Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde [1 ed.] 9783428476633, 9783428076635


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Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde [1 ed.]
 9783428476633, 9783428076635

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 634

Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde Von

Reinhard Warmke

Duncker & Humblot · Berlin

REINHARD WARMKE

Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 634

Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde

Von

Reinhard Warmke

Duncker & Humblot * Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Warmke, Reinhard: Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde / von Reinhard Warmke. Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 634) Zugl.: Passau, Univ., Diss., 1992 ISBN 3-428-07663-X NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-07663-X

Meinen Eltern in Liebe und Dankbarkeit

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde i m Sommersemester 1992 von der Juristischen Fakultät der Universität Passau als Dissertation angenommen. Ihr Entstehen ist durch die geduldige Hilfestellung und die wertvollen Anregungen meines sehr verehrten Lehrers, Herrn Professor Dr. Herbert Bethge, entscheidend beeinflußt worden. Für seine freundliche Anteilnahme und wissenschaftliche Förderung möchte ich ihm an dieser Stelle meinen herzlichen Dank aussprechen. Dank schulde ich auch Herrn Professor Dr. Ferdinand O. Kopp, der die Mühe des Zweitgutachtens auf sich genommen hat. Herrn Professor Norbert Simon danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe der „Schriften zum Öffentlichen Recht". Mein besonderer Dank gilt auch meinen Kollegen am Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Wirtschaftsverwaltungsrecht der Universität Passau, Herrn Akad. Rat Dr. Steffen Detterbeck und Herrn Wiss. Assistent Dr. Jochen Rozek für ihre Unterstützung durch zahlreiche nützliche Hinweise und freundschaftliche Kritik. Schließlich möchte ich nicht vergessen, daß ohne die liebevolle Rücksichtnahme meiner Frau Pamela, die mich stets unterstützt und von anderen Dingen entlastet hat, die Fertigstellung der Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Passau, September 1992

R. Warmke

Inhaltsverzeichnis Α . Einleitung

B.

19

I.

Einordnung des Problems

19

II.

Gang der Untersuchung

23

D i e R e c h t s p r e c h u n g des B u n d e s v e r f a s s u n g s g e r i c h t s I.

II.

25

Sinn und Zweck des Subsidiaritätsprinzips

25

1. Die aktuelle Relevanz der Subsidiaritätsproblematik

25

a) Der Arbeitsanfall beim Bundesverfassungsgericht als Ausgangslage

25

b) Die Kritik an den bisher etablierten Entlastungsmechanismen....

27

c) I n der Diskussion befindliche Reformvorschläge

30

Zwischenergebnis

32

2. Begriff und Bedeutimg des Subsidiariätsprinzips

33

3. Die Funktionen des Subsidiaritätsprinzips

36

Der dogmatische Ansatz des Bundesverfassungsgerichts

39

I I I . Die Auswirkungen auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde i m einzelnen 1. Die unmittelbare Betroffenheit des Beschwerdeführers

41 41

a) Inhalt

41

b) Ausnahmen

44

2. Das Rechtswegerschöpfungsgebot des § 90 I I 1 BVerfGG a) Die strengen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts

46 46

aa) Der Rechtswegbegriff

46

bb) Sorgfalt bei der Erschöpfung des Rechtsweges

49

cc) Die Erweiterung des „Rechtsweges" durch extensive Auslegung der Fachprozeßordnungen durch das Bundesverfassungsgericht zur Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips

50

b) Der Sonderfall der Verfassungsbeschwerde gegen formelle Gesetze

53

c) Ausnahmen vom Rechtswegerschöpfungsgebot

54

10

Inhaltsverzeichnis aa) Vorabentscheidung gemäß § 90 I I 2 BVerfGG

54

bb) Unzumutbarkeit der Rechtswegerschöpfung

55

3. Das allgemeine Subsidiaritätsprinzip als eigenständige Zulässigkeitsvoraussetzung a) Der Inhalt des „allgemeinen Subsidiaritätsprinzips"

56 56

aa) Das Hauptsacheverfahren als Rechtsschutzmöglichkeit nach erfolglosem Bemühen u m vorläufigen Rechtsschutz

57

bb) Die Gegenvorstellung als „Rechtsweg" gegen gerichtliche Entscheidungen

60

cc) Berufung auf Ausnahmeregelungen (eventuell i n einem Hilfsantrag)

61

b) Der Sonderfall der Verfassungsbeschwerde gegen formelle Gesetze

61

c) Ausnahmen vom allgemeinen Subsidiaritätsprinzip

64

aa) Subsidiarität simmanente Ausnahmen, insbesondere der Zumutbarkeits vorbehält

64

bb) § 90 I I 2 BVerfGG analog

66

4. Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis

67

Zusammenfassung

68

I V . Die Entscheidungsmöglichkeiten bei einem Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip C . U n t e r s u c h u n g der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung g l e i c h z e i t i g e m V e r s u c h eines n o r m a t i v e n A n s a t z e s I.

II.

69

bei 72

Vorüberlegung: Zur Berücksichtigungsfähigkeit gerichtlicher Arbeitslast als Legitimierung der Subsidiaritätsrechtsprechung

72

1. Arbeitslasterwägungen in der Rechtsprechimg des Bundesverfassungsgerichts selbst

72

2. Die Arbeitslastproblematik bei der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde

73

Zwischenergebnis

76

Der dogmatische Ansatz des Bundesverfassungsgerichts

76

1. Verfassungsrechtliche Verankerung?

76

a) Art. 94 I I 2 G G

76

b) Art. 20 I I I G G

77

c) „Funktionsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungsorgan"

77

2. Einfach-gesetzliche Verankerung?

79

Inhaltsverzeichnis a) Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis als Ausgangspunkt des Subsidiaritätsprinzips

79

b) § 90 I I 1 BVerfGG als Ausgangspunkt des Subsidiaritätsprinzips .

82

aa) Unmittelbare Verankerung des Subsidiaritätsprinzips in § 90 I I 1 BVerfGG?

82

bb) Das Subsidiaritätsprinzip als Ausdruck der grundsätzlichen Aufgabenverteilung des § 90 I I 1 BVerfGG?

84

3. Das Subsidiaritätsprinzip als lückenschließendes Richterrecht

85

4. Stellungnahme

89

Zwischenergebnis

89

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

90

1. Allgemein

90

a) Grundlegende Kritik an der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

90

b) Folgerung

93

2. Die Ersetzung der „gegenwärtigen und unmittelbaren Selbstbetroffenheit" durch die Beschwerdebefugnis nach § 90 I BVerfGG

94

a) Das gegenwärtige Selbstbetroffensein

96

b) Das unmittelbare Betroffensein

99

aa) Der der Beschwerdebefugnis rechtliche Aspekt

zuzuordnende,

eher

materiell100

bb) Die eher verfahrensrechtliche Aussage des Unmittelbarkeitskriteriums 101 aaa) Das Vollzugserfordernis und seine unpassende Verknüpfung mit der Frage der Betroffenheit 101 bbb) Anhaltspunkte gegen das Vollzugserfordernis in der (neueren) Rechtsprechung des Gerichts 104 cc) Trennung des Betroffenseins i m Sinne der Beschwerdebefugnis vom Erfordernis der Rechtswegerschöpfung Zwischenergebnis 3. Das Rechtswegerschöpfungsgebot des § 90 I I 1 BVerfGG

106 108 109

a) Der Rechtswegbegriff i m allgemeinen

110

b) Sorgfalt bei der Erschöpfung des Rechtsweges

111

aa) Allgemein

111

bb) Das „Problem" der Verlagerung des Verfassungsrechtsschutzes in die Fachgerichtsbarkeit 113

12

Inhaltsverzeichnis aaa) Allgemein

113

bbb) Die ins Fachgerichtsverfahren „vorgezogene" Rügepflicht bezüglich Grundrechtsverletzungen 115 (1) Allgemein

115

(a) Der Grundsatz „iura novit curia" als Verpflichtung des Fachgerichts 116 (b) Keine sanktionierbare Pflichtigkeit der Prozeßpartei 119 (2) Der Sonderfall Revisionsinstanz

121

(3) Die fehlende Notwendigkeit der Berufung auf ein selbständiges Zulässigkeitsmerkmal „Subsidiaritätsgrundsatz" 124 Zwischenergebnis

125

cc) H a u p t - und Hilfsantrag

125

Zwischenergebnis

126

dd) Die

extensive

Anwendung

fachgerichtlicher

Rechtsbehelfe

und der Gegenvorstellung

127

aaa) Die extensive Auslegung des § 33 a S t P O

129

bbb) Die entsprechende Anwendung des § 513 I I Z P O

130

ccc) Die Gegenvorstellung als Rechtsbehelf i m Sinne des Subsidiaritätsprinzips 132 ddd) § 47 V w G O als Rechtsweg gegen formelle Gesetze

134

eee) Stellungnahme sungsgerichts

134

zur

Rechtsprechung

des

Bundesverfas-

(1) Keine eindeutigen Richtlinien für den Beschwerdeführer 134 (2) Aufgabe der Zurückhaltung bei der Ausgestaltung des einfachen Verfahrensrechts 138 (3) Die Entscheidung zu § 33 a S t P O

139

(4) Die Entscheidungen zu § 513 I I Z P O u n d zur Gegenvorst eilung 141 (5) Schließlich: Widerspruch zum Subsidiaritätsprinzip oder Rechtswegerschöpfungsgebot 144 fff)

Eigener Ansatz

146

(1) Abschichtung des Problems

146

(2) Der Problemfall

148

Zwischenergebnis (und Ausblick)

150

Inhaltsverzeichnis ee) Die Verweisung auf das Haupt sache verfahren bei Erschöpfung des Instanzenzuges des vorläufigen Rechtsschutzes

153

aaa) Aufsuchung der bundesverfassungsgerichtlichen Kriterien

153

(1) Unzulässige Verfassungsbeschwerden

154

(2) Zulässige Verfassungsbeschwerden

156

bbb) Stellungnahme und fehlende Notwendigkeit eines selbständigen Zulässigkeitsmerkmals „Subsidiaritätsprinzip" . . . . 158 (1) Die Drei-Punkte-Formel richts

des Bundesverfassungsge158

(a) Der erste Prüfungspunkt

158

(b) Der zweite Prüfungspunkt

159

(c) Der dritte Prüfungspunkt

160

(2) Die fehlende Notwendigkeit der Berufung auf ein selbständiges Zulässigkeitsmerkmal „Subsidiaritätsprinzip" 161 Zwischenergebnis

164

c) Der Sonderfall der Verfassungsbeschwerde gegen formelle Gesetze aa) § 47 V w G O als Rechtsweg auch gegen formelle Gesetze?

164 165

aaa) Die Argumentation in BVerfGE 70, 35 ff. — Hamburgische Bebauungsplangesetze

166

bbb) Stellungnahme

168

(1) Keine Ansatzmöglichkeit bei § 47 V w G O (2) Die vernachlässigte HmbBPIG

Korrekturmöglichkeit

Zwischenergebnis

168 bei § 3 171 173

bb) Die Bedeutung der inzidenten Normenkontrolle i m Rahmen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde 174 aaa) Verkappte Normenkontrolle?

174

bbb) Die fehlende Notwendigkeit der Berufung auf ein selbständiges Zulässigkeitsmerkmal „Subsidiaritätsgrundsatz" . . 177 (1) Was sagt § 90 I I 1 BVerfGG wirklich aus? (a) Der Wortlaut des § 90 I I 1 BVerfGG

180 181

(b) Keine zwangsläufige Nichtanwendbarkeit des § 90 I I 1 BVerfGG auf Normenverfassungsbeschwerden aus inhaltlichen Erwägungen 182 (c) Anhaltspunkte in der Rechtsprechimg des Bundesverfassungsgerichts 184

14

Inhaltsverzeichnis (2) W i e ist das Zusammenspiel von § 93 I I BVerfGG und § 90 I I 1 BVerfGG zu sehen? 185 (a) Die Aussage des § 93 I I BVerfGG

185

(b) Der Angriffsgegenstand der Verfassungsbeschwerde nach der Erschöpfung des Rechtsweges und seine Relevanz für die Fristen des § 93 BVerfGG . . 188 (3) Vereinbarkeit mit A r t . 19 I V G G Zwischenergebnis

191 196

d) Der Sonderfall der Subsidiarität bei Verfassungsbeschwerden gegen gesetzgeberisches Unterlassen 197 aa) Klage auf Erlaß oder Ergänzung untergesetzlicher Normen . . .

200

aaa) Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten, § 40 I 1 V w G O

201

bbb) Die richtige Klageart

202

(1) Keine Normerlaßklage analog § 47 V w G O

202

(2) Die allgemeine Feststellungsklage gemäß § 43 I V w G O 206 (a) Streitgegenstand

206

(b) Feststellungsfahiges Rechtsverhältnis

206

(c) Feststellungsinteresse

208

(d) Keine Subsidiarität Leistungsklage

gegenüber der allgemeinen 209

Zwischenergebnis und Entbehrlichkeit einer eigenständigen Zulassungsvoraussetzung „Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde" 211 bb) Klage auf Erlaß oder Ergänzung förmlicher Gesetze

212

aaa) Scheitern prinzipaler verwaltungsgerichtlicher Klagen a m Merkmal der „nicht-verfassungsrechtlichen Streitigkeit" . 212 bbb) Fachgerichtliche Durchsetzung von gesetzgeberischem Tätigwerden durch inzidente Normerlaß- oder Normergänzungsklagen als Rechtsweg i m Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG? 213 (1) Effektiver Fachgerichtsschutz bei echtem Unterlassen des formellen Gesetzgebers? 214 (a) Die Problematik einer adäquaten fachgerichtlichen Klageart 214 (b) Die mangelnde Kompensierbarkeit fachgerichtlichen Rechtsschutzdefizits durch Anrufung des Bundesverfassungsgerichts 216 Zwischenergebnis

218

Inhaltsverzeichnis (2) Effektiver Rechtsschutz bei unechtem Unterlassen des formellen Gesetzgebers? 218 (a) Klageart

219

(b) Die Eröffnung der Möglichkeit der Richtervorlage gemäß Art. 100 I G G durch die neuere Rechtsprechung des BundesVerfassungsgerichts 221 (aa) Die Rechtslage nach der alten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 221 (bb) Die Rechtslage nach der aktuellen Rechtsprechimg des Bundesverfassungsgerichts . 223 Zwischenergebnis und Entbehrlichkeit einer eigenständigen Zulässigkeitsvoraussetzung „Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde" 224 4. Die Rückführung des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses auf seinen eigentlichën Aufgabenbereich 225 a) Ausgangslage nach dem bisherigen Befund

225

b) Die verbleibenden Aufgaben des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses 226 Zwischenergebnis

228

5. Grenzen und Korrektive des Rechtswegerschöpfungsgebotes

229

a) Die Ausgangslage

229

aa) Rekapitulierung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 229 bb) Die grundsätzliche Situation nach der hier vertretenen Konzeption 230 Zwischenergebnis

232

b) Die mangelnde Konturiertheit der Korrektive des Rechtswegerschöpfungsgebotes nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 232 aa) Das

unklare

Verhältnis

des

Zumutbarkeitsvorbehaltes

zu

§ 90 I I 2 BVerfGG

234

aaa) Ausgangslage nach der Rechtsprechung

235

bbb) Die Fallgruppen

236

(1) Zu Fallgruppe 1

236

(2) Z u Fallgruppe 2

236

(3) Z u Fallgruppe 3

237

ccc) „Zumutbarkeit" als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 90 I I 1 BVerfGG? 238

Inhaltsverzeichnis ddd) Die Behandlung des „Zumutbarkeits Vorbehaltes" als eigenständiges Korrektiv auf der Ausnahmeebene durch das Bundesverfassungsgericht 240 bb) Das unklare Verhältnis zwischen Zumutbarkeits- und Effektivität s vorbehält 241 cc) Das unklare Verhältnis zwischen Zumutbarkeits- und Zweckvorbehalt 242 Zwischenergebnis

244

c) Versuch eines eigenen Ansatzes zum Zusammenspiel von prinzipieller Rechtswegerschöpfung und ausnahmsweisem Absehen von dieser 244 aa) Der Grundsatz

244

bb) Korrektive

245

aaa) Die Vorzugs Würdigkeit eines Verzichts auf einen eigenständigen Zumutbarkeitsvorbehalt als Ausgangspunkt der Überlegungen 245 bbb) Die Korrekturfunktion der angemessenen Auslegung des Tatbestandes des Rechtswegerschöpfungsgebotes gemäß § 90 I I 1 BVerfGG selbst 246 (1) Allgemein

246

(2) Einige Beispiele bei Normenverfassungsbeschwerden

249

Zwischenergebnis

254

ccc) Die Korrekturfunktion des § 90 I I 2 BVerfGG

255

(1) Der umfassende BVerfGG

Regelungsbereich

des § 90 I I

2 255

Zwischenergebnis

258

(2) Der „schwere und unabwendbare Nachteil"

259

(3) Das Annahmeermessen

260

(a) Kein Rechtsschutzverlust durch das dem Bundesverfassungsgericht eingeräumte Annahmeermessen 260 (b) Die Berücksichtigungsfähigkeit des „Zweckvorbehaltes" i m Rahmen des Ermessens gemäß § 90 I I 2 BVerfGG 261 cc) Anwendung der hier vertretenen „zweigliedrigen Konzeption" auf einige wichtige Einzelfalle 262 aaa) Die Verfassungsbeschwerde gegen Straf- und Ordnungswidrigkeit engesetze 262 (1) Der Straf- und Ordnungswidrigkeitenprozeß als „Rechtsweg gegen die Verletzung" von Grundrechten durch die Strafhorm 263

Inhaltsverzeichnis (2) Die Notwendigkeit des Absehens vom „Beschreiten" des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechtsweges . . . 263 (3) Vorabentscheidung gemäß § 90 I I 2 BVerfGG Zwischenergebnis

265 266

bbb) Die Irrtumsproblematik und die Problematik der umstrittenen Rechtswege und Rechtsmittel 267 Zwischenergebnis

268

ccc) Die Problematik der eindeutig entgegenstehenden fachgerichtlichen Rechtsprechung in der Sache 268 Zwischenergebnis Gesamtergebnis zu K a p i t e l C

270 270

D . Gebietsquerverweisung: D i e Subsidiarität der k o m m u n a l e n Verfass u n g s b e s c h w e r d e g e m ä ß A r t . 93 I N r . 4 b G G 272 I.

Beschwerdegegenstand

273

II.

Besch werdebefugnis

274

I I I . Das Rechtswegerschöpfungsgebot gemäß § 90 I I 1 BVerfGG 1. Die neuere Rechtsprechung

275 275

2. Keine eindeutige Auflösung der Entscheidungskollision durch das Bundesverfassungsgericht 276 3. Ausblick Ergebnis

279 282

E . S u b s i d i a r i t ä t d e r V e r f a s s u n g s b e s c h w e r d e als A u s d r u c k d e r S u b s i d i a r i t ä t der Verfassungsgerichtsbarkeit? 283 I.

Die konkrete Normenkontrolle nach Art. 100 I G G

283

II.

Die Verfahren nach A r t . 93 I Nr. 4 G G

286

I I I . Die sonstigen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht

288

Ergebnis

288

F . Zusammenfassung der wichtigsten Untersuchungsergebnisse

290

Literaturverzeichnis

297

2 Warmke

Α . Einleitung I . Einordnung des Problems

Es gibt nur wenige Einrichtungen des Rechts, die in der Bevölkerungsmeinung so durchweg positiv besetzt sind wie das Institut der Verfassungsbeschwerde 1 gemäß Art. 93 I Nr. 4 a GG, §§ 13 a, 90 ff. BVerfGG 2 . Ist sie doch der „spezifische Rechtsbehelf des Bürgers gegen den Staat" 3 und damit in den Augen des Bürgers oftmals die „Notbremse" schlechthin, mit der dem „übermächtigen" Staat in Gestalt von Exekutive, Judikative und gar Legislative 4 Einhalt geboten werden kann 5 . Die Verfassungsbeschwerde trägt damit u. a. dazu bei, „unsere freitheitliche, demokratische, soziale und rechtsstaatliche Ordnung zu sichern und zu festigen" 6 . Daß diese Mobilisierung der Verfassung gegen den Staat auch tatsächlich funktioniert, erlebt der Bürger in regelmäßigen Abständen, wenn die Medien wieder einmal eine mehr oder weniger „spektakuläre" Entscheidung der obersten Verfassungshüter vermelden können. Auf diese Weise werden dem Bürger die verfassungsmäßigen Werte unserer Grundordnung oft erst bekannt, so daß hier die Verfassungsbeschwerde auch eine wichtige Aufgabe 1 Auf das große Vertrauen der Bürger in die Verfassungsbeschwerde weist auch Geiger, E u G R Z 1988, 481 (481) hin. 2 O b w o h l sie in den Beratungen über das BVerfGG ausgesprochen umstritten war, vgl. die Nachw. bei Henning, S. 7 ff. und unten in den nachfolgenden F N . Heute wird sie sogar als „Kronjuwel" bezeichnet, vgl. Herzog i m Gespräch mit Gerhardt, Z R P 1991, 28 (29), die beide den Begriff benutzen. 3

B V e r f G E 4, 27 (30); 6, 45 (49); 6, 445 (448).

4

Schenke, N J W 1986, 1451 (1451) weist daraufhin, daß spätestens seit der N S - Z e i t der Bevölkerung das „Unrecht in Gesetzesform" bewußt ist. 5 Die wichtige psycholgische Seite dieser Eingriffsmöglichkeit betont auch Mahrenholz, FS Zeidler I I , S. 1361 (1376 in F N 34). 6

Bundesjustizminister Kinkel zum 40-jährigen Bestehen des Gerichts a m 07.09.1991 in der SZ vom 07./08.09.1991 (Nr. 207), S. 1. Ähnlich auch Lechner, BVerfGG, § 90 Anm. 3). Dabei kann insbesondere die Normenverfassungsbeschwerde Minderheiten, die bei den Gesetzesberatungen i m Parlament durch keine Lobby vertreten waren (ζ. B. nichteheliche Kinder, Strafgefangene), noch nachträglich die ihnen zustehenden Grundrechte sichern; so zu Recht Gerontas, D Ö V 1982, 440 (442).

Α. Einleitung

20

bei der Integrierung des Bürgers in das freiheitlich-demokratische Gemeinwesen durch Stärkung des demokratischen Bewußtseins übernimmt 7 . Des weiteren geht von bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen in der Regel eine starke Befriedungsfunktion — nach dem Grundsatz „Roma locuta, causa finita" — aus, die sich oft auch politisch auswirkt 8 , selbst wenn das Gericht es selbst möglichst vermeiden will, Politik zu machen 9 . Kein Wunder also, daß die Verfassungsbeschwerde i m Bewußtsein der Bürger präsent ist und sich zunehmender Beliebtheit erfreut. Diese Beliebtheit schlägt sich beim Bundesverfassungsgericht in Form erhöhten Geschäftsanfalles nieder 1 0 . In den letzten Jahren hat der Gesetzgeber sich daher bemüht, auf verschiedene Arten und Weisen der Arbeitslast beim Bundesverfassungsgericht Herr zu werden. Zu diesen Ansätzen gehört sicher u. a . 1 1 die Einführung eines Ann ahme Verfahrens durch Kammern 1 2 (§§ 15 a, 93 a ff. BVerfGG; früher „Vorprüfungsausschüsse" 13 ) und diverser Gebühren i m Verfassungsbeschwerdeverfahren 14 sowie die Unterstützung der Richter durch je zwei wissenschaftliche Mitarbeiter (vgl. § 13 GeschOBVerfG). Aber neben diesen eher verfahrenstechnischen Versuchen des Gesetzgebers hat das Bundesverfassungsgericht auch wiederholt selbst versucht, seinen Aufgabenkreis — bzw. das, was das Bundesverfassungsgericht als solchen festlegen will — inhaltlich abzugrenzen: 7

I m Ergebnis ebenso Benda/ Klein,

R N 313; Henning,

S. 2.

8

S o ζ. B. auch M . - J . Seibert, JuS 1988, L 49 (49); Zuck, M D R 84, 800 (passim) steht dieser Macht des BVerfG äußerst kritisch gegenüber. 9 S o auch Kinkel in der SZ vom 07./08.09.1991 (Nr. 207), S. 1. Zeidler, E u G R Z 1988, 207 (216) weist darauf hin, daß dem BVerfG keine political question-Doktrin in dem Sinne zur Seite steht, daß es hochpolitische Entscheidungen allein (!) deswegen ablehnen dürfe. 10 S . dazu S. 25 ff. Hinzu kommt die Tatsache, daß immer mehr Bürger rechtsschutzversichert sind, Baumgarten, Z T R 1990, 368 (368). Daß die „Außerordentlichkeit" des Gerichts eine sozialpsychologisch erklärbare Sogwirkung entfaltet, hat schon Berkemann, JR 1980, 268 (268) festgestellt. M i t Gründen für die Verfassungsbeschwerdeflut (vor allem aus strafrechtlicher Sicht) befaßt sich auch Peters, JR 1980, 265 (265 ff.). 11

M i t einigen Zugangshürden befaßt sich eingehend Schlink, N J W 1984, 89 (passim).

12

Eingeführt durch das Änderungsgesetz vom 12.12.1985, B G B l . I , 2226, abgedruckt auch bei Pestalozza, VerfprozeßR, § 2 I R N 12 (S. 34). 13

Eingeführt schon durch das Änderungsgesetz vom 21.7.1956, B G B l . I , 662, abgedr. auch bei Pestalozza, VerfprozeßR, § 2 I R N 8. 14 „Unterliegensgebühr" gem. § 34 I I , I I I ( m i t Möglichkeit der Einforderung eines diesbezüglichen Vorschusses in § 34 V I 1) BVerfGG, eingeführt durch das Änderungsgesetz von 1985, vgl. F N 12; und „Mißbrauchsgebühr" gem. § 34 I V BVerfGG, eingeführt durch das Änderungsgesetz vom 21.12.1970, B G B l . I, 1765, abgedruckt auch bei Pestalozza, VerfprozeßR, § 2 I R N 11, und erhöht durch das Änderungsgesetz 1985.

I. Einordnung des Problems

21

Dabei ist vom Bundesverfassungsgericht insbesondere die Reduzierung des Prüfungsumfanges auf die „ Verletzung spezifischen Verfassungsrechts" 15 herausgearbeitet worden, um nicht laufend als „Superrevisionsinstanz" mißbraucht zu werden 1 6 . Parallel zu diesem Ansatzpunkt hat das Bundesverfassungsgericht den „Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde" erarbeitet, der schon i m Rahmen der Prüfung der Sachurteilsvoraussetzungen die so dringend gewünschte Entlastung bringen soll 1 7 . Als Zulässigkeitshürde erspart das Subsidiaritätsprinzip dem Gericht insbesondere in vielen Fällen schon jetzt die Begründetheitsprüfung. Darüber hinaus dürfte sich das Bundesverfassungsgericht aber auch langfristig erwarten, daß bei zunehmender Bekanntheit dieser Zugangserschwernis eine A r t „Edukationseffekt" einsetzt, der zu einer Geschäftsanfall-Abnahme f ü h r t 1 8 . Nach dem Subsidiaritätsgrundsatz obliegt es zuvörderst den Fachgericht e n 1 9 (also ζ. B. Zivil-, Straf- und Verwaltungsgerichten), den für den Rechtsstaat konstitutiven Rechtsschutz der Bürger zu sichern 2 0 . Die Verfassungsbeschwerde hingegen ist nur zulässig, wenn sie „erforderlich" 21 ist, um eine Grundrechtsbeeinträchtigung zu beseitigen. Das ist dann nicht der Fall, wenn ohne Inanspruchnahme des Bundesverfassungsgerichts i m praktischen Ergebnis dasselbe erreicht werden k a n n 2 2 . 15 V g l . ζ. B. BVerfG E 1, 418 (420); 18, 85 (90 ff.); 54, 117 (123 ff.). Das BVerfG ist über diesen Begriff wohl selbst nicht glücklich, vgl. Herzog, D S t Z 1988, 287 (287) mit einer ausführlichen Behandlung des Begriffes. Siehe auch die (kritischen) Darstellungen bei Baumgarten, Z T R 1990, 368 (371); Ossenbühl, FS Ipsen, S. 129 ff.; Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I R N 13 ff. Sehr viele Nachw. finden sich bei Zuck, JZ 1985, 921 (921 in F N 8), der der Meinung ist, daß es sich u m eine Leerformel handelt; ähnlich kritisch m. v. w. Nachw. Schumann, Z Z P 96 (1983), S. 137 (180 m. F N 150); Schuppert, AoR 103 (1978), S. 43 (passim). 16

D e r Begriff stammt von Röhl, JZ 1957, 105 (106) und wird inzwischen vom BVerfG in st. Rspr. benutzt: siehe ζ. B. BVerfGE 53, 30 (53). Vgl. zu der nicht mehr übersehbaren Literatur die Nachw. bei Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 R N 13 m . F N 38 und Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 28 m . F N 51. 17

D a ß dies das eigentliche Motiv des BVerfG ist, wird von diesem nicht verheimlicht (deutlich ζ. B. in BVerfGE 51, 130 [139]) und auch in der Lit. dementsprechend dargestellt; vgl. z. B. Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I R N 10. 18

S o auch Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I R N 10.

19

Z u m Begriff Schiaich, R N 21, der viele Nachw. gibt, aber kritische Distanz wahrt. Ebenso kritisch Schumann, Z Z P 96 (1983), S. 137 (184). Vgl. auch Zuck, JZ 1985, 921 (921 in F N 4 m . w. Nachw.). 20

B V e r f G E 4, 193 (198); 9, 3 (7); 47, 144 (145); 49, 252 (258); 51, 386 (395 f.).

21

BVerfGE 59, 63 (83); st. Rspr. Vgl. auch BVerfGE 2, 287 (291): die Verfassungsbeschwerde ist keine „Vereinfachimg oder Umgehung des sonst vorgeschriebenen Rechtsweges". 22 B V e r f G E 59, 63 (83); vgl. auch BVerfGE 22, 287 (290 f.); 33, 247 (258); 51, 130 (139 f.).

Α. Einleitung

22

In den letzten Jahren hat das Bundesverfassungsgericht den „Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde" zu einer der wirkungsvollsten Zugangshürden des Verfassungsprozeßrechts verdichtet. Da dies Schritt für Schritt in einer Vielzahl von (scheinbar Einzelfall-)Entscheidungen geschah, gab es nur relativ wenige Beobachter, die frühzeitig die Konsequenzen für die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde erkannten 23 . So überrascht es denn keineswegs, wenn — bedingt durch die Unübersichtlichkeit der Kasuistik — auch heute noch Schriften über die Verfassungsbeschwerde erscheinen, für die die gesamte Subsidiaritätsproblematik quasi nicht-existent i s t 2 4 . Andere Autoren setzen demgegenüber „nur" den Subsidiaritätsgrundsatz mit dem Rechtswegerschöpfungsgebot des § 90 I I 1 BVerfGG völlig gleich und besprechen beides in einem Atemzug 2 5 . Die meisten Autoren widmen dagegen zu Recht einen großen Teil ihrer Darstellungen eben dem Phänomen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde 26 , da dieses inzwischen in ständiger Rechtsprechung immer weiter entwickelte Institut wohl heute das Problem der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde überhaupt darstellt 2 7 . Insbesondere die ausgesprochen strenge Anwendung des Subsidiaritätsgrundsatzes durch das Bundesverfassungsgericht hat inzwischen eine lebhafte Diskussion in der Literatur entfacht. Eine nähere Betrachtung dieser offenbar Verwirrung stiftenden Materie scheint daher durchaus angebracht zu sein.

23

Siehe ζ. B. die Entwicklung bei E. Klein, einem Kenner des Verfassungsprozeßrechts, der noch in AöR 108 (1983), S. 588 (607) das Subsidiaritätsprinzip dem Rechtswegerschöpfungsgebot des § 90 I I 1 BVerfGG völlig gleichsetzt, aber dann 1987 in der FS Zeidler I I , S. 1305 (1306 f.) das Kernproblem richtig herausstellt. 24

Z u m Beispiel v. Stackelberg/v. Stackelberg, passim, die dafür von Henschel, N J W 1989, 702 (702) gerügt werden. Ebenfalls nur eine einmalige Erwähnung des S u b s i d i ä r ritätsprinzips in einem eingeklammerten Einschub unter der Überschrift des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses ohne jegliche Nachw. bei Weber, JuS 1992, 122 (126). Bei Scholler/Birk, finden sich ganze 3 Sätze Erklärung in einer Fußnote (S. 70 F N 21) mit reichlich veralteter Rechtsprechung. 25 Z u m Beispiel Lechner, BVerfGG, § 90 Abs. 2, Anm. 1: einmalige Erwähnung des Subsidiaritätsprinzips in einem eingeklammerten Einschub in der Vorbemerkung zum Rechtswegerschöpfungsgebot. Auch für Laubinger, JA 1971, 177 (passim); Leibholz/Rupprecht, § 90 R N 80 ff. und Stern, StaatsR I I , § 44 I V 9, S. 1019 f. besteht Identität zwischen dem Inhalt des Subsidiaritätsprinzips und dem des Rechtswegerschöpfungsgebots (§ 90 I I 1 BVerfGG). 2 6 Vgl. hier nur die Darstellungen von Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I R N 10 ff.; Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 29 ff. und 654. 27

S o auch Bender, AöR 112 (1987), S. 169 (173).

I I . Gang der Untersuchung

23

I I · Gang der Untersuchung I m Mittelpunkt der Kritik steht die durch unübersehbare Kasuistik erschwerte Vorhersehbarkeit der Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde. In der Tat erscheint zwar das Streben des Bundesverfassungsgerichts nach Entlastung als durchaus legitim. Auf der anderen Seite muß jedoch im Auge behalten werden, daß die Verfassungsbeschwerde auch heute noch unter keinem Anwaltszwang 1 steht und — zumindest der Idee nach — tatsächlich der Rechtsbehelf des „Jedermann" sein soll 2 . So sind an das Gebot der Rechtsklarheit und -Sicherheit besondere Anforderungen zu stellen, wenn es darum geht, den Bürger in einer sinnvollen Art und Weise an das richtige Gericht zu verweisen 3 . Es soll daher untersucht werden, wie die genannte Spannungslage interessengerecht aufgelöst werden kann: Erforderlich ist in diesem Rahmen zunächst eine Bestandsaufnahme des Rechtsprechungsstandes auf der Grundlage des Subsidiaritätsprinzips (unten B.)4. Dabei soll auf kritische Kommentierungen i m Rahmen der Darstellung der Rechtsprechung zunächst weitgehend verzichtet werden, um nicht den Gesamteindruck zu beeinträchtigen. Anschließend soll eine Überprüfung der Tragfähigkeit der Aussagen der Rechtsprechung unter gleichzeitigem Versuch eines eigenen Ansatzes (unten C.) vorgenommen werden. Dabei werden besonders herausragende Rechtsprechungsergebnisse in den Mittelpunkt der Untersuchung gestellt, indem sie schwerpunktmäßig behandelt werden. Nach dieser Vorarbeit ist auch ein Seitenblick auf die „andere" Verfassungsbeschwerde des Grundgesetzes — die kommunale Verfassungsbeschwerde des Art. 93 I Nr. 4 b GG — wegen der auch dort feststellbaren Einflüsse der Subsidiaritätsrechtsprechung durchaus von Interesse (unten D.).

1

Erst in einer möglichen mündlichen Verhandlung muß sich der Bf. vertreten lassen,

vgl. § 22 I 1 BVerfGG. Diese kommt jedoch in der Praxis ohnehin kaum noch vor. 2

D a r a u f weist zu Recht auch Geiger, E u G R Z 1988, 481 (484) hin.

3

D a s fordert auch das BVerfG in anderem Zusammenhang selbst: BVerfGE 54, 277

(292 f.). Ebenso E. Klein, A ö R 108 (1983), S. 561 (624). 4 Die veröffentlichte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts konnte bis zum Abschluß des Manuskripts Ende Juli 1992 berücksichtigt werden.

24

Α. Einleitung

Schließlich stellt sich die Frage, ob die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde eventuell sogar Ausfluß einer generellen „Subsidiarität der Ver fassungsgerichtsbarkeit" ist (unten E.). Dabei muß die landesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung, die teilweise mit der des Bundesverfassungsgerichts konform geht, außer acht gelassen werden. Ein Eingehen auf die spezifischen Rechtsbehelfe der Länder würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen 5 . Lediglich einige Hinweise auf neuere Rechtsprechung 6 des BayVerfGH zur Bayerischen Verfassungsbeschwerde (BayVB) sollen in den Fußnoten gegeben werden. Die bayerische Verfassungsbeschwerde war nicht nur maßgebliches Vorbild für die Verfassungsbeschwerde des Grundgesetzes 7 . Der BayVerfGH vertritt auch bezüglich des Rechtswegerschöpfungsgebotes (Art. 51 I I 1 BayVfGHG n. F . 8 ) und des Subsidiaritätsprinzips eine mit der des Bundesverfassungsgerichts nahezu identische Auffassung, so daß eine gegenseitige argumentative Beeinflussung recht naheliegt.

5 E i n guter Einstieg bezüglich der „alten" Bundesländer findet sich hierzu jetzt bei Pestalozza, VerfprozeßR, §§ 22 ff. Siehe ebenda, § 31 I I R N 24 insbesondere das Rechtswegerschöpfungsgebot in § 55 I V 1 S a a r l V G H G bei der V B i m Saarland ( A r t . 97 Nr. 4 SVerf, §§ 9 Nr. 13, 55 ff. S a a r l V G H G ) . Weiterhin sei für die bayerische VB ( A r t . 66 i. V . m. 120 B V , Art. 2 Nr. 6, 51 ff. B a y V f G H G ) insbesondere auch hingewiesen auf Th. Meder, Art. 120 R N 17 ff. (Rechtswegerschöpfungsgebot des A r t . 51 I I 1 BayVfG H G ) und R N 24 (Subsidiarität); für die neue V B in Berlin ( A r t . 72 I I Nr. 4 V v B , §§ 14 Nr. 6, 49 ff. BerlVerfGHG) auf Pestalozza, JR 1991, 45 (47 f. zur V B und zum Rechtswegerschöpfungsgebot des § 49 I I B e r l V f G H G ) ; für die Grundrechtsklage in Hessen ( A r t . 131 I H V , §§ 45 ff. HessStGHG) auf Barwinski, Art. 131 A n m . B . I V . 1 8 f. z u m Rechtswegerschöpfungsgebot (§ 48 HessStGHG). 6 Berücksichtigt wurden die Entscheidungsbande (BayVerfGHE) 39 (1986) bis 44 (1991). 7 8

Siehe dazu unten die Nachw. auf S. 75 in F N 92.

D a s entspricht dem Art. 47 I I 1 B a y V f G H G a. F., d. h. der Gesetzeslage vor dem 10.Mai 1990.

Β . Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts I . Sinn und Zweck des Subsidiaritätsprinzips 1. D i e aktuelle Relevanz der Subsidiaritätsproblematik

Wie schon angedeutet wurde, hat sich die Relevanz und Brisanz des Grundsatzes der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde parallel mit dem enormen Arbeitsanfall entwickelt: Je größer die Verfahrensflut wurde, desto strenger wurden die noch im einzelnen zu untersuchenden Anforderungen an die Frage der „Erforderlichkeit" der Verfassungsbeschwerde. Es stellt sich daher die einleitende Frage, warum das Subsidiaritätsprinzip nicht von der Aufgabe der Arbeitslaststeuerung durch üankierende oder substituierende verfahrenstechnische Maßnahmen entlastet werden konnte. Zumindest für die Zukunft könnte bzw. müßte man versuchen, durch entsprechende Vorkehrungen einen Teil der in der Literatur geäußerten Kritik bezüglich der Rechtsprechung zu erledigen, indem man das Bundesverfassungsgericht aus dem Zwang der Freiraumverschaffung befreit.

a) Der Arbeitsanfall

beim Bundesverfassungsgericht

als Ausgangslage

Fast unmittelbar nach der Aufnahme der Arbeit durch das Bundesverfassungsgericht um den 09.09.1951 begann sich das Problem abzuzeichnen, das die Verfassungsrichter bis auf den heutigen Tag bei ihrer Arbeit verfolgt: kaum zu bewältigender Arbeitsanfall! Was zunächst durch die Tatsache verursacht wurde, daß das Bundesverfassungsgericht ursprünglich nur zwei Senate aus je 12 Richtern, aber keine Vorprüfungsgremien hatte 1 , hatte später seinen tieferen Grund in der Wöhrmann, FS Zeidler I I , S. 1343 (1344), der die Schwerfälligkeit der Meinungsbildung betont.

26

Β . Die Rechtsprechung des BundesVerfassungsgerichts

schon angesprochenen hohen Popularität des Gerichts und des (zunächst nur einfachgesetzlich geregelten 2 ) Instituts der Verfassungsbeschwerde 3. Nach der am 31.12.1989 herausgegebenen Gesamtstatistik 4 des Bundesverfassungsgerichts betrafen von den insgesamt 78.596 Verfahren allein 75.140 Verfassungsbeschwerden. In den letzten 10 Jahren hatten die 16 Verfassungsrichter sich dabei jährlich mit ca. 3000 bis 4000 Verfassungsbeschwerden zu befassen. Von den 72.628 erledigten Beschwerden waren ganze 1.086 aufgrund formeller Entscheidungen i. S. der §§ 95, 93 I I BVerfGG erfolgreich, was einem Anteil von nur 1, 5 % entspricht. Das heißt mit anderen Worten, daß 98, 5 % aller Verfassungsbeschwerden unzulässig und/oder unbegründet waren. Dabei bleibt noch anzumerken, daß die überwiegende Mehrzahl der Erledigungen heute durch die Kammern bewirkt wird. So läßt sich der Statistik für 1991 (1990) 5 entnehmen, daß 3446 (3694) Kammerbeschlüssen (davon 3219 [3079] Nichtannahmen) nur insgesamt 52 (85) Entscheidungen der beiden Senate gegenüberstehen. Das bedeutet, daß die überwiegende Mehrzahl der Verfassungsbeschwerden über die Kammern gar nicht hinauskommt 6 , woraus sich wiederum schließen läßt, daß die Beschwerden zum großen Teil schon an der Zulässigkeitsprüfung gescheitert sind (vgl. § 93 I Nr. 2 BVerfGG). Auch die deutsche Wiedervereinigung, durch die die Bundesrepublik ihre Bevölkerung um ca. 16 Millionen ehemalige DDR-Bürger und 2 Millionen Berliner, ihre Länderanzahl um 5 Bundesstaaten und ihre Rechtsprobleme um einen nicht quantifizierbaren Bestand an „Altlasten" und Umstellungsproblemen erweitert hat, wird nicht gerade zu einer Entschärfung der Situation beitragen. 2 E r s t durch das 19. Änderungsgesetz zum G G vom 29.1.1969, BGB1.I, 97 f. wurde die Verfassungsbeschwerde — i m Zusammenhang mit der Notstandsverfassung, vgl. Benda/Klein, R N 316; Geiger, E u G R Z 1988, 481 (482) — ausdrücklich auf der Verfassungsebene verankert, obwohl sie schon von Anfang an i m BVerfGG festgelegt war. 3 D i e Entstehungsursachen der allgemeinen Gerichtsüberlastung versucht Fischer, D Ö V 1988, 1040 ff. zu klären. Auch Zuck, M D R 84, 800 (801) beklagt, daß die „Bereitschaft, eine (fachgerichtliche) Entscheidung als verbindlich hinzunehmen, gering entwickelt (sei) und immer noch geringer (werde)". 4

Siehe dazu die genaue Aufstellung bei Pestalozza, VerfprozeßR, Anhang zu § 20 R N

142. 5

Siehe N J W 1992, Heft 14, S. X I I . Für das Jahr 1989 siehe auch Pestalozzi, prozeßR, Anhang zu § 20 I I I 1.

Verf-

6 Es kommt daher bei der Einlegung der Verfassungsbeschwerde entscheidend auf die Güte der Antragsschrift an, vgl. Baumgarten, Z T R 1990, 368 (372). Siehe dazu auch Benda/Klein, R N 311.

I. Sinn und Zweck des Subsidiaritätsprinzips

27

I m Gegenteil: Nach Aussage des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Herzog ist eine neue „Verfahrenslawine" konkret absehbar und sendet bereits ihre Vorboten 7 . Insbesondere sei die Belastung des Gerichts im Jahre 1991 gegenüber dem Vorjahr 8 um 20 % gestiegen 9 , wobei zwar „erst" 226 Verfahren aus den neuen Ländern anhängig seien, das Gericht aber eine „Bugwelle" von Verfassungsbeschwerden durch Schwierigkeiten beim Justizaufbau i m Osten noch „vor sich herschiebe". Diese zu erwartenden Verfahren seien zwar „das Schlimmste"; hinzu kämen aber auch noch eine beträchtliche Zahl von Verfassungsbeschwerden aus den alten Ländern wegen Rückgabeansprüchen bezüglich Grundstücken in der ehemaligen D D R 1 0 . Wenn sich an der gegenwärtigen Rechtslage nichts ändern würde, werde das Bundesverfassungsgericht „tatsächlich voll absaufen" 11 .

b) Die Kritik

an den bisher etablierten

Entlastungsmechanismen

Es stellt sich angesichts dieser Lage zunächst die Frage, ob die bis dato eingeführten Verfahrensmechanismen die zu erwartende Mehrarbeit nicht nur schon effektiv auffangen können, sondern auch vom rechtsstaatlichen Standpunkt her so akzeptabel sind, daß man sie eventuell sogar noch ausbauen könnte. Obwohl die Erwartungen einiger Autoren an die „Abschreckungswirkung" der Unterliegens- und Mißbrauchsgebühren des § 34 BVerfGG groß waren 1 2 , hat sich im Rahmen der oben wiedergegeben Statistik gezeigt, daß durch die Einführung von Gebühren kein merklicher Eingangsrückgang erreicht werden konnte 1 3 . Wenn erst einmal die von Herzog befürchtete „Flutwelle" der Verfassungsbeschwerden aus den neuen Bundesländern 7

Herzog

in der SZ vom 22./23. Februar 1992 (Nr. 44), S. 2.

8

N a c h der Statistik von 1990 ( N J W 1992, Heft 14, S . X I I ) waren damals 3400 Neueingänge zu verzeichnen. 9 N a c h der Statistik von 1991 ( N J W 1992, Heft 14, S . X I I ) gab es 4077 Neuzugänge (davon 3904 Verfassungsbeschwerden). 10 Herzog, SZ, S. 2 fordert in diesem Zusammenhang wieder einmal, daß die Voraussetzungen für die Nichtannahme von Verfassungsbeschwerden erleichtert werden müßten. 11 12

Herzog, Z R P 1991, 28 (30).

Z u m Beispiel Benda, S. 35 f.

N J W 1980, 2097 (2102); Geiger,

Einige Besonderheiten,

13 D a ß Gebühren überhaupt zur Bewirkung eines Entlastungseffekts geeignet sind, bezweifeln Becker, RiA 1987, 134 (136 f.); Fritz, AnwBl. 1986, 357 (363); Mirbach, N J W 1986, 2096 (2096 f.); Ulsamer, E u G R Z 1986, 110 (112); Wöhrmann, FS Zeidler I I , S. 1343 (1356 f.) und Zuck, M D R 84, 800 (802 f.), der davon spricht, daß mit „Sedativa Ursachen verdeckt" werden, u m einen „(schönen) Schein" zu erzeugen. Dabei muß m a n

28

Β . Die Rechtsprechung des Bundeserfassungsgerichts

das Bundesverfassungsgericht erreicht, wird jedenfalls die Filterwirkung der Gebühr das Gericht nicht mehr merklich entlasten können 1 4 . Zu diesen Zweifeln kommt die schon von mehreren Seiten kritisierte, geradezu willkürlich erscheinende Bemessung der Gebühren in der Vergangenheit h i n z u 1 5 , die eher gegen eine extensivere Handhabung der „Kostenschraube" spricht 1 6 . Die Vorprüfung und -filterung der einlaufenden Verfassungsbeschwerden durch zwei Präsidialräte (§12 GeschOBVerfG 17 ) ist gleichfalls stark umstritten. Halten die Präsidialräte eine Verfassungsbeschwerde übereinstimmend für aussichtslos, tragen sie sie in das „Allgemeine Register" ein (vgl. §§ 60 I I lit. a, 61 I 2, 3 GeschOBVerfG). Der Beschwerdeführer wird dann auf die Bedenken hingewiesen 18 , und nur wenn er unbeirrt weiter auf einer Entscheidung beharrt, wird das Verfahren an die Kammern weitergeleitet (§ 61 I I GeschOBVerfG). Dabei wird nicht nur kritisiert, daß nach Belehrung durch die Präsidialräte — für den unkundigen Beschwerdeführer stellen diese konkret „Das Bundesverfassungsgericht" dar — schon viel Mut gehört, weiter auf Entscheidung zu drängen. Es wird auch bezweifelt, daß zwei Räte die Tausende von Verfassungsbeschwerden angemessen prüfen können 1 9 . Jedenallerdings berücksichtigen, daß es heute wohl schon als Erfolg zu werten sein dürfte, wenn man wenigstens den Anstieg der Beschwerdeeingänge abbremsen konnte. 14 H i n z u kommt, daß in der Vergangenheit insbesondere die Mißbrauchsgebühr des § 34 I V BVerfGG durch eine vorsichtige Handhabung seitens des Gerichts keine große Bedeutung gewonnen hat: Z u m Beispiel wurde 1987 überhaupt nur vierzigmal eine Mißbrauchsgebühr zwischen D M 50,- und 5000,- erhoben, davon 27 Gebühren in Höhe von D M 800,- und niedriger (übrigens erhebt nur der 2. Senat Gebühren unter D M 1000,-, beim 1. Senat ist dies die Mindest-Mißbrauchsgebühr), vgl. den Nachw. bei Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 996. D a m i t dürfte weder eine Abschreckung erzielt werden können, noch wird die nötige Distanz zur „normalen" Unterliegensgebühr des § 34 I I BVerfGG gewahrt, wie auch Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 993 ff. kritisiert. Ein Wandel in der Kostenhandhabung könnte sich jedoch jüngst mit BVerfG N J W 1992, 816 ff. eingeläutet haben: keine Auslagenerstattung auch bei begründeter Normenverfassungsbeschwerde, wenn für den Bf. erkennbar bereits Verfassungsbeschwerden in der gleichen Sache erhoben waren (hier: EinigungsV)! Siehe aber auch BVerfG N J W 1992, 818 f. und N J W 1992, 1952 f. 15 Den gleichen Eindruck von Willkür bei der Gebührenfrage haben auch Mirbach, N J W 1986, 2096 (2096 f.); Schiaich, R N 70; G. Seibert, FS Hirsch, S. 491 (511 f.). 16

Ä h n l i c h G. Seibert, FS Hirsch, S. 491 (517).

17

Abgedruckt u. a. bei Zuck, Verfassungsbeschwerde, Anhang I , R N 1164.

18 Daher spricht Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I R N 9 von „einer Art Belehrungsverfahren" . 19 Ä u ß e r s t kritisch ζ. B. Schlink, N J W 1984, 89 (90 f.), der vor allem die Rechtsgrundlage „nur" in der Geschäftsordnung des BVerfG für bedenklich hält; dem stimmen ζ. B. auch Becker, Ri A 1987, 134 (134); Gusy, Verfassungsbeschwerde, R N 283 und Zuck, Verfassimgsbesch werde, R N 260 mit Nachdruck zu.

I . Sinn und Zweck des Subsidiaritätsprinzip

29

falls für einen weiteren Anstieg der Verfahrenszahl erscheint dies in der Tat bedenklich. Aber auch die Etablierung eines „inoffiziellen dritten Senates" durch Beiordnung von wissenschaftlichen Mitarbeitern bringt Komplikationen mit sich 2 0 . Nicht nur wird eine weitere Erhöhung der Mitarbeiterzahl an der Notwendigkeit scheitern, daß sich dann der einzelne Richter mit den Berichten von drei oder mehr Mitarbeitern sorgfältig auseinander setzen muß, was schon aus zeitlichen Gründen irgendwann einmal an die Grenzen des Machbaren stoßen dürfte 2 1 . Zu berücksichtigen ist auch, daß schon die momentane Praxis mit Hinweis auf die Rechtsgrundlage („nur" GeschOBVerfG) und die mangelnde Transparenz der Zuständigkeiten für den Bürger herber Kritik ausgesetzt i s t 2 2 . Gleiches gilt für eine weitere Verlagerung von Kompetenzen über den bisherigen Status hinaus auf die Kammern, die natürlich unbestreitbar entlastende Wirkung h ä t t e 2 3 . Insbesondere herrscht aber i m Schrifttum fast schon Einigkeit darüber, daß die mangelnde Begründungspflicht, die Nichtveröffentlichung und die dadurch bedingte Undurchsichtigkeit der Entscheidungsfindung für die Akzeptanz des Bundesverfassungsgerichts überaus abträglich s i n d 2 4 . Alles in allem trog jedenfalls der zwischenzeitliche Optimismus, man könne mit den vorhandenen Mitteln die Verfahrensflut bewältigen 2 5 .

2 0 21

Verteidigend allerdings z. B. G. Seibert, FS Hirsch, S. 491 (499).

So ausdrücklich Benda, N J W 1980, 2097 (2102 f.); Berkemann, und G. Seibert, FS Hirsch, S. 491 (517).

JR 1980, 268 (269)

22 S i e h e dazu Becker, R i A 1987, 134 (135); Zuck, M D R 84, 800 (800 m . F N 11); ders., Verfassungsbeschwerde, R N 261. 23 D a h e r befürworten Wöhrmann, FS Zeidler I I , S. 1343 (1358 f.) und Ulsamer, E u G R Z 1986, 110 (115) eine Ausdehnung der Kompetenzen der Kammern auf das Verfahren der konkreten Normenkontrolle. Positiv auch der ehemalige Präsident des BVerfG Benda, N J W 1980, 2097 (2097 f.). 24 Vgl. zur Entwicklung des Vorprüfungsverfahrens Sailer, Z R P 1977, 303 (304 f.), der der großen Bedeutimg dieser Gremien sehr kritisch gegenübersteht. Kritisch auch Fritz, AnwBl. 1986, 357 (363); Gusy, Verfassungsbeschwerde, R N 294; Low, DVB1. 1973, 941 (passim); Schiaich, R N 251; G. Seibert, FS Hirsch, S. 491 (499 ff.); Zacher, BVerfG u. G G I , S. 396 (422 f.); Zuck, Z R P 1973, 233 (238 f.). Siehe die weiteren Nachw. zu Kritikern bei Schlink, N J W 1984, 89 (91 in F N 15). Anderer Ansicht allerdings Benda, N J W 1980, 2097, der (sicher zu Recht) sowohl Art. 103 I G G für nicht verletzt als auch die fehlende Begründungspflicht für sinnvoll hält (S. 2100 f.). Schiaich, R N 258 spricht sich sogar für ein gesetzliches Begründungs verbot aus, u m die Stellung der Kammern zu klären. 2 5

So auch Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I R N 6; Schiaich, R N 251.

30

Β . Die Rechtsprechung des Bundeserfassungsgerichts

c) In der Diskussion befindliche

Reformvorschläge

Nachdem sich mit der deutschen Wiedervereinigung die Zahl der potentiellen Beschwerdeführer um Millionen von Bürgern erhöht hat und die quantitative bzw. qualitative Zunahme der Rechtsprobleme überhaupt noch nicht abgeschätzt werden kann, hat sich die Diskussion um mehr oder weniger „radikale" Entlastungsmaßnahmen erneut in Gang gesetzt 2 6 . Sicher eines der in nähere Erwägung zu ziehenden Entlastungsvorschläge ist die Einführung eines Anwaltszwanges 27. Der Vorschlag ist altbekannt 2 8 ; nicht ganz so alt ist die damit im Zusammenhang stehende Forderung der Etablierung eines Fachanwaltes für Verfassungsrecht 29. Dieser erscheint in der Tat deswegen als sinnvoll, weil schon heute ca. 66 % der Verfassungsbeschwerden von Anwälten vertreten werden, welche aber an der ζ. T. katastrophalen Qualität der unzulässigen oder offensichtlich unbegründeten Verfassungsbeschwerden mangels entsprechender Kenntnisse überwiegend nichts ändern können 3 0 . Ganz allgemein ist aber jeder Anwaltszwang nicht zuletzt wegen der Kostenproblematik und des Kontaktverlustes zwischen Gericht und Bürger stark umstritten 3 1 . Ebenso kontrovers ist der Vorschlag, die Anzahl der Verfassungsrichter oder/und der Senate zu erhöhen 32. Dabei ist auch die Schaffung eines „ D D R - Spezialsenates" (in Verbindung mit speziellen Regeln für die Verfassungsbeschwerden ehemaliger DDR-Bürger) als Antwort auf die Wie-

26 Z u Entlastungsmaßnahmen außerhalb des BVerfGG (ζ. B. die Einführung einer zivilprozessualen Anhörungsrüge) vgl. die Bemerkungen im Laufe der Untersuchung i m Kapitel C. 27 Z u m Beispiel ausdrücklich i m Hinblick auf die Wiedervereinigungsproblematik Herzog, Z R P 1991, 28 (28 f.). Ebenso für Anwaltszwang auch Geiger, Einige Besonderheiten, S. 34 f.; Sailer , Z R P 1977, 303 (310); Schneider, DVB1. 1969, 325 (335); Zuck, M D R 1984, 800 (802 in F N 29); ders., AnwBl. 1985, 609 (610), der insbesondere den Beratungs- und EntlastungsefTekt und die Qualitätsverbesserung der Beschwerdeschrift hervorhebt. 2 8 Schon Redelberger, ausgesprochen.

NJW

1953,

361

(365) hat

sich für

den

Anwaltszwang

29 Herzog, Z R P 1991, 28 (28 f.); Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 283; ders., AnwBl. 1985, 609 (612). 30 S o ausdrücklich Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 282, 283 m . F N 61; ders. Z R P 1973, 233 (235); ders., AnwBl. 1985, 609 (612). 31

Z u m Beispiel dagegen Benda, N J W 1980, 2097 (2101 f.); Mahrenholz, FS Zeidler I I , S. 1361 (1363); Mirbach, N J W 1986, 2096 (2097); Wöhrmann, FS Zeidler I I , S. 1343 (1357). Die Befürworter führen dagegen wohl zu Recht an, daß der Kontakt zum Gericht dem Bürger nichts nützt, wenn er mit einer offensichtlich völlig aussichtslosen Verfassungsbeschwerde beim Gericht „abblitzt". 32 Sailer, Z R P 1977, 303 (310): 3. Senat durch Neuverteilung der bisherigen Richter oder durch Berufung weiterer Richter.

I. Sinn und Zweck des Subsidiaritätsprinzips

31

dervereinigung ernsthaft vorgeschlagen worden 3 3 . Auch dieser Vorschlag dürfte auf den Widerstand der herrschenden Meinung stoßen, die nicht zu Unrecht auf die steigende Gefahr divergierender Entscheidungen verweist. Divergierende Entscheidungen haben schon heute — bei zwei Senaten — wegen der Rolle des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungsorgan recht unangenehme Folgen 3 4 . Einen noch radikaleren Eingriff in unsere Verfassungslandschaft stellt der immer wieder aus der Versenkung auftauchende Vorschlag dar, die Verfassungsbeschwerde völlig 35 oder wenigstens die Urteilsverfassungsbe36 schwerde abzuschaffen. Dem folgen zu Recht die überwiegende Lehre 3 7 und auch der Gesetzgeber 38 bis jetzt nicht. Es erscheint als einigermaßen erstaunlich, das Problem der Belastung des Bundesverfassungsgerichts dadurch lösen zu wollen, daß man das Bundesverfassungsgericht seines wichtigsten Aufgabenbereiches beraubt: Selbst die wenigen erfolgreichen (und auch eine ganze Reihe der erfolglosen) Verfassungsbeschwerden haben schließlich den Löwenanteil an der Ausgestaltung unserer heutigen Verfassungswirklichkeit. Daß in Zukunft nur noch in diesem Sinne „unwichtige" — da bereits hinreichend geklärte — Fragen gestellt oder anders behebbare Rechtsverletzungen per Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden würden 3 9 , dürfte eine nicht belegbare Unterstellung bleiben. Schließlich wird regelmäßig vor allem vom jeweiligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts gefordert, es müsse ein „echtes" Annahmeverfahren nach Vorbild des amerikanischen Supreme Courts eingeführt werden, also das sogenannte certiorari- Verfahren 40. Dabei handelt es sich 33

Zuck,

M D R 1990, 595 (596).

34

V g l . z. B. Berkemann, JR 1980, 268 (269); Mahrenholz, FS Zeidler I I , S. 1361 (1363); G. Seibert, FS Hirsch, S. 491 (517) und ausführlich Wöhrmann, FS Zeidler I I , S. 1343 (1357 m. w. Nachw. in F N 48, 1360), der auch auf Beispiele in der Vergangenheit hinweist. Ebenso Becker, R i A 1987, 134 (135). 35 36

H e u t e ζ. B. wieder Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I R N 7.

Zuck,

Verfassungsbeschwerde, R N 263 f.; ders., M D R 1984, 800 (801).

37

Z u m Beispiel schon Redelberger, N J W 1953, 361 (365). Später Mahrenholz, FS Zeidler I I , S. 1361 (1376); Robbers, N J W 1992, 296 (296); Schiaich, R N 288; Sailer, Z R P 1977, 303 (308 in F N 67 m. w. Nachw.); Wöhrmann, FS Zeidler I I , S. 1343 (1345, 1357). Speziell gegen die Abschaffung der Urteilsverfassungsbeschwerde Becker, R i A 1987, 134 (136) und Rupp, Z Z P 82 (1969), S. 1 (13 ff.). 38 S i e h e die Nachw. bei Wöhrmann, FS Zeidler I I , S. 1343 (1349 m . F N 16, 1350, 1354); vgl. allerdings auch das provozierende Zitat aus der Begründung des 3. Änderungsgesetzes zum BVerfGG 1963 a m Anfang des Beitrages von Mahrenholz, FS Zeidler I I , S. 1361 (1361). 39 40

S o i. E. Pestalozza, VerfprozeßR, ξ 12 I R N 7.

Z u l e t z t Herzog in der SZ vom 22./23. Februar 1992 (Nr. 44), S. 2, der allerdings kurz zuvor in dieser Hinsicht noch zu zweifeln schien, vgl. Herzog, Z R P 1991, 28 (29); früher wurde diese Ansicht schon vertreten von Zeidler, vgl. den Nachw. bei Wöhrmann,

32

Β . Die Rechtsprechung des Bundeserfassungsgerichts

um ein Verfahren, in dem zunächst ein „clerk" die seiner Meinung nach nicht behandlungswürdigen Verfahren auf eine „dead list" schreibt und diese dann den Richtern der Reihe nach zukommen läßt. Nur wenn vier von neun Richtern die Sache ausdrücklich behandeln wollen, ist das Verfahren angenommen, ansonsten wird es ohne jede Begründung für erledigt erklärt 4 1 . Auch dieses Verfahren wurde vom Gesetzgeber 42 und der herrschenden Lehre 4 3 bislang abgelehnt. In der Tat würde es sich bei einem solchen Verfahren wohl um einen auch mit Art. 94 I I 2 GG nur schwerlich in Einklang zu bringenden Fremdkörper handeln 4 4 . Eine überlegenswerte Idee stellt der Vorschlag dar, die Monatsfrist des § 93 I BVerfGG bei Urteilsverfassungsbeschwerden auf zwei Monate zu verlängern, um die Qualität der Beschwerdebegründungen zu heben und auch um mehr Zeit zum Abkühlen der Gemüter zu haben, wodurch sich dann die eine oder andere Verfassungsbeschwerde erledigen könnte 4 5 . Hier sollten sicher zukünftig noch Überlegungen ansetzen. Zur Zeit ist dieser Vorschlag — soweit ersichtlich — noch von niemandem aufgegriffen worden.

Ζ wisch en ergebn is Sowohl die schon etablierten verfahrenstechnischen Entlastungsversuche als auch die in der Diskussion befindlichen Reformvorschläge werden die kommende Verfahrensflut nicht aufzuhalten vermögen: Sie kranken entweder an mangelnder Leistungs- oder an mangelnder Konsensfähigkeit — meist sogar an beidem. Das bedeutet für die vorliegende Problematik, daß die „Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde" auch zukünftig in der Praxis eine Schlüsselposition innehaben wird. Sie dürfte weiterhin — wenn nicht sogar in verschärfter Form — einen Großteil der Entlastungsarbeit vom Bundesverfassungsgericht aufgebürdet bekommen. FS Zeidler I I , S. 1343 (1357), der ebenfalls dieser Meinung ist. Zustimmend auch Geiger, Einige Besonderheiten, S. 38 f.; Schlink, N J W 1984, 89 (94) und Wieland, Der Staat 29 (1990), S. 333 (passim). 41

Vgl. zum Verfahren die gut verständliche Erklärung bei Benda/Klein,

4 2

Vgl. den Nachw. bei Wöhrmann,

R N 327.

FS Zeidler I I , S. 1343 (1349 in F N 17).

43

Z u m Beispiel Becker, R i A 1987, 134 (135 m. w. Nachw.); Benda/Klein, m. w. Nachw. in F N 40; Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 266 f. 44 45

So insbesondere Benda/Klein,

R N 330

R N 330.

S o Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 284 ff.; ders., M D R 1985, 803 (passim). Lampe, JZ 1969, 287 (288) verlangt bei Strafurteilen sogar eine Ausdehnung der Beschwerdefrist auf 1 Jahr.

I. Sinn und Zweck des Subsidiaritätsprinzips

33

2. Begriff u n d Bedeutung des Subsidiariatsprinzips Nach allem und insbesondere angesichts der massiven Belastung des Gerichts 1 (vor allem mit aussichtslosen Verfahren) erscheint es nicht als verwunderlich, daß das Bundesverfassungsgericht das Prinzip der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entwickelt hat, um die Position des „Instituts Verfassungsbeschwerde" als „außerordentlicher Rechtsbehelf" 2 3 bzw. als „ultima ratio" mehr ins Bewußtsein der Rechtsschutzsuchenden4 zu bringen und sich damit wieder „Luft zu machen". Dabei ist das allgemeine Subsidiaritätsprinzip für das Bundesverfassungsgericht Ausdruck der allgemeinen Kompetenzverteilung zwischen Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit und beherrscht daher die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde schlechthin 5 , wobei die normative Grundlage dieses Befundes später noch eingehender untersucht werden muß 6 . Der Begriff der Subsidiarität ist jedenfalls weder i m GG noch i m BVerfGG 7 niedergelegt. Andererseits ist er ein immer wiederkehrender 1 Vgl. auch noch die statistischen Nachw. bei Baumgarten, Z T R 1990, 368 (368); Becker, RiA 1987, 134 (134); Henschel, FS Simon, S. 95 (95); Wimmer, DVB1. 1985, 773 (774) und Wöhrmann, FS Zeidler I I , S. 1343 (1353). 2 B e i dieser Formulierung ist insbesondere zu berücksichtigen, daß mit der Verfassungsbeschwerde letztinstanzliche Urteile, die also — wegen ihrer Unanfechtbarkeit i m normalen Rechtszug — formell rechtskräftig sind, beseitigt werden können. Insoweit ist die Verfassungsbeschwerde wirklich „außerordentlich". Zurückhaltung in ihrer Anwendung scheint daher schon aus Gründen der Rechtssicherheit angebracht zu sein, BVerfGE 22, 287 (291). Ebenso der BayVerfGH, ζ. Β . E 40, 113 (115). I n diesem Sinne auch Lechner y BVerfGG, § 90 Anm. 3): „keine 4.Instanz"; Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I R N 12; Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 R N 193 und Spanner, BVerfG u. G G I , S. 374 (376); Zacher, BVerfG u. G G I , S. 396 (404 f.); ablehnend Ridder, JZ 1968, 377 (379). 3 BVerfGE Rechtswegen.

1,

97

(103):

kein wahlweiser

Rechtsbehelf neben den sonstigen

4

Dieser Bewußtmachungsversuch drückt sich auch darin aus, daß das BVerfG den Bf. ein Merkblatt zur Verfassungsbeschwerde übersendet, in dem neben den anderen Zulässigkeitsvoraussetzungen vor allem auch mit Nachdruck auf die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde als eines außerordentlichen Rechtsbehelfes hingewiesen wird. Das Merkblatt ist mit seinem vollständigen Text abgedr. z. B. bei Gusy, Verfassungsbeschwerde, Anhang (S. 203 f.). 5 V g l . BVerfGE 49, 252 (258); 55, 244 (247); 78, 290 (301 f.); 78, 350 (355). Insoweit läßt sich das Subsidiaritätsprinzip auch als „Grundsatz- oder Programmnorm des Verfassungsprozeßrechts" verstehen, wie dies Bender, A ö R 112 (1987), S. 129 (173), tut. 6

Siehe dazu S. 39 f. u. die kritische Beurteilung, S. 76 ff.

7

I n den Beratungen zum BVerfGG war zwar auch von „Subsidiarität" die Rede; gemeint war damit aber nur die Subsidiarität der (Bundes-)Verfassungsbeschwerde gegenüber landesverfassungsgerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten, vgl. die Rede des damaligen Justizministers Dehler, in: Schiffers, S. 419. 3 Warmke

Β . Die Rechtsprechung des Bundeserfassungsgerichts

34

Terminus in verschiedenen Gebieten des deutschen Rechts 8 somit zunächst kaum Verständnisprobleme aufzuwerfen.

9

und scheint

„Subsidiarität" bedeutet i m juristischen Sprachgebrauch normalerweise die technisch-formale Relation von Normen untereinander, meint also eine Form von Gesetzeskonkurrenz 10 : „Das Zurücktreten einer von mehreren an sich anwendbarer Rechtsnormen kraft ausdrücklicher oder durch Auslegung zu ermittelnder gesetzlicher Anordnung" 1 1 ; oder kürzer: „Einer Vorschrift kommt nur insoweit Anwendbarkeit zu als nicht eine andere Norm Geltung beansprucht" 1 2 . I m vorliegenden Fall geht es zwar nicht um Normen, sondern um Gerichtsbarkeiten. Der Grundgedanke ist jedoch zumindest teilweise ähnlich: Bezüglich des Grundrechtsschutzes besteht eine „Aufgabenparallelität", eine Homogenität zwischen Bundesverfassungsgericht und den Fachgerichten, da letztere die Grundrechte schon in ihrer täglichen Arbeit durchsetzen (können) 1 3 . Das Bundesverfassungsgericht will daher, daß der Bürger erst Rechtsschutz bei den Fachgerichten sucht, bevor er den Weg zum Bundesverfassungsgericht beschreitet; d. h. die Verfassungsgerichtsbarkeit bleibt insoweit verschlossen, als die Fachgerichtsbarkeit wirkungsvollen Rechtsschutz

8 M a n denke nur an die Subsidiarität der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 I I V w G O oder die Subsidiarität i m Bereich strafrechtlicher Konkurrenzen: ζ. B. B G H S t 16, 122; 21, 265: „§§ 223 ff. S t G B subsidiär zu §§ 211 ff. S t G B " . Schneider, Z Z P 79 (1966), S. 1 (44 ff.) diskutiert die Subsidiarität der (ganzen) Gerichtsbarkeit als solcher. Weitere Nachweise bei Detterbeck, Präventiver Rechtsschutz, S. 217 in F N 315. 9 Ursprünglich scheint er freilich vor edlem als sozialethischer Begriff des Kirchenrechts Bedeutung erlangt zu haben, vgl. die Päpstliche Enzyklika Pius X I . vom 15.März 1931 „Quadragesimo Anno" („Uber gesellschaftliche Ordnung, ihre Wiederherstellung und ihre Vollendung nach dem Heilsplan der Frohb ο tschaft zum 40. Jahrestag des Rundschreibens Leos X I I I . 'Rerum Novarum'"), Kapitel 5: Die neue Gesellschaftsordnimg, R N 79: „Jedwede Gesellschaftstätigkeit ist j a ihrem Wesen und Begriff nach subsidiär; sie soll die Glieder des Sozialkörpers unterstützen, darf sie aber niemals zerschlagen oder aufsaugen"; siehe dazu den Nachw. bei Hochbaum, D Ö V 1992, 285 (288 in F N 37), der ansonsten die aktuelle Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips i m Europäischen Gemeinschaftsrecht — insbesondere i m Lichte des in Maastricht beschlossenen Unionsvertrages — behandelt (ebenda, S. 288 ff.). 10 So ausdrücklich Isensee, S. 86 m . F N 2, der den Begriff freilich ansonsten in einem staatsphilosophischen Sinne untersucht und die vorliegende Konstellation nur streift. Z u m materiellen Subsidiaritätsbegriff der Staatslehre und seinem Entstehen vgl. auch einführend Motzer, S. 6 ff. 11

Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Band 22.

12

So Isensee, S. 86.

13

Schiaich, R N 19.

I. Sinn und Zweck des Subsidiaritätsprinzips

35

bereithält, sie greift dagegen ein, wenn fachgerichtlicher Rechtsschutz nicht mehr diesen Anforderungen gerecht werden k a n n 1 4 . Man muß sich allerdings vergegenwärtigen, daß der Begriff der Subsidiarität hier, anders als in anderen Zusammenhängen, nur i m Sinne einer einstweiligen, nicht endgültigen Sperre zu verstehen ist, da man früher oder später — wie i m folgenden zu zeigen sei wird — auf jeden Fall zum Bundesverfassungsgericht gelangen kann 1 5 . Um den Vorrang des Fachgerichtsschutzes durchzusetzen, legt das Bundesverfassungsgericht nicht nur einzelne Sachurteilsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde (insbesondere die Gebote der unmittelbaren Betroffenheit und der Rechtswegerschöpfung) sehr streng aus. Es hat vielmehr in ständiger Rechtsprechung inzwischen eine eigenständige Zulässigkeitsvoraussetzung „Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde" herausgearbeitet, die verlangt, daß, selbst wenn gegen den fraglichen Hoheitsakt kein Rechtsweg gegeben ist, der Beschwerdeführer zunächst Abhilfe bei den Fachgerichten suchen muß, wenn dort wirkungsvoller Rechtsschutz nicht gänzlich ausgeschlossen ist und dies dem Beschwerdeführer auch zugemutet werden kann 1 6 . Allerdings gibt das Bundesverfassungsgericht dem Subsidiaritätsprinzip über diese Verfahrensseite hinaus noch eine materielle Bedeutung, die über die herkömmlichen Subsidiaritätsinhalte anderer Rechtsgebiete hinausgeht 17 . Der Beschwerdeführer muß nämlich bereits den Fachgerichten gegenüber seine verfassungsrechtlichen Einwände vortragen, wenn er nicht die spätere Abweisung durch das Bundesverfassungsgericht riskieren w i l l 1 8 . Ob und wie dies zu rechtfertigen ist, wird noch zu untersuchen sein.

14 Zu Recht weist Motzer, S. 5 f. daraufhin, daß der Subsidiaritätsbegriff eine negative Seite (Zurückhaltung) und eine positive Seite (Hilfestellung i m Ernstfall) aufweist. 15 S o auch Schneider, Z Z P 79 (1966), S. 1 (11 in F N 15). Deswegen bezweifelt Pestaiozza, VerfprozeßR, § 12 I R N 12 generell, daß das „Suggestivwort" „subsidiär" angebracht sei, da sich die Bedeutung der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechimg in einem rein zeitlichen (!) Vorrang der Fachgerichtsbarkeit erschöpfe. Ahnlich die Bedenken von A. Arndt, N J W 1965, 807 (807 f.) gegenüber dem „verdunkelnden" Subsidiaritätsbegriff. 16 V g l . vorerst nur BVerfGE 71, 305 (336). Z u den einzelnen Inhalten des Subsidiär ritätsprinzips siehe S. 41 ff. 17 S o zutreffend Zuck, Verfassungsbeschwerde, RN.35 und Detterbeck, Rechtsschutz, S. 214. 18

B V e r f G E 64, 135 (143); 66, 337 (364).

Präventiver

36

Β . Die Rechtsprechung des Bundeserfassungsgerichts

3. D i e Funktionen des Subsidiaritätsprinzips Noch einmal sei die schon angedeutete Entlastungsfunktion des Subsidiaritätsprinzips erwähnt 1 , die sich als Reaktion auf den dargelegten enormen Geschäftsanfall ergibt und sicher das Hauptmotiv des Gerichts 2 ist. Der Grundgedanke ist, daß viele Verfassungsbeschwerden gar nicht erst erhoben werden, wenn schon die Fachgerichte die Grundrechtsverletzung aus eigener Macht beseitigen können 3 . Daneben wird der „Subsidiarität" aber vom Bundesverfassungsgericht noch eine weitere Aufgabe auferlegt, die in der allgemeinen Diskussion eher ein Schattendasein führt 4 . Die Rede ist von der sogenannten Kompetenzwahrungsfunktion, die gleich in mehrere Richtungen wirkt: Das Bundesverfassungsgericht sieht nämlich den § 90 II 1 BVerfGG nicht nur als Sachurteilsvoraussetzung, sondern auch als Kompetenznorm, nach deren Aussage zunächst die Fachgerichte dazu berufen sind, dem Bürger Rechtsschutz zu gewähren 5 . Es gilt also zu vermeiden, daß der Bürger unter Außerachtlassung der Kompetenz der Fachgerichte sich „sein Recht" direkt beim obersten Verfassungsschützer holt und die Fachgerichtsbarkeit somit ausgehöhlt wird 6 . Eine „sektoral begrenzte, präventive Kontrolle fachgerichtlicher Entscheidungen" muß möglichst vermieden werden 7 . In den Beratungen zum BVerfGG war die Einführung der Verfassungsbeschwerde nicht zuletzt aus diesem Grund lebhaft umstritten. Es wurde befürchtet, daß „eine zusätzliche Instanz geschaffen, die Autorität der or-

1

Vgl. die Nachweise oben auf S. 20 f. und S. 33.

2

Kahlke, Z Z P 101 (1988), S. 1 (1) spricht vom „Diktat der chronischen Überlastung des Gerichts". 3

S o auch die Diagnose von Benda/Klein,

R N 416.

4

Siehe aber auch Benda/Klein, R N 795. Die alleinstehende Ansicht Leibolds, S. 32 ff., § 90 I I 1 BVerfGG diene ausschließlich dazu, das BVerfG in die rechtsprechende Gewalt einzugliedern, hat sich nicht durchgesetzt und wird insbesondere von Motzer, S. 30 ff. überzeugend widerlegt. 5 Z u m Beispiel BVerfGE 9, 3 (7); 47, 144 (145); 49, 252 (258); 55, 244 (247); 68, 376 (380); 69, 122 (125); 72, 39 (43); 74, 69 (74); 74, 102 (114); 77, 381 (401); i h m folgend Detterbeck, Präventiver Rechtsschutz, S. 213 m. w. Nachw. in F N 302; Harald Klein, FS Zeidler I I , S. 1325 (1337); Lechner, BVerfGG, § 90 Abs 2 A n m . 1); Schumann, Z Z P 96 (1983), S. 137 (177 f.); kritisch zu diesem „Vorrang" der Fachgerichte aber Leibold, S. 28 ff.; Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I R N 12. 6 A u c h soll den Fachgerichten Gelegenheit zur „Selbstkorrektur" gegeben werden, BVerfGE 73, 322 (327). 7

Schenke,

N J W 1986, 1451 (1452).

I. Sinn und Zweck des Subsidiaritätsprinzips

37

dentlichen und Verwaltungsgerichte beeinträchtigt und die Rechtssicherheit gefährdet" werde 8 . Notwendiges Korrelat dieses Kompetenzschutzes der Fachgerichte ist aber auch die Kompetenzwahrung des Bundesverfassungsgerichts: Um seine eigentliche Aufgabe als Verfassungsorgan — Schutz des „spezifischen Verfassungsrechts" — wahrnehmen zu können, ist das Bundesverfassungsgericht darauf angewiesen, daß es von umfangreichen Sachverhaltsaufklärungen sowie Literatur- und Rechtsprechungsnachforschungen soweit wie möglich freigestellt w i r d 9 . Daher ist es für das Bundesverfassungsgericht wichtig, daß das Tatsachenmaterial durch die sachnähere Fachgerichtsbarkeit bereits umfassend aufbereitet ist. Das hat den nicht zu unterschätzenden Vorteil, daß nach fachgerichtlicher Bearbeitung nicht nur auf dem Hintergrund eines konkreten Anwendungsfalles, sondern auch in Kenntnis verschiedener Rechtsauffassungen der Parteien und Instanzrichter viel eher problemorientiert und zügig entschieden werden k a n n 1 0 . Hier überschneiden sich freilich Entlastungs- und Kompetenzwahrungsfunktion in willkommener Art und Weise 1 1 . Schließlich darf nicht unerwähnt bleiben, daß es auch den Kompetenzbereich der Verwaltung zu wahren gilt, selbst wenn dies auf den ersten Blick nicht ganz nahe zu liegen scheint 1 2 . Das Subsidiaritätsprinzip verhindert jedoch u. a., daß Normenverfassungsbeschwerden immer sofort nach Erlaß eines Gesetzes erhoben werden können, bevor sie von der Verwaltung ausgeführt oder sonst umgesetzt worden s i n d 1 3 . So wird die Einführung 8 Siehe das Schreiben der Gesellschaft für Bürgerrechte in Schiffers, S. 163. Diese Befürchtungen wurden auch vom Bundesrat bzw. den Landesjustizverwaltungen erhoben, siehe ebenda, S. 163 F N 10 und S. 417 (Staatssekretär Ringelmann als Vertreter der Bayerischen Landesregierung). Frühe Bedenken auch schon bei Zweigert, JZ 1952, 321 ( 321 und passim). 9 Siehe auch E. Klein, FS Zeidler I I , S. 1305 (1318); zustimmend Schiaich, R N 237. Kritisch allerdings Leibold, S. 38 f. mit Hinweis auf die Möglichkeit der Rechts- und Amtshilfe. Schenke, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 24 f. weist überzeugend und mit Nachweisen darauf hin, daß das BVerfG leider die gewonnene Entlastung und Möglichkeit zur Konzentration auf eigene wichtige Aufgaben z . T . wieder dadurch verspielt, daß es sich in umfangreichen obiter dicta in nicht entscheidungserheblichen Überlegungen ergeht, die noch dazu die Arbeit der Fachgerichte vorwegnehmen, also in deren Kompetenzen eingreifen und nicht von fachgerichtlichen Erkenntnissen untermauert sind. 10 11 12

S t . Rspr. Vgl. nur BVerfGE 72, 39 (42); 74, 69 (74 f.); 74, 102 (113); 77, 381 (401). So i m Ergebnis auch Hövel, S. 82.

A u f diesen Gesichtspunkt macht Schenke, aufmerksam.

NJW

1986, 1451 (1452) zu Recht

13 Insoweit ergänzt das Subsidiaritätsprinzip die Beschwerdebefugnis, die verhindert, daß vor Inkrafttreten der Norm Verfassungsbeschwerde erhoben wird, vgl. Pieroth/Schlink, R N 1242.

38

Β . Die Rechtsprechung des Bundeserfassungsgerichts

eines generellen präventiven Rechtsschutzes gegen Verwaltungshandeln 14 vermieden, der nach der VwGO jedenfalls nicht die Regel sein s o l l 1 5 . Nicht zu folgen ist allerdings der Ansicht, das Subsidiaritätsprinzip diene auch der Kompetenzabgrenzung von Judikative und Legislative 16. Begründet wird dieser Gedanke mit der Gefahr eines „gouvernement des juges" bzw. einer „Aristokratie der R o b e " 1 7 , könnte jede Norm problemlos mit der Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht angegriffen werden. Diese Gefahr besteht zwar theoretisch, wird aber nicht vom Subsidiaritätsprinzip „bekämpft". Es ist vielmehr hauptsächlich die Aufgabe der Beschwerdebefugnis, Filter für das Bundesverfassungsgericht zu sein und zu verhindern, daß Normen ohne genaue Differenzierung auf den gerichtlichen Prüfstand geraten. Insbesondere sorgt die Beschwerdebefugnis dafür, daß nur RechtsVerletzungen gerügt werden können und keine politische Zweckmäßigkeitskontrolle stattfindet. Der Subsidiaritätsgrundsatz kann diese Abgrenzungsaufgabe nicht erfüllen, da er nicht dazu führt, daß auch nur eine einzige Norm, die ein Bürger verfassungsgerichtlich überprüft haben möchte, endgültig vom Bundesverfassungsgericht ferngehalten wird. M i t etwas Ausdauer kann nämlich der Bürger spätestens nach Erschöpfung des Rechtsweges per Urteilsverfassungsbeschwerde die Norm doch noch vor das Bundesverfassungsgericht bringen — und vorher schon über Art. 100 I GG (siehe dazu noch unten S. 61 ff.). Das heißt, daß das Subsidiaritätsprinzip nicht verhindern kann (geschweige denn „soll"), daß i m Endeffekt theoretisch jede Norm verfassungsgerichtlich überprüfbar ist; diese Überprüfung soll vielmehr möglichst erst nach fachgerichtlicher Aufbereitung erfolgen.

14

Schenke, N J W 1986, 1451 (1452) weist daraufhin, daß eine unbegrenzt zulässige Normenverfassungsbeschwerde auch eine präventive Kontrolle der Fachgerichtsbarkeit bedeutet. 15 S i e h e nur die Nachweise bei Kopp, V w G O , vor § 40 R N 33. „Daß durch die Totalität des verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes das Wirken der vollziehenden Gewalt behindert oder sogar gelähmt" werde, wurde auch schon in den Beratungen z u m BVerfGG befürchtet, vgl. die Stellungnahme des Bayerischen Staatssekretärs Ringelmann, in: Schiffers, S. 417. 16

S o aber Hövel, S. 82; Harald S. 26 f.

Klein,

FS Zeidler I I , S. 1325 (1326) und Motzer,

17 Motzer, S. 27, der damit Zweigert, JZ 1952, 321 (321, 322) zitiert. Dieser hat die Ausdrücke freilich überhaupt nicht i m Zusammenhang mit dem Subsidiaritätsprinzip gebraucht.

I I . Der dogmatische Ansatz des Bundesverfassungsgerichts

39

Schließlich sei auch noch der Vollständigkeit halber erwähnt, daß das Subsidiaritätsprinzip grundsätzlich nicht dazu dient, bundesverfassungsgerichtliche Verfahren voneinander abzugrenzen 18 . Allgemein besteht zwischen den meisten verfassungsgerichtlichen Verfahren bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen ein Wahlrecht des Antragstellers bis zur Grenze des offenkundigen Mißbrauchs 1 9 . Auch ist mit der Verweisung des Beschwerdeführers an die Fachgerichte nicht etwa ein prinzipieller, strukturmäßiger Vorrang der konkreten Normenkontrolle (Art. 100 I GG) vor der Verfassungsbeschwerde bezweckt 2 0 . Die gesteigerte Relevanz der Richtervorlage ergibt sich nur quasi als Reflex aus dem schon genannten Vorrang fachgerichtlichen Rechtsschutzes 21 .

I I . D e r dogmatische Ansatz des Bundesverfassungsgerichts Der Begriff „Subsidiarität" wurde relativ früh vom Bundesverfassungsgericht eingeführt 1 und in ständiger Rechtsprechung weiterentwickelt und verfeinert. Dabei werden vom Bundesverfassungsgericht sehr unterschiedliche dogmatischen Grundlagen zur Rechtfertigung der Rechtsprechung herangezogen. Wie diese dogmatischen Abstützungsversuche zu werten sind, wird später noch zu diskutieren sein 2 . Hier soll zunächst einmal lediglich ein Überblick gegeben werden: Das Bundesverfassungsgericht sieht den Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde in einigen Entscheidungen „ i m Verfassungsrecht 18

W i e hier E. Klein, FS Zeidler I I , S. 1305 (1314).

19

V g l . Söhn, BVerfG u. G G I, S. 292 (320 f.) m. w. Nachw.

20 E i n Vorrang kann sich höchstens i m Einzelfall (!) ergeben, wenn der Kläger des Ausgangs Verfahrens eine Normen Verfassungsbeschwerde erhebt, obwohl der Fachrichter das Ausgangsverfahren schon ausgesetzt und die gleiche (!) Norm dem BVerfG bereits vorgelegt hatte. Hier dürfte die Verfassungsbeschwerde entgegen der insoweit wohl veralteten BVerfGE 30, 277 (240) unzulässig sein. 21 E. Klein, FS Zeidler I I , S. 1305 (1314 f.). Diese Reflexwirkung wird ζ. B. in BVerfGE 55, 244 (247 f.) deutlich. 1

I n der Entscheidung BVerfGE 1, 97 ff., die als der Ausgangspunkt des Subsidiarität sgedankens gelten mag, ist der Begriff allerdings noch nicht erwähnt (unkorrekt somit die diesbezügliche Behauptung von Ridder, JZ 1968, 377 [378 m . F N 15]). Erstmals gebraucht das Gericht den Subsidiaritätsbegriff in BVerfGE 8, 222 (225/227) aus dem Jahre 1958. Es schließt sich damit wohl stillschweigend Zweigert, JZ 1952, 321 (323 in F N 16a, 325) an, der den Begriff— soweit ersichtlich — als Erster i n Zusammenhang mit der Verfassungsbeschwerde gebracht hat. 2

Siehe S. 76 ff.

40

Β . Die Rechtsprechung des Bundeserfassungsgerichts

verankert" 3. Es spricht von einer „grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung und Aufgabenzuweisung" 4 . Wenn das Bundesverfassungsgericht in diesem Sinne von verfassungsrechtlicher Verankerung spricht, bezieht es sich ausdrücklich auf Art. 94 II 2 G G 5 (gelegentlich i. V. m. § 90 I I 1 BVerfGG) 6 . In früheren Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht das Subsidiaritätsprinzip vereinzelt als eine besondere Ausformung des allgemeinen Rechtsschutzinteresses behandelt 7 . Letzteres fehle nämlich, wenn der Beschwerdeführer den Versuch unterlassen habe, die Grundrechtsverletzung durch die Fachgerichte beseitigen zu lassen. Des weiteren führt das Bundesverfassungsgericht in einer auffälligen Zahl von Entscheidungen — auch neueren Datums — aus, daß das Subsidiaritätsprinzip in § 90 II 1 BVerfGG zum Ausdruck komme bzw. niedergelegt sei 8 oder daß es anhand dieser Vorschrift entwickelt worden sei 9 . Allerdings geht das Bundesverfassungsgericht mehr und mehr dazu über, daß es nur noch feststellt, das Prinzip sei „vom Bundesverfassungsgericht herausgearbeitet" worden 1 0 (Frage: woraus?), oder daß es sogar einfach nach der Erwähnung des Prinzips bestenfalls eine Reihe von Entscheidungen angibt, ohne ansonsten eine Rechtsgrundlage zu bemühen 1 1 .

3

S o ausdrücklich — sogar auch i m Leitsatz — BVerfGE 42, 243 (243, 249); ebenso BVerfGE 42, 252 (255); 49, 325 (328); 68, 376 (379); ähnlich BVerfGE 49, 252 (258). 4 BVerfG E 68, 376 (380); 77, 381 (401); insbes. auch BVerfGE 72, 39 (43) m . Hinweis auf BVerfGE 47, 182 (191). 5

BVerfG E 55, 244 (247); 68, 376 (379).

6

BVerfG E 42, 243 (249); 42, 252 (255); 49, 252 (258).

7 BVerfG E 10, 89 (98); 14, 25 (30); 14, 260 (263); siehe auch BVerfGE 43, 291 (386) und E 75, 246 (263): Vermischung von Rechtsschutzbedürfnis und unmittelbarer Betroffenheit. Verfehlt allerdings der Hinweis von Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 45 m. F N 82 auf BVerfGE 53, 30 (52). I n dieser Entscheidung wird vielmehr sauber zwischen den Regelungsbereichen von Subsidiarität und Rechtsschutzbedürfnis getrennt. 8 BVerfG E 22, 287 (290); 31, 364 (368); 47, 130 (138); 63, 77 (78); 71, 25 (35); 72, 39 (43); 73, 322 (325); 76, 1 (39); 77, 275 (282); 78, 350 (355); 79, 69 (73); 79, 275 (278); 81, 22 (27); 83, 216 (227); 84, 203 (208); BVerfG N J W 1983, 2931 (2931); N J W 1992, 1030 (1030); N J W 1992, 1676 (1676); N J W 1992, 1952 (1953). 9

B V e r f G DVB1. 1991, 482 (483).

10 11

Z u m Beispiel BVerfGE 51, 130 (139); 68, 384 (388); vgl. auch BVerfGE 31, 364.

Z u m Beispiel BVerfGE 69, 122 (125); 69, 257 (267); 70, 180 (185); 71, 305 (336); 73, 40 (69 f.); 74, 69 (74); 74, 102 (113); 75, 108 (145); 75, 246 (263); 77, 84 (100); 77, 381 (401); 78, 58 (68); 78, 290 (301); 79, 1 (19 f.); 79, 29 (35 ff.); 79, 174 (189 f.); 80, 40 (45); 81, 70 (82); 81, 97 (102); 82, 6 (11); 84, 90 (116); BVerfG D t Z 1991, 190 (191); BVerfG N J W 1992, 496 (496); N J W 1992, 735 (735); N J W 1992, 1747 (1747).

I I I . Auswirkungen auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen

41

I I I . Die Auswirkungen auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde i m einzelnen Es wurde schon angedeutet, daß die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts über die Aufgabenverteilung zwischen Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit auf der Grundlage des Subsidiaritätsgedankens nicht nur zu einer entsprechenden Auslegung des § 90 I I 1 BVerfGG führt, sondern inzwischen auch einen eigenständigen Prüfungspunkt „Grundsatz der allgemeinen Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde" i m Rahmen der Sachurteilsvoraussetzungen zur Folge hat. Damit erschöpft sich jedoch keineswegs die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips für die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde. In der älteren Rechtsprechung stellte das Bundesverfassungsgericht auch einen Zusammenhang zwischen der Subsidiarität und dem allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis her (vgl. die Ausführungen auf S. 39 f.). Außerdem darf nicht die Bedeutung des Merkmals „unmittelbare Betroffenheit" für die Subsidiaritätsrechtsprechung unterschätzt werden. Demnach gibt es vier Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde, die heute unter Subsidiaritätsgesichtspunkten interessant sind. Entsprechend gängiger Prüfungsreihenfolge werden i m folgenden daher darzustellen sein: die „unmittelbare Betroffenheit" (1.), das Rechtswegerschöpfungsgebot nach § 90 I I 1 BVerfGG (2.), der „allgemeine Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde" in seiner Eigenschaft als eigenständiger Prüfungspunkt (3.) und das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis (4.) 1 .

1. D i e unmittelbare Betroffenheit des Beschwerdeführers a) Inhalt Schon in einer der ersten Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht gefordert, daß der Beschwerdeführer geltend machen muß, daß er von der angegriffenen hoheitlichen Maßnahme „selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen" 1 ist, wenn er erfolgreich Verfassungsbeschwerde einlegen will.

1

Vgl. zu dieser Vorgehensweise jetzt auch Benda/Klein, R N 467 f. *St. Rspr. seit BVerfGE 1, 97 (101). Jüngst BVerfG N J W 1991, 2952 (2952 f.). Siehe auch BVerfG N J W 1992, 816 (817).

42

Β . Die Rechtsprechung des Bundeserfassungsgerichts

Dabei soll das Erfordernis der „Seibstbetroffenheit" die Popularklage 2 ausschließen, während das Merkmal „gegenwärtig" in ausdrücklicher Abgrenzung zum schweizerischen Bundesgericht klarstellt, daß eine Verfassungsbeschwerde bei lediglich möglicherweise in der Zukunft (d.h. virtuell) bestehender Betroffenheit nicht erhoben werden kann 3 . Bei der Frage der unmittelbaren Betroffenheit wird jedoch das Subsidiaritätsverständnis des Bundesverfassungsgerichts deutlich: Die unmittelbare Betroffenheit des Beschwerdeführers wird nämlich traditionell dann verneint, wenn der angegriffene Hoheitsakt „zu seiner Durchführung rechtsnotwendig oder auch nur nach der tatsächlichen Verwaltungspraxis einen besonderen, vom Willen der vollziehenden Gewalt beeinflußten Vollzugsakt voraussetzt" 4 . Ist noch ein Vollzugsakt 5 in genanntem Sinne zu erwarten, wird der Beschwerdeführer darauf verwiesen, daß er nach Erschöpfung des Rechtsweges nur diesen, nicht aber schon jetzt den noch vollzugsbedürftigen Hoheitsakt (ζ. B. ein Gesetz) mit der Verfassungsbeschwerde angreifen könne 6 . Hier wird deutlich erkennbar, wie der Vorrang des fachgerichtlichen Rechtsschutzes und damit — quasi als Kehrseite — die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde vom Bundesverfassungsgericht auch ohne entsprechende ausdrückliche Etikettierung durchgesetzt w i r d 7 . Seine besondere Bedeutung erhält das vom Bundesverfassungsgericht geschaffene Merkmal der „Unmittelbarkeit" bei den Verfassungsbeschwerden gegen Normen 8 , da insbesondere bei formellen Gesetzen ein Vollzug durch die Exekutive häufig ist. Die Relevanz des Unmittelbarkeitskriteriums wird noch dadurch verstärkt, daß das Bundesverfassungsgericht bei Verfassungsbeschwerden gegen formelle Gesetze den § 90 I I 1 BVerfGG nicht

2

W i e sie ζ. B. in Bayern durch Art. 98 S. 4 B V etabliert ist.

3

BVerfG E 1, 97 (102) m. w. Nachw. Zustimmend Schmidt-Bleibtreu, R N 98. 4

BVerfGG, § 90

BVerfG E 1, 97 (102); 14, 25 (28); 59, 1 (17); st. Rspr.

5

Dieser muß nicht unbedingt ein VA, sondern kann auch eine Rechtsverordnung ζ. B. BVerfGE 74, 297 (321). 6

sein,

BVerfG E 1, 97 (103).

7

V g l . die Formulierungen in BVerfGE 72, 39 (43). W i e hier Baumgarten, ZTR 1990, 368 (372); Gusy, Verfassungsbeschwerde, R N 119; ähnlich sieht auch Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I I R N 35 die Rechtsprechung des BVerfG, wenn er feststellt, daß es dem Gericht „darum (gehe), den Bf. zunächst auf den Rechtsweg gegen den Vollzugsakt zu verweisen und das BVerfG dadurch zu entlasten". Ebenso Erichsen, J U R A 1979, 336. 8 Inklusive der Kommunalverfassungsbeschwerden gem. A r t . 93 I Nr. 4 b G G , ζ. B. BVerfGE 76, 107 (112 f.).

I I I . Auswirkungen auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen

43

für anwendbar h ä l t 9 und es daher die nötige Kompetenzabgrenzung durch das Unmittelbarkeitskriterium vornehmen m u ß 1 0 . Das heißt jedoch nicht, daß das Kriterium des unmittelbaren Betroffenseins nicht auch bei Verfassungsbeschwerden gegen sonstige Hoheitsakte, ζ. B. Urteile 1 1 , relevant wäre. Vielmehr hat die „Unmittelbarkeit" eine durchaus allgemeine Bedeutung für die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde 12, wobei aber zugegebenermaßen echte Probleme am ehesten bei Normenverfassungsbeschwerden auftreten werden 1 3 . In der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts scheint sich die Bedeutung des Unmittelbarkeitskriteriums jedoch zu relativieren: Vollziehungsbedürftigkeit einer Norm ist danach nur noch ein „Indiz" für das Fehlen der unmittelbaren Betroffenheit, das durch Vorliegen besonderer Umstände entkräftet werden kann 1 4 . Somit sind Fälle denkbar, in denen vollziehungsbedürftige Normen direkt angegriffen werden können, weil sie den Beschwerdeführer unmittelbar betreffen, indem sie schon vor Vollzug die Rechtsposition des Betroffenen nachteilig verändern 1 5 . Begründet wird diese — sicherlich richtige 1 6 — Aussage damit, daß das Erfordernis der unmittelbaren Betroffenheit ein „Begriff des Verfassungsprozeßrechts" sei und daher „ i m Lichte der Funktion dieser Verfahrensord9 D a s wird aus BVerfGE 2, 292 (295); 3, 34 (36) und insbes. BVerfGE 49, 1 (10) geschlossen. Ausdrücklich in einem Kommunalverfassungsbeschwerde-Verfahren BVerfGE 76, 107 (115). S. dazu S. 53 f. 10

D i e s läßt sich ζ. B. BVerfGE 72, 39 (43) gut entnehmen. Zustimmend zu dieser Vorgehensweise auch Kosmider, JuS 1988, 447 (450). 11 BVerfG E 53, 30 (48 f.); 67, 157 (169); 72, 1 (5); 78, 123 (125); BVerfG N J W 1986, 1742 (1742). Ebenso in Fällen normativen Unterlassens, vgl. BVerfGE 56, 54 (70). 12 S o ausdrücklich auch BVerfG N V w Z 1991, 978 (978); Benda/Klein, R N 482; Erichsen, J U R A 1991, 638 (640); E. Klein, FS Zeidler I I , S. 1305 (1308); Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I I R N 35 f.; Schiaich, R N 223; Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 R N 54; ders., BayVBl. 1965, 289 (293); Stern, B K , A r t . 93 R N 499; Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 565. 13 I n diesem Sinne auch BVerfGE 72, 1 (5) und die in vorstehender F N genannten Autoren. 14 S o der Zweite Senat z. B. in BVerfGE 70, 35 (51); 71, 305 (335); 73, 40 (68); mehr oder weniger zeitgleich zu diesen Entscheidungen orientiert sich der Erste Senat in BVerfGE 72, 39 (43 f.); 74, 297 (320 f.) und 75, 246 (262 f.) in traditioneller Weise rigoros a m Vollzugsakt; in BVerfGE 74, 69 (74) dagegen folgt er überraschend der neuen Linie. 15 So verändert ein neuer Bebauungsplan per se schon die Qualität des i h m unterfallenden Grundeigentums, ohne daß es erst auf eine Baugenehmigimg oder sonstigen Bescheid ankäme, BVerfGE 70, 35 (52 f.); 79, 174 (188); in diesem Sinne auch schon früher ausführlich Bartlsperger, DVB1. 1967, 360 (369). Differenzierend allerdings BVerfGE 76, 107 (116). Vgl. außerdem BVerfGE 78, 350 (355). 16

D a z u später noch mehr auf S. 104 ff., insbes. S. 106.

44

Β . Die Rechtsprechung des Bundeserfassungsgerichts

nung erfaßt" werden müsse 17 . I m Ergebnis bedeutet dies, daß es bei der Frage nach der unmittelbaren Betroffenheit (wieder) mehr auf den materiellen Regelungsgehalt der bekämpften, vollziehungbedürftigen Norm ankommen soll als auf die formalistische Abgrenzung nach Vollzugsakten 18 . Interessant i m Zusammenhang mit der hier anzustellenden Untersuchung ist schließlich die Tatsache, daß das Bundesverfassungsgericht gelegentlich unter ausdrücklicher Offenlassung der Frage nach der „Unmittelbarkeit" allein auf die selbständige Zulässigkeitsvoraussetzung „allgemeiner Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde" rekurriert 1 9 . Damit zeigt sich auch hier die gefestigte Stellung des Subsidiaritätsprinzips i m System der Zulässigkeitsvoraussetzungen.

b) Ausnahmen Schon bald merkte das Bundesverfassungsgericht, daß es seine Unmittelbarkeitsrechtsprechung nicht ohne Korrektiv lassen konnte, wenn es nicht unbillige Härten riskieren wollte. So wurde ζ. B. schon recht früh entschieden, daß eine Verfassungsbeschwerde gegen ein vollziehungsbedürftiges Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag zulässig sein müsse, wenn der Vollzugsakt von einer ausländischen Behörde erlassen werden würde 2 0 . Ein weiteres Beispiel ist das Abhörurteil des Bundesverfassungsgerichts 2 1 . In diesem gibt das Gericht zu, daß der Abgehörte in der Regel vom Vollzugsakt (i. e. der Abhörmaßnahme) nichts weiß. Daher müsse es einem Beschwerdeführer möglich sein, gegen das Gesetz direkt vorzugehen, wenn er zumindest abhörgefährdet sei. Aber auch über diese Einzelfälle hinaus hat das Gericht das Unmittelbarkeitserfordernis unter einen generellen Zumutbarkeitsvorbehalt gestellt (der i. ü. inzwischen das ganze Recht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde durchzieht, wie i m weiteren festgestellt werden kann). Das be17 B V e r f G E 71, 305 (335); 73, 40 (68 f.); was diese Formulierung jedoch an konkretem Aussagewert i m Sinne einer echten Begründung haben soll, bleibt offen. 18 S o lassen sich wohl auch BVerfGE 79, 174 (187 f.) und BVerfG N V w Z 1991, 978 (978) deuten. 19

S i e h e ζ. B. BVerfGE 74, 69 (74). Vgl. auch die ähnliche Konstellation in BVerfGE 79, 1 (19 f.), wo das Problem unzulässiger Prozeßstandschaft offengelassen wurde, weil jedenfalls gegen das Subsidiaritätsprinzip verstoßen wurde. 2 0 BVerfG E 6, 290 Einigungs Vertrages. 21

(295);

BVerfGE 30, 1 (16).

vgl. jüngst

BVerfGE

84,

90

(113)

bezüglich des

I I I . Auswirkungen auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen

45

deutet in concreto, daß vor allem dem Beschwerdeführer nicht zugemutet wird, auf den Vollzugsakt zu warten, wenn er damit eine Ordnungswidrigkeit oder Straftat begehen würde 2 2 . Noch weitergehender formuliert das Bundesverfassungsgericht in anderen Fällen, daß der Beschwerdeführer trotz Vollzugsbedürftigkeit der Norm Verfassungsbeschwerde gegen diese erheben kann, wenn er schon jetzt „zu später nicht mehr korrigierbaren Entscheidungen gezwungen und zu Dispositionen veranlaßt wird, die er nach einem späteren Gesetzesvollzug nicht mehr nachholen k ö n n t e " 2 3 . Obwohl das Gericht früher insoweit eine weitere Einschränkung gemacht h a t t e 2 4 , hat es inzwischen mehrfach entschieden, daß unmittelbare Betroffenheit durch die Norm auch dann zu verneinen sei — mit der Folge der Unzulässigkeit der Normenverfassungsbeschwerde —, wenn die Behörde beim Vollzug keinen Prüfungs- oder Entscheidungsspielraum mehr h a t 2 5 . Auch wenn also eine für den Betroffenen negative Entscheidung der Behörde von vorneherein unausweichlich ist, muß der Bürger diese abwarten und kann nicht direkt gegen die Norm vorgehen. Allerdings wird diese strikte Haltung mit einer Mixtur aus Unirli ttelbarkeits-, Rechtswegerschöpfungs- und Subsidiaritätserwägungen begründet 2 6 : der Beschwerdeführer soll i m Ergebnis erst die Fachgerichtsbarkeit bemühen, wobei es dann naturgemäß unerheblich ist, ob der fragliche Vollzugsakt eine gebundene oder eine Ermessensentscheidung ist, da er jedenfalls angefochten werden kann 2 7 . 22 Z u m Beispiel BVerfGE 20, 283 (290); 46, 246 (256). BVerfGE 81, 70 (82 f.) stellt hierzu ausdrücklich fest, daß daran auch die prinzipielle Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde nichts ändert. 23 S t . Rspr.; vgl. nur BVerfGE 16, 147 (159); 18, 1 (13); 60, 360 (372); 65, 1 (37); jüngst BVerfGE 75, 246 (263) m. w. Nachw. 24

BVerfG E 3, 1 (2); 43, 108 (117); 45, 104 (117 f.).

25

Z u m Beispiel BVerfGE 58, 81 (104 f.); 71, 25 (35); 72, 39 (43 f.) unter Hinweis auf die abweichenden früheren Entscheidungen. Auch BVerfGE 43, 291 (386) und 59, 1 (18) stellen nur fest, daß bei fehlendem behördlichen Entscheidungsspielraum „ausnahmsweise" das Gesetz direkt angegriffen werden kann, wenn das Gesetz den Betroffenen schon vor Vollzug zu nicht mehr korrigierbaren Dispositionen veranlaßt. Für diese Fälle sieht dits Gericht aber ohnehin eine Ausnahme vom Erfordernis des unmittelbaren Betroffenseins vor (s. o.), so daß keine zusätzliche Erleichterung eröffnet wird. Das verkennt Katzenstein in seiner ansonsten beachtlichen diss. op. zu BVerfGE 72, 39 auf S. 47 f. Auch die Darstellung von Benda/KIein, R N 508 kann insoweit nicht ganz überzeugen. Wie hier dagegen zu Recht Bettermann, AöR 86 (1961), S. 129 (136) und Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I I R N 36. 26 27

S o ausdrücklich BVerfGE 72, 39 (43 f.) und 74, 69 (75) jeweils m . w. Nachw.

W i e hier Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 R N 99 a; auch Bettermann, AöR 86 (1961), S. 129 (136) und Stern, B K , Art. 93 R N 589, 592 lehnen es ab, von mangeln-

46

Β . Die Rechtsprechung des Bundeserfassungsgerichts

Es ist wohl anzunehmen, daß diese Meinung überwiegend durch Entlastungsbestrebungen i m Sinne des Subsidiaritätsgrundsatzes veranlaßt i s t 2 8 , womit die Bedeutung dieses Prinzips für das Kriterium des unmittelbaren Betroffenseins wieder einmal deutlich wird.

2. Das Rechtswegerschöpfungsgebot des § 90 I I 1 B V e r f G G

Das Rechtswegerschöpfungsgebot des § 90 I I 1 BVerfGG kann wohl ohne Übertretung als der „Kern" der Subsidiaritätsrechtsprechung angesehen werden. Nicht nur versucht das Bundesverfassungsgericht in einigen Entscheidungen, seine Rechtsprechung durch § 90 I I 1 BVerfGG dogmatisch abzusichern (vgl. schon S. 39), es wird vielmehr auch das Rechtswegerschöpfungsgebot unter dem Gesichtspunkt des Subsidiaritätsprinzips zu einer überaus strengen Zulässigkeitsvoraussetzung „verdichtet".

a) Die strengen Anforderungen

des Bundesverfassungsgerichts

aa) Der Rechtswegbegriff Klarstellend ist zunächst zu bemerken, daß unter Rechtsweg grundsätzlich jeder von der Rechtsordnung vorgesehene Instanzenzug 1 (mit gegebenfalls einzuhaltendem Vorverfahren 2 ), inklusive des vorläufigen Rechtschutzes3, aber auch der gesetzlich vorgesehenen Rechtsbehelfe ohne Devolutiveffekt 4 zu verstehen ist. Auch der nur subsidiär geltende ordentliche Rechtsschutz des Art. 19 I V 2 GG fällt unter den Rechtswegbegriff 5 .

dem behördlichen Entscheidungsspielraum auf ein unmittelbares Betroffensein durch die zugrundeliegende Norm zu schließen, da der Behördenakt immer anfechtbar sei. 2 8

Wie hier Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I I R N 36.

1

Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 617. Das Verfahren zur Bewilligung der Prozeßkostenhilfe gilt als eigenständiger Rechtsweg: BVerfGE 2, 105 (107); 3, 162 (171); 7, 53 (55); 9, 124 (126). Ebenso BayVerfGHE 39, 82 (84). 2 Z u m Beispiel BVerfGE 78, 155 (160). Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 618; dagegen aber Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 R N 196. 3

Pestalozza,

VerfprozeßR, § 12 I I R N 46.

4

Vgl. im einzelnen die Aufstellungen bei Henschel, FS Faller, S. 165 (166) und Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 619 ff. 5

B V e r f G E 1, 344 ff. Zustimmend Schenke, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 15.

I I I . Auswirkungen auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen

47

I m Gegensatz zu früher 6 ist heute die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle des § 47 VwGO als Rechtsweg i m Falle einer Grundrechts ver letzung durch ein nicht-formelles 7 Gesetz allgemein anerkannt 8 . Dies war vom Änderungs-Gesetzgeber der VwGO bei der Novelle vom I.1.1977 auch ausdrücklich bezweckt worden 9 . Insbesondere i m Schrifttum strittig ist dagegen auch heute noch die Frage, welcher Rechtsschutz gegen untergesetzliche Normen in den Ländern greifen soll, die von der Ermächtigung des § 47 I Nr. 2 VwGO keinen Gebrauch gemacht haben 1 0 . Hier dürfte wohl nur eine inzidente Normenkontrolle in Frage kommen 1 1 , obwohl immer wieder vor allem die allgemeine Feststellungsklage gemäß § 43 I VwGO als echte prinzipale „Auffang-Normenkontrollklage" in die Diskussion eingebracht w i r d 1 2 . 6 V o r der VwGO-Novelle von 1977 war die Rechtswegqualität der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle lebhaft umstritten, vgl. nur Büsser, S. 88 f.; König, DVB1. 1972, 57 (60); Laubinger, JA 1971, 177 (177); Leibold, S. 87; Obermayer, DVB1. 1965, 625 (629 f.). Ablehnend auch Scherer, S. 294, noch für die insoweit entsprechende Regelung des § 25 süddeut. V G G . Auch damals schon konnte die heute vorherrschende Ansicht aber den Ausführungen von Bachof, D Ö V 1964, 9 (11 f.); ders., N J W 1968, 1065 (1066 f.); Bartlsperger, DVB1. 1967, 360 (362, 372); Engelhardt, S. 210; Schneider, Z Z P 79 (1966), S. 1 (35); Stern, FS H. Schäfer, S. 59 (74 ff.) entnommen werden. Die beiden zuerst genannten Autoren weisen insbesondere auch auf BVerfGE 11, 232 hin, in der § 47 V w G O als „Rechtsweg" i. S. d. Art. 19 I V G G bezeichnet wurde. Gerade deswegen können die Bedenken von Hagedorn, N J W 1985, 2177 (2179), der sich auf Art. 19 I V G G stützen will, nicht überzeugen. 7 D a s wird leider in der ansonsten richtungsweisenden Entscheidung BVerfGE 70, 35 ff. (mit abweichender — aber zutreffender — Meinung des Richters Steinberger [S. 59 ff.]) nicht konsequent berücksichtigt. I n dieser Entscheidung wurde ein formelles Hamburgisches Bebauungsplangesetz ( vgl. § 246 I I B a u G B ) dem § 47 V w G O unterworfen, weil die Gleichsetzung mit satzungsförmigen Bebauungsplänen (§ 10 B a u G B ) dem mutmaßlichen Willen des Änderungsgesetzgebers der V w G O entspreche. Dabei handelt es sich jedoch u m eine Auslegung contra legem. Siehe zu dieser Entscheidung die ausführliche Behandlung unten S. 165 ff. 8 Z u m Beispiel BVerfGE 74, 297 (321 f.); 79, 174 (187 ff.). Inzwischen völlig h. M . : vgl. nur Erichsen, J U R A 1979, 335 (336); Geiger, BVerfGG, § 90 A n m . 7; Gusy, Verfassungsbeschwerde, R N 139; Henning, S. 230; Hövel, S. 85; Kopp, V w G O , § 47 R N 39 m. w. Nachw.; ders., N J W 1976, 1961 (1964); Meyer-Ladewig, DVB1. 1976, 204 (207); Motzer, S. 112; Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I I R N 46; Schenke, N J W 1978, 671 (679); ders., N J W 1986, 1451 (1456); ders., Rechtsschutz, S. 301; Schiaich, R N 236; Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG § 90 R N 202 a; Schmitt Glaeser, R N 437; Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 620. Gleiches gilt auch für die Kommunalverfassungsbeschwerde nach Art. 93 I Nr. 4 b G G : BVerfGE 76, 107 (114 f.). 9

Regierungsbegründung B T - D r s . 7/4324, S. 9 f.

10

I m „alten" Bundesgebiet Berlin, Hamburg, Saarland und Nordrhein-Westfalen.

n

B V e r w G D Ö V 1965, 169 ff.; zustimmend Barby, S. 144 f.; Harald Klein, FS Zeidler I I , S. 1325 (1339 in F N 50); Κ. Meyer, AöR 97 (1972), S. 12 (29). Z u m Begriff der inzidenten Normenkontrolle noch später S. 61 f. 12 I n diese Richtung insbesondere Siemer, Normenkontrolle, passim und ders., FS Menger, S. 501 (passim); Maurer, FS Kern, S. 275 (305 ff.): Feststellungsklage eigener

Β . Die Rechtsprechung des Bundeserfassungsgerichts

48

Nicht zum Rechtsweg gehören insbesondere die Verfassungsbeschwerden zu den Lan desVerfassungsgerichten, da insoweit § 90 I I I BVerfGG dem Bürger ein echtes Wahlrecht einräumt. Dies schließt allerdings nicht aus, daß Verfassungsbeschwerde gegen ein landesverfassungsgerichtliches Urteil erhoben werden kann, wenn dieses Urteil gegen Grundrechte des Grundgesetzes verstößt 1 3 . Um den richtigen Rechtsweg zu beschreiten, muß man sich vergegenwärtigen, daß der direkt gegen die Verletzung gegebene sachnächste Rechtsbehelf eingelegt werden muß (vgl. den eindeutigen Wortlaut des § 90 I I 1 BVerfGG: „Ist gegen die Verletzung der Rechtsweg zulässig...") 14 . Gemeint ist somit insbesondere der sog. primäre — als Gegensatz zum sekundären — Rechtsschutz i m Sinne des Staatshaftungsrechts: Es muß versucht werden, die rechtswidrige hoheitliche Maßnahme zu beseitigen bzw. deren Rechtswidrigkeit feststellen zu lassen 15 ; stattdessen haftungsrechtliche Entschädigungen einzuklagen, genügt nicht für die Erschöpfung des Rechtsweges 16 . Ebensowenig genügt es, wenn jemand eine behördliche Verfügung nicht direkt angreift bzw. sie mißachtet und im dadurch verursachten Ordnungswidrigkeits- oder Strafverfahren nun die Rechtswidrigkeit dieser (Ausgangs-)Verfügung geltend macht 1 7 . Das strafrechtliche Verfahren Art. Dagegen wohl zu Recht Kopp, V w G O , § 43 R N 8 und 14, der allerdings richtigerweise auch daraufhinweist, daß die Klagen oft in Klagen auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses als Folge der problematischen Norm umgedeutet werden können. Die Rechtmäßigkeit der Norm wird dann aber nur inzident, also als Vorfrage, geprüft. So wohl auch Renck, JuS 1966, 273 (passim), allerdings mit (zu) weitreichendem Verständnis vom Begriff des Rechtsverhältnisses. Schenke, Rechtsschutz, S. 330 f. begründet ausführlich, warum keine analoge Anwendung des § 47 V w G O in Frage kommt. 13

B V e r f G E 6, 445 (449).

14

Instruktives Beispiel auch bei BVerfGE 82, 236 (258), wo der Rechtsweg gegen einen strafgerichtlichen Schuldspruch zwar erschöpft war (gegen diesen wandte sich die Verfassungsbeschwerde allein und zwar zulässigerweise), nicht aber der Rechtsweg gegen den Strafausspruch, da insoweit das Revisionsgericht an die Berufungsinstanz zurückverwiesen hatte. 15 Z u m Beispiel auch mit der Fortsetzungsfeststellungsklage gem. § 113 I 4 V w G O ; BVerfGE 80, 137 (148). Ebenso schon BVerfGE 79, 275 (280 f.), allerdings unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, da vom Bf. der Rechtsweg des Eil Verfahrens zunächst erfolglos erschöpft worden war und sich dann erst der Streitgegenstand erledigte. 16 B V e r f G E 20, 162 (173). So auch schon Geiger, BVerfGG § 90 A n m . 7. Hier ergibt sich eine interessante Parallele zur „berühmt-berüchtigten" „NaßauskiesungsEntscheidung" des BVerfG (BVerfGE 58, 300 ff.), in der der Grundsatz „dulde und liquidiere" zugunsten eines Vorranges des primären Rechtsschutzes endgültig ausgeschaltet worden ist (ebenda, S. 324). 17

BVerfGE

22, 287 (291 ff.).

I I I . Auswirkungen auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen

49

ist kein Rechtsweg gegen den Ausgangsbescheid, vielmehr hätte letzterer vor dem Verwaltungsgericht angefochten werden müssen.

bb) Sorgfalt bei der Erschöpfung des Rechtsweges Aus dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entnimmt das Bundesverfassungsgericht die Pflicht des Beschwerdeführers, bei der Erschöpfung des Rechtsweges im Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG erhebliche Sorgfalt aufzuwenden, insbesondere alle Tatsachen rechtzeitig vorzutragen 18 . Als eher prozessuale Pflicht müssen alle nicht offensichtlich unzulässigen Rechtsbehelfe 19 bei den Fachgerichten voll ausgeschöpft werden 2 0 . Zu diesen Rechtsbehelfen gehört auch die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision 2 1 und nach jüngster Rechtsprechung auch die Erhebung der Nichtigkeitsklage bei nicht vorschriftsmäßiger Besetzung des Gerichts 2 2 . Die Versäumung oder Zurücknahme von Rechtsbehelfen führt zur Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde 23. Letzteres gilt auch, wenn ein Rechtsmittel wegen prozessual nicht ordnungsgemäßem Vorgehen als unzulässig abgelehnt wurde 2 4 . 18

B V e r f G E 66, 337 (364).

19

B V e r f G E 22, 287 (290); 68, 376 (380 f.); 83, 216 (228 ff.).

20

G g f . muß ein Hilfsantrag verfolgt werden, BVerfGE 78, 58 (68). Allerdings kann eine zum Zeitpunkt der Einlegung noch unzulässige Verfassungsbeschwerde (ζ. B. diese wurde sofort nach Abschluß der 1. Instanz eingelegt) auch noch nachträglich zulässig werden, wenn bis zur Entscheidung durch das BVerfG der Rechtsweg vollständig erschöpft worden ist; st. Rspr. seit BVerfGE 2, 105 (109). 2 1 Vgl. BVerfGE 16, 1 (2); 64, 256 (260). Das gleiche gilt für die B a y V B : BayVerfGHE 39, 53 (54); 42, 11" (120); 44, 33 (35). I n diesem Sinne auch Baumgarten, Z T R 1990, 368 (369); Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I I R N 46; Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 619 m . F N 23. 22 B V e r f G N J W 1992, 1030 (1030 f.) für Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit; ebenso schon für die Verwaltungsgerichte Gusy, Verfassungsbeschwerde, R N 142. 23 B V e r f G E 42, 252 (257): Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht versucht; BVerfGE 83, 216 (228 IT.): Revision nicht versucht; BVerfG N J W 1983, 2931 (2931): Untätigkeitsklage nicht versucht. Vgl. auch schon die Nachw. bei Geiger, BVerfGG § 90 Anm. 7. 24 B V e r f G , Beschl. v. 24.4.1990 — 2 B v R 177/90 (unzulässige Nichtzulassungsbeschwerde), mitgeteilt von Herden/Gmach, N J W 1991,1021 (1021 m. F N 4); BVerfG, Beschl. v. 20.2.1991 — 2 B v R 3 9 / 9 1 (unzulässige Revision), mitgeteilt von Herden/Gmach, N J W 1992, 87 (87 m . F N 5). Das gilt aber nach Ansicht des BVerfG nur dann, wenn der Bf. „die vom Rechtsmittelgericht angenommenen Zulässigkeitshindernisse hätte beheben können", vgl. jüngst BVerfG N J W 1992, 815 (815) zur Divergenzrevision i m Arbeitsgerichtsverfahren.

4 Warmke

50

Β . Die Rechtsprechung des BundesVerfassungsgerichts

Zur genannten Sorgfalt gehört auch die schon erwähnte materielle Pflicht des Beschwerdeführers, schon i m Fachgerichtsprozeß alle Rügen — also auch und vor allem solche, die Grundrechtsverletzungen betreffen — vollständig und rechtzeitig 25 vorzubringen 26 . Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unabhängig davon, ob das fachgerichtliche Verfahren der Parteimaxime oder dem Amtsermittlungsgrundsatz unterliegt 2 7 . Fast schon selbstverständlich in diesem Zusammenhang klingt die Forderung des Gerichts, daß der Beschwerdeführer sich i m Fachgerichtsverfahren deutlich mit der Begründung, auf die sich der angegriffene Hoheitsakt stützt, argumentativ auseinandersetzen m u ß 2 8 .

cc) Die Erweiterung des „Rechtsweges" durch extensive Auslegung der Fachprozeßordnungen durch das Bundesverfassungsgericht zur Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips Uber diese strengen Anforderungen an die völlige Ausschöpfung der gesetzlich vorgesehenen Rechtsbehelfe hinaus legt das Bundesverfassungsgericht unter Berufung auf die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde die Fachprozeßordnungen (ZPO, StPO, VwGO) extensiv aus 2 9 . Damit entstehen gesetzlich zwar nicht ausdrücklich vorgesehene, aber von den Beschwerdeführern dennoch im Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG zu beschreitende Rechtswege. Als Beispiel ist hier die sehr umstrittene 3 0 Entscheidung zum ( formellen) Hamburgischen Bebauungsplangesetz zu nennen 3 1 . Das genannte Gesetz 2 5

Also auch gegebenenfalls schon so früh, daß Grundrechtsverletzungen noch verhindert werden können, ζ. B. BVerfGE 81, 97 (103 f.). 26 D a s läßt sich insbesondere BVerfGE 74, 102 (113 f.); 77, 275 (283 f.) entnehmen. Jüngst BVerfG, Beschl. v. 10.12.1990 — 2 B v R 1304/90, mitgeteilt von Herden/Gmach, N J W 1992, 87 (87 m . F N 4). I n BVerfGE 64, 135 (143); 68, 334 (335); 68, 384 (389); 81, 22 (27 f.); 82, 6 (11); 83, 216 (228); 84, 203 (206) wird dieser Aspekt allerdings unter dem „Grundsatz der Subsidiarität" behandelt. Dieser materiellen Rügepflicht zustimmend ζ. B. Zuck, JuS 1988, 370 (374). S. auch unten die Stellungnahme, S. 115 ff. 27

B V e r f G E 79, 174 (190). Einschränkend aber unter dem Gesichtspunkt des Jugendschutzes i m Jugendstrafverfahren BVerfGE 74, 102 (114). 28

B V e r f G E 79, 174 (190); kritisch dazu Pestalozza, VerfprozeßR § 12 I R N 12 mit F N

37. 29 S o w e i t ersichtlich erstmals in BVerfGE 42, 243 (250) bezüglich § 33 a StPO. S. die ausführliche Stellungnahme unten S. 127 ff. 30 Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I I R N m. F N 166 bezeichnet die Entscheidimg als gesetzeswidrig. Kritisch auch Kosmider in einer Rezension in: JuS 1988, 447 (passim). 31

BVerfGE 70, 35 ff. Vgl. dazu schon oben S. 47 und ausführlich unten S. 165 ff.

I I I . Auswirkungen auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen

51

unterstellte das Bundesverfassungsgericht durch entsprechende Auslegung dem § 47 VwGO, obwohl diese Norm eigentlich nur Rechtsverordnungen und Satzungen erfaßt. Von Teilen der Literatur begrüßt 3 2 , von anderen Teilen dagegen nicht ganz umgesetzt 33 ist eine weitere extensive Prozeßordnungsauslegung des Bundesverfassungsgerichts 34, welche folgenden Hintergrund hat: Das Bundesverfassungsgericht verzeichnet einen große Anzahl von Verfassungsbeschwerden wegen Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 I G G 3 5 ) , die vielfach sogenannte „Bagatellfälle" betreffen 36 . Zwar ist schon generell die Tendenz zu erkennen, daß das Bundesverfassungsgericht verstärkt als „Superrechtsmittelgericht" insbesondere in Zivilsachen 37 — erfolglos — mißbraucht wird. Das ist auf das Anliegen des Gesetzgebers zurückzuführen, die ebenfalls stark überlasteten Fachgerichte — vor allem der Zivilgerichtsbarkeit — durch immer weitere Verschärfung der Präklusionsvorschriften 38 und Einengung der Rechtsmittelmöglichkeiten 39 zu entlasten 4 0 . Diese verständliche — wenn auch in 32

S o ζ. B. Henschel, FS Faller, S. 165 (168).

33

Z u m Beispiel Schellhammer,

R N 492 sowie Thomas/Putzo,

Einl. I , 4 g) aa) und

bb). 34

B V e r f G E 60, 96 (98 f.); 61, 78 (80 f.); 64, 203 (206).

35

S i e h e ζ. B. jüngst das Heft 11 der N J W 1992 mit allein drei offensichtlich begründeten Verfassungsbeschwerden wegen Verletzung von Art. 103 I GG durch A G / L G : BVerfG N J W 1992, 678 f., 679 f., 680 f. Vgl. hierzu i m besonderen auch die Aufstellungen bei Schumann, Z Z P 96 (1983), S. 137 (149); ders., N J W 1985, 1134 (1135). Ebenfalls sehr ausführlich Waldner, § 13. 3 6 Vgl. die Aufstellung bei Schumann, Z Z P 96 (1983), S. 137 (151 f.) für den Zeitraum Januar 1978 bis Juni 1982: zivilprozessuale Streitwerte ab 50,- D M (nur bei 3 von 23 Entscheidungen über 1000,- D M ) ; 3 strafrechtliche Urteile mit 6 0 , - D M bzw. 100,D M Bußgeld. Dabei handelte es sich nur in 3 Fällen u m „grundsätzliche Bagatellfälle". Die Probleme der anderen Verfassungsbeschwerden waren in der Judikatur des BVerfG bereits mehrfach entschieden; vgl. die Nachw. bei Schumann, ebenda, in F N 58. 37 Interessant ist insoweit die ausführliche Untersuchung von Schumann, Z Z P 96 (1983), S. 137 ff.: I n den Bänden 1 — 60 sind allein 127 „zivilprozessuale" Entscheidungen abgedruckt, davon 116 Verfassungsbeschwerden und 11 konkrete Normenkontrollen (ebenda, S. 148 m. F N 41). Dabei ist der Prozentsatz dieser Urteile und Beschlüsse an den veröffentlichten Entscheidungen beständig gestiegen; i m 60. Band betrug er gar 37 % aller abgedruckten Entscheidungen, nämlich 10 von 27 (ebenda, S. 144 f.). I n diesem Zusammenhang ist zu beachten, daß in die Entscheidungsbände ohnehin nur die ca. 3 % der Verfassungsbeschwerden gelangen können, die die Annahme durch die Kammern schaffen. 38 Z u m Beispiel Verschärfung des § 528 Z P O durch die Vereinfachungsnovelle vom 3.12.1976. 3 9 M a n denke nur an die kontinuierliche Erhöhung der Berufungs- und Revisionssummen, §§ 511a, 546 Z P O . Wie hier Waldner, § 13 R N 483. 40

D a s ist auch die Diagnose von Deubner,

N J W 1980, 263 (263).

52

Β . Die Rechtsprechung des Bundeserfassungsgerichts

ihrer Tendenz und in Details nicht völlig unbedenkliche — Reformgesetzgebung hat allerdings den unangenehmen Nebeneffekt eines erhöhten Ausweichdrucks in Richtung auf das Bundesverfassungsgericht in den Fällen, in denen durch die genannten Maßnahmen dem Betroffenen weiterer fachgerichtlicher Rechtsschutz versperrt i s t 4 1 . Oftmals berechtigt 4 2 sind vor allem überdurchschnittlich viele Beschwerden wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs in der ersten Instanz 4 3 der Zivilgerichtsbarkeit 44 . Da in diesen Fällen häufig die Berufungssumme des § 511 a ZPO nicht erreicht wurde, blieb den Betroffenen früher nur die Möglichkeit, wegen einer u. U. einfachen „ P a n n e " 4 5 in der Poststelle des Amtsgerichts oder ähnlichem den obersten „Hüter der Verfassung" 46 zu bemühen 4 7 . Das Bundesverfassungsgericht fand hier ζ. B. für die schriftlichen Verfahren des § 128 I I I ZPO den Ausweg, über eine analoge Anwendung des § 513 I I ZPO (Fall des sog. Zweiten Versäumnisurteils) ohne Rücksicht auf die Berufungssumme das Rechtsmittel der Berufung zu ermöglichen, 41 So zu Recht warnend Asbrock, Z R P 1992, 11 (12, 13); Benda, N J W 1980, 2097 (2102); Berkemann, JR 1980, 268 (270); Deubner, N J W 1980, 263 (263); ders., JuS 1990, 1004 (1006): „Sonderrechtsbehelf in Zurückweisungssachen"; Peters, JR 1980, 265 (266) und Schumann, Z Z P 96 (1983), S. 137 (192 in F N 192), der auch zu Recht zu folgender Prognose kommmt: „Je mehr der Bundesgerichtshof...eine Grundsatzkompetenz ausüben will, umso mehr muß sich das BVerfG des unrichtig entschiedenen Einzelfalles annehmen", ebenda, S. 196.; ders., N J W 1985, 1134 (1137). Mußgnug, N J W 1978, 1358 (1359): „Die Rechtsmittelbeschränkung (in der Fachgerichtsbarkeit) entzieht der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde den Boden". 42 V g l . das eindrucksvolle Beispiel bei Seetzen, N J W 1984, 347 (347) bezüglich des 60. Bandes der BVerfGE. S. auch dens., N J W 1982, 2337 (2337 f.) mit einer anderen statistischen Untersuchung. 43 Schumann, N J W 1985, 1134 (1137): 12, 66 % aller Verfassungsbeschwerden wegen Verletzung des Art. 103 I G G richten sich gegen amtsgerichtliche, 53, 33 % gegen landgerichtliche Urteile. Zusammen mit den erstinstanzlichen Gerichten der anderen Gerichtszweige (also mit A r b G , F G , SG, V G ) ergibt sich sogar ein Anteil der untergerichtlichen Urteile von 71 %! Siehe auch die Nachw. bei Zuck, M D R 1984, 800 (802). 44 D a r ü b e r beklagt sich das Gericht ausdrücklich in BVerfGE 42, 243 (249) und 42, 252 (254 f.). Die Anzahl der Verfassungsbeschwerden wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs ist steigend; Nachw. bei Schumann, N J W 1985, 1134 (1135). 45 S i e h e nur die Beispiele, mit denen sich das Gericht schon befassen mußte, in: BVerfGE 42, 243 (248). Von „Pannenjudikatur" spricht daher wohl zu Recht Schumann, N J W 1985, 1134 (1135 f.), der auch eine Aufstellung der typischsten „Pannen" vornimmt. Siehe zum tiefgreifenden Problem der Umsetzung rechtlichen Gehörs in der Praxis auch Wimmer, DVB1. 1985, 773 (passim). 46 4 7

B V e r f G E 40, 88 (93).

Nur noch als historische Reminiszenz kann m a n heute glücklicherweise den Vorschlag bezeichnen, zur Entlastung des BVerfG die Rügbarkeit des A r t . 103 I G G zu beseitigen, vgl. die Nachw. bei Waldner, § 13 R N 484 in F N 8.

I I I . Auswirkungen auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen

53

wenn der Beschwerdeführer in seinem Recht auf rechtliches Gehör verletzt worden i s t 4 8 . I m Strafverfahren ist z. B. § 33 a St PO gemäß der ausdrücklichen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts „so auszulegen und anzuwenden, daß er jeden Verstoß gegen Art. 103 I GG im Beschlußverfahren erfaßt" 4 9 . b) Der Sonder fall der Verfassungsbeschwerde

gegen formelle

Gesetze

Daß die Verfassungsbeschwerde auch gegen Gesetze zulässig ist, ergibt sich ausdrücklich aus dem Wortlaut der §§ 31 I I 2, 93 I I und I I I , 94 I V sowie 95 I I I 1, 2 BVerfGG. Wie schon erwähnt wurde, besteht bei Gesetzen i m nur materiellen Sinn (Rechtsverordnungen, Satzungen) inzwischen allgemeiner Konsens, daß § 47 VwGO einen Rechtsweg i m Sinn des § 90 I I 1 BVerfGG bieten kann 5 0 . Hinsichtlich formeller Gesetze folgt die überwiegende Ansicht der traditionellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Danach könne § 90 I I 1 BVerfGG bei Parlamentsgesetzen überhaupt nicht gelten, weil es gegen formelle Gesetze keinen Rechtsweg gäbe 5 1 . Daher sei auch § 90 I I 2 BVerfGG bei formellen Gesetzen nicht anwendbar 5 2 . Begründet wurde die Nichtanwendbarkeit des § 90 I I BVerfGG bei Verfassungsbeschwerden gegen formelle Gesetze vom Bundesverfassungsgericht selbst ursprünglich überhaupt n i c h t 5 3 . Erst in einer Kommunalverfassungsbeschwerde (!) aus dem Jahre 1987 ( ! ) 5 4 wird die Anwendbarkeit des § 90 I I 1 BVerfGG „ i m Hinblick darauf; 48 B V e r f G E 60, 96 (99), bestätigt durch BVerfGE 61, 78 ff.; 61, 119 ff.; 64, 203 ff. Daß die analoge Anwendung des § 513 I I Z P O in anderen Fällen der Verletzung des Art. 103 I G G dagegen wegen überwiegender Ablehnung durch die Fachgerichtsbarkeit keinen zumutbaren Rechtsweg i. S. d. § 90 I I 1 BVerfGG darstellt, spricht das Gericht in BVerfG N J W 1991, 2622 (2622 f.) jetzt ausdrücklich aus. 4 9 50

BVerfG E 42, 243 (250); Hervorhebung nur hier.

S i e h e oben S. 47.

51 Z u m Beispiel BVerfGE 49, 1 (10); 75, 108 (145); 76, 107 (115); 78, 331 (340). D e m folgen z. B. Bender, A o R 112 (1987), S. 169 (176); Erichsen, J U R A 1979, 335 (336); Lower, S. 737 (835); Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I I R N 46; Schiaich, R N 244; Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 R N 194. 5 2 BVerfG E 2, 292 (292 [Leits.], 295); 3, 34 (36); 15, 126 (132). Jüngst dagegen BVerfGE 83, 162 (171) und 84, 133 (144): § 90 I I 2 BVerfGG (in direkter Anwendung) bei einer Normenverfassungsbeschwerde! 5 3 54

Vgl. die Nachw. in den vorstehenden F N . B V e r f G E 76, 107 (115).

54

Β . Die Rechtsprechung des Bundeserfassungsgerichts

daß für die prinzipale Kontrolle förmlicher Gesetze die Verfassungsgerichte ausschließlich zuständig sind, ...grundsätzlich verneint". Damit wäre die „Argumentation" des Gerichts erschöpfend zitiert. Der entscheidende Grund wird vom Gericht selbst also darin gesehen, daß (unbestrittenermaßen) das Verwerfungsmonopol für formelle Gesetze auf der Bundesebene beim ihm — dem Bundesverfassungsgericht — l i e g t 5 5 . Natürlich hat die dem Bundesverfassungsgericht folgende „herrschende Meinung in der Literatur" weitere Argumente für die Nichtanwendbarkeit des § 90 I I 1 BVerfGG gefunden. Da sich das Bundesverfassungsgericht diesen Argumenten aber bis jetzt nicht angeschlossen hat, sollen sie erst später bei der kritischen Würdigung der Rechtsprechung hinzugezogen werden 5 6 . An dieser Stelle ist demnach festzustellen 57 , daß das Bundesverfassungsgericht die „Filterfunktion" des § 90 I I 1 BVerfGG bei Verfassungsbeschwerden gegen formelle Gesetze dem Merkmal der „unmittelbaren Betroffenheit" überläßt 5 8 .

c) Ausnahmen vom Rechtswegerschöpfungsgebot aa) Vorabentscheidung gemäß § 90 I I 2 BVerfGG Eine gesetzlich geregelte Möglichkeit für das Bundesverfassungsgericht, vom Rechtswegerschöpfungsgebot abzusehen, gibt § 90 I I 2 BVerfGG. Voraussetzung für die sog. „ Vorabentscheidung" ist jedoch nach der Rechtsprechung, daß „der Rechtsweg bereits beschritten ist oder noch beschritten werden k a n n " 5 9 . Diese Einschränkung gilt jedenfalls für die Variante 2 (schwerer und unabwendbarer Nachteil) 6 0 . Das heißt insbesondere, daß die Rechtsmittelfristen des Instanzenzuges noch nicht verstrichen sein dürfen und der Beschwerdeführer nicht auf Rechtsmittel verzichten darf. Wer demnach die Rechtswegbeschreitung 55

S t . Rspr. seit BVerfGE 1, 184 (189 ff.). D e m steht nicht entgegen, daß die Fachgerichte als Voraussetzung für Art. 100 I G G Parlamentsgesetze inzident überprüfen müssen, vgl. Pestalozza, VerfprozeßR § 13 I R N 2 m. w. Nachw. in F N 4 und 5. 56

S i e h e unten S. 177 fT.

57

S i e h e dazu schon oben S. 42 f.

58

S o auch Schiaich, R N 244; Zuck, JuS 1988, 370 (374).

59

B V e r f G E 22, 349 (354 fT.); 56, 54 (69). Ebenso A. Arndt,

6 0

N J W 1965, 807 (808).

Für die Variante 1 (allgemeine Bedeutung) ist das BVerfG nicht ganz so streng. Vgl. ζ. B. BVerfGE 10, 302 (308 f.); dort wurden allerdings auch Zumutbarkeitsaspekte beigemischt.

I I I . Auswirkungen auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen

55

aus irgendeinem Grund versäumt hat, kann auf § 90 I I 2 BVerfGG nicht mehr zählen 6 1 . Aber selbst wenn diese Voraussetzung erfüllt ist und tatsächlich auch „allgemeine Bedeutung" 6 2 oder ein „schwerer und unabwendbarer Nacht e i l " 6 3 zu bejahen ist, liegt es immer noch im Ermessen des Bundesverfassungsgerichts („kann"), die Beschwerde anzunehmen 64 . Dazu hat das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen, daß die Bevorzugung der betreffenden Beschwerde vor den vielen anderen anhängigen Verfahren „offensichtlich geboten" 6 5 sein muß und keine entscheidungserheblichen Tatsachen mehr festzustellen sein dürfen bzw. nicht noch die Anwendung des maßgeblichen einfachen Rechts geklärt werden m u ß 6 6 . Das Bundesverfassungsgericht setzt also den Ausnahmen des § 90 I I 2 BVerfGG enge Grenzen, um auch hier dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde gerecht zu werden 6 7 . Insofern kann jedem Beschwerdeführer nur empfohlen werden, sich nicht zu sehr allein auf § 90 I I 2 BVerfGG zu verlassen, sondern unbedingt gleichzeitig alle fachgerichtlichen Rechtsschutzmittel wahrzunehmen 68 .

bb) Unzumutbarkeit der Rechtswegerschöpfung Uber den geschriebenen Ausnahmetatbestand des § 90 I I 2 BVerfGG hinaus hat das Bundesverfassungsgericht auch das Rechtswegerschöpfungsgebot unter den schon vom Unmittelbarkeitskriterium her bekannten Zumutbarkeitsvorbehalt gestellt 6 9 — wenn auch unter engen Voraussetzungen 70 . 6 1

So war es in BVerfGE 22, 349 (354 f.) und 58, 81 (106).

6 2

Z u m Begriff siehe insbesondere Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 634 f. mit vielen Beispielen aus der Rechtsprechung des BVerfG. 63 D i e s e r liegt ζ. B. in der Regel nicht vor, wenn die Beschwer nicht zu einer Berufimg reichen würde (§ 511 a Z P O ) , BVerfGE 46, 72 (73); 53, 205 (206). Zur praktischen Bedeutungslosigkeit dieser Alternative Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 643 und zu weiteren Beispielen ders., ebenda, R N 637 ff. 64

Ausdrücklich gegen anderslautende Literaturmeinungen BVerfGE 8, 222 (226).

65

B V e r f G E 8, 38 (40).

6 6 67

BVerfG E 13, 284 (289); 56, 54 (69). B V e r f G E 1, 97 (103); 8, 222 (227).

68

I n diese Richtung wohl auch A. Arndt, beschwerde, R N 643.

N J W 1965, 807 (808); Zuck, Verfassungs-

69 Z u m Beispiel ausdrücklich BVerfGE 77, 275 (282): „Diese Pflicht zur Rechtswegerschöpfung besteht aber nur i m Rahmen des Zumutbaren." Vgl. hierzu auch Rinken, Art. 93 R N 59: „Richterrechtlicher Ausnahmegrund der Unzumutbarkeit". 70

BVerfG E 68, 376 (380 f.).

56

Β . Die Rechtsprechung des BundesVerfassungsgerichts

Wichtig ist dabei insbesondere, daß die „Unzumutbarkeit" der Rechtswegerschöpfung unabhängig davon bejaht werden kann, ob der Beschwerdeführer den Rechtsweg noch beschreiten könnte, wie dies für § 90 I I 2 BVerfGG zwingend notwendig i s t 7 1 . So kommt das Bundesverfassungsgericht ζ. B. in den genannten Fällen, in denen den Beschwerdeführern die neue Möglichkeit der Berufungseinlegung analog § 513 I I ZPO noch nicht bekannt sein konnte, zur Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde, obwohl die Berufungsfrist jeweils verstrichen war. Es war den Beschwerdeführern ohne veröffentlichte Rechtsprechung eben nicht „zuzumuten", diesen Rechtsweg zu erkennen und zu erschöpfen 72 . „Zumutbarkeit" und auch „objektive Gebotenheit 7 3 " der Rechtswegbeschreitung ist des weiteren zu verneinen, wenn wegen eindeutiger 7 4 , gefestigter, entgegenstehender höchstrichterlicher Rechtsprechung keine Aussicht auf Erfolg besteht 7 5 .

3. Das allgemeine Subsidiaritätsprinzip als eigenständige Zulässigkeitsvoraussetzung a) Der Inhalt des „allgemeinen Subsidiaritätsprinzips" Das Bundesverfassungsgericht bleibt bei einer strengen Anwendung des § 90 I I 1 BVerfGG heutzutage nicht mehr stehen. Vielmehr geht es in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß der Beschwerdeführer nach dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde über die Erschöpfung des Rechtsweges im engeren Sinne hinaus zunächst fachgerichtlich vorgehen muß, wenn er in zumutbarer Weise dort wirkungsvollen Rechtsschutz erhalten kann 1 . 71 Ausdrücklich BVerfGE 22, 349 (354 f.). Anders noch A. Arndt, (808). 72

N J W 1965, 807

BVerfG E 60, 96 (98 f.); 61, 78 (80 f.).

73

BVerfG E 9, 3 (7 f.); 68, 376 (380). Was der selbständige Bedeutungsgehalt dieser Formulierung sein soll, bleibt offen. 74 Bei uneinheitlicher Rechtsprechung muß der Bf. das Risiko hingegen auf sich nehmen und fachgerichtlich vorgehen, BVerfGE 16, 1 (3); 68, 376 (381). 75 S t . Rspr. Vgl. nur BVerfGE 9, 3 (7 f.); 10, 302 (308 f.); 18, 224 (231); 27, 253 (269); 47, 1 (17 f.); 84, 59 (72). Ähnlich BVerfGE 78, 58 (67) und BVerfG N J W 1992, 1030 (1031). I n BVerfG B B 1991, 47 (47 f.) ist dies wohl übersehen worden, wie Felix, B B 1991, 48 (48) zu Recht bemängelt. 1 BVerfG E 22, 287 (290); 63, 77 (78); 68, 384 (389); 69, 257 (267); 70, 180 (185); 71, 305 (336); 74, 69 (74); 74, 102 (113); 75, 108 (145); 75, 246 (263); 77, 381 (401); 78, 58 (68); 78, 290 (301); 78, 350 (355); 79, 1 (19); 79, 275 (278); 80, 40 (45); 81, 22 (27); 84, 203 (208); BVerfG N J W 1992, 735 (735); N J W 1992, 1952 (1953).

I I I . Auswirkungen auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen

57

Diese allgemein geltende Aussage kann anhand verschiedener Fallgruppen verdeutlicht werden:

aa) Das Hauptsache verfahren als Rechtsschutzmöglichkeit nach erfolglosem Bemühen um vorläufigen Rechtsschutz Nach völlig unbestrittener Ansicht bilden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (im weitesten Sinne, also inklusive der einstweiligen Anordnung bzw. Verfügung oder des summarischen Verfahrens nach § 80 V V w G O 2 ) selbständige Instanzenzüge gegenüber den Hauptsacheverfahren, da es in ihnen um eine eigenständige rechtliche Beschwer geht, die nicht mit derjenigen des Hauptsache Verfahrens übereinstimmen muß 3 . Insoweit stellen diese Verfahren auch selbständige Rechtswege i m Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG dar 4 . Daher kann der Beschwerdeführer, der gegen die letztinstanzliche Entscheidung i m Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes Verfassungsbeschwerde erhebt, nicht unter dem Aspekt der Rechtswegerschöpfung auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werden: Den Rechtsweg des vorläufigen Rechtsschutzes hat er j a erschöpft 5 . Diese Ansicht hatte es mit sich gebracht, daß das Bundesverfassungsgericht in zunehmendem Maße mit Verfassungsbeschwerden gegen letztinstanzliche Entscheidungen in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes überhäuft wurde. Die Beschwerdeführer hatten dabei das Hauptsacheverfahren ζ. T . überhaupt nicht in Erwägung gezogen 6 , waren aber auch nicht über das Gebot der Rechtswegerschöpfung abzuwehren. Damit eröffnete sich nach Ansicht des Gerichts ein geeignetes Aufgabenfeld für den „allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde der gemäß bundesverfassungsgerichtlicher Diktion verlangt, daß der Be2 I n BVerfGE 53, 30 (53) schien das Gericht zu einer unterschiedlichen Behandlung von Verfahren nach § 123 und nach § 80 V V w G O tendieren zu wollen. Dies wurde richtigerweise in nachfolgenden Entscheidungen nicht weiter verfolgt. Denn daß die Unterschiede für die vorliegende Problematik nur marginal gewesen wären, zeigt schon der Streit u m die Frage, in welchem Verfahren auf Verwaltungsakte m i t Drittwirkung zu reagieren ist, was Lerche, FS Jurist. Gesellschaft, S. 369 (373) zu Recht feststellt. Somit kann i m folgenden von einem einheitlichen Begriff des vorläufigen Rechtsschutzes ausgegangen werden. 3

V g l . ζ. B. BVerfGE 51, 130 (138) und die Nachw. im folgenden.

4

Verfehlt daher BayVerfGHE 39, 9 (14): wenn vorläufiger Rechtsschutz noch durch das Bundesverwaltungsgericht möglich war, war der Rechtsweg noch nicht erschöpft. Z u m Subsidiaritätsprinzip kommt m a n dann entgegen der Ansicht der Münchner Verfassungsrichter nicht. 5 6

S o auch ausdrücklich BVerfGE 76, 1 (39); 77, 381 (401); 78, 290 (301).

I n dieser Hinsicht beklagt sich das Gericht ausdrücklich in BVerfGE 51, 130 (132 f.) m. w. Nachw.

58

Β . Die Rechtsprechung des Bundeserfassungsgerichts

schwerdeführer auch über die Erschöpfung des Rechtsweges i m engeren Sinne hinaus zunächst alle anderen zumutbaren fachgerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten ausschöpft, womit in dieser Konstellation vor allem 7 das fachgerichtliche Hauptsache verfahren gemeint ist 8 . Insbesondere bei den Verfahren gegen atomare Großanlagen — die einen guten Teil der Verfassungsbeschwerden gegen Eilentscheidungen ausmachten 9 — konnte das Bundesverfassungsgericht darauf hinweisen, daß für eine sachgerechte Entscheidung umfangreiche einfachrechtliche 10 und technisch-naturwissenschaftliche Nachforschungen erforderlich seien. Dies sei nach der grundgesetzlichen Kompetenzordnung Angelegenheit der sachnäheren Fachgerichte 11 . Da die Fachgerichte jedoch beim einstweiligen Rechtsschutz die betreffenden Fragen nur im summarischen Verfahren kursorisch erörterten, wäre das Bundesverfassungsgericht gezwungen, ohne die notwendige fachgerichtliche Vorarbeit weitreichende Entscheidungen auf ungesicherter Grundlage zu treffen 12 . Unter Berücksichtigung dieses Ausgangsbefundes verweist das Bundesverfassungsgericht die Beschwerdeführer immer dann zunächst auf das Hauptsache verfahren bei den Fachgerichten, wenn: 1. „ausschließlich Grundrechtsverletzungen gerügt werden, die sich auf die Hauptsache beziehen, 2. die tatsächliche und die einfachrechtliche Lage durch die Fachgerichte noch nicht ausreichend geklärt sind und 7

I m Einzelfall kann dies allerdings auch bedeuten, daß der Bf. eine einstweilige Anordnung, die die Fachgerichte bereits schon einmal als verfrüht (und damit als unzulässig) abgelehnt haben, später noch einmal einlegen muß, wenn sich durch den Zeitablauf die Gefahr der Rechtsverletzung durch den beklagten Hoheitsträger inzwischen verdichtet hat und die einstweilige Anordnung somit aussichtsreich erscheint, BVerfG N J W 1992, 735 (735 f.). 8 BVerfG E 35, 382 (397); 38, 52 (57); 42, 163 (167); 46, 17 (25); 51, 130 (138 ff.); 53, 30 (52); 54, 173 (190); 56, 216 (234); 59, 1 (19 ff.); 59, 63 (82 ff.); 62, 117 (143); 66, 155 (173); 69, 233 (241); 69, 257 (267); 69, 315 (340); 75, 318 (325); 76, 1 (39); 77, 381 (401); 78, 290 (301); 79, 69 (73); 79, 275 (278 f.); 80, 40 (45); BVerfG N V w Z 1983, 29 (29); BVerfG N V w Z 1984, 781 (781); BVerfG DVB1. 1991, 482 (483); BVerfG N J W 1991, 3023 (3024); N J W 1992, 1676 (1676). Jüngst BVerfG, Beschl. d. 1. Kammer d. 1. Senats v. 29.04.92 — 1 B v R 507/92, mitgeteilt i. d. SZ v. 30.04./01.05.1992 (Nr. 100), S. 28. Ebenso für die B a y V B BayVerfGHE 43, 170 (177); 44, 1 (3). 9 BVerfG E 53, 30: Atomkraftwerk Mühlheim-Kärlich; BVerfGE 77, 381: Zwischenlager Gorleben; BVerfGE 78, 290: Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf; BVerfG N V w Z 1983, 29: Kernkraftwerk Grohnde. 10

B V e r f G E 78, 290 (302).

11

BVerfGE 77, 381 (401).

12

S o BVerfGE 53, 30 (53); 77, 381 (401, 404 f.). Gesellschaft, S. 369 (372).

Zustimmend Lerche, FS Jurist.

I I I . Auswirkungen auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen

59

3. dem Beschwerdeführer durch die Verweisung auf den Rechts weg in der Hauptsache kein schwerer Nachteil entsteht" 1 3 (dies etwa durch den zu erwartenden Sofortvollzug der um strittenen Maßnahme, wobei hier ausdrücklich der Maßstab des § 90 I I 2 BVerfGG angelegt w i r d 1 4 , so daß bei Verneinung des schweren Nachteils gleichzeitig die Möglichkeiteiner Vorabentscheidung entfällt 1 5 ). Eine weitere gut vertretene Fallgruppe — neben einer Vielzahl von rechtlich und tatsächlich oft recht „explosiven" Einzelfällen 16 — ist die der (Massen-) Klagen i m vorläufigen Rechtsschutz verfahren auf Zugang zu einem Hochschulstudium 17. Die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips in diesen Fällen hat den Grund, daß „der leichte und kostenfreie Zugang zum Bundesverfassungsgericht anscheinend dazu verführt, solche Verfassungsbeschwerden fast routinemäßig und mit formularmäßiger Begründung einzureichen" 18 . Damit werden die für Eilverfahren nicht zuständigen obersten Fachgerichte weitgehend ausgeschaltet und dessen Funktion dem Bundesverfassungsgericht zugeschoben 19 , es wird zur „Superbeschwerdeinstanz" degradiert 2 0 . 13 B V e r f G E 77, 381 (381, Leits.); 78, 290 (302); 80, 40 (45); BVerfG B B 1991, 47 (48). BVerfGE 53, 30 (53 f.) formuliert noch genau umgekehrt: Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, wenn keine Aufklärung mehr nötig und ein schwerer Nachteil zu erwarten ist. Ähnlich BVerfGE 42, 163 (168). 14

B V e r f G E 53, 30 (54).

15

Ausdrücklich BVerfGE 78, 290 (305).

16

B V e r f G E 35, 382; 38, 52; 56, 216: ausländerrechtliche, sofort vollziehbare Ausweisungen; BVerfGE 42,163: Werturteile bei politischer Auseinandersetzung; BVerfGE 46, 17: beamtenrechtliche Dienstenthebung; BVerfGE 69, 233: Entziehung kassenärztlicher Zulassung; BVerfGE 69, 257: Zurückweisung von Wahl Werbesendungen durch Rundfunkanstalten; BVerfGE 69, 315 und 79, 275: Versammlungsverbot; BVerfGE 75, 318: Unverletzlichkeit der Wohnung gegenüber gerichtlichem Sachverständigen; BVerfGE 79, 69: religiöse Eidesformel; BVerfGE 80, 40: Prüfungsrecht; BVerfG N V w Z 1984, 781: Elternrecht und Schulzuweisung; BVerfG BB 1991, 47 (47): Verfassungsmäßigkeit des G r u n d - und des Kinderfreibetrages 1987. Jüngst BVerfG, Beschl. d. 1. Kammer d. 1. Senats v. 29.04.92 — 1 B v R 507/92 — , mitgeteilt i. d. SZ v. 30.04./01.05.1992 (Nr. 100), S. 28: Münchner Flughafen „Franz-Josef Strauß" im Erdinger Moos. 17 B V e r f G E 39, 258; 39, 276; 51, 130; 54, 173; 62, 117; 66, 155. Problematik auch BVerfGE 59, 1. 18

Vgl. zu dieser

Ausdrücklich BVerfGE 51, 130 (140) — „Trittbrettfahrer".

19

B V e r f G E 51, 130 (140); vgl. auch BVerfGE 79, 275 (282); BVerfG N V w Z 1984, 781 (781). 2 0 BVerfG E 5 1 , 1 3 0 (143). Dementsprechend hatte das BVerfG in dieser Entscheidung sinngemäß erklärt, es werde nur noch Verfassungsbeschwerden gegen Entscheidungen in Eilverfahren mit Rechtsfragen von „grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Bedeutung" annehmen, obwohl die Verfassungsbeschwerden der Sache nach durchaus nicht unberechtigt waren. Bestätigt wurde diese Rechtsprechung in BVerfGE 54, 173 (190); 66, 155 (173). Art. 93 I Nr. 4 a G G macht aber den Zugang zum BVerfG nicht von einer

60

Β . Die Rechtsprechung des Bundeserfassungsgerichts

In einer neueren Entscheidung — die ein sofort vollziehbares polizeiliches Verbot, ein Gedicht szenisch auf einem Friedhof aufzuführen, betraf — wurde in diesem Zusammenhang festgestellt, daß eine Verfassungsbeschwerde gegen eine Eilentscheidung, die bei Einlegung nach den aufgeführten Grundsätzen zulässig war, nachträglich unzulässig wird, wenn sich der Gegenstand der Eilentscheidung (polizeiliches Verbot) inzwischen erledigt hat und der Beschwerdeführer die Wiederholungsgefahr durch Klage gem. § 113 I 4 VwGO i m Hauptsacheverfahren ausräumen k a n n 2 1 .

bb) Die Gegenvorstellung als „Rechtsweg" gegen gerichtliche Entscheidungen Da der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde verlangt, daß „alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten (ergriffen werden), um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzungen zu erwirken" 2 2 , kommt das Bundesverfassungsgericht zu der Einsicht, daß u. U. auch Gegenvorstellungen gegen ansonsten unanfechtbare (!) fachgerichtliche Urteile oder Beschlüsse eingelegt werden müssen 23 . Es erscheint dem Bundesverfassungsgericht in manchen 24 Rechtsgebieten als „möglich", daß das angegangene Gericht auf diesen formlosen Rechtsbehelf hin — insbesondere in Fällen der Verletzung der Justizgrundrechte (Art. 101 fT. GG) — seine eigene Entscheidung korrigiert 2 5 .

solchen Einschränkung abhängig, so daß diese Rechtsprechung kritisch zu beurteilen sein dürfte (ähnlich Benda/Klein, R N 325 für den Ausschluß sog. Bagatellverfahren). Gleichwohl kann die Problematik hier dahinstehen, da alle genannten Entscheidungen vor dem 5. Änderungsgesetz zum BVerfGG vom 12.12.1985 (BGB1.I, 2226) ergangen sind, durch das die Kammern für die Zukunft die Möglichkeit erhalten haben, bei offensichtlicher Begründetheit selbst zu entscheiden, § 93 b I I BVerfGG. Das Problem dürfte in Zukunft daher nicht mehr auftauchen. 21

BVerfGE 79, 275 (280).

2 2

BVerfG E 73,322 (325). So auch BVerfG N J W 1992, 496 (496) für die Notwendigkeit der Einlegung einer Nichtigkeitsklage gemäß § 579 I Nr. 4 Z P O analog i. V . m . § 153 I V w G O i m Verwaltungsprozeß. 23 B V e r f G E 63, 77 (78 f.), allerdings unter dem hier unrichtigen Prüfungspunkt des § 90 I I 1 BVerfGG. Inzwischen aber wie hier unter dem Subsidiaritätsprinzip: BVerfGE 73, 322 (325). 24 2 5

N i c h t allen; es muß differenziert werden, BVerfGE 73, 322 (326 ff.).

BVerfG E 63, 77 (79). Auch i m Beschluß der 2. Kammer des 2. Senats, BVerfG N J W 1991, 2758 (die Zulässigkeitsprüfung ist leider nicht mitabgedruckt), hatte laut Sachverhalt der Bf. Gegenvorstellung eingelegt.

I I I . Auswirkungen auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen

61

cc) Berufung auf Ausnahmeregelungen (eventuell in einem Hilfsantrag) „Beruht ein Eingriffsakt (VA, gerichtliche Entscheidung) auf einer grundrechtsverletzenden Regelung, die Ausnahmen vorsieht, so muß der Beschwerdeführer als Folge des Subsidiaritätsprinzips vor der Erhebung der Verfassungsbeschwerde versuchen, die Beseitigung des Eingriffsaktes unter Berufung auf die Ausnahmeregelung zu erwirken, wenn dies nicht offensichtlich aussichtslos i s t . " 2 6 In diesem Zusammenhang kann es auch als geboten erscheinen, daß die Berufung auf Ausnahmeregelungen (schon) in einem Hilfsantrag fachgerichtlich geltend gemacht und verfolgt w i r d 2 7 . Nur die Gesamtregelung als verfassungswidrig anzugreifen — wie es früher üblich war —, ohne sicherheitshalber die Ausnahmeregelung hilfsweise in Anspruch zu nehmen, stellt sich heute somit als beachtliches Risiko dar.

b) Der Sonderfall

der Verfassungsbeschwerde

gegen formelle

Gesetze

Bei Verfassungsbeschwerden gegen formelle Gesetze wirkt sich die selbständige Zulässigkeitsvoraussetzung „Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde" besonders spürbar aus: Konnte man früher relativ lapidar mit der Feststellung „Gegen formelle Gesetze gibt es keinen Rechtsweg" die Zulässigkeit einer Normenverfassungsbeschwerde — unmittelbares Betroffensein des Beschwerdeführers vorausgesetzt 28 — bejahen, wird dem Bürger heute einiges an Rechts(weg)kenntnissen abverlangt. Denn das Subsidiaritätsprinzip verschließt nach der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz, wenn der Beschwerdeführer „ i n zumutbarer Weise einen wirkungsvollen Rechtsschutz zunächst durch Anrufung der Fachgerichte erlangen k a n n " 2 9 — selbst wenn er ansonsten durch die Norm „unmittelbar betroffen" ist.

26

B V e r f G E 78, 58 (69); Klammereinschub nur hier.

27

B V e r f G E 78, 58 (68).

28

J ü n g s t hat BVerfGE 84, 90 (116) noch einmal ausdrücklich festgestellt, daß das Subsidiaritätsprinzip auch gilt, wenn der Bf. unmittelbar betroffen ist. 29

Z u m Beispiel BVerfGE 72, 39 (43 f.); 73, 40 (69 f.); 74, 69 (74 f.); 75, 108 (147); 75, 246 (263 f.); 77, 84 (100); 78, 350 (355); 79, 1 (19 f.); 79, 29 (35 f.) bezüglich formeller Gesetze. Ähnlich BVerfGE 68, 314 (323) und 71, 305 (336) bezüglich Rechtsverordnungen. Aktuell auch die Verfassungsbeschwerden gegen das EinigungsVertragsgesetz, ζ. B. BVerfG D t Z 1991, 190 (191): vorrangige Ausnutzung des Verfahrens nach dem „Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen".

62

Β . Die Rechtsprechung des Bundeserfassungsgerichts

Das bedeutet, daß der Beschwerdeführer eine inzidente Normenkontrolle 30 bei den Fachgerichten (insbesondere den Verwaltungsgerichten) anstreben muß: Beispielsweise kann der Beschwerdeführer einen Bescheid der zuständigen Behörde aufgrund des fraglichen Gesetzes entweder abwarten 31 oder provozieren 32 3 3 . Gegen diesen erhebt er dann Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage gem. § 42 I VwGO. In anderen Fällen — etwa bei gesetzlich angeordneten Mitgliedschaften in öffentlich-rechtlichen Zwangskörperschaften— kann der Beschwerdeführer eine negative Feststellungsklage gem. § 43 I V w G O auf Feststellung des Nichtbestehens des Mitgliedschaftsverhältnisses erheben 3 4 .

30

D i e Begrifflichkeiten — Gegensatz ist die sog. prinzipale Normenkontrolle — scheinen von Bettermann zu stammen, wie Stern, FS H. Schäfer, S. 59 (59 in F N 2) belegt. Eine prinzipale Normenkontrolle liegt dann vor, wenn eine ausdrückliche Entscheidung über die Gültigkeit der Norm ergeht, eine inzidente Normenkontrolle dann, wenn die Rechtssatzprüfung nur i m Rahmen eines anhängigen Rechtsstreites als Vorfrage vorgenommen wird. Auf verwaltungsgerichtlicher Ebene findet sich mithin in § 47 V w G O eine prinzipale Normenkontrolle, auf verfassungsgerichtlicher Ebene ist an die Verfahren nach Art. 93 I Nr. 2, 4 a, 4 b, Art. 100 I G G zu denken. Vgl. hierzu auch Detterbeck, AöR 116 (1991), S. 410 ff.; Pestalozza, VerfprozeßR, § 8 I R N 1 und § 13 I R N 2. 3 1

BVerfGE 72, 39 (44).

3 2

BVerfG E 69, 122 (125 f.); 71, 305 (346), worin eine eminente Verschärfung der Anforderungen gegenüber BVerfGE 31, 314 (323) gesehen werden muß, da dort die Notwendigkeit provozierter Verwaltungsakte ausdrücklich verneint wurde. 33 Voraussetzung ist allerdings, daß der Bf. durch die Norm bereits „gegenwärtig" betroffen ist. Sonst nützt es ihm nichts, daß er nach erfolgloser Anfechtung des provozierten Bescheides Verfassungsbeschwerde gegen das abweisende letztinstanzliche Urteil erhebt. D a es i m Endeffekt u m die Norm geht, sieht sich das BVerfG bei der Frage der gegenwärtigen Betroffenheit nicht dadurch gebunden, daß der Fachrichter die bei ihm anhängige Klage für zulässig gehalten hat. Das BVerfG prüft vielmehr selbständig nach, ob der Bf. überhaupt durch das Urteil gegenwärtig verletzt sein kann, was nur dann der Fall ist, wenn das Urteil sich auf ein Gesetz stützt, das seinerseits den Bf. gegenwärtig betrifft, BVerfG N J W 1986, 1742 (1742). 34 B V e r f G E 74, 69 (76). Zulässig ist solche Vorgehensweise zumindest seit BVerwG N J W 1983, 2208. Ähnlich BVerwG E 51, 69 (75 f.). Siehe auch jüngst BSG N J W 1992, 260 (260 f.): zulässige — wenn auch unbegründete — Klage gem. § 55 I Nr. 2 S G G gegenüber Krankenkasse auf Feststellung, daß entgegen der gesetzlichen Leistungskürzung (vgl.§§ 58, 59 SGB V ) ein Mitgliedersterbegeld in unveränderter Höhe zu zahlen sei. Dieser Weg war dem Kl. laut Sachverhalt ausdrücklich vom BVerfG selbst aufgegeben worden, bei dem der Kl. zunächst Verfassungsbeschwerde eingelegt und nach rechtlichem Hinweis wieder zurückgenommen hatte!

I I I . Auswirkungen auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen

63

I m Prinzip sind alle fachgerichtlichen Klagearten zu berücksichtigen; es kommt auf die Konstellation des Einzelfalles a n 3 5 . Insoweit wird dem Betroffenen eine gewisse „Verfahrens-Phantasie" auferlegt 3 6 . Daraus folgt, daß ein Fachgerichtsverfahren angestrengt werden muß, selbst wenn das einzig Strittige das zugrundeliegende formelle 3 7 Gesetz ist. In diesem Verfahren überprüft der Fachrichter die Norm Inzident auf ihre Verfassungsmäßigkeit und legt sie gegebenenfalls gem. Art. 100 I GG dem Bundesverfassungsgericht vor. Dort wird dann eine prinzipale Normenkontrolle durchgeführt. Legt der Richter nicht vor, obwohl auch er die Norm für verfassungswidrig h ä l t 3 8 , kann der Betroffene gegen das letztinstanzliche Urteil Verfassungsbeschwerde erheben. Dabei kann er sich auf die Verletzung des Rechts aus Art. 101 I 2 GG berufen, da ihm das Bundesverfassungsgericht entgegen der Vorlagepflicht des Art. 100 I GG als gesetzlicher Richter vorenthalten wurde 3 9 . Legt der Richter die umstrittene Norm nicht vor, weil er die Bedenken der Prozeßpartei bezüglich der Verfassungsmäßigkeit nicht teilt (dann besteht keine Vorlagepflicht), so kann der Betroffene ebenfalls Verfassungsbeschwerde gegen das letztinstanzliche Urteil erheben. In diesem Fall muß er geltend machen, der Richter habe die Verfassungswidrigkeit der Norm

35 Z u m Beispiel weitere Überlegungen bei Detterbeck, Präventiver Rechtsschutz, S. 212; ders., J U R A 1990, 654 (659 m. F N 41); Κ. Meyer, A ô R 97 (1972), S. 12 (29 f.). Hövel, S. 116 und Schenke, JuS 1981, 81 (85) weisen insbesondere auf die vorbeugende Unterlassungsklage hin. Siemer, Normenkontrolle, S. 21 ff. meint allerdings noch, daß allein die allgemeine Feststellungsklage Rechtsschutz gegen Normwirkungen bieten könne. Grenzen der Feststellungsklage zeigt aber ζ. B. Maurer, FS Kern, S. 275 (302 f.) auf. 36

S o Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 623.

3 7

Zunächst hatte das BVerfG die genannten Anforderungen nur für die Fälle aufgestellt, in denen es sich u m Normen handelte, die nicht dem Verwerfungsmonopol des BVerfG unterlagen — also nur bezüglich nicht-formeller Gesetze, BVerfGE 68, 319 (325). Schon i m nächsten Entscheidungsband wurde dieser Grundsatz jedoch durchbrochen, so daß heute eine inzidente Normenkontrolle auch bei formellen Gesetzen versucht werden muß, BVerfGE 69, 122 (125 f.). Diese Entwicklung wird von den wieder auf das Verwerfungsmonopol abstellenden BVerfGE 71, 305 (336) und E 75, 108 (145) übersehen, ist aber heute schon st. Rspr., vgl. BVerfGE 72, 39 (44, m. diss. op. des Richters Katzenstein auf S. 46 ff.); 73, 40 (69 f.); 74, 69 (74 f.); 75, 246 (263 f.); 78, 350 (355); 79, 1 (19 f.); 79, 29 (37 f.); 81, 70 (82 f.). 3 8 39

Dieser Fall dürfte als in der Tat willkürliches Verhalten eher die Ausnahme sein.

Detterbeck, D Ö V 1990, 858 (863 m. w. Nachw. in F N 42); Pestalozza, VerfprozeßR, § 13 I I R N 7 m . w. Nachw. in F N 22.

64

Β . Die Rechtsprechung des Bundeserfassungsgerichts

verkannt und habe ihn (den Beschwerdeführer) durch die Anwendung verfassungswidrigen Rechts in Grundrechten verletzt 4 0 . Somit kann der Bürger immer mit seinen Bedenken schließlich doch noch zum Bundesverfassungsgericht gelangen — allerdings i m Zusammenhang mit einem aufbereiteten konkreten Anwendungsfall unter Vorlage fachgerichtlicher Ansichten, was die Arbeit der Verfassungsrichter gewiß erleichtert 4 1 . Nicht zu vergessen ist nämlich, daß die Richtervorlage gem. Art. 100 I GG dem Fachrichter ein beträchtliches Maß an Begründungsarbeit auferlegt, die sich das Bundesverfassungsgericht zunutze machen k a n n 4 2 . Das Bundesverfassungsgericht betont in diesem Sinne auch selbst besonders häufig, daß es nicht auf die Aufbereitung der Probleme durch die Fachgerichte verzichten will und kann. Vielmehr handelt es ausgesprochen konsequent in der Verweisung des Beschwerdeführers an die Fachgerichte bei Aufklärungsbedürftigkeit allgemeiner Sachfragen bzw. individueller Betroffenheiten oder der bei einer Sachprüfung erforderlichen starken Verästelung in Einzelfragen 43 . Insbesondere wünscht das Bundesverfassungsgericht, zunächst das „Know-how" der sachnäheren Fachgerichte in Gestalt deren Normanwendung und -auslegung kennenzulernen, damit es den Inhalt der fraglichen Vorschrift besser beurteilen k a n n 4 4 .

c) Ausnahmen vom allgemeinen Subsidiaritätsprinzip aa) Subsidiaritätsimmanente Ausnahmen, insbesondere der Zumutbarkeitsvorbehalt Die strikte Verschiebung des Rechtsschutzschwerpunktes auf die Fachgerichte kann natürlich nicht in allen Fällen gelten. Das Bundesverfassungsgericht 4 5 stellt bei der Frage, ob die Erhebung der Verfassungsbeschwerde wirklich erforderlich ist, zwar einen absoluten Vorrang der Fachgerichts40 Ä h n l i c h Detterbeck, J U R A 1990, 654 (659) mit Hinweis auf BVerfGE 22, 349 (363) in F N 40. Schuppert, AöR 103 (1978), S. 43 (44 in F N 1) nennt eine solche Verfassungsbeschwerde eine „verdeckte oder verkappte Rechtssatz Verfassungsbeschwerde", was wohl einen etwas zu negativen Beigeschmack in sich trägt. 41 Auf diese Zusammenhänge weist ζ. B. BVerfGE 74, 69 (74 f.) ausdrücklich hin. Zustimmend Hövel, S. 112 ff. 4 2 Vgl. Pestalozza, VerfprozeßR, § 13 I I R N 6 zu der überaus strengen Handhabimg des § 80 I I BVerfGG durch das BVerfG. 43

S i e h e die Aufstellung in BVerfGE 71, 305 (336).

44 45

Z u m Beispiel BVerfGE 79, 1 (20); 79, 29 (37).

E b e n s o BayVerfGHE 40, 113 (115).

I I I . Auswirkungen auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen

65

barkeit h e r 4 6 . Bei der Frage, ob es irgendeine fachgerichtliche Möglichkeit gibt, die Grundrechtsverletzung zu beseitigen, läßt es jedoch nur effektive Alternativen gelten: Die Verfassungsbeschwerde kann demnach nicht abgewiesen werden, wenn der Beschwerdeführer gerade bezüglich der Verletzungswirkung (etwa durch eine Norm) keinen „ i n tatsächlicher, rechtlicher und zeitlicher Hinsicht vollständigen und wirkungsvollen fachgerichtlichen Rechtsschutz i m Sinne des Art. 19 I V 1 G G " erlangen kann 4 7 . Dieses Korrektiv möchte ich daher schlagwortartig mit „Effektivitätsvorbehalt" bezeichnen. Bei anderen Gelegenheiten stellt das Bundesverfassungsgericht fest, daß es dem Beschwerdeführer nicht zuzumuten sei, fachgerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten zu versuchen, wenn dies „offensichtlich sinn- und aussichtslos w ä r e " 4 8 (wobei insoweit die Grenzen zum eben genannten Effektivitätsvorbehalt wohl fließend sind). Bei zweifelhafter Prozeßlage muß der Beschwerdeführer jedoch in der Regel das Risiko des Fachgerichtsprozesses auf sich nehmen, auch wenn dabei sein Anspruch gefährdet w i r d 4 9 . Diese Zumutbarkeit der Inanspruchnahme auch zweifelhafter Rechtsschutzmittel wird vom Bundesverfassungsgericht umso eher bejaht, je mehr Auslegungsschwierigkeiten die betreffende Norm bietet. Diese zu beheben ist Aufgabe der Fachgerichte 50 . M i t dem Zumutbarkeitsvorbehalt hilft das Bundesverfassungsgericht aber in den Fällen, in denen der Beschwerdeführer die fachgerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten nicht kennen konnte, was vor allem dann der Fall ist, wenn das Verfassungsgericht gerade erst selbst eine solche, vorher noch unbekannte Möglichkeit „herausgearbeitet" h a t 5 1 .

46

S o i m Ergebnis auch E. Klein, FS Zeidler I I , S. 1305 (1308).

47

S o ausdrücklich BVerfGE 71, 305 (348); ähnlich BVerfGE 78, 350 (355). Daß hier einige Probleme liegen können, macht Umb&ch, FS Zeidler I I , S. 1235 (1247 f.) anhand von Wahlbewerbern deutlich, die sich ζ. B. gegen gesetzliche Sperrklauseln wenden wollen. 48 Z u m Beispiel BVerfGE 79, 1 (20) m. w. N.; jüngst BVerfG N J W 1992, 496 (496); N J W 1992, 735 (735 f.). 49

B V e r f G E 79, 1 (24); st. Rspr.

50

B V e r f G E 79, 1 (24). Großzügiger hier BayVerfGHE 40, 113 (115).

5 1

BVerfGE 63, 77 (79). Nachfolgende Bf. müssen allerdings ihre Vorgehensweisen nach der Rechtsprechung ausrichten, da deren Kenntnis verlangt wird. D a m i t ist die Zumutbarkeit der Einlegung ζ. B. der Gegenvorstellung gegeben. So hatte in BVerfG N J W 1991, 2758 (2758) beispielsweise laut Sachverhalt der Bf. sicherheitshalber Gegenvorstellung eingelegt. 5 Warmke

66

Β . Die Rechtsprechung des BundesVerfassungsgerichts

Eine weitere in diesem Zusammenhang anfänglich ausgesprochene Einschränkung des Bundesverfassungsgerichts 52 , bei formellen Gesetzen sei dem Beschwerdeführer nicht zuzumuten, fachgerichtlichen Rechtsschutz im Sinne des Subsidiaritätsprinzips in Anspruch zu nehmen, ist in folgenden Entscheidungen 53 aufgegeben worden. Heute kann von einer solchen Einschränkung, die mit dem Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts begründet wurde, keine Rede mehr sein 5 4 5 5 . Schließlich verweist das Bundesverfassungsgericht den Beschwerdeführer nicht an die Fachgerichte, wenn „der mit dem Subsidiaritätsgrundsatz insbesondere verfolgte Zweck, eine fachgerichtliche Klärung der verfassungsrechtlich relevanten Sach- und Rechtsfragen herbeizuführen, nicht erreicht werden" kann 5 6 oder „bereits erreicht i s t " 5 7 , bzw. das Bundesverfassungsgericht anstelle einer Entlastung einen besonders hohen Entscheidungsdruck durch viele divergierende Fachgerichtsentscheidungen zu gewärtigen hätte und dadurch das Subsidiaritätsprinzip in sein Gegenteil verkehrtwerden würde 5 8 . Damit handelt es sich bei dieser Einschränkung des Subsidiaritätsprinzips um eine Art „Zweckvorbehalt".

bb) § 90 I I 2 BVerfGG analog Gelegentlich diskutiert das Bundesverfassungsgericht auch eine Ausnahme vom Subsidiaritätsprinzip „entsprechend dem Rechtsgedanken des § 90 I I 2 BVerfGG" 5 9 . Anders als beim Rechtswegerschöpfungsgebot kann beim Subsidiaritätsprinzip der Regelungsgehalt des § 90 I I 2 BVerfGG von der Unzumutbarkeit nicht direkt durch die Frage abgegrenzt werden, ob der Rechtsweg noch beschritten werden kann: beim allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität kommt es j a auf den „Rechtsweg" gar nicht mehr an; in den Fällen, 5 2 53

BVerfG E 68, 319 (325 f.); zustimmend dazu noch Sachs, J U R A 1986, 598 (601).

S c h o n i m nächsten Band: BVerfGE 69, 122 ff.

54

BVerfG E 74, 69 ff.; 79, 1 ff. Vgl. auch die Nachw. auf S. 47 ff.

55

V g l . allerdings überraschend jüngst BVerfG N J W 1992, 735 (735 f.), wo plötzlich das Verwerfungsmonopol als zusätzliches Argument wieder herangezogen wird. 5 6

BVerfG E 74, 69 (76 f.); 79, 1 (20).

57

B V e r f G E 78, 155 (160). Darunter fallen auch die Fälle, in denen das BVerfG darauf verzichtet, daß jeder Einzelne der Bf. den Rechtsweg voll erschöpft hat, weil dies zumindest einer von ihnen getan hat: BVerfGE 76, 1 (39). Vgl. dazu auch schon BVerfGE 38, 105 (110); 51, 386 (395); 55, 154 (157); 62, 117 (144: unter zusätzlicher Berufung auf „allgemeine Bedeutimg"). 58 D a s war ζ. B. beim Urteil über das Volkszählungsgesetz (BVerfGE 65, 1 [38]) der Fall. 59

B V e r f G E 70, 180 (186); 79, 29 (38); 80, 40 (47); 84, 90 (116).

I I I . Auswirkungen auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen

67

in denen es um formelle Gesetze geht, gibt es nach der Rechtsprechung sogar gar keinen 6 0 . Entsprechend der Verweisung des Beschwerdeführers auf gleichwohl bestehende anderweitige Rechtsschutzmöglichkeiten durch das Subsidiaritätsprinzip gilt aber der Rechtsgedanke des § 90 I I 2 BVerfGG dergestalt, daß der Beschwerdeführer, der gleichzeitig gerade den besagten anderweitigen fachgerichtlichen Rechtsschutz wahrnimmt, vor dessen Abschluß die Verfassungsbeschwerde erheben kann, wenn er sonst „unabwendbare Nachteile" erleidet. Nach neuester Rechtsprechung muß der Beschwerdeführer allerdings noch nicht einmal anderweitigen Rechtsschutz versucht haben, wenn die Sache von „allgemeiner Bedeutung" i m Sinne des „sinngemäß anwendbaren" § 90 I I 2 Variante 1 BVerfGG i s t 6 1 . Die Grenzen zur „Zumutbarkeit" der Inanspruchnahme des Fachgerichtsschutzes sind jedoch dann schwer auszumachen, wenn das Gericht § 90 I I 2 BVerfGG auch in den Fällen anspricht, in denen die Beschwerdeführer einen gegebenen zumutbaren anderweitigen Rechtsschutz noch gar nicht versucht haben und das Bundesverfassungsgericht nun zusätzlich auch einen „schweren Nachteil" i m Sinne einer Vorabentscheidung ablehnt 6 2 . Wenn festgestellt worden ist, daß die Inanspruchnahme anderweitigen effektiven Rechtsschutzes „zumutbar" ist, kann es doch begriffsnotwendig keinen „schweren Nachteil" für die Betroffenen dabei geben 6 3 .

4. Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis

Schon bei der Frage nach der dogmatischen Grundlage des Subsidiaritätsprinzips wurde kurz die Tatsache angesprochen, daß das Bundesverfassungsgericht vor allem früher angedeutet hat, daß die Subsidiarität der 6 0

BVerfG E 2, 292 (295); 3, 34 (36); 15, 126 (132).

61

BVerfGE 84, 90 (116): Verfassungsbeschwerden bezüglich der Enteignungen auf dem Gebiet der ehemaligen „SBZ" zwischen 1945 und 1949; BVerfGE 84, 133 (144): Verfassungsbeschwerde gegen die sog. Warteschleifen-Regelung des Einigungs ver träges für Angestellte des öffentlichen Dienstes der ehemaligen D D R . Ebenso schon BVerfGE 76, 1 (40), wo aber wenigstens der Rechtsweg des vorläufigen Rechtsschutzes erschöpft worden war. 62 V g l . die Vermischung von § 90 I I 2 BVerfGG und der „Zumutbarkeitsfrage" in BVerfGE 70, 180 (186). Ähnlich BVerfGE 80, 40 (47). 63 S i e h e auch noch die ausführliche Befassung mit dem Verhältnis der Korrektive untereinander in Kapitel C . I I I . 5 . , S. 229 ff.

68

Β . Die Rechtsprechung des Bundeserfassungsgerichts

Verfassungsbeschwerde mit dem allgemeinen Rechtsschutz interesse zu tun habe 1 . Der Vollständigkeit halber soll hier daher noch einmal erwähnt werden, daß dementsprechend auch diese Zulässigkeitsvoraussetzung vom Subsidiaritätsgrundsatz beeinflußt wird: Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Verfassungsbeschwerde fehle dem Beschwerdeführer, der einen Versuch zur fachgerichtlichen Beseitigung der Grundrechtsverletzung unterlassen habe 2 . Über die Richtigkeit der Vermischung von Subsidiaritätsprinzip und allgemeinem Rechtsschutzbedürfnis wird aber vor allem i m Rahmen der kritischen Betrachtung noch einiges zu sagen sein 3 . Als Korrektiv hat das Bundesverfassungsgericht herausgearbeitet, daß das Rechtsschutzinteresse für eine Rechtssatz Verfassungsbeschwerde dann gegeben ist, wenn der Beschwerdeführer vor den Fachgerichten keinen „ausreichenden Rechtsschutz" 4 finden würde.

Zusammenfassung Das Bundesverfassungsgericht setzt die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde durch eine straffe Handhabung verschiedener Zulässigkeitsvoraussetzungen durch: Zunächst verweist das Bundesverfassungsgericht den Beschwerdeführer an die Fachgerichte, wenn er durch den Angriffsgegenstand der Verfassungsbeschwerde (dies gilt insbesondere bei Normen) noch nicht unmittelbar betroffen ist. Dann muß der Bürger erst gegen den ihn eigentlich betreffenden Vollzugsakt den Rechtsweg erschöpfen, wenn ihm dies zuzumuten ist 1 . Aber auch beim Rechtswegerschöpfungsgebot des § 90 II 1 BVerfGG stellt das Gericht strenge Anforderungen an die sorgfältige Rechtswegbe^ g l . S. 39. 2

V g l . die Nachw. oben in der F N 6 auf S. 40.

3

Siehe unten S. 79 ff.

4 B V e r f G E 15, 126 (131). Wenn das BVerfG in BVerfGE 72, 39 (44) darüber hinaus unter Berufung auf BVerfGE 65, 1 ff. angibt, daß das Rechtsschutzbedürfnis noch in anderen Fällen ausnahmsweise trotz des Subsidiaritätsprinzip» zu bejahen sei, ist dies auf jeden Fall eine Ungenauigkeit: I n BVerfGE 65, 1 (37 f.) ist von Rechtsschutzbedürfnis überhaupt nicht die Rede. Und auch sonst sind die angegebenen Ausnahmen zu anderen Zulässigkeitsvoraussetzungen entwickelt worden, nämlich insbesondere zum Unmittelbarkeitserfordernis. 1

Wg\. oben S. 41 ff.

I V . Entscheidungsmoglichkeiten bei einem Verstoß

69

schreitung durch den Beschwerdeführer, um die instanzgerichtliche Sachund Rechtsaufklärung und die damit verbundene Entlastungs- und Filterwirkung durchzusetzen. Dabei werden auch die Fachprozeßordnungen durch das Bundesverfassungsgericht extensiv ausgelegt, damit möglichst viele Grundrechtsverletzungen schon durch die Fachgerichte beseitigt werden. Korrektiv ist hier neben § 90 II 2 BVerfGG ebenfalls der Billigkeitsgedanke der Zumutbarkeit 2 . Dennoch kann die Verfassungsbeschwerde unzulässig sein, obwohl der Beschwerdeführer unmittelbar betroffen ist und den Rechtsweg erschöpft hat — bzw. ein solcher nicht eröffnet ist. Denn der Beschwerdeführer muß auch alle ihm sonst zur Verfügung stehenden wirkungsvollen Maßnahmen einleiten, mit denen er auf zumutbare Weise die Grundrechtsvetletzung beseitigen kann. Unterläßt er dies, verstößt er gegen den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, der zu einer wichtigen Zulässigkeitsvoraussetzung avanciert ist. Einschränkungen läßt das Bundesverfassungsgericht unter Verweis auf einen Effektivitäts- und einen Ζ weck vorbehält, aber auch auf § 90 I I 2 BVerfGG analog und den Zumutbarkeitsgedanken zu 3 . Letztlich bleibt zu erwähnen, daß das Bundesverfassungsgericht gelegentlich das Fehlen des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses bemängelt, wenn ausreichender Fachgerichtsschutz möglich gewesen wäre 4 .

I V . Die Entscheidungsmöglichkeiten bei einem Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip Schließlich ist durchaus von Interesse, was das Bundesverfassungsgericht mit einer Verfassungsbeschwerde macht, die nicht dem Subsidiaritätsgrundsatz (im weiteren Sinne) entspricht 1 . Nicht mehr hierunter fallen dabei die Fälle, in denen das Bundesverfassungsgericht trotz Verstoßes gegen das Subsidiaritätsprinzip die Verfassungsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt ζ. B. der „Unzumutbarkeit" doch als zulässig behandelt 2 . Diese Verfassungsbeschwerden werden j a i m Endeffekt wie jedes andere „normal" zulässige Verfahren weiter bearbeitet. 2

V g l . oben S. 46 ff.

3

V g i . oben S. 56 ff.

4

V g l . oben S. 67.

1

F û r die Entscheidungsarten bei (auch materiell) erfolgreichen Verfahren siehe ζ. B. M . - J . Seibert, JuS 1988, L 49 (51 f.); sehr ausführlich Zeidler, E u G R Z 1988, 207 (209 ff.). 2

Siehe S. 55 f. und S. 64 f.

70

Β . Die Rechtsprechung des BundesVerfassungsgerichts

Auch nicht unter die hier ins Auge gefaßte Problematik fallen die Entscheidungen, in denen sich der Beschwerdeführer mit der Verfassungsbeschwerde gerade dagegen richtet, daß ein Instanzgericht ein Rechtsmittel fälschlicherweise (ζ. B. unter Verstoß gegen Art. 101 I 2 oder 103 I GG) nicht zugelassen hat. Hier ist zwar auch — objektiv gesehen — der Rechtsweg nicht gänzlich erschöpft, weil eigentlich das Rechtsmittel hätte gegeben werden müssen. Die Nichterschöpfung des Rechtsweges ist aber nicht dem Beschwerdeführer anzulasten; vielmehr ist die Versagung des Rechtsweges gerade die zu Recht als verfassungswidrig gerügte hoheitliche Maßnahme, so daß die Verfassungsbeschwerde im Ergebnis zulässig und begründet ist 3 . Bei den wirklich unzulässigen Verfassungsbeschwerden bleibt dem Gericht hingegen nichts anderes übrig, als diese eben als unzulässig zu „verwerfen" 4 . Insbesondere scheidet die theoretische Möglichkeit aus, bei noch nicht erschöpftem Rechtsweg den Beschwerdeführer an das zuständige Fachgericht zurückzuverweisen 5 . Zu berücksichtigen ist nämlich, daß sich das Verfassungsgericht hierzu nicht etwa auf § 95 I I 2.HS BVerfGG berufen könnte: Nach völlig h. M. gilt der gesamte § 95 BVerfGG überhaupt nicht für erfolglose Verfassungsbeschwerden 6, sondern nur für zulässige und begründete Beschwerden 7 nach Erschöpfung des Rechtsweges8. Diese beschränkte Reaktionsmöglichkeit des Bundesverfassungsgerichts hat insbesondere die brisante Folge, daß nach erfolgloser Einlegung der Verfassungsbeschwerde für den Beschwerdeführer in bezug auf Rechtsschutz u. U. „der Zug abgefahren ist": Fachprozessuale Fristen können inzwischen nämlich verstrichen sein 9 . Das gilt gleichermaßen auch für 3 M i t der Folge des § 95 I I BVerfGG; so zu Recht Schneider, Z Z P 79 (1966), S. 1 (35). 4 Z u m Beispiel BVerfGE 79, 275 (275); 81, 22 (23). Insoweit lehnt sich das Gericht begrifflich an die Tenorierungspraxis der Instanzgerichte an und zwar auch außerhalb von § 24 BVerfGG, in dem ebenfalls von „Verwerfen" die Rede ist; vgl. die ausführlichen Darstellungen von Pestalozza, VerfprozeßR, § 20 I I R N 30 und Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 95 R N 13 ff. 5 D a s verkennt Schneider, Z Z P 79 (1966), S. 1 (19) anscheinend, wenn er meint, daß durch die Abweisung der Verfassungsbeschwerde als unzulässig die Fachgerichte „praktisch gezwungen" seien, die Klage bzw. das Rechtsmittel zuzulassen. 6 V g l . statt adler nur Lechner, BVerfGG, § 95 R N 10. 7

BVerfGG, § 95, Allgemeines;

Schmidt-Bleibtreu,

Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist BVerfGE 81, 97 ff.

8

Hans H. Klein, JZ 1963, 591 (592). Letzteres ist allerdings nicht unumstritten, vgl. die Nachw. bei Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I V R N 70 und Schmidt-BIeibtreu, BVerfGG, § 95 R N 27. 9 Z u m Beispiel fällt die Verfassungsbeschwerde nicht unter „gerichtliche Geltendmachung" i. S. v. § 209 I B G B , da sie nicht einen bürgerlich-rechtlichen „Anspruch"

I V . Entscheidungsmoglichkeiten bei einem Verstoß

71

die (vielen) Fälle, in denen die Verfassungsbeschwerden wegen ihrer offenkundigen Unzulässigkeit gar nicht angenommen, sondern vielmehr in das „berüchtigte" 1 0 Allgemeine Register eingetragen werden (vgl. § 60 I I lit. a GeschOBVerfG). In diesem Zusammenhang erhalten die Beschwerdeführer zwar in der Regel einen rechtlichen Hinweis (§61 GeschOBVerfG) mit dem wohlgemeinten Rat zur Zurücknahme der Verfassungsbeschwerde 11. Aber auch hier ist in der Regel inzwischen wertvolle Zeit verstrichen, die den Beschwerdeführern dann bei den fachprozessualen oder materiellrechtlichen Fristen fehlt. M i t dem Zwang zum Verwerfen unzulässiger Beschwerden hat das Bundesverfassungsgericht somit kein Vehikel in der Hand, um den Beschwerdeführer, der vielleicht auf einen „neuen" Subsidiaritätsaspekt noch nicht eingestellt war, wieder in den Instanzenzug „einzusetzen" 1 2 . Wenn das Bundesverfassungsgericht also nicht eine Ausnahme i m Sinne des § 90 I I 2 BVerfGG oder des „Zumutbarkeitsgedankens" gewährt, muß der Beschwerdeführer die Konsequenzen tragen. Das Bundesverfassungsgericht lehnt es in der Regel jedoch ab, von der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips nur deswegen abzusehen, weil der Beschwerdeführer nach Verwerfung der Verfassungsbeschwerde keine fachgerichtliche Klage mehr erheben kann 1 3 . Insoweit kann nur nochmals dringend empfohlen werden, sich nicht zu sehr allein auf die Verfassungsbeschwerde zu verlassen.

verfolgt, vgl. Palandt-Heinrichs, § 209 R N 13: Folge: Verjährung! Die Verfassungsbeschwerdeerhebung wahrt wohl auch nicht die Widerspruchsfrist des § 70 V w G O , da schon die „normale" Klageerhebung dies nicht leistet, vgl. Kopp, V w G O , § 70 R N 7. Ebensowenig dürfte sie die Klagefrist des § 74 V w G O wahren, da das BVerfG „instantiell nicht zuständig" ist, vgl. Kopp, V w G O , § 74 R N 8. 10

S i e h e schon oben S. 28.

11

Vgl. Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I R N 9.

12

E i n e solche Möglichkeit forderte früher schon Redelberger, N J W 1953, 361 (365), der das mißliche Ergebnis einer von ihm eingelegten Verfassungsbeschwerde referiert. 13

Z u m Beispiel BVerfGE 70, 180 (186) m . w. Nachw. auf seine st. Rspr.

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung bei gleichzeitigem Versuch eines normativen Ansatzes I . Vorüberlegung:, Zur Berücksichtigungsfahigkeit gerichtlicher Arbeitslast als Legitimierung der Subsidiaritätsrechtsprechung Beim Problem der Legitimation der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung drängt sich dem kritischen Beobachter besonders eine Frage auf: Ist es zulässig, einem Beschwerdeführer die Annahme seiner Sache unter Berufung auf das Subsidiaritätsprinzip — und damit i. E. auch unter Berufung auf die Eindämmung der Arbeitslast 1 — zu verweigern, obwohl er materiell im Recht sein kann und dies vom Bundesverfassungsgericht auch nicht in Frage gestellt wird? Geiger meint dazu: „Einer Überlastung des Gerichts durch die große Zahl anhängig werdender Verfahren darf nicht begegnet werden mit dem Abbau des Grundrechtsschutzes durch Neuinterpretation der prozessualen Vorschriften mit dem Ziel, anhängig gewordene Verfahren an ihrer Zulässigkeit scheitern zu lassen..." 2 .

1. Arbeitslasterwägungen i n der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts selbst Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, daß das Bundesverfassungsgericht zur Berücksichtigungsfahigkeit gerichtlicher Arbeitslast selbst schon Stellung bezogen hat — auch wenn es dabei „nur" um die Fachgerichtsbarkeit ging 1 . In dieser Entscheidung stellte sich dem Plenum die Frage, ob es nach der Verfassung zulässig sein könne, § 554 b I ZPO a. F. mit Rücksicht auf die Arbeitslast so restriktiv anzuwenden, daß eine Revision mit Streitwert über 1

Z u m Beispiel deutlich in BVerfGE 51, 130 (139).

2

E u G R Z 1988, 481 (481).

1

BVerfGE 54, 277 (279 ff.) mit Hinweisen auf BVerfGE 49, 148 ff. und E 50, 115 ff.

I. Vorüberlegung: Berücksichtigungsfähigkeit der Arbeitslast

73

40.000- D M 2 abgelehnt werden kann, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat, obwohl die Revision ansonsten Aussicht auf Erfolg hätte. Das Bundesverfassungsgericht hatte in der fraglichen Plenarentscheidung keine Schwierigkeiten, es als „verfassungswidrig" zu bezeichnen, § 554 b ZPO als „ M i t t e l der Selbststeuerung der Arbeitslast einzusetzen" 3 . Eine „anhand des Einzelfalls gesteuerte und über seine Nichtannahme bewirkte Entlastung" wäre wegen Verstoßes gegen Art. 3 I GG (Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit) 4 verfassungswidrig, da dieser Maßstab (Arbeitslast) wegen seiner völligen Unabhängigkeit von der einzelnen Rechtssache als dem Zufall überlassen und damit willkürlich erschiene 5 .

2. D i e Arbeitslastproblematik bei der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde Fraglich ist, ob die oben vom Bundesverfassungsgericht in prägnanter Kürze aufgestellten Aussagen so ohne weiteres auf die Subsidiaritätsproblematik mit der Folge zu übertragen sind, daß die Subsidiaritätsrechtsprechung wegen ihrer Entlastungsfunktion eventuell zu verurteilen wäre. Denn auch wenn das Bundesverfassungsgericht bei der Legitimierung der Subsidiaritätsrechtsprechung auf die Wahrung seiner Funktion als Verfassungsorgan verweist 1 , kann dies nicht so ohne weiteres ein Argument sein, mit dem ein richterrechtliches „Notwehr- oder Selbsthilferecht zur Korrektur der Zugangsentscheidung des Gesetzgebers" 2 gerechtfertigt werden könnte 3 . In diesem Zusammenhang ist jedoch als erstes Indiz zu berücksichtigen, daß in §§ 93 a ff. BVerfGG ein echtes, „positives" Annahmeverfahren geregelt ist, während § 554 b I ZPO nur eine „Ablehnungsbefugnis" eröffnet. Nach § 93 b I Nr. 3 und § 93 c S. 2 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht (Kammer oder Senat) sogar Verfassungsbeschwerden ablehnen, denen zwar eine gewisse Erfolgschance nicht von vorneherein abgesprochen 2 Inzwischen 60.000,- D M gemäß Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz vom 17.12.1990, B G B l . I , S. 2847. 3

BVerfG E 54, 277 (282, 293-295).

4

B V e r f G E 54, 227 (293); nach Meinung der beiden einzelnen Senate ist auch das Rechtsstaatsprinzip betroffen (S. 279, 281), was aber vom Plenum mangels Entscheidungserheblichkeit offengelassen wird. 5

BVerfG E 54, 227 (293). Z u dieser Entscheidung kritisch Bettermann, konforme Auslegung, S. 47. 1

BVerfGE 51, 130 (139).

2

So Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 38 m. w. Nachw. in F N 67.

3

Siehe dazu noch detaillierter unten, S. 77 ff.

Verfassungs-

74

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

werden kann, bei denen es sich aber um „Bagatellen" handelt, so daß dem Beschwerdeführer durch die Abweisung kein „schwerer und unabwendbarer Nachteil" droht 4 . Damit ist vom Gesetzgeber schon strukturell herausgestellt, daß die Zugangskontrolle des Bundesverfassungsgerichts weitergehender ausgearbeitet ist als etwa die des Bundesgerichtshofes, der keinen positiven Annahmeakt vornehmen muß 5 . Schwerer ins Gewicht fällt jedoch die Tatsache, daß das Bundesverfassungsgericht bei Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht die Verfassungsgerichtsbarkeit schlechthin verschließt. Anders als bei Ablehnung der Revision kann der Beschwerdeführer einer unzulässigen Verfassungsbeschwerde sein Rechtsschutzziel theoretisch weiter verfolgen und nach Anrufung der Fachgerichtsbarkeit erneut über Art. 93 I Nr. 4 a oder Art. 100 I GG zum Bundesverfassungsgericht gelangen 6 . Außerdem verweist das Bundesverfassungsgericht den Beschwerdeführer eben nur dann an die Fachgerichte, wenn die Möglichkeit besteht, daß dort in zumutbarer Weise Rechtsschutz erreicht werden kann oder zumindest erreicht werden konnte 7 . Bei Ablehnung der Revision trotz Erfolgsaussicht wegen zu hoher Arbeitslast hingegen ist dies nicht mehr der Fall, da dann der Rechtsweg beendet ist und in der Regel wegen Verletzung „nur" einfachen Gesetzesrechts auch die Verfassungsgerichtsbarkeit ausscheidet. Das Bundesverfassungsgericht verweist den Betroffenen somit nur von einer Gerichtsbarkeit in die andere, während bei Ablehnung der Revision in der Regel damit die letzte Möglichkeit zur Erlangung gerichtlichen Rechtsschutzes überhaupt entfällt. Schließlich stellt das Bundesverfassungsgericht nicht je nach Geschäftsanfall und Arbeitslast die Subsidiaritätsregeln auf und läßt diese in „ruhigeren" Zeiten wieder unberücksichtigt, so wie es i m Fall des § 554 b ZPO zu befürchten war 8 . Es versucht nur ganz generell-abstrakt die Position der Verfassungsbeschwerde als ultima ratio, so wie sie rechtstechnisch — vor allem in § 90 I I 1 BVerfGG — konzipiert ist, (wieder) durchzu4 H . M . ; vgl. dazu ausführlich Benda/Kiein, 89 (93 f.), jeweils mit vielen L i t . - Nachw.

R N 326 und kritisch Schlink, N J W 1984,

5 D a s wird auch vom BVerfG herausgestellt, siehe E 54, 227 (286): lediglich „Ablehnungsbefugnis" . 6

Vgl. die Darstellung oben, S. 61 fT.

7

Was sich der Bf. dann eventuell als Versäumnis anrechnen lassen muß.

8 V g l . BVerfGE 54, 277 (293): „Gefahr einer so unterschiedlichen Handhabung..., daß dies nicht mehr als auf die einzelne Rechtssache bezogener, sondern von ihr nahezu völlig unabhängiger, mehr oder minder dem Zufall überlassener und mithin willkürlicher Maßstab erschiene".

I . Vorüberlegung: Berücksichtigungsfähigkeit der Arbeitslast

75

setzen und so die Leistungsfähigkeit des Gerichts auf seinem eigentlichen verfassungsmäßigen Aufgabengebiet zu bewahren 9 . Dabei kann der kundige Beschwerdeführer von vornherein die Zulässigkeit seiner Verfassungsbeschwerde an rechtlichen — wenn auch vielleicht richterrechtlichen — Maßstäben messen, ohne darüber hinaus m i t außerprozessualen Aspekten (momentaner Geschäftsanfall bei Gericht) rechnen zu müssen, auf die er gar keinen Einfluß haben kann. In der Regel dürfte sich noch nicht einmal eine sichere Erkenntnisquelle bezüglich der Arbeitsbelastung des Gerichts für den Außenstehenden eröffnen. Die hier vertretene Ansicht widerspricht auch nicht anderen kritischen Stimmen in der Literatur 1 0 . Diese betonen nämlich nur, daß Arbeitslasterwägungen jedenfalls nicht allein zur Rechtfertigung des Subsidiaritätsprinzips ausreichen. Das wird jedoch auch vom Bundesverfassungsgericht nicht bestritten 1 1 . Die Rechtfertigung der Subsidiaritätsrechtsprechung kann sich nur aus der (grund-)gesetzlichen Aufgabenverteilung, wie sie in § 90 I I 1 BVerfGG i. V. m. A r t . 94 I I GG zum Ausdruck kommt, ergeben 12 — und zwar soweit diese rechtlichen Vorgaben nicht überschritten werden, was i m folgenden näher untersucht werden muß. Daß diese Aufgabenverteilung (auch) eine Entlastung des Bundesverfassungsgerichts — nämlich von nicht zu seinem Aufgabenbereich Gehörendem — bewirkt, ist ein willkommener Effekt aller Zuständigkeitsregelungen, dessen Ausnutzung dem Gericht nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, solange es sich in seinem normativ vorgezeichneten Kompetenzbereich bewegt. Nur wenn das Bundesverfassungsgericht bei der „Neuinterpretation" der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde den gesetzlich abgesteckten Rahmen verläßt, kann die Gefahr eines „Abbaus des Grundrechtsschutzes", wie Geiger 13 ihn befürchtet, aufkommen. Das ist für die einzelnen Inhalte der Subsidiaritätsrechtsprechung aber noch zu überprüfen (vgl. Kapitel C.III., S. 90 ff.). 9

W i e hier auch die Argumentation von Schiaich, R N 264.

10

Z u m Beispiel Detterbeck, Präventiver Rechtsschutz, S. 209 m . F N 284, der zu Recht auf die insoweit mißverständliche B V e r f G E 51, 130 (139) hinweist; siehe zu dieser d. folgende F N . Pestalozzi VerfprozeßR, § 13 I I R N 6: „Die Entlastung des BVerfG ist kein Selbstzweck"; Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 38 m . w. Nachw. in F N 67. 11 Auch B V e r f G E 5 1 , 1 3 0 (139) verweist den Bf. auf die Tatsache, daß die Verfassungsbeschwerde „verfahrensrechtlich... als außerordentlicher Rechtsbehelf ausgestaltet" ist und bezieht sich d a m i t auf die Aufgabenverteilung zwischen F a c h - u n d Verfassungsgerichtsbarkeit u n d nicht allein auf Entlastungserwägungen. Ahnlich schon B V e r f G E 33, 247 (258). 12

S o auch Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 41.

13

E U G R Z 1988, 481 (481).

76

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Zwischenergebnis Ob sich das Bundesverfassungsgericht aus anderen Gründen (ζ. B. Anmaßung quasi-gesetzgeberischer Kompetenzen) Vorwürfe bezüglich seiner „Rechtsschöpfungen" gefallen lassen muß, steht auf einem besonderen Blatt. Daß die Subsidiaritätsrechtsprechung sich vor dem Hintergrund des starken Geschäftsanfalls beim Bundesverfassungsgericht entwickelt hat, führt jedenfalls nicht schon allein aus diesem Grund zu ihrer Disqualifizierung.

I I . D e r dogmatische Ansatz des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht sieht den Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde sogar „ i m Verfassungsrecht verankert". Ob allerdings eine (unmittelbare) verfassungsrechtliche tatsächlich gegeben ist, muß bezweifelt werden.

Anbindung

1. Verfassungsrechtliche Verankerung? a) Art. 94 II 2 GG Wenn das Bundesverfassungsgericht von verfassungsrechtlicher Verankerung spricht, bezieht es sich ausdrücklich auf Art. 94 II 2 GG1 (gelegentlich i. V. m. § 90 I I 1 BVerfGG) 2 . Diese einzig für eine positive verfassungsrechtliche Anbindung ernsthaft in Frage kommende Grundgesetznorm 3 stellt jedoch nur die Einführung eines Rechtswegerschöpfungsgebotes in das Ermessen des einfachen Gesetzgebers. Nicht nur gebietet diese Norm also selbst eigentlich nichts, da sie nur eine Ermächtigung ausspricht 4 ; sondern sie behandelt thematisch überhaupt 1

BVerfG E 55, 244 (247); 68, 376 (379).

2

BVerfG E 42, 243 (249); 42, 252 (255); 49, 252 (258).

3 4

Ebenso Bender, A ö R 112 (1987), S. 169 (174 m . F N 23).

S o auch Hovel, S. 77 m . F N 19; E . Klein, FS Zeidler I I , S. 1305 (1317). Motzer, S. 49 ff. weist zu Recht daraufhin, daß Art. 94 I I G G somit fur das Subsidiaritätsprinzip auch keine verfassungsunmittelbare Grundentscheidung darstellen kann.

I I . Der dogmatische Ansatz des BundesVerfassungsgericht s

77

nicht das viel weitergehende Subsidiaritätsprinzip i m Sinne der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung 5 . Es muß nämlich nochmals 6 darauf verwiesen werden, daß das Bundesverfassungsgericht den Subsidiaritätsgrundsatz unter anderem auch als eigenständige Zulässigkeitsvoraussetzung ausdrücklich neben das Gebot der Rechtswegerschöpfung stellt 7 . Dann kann aber — zumindest nach dem Verständnis des Bundesverfassungsgerichts — A r t . 94 I I 2 GG nur schwerlich Rechtsgrundlage des zu untersuchenden Instituts sein 8 . Darüber hinaus — dies sei nur am Rande erwähnt — ist die Subsidiaritätsrechtsprechung älter als Art. 94 I I 2 G G 9 .

b) Art. 20 III

GG

Auch aus Art. 20 III GG läßt sich keine „grundgesetzliche Kompetenzverteilung" dahingehend ableiten, daß zunächst die Fachgerichte zur Beseitigung von Verfasungsverstößen berufen seien. Art. 20 I I I G G statuiert mit seiner Bindung aller Gerichte an Recht und Gesetz vielmehr nur, daß die Fachgerichte ebenso wie Verfassungsgerichte berufen sind, Grundrechtsverstöße zu beseitigen, soweit dies in ihrer Macht steht 1 0 .

c) „Funktionsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungsorgan" Wenn somit eine „verfassungsrechtliche Verankerung" an einer einzelnen konkreten Grundgesetznorm 11 ausscheiden muß, kann verfassungsrechtlich nur noch eine Rechtfertigung in Betracht kommen, die zwar nicht einer Vorschrift expressis verbis entnommen werden kann, sich aber aus einer grundsätzlichen Wertentscheidung des Grundgesetzes ergibt. 5 Insoweit kann die Argumentation von Benda/Klein, R N 419 nicht überzeugen, die eine Rechtfertigung der Rechtsprechumg aus Art. 94 I I 2 G G bejahen, weil (?) die Verfassungsbeschwerde gegen die Norm nicht endgültig verschlossen sei, sondern mittelbar über die Urteils Verfassungsbesch werde möglich bleibe. Diese Kausal Verknüpfung — und damit die Logik des Gedankenganges überhaupt — läßt sich nicht ganz nachvollziehen. 6

Siehe dazu schon ausführlich oben, S. 56 ff.

7

V g l . vorerst nur BVerfGE 70, 180 (185); 77, 381 (401): 78, 290 (301). Diese Ansicht wird später noch naher zu behandeln sein (siehe unten, Kapitel C . I I I . 3 . , S. 109 ff.). 8 S o auch E.Klein, FS Zeidler I I , S. 1305 (1317); Schiaich, R N 236 und Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 43. 9 10

Vgl. d. Nachw. oben in F N 2 auf S. 26. E b e n s o Benda/Klein,

11

R N 471; E.Klein,

FS Zeidler I I , S. 1305 (1318).

Siehe hierzu auch noch die Überlegungen auf S. 88.

78

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Als solche grundgesetzliche Wertentscheidung taucht vereinzelt das Schlagwort von der „ Funktionsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts" auf, die der Subsidiaritätsgrundsatz sichern solle 1 2 . Die Funktionsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts, das immerhin den Status eines „Verfassungsorgans" hat (vgl. § 1 I BVerfGG: „...allen übrigen Verfassungsorganen gegenüber..." 13 ), ist sicher ein Gut, dessen Erhaltung i m Sinne des Grundgesetzes liegt 1 4 . Allerdings läßt sich aus der einfachgesetzlichen 15 Feststellung der Verfassungsorganqualität weder eine Kompetenz des Gerichtes herleiten, sich über geschriebenes Recht und Gesetz zu erheben, so daß sich aus dieser Stellung auch keine unmittelbaren Konsequenzen für Zuständigkeiten oder Entscheidungsfolgen ergeben 16 . Noch beantwortet die Verfassungsorganqualität die Frage, wer für die Sicherstellung der Funktionsfähigkeit zuständig ist: „Wenn 'Jedermann' das Recht hat, Verfassungsbeschwerde zu erheben, dann muß der Gesetzgeber die sachlichen und persönlichen Voraussetzungen für die Einlösung dieses Rechts schaffen oder den Zugang zum BVerfG beschränken." 17 Dem bräuchte eigentlich nichts mehr hinzugefügt zu werden. Zusätzlich hingewiesen sei jedoch noch auf einen damit zusammenhängenden Aspekt: Das Verfassungsprozeßrecht dient in erster Linie der prozessualen Effektuierung der grundgesetzlich gewährleisteten materiellen Rechte und damit vor allem dem betroffenenen Bürger 1 8 1 9 . Aus Gründen einer „besonderen Stellung" des Bundesverfassungsgerichts mit

12 B V e r f G E 51, 130 (139). Das ist auch die (einzige) Begründung der „verfassungsrechtlichen Verankerung" des Subsidiaritätsprinzips bei Stern, B K , Art. 93 R N 719. 13 14 15 16

Hervorhebung nur hier. E . Klein, FS Zeidler I I , S. 1305 (1323). Ausdrücklich Pestalozzi,

E b e n s o Pestalozzi,

(184 f.). 17 S o zu Recht Zuck,

VerfprozeßR, § 2 I I R N 13.

VerfprozeßR, § 2 I I R N 13; Schumann, Z Z P 96 (1983), S. 137 Verfassungsbeschwerde,

RN- 38, der dem Gericht insoweit

„Notwehr-" oder „Selbsthilferechtsprechung" vorwirft.

Zustimmend dazu auch Det-

terbeck, Präventiver Rechtsschutz, S. 209 mit F N 284; früher schon Leibold,

S. 37.

18 Ä h n l i c h auch Pestalozza, VerfprozeßR, § 1 I R N 3 und § 1 I I R N 8. Der Tendenz nach auch Zuck, JZ 1985, 921 (925). 19 S i e h e auch die grundlegenden Aussagen des BVerfG in BVerfGE 46, 325 (333); 49, 220 (226); 49, 252 (257): Das Verfahrensrecht „dient nicht nur dem Ziel, einen geordneten Verfahrensgang zu sichern, sondern ist i m grundrechtsrelevanten Bereich auch das Mittel, i m konkreten Fall dem Grundrechtsträger zu einem verfassungsmäßigen Recht zu verhelfen".

I I . Der dogmatische Ansatz des Bundeserfassungsgericht s

79

Hilfe eben dieses Verfassungsprozeßrechts gerade Zugangs Beschränkungen zu rechtfertigen, erscheint daher zumindest als nicht ganz abwegig 20 . Eine unmittelbare verfassungsrechtliche Anbindung des Subsidiaritätsprinzips muß somit verneint werden 2 1 .

2. Einfach-gesetzliche Verankerung? Wenn schon keine verfassungsrechtliche Verankerung festzustellen ist, so könnte aber unter Umständen eine Verortung i m einfach-gesetzlichen Verfassungsprozeßrecht ausreichen, um Bedenken bezüglich der Legitimität der Subsidiaritätsrechtsprechung zu zerstreuen. Es erscheint allerdings durchaus als problematisch, ob „wenigstens" eine solche einfach-gesetzliche Anbindung zu finden ist.

a) Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis als Ausgangspunkt des Subsidiaritätsprinzips In früheren Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht das Subsidiaritätsprinzip als eine besondere Ausformung des allgemeinen Rechtschutzinteresses behandelt 1 . Letzteres fehle nämlich, wenn der Beschwerdeführer den Versuch unterlassen habe, die Grundrechtsverletzung durch die Fachgerichte beseitigen zu lassen. Diese Argumentation klingt zunächst recht überzeugend, und tatsächlich lassen sich Ähnlichkeiten der beiden Rechtsinstitute gerade dann schlecht leugnen, wenn das Bundesverfassungsgericht formuliert, daß das Subsidiaritätsprinzip verletzt sei, „wenn eine anderweitige Möglichkeit besteht, die Grundrechtsverletzung zu beseitigen oder ohne Inanspruchnahme des Bundesverfassungsgerichts i m praktischen Ergebnis dasselbe zu erreichen" 2 . Dies erinnert an die Konstellationen z. B. i m Verwaltungsprozeßrecht, in denen dem Kläger das Rechtsschutzbedürfnis abgesprochen wird, wenn er 20 S o wohl auch E. Klein, FS Zeidler I I , S. 1305 (1323), wenn er anmahnt, daß dabei der Grundrechtsschutz nicht zu kurz kommen dürfe. 21 Zu diesem Ergebnis kommen auch Detterbeck, Präventiver Rechtsschutz, S. 218 mit F N 318; E. Klein, FS Zeidler I I , S. 1305 (1318); Ridder, JZ 1968, 377 (378); Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 43 ff. Sachs, J U R A 1986, 598 (600 in F N 24) gibt immerhin zu, daß die normative Rechtsgrundlage „doch recht vage" ist. 1 2

Siehe dazu schon oben die Nachw. in F N 6 auf S.6.

BVerfG E 59, 63 (83) m. w. Nachw. Daraufstellt auch Schneider, Z Z P 79 (1966), S. 1 (11) besonders bei seiner Zustimmung ab.

80

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

auf einfacherem Weg — ζ. B. die Behörde durch Zahlungbescheid anstatt durch Zahlungsklage — sein Ziel erreichen kann 3 . Dementsprechend folgt ein beachtlicher Teil des Schrifttums dieser Einordnung des Subsidiaritätsprinzips 4 . Trotzdem liegt der Fall hier anders: Inhaltlich hat das Rechtsschutzbedürfnis eine besondere Aufgabe, nämlich Mißbrauch von Institutionen und prozessualen Rechten zu verhindern 5 sowie Prozeßökonomie und Prozeßzweck zu sichern 6 . Das Bundesverfassungsgericht möchte mit seiner Subsidiaritätsrechtsprechung aber Gerichtsbarkeiten (nämlich Fach- und Verfassungsgerichtsbarkeit) voneinander abgrenzen bzw. deren Zuständigkeiten festlegen 7 . Dazu kann das Rechtsschutzbedürfnis jedoch nichts beitragen 8 . Ist es doch für einen Beschwerdeführer, der einzig und allein die Wirksamkeit eines formellen, nachkonstitutionellen Gesetzes angreifen will, gerade am 3 Z u m Beispiel V G H B a d . - W ü r t t . JZ 1978, 27; siehe auch Kopp, V w G O , vor § 40 R N 31 m . w. Nachw. 4 Der Verknüpfung von Rechtsschutzbedürfnis und Subsidiarität stimmen vor allem A. Arndt, N J W 1965, 807 (808); Bettermann, A ö R 86 (1961), S. 129 (139, 175); Büsser, S. 87; Haug, S. 10 ff.; Lerche, FS Jurist. Gesellschaft, S. 369 (passim); Rinken, Art. 93 R N 58; Scherer, S. 132; Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 R N 192; Schneider, Z Z P 79 (1966), S. 1 (8 und passim); ders., A ö R 89 (1964), S. 24 (31); Weber, JuS 1992, 122 (126) und Zacher, BVerfG u. G G I , S. 396 (409) zu. Sympathisierend auch Bender, AöR 112 (1987), S. 169 (187); Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 595 ff.; in anderem Zusammenhang, aber auf die vorliegende Problematik verweisend auch Maurer, FS Kern, S. 275 (286). Auch Gusy, Verfassungsbeschwerde, R N 119, 131, 133 hat sich dieser Auffassung angenähert, wenn er feststellt, daß „das Rechtsschutzbedürfnis...damit die prozessuale Ausprägimg der allgemein anerkannten Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde" sei ( R N 131). Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I I R N 50 betont ebenfalls die „Verwandtschaft" zwischen diesen beiden Rechtsinstituten und sieht das Subsidiaritätsprinzip als „Variante" des Rechtsschutzbedürfnisses (§ 12 I R N 11). Seine Verweise auf verfassungsgerichtliche Entscheidungen in F N 34 zu § 12 I R N 11 sind jedoch überwiegend unzutreffend: I n BVerfGE 68, 384 (388) und E 63, 45 (58) taucht der Begriff „Rechtsschutzbedürfnis" oder „-interesse" überhaupt nicht auf, vielmehr arbeitet das BVerfG dort ausschließlich mit dem Subsidiaritätsprinzip; in E 74, 102 (115) werden zwar die Begriffe sauber getrennt, d. h. also „unterschiedlich" gebraucht, nicht aber in E 74, 69 (74), wo sie in oben genannter Manier gerade vermischt werden! 5 Pietzner/Ronellenfìtsch, § 18 R N 1: „Das Rechtsschutzbedürfnis läßt sich damit auf das Arglist verbot zurückführen, genauer auf das Verbot des Mißbrauchs prozessualer Rechte". Anschließend unterscheiden dies., ebenda, zwischen „ineffektivem", „nutzlosem" und „unzeitigem Rechtsschutz" sowie „Schikane". 6

G a n z h. M . ; vgl. nur Schmitt Glaeser, R N 118 m . w. Nachw. in F N 80. F ü r den Zivilprozeß ähnlich Schellhammer, R N 150. Ausführlich auch Motzer, S. 78 ff. 7

Siehe die Nachweise in Kap. Β . I. 3, insbes. F N 5 auf S. 36.

8

Ebenso ausdrücklich Benda/Klein,

R N 466; Engelhardt,

S. 131 ff.; Hövel, S. 131 f.

I I . Der dogmatische Ansatz des Bundeserfassungsgericht s

81

einfachsten, effektivsten und auch kostengünstigsten 9 , das Gesetz unmittelbar beim Bundesverfassungsgericht, welches j a in dieser Hinsicht das Verwerfungsmonopol innehat, überprüfen zu lassen, anstatt u. U. jahrelang sämtliche Instanzen „durchkämpfen" zu müssen 10 . Beim Bundesverfassungsgericht „wird das Übel gleichsam an der Wurzel gepackt" 1 1 . Daß ein solches Vorgehen eines Beschwerdeführers jedenfalls weder rechtsmißbräuchlich noch ganz und gar aussichtslos i m Sinne gängiger Vorstellungen von fehlendem Rechtsschutzbedürfnis sein dürfte, kann nicht ernsthaft bezweifelt werden 1 2 . Dies um so mehr, als es immer noch — auch nach der Vorstellung des Bundesverfassungsgerichts — die Möglichkeit gibt, ζ. B. gemäß (oder analog) § 90 I I 2 BVerfGG doch noch direkt mit der Verfassungsbeschwerde angenommen zu werden. Solange diese Chance besteht, ist der Versuch ihrer Ausnutzung legitim i m Sinne des Rechtsschutzbedürfnisses — wenn auch meistens erfolglos 13 . Nur am Rande erwähnt sei, daß es u. U. ebenfalls i m Interesse der Allgemeinheit liegen kann, wenn die Entscheidung über ein neues Gesetz einigermaßen zeitig erfolgt. Auch kann der Gesetzgeber sein politisches Ziel eventuell mit einer neuen, verfassungsmäßigen Regelung noch zu erreichen versuchen, wenn das ursprüngliche Gesetz nicht „zu spät" beanstandet worden i s t 1 4 . M i t anderen Worten sind Rechtswegerschöpfung und das weitergehende Subsidiaritätsprinzip nicht mit Erwägungen des Rechtsschutzinteresses zu begründen, da die Anrufung von Fachgerichten gerade nicht einfacher oder effektiver (sondern im Idealfall höchstens gleich effektiv) i s t 1 5 . Es ließe 9 Darauf kommt es beim allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis durchaus an, vgl. Pietzner/Ronellenfìtsch, § 18 R N 1; Schellhammer t R N 159. 10 E b e n s o Bachof, AöR 86 (1961), S. 186 (189); Benda/Klein, R N 413: „ I m ganzen sprechen aus der subjektiven Sicht des Beschwerdeführers meist überwiegende Gründe für die Rechtssatzverfassungsbeschwerde" ; E. Klein, FS Zeidler I I , S. 1305 (1320). 11

So zu Recht Detterbeck,

12

W i e hier Motzer,

Präventiver Rechtsschutz, S. 217.

S. 130.

13 A n d e r s der Ansatz von Schneider, Z Z P 79 (1966), S. 1 (50), der versucht, das Rechtsschutzbedürfnis i m Sinne eines „rein objektiven Bedarfs gerade an verfassungsgerichtlichem Rechtsschutz" zu bestimmen. D a m i t entkleidet er aber das allgemeine Rechtsschutzinteresse eines guten Teiles seines Bedeutungsgehaltes. Dementsprechend betonen auch Benda/Klein, R N 520, daß die Prüfung wegen der primären Qualifizierung der Verfassungsbeschwerde als Individualrechtsschutzmittel aus der Sicht des Bf. vorzunehmen sei. Ebenso Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 R N 184. 14

Auf diese objektive Seite weisen Benda/Klein, etwas anderem Zusammenhang — hin.

R N 414 zu Recht — wenn auch in

15 S o i m Ergebnis auch Detterbeck, Präventiver Rechtsschutz, S. 216 f.; ders., D Ö V 1990, 558 (561); Henning, S. 200; Leibold, S. 64; Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 45 f.; E. Klein, FS Zeidler I I , S. 1305 (1320); Schenke, N J W 1986, 1451 (1454 f.).

6 Warmke

82

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

sich sogar die These aufstellen, daß bei Nor men verfassungsbesch wer den das Subsidiaritätsprinzip, das den Beschwerdeführer vor die Fachgerichte zwingt, eine völlig gegenläufige Funktion zum Rechtsschutzbedürfnis hat: letzteres postuliert den einfacheren — also eigentlich auch den „direkteren" — Weg, was bei formellen Gesetzen Anrufung des Bundesverfassungsgerichts hieße 16 . Daß der Beschwerdeführer gleichwohl primär den fachgerichtlichen Instanzenzug beschreiten muß, ist vielmehr eine Folge des § 90 II 1 BVerfGG, der insoweit für seinen Geltungsbereich als positivrechtliche Norm den ungeschriebenen Auffangtatbestand 17 des Rechtsschutzbedürfnisses schon aus allgemeinen rechtssystematischen Gründen verdrängt 1 8 . Auch das Bundesverfassungsgericht scheint in neueren Entscheidungen bemüht zu sein, die Regelungsbereiche von Subsidiaritätsprinzip und Rechtsschutzbedürfnis wieder mehr zu trennen 1 9 . Da es dabei aber gelegentlich wieder in die alte Diktion verfällt 2 0 , kann auch hier von einer klaren Linie keine Rede sein.

b) § 90 II 1 BVerfGG als Ausgangspunkt

des Subsidiaritätsprinzips

aa) Unmittelbare Verankerung des Subsidiaritätsprinzips in § 90 I I 1 BVerfGG? In mehreren Entscheidungen führt das Bundesverfassungsgericht aus, daß das Subsidiaritätsprinzip dem § 90 I I 1 BVerfGG zu entnehmen sei 2 1 . Dem kann jedoch nur zum Teil gefolgt werden. Sicherlich richtig ist es wohl, daß § 90 I I 1 BVerfGG Ausdruck einer Gerichtsbarkeitsabgrenzung ist: Der Bürger muß zunächst den sich ihm öffnenden Instanzenzug vollständig beschritten haben, bevor er sein Anliegen beim Bundesverfassungsgericht vorbringen kann. Soweit also ein Rechtsweg gegen die Verletzung gegeben ist, muß der Beschwerdeführer 16 S o auch Detterbeck, Präventiver Rechtsschutz, S. 216. Ähnlich schon E. Klein, FS Zeidler I I , S. 1305 (1322): „Subsidiarität und Rechtsschutzbedürfnis...sind antagonistische Begriffe". Zustimmend Benda/Klein, R N 466; Hovel, S. 147; Motzer, S. 130. Vgl. auch in anderem Zusammenhang Schenke, B K , Art. 19 Abs. 4 R N 268. 17 Erichsen, Verwaltungsrecht, S. 82. Ebenso Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 45: „lückenfüllende Auffangfunktion". 18

Henning,

S. 200; so wohl auch Spanner, FS Jahrreiss, S. 411 (420 f., 424).

19

Z u m Beispiel gute Abgrenzung in BVerfGE 74, 102 (115); 79, 174 (187 ff.).

20

Z u m Beispiel aus jüngerer Zeit BVerfGE 72, 39 (44); 74, 69 (76).

2 1

BVerfGE 22, 287 (290); 31, 364 (368); 72, 39 (43); 73, 322 (325); 77, 275 (282); 78, 350 (355); 79, 69 (73); 79, 275 (278); 81, 22 (27). Siehe dazu auch schon auf S. 41.

I I . Der dogmatische Ansatz des Bundeserfassungsgericht s

83

primär bei den Fachgerichten Rechtsschutz suchen. Das heißt, daß i m Rahmen ihrer Jurisdiktion die Fachgerichte vorrangig dazu berufen sind, Grundrechtsverletzungen zu beseitigen 22 . Soweit sei noch einmal der allgemein unstreitige Aussagegehalt von § 90 I I 1 BVerfGG ins Gedächtnis gerufen 23 . Daß dieser die Festlegung einer Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde gegenüber dem fachgerichtlichen Rechtsschutz enthält, kann man wohl schwerlich bestreiten 2 4 . Das Problem ist aber darin zu sehen, daß der Subsidiaritätsbegriff des Bundesverfassungsgerichts noch ganz andere, nämlich viel weitergehende Inhalte aufweist, die mit dem klassischen Rechtswegerschöpfungsgebot — nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts selbst — nur noch recht wenig zu tun haben und von denen hier nur kurz die wichtigsten noch einmal wiederholt seien: Zu denken ist an die vorverlagerte Rügepflicht bezüglich Grundrechtsverletzungen schon i m fachgerichtlichen Verfahren 25 . Erwähnenswert ist auch die inzwischen stereotype Formel, daß, auch wenn gegen den konkreten Hoheitsakt kein Rechtsweg gegeben sei — was nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor allem bei formellen Gesetzen der Fall ist —, der Beschwerdeführer trotzdem erst alle fachgerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten in Anspruch nehmen müsse 26 . Das gleiche gilt, wenn nach Erschöpfung des eigenständigen Rechtsweges des vorläufigen Rechtsschutzes noch Aussicht auf fachgerichtliche Abhilfe i m Hauptsacheverfahren besteht 2 7 . Wenn das Bundesverfassungsgericht aber ausdrücklich weitere Anforderungen an den Beschwerdeführer stellt, als es nach dessen eigener Ansicht 2 8

22

V g l . BVerfGE 47, 144 (145); 49, 252 (258); 68, 376 (380); 69, 122 (125); 72, 39 (43); 77, 381 (401); 78, 155 (160). 23 I m einzelnen wird der Inhalt von § 90 I I 1 BVerfGG später noch untersucht werden müssen (vgl. Kapitel C . I I I . 3 , S. 109 ff.). 24 S o auch Detter beck, Präventiver Rechtsschutz, S. 215; Schenke, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 15. Kritisch zum Begriff der „Subsidiarität" allerdings Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I R N 12, der betont, daß die Gerichtsbarkeiten nebeneinander stehen, gleichwohl aber zugibt, daß der „Vorrang" der Fachgerichte zur Prüfung von Grundrechtsverstößen aus § 90 I I 1 BVerfGG „etwas Selbstverständliches" sei. 2 5

BVerfG E 64, 135 (143); 66, 337 (364). Siehe dazu schon oben auf S. 49.

26

Z u m Beispiel BVerfGE 69, 122 (125); 71, 305 (336); 74, 69 (74). Siehe oben S. 56 ff.

27

S i e h e nur BVerfGE 53, 30 (52) und oben S. 57 ff.

28

O b diese Prämisse überhaupt richtig ist, wird später noch zu untersuchen sein. Siehe unten S. 109 ff.

84

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

§ 90 I I 1 BVerfGG fordert, kann das Gericht eigentlich nur schwerlich diese Norm als Rechtsgrundlage für seine Rechtsprechung heranziehen 29 . § 90 I I 1 BVerfGG eignet sich demnach als unmittelbare rechtliche Verankerung des Subsidiaritätsprinzips nur insoweit, als dieses Prinzip sich mit dem „einfachen" Rechtswegerschöpfungsgebot überschneidet. § 90 I I 1 BVerfGG kann hingegen keine Aussage dazu liefern, wie es sich mit den weitergehenden Inhalten des Subsidiaritätsprinzips des Bundesverfassungsgerichts verhält 3 0 .

bb) Das Subsidiaritätsprinzip als Ausdruck der grundsätzlichen Aufgabenverteilung des § 90 I I 1 BVerfGG? Allerdings sieht das Bundesverfassungsgericht in § 90 I I 1 BVerfGG eine generelle, „grundsätzliche Aufgabenverteilung zwischen Fach- und Verfassungsgerichtsbarkeit" 31 , ein Prinzip also, auf dessen Hintergrund es die Sachurteilsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde (inklusive des § 90 I I 1 BVerfGG selbst) „auslegen" will. Es fragt sich jedoch, ob sich das Subsidiaritätsprinzip mit allen seinen Erscheinungsformen durch einfache Qualifizierung des § 90 I I 1 BVerfGG als „Kompetenznorm", die die grundlegende Aufgabenverteilung zwischen Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit v o r n i m m t 3 2 , rechtfertigen l ä ß t 3 3 . Diese Einordnung des § 90 I I 1 BVerfGG darf nämlich nicht darüber hinwegtäuschen, daß hier Ursache und Wirkung vertauscht werden 3 4 . Es wäre nämlich gerade noch zu klären, welche Kompetenzen welcher Gerichtsbarkeit von § 90 I I 1 BVerfGG zugeteilt werden und welche Kom29 S o i m Ergebnis auch Bender, A ö R 112 (1987), S. 169 (173); Schiaich, R N 236; Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 43. Auch Detterbeck, Präventiver Rechtsschutz, S. 217 ff. kritisiert zu Recht die inkonsequente Ansicht des BVerfG. 30

I m Ergebnis jetzt auch Benda/Klein,

R N 473. Früher schon wie hier Motzer,

31

BVerfGE 55, 244 (247).

3 2

Vgl. die Nachw. oben in F N 5 auf S. 36.

S. 20.

3 3

Kritisch Benda/Klein, R N 471. Zustimmend dagegen Harald Klein, FS Zeidler I I , S. 1325 (1337). Ob ζ. B. der Wunsch des BVerfG, die Normanwendung und -auslegung der Fachgerichte kennenzulernen, ein zulässiges Argument sein kann, bezweifelt fìidder, JZ 1968, 377 (379) unter Hinweis auf den Grundsatz „iura novit curia", der auch für das BVerfG gelten würde; Leibold, S. 38 f. bezweifelt seinerseits die Erforderlichkeit der tatsächlichen oder rechtlichen Aufklärung durch die Fachgerichte m i t dem Hinweis auf die Möglichkeiten der A m t s - und Rechtshilfe; die Rechtsprechung verteidigend aber Gerontas, D Ö V 1982, 440 (442); Herzog, D S t Z 1988, 287 (288). 34 Hövel, S. 78. Nach Schiaich, R N 236 ist die Bemühung u m eine dogmatische Herleitung der Subsidiarität aus § 90 I I 1 BVerfGG „unfruchtbar".

I I . Der dogmatische Ansatz des Bundeserfassungsgericht s

85

petenzen das Bundesverfassungsgericht darüber hinaus aus eigenem Antrieb den Fachgerichten zuweist 3 5 . Erst nach Klärung dieser Fragen könnte man dann überlegen, welche Sachurteilsvoraussetzungen sinnvollerweise „durch Auslegung" in den Dienst des Subsidiaritätsgrundsatzes gestellt werden können und welche sich strukturell dazu nicht eignen. Mangels dieser Vorabklärung kann die Rechtsprechung nicht überzeugen, da sie insoweit auf eine reine Behauptung bezüglich der diversen „Forderungen" des § 90 I I 1 BVerfGG an den Beschwerdeführer hinausläuft. 3. Das Subsidiaritätsprinzip als lückenschließendes Richterrecht Unterstellt man einmal die Prämissen des Bundesverfassungsgerichts über den begrenzten Regelungsgehalt des § 90 I I 1 BVerfGG — insbesondere dessen Nichtanwendbarkeit bei Normenverfassungsbeschwerden — als richtig 1 , so bleibt es daher bei oben Gesagtem: Das Subsidiaritätsprinzip hat nur insoweit eine unmittelbare ausdrückliche Rechtsgrundlage, als der — enge — Regelungsbereich des § 90 I I 1 BVerfGG selbst reicht 2 . In diesem Sinne ist es auch durchaus aufschlußreich, wenn das Bundesverfassungsgericht bei der Rechtfertigung des weitergehenden Subsidiaritätsprinzips in den meisten Entscheidungen nur noch entweder feststellt, das Prinzip sei „vom Bundesverfassungsgericht herausgearbeitet" worden 3 , oder nach der Erwähnung des Prinzips eine Reihe von Entscheidungen angibt, ohne eine Rechtsgrundlage zu diskutieren 4 . Hier wird deutlich, daß sich das Bundesverfassungsgericht heute wohl am liebsten auf seine „ständige Rechtsprechung" zurückziehen würde, also auf durch ständige Übung entstandenes eigenständiges lückenschließendes Richterrecht 5, da es — wie aufgezeigt — auch i m Verfassungsprozeßrecht 35

S o auch Benda/Klein,

R N 471.

1

O b die Vorstellungen des BVerfG über § 90 I I 1 BVerfGG wirklich richtig sind, wird später noch zu klären sein (vgl. S. 109 ff.). 2 Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I R N 10 stellt fest, daß der Subsidiaritätsgrundsatz „aus dem Gebot der vorherigen Rechtswegerschöpfung und weiteren Überlegungen frei entwickelt" worden sei. Das bedeutet aber m. E., daß insoweit losgelost von der konkreten Rechtsnorm Recht geschöpft wurde. 3

Z u m Beispiel BVerfGE 51, 130 (139); 68, 384 (388); vgl. auch BVerfGE 31, 364.

4

Z u m Beispiel BVerfGE 69, 122 (125); 69, 257 (267); 70, 180 (185); 71, 305 (336); 72, 119 (121); 73, 40 (69 f.); 74, 69 (74); 74, 102 (113); 75, 108 (145); 75, 246 (263); 77, 84 (100); 77, 381 (401); 78, 58 (68); 78, 290 (301); 79, 1 (19 f.); 79, 29 (35 ff.); 79, 174 (189 f.); 80, 40 (45); 81, 70 (82); 81, 97 (102); 82, 6 (11); 84, 90 (116); BVerfG N V w Z 1983, 29 (29). 5 I m Ergebnis ebenso Benda/Klein, R N 472; Bender, A ö R 112 (1987), S. 169 (173): „wichtigste richterrechtliehe Entwicklung des Verfassungsprozeßrechts"; Detterbeck,

86

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

keinen unmittelbar geltendes Recht darstellenden, ungeschriebenen allgemeinen Subsidiaritätsgrundsatz g i b t 6 . Es scheint, als sei sich das Bundesverfassungsgericht selbst nicht mehr ganz sicher, ob seine Subsidiaritätsrechtsprechung noch unmittelbar aus geschriebenem Recht ableitbar ist. Diese wird jedoch mit der Feststellung gerechtfertigt, das Bundesverfassungsgericht sei „Herr des Verfahrens", könne also „sein Verfahren in weitem Umfange frei gestalten" 7 . Eine völlige Verfahrensautonomie legibus solutus kann dem Bundesverfassungsgericht als echtem Gericht aber wohl nicht zugestanden werden 8 . Auch in der (früher) recht lebhaft geführten Diskussion um die These der „Eigenständigkeit des Verfassungsprozeßrechts" 9 wird von allen Seiten „Selbstherrlichkeit" abgelehnt 10 und Berechenbarkeit gefordert 11 . Somit bleibt nur die jeweilige Überprüfung der einzelnen verfassungsgerichtlichen Aussagen auf Einhaltung der durch das Grundgesetz und BVerfGG „vorgezeichneten Grundlinien" 1 2 . Da die vom Bundesverfassungsgericht i m Namen des Subsidiaritätsprinzips aufgestellten Zulässigkeitsanforderungen jedoch inzwischen eine überragende Bedeutung im Verfassungsprozeßrecht erreicht haben, müssen an die Zulässigkeit solch zugangsregelnden Richterrechts erhöhte AnforderunPräventiver Rechtsschutz, S. 217; E. Klein, A ö R 108 (1983) S. 561 (618); Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 37: „fallorientierten Richterrechts" und R N 44; ähnlich Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I R N 12: „Quelle zusätzlicher, Gesetz und Verfassung unbekannter Sachentscheidungsvoraussetzungen". 6 Vgl. auch die umfassenden Nachw. bei Detterbeck, in F N 315. Wie hier auch Benda/Klein, R N 478. 7

Präventiver Rechtsschutz, S. 217

BVerfG E 1, 396 (408); 13, 54 (96); 36, 342 (357).

8

G a n z h. M . ; siehe nur Benda/Klein, R N 470; Bender, A ö R 112 (1987), S. 169 (172); i m Ergebnis auch Detterbeck, Präventiver Rechtsschutz, S. 215; E. Klein, AöR 108 (1983), S. 561 (618 f.). 9 N a c h w . bei E. Klein, AöR 108 (1983), S. 561 (621 ff.); Neutz, S. 1 F N 1 und Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 301 ff., der m. E . zu Recht herausstellt, daß dies (nur) i m Sinne einer „EigenWertigkeit dieses Verfahrensrechts" verstanden werden könne ( R N 303). 10 Selbst der „Begründer" der Theorie der Eigenständigkeit des Verfassungsprozeßrechts Häberle bescheinigt, daß diese Eigenständigkeit „weder Selbstzewck noch Dogma" sei; Nachw. auf die verschiedenen Werke Häberles bei Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 301 m . F N 21. Henseler, J U R A 1986, 249 (251) betont ebenfalls die eher „dienende" Funktion des Verfassungsprozeßrechts. 11 12

Nachw. bei Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 302 m. F N 25.

S o das BVerfG selbst in BVerfGE 2, 79 (84). So verstehe ich auch Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 303, wenn er fordert, daß sich das Verfassungsprozeßrecht — und auch das Richter-Verfassungsprozeßrecht — immer i m Einzelfall darauf befragen lassen müsse, ob es der Verwirklichung des Grundgesetzes diene.

I I . Der dogmatische Ansatz des Bundeserfassungsgericht s

87

gen gestellt werden 1 3 , wobei zu berücksichtigen ist, daß an die Notwendigkeit richterrechtlicher Lückenfüllung schon nach allgemeinen methodischen Gesichtspunkten ein strenger Maßstab anzulegen i s t 1 4 . Zunächst einmal macht die prinzipielle Feststellung der Lückenhaftigkeit des BVerfGG als Grundvoraussetzung 15 für ein Bedürfnis nach richterrechtlicher Gesetzesergänzung keine Probleme. War es doch vielmehr das erklärte Ziel des Gesetzgebers, der mangels historischer Vorbilder lieber keine abschließende Prozeßordnung in der Größenordnung von ZPO/St PO schaffen wollte, daß das Bundesverfassungsgericht selbst die Ausfüllung der „Hauptgrundsätze" des BVerfGG übernehmen sollte 1 6 . Dem Gesetzgeber schwebte dabei eine „sachgerechte Verfahrensbildung i m Einzelfall" über den „bewährten Weg der gewohnheitsrechtlichen Durchbildung des Verfahrensrechts" vor Augen 1 7 . Insofern könnte man meinen, daß gegen die „Rechtsschöpfungen" des Bundesverfassungsgerichts nichts einzuwenden sei. Aber es bleibt nicht nur fraglich, ob im Rahmen der unübersichtlichen Kasuistik die ausdrücklich gewünschte Einzelfallgerechtigkeit nicht manchmal auf der Strecke b l e i b t 1 8 — , ein Vorwurf, der sich dann allerdings auch an den allzu op13 K r i t i s c h insoweit insbesondere Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 298 m . w. Nachw. in F N 6. Nach Harald Klein, FS Zeidler I I , S. 1325 (1337) wird „prozessuales Richterrecht" nicht den Anforderungen an ein vorhersehbares, berechenbares, möglichst eindeutiges und rechtsstaatliches Verfahrensrecht gerecht, wie es durch den funktionellen Zusammenhang von materiellem und Prozeßrecht verlangt wird. 14

L a r e n z , S. 366 ff. Z u m heutigen Meinungsstand zusammenfassend Ossenbühl, in: Erichsen/Martens, § 7 V I I I . 15

L a r e n z , S. 373.

16

Siehe den Bericht des Abgeordneten Wahl als Berichterstatter des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht des Deutschen Bundestages, in: Schiffers, S. 381. Weder die Weimarer Reichsverfassung noch die Reichs Verfassung von 1871 oder die nicht verbindlich gewordene Paulskirchen-Verfassung kannten ein Gericht mit der ausgeprägten Verfassungsorgan quali tät, wie es heute das BVerfG darstellt. Z u m Beispiel hatte der Staatsgerichtshof der W R V keine Kompetenz zur Prüfung von formellen Gesetzen. Die bayerische Verfassung von 1818 kannte zwar eine Verfassungsbeschwerde in ihrem Art. 21, die aber unter Einschaltung der Kammern dem König vorgelegt wurde, nicht einem Gericht. I n der B V von 1919 wurde dann zwar eine Verfassungsbeschwerde an den Staatsgerichtshof etabliert; mit dieser konnte jedoch nur exekutives Verhalten gerügt werden. Erst nach 1945 wurde neben der Wiedereinführung dieser beschränkten Verfassungsbeschwerde (vgl. Art. 120 S. 4 B V ) auch eine Normenkontrolle auf Anregung des Bürgers eingeführt ( A r t . 98 S. 4 B V ) , allerdings in Form der Popularklage. Diese bayerischen Vorbilder haben gleichwohl die bundesrechtliche Regelung und die folgende Rechtsprechung stark beeinflußt, Lechner, BVerfGG, § 90 Anm. 1. Vgl. zur Geschichte auch Robbers, JuS 1990, 257 ff. u. sehr ausführlich Scheuner, BVerfG u. G G I, S. 45 ff. 17 18

V g l . Wahl, in: Schiffers,

S. 381.

Ä h n l i c h auch E. Klein, FS Zeidler I I , S. 1305 (1323). Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 303 m. F N 41 läßt durchblicken, daß er die Tatsache, daß die Entscheidungssamm-

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

88

timistischen Gesetzgeber richten würde 1 9 . Es muß vielmehr i m vorliegenden Zusammenhang auch überlegt werden, ob nicht die konkrete Subsidiaritätsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts diesen vorgegebenen Spielraum zur „Ausbildung des Verfahrensrechts" überschreitet, weil sie gegen die normierten „Hauptgrundsätze" des BVerfGG und des Grundgesetzes verstößt. In diesem Zusammenhang stellt Detterbeck 2 0 eine überzeugende Uberlegung an: „Wenn Art. 94 Abs. 2 S. 2 GG die Zulässigkeit des Erfordernisses der Rechtswegerschöpfung von einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung abhängig macht, müßte bereits eine analoge Anwendung dieser Vorschrift in Verbindung mit der hierzu ergangenen speziellen Ausführungsbestimmung des § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG besonders begründet werden. Die Bemühung eines ungeschriebenen allgemeinen Grundsatzes der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde unter ausdrücklicher Ablehnung einer analogen Anwendung 2 1 obiger Vorschriften muß verfassungsrechtlich zumindest zwielichtig erscheinen; jedenfalls dann, wenn er nicht nur zur Auslegung des geschriebenen Prozeßrechts herangezogen wird, sondern ihm darüber hinaus eigenständige Bedeutung und Funktion praeter legem beigelegt werden." Damit ist das Grundproblem der Frage nach der Rechtsgrundlage der verfassungsgerichtlichen Vorgehens weise präzise auf den Punkt gebracht 2 2 . Zusätzlich könnte man sich auch noch fragen, ob eine „Analogie" zu einer einzelnen Vorschrift aus methodischen Gründen überhaupt geeignet ist, einen „allgemeinen Grundsatz" der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde zu rechtfertigen 23 . Und schließlich gewinnt die Problematik noch einmal an Schärfe, wenn man sich vergegenwärtigt, daß bei Vorliegen der (gesetzlich normierten) Sachurteilsvoraussetzungen dem Beschwerdeführer eigentlich ein „verfas-

lungen des BVerfG und nicht das Bundesgesetzblatt die Verfahrensvorschriften enthalten, rechtsstaatlich nicht ganz einwandfrei findet; ebenso ders., N J W 1992, 675 (675). 19

S i e h e dazu die Bemerkung von E. Klein, A ö R 108 (1983), S. 561 (618 in F N 598).

20

Präventiver Rechtsschutz, S. 218.

2 1 Anmerkimg des Verf.: Unverständlich in diesem Zusammenhang ist, wieso einige Autoren laufend von Analogie zu § 90 I I 1 BVerfGG sprechen, vgl. z. B. Ridder, JZ 1968, 377 (passim). 2 2

Ahnliche Bedenken äußerte auch schon Leibold, S. 38. Ebenso Gerontas, D Ö V 1982, 440 (443), der darauf hinweist, daß der Gesetzgeber m i t § 90 I I 1 BVerfGG abschließend von der in A r t . 94 I I 2 G G enthaltenen Ermächtigung gebraucht gemacht hat. 23

D i e s e Frage wohl zu Recht verneinend Motzer,

S. 20.

I I . Der dogmatische Ansatz des Bundeserfassungsgericht s

89

sungsrechtlich gesichertes subjektives öffentliches Recht auf eine Sachentscheidung, die sich mit seinem Begehren auseinandersetzt", erwächst 2 4 . Die Zulässigkeit von prater legem entwickelten Zugangsbeschränkungen bleibt somit weiter fraglich. 4. Stellungnahme Das Problem kann jedoch — zumindest zum Teil — gelöst werden. Es stellt sich nämlich die Frage, ob die Prämissen des Bundesverfassungsgerichts richtig gesetzt sind: Das Bundesverfassungsgericht befleißigt sich nämlich in ständiger Rechtsprechung einer äußerst restriktiven Interpretation des Regelungsbereichs des § 90 I I 1 BVerfGG, was — wie oben gesehen — zur Folge hat, daß sich mit dieser Norm als Rechtsgrundlage nur noch bedingt Staat machen läßt. Sollte dem § 90 I I 1 BVerfGG jedoch ein weitergehender Aussagegehalt nachgewiesen werden können, würde sich insoweit u. U. ein Teil der Legitimierungskrise des Subsidiaritätsprinzips erledigen. Denn der („neu" festzulegende) weitergehende Inhalt des § 90 I I 1 BVerfGG könnte auch einige der bis jetzt rechtsgrundlagelosen Zulässigkeitsanforderungen decken. Bei den übrigen Anforderungen — die also auch bei extensivem Verständnis des § 90 I I 1 BVerfGG nicht unter diese Bestimmung zu subsumieren sind — stellt sich anschließend die Frage nach der Konsequenz. Es wird u. U. zu prüfen sein, ob solche Anforderungen nicht schon aus anderen materiell-rechtlichen Gründen abzulehnen sind, so daß sich jede weitere Suche nach einer Rechtfertigungsgrundlage erledigt 1 . Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis läßt sich jedenfalls folgendes feststellen: 24

So aus- und nachdrücklich Benda/Klein, R N 318, die hinzufügen, daß diese Rechtsschutzgarantie gleiches verfassungsrechtliches Gewicht wie die Gewahrleistung eines Grundrechts hat (ebenda, R N 320). Ebenso Afotzer, S. 156 m. w. Nachw. in F N 1. * A . Α. E. Klein, FS Zeidler I I , S. 1305 (1316), der meint, es komme nur auf die Inhalte des Subsidiaritätsprinzips an; dann wäre es egal, ob sie unter § 90 I I 1 BVerfGG subsumierbar seien oder ob man m i t dem BVerfG ein eigenständiges, ungeschriebenes Zulässigkeitsmerkmal annimmt. D e m kann allerdings nicht zugestimmt werden, da m i t entsprechender Auslegung des § 90 I I 1 BVerfGG sowohl das Unmittelbarkeitskriterium, das Subsidiaritätsprinzip und die Berufung auf das Rechtsschutzinteresse entfallen können, was schon durch seine vereinfachende Wirkung mehr Rechtsklarheit bringt. Außerdem muß E. Klein für seine Ansicht unterstellen, daß das BVerfG überhaupt über § 90 I I 1 BVerfGG hinaus schärfere Anforderungen an die Verfassungsbeschwerde stellen darf. Das ist aber gerade fraglich.

90

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Unterstellt man die Prämissen des Bundesverfassungsgerichts bezüglich des § 90 I I 1 BVerfGG als richtig, hat die Subsidiaritätsrechtsprechung keine unmittelbare — um nicht zu sagen „gar keine" — Rechtsgrundlage, soweit sie im Einzelfall nicht mit dem restriktiv gehandhabten Inhalt dieser Norm ohnehin identisch ist 1 . Nur bei extensiver Interpretation — die das Gericht indes ablehnt — könnte ein Teil der Rechtsprechung gerechtfertigt werden. Keinesfalls kann es aber für den „obersten Hüter der Verfassung" ein befriedigendes Ergebnis sein, wenn festgestellt werden muß, daß das Gericht entweder tatsächlich ein rechtsgrundloses Entlastungsvehikel kreiert hat oder es zumindest einer Gesetzesauslegung entgegen seiner Meinung bedurfte, um wenigstens ein einigermaßen in sich geschlossenes und gesetzlich untermauertes System von Zulässigkeitsvoraussetzungen aus der verwirrenden Kasuistik herausinterpretieren zu können. Sollte letzteres der Fall sein, läßt sich allerdings kaum mehr der bereits erhobene 2 Vorwurf abwehren, daß es sich beim Subsidiaritätsprinzip um eine „überflüssige prozessuale Erfindung" handelt, da dessen Aufgaben dann vollständig von § 90 I I 1 BVerfGG übernommen werden.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde 1. Allgemein a) Grundlegende Kritik

an der bundesverfassungsgerichtlichen Rech tsprech ung

Bei der Darstellung der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde, so wie das Bundesverfassungsgericht sie erarbeitet hat, ist wohl deutlich geworden, daß die Rechtsprechung des Gerichts nicht nur durch die nicht mehr überschaubare Kasuistik schwer zugänglich geworden ist 1 . Äußerst problematisch wirkt sich auch die Tatsache aus, daß einerseits Kriterien oft widersprüchlich 2 oder zumindest unkonturiert 3 benutzt bzw. 1 2

S o auch i. E. die oben in F N 22 auf S. 88 genannten Autoren.

Detterbeck,

Präventiver Rechtsschutz, S. 221.

1

D a s bescheinigt auch Schmidt-Bleibtreu,

2

S o Harald Klein, FS Zeidler I I , S. 1325 (1329, 1331 m. w. Nachw.).

BVerfGG, § 90 R N 190.

3 S o Henschel, N J W 1989, 702 (703) — selbst Richter d. BVerfG (!); Haug, S. 9; E. Klein, FS Zeidler I I , S. 1305 (1312).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

91

begründet 4 werden. Zudem läßt das Gericht nicht immer erkennen, was es eigentlich gerade unter welchem Gesichtspunkt prüft 5 . Die Feststellung des Verhältnisses der einzelnen Prüfungspunkte untereinander wird noch dadurch erschwert, daß das Gericht — wie dies zugegebenermaßen auch sonst in anderen Gerichtsbarkeiten üblich ist — selten im Sinne eines Prüfungsschemas nacheinander alle Zulässigkeitsvoraussetzungen durchprüft, sondern sich aus Arbeitsersparnisgründen nur die jeweils problematischen „herauspickt". Vollends macht sich Ratlosigkeit hinsichtlich des Verhältnisses der Begründungselemente untereinander breit, wenn das Gericht — quasi in Kumulation — Prüfungspunkte nebeneinander anführt, um die (Un-)Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde zu begründen 6 . So wird dem Bundesverfassungsgericht inzwischen „Unlust, ...verfassungsprozessualen Fragen mit der gleichen Gründlichkeit nachzugehen wie den materiellrechtlichen Problemen" 7 vorgeworfen, und auch sonst sind die immer zahlreicher werdenden Kritiker nicht gerade zurückhaltend mit ihrem Urteil 8 . Insbesondere mit Hinweis auf die zahlreichen, oft nur vom Einzelfall her verständlichen Ausnahmen von den eigenen Grundsätzen wird von diesen Kritikern zunehmend bezweifelt, „ob das Gericht über eine klare und einheitliche Konzeption verfügt und sich hieran durchgängig orientiert" 9 . Von anderer Seite wird dem Bundesverfassungsgericht unterstellt, es vermeide bewußt konturenscharfe dogmatische Festlegungen, um sich durch weiche und biegsame Topoi eine gewisse Flexibilität zu *Es sei noch einmal daran erinnert, daß der „Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde" nicht einheitlich rechtsdogmatisch begründet wird, was oben S. 39 herausgestellt wurde. 5

Ebenso Benda/Klein,

R N 469.

6

Z u m Beispiel BVerfGE 43, 291 (386); 47, 130 (138); 57, 81 (104); 60, 360 (370); 68, 334 (335); 72, 39 (43 f.); 77, 84 (100); 78, 350 (355); BVerfG N J W 1985, 2250 (2250). Vgl. auch BVerfGE 42, 243, in der das Gericht auf S. 245 auf das Rechtswegerschöpfungsgebot abstellt, auf S. 247 auf das Subsidiaritätsprinzip und auf S. 251 wieder (nur) auf das Rechtswegerschöpfungsgebot! 7 Henschely FS Simon, S. 95 (96), nicht allein auf den hier zu behandeinen Problemkreis beschränkt. 8

R i d d e r , JZ 1968, 377 (379): „Pulverisierung des Instituts der Verfassungsbeschwerde"; Schenke, N J W 1986, 1451 (1455): „Brüche i m Rechtssystem", „Eindruck der Prinzipienlosigkeit", „Verhältnis der Ansätze untereinander unklar"; Stern, B K , Art. 93 R N 499: „Kasuistik nicht immer einsichtig"; kritisch auch Detterbeck, Präventiver Rechtsschutz, S. 208 ff.; Henschel, FS Faller, S. 165 ff.; Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I R N 12, 50, der insbesondere die Notwendigkeit eines eigenständigen Prüfungspunktes „Subsidiarität" bezweifelt und die Vorgehensweise des Gerichts „gesetzeswidrig" nennt; Zacher, BVerfG u. G G I, S. 396 (407). 9 Neben den in der vorstehenden F N genannten Autoren insbesondere Harald FS Zeidler I I , S. 1325 (1332). Ähnlich kritisch Dörr, R N 182.

Klein,

92

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

bewahren 1 0 , — ein Vorwurf, der ebenfalls keineswegs leicht von der Hand zu weisen sein dürfte. Schon oben wurde die erschreckend hohe Mißerfolgsquote von 98, 5 % der Verfassungsbeschwerden beklagt. Der größte Teil dieser Verfahren scheiterte zwar daran, daß das Bundesverfassungsgericht zunehmend als „Superrevisionsinstanz" mißbraucht w i r d 1 1 . Andererseits kann aber sungsbeschwerden wegen weitesten Sinne) erfolglos zung i m Verständnis der keine Rede sein kann 1 3 .

wohl nicht geleugnet werden, daß viele VerfasVerstoßes gegen das Subsidiaritätsprinzip (im blieben 1 2 . Dies zeigt, daß von einer DurchsetBetroffenen (und auch deren Prozeßvertreter!)

Es muß notgedrungen zu Lasten von Rechtssicherheit 14 und Rechtsklarheit — und damit zu Lasten der Rechtssuchenden — gehen, wenn permanent unter Nichtbenutzung der normativen Regelung des § 90 BVerfGG die prater legem entwickelten Kriterien auf unvorhersehbare Art und Weise verschärft werden 1 5 . Dabei hat das Plenum des Bundesverfassungsgerichts in einem vergleichbaren Zusammenhang selbst nachdrücklich ausgesprochen, „daß auch die Regeln über den Zugang zu Rechtsmittelgerichten für den Bürger möglichst klar erkennbar und bestimmt zu halten sind. Denn sie legen fest, in welchen Grenzen und aufweiche Weise er sein Recht suchen kann. Bestimmtheit ist dabei um so mehr vonnöten, als den Beteiligten auf diesem Weg mannigfache menschliche und materielle Lasten entstehen, nicht zuletzt gerichtliche und außergerichtliche Kosten. An seinem Ende steht regelmäßig eine verbindliche Entscheidung...Verfahrensrecht hat mithin auch in die10 Schenke, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 13; Stürner, wird dies bewertet von Benda/Klein, R N 469.

JZ 1986, 526 (527).

Positiv

11 Vgl. hierzu die Untersuchimg von Urteilsverfassungsbesch werden durch Zuck, M D R 84, 800 (802). 12

D a s läßt sich auch Henschel, FS Simon, S. 95 (95) entnehmen. Ähnlich wohl Dorr, R N 8. 13 Harald rigkeiten".

Klein, FS Zeidler I I , S. 1325 (1332): „Rezeptions- und Umsetzungsschwie-

14 Z u m Gebot der Rechtssicherheit als einem dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip immanenten Verfassungsgebot vgl. Papier, Hdb. d. StaatsR V I , § 153 R N 18 m . w. Nachw. 15 D a s kritisieren auch insbesondere Henschel, FS Faller, S. 165 (170); ders., FS Simon, S. 95 (96) und Harald Klein, FS Zeidler I I , S. 1325 (1332 f.). Ridder, JZ 1968, 377 (378) benutzt i m Zusammenhang mit der Subsidiaritätsrechtsprechung sogar das Wort „rechtsstaatswidrig". Auch Kahlke, Z Z P 101 (1988), S. 1 ( 5 / 7 ) stellt fest, daß die Subsidiaritätsrechtsprechung des BVerfG i m Laufe der Jahre immer strenger geworden sei, so daß dem Bf. inzwischen „schwierige Fragen des organisatorischen Verfassungsrechts" aufgeladen wären.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

93

sem Zusammenhang in hohem Maße freiheitsgewährleistende Funktion für den Einzelnen wie für das Gemeinwesen" 16 . Diese Ausführungen kann man wohl nur unterstreichen — es fragt sich bloß, ob sich das Bundesverfassungsgericht seiner eigenen Maßstäbe in allen Entscheidungen zur Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde auch erinnert. In manchen der fraglichen Entscheidungen kommt der Grundrechtsschutz — und auch die Funktion der Verfassungsbeschwerde als Mittel objektiver Bewahrung des Verfassungsrechts 17 — vielleicht etwas zu k u r z 1 8 , wobei zuzugeben ist, daß in der überwiegenden Zahl der Fälle zumindest die Endergebnisse des Gerichts sicher richtig sind.

b) Folgerung Fest steht jedenfalls heute für viele Kritiker, daß eine am geschriebenen Recht orientierte Neu-Festlegung des Subsidiaritätsgedankens mit klaren Konturen n o t t u t 1 9 . Zu den genannten Problemen kommt nämlich noch hinzu, daß „die Inflationierung der Verfassungsbesch werde...nicht nur eine Erscheinungsform zeitgenössischer Prozeßlust (ist); sie ist auch vom BVerfG selbst erzeugt durch deutliche formale und systematische Abstinenz, die keine klar voraussehbaren Kontrollgrenzen toleriert, um sich niemals an der Beseitigung schwereren Unrechts durch bindende Regeln gehindert zu sehen" 2 0 . Dies führt dazu, daß jeder Beschwerdeführer sich ermuntert fühlt, das von ihm subjektiv immer als schwer empfundene Unrecht überprüfen zu lassen 21 . Ziel aller Bemühungen muß daher sein, die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde wieder klar voneinander abzugrenzen und auf ihre ursprünglichen Funktionen zurückzuführen, ohne die Stellung der Verfassungsbeschwerde als eines „subsidiären" Rechtsbehelfes zu gefährden 22 . 16

B V e r f G E 54, 277 (292 f.).

17

D i e s e Seite betont insbesondere Ridder, JZ 1968, 377 (379). Siehe dazu ausführlich Benda/Klein, R N 331 ff. 18 D i e s ist auch die Diagnose von E. Klein, FS Zeidler I I , S. 1305 (1323). Die Wichtigkeit von Klarheit und Vorhersehbarkeit des Verfahrens als „funktionalem Eigenwert" des Prozeßrechts hat ders. schon in A ö R 108 (1983), S. 561 (624 m. F N 644) betont. 19 K o n k r e t e Vorschläge zur Neuordnung machen insbesondere Detterbeck, Präventiver Rechtsschutz, S. 208 ff.; Gerontas, D Ö V 1982, 440 (442 ff.); Hövel, S. 143 fT. und passim; E. Klein, FS Zeidler I I , S. 1305 (1312); Harald Klein, FS Zeidler I I , S. 1325 (1338 ff.); Schenke, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 13 ff.; ders., N J W 1986, 1451 (1455 ff.). 2 0

Stürner, JZ 1986, 526 (533), der daraufhinweist, daß diese Konzeption des BVerfG natürlich auch Vorteile hat. 21

St urner, JZ 1986, 526 (533).

2 2

So i m Ergebnis auch Henning, S. 3.

94

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Die Tatsache, daß die Verfassungsbeschwerde nur ultima ratio ist, darf mit anderen Worten bei jeder Neuorientierung nicht vergessen werden — sie darf aber auch nicht zur Verwischung der Konturen der einzelnen Zulässigkeitsvoraussetzungen führen. Es soll im folgenden versucht werden, eine an den Vorschriften des § 90 BVerfGG orientierte Bestimmung der Regelungsbereiche der einzelnen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde vorzunehmen. Dabei wird zu untersuchen sein, inwieweit die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haltbar ist oder ob nicht einzelne Anforderungen des Gerichts i m Hinblick auf das BVerfGG zu weit gehen und damit ohne Rechtsgrundlage sind.

2. D i e Ersetzung der „gegenwärtigen u n d u n m i t t e l b a r e n Selbstbetroffenheit" durch die Beschwerdebefugnis nach § 90 I B V e r f G G In ständiger Rechtsprechung 1 verlangt das Bundesverfassungsgericht vom Beschwerdeführer „gegenwärtiges und unmittelbares Selbstbetroffensein". „Diese Einschränkungen der Zulässigkeit beruhen darauf, daß die Verfassungsbeschwerde nicht als Popularklage ausgestaltet ist, und ferner auf den Gesichtspunkten des Rechtsschutzbedürfnisses und der Subsidiarität, ..." 2 . In Anbetracht der Unterschiedlichkeit dieser Begründungselemente und der ebenso unterschiedlichen Aussagen und Funktionen, die die drei Teile der genannten stereotypen Formel des Gerichts („selbst", „gegenwärtig", „unmittelbar") übernehmen, erscheint eine solche Legitimierungskumulation als wenig befriedigend. So ist es auch nicht verwunderlich, daß der Formel des Bundesverfassungsgerichts vorgeworfen wird, sie liefere „bis heute die verbale Leitlinie für eine in der Sache kaum durchgehend rationalisierte und rationalisierbare kasuistische Abwägung..." 3 . Mangels ausdrücklicher normativer Anbindung durch das Bundesverfassungsgericht beginnt die allgemeine Unsicherheit schon bei der Frage, unter welchem Prüfungspunkt im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung die besagte Formel dogmatisch zu behandeln ist. Einige Autoren greifen die eingangs zitierte Erklärung des Bundesverfassungsgerichts auf und ordnen das „gegenwärtige und unmittelbare 1

S e i t BVerfGE 1, 97 ff.

2

B V e r f G E 43, 291 (386); ähnlich BVerfGE 58, 81 (104).

3 Zacher, BVerfG u. G G I , S. 396 (407). Gerontas, D Ö V 1982, 440 (440) spricht von „Zufälligkeitsformel". Schick, JZ 1974, 470 (476) konstatiert, daß die „mangelnde logische Tragfähigkeit" der „Faustformel" „außer Zweifel" stehe.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

95

Selbstbetroffensein" beim Prüfungspunkt „Rechtsschutzbedürfnis bzw. -interesse " ein 4 . Allerdings wird diese Ansicht überwiegend von den Autoren vertreten, die ohnehin den gesamten Subsidiaritätsgedanken mit dem Rechtsschutzbedürfnis in Verbindung bringen 5 . Nach der hier vertretenen Ansicht sind jedoch Subsidiarität und Rechtsschutzinteresse strikt zu trennen 6 . Die überwiegende Lehre geht daher davon aus, daß mit dem „gegenwärtigen und unmittelbaren Selbstbetroffensein" die „Beschwerde befugnis" berührt sei 7 . Die deutliche inhaltliche Parallele mit der ver4 S o z. B. Brox, FS Friedrich Klein, S. 49 (52); Gusy, Verfassungsbeschwerde, R N 119 (für das Merkmal der Unmittelbarkeit); Pieroth, DVB1. 1974, 195 (195); Scherer, S. 359 f.; Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 R N 186; Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 565, 596: „besonderes Rechtsschutzinteresse". Sympathisierend wohl auch Schneider,, AöR 89 (1964), S. 24 (31). Unklar Löwer, der die Formel einerseits zwar unter der Überschrift „Beschwerdebefugnis" ( R N 150 ff.) bringt, aber andererseits feststellt, daß sie „die Funktion des Rechtsschutzinteresses" übernimmt ( R N 155). Ebenso durcheinander Büsser, S. 41 und Seiwerth, S. 112 f. (beide die Begriffe offenbar synonym gebrauchend) und Weber, JuS 1992, 122 (125: Besch werdebefugnis, 126: Rechtsschutzbedürfnis). Nach Zacher, BVerfG u. G G I, S. 396 (407) vermischt das BVerfG selbst die beiden Bereiche durch die Verwendimg seiner Formel; dem kann nicht völlig widersprochen werden, wie noch festzustellen sein wird. 5 Siehe hierzu d. Nachw. in F N 4 auf S. 80. Bettermann, AöR 86 (1961), S. 129 (139) — als ein Vertreter dieser Ansicht — will allerdings das Kriterium der Unmittelbarkeit als gänzlich überflüssig zugunsten des Rechtsschutzbedürfnisses aufgeben. 6 Siehe dazu schon oben S. 80 f. Nach Hovel, S. 46, 146 besteht eine Art Zusammenspiel zwischen Beschwerdebefugnis und Rechtsschutzinteresse dergestalt, daß das Fehlen der Beschwerdebefugnis (wegen Fehlens gegenwärtiger oder unmittelbarer Betroffenheit) aufgrund eines besonderen Rechtsschutzbedürfnisses überwunden werden könne. Grund sei das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 I V G G . Die „Ausgleichswirkung" zweier Zulässigkeitsvoraussetzungen untereinander kann aber angesichts deren verschiedenartiger Aufgaben dogmatisch nicht überzeugen, wie auch Benda/Klein, RN 517 jetzt ausdrücklich konstatieren: das Zulässigkeitsmerkmal des allgemeinen Rechtsschutzinteresses kann nur zu einer Verengung der Zulässigkeit, nicht zu einer Erweiterung führen; fehlende Zulässigkeitsvoraussetzungen können nicht durch das Rechtsschutzbedürfnis ersetzt werden. Hier scheint Hövel in der Tat Opfer der widersprüchlichen Recht sprechung geworden zu sein. 7 Siehe z. B. Baumgarten, Z T R 1990, 368 (370); Detterbeck, J U R A 1990, 654 (657); Dörr, R N 111 ff.; Erichsen, J U R A 1979, 335 (335); ders., VerwArch 67 (1976), S. 187 (187); ders., J U R A 1991, 638 (640); Gerontas, D Ö V 1982, 440 (440); Hovel, S. 17; E. Klein, FS Zeidler I I , S. 1305 (1309); Harald Klein, FS Zeidler I I , S. 1325 (1332 f.); Kosmider, JuS 1988, 447 (448); Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I I R N 35; Pieroth/Schlink, R N 1236 ff.; Schenke, N J W 1986, 1451 (1452); Schiaich, R N 207 ff.; Schneider, Z Z P 79 (1966), S. 1 (33 in F N 57); Stern, B K , Art. 93 R N 492 fT.; recht eigenwillig Spanner, BVerfG u. G G I , S. 374, der zwar die Formel des BVerfG der Besch werdebefugnis zurechnet (S. 378), das Rechtsschutzbedürfnis aber als „Voraussetzung" für die Beschwerdebefugnis ansieht (S. 377); vgl. aber auch dens., FS Jahrreiss, S. 411 (420 f., 423 f.). Lechner, BVerfGG, § 90 A n m . 3) spricht von „Rechtsgrund" und Ridder, JZ 1968, 377 von „Sachbefugnis", beide meinen inhaltlich aber eindeutig die Beschwerdebefugnis. Hingegen meint Brox, FS Friedrich Klein, S. 49 (53) unter

96

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

waltungsprozessualen „Klagebefugnis" des § 42 I I VwGO, auf die noch zurückzukommen sein wird, spricht auch in der Tat für diese begriffliche Àngleichung 8 . Auch das Bundesverfassungsgericht läßt sich in einigen wenigen Entscheidungen dazu verleiten, von „Besch werdebefugnis" zu sprechen 9 . Es muß jedoch berücksichtigt werden, daß das Bundesverfassungsgericht mit seiner Formel auch Aspekte behandelt, die nicht in das klassische Bild von Klage- bzw. Besch werdebefugnis passen 10 :

a) Das gegenwärtige Selbstbetroffensein Wie schon oben erwähnt, fordert das Bundesverfassungsgericht mit dem Merkmal „Selbstbetroffensein", daß der Beschwerdeführer in seinen eigenen Rechten tangiert sein muß. M i t dem Merkmal der „Gegenwärtigkeit" will es nur zukünftig, d. h. virtuell Betroffene abweisen 11 . Beide 1 2 Bestrebungen sind als Abgrenzung zur Popularklage ureigentliche, altbekannte Elemente einer Klage-/Beschwerdebefugnis, wie sie ζ. B. auch mit § 42 I I VwGO als entsprechendem Institut i m Verwaltungsprozeßrecht verankert i s t 1 3 . Hier muß jedoch eine Tatsache in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verwundern: § 42 II VwGO lautet in seinen hier interessierenden Passagen: „...ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend „Sachbefugnis" die „Aktivlegitimation", die erst in der Begründetheit interessiert. Es herrscht offenbar keine einheitliche Terminologie, so daß Vorsicht geboten ist. 8

S o auch ausdrücklich Harald Klein, FS Zeidler I I , S. 1325 (1333) und Stern, B K , Art. 93 R N 492. Gegen den Begriff der Klagebefugnis für § 42 I I V w G O spricht sich allerdings Schmitt Glaeser, R N 171 aus. 9 Z u m Beispiel BVerfGE 58, 177 (189); 64, 1 (11); 70, 35 (51). D a aber sonst — teilweise sogar i m gleichen Entscheidungsband, ζ. B. BVerfGE 58, 81 (104) — entweder auf das Rechtsschutzbedürfnis abgestellt wird oder eine dogmatische Einordnung überhaupt unterbleibt — z. B. BVerfGE 1, 97 (102) — , kann von einer einheitlichen Linie nicht die Rede sein. 10

D a s führt dazu, daß Benda/Klein, R N 479 ff. eine Einordnung in oben genanntem Sinne umgehen, indem sie die „Betroffenheit" als eigenständigen Prüfungspunkt darstellen. 11 12

BVerfGE 1, 97 (102).

S i e h e Benda/Klein, R N 485, 492; Schmidt-Bleibtreu, 98; Stern, B K , A r t . 93 R N 504 und R N 553.

BVerfG, § 90 R N 95 und R N

13 W i e hier Busser, S. 29; Brox, FS Friedrich Klein, S. 49 (50); Stern, B K , Art. 93 R N 493. Vgl. zur Klagebefugnis i. S. d. § 42 I I V w G O ζ. B. Kopp, V w G O , § 42 R N 80: „Maßgeblich ist insoweit allein die Betroffenheit in eigenen Rechten" und R N 42 a zum Erfordernis „gegenwärtiger Auswirkungen" des VA.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

97

macht, ...in seinen Rechten verletzt zu sein." Aus diesen Formulierungen entnimmt die Verwaltungsgerichtsbarkeit und das entsprechende Schriftt u m problemlos das Erfordernis der Klagebefugnis 14 . Das Bundesverfassungsgericht hingegen zieht sich fast ausschließlich allein auf seine stereotype Formel zurück, ohne den sich nach seiner Formulierung ebenso anbietenden § 90 I BVerfGG 15 zu verwerten 1 6 . Dabei lautet dieser in seinen entsprechenden Passagen: „...kann m i t der Behauptung, ...in einem seiner...Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde...erheben". Wenn man sich nun noch vergegenwärtigt, daß an die „Behauptung" i m Sinne des § 90 I BVerfGG heute einhellig die gleichen Anforderungen gestellt werden wie an das „geltend machen" i m Sinne des § 42 I I V w G O 1 7 — insbesondere gilt die sog. Möglichkeitstheorie 18 —, muß man zwangsläufig zu dem Ergebnis kommen, daß die beiden Normen insoweit praktisch identisch s i n d 1 9 . Als um so unverständlicher erscheint es daher, daß das Bundesverfassungsgericht § 90 I BVerfGG meist 2 0 nur im Zusammenhang mit dem

14

V g l . nur die Kommentierung zu § 42 I I V w G O bei Kopp, V w G O , passim.

15

Gleiches gilt natürlich auch für A r t . 93 I Nr. 4 a G G selbst.

16

Nach Durchsicht der Registerbände der Entscheidungssammlung des BVerfG (BVerfGE) zeigt sich, daß nur äußerst sporadisch, nämlich in BVerfGE 68, 193 (205); 77, 263 (268); 79, 365 (367), § 90 I BVerfGG als Ausgangspunkt für das „Selbstbetroffensein" anerkannt wird; jüngst allerdings BVerfG N J W 1992, 224 (224). F ü r die Merkmale der „Gegenwärtigkeit" und „Unmittelbarkeit" findet sich gar keine Verbindung mit § 90 I BVerfGG, obwohl die genannte Formel des BVerfG praktisch bei jeder Normenverfassungsbeschwerde benutzt wird. 17 W i e hier Brox, FS Friedrich Klein, S. 49 (50); Schiaich, R N 208. Vgl. auch die umfassenden Nachw. bei Stern, B K , Art. 93 R N 493 ff. Früh hat sich auch schon Bettermann, AöR 86 (1961), S. 129 (130) mit der Frage befaßt, ob eine bloße „Behauptung" ausreiche. Siehe dazu auch Hövel, S. 23. 18 D o r r , R N 174; Erichsen, VerwArch 67 (1976), S. 187 (188); Jülicher, Verfassungsbeschwerde, S. 105; Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I I R N 27; Pieroth/Schlink, R N 1237; Weber, JuS 1992,122 (124). Anderer Ansicht zwar noch ein Teil des älteren Schrifttums Brox, FS Friedrich Klein, S. 49 (57 f.) und Süsser, S. 45; Haug, S. 30 f. Ausdrücklich jetzt aber auch BVerfGE 83, 216 (226). Das BVerfG verlangt die Beibringung von Tatsachen, die die mögliche Betroffenheit belegen, so daß eine bloße (auch schlüssige) Behauptung nicht ausreicht, BVerfGE 83, 162 (169 f.). 19 E b e n s o Henning, S. 14; Weber, JuS 1992, 122 (124). Daß § 90 I BVerfGG i m Gegensatz zu § 42 I I V w G O die als Prüfungsmaßstab heranzuziehenden Rechte genau auflistet, kann hier vernachlässigt werden. 20 A u s n a h m e n bilden BVerfGE 8, 222 (224), wo das Gericht von „Beschwer" i m Sinne des § 90 I BVerfGG spricht (dazu ablehnend Stern, B K , A r t . 93 R N 497) und BVerfGE 78, 290 (299). I n BVerfGE 70, 1 (35) geht es u m die Darlegungslast des Bf.

7 Wannke

98

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

darin vorgeschriebenen Prüfungsmaßstab 21 erwähnt, oder wenn es um die Feststellung geht, ob ein A k t „öffentlicher Gewalt" angegriffen w i r d 2 2 . Die Subsumtion der Rechtsprechung zur „gegenwärtigen Selbst bet roffenheit" unter § 90 I BVerfGG wäre dabei vergleichsweise problemlos: Ein Beschwerdeführer, der nicht selbst betroffen ist, kann nicht im Sinne von § 901 BVerfGG in „seinen" Rechten verletzt sein 2 3 , und wer nicht gegenwärtig 24 betroffen ist, der kann überhaupt (noch) nicht geltend machen, daß er (möglicherweise!) im Sinne von § 90 I BVerfGG in Grundrechten „verletzt" i s t 2 5 . Alles in allem sind zwar lediglich Begrifflichkeiten vertauscht worden, ohne daß dadurch Probleme als solche gelöst worden wären 2 6 . Ohne Not die Terminologie des Gesetzes zu ersetzen, ist jedoch schon prinzipiell eine der kleinen, eher undramatischen Hürden, die in ihrer Gesamtheit hin zur Rechtsunsicherheit beim juristisch nicht vorgebildeten Beschwerdeführer führen können 2 7 . Schließlich muß allerdings auf die wichtige Tatsache hingewiesen werden, daß bei der Behandlung der Beschwerdebefugnis, wie sie hier vertreten wird, der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde keine Relevanz entfaltet 2 8 . 21 So schon BVerfGE 1, 97 (102), in der die Formel des „gegenwärtigen und unmittelbaren Selbstbetroffenseins" erstmals aufgestellt wurde — aber eben nicht anhand des § 90 I BVerfGG; ebenso BVerfGE 45, 400 (412); 49, 1 (7); 63, 73 (75); 64, 1 (11); 64, 367 (375); 66, 369 (384); 70, 35 (50); 73, 40 (67); 78, 350 (354); 80, 137 (150). 2 2

BVerfG E 53, 30 (48); 63, 230 (241); 66, 39 (60); 70, 35 (49); 73, 40 (67); 81, 70

(82). 23 S o argumentiert gelegentlich sogar auch das BVerfG selbst: BVerfGE 68, 193 (205); 77, 263 (268); 79, 365 (367). W i e hier Benda/Klein, R N 484; Scherer, S. 352. 24

O b diese Komponente überhaupt § 90 I BVerfGG zu entnehmen sei, bezweifeln Gerontas, D Ö V 1982, 440 (440) und Motzer, S. 12. Diese Ansicht wird aber von Hövel, S. 22 überzeugend widerlegt. Hövel, ebenda, setzt sich auch mit der Ansicht Bettermanns (AöR 86 [1961], S. 129 [179 ff.]) auseinander, der auf die „Gegenwärtigkeit" gänzlich verzichten will, weil er auch künftige Beeinträchtigungen akzeptieren möchte. 25 E b e n s o auch Sachs, J U R A 1986, 598 (599) und Scherer, S. 354. Daß m a n u. U. schon bei Grundrechtsgefährdung „verletzt" i m Sinne des Prozeßrechts sein kann, steht dem nicht entgegen, vgl. dazu Hövel, S. 47 ff.; Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I I R N 44 und Stern, B K Art. 93 R N 555 ff. 26 S o auch Busser, S. 31; Harald Klein, FS Zeidler I I , S. 1325 (1329, 1333) und Schenke, N J W 1986, 1451 (1452, 1460); Zacher, BVerfG u. G G I , S. 396 (407), resümiert: „...die Schwierigkeiten werden durch diese Formel zugedeckt". 27

E s sei hier noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Verfassungsbeschwerde keinen Anwaltszwang kennt! 2 8 Verfehlt ist daher die von Spanner, BVerfG u. G G I, S. 374 (376) erhobene Forderung, die Beschwerdebefugnis wegen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde streng zu handhaben.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

99

Denn die Kompetenzverteilung zwischen Fach- und Verfassungsgerichtsbarkeit i m Sinne der Subsidiarität kann bei der Frage der Beschwerdebefugnis des Beschwerdeführers nicht berücksichtigt werden. Ganz i m Gegenteil führt die Ablehnung der Beschwerdebefugnis bei der Verfassungsbeschwerde — nämlich mangels Geltendmachung einer möglichen Rechtsverletzung i m Sinne des § 90 I BVerfGG — in der Regel dazu, daß der Beschwerdeführer auch vor den Fachgerichten nicht klagen kann (es sei denn, der Beschwerdeführer wäre beim Bundesverfassungsgericht nur deshalb abgewiesen worden, weil er keine Grundrechtsverletzung geltend machen konnte). Denn dort muß er j a ebenfalls ζ. B. nach § 42 I I VwGO eine mögliche Rechtsverletzung geltend machen können, woran nach Gesagtem der gleiche Maßstab anzulegen wäre. Die Beschwerdebefugnis dient eben nur dem Ausschluß der Popularklage. Wenn das Bundesverfassungsgericht seine Formel u. a. mit der Subsidiarität begründet, so ist dies nur deswegen verständlich, weil nach der Auffassung des Gerichts noch das Merkmal der „Unmittelbarkeit" dazugehört. Dieses enthält in der Tat Subsidiaritätsaspekte, auf die i m folgenden eingegangen werden soll. Trotzdem sollte nach den Regelungsbereichen von § 90 I (Beschwerdebefugnis) und I I (Rechtswegerschöpfungsgebot als Ausdruck der Subsidiarität) BVerfGG getrennt werden, so wie es das Gesetz selbst auf sinnvolle Art mit zwei eigenständigen Absätzen vorgibt 2 9 .

b) Das unmittelbare Betroffensein Nicht mehr um ein bloßes Austauschen von Begrifflichkeiten geht es beim „ d u n k l e n " 3 0 Merkmal des unmittelbaren Betroffenseins. Hier werden nämlich vom Bundesverfassungsgericht Aspekte der Beschwerdebefugnis und des Subsidiaritätsprinzips (im Sinne eines Vorranges der Fachgerichtsbarkeit 31 ) miteinander vermischt, was einer kritischen Würdigung bedarf 3 2 . 29

D a s fordert auch ausdrücklich Hövel, S. 24, 141.

30

S o Zuck, DVB1. 1985, 1049 (1049).

31 Stern, B K , Art. 93 R N 592 meint daher sogar, das Unmittelbarkeitskriterium sei „aus § 90 I I BVerfGG hergeleitet". D e m kann m a n wohl so nicht folgen, wie i m weiteren zu sehen sein wird. 32 E b e n s o Dörr, R N 137; Henseler, J U R A 1986, 249 (251). Zuck, DVB1. 1985, 1049 (1050) spricht sich daher zu Recht für eine Trennung des Unmittelbarkeitskriteriums von den beiden anderen Teilen der „bisherigen Zulässigkeitstrias" aus. Benda/Klein, R N 495 ff., 507; Kosmider, JuS 1988, 447 (448) und Sachs, J U R A 1986, 598 (600)

100

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

aa) Der der Besch werdebefugnis zuzuordnende, eher materiell-rechtliche Aspekt Auf der einen Seite geht es beim Merkmal der „Unmittelbarkeit" um die eher materiell-rechtliche Frage, ob der Beschwerdeführer schon durch den angegriffenen Hoheitsakt (ζ. B. die Norm) in seinen Rechten betroffen ist oder ob diese Betroffenheit erst durch einen noch folgenden Vollzugsakt Wirklichkeit w i r d 3 3 . Berührt mit anderen Worten erst die (ζ. B. behördliche) Umsetzung der angegriffenen Norm den Beschwerdeführer, ist die Normenverfassungsbeschwerde als solche unzulässig. Diese Überlegung geht somit mit der Frage, ob der Beschwerdeführer überhaupt schon betroffen sein kann, in eine ähnliche Richtung wie die „gegenwärtige Selbstbetroffenheit", nämlich in Richtung der Beschwerdebefugnis 34. Insoweit läßt sich dann auch die K r i t i k , die schon oben bezüglich der Außerachtlassung des § 90 I BVerfGG erhoben worden ist, hier wiederholen 35 : Denn wer nicht „unmittelbar" durch die angegriffene Maßnahme (ζ. B. eine Norm) betroffen ist, ist nicht etwa nur „mittelbar" betroffen, sondern kann im Sinne des § 90 I BVerfGG eine mögliche Verletzung durch diesen Beschwerdegegenstand überhaupt nicht „behaupten". Der Beschwerdeführer ist in diesem Fall auch nach Erlaß des Vollzugsaktes nicht etwa nun endlich „durch die Norm unmittelbar betroffen", sondern nur ζ. B. durch den behördlichen Bescheid 36 . Er kann jetzt nur in der Folge den Vollzugsakt angreifen und dabei mittelbar die Norm überprüfen lassen. An dem Potential zur materiellen, unmittelbaren Rechtsbeeinträchtigung gerade durch die Norm ändert sich durch den ergehenden Vollzugsakt aber nichts 3 7 . Daher muß schon jetzt konstatiert werden, daß das Merkmal der Unmittelbarkeit mit seinem materiell-rechtlichen Inhalt völlig entbehrlich i s t 3 8 . Die gesetzliche Regelung des § 90 I BVerfGG genügt vollauf. scheinen hingegen dem BVerfG zu folgen, zumindest werden die beiden Bereiche nicht genügend deutlich getrennt. 33 F ü r Henseler, J U R A 1986, 249 (251) liegt in dieser Bedeutung der einzige wirkliche Kontrollwert des Unmittelbarkeitserfordernisses. 34 Ähnlich schon Ridder, JZ 1968, 377 (378), allerdings mit dem synonymen Begriff „Sachbefugnis". 35 Ä h n l i c h Harald (1452). 36

E.

37

Klein,

Klein, FS Zeidler I I , S. 1305 (1309).

E b e n s o Detterbeck, 528 (529 m. F N 3). Ausführungen. 38

FS Zeidler I I , S. 1325 (1333); Schenke, N J W 1986, 1451

Präventiver Rechtsschutz, S. 227; Holtkotten, N J W 1952, Vgl. allerdings zur Vollzugsaktsproblematik die folgenden

S o auch Hövel, S. 98 ff.; Motzer,

S. 121.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

101

bb) Die eher verfahrensrechtliche Aussage des Unmittelbarkeitskriteriums Die andere Aussage des verfassungsgerichtlichen „Unmittelbarkeitskriteriums" ist eher verfahrensrechtlicher N a t u r 3 9 . Das Bundesverfassungsgericht beantwortet mit der „Unmittelbarkeit" die Frage, ob der Betroffene ζ. B. ein Gesetz direkt mit der Verfassungsbeschwerde angreifen kann oder ob er auf die fachgerichtliche Anfechtung eines noch dazwischen tretenden (behördlichen) Aktes verwiesen werden s o l l 4 0 .

aaa) Das Vollzugserfordernis und seine unpassende Verknüpfung mit der Frage der Betroffenheit Das Gericht löst dieses Problem traditionell mit seiner bekannten Aussage, daß der Beschwerdeführer nicht unmittelbar durch die angegriffene Norm betroffen sei, wenn diese noch von einer Behörde vollzogen werden müsse 41 . Dann müsse vielmehr dieser Vollzugsakt fachgerichtlich angegangen werden. Schwierigkeiten bereitet diese Rechtsprechung vor allem durch ihre dogmatische Verknüpfung von „Betroffensein" des Beschwerdeführers mit dem „Vollzugserfordernis". Immer wieder — und zwar praktisch seit den Anfangen dieser Rechtsprechung 42 — ist dem Bundesverfassungsgericht zu Recht vorgehalten worden, es verkenne die Tatsache, daß auch vollziehungsfähige bzw. -bedürftige Normen den Beschwerdeführer in seinen Rechten „betreffen" können 4 3 . Dies wird insbesondere bei „feststellenden" bzw. „normwiederholenden" Vollzugsakten deutlich: Ohne eigenen Regelungsgehalt des Verwaltungs-

39

D i e s e Doppelschichtigkeit der „unmittelbaren Betroffenheit" hat das BVerfG auch

selbst in BVerfGE 76, 107 (112 f.) der Sache nach bestätigt. 40 E b e n s o Henseler, J U R A 1986, 249 (251). 41 42 43

Siehe die Nachweise auf S. 41 ff.

S i e h e schon Holtkotten,

N J W 1952, 528 (passim).

B e t t e r m a n n , AöR 86 (1961), S. 129 (139 f.); Büsser, S. 59 ff.; Engelhardt, S. 114; Forsthoff, DVB1. 1957, 113 (116); Gerontas, D Ö V 1982, 440 (446); Henning, S. 94 f.; Hövel, S. 98 f.; Harald Klein, FS Zeidler I I , S. 1325 (1335); Kosmider, JuS 1988, 447 (448); Maurer, FS Kern, S. 275 (286); Motzer, S. 118, 126; Obermayer, V V D S t R L 18 ( I 9 6 0 ) , S. 144 (163 f., insbes. F N 68); ders., DVB1. 1965, 625 (627); Ossenbühl, Gutachten Β zum 5 0 . D J T , Β 176 f.; Pieroth, DVB1. 1974, 195 (196); Schenke, N J W 1986, 1451 (1453); Zuck, DVB1. 1985, 1049 (1050). Der Rechtsprechung folgend allerdings ζ. B. Erichsen, J U R A 1991, 638 (640); Lechner, BVerfGG, § 90 A n m . 3); Schmidt-Bleibtreu, InfStW 1978, 481 (482 f.); Stern, B K , Art. 93 R N 572; Stürner, JZ 1986, 526 (527); Weber, JuS 1992, 122 (125).

102

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

aktes bleibt die materielle Rechtslage die gleiche, so daß die rechtliche Grundrechtsberührung schon durch die Norm schwerlich zu leugnen i s t 4 4 . Aber auch sonst wird die früher anscheinend vorherrschende, am „klassischen Rechtsgesetz" 45 orientierte Vorstellung, daß jede Norm (behördlich) vollzogen werden müßte, bevor sie den Bürger rechtlich betreffen könne — mit der Folge, daß nach dieser Vorstellung Normenkontrollen als nicht gebotener, präventiver Rechtsschutz abgelehnt wurden 4 6 —, den modernen, verhaltenssteuernden Gesetzen (ζ. B. Verbots-, Maßnahme-, Planungs-, Lenkungs-, Leistungs-, aber auch Steuergesetzen) nicht gerecht 4 7 : „Die dem Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts eigentümliche Vorstellung vom Parlament als freiheitssichernder und nicht sozialgestaltender Instanz ist einer Verfassungslage gewichen, in der das Parlament zum eigentlichen politischen, weil rechtsetzend in die gesellschaftlichen Verhältnisse eingreifenden Faktor geworden i s t " 4 8 . Damit hat der Gesetzgeber in weiten Bereichen seine Distanz zum konkreten Einzelfall aufgegeben 49 . Eine Rolle bei dieser Entwicklung kann auch die vom Bundesverfassungsgericht erarbeitete „ Wesentlichkeitstheorie" spielen, da nach dieser der Gesetzgeber sogar gezwungen ist, alle grundrechtsrelevanten Fragen selbst zu regeln 50 . Schon damit steigt die Wahrscheinlichkeit einer direkten Grundrechtsbetroffenheit durch ein Gesetz. Auch unabhängig davon geben moderne Gesetze meistens selbst durch ihren Regelungsgehalt dem Bürger Rechtspflichten auf, nach denen er sein Verhalten aus rechtlichen oder wirtschaftlichen Gründen ausrichten

44 S o zu Recht Hövel, S. 98 f.; Stern, FS H. Schäfer, S. 59 (65). Schneider, A ö R 89 (1964), S. 24 (30) meint, daß — bestehe der Vollzugsakt in der Ablehnung eines Antrages — dieser dem Bürger bescheinige, daß das Gesetz seinem Antrag entgegenstehe und daß „er vom Gesetz von Anfang an betroffen war" (Hervorhebung i m Original). 45

Henseler, J U R A 1986, 249 (252); Ossenbühl, Gutachten Β z u m 50. D J T , Β 176.

4 6

Das ist das Ergebnis der Untersuchung der Einstellung des Verfassungsgesetzgebers von Obermayer, DVB1. 1965, 625 (627). 47 S o auch Harald Klein, FS Zeidler I I , S. 1325 (1326, 1335); Ossenbühl, Gutachten Β zum 50. D J T , Β 176; Schenke, N J W 1986, 1451 (1453); Schmidt-Aßmann, in: M a u n z Dürig, G G , Art. 19 I V R N 93 spricht von normstrukturellen Verschiebungen in den letzten Jahrzehnten. Vgl. auch schon Bettermann, AöR 86 (1961), S. 129 (139); Maurer, FS Kern, S. 275 (281 ff.) und Scherer, S. 298. 4 8

Wassermann, A r t . 19 I V R N 37; ähnlich auch Schenke, N J W 1986, 1451 (1451).

49

Henseler t J U R A 1986, 249 (252) belegt ausführlich das gewandelte Verständnis bezüglich Rechtsnormen mit vielen Nachw. in den F N 43 ff.; ebenso Henning, S. 5; Schenke, B K , Art. 19 Abs. 4 R N 257. 50 Z u m Beispiel BVerfGE 61, 260 (275); auf diesen Zusammenhang weist Gerontas, D Ö V 1982, 440 (444) hin.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

103

m u ß 5 1 , oder sie verändern „kraft Gesetzes" den Status von Sachen 52 und Personen 53 . Etwa folgende Vollzugsakte betreffen den Bürger in diesen Fällen dann zwar auch 5 4 , lassen aber nicht — etwa nachträglich — die eigenständige Rechtsrelevanz der Norm entfallen. Dabei soll nicht geleugnet werden, daß manche Gesetze Rechtspositionen von Bürgern noch nicht selbst berühren. Das ist jedoch eine im Einzelfall anhand des materiellen Regelungsgehalts dieser Norm festzustellende Frage, die von der Vollzugsbedürftigkeit der Norm zunächst einmal zu trennen i s t 5 5 . Insbesondere nicht überzeugend 56 ist die vom Bundesverfassungsgericht vertretene Ansicht, daß es auf die „nach der tatsächlichen Verwaltungspraxis" 57 übliche Vollzugsbedürftigkeit ankäme. Würde man diese Formulierung wirklich ernst nehmen, müßte man bei der Frage, ob der Beschwerdeführer durch eine Norm betroffen ist, auf die u . U . regional unterschiedliche (!) Verwaltungspraxis abstellen. Das hieße im Ergebnis, daß über das Unmittelbarkeitskriterium u. a. rechtlich kaum greifbare Verwaltungsinterna die Zugangsvoraussetzungen zum Verfassungsorgan Bundesverfassungsgericht determinieren würden.

51

Ebenso Lorenz, S. 154. So ist wohl auch Henseler, J U R A 1986, 249 (252), zu verstehen. Interessanterweise war auch bei den Gesetzesberatungen 1951 der Abgeordnete Wahl dafür, daß schon die Begründung einer Verpflichtung in einem Gesetz einen Rechtsnachteil für den Einzelnen darstelle und diesen daher zur Verfassungsbeschwerde berechtige. D e m stimmten der Vors. Laforet und der Abgeordnete Arndt zu; vgl. die wörtliche Wiedergabe des Stenoprotokolls bei Holtkotten, N J W 1952, 528 (529 in der F N 6). 52

A l s besonders einleuchtendes Beispiel sei hier der Bebauungsplan als öffentlichsachenrechtliche Zustandsregelung genannt, der dem durch Art. 14 G G geschützten Grundstückseigentum eine neue Qualität verleiht. Sein Potential, unmittelbar die Rechtsstellung des Eigentümers zu betreffen, ist trotz diverser Vollzugsmöglichkeiten (Baugenehmigung, Vorbescheid, usw.) inzwischen auch vom BVerfG anerkannt: BVerfGE 70, 35 (52 f.); 79, 174 (188). Ebenso Henseler, J U R A 1986, 249 (253); Kosmider, JuS 1988, 447 (448); Schenke, Rechtsschutz, S. 40; ders., DVB1. 1985, 1367 (1367); Stern, FS H. Schäfer, S. 59 (65). 5 3 Obermayer, DVB1. 1965, 625 (627) mit Beispielen. Ebenso Ossenbühl, Gutachten Β zum 50. D J T , Β 176 zu Planungsgesetzen: „Hier wird mit jeder Konkretisierungsstufe der Planung die Rechtsposition des Bürgers ausgeformt und 'eingekreist'" (Anführung i m Original). Ahnlich wohl auch Stern, FS H. Schäfer, S. 59 (65). 54

S o auch schon Holtkotten,

N J W 1952, 528 (529).

55

I m Ergebnis wie hier Gerontas, D Ö V 1982, 440 (446); Henning, S. 94 f.; Henseler, J U R A 1986, 249 (252); Harald Klein, FS Zeidler I I , S. 1325 (1335); Motzer, S. 118, 126; Raschauer, D Ö V 1976, 698 (703). 56

K r i t i s c h auch Schenke, N J W 1986, 1451 (1453).

5 7

BVerfG E 72, 39 (43); Hervorhebung nur hier. St. Rspr. seit BVerfGE 1, 97 (102).

104

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

bbb) Anhaltspunkte gegen das Vollzugserfordernis (neueren) Rechtsprechung des Gerichts

in der

Interessanterweise mußte auch schon das Bundesverfassungsgericht relativ früh feststellen, daß man zu untragbaren Ergebnissen gelangt, wenn nur auf die behördliche Vollziehbarkeit einer Norm abgestellt wird. So hat das Gericht schon frühzeitig „ausnahmsweise" die Verfassungsbeschwerde direkt gegen vollziehungsbedürftige bzw. -fähige Normen vor Erlaß des Vollzugsaktes zugelassen, wenn das Gesetz die Normadressaten bereits gegenwärtig zu später nicht mehr korrigierbaren Entscheidungen zwingt, sie schon jetzt zu Dispositionen veranlaßt, die nach dem späteren Gesetzesvollzug nicht mehr nachholbar s i n d 5 8 oder die Vollzugsakte aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht anfechtbar s i n d 5 9 . Die Frage sei erlaubt, ob dies wirklich ein „Ausnahmefall" ist, wie das Gericht m e i n t 6 0 . Meines Erachtens ist in der heutigen Zeit, in der schon aus wirtschaftlichen Gründen Gesetzesneuerungen häufig schon frühzeitig „erahnt" werden müssen, will man keinen Verlust durch verspätete Umstellung erleiden, die genannte Konstellation zwar vielleicht nicht gerade die Regel, aber ein nicht zu unterschätzender „Normalfall" — keineswegs aber eine Seltenheit. Jedenfalls erkennt das Gericht schon hier der Sache nach prinzipiell an, daß abstrakt-generell gefaßte Legislativakte konkret in die Grundrechtssphäre des Bürgers eindringen können 6 1 . Auch die zunächst recht einleuchtende Ausnahme, daß es einem Bürger nicht „zuzumuten" sei, einen Vollzugsakt abzuwarten, wenn er dabei eine Strafe oder Buße riskiere 6 2 , erweist sich bei näherer Betrachtung als dogmatisch nicht ganz sattelfest: Die Strafe oder Buße vollzieht nämlich gar nicht die Ge- oder Verbotsnorm (z. B. § 3 StVO) als solche, sondern die mit diesem Ge- oder Verbot verknüpfte Sanktionsnorm (im Beispiel den § 49 Nr. 3 S t V O ) 6 3 . Das Ge- oder Verbot besteht vielmehr schon durch seine normative Anordnung seit Inkrafttreten des Gesetzes und engt seitdem den Betroffenen in seinen rechtlichen Handlungsmöglichkeiten ein. 5 8

BVerfG E 43, 291 (386); 60, 360 (372).

5 9

BVerfG E 6, 290 (295); 30, 1 (18).

60

D a s bezweifelt auch Henseler, J U R A 1986, 249 (252). Vgl. schon Bachof, A o R 86 (1961), S. 186 (192). 61

Das diagnostiziert auch Harald Klein, FS Zeidler I I , S. 1325 (1335).

6 2

Vgl. die Nachw. oben auf S. 45 in F N 22.

63

S o zu Recht Obermayer, S. 59 (66).

DVB1. 1965, 625 (627). Zustimmend Stern, FS H. Schäfer,

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

105

Nur die Sanktionsnorm als solche ist „vollzugsbedürftig" und entwickelt bei Vollziehung eine zusätzliche Beschwer 64 . Dann ist es aber kein „Zumutbarkeitsproblem", wenn ein Beschwerdeführer gegen das gesetzliche Verbot vorgehen w i l l 6 5 . Er ist beschwerdebefugt, weil er — selbst mit der Begrifflichkeit des Bundesverfassungsgerichts — „unmittelbar betroffen" durch das Gebot ist; zur Zumutbarkeitsebene kommt man hier 6 6 gar nicht. Auch hier ist aber dem Gericht zugutezuhalten, daß es intuitiv wiederum durch Einräumung dieser „Ausnahme" einen Fall der normativen Betroffenheit i m Ergebnis richtig behandelt. Diese Tendenz in die richtige Richtung wird durch die schon angesprochene, leider nicht konsequent verfolgte neuere Spruchpraxis des Zweiten Senates verstärkt, nach der das Vollzugserfordernis nur ein „Indiz" für die fehlende unmittelbare Betroffenheit darstelle, welches bei Vorliegen geeigneter Anhaltspunkte entkräftet werden könne 6 7 . Auch das Bundesverfassungsgericht will somit vermehrt auf eine Einzelfallprüfung des Wirkungspotentials der betreffenden Norm abstellen 6 8 . Befürchtungen, daß sich das Bundesverfassungsgericht mit dieser „Liberalisierung" eines vormals rigiden Zulässigkeitsmerkmals nicht nur die Grundlage für eine wünschenswerte Einzelfallprüfung, sondern auch Interpretationsfreiräume i m Sinne zugangssteuernden Richterrechtes 69 schaffen

64

So i m Ergebnis wohl auch Dörr, R N 137 und Lorenz, S. 154.

65

D a ß ein Bf. nur gegen die (vollzugsbedürftige) Sanktionsnorm — etwa wegen zu hoher Strafandrohung — vorgehen will, dürfte in Anbetracht der in diesen Normen üblicherweise vorgesehenen weiten Spielräume eher unwahrscheinlich sein und lag auch keinem der entschiedenen Fälle des BVerfG zugrunde. 66 S o viel zur Betroffenheit: Eine ganz andere Frage ist es, ob man den Zumutbarkeitsgedanken später noch einmal benötigt, wenn es u m die Frage geht, ob der Bf. auf den fachgerichtlichen Rechtsweg verwiesen werden kann. 67 Z u m Beispiel BVerfGE 70, 35 (51): Planungsgesetze als unmittelbar betreffende Norm (in Abkehr von BVerfGE 31, 364 (369), die heftig kritisiert worden war; siehe nur Ossenbühl, Gutachten Β zum 50. D J T , Β 177). Zu BVerfGE 70, 35 ff. siehe ausführlich unter anderem Aspekt S. 158 ff. Ebenso richtig BVerfGE 71, 305 (336). I n beiden Entscheidungen wird auch genau zwischen Betroffenheit und Rechtswegerschöpfung getrennt; diesen Entscheidungen stimmt ζ. B. Schenke, N J W 1986, 1451 (passim) nachdrücklich zu. 68 D a s ist auch das Ergebnis der Urteilsbesprechung von Henseler, J U R A 1986, 249 (252). Positiv bewerten diese Entwicklung ζ. B. Bartlsperger, DVB1. 1967, 360 (368 f.); Schenke, N J W 1986, 1455. Kritisch aber anscheinend Benda/Klein, R N 511. 69

S o auch Zuck, JZ 1985, 1049 (1050).

106

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

will, sind zwar recht pessimistisch, angesichts der Erfahrungen mit der Subsidiaritätsrechtsprechung aber auch nicht völlig von der Hand zu weisen 70 . Insbesondere die Formulierungen, nach denen das Unmittelbarkeitskriterium ein Begriff des „Verfassungsprozeßrechts" sei (was sonst?) und folglich „ i m Lichte der Funktion der Verfahrensordnung zu erfassen i s t " 7 1 , lassen darauf schließen, daß es sich das Bundesverfassungsgericht als „Herr des Verfahrens" 72 vorbehalten will, weiterhin entsprechend flexible „authentische Interpretationen" vorzunehmen 73 . Dabei können die genannten Formulierungen ohnehin nicht überzeugen: Der Inhalt des Rechtsbegriffs der unmittelbaren Betroffenheit läßt sich nicht aus der (dienenden) Funktion des Verfassungsprozeßrechts — Lenkung der Entscheidungsfindung des Bundesverfassungsgerichts in geordnete, rechtsstaatliche Bahnen — erschließen, sondern nur aus der Funktion, die dem Unmittelbarkeitserfordernis selbst innerhalb des Verfassungsprozeßrechts zufällt 7 4 .

cc) Trennung des Betroffenseins im Sinne der Besch werdebefugnis vom Erfordernis der Rechtswegerschöpfung Hat man sich nun zu der Erkenntnis vorgearbeitet, daß auch vollzugsbedürftige und -fähige Normen die Grundrechtssphäre des Beschwerdeführers betreffen können, so muß dies nicht unbedingt eine Erhöhung der Zahl der zuzulassenden „direkten" Normenverfassungsbeschwerden bedeuten, wie dies das Bundesverfassungsgericht anscheinend befürchtet. Das wäre nämlich nur dann der Fall, wenn es kein Instrument gäbe, daß den Bürger trotz seiner Beschwerdebefugnis zunächst — entsprechend der Kompetenzverteilung zwischen Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit 70 Befürchtungen äußern insbes. E.Klein, FS Zeidler I I , S. 1305 (1309 f.) und Kahlke, Z Z P 101 (1988), S. 1 (7), der meint, daß Gericht wolle sich die Definition des Begriffes der „unmittelbaren Betroffenheit" weiterhin unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensnützlichkeit offen halten. Schenke, DVB1. 1985, 1367 (1367) konstatiert zumindest einen Verlust an „Griffigkeit und Konturenschärfe", worin ihm Kosmider, JuS 1988, 447 (448) zustimmt. 71

Z u m Beispiel BVerfGE 71, 305 (335); 73, 40 (68 f.).

72

Daß das BVerfG sich durch das von ihm beanspruchte Auslegungsmonopol bezüglich des Verfassungsprozeßrechts eine „Kompetenz-Kompetenz" gesichert habe, wie Kahlke, Z Z P 101 (1988), S. 1 (6 m. F N 34) meint, geht m . E. allerdings zu weit. 73 74

P o s i t i v wird dies bewertet von Harald Klein, FS Zeidler I I , S. 1325 (1337).

S o ausdrücklich Henseler, J U R A 1986, 249 (251). Auch Schiaich, R N 231 fragt sich zu Recht, was die genannten Formulierungen des BVerfG an inhaltlicher Klarstellung des Unmittelbarkeitsbegriffs bringen sollen.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

107

— auf den einfachen Rechtsweg verweisen kann. Zwar will das Bundesverfassungsgericht schon beim Unmittelbarkeitserfordernis das Subsidiaritätsprinzip berücksichtigen, indem es den Beschwerdeführer auf die Anfechtung des Vollzugsaktes ζ. B. vor dem Verwaltungsgericht verweist. Die Aufgabenverteilung zwischen Fach- und Verfassungsgerichtsbarkeit hat jedoch mit der Besch werdebefugnis, die dem Ausschluß der Popularklage dient, nichts zu tun und sollte daher deutlich von allen Fragen der „Betroffenheit" getrennt werden. Daß der von einer Norm betroffene — und damit i m Sinne von § 90 I BVerfGG beschwerdebefugte — Bürger gleichwohl zunächst vor die Fachgerichtsbarkeit ziehen muß, d. h. also den Rechtsweg gegen einen etwaigen Vollzugsakt erschöpfen muß, wenn er dort ausreichenden fachgerichtlichen Rechtsschutz erlangen kann, ergibt sich vielmehr aus § 90 II 1 BVerfGG 75. Erst bei dieser Zulässigkeitsvoraussetzung wird somit die Stellung der Verfassungsbeschwerde als „ u l t i m a ratio" und „außerordentlicher Rechtsbehelf'' zu berücksichtigen sein 7 6 . Ob der Beschwerdeführer über den Instanzenzug ausreichenden Rechtsschutz erhalten kann, ist natürlich i m Einzelfall dann zu prüfen. Jedenfalls geht das Bundesverfassungsgericht vom Ergebnis her in die gleiche Richtung 7 7 , da es in der Vergangenheit Normenverfassungsbeschwerden vor allem dann trotz Vollzugsfähigkeit bzw. -bedürftigkeit zugelassen hat, wenn sich die Beeinträchtigungen auf dem Rechtsweg nicht beseitigen ließen 7 8 , also kein ausreichender zumutbarer Rechtsschutz zu erhalten war. In diesen Fällen waren aber nach der Definition des Gerichtes die Beschwerdeführer eigentlich wegen Vollzugsbedürftigkeit gar nicht „unmittelbar betroffen". Nur wäre eine Verweisung auf den Rechtsweg aus rechtsstaatlicher Sicht wegen vorherzusehender Ergebnislosigkeit unzumutbar gewesen.

75 S o i m Ergebnis auch Bettermann, A ö R 86 (1961), S. 129 (139 ff.); Dörr, R N 137; Henseler 1986, 249 (251); Pieroth, DVB1. 1974, 195 (196) und auch Stern, B K , A r t . 93 R N 592, der zugibt, daß auch gegen bloße Anwendungsakte — bei denen die zugrundeliegende Norm also selbst schon den Bürger „unmittelbar betrifft" — der Rechtsweg eröffnet ist. Siehe auch Scherer, S. 358, die das Unmittelbarkeitskriterium damit verteidigen will, daß ansonsten eine Umgehung des § 90 I I 1 BVerfGG drohe. Schneider, AöR 89 (1964), S. 24 (30 f.) gibt immerhin zu, daß das Kriterium der Unmittelbarkeit insoweit auf „Erwägungen der Zweckmäßigkeit" beruhe, nach denen aber auch das Rechtswegerschöpfungsgebot konzipiert sei. 76 S o trennen ζ. B. auch BVerfGE 68, 319 (325 f.) und BVerfGE 84, 90 (113, 116) sauber zwischen Betroffenheit und anderweitiger Rechtsschutzmöglichkeit — leider unter dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde. 77 78

Z u m gleichen Ergebnis kommt Schenke, N J W 1986, 1451 (1453). Vgl. die Beispiele oben die Nachw. auf S. 44 ff.

108

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß es sogar bei nichtvollziehbaren — und deshalb den Bürger i m Sinne der bundesverfassungsgerichtlichen Judikatur eigentlich unmittelbar betreffenden — Normen in gleicher Weise wie bei „vollziehbaren" Normen Möglichkeiten für den Bürger geben kann, erst einmal fachgerichtlichen Rechtsschutz wahrzunehmen 79 . Als Beispiel sei nur der Fall der gesetzlich angeordneten Zwangsmitgliedschaft in einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft genannt, gegen die man sich durchaus mit einer negativen Feststellungsklage an das Verwaltungsgericht wenden kann. Auch hier wird also deutlich, daß mit der Feststellung der (Nicht-)Vollziehbarkeit einer Norm für die Frage der Verweisung auf den Rechtsweg in keine Richtung etwas gewonnen ist. Die Prüfungspunkte der „Betroffenheit" und der Rechtswegerschöpfung sind somit wegen ihrer inhaltlichen Unabhängigkeit strikt zu trennen. Prinzipiell muß der „Jedermann" beschwerdebefugt sein und auch den Rechtsweg erschöpft haben. Von letzterem mag das Gericht ζ. B. gemäß § 90 I I 2 BVerfGG absehen, bei ersterem ist dies nicht möglich (keine Popularklage!). Daher kann auch nicht die Unzumutbarkeit der Rechtswegbeschreitung eine fehlende Betroffenheit ersetzen, wie man manchmal bei der Lektüre bundesverfassungsgerichtlicher Entscheidungen den Eindruck haben könnte. Daß § 90 I I 1 BVerfGG insbesondere auch bei Normenverfassungsbeschwerden gilt, wird noch herauszuarbeiten sein; eine Übernahme seiner Aufgaben durch ein „Unmittelbarkeitskriterium" — mit noch dazu ungenauen Konturen — ist nicht erforderlich.

Zwischenergebnis Die Formel des gegenwärtigen und unmittelbaren Selbstbetroffenseins sollte aufgegeben werden: Sie bringt gegenüber der in § 90 I BVerfGG geregelten Beschwerdebefugnis keine zusätzliche Klarheit. Der Ausschluß der Popularklage ist durch diese Norm bereits gewährleistet, da der Beschwerdeführer nach ihr (1.) geltend machen muß, (2.) in seinen (3.) Grundrechten (4.) verletzt zu sein. Mehr wird auch nicht für die Klagebefugnis i m Sinne des § 42 I I VwGO gefordert. Die Vollziehungsproblematik, die das Bundesverfassungsgericht außerdem noch in das Unmittelbarkeitserfordernis packt, hat überwiegend mit 79

E b e n s o Schenke, N J W 1986, 1451 (1460 f.).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

109

der Besch werdebefugnis nichts zu tun. Zu Recht wird insbesondere die Verknüpfung des Normvollzugs mit der Frage der Betroffenheit durch die Norm als ungeeignet kritisiert. Ob eine Norm den Bürger i m Sinne der Besch werdebefugnis betrifft, hängt zunächst einmal vom materiellen Regelungsgehalt dieser Vorschrift, nicht aber von der Frage ab, ob noch weitere Vollzugsakte zu erwarten sind. Die Existenz von (zu erwartenden) Vollzugsakten eröffnet aber in der Regel einen Rechtsweg i m Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG und damit eine Möglichkeit, um ausreichenden Rechtsschutz ohne Anrufung des Bundesverfassungsgerichts zu erlangen. Dies ist jedoch kein Problem der Beschwerdebefugnis (oder der „Betroffenheit" i m Sinne der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung), sondern erst eine Frage der Zulässigkeitsvoraussetzung „Rechtswegerschöpfung" auf dem Hintergrund des Subsidiaritätsgedankens.

3. Das Rechtswegerschöpfungsgebot des § 90 I I 1 B V e r f G G Es wurde bereits hervorgehoben, daß das Bundesverfassungsgericht überwiegend davon ausgeht, daß das Rechtswegerschöpfungsgebot des § 90 I I 1 BVerfGG der positivrechtliche Ausgangspunkt des Subsidiaritätsgrundsatzes ist 1 . Es mußte jedoch auch schon festgestellt werden, daß das Bundesverfassungsgericht dem Subsidiaritätsprinzip inzwischen eine Bedeutung gegeben hat, die es zu einem selbständigen Zulässigkeitsmerkmal der Verfassungsbeschwerde hat avancieren lassen. Weiterhin wurde bereits diagnostiziert, daß diese Verselbständigung des normativ nicht ausdrücklich geregelten Subsidiaritätsgedankens schon bei der Frage nach der Rechtsgrundlage Schwierigkeiten macht 2 . Es soll daher untersucht werden, ob nicht mit einer problemgerechten Handhabung des § 90 I I 1 BVerfGG die Rechtsschutzzone der Verfassungsbeschwerde ausreichend determinierbar i s t 3 . Dabei darf der Grundgedanke der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde als Auslegungsdirektive zwar — möglichst ohne Rechtsschutzverlust für die Betroffenen — nicht aus den Augen verloren werden. Ein Rückgriff auf eine praeter legem entwickelte Zulässigkeitsvoraussetzung ist jedoch insoweit entbehrlich 4 — und dog1 2

Siehe oben S. 41. Siehe oben S. 82 fT.

3 Auch Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I R N 12 bezweifelt die eigenständige Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips angesichts der Möglichkeiten, die der flexible Rechtswegbegriff bietet. 4

S o auch Schenke, N J W 1986, 1451 (1456).

110

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen R e c h t s p r e c h g

matisch wenig angebracht —, wenn schon die genannte positivgesetzliche Regelung einschlägig ist. In den Punkten, in denen die vom Bundesverfassungsgericht dem allgemeinen Subsidiaritätsprinzip mitgegebenen Inhalte nicht mehr unter § 90 I I 1 BVerfGG subsumierbar sind, stellt sich dann jeweils die Frage, ob dieser Rechtsprechung überhaupt noch gefolgt werden kann.

a) Der Rechtswegbegriff

im allgemeinen

Unproblematisch und dem Normzweck des § 90 I I 1 BVerfGG entsprechend ist zunächst einmal die Einstellung des Gerichts, daß nicht nur gesetzlich vorgesehene Instanzenzüge, sondern auch gesetzlich vorgesehene 5 Rechtsbehelfe ohne Devolutiveffekt (z. B. §§ 33 a, 311 a, 410 StPO, §§ 67 ff. OWiG, §§ 694 I, 924 I, 936 ZPO, usw. 6 ) einen „Rechtsweg" i m Sinne des Verfassungsprozeßrechts darstellen können. Denn für die Stellung der Verfassungsbeschwerde als ultima ratio ist es gleichgültig, ob die Grundrechtsverletzung von der gleichen oder nächsthöheren Instanz effektiv beseitigt werden kann 7 . Es kommt vielmehr nur darauf an, daß in einem gesetzlich ausgestalteten Verfahren für den Beschwerdeführer die Möglichkeit besteht, die Rechtsverletzung mit Aussicht auf Erfolg anzugreifen. Ebenfalls unbedenklich unter diesem Gesichtspunkt ist es, die Vorverfahren der §§ 68 VwGO, 78 SGG mit zum Rechtsweg zu zählen. Zwar wird unter Rechtsweg normalerweise „Gerichtsweg" verstanden 8 ; die genannten Verfahren führen jedoch i m Endeffekt auf ein Gericht hin und sind daher keine reinen Behördenwege 9. Bei diesen Punkten hält sich das Bundesverfassungsgericht i m Rahmen des § 90 I I 1 BVerfGG, so daß der Rechtsprechung insoweit gefolgt werden kann. Insbesondere werden an den Beschwerdeführer keine übermäßigen Anforderungen gestellt, da von ihm nur die Befolgung gesetzlich festgeleg5

S o ausdrücklich BVerfGE 67, 157 (170). Ebenso Leibholz/Rupprecht, Die Relevanz dieser Aussage wird sich noch zeigen. 6 V g l . die Nachw. bei Schmidt-Bleibtreu, fassungsbeschwerde, R N 619 ff.

§ 90 R N 79.

BVerfGG, § 90 R N 195 ff. und Zuck, Ver-

7

S o auch Henschel, FS Faller, S. 165 (166).

8

Siehe nur Gusy, Verfassungsbeschwerde, R N 134.

9 S o i m Ergebnis auch Gusy, Verfassungsbeschwerde, R N 134; Leibholz/Rupprecht, § 90 R N 79; Schneider, Z Z P 79 (1966), S. 1 (12); Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 618 m . Hinw. auf BVerfGE 67, 157 (170) in F N 17.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

111

ter Vorgaben abverlangt wird, die als geschriebenes Recht „offenkundig" sind 1 0 .

b) Sorgfalt

bei der Erschöpfung des Rechtsweges aa) Allgemein

Das Bundesverfassungsgericht hat aus dem Subsidiaritätsgrundsatz gefolgert, daß gegen die geltend gemachte Rechtsverletzung alle nicht offensichtlich unzulässigen 11 fachgerichtlichen Rechtsbehelfe vollständig und rechtzeitig ausgenutzt werden müssen, will der Beschwerdeführer nicht die Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde riskieren 1 2 . Der Beschwerdeführer muß also sorgfältig zur richtigen Zeit die richtigen Verfahrensschritte einleiten und darf diese auch nicht etwa nur unvollständig verfolgen 13 oder sie gar wieder zurücknehmen 14 . Dabei richtet sich die vom Beschwerdeführer zu fordernde Sorgfalt bezüglich der Beibringung von Tatsachen und Beweismitteln nach den jeweiligen Prozeßordnungen 15 , bzw. insbesondere nach der Frage, ob der Amtsermittlungs-/Untersuchungs-/Inquisationsgrundsatz (z. B. S t P O 1 6 , V w G O 1 7 ) oder der Beibringungs-/Verhandlungsgrundsatz ( Z P O 1 8 ) g i l t 1 9 . Gelegentlich ist allerdings der gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erhobene Vorwurf zu hören, „ein 'Grundsatz', nach welchem der Nichtgebrauch von Rechtsbehelfen überhaupt 'vorwerfbar' wäre und außer den dem Gesetz zu entnehmenden Rechtsfolgen ganz allgemein 10

I n diesem Zusammenhang sei daraufhingewiesen, daß das BVerfG leider nicht sehr oft auf die Relevanz der gesetzlich zugelassenen Rechtsmittel abstellt; vgl. hierzu schon Kahlke, Z Z P 101 (1988), S. 1 (6 m. F N 28). 11

BVerfGE 68, 376 (380 ff.). Dazu noch genauer S. 127 ff.

12

V g l . BVerfGE 22, 287 (290); 42, 252 (257); 78, 58 (68). Zustimmend z. B. auch Benda/Klein, R N 533; Lechner, BVerfGG, § 90 Abs. 2 Anm. 1 b). 13 Z u m Beispiel muß er im Fachprozeß argumentativ voll die von der gegnerischen Seite vorgebrachten Einlassungen berücksichtigen, BVerfGE 79, 174 (190). 14

Siehe dazu auch Pestalozzi

VerfprozeßR, § 12 I I R N 47 f.

15

Bender, AöR 112 (1987), S. 169 (177): „§ 90 Abs. 2 inkorporiert als Blankettnorm die fachgerichtlichen Verfahrensordnungen als Maßstab für die Zulässigkeit der konkreten Verfassungsbeschwerde". 16 17

Dazu Roxi η, Strafverfahrensrecht, § 15. D a z u Schmitt Glaeser, R N 540 ff.

18

D a z u Schellhammer,

19

S o auch Bender, AöR 112 (1987), S. 169 (185 f.).

R N 340.

112

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

weitere Rechtsnachteile mit sich brächte, (wäre) schlechthin rechtsstaatswidrig"20. Dies kann jedoch aus folgenden Gründen nicht überzeugen. Erstens ist der Rechtsnachteil im Gesetz geregelt: Die Verfassungsbeschwerde kann gemäß § 90 I I 1 BVerfGG nicht erhoben werden, wenn der Rechtsweg nur „beschritten", nicht „erschöpft" ist. Nur dieses Verständnis entspricht sowohl Wortlaut als auch dem Willen des Gesetzgebers des BVerfGG: „Erschöpft ist der Rechtsweg nur, wenn der Bf. von allen zulässigen Rechtsmitteln Gebrauch gemacht hat und sie nicht aus formellen Gründen zurückgewiesen w u r d e n " 2 1 . Damit dürfte der Gesetzgeber unzweideutig zum Ausdruck gebracht haben, daß der Beschwerdeführer alles ihm mögliche tun muß, damit das Fachgericht überhaupt in der Sache selbst entscheiden kann 2 2 . Zweitens erscheint es m. E. als zweifelhaft, daß das Rechtsstaatsprinzip tatsächlich verlangen soll, daß demjenigen, der den vom Rechtsstaat j a immerhin zur Verfügung gestellten Instanzenzug nicht sachgerecht ausnützt, auf jeden Fall ein weiteres (außerordentliches) Forum zur Verfügung gestellt werden müsse. Die Verfassungsbeschwerde ist eben kein Rechtsbehelf, der wahlweise neben den anderen Verfahrensarten steht, was dann aber auch bedingt, daß Versäumnisse i m Fachgerichtsprozeß nicht durch Einlegung der Verfassungsbeschwerde „geheilt" werden dürfen. Abschließend sei noch bemerkt, daß es so neu nicht ist, daß Verfahrensergebnisse einer Gerichtsbarkeit präjudiziell für ein Verfahren in einer anderen Gerichtsbarkeit sind. Man denke nur an die Tatbestandswirkung von Strafurteilen für die Beurteilung persönlicher Eigenschaften i m Berufsund Gewerberecht (z. B. § 35 I I I G e w O ) 2 3 . Auch in diesen Fällen schlagen Versäumnisse im früheren Prozeß u. U. auf das folgende Verfahren durch. Allerdings wird dem Bundesverfassungsgericht vorgeworfen, es lege bei der vom Beschwerdeführer zu beobachtenden Sorgfalt des öfteren zu strenge Maßstäbe an, da dem Betroffenen „Auslotungen zugemutet (würden), welche man getrost als verfahrensrechtliche Pioniertätigkeit" bezeichnen könnte 2 4 . 20 Ridder, JZ 1968, 377 (378); Anführungen i m Original. Motzer, S. 47 f. 21

Dagegen schon zu Recht

G e s . - E n t w . BReg. 28.3.1950, B T - D r s . 1/788 S. 35.

22

S o zu Recht auch Scherer, S. 131.

23

S i e h e weitere Beispiele bei Bender, AöR 112 (1987), S. 169 (175).

24 K a h / k e , Z Z P 101 (1988), S. 1 (8), allerdings — wie so oft — ohne Nachw. auf konkrete Falle. Der Vorwurf taucht aber auch bei Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 623 auf.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

113

Sicher ist es richtig, daß dem Beschwerdeführer inzwischen einiges abverlangt wird, will er sein Recht durchsetzen. I m Grundsatz ist jedoch zu berücksichtigen, daß die Existenz der Verfassungsbeschwerde dem Beschwerdeführer weder sein allgemeines Prozeßrisiko nehmen soll; denn gäbe es keine Verfassungsbeschwerde wäre j a für den seine fachgerichtlichen Möglichkeiten nicht voll ausnützenden Bürger auch die Sache verloren. Noch kann man pauschal der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts den Vorwurf der Bürgerfeindlichkeit machen. Bis auf die i m folgenden zu untersuchenden „krassen" Fälle — die ζ. T . aber nun wirklich Anlaß zu heftiger Kritik an den Sorgfaltsanforderungen für den Beschwerdeführer geben — kann zumindest ex p o s t 2 5 eine verfahrenssystematisch angemessene Konsequenz und Logik überwiegend nicht bestritten werden.

bb) Das „Problem" der Verlagerung des Verfassungsrechtsschutzes in die Fachgerichtsbarkeit aaa) Allgemein Wenn das Bundesverfassungsgericht fordert, daß der Beschwerdeführer bei der Inanspruchnahme fachgerichtlichen Rechtsschutzes eine gewisse Sorgfalt an den Tag legen soll, so geschieht dies i m Bewußtsein, daß bei ordnungsgemäßem Verfahrensverlauf schon im Instanzenzug Grundrechtsverletzungen verhindert oder beseitigt werden können. Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht mehrfach Gelegenheit festzulegen, was die Fachgerichte insoweit im Sinne der „grundgesetzlichen Kompetenzverteilung" zu leisten haben. Zu diesen Aufgabenzuweisungen an die Fachgerichte gehört ζ. B. die Feststellung, daß es nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts sondern der Instanzgerichte sei, einfachrechtliche Bestimmungen auszulegen und damit eventuell schon durch teleologische Ausrichtung kritischer Normen auf das Grundgesetz verfassungswidrige Zustände zu vermeiden 26 . Das setzt natürlich auch eine inzidente Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der anzuwendenden Norm voraus. Wenn dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedoch vorgeworfen wird, sie bewirke „tatsächlich neue und originäre Zuständigkeiten für die Fachgerichte" 27 „abweichend von der ursprünglichen Vorstellung 2 5 I n den Fällen, in denen der Bf. die Rechtsprechung nicht vorhersehen konnte, läßt das Gericht i. d. R. über das Vehikel der „Zumutbarkeit" „Gnade vor Recht" ergehen.

*«So z. B. BVerfGE 7, 198 (205). Siehe zu dieser Kompetenzverteilung aber noch später S. 127 und S. 138 f. 27

Kahlke,

8 Wannke

Z Z P 101 (1988), S. 1 (4).

114

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

des Gesetzgebers" 28 , so kann dem in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden. Unstreitig ist zwar, daß die Kompetenzabgrenzungen zwischen Fachund Verfassungsgerichtsbarkeit nicht i m Detail positivgesetzlich ausformuliert sind, was gerade zu den hier zu behandelnden Problemen führt. Es gibt jedoch genügend — auch verfassungsrechtliche — Vorschriften, aus denen sich entnehmen läßt, daß die Fachgerichte verfassungsrechtlich orientiert arbeiten müssen, mit anderen Worten Grundrechtsschutz zu gewährleisten verpflichtet sind: Zum Beispiel verpflichtet Art. 20 I I I GG alle Gerichte auf Gesetz und Recht und damit u. a. auf die Verfassung 29 . Des weiteren setzt Art. 100 I GG für die Richtervorlage voraus, daß das vorlegende Gericht von der Verfassungswidrigkeit der betreffenden Norm „überzeugt" i s t 3 0 . Dies bedingt schon denknotwendig eine fachgerichtliche (inzidente) Überprüfung der Norm — was allerdings am Verwerfungsmonopoi des Bundesverfassungsgerichts für formelle Gesetze nichts ändert. Schließlich ergibt sich eben auch aus dem Rechtswegerschöpfungsgebot des § 90 I I 1 BVerfGG, daß der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, daß Fachgerichte Grundrechtsschutz gewähren können und auch sollen. Denn wie sonst könnte man vom Bürger verlangen, daß er erst u. U. jahrelang Instanzen ausschöpft, bevor er schließlich das Bundesverfassungsgericht angehen darf 3 1 ?

28 D e r s . , ebenda, S. 1 (3), allerdings ohne Nachw. auf diese angeblich anderen Vorstellungen. 29 30

V g l . statt aller nur Benda/Klein,

Pestalozza,

R N 471; Seifert/Hömig,

A r t . 20 R N 9.

VerfprozeßR, § 13 I I R N 17 m . w. Hinw. auf die Rspr. des BVerfG.

3 1 Dementsprechend steht die ganz h. M . hinter dem Postulat, daß auch und gerade die Fachgerichte Grundrechtsschutz zu gewähren haben; vgl. statt aller Bender, AöR 112 (1987), S. 169 (182).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

115

bbb) Die ins Fachgerichtsverfahren „vorgezogene" Rügepßicht bezüglich Grundrechtsverletzungen (1) Allgemein Entweder unter dem Topos der Rechtswegerschöpfung 32 oder wegen des Prinzips der allgemeinen Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde 33 (oder auch gelegentlich unter Vermischung der sonst so strikt getrennten T o p o i 3 4 ) hat das Bundesverfassungsgericht inzwischen mehrfach die Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden kritisch daraufhin untersucht, ob der Beschwerdeführer schon in den 3 5 Instanzen des Fachgerichtsprozesses seine verfassungsrechtlichen 36 Bedenken vorgetragen h a t 3 7 . Es handelt sich dabei um eine materielle Rügepßicht 38, die damit begründet wird, daß die Rechtswegerschöpfung bzw. das Subsidiaritätsprinzip es erfordere, 32 B V e r f G E 66, 337 (364); 74, 102 (113 f.); 77, 275 (283 f.). Nach Schneider, Z Z P 79 (1966), S. 1 (15 f.) läßt sich das Rechtswegerschöpfungsgebot nur analog anwenden; ansonsten scheint er dem BVerfG zu folgen, obwohl sich das wegen des Alters des Beitrages für die heutigen Anforderungen nicht mit Sicherheit sagen läßt. 33 B V e r f G E 64, 135 (143); 68, 334 (335); 68, 384 (389); 79, 174 (190); 82, 6 (11); 84, 203 (208); BVerfG N J W 1992, 1747 (1747). Weitere Nachw. bei Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 54 in F N 103. 34 V g l . BVerfGE 47, 130 (138); BVerfGE 83, 216 (S. 228 einerseits und S. 230 andererseits). 35 Z w i s c h e n Tatsachen- und Revisionsinstanz wird nicht unterschieden ζ. B. in BVerfGE 66, 337 (364); 68, 384 (389); 77, 275 (283 f.); 82, 6 (11); BVerfG N J W 1987, 1689 (1689); N J W 1992, 1747 (1747); auch in BVerfGE 74, 102 (114), wird eher auf die Besonderheiten des Jugendstrafverfahrens Gewicht gelegt als auf die Tatsache, daß dem Bf. nur Tatsach einstanzen zur Verfügung standen. Insoweit ist es nicht recht verständlich, wenn Herzog, D S t Z 1988, 287 (289) meint, die Rügepflicht gelte „zumindest für die Revisionsinstanz"; das BVerfG ist in diesem Sinne eben nicht so zurückhaltend. Zu der wichtigen Unterscheidung zwischen Tatsachen- und Revisionsinstanz aber unten S. 121 ff. 3 6 Noch einmal klarstellend: I m folgenden geht es nicht u m die Beibringung der erforderlichen Tatsachen oder Beweismittel, bei denen das Rechtswegerschöpfungsgebot in dem Sinne gilt, daß sie entsprechend der jeweiligen Prozeßordnung vollständig und rechtzeitig beigebracht werden müssen. Es geht vielmehr u m Rechtsausführungen des Betroffenen. Dies auseinander zu halten, gelingt Bender, AöR 112 (1987), S. 169 (passim) leider nicht immer, so daß er — gestützt auf den nur für Tatsachen und Beweismittel geltenden Beibringungsgrundsatz — für die Z P O fälschlicherweise zu einem anderen Ergebnis kommt als für die anderen Prozeßordnungen, ebenda, S. 186, 187. Vgl. auch dens., N J W 1988, 808 (811) und dens., Befugnis des BVerfG, S. 406. 37 Ä h n l i c h BVerfGE 81, 22 (27 f.); 81, 97 (103 f.), in denen es darum geht, ob die Bf. durch Hinweis gegenüber dem Gericht die Grundrechtsverletzung hätten verhindern können. 38 O b m a n deshalb von einem „Grundsatz der materiellen Subsidiarität" sprechen sollte, wie dies Zuck, JuS 1988, 370 (374) tut, dürfte Geschmacksache sein. Anscheinend zustimmend dazu Detterbeck, Präventiver Rechtsschutz, S. 214 in F N 305 m . w. Nachw.

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

116

daß der Betroffene alles tue, um die Grundrechtsverletzung fachgerichtlich zu beseitigen oder zu verhindern. Auf den ersten Blick ist dies tatsächlich die konsequente Weiterentwicklung der stereotypen Aussage des Gerichts, die Verfassungsbeschwerde müsse wirklich erforderlich sein, um Grundrechtsverletzungen zu beseitigen. So unspektakulär und relativ selten diese materielle Rügepflicht in der ansonsten quantitativ nicht mehr überschaubaren Subsidiaritätskasuistik vielleicht propagiert worden ist, um so zweifelhafter erscheint sie jedoch inhaltlich.

(a) Der Grundsatz „iura novit curia" als Verpflichtung des Fachgerichts Zwar läßt sich über § 90 I I 1 BVerfGG argumentieren, genauso wie man eben alle Rechtsmittel voll und rechtzeitig erschöpfen müsse, müsse der Beschwerdeführer auch alle inhaltlichen rechtlichen Bedenken ζ. B. gegen eine Norm sofort und wiederholt im Instanzenzug angeben 39 . Zu berücksichtigen ist aber, daß § 90 I I 1 BVerfGG als Blankettnorm die fachgerichtlichen Verfahrensordnungen — so wie sie sind — als Maßstab für das Rechtswegerschöpfungsgebot inkorporiert 4 0 . Weder § 90 I I 1 BVerfGG noch ein richterrechtliches Subsidiaritätsprinzip können die positivgesetzlichen Prozeßordnungen inhaltlich verändern oder gar derogieren 41 . Das heißt aber, daß nur die jeweilige Fachprozeßordnung (also ZPO, VwGO, StPO, usw.) bestimmt, wer wann was in welcher Qualität rügen muß. Wenn man unter diesem Gesichtspunkt ein Blick auf die Fachprozeßordnungen wirft, zeigt sich als (römisch-rechtlicher) Grundsatz für alle 4 2 Ge39 I n diese Richtung auch Gusy, Verfassungsbeschwerde, S. 131 f., die dem BVerfG in seiner Rechtsprechung folgen.

RN

144 und Scherer,

40 S o auch Bender, AöR 112 (1987), S. 169 (177); ders., N J W 1988, 808 (809); ders., Befugnis des BVerfG, S. 404; Laubinger, JA 1971, 177 (178); Leibold, S. 91, 93. D e m entspricht es, daß man früher ausdrücklich auf die „in den Verfahrensgesetzen zur Verfügung gestellten Rechtsmittel" abstellte, vgl. nur BVerfGE 4 , 1 9 3 (198); Geiger, BVerfGG § 90 Anm. 7; Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG § 90 R N 195 und 196: „...Rechtsweg i m Rahmen der jeweils geltenden Prozeßordnungen"; Stern, B K , A r t . 93 R N 720: „Rechtsweg ist jeder in einer Rechtsnorm vorgesehene Instanzenzug...Welcher Rechtsweg in Frage kommt, bestimmen die Prozeßordnungen der Fachgerichte..."; ebenso Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 618. 41

Bender,

4 2

AöR 112 (1987), S. 169 (174); Laubinger,

JA 1971, 177 (178).

Für den Zivilprozeß Schellhammer, R N 344. Für die Verwaltungsgerichtsbarkeit Erichsen, Verwaltungsrecht, S. 28. Für den Strafprozeß ergibt sich dies aus § 264 I I StPO, vgl. i. E. Kleinknecht/Meyer, § 264 R N 10.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

richtszweige zunächst einmal eins: iura novit curia kennt das Recht 4 4 .

43

117

— das (Fach-)Gericht

Zusammen mit der gerichtlichen Hinweis- und Fürsorgepflicht stellt dieser Grundsatz eine wesentliche Voraussetzung dafür dar, daß alle Menschen unabhängig von ihren Rechtskenntnissen vor dem Gesetz die gleichen Chancen haben, ist somit verfassungsrechtlich in der Nähe von Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 I I I G G ) 4 5 und Rechtsanwendungsgleichheit (Art. 3 I GG: Gleichheit vor dem Richter 4 6 , prozessuale Waffengleichheit 47 ) anzusiedeln 48 . Von dieser Aufgaben Verteilung gehen ζ. B. auch die fachgerichtlichen Vorschriften über die Klageschriften aus (z. B. § 253 ZPO, § 82 VwGO), die den Klägern nur die Beibringung von Tatsachen und Beweismitteln aufgeben — nicht aber Rechtsausführungen 49 5 0 ! Gleiches gilt für die Prozeßförderungspflichten der Parteien während des Verfahrens, die immer nur auf „Angriffs- und Verteidigungsmittel" bezogen sind (vgl. insbeson-

43 S i e h e zu diesem und der verwandten allgemeinen Verfahrensregel „da mihi factum, dabo tibi ius" nur Creifelds, Rechtswörterbuch, unter den entsprechenden Bemerkungen. Ridder, JZ 1968, 377 (379) weist u. a. darauf hin, daß dieser Grundsatz auch für das BVerfG gilt. 44 45

W i e hier daher kritisch Benda/Klein,

R N 539; Motzer,

S. 74; Schiaich, R N 241.

Ä h n l i c h Schmitt Glaeser, R N 537.

46 S i e h e dazu das Plenum des BVerfG in BVerfGE 54, 227 (293). Z Z P 96 (1983), S. 137 (145). 47 Lerche, Z Z P 78 (1965), S. 1 (19); Schmitt (1983), S. 137 (158). 4 8

Vgl.

Schumann,

Glaeser, R N 541; Schumann,

Wie hier Bender, AöR 112 (1987), S. 169 (185); Motzer,

Z Z P 96

S. 74.

49

S o ausdrücklich für § 253 Z P O Schellhammer, R N 63. Für § 82 V w G O läßt sich dies Kopp, V w G O , § 82 R N 10 ff. entnehmen. Wie hier auch Leibold, S. 119; Motzer, S. 74 und Schiaich, R N 241. 50 A u c h aus § 42 I I V w G O (Geltendmachung einer Rechtsverletzung) läßt sich wohl nichts Gegenteiliges entnehmen, da es „genügt, daß der Kläger hinreichend substantiiert Tatsachen (!) vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, daß er durch einen VA in einer eigenen rechtlichen Position beeinträchtigt wird und daß der Klage jedenfalls zu entnehmen ist, daß der Kläger sich in eigenen Rechten verletzt glaubt und die Möglichkeit einer derartigen Verletzung nicht ausgeschlossen erscheint", so Kopp, V w G O , § 42 R N 98 m . w. Nachw., der sich zu Recht gegen verschärfende Tendenzen wendet; ebenso Schmitt Glaeser, R N 155. O V G Lüneburg N V w Z 1986, 322 (322): „Erforderlich sind vor allem Ausführungen in tatsächlicher (!) Hinsicht, warum, wodurch und in welchen Rechten sich der Kläger betroffen fühlt; die nähere rechtliche Qualifikation kann er getrost dem Gericht überlassen"; ähnlich BVerwG DVB1. 1981, 262 (262); O V G Münster DVB1. 1987, 1024 (1024). Hier ist zugegebenermaßen vieles strittig, insbes. variieren die Formulierungen beträchtlich.

118

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

dere §§ 282, 296 Z P O 5 1 ) , unter die nach völlig unbestrittener Lehre keine Rechtsausführungen fallen 5 2 . Dementsprechend regelt § 80 I I I BVerfGG im Rahmen der konkreten Normenkontrolle (Art. 100 I GG), daß es auf die rechtliche Rüge einer Partei als Anlaß für die Richtervorlage gar nicht ankommt 5 3 . Vielmehr ist das Gericht von Amts wegen zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit verpflichtet 5 4 , was auch der Bindung des Gerichts gem. Art. 1 I I I , 20 I I I GG einzig und allein entspricht 5 5 . Wegen dieser Rechtslage liegt es auch nicht in der „Freiheit und Verantwortung (der Parteien), auf den Schutz der prozessualen Pflichten des Gerichts zu verzichten" 5 6 .

51 Ausnahme § 295 Z P O , der durch seinen Abs. I I für die hier interessierenden Fälle aber fast völlig bedeutungslos ist, vgl. Thomas/Putzo, § 295 A n m . l . b ) u. die sehr umfangreiche Darstellung bei Henckel, Z Z P 77 (1964), S. 321 (338 ff., insbes. S. 343). 52 V g l . nur die Nachw. bei Thomas/Putzo, § 146 A n m . 2.a). Insoweit nähert sich die abweichende Ansicht von Schneider, Z Z P 79 (1966), S. 1 (15) der hier vertretenen an, wenn dieser meint, die Rüge müsse nur „durch den Sachvortrag erkennbar" sein. 53 W e n n Detterbeck, Präventiver Rechtsschutz, S. 214, trotzdem meint, u. a. „wenn die Durchführung des Verfahrens vor den Fachgerichten gerade der Vorbereitung der Verfassungsbeschwerde diente", könne die Prüfungspflicht des Gerichtes den Bf. nicht von seiner Rügepflicht befreien, so ist dies m . E. nicht zwingend: Der Bürger geht doch i m Fachgerichtsverfahren normalerweise nicht davon aus, daß er später Verfassungsbeschwerde erheben muß. Nur wenn der Richter „blind" bezüglich der verfassungsrechtlichen Probleme ist, kommt es überhaupt zur Verfassungsbeschwerde. Dies kann m a n in einem Rechtsstaat aber nicht von vorneherein unterstellen. Wenn alles richtig abläuft, „dient" das Fachgerichtsverfahren nach der Konzeption des BVerfG höchstens der Vorbereitung einer Richtervorlage, bei der es aber auf eine Parteien-Rüge wegen § 80 I I I BVerfGG gerade nicht ankommt. 54 S o früher einmal BVerfGE 9, 223 (225); 16, 119 (122) (Entscheidungen, derer sich das Gericht heute zu selten erinnert, vgl. Gusy, Verfassungsbeschwerde, R N 144); zustimmend dazu Benda/Klein, R N 539; Hövel, S. 127; Leibholz/Rupprecht, § 90 R N 79; Bender, AöR 112 (1987), S. 169 (185 m. Hinw. auch auf bundesverfassungsgerichtliche Rspr.!). Allerdings ist völlig unverständlich, wie ders., N J W 1988, 808 (809) dann zu der sich unmittelbar an die oben diagnostizierte Ausgangslage anschließenden Aussage gelangen kann, gleichwohl verletze „ein G eri cht... kaum seine Pflicht, wenn es auf Betreiben eines Beteiligten (!) der Frage der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes nicht nachgeht, wenn dies nur in dessen Interesse geschähe" (Hervorhebung nur hier). Ob ein Gesetz verfassungswidrig ist oder nicht, liegt schon aufgrund der Wertentscheidimg des Art. 20 I I I G G nie nur i m Interesse eines Beteiligten! I m Ergebnis wie hier Pestalozza, VerfprozeßR § 13 I R N 2 sub 3; Zuleeg, DVB1. 1970, 157 (162). 55 S o auch Hövel, S. 126 in F N 379; Leibold, Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I R N 12.

S. 119; Motzer,

S. 74 und i. E. auch

56 S o aber Bender, N J W 1988, 808 (809), der dabei den Widerspruch zwischen der Tatsache, daß es sich eben u m prozessuale verfassungsrechtliche Pflichten der Gerichte handelt, und der von ihm unterstellten Disponibilität dieser Pflichten durch Verzicht seitens der Prozeßparteien verkennt.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

119

(b) Keine sanktionierbare Pflichtigkeit der Prozeßpartei Wenn das Gericht eine solche Prüfung unterläßt, ist dies jedenfalls nicht dem Beschwerdeführer anzulasten 57 : Denn erstens muß der Bürger nicht größere Rechtskenntnisse als „sein" Fachrichter haben 5 8 ; ein Argument, das noch dadurch untermauert wird, daß der die Verfassungswidrigkeit von sich aus verkennende Richter u. U. nur mit einer einem Laien nicht zumutbaren, rechtlich höchst qualitativen Argumentation überzeugt werden k a n n 5 9 . Dies würde aber in echtem Wertungswiderspruch nicht nur zum Satz „iura novit curia", sondern auch zu der Grundentscheidung des Gesetzgebers stehen, beim „zu überzeugenden" Amts- oder Verwaltungsgericht von einem Anwaltszwang abzusehen 60 . Zweitens ist eine Art „rechtspflegerischer Pflichtigkeit der Prozeßpart e i " 6 1 i m Sinne einer Hüterfunktion für ein rundum verfassungsmäßiges Fachgerichtsverfahren mit den Prozeßordnungen so allgemein nicht zu vereinen. Deutlich wird dies insbesondere beim Zivilprozeß, der der „Durchsetzung subjektiver Rechte" 6 2 i m Sinne eines Streites um private Rechtsbeziehungen zwischen Privatrechtssubjekten d i e n t 6 3 . Die Frage, ob eine materielle Rügepflicht nicht überwiegend im (öffentlichen) Interesse der Aufrechterhaltung der verfassungsmäßigen Integrität steht, ist aber zumindest nicht ganz unproblematisch 64 . Auch ist z. B. i m Strafprozeß nach althergebrachten Grundsätzen der Angeklagte überhaupt nicht verpflichtet, am Strafverfahren gegen sich selbst 57 E i n e n Sonderfall stellt m . E. BVerfGE 68, 384 dar, in der die Bf. zunächst die Anwendung japanischen Scheidungsrechts ausdrücklich veranlaßt hatte, u m dann erst später dessen Verfassungswidrigkeit zu rügen. Eine solche Konstellation kommt einem venire contra factum proprium recht nahe (so auch Detterbeck, Präventiver Rechtsschutz, S. 214), w as unter diesem Gesichtspunkt der Bf. auch zugerechnet werden kann; wie hier Schiaich, R N 241, 249. 58 S o auch Bender, AöR 112 (1987), S. 169 (187). Hinzugefügt sei, daß einige Richter es ausgesprochen unangenehm aufnehmen, wenn Parteien Rechtsausführungen machen. 59 E i n e reine „Rügeformelei" (Bender, AöR 112 [1987], S. 169 [186]), die nur in der Aufzählung aller möglicher Grundgesetzartikel besteht, weil der Bf. kein Risiko eingehen will, kann vom BVerfG wohl nicht gemeint sein. D a n n muß „Rügepflicht" aber immer „qualitative Rügepflicht" heißen. 60 61 62

S o auch Kopp, V w G O , § 42 R N 98; Schiaich, R N 241. Die Formulierung stammt von Kahlke, Z Z P 101 (1988), S. 1 (13). S o das BVerfG selbst in BVerfGE 52, 131 (153).

63 E b e n s o Kahlke, Z Z P 101 (1988), S. 1 (14 m. w. Nachw.) und Schumann, Z Z P 96 (1983), S. 137 (153). 64 Ä h n l i c h Benda/Klein, R N 539; Kahlke, Z Z P 101 (1988), S. 1 (15), der auch darauf hinweist, daß sich aus dieser Befindlichkeit einige Probleme bezüglich des Prozeßkostenrisikos ergeben, ebenda, S. 18 ff., insbes. S. 22 f.

120

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

in irgendeiner Weise (ζ. B. durch Einlassungen und/oder Darlegungen) mitzuwirken 6 5 , was das Bundesverfassungsgericht inzwischen auch selbst einräumt 6 6 . Drittens kann der Beschwerdeführer oftmals i m fachgerichtlichen Verfahren gar nicht rechtzeitig erkennen, daß ein Verfassungsverstoß (ζ. B. ein Verstoß gegen Art. 103 I GG wegen Nichtberücksichtigung eines bei der Gerichtspoststelle liegengebliebenen Schriftstückes) droht, sondern merkt dies erst, wenn er das Urteil in den Händen hält und es dann zu spät i s t 6 7 . Viertens ist der die Verfassungswidrigkeit wirklich durchschauende Beschwerdeführer bei Versäumung einer mal unterstellten „Obliegenheit zur Rüge" genug „gestraft": geht er doch das Risiko ein, daß der A m t s - oder der Verwaltungsrichter nicht von selbst gem. Art. 100 I GG vorlegt und damit die Angelegenheit nicht relativ schnell zum Bundesverfassungsgericht gelangt, sondern daß er nun die nächste Instanz angehen muß, was ihn wertvolle Zeit kosten kann 6 8 . Ein Bedürfnis nach zusätzlicher Sanktionierung durch „Präklusion" i m verfassungsgerichtlichen Verfahren läßt sich nicht entdecken, zumal für die Fälle wirklich unredlichen Verhaltens (ζ. B. venire contra factum proprium 6 9 ) über das Rechtsschutzbedürfnis für die Verfassungsbeschwerde Reaktionsmöglichkeiten durchaus bestehen 70 . Ein weiterer Wertungswiderspruch läßt sich diagnostizieren. In ständiger Rechtsprechung prüft das Bundesverfassungsgericht nämlich den angegriffenen Hoheitsakt an allen in Frage kommenden Grundrechtsartikeln durch, wenn der Beschwerdeführer wenigstens ein Grundrecht i m Sinne von § 92 BVerfGG substantiiert als verletzt gerügt h a t 7 1 . Diese Praxis ist wohl 65

S o auch Bender, N J W 1988, 808 (810).

6 6

BVerfG E 74, 102 (114); früher wurde dies aber anscheinend nicht so großzügig gesehen, vgl. BVerfGE 47, 130 (138). 67 S o zu Recht die einlenkende BVerfGE 81, 97 (103). Ebenso vorher schon Motzer, S. 74. I m Hinblick auf diesen Befund zu streng ist die Forderung von Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 54, der Bf. müsse durch die materielle Rüge den Fachgerichten „auch Gelegenheit geben, sich grundrechtswahrend betätigen zu können". Das Gericht ist doch normalerweise immer Herr des Verfahrens, wenn es u m Rechtsfragen geht! Daher kann Zucks Forderung überhaupt nur für die Fälle gelten, in denen zwar der Richter eine Grundrechtsverletzung gar nicht merkt (z. B. Schriftsatz geht auf Poststelle des Gerichts unter; eine ausgesprochen häutige Panne), aber der Betroffene davon Kenntnis erlangt und es noch rechtzeitig dem Richter mitteilen kann (eine unwahrscheinliche Situation!). Allerdings ähnlich streng auch Pestalozza, VerfProzeßR, § 12 I R N 12 m i t F N 37. 68

D a h e r mahnen auch Benda/Klein, R N 539 an, aus einer unzweckmäßigen Verfahrensfiihrung nicht auf Nicht-Erschöpfung des Rechtsweges zu schließen. 69

S i e h e hierzu schon oben F N 57 auf S. 119.

70

D a s verkennt Scherer, S. 132. Wie hier dagegen zu Recht Schiaich, R N 241, 249.

71

Vgl. nur die Nachw. bei Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I I R N 32 m . F N 96.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

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auch auf die Stellung des Bundesverfassungsgerichts zurückzuführen, nach der „es weniger im Dienste subjektiver Rechtsverfolgung als i m Dienste objektiver Bewahrung des Verfassungsrechts" s t e h t 7 2 . Wenn aber hier — d. h. im Verfahren beim Bundesverfassungsgericht — so ein großzügiger Maßstab bezüglich der Rügepflicht angelegt wird, überrascht es, daß es dann i m Vorfeld vor dem Fachgericht auf eine den verfassungsrechtlichen Punkt exakt treffende Rüge so sehr ankommen soll 7 3 . Schließlich ist fraglich, ob die Tatsache, daß das Bundesverfassungsgericht in Folge seiner Rechtsprechung gezwungen ist, genau die Qualität der fachgerichtlichen Prozeßführung durch den Beschwerdeführer nachzuprüfen, nicht zu einer Belastung des Gerichts anstelle einer Entlastung f ü h r t 7 4 . Damit widerspräche die dargestellte Rügepflicht dem Subsidiaritätsgedanken schon aus Tauglichkeitserwägungen.

(2) Der Sonderfall Revisionsinstanz Eine Sonderfall muß in diesem Zusammenhang allerdings betrachtet werden: die Frage eines Verfassungsverstoßes ist sicher ein grundsätzliches Problem, das in der Revisionsinstanz geltend gemacht werden kann 7 5 : Zunächst handelt es sich beim Grundgesetz zweifellos um Bundesrecht im Sinne des § 549 I Z P O 7 6 oder des § 137 I Nr. 1 V w G O 7 7 . Bei Vorliegen der (zivilprozessualen) Revisionssumme oder jedenfalls nach Zulassung durch das OLG bzw. OVG (ggf. nach Nichtzulassungsbeschwerde 78 ) wegen „grundsätzlicher Bedeutung" 7 9 aufgrund Verfassungsverstoßes (§ 546 72

So in einem die Grundlagen von Verfassung und Gericht behandelnden Plenumsbeschluß von 1952, BVerfGE 2, 79 (86). Wegen dieser objektiven Funktion der Verfassungsbeschwerde kritisiert Ridder, JZ 1968, 377 (379) die Subsidiaritätsrechtsprechung. Ähnlich Kahlke, Z Z P 101 (1988), S. 1 (15 ff.). 73 S o auch Benda/Klein, R N 539; Motzer, S. 74; Bender, A ö R 112 (1987), S. 169 (180). Letzterem speziell für die Rechtssatz Verfassungsbeschwerde folgend Hövel, S. 126. 74

Benda/Klein,

R N 540.

75

B F H D B 1987, 1396 und ihm folgend Herzog, D S t Z 1988, 287 (289); Kopp, V w G O , § 132 R N 10 m. v. w. Nachw. Anderer Ansicht anscheinend Gusy, Verfassungsbeschwerde, R N 145, der ohne konkreten Beleg meint, daß die G rundrecht sriige i m Revisionsverfahren „nach dem Gesetz unzulässig" sei. 76

Thomas/Putzo,

77

§ 549 A n m . 3 b).

Ausdrücklich Kopp, V w G O , § 137 R N 5.

78

S o ausdrücklich BVerfGE 84, 203 (208); ebenso für die b a y V B BayVerfGHE 43, 81 (83). 79 D i e s e ist gegeben, da die Entscheidung der Fortbildung des Rechts dient, Thomas/Putzo, § 546 Anm. 4 a); noch deutlicher Kopp, V w G O , § 132 R N 10 m . v. w. Nachw.

122

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

I Nr. 1 ZPO bzw. § 132 I I Nr. 1 V w G O 8 0 ) hat der Beschwerdeführer somit die Möglichkeit zum Vorbringen seiner verfassungsrechtlichen Bedenken 81 . Ebenso dürfte i m Strafverfahren ein Revisionsgrund gemäß § 337 I, I I StPO vorliegen, wenn ein wegen Verfassungswidrigkeit unanwendbares Gesetz angewendet wurde oder der Richter eine mögliche verfassungskonforme Auslegung unterlassen h a t 8 2 . Es ist allerdings auch bei der Revisionsinstanz fraglich, welche Qualität die Rüge der Verfassungsverletzung haben muß und welche Sanktion auf das Unterlassen der Rüge folgen soll 8 3 : Die Prozeßordnungen sind insoweit nämlich relativ großzügig: Aus der Rechtsprechung zu § 344 I I 2 StPO ergibt sich z. B., daß für die hier relevante „Sachrüge" der Satz genügt: „Es wird die Verletzung sachlichen Rechts gerügt" 8 4 . Auch § 554 I I I ZPO ist nicht wesentlich strenger: Entgegen seinem Wortlaut (Nr. 2) ist nämlich die Prüfung, ob die Angelegenheit „grundsätzliche Bedeutung" hat, von Amts wegen vorzunehmen 85 , so daß der Revisionskläger dazu schweigen könnte; und auch bei Nr. 3 a verlangt die h. M. noch nicht einmal eine §§- oder Artikel-Angabe 8 6 ; zudem wird bei Angabe auch nur einer Norm die ganze materielle Rechtsanwendung von Amts wegen vom Revisionsgericht überprüft 8 7 . Ähnlich liegt der Fall auch bei § 139 I I 2 V w G O 8 8 . Besonders umfangreich muß daher die rechtliche Seite der Revisionsbegründung anscheinend nicht sein. Sicherlich wird der auf Nummer sicher gehende Revisionskläger alles vorbringen, was er weiß. Fraglich ist aber, ob er dazu verpflichtet ist, obwohl auch in der Revisionsinstanz der Grundsatz „iura novit curia" gilt und der 8 0

Je nach Sachlage kommt durchaus auch § 132 II Nr. 3 VwGO in Frage; so die Konstellationen in BVerfGE 83, 216 (228); 84, 203 (208) und BayVerfGHE 43, 81 (83). 81 Es handelt sich allerdings nicht u m einen absoluten Revisionsgrund i. S. d. § 551 Z P O , und zwar weder de lege lata noch de lege ferenda, vgl. Henckel, Z Z P 77 (1964), S. 321 (344-356). 8 2 Siehe zu einer solchen Revisionsmöglichkeit die allg. Darstellung bei Kleinknecht/Meyer, § 337 R N 33 und ausdrücklich ebenda, § 344 R N 15. 8 3 Diese voneinander zu trennenden Gesichtspunkte vermischt m . E . Herzog, D S t Z 1988, 287 (289), wenn er allgemein die Rügepflicht in der Revisionsinstanz propagiert. 84

Vgl. nur Kleinknecht/Meyer,

8 5

Thomas/Putzo,

86

§ 344 R N 17, 18 m . w. Nachw.

§ 554 Anm. 3 Nr. 2.

Thomas/Putzo,

§ 554 Anm. 4 a).

Thomas/Putzo,

§ 554 A n m . 4 a).

87

88

V g l . Kopp, V w G O , § 139 R N 6 und R N 9 für die Sachrüge.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

123

Bürger wohl nicht rechtskundiger als ein ganzer Senat hochqualifizierter Richter sein muß. Zu berücksichtigen ist jedoch folgendes: Der Gesetzgeber hat i m Revisionsverfahren die Tatsachenprüfung ausgeschlossen und damit extra eine Instanz zur Überprüfung der Verletzung auch materiellen 8 9 Rechts geschaffen. Die Revision dient der Gewährleistung der Rechtsanwendungsgleichheit und der Fortbildung des Rechts im Bundesgebiet 90 und sollte als solche genutzt werden. Dazu muß die Qualität des in dieser Instanz anstehenden „Rechtsgespräches" (im weiteren Sinne) von entsprechendem Niveau sein, wobei der Betroffene wenigstens alles das einbringen kann, wozu er nach seinen Rechtskenntnissen fähig ist. Zu letzterem gehört seine — wenn auch vielleicht laienhafte — Vorstellung von der Verfassungswidrigkeit z . B . der zugrundeliegenden Norm, die j a in den hier interessierenden Fällen überhaupt der Beweggrund für seine Streitbereitschaft ist. Er dürfte auch nicht überfordert sein, da bei Revisionsinstanzen allgemein Anwaltszwang herrscht und der Betroffene somit ohnehin immer einen sachkundigen Ratgeber und Vertreter konsultieren und „Zwischenschalten" muß. Nach allem spricht schon strukturell durchaus einiges für eine Rügepflicht in der Revisionsinstanz 91 . Vor allem ist zu berücksichtigen, daß über die Blankettnorm 9 2 § 90 I I 1 BVerfGG insoweit die Prozeßordnungen nicht entgegen ihrem Aussagegehalt zu streng in das Rechtswegerschöpfungsgebot inkorporiert werden. Die Prozeßordnungen verlangen nämlich nach ihrem Wortlaut einheitlich zur Revisionsbegründung die Nennung der verletzten Norm (§ 344 I I 1 StPO, § 554 I I I Nr. 3a) ZPO, § 139 I I 2 VwGO). Der Revisionskläger ist also nach dem Gesetz sehr wohl verpflichtet, eine Norm als verletzt zu rügen, indem er sie nennt. Zu mehr ist er nicht verpflichtet! Allerdings nach dem Gesetzes Wortlaut auch nicht zu weniger. Die großzügige Rechtsprechung der Fachgerichte — vor allem zu § 344 StPO — in dieser Richtung hat sicher ihre Rechtfertigung in den vielen Fällen, in denen es nicht um Grundrechtsverstöße geht, und soll auch keineswegs kritisiert werden. 89

U n d prozessualen.

90

Kopp, V w G O , § 132 R N 1; Schumann, Z Z P 96 (1983), S. 137 (195 m . v. w. Nachw. in F N 203). 91

Zuzustimmen unter diesem Gesichtspunkt daher ζ. B. BVerfGE 64, 135 (143); 74, 102 (114) und 81, 22 (27); ebenso wohl auch Kahlke, Z Z P 101 (1988), S. 1 (17). Nur insoweit kann m. E. auch Bender, N J W 1988, 808 (809 f.) gefolgt werden, der allerdings ansonsten für den gesamten Instanzenzug eine Rügepflicht propagiert, wolle nicht der Betroffene riskieren, später wegen mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses beim BVerfG abgewiesen zu werden. Unter all diesen Gesichtspunkten erscheint auch eine Rügepflicht i m Rechtsweg des § 47 V w G O als durchaus systemadäquat, vgl. BVerfGE 79, 174 (190). 9 2

Vgl. die Nachw. oben in F N 40 auf S. 116.

124

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Sie steht jedoch den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts, das sich an den Wortlaut der Prozeßordnungen hält, auch nicht entgegen. In den Fällen, in denen der Beschwerdeführer schon i m Revisionsverfahren durch bloße Nennung der verfassungsrechtlichen Norm (Artikelangabe wird auch hier nicht nötig sein) eine spätere Befassung des Bundesverfassungsgerichts mit dem gleichen Problem vermeiden kann, muß er insoweit einmal eine „Rechtsrüge" erbringen. Mehr — etwa ausführliche Begründungen seiner Rechtsansicht — ist ihm allerdings auch nicht durch das Rechtswegerschöpfungsgebot oder den Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde abzuverlangen, da solche Anforderungen die Fachprozeßordnungen nicht aufstellen und auch der Subsidiaritätsgrundsatz keine gesetzesderogierende Kraft hat.

(3) Die fehlende Notwendigkeit der Berufung auf ein selbständiges Zulässigkeitsmerkmal „Subsidiaritätsgrundsatz"

Es ist allerdings wiederum fraglich, ob man den Beschwerdeführer ausgerechnet unter dem Topos der selbständigen Zulässigkeitsvoraussetzung „allgemeiner Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde" dazu anhalten muß, seine „Rügepflicht" (im Sinne der dargestellten bescheidenen „Nennungspflicht" in der Revisionsinstanz) zu beachten. Meines Erachtens ergibt sich schon aus dem Ergebnis der obigen Untersuchung, daß außerhalb der Revision keine allgemeine materielle Rügepflicht besteht, daß auf diese richterliche „Erfindung" nicht zurückgegriffen werden darf. Denn die Revisionsbegründung gehört als notwendiger Bestandteil der Revision sowieso zum einfachen Instanzenzug im Sinne eines Rechtsweges gemäß § 90 I I 1 BVerfGG. Wenn diese Norm verlangt, daß der Rechtsweg sorgfaltig erschöpft werden muß, dann gehört die Einlegung der Revision — in den Fällen, in denen eine solche überhaupt möglich ist — zu diesem Rechtsweg. Schon diese ordnungsgemäße Revision erfordert aber wiederum eine Revisionsbegründung mit Nennung der verletzten Norm. Dann ist nach der hier vertretenen Ansicht kein Platz mehr für einen selbständigen „ Subsidiaritätsgrundsatz" 9 3 .

93 W i e hier Motzer, S. 164 ff. Auch Bender, N J W 1988, 808 (809) bezweifelt, daß das Subsidiaritätsprinzip eine allgemeine Rügepflicht begründen kann.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

125

Zwischenergebnis Eine Rügepflicht des Betroffenen i m Fachgerichtsprozeß bezüglich materiell-verfassungsrechtlicher Mängel zugrundeliegender Normen oder richterlicher Vorgehensweisen ist als systemwidrig abzulehnen. Das Fachgericht muß nach allen Prozeßordnungen das Recht kennen und entsprechend selbst verantwortlich handeln. Eine Präklusion von i m Ergebnis vielleicht berechtigten Grundrechtsrügen ohne ausdrückliche gesetzliche Anbindung ist vor allem auch deshalb als inkonsequent abzulehnen, weil das Bundesverfassungsgericht in anderen Fällen die Wichtigkeit der Anregungen des Bürgers bei der objektiven Bewahrung der Verfassung betont und dann eher großzügig — auch ohne entsprechenden Vortrag des Beschwerdeführers — Grundrechtsnormen auf ihre Verletzung hin untersucht. Eine Ausnahme hat für die Revisionsinstanzen zu gelten, da die jeweiligen Prozeßordnungen die Nennung der Norm verlangen, die verletzt sein soll. Hier ist es dem Beschwerdeführer aufgrund gesetzlicher Anordnung zuzumuten, die Grundrechtsverletzung ausdrücklich zu rügen, indem er in seiner Revisionsbegründung das Grundrecht nennt. Rechtsmißbräuchen durch Beschwerdeführer kann über das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis bei der Verfassungsbeschwerde begegnet werden.

cc) Haupt- und Hilfsantrag Zu dem vom Beschwerdeführer geforderten sorgfältigen Verhalten gehört auch das Vorgehen mit Haupt- und Hilfsantrag, wenn die Sach- und Rechtslage dies erfordert 9 4 . Warum das Bundesverfassungsgericht dies aber unter dem Gesichtspunkt des eigenständigen Zulässigkeitsmerkmals Subsidiarität prüft, erscheint nicht ganz einsichtig: Das Bundesverfassungsgericht stellt in der zitierten Entscheidung fest, daß der Rechtsweg „hinsichtlich des Hauptantrags der Klage" zwar erschöpft sei, die Beschwerdeführerin „jedoch nach dem allgemeinen Grundsatz Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde" ihr Rechtsschutzziel 94 BVerfG E 68, 384 (389 f.); 78, 58 (68 f.). Ob allerdings die in letzterer Entscheidung vom BVerfG propagierte Berufung auf Ausnahmen der objektiven Verfassungsschutzfunktion der Verfassungsbeschwerde gerecht wird, bleibt fraglich, da die verfassungswidrige Gesamtregelung so (u. U. sehenden Auges) nicht überprüft werden kann — für eine Vorlage gem. Art. 100 I G G fehlt es dann j a an der Entscheidungserheblichkeit.

126

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

mit dem Hilfsantrag weiter verfolgen mußte 9 5 — was i m konkreten Fall auch geschehen war. Hier wäre aber der Rechtsweg i m Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG noch gar nicht erschöpft gewesen, wenn die Beschwerdeführerin keinen Hilfsantrag gestellt hätte, mit diesem die Verletzung ihrer Rechte aber hätte beseitigt werden können. Nach h. M. hat nämlich die (innerprozessuale) Bedingung, unter der der Hilfsantrag steht, die Wirkung der sofortigen, aber auflösend bedingten Rechtshängigkeit 96 . Die Rechtshängigkeit des Hilfsantrages entfällt nur dann (rückwirkend), wenn die Bedingung „Erfolg des Hauptantrages" eint r i t t . Dies kann aber in der vorliegenden Konstellation naturgemäß nicht der Fall sein, da bei erfolgreicher Klage der Betroffene nicht mehr Verfassungsbeschwerde erheben würde. Hier können also nur in der Hauptsache erfolglose Klagen interessieren. Dann muß aber gelten, daß mit Einbringung der Klage auch der Rechtsweg bezüglich des rechtshängigen Hilfsantrages beschritten worden und dieser erst mit letztinstanzlicher Entscheidung bezüglich des Hilfsantrages als solchen erschöpft ist. In diesem Sinne ist also der Hilfsantrag nur ein prozessuales Angriffs- oder Verteidigungsmittel wie jedes andere und muß daher — einmal in den Prozeß eingebracht — auch bei Bedarf sorgfältig verwendet werden. Das heißt aber wiederum, daß es kein eigenständiger Prüfungspunkt „Subsidiarität" vom Beschwerdeführer fordert, nach dem Hauptantrag mit dem Hilfsantrag weiter sein Recht zu suchen, sondern einfach das in § 90 I I 1 BVerfGG normierte Gebot, den Rechtsweg mit den durch die Prozeßgesetze vorgesehenen Mitteln effektiv zu erschöpfen 97 .

Ζ wischenergebn is Beim Erfordernis, daß ein Beschwerdeführer im Fachgerichtszug eventuell mit Haupt- und Hilfsantrag vorgehen muß, zeigt sich wiederum, daß man schon mit dem Rechtswegerschöpfungsgebot des § 90 I I 1 BVerfGG 95

B V e r f G E 78, 58 (68, sub B.II.2.).

96

I n Verbindung mit einer aufschiebend bedingten Entscheidungsbefugnis des Gerichts. Vgl. nur Schellhammer, R N 1106 u. Knöringer, S. 113 ff. m. v. w. Nachw. insbes. auf B G H Z . 9 7

Aufschlußreich insoweit auch jüngst BVerfGE 8 0 , 1 3 7 (148), in der das BVerfG i n einem Nebensatz offen läßt, ob der Bf. „den Rechtsweg auch hinsichtlich des Hilfsantrages erschöpft" hatte!

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

12

auskommt. Auf eine prater legem entwickelte Zulässigkeitsvoraussetzung „Subsidiarität" braucht nicht rekurriert zu werden.

dd) Die extensive Anwendung fachgerichtlicher Rechtsbehelfe und der Gegenvorstellung Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach entschieden, daß eine dem Subsidiaritätsprinzip gerecht werdende, sorgfältige Rechtswegerschöpfung die Ausnutzung aller „nicht offensichtlich unzulässigen" fachgerichtlichen Rechtsbehelfe erfordere 98 . In den Fällen, in denen die Zulässigkeit des Rechtsmittels strittig ist, sie also ζ. B. in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt wird, trägt der Beschwerdeführer damit ein gewisses Risiko der Verwerfung des fachgerichtlichen Rechtsmittels als unzulässig. Diese Folge versucht das Bundesverfassungsgericht zwar dadurch abzumildern, daß es in solchen Fällen die Monatsfrist des § 93 I BVerfGG als erst mit der endgültigen Abweisung des unzulässigen Rechtsbehelfs in Gang gesetzt ansieht 9 9 , so daß noch Verfassungsbeschwerde eingelegt werden kann. Dies gilt allerdings dann nicht mehr, wenn das eingelegte Rechtsmittel nicht nur „unzulässig", sondern „offensichtlich unzulässig" w a r 1 0 0 , so daß die Verfassungsbeschwerdefrist u. U. inzwischen abgelaufen i s t 1 0 1 . Sinn dieser Einschränkung ist die Verhinderung der Umgehung des § 93 BVerfGG durch Einlegung völlig absurder Rechtsmittel, die nur das Ziel haben, die an sich verstrichene Beschwerdefrist neu in Gang zu setzen 1 0 2 . Andererseits nimmt das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich in Kauf, daß der Beschwerdeführer, der ein „nicht offensichtlich unzulässiges" Rechtsmittel unversucht gelassen hat, bei Verwerfung der Verfassungsbeschwerde als unzulässig (§ 90 I I 1 BVerfGG) endgültig seine Rechtsschutzmöglichkeiten verliert, weil inzwischen das fachgerichtliche Rechtsmittel verfristet i s t 1 0 3 . 98 S t . Rspr. Vgl. nur BVerfGE 16, 1 (3); 68, 376 (381); 70, 180 (185): „auch diejenigen, deren Zulässigkeit in der bisherigen fachgerichtlichen Rechtsprechimg nicht eindeutig geklärt ist"; BVerfG N J W 1985, 2250 (2250); jüngst BVerfG N J W 1992, 496 (496).

" B V e r f G E 16, 1 (3). 100

BVerfGE, ebenda.

101

Das verkennt Schneider, Z Z P 79 (1966), S. 1 (13), wenn er meint, daß die Erhebung von Rechtsbehelfen, auch wenn sie erkennbar (!) aussichtslos gewesen sein sollte, niemals dem Bf. zur Last fallen könne. So wie hier Motzer, S. 65. 102

Schmidt-Bleibtreu,

103

BVerfGG, § 90 R N 199. Ebenso BayVerfGHE 42, 50 (52).

B V e r f G E 70, 180 (186).

12

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Es kommt also entscheidend darauf an, ob das strittige Rechtsmittel „nur vielleicht" (dann muß es der Beschwerdeführer einlegen) oder schon „offensichtlich" unzulässig ist (dann darf er es nicht einlegen) 1 0 4 . Diese Frage ist jedoch nur dann wirklich eindeutig zu beantworten, wenn den fachgerichtlichen Erfolgsaussichten eine eindeutige, gefestigte Rechtsprechung der (höheren) Fachgerichte entgegensteht 105 . Bei der sich somit anschließenden, alles entscheidenden Frage, welche Rechtsbehelfe i m einzelnen als „nicht offensichtlich unzulässig" einzulegen sind, beschränkt sich das Bundesverfassungsgericht keineswegs auf eine reine Zuschauerposition. Vielmehr „unterstützt" vor allem der Zweite Sena t 1 0 6 die an sich für die Auslegung einfachen Prozeßrechts zuständigen Fachgerichte 107 mit gelegentlichen „Interpretationshilfen", die i m Ergebnis immer zu einer großzügigen Ausdehnung der fachgerichtlichen Rechtsmittel führen 1 0 8 . Dabei ist über die Jahre eine interessante Entwicklung in den Überlegungen des Gerichts zu beobachten, die sich immer mehr an den „Forderungen des Grundgesetzes" und immer weniger am geschriebenen Prozeßrecht orientiert 1 0 9 . Ob allerdings alle Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts zwingend aus der Verfassung abzuleiten sind, muß bezweifelt werden. Sie könnten auch einfach Entlastungsbestrebungen des Gerichts entstammen. Zumindest muß in einigen konkreten Fällen überlegt werden, ob nicht das Bundesverfassungsgericht seine Kompetenzen im Hinblick auf (eindeutig) entgegenstehendes Gesetzesrecht überschritten hat. 104

Diese Zwangslage sieht auch Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 55 in F N 102.

105

S t . Rspr.; z. B. BVerfGE 70, 180 (186) m. w. Nachw. Vgl. auch BVerfGE 78, 58 (67). 1 0 6 Siehe die Nachw. in den folgenden Fußnoten. Das führt dazu, daß m a n i. d. R. feststellen kann, daß der 1. Senat auf eine Verfassungsbeschwerde hin rechtsmittelunfahige Amtsgerichtsentscheidungen aufhebt und an das A G zurückverweist, während der 2. Senat die Verfassungsbeschwerde wegen Nichtberücksichtigung der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde als unzulässig behandelt. Vgl. zu der schon unter diesem Aspekt mißlichen Lage die Nachw. bei Kahike, N J W 1985, 2231 (2232). 107 S t . Rspr. seit BVerfGE 18, 85 (92). Siehe z. B. BVerfGE 52, 341 (355); 80, 124 (136); BVerfG D t Z 1991, 27 (27). Vgl. auch die Nachw. bei Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I R N 13 m. F N 40. 108

D i e Grenzen legt jetzt erstmals eine Kammerentscheidung (!) der 2. K a m m e r des 1. Senats fest, BVerfG N J W 1991, 2622 (2622 f.). Siehe zu dieser noch unten S. 135 f. 109 D a s beklagen auch Kahike, Z Z P 101 (1988), S. 1 (9) und Zuck, JZ 1985, 921 (923). So stellt z. B. noch BVerfGE 22, 287 (290) auf die „durch das Gesetz zur Verfügimg gestellten" Rechtsbehelfe ab. Die insoweit diese Entscheidung fälschlicherweise zitierende BVerfGE 68, 376 (380) geht in ihren Formulierungen schon deutlich weiter. Schumann, Z Z P 96 (1983), S. 137 (141) weist darauf hin, daß das BVerfG sich auch gelegentlich über die Rechtsprechimg des Bundesgerichtshofes hinwegsetzt: BVerfGE 54, 277 ff.; 55, 205 fT. gegen B G H Z 67, 305 (308); BVerfGE 57, 117 ff. gegen B G H Z 23, 307 (310 f.); BVerfGE 53, 25 ff. gegen B G H VersR 1977, 648.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

12

I m folgenden soll eine chronologische Darstellung der wichtigsten 1 1 0 Schritte der entsprechenden Rechtsprechung bei der Verdeutlichung der Entwicklung und bei der Bewertung der einzelnen „Auslegungen" helfen.

aaa) Die extensive Auslegung des §33 a StPO Begonnen hat das Bundesverfassungsgericht mit der extensiven Auslegung von fachprozessualen Rechtsbehelfen — soweit ersichtlich — in einem Beschluß vom 30. Juni 1976 1 1 1 . Dort wurde der § 33 a StPO, der schon früher zum Bestandteil des „Rechtsweges" i m Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG erklärt worden w a r 1 1 2 , vom Bundesverfassungsgericht untersucht. Das Gericht stellte fest, daß „der Satzteil der Norm: 'Hat das Gericht in einem Beschluß zum Nachteil eines Beteiligten Tatsachen oder Beweisergebnisse verwertet, zu denen er noch nicht gehört worden ist', ...gleichbedeutend (ist) mit der Aussage: 'Beruht ein Beschluß zum Nachteil eines Beteiligten auf einem Verstoß gegen Art. 103 I G G ' " 1 1 3 . Damit kommt das Gericht dann zum Ergebnis, daß § 33 a StPO so auszulegen und anzuwenden ist, daß er jeden Verstoß gegen Art. 103 I GG i m Beschlußverfahren erfaßt 1 1 4 . Diese Auslegung wird vom Bundesverfassungsgericht sehr sorgfältig begründet. Zum einen stellt es sehr überzeugend auf Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Norm ab, die namentlich als Reaktion des Gesetzgebers auf bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu Art. 103 I GG eingeführt w u r d e 1 1 5 . Zum anderen weist das Bundesverfassungsgericht auf den engen funktionalen Zusammenhang zwischen Art. 103 I GG, § 33 a StPO und § 90 I I BVerfGG hin, da § 33 a StPO eine unmittelbare Ausprägung des Art. 103 I G G sei und in gleicher Weise wie eine Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs in rechtskräftige Entscheidungen einwirke 1 1 6 .

110 S i e h e außerdem noch BVerfGE 49, 252 (256 fT.) zu § 568 I I Z P O (1. Senat), BVerfGE 70, 180 (187 f.) zu § 80 V I V w G O (2. Senat) und BVerfG N J W 1992, 496 (496) zu § 579 I Nr. 4 Z P O analog i. V . m. § 153 I V w G O (1. Kammer des 2. Senats). 111 BVerfGE 42, 243: 2. Senat. 112

B V e r f G E 33, 192 (194). Ebenso die st. Rspr. des BayVerfGH, ζ . Β . E 39, 82 (84

m. w. Nachw.). 113 B V e r f G E 42, 243 (250). 114

B V e r f G E 42, 243 (250). Ähnlich auch BVerfGE 49, 252 (256 ff.): Verletzung von

A r t . 103 I G G als weiterer Beschwerdegrund i m Sinne des § 568 I I Z P O . 115 B V e r f G E 42, 243 (250 f.). 116

B V e r f G E 42, 243 (247 f.).

9 Warmke

1

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

bbb) Die entsprechende Anwendung des § 513 II ZPO Der nächste grundlegende Schritt im Sinne einer extensiven Handhabung der Fachprozeßordnungen war die analoge Anwendung des § 513 I I ZPO (Berufung gegen das sog. Zweite Versäumnisurteil unabhängig von der Berufungssumme des § 511 a ZPO) auf die Fälle der Verletzung rechtlichen Gehörs im schriftlichen Verfahren gem. § 128 I I I Z P O 1 1 7 . Auch hier meint das Bundesverfassungsgericht zunächst feststellen zu müssen, daß „ein nach der Zivilprozeßordnung unstatthaftes Rechtsmittel...nicht dadurch statthaft (wird), daß es auf die Behauptung der Verletzung des rechtlichen Gehörs gestützt w i r d " 1 1 8 . Diese Aussage wird aber anschließend stark relativiert 1 1 9 , da es nach dem Bundesverfassungsgericht „schon unter dem Gesichtspunkt des wirksamen 1 2 0 Grundrechtsschutzes... ver fassungsrecht lieh geboten 121 (ist), in den Fällen der Verletzung des rechtlichen Gehörs ein Rechtsmittel zuzulassen, wenn die Auslegung der einschlägigen Verfahrensvorschriften dies ermöglicht" 1 2 2 . Schon in dieser Entscheidung erschöpft sich die Begründung der analogen Anwendung des § 513 I I ZPO weitgehend in den zwei zitierten Sätzen und einem Verweis auf eine Reihe von Literaturstimmen, die diese Vorgehensweise für das schriftliche Verfahren gem. § 128 II, I I I ZPO „ i n Betracht z i e h e n " 1 2 3 — also noch nicht einmal ausdrücklich fordern. Eine weitergehende „Argumentation" wie in der Entscheidung zu § 33 a StPO findet in keiner Hinsicht statt. Auch in späteren Entscheidungen 124 , in denen die Rechtsprechung zu § 513 I I ZPO „bestätigt" wird, beschränkt sich das Gericht im wesentlichen auf eine wörtliche Wiedergabe dieses Ausgangsbeschlusses. Vielleicht liegt es auch an dieser mangelnden inhaltlichen Überzeugungsarbeit, daß die Umsetzung der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtspre117

B V e r f G E 60, 96, ein Beschluß des 2. Senates vom 2.März 1982.

118

B V e r f G E 60, 96 (98); Zuck, JZ 1985, 921 (922) glaubt, diese Zurückhaltung des Gerichts entstamme noch der Erwartung, der Gesetzgeber werde in naher Zukunft eine Regelung nach dem Vorbild der §§ 33 a, 311 a S t P O einführen. W i e das BVerfG auch BayVerfGHE 43, 143 (145). 1 1 9 Wahrscheinlich ist dieser Grundsatz inzwischen schon mehr oder weniger aufgegeben worden, wie Kahike, N J W 1985, 2231 (2232, 2234) meint. 1 2 0

Hervorhebung im Original.

121

Hervorhebung nur hier.

122

B V e r f G E 60, 96 (99).

123

B V e r f G E 60, 96 (99).

124

B V e r f G E 61, 78; 61, 119: 2. Senat; BVerfGE 64, 203: 1. Senat. BVerfG N J W 1985, 2250 (2250): Vorprüfungsausschuß.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

1

chung bei den zuständigen Fachgerichten eher bescheiden ist, da ein guter Teil der Gerichte der Rechtsprechung nicht f o l g t 1 2 5 . In diesem Zusammenhang ist es allerdings recht unverständlich 1 2 6 , daß das Bundesverfassungsgericht selbst seine Rechtsprechung nicht konsequent durchsetzt, da es ζ. B. inzwischen entschieden 127 hat, daß es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei, wenn das LG Bonn entgegen den exakt „einschlägigen" genannten Beschlüssen des Zweiten Senates die Berufung nicht zulasse 1 2 8 . Das Bundesverfassungsgericht habe eine verbindliche Aussage über die Auslegung des § 513 I I ZPO nicht getroffen, so daß § 31 BVerfGG nicht greifen könne. Damit liegt das Bundesverfassungsgericht prima facie auf der Linie seiner ständigen Rechtsprechung, daß eine von ihm im Rahmen „verfassungskonformer Auslegung" vorgenommene Interpretation nur dann bindend sei, wenn es keine dritte Auslegungsmöglichkeit neben der verfassungswidrigen und seiner eigenen Auslegung gebe 1 2 9 . Hier sei es eben „lediglich...verfassungsrechtlich geboten" ein entsprechendes Rechtsmittel zuzulassen, so daß es dem Beschwerdeführer zugemutet werden könne, Berufung einzulegen 1 3 0 . Soll dies aber bedeuten, daß das „verfassungsrechtliche Gebot", § 513 I I ZPO analog anzuwenden, zwar einerseits den Beschwerdeführer belasten kann, indem es ihm die Verfassungsbeschwerde versperrt, es andererseits 125 D e m BVerfG folgen ausdrücklich nicht L G Bonn, N J W 1985, 1170; L G Konstanz, Die Justiz 1988, 481; L G Köln, M D R 1987, 63; allgemein kritisch auch B a y O b L G , N J W 1988, 72. Diese Gerichte weisen daraufhin, daß eine Bindungswirkung gem. § 31 BVerfGG nicht eingetreten sei, da das BVerfG die analoge Anwendbarkeit des § 513 I I Z P O nicht ausdrücklich angeordnet habe, sondern diese „nur für geboten" halte. Auch der BayVerfGH stellt in st. FUpr. nicht auf § 513 I I Z P O analog ab, ζ. Β . E 40, 113 (116 m. w. Nachw.). Auf der anderen Seite folgen dem BVerfG z. B. L G Frankfurt, N J W 1985,1171; L G Freiburg, N J W - R R 1986, 616; L G Kiel, AnwBl. 1984, 502; L G Münster, N J W - R R 1989, 381; L G Zweibrücken, M D R 1989, 76 und O L G Schleswig, N J W 1988, 67, das sogar § 513 I I Z P O analog auf Verfahren mit mündlicher Verhandlung anwenden will. 126

S o auch Kahlke, Z Z P 101 (1988), S. 1 (9).

127

B V e r f G E 72, 119 (121).

1 2 8 Sonst versteht es das Gericht sehr wohl, seine Rechtsprechung gegenüber widerspenstigen Fachgerichten durchzusetzen, indem es z. B. seine strittigen Ausführungen zu einem tragenden Bestandteil der Gründe erklärt; vgl. BVerfG N J W 1988, 149, in der das Gericht dits O V G Münster zur Ordnung rufen mußte, weil das O V G nicht den Ausführungen von BVerfGE 71, 305 über einen zu erschöpfenden Rechtsweg folgen wollte. 129 S i e h e zu dieser Problematik Bettermann, Verfassungskonforme Auslegung, S. 43 f. mit Hinweis auf die Leitentscheidung BVerfGE 40, 88 (88). 1 3 0

BVerfG E 72, 119 (121).

12

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

aber nicht die Gerichte verpflichten kann, die Berufung zu gewähren 1 3 1 ? Ein solchermaßen verstandenes „verfassungsrechtliches Gebot", das sich nur zu Lasten des Bürgers auswirkt, wäre schwer mit A r t . 1 I I I , 20 I I I GG in Einklang zu bringen 1 3 2 .

ccc) Die Gegenvorstellung als Rechtsbehelf im Sinne des Subsidiaritätsprinzips Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluß vom 12. Januar 1983 1 3 3 unter Berufung auf den Subsidiaritätsgrundsatz festgestellt, daß der Beschwerdeführer gegen einen an sich unanfechtbaren Beschluß eines Oberlandesgerichts in Strafsachen Gegenvorstellung hätte erheben müssen, da dieser „der Erfolg nicht von vorneherein abgesprochen werden" k ö n n e 1 3 4 . Zwar konzediert das Bundesverfassungsgericht eingangs, daß eigentlich eine „Möglichkeit einer Aufhebung oder Abänderung einer nicht weiter anfechtbaren Entscheidung von Amts wegen oder auf Gegenvorstellung eines Beteiligten hin...in der Regel nicht (besteht)" 1 3 5 . Unter Hinweis auf vereinzelte Äußerungen in Literatur und Rechtsprechung, die „anders nicht zu beseitigendes grobes prozessuales Unrecht vermeiden" wollen, kommt das Gericht dann aber doch noch zu dem besagten Ergebnis 1 3 6 . Eine ausführliche Argumentation findet allerdings in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht statt. Insgesamt ist die Zulässigkeitsprüfung der Verfassungsbeschwerde überhaupt nur eineinhalb Seiten lang (inklusive Fundstellennachweisen). Erwähnt sei noch, daß das Gericht zwar eine frühere Entscheidung zitiert, in der das Bundesverfassungsgericht auch schon einmal in einem obiter dict u m den möglichen Erfolg einer Gegenvorstellung hervorhebt, bei der es aber um einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung und nicht 131 Die Problematik der Bindung der Fachgerichte an die Subsidiaritätsrechtsprechung des BVerfG hat schon Schneider, Z Z P 79 (1966), S. 1 (35 f.) erkannt. Seine Konstruktion einer Bindung (unter ausdrücklichem Offenlassen des Regelungsbereiches des § 31 BVerfGG) aus Erwägungen des § 95 BVerfGG (der für unzulässige Verfassungsbeschwerden gar nicht gilt, s. o. S. 70!) in Verbindung mit Gedanken des Rechtsschutzbedürfnisses kann aber nicht überzeugen. 132

Benda/Klein, R N 537 bemerken in diesem Zusammenhang, daß das „verfassungsrechtliche Gebot" sich an den Gesetzgeber richten müßte. 1 3 3

BVerfGE 63, 77: 2. Senat.

134

B V e r f G E 63, 77 (79).

135

B V e r f G E 63, 77 (78).

1 3 6

BVerfG E 63, 77 (78 f.); kritisch auch Zuck, JZ 1985, 921 (923 f.).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

1

um eine (normale) Verfassungsbeschwerde g i n g 1 3 7 . Auf der anderen Seite jedoch läßt das Gericht völlig unerwähnt, daß es in früheren Verfahren, die wie hier Verfassungsbeschwerden betrafen, die Verweisung des Beschwerdeführers auf eine Gegenvorstellung rundweg abgelehnt h a t t e 1 3 8 . Es setzt sich auch mit keinem Wort mit den damals abgegebenen Begründungen auseinander, so kurz diese auch waren. In jüngster Zeit hat sich das Bundesverfassungsgericht zu der Frage, ob nun Gegenvorstellung gegen eine ansonsten unanfechtbare Fachgerichtsentscheidung einzulegen sei, erneut geäußert 1 3 9 . Aber auch mit dieser Entscheidung wurde i m Ergebnis dem Beschwerdeführer kein sicherer Maßstab an die Hand gegeben. Nach einer ausführlichen, rechtlich ausgesprochen schwierigen Darstellung der unterschiedlichen fachgerichtlichen Ansichten zu diesem Thema kommt das Gericht nämlich zu dem Ergebnis, daß es zwar „von Verfassungs wegen...(naheläge), bei offenkundiger Verletzung des rechtlichen Gehörs Gegenvorstellungen allgemein zuzulassen. Beim gegenwärtigen Stande der Rechtsprechung der Fachgerichte kann indessen die Beschwerdeführerin nicht auf den Rechtsbehelf der Gegenvorstellung verwiesen werden" 1 4 0 . Ob hier eine „allgemeine" Aussage über Gegenvorstellungen getroffen worden ist, wie man diesem Zitat entnehmen könnte, oder ob diese nur für die freiwillige Gerichtsbarkeit gilt, wie wiederum der L e i t s a t z 1 4 1 und der Verfahrenszusammenhang indiziert, ist nur eine der Fragen, die weiterhin im Räume stehen. Daß man auch weiterhin mit der Gegenvorstellung wird leben müssen, zeigt jedenfalls der Beschluß der 2. Kammer des 2. Senats vom 5.6.1991, in der der Beschwerdeführer laut Sachverhalt sicherheitshalber die Gegenvorstellung im fachgerichtlichen (Straf-)Verfahren eingelegt hatte142. 137

B V e r f G E 55, 1 (5): 2. Senat.

138

B V e r f G E 15, 214 (218); 16, 119 (122). Diesen Entscheidungen zustimmend Leibholz/Rupprecht, § 90 R N 79; Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 R N 197. Auch BayVerfGHE 43, 156 (160) hat offengelassen, ob eine i m konkreten Fall eingelegte Gegenvorstellung nicht vielleicht doch „offensichtlich unzulässig" war. I n BayVerfGH BayVBl. 1977, 177 wurde jedenfalls noch einem Bf., der Gegenvorstellung eingelegt hatte, entgegengehalten, er hätte die Beschwerdefrist versäumt, da die Gegenvorstellung offensichtlich unzulässig gewesen wäre. 139

B e s c h l u ß vom 8.Juli 1986, BVerfGE 73, 322: 2. Senat.

1 4 0

BVerfGE 73, 322 (329); Hervorhebung nur hier.

141

BVerfGE 73, 322 (322).

142

B V e r f G N J W 1991, 2758 (Zulässigkeitsprüfung leider nicht abgedruckt). Schon Zuck, JZ 1985, 921 (925) hatte prognostiziert, „daß aus der bisherigen Rechtsprechung ein allgemeiner Rechtsgrundsatz entwickelt (werden) wird, wonach Gegenvorstellungen... eingesetzt werden müssen und...Vorrang vor der Verfassungsbeschwerde haben".

1

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

ddd) § 47 VwGO als Rechtsweg gegen formelle

Gesetze

Auch in den Zusammenhang der extensiven Auslegung fachgerichtlicher Rechtsmittel gehört die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Hamburgischen (formellen) Bebauungsplangesetzen, in der diese Gesetze dem Regelungsbereich des § 47 I Nr. 1 VwGO unterstellt w u r d e n 1 4 3 . Gleichwohl soll diese Entscheidung erst später aufgegriffen werden, wenn es speziell um den Sonderfall der Normen Verfassungsbeschwerde g e h t 1 4 4 .

eee) Stellungnahme zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (1) Keine eindeutigen Richtlinien für den Beschwerdeführer Wenn man sich anhand der Rechtsprechung des Zweiten Senates einen Uberblick darüber verschaffen will, wann man noch ein Rechtsmittel einlegen sollte, weil es nicht völlig aussichtslos ist, und wann ein Rechtsmittel so „offensichtlich unzulässig" ist, daß man doch schon Verfassungsbeschwerde einlegen kann und muß, wird man wohl keine klare Aussage herausarbeiten können 1 4 5 : Muß man ein umstrittenes Rechtsmittel riskieren, wenn es Entstehungsgeschichte und Wortlaut ausdrücklich nahelegen (entsprechend der Entscheidung zu § 33 a S t P O 1 4 6 ) oder reicht es, wenn Teile von Literatur und Rechtsprechung dieses Rechtsmittel zulassen, auch wenn ein beträchtlicher Teil der Fachgerichte dieses Rechtsmittel a b l e h n t 1 4 7 (wie beim Beschluß zur Gegenvorstellung 148 )? Bei Uneinigkeit bezüglich des Problems innerhalb der Fachgerichtsbarkeit: Wie stark muß die Gegenmeinung sein, damit die Einlegung des Rechtsmittels nicht mehr zumutbar i s t 1 4 9 ? 1 4 3 BVerfG E 70, 35 (53 ff.): 2. Senat. Auch Zuck, DVB1. 1985, 1049 (1050) ordnet die Entscheidung in den vorliegenden Themenkreis ein. 144

S i e h e dazu S. 165 ff.

145

D a s kritisiert auch Henschel, FS Faller, S. 165 (170).

146

B V e r f G E 42, 243.

147 A u c h Seetzen, N J W 1982, 2337 (2342) nennt einige Beispiele, in denen sich Oberlandesgerichte nicht einig sind. 148 B V e r f G E 63, 77; ebenso BVerfG N J W 1992, 496 (496). Dieses Problem verkennt m. E. Seetzen, N J W 1982, 2337 (2341 f.), wenn er einzelne Landgerichtsurteile, die z. T . in der Lit. befürwortet werden, sofort als in Zukunft für § 90 I I 1 BVerfGG zu beachten anmahnt. 1 4 9 Vgl. einerseits die viel Risikobereitschaft fordernde BVerfGE 63, 77 u. andererseits die insoweit großzügigere BVerfGE 73, 322.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

15

Oder genügt es gar, wenn einzelne Stimmen der Literatur einen Rechtsbehelf „ i n Betracht ziehen" (wie beim Beschluß zu § 513 I I Z P O 1 5 0 ) , ohne daß die Rechtsprechung zu dem Problem Stellung genommen hat? Oder kommt es schließlich etwa nur darauf an, ob der Beschwerdeführer die jeweiligen Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zu fachgerichtlichen Rechtsbehelfen hätte kennen müssen, ganz gleich, ob und wie diese fachgerichtlich akzeptiert sind? Letzteres könnte man den zwei Nachfolgebeschlüssen zur Entscheidung zu § 513 I I ZPO entnehmen, in denen darauf abgestellt wurde, daß die Beschwerdeführer den die Analogie bejahenden Ausgangsbeschluß des Bundesverfassungsgerichts noch nicht kennen konnten 1 5 1 . Auch der jüngst ergangene Beschluß der 2. Kammer des Ersten kann hier nur die äußerste Grenze abstecken:

Senats 152

„Die Einlegung eines Rechtsmittels ist dann wegen zweifelhafter Rechtslage unzumutbar, wenn der Gesetzeswortlaut für die Unzulässigkeit spricht, demgegenüber vereinzelt die Auffassung vertreten wird, das Rechtsmittel sei zulässig, dieser Standpunkt sich aber nicht zu einer festen Rechtsprechung entwickelt h a t " 1 5 3 . Anders ausgedrückt kann der Beschwerdeführer entgegen einem das Rechtsmittel verschließenden Gesetzeswortlaut nur dann trotzdem auf dieses Rechtsmittel — und damit auf den Rechtsweg — verwiesen werden, wenn die herrschende Ansicht der normanwendenden Fachgerichte die Zulässigkeit eindeutig bejaht; einzelne Stimmen genügen nicht. Damit entspricht der Kammerbeschluß der bisherigen Subsidiaritätsrechtsprechung nicht, die auch die Einlegung derjenigen Rechtsmittel verlangt hat, „deren Zulässigkeit in der bisherigen fachgerichtlichen Rechtsprechung nicht eindeutig geklärt i s t " 1 5 4 , und so weitaus mehr Risikobereitschaft fordert. In ihrem Beschluß, der verstärkt auf das geschriebene Gesetz abstellt, bemüht sich die Kammer sehr, den Eindruck einer in diesem Sinne ständigen, einheitlichen Rechtsprechung zu erwecken 1 5 5 . Dies kann allerdings nicht überzeugen, wenn man unter den zur Darstellung dieser „ständi1 5 0

BVerfGE 60, 96; dies verneinend jetzt BVerfG N J W 1992, 1747.

151

BVerfGE 61, 78 (80 f.); 61, 119 (122); ebenso schon die Argumentation in BVerfGE 2 2 , 3 4 9 (358 f.). 1 5 2

BVerfG N J W 1991, 2622.

153

B V e r f G N J W 1991, 2622 (2622). Es ging inhaltlich u m die Zulassung der Berufung analog § 513 I I Z P O in einem Verfahren mit mündlicher Verhandlung, in dem aber dennoch möglicherweise Art. 103 I G G verletzt worden war. 154 BVerfG E 70, 180 (185). Vgl. dazu schon oben S. 127 f. und die Nachw. in F N 98 auf S. 127. 155

V g l . die vielen Verweise, BVerfG N J W 1991, 2622 (2622).

16

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

gen Rechtsprechung" herangezogenen Zitate zwei der oben behandelten Beschlüsse zu § 513 I I ZPO analog 1 5 6 und die Leitentscheidung zur Gegenvorstellung 157 findet, — also gerade die Entscheidungen, die Rechtsbehelfe entgegen dem Gesetzes Wortlaut bzw. der herrschenden Rechtsprechung für zumutbar hielten; und auch die übrigen Verweise geben eigentlich nicht den oben zitierten Hauptgedanken wieder 1 5 8 . Einmal völlig abgesehen davon, ob sich dieser vereinzelte Kammerbeschluß überhaupt in Zukunft angesichts der vielen wesentlich strengeren Senatsentscheidungen durchsetzen wird, muß gerade der Verweis auf die genannten Senatsentscheidungen durch die Kammer bezweifeln lassen, daß in Zukunft von eigenen Rechtswegfindungen durch das Bundesverfassungsgericht abgesehen wird. Eine wünschenswerte Kehrtwendung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung scheint mit dieser Benutzung der „alten" Entscheidungen als „Präzedenzfälle" eher unwahrscheinlich zu s e i n 1 5 9 . Darüber hinaus bleiben wohl auch mit dieser Kammerentscheidung zukünftige Zweifelsfälle nicht aus, da die Frage offenbleibt, wie stark und eindeutig die „feste Rechtsprechung" gegenüber den „vereinzelten Auffassungen" sein muß bzw. welche Stärke die „Mindermeinung" haben muß, um doch den Rechtsweg eröffnen zu können. Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts läßt sich mit anderen Worten kein verläßlicher Maßstab für die geforderte Einsatzbereitschaft des Beschwerdeführers entnehmen, was wiederum ein Stück Rechtsunsicherheit mehr bedeuten m u ß 1 6 0 . 156

BVerfG E 60, 96 (99); 61, 119 (121).

1 5 7

BVerfG E 63, 77 (79).

1 5 8 Die im unmittelbaren Zusammenhang mit der oben zitierten Aussage aufgeführte BVerfGE 20, 276 (279) betraf z. B. den ohnehin völlig unproblematischen Fall der einheitlichen, entgegenstehenden höchstrichtlichen Rechtsprechung; ebenso die kurz vorher zitierte BVerfGE 9, 3 (7). I n BVerfGE 79, 1 (23 f.) wird auch entgegen dem Grundtenor der Kammerentscheidung eher herausgestellt, wie überaus streng (!) die Anforderungen an den Begriff der Unzumutbarkeit der Rechtswegerschöpfung zu stellen sind. 1 5 9 Es bleibt die vage Hoffnung, daß mit der Kammerentscheidung auf stille A r t und Weise eine „st. Rspr." geschaffen werden soll, mit der später eine entsprechende Senatsentscheidung untermauert werden kann. 1 6 0

Nach Zuck y Verfassungsbeschwerde, R N 623 kann man sich nicht einmal auf eine „herrschende Meinung" verlassen. So auch Dorr, R N 191, 225; Henckel, Z Z P 77 (1964), S. 321 (335) mit Warnung an die Oberlandesgerichte vor Alleingängen und Uneinigkeit zwischen einzelnen Senaten; Henschel, FS Faller, S. 165 (170). Wenn Gusy, Verfassungsbeschwerde, R N 153 meint, es komme für die Wahrung der Beschwerdefrist auf das „Verschulden" des Bf. an, wenn dieser irrtümlich ein unzulässiges Rechtsmittel für gegeben hält, so verlagert er m. E. nur die gesamte Problematik i n die Frage, ab wann ein Verschuldensvorwurf gerechtfertigt ist, wenn die Meinungslage zur Zulässigkeit eines Rechtsmittels unsicher ist.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

1

Zwar ist schon die sicher gut gemeinte Großzügigkeit der Fachgerichte aus dogmatischen Gründen nicht unproblematisch, wenn diese über Gegenvorstellung oder andere Wege versuchen, Art. 103 I GG durchzusetzen 161 ; diese Praxis kann aber noch toleriert werden, weil damit i m Ergebnis dem Bürger eine zusätzliche Rechtsschutzmöglichkeit eröffnet wird. Für die hier zu behandelnde Problematik ergibt sich aber die ganz andere, viel ernstere Frage, ob über eine ungeschriebene Zulässigkeitshürde mit allen Konsequenzen die Verfassungsbeschwerde verschlossen werden k a n n 1 6 2 . Dies um so mehr, als es sich um höchst strittige „Rechtswege" handelt, bei denen nicht einmal Berufsjuristen ein gemeinsames Ergebnis zu erreichen vermögen 1 6 3 . Auch das Bundesverfassungsgericht ist sich dieser Härte seiner Rechtsprechung wohl bewußt und versucht, ihr aus dem Wege zu gehen: sämtliche Entscheidungen zu § 513 I I ZPO und zur Gegenvorstellung enden nämlich trotz allem erfolgreich für die Beschwerdeführer, obwohl keiner den jeweiligen „neuen" Rechtsbehelf versucht h a t t e 1 6 4 . Das Bundesverfassungsgericht vermeidet eine Abweisung in allen Fällen über den Topos der „Unzumutbarkeit" der Rechtswegerschöpfung, entweder weil die Beschwerdeführer die Rechtsprechung noch nicht kennen k o n n t e n 1 6 5 oder weil die fachprozessuale Situation nun doch zu strittig s e i 1 6 6 . Nichtsdestoweniger ist für die Zukunft die Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach Berücksichtigung dieser neuen Rechtsbehelfe durchaus ernst zu nehmen 1 6 7 .

161 Seetzen, N J W 1982, 2337 (2343) sieht die Fachgerichte allerdings als positiv zu einer solchen „Lückenschließung" verpflichtet. Dagegen wie hier ausdrücklich Henckel, Z Z P 77 (1964), S. 321 (335). 162 D a s lehnt auch Gusy, Verfassungsbeschwerde, R N 135 ab. N u r Stürner, JZ 1986, 526 (528) meint, daß die „Anforderungen nicht zu hoch" seien und „gesundes Maß" hielten. Bowitz, BayVBl. 1977, 663 (passim) spricht sich dafür aus, daß jedenfalls dem Bf. nicht entgegenzuhalten sei, daß er die Beschwerdefrist versäumt habe, da die Gegenvorstellung nie völlig aussichtslos sei und damit auch nicht „offensichtlich unzulässig" sein könne. 1 6 3

Vgl. nur die interessante „Diskussion" zwischen Seetzen, N J W 1982, 2337 und N J W 1984, 347 und Braun, N J W 1983, 1403 und N J W 1984, 348. Siehe außerdem wieder ganz andere Aspekte betonend Henckel, Z Z P 77 (1964), S. 321, passim. 164 Nur bei der Entscheidung zu § 33 a StPO ist das Gericht eisern, vgl. BVerfGE 42, 243 (251), obwohl immerhin die Auslagen des Bf. der Staatskasse auferlegt wurden (S. 243, 251 f.). 165

BVerfG E 60, 96 (99); 61, 78 (81); 61, 119 (121 f.); 63, 77 (79).

166

BVerfG E 73, 322 (329). So geschehen auch in BVerfG N J W 1991, 2622 (2623).

167

B V e r f G E 63, 77 (79).

1

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

(2) Aufgabe der Zurückhaltung bei der Ausgestaltung des einfachen Verfahrensrechts Aber auch ein Widerspruch in der Jurisdiktion des Bundesverfassungsgerichts selbst wird mit diesen Eingriffen in das Fachgerichtsverfahren deutlich, da es in anderen Zusammenhängen des öfteren betont hatte, daß die Auslegung einfachen Rechts und die Gestaltung der Verfahren Sache der Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Verfassungsgericht entzogen sei168. Fraglich ist allererdings, ob dieses Bekenntnis heute noch so ohne weiteres überzeugen kann, wenn man die Intensität betrachtet, mit der sich das Bundesverfassungsgericht mit ζ. B. zivilprozessualen Fragen auseinandersetzt 169 . Jedenfalls hat das Bundesverfassungsgericht schon einmal selbst zugegeben, daß es bei der Prüfung, ob ein Verfahrensgrundrecht verletzt ist, eine Tätigkeit ausübt, „die im Grunde mit der der Instanzgerichte identisch i s t " 1 7 0 . Dementsprechend bereitet es heute tatsächlich erhebliche Probleme, feste Grenzen zwischen „spezifischem Verfassungsrecht" und einfachem Gesetzesrecht feststellen zu wollen 1 7 1 . Dies gilt vor allem, wenn das Bundesverfassungsgericht über die Gesichtspunkte des „Rechts auf effektiven 168

S . nur die Nachw. oben in F N 107 auf S. 128. Die überaus schwierigen Probleme insbes. des Verhältnisses zwischen verfassungsrechtlicher Anhörungspflicht und einfachrechtlicher, zivilprozessualer Präklusion wird ζ. B. von Deubner, N J W 1980, 263 ff. untersucht. 169

V g l . dazu die v. Nachw. bei Schumann, Z Z P 96 (1983), S. 137 (140 ff.). I m Ergebnis ebenso Benda/Klein, R N 526; Dörr, R N 185. Schuppert, A ö R 103 (1978), S. 43 (67) gibt zumindest Widersprüche und mangelnde Zurückhaltung in Einzelfallen zu. Waldner, § 13 R N 493 meint in diesem Zusammenhang sogar, daß m a n wegen der umfangreichen Tatsachenfeststellungen, die das BVerfG neben der Befassungmit einfachem Gesetzesrecht vornimmt, auch nicht mehr von „Superre visions-", sondern nur noch von „Superberufungsinstanz" sprechen könne. Bender, Befugnis des BVerfG, S. 405 scheint in dieser Hinsicht hingegen keine Bedenken zu haben. 1 7 0 BVerfG E 49, 252 (259). Ebenso Papier, BVerfG u. G G I , S. 432 (443). Burmeister, DVB1. 1969, 605 (607) spricht von einer „totalen Kompetenzvermischung". 17 1 Becker, RiA 1987, 134 (136); Gerontas, D Ö V 1982, 440 (446 in F N 57); Papier, BVerfG u. G G I, S. 432 (436, 450); Peters, JR 1980, 265 (267); Rupp, Z Z P 82 (1969), S. 1 (16); Schiaich, R N 287 ff.; Schneider, DVB1. 1969, 325 (passim); Schuppert, A ö R 103 (1978), S. 43 (45 ff.); G. Seibert, FS Hirsch, S. 491 (504 ff.); Steinwedel, S. 34; Stürner, JZ 1986, 526 (529). Schumann, Z Z P 96 (1983), S. 137 (157) meint sogar, diese ließen sich z. T . überhaupt nicht mehr feststellen. Er weist insbesondere mit umfangreichen Rspr.- Hinweisen nach, daß über das „Willkürverbot" aus A r t . 3 I G G das BVerfG sogar in Tatfragenproblematiken (z. B. Auslegung eines Schriftstückes) einsteigt, ebenda, S. 159 f. (vgl. jüngst BVerfG N J W 1991, 3023 [3023]). I m übrigen stellt Schumann unter Berufung auf Ossenbiihl fest: „Selbst wenn sich in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts Formulierungen finden, die auf klarere Kompetenzgrenzen hindeuten, so tragen sie dann nicht das tatsächliche Entscheidungsverhalten des BVerfG", ebenda, S. 181 in

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

1

Rechtsschutz" 1 7 2 , des „Rechts auf ein vorhersehbares Verfahren" 1 7 3 und des „Rechts auf fairen Prozeß" 1 7 4 einfachrechtliche Verfahrensverstöße zu Verfassungsverstößen e r h e b t 1 7 5 . Die genannte Rechtsprechung führt dazu, daß das Bundesverfassungsgericht zunehmend mit Urteilsverfassungsbeschwerden belastet wird, deren Beschwerdeführer wenigstens „ihr Glück versuchen" wollen und sich bezüglich der formelhaften Wendungen und Einzelfallorientiertheit gute Chancen ausmalen 1 7 6 . Auf diese allgemeine Problematik kann jedoch nicht annähernd erschöpfend eingegangen werden; verwiesen sei daher auf die einschlägige Literatur 177.

(3) Die Entscheidung zu § 33 a StPO Das Bundesverfassungsgericht nimmt zu der Befugnis, überhaupt einfaches Recht auslegen zu können, nur in der Entscheidung zu § 33 a StPO Stellung: Der rechtfertigende Grund liege „ i m Verfassungsrecht verankerten" Subsidiaritätsgrundsatz und der Tatsache, daß § 33 a StPO „durch den von ihm beabsichtigten speziellen Grundrechtsschutz, hier des Art. 103 Abs. 1 GG, zugleich den Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde" konkretisiere 1 7 8 . In diesem konkreten Fall erscheint es m. E. als gut vertretbar, auf die Bedeutung und verfassungsrechtliche Anbindung des § 33 a StPO als unmittelbare Konkretisierung des Gebots rechtlichen Gehörs abzustellen 1 7 9 . F N 151. Schumann in diesem Zusammenhang ausdrücklich zustimmend Bettermann, Verfassungskonforme Auslegung, S. 46. Ebenso entschieden Burmeister, DVB1. 1969, 605 (606); Waldner, § 13 R N 493. Ähnlich Rennert, N J W 1991, 12 (12 ff.). Demgegenüber für eine weitere Ausdehnung der Prüfungszuständigkeit des BVerfG Gündisch t N J W 1981, 1813 (1819 f.). 172

Z u m Beispiel BVerfGE 24, 367 (401).

173

Z u m Beispiel BVerfGE 49, 148 (164 f.).

174

Z u m Beispiel BVerfGE 46, 325 (334f.); 51, 150(156). Siehe dazu die umfangreichen Nachw. bei Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 279 in F N 40. 175

E b e n s o Schumann, Z Z P 96 (1983), S. 137 (165); Stürner,

176

S o auch Waldner, § 13 R N 495.

JZ 1986, 526 (527).

1 7 7 Als Einstieg empfiehlt sich Benda/Klein, R N 586 ff.; Schiaich, R N 301 ff.; Schumann, ZZP 96 (1983), S. 137 (160 ff.) m. v. w. Nachw. in den F N 96 ff.; Schuppert, AöR 103 (1978), S. 43 (passim); Steinwedel, passim; Waldner, § 13. Vgl. auch die vielen Nachw. bei Stürner, JZ 1986, 526 (529 in F N 52, 53). 178 179

BVerfG E 42, 243 (249 f.); Hervorhebung im Original.

S o wohl i. E. ebenso (aber allgemeiner) Deubner, N J W 1980, 263 (264): „Wo Verfassungsrecht und einfaches Recht sich in dieser Weise decken, verliert die Beschränkung

1

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Denn würde man das einfache Verfahrensrecht insoweit vollständig aus der Jurisdiktion des Bundesverfassungsgerichts verbannen, entfiele für das Gericht eine wichtige Möglichkeit, Art. 103 I GG effektiv zu verteidigen 1 8 0 . Zudem hat das Bundesverfassungsgericht in der vorliegenden — wie erwähnt recht ausführlichen — Entscheidung mit den bewährten Mitteln der Auslegung den Regelungsbereich der Norm historisch, gesetzessystematisch und teleologisch korrekt bestimmt, nicht aber hat das Gericht den § 33 a StPO über diesen schon durch den Gesetzgeber vorgegebenen Rahmen hinaus auf andere Anwendungsbereiche ausgedehnt. Insoweit ist es m. E. auch unproblematisch, den § 33 a StPO in seiner durch das Bundesverfassungsgericht nun erweiterten Bedeutung sogar unter das Rechtswegerschöpfungsgebot des § 90 I I 1 BVerfGG zu subsumieren, ohne auf das Subsidiaritätsprinzip 1 8 1 zurückgreifen zu müssen. Festzustellen ist noch an dieser Stelle, daß die vom Bundesverfassungsgericht auch in den nachfolgenden Entscheidungen immer wieder anklingende einleitende Feststellung, daß der Gesetzgeber auch in den Fällen der Verletzung des Art. 103 I G G nicht gezwungen sei, für jeden Einzelfall einen Instanzenzug zur Verfügung zu stellen, da der Betroffene j a noch die Verfassungsbeschwerde habe ( ! ) 1 8 2 , nach und nach ebenfalls immer mehr seine Bedeutung zu verlieren scheint 1 8 3 . Dies nicht nur wegen der zunehmenden Relevanz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, sondern insbesondere auch, weil das Gericht anschließend unmißverständlich zu verstehen gibt, daß die Überlastung der Verfassungsrichter mit „Bagatellverfahren" 1 8 4 , in denen der Grundrechtsverstoß oftmals nur eine „Panne" s e i 1 8 5 , „bei einer anderen Ausgestaltung des Rechtsmittelzuges vermeidbar w ä r e " 1 8 6 . Der Weg der Verfassungsbeschwerde erweise sich als U m w e g 1 8 7 . des BVerfG auf die Prüfung der richtigen Anwendung des Verfassungsrechts ihre Bedeutung". 180

S o i. E. auch Henschel, FS Faller, S. 165 (171).

181

Ob das Subsidiaritätsprinzip überhaupt geeignet ist, die extensive Auslegung einfachen Prozeßrechts zu rechtfertigen, wie das BVerfG offensichtlich glauben machen will, muß stark bezweifelt werden. Zu dieser Frage, die auch für die Rechtsprechimg zu § 513 I I Z P O und zur Gegenvorstellung relevant ist, vgl. erst unten S. 144 ff. 1 8 2

BVerfG E 42, 243 (248); ebenso ein Beschluß des 2. Senates vom gleichen Tag: BVerfGE 42, 252 (254). 183 A u c h Seetzen, N J W 1982, 2337 (2342) meint, daß das BVerfG m i t seinen Beschlüssen diesen Grundsatz inzwischen gebrochen hat. 184

BVerfG E 42, 243 (249); siehe dazu schon oben S. 50 f.

185

E b e n d a , (248).

186

E b e n d a , (249); ebenso BVerfGE 42, 252 (255).

187

B V e r f G E 42, 243 (249).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

1

(4) Die Entscheidungen zu § 513 I I ZPO und zur Gegenvorstellung Die übrigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bleiben nicht mehr bei einer bloßen Auslegung von bestehenden gesetzlichen Regelungen stehen. Vielmehr arbeitet das Gericht zum einen mit einer Analogie (§513 I I ZPO), zum anderen sogar völlig ohne konkrete gesetzliche Anbindung (Gegenvorstellung). Bei letzterem ist insbesondere zu kritisieren, daß ohne ausdrückliche Rechtsgrundlage Richter ihre eigenen rechtskräftigen Urteile abändern können 1 8 8 . In beiden Fällen arbeitet das Gericht eigentlich contra legem 189, was in der Ausgangsentscheidung zu § 513 I I ZPO sogar indirekt zugegeben wird, wenn das Gericht eingangs feststellt, daß „die Zivilprozeßordnung...keine den §§ 33 a, 311 a StPO entsprechende Regelung" k e n n e 1 9 0 . I m übrigen steht die Rechtskraft der fachgerichtlichen Entscheidung insbesondere einer erneuten Verhandlung nach Gegenvorstellung entgegen 1 9 1 . Daran ändert sich auch nichts dadurch, daß es nach dem Bundesverfassungsgericht „verfassungsrechtlich geboten (ist), in den Fällen der Verletzung des rechtlichen Gehörs ein Rechtsmittel zuzulassen, wenn die Auslegung der einschlägigen Verfahrensvorschriften dies ermöglicht" 1 9 2 . Diese Formulierung, eindrucksvoll in der Entscheidung zu § 513 I I ZPO aufgestellt, hat nämlich mehrere Schwachstellen: Erstens greift das Bundesverfassungsgericht — wie oben bereits angedeutet — über seine Kognitionsgrenzen hinaus, wenn es i m Wege der „verfassungskonformen Auslegung" einer Norm einen anderen Sinn gibt als der Gesetzgeber und als die Fachgerichtsbarkeit, die eigentlich für die Auslegung einfachen Rechts zuständig sein s o l l t e 1 9 3 . 188

Henschel,

FS Faller, S. 165 (168 ff.)·

189

F ü r die Gegenvorstellung ebenso Braun, N J W 1983, 1403, passim; Gusy, Verfassungsbeschwerde, R N 145: „praeter oder contra legem"; Henschel, FS Faller, S. 165 (170), dem aber insoweit nicht gefolgt werden kann, als er dann doch i. E. die Konstruktion des § 513 I I Z P O analog akzeptiert. 1 9 0

BVerfGE 60, 96 (98).

1 9 1

So zu Recht Braun, N J W 1983, 1403 (1404). Das Zitat, welches Seetzen, N J W 1982, 2337 (2343) zur Untermauerung seiner Gegenansicht anbringt, überzeugt m . E. nicht. Auch Braun, ebenda, lehnt die Argumentation i. E. ab. 1 9 2

BVerfGE 60, 96 (99); Hervorhebung nur hier. W i e dieser Ausspruch und seine Folgen mit der in BVerfGE 42, 243 (248); 49, 252 (256) festgestellten „Tatsache" zu vereinbaren ist, daß der Verstoß gegen A r t . 103 I G G kein neues Rechtsmittel eröffne, ist nicht recht verständlich. Auch Seetzen, N J W 1982, 2337 (2342) meint, daß die Analogie zu § 513 I I Z P O sehr wohl ein neues Rechtsmittel m i t Rücksicht auf die Verletzung rechtlichen Gehörs eröffne. 193 L e t z t e r e s dürfte immer noch h. M . sein; vgl. nur Schumann, Z Z P 96 (1983), S. 137 (183 m . w. Nachw. i n F N 157 f.); Sturner, JZ 1986, 526 (528).

12

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Insofern wäre ζ. B. (nur) eine Auslegung in Übereinstimmung mit dem Bundesgerichtshof als oberster Instanz in Z i v i l - und Strafsachen zulässig gewesen 194 , wovon freilich nicht die Rede sein konnte. Zweitens handelte es sich i m Fall des § 513 I I ZPO gar nicht mehr um „mögliche Auslegung einer einschlägigen Vorschrift", sondern um Analogie 195 zu einer eigentlich gar nicht einschlägigen Sondervorschrift für Zweite Versäumnisurteile, die als solche ohnehin nur bedingt analogiefähig ist196. Drittens ist Analogie nur bei Feststellung einer Lücke i m Sinne einer „planwidrigen Unvollständigkeit" der gesetzlichen Regelung möglich 1 9 7 . Hier ist aber nicht nur die PI an Widrigkeit durchaus zweifelhaft 1 9 8 da die Anhörungsrüge schon mehrfach Diskussionsgegenstand in Rechtsausschüssen und Justizministerkonferenzen w a r 2 0 0 .

199

194 S c h u m a n n , Z Z P 96 (1983), S. 137 (211). Ebenso Bettermann, Verfassungskonforme Auslegung, S. 53, der kritisiert, daß das BVerfG sogar in einem Fall, in dem der gesamte (!) verwaltungsgerichtliche Instanzenzug das LadenschlußG (also einfar ches Recht) übereinstimmend ausgelegt hatte, letztendlich seine eigene abweichende Auslegung durchgesetzt hat (BVerfGE 59, 336 ff.). I m folgenden verweist Bettermann (ebenda, S. 53 f.) auch noch auf die ähnliche Problematik der BVerfGE 27, 308 ff. 195 C a n a r i s , S. 25: „...die Analogie überschreitet den möglichen Wortsinn des Gesetzes", wobei sie durch den Gleichheitssatz gerechtfertigt ist; sie ist „nicht bloße Auslegung i m Sinne einer Klarstellung der Gebote des Gesetzgebers". Auch Bettermann, Verfassungskonforme Auslegung, S. 51, bescheinigt, daß das BVerfG in vielen Fällen „unter der Flagge der verfassungskonformen Auslegung über den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 I G G Analogie" betreibt. Das dürfte wohl auch hier der Fall sein, was von Seetzen, N J W 1982, 2337 (2342) nicht konsequent berücksichtigt wird. 1 9 6 Auf diese Begründung stützen die oben in F N 126 genannten Landgerichte insbes. ihre abweichende Meinung. Sie sind der Meinung, daß § 513 I I Z P O eher eng auszulegen sei, da es sich u m eine Ausnahmevorschrift zu § 511 a Z P O handele. Daß „Spezialvorschriften" überhaupt nicht analogiefähig seien, konstatiert in anderem Zusammenhang B a y V G H BayVBl. 1981, 499 (501). Siehe zum Problem der Analogieunfähigkeit von Ausnahmevorschriften eingehend Canaris , S. 181, der auch vor einer Überbewertung dieser Regel warnt. 1 9 7

Vgl. nur Canaris , S. 16, 25, 39 und das grundlegende Werk von Larenz, S. 373.

1 9 8

Der Gesetzgeber betreibt in letzter Zeit mit seinen Vereinfachungs- und Entlastungs-Novellen sogar eine entgegenstehende Politik. Z u m Beispiel hat er m i t § 579 I I I Z P O a. F. einen der wenigen Rechtsbehelfe der Z P O gegen Verletzung des rechtlichen Gehörs abgeschafft, Art. 1 Nr. 54 und 81 der Vereinfachungsnovelle vom 3.12.1976 (BGB1.I, 3281), wofür er von Schumann, Z Z P 96 (1983), S. 137 (197) scharf kritisiert wird. 199 N a c h L G Bonn N J W 1985, 1170 (1170) ist die Problematik durch den Gesetzgeber vielmehr ausdrücklich unterschiedlich für das schriftliche Verfahren und das 2. Versäumnisurteil geregelt worden. Auch Waldner, § 14 R N 535 hält die Analogie für „gewagt". 200 V g l . die Nachw. bei Becker, R i A 1987, 134 (135 f.). Daß ein entsprechendes Gesetzesvorhaben insbesondere wegen Befürchtungen der Fachgerichte bezüglich Mehrar-

,

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

1

Vielmehr kann das Bundesverfassungsgericht eine Unvollständigkeit, die durch die analoge Anwendung des § 513 I I ZPO korrigiert werden müßte, nur mit der Begründung konstruieren, es werde sonst über Gebühr mit „Bagatellfällen" überschüttet. Die „Lücke" in der Fachprozeßordnung wäre also i m Sinne einer „durchlässigen Stelle zum Nachteil des Bundesverfassungsgerichts" zu sehen, also eine „Lücke", die statt zu einem Fachgericht zu einem Verfassungsgericht — aber immerhin überhaupt zu einem Gericht — führt. Dies ist jedenfalls nicht der Normalfall der Lücke, bei dem der Gesetzgeber gar keine Regelung getroffen hat und der betroffene Sachverhalt somit ohne Rechtsfolge b l e i b t 2 0 1 . Ein „rechtspolitischer Fehler", der diesem Unterlassen der Ergänzung der Prozeßordnungen eventuell attestiert werden mag, ist jedenfalls nach überkommenem juristischen Handwerkszeug strikt von der Gesetzeslücke als Voraussetzung einer Analogie zu t r e n n e n 2 0 2 . „Rechtspolitische Fehler" können vielmehr in der Regel nur durch Handeln des Gesetzgebers oder in den engen Grenzen der sogenannten „gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung" durch die Gerichte beseitigt werden 2 0 3 . Letztere erfordert aber einen echten Rechtsnotstand 2 0 4 . Daß aber ein solcher momentan vorläge und nur durch schnelle extensive Auslegung der Fachprozeßordnungen abzuwenden wäre, wird wohl von niemandem ernsthaft vertreten. „Verfassungsrechtlich geboten" kann damit nur ein zügiges Handeln des Gesetzgebers s e i n 2 0 5 . Bei diesem Befund muß sich das Bundesverfassungsgericht den Vorwurf gefallen lassen, es schwinge sich zum „Ersatzgesetzgeber" 206 auf, wenn es durch Richterspruch eine außerordentliche fachgerichtliche Anhörungsmöglichkeit via Gegenvorstellung oder via an sich nicht vorgesehener Berufung einführen will.

beit nicht mehr weiter verfolgt worden ist, berichtet Seetzen, N J W 1982, 2337 (2338) m. w. Nachw. Ob dies eine endgültige Entscheidung ist, kann nicht festgestellt werden, da selbst das B M J dazu keine abschließende Antwort geben kann, vgl. den Nachw. in F N 22 bei Braun, N J W 1983, 1403 (1405). Die Landesjustizminister haben der Anhörungsrüge jedenfalls eine Absage erteilt, vgl. Braun, N J W 1984, 348 (349) und Wöhrmann, FS Zeidler I I , S. 1343 (1356). 20 1

Larenz, S. 372.

202

D i e s mit Nachdruck hervorhebend Canaris , S. 33 und Larenz, S. 374.

203

S i e h e dazu Larenz, S. 413 ff., insbes. S. 426 ff.

204

Larenz,

2 0 5 206

S. 427.

So auch jetzt Benda/Klein,

R N 537.

S o die Formulierung von Sturner, JZ 1986, 526 (528); i. E . auch Henschel, FS Faller, S. 165 (171, 172).

1

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Denn trotz regelmäßiger Ergänzungen und Erneuerungen in der Zivilprozeßordnung 207 hat der Gesetzgeber — dem nicht zuletzt durch die L i t e r a t u r 2 0 8 und die A p p e l l e 2 0 9 des Bundesverfassungsgerichts die Lage i m Zivilverfahren bekannt ist — es eben abgelehnt oder zumindest unterlassen, eine zivilprozessuale Anhörungsrüge oder ähnliches einzuführen 2 1 0 . Daher scheint das Bundesverfassungsgericht der Versuchung erlegen zu sein, im Rahmen einer „Selbsthilferechtsprechung" für eigene Entlastung zu sorgen 2 1 1 . Die Rechtsprechung läßt sich auch schlecht mit der Wichtigkeit des „prozessualen Urrechts" 2 1 2 des rechtlichen Gehörs rechtfertigen, wie dies noch bei § 33 a StPO vertretbar war. Denn das Bundesverfassungsgericht hat die Forderung nach einer Gegenvorstellung in einer Entscheidung ausgesprochen, in der es gar nicht um Art. 103 I GG ging, sondern vielmehr um Art. 101 I 2 GG. Hier wird auch die Gefahr deutlich, sich durch Verweis auf immer neue, zweifellos ebenfalls „besonders wichtige" (Verfahrens-)Grundrechte immer mehr in der Mitausgestaltung des einfachen Verfahrensrechtes zu „verzetteln"

(5) Schließlich: Widerspruch zum Subsidiaritätsprinzip oder Rechtswegerschöpfungsgebot M i t der gerade angesprochenen Gefahr ist noch ein weiteres Problem angerissen. Denn das zur Rechtfertigung der Einmischung in die Fachprozeßordnungen herangezogene 213 Subsidiaritätsprinzip soll j a insbesondere dem Bundesverfassungsgericht Entlastung verschaffen. 207 M a n denke nur an die große Überarbeitung der Z P O i m Rahmen des RechtspflegeVereinfachungsgesetzes vom 17.12.1990, BGB1.I, 2487. 2 0 8 Daß vor allem in der Umsetzung des Art. 103 I G G in der Praxis vieles i m Argen liegt, bestätigt auch Wimmer, DVB1. 1985, 773 (775). 209 U n d einem expliziten Vorschlag, B R - D r s . 6 1 4 / 8 4 , S. 11, in den wichtigsten Punkten wiedergegeben bei Zuck, JZ 1985, 921 (926 f.). Es handelt sich dabei u m eine nachdrückliche Forderung, die seit 1978 vom BVerfG erhoben wird, vgl. Wöhrmann, FS Zeidler I I , S. 1343 (1356). 210

S i e h e die Nachw. oben in F N 200 auf S. 142.

2 1 1

Begriff nach Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 38. Dies diagnostizieren auch Bender, AöR 112 (1987), S. 169 (178); Henschel, FS Faller, S. 165 (172); Seetzen, N J W 1982, 2337 (2340); Sturner, JZ 1986, 526 (533). 212

B V e r f G E 55, 1 (6).

213

V g l . BVerfGE 42, 243 (249 f.).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

15

Unter diesem Aspekt ist es allerdings sehr fraglich, ob das Subsidiaritätsprinzip zu einer generellen Rechtfertigung der Einmischung in das einfache Verfahrensrecht geeignet ist, wenn das Bundesverfassungsgericht dann in jedem Einzelfall umfangreiche Rechtsprechungs- und Literaturnachforschungen schon in der Zulässigkeitsprüfung anstellen muß. Als Konsequenz seiner oben aufgeführten Rechtsprechung müßte das Gericht nämlich jeweils prüfen, wie i m konkreten Rechtsgebiet die „h. M . " zur Frage der Gegenvorstellung steht, ob der Beschwerdeführer somit noch hätte Gegenvorstellung erheben müssen oder ob der Instanzenzug noch auf eine andere Art und Weise „gestaltet" werden k a n n 2 1 4 . Auch dürfte jeder Beschwerdeführer in der konkreten Situation lieber „auf Nummer sicher gehen" und neben der Einlegung des zweifelhaften Rechtsmittels schon einmal Verfassungsbeschwerde erheben — und sei es nur in der Hoffnung auf eine Vorabentscheidung nach § 90 I I 2 B V e r f G G 2 1 5 . Denn nur durch eine solche „doppelte Rückversicherung" kann der Beschwerdeführer ausschließen, daß er nach erfolgloser Rechtswegerschöpfung vom Bundesverfassungsgericht vorgehalten bekommt, daß das letzte Rechtsmittel „offensichtlich unzulässig" gewesen und somit die Beschwerdefrist des § 93 BVerfGG abgelaufen s e i 2 1 6 . Wenn aber das Bundesverfassungsgericht auch weiterhin „sicherheitshalber" angegangen wird, kann der gewünschte Entlastungseffekt nicht eintreten 2 1 7 . Hinzu kommt unter diesem Aspekt noch das bereits angedeutete Phänomen, daß das BVerfG gelegentlich tief in das einfache (Prozeß-) Recht einsteigt und dann auch schon einmal entgegenstehende fachgerichtliche Ansichten beiseiteschiebt. Damit werden aber auch diejenigen Beschwerdeführer ermutigt, deren Fachgerichtsentscheidung eigentlich der herkömmlichen Rechtsprechung entspricht 2 1 8 . Auch sonst nimmt das Bundesverfassungsgericht anscheinend seine eigenen Beweggründe in bezug auf den Subsidiaritätsgrundsatz nicht mehr so ganz ernst, wenn es gerade nicht das Fachwissen der Instanzgerichte 2 1 4 Vgl. nur den vergleichsweise großen Aufwand, den das BVerfG in BVerfGE 73, 322 (325 ff.) treibt: einer halben Seite Begründetheitsprüfung gehen gute vier Seiten allein zur Frage der Gegenvorstellung voran (plus eine Seite sonstiger Zulässigkeitsprobleme). Siehe auch die Nachforschungen in Literatur und Rechtsprechung zur Anwendung der Nichtigkeitsklage i m Verwaltungsprozeß in BVerfG N J W 1992, 496 (496). 2 1 5 Ausdrücklich wird diese Vorgehensweise empfohlen von Benda/Klein, Dorr, R N 192.

R N 535 und

216 A u c h Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 651 empfiehlt, bei „Unklarheiten" „vorsorglich" Verfassungsbeschwerde zu erheben; ebenso Benda/Klein, R N 534; Gusy, Verfassungsbeschwerde, R N 135 m . w. Nachw. 217

E b e n s o Benda/Klein,

218

R N 527; Henschel, FS Faller, S. 165 (172).

V g l dazu Schumann, Z Z P 96 (1983), S. 137 (182).

10 Warmke

16

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

erfahren will, wie es sonst immer b e t o n t 2 1 9 , sondern i m Falle des § 513 I I ZPO völlig mit Literaturmeinungen auskommt 2 2 0 . Eigentlich müßte man sogar konstatieren, daß das Bundesverfassungsgericht sich insoweit über das Fachwissen der Instanzgerichte hinwegsetzt, wenn man aus deren Schweigen zu Analogien oder Gegenvorstellungen eine ablehnende Haltung entnimmt221.

fff)

Eigener Ansatz

Nach alledem ist die extensive „Auslegung" der Fachprozeßordnungen durch das Bundesverfassungsgericht abzulehnen. Es ist nicht nur der Rechtssicherheit abträglich, wenn dem Beschwerdeführer extrem umstrittene Rechtsbehelfe als Zulässigkeitshürden vorgehalten werden 2 2 2 . Die bisherigen Entscheidungen stehen auch dogmatisch auf ungesicherter Grundlage 2 2 3 und können noch nicht einmal den Entlastungsbestrebungen des Bundesverfassungsgerichts dienen, da sie mit umfangreichen Prüfungen schon bei der Zulässigkeitsstation belastend wirken.

(1) Abschichtung des Problems Ob ein Rechtsweg „erschöpft" ist, muß sich „nach der jeweils maßgeblichen Verfahrensordnung in der Auslegung und Anwendung, die ihr durch die zuständigen Fachgerichte gegeben w i r d " 2 2 4 , richten. Dabei ist als erster Schritt zunächst nach einer einschlägigen höchstrichterlichen Fachgerichtsentscheidung zu suchen, auch wenn die Praxis der Untergerichte sich noch nicht ganz auf diese eingestellt haben s o l l t e 2 2 5 . Bei Fehlen einer höchstrichterlichen Entscheidung muß als zweiter Schritt untersucht werden, ob sich nicht in der Praxis der unteren Instanzen eine einheitliche Handhabung herausgebildet h a t 2 2 6 . 2 1 9 220

Vgl. ζ. B. BVerfGE 9, 3 (7); 79, 29 (37).

D a r a u f weist Henschel, FS Faller, S. 165 (171) hin.

22 1 Schumann, Z Z P 96 (1983), S. 137 (189) spricht in diesem Zusammenhang von einer Fehlbeurteilungsgefahr durch das BVerfG bei übergangener Sachkunde der Fachgerichte. Waidner, § 13 R N 507 hebt die Gefahr der „Zementierung" des einfachen Rechts durch die BindungsWirkung des § 31 I BVerfGG hervor. 2 2 2 223

Ebenso Gusy, Verfassungsbeschwerde, R N 135. S o auch i. E. Zuck, JZ 1985, 921 (925).

2 2 4

Benda/Klein,

R N 528.

2 2 5

Benda/Klein,

R N 529.

2 2 6

Zweifelnd allerdings Leibholz/Rupprecht,

§ 90 R N 81.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

1

Sollte keine eindeutige Rechtsprechung vorliegen, muß meines Erachtens als dritter Schritt auf die konkrete Ansicht des zuständigen, einzelnen (Rechtsmittel-)Gerichts des Ausgangsverfahrens abgestellt werden, weil sich aus dieser die Reichweite des gerade durch den Betroffenen zu beschreitenden Rechtsweges e r g i b t 2 2 7 . Die Ansicht des Fachgerichts kann ζ. B. der Prozeßgeschichte des konkreten Falles oder veröffentlichten Entscheidungen entnommen werden. Der Beschwerdeführer kann sich diese Kenntnis notfalls unter Einschaltung eines Anwaltes verschaffen, der ohnehin in einigen 2 2 8 Prozeßordnungen mit Ausnahme der jeweils untersten Instanz schon Pflicht und damit vom Beschwerdeführer dort ohnehin zu engagieren ist, will er den Rechtsweg wirklich „erschöpfen" 2 2 9 . Wenn das für den Beschwerdeführer zuständige Fachgericht das betreffende Rechtsmittel nicht als gegeben ansieht, ist gegen die konkrete Grundrechtsverletzung der Rechtsweg „erschöpft". Wenigstens hier muß die Stellung der Verfassungsbeschwerde als „Individualrechtsschutzmittel" 2 3 0 dazu führen, daß auf die individuellen Rechtsverfolgungsmöglichkeiten des Betroffenen abgestellt wird, die durch dessen Abhängigkeit von den Rechtsansichten der konkret für ihn zuständigen Fachgerichte gekennzeichnet sind. Dabei gehört es nicht zu den Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts, diese fachgerichtliche Verfahrenssicht als „richtig" oder „falsch" zu bewerten und durch eigene Erwägungen zu ersetzen 2 3 1 . Eigene Eingriffe in das einfache Verfahrensrecht sind auf jeden Fall schon deshalb zu vermeiden, damit nicht der Beschwerdeführer „zwischen die Fronten" (restriktive Auslegung eines Rechtsbehelfs durch das zuständige Fachgericht, aber extensive Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht) g e r ä t 2 3 2 . Nur für die dann noch verbleibende Konstellation, in der weder höchstrichterliche Rechtsprechung noch eine einheitliche Praxis der Untergerichte, noch ein „Präzedenzfall" des konkret zuständigen Fachgerichts vorliegt, stellt sich überhaupt die Frage, ob dem Beschwerdeführer „Risikobereitschaft" zugemutet werden kann. 227

S o auch BayVerfGHE 40, 54 (56).

228

§ 78 Z P O : ab L G aufwärts Anwaltspflicht; ähnlich in Strafsachen, vgl. § 1 4 0 1 StPO. § 11 I I A r b G G : Anwaltspflicht bei L A G und B A G . Nur beim jeweils obersten Bundesgericht besteht Anwaltspflicht in der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Sozialgerichtsbarkeit, vgl. §§ 73 I , 166 S G G , § 67 I I V w G O . Gar keine Anwaltspflicht besteht in der Finanzgerichtsbarkeit, vgl. § 62 F G O . 229 D a r a u f weist auch Schneider, DVB1. 1969, 325 (335) hin. 2 3 0

Siehe dazu ausführlich Benda/Klein,

2 3 1

I m Ergebnis ebenso Benda/Klein,

2 3 2

Ähnlich Benda/Klein,

R N 532.

R N 331 ff. R N 529.

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

1

(2) Der Problemfall Hier muß aber meines Erachtens der Grundsatz gelten, daß Zweifel und unvermeidbare Unsicherheiten nicht dem Beschwerdeführer aufgebürdet werden dürfen 233. Es gibt dann theoretisch drei Möglichkeiten, die Spannungslage aufzulösen. Erstens: Der Beschwerdeführer legt das umstrittene Rechtsmittel wegen einer großzügiger gehandhabten „Unzumutbarkeit" gar nicht ein, sondern erhebt unmittelbar Verfassungsbeschwerde. Dies hat die Vorteile, daß nur das Bundesverfassungsgericht belastet wird und der Beschwerdeführer seine Grundrechtsverletzung an berufener Stelle geltend machen kann. Es hat aber auch den Nachteil, daß die Fachgerichtsbarkeit gar keine Gelegenheit bekommt, der Rechtsverletzung abzuhelfen und das Verfahrensrecht weiterzuentwickeln. Zweitens: Andererseits könnte man den Beschwerdeführer auch zu einem unbedingten Versuch des fachgerichtlichen Rechtsbehelfs anhalten, wenn wenigstens ein vergleichbares Instanzgericht dieses Rechtsmittel einmal zugelassen hat. Dabei könnte man Härten weitgehend dadurch zu vermeiden versuchen, daß man unter der genannten Voraussetzung die Einlegung des Rechtsmittels nicht als „offensichtlich unzulässig" ansieht und die Frist des § 93 I BVerfGG erst nach Entscheidung über das Rechtsmittel zu laufen beginnen l ä ß t 2 3 4 . Diese Vorgehensweise hätte den Vorteil der größtmöglichen Entlastung des Bundesverfassungsgerichts, aber auch den Nachteil der stärksten Risikoaufbürdung für den Beschwerdeführer, dem unter Umständen die Zeit wegläuft. Drittens: Schließlich bleibt die Möglichkeit, daß der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde und das ungeklärte Rechtsmittel gleichzeitig einlegt; dann wird seine Verfassungsbeschwerde spätestens nachträglich nach Entscheidung des Fachgerichts über den Rechtsbehelf zulässig 2 3 5 . Ein Risiko für den Beschwerdeführer wird somit völlig ausgeschieden 236 . Diese Lösung trägt zwar den Nachteil der doppelten Beanspruchung von Bundesverfassungsgericht und Fachgericht in sich, was j a gerade auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorgeworfen w i r d 2 3 7 . 2 3 3

Vgl. BVerfGE 4, 193 (198); 5, 17 (20). Zustimmend Benda/Klein,

2 3 4

So wohl der Vorschlag von Bowitz, B a y V B l . 1977, 663 (passim).

235

B V e r f G E 2, 105 (109); 54, 53 (66).

236

D i e s e r Weg wird daher z. B. vorgeschlagen von Benda/Klein,

237

S i e h e oben S. 144 f.

R N 529.

R N 534.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeswerde

1

Dieser Nachteil läßt sich jedoch in seinen Auswirkungen minimieren, wenn man einmal die oben aufgestellte Forderung ernst nimmt, daß das Bundesverfassungsgericht sich nicht selbst mit der Auslegung einfachen Verfahrensrechts beschäftigen soll. Daß die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts diesem wegen „vorsorglich" eingelegter Verfassungsbeschwerden keine Entlastung bringen kann, hängt j a mit dem weiteren Vorwurf zusammen, daß das Bundesverfassungsgericht sich „unaufgefordert" in die Rechtsweggestaltung einmischt und hier viel zu viel Zeit und Energie investiert. Demgegenüber ergibt sich bei der hier vertretenen Ansicht eigentlich keine Mehrbelastung, wenn sich das Bundesverfassungsgericht bestimmter, bisher allgemein eher stiefmütterlich behandelter verfassungsprozessualer Hilfsmittel erinnert 2 3 8 : Wenn ein Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde einlegt und dabei i m Rahmen seiner Darlegungen zur Zulässigkeit angibt, daß er zur Erfüllung des Rechtswegerschöpfungsgebotes des § 90 I I 1 BVerfGG gleichzeitig ein ungeklärtes fachgerichtliches Rechtsmittel eingelegt hat, über das noch nicht abschließend entschieden wurde, so kann das Bundesverfassungsgericht einmal das Verfahren nach § 33 I BVerfGG aussetzen 239 und die Fachgerichtsentscheidung abwarten 2 4 0 . Es kann aber auch (eventuell sogar zusätzlich) — und das wird vielfach vergessen — das mit dem Rechtsbehelf beschäftigte Fachgericht zur Rechts- und Amtshilfe 241 gemäß § 27 S. 1 BVerfGG auffordern. Dabei wäre einmal die Bitte um vorgezogene Entscheidung und anschließender schneller Benachrichtigung des Bundesverfassungsgerichts denkbar oder aber auch eine Aufforderung zur Stellungnahme über die Zulässigkeit des

2 3 8 Überhaupt keine Befassung mit den beiden i m folgenden genannten Paragraphen des BVerfGG i m ansonsten umfangreichen „Standardwerk" von Pestalozza, VerfprozeßR; die Erwähnung des § 27 BVerfGG i m §§-Register ist ein Falschzitat, an der angegebenen Stelle findet sich nur eine Bemerkung zu § 27 des Entwurfs der Bundesregierung ( = § 31 BVerfGG). Ebenso überhaupt keine Erwähnung bei Schiaich, passim. Bei Benda/Klein, R N 146 f. wird nur kurz § 33 BVerfGG angesprochen und festgestellt, daß für die Wirkung der Aussetzung § 249 Z P O analog gilt. 239 D i e Tatbestandsvoraussetzungen wären bei vorliegender Konstellation erfüllt, vgl. nur F)ranz Klein, § 33, passim; Lechner, BVerfGG, § 33, Z u Abs. 1; Leibholz/Rupprecht, § 33 R N 1. 240 E i n Aussetzungsbeschluß des Fachgerichts kommt dann nicht mehr in Betracht, vgl. Franz Klein, § 33 Anm. 3. 2 4 1 Beide Begriffe werden vom BVerfGG nicht streng getrennt, vgl. Lechner t BVerfGG, § 27 Anm. 2.

1

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Rechtsmittels 2 4 2 . Ebenso kann über die Praxis des Fachgerichts auch das zuständige Justizministerium befragt werden 2 4 3 . Wäre danach in den Augen des Fachgerichts das Rechtsmittel unzulässig, so hätten wir die eingangs hervorgehobene Fallgruppe, bei der die Einstellung des konkret zuständigen Fachgerichts bekannt ist. Das Bundesverfassungsgericht müßte diese Einstellung — ohne eigene Befassung mit dem Problem (!) — unbesehen übernehmen und die Rechtswegerschöpfung als gegeben ansehen. W i r d das Rechtsmittel fachgerichtlich als zulässig angesehen, ist allerdings dann der Rechtsweg nicht erschöpft, die Verfassungsbeschwerde vielmehr unzulässig. Von der Auferlegung einer Unterliegensgebühr sollte aber aufgrund der unklaren Rechtslage abgesehen werden (vgl. den weiten Ermessensspielraum des Gerichts in § 34 I I 1 und 2, I I I BVerfGG). Dann kann es auch vom Prinzip her nicht „zu streng" sein, den Beschwerdeführer abzuweisen, da er das fachprozessuale Rechtsmittel weiterbetreiben kann. Dies liegt schließlich vor allem in seinem Interesse.

Zwischenergebnis (und Ausblick) Wie oben bei der Untersuchung der Vorgehensweise des Bundesverfassungsgerichts herausgearbeitet wurde, muß das Subsidiaritätsprinzip als Rechtfertigungsgrund für diesen Eingriff in die einfachen Verfahrensordnungen ausscheiden. Insbesondere muß die Kompetenzwahrungsfunktion des Subsidiaritätsprinzips ernstgenommen werden, was die Belassung des Kompetenzbereichs der Fachgerichte bezüglich der Ausgestaltung der Verfahrensordnungen bedingt. Dies gilt um so mehr auch für das Rechtswegerschöpfungsgebot gem. § 90 I I 1 BVerfGG. Denn wie schon erwähnt wurde, inkorporiert § 90 I I 1

242

S o ausdrücklich Leibholz/Rupprecht, BVerfGG, § 27. I n ahnlichem Zusammenhang auch Hövel, S. 121 und Katzenstein, diss. op. zu BVerfGE 72, 39 (49). M i t dem Recht des BVerfG auf A m t s - oder Rechtshilfe korrespondiert eine entsprechende Pflicht der Fachgerichte, vgl. Franz Klein, § 27 Anm. 2. Bei den obersten Gerichten fragt das BVerfG j a auch immer wieder an, ob in einer bestimmten Frage schon Rechtsprechung vorliegt, vgl. Franz Klein, § 33 A n m . 1. Funktionelle Grenzen der Rechts- und Amtshilfe stehen einer Stellungnahme nicht entgegen, vgl. Franz Klein, § 27 A n m . 11; Lechner, BVerfGG, § 27 Anm. 3. Vgl. auch BVerfGE 70, 35 (69) und zustimmend Goerlich, D Ö V 1985, 945 (946). 243

S i e h e ζ. B. die Vorgehensweise von BayVerfGHE 40, 54 (56).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

15

BVerfGG als Blankettnorm die gesetzlichen Rechtsbehelfe 244 , gegebenenfalls konkretisiert durch die dafür zuständigen Fachgerichte. Das Rechtswegerschöpfungsgebot kann vor allem nicht als Grundlage für Rechtsgestaltungen gegen die Gesetzgeberentscheidung eingesetzt werden. Insofern kann den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht gefolgt werden. Dabei muß allerdings festgestellt werden, daß der Gesetzgeber sehr schnell dafür sorgen sollte, daß Gerichte sich zukünftig nicht mehr durch mangelhafte Institutionalisierung des Art. 103 I GG in den Fachprozeßordnungen dazu „genötigt" sehen müssen, dem Betroffenen durch „Auslegung" zu helfen 2 4 5 . Diese Aufgabe kann nur vom Gesetzgeber befriedigend gelöst werden. Denn nicht nur die Frage muß beantwortet werden, welches prozessuale Mittel für die fachgerichtliche Durchsetzung des Art. 103 I GG am besten geeignet ist (ζ. B. Berufung 2 4 6 oder Revision 2 4 7 , Anhörungsrüge 2 4 8 , Anhörungsbeschwerde 249 , Wiederaufnahmeklage 250 ), sondern es gibt auch die unterschiedlichsten Möglichkeiten, wie man das jeweilige Verfahren ausgestalten könnte bzw. müßte (Anwaltszwang, Fristen, Prüfungsumfang 2 5 1 , Anfechtbarkeit des erneuten Beschlusses, Kostenlast, beteiligte Richter). Wegen dieser verschiedenen Ansätze 2 5 2 , wie Art. 103 I GG durchzusetzen ist, sollte das Problem der rechtspolitischen Willensbildung der Legislative überlassen und nicht gerichtlich vorweggenommen werden 2 5 3 . 244 S i e h e die Nachw. oben in F N 40 auf S. 116. Ebenso Lechner, BVerfGG, § 90 Abs. 2 Anm. 1 b): „alle vom Gesetz (!) vorgesehenen Rechtsbehelfe" (Hervorhebung nur hier); Scherer, S. 129: „Rechtsbehelfe..., die ausdrücklich i m Gesetz vorgesehen sind". 245

Z u c k , JZ 1985, 921 (926).

246

S o wohl Kahlke, N J W 1985, 2231 (2233 ff.).

247

D a f ü r scheint sich Deubner, N J W 1980, 263 (267) aussprechen zu wollen. Ähnlich, nämlich für eine Aufhebung der Fixierimg der Revision auf Grundsatzprobleme und Wahrung der Rechtseinheit, Schumann, Z Z P 96 (1983), S. 137 (213). 248 S o Benda, N J W 1980, 2097 (2102); Becker, RiA 1987, 134 (135 f.); Berkemann, JR 1980, 268 (270); Fritz, AnwBl. 1986, 357 (362); G. Seibert, FS Hirsch, S. 491 (517 in F N 31); Seetzen, N J W 1982, 2337, passim; Schumann, Z Z P 96 (1983), S. 137 (213); ders., N J W 1985, 1134 (1139); Wöhrmann, FS Zeidler I I , S. 1343 (1358); Zuck, JZ 1985, 921 (926 f.); ders., Verfassungsbeschwerde, R N 276. Dagegen Braun, N J W 1983, 1403, passim, Sturner, JZ 1986, 526 (533) und Waldner, § 14 R N 547 ff. 2A9

Mußgnug,

250

Braun,

2 5 1

N J W 1978, 1358 (1359). N J W 1983, 1403, passim. Dagegen Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 276.

D a z u z. B. Schäfer, BayVBl.1976, 679 (680).

2 5 2

Eine umfangreiche Darstellung der Selbstkorrekturmöglichkeiten der Zivilgerichte findet sich bei Waldner, § 14. 2 5 3 Ebenso in diesem Punkt Benda/Klein, R N 537; Deubner, N J W 1980, 263 (267); Henckel, Z Z P 77 (1964), S. 321 (334 f.); Mußgnug, N J W 1978,1358 (1359); Zuck, M D R 84, 800 (804). Allgemein dazu auch Larenz, S. 427.

12

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Bis allerdings der Gesetzgeber handelt, sollte der Beschwerdeführer nicht um jeden Preis auf eine Rechtswegerschöpfung durch Gegenvorstellung o. ä. verwiesen werden, wie es bundesverfassungsgerichtliche Praxis i s t 2 5 4 . Auch wenn der Beschwerdeführer nämlich keine Gegenvorstellung erheben kann, weil sie eben nicht vorgesehen ist, kommt es nicht zu „einem anders nicht zu beseitigenden groben prozessualen Unrecht", wie dies ζ. B. von den Befürworten der Gegenvorstellung befürchtet w i r d 2 5 5 . Es steht nämlich ein adäquates Mittel zur Verteidigung der Verfahrensgrundrechte bereit: die Verfassungsbeschwerde 256. Daß das Bundesverfassungsgericht damit (wieder) mit „Bagatellfällen" belästigt wird, ist sicherlich unangenehm, aber eigentlich kein „prozeßunökonomischer U m w e g " 2 5 7 . Es ist vielmehr die einzig gesetzmäßige 258 Konsequenz der — ζ. T . unerklärlichen — Unterlassung eines gesetzgeberischen Eingreifens und somit für die hoffentlich einmal endende Übergangszeit hinzunehmen 2 5 9 .

254 S o auch Henckel, Z Z P 77 (1964), S. 321 (336). diesem Sinne BayVerfGHE 42, 105 (106). 255

Ebenfalls eher zurückhaltend in

V g l . nur die Nachw. bei BVerfGE 63, 77 (78).

256

S o auch jüngst das O L G Düsseldorf, N J W 1991, 2434 (2435), das sich weigert, contra legem eine an sich nicht eröffnete weitere Beschwerde zuzulassen, nur weil der Beschuldigte Art. 101 G G gerügt hatte. Das O L G weist zu Recht auf die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde hin, so daß die Notwendigkeit für eine systemwidrige Entscheidungsanmaßung entfalle. D e m steht auch nicht BVerfGE 49, 252 entgegen: Dort hatte das BVerfG betont, daß es nicht mit dem G G vereinbar sei, „wenn ein Gericht die Prüfung der Rüge, die Vorinstanz habe das rechtliche Gehör verletzt, mit der Begründung ablehnt, hierfür stehe dem Betroffenen die Verfassungsbeschwerde zur Verfügung" (Leitsatz, S. 252). Das O L G hatte nämlich fälschlicherweise ein bestehendes Rechtsmittel (§ 568 I I 2 Z P O ) mit der genannten Begründung restriktiv angewandt. Das Subsidiaritätsprinzip spricht in der Tat gegen die Meinung des O L G , die Verletzung des rechtlichen Gehörs sei kein „neuer selbständiger Beschwerdegrund". Allgemein die Wichtigkeit des BVerfG im Bereich des Art. 103 I G G unterstreichend Wimmer, DVB1. 1985, 773 (774 f.). 2 5 7

I m Ergebnis ebenso Henckel, Z Z P 77 (1964), S. 321 (335).

258

M i t einigen anderen diskutierten Möglichkeiten (ζ. B. Ausweitung des § 579 Z P O ; Feststellungsklage bezügl. Unwirksamkeit des Urteils; Revision) befassen sich kritisch Henckel, Z Z P 77 (1964), S. 321, passim, und Seetzen, N J W 1982, 2337, passim. Daß die Gegenvorstellung nach momentaner Rechtslage keine gesetzliche Grundlage hätte, diagnostiziert entgegen Seetzen auch Braun, N J W 1983, 1403 (1403 und passim). 2b9 Schumann } Z Z P 96 (1983), S. 137 (197 ff. m . v. Beispielen) weist m i t Schärfe darauf hin, daß der Gesetzgeber wiederholt ausdrückliche Anmahnungen und Gebote des BVerfG ignoriert hat. Ob m a n wie Seetzen, N J W 1982, 2337 (2343) direkt von „rechtsstaats- und verfassungswidrigem Zustand" reden kann, mochte ich angesichts der Auffangfunktion des BVerfG bezweifeln.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

15

ee) Die Verweisung auf das Hauptsacheverfahren bei Erschöpfung des Instanzenzuges des vorläufigen Rechtsschutzes aaa) Aufsuchung der bundesverfassungsgerichtlichen

Kriterien

Wie berichtet 2 6 0 , geht das Bundesverfassungsgericht von der richtigen Ansicht aus, daß das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegenüber dem Hauptsache verfahren einen eigenen Rechtsweg darstellt, da es in ihm aufgrund der besonderen Eilbedürftigkeit um eine selbständige rechtliche Beschwer geht, die mit der des Hauptsache Verfahrens nicht übereinstimmt 2 6 1 . Zur Erinnerung: Das Gericht verweist die Beschwerdeführer in neuerer Rechtsprechung aber trotzdem immer dann zunächst auf das Hauptsacheverfahren bei den Fachgerichten, wenn 1. „ausschließlich Grundrechtsverletzungen gerügt werden, die sich auf die Hauptsache beziehen, 2. die tatsächliche und die einfachrechtliche Lage durch die Fachgerichte noch nicht ausreichend geklärt sind und 3. dem Beschwerdeführer durch die Verweisung auf den Rechtsweg in der Hauptsache kein schwerer Nachteil e n t s t e h t " 2 6 2 . Bei dieser zunächst recht einleuchtenden Formel des Bundesverfassungsgerichts, die vor allem mit ihren Punkten 2. und 3. voll auf der Linie der sonstigen Subsidiaritätsrechtsprechung liegt, ist gerade der für die Entscheidungen in Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes neu hinzukommende 1. Gesichtspunkt einer genaueren Untersuchung w e r t 2 6 3 . Um Mißverständnissen vorzubeugen: Es geht hier nicht etwa um die Fallkonstellation, in der Beschwerdeführer versuchen, einstweiligen Rechtsschutz auch durch das Bundesverfassungsgericht ( § 3 2 BVerfGG) zu bekommen. Diese Fallgruppe wäre auch relativ unproblematisch, da nach 260

S i e h e schon die Ausführungen oben S. 57 ff. m. d. entspr. Nachw.

2 6 1

Z u m Beispiel BVerfGE 53, 30 (52); 77, 381 (400); BVerfG N J W 1991, 3023 (3024); vgl. auch BVerfG N J W 1987, 1689 (1689). Zustimmend Schneider, Z Z P 79 (1966), S. 1 (27 f.). 262 B V e r f G E 77, 381 (381, Leits.); 78, 290 (302); 80, 40 (45); BVerfG B B 1991, 47 (48). Vor allem in älteren Entscheidungen (ζ. B. BVerfGE 53, 30 [53 f.]) sind die Formulierungen zwar noch anders und wirken insgesamt ziemlich uneinheitlich; dem Inhalt nach ist die Rspr. aber bemerkenswert konstant. Vgl. auch BVerfGE 79, 275 (279); BVerfG N J W 1991, 3023 (3024). 263

Z u den beiden Punkten 2. und 3. unten, S. 159 ff.

1

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Erschöpfung des Rechtsweges des einstweiligen Rechtsschutzes das Bundesverfassungsgericht die vorhergehenden Entscheidungen höchstens mittelbar berücksichtigt, da es die Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung selbständig anhand des § 32 BVerfGG nachprüft 2 6 4 . Eine Verweisung auf das Hauptsache verfahren kommt bei dieser Konstellation nicht in Betracht. Vielmehr ging es in den angesprochenen Entscheidungen nur noch um ganz „normale" Verfassungsbeschwerden, mit denen die letztinstanzlichen Beschlüsse i m Rechtszug des vorläufigen Rechtsschutzes als verfassungswidrig gerügt wurden. Oder der vereinzelt gleichzeitig mit Erhebung der Verfassungsbeschwerde gestellte Antrag auf einstweilige Anordnung war schon früher 2 6 5 oder zusammen 2 6 6 mit der Entscheidung in der Hauptsache vom Gericht abgelehnt worden und spielte daher keine Rolle mehr. In letzteren Fällen hatte sich durch Zeitablauf inzwischen oft sogar das primäre Begehren der Beschwerdeführer erledigt (ζ. B. Begehren auf Zulassung zum Studium zu einem bestimmten Wintersemester 2 6 7 oder auf Genehmigung einer öffentlichen Aufführung an einem bestimmten T a g 2 6 8 ) 2 6 9 . Die Beschwerdeführer hatten mit anderen Worten also Verfassungsbeschwerden erhoben, die nach ihrem Rechtsschutz ziel einer Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 I 4 VwGO) ähnlich w a r e n 2 7 0 : nicht (mehr) eilbedürftige Feststellung der Rechtswidrigkeit einer staatlichen Maßnahme. Insoweit gilt es jedoch zu differenzieren, gericht auch richtigerweise tut.

wie es das Bundesverfassungs-

(1) Unzulässige Verfassungsbeschwerden In einigen Fällen hatten nämlich die Fachgerichte das Begehren auf einstweiligen Rechtsschutz mit der Begründung zurückgewiesen, die Position der Kläger habe i m Endeffekt keine Aussicht auf Erfolg i m späteren Haupt2 6 4 265

Z u m Beispiel BVerfGE 71, 158.

B V e r f G E 79, 275 (276).

266 B V e r f G E 78, 290 (290, 294) u. jüngst BVerfG, Beschl. d. 1. Kammer d. 1. Senats v. 29.04.92 — 1 B v R 507/92 — , mitgeteilt i. d. SZ v. 30.04./01.05.1992 (Nr. 100), S. 28. 267

Z u m Beispiel BVerfGE 66, 155.

268

Z u m Beispiel BVerfGE 79, 275.

2 6 9

Dabei verneinte in den i m Endeffekt erfolgreichen Verfassungsbeschwerden das BVerfG zu Recht auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis, da es in diesen Fällen „um verfassungsrechtliche Fragen von besonderer Bedeutimg" ging u n d „der Eingriff ein besonders bedeutsames Grundrecht betraf 4 , ζ. B. BVerfGE 69, 315 (341); 75, 318 (325 f.). 2 7 0

So ausdrücklich BVerfGE 79, 275 (280).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

15

sache verfahren, da die angegriffene (behördliche) Maßnahme rechtmäßig sei. Damit könne auch kein vorläufiger Rechtsschutz gegen diese j a positiv bewertete Maßnahme gewährt werden 2 7 1 . In diesen Fällen ist also die Bewertung des geltend gemachten materiellen (Abwehr- oder Leistungs-)Anspruchs schon i m Rahmen der summarischen Prüfung vorweggenommen worden 2 7 2 . Dies ist zulässig, da ζ. B. eine einstweilige Anordnung neben einem Anordnungsgrund bekanntlich auch eben einen Anordnungsanspruci 2 7 3 , der dem materiellen Anspruch der Hauptsache entspricht 2 7 4 , voraussetzt 2 7 5 . Beides muß glaubhaft gemacht werden, was eine summarische, (positive) Vorausbeurteilung der Hauptsache durch das Gericht b e d i n g t 2 7 6 . Und auch das Verfahren gemäß § 80 V VwGO erlaubt es dem Gericht, offensichtliche 277 Erfolgs- oder Mißerfolgsprognosen in die Interessenabwägung einfließen zu lassen 2 7 8 , wozu notwendigerweise eine überschlägige Prüfung der Rechtsposition des Antragstellers g e h ö r t 2 7 9 . Wenn die Kläger und späteren Beschwerdeführer nun („normale", d. h. ohne Verfolgung einstweiligen Rechtsschutzes) Verfassungsbeschwerden mit der Begründung erheben, die Verneinung ihrer Erfolgsaussichten für das Hauptsache verfahren sei verfassungswidrig, weil sehr wohl das materielle Recht gegenüber der angegriffenen Maßnahme auf ihrer Seite sei, so überspringen sie damit das Hauptsacheverfahren, in dem nach der gesetzlichen Konzeption die materielle Rechtslage eigentlich erst vertieft und 2 7 1 Z u m Beispiel BVerfGE 77, 381 (402); 78, 290 (302); 79, 275 (281); 80, 40 (46); BVerfG N V w Z 1983, 29 (29); i. E. auch BVerfG N V w Z 1984, 781 (781). 272

S o ausdrücklich der B F H als letzte Instanz in BVerfG BB 1991, 47 (48).

273

B a y V e r f G H E 42, 28 (32) spricht von „Anspruchsgrund", meint aber „Anordnungsanspruch". 274 V g l . nur statt aller O V G Münster N J W 1982, 2117; Pietzner/Ronellenfitsch, R N 3.

§ 58

2 7 5

Vgl. nur Kopp, V w G O , § 123 R N 6, 15 und d. v. Nachw. unter R N 30. Das gleiche gilt für die einstweilige Anordnung und Verfügung in der Z P O . 2 7 6

Ausdrücklich Pietzner/Ronellenfitsch,

§ 58 R N 12.

2 7 7

So auch B a y V G H B a y V B l . 1980, 209 (211) für das Verfahren nach § 47 V I I a. F . = § 47 V I I I η. F . V w G O . 2 7 8 Vgl. BVerwG DVB1. 1974, 566; O V G Lüneburg DVB1. 1975, 190 ff.; O V G Hamburg DVB1. 1981, 231; Jade, R N 284. 279 M a n c h e Autoren trennen zwischen „Voraussichtlicher Ausgang der Hauptsache" und „Interessenabwägung", was für die hier zu behandelnde Problematik keine Rolle spielt, siehe Kopp, V w G O , § 80 R N 81, 82; Schmitt Glaeser, R N 282; Pietzner/Ronellenfitsch, § 57 R N 2, 3 (Erfolgsaussichten und Interessenabwägung getrennt bei der Anordnung der aufschiebenden Wirkung, § 80 I I Nr. 1 — 3, V 1 l . A l t . V w G O ) und R N 33 (Erfolgsaussichten in der Interessenabwägung bei der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, § 80 I I Nr. 4, V 1 2.Alt. V w G O ) .

16

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

endgültig 2 8 0 überprüft werden soll — und sie umgehen damit auch die bis dato noch nicht mit dem konkreten Fall beschäftigten obersten Fachgerichte (BVerwG, BSG, u s w . ) 2 8 1 , so daß das Bundesverfassungsgericht nicht deren Auffassung kennenlernen k a n n 2 8 2 . Dementsprechend waren die mit dieser Begründung erhobenen Verfassungsbeschwerden auch i m Ergebnis meistens erfolglos, da das Bundesverfassungsgericht die Beschwerdeführer zu Recht auf das fachgerichtliche Hauptsacheverfahren verwies 2 8 3 — für das es allerdings inzwischen wohl oft zu spät war. Nur wenigen Verfassungsbeschwerden blieb unter diesem Gesichtspunkt die Abweisung erspart, weil das Bundesverfassungsgericht sich zu einer Vorabentscheidung entsprechend § 90 I I 2 B V e r f G G 2 8 4 oder zur Bejahung der Unzumutbarkeit der Durchführung des Hauptsache Verfahrens 285 entschließen konnte.

(2) Zulässige Verfassungsbeschwerden Mehr Aussicht auf Erfolg hatten in diesem Zusammenhang diejenigen Beschwerdeführer, die insbesondere die fachgerichtliche Bewertung der besonderen Notwendigkeit eines vorläufigen Rechtsschutzes 286 angreifen konnten, welche vor allem eine drohende Rechtsgefahrdung beim Antragsteller und eine Interessenabwägung 287 zu seinen Gunsten voraussetzt. So hatten denn einige Fachgerichte zwar den materiellen Anspruch (Anordnungsanspruch) des Antragstellers als genügend glaubhaft gemacht angesehen, dann aber eine Interessenabwägung zu seinen Gunsten abgelehnt. Da i m Hauptsacheverfahren aber die besondere Eilbedürftigkeit und Not2 8 0 Dementsprechend wird im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes oft auf den „derzeitigen Erkenntnisstand" abgestellt, so daß die endgültige Beurteilung keineswegs schon präjudiziert ist, vgl. ζ. B. die Hinweise des BVerfG auf den jeweiligen fachgerichtlichen Beschluß in BVerfGE 79, 275 (281) und BVerfG B B 1991, 47 (48). Das übersieht Hovel, S. 137. 2 8 1

Z u Ausnahmen (BVerwG auch für einstweilige Anordnung zuständig) siehe Kopp, V w G O , § 123 R N 20. Eine weitere Ausnahme ergibt sich durch den zweigliedrigen Aufbau der Finanzgerichtsbarkeit: der B F H ist hier in das vorläufige Rechtsschutzverfahren eingebunden; siehe ζ. B. BVerfG BB 1991, 47 (47 f.). 282

D a s hebt auch BVerfGE 79, 275 (281 f.) hervor. Ebenso Felix, B B 1991, 48 (48).

2 8 3

Vgl. d. Nachw. in F N 272 auf S. 155. Ebenso BayVerfGHE 44, 1 (3).

284

B V e r f G E 69, 315 (340).

285

B V e r f G E 54, 173 (190).

2 8 6 287

Bei der einstweiligen Anordnung der Prüfungspunkt

„Anordnungsgrund".

Schmitt Glaeser, R N 281 f. (§ 80 V V w G O ) , R N 319 (§ 123 V w G O ) ; vgl. auch Schellhammer, R N 1598 und Thomas/Putzo, § 935 A n m . 3 und § 940 A n m . 3 für die einstweilige Verfügung.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

15

wendigkeit gerade des vorläufigen Rechtsschutzes gar nicht mehr Thema der Verhandlung ist, handelt es sich hierbei um eine Rechtsbeeinträchtigung des Antragstellers, die i m späteren Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt werden k a n n 2 8 8 . Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht die betreffenden Verfassungsbeschwerden als zulässig erachtet, wenn die nachteiligen Auswirkungen der Gerichtsentscheidungen des vorläufigen Rechtsschutzes selbst bei einem Erfolg in der Hauptsache nachträglich nicht mehr beseitigt werden k ö n n t e n 2 8 9 . (Dies entspricht dem 1. Gesichtspunkt der eingangs dargestellten Drei-Punkte-Formel des Bundesverfassungsgerichts). Das ist insbesondere der Fall, wenn gerade die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes gem. § 123 V w G O 2 9 0 , bzw. die erfolglos gemäß § 80 V V w G O 2 9 1 bekämpfte sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes die Grundrechte des Beschwerdeführers verletzt 2 9 2 (Beispiel: Durch sofort vollziehbare Abschiebungsverfügung gegenüber einem Ausländer wird das Hauptsache verfahren über sein Asylbegehren gänzlich vereitelt 2 9 3 ). Aber auch wenn die Entscheidung des vorläufigen Rechtsschutzes in ihrer Wirkung die Hauptsache endgültig vorwegnimmt, kann der Beschwerdeführer nicht mehr auf das damit sinnlos gewordene Hauptsache verfahren verwiesen werden (Beispiel: Partei versucht im Wege der einstweiligen Anordnung erfolglos, ihren von der Rundfunkanstalt abgelehnten Wahlwerbespot doch noch rechtzeitig zum Wahlkampf ins Programm zu bringen 2 9 4 ). Gerade letzteren Fällen ist eigen, daß die zu entscheidenden Rechtsfragen i m vorläufigen und im Hauptsacheverfahren die gleichen sind und weitere Tatsachenaufklärung nicht mehr erforderlich ist. Denn die Fachgerichte sind sich in der Regel der Endgültigkeit ihrer Entscheidung in diesen Fällen bewußt und prüfen daher trotz vereinfachten Verfahrens schon sehr sorgfaltig die Sach- und Rechtslage. Damit sinkt dann auch die Wahrscheinlichkeit, daß in einem doch noch durchgeführten Hauptsacheverfah2 8 8

Ausdrücklich jetzt auch BVerfG DVB1. 1991, 482 (483). Entsprechendes gilt für die Kostenentscheidung des vorläufigen Rechtsschutz Verfahrens; BayVerfGHE 42, 65 (68). 289 S o i. E. BVerfGE 53, 30 (54); 56, 216 (234); 69, 315 (340); 74, 51 (56); 75, 318 (325); 76, 1 (39 f.); 79, 69 (73). Wohl auch BVerfG N J W 1991, 3023 (3024), wobei allerdings die entscheidenden Erwägungen leider nicht mit veröffentlicht sind. Ebenso für die b a y V B BayVerfGHE 39, 10 (44); 42, 28 (32); 43, 170 (177). 290

B V e r f G E 59, 63 (84); 79, 69 (73). Vgl. auch BVerfGE 79, 275 (281, 282 a. E.).

2 9 1 292

Oder i m Verfahren gem. § 97 I I I S G G , vgl. BVerfGE 69, 233 (241).

B V e r f G E 53, 30 (54); 69, 315 (341); BVerfG DVB1. 1991, 482 (483).

2 9 3

BVerfG E 35, 382 (398); 56, 216 (234); zustimmend BVerfGE 69, 315 (340); 74, 51

(56). 2 9 4

BVerfGE 69, 257 (267).

1

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

ren völlig neue Aspekte oder Rechtsansichten gegenüber dem summarischen Verfahren auftauchen (das Gericht ist j a in beiden Verfahrensarten das gleiche, § 937 I ZPO, §§ 80 V, 123 I I VwGO!). Damit wird wiederum die Chance schwächer, daß es zu einem anderen Ergebnis i m Hauptsacheverfahren kommt, womit eine Anrufung des Bundesverfassungsgerichts gegen das letztinstanzliche Hauptsache-Endurteil praktisch ohnehin schon als unausweichlich abzusehen i s t 2 9 5 .

bbb) Stellungnahme und fehlende Notwendigkeit eines selbständigen Zulässigkeitsmerkmals „Subsidiaritätsprinzip" (1) Die Drei-Punkte-Formel des Bundesverfassungsgerichts Dem Bundesverfassungsgericht ist im Ergebnis bei seiner Rechtsprechung zum vorläufigen Rechtsschutz zuzustimmen. Dennoch ergeben sich — abgesehen von der Schwierigkeit, die Linie des Bundesverfassungsgerichts erst einmal herauszuinterpretieren — einige Kritikpunkte im D e t a i l 2 9 6 .

(a) Der erste Prüfungspunkt Die Differenzierung danach, ob i m Einzelfall durch das Hauptsacheverfahren die geltend gemachte Grundrechtsverletzung überhaupt noch ausgeräumt werden könnte — wie der 1. Argumentationspunkt der F o r m e l 2 9 7 des Gerichts formuliert —, kommt zu sachgerechten Ergebnissen 298 . Auf jeden Fall hat der Beschwerdeführer die Möglichkeit, die potentielle Grundrechtsverletzung gerichtlich in einem ausführlichen Verfahren geltend zu machen: Wenn die Grundrechtsverletzung durch die besondere Eigenart des vorläufigen Rechtsschutzes (Bedürftigkeit einer schnellen, einstweiligen Regelung) geprägt und somit i m Hauptsacheverfahren gar nicht mehr einzubringen ist, steht die Verfassungsbeschwerde offen. Sollte das Problem aber in der Hauptsacheverhandlung fachgerichtlich gelöst werden können — insbesondere, wenn es i m Endeffekt (nur) um die 2 9 5

Vgl. BVerfGE 42, 163 (167 f.); 69, 257 (267 f.); 75, 318 (324).

2 9 6

Dazu möchte ich als Beispiel nur auf die Schwierigkeiten von E. Klein, FS Zeidler I I , S. 1305 (1307) hinweisen, der selbst als hervorragender Kenner der Materie Schwierigkeiten hat, die Reichweite der Subsidiaritätsrechtsprechung für die vorliegenden Konstellationen eindeutig zu definieren. 297

S i e h e oben, S. 153 f.

298

E b e n s o i. E. Lerche, FS Jurist. Gesellschaft, S. 369 (373 f.).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

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endgültige materielle Beurteilung des Begehrens des Klägers geht —, muß die Verfassungsbeschwerde als nur ausnahmsweise zulässiger Rechtsbehelf zugunsten der Fachgerichtsbarkeit verschlossen bleiben 2 9 9 . Rechtsverluste sind durch eine solche Verweisung für den Betroffenen nicht zu erwarten. Die Beschwerdeführer verlangen wegen Zeitsablaufes überwiegend gar keine Eilentscheidung vom Bundesverfassungsgericht selbst und stehen somit offensichtlich unter keinem Zeitdruck mehr. Dann können sie aber auch erst einmal den Instanzenzug in der Hauptsache durchlaufen. Demgegenüber haben die zwei anderen Gesichtspunkte der oben wiedergegebenen Formel meines Erachtens keine eigenständige Bedeutung bei der hier zu behandelnden Problematik:

(b) Der zweite Prüfungspunkt Vor allem der 2. Punkt könnte das Schicksal einer Verfassungsbeschwerde, die nach dem ersten Gesichtspunkt als zulässig oder unzulässig eingeordnet worden ist, überhaupt nicht mehr selbständig beeinflussen: Wenn der Beschwerdeführer seine Grundrechte im Hauptsache verfahren im Sinne des 1. Punktes effektiv fachgerichtlich verteidigen kann, nützt es ihm wohl wenig, wenn „sein" Fall ansonsten kaum rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten aufweist. Wenn nicht die Voraussetzungen des § 90 I I 2 BVerfGG (analog) hinzukommen — das ist dann aber eine ganz andere Frage im Prüfungsaufbau —, sehe ich nach der derzeitigen strengen Rechtsprechung keine Chance für den Beschwerdeführer, nur wegen „Einfachheit" der Sachlage das Hauptsacheverfahren nicht durchlaufen zu müssen 3 0 0 . Andererseits kann m. E. der Beschwerdeführer, dessen Grundrechtsverletzung im Hauptsacheverfahren gar nicht mehr ausgeräumt werden kann, weil sie sich unmittelbar aus der Verweigerung gerade des vorläufigen Rechtsschutzes ergibt — womit nach Punkt 1 der Formel die Verfassungsbeschwerde zulässig wäre —, nicht mit Hinweis auf diesen 2. Prüfungspunkt abgewiesen werden 3 0 1 . 299

E b e n s o BayVerfGHE 39, 9 (14); 42, 28 (32).

3 0 0

I m Ergebnis gibt dies das BVerfG in BVerfGE 79, 275 (281) und BVerfG N V w Z 1983, 29 (29) selbst zu. 3 0 1

Es gibt denn auch bezeichnenderweise keine Entscheidung, in der das BVerfG dem Bf. einerseits attestiert, er sei gerade durch die Versagimg des vorläufigen Rechtsschutzes verletzt, ihn aber andererseits wegen weiterer Aufklärungsbedürftigkeit auf das Hauptsacheverfahren verweist.

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

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Denn welche tatsächliche oder einfachrechtliche Aufklärung sollte bei dieser Fallkonstellation vom Hauptsacheverfahren noch zu erwarten sein, wenn es doch in diesem gar nicht mehr um die Bewilligung vorläufigen Rechtsschutzes geht? Die Aufklärungen, die i m Hauptsache verfahren gerichtlich vorangetrieben werden, betreffen j a „nur" den tatsächlichen Sachverhalt und die materielle Rechtslage 302 . Nicht mehr untersucht werden aber ζ. B. Fehler bei der Interessenabwägung im Rahmen der Frage, ob ein glaubhaft gemachter Leistungsanspruch bis zur Entscheidung in der Hauptsache vorläufig besser hätte gesichert werden sollen oder nicht. Auch bringt das Hauptsacheverfahren nichts, wenn die Grundrechtsverletzung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ζ. B. durch Verstoß gegen Art. 103 I G G begangen worden ist. Tatsächliche oder rechtliche Aufklärung ist hierzu nicht zu erwarten. Als Zwischenergebnis muß deswegen schon hier festgestellt werden, daß auf den 2. Prüfungspunkt der oben wiedergegebenen Formel verzichtet werden kann, wenn man die Differenzierung nach dem 1. Punkt konsequent handhabt.

(c) Der dritte Prüfungspunkt Aber auch der 3. Punkt der bundesverfassungsgerichtlichen Formel (d. h. kein schwerer Nachteil für den Beschwerdeführer bei Verweisung auf die Hauptsache) muß Anlaß zu Kritik geben. Hier wird nämlich die Abgrenzung zur Vorabentscheidung des § 90 I I 2 BVerfGG (analog) vollends unklar, wenn das Bundesverfassungsgericht für die Bewertung des „schweren Nachteils" ausdrücklich den Maßstab des § 90 I I 2 BVerfGG angelegt 3 0 3 . Erleidet der Beschwerdeführer durch die Verweisung auf das Hauptsacheverfahren keinen schweren Nachteil, so stellt das Bundesverfassungsgericht in einem ersten Schritt fest, daß das Hauptsacheverfahren zu beschreiten ist, und dann lehnt es in einem zweiten Schritt unter Heranziehung genau derselben (!) Überlegungen und Maßstäbe zusätzlich die Möglichkeit der ausnahmsweisen Vorabentscheidung a b 3 0 4 . Dies muß nicht nur aus logischen Gründen dem Beschwerdeführer Rätsel aufgeben; es verwischt außerdem auch noch das ohnehin recht schwierige Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen prinzipieller Rechtswegerschöpfung und Vorabentscheidung. Zum Beispiel stellt sich die Frage, ob die Uber3 0 2

Vgl. nur die Ausführungen zur „Aufklärungsbedürftigkeit" in BVerfGE 80, 40 (46).

3 0 3

BVerfG E 53, 30 (54).

3 0 4

So BVerfGE 78, 290 (305).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

1

nähme der Kriterien des § 90 I I 2 BVerfGG in die Drei-Punkte-Formel zur Folge hat, daß nun nicht mehr gerichtliches Ermessen wie in § 90 I I 2 BVerfGG eröffnet ist, sondern daß jetzt bei Vorliegen der Voraussetzung „schwerer Nachteil" die Verfassungsbeschwerde angenommen werden m u ß 3 0 5 . Die Leseart der Entscheidungen ist nicht eindeutig, doch sollte im Hinblick auf die klare Gesetzesaussage des § 90 I I 2 BVerfGG von einer solchen Rigidität dringend abgesehen werden 3 0 6 . Insoweit sollte auch dieser 3. Punkt als überflüssig fallengelassen werden, da ohnehin die Möglichkeit der Vorabentscheidung gemäß § 90 I I 2 BVerfGG als Korrektiv zur Verfügung steht, um Härten zu vermeiden. Der 1. Punkt der Formel kann die nötige Differenzierungsarbeit bei der Frage der Verweisung des Beschwerdeführers auf das Hauptsacheverfahren auch alleine bewältigen.

(2) Die fehlende Notwendigkeit der Berufung auf ein selbständiges Zulässigkeitsmerkmal „Subsidiaritätsprinzip" So sehr man der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes wenigstens i m Ergebnis auch zustimmen kann, so bleibt doch wiederum die Frage, ob dies unter dem Topos eines „Subsidiaritätsprinzips" geschehen muß, welches angeblich über das einfache Rechtswegerschöpfungsgebot hinausgeht. Das Bundesverfassungsgericht begründet die Notwendigkeit der Rekurrierung auf das Subsidiaritätsprinzip mit der Feststellung, daß das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes einen eigenständigen Rechtsweg darstelle, der von den Beschwerdeführern schon erschöpft worden sei. Daher könne nur ein über das einfache Rechtswegerschöpfungsgebot hinausgehender allgemeiner Subsidiaritätsgrundsatz die Beschwerdeführer nochmals an die Fachgerichte verweisen 307 . Hier wird m. E. aber aus der uneingeschränkt richtigen Anerkennung des Instanzenzuges des vorläufigen Rechtsschutzes als eigenständigen Rechtsweges die falsche Schlußfolgerung gezogen.

3 0 5 BVerfG E 53, 30 (53 f.): „... sind...dann als zulässig zu behandeln". Diese Ungereimtheit hat schon Lerche, FS Jurist. Gesellschaft, S. 369 (374 ff.) aufgedeckt. 306 S o auch Lerche, FS Jurist. Gesellschaft, S. 369 (375), der eindringlich die Beibehaltung des Maßstabes des § 90 I I 2 BVerfGG anmahnt. 307 S t . Rspr; z. B. BVerfGE 53, 30 (52); 77, 381 (400). Zustimmend Hövel, S. 84 f. Siehe auch d: Rspr .-Nachw. in F N 8 auf S. 58.

11 Warmke

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

16

§ 90 I I 1 BVerfGG verlangt nämlich ausdrücklich nicht nur die Erschöpfung „(irgend-)eines Rechtsweges", sondern die Erschöpfung des Rechtsweges, der „gegen die Verletzung" gegeben i s t 3 0 8 . Dies hat unbestritten ζ. B. zur Folge, daß ein Beschwerdeführer abzuweisen ist, wenn er anstelle primären Rechtsschutzes (also ζ. B. Anfechtung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes) nur sekundären Rechtsschutz (Amtshaftungsansprüche, usw.) in Anspruch genommen h a t 3 0 9 . M i t anderen Worten kann dem Beschwerdeführer die Durchschreitung ganzer Instanzenzüge nicht helfen, wenn er es unterlassen hat, den „unmittelb a r " 3 1 0 gegen die konkret geltend gemachte Grundrechtsverletzung eröffneten (sachnächsten) Rechtsweg zu beschreiten 3 1 1 . Eine genaue Untersuchung, welche hoheitliche Maßnahme in welchem Ausmaß angegriffen wird, ist erforderlich; ob „ein" Rechtsweg erschöpft ist, ist eine genauso untaugliche Frage wie die, ob „ein" Rechtsweg noch nicht völlig erschöpft ist: Wenn ein Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde erhebt, um nur den letztinstanzlichen Schuldspruch eines Strafverfahrens anzugreifen, ist es für diese Verfassungsbeschwerde völlig unerheblich, daß das Strafverfahren bezüglich des Sirafausspruches eventuell noch weiter l ä u f t 3 1 2 . Zwar ist „ein" Rechtsweg — nämlich der strafrechtliche Instanzenzug — noch nicht beendet, da das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer noch läuft. Dieses Strafverfahren ist aber auch gar nicht in vollem Umfang Angriffsziel der Verfassungsbeschwerde, sondern nur ein ganz bestimmter Hoheitsakt, der im Rahmen des noch laufenden Strafverfahrens nicht mehr überprüft werden kann. Hat man sich diese unlösbare Abhängigkeit des „Rechtsweges" von der i m konkreten Einzelfall geltend gemachten Grundrechtsverletzung erst einmal klar gemacht, liegt eigentlich auch die Erkenntnis nahe, daß Beschwerdeführer, die „nur Grundrechtsverletzungen rügen, die sich auf die Hauptsache beziehen" (siehe oben den 1. Punkt der bundesverfassungsgerichtlichen Formel) bezüglich dieser geltend gemachten Rechtsverletzungen den Rechtsweg noch nicht erschöpft haben: Rechtsverletzungen, „die sich

308 D a r a u f weist auch Detterbeck, Präventiver Rechtsschutz, S. 221 f.; ders., D Ö V 1990, 558 (562) in anderem — noch zu behandelnden — Zusammenhang hin. W i e hier i. E. Schneider, Z Z P 79 (1966), S. 1 (12). 309

B V e r f G E 20, 162 (173). Zustimmend z. B. Erichsen, Jura 1979, 279 (336).

310

S o schon früh BVerfGE 31, 364 (368); ebenso Ge/ger, BVerfGG, § 90 A n m . 7; Gusy,

Verfassungsbeschwerde, R N 145. 3 1 1

I m gleichen Sinne BVerfGE 22, 287 (291 ff.); 31, 364 (368); 39, 276 (291).

312

S o vollkommen zu Recht BVerfGE 82, 236 (258).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

1

auf die Hauptsache beziehen", können j a schließlich i m fachgerichtlichen Hauptsache verfahren noch allemal beseitigt werden 3 1 3 . Oder anders ausgedrückt: Diese Beschwerdeführer haben zwar den Rechtsweg des vorläufigen Rechtsschutzes erschöpft. Jetzt, d. h. i m Verfassungsbesch werdeverfahren, geht es aber gar nicht mehr um die Eilbedürftigkeit. Sonst hätten sie die Grundrechtsverletzung gerade durch die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes gerügt. Dann wäre aber ihre Verfassungsbeschwerde nach oben Gesagtem ohnehin zulässig gewesen und sie hätten über die Erschöpfung des Rechtsweges (des vorläufigen Rechtsschutzes) hinaus nichts mehr zu tun brauchen, so daß das vorliegende Problem überhaupt nicht aufgetaucht wäre. Das heißt aber doch, daß die jetzige Verfassungsbeschwerde eine andere „Stoßrichtung" hat als das vorgenommene fachgerichtliche Verfahren. Für die Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde ist nicht all das fachgerichtlich vorgeprüft worden, was die Beschwerdeführer jetzt beim Hüter der Verfassung zur Debatte stellen — nämlich die detaillierte Hauptsachenproblematik. Dies widerspricht aber der Zielrichtung des § 90 I I 1 BVerfGG, der gerade verlangt, daß die (gesamte) geltend gemachte Grundrechtsverletzung zunächst einmal von den sachnäheren Fachgerichten untersucht werden soll, weil nur dieser Rechtsweg gegen diese Verletzung gegeben ist314. Daher müssen die Beschwerdeführer jetzt erst einmal den Rechtsweg i m Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG gegen die konkret geltend gemachte Grundrechtsverletzung einschlagen. Ihre bis dato vorweisbare Rechtswegerschöpfung kann für die von ihnen eingelegte, nur auf die Hauptsache bezogene Verfassungsbeschwerde nicht im Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG ausreichen, da dieser Rechtsweg sich nicht auf die jetzt vorgetragene Rechtsverletzung bezog. Die Beschwerdeführer haben sozusagen für diese Verfassungsbeschwerde genauso den „falschen" Rechtsweg beschritten, wie der Beschwerdeführer, der gegen einen rechtswidrigen Verwaltungsakt nur Amtshaftungsansprüche durch die Instanzen verfolgt. Ein über das Rechtswegerschöpfungsgebot hinausgehendes Zulässigkeitsmerkmal „allgemeiner Grundsatz der Subsidiarität" ist daher hier nicht erforderlich. 3 1 3 Wobei die Versäumung der Einlegung der Klagen i m Hauptsache verfahren schon nach allgemeinen Regeln zu Lasten der Bf. geht; siehe nur oben S. 49 f. Ebenso Hovel, S. 134. 3 1 4 So auch Hövel, S. 134. Auch Gusy, Verfassungsbeschwerde, R N 143 formuliert: Es darf „allein eine Rechtsdurchsetzung beim BVerfG in Betracht" kommen; „Solange die Rechtsbeeinträchtigung im Verfahren vor den Fachgerichten beseitigt werden kann, ist der Rechtsweg nicht erschöpft" (Hervorhebung nur hier).

16

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Zwischenergebnis Beschwerdeführer, die nach erfolgloser Beschreitung des Instanzenzuges Verfassungsbeschwerde erheben wollen, versuchen dies erfolglos, wenn sie nicht geltend machen können, daß sie gerade durch die Versagung des vorläufigen Rechtsschutzes in ihren Grundrechten verletzt worden sind. Wenn sie hingegen nur Rügen vorbringen, die im Hauptsacheverfahren beseitigt werden können, sind ihre Verfassungsbeschwerden wegen der mangelnden Ausnutzung der fachgerichtlichen Verfahren abzuweisen. Insoweit ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts i m Ergebnis zu begrüßen. Nicht zuzustimmen ist der Bemühung eines ungeschriebenen, allgemeinen Subsidiaritätsgrundsatzes, da das ausdrücklich gesetzlich niedergelegte Rechtswegerschöpfungsgebot des § 90 I I 1 BVerfGG die aufgezeigten Aufgaben selbständig und in Gänze wahrnehmen kann. c) Der Sonderfall

der Verfassungsbeschwerde

gegen formelle Gesetze

Die Subsidiaritätsrechtsprechung hat ihre besondere Brisanz in den Fällen der sog. Normen- oder Rechtssatzverfassungsbeschwerden erhalten315. Gerade hier war und ist die Gefahr groß, daß das Bundesverfassungsgericht per Normenverfassungsbeschwerde quasi als „ständige Kontrollinstanz in das Gesetzgebungsverfahren institutionell eingegliedert" w i r d 3 1 6 . Darüber hinaus sind es die Normen Verfassungsbesch wer den, die in der Regel die größten tatsächlichen und rechtlichen Probleme m i t sich bringen und dadurch das Bundesverfassungsgericht arbeitsmäßig am stärksten belasten. Um jedoch Mißverständnissen vorzubeugen: Es kann nicht das Ziel der vorliegenden Arbeit sein, die eminente rechtsstaatliche Bedeutung prinzipaler Normenkontrollen zugunsten einer falsch verstandenen Bevorzugung der inzidenten Normenkontrollen in Frage zu stellen, auch wenn dies i m folgenden Kapitel gelegentlich den Anschein haben sollte. Dies wäre eine Verkennung der Tatsache, daß früher zur Verwirklichung eines effektiven Rechtsschutzsystems um die prinzipale Normenkontrolle (insbesondere auch um die heutige Fassung des § 47 VwGO) geradezu vehement „gekämpft" w u r d e 3 1 7 . 3 1 5 316

Rechtsvergleichend Raschauer, D Ö V 1976, 698 ff.

D i e s e Gefahr sieht wohl zu Recht Harald Klein, FS Zeidler I I , S. 1325 (1341).

317 S i e h e die umfangreichen Nachw. bei Henseler, J U R A 1986, 249 (253 i n F N 56 ff.); Maurer, FS Kern, S. 275 (281 in F N 21, 24 ff.).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

15

I m folgenden wird nur vor allem deswegen die inzidente Normenkontrolle i m Zentrum des Interesses stehen, weil sich hier die größten Probleme mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergeben. Ob sich die inzidente Normenkontrolle als effektives Rechtsschutzmittel anbietet, ist jedoch immer eine Frage des konkreten Einzelfalles. Es stellt sich aber auch hier die Frage, ob die überwiegend akzeptablen Ziele, die das Bundesverfassungsgericht mit dem Subsidiaritätsgrundsatz verfolgt, nicht schon de lege lata über das Rechtswegerschöpfungsgebot des § 90 I I 1 BVerfGG erreicht werden können. Somit sind sowohl wieder die einzelnen Aussagen des Bundesverfassungsgerichts auf ihre Haltbarkeit hin zu überprüfen, als auch die Subsumierbarkeit dieser Aussagen unter § 90 I I 1 BVerfGG zu versuchen.

aa) § 47 VwGO als Rechtsweg auch gegen formelle Gesetze?

Daß für untergesetzliche Normen (Satzungen 3 1 8 und Verordnungen) § 47 VwGO als zu beschreitender Rechtsweg im Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG — ohne Bemühung des Subsidiaritätsprinzips — angesehen wird, ist wegen der ausdrücklichen Intention des Anderungsgesetzgebers der V w G O 3 1 9 sowohl beim Bundesverfassungsgericht als auch in der Literatur heutzutage allgemeines „ H a u s g u t " 3 2 0 . Die Rechtslage ist insoweit tatsächlich eindeutig. Einigkeit zumindest in der Literatur besteht auch bezüglich der Frage, ob § 47 VwGO als Rechtsweg auch gegen formelle Gesetze einzuschlagen ist: Vor einigen Jahren hätte man diese Frage noch mit einem kurzen Verweis auf den eindeutigen Wortlaut des § 47 V w G O als abwegig beurteilen können 3 2 1 — und dies ist auch heute die absolut herrschende Meinung der Literatur 322.

318 319

Z u m Beispiel BVerfGE 79, 174 (179, 187 ff.): Bebauungsplan.

Regierungsbegründimg B T . - D r s . 7 / 4 3 2 4 , S. 9 f. zur V w G O - N o v e l l e vom 1.1.1977.

320

S i e h e dazu die Nachw. oben in F N 8 auf S. 47.

3 2 1

I n der ansonsten ausgesprochen detaillierten Untersuchung von Schenke, Rechtsschutz, S. 260 ff. von 1979 taucht diese Fragestellung ζ. B. überhaupt nicht auf. 3 2 2 Vgl. hier nur statt aller Redeker/v. folgenden.

Oertzen,

§ 47 R N 11 und die Nachw. i m

16

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Dennoch hat das Bundesverfassungsgericht in einer vereinzelten, aufsehenerregenden 323 Entscheidung 3 2 4 die Ansicht vertreten, gegen Bebauungspläne, die aufgrund einer speziellen Rechtslage (§ 188 I I 1 BBauG a. F. = § 246 I I 1 n. F. BauGB i. V. m. Landesrecht 3 2 5 ) in Hamburg als formelle Gesetze ergehen können, sei eine verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle gem. § 47 I Nr. 1 VwGO herbeizuführen 3 2 6 . Der Ansturm gegen diese 327 Aussage der Entscheidung wurde durch die beachtliche abweichende Meinung des Richters Stein berger 328 quasi eingeläutet und ist auch heute noch nicht völlig abgeebbt 3 2 9 .

aaa) Die Argumentation in BVerfGE 70, 35 ff. — Hamburgische Bebauungsplangesetze Ausgangsfeststellung des Gerichts für die Unterwerfung des formellen Bebauungsplangesetzes unter § 47 I Nr. 1 VwGO ist die Diagnose, daß die Bürger bezüglich des Rechtsschutzes in einer durch Art. 3 I GG nicht mehr 323

D a z u Schenke, DVB1. 1985, 1367 (1370), der resümiert, daß das BVerfG hoffentlich nicht auf dem Weg, den es mit diesem „Ausrutscher" eingeschlagen hat, weiter voranschreitet. 324

B V e r f G E 70, 35 ff.

3 2 5

§ 3 I I Hamburgisches Gesetz über die Feststellung von Bauleitplänen und ihre Sicherung in der Fassung vom 4.April 1978 (GVB1. S. 89) — H m b B P I G . 3 2 6 BVerfG E 70, 35 (54 ff.), und zwar unter Hinweis auf § 90 II 1 BVerfGG noch später mehr.

(!); dazu

327

E s soll hier nicht versäumt werden, darauf hinzuweisen, daß dieser Beschluß unter einem anderen Aspekt von der Literatur ausgesprochen positiv bewertet wurde: Das BVerfG stellt nämlich in dieser Entscheidung erstmals mit aller Deutlichkeit heraus, daß es selbst nicht mehr an der strikten Verbindung des Vollzugserfordernisses mit dem Merkmal der unmittelbaren Betroffenheit (zumindest bei Bebauungsplänen) festhalten will, BVerfGE 70, 35 (51). Insoweit (!) zustimmend insbes. Goerlich, D Ö V 1985, 945 (946); Kosmider, JuS 1988, 447 (448); Schenke, DVB1. 1985, 1367 (1367). Z u diesem Problemkreis siehe schon oben S. 43 f. Die entgegenstehende Rspr. in BVerfGE 31, 364 (368 f.) wird übrigens überraschend wortkarg „über Bord geworfen", BVerfGE 70, 35 (58); dazu Zuck, JZ 1985, 1049 (1050). 3 2 8 329

BVerfG E 70, 35 (59 ff.).

S o f o r t nach Verkündung der Entscheidimg äußerten sich insbes. Bettermann, Verfassungskonforme Auslegung, S. 48 f.; Goerlich, D Ö V 1985, 945 f.; Schenke, DVB1.1985, 1367 ff. und Zuck, JZ 1985, 1049 f. ablehnend. Später wurde die Entscheidung nochmals aufgegriffen von Goerlich, „Formenmißbrauch", S. 66 ff.; Hövel, S. 88; Schenke, N J W 1986, 1451 (1454, 1456); Kopp, V w G O , § 47 R N 12; Kosmider, JuS 1988, 447 (448 ff.): alle ablehnend. Zustimmend hingegen Henseler, J U R A 1986, 249 ff. Jüngst ablehnend Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I I R N 46 m. F N 166 und § 13 I I R N 9 m . F N 24; Schiaich, R N 246; Schmitt Glaeser, R N 407 in F N 7. Zustimmend — aber ohne jegliche Argumentation — wird die Entscheidung zitiert von Eyermann/Fröhler, § 47 R N 18 und Redeker/v. Oert zen, § 47 R N 2 (die insoweit stillschweigend ihre Aussage in R N 11 einschränken, daß gegen Landesgesetze Normenkontrollklage nicht möglich sei).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

1

zu rechtfertigenden Weise schlechter gestellt wären, wenn der Bebauungsplan als Gesetz erginge und nicht beim OVG überprüfbar w ä r e 3 3 0 . Es bliebe nämlich nur die auf die Prüfung von Bundesverfassungsrecht beschränkte Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht, da eine Landesverfassungsbeschwerde in Hamburg nicht vorgesehen s e i 3 3 1 . Hinzu käme, daß innerhalb des ohnehin schon kleinen Bundeslandes Hamburg durch für den Bürger „eher z u f ä l l i g " 3 3 2 erscheinende K r i t e r i e n 3 3 3 , die in „keinerlei objektivierbare(r) Beziehung zu den vom Bebauungsplan unmittelbar Betroffenen" 3 3 4 stünden, der Rechtsschutz gegen bestimmte (nämlich als Satzung ergangene) Bebauungspläne eröffnet, gegen andere (als Gesetz ergangene) dagegen verschlossen s e i 3 3 5 . Aus dieser argumentativen Vorarbeit 3 3 6 zieht das Gericht jedoch den unvermuteten Schluß, daß nicht etwa das entscheidende HmbBPIG korrigiert werden müsse, sondern § 47 I Nr. 1 VwGO dahingehend „auszulegen" sei, daß Bebauungsplangesetze auch unter „Satzungen" i m Sinne dieser Verfahrensvorschrift fielen 337. Dabei verkennt das Gericht keineswegs, daß der VwGO-Gesetzgeber ausdrücklich solche Gesetze nicht in § 47 VwGO aufgenommen hatte, um nicht das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts für formelle Gesetze anzutasten 3 3 8 . Dies wird aber deswegen nicht als hinderlich empfunden, weil dem Gesetzgeber Verkennung des dargelegten Gleichheitsverstoßes und der Möglichkeit der Einbeziehung der Bebauungsplangesetze in § 47 VwGO unterstellt w i r d 3 3 9 . Daher sei das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts einzuschränken 340 . 3 3 0 BVerfG E 70, 35 (55). Dagegen Kosmider, JuS 1988, 447 (452) und Schenke, DVB1. 1985, 1367 (1368). Dieser angebliche Verlust an Rechtsschutz ist in der Tat zu bezweifeln, da der Senat anscheinend selbst das von den Bf. gerügte „bauplanungsrechtliche Abwagungsgebot u mit Verfassungsrang versieht (Art. 2 I i. V. m. Rechtsstaatsprinzip) — ebenda, S. 50 — und damit einer detaillierten verfassungsrechtlichen Prüfung zugänglich macht. 3 3 1 332

BVerfGE 70, 35 (56).

E b e n d a , S. 56.

3 3 3

Nämlich die in § 3 I I des Landesgesetzes.

3 3 4

Ebenda, S. 56.

335

E b e n d a , S. 57.

3 3 6

Die schon in ihren Grundlagen zum großen Teil von Richter Steinberger wird, vgl. BVerfGE 70, 35 (61 ff.), diss. op.

bestritten

3 3 7 BVerfGE 70, 35 (57). Insoweit unterliegt die diss. op. des Richters Steinberger einem Irrtum, wenn dieser meint, der Senat lege die hamburgischen Gesetze aus (S. 63). Das tut das Gericht gerade nicht. 338

B T - D r s . 7/4324, S. 10. Vgl. dazu auch die Nachw. in der diss. op. zu BVerfGE 70, 35 (60 f.). 3 3 9 340

BVerfGE 70, 35 (57).

E b e n d a , S. 58.

16

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

bbb) Stellungnahme Es wurde schon von anderer Seite her konstatiert, daß dem Bundesverfassungsgericht in der dargestellten Entscheidung „mancher Verstoß gegen das juristische Handwerkszeug bei Auslegung des einfachen Rechts" unterläuft 341.

(1) Keine Ansatzmöglichkeit bei § 47 VwGO In der Tat überrascht es, wie das Bundesverfassungsgericht sich über die allgemeinen Grundsätze der Auslegungsmethodik hinwegsetzt, die es zum großen Teil selbst mitgestaltet h a t 3 4 2 . Voraussetzung für eine Auslegung ist nämlich zunächst einmal, daß die auszulegende Norm überhaupt mehrere Interpretationen zuläßt 343. Die Grenze der Auslegungsfähigkeit ist dann erreicht, wenn ihr Ergebnis schlichtweg mit dem Wortlaut und Sinn der Norm nicht mehr zu vereinbaren i s t 3 4 4 , selbst wenn von keinem Gericht eine sklavische Fixierung auf den Wortlaut verlangt w i r d 3 4 5 . Das heißt aber, daß insbesondere eine Auslegung entgegen dem eindeutigen Wortlaut der Norm mit dem Ziel einer inhaltlichen Neubestimmung nicht zulässig i s t 3 4 6 . „Gesetzgeberische Grundentscheidungen, Wertungen und die darin angelegten Zwecke der Regelung" dürfen nicht angetastet werden 3 4 7 . § 47 I Nr. 1 VwGO ist jedoch sowohl vom Wortlaut als auch vom Regelungszweck her völlig eindeutig 3 4 8 : Die verwendeten termini (Satzun3 4 1 So die Formulierung von Goerlich, D Ö V 1985, 945 (946); siehe auch dens., „Formenmißbrauch", S. 67; Schenke, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 19; ders., DVB1. 1985, 1367 (1369): „geradezu ein Paradebeispiel für eine verfehlte Handhabung des Grundsatzes der verfassungskonformen Auslegung". Bettermann, Verfassungskonforme Auslegung, S. 49 nennt die Entscheidung eine „Vergewaltigung" des Gesetzgebers. 3 4 2

Vgl. nur die zahlreichen Nachw. bei Kosmider, JuS 1988, 447 (448 m . F N 24-27) und i m Rahmen der diss. op. des Richters Steinberger, BVerfGE 70, 35 (63 f.). 3 4 3 344

Vgl. BVerfGE 54, 277 (293 ff.); Larenz, S. 312 f.

Robbers,

JuS 1990, 978 (979); Steinberger,

BVerfGE 70, 35 (63), diss. op.

3 4 5

Kosmider, JuS 1988, 447 (448). Der Wortsinn dient nur zur ersten Orientierung, Larenz, S. 324. 346 B V e r f G E 35, 263 (280); 54, 277 (299 f.); Bettermann, Verfassungskonforme Auslegung, S. 49: Konversion nicht zulässig; Kosmider, JuS 1988, 447 (448). 347 348

B V e r f G E 54, 277 (299).

S o zu Recht auch Siemer, Normenkontrolle, S. 19 f. und Steinberger, in: BVerfGE 70, 35 (64), diss. op. Auch Stern, FS H. Schäfer, S. 59 (68) hat i n anderem Zusammenhang eindringlich vor Analogieschlüssen und Rechtsfortbildungen i m Rahmen von § 47 V w G O gewarnt. Ähnlich B a y V G H BayVBl. 1981, 499 (501): § 47 V w G O ist eine nicht analogiefähige Spezialvorschrift.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

1

gen, Rechtsverordnungen) sind in der Rechtswissenschaft klar definiert und eindeutig besetzt. Das Problem der formellen Bebauungsplangesetze war ausweislich der Materialien dem Gesetzgeber ebenfalls wohlbekannt. Die fraglichen Gesetze wurden trotzdem bewußt nicht in den Normbereich aufgenommen 349 . Bei einer solch unmißverständlichen Ausgangslage fragt es sich, wo noch Raum für die vom Bundesverfassungsgericht vorgenommene „Auslegung" sein s o l l 3 5 0 . Die Unterstellung des Bundesverfassungsgerichts, der Gesetzgeber hätte bei Kenntnis der Problematik § 47 I Nr. 1 V w G O ebenso ausgestaltet, wie es nun durch die „Auslegung" geschehe, kann jedenfalls nicht überzeugen. Denn erstens hat der Gesetzgeber die Tatsache gekannt, daß wegen der Möglichkeit von Bebauungsplangesetzen die gewünschte Rechtseinheit durch § 47 I Nr. 1 VwGO nicht zu verwirklichen sein w ü r d e 3 5 1 . Zweitens hätte er ebensogut statt Änderung des § 47 I Nr. 1 VwGO ζ. B. den § 188 I I BBauG a. F . = § 246 I I BauGB n. F. dahingehend modifizieren können, daß formelle Gesetze für Bebauungspläne nicht in Frage k o m m e n 3 5 2 . Das Gericht hätte also besser dem Gesetzgeber einen Auftrag zur Korrektur der Rechtslage geben sollen als ihm in der dargestellten Weise eine bestimmte Vorgehensweise zu unterstellen 3 5 3 . Auch früher hat j a das Bundesverfassungsgericht „judicial self-restraint" geübt und die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei der Herstellung von Gleichheit respektiert 3 5 4 . Einen Widerspruch mit dem Art. 100 I GG konnte das Gericht nur durch „Einschränkung"des Verwerfungsmonopols für formelle Gesetze vermeiden: Art. 100 I GG gelte „nicht für solche Gesetze, die nach Maßgabe einer bundesgesetzlichen Regelung ergehen, die als Regelform die Rechtsform der Satzung vorsieht (satzungsvertretendes Gesetz) und hiervon nur

3 4 9 Vgl. d. Nachw. oben in F N 338 auf S. 167. Wie hier auch Schenke, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 19 und Steinberger, BVerfGE 70, 35 (64), diss. op. 350

S o auch Bender, Befugnis des BVerfG, S. 405 m . F N 844; Schiaich, R N 246.

3 5 1

Ebenso Steinberger, BVerfGE 70, 35 (65), diss. op. Vgl. dort auch die ausdrücklichen Hinw. verschiedener Senatoren, Abgeordneter usw. i m Gesetzgebungsverfahren; ebenda, S. 60 f. 352

S o auch Kosmider, JuS 1988, 447 (449); Steinberger, BVerfGE 70, 35 (65), diss. op.

353

E b e n s o Kosmider, JuS 1988, 447 (449). Goerlich, „Formenmißbrauch", S. 67 trägt in diesem Zusammenhang vor, daß das BVerfG auch den Landesgesetzgeber hätte verpflichten können, die landesverfassungsrechtliche Normenkontrolle auf vorliegende Problemfalle zu erweitern. Dagegen aber Schenke, DVB1. 1985, 1367 (1369), der meint, der Senat hätte ohnehin schon in die Gesetzgebungskompetenz der Länder eingegriffen. 354

S o auch Schenke, DVB1. 1985, 1367 (1369 m. F N 35).

1

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

mit Rücksicht auf landesverfassungsrechtliche Besonderheiten Ausnahmen zuläßt"355. Diese contra legem (i. e. Art. 100 I GG) entwickelte „Einschränkung" stellt aber einen Systembruch dar, wie zu Recht kritisiert w u r d e 3 5 6 . Der Art. 100 I GG soll nämlich ganz generell der besonderen demokratischen Legitimation eines Parlamentsgesetzes Nachdruck verleihen: Nicht jedes Gericht soll sich über den Willen des formellen Gesetzgebers hinwegsetzen können, sondern nur — sozusagen ausnahmsweise — das (Bundes-)Verfassungsgericht 357 . Wenn eine Norm erst einmal in einem besonderen, formellen Gesetzgebungsverfahren erlassen worden ist, in dem sich schon in seiner aufwendigen Durchführung die besondere demokratische Legitimation des entstehenden Gesetzes widerspiegelt 3 5 8 , so ist es unerheblich, ob der Gesetzesinhalt theoretisch auch in anderer Form (ζ. B. als Satzung) hätte ergehen können 3 5 9 . Auch das Bundesverfassungsgericht hat dies schon früh eindeutig festgestellt: „Aus der Wahl der Gesetzesform ergibt sich die Zulässigkeit der verfassungsgerichtlichen Kontrollen, die gegenüber Gesetzen vorgesehen sind. Dazu gehört...die Verfassungsbeschwerde. Unerheblich ist deshalb, ob die Wahl der Gesetzesform durch den Inhalt geboten w a r . . . " 3 6 0 . Schon allein dadurch, daß der „Volkswille" in seiner in unserem System der repräsentativen Demokratie unmittelbarsten Form „gesprochen" 355

B V e r f G E 70, 35 (58); Klammereinschub i m Original.

356

B e t t e r m a n n , Verfassungskonforme Auslegung, S. 50. Kosmider, JuS 1988, 447 (449); Schenke, DVB1. 1985, 1367 (1369); Schiaich, R N 246; Steinberger, BVerfGE 70, 35 (65 f.), diss. op. Ähnlich Goerlich, D Ö V 1985, 945 (946); ders., „Formenmißbrauch", S. 76 f. meint zu Recht, der Senat habe „der geschriebenen Verfassimg einen schlechten Dienst erwiesen". 357 358

B V e r f G E 1, 184 (201); 10, 124 (127). So auch Schenke, DVB1. 1985, 1367 (1369).

D a r a u f weist auch Kosmider, 1985, 1367 (1368).

JuS 1988, 447 (451) hin.

Ebenso Schenke, DVB1.

359 S o i. E. auch Goerlich, „Formenmißbrauch", S. 75 f.; Kosmider, JuS 1988, 447 (449); Pestalozza, VerfprozeßR, § 13 I I R N 9 m. F N 24; Steinberger, BVerfGE 70, 35 (66), diss. op. mit dem berechtigten vergleichenden Hinw., daß schließlich auch Einzelfallgesetze i. S. d. Art. 19 I 1 G G unbestrittenermaßen erst einmal formelle Gesetze sind, unabhängig von ihrer Verfassungsmäßigkeit. Daß grundsätzlich auf die Form des angegriffenen Hoheitsaktes abzustellen ist, konstatieren auch schon Bethge, Die Verwaltung, Bd.6 (1973), S. 403 (408); Maurer, FS Kern, S. 275 (295 f. in F N 72); Soell/Martin, B a y V B l . 1978, 649 (657 m. w. Nachw. in F N 96) und Würtenberger, A ö R 105 (1980), S. 370 (383 f. m. w. Nachw. in F N 49, 53). Anderer Ansicht Henseler, J U R A 1986, 249 (255). 3 6 0 BVerfG E 12, 354 (361). Auch BVerfGE 26, 228 (236) stellt bei der kommunalen Verfassungsbeschwerde ausdrücklich auf die Form, nicht auf den Inhalt ab; dieser Entscheidimg insoweit zustimmend Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 R N 17 und Stern, B K , Art. 93 R N 807.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

1

h a t 3 6 1 , ergibt sich per se die Notwendigkeit einer besonderen Legitimation des diesen Volkswillen überprüfenden Gerichts, wie dies gerade in Art. 100 I GG zum Ausdruck k o m m t 3 6 2 . Es bleibt daher bei der Forderung, daß formelle Gesetze nur durch Verfassungsgerichte und nicht durch Oberverwaltungsgerichte verworfen werden dürfen 3 6 3 .

(2) Die vernachlässigte Korrekturmöglichkeit bei § 3 HmbBPIG Schließlich muß überhaupt verwundern, wieso das Bundesverfassungsgericht unter ungenauer Berufung 3 6 4 auf Art. 3 I GG gerade den § 47 I Nr. 1 VwGO als die „Wurzel allen Übels" ansieht und nicht vielmehr § 3 HmbBPIG, nach dem Bebauungspläne sowohl in Gesetzesform als auch als Rechtsverordnungen möglich s i n d 3 6 5 . Es gibt keine Stelle i m Beschluß des Bundesverfassungsgerichts, in der ausdrücklich § 47 I Nr. 1 VwGO für verfassungswidrig erklärt wird — was wiederum gegen ein Bedürfnis zur „korrigierenden Auslegung" spricht. Sollte vom Bundesverfassungsgericht ernsthaft ein Gleichheitsverstoß darin gesehen werden, daß der VwGO-Gesetzgeber dem § 471 Nr. 1 VwGO nicht auch die förmlichen Gesetze unterstellt hat, geschähe dies unter Außerachtlassung der bestehenden wesentlichen Unterschiede zwischen formellen Gesetzen und Gesetzen im nur materiellen Sinne, die unser Rechtssystem 36 1 Steinberger, BVerfGE 70, 35 (67), diss, op., spricht davon, daß „der Gesetzgeber sein Zugriffsrecht betätigt hat" und lehnt den Versuch zu Recht ab, verschiedene Arten von Gesetzen abzuschichten, ebenda, S. 66. 362 S o wohl auch Schenke, DVB1. 1985, 1367 (1369) und Stern, FS H . Schäfer, S. 59 (66 f.). Daß die besondere Stellung des normverwerfenden Gerichts die Autorität des Gesetzgebers sichert, gibt wohl Henseler, J U R A 1986, 249 (255) zu, der freilich für Bebauungsplangesetze insofern die Notwendigkeit einer besonderen gerichtlichen Kompetenz verneint. 363 A l s o auch per Verfassungsbeschwerde durch das BVerfG; so ausdrücklich Hövel, S. 88; Schenke, DVB1. 1985, 1367 (1368). Ähnlich in vergleichbarem Zusammenhang schon Würtenberger, AöR 105 (1980), S. 370 (383). I m Ergebnis ebenso Kosmider, JuS 1988, 447 (449), der i m übrigen ausführlich und überzeugend darlegt, daß auch Art. 19 I V G G keinen Rechtsweg i. S. einer prinzipalen (!) Normenkontrolle formeller Bebauungsplangesetze eröffnet oder verlangt, der über § 90 I I 1 BVerfGG die Verfassungsbeschwerde verschließen würde, ebenda, S. 450. Siehe zu dieser Problematik aber noch unten S. 191 ff. 3 6 4 365

Goerlich, D Ö V 1985, 945 (946): „vage angeseilt in A r t . 3 I G G " .

S o auch Kosmider, JuS 1988, 447 (451), der konstatiert, daß es schwer fällt, dem BVerfG methodisch zu folgen. Goerlich, D Ö V 1985, 945 (945 f.) bedauert, daß hier eine Gelegenheit zur Befassung mit der Problematik des Einzelfallgesetzes und des Formenmißbrauchs verpaßt worden ist.

12

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

prägen und an die der VwGO-Gesetzgeber bewußt angeknüpft h a t 3 6 6 . Zumindest ein Willkürverstoß könnte dem Gesetzgeber insoweit wirklich nicht vorgeworfen werden 3 6 7 . Demgegenüber kann der Argumentation zu § 3 HmbBPIG nicht gefolgt werden: Zunächst bescheinigt das Gericht knapp in einem Satz verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit 3 6 8 . Anschließend zeigt es ausführlich, daß es durch die Regelung bezüglich des betroffenen Bürgers und seiner Rechtsschutzmöglichkeiten „zufällige", „nicht objektivierbare" Ergebnisse g i b t 3 6 9 . Aber schließlich wird doch wiederum hervorgehoben, daß mit der Entscheidung, den § 47 I Nr. 1 VwGO „auszulegen", die — anscheinend aus irgendeinem Grund wünschenswerte — landesrechtliche Norm des § 3 I I HmbBPIG bewahrt werden k o n n t e 3 7 0 . Warum diese Rechtslage aber konkret so bewahrungswürdig sein soll, wird in der gesamten Entscheidung nicht ausgesprochen. Irgendwie soll es „ v e r n ü n f t i g " 3 7 1 sein, wenn politisch umstrittene Bebauungspläne i m Verfahren der Gesetzgebung beschlossen werden. Zu beachten ist aber, daß es in fast jeder Gemeinde der deutschen Flächenstaaten sicher politisch brisante Bebauungspläne gibt, die in der Regel öffentlich, sachgerecht und in einem rechtsstaatsgemäßen Verfahren auf der Grundlage des Baurechts erlassen worden sind, ohne daß in diesen Ländern das Bedürfnis geäußert worden wäre, eine Regelung nach Hamburger Vorbild zu haben. Dadurch daß der Bebauungsplan als Satzung beschlossen wird, wird er j a nicht in einem undurchsichtigen, rechtsfreien Geheimverfahren o. ä. erlassen. Untragbar wird die Situation zusätzlich deshalb, weil es in Hamburg nur vom wie auch immer motivierten Verhalten der politischen Organe, nicht von sachbezogenen oder objektivierbaren Erwägungen — so das Bundesverfassungsgericht selbst! 3 7 2 — abhängt, ob die Bürgerschaft in der Eigen366

E b e n s o Kosmider,

367

E b e n s o Schenke, DVB1. 1985, 1367 (1368).

JuS 1988, 447 (451); Schenke, DVB1. 1985, 1367 (1368).

3 6 8

BVerfG E 70, 35 (55). Goerlich, D Ö V 1985, 945 (946) bedauert diese Absegnung, die „ohne Not" erfolgt sei. 369

E b e n d a , S. 56.

370

E b e n d a , S. 58.

3 7 1

So der — soweit ersichtlich — einzige Befürworter des Beschlusses in diesem Punkt Henseler, J U R A 1986, 249 (254), der die Beschlußfassung „politisch umstrittener Bebauungspläne" in Form eines Gesetzes u. U. sogar wegen des Gesetzesvorbehalts für erforderlich hält. Trotzdem gibt er noch auf der gleichen Seite zu, „daß die in § 3 I I H m b B P I G genannten formbestimmenden Abgrenzungsmerkmale, namentlich die politische Brisanz des jeweiligen Planes (!), als Kriterium für die Gewähr unterschiedlichen Rechtsschutzes zufällig und sachwidrig sind" (Hervorhebung nur hier). 3 7 2

BVerfG E 70, 35 (56 f.).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

1

schaft des (Landes-)Gesetzgebers oder des kommunalen Satzungsgebers öffentlich beschließt 3 7 3 . Sachliche Elemente, die eine unterschiedliche Behandlung von Bebauungsplänen rechtfertigen würden, sind vom Gesetzgeber überhaupt nicht festgelegt worden. Damit liegt eine Einbruchsteile für Willkür verstoße vor, die die Regelung (eventuell in Verbindung mit ihrer bundesbaurechtlichen Ermächtigungsnorm 3 7 4 ) verfassungswidrig machen dürfte 375. Einzig wirklich spürbare Folge bei Beschlußfassung i m Rahmen des formellen Gesetzgebungsverfahrens ist nicht, daß per Gesetz etwas besser oder intensiver geregelt werden könnte, sondern nur, daß anschließend der (sogar nach der Voraussetzung des § 3 I I HmbBPIG politisch besonders umstrittene) Bebauungsplan kaum noch gerichtlich angreifbar i s t 3 7 6 , wenn man eben von der Verfassungsbeschwerde absieht. Wenn diese landesrechtliche Norm die Quelle des GleichheitsVerstoßes ist — wofür alle Anzeichen in dem allerdings wie gesagt nicht ganz eindeutigen Beschluß sprechen 377 —, muß der Mangel auch dort und nicht durch Korrektur einer ganz anderen Norm beseitigt werden 3 7 8 .

Zwischenergebnis Damit kann § 47 I Nr. 1 VwGO keineswegs als Rechtsweg gegen formelle (Bebauungsplan-)Gesetze anerkannt werden 3 7 9 . Eine solche extensive „Auslegung" ist mit den anerkannten Grundsätzen der Methodenlehre nicht zu vereinbaren. Auch materiell-rechtlich führt eine Eröffnung der 373

S o auch Kosmider,

JuS 1988, 447 (451).

37 4

Schiaich, R N 246, hält nur die Ermächtigungsnormen des B B a u G / B a u G B für verfassungswidrig. 375

66).

D a s ist auch das Ergebnis von Kosmider,

JuS 1988, 447 (451 m . w. Nachw. in F N

376 D a s gibt sogar Henseler, J U R A 1986, 249 (255) i. E. alles zu, ohne jedoch zu erkennen, daß damit die Rechtfertigung für die landesgesetzliche Regelung entfällt und nicht etwa der Schluß zu ziehen ist, daß Bebauungsplangesetze nicht unter Art. 100 I G G fallen. 377 378

D i e s ist auch der Eindruck von Kosmider,

E b e n s o Bettermann, 447 (451).

JuS 1988, 447 (451).

Verfassungskonforme Auslegung, S. 49; Kosmider,

JuS 1988,

3 7 9 Eine Auseinandersetzung mit der Vorgehensweise des BVerfG unter dem Subsidiaritätstopos anstelle des § 90 I I 1 BVerfGG erübrigt sich daher. Hovel, S. 86, 129 ist der Ansicht, daß auch hier nicht das Subsidiaritätsprinzip hätte bemüht werden müssen, sondern § 90 I I 1 BVerfGG. Wenn es sich tatsächlich u m eine zulässige extensive Auslegung des § 47 I V w G O gehandelt hätte, wäre damit in der Tat ein „Rechtsweg" i m Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG thematisch betroffen gewesen, so daß die Notwendigkeit eines eigenständigen Subsidiär!tätsprinzips wiederum entfallen wäre.

1

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle zu verfassungsrechtlich untragbaren Ergebnissen. Es bleibt hier nur die Eröffnung der Verfassungsbeschwerde, wenn man einmal von gelegentlich zur Verfügung stehenden landesverfassungsgerichtlichen Rechtsbehelfen absieht.

bb) Die Bedeutung der inzidenten Normenkontrolle i m Rahmen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde Das Bundesverfassungsgericht verweist bekanntlich i m Zuge seiner Subsidiaritätsrechtsprechung den Beschwerdeführer auf die Fachgerichtsbarkeit, wenn er dort „ i n zumutbarer Weise einen wirkungsvollen Rechtsschutz" erlangen k a n n 3 8 0 . Der auf diese Weise bezweckte „Mechanismus" wurde bereits auführlich dargestellt und dabei die entscheidende Rolle der sog. inzidenten Normenkontrolle mit eventuell anschließender Richtervorlage gem. Art. 100 I GG hervorgehoben 381 .

aaa) Verkappte Normenkontrolle? Allerdings wurde früher — vor allem bezüglich der allgemeinen Feststellungsklage gem. § 43 I VwGO — bezweifelt, ob nicht eine „unzulässige, verkappte abstrakte Normenkontrolle" eingeführt werden würde, wenn es im Endeffekt in dem fachgerichtlichen Rechtsstreit nur auf die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes a n k o m m t 3 8 2 . Diese Ansicht übersieht jedoch, daß die (inzidente) Kontrolle der Norm eben nicht zum Streitgegenstand der verwaltungsgerichtlichen Klage gehört — was naturgemäß auch wichtig für die Frage der Rechtskraft 3 8 3 ist (vgl. z. B. § 121 VwGO). Die Verfassungsmäßigkeit der zugrundeliegenden Norm ist nur Vorfrage ζ. B. des Verwaltungsgerichtsverfahrens 384 . 3 8 0

Vgl. ζ. B. BVerfGE 79, 29 (35 f.) und die Nachw. oben auf S. 56.

3 8 1

Siehe S. 61 ff.

382

Z u m Beispiel BVerfGE 10, 89 (98); 67, 26 (37); BVerwG D Ö V 1965, 169; O V G Münster, O V G E 23, 161; Bettermann, StaatsR-VerfahrensR-ZivilR, S. 798; SchmidtAßmann, V V D S t R L Heft 34, S. 221 (240); kritisch gegenüber der Tauglichkeit der Feststellungsklage unter dem Gesichtspunkt von Art. 19 I V G G : Stern, FS H. Schäfer, S. 59 (67 f.). Heute noch ablehnend Eyermann/Fröhler, § 43 R N 17 a; Hovel, S. 89. 3 8 3 Vgl. zur Bedeutimg des Streitgegenstandes für die Rechtskraft ζ. B. Schellhammer, R N 844 ff.; Schmitt Glaeser, R N 112 ff. 3 8 4 Ausdrücklich i m hier behandelten Zusammenhang Schenke, JuS 1981, 81 (86); Renck, JuS 1966, 273 (278 m. F N 50).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

15

In der Hauptsache geht es aber um das Verhältnis des Bürgers zur rechtsanwendenden Behörde oder sonstigen dazu berufenen Stelle bezüglich der umstrittenen Rechtspositionen 385 . Daher ist ζ. B. der Streitgegenstand bei einer verwaltungsgerichtlichen Unterlassungsklage gegen Realakte, die aufgrund eines für rechtswidrig gehaltenen Gesetzes vorgenommen werden, nur der geltend gemachte (prozessuale 386 ) Unterlassungsanspruch des Klägers 3 8 7 . Bei einer Klage gegen eine gesetzliche Zwangsmitgliedschaft ist nur das Bestehen eines Rechtsverhältnisses zwischen dem Kläger und dem Zwangsverband Streitgegenstand 388 ; es werden mit der Feststellungsklage also nur Rechte und Pflichten, die sich aus einer Rechtsnorm angesichts eines konkreten Sachverhalts für die Beteiligten ergeben, festgestellt 3 8 9 . Es geht also im Fachprozeß in der Hauptsache nur um die Anwendung der Norm auf den Einzelfall 3 9 0 . Demgegenüber ist der Verfahrensgegenstand der (bundesverfassungsgerichtlichen) Normenkontrolle das Begehren des Antragstellers auf die verfassungsrechtliche Überprüfung einer Regelung in der Art, wie sie im vorliegenden Gesetz zum Ausdruck k o m m t 3 9 1 . Eine Normenkontrolle kann daher selbst dann begründet sein, wenn das Gesetz zwar keine (Grund-)Rechte des Antragstellers verletzt, aber i m Sinne eines objektiven (Verfassungs-)Rechtsschutzes trotzdem unter anderem Aspekt 385

Schmitt

Glaeser, R N 331; Trzaskalik,

386

D a z u ausführlich Detterbeck,

387

S o zutreffend Detterbeck,

S. 56.

AöR 116 (1991), S. 391 (408).

Präventiver Rechtsschutz, S. 198.

388

S o i. E. auch BVerwG N J W 1983, 2208. Schon vorher Schenke, JuS 1981, 81 (85). Trzaskalik, S. 56 in F N 78, führt an, daß — käme es wirklich auf den materiellen Schwerpunkt des Rechtsstreits an — auch eine Anfechtungsklage, die allein mit der Ungültigkeit der zugrundeliegenden Norm begründet werde, unzulässig sein müsse. Trzaskalik will mit diesem Hinw. die Unhaltbarkeit der früheren kritischen Meinung demonstrieren, was aber nicht ganz überzeugen kann: Anders als bei allg. Leistungsklage oder Feststellungsklage geht es bei der Anfechtungsklage immer hauptsächlich darum, zu verhindern, daß der strittige VA in Bestandskraft erwächst. Dies ist aber auch dann der Fall, wenn der VA mangels gültiger Rechtsgrundlage rechtswidrig ist und diese Norm später sogar von einem Verfassungsgericht für nichtig erklärt wird. Das Rechtsschutzbedürfnis für die Beseitigung des VAs als solchen ist somit immer gegeben, Kopp, V w G O , § 121 R N 29 m. w. Nachw. 389

K o p p , V w G O , § 43 R N 8; Schenke, JuS 1981, 81 (85 m . Hinw. in F N 55); Siemer, FS Menger, S. 501 (514); Umbach, FS Zeidler I I , S. 1235 (1246, 1247). Renck, JuS 1966, 273 (274) warnt in seiner Besprechung der Entscheidimg des BVerwG ( D Ö V 1965, 169) daher zu Recht davor, die Begriffe „Rechtsschutz" und „Normenkontrolle" unterschiedslos miteinander zu vermengen. 390 Ä h n l i c h auch schon Bettermann, Zeidler I I , S. 1325 (1325).

AöR 86 (1961), S. 129 (151); Harald

Klein,

FS

3 9 1 So Detterbeck, A ö R 116 (1991), S. 391 (411): auf das angegriffene Gesetz kommt es daher allein und ausschließlich gar nicht an; abzustellen ist auf die enthaltene Regelung.

16

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

für nichtig erklärt werden m u ß 3 9 2 . Eine solche Vorgehensweise hebt sich eindeutig von dem am prozessualen Anspruch des Klägers orientierten Verwaltungsprozeß ab. Wegen der Einzelfallorientiertheit des Fachprozesses wirkt das fachgerichtliche Urteil nur zwischen den Parteien, also inter partes 393. Wenn die Gegenmeinung daran ansetzen will und kritisiert, daß es „keine individuelle Ungültigkeit von Normen" g ä b e 3 9 4 , so verkennt sie, daß das Gericht, wenn es wirklich die Norm für ungültig hält, diese dem Bundesverfassungsgericht gem. Art. 100 I GG vorlegen muß. Das Fachgericht entscheidet inter partes also nur dann selbst, wenn es nicht zu der Meinung kommt, daß das Gesetz verfassungswidrig ist (Fallgruppen: die Klage ist unzulässig, so daß es zur Normprüfung gar nicht kommt; die Klage ist unbegründet, weil das Gericht die Norm für verfassungsgemäß hält; die Klage ist begründet, aber aus einem Grund, der nichts mit der Gültigkeit des Gesetzes zu tun hat, ζ. B.: Der Kläger fällt unter eine Ausnahmeregelung). Zu einer „Ungültigkeit inter partes" kann es also bei formellen Gesetzen ohnehin gar nicht kommen. Darüber hinaus muß die bloße Existenz des prinzipalen Normenkontrollverfahrens des § 47 VwGO nicht notwendigerweise die Möglichkeit von „einfachen" Verwaltungsklagen ausschließen 395 , da bei § 47 VwGO primär seine Eigenschaft als „objektives Beanstandungsverfahren" i m Vordergrund steht, die Verfahren also auf unterschiedlichen Ebenen liegen 3 9 6 . So ist das Wesen des Rechtsschutzes der prinzipalen gegenüber der inzidenten Normenkontrolle so verschieden, daß die Einleitung eines Inzident Verfahrens in bestimmten Fällen regelrecht zwangsläufig bleibt, selbst wenn auch eine prinzipale Normenkontrolle offenstehen würde. 392 I n s b e s . gilt nicht § 113 I oder I V V w G O , Dageförde, VerwArch 79 (1988), S. 123 (134). Gleiches gilt auch für die Verfassungsbeschwerde, da das BVerfG bei festgestellter Zulässigkeit die Begründetheit unter jedem Aspekt prüft, vgl. ζ. B. BVerfGE 79, 174 (192 f.). 393 D a g e f ö r d e , VerwArch 79 (1988), S. 123 (131); Schmitt Glaeser, R N 112; Trzaskalik, S. 56. 3 9 4 Z u m Beispiel Bettermann, StaatsR-VerfahrensR-ZivilR, S. 798. O b dieser Satz überhaupt stimmt, erscheint mir schon im Hinblick auf formelle, vorkonstitutionelle Gesetze als ausgesprochen fraglich; diese können j a von den Fachgerichten selbständig verworfen werden und zwar mit Wirkung inter partes; völlig h. M . , vgl. nur Pestalozza, VerfprozeßR, § 13 I I R N 12 m. w. Nachw. in F N 30. 395

S o auch ausdrücklich BVerwGE 25, 151 (156) zum Verhältnis der allg. Feststellungsklage (§ 43 I V w G O ) zur konkreten Normenkontrolle (§ 47 V w G O ) in einem Fall der Feststellung der Nichtmitgliedschaft in einem öffentlich-rechtlichen Ζwangsverband. Ebenso Engelhardt, S. 248 m. w. Nachw. in F N 18. 3 9 6

Ausdrücklich Maurer,

FS Kern, S. 275 (293).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

1

Deutlich wird dies besonders bei Bebauungsplänen, die zwar der prinzipalen Normenkontrolle des § 47 I Nr. 1 V w G O unterliegen. Wenn es jedoch darum geht, Baugenehmigungen (ζ. B. bezüglich eines Bauvorhabens des Nachbarn) nicht bestandskräftig werden zu lassen, bleibt nur die Anfechtungsklage, auch wenn es im Kern um den Bebauungsplan g e h t 3 9 7 . Daher sind ζ. B. bei ca. 65 % der Normenkontrollverfahren des OVG Berlin die Parteien gleichzeitig an Verfahren bei Verwaltungs- oder Zivilgerichten beteiligt, in denen es ebenfalls um die Gültigkeit des Bebauungsplanes geht398. Hier wird ersichtlich, daß sich wegen der unterschiedlichen Rechtsschutzziele und -gewährleistungen der Verfahren ein Spezialitätsverhältnis der prinzipalen gegenüber der inzidenten Normenkontrolle argumentativ nicht aufrechterhalten l ä ß t 3 9 9 . Insoweit dürfte die Zulässigkeit des vom Bundesverfassungsgericht geforderten Vorgehens zu bejahen sein, was heute auch der herrschenden Meinung in der Literatur entspricht 4 0 0 .

bbb) Die fehlende Notwendigkeit der Berufung auf ein selbständiges Zulässigkeitsmerkmal „Subsidiaritätsgrundsatz" Problematisch ist jedoch die schon dargestellte 4 0 1 Einstellung der herrschenden Meinung bezüglich des Verhältnisses von Rechtswegerschöpfung gemäß § 90 I I 1 BVerfGG zu Gesetzen im formellen Sinne, also zu Parlamentsgesetzen. Die überwiegende Ansicht geht davon aus, daß § 90 I I 1 BVerfGG auf formelle Gesetze überhaupt nicht anwendbar sei, da es gegen formelle Gesetze keinen Rechtsweg gäbe — womit die komplette „Argumentation" 397

Dageförde,

VerwArch 79 (1988), S. 123 (128 m. w. Nachw., 135 f.).

398

N a c h w . bei Dageförde, VerwArch 79 (1988), S. 123 (126 f.).

399

S o ausdrücklich Kopp, V w G O , § 43 R N 31.

400

D e n Entscheidungen BVerfGE 74, 69 (74) und BVerwG N J W 1983, 2208 folgen insbes. Detterbeck, Präventiver Rechtsschutz, S. 213; ders., J U R A 1990, 654 (658 f.); ders., D Ö V 1990, 558 (559 f.); ders., D Ö V 1990, 858 (860 f., 863); Dörr, R N 198; Hövel, S. 122; Harald Klein, FS Zeidler I I , S. 1325 (1339 m . F N 50); Kopp, V w G O , § 43 R N 8; Pietzner/Ronellenfìtsch, § 11 R N 7; Schenke, N J W 1986, 1451 (1457); ders., Rechtsschutz, S. 215 ff.; ders., JuS 1981, 81 (85 f.); Schmitt Glaeser, R N 328; Siemer, FS Menger, S. 501 (508 f.); Umbach, FS Zeidler I I , S. 1235 (1246 m . F N 30). Vgl. auch BVerwG D Ö V 1986, 518 ff. Schon vor den genannten Entscheidungen wurde diese Ansicht von Bachof, AöR 86 (1961), S. 186 (188); Obermayer, DVB1. 1965, 625 (632); Renck, JuS 1966, 273 (278 f.) und Trzaskalik, S. 53 ff. vertreten. Vgl. auch schon in diese Richtimg gehend BVerwG E 26, 251 (253). 4 0 1

Siehe oben S. 53 f.

12 Warmke

1

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen R e c h t s p r e c h g

der meisten Vertreter dieser „überwiegenden Ansicht" schon so ziemlich erschöpfend dargelegt w ä r e 4 0 2 . Nur wenige Autoren machen sich überhaupt noch die Mühe, diese Feststellung zu untermauern, indem sie entweder unter Berufung auf den Wortlaut des § 93 II BVerfGG darauf verweisen, daß auch der Gesetzgeber davon ausgehe, daß es gegen formelle Gesetze keinen Rechtsweg g ä b e 4 0 3 . Oder sie verweisen auf das Verwerfungsmonopol für formelle Gesetze, das unbestrittenermaßen beim Bundesverfassungsgericht liegt, A r t . 100 I G G 4 0 4 . Vereinzelt wird diese Auffassung noch mit dem Hinweis untermauert, daß Art. 19 IV GG mit öffentlicher Gewalt nicht die Gesetzgebung meine, so daß nicht nur die Prozeßordnungen keinen Rechtsweg gegen formelle Gesetze eröffneten, sondern noch nicht einmal ein subsidiärer Rechtsweg gegeben s e i 4 0 5 . M i t diesen Argumenten soll sich in der Tat im Anschluß genauer auseinandergesetzt werden. Weiterhin wurde vorgebracht, wegen der „besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen" der Normenverfassungsbeschwerde (gemeint ist die Formel vom unmittelbaren und gegenwärtigen Selbstbetroffensein) sei eine Rechtswegbeschreitung — und damit eine Anwendung des § 90 I I 1 BVerfGG — nicht notwendig 4 0 6 . Zu diesem Argument nur soviel: Es ist methodisch äußerst zweifelhaft, zugunsten eines ungeschriebenen, richterrechtlich entwickelten 4 0 7 und höchst umstrittenen 4 0 8 Merkmals eine ausdrückliche Gesetzesanordnung restriktiv auszulegen: Die Frage ist vielmehr, ob ih402 O h n e weitere Argumentation kommen ζ. B. aus Benda/Klein, R N 319, 410, 415, 483, 525; Bender, AöR 112 (1987), S. 169 (176); Erichsen, Jura 1979, 279 (336); ders., J U R A 1991, 638 (641); E. Klein, FS Zeidler I I , S. 1305 (1310); Laubinger, JA 1971, 177 (177); Lechner, BVerfGG, § 90 Abs. 2 Anm. 1 a); Lower, S. 737 (835 R N 155); Motzer, S. 59, 65, 102 (m. Hinw. auf Art. 95 G G ) ; Schneider, A ö R 89 (1964), S. 24 (28); Seiwerth, S. 115; Weber, JuS 1992, 122 (126); Zuck, JuS 1988, 370 (374). Auch Geiger, BVerfGG, § 90 Anm. 7 meint ohne Begründung, es gäbe nur die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle (§ 25 süddeut. V G G ) als Rechtsweg gegen A k t e der Gesetzgebung. Raschauer, D Ö V 1976, 698 ff. erwähnt in seiner Darstellung der Normenverfassungsbeschwerde den § 90 I I 1 BVerfGG überhaupt nicht. 403 B e t t e r m a n n , AöR 86 (1961), S. 129 (140, 171); Gusy, Verfassungsbeschwerde, R N 138; Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I I R N 46 (in einem einzigen Satz); Sachs, J U R A 1986, 598 (600); Schneider, Z Z P 79 (1966), S. 1 (18). 404 B V e r f G E 76, 107 (115); Hövel, S. 85; Scherer, S. 124 f., 297; Schiaich, R N 246 f.; Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 R N 194; Stern, B K , Art. 93 R N 718. 4 0 5

Gusy, Verfassungsbeschwerde, R N 138; Motzer,

4 0 6

S. 137.

Kosmider, JuS 1988, 447 (450); der Tendenz nach ähnlich Laubinger, (177) und Weber, JuS 1992, 122 (126). 407

Schiaich,

408

R N 230: „Erfindung des BVerfG".

S i e h e oben S. 94 ff.

JA 1971, 177

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

1

rerseits die Unmittelbarkeitsformel in Anbetracht des § 90 I I 1 BVerfGG überhaupt gebraucht w i r d 4 0 9 . Schließlich wird darauf verwiesen, daß es einem Beschwerdeführer nicht „zuzumuten" sei, erst einmal einen Normvollzug abzuwarten oder zu provozieren und inzwischen tatenlos zusehen zu müssen, wie das Gesetz seine Wirkungen entfaltet 4 1 0 . Zur „Zumutbarkeit" soll indes erst i m Zusammenhang mit den Korrektiven des Rechtswegerschöpfungsgebotes Stellung genommen werden (S. 229 ff.). Es sei nur schon einmal angemerkt, daß die Zumutbarkeit der Erschöpfung des Rechtsweges sicher im Einzelfall zu berücksichtigen ist, nicht aber schon generell die prinzipielle Möglichkeit einer Rechtswegeröffnung in Frage stellen kann. Insofern ist die Zumutbarkeit erst in einem zweiten Prüfungsschritt festzustellen, nachdem man zunächst einmal das Vorhandensein anderweitiger Rechtsschutzmöglichkeiten bejaht hat. I m übrigen sei noch darauf verwiesen, daß sich der besagte Einwand auch gegen die Subsidiaritätsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts richten müßte, da diese ebenfalls dem Beschwerdeführer den Fachgerichtsweg „zumutet". Ein Argument gerade gegen die Anwendbarkeit des § 90 I I 1 BVerfGG läßt sich somit schlecht über den Zumutbarkeitsgedanken konstruieren. M i t Hilfe der genannten Einwände ist also durch die herrschende Ansicht § 90 I I 1 BVerfGG erfolgreich als sedes materiae ausgeschaltet worden. I m Sinne dieser Vorgehensweise erscheint es dann als folgerichtig, daß der „allgemeine Subsidiaritätsgrundsatz" 4 1 1 — der j a über das Rechtswegerschöpfungsgebot des § 90 I I 1 BVerfGG hinausgehen soll — bemüht werden muß, um zu erreichen, daß der Beschwerdeführer „alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu e r w i r k e n " 4 1 2 . Nur so kann nach der Konzeption des Bundesverfassungsgerichts und der herrschenden Literatur verhindert werden, daß die besonders umfangreichen und rechtlich schwierigen Normenverfassungsbeschwerden — unmittelbare Betroffenheit des Beschwerdeführer einmal vorausgesetzt — immer ohne fachgerichtliche Aufbereitung beim Bundesverfassungsgericht eingelegt werden. 409

S o zu Recht auch der Ansatzpunkt von Detterbeck,

Präventiver Rechtsschutz,

S. 226 f.; Schenke, N J W 1986, 1451 (1459 f.); ders., DVB1. 1985, 1367 (1368). 410 Henning, S. 236; so wohl auch Scherer, S. 125; Schiaich, R N 247. 4 1 1 412

Neben dem schon behandelten Unmittelbarkeitskriterium, s. oben S. 41 ff. Z u m Beispiel BVerfGE 77, 381 (401 f.).

1

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Gerade insoweit stellt sich jedoch schon die eingangs aufgeworfene Frage, wie eine solche zugangsbeschränkende Rechtsprechung zu rechtfertigen ist, wenn die einzige als Rechtsgrundlage in Frage kommende Norm (§ 90 I I 1 BVerfGG) bewußt vom Bundesverfassungsgericht beiseite geschoben wird. Dieses Problem würde sich nur dann nicht stellen, wenn sich die Verweisung der Beschwerdeführer auf das fachgerichtliche Verfahren entgegen der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts doch schon aus dem Gesetz ergeben würde.

(1) Was sagt § 90 I I 1 BVerfGG wirklich aus? Ausgangspunkt für Überlegungen i m vorliegenden Zusammenhang muß § 90 I I 1 BVerfGG sein, sieht er doch als einzige Vorschrift de lege lata eine Verweisung auf den Rechtsweg v o r 4 1 3 . Das Hauptargument gegen die Anwendbarkeit des § 90 I I 1 BVerfGG auf Normenverfassungsbeschwerden ist die Aussage, daß es gegen formelle Gesetze keinen Rechtsweg gäbe. Hinter dieser schlagwortartigen Formel steht wohl die allgemein anerkannte — und auch hier nicht bestrittene — Erkenntnis, daß die prinzipale Normenkontrolle formeller Gesetze Verfassungsgerichtsbarkeit darstellt 4 1 4 . Das bedeutet, daß es außerhalb der Verfassungsgerichtsbarkeit kein Gericht gibt, daß in der Hauptsache über die Gültigkeit eines formellen Gesetzes entscheiden darf. Auf der Bundesebene liegt somit das Verwerfungsmonopol für Parlamentsgesetze beim Bundesverfassungsgericht. Aus dieser Kompetenzverteilung wird von der herrschenden Meinung dann der Schluß gezogen, daß § 90 I I 1 BVerfGG nicht bei Verfassungsbeschwerden gegen förmliche Gesetze anwendbar 4 1 5 sei, da es keinen Sinn mache, den Beschwerdeführer an die im oben genannten Sinne „unzuständigen" Fachgerichte zu verweisen. Nun könnte man schon vordergründig argumentieren, daß § 90 I I 1 BVerfGG sehr wohl auf formelle Gesetze anwendbar sei, da diese Vorschrift dort, wo kein Rechtsweg gegeben ist, eben i m Umkehrschluß die 4 1 3 Auch Jarass/Pieroth, Art. 94 R N 3 konstatieren, daß das BVerfG das Rechtswegerschöpfungsgebot zum Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde „ausgedehnt" hat. 4 1 4 Ebenso Detterbeck, Präventiver Rechtsschutz, S. 210; Kopp, V w G O , § 40 R N 32 und Steinberger, BVerfGE 70, 35 (65), diss. op. Noch weitergehender Schenke, Rechtsschutz, S. 264 ff. m. v. w. Nachw. 415

G e n a u dies ist die Argumentation auch von BVerfGE 76, 107 (115).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

1

Regelung bereithalte, daß sofort Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen das Gesetz erhoben werden k ö n n e 4 1 6 . Diese Argumentation wird dem Aussagegehalt der herrschenden Meinung in seiner vollen Bedeutung jedoch nicht gerecht. Die traditionelle Ansicht meint der Sache nach ja, daß es keinen Rechtsweg gegen formelle Gesetze gäbe und das Rechtswegerschöpfungsgebot des § 90 I I 1 BVerfGG daher bei formellen Gesetzen „keinen Sinn mache". Insoweit kann der genannte Einwand — wenn überhaupt — nur ein (erstes) Indiz gegen die herrschende Ansicht sein. Würde § 90 I I 1 BVerfGG aber tatsächlich ausschließlich eine prinzipale Normenkontrolle verlangen, müßte der herrschenden Ansicht wohl i m oben aufgezeigten Gedankengang gefolgt werden: Denn dann gäbe es wirklich keinen entsprechenden Rechtsweg.

(a) Der Wortlaut des § 90 I I 1 BVerfGG Schon in Anbetracht des Wortlauts des § 90 I I 1 BVerfGG fragt sich aber, ob die Feststellung der herrschenden Ansicht „Gegen formelle Gesetze gibt es keinen Rechtsweg" konkret verfangen k a n n 4 1 7 . § 90 I I 1 BVerfGG verlangt nämlich bei genauerer Betrachtung überhaupt nicht, daß „gegen die hoheitliche Maßnahme (also das formelle Gesetz) der Rechtsweg offen stehen" und dann entsprechend beschritten werden muß. § 90 I I 1 BVerfGG verlangt vielmehr, daß ein „gegen die Verletzung" zulässiger Rechtsweg beschritten werden m u ß 4 1 8 . Das bedeutet nach allgemeinem Sprachgebrauch 419 nur, daß ein Rechtsweg beschritten werden muß, bei dem theoretisch bei erfolgreicher Klage das Ergebnis „Beseitigung der Verletzung", nicht aber „Beseitigung des 416

Schenke,

Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 19; ders., N J W 1986, 1451 (1456).

417

Pieroth, DVB1. 1974, 195 (196 f.); Schenke, N J W 1986, 1451 (1456). Sympathisierend mit der vorliegenden Ansicht wohl auch Harald Klein, FS Zeidler I I , S. 1325 (1336), dem es ebenfalls Rätsel aufgibt, daß das BVerfG nicht m i t § 90 I I 1 BVerfGG arbeitet. Schon Holtkotten, N J W 1952, 528 (529) bezeichnet es als „schief", daß m a n „ohne nähere Erörterung unbesehen" unterstellt, daß gegen ein Gesetz ein Rechtsweg nicht gegeben sei. 418 E b e n s o Pieroth, DVB1. 1974, 195 (196) und Schwerdtfeger, R N 614, der die h. M . wegen ihrer „ausschließlich formalen Betrachtung" anscheinend ablehnt, ohne sich jedoch näher mit ihr zu befassen. 4 1 9 Dieser gibt den Rahmen vor, innerhalb dessen die gesuchte Bedeutung liegen muß und ist damit Ausgangspunkt für die richterliche Sinnesermittlung, Canaris , S. 15; harem, , S. 320 ff., insbes. S. 322 m. Hinw. auf Meier-Hayoz, S. 42.

12

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen R e c h t s p r e c h g

Gesetzes" herauskommen k a n n 4 2 0 . Dieser Rechtsweg wäre dann ein „gegen die Verletzung" zulässiger Rechtsweg i m Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß § 90 I I 1 BVerfGG schließlich nicht die Formulierung aus seinem Abs. I aufgreift und von Rechtsweg gegen den A k t der „öffentlichen Gewalt" s p r i c h t 4 2 1 . Das Gesetz trennt also sehr genau zwischen dem staatlichen A k t und der Verletzung als solcher 4 2 2 . Nicht verlangt wird vom Wortlaut des § 90 I I 1 BVerfGG hingegen die offensichtlich von der h. M. in diese Vorschrift hineininterpretierte 4 2 3 Befugnis des angegangenen Gerichtszweiges, die zu untersuchende Maßnahme aus eigener Kompetenz endgültig kassieren zu k ö n n e n 4 2 4 . Es läßt sich m. E. dem § 90 I I 1 BVerfGG nicht entnehmen, daß das formelle Gesetz gerade von einem Gericht des fachgerichtlichen Instanzenzuges — mit Wirkung inter omnes — verworfen werden muß, damit es sich wirklich um einen „gegen die Verletzung zulässigen Rechtsweg" handelt. Auch wenn man einmal vom Wortlaut absieht — dieser kann ohnehin nicht allein maßgeblich sein — ergibt sich nämlich, daß die herrschende Ansicht keineswegs zwingend ist:

(b) Keine zwangsläufige Nichtanwendbarkeit des § 90 I I 1 BVerfGG auf Normenverfassungsbeschwerden aus inhaltlichen Erwägungen „Gegen die Verletzung" durch ein formelles Gesetz besteht vielmehr auch dann ein wirksamer Rechtsschutz, wenn der Kläger deswegen Erfolg hat, weil ein Fachrichter die fragliche Norm ζ. B. teleologisch reduziert oder sie ganz allgemein auf den Kläger nicht anwendet, ζ. B. weil sie durch eine Spezialvorschrift verdrängt wird. Oder vielleicht ist der Fachrichter 4 2 0 I m Ergebnis ebenso Siemer, Normenkontrolle, S. 25, für die allg. Frage, was Rechtsschutz sei: nämlich „Abwehr rechtsbeeinträchtigender Wirkungen" (!). Das verkennt m. E. Sachs, J U R A 1986, 598 (600), der aus der Formulierung des Gesetzes genau das Gegenteil — i m Sinne der h. M . — herauslesen möchte; aus dem gleichen Grund geht die Kritik von Hövel, S. 152, m . E . fehl. 4 2 1

Ebenso Detterbeck,

Präventiver Rechtsschutz, S. 222.

422

A h n l i c h Detterbeck, Präventiver Rechtsschutz, S. 221 f.: er legt zutreffend dar, daß bei einer gesetzlich angeordneten Mitgliedschaft in einem Zwangsverband nicht das Gesetz oder der Gesetzeserlaß den Grundrechtseingriff darstellt, sondern die aus dem Gesetz folgende Beschränkung der in Art. 9 I bzw. 2 I G G garantierten negativen Vereinigungsfreiheit bezüglich öffentlich-rechtlicher Verbände. Ebenso definiert Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 463, die Rechtsverletzimg. 423 D e u t l i c h ζ. B. bei BVerfGE 8, 222 (225 f.); Büsser, S. 88; Redelberger, N J W 1953, 361 (363); Scherer, S. 125; Schneider, Z Z P 79 (1966), S. 1 (18); Seiwerth, S. 116. 4 2 4 Für die Auslegung des Art. 19 I V G G m i t ähnlichen Argumenten wie hier Maurer, FS Kern, S. 275 (297).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

1

der Meinung, daß eine Ausnahmevorschrift zugunsten des Klägers zum Zuge kommt. Daß dann durch Einschaltung dieses Rechtsweges — vor allem gegen die anderslautende Ansicht der zuständigen Behörde — die (vermeintliche) Verletzung des Klägers beseitigt worden ist, kann nicht ernsthaft bestritten werden. I m übrigen geht es bei Normen gerade nicht darum, eine Art von Bestands- oder gar Rechtskraft durch eine prinzipale Kontrolle unbedingt zu beseitigen, da verfassungswidrige Normen grundsätzlich nichtig sind. Dann ist aber schon rechtsstrukturell eine prinzipale Kontrolle nicht — wie etwa bei Verwaltungsakten oder Gerichtsentscheidungen — der einzig effektive W e g 4 2 5 . Schließlich: selbst wenn das Fachgericht der Meinung ist, daß die zugrundeliegende Norm verfassungswidrig sei, so kann es das Verfahren aussetzen und das Gesetz dem Bundesverfassungsgericht zur konkreten Normenkontrolle gemäß Art. 100 I GG vorlegen. Auch diese konsequente Fortführung einer vorher erfolgten inzidenten Normenkontrolle ist eine „gegen die Verletzung" gerichtete, effektive 4 2 6 und sinnvolle Maßnahme, die i m Rahmen dieses Rechtsweges erfolgt i s t 4 2 7 . Es muß hier auch einmal mit Nachdruck daraufhingewiesen werden, daß mit der Richtervorlage nun keineswegs das ganze Verfahren beim Bundesverfassungsgericht anhängig gemacht wird, sondern nur die Prüfung des Gesetzes (§ 81 B V e r f G G ) 4 2 8 . Das Ausgangsverfahren bleibt bis zur Entscheidung über die Vorlage weiterhin beim Fachgericht anhängig — also noch „ i m Rechtsweg" — und endet erst anschließend durch abschließendes fachgerichtliches U r t e i l 4 2 9 . Dementsprechend wird in Literatur und

425

Schenke,

Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 21; ders., N J W 1986, 1451 (1457).

4 2 6

W i e völlig inkonsequent die traditionelle Ansicht in diesem Zusammenhang selbst ist, zeigt sich sehr eindrucksvoll bei Scherer, die zunächst die inzidente Normenkontrolle als „Rechtsweg" i. S. d. § 90 I I 1 BVerfGG als unzumutbar ablehnt (S. 124 ff.). Später aber — anscheinend dies gänzlich vergessen habend — führt sie zur Rechtfertigung des ungeschriebenen (!) „Unmittelbarkeitskriteriums" des BVerfG aus, es fehle dem Bf. a m — ebenfalls ungeschriebenen (!) — allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis, wenn er nicht den Vollzugsakt einer Norm angreife und den genauso effektiven Weg (!) der fachgerichtlichen inzidenten Normenkontrolle i. V . m . A r t . 100 I G G gehe (S. 359 ff.). 4 2 7

W i e hier auch Gerontas, D Ö V 1982, 440 (443); Schenke, DVB1. 1985, 1367 (1368). Ebenso Hövel, S. 114, leider nur unter dem Subsidiaritätsgrundsatz. 428

S i e h e dazu Pestalozza, VerfprozeßR, § 13 I I R N 2.

4 2 9

Pestalozza, VerfprozeßR, § 20 R N 139.

1

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Rechtsprechung auch von einem „Zwischenverfahren" gesprochen, das „ i m Rahmen des Ausgangsverfahrens Teil eines einheitlichen Prozesses" i s t 4 3 0 . Somit bekommt der Kläger, der ein verwaltungsgerichtliches Verfahren schon mit der Vermutung der Verfassungswidrigkeit der Norm beschritten hat, nach Nichtigerklärung des Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht von „seinem" Fachrichter ein obsiegendes Urteil. Daß der Fachrichter nur unter Einschaltung des Bundesverfassungsgerichts die Verletzung des Klägers beseitigen konnte, spielt für die Tatsache, daß die Verletzung i m Verlaufe eines Fachgerichtsverfahrens beseitigt wurde, keine R o l l e 4 3 1 .

(c) Anhaltspunkte in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Überhaupt basiert j a auch die ganze bundesverfassungsgerichtliche Subsidiaritätsrechtsprechung auf der Prämisse, daß der Beschwerdeführer in vielen Fällen „ i n zumutbarer Weise wirkungsvollen Rechtsschutz zunächst durch Anrufung der Fachgerichte erlangen k a n n " 4 3 2 . Warum diese zustimmungswürdige Erkenntnis dann nicht auch i m Rahmen des Tatbestandes des § 90 I I 1 BVerfGG zu verwerten sein soll, ist nicht überzeugend nachgewiesen: Offensichtlich geht doch das Bundesverfassungsgericht und die ihm folgende überwiegende Ansicht auch davon aus, daß „gegen die Verletzung" des Beschwerdeführers durch ein Gesetz materiell ausreichender 433 , fachgerichtlicher Rechtsschutz möglich ist, der mittelbar (durch Richtervorlage) auch verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz b i e t e t 4 3 4 . Vollends unklar wird die ablehnende Haltung des Bundesverfassungsgerichts, wenn dieses ζ. B. sogar selbst feststellt, daß einer Verfassungsbeschwerde der „Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen [-stehe]" 4 3 5 und dies damit begründet wird, daß „dem Beschwerdeführer... der verwaltungsgerichtliche Rechtsweg offen [-stehe], der zu einer verfassungsrechtlichen Prüfung...[des umstrittenen Gesetzes] f ü h r t " 4 3 6 . 430

B V e r f G E 42, 42 (49). Ebenso BVerfGE 46, 66 (71). Benda/Klein, R N 695 m . w. Nachw.; Berkemann, E u G R Z 1985, 137 (137); E . Klein, A ö R 108 (1983), S. 561 (577); ders., FS Zeidler I I , S. 1305 (1313). 4 3 1 Schenke, N J W 1986, 1451 (1457). Ebenso i m Zusammenhang m i t A r t . 19 I V G G Bachof, AoR 86 (1961), S. 186 (188). 4 3 2

Z u m Beispiel BVerfGE 71, 305 (336).

4 3 3

So die Formulierung von Schwerdtfeger,

4 3 4

Siehe auch die Argumentation von Detterbeck,

4 3 5

BVerfG E 74, 69 (72).

R N 614. Präventiver Rechtsschutz, S. 220.

436 E b e n d a , S. 75; Hervorhebung nur hier; ähnlich durcheinander BVerfGE 69, 122 (125): der Grundsatz der Subsidiarität erfordere, daß der Bf. „einen ihm gegebenen Rechtsweg" beschreite (!); ebenso BVerfG N J W 1983, 2931 (2931).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

15

An dieser Stelle zeigt sich sehr eindrucksvoll, daß die künstliche Trennung von § 90 I I 1 BVerfGG und Subsidiaritätsgrundsatz auf Dauer nicht durchzuhalten ist. Nur am Rande erwähnt sei, daß selbst der Bundesverfassungsrichter Henschel in einer Buchbesprechung gesteht, daß ihm eine Trennung zwischen Rechtswegerschöpfung und Subsidiarität nicht zwingend erscheint, obwohl sie der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entspreche 437 . Es besteht allerdings wohl kaum eine Möglichkeit, aus diesen einzelnen Anhaltspunkten eine Meinungsänderung des Bundesverfassungsgerichts in Richtung der hier vertretenen Ansicht herauszulesen 438 , auch wenn das Gericht gelegentlich — gerade in neuerer Zeit — sogar nur das Rechtswegerschöpfungsgebot des § 90 I I 1 BVerfGG und nicht das Subsidiaritätsprinzip auf Normenverfassungsbeschwerden angewendet h a t 4 3 9 . A l l dies ist wohl eher nur auf die eingangs schon einmal erwähnte „Unlust, ...verfassungsprozessualen Fragen mit der gleichen Gründlichkeit nachzugehen wie den materiellrechtlichen Problemen" 4 4 0 zurückzuführen. Denn in darauffolgenden Verfahren wird die „alte Linie" der Subsidiaritätsrechtsprechung weiter verfolgt 4 4 1 .

(2) Wie ist das Zusammenspiel von § 93 I I BVerfGG und § 90 I I 1 BVerfGG zu sehen? (a) Die Aussage des § 93 I I BVerfGG Das gewonnene Zwischenergebnis — prinzipielle Anwendbarkeit des § 90 I I 1 BVerfGG auf Verfassungsbeschwerden gegen formelle Gesetze — steht auch keineswegs i m Widerspruch zu der Formulierung in § 93 I I BVerfGG: „Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz oder gegen einen sonstigen Hoheitsakt, gegen den ein Rechtsweg nicht offensteht, so kann die Verfassungsbeschwerde nur binnen eines Jahres...erhoben werden". § 90 I I 437

Henschel,

N J W 1989, 702 (703) bezügl. Zuck, der dem BVerfG insoweit folgt.

4 3 8

Das wollte Schenke, N J W 1986, 1451 (1461 a. E.) noch in unmittelbarem zeitlichen Anschluß an die Entscheidung BVerfGE 70, 35 ff. Inzwischen dürfte sein Optimismus aber auch nachgelassen haben. Ebenso Dorr, R N 180. 4 3 9

BVerfG E 70, 35 (54); 76, 107 (115). Ähnlich auf § 90 I I 1 BVerfGG ausgerichtet BVerfGE 78, 350 (355); vgl. auch BVerfGE 83, 162 (171), in der § 90 I I 2 BVerfGG auf eine Normenverfassungsbeschwerde angewendet wird — entgegen früherer Rechtsprechung! Jüngst genauso BVerfGE 84, 133 (144). 440

Henschel,

4 4 1

FS Simon, S. 95 (96).

Diese Feststellung trifft auch Detterbeck, F N 32 und 33.

D Ö V 1990, 558 (562), m i t Beispielen in

16

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

I und § 93 I I BVerfGG ähneln und ergänzen sich zwar, es bestehen jedoch keine „Auslegungszwänge", die sich aus § 93 I I BVerfGG gegen die hier vertretene Ansicht herleiten ließen 4 4 2 . Aus der Verwendung des Wortes „sonstigen" will die traditionelle Ansicht die Meinung des Gesetzgebers entnehmen, daß Gesetze zu den „Hoheitsakten" zählen, „gegen die ein Rechtsweg nicht offensteht" 4 4 3 . Diese Meinung liest den § 93 I I BVerfGG somit etwa folgendermaßen: „Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz oder gegen einen Hoheitsakt, gegen den ebenfalls seiner Art nach ein Rechtsweg nie offenstehen kann, so...". Ob eine solche „Übersetzung" allerdings zwingend ist, scheint schon allein deswegen fraglich zu sein, weil — wie mit der kleinen „Übersetzung" gezeigt — mit relativ geringem Aufwand eine entsprechende Gesetzgeberintention wesentlich eindeutiger hätte manifestiert werden können, wenn sie wirklich gewollt gewesen w ä r e 4 4 4 . Außerdem ist schon fraglich, ob § 93 I I BVerfGG überhaupt die Fähigkeit hätte, einen einmal eröffneten Rechtsweg gegen eine Norm wieder zu verschließen 445 . Zum Beispiel war es früher auch gesicherter Bestandteil einer „herrschenden Ansicht", daß § 93 I I BVerfGG Gesetze i m materiellen Sinne meine 4 4 6 , so daß es nach dieser traditionellen Ansicht konsequenterweise auch gegen Satzungen und Rechtsverordnungen keinen unmittelbaren Rechtsweg im Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG geben k o n n t e 4 4 7 . Gegen Satzungen oder Rechtsverordnungen ist aber nach heute gefestigter Rechtsprechung und einstimmiger Literaturauffassung der Rechtsweg des § 47 VwGO gegeben 4 4 8 . Damit wird die Akzessorietät der inhaltlichen Aussagekraft des § 93 I I BVerfGG von der anderweit zu entscheidenden Frage, ob ein Rechtsweg eröffnet ist, sehr schön deutlich. Denn § 93 I I BVerfGG konnte die genannte Rechtsentwicklung bezüglich des § 47 V w G O (auch) nicht verhindern. Die vorliegend gestellte Frage, ob ein Rechtsweg gegen formelle Gesetze mit der inzidenten Normenkontrolle zur Verfügung steht, kann da4 4 2

Ahnlich schon Detterbeck,

Präventiver Rechtsschutz, S. 221.

443

S o ausdrücklich Bettermann, AöR 86 (1961), S. 129 (171). Ähnlich die oben in F N 403 auf S. 178 genannten Autoren. 4 4 4 Die Eindeutigkeit der Interpretation der h. M . bezweifelt auch Schenke, N J W 1986, 1451 (1458). 445

S o sogar Bettermann, AöR 86 (1961), S. 129 (171) als Vertreter der traditionellen Ansicht. Wie hier auch Büsser, S. 96. 446

V g l . schon Geiger, BVerfGG, § 93 Anm. 5.

447

B e t t e r m a n n , AöR 86 (1961), S. 129 (171).

448

S i e h e oben S. 46 f. Das übersieht Motzer,

S. 94.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

her eigentlich nicht mit Hinweis auf § 93 I I BVerfGG verneint werden, da dieser sich vielmehr — wie aufgezeigt — nach dem diesbezüglich erst noch zu gewinnenden Ergebnis richten müßte. Darüber hinaus wird ein allgemeines Problem bei der Auslegung des BVerfGG deutlich. Denn gleich wie die Intention des Gesetzgebers Anfang der fünfziger Jahre wirklich ausgesehen haben m a g 4 4 9 , heutzutage kann nicht allzu viel aus ihr entnommen werden, da seinerzeit das Problem des Rechtsschutzes gegen normatives Unrecht i m Bewußtsein der Fachwelt praktisch nicht existent w a r 4 5 0 . Jedenfalls läßt sich § 93 I I BVerfGG nach „neuerer" — und erstaunlicherweise „ ä l t e s t e r " 4 5 1 — Ansicht auch ganz anders verstehen, ohne daß damit nicht ebenfalls sinnvolle Ergebnisse zu erreichen wären. Man kann § 93 I I BVerfGG nämlich auch folgendermaßen lesen: „Richtet sich die Verfassungsbeschwerde (ausnahmsweise einmal direkt) gegen ein Gesetz, so kann Verfassungsbeschwerde binnen eines Jahres erhoben werden. Das gleiche gilt für eine Verfassungsbeschwerde gegen einen Hoheitsakt, wenn gegen diesen (ausnahmsweise) kein Rechtsweg offen s t e h t " 4 5 2 . Nach dieser Betrachtungsweise ist das Wort „sonstige" nur dazu da, darauf hinzuweisen, daß der „Hoheitsakt" eben ein „anderer" als ein Gesetz sein soll. Diese Auslegung wird der Gesetzgeberintention übrigens tatsächlich am ehesten gerecht, da nach dieser vor allem „justizfreie Regierungsakte" gemeint waren, welche nun einmal nicht als Gesetze ergehen 4 5 3 . 449

A u s den Nachw. bei Holtkotten, N J W 1952, 528 (529 m . F N 4) läßt sich (zugegebenermaßen) durchaus schließen, daß die Möglichkeit eines Rechtsweges gegen Gesetze bezweifelt wurde. 450 S o auch Schenke, N J W 1986, 1451 (1458). I n der Weimarer Zeit — von der m a n als einzigem demokratischen Vorbild auf deutschem Boden in den 50igern noch stark beeinflußt war — stellte sich das Problem überhaupt nicht, da die Judikative ohnehin kein Prüfungsrecht bezüglich formeller Gesetze hatte, vgl. die Darstellung bei Scheuner, BVerfG u. G G I , S. 1 (45 f.). 4 5 1 Vgl. Geiger, BVerfGG, § 93 Anm. 5: „Abs. 2 setzt eine...(Frist)...für die Erhebung der Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz..., sofern nicht Abs. 1 einschlägt, weil vor Einlegung der Verfassungsbeschwerde der Rechtsweg zu erschöpfen ist...). Abs. 2 gilt außerdem für die Verfassungsbeschwerde gegen einen 'sonstigen Hoheitsakt', gegen den ein Rechtsweg nicht offensteht; gedacht war an 'justizfreie Regierungsakte'" (Hervorhebungen nur hier). Danach verneint Geiger keineswegs immer bei Gesetzen die Möglichkeit eines Rechtsweges und bezieht logisch richtig dann den entscheidenden Relativsatz ausschließlich (!) auf den „sonstigen Hoheitsakt", was er auch sprachlich durch einen neuen Satz deutlich macht.

452 Vgl. auch die praktisch parallel gehenden Erklärungen von Geiger in der vorstehenden F N und Schiaich, R N 235. W i e hier i. E. Detterbeck, Präventiver Rechtsschutz, S. 221 ff. 4 5 3 Vgl. den Nachw. bei Geiger oben in F N 192. Wie hier Bösser, S. 96. So muß m a n wohl auch Lechner, BVerfGG, § 93 Abs. 2, verstehen.

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Nicht aber dient das Wort „sonstige" dazu, den Nebensatz „gegen den ein Rechtsweg nicht offen steht" i m Sinne der traditionellen Ansicht auf Gesetze auszudehnen. Das sieht inzwischen auch das Bundesverfassungsgericht e i n 4 5 4 ! Selbst wenn man wahrscheinlich über die tatsächliche Gesetzgeberintention nie mehr Klarheit erreichen wird, so muß also doch eines festgestellt werden: Zwingende Argumente kann man aus § 93 I I BVerfGG nicht folgern 4 5 5 . Die Vorschrift kann wegen ihrer ungenauen Formulierung von beiden Seiten nutzbar gemacht werden, wobei beide Auslegungen für die jeweils gewünschten Ansichten zu entsprechenden, in sich logischen Ergebnissen führen.

(b) Der Angriffsgegenstand der Verfassungsbeschwerde nach der Erschöpfung des Rechtsweges und seine Relevanz für die Fristen des § 93 BVerfGG In diesem Zusammenhang soll nun auf die Frage eingegangen werden, was der Beschwerdeführer gemäß der Subsidiaritätsrechtsprechung eigentlich angreifen und welche Frist er dabei wahren muß. Dabei wird sich zeigen, daß auch insoweit die hier vertretene Ansicht zu konsequenten und in sich logischen Ergebnissen kommt, die i m übrigen auch mit den Ergebnissen der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung übereinstimmen. Nach der Subsidiaritätsrechtsprechung muß der Beschwerdeführer, der ein formelles Gesetz für verfassungswidrig hält, zunächst ζ. B. einen ablehnenden Verwaltungsakt provozieren, wenn er anschließend über die fachgerichtliche Anfechtung auf zumutbare Weise effektiven Rechtsschutz erreichen kann. Tut er dies nicht, so ist seine Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz nach hier vertretener Ansicht wegen Verstoßes gegen das Rechtswegerschöpfungsgebot des § 90 I I 1 BVerfGG unzulässig — nach traditioneller Ansicht wegen Verstoßes gegen das Subsidiaritätsprinzip 4 5 6 . Beschreitet er andererseits tatsächlich „gegen die Verletzung" durch den ablehnenden VA den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten (bzw. nach traditioneller Diktion: nimmt er anderweitigen fachgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch) und will danach Normenverfassungsbeschwerde erheben — also Verfassungsbeschwerde mit dem Gesetz als unmittelbarem Angriffsgegenstand — so wird in der Regel die Jahresfrist des § 93 I I 4 5 4

Ausdrücklich BVerfGE 76, 107 (115); zustimmend Detterbeck, schutz, S. 226 m . F N 340. 455

E b e n s o Detterbeck,

4 5 6

Präventiver Rechtsschutz, S. 226.

Siehe dazu oben S. 61 ff.

Präventiver Rechts-

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

189

BVerfGG bereits verstrichen sein, da diese durch die Rechtswegbeschreitung nicht unterbrochen oder gehemmt w i r d 4 5 7 4 5 8 . Damit bleibt der Betroffene aber keineswegs schutzlos, er kann nur nicht mehr das Gesetz zum unmittelbaren Angriffsgegenstand machen 4 5 9 . Unbenommen bleibt ihm die Verfassungsbeschwerde gegen das letztinstanzliche (die behördliche Entscheidung bestätigende) U r t e i l 4 6 0 des Fach4 5 7 So auch Gerontas, D Ö V 1982, 440 (444). Ziemlich unrealistisch daher Schneider, AöR 89 (1964), S. 24 (31 f.), wenn er meint, der Bf. hätte nach „Abschluß des Verwaltungstreit Verfahrens" ein Wahlrecht zwischen Normenverfassungsbeschwerde und Verfassungsbeschwerde gegen den behördlichen Ausgangsakt. 4 5 8 Eine Ausnahme macht die Entscheidung BVerfGE 76, 107 (115 f.) für die kommunale Rechtssatzverfassungsbeschwerde nach Art. 93 I Nr. 4 b G G , i n der die Frist des § 93 I I BVerfGG erst nach Beschreiten des Rechtsweges des § 47 V w G O — soweit dieser eröffnet ist — zu laufen beginnt. 459

S i e h e ζ. B. BVerfGE 80, 137 (149 und 151).

4 6 0

Nach den Ausführungen des BVerfG bleibt unklar, ob der Bf. nur die letztinstanzliche Entscheidung oder zusätzlich auch alle in der gleichen Sache vorhergehenden Akte (VA/Widerspruchsbescheid/erstinstanzliches Urteil/Berufungsurteil) angreifen muß; vgl. ζ. B. BVerfGE 16, 94 (103 f.): gegen Ausgangsbescheid, Widerspruchsbescheid und alle bestätigende Urteile, wobei es genügt, wenn sich dies aus der Beschwerdebegründung ergibt; BVerfGE 18, 1 (16 f.): Angriff gegen bestätigenden W i derspruchsbescheid genügt, zusätzlich gegen Ausgangsbescheid nicht nötig; BVerfGE 19, 377 (389): Anfechtung der letztinstanzlichen Entscheidung auch alleine möglich; BVerfGE 21, 102 (104): Angriff des Bescheides allein reicht nicht aus, wobei es aber wiederum genügt, daß sich der Angriff auch gegen die Urteile aus der Beschwerdebegründung ergibt; BVerfGE 54, 53 (64 ff.): bei Urteilsverfassungsbeschwerden genügt es, wenn sich aus der Beschwerdebegründung ergibt, daß auch die behördlichen Bescheide angefochten werden; BVerfG E u G R Z 1991, 484 (485): Angriff aller in der Sache ergangenen Akte zulässig. Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I I R N 26 und Pieroth/Schlink, R N 1235 folgern aus dieser Rechtsprechung ein Wahlrecht des Bf. Ebenso wohl BayVerfG H E 40, 140 (146). Nach Schiaich, R N 236 ist die Beschwerde gegen das letztinstanzliche, rechtskräftige Urteil die richtige Vorgehens weise. Gusy, Verfassungsbeschwerde, R N 33, 36 schlägt eine Verfassungsbeschwerde „gegen die angegriffene Verwaltungsmaßnahme in der Form des letztinstanzlichen Urteils" vor. Ahnlich Benda/Klein, R N 449; Laubinger, JA 1971, 177 (177); Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 R N 151, 179 und Zweigert, JZ 1952, 321 (324), die die Beschwerde gegen VA und das (bestätigende) Urteil als einzige Möglichkeit propagieren. Dabei wollen sie aber vor allem klarstellen, daß es keinesfalls ausreichend ist, nur den Ausgangsbescheid anzugreifen. Ahnlich für den zivilprozessualen Zwangsvollstreckungsbereich Sturner, JZ 1986, 526 (529). Dies ist allerdings die Forderung von Geiger, E u G R Z 1988, 481 (482, 483) und Redeiberger, N J W 1953, 361 (363), die meinen, daß nur der Ausgangshoheitsakt (hier also der V A ) m i t der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden dürfe, wenn das letztinstanzliche Urteil diesen lediglich bestätige. Das BVerfG würde dann m i t Aufhebung des VAs auch die Urteile der Instanzgerichte aufheben. Diese Ansicht entbehrt jedoch der normativen Grundlage: nach § 95 I I I 3 i. V . m. § 79 I I 1 BVerfGG bleibt zumindest das letztinstanzliche Urteil rechtskräftig und wirksam, da es nach dieser Ansicht eben nicht mit angegriffen wird, womit dann auch § 95 I I BVerfGG nicht eingreifen kann! I m übrigen steht einer solchen Handhabung BVerfGE 21, 102 (104) (s. o.) entgegen. W i e hier Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I I R N 26.

190

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

gerichts. Dabei prüft das Bundesverfassungsgericht folgerichtig inzident auch das zugrunde liegende Gesetz 4 6 1 : Eine Urteilsverfassungsbeschwerde ist nämlich dann begründet, wenn die Entscheidung entweder auf einem an sich verfassungswidrigen Gesetz beruht (§ 95 I I I 2 BVerfGG) oder der Fachrichter ein an sich verfassungsmäßiges Gesetz in verfassungswidriger Art und Weise auf den Einzelfall angewendet hat (§ 95 I I BVerfGG). Die erste Alternative ist die hier interessierende Variante des mittelbaren Angriffes gegen ein Gesetz — wie es i m übrigen auch in § 94 I V BVerfGG vorausgesetzt i s t 4 6 2 . Kommt das Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis, daß das Gesetz wirklich als solches verfassungswidrig ist, so wird dieses gem. § 95 I I I 2 BVerfGG — gleichzeitig mit der Aufhebung der letztinstanzlichen Entscheidung — für nichtig erklärt, womit das Ziel des Beschwerdeführers erreicht ist. Wichtig in diesem Zusammenhang ist aber für den Beschwerdeführer, daß bei dem dargestellten Weg über die Urteilsverfassungsbeschwerde nicht mehr die Frist des § 93 I I BVerfGG, sondern die des § 93 I 1 BVerfGG g i l t 4 6 3 . Damit ist die Verfassungsbeschwerde also keineswegs zwangsläufig am Ende des Instanzenzuges verfristet, vielmehr beginnt eine Monatsfrist jetzt erst neu zu laufen 4 6 4 . Dies gilt auch dann, wenn das einzig Streitige i m Fachprozeß das formelle Gesetz w a r 4 6 5 , da der Bürger abwarten darf, ob die Norm von den Fachgerichten als gültig angesehen wird; daher kann er noch nach einem Jahr seit Inkrafttreten der Norm gegen deren Anwendung Verfassungsbeschwerde erheben 4 6 6 : es handelt sich insoweit um eine „normale" Urteilsverfassungsbeschwerde . 4 6 1 Ausdrücklich BVerfGE 27, 253 (270). Siehe dazu auch Bender, A ö R 112 (1987), S. 169 (179 f.); Detterbeck, Präventiver Rechtsschutz, S. 223; Harald Klein, FS Zeidler I I , S. 1325 (1325); Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I V R N 67; Schiaich, R N 236; Schneider, Z Z P 79 (1966), S. 1 (34); Stern, B K , Art. 93 R N 595. 4 6 2 Papier, BVerfG u. G G I , 432 (436) nennt diese Verfahren daher „Verkappte' Rechtssatzverfassungsbeschwerden". 463 B e t t e r m a n n , A ö R 86 (1961), S. 129 (173); Benda/Klein, R N 411; Detterbeck, Präventiver Rechtsschutz, S. 225 f. und F N 336; Gusy, Verfassungsbeschwerde, R N 209. 4 6 4

Das verkennt Hovel, S. 153 völlig.

465

B V e r f G E 74, 33 (37 f., 43); 74, 69 (74). Dies wurde auch schon früher von Bettermann, AöR 86 (1961), S. 129 (172 f.) mit überzeugenden Argumenten herausgearbeitet. Zustimmend Detterbeck, Präventiver Rechtsschutz, S. 225 f. m i t w. Nachw. in F N 339; siehe auch dens., ebenda, F N 336; Zuck, JuS 1988, 370 (375). 466 S o ausdrücklich BVerfGE 16, 94 (103); zustimmend Schmidt-Bleibtreu, § 93 R N 43.

BVerfGG,

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

191

A l l dies entspricht gesicherter Erkenntnis und ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, womit wiederum nachgewiesen sein dürfte, daß die hier vertretene Ansicht keinesfalls — vor allem nicht unter Berufung auf § 93 I I BVerfGG — als gesetz- oder systemwidrig abgetan werden kann. Widersprüche zwischen § 90 I I 1 BVerfGG und § 93 I I BVerfGG sind nicht ersichtlich; die Vorschriften ergänzen sich vielmehr.

(3) Vereinbarkeit mit Art. 19 I V GG Schließlich muß noch überprüft werden, ob sich die hier vertretene Auffassung nicht in Widerspruch zu Art. 19 IV GG setzt, wie dies vereinzelt vertreten w i r d 4 6 7 . Die dabei ins Feld geführte Argumentation geht von der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts aus, daß Art. 19 I V GG nicht gegen formelle Gesetze aktiviert werden könne, da mit „öffentlicher Gewalt" i m Sinne dieser Vorschrift nur die vollziehende Gewalt gemeint s e i 4 6 8 . Dann sei noch nicht einmal der subsidiäre Rechtsweg des Art. 19 I V 2 GG gegen formelle Gesetze gegeben. Damit ist ein höchst diffiziler Grundrechtsartikel angesprochen, dessen wissenschaftliche Aufarbeitung ganze Bibliotheken füllt und der hier nur gestreift werden k a n n 4 6 9 . Bei Art. 19 I V G G ist besonders auffällig, daß das Bundesverfassungsgericht in der Mehrzahl seiner Entscheidungen klarstellt, was der Artikel nicht beinhaltet, nicht gebietet oder verbietet, nicht verlangt oder h i n d e r t 4 7 0 . Dementsprechend ist bezüglich des tatsächlichen, positiven Inhaltes vieles strittig. Besonders die Beschränkung des Schutzes des A r t . 19 I V GG auf die vollziehende Gewalt ist keineswegs unumstritten. Allgemeiner Konsens herrscht praktisch nur beim Ausschluß der Judikative, da es widersinnig ist, gegen diejenige Gewalt, die die anderen Staatsgewalten kontrollieren 467

S i e h e oben den Nachw. in F N 405 auf S. 178.

4 6 8

BVerfG E 24, 33 (49); 24, 367 (401); 25, 352 (365); 45, 297 (334). Die Ansicht geht vermutlich zurück auf F . Klein, V V D S t R L 8 (1950), S. 67 (104 ff.). D e m folgen Bettermann, AöR 86 (1961), S. 129 (156 f.); Bleckmann, S. 992; Erichsen, StaatsR I , S. 128 ff.; Jarass/Pieroth, A r t . 19 R N 25; Heyde, S. 1199 (1219); Mangoldt/Klein, Art. 19 Anm. V I I 2 d; Pieroth/Schlink, R N 1098; Scherer, S. 290 ff.; Schiaich, R N 194; Schmidt-Bleibtreu, G G , Art. 19 I V R N 26; Schneider, Z Z P 79 (1966), S. 1 (18); Zacher, BVerfG u. G G I, S. 396 (408). 4 6 9 470

Vgl. nur die umfangreichen Nachw. bei Papier, Hdb. d. StaatsR V I , § 154, passim. S o auch Bettermann,

AöR 96 (1971), S. 528 (529).

192

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

soll, einen zusätzlichen Rechtsbehelf zu eröffnen 4 7 1 . Ein Rechtsweg ist j a schon beschritten, einer erneuten Rechtswegeröffnung bedarf es n i c h t 4 7 2 , sonst würde dies zum Rechtsschutz „ad infinitum" f ü h r e n 4 7 3 . Schon beim Ausschluß der formellen 4 7 4 Gesetzgebung kann aber von einer dies bejahenden herrschenden Ansicht keineswegs mehr gesprochen werden. Der oben genannten Auffassung des Bundesverfassungsgerichts steht nämlich die überwiegende Literatur in einer immer dichter werdenden Front entgegen, die entschieden für eine Anwendbarkeit des Art. 19 I V GG auf Parlamentsgesetze p l ä d i e r t 4 7 5 . Dabei kann hier von einer Stellungnahme abgesehen werden, da sich bei genauerem Hinsehen zeigt, daß die Anwendbarkeit des A r t . 19 I V GG auf

4 7 1 BVerfGE 15, 275 (280): „Schutz durch den Richter, nicht Schutz gegen den Richter". Zustimmend Bethge, D Ö V 1972, 336 (341); ders., N J W 1991, 2391 (2394); Bettermann, AöR 96 (1971), S. 528 (537); Jarass/Pieroth, Art. 19 R N 26; Hans H. Klein, JZ 1963, 591 (592); Papier, Hdb. d. StaatsR V I , § 154 R N 37; Pieroth/Schlink, R N 1097; Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, G G , Art. 19 I V R N 96; Stern, FS H. Schäfer, S. 59 (61); Wassermann, Art. 19 I V R N 35. Einschränkend allerdings Lerche, Z Z P 78 (1965), S. 1 (24 m. F N 57). 472

B e t t e r m a n n , AöR 86 (1961), S. 129 (153); Stern, FS H. Schäfer, S. 59 (61).

473

Schenke,

B K , Art. 19 Abs. 4 R N 275.

4 7 4

Bei Gesetzen in nur materiellem Sinne scheint wiederum Einigkeit zu herrschen: Art. 19 I V G G ist anwendbar, BVerfGE 1, 91 ff.; BVerfG N V w Z 1991, 978 (978); BVerfG N J W 1992, 735 (735); Hartmann, D Ö V 1991, 62 (65); Jarass/Pieroth, A r t . 19 R N 24; Obermayer, DVB1. 1965, 625 (627); ders., V V D S t R L 18 (1960), S. 144 (164); Papier, Hdb. d. StaatsR V I , § 154 R N 28 ff.; Pieroth/Schlink, R N 1099; Robbers, JuS 1988, 949 (951); Schnapp, VSSR 1974, 191 (211); Würtenberger, A ö R 105 (1980), S. 370 (392); offengelassen in BVerfGE 31, 364 (367 f.). 475

Bachof, AöR 86 (1961), S. 186 (187); Bartlsperger, DVB1. 1967, 360 (365); Büsser, S. 18; Dicke, D Ö V 1969, 554 (557); Engelhardt, S. 128; Forsthoff, DVB1. 1957, 113 (117); Hamann/Lenz, Art. 19 Anm. Β 14; Hendrichs, Art. 19 R N 42; Henke, JZ 1969, 145 (147); v. d. Heydte, V V D S t R L 8 (1950), S. 162 (162 f.); Lerche, Ordentlicher Rechtsweg, S. 171 f. in Anm. 331; Low, DVB1. 1973, 941 (943); Lorenz, S. 162 ff.; Maurer, FS Kern, S. 275 (307 in F N 106); Motzer, S. 104 ff.; Ossenbühl, Gutachten Β zum 50. D J T , Β 178 f.; Papier, Hdb. d. StaatsR V I , § 154 R N 34 ff.; Renck, JuS 1966, 273 (274); Wassermann, A r t . 19 I V R N 37 f.; Schenke, Rechtsschutz, passim; ders., B K , A r t . 19 I V R N 249 ff. m. v. Nachw. (ebenso schon Kurt Georg Wernicke, ebenda, in der Erstbearb.); ders., JuS 1981, 81 (81 f.); ders., VerwArchiv 82 (1991), 307 (313 ff.); Schmelter, S. 79 ff.; Schmidt-Aßmann, in: M a u n z - D ü r i g , G G , A r t . 19 I V R N 93 ff. (ebenso schon Günter Dürig, ebenda, in der Erstbearb.); Schmitt Glaeser, R N 331; Siemer, FS Menger, S. 501 (501); Stern, FS H. Schäfer, S. 59 (62 ff., insbes. S. 66); ders., StaatsR I , § 20 I V 5 f in F N 544; Ule, Das Bonner G G , S. 33. Sympathisierend Barby, S. 109 ff.; offengelassen von B G H Z 22, 32 (33 f.). Sogar das Bundesverfassungsgericht läßt neuerdings die Frage wieder offen, BVerfGE 84, 133 (159) und BVerfG N J W 1992, 735 (735)!

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

193

inzidente Normenkontrollen — um die es i m hier fraglichen Zusammenhang j a geht — eigentlich nie ernsthaft bestritten w u r d e 4 7 6 . Dazu nur folgende Überlegungen: I m Hinblick auf den Wortlaut des Art. 19 I V GG, der immerhin mit Art. 93 I Nr. 4 a GG, § 90 I BVerfGG übereinstimmt, und die Tatsache, daß gemäß A r t . 1 I I I GG die Grundrechte, zu denen eben auch Art. 19 I V GG gehört, auch Schutz gegenüber der Gesetzgebungsgewalt bieten sollen 4 7 7 , ist die Ansicht wohl nicht von der Hand zu weisen, daß die Gesetzgebung ohne weiteres unter Art. 19 I V GG subsumiert werden k ö n n t e 4 7 8 . Insbesondere dadurch, daß der Gesetzgeber durch Einführung der Verfassungsbeschwerde anerkannt hat, daß ein Bürger durch formelle Gesetze in seinen Rechten verletzt sein kann, wird deutlich, daß die Rechtsetzung nicht aus Art. 19 I V GG „herausinterpretiert" werden d a r f 4 7 9 . Die genannten Argumente ließen sich zwar auch in gewissem Maße für die Einbeziehung der Judikative nutzbar machen; bei dieser findet sich jedoch nach allgemeiner Ansicht mit dem Sinn und Zweck des Art. 19 I V GG i m bestehenden Rechtsschutzsystem ein taugliches Argument für ihren Ausschluß in oben genannter Weise 4 8 0 . Es erscheint jedoch fraglich, welche Argumente sich für einen Ausschluß der formellen Gesetzgebung finden lassen. Wenn das Bundesverfassungsgericht meint, der deutschen Verfassungstradition sei ein Rechtsschutz gegen die Gesetzgebung f r e m d 4 8 1 , verkennt es, daß das Grundgesetz gerade in Bezug auf den Rechtsschutz eine grundlegend neue Lage geschaffen hat, so daß ein Rückgriff auf die Verfassungstradition ausscheidet 482 . Gerade 476 Bachof, AöR 86 (1961), S. 186 (187); zustimmend Maurer, FS Kern, S. 275 (286 in F N 45); Renck, JuS 1982, 338 (341). Vgl. sogar BVerfGE 31, 364 (368), in der der Sache nach auch die inzidente Normenkontrolle als unter A r t . 19 I V G G fallend behandelt wird. Auch Bettermann, A ö R 86 (1961), S. 129 (157); ders., A ö R 96 (1971), S. 528 (533) verteidigt ζ. B. ausdrücklich die inzidenten Normenkontrollen i m Rahmen des A r t . 19 I V G G . 477

S o Busser, S. 18; Papier, Hdb. d. StaatsR V I , § 154 R N 34; Schenke, B K , A r t . 19 Abs. 4 R N 253; ders., JuS 1981, 81 (82); ders., JZ 1988, 317 (319); ders., VerwArch 82 (1991), 307 (314); Schmelter, S. 83 ff. 4 7 8 Vgl. auch Büsser, S. 17; Forsthoff, DVB1. 1957, 113 (117); Lorenz, S. 163; Schenke, B K , A r t . 19 Abs. 4 R N 251; ders., JZ 1988, 317 (319); Schmelter, S. 79 ff.; SchmidtAßmann, in: Maunz-Dürig, G G , A r t . 19 I V R N 93; Wassermann, A r t . 19 I V R N 37. Das gibt auch Scherer, S. 291 zu, obwohl sie ansonsten dem BVerfG folgt. 479 Forsthoff, (63). 480 4 8 1

DVB1. 1957, 113 (116 f.); Lorenz, S. 163; Stern, FS H. Schäfer, S. 59

S o auch Bettermann,

AöR 86 (1961), S. 129 (153).

BVerfGE 24, 33 (49 f.).

482 E b e n s o Bettermann, AöR 96 (1971), S. 528 (529 f.); Lorenz, S. 163; Schenke, B K , Art. 19 Abs. 4 R N 269; ders., JuS 1981, 81 (82); ders., JZ 1988, 317 (319); Stern, FS

13 Warmke

194

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Art. 1 I I I , 20 I I I , 93 I Nr. 4 a 4 8 3 GG sind für die „progressive" Vorstellung des Grundgesetzes bezüglich des Schutzes vor Akten der formellen Gesetzgebung beredte Beispiele. Es stellt sich somit nur die Frage, ob nicht Art. 19 I V GG durch die verfassungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren des Grundgesetzes (Art. 93 I Nr. 2, 4 a, 4 b, Art. 1001 GG) verdrängt w i r d 4 8 4 . Dies wäre der Fall, wenn die genannten Verfahren entweder leges speciales gegenüber Art. 19 I V GG wären oder eine abschließende Regelung enthielten. In diese Richtung geht das Hauptargument der traditionellen Meinung, die damit eine „allgemeine Möglichkeit einer unmittelbaren gerichtlichen Nachprüfung von Gesetzen", insbesondere unter Hinweis auf das verfassungsgerichtliche Verwerfungsmonopol, verhindern w i l l 4 8 5 . Ob dieses ablehnende Argument überzeugen kann, erscheint zumindest nicht ganz zweifelsfrei. Zu berücksichtigen ist nämlich zunächst, daß Art. 19 IV GG dem Individualrechtsschutz dient und daher schon von vorneherein eine ganz andere Schutzrichtung aufweist als die Verfahren nach Art. 93 I Nr. 2 und A r t . 100 I GG, die objektiv-rechtliche Verfahren darstellen und vom Einzelnen überhaupt nicht initiiert werden können. Ein Spezialitätsverhältnis muß damit ausscheiden 486 . Insoweit kann aber auch darüber hinaus die Aussagekraft der Existenz dieser beiden Verfahren für das Argument einer „abschließenden Regelung" durchaus bezweifelt werden 4 8 7 . Dies vor allem, wenn man bedenkt, daß sonst auch die ursprünglich nur einfachgesetzlich garantierte Verfassungsbeschwerde vor Einfügung des Art. 93 I Nr. 4 a GG unzulässig gewesen wäre, was aber niemand ernsthaft vertreten h a t t e 4 8 8 .

H. Schäfer, S. 59 (62, 63); Wassermann, Art. 19 I V R N 37. Maurer, FS Kern, S. 275 (280 m. w. Nachw. in F N 17) weist darauf hin, daß der Ausschluß von Normen aus Art. 1 9 I V G G auch nicht entstehungsgeschichtlich belegbar ist. Ebenso sehr ausführlich Schmelter, S. 92 ff. 483

F r ü h e r noch Art. 93 I I G G , § 90 BVerfGG.

4 8 4

So ist wohl BVerfGE 24, 33 (49) zu verstehen.

485

B e t t e r m a n n , AöR 86 (1961), S. 129 (155); ders., AöR 96 (1971), S. 528 (530); Hey de, S. 1199 (1219); Mangoldt/Klein, Art. 19 A n m . V I I 2 d m . Hinw. auf Hesse; ähnlich Pieroth/Schlink, R N 1098; Scherer, S. 290 ff. AB6 Bachof, A ö R 86 (1961), S. 186 (187); Büsser, S. 18; Engelhardt, S. 129 f.; Lorenz, S. 166; Obermayer, DVB1. 1965, 625 (628 in F N 35); Stern, FS H . Schäfer, S. 59 (63). Ebenso Bettermann, AöR 86 (1961), S. 129 (154). 487 B e t t e r m a n n , AöR 96 (1971), S. 528 (530); Schenke, B K , A r t . 19 Abs. 4 R N 261); Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, G G , A r t . 19 I V R N 93; Stern, FS H. Schäfer, S. 59 (62). 488

S o zu Recht Schenke, B K , A r t . 19 Abs. 4 R N 261.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

195

Überdies kann der Regelungsbereich des A r t . 100 I GG durchaus mit dem des Art. 19 I V GG in Einklang gebracht werden, da erstere Norm überhaupt erst ins Spiel kommt, wenn ein Rechtsweg (ζ. B. eben der des Art. 19 I V GG) bereits eröffnet ist und auch beschritten w i r d 4 8 9 . Auch ist Art. 93 I Nr. 4 a GG als spezifisch verfassungsrechtlicher Rechtsbehelf schwerpunktmäßig anders gelagert als A r t . 19 I V G G 4 9 0 . Die Verfassungsbeschwerde ergänzt sich vorzüglich mit Art. 19 I V GG, wenn wirklich nur eine prinzipale Normenkontrolle den effektiven Rechtsschutz gegen ein formelles Gesetz b i e t e t 4 9 1 . Andererseits können mit der Verfassungsbeschwerde eben nur Grundrechte als verletzt geltend gemacht werden, womit auch die Verfassungsbeschwerde „genügend" Rechtsschutzlücken läßt, die ein Bedürfnis für die nicht-restriktive Auslegung des A r t . 19 I V GG rechtfertigen 4 9 2 . Der Meinungsstreit kann hier jedoch weitgehend dahinstehen. Entscheidend für die vorliegende Arbeit ist vielmehr, daß auch die herrschende Literaturmeinung richtigerweise das in Art. 100 I GG besonders zum Ausdruck kommende Verwerfungsmonopol der Verfassungsgerichtsbarkeit für formelle Gesetze i m Auge b e h ä l t 4 9 3 . Übereinstimmend wird nämlich festgestellt, daß die Ausgestaltung des Rechtsschutzes zur Erfüllung der Anforderungen des Art. 19 I V GG stets Aufgabe der einfachen Gesetzgebung sei, die den verfassungsrechtlich verbürgten Rechtsschutz auch in der Form einer inzidenten Normenkontrolle gewähren k ö n n e 4 9 4 . Diese kann zwar keine Wirkung inter omnes entfalten, wird aber 489 Bachof, AöR 86 (1961), S. 186 (187 f.); Schenke, B K , A r t . 19 Abs. 4 R N 263. I m Ergebnis ebenso Lorenz, S. 166. 490

Ä h n l i c h Hans H. Klein, JZ 1963, 591 (592).

491

Benda/Klein, R N 319; Kosmider, JuS 1988, 447 (450, 451 f.); Lorenz, S. 167; Schenke, B K , Art. 19 Abs. 4 R N 259; ders., JZ 1988, 317 (319). Der Streit, ob die Verfassungsbeschwerde einen Rechtsweg i. S. d. Art. 19 I V G G darstellt, kann dabei völlig offen bleiben; dafür ζ. B. Low, DVB1. 1973, 941 (943) und Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, G G , Art. 19 I V R N 95; dagegen (wohl zu Recht) BVerfGE 1, 322 (344), Bachof, N J W 1968, 1065 (1065) und Hans H. Klein, JZ 1963, 591 (592); differenzierend Schenke, B K , Art. 19 Abs. 4 R N 43 ff. 4 9 2 Schenke, B K , Art. 19 Abs. 4 R N 262; ders., JuS 1981, 81 (83). Siehe zur teleologischen Auslegung des Art. 19 I V G G auch Schmelter, S. 98 ff. 493

S i e h e ζ. B. Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, G G , A r t . 19 I V R N 94, an. Das wird von Schneider, Z Z P 79 (1966), S. 1 (18) als Vertreter der „alten Linie" noch verkannt, wenn er eine „inzidente Verwerfungskompetenz" ablehnt. 494 Z u m Beispiel Engelhardt, S. 120; Lorenz, S. 163; Papier, Hdb. d. StaatsR V I , § 154 R N 28; Robbers, JuS 1988, 949 (951); Schenke, B K , A r t . 19 Abs. 4 R N 270; ders., JuS 1981, 81 (83); ders., JZ 1988, 317 (319); Schmidt-Aßmann, in: M a u n z - D ü r i g , G G , Art. 19 I V R N 95; Steinberger, BVerfGE 70, 35 (61), diss. op. Zusammenfassend auch Kosmider, JuS 1988, 447 (450).

196

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

der Forderung des Art. 19 I V GG nach Beseitigung individueller, spezifischer Rechtsverletzungen meistens gerecht, da dafür normalerweise eine Wirkung „inter partes" g e n ü g t 4 9 5 . Daher fordert Art. 19 IV GG keineswegs per se eine „unmittelbare", also prinzipale Normenkontrolle, die mit dem Verwerfungsmonopol des Art. 100 I GG kollidieren könnte, vielmehr genügt die inzidente Normenkontrolle 4 9 6 . Der Schlußbefund entspricht daher völlig der hier vertetenen Ansicht bezüglich des Aussagegehaltes des § 90 I I 1 BVerfGG.

Zwischenergebnis Nach allem läßt sich kein Argument dafür finden, warum der Wortlaut des § 90 I I 1 BVerfGG eng auszulegen sei und das Rechtswegerschöpfungsgebot daher nicht auf formelle Gesetze anwendbar sein soll. Insbesondere wird auch bei Art. 19 I V GG „Rechtsweg" gegen formelle Gesetze nicht mit prinzipaler Normenkontrolle gleichgesetzt, was der mit vorliegender Arbeit für § 90 I I 1 BVerfGG vertretenen Ansicht vollinhaltlich entspricht 4 9 7 . M i t Art. 19 I V GG läßt sich somit die vertretene Ansicht nicht widerlegen. Auch die übrigen Gegenargumente erscheinen, wie aufgezeigt, bei näherer Betrachtung zumindest als fragwürdig, so daß nicht verwundern kann, daß sich gerade im neueren Schrifttum die Stimmen häufen, die für eine Anwendung des § 90 I I 1 BVerfGG auch auf formelle Gesetze plädieren 4 9 8 . 495 B e t t e r m a n n , AöR 96 (1971), S. 528 (533); Papier, Hdb. d. StaatsR V I , § 154 R N 28; Schenke, B K , A r t . 19 Abs. 4 R N 259; Wassermann, A r t . 19 I V R N 38. Siemer, Normenkontrolle, S. 25 formuliert: „Rechtsschutz erfordert lediglich die Abwehr rechtsbeeinträchtigender Wirkungen von einem bestimmten Rechtssubjekt"; ebenso ders., FS Menger, S. 501 (504). 496

M a u r e r , FS Kern, S. 275 (286); Papier, Hdb. d. StaatsR V I , § 154 R N 35.

4 9 7

Auch Zuleeg, DVB1. 1970, 157 (162) wendet § 90 I I 1 BVerfGG auf inzidente Normenkontrollen an, auch wenn es bei i h m nur u m untergesetzliche Normen geht. 498 D ö r r , R N 180; Detterbeck, Präventiver Rechtsschutz, S. 223 ff.; ders., D Ö V 1990, 558 (860 ff.); Gerontas, D Ö V 1982, 440 (443 f.); Schenke, N J W 1986, 1451 (1456 f.); ders., Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 21. Sympathisierend Holtkotten, N J W 1952, 528 (529); Harald Klein, FS Zeidler I I , S. 1325 (1336); Pieroth, DVB1. 1974, 195 (196) und Schwerdtfeger, R N 614. Ebenso, wenn auch auf die Problematik nicht näher eingehend Julicher, S. 114. Schon früher wandte Forsthoff, DVB1. 1957, 113 (116 f.) immerhin § 90 I I 2 BVerfGG auf formelle Gesetze an.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

197

d) Der Sonder fall der Subsidiarität bei Verfassungsbeschwerden gegen gesetzgeberisches Unterlassen Nachdem ausführlich die Verfassungsbeschwerde gegen — bereits erlassene — Normen behandelt worden ist, muß nun das Augenmerk auf die „Quasi-Kehrseite" dieser Problematik geworfen werden. Gemeint ist die schwierige Sach- und Rechtslage beim sog. „Rechtsschutz gegen normatives Unterlassen". Dabei dürften heute gegenüber f r ü h e r 4 9 9 keinerlei Zweifel mehr darüber bestehen, daß die Verfassungsbeschwerde überhaupt gegen gesetzgeberisches Unterlassen zulässig sein k a n n 5 0 0 . Wissenschaftliche Abhandlungen zu diesem Themenkreis sind bereits Legion, und die rechtliche — ebenso wie die rechtspolitische — Brisanz des Themas ist für den das Sachgebiet nur streifenden Autor eine stete Quelle der Gefahr, eine „Monographie in der Monographie" zu schreiben. Gerade in der letzten Zeit ist — ausgelöst insbesondere 501 durch wegweisende Urteile des Bundesverwaltungsgerichts 502 — wieder Bewegung in die Diskussion gekommen 5 0 3 . I m Rahmen der vorliegenden Arbeit kann nicht i m entferntesten die volle Tragweite der Problematik in all ihrer Qualität und Komplexität durchdrungen und überprüft werden. Insbesondere die Frage, wer unter welchen Voraussetzungen tatsächlich einen Normerlaßanspruch geltend machen kann, kann hier nicht vertieft werden. Nur kurz sei daher erwähnt, daß das Bundesverfassungsgericht inzwischen subjektive Normsetzungsansprüche bei ausdrücklichen Grundrechtsaufträgen bejaht. Gleiches gilt, wenn i m Wege der Verfassungsinterpretation eine Handlungs- bzw. Schutzpflicht aus den in den Grundrech499

S i e h e noch ablehnend Zweigert, JZ 1952, 321 (323) unter Berufung auf BVerfGE 1, 97 (103). 500 V g l . nur BVerfGE 6, 257 (264); 11, 255 (261 f.); st. Rspr.; ebenso BayVerfGHE 43, 95 (98). Zustimmend Benda/Klein, R N 434; Gusy, Verfassungsbeschwerde, R N 32; Haug, S. 4; Hövel, S. 20; Jülicher, S. 104; Papier, Hdb. d. StaatsR V I , § 154 R N 36. Grundlegend auch Lechner, N J W 1955, 1817 (1817); Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I I R N 24, 34 m. v. w. Nachw.; Schenke, VerwArch 82 (1991), S. 307 (327); Schiaich, R N 221; Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 R N 107; ders., B a y V B l . 1965, 289 (291); Schneider, AöR 89 (1964), S. 24 (28 fT.); Soell/Martin, B a y V B l . 1978, 649 (656); Steinberg, Der Staat 26 (1987), S. 161 (181). 5 0 1

Siehe auch O V G Koblenz, N J W 1988, 1684, das eine Klagemöglichkeit verneint, und die Kritik dazu von Robbers, JuS 1988, 949 ff. 502 503

B V e r w G E 80, 355 ff.; BVerwG DVB1. 1990, 155 fT.

S i e h e nur Allesch, B a y V B l . 1990,120 ff.; Detterbeck, D Ö V 1990, 858 ff.; Hartmann, D Ö V 1991, 62 ff.; Robbers, JuS 1990, 978 ff.; Schenke, VerwArch 82 (1991), S. 307 ff. Allgemein zu diesem Themenkreis jüngst auch Benda/Klein, R N 428 ff. und Schmitt Glaeser, R N 322.

198

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen R e c h t s p r e c h g

ten verkörperten Grundentscheidungen herzuleiten i s t 5 0 4 . Bei Gleichheitsverstößen kann auch u. U. über Art. 3 I GG der Gesetzgeber zum Tätigwerden veranlaßt werden 5 0 5 . I m folgenden muß die zumindest für die Beschwerdebefugnis ausreichende Geltendmachung eines solchen Anspruches unterstellt werden, um überhaupt zur hier interessierenden Rechtswegfrage vorstoßen zu können. Ebenso muß die gerade bei gesetzgeberischem Unterlassen brisante „Dogmatik" der Entscheidungsmöglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts außer Betracht bleiben 5 0 6 . Dieser Themenbereich entfaltet erst Relevanz, nachdem der Beschwerdeführer auf zulässigem Wege zum Bundesverfassungsgericht gelangt ist, hat aber keine Vorwirkungen auf die hier interessierende Frage, aufweichen „Umwegen" der Beschwerdeführer zum Bundesverfassungsgericht gelangt oder ob solche „Umwege" etwa gar nicht bestehen. Gleiches gilt für die mit der Entscheidungsformel oft in Zusammenhang gebrachte Frage, ob eine normale Normen verfassungsbesch wer de oder eine spezielle „Unterlassens-Verfassungsbesch wer de" i m konkreten Fall erhoben werden m u ß 5 0 7 , was sich auch auf die Beschwerdefrist a u s w i r k t 5 0 8 . 5 0 4 Siehe zuletzt ausdrücklich BVerfGE 79, 174 (193 ff.) und BVerfG E u G R Z 1987, 353 (353). Einschränkend bezüglich der per Verfassungsinterpretation zu gewinnenden Gesetzgebungsaufträge noch BVerfG N J W 1983, 2931 (2932). D a z u auch ausführlich Gusy, Verfassungsbeschwerde, R N 74 ff.; Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 502 ff. 5 0 5 Vgl. zum ganzen auch die Leitentscheidungen BVerfGE 6, 257 (264); 56, 54 (70 f.) u. d. Nachw. bei Hartmann, D Ö V 1991, 62 (63), bei Kopp, V w G O , § 47 R N 9, 85 und bei Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I I R N 34 m. F N 117. Einführende Darstellungen bei Benda/Klein, R N 428 ff.; Dorr, R N 91 ff.; Gusy t Parlamentarischer Gesetzgeber, S. 148 ff.; ders., Verfassungsbeschwerde, R N 32; Lechner, N J W 1955, 1817 (1818); G. Meder, DVB1. 1971, 848 (passim); Renck, JuS 1982, 338 (339); Robbers, JuS 1988, 949 (950 f.); Schenke, VerwArch 82 (1991), S. 307 (309 f., 312 f.); Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 R N 107; Schneider, A ö R 89 (1964), S. 24 (34 ff.); Soell/Martin, BayVBl. 1978, 649 (656 f.); Würtenberger, AöR 105 (1980), S. 370 (375 ff.); Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 495 ff. Ausführlich Barby, S. 66 ff.; Seiwerth, S. 36 ff., 65 ff., 98 ff. und Westbomke, S. 19 ff. 5 0 6 Vgl. zur Entscheidungsproblematik die sehr ausführliche Darstellung bei Gusy, Parlamentarischer Gesetzgeber, S. 188 ff.; Pestalozza, VerfprozeßR, § 20 V I R N 114 ff.; Schiaich, R N 373 ff. Umfassend auch Jülicher, S. 48 fT., 114 ff., 119 f. Merten, DVB1. 1970, 701 (702) bezweifelt noch prinzipiell, daß überhaupt ein Gericht einen Normgeber zum Tätigwerden verpflichten könne. 507 S i e h e dazu ζ. B. Detterbeck, D Ö V 1990, 858 (860), Dörr, R N 87 und Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 494: normale V B bei unechtem, Unterlassens-VB bei echtem Unterlassen. 5 0 8 BVerfG E 56, 54 (71). Vgl. zur Beschwerdefrist bei Unterlassen z. B. Dörr, R N 290; Jülicher, S. 113 f.; Krohn, B B 1968, 1072 (1073); Lange, N J W 1962, 417 (417 ff.); ausfuhrlich und kritisch Schenke, VerwArch 82 (1991), S. 307 (333 f., 354 f.); SchmidtBleibtreu, BVerfGG, § 90 R N 120; Seiwerth, S. 117; Steinberg, Der Staat 26 (1987), S. 161 (182). Unklar Benda/Klein, R N 435.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

199

Es gilt aber gleichwohl, sich der Frage zu stellen, ob der Bürger, der glaubt, er habe einen Anspruch auf Normerlaß, sich an die Fachgerichte wenden kann bzw. wegen § 90 I I 1 BVerfGG „muß", oder ob nicht die Verfassungsbeschwerde das einzig adäquate Rechtsschutzmittel ist. Sollte letzteres der Fall sein, könnte natürlich bei Unterlassensfällen von einer „Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde" in keiner Weise gesprochen werden. Unterschieden werden muß zunächst zwischen untergesetzlichen Normen (S. 200 ff.) und Gesetzen i m formellen Sinne (S. 212 ff.). I m Zusammenhang mit dem Problem des normativen Unterlassens geht die herrschende Lehre und Rechtsprechung außerdem übereinstimmend von einer Differenzierung zwischen echtem (bzw. absolutem) und unechtem (bzw. relativem) Unterlassen des Normgebers a u s 5 0 9 : Hat der Normgeber überhaupt (noch) keine Regelung getroffen, muß diese also praktisch völlig neu geschaffen werden, liegt ein Fall des echten bzw. absoluten Unterlassens vor. Der Kläger muß einen Normerlaßanspruch geltend machen können. Hat der Normgeber eine Regelung zwar getroffen, dabei aber absichtlich oder aus Versehen bestimmte Personen(-gruppen) ausgeschlossen, liegt ein Fall des unechten bzw. relativen Unterlassens v o r 5 1 0 5 1 1 . Der Kläger muß einen Normergänzungsanspruch geltend machen k ö n n e n 5 1 2 .

509

V g l . ζ. B. B a y V G H BayVBl. 1981, 499 (501); Benda/Klein, R N 430, 432; Detterbeck, D Ö V 1990, 858 (860 fT.); Dörr, R N 87; Hartmann, D Ö V 1991, 62 (63); Hövel, S. 32; Jülicher, S. 12 f.; Robbers, JuS 1990, 978 (978); Schenke, VerwArch 82 (1991), S. 307 (311); Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 R N 112; Wessel, DVB1. 1952, 161 (164); Westbomke, S. 44 ff. 510

D a ß dies ein Problem des Unterlassens ist, wurde früher generell angezweifelt, vgl. Zweigert, JZ 1952, 321 (323); auch heute noch Benda/Klein, R N 432: „in Wirklichkeit nur scheinbares Unterlassen", R N 433: „Handeln des Gesetzgebers" i m Sinne einer falschen Entscheidung wird angegriffen. So wohl auch Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 492 in F N 767. Offengelassen in BVerfGE 1, 97 (101), so daß die Verweisung auf diesen Beschluß von Wessel, DVB1. 1952, 161 (164), der auch von Unrecht durch positives Handeln ausgeht, nicht ganz richtig ist. Dagegen für Unterlassensproblematik ζ. B. Krohn } BB 1968, 1072 (passim); Lange, N J W 1962, 417 (passim); ebenso schon Lechner, N J W 1955, 1817 (1818) und ausführlich Seiwerth, S. 65 ff.

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

200

Entsprechend spricht man bei der Durchsetzung des Anspruches von der echten bzw. unechten Normerlaßklage 513, wobei letztere auch Normergänzungsklage 514 genannt wird. Es handelt sich dabei allerdings nicht um eine eigene Klageart. Die adäquate Klageart richtet sich vielmehr allgemein nach der VwGO und ist, wie noch zu bemerken sein wird, ziemlich umstritten. Die Ausdrücke dienen — ähnlich wie der Begriff der „kommunalen Verfassungsstreitigkeit" — nur der allgemeinen Problemkennzeichnung 515 .

aa) Klage auf Erlaß oder Ergänzung untergesetzlicher Normen Das Bundesverwaltungsgericht hat in den genannten neueren Entscheidungen zu Recht ausgesprochen, daß der Erlaß untergesetzlicher Normen (Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrages 5 1 6 , kommunale Satzung 5 1 7 ) in der Verwaltungsgerichtsbarkeit durchsetzbar i s t 5 1 8 .

5 1 1 Dabei soll der Begriff des „ Unterlassens" in beiden Fällen keineswegs schon die VerfassungsWidrigkeit des nicht erfolgten Normerlasses implizieren. Das Unterlassen stellt sich vielmehr erst einmal nur als solches aus der Sicht des Bf. dar, der es auch für die Zulässigkeit einer Klage behaupten muß. Es gibt aber natürlich durchaus rechtmäßiges (bewußtes) Nichtregeln von Sachverhalten bzw. Nichterstrecken von Regelungen auf bestimmte Personengruppen. Das ist aber dann ein Problem der Begründetheit, nämlich der FVage, ob tatsächlich ein materiell-rechtlicher Normerlaßanspruch besteht, der in rechtswidriger Weise nicht beachtet wurde. I m Ergebnis wie hier Schneider, A ö R 89 (1964), S. 24 (34 f., 36 in F N 25). 512

R o b b e r s , JuS 1990, 978 (978).

513

B a y V G H B a y V B l . 1981, 499 (501).

5 1 4

Vgl. Würtenberger,

5 1 5

W i e hier auch Renck, JuS 1982, 338 (343).

AöR 105 (1980), S. 370 (373).

516 B V e r w G E 80, 355 (357 ff.); vgl. § 5 T V G . Z u deren Qualifikation aIs Rechtssatz schon Bettermann, FS Nipperdey I I , S. 723 (734 ff.) mit Nachw. zu früher vertretenen anderen Ansichten. 517

B V e r w G DVB1. 1990, 155 (156).

5 1 8

Anderer Ansicht noch O V G Koblenz N J W 1988,1684 (1684), eine Entscheidung, die — nicht zuletzt wegen Fehlens jeglicher Untergliederung — in ihrer Unstrukturiertheit

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

aaa) Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten

}

201

§ 40 11 VwGO

Normerlaß ist als A k t hoheitlicher Gewalt immer ein Bestandteil des öffentlichen Rechts 5 1 9 . Es handelt sich auch nicht etwa um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit, die gemäß § 40 I 1 VwGO nicht der Verwaltungsgerichtsbarkeit unterliegt 5 2 0 . Der Verfahrensgegenstand beim Anspruch auf Erlaß untergesetzlicher Normen besteht gerade nicht in einer prinzipalen Kontrolle des formellen Gesetzgebers 521 , sondern der Kontrolle der Exekutive. Verfahren zwischen Bürger und Exekutive sind aber im Ausgangspunkt stets nichtverfassungsrechtlicher A r t 5 2 2 , auch wenn die Exekutive rechtsetzend tätig w i r d 5 2 3 . Es fehlt an der „doppelten Verfassungsunmittelbarkeit" 524 . und Undifferenziertheit allerdings kaum Hilfe bieten dürfte: Es läßt sich kaum verläßlich sagen, ob das O V G die Klage a m Rechtsweg, an der Klageart oder a m materiellen Normerlaßanspruch (vom O V G bei der Zulässigkeit geprüft) scheitern läßt. Vgl. insbes. folgende Formulierungen: „Den Kl. steht unter keinem...Gesichtspunkt ein Anspruch (auf Normerlaß) zu..."; „Sowohl einer...Leistungsklage als auch einer...Feststellungsklage steht entgegen..., daß i m allgemeinen Verwaltungsrechtsweg...(auf Normerlaß)...nicht geklagt werden kann"; „Dem Bürger ist...in keinem Fall ein...(Normerlaßanspruch) einzuräumen"; anschließend folgen lange Ausführungen über die Nichteinschlägigkeit von Leistungs- und Feststellungsklage, dann wieder über den Anspruch auf Normerlaß, ebenda, S. 1684. Generell die Verwaltungsgerichtsbarkeit ablehnend auch Zuleeg, DVB1. 1970, 157 (162). 519

Detterbeck,

D Ö V 1990, 858 (859) m . w. Nachw. auf Rspr. des BVerwG.

520

A n d e r e r Ansicht Schenke, VerwArch 82 (1991), S. 307 (336 ff. m . v. Nachw. zu beiden Ansichten in F N 103), der damit seine bereits in ders., Rechtsschutz, passim, eingeschlagene Linie weiter verfolgt, indem er von einem sehr weit gefaßten „materiellen" Verfassungsstreitigkeitsbegriff ausgeht. Vgl. auch d. Nachw. bei Maurer, FS Kern, S. 275 (292 in F N 63), der selbst allerdings nicht dieser Meinung zu sein scheint. Daß die genannte Ansicht wohl auf eine Überbewertung der „Norm" als solcher zurückzuführen ist, hat schon Würtenberger, AöR 105 (1980), S. 370 (381 f.) m i t dem Hinweis, daß untergesetzliche Normen oft Verwaltungsakte i m Normgewand seien, überzeugend festgestellt. 5 2 1 Diese ist immer verfassungsrechtliche Streitigkeit, BVerfGE 70, 35 (55); 76, 107 (115); B V e r w G E 80, 355 (358). Ebenso Bethge, D Ö V 1988, 97 (101); Kopp, V w G O , § 40 R N 32. 522

Detterbeck,

D Ö V 1990, 858 (859); Renck, JuS 1982, 338 (341).

523

V ö l l i g h. M . ; vgl. nur BVerfGE 68, 319 (325 f.); 71, 305 (337); 76, 107 (114 f.), bestätigt durch BVerwGE 80, 355 (358); zustimmend Detterbeck, D Ö V 1990, 858 (859). Das ergibt sich schon aus der Überlegung, daß es der Exekutive nicht ermöglicht werden darf, durch oftmals mögliche Rechtsformenwahl die Rechtsschutzmöglichkeiten der Bürger dergestalt zu verkürzen, daß nur noch die außerordentlichen Rechtsbehelfe der Verfassungsgerichtsbarkeit übrig bleiben. Diese greifen i. d. R. schon deswegen nicht, weil keine grundrechtlichen Normerlaßansprüche gegenüber der Exekutive geltend gemacht werden können, sondern nur einfachrecht liehe; vgl. Gusy, Verfassungsbeschwerde, R N 32. So i. E. auch Hartmann, D Ö V 1991, 62 (64); Maurer, FS Kern, S. 275 (292); Obermayer, DVB1. 1965, 625 (627). 52 4

Schmitt Glaeser, R N 59; Westbomke, S. 127.

202

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen R e c h t s p r e c h g

Das muß dann ebenso gelten, wenn es um die Pflicht der Exekutive um den Erlaß einer untergesetzlichen Rechtsnorm g e h t 5 2 5 . Schließlich ist auch eine ausdrückliche gesetzliche Zuweisung an eine anderweitige Gerichtsbarkeit nicht ersichtlich. Der Verwaltungsrechtsweg ist somit eröffnet.

bbb) Die richtige Klageart Da es bei Ansprüchen auf Normerlaß nicht um Verwaltungsakte geht, scheidet zunächst die VA-orientierte Verpflichtungsklage a u s 5 2 6 .

(1) Keine Normerlaßklage analog § 47 VwGO In seinen beiden Entscheidungen erteilt das Bundesverwaltungsgericht der gelegentlich vertretenen Ansicht, nach der für die fragliche Konstellation eine beim OVG zu erhebender Antrag (analog) § 47 V w G O zu befürworten s e i 5 2 7 , eine klare Absage: „Das Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO (ist) zur Verfolgung solcher Ansprüche schlechterdings ungeeignet."528 Dabei geht das Bundesverwaltungsgericht wohl stillschweigend davon aus, daß § 47 VwGO zumindest für eine direkte Anwendung eine schon vorhandene Norm als Kontrollgegenstand voraussetzt, was bei absolutem 525 B V e r w G E 80, 355 (359); B a y V G H BayVBl. 1981, 499 (500). Zustimmend Detterbeck, D Ö V 1990, 858 (859); Barby, S. 25 f.; Robbers, JuS 1988, 949 (950); Würtenberger, AöR 105 (1980), S. 370 (381 f.). 526 E b e n s o B a y V G H BayVBl. 1981, 499 (503); Barby, S. 127 f.; Hartmann, DÖV 1991, 62 (65); Robbers, JuS 1988, 949 (952); Soell/Martin, B a y V B l . 1978, 649 (657); Westbomke, S. 130 ff.; Zuleeg, DVB1. 1970, 157 (162). Ausdrücklich gegen die Fortsetzungsfeststellungsklage gem. § 113 I 4 V w G O , die eigentlich eher eine „fortgesetzte Anfechtungsklage" ist, B V e r w G E 80, 355 (363 f.). Anderer Ansicht wohl früher Obermayer, DVB1. 1965, 625 (633): „Normenverpflichtungsklage analog § 42 I I V w G O , gestützt auf Art. 19 I V G G " ; ähnlich — allerdings in Widerspruch zu seinen sonstigen Ausführungen — auch Bettermann, FS Nipperdey I I , S. 723 (739). 527

Z u m Beispiel BayVerfGH B a y V B l . 1980, 209 (211); diese Auffassung teilweise ausdrücklich aufgebend und einschränkend dagegen B a y V G H B a y V B l . 1981, 499 (501, 503): nur in Fällen relativen Unterlassens. Früher schon wurde die Anwendung des § 47 V w G O auf Unterlassen gefordert von Bartlsperger, DVB1. 1967, 360 (373). Ebenso jüngst für Fälle des unechten Unterlassens Hartmann, D Ö V 1991, 62 (67). 528 B V e r w G E 80, 355 (363); ebenso BVerwG DVB1. 1990, 155 (156). Siehe zur mangelnden Bedeutung des § 47 V w G O in diesem Bereich auch schon Bettermann, FS Nipperdey I I , S. 723 (732).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

203

Unterlassen des Normgebers schon begrifflich nicht der Fall i s t 5 2 9 . Die Ablehnung des § 47 VwGO wird vom Bundesverwaltungsgericht allerdings auch für die Fälle ausgesprochen, in denen nur relatives Unterlassen in Rede steht, ein prüfbares Gesetz also vorhanden w ä r e 5 3 0 5 3 1 . Die erwähnte anderslautende Meinung führt dagegen insbesondere an, es handele sich um einen inkonsequenten, divergierende Entscheidungen herausfordernden Systembruch, wenn zur Normenkontrolle ausschließlich das OVG (bzw. VGH) berufen sei, Ansprüche auf Erlaß der fraglichen Normen aber vor jedem V G durchgesetzt werden k ö n n t e n 5 3 2 . Daher sei § 47 VwGO wenigstens analog anwendbar. Demgegenüber sieht das Bundesverwaltungsgericht unter der momentanen Rechtslage keinen Anlaß, einen etwa zu konstatierenden rechtspolitischen Fehler des Gesetzgebers mit einer solchen Analogie zu beheben, da mit dem gegebenen Instrumentarium an Klagearten (insbesondere der

5 2 9 So ausdrücklich Bay V G H B a y V B l . 1981, 499 (501); Barby, S. 123; Merten, DVB1. 1970, 701 (702); Soell/Martin, BayVBl. 1978, 649 (657); Westbomke, S. 128. Auch Schmitt Glaeser, R N 415 setzt „Rechtsverbindlichkeit der zu prüfenden Vorschrift" voraus. M i t der gleichen Begründung lehnt übrigens BayVerfGHE 33 (1980), S. 1 (4) eine Popularklage gem. Art. 98 S. 4 BayVerf gegen absolutes Unterlassen des Gesetzgebers ab. 530

F ü r diese Konstellation ausdrücklich BVerwG DVB1. 1990, 155 (156).

5 3 1

Gerade deswegen wurde bei relativem Unterlassen früher vielfach die Kontrolle des angeblich unvollständigen Gesetzes über § 47 V w G O als der adäquate Rechtsweg angesehen, vgl. ζ. B. sympathisierend B a y V G H BayVBl. 1975, 168 (168); 1981, 499 (502); 1982, 727 (727). Dagegen allerdings schon Barby, S. 124. Z u Recht kritisch zu dieser „alten" Rechtsprechung auch Schenke, VerwArch 82 (1991), S. 307 (352), der darauf hinweist, daß die unvollständige Regelung, soweit (!) sie eben gilt, rechtmäßig ist und eine Kassation daher eigentlich nicht in Betracht kommt. Dies dürfte m . E. auch dem Rechtsschutzinteresse des zu Unrecht Ausgeschlossenen nicht gerecht werden, da für seinen Anspruch das Weiterbestehen der Norm Grundvoraussetzung ist; so auch i. E. Hovel, S. 32; Robbers, JuS 1990, 978 (980). Daher könnte m a n höchstens argumentieren, kassiert werde die „konkludente Ablehnung einer weitergehenden Regelung" durch den Gesetzgeber, die in den Erlaß einer unvollständigen Regelung hineininterpretiert werden müßte. Damit wäre aber immer noch nicht bindend über den Normergänzungsanspruch als solchen entschieden worden; dazu Schenke, VerwArch 82 (1991), S. 307 (353), der auch auf die parallele Problematik der „isolierten Anfechtungsklage" verweist. 532 S o ζ. B. der Einwand bei B a y V G H BayVBl.1980, 209 (211) und Hartmann, D Ö V 1991, 62 (66, 67). M i t diesem Einwand will Schenke, VerwArch 82 (1991), S. 307 (348) i. E. seine völlige Ablehnung verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes gegen untergesetzliche Normen untermauern. Auch bei Würtenberger, A ö R 105 (1980), S. 370 (385, 388) findet sich das Argument — diesmal als Begründung für seine Normerlaßklage sui generis als Kombination aus Leistungsklage und Normenkontrolle nach § 47 V w G O .

204

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Feststellungsklage 533 ) auszukommen sei und daher von einer zu schließenden „Lücke" keine Rede sein k ö n n e 5 3 4 . Diese Argumentation ist schon auf dem Hintergrund der bereits o b e n 5 3 5 prinzipiell geforderten Zurückhaltung der Gerichte bei der Korrektur sogenannter (vermeintlicher?) „rechtspolitischer Fehler" durchaus zu begrüßen. Aber auch aus methodischen Gründen kann es überzeugen, wie das Bundesverwaltungsgericht zugunsten der gesetzlich geregelten Klagearten der Versuchung widersteht, eine „Lücke" in die V w G O „hineinzuinterpretieren" 5 3 6 . Darüber hinaus wäre auch ein Verfahren analog § 47 V w G O keineswegs „perfekt". Es müßte bei Stattgabe mit einem Feststellungsausspruch enden, der nicht mehr von § 47 V I VwGO gedeckt w ä r e 5 3 7 . Weiterhin würde die Problematik des schon bis dato sehr beschränkten Anwendungsbereichs der Norm (siehe ζ. B. den Länder vorbehält in § 47 I Nr. 2 VwGO, Nichtgeltung für Bundesrecht) auch noch auf das Rechtsgebiet der Normerlaßansprüche ausgedehnt 5 3 8 . Auch würde das bis heute allgemein vorausgesetzte Erfordernis eines subjektiv-rechtlichen Normerlaßanspruches mit der gesamten Konzeption des stark objektiv-rechtlich ausgerichteten § 47 V w G O i m allgemeinen und seiner Regelung der Antragsbefugnis (Abs. I I 1: bloßer „Nachteil") im besonderen in Widerspruch geraten — was zumindest an die Grenzen einer zulässigen Analogie stoßen w ü r d e 5 3 9 . Hinzu kommt, daß die Bedenken der genannten Ansicht gegenüber der allgemeinen Feststellungsklage ohnehin nur vordergründig überzeugen können. Denn daß die Kassation einer vorher allgemein geltenden Norm 5 3 3

Siehe dazu S. 206 ff.

534

B V e r w G DVB1. 1990, 155 (156); ebenso auch schon B a y V G H B a y V B l . 1981, 499 (501, 502). 535

V g l . oben S. 142 f.

5 3 6

I m Ergebnis ebenso Allesch, B a y V B l . 1990, 120 (121); Renck, JuS 1982, 338 (342); Robbers, JuS 1988, 949 (951); ausdrücklich ders., JuS 1990, 978 (980); Soell/Martin, B a y V B l . 1978, 649 (657). 5 3 7

So ausdrücklich zu Recht Allesch, BayVBl. 1990, 120 (121) und Würtenberger, AöR 105 (1980), S. 370 (388). „Sogar" das BVerfG hat für die Verfassungsbeschwerde festgestellt, daß weitere Einwirkungsmöglichkeiten in die Sphäre des Normgebers als ein Feststellungsurteil nicht möglich seien, BVerfGE 6, 257 (265 f.), was dann natürlich erst recht für jedes Fachgerichtsurteil gelten muß. 538 S o zu Recht B a y V G H B a y V B l . 1981, 499 (501); ebenso Barby, S. 95, 126 f.; Westbomke, S. 129; Würtenberger, AöR 105 (1980), S. 370 (389). Ähnlich Schenke, VerwArch 82 (1991), S. 307 (352). 639

V g l . die Ausführungen bei B a y V G H B a y V B l . 1981, 499 (501).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

205

durch das OVG als das oberste Landesverwaltungsgericht vorgenommen wird, ist i m Hinblick auf die wünschenswerte inter-omnes-Wirkung dieser prinzipalen Normenkontrolle, die eben eventuell sogar in einer Kassation endet, sinnvoll. Demgegenüber ist bei einer Klage auf Normerlaß eine interomnes-Wirkung nicht notwendig 5 4 0 , eine inter-partes-Wirkung vielmehr ausreichend 541 , so daß die Notwendigkeit der Mobilisierung gerade des OVG entfällt: Denn selbst wenn der Kläger den Prozeß gewinnt, setzt das Gericht in seinem Urteil j a nicht selbst das Recht neu, sondern verpflichtet — unter Wahrung des Gewaltenteilungsgrundsatzes — den zuständigen Normgeber „nur" zum Normerlaß 5 4 2 . Diese in Folge des Urteils zu erlassende Norm wirkt dann — wie üblich — inter omnes 5 4 3 . Für das Urteil reicht es aus, daß der Normgeber inter partes verpflichtet wird, was dann i m übrigen auch von in der Regel bestehenden Rechtsaufsichtsbehörden zu beachten i s t 5 4 4 . Ein gleichheitswidriger Zustand in der Zeit bis zum Erlaß der dann wieder für alle geltenden Norm ist auch nicht ersichtlich 5 4 5 , da der Kläger in keiner Weise eine gegenüber den anderen Normunterworfenen bessere Position hat: Er kann aus dem verpflichtenden Urteil j a nichts speziell für sich vollstrecken 5 4 6 .

5 4 0

Auf die angebliche Notwendigkeit der Allgemeinverbindlichkeit stützt aber B a y V G H BayVBl. 1980, 209 (211) gerade seine Bevorzugung des Verfahrens nach § 47 V w G O . Ebenso Merten, DVB1. 1970, 701 (702), der meint, eine Wirkung „contra omnes" sei „denknotwendig ". 5 4 1

I m Ergebnis ebenso B a y V G H B a y V B l . 1981, 499 (502). Ausdrücklich wie hier Barby, S. 104. So wohl auch, aber ohne weitere Begründung Renck, JuS 1982, 338 (342, 343) und Robbers, JuS 1988, 949 (952). 5 4 2 Daß der Normgeber die Norm dann eventuell später vor dem O V G i m Rahmen des § 47 V w G O zu vertreten hat, führt ebenfalls nicht zu einer systemwidrigen Konsequenz i m Sinne der oben genannten abweichenden Ansicht. Die Norm ist schließlich nicht vom V G gesetzt worden, sondern vom Normgeber wie jede andere Vorschrift auch. So zu Recht auch Renck, JuS 1982, 338 (342). 543

W i e hier auch Barby, S. 107; Renck, JuS 1982, 338 (343); Westbomke, S. 134 f. Diese Befindlichkeit wird von Schenke, VerwArch 82 (1991), S. 307 (348) verkannt. 5 4 4 Auf die Rechtsaufsichtsbehörden weist in anderem Zusammenhang auch schon Allesch, B a y V B l . 1990, 120 (121) hin. 545 A u ß e r demjenigen natürlich, der mit der Klage erfolgreich bekämpft worden ist. Daß der Kläger insoweit auf die Wohltaten seiner gewonnenen Klage aber etwas warten muß, ist kein spezifisches Problem der vorliegenden Konstellation, sondern kann auch in vielen anderen Prozeßsituationen vorkommen. 5 4 6 Das gilt unabhängig davon, welcher Meinung man sich hinsichtlich der Klageart anschließt. Ebenso Barby, S. 107; Würtenberger, AöR 105 (1980), S. 370 (386).

206

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

(2) Die allgemeine Feststellungsklage gemäß § 43 I V w G O Zur Geltendmachung des Begehrens wird vom Bundesverwaltungsgericht insbesondere auf die allgemeine Feststellungsklage gem. § 43 I VwGO als die geeignete Klageart verwiesen 5 4 7 , wobei sich dementsprechend die Zuständigkeit nach den §§ 45, 46 VwGO regelt 5 4 8 .

(a) Streitgegenstand Die Klage ist auf die Feststellung gerichtet, daß der/die Beklagte zum Erlaß einer Rechtsvorschrift verpflichtet i s t 5 4 9 . Es handelt sich — und das ist durchaus von einiger Wichtigkeit — somit um eine prinzipale Klage auf Normerlaß bzw. Normergänzung 550.

(b) Feststellungsfähiges Rechtsverhältnis Ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis kann das Bundesverwaltungsgericht in den konkreten Entscheidungen mehr oder weniger kurz begründen: In dem einen Fall ging es um die Klage einer Kreisrätin gegen den Kreistag, in dem sie Mitglied war, so daß schon ihr Status das Rechtsverhältnis begründete 5 5 1 . In dem anderen Fall (Klage gegen das Land auf Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrages durch das zuständige Ministerium) hatte die Klägerin im prozessualen Vorfeld erfolglos beim zuständigen Landesministerium einen Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung gestellt, zu dem sie nach § 5 I 1 T V G als Gewerkschaft unstreitig berechtigt — um nicht zu sagen: besonders aufgerufen — war. Dieser erfolglose Antrag in Verbindung mit der gesetzlich vorgesehenen Antragsberechtigung führt 547 B V e r w G E 80, 355 (363 ff.); BVerwG DVB1. 1990, 155 (156); zustimmend ζ. B. Schmitt Glaeser, R N 322. Früher schon Bettermann, FS Nipperdey I I , S. 723 (739). 548

B V e r w G DVB1. 1990, 155 (156); B a y V G H B a y V B l . 1981, 499 (500, 503).

549

B V e r w G E 80, 355 (363 ff.); BVerwG DVB1. 1990, 155 (156). So auch schon Kopp, V w G O , § 47 R N 9. 550

D a ß dies die einzig geeignete Vorgehensweise ist, Hdb. d. StaatsR V I , § 154 R N 29 festgestellt.

hat

auch schon

Papier,

5 5 1 BVerwG DVB1. 1990, 155 (156); zustimmend Robbers, JuS 1990, 978 (980). Insoweit stellt Hartmann, D Ö V 1991, 62 (66) klar, daß das Mitgliedschaftsverhältnis sich nicht aus der Entschädigungsregelung des Art. 14 a I I Nr. 2 B a y L K r O ergibt, wie das Bundesverwaltungsgericht meint, sondern aus A r t . 22 ff. B a y L K r O . I m Ergebnis stellt das Bundesverwaltungsgericht aber ebenfalls richtig auf den Status der Klägerin ab.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

207

nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts zu einem konkreten Rechtsverhältnis 5 5 2 . Es zeigt sich, daß es in der Tat stark auf den Einzelfall ankommt, ob das Rechtsverhältnis bereits vor Erlaß der gewünschten Norm konkret genug ist. Zu berücksichtigen ist nämlich, daß ein Rechtsverhältnis i m Sinne der allgemeinen Meinung aus einer sich aus einem konkreten Sachverhalt ergebenden, rechtlichen Beziehung einer Person zu einer anderen oder einer Sache aufgrund einer Rechtsnorm des öffentlichen Rechts besteht 5 5 3 . Aus einer noch nicht erlassenen Norm kann sich aber in der Regel ein konkretes Rechtsverhältnis nur schwerlich ergeben 5 5 4 . Dann muß es sich schon vorher aus denjenigen Rechtsbeziehungen der Beteiligten zueinander ableiten lassen, die den Normerlaßanspruch als solchen begründen 5 5 5 . Solche Rechtsbeziehungen können ζ. B. durch Handeln (ζ. B. förmliches oder formloses „Bescheiden") von Behörden, die eine unvollständige Regelung gegenüber dem Bürger vollziehen, entstehen 5 5 6 . Nach anderer Ansicht kann das Rechtsverhältnis auch durch die zur Normgebung ermächtigende gesetzliche Rechtsgrundlage vermittelt s e i n 5 5 7 . Dazu dürfte allerdings bloße allgemeine Normunterworfenheit nicht ausreichen 558 . Andererseits kann auch die Vorgehensweise, durch Behauptung eines Normerlaßanspruchs gegenüber dem Normgeber ein konkretes Rechts-

552

B V e r w G E 80, 355 (365).

5 5 3

Vgl. d. v. Nachw. bei Hartmann, D Ö V 1991, 62 (66 in F N 66) u. Kopp, V w G O , § 43 R N 11. Das BVerwG formuliert kurz, es müsse „die Anwendung einer Rechtsnorm auf einen bestimmten bereits übersehbaren Sachverhalt streitig" sein, vgl. jüngst BVerwG N J W 1990, 1866 (1866) m. w. Nachw. 554 O V G Koblenz, N J W 1988, 1684 (1684); Hartmann, D Ö V 1991, 62 (66); Robbers, JuS 1988, 949 (952); Schenke, VerwArch 82 (1991), S. 307 (349). Ebenso wohl auch Detterbeck, D Ö V 1990, 858 (862) für förmliche Gesetze, m . w. Nachw. in F N 37. 555

B V e r w G N J W 1990, 1866 (1866); Robbers, JuS 1990, 978 (980).

556

B V e r w G E 16, 92 (93). Ähnlich Redeker/v. Oertzen, § 43 R N 8 und Schmitt Glaeser, R N 329. Kritisch aber Siemer, Normenkontrolle, S. 31 ff.; ders., FS Menger, S. 501 (509 f.). 55 7 Würtenberger, AöR 105 (1980), S. 370 (387); Zu/eeg, DVB1. 1970, 157 (162). Ebenso Schenke, VerwArch 82 (1991), S. 307 (350), der von „Normsetzungsbefugnis" als „Gestaltungsrecht" spricht, das ein Rechtsverhältnis begründen könne. Kritisch Maurer, FS Kern, S. 275 (298). 558 B V e r w G N J W 1985, 339 (339); Maurer, wohl Siemer, FS Menger, S. 501 (512 ff.).

FS Kern, S. 275 (298). Anderer Ansicht

208

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Verhältnis herzustellen, nicht alle Bedenken zerstreuen 5 5 9 ; denn sonst müßte man i m Rahmen der Prüfung der adäquaten Klageart die ausgesprochen schwierige, eher materiell-rechtliche Frage nach dem möglichen Vorhandensein eines subjektiv-öffentlichen Rechts auf Normerlaß beantworten, was wohl eine systemwidrige Schwerpunktverlagerung in die KlageartPrüfung darstellen w ü r d e 5 6 0 . Hier ist im einzelnen aber noch vieles streitig, was wohl nicht zuletzt mit dem allgemeinen Problem der Konturierung des Begriffs des „konkreten Rechtsverhältnisses" bei der Feststellungsklage zusammenhängt 5 6 1 . Auf jeden Fall ergibt sich faktisch die Gewißheit, daß eine übermäßige, auf Normerlaßansprüchen basierende Prozeßflut nicht befürchtet werden muß. Es wird auch weiterhin nur der besonders „qualifizierte" (d. h. der zu dem Normgeber bereits in einem besonderen Rechtsverhältnis stehende) Antragsteller die Zulässigkeitshürden meistern.

(c) Feststellungsinteresse Das berechtigte Interesse an der Feststellung war in den konkreten Entscheidungen wie wohl meistens nicht das Hauptproblem. Es ist wohl der Regelfall, daß — wenn es schon zur Klage kommt — die Rechtspositionen zwischen den Beteiligten umstritten sind. Das reicht nach ganz h. M. zur Bejahung dieser Zulässigkeitsvoraussetzung a u s 5 6 2 . Zumindest kann man aber in vielen Fällen Wiederholungsgefahr konstatieren 5 6 3 . 559 S o aber B a y V G H BayVBl. 1981, 499 (503); Barby, S. 147; Robbers, JuS 1988, 949 (952); Schmitt Glaeser, R N 322; Westbomke, S. 136. 5 6 0 Daß eine geltend gemachte Berechtigung kein Rechtsverhältnis begründen könne, stellt auch Maurer, FS Kern, S. 275 (300) entschieden fest. Dies bedeutet keinen Widerspruch zu BVerwGE 80, 355, da dort auf den tatsächlichen Antrag und die gesetzliche, formale Antragsberechtigimg abgestellt wurde, ohne schon die Frage des materiellen Normerlaßanspruches zu tangieren. 5 6 1

Siehe dazu ausführlich Maurer, FS Kern, S. 275 (298 ff.); Siemer, FS Menger, S. 501 (509 ff.), ders., Normenkontrolle, S. 27: „Die Schwierigkeiten des Begriffs...liegen in seiner nirgends definierten Weite. Eine philologische Analyse vermag i h m ebensowenig eine ausreichend scharfe Umgrenzung zu geben wie der Versuch, ihn rechtstheoretisch zu erfassen". Gerade die Schwierigkeit, das konkrete Rechtsverhältnis zweifelsfrei feststellen zu können, läßt für Würtenberger, AöR 105 (1980), S. 370 (388) die Feststellung*klage als geeignete Normerlaßklage ausscheiden. Ebenso ein konkretes Rechtsverhältnis verneinend, wenn auch ohne Argumentation, Merten, DVB1. 1970, 701 (702). 562 B V e r w G DVB1. 1990, 155 (156); zustimmend Robbers, JuS 1990, 978 (980). Vgl. auch die Nachw. bei Kopp, V w G O , § 43 R N 24. 563

S o in BVerwGE 80, 355 (365).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

209

(d) Keine Subsidiarität gegenüber der allgemeinen Leistungsklage Nicht so einfach zu beantworten ist dagegen die Frage, ob nicht die allgemeine Feststellungsklage gegenüber der (allgemeinen) Leistungsklage subsidiär ist (vgl. § 43 I I V w G O ) 5 6 4 . In der Entscheidung zur Allgemeinverbindlicherklärung war die Angelegenheit noch relativ problemlos abzuhandeln, da ein Leistungsantrag auf Erlaß der entsprechenden Erklärung deswegen nicht in Frage kam, weil inzwischen neue Tarifverträge abgeschlossen worden waren und die alten damit nicht mehr für allgemeinverbindlich erklärt werden k o n n t e n 5 6 5 . Es konnte nur noch nachträglich die Verletzung der Rechte der Antragstellerin festgestellt werden. Formulierungsmäßig konnte man aus dieser — zeitlich früheren — Entscheidung aber noch schließen, daß ohne die „Erledigung" eines direkten Leistungsantrages im konkreten Fall die Leistungsklage allgemein doch vorrangig sei. Diese Haltung wurde dann in der zweiten Entscheidung (Klage der Kreisrätin auf Erlaß einer Satzung) wohl zu Recht gänzlich aufgegeben. Das Gericht betont dabei insbesondere, daß es dem Grundsatz der Gewaltenteilung am ehesten entspreche, wenn der Normgeber nicht zum Erlaß einer bestimmten Rechtsvorschrift per (vollstreckbarem?) Leistungsurteil verpflichtet werde 5 6 6 . Es sei vielmehr der Entscheidungsfreiheit der rechtsetzenden Organe angemessen, wenn „nur" die Verpflichtung zur Normgebung festgestellt werden w ü r d e 5 6 7 . Dem Begehren des Klägers sei jedenfalls damit genüge getan, so daß ein intensiverer Übergriff in die Rechtsetzung nicht erforderlich s e i 5 6 8 .

5 6 4

B a y V G H B a y V B l . 1981, 499 (503) hält beide Klagearten für möglich; ebenso Papier, Hdb. d. StaatsR V I , § 154 R N 29. Barby, S. 128 fT. und Westbomke, S. 132 halten die allgemeine Leistungsklage für die angemessene und damit vorrangige Klageart. 5 6 5

BVerwG E 80, 355 (365).

566

I n diese Richtung schon Lechner, N J W 1955, 1817 (1819). Zustimmend Robbers, JuS 1990, 978 (980). Diese Ausführungen übersieht Allesch, B a y V B l . 1990, 120 (120) anscheinend, wenn er meint, die neue Rechtsprechung würde die Gerichte zur Rechtsetzung ermächtigen. 5 6 7 Westbomke, S. 133 f., propagiert demgegenüber eine Leistungsklage m i t Bescheidungsurteil analog § 113 I V 2 V w G O und will auf diesem Weg die Entscheidungsfreiheit des Normgebers (Exekutive) sichern. Dagegen aber Zu/eeg, DVB1. 1970, 157 (162). Inkonsequent Soell/Martin, BayVBl. 1978, 649 (658), die eine allgemeine Leistungsklage wegen deren „Auffangfunktion" gutheißen, diese aber außer bei „Ermessensreduzierung auf Null" mit einem Feststellungsurteil kombinieren wollen. 568 B V e r w G DVB1. 1990, 155 (156). Die Effektivität der Feststellungsklage gibt auch Würtenberger, A ö R 105 (1980), S. 370 (386) zu. Kritisch allerdings Schenke, VerwArch 82 (1991), S. 307 (351).

14 Warmke

210

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Dabei geht das Bundesverwaltungsgericht anscheinend stillschweigend von der vielfach geäußerten — wenn auch m. E. nicht zwingenden 5 6 9 — Ansicht aus, daß ein Träger öffentlicher Gewalt auch ohne Vollstreckungsdruck einem gerichtlichen Urteil folgen werde, so daß das Feststellungsurteil ausreiche 570 . Von anderer Seite 5 7 1 ist die Bevorzugung der Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage durch das Bundesverwaltungsgericht i m Ergebnis mit Hinweis darauf begrüßt worden, daß nach herrschender Meinung die allgemeine Leistungsklage ohnehin nur das schlichthoheitliche Handeln beträfe 5 7 2 und auf Einzelakte der Verwaltung gerichtet s e i 5 7 3 . Sollte man sich dem anschließen — was allerdings gerade in der Fachgerichtsbarkeit nicht immer der Fall i s t 5 7 4 —, dürfte die Leistungsklage auch schon systematisch Schwierigkeiten bereiten. Das Bundesverwaltungsgericht scheidet in diesem Zusammenhang auch die Konstruktion einer inzidenten Normerlaßklage i m Rahmen einer Leistungsklage a u s 5 7 5 . Die Klägerin konnte also nicht einfach nur eine Zahlungsklage erheben, bei der als Vorfrage zu prüfen gewesen wäre, ob der Kreistag zum Erlaß einer entsprechenden Entschädigungsregelung verpflichtet w a r 5 7 6 . Das Bundesverwaltungsgericht führt dazu aus, daß der Zahlungsantrag eben noch einer Rechtsgrundlage bedürfe, die in Form der eingeforderten Satzung erst einmal geschaffen werden müsse 5 7 7 . Die be5 6 9 I m Ergebnis wie hier Schenke, VerwArch 82 (1991), S. 307 (350 f.) und Schmitt Glaeser, R N 337, die auf die — i m Gegensatz zum Zivilprozeßrecht, in welchem diese Ansicht entwickelt wurde — ausdrücklich in § 43 I I V w G O angeordnete Subsidiarität hinweisen. Ablehnend gegenüber dieser Rspr. auch Westbomke, S. 136 ff. 570 D i e s konstatiert auch Allesch, BayVBl. 1990, 120 (121). Vgl. zu der genannten Ansicht d. v. Nachw. bei Kopp, V w G O , § 43 R N 28, der dieser Meinung selbst kritisch gegenübersteht. D e m BVerwG zustimmend Barby, S. 147 u. anscheinend Robbers, JuS 1990, 978 (980). 57 1

Hartmann,

D Ö V 1991, 62 (65).

572

S o auch Pietzner/Ronellenfìtsch , § 10 R N 2; Schmitt Glaeser, R N 376; Würtenberger, AöR 105 (1980), S. 370 (385). Dazu allerdings kritisch Robbers, JuS 1988, 949 (952). 573

E b e n s o Robbers, JuS 1988, 949 (952); ders., JuS 1990, 978 (980); Schmitt Glaeser, R N 376; Würtenber ger, AöR 105 (1980), S. 370 (382). Insofern ist bei Renck, JuS 1982, 338 (342) ein falscher Ansatz zu konstatieren, wenn er meint „die Geltendmachung einer Individualberechtigung auf Normerlaß (sei) ein Einzelfall". 574 B a y V G H B a y V B l . 1981, 499 (499 f.); ebenso Soell/Martin, (658).

B a y V B l . 1978, 649

5 7 5 So schon früher Papier, Hdb. d. StaatsR V I , § 154 R N 29; Würtenberger, AöR 105 (1980), S. 370 (397). Anders noch O V G Berlin, DVB1. 1970, 700 (700): inzidente Normerlaßklage i m Rahmen einer allg. Feststellungsklage. 576

B V e r w G DVB1. 1990, 155 (156).

577

B V e r w G , ebenda. Zustimmend Robbers, JuS 1990, 978 (980).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

211

gehrte Feststellung sei insoweit nicht entbehrlich, da die Zahlungsklage „prozessual wie sachlich-rechtlich" auf der zunächst auszusprechenden Verpflichtung zum Normerlaß aufbaue. Die Klägerin hatte daher im konkreten Fall nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts den richtigen Weg gewählt, indem sie Feststellungs- und unbezifferte 57 8 Zahlungsklage zugleich erhoben h a t t e 5 7 9 . Das Bundesverwaltungsgericht hieß dies unter ausdrücklichem Hinweis auf die ähnliche Sachlage bei der zivilprozessualen Stufenklage gemäß § 254 ZPO g u t 5 8 0 . Es verwies die Zahlungsklage nach § 144 I I I Nr. 2 V w G O an den V G H zurück und gab diesem den Hinweis, das Verfahren gemäß § 94 VwGO bis zum Erlaß der eingeklagten Satzung auszusetzen und sodann über den Zahlungsantrag und über die Kosten zu entscheiden 581 .

Zwischenergebnis und Entbehrlichkeit einer eigenständigen Zulassungsvoraussetzung „Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde" Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist somit heute unzweifelhaft die Möglichkeit gegeben, Ansprüche auf Erlaß untergesetzlicher Normen in der Verwaltungsgerichtsbarkeit geltend zu machen. Dies geschieht nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts i m Wege einer allgemeinen Feststellungsklage, die prinzipal — also in der Hauptsache — auf die Verpflichtung des Beklagten zum Normerlaß gerichtet ist. Zusätzlich — analog der zivilprozessualen Stufenklage — kann der Kläger bei Bedarf auch noch einen auf das Feststellungsurteil aufbauenden (unbezifferten) Leistungsantrag stellen. Damit eröffnet sich für den potentiellen Beschwerdeführer ein Rechtsweg i m Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG, den er zu beschreiten hat und der ihm die sofortige Erhebung einer Verfassungsbeschwerde regelmäßig verwehrt 5 8 2 . 5 7 8 Also liegt hier eine Ausnahme von § 82 I 1 V w G O vor. Zustimmend Robbers, JuS 1990, 978 (980 f.). 5 7 9 Das wird von AUesch, BayVBl. 1990, 120 (121) nicht ganz zu Unrecht als Widerspruch zu der vorher vom Bundesverwaltungsgericht implizierten Folgsamkeit der Hoheitsträger gegenüber gerichtlichen Urteilen bewertet: Wenn schon alle Träger öffentlicher Gewalt angeblich auf Feststellungsurteile auch ohne Vollstreckungsdruck reagieren, dann müßte es auch den Rechtsaufsichtsbehörden nach A r t . 98 ff. BayLKro überlassen werden, den urteilsgemäßen Erlaß einer Entschädigungssatzung und die ordnungsgemäße Entschädigung der Klägerin zu überwachen. D a m i t wäre ein Zahlungsantrag entbehrlich, 580

B V e r w G DVB1. 1990, 155 (158).

5 8 1 582

BVerwG, ebenda.

D i e s e Konsequenz erkennt auch Schenke, VerwArch 82 (1991), S. 307 (355 f.) an.

212

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Es scheint hier schon deswegen nicht angebracht zu sein, auf ein eigenständiges Zulässigkeitsmerkmal der „Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde" zu rekurrieren, weil es sich wie gesagt u m prinzipalen fachgerichtlichen Rechtsschutz handelt, der schon nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in anderen Konstellationen unter § 90 I I 1 BVerfGG zu subsumieren i s t 5 8 3 . Es muß allerdings zugegeben werden, daß auch das Bundesverfassungsgericht nicht unbedingt auf das Subsidiaritätsprinzip abstellt. Vielmehr liegen — soweit ersichtlich — Verfassungsbeschwerden gegen das Unterlassen untergesetzlicher Normen, die sich zudem noch mit dem Zulässigkeitsproblem des Rechtsweges befassen, nicht vor. So ist es in der Tat nicht fernliegend, daß das Bundesverfassungsgericht ebenfalls auf § 90 I I 1 BVerfGG unmittelbar abstellen würde.

bb) Klage auf Erlaß oder Ergänzung förmlicher Gesetze aaa) Scheitern prinzipaler verwaltungsgerichtlicher am Merkmal der „nicht-verfassungsrechtlichen

Klagen Streitigkeit"

Nicht mit Hilfe der gerade dargestellten „Klage auf Feststellung der Verpflichtung des Normgebers zum Tätig werden" (eventuell verbunden mit einem unbeziffertem Leistungsantrag) durchsetzbar sind demgegenüber Begehren, die auf Erlaß oder Ergänzung förmlicher Gesetze gerichtet sind, gleich ob ein bestimmter Norminhalt oder nur eine angemessene, verfassungsmäßige Normierung eingeklagt w i r d 5 8 4 . Hier scheitert die Nutzbarmachung des Verwaltungsrechtsweges schon am Erfordernis der nicht-verfassungsrechtlichen Streitigkeit: Nicht nur die prinzipale Normenkontrolle des formellen Gesetzgebers stellt eine verfassungsrechtliche Streitigkeit d a r 5 8 5 , sondern auch eine prinzipale Klage auf Tätigwerden des formellen Gesetzgebers 586 . Nachdem die Feststellungsklage i m oben dargestellten Sinne in der Hauptsache gerade auf die Verpflichtung zum Normerlaß gerichtet ist, muß sie — ebenso wie eine Leistungsklage unmittelbar gerichtet auf Normerlaß — ausscheiden. 5 8 3 W i e ζ. B. beim Rechtsschutz gegen bereits erlassene untergesetzliche Normen zumindest § 47 V w G O als Rechtsweg anerkannt ist, siehe oben S. 47 f. 584 5 8 5

S o zu Recht Detterbeck,

D Ö V 1990, 858 (859).

BVerfGE 70, 35 (55).

586 B V e r w G E J 5 , 330 (335). Ebenso Barby, S. 24 f.; Bethge, D Ö V 1988, 97 (101); Detterbeck, D Ö V 1990, 858 (859); Schenke, Rechtsschutz, S. 338; ders., VerwArch 82 (1991), S. 307 (325 m . w. Nachw. in F N 63). Noch allgemeiner gefaßt schon BVerfGE 10, 124 (127 f.). Α. Α., aber nicht überzeugend Renck, JuS 1982, 338 (341).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

213

§ 40 I 1 VwGO ist damit insoweit verschlossen, so daß eine Verweisung auf den Rechtsweg i m Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG bei prinzipalen Klagen auf Erlaß formeller Gesetze ausscheiden muß.

bbb) Fachgerichtliche Durchsetzung von gesetzgeberischem Tätigwerden durch inzidente Normerlaß- oder Normergänzungsklagen als Rechtsweg im Sinne des § 90 II 1 BVerfGG? Bei Verfassungsbeschwerden gegen bereits erlassene Normen wurde aber die prinzipielle Möglichkeit eines effektiven Rechtsschutzes durch eine inzidente Normenkontrolle bejaht. Das Bundesverfassungsgericht berücksichtigt diese Möglichkeit, wie aufgezeigt, über das eigenständige Zulässigkeitsmerkmal „allgemeiner Subsidiaritätsgrundsatz" 5 8 7 ; die hier vertretene Ansicht geht von der Einschlägigkeit des § 90 I I 1 BVerfGG a u s 5 8 8 . Beide Ansichten kommen somit zur grundsätzlichen, wenn auch nicht ausnahmslosen Verweisung des Beschwerdeführers an die Fachgerichte. Es stellt sich somit die Frage, ob nicht auch eine fachgerichtliche „inzidente Normerlaßklage u dem Betroffenen effektiven Rechtsschutz bieten kann, so daß insoweit die Verfassungsbeschwerde subsidiär wäre. Analog der Definition der „inzidenten Normenkontrolle" ist unter einer „inzidenten Normerlaßklage" die Konstellation zu verstehen, daß eine fachgerichtliche Klage mit Leistungs- oder Feststellungsantrag in der Hauptsache erhoben wird, bei der es nur vorfrageweise darum geht, ob der Gesetzgeber einen Normerlaß unterlassen h a t 5 8 9 . Nachdem sich wiederum alles um das Problem dreht, ob i m Endeffekt die Grundrechts-,,Verletzung" des Beschwerdeführers effektiv fachgerichtlich beseitigt werden kann, muß m. E. auch hier unmittelbar auf § 90 II 1 BVerfGG abgestellt werden. Insoweit möchte ich auf die Ausführungen zum inzidenten Fachgerichtsschutz bei bereits erlassenen Gesetzen verweisen 590 : Kann dort der inzidente Rechtsschutz als „Rechtsweg gegen die Verletzung" anerkannt werden, muß dies auch hier gelten. Das Ausweichen auf einen allgemeinen Grundsatz der „Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde" ist demnach nicht erforderlich.

587

S i e h e oben, S. 61 ff.

588

S i e h e oben, S. 177 ff.

589

E b e n s o Detterbeck,

590

S i e h e oben, S. 177 ff.

D Ö V 1990, 858 (860).

214

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Bei formellen Gesetzen muß strikt nach echtem und unechtem Unterlassen des Gesetzgebers getrennt werden 5 9 1 .

(1) Effektiver Fachgerichtsschutz bei echtem Unterlassen des formellen Gesetzgebers? Bei echtem bzw. absolutem Unterlassen des formellen Gesetzgebers stellt sich die Problematik heute ziemlich eindeutig dar. Es gibt gleich eine Reihe von Ansatzpunkten, anhand derer die Effektivität fachgerichtlichen Rechtsschutzes verneint werden k a n n 5 9 2 :

(a) Die Problematik einer adäquaten fachgerichtlichen Klageart Dabei sei nur darauf hingewiesen, daß es schon bei der Frage nach der verwaltungsgerichtlichen Klageart enorme Probleme g i b t 5 9 3 , vor allem wenn man sich die konkrete Umsetzung an ein paar Beispielen verdeutlicht: Entsprechend der Konstruktion in BVerwG NJW 1983, 2208 f. (Klage auf Feststellung des Nichtbestehens eines Zwangsmitgliedschaftsverhältnisses mit der Vorfrage der Verfassungsmäßigkeit des ZwangsverbandGesetzes) müßte zum Beispiel eine Klage auf Feststellung des Bestehens eines Mitgliedschaftsverhältnisses mit der Vorfrage der Verfassungsmäßigkeit des Unterlassens des Gesetzgebers, einen Zwangsverband anzuordnen, zulässig s e i n 5 9 4 . Konnte bei den untergesetzlichen Normen aber noch die allgemeine Feststellungsklage als adäquate Klageart überzeugen, erscheint dies bei formellen Gesetzen schon schwieriger. Schon bei den untergesetzlichen Normen war nämlich das Problem des feststellungsfähigen „konkreten Rechtsverhältnisses" aufgetaucht. 5 9 1

Das übersieht Papier, Hdb. d. StaatsR V I , § 154 R N 36. W i e hier aber die ganz h. M . , vgl. z. B. Gusy, Verfassungsbeschwerde, R N 125 und die in den folgenden F N genannten Autoren. 5 9 2 Zur Klarstellung: Es geht hier nicht u m Fälle, in denen originäre Teilhabeansprüche, die nicht gesetzesakzessorisch sind, sich direkt aus den Grundrechten ergeben. I n diesen Fällen steht exekutives Unterlassen in Rede, gegen das fachgerichtlicher Rechtsschutz nach allgemeinen Subsidiaritätsgrundsätzen möglich ist, so daß eine Normen Verfassungsbesch werde versperrt ist. I m vorliegenden Zusammenhang geht es vielmehr u m derivative Teilhabeansprüche, die ein vorangegangenes gesetzgeberisches Tätigwerden voraussetzen. Siehe dazu auch Detterbeck, D Ö V 1990, 858 (863). 593 5 9 4

S o auch Schenke, VerwArch 82 (1991), S. 307 (320).

W i e oben schon erwähnt, muß ein entsprechender Anspruch auf Tätigwerden bzw. eine Handlungspflicht des Staates hier immer unterstellt werden.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

215

Konnte man dort noch konstatieren, daß es bestimmt die eine oder andere Konstellation geben wird, in der ein Bürger mit der normgebenden Exekutive in einem entsprechend konkretisierten Verhältnis steht — wie dies j a bei anderen Feststellungsklagen auch immer wieder vorkommt —, so wird dieser Befund bei formellen Gesetzen nahezu nie möglich sein. Dem formellen Gesetzgeber selbst stehen die Bürger ohnehin in der Regel nur als allgemein normunterworfene Rechtssubjekte gegenüber. Dieses abstrakte, eben nicht-konkrete Verhältnis wird aber dort noch deutlicher gelockert, wo noch nicht einmal eine Norm erlassen worden ist (echtes Unterlassen), der Bürger in dem fraglichen Zusammenhang also noch nicht einmal „normunterworfen" i s t 5 9 5 . Aber auch ein — ohnehin prozessual vorzugswürdigeres — konkretes Rechtsverhältnis gegenüber der normanwendenden Exekutive ist schlecht zu konstruieren, da mangels Norm oft noch gar nicht klar sein dürfte, auf welchen Träger öffentlicher Gewalt für das Verhältnis abzustellen ist. Die Auffindung des konkreten Rechtsverhältnisses wird hier in der Tat schwierig. Andererseits wiederholt sich bei der allgemeinen Leistungsklage wieder das Problem der — schon wegen der Notwendigkeit der Beachtung des Gewaltenteilungsprinzips 596 unvermeidlichen — Unbezifferbarkeit/Unbestimmtheit des Leistungsantrages 597 . Dementsprechend wird eine Klage auf „Leistung nach Maßgabe einer noch zu erlassenden verfassungsgemäßen Regelung" d i s k u t i e r t 5 9 8 . Gleiches müßte dann auch für eine Verpflichtungsklage ζ. B. auf Erteilung einer Genehmigung, für die noch keine gesetzliche Rechtsgrundlage besteht, gelten 5 9 9 . 5 9 5 Sogar für unechtes Unterlassen des formellen Gesetzgebers wird dies von BVerwG N J W 1990, 1866 (1866) zugegeben. Ähnlich für untergesetzliche Normen Hartmann, D Ö V 1991,62 (66). 596

Schenke,

597

Schenke,

VerwArch 82 (1991), S. 307 (319). VerwArch 82 (1991), S. 307 (320).

598

Z u m Beispiel BVerwGE 79, 154 (157), wenn auch für einen Fall relativen Unterlassens, dazu noch S. 218 ff. Zu Recht ablehnend Detterbeck, D Ö V 1990, 858 (863). 599 E i n e solche Konstellation lag B V e r w G E 75, 330 ff. zugrunde, wo es darum ging, ob das Land verpflichtet war, Einrichtungen für ambulante Schwangerschaftsabbrüche gesetzlich zu institutionalisieren, wie es das 5. (Bundes-)StrRG n. F . zuließ. Der unmittelbar mittels Verpflichtungsklage auf Genehmigung einer solchen Praxis klagende Arzt meinte (erfolglos), aus der bundesrechtlichen Ermächtigung ergäbe sich ein Anspruch auf Normerlaß gegen das Land.

216

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Aber selbst wenn man Bedenken i m Hinblick auf die Nicht-Regelung solcher Klagevarianten in der VwGO einmal beiseite schiebt 6 0 0 , erscheint ihre prozessuale Effektivität genau wie der der allgemeinen Feststellungsklage als mehr als zweifelhaft. Ein entsprechendes Fachgerichtsurteil verpflichtet nämlich den Gesetzgeber nicht rechtskräftig zum Tätigwerden: Eine gerichtliche Verpflichtung des Gesetzgebers zum Normerlaß hätte zur Voraussetzung, daß das Urteil dem Gesetzgeber gegenüber in Rechtskraft erwächst. Dafür wäre aber wiederum erforderlich, daß das Fachgericht eine Entscheidung in der Hauptsache über diese Verpflichtung treffen k ö n n t e 6 0 1 . Das wäre aber wie schon eingangs festgestellt gerade eine prinzipale Kontrolle des formellen Gesetzgebers und somit eine verfassungsrechtliche Streitigkeit, zu deren Behandlung die Verwaltungsgerichte nicht befugt s i n d 6 0 2 . Somit könnte ein Fachgericht im Rahmen einer inzidenten Normerlaßklage überhaupt nur als Vorfrage — und damit in den Gründen — die Verpflichtung des Gesetzgebers zum Tätigwerden feststellen, womit aber keinerlei Rechtskraftwirkung verbunden wäre. Gebunden an das Urteil wäre vielmehr nur die verklagte Exekutive, die aber die Norm selbst nicht erlassen könnte. Das Fachgericht selbst kann somit dem Betroffenen nicht zu seinem Recht verhelfen.

(b) Die mangelnde Kompensierbarkeit fachgerichtlichen Rechtsschutzdefizits durch Anrufung des Bundesverfassungsgerichts Das wäre nur dann nicht weiter erheblich, wenn der Fachrichter die Möglichkeit hätte, dem Bürger den effektiven Rechtsschutz zu gewähren, indem er bei Feststellung eines verfassungswidrigen Unterlassens das Bundesverfassungsgericht über die Richtervorlage des Art. 100 I GG anruft. Denn das Hauptargument der Subsidiaritätsrechtsprechung für die Bejahung der Effektivität bzw. Zumutbarkeit der Inanspruchnahme fachge600

D i e Diskussion, ob in der V w G O ein „numerus clausus uder Klagearten gilt, scheint nicht abreißen zu wollen, vgl. jüngst pro numerus clausus Hartmann, D Ö V 1991, 62 (66); Kopp, V w G O , vor § 40 R N 3; contra numerus clausus BVerwG N J W 1978, 1870 (1870); Robbers, JuS 1988, 949 (951); Schmitt Glaeser, R N 396; Würtenberger, AoR 105 (1980), S. 370 (390). Die Frage kann aber insoweit offen bleiben, als Einigkeit darüber besteht, daß jedenfalls zunächst einmal versucht werden muß, die vorhandenen Klagearten voll auszunützen. 6 0 1 602

W i e hier Schenke, VerwArch 82 (1991), S. 307 (318 f.).

D a r a u f weist zu Recht auch Detterbeck,

D Ö V 1990, 858 (863) hin.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

217

richtlichen Rechtsschutzes hinsichtlich bereits erlassener formeller Gesetze war zu Recht die Tatsache, daß die inzidente, fachgerichtliche Kontrolle von der Richtervorlage des Art. 100 I GG flankiert wird, über die i m „Ernstfall" bundesverfassungsgerichtlicher Rechtsschutz erreicht werden k a n n 6 0 3 . Nur so ist der Gefahr gerecht zu werden, daß sich i m Laufe des fachgerichtlichen Verfahrens tatsächlich die Verfassungswidrigkeit der Norm und die Notwendigkeit zu deren Kassation herausstellt. Art. 100 I GG setzt indessen zwingend ein „vorlagefähiges S u b s t r a t " 6 0 4 voraus, m. a. W . ein formelles, nachkonstitutionelles Gesetz, das auf seine Verfassungsmäßigkeit hin überprüft werden s o l l 6 0 5 . Ein solches Gesetz liegt aber bei der Fallgruppe des echten Unterlassens per definitionem gerade nicht vor. Der Fachrichter hat somit keine Möglichkeit, i m laufenden Verfahren die Rechtslage beim Bundesverfassungsgericht klären zu lassen 6 0 6 . Der fachgerichtliche Rechtsschutz kann auch nicht mit dem Argument propagiert werden, der Bürger könne schließlich nach erfolgloser Erschöpfung des Rechtsweges das letztinstanzliche Urteil mit der Urteilsverfassungsbeschwerde angreifen. Hier setzen Justizgewährungsanspruch bzw. Rechtsstaatsprinzip der grundsätzlichen Verweisung auf den Rechtsweg eine echte Grenze: Ohne jegliche Chance auf ein obsiegendes Urteil i m Instanzenzug oder „wenigstens" auf eine Richtervorlage an das Bundesverfassungsgericht käme das Beharren auf die Rechtswegbeschreitung einer Rechtsverweigerung über einen erheblichen Zeitraum gleich 6 0 7 . Einzige Folge der Rechtswegbeschreitung wäre nur, daß der Betroffene finanzielle und zeitliche Nachteile in Kauf nehmen müßte, ohne das rechtliche Problem als solches überhaupt effektiv zu Gehör bringen zu können.

6 0 3 604

Vgl. zur Konzeption oben S. 61 ff. S o Detterbeck,

D Ö V 1990, 858 (863).

605

E b e n s o ausdrücklich B V e r w G E 75, 330 (334 f.). Siehe auch Pestalozza, VerfprozeßR, § 20 V I R N 114. Das übersieht Schenke, VerwArch 82 (1991), S. 307 (322 in F N 56) anscheinend völlig. 606

Berkemann, E u G R Z 1985, 137 (137 ff.) befürwortet daher eine Ausweitung des Art. 100 I G G auf die Fälle des echten Unterlassens. E r weist zur Begründung insbes. darauf hin, daß echtes Unterlassen j a auch über die Verfassungsbeschwerde rügbar sei und eine Differenzierung daher nicht einleuchten könne. 6 0 7

I m Ergebnis wie hier Detterbeck,

D Ö V 1990, 858 (864).

218

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Zwischenergebnis

Es muß daher dabei bleiben, daß gegen echtes bzw. absolutes Unterlassen des formellen Gesetzgebers die Verfassungsbeschwerde sofort und unmittelbar eröffnet i s t 6 0 8 . Effektiver (inzidenter) fachgerichtlicher Rechtsschutz ist nicht gegeben, so daß § 90 I I 1 BVerfGG — und auch kein eigenständiger Subsidiaritätsgrundsatz — die Verfassungsbeschwerde versperren kann.

(2) Effektiver Rechtsschutz bei unechtem Unterlassen des formellen Gesetzgebers?

Relativ problematisch ist dagegen die quantitativ starke Fallgruppe des unechten Unterlassens, bei der positive gesetzliche Regelungen aus irgendeinem Grund von bestimmten Personen als nicht vollständig erachtet werden. Der Gesetzgeber hat also zwar gehandelt, aber bewußt oder unbewußt bestimmte Sachverhalte oder Personen nicht in seine Regelung miteingeschlossen. Dabei sind insbesondere die Fälle von Relevanz, in denen bestimmte Personengruppen unter (zumindest vermeintlichem) Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 I GG von einer Begünstigung ausgeschlossen sind, die anderen Gruppen aber gewährt w i r d 6 0 9 . Es sind aber auch Konstellationen innerhalb der Fallgruppe des unechten Unterlassens denkbar, in denen — unabhängig von A r t . 3 I GG — der Gesetzgeber einer verfassungsrechtlichen Pflicht zur Nachbesserung einer ursprünglich verfassungsgemäßen Regelung nicht nachgekommen i s t 6 1 0 .

608

E b e n s o B V e r w G E 75, 330 (335); Detterbeck,

D Ö V 1990, 858 (864).

609

S i e h e zur Relevanz des A r t . 3 I G G i m Zusammenhang m i t gesetzgeberischem Unterlassen auch Schenke, VerwArch 82 (1991), S. 307 (330 ff.). 610

B V e r f G E 50, 290 (335); 56, 54 (71 f.); ein ähnlicher Fall lag auch der erfolglosen — weil sehr verfrühten — Klage in BVerwG N J W 1990, 1866 (1866) zugrunde. Siehe zu dieser Konstellation ausführlich Steinberg, Der Staat 26 (1987), S. 161 ff., nach dem es sich bei dieser Fallgruppe allerdings thematisch u m positives normatives Unrecht handeln soll (ebenda, S. 182); ebenso Schenke, VerwArch 82 (1991), S. 307 (312) und Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 510. Früher wurde schon generell die Justitiabilität der Verletzung von Nachbesserungspflichten verneint, vgl. Zweigert, JZ 1952, 321 (323 f.). Dagegen der heutigen Rechtsprechung zu Recht zustimmend Detterbeck, D Ö V 1990, 858 (860).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

219

Es fragt sich auch hier, ob effektiver fachgerichtlicher Rechtsschutz wenigstens inzident, d. h. als Vorfrage i m Rahmen einer unmittelbar auf Leistung gerichteten Klage zu erlangen i s t 6 1 1 .

(a) Klageart In Frage kommen wohl wiederum nur die allgemeine Leistungs- oder die allgemeine Feststellungsklage. Eher unproblematisch ist der Fall der sogenannten originären Leistungsansprüche, bei denen es auf eine einfachgesetzliche Konkretisierung nicht ankommt, weil sie unmittelbar aus den Grundrechten folgern 6 1 2 . Da alle Staatsgewalten unmittelbar zur Beachtung der Grundrechte verpflichtet sind (Art. 1 I I I , 20 I I I GG), kann nach wohl überwiegender Ansicht sofort gegen den nach der unvollständigen Regelung zuständigen Hoheitsträger auf Leistung geklagt werden, so daß die allgemeine Leistungsklage die adäquate Klageart sein d ü r f t e 6 1 3 . Es handelt sich dann jedoch bei genauer Betrachtung eigentlich nicht mehr um legislatives, sondern um exekutives Unterlassen, für das ohnehin die allgemeinen Subsidiaritätsgrundsätze gelten. Allerdings tauchen bei der allgemeinen Leistungsklage dann — ähnlich wie schon beim echten Unterlassen — erhebliche Probleme auf, wenn die Leistungsgewährung gesetzesakzessorisch ist, also vom Willen des einfachen Gesetzgebers abhängt (derivativer Leistungsanspruch). Die gesetzliche Leistungsgewährung über eine „verfassungskonforme Auslegung" oder unter Berufung auf Art. 3 I GG bzw. verfassungsunmittelbare Leistungsaussagen 614 zu ersetzen, wäre ein Eingriff in die Entschließungsfreiheit des Gesetzgebers und scheidet somit wegen Verstoßes gegen das Gewaltenteilungsprinzip a u s 6 1 5 . 6 1 1 Natürlich würde auch eine prinzipale Normergänzungsklage, wie schon oben vorweg festgestellt, von vorneherein als verfassungsrechtliche Streitigkeit nicht der Fachgerichtsbarkeit unterfallen. 612 A u s d r ü c k l i c h BVerfGE 25, 167 (180, 182 ff.); in diesem Sinne schon BVerfGE 8, 210 ff. Siehe auch die Erläuterung bei Detterbeck, D Ö V 1990, 858 (861). 613

S i e h e die Nachw. bei Detterbeck,

D Ö V 1990, 858 (861).

6 1 4

So jetzt BVerwGE 79, 154 (156) unter ausdrücklicher Aufgabe seiner früheren, anderslautenden Rechtsprechung zu Art. 7 I V G G . 615 V g l . nur BVerfGE 62, 117 (153); 62, 256 (288 f.); 62, 374 (391); 64, 323 (366); BVerwG N J W 1990, 1866 (1866). So auch Detterbeck, D Ö V 1990, 858 (860 m . w. Nachw. in F N 17).

220

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

In diesem Zusammenhang wurde jedoch vom Bundesverwaltungsgericht eine allgemeine Leistungsklage „nach Maßgabe einer noch zu erlassenden verfassungsgemäßen Regelung" in die Diskussion eingebracht 6 1 6 . Sollte sich diese Konstruktion durchsetzen, wäre sie gemäß § 43 I I V w G O gegenüber der ansonsten hier aktivierbaren allgemeinen Feststellungsklage 617 (ζ. B. Klage auf Feststellung der Verpflichtung der Behörde, eine vom Gesetzgeber noch zu bestimmende Leistung an den Kläger zu erbringen 6 1 8 ) vorrangig. Welche Konzeption sich i m Laufe der Zeit — vor allem auch i m kritischen Schrifttum 6 1 9 — etablieren wird, bleibt abzuwarten. Es ist sogar schon vorgetragen worden, auch der „Maßgabe-Leistungsanspruch" (des BVerwG) müsse über die allgemeine Feststellungsklage prozessual umgesetzt werden 6 2 0 , wofür sich freilich in der fraglichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts keine unmittelbaren Anhaltspunkte finden 621. Jedenfalls kommt man nicht an der Feststellung vorbei, daß nach der maßgeblichen bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung heute eine verwaltungsgerichtliche Klagemöglichkeit jedenfalls nicht mangels adäquater Klageart ausscheidet.

616 B V e r w G E 79, 154 (157). Zu Unrecht meint Merten, DVB1. 1970, 701 (701) noch, dies sei unzulässiger vorbeugender Rechtsschutz. Die Beeinträchtigung des Klägers besteht jetzt schon, sie kann nur erst durch zukünftigen Normerlaß endgültig beseitigt werden. 6 1 7 Gemeint ist nicht die hier unzulässige, da verfassungsrechtliche prinzipale Klage auf Feststellung der Verpflichtung des Gesetzgebers zum Normerlaß! Siehe die Anmerkung oben S. 216. 618

B V e r w G N J W 1990, 1866 (1866); V G Sigmaringen, wiedergegeben und stillschweigend gebilligt in BVerfGE 68, 155 (168): Klage auf Feststellung der Verpflichtung der Behörde zur Zahlung eines Betrages, der nach geltendem Recht so — zu Unrecht — gesetzlich nicht vorgesehen war. Ahnlich schon für den untergesetzlichen Bereich O V G Berlin, DVB1. 1970, 700 (700): Klage auf Feststellung einer Personalratsbefugnis nach Maßgabe einer noch zu erlassenden V O . Dagegen noch ausdrücklich Merten, DVB1. 1970, 701 (701). 619

S i e h e ζ. B. Allesch, BayVBl. 1990, 120 (121); Detterbeck,

D Ö V 1990, 858 (863).

6 2 0

Detterbeck, D Ö V 1990, 858 (862) unter Berufung auf das Verfahren vor dem V G Sigmaringen, siehe oben F N 618 auf S. 220. 6 2 1 Eine derartige Feststellungsklage lag aber tatsächlich der bereits erwähnten Entscheidung des O V G Berlin, DVB1. 1970, 700 ff. für die Fallgruppe der untergesetzlichen Normen zugrunde.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

221

(b) Die Eröffnung der Möglichkeit der Richtervorlage gemäß A r t . 100 I GG durch die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Wie oben herausgearbeitet, hängt die Bejahung der Effektivität des inzidenten Rechtsschutzes maßgeblich von der Möglichkeit ab, über die Richtervorlage des Art. 100 I GG die i m laufenden Fachprozeß auftauchenden Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Verhaltens des formellen Gesetzgebers durch das Bundesverfassungsgericht klären zu lassen 6 2 2 .

(aa) Die Rechtslage nach der alten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Dies war früher bei unechtem Unterlassen des formellen Gesetzgebers ein problematischer Punkt: Zwar scheiterte in den Fällen des unechten Unterlassens die Richtervorlage nicht schon wie beim echten Unterlassen am Fehlen eines „vorlagefahigen Substrates". Denn ein formelles Gesetz, das vorgelegt werden könnte, war mit den als unvollständig beanstandeten gesetzlichen Regelungen durchaus gegeben. Allerdings ging man ursprünglich davon aus, daß die Zulässigkeit der konkreten Normenkontrolle wegen der mangelnden Entscheidungserheblichkeit zu verneinen s e i 6 2 3 : Wenn der angeblich zu Unrecht von der gesetzlichen Begünstigung ausgeschlossene Bürger auf Leistung klagte, gab es nach der älteren Rechtsprechung nur zwei Möglichkeiten. Entweder die begünstigende Norm war trotz ihrer „engen" Fassung verfassungsgemäß; dann war die Klage als unbegründet abzuweisen, da eine gesetzliche Anspruchsgrundlage für den Kläger nicht vorhanden war. Oder die begünstigende Norm war aus irgendeinem Grund tatsächlich verfassungswidrig; dann war die Klage trotzdem als unbegründet abzuweisen, da ein Leistungsanspruch mangels positiver (verfassungsgemäßer). Rechtsgrundlage von den Gerichten nicht zugesprochen werden konnte. 622 S i e h e die Konzeption der Subsidiaritätsrechtsprechung oben, S. 60 ff. Siehe auch die Feststellung oben, S. 216 f., daß die Fachgerichte ohne Vorlagemöglichkeit an das BVerfG keine bindende Verpflichtung des Gesetzgebers z u m Tätigwerden i m Rahmen der inzidenten Normenkontrolle erreichen können. 6 2 3

BVerfG E 1, 97 (103); 8, 28 (32 ff.); 9, 250 (254 f.); 14, 308 (311); 15, 46 (75 f.).

222

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Die Klage war also in beiden Fällen abzuweisen 624. Dann „kam" es aber auf die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes für den Ausgang dieses Prozesses „nicht an" i m Sinne des Art. 100 I G G 6 2 5 . Nur bei einer Konstellation konnte der zu Unrecht ausgeschlossene Kläger schon nach der alten Rechtsprechung via Art. 100 I GG zum Bundesverfassungsgericht gelangen: Wenn die Leistungsnorm i m Sinne eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses ausgestaltet war, so daß grundsätzlich alle begünstigt, aber bestimmte Personengruppen von der Begünstigung ausgenommen waren. Der dergestalt Ausgeschlossene konnte somit geltend machen, daß, wenn die Ausnahmeregelung als verfassungswidrig kassiert werden würde, er wie alle anderen begünstigt sei. Damit ist die Frage der rechtmäßigen Ausgrenzung des Klägers tatsächlich entscheidungserheblich. Es fragt sich allerdings, ob es sich bei dieser Fallvariante thematisch überhaupt noch um ein Problem des gesetzgeberischen Unterlassens handelt: Um einen Anspruch auf Tätigwerden des Gesetzgebers geht es im Gerichtsverfahren eigentlich n i c h t 6 2 6 . Der Gesetzgeber war j a schon tätig, nur ist seine Regelung in dieser Ausgestaltung rechtswidrig. Der Betroffene will dementsprechend ausschließlich eine (Teil-)Kassation einer schon bestehenden Ausschlußnorm. Gleichwohl wird die genannte Konstellation gewöhnlich i m Rahmen der Unterlassensproblematik abgehandelt 6 2 7 und soll daher auch hier nicht unerwähnt bleiben. Nach allem schied früher in Fällen relativen Unterlassens in der Regel die Vorlagemöglichkeit an das Bundesverfassungsgericht aus, was die unangenehme Konsequenz hatte, daß die Fachgerichte zum Teil „sehenden Auges" Klagen abweisen mußten, die materiell-verfassungsrechtlich berechtigte Begehren beinhalteten. Diese paradoxe Situation wurde noch dadurch verschärft, daß die Kläger gegen die abweisenden, letztinstanzlichen Urteile Urteilsverfassungsbesch werde einlegten. Das Bundesverfassungsgericht hob dann in der Folge die Urteile mit der Begründung auf, sie „'beruhten' in einem weiteren Sinn auf der gesetzlichen verfassungswidrigen Regelung" 6 2 8 , wohl wissend, daß 624

B V e r f G E 8, 1 (18 f.). So auch Zweigert, JZ 1952, 321 (323).

625

S t . Rspr.; vgl. nur BVerfGE 1, 97 (103); 15, 121 (125 f.).

626

D a s sieht zu Recht auch Schenke, VerwArch 82 (1991), S. 307 (323), ohne aber die

Konsequenz zu ziehen, von positivem normativen Unrecht zu sprechen. 627

Z u m Beispiel Detterbeck,

D Ö V 1990, 858 (861); Hövel, S. 118 f., der die Frage offen

läßt (S. 119); Schneider, AöR 89 (1964), S. 24 (27). 628

B V e r f G E 22, 349 (363) unter Bestätigung von BVerfGE 15, 46 (76 f.).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

223

die Gerichte gar nicht anders hätten entscheiden können 629. Die Gerichte, an die das Bundesverfassungsgericht die Sache nach Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Norm nach § 95 I BVerfGG zurückverwies, sollten dann die Verfahren aussetzen, bis der Gesetzgeber tätig geworden w a r 6 3 0 .

(bb) Die Rechtslage nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Diese schon früher festgestellte Pflicht der Fachgerichte, das Verfahren bis zum Tätigwerden des Gesetzgebers auszusetzen, hat das Bundesverfassungsgericht sich in seiner aktuellen Rechtsprechung zu A r t . 100 I GG zunutze gemacht, um die Entscheidungserheblichkeit der Richtervorlage doch bejahen zu können: Wenn die Fachgerichte bei Vorliegen einer verfassungswidrigen Ausgrenzung des Klägers das Verfahren bis zum Erlaß einer gesetzlichen Neuregelung aussetzen müßten, so sei gerade diese Verfahrensaussetzung eine andere Entscheidung als die Klageabweisung wegen festgestellter Gültigkeit der N o r m 6 3 1 . Diese Rechtsprechung ist nicht ohne Kritik geblieben, die zu Recht auf eine gefährliche „Nähe zu einem Zirkelschluß" verweist 6 3 2 : Denn eigentlich bekommt das Fachgericht j a erst durch die Endentscheidung des Bundesverfassungsgerichts bescheinigt, daß es das Verfahren bis zum Tätigwerden des Gesetzgebers aussetzen muß — und das auch nur, wenn die Vorlage begründet ist. Vorher muß es nach allgemeinen Prozeßregeln das Verfahren nicht aussetzen 633 , sondern die Klage in der oben aufgezeigten A r t und Weise 629 D i e s e Situation ist mehrfach als zumindest „fragwürdig" kritisiert worden, vgl. Detterbeck, D Ö V 1990, 858 (862); Dürig, Art. 3 Abs. I R N 360; Schenke, Rechtsschutz, S. 339 ff.; Schumann, AöR 88 (1963), S. 331 (332): „Kassation eines richtigen Urteils"; gegen diese Formulierung Schneider, A ö R 89 (1964), S. 24 (42 ff., insbes. S. 43 m . F N 34), der die Rspr. aber gleichfalls „ungereimt" findet. 630

B V e r f G E 22, 349 (363).

6 3 1

Z u m Beispiel BVerfGE 17, 210 (215 f.); 23, 74 (78); 23, 135 (142 f.); 49, 280 (282); 56, 1 (11); 64, 158 (167 f.); 68, 155 (169); 75, 49 (55); siehe auch BVerfGE 79, 245 (249). So jetzt ebenfalls B V e r w G E 79, 154 (156 f.). Jüngst BVerfGE 84, 233 (236 f.) und BVerfG N J W 1992, 423 (423). Zustimmend etwa Schiaich, R N 141; Stern, B K , Art. 93 R N 596 m. w. Nachw. 632

Detterbeck,

633

D Ö V 1990, 858 (862); Hövel, S. 119.

„ . . . e s gibt keine Aussetzung wegen Anhängigkeit einer Materie in der Legislative...": Bettermann, BVerfG u. G G I , S. 323 (361). Dagegen wiederum kritisch Ulsamer, BVerfGG, § 80 R N 139 (insbes. S. 116 m . F N 4). Siehe in diesem Zusammenhang auch ausführlich Söhn, Anwendungspflicht, S. 86 ff.

224

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

auf jeden Fall abweisen. Das heißt zu dem Zeitpunkt, zu dem der Fachrichter sich überlegt, ob er die Norm zulässigerweise vorlegen kann, und auch zu dem — wenigstens logischen — Zeitpunkt, zu dem das Bundesverfassungsgericht noch die Zulässigkeit der Vorlage prüft, besteht keine Entscheidungserheblichkeit 634 ; die Vorlage ist unzulässig. Trotz allen dogmatischen Unbehagens kann allerdings nicht übersehen werden, daß diese Rechtsprechung besonders dem Betroffenen einen entscheidenden Vorteil bringt: Kann er doch jetzt schon von der ersten Instanz an mit der Möglichkeit rechnen, über das konkrete Normenkontrollverfahren zügig zum Bundesverfassungsgericht zu gelangen, was ihm nach alter Rechtsprechung nicht möglich war. Diesen Vorteil kann nur derjenige leugnen, der auch bei relativem Unterlassen ausschließlich eine sofortige Verfassungsbeschwerde für adäquat hält und eine Rechtswegbeschreitung völlig a b l e h n t 6 3 5 . Diese Ansicht übersieht jedoch die Tatsache, daß das Bundesverfassungsgericht seine Vorgehensweise zur ständigen Rechtsprechung verdichtet hat und ihm dabei die Fachgerichte folgen 6 3 6 . Außerdem widerspricht sie den Erkenntnissen über die Aufgabenverteilung zwischen den Gerichtsbarkeiten nach der Subsidiaritätsrechtsprechung, insbesondere der Filterfunktion der Fachgerichte.

Zwischenergebnis und Entbehrlichkeit einer eigenständigen Zulässigkeitsvoraussetzung „Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde" Daher muß man heute bei der Fallgruppe des relativen Unterlassens des formellen Gesetzgebers von der Möglichkeit des anderweitigen fachgerichtlichen Rechtsschutzes ausgehen. Diese Möglichkeit steht nach der hier vertretenen Ansicht als Rechtsweg i m Sinne des Rechtswegerschöpfungsgebotes (§ 90 I I 1 BVerfGG) einer sofort erhobenen Verfassungsbeschwerde entgegen: Ebenso wie bei der inzidenten Normenkontrolle bei bereits erlassenen Gesetzen kann der Beschwerdeführer durch Einschaltung der Fachgerichte i m Rahmen einer „inzidenten Normergänzungsklage" eine Beseitigung der Rechts-,Verletzung" durch das Fachgericht erreichen. Dabei gilt wie bei den schon erlassenen (vollständigen) Gesetzen, daß einerseits die Möglichkeiten des Fachrichters zur Auslegung der unvollständigen Norm in Be634

D a h e r ablehnend Schenke, VerwArch 82 (1991), S. 307 (320 f.).

635

H o v e l , S. 120 f.

6 3 6

Vgl. ζ. B. B G H Z 100, 136 (143); B V e r w G E 79, 154 (156 f.).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

225

tracht zu ziehen sind, andererseits auch die Vorlage des A r t . 100 I GG als Ζ wischen verfahren eben des „Rechtsweges" i m Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG gelten m u ß 6 3 7 . Ein eigenständiges Zulässigkeitsmerkmal Subsidiaritätsprinzip ist hier wiederum nicht erforderlich und daher überflüssig. Natürlich gilt auch bei den Fällen des normativen Unterlassens der Subsidiaritätsgedanke (im weiteren Sinne) nur unter dem erwähnten Effett i vitäts- bzw. Zumutbarkeitsvorbehalt. Es kommt also auch hier wieder darauf an, ob im konkreten Einzelfall der fachgerichtliche Rechtsschutz zeitgerecht und rechtlich wirkungsvoll i s t 6 3 8 .

4. D i e Rückführung des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses auf seinen eigentlichen Aufgabenbereich a) Ausgangstage nach dem bisherigen Befund Bei der dargestellten Konzeption ergibt sich nach allem ein umfassender und ausschließlicher Regelungsbereich des Rechtswegerschöpfungsgebotes gemäß § 90 I I 1 BVerfGG für Fragen der Kompetenzverteilung zwischen Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit. Demnach bestätigt sich die schon bei der Diskussion der dogmatischen Aufhängung des Subsidiaritätsprinzips vorgetragene Ansicht, daß das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis zur Lösung des Problems der Verweisung an die Fachgerichte nichts beitragen kann 1 : Nicht nur verdrängt schon aus methodischen Gründen die positive Regelung des § 90 I I 1 BVerfGG den ungeschriebenen „Auffangtatbestand" 2 des Rechtsschutzbedürfnisses 3. Es hieße auch inhaltlich Aufgabe und Zielrichtung des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses verkennen, wollte man 6 3 7 Vgl. insoweit die hier „analog" heranziehbaren ausführlichen Erwägungen oben, S. 182 ff. 638

E i n Gegenbeispiel aus jüngerer Zeit bildet BVerfGE 78, 350 (355 f.): Ausschluß von kommunalen Wählervereinigungen von der steuerlichen Berücksichtigung von Spenden. S. auch noch S. 229 ff. 1 W i e hier ζ. B. Bachof, A ö R 86 (1961), S. 186 (189); Benda/Klein, R N 466; Detterbeck, Präventiver Rechtsschutz, S. 216 f.; Henning, S. 200; Hövel, S. 147; E . Klein, FS Zeidler I I , S. 1305 (1320); Schenke, N J W 1986, 1451 (1454 f.). 2

Z u c k , Verfassungsbeschwerde, R N 45.

3

D a s gilt auch und vor allem für die Autoren, die das Rechtswegerschöpfungsgebot als besondere Ausprägung des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses ansehen: Wenn m a n dem nämlich folgt — was nach der hier vertretenen Ansicht freilich abzulehnen ist — wäre § 90 I I 1 BVerfGG die Normierung eines besonderen Rechtsschutzbedürfnisses, 15 Wannke

226

C. U n t e r s u c h g der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

ihm die Kompetenz vert eilung zwischen den Gerichtsbarkeiten aufbürden. In diesem Zusammenhang kann auf die bereits oben gemachten Ausführungen verwiesen werden 4 . Hinzugefügt werden muß nach den inzwischen erarbeiteten Ergebnissen allerdings noch, daß dieses Vorrangverhältnis des Rechtswegerschöpfungsgebotes gegenüber dem Rechtsschutzbedürfnis auch bei den Normenverfassungsbeschwerden gilt, da nach der hier vertretenen Ansicht j a § 90 I I 1 BVerfGG auch beim Rechtsschutz gegen formelle Gesetze anwendbar i s t 5 . Die Aufgabenbereiche der beiden Zulässigkeitsvoraussetzungen sind also strikt voneinander zu trennen. Es bleibt daher nur noch, um nicht der Unart zu verfallen, einen Tatbestand ausschließlich negativ zu beschreiben, kurz 6 ins Gedächtnis zu rufen, welche Aufgaben das Rechtsschutzbedürfnis auch nach der hier vertretenen Ansicht unbestrittenermaßen übernimmt 7 . b) Die verbleibenden Aufgaben des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses Praktische Bedeutung hat das Rechtsschutzbedürfnis vor allem für die Fälle, in denen sich die Verfassungsbeschwerde erledigt hat und somit eigentlich abgewiesen werden müßte 8 . Es ist aber stets eine Frage des Einzelfalles, ob der Beschwerdeführer ausnahmsweise noch immer ein schutzwürdiges Interesse an einer Sachentscheidung h a t 9 . das i m Rahmen seines Geltungsbereichs den allgemeinen Tatbestand verdrängt. auch Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 596, als Anhänger dieser Ansicht. 4

So

Siehe oben, S. 79 ff.

5

Anders noch Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 599, der feststellt, daß das Rechtsschutzbedürfnis grundsätzlich fehlt, wenn eine mittelbare oder unmittelbare Normprüfung vor den Fachgerichten möglich ist. 6 Wegen der Einzelheiten kann auf die H a n d - und Lehrbücher des Verfassungsprozeßrechts und die einschlägigen Kommentare zum Grundgesetz und BVerfGG verwiesen werden: Z u m Beispiel Benda/Klein, R N 349 f., 516 ff.; Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I I R N 51; Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 R N 184 ff.; Stern, B K , A r t . 93 R N 727 ff.; Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 595 ff. Ziemlich kurz Schiaich, R N 248 f. 7 N u r Spanner, FS Jahrreiss, S. 411 (passim, insbes. 418 ff.) spricht sich überhaupt gegen eine allgemeine Sachurteilsvoraussetzung „ Rechtsschutzbedürfnis" i m Verfassungsbeschwerdeverfahren aus.

* Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 R N 184 stellt zutreffend fest, daß dies eigentlich der Regelfall ist. Jüngeres Beispiel: BVerfG N J W 1992, 550 (550). 9 Ausdrücklich BVerfGE 76, 1 (40); st. Rspr.; vgl. schon BVerfGE 33, 247 (257 f.); 43, 165 (180); 50, 244 (247 f.). Zustimmend Benda/Klein, R N 349.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

227

Ein solches schutzwürdiges Interesse kann ζ. B. dann gegeben sein, wenn die sich erledigende Maßnahme noch weiter nachwirkt 1 0 oder wenn Wiederholungsgefahr besteht 1 1 . Aufgrund der Aufgabe der Verfassungsbeschwerde als eines auch objektiven Verfassungsschutzinstituts 12 kann es ebenfalls auf das Gewicht des Grundrechts(-eingriffs) und auf die Klärungsbedürftigkeit grundsätzlicher Fragen ankommen 1 3 . Eine andere Aufgabe des Rechtsschutzbedürfnisses ist die Verschließung der Verfassungsbeschwerde in den Fällen, in denen ein anderes, spezielleres Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (ζ. B. Wahlprüfungsbeschwerde) gegeben i s t 1 4 1 5 .

10 Z u m Beispiel BVerfGE 15, 226 (230); 21, 378 (383); 22, 114 (118); 33, 247 (257 f.); 38, 386 (392); 44, 353 (367); 48, 300 (314 f.),; 50, 244 (247 f.); 51, 97 (105); 69, 161 (168); 79, 174 (189). Jüngst wohl auch BVerfG N J W 1992, 551 (551). Zustimmend Benda/Klein, R N 522; Stern, B K , A r t . 93 R N 733; Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 612. n Z u m Beispiel BVerfGE 10, 302 (308); 16, 119 (121); 21, 139 (143); 35, 1 (4); 35, 366 (373); 47, 198 (223 f.); 52, 54 (51 f.); 56, 99 (106); 69, 161 (168); 69, 257 (266); 76, 83 (89). Zustimmend Schiaich, R N 248; Stern, B K , Art. 93 R N 734; Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 611. 12 S o ausdrücklich BVerfGE 33, 247 (259 m . w. Nachw.); 51, 130 (139); 75, 318 (326). Zustimmend Benda/Klein, R N 350; Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 65 ff. 13 B V e r f G E 9, 89 (93 f.); 10, 302 (308); 15, 226 (230); 25, 256 (262); 32, 87 (92); 33, 247 (257); 42, 1 (5 f.); 47, 198 (223 f.); 49, 24 (52); 50, 244 (247 f.); 51, 97 (105); 58, 208 (219); 65, 317 (321); 69, 161 (168); 69, 315 (341); 74, 102 (115); 74, 163 (172 f.); 76, 83 (89); 76, 363 (381). Das gilt insbesondere, wenn gewisse Fallkonstellationen wegen der zeitlichen Kürze des Eingriffs (ζ. B. Wohnungsdurchsuchungen, Untersuchungshaft) sonst nie geklärt werden konnten, was zudem gegenüber den Betroffenen imbillig wäre, vgl. BVerfGE 34, 165 (180); 39, 258 (264); 41, 29 (43); 51, 268 (279); 52, 223 (235); 53, 30 (54 f.); 53, 152 (157); 74, 78 (79); 75, 318 (326); 76, 1 (38). Zustimmend Schiaich, R N 248; Stern, B K , Art. 93 R N 735; Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 609. 14 B V e r f G E 14, 154 (155); 28, 214 (218 ff.). Zustimmend Pestalozza, § 12 I I R N 51; Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 603.

VerfprozeßR,

15 B V e r f G E 30, 227 (230) hatte noch festgestellt, daß es „kein Ausschließlichkeitsverhältnis" zugunsten einer konkreten Normenkontrolle gebe, wenn der Kläger des Ausgangsverfahrens auch noch Normenverfassungsbeschwerde gegen die gleiche N o r m erhebe, die schon Gegenstand der Vorlage ist. Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis für die Verfassungsbeschwerde sei gleichwohl noch gegeben. D e m stimmt Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 605 anscheinend zu und vernachlässigt damit die einer solchen Großzügigkeit diametral entgegenstehende neuere Subsidiaritätsrechtsprechung: Wenn das Fachgericht bereits nach Art. 100 I G G vorgelegt hat, müßte einer vom gleichen Betroffenen gegen die gleiche Norm erhobenen Normenverfassungsbeschwerde nach der Rechtsprechung das Subsidiaritätsprinzip entgegenstehen (anderweitiger Fachgerichtsschutz ist möglich und zumutbar), nach der hier vertretenen Ansicht wäre der Rechtsweg noch nicht „erschöpft". Zur FVage des Rechtsschutzbedürfnisses käme m a n gar nicht!

228

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Schließlich dient das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis dazu, prozessualen Mißbrauch 1 6 von Institutionen und Rechten — etwa nach den Grundsätzen des venire contra factum p r o p r i u m 1 7 — zu sanktionieren 18 . Ob man die entgegenstehende Rechts- 1 9 oder Gesetzeskraft 20 früherer bundesverfassungsgerichtlicher Entscheidungen unter dem Topos des allgemeinen Rechtsschutz bed ürfnisses prüfen will, scheint Geschmackssache zu sein 2 1 . Es gibt aber m. E. eher Sinn, diese Prüfungspunkte selbständig zu behandeln 2 2 .

Zwischenergebnis

Auch nach Befreiung des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses von der Problematik der subsidiaritätsbedingten Verweisung des Beschwerdeführers auf den Fachgerichtsweg verbleiben für dieses sinnvolle Aufgabenbereiche. Es bleibt also dabei, daß die Kompetenzverteilung zwischen Verfassungsund Fachgerichtsbarkeit von § 90 I I 1 BVerfGG vorgenommen wird. Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis hat i m Rahmen der Subsidiaritätsproblematik (im weiteren Sinne) keine durch diese bedingte besonderen Aufgaben. 16 D a ß darunter nicht jeder „Bagatellfall" fällt, übersehen m . E . Benda/Klein, 524. W i e hier dagegen zu Recht Hövel, S. 160; Motzer, S. 84.

RN

17 Als Beispiel sei nochmals auf die in der F N 57 auf S. 119 dargestellte Entscheidung BVerfGE 68, 384 ff. verwiesen. W i e hier i m Ergebnis Bender, N J W 1988, 808 (809); Schiaich, R N 249. 1 8 BVerfG DVB1. 1981, 625. Hier gilt insoweit das gleiche wie in anderen Prozeßordnungen, vgl. Schellhammer, R N 150; Kopp, V w G O , vor § 40 R N 31; Schmitt Glaeser, R N 133. 19

Z u r Rechtskraft bundesverfassungsgerichtlicher Entscheidungen sehr anschaulich Detterbeck, A ö R 116 (1991), S. 391 (414 ff.). 20 2 1 2 2

Z u letzterer siehe § 31 I I BVerfGG und Gusy, Verfassungsbeschwerde R N 163 ff. Dafür anscheinend ζ. B. Stern, B K , A r t . 93 R N 727.

BVerfG E 78, 320 (328) stellt z. B. nicht auf das Rechtsschutzbedürfnis ab; ebenso z. B. für die Verfassungsbeschwerde Gusy, Verfassungsbeschwerde R N 163 ff.; Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I I R N 52; Pieroth/Schlink, R N 1269 f.; Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 606. Für den Zivilprozeß Schellhammer, R N 873 unter dem Schlagwort „Prozeßhindernis". Für den Verwaltungsprozeß Schmitt Glaeser, R N 111 ff. unter der allgemeinen Sachentscheidungsvoraussetzung „Fehlen einer rechtskräftigen Entscheidung in gleicher Sache"; ähnlich Kopp, V w G O , § 121 R N 10 m . w. Nachw.: „so ist die Klage i m neuen Prozeß ohne Sachprüfung wegen entgegenstehender Rechtskraft (als unzulässig) abzuweisen" (Klammereinschub i m Original).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

229

5. Grenzen u n d K o r r e k t i v e des Rechtswegerschöpfungsgebotes a) Die Ausgangslage Nachdem ausführlich festgestellt wurde, daß der Beschwerdeführer prinzipiell gehalten ist, zunächst fachgerichtlichen Rechtsschutz zu (ver-)suchen, muß nun das Augenmerk darauf gerichtet werden, wieweit dieses Prinzip i m Einzelfall gehen kann. Allgemeiner Konsens herrscht wohl insofern, als daß in unserem überaus stark ausgeprägten Rechtsstaat auf dem Hintergrund von Bestimmungen wie Art. 1 I I I , 19 I V , 20 I I I GG — aber auch der speziellen materiellen Grundrechte — niemand auf den Fachgerichtsweg verwiesen werden darf, wenn dies mangels jeglicher Aussicht auf Rechtsschutz einer Justizverweigerung gleichkäme 1 . So einmütig dieser Grundsatz auch bejaht wird — der „Teufel steckt wie so oft i m Detail", d. h. hier i m konkreten Einzelfall und dessen dogmatischer Durchdringung.

aa) Rekapitulierung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Wie bei der Darstellung der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung aufgezeigt wurde, setzt das Bundesverfassungsgericht die Einzelfallgerechtigkeit auf mehreren Prüfungsebenen durch: Auf der Ebene der Besch werdebefugnis steht das Unmittelbarkeitserfordernis unter einem Zumutbarkeitsvorbehalt 2 : Der Beschwerdeführer wird nicht auf die fachgerichtliche Anfechtung eines Vollzugsaktes verwiesen, wenn ihm dies nicht zuzumuten ist. Dieser Zumutbarkeitsvorbehalt gilt nach ständiger Rechtsprechung auch beim Rechtswegerschöpfungsgebot des § 90 I I 1 BVerfGG. Er t r i t t dort neben die ausdrücklich in § 90 I I 2 BVerfGG gesetzlich normierten Ausnahmen, die die sog. Vorabentscheidung in das Ermessen des Gerichts stellen 3 . 1 D a ß Rechtsverweigerung durch den Justizgewähranspruch des grundgesetzlichen Rechtsstaatsprinzips verboten ist, stellt auch Papier, Hdb. d. StaatsR V I , § 153 R N 17 fest. 2

Siehe dazu oben, S. 44 ff.

3

Siehe dazu oben, S. 54 ff.

230

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Des weiteren kennt das Bundesverfassungsgericht auch einen Zumutbarkeits vorbehält, wenn es um die Zulässigkeit der allgemeinen Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde geht. Hinzu kommt nach Ansicht des Gerichts das Absehen vom Subsidiaritätsprinzip, wenn kein „effektiver" Fachgerichtsschutz gegeben ist oder der „Zweck" des Subsidiaritätsgrundsatzes nicht erfüllt werden würde bzw. schon anders erfüllt ist. Eine weitere Ausnahme erscheint dem Bundesverfassungsgericht unter dem Gesichtspunkt der analogen Anwendung des § 90 I I 2 BVerfGG 4 möglich. Schließlich ebenfalls mit dem Effektivitäts- und Zumutbarkeitsgedanken befaßt sich das Bundesverfassungsgericht, wenn es feststellt, daß das allgemeine Rechtsschutzinteresse für eine Verfassungsbeschwerde gegeben sei, wenn der Beschwerdeführer vor den Fachgerichten keinen „ausreichenden Rechtsschutz" finden würde 5 . Betrachtet man sich die gerade beschriebene Vorgehensweise des Bundesverfassungsgerichts, so kommt auch der unbefangene Betrachter zu der Einsicht, daß hier auf allen Ebenen in etwa die gleichen Rechtsgedanken bemüht werden. Dieses Vorgehen ist aber die unausweichliche (?) Konsequenz einer schon konstatierten Schwäche der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung: Gemeint ist das unzutreffende Vermischen der Inhalte der Zulässigkeitsebenen „Beschwerdebefugnis", „Rechtswegerschöpfungsgebot" und „allgemeines Rechtsschutzbedürfnis" und die zusätzliche Erfindung eines nicht erforderlichen, mit § 90 I I 1 BVerfGG parallel laufenden Zulässigkeitsmerkmals „Subsidiaritätsprinzip". Wenn das Gericht den Beschwerdeführer i m Endeffekt auf jeder Ebene mit mehr oder weniger austauschbaren Begründungselementen an die Fachgerichte verweisen will, muß es auch auf jeder Ebene die aus Rechtsstaatsgründen erforderlichen Ausnahmen berücksichtigen.

bb) Die grundsätzliche Situation nach der hier vertretenen Konzeption Diese umständliche Vorgehensweise kann die hier vorgeschlagene Konzeption völlig vermeiden: Nach der Rückführung des Sinngehaltes der Beschwerdebefugnis auf den Ausschluß der Popularklage bei gleichzeitiger Reaktivierung der 4

Siehe dazu oben, S. 64 ff.

5

Siehe dazu oben, S. 67.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

231

ausdrücklichen Normierung des § 90 I BVerfGG besteht auf dieser Ebene überhaupt keine Veranlassung mehr für den oben genannten Zumutbarkeitsvorbehalt 6 . Der Beschwerdeführer wird bei Verneinung der Besch werdebefugnis j a gar nicht an die Fachgerichtsbarkeit verwiesen, sondern sozusagen „absolut abgewiesen". Gleiches gilt für das oben erarbeitete Ergebnis, daß die Verweisung des Beschwerdeführers an die Fachgerichtsbarkeit keine Frage des allgemeinen Rechtsschutzinteresses ist, so daß auch insoweit keine Veranlassung zur Bereitstellung eines Korrektivs besteht. Weiterhin ergibt sich nach der vorgeschlagenen Lösung nicht das Problem, daß man beim Rechtswegerschöpfungsgebot und beim Subsidiaritätsgrundsatz praktisch die gleichen Ausnahmen prüfen muß. Denn nach der hier vertretenen Konzeption stellt § 90 II 1 BVerfGG alsumfassende, sozusagen „leistungsstarke" Zulässigkeitsvoraussetzung die einzige Möglichkeit dar, den Beschwerdeführer an die Fachgerichte zu verweisen. Der von der Rechtsprechung dem Subsidiaritätsprinzip zugewiesene Aufgabenbereich wird, soweit i m einzelnen den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts überhaupt gefolgt werden kann, in Gänze von § 90 I I 1 BVerfGG vereinnahmt 7 . Es zeigt sich im besonderen die vereinfachende Wirkung der vorgeschlagenen Konzeption: Die prinzipielle Vorrangigkeit der Fachgerichtsbarkeit wird nur einmal i m Rahmen des § 90 I I 1 BVerfGG konstatiert. Damit muß aber folgerichtig überhaupt nur einmal ζ. B. die Zumutbarkeit der Rechtswegerschöpfung diskutiert werden, und es stellt sich auch nur einmal die Frage der Vorabentscheidung des § 90 I I 2 BVerfGG. Dies gilt — und das sei noch einmal nachdrücklich hervorgehoben — auch für Normen Verfassungsbeschwerden, da nach dem Erarbeiteten auch für diese § 90 I I 1 BVerfGG die einschlägige Kompetenzverteilungsnorm ist 8 . Bei der Vorabentscheidung taucht dann auch das Problem einer Analogie nicht auf, da man sich thematisch die ganze Zeit i m unmittelbaren Regelungskreis des § 90 I I 1 BVerfGG bewegt, auf den der § 90 I I 2 BVerfGG seinerseits direkt zugeschnitten ist. Die Abgrenzung der „Zumutbarkeit der Rechts wegerschöpfung i. e. S." von der „Zumutbarkeit der Inanspruchnahme anderweitigen Fachgerichts6

I m Ergebnis ebenso Schenke N J W 1986, 1451 (1459).

7

Siehe dazu die Zwischenergebnisse oben S. 125 f., 196, 224.

8 Ebenso Gerontas, D Ö V 1982, 440 (447); Pieroth, DVB1. 1974, 195 (196). Daß dies konsequent ist, gibt auch Hövel, S. 91, zu.

232

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

schutzes i. w. S." bleibt der hier vertretenen Ansicht daher ebenso erspart wie der Versuch, eine „Vorabentscheidung gemäß § 90 I I 2 BVerfGG" gegenüber einer „Vorabentscheidung analog § 90 I I 2 BVerfGG" abzuschichten.

Daß dies ein hoffnungsloses Unterfangen wäre, zeigt sich schon daran, daß in der Literatur dem Problem des Verhältnisses der Korrektive untereinander überwiegend ausgewichen wird. In der Regel beschränken sich die Autoren bei den „Ausnahmen" zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen auf kommentarlose Wiedergabe der Kasuistik, auch wenn sie sonst teilweise Zweifel an der Rechtsprechung äußern 9 .

Zwischenergebnis Die hier vertretene Konzeption führt durch die Ausschaltung vermeintlicher „Konkurrenzen" beim Subsidiaritätsgrundsatz zu einer erheblichen Vereinfachung und damit zu einer verbesserten Übersichtlichkeit. Damit verbleibt für das vorliegende Kapitel „nur" noch die Aufgabe, auf der Grundlage der Erkenntnisse des Bundesverfassungsgerichts das Verhältnis der ungeschriebenen Korrektive (Effektivitäts-, Zweck- und Zumutbarkeitsvorbehalt) zu der Vorabentscheidung nach § 90 I I 2 BVerfGG zu überprüfen und gegebenenfalls Klarstellungen vorzunehmen.

b) Die mangelnde Konturiertheit der Korrektive des Rechtswegerschöpfungsgebotes nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerich ts Das Bundesverfassungsgericht stellt also die Verweisung des Beschwerdeführers an die Fachgerichte i m Rahmen des über den § 90 I I 1 BVerfGG hinausgehenden „Subsidiaritätsprinzips" unter den Vorbehalt des „effektiven" anderweitigen Rechtsschutzes, einen „Zweck-" und einen „Zumutbarkeitsvorbehalt". Letzerer taucht auch in der Rechtsprechung zum Rechtswegerschöpfungsgebot i m Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG selbst auf. 9

V g l . ζ. B. Gusy, Verfassungsbeschwerde, R N 124; Pestalozzi VerfprozeßR, § 12 I I R N 49; Schiaich, R N 230 ff.; Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 587, 642. Auch die ausfuhrliche Untersuchung von Preis, Z G 1988,319 ff. behandelt die (Un-)Zumutbarkeit eigentlich nur aus dem Blickwinkel der gesetzgeberischen Praxis. Gleichwohl sind einige Gedanken i m vorliegenden Zusammenhang aktivierbar, wie später noch zu sehen sein wird.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

233

Natürlich sollen durch den „Effektivitäts-" und „Zumutbarkeitsvorbehalt" (anders beim Ζ weck vorbehält 1 0 ) i m Ergebnis vor allem unbillige Härten i m Einzelfall ausgeschlossen werden 1 1 . Ob irgendeine Anforderung ζ. B. zu „unzumutbaren" Belastungen beim Betroffenen führt, kann nach der Natur der Sache von sehr unterschiedlichen — zum Teil auch unvorhergesehenen — Umständen abhängen. Selten sind zwei Sachverhalte genau gleich, so daß es als müßig und eventuell sogar verfehlt erscheinen mag, den Inhalt des Zumutbarkeitsvorbehaltes über den konkret zu entscheidenden Fall hinaus abstrakt festlegen zu wollen. Wenn man nicht die Durchsetzung der Einzelfallgerechtigkeit gefährden will, muß man sich daher vor übertrieben rigiden Definitionen h ü t e n 1 2 . Darum geht es aber auch gar nicht. Kritisch zu beleuchten ist vielmehr die dogmatische Stellung der ungeschriebenen Korrektive in der Zulässigkeitsprüfung, die allerdings durch deren Inhalte bedingt ist, so daß diese im Mittelpunkt des Interesses stehen. Dabei weisen die ungeschriebenen Vorbehalte bei näherem Hinsehen durchaus Probleme auf, die sich schon aus deren unkonturierten Begrifflichkeiten und dem ungeklärten Verhältnis untereinander ergeben 13 und sich besonders in ihrem Verhältnis zu § 90 I I 2 BVerfGG manifestieren. I m folgenden ist — ähnlich wie bei der Feststellung der Reichweite des Rechtswegerschöpfungsgebotes — zu prüfen, ob es der ungeschriebenen Korrektive überhaupt bedarf oder ob man nicht die Prüfung durch Einordnung ihrer Inhalte in die gesetzliche Regelung (§ 90 I I 1, 2 BVerfGG) vereinfachen kann. Vor allem gilt auch hier, daß Auslöser für Verunsicherung des Rechtsverkehrs durch sich überschneidende bzw. unkonturierbare Topoi möglichst zu beseitigen sind. Es muß allerdings noch einmal betont werden, daß das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen immer sehr deutlich — gliederungsmäßig und sprachlich — zwischen der Feststellung der prinzipiellen Verweisung des Beschwerdeführers an die fachgerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten (egal unter welchem Prüfungspunkt) und dem ausnahmsweisen Absehen von dieser Verweisung t r e n n t 1 4 . Man könnte also 10

S i e h e unten, S. 242 f.

11

Hövel, S. 92, spricht allerdings von „Praktikabilitätserwägungen".

12

Hövel, S. 91: E i n „individueller Maßstab" „anhand der Verhältnisse des Beschwerdeführers" ist anzulegen. 13

Daß sich auch a m BVerfG selbst gelegentlich Uneinigkeit über den Maßstab verbreitet, der an die (Un-)Zumutbarkeit anzulegen ist, zeigt sehr schon die dise. op. des Richters Katzenstein in BVerfGE 72, 39 (49 f.), die m. E. zu Recht mehr auf die Person der Bf. abstellt als die Mehrheit. 14

S i e h e ζ. B. BVerfGE 78, 155 (159 ff.).

234

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

sagen, daß es immer eine „Regeltatbestands-Ebene" und eine nachgeschaltete „Korrektiv-" oder „Ausnahmeebene" gibt. Dies erscheint als Ausgangslage für die folgenden Überlegungen merkenswert.

aa) Das unklare Verhältnis des Zumutbarkeitsvorbehaltes zu § 90 I I 2 BVerfGG Wichtigstes Korrektiv ist der schon behandelte Zumutbarkeitsgedanke. Bei der „Zumutbarkeit" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff 15 , dessen Nachteil der Unbestimmtheit in Kauf genommen wird, um das Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit effektuieren zu können 1 6 . Dabei ist „Zumutbarkeit" in der Regel zunächst einmal ein Billigkeitstopos 17 , der eine Pflichten- und Belastungsgrenze markieren soll 1 8 . Darüber hinaus „besteht eine bemerkenswerte Diskrepanz zwischen der Häufigkeit der Begriffsverwendung und der Kenntnis über die materielle Substanz des Begriffes" 19 . Das kann nicht weiter verwundern, da es inzwischen wohl allgemeiner Ansicht entspricht, daß Inhalt und Maßstab des Zumutbarkeitsbegriffes rechtlich nicht faßbar s i n d 2 0 . 15 Z a c h e r , BVerfG u. G G I , S. 396 (428 f.), der den BegrifTauch „ausfüllungsbedürftige Generalklausel" nennt (S. 429). U n d zwar handelt es sich u m einen sog. „normativen bzw. wertungsausfüllungsbedürftigen" Begriff i m Gegensatz zu den „empirischen bzw. deskriptiven" Begriffen; vgl. dazu z. B. Ericbsen, in: Erichsen/Martens, § 10 I I 1; Larenz, S. 288 ff. Gelegentlich wird auch vom „unbestimmten Gesetzesbegriff" gesprochen, vgl. z. B. Preis, Z G 1988, 319 (passim). 16 S o auch Benda/Klein, R N 418; Maurer, FS Kern, S. 275 (287); Ossenbühl, FS Gesellsch. f. Rechtspolitik, S. 315 (315); Preis, Z G 1988, 319 (320, 321,322 m . w. Nachw. in F N 22). 17 L a r e n z , S. 289, 291 f.; Gusy, Verfassungsbeschwerde, R N 151 f. deutet die Zumutbarkeit als Schikaneverbot und Opportunitätsentscheidung; Redelberger, N J W 1953, 361 (365) entnimmt die Zumutbarkeit dem Grundsatz von Treu und Glauben. Das BVerfG benützt ihn in anderen — hier nicht interessierenden — Zusammenhängen auch als Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsprinzips, vgl. d. Nachw. bei Ossenbühl, FS Gesellsch. f. Rechtspolitik, S. 315 (316 f.) und Preis, Z G 1988, 319 (320 in F N 6). 18 Ossenbühl, FS Gesellsch. f. Rechtspolitik, S. 315 (315); diese Grenze ist allerdings keineswegs „starr oder absolut bestimmbar, sondern auch durch A r t und Gewicht der auferlegten Pflichten und Lasten beeinflußt" (ebenda, S. 321). 19

Preis,

20

Z G 1988, 319 (320).

G u s y , Verfassungsbeschwerde, R N 152. Vgl. auch die ausführliche Untersuchung von Preis, Z G 1988, 319 ff. und die umfangreichen Hinw. auf die Autoren, die z u m gleichen Ergebnis gekommen sind, ebenda, S. 326 in F N 46 u. 47. Ebenso Ossenbühl, FS Gesellsch. f. Rechtspolitik, S. 315 (318): „Das Unzumutbare entzieht sich einer abstraktgenerellen Definition, weil es seine Ursachen und Gründe in der nicht generalisierbaren Situation des einzelnen Betroffenen findet".

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

235

aaa) Ausgangslage nach der Rechtsprechung Nun hat sich die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung zum „Zumutbarkeitsvorbehalt" nicht zuletzt deswegen entwickelt (bzw. entwickeln müssen?), weil die Bestimmung des § 90 I I 2 BVerfGG besonders in zwei Richtungen überaus restriktiv ausgelegt wurde. Erstens wurde § 90 I I 2 BVerfGG wie auch das Rechtswegerschöpfungsgebot in § 90 I I 1 BVerfGG für auf Normen Verfassungsbeschwerden nicht anwendbar gehalten 2 1 , so daß gerade die Verfassungsbeschwerdeart ihres gesetzlichen Korrektivs beraubt wurde 2 2 , bei der die Ausnahmen u. U. schon aus rechtspolitischen Gründen am wichtigsten wären. Diese Restriktion des § 90 I I 2 BVerfGG kann hier jedoch schon nicht mehr zur Irritation beitragen, da schon ausführlich festgestellt wurde, daß § 90 I I 1 BVerfGG sehr wohl auf Rechtssatz Verfassungsbesch werden anzuwenden ist. Das gilt dann naturgemäß auch für § 90 I I 2 BVerfGG 2 3 . Zweitens ist es ständige Rechtsprechung, daß für eine Vorabentscheidung nach § 90 I I 2 Variante 2 BVerfGG der Rechtsweg „bereits beschritten oder wenigstens noch beschreitbar" sein m u ß 2 4 . Das Bundesverfassungsgericht wollte diesen auch in der Literatur allgemein nicht angezweifelten Befund offenbar nicht umstoßen 25 . Es mußte daher in den Fällen, in denen ein Rechtsweg nicht mehr beschritten werden konnte, einen anderen „Ausweg" finden, wenn das Ergebnis ansonsten unbillig gewesen wäre (insbesondere weil das Bundesverfassungsgericht gerade erst selbst den zu beschreitenden Rechtsweg „erfunden" h a t t e 2 6 ) .

21

BVerfGE 2, 292 (295); 3, 34 (36); 15, 126 (132).

22

D a ß in diese Lücke dann der Zumutbarkeitsvorbehalt einspringt, gibt BVerfGE 70, 180 (186) ausdrücklich zu. W i e die Praxis des BVerfG zeigt, ergibt sich i m übrigen bei Urteilsverfassungsbeschwerden oder Verfassungsbeschwerden gegen Exekutivakte nur sehr selten Bedarf für ein Absehen von der Recht s wegerschöpfung. 23

E b e n s o jüngst (aus Versehen?) BVerfGE 83, 162 (171); 84, 133 (144). W i e hier Gerontas, D Ö V 1982, 440 (447); Pieroth, DVB1. 1974, 195 (196). 24 B V e r f G E 22, 349 (354 ff.); 56, 54 (69). Vgl. auch die umfangreichen Nachw. bei Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 R N 204. Dagegen muß bei § 90 I I 2 Variante 1 BVerfGG der Rechtsweg nicht beschritten sein, vgl. ζ. B. jüngst BVerfGE 84, 90 (116). Ebenso schon BVerfGE 10, 302 (308 f.), in der allerdings auch Zumutbarkeitsaspekte herangezogen werden. 25 Z u m Beispiel Benda/Klein, R N 544; Gusy, Verfassungsbeschwerde, R N 156; Hövel, S. 91; E. Klein, FS Zeidler I I , S. 1305 (1321); Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I I R N 49. 26

S i e h e die Nachw. oben, S. 127 ff.

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C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

bbb) Die Fallgruppen Demnach gibt es folgende Fallgruppen: • Fallgruppe 1: Der Beschwerdeführer beschreitet den Rechtsweg schon und erhebt parallel Verfassungsbeschwerde in der Hoffnung auf eine Vorabentscheidung gem. § 90 I I 2 BVerfGG. • Fallgruppe 2: Der Beschwerdeführer hat den Rechtsweg noch nicht beschritten, kann dies aber noch nachholen, da die entsprechenden Klagefristen zur Zeit der Beschwerdeeinlegung noch laufen. • Fallgruppe 3: Der Beschwerdeführer hat den Rechtsweg nicht beschritten; dies ist aber auch nicht mehr möglich, da die entsprechenden Fristen verstrichen sind.

(1) Zu Fallgruppe 1 In der Fallgruppe 1 ist § 90 I I 2 BVerfGG unproblematisch anwendbar, da der Beschwerdeführer tatsächlich eine Beteiligung in einem Fachgerichtsverfahren vorweisen kann: Beschreitet der Beschwerdeführer also den Rechtsweg, kann er vor dessen vollständiger Erschöpfung versuchen, ob er nicht eine Vorabentscheidung gemäß § 90 I I 2 BVerfGG erreichen kann. Das Bundesverfassungsgericht hat bei seiner Entscheidung über die Annahme das ihm gesetzlich eingeräumte Ermessen. Dieses Ermessen kann dem Beschwerdeführer nicht viel schaden, da er j a die eingelegten fachgerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten ebenfalls als Sicherheit hat. Problematisch sind demnach vor allem die Fälle, in denen der Beschwerdeführer bei Einlegung der Verfassungsbeschwerde fachgerichtlich (noch) nichts getan hat.

(2) Zu Fallgruppe 2 In der Fallgruppe 2 könnte die oben genannte restriktive Auslegung des § 90 I I 2 BVerfGG schon die erste Auswirkung haben, da der Beschwerdeführer den Rechtsweg noch nicht beschritten hat. Das Bundesverfassungsgericht hat bei seiner ansonsten strengen Handhabung des § 90 I I 2 BVerfGG aber insofern Großzügigkeit walten lassen

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

237

und will nur die Versäumung an sich gegebener Rechtsmittel sanktionieren. Wenn diese aber nicht versäumt sind, sondern nach einem Hinweis der Präsidialräte noch eingelegt werden könnten, ist die Gefahr der Inanspruchnahme als „Ersatzgericht" gebannt und das Gericht zieht die Vorabentscheidung bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen in Erwägung. Es ist natürlich darauf hinzuweisen, daß der Beschwerdeführer nach der genannten Rechtsprechung nicht riskieren darf, daß er durch Zeitablauf die Fristen versäumt, denn dann fällt er automatisch unter die 3. Fallgruppe 2 7 , was auch noch nach Einlegung der Verfassungsbeschwerde negative Folgen haben kann 2 8 .

(3) Zu Fallgruppe 3 Bei der Fallgruppe 3 nun ist die Haltung des Bundesverfassungsgerichts in ständiger Rechtsprechung ziemlich eindeutig: der Beschwerdeführer kann sich nicht auf § 90 I I 2 BVerfGG berufen, wenn er den Rechtsweg nicht mehr beschreiten kann. Hinter der bundesverfassungsgerichtlichen Ansicht dürfte sich vor allem die Vorstellung verbergen, daß sich schon aus § 90 II 1 BVerfGG ergibt, daß der Beschwerdeführer einen gegebenen Rechtsweg „rechtzeitig, vollständig und sorgfaltig" beschreiten m u ß 2 9 . Diese Forderung will das Bundesverfassungsgericht m i t einer entsprechend restriktiven Auslegung des § 90 I I 2 BVerfGG unterstützen: Es soll die prinzipielle Verweisung an die Fachgerichte nicht durch Eröffnung einer „Hintertüre" aufgeweicht werden. Eigentlich müßte man daher bei der Fallgruppe 3 zu dem Ergebnis kommen, daß die Versäumung der fachgerichtlichen Klagefrist zur Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde schon wegen Verstoßes gegen das Rechtswegerschöpfungsgebot des § 90 II 1 BVerfGG führt. Das Bundesverfassungsgericht nimmt allerdings i m Rahmen der Fallgruppe 3 wiederum eine Differenzierung vor: Bei einigen Beschwerdeführern ist das Gericht der gerade genannten Ansicht, daß die Verfassungsbeschwerde wegen mangelnder Rechtsweg27

S i e h e auch d. Nachw. bei Gusy, Verfassungsbeschwerde, R N 156.

28

V g l . ζ. B. BVerfGE 79, 275 (279 ff.).

29

S i e h e die Nachw., S. 49 f.

238

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

erschöpfung unzulässig sei, da in diesen Fällen die Verweisung auf den Fachgerichtsschutz „zugemutet"" werden konnte 3 0 . Bei anderen Beschwerdeführern stellt das Bundesverfassungsgericht zwar auch fest, daß der Rechtsweg gar nicht beschritten wurde, dies sei aber im konkreten Fall unschädlich, weil Inanspruchnahme fachgerichtlichen Rechtsschutzes ohnehin „unzumutbar" gewesen wäre 3 1 . Unabhängig von der Frage, ob diese Differenzierung i m Einzelfall Sachlage tatsächlich entsprochen hat — was zu bejahen sein dürfte wird erkennbar, daß eigentlich nur in dieser dritten Fallkonstellation „Zumutbarkeit" eine relevante Funktion im Sinne einer Ergänzung geschriebenen Prozeßrechts erlangt.

der —, die des

Die Vorgehensweise des Gerichts führt allerdings unter mehreren Gesichtspunkten zu dogmatischen Problemen: ccc) „Zumutbarkeit" als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 90 II 1 BVerfGG? § 90 I I 2 Variante 2 BVerfGG eröffnet dem Bundesverfassungsgericht neben einem Beurteilungsspielraum bezüglich des Vorliegens „schwerer und unabwendbarer Nachteile" auch ein Ermessen („kann"), von der Rechtswegerschöpfung abzusehen. Dabei wird das Bundesverfassungsgericht auch die Angemessenheit der Bevorzugung der Verfassungsbeschwerde vor anderen anhängigen Verfahren zu berücksichtigen haben 3 2 . Da das Bundesverfassungsgericht andererseits den Zumutbarkeitsvorbehalt ausdrücklich außerhalb des Bereichs des § 90 I I 2 BVerfGG anwendet 33 , ist von anderer Seite bereits gefolgert worden, es handele sich um ein ungeschriebenes negatives Tatbestandsmerkmal des § 90 I I 1 BVerfGG, das damit schon das Rechtswegerschöpfungsgebot objektiv eingrenzen würde 3 4 . Sollte dies zu bejahen sein, hätte das Bundesverfassungsgericht bei „Unzumutbarkeit" der Fachgerichtsanrufung zwar bezüglich dieser Feststel30

Z u m Beispiel BVerfGE 70, 180 (187); 74, 69 (77); 79, 1 (22); 79, 29 (38); 80, 40 (47). 31 Vgl. ζ. B. BVerfGE 75, 108 (145); 75, 246 (264); 77, 84 (100); 77, 275 (282 f.); 83, 162 (171). 32

B V e r f G E 8, 38 (40). Zustimmend Benda/Klein,

33

V g l . nur BVerfGE 22, 349 (355); 70, 180 (186).

R N 541.

34 Erichsen, J U R A 1979, 335 (336); E. Klein, A ö R 108 (1983), S. 561 (595); ders., FS Zeidler I I , S. 1305 (1306). Ebenso wohl Dorr, R N 223 ff., wenn er den Zumutbarkeitsvorbehält im Rahmen der Tatbestandsmerkmale des § 90 I I 1 BVerfGG bespricht.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

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lung noch einen Beurteilungsspielraum (auf der Tatbestandsseite), aber kein Ermessen (auf der Rechtsfolgenseite) mehr: Wäre ein „zumutbarer Rechtsweg" i m Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG nicht gegeben, gäbe es keine Möglichkeit mehr, den Beschwerdeführer an die Fachgerichte zu verweisen 35 . Das Bundesverfassungsgericht wäre bei Vorliegen der übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen gezwungen, die Verfassungsbeschwerde anzunehmen 36 , was einen Wertungswiderspruch zur Regelung des § 90 I I 2 BVerfGG darstellt. Die Klassifizierung des Zumutbarkeitsvorbehaltes als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal hat aber auch noch eine andere Folge: Man müßte schon bei der Prüfung, ob ein „Rechtsweg" bei den Fachgerichten i m Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG gegeben ist, nur noch „zumutbare" Rechtswege gelten lassen. Dann stellt sich die Frage, wo überhaupt noch ein eigenständiger Anwendungsbereich des § 90 I I 2 BVerfGG mit seiner Variante „schwerer und unabwendbarer Nachteil" liegen soll. Denn wenn das Zwischenergebnis lautet, daß der Beschwerdeführer zunächst einen Rechtsweg i m Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG erschöpfen könne — bzw. prinzipiell müsse — und ihm dies auch zuzumuten sei, dann bleibt wegen dieses positiven Zumutbarkeitsbefundes nicht mehr viel Raum für eine Vorabentscheidung wegen „schweren und unabwendbaren Nachteils". Diese wäre nur noch möglich, wenn es Fälle gäbe, in denen die Rechtswegerschöpfung im Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG theoretisch erst einmal „zumutbar" wäre, aber auf der Ausnahmeebene über den „schweren und unabwendbaren Nachteil" korrigierend eingegriffen werden müßte. Es erscheint allerdings als durchaus fraglich, ob nicht bei Vorliegen von „schweren und unabwendbaren Nachteilen" die Rechtswegerschöpfung immer schon „unzumutbar" ist, so daß diese beiden Rechtsbegriffe i m Normalfall parallel laufen 37. 3 5 Wenn man nicht wieder in die Unart der Heranziehung des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses als „letzten Notanker" zurückfallen will. 36 37

S o i. E. auch E. Klein, FS Zeidler, S. 1305 (1322).

S o auch Schenke, N J W 1986, 1451 (1459); Hövel, S. 91: „'schwerer und unabwendbarer Nachteil' (spricht) subjektive Zumutbarkeitsgedanken an"; der wenig später vorgenommene Versuch einer Differenzierung (S. 93) kann nicht überzeugen. W i e hier auch Lerche, FS Jurist. Gesellschaft, S. 369 (376): Zumutbarkeit ist „...nichts anderes als das Gedankengut des § 90 I I 2 BVerfGG in etwas näherer Gestalt", ebenda, S. 374: „die Gedanken der Zumutbarkeit...sich spiegelnd in der Rechtsfigur des schweren und unabwendbaren Nachteils". Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 R N 206: „...hier lediglich zu prüfen..., ob es dem Beschwerdeführer zugemutet werden kann...".

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C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Sollten sie aber tatsächlich parallel laufen, hätten wir das angedeutete Ergebnis, daß es auf § 90 I I 2 Variante 2 BVerfGG nie ankäme. In diesen Fällen müßte immer schon auf der Tatbestandsebene des § 90 I I 1 BVerfGG mangels zumutbaren Rechtsweges festgestellt werden, daß die Verfassungsbeschwerde direkt eingelegt werden kann. Dann ergäbe sich das einigermaßen unbefriedigende Ergebnis, daß ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal einen geschriebenen Tatbestand verdrängen würde.

ddd) Die Behandlung des „Zumutbarkeitsvorbehaltes" als eigenständiges Korrektiv auf der Ausnahmeebene durch das Bundesverfassungsgericht Auch über die Konzeption des Bundesverfassungsgerichts (Behandlung des Zumutbarkeitsvorbehaltes auf der Ausnahmeebene) läßt sich das widersprüchliche Verhältnis nicht ganz klären. Zwar lehnt das Bundesverfassungsgericht vereinzelt auf der Ausnahmeebene zunächst den § 90 I I 2 BVerfGG ab, wenn der Rechtsweg nicht beschritten wurde und auch nicht mehr beschritten werden kann, und kommt erst dann zur Prüfung des Zumutbarkeitsvorbehalts 38 . Damit soll der Zumutbarkeitsgedanke als Ausnahme eingeordnet werden, die den Regelungsbereich des § 90 I I 2 BVerfGG ergänzt. M i t dieser demonstrativen Arbeitsteilung der beiden Ausnahmen innerhalb der Ausnahmeebene wird aber der Widerspruch nur überdeckt. Es bleibt nämlich dabei, daß es auch nach der Vorgehensweise des Bundesverfassungsgerichts zu Konstellationen kommen kann, bei denen i m Falle eines bereits beschrittenen Rechtsweges das Gericht ein Ermessen hat, bei noch nicht beschrittenem Rechtsweg dagegen Annahmepflicht bei „Unzumutbarkeit" des Fachgerichtsschutzes herrscht 3 9 . Denn wenn sogar das „Beschreiten" des Rechtsweges unzumutbar ist, kann der Verfassungsbeschwerde — bei Vorliegen der übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen — nichts mehr entgegengesetzt werden; sie muß vielmehr direkt zulässig sein. Das heißt aber auch, daß i m Einzelfall der das Subsidiaritätsprinzip ernst nehmende und fachgerichtlich klagende Beschwerdeführer „schlechter" gestellt wird (wenn das Bundesverfassungsgericht sein Ermessen i m Rahmen des § 90 I I 2 BVerfGG gebraucht) als der fachgerichtlichen Rechts38

Z u m Beispiel ausdrücklich BVerfGE 22, 349 (354 f.); 78, 290 (305).

39

K r i t i s c h daher ζ. B. Lerche, FS Jurist. Gesellschaft, S. 369 (374 f.).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

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schütz unversucht lassende Beschwerdeführer, der einen echten Anspruch auf Sachentscheidung durch das Bundesverfassungsgericht h a t 4 0 .

bb) Das unklare Verhältnis zwischen Zumutbarkeits- und Effektivitätsvorbehalt Darüber hinaus ist insbesondere unklar, in welchem Verhältnis der Zumutbarkeitsvorbehalt zum oft i m gleichen Atemzug genannten Effektivitätsvorbehalt steht. Zum Beispiel verneint das Gericht gelegentlich neben der „subjektiven Zumutbarkeit" die „objektive Gebotenheit" der Rechtswegbeschreitung 41 . Auch wird gelegentlich vom Gericht festgestellt, daß eine Verweisung an die Fachgerichtsbarkeit nur dann in Frage komme, wenn es „möglich und zumutbar" 4 2 sei, Rechtsschutz durch die Fachgerichte zu suchen. In diesem Zusammenhang wird dann formuliert, daß der Beschwerdeführer einen „ i n tatsächlicher, rechtlicher und zeitlicher Hinsicht vollständigen und wirkungsvollen fachgerichtlichen Rechtsschutz im Sinne des A r t . 19 I V 1 G G " erlangen können m u ß 4 3 . Andererseits findet man auch die Argumentation, die Rechtswegbeschreitung sei „unzumutbar", weil sie sowohl „aussichtlos als auch ungeeignet" sei 4 4 . Die Grenzen zwischen Effektivitäts- und Zumutbarkeitvorbehalt scheinen also zumindest teilweise fließend zu sein, wenn es darum geht, daß einem Beschwerdeführer aus rechtsstaatlichen Gründen überhaupt nur ein „effektiver" Rechtsweg „zugemutet" werden kann. Auch das Bundesverfassungsgericht trennt zuweilen die Gesichtspunkte nicht strikt, wie sich aus den wiedergegebenen Zitaten entnehmen läßt. Trotzdem könnte man wohl den Versuch unternehmen, tendenzielle Unterschiede hervorzuheben: Den Hauptunterschied könnte man dabei in dem gegenüber dem Zumutbarkeitsgedanken gesteigerten Abstraktionsgrad des Effektivitätsvorbehalts sehen. Bei der Frage, ob ein Rechtsweg in „tatsächlicher, rechtli40

U n t e r etwas anderem Blickwinkel, aber i. E. wie hier Hövel, S. 132.

41

BVerfGE 9, 3 (7 f.); 10, 302 (308 f.); 18, 1 (16); 21, 160 (167); 68, 376 (380). Zustimmend Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I I R N 49; Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 R N 192. Benda/Klein, R N 510 differenzieren zwischen „objektiver Sinnlosigkeit" und „subjektiver und objektiver Unzumutbarkeit". 42

Z u m Beispiel BVerfGE 78, 350 (355). Die Gesichtspunkte werden also nebeneinander gestellt, ohne ihre unterschiedlichen Aufgaben zu erklären. 43

B V e r f G E 15, 126 (131); 71, 305 (348); ähnlich BVerfGE 78, 350 (355).

44

B V e r f G E 77, 275 (282 f.).

16 Warnike

242

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

eher und zeitlicher" Hinsicht effektiv sein kann, würde i m Vordergrund die abstrakte rechtliche Konzeption stehen (ζ. B.: Gibt es überhaupt gegen einen derartigen Beschluß ein Rechtsmittel? Kann die Rechtsmittelinstanz nach der Prozeßordnung überhaupt die geltend gemachte Rüge berücksichtigen und ihr gegebenenfalls abhelfen?). Demgegenüber könnte die Frage der „Zumutbarkeit" der Rechtswegbeschreitung schon von der Tendenz her ein Problem sein, das sich nur i m Hinblick auf das konkret betroffene Individuum und seine ebenso konkrete Lebenssituation adäquat lösen l ä ß t 4 5 . Wenn der Begriff nicht so unlösbar damit verbundene staatshaftungsrechtliche Assoziationen hervorrufen würde, könnte man sagen, daß sich über die Zumutbarkeit insbesondere „Sonderopfer"-Konstellationen (i. w. S.) in den Griff bekommen lassen, in denen der Einzelne also — mehr oder weniger zufällig — eine schwierigere Situation zu bewältigen hat als der „Normalbürger". Allerdings muß man selbst nach dieser prima facie vielleicht überzeugenden Überlegung konstatieren, daß all dies keineswegs zwingend i s t 4 6 . Vielmehr könnte man genauso gut argumentieren, schon bei der Feststellung, ob ein Rechtsweg „effektiv" sei, müsse man unmittelbar auf den individuellen, konkreten Fall abstellen 47 : Für den Einzel- bzw. Sonderfall des Beschwerdeführers sei eben gerade der Rechtsweg „nicht effektiv", möge er es auch für alle anderen Betroffenen sein. Unter diesem Gesichtspunkt wäre ein erheblicher Unterschied zwischen „Zumutbarkeit" und Erforderlichkeit eines „effektiven Rechtsweges" kaum noch auszumachen 48 .

cc) Das unklare Verhältnis zwischen Zumutbarkeits- und Zweckvorbehalt In diesem Zusammenhang sei auch daraufhingewiesen, daß das Bundesverfassungsgericht gelegentlich von der Verweisung an die Fachgerichte ab45

S o muß m a n wohl auch Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 R N 203 verstehen. Ähnlich Hövel, S. 91, 95, 130. Siehe auch Ossenbühl, FS Gesellsch. f. Rechtspolitik, S. 315 (318): „konkret-individuelle Konfliktlage". 46 E b e n s o unter etwas anderem Gesichtspunkt die Untersuchungen von Ossenbühl, FS Gesellsch. f. Rechtspolitik, S. 315 (318, 320) und Preis, Z G 1988, 319 (323 f.). 47 S i e h e ζ. B. Hövel, S. 92: „...im Einzelfall ineffektive (und dadurch erst bare) Rechtsschutzmöglichkeiten" (Hervorhebungen nur hier).

unzumut-

48 S i e h e ζ. B. die Argumentationen in BVerfGE 78, 58 (67); 78, 350 (355). Ebenso Hovel, S. 130: „miteinander verquickt", S. 133 in F N 427: „Die Unzumutbarkeit...folgt aus der Ineffizienz eines fachgerichtlichen Prozesses".

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

243

gesehen hat, wenn der Zweck des Subsidiaritätsprinzips — Entlastung des Bundesverfassungsgerichts und Aufbereitung der Rechtsprobleme — nicht erreicht werden kann, bzw. geradezu in sein Gegenteil verkehrt wäre 4 9 . Diese Ausnahme vom Subsidiaritätsgrundsatz ist strukturell anders gelagert als der Effekt i vit äts- und Zumutbarkeitsvorbehalt: Geht es bei den letzteren um die Fälle, in denen der Beschwerdeführer sein Recht eventuell gar nicht fachgerichtlich verfolgen kann, so steht die Möglichkeit des anderweitigen Rechtsschutzes beim Zweckvorbehalt gar nicht in Frage, bzw. wird unterstellt 5 0 . Das Bundesverfassungsgericht erlaubt sich aber die Nachprüfung, ob es selbst sich nicht besser steht, wenn es die Verfassungsbeschwerde zum jetzigen Zeitpunkt schon annimmt. In manchen Fällen kann es nämlich durchaus sinnvoll sein, durch eine frühe klärende (und bindende, § 31 BVerfGG) Entscheidung eine größere Prozeßflut — mit der damit verbundenen Gefahr vieler Richtervorlagen und Urteilsverfassungsbeschwerden — zu verhindern. In diesem Zusammenhang bildet das Volkszählungsurteil 1983 ein anschauliches Beispiel 5 1 . I m Ergebnis überprüft das Bundesverfassungsgericht also nur, aufweiche Art und Weise dem Institut „Verfassungsbeschwerde" am besten gerecht zu werden ist, welches nicht nur durch den Subsidiaritätsgrundsatz, sondern vor allem auch durch seine subjektive und objektive Wichtigkeit i m Rechtsstaat bestimmt wird. Insoweit scheint der Ζ weck vorbehält also klar definierbar zu sein. Allerdings gewährt das Bundesverfassungsgericht unter dem Zweckvorbehalt auch dann eine Ausnahme vom Gebot der Rechtswegbeschreitung, wenn der Zweck des Subsidiaritätsprinzips — fachgerichtliche Klärung der Sach- oder Rechtsfrage — bereits erreicht ist. Dies soll dann der Fall sein, wenn die entsprechenden Fragen schon „durch eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung beantwortet worden" seien und das Bundesverfassungsgericht auf diese zurückgreifen könne 5 2 . Das kann nach der Konzeption des Bundesverfassungsgerichts eigentlich nicht überzeugen, da bei entgegenstehender (nur dann macht die Konstellation überhaupt Sinn), gefestigter, höchstrichterlicher Rechtsprechung (die noch dazu i m entschiedenen Fall „brandneu" war) nach ständi49

B V e r f G E 65, 1 (38); 79, 1 (20).

5 0

BVerfG E 65, 1 (37 f.).

51

BVerfGE 65, 1 (38).

5 2

BVerfG E 78, 155 (160).

244

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

ger Rechtsprechung gerade die „Zumutbarkeit" der Rechtswegbeschreitung entfallt. Damit wird wieder unklar, wie die beiden Vorbehalte zueinander stehen.

Zwischenergebnis Die Etablierung von ungeschriebenen Ausnahmetatbeständen, insbesondere der „Zumutbarkeit", führt zu Wertungswidersprüchen sowie unlösbaren Unklarheiten über deren Verhältnis untereinander bzw. zum Begriff des „Rechtsweges" in § 90 I I 1 BVerfGG einerseits und zur Vorabentscheidung des § 90 I I 2 BVerfGG andererseits. Dabei ergeben sich Reibungspunkte vor allem mit dem in § 90 I I 2 BVerfGG vorgesehenen Ermessen und seinen durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geprägten strengen Voraussetzungen 53 . Das Bundesverfassungsgericht kommt zwar in der Regel zu begrüßenswerten Ergebnissen, muß dabei aber in Kauf nehmen, daß wieder einmal die Konturen einzelner Topoi höchstens „erahnt" werden können 5 4 .

c) Versuch eines eigenen Ansatzes zum Zusammenspiel von prinzipieller Rechtswegerschöpfung und ausnahmsweisem Absehen von dieser aa) Der Grundsatz Als Ausgangspunkt der Überlegungen ist folgendes festzustellen: Prinzipiell muß jeder Beschwerdeführer den Rechtsweg beschreiten und erschöpfen, wenn er dort das Ergebnis „Beseitigung der Verletzung" erreichen kann. Ist dieses Ergebnis nach den einschlägigen Prozeßordnungen — und sei es auch nur unter Zwischenschaltung des Bundesverfassungsgerichts gemäß Art. 100 I GG — zu erreichen, dann ergibt sich diese Pflicht unmittelbar aus § 90 I I 1 BVerfGG. Nach dieser Vorschrift muß der Beschwerdeführer also insbesondere auch und gerade fachgerichtlich vorgehen, wenn er letztendlich eigentlich Verfassungsbeschwerde erheben will. 53 D a h e r gelingt es auch vielen Autoren nicht, die Regelungsbereiche wirklich konsequent auseinanderzuhalten, ζ. B. spricht Hövel, S. 95 uni er dem Topos „Zumutbarkeit" von „Vorabentscheidung"; Kleinknecht/Meyer, Einl., R N 234, subsumieren die „Zumutbarkeit" unter § 90 I I 2 BVerfGG; Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 R N 203 behandelt unter der Überschrift „Zumutbarkeit" auch die „objektive Gebotenheit". 54

S o i. E. auch Benda/Klein,

R N 418.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

245

bb) Korrektive Nun soll nicht verhehlt werden, daß es Fälle geben kann, in denen ein theoretisch eröffneter Rechtsweg sich praktisch als völlig sinnlos erweist (ζ. B. wegen einer eindeutig entgegenstehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung) oder in denen sich über den Rechtsweg die Rechtsverletzung vielleicht zwar tatsächlich formell „beseitigen" ließe, dies unter Rechtsstaatsaspekten aber dennoch als nicht befriedigend empfunden wird (ζ. B. Strafprozeß als Forum zur Geltendmachung eines verfassungswidrigen Strafgesetzes). Auch in diesen Fällen muß natürlich der Versuch unternommen werden, zu adäquaten Ergebnissen zu kommen.

aaa) Die Vorzugswürdigkeit Zumutbarkeitsvorbehalt

eines Verzichts auf einen eigenständigen als Ausgangspunkt der Überlegungen

Das oben dargestellte Dilemma der Unklarheit des Verhältnisses vor allem des „ZumutbarkeitVorbehaltes" zum Begriff des „Rechtsweges" (§ 90 I I 1 BVerfGG) und zur Vorabentscheidung (§ 90 I I 2 BVerfGG) sollte einmal zu der dogmatischen Überlegung bewegen, ob die in sich geschlossene Regelungseinheit, die der Gesetzgeber in den zwei Sätzen des § 90 I I BVerfGG konzipiert hat, wirklich durch ein eigenständiges richterrechtliches Billigkeitstopos 55 aufgeweicht werden m u ß 5 6 . Dabei ist aber auch ein psychologischer Effekt nicht zu unterschätzen: Der potentielle Beschwerdeführer, der in jedem Hand- oder Lehrbuch und jedem Kommentar zur Verfassungsbeschwerde ganze Abschnitte zum extrem dehnbaren Begriff „Zumutbarkeit" findet, wird davon überzeugt sein, daß gerade sein Fall nun wirklich nicht mehr zumutbar sei und er daher Verfassungsbeschwerde erheben könne. Es hieße die Augen vor der Realität zu verschließen, wollte man die verständliche Neigung des Menschen, seine eigene Lage als „besonders" zu werten und sich auf vermeintliche Auswege in Gestalt von Ausnahmetatbeständen zu stürzen, nicht für die Flut von Verfassungsbeschwerden mitverantwortlich machen 5 7 . 5 5

Daher (allein) aus diesem Grunde die „Zumutbarkeit" ablehnend Leibold, S. 124.

56

Preis, Z G 1988, 319 (326 m . v. w. Nachw.): „Die oberflächliche Verwendung dieses Begriffes kann sich nicht nur als abträglich für eine gerechtigkeitsorientierte Rechtsfindung erweisen, sondern sie verhindert auch den Zugang zu einer rationalen Argumentation, insbesondere wenn m i t Hilfe dieses Begriffes die eigentlichen Beweggründe und Bewertungsmaßstäbe verschleiert werden". 5 7

Ahnlich die psychologische Ausgangslage wertend Zuck, M D R 84, 800 (802).

246

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Das dürfte dazu führen, daß weiterhin Beschwerdeführer versuchen werden, unter Außerachtlassung des Fachgerichtsschutzes vom Bundesverfassungsgericht angenommen zu werden, wobei sich ihre Hoffnungen insbesondere auf den undefinierbaren Begriff der „Zumutbarkeit" als den „Weichmacher des Verfassungsprozeßrechts" stützen werden. Somit ist aber langfristig keine Entlastung des Bundesverfassungsgerichts erreichbar. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint es zumindest als Überdenkenswert, ob man den „Optimismus" vieler Beschwerdeführer nicht schon i m Ansatz etwas bremsen kann, indem man Ausnahmen nur nach dem „Ermessen" des Gerichtes — nämlich über § 90 I I 2 BVerfGG — zuläßt und ansonsten die Pflicht zur Inanspruchnahme aller effektiver fachgerichtlicher Rechtsschutzmöglichkeiten betont. Es wäre neben den aufgezeigten dogmatischen auch aus „entlastungstaktischen" Gründen sicherlich angebracht, soweit wie möglich auf die plakative Herausstellung von Billigkeitsformeln zu verzichten. Daß viele Gedanken zur „Unzumutbarkeit" berücksichtigenswert sind, kann natürlich nicht geleugnet werden. Daß sie aber nicht schon i m Rahmen des geschriebenen Prozeßrechts berücksichtigt werden können, ist meines Erachtens nicht hinreichend nachgewiesen 58 .

bbb) Die Korrekturfunktion der angemessenen Auslegung des Tatbestandes des Rechtswegerschöpfungsgebotes gemäß 190111 BVerfGG selbst (1) Allgemein Insbesondere mit dem i m Laufe der Untersuchung herausgearbeiteten Befund, daß genau zu untersuchen ist, ob es sich überhaupt um einen Rechtsweg „gegen die Verletzung" i m Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG handelt, lassen sich wohl schon eine ganze Reihe „unzumutbarer" Rechtswege ausscheiden. Hierbei handelt es sich dann aber eben nicht um ein Korrektiv auf der „Ausnahmeebene", sondern schon auf der „RegeltatbestandsEbene". Denn wenn i m Zusammenhang mit dem Effektivitätsvorbehalt von „objektiver Gebotenheit" und überhaupt „möglichem" (!), „vollständigem und wirkungsvollem" (!) Rechtsschutz gesprochen wird, so betrifft dies schon 5 8 Auch Harald Klein, FS Zeidler I I , S. 1325 (1340) gibt zu, daß die mit wechselnden Begründungen i m Einzelfall anerkannten Ausnahmefalle sich unschwer aus der entsprechenden Anwendung des § 90 I I 2 BVerfGG ableiten ließen; ähnlich Bettermann, AöR 86 (1961), S. 129 (169 f.). Kritisch gegenüber dieser Ansicht aber Benda/Klein, R N 510 in F N 364.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

247

die Frage, ob ein „Rechtsweg gegen die Verletzung" i m Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG eröffnet i s t 5 9 : Wenn Rechtsschutz bei den Fachgerichten nicht „möglich" ist, dann gibt es gar keinen „Rechtsweg gegen die Verletzung". Gleiches gilt, wenn der fachgerichtliche Rechtsschutz nicht „vollständig und wirkungsvoll" ist, denn wie könnte man auf dem Hintergrund von Verfassungsprinzipien, wie sie in Art. 19 I V , 20 I I I G G 6 0 enthalten sind, das Tatbestandsmerkmal „Rechtsweg" i m Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG so auslegen, daß der Beschwerdeführer auch auf „unvollständige, ungeeignete oder wirkungslose" Rechtswege verwiesen werden müßte?! 6 1 Schon bei der Prüfung des Tatbestandes des Rechtswegerschöpfungsgebotes gemäß § 90 I I 1 BVerfGG ist somit wegen Art. 19 I V , 20 I I I GG ein rechtsstaatlicher Auslegungsmaßstab anzulegen, der dazu führt, daß dem Beschwerdeführer von vorneherein nur Rechtswege entgegengehalten werden können, die in zeitlicher, rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht „effektiv" s i n d 6 2 . Wenn dementsprechend kein effektiver Rechtsweg eröffnet ist, ist die Verfassungsbeschwerde zwingend zulässig 63 . Dabei sind hier ohne Probleme auch Fälle zu berücksichtigen, in denen schon die Beschreitung des Rechtsweges nicht gefordert werden kann. Denn ist der Rechtsweg nicht „effektiv" im Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG, gibt es keine Vorschrift, die den Beschwerdeführer überhaupt auf den Rechtsweg verweist. Fachgerichtliche Klageerhebung ist dann gar keine Zulässigkeitsvoraussetzung der Verfassungsbeschwerde. Bei Art. 19 I V GG ist der diesem Justizgewährungsanspruch immanente Gesichtspunkt der zeitlichen Effektivität 64 besonders ausgeprägt — und leider heute auch von besonderer Brisanz. Der Gesetzgeber des BVerfGG ging seinerzeit offensichtlich noch davon aus, daß es genügen würde, in seltenen Fällen mit Hilfe der Vorabentscheidung (§ 90 I I 2 BVerfGG) durch Zeitablauf verursachte Schäden zu 59

W i e hier wohl auch Schneider, Z Z P 79 (1966), S. 1 (42).

6 0

Vgl. zum Justizgewähranspruch grundlegend Papier, Hdb. d. StaatsR V I , § 153 und zur Rechtsschutzgarantie speziell gegen die öffentliche Gewalt dens., ebenda, § 154. 61 I m Ergebnis ebenso strikt gegen eine formalistische Recht s weg ver Weisung, Harald Klein, FS Zeidler I I , S. 1325 (1341). 6 2 Siehe i m Zusammenhang mit diesem Inhalt des Justizgewährungsanspruchs auch Papier, Hdb. d. StaatsR V I , § 153 R N 16. 63 64

I m Ergebnis wie hier E. Klein, FS Zeidler I I , S. 1305 (1322).

S i e h e BVerfGE 40, 237 (257) und die wiederholte Betonung dieser Dimension bei Papier, Hdb. d. StaatsR V I , § 153 R N 17, 19 ff.; § 154 R N 75. Ebenso den Zeitfaktor betonend Bethge, N J W 1991, 2391 (2393); Maurer, FS Kern, S. 275 (283); Lerche, Z Z P 78 (1965), S. 1 (17); Ossenbühl, Gutachten Β zum 5 0 . D J T , Β 191.

248

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

vermeiden. Damals dauerten aber die Verfahren in der Fachgerichtsbarkeit auch noch keine 5 - 6 Jahre bei Durchschreitung aller Instanzen. Da diese Verfahrenszeiträume jedoch bekanntermaßen zu einem festen Bestandteil der Rechtswirklichkeit geworden sind, dürfte man heute öfter als damals vorausgesehen an Konstellationen geraten, in denen die Verfahrensdauer sehr problematisch ist. Zu berücksichtigen ist aber, daß die Verfassungsbeschwerde aufgrund ihrer begrenzten Kapazitäten nicht das geeignete Mittel sein kann, das Problem der zu langen Fachgerichtsverfahren i m Alleingang zu lösen. Das heißt insbesondere, daß nicht die schon bestehende Tendenz verstärkt werden darf, die fachgerichtlichen Instanzenzüge durch Einlegung der Verfassungsbeschwerde „ abzukürzen" 6 5 . Würde man versuchen wollen, die Langwierigkeit der Gerichtsverfahren mehr als bisher auch bei der Auslegung des Rechtswegerschöpfungsgebotes zu berücksichtigen, käme man wahrscheinlich neben der zwangsläufigen Annahme mindestens jeder zweiten Verfassungsbeschwerde zusätzlich noch zu der desillusionierenden Erkenntnis, daß auch das Verfassungsbeschwerdeverfahren viel Geduld erfordert: Schon 1980 galt eine durchschnittliche Verfahrensdauer bei Verfassungsbeschwerden von geschlagenen zweieinhalb Jahren 6 6 . Inzwischen kann es durchaus vorkommen, daß der Beschwerdeführer gute fünf Jahre auf seine Entscheidung wartet, auch wenn dies nicht der Normalfall i s t 6 7 . Hier ist der Gesetzgeber des einfachen Prozeßrechts aufgerufen, die fachgerichtliche Verfahrensdauer durch entsprechende Maßnahmen insbesondere auf dem personellen und Arbeitsmittel-Sektor zu verkürzen, auch wenn dieser Aufruf in der Vergangenheit geflissentlich überhört wurde, bzw. die Fachwelt gelegentlich durch falsche Ansätze i m Sinne von „Rechtspflegeverkürzungs"-Novellen beunruhigt w i r d 6 8 . Damit ist für die vorliegende Problematik der Ausnahmen von der Rechtswegerschöpfung die fast schon fatalistische Folgerung zu ziehen, daß 65

Ä h n l i c h schon BVerfGE 2, 287 (291).

66

V g l . Benda, N J W 1980, 2097 (2101).

67

V g l . Herzog, Z R P 1991, 28 (30), der kurz zuvor (S. 29) zugibt, daß eine Verfahrensdauer von einem halben Jahr i. d. R. jedenfalls unrealistisch ist. 6 8 Aktuelles Beispiel ist das in den Fachkreisen fast durchgängig heftigst kritisierte „Rechtspflege-Entlastungsgesetz", B R - D r s . 314/91, S. 1. Vgl. dazu insbes. die m . E. begrüßenswerte „Erklärung von 91 deutschen Strafrechtslehrerinnen und Strafrechtslehrern zum Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege", Z R P 1991, 309; für jeweils andere Gerichtsbereiche, aber durchweg ablehnend Asbrock, Z R P 1992, 11 ff; Bethge, N J W 1991, 2391 ff.; Schnellenbach, Z R P 1991, 476 ff. Siehe zu diesem Gesetzesvorhaben auch die für die Problematik signifikanten Äußerungen, die i m Rahmen des 15. Deutschen Richtertages ( N J W 1991, 3128 f.) gefallen sind.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

249

die zeitliche Dimension bei der Frage nach einem effektiven Rechtsschutz nur in Extremfallen Berücksichtigung finden dürfte. Dem entspricht die Zurückhaltung des Bundesverfassungsgerichts, daß bisher noch keinen Verstoß gegen Art. 19 I V GG durch eine überlange Verfahrensdauer konstatieren wollte 6 9 — wobei allerdings darauf hingeweisen sei, daß z . B . der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auf die Bundesrepublik durchaus schon aufmerksam geworden i s t 7 0 . Der einstweilige Rechtsschutz durch die Fachgerichte erlangt damit in diesem Zusammenhang zunehmend einen besonderen Stellenwert, kann er doch in einer Vielzahl von Fällen irreparable Schäden bis zur endgültigen Entscheidung in der Hauptsache verhindern 7 1 .

(2) Einige Beispiele bei Normen Verfassungsbesch werden Daß über die entsprechend rechtsstaatlich ausgerichtete Anwendung des § 90 I I 1 BVerfGG sinnvolle Ergebnisse zu erlangen sind, zeigen folgende Anwendungsversuche auf Beispiele der Vergangenheit: (a) Zum Beispiel war i m Sinne des Art. 19 I V GG kein in tatsächlicher 72 Hinsicht effektiver Rechtsweg eröffnet, als sich seinerzeit i m sog. „Abhörurteil" potentiell Betroffene beschwerten 73 . Zwangsläufig hätten die Abgehörten entweder überhaupt nicht oder erst viel zu spät davon erfahren, daß in ihre Rechte gerade massiv eingegriffen wurde. (b) Ebenso tatsächlich ineffektiv ist es, wenn der Beschwerdeführer schon durch den Normerlaß zu später nicht mehr korrigierbaren Entscheidungen gezwungen und zu (wirtschaftlichen) Dispositionen veranlaßt wird, die er später nicht mehr nachholen könnte, wenn er erst auf den Normvollzug warten und dann den Vollzugsakt angreifen würde 7 4 . 69

S i e h e dazu auch Papier, Hdb. d. StaatsR I V , § 154 R N 77.

70

V e r s t o ß gegen A r t . 6 I E M R K durch Dauer eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, E G M R N J W 1979, 477 — Fall König; ebenso für das sozialgerichtliche Verfahren E G M R E u G R Z 1988, 20 ff. 71 Kritisch gegenüber dieser Entwicklung Papier, Hdb. d. StaatsR I V , § 154 R N 78, der darauf hinweist, daß vielfach die Hauptsache vorweggenommen werde. Dies wird dagegen von Ossenbühl, Gutachten Β zum 50. D J T , Β 195 zu Recht nicht unbedingt negativ beurteilt, da „summarischer Rechtsschutz...immer noch 'effektiver' (sei) als gar keiner". 72 73 74

Z u dieser Seite des Art. 19 I V G G : Maurer, FS Kern, S. 275 (287). BVerfG E 30, 1 (16).

S t . Rspr. — unter dem Aspekt unmittelbarer Betroffenheit; ζ. B. BVerfGE 16, 147 (159); 18, 1 (13); 60, 360 (372); 65, 1 (37); 75, 246 (263). Ebenso Maurer, FS

250

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Denn wenn die Nachteile später nicht mehr korrigierbar sind, dann gibt es als Schutz gegen diese Nachteile gar keinen Rechtsweg. (c) Kein rechtlich effektiver Rechtsweg liegt ζ. B. vor, wenn per völkerrechtlichem Vertrag ausländischen Behörden die Vornahme von Hoheitsakten zugewiesen wird. Da diese ausländischen Behörden nicht der deutschen Gerichtskontrolle unterliegen, muß das Zustimmungsgesetz zu dem völkerrechtlichen Vertrag unmittelbar per Normenverfassungsbeschwerde angegriffen werden können 7 5 . Ein deutscher Rechtsweg i m Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG ist nicht gegeben 76 . (d) Ein effektiver Rechtsweg steht i m Einzelfall auch nicht zur Verfügung, wenn die Vollziehung des Gesetzes in privatrechtlicher Form erfolgt, wie seinerzeit ζ. B. die Privatisierung des Volkswagenwerkes durch Gesetz, vollzogen durch privatrechtlichen Aktienverkauf. Da das Gesetz eine bestimmte „Käuferrangfolge" vorsah — also den Status der Käufer i m Rahmen einer Klassifizierung definierte —, mußten die voraussichtlich ausfallenden, weil am Ende der Rangfolge stehenden Interessenten sich direkt gegen das Gesetz wenden 7 7 . (e) Kein rechtlich effektiver Rechtsweg kann (!) auch i m Falle von „Gesetzen (gegeben sein), bei denen die Belastung in einem sozialen Gesamtzusammenhang steht, von dem sie nicht isoliert werden k a n n " 7 8 . Kern, S. 275 (282) mit dem Beispiel des Bebauungsplanes. Hier ist allerdings ein strenger Maßstab anzulegen, bei dem auch die Möglichkeit vorläufigen Rechtsschutzes nicht außer acht gelassen werden darf, vgl. ζ. B. BVerfGE 71, 305 (349). 75 So auch i. E. — aber unter dem Aspekt der unmittelbaren Betroffenheit — BVerfGE 6, 290 (295). Jüngst BVerfGE 84, 90 (113 f.). 76

W i e hier Bettermann,

A ö R 86 (1961), S. 129 (182).

77

B V e r f G E 12, 354 (362); zustimmend Bettermann, AöR 86 (1961), S. 129 (184 f.). Es kommt aber — wie gesagt — auf den konkreten Fall an, da in einer anderen Konstellation (bei Marktbeherrschung) vielleicht über einen privatrechtlichen Kontrahierungszwang (z. B. gem. § 26 I I i. V . m. § 35 G W B , eventuell i. V . m . § 98 I G W B bei Beteiligung der öffentlichen Hand) zivilgerichtlicher Rechtsschutz möglich wäre; vgl. zu dieser Möglichkeit nur Emmerich, § 19 A n m . 11; Langen/Niederleithinger/Ritter/Schmidt, § 26 R N 223 m. v. w. Nachw. zum Meinungsstand in Rspr. u. L i t . 78 Schenke, B K , Art. 19 I V R N 271. Lorenz, S. 144: „ D a m i t sind Maßnahmen angesprochen, mit denen der Staat...weitgreifende soziale Zusammenhänge vorausschauend ordnet und Einzelakte nur mehr zur Ausführung des Gesamtplans erläßt". Schenke spricht auch von tJanusköpßgen Rechtsnormenwobei die Konturen des Begriffs leider nicht ganz deutlich werden, da er ihn ζ. B. i m B K , Art. 19 I V R N 271, gegenüber der Darstellung in Rechtsschutz, S. 154 ff., etwas anders benutzt bzw. abgrenzt. Jedenfalls faßt Schenke unter diese Fallgruppe offensichtlich auch die Fälle des unechten normativen Unterlassens (siehe Rechtsschutz, S. 155, 158: Subventions- oder Steuernormen, die nur den Konkurrenten, nicht aber auch den Bf. begünstigen); die Forderung prinzipalen Rechtsschutzes ist jedoch nach der neueren Rspr. insoweit überholt, als heut-

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

251

Vor der Überbetonung von Fallgruppen in diesem Zusammenhang muß allerdings nachdrücklich gewarnt werden. Insbesondere zeigt sich, daß ältere Rechtsprechungsnachweise, die als Beleg zur Untermauerung der Fallgruppen angeführt werden, heute wahrscheinlich vielfach anders entschieden werden würden oder besonders gelagerte Einzelfälle darstellten, die nur bedingt verallgemeinerungsfähig sind. Entscheidend ist immer der konkrete Einzelfall 7 9 : (aa) Ein Hauptbeispiel, auf das gerne verwiesen w i r d 8 0 , sind die Streitigkeiten, die in Folge einer Neugliederung einer rechtlichen Gesamtheit durch eine Organisationsnorm entstehen (ζ. B. Neuordnung von Mitgliedschaftszugehörigkeiten zu einer Ortskrankenkasse 81 ; Hochschulreformen 82 ). In solchen Konstellationen ist heutzutage die neuere Rechtsprechung zu berücksichtigen, die eine verwaltungsgerichtliche Klage ζ. B. der Kassenmitglieder oder Hochschullehrer auf Feststellung des (Nicht-)Bestehens der Mitgliedschaft und der entsprechenden Mitwirkungsrechte usw. als möglich erscheinen l ä ß t 8 3 . Ob ζ. B. auf diesem Hintergrund die Verfassungsbeschwerden in den Hochschulurteilen heute noch für zulässig erachtet werden würden, erscheint als überaus fraglich. Eine ganz andere Frage kann es natürlich sein, wie die umstrukturierte Anstalt, Körperschaft o. ä. selbst (!) fachgerichtlich gegen die Neuordnung klagen können soll, wenn man einmal die Möglichkeit der Verletzung eigener Rechte unterstellt. Eine inzidente Normenkontrolle scheint hier nicht zur Verfügung zu stehen, da durch die Norm der Normadressat (Krankenkasse, Universität) in Rechtsbeziehungen nicht nur zum Normgeber, sondern auch zu einer größeren Anzahl von Dritten (Mitglieder, Hochschullehrer) gesetzt wird und er sich selbst nicht durch inzidente Normenkontrolle aus diesen Beziehungen befreien k a n n 8 4 . Es stellt sich vor allem die Frage nach dem geeigneten Klagegegner: Soll die geographisch neugeordnete Krankenkasse ζ. B. zutage bei unechtem normativen Unterlassen vielfach inzidenter Rechtsschutz möglich sein wird (vgl. dazu die ausführliche Darstellung oben, S. 221 ff.). Kritisch gegenüber den Ausführungen von Schenke — nicht zu Unrecht — Siemer, FS Menger, S. 501 (505). 79

S o auch ausdrücklich K. Meyer, A ö R 97 (1972), S. 12 (29).

80

S i e h e ζ. B. Schenke, B K , A r t . 19 I V R N 271.

8 1

Beispiel von Schnapp, VSSR 1974, 191 (207).

8 2

BVerfG E 35, 79 (107 f.); 47, 327 (363 f.); 51, 369 (376); 61, 210 (232 f.).

83

Entsprechend der Vorgehensweise in BVerwG N J W 1983, 2208.

84 Schnapp, BVerfG.

VSSR 1974, 191 (207).

I m Ergebnis auch die genannten Urteile des

252

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Klage gegen die neuen Mitglieder auf Nichtbestehen der Mitgliedschaft oder gegen die alten auf Weiterbestehen erheben? Die Mitglieder haben doch die Neugliederung weder veranlaßt, noch können sie sie rückgängig machen. Daß die Krankenkasse andererseits mit dem Normgeber in einem konkreten (!) feststellungsfähigen Rechtsverhältnis steht, dürfte kaum zu begründen sein. Es bleibt somit nur eine Klage gegenüber der Aufsichtsbehörde — sofern eine vorhanden ist. Theoretisch können somit tatsächlich Konstellationen auftreten, bei denen nur eine prinzipale Normenkontrolle in Frage kommt, die bei formellen Gesetze eben den Verfassungsgerichten zusteht 8 5 . (bb) Ein früher auch schon einmal entschiedenes 86 , aber wieder aktuelles Beispiel für einen in rechtlicher Hinsicht nicht gegebenen effektiven Rechtsweg 87 ist folgender, ähnlich gelagerter Fall: Es gibt kein Verfahren, in dem einzelne Vereine mit verbindlicher Wirkung für sich und für Beitragszahler bzw. Spender feststellen lassen können, daß sie — die Vereine — unter § 10 b EStG fallen und Zuwendungen daher als Sonderausgaben steuerlich absetzbar sind. Eine entsprechende Bescheinigung des Finanzamtes hat nach der Rechtsprechung des BFH nur die Qualität einer unverbindlichen Auskunft, deren Erteilung noch nicht einmal durch förmliche Rechtsmittel erzwungen werden kann 8 8 . Danach steht ein fachgerichtlicher Rechtsweg nicht offen. Meint demnach ζ. B. eine kommunale Wählervereinigung, sie sei zu Unrecht aus dem privilegierten Kreis des § 10 b EStG ausgeschlossen, muß sie Verfassungsbeschwerde erheben 8 9 . (cc) Unter die Normen, die in der Regel einer prinzipalen Kontrolle bedürfen, fallen als wichtigste Fallgruppe die Plannormen90, bei denen es sich um „Zustandsregelungen" oder „statusändernde 9 1 " Normen par excellence handelt. Bei diesen kann vor allem die i m Planungsstadium vorgenommene umfassende Interessenabwägung (ζ. Β. § 1 V I BauGB) 85

Schnapp,

8 6 87

VSSR 1974, 191 (207).

BVerfG E 6, 273 ff. W i e hier Bettermann,

A o R 86 (1961), S. 129 (184).

8 8

BVerfG E 78, 350 (355 f.).

8 9

BVerfG E 78, 350 (355 f.).

90

Z u m Beispiel als formelle Gesetze erlassene Bebauungsplane, BVerfGE 70, 35 ff. (siehe dazu schon oben, S. 165 ff.). 9 1 Beide Ausdrücke finden sich z. B. bei Henseler, J U R A 1986, 249 (253) i m Zusammenhang mit Bebauungsplänen, die die rechtliche Qualität des Grundstücks verändern.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

253

nicht später in einem Anfechtungsverfahren gegen einen behördlichen Vollzugsakt (Widmungsverfügung, Baugenehmigung) Inzident nachgeholt werden 9 2 , so daß prinzipale Normenkontrolle möglich sein muß, will man nicht „ vollendete Tatsachen" schaffen 93 . Hier erfüllt die prinzipale Normenkontrolle eine wichtige Aufgabe i m ansonsten stark auf repressiven Rechtsschutz ausgerichteten deutschen Rechtssystem. Nachträgliche Klagen gegen einzelne Auswirkungen und Rechtsverletzungen, bei denen man die Plannorm inzident überprüfen lassen könnte, kämen regelmäßig zu s p ä t 9 4 . Gerade diese „präjudizierende K r a f t " 9 5 bzw. „Tatbestandswirk u n g " 9 6 kann es durchaus auch bei anderen Fallkonstellationen zu vermeiden gelten 9 7 . Zu untersuchen ist die konkrete Situation i m Einzelfall 9 8 . Gemeinsam ist all diesen Normgruppen, daß i m Einzelfall Probleme in der Feststellung der Beschwerdebefugnis liegen werden: Denn häufig wird der Beschwerdeführer zwar geltend machen können, daß er die gesetzliche 92

B V e r w G E 47, 144 (154), ausdrücklich bestätigt durch BVerfGE 79, 174 (188 f.).

93

Ausdrücklich Forsthoff, DVB1. 1957, 113 (116); Gerontas, D Ö V 1982, 440 (445); Henseler, J U R A 1986, 249 (253); Maurer, FS Kern, S. 275 (283); Obermayer, V V D S t R L 18 (1960), S. 149; Schenke, N J W 1986,1451 (1460); Ossenbühl, Gutachten Β zum 50.DJT, Β 176: „Hier wird mit jeder Konkretisierungsstufe der Planung die Rechtsposition des Bürgers ausgeformt und 'eingekreist'"; siehe auch dens., ebenda, Β 192. Lorenz, S. 144: „Wenn der Verlauf einer Straße, die Bebauung eines bestimmten Gebietes durch einen aufgrund umfangreicher Vorarbeiten festgestellten und vielleicht schon zu einem Großteil ausgeführten Plan festliegt, kann eine sich nunmehr herausstellende Rechtsverletzung eines einzelnen nicht durch Rückgängigmachung des gesamten Vorhabens behoben werden. Die Verletzung ist unkorrigierbare Realität geworden, jede Form nachträglichen Rechtsschutzes käme zu spät". Vgl. auch schon Bachof, A ö R 86 (1961), S. 186 (191); Blümel, FS Forsthoff, S. 133 (137) und Lerche, Z Z P 78 (1965), S. 1 (27). 94 Zacher, BVerfG u. G G I , S. 396 (408) weist allgemein daraufhin, daß die Verweisimg auf Normvollzug und dessen Kontrolle „die potentiell bedrohten Grundrechtsräume gefährdet und entwertet und den Grundrechtsgebrauch m i t unangemessenem Risiko verbindet". Darüber hinaus entstünden „schwerste politische und sozialpsychische Hemmungen", ein Gesetz, das schon länger vollzogen wird, von Anfang an für ungültig zu erklären. Maurer, FS Kern, S. 275 (283) faßt dies in rechtliche Erwägungen, indem er ausführt, daß „die 'veränderte Wirklichkeit' möglicherweise (etwa über den Begriff des öffentlichen Interesses) zu einer anderen Beurteilung der Rechtslage" führen könne. Ebenso schon nachdrücklich Blumel, FS Forsthoff, S. 133 (138); Lerche, Z Z P 78 (1965), S. 1 (27); Obermayer, V V D S t R L 18 (1960), S. 144 (164 f.) und Ossenbühl, Gutachten Β zum 5 0 . D J T , Β 192. Möglichkeiten inzidenten Rechtsschutzes, die i m Einzelfall eine Rolle spielen können, versucht K. Meyer, A ö R 97 (1972), S. 12 (30) aufzuzeigen. 9 5

Ossenbühl, Gutachten Β zum 5 0 . D J T , Β 176.

96

Schenke, B K , Art. 19 Abs. 4 R N 271 m . w. Nachw.

97

S i e h e die Beispiele bei Blumel, FS Forsthoff, S. 133 (141 f.).

98

K . Meyer, AöR 97 (1972), S. 12 (29).

254

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen R e c h t s p r e c h g

Regelung zur Grundlage seiner künftigen Dispositionen machen muß bzw. daß er von ihr beeinflußt w i r d " . Wann ist dies aber als rechtliches Interesse beachtlich und wann nur als tatsächliches oder wirtschaftliches 1 0 0 ? Das wird deutlich bei dem von Schenke 101 als Beispiel für die Notwendigkeit einer prinzipaler Normenkontrolle angeführten Ladenschlußgesetz, gegen das die Verfassungsbeschwerde eines verärgerten Kunden vom Bundesverfassungsgericht tatsächlich zugelassen w u r d e 1 0 2 . Schon von anderer Seite wurde hingegen die Uberzeugungskraft dieser Entscheidung mit guten Gründen bezweifelt 1 0 3 , so daß hier nur noch einmal betont werden soll, daß nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ohnehin nicht mehr mit einer solch großzügigen Handhabung der Beschwerdebefugnis zu rechnen ist. Es zeigt sich, daß eine der Hauptprobleme der Normenverfassungsbeschwerde die Besch werdebefugnis ist, über die man nur anhand der konkreten Fallgestaltung eine treffende Aussage machen werden k a n n 1 0 4 .

Zwischenergebnis Ob der Beschwerdeführer einen „ i n tatsächlicher, rechtlicher und zeitlicher Hinsicht vollständigen und wirkungsvollen fachgerichtlichen Rechtsschutz im Sinne des Art. 19 I V 1 G G " in Anspruch nehmen kann, ist " M a u r e r , FS Kern, S. 275 (282). 1 0 0

Daß sich die Problematik auf diese Frage zuspitzt, ist auch das Ergebnis von Maurer, FS Kern, S. 275 (285), der sie aber naturgemäß ebenfalls nicht für alle Fallkonstellationen beantworten kann. 101

B K , Art. 19 I V G G R N 271: es handele sich u m eine „janusköpfige Norm"

1 0 2

BVerfG E 13, 230 (232 f.). Das BVerfG führt zur Beschwerdebefugnis aus: „Die Einwirkimg dieser Maßnahme (i. e. LschlG) auf die Handlungsfreiheit der Beschwerdeführerinnen geht aber über eine bloße Reflexwirkung hinaus. Die an den Ladeninhaber gerichtete Norm hindert zwangsläufig die Kundschaft a m Einkauf, wirkt also wie ein unmittelbar an diesen gerichteter Gesetzesbefehl". 103 S i e m e r , FS Menger, S. 501 (505) macht geltend, daß der Kunde nur „tatsächlich" tangiert werde, weil eben die Geschäfte ab einer bestimmten Uhrzeit geschlossen seien; u m nicht eine Klage des „qui vis ex populo" einzuführen, müsse eine Besch werdebefugnis abgelehnt werden. Ob allerdings nicht i m Einzelfall auch einmal ein Kunde rechtlich betroffen sein kann, dürfte m . E. auf die konkrete Konstellation ankommen. 104 Zuzustimmen ist jedoch der Argumentation von Henseler, J U R A 1986, 249 (253) mit Berufung auf BVerfGE 70, 35 (53), daß planverursachte Wertverluste eines Grundstücks keine rein wirtschaftlichen, rechtlich irrelevanten Reflexe der Bauleitplanung sind, sondern faktische Konsequenz einer planbewirkten Einschränkung der Dispositionsbefugnis und der Verfügungsmöglichkeiten des Eigentümers. Ebenso schon Forsthoff, DVB1. 1957, 113 (116) und K. Meyer, A ö R 97 (1972), S. 12 (27 f.).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

255

keine Frage einer etwaigen Ausnahme von der „Regel" der Rechtswegerschöpfung. Vielmehr ist schon bei der Prüfung des Vorliegens eines „Rechtsweges" i m Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG die grundsätzliche Effektivität dieses fachgerichtlichen Rechtsschutzes zu berücksichtigen. Einer der ungeschriebenen Vorbehalte fällt als eigenständiges (!) Korrektiv daher schon einmal weg. Somit ist erster Filter der Rechtswegbegriff zur Ausscheidung ζ. B. generell — d. h. schon nach ihrer prozessualen Dogmatik — „ineffektiver" Fachgerichtsmittel.

ccc) Die Korrekturfunktion

des ξ 90 II 2 BVerfGG

Es gibt allerdings auch Fälle, in denen ein Rechtsweg als solcher zwar „effektiv" ist — insbesondere durch die Möglichkeit der Richtervorlage gemäß Art. 100 I GG —, der Beschwerdeführer aber aus Billigkeitsgründen nicht darauf verwiesen werden kann, den Rechtsweg zu „erschöpfen" (wenn er ihn schon beschritten hat) oder ihn überhaupt erst zu beschreiten (ζ. B. Strafrechtsweg). Aber auch für diese Konstellationen gibt es de lege lata schon ein Mittel zur Herstellung der Einzelfallgerechtigkeit: § 90 II 2 BVerfGG.

(1) Der umfassende Regelungsbereich des § 90 I I 2 BVerfGG Denjenigen Beschwerdeführern, die ζ. B. fachgerichtliche Klage eingereicht haben, kann ohnehin nach unbestrittener Ansicht über § 90 I I 2 BVerfGG geholfen werden. Daß damit zwei Gerichte (Bundesverfassungsgericht und Fachgericht) mit dem gleichen tatsächlichen Sachverhalt und den damit zusammenhängenden Rechtsproblemen beschäftigt werden, ist die in § 90 I I 1 und 2 BVerfGG bis zu einem gewissen Grad ausdrücklich in Kauf genommene Konsequenz 1 0 5 . Indessen scheint der Anwendungsbereich des § 90 I I 2 BVerfGG mit seiner Fixierung auf Fälle mit beschrittenem bzw. beschreitbarem Rechtsweg zunächst recht eingeschränkt zu sein. Danach werden alle die Fälle nicht erfaßt, in denen schon das „Beschreiten" des Rechtsweges nicht verlangt 1 0 5 Das Fachgericht kann das Verfahren bei Annahme der Verfassungsbeschwerde durch das BVerfG j a aussetzen; vgl. hierzu Schneider, Z Z P 79 (1966), S. 1 (40 f. und F N 69).

256

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen R e c h t s p r e c h g

werden konnte und dieser inzwischen auch nicht mehr beschritten werden kann. Eine solche Beschränkung kann jedoch nicht überzeugen: Es ergibt sich zunächst aus der inhaltlichen Verknüpfung des § 90 I I 2 BVerfGG mit dem Rechtswegerschöpfungsgebot des § 90 I I 1 BVerfGG nicht, daß eine Vorabentscheidung in den genannten Fällen unmöglich sei. Zwar verlangt die Regel des § 90 I I 1 BVerfGG sinngemäß gerade die Beschreitung aller „effektiven" Rechtswege, die zur Beseitigung der Grundrechtsverletzung geeignet sind. „Ausnahmen" — wie § 90 I I 2 BVerfGG nun einmal eine ist — durchbrechen aber denknotwendig die Regel; das ist j a gerade ihre Aufgabe als Ausnahme. Es stellt sich daher nur die Frage, wie weit die Regel durchbrochen werden kann. Dem Wortlaut des § 90 I I 2 BVerfGG kann man jedenfalls nicht entnehmen, daß der Rechtsweg unbedingt „bereits beschritten sein muß". „Vor Erschöpfung des Rechtsweges" (§ 90 I I 2 1. Halbs. BVerfGG) betrifft nach allgemeinem Sprachgebrauch den gesamten Zeitraum eben „vor Erschöpfung" und damit auch vor erstmaliger Erhebung einer Klage. Auch der letzte Nebensatz des § 90 I I 2 a. E. BVerfGG („..., falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen werden würde.") läßt von seinem Sinn nicht unbedingt den Schluß zu, daß gemeint sei „..., falls er zunächst auf die weitere Erschöpfung des Rechtsweges verwiesen werden würde". Dieser Nebensatz kann ebenfalls Konstellationen umfassen, in denen der Beschwerdeführer noch gar nichts fachgerichtlich in die Wege geleitet hat. Dieser Befund wird dadurch bestätigt, daß das Bundesverfassungsgericht für § 90 I I 2 I . Variante BVerfGG („allgemeine Bedeutung") vor allem in neuerer Rechtsprechung nicht verlangt, daß fachgerichtlicher Rechtsschutz überhaupt versucht worden i s t 1 0 6 . Warum bei dieser Variante — die in den hier interessierenden Passagen des Gesetzes textes mit der 2. Variante identisch ist — etwas anderes gelten soll als beim „schweren und unabwendbaren Nachteil", ist jedenfalls nicht der Gesetzesformulierung zu entnehmen. Damit bliebe nur noch die Frage zu klären, ob § 90 I I 2 BVerfGG verlangt, daß der Rechtsweg „noch beschreitbar ist". In der Tat könnte sich diese Beschränkung eventuell aus dem schon zitierten letzten Nebensatz des § 90 I I 2 a. E. BVerfGG entnehmen lassen, da die Verweisung „zunächst auf den Rechtsweg" impliziert, daß dieser überhaupt noch eröffnet ist. Zwingend ist diese Auslegung hingegen keineswegs, da das Bundesverfassungsgericht ohnehin den Beschwerdeführer nicht mit der Folge an das 1 0 6

Vgl. ζ. B. BVerfGE 10, 302 (308 f.); 76, 1 (40); 84, 90 (116); 84, 133 (144).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

257

Fachgericht „verweist" (wie dies innerhalb des Zivilrechtsweges ζ. B. bei § 281 I 1 ZPO der Fall ist), daß der Rechtsstreit dort mit Eingang der Akten „anhängig" wäre (vgl. § 281 I I 4 ZPO). „Verweisen" i m Sinne des § 90 I I 2 BVerfGG meint vielmehr nur: „Die Verfassungsbeschwerde mit dem Hinweis nicht annehmen, daß ein fachgerichtlicher Rechtsweg gegeben gewesen wäre". Das wird durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestätigt, nach der die erfolglos auf eine Vorabentscheidung bauenden Verfassungsbeschwerden als „unzulässig" verworfen und nicht an die Fachgerichte „überwiesen" werden 1 0 7 . Demnach kann sich aus der Formulierung des § 90 I I 2 BVerfGG kein Anhaltspunkt gegen seine Anwendung auf die Fälle ergeben, in denen schon die Beschreitung des Rechtsweges dem Beschwerdeführer „schwere und unabwendbare Nachteile" auferlegen würde und die Beschreitung daher unterbleibt. Das Bundesverfassungsgericht hat zudem mit seiner Unzumutbarkeitsrechtsprechung die Auflösung der prinzipiellen, bei § 90 I I 2 BVerfGG noch so sehr betonten Notwendigkeit des (rechtzeitigen) Beschreitens eines Rechtsweges faktisch selbst vorgenommen: Eine „Vorabentscheidung" i m untechnischen Sinne ist nach der Rechtsprechung auch möglich, wenn der Rechtsweg zwar nicht mehr beschritten werden kann, dies aber auch gar nicht „zuzumuten" gewesen wäre. Daß der Beschwerdeführer bei der Berufung auf die „Unzumutbarkeit" die gleiche Argumentation vorbringen wird, die zum Nachweis eines „schweren und unabwendbaren Nachteils" i m Sinne der § 90 I I 2 BVerfGG vorzutragen wäre, scheint das Bundesverfassungsgericht nicht zu stören und kann dem Beschwerdeführer nur recht s e i n 1 0 8 . Wenn das Bundesverfassungsgericht aber bei dieser Sachlage selbst seine restriktive Handhabung des § 90 I I 2 BVerfGG auf dem Umweg über die „Zumutbarkeit" untergräbt, so ist eigentlich schon fraglich, wieso es nicht eben diese Restriktion des § 90 I I 2 BVerfGG aufgibt, womit das Abstellen auf ein ungeschriebenes Merkmal entbehrlich wäre. Offensichtlich ist das Bundesverfassungsgericht doch inzwischen selbst der Auffassung, die Regel-Ausnahme-Konzeption des Gesetzgebers in § 90 I I 2 BVerfGG könne nicht die heutzutage auftretenden Rechtsschutzproblematiken auffangen, wenn man die Norm restriktiv anwendet. 1 0 7

Vgl. zu den Entscheidungsmöglichkeiten des BVerfG schon oben, S. 69 ff.

1 0 8

Auf die Parallelität der Inhalte des § 90 I I 2 BVerfGG und des Zumutbarkeitsbegriffes wurde schon oben, S. 238 f., hingewiesen. 17 Wannke

258

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Dann hätte es nahegelegen, mit nur minimalem auslegungstechnischen Aufwand die Vorabentscheidung auch auf die Fälle auszudehnen, in denen die Beschwerdeführer den Rechtsweg gar nicht erst beschritten haben. Es spricht z.B. nichts dagegen, daß „vor Erschöpfung des Rechtsweges" in den entsprechenden Fällen auch „vor Beschreiten des Rechtsweges" h e i ß t 1 0 9 . Damit würde sich die Notwendigkeit eines weiteren (ungeschriebenen) Ausnahmetopos von selbst erledigen. Für die Ablehnung eines „Zumutbarkeitsvorbehaltes" zugunsten des § 90 I I 2 BVerfGG spricht schließlich auch die historische Auslegung dieser Vorschrift: Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers des BVerfGG sollte die Formulierung „schwerer und unabwendbarer Nachteil" durch seine primäre Ausrichtung auf die privaten Interessen des Beschwerdeführers großzügiger aufzufassen sein als der ausdrücklich abgelehnte Begriff der „Zumutbarkeit" no. Wenn man diese Wertung übernimmt, ergibt sich insbesondere keine Notwendigkeit einer Vorfilterung auf der Tatbestandsebene oder einer nachträglichen Korrektur auf der Ausnahmeebene durch Zumutbarkeitsaspekte, da § 90 I I 2 BVerfGG umfassend Einzelfallgerechtigkeit gewähren kann.

Zwischenergebnis Sollte ein Rechtsweg gegeben sein, auf dem man das Ergebnis „Beseitigung der Verletzung" erreichen kann und der daher „effektiv" ist, dann muß dieser Rechtsweg beschritten werden, § 90 I I 1 BVerfGG. Sollte die Verweisung an den fachgerichtlichen Rechtsweg zu untragbaren Ergebnissen führen, dann kann von dieser Verweisung nach den Voraussetzungen des § 90 I I 2 BVerfGG abgesehen werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Rechtsweg schon beschritten oder noch beschreitbar ist. Wenn der Beschwerdeführer das Gericht davon überzeugen kann, daß er den „schweren und unabwendbaren Nachteil" schon dann erleiden würde, wenn er ζ. B. den Strafrechtsweg beschreiten müsse, muß dies für die Vorabentscheidung ausreichen. Auf einen eigenständigen, ungeschriebenen Ausnahmetopos „Unzumutbarkeit" kommt es dann nicht mehr an. 109

Ä h n l i c h die Überlegungen bei Schneider, Z Z P 79 (1966), S. 1 (43). Auch Schenke, N J W 1986, 1451 (1459) bringt § 90 I I 2 BVerfGG in Verbindung m i t Fallbeispielen, in denen die Bf. gar nicht erst auf den Rechtsweg verwiesen werden sollten, ohne jedoch auf das Problem näher einzugehen. 1 1 0 Vgl. die Nachw. bei Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 R N 190.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

259

(2) Der „schwere und unabwendbare Nachteil" Zwar wird in den weitaus meisten Konstellationen über den vorbeugenden und den vorläufigen Rechtsschutz ein irreparabler Rechtsverlust verhütet werden k ö n n e n 1 1 1 . Es gibt aber auch Fälle, in denen die Verweisung auf den Rechtsweg unter dem Zeitaspekt das Ergebnis präjudizieren würde, was durch Anwendung des § 90 I I 2 BVerfGG vermieden werden kann112. Es muß allerdings festgehalten werden, daß sowohl nach den Erkenntnissen der Vergangenheit als auch nach der hier vertretenen Ansicht die praktische Relevanz der Ausnahme gering sein d ü r f t e 1 1 3 . Denn um nicht zur Superrevisionsinstanz zu werden, hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht festgestellt, daß „allgemeine Nachteile, die durch die Verfolgung eines Anspruchs i m Prozeß entstehen" nicht unter § 90 I I 2 BVerfGG fallen 1 1 4 . Denkbar wäre es aber, z . B . bei einer Normenverfassungsbeschwerde ausnahmsweise das zeitliche Moment zu berücksichtigen, wenn nicht nur der Fachprozeß allgemein recht lange dauern w i r d 1 1 5 , sondern wenn aufgrund des bekannten Rechtsprechungsverhaltens des zuständigen Gerichtszuges der Beschwerdeführer zusätzlich damit rechnen muß, daß die (unteren oder gar alle) Instanzen das umstrittene Gesetz nicht dem Bundesverfassungsgericht vorlegen werden, weil sie es in ständiger Rechtsprechung für wirksam halten. In diesen Fällen wäre der Nachteil schon deswegen „schwer und unabwendbar", weil der Beschwerdeführer mit Sicherheit nur einen Zeitverlust gewärtigen würde, ohne eine Chance zu haben, dem Bundesverfassungsgericht schon vor Ablauf mehrerer Jahre per Urteilsverfassungsbeschwerde seine Bedenken schildern zu k ö n n e n 1 1 6 . Bei der Vorabentscheidung gemäß § 90 I I 2 BVerfGG können daher ζ. B. individuelle Einzelschicksale berücksichtigt werden, bei denen dann insbesondere zu begründen ist, warum der Beschwerdeführer in untypischer

111

Z u m Beispiel ausdrücklich BVerfGE 71, Hdb. d. StaatsR V I , § 153 R N 20 f.; § 154 R N 76.

305

(349).

Allgemein

Papier,

112 S i e h e das Beispiel der Wahlbewerber, das Umbach, FS Zeidler I I , S. 1235 (1247 f.) anführt. 1 1 3 114

So wohl auch Benda/Klein,

B V e r f G E 1, 69 (69 f.). (1966), S. 1 (38). 115

R N 543. Zustimmend Benda/Klein,

R N 543; Schneider,

Z Z P 79

Zur relativen Bedeutungslosigkeit der Uberlänge der Verfahren für das Problem des

effektiven Rechtsschutzes i m Sinne des Art. 19 I V G G vergleiche S. 247 f. 116 S i e h e dazu noch i m einzelnen unten, S. 268 ff.

260

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Weise besonders hart getroffen werden w ü r d e 1 1 7 . Darüber hinaus lassen sich auch ganz generell Fälle, in denen trotz effektiven Rechtsweges dem Beschwerdeführer „schwere und unabwendbare Nachteile" entstehen können, mit § 90 I I 2 BVerfGG sachgerecht lösen 1 1 8 . Insofern und auch zur weiteren Präzisierung des Begriffes des „schweren und unabwendbaren Nachteils" kann auf die Nachweise in den einschlägigen Kommentaren verwiesen werden 1 1 9 . (3) Das Annahmeermessen (a) Kein Rechtsschutzverlust durch das dem Bundesverfassungsgericht eingeräumte Annahmeermessen Dabei muß das Abwägungsermessen, das dem Bundesverfassungsgericht mit dieser Norm an die Hand gegeben wird, keine notwendige Schlechterstellung des Beschwerdeführers gegenüber dem Zumutbarkeitsvorbehalt bedeuten: Wie auch sonst bei Ermessensspielräumen steht die Abwägung nicht nur unter der rechtsstaatlichen Forderung nach „pflichtgemäßem Ermessen" 120, sondern es kann sich sogar i m Einzelfall das Ermessen nach allgemeinen Grundsätzen „ a u f Null reduzieren" 121. Daß man die bundesverfassungsgerichtliche Ermessenssausübung nicht mehr anderweitig gerichtlich überprüfen lassen kann, kann an diesem positiven Befund nichts ändern. Wollte man sich auf einen solchen Einwand einlassen, würde man das für Art. 19 I V GG gefundene Ergebnis — kein Justizgewährngsanspruch „gegen den Richter", da sonst ein Rechtsschutz ad infinitum die Folge w ä r e 1 2 2 — gründlich mißachten. Abgesehen davon sollten Befürchtungen hinsichtlich eines möglichen Ermessensfehlgebrauchs angesichts der i m Ergebnis überwiegend angemessenen Rechtsprechung in der Vergangenheit nicht überbewertet werden. 117

B V e r f G E 78, 155 (160): Bf. nicht i m Verhältnis gegenüber ihren Berufskollegen schlechter gestellt. Gusy, Verfassungsbeschwerde, R N 157 f.; Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 R N 206. 118

S i e h e ζ. B. zum Problem des Strafrechtsweges anschließend unten, S. 262 ff.

1 1 9

Dabei muß es sich vor allem u m einen Nachteil handeln, der auch bei einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde voraussichtlich nicht mehr angemessen ausgeglichen werden kann. Siehe zum Ganzen ζ. B. Gusy, Verfassungsbeschwerde, R N 155 ff.; SchmidtBleibtreu, BVerfGG, § 90 R N 206; Schneider, Z Z P 79 (1966), S. 1 (38 f.). 1 2 0 BVerfG E 8, 222 (227) und Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 90 R N 207, beide mit Hinw. auf entspr. Vorstellungen des Gesetzgebers des BVerfGG. 121 Siehe dazu grundlegend z. B. Erichsen, in: Erichsen/Martens, § 10 I I 2 c) cc) und B V e r w G E 11, 95 ff. 1 2 2

Vgl. dazu schon S. 191.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

261

Trotz des Abwägungsermessens ist § 90 I I 2 BVerfGG demnach ein durchaus brauchbares Korrektiv.

(b) Die Berücksichtigungsfähigkeit des „ZweckVorbehaltes" i m Rahmen des Ermessens gemäß § 90 I I 2 BVerfGG I m Rahmen des Abwägungsermessens des § 90 I I 2 BVerfGG ist neben der schon genannten Rechtfertigung der Bevorzugung der Verfassungsbeschwerde vor den anderen anhängigen Verfahren unter anderem 1 2 3 auch der „Zweckvorbehält", also der Sinn und Zweck des Subsidiaritätsprinzips zu berücksichtigen. Es ist j a auch ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, daß die strenge Handhabung des § 90 I I 2 BVerfGG durch das Subsidiaritätsprinzip gefordert werde 1 2 4 . Das kann nur bedeuten, daß das Subsidiaritätsprinzip dazu geeignet ist, i m Rahmen des Ermessens als Abwägungsmoment berücksichtigt zu werden. Es gilt also: Je mehr tatsächliche und rechtliche Vorfragen noch fachgerichtlich zu klären sind, desto schwerwiegender müssen die Gründe des Beschwerdeführers sein, vorab eine Entscheidung vom Bundesverfassungsgericht zu verlangen 1 2 5 . Denn immerhin wird eine rechtlich oder tatsächlich komplizierte Materie dazu führen, daß die anderen (schon länger) anhängigen Verfahren unter Umständen über Gebühr zurückgestellt werden müssen 1 2 6 . Andererseits dürfte es dem Beschwerdeführer durchaus zugute kommen, wenn die fachgerichtliche Rechtsprechung so eindeutig und geklärt ist, daß eine Vorabentscheidung nicht mit großem Forschungsaufwand verbunden i s t 1 2 7 . Gerade dann kann auch eine Bevorzugung vor den anderen anhängigen Verfahren besonders gut gerechtfertigt werden, da die Kapazitäten des Bundesverfassungsgerichts nicht übermäßig blockiert werden. Die Abwägung nach Sinn und Zweck des Subsidiaritätsgrundsatzes kann also sehr gut i m Annahmeermessen des § 90 I I 2 BVerfGG berücksichtigt werden, so daß allein wegen dieses Aspektes kein eigenständiger Ausnahmegrund geschaffen werden muß. 1 2 3 Schneider, Z Z P 79 (1966), S. 1 (39 f.) weist daraufhin, daß das BVerfG wohl auch die Erfolgsaussichten miteinbeziehen kann. 124

V g l . nur BVerfGE 1, 97 (103); 8, 222 (227); 13, 284 (289); 56, 54 (69).

125

S o jetzt auch BVerfG N J W 1992, 1676 (1677). schwerde, R N 157. 1 2 6 1 2 7

Ebenso Benda/Klein,

Ähnlich Gusy,

Verfassungsbe-

R N 541.

Das gilt auch, wenn die verfassungsrechtliche Frage schon i m Rahmen eines anderen Verfahrens (Verfassungsbeschwerde oder Normenkontrolle) beim BVerfG anhängig ist. D a n n sammelt das Gericht praktisch nur Argumente, wenn es den Bf. auch zuläßt. W i e hier Schneider, Z Z P 79 (1966), S. 1 (40).

262

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

cc) Anwendung der hier vertretenen „zweigliedrigen Konzeption" auf einige wichtige Einzelfalle Um die Theorie durch praktische Anwendung zu verdeutlichen, soll im folgenden die vorgeschlagene Konzeption, die sich auf die zwei „Pfeiler" der rechtsstaatsadäquaten Auslegung des § 90 I I 1 BVerfGG und der umfassenden Geltung des § 90 I I 2 BVerfGG stützt, an Beispielen aus der Rechtsprechung „getestet" werden, wobei bezüglich einiger Fallgruppen auch schon nach oben verwiesen werden k a n n 1 2 8 . Zu nennen sind hier z.B. die Konstellationen der Rechtsverletzung durch potentiell verfassungswidrige Straf- und Ordnungswidrigkeitengesetze. M i t dem hier abgelehnten Topos der „Zumutbarkeit" hilft das Bundesverfassungsgericht auch in Fällen, in denen der Beschwerdeführer ein umstrittenes Rechtsmittel hätte einlegen müssen 1 2 9 . Weiterhin wird der Zumutbarkeitsvorbehalt angewendet, wenn eine eindeutig entgegenstehende Rechtsprechung in der Sache die Rechtswegerschöpfung als von vornherein aussichtslos erscheinen l ä ß t 1 3 0 .

aaa) Die Verfassungsbeschwerde gegen StrafOrdn ungswidrigkeitengesetze

und

Als besonders einleuchtendes Beispiel zugunsten der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gilt allgemein die Aussage, daß eine Verweisung auf den Rechtsweg dem Beschwerdeführer nicht „zugemutet" werden könne, wenn dieser sich dabei erst strafbar machen oder eine Ordnungswidrigkeit begehen w ü r d e 1 3 1 . Daß ein solches Risiko dem Beschwerdeführer nicht aufgebürdet werden kann, steht wohl in der Tat außer Zweifel 1 3 2 . Es ist aber fraglich, ob hier ein ungeschriebener „Zumutbarkeitsvorbehalt" bemüht werden muß. 128

S . 249 ff.

129

U n t e n S. 266 f.

130

U n t e n S. 268 ff.

131

Aus jüngerer Zeit ζ. B. BVerfGE 81, 70 (82 f.). Zustimmend unter dem Zumutbarkeitsaspekt ζ. B. Bachof, A ö R 86 (1961), S. 186 (189 f.); ähnlich Maurer, FS Kern, S. 275 (283 f.). 1 3 2 Anderer Ansicht nur Bettermann, A ö R 86 (1961), S. 129 (167 f.), der deswegen von Bachof, AöR 86 (1961), S. 186 (189 f.) zu Recht kritisiert wird.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

263

(1) Der Straf- und Ordnungswidrigkeitenprozeß als „Rechtsweg gegen die Verletzung" von Grundrechten durch die Strafnorm Dabei kann wohl kaum bezweifelt werden, daß es sich beim Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechtsweg um einen „Rechtsweg gegen die Verletzung" i m Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG handelt. Das Strafverfahren wird dem Bürger von der Rechtsordnung zwar nicht zur Durchsetzung von Individualrechten zur Verfügung gestellt 1 3 3 ; auch in ihm werden aber die Grundrechte des jeweils Beschuldigten in angemessener Weise (d. h. i m Sinne von Art. 19 I V , 20 I I I GG) berücksichtigt. Dabei versucht die Strafgerichtsbarkeit wegen der grundrechtsintensiven Materie im besonderen Maße, die Verfahren noch schneller als in anderen Gerichtszweigen abzuschließen. Zudem kann auch i m Strafverfahren die anzuwendende Norm als Vorfrage (inzident) auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin überprüft und gegebenenfalls nach Art. 100 I GG vorgelegt werden. Daher ist auch nichts dagegen einzuwenden, daß in bestimmten Fällen die Beschwerdeführer tatsächlich auf den Strafrechtsweg verwiesen werden. Das gilt vor allem in den Fällen, in denen der Betroffene schon wegen der Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit strafrechtlich verfolgt wird (d. h. das Verfahren schon läuft) und sich ein Grundrechtsverstoß erst in diesem Verfahren ereignet (ζ. B. Verstoß des Gerichts gegen Art. 103 I GG) oder herausstellt (ζ. B. Verstoß der Strafnorm gegen Art. 103 I I GG). Dann ist der Beschwerdeführer — wie in allen anderen Instanzenzügen auch — erst einmal gehalten, die fachgerichtlichen Instrumentarien (ζ. B. §§ 33 a, 311 a StPO) vollständig auszunutzen, was nichts anderes heißt, als daß er den „Rechtsweg erschöpfen" muß (§ 90 I I 1 B V e r f G G ) 1 3 4 .

(2) Die Notwendigkeit des Absehens vom „Beschreiten" des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechtsweges Andererseits ist zu berücksichtigen, daß das Bundesverfassungsgericht offensichtlich auch selbst Hemmungen hat, den bis dato noch nicht straffällig gewordenen Beschwerdeführer auf den Strafrechtsweg zu verweisen, — 133

Kleinknecht/Meyer, Einl., R N 9. Daß der Grundrechtsschutz anderer Grundrechtsträger als dem Angeklagten — ζ. B. des nasciturus — oft erst durch das Strafrecht ermöglicht wird, stellt Bethge, Grundrechtskollisionen, S. 408 ff., insbes. S. 411 f., zu Recht dar. 134

Z u m Beispiel BVerfGE 33, 192 (194); 42, 243 (249).

264

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

sonst müßte es nicht mit der „Zumutbarkeit" korrigierend eingreifen. Das Bundesverfassungsgericht geht dabei ersichtlich davon aus, daß allein durch die Beschreitung des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechtsweges dermaßen stark in die Rechtssphäre des Betroffenen eingegriffen wird, daß dies aus rechtsstaatlichen Gründen — vor allem wenn die Strafnorm doch verfassungswidrig ist — nicht hinnehmbar ist. Der Grund liegt zum einen bei den Folgen der Straftat schon i m Vorfeld des strafgerichtlichen Haupt Verfahrens. Der Straftäter (und seine Umgebung) wird von polizeilicher und staatsanwaltlicher Ermittlung überzogen, sein Betrieb (bei einer Wirtschaftsstraftat) wird möglicherweise geschlossen bzw. seine Produktion behindert und Ware sichergestellt. Er muß eventuell sogar in Untersuchungshaft. Vor all dem kann er sich kaum schützen, wenn er wirklich gegen das von ihm für verfassungswidrig gehaltene Gesetz verstoßen hat. Kurz gesagt wird sein komplettes berufliches und privates Leben von staatlicher Seite her intensiv beeinträchtigt, obwohl das gerichtliche Hauptverfahren — in dem sich dann die Vorlagemöglichkeit nach A r t . 100 I GG ergibt — noch gar nicht angefangen hat. Zu diesem eher rechtstatsächlichen Problem kommt als entscheidender Faktor aber noch eine damit in unmittelbarem Zusammenhang stehende strukturelle Überlegung: In den Gerichtszweigen der Z i v i l - und Verwaltungsgerichtsbarkeiten geht es i m Kern immer um die Durchsetzung der Rechte des Klägers gegenüber einem anderen Bürger oder dem Staat, sei es i m Rahmen eines Leistungsbegehrens (ζ. B. Zahlungsklagen, Verpflichtungsklagen, usw.) oder eines „Abwehrbegehrens" (im weitesten Sinn, also von zivilprozessualen Unterlassungsklagen bis hin zu verwaltungsrechtlichen Anfechtungsklagen). Dementsprechend spielt sozusagen die „aktive", „angreifende" Rolle der Kläger selbst, der entscheiden kann, ob überhaupt und mit welchen Mitteln und mit welcher Hartnäckigkeit er sein Begehren verfolgen will. Zur Not kann er seine Klage immer noch zurückziehen, wenn er merkt, daß niemand seiner Rechtsansicht folgen mag. Nicht mehr behebbare Beeinträchtigungen kann der Betroffene in weitem Umfang durch vorläufigen Rechtsschutz verhindern. Diese Verfahren sind daher auch strukturell dazu geeignet, i m Rahmen ihres Bereiches die Verfassungsbeschwerde als subsidiär zu „ersetzen". Voraussetzungen und Entscheidungsrichtung gehen vor allem in der Verwaltungsgerichtsbarkeit in die gleiche Richtung wie die Verfassungsbeschwerde

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

265

(vgl. z. B. § 90 I BVerfGG m i t § 42 I I V w G O und § 95 I 1 BVerfGG mit § 1131 1 VwGO). I m Strafverfahren geht es aber von der „Stoßrichtung" her um den Strafanspruch der Rechtsgemeinschaft — vertreten durch den Staat — gegenüber dem Betroffenen 1 3 5 , nicht um dessen Anspruchsdurchsetzung. Die Fronten sind ζ. B. gegenüber dem Verwaltungsverfahren quasi „spiegelverkehrt". Der Angeklagte ist nicht der „aktive", angreifende, sondern der sich verteidigende Part, der sich selbstredend keineswegs u m das Verfahren reißt, sondern strafrechtlich „verfolgt" (!) w i r d 1 3 6 . In diesem Sinne ist der Betroffene — strafprozessual untechnisch gesprochen — eher „Obj e k t " 1 3 7 des Verfahrens, der auf die Intensität des Prozesses über seine rechtsstaatlichen (das soll hier keineswegs bezweifelt werden!) Verteidigungsrechte hinaus nicht viel Einfluß h a t 1 3 8 . Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren stellen eben „Maßregelungsverfahren" dar. Jedenfalls kann der Beschwerdeführer — selbst unter Übernahme aller Kosten — nicht den Prozeß abbrechen, sondern muß faktisch abwarten, bis dem Strafanspruch des Staates genüge getan ist. Daher kann der — bis dahin „unbescholtene" — Beschwerdeführer nicht bei Erhebung der Verfassungsbeschwerde gegen ein Strafgesetz i. w. S. darauf verwiesen werden, den strafgerichtlichen Rechtsweg zu beschreiten. Er kann sich eben nicht des Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens zur Durchsetzung seiner individuellen Rechte „bedienen".

(3) Vorabentscheidung gemäß § 90 I I 2 BVerfGG Wenn nun ein Beschwerdeführer gegen ein Strafgesetz direkt vorgehen will, so bedarf es einer selbständigen Ausnahme „Unzumutbarkeit" nicht.

135

Kleinknecht/Meyer,

136

Einl., R N 5.

I m Ergebnis wie hier Hövel, Zumutbarkeit.

S. 135 allerdings unter dem Gesichtspunkt der

13 7 Kleinknecht/Meyer, Einl., R N 5 machen natürlich zu Recht darauf aufmerksam, daß der Beschuldigte eigentlich „Subjekt", die Tat und das Verschulden dagegen „Objekt" des Verfahrens sind. Der Begriff soll hier auch nur bildlich gebraucht werden. 1 3 8 Das wird schon daran deutlich, daß der Betroffene als „Täter" noch nicht einmal sicher sein kann, daß ein Strafverfahren, in der die betreffende Norm überprüft werden könnte, überhaupt eingeleitet wird; in diesem Zusammenhang sei nur auf die zahlreichen Einstellungsmöglichkeiten der Staatsanwaltschaft gem. §§ 153 ff. S t P O verwiesen, die ζ. T . weder die Zustimmimg des Angeschuldigten noch die eines Richters erfordern (womit dann auch die Richtervorlage des A r t . 100 I G G nicht mehr greift).

266

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Die Korrekturfunktion des § 90 I I 2 BVerfGG ist vollkommen ausreichend 139 : Noch schwerere unabwendbare Nachteile i m Sinne des § 90 I I 2 BVerfGG als die oben in Verbindung mit dem Strafprozeß aufgezeigten dürften für einen Beschwerdeführer kaum vorstellbar sein. Dabei wurde ebenfalls bereits erläutert, daß § 90 I I 2 BVerfGG auch nicht unbedingt das Beschreiten des Rechtsweges erfordert. Insbesondere liegt bei Straf- und Ordnungswidrigkeitsnormen immer eine Situation vor, die geradezu den Paradefall einer Ermessensreduzierung auf Null darstellen d ü r f t e 1 4 0 . Denn einerseits kann der Beschuldigte nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes noch nicht einmal die Fortführung eines Strafverfahrens bis zum Beweis der Unschuld verlangen 1 4 1 . Andererseits droht aber die unleugbare — wenn auch zu mißbilligende — Realität, daß der Beschwerdeführer, der einmal in ein Strafverfahren verwickelt wurde, auch bei dessen „glücklichem Ausgang" in seiner Umgebung nie völlig den Makel los wird, (eventuell öffentliches) Ziel von Ermittlungen durch Staatsanwaltschaft und Polizeibehörden bzw. Mittelpunkt eines Strafprozesses gewesen zu sein. Damit dürfte die Möglichkeit der Ermessensentscheidung zuungunsten des Beschwerdeführers praktisch ausgeschlossen sein.

Zwischenergebnis Der bis dato nicht strafrechtlich verfolgte, durch ein Strafgesetz i. w. S. aber möglicherweise in seinen Rechten Betroffene kann unmittelbar gegen dieses Strafgesetz Normen Verfassungsbesch werde erheben. Das Bundesverfassungsgericht hat hier keinen Ermessensspielraum i m Sinne des § 90 I I 2 BVerfGG. Selbstverständlich müssen die anderen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde gegeben sein, wobei Schwierigkeiten vor allem bei der Beschwerdebefugnis gemäß § 90 I BVerfGG auftreten könnten. Das ist jedoch ein allgemeines Problem der (Normen-)Verfassungsbeschwerde und hat — insbesondere nach Befreiung der Beschwerdebefugnis vom Erfordernis des „unmittelbaren Betroffenseins" — nichts mit der hier interessierenden Subsidiaritätsproblematik zu tun. 139

Bachof,

AÖR 86 (1961), S. 186 (192) will den § 90 I I 2 BVerfGG wenigstens „sinn-

gemäß" anwenden. 140 I n s o w e i t ist BVerfGE 76, 248 ff. — Fall Hackethal — abzulehnen. 141

B G H S t 10, 88 (93).

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

bbb) Die Irrtumsproblematik und die Problematik umstrittenen Rechtswege und Rechtsmittel

267

der

Problematisch werden die Fälle auch, in denen ein Beschwerdeführer ein fachgerichtliches Rechtsschutzmittel unterläßt, weil er es irrtümlich gar nicht für gegeben hält. Wenn er also in solch einem Fall direkt Verfassungsbeschwerde erhebt, ist zunächst zu differenzieren: Unstreitig sind wohl die Fälle, in denen der Beschwerdeführer — eventuell aus Unkenntnis — ein unstreitig gegebenes Rechtsmittel unterläßt. Die Versäumnis hat er sich dann nach allgemeinen Prozeßgrundsätzen selbst zuzuschreiben, und sie kann ihm auch entgegengehalten werden. Denn die Kenntnis der allgemein anerkannten Prozeßregeln, wird dem Kläger immer abverlangt. Die Verfassungsbeschwerde ist wegen Verstoßes gegen § 90 I I 1 BVerfGG unzulässig, wobei hier allgemeiner Konsens herrschen d ü r f t e 1 4 2 . M i t dem Topos der „Unzumutbarkeit" hilft das Bundesverfassungsgericht dagegen gelegentlich in Fällen, in denen ein Beschwerdeführer ein umstrittenes Rechtsmittel nicht eingelegt hatte. Gemeint sind dabei zum einen die Konstellationen, in denen das Bundesverfassungsgericht selbst die fachgerichtlichen Prozeßordnungen extensiv auslegt. Diese Rechtsmittel konnten die Beschwerdeführer noch gar nicht kennen, wie das Bundesverfassungsgericht in den Entscheidungen auch z u g i b t 1 4 3 . Daß hier das Bundesverfassungsgericht überhaupt Zurückhaltung üben sollte, wurde schon festgestellt 1 4 4 . Wenn das Bundesverfassungsgericht dieser Forderung folgte, würde automatisch auch die Notwendigkeit der Korrektur der zuvor selbst erzeugten Härten entfallen. Andererseits fällt unter dieses Kapitel auch die Fallgruppe, in der innerhalb der Fachgerichtsbarkeit Uneinigkeit bezüglich eines Rechtsmittels besteht 1 4 5 . Hier ist meines Erachtens in der ausführlich dargestellten Art und Weise vorzugehen, auf die an dieser Stelle nur noch einmal verwiesen sein s o l l 1 4 6 . Das bedeutet insbesondere, daß bei Fehlen einer einheitlichen Rechtsprechung auf die bisherige Judikatur des konkret zuständigen Gerichtes 142

S o auch i. E. Gusy, Verfassimgsbesch werde, R N 154; Hövel, S. 95; Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 653. 143

Z u m Beispiel BVerfGE 60, 96 (99); 61, 78 (81); 61, 119 (121 f.); 63, 77 (79); 73, 322 (329); BVerfG N J W 1991, 2622 (2623). Ähnlich schon BVerfGE 22, 349 (358 f.). 144

S. 134 ff.

145

Z u m Beispiel BVerfGE 16, 1 (2 f.).

146

S . 146 ff.

268

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

abgestellt werden m u ß 1 4 7 (deren Kenntnis sich der Beschwerdeführer gegebenenfalls über einen Anwalt beschaffen kann), und nur wenn auch diese fehlt, ist aufgrund der prinzipiell zu fordernden Rechtswegerschöpfung der Beschwerdeführer zum Versuch der fachgerichtlichen Rechtsmitteleinlegung gehalten. Gleichzeitig — quasi „flankierend" — kann der Betroffene Verfassungsbeschwerde mit der Bitte um Vorabentscheidung gemäß § 90 I I 2 BVerfGG erheben, wenn dessen Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen.

Zwischenergebnis Zu einer Korrekturbedürftigkeit mittels „Zumutbarkeit" kommt man bei der dargestellten Vorgehensweise gar nicht. Die ganze Problematik dreht sich vielmehr zunächst um die schon vieles vorentscheidende Frage, wie der „Rechtsweg" i m Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG i m konkreten Fall aussieht, wenn sich der Fachprozeßordnung nichts genaues entnehmen l ä ß t 1 4 8 . Wenn der Beschwerdeführer dann tatsächlich auf einen ungeklärten Rechtsweg verwiesen wird, steht § 90 I I 2 BVerfGG zur Vermeidung von Härten bereit.

ccc) Die Problematik der eindeutig entgegenstehenden fachgerichtlichen Rechtsprechung in der Sache Wurde gerade festgestellt, daß der „Rechtsweg" durch die Prozeßordnungen und deren Anwendung durch die zuständigen Fachgerichte definiert wird, so bleibt noch zu überlegen, wie vorzugehen ist, wenn in der Sache — also materiell-rechtlich — eine eindeutig entgegenstehende höchstrichterliche Rechtsprechung die Rechtswegbeschreitung als völlig sinn- und aussichtslos erscheinen läßt. Die Qualität des „Rechtsweges" im Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG wird als solche durch die materiell-rechtliche, inhaltliche Erfolglosigkeit der Klage nicht beeinträchtigt. Für den Rechtsweg kommt es nur darauf an, ob ein Verfahren nach einer geltenden Prozeßordnung zur Durchsetzung eines bestimmten Begehrens überhaupt zur Verfügung s t e h t 1 4 9 . 147

W i e hier BayVerfGHE 40, 54 (56).

148

S o verstehe ich auch Schneider, Z Z P 79 (1966), S. 1 (42).

149 S i e h e ζ. B. BVerfGE 4 , 1 9 3 (198); Bender, A ö R 112 (1987), S. 169 (177); dere., N J W 1988, 808 (809); ders., Befugnis des BVerfG, S. 404; Geiger, BVerfGG § 90 A n m . 7; Laubinger, JA 1971, 177 (178); Leibold, S. 91, 93; Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG § 90 R N 195 und 196; Stern, B K , A r t . 93 R N 720; Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 618.

I I I . Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde

269

Andererseits hat der Beschwerdeführer keine reelle Chance auf Beseitigung der Grundrechtsverletzung, wenn eine derartig eingefahrene obergerichtliche Rechtsprechung i m Räume steht. Würde man den Beschwerdeführer trotzdem auf den Rechtsweg verweisen, hätte dies für ihn nur Zeitverlust und Kostenbelastung zur Folge, da bei ständiger „problemblinder" Fachgerichtsrechtsprechung nicht zu erwarten ist, daß ohne äußeren Anlaß (z.B. Spruch des Bundesverfassungsgerichts) diese Fachgerichte ihre Vorgehens weise plötzlich ändern 1 5 0 . Somit muß es für den Beschwerdeführer möglich sein, unter Berufung auf § 90 I I 2 BVerfGG Verfassungsbeschwerde schon vor Erschöpfung des aussichtslosen Rechtsweges zu erheben. Dabei ist von anderer Seite gefordert worden, der Beschwerdeführer müsse den Rechtsweg zumindest „beschritten", also Klage o. ä. erhoben h a b e n 1 5 1 . Wo aber der Sinn der Beschreitung liegen soll, wenn das höchstrichterliche Gericht „die Norm bewußt und ständig als gültig behandelt" 1 5 2 , wird nicht ganz klar; daß ein unteres Instanzgericht „ausschert", ist keine Möglichkeit, auf die ein Rechtsschutzsuchender bei einer entgegenstehenden ständigen Rechtsprechung der Obergerichte ernsthaft verwiesen werden k ö n n t e 1 5 3 . Auch das Bundesverfassungsgericht verweist den Beschwerdeführer nicht unbedingt auf die Beschreitung des Rechtsweges 154 , so daß insoweit Übereinstimmung mit der hier vertretenen Ansicht besteht. Allerdings tut es dies unter Rückgriff auf den Zumutbarkeitsvorbehalt und nicht unter Anwendung des § 90 I I 2 B V e r f G G 1 5 5 . Diese Norm ist jedoch durchaus einschlägig, da es wohl unstreitig ist, daß der Beschwerdeführer durch die Erschöpfung des aussichtslosen Rechtsweges schwere und unabwendbare Nachteile in Form des bereits genannten Zeitverlustes und der Kostenbelastung erleidet. Diese Belastungen liegen auch nicht i m Rahmen dessen, was jeder Bürger als allgemeine Nachteile bei der Rechtsverfolgung auf sich zu nehmen 150 B V e r f G E 9, 3 (7 f.); 10, 302 (308 f.). Ähnlich wie hier auch Gusy, Verfassungsbeschwerde, E N 150; Leibold, S. 124 f.; Redeiberger, N J W 1953, 361 (365); Schneider, Z Z P 79 (1966), S. 1 (42); allerdings unter dem Zumutbarkeitstopos. 151

Bettermann, A ö R 86 (1961), S. 129 (151 f.).

1 5 2

So Bettermann selbst, ebenda.

1 5 3

Wie hier Schneider, Z Z P 79 (1966), S. 1 (43).

154 B V e r f G E 9, 3 (7 f.); 47, 1 (17 f.) — Rechtsweg schon beschritten; 10, 302 (308 f.); 27, 253 (269 f.) — Rechtsweg noch nicht beschritten. 155

S i e h e die Nachw. in vorstehender F N und BVerfGE 18, 1 (16); 21, 160 (167). I n BVerfGE 18, 224 (231) nimmt das BVerfG die Verfassungsbeschwerde dagegen an, „da kein abweichendes Ergebnis" von der ständigen Rechtsprechung „zu erwarten sei" (also ohne Berufung auf Unzumutbarkeit).

270

C. Untersuchung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

h ä t t e 1 5 6 , da Nachteile j a nur deswegen hinzunehmen sind, weil man auf der anderen Seite dafür auch i m allgemeinen zumindest eine theoretische Aussicht auf Erfolg geboten bekommt. Dies ist hier aber gerade nicht der Fall.

Zwischenergebnis Auch bei eindeutiger entgegenstehender Fachgerichtsrechtsprechung in der Sache kann dem Beschwerdeführer schon über § 90 I I 2 BVerfGG geholfen werden. Ein Rekurrieren auf einen ungeschriebenen Zumutbarkeitsvorbehalt erscheint als nicht erforderlich.

Gesamtergebnis zu K a p i t e l C . 1.

Es hat sich i m Rahmen der Untersuchung gezeigt, daß es eines eigenständigen Zulässigkeitsmerkmals „Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde" nicht bedarf. Entweder konnte die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts inhaltlich ohnehin nicht überzeugen, wenn sie den Beschwerdeführern besonders strenge Anforderungen als Zulässigkeitshürden auferlegte. Oder die Anforderungen waren zwar inhaltlich sinnvoll und legitim; dann ließen sie sich aber durch das ausdrücklich normierte Rechtswegerschöpfungsgebot des § 90 I I 1 BVerfGG ebenso begründen. Insbesondere dessen restriktive Handhabung bezüglich formeller Gesetze kann nicht überzeugen, da eine solche sich weder am Wortlaut noch am Sinn und Zweck der Norm festmachen läßt. Daher muß es bei dem schon bei der Frage nach der Rechtsgrundlage des Subsidiaritätsprinzips gefundenen Ergebnis bleiben, daß sich „ein" Prinzip der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde in § 90 I I 1 BVerfGG sicherlich finden läßt: Soweit diese Kompetenz Verteilung reicht, sind die Fachgerichte vorrangig zur Gewährung von (Grund-)Rechtsschutz zuständig. Darüber hinaus Anforderungen zu stellen, hat sich aber als dogmatisch und auch als inhaltlich problematisch erwiesen. 1 5 6

Vgl. zu dieser Einschränkung schon oben, S. 258.

Gesamtergebnis zu Kapitel C.

271

Nach allem stellt die „Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde" zwar einen Grundsatz dar, der als Auslegungshilfe i m Rahmen des § 90 I I 1 BVerfGG berücksichtigt werden kann. Nicht aber vermag er eigenständige Zulässigkeitsvoraussetzungen aufzustellen.

2. Auch auf der „Korrektiv-" oder „Ausnahmeebene" sollte sich das Bundesverfassungsgericht wieder mehr den gesetzlich vorgegebenen Mitteln zuwenden. Zur Durchsetzung des effektiven Rechtsschutzes unter Berücksichtigung insbesondere der Einzelfallgerechtigkeit können die Vorschriften des § 90 I I 1 und 2 BVerfGG nutzbar gemacht werden. Auf praeter legem entwickelte Vorbehalte (insbesondere eine eigenständige Ausnahme „Zumutbarkeit") kommt es dann nicht mehr an.

D . Gebietsquerverweisung: Die Subsidiarität der kommunalen Verfassungsbeschwerde gemäß A r t . 93 I N r . 4 b G G

Auf die kommunale Verfassungsbeschwerde (Art. 931 Nr. 4 b GG i. V. m. §§ 13 Nr. 8 a, 90 ff. BVerfGG) muß allerdings auch noch eingegangen werden. Obwohl sie eher als eine „Normenkontrolle mit beschränktem Antragsrecht" 1 2 zu qualifizieren ist, hat das Bundesverfassungsgericht wichtige Aspekte seiner Subsidiaritätsrechtsprechung auf die Kommunalverfassungsbeschwerde übertragen, da auch sie einen außerordentlichen Rechtsbehelf zum Schutz subjektiver Rechte (nämlich des kommunalen Selbstverwaltungsrechts 3 ) darstellt 4 . Indes spielt die gesetzlich angeordnete Subsidiarität der Landes- vor der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit (Art. 93 I Nr. 4 b a. E. GG i. V. m. § 91 S. 2 BVerfGG) für die hier interessierende Problematik keine Rolle. Diese Vorschrift ist Ausdruck der getrennten Verfassungsräume von Bund und Ländern 5 , nicht der zu trennenden Kompetenzräume von Fach- und Verfassungsgerichtsbarkeit.

^ g l . Bethge, D Ö V 1972, 155 (155 m. w. Nachw. in F N 6); Lower , § 56 R N 64; Schiaich, R N 184 und Stern, B K , A r t . 93 R N 776 (m. w. Nachw.). Burmeister, JA 1980, 17 (passim) will demgegenüber die kommunale Verfassungsbeschwerde der T y p i k der Bund-LSnder-Streitigkeiten zuordnen. Dagegen (wohl zu Recht) allerdings und seinerseits mehr die Verwandtschaft zur Verfassungsbeschwerde betonend Sachs, BayVBl. 1982, 37 (41 und schon in F N 1 a. E.). Diesem scheinen sich nunmehr auch Benda/Klein, R N 626 f. anzuschließen. Lechner, BVerfGG, § 91 A n m . 2; Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 R N 12 und Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 106 (m. v. w. Nachw. zu dieser Meinung in F N 195) schließlich sprechen von einem „Rechtsinstitut eigener A r t " . 2 Beschränkt ist allerdings eigentlich auch noch der Prüfungsmaßstab ( A r t . 28 I I G G ) und der Prüfungsgegenstand; vgl. Friesenhahn, BVerfG u. G G I , S. 748 (787); dazu noch unten, S. 273 f. 3 Z u m Selbstverwaltungsrecht als (auch) subjektiver Rechtsstellungsgarantie siehe Stern, StaatsR I , § 12 I I 3 a, b m. w. Nachw. 4

S o zu Recht Bethge, D Ö V 1972, 155 (155). Kritisch bezüglich Parallelen zur Verfassungsbeschwerde Friesenhahn, BVerfG u. G G I , S. 748 (787). 5 S o ζ. B. Bethge, D Ö V 1972, 336 (337) und E. Klein, FS Zeidler I I , S. 1305 (1317 m . w. Nachw. in F N 66).

I. Beschwerdegegenstand

273

Dementsprechend ist die kommunale Verfassungsbeschwerde nach dem GG auch gänzlich (d. h. endgültig 6 ) ausgeschlossen, wenn die Kommune Landesverfassungsgerichtsschutz in Anspruch nehmen kann 7 , wobei dieses Konkurrenzverhältnis naturgemäß nur bei der Kontrolle von Landesgesetzen überhaupt auftreten kann 8 . Das Bundesverfassungsgericht hat aber bei der Kommunalverfassungsbeschwerde auch eine Subsidiarität gegenüber der Fachgerichtsbarkeit nach dem Vorbild der Jedermann-Verfassungsbeschwerde (Art. 931 Nr. 4 a GG) herausgearbeitet 9 :

I . Beschwerdegegenstand War es bei der Individual-Verfassungsbeschwerde noch relativ müßig, über den Beschwerdegegenstand ein Wort zu verlieren, da unbestrittenermaßen die Hoheitsakte aller drei Gewalten dem Begriff der „öffentlichen Gewalt" gemäß § 90 I BVerfGG unterfallen, so muß bei der Kommunalverfassungsbeschwerde zunächst das Augenmerk darauf gelenkt werden, daß nur „Gesetze" (vgl. Art. 93 I Nr. 4 b GG, § 91 S. 1 BVerfGG) tauglicher Angriffsgegenstand sein können. Unter diesen Gesetzesbegriff fallen nach ständiger Rechtsprechung auch Rechts Verordnungen 1. 6

M i t Nachdruck Bethge, D Ö V 1972, 336 (337).

7

Allerdings muß „die Gewährung ausreichenden, zumindest der Minimalgarantie des Art. 28 G G entsprechenden Rechtsschutzes" sichergestellt sein; vgl. Stern, StaatsR I I , § 44 I V 9 b m. w. Nachw. Zustimmend Bethge, D Ö V 1972, 336 (337). 8 D a s ergibt sich nicht nur aus der eindeutigen Formulierung des A r t . 93 I Nr. 4 b G G , der insoweit die undeutliche Formulierimg des § 91 S. 2 BVerfGG klarstellt, sondern auch aus der Tatsache, daß die Landesverfassungsgerichte unmittelbar nur Landesverfassungsrecht als Prüfungsmaßstab heranziehen dürfen. Der Verstoß eines Bundesgesetzes gegen Landesverfassungsrecht ist aber schon wegen A r t . 31 G G („Bundesrecht bricht Landesrecht") gar nicht möglich; so zu Recht Bethge, D Ö V 1972, 155 (156 in F N 14); ders., D Ö V 1972, 336 (336). 9

Gegenüber der Anwendung von Subsidiär!tätsgedanken auf die Kommunalverfassungsbeschwerde zu Recht ablehnend Löwer, § 56 R N 64 — leider ohne weitere Untersuchung der Rechtsprechung. 1 BVerfGE 26, 228 (236); 56, 298 (309); 71, 25 (34). BVerfGE 76, 107 (114) geht noch weiter und schließt auch „aHe anderen vom Staat erlassenen Rechtsnormen" — m i t einem Blick auf die Regelung des § 47 V w G O (S. 110) insbesondere alle anderen „untergesetzlichen Rechtsnormen" — ein, u m Rechtsschutzlücken zu vermeiden. Zustimmend Bethge, D Ö V 1972, 336 (338); E. Klein, A ö R 108 (1983), 588 (599); Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I I I R N 58 m . F N 224 f. Ob Gewohnheits- und Richterrecht unter „Gesetz" i. S. d. § 91 BVerfGG fallt, wird in BVerfG D Ö V 1987, 342 (343) offengelassen. Dagegen (und allgemein ausfuhrlich zum Gesetzesbegriff) Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 R N 12 ff.; dafür (und ebenso ausführlich) Stern, B K , A r t . 93 R N 806; sympathisierend auch Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 1082 in F N 5. Hier kann offenbleiben was unter

18 Warmke

274

D . Die Subsidiarität der kommunalen Verfassungsbeschwerde

Diese zunächst recht unspektakuläre Feststellung hat für die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen eine gewissermaßen präjudizierende Relevanz.

I I . Beschwerdebefugnis Bei der Besch werdebefugnis hält das Bundesverfassungsgericht wie auch bei der Individualverfassungsbschwerde am Erfordernis des „ unmittelbaren Betroffenseins" fest 1 . Dabei sieht das Bundesverfassungsgericht zu Recht, daß (wenn überhaupt 2 ) hier nur der materielle Aspekt des Unmittelbarkeitsbegriffes — nämlich die Frage, ob die Kommune als Beschwerdeführerin überhaupt geltend machen kann, in ihrem Recht aus Art. 28 I I GG schon durch das Gesetz verletzt zu sein — eine Rolle spielen kann 3 . Das ist nicht der Fall, wenn nicht das angegriffene (formelle) Gesetz, sondern erst eine aufgrund dieses Gesetzes erlassene Rechtsverordnung in den Rechtskreis der Kommune eingreift 4 . Der verfahrenstechnische Aspekt des Unmittelbarkeitskriteriums — die Verweisung der Beschwerdeführerin auf die fachgerichtliche Anfechtung des Vollzugsaktes — wird hingegen zutreffenderweise mit dem Argument beiseite geschoben, daß die Kommune „solche Akte...nicht mehr mit der Kommunalverfassungsbeschwerde angreifen (könnte), weil diese nur als Rechtssatz Verfassungsbeschwerde zulässig i s t " 5 . „Gesetz" i. S. d. § 91 BVerfGG zu verstehen ist, da jedenfalls Einzelentscheidungen von Gerichten und Verwaltungen nicht darunter fallen. Vgl. nur BVerfGE 25, 124 (128 f.); BVerfG D Ö V 1987, 344 (344). Zustimmend Lechner, BVerfGG, § 91 A n m . 4; Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 1079 in F N 1. 1 BVerfG E 25, 124 (128); 26, 228 (236); 56, 298 (309); 71, 25 (34); 76, 107 (112 f., 116); 78, 331 (340); 79, 127 (141). BVerfG, Beschl. v. 27.11.1986 — 2 B v R 1241/82 (vgl. d. nichtamtlichen Leits. in D Ö V 87, 341 (341). Zustimmend Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 R N 27. 2 Es gilt natürlich auch hier das oben bei der Jedermann-Verfassungsbeschwerde gewonnene Ergebnis, daß auf die gesamte Formel des „selbst, gegenwärtig und unmittelbar" zugunsten der gesetzlichen Regelung — hier also § 91 BVerfGG — verzichtet werden sollte. So zumindest für das Unmittelbarkeitskriterium bei der kommunalen Verfassungsbeschwerde auch audrücklich Stern, B K , Art. 93 R N 798. 3 A u c h Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 R N 27 betont, daß § 91 BVerfGG wie § 90 I BVerfGG dem Auschluß der Popularklage dient. 4 V g l . BVerfGE 76, 107 (113): Gesetz hat „noch keinerlei konkreten Bezug zum Gebiet der Beschwerdeführerin". Ebenso Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 1121. 5

BVerfG E 71, 25 (35); 76, 107 (113).

I I I . Das Rechtswegerschöpfungsgebot gemäß § 90 I I 1 BVerfGG

275

Dieser Einschränkung ist voll zuzustimmen, da nach fachgerichtlicher Absegnung eines Vollzugsaktes weder dieser noch das letztinstanzliche Urteil über die Kommunalverfassungsbeschwerde angreifbar wären. Die Kommunalverfassungsbeschwerde ist eben als UrteilsVerfassungsbeschwerde nicht zulässig 6 . Damit bliebe aber auch eine nach erfolgloser Vollzugsaktsanfechtung gegen die ermächtigende Ausgangsnorm gerichtete Kommunalverfassungsbeschwerde selbst bei einem positiven Verfahrensausgang für die Beschwerdeführerin ineffektiv: Gemäß § 95 I I I 3 i. V. m. § 79 I I 1 BVerfGG blieben sowohl das ungünstige Fachgerichtsurteil als auch der belastende Vollzugsakt 7 der Exekutive weiterhin bestehen 8 . Ebenso richtig war eine weitere (früher) vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Konsequenz dieser nur „teilweisen" Anwendung des Unmittelbarkeitskriteriums: „Die Gemeinde könnte nach Erlaß der (nun unmittelbar betreffenden) Rechts Verordnung im Rahmen der gegen diese gerichteten Verfassungsbeschwerde auch die verfassungsgerichtliche Überprüfung der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage erreichen" 9 . Da die Rechts Verordnung für die Kommunalverfassungsbeschwerde als „Gesetz" anzusehen ist, konnte die Kommune früher nach ständiger Rechtsprechung sofort nach Verordnungserlaß gegen diese das Bundesverfassungsgericht anrufen 1 0 .

I I I . Das Rechtswegerschöpfungsgebot gemäß § 90 I I 1 B V e r f G G 1. D i e neuere R e c h t s p r e c h u n g Nach dieser Vorarbeit erscheint es als nicht ganz konsequent, daß das Bundesverfassungsgericht in neuerer Rechtsprechung die Beschwerdeführe6 S o auch Benda/Klein, R N 633; Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 91 R N 27; Zuck, Verfassimgsbesch werde, R N 1121. Dementsprechend wurde früher auch zu Recht festgestellt, daß Abgrenzungsschwierigkeiten der kommunalen Verfassungsbeschwerde gegenüber dem Wirkungsbereich der Verwaltungsgerichte nicht bestünden, z. B. Bethge, Die Verwaltung Band 6 (1973), S. 403 (407). 7

A u c h für Verwaltungsakte gilt § 79 I I BVerfGG; vgl. BVerfGE 20, 230 (236); ebenso Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I I I R N 76; Steiner, BVerfG u. G G I , S. 628 (640 f.). * Stern, B K , Art. 93 R N 797. 9 10

S o noch BVerfGE 71, 25 (36); Klammereinschub und Hervorhebung nur hier. Z u m Beispiel BVerfGE 26, 228 (236); 56, 298 (309).

276

D . Die Subsidiarität der kommunalen Verfassungsbeschwerde

rin bei untergesetzlichen Normen gemäß § 90 I I 1 BVerfGG auf den Rechtsweg des § 47 VwGO verweist 1 . Dabei räumt das Bundesverfassungsgericht sogar den (hypothetisch erörterten) Einwand der Rechtskraftwirkung des abweisenden O V G Urteils durch die Feststellung aus, daß diese zwar i m Verhältnis der Parteien zueinander wirke 2 . Die Bindungswirkung hindere aber nicht das Bundesverfassungsgericht daran, die Rechtsnorm noch seinerseits für verfassungswidrig und nichtig zu erklären, da insoweit eine vorrangige Prüfungsund Entscheidungszuständigkeit bestehe 3 . Das Bundesverfassungsgericht beachtet aber dabei offensichtlich nicht die Konsequenzen aus der auch von ihm eigentlich nicht angezweifelten Rechtskraftwirkung des OVG-Urteils: Das entgegenstehende Urteil des OVG wird bei der Kommunalverfassungsbeschwerde nach oben Gesagtem nicht aufgehoben, selbst wenn die Beschwerdeführerin beim Bundesverfassungsgericht obsiegt: § 79 I I 1 BVerfGG. Dann wirkt das fachgerichtliche Urteil aber auch weiterhin rechtskräftig zuungunsten der Beschwerdeführerin und zugunsten des gegnerischen Hoheitsträgers 4 .

2. Keine eindeutige Auflösung der Entscheidungskollision durch das Bundesverfassungsgericht Wie diese Situation — rechtskräftiges Urteil des OVG zu Lasten der Beschwerdeführerin und gleichzeitig begünstigende Bundesverfassungsgerichtsentscheidung — aufzulösen ist, erscheint als noch nicht vollständig geklärt. Das Bundesverfassungsgericht hat schon einmal — bei der Kollision einer Entscheidung eines O V G / V G H mit der eines Lancfesverfassungsgerichts 1

BVerfG E 76, 107 (114 f.) m. Hinw. auf BVerfGE 70, 35 (53 f.); 71, 305 (335 f.). I n diesen in Bezug genommenen Entscheidungen hat das BVerfG zwar die Rechtswegqualität des § 47 V w G O betont, es ging dort allerdings u m Individual Verfassungsbeschwerden, was — wie sich zeigen wird — einen großen Unterschied machen dürfte. Vgl. auch die i m Hinblick auf das beim Unmittelbarkeitskriterium gefundene Ergebnis ausgesprochen befremdliche Rechtsauffassung von Subsidiarität der kommunalen Verfassungsbeschwerde, die ein Vorprüfungsausschuss i m Jahre 1976 an den Tag legte und die vom Zweiten Senat in BVerfGE 79, 127 (131) zwar wiedergegeben, aber nicht i m wünschenswerten Maße kritisch beleuchtet wird (ebenda, S. 142). W i e hier zu Recht Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I I I R N 58 in F N 227: „merkwürdig". 2 3 4

BVerfG E 76, 107 (115) m. Hinw. auf B V e r w G E 68, 306. BVerfG E 76, 107 (115). Ebenso schon BVerfGE 69, 112 (118). S o auch ausdrücklich warnend Stern, B K , Art. 93 R N 797.

I I I . Das Rechtswegerschöpfungsgebot gemäß § 90 I I 1 BVerfGG

277

— betont, daß Entscheidungsaussprüche der OVG i m Verfahren gemäß § 47 VwGO keine letztverbindliche verfassungsrechtliche Aussage enthielten und damit nicht der Prüfung und Entscheidung der Verfassungsgerichte vorgreifen könnten 1 . Der Entscheidung des Verfassungsgerichtes „gebühre der Vorrang", sie „überhole" die OVG-Entscheidung 2 . Wie sich aber diese grundsätzlichen Erwägungen konkret oder wenigstens i m weiteren Sinne rechtlich umsetzen lassen, bleibt sowohl in der damaligen wie auch der neueren Entscheidung unerwähnt. Erklären läßt sich das gänzliche Fehlen von Äußerungen des Bundesverfassungsgerichts zu dem vorliegenden Problem zunächst damit, daß man früher die Kommunen nicht auf den Rechtsweg verwies, die veröffentlichten Kommunalverfassungsbeschwerden der neueren Zeit aber allesamt erfolglos waren, so daß sich eine Kollision zu einem eventuell vorangegangenen OVG-Urteil gar nicht ergeben h a t 3 . Eine Zurückverweisung an das OVG gemäß § 95 I I 2. HS. BVerfGG dürfte nach allgemeinen Regeln ausscheiden: Da die Kommunalverfassungsbeschwerde eine unmittelbare Normenverfassungsbeschwerde darstellt, gilt § 95 III 1 BVerfGG als lex specialis. Diese Vorschrift kennt aber gerade keine Zurückverweisung 4 . Der Gesetzgeber ging anscheinend davon aus, daß der Beschwerdeführer, der unmittelbar „gegen ein Gesetz" i m Sinne von § 95 I I I 1 BVerfGG Verfassungsbeschwerde erhebt, zuvor ein Fachgericht gar nicht bemüht hat. Denn sonst würde der Beschwerdeführer eben eine Urteils Verfassungsbeschwerde erheben, bei der dann § 95 I I I 2 BVerfGG mit seinem Hinweis auf Absatz I I gelten würde. Auch verhindert § 79 I I 1 BVerfGG nach ganz herrschender Meinung das Entstehen eines Anspruches auf Wiederaufnahme des abgeschlossenen Verwaltungs- oder Gerichtsverfahrens, da sonst die durch diese Vorschrift 1 2

BVerfG E 69, 112 (118). E b e n d a (120).

3 BVerfG E 69, 112: offensichtlich unbegründet; BVerfGE 71, 25: unzulässig; BVerfGE 76, 107: unbegründet; BVerfGE 78, 331: unbegründet; BVerfGE 79, 127: z. T . unzulässig, i. ü. unbegründet; BVerfG D Ö V 87, 341: unzulässig; ebenda, S. 342: offensichtlich unbegründet; ebenda, S. 343: unzulässig; ebenda, S. 344: unzulässig; ebenda, S. 344 f.: offensichtlich unbegründet. I n den Entscheidungsbänden 80 bis 84 ist überhaupt keine Kommunalverfassungsbeschwerde veröffentlicht. Erfolgreich für die Kommunen scheinen i. E. insgesamt überhaupt nur die Verfahren BVerfGE 56, 298 ff. und 59, 216 ff. gewesen zu sein. (Die Aufstellung von Zuck, Verfassungsbeschwerde, R N 1078 weist bezüglich der Entscheidung i m 56. Band offensichtlich einen Druckfehler auf; in der von Zuck weiterhin zitierten BVerfGE 21, 160 hatten Kommunen Individualverfassungsbeschwerden gem. A r t . 93 I Nr. 4 a G G erhoben). 4

Vgl. Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I V R N 72.

278

D. Die Subsidiarität der kommunalen Verfassungsbeschwerde

gerade getroffene Entscheidung zugunsten der Rechtssicherheit unterlaufen werden würde 5 . Es ließe sich spekulieren, daß das Gericht davon ausgeht, daß sich nach einem Spruch aus Karlsruhe das Problem zumindest dadurch praktisch auflöst, daß die beteiligten Hoheitsträger entsprechend § 79 I I 2 BVerfGG aus dem OVG-Urteil keine Konsequenzen ziehen werden. Damit sind aber keineswegs die Fälle befriedigend gelöst, bei denen in der Zwischenzeit der Hoheitsträger, der das OVG-Urteil auf seiner Seite hat, Tatsachen zu Lasten der Kommune geschaffen hat. § 79 I I BVerfGG ist nämlich — zumindest bis vor kurzem — nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts so zu verstehen, „daß die unanfechtbar gewordenen fehlerhaften Akte der öffentlichen Gewalt nicht rückwirkend aufgehoben und die in der Vergangenheit von ihnen ausgegangenen nachteiligen Wirkungen nicht beseitigt werden..." 6 . Insbesondere können Leistungen, die zwischenzeitlich ergangen sind, nicht kondiziert werden (§ 79 I I 4 BVerfGG) 7 . Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht jüngst tatsächlich — in anderem Zusammenhang — festgestellt, daß „der formelle Gesetzgeber — auch für die Vergangenheit — eine mit der Verfassung unvereinbare Rechtslage nicht fortbestehen lassen" dürfe. „Dies folgt nicht zuletzt aus der durch § 31 BVerfGG angeordneten Bindungswirkung verfassungsgerichtlicher Entscheidungen; sie gebietet die zeitlich umfassende Heilung eines vom Bundesverfassungsgericht festgestellten VerfassungsVerstoßes." 8 Man könnte also die Lösung des Problems des entgegenstehenden, rechtskräftigen OVG-Urteils entsprechend dieser Argumentation auch bei der Kommunalverfassungsbeschwerde in der Regelung des § 31 BVerfGG suchen. Der Gesetzgeber wäre demnach dazu verpflichtet, die schon im Gefolge des OVG-Urteils entstandenen Schäden i m Rahmen der Neuregelung zu berücksichtigen und möglichst zu beseitigen 9 . Das Bundesverfassungsgericht schränkt aber seine gerade zitierte Aussage i m Anschluß wieder erheblich ein: „Dies schließt allerdings nicht aus, 5 Benda/Klein, R N 1169; Steiner, BVerfG u. G G I , S. 628 (641). Zustimmend auch Schiaich, R N 357. 6

BVerfG E 20, 230 (136); 53, 115 (131).

7

Siehe dazu ausführlich Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I I I R N 78.

8

B V e r f G E 81, 363 (384); Hervorhebung nur hier; zustimmend Benda/Klein, 1245.

RN

9 Z u m „Gebot der Selbstaufhebung und Rückabwicklung" als Ausdruck der „auf Gewaltenteilung und Kompetenzordnung sich gründenden verfassungrechtlichen Pflicht der Staatsorgane zu wechselseitiger Respektierung gültiger Entscheidungen des jeweils anderen", vgl. Pestalozza, VerfprozeßR, § 20 V R N 65, 84 (Hervorhebung i m Original).

I I I . Das Rechtswegerschöpfungsgebot gemäß § 90 I I 1 BVerfGG

279

daß die mit einer solchen Heilung verbundenen Folgen für die in der Vergangenheit entstandenen Rechtsverhältnisse begrenzt werden können. Davon geht auch § 79 BVerfGG aus...Diese Vorschrift begrenzt die Folgen solcher Entscheidungen für die in der Vergangenheit entstandenen Rechtsverhältnisse; sie bestimmt, daß...die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen der Verwaltung und Gerichte, die auf einer für nichtig erklärten Norm beruhen, vorbehaltlich einer speziellen gesetzlichen Regelung unberührt bleiben, wenngleich aus ihm nicht mehr vollstreckt werden d a r f 4 1 0 . Anschließend folgert das Bundesverfassungsgericht aus der beamtenrechtlichen Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme, daß der Dienstherr gerade nicht verpflichtet sei, die gesamte verfassungswidrige Situation (finanziell) nachträglich rückwirkend zu korrigieren. Das Problem des Verhältnisses zwischen § 31 BVerfGG und der ausdrücklichen, klaren und völlig eindeutigen Rechtsfolgenregelung des § 79 I I BVerfGG scheint noch nicht gänzlich aufgearbeitet zu sein 1 1 . Diese Aufgabe kann auch im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht bewältigt werden; die Inhalte von §§ 31, 79 BVerfGG sind auch heute noch nicht ganz geklärt 1 2 , und es fragt sich, ob i m Gefolge der hier in Rede stehenden bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen nicht demnächst neue Impulse aus der Rechtsprechung zu verzeichnen sein werden.

3. Ausblick Das Bundesverfassungsgericht wird jedenfalls nicht darum herum kommen, sich selbst darüber Gedanken zu machen, ob es sinnvoll ist, eine Kommune auf den Rechtsweg des § 47 VwGO zu verweisen, wenn dadurch gerade diejenigen Rechtsnachteile zu befürchten sind, die früher bewußt durch „Entschärfung" des Unmittelbarkeitskriteriums zu vermeiden gesucht wurden. 10

BVerfG E 81, 363 (384).

11

Vgl. z. B. Pestalozza, VerfprozeßR, § 20 V I R N 128 ff., wo das Problem trotz der ansonsten ausgesprochen detaillierten Darstellungsweise nicht erötert wird. I n dem sehr nützlichen Werk von Zuck, Verfassungsbeschwerde, konnte die BVerfGE 76, 107 mit ihrer Verweisung auf den Rechtsweg des § 47 V w G O offensichtlich noch nicht berücksichtigt werden. Benda/Klein, R N 628 ff. scheinen das Problem der Rechtswegerschöpfung gänzlich übersehen zu haben. FVüher wurde das Problem von Entscheidungskollisionen i m Bereich der kommunalen Verfassungsbeschwerde eher i m Widerstreit landes- und bundesverfassungsgerichtlicher Entscheidungen gesehen, vgl. z. B. Bethge, D Ö V 1972, 336 (passim, insbes. S. 338 f. in F N 18). 12 V g l . zu § 30 BVerfGG nur Pestalozza, VerfprozeßR, § 20 V R N 82 ff.; Schiaich, R N 449 ff. und zu § 79 BVerfGG nur Steiner, BVerfG u. G G I , S. 628 (passim).

280

D . Die Subsidiarität der kommunalen Verfassungsbeschwerde

Sollte das Bundesverfassungsgericht aber wirklich einen rechtlich abgesicherten Weg finden, durch den die Nachteile eines entgegenstehenden, rechtskräftigen Fachgerichtsurteils durch den Richterspruch aus Karlsruhe beseitigt bzw. „überholt" werden, sind damit noch nicht alle Probleme gelöst: Es fragt sich dann nämlich, wie sich überhaupt noch das Absehen von einer Verweisung auf die fachgerichtliche Anfechtung des Vollzugsakts rechtfertigen läßt, d. h. wieso dann nicht auch das vom Bundesverfassungsgericht sonst so gehegte Unmittelbarkeitskriterium in vollem Umfang angewendet werden darf. Denn daß Gemeinden Vollzugsakte fachgerichtlich prinzipiell anfechten können, war noch nie umstritten 1 ; man wollte diese fachgerichtliche Vollzugsanfechtung nur eben früher aus gutem Grunde nicht zur Zulässigkeitsvoraussetzung der Kommunalverfassungsbeschwerde machen. Wenn aber ein entgegenstehendes Urteil nun nach neuerer Rechtsprechung bei der Kommunalverfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz nicht hinderlich ist, dann muß man logischerweise aus dem Subsidiaritätsprinzip folgern, daß zunächst fachgerichtliche Rechtsbehelfe, die das Bundesverfassungsgericht zumindest theoretisch entlasten können, eingelegt werden müssen. Denn ob ein ablehnendes Urteil auf Verpflichtungs- oder Anfechtungsklage hin ergangen ist oder ob ein bestandskräftiger Bescheid i m Räume steht, kann doch nicht anders beurteilt werden als ein — angeblich unschädliches — entgegenstehendes OVG-Urteil nach § 47 VwGO. Würde man aber auch die Einlegung aller anderen fachgerichtlichen Klagen verlangen, hätte man den sich aus dem beschränkten Beschwer degegenstand ergebenden Unterschied der kommunalen Verfassungsbeschwerde zur Individualverfassungsbeschwerde endgültig contra legem eingeebnet. Demgegenüber muß man sich auch einmal vor Augen halten, was mit der neuen Rechtsprechung überhaupt gewonnen ist. Zwar läßt sich der Gesamtstatistik von 19892 nicht genau entnehmen, wieviele kommunale Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht eingehen, da sie in den Tabellen immer zusammen mit den Individual Verfassungsbeschwerden geführt werden. Auch dürften i m Gefolge der Gebietsreformen der siebziger Jahre mehrere unzulässige Kommunalverfassungsbeschwerden von den damaligen Dreierausschüssen „abgewehrt" worden sein 3 . 1

Vgl. statt aller nur Bettermann, AöR 86 (1961), S. 129 (173), der auch auf die Möglichkeit des A r t . 100 I G G für Kommunen verweist. 2

Abgedruckt bei Pestalozza, Verfprozeß, § 20 R N 142 (Anhang).

3

D a s bescheinigt auch Stern, B K , Art. 93 R N 778.

I I I . Das Rechtswegerschöpfungsgebot gemäß § 90 I I 1 BVerfGG

281

Auf der anderen Seite ist die Verweisung an die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle vom Bundesverfassungsgericht erst Mitte 1987 erstmals ausgesprochen worden 4 , als die Gebietsreformen schon längst bewältigt waren. Wenn man dann noch die geringe Zahl von veröffentlichten Entscheidungen berücksichtigt, muß man wohl zu der Erkenntnis gelangen, daß das Bundesverfassungsgericht mit dem Institut der Kommunalverfassungsbeschwerde bestimmt nicht die schwerste Bürde zu tragen hat. Auch wäre von den wenigen tatsächlich erhobenen Kommunalverfassungsbeschwerden ein großer Teil ohnehin nicht auf den Rechtsweg des § 47 VwGO zu verweisen, da sich die Kommunen oft direkt gegen förmliche Gesetze wenden 5 . Viele andere Kommunalverfassungsbeschwerden sind wohl schon wegen ihrer Fehlvorstellungen über die Reichweite des Prüfungsmaßstabes (Art. 28 I I GG) „offensichtlich unbegründet" oder haben die Beschwerdefrist versäumt. Der Entlastungseffekt gerade des Rechtswegerschöpfungsgebotes ist somit gering. Bei einer solchen tatsächlichen Lage fragt sich dann wirklich, ob die neue Rechtsprechung die oben dargestellte Rechtsunsicherheit überhaupt lohnt. Das Bundesverfassungsgericht sollte sich vielmehr seiner „alten" Rechtsprechung wieder bewußt werden. Bei einer kommunalen Verfassungsbeschwerde gegen eine Rechtsverordnung sollte ohne ein Rechtswegerschöpfungsgebot auszukommen sein. Die dadurch zu befürchtende Mehrarbeit wird sich angesichts der Erfahrungen mit dem Geschäftsanfall in der Vergangenheit in Grenzen halten. Das kann natürlich nicht bedeuten, daß man diejenigen Kommunen, die tatsächlich aus eigenem Antrieb das Oberverwaltungsgericht angerufen haben, „bestrafen" soll, indem man ihnen die Versäumung der Beschwerdefrist wegen Einlegung eines „offensichtlich unzulässigen" Rechtsmittels vorhält 6 . Daß die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle bezüglich Rechtsverordnungen nach Maßgabe des § 47 V w G O „zulässig" ist, kann nicht bezweifelt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Problem in seiner neueren Rechtsprechung auch gesehen und läßt die Jahresfrist des § 93 I I BVerfGG 4

B V e r f G E 76, 107 (114 f.).

5

Z u m Beispiel BVerfGE 25, 124 ff.; 78, 331 ff.; 79, 127 ff.; BVerfG D Ö V 1987, 341 f.; ebenda, S. 343 f.; ebenda, S. 344; ebenda, S. 344 f. 6

Siehe dazu die entsprechende Rspr. oben, S. 127 in F N 98.

282

D . Die Subsidiarität der kommunalen Verfassungsbeschwerde

nach Abschluß des OVG-Verfahrens neu zu laufen beginnen 7 . Dies dürfte den Interessen aller Beteiligten — inklusive des eventuell durch das OVG i m Einzelfall entlasteten Bundesverfassungsgerichts — tatsächlich entgegenkommen.

Ergebnis Die Übertragung der Vorstellungen des Subsidiaritätsprinzips, die i m Rahmen der Individual Verfassungsbesch wer de entwickelt worden sind, auf die Kommunalverfassungsbeschwerde ist prinzipiell abzulehnen. Die Verweisung der Kommunen auf den Rechtsweg des § 47 VwGO führt nicht nur zu dogmatischen Widersprüchen bzw. Unklarheiten. Darüber hinaus ist schon die grundsätzliche Notwendigkeit einer weiteren Verschärfung der Zugangsschranken zugunsten einer angeblichen Entlastung des Bundesverfassungsgerichts gerade bei der Kommunalverfassungsbeschwerde nicht überzeugend begründbar.

7 BVerfG E 76, 107 (116). Auf nicht so viel Gegenliebe muß allerdings die eine Seite zuvor festgestellte sinngemäße Anwendung des § 93 I I BVerfGG auch auf die Frist zur Einlegung des Normenkontrollantrages gem. § 47 V w G O (!) stoßen. Es gälte also, zweimal § 93 I I BVerfGG zu beachten: Einmal darf bei der Initiierung des § 47 V w G O kein Jahr seit Inkrafttreten der Norm vergangen sein und zweitens darf ab Urteilsverkündung bis zur Verfassungsbeschwerdeeinlegung wieder kein Jahr vergehen. K a n n m a n die zweite Jahresfrist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde noch als zulässige Lückenschließung i m Rahmen des BVerfGG betrachten (obwohl sie m i t Blick auf § 93 I BVerfGG keineswegs zwingend ist!), so muß die Anwendung der Frist auf das ausdrücklich und bewußt unbefristete Verfahren nach § 47 V w G O ernüchtern. Dies stellt auch einen krassen Widerspruch zu der grundlegenden BVerfGE 1, 322 (345) dar. I m Ergebnis wie hier Pestalozza, VerfprozeßR, § 12 I I I R N 58 in F N 227.

E. Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde als Ausdruck der Subsidiarität der Verfassungsgerichtsbarkeit? I m Zusammenhang mit der Subsidiarität darf schließlich nicht außer Betracht bleiben, daß das Bundesverfassungsgericht selbst und auch ein Teil der Literatur gelegentlich von einer „Subsidiarität der (ganzen) Verfassungsgerichtsbarkeit" sprechen 1 . Ob diese Vorstellung von der generellen „Nachrangigkeit" des Bundesverfassungsgerichts hinter generell „vorrangigen" Fachgerichten so unbesehen übernommen werden sollte, ist aber durchaus zweifelhaft 2 . Subsidiarität setzt nach dem schon eingangs festgestellten Sinn nämlich ein aufzulösendes Konkurrenzverhältnis von Fach- und Verfassungsgerichtsbarkeit — m. a. W . Aufgabenparallelität 3 — voraus. Wo das Bundesverfassungsgericht seinen Kompetenzbereich nicht gegenüber den Fachgerichten abgrenzen muß, kann der Subsidiaritätsgrundsatz naturgemäß schon von vorneherein keine Rolle spielen.

I. Die konkrete Normenkontrolle nach Art· 100 I GG Bei genauer Betrachtung zeigt sich daher auch, daß das Bundesverfassungsgericht den Gesichtspunkt der „Subsidiarität der Verfassungsgerichtsbarkeit" eigentlich nur i m Zusammenhang mit der konkreten Normenkontrolle gem Art. 100 I GG entwickelt h a t 1 . Dieses Verfahren ist in der Tat neben der Verfassungsbeschwerde diejenige Prozeßart, in der sich Fach1

BVerfG E 47, 146 (154); 63, 1 (22); Klammereinschub nur hier. Ebenso Benda/Klein, R N 300, 795; E. Klein, FS Zeidler I I , S. 1305 (passim); Neutz, S. 161 ff.; Ulsamer, BayVBl. 1980, 519 (519); Zuck, M D R 84, 800 (801) und auch BayVerfGHE 43, 182 (185). Eher zurückhaltend aber Schiaich, R N 19, 116, 144. 2 Ebenso kritisch Detterbeck, 108 (1983), S. 561 (582). 3 1

Präventiver Rechtsschutz, S. 217 f. und E . Klein, A ö R

Schiaich, R N 19.

BVerfG E 47, 146 (154); 63, 1 (22); i. E. — wenn auch ohne Erwähnung des Begriffes — auch BVerfGE 42, 42 (50); 68, 311 (316); 79, 256 (265). Ebenso BayVerfGHE 43, 182 (185).

284

E. „Subsidarität der Verfassungsgerichtsbarkeit"?

und Verfassungsgerichtsbarkeit am intensivsten „berühren", da nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts die Normenkontrolle „ i m Rahmen des Ausgangsverfahrens Teil eines einheitlichen Prozesses" und damit also ein „Zwischenverfahren" ist 2 . „Einbruchsteile" für das Subsidiaritätsprinzip ist die Zulässigkeitsvoraussetzung der „Entscheidungserheblichkeit" (vgl. Art. 100 I GG: „auf dessen Gültigkeit es...ankommt"). Das Gericht verlangt nämlich, daß dieses Merkmal wegen der Subsidiarität der Verfassungsgerichtsbarkeit so streng gehandhabt werden müsse, daß die Inanspruchnahme des Bundesverfassungsgerichts „unerläßlich" sei 3 . Daher sei es z. B. geboten, daß das Prozeßgericht den Sachverhalt soweit aufkläre, bis die Entscheidungserheblichkeit eindeutig feststehe; es dürfe also eine Beweisaufnahme nicht unterlassen werden, wenn es möglich sei, daß anschließend über die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung nicht mehr entschieden zu werden braucht 4 . Daß es hier die gleichen Wertungen zugrundelegt wie bei der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, wird vom Bundesverfassungsgericht insbesondere auch dadurch betont, daß es als Korrektiv zu dieser „Unerläßlichkeit" der Ri cht er vorläge ausdrücklich die „sinngemäße" Anwendung des § 90 II 2 Variante 1 BVerfGG bei allgemeiner Bedeutung der verfassungsrechtlichen Frage bejaht 5 . Ob man hier überhaupt den Subsidiaritätsgedanken bemühen muß, wurde von anderer Seite bereits bezweifelt 6 . Tatsache ist jedoch, daß wirklich ein Konflikt vorliegt, den es aufzulösen g i l t 7 : Nach allgemeinen (fach-)prozessualen Grundsätzen darf nämlich — vor allem aus Kostengründen — nur über entscheidungser2

BVerfG E 42, 42 (49).

3

BVerfG E 42, 42 (50); 47, 146 (154); 63, 1 (22). Zustimmend z. B. Schiaich, R N 144; Ulsamer, BayVBl. 1980, 519 (519 f.). Kritisch — wenn auch das Problem nicht weiter verfolgend — Benda/Klein, R N 761, 763. 4

BVerfG E 47, 146 (154); 79, 256 (265). Ebenso BayVerfGHE 43, 182 (185). D e m folgend Ulsamer, BayVBl. 1980, 519 (521). 5

B V e r f G E 47, 146 (157 ff.). Vorsichtig angedeutet wurde dieses Verständnis schon in BVerfGE 42, 42 (52). E. Klein, FS Zeidler I I , S. 1305 (1313) meint daher sogar, daß die Berufung auf das Subsidiaritätsprinzip „dazu diente", sich den Rückgriff auf die Regelung des § 90 I I 2 BVerfGG zu ermöglichen. 6 Z u m Beispiel E. Klein, AöR 108 (1983), S. 561 (582) m i t dem Hinw., daß das Rechtswegerschöpfungsgebot etwas anderes sei als die Erheblichkeit der Vorlagefrage. Kritisch gegenüber der Rechtsprechung auch Bettermann, BVerfG u. G G I , S. 323 (357 f.). 7

Darauf machen Benda/Klein,

R N 761 zu Recht aufmerksam.

I. Die konkrete Normenkontrolle nach A r t . 100 I G G

285

hebliche Tatsachen Beweis erhoben werden 8 . Ob diese Beweiserhebung nötig ist, ist aber bei potentieller Verfassungswidrigkeit einer Norm, von der der Rechtsstreit abhängt, gerade fraglich. Es stehen sich also zwei „Entscheidungserheblichkeits-Fragestellungen" gegenüber, die den Fachrichter vor das Problem stellen, welche Aktion er zuerst vornehmen soll: Beweisaufnahme oder Richtervorlage? Wie oben festgestellt worden ist, hat das Bundesverfassungsgericht die Frage i m Sinne des Vorranges der Subsidiarität der Verfassungsgerichtsbarkeit beantwortet. Meines Erachtens müßte hier aber nicht die Subsidiarität als Begründung im Vordergrund stehen, sondern der Justizgewährungsanspruch der Parteien des Ausgangsverfahrens, „denn mit der Aussetzung und Vorlage naçh Art. 100 I GG verweigert der Richter zunächst eine Entscheidung zur Sache. Der verfassