensatzes. Möhler dagegen ist nun gut hegelianisch: Häresien sind ein ungöttlicher Gegensatz. 296 Tritt die empirische katholische Kirche (die ›äußere Kirche‹) nun als Thesis in abstrakte Negation zu den Häresien und ist damit selbst nicht mehr Synthesis? Was wäre dann die übergreifende spekulative Synthesis? Nach Möhler sind Gegensätze immer nur nicht-selbstständige Momente des Einen: »Der wahre Gegensatz ist nur ein solcher, in Bezug auf einen anderen, mit dem er zugleich gesetzt ist, also in einem und demselben, folglich der Einheit bedürftig« (§46). Möhler unterscheidet weiter zwischen innerkirchlichem und außerkirchlichem Gegensatz (ähnlich wie v. Drey zwischen wahrem und separatistischem Protestantismus unterscheidet). Der Widerspruch ist der aus der primordialen Einheit der Totalität der Kirche sich separierende und isolierende Gegensatz, welcher der primordialen Einheit gegenübertritt, und den Möhler einen »verfehlten Gegensatz« nennt (wie der Mißton im Konzert) – und der wieder zum »echten Gegensatz« wird, wenn er sich der primordialen Einheit erneut eingliedert, da er als ver-

293 294

295 296

Cf. Geiselmann 1940, 148 – 140, 163 – 166. »Da nämlich das Göttliche, den Gläubigen mitgeteilte Lebensprinzip bloß mitgeteilt, nicht ursprünglich ist, so bedürfen sie immer des Gegensatzes, durch welchen die Entwicklung alles Endlichen bedingt ist«, §32. Cf. Geiselmann 1940, 151 f. Cf. Geiselmann 1940, 150 – 159. Hegel: Der Widerspruch ist der Abfall des einen von sich selbst, »das Identische der Idee in ihrem Anderssein und insofern das Böse« (Geiselmann, Wiedervereinigung, 153, cf. Hegel, Enzyklopädie, §248). Die zentrale Rolle des Widerspruchs unterscheidet Hegel von Schelling; Möhler wendet hingegen nur die Bestimmungen der Gegensatzkategorie der Wissenschaft der Logik auf die Häresie an. Cf. Geiselmann 1940, 153 f.

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fehlter Gegensatz weiterhin Gegensatz bleibt und die Fähigkeit zum wahren Gegensatz beibehält. 297 Die Häresie ist nun nach Möhler zudem nicht mehr notwendiger, sondern nur noch faktischer Gegensatz; ihre Ursachen liegen außerhalb der Kirche: 298 »Während die ursprüngliche Dialektik folgende Struktur aufweist: die Einheit als Satz, die Vielheit der Häresien als notwendiger Gegensatz, die Einheit in der Vielheit als Überwindung des Gegensatzes, hat § 46 folgenden Aufbau: die Einheit als Satz, die Vielheit der Häresie als verfehlter Gegensatz (d. h. als Widerspruch), die Einheit in der Vielheit als Auflösung des Widerspruchs durch Wiedervereinigung« 299. Die Häresie ist nach Möhler also kein Gegensatz zur Lehre der Kirche. Sie lässt sich (gemäß dieser Interpretation) gar nicht erst von der dialektischen Vernunft aufnehmen. Die Kirche ist die ursprüngliche Einheit, sie steht am »Anfang« und nicht die Negativität der Häresien. 300 Möhler leitet die Häresien von den »wahren innerkirchlichen Gegensätzen« her. Der Widerspruch ist somit nicht das Andere der primordialen Einheit. Die Kernmotivation Möhlers besteht nach Geiselmann darin, dass die sichtbare katholische Kirche nicht relativiert werden darf. Daher darf es keinen Selbstwiderspruch in der primordialen Einheit der Kirche geben – und nach dem späteren Möhler der Symbolik darf somit die »innere« Kirche nicht die primordiale Einheit sein, welche die »sichtbare« Kirche und die Häresien umgreift – der »Abfall« von der wahren Lehre ist daher kein kirchenimmanenter Vorgang. Der Widerspruch gründet im Abfall, und letzterer im Bösen, welches den natürlichen Gegensatz zum Widerspruch verbildet. Die Häresie ist gänzlich außerhalb des Reiches Gottes; die Kirche kann auch ohne Häresien florieren. Die Häresien werden bei Möhler damit ein Problem der Theodizee. Sie tragen zwar faktisch zur Entwicklung der 297

298 299

300

Cf. Geiselmann, Wiedervereinigung, 156 – 160. In Hegels spekulativer Methode ist dies die erneute Tätigkeit des Verstandes und die darauf folgende nächste dialektischspekulative Stufe; wieso aber werden dann aber erst die Häresien in die Dialektik der Kirche gestellt, wenn hinterher ihre Gegensatznatur geleugnet wird und die nichthäretischen immanenten Gegensätze zur Selbstentwicklung der Kirche ausreichen (§§32 und 46)? Cf. Geiselmann, Wiedervereinigung, 162. Geiselmann, Wiedervereinigung, 158. Möhler verbindet also insgesamt die Hegelsche Dialektik mit der Dialektik der Schellingschen Identitätsphilosophie, cf. Geiselmann, Wiedervereinigung, ebd. Sind aber die »wahren« Gegensätze Schellings bzw. die »innerkirchlichen« Gegensätze Möhlers nicht vielmehr die aufgehobenen Widersprüche in Hegels dialektisch-spekulativer Methode? Auch bei Hegel steht nicht die abstrakte Negativität am Anfang.

200

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Kirche bei, aber nicht notwendigerweise; das hegelsche Moment der Aufhebung wird bei Möhler damit zur »Auflösung«: Die Widersprüche werden zu echten Gegensätzen gewandelt und lösen sich in die Einheit der Kirche auf; in dieser höheren Einheit gibt es keine verfehlten Gegensätze mehr – es handelt sich um eine Rückkehr zur Kirche, die selbst in sich eine historischdialektische Einheit von Fortschritt und Rückgang in den Ursprung ist. Die unbewußte Einheit vor der Spaltung wird nach der Rückkehr zur bewussten Einheit. 301 Es stellte sich darüber hinaus die Frage, ob ein stetes geschichtliches Ausdifferenzieren und rückführendes Aufheben von Spaltungen nicht in einen infiniten Progress führt – insbesondere da nicht nur das Protestantische die Negation des Katholischen, sondern auch das Katholische umgekehrt als die Negation des Protestantischen aufgefasst werden kann, und dann beide Gegensätze innerhalb einer dritten, gemeinsamen Dimension sind – auch wenn letzteres von Möhler verneint wird, so gesteht er doch eine unendliche Reihe zu: 302 Es gibt eine Unendlichkeit der Gegensätze synchron und diachron durch die Geschichte, wobei jedoch die katholische Kirche selbst die umfassende Synthesis ist, in welche der Rückgang fortschreitet: Die katholische Kirche wird nicht zusammen mit dem Protestantismus in eine höhere Einheit aufgehoben, sondern sie ist diese höhere Einheit. Je schärfer die Gegensätze sind, umso stärker ist dabei der Drang zur Einheit – es handelt sich um eine direkte Proportionalität. Daher liefert Möhler nach Geiselmann in der Symbolik auch die schärfste Beschreibung der Gegensätze. Insgesamt führt Möhlers Weg nach Geiselmann auch hier zu einer Entromantisierung und zu einer Hinbewegung auf Hegel. Die Kirche zeigt sich dabei insbesondere in Möhlers Symbolik damit auch als offenes System, da das letzte Zeitalter der Synthesis noch nicht eingetreten sei. 303 Dies zeigt sich auch deutlich in Möhlers Einleitung der Vorlesungen zur Kirchengeschichte 1826/27: (A) 1. und 2. Periode (1.-6. Jhd. n.Chr., 6.-16. Jhd.): Ruhende Einheit (Identität – unbewusste Einheit – Innerlichkeit ohne Einsicht in die eigene Einheit, gut hegelsch die unterste Stufe des Geistes) (B) 3. Periode (Reformation bis Gegenwart): Trennende Vielheit (Differenz – Weg in die Äußerlichkeit – Notwendigkeit versus Freiheit)

301 302 303

Cf. Geiselmann, Wiedervereinigung, 166 – 179. Cf. Geiselmann, Wiedervereinigung, 177. Cf. Geiselmann, Wiedervereinigung, 166 – 178.

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(C) 4. noch ausstehende, zukünftige Periode: Identität der Identität und Differenz (bewusste Einheit – gut Hegelsch: Die Versöhnung von Notwendigkeit und Freiheit). 304 Doch wie ist es überhaupt zu denken, dass es etwas gibt, das überhaupt nicht von der dialektischen Vernunft aufgenommen und in die primordiale Einheit integriert werden kann, aber damit dennoch eine Art Selbststand neben der primordialen Einheit besitzen muss? Ist der Kohärenz der Möhlerschen Position genüge getan, wenn diese Frage in die Theodizee-Problematik verschoben wird? Und ist die Kirche wirklich noch primordiale Einheit, wenn die Aufhebung (elevare et conservare!) der Spaltungen zu einer schieren Auflösung wird? Endet dies nicht wieder in einer Art Zwangsinklusivismus und Nivellierung der Unterschiede? Diesen Fragen wird man nur auf den Grund gehen können, wenn man sich erinnert, wie sich bei Hegel selbst die Momente der dialektischen Widersprüche und der Aufhebung wirklich zueinander verhalten. Erst dann wird klar, dass Hegels ›Aufhebung‹ und Möhlers ›Auflösung‹ nicht unbedingt in einem derartigen Gegensatz zueinander stehen, wie Geiselmann zu sehen meint. Es muss vor einem dialektischspekulativen Hintergrund von einer mutuellen Aufhebung von katholischer Kirche und den abgespaltenen Kirchen gesprochen werden, jedoch gemäß der Rangordnung der Hegelschen Schlusslehre. In der Intention Möhlers wäre die katholische Kirche als primordiale Einheit das konkrete Allgemeine in Hegels disjunktivem Syllogismus. Dabei müsste weiter gesagt werden, dass alle Spaltung, die sich vor ›Erreichung‹ dieser all-einen Dimension vollzieht, noch nicht den vollen Sinn ihrer eigenen intendierten Abspaltung verwirklicht hat, d.h. dass es vor Erreichung dieser allumfassenden Dimension gar keine absolut-radikalen Häresien gibt. Nicht nur die primordiale Einheit der Kirche, auch der Eigenstand der Spaltungen ist in allen niederen Stufen noch nicht wirklich zu sich gekommen. Schlagwortartig gesagt könnte daraus folgen: Je mehr sich die einzelnen Konfessionen nicht nur auf das ihnen gegenüber Andere, sondern je mehr sie sich auch auf sich selbst einlassen und je mehr sie sich in ihren eigenen Sinn vertiefen, desto mehr gelangen alle Konfessionen zur Einheit. – Dies wäre die direkte Proportionalität der ›vertikalen‹ Struktur des Panentheismus übertragen auf die geschichtliche Struktur: Je mehr die Unterschiedenen zu sich selbst kommen, desto mehr finden sie zum Anderen ihrer selbst und in die wahre All-Einheit. Für radikale Häresien und Verfehlungen würde dies bedeuten, dass sie in der Vertiefung keinen Selbststand finden und untergehen. Dies scheint Möhler 304

Cf. Geiselmann, Wiedervereinigung, 163 – 165.

202

Historisch-systematischer Ausflug 4

auch intendiert zu haben mit seiner These in der »Einheit«, dass echte Abspaltung ein radikaler Separatismus wäre, der in der Selbstverabsolutierung sich selbst vernichtet (Einheit, 112). Die konkrete Allgemeinheit der Kirche hingegen ist nach Möhlers Einheit ganz übereinstimmend mit der dialektisch-spekulativen Methode »der Typus jedes Einzelnen ihrer Glieder«, und jeder Einzelne ist »Abdruck des Ganzen«, und alles Einzelne muss sich »im gesamten Leben der Kirche wiederfinden« (Einheit, 43 f.). Insgesamt ist festzuhalten, dass die Explikation der (welt)geschichtlich linearisierten Gestalt der Fundamentalstruktur ›Einheit von Einheit und Vielheit‹ analog jene Grundschwierigkeiten von Einheit und Selbststand zutage fördert, die auch die ›vertikale‹ panentheistische Fundamentalstruktur betreffen. Hier lohnt sich für die gegenwärtige Diskussion um den Panentheismus etwa in der analytischen Religionsphilosophie der Blick auf die großen Probleme der Tübinger Schule.

kapitel 8

Historisch-systematischer Ausflug 5 (Denkformenstreit): All-Einheit und Differenz in der Transzendentalphilosophie des 20. Jahrhunderts 8.1

Der kontemporäre Denkformenstreit

Der fünfte und letzte historisch-systematische Ausflug befasst sich mit dem 20. Jahrhundert (cf. zu diesem gesamten Ausflug Schneider 2015a, 2015c und 2017a). In der Fundamentaltheologie der letzten Jahrzehnte versucht man, die sogenannte freiheitsanalytische Denkform von Thomas Pröpper und seinen Schülern das Gott-Welt-Verhältnis gemäß einem starken transzendentalen Freiheitsverständnis auszubuchstabieren. Diese Denkform tritt dabei dezidiert metaphysikkritisch auf, insbesondere wird jedem metaphysischen Analogie- und Partizipationsdenken eine Absage erteilt (cf. Reményi 2015, 6 f.). Bei der Frage nach dem letzten Einheitsgrund der Wirklichkeit darf der freiheitsanalytisch denkende Theologe nicht ›metaphysisch überschwänglich werden‹ und die philosophische Theoriebildung wird in strikte transzendental-idealistische Grenzen gewiesen. 305 Die philosophische Basistheorie der freiheitsanalytischen Theologie ist dabei die ›Transzendentale Logik‹ und die Freiheitstheorie von Hermann Krings (1913–2004). Insbesondere bezüglich der Frage nach der ursprünglichen Herkunft und Einheit von Identität und immanenter Differenz des transzendentalen Ich, der in jüngster Zeit vorallem Magnus Lerch in zwei einschlägigen Monographien nachgegangen ist (Lerch 2009, 2015), ist eine Diskussion dieser Denkformen für die Frage nach der Fundamentalstruktur hier bedeutsam. Nach einer gründlichen Darstellung des Theorierahmens kann konstatiert werden, dass für Krings die innere Struktur des Ich ermöglicht ist durch den ›Vorgriff‹ auf das vollkommene und unendliche Sein selbst, und dass die formal unbedingte Freiheit parallel dazu durch den ›Vorgriff‹ auf die vollkommene Freiheit (Gottes) ermächtigt wird – woraus sich die These

305

Cf. Lerch 2015, 425 f.

204

Historisch-systematischer Ausflug 5

einer Koinzidenz von unendlichem Sein und vollkommener Freiheit ergibt. Es zeigt sich, dass die Philosophie von Hermann Krings eine deutliche Nähe zur dezidiert metaphysischen Theoriebildung des transzendentalen Thomismus der Maréchal-Schule aufweist.

8.2

All-Einheits-Denken versus Freiheitsanalytik

Zunächst sei in aller gebotenen Kürze die gegenwärtige Lage des subjektphilosophischen ›Denkformenstreits‹ zwischen freiheitsanalytischem Differenzdenken und monistischem All-Einheitsdenken in der Frage nach dem Gott-Welt-Verhältnis nachgezeichnet. Beide Denkformen knüpfen an der transzendentalen Wende Kants und der folgenden transzendental-idealistischen Entwicklung an. 306 Gemäß Kants transzendentalem Idealismus sind alle Objekte unseres Erkennens konstituiert durch die im Verstand vorliegenden Möglichkeitsbedingungen: Zum erkannten Gegenstand wird etwas für uns, wenn das Mannigfaltige der Anschauung ›zum Stehen‹ kommt und zum ›Gegen-stand‹ wird. Dies geschieht, wenn das sinnliche Empfindungsmaterial vermittelt durch die reinen Formen der Sinnlichkeit und die transzendentalen Schemata der produktiven Einbildungskraft unter die Verstandeskategorien eingeordnet und in den logischen Urteilsformen fest strukturiert wird. 307 Die Urteile liefern dabei durch die Beziehung ihrer Copula auf die analytische Einheit der Apperzeption (des transzendentalen Subjekts) die für die Objektivität der Urteile und die Objektkonstitution nötige konstante Einheit und Selbstständigkeit. 308 Die Copula verbindet, wie zu Beginn des Hegel-Kapitels in diesem Band schon angeführt, die synthetische und analytische Einheit der transzendentalen Apperzeption bzw. des transzendentalen Ich. 309 Das transzendentale Ich ist das formale Selbstbewusstsein des Subjekts, und als Selbstbewusstsein ist es notwendig reflexiv. Das Ich als Subjekt bezieht sich auf das Ich als Objekt und wird durch diesen notwendigen reflexiven

306 307 308 309

Die unmittelbar folgenden einleitenden Absätze sind bereits in Schneider 2015, 38–41 ausgeführt; cf. auch Reményi 2015, 6–13. Cf. KrV A121 f., Puntel 1969, 333 f. Cf. KrV A122; Allison 1968, 173. Cf. die Paragraphen 19 und 20 der transzendentalen Deduktion der Kategorien der BAusgabe der KrV, B140–146.

All-Einheits-Denken versus Freiheitsanalytik

205

Bezug auf sich selbst überhaupt erst zum Ich (worin die grundsätzliche Objektbezogenheit des Subjekts eingeschlossen ist). 310 Die These dieses reflexiven Bezugs sieht sich jedoch einem Zirkularitätsvorwurf ausgesetzt: Wenn das Ich durch diesen Selbstbezug konstituiert wird und dessen Ergebnis ist, dann muss es vor diesem reflexiven Rückbezug auf sich bereits um sich selbst wissen, andernfalls könnte es sich nicht wissend auf sich selbst beziehen – es müsste daher schon vor seiner eigenen Konsitituierung als Ich vorhanden sein und kann dann nicht erst das Ergebnis dieses Reflexionsaktes sein. 311 Um dieser ›Reflexionsfalle‹ zu entgehen, nahm Johann Gottlieb Fichte in seiner Wissenschaftslehre nova methodo ein vor-reflexives, ein prä-reflexives absolutes Ich an, welches der selbstbezüglichen Struktur des selbstbewußten Ich noch einmal vorausgeht. Dem Selbstbezug des ›Ich bin ich‹ geht die absolute Selbstsetzung des »Ich bin« voran. 312 Fichte nennt diese absolute Selbstsetzung die ›intellectuale Anschauung‹, in ihr tritt die Teilung von Ich-Subjekt und Ich-Objekt noch nicht auf, sie geht diesem reflexiven Akt als transzendentale Möglichkeitsbedingung noch einmal voraus (cf. Lerch 2009, 41). Doch Dieter Henrich zeigte, dass auch diese ›egologische Lösung‹ Fichtes der Reflexionsfalle nicht entgehen kann. Denn wie ist das präreflexive Ich ohne expliziten Selbstbezug erfahrbar und wie kann es überhaupt irgendeine Erfahrung sich selbst zuschreiben? Dieser Umstand führte Henrich infolgedessen zur Annahme eines ich-losen Bewusstseins als dem Tiefengrund allen ich-haften Selbstbewusstseins. Es handelt sich dabei um einen non-egologischen Einheitsgrund des Selbstbewusstseins, mit dem wir vorreflexiv vertraut sind, der unserem Selbstbewusstsein nicht äußerlich gegenübersteht, sondern ihm zutiefst inhärent ist. Es handelt sich um eine nicht-relationale, ich-lose Tiefendimension, der nichts mehr äußerlich ist, die in keiner Relation zu irgendetwas steht, sondern das Medium aller relationalen Erlebnisse und Ereignisse ist. 313 Dieser Gedanke steht dem AllEinheits-Denken fernöstlicher Religionen nahe, und Dieter Henrich gelangt über die Adaption der Fichte-Kritik von Friedrich Hölderlin auch zu genau dieser Annahme einer zurgrundeliegenden ich-losen und trans-personalen All-Einheits-Dimension. 314 310 311 312 313 314

Cf. Lerch 2009, 27–30; cf. KrV, B137; cf. Klemme 1996, 256 f. Cf. Lerch 2009, 32–35. Cf. Lerch 2009, 38–43. Cf. Lerch 2009, 75–90. Cf. Lerch 2009, 21; 59–69; Hölderlin, Urtheil und Seyn, 216 f.: »Sein – drückt die Verbindung des Subjekts und Objekts aus. – Wo Subjekt und Objekt schlechthin, nicht

206

Historisch-systematischer Ausflug 5

Diese monistische, transpersonale All-Einheits-Lehre als theoretische Konsequenz aus der neuzeitlichen Subjektphilosophie wurde nun im katholischen Raum insbesondere von Klaus Müller übernommen und im christlichen Kontext ausbuchstabiert. Der Gedanke einer transpersonalen AllEinheit führt zu einem monistischen Gottesbegriff und einer Bestimmung des Gott-Welt-Verhältnisses, bei welcher der Einheit der Vorrang vor der Vielheit und Verschiedenheit zukommt – jedoch nicht in der Weise, dass damit alle Verschiedenheit und Differenz negiert wäre. Die ursprüngliche Einheit wäre keine All-Einheit, wenn sie nicht Einheit von eben Allem, d.h. den Vielen wäre. Es handelt sich um eine übergeordnete Einheit, welche die Vielheit und Verschiedenheit nicht ausschließt, sondern aus sich entspringen und dennoch nicht aus sich herausfallen lässt, sondern sie in sich einbehält, so dass sie das Viele umfasst und auf die Einheit rückbezogen hält. 315 Hiermit ist also nicht ein differenzloser Pantheismus etabliert, sondern eine panentheistische Konzeption des Gott-Welt-Verhältnisses zwischen einem strikten Dualismus und einem planen Substanzenmonismus. Die Achillesferse des theologischen All-Einheits-Denkens ist die für die christliche Theologie unabdingbare und unvertretbare Freiheit des einzelnen Menschen. In der Freiheit des Menschen zeigen sich am prominentesten sein Eigensein, sein Eigenstand und seine Selbstursprünglichkeit: Eine freie Entscheidung ist, wenn sie denn wirklich frei und autonom, d.h. absolut selbstursprünglich ist, allein Sache des betreffenden Individuums und darf nicht von einem wie auch immer gearteten Anderen hervorgerufen werden. Wenn ein Freiheitsakt ein absolut autonomer Akt ist, dann tut sich genau hier eine absolute Differenz zwischen Gott und Mensch auf: Nicht

315

nur zum Teil vereiniget ist, mithin so vereiniget, daß gar keine Teilung vorgenommen werden kann, ohne das Wesen desjenigen, was getrennt werden soll, zu verletzen, da und sonst nirgends kann von einem Sein schlechthin die Rede sein, wie es bei der intellektualen Anschauung der Fall ist. - Aber dieses Sein muß nicht mit der Identität verwechselt werden. Wenn ich sage: Ich bin Ich, so ist das Subjekt (Ich) und das Objekt (Ich) nicht so vereiniget, daß gar keine Trennung vorgenommen werden kann, ohne, das Wesen desjenigen, was getrennt werden soll, zu verletzen; im Gegenteil das Ich ist nur durch diese Trennung des Ichs vom Ich möglich. Wie kann ich sagen: Ich! ohne Selbstbewußtsein? Wie ist aber Selbstbewußtsein möglich? Dadurch daß ich mich mir selbst entgegensetze, mich von mir selbst trenne, aber ungeachtet dieser Trennung mich im entgegengesetzten als dasselbe erkenne. Aber inwieferne als dasselbe? Ich kann, ich muß so fragen; denn in einer andern Rücksicht ist es sich entgegengesetzt Also ist die Identität keine Vereinigung des Objekts und Subjekts, die schlechthin stattfände, also ist die Identität nicht = dem absoluten Sein.« (Zitiert nach Lerch 2009.) Cf. Lerch 2009, 87 f., 97–120.

All-Einheits-Denken versus Freiheitsanalytik

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einmal Gott kann dem Menschen seine freie Entscheidung abnehmen, und besonders bei moralisch falschen Entscheidungen kann ein moralisch vollkommener Schöpfer in keiner Weise beteiligt sein. Hierbei knüpfen Thomas Pröpper und seine Schüler an die Transzendentale Logik (= TL) von Hermann Krings an, und insbesondere an den von Krings in seiner Schrift System und Freiheit artikulierten Gedanken der formal unbedingten Freiheit des Menschen: In den Objekten, die der Mensch vorfindet, dem ›Material‹ seiner Entscheidungen, mag der Mensch bedingt sein, aber in seiner rein formalen Spontaneität der Freiheit ist der Mensch letztlich unbedingt autonom und absolut selbstursprünglich. 316 Der eigentliche Gegenstand der formal unbedingten Freiheit ist dann die intersubjektive Anerkennung anderer Freiheit. 317 Hierbei spielt insbesondere die egologisch gefasste ursprüngliche Retroszendenz oder immanente Transzendenz (Differenz) im Ich eine zentrale theorie-architektonische Rolle. Diese Konzeption wird im Folgenden noch Gegenstand genauer Betrachtungen sein. In der ›freiheitsanalytischen Denkform‹ werden überdies konsequenterweise Gotteskonzeption und Gott-Welt-Verhältnis strikt in diesen Kategorien der Freiheit ausbuchstabiert. Göttliche und menschliche Freiheit stehen sich autonom gegenüber, es besteht hier ein absoluter, durch philosophisches Denken nicht mehr zu überbrückender »Abgrund der Schöpfungsdifferenz« 318 – welcher jedoch theologisch überwunden werden kann, indem sich göttliche und menschliche Freiheit entsprechend des alt- und neutestamentlichen Bundesgedankens gegenseitig anerkennen und partnerschaftlich in Anerkennung verbinden. Gottes Relation zur Welt ist also so zu denken, dass »Gott das welthaft Wirkliche zur Gestalt seiner Zuwendung macht« 319. Die Freiheit als formal unbedingte Freiheit ist nach Pröpper zudem die Widerlegung jeder Form von monistischer Konzeption des Gott-Welt-Verhältnisses. Magnus Striet zufolge verträgt der biblische Geschichtsgott »auch nicht nur einen Schuss Monismus« 320 – die Gott-WeltRelation ist also als »Verhältnis einer absoluten Differenz« 321 zu konzipieren. Striet urteilt sogar noch härter: »Aus freiheitsanalytischen Gründen ist [. . . ], sofern das Moment der formalen Unbedingtheit der Freiheit wirklich konstitutiv in den Begriff der endlichen Freiheit eingeht, jede Form eines 316 317 318 319 320 321

Cf. Lerch 2009, 150–155. Cf. Lerch 2009, 155–157. Pröpper 2011, 604. Pröpper 2011, 604 f. Cf. Fössel 2007, 223–228. Striet 2005a, 122. Striet 2005b, 139.

208

Historisch-systematischer Ausflug 5

monistischen Weltbegriffs als philosophisch nicht haltbar abzuweisen.« 322 Thomas Pröpper selbst betont die strikt exklusive Alternative zwischen beiden Denkformen, so dass ein direkter theoretischer Abgleich fast aussichtslos scheint: »Entweder lehnt man das transzendentale Freiheitsverständnis als unausgewiesen ab. Oder aber man lässt es gelten – dann jedoch wäre Henrichs All-Einheits-Denken [. . . ] defizitär, wenn nicht [. . . ] sogar falsifiziert.« 323 In jüngster Zeit wurde vorallem von Magnus Lerch 2015 die genaue Konzeption des Verhältnisses von Einheit und Differenz im freiheitsanalytischen Denken kritisch hinterfragt. Stehen die Einheit des Ich und die Differenz der Freiheit unvermittelt nebeneinander? Sind beide als gleichursprünglich anzusehen oder verweisen sie noch einmal auf eine umgreifende Einheit, und wenn ja, wie ist diese umgreifende Einheit zu fassen, wenn sie nicht zu einem monistischen All-Einheits-Grund werden soll? Dies wird im Folgenden zu untersuchen sein, insbesondere soll die Position von Hermann Krings in der ›Transzendentalen Logik‹ genauer betrachtet werden. Anschließend wird eine verblüffende Parallele des Kringsschen Ansatzes mit Ansätzen des transzendentalen Thomismus zu konstatieren sein.

8.3

Freiheit und immanente Transzendenz bzw. Retroszendenz (H. Krings, Th. Pröpper)

Krings setzt in seiner Logik transzendentalphilosophisch bei der fundamentalen Struktur der Erkenntnis an: Erkenntnis ist eine Relation (»mediale Sphäre«, TL 49) zwischen einem »Fundament« (das Erkennende) und einem »Terminus« (das Erkannte). 324 Sie stiftet Einheit zwischen den Relata. Die Relation erhält zuerst vom Fundament her ihre Aktualität, aber auch der Terminus ist (ko-)konstituierend: Vom Fundament her wird die Relation formal konstituiert (»eröffnet«), vom Terminus her material bestimmt (TL, 50). Das Fundamentum transzendiert sich auf den Terminus hin (»Relation« und »Transzendenz« werden hierbei synonym gebraucht). 322 323 324

Striet 1998, 291. Pröpper 2011, 631. Cf. Lerch 2009, 137 f. Hier muss beachtet werden, dass der Begriff des »Fundaments« bei Krings anders verwendet wird als in der Tradition: dort bezeichnet das »Fundament« einer Relation ihren Inhalt (fundamentum relationis), wärend das erste Relatum (bei Krings das »Fundament«) das subiectum der Relation ist; cf. Thomas von Aquin, Super Sent., lib. 2, d. 1, q. 1, a. 5, ad 8.

Freiheit und immanente Transzendenz bzw. Retroszendenz (H. Krings, Th. Pröpper)

In einer relationalen Ontologie wäre diese (Selbst-)Transzendenz der formale Charakter des Seiendseins überhaupt (das Seiende wäre relational und nicht ein »ens brutum«, dem die Relationalität äußerlich ist) (TL, 51 f.). Dies ist zunächst eine rein formale Transzendenz, die von einer gehaltvollen Transzendenz abgehoben wird, welche den Terminus weiterbestimmt (etwa die Ursache-Wirkung-Relation) (TL, 52 f.). Der zentrale Begriff der Retroszendenz ist nun wie folgt erklärt: Der Hinübergang (Transzendenz) ist zugleich ein Rückgang in sich (Retroszendenz). Dabei sind drei Momente zu unterscheiden: (i) Das Hinübergehen, (ii) die Rückkehr in sich und das »Beisichsein« ohne dass der Terminus zurückgelassen oder einverleibt wird, (iii) die »transzendentale Einheit« von Fundamentum und Terminus (TL, 54): »Die durch die reflexe Transzendenz gestiftete Einheit ist darum zugleich eine Einheit des Transzendierenden mit dem Terminus, des Terminus mit dem Transzendierenden und darin des Transzendierenden mit sich selbst« (ebd.). Dies zusammen ist die »transzendentale Aktualität«. In ihr werden Erkennender als Erkennender und Erkanntes als Erkanntes konstituiert; der Erkennende »ist« kraft dieses »transzendentalen Seinsaktus« (TL, 55). Er ist nur im Rückgang in sich selbst und damit ist er zugleich über sich hinaus; es besteht nicht erst ein Erkennender in sich, der dann beiläufig transzendierte (ebd.). Das Fundamentum ist nun weiter zu bestimmen als das »Ich« und der Terminus als der »aktualisierte Gehalt« (das »Seiende« als ko-konstituierender Gehalt, der »Gegenstand« als durch die Relation Konstitiertes). Das Hin-sein des Fundamentums zum Terminus heißt »Vorstellung«, das Hinsein des Terminus zum Fundamentum der »Gegenstand« (in seinem Gegenstehen kraft der Relation) (TL, 61). Das transzendentale Ich ist hierbei die ursprüngliche Selbsteinheit als Fundamentum der Relation: »Die Aktualisierung jedweder Einheit fordert als notwendige Bedingung ihres Hervorgangs aktuelle Einheit; denn Einheit kann nur durch das aktualisiert werden, was selber eine Einheit ›ist‹. Diese zugrundeliegende und einheitgründende Einheit ist selber nicht von der Art der hergestellten und relationalen Einheit. [...] Das Faktum der wirklichen relationalen Einheit fordert die ›ursprüngliche‹ Einheit [...], [die] Einheit durch sich selbst« ist und sich ursprünglich als Einheit aktualisiert (die ursprüngliche Selbsteinheit) (TL, 62). 325 Das transzendentale Ich ist die Idee dieser sich ursprünglich als Einheit aktualisierenden Selbsteinheit (TL, 63). Dies ist keine abstrakte Einheit, sondern eine »Einheit im Entspringen«: »Das transzendentale Ich hat darum zugleich den Charakter des Ursprungs

325

Lerch 2009, 142.

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wie der Einheit, des Aufbruchs und Hervorgangs wie des Zusichkommens und des Beisichseins« – es ist eine immanente Distanz, »jedoch eine je überwundene und in das Beisichsein aufgehobene Distanz« (ebd.). Dies ist eine je schon überschrittene Transzendenz, eine »Transzendenz der Transzendenz« (als genitivus obiectivus zu lesen), die sich als Transzendenz transzendiert: die Retroszendenz (als immanente reflexive Transzendenz, eine Transzendenz »in sich selbst hinein« oder als »Auskehr« und »Einkehr« des Ich) – diese immanente reflexe Transzedenz ist das aktuale Ich als »durch immanent-reflexe Transzendenz bestimmte Aktualität« (TL, 64). Jedoch ist dies noch gehaltlos und rein formal, zu einem gehaltvollen und personalen Ich fehlt der materiale Terminus. Trotz Formalität, Ursprünglichkeit und Immanenz ist das formale transzendentale Ich kein absolutes Ich (TL, 65). Das grundlegende erste Moment des transzendentalen Aktus ist nun das »Vernehmen« (sinnliche Anschauung als actus materiae, TL, 143 f.), was in einem zweiten Moment in der Vor-stellung »gehalten« und zum GegenStand konstituiert wird (TL, 94): »Vom Ich her gesehen, wird die mediale Sphäre als Vor-Stellung, vom Seienden her gesehen, als Gegen-Stand bestimmt« (TL, 112). Der transzendentale Aktus erschöpft sich jedoch nicht in dieser Struktur, sondern setzt sich in verschiedenster Weise in Praxis, Theoria und Poiesis fort. 326 Im Folgenden wird auf die Bereiche der Theoria (das Erkennen und Wissen) und der Praxis (Freiheit) einzugehen sein. Es ist wichtig, an dieser Stelle festzuhalten, dass die retroszendente Struktur des Ich bis hierher die Grundlage sowohl der theoretischen als auch der praktischen Dimension des Ich ist, also sowohl des Erkennens, als auch der Freiheit. Reflexionsfalle, formal unbedingte Freiheit und ›freisetzende Einheit‹ (a) Die Reflexionsfalle: Die Retroszendenz erscheint nach Obigem unter zwei ›Modi‹: 327 (1) Retroszendenz (material) als Reflexivität des (gehaltvollen) Erkennens (2) Retroszendenz (formal) als immanente reflexive Transzedenz des Ich Damit sind ›Einheit‹ und ›Differenz‹ folgendermaßen bestimmt: ›Einheit‹ := Transzendentales Beisichsein des Ich ›Differenz‹ := Immanent-reflexive Transzendenz (Retroszendenz) 326 327

Cf. De Vries 1966, 604 f. Cf. Lerch 2015, 80 f.

Freiheit und immanente Transzendenz bzw. Retroszendenz (H. Krings, Th. Pröpper)

Die Rückkehr zu sich (Retroszendenz) des Ich ist nur möglich aufgrund eines primordialen 328 Beisichseins, d.h. aufgrund einer präreflexiven Einheit des Ich. Andererseits wird ein präreflexives Ich nur reflexiv und damit explizit, wenn die Retroszendenz die innere Form des primordialen Beisichseins des Ich ist (Einheit in Differenz): Dies führt auf die These der Gleichursprünglichkeit von Beisichsein (Einheit) und Retroszendenz bzw. immanent-reflexer Transzendenz (Differenz). Die Differenz ist insbesondere die durch durch den konstituierenden Gehalt anderer Freiheit material vermittelte Differenz. Wenn die transzendentale Selbsteinheit jedoch immer schon durch Retroszendenz strukturiert ist, stellt sich erneut die Frage nach einer ›Reflexionsfalle‹ hinsichtlich der Re-Identifikation. 329 In einem Schaubild sei dies wie folgt erläutert: /G

T

ICHc id

|

(30)

R

ICH∗ Das ICH transzendiert (Pfeil T) auf einen Gehalt G (der im Falle der formalen Transzendenz das ICH selbst ist, im Falle der gehaltvollen Transzendenz ein andere eigenseiender Gehalte bzw. andere Freiheit), und es retroszendiert gleichzeitig (Pfeil R) auf ein ICH*, welches identisch sein muss mit dem ICH (Identitätsrelation, Pfeil ›id‹): D.h., es sollte die Relationsverknüpfung T–1 = id ◦ R gelten, was bedeutet, dass die Retroszendenz genau das ICH wieder ›trifft‹. Doch eben dies ist das Problem: Das ICH muss bereits bei sich sein, damit die Retroszendenz R auch wirklich ›zielen‹ kann, d.h. es muss vorgängig schon mit sich identisch sein (formal: id(ICH, ICH*) bzw. ICH ≡ ICH*). Das heißt aber, dass es vorgängig schon als ICH konstituiert sein muss und nicht erst durch die Retroszendenz konsituiert wird. Der gängige Lösungsversuch ist nun der folgende: 330 Die Retroszendenz (immanente Transzendenz) muss der Re-Identifikation vorausgehen, denn es besteht ein Unterschied zwischen formaler und gehaltvoller Verwirklichung der Transzendenz – und erst Letztere ist Re-Identifikation. Die ReIdentifikation (das Wissen um sich selbst) geht also erst hervor aus dem tran328

329 330

Der Ausdruck ›primordial‹, der hier öfters verwendet werden wird, findet sich nicht bei Krings. Ich verwende ihn, um Vorgängigkeit schlechthin griffig zum Ausdruck zu bringen, vorallem wenn es um die primordiale Einheit von korrelativer Einheit und Differenz gehen wird. Cf. hierzu: Lerch 2009, 148 f. Cf. weiter Lerch 2009, 148 f.

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szendentalen Ich. Subjektivität ist nicht in erster Linie der Gegenbegriff zur Objektivität, sondern sie ist der Grund für den Subjekt-Objekt-Gegensatz. 331 Mit Krings gesprochen: Die Retroszendenz macht das »formale Wesen der Selbsteinheit aus, als diese Transzendenz ›ist‹ das Ich« (TL, 64). Das transzendentale Ich ist ein spontanes Sich-Öffnen für Gehalt (rein formale Retroszendenz), das jedem konkreten Reflexionsakt vorausliegt und in diesem Sinne präreflexiv-egologisch ist. Striet formuliert dies so: »Innerhalb des komplexen Begriffs von Erkennen als reflexer Transzendenz hat sich ein lediglich begrifflich unterscheidbares, bloß formal bestimmbares Moment als Fundamentum abgehoben, nicht aber ein wirkliches Ich«; das transzendentale Ich ist nur »das transzendentallogisch Primäre in einer transzendentalen Logik, die den letzten erreichbaren und seinerseits unbedingten Ermöglichungsgrund alles weiteren aufzusuchen hat« (Striet [1998], 252; cf. Lerch 2009, 148, Fn. 752). 332

(b) Die formal unbedingte Freiheit: Die formal unbedingte Freiheit besteht nun in folgendem Sachverhalt: Nichts vermag der Transzendenz/Retroszendenz ein Ende zu setzen, kein (endlicher) Terminus erfüllt die immanente Struktur des transzendentalen Ich (TL, 71 f.). 333 Sie ist »unbedingtes Sichverhalten, grenzenloses Sichöffnen und ursprüngliches Sichentschließen« und die schlechthinnige »Fähigkeit der Selbstbestimmung« 334, die der gehaltvollen Selbstbestimmung als Bedingung der Möglichkeit vorausgeht. Es kann also im Praktischen folgende Gleichheit festgestellt werden: Transzendentale Retroszendenz = formal unbedingte Freiheit. D.h. nur »als Offenheit für Anderes ›ist‹ das Ich, und es gewinnt seine reale Identität gerade durch eine als Selbstbestimmung der Freiheit begriffene Selbstvermittlung des Ich.« 335 Durch einen Gehalt vermittelt ist das Ich in bestimmter Weise bei sich. In der Gehaltlosigkeit jedoch liegt gerade die Unbedingtheit der Freiheit (= ihr »Charakter der Unabschließbarkeit; [...] als bloße Form ist sie je und je Überschreiten und sonst nichts«, TL, 71 f.). 336

331 332

333 334 335 336

Cf. Lerch 2009, 147. Cf. Krings, TL, 260: »erst wo die Transzendenz gegenständlich vermittelt sich in sich zurückwendet, gewinnt sie als Transzendenz eine Bestimmtheit, und das Ich ist in bestimmter Weise bei sich.« Cf. Lerch 2009, 150 f. Pröpper 2011, cf. Lerch 2009, 151. Lerch 2015, 81. Cf. Pröpper 2011, 522.

Freiheit und immanente Transzendenz bzw. Retroszendenz (H. Krings, Th. Pröpper)

Jedoch wäre diese rein formale Freiheit als ein rein formales ›Sich-Öffnen‹ ein »leerer Schein« und nicht »Er-Öffnen von ›etwas‹« – es wäre kein Sich-Entschließen auf ein Woraufhin, wenn kein materialer, eigenseiender Gehalt für die formale Freiheit zur Verfügung stehen würde. 337 Der adäquate materiale und eigenseiende Gehalt der formalen Transzendenz bzw. Retroszendenz ist nach Pröpper nun die andere Freiheit: »Freiheit soll andere Freiheit unbedingt anerkennen« 338 (das »Kommerzium der Freiheit« 339). Der Unterschied von formaler Retroszendenz und gehaltvoller Transzendenz entspricht dabei genau dem Unterschied von ›formal unbedingter Freiheit‹ und ›material bedingte Freiheit‹, von ›abstrakter Identität‹ und ›realer Identität‹ und von ›Subjekt‹ und ›Person‹: 340 »Soll [...] die präreflexive Einheit des Ich mit sich auch zum Bewusstsein eines reflexiven, expliziten Selbstverhältnisses gelangen, so bedarf es des Anerkennungsaktes durch eine andere Freiheit.« 341 Der selbstseiende Gehalt als Terminus »erfüllt die Form der Retroszendenz – ohne Gehalt ›ist‹ die Freiheit nicht – aber er erschöpft sie nicht«, es besteht letztlich eine Verwiesenheit auf Anerkennung durch andere Freiheit. 342 Zusammenfassend können also drei qualitative Stufen festgehalten werden: (i) Die Freiheit als formale Retroszendenz, (ii) die materiale Freiheit durch Objektbezug und (iii) die adäquate Gehaltbestimmung als Anerkennung durch andere Freiheit. Im Folgenden wird diese Struktur noch einmal in einen neuen Problemkontext gestellt, den der Frage nach der freisetzenden Einheit. (c) Das Problem der ›freisetzenden Einheit‹: Nun ergibt sich jedoch die Frage nach der begründenden Einheit von Beisichsein (Einheit) des Ich und formal unbedingter Freiheit (Differenz / Retroszendenz), denn der transzendentale Aktus, bzw. 343 die Gleichursprünglichkeit ist aus sich nicht be-

337 338 339 340 341 342 343

Krings, Handbuchartikel, 118; zit. nach Lerch 2009, 154. Pröpper 2011, 29; nach Lerch 2009, 156. Krings, Handbuchartikel, 125. Cf. Lerch 2015, 82. Lerch 2009, 163. Cf. Lerch 2015, 82 f. Wie unten gezeigt wird, ist bei Krings jedoch das Sein der vollendende und unüberbietbare Terminus der Transzendenz-Retroszendenz. »Mit dem Begriff des ›transzendentalen Aktus‹ ist die Differenz-Einheit bzw. Gleichursprünglichkeit von transzendentalem Ich und transzendentaler Freiheit bezeichnet« (Lerch 2015, 426, Fn. 217).

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gründbar, da eine Selbstbegründung der formal unbedingten Freiheit scheitert. 344 Lerch (2015, 425), konstatiert: »Subjektphilosophisch plausibel zu machen – ohne das infinit-regredierende Reflexionsmodell zu wiederholen – ist daher nur die Gleichursprünglichkeit von Identität und Differenz, transzendentalem Beisichsein des Ich und formal unbedingter Freiheit. Einerseits kann diese subjektphilosophische Gleichursprünglichkeitsthese die Einsicht begründen, dass die freie Subjektivität des Ich sich immer schon als freie vorfindet, somit Freiheit primär keine kategoriale Wahlfreiheit, sondern Selbstvollzug und Selbstbestimmung des Ich ist. Andererseits zeigt gerade die These der Gleichursprünglichkeit von Ich und Freiheit die Aporie aller Selbstbegründungsversuche endlicher Subjektivität auf: Es ist zu fragen [...] auf welche Einheit die Gleichursprünglichkeit von Einheit (transzendentales Beisichsein des Ich) und Differenz (formal unbedingte Freiheit bzw. transzendentale Retroszendenz) transzendentallogisch zurückgeht.«

Wenn Beisichsein und transzendentale Freiheit strikt gleichursprünglich sind, dann darf eben die retroszendierende Struktur nicht der Ursprung des Beisichseins des Ich sein, d.h. der »transzendentale Aktus [ist] gerade nicht durch sich selbst gesetzt und somit auch nicht der einheitsstiftende Ursprung seiner selbst«. 345 Bei der Suche nach der die (korrelative) Einheit des Beisichseins und die (korrelative) Differenz der Retroszendenz umgreifenden und begründenden (primordialen) Einheit 346 darf nach Lerch der Freiheitsanalytiker jedoch nicht »metaphysisch überschwänglich« werden. 347 Es ließe sich, wie Lerch herausarbeitet, mit Karl Rahner darin anschließen, dass die ursprüngliche und freisetzende Einheit der trinitarische Gott selbst ist, 348 jedoch für ein freiheitsanalystisches Denken nicht als metaphysisches Absolutes, sondern nur soweit er transzendentalphilosophisch erreicht zu werden vermag – und dies kann nur bis zur Notwendigkeit der Gottesidee im kantisch restringierten Sinne führen (auch ein nur unthema-

344 345 346

347 348

Cf. Lerch 2015, 425. Lerch 2015, 423, Fn. 208. Dies erinnert an Hegels »Identität der Identität und Nichtidentität«, welche Hegel als »abstrakteste Definition des Absoluten« bezeichnet (Wissenschaft der Logik, Werke, Bd. 5, 74). ›Identität‹ und ›Nichtidentität‹ sind in der Wissenschaft der Logik Reflexionsbegriffe und gehören der begrenzten Sphäre der Wesenslogik an. Lerch 2015, 425 f. Cf. Lerch 2015, 426.

Freiheit und immanente Transzendenz bzw. Retroszendenz (H. Krings, Th. Pröpper)

tisch mitgesetztes Wissen um Gott ist freiheitsanalytisch abzulehnen). 349 Die Suche nach jener primordialen Einheit, in welcher Differenz nicht mit Einheit konkurriert, sondern Einheit und Differenz korrespondieren, ist für Lerch vorallem aus realsymbolischen und sakramententheologischen Gründen relevant. Hierbei favorisiert er Rahners Proportionalitätsaxiom, d.h. das Modell einer direkten Proportionalität von (korrelativer) Einheit und (korrelativer) Differenz bzw. von Abhängigkeit und Selbststand bzw. das Modell einer ›freisetzenden Einheit‹. 350 Die Problemlage zeichnet sich also dadurch aus, dass die freiheitsanalytische Denkform einerseits ihre metaphysikkritischen Grundrestriktionen beibehalten, auf der anderen Seite aber nach einer Erklärung für das Problem der freisetzenden Einheit von Beisichsein und Retroszendenz des Ich suchen muss. Philosophisch ergeben sich daraus zwei grundlegende Fragen an die Basistheorie der freiheitsanalytischen Denkform, denen im Folgenden nachgegangen wird: 1. Wie weit reicht die transzendentalphilosophische Restriktion unserer philosophischen Erkenntnis in Krings’ theoretischer Philosophie? 2. Gibt es in der theoretischen und praktischen Philosophie von Krings nicht doch eine Dimension, die bereits rein philosophisch als ›primordiale Einheit‹ von Einheit und Differenz angesehen werden könnte?

349

350

»Kann der systematische Gehalt des rahnerschen Proportionalitätsaxioms vom Freiheitsdenken in christologisch-offenbarungstheologischer Absicht adaptiert werden, ohne jene metaphysischen Implikationen und Konsequenzen ebenfalls teilen zu müssen, die aus transzendentalphilosophischer Perspektive problematisch sind (eben weil sie in epistemologischer Hinsicht Grenzüberscheitungen darstellen?«, Lerch 2015, 421; ebd., Fn. 197: »Die transzendentalphilosophische Reduktion eruiert ›nur‹ die Notwendigkeit bzw. Sinnhaftigkeit der Idee Gottes, auf deren Wirklichkeit sie in eigener Instanz nicht mehr schließen kann. Sie kann von einer transzendentalen Erfahrung, in der das ›Dass‹ Gottes (wenn auch nur unthematisch) mitgesetzt ist, nicht sprechen, weil sie vom kantischen Gebrauch dieses Begriffs (und seinen Implikationen) ausgeht; sowohl das ›Dass‹ als auch das ›Wie‹ der Existenz Gottes lassen sich nur offenbarungstheologisch beantworten.« Cf. Lerch 2015, 418 f.

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8.4

Historisch-systematischer Ausflug 5

Das Sein als Einheit von Beisichsein und Retroszendenz (H. Krings)

Wie steht es bei Krings um die transzendentalphilosophischen Restriktionen unserer Erkenntnis? Das Fundament jeder Erkenntnisrelation ist nach Krings die »ursprüngliche Selbsteinheit«, und der Terminus der Erkenntnisrelation ist, wie oben bereits angeführt wurde, im Letzten das Sein: »Eine [...] Folgerung, die sich aus der terminalen Funktion des Seienden ergibt, besteht darin, daß Seiendes je über sich hinausweist auf das Sein. Da es aus seinem eigenen Selbstsein her weder der Transzendenz des Ich ein Ende setzen noch ihr Genüge tun kann, hat es in seinem Erscheinen als Seiendes einen Verweisungscharakter auf das Ganze des Seins« (TL, 74). Jedoch kann nach Krings das Sein nicht als absolutes Sein verstanden werden, d.h. nicht als ein von jedwedem Bezug auf Erkennen überhaupt und von jedwedem »Ich« abgelöstes Sein – dies wäre ein radikales Ding an sich: »Nur in transzendental-relationaler Korrespondenz sind das Ich und das Sein das, was sie sind. Das absolute Sein ist ebenso eine Abstraktion wie das absolute Ich. Sofern das Sein selbst begriffen werden kann, ist es relational begriffen; nur in dieser Relationalität kann der Begriff eines wahren Seins sinnvoll gefaßt werden« (TL, 74). Das Seiende als Terminus ist bereits durch die Relation »modifiziert«, doch diese Modifikation ist keine »Veränderung seines Wesens und Gehaltes, wohl aber eine Modifikation seines Seinsstandes. Das Seiende wird in den ›Gegen-Stand‹ gesetzt. Dieses Gesetztsein in den Gegen-Stand und als Gegenstand vollzieht sich als eine sekundäre Aktualisierung durch den transzendentalen Aktus des Ich« (ebd.). Es handelt sich also um eine »relationale Veränderung« des Seienden, nicht um eine Änderung »an ihm selbst« (TL, 95). Doch was ist dieses ›Es-selbst‹, das in der transzendentalen Relation modifiziert wird? In der transzendendentalen Relation wird das ›Es-selbst‹ ein »Gestelltes« (es steht »anders, als es bisher stand«), während derjenige »Stand, der dem Seienden an ihm selber zu eigen ist, [...] sein Selbst-Stand« ist (TL, 95 f.). Das ›Es-selbst‹ besitzt eine Eigenaktualität noch ›vor‹ der transzendendentalen Aktualität, welche jedoch ein »rein formelles Existieren« im Gegensatz zum »reflektierten Existieren« ist; dieses rein formelle Existieren »sagt nichts«, es ist leeres Existieren, während die (in Relation zum Erkennen stehende) Washeit auf Seiten des reflektierten Existierens situiert ist, als »Potenzierung der selbsteigenen Aktualität des Terminus« und als »Zurückholen des Seienden in sein eigenstes Aktuellsein« (TL, 96 f.): »Es ›ist‹ nicht nur, sondern es ist, was es ist – und es ist bei sich, zwar nicht kraft eigener Ursprünglichkeit, wohl aber kraft der Ursprünglichkeit der Transzendenz.

Das Sein als Einheit

217

Dieses Reflektiertsein, Erschienensein und Beisichsein aber ist ein neuartiger und neu gewonnener Modus seiner Aktualität. [...] Denn durch diesen transzendental begründeten ›Stand‹ [des Gegen-Stands, R.S.] modifiziert sich das uneröffnete Eigensein des Seienden zu einem eröffneten Aufsichzurückgewendetsein und Beisichsein« (TL, 98). Wie ist der Begriff der Erscheinung bei Krings nun genauer zu verstehen? Ist es eine kantische ›Erscheinung‹, hinter der ein unerkennbares ›Ding an sich‹ verborgen bleibt? Krings wendet sich gegen eine solche »Zweiweltentheorie«: »Der Unterschied zwischen dem Seienden selbst, sofern es erscheint, und dem Seienden selbst, sofern es nicht erscheint, liegt nicht darin, daß ›hinter‹ der Erscheinung ein ›Ding an sich‹ verborgen läge« (TL, 137). Anders als bei Kant ist für Krings ›Erscheinung‹ nicht Folge der Endlichkeit unseres Erkennens, sondern »auch und gerade die vollkommene Erkenntnis konstituiert Erscheinung, und zwar gegensatzlose Erscheinung« (ebd., Fn. 15). Der Unterschied zwischen dem formellen Existieren des Seienden selbst und seinem reflektierten Existieren, der sich aufgrund der Endlichkeit unseres Erkennens ergibt, liegt vielmehr darin, dass der terminale Gehalt »zugleich eröffnet und nicht eröffnet ist. Dadurch hat das Seiende als Terminus der endlichen Transzendenz die doppelte Qualität: daß es sich zeigt und daß es sich nicht zeigt, welches Sichnichtzeigen die vorgreifende Transzendenz im Verhältnis zu sich selbst als Entzug und Sichverschließen weiterbestimmt. Diese Verschlossenheit des Seienden ist das ›Uneigentliche‹, das weder der Unbedingtheit der Transzendenz noch auch der Unbedingtheit des Gehaltes, d. i. dem Sein selbst, entspricht« (TL, 138). Die Erscheinung ist gegenüber dem formell existierenden Selbstsein nicht ›weniger‹, sondern ›mehr‹, »nämlich die transzendental gestiftete Offenbarkeit dessen, was das Seiende selbst ist« (ebd.). Dies expliziert Krings weiter an dem für die Erkenntnisrelation fundamentalen Begriff der similitudo, welcher synonym zum Begriff der Erscheinung ist (die Vor-Stellung ist eine ›Ähnlichkeit‹ des Gegenstands): Der Unterschied zwischen Abbild und Original ist nicht einer zwischen A und B, sondern zwischen Modus A1 und Modus A2 desselben A (TL, 141). Der Modus der similitudo besteht darin, dass »in ihr der Gehalt sine materia aktualisiert ist« (actus materiae sine materia), während er im Seienden selbst als actus materiae in materia bestimmt wird (TL, 143 f.): »Ein Bild vom Baum [...] ist nicht der Baum selbst; das Bild und der Baum können sachlich als Seiende von verschiedener Struktur und Stofflichkeit unterschieden werden. Sofern das Ich sinnlich anschaut, sieht es nicht ein Bild, noch stellt es ein Bild vor; das gerade nicht, da es doch den Baum selbst sieht. – Gleichwohl ist – transzendental-logisch gesprochen – der angeschaute Baum eine

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Historisch-systematischer Ausflug 5

similitudo des Baums selbst. [...] Der Baum ist also immer Konstituierendes und Konstituiertes, Terminus und Gegen-Stand« (TL, 144). Die »im Begriff der similitudo mitgedachte Verschiedenheit besteht also nicht in inhaltlichen Abweichungen, sondern in der Modifizierung der Aktualität«, es ist eine Ähnlichkeit des Seienden mit sich selbst, »sofern es erschienen ist«, und besagt keine Defizienz gegenüber des Gehalts in materia (TL, 145). Der Gehalt in materia bzw. extra animam ist nicht ein Gehalt ›an-sich‹, sondern Konstituens der transzendentalen Aktualität, während der Gehalt in anima die similitudo secundum modum intelligentis denotiert (TL, 144, Fn. 24). Die Defizienz der endlichen Erkenntnis »liegt nicht darin, daß überhaupt Erscheinung und Ähnlichkeit ist, sondern darin, daß sie in ihrem Charakter als Ähnlichkeit und Erscheinung nicht vollkommen realisiert ist. Die Defizienz besteht also darin, daß der transzendentale Aktus der Andersheit des Gehalts nicht Herr wird, daß das Bei-sich-sein ein Beisichsein im anderen als anderem ist und die Wahrheit des Beisichselbstseins aufgegeben bleibt« (TL, 146). Das ›Ding an sich‹ kann weder Subjekt noch Prädikat irgendwelcher Urteile sein, das primäre Urteilsobjekt ist also nicht das Ding an sich, sondern das Seiende im Gegen-Stand und als Vor-Stellung (TL, 165). Das Ding an sich ist nicht das Seiende in seinem Selbstsein, welches eine primäre Aktualität intendiert, die »durch eine transzendentale Aktualisierung nicht aufgehoben, vielmehr dank der damit gegebenen Reflektiertheit intensiviert wird«; das »Selbstsein widerspricht nicht dem Erkanntsein, vielmehr ist es ursprünglich und notwendig auf es bezogen« (TL, 150). 351 Negativ ausgedrückt bezeichnet der Begriff des ›Dings an sich‹ einen reinen Grenzbegriff, positiv besagt er, dass »in allem endlichen Erkennen ein Nichterkanntes mitgewußt ist. Dieses Mitwissen als Implikat des Wissens besagt aber, daß das volle Erscheinen mangelt. Jedoch im Vorgriff auf die eigene Vollendetheit ›hat‹ die Transzendenz indirekt auch das Mangelnde; es ist im endlichen Erkennen mitgewußt. Diese aus dem Vorgriff des Denkens stammende und nur im Denken realisierte Mitgewußteit verleiht ihm den Namen des ›Intelligiblen‹« (TL, 151). Den Begriff des ›Vorgriffs‹ nun entnimmt Krings explizit aus ›Geist in Welt‹ von Karl Rahner. 352 Bei Rahner (Geist in Welt, Dritter Teil, § 3) bezieht sich der Vorgriff (excessus) auf das unthematische, nicht gegenständliche Erfassen des esse universale, in welchem die Existenz 351

352

»Diese Alterierung der medialen Sphäre kann [...] nicht als die autonome Manipulation mit einem selbst-losen Material verstanden werden«, sie ist der »intensivierte[..] Modus des ›Stellens‹« (TL, 151). Cf. Krings, TL, 109, Fn. 3.

Das Sein als Einheit

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des absoluten Seins immer schon mitbejaht ist (auf diese Struktur wird unten im Zusammenhang mit der Urteilsanalyse von J.B. Lotz noch genauer eingegangen). An dieser Stelle sei noch kurz auf einen Zusammenhang zwischen der ›Lichtung des Seins‹ und seiner gleichzeitigen Selbst-Verbergung bei Heidegger hingewiesen, der eine erstaunliche Parallele zu Krings’ Ausführungen über das Ding an sich zeigt – und man bedenke hierbei, dass Heidegger die Subjektphilosophie überwinden wollte! Im von Heidegger überprüften Protokoll zu seinem Vortrag Zeit und Sein ist festgehalten: 353 »Die Verbergung aber, die zur Metaphysik als Grenze gehört, muß dem Ereignis [d.h. dem Sein-als-Ereignis, R.S.] selbst zueigen sein. Das besagt, daß der Entzug, der in Gestalt der Seinsvergessenheit die Metaphysik kennzeichnete, sich jetzt als die Dimension der Verbergung selbst zeigt. [. . . ] Mit der Einkehr des Denkens in das Ereignis kommt also erst die dem Ereignis eigene Weise der Verbergung an. Das Ereignis ist in ihm selber Enteignis [...]« (Protokoll, 44, zitiert nach Puntel 2010, 102).

Wenn sich das Sein als es selbst zeigt, so schließt dies im Sich-Zeigen also einen Entzug ein: »Es hält sozusagen sich selbst zurück, ent-zieht sich gerade dem Denken, indem es sich als es selbst zeigt und um sich als es selbst zu zeigen« 354. Dies hat eine klare Parallele in Kants Auffassung vom sich dem Denken entziehenden Ding an sich: Die Erscheinung des Seienden »enthüllt nicht, sondern verdeckt das Ansich« 355. Die Erscheinung entspräche dem Heideggerschen »Sichzeigen als solches«, welches das »Es selbst des Sichzeigenden« (das Ding an sich) »nicht bewahrt, sondern aufhebt«. 356 Jedoch anders als Kant schließt Heidegger nicht, dass das »Es selbst« für uns unerkennbar bleibt, sondern »dass das Sichzeigende sich doch als es selbst zeigt, aber unter der Voraussetzung, dass es sich dem Denken nicht sozusagen ›ausliefert‹, was nur dadurch gewährleistet ist, dass es sich entzieht oder verbirgt«. 357 Indem das Sein sich also als es selbst zeigt, entzieht es sich. Einer ähnlichen Struktur scheint sich Krings zu bedienen, wenn er die Endlichkeit unseres Erkennens nicht durch eine uns verborgene Welt der Dinge an sich »hinter« den uns zugänglichen Erscheinungen expliziert, sondern als Vorgriff auf ein Intelligibles, welches sich im Verhältnis zur Transzendenz 353 354 355 356 357

Cf. Puntel 2010, 100–102. Puntel 2010, 103. Puntel 2010, ebd. Puntel 2010, ebd. Puntel 2010, 104.

220

Historisch-systematischer Ausflug 5

des Aktus negativ als uneigentliches Sichnichtzeigen manifestiert. Und auch für Rahner – das sei an dieser Stelle nur kurz festgehalten – bleibt das im Vorgriff unthematisch Mitgewusste letztlich ein absolutes Geheimnis. Die reflexive Transzendenz ist nicht im ersten Modus der sinnlichen Unmittelbarkeit erfüllt, »denn das Beisichsein des Ich ist ein Beisichsein im anderen, noch nicht ein Beisichselbersein« (als vollendete Retroszendenz bzw. reditio completa ad seipsum), das Ich ist als Vorstellendes bei sich, jedoch »im Außersichsein« (TL, 165). Das Beisichsein im anderen bzw. im Außersichsein wird kraft der Unabschließbarkeit der transzendentalen Aktualität je überschritten, hin zur »Vollendung des Selbstseins des Ich« und damit zugleich des vollendeten »Offenbarsein[s] des Seienden« (TL, 165). Dieses Zusichselberkommen und Beisichselbersein des Aktus wird im Urteil vollzogen, in dem sich zugleich auch die Differenz zwischen sinnlicher Anschauung und Seiendem selbst zeigt: »Das Beisischselbersein im urteilenden Erkennen ist also durch die Eröffnung des Terminus bedingt, der als Gegen-Stand gesetzt und in seiner Wahrheit erfaßt ist. Desgleichen ist das Hervorbringen der Wahrheit als Offenbarkeit des Seienden bedingt durch das Selbstwerden und Selbstsein des transzendentalen Ich« (TL, 166). Es handelt sich um ein direkt proportionales Verhältnis: »Der Aktus als transzendent-retroszendenter durchbricht sein Aufgehaltensein im sinnlich anschauungshaften Gegen-Stand und transzendiert zum Seienden als seinem Terminus in einer Weise, daß er eben darin auf sich selbst zurückkommt. Und umgekehrt: in der Rückwendung auf sich zu seinem ursprünglichen Selbstsein kommend, intendiert er ›eigentlich‹ das Selbstsein des Seienden. Der intensiveren Transzendenz korrespondiert die intensivere Retroszendenz, und der intensiveren Retroszendenz korrespondiert die intensivere Transzendenz« (TL, 168). 358 358

Dies erinnert daran, was Hegel in der Wissenschaft der Logik zur ›Erweiterung der Methode zum System‹ schreibt: Die Erweiterung der Methode ist ebenfalls als eine direkt proportionale, ›retroszendente Struktur‹ aufzufassen, nämlich als Ineinanderfall der gegenäufigen Bewegungen des Begründens und des Weiterbestimmens: »Jede neue Stufe des Außersichgehens, d. h. der weiteren Bestimmung, ist auch ein Insichgehen, und die größere Ausdehnung [ist] ebensosehr höhere Intensität. Das Reichste ist daher das Konkreteste und Subjektivste, und das sich in die einfachste Tiefe Zurücknehmende das Mächtigste und Übergreifendste [...]. Auf diese Weise ist es, daß jeder Schritt des Fortgangs im Weiterbestimmen, indem er von dem unbestimmten Anfang sich entfernt, auch eine Rückannäherung zu demselben ist, daß somit das, was zunächst als verschieden erscheinen mag, das rückwärtsgehende Begründen des Anfangs und das vorwärtsgehende Weiterbestimmen desselben, ineinanderfällt und dasselbe ist« (WdL II, 502).

Das Sein als Einheit

221

Die Unbedingtheit der Form der reflexiven Transzendenz zeigt sich eigentlich nicht nur im anfänglichen transzendentalen Ich, sondern »vielmehr darin, daß sie sich je als Transzendenz der Transzendenz realisiert« (168 f.) Die »spezifische Spontaneität« dieses Vollzugs nennt Krings das »Agens im Aktus« (TL, 169). Dies ist letztlich genau die Spontaneität, welche die anfängliche formal unbedingte Freiheit auszeichnet. Das Agens im Aktus treibt den transzendentalen Aktus über je vorliegende Grenzen hinaus (und setzt sie damit überhaupt erst als Grenzen, cf. TL, 172), und treibt ihn damit hin auf seine Erfüllung: »Nur von diesem Moment seiner Erfüllung her kann der transzendentale Aktus als sinnvoll eingesehen werden; ohne ihn bleibt die Transzendenz eine bloße Figur eines durchaus nichtigen Darüberhinaus; denn ein Darüberhinaus ohne erfüllenden Terminus erweist sich als ein Nichtdarüberhinaus« (TL, 171). Der transzendentale Aktus ist also nur vom Ganzen her zu verstehen; das »Erfüllende muß in jedem Moment präsent sein«, was ihn »seiner Form nach immer schon ganz sein läßt, auch wenn diese Form noch nicht erfüllt ist«; der Aktus hat immer schon »im Ursprung sein Ziel ergriffen«, die »formale Unbedingtheit und Ganzheit« des Aktus resultiert aus dem Vorgriff (excessus) auf den schlechthin erfüllenden Terminus, nämlich das Sein selbst (TL, 171–173). Der formale Anfang, die leere Ursprünglichkeit des transzendentalen Ich konstituiert sich letztlich von der Vollendung im unbedingten Sein als seiner Bedingung der Möglichkeit her: »Aus der Unbedingtheit des transzendentalen Aktus erhellt, daß die ursprüngliche Selbstkonstituierung des Ich sich erstlich und letztlich in der Sinnerfüllung durch das Sein selbst vollzieht« (TL, 181). Das Sein selbst bestimmt Krings als unbedingt, unthematisch, undinglich, 359 subsistent und beisichselbst und als ursprüngliche Fülle (TL, 174 f.). Es handelt sich also nicht um eine rein formale Vorgriffsstruktur oder »leere Formalität« (TL, 175), welche die transzendentale Selbstkonstituierung des Ich ermöglicht, sondern um eine gehaltlich gefüllte Transzendenz, um »ursprüngliche Fülle, das schlechthin Umfassende und das erste Wesentliche allen Gehaltes« (TL, ebd.), das nicht durch das endliche Subjekt gesetzt sein, sondern nur im Vorgriff ergriffen werden kann: »So wenig aber das endliche Erkennen sich unmittelbar in seinem formalen Anfang, der leeren Ursprünglichkeit des transzendentalen Ich, zu ergreifen vermag, so wenig

359

Es gibt also keine dinghafte (objekthafte, gegen-ständliche) Erkenntnis des Seins selbst; es ist kein gegenständliches metaphysisches Absolutes, kein »letztes in einer Reihe von Seienden« (cf. TL, 175–179).

222

Historisch-systematischer Ausflug 5

kann es sich auch in seiner Vollendung, der wahren Erkenntnis des erfüllenden, weil unbedingten Seins, ergreifen« (TL, 175). Dieses unbedingte Sein ist jedoch nicht ein von allen Bezügen schlechthin abgetrenntes »absolutes« Sein einer objektivistischen Metaphysik (d.h. ›absolut‹ im Sinne von radikaler Abgeschiedenheit), sondern es umfasst auch den transzendentalen Aktus: »[...] der transzendentale Aktus selbst ist, sofern er ›ist‹, nicht außerhalb dessen, auf was er als Vorgriff geht [etwa Geist im Gegensatz zu Sein], sondern die ›Subsistenz‹ des Seins, d.h. er ist eben dieses Sein ›selbst‹ und als zusichselbstgekommenes. Die Unbedingtheit des transzendentalen Aktus kommt darin zur Vollendung, daß der Aktus als unbedingter Ursprung das unbedingte Sein zur Offenbarkeit und zur Freiheit des Selbstbesitzes, d.h. zu wahrer Existenz bringt: daß er das Beisichselbstsein des Seins ›ist‹« (TL, 175). Wie ist es nun aber zu verstehen, dass einerseits der Aktus des endlichen Subjekts die ursprüngliche Fülle des Seins nur im Vorgriff ergreifen, aber nicht be-greifen oder gar setzen kann, doch dass andererseits der transzendentale Aktus selbst die ›Subsistenz‹ dieses unbedingten Seins ist und es »zu wahrer Existenz bringt«? An dieser Stelle verweist Krings in einer Fußnote ohne weitere Erläuterung auf »Sein und Geist« von Max Müller (Tübingen, 1940) und auf Gustav Siewerths »Das Sein als Gleichnis Gottes« (Heidelberg, 1958). Nach Siewerth kann das ›Sein-selbst‹ als in sich undifferenzierte Positivität nicht jenseits der Seienden subsistieren, weil es sonst unmittelbar Gott selbst wäre. Mit dem ›Sein-selbst‹ ist in diesem Falle das esse commune von Thomas von Aquin gemeint, das nicht für sich hypostasiert werden kann, das aber bereits in sich notwendigerweise auf das esse ipsum subsistens verweist. Ebenso ist bei Siewerth die innere Differenz des Seins-selbst (als Sein des Seienden) zwischen seinem Akt (d.h. hier seiner einfachen Positivität 360) und seiner Subsistenz der Struktur der Trinität abgelesen. Diese Differenz liegt nach Siewerth der ›ontologischen Differenz‹ zwischen Sein und Seienden begründend voraus und ist dem Sein bereits in seiner Identität immanent. Nur so lasse sich konsistent Schöpfung denken, indem das Sein-selbst trotz seiner Einfachheit und Ganzheit die Möglichkeit der Vervielfältigung in den Seienden bereits in sich trägt und in den Seienden zur Subsistenz kommt – auf der anderen Seite aber muss es gemäß der Urbild-Abbild-Struktur und Analogie als »Gleichnis Gottes« gedacht werden, das in seiner metaphysischen Struktur in einer Einheit mit seinem göttli-

360

Der Begriff des ›Aktes‹ bei Siewerth ist wohlgemerkt nicht identisch mit dem Kringsschen Begriff des ›Aktus‹.

Das Sein als Einheit

223

chen, dreipersonal-subsistenten Grund steht. 361 Soweit geht Krings in der Passage, in welcher er auf Siewerth verweist, zwar nicht, jedoch deutet er an: »[...] so wie das Wissen von den Weltgegenständen und den Welbezügen, von der anderen Person und personalen Bezügen in der Unbedingtheit der Seinstranszendenz begründet ist, so auch ein ›Wissen‹ von Gott und davon, daß Gott ›ist‹« (TL, 182). Es lassen sich also folgende zentrale Strukturelemente seiner Konzeption festhalten: (1) Der transzendentale Aktus ist durch einen Vorgriff auf seine unendliche Erfüllung und auf die unendliche Fülle des Seins selbst konstituiert; die unendliche Fülle des Seins ist hierbei – dies haben die obigen Ausführungen über die transzendentalphilosophischen Restriktionen bei Krings deutlich gemacht – kein Postulat, keine regulative Idee oder dgl., sondern ursprüngliche Realität; (2) die endliche Subjektivität als »endliche reflexe Transzendenz« (TL, 175) vermag diese unendliche Fülle jedoch weder begrifflich-erkennend zu erfassen noch zu setzen, ist jedoch von ihr zu ihrer Retroszendenz ermächtigt: »Das Ich wird nicht durch sich selbst es selbst, sondern durch das Sein kommt es als Ich zu sich selbst. Das Selbstsein des Ich ist nicht ohne das Sein selbst« (TL, 181); (3) die Subsistenz des Seins selbst liegt zum einen in der Unbedingtheit des transzendentalen Aktus, welche zum anderen aber wiederum vom Vorgriff auf die unendliche Fülle des Seins selbst ermöglicht ist – dies bedeutet, dass der transzendentale Aktus in seiner ursprünglichen Vollendetheit das Beisichselbstsein des Seins selbst ist. Das ist so zu verstehen, dass in der unendlichen Erfüllung des Aktus (welche als Ursprung und Ziel seiner formalen Struktur in all seinen ›Momenten‹ immer schon anwesend ist und für das endliche Subjekt je nur im Vorgriff zugegen ist) Subjekt und Objekt bzw. Aktus und gehaltliche Fülle des Seins eins sind – das unendliche Sein ist also nicht nur bloßer Terminus der Retroszendenz und damit wieder nur auf ›einer Seite‹ des Ganzen angesiedelt, sondern es ist selbst das Ganze. Aus dieser eingefalteten Einheit heraus faltet sich überhaupt erst das Auseinandertreten von endlichem Subjekt und endlichem Objekt aus. (4) Damit geht also die unendliche Erfüllung des Aktus, als ursprüngliche Einheit von Einheit (das Beisichselbstsein des Seins als unendliche Fülle) und Differenz (der Aktus in seiner Retroszendenz), aller endlichen Subjektivität ermöglichend voraus, und dies nicht nur als eine (neu)kantianisch restringierte regulative Idee, sondern als primordiales Sein.

361

Cf. hierzu Reményi 2003, 20–28, und Lotz 1985.

224

Historisch-systematischer Ausflug 5

Weiterhin ist bei Krings das Sein immer schon »als erstes verstanden«, es handelt sich um ein Ersterfassen und primäres Verstehen von Sein (TL, 182). Das »Verstehen von Sein ist das transzendental ›Früheste‹« (TL, 181). Hierbei knüpft Krings wieder explizit an Martin Heidegger und Karl Rahner an, nämlich an deren Ausgangspunkt bei der transzendentalen Frage: »Da der Fragende sich nicht anders als in der Transzendenz und im Vorgriff auf das Sein als Fragender konstituiert, kann er als Fragender nicht hinter das Sein zurück«; das Fragen ist »in ein unbedingtes Verstehen von Sein gegründet« (TL, ebd.). Und nur »kraft des Vorgriffs setzt sich der Aktus fort und nur vom Vorgriff auf das Sein her ist die Folge der Momente als sinnvoll einsehbar«, der transzendentale Aktus ist »durch das Sein je zu sich ermächtigt und über sich hinausgeführt« (TL, 182); das Nötigende dieses Über-sich-hinausgehens ist das Sein selbst; Möglichkeit und Sinn aller Momente sind nicht aus sich selbst heraus einsehbar, sondern »nur vorgreifend aus dem höheren Moment und aus dem Ganzen des transzendentalen Aktus« und »letztlich von der ganzen Wahrheit her« (TL, 183). Wie die von Krings adaptierte Vorgriffsstruktur, die transzendentale Frage und die letztendliche Einheit von Subjekt und Objekt im Sein in Zusammenhang stehen können, wird sich unten anhand einer Parallele zum Ansatz von E. Coreth noch weiter zeigen. Im 3. Teil der »Transzendentalen Logik« (TL, 207–353) entfaltet Krings seine Lehre vom Urteil und den Kategorien unter dreierlei Rücksicht: 362 (a) Begriffliche Synthesis, (b) kategoriale Synthesis und (c) Affirmation. Eine transzendentale Ableitung der Kategorien ist nach Krings nicht möglich – sie entspringen zwar dem Denken, aber einem an der Anschauung anknüpfenden Denken (cf. TL, 253): Die Erfahrung als Modifikation des Aktus macht den ›transzendentalen Inhalt‹ der Kategorien aus (TL, 262); eine Kategorie hat Existenz als formaler Gehalt und Qualität des Aktus (TL, 266). Die Kopula des Urteils schließlich wird zur »Realisierung der kategorialen Einheit« (TL, 282). Damit wird der »Sachverhalt« transzendentallogisch konstituiert als kategorial aufgegliedertes Sinngebilde (TL, 285). Die Affirmation schließlich setzt den so konstituierten Sachverhalt mit dem Seienden selbst in eins (TL, 310), wodurch »das Seiende hervorgetreten und offenbar geworden ist als das, was es ist« (TL, 318). Hier treten sowohl das Ich als auch das Seiende selbst in einem hervor – und dies ist der Begriff der Wahrheit (TL, 330): Eine Behauptung ist wahr, wenn die »Transzendenz sich in ihr vollendet und die vermittelte transzendentale Einheit hervorgeht; unwahr ist sie, wenn sie unvollendet bleibt und die Einheit verfehlt

362

Cf. zum Folgenden De Vries 1966, 605 f.

Das Sein als Einheit

225

wird« (TL, 340). Hierbei zeigt sich in der Affirmation des Urteils bereits in der endlichen Transzendenz ein Unbedingtheitsanspruch, der durch einen Vorgriff auf »vollkommene Wahrheit« ermächtigt ist: Es werden im Urteil nicht nur einzelne richtige Aspekte behauptet, sondern die »ganze Wahrheit« eines Sachverhalts. Im Falle vollkommener Wahrheit ist die »ganze Wahrheit« das vollendete Selbstsein des Ich und die vollkommene Offenbarkeit des Seienden, im Falle der endlichen Transzendenz hingegen kann die »ganze Wahrheit« durchaus auch im geschichtlichen Prozess vollzogen werden, durch den Subjekt und Objekt im Streben nach ihrer Vollendung zu sich kommen (TL, 334). Doch dies alles darf explizit nicht im Sinne eines kantischen Subjektivismus verstanden werden, denn »das Seiende selbst ist konstitutiv für jene Transzendenz, welche das Kriterium ihrer selbst ist. Mit dieser Bestimmung ist hinter den Gegensatz von Subjekt und Objekt zurückgegriffen auf das Beisichselbstsein des Seins im Wissen« (ebd.). Dass Krings keinen antimetaphysischen Kantianismus verficht, bestägigt sich hier wiederum deutlich, wenn er konstatiert, dass die Kategorie der Realexistenz zum »Sachverhalt« selbst gehört (TL, 313), dass also der Gegenstand als »schlechthin und in diesem Sinne ›an sich‹ seiend gedacht und erkannt wird« 363. Zusammenfassend sei also als zentrale These formuliert, dass sich die primordiale Einheit von Beisichsein des Ich und immanenter Transzendenz bei Krings die Einheit des unendlichen Seins selbst zeigt, welche die Dichotomie von Subjekt und Objekt übergreift, und welche noch einmal die Einheit des transzendentalen Ich in seiner immanenten Differenz begründet – das Sein ist als Beisichsein eins mit dem unendlich erfüllten transzendentalen Aktus. Erst innerhalb dieser primordialen Einheit treten die reflexive Transzendenz des endlichen Subjekts und sein materialer Gehalt auseinander. Die Retroszendenz des Ich ist also nur vom Ganzen des Seins her verständlich und durch dieses ermächtigt, welches als Ursprung und Ziel im Ich immer schon anwesend ist und wirkt (als ›Agens im Aktus‹ und Spontaneität). Dies bedeutet, dass die primordiale Einheit bereits philosophisch erreichbar ist, nicht erst offenbarungstheologisch. Wie diese Einheit jedoch vollends inhaltlich gefüllt werden, ist für Krings auf transzendentalphilosophischem Wege nicht mehr möglich, es bleibt beim Vor-griff, der kein Be-griff ist. Doch stellt sich hier die weiterführende Anschlussfrage, wie die primordiale Einheit des Seins selbst in der Dimension der praktischen Philosophie weiter gedacht werden muss.

363

De Vries 1966, 605 f.

226

Historisch-systematischer Ausflug 5

Eine nähere Bestimmung erhält man in Krings’ ›Freiheit – Ein Versuch Gott zu denken‹ (=VG) im Band ›System und Freiheit‹: Während im Theoretischen der transzendentale Aktus durch das Sein selbst ermächtigt ist, stellt im Praktischen die andere Freiheit den adäquaten Gehalt der formal unbedingten Freiheit dar. Jedoch kann auch andere Freiheit (als adäquater Inhalt) der Freiheit in ihrer retroszendenten Offenheit keine endgültige Grenze setzen und damit »den Aktus des Sich-öffnens und Ent-schließens gewißermaßen zum Erliegen bringen« (VG, 175). Die transzendendentale Freiheit ist in ihrer Unbedingtheit formal bereits auf »unbedingte Freiheit« verwiesen: Sie »besitzt als unbedingtes Sich-öffnen die Dimension des Unbedingten und greift, kraft [ihrer] eigenen Form auf unbedingte Freiheit vor. Transzendentale Freiheit realisiert sich darum in der Bejahung anderer Freiheit und im Vorgriff auf unbedingte Freiheit« (ebd., Herv. R.S.). Der Begriff der »unbedingten Freiheit« besagt – analog zu Krings’ Ausführungen bezüglich des Seins – hierbei nicht ein Objekt und auch nicht eine aus allen Bezügen losgelöste »absolute Freiheit«, sondern »vollkommene Freiheit«: D.h., durch den Begriff der vollkommenen Freiheit ist »die Idee der Einheit von unbedingter Form des Sich-öffnens und unvermittelter Fülle der Inhaltlichkeit bezeichnet. [...] Sofern empirische menschliche Freiheit durch transzendentale Freiheit begründet ist, enthält sie kraft ihrer Form das Moment des Vorgriffs auf vollkommene Freiheit« (VG, 176). Diese vollkommene Freiheit kann nach Krings als »göttliche Freiheit oder als Freiheit Gottes oder auch als Gott« bezeichnet werden (VG, 177). Hier liegt das vor, was Pröpper als die Idee einer nicht nur formal, sondern auch material unbedingten Freiheit betrachtet, welche notwendigerweise gedacht werden muss. 364 Muss man nun die »vollkommene Freiheit« als eine rein regulative Idee oder ein Postulat im kantischen Sinne verstehen (wie dies von B. Nitsche gedeutet wird 365)? Dafür würde die Kringssche Wendung sprechen, dass die vollkommene Freiheit eine »Idee« genannt wird und dass der Vorgriff auf sie kraft der Form der transzendentalen Freiheit in ihr enthalten ist (also dem Subjekt entspringt), was sich doch stark im Sinne einer kantischen Postulatenlehre lesen lässt. Dagegen sprechen meines Erachtens drei Gründe: (1) Es gibt in der praktischen Dimension eine augenfällige Parallele zur Struktur des Vorgriffs in der theoretischen Philosophie von Krings: Sowohl bei der 364 365

Cf. Pröpper 2011, 646; cf. Lerch 2015, 108. Nitsche expliziert hierzu: »Im Blick auf den Sinnanspruch und das Gelingen der Freiheit wäre [...] zu fragen, ob der Idee vollkommener Freiheit dann nicht auch und von vornherein der kantische Status eines Postulats zuzusprechen ist« (Nitsche 2005, 154).

Das Sein als Einheit

227

Erkenntnis als auch bei der Freiheit handelt es sich im Ursprung um dieselbe retroszendente Struktur des Ich, die in der theoretischen Dimension der Erkenntnis von einem unthematischen Vorgriff auf etwas ermächtigt wird, das definitiv nicht dem Bereich regulativer Ideen angehört, sondern zu einer Dimension, die An-sich und Für-uns übergreift. Dies muss sich auch in irgendeiner Form in der praktischen Dimension zeigen. (2) In der Transzendentalen Logik identifiziert Krings die »Idee der vollkommenen Wahrheit«, die »ihren Ursprung in der Unbedingtheit der Transzendenz, sofern sie endlich ist« hat (TL, 333 f.) mit dem dem Vorgriff auf das Sein selbst, mit »Idee« ist also nichts anderes als der Vorgriff selbst gemeint (cf. TL, 334). Aus welchem Grund sollte dies bezüglich der »vollkommenen Freiheit« nun anders sein? (3) Eine stark (neu)kantianische Lesart von ›System und Freiheit‹ würde eine Inkohärenz zur Transzendentalen Logik von Krings induzieren, die, wie gezeigt wurde, keinen (neu)kantianischen Restriktionen unterliegt, sondern diese geradezu überwindet. Wenn (a) die Logik die retroszendente Struktur des Ich als durch den Vorgriff auf das unendliche, erfüllte Sein ermächtigt erklärt (=die primordiale Einheit von Retroszendenz und Beisichsein des inhaltlich erfüllten Seins), und wenn (b) ›System und Freiheit‹ die retroszendente Struktur des Ich als formal unbedingte Freiheit durch den Vorgriff auf die vollkommene Freiheit (= die Einheit von retroszendentem Sich-öffnen und Fülle der Inhaltlichkeit) realisiert denkt, aber die Idee vollkommener Freiheit hingegen nur ein reines Produkt des Ich ist, wie sind ›Logik‹ und ›System und Freiheit‹ dann noch in eine Synthese zu bringen? Muss man zwischen einem ›frühen Krings‹ (die Logik von 1964) und einem ›späten Krings‹ (System und Freiheit von 1980) unterscheiden, die nicht vereinbar sind, oder muss man die ›Transzendentale Logik‹ zu Teilen verwerfen? 366 Ich möchte im Sinne der Kohärenz von theoretischer und praktischer Philosophie bei Krings folgende Koinzidenzthese aufstellen: Wenn die Grenzenlosigkeit und Unbedingtheit des retroszendenten Ich genau aus dem Vorgriff auf das subsistierende Sein selbst herstammt und andererseits die Grenzenlosigkeit und Unbedingtheit des retroszendenten Ich als formal unbedingte Freiheit durch einen Vorgriff auf vollkommene Freiheit realisiert wird, dann muss man von einer Koinzidenz von vollkommener Freiheit und unendlich erfülltem Sein selbst sprechen. 367 Vorallem die Tatsache,

366 367

Diese Hinweise verdanke ich einem Austausch mit Magnus Lerch. Dafür spricht auch das von Krings verfochtene Ursprungsverhältnis von Wissen und Freiheit, cf. Krings, Wissen und Freiheit, 156 f.

228

Historisch-systematischer Ausflug 5

dass die formal unbedingte Freiheit durch den Vorgriff auf die vollkommene Freiheit ermächtigt wird zu ihrer retroszendenten Struktur, scheint mir dabei zudem ein interessantes Licht auf die Verhältnisbestimmung von göttlicher und menschlicher Freiheit in der freiheitsanalytischen Denkform zu werfen: Bei Krings ist meines Erachtens eine deutliche partizipationslogische Spur zu erkennen, die eben genau durch die Termini des konstituierenden Vorgriffs und der Ermächtigung artikuliert wird. Damit wäre bei Krings selbst ein Anknüpfungspunkt gegeben zu dem, was Lerch 2015 als ›freisetzende Einheit‹ bezeichnet und einfordert.

8.5

Synthesis des Urteils und subsistierendes Sein (J.B. Lotz)

Nachdem Parallelen zur Konzeption des Vor-griffs bei Karl Rahner bereits thematisiert wurden, seien nun im Anschluss noch zwei Parallelen zwischen Krings und dem transzendentalen Thomismus der Maréchal-Schule aufgezeigt, und zwar anhand zweier Autoren, die Krings nebst Maréchal in seiner Transzendentalen Logik auch explizit anführt: Johannes B. Lotz SJ und Emerich Coreth SJ. Krings schreibt hierzu: »Nachdem die lange Zeit vermiedene Konfrontierung mit Kant durch J. Maréchal eingeleitet worden war, entwickelte sich in den Arbeiten von Siewerth, Rahner, Müller, später in denen von Lotz und Coreth ein Problembewußtsein, das den erkenntnistheoretischen Antagonismus von Realismus und Idealismus hinter sich ließ, um den Weg zu einer originären transzendentalphilosophischen Fragestellung zu sichen. Die Arbeiten dieser Autoren haben sich heute weit verzweigt. Um so wünschenswerter mag es sein, daß dieser Faden aufgenommen und die Ansätze eines transzendentalen Denkens zu einer systematischen Darstellung verdichtet werden.« 368 Johannes B. Lotz analysiert in seinem Werk ›Das Urteil und das Sein‹ (=US) 369 die Transzendenz auf das Sein selbst hin, die im Urteil (in seiner Subjekt-Prädikat-Struktur) vollzogen wird. Erst im Urteil wird nach Lotz das Objekt zum Objekt und das Subjekt zum Subjekt, es ist der Ort der Offenbarkeit des Endlichen und seiner Bezogenheit auf das Unendliche. Dabei untersucht Lotz das Urteil in seiner analytisch-synthetischen Differenz-Einheit (in seiner ›immanenten Differenz‹, wie man sagen könnte): Im Urteil 368 369

Krings, TL, 41 (cf. insbes. Fn. 66 und 67). Cf. zum Folgenden: Lotz, Johannes B. 1957, Das Urteil und das Sein. Eine Grundlegung der Metaphysik, 2. Aufl. von ›Wert und Sein I‹ (1938), Pullach: Pullacher Philosophische Forschungen, Bd. II., §§8–13.

Synthesis des Urteils und subsistierendes Sein

229

vollzieht sich zum einen eine prädikative Synthese, und zum anderen eine veritative Synthese. In der prädikativen Synthese wird erstens die dinghaft gegebene Konkretion in Einzelheit (Subjekt) und Washeit (quidditas, Prädikat) aufgelöst (die Analyse als unreflektierte Synthese), und zweitens eine reflektierte Zusammenschließung der ausgelösten Einzelheit und Washeit geleistet (die Synthese als reflektierte Analyse). Beide Teilsynthesen werden über die Kopula des Urteils (das »ist«) verbunden. In der veritativen Synthese erfolgt sodann die Setzung des Urteils (in Kringsscher Terminologie: die Affirmation). In der Setzung tritt der Überstieg auf das Sein hervor, die prädikative Synthese wird in ihr eigentliches Selbst gesetzt. Wie die Washeit die Einzelheiten als Allgemeines übersteigt, übersteigt das Sein als letztes Allgemeines die limitierten Allgemeinheiten der Washeiten – es handelt sich hierbei um das unendliche, schlechthinnige Sein des esse commune, das zugleich, da es keine höhere Ordnung mehr über sich hat, gänzlich innerliche Einzelheit ist (cf. US, 100 f.). Es hält sich über allen endlichen Einzelheiten und Washeiten und ist mehr als deren bloßes Prius: es ist der unendliche, überkategoriale Horizont als der Raum, in welchem sich das Urteil mit seiner unbedingten Setzung vollziehen kann und in dem letztlich die Subjekt-Objekt-Dichotomie aufgehoben ist. Da das esse commune sich aber von sich aus nicht subsistent über den Einzelheiten halten kann (es wäre leere Abstraktion), aber dennoch ihnen gegenüber eine übersteigende Unabhängigkeit besitzt, ist die Bedingung der Möglichkeit dieses Überstiegs das subsistierende Sein selbst (cf. US, 101–109). Das subsistierende Sein ist jedoch nur noch in der Weise eines »Vorgriff[s]« (US, 110) gegeben: Im Urteil geschieht ein reflektierter Überstieg, in dem sich das unbestimmte Sein als das schlechthin Allgemeine über dem Seienden hält. Das ist aber nur möglich, indem ihm das von sich her erfüllte subsistierende Sein vorausgeht. Der Überstieg vom unbestimmten Sein zum subsistierenden Sein ist nun keine ausdrückliche Erkenntnis (Be-griff) bzw. Schau des Absoluten. Es handelt sich um ein nicht-ausdrückliches, nichtgegenständliches, implizites Erfassen. Dieser Überstieg ist im Überstieg vom Seienden zum unbestimmten Sein enthalten und tritt nicht als etwas Neues hinzu. Er wird jedesmal mit innerer Notwendigkeit mitvollzogen. Bei diesem Vor-griff handelt es sich um eine unerfüllte Antizipation oder Vor-form des subsistierenden Seins. Denn der Raum des unbestimmten Seins kann nur vom subsistierenden Sein ursprünglich eröffnet sein. In diesem Vor-griff findet das Urteil den letzten Grund seiner Ermöglichung. Es »vermag das Seiende nur insofern und dadurch zu sich selbst zu bringen, dass es dasselbe auf die Weise des Vor-griffs zum Absoluten bringt« (US, 110–115).

230

Historisch-systematischer Ausflug 5

Das Urteil ist kein statisches Abbilden, sondern eine Bewegung, die ein »Nach-Schaffen« (US, 117) des Seienden darstellt. Das In-sich-Stehen des Seienden ist nicht lösgelöst von allem Anderen, sondern es entstammt einem ständigen Ausgehen vom Absoluten (die Grund-Bewegung oder UrVollzug des Seienden). Darum geschieht in diesem immer schon auf unreflektierte Weise, was in der Bewegung des Urteils zur Reflexion seiner selbst gelangt (der Nach-Vollzug des Seienden). Die Bewegung des Urteils ist der reflexe Vollzug der Grund-Bewegung des Seienden. Der Urteilende gelangt zur vollendeten Reflexion, die bis zum letzten Grund vordringt. Aber auch diese vollendete Reflexion geht stets vom endlichen Seienden aus, jedoch vollzieht sie das Setzen von der innersten Tiefe her, vom ursprünglichen schöpferischen Hervorbringen durch das subsistierende Sein in einem Nachvollziehen dieses absoluten Urvollzugs. Der Rückgang zum letzten Grund in der vollendeten Reflexion und die Setzung aus diesem letzten Grund heraus ist eine gerichtete Bewegung, die ihrem Wesen nach ein Streben zum Absoluten, das von diesem her als Ursprung und Ziel des urteilenden Strebens ermächtigt ist (cf. US, 116–143). Die Strukturparallele zu Krings’ »Agens im Aktus« ist nicht zu übersehen: In der Retroszendenz (die sich nicht zuletzt bei Krings auch im Urteil zeigt) ist der Raum eröffnet, in dem sich Erkenntnis (und Freiheit) vollziehen, und dieser Raum ist durch den Vorgriff auf das Sein selbst ermächtigt, der als Ursprung und Ziel der Retroszendenz das Ich in sein Beichsichselbstsein und das Seiende in seine volle Offenbarkeit führt. Umgekehrt könnte man das direkt proportionale Zugleich des Vorgriffs und der Grund-Bewegung bei Lotz als retroszendente Struktur auffassen.

8.6

Das Sein als Einheit von Einheit und Vielheit (E. Coreth)

Emerich Coreth übernimmt in seiner großen Metaphysik 370 andererseits den bei Krings angeführten Rahnerschen Ansatz der transzendentalen Frage als unhintergehbaren Ausgangspunkt einer Grundlegung der Metaphysik. 371 Anders als Lotz setzt Coreth nicht beim Urteil an, sondern (seiner Ansicht nach radikaler) bei der Frage nach Frage. 372 Das geistige Erkennen in seinem Fragen und Streben nach Wissen setzt unmittelbar ein unthematisches 370 371 372

Ursprungsausgabe Coreth 1964; sie wird von Krings selbst angeführt, cf. TL, 41, Fn. 67. Cf. zum Folgenden Coreth 1994, 43–61. Ob der radikalere Begründungsansatz beim Urteil oder bei der Frage liegt, ist eine Grundauseinandersetzung zwischen Lotz und Coreth. Darauf kann hier nicht einge-

Das Sein als Einheit

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Vorwissen um das Gefragte voraus, was von Coreth folgendermaßen erhellt wird: Fragen kann man einerseits nur, 1. wenn das Erfragte noch nicht gewusst wird: denn sonst wäre das Fragen nicht mehr möglich, da der Fragende das Erfragte bereits kennt, 2. andererseits aber kann nur dann sinnvoll gefragt werden, wenn das Erfragte doch bereits irgendwie gewußt wird: denn wovon man überhaupt nichts weiß, danach kann man auch nicht fragen: Das Fragen wäre noch nicht möglich. Die notwendige Bedingung der Möglichkeit des Fragens ist die Feststellung von Unwissen, was aber bereits ein Wissen impliziert, nämlich das Wissen darum, dass es etwas gibt, das man noch nicht weiß; es handelt sich um ein implizites Vorwissen um das Sein des Unbekannten. Dieses implizite Vorwissen ist im Akt des Fragens apriori mitgesetzt. Es ist ein unthematisches Vorwissen insofern, dass es noch nicht inhaltlich konkret gefüllt ist. Dabei handelt es sich nicht um ein empirisches Vorwissen in Form von einem Wissen um Einzelnes. Es ist ein grundsätzliches Vorwissen, das Bedingung der Möglichkeit des Fragens überhaupt ist, und daher kein konkretes Einzelwissen mehr sein kann: Das Wissen darum, dass es mehr gibt als das, was im Einzelwissen bereits erreicht ist. Dieser ›Horizont des Wissbaren‹ ist von sich her unbegrenzt. Die Behauptung, dass er begrenzt sei, liefe auf einen transzendentalen Widerspruch hinaus: Denn die Behauptung seiner Begrenztheit setzt wiederum ein Vorwissen um etwas voraus, das jenseits der Grenze liegt. Eine Grenze ist als solche nur dann konstatierbar, wenn um den Bereich jenseits der Grenze gewußt wird, von dem her abgegrenzt wird. 373 Dieser unendliche Horizont des Fragens ist nach Coreth der unendliche Horizont des Seins: Das unthematische, implizite Vorwissen um alles ist das Vorwissen um das Sein von allem. Sub ratione entis haben wir bereits alles in seinem An-sich erfasst: »In diesem Sinne ist alles Seiende nicht nur ›an sich‹ ontisch wahr [d.h. wißbar, R.S.], sondern auch ›für uns‹, d.h. für endliche Geistwesen, erreichbar und

373

gangen werden. Jedoch scheint der Ansatz bei der Frage selbst schon ein anfängliches Wissen vorauszusetzen, durch das überhaupt erst eine Frage sinnvoll formuliert werden kann und welches in einem Urteil ausgedrückt werden kann. Mit Hegel gesprochen: »Das Bewußtsein aber ist für sich selbst sein Begriff, dadurch unmittelbar das Hinausgehen über das Beschränkte, und, da ihm dies Beschränkte angehört, über sich selbst; mit dem Einzelnen ist ihm zugleich das Jenseits gesetzt [. . . ]« (PdG, 75).

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Historisch-systematischer Ausflug 5

immer schon erreicht, da es vom unbegrenzten Horizont unseres Fragens und Wissens [d.h. dem Horizont des Seins, R.S.] umfangen ist« (Coreth 1994, 150).

Dass der menschliche Geist jedoch um das Sein im Ganzen nur vermöge eines unthematischen Vorwissens weiß, impliziert aber auch, dass er das Sein im Ganzen nicht erschöpfend inhaltlich zu erfassen vermag. Er bleibt in dieser Hinsicht ein endlicher Geist. Es gibt Seiendes, das – obgleich es grundsätzlich wissbar ist – vom menschlichen Fragen und Wissensstreben niemals inhaltlich erreicht werden wird. Es besteht also eine lediglich relative Einheit zwischen Sein und Wissen. 374 Dies verweist auf einen letzten Grund der Einheit zwischen Sein und Wissen, auf eine absolute Einheit, welche die Subjekt-Objekt-Differenz grundsätzlich hinter sich lässt und übersteigt und in dem Wissen und Sein schlechthin zusammenfallen: Das Wissen selbst ist hier dem Sein nicht mehr äußerlich. 375 Dieses In-eins-fallen ist im absoluten Sein realisiert: Das absolute Sein ist »[...] reine Identität von Subjekt und Objekt, logischer und ontischer Wahrheit: Wissendes und Gewußtes sind schlechthin dasselbe. Und während der Vollzug des endlichen Geistes [. . . ] das Sein im Ganzen nicht einholt, besteht im absoluten Sein ebenso absolute Einheit von Sein und Wissen, worin das unendliche Sein sich selbst und alles endliche in unendlichem Wissen begreift« (Coreth 1994, 154).

Man vergleiche dazu noch einmal Krings: »das Seiende selbst ist konstitutiv für jene Transzendenz, welche das Kriterium ihrer selbst ist. Mit dieser Bestimmung ist hinter den Gegensatz von Subjekt und Objekt zurückgegriffen auf das Beisichselbstsein des Seins im Wissen« (TL, 340). Dass das Wissen dem Sein schlechthin nicht äußerlich sein kann, drückt Coreth auch ganz thomistisch dadurch aus, dass das Wissen ein reiner Seinsgehalt, eine »perfectio pura« ist. 376 Das subsistierende Sein selbst, das esse ipsum, stellt sodann nach Thomas die »perfectio perfectionum«, die Vollkommenheit aller Vollkommenheiten dar 377 – der thomanische Begriff für Gott. 378 Darüber hinaus leitet Coreth ab, dass das subsistierende Sein selbst mit unendlicher Freiheit zusammenfällt, die – wenn man so will – formal 374 375 376 377 378

Cf. Coreth 1994, 150. Cf. Coreth 1994, 152. Cf. Coreth 1994, 152. Cf. Puntel 2007, 148. Dies steht in einer verblüffenden Konvergenz mit dem Hegelschen Denken. Gegen Ende der Wissenschaft der Logik fasst Hegel das Sein als den »sich begreifenden Begriff« und die »intensive Totalität«: »So ist [. . . ] die Logik in der absoluten Idee zu dieser

Das Sein als Einheit

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unbedingte und material bedingte Freiheit in ihrem absoluten Zusammenfall ist, als reine »Setzungsfreiheit«. 379 Das Verhältnis von subsistierendem Sein bzw. unendlicher Freiheit und der Dimension der endlichen Seienden wird bei Coreth streng gemäß einer thomanisch-thomistischen Partizipations- und Analogielehre weiter entfaltet. 380 Damit mögen die Ausführungen über den transzendentalen Thomismus an dieser Stelle genügen. Die wesentliche Parallele zu Krings scheint mir in der Rolle des Vorgriffs auf das Sein selbst zu liegen. Sowohl Krings als auch Rahner, Lotz und Coreth sehen den Vollzug endlicher Subjektivität durch eben diesen unthematischen Vorgriff auf eine Dimension ermöglicht, die nicht mehr transzendental restringiert aufgefasst werden kann (als Erscheinung, reines Für-uns, als bloß regulative Idee oder dergleichen), sondern die allumfassend ist und die Dichotomien von An-sich und Für-uns, von Subjekt und Objekt umgreifend übersteigt. Diese Dimension ist als Ursprung und Ziel des Vollzugs (ob als Retroszendenz des Ich, ob als Vollzug im Urteilen oder im Horizont des Fragens) ermächtigend und einheitsstiftend anwesend, ohne jemals zum direkten Objekt der Verstandeserkenntnis gemacht werden zu können. Die philosophische Basistheorie der freiheitsanalytischen Denkform ist die in der Transzendentalen Logik und in System und Freiheit von Hermann Krings explizierte Struktur der Retroszendenz des Ich. Es sollte gezeigt werden, dass diese retroszendente Struktur bei Krings im Theoretischen durch den »Vorgriff« auf das jenseits (neu-)kantianischer Restriktionen situierte vollkommene und subsistente Sein selbst ermächtigt ist, und dass es im Praktischen durch den Vorgriff auf die vollkommene Freiheit (Gottes) ermächtigt wird. Angesichts des Umstandes, dass sich Krings in System und Freiheit auch so lesen zu lassen scheint, dass die Idee der vollkommenen Freiheit eine reine Setzung des Ich ist (als ein kantisches Postulat), stellte sich die Frage nach der Kohärenz der theoretischen und praktischen Philosophie von Krings. Es wurde sodann die These aufgestellt und begründet, dass bei Krings im Letzten eine Koinzidenz von unendlichem Sein und vollkommener Freiheit folgt. Es konnte weiter gezeigt werden, dass der Begriff des »Vorgriffs« bei Krings in nachweisbarer Parallele zum Begriff des

379 380

einfachen Einheit zurückgegangen, welche ihr Anfang ist [. . . ]. Die Methode ist der reine Begriff, der sich nur zu sich selbst verhält; sie ist daher die einfache Beziehung auf sich, welche Sein ist. Aber es ist auch erfülltes Sein, der sich begreifende Begriff, das Sein als seine konkrete, ebenso schlechthin intensive Totalität«, WdL, I, 56 (Herv. v. mir). Cf. Coreth 1964, 419–423. Cf. Coreth 1964, 285–322.

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Historisch-systematischer Ausflug 5

»Vorgriffs« bei den transzendentalen Thomisten der Maréchal-Schule Karl Rahner, Johannes B. Lotz und Emerich Coreth steht, wo er (in deutlicher Strukturparallelität zum Vorgehen von Krings) als transzendentalphilosophischer Überstieg zu einer metaphysischen Seinstheorie verstanden wird. Hierbei ist keine objektivistische Metaphysik das Ergebnis, sondern eine ›transzendentalphilosophisch geläuterte‹ Metaphysik, die aber dennoch in vollem Sinne Metaphysik ist. Die letzte Einheitsdimension, die sich hier eröffnet, ist die des primordialen Seins, welches die Dichotomie von Subjekt und Objekt und von An-sich und Für-uns umgreifend übersteigt und begründet – und welche im Letzten das subsistierende Sein selbst (esse ipsum subsistens) ist, der thomanische Gottesbegriff. Auch bei Krings kann nachgewiesen werden, dass das unendliche Sein selbst die letzte, primordiale Einheit von Beisichsein (Einheit) und Retroszendenz (immanenter Differenz) des Ich darstellt, was der Fundamentalstruktur des Panentheismus entspricht.

kapitel 9

»Morphismus statt Relation«: All-Einheit und Differenz in der struktural-systematischen Philosophie 9.1 Der metaphysisch-immanente Realismus 9.1.1 Die transzendentale Wende und die linguistische Wende Die transzendentale Wende Kants besagte, dass die objektkonstitutiven Erkenntnisfunktionen des (transzendentalen) Subjekts – bei Kant sind dies die Urteilsfunktionen, die Reflexionsbegriffe, die Totalitätsbegriffe usw. – unhintergehbar sind und wir die Realität nie ›ungefiltert‹ so erkennen, wie sie unabhängig von der Filterstruktur dieser Erkenntnisfunktionen ist. Es kommt zu einer Kluft zwischen Erscheinung und Ding an sich, und die Gottesidee wird zu einem regulativen Ideal, während Gott als ›Ding an sich‹ zu einem unbekannten X wird, das im Sinne einer negativen Theologie in einem von uns unerreichbaren, abgetrennten ›Jenseits‹ situiert wird (cf. Heintel 1958). An ein ›In-sein‹ des Endlichen in Gott gemäß der panentheistischen Fundamentalstruktur ist hier nicht zu denken. Auf der anderen Seite steht eine naive, vorkantische und objektivistische Metaphysik, in welcher Gott zu einem ens wird, das ebenso in einem von der endlichen Welt abgetrennten Jenseits existiert und von dort aus äußerlich mit der Welt in wie auch immer genau aufzufassende kausale Relationen tritt. Beim Durchgang durch die historisch-systematischen Stationen wurde gezeigt, dass ein Panentheismus im Sinne der Fundamentalstruktur stets in irgendeiner Weise auf objektiv-idealistische Theoriebildungen verweist, in welchen vor allem die Konzeptionen einer allumfassenden Totalität als auch von Relationen neu gefasst wurden. Die Gott-Welt-Relation ist ›innerhalb‹ der allumfassenden Totalität keine ›äußerliche‹ Relation mehr, die voneinander getrennte Entitäten verbinden würde. Dies wurde insbesondere anhand der Elementarstruktur der Hegelschen dialektisch-spekulativen Methode klar. Im Gegensatz zu äußerlichen Relationen bat sie vielmehr der Intuition eines Einfaltungs-Ausfaltungs-Geschehens Raum. Aber auch hier zeigte sich am Ende eine Schlagseite hin zu einer Subjektivitätsphilosophie, die nur dann überwunden wird, wenn man (wie Hegel in seinem Dritten großen Zusammenschluss des Systems andeutet) von der Subjektivität als einer im Letzten mit dem Sein im Ganzen koex-

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»Morphismus statt Relation«

tensiven Dimension ausgeht (anima quodammodo omnia; cf. Puntel 1973, 135). Will man eine panentheistische Theoriebildung im Rahmen der analytischen Philosophie (und Theologie) angehen (im Eingangs definierten Sinn als Einheit-in-Differenz Panentheismus), dann muss zunächst geklärt werden, wie sich objektivistische Metaphysik und transzendentaler bzw. subjektiver Idealismus in der analytischen Philosophie zeigen. Dies führt zu den (auch heute heiß umkämpften, cf. Wendel/Breul 2020) Positionen des metaphysischen Realismus und des semantischen Antirealismus, die vor dem Hintergrund der linguistischen Wende (linguistic turn) der analytischen Philosophie entwickelt wurden. Im Folgenden soll es um diese grundlegenden (meta-metaphysischen) Positionen gehen (cf. zum Folgenden Schneider 2018). Die linguistische Wende der analytischen Philosophie kann als eine Radikalisierung der transzendentalen Wende aufgefasst werden: Besteht die transzendentale Wende darin, die Unhintergehbarkeit der subjektiven Erkenntnisfunktionen aufzuzeigen, so verschärft die analytische Sprachphilosophie diesen Rückgang auf die Bedingungen der Möglichkeit unserer Wirklichkeitserkenntnis, indem sie aufweist, dass die Erkenntnisfunktionen – die Kant in Gestalt der Urteils-, Kategorien – und Schlusslehre im Rahmen der klassischen Logik einfach voraussetzt – noch einmal ihrerseits abhängig sind von Sprache überhaupt und ihren jeweiligen internen logisch-semantischen Tiefenstrukturen. D.h. die Sprachstrukturen sind die Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnisfunktionen, die ihrerseits Bedingungen der Möglichkeit der Objekterkenntnis sind. Hier wird das von Kant selbst naiv vorausgesetzte sprachlich-semantische Instrumentarium in einem »semantischen Aufstieg« (semantic ascent) untersucht: Es wird nicht mehr die erkenntnistheoretische Brille untersucht, durch die wir die Welt sehen und über sie reden, sondern es wird sozusagen unser Sprechen über diese Brille zum Thema gemacht (cf. Blume/Demmerling 1998, 9 f.; Runggaldier 1990, 18 f.). Es kann also bei der durch die transzendentale Frage intendierten Reflexion auf die Gesamtheit der Bedingungen der Möglichkeit unseres Zugangs zur Wirklichkeit nicht bei ›geistigen Erkenntnisfunktionen‹ oder dergleichen stehen geblieben werden, sondern es muss die Gesamtheit der sprachlich-logisch-geistig-theoretischen Bedingungen bedacht werden (im Folgenden: ›SLGT-‹ für »Sprache-Logik-Geist-Theorie-« oder adjektivisch für »sprachlich-logisch-geistig-theoretisch« (Puntel 1990, 272).

Der metaphysisch-immanente Realismus

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9.1.2 Metaphysischer Realismus und semantischer Antirealismus Die Entwicklung in der analytischen Philosophie und ihre explizite Thematisierung von Sprache und Semantik hat damit gezeigt, dass es ein enges Geflecht aus Ontologie, Erkenntnistheorie, Sprachanalyse und Semantik gibt2. Vor diesem Hintergrund treten die klassischen Positionen der objektivistischen Metaphysik und des transzendentalen bzw. subjektiven Idealismus in der analytischen Philosophie in neuem Gewand erneut auf. Der Unterschied ist, dass jetzt in zweiter Ordnung bzw. metasprachlich über die Objektsprache gesprochen wird – die Positionen ergeben sich dadurch als semantische Positionen (die folgende Taxonomie stammt von Godehard Brüntrup, cf. Brüntrup 1994, Kap. 2. Cf. zum Folgenden auch Coreth 1964, 122–129, 269–272; Puntel 1990, 2006, 481–505, und Schneider 2018). Zunächst seien einige Definitionen zum Begriff des (Erkenntnis-)Subjekts gegeben: 1. Das partikular-endliche Subjekt SP ist das Erkenntnissubjekt, das durch veränderliche historisch-kontingente (d.h. endliche) Bedingungen sowohl extensiv (im Umfang) als auch intensiv (in Exaktheit und Geltung) limitiert ist: Wir sind z.B. extensiv an die Grenzen des beobachtbaren Universums gebunden und intensiv an die Grenzen unserer kognitiven Kapazitäten. Das unendliche Subjekt SU ist das Erkenntnissubjekt, das nicht an endliche Bedingungen gebunden ist. Sein Erkennen ist unendlich sowohl in extensiver als auch in intensiver Hinsicht und schlechthin unbedingt. 381 2. Sei α ein Aussagesatz und seien (S)P und (S)U nicht-wahrheitsfunktionale Operatoren, dann werde (S)P α gelesen als »Es verhält sich aus der Perspektive des partikular-endlichen Subjekts SP so, dass α«, und (S)U α als »Es verhält sich aus der Perspektive des unendlichen Subjekts SU so, dass α«. (S) ohne Index bezeichne ›Subjektivität‹ simpliciter, noch nicht in endliche oder unendliche ausdifferenziert. 3. Seien α ein Aussagesatz und T und Φ Prädikatoren, dann werde Tα gelesen als »Es ist wahr, dass α« und Φ(Tα) oder kurz ΦTα als »Es wird erkannt, dass α wahr ist« (cf. Puntel 2006, 148–161). Damit können Realismus und Antirealismus in ihrer analytischen Gestalt definiert werden: 381

Kant nennt das endliche Subjekt den intellectus derivativus bzw. intellectus ectypus und das unendliche Erkenntnissubjekt den intellectus originarius oder intellectus archetypus, cf. KrV, B722 f. Cf. Coreth 1964.

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»Morphismus statt Relation«

Definition. Der metaphysische Realismus (metaphysisch-transzendenter Realismus [MTR]) umfasst folgende Definientia bzw. Annahmen: 1. SP -unabhängige Welt: Der Begriff einer SP -unabhängigen extramentalen Wirklichkeit ist sinnvoll und intelligibel, ihre Existenz wird angenommen. 2. Nicht-epistemischer Wahrheitsbegriff: Die SP -unabhängige Wirklichkeit macht jeden sinnvollen deklarativen Aussagesatz wahr oder falsch. Wahrheit bedeutet Übereinstimmung (Korrespondenz) von Satz und Sachverhalt. Eine Theorie, die für menschliche Ansprüche perfekt ist, kann dennoch falsch sein, d.h. es gilt: ¬[(S)P Tα → α]. 3. Bivalente Semantik: Ein sinnvoller deklarativer Aussagesatz ist entweder wahr oder falsch, unabhängig von unserem epistemischen Zustand, d.h. es gilt Tα ∨ T(¬α). Ein Drittes gibt es nicht. Das heißt, dass für uns bislang oder gar prinzipiell unentscheidbare Sätze unabhängig von uns wahr oder falsch sind. 382 Dazu gehören die These von der 4. Explizierbarkeit der Referenz, d.h. der realistische Wahrheitsbegriff ist nicht hinreichend explizierbar, wenn nicht ebenfalls der Begriff der Referenz ausreichend expliziert ist, 383 und eine 5. wahrheitskonditionale Bedeutungstheorie: die Bedeutung eines Satzes wird dann erfasst, wenn erfasst wurde, was in der geistunabhängigen Welt der Fall sein muss, damit der Satz wahr ist – im Gegensatz zu einer Gebrauchstheorie der Bedeutung. 382

383

Als ein Beispiel wird oft die (starke) Goldbachsche Vermutung herangezogen: Jede gerade natürliche Zahl größer 2 ist als Summe zweier Primzahlen darstellbar. Die Goldbachsche Vermutung gehört zu den sogenannten »Hilbertschen Problemen« der Mathematik und ist bis heute weder bewiesen noch widerlegt. Gemäß dem metaphysischen Realismus ist er dennoch an sich entweder wahr oder falsch, unabhängig davon, ob wir sie bewiesen oder widerlegt haben. Es gilt: »Eine realistische Semantik ist notwendigerweise objektivistisch und eine anti-realistische Position ist mit einer objektivistischen Semantik unverträglich. [...] Wo Bivalenz ist, da ist Realismus«, Brüntrup 1994, 111. Ein Satz »x ist F« ist gemäß einer realistischen Wahrheitsauffassung genau dann wahr, wenn es eine Entität a in der denkunabhängigen Welt gibt, auf den x referiert, und wenn zudem das Prädikat F ebenfalls auf diese Entität a referiert. So ist für den Realismus beispielsweise gefordert, dass in der Aussage »Gott ist allwissend« die Referenz des Nomens »Gott« und des Prädikats der Allwissenheit explizierbar ist. Der Begriff der Referenz ist der »Kernbegriff des Realismus und Korrespondenztheorie der Wahrheit«, Brüntrup 1994, 140 f. Diese Entität in der Welt muss kein reines Substratum oder keine Substanz sein, es kann sich auch um atomare Sachverhalte oder Prozesse handeln. Ebenso kann x im Satz »x ist F« selbst satzartig sein.

Der metaphysisch-immanente Realismus

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6. Möglichkeit des Gottesstandpunkts: Für den metaphysischen Realismus ist eine eindeutige perfekte Theorie möglich, welche die denkunabhängige Welt aus der Perspektive eines idealen perfekten Denkers (aus der »Gottesperspektive« / God’s eye view) so beschreibt, wie sie ist, d.h. die korrespondenztheoretisch alle Wahrheiten ausdrückt. Hierbei gelten folgende wesentlichen Annahmen: 1. Die perfekte Theorie ist als Allklasse aller wahren Propositionen aufzufassen (nicht als axiomatische Theorie, welche nach den Gödelschen Unvollständigkeitstheoremen unmöglich wäre). 2. Die Möglichkeit einer perfekten Theorie ist eine Realmöglichkeit (denkunabhängige bzw. metaphysische Möglichkeit). Für den metaphysischen Realismus reicht eine bloße Denkmöglichkeit bzw. bloß logische Möglichkeit (reine Widerspruchsfreiheit) der perfekten Theorie nicht aus (sie ist kein bloß regulatives Ideal oder bloßes Postulat). 3. Die perfekte Theorie muss für evolutionär entstandene, endliche Wesen nicht vollständig erreichbar sein, es genügt, dass sie als Ganze für einen idealen Denker (d.h. aus der Perspektive von SU ) realmöglich ist. 4. Der ideale Denker ist (wenn er existiert) allwissend, doch er steht der geistunabhängigen Welt ebenfalls äußerlich gegenüber. Wird Wissen als true justified belief aufgefasst, dann folgt aus true belief aufgrund der Korrespondenzialität auch, dass der allwissende Denker nicht irren kann: Der Gottesstandpunkt ist infallibel, d.h. es gilt: (S)U Tα → Tα. Als endliche Wesen müssen wir die perfekte Theorie nicht vollständig erreichen können. 384 Dennoch muss für realistische Positionen mindestens ein Satz als Wissen und damit als in der absoluten Theorie enthalten ausgewiesen werden. 385 Der radikale Skeptizismus, dem gemäß wir keinerlei

384

385

Es lassen sich sogar Sachverhalte angeben, die für uns unter der Voraussetzung des Realismus prinzipiell nicht erkennbar sind. So verpflichtet der metaphysische Realismus in der Mathematik auf einen Realismus bezüglich abstrakter Entitäten. In der Linearen Algebra ist nun auf Basis des Prinzips der Bivalenz beweisbar, dass der Vektorraum RQ der reellen Zahlen über dem Körper der rationalen Zahlen eine Vektorraumbasis mit überabzählbar-unendlich vielen Elementen besitzt – jedoch lässt sich ebenso zeigen, dass es für uns Menschen kein konstruktives Verfahren geben kann, diese Basis jemals anzugeben (cf. Brieskorn 1983, 284). Diese Basis wäre aber in der perfekten Theorie explizit enthalten. Der metaphysische Realismus muss kein naiver nichtreduktiver (Alltags-)Realismus sein, der eine grundsätzliche Irreduzibilitätsthese vertritt (etwa, dass die uns im makrophysikalischen Alltagsobjekte metaphysisch real sind – ebenso vertritt der nichtreduktive Antirealismus eine Irreduzibilitätsthese, wie etwa der Neutralismus bezüglich

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»Morphismus statt Relation«

wahre Aussagen treffen können – also nicht einmal die Aussage, dass in Aussagen über die Zukunft). Der Realismus ist mit verschiedenen Stufen des Reduktionismus vereinbar (Reduktionismus bedeutet hierbei, dass Sätze einer Klasse L auf eine andere Klasse von Sätzen L* reduziert wird – z.B. Sätze über mentale Gehalte auf Sätze über physikalische Ereignisse, oder Sätze über Gott auf Sätze über mentale Ereignisse – z.B. wenn eine Atheistin der Ansicht ist, dass Sätze über Gott eigentlich Sätze über psychologische Zustände von Gläubigen sind) (cf. hierzu und zum Folgenden Brüntrup 1994, 114–116; Brüntrup 2016, 115) – für jede dieser Stufen gilt, dass auf ihr mindestens eine Proposition als in der perfekten Theorie enthalten angenommen werden muss: – Der schwach reduktive Realismus nimmt an, dass es für jede Aussage λ aus der zu reduzierenden Klasse L genau einen Satz λ∗ aus einer Reduktionsklasse L* gibt, durch den der Wahrheitswert der Aussage festgelegt wird. Jedoch haben wir für den schwach reduktiven Realismus kein Reduktionsverfahren zur Verfügung. Gemäß dem schwach reduktiven Realismus sind wir in der Lage, mindestens einen Satz als Wissen auszuweisen. Sein propositionaler Gehalt ist dann in irgendeiner Weise auch in der absoluten Theorie (in der Gottesperspektive) enthalten. – Der reduktive (kritische) Realismus nimmt ebenfalls Bivalenz an, die Reduktion λ → λ∗ ist eine ein-eindeutige Referenz, es gilt eine wahrheitskonditionale Bedeutungstheorie, es werden Reduktion und voller Realismus bzgl. λ gewahrt (es wird dann über λ* gesprochen). Gemäß dem reduktiven Realismus sind wir ebenfalls in der Lage, mindestens einen Satz als Wissen und seinen propositionalen Gehalt als in der Gottesperspektive enthalten auszuweisen. – Der Abstraktionismus besagt, dass unsere Aussagen über die Wirklichkeit weder falsch noch buchstäblich wahr sind. Sie besitzen jedoch eine Grundlage in der Realität (fundamentum in re): Wenn bivalente Wahrheitswerte von λ ohne Eins-zu-einsReferenz auf λ∗ angenommen werden (d.h. λ ist eindeutig wahr oder falsch ohne eindeutige Referenz), dann handelt es sich um einen Realismus (Schärtl 2014, 135, bezeichnet diese Position in der Religionsphilosophie als »Quasi-realism«). Nur wenn keine Bivalenz und keine wahrheitskonditionale Bedeutungstheorie angenommen werden, dann ist der Abstraktionismus ein Antirealismus. Gemäß dem realistischen Abstraktionismus sind wir in der Lage, mindestens einen Satz als Wissen und seinen propositionalen Gehalt als in der Gottesperspektive enthalten auszuweisen. – Der Fiktionalismus: Wenn λ als nützlich, aber immer falsch erachtet wird, dann werden Bivalenz und eine realistische Semantik vorausgesetzt. Dann handelt es sich um einen Realismus (Schärtl 2014, 134, bezeichnet diese Position in der Religionsphilosophie als »Friendly irrealism«). Nur wenn keine Bivalenz, keine Referenz und keine wahrheitskonditionale Bedeutungstheorie, aber dennoch Bedeutung im Sinne einer Gebrauchstheorie angenommen werden, dann ist der Fiktionalismus ein (starker) Antirealismus. Für den realistischen Fiktionalismus gilt, dass alle unsere Sätze falsch (aber pragmatisch nützlich) sind. Dann muss mindestens der propositionale Gehalt der Aussage, dass alle unsere Sätze falsch aber pragmatisch nützlich sind, in der absoluten Theorie (in der Gottesperspektive) enthalten sein.

Der metaphysisch-immanente Realismus

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der aktuellen Welt alle unsere Aussagen falsch sind und wir auch keine Wahrheitsbedingungen falscher Sätze in anderen möglichen Welten angeben können – ist kein metaphysischer Realismus. Er wird jedoch bisweilen als der »Bruder des metaphysischen Realismus« bezeichnet, da er das radikale Gegenteil eines antirealistischen Homo-Mensura-Realismus ist. 386 Eine Abschwächung des metaphysischen Realismus ist der deflationäre methodologische Non-Realismus (Instrumentalismus): er ist ein semantischer Realismus, denn er lässt den Begriff einer geistunabhängigen Welt als sinnvollen Grenzbegriff zu, erklärt ihn aber als irrelevant für unsere wissenschaftlichen Unternehmungen. Ebenso werden ein nicht-epistemischer, realistisch-korrespondenztheoretischer Wahrheitsbegriff, eine bivalente Semantik und eine Explizierbarkeit der Referenz für den Gottesstandpunkt zugelassen, für uns aber als irrelevant erachtet: Unsere Theorien haben schlichtweg keine Wahrheitswerte, sie sind reine Anwendungs- und Vorhersageinstrumentarien. Die wahrheitskonditionale Bedeutungstheorie ist für den methodologischen Non-Realismus ebenso nicht relevant: Die Bedeutung der Terme ergibt sich rein intratheoretisch. Über die Güte von Theorien wird anhand ihres Erfolgs in der Anwendung und bei Vorhersagen entschieden. Auch eine perfekte Theorie aus Gottesperspektive wird als Grenzbegriff zugelassen (sie ist metaphysisch möglich), hat für den NonRealismus aber keinerlei Relevanz. Ein Beispiel für eine non-realistische Position ist der Strukturalismus. Definition. Der semantische Anti-Realismus (epistemischer immanenter Realismus) [AR] ist dem starken metaphysischen Realismus entgegengesetzt ist. Er umfasst folgende Definientia:

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– Der Eliminativismus: Hier ist zu unterscheiden zwischen Eliminativismus vor und nach der Elimination von λ: (i) Vor der Elimination von λ handelt es sich beim Eliminativismus um einen Fallibilismus: In der aktualen Welt alle Sätze von L sind falsch, ihre Wahrheitsbedingungen sind jedoch in einer anderen möglichen Welt angebbar – es wird damit eine bivalente Semantik vorausgesetzt und es handelt sich um einen Realismus (Schärtl 2014, 135, nennt dies in der Religionsphilosophie einen »Hostile irrealism«). Dann sind mindestens der propositionale Gehalt der Aussage, dass alle unsere Sätze falsch sind, und die Angabe der Wahrheitsbedingungen in anderen möglichen Welten in der absoluten Theorie (in der Gottesperspektive) enthalten. (ii) Nach der Elimination von λ handelt es sich beim Eliminativismus weder um einen Realismus noch um einen Antirealismus, da es λ schlichtweg nicht gibt (λ ist ein ›flatus vocis‹). Diesen Hinweis verdanke ich Godehard Brüntrup.

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1. Keine SLGT-unabhängige Welt: Der Begriff einer sowohl SP - als auch SU -unabhängigen Welt, die wir erkennend abbilden, ist für den semantischen Antirealismus nicht intelligibel, da diese Welt außerhalb unserer epistemischen Reichweite liegt. 2. Epistemischer Wahrheitsbegriff: Der Antirealismus vertritt einen rein epistemischen Wahrheitsbegriff: Ein Satz ist genau dann wahr, wenn er unter idealen Erkenntnisbedingungen gerechtfertigt behauptet werden kann. Wahrheit ist relativ zu den epistemischen Bedingungen des Menschen: Eine ideale menschliche Theorie, die allen menschlichen Ansprüchen genügt, kann nicht falsch sein (»Homo-mensura-Realismus«). Wahrheit ist also identisch mit Behauptbarkeit aus idealer menschlicher Perspektive. 3. Keine bivalente Semantik: Die bivalente Semantik wird abgelehnt. Aussagen, die nicht konstruktiv bewiesen oder widerlegt werden können, sind weder wahr noch falsch. 4. Nichtexplizierbarkeit der Referenz: Referenz ist ohne Bezugnahme auf realistische Korrespondenz und »truth conditions« zu definieren, sondern über »assertability conditions«. Erst der Gebrauch bzw. die Verifikationsprozedur fixiert die Referenz. 5. Verifikationistische Bedeutungstheorie: Sätze, die nicht empirisch verifizierbar sind, sind semantisch leer. Man kennt die Bedeutung eines Ausdrucks dann, wenn man seine empirische Verifizierbarkeit kennt. 6. Unmöglichkeit eines Gottesstandpunktes (einer perfekten Theorie): Die These der Möglichkeit einer perfekten Theorie vom Gottesstandpunkt aus wird negiert (Brüntrup 1994, 176).

Bemerkungen: 1° Die als Definiens geforderte Realmöglichkeit des Gottesstandpunkts beinhaltet keine theistische Position. Zum einen wäre eine Art Laplacescher Dämon ausreichend, zum anderen aber ist ein metaphysischrealistischer Atheismus möglich: Er interpretiert 1.2, (d) als kontrafaktisches Konditional: Wenn die (realmögliche) perfekte Theorie aktual existieren würde, dann würde sie den Satz »Gott existiert nicht« beinhalten (cf. Brüntrup 2018). 2° Der Antirealismus kann wie der Realismus eine externalistische Bedeutungstheorie vertreten. Auch nach dem Antirealismus erforschen wir externe Fakten, jedoch sind diese Fakten im Antirealismus nur relativ zu einem Begriffssystem: Nicht alles ist bloße Konvention von Begriffssystemen, jedoch ohne jedwede Konvention von Begriffssystemen gibt es nicht einmal Fakten. Ein nicht-epistemischer Wahrheitsbegriff ist im Antirealismus nicht möglich (Brüntrup 1994, 175).

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3° Auch der Antirealismus kann Metaphysik und Gotteslehre betreiben, wenn die Quantoren und Junktoren intuitionistisch uminterpretiert werden (Brüntrup 1994, 148): Das Prinzip der Bivalenz (p ∨ ¬p) wird mit der intuitionistischen Negation ∼ p (die besagt, dass es konstruktiv beweisbar ist, dass die Behauptung p zu einer Absurdität führt) interpretiert als ›Es ist beweisbar, dass es zu einer Absurdität führt, wenn die These aufgestellt wird, dass eine Behauptung p und ihre Negation zugleich absurd sind‹: ∼ (∼ p ∧ ∼∼ p). Ebenso sind Gottesbeweise im Antirealismus möglich: Sie wären dann unter idealen epistemischen Bedingungen behauptbar und wahr; es wäre beweisbar, dass Gott unabhängig vom menschlichen Bewußtsein notwendig existiert – diese Aussage würde aber nicht von der geistunabhängigen Realität wahrgemacht, sondern wäre Teil einer nach menschlichem Maß idealen Theorie (cf. Brüntrup 2018). 4° Der Unterschied zwischen metaphysischem Realismus und Antirealismus besteht darin, dass es im Antirealismus Aussagen geben kann, die weder wahr noch falsch sind (wenn es weder einen konstruktiven Beweis noch eine konstruktive Widerlegung gibt). Thesen, für die es prinzipiell kein menschen-mögliches Beweisverfahren geben kann, sind im Antirealismus keine Wahrheitskandidaten (cf. Brüntrup 1994, 186). Soweit die Definitionen von metaphysischem Realismus und semantischem Antirealismus. Die klassische objektivistische Metaphysik wäre demnach dem metaphysischen Realismus zuzuordnen, während transzendentalphilosophische Ansätze dem semantischen Antirealismus (oder, je nach Interpretation des systematischen Status des ›Dings an sich‹, dem methodologischen Nonrealismus) zuzurechnen sind (Brüntrup 1994, 182, Fn. 180). 9.1.3 Die Aufhebung von Realismus und Antirealismus Im Folgenden werden zentrale Einwände gegen die objektivistische Metaphysik (MTR) und gegen den semantischen Antirealismus (epistemisch-immanenten Realismus) (AR) angeführt, um anschließend die hier vertretene Position des metaphysisch-immanenten Realismus (MIR) zu definieren. Die Einwände beruhen darauf, dass MTR und AR die fundamentalen Theoriebildungskriterien der Intelligibilität und Kohärenz verletzen (Puntel 2006, 500–504; cf. hierzu und zum Folgenden Schneider 2018a). Der metaphysische Realismus vertritt, dass es eine einzige externe, SLGTunabhängige Welt gibt, welche die »big story« darstellt, die unsere wahrheitsdefiniten Behauptungen entweder wahr oder falsch macht. Das Verhältnis zwischen Sprache und Welt bleibt dabei ein äußerliches: Sprache (auf Seiten des Subjekts) ist Abbildung einer ihr externen Realität (eines Objekts), wobei eine radikale Kluft zwischen Sprache und externer Realität

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bestehen bleibt – die externe Realität bleibt radikal transzendent. Nach welchen Kriterien kann dann die Übereinstimmung von sprachlicher Artikulation und externer Realität in einem wahren Erkenntnisakt überhaupt festgestellt werden? Hier ergibt sich folgende Antinomie (cf. Hartmann 1965): Das Kriterium der Feststellung der Übereinstimmung von sprachlicher Artikulation und externer Wirklichkeit (von Satz und Sachverhalt) ist entweder (1) ein sprachliches oder (2) ein nichtsprachliches. Im ersten Fall (1) wird die sprachliche Artikulation wiederum mit etwas Sprachlichem verglichen, der Vergleich bleibt also rein sprachimmanent und es hat kein Vergleich mit der externen Realität stattgefunden. Im zweiten Fall (2) bleibt das Kriterium so sprachtranszendent wie die externe Realität, und es hat wiederum kein Vergleich mit der sprachlichen Artikulation stattgefunden. Um diese Antinomie überwinden zu können, müsste ein zweiter Vergleichsakt jenseits und unabhängig von der Relation zwischen sprachlicher Artikulation und externer Realität stattfinden, der uns sagt, ob beide übereinstimmen oder nicht. Aber auch für diesen zweiten, unabhängigen Akt gilt, dass er etwas auf der Seite des Subjekts mit dem Objekt vergleichen muss, und die Antinomie wiederholt sich für jenes ›etwas‹ (was auch immer man dafür einsetzen mag), solange eben Subjekt und Objekt einander radikal transzendent bleiben. Es bedarf also eines dritten Vergleichsaktes jenseits und unabhängig vom zweiten Vergleichsakt, und so ad infinitum. Eine ähnliche Aporie ergibt sich bei der erkenntnisdynamischen Konzeption einer »Annäherung an die Wahrheit«: Auch hier müssen sprachlich artikulierte bisherige Erkenntnisse (die als inadäquat zu qualifizieren sind) mit einer sprach- und erkenntnistranszendenten »Wahrheit« verglichen werden, d.h. es muss etwas Gegenstand der Rede werden, was streng genommen noch nicht Gegenstand der Rede sein kann, da es erst künftig im Erkenntnisprogress zu einem solchen Gegenstand wird. Diese Einwände deuten auf ein Grundproblem der objektivistischen Metaphysik hin, das sie unter ihren Prämissen nicht zu lösen imstande ist: Der Begriff einer radikal sprachunabhängigen Welt ist nur innerhalb einer Sprache artikulierbar – unabhängig von Sprache ist er schlichtweg nicht intelligibel. 387 387

Ein weiterer zentraler Einwand gegen die objektivistische Metaphysik, der hier aber nur am Rande von Interesse ist, bezieht sich auf den Zusammenhang zwischen den syntaktischen Strukturen der Sprache, der Information, die sie kodieren und dem Zusammenhang dieser Information mit den Ereignissen und Sachverhalten, auf die sie sich beziehen (Brüntrup 1994, 152): der Einwand der Unerforschlichkeit der Referenz. Es handelt sich um den modelltheoretischen Einwand, dass es »zuviele korrespondenziale Wahrheiten« gibt, d.h. »zuviele Erfüllungen, die unsere Sätze wahr machen, ohne

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Der semantische Antirealismus lehnt einen epistemischen Zugang zur SLGT-unabhängigen Welt ab. Es ist für Antirealist*innen also nicht möglich, dass es eine Behauptung gibt, welche die SLGT-unabhängige Wirklichkeit so wiedergibt, wie sie an sich ist (dass sie »SLGT-unabhängig gilt«, kurz: real gilt) (zum Folgenden cf. Weissmahr 1989; Gredt 1953, 57–59, 82–87; Schneider 2019). (K) Kernthese des Antirealismus. »Keine einzige Behauptung kann SLGTunabhängig (real) gelten«, bzw. ¬ ⋄ ∃α[(S)ΦTα → Tα] Theorien, welche die Kernthese des Antirealismus als Behauptungen enthalten, möchte ich A-Theorien nennen. Die Kernthese des Antirealismus ist nicht formallogisch widersprüchlich (der Satz formuliert keine Behauptung der logischen Form α ∧ α) – jedoch besteht ein interner Widerspruch auf der Ebene einer Theorie, welche die Kernthese als Theorem enthält. Dazu zunächst eine Festlegung: Definition. Eine Theorie T heißt intern widerspruchsvoll, wenn sie zwei kontraktorisch entgegengesetzte Aussagen beinhaltet, bzw. wenn gilt: T ⊢ α∧ T⊢ α. Somit lässt sich die folgende Kernthese aufstellen und beweisen: Satz (W). A-Theorien sind intern widerspruchsvoll. Beweis. Es gilt folgender Syllogismus: Obersatz (1): Wenn eine Theorie die Aussage beinhaltet, dass keine einzige Behauptung real gilt (K), dann ist die Theorie intern widerspruchsvoll. Untersatz (2): A-Theorien beinhaldaß wir mittels theoretischer oder operationaler Kriterien entscheiden könnten, welche Erfüllungen die wirkliche Welt darstellt. Modelltheoretisch ausgedrückt: Es gibt zuviele [nicht-isomorphe, R.S.] Modelle einer Theorie oder eines Satzes, und man verfügt nicht über die epistemischen Mittel, um das intendierte Modell herauszufinden« (Brüntrup 1994, 154 f.). Man bräuchte bestimmte wundersame intentionale Fähigkeiten, welche uns helfen, genau jenes Modell zu identifizieren, das die »wahre Welt« ist (etwa oben genannten zweiten Vergleichsakt), oder es bräuchte eine bestimmte kausale Relation zwischen der Welt und uns, die vermöge physikalischer Kausalität in uns das richtige Modell determiniert, was jedoch weitreichende Vorentscheidungen in der Beantwortung des Leib-Seele-Problems nach sich zieht. Ohne eine enorme philosophische Theorie zu solchen Ansätzen ist der objektivistisch-metaphysische Realismus in der analytischen Theologie jedenfalls nichts mehr als eine dogmatistische Behauptung (Brüntrup 1994, 152 f.).

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ten die Aussage, dass keine einzige Behauptung real gilt. Konklusion (3) (per Modus Ponens): Also sind A-Theorien intern widerspruchsvoll. Der Untersatz (2) folgt aus der obigen Definition von A-Theorien. Beweis des Obersatzes (1): (1a) Eine Theorie, welche die Aussage beinhaltet, dass keine einzige Behauptung real gilt und zugleich die Aussage beinhaltet, dass einige Behauptungen real gelten, ist intern widerspruchsvoll. (1b) Eine Theorie, welche die Aussage beinhaltet, dass keine einzige Behauptung real gilt, beinhaltet zugleich die Aussage, dass einige Behauptungen real gelten. Konklusion (1c): Also ist eine solche Theorie intern widerspruchsvoll (cf. Gredt 1953, 57–59). Der Obersatz (1a) ist begrifflich wahr. Beweis des Untersatzes (1b): Die Kernthese des Antirealismus (K) ist wahr genau dann, wenn sie falsch ist. Denn eine Behauptung ist ein illokutionärer Akt (mit der Äußerung wird die Sprechhandlung des Behauptens vollzogen), und ein illokutionärer Akt ist als performierte Handlung zugleich eine Verwirklichung. Damit sind auch die notwendigen Bedingungen der Möglichkeit dieser Verwirklichung erfüllt. Wenn eine Behauptung als Behauptung verwirklicht ist, dann sind die notwendigen Bedingungen der Möglichkeit des Behauptens erfüllt: Die Möglichkeit des realen Geltens der Behauptung. Es ergibt sich ein retorsiver Widerspruch zwischen der propositionalen und der performativen Ebene des illokutionären Aktes: Das Exerzieren des Sprechaktes der Behauptung widerruft den Inhalt der Kernthese des Antirealismus (K). Es wird angenommen, dass es möglich ist, dass es (mindestens) eine aus der Perspektive endlicher Subjektivität artikulierte Behauptung gibt, die real gilt. Dies ist das kontradiktorische Gegenteil von (K), und damit sind (K) und die Negation von (K) in A-Theorien enthalten. Hiermit folgt die Konklusion (1c) und Satz (W) ist gezeigt. Erläuterung Grundsätzlich gilt, dass bei jedem Äußern eines (normalen) Aussagesatzes die Sprechhandlung des Behauptens vollzogen wird: Wenn ich sage »Der Holocaust hat wirklich stattgefunden«, dann ist durch die Äußerung dieses Satzes die Handlung der Behauptung vollzogen: »Ich behaupte, dass der Holocaust wirklich stattgefunden hat«. D.h. jede Behauptung ist ein illokutionärer Akt. Mit diesem illokutionären Akt ist jedoch nicht bloß gesagt »Es erscheint mir (aus meiner endlichen Perspektive) so, als ob der Holocaust stattgefunden hätte«, sondern es ist der Anspruch auf Realgeltung gesetzt, d.h. der Anspruch, dass es sich auch in Wirklichkeit simpliciter (d.h. ohne Relativierung auf endliche Erkenntnissubjekte) so verhält: »Es verhält sich in Wirklichkeit so, dass der Holocaust stattgefunden hat«. Da nun jeder Vollzug einer Behauptung eine Verwirklichung darstellt

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(d.h. man ist hier bereits auf der Ebene der Wirklichkeit), sind die Bedingungen der Möglichkeit dieser Verwirklichung mitgesetzt, denn sonst könnte dieser Vollzug einer Behauptung als Behauptung gar nicht stattfinden – und dies ist keine reine Verstandesimplikation, sondern ein realer Zusammenhang auf der Ebene der Wirklichkeit. Zu diesen Bedingungen der Möglichkeit zählen Bedingungen wie die entsprechende Sprachkompetenz und die physikalischen Bedingungen der Verwirklichung, aber auch die metaphysisch-transzendentalen Bedingungen: Wenn eine Behauptung als Behauptung vollzogen wird, dann sind die Bedingungen des Anspruchs auf Realgeltung mitgesetzt, nämlich dass Realgeltung, d.h. Wahrheit, möglich ist. Im illokutionären Akt des Behauptens werden also insbesondere die notwendigen Bedingungen der Möglichkeit des Geltens der Behauptung mitgesetzt, nämlich die Bedingung, dass wahre Behauptungen möglich sind. Im Vollzug der Behauptung »Keine einzige Behauptung kann real gelten« ergibt sich also ein Widerspruch im illokutionären Akt selbst, nämlich ein Widerspruch zwischen dem implizierten (performativen) Inhalt des Vollzugs des Sprechaktes und der semantischen Bedeutung bzw. dem propositionalen Inhalt der Aussage: Das Exerzieren des Sprechaktes der Behauptung, dass keine einzige Behauptung unumstößlich wahr sein könne, widerruft performativ den Inhalt der Behauptung. Indem behauptet wird, keine einzige Behauptung sei unumstößlich wahr, wird durch den Vollzug dieser Behauptung mitgesetzt, dass die notwendigen Bedingungen der Möglichkeit des realen Geltens der Behauptung verwirklicht sind (cf. Weissmahr 1989). Damit ist der semantische Antirealismus im Kern als unintelligibel ausgewiesen. Der metaphysische Realismus führte also auf das Problem, dass entgegen seiner Grundannahme eine SLGT-jenseitige Welt nicht SLGT-erreichbar ist, während der semantische Antirealismus auf einen retorsiven Widerspruch führte (die These der schlechhinnigen Unerkennbarkeit der SLGT-jenseitigen Welt ist selbst eine Aussage über die SLGT-jenseitige Welt). Wie kann man jedoch die durchaus richtigen und sogar unerlässlichen Intuitionen sowohl des Realismus als auch des Antirealismus retten, ohne in ihre jeweiligen Aporien zu fallen? Die wichtigste Intuition des metaphysischen Realismus ist meines Erachtens, dass es die von uns unabhängige Realität ist, die unsere Behauptungen entweder wahr oder falsch macht, dass es also keine postfaktische Beliebigkeit geben kann. Die wichtigste Intuition des Antirealismus ist hingegen, dass uns die Wirklichkeit niemals völlig frei von unseren begrifflichen Rastern und Denkformen (die immer auch schon geschichtlich und kulturell vorgeprägt sein mögen) gegeben ist. Wie geht die ›Fakten-Härte‹ des Realismus mit der Relativierung auf Sprache(n) und

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Denkformen im Antirealismus zusammen? Im Folgenden sei eine ›Mittelposition‹ zwischen hartem Realismus und hartem Antirealismus definiert: Definition. Der metaphysische immanente Realismus [MIR] bezieht folgende Grundpositionen (cf. Puntel 1990, 270 f.; insbes. Brüntrup 1994, 182, von dem auch die Bezeichnung stammt): 1. Keine SLGT-unabhängige Welt: Eine radikal sprach- und erkenntnisunabhängige Welt wird vom metaphysischen immanenten Realismus als nicht intelligibel abgewiesen (dies teilt der metaphyische immanente Realismus mit dem epistemischen immanenten Realismus) und es kann eine solche nicht geben, jedoch ist die Welt nicht SP -abhängig, d.h. von einer endlich-partikularen menschlichen Sprache und Erkenntnisstruktur abhängig (dies teilt der metaphysische immanente Realismus mit dem transzendenten metaphysischen Realismus MTR), aber sie ist SU -abhängig. Conceptual schemes werden nicht mehr rein als »with a human face« aufgefasst: Die Welt ist eine »ready-made world«, die aber nicht unabhängig von jedweder Sprache/Erkenntnisstruktur »ready-made« ist. Die Intelligibilität der Welt (ihre Erkennbarkeit und Ausdrückbarkeit) gehört zu ihrer ontologischen Struktur, sie ist eine bereits an sich propositional konstituierte Welt. Zwischen Sprache und Welt liegt damit keine unüberspringbare Kluft (d.h. die Welt ist »sprachimmanent«, womit jedoch nicht menschliche Umgangssprache gemeint ist). 2. Der Wahrheitsbegriff wird sowohl nicht-epistemisch als auch nichtkorrespondenztheoretisch aufgezogen, was auf verschiedene Weise geschehen kann (unten wird das Beispiel der hier thematisierten SSP gebracht). 3. Bivalente Semantik: Die bivalente Semantik hingegen bleibt erhalten: Es ist die Welt, die unsere Aussagen über sie an sich wahr oder falsch macht, unabhängig von unserem epistemischen Zustand. Doch ist diese Welt keine SLGT-unabhängige Welt (kein radikales »Ding an sich«). 4. Explizierbarkeit der Referenz: Referenz ist nicht unerforschlich, wird jedoch entsprechend des jeweiligen Wahrheitsbegriffs expliziert. 5. Wahrheitskonditionale Bedeutungstheorie: Auch eine wahrheitskonditionale Bedeutungstheorie ist möglich, wird aber ebenfalls entsprechend der jeweiligen Wahrheitstheorie verschieden expliziert. 6. Möglichkeit einer absoluten Theorie: Die propositional-sprachliche Fundamentalstrukturiertheit der SP -unabhängigen Welt kann wiederum mehrfach verstanden werden, und entsprechend ergibt sich

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der Status einer absoluten Theorie (cf. Puntel 1990, 270 f. und 285; Brüntrup 1994, 184): 1. Der atomistisch-pluralistische immanente Realismus betrachtet die Welt als zerfallend in eine Vielzahl von letztlich inkommensurablen propositionalen Dimensionen und entsprechend zugehörigen Sprachen bzw. conceptual schemes41. Eine absolute Theorie, welche die Welt aus der Perspektive eines idealen Denkers bzw. allwissenden Wesens beschreibt, ist für den atomistisch-pluralistischen immanenten Realismus unmöglich (die Welt wäre widersprüchlich), d.h. dieses Kriterium des metaphysischen Realismus wird negiert. Die Immanenz kann hier also nur epistemische Immanenz bedeuten. Damit kollabiert der atomistisch-pluralistische immanente Realismus in einen epistemisch-immanenten Realismus, d.h. in einen semantischen Antirealismus (Brüntrup 1994, 184). 388 2. Der atomistisch-monistische immanente Realismus (das Chuck-Norris-Universum, diese Position kommt in Puntel 1990 und Brüntrup 1994 nicht vor und ist nur der kombinatorischen Vollständigkeit halber angeführt). 3. Der holistisch-monistische immanente Realismus reduziert die propositionalen Dimensionen und entsprechend zugehörigen Sprachen / Denkformen / Theorien auf eine einzige Sprache / Denkform / Theorie aus der Gottesperspektive, die absolute Theorie (holistischmonistischer »Deus-mensura-Realismus«). 4. Der holistisch-pluralistische immanente Realismus lässt eine Vielzahl von Dimensionen und zugehörigen Sprachen / Denkformen / Theorien zu (Irreduzibilitätsthese), betrachtet sie aber alle holistisch eingebettet in eine allumfassende Meta-Sprache/Denkform/Theorie aus der Gottesperspektive, d.h. in die absolute Theorie (es handelt sich, wenn man so will, um einen holistisch-pluralistischen »Deusmensura Realismus«). Jene absolute Theorie kann für uns Menschen oder allgemein evolutionäre Wesen erreichbar sein oder nicht, wor-

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So negiert auch der Neue Realismus explizit die Möglichkeit einer absoluten Theorie (cf. Gabriel 2016, 179). Der Neue Realismus spricht von »Sinnfeldern«, die Teil der objektiven Wirklichkeit (also nichts rein subjektiv-epistemisches) sein sollen. Existenz und Wahrheit sind relativ zu diesen Sinnfeldern. Da es aber keine letzte, allumfassende Einheit aller Sinnfelder und kein allumfassendes Sinnfeld gibt (cf. ebd., 340–344), wäre es selbst für Gott unmöglich, die Wirklichkeit als Ganze zu artikulieren, d.h. es gäbe selbst für Gott immer nur partikulare, beschränkte Artikulationen der Wirklichkeit. Damit ist der Neue Realismus ein Antirealismus. Cf. auch Schärtl 2018, 348–352.

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aus sich verschiedene Formen des holistisch-pluralistischen immanenten Realismus ergeben können. Im Folgenden wird die struktural-systematische Philosophie SSP als eine Variante des MIR präsentiert, jedoch hier in einer eigenständigen Form (d.h. nicht in hundertprozentig exakter Anlehnung an L.B. Puntel und insbesondere unter Berücksichtigung von Schneider 2020).

9.2 Die struktural-systematische Philosophie (SSP): Grundlagen 9.2.1 Der uneingeschränkte universe of discourse In der Widerlegung des semantischen Antirealismus wurde gezeigt, dass im illokutionären Akt des schlechthinnigen Behauptens bzw. der Setzung »Es verhält sich in Wirklichkeit so, dass α« bzw. »Es verhält sich (simpliciter) so, dass α« die Differenz zwischen der rein syntaktischen Dimension der Spache und der semantisch-ontologischen Dimension durchbrochen wird. Dies gibt Anlass zu einer weiteren Definition (cf. hierzu und zum Folgenden Puntel 1977, 2006; Hinst 1978; Schneider 2018 – dieser Ansatz kann als eine Fortführung des fundamentalsemantischen Ansatzes in Kap. 6.3 gelesen werden): Definition. Seien α ein Aussagesatz und (T) ein nicht-wahrheitsfunktionaler Operator, dann werde (T)α gelesen als »Es verhält sich (simpliciter) so, dass α«. Der Operator (T) zeigt den illokutionären Akt der Setzung an und darf nicht mit einem Wahrheitsprädikator verwechselt werden, der auf einem semantischen Modell extensional interpretiert würde, sondern er ist ein ›wahrheits-ausdrückender Operator‹, der, anders als Interpretationsfunktionen, keine Trennung von Syntax, Semantik und Ontologie voraussetzt. Mit dem Operator (T) erhält die obige These (K) folgende Form: Behauptung. Es verhält sich (simpliciter) so, dass es nicht möglich ist, dass es eine aus der Perspektive partikular-endlicher Subjektivität SP artikulierte Aussage α gibt, die real gilt (wahr ist): (T){¬ ⋄ [(S)ΦE Tα → α]} Der oben gezeigte Widerspruch besteht darin, dass der uneingeschränkte Operator (T) der in seinem Skopus formulierten Unmöglichkeit widerspricht. Im illokutionären Akt des schlechthinnigen Behauptens wird, wie oben gezeigt wurde, die notwendige Bedingung der Möglichkeit des Geltens der schlechthinnigen Behauptung mitgesetzt: die Bedingung, dass schlechthin (simpliciter) wahre Behauptungen möglich sind. Etwas als schlechthin

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(simpliciter) wahr behaupten bedeutet aber, dass die Geltung des Behaupteten nicht mehr relativ ist auf endliche und aufhebbare Erkenntnisbedingungen, sondern dass der behauptete Sachverhalt an sich und (zur Zeit seines Vorkommens sensu composito notwendig) besteht. Die Geltung ist intensiv unbeschränkt: Sie ist keine vorläufige Geltung, sie ist nicht mehr durch veränderte Erkenntnisbedingungen aufhebbar. Und sie ist extensiv unbeschränkt: Es gibt keine umfassendere oder höhere Perspektive oder Dimension mehr, in welcher der behauptete Sachverhalt nicht gilt. Damit ist eine intensiv und extensiv unendliche Dimension als Bedingung der Möglichkeit vorausgesetzt (cf. Coreth 1964, 123–131; cf. hierzu und zum Folgenden Puntel 2006, 148–161). Im illokutionären Akt der obigen Setzung handelt es sich nun um eine extensiv und intensiv unbeschränkte Erkenntnis, d.h. für E → U gilt: (S)ΦU Tα → α. Auf den Prädikator PhiU kann hier verzichtet werden, da im illokutionären Akt keine Distanz zwischen Erkenntnis(subjekt) und Erkenntnisobjekt und daher keine Vermittlung durch rein intramentale Faktoren wie logische Rechtfertigungszusammenhänge mehr besteht, und der Operator (S)ΦU koinzidiert mit dem Operator (S)U , so dass gilt: (S)U Tα → α. Im Fall (S)U kann überdies auf den Rekurs auf Subjektivität überhaupt verzichtet werden, denn der Operator (S)U artikuliert keinerlei Beschränkung auf einen subjektiven Standpunkt mehr, sondern ist die schlechthinnige Setzung (T)α. Der Widerspruch in obiger Behauptung entsteht also dadurch, dass der Operator (S) als der Operator (S)U spezifiziert ist. Der Satzoperator ›Es-verhält-sich-so-dass‹ zeigt hierbei nicht eine Existenzprädikation erster Ordnung an, sondern eben denjenigen illokutionären Kohärenzakt, der die theoretische und ontologische Dimension im selben Akt verbindet. Mit dem »Es« in (T), »Es-verhält-sich-simpliciter-so-dass«, wird die schlechthin uneingeschränkte Dimension dessen, was simpliciter der Fall ist bezeichnet. Hier gilt keine Einschränkung der Form ›Es ist transzendental oder empirisch oder apriorisch oder aposteriorisch oder dgl. der Fall, dass ...‹, sondern diese uneingeschränkte Dimension umfasst die (Sub-)Dimension der Subjektivität und Theoretizität und zugleich die ontologische (Sub-)Dimension: der schlechthin uneingeschränkte universe of discourse. Die so verstandene unbeschränkte Dimension, die sich in deklarativ-theoretischen Sätzen mit dem uneingeschränkten Operator (T) zeigt, ist nicht auf Subjekte, Vermögen, oder irgendeinen anderen gegenüber der uneingeschränkten Dimension externen Faktor bezogen, sondern markiert den universalen Zusammenhang zwischen allen (Sub-)Dimensionen. Diese absolut uneingeschränkte Dimension kann als das unendliche Sein bezeichnet werden (das unendliche Sein ist jedoch noch nicht das ab-

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solut-notwendige Sein Gottes, cf. Coreth 1964, 131; cf. entspr. Puntel 2006). 389 Aus der unbedingten Setzung des illokutionären Aktes (T)α und durch seine Bedingungen der Möglichkeit eröffnen sich die immanenten Merkmale der absolut uneingeschränkten Seinsdimension (cf. Schneider 2018, 61–65, Puntel 1990, 114–119, und Puntel 2006, 583–587). Die Bedingungen der Intelligibilität und Kohärenz sind zum einen ›Meta-Kriterien‹ in der Dimension der Theoretizität, sie sind aber zugleich ›immanente Merkmale‹ derjenigen ultimativen Dimension, durch welche sie als theoretische Kriterien letztlich konstituiert bzw. strukturiert sind: Als einailogische und ontologische Merkmale des Seins als solchen. Als Kriterien erweisen sie sich als der adäquate Ausdruck der ultimativen Seinsdimension. Bei der Anwendung dieser Kriterien auf die Theoriebildung geht es also nicht um die ›logische Ableitung‹ von ontologischen Positionen aus rein logischen Komponenten eines argumentativen Verfahrens, sondern um eine Explikation bzw. Ausfaltung dessen, was als allerletzte, ultimative Dimension immer schon implizit als Bedingung der Möglichkeit vorausgesetzt ist. Es handelt sich damit um einen ›Rückgang‹ in die implizit anwesende Sache selbst. Die immanenten Merkmale sind letztlich die klassischen Transzendentalien (hier jedoch nicht als überkategoriale Eigenschaften des Seienden, sondern als Merkmale des Seins) des unum (maximale Kohärenz – das Sein ist der ›Zusammenhang aller Zusammenhänge‹, cf. Puntel 2010, 193 f.) und des verum (universale Intelligibilität). Und sie sind Metakriterien wohlgeordneter Theorierahmen. Ich erinnere an die Definition von wohlgeordneten Theorierahmen: Ein Theorierahmen ist »die Gesamtheit aller jener spezifischer Rahmen (gemeint sind hauptsächlich der sprachliche, der logische, der semantische, der begriffliche, der ontologische Rahmen), die in der

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Martin Heidegger hat in seinem Kant-Werk (Heidegger 1973) versucht zu zeigen, wie eine nicht anti-metaphysische Lesart Kants dazu führt, eine am erkenntniskritischen Problem ansetzende Fundamentalontologie zu entwickeln: Das kantische Apriori darf nicht als eine verbergende Erkenntnisstruktur verstanden werden, die sich zwischen das Ding an sich und das Subjekt schiebt, sondern muss als eine ent-bergende Bedingung aufgefasst werden, d.h. als genau jene Bedingung der Möglichkeit im Wesen des Menschen, welche als voraus-entwerfendes Wissen um die vorgezeichnete und vorausumgriffene Seinsverfassung des Seienden das zuvor schon offenbare Seiende überhaupt erst begegnen lässt: dieses Apriori ermöglicht gerade die Transzendenz des Subjekts auf das Seiende hin und eröffnet den ›Horizont‹ für das Erscheinen des Seienden (Coreth 1955, 211–213). Ähnlich gilt auch hier sozusagen, dass die SLGT-Bedingungen das Seiende und das Sein nicht verbergen, sondern es offenbaren.

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einen oder anderen Weise die unverzichtbaren Komponenten des von einer gegebenen Theorie vorausgesetzten (Gesamt-)Rahmens bilden« (Puntel 2006, 30), und wohlgeordnet heißt ein Theorierahmen dabei, wenn er sich nach den Metakriterien der Kohärenz (unum) und Intelligibilität (verum) ausrichtet. Als Metakriterium der Theoriebildung besagt die Transzendentalie des unum dabei nun genau dies, dass sich Theorien nach dem Ideal immer größerer Kohärenz ausrichten müssen. Und als Metakriterium der Theoriebildung besagt die Transzendentalie des verum, dass sich Theorien um immer größere Intelligibilität mühen müssen. 390 9.2.2 Die Intelligibilitäts- und die Kohärenzthese Aus den Forderungen nach Intelligibilität und Kohärenz lässt sich eine grundlegende Verhältnisbestimmung von Sprache und Welt im Sinne des metaphysischen-immanenten Realismus entwickeln (cf. Puntel 1990, 114–119). 391 Zunächst seien jedoch zwei klärende Bemerkungen zu den Begriffen »Sprache« und »Welt« vorangeschickt: (a) »Sprache« sei hier weiter gefasst als lediglich eine Klasse von Ausdrücken, Termen und Sätzen. Unter »Sprache« sei auch nicht einfach ein Konglomerat von sprachlichen Vorkommnissen (tokens) und von (umgangs-)sprachlichen Kommunikationsinstrumentarien verstanden, sondern eine theoretische Darstellungsdimension aus deklarativen bzw. deskriptiven indikativen Sätzen und einer zugehörigen Logik, wie es in den Wissenschaften der Fall ist (cf. Puntel 2006, 103 f.). Zwar sind »Sprache«, »Begriffssystem« und »Theorie« zu unterscheiden, aber im Folgenden möchte ich sie zunächst in Anlehnung an Puntel 1990, 272 f., zusammenfassen unter dem Term SPRACHE (großgeschrieben). Unten werde ich dafür den näher bestimmten Ausdruck des »Theorierahmens« einführen. Wenn nun von einer SPRACH-abhängigkeit der Welt die Rede ist, dann geht es nicht um

390

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Es ist auch noch die Transzendentalie des bonum (universale Erstrebbarkeit) zu nennen, die besagt, dass es nichts gibt, was nicht auch Ziel eines Prozesses sein könnte (dies wird als Metakriterium in praktisch-ethischen Theoriebildungen relevant). Ebenso beinhaltet Puntel 2006 die Transzendentalie des pulchrum. Dies ist hier nicht von Relevanz. Die eigentliche Darstellung der struktural-systematischen Philosophie (SSP) findet sich in Struktur und Sein (Puntel 2006) und Sein und Gott (Puntel 2010). Jedoch sind zentrale Thesen und Argumentationen schon in Puntel 1990 entwickelt worden, und obwohl sich manche Notationen aus Puntel 1990 nicht mehr in Puntel 2006/2010 finden, möchte ich sie hier verwenden, da ich sie nach wie vor für besonders geeignet halte.

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die abwegige These, dass es die Welt nur solange gibt, wie wir in unserer alltäglichen Kommunikation darüber reden, sondern um die Frage, wie wissenschaftliche SPRACHE und das, was sie ausdrückt, semantisch innerlich zusammenhängen – ganz unabhängig davon, ob irgendwer gerade etwas an eine Tafel schreibt, darüber redet oder nachsinnt. (b) Unter »Welt« sei eine maximal konsistente Menge von Sachverhalten verstanden. 392 Die Intelligibilitätsthese besagt nun: Es gibt keine Dimension der Wirklichkeit, die nicht in irgendeiner SPRACHE ausgedrückt werden könnte. Wenn etwas theoretisch nicht ausdrückbar ist, dann liegt das an der Schwäche der verwendeten SPRACHE und nicht an der Welt – und es gibt dann immer eine ausdrucksstärkere SPRACHE. Die Annahme, es existierte eine Dimension, die nicht ausdrückbar wäre, ist widersprüchlich. Denn wenn es keine ausdrückende Instanz (d.h. SPRACHE) für diese Dimension gäbe, welche sie als semantische Struktur enthält, dann kann diese Dimension auch nicht als semantische Struktur in der Aussage, dass sie nicht ausdrückbar wäre, enthalten sein. Man könnte also überhaupt keine Aussage über diese Dimension treffen, was offensichtlich dem Vollzug der Aussage selbst widerspricht (cf. Schneider 2007, 27 f.) Aus der Intelligibilitätsthese folgt, dass nicht für alle SPRACHEN S gilt, dass es mindestens eine Dimension D gibt, welche die betreffende Sprache nicht ausdrücken kann: (1) Intelligibilitätsthese ⇒ ¬∀S∃D(¬ausdr(S, D)) Die notwendige Bedingung dieser Implikation sei die Kohärenzthese genannt. Ihre Negation besagt, dass es in jeder beliebigen SPRACHE irgendeine Dimension gibt, die für sie nicht erreichbar ist, dass es also eine letzte Inkohärenz der Dimensionen gibt. An einem einfachen Modell mit drei SPRACHEN S0 , S1 und S2 und vier Dimensionen D0 , D1 , D2 und D3 kann dies folgendermaßen veranschaulicht werden, wenn die Pfeile das jeweilige Ausdrucksverhältnis darstellen (Pfeil von einem S auf ein D heißt: S drückt D aus) und jedes Si nicht alle Dj ausdrückt:

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»Welt« ist damit selbst ein maximaler Sachverhalt W, für den gilt: Für alle Sachverhalte/Propositionen p gilt: W impliziert p oder W impliziert ¬p, aber nicht beides (cf. Puntel 1990, 253).

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Es bliebe also eine fundamentale Inkohärenz bestehen. Positiv gewendet besagt die Kohärenzthese in diesem einfachen Modell, dass es eine SPRACHE Σ gibt, welche die partikularen Sprachen S0 , S1 und S2 umfasst bzw. ausdrückt und vermöge Assoziativität alle Dimensionen D0 , D1 , D2 und D3 erreichen kann. Das bedeutet, dass es einen letzten Zusammenhang vermöge Σ gibt. Dabei muss Σ nicht eindeutig bestimmt sein, es ist möglich, dass es (mindestens) eine nicht-isomorphe SPRACHE Σ∗ gibt, welche sich mit Σ in einem mutuellen Ausdrucksverhältnis befindet und dasselbe zu leisten imstande ist (es folgt also nicht ein »absolutes System« in Gestalt eines einzigen Σ):

Die Kohärenzthese besagt also, dass die Wirklichkeit vollständig zusammenhängend ist als uneingeschränktes universe of discourse. Es gibt grundsätzlich keine isolierten Dimensionen und Entitäten im universe of discourse, alles hängt mit allem zusammen. Nimmt man nun statt des vereinfachten Modells eine (möglicherweise überabzählbar-)unendliche Pluralität von Dimensionen und Entitäten, dann folgt daraus, dass nicht für jede SPRRACHE gilt, dass es mindestens einen Bereich gibt, den sie nicht ausdrücken kann, dass eine umfassende Ausdrucksinstanz Σ0 keine endliche SPRACHE mehr ist: (2) ¬∀S∃D(¬ausdr(S, D)) ⇒ Es gibt eine unendliche ausdrückende Instanz Σ0 SPRACHE auf der einen und Welt auf der anderen Seite gehören immer schon, ganz unabhängig vom Menschen, einer gemeinsamen Gesamtdimension an. Syntaktisch-semiotisch mag SPRACHE menschlich kontingent sein, aber syntaktisch-semantisch-ontologisch ist eine maximale, unendliche SPRACHE Σ0 nicht mehr auf den Menschen reduzierbar. Damit ist der semantische Antirealismus ausgeschlossen. Diese SPRACHE ist grundsätzlich nicht begrenzt auf den Bereich des Denkens, d.h. die Welt liegt nicht ausserhalb ihrer (J. McDowell nennt dies »the unboundedness of the conceptual«) – und umgekehrt liegt die SPRACHE nicht ausserhalb der Welt (»the unboundedness of being«) (cf. Puntel 2006, 495).

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»Morphismus statt Relation«

»Although reality is independent of our thinking, it is not to be pictured as outside an outer boundary that encloses the conceptual sphere. [...] We find ourselves always already engaging with the world in conceptual activity within such a dynamic system [i.e. the system of concepts, R.S.]. Any understanding of this condition that it makes sense to hope for must be from within the system. It cannot be a matter of picturing the system’s adjustments to the world from sideways on: that is, with the system circumscribed within a boundary, and the world outside it« (McDowell 1994, 24–34; zit. nach Puntel 2006, 492).

Zwischen der Welt und ihrer theoretischen Darstellung herrscht also ein immanenter Zusammenhang. Die Welt ist nicht sprachunabhängig, sprachlich ist sie ready-made. Die SPRACHE, von welcher die Welt nicht unabhängig sein kann, ist dabei genauer zu bestimmen als semiotisch-semantisches System mit überabzählbar-unendlich vielen Ausdrücken, d.h. es kann insbesondere nicht mehr Entitäten und Sachverhalte in der Welt geben als ausdrückende Instanzen: »Wenn Sprache als ein semiotisches System mit überabzählbar unendlich vielen Ausdrücken aufgefasst wird, ist sie grundsätzlich nichts anderes als die ›Kehrseite‹ oder ›Inverse‹ der universalen Ausdrückbarkeit der Welt« (Puntel 2006, 518). Die einzelnen partikularen und endlichen SPRACHEN, auch die menschlichen SPRACHEN, bewegen sich dabei immer schon innerhalb dieser umfassenden überabzählbar-unendlichen SPRACHE, an welcher sie partizipieren. Es kann also insbesondere keine monadische Fensterlosigkeit der menschlichen Sprachen geben, sie sind als der unendlichen SPRACHE immanente SPRACHEN fähig zu einer »Transzendenz (des Innen) von innen heraus«, d.h. zu einer Selbsttranszendenz in der (Auto-)Immanenz der unendlichen SPRACHE (Puntel 1990, 282–287; cf. Puntel 2006, 505 ff., Puntel 2010, 269). Damit ist ein atomistischer Pluralismus von SPRACHEN ausgeschlossen (wie er etwa, wenn man statt von SPRACHEN von »Sinnfeldern« spricht, im Neuen Realismus vertreten wird). SPRACHE als metaphysische Theorie (d.h. eine Theorie, welche die allgemeinsten Strukturen des universe of discourse artikuliert), die einen vollständigen Theoriebildungsprozess durchlaufen hat (d.h. die einen gewissen Grad an Vollexpliziertheit hat) partizipiert in diesem Sinne ebenfalls an Σ0 in dem Sinne, dass sie den universe of discourse nicht mehr ›von außen‹ in dem Sinne artikuliert, dass der universe of discourse und die Theorie zwei isolierte, selbstständige Entitäten wären, zwischen denen eine Relation als Drittes besteht, etwa eine Korrespondenzrelation (cf. Schneider 2020, 151–152). Eine metaphysische Theorie, die am Ende des Theoriebildungsprozesses das universe of discourse, wie es ihr anfänglich als Datum

Die struktural-systematische Philosophie

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und Aufgabe gegeben war, adäquat und in ihren allgemeinsten Strukturen hinreichend saturiert artikuliert (eben in seiner ›Allgemeinstheit‹, nicht bis in die letzte überabzählbar-unendliche Feinstrukturiertheit), ist eine »Theorie ›von innen‹« (Schneider 2020, 158 f.): »Es ist die Uneingeschränktheit ihres – nun artikulierten – universe of discourse und die Uneingeschränktheit ihres Anspruchs – ihre Saturiertheit –, welche bedingt, dass sie kein ›Außen‹ hat, welches ihr in gewisser Hinsicht ›gegeben‹ oder als ›Korrelat‹ zur Seite steht. Sie hat das uneingeschränkte universe of discourse als ein außer- oder vortheoretisches ›Außen‹, als Datum, im Laufe des Theoriebildungsprozesses ›verbraucht‹. [...] Die metaphysische Theorie ist das unter dem Gesichtspunkt der Allgemeinstheit vollexplizierte uneingeschränkte universe of discourse und dessen (allgemeinste) Strukturen sind die Artikulierungsdifferenzierungen der metaphysischen Theorie« (Schneider 2020, 159 f. und 162). Dies bedeutet aber nicht, dass eine metaphysische Theorie eine statische, für immer abgeschlossene absolute Theorie wäre (cf. Schneider 2020, 160 f.); es ist ein holistischer Pluralismus von SPRACHEN/metaphysischen Theorien möglich. Darauf wird unten einzugehen sein. 9.2.3 Zwei Seiten derselben Medaille: Semantik und Ontologie In der SSP gilt: Wenn wir voll theoretisieren, dann tun wir dies nicht in einer abgeschlossenen mentalen Sphäre, sondern mit zunehmender Kohärenz, Intelligibilität und Vollständigkeit stabilisieren sich die Strukturen der Theorien hin zur vollständigen, absolut-maximalen Struktur des Universums selbst. Synkatisch-semantisch vollständig determinierte theoretische Strukturen sind identisch mit den Strukturen der Welt: »ens et structura convertuntur« (Puntel 2006, 349). Was bedeutet das genau? Oben war die Rede von der ›Ausdrückbarkeit des Seins von innen‹ und von metaphysischen Theorien ›von innen‹. Damit war zum einen impliziert, dass bei den Momenten des Ausdrückens, »ausdrücken – ausgedrückt – ausdrückbar« keine Kluft (gap) zwischen dem Moment des Ausdrückens auf der Seite der Theorie und dem des Ausdrückbaren auf Seiten des universe of discourse besteht, die durch ein Drittes zu überbrücken wäre (Schneider 2020, 173). Zudem sind die Momente des Ausdrückens und des Ausgedrückt-werdens nicht vollständig disjunkt, ausdrückende Theorien können selbst wieder ausgedrückt sein durch andere ausdrückende Momente (etwa Theorien durch Metatheorien), und es ergibt sich eine Kette von Momenten des Ausdrückens, an deren ›unterem Ende‹ keine »rohen Daten« in splendid isolation stehen, die nicht theoriefähig (d.h. in irgendeiner Weise propositional strukturiert) wären – dies

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»Morphismus statt Relation«

wäre mit Whitehead gesprochen, eine fallacy of misplaced concreteness, oder (mit W. Sellars) ein myth of the given (Schneider 2020, 175 f., 181). Viel eher handelt es sich bei solchen untersten, rohen Daten um einen Grenzbegriff wie die materia prima in der aristotelischen (linearen, irreflexiven und asymmetrischen) Akt-Potenz- bzw. Form-Materie-Ordnung. Ausdrückende Instanz und ausdrückbare Instanz sind nicht zwei in vorgängiger Selbstgenügsamkeit gegebene Relata, die in einer äußerlichen Relation des Ausdrückens verknüpft werden – es handelt sich bei der »Relation« des Ausdrückens insbesondere nicht um eine mengentheoretisch artikulierbare Relation, die gemäß der Wiener-Kuratowski-Definition für geordnete Paare ((x, y) = {{x}, {x, y}}) auf eine Teilmenge/-klasse eines kartesischen Produkts einer Menge/Klasse reduzierbar wäre (was in formaler Hinsicht durch das Verhältnis von logischer Sprache zu mengentheoretischen Modellen und den beide verbindenden Interpretationsfunktionen und Belegungen zum Ausdruck kommt) (cf. Schneider 2020, 177 f.). Die Kluft zwischen ausdrückender und ausgedrückter Instanz ist ›immer schon‹ überwunden, die »›Relata‹ sind aus der ›Relation‹ zu verstehen und zu explizieren. [...] ›Ausdrückende Instanz‹ und ›ausdrückbare Instanz‹ sind dann als zwei Momente eines Ausdrucks – von ihm verschieden, aber nicht erschöpfend –, zu sehen« (Schneider 2020, 179). Hier wird ein Modell der mathematischen Kategorientheorie nötig (cf. ebd.), das Morphismen statt mengentheoretischer Relationen verwendet, worauf ich in Kap. 9.6 eingehen werde. Wie ist ›Ausdrückbarkeit von innen‹ nun semantisch genauer zu explizieren? Ein Aussagesatz kann hinsichtlich seiner syntaktischen Strukturiertheit (syntaktisch-grammatikalische und syntaktisch-logische Struktur) oder hinsichtlich seiner semantischen Strukturiertheit betrachtet werden: hier sind der semantisch-informationale bzw. semantisch-funktionale Wert (Proposition, Intension und Kontextbeziehung als funktional-linguistischer Wert) und der semantisch-dimensionale Wert (Extension) zu unterscheiden (Puntel 1990, 174–179). Wenn die Momente eines Ausdrucks – d.h. die syntaktische Struktur und Extension eines Satzes als ausdrückender Instanz und die von ihm ausgedrückte Instanz – unabhängig vom Ausdruck keine Bedeutung haben, dann stellt sich die Frage nach dem semantisch-funktionalen Wert bzw. der Intension eines Ausdrucks. Von vornherein sind hier rein extensionale Modelle nicht weiterführend (man denke an das Problem der intensionalen Kontexte und der Extensionsgleichheit von Sätzen, die trotz gleicher Extension auf verschiedene Wahrheitswerte führen). Doch auch die Auffassung von Intensionen (Propositionen, Bedeutungen, Ausdrucksinhalte) als eigenständiger Kategorie abstrakter En-

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titäten (platonistischer Realismus), die mehr sind als die Extension des Ausdrucks, oder der Versuch einer Reduktion von Intensionen auf Funktionen von Indexmengen W möglicher Welten in eine Menge von Extensionen E, f : W → E, führen in aussichtslose Probleme (cf. Schneider 2020, 228–233). Ein Weg der Klärung, was im Theorierahmen der SSP der semantische Status von Ausdrücken ist, ist nur über die Frage zu klären, was es bedeutet, dass sich ein Ausdruck in ›wahrer Weise‹ auf die ›ontologische Dimension‹ bezieht (dass er sie ›in wahrer Weise ausdrückt‹)und wie dabei diese ontologische Dimension zu verstehen ist (cf. Schneider 2020, 324 f.) – und wie ›falsche Ausdrücke‹ zu charakterisieren sind, wenn die ausgedrückte Instanz doch ein inneres Moment eines Ausdrucks ist. Die Wahrheitstheorie der SSP ist weder eine Kohärenz- noch eine Korrespondenztheorie der Wahrheit (cf. Puntel 1990, 174–219; Puntel 2006, 207–297). Kohärenztheorien drohen, in einen semantischen Idealismus zu kippen, da in ihnen ›truthbearer‹ und ›truthmaker‹ der gleichen Art und rein auf der sprachlich-mentalen Ebene stehen (Schneider 2020, 236), während Korrespondenztheorien Isomorphismen zwischen zwei kategorial verschiedenen, nichtidentischen Relata aufspannen (zwischen Satz und ontologischem Sachverhalt), die dann als ›Wahrheit‹ definiert werden. Die Relata sind dabei selbstgenügsam und unabhängig von jedweder Wahrheitsbzw. Ausdrucksrelation und werden erst nachträglich und äußerlich durch ein Drittes verbunden, das aus einem ›metaphysischen Off‹ eingeflogen wird (Schneider 2020, 238 f.). Die Grundidee der Wahrheitstheorie der SSP ist die Idee der Wahrheit als Vollbestimmung: Wahrheit ergibt sich nicht als Relation zwischen selbstgenügsam vorliegenden, bereits vollbestimmten Relata, sondern steht am Ende eines Volldeterminierungsprozesses: »Am relativen Ende dieses Prozesses [...] steht die metaphysische Theorie, welche ihr uneingeschränktes universe of discourse integriert [...] hat. [...] Es gibt am relativen Ende eines Theoriebildungsprozesses nichts mehr, was der Theorie äußerlich ist und somit als ihr korrespondierend – sie ›wahrmachend‹ – angesehen werden könnte. Der Theorie sind die ›Sachen‹, die sich, in gewisser Weise autonom, ›so und so verhalten‹ können, abhanden gekommen« (Schneider 2020, 240). Die Grundintuition der Korrespondenztheorie wird beibehalten: »It takes two to make a truth« (Schneider 2020, 241), jedoch steht am letzten Ende des Vollbestimmungsprozesses eine in sich differenzierte Identität: Da es aufgrund der Kohärenzthese keine isolierten Subdimensionen der Wirklichkeit geben kann, kann es insbesondere keine von SPRACHEN unerreichbare bare substrata geben. Da aber bare substrata notwendige Vor-

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»Morphismus statt Relation«

aussetzung der kompositionalen Semantik sind, muss diese per modus tollens ebenfalls aufgegeben werden. In der SSP wird dagegen eine (starke) Version des semantischen Kontextprinzips entwickelt. Dabei werden PrimSätze (oder auch Primärsätze) eingeführt, die weder singuläre Terme noch Prädikate beinhalten – und die jeweils mit konkreten oder abstrakten Entitäten korrespondieren würden. Ein Primsatz ist ein Satz, der nicht mehr in Subjekt-Prädikat-Struktur vorliegt, sondern von der Gestalt »Es verhält sich so dass φ« ist, bzw. formal (T)φ, wobei (T) der oben eingeführte Theoretizitätsoperator und φ einen Sachverhalt wie »(es) grünt« ausdrückt (und daher nicht ein Prädikat). Das Expressum eines Primsatzes ist eine PrimProposition. Primsatz und Primproposition bilden eine Einheit, und ihre Eigenständigkeit kann nur als eine Abstraktion von ihrer Einheit verstanden werden. In der Terminologie des Ausdrückens kann gesagt werden, dass ihre Einheit der Ausdruck ist, während der Primsatz das ausdrückende Moment und die Primproposition das ausgedrückte Moment des Ausdrucks ist (Schneider 2020, 241 f.). Wahre Primsätze sind nun sprachlich und semantisch volldeterminierte Sätze, deren Primpropopsition mit einer ontologischen Prim-Struktur identisch ist (für eine ausführliche Darstellung der formalisierten Wahrheitstheorie vermöge einer Komposition von Abbildungen cf. Schneider 2020, 242–245). Primstrukturen sind definiert als Mengen von Primtatsachen, die von einer Familie von (ontologischen) Strukturen verknüpft werden (dies können Relationen, Zustände, Prozesse, usw. sein). Auch eine einfache Primtatsache ist ein solches Strukturnetz (cf. Puntel 271–351; Schneider 2016, 385). Sprachliche Strukturen ist dann also nicht nur semiotisch ein Teil der Wirklichkeit als solcher, sondern aufgrund der Kohärenzthese auch semantisch: Volldeterminierte sprachliche Strukturen sind Tatsachen ›in der Welt‹. Umgekehrt kann die materielle Welt sozusagen als semiotisches Zeichensystem verstanden werden, das seine jeweilige Konfiguration aus Primstrukturen ausdrückt (und auch robuste physikalische Tatsachen wie ein Stein oder das Wetter auf der Zugspitze zu einem bestimmten Zeitpunkt, die man nicht als ausdrückend verstehen will, sondern nur als ausgedrückt, können als »fact-anzeigende Selbstausdrücke« charakterisiert werden, die nur ausgedrückte, aber nicht ausdrückende Momente sind, cf. Schneider 2020, 246). 393 Primpropositionen, die mit Primtatsachen identisch sind, dürfen

393

Für mathematische Strukturen cf. Schneider 2002, 101: »[...] mathematical structures or entities are not only real in some ›platonic sense‹, but [. . . ] they make up the ›world‹ [. . . ] This attitude towards mathematical entities or structures leads generally

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also nicht entweder als etwas ›rein epistemisch-mentales‹ oder etwas ›rein ontologisches‹ aufgefasst werden – sie haben einen Status sui generis (cf. Puntel 2006, 314 f.). Jeder wahre (Prim)Satz ist eine Selbstartikulation des Seins (in einem bestimmten Grad an Feinkörnigkeit, cf. Schneider 2016, ebd.). Die Wahrheitstheorie der SSP ist also weder eine Kohärenz- noch eine Korrespondenztheorie der Wahrheit, vereint aber die zentralen features von beiden – und zudem gilt das Prinzip der Bivalenz, womit sie als eine realistische Wahrheitstheorie ausgewiesen ist. Zur Theorie falscher Aussagen: Wenn Wahrheit die Identität von vollbestimmter Primproposition und Primtatsache bedeutet, wie sind dann falsche Aussagen möglich? Puntel (2006, 317–320) untersucht dazu folgende drei Möglichkeiten, wobei die dritte seine Position wiedergibt: 1. Jede falsche Proposition ist vollbestimmt. Eine falsche Proposition ist eine abstrakte Proposition, die mit keiner Tatsache in der Welt identisch ist. Ihr Status ist die Nicht-identität mit einer Tatsache in der aktualen Welt. Was aber ist sie dann? Eine »reine Vorstellung«? Dies ist eine philosophisch unbefriedigende Antwort.

to holistic approaches to ontological architectures.« M. Schottenloher konstatiert, dass theoretische Physiker u.a. vertreten, dass »Teilchen, Raum, Zeit, Wechselwirkungen,... letztlich alles nur Manifestationen von [mathematischen] Symmetrien sind. Ein Teilchen ist in dieser Vorstellung eine Darstellung einer geeigneten Symmetriegruppe, physikalische Gesetze sind Wirkungen der verschiedenen Symmetriegruppen, Bewegungen werden durch zugehörige Orbits beschrieben« (Schottenloher 1995, 18) Klassischerweise geht die epistemologische Frage lediglich in die eine Richtung, wie es dazu kommt, dass die Strukturen der Mathematik in der Physik so gut auf die Empirie passen, bzw. warum die Materie mathematisch-sprachlichen Strukturen gehorcht, wo doch mathematische Strukturen völlig losgelöst von der materiell-empirischen Welt entwickelt werden und ihr gegenüber eine Selbstgenügsamkeit besitzen. Jedoch gibt es auch die umgekehrte Richtung, es gibt Probleme in der reinen abstrakten Mathematik, für welche Lösungen anhand der Übernahme empirisch-physikalischer Ergebnisse und Methoden gefunden wurden. So hat man z.B. in der höheren Algebra einige Theoreme über algebraische Invarianten, die sich zunächst nicht formallogischmathematisch direkt beweisen ließen, dadurch klären können, indem die Invarianten als Quantenzahlen interpretiert und nur diejenigen Quantenzahlen benutzt wurden, von denen die Physik empirisch überzeugt ist, dass sie eine Entsprechung in der extramentalen, materiellen Wirklichkeit haben. D.h. die Übernahme eines empirischen physikalischen Ergebnisses in die reine Mathematik verhalf initial zur Lösung des Problems (cf. ebd., 9 f.) Dies spricht deutlich für den immanenten Zusammenhang von SPRACHE und Welt.

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»Morphismus statt Relation«

2. Falsche Propositionen sind nur eingeschränkt vollbestimmt. Sie sind vollbestimmt in negativer Hinsicht, dass sie nicht-identisch mit einer Tatsache der Welt sind, aber unterbestimmt in positiver Hinsicht, dass darüber nichts bestimmtes gesagt wird. Dagegen ist einzuwenden: Unterbestimmte Entitäten lassen sich nicht erklären. Wie kann eine in sich selbst unterbestimmte Entität in negativer Hinsicht vollbestimmt sein? Kann etwas Unbestimmtes etwas völlig ausschließen? 3. Falsche Propositionen sind uneingeschränkt vollbestimmt, was im im Gegensatz zum ersten Fall vollständig erklärt wird: Sie sind vollbestimmt und nicht-identisch mit einer Tatsache in der aktualen Welt, jedoch identisch mit einer Tatsache in einer möglichen Welt. Die Falschheit hat also einen negativen Aspekt: Die Disjunktheit von aktualer und möglichen Welten, und einen positiven Aspekt: Die Identität mit einer Entität in einer möglichen Welt. Das Problem, das hierbei auftritt, ist das von notwendig falschen Propositionen. Für sie gibt per definitionem keine mögliche Welt, in der sie mit einer Entität identisch wären. Aber zum vollbestimmten Status einer Proposition gehört dieIdentitätsfunktion. Notwendig falsche Propositionen sind jedoch vollbestimmt, da sie kontradiktorische Propositionen sind. Sie behaupten aber die Nicht-Realisierbarkeit der Verbindung zweier Sachverhalte in irgendeiner Welt. Aber eine solche nicht-realisierbare Verbindung hat definitionsgemäß keinen vollbestimmten Status. Notwendigerweise falsche Propositionen sind Scheinpropositionen. Wahre Propositionen müssen also mit Welt-Indizes versehen werden.

9.3

Maximale Totalität und holistischer Pluralismus der Theorierahmen 9.3.1 Extensionale Totalität I: Die Klassentheorien von Kelley-Morse und Neumann-Gödel-Bernays Wie sieht es neben der ›intensionalen Seite‹ mit der Frage nach der Extension aus – also der Frage nach einem angemessenen Modell? Gegen die Idee eines uneingeschränkten universe of discourse, eines unendlichen Seins oder einer allumfassenden Dimension wurden unter extensional-mengentheoretischer Hinsicht die schwerwiegenden Einwände der Cantorschen und der Russelschen Antinomie (Russel-Zermelosches Paradoxon) erhoben, die schon in Kap. 2 genannt wurden (insbes. Grim 1991; Badiou 2006, und neuerdings Kreis 2015). Da die Russelsche Antinomie eine Reduzierung der Cantorschen Antinomie auf einen Spezialfall darstellt (Deiser 2004, 184), beschränke ich mich im Folgenden auf die Cantorsche Antinomie.

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263

Die Einwände, die mithilfe der Cantorschen Antinomie zeigen wollen, dass es eine Gesamtheit aller Tatsachen nicht geben kann, sollen abgewiesen werden, indem gezeigt wird, dass es Mengen- bzw. Klassentheorien gibt, in denen die Allklasse aller Entitäten existiert: Die Klassentheorien von KelleyMorse (MK) und von Von-Neumann-Bernays-Gödel (NBG) (cf. zum Folgenden Schneider 2019). Es sei dazu die naive Mengentheorie mit der uneingeschränkten Komprehension M = {x : E(x)} von Objekten x und beliebigen Eigenschaften E gegeben. Zunächst sei der Satz von Cantor über die Potenzmengenoperation (Cantorsches Theorem) bewiesen (Deiser 2004, 145 f., 183 f.): Satz 1 Seien M eine Menge und P(M) = {X : X ⊆ M} die Potenzmenge von M. Dann gilt: |M| < |P(M)|. Beweis: Sei f : M −→ P(M) eine Abbildung mit f(m) = {m}, m ∈ M. Dann gilt |M| ≦ |P(M)|. Es werde nun angenommen, dass |M| = |P(M)|. Dann gibt es eine bijektive Abbildung g : M −→ P(M) und eine Menge D = {x ∈ M : x ∈/ g(x)} (die sog. Cantorklasse) mit D ∈ P(M). Wenn |M| = |P(M)|, dann ist D ∈ Bild(g). D ∈ Bild(g) bedeutet, dass es ein y ∈ M gibt, mit g(y) = D. Es gilt: y ∈/ D ⇐⇒ y ∈/ g(y) ⇐⇒ y ∈ {x ∈ M : x ∈/ g(x)} ⇐⇒ y ∈ D. Also gilt |M| = ∕ |P(M)|. Damit ist die Behauptung gezeigt. Die Cantorsche Antinomie: Sei V = {x : x = x} die Menge aller Objekte. Offenbar gilt P(V) ⊆ V, denn aus x ∈ P(V) folgt x = x. Sei f : P(V) −→ V eine Abbildung mit f(x) = x für x ∈ P(V). Dann ist f injektiv: f(x1 ) = f(x2 ) =⇒ x1 = x2 . Also ist |P(V)| ≦ |V|. Nach dem Satz von Cantor gilt aber |V| < |P(V)|. Es folgt |V| < |P(V)| ≦ |V|. Die Annahme, dass es die Allmenge aller Objekte gibt, hat mit dem Satz von Cantor in einen direkten Widerspruch geführt. Da der Satz von Cantor ein Theorem der Mengenlehre ist, muss die Annahme falsch sein: Es kann keine Allmenge aller Objekte geben. Dieses Ergebnis hat Grim 1991 zum Anlass genommen, die Rede über Totalitäten als inkonsistent und daher unmöglich zu verwerfen. Dies hat er insbesondere anhand des Begriffs der göttlichen Allwissenheit als Menge aller Wahrheiten getan. Das Argument lautet in nuce (cf. die Darstellung in Puntel 2006, 566 f.): Sei T := {t1 , t2 , t3 , ...} die Menge aller Wahrheiten. Man betrachte Teilmengen von T, d.h. Elemente von P(T) = {∅, {t1 }, {t2 }, {t3 }, ..., {t1 , t2 }, {t1 , t3 }, ...} und legt fest, dass jedem Element dieser Potenzmenge eine eigene Wahrheit entspricht, z.B. ob t1 zu einem Element der Potenzmenge gehört oder nicht:

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»Morphismus statt Relation«

t1 ∈/ ∅ t 1 ∈ {t 1 } t1 ∈/ {t2 } .. . t 1 ∈ {t 1 , t 2 } t 1 ∈ {t 1 , t 3 } .. . Es folgt, dass es mindestens ebensoviele Wahrheiten gibt wie Elemente von P(T). Aus dem Satz von Cantor folgt, dass P(T) mehr Wahrheiten enthält als T, dass also T nicht die Menge aller Wahrheiten ist und es keine Menge aller Wahrheiten geben kann (dies hat Auswirkungen auf den religionsphilosophischen Begriff der Allwissenheit). Nun seien die Klassentheorien MK und NBG in ihren Grundzügen und ihr wichtigstes Ergebnis für die hier verhandelte Frage dargestellt (cf. zum Folgenden Kelley 1955, 250–281, insbes. 256 f.; Morse 1965; Pareigis 1969, 178–183; Deiser 2004, 474–477 und insbesondere Schneider): In NGB und MK gilt ein schwach restringiertes Komprehensionsprinzip, es wird eine wesentliche Zweisortigkeit bzw. ein Unterschied zwischen Mengen und echten Klassen angenommen (echte Klassen sind also gleichberechtigte Gegenstände in NGB / MK): Definition 2 x ist eine Menge genau dann, wenn es ein y gibt, so dass x ∈ y. Das bedeutet: Jede Menge ist eine Klasse, und jede Klasse, die Element einer anderen Klasse ist, ist eine Menge. Echte Klassen sind nicht mehr Elemente größerer Klassen. Wenn ein x aufgrund einer bestimmten Eigenschaft F Element einer echten Klasse ist, dann ist x eine Menge. Darüber hinaus gilt: Es gibt in NGB / MK keine Urelemente, als Elemente von Klassen bzw. Mengen können nur wieder Mengen auftreten. Im folgenden seien einige Aussagen aus NGB / MK angeführt: Satz 2 Es existiert genau eine Klasse ∅ = {x : x ∕= x} (die leere Menge) und genau eine Klasse U = {x : x = x} (die Allklasse / universelle Klasse). Für alle x gilt, dass sie nicht in ∅ enthalten sind, und für alle x gilt, dass sie in U enthalten sind. Beweis. Wenn X eine beliebige Klasse ist (die nach Voraussetzung existiert), so existieren das Komplement X und der Durchschnitt aus X und X. Für alle x gilt, dass sie nicht in diesem Durchschnitt enthalten sind, da es

Maximale Totalität und holistischer Pluralismus

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falsch ist, dass x ∈ X und zugleich x ∈/ X gilt. Dieser Durchschnitt ist die leere Menge ∅. Sie ist eindeutig bestimmt (eine zweite leere Menge ∅∗ wäre aufgrund Extensionsgleichheit identisch mit ∅). Das Komplement der leeren Menge ist die Allklasse U, für die gilt, dass alle x in ihr enthalten sind. Da ∅ eindeutig bestimmt ist, ist U ebenso eindeutig bestimmt. Satz 3 Es ist x ∈ U genau dann, wenn x eine Menge ist. (Ohne Beweis.) Die Allklasse U enthält also das gesamte Mengenuniversum. Insbesondere ist zu beachten, dass in NGB / MK nicht gilt, dass U ∈ U, denn es gilt x ∈/ U für jede echte Klasse x. Würde aus U = U vermöge unrestringierter Komprehension folgen dass U ∈ U, so ergäbe sich U ∈ U ⇐⇒ U ∈/ U. In KM dient der sich aus R = {x : x ∈/ x} ergebende Widerspruch zum Beweis, dass R eine echte Klasse ist. Es gilt darüber hinaus, dass R = U. Zudem ist die Bedingung x = x in NBG / MK nicht einfachhin eine extensionale Bedingung, d.h. es handelt sich um eine nicht-extensionale Eigenschaft in dem Sinne, dass gelten kann: F(a) und a ∈/ {x : F(x)} (dies gilt für alle echten Klassen) (cf. Kelley 1995, 257; Schneider 2006, 205–208; Morse 1965, 57 (Theorem 2.49)). Im Folgenden zeigt sich, dass die Allklasse zudem auch alle echten Klassen qua Inklusion enthält. Hierzu sei das zentrale Teilmengenaxiom angeführt: Axiom 1 Wenn x eine Menge ist, dann gibt es eine Menge y, so dass für alle z gilt: Wenn z ⊂ x, dann z ∈ y. Daraus folgt direkt: Theorem 1 Wenn x eine Menge ist und z ⊂ x, dann ist z eine Menge. Es lässt sich überdies zeigen (der Beweis sei hier ausgespart), dass jedes x eine Teilklasse der Allklasse ist: Satz 4 Für alle x gilt: ∅ ⊂ x und x ⊂ U. S Der letzte Satz bedeutet insbesondere, dass U = {z : ∃y(z ∈ y ∧ y ∈ U)} ⊂ U. Es gilt sogar weiter: Wenn x ∈ U, dann ist x eine Menge und nach Axiom 1 gibt es ein y, so dass gilt: WennSz ⊂ x, dann ist z ∈ y. Insbesondere ist S x ∈ ySund da y ∈ U, ist auch x ∈T U. Es gilt also auch U ⊂ U und damit U = U. Umgekehrt gilt ∅ = U = {z : ∀y(y ∈ U ⇒ z ∈ y)}. U enthält also alle Elemente aller Klassen – auch aller echten Klassen. Das zentrale Theorem bezüglich der Allklasse (Theorem über die Potenzklasse), auf das es mir ankommt, lautet nun:

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»Morphismus statt Relation«

Theorem 2 Es gilt U = P(U). Beweis: Jedes x ∈ P(U) ist eine Menge und daher auch Element von U. Es gilt also P(U) ⊂ U. Umgekehrt gilt für jedes x ∈ U aufgrund des letzten Satzes auch x ⊂ U, und damit x ∈ P(U). Also ist auch U ⊂ P(U), womit die Behauptung gezeigt ist. Es gibt also eine bijektive (ein-eindeutige) Abbildung von U nach P(U). Jede weitere Potenzklassenbildung bleibt in NBG / MK mit der Potenzklasse von U und damit mit der Allklasse U selbst identisch: P(P(U)) = P(U) = U. Zudem ist die Potenzklasse jeder echten Klasse identisch mit der Allklasse. Die Allklasse U besitzt also eine Fixpunkt-Eigenschaft und genügt damit dem intuitiven Verständnis einer absolut-maximalen extensionalen Totalität: Es gibt keine größere Totalität mehr als U, und jede weitere Totalität ist U eingegliedert (cf. Schneider 2020, 274). Ein Cantorianisches Argument wie bei P. Grim oder G. Kreis lässt sich hier nicht mehr bilden. Die absolut-maximale Totalität U ist jedoch keine Menge mehr, sondern eine echte Klasse, die in NBG / MK aber keinen minderwertigen Status gegenüber den Mengen hat. Eine Aussage wie das obige Theorem für die Allklasse gilt für Mengen natürlich nicht mehr, und bezüglich Mengen lässt sich auch in NBG / MK mithilfe des Cantorschen Arguments zeigen, dass es keine bijektive Abbildung von einer Menge in ihre Potenzmenge gibt (cf. Schneider 2006, 201; Kelley 1955, 257 und 276; Morse 1965, insbes. 53 (Theorem 2.37.17). Kreis 2015 befasst sich nicht mit NBG / MK, lehnt aber mathematische Antworten wie die Von Neumannsche Klassentheorie ab, da man auch in diesen Theorien über den Gegenstandsbereich aller Klassen reden müsse und dies zu einer endlosen Hierarchie von Hyperklassen führe und damit eine Problemverschiebung stattfinde (cf. zum Folgenden Schneider 2019 und auch Schneider 2020, 262–271): »Bereits die Aussage, daß keine Klasse selbst Element einer größeren Klasse sein kann, ist zweifellos eine Allaussage über Klassen, und diese Aussage ist unter den Voraussetzungen der Klassentheorie nicht konsistent artikulierbar. Suchte man angesichts dieser Lage Hilfe bei noch weiteren übergeordneten Klassen – sogenannten Hyperklassen, die sich zu Klassen verhalten wie Klassen selbst zu Mengen – und darüber hinaus bei einer ganzen Hierarchie von Klassen: das Problem entstünde doch auf jeder höheren Stufe immer wieder von neuem« (Kreis 2015, 392).

Diese Behauptung scheint mir nicht zuzutreffen. Denn betrachtet man die Allaussage »Für alle x gilt: Wenn x eine echte Klasse ist, dann gibt es kein

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y, in dem x als Element enthalten wäre«, so ist nicht klar, auf welcher Ebene sie aufgestellt wird: (1) Auf der Ebene der Mengentheorie als einem uninterpretierten syntaktischem Sequenzenkalkül oder (2) auf der Ebene der Interpretation? Auf der Ebene der uninterpretierten logischen Syntax gibt es nichts, was diese Annahme erzwingen würde. Hier würde eine substitutionelle Auffassung der Quantifikation genügen. NBG arbeitet jedoch ohnehin mit zweisortigen Variablen: Mengenvariablen und Klassenvariablen. Bei der Komprehension quantifiziert NBG ausschließlich über Mengenvariablen (MK verwendet dabei eine informelle, freie Notation). – Auf der Ebene der Interpretation ist ein schlechter infiniter Progress von Hyperklassen ebenso ein non sequitur, da die Träger von Σ-Strukturen zunächst grundsätzlich immer Mengen sind. Bei einer Menge als Träger würde sich mit einer referentiellen Auffassung der Quantifikation ein analoges Problem wie das Löwenheim-Skolem-Paradoxon ergeben: Der Träger wäre stets zu klein – Aussagen über echte Klassen wären gültig in einer Interpretation mit grundsätzlich zu kleinem Träger. Wenn man jedoch aus metalogischen Gründen Mengen und Klassen übersteigen will, kann man problemlos zum Grothendieck-Universum (oder zum Conglomerate aller Klassen und Mengen, The One Universe, cf. Herrlich/Strecker 2007, 11 f., 328–330) gelangen, welche den obigen Fixpunkt- bzw. Abschluss-Eigenschaften einer absolutmaximalen Totalität genügen (cf. Mac Lane/Moerdijk 1992, 12 und 560 und https://de.wikipedia.org/wiki/Grothendieck-Universum): 394 Definition 3 Eine Menge U heißt Grothendieck-Universum, falls gilt: x ∈ U =⇒ x j U (Wenn x Element von U ist, dann sind alle Elemente von x auch Elemente von U, d.h. es gilt Transitivität). x ∈ U =⇒ P(x) ∈ U (Wenn x Element von U ist, dann ist auch die Potenzmenge von x Element von U). x ∈ U =⇒ {x} ∈ U.

394

Es gibt für die Mathematik relevante axiomatische Mengenlehren, die eine stufenweise Hyperklassenbildung oberhalb des Mengenuniversums V annehmen. Jedoch ist auch hier V bezüglich der Inklusion das größte Universum und darüber hinaus gilt, dass die Stufenbildung von Hyperklassen »nicht uferlos fortschreitet, sondern [...] möglichst früh gestoppt wird [...]«, es bleibt im Abzählbaren: Dieter Klaua, »Eine axiomatische Mengenlehre mit größtem Universum und Hyperklassen«, in: Mh. Math. (92) 1981, 180, 186. Cf. Martin Kühnrich, »Superclasses In A Finite Extension of Zermelo Set Theory«, in: Zeitschr. f. math. Logik und Grundlagen d. Math. (24) 1978, 539–552.

268

»Morphismus statt Relation«

Für alle Familien {xi }i∈I mit einer Indexmenge I ∈ U und xi ∈ U für alle S i ∈ I gilt: {xi : i ∈ I} ∈ U. Da jedoch das Komprehensionsaxiom in NBG nicht über Klassen quantifiziert, gilt grundsätzlich: Der Übergang zu Hyperklassen ist logisch nicht zwingend – man kann über alle Klassen reden, ohne sich auf die Existenz immer noch größerer Strukturen, mithin auf Hyperklassen zu verpflichten. Doch selbst dann gilt: »Das mathematische Reden im Rahmen von Hierarchien von Super- / Hyperklassen, unbeschadet, dass sie keine obere Grenze zeitigen, ist nicht nur sinnvolles Reden, sondern sehr exaktes Reden. Die Induktionsprinzipien, die den Übergang von einer ›Hierarchiestufe zur nächsten‹ regeln, sind transparent; innerhalb solcher Theorien können interessante Theoreme und MetaTheoreme bewiesen werden. [...] Wenn Hyper-/Superklassentheorien Sinnhaftigkeit nicht abgesprochen werden kann, sollten dann nicht fragwürdige Zähmungsversuche aufgegeben werden und diese mathematischen Theorien vielmehr als ein in vitro Paradigma für ein metaphysisch-theoretisches Reden über Struktur-Sein angesehen werden?« (Schneider 2020, 270 f.)

Allerdings wurde hier nur die Möglichkeit einer extensionalen absolutmaximalen Totalität aufgezeigt. Man könnte dies philosophisch mit der Gesamtheit aller Seienden oder der Extension des esse commune assoziieren. Das Struktur-Sein der SSP hingegen ist keine extensionale Totalität mehr (verstanden als eine Vielheit, der Elemente eingegliedert sind). Jeder extensionalen Totalität (als einer solchen Vielheit) ist etwas äußerlich: »Eingegliedertes [ist] von Eingliederndem verschieden« (Schneider 2020, 274). Struktur-Sein ist keine Totalität »dessen, was ihr eingegliedert ist – Theorien, Ausdruckssysteme, Ausdrücke, Fakten, ›Subjekte‹« (ebd.). 9.3.2 Extensionale Totalität II: Die Typentheorien von Russell und Quine Ein weiteres Problem des metaphysischen immanenten Realismus war die Frage nach dem Verhältnis von maximaler Totalität und Pluralität von Sprachen bzw. Theorierahmen. Hierzu sei die Intuition eines holistischen Pluralismus anhand der Diskussion über das Cantorsche Problem mithilfe der Typentheorie entwickelt, die im nächsten Abschnitt dann im Rahmen der SSP ausgefaltet wird (cf. zum Folgenden Schneider 2018). Das Problem der Cantorschen Antinomie führte Bertrand Russell zur Entwicklung seiner Typentheorie (das System TK): Die Cantorsche und andere Antinomien ergeben sich nach Russell daraus, dass illegitime Allheiten oder Totalitäten, bzw. illegitimerweise ein uneingeschränktes »universe of discourse« angenommen werden. Stattdessen müssen Russell zufolge verschie-

Maximale Totalität und holistischer Pluralismus

269

dene gegeneinander abgegrenzte Bereiche oder Typen eingeführt werden, innerhalb derer jeder Satz (bzw. genauer jede »propositional function«) entweder wahr oder falsch und außerhalb derer er/sie sinnlos ist. 395 »Typen« sind dabei als »ranges of significance« (Carls 1974, 285). (intern logisch homogene Anwendungs- und Bedeutungsbereiche) zu verstehen, welche das universe of discourse disjunkt aufspalten (Carls 1974, 284 f.). Jedes Prädikat verweist auf einen eng mit ihm verbundenen beschränkten Bereich von Subjektvariablen und umgekehrt beeinflusst jeder Bereich von Subjektvariablen (jeder Typ) das entsprechende Prädikat (Carls 1974, 280 f.). Die naive Vorstellung von der Prädikation, dass ein semantisch unabhängiges Subjekt in einem Urteil mit einem semantisch unabhängigen Prädikat äußerlich verbunden wird, muss also aufgegeben werden. Prädikate werden damit mehrdeutig und erhalten je nach Anwendungsbereich eine andere Bedeutung (Carls 1974, 366 f.). Diese Mehrdeutigkeit ist jedoch nicht beliebig oder zufällig, sondern folgt einer internen Systematik der Typenbereiche, die man mit der aristotelischen analogia proportionalitatis interna (inneren Proportionalitätsanalogie) vergleichen kann (es gibt in allen Typen eine Ähnlichkeit der Proportion zwischen Subjektbereich und Prädikaten). Es herrscht hierbei eine Art Einheit und Verschiedenheit zwischen den Typenbereichen (Carls 1974, 355–365). Dies gilt auch für logische Gesetze wie das Tertium non datur – sie erhalten je nach Typenbereich eine eigene Bedeutung (Carls 1974, 331 ff., 364 f.). Zudem ergibt sich in Russells Typensystem TK eine systematische Mehrdeutigkeit (Systematic Amiguity) aller fundamentalen logischen Ausdrücke und Junktoren, etwa der Quantorenausdrücke »alles«, »jeder«, der Identität und der Negation, der Elementrelation, der Klassenund Zahlenausdrücke usw. So ist jeder Allsatz als solcher bedeutungslos und lediglich eine Abbreviatur für ein Bündel von Allsätzen, die auf ihre jeweiligen Typen beschränkt sind. Ebenso gibt es für jeden Typ eine eigene Null- und Allklasse (es gibt sozusagen in TK viele, ja sogar unendlich viele Allklassen – dies könnte man in Verbindung bringen mit der aristotelischen These, dass »Eines« und »Seiendes« keine Gattungen sind, cf. Carls 1974, 395

Cf. Russell, Bertrand (1910), »La théorie des types logiques«, in: Revue de Métaphysique et de Morale 18, 263–301; cf. Ramsey, Frank P. (1931), The Foundations of Mathematics and Other Logical Essays, Hrsg. v. Braithwaite, R. B., London, 20–74; cf. Carls 1974, 250 f. Auf Russells Nichtklassentheorie und seine Theorie der verzweigten Typen (eine Typentheorie mit Reduzibilitätsaxiom, Unendlichkeitsaxiom und Auswahlaxiom) kann hier nicht eingegangen werden. Die Bemerkungen dienen nur einer globalen Skizzierung. Cf. Carls 1974, 255 f.

270

»Morphismus statt Relation«

380). Darüber hinaus, und dies ist vielleicht das Bemerkenswerteste, gibt es in TK keinen einheitlichen Existenzbegriff – der Existenzbegriff (oder klassisch: der conceptus entis 396) ist höchstens systematisch mehrdeutig entsprechend einer Analogie der inneren Proportionalität der Typenbereiche (cf. Carls 1974, 367–380). Wenn man davon ausgeht, dass alles, was existiert, mit sich selbst identisch ist, so ergibt sich mit einem Existenzprädikat »E!« die Interdefinition: E!(x) ↔ x =n x, wobei »n« den jeweiligen Typ anzeigt. Pro Typ lässt sich also eine Allklasse wie folgt bilden: λx(E!(x)) = λx(x =n x) = Vn+1 . Diese Aussage ist hierbei wieder nur als ein »Bündel von Allklassen« zu verstehen: λx(x =0 , λx(x =1 x), λx(x =2 x), ... (cf. Carls 1974, 379). Mit Russells einfacher Typentheorie ergaben sich jedoch schwerwiegende Folgeprobleme, die zu einer Weiterentwicklung der Typentheorie führten (auf eine solche Weiterentwicklung, Quines Typensystem TQ K, werde ich unten eingehen): (1) Die Aufgabe allumfassender Begriffe führt zu einer vollständigen Aufgabe einer allumfassenden Anwendbarkeit logischer Konstanten und Axiome. Die formale Logik würde also zerfallen in viele äquivoke Subdimensionen, was dem Anspruch formallogischer Allaussagen widerspricht (Carls 1974, 242). (2) In Russells System TK ist es unmöglich, über alle Typen selbst zu sprechen, da jede Aussage an einen bestimmten Bereich gebunden und außerhalb dessen sie sinnlos ist. Wenn man also das System TK annimmt, kann man nicht mehr über das System TK sprechen, da jede Aussage über Typen und erst recht über alle Typen (etwa: ›x gehört zum Typ 0‹, ›Alle Typen sind disjunkt‹, oder: ›Das universe of discourse zerfällt in Typenbereiche‹) in TK sinnlose Aussagen sind (Carls 1974, 384–386). Dies ist meines Erachtens das Grundproblem eines jeden atomistischen Pluralismus, d.h. der These, dass es das Allumfassende nicht gibt und wir lediglich eine atomistische Pluralität von Bereichen (welcher Art auch immer) annehmen können. Wenn man als solche Bereiche nicht Russellsche Typen, sondern Denkformen oder Theorierahmen (conceptual schemes als Gesamtheit logisch-semantisch-ontologischer Voraussetzungen und Rahmenbedingungen) oder gar die Sinnfelder des »Neuen Realismus« nimmt, 397 396

397

Man beachte hierbei, dass »conceptus entis« nicht Seinsbegriff bedeutet (dies wäre »conceptus toû esse«), sondern »Begriff des Seienden«. Es geht hier um Existenz, welche auf den Bereich der Seienden beschränkt ist, und nicht um das Sein selbst, cf. Puntel 2010, 197. Der »Neue Realismus« nimmt zwar die Möglichkeit einer Überlappung von Sinnfeldern an, lehnt aber, wie in Kap. 2 gesehen, eine allumfassende Dimension bzw. ein allumfassendes Sinnfeld strikt ab.

Maximale Totalität und holistischer Pluralismus

271

wird dieses Problem noch plastischer: Zerfallen die Zugänge zur Wirklichkeit oder unsere Denkformen in eine atomistische, unzusammenhängende Vielheit, oder gibt es doch eine Einheit in dieser Vielheit? Ein absolutes Zerfallen würde in ähnliche Probleme geraten wie Russells Typentheorie, die nicht mehr über sich selbst sprechen kann: Eine absolute Pluralität von Denkformen würde jede Möglichkeit zunichte machen, diese Pluralität von Denkformen überhaupt zu artikulieren. Dem atomistischen Pluralismus wird in der SSP als Alternative ein holistischer Pluralismus gegenübergestellt – der sowohl einem atomistischen Pluralismus als auch einem holistischen Monismus entgegengesetzt ist. Das Problem des atomistischen Pluralismus in Russells Typentheorie TK wurde von Quine durch die Ausarbeitung eines alternativen, einsortigen Typenkalküls (TQ K) beantwortet. 398 Quine löst die Aporien, die sich in TK ergaben, durch die Wiedereinführung eines uneingeschränkten universe of discourse und die Einführung von Typenprädikaten Tn : »Tn x« = »x gehört zum Typ n«. Während in TK etwa die Aussage »x gehört nicht zum Typ 0« nicht formulierbar ist, lautet sie in TQ K einfach »T0 x«. Und statt einer restringierten Allquantifikation wie ∀xn (Φ(xn ))

(31)

kann in TQ K eine unrestringierte Allquantifikation vorgenommen werden, die durch Verwendung der Typenprädikate vor den oben genannten Antinomien geschützt wird: ∀x(Tn x → Φ(x))

(32)

(entsprechend wird statt ∃xn (Φ(xn )) die Formel ∃x(Tn x → Φ(x)) verwendet) (cf. Carls 1974, 301). Der Existenzbegriff »E!« erhält in TQ K vermöge des entsprechend formulierten Komprehensionsprinzips die Besonderheit, dass er neben dem Typenprädikat keine weitere univoke Bedeutung hinzufügt. Damit ist die Klasse aller Seienden kein univoker Begriff neben den Typenbereichen (cf. Quine 1963, 271–278; cf. Carls 1974, 399–401). Es lässt sich weiter zeigen, dass der Begriff des Seienden bzw. der Existenzbegriff gemäß einer analogia attributionis interna explizierbar ist, da er in TQ K weder im Russellschen Sinn vieldeutig ist, noch eine rein univoke Bedeutung besitzt, sondern eine fundamentale Beziehung der Typenbereiche untereinander deutlich macht, welche verschieden ist von der Gleichheit

398

Insbesondere in Quine 1963und Quine 1956, 27 –273.

272

»Morphismus statt Relation«

rein typeninterner Proportionen (analogia proportionalitatis interna) (cf. Carls 1974, 393 f., 401). 399 Damit vereint TQ K zwei fundamentale Intuitionen: (1) Es gibt einen uneingeschränkten universe of discourse und (2) dies impliziert jedoch keine Univokation hinsichtlich des Allumfassenden, sondern die Dimension der Theoretizität – und ontologisch gewendet die Dimension der Welt – bleibt aufgefächert in eine irreduzible Pluralität von Dimensionen und Bereichen. Hier wäre nun eine grundlegende Intuition für die Vereinigung zweier maßgeblicher Säulen einer religionsphilosophischen Analogielehre bereitgestellt: Zum einen, dass der Aufstieg der via eminentiae wesentlich mit schlechthin entschränkten Begriffen zu tun hat und diese nicht illegitim sind, und zum anderen, dass die Annahme der Legitimität schlechthin entschränkter Begriffe notwendig zu einer Pluralität von Typen / Bereichen / Dimensionen führt. Wir hätten dann einen Zugang zum Allumfassenden, der sich in einer holistischen Pluralität von Zugangsweisen oder -dimensionen vollziehen muss. Was mit einem holistischen Pluralismus philosophisch konkret gemeint sein könnte, sei im Folgenden anhand des moderaten Theorierahmenrelativismus (bzw. moderaten Wahrheitsrelativismus) der SSP erläutert. 9.3.3

Holistischer Pluralismus: Theorierahmen und moderater Wahrheitsrelativismus Es stellt sich nun die Frage der Erreichbarkeit der allumfassenden Dimension für endliche Subjekte. Hier muss wiederum die obige Kohärenzthese betrachtet werden. Sie hat Konsequenzen für Theorien über die Wirklichkeit und ihre Subdimensionen: Es kann aufgrund des wesentlichen Zusammenhangs aller Entitäten und Dimensionen miteinander keine isolierten Teilbereiche von Theorien geben, die abgeschlossen sind und voraussetzungslos

399

Ein in der analytischen Philosophie gut ausgearbeiteter und hoch differenzierter Ansatz einer Verknüpfung von Analogielehre und semantischem Kontextprinzip ist die Theorie von J. Ross dar: Ross, James (1981), Portraying analogy. Ross spricht jedoch statt von semantischem Kontextprinzip von einem »inertia principle« (ebd., 37) und einer »semantic contagion« (ebd., 47), d.h. einer Bedeutungs-Kontaminierung, die vom semantischen Umfeld eines Terms (»Predicate scemes«, Satzumfeld und weitere linguistische Umfelder, ebd. 54–85) auf ihn übertragen wird. Terme sind durch ihr semantisches Umfeld »semantisch dominiert« und hierin lassen sich nach Ross die verschiedenen Arten von Metaphern und Analogiestrukturen detailliert explizieren. Auch die Analogie im Kontext religiöser Sprache wird von Ross eingehend untersucht (ebd., 158–178).

Maximale Totalität und holistischer Pluralismus

273

für sich behandelt werden könnten. Jede theoretische Aussage ist also nur innerhalb eines ganzen Theorierahmens sinnvoll, wobei der Theorierahmen die Gesamtheit der vorausgesetzten Sprache mit ihrer Syntax und Semantik, ihrer Logik und Begrifflichkeit ist (ein Theorierahmen ist der zentrale Aspekt dessen, was oben mit SPRACHE bezeichnet wurde, und im Folgenden möchte ich daher nur noch von Theorierahmen und nicht mehr von SPRACHEN sprechen) (cf. Schneider 2007; Schneider 2020, 182 f.; hierzu und zum Folgenden cf. Schneider 2018). Für den gesamtsystematischen Theorierahmen der SSP ist es eine fundamentale These, dass es eine irreduzible Pluralität von Theorierahmen gibt, ganz entsprechend der Intuitionen des vorangehenden Paragraphen. Es ist also nicht nur der atomistisch-pluralistische immanente Realismus, sondern auch ein holistisch-monistischer immanenter Realismus abzulehnen (cf. Puntel 1990, 278). Aus dieser Irreduzibilitätsthese folgt zusammen mit der Kohärenzthese ein moderater Theorierahmenrelativismus bzw. ein moderater Wahrheitsrelativismus der Theorierahmen (cf. zum Folgenden Puntel 2006, 324–326): Zwar ist jede Relativierung theoretischer Aussagen auf das partikulare Subjekt SP des Erkennens (die antirealistische These) ausgeschlossen, doch damit ist noch kein unkritischer Dogmatismus hervorgezaubert, der sagen würde, dass wir die Wirklichkeit in einer einzigen SPRACHE bzw. in einem einzigen Theorierahmen absolut erkennen. Vielmehr ist die Wahrheit jeder theoretischen Aussage intrinsisch relativ zu ihrem Theorierahmen, in dem sie artikuliert wird, und es gibt prinzipiell unendlich viele Theorierahmen. Dennoch ist Wahrheit damit nicht wesentlich relativ, ein absoluter Wahrheitsrelativismus wäre aporetisch wie der atomistische Pluralismus. Der gemäßigte Relativismus leugnet eine absolute Wahrheit, die unabhängig von irgendwelchen Theorierahmen wäre, aber er leugnet nicht, dass es Wahrheit geben kann, die in allen Theorierahmen gilt. Die so verstandene(n) absolute(n) Wahrheit(en) ist (sind) relativ zu allen Theorierahmen. So ist beispielsweise das Nichtwiderspruchprinzip, wie es von Aristoteles formuliert wurde und wie es in der gegenwärtigen formalen Logik formalisiert wird, hochgradig theorierahmenabhängig (allein schon syntaktischsemiotisch, aber auch hinsichtlich der logischen Kalküle, in denen es als Axiom oder Theorem artikuliert wird), ohne dass damit jeweils etwas völlig Verschiedenes gemeint ist. So verstandene absolute Wahrheit wird in einem Theorierahmen dadurch artikuliert, dass sich ein Theorierahmen als eine/r unter vielen versteht – denn dann ist er immer schon über sich hinaus und versteht sich als eingebettet in einen holistischen Meta-Theorierahmen. Denn was oben bereits für SPRACHEN gesagt wurde, gilt a fortiori für Theo-

274

»Morphismus statt Relation«

rierahmen: Jeder Theorierahmen kann als semiotisches System prinzipiell in größere semiotische Systeme eingegliedert werden, und selbst mit einer gewissen Maximalität ausgezeichnete Systeme können ihrerseits als relativ-maximale in weitere maximale Systeme eingebettet sein, daher auch Theorierahmen, welche eine überabzählbar-unendliche Sprache Σ0 enthalten (cf. die Diskussion Hugly/Sayward 1983; cf. Puntel 2006, 506 ff.). Diese können sich als ein Σ0 neben anderen Σ∗0 verstehen, zu denen ein nichtisomorphes mutuelles Ausdrucksverhältnis besteht (s.o.). Der holistische Meta-Theorierahmen, innerhalb dessen sich alle Theorierahmen bewegen, ist dann als der nicht mehr mit einem partikularen Index versehene absolut-maximale Theorierahmen (cf. Puntel 1990, 291). Der absolut-maximale holistische Meta-Theorierahmen kann nicht mehr konkret-partikular artikuliert werden. Er wird intuitiv-prospektiv-holistisch erfasst und artikuliert, ist als solcher aber nicht univok explizierbar – er stellt eine regulative Idee dar, allerdings nicht in einem kantisch-transzendentalidealistischen Sinn (cf. Puntel 2006, 323–328), sondern wie der oben erwähnte ›Horizont‹ in Heideggers Fundamentalontologie. Eine unmittelbare wissenschaftstheoretische Konsequenz hieraus ist: Theorien / Denkformen, die gewissen minimalen Intelligibilitäts- und Kohärenzstandards genügen, sind also nie einfach falsch, da die Wahrheiten, die sie artikulieren, relativ zu ihrem Rahmen sind. D.h. wenn ein Theorierahmen sinnvoll und wohlgeformt ist, dann ist dieser Theorierahmen nie absolut falsch, denn Falschheit und Wahrheit gibt es nur innerhalb von Theorierahmen. Im Theorierahmen der Substanzontologie beispielsweise ist die Theorie der Primpropositionen falsch-relativ-zum-Theorierahmender-Substanzontologie. Und umgekehrt ist im Theorierahmen der SSP die kompositionale, ›substanzontologische‹ Semantik falsch-relativ-zum-Theorierahmen-der-SSP. Daher ist der Theorierahmen der Substanzontologie auch nicht ›absolut falsch‹, sondern aus der Perspektive eines adäquateren Theorierahmens (etwa der SSP) nicht annehmbar. Das, was ein adäquaterer Theorierahmen von der Substanzontologie an Richtigem übernehmen kann, wird in ihm ›aufgehoben‹ (im Sinn von negare-conservare-elevare). Ein solcher Theorierahmen wäre ein ›wahrerer‹ Theorierahmen als die Substanzontologie (Wahrheit-gemäß-einem-höheren-Grad). Der ›Grad‹ der Wahrheit bemisst sich dabei an den Meta-Kriterien von Kohärenz, Intelligibilität und Ausdrückbarkeit, die zugleich die immanenten Merkmale des Seins als solchen sind. In dieser relativistischen Pluralität von Theorierahmen ist damit eine umfassende logisch-kohärenziale Vergleichbarkeit, mutuelle Einschließung und (hinsichtlich ihrer Sachadäquatheit) Sequenzierung von Theorierah-

Maximale Totalität und holistischer Pluralismus

275

men eingebettet, ohne dass je ein absolutes System erreicht werden könnte. Diese Vergleichbarkeit kann im Sinne einer Russellschen ›systematischen Mehrdeutigkeit‹ (Systematic Amiguity), oder aber einer analogia attributionis interna und analogia proportionalitatis externa expliziert werden (cf. Schneider 2017). Hinsichtlich der Moralphilosophie besagt der moderate Wahrheitsrelativismus bzw. Theorierahmenpluralismus schließlich: Für ethische Sätze (deontische Sätze oder Sätze über basal-ontologische Werte gemäß dem Metakriterium des ›bonum‹) gilt: Es kann ›absolute ethische Wahrheiten‹ geben, die absolute Wahrheiten im oben genannten Sinne sind, dass sie sich durch alle Theorierahmen intuitiv-prospektiv ›durchhalten‹. Konkret würde dies bedeuten, dass bestimmte ethische Grundaussagen oder -thesen sowohl retrospektiv als auch prospektiv als holistisch interpretiert und ausgewiesen werden: Retrospektiv müsste gezeigt werden, dass in der ganzen Geschichte der Menschheit bis zum jetzigen Zeitpunkt eine Tendenz erkennbar gewesen ist, die zur Formulierung der genannten ethischen Grundaussagen, etwa der Kantischen Formel des kategorischen Imperativs geführt hat (d.h. die historische Genese darf nie außer Acht gelassen werden). Prospektiv wäre zu zeigen, dass diese Tendenz und damit diese These sich weiterhin durchalten und vertiefen wird, innsbesondere weil z.B. die Evolution gezeigt hat, dass der Mensch fortwährend und progressiv seiner selbst und seines Selbstwerts bewusst wird und werden wird. Dann wäre es möglich und gerechtfertigt, von einer absoluten ethischen Wahrheit zu sprechen, die als ›retro/progressiv-absolute ethische Wahrheit‹ zu qualifizieren wäre. Solche Wahrheiten müssten jeweils Teil von wohlgeformten Theorierahmen gewesen sein (und künftig sein), weswegen historische Aussagen wie die zur Rechtfertigung der Sklaverei bei Aristoteles von vornherein nicht in Frage kommen, da sie nie Teil eines wohlgeformten Theorierahmens waren (so stehen die Thesen des Aristoteles zur Sklaverei in eklatanter Inkohärenz zu anderen Grundaussagen seiner Philosophie, etwa zu zentralen anthropologischen Aussagen) und die als solche nicht einmal theoriefähig sind. 400

400

Diesen Ansatz verdanke ich einem Austausch mit L.B. Puntel.

276

»Morphismus statt Relation«

9.4

Absolut-maximale Meta-Dimension und das Sein selbst (αὐτoϵῖναι) 9.4.1 Das Sein als solches und das Sein im Ganzen Die universale, ursprüngliche und umfassende Seinsdimension ist nach Puntel intern differenziert in das Sein als solches und das Sein im Ganzen. Das Sein als solches ist die Seinsdimension in ihren »allgemeinsten oder fundamentalsten immanenten Merkmale[n]« (der oben beschriebenen universalen Intelligibilität, Kohärenz und Ausdrückbarkeit), und zwar unabhängig von den Seienden betrachtet, das Sein im Ganzen ist die Seinsdimension, insofern sie auch alle Seienden umfasst (Puntel 2006, 583; cf. Schneider 2020, 308): »›Sein im Ganzen‹ ist, negativ gesehen, nicht als Verhältnis von Allgemeinem und Partikulärem, von Menge und Elementen, von Summe und Teilen oder ähnlichem zu konzipieren; vielmehr ist der Bezug vom Sein im Ganzen zu den Seienden absolut sui generis. Der entscheidende Punkt ist der Umstand, dass ›Seiendes‹ eine bestimmte Gestalt all dessen und nur all dessen ist, was ›Sein‹ heißt« (Puntel 2006, 561; cf. Schneider 2020, 309).

Das Sein im Ganzen ist also das Sein »›in Verbindung‹ oder ›in Einheit‹ mit allen Seienden« (Puntel 2010, 224; cf. Schneider 2020, 310). Nach obigen Ausführungen mit ›Seinsdimension‹ also nicht das Sein der herkömmlichen objektivistichen Metaphysik gemeint (weswegen an dieser Stelle der Vorwurf nicht greift, dass es sich bei dem hier vorgelegten metaphysischen immanenten Realismus einfach um Neuscholastik handle). Sondern das Sein, wie es hier verstanden wird, ist die vollständige, Objektivität und Subjektivität umfassende Struktur schlechthin. Es umfasst als Sein im Ganzen nicht nur alles, was in einem objektiven Sinn als ›seiend‹ bezeichnet werden kann (dazu zählen auch möglich-seiende Entitäten und mögliche Welten), sondern auch die gesamte Dimension der Theoretizität und Subjektivität. Eine »Explikation des Seins im Ganzen« ist damit »eine Explikation des Verhältnisses von Sein zu den eingegliederten Seienden« (Schneider 2020, 310). Dies ist im Grunde schon die Frage nach der panentheistischen Fundamentalstruktur. Hier müssen aber zunächst die Unterscheidungen zwischen extensionaler und intensionaler Totalität in Erinnerung gerufen werden, wie sie bereits in Kap. 2 angeführt wurden (cf. zum Folgenden Schneider 2018). Für das ›Sein der Seienden‹ (ihr ›Seiend-sein‹) wurde der Terminus ›Seiendheit‹ eingeführt (›Entitativität‹, im Englischen ›beingness‹, im Französischen ›étantité‹). Diese Seiendheit war einerseits eine extensionale Totalität, die alle Seienden ›enthält‹ und den Charakter oben beschriebener

Absolut-maximale Meta-Dimension

277

Allklasse hat, und andererseits eine intensionale Totalität, die als eine Art ›quidditas‹ aller Seienden aufgefasst werden kann. Erst wenn man nach dieser ›quidditas‹ fragt, gelangt man zum Terminus des Seins selbst (autoeinai): Die Seiendheit ist nicht identisch mit dem Sein selbst, aber sie partizipiert an letzterem. Zwischen beiden besteht die ontologische Differenz. Man muss jedoch von einer zweistufigen ontologischen Differenz und zweistufigen Partizipation sprechen: Die endlichen Seienden partizipieren in erster Stufe an der Seiendheit, welche selbst wiederum in zweiter Stufe am Sein selbst partizipiert. Das Sein selbst ist nun keine extensionale und intensionale Totalität mehr und hat keinerlei Klassencharakter (nach Schneider 2020, 274–276, ist ›Struktur-Sein‹ keine extensionalen Totalität, und als solches »extensional offen« 401). Das Sein selbst ist ein absolutes singulare tantum. In Kap. 2 habe ich es das HOLON genannt. 402. Das Sein selbst wird unten als die absolut-notwendige Seinsdimension auftreten, die aber die Dimension der kontingenten Seienden (bzw. die Dimension der Seiendheit) umfasst, bzw. in sich ›enthält‹ (in einem partizipativen, nicht klassenlogischen Sinn). 9.4.2 Die Zweidimensionalität der Seinsdimension / des HOLON Wenn von panentheistischer Fundamentalstruktur und der Frage des Verhältnisses von Sein zu den Seienden die Rede ist, muss beachtet werden: Die unendliche Seinsdimension ist in der SSP noch nicht gleichbedeutend mit

401

402

Christina Schneider (2020, ebd.), definiert Totalitäten als Vielheiten, d.h. grundsätzlich als extensional, mit dem mengen- bzw. klassentheoretischen Subordinationsverhältnis von ›Element‹ und ›Menge/Klasse‹. In diesem Sinne sind Struktur-sein und (von mir intensional genannte) Seiendheit keine Totalitäten. Die extensionale Offenheit von Struktur-Sein charakterisiert Christina Schneider wie folgt: »Ist StrukturSein damit der extensionale Aspekt abzusprechen? Wenn unter ›Extensionalität‹ ein Subordinationsverhältnis verstanden wird, welches dem von ›Klasse und Element‹ entspricht, dann schon. Wird unter »Extensionalität« nur der Aspekt eines Subordinationsverhältnisses, welches es auch sei, verstanden, welcher die Subordinierten als voneinander unterschieden betrachtet, dann kann Struktur-Sein in diesem weiteren Sinn Extensionalität nicht abgesprochen werden. Da Struktur-Sein keine Totalität ist, ist sie von den ihm Eingegliederten nicht bestimmt. Struktur-Sein ist, so die hier gewählte Bezeichnungsweise, extensional offen. Der Bezeichnungsteil ›offen‹ verweist darauf, dass Struktur-Sein durch die ihm Eingegliederten nicht bestimmt ist. Er verweist aber auch auf das ›kein Außen haben‹ von Struktur-Sein und zum Anderen darauf, dass es keine Grenze hat und auch keine für die ihr Eingegliederten darstellt – ›There are no upper bounds‹« (ebd., 276 f.). Ich verdanke diese Unterscheidungen einem Austausch mit L.B. Puntel. Der Ausdruck HOLON kommt bei Puntel jedoch nicht vor, ist meines Erachtens aber adäquat.

278

»Morphismus statt Relation«

»Gott« und darf ohne weitere Klärungen auch nicht einfachhin mit diesem Ausdruck bezeichnet werden. Um berechtigt zu sein, im struktural-systematischen Theorierahmen von »Gott« zu sprechen, müssen noch weitere Schritte getan werden. Der erste, der eigentlich noch in die struktural-systematische Philosophie, aber auch bereits zu dem gehört, was klassisch die theologia naturalis hieß, ist die Thematisierung der Modalitäten, welche in Gestalt der intensionalen Modallogik zum zentralen Gegenstand analytischer Philosophie gehören. Hier ist die Frage zu klären, ob die allkontingentistische These zutrifft, die besagt, dass der modale Status der absolut-maximalen Seinsdimension reine Kontingenz ist. In folgender Weise wird dafür argumentiert, dass die allkontingentistische These, d.i. die These, dass alles kontingent ist, falsch und die Seinsdimension modal zweidimensional ist (cf. Puntel 2006, 588–599; hier nach Schneider 2020): 1. »Wenn absolut alles und damit die Seinsdimension selbst kontingent wäre, dann müsste man die Möglichkeit des absoluten Nichts annehmen. 2. Nun aber ist das absolute Nichts nicht möglich. 3. Also ist nicht alles, d.h. nicht die ganze Seinsdimension kontingent« (Schneider 2020, 310). Nach Puntel (2006, 593) ist der Begriff des absoluten Nichts ein selbstwidersprüchlicher Begriff, da das absolute Nichts die »totale Negation« des Seins, »das totale Nicht-Sein« wäre, und man über so etwas nicht sprechen, mithin ihm keine Prädikate wie die Absolutheit beilegen kann: »Man kann nur in einer paradoxen Weise ›über‹ den ›Begriff‹ des absoluten Nichts sprechen – um gerade seine Absurdität zu artikulieren«; ebenso ist die Annahme der Möglichkeit des absoluten Nichts ein »radikal selbstwidersprüchlicher Begriff, denn ›Möglichkeit‹ ist immer ›Möglichkeit-zu-sein‹«, doch die Annahme »eines (auch nur möglichen) ›Übergangs‹ von der nichtdenkbaren ›Dimension‹ des absoluten Nichts in die Dimension des Seins ist ein schlechterdings unsinniger, unmöglicher Pseudo-Gedanke: Aus dem absoluten Nichts ›wird‹ nichts« (Puntel, ebd.). Es folgt, dass es Notwendiges gibt, und zwar die Seinsdimension selbst. Da es als Faktum zudem kontingente Seiende gibt, muss die Seinsdimension als zweidimensional aufgefasst werden: die kontingente Seinsdimension der Seienden und die absolut-notwendige Seinsdimension (cf. Puntel 2006, 594; Schneider 2020, 311 f.). Im Folgenden sei ein Beweis für die Notwendigkeit der Seinsdimension von Christina Schneider wiedergegeben, der einen etwas anderen Weg einschlägt (cf. Schneider 2017, 233–237): Der Ausgangspunkt ist die Leibnizsche Auffassung: »Etwas ist notwendig, wenn seine Negation einen Wider-

Absolut-maximale Meta-Dimension

279

spruch impliziert. Etwas ist kontingent, wenn es selbst und seine Negation keinen Widerspruch impliziert« (ebd., 229). In einem aussagenlogischen System bedeutet ein Widerspruch für eine Aussagenkonstante p, dass innerhalb des Systems ¬p ∧ p ableitbar ist, was ein Widerspruch ist. Bei der Negation eines »Etwas« wird dies jedoch nicht als Aussagenkonstante oder -variable betrachtet, sondern als Begriff, der in ein inferenzielles System eingebunden ist. Die Negation eines Begriffs erzeugt dabei wieder einen Begriff, der im gleichen inferenziellen System einen logischen Widerspruch erzeugt – damit ist seine Unmöglichkeit und die Notwendigkeit seiner Negation aufgewiesen (ebd. 229 f.). Es wird gemäß dieser leibnizschen Intuition folgendes logisches System (SL) verwendet (zum Folgenden: Schneider 2017, 234 f.): 1. Vorausgesetzt sei eine normale Aussagenlogik AL mit kleinen lateinischen Buchstaben p, q,... interpretiert als ausdrückende oder ausgedrückte Instanzen, mit ∧, ∨, →, ↔, ¬, = wie in der normalen Aussagenlogik mit Identität (AL =), und der Geltung des tertium non datur und mit dem modus ponens als Inferenzregel. Es wird keine Zweisortigkeit angenommen, jede ausdrückende Instanz ist auch ausgedrückte Instanz und umgekehrt. 2. Das System wird ergänzt durch die ausdrückende und ausgedrückte Konstante 〈SEIN〉. 3. Zudem wird ein zweistelliger Operator A ergänzt, der als »Ausdrücken« gelesen wird: pAq bedeutet »p drückt q aus«. 4. Das System wird schließlich durch einen einstelligen Operator ≁ ergänzt, wobei ≁ p zu lesen ist als »das Negative der ausdrückenden/ausgedrückten Instanz p«, wobei ≁ p selbst wieder eine ausdrückende/ausgedrückte Instanz ist. (SL) ist also (AL =) zusammen mit folgenden Regeln und Axiomen. Als wohlgeformte Formeln gelten in (SL):

1. p, q,..., ≁ p, ≁ q,... und alle in (AL =) wohlgeformten Formeln. 2. 〈SEIN〉 und ≁〈SEIN〉 sind wohlgeformte Formeln. 3. Sind x und y wohlgeformte Formeln, dann auch yAx. 4. nichts sonst. Interdefinierbarkeit, Axiome und Inferenzregeln seien wie in der normalen Aussagenlogik (AL =), und als zusätzliche spezielle Axiome gelten in (SL): 1. Für den zweistelligen Operator A: A∗ : pAq → qAq (d.h. wenn q ausgedrückt wird, dann ist q selbstausdrückend.

280

»Morphismus statt Relation«

2. Für den einstelligen Operator≁: (a) A− 1: p ∕=≁ p (b) A− 2: (pAp ∧ (≁ p)A(≁ p)) → ((≁ p)Ap ∧ pA(≁ p)), d.h. wenn p und ≁ p selbstausdrückend sind, dann drücken sie sich auch gegenseitig aus (jedoch nicht zwingend vollbestimmend). Diese Axiome gelten auch für 〈SEIN〉 und ≁〈SEIN〉. Für 〈SEIN〉 gelten zudem folgende spezielle Axiome: 1. AS 1: pAp → qA〈SEIN〉, d.h. wenn ein p selbstausdrückend ist, dann drückt es 〈SEIN〉 aus. 2. AS 2: (q ∕=≁ 〈SEIN〉) → (¬(≁ 〈SEIN〉)Aq), d.h. das absolute Nichts drückt allenfalls sich selbst aus. Mit dem folgenden Beweis (Schneider 2017, 236) im System (SL) wird gezeigt, dass gilt: ¬((≁ 〈SEIN〉)A(≁ 〈SEIN〉)), was besagt, dass die Annahme, dass das absolute Nichts ≁ 〈SEIN〉 selbstausdrückend sei, einen Widerspruch impliziert. (1) ≁ 〈SEIN〉A ≁ 〈SEIN〉 Annahme (2) pAp es gibt irgendetwas (3) pAp → pA〈SEIN〉 Axiom AS 1 (4) pA〈SEIN〉 aus (3), modus ponens (5) pA〈SEIN〉 → 〈SEIN〉A〈SEIN〉 A∗ (6) 〈SEIN〉A〈SEIN〉 aus (5), modus ponens (7) 〈SEIN〉A〈SEIN〉 ∧ (≁ 〈SEIN〉)A(≁ 〈SEIN〉) aus (1), (6) (8) (≁ 〈SEIN〉)A〈SEIN〉 ∧ 〈SEIN〉A(≁ 〈SEIN〉) (7), A− 2, modus ponens (9) (≁ 〈SEIN〉)A〈SEIN〉 (AL =) (10) 〈SEIN〉 = (≁ 〈SEIN〉) Umformung von A− 2

(10) ist der Widerspruch, der sich aus der Annahme herleiten lässt, dass ≁ 〈SEIN〉 selbstausdrückend sei. Da ≁ 〈SEIN〉 das Negative von 〈SEIN〉 ist, ist damit gezeigt, dass 〈SEIN〉 notwendig ist. In inferentieller Hinsicht ist dies auch ein Hinweis auf die Einzigkeit des Seins (Schneider 2017, 236). 403

403

Es ist hier darauf hinzuweisen, dass das System (SL) sparsam ist und manche Intuitionen über »Sein« nicht zu artikulieren vermag. So ist der Ausdruck »das Negative« unterbestimmt und die Rolle des »absoluten Nichts« muss im Modell noch differenzierter interpretiert werden. Axiom A− 1 fordert, dass p ∕=≁ p, und ohne dieses Axiom wäre das absolute Nichts selbstausdrückend und identisch mit Sein. Dann würde folgen, dass für 〈SEIN〉 auch Axiom AS 2 gilt und Sein nur sich selbst ausdrückt. Dies wider-

Absolut-maximale Meta-Dimension

281

Die Seinsdimension bzw. das Sein im Ganzen gliedert sich also in die absolut-notwendige Seinsdimension und die kontingente Seinsdimension (letztere kann mit der Dimension der Seiendheit der Seienden bzw. der extensionalen Totalität der Seienden identifiziert werden). Damit ist jedoch noch noch kein Gottesbeweis gegeben, d.h. von der absolut-notwendigen Seinsdimension kann noch nicht gesagt werden: Und dies nennen alle Gott. Hiermit ist zunächst nur die grundlegende Intelligibilität eines Gottesbegriffs gegeben (cf. Puntel 2006, 597; Schmidt 2008, 584). 9.4.3 Sein und Subjektivität Für die Gottesfrage ist insbesondere die Frage nach der Geistigkeit der absolut-maximalen Seinsdimension relevant. Es wurde gesagt, dass die universale Seinsdimension nicht nur die objektive Dimension, sondern auch die Dimension der Subjektivität umfasst. Es muss in der weiteren Explikation der Seinsdimension also das Verhältnis von (endlicher und unendlicher) Subjektivität bzw. Geistigkeit zum Sein gefragt werden. Dies führt dann in weiteren Schritten dazu, dass die absolute Dimension des Seins selbst ebenfalls als in einem analogen Sinne geistig bezeichnet werden muss (cf. zum Folgenden die entspr. Ausführungen in Puntel 2006, Kap. 2.3, Kap. 5.1.5–5.3 und Schneider 2018, 72–74): Dass wir etwas wissen, setzt Sprache voraus, denn Wissen ist uns nur in sprachlicher Form gegeben. Es ist eine Konsequenz aus dem linguistic turn, dass Subjekte von der Sprache her bestimmt werden müssen und nicht umgekehrt die Sprache von den Subjekten her. ›Sprache‹ ist, wie oben entfaltet wurde, nicht einfach ein Kommunikationssystem von Subjekten, sondern Sprache ist in einem universalen Sinn diejenige Instanz, welche die Ausdrückbarkeit (Intelligibilität) der Welt auch tatsächlich ausdrückt. Das Wesen der Welt ist ihre umfassende Ausdrückbarkeit und Denkbarkeit und ein umfassendes Subjekt stünde der Welt nicht gegenüber: Der universale, perfekte Denker und die Wirklichkeit fielen in eins. Die ganze Welt ist sprachlich-propositional strukturiert, ja, das Universum ist die per-

späche der Grundaussage der SSP, dass das Sein auch alles »andere« (die Seienden) ausdrückt. Zudem muss sichergestellt werden, dass es in (SL) keine Ausdrucksinstanz w0 gibt, für die gilt w0 Aw0 und w0 Aq → w0 = q. Denn dann würde mit Axiom AS 2 folgen, dass w0 = 〈SEIN〉, d.h. dass alles, was selbstausdrückend ist, mit 〈SEIN〉 identisch ist, was ebenfalls der Grundaussage der SSP widerspricht, dass das Sein allausdrückend ist. Auch eine Verstärkung von AS 2 durch pAp → pA〈SEIN〉 ∧ 〈SEIN〉Ap muss ausgeschlossen werden, denn daraus würde folgen, dass p = 〈SEIN〉, für alle p, d.h. es gäbe nur Sein (Schneider 2017, 237).

282

»Morphismus statt Relation«

fekte Proposition selbst – es ist eine Art ›Weltformel‹ oder ›Weltsatz‹, der absolut alle Strukturen des Seins ausdrückt: esse et structura convertuntur (Puntel 2006, 349). Man denke hier an das Wort des Parmenides: Dasselbe ist Denken und Sein (Fragm. B3). Das Materielle wäre hierbei auf der semiotischen Ebene der universalen Ausgedrücktheit anzusiedeln: Sprache ist wesentlich eine Einheitsdimension von Zeichenträger und propositionalsemantischer Struktur). Wie oben gezeigt wurde, verfügen wir als endlichpartikulare Subjekte über ein Intelligibilitätspotenzial, welches den jeweils vorausgesetzten Theorierahmen grundsätzlich überschreitet, wir befinden uns immer schon in einer absoluten Meta-Dimension (Puntel 2006, 326). Unser Geist ist intentional koextensiv mit der absolut-maximalen Totalität des primordialen Seins als solchen (Puntel 2006, 602), und je mehr sich unser Wissen einfindet in diese propositionale Strukturiertheit der Welt, je mehr wir – lose gesprochen – ›die Welt selbst in uns sprechen lassen‹, desto näher ist unser Geist bei der vollständigen Wirklichkeit. Im Grenzfall geht unsere partikuläre Subjektivität über in die universale Subjektivität, welche mit der objektiven Dimension der Welt koinzidiert (cf. Puntel 2006, 159 f.): [(S)ΦIW /E Tp → Tp] ↔ [(S)ΦU Tp → Tp] (lies: Es verhält sich aus der Perspektive eines Subjekts so, dass das/die vollständig-ideale Wissen/Erkenntnis, dass p wahr ist, äquivalent ist zum Wissen aus Perspektive des universalen Subjekts, dass p wahr ist.) Das ›universale Subjekt‹ ist das Sein selbst aus der Perspektive des Seins, d.h. die fundamentale Sprachlichkeit des Seins ist die immer schon geschehene Selbstartikulation des Seins. Das Sein selbst ist der absolute MetaTheorierahmen, der alle anderen Theorierahmen umfasst – er ist als explizitier Theorierahmen der ›Theorierahmen Gottes‹ (der ›Gottesstandpunkt‹), der mit der absolut-notwendigen Seinsdimension koinzidiert, welche sich selbst und alles andere ausdrückt. Der ›Gottesstandpunkt‹ ist also nichts der Wirklichkeit äußerliches, sondern er koinzidiert mit der vollexplizierten Seinsdimension. Die SSP ist damit ein voller ›Deus-mensura-Realismus‹. Für uns – d.h. für partikulare, evolutionär entstandene Subjekte – ist der ›Theorierahmen Gottes‹ jedoch nur intuitiv-prospektiv und analog erreichbar. Jeder partikulare Theorierahmen setzt zwar die universale Subjektivität voraus und wird von ihr impliziert und aus ihrer Perspektive aufgestellt (sonst würde er in anti-realistischer Weise etwas rein subjektiv-epistemisches bleiben 404), jedoch geschieht unser Zugang zur universalen Subjek404

Um einen Antirealismus zu vermeiden, müssen (wie oben gezeigt wurde) alle Theorierahmen im letzten harmonisierbar sein, was die Perspektive des universalen Sub-

Absolut-maximale Meta-Dimension

283

tivität aus einem jeweiligen partikularen Theorierahmen heraus und ist mit diesem liiert (cf. Puntel 2006, 154 f. Man könnte auch sagen, dass die partikulare Subjektivität an der universalen Subjektivität partizipiert). Wir können den absoluten Meta-Theorierahmen nie explizit machen – sobald wir dies mit unseren partikularen Mitteln tun, transformiert er sich selbst in einen partikularen Theorierahmen neben anderen und hört damit auf, »Theorierahmen Gottes« zu sein. Wir endlichen Theoretiker erreichen in univoker Weise stets nur submaximale Artikulationen des Seins im Ganzen, die maximale und volladäquate Artikulation ist nur dem Gottesstandpunkt möglich. Man kann also dem allumfassenden, absolut-maximalen Sein zumindest in einem analogen Sinn Subjektivität zusprechen, als ›universale Subjektivität‹ oder ›universale Geistigkeit‹. Inwiefern hier jedoch auch der Begriff der Personalität (wenn er denn einigermaßen geklärt ist) anwendbar ist, muss an dieser Stelle offen bleiben, denn mit diesen Fragen ist meines Erachtens bereits der Übergang in eine struktural-systematische Theologie markiert. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der immanente Realismus in Gestalt der struktural-systematischen Philosophie mit der Radikalisierung der transzendentalen Wende in der linguistischen Wende ernst macht und explizit die Dimension der Sprache thematisiert und zum zentralen Gegenstand der Untersuchung macht. Sowohl das Kernanliegen der objektivistischen Metaphysik als auch dasjenige des Antirealismus werden bewahrt unter Vermeidung ihrer jeweiligen Aporien: Es ist die von partikularen Subjekten unabhängige Wirklichkeit, welche unsere Aussagen entweder wahr oder falsch macht, aber es wird keine Wirklichkeit postuliert, die radikal von aller Sprachlichkeit und Geistigkeit getrennt bleibt. Die Grundforderungen von Intelligibilität und Kohärenz führen auf einen holistischen Pluralismus von Theorierahmen und Denkformen, der sowohl dem postmodernen Anliegen der Pluralität von Wirkichkeitszugängen (und in gewissem Sinne auch Wirklichkeiten) gerecht wird, als auch dem klassisch metaphysischen Gedanken von dem einen Sein, das letztlich ein sprachlich-geistiges Sein ist. Hiermit ist der Schritt zur Theologie nicht mehr weit (cf. Schmidt 2008, 582).

jekts voraussetzt. Damit ein Theorierahmen Element der objektiven Dimension ist, braucht es also das universale Subjekt (die Perspektive des idealen Denkers), d.h. er muss im Skopus des universalistischen Subjekt-Operators stehen.

284

»Morphismus statt Relation«

9.5 Struktural-systematische Theologie (SST) 9.5.1 Die panentheistische Fundamentalstruktur Ganz entscheidend für jedweden theologisch weiterführenden Ansatz ist zunächst die Klärung des Verhältnisses von absolut-notwendiger und kontingenter Seinsdimension bzw. der Partizipation der Seiendheit am Sein selbst. Es lässt sich vom bisherigen ausgehend zeigen, dass die vollexplizierte Dimension des absolut-notwendigen Seins (»esse ipsum per se subsistens«) in keiner vergegenständlichend-äußerlichen Relation zur kontingenten Seinsdimension steht. Beide sind keine getrennten Subdimensionen eines sie umfassenden Seins, sondern die Differenz zwischen der absolutnotwendigen Dimension als dem Sein selbst und dem Seiend-sein der kontingenten Seienden ist in der absolut-notwendigen Dimension selbst gesetzt als ein Unter-Schied zu sich selbst. Das Sein als solches ist das esse primordiale, welches den im Sein als Ganzem enthaltenen Unter-Schied zwischen esse ipsum subsistens und esse commune noch einmal umfasst, die DifferenzSetzung ist, um einen Terminus Heideggers zu verwenden, der »Austrag des Seins« als solchen (Heidegger 1978, 22). Die Transzendenz der absolut-notwendigen Seinsdimension gegenüber der kontingenten Dimension ereignet sich also in ihrer totalen Autoimmanenz: »[...] die absolutnotwendige Seinsdimension und die kontingente Seinsdimension sind nicht im gewöhnlichen Sinne als zwei ›Sub-Dimensionen‹ einer noch ursprünglicheren Dimension aufzufassen. Vielmehr sind sie die explizierte ursprüngliche Seinsdimension selbst, die sich eben zunächst als ZweiSeinsdimensionalität, dann weiter als absolutnotwendige freie (personale) Seinsdimension, welche die kontingente Seinsdimension erschafft und somit ›enthält‹. [...] ›Immanenz‹ konnotiert eine Korrelativität zu einem ›Äußeren‹, einem ›Anderen‹, das durch den Gedanken der Autoimmanenz negiert wird; aber damit nimmt die Negation Bezug auf ein Äußeres/Anderes. Im Falle der ursprünglichen universalen Seinsdimension, expliziert als die-absolutnotwendige-Seinsdimension-als-Schöpfer-der-kontingenten-Seinsdimension, ist zu sagen, dass sie nur dann richtig gedacht wird, wenn dabei von so etwas Äußerem/Anderem keine sinnvolle Rede mehr sein kann, auch nicht in negativer Form. [...] Damit soll der entscheidende Punkt bei der Frage nach der Transzendenz Gottes artikuliert werden: Transzendenz Gottes hinsichtlich der kontingenten Seienden ereignet sich in Gott selbst, als sein eigenes aus seiner eigenen Freiheit heraus sich ereignendes ›Geschehen‹. Indem Gott kontingente Seiende schöpferisch ins-Sein setzt, schafft er in sich selbst jenen Unter-Schied zu sich, den wir Transzendenz nennen« (Puntel 2010, 296 f.).

Die absolut-notwendige Seinsdimension ist bereits das HOLON, und die Differenz zur kontingenten Seinsdimension ist eine ›interne Strukturierung‹

Struktural-systematische Theologie

285

des HOLON. Wird der Terminus ›Gott‹ für die absolut-notwendige Seinsdimension eingeführt, dann handelt es sich also weder um einen weltimmanenten Gott noch um einen radikal jenseitigen, abgeschiedenen Gott (wie etwa das Eine des Neuplatonismus, das sich in einer radikal transzendierenden Negation vom Sein abhebt, cf. Halfwassen 2005, 2012), sondern um eben jene genannte Fundamentalstruktur der Einheit (Autoimmanenz) von Einheit (Immanenz) und Verschiedenheit (Transzendenz): 405 »›Immanenz‹ konnotiert eine Korrelativität zu einem ›Äußeren‹, einem ›Anderen‹, das durch den Gedanken der Autoimmanenz negiert wird; aber damit nimmt die Negation Bezug auf ein Äußeres/Anderes. Im Falle der ursprünglichen universalen Seinsdimension, expliziert als die-absolutnotwendige-Seinsdimension-als-Schöpfer-der-kontingenten-Seinsdimension, ist zu sagen, dass sie nur dann richtig gedacht wird, wenn dabei von so etwas Äußerem/Anderem keine sinnvolle Rede mehr sein kann, auch nicht in negativer Form. [. . . ] Damit soll der entscheidende Punkt bei der Frage nach der Transzendenz Gottes artikuliert werden: Transzendenz Gottes hinsichtlich der kontingenten Seienden ereignet sich in Gott selbst, als sein

405

In Hegels Wissenschaft der Logik zeigt sich am Ende der Wesenslogik bezüglich der radikalen negativen Theologie ein aufschlussreicher Schritt: Hegel erreicht im dritten Abschnitt der Wesenslogik (»Die Wirklichkeit«) das Absolute als die »Negation aller Prädikate und als das Leere« (WdL II, 157). Aber gerade dies ist wiederum eine Bestimmung des Absoluten. Eine ›transzendierende Negation‹, die »das Leere« als Resultat hat, führt zu einem neuen dialektisch-spekulativen Umschlag, der jedoch nicht mehr eine erneute Prädikation vom Absoluten (innerhalb einer linear-kompositionalen Subjekt-Prädikat-Semantik) nach sich zieht, sondern zur »eigene[n] Auslegung des Absoluten« führt, als »ein Zeigen dessen, was es ist« (ebd.). Dies ist in der Wissenschaft der Logik der Punkt, an dem die Methode vom Modus der Reflexion in den Modus der immanenten Entwicklung übergeht. Es handelt sich um die immanente Entwicklung der Idee als Einheit von Einheit und Differenz. Dies kann insbesondere nicht mehr als ein Zusammenraffen von Bestimmungen zu einer (möglicherweise parakonsistenten) omnitudo realitatis verstanden werden, und auch nicht als ein rein prädikatives Zuund Absprechen aller Bestimmungen, da dies weiterhin in einer verstandeslogischen, äußerlichen Reflexion verharren würde: »Insofern jenes Negieren und dieses Setzen der äußeren Reflexion angehört, so ist es eine formelle unsystematische Dialektik, die mit leichter Mühe die mancherlei Bestimmungen hierher und dorther aufgreift und mit ebenso leichter Mühe einerseits ihre Endlichkeit und bloße Relativität aufzeigt, als andererseits, indem es ihr als die Totalität vorschwebt, auch das Inwohnen aller Bestimmungen von ihm ausspricht, – ohne diese Positionen und jene Negationen zu einer wahrhaften Einheit erheben zu können« (WdL II, ebd.). Diese wahrhafte Einheit wäre statt als parakonsistenter Prädikathaufen viel eher in einer Cusanischen Einfaltungs-Ausfaltungs-Struktur zu denken.

286

»Morphismus statt Relation«

eigenes aus seiner eigenen Freiheit heraus sich ereignendes ›Geschehen‹. Indem Gott kontingente Seiende schöpferisch ins-Sein setzt, schafft er in sich selbst jenen Unter-Schied zu sich, den wir Transzendenz nennen« (Puntel [2010], 270).

Diese Autoimmanenz von korrelativer Immanenz und Tranzendenz ist die panentheistische Fundamentalstruktur, die das Verhältnis von ›Absolutem‹ und ›Endlichem‹ beschreibt, die über Meister Eckharts negatio negationis und die ›Einheit von Einheit und Verschiedenheit‹ in der Seinstheorie des transzendentalen Thomismus erarbeitet wurde. Hier muss die Frage nach einem infiniten Progress bzw. Leerlauf der Fundamentalstruktur aufgegriffen werden, die in Kap. 2 dieser Arbeit skizziert wurden – nur diesmal auf Ebene der Seinsdimension der SSP. Bezeichne dazu im Folgenden Sa die absolut-notwendige Seinsdimension und Sk die kontingente Seinsdimension. Mit S∗a sei die absolut-notwendige Seinsdimension als transzendierendes Gegenüber der kontingenten Seinsdimension bezeichnet, sie steht in der Differenz D zu Sk . Dann ist die Autoimmanenz der absolut-notwendigen Seinsdimension durch folgende Klammer z }| { D symbolisiert: S∗a ←− −1→ Sk . Auch hier ist die Differenz D zunächst mit dem Index 1 versehen, da im Fortgang höherstufige Differenzen D2 , D3 ,... auftrez}|{ D ten. Die Differenz D1 in S∗a ←− −1→ Sk und die in die Autoimmanenz (...) eingebundene Differenz D∗1 sind verschieden: Die Differenz D1 exkludiert z}|{ die umgreifende Autoimmanenz (...) , während die Differenz D∗1 in die umgreifende Einheit der Autoimmanenz integriert ist: z }| { D∗1 S∗a ←− −→ Sk

(33)

Es entsteht ein neuer exkludierender Gegensatz: (S∗a

z }| { D∗1 ←− −→ Sk ) ←− −→ (S∗a ←− −→ Sk ) D1

D2

(34)

D2 ist dabei wiederum eine exkludierende Differenz und wird erneut in die umgreifende Autoimmanenz einbezogen, womit die Differenz D2 zu D∗2 wird: z

}|

{ z }| { D∗2 D∗1 D (G∗ ←− −1→ W) ←− −→ W) −→ (G∗ ←−

(35)

Struktural-systematische Theologie

287

Damit ergibt sich jedoch eine erneute Exklusion D3 zwischen den letzten beiden Stufen, usw. ad infinitum. Man erhält auch hier eine infinite Kette von Einheiten, für alle n ∈ N: { { z}|{ D∗ D∗n−1 z}|{ D n−1 n −→ ((...) ←− −→ (...) ) ←− ((...) ←− −→ (...) )

z

}|

z

}|

(36)

Dieser infinite Progress scheint zu besagen: wenn die umfassende Einheit der absolut-notwendigen Seinsdimension Sa in ihrer Autoimmanenz allumfassend ist, d.h. wenn sie nichts mehr ausschließt, dann kann sie sich der kontingenten Seinsdimension Sk nicht noch einmal selbst exkludierend entgegensetzen ohne ihren Status als allumfassende Seinsdimension zu verlieren. Doch dies ist keine zwingende Folgerung. Die Struktur der allumfasz }| { senden Einheit S∗a ↔ Sk entspricht rein formal der »Aufhebungsstruktur« z }| { in der Hegelschen dialektisch-spekulativen Methode: X = X ↔ X. Obiger Progress gleicht dem Fortgang der dialektisch-spekulativen Methode, die ebenfalls, in einen infiniten Progress zu geraten (Puntel 1996). Im Kapitel über Hegels System wurde jedoch gezeigt, dass der dialektisch-spekulative Fortgang sogar prinzipiell unendlich ist und dass eine richtig verstandenen Unendlichkeit der Methode kein eigentliches Problem erzeugt: nur eine ›schlechte Unendlichkeit‹ wäre aporetisch, nicht aber eine Unendlichkeit als ›konkrete Totalität‹ (Puntel 1973, 240 f.). Der richtig verstandene infinite Fortgang führt, wie Hegels 3. großer Zusammenschluss des Systems zeigte, zu Totalitäten bzw. oberen Abschlüssen im Unendlichen – mathematisch gesagt: zu sogenannten maximalen Elementen im Unendlichen. Dies zeigt sich am Ende der Sphäre der Seinslogik bei der fürsichseienden Unendlichkeit und am Ende der Sphäre der Wesenslogik in der »Auslegung des Absoluten«: Es gibt Dimensionen, in denen der unendliche Progress eine Saturiertheit in linearer »Vorwärtsrichtung« erreicht hat und sich ab dann innerhalb einer maximalen Totalität in Gestalt einer internen fortschreitenden Feinkörnigkeit der Auslegung oder Entwicklung der maximalen Totalität zeigt. Es gibt dann keine »größere All-Einheit« (keine größere Klammer) mehr, sondern alle weiteren Schritte erfolgen unter dem Dach der maximalen Klammer. Einen analogen Fall maximaler Strukturen findet man in der herkömmlichen Aussagenlogik: Der Vollständigkeitssatz der Aussagenlogik gilt auch für Sprachen mit (abzählbar oder überabzählbar) unendlich vielen Aussagenvariablen. Hierbei wird von widerspruchsfreien Formelmengen zu maximal widerspruchsfreien Formelmengen übergegangen – mit Hilfe von Maxi-

288

»Morphismus statt Relation«

malitätsprinzipien wie dem »Lemma von Zorn« (Satz von Zermelo-Zorn, äquivalent etwa zum Hausdorffschen Maximalkettenprinzip). Diese garantieren unter bestimmten Bedinungen, dass es auch im Unendlichen maximale Elemente gibt. Mit ihnen lassen sich auch in der Theorie der großen Mengen Wohlordnungen von unendlichen Kardinalzahlen angeben (also Card(J) ≦ Card(L) für zwei unendliche Kardinalzahlen) (cf. Deiser 2004, 244–248). Etwas Ähnliches findet sich auch in der Vektorraumtheorie: Dort gilt der Satz, dass jeder Vektorraum eine Basis besitzt (d.h. eine maximal linear unabhängige Menge von Vektoren, mit denen man den gesamten Vektorraum vollständig zusammenbauen kann). Eine solche Basis kann auch aus überabzählbar unendlich vielen Vektoren bestehen (wie etwa im unendlichdimensionalen Vektorraum QR – dessen Basis kein Mensch jemals explizit hinschreiben kann, da dies überabzählbar unendlich viele Zeichen erfordern würde, ganz abgesehen von der Zeit, die man dafür bräuchte... doch mit mengentheoretischen Maximalprinzipien ist – in einem nichtkonstruktiven Rahmen – beweisbar, dass es eine solche Basis gibt). Der Vektorraum wird dann mit Linearkombinationen der Basiselemente ›aufgefüllt‹ (cf. Brieskorn 1983). Im Folgenden versuche ich einen kleinen Beweis, dass ein solches Maximalprinzip auf unser Problem des infiniten Progresses der panentheistischen Elementarstruktur anwendbar ist. Beweis-Skizze. Oben erwähnte Kette sei wie folgt strukturiert (f bzw. ˆf sei hierbei eine Iterationsfunktion): D

S∗a ←− −0→ Sk }|

z

S∗a

=: K0 =: f(S∗a , Sk )

{

D∗0

=: K0 =: ˆf(S∗a , Sk )

←− −→ Sk

(G∗

D0

D1

z



}|

D∗0

{

←− −→ W) ←− −→ (G ←− −→ W

z

}| D

D∗

z

}|

D∗

{ {

=: K1 =: f(K0 , K0 )

(G∗ ←− −0→ W) ←− −1→ (G∗ ←− −0→ W)

=: K1 =: ˆf(K0 , K0 )

z }| { D∗1 ((...) ←− −→ (...)) ←− −→ ((...) ←− −→ (...))

=: K2 =: f(K1 , K1 )

D1

D2

Struktural-systematische Theologie

289

{ z }| { ∗ D2 D1 D ((...) ←− −1→ (...)) ←− −→ ((...) ←− −→ (...)) =: K2 =: ˆf(K1 , K1 ) .. .. . . .. .. . . }| { z }| { z z}|{ D∗ D∗n−1 z}|{ D n−1 −n→ ((...) ←− ((...) ←− −→ (...) ) ←− =: Kn =: ˆf(Kn−1 , Kn−1 ) −→ (...) ) .. .. . . .. .. . . Es folgen nun einige für den nachfolgenden Satz und seinen Beweis essentielle Definitionen: z}|{ 1. Es seien Ki nun stets (...) -Einheiten und W0 die Menge dieser Einheiten. 2. Es sei ◄ eine Relation auf diesen Einheiten, so dass gilt: K ◄ L genau z}|{ dann, wenn endlich viele Klammerungen (...) von K zu L führen. Dies ist dann eine Iteration der oben dargestellten Form. 3. Das Erzeugnis von K1 , ..., Kn sei mit 〈K1 , ..., Kn 〉 bezeichnet und denotiere das kleinste K bezüglich ◄, für welches gilt: Ki ◄ K für i = 1, ...n und K ∈ W0 . Nicht jede Menge K1 , ..., Kn von Einheiten muss ein Erzeugnis haben. Wenn es eines hat, ist die Schreibweise 〈K1 , ..., Kn 〉 und {1, ..., n} ist endlich. z}|{ 4. Ein (...) -System sei eine Menge K von Einheiten, so dass gilt: Für jede endliche Teilmenge aus K, {K1 , ..., Kn } ⊂ K, folgt, dass 〈K1 , ..., Kn 〉 existiert, und dass 〈K1 , ..., Kn 〉 ∈ K. 5. Es sei eine Relation ⊏ wie folgt definiert: K ⊏ T genau dann, wenn K z}|{ und T (...) -Systeme sind und K ⊂ T (als Mengen von Einheiten). ˜ eine Kette aus W0 , d.h. für alle K, T ∈ K ˜ gilt: (K ◄ T ) ∨ (T ◄ 6. Sei K S˜ ˜ K) ∨ (T = K). Es sei K = {Ki : ∃K ∈ K, Ki ∈ K, i ∈ I ⊆ N} die Menge z}|{ ˜ enthalten der (...) -Einheiten, die in mindestens einem System K aus K sind. z

}| ∗

Hiermit lässt sich nun beweisen: z}|{ S˜ Lemma 1 K ist ein (...) -System. z}|{ S˜ Beweis. Annahme, K ist S kein (...) -System. Dann gibt es eine endliche ˜ , so dass gilt: Entweder 〈K1 , ..., Kn 〉 existiert Teilmenge {K1 , ..., Kn } ausS K ˜ nicht, oder 〈K1 , ..., Kn 〉 ∈/ K. Sei Ki ∈ K und o.B.d.A. K1 ⊏ K2 ⊏ ... ⊏

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»Morphismus statt Relation«

Kn . Dann folgt {K1 , ..., Kn } ⊂ Kn S und es folgt weiter, dass 〈K1 , ..., Kn 〉 ˜ (da Kn nach Voraussetzung ein existiert und 〈K1 , ..., Kn 〉 ∈ Kn ⊂ K S˜ System ist und nach Konstruktion eine Teilmenge von K ). Dies ist jedoch z}|{ S˜ ein Widerspruch zur Annahme. Also ist K ein (...) -System.

Nun sei eines der oben erwähnten mengentheoretischen Maximalprinzipien als Hilfssatz herbeigezogen, nämlich das Lemma von Zorn: Lemma 2 Eine nichtleere Menge M sei durch eine Relation ≺ partiell geordnet. Wenn jede ≺-Kette in M eine obere Schranke bezüglich ≺ besitzt, dann existiert in M mindestens (!) ein maximales Element. Auf den komplizierten Beweis des Lemmas von Zorn sei hier verzichtet. Wenn man jedoch als Menge unser obiges W0 und als partielle Ordnung ˜ eine Teilmenge unser folgt unmittelbar: Da jedes K ∈ K S⊏˜ nimmt,Sdann ˜ von K ist, ist K eine obere Schranke für alle Elemente von K. Mit dem Lemma von Zorn folgt nun unmittelbar der Satz: Satz 5 Es gibt in W0 maximale Elemente bezüglich der Ordnung ⊏. Beweis. Lemma 1 und Lemma 2. Dies besagt nun: Es gibt eine ›allumfassende Klammer‹. Aber sie ist nicht eindeutig bestimmt, das ist Aufgabe semantischer Überlegungen. Zudem ergeben sich Indizien für die ›Offenheit‹ der ›allumfassenden Klammer‹: Das der Progress in eine maximale Totalität einmündet, bedeutet nicht, dass er zum Erliegen kommt. Er ist per se unendlich und offen. Aber offen in einem Sinn, der dem Gedanken der All-Einheit nicht widerspricht. 9.5.2 Die absolut-notwendige Seinsdimension als schöpferisch-frei Oben wurde bereits dafür argumentiert, dass dem Sein selbst eine universale Geistigkeit zukommen muss. Der fundamentalen Ausdrückbarkeit des Seins als solchen und im Ganzen muss eine ausdrückende Instanz entsprechen, welche das Sein auch wirklich artikuliert: »[...] ›Ausdrückbarkeit‹ [ist] eine Relation [...], die nur dann erklärbar und damit verständlich ist, wenn man auch ihre Inverse anerkennt: X ist ausdrückbar nur dann, wenn es ein Y gibt, das die ausdrückende Instanz von X ist. Behauptet man, dass X in diesem Fall ›völlig unabhängig‹ von (jedem!) Y ist, so widerspricht dies dem Begriff der Ausdrückbarkeit« (Puntel 2006, 504). Unser endlicher Geist ist zwar intentional koextensiv mit dem HOLON bzw. Sein selbst (s.o.), aber er ist aufgrund seiner Kontingenz und Endlichkeit nicht die schlechthinnige aus-

Struktural-systematische Theologie

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drückende Instanz des Seins / des HOLON. Es muss die absolut-notwendige Seinsdimension / das HOLON selbst sein, das sich selbst und die kontingente Dimension artikuliert. Hier kommt nun das Prinzip des ontologischen Ranges ins Spiel: (POR) »Etwas von höherem ontologischem Rang kann nicht ausschließlich aus von etwas niedrigerem ontologischem Rang entstehen oder erklärt werden« (Puntel 2006, 604).

Auf dieser Grundlage kann dafür argumentiert werden, dass der absolutnotwendigen Seinsdimension Personalität zukommt und dass das Verhältnis zwischen absolut-notwendiger Seinsdimension und kontingenter Dimension der Seienden dem nahe kommt, was die klassische Theologie als ›freie Schöpfung‹ beschreibt (dies sei hier nicht weiter ausgeführt, cf. Puntel 2006, 610 f.; Puntel 2010, 269–291). In einer free floating speculation sei weiter angemerkt: Nach Hermann Krings war es die immanente Transzendenz, die in sich den Begriff der Freiheit birgt (Krings 1964), und zusammen mit dem Prinzip des ontologischen Ranges kann begründet werden, dass von einem ›freien Schöpferabsoluten‹ zu sprechen ist und dass die so konzipierte absolut-notwendige Seinsdimension gerade jene Dimension ist, welche die umfassende und ›freisetzende Einheit‹ der (mit Krings gesprochen) retroszendenten Freiheitsstruktur der endlichen Subjekte ist – d.h. als die freisetzende Einheit von Beisichsein und Retroszendenz des Ich (cf. Lerch 2015, 425 f.; cf. Schneider 2015). Gerade die transzendentale Freiheit war im Denkformenstreit das zentrale Anliegen. Hier scheint mir ein großes Potenzial der Verbindung einer auf Basis des analytischen linguistic turn gewachsenen struktural-systematischen Philosophie und Theologie mit der freiheitsanalytischen Theologie zu liegen, in der zudem die Aporien eines transzendental-idealistischen Ansatzes ohne einen ›Rückfall hinter Kant‹ vermieden werden können. 9.5.3 Die methodologische Zäsur Der Gedanke der freisetzenden Seinsdimension führt weiter zu einer großen methodologischen Zäsur zwischen einer struktural-systematischen Philosophie und einer »struktural-systematischen Theologie«: Um die absolut-notwendige Seinsdimension als freies Schöpferabsolutes weiter bestimmen zu können, kann nicht in der bisherigen, analytisch-philosophischen Methodik weitergegangen werden: »Wenn die systematische Philosophie so weit vorangeschritten ist, dass sie die absolutnotwendige Seinsdimension als Schöpferabsolutes expliziert hat, stellt sich die Frage, ob noch weitere Bestimmungen des Schöpferabsoluten

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möglich oder sogar unverzichtbar sind. An diesem Punkt tritt eine tiefgreifende methodische Zäsur in der systematischen Verfahrensweise ein. Weitere Bestimmungen des Schöpferabsoluten über die Bestimmungen der absoluten Intelligenz, des absoluten Willens bzw. der absoluten Willensfreiheit und der Personalität hinaus sind nämlich nicht mehr von irgendwoher explizierbar und noch weniger ableitbar, sondern hängen von einem entscheidenden Faktor ab, nämlich von der Freiheit des Schöpferabsoluten. [...] Wenn man, wie es die struktural-systematische Philosophie tut, auf der Basis von Argumenten annimmt, dass das freie (personale) absolutnotwendige Sein die Welt, die kontingente Seinsdimension, absolut frei erschaffen, d. h. ins Sein gesetzt hat, so ist die Welt im Lichte einer absoluten Freiheit zu sehen. Dann ist erstens zu fragen, warum die absolute Freiheit sozusagen hier, also bei der Erschaffung der Welt, enden sollte. Ob sie hier endet oder nicht endet, hängt, wie im oben beschriebenen Fall eines freien Menschen, einzig und allein von ihr selbst, der absoluten Freiheit, ab. Die freie Entscheidung des Schöpferabsoluten kann nicht a priori oder wie immer ›abgeleitet‹ werden, sonst könnte man nicht von einer echten Freiheit sprechen. Sie kann nur aufgrund der Geschichte dieser Freiheit selbst ermittelt werden. Es ist also zwingend, an diesem Punkt der Explikation der ursprünglichen universalen Seinsdimension, die göttliche Freiheit ins Spiel zu bringen. Zweitens drängt sich hier unmittelbar die weitere Frage auf: Wenn es eine Geschichte der absoluten Freiheit gibt, wo könnte sie sich manifestieren – oder noch konkreter: wo hat sie sich möglicherweise manifestiert? Man kann nicht a priori ›die Wege der absoluten Freiheit‹ bestimmen, d. h., man kann nicht a priori sagen, Gottes absolute Freiheit könne sich nur in dieser oder in einer anderen Weise zeigen. Aber man wird jedenfalls darauf die allgemeine Antwort geben können, ja müssen: Ob und wie Gottes absolute Freiheit sich gezeigt hat, kann nur ermittelt werden, wenn man die Weltgeschichte ›studiert‹. Nun gibt es in der Weltgeschichte die Geschiche der Religion(en). [...] An diesem Punkt muss also der Philosoph, der nach einer weiteren ›Bestimmung‹ des absolutnotwendigen Schöpferabsoluten fragt, sich dem philosophischen Studium der Weltgeschichte bzw. der Geschichte der Religion(en) zuwenden. Diese Zuwendung bedeutet nun eine gewaltige methodische und thematische Wende, genauer: eine Zäsur. Ab jetzt hat er es mit der Geschichte, mit geschichtlichen Phänomenen zu tun, die es zu deuten gilt. Die Methode muss ab jetzt, zwar nicht ausschließlich, aber doch zumindest anfänglich eine vorwiegend hermeneutische sein. [...] Im Zentrum der jüdisch-christlichen Religion steht der Begriff der Offenbarung Gottes. Dies ist das Phänomen, die Erscheinung par excellence der Freiheit Gottes. Und was sich in dieser Offenbarung Gottes zeigt, bringt weitere ›Bestimmungen‹ Gottes zum Vorschein. Gemäß der langen christlichen Tradition ist das, was als die Offenbarung Gottes interpretiert wird, die ausschließliche Domäne jener Disziplin, die christliche Theologie heißt [...]« (Puntel 2010, 272–274).

Struktural-systematische Theologie

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Diese Zäsur bedeutet also eine Zäsur in der Methodologie: Ab hier müssen wesentlich exegetische, phänomenologische und hermeneutische Methoden einbezogen, ja zum zentralen Instrumentarium erhoben werden, da eine reine Begriffsanalyse und logische Inferenzen nicht mehr weiterführen (sie können dann aber weiterhin die Rolle der notwendigen korrektiven Bedingungen der Theoriebildung einnehmen) (cf. Puntel 2010, 272–291). Man kann diesen Gedanken noch erweitern (cf. Schneider 2017): Wir nähern uns ›Gott‹ stets vor dem nicht univok explizierbaren und in diesem Sinne »unverfügbaren« Hintergrund des intuitiv-prospektiv-holistischen Meta-Theorierahmens, und alle Gotteserkenntnis muss durch die holistische Pluralität von Denkformen / Theorierahmen hindurchgehen, hin zu einer Gesamtschau. Hier ist daher auch Raum für eine analoge Gotteserkenntnis im Dialog einer Offenbarungsgeschichte und einer (holistisch verstandenen) Pluralität von menschlich-geschichtlich-religiösen Grunddimensionen. Hinsichtlich der Dogmengeschichte schreibt Schärtl (2001, 18 f.) in ähnlicher Weise: »Die Geschichte der Trinitätstheologie bzw. der dogmatischen Gotteslehre ist eine Wechselwirkung zwischen der Selbstkundgabe Gottes und der als eigenständig zu würdigenden Kultur menschlichen Sprechens von Gott. Sie gehört als Geschichte der Selbstkundgabe zur Selbstkundgabe Gottes hinzu. [...] [D]ie Dogmengeschichte [ist] weder eindeutig als Verlust- noch eindeutig als Fortschrittsgeschichte, sondern als Resultat der Wortwerdung Gottes im Koordinatensystem menschlicher Kultur und Geschichte [zu verstehen]; dieser Prozeß bringt aufgrund der unterschiedlichen Situationen, in die hinein sich das Wort inkarniert, verschiedene Orte (τóπoι) des Verstehens, Begreifens und Sagens hervor, die miteinander in ein Gespräch gebracht werden dürfen, wenn wir voraussetzen können, daß die Verschiedenheit der Orte trotzdem eine Einheit der Perspektive [...] erkennen läßt.«

Die obige Zäsur hat darüber hinaus auch Konsequenzen für die Diskussion über univoke versus analoge Rede von Gott. Eine univoke Prädikation irgendwelcher ›Superattribute‹ ist in der SSP grundlegend ausgeschlossen. Ebenso ist aber die pure Äquivokation einer radikalen negativen Theologie (die nichts anderes als ein Rückfall in eine Ding-an-sich-Konzeption wäre) ausgeschlossen. Vielmehr geht ein holistischer Pluralismus der Zugangsweisen zu Gott natürlicherweise einher mit dem Grundgedanken der Analogielehre: Dass Einheit und Verschiedenheit keine einander exkludierenden Bestimmungen sind, sondern sich in einer holistisch-primordialen Einheit von korrelativer Einheit und Verschiedenheit befinden (cf. hierzu Schneider 2017).

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»Morphismus statt Relation«

9.6

Morphismus statt Relation! Die mathematische Kategorientheorie als Darstellungsmittel für die Fundamentalstruktur 9.6.1 Semantik und Modell: Das extensionale Dreieck Wenn die panentheistische Fundamentalstruktur der ›Einheit von Einheit und Verschiedenheit‹ bzw. ›Einheit von Einheit und Vielheit‹ oder der ›Einheit in Differenz‹, der ›in sich differenzierten Einheit‹, oder wie die Umschreibungen auch heißen mögen, im Rahmen der analytischen Philosophie einigermaßen zufriedenstellend expliziert werden soll, stellt sich eminent die Frage nach dem adäquaten formallogischen Methodenbesteck für ein solches Unterfangen. Die analytische Philosophie hat sich bekanntlich den modernen Standardlogiken (Aussagenlogik, Prädikatenlogik 2. Stufe – mit oder ohne Identität – und der modallogischen Systeme) verschrieben. Es fehlt natürlich nicht an Versuchen, dialektische Verhältnisse in die Sprache der formalen Logik zu übersetzen (ein bemerkenswerter Beitrag ist die Explikation der concidentia oppositorum von Uwe Meixner im Rahmen der Booleschen Algebra, cf. Meixner 1998, und die monumentalen Untersuchungen zu einer formallogischen Grundlegung der Dialektik von Uwe Petersen, cf. Petersen 1973, 1980 [2010], 2002). Darauf kann ich hier nicht eingehen. Im Folgenden werde ich den Weg einschlagen, den Christina Schneider ausgearbeitet hat, nämlich über die Unterscheidung zwischen Logik als syntaktischer Sprache und ihren zugehörigen Interpretationen und Modellen. 406 Da die Modelle der Standardlogiken mengentheoretischextensionaler Natur sind, stellen sich hier die oben bereits erwähnten Probleme der adäquaten formalen Konzeption von Ausdrücken und ihren Momenten und letztlich auch der Fundamentalstruktur in konkreter Weise. Der Grundgedanke der nachfolgenden Überlegungen ist: Weg von (mengentheoretisch-extensionalen) Relationen, hin zur mathematischen Kategorientheorie und ihrem Begriff des Morphismus! Syntax und Modell (cf. Schneider 2019, 127 f.; Schneider 2020, 56–61): Als Sequenzenkalkül ist ›Logik‹ nichts weiter als ein syntaktisches Regelwerk,

406

Dieses gesamte Kapitel ist in vielen Diskussionen mit meiner Doktormutter Christina Schneider unter abundantem Einsatz von Tafel und Kreide entstanden. Christina Schneider hat parallel zur Entstehung dieses Bandes an ihrem Band Metaphysik – Anspruch und Offenheit (Schneider 2020) gearbeitet, der hier öfters referiert wird – Überschneidungen zu ihren Ausführungen sind also unvermeidlich. Hier wird weitgehend auf ihre Vorarbeiten in ihrem Manuskript (Schneider 2017) Bezug genommen.

Morphismus statt Relation!

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das aus einem Zeichenalphabet und zugehörigen Form- und Sequenzenregeln zur Bildung wohlgeformter Zeichenreihen besteht. In der Regel ist dies eine prädikatenlogische Sprache erster Stufe: Dies ist ein Alphabet aus Variablenzeichen, logischen Konnektoren, Quantorenzeichen, Gleichheitszeichen, Organisationszeichen (Klammern) und einer Signatur Σ. Die Signatur besteht aus einer Menge K von Konstantenzeichen, einer Menge R von n-stelligen Relationszeichen und einer Menge F von n-stelligen Funktionszeichen (n ≥ 1): Σ = (K, R, F). Dazu kommen Formregeln, welche festlegen, wie wohlgeformte Σ-Terme und Σ-Ausdrücke gebildet werden, und Ableitungsregeln (Antezedensregel, Oder-Einführung, usw.), welche die Axiome bilden lassen. Mit den Schlussregeln (Modus Ponens, Alleliminierung, usw.) lassen sich dann Theoreme ableiten. Durch die zusätzliche Einführung des λ-Operators wird diese elementare prädikatenlogische Sprache erweitert zu einer mengen- oder klassentheoretischen Sprache. Einstellige λ-Terme können in einer Interpretation als Mengen oder Klassen gelesen werden, 2-stellige λ-Terme als Elementschaftsrelation. Auf der Ebene der Syntax handelt es sich jedoch nur um uninterpretierte Zeichenreihen. Diese bedeuten nichts, solange sie nicht einer Interpretation, mithin Modellen, die den Axiomen gerecht werden, zugeführt werden (Pareigis 1969, 178). (2) Eine semantische Interpretation J = (A, β) besteht aus einer Σ-Struktur A und einer Belegung β. Eine Σ-Struktur A = (A, a) ist gegeben durch Angabe 1. einer Menge A, dem Träger der Struktur, und 2. einer Abbildung a, welche durch folgende Zuordnungen definiert ist: 1. a bildet alle Konstantenzeichen ab auf Elemente im Träger A, 2. a bildet alle 1-stelligen Relationszeichen ab auf Teilmengen von A (Prädikate), 3. a bildet alle n-stelligen Relationszeichen (n > 1) ab auf Teilmengen von An (Relationen), 4. a bildet alle n-stelligen Funktionszeichen ab auf Funktionen von An nach A. Typische Σ-Strukturen sind mathematische Strukturen wie Gruppen, vollständige arithmetisch angeordnete Körper und Vektorräume über einem Körper K (mit zweisortigem Träger). Die Belegung β ordnet den Variablen Elemente im Träger A zu und sorgt dafür, dass Allquantifikation ∀xφx und Existenzquantifikation ∃xφx interpretiert werden können. Mithilfe einer Σ-Interpretation J lässt sich sodann die Modellbeziehung zwischen einer Menge von Σ-Ausdrücken Φ und zugehörigen Interpretationen explizieren: J |= Φ (»J ist Modell von Φ«), wenn J |= Φ für jedes φ in Φ.

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»Morphismus statt Relation«

Das extensional-semantische Dreieck (cf. Schneider 2020, 75 f.): Das Verhältnis von in der Umgangsprache formulierten philosophischen Theorien, Logik als syntaktischem System und Modellen sei anhand folgenden Dreiecks illustriert: (37)

> PU `

~

L(H)

FI

/M

PU stehe für die umgangssprachliche Philosophie. Sie steht im Wechselverhältnis der Übersetzung mit einer logischen Sprache als syntaktischem System, L(H) (›H‹ stehe hier für ›Hilbertkalkül‹, d.h. ein Sequenzenkalkül mit endlich vielen Axiomen, es ist aber auch ein Gentzen-Kalkül möglich). Übersetzung bedeutet hier ›Formalisierung‹ und (Rück-)Übersetzung in die Umgangssprache. L(H) wiederum wird semantisch formal interpretiert (FI) in einem mengentheoretischen Modell M, d.h. Prädikate werden als Mengen, Relationen als Teilmengen von kartesischen Produkten von Mengen interpretiert, usw. Erst dort haben die syntaktischen Zeichen aus L(H) eine ›Bedeutung‹ oder Interpretation. Dies ist das Standardvorgehen der formallogischen Grundlage der analytischen Philosophie. Entscheidend ist hier, was mit der gepunkteten Linie angezeigt wird: das Verhältnis von umgangssprachlicher Philosophie PU und den mengentheoretischen Modellen M. Gerade diese Engführung auf extensionale Mengentheorie bereitet dabei Schwierigkeiten. Die klassische Problematik von extensionsgleichen Prädikaten unterschiedlicher Bedeutung in der Normalsprache sei hier nur als ein Beispiel genannt. Im Kontext der Panentheismus-Problematik und der Frage nach der adäquaten Interpretation der Fundamentalstruktur verschärfen sich diese Schwierigkeiten: Das panentheistische Gott-Welt-Verhältnis, so man es denn in einem Sequenzenkalkül formalisieren will, kann nicht mengentheoretisch interpretiert werden. Eine Relation R ist mengentheoretisch die Teilmenge eines kartesischen Produkts und ein geordnetes Paar in dieser Relation wird durch die Wiener-Kuratowski-Definition wiederum als Menge definiert: (x, y) := {{x}, {x, y}}. Hierbei sind sich die ›Elemente‹ x und y von vornherein äußerlich, und sie werden durch ein kategorial verschiedenes Drittes zusammengebunden. Von in sich differenzierten Relationen (›Einhein-in-Differenz‹) kann erst recht nicht ge-

Morphismus statt Relation!

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sprochen werden. Daher wird hier im Anschluss an Schneider (2020) von der Mengentheorie zur Kategorientheorie übergegangen, die es erlaubt, von ›Relationen‹ (Morphismen) zu sprechen, die nicht wieder auf Mengen reduziert werden (erste Schritte zur Nutzbarmachung der mathematischen Kategorientheorie für philosophische Modellbildungen, insbesondere für dialektisch-spekulative Zusammenhänge, sind relativ jungen Datums. Erste Anregungen wurden von Lawvere 1991 geliefert, neuere Studien finden sich bei Rodin 2012, Badiou 2014 und Gangle 2016; ich beschränke mich hier auf Schneider 2017, 2020). 9.6.2 Die mathematische Kategorientheorie Die mathematische Kategorientheorie geht auf die Arbeit »General Theory of Natural Equivalences« von S. Eilenberg und S. Mac Lane aus dem Jahr 1945 zurück und hat sich zu einer in der Mathematik, insbesondere der mathematischen Grundlagenforschung (auch in der Philosophie der Mathematik) unentbehrlichen Theorie entwickelt. Sie besitzt ein außerordentlich hohes Maß an Abstraktion und beinhaltet in sich als eigene Kategorie die sonst als Fundament von Logik und Mathematik gebräuchliche extensionale Mengentheorie – auch wenn das genaue Verhältnis von Kategorientheorie und Mathematik noch nicht restlos geklärt ist. Es gibt zwar auch eine Einbettung der Katgeorientheorie in die Mengentheorie (cf. Pareigis 1969, 178 ff.), hier soll jedoch derjenige primäre Teil der Kategorientheorie gewählt werden, der nach Mac Lane (1998, 9 f.) und Pumplün (1999, 16–20) die Mengentheorie als eingebettete eigene Kategorie enthält (in der allgemeinen Darstellung folge ich Mac Lane und Pumplün). Die Stärke der Kategorientheorie, die für das Ziel dieser Studie zu veranschlagen ist, besteht in ihrer primären Abstraktion von konkreten theoretischen Objekten und von Extensionalität, und in ihrer expliziten Thematisierung reiner Strukturen. B. Pareigis schreibt hierzu: »Die Theorie der Kategorien und Funktoren abstrahiert die Begriffe ›Objekt‹ und ›Abbildung‹ von den zugrundeliegenden mathematischen Gebieten, z.B. der Algebra oder der Topologie, und untersucht, welche Aussagen in einer solchen abstrakten Struktur möglich sind. Diese sind dann in all den mathematischen Gebieten gültig, die sich mit dieser Sprache erfassen lassen« (Pareigis 1969, 3; cf. Schneider 2020, 187).

Dies führt zu einer umfangreichen Verwendung von Pfeil-Diagrammen (die »Pfeile« sind oben genannte Morphismen), wie ein Blick in jedes Lehrbuch der Kategorientheorie sofort zeigt. Solche Diagramme sind aufgrund ihrer halbwegs mitvollziehbaren Anschaulichkeit auch formallogischen Laien

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»Morphismus statt Relation«

zumutbar und besitzen ein erhebliches Klärungspotenzial. Auch wenn es im Folgenden ein wenig der ›Mühe am Begriff‹ bedarf, werden hier keine Kenntnisse vorausgesetzt, die über die Grundlagen einer Einführungsvorlesung in die formale Logik hinausgehen (insbesondere bezüglich Mengen und Abbildungen). Kategorien und die Metakategorie der reinen Strukturen: Zur Grundlegung seien einige ganz basale Begriffe und Definitionen angeführt und anhand eines Beispiels erläutert. Als erstes seien die Begriffe des (Meta-)Graphen und der Metakategorie eingeführt (cf. zum Folgenden Mac Lane 1998, 7–15): Definition 4 Ein Metagraph besteht aus (1) Objekten A, B, C, ... und Pfeilen (Morphismen) f, g, h,... und (2) zwei primitiven Operationen: (i) Die Operation Domain ordnet jedem Morphismus f ein Objekt A = dom(f) zu, und (ii) die Operation Codomain, die jedem f ein Objekt B = cod(f) zuordnet. Dann kann ein solcher Morphismus f wie folgt dargstellt werden: f : A −→ B

(38)

f

(39)

Oder einfach A −→ B

Die Darstellung in (12) erlaubt in natürlicher Weise Verknüpfungen von Morphismen, so wie wir sie oben bereits gesehen haben. Ein beliebiges Beispiel sei folgendes »Dreieck« (i.d.R. ein kommutatives Diagramm – »kommutativ« bedeutet hier, dass man von A nach B sowohl den direkten »Weg« f, als auch erst den Weg g nach C und von dort den weiteren Weg h nach B gehen kann): /B ?

f

A g



h

C

Mit dieser Intuition lässt sich der Begriff der Metakategorie bilden:

(40)

Morphismus statt Relation!

299

Definition 5 Eine Metakategorie ist ein Metagraph mit zwei zusätzlichen Operationen: (1) Die Identität idA : A −→ A, welche A sich selbst zuordnet, und (2) die Komposition, welche jedem Paar (g, h) von Morphismen mit dom(h) = cod(g) einen Morphismus h ◦ g zuordnet (ihre »Komposition«), mit h ◦ g : dom(g) −→ cod(h). Zusätzlich gelten folgende Axiome: (3) Die Assoziativität: k ◦ (g ◦ f) = (k ◦ g) ◦ f. (4) Die Existenz des neutralen Morphismus: Für alle Morphismen f : A −→ B und g : B −→ C mit der Identität idB gilt: idB ◦ f = f und g ◦ idB = g (analog für idA ). Mit Punkt (2) dieser Definition 2 lässt sich die Intuition des Bildes (10), d.h. die Komposition von g und h also wie folgt darstellen: h◦g

dom(g) g



/ cod(h) @

(41)

h

C

Mit den Bezeichnungen aus (10) erhalten wir dann A = dom(g) und B = cod(h). Für f gilt dann: f = h ◦ g. Es wird bei einem verknüpften Pfad von Morphismen also stets der Morphismus, der als letztes gegangen wird, in der Verknüpfungsformel zuerst genannt und der Morphismus, der als erstes gegangen wird, an letzte Stelle gesetzt (es wird also nicht geschrieben f = g ◦ h. Dies gilt auch für längere Verkettungen). Die Forderung der Assoziativität (3) in Definition 2 führt bereits zu einem wesentlich komplexeren g f k Diagramm. Für einen Pfad aus Morphismen A −→ B −→ C −→ D (als Verknüpfung geschrieben: k ◦ (g ◦ f) = (k ◦ g) ◦ f) lässt sich in folgendem Diagramm jeder verfügbare Weg von A nach D gehen: A

k◦(g◦f)=(k◦g)◦f

g◦f

f

k◦g k



B

8/ DO

g

&/

C (42)

300

»Morphismus statt Relation«

Aus Axiom (4) lässt sich überdies die Eindeutigkeit des neutralen Morphismus id folgern (der Beweis sei hier erspart). Da in dieser Dimension der Metakategorien noch keine robusten Objekte vorausgesetzt sind, ist es daher möglich, jedes Objekt als reine Identitätsstruktur aufzufassen, d.h. jedes beliebige Objekt B mit dem Morphismus idB zu identifizieren: B : B −→ B, d.h. idB = B. Es ist also nicht mehr nötig, neben Morphismen auch noch Elemente anzunehmen, die keine Morphismen sind. Daher ist es möglich, eine reine Strukturtheorie ohne Objekte zu etablieren: 407 Definition 6 Die Metakategorie C der reinen Pfeile (Arrows-only Metacategory) bzw. reinen Morphismen ist ein Metagraph, dessen Objekte aus reinen Morphismen bestehen. D.h. für Morphismen f : A −→ f B gilt: A = dom(f) = idA und B = cod(f) = idB , und somit idA −→ idB . Anschaulich:

idA

9◦

f

/◦e

idB

(43)

Die Metakategorie C der reinen Morphismen bzw. reinen Strukturen ist eines der mächtigsten Instrumentarien in der mathematischen Grundlagenforschung, denn sie erlaubt zum einen eine beeindruckende Vereinheitlichung mathematischer Subtheorien und zum anderen führt sie auch innerhalb vieler Subtheorien zu einer Vereinfachung vieler Beweise. Die kanonische Mengenlehre ist nun in die Theorie der Metakategorien eingebettet als Metakategorie der Mengen: Hier sind die Objekte des Metagraphen nicht reine Morphismen (reine Strukturen), sondern Mengen. Die Morphismen sind dann Abbildungen und Funktionen von einer Urbildmenge X in eine f Bildmenge Y, also f : X −→ Y bzw. X −→ Y, mit der herkömmlichen Definition von Mengen als extensionaler (endlicher, abzählbar-unendlicher oder überabzählbar-unendlicher) Mannigfaltigkeiten von Elementen. Der »Graph« G einer Abbildung f ist hierbei schlichtweg die bekannte Teilmenge G ⊆ X × Y := {(x, y) : x ∈ X, y = f(x) ∈ Y}, wobei die Paare (x, y) nach der bereits genannten Wiener-Kuratowski-Definition nichts anderes sind als wiederum Mengen, nämlich die Mengen {{x}, {x, y}} (es lässt sich mit

407

Es lässt sich beweisen, dass die Metakategorie C und Metakategorien mit robusten Objekten (d.h. solchen Objekten, die nicht auf id reduziert werden) kategorientheoretisch äquivalent sind, cf. Pumplün 1999, 18–20.

Morphismus statt Relation!

301

dem mengentheoretischen Extensionalitätsaxiom leicht nachprüfen, dass diese Definition die Anforderung geeordneter Paare erfüllt, nämlich dass aus (x1 , y1 ) = (x2 , y2 ) folgt: x1 = x2 und y1 = y2 ). Es ist insbesondere festzuhalten, dass die klassische formale Prädikatenlogik erster und zweiter Stufe eine Theorie ist, welche in mengentheoretischen Modellen interpretiert wird. Seien F ein Prädikat und X eine Menge, so gilt damit: Wenn FX = {x ∈ X : F(x)}, dann gilt für alle a ∈ X: a ∈ FX ⇔ F(a). Oder allgemein für ein- und mehrstellige Prädikate (n ≥ 1): Eine Eigenschaft von n-Tupeln von Elementen von X ist eine Teilmenge des kartesischen Produkts von X, d.h. ist RX = {(x1 , ..., xn ) ∈ Xn : F((x1 , ..., xn ))}, dann gilt für alle a1 , ..., an ∈ X: (a1 , ..., an ) ∈ RX ⇔ F(a1 , ..., an ). Es gilt die folgende Extensionalitätsregel, durch die prädikatenlogische Sprachen als extensionale Sprachen ausgewiesen werden (cf. Hinst 1974, 268): (EXT) In einer logischen Ableitung darf von ∀x0 ...∀xn [φ(x0 , ..., xn ) ↔ ψ(x0 , ..., xn )] auf {(x0 , ..., xn ) : φ(x0 , ..., xn )} = {(x0 , ..., xn ) : ψ(x0 , ..., xn )} geschlossen werden. Im Folgenden sollen jedoch Klassen als Darstellungshilfsmittel zugelassen werden und es wird dann zur Vereinfachung nur noch von Kategorien statt Metakategorien gesprochen. Es sei hierbei bedacht, dass Klassen nicht per se dasselbe sind wie Mengen (jede Menge ist auch eine Klasse, aber umgekehrt ist nicht jede Klasse eine Menge). 408 Insbesondere seien die Klassen Ob(K) als Klasser aller Objekte der Kategorie K, und die Klasse Mor(A, B) als Klasse aller Morphismen A −→ B mit A, B ∈ Ob(K) gegeben. 9.6.3

Extensionale Hinfürung zur immanenten Selbstvermittlung: Die kanonische Faktorisierung Zunächst seien ein paar fundamentale Definitionen und Aussagen über Abbildungen aufgelistet und anschließend einige Beispiele genannt. Im Anschluss daran folgt eine kleine mathematische »Strukturtheorie« anhand von Gruppen und Vektorräumen. Es soll dabei insbesondere die kanoni-

408

Klassen sind im Grunde lediglich Abbreviationen von mengentheoretischen Formeln (mit oder ohne Parameter). Sie sind reine Sprachobjekte und Aussagen, welche Klassen enthalten, sind Kurzfassungen für echte Sätze der mengentheoretischen Sprache. K = {x : φ(x)} (für eine mengentheoretische Formel φ) ist eine echte Klasse, wenn sie nicht Element des mengentheoretischen Universums V = {x : x = x} ist, d.h. ¬∃x(x = K). (Cf. Deiser 2004: 469ff.)

302

»Morphismus statt Relation«

sche Faktorisierung von strukturerhaltenden Abbildungen ausgeführt werden: 409 Definition 7 Seien M die Metakategorie der Mengen und M, N ∈ Ob(M) Objekte dieser Kategorie, d.h. Mengen. Dann wird definiert: (1) f : M −→ N heißt eine Abbildung von M nach N, wenn jedem m ∈ M eindeutig ein f(m) ∈ N zuordnet wird, d.h. wenn gilt: Aus m = m′ folgt auch f(m) = f(m′ ). Zwei Abbildungen f und g von M nach N heißen gleich, f = g, wenn für alle m ∈ M gilt: f(m) = g(m). (2) Sei X ⊂ M eine Teilmenge von M, dann heißt die Abbildung f|X : X −→ N die Einschränkung von f auf X. (3) cod(f) wird im Falle der Kategorie der Mengen mit Im(f) bezeichnet und ist definiert als Im(f) = {n ∈ N : ∃m ∈ M : n = f(m)} = f(M). Im(f) heißt das »Bild von M unter f«. 410 Es ist eine (echte oder unechte) Teilmenge von N. f(L) mit L ⊂ M heißt das »Bild von L unter f. f−1 (N) = {m ∈ M : f(m) ∈ N}« heißt das »Urbild von N unter f«. f−1 (J) mit J ⊂ N heißt das »Urbild von J unter f«. Im Fall J = {n} (einpunktige Menge) heißt f−1 ({n}) = {m ∈ M : f(m) = n} die »Faser von f über {n}«. (4) f heißt injektiv oder linkseindeutig, wenn es zu jedem f(m) nur ein einziges m gibt, präzise: Wenn f(m) = f(m′ ) (für m ∕= m′ ), dann ist auch m = m′ . M.a.W.: f ist injektiv, wenn die Fasern von f jeweils höchstens einelementig sind. (5) f heißt surjektiv oder rechtstotal, wenn f die gesamte Bildmenge N »trifft«, d.h. wenn es für alle n ∈ N ein m ∈ M gibt, so dass n = f(m), oder anders ausgedrückt, wenn n ∈ Im(f). M.a.W.: f ist surjektiv, wenn die Fasern von f alle nicht leer sind. (6) f heißt bijektiv, wenn f injektiv und surjektiv ist.

409

Die folgenden Ausführungen richten sich im Wesentlichen nach Vorlesungsskripten von Martin Schottenloher und Gerd Fischer an der LMU München, und den Ausführungen in Brieskorn 1983 und Eckstein 1988.

Morphismus statt Relation!

303

Beispiel 1. Sei f : R −→ R mit der Vorschrift f(x) = 2x eine Abbildung, die jedem x ∈ R ein y = 2x zuordnet. Diese Abbildung ist bijektiv. Das Bild von f ist f(R) = 2R. Beispiel 2. Sei f : R+ −→ R+ mit der Vorschrift f(x) = x2 eine Abbildung, die jedem x ∈ R+ ein y = x2 zuordnet. Diese Abbildung ist bijektiv. Die Einschränkung f|Q+ : Q+ −→ Q+ ist injektiv, aber nicht surjektiv (die Gleichung x2 = 2 hat keine rationale Lösung). Beispiel 3. Sei f : R −→ R eine Abbildung mit f(x) = x2 . Für r ∈ R, r < 0 sind die Fasern leer, d.h. f−1 ({r}) = ∅. Für r = 0 ist die Faser einpunktig: f−1 ({r}) = {0}. Für r > 0 sind die Fasern zweipunktig: √ √ f−1 ({r}) = { 2 r, − 2 r}. Beispiel 4 und Definition. Sei mit M|f := {f−1 (n) : n ∈ N} die Menge aller Fasern von f bezeichnet. Die Abbildung ˆf : M|f −→ N, f−1 (n) 7→ n ist injektiv. f−1 heißt auch Umkehrabbildung von f. 411 Es folgen nun Definitionen und Bemerkungen zur kanonischen Faktorisierung. Dazu werden zunächst die Begriffe der Äquivalenzrelation und der Äquivalenzklasse benötigt:

Definition 8 Sei M eine Menge. Eine Äquivalenzrelation R bzw. x ≈ y mit x, y ∈ M ist eine Relation auf dem Kreuzprodukt M × M, welche den folgenden drei Eigenschaften genügt: (1) Der Reflexivität: R(x, x) bzw. x ≈ x, (2) der Symmetrie: (x ≈ y) ⇒ (y ≈ x), und (3) der Transitivität: (x ≈ y) ∧ (y ≈ z) ⇒ (x ≈ z).

Definition 9 Eine Äquivalenzklasse von ≈ ist die Klasse [u]≈ = {v : u ≈ v} ⊂ M. Jedes Element von [u]≈ heißt Repräsentant dieser Äquivalenzklasse. Die Menge M≈ := {[u] : u ∈ M} heißt Quotientenmenge von M bezüglich ≈.

411

Eine Abbildung f ist bijektiv genau dann, wenn die Umkehrabbildung f−1 existiert.

304

»Morphismus statt Relation«

Es gilt folgender Satz:

Satz 6 Seien M eine Menge und x ≈ y mit x, y ∈ M eine Äquivalenzrelation auf M. Dann gilt: (a) u ∈ [u]≈ , d.h. jedes u ist Element einer Äquivalenzklasse. (b) [u]≈ = [v]≈ ⇔ u ≈ v. (c) [u]≈ ∕= [v]≈ ⇔ [u]≈ ∩ [v]≈ = ∅, und (d) [u]≈ × [u]≈ ⊂≈. Aussage (c) besagt, dass Äquivalenzklassen entweder disjunkt oder identisch sind. Sie bilden damit eine Partitionierung von M, d.h. M ist die disjunkte Vereinigung aller Äquivalenzklassen bezüglich ≈. Nun sei die Quotientenabbildung definiert, die für die Strukturvererbung auf mathematischen Strukturen relevant ist: Definition 10 Sei ≈ eine Äquivalenzrelation auf einer Menge X. Die Äquivalenzklassen sind der Form [x] = {y ∈ X : x ≈ y}, und die Quotientenmenge sei X≈ = {[x] : x ∈ X}. Hierzu gibt es eine surjektive Abbildung ϕ : X −→ X≈, x 7→ [x], welche jedem x seine Äquivalenzklasse modulo ≈ zuordnet. ϕ heißt die kanonische Quotientenabbildung. Hier geht es insbesondere um die Strukturvererbungen zwischen X und X≈: »In der mathematischen Praxis hat man es [...] meist nicht einfach mit irgendwelchen Mengen zu tun, sondern mit Mengen X, die eine zusätzliche Struktur haben, z.B. in der Algebra mit Gruppen, Ringen, Körpern oder Vektorräumen. In diesen Fällen interessiert man sich vor allem für solche Äquivalenzrelationen, bei denen der Quotient X/R in natürlicher Weise mit einer Struktur gleichen Typs versehen werden kann, die er gewissermaßen von X ›erbt‹. Die kanonische Abbildung X → X/R soll dann natürlich strukturerhaltend sein, d.h. ein ›Homomorphismus‹ der betreffenden Strukturen« (Brieskorn 1983, 234). Dazu seien zunächst Verknüpfungen oder Kompositionen auf einer Menge M betrachtet: Eine Verknüpfung ⊛ sei eine Vorschrift, die jedem Paar x, y von Elementen von M ein ein Element »x ⊛ y« in M zuordnet. Beispiel:

Morphismus statt Relation!

305

Die normale Addition »+« auf der Menge der ganzen Zahlen Z, sie ordnet etwa den Zahlen 5 und -4 die Verknüpfung 5 + (−4) = 5 − 4 = 1 zu, die wiederum eine ganze Zahl ist. Oder die Verknüpfung »:« auf den rationalen 4 Zahlen Q: 52 = 2 : 5 = 0,4 = 10 , was wiederum eine rationale Zahl ist. Diese Struktur lässt sich verallgemeinern: Definition 11 Eine Menge G mit einer auf ihr definierten Verknüpfung ⊛ heißt eine Gruppe, wenn die folgenden Axiome (1) und (2) erfüllt sind: (1) Das Assoziativgesetz: (x ⊛ y) ⊛ z = x ⊛ (y ⊛ z) für alle x, y, z ∈ G. (2) Die Existenz des neutralen Elements e und inversen Elements a−1 : (α) Es gilt e ⊛ a = a für alle a ∈ G, und (β) es gilt, dass es zu jedem a ∈ G ein a−1 ∈ G gibt, so dass a−1 ⊛ a = e. (3) Wenn zudem das Kommutativgesetz x ⊛ y = y ⊛ x gilt, dann heißt die Gruppe eine abelsche Gruppe. Die Kommutativität ist jedoch nicht notwendig für Gruppen. Das hier definierte neutrale Element e ist linksneutral, d.h. es operiert von links. Aber in Gruppen ist es auch rechtsinvers, d.h. es gilt a ⊛ e = a. Und das hier definierte inverse Element heißt linksinvers, da es von links operiert. Es ist in Gruppen auch rechtsinvers, d.h. es gilt a ⊛ a−1 = e. Dies muss streng genommen ebenfalls bewiesen werden, sei hier aber ausgespart (cf. hierzu Kowalsky/Michler 1998, 10). Nun seien im Folgenden G eine (abelsche oder nichtabelsche) Gruppe mit der Verknüpfung ⊛G und G′ eine (abelsche oder nichtabelsche) Gruppe mit der Verknüpfung ⊛G′ . Es lassen sich sodann strukturerhaltende Abbildungen zwischen den Gruppen definieren. Definition 12 Eine Abbildung h : G −→ G′ heißt (Gruppen-)Homomorphismus von G in G′ , wenn für alle x, y ∈ G gilt: h(x ⊛G y) = h ( x ) ⊛G′ h ( y ) . Seien e das neutrale Element in G und e′ das neutrale Element in G′ , dann heißt die Menge Ker(h) := {a ∈ G : h(a) = e′ } der Kern des Homomorphismus h.

306

»Morphismus statt Relation«

Beispiel 5. Die Menge der reellen Zahlen R mit der normalen Addition + als Verknüpfung ⊛R ist eine abelsche Gruppe, ebenso R mit der Multiplikation »⋅«. Dann ist die Exponentialfunktion exp(x) ein Gruppenhomomorphismus zwischen der Gruppe G := (R, +) und der Gruppe G′ := (R, ⋅), denn es gilt: exp(x + y) = exp(x) ⋅ exp(y). Der Kern dieses Homomorphismus ist Ker(exp) = {x ∈ R : exp(x) = 1}. Da exp(x) = 1 ⇐⇒ x = ln(1) = 0 ist Ker(exp) = {0}. Es lassen sich weitere strukturerhaltende Abbildungen definieren: Definition 13 Sei h : G −→ G′ ein Gruppenhomomorphismus. Dann heißt h (1) ein Monomorphismus, wenn h injektiv ist, (2) ein Epimorphismus, wenn h surjektiv ist, (3) ein Isomorphismus, wenn h bijektiv ist (wenn G = G′ , dann heißen die Homomorphismen auch Endomorphismen und die Isomorphismen heißen Automorphismen von G). Bemerkung. h ist ein Monomorphismus genau dann, wenn gilt: Ker(h) = {e}. Beispiel 6. Die »Kongruenz modulo n« auf der Menge der ganzen Zahlen Z: Seien x, y ∈ Z und n ∈ N, dann heißen x und y »kongruent modulo n« (in Zeichen: x ≡ y mod n) genau dann, wenn die Differenz x − y durch n ohne Rest teilbar ist: x ≡ y mod n ⇐⇒ n teilt (x − y) ohne Rest ⇐⇒ ∃k ∈ Z : x = kn + y. Z.B. −8 ist kongruent zu 10 modulo 6, da (−8) − 10 = −18, was ohne Rest durch 6 teilbar ist. Kongruenz modulo n ist eine Äquivalenzrelation, eine Äquivalenzklasse hat die Gestalt [x] = x + nZ, und die Quotientenmenge ist ZnZ = {[0], [1], ..., [n − 1]}. Bemerkung und Definition. Wenn X = G eine Gruppe ist, dann gibt es eine Äquivalenzrelation ≈ so, dass die Quotientenmenge G≈ ebenfalls eine Gruppe ist. Letztere heißt die »Faktorgruppe von G modulo ≈«. Die kanonische Quotientenabbildung ist dann ein surjektiver Homomorphismus, d.h. ein Epimorphismus. Sie heißt der kanonische Epimorphismus von G auf G≈. Näherhin ist für einen Homomorphismus h : G −→ G′ die Abbildung ϕ : G −→ GKer(h) ein kanonischer Epimorphismus. 412 412

Definiere etwa x ≈ y :⇐⇒ h(x) = h(y), dann ist [x] = x ⊛ Ker(h) und G≈ = GKer(h).

Morphismus statt Relation!

307

Nun sei h : G −→ G′ wie oben ein Gruppenhomomorphismus und ϕ der kanonische Epimorphismus von G nach GKer(h). Es sei die Abbildung h∗ von der Quotientenmenge GKer(h) nach Im(h) betrachtet: Sie ist ebenfalls ein Gruppenhomomorphismus. Es gibt genau einen solchen Gruppenhomomorphismus mit h = h∗ ◦ ϕ. 413 h∗ ist überdies ein Epimorphismus, d.h. surjektiv. 414 Durch die Vorschrift h∗ (x ⊛ Ker(h)) := h∗ (x) für alle x ∈ G wird h∗ zum Monomorphismus, d.h. injektiv. 415 Damit kann nun die kanonische Faktorisierung definiert werden: Definition 14 Sei h : G −→ G′ ein Gruppenhomomorphismus. Dann lässt sich h zerlegen (faktorisieren) in einen kanonischen Epimorphismus ϕ : G −→ GKer(h) und einen Monomorphismus h∗ : GKer(h) −→ Im(h), so dass zusammen mit der Inklusionsabbildung j : Im(h) ↩→ G′ gilt: h = j ◦ h∗ ◦ ϕ. Dies heiße die kanonische Faktorisierung, so dass das folgende Diagramm kommutiert: / G′ O

h

G

j

ϕ



GKer(h)

h∗

? / Im(h)

h∗ ist ein Epimorphismus und Monomorphismus, d.h. h∗ ist ein Isomorphismus. Wenn h selbst bereits surjektiv ist, wird die Inklusion j nicht benötigt, und das folgende »Dreieck« kommutiert: / G′ =

h

G

h∗

ϕ

GKer(h) 413

414 415

Aus h∗ ◦ ϕ = h folgt h(x) = h∗ (ϕ(x)) = h∗ (Ker(h)) für alle x ∈ Ker(h), so dass jedes x aus Ker(h) das Bild h(x) das neutrale Element von G′ ist. Für jedes a ∈ G folgt h∗ (a ⊛ Ker(h)) = h∗ (ϕ(a)) = h(a). Da h∗ in Im(h) abbildet, gibt es zu jedem x′ ∈ Im(h) ⊂ G′ ein x ∈ G mit x′ = h(x) = h∗ (ϕ(x)). Es gilt Ker(h∗ ) = Ker(h)Ker(h) = {Ker(h)}. Ker(h∗ ) enthält lediglich das neutrale Element von GKer(h) und ist damit injektiv.

308

»Morphismus statt Relation«

Die kanonische Quotientenabbildung ϕ : X −→ X≈, x 7→ [x], welche jedem x seine Äquivalenzklasse modulo ≈ zuordnet ist surjektiv. Sei Y ebenfalls eine Menge, und f eine Abbildung f : X −→ Y. Dann kann f folgendermaßen faktorisiert werden: /Y A

f

X ϕ

(44)

f∗



X≈ Dabei ist nun ϕ surjektiv und f∗ ist injektiv. »Faktorisierung« bedeutet nun, dass die Abbildung f zerlegt werden kann in die »Faktoren« f∗ und ϕ: f = f∗ ◦ ϕ. Jede Abbildung f ist das Produkt einer surjektiven und einer injektiven Abbildung. Umgekehrt induziert jede surjektive Abbildung f : X −→ Y eine Äquivalenzrelation auf X vermöge x ≈ y ⇔ f(x) = f(y). Beispiel 7. In der obigen »Kongruenz modulo n« auf Z besitzt eine Äquivalenzklasse, wie angeführt wurde, die Gestalt [x] = x + nZ mit der Quotientenmenge ZnZ = {[0], [1], ..., [n − 1]}. Man hat damit die Partitionierung Z = (0 + nZ) ∪ (1 + nZ) ∪ ... ∪ ((n − 1) + nZ). Für einen surjektiven Homomorphismus f : Z −→ G′ von der abelschen Gruppe (Z, +) in eine Gruppe G′ erfolgt die Faktorisierung in ein surjektives ϕ und ein injektives f∗ , so dass folgendes Diagramm kommutiert: 416 / G′ ?

f

Z ϕ



f∗

ZnZ In der Kategorie der Vektorräume (als Modell für Sequenzenkalküle mit zweisortigem Träger) besitzt man ebenfalls die Möglichkeit der Faktorisierung von Vektorraumhomomorphismen bzw. linearen Abbildungen, was sogenannte Faktorräume erzeugt. Darauf sei hier jedoch nicht mehr eingegangen.

416

Dies ist insbesondere relevant für den Struktursatz für zyklische Gruppen.

Morphismus statt Relation!

309

9.6.4

Extensionale und intensionale Begriffsbildung, Negation der Negation Dialektische Zusammenhänge sind, wie oben ausgeführt wurde, der Gestalt, dass ein X dadurch bestimmt werden soll, dass es durch Negation von seinem Negativen X abgegrenzt wird, und dass diese erste Negation wiederum negiert wird (Negation der Negation) und zu einer neuen, durch das Negative vermittelten und höheren Gestalt von X zurückführt. Dies soll der positive, bestimmende Charakter der Negation sein: Beispielsweise ist das Unendliche nicht das Endliche (Negation), es ist damit vom Endlichen abgegrenzt und daher selbst begrenzt, d.h. endlich. Diese Abgrenzung muss also wieder negiert werden (Negation der Negation), d.h. das Unendliche ist erst dadurch wahrhaft das Unendliche, indem es nicht vom Endlichen abgregrenzt ist und die Einheit seiner selbst (als Abgegrenztes) und des Endlichen ist. Doch welche Negation bzw. Negation der Negation leistet so etwas? Die formallogische (aussagenlogische) Negation ist dazu nicht in der Lage, denn diese Negation wirft (in extensionaler Deutung) das negierte X auf einen unbestimmten Bereich X = {X0 , X1 , X2 , ...}, und die Negation der Negation, die von einem dieser X0 , X1 , X2 , ... wieder wegführt, führt nicht notwendigerweise zurück zu X, sondern in einen unbestimmten Bereich X′ = {X0 , X1 , X2 , ...} (cf. Wetter 1962, 126 f. und Puntel 1996). Diese Problematik tritt nicht auf, wenn man die Negation und die Negation der Negation als kategorientheoretische Morphismen in einem bestimmten Sinne auffasst. Im Folgenden soll also eine kleine Theorie der Begriffsbildung etabliert werden, die ein geeignetes Darstellungsmittel für die in dieser Studie behandelten spekulativ-dialektischen Konzeptionen sein kann (zum Folgenden cf. Schneider 2017, 237–239): Definition 15 Seien K eine Kategorie und A, B ∈ Ob(K) Objekte von K. Dann heißen A und B äquivalent (in Zeichen: A ≈ B), genau dann, wenn Mor(A, B) ∕= ∅ und Mor(B, A) ∕= ∅. Mit A ≈ B ist also eine Äquivalenzrelation gegeben. Mithilfe der Äquivalenzklassen [A] und [B] lässt sich nun der Begriff der intensionalen Negationen und der nicht-extensionalen immanenten Selbstvermittlung aufstellen. Definition 16 ∼ A =: B heiße das allgemeine Negative von A genau dann, wenn [A] ∩ [B] ∕= ∅, d.h. Mor(A, B) = ∅ ∨ Mor(B, A) = ∅.

310

»Morphismus statt Relation«

Es schließt sich in natürlicher Weise der Begriff der extensionalen Negation von A an: Definition 17 Die extensionale Negation A ist die Klasse aller B, welche ein allgemeines Negatives von A sind. Bevor zu einer intensionalen Begriffsbildung übergegangen werden kann, müssen zunächst zwei grundlegende kategorientheoretische Morphismenarten erklärt werden: (Extremale) Monomorphismen und (extremale) Epimorphismen (cf. Pumplün 1999, 20, 53 f., Dzierzon 2005, 18 f.)

Definition 18 Sei K eine Kategorie mit A, B ∈ Ob(K) und e, f, m seien K-Morphismen. Dann gilt: (1) m heißt Monomorphismus genau dann, wenn für alle K-Morphismen f und g gilt: m ◦ f = m ◦ g =⇒ f = g. (2) e heißt Epimorphismus genau dann, wenn für alle K-Morphismen f und g gilt: f ◦ e = g ◦ e =⇒ f = g. (3) Ein K-Morphismus f : A −→ B heißt Isomorphismus genau dann, wenn es einen K-Morphismus g gibt, so dass f ◦ g = idB und g ◦ f = idA . Man setzt dann g =: f−1 . (4) Extremal heißen e und m, wenn gilt: m = f ◦ e =⇒ e ist ein Isomorphismus, und e = m ◦ f =⇒ m ist ein Isomorphismus. Klassisch mengentheoretisch besagt Nr. (1) der obigen Definition nichts anderes, als dass ein Monomorphismus injektiv ist, d.h. es gilt für eine Abbildung f : A −→ B mit x ∈ A: m(f(x)) = m(g(x)) =⇒ f(x) = g(x). Definition 14 (2) besagt analog, dass ein Epimorphismus surjektiv ist, d.h. wenn f(e(x)) = g(e(x)) =⇒ f = g. Damit lässt sich jeder Morphismus in einen Epi- und Monomorphismus zerlegen (faktorisieren). Dies ist für die folgende Formalisierung dialektisch-spekulativer Zusammenhänge zentral. Zunächst lässt sich mit diesen Grundlagen die intensionale Begriffsbildung definieren:

Morphismus statt Relation!

311

Definition 19 Seien K eine Kategorie, A, B ∈ Ob(K) und f ∈ Mor(A, A). Dann gilt: (1) f heißt Affirmation genau dann, wenn f faktorisiert werden kann über einen Epimorphismus eB ∈ Mor(A, B) und einen Monomorphismus mB ∈ Mor(B, A), A ∕= B, d.h. f = mB ◦ eB . (2) Ist f ein Isomorphismus aus Mor(A, A), dann heißt f die triviale Affirmation. (3) Ist f kein Isomorphismus aus Mor(A, A), dann heiße f die spezifische Affirmation. In diesem Fall heißt eB ∈ Mor(A, B) die spezifische Negation und mB ∈ Mor(B, A) die spezifische Negation der Negation. B heißt dann das spezifische Negative zu A. (4) Ist f ein Isomorphismus aus Mor(A, A), so heißt eB ∈ Mor(A, B) die triviale Negation und mB ∈ Mor(B, A) die triviale Negation der Negation. B heißt dann das triviale Negative zu A. Die Affirmation f eines A ∈ Ob(K) bedeutet in diesem intensionalen Verständnis nun, dass f ein (Selbst)Ausdruck bzw. eine (Selbst)Artikulation von A ist, in dem Verständnis wie in der struktural-systematischen Philosophie (SSP) oben ausgeführt. Der Selbstausdruck von A lässt sich wieder in einem kommutativen Diagramm veranschaulichen: f

A eB

/A C

(45)

mB



B

Die obige Problematik, dass die Negation eines A und die Negation eines A, also die Negation der Negation nicht eindeutig sind, tritt nicht auf, wenn man die Verknüpfung von Negation und Negation der Negation in obigem Sinne a als Faktorisierung des Selbstverhältnisses A −→ A über einem Epimorphismus eA und einem Monomorphismus mA auffasst. Diese Faktorisierung ist die Hintereinanderausführung erst des Epimorphismus und dann des Monomorphismus, wobei die Faktorisierung eine Partitionierung in Äquivalenzklassen erzeugt. Der Epimorphismus ist surjektiv, d.h. rechtstotal (er trifft alles von A), und der Monomorphismus ist injektiv, d.h. linkseindeutig. Wäre die Negation nicht eindeutig, so wäre keine Partitionierung von A in Äquivalenzklassen gegeben und eA nicht surjektiv. Wäre die Negation der Negation nicht eindeutig, dann wäre mA nicht rechtseindeutig oder eA nicht surjektiv (oder beides).

312

»Morphismus statt Relation«

Abbildung 2: Zur Eindeutigkeit der Faktorisierung.

Inhaltlich kann dies anhand der klassischen Arbor Porphyreana erläutert werden: Sei A etwa der Begriff des Lebewesens (genus), unter den einzelne individuelle Exemplare a0 , a1 , a2 , ... fallen, und sei jedes dieser Individuen durch Negation bestimmt: Ein Mensch a0 ist ein vernunftbegabtes Lebewesen (species) – d.h. er ist durch die Vernunftbegabtheit von Nichtmenschen (etwa ai , ai+1 , ..., aj , aj+1 , ...) abgegrenzt (differentia specifica). Dadurch wird eine Partition von A in Äquivalenzklassen [a0 ], [ai ], [aj ], ... erzeugt. Diese bilden die große Vereinigung von A. Hiermit ist der fundamentale Unterschied zwischen dem Negativen zu etwas, hier B, und der Negation als »Operator« (Morphismus), hier eB , deutlich gemacht. Die Negation der Negation, die in dialektisch-spekulativen Konzeptionen eine zentrale Rolle spielt, ist in diesem kategorientheoretischen bzw. strukturalen Theorierahmen ebenfalls ein Morphismus, nämlich der Monomorphismus mB . Die (Selbst-)Affirmation (Selbstausdruck) f von A wird also faktorisiert über die Negation, Weiterbestimmung bzw. Vermittlung eB und das Vermittelnde B, wobei die Negation der Vermittlung bzw. die Negation der Negation mB einen Rückbezug anzeigt, der f in einem neuen Selbstausdrucksverhältnis bzw. durch eine immanente Selbstvermittlung artkuliert. f als mB ◦ eB ist also eine feinkörnigere Artikulation von A als f allein.

Damit ist die philosophisch-umgangssprachliche Idee einer ›Einheit in Differenz‹ bzw. einer ›in sich differenzierten Identität‹ bzw. einer internen Selbstvermittlung im kategorientheoretischen Modell eingeholt. In Badious Worten: »every arrow admits a decomposition into an epic arrow followed by a monic arrow. Or alternatively, given f, there exists

Morphismus statt Relation!

313

an m (monomorphism) and an e (epimorphism) such that f = m ◦ e. [...] Here as well, the ›active‹ identity that presents an arrow can be analysed in terms of the preservation and conservation of difference [...]. The essence of the question is that identity is analytically subordinate to difference« (Badiou 2014, 108).

9.6.5

Ein kategorientheoretisches Modell für die panentheistische Fundamentalstruktur Dies sei nun direkt angewandt auf die panentheistische Fundamentalstruktur, in dem Gott als All-Einheit (in Krausescher Terminologie: als Orwesen) sich selbst als Gegenüber der Welt (als Urwesen) und die Welt umfasst (cf. }| { z z}|{ D ∗ −→ W. Sei nun die mit der Klammer (...) bezeichnete AllKap. 2): G ←− Einheit als Gott G symbolisiert und Gott als Gegenüber der Welt weiterhin als G∗ . Das Selbstverhältnis Gottes als Orwesen G und Gott als Urwesen G∗ s ist das einer (Selbst-)Affirmation: oder eines Selbstverhältnis G∗ −→ G. Diese Affirmation s lässt sich nun faktorisieren über das Gegenteil bzw. das spezifische Negative von G∗ , nämlich die Welt W: s

G∗ eW

/G B

(46)

mW



W Damit ist das Selbstverhältnis s von Orwesen und Urwesen als ein Selbstvermittlungsverhältnis (Selbstoffenbarung?) über sein spezifisches Negatives, die Welt W artikuliert. Wie oben bereits gezeigt wurde, lässt sich diese Faktorisierung formal problemlos auch als eine direkte Proportionalität von Einheit (mW ) und Differenz (eW ) fassen. Die Frage nach dem Unterschied von Pantheismus und Panentheismus, von immanenter und ökonomischer Trinität usw. lässt sich hiermit nun klarer fassen: Welchen modalen Status hat diese Faktorisierung? Dies zu erörtern, erfordert den Überschritt von reiner strukturaler Darstellung zu einem explizit philosophischen Theorierahmen, d.h. zu einem philosophischen Modell. z}|{ Setzt man nun G als die Klammer der All-Einheit (...) , kann man z }| { D ∗ G ←− −→ W kategorientheoretisch als kommutatives Diagramm darstellen:

314

»Morphismus statt Relation«

s∗

G∗

>G`

D∗1

(47) D2

/W

wobei mit D2 die Negation der Differenz D (die »Negation der Negation«) bezeichnet sei und den Rückbezug zu G anzeigt. s∗ ist das Selbstverhältnis Gottes als All-Einheit G und als Gegenüber der Welt, G∗ . Oder noch präziser sei (22) dargestellt durch folgendes kommutatives Diagramm, wobei sα das »höhere« Selbstausdrucksverhältnis von G nach Duchgang durch D2 ◦ D∗ ◦ s∗ ist: G



/G O

(48)

D21

s∗



G∗

D∗1

/W

Der obige Progress würde dann folgendermaßen ansetzen (mit s∗ ∕= s∗∗ ∕= s∗∗∗ ∕= ...): G



/G O

(49)

D21

s∗



G∗

D∗1

/W O D22

s∗∗



G∗

D∗2

/W O D23

s∗∗∗



.. .

.. .

Diese Ketten, die in der Formalisierung bzw. Modellierung der panentheistischen Fundamentalstruktur auftreten, werden unten auch bei der entspre-

Morphismus statt Relation!

315

chenden Formalisierung bzw. Modellierung der dialektisch-spekulativen Methode Hegels auftreten, was grundlegende Ähnlichkeiten zwischen panentheistischer Fundamentalstruktur und dialektisch-spekulativer Methode zeigt. 9.6.6

Die Kategorie der Seinsbeziehungen: Das Sein als sich ausfaltendes singulare tantum (überseiendes Eines) Christina Schneider (2017, 229–248) untersucht zentrale Intuitionen bezüglich des Ausdrucks »Sein« und seine verschiedenen möglichen Verbindungen zum Wort »Nichts« (in extensionaler und in intensionaler Hinsicht) im hier dargelegten kategorientheoretischen Rahmen. Ihre Überlegungen seien in diesem Abschnitt wiedergegeben. Es sei C die Kategorie der Seinsbeziehungen (Ausdrucksbeziehungen und Beziehungen zu Sein und von Sein zu gewöhnlichen Ausdrucksinstanzen). Die Ausdrucksinstanzen A und ›Sein‹ S sind die Objekte dieser Kategorie und die Ausdrückens- und Seinsbeziehungen die Morphismen. Dann gelte: 1. Mor(A, S) ∕= ∅, für alle A ∈ Ob(C), d.h. jede Ausdrucksinstanz A drückt ›Sein‹, S, aus (spezifische Seinsbeziehung, »Ausdrücken«). 2. Mor(A, S) = {sA }, für alle A ∈ Ob(C), d.h. jedes A drückt S in genau einer Weise aus. Und Mor(S, S) = {idS }, d.h. Sein steht in einem »Seinsselbstbezug« zu sich (»Sein ist«). 3. Mor(S, A) ∕= ∅, für alle A ∈ Ob(C), d.h. »jede Ausdrucksinstanz A ist seiend«. 4. Mor(S, A) = {sA }, für alle A ∈ Ob(C), d.h. jedes A ist seiend in genau einer ihm eigentümlichen Weise. S ist damit kategorientheoretisch als ein ›Nullelement‹ von C ausgewiesen. Damit gilt für alle A, B ∈ Ob(C), dass sB ◦ sA ∈ Mor(A, B). Es handelt sich um den Nullmorphismus, der die eindeutige spezifische Weise ist, in der A B als seiend ausdrückt (neben unspezifischen Weisen). Es folgt weiter: Für alle A ∈ C gilt sA ◦ sA ∈ Mor(A, A): /A C

A sA



SA

B

(50)

316

»Morphismus statt Relation«

Dabei gilt: – sa ist in Epimorphismus: aus f ◦ sA = g ◦ sA folgt, dass f ∈ Mor(S, C) und g ∈ Mor(S, C) für ein C ∈ Ob(C). Damit enthält Mor(S, C) genau ein Element sC , d.h. es ist f = g. – sA ist ein Monomorphismus: aus sA ◦ f = sA ◦ g folgt, dass f ∈ Mor(C, S) und g ∈ Mor(C, S) für ein C ∈ Ob(C). Damit enthält Mor(C, S) genau ein Element sC , d.h. es ist f = g. sA ◦ sA ∈ Mor(A, A) ist eine spezifische Affirmation, wenn es kein Isomorphismus ist (dann ist sA die spezifische Negation und sA die spezifische Negation der Negation). Damit sind Seiende als diejenigen Ausdrucksinstanzen charakterisiert, die das Sein als spezifisches Negatives haben. Und schließlich ist sA ◦ sA eine triviale Affirmation, wenn es ein Isomorphismus ist. Dabei ist es aus philosophischen Gründen zu vermeiden, dass S und A isomorph sind. Sind A und S nicht isomorph, dann ist sA ◦ sA = idS , aber sA ist kein Monomorphismus und sA kein Epimorphismus. In extensionaler Hinsicht gilt: Weil für alle A, B ∈ ObC gilt: sB ◦ sA ∈ Mor(A, B) und sA ◦ sB ∈ Mor(B, A), hat kein A ∈ Ob(C) ein allgemeines Negatives. Die extensionale Negation für jedes A ∈ Ob(C) ist die leere Menge ∅. Dies gilt ebenso für S: die extensionale Negation von ›Sein‹ ist leer (›Nichts‹), und das allgemeine Negative ist nicht seiend. Das bedeutet, dass sich alle Ausdrucksinstanzen gegenseitig ausdrücken. In intensionaler Hinsicht gilt: Da Mor(S, S) = {idS }, kann Sein kein spezifisches Negatives haben (als das hypostasierte Nichts). Intensional kann ›Nichts‹ allenfalls ein triviales Negatives zu ›Sein‹ sein, aber dann wäre es isomorph zu ›Sein‹. Dies entspräche dem Beginn von Hegels Wissenschaft der Logik. Wenn man dies ausschließen möchte, muss ›Sein‹ als einziges Nullelement, d.h. als singulare tantum, ausgewiesen werden. Dies kann dadurch erreicht werden, dass C als eine Kategorie festgelegt wird, die ein und nur ein Nullelement enthält. Auf einem anderen Weg kann ›Sein‹ als singulare tantum ausgewiesen werden, indem ›Sein‹ als eine Kategorie (im mathematisch-kategorientheoretischen Sinn) S0 mit nur einem Objekt aufgefasst wird: Ob(S0 ) = {S} und Mor(S0 ) = Mor(S, S) = {idS }. ›Sein‹ ist hiermit als bestimmungsloser Selbstbezug beschrieben (in seiner minimal-bestimmten Autonomie). Um zu reichhaltigeren Bestimmungen von ›Sein‹ zu gelangen, seien die Morphismen zwischen ›Sein‹ und ›Seiende‹ betrachtet: Jedes ›Seiende‹ drückt ›Sein‹ in je einzigartiger Weise aus. Die Kategorie C0 aller Seienden besitzt kein Nullelement (was in extensionaler Hinsicht bedeutet, dass es A, B ∈ Ob(C0 ) gibt mit [A] ∕= ∅ und [B] ∕= ∅, aber [A] ∩ [B] = ∅, d.h. dass im

Morphismus statt Relation!

317

Extremfall jede Ausdrucksinstanz bezüglich jeder anderen ein allgemeines Negatives ist, d.h. dass es Bereiche von Ausdrucksinstanzen gibt, die nur einseitig verbunden oder völlig unverbunden wären – daher sollte Mor(A, B) ∕= ∅ für alle A, B gefordert werden). Die Bestimmung des ›Seins‹ dadurch, dass es für jedes A ∈ Ob(C0 ) genau eine Seinsbeziehung sA gibt, vermöge derer A ›Sein‹ ausdrückt und dadurch umgekehrt ›seiend‹ ist, sei folgendermaßen modelliert: Durch sA ◦ sA = idS ist garantiert, dass ›Sein‹ durch die Seinsbeziehung zu A differenzierter bestimmt wird (und wodurch A zu einem ›Seienden‹ wird), ohne dass sich der Selbstbezug von ›Sein‹ verändert. sA ist ein Monomorphismus, aber nicht zwingend ein Epimorphismus, und umgekehrt ist sA ein Epimorphismus, aber nicht zwingend ein Monomorphismus. Nun sei sA ◦ sA =: sAA , gelesen als ›A drückt sich selbst als seiend aus‹. sAA ist (falls es kein Isomorphismus ist) eine spezifische Affirmation. Es gelte weiterhin sAA ∈/ MorC0 (A, A) MorS (A, A) := MorC0 (A, A) ∪ {sAA } Weiterhin sei sB ◦ sA =: sAB die speziele Art, in der B durch A ausgedrückt wird, für alle Paare A, B (›A drückt B als seiend aus‹). sAB ist dabei eindeutig bestimmt. Es sei festgelegt: sAB ∈/ MorC0 (A, B) MorS (A, B) := MorC0 (A, B) ∪ {sAB } Aus der Eindeutigkeit und Einzigkeit von sA , sB , sAA und sAB folgt für alle A, B, C ∈ Ob(C0 ), für alle f ∈ MorC0 (B, C) und g ∈ MorC0 (A, B): f ◦ sAB = sAC und sBC ◦ g = sAC Damit sind sAB , sA A, sA und idS als Nullmorphismen ausgewiesen S ist somit als Kategorie bestimmt. Ihre Objektklasse ist Ob(C0 ) und ihre Morphismenklasse {MorS (A, B) : A, B ∈ Ob(S) ∪ {idS }. S ist dabei das einzige Nullelement der Kategorie S , und sAA sowie sAB sind keine Isomorphismen (denn wenn sAB = sB ◦ sA ein Isomorphismus ist, dann gibt es einen Iso f : B → A mit f ◦ sB ◦ sA = idA . Aufgrund der Assoziativität (f ◦ sB ) ◦ sA = idA , f ◦ sB ∈ MorS (S, A) folgt f ◦ sB = sA und sA ◦ sA = idA ∈ MorC0 (B, C), was ein Widerspruch ist).

318

»Morphismus statt Relation«

Damit ist ein kategorientheoretisches Modell entworfen, das folgenden ›panentheistischen‹ Intuitionen gerecht wird (Schneider 2017, 247 f.): – Das ›Sein‹ ist ein singulare tantum. – Das ›Sein‹ ist notwendig, da es kein intensionales Negatives hat (als Nullelement hat es höchstens das triviale Negative) und sein extensionales Negatives leer ist. – Die Kategorie der ›Seienden‹ (der Ausdrucksinstanzen A ∈ Ob(C0 ) ist vermöge der Morphismen sA und sA in die Seinskategorie eingebettet, sie ist eine Subkategorie von S . – Das ›Sein‹ setzt die Ausdrucksinstanzen in ihr ›Seiend-sein‹, es ist in diesem Sinne ›schöpferisch‹. – Die Subkategorie der ›Seienden‹ ist kontingent, denn jede Ausdrucksinstanz A ∈ Ob(C0 ) (jedes ›Seiende‹) besitzt durch die zweifache Verknüpfung mit dem Sein S über sA und sA ein spezifisches Negatives und eine spezifische Negation sA , sowie eine spezifische Negation der Negation sA . – Ohne die Einbettung der Subkategorie der ›Seienden‹ und ohne die Ausdrucksmorphismen sA und sA ist ›Sein‹ unexpliziert (eingefaltet), d.h. bestimmungslos. Es faltet sich vermöge der Ausdrucksmorphismen selbst schöpferisch aus in die ›Seienden‹. 9.6.7

Eine kategorientheoretische Formalisierung der dialektischspekulativen Methode Hegels (a) Prädikatenlogik versus Dialektik: Anhand der Wandschneider-Puntel-Debatte kann nachvollzogen werden, dass die Prädikatenlogik zur Darstellung der dialektisch-spekulativen Methode unzureichend ist. Wandschneider (cf. zum Folgenden Puntel 1997 und Puntel 2007, 245–253) expliziert die Sein-Nichts-Dialektik wie folgt (die Darstellung ist leicht abgewandelt): 1. Das Sein (S) ist die leere Totalität des Anfangs, es ist keine Außenbestimmung möglich. Das Nichts (N) ist Negation des Seins. 2. S und S indizieren die Begriffsebene. 3. Die Ausdrücke S-/N-artig denotieren die Eigenschaftsebene. 4. Das ist bezeichne die Ebene der Kopula. 5. S denotiert Eigenschaft des Seins, N denotiert Eigenschaft des Nichtseins.

Morphismus statt Relation!

319

Damit gilt: 1. S ist nicht − N 2. S ist nicht N 3. S ist N-artig 4. S ist S-artig 5. S ist nicht N-artig 6. N ist nicht-N-artig 7. S ist nicht-N 8. N ist S

(Definition von »Sein«) (aus 1, Begriff → Kopula) (aus 2, Kopula → Eigenschaftsebene) (aus 3, Kopula → Eigenschaftsebene) (aus 2 und 4) (aus 3 und 5) (aus 3 und 6, Eigenschaftsebene → Begriff) (aus 1 und 7)

Puntel (ebd.) formalisiert in seiner Antwort auf Wandschneider das Sein prädikatenlogisch als λx : ∃F(F(x)). Das Nichts wird einmal als »schwaches Nichts« (NS W) und einmal als »starkes Nichts« (NS T) übersetzt: 1. Schwaches Nichts (NS W): λx : ∃F(¬F(x)) 2. Starkes Nichts (NS T): λx : ¬∃F(F(x)) ↔ λx : ∀F(¬F(x)) Damit gilt: Im ersten Fall des schwachen Nichts besteht kein kontradiktorischer Gegensatz zum Sein. Im zweiten Fall des starken Nichts hingegen besteht ein kontradiktorischer Gegensatz zum Sein, jedoch folgt dann Schritt 3 in Wandschneiders Argument nicht mehr aus Schritt 2, da das Nichts überhaupt keine Eigenschaften besitzt, dies aber für das Sein nicht gelten muss. Ein Enthaltensein der Prädikatenlogik in der dialektisch-spekulativen Logik muss also verneint werden (cf. Puntel 1997). A fortiori gilt, dass die mengentheoretischen Modelle der Prädikatenlogik nicht geeignet sind, die dialektisch-spekulative Methode abzubilden. Damit ist jedoch der Versuch einer formalen Darstellung der Methode nicht gescheitert. Wenn die Prädikatenlogik versagt, dann muss untersucht werden, ob die mathematische Kategorientheorie hierfür geeignet ist. Im Hegel-Kapitel dieses Bandes wurde gesehen, dass die dialektisch-spekulative Methode die »Selbstausfaltung« einer reinen Relation beschreibt. Für ein derartiges nicht-extensionales Selbstvermittlungsverhältnis bietet sich nach allem Gezeigten die Kategorientheorie förmlich an. Kategorientheoretische Darstellung der abstrakten Methode: Dazu sei die Darstellung der dialektisch-spekulativen Methode aus dem Hegel-Kapitel angeführt und entsprechend kategorientheoretisch übersetzt: 1. Behauptung des Verstandes: Sei X ein abstraktes (unbestimmtes) Unmittelbares. Dies ist ein erstes analytisches Moment der Methode. X steht dabei in einer einfachen Selbstgleichheit SX .

320

»Morphismus statt Relation«

2. Schritt der dialektischen Vernunft: Beim Versuch, X zu bestimmen, wird DX es über die Differenz (Negation) zu seinem Negativen X bestimmt: X −→ X (Vermittlung – hier jetzt nicht als bidirektionaler Pfeil wie oben). Dabei erweist sich, dass X sein Negatives »in seinem Begriffe« enthält und durch dieses Negative X intern (weiter)bestimmt wird: X ist durch X »gesetzt«, d.h. dialektische Negation DX besagt dabei ebenso einen Übergang in die »dialektische Identität« von X und X. 3. Schritt der spekulativen Vernunft: Jedoch negiert X diese Setzung durch X in einer »Negation der Negation« D2X . Die Negation der Negation besagt einen Rückbezug, eine Aufhebung und neues Selbstverhältnis ˆSX von X: XO f

(51) D2X

SX

X

/X

DX

4. Dasselbe mit X, es enthält sein Negatives, X, »in seinem Begriffe« und ist D

X durch dieses gesetzt (dialektische Vernunft): X −→ X, negiert dies je2 doch in einer Negation der Negation DX (spekulative Vernunft) und kehrt so »bereichert« durch den »Durchgang« durch sein Negatives zu sich zurück (Rückbezug, Aufhebung, neues Selbstausdrucksverhältnis ˆSX ). Dies ist das synthetische Moment der Methode:

XO f

(52) R

ˆSX

X

/X ˆ

F

5. Am Ende ergibt sich eine »höhere Einheit« X. Die erste Unmittelbarkeit ist wieder hergestellt, aber als höhere Einheit des Unmittelbaren mit dem Vermittelten / Vermittelnden (als vermittelte oder konkrete Unmittelbarkeit). Dies ist ein zweites, höheres analytisches Moment der Methode (entscheidend für die Hegelsche dialektisch-spekulative Methode ist die zentrale Rolle der absoluten Negation D2 beim Übergang in die umfassende Klammer): z Xo

}| DX

DX

{

/X

(53)

Morphismus statt Relation!

321

Bezeichnet man die bisher erläuterte höhere Einheit oder vermittelte Unz }| { mittelbarkeit X ↔ X mit X, so kann man dies präziser als kommutatives kategorientheoretisches Diagramm darstellen:

D2X

?X_ DX

Xo

DX

(54) D2X

/X

Man erhält dann ein kommutatives Diagramm dieser Gestalt (hier nur die Richtung von X aus): sα

X s∗

/X O

(55)

D2X



X

DX

/X

Das Diagramm von X aus gesehen wäre folgender Gestalt: XO o



X

D2X

Xo

 DX

(56)

s∗

X

Hier setzt nun die Eigenart der Hegelschen dialektisch-spekulativen Methode ein: Die höhere Einheit bzw. vermittelte Unmittelbarkeit wird auf jeder Stufe vom Verstand wieder in ein neues Unmittelbares transformiert: z }| { X ←→ X =: X′ . Dann aber geht der nächste »dialektische Kreislauf« weiter: ′

D2 ′

?X _

X

X′ o

D X′ D X′

(57) D2X′

/ X′

322

»Morphismus statt Relation«

Oder, analog: sα

X′ s∗

/ X′ O

(58)

D2X′



X′

/ X′

D X′

Der seinslogische Gang der Bestimmungen bzw. dialektisch-spekulativen Schritte wäre dann folgendermaßen zu skizzieren: (X s∗



D2X



X

/ X) O

DX

/X

/ (X′ s∗



D2X′



X′

/ X′ ) O

D X′

/ X′

/ X′′ s∗



X′′

... ... (59)

wobei die wellenförmigen Pfeile jeweils die Operation des Verstandes anzeigen, aus einer höheren Einheit, d.h. einem höheren Selbstausdrucksverhältnis X(n) −→ X(n) , wieder ein abstraktes Unmittelbares X(n+1) zu machen, woran dann wieder die dialektische Vernunft mit ihrer vermittelnden Operation ansetzt und über die spekulative Vernunft dann zur nächsten höheren Einheit (Kategorie) führt, usw. (c) Kategorientheoretische Darstellung der Dialektik von Positivem und Negativem: Kategorientheoretisch lassen sich die in Kap. 2.4.1 Schritte der Dialektik des Positiven und Negativen wie folgt darstellen: P als reines Unmittelbares steht in einem Selbstbezug der spezifischen Affirmation f ∈ Mor(P, P) (das wäre Schritt 1.1). Das Gesetztsein von P durch N (Schritt 1.2) drückt sich durch einen Monomorphismus mN aus, der als Aufzeigen der inneren Wesensstruktur von P (seine Wesensbeziehung auf sein Anderes bzw. seine Präzisierung oder Weiterbestimmung durch sein Negatives) interpretiert werden kann, mithin als die spezifische Negation von P. Die Selbstständigkeit (Schritt 1.2) von P gegenüber seines Gesetztseins durch N vermöge der »sich auf sich selbst beziehenden Negation« (der Negation seines bloßen Gesetztseins durch N) kann dann als Epimorphismus eN aufgefasst werden, welcher die spezifische Negation der Negation von P ist. Die ursprüngliche Unmittelbarkeit von P (ausgedrückt durch seine spezifische Affirmation f wird also durch eine Faktorisierung des Morphismus f weiterbestimmt, was zu einem »aufgehobenen« Morphismus a führt (welcher unten als »vermittelte Unmittelbarkeit« expliziert werden wird):

Morphismus statt Relation!

323

a = mN ◦ eN

(60)

so dass das folgende Diagramm kommutiert: /P C

a

P eN

(61)

mN



N

N rein für sich wäre ebenfalls ein reines Unmittelbares und steht damit in einem Selbstbezug der spezifischen Affirmation g ∈ Mor(N, N). Als Negatives ist es aber ein Vermittelndes, es ist das Negative des Positiven, und dies drückt sich durch einen Monomorphismus mP aus, der als Aufzeigen der inneren Wesensstruktur von N (seine Wesensbeziehung auf sein Anderes, d.h. das Positive P) interpretiert werden kann, mithin als die spezifische Negation von N (N ist non-P). Die Selbstständigkeit (Schritt 2.3) von N gegenüber seiner Beziehung auf P kann dann als Epimorphismus eP aufgefasst werden, welcher die spezifische Negation der Negation von N ist. Das ursprüngliche N wird also durch eine Faktorisierung des Morphismus g weiterbestimmt, was zu einem »aufgehobenen« Morphismus b führt (welcher unten ebenfalls als »vermittelte Unmittelbarkeit« expliziert werden wird): b = mP ◦ eP

(62)

so dass das folgende Diagramm kommutiert: b

N eP

/N C

(63)

mP



P

(c) Schlusslehre und Kategorientheorie: Nun sei die Urteilslehre mit ihrem Begriff der erfüllten Kopula und die Schlusslehre in der Wissenschaft der Logik betrachtet. Die Kopula wird kategorientheoretisch nicht wie bei der Fregeschen Urteilskonzeption als ein F(x) reduktionistisch beseitigt, sondern als ein reiner Morphismus eSP zwischen dem Subjekt S und dem Prädikat P aufgefasst, welche wiederum Identitätsmorphismen sind: S

9◦

eSP

/◦e

P

(64)

324

»Morphismus statt Relation«

In der Schlusslehre wird jedes Begriffsmoment (Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit) noch einmal explizit zur Kopula selbst. Der Schluss ist nichts anderes als das Urteil, nur sozusagen in seiner Feinstruktur vergrößert. In dieser zum Schluss gewordenen Struktur permutieren die Begriffsmomente einmal vollständig durch (cf. Sans 2004, 124–127), so dass am Ende jedes Begriffsmoment die Stellung der Kopula inne hatte und damit tatsächlich alles gleich allem und verschieden von allem zugleich geworden ist. Alle Bestimmungen und die Kopula sind an der Stelle der je anderen gestanden und in der eigenen und der Bestimmung aller anderen gesetzt. Die Schlusslehre ist also eine dialektisch-spekulative Permutation. Es lässt sich zeigen, dass die Permutationen der Schlüsse ein Erzeugendensystem einer Kategorie bilden (im Sinne der mathematischen Kategorientheorie) – hierbei sei die Kopula eines Urteils X1 − X2 mit einem griechischen Buchstaben für einen Morphismus bezeichnet, so dass z.B. das Urteil E − A durch einen Morphismus ρ, σ, τ ∈ {a, i, e, o} gemäß der Kennvokale der Modi der syllogistischen Schlussfiguren dargestellt werden kann (wenn man die Kennvokale entsprechend als Morphismen interpretiert); mit der erlaubten mutatio praemissarum ergibt sich (cf. Oberschelp 1997, 122): Ein Syllogismus der Gestalt 1. Prämisse: E – B 2. Prämisse: B – A Konklusion: E – A wäre zu schreiben als EρB, BσA SY EτA, oder, als Verkettung von Morphismen: σ ◦ ρ = τ. Es genügt jedoch, die Notation ϕXY ∈ {a, i, e, o} mit X, Y ∈ {A, B, E}, paarweise verschieden, zu verwenden, so dass der Syllogismus erscheint als E − B − A ⇐⇒ ϕBA ◦ ϕEB = ϕEA . Die Kombinatorik aller Permutationen ergibt damit: 1. E − B − A: 2. E − A − B: 3. B − E − A: 4. B − A − E: 5. A − B − E: 6. A − E − B:

ϕBA ◦ ϕEB = ϕEA . ϕAB ◦ ϕEA = ϕEB . ϕEA ◦ ϕBE = ϕBA . ϕAE ◦ ϕBA = ϕBE . ϕBE ◦ ϕAB = ϕAE . ϕEB ◦ ϕAE = ϕAB .

Einsetzen ergibt mit der Faktorisierung ϕYXX = ϕYX ◦ ϕXY folgende Beziehungen: 1. ϕEA in (3.): ϕBA ◦ ϕEB ◦ ϕBE : B − E − B − A ⇐⇒ ϕBA ◦ ϕEBB = ϕBA . 2. ϕEA in (2.): ϕAB ◦ ϕBA ◦ ϕEB : E − B − A − B ⇐⇒ ϕABB ◦ ϕEB = ϕEB .

Morphismus statt Relation!

3. ϕEB in (1.): 4. ϕEB in (6.): 5. ϕBA in (1.): 6. ϕBA in (4.): 7. ϕBE in (3.): 8. ϕBE in (5.): 9. ϕAE in (4.): 10. ϕAE in (6.): 11. ϕAB in (5.): 12. ϕAB in (2.):

ϕBA ◦ ϕAB ◦ ϕEA : ϕAB ◦ ϕEA ◦ ϕAE : ϕEA ◦ ϕBE ◦ ϕEB : ϕAE ◦ ϕEA ◦ ϕBE : ϕEA ◦ ϕAE ◦ ϕBA : ϕAE ◦ ϕBA ◦ ϕAB : ϕBE ◦ ϕAB ◦ ϕBA : ϕEB ◦ ϕBE ◦ ϕAB : ϕBE ◦ ϕEB ◦ ϕAE : ϕEB ◦ ϕAE ◦ ϕEA :

325

E − A − B − A ⇐⇒ ϕBAA ◦ ϕEA = ϕEA . A − E − A − B ⇐⇒ ϕAB ◦ ϕEAA = ϕAB . E − B − E − A ⇐⇒ ϕEA ◦ ϕBEE = ϕEA . B − E − A − E ⇐⇒ ϕAEE ◦ ϕBE = ϕBE . B − A − E − A ⇐⇒ ϕEAA ◦ ϕBA = ϕBA . A − B − A − E ⇐⇒ ϕAE ◦ ϕBAA = ϕAE . B − A − B − E ⇐⇒ ϕBE ◦ ϕABB = ϕBE . A − B − E − B ⇐⇒ ϕBEE ◦ ϕAB = ϕAB . A − E − B − E ⇐⇒ ϕBEE ◦ ϕAE = ϕAE . E − A − E − B ⇐⇒ ϕEB ◦ ϕAEE = ϕEB .

Unter dieser kategorientheoretischen Modellierung würde zudem schließlich alles in einem einzigen nichttrivialen Morphismus kollabieren, der über allen anderen faktorisiert - d.h. in einer einzigen ›allumfassenden Kopula‹, in der alles enthalten bzw. eingefaltet ist. (d) Dialektik und projektive Limites Die Kategorientheorie scheint aus einem Grund für die Darstellung der Hegelschen Dialektik geeignet (das Folgende ist die Darstellung in Schneider 2017): Bekanntlich verwendet die Katagorientheorie, in ihrer Standardformulierung, Objekte und Morphismen koordiniert. Die Wichtigkeit der Morphismen wird auch, mit einem Augenzwinkern, als kategoriellen Imperativ bezeichnet: »zu einer kategoriellen Beschreibung [gehören] immer zwei Grundbegriffe – Objekt und Morphismus« (Dzierzon, 13f). Hierbei ist zu bedenken, was in der einführenden Darstellung der Metakategorie reiner Morphismen schon erläutert wurde, nämlich dass die Morphismen der relevante Teil sind, und auf die Objekte verzichtet werden kann. Es gilt: In Anwendung auf Hegels absolute Methode bzw. auf den Gang der WdL kann das dahingehend interpretiert werden, dass es die Morphismen sind, welche die »Begriffe« in ihrem dialektisch-spekulativen Fortgang anzeigen, die Objekte sind lediglich die Begriffe als »fixiert«, in ihrer »Unmittelbarkeit«. Bei der nachstehende Rekonstruktion ist dies zu beachten: die »eigentlichen« oder besonders relevanten »Begriffe« sind die Morphismen. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass jedes Objekt der Kategorie als »fixierter Begriff« genau eine Negation und Negation der Negation hat und somit genau ein »Negatives«. Diese sind netzstruktural geordnet. Ein ausgezeichnetes Objekt ist »Sein« mit den entsprechenden Morphismen, insbesondere dem identischen Morphismus, der die Identifikation von»Sein« und »Nichts« ausdrückt.

326

»Morphismus statt Relation«

In dieser kategorientheoretischen Rekonstruktion des Ganges der Logik vom Sein bis zur absoluten Idee wird »Sein« nun sowohl als Limes (auch als projektiver Limes bezeichnet) als auch als Kolimes (auch als projektiver Limes bezeichnet) ausgewiesen. Limes bzw. Kolimes bedeutet im gegenwärtigen einfachen Kontext: 1. Die Begriffe bilden eine Kategorie, deren Morphismen die Negationen, Negationen der Negationen, etc. sind: B ; die Kategorie enthalte U + 1 Objekte (darunter S für »Sein«). 2) Die natürlichen Zahlen {1, 2, ..., U} sind mit der natürlichen Ordnung versehen; damit kann {1, 2, ..., U} als endliche Kategorie aufgefasst werden mit den Morphismen i −→ j gdw i ≤ j. 3.) Jedem i ist ein Ki zugeordnent. Zu einem Limes kommt man, wenn jedem Morphismus i −→ i + 1 genau ein Morphismus n(i) (Negation von Ki ) zugeordnet wird. Ist i −→ j, dann wird diesem Morphismus der Morphismus n(i, j) := n(j) ◦ ... ◦ n(i + 1) ◦ n(i) zugeordnet. Zu S gibt es eine Familie von Morphismen si : S −→ Ki , i = 1, ..., U für welche gilt n(i, j) ◦ si = sj , i ≤ j. 417 Zu einem Kolimes kommt man, wenn jedem Morphismus i −→ i + 1 genau ein Morphismus n2 (i) : Ki+1 (Negation der Negation von Ki ) zugeordnet wird. Ist i −→ j, dann wird diesem Morphismus der Morphismus n2 (i, j) := n(i)◦ ... ◦ n2 (j − 1 + 1)◦ n2 (j) zugeordnet. Zu S gibt es eine Familie von Morphismen si : Ki −→ S, i = 1, ..., U für welche gilt si ◦ n2 (i, j) = sj , i ≤ j. 418 Die Darstellung des Verfahrens als kommutatives Diagramm:

417 418

Für jedes D mit di : D −→ Ki und n(i, j)◦di = dj , i ≤ j gibt es genau einen Morphismus h : D −→ S mit si ◦ h = di , i ≤ j. Hinweis: Es gibt aber kein weiteres D. Für jedes D mit di : Ki −→ D und di ◦n(i, j) = dj , i ≤ j gibt es genau einen Morphismus h′ : D −→ S mit h′ ◦ si = di , i ≤ j. Hinweis: Es gibt aber kein weiteres D.

Morphismus statt Relation!

S si

Ki

a i+1 ai id(S) a i+2 ◦ ◦ ◦ a3 (i, i + 1) id(i) a 3 (i)

327

S ‘ =′ N si

Ki

s i+1

s i+1 n(i)

n 2 (i)

s i+2

K i+1

id(i + 1) a 3 (i + 1)

n(i + 1)

K i+2

KU

K i+1

n 2 (i + 1)

id(i + 2)

K i+2

⋄ ⋄ ⋄ id(U)

KU

s i+2

328

»Morphismus statt Relation«

Legende und erste Interpretation: 1. Das oben stehende Diagramm kommutiert, d.h.: »aneinanderstoßende Pfeile (Morphismen)« verbinden sich zu einem weiteren Morphismus; z.B.: der Pfeil (Morphismus) n(i) von K(i) zu K(i + 1) verbunden mit id(i + 1) und weiter mit dem Pfeil n2 (i) zu K(i) »zurück« verbindet sich zum Pfeil (Morphismus) a3 (i) := n2 (i)◦ id(i + 1)◦ n(i) = (da id(...) immer »wirkungslos« ist) n2 (i)◦n(i) von K(i) auf sich selbst. Dieser Morphismus. obwohl er gleiche Quelle und gleiches Ziel hat, ist nicht identisch mit id(i). Analog sind die anderen Pfeile und Pfeilverbindungen zu lesen. 2. Das Viereck über Ki , Ki+1 und zurück zu Ki ist eine beliebige herausgegriffene Dialektik. Die Kreise darüber deuten an, dass es Vorgängerschritte gibt und die Rauten deuten an, dass das Verfahren fortgesetzt werden kann bis zu einer letzten Bestimmung – KU (ganz unten im Diagramm). Hierin liegt die Annahme, dass es endlich viel Bestimmungen gibt; sonst könnte Hegel nicht den Anspruch erheben, alle aufgezeigt zu haben. 3. Eine Fortsetzung ist durch das zweite Viereck von Ki+1 über Ki+2 und zurück skizziert. 4. Die Ki sind die »Bestimmungen« oder »Begriffe« oder »Kategorien«, die sich im »dialektischen Fortgang« zeigen. Sie zeigen sich in ihrer »Unmittelbarkeit«: id(i) : Ki ←→ Ki 419, als »Negatives zum Vorgänger« durch die Negation n(i): n(i) : Ki −→ Ki+1 und als Negation der Negation: n2 (i) : Ki+1 −→ Ki . Das »Resultat« dieser Negation ist »aufgehoben« im »Ausgang«: a3 : Ki −→ Ki und eine »reichere Bestimmung« als die des Ausgangs in seiner Unmittelbarkeit: id(i) ∕= a3 (i). 5. S und N bezeichnen »Sein« und »Nichts«. Die si bezeichnen Negationen des »Seins« durch die fortfolgenden »Negativen« und die si die entsprechenden Negationen der Negationen, welche dann zu den »Aufhebungen« – ai – aller Bestimmungen Ki , i = 1, ...U in »Sein« führen. Beispeilsweise wäre s1 = n(1), s1 = n2 (1) die Negation bzw. Negation der Negation, wie sie in der berühmten Dialektik von Sein – Nichts – Werden vorkommt. 6. »Sein« und »Nichts« sind das gleiche ist ausgedrückt durch die erste Unmittelbarkeit id(S) : S ←→ S 7. a3 (i, i + 1) (oberes Viereck) deutet an, dass sich, vermöge der Kommutativität, auch die reicheren Bestimmungen in den vorhergehenden aufgehoben sind (wie auch im »Sein«). 419

Da die Identität »nichts bewirkt«, d.h. u.A. f ◦ id = id ◦ f = f wird dieser Morphismus hier durch »←→« angezeigt

Morphismus statt Relation!

329

8. Die Kommutativität bewirkt, dass der »dialektische Prozess« an jeder Stelle begonnen werden kann oder dass S auch direkt von eine reicheren Bestimmung negiert werden kann: im Durchlauf erreicht man alle Ki und alle Morphismen und hat somit das »ganze Bild« (die absolute Idee) vollständig. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass sich die »Identitätspfeile«, das gleiche »bewirkend« auch »umdrehen können.« (Schneider 2017, 249–253).

kapitel 10

Nicht abschließende Bemerkung In dieser Studie wurde die ›Fundamentalstruktur‹ des Einheit-in-DifferenzPanentheismus (Brüntrup 2020, 212) als die Einheit von Einheit und Vielheit bzw. die Einheit von Einheit und Verschiedenheit (auch als ›Einheit-in-Differenz‹ bezeichnet) bestimmt und in einem historischen und systematischen Durchgang untersucht. Es wurden grundlegende Probleme dieses Gedankens aufgegriffen: – Wie ist diese normalsprachlich formulierte Struktur überhaupt logisch zu begreifen? – Welche Denkform impliziert sie? Ist es notwendig eine idealistische Denkform? – Induziert diese Struktur nicht unintelligible Folgen wie einen infiniten Progress? – Gehen mit dieser panentheistischen Denkform nicht Totalitätsgedanken (das ›All-Eine‹ und dgl.) einher, die einerseits von den logischen Paradoxien des 20. Jahrhunderts, andererseits aber auch von der unvermeidlichen Pluralisierung der Moderne überwunden sind? – Wie ist die Dialektik dieses Einheit-in-Differenz-Gedankens und des Inseins der Welt in Gott intelligebel zu machen? Der Weg der Untersuchung führte dabei über historisch-systematische Blütenlese hin zu dem in dieser Arbeit vorausgesetzten Theorierahmen der struktural-systematischen Philosophie L.B. Puntels. Die erste Station des historisch-systematischen Ausflugs führte zu Thomas von Aquin und dessen Gedanken eines allumfassenden »totum esse«, welches sich als diejenige Einheit erwies, vor deren Hintergrund sich Affirmation (Einheit) und Negation (Verschiedenheit) überhaupt erst vollziehen konnten. Dies war ein erster Anklang der dialektisch-panentheistischen Fundamentalstruktur. Im Anschluss wurde der Begriff der Negation und der negatio negationis anhand von Meister Eckhart aufgegriffen. Er spielt eine wesentliche Rolle in der weiteren Explikation der Fundamentalstruktur, die dann mit einem Sprung zu Hegels System unternommen wurde. Die Fundamentalstruktur trat dort als die Elementarstruktur des Gesamtzusammenhangs der Sphären des Systems auf, die sich in formaler Hinsicht als dialektisch-spekulative Methode zeigte. In der erfüllten Kopula des Urteils, die der terminus medius des Schlusses ist,

332

Nicht abschließende Bemerkung

konnte die Struktur als sich ausfaltende reine Relation aufgefunden werden, die ihre Relata (die Verschiedenen) allererst setzend aus sich »heraussetzt«. Das Ursprüngliche sind nicht die Relata, d.h. die Verschiedenen, sondern die Relation, die eine Einheit von Analysis (Einheit) und Synthesis (Vielheit) ist. Die ›Fundamentalstruktur‹ erwies sich in Hegels System als alles durchwaltend und erfuhr eine Explikation in all ihren Strukturmomenten und Modi. Die Fundamentalstruktur als ›vertikale‹, in Geschichte und Einheit der Menschheit auftretende Ur-Struktur wurde sodann in den Ekklesiologien von J.A. Möhler und J.S. von Drey behandelt: die Kirche als ursprüngliche primordiale Einheit, die sich im Gang der Geschichte ausfaltet in die verschiedenen Konfessionen, um diese am Ende der Geschichte wieder in sich aufzuheben und somit zu sich zu kommen. Es folgte der kontemporäre Denkformenstreit zwischen freiheitsanalytischer Theologie und AllEinheits-Denken, die als erneute Auflage der Auseinandersetzung zwischen transzendentalphilosophischem Antirealismus und metaphysisch-idealistischem Realismus angesehen werden kann. Insbesondere in der Transzendentalen Logik von H. Krings wurde die Fundamentalstruktur als ›Einheit von Beisichsein und Retroszendenz‹ des Transzendentalen Ich entdeckt, welche letztlich das sich ausfaltende Sein selbst ist. Dies zeigt sich ebenso bei den transzendentalen Neuthomisten Lotz und Coreth. Das Hin- und Her zwischen einer objektivistischen Metaphysik auf der einen, und transzendental-idealistischer Positionen auf der anderen Seite führte dann zur Analytischen Philosophie als Gestalt der Philosophie nach dem Hindurchgang durch die transzendentale und linguistische Wende. Gerade die linguistische Wende stellt noch einmal eine Radikalisierung der kantischen transzendentalen Wende dar. In der analytischen Philosophie stellt die struktural-systematischen Philosophie (SSP) dabei einen metaphysisch-immanenten Realismus dar, der die Dichotomie von Realismus und Antirealismus überwindet (bzw. die Dichotomie sozusagen als Einheit von ihrer Einheit und Verschiedenheit aufhebt). Dieser Ansatz kann zudem vor der Rigorosität der naturwissenschaftlichen Weltsicht und den Entwicklungen der kulturell-postmodernen Pluralität von Weltsichten bestand haben. Er vermeidet die jeweiligen Aporien der objektivistischen Metaphysik und Transzendentalphilosophie, unter Bewahrung ihrer Kernintuitionen: Es ist die von uns unabhängige Welt, die Bezugspunkt unserer theoretisch-wissenschaftlichen Bemühungen ist, und dennoch ist uns diese Welt nur in einer Pluralität von Dimensionen und Zugängen gegeben. Diese Pluralität ist jedoch keine zerfallende Pluralität, sondern eine holistische: Wir befinden uns als theoriebildende Subjekte immer schon in einer holistischprospektiven, allumfassenden Meta-Dimension, welche das Sein als sol-

Nicht abschließende Bemerkung

333

ches und im Ganzen ist. Diese Meta-Dimension ist uns aber nie »univok« gegeben, sondern in einer »analogen« systematischen Kohärenz. Dieser gesamtsystematische Standpunkt ist es erst, von dem aus die Gottesfrage in adäquater Weise behandelt werden kann. Er erlaubt und fordert eine Pluralität von systematisch-geschichtlich-hermeneutischen Methoden und Zugängen, und vereinigt sie zugleich im HOLON seines »Theoriegegenstandes«: dem allumfassenden und unendlichen Sein. Dieses allumfassende Sein zeigt sich dabei als zweidimensional: als absolut-notwendige Seinsdimension und als kontingente Seinsdimension der Seienden. Das Verhältnis der absolut-notwendigen Seinsdimension zur kontingenten Dimension zeigt sich als ›Autoimmanenz von Immanenz und Transzendenz‹ - die letzte Gestalt der Fundamentalstruktur in dieser Untersuchung. Als ein Theorierahmen, dessen Basis der Begriff der Struktur ist, kann die SSP den Gedanken einer sich entfaltenden reinen Relation in adäquater Weise entwickeln. Hierzu musste das herkömmliche formallogische Methodenbesteck der analytischen Philosophie, die mengentheoretisch-extensional interpretierten Standardlogiken, beiseite gelegt werden, denn sie sprechen den Relata als eigenständigen Entitäten eine Autonomie und Priorität zu und räumen der Relation als sie äußerlich verbindendem Dritten nur einen derivativen Status ein. Die für die struktural-systematische Philosophie angemessene logische Modellbildung bietet hingegen die mathematische Kategorientheorie, welche keine mengentheoretische Interpretation mehr darstellt, sondern die ein exaktes, nicht auf Extensionen reduziertes mathematisches Sprechen über reine Morphismen (reine Strukturen) erlaubt. Der Gedanke der kanonischen Faktorisierung von Morphismen in Epi- und Monomorphismen eignet sich, um die Idee einer sich differenzierenden Einheit (Einheit-in-Differenz) formal abzubilden: Ein selbstausdrückender Morphismus (eine Selbsteinheit) faktorisiert über einem als Negation zu verstehenden Epimorphismus, und einem als Negation der Negation interpretierbaren Monomorphismus. Damit konnte eine exakte Ausbuchstabierung der panentheistischen Fundamentalstruktur vorgenommen werden. Dialektische Einheit-in-Differenz Panentheismen sind somit als intelligibel gemäß den Standards der analytischen Philosophie ausgewiesen und können somit als ernstzunehmende Gesprächspartner im kontemporären analytischen Diskurs bestehen.

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Personenregister Badiou, A. 19, 262, 297, 312, 313, 334 Brüntrup, G. 11, 13, 16, 26 f., 30, 237, 239–245, 248, 249, 331, 334 Carls, R. 17, 18, 169, 179, 269–272, 335 Clayton, Ph. 11, 15, 335 Coreth, E. 7, 30, 43, 63, 106, 112, 120–123, 126, 129–139, 145 f., 150, 166–168, 224, 228, 230–234, 237, 251 f., 332, 335, 341, 344 Craig, W.L. 24, 335 Nicolaus Cusanus 12, 32, 39, 48, 92, 110, 125, 343 von Drey, J.S. 24, 34, 43, 49, 185–198, 332, 337 Meister Eckhart 12, 49, 84–91, 110, 179, 286, 331, 335 Eschweiler, K. 192–194, 335 Gabriel, M. 18–21, 23, 35, 249, 335 Geiselmann, R. 32, 34, 37, 188–191, 195 f., 197–201, 335 f. Fulda, H.F. 112, 335 Göcke, B.P. 11 f., 16, 18, 23, 25, 29–31, 84, 336, 342 f. Grim, P. 17 f., 262–264, 266, 336 Halfwassen, J. 180, 285, 336 Hegel, G. W. F. 12, 18, 26–28, 30–34, 37, 39, 41, 43–45, 49, 56, 73, 92, 93–183, 194–204, 214, 220, 231 f., 235, 285–287, 315 f., 318–325, 334–344 Heidegger, M. 23, 38, 42, 91, 219, 224, 252, 274, 284, 335, 340Krause Hölderlin 205, 337 Krause, K. C. F. 11, 25, 29, 31, 189, 313, 336

Krings, H. 42, 50, 203 f., 207–234, 291, 332, 337 Lotz, J.B. 100, 219, 224, 228–234, 332, 335, 338 Meixner, U. 17, 92, 294, 338 Möhler, J.A. 12, 24, 32, 34, 37, 43, 50, 185–202, 332, 335–339 Müller, K. 11, 24, 27, 51, 206, 338 f., 343 Pareigis, B. 264, 295, 297, 339 Petersen, U. 18, 39, 294, 339 f. Pröpper, Th. 37, 203, 207–209, 211–215, 226, 340 Puntel, L.B. 12, 22 f., 26, 28 f., 31, 34 f., 38–40, 45, 48 f., 51–76, 94, 98, 102–105, 109–118, 120, 123, 129, 140 f., 161–167, 170 f., 176–183, 204, 219, 232, 236–293, 309, 318 f., 331, 340 f. Pumplün, D. 41, 297, 300, 310, 340 Quine, W.O. 268, 270 f., 340 f. Rahner, K. 42, 214 f., 218, 220, 224, 228, 230, 233 f., 336, 341 Sans, G. 123, 132, 140, 146, 156 f., 324, 341 Schäfer, R. 123, 130, 146–156, 159, 166 f., 341 Schärtl, Th. 49, 240 f., 249, 293, 336, 341 Schmidt, J. 32, 111, 113, 123, 178, 281, 283, 341 f. Schottenloher, M. 261, 302, 343 Splett, J. 170, 171, 343 Striet, M. 207 f., 212, 338 f., 343 Thomas von Aquin 22, 24, 32, 38, 43, 49, 51–79, 83, 85, 87, 91, 104, 106, 175–208, 222, 232, 331, 334 ff. Weissmahr, B. 77, 245, 247, 343 f.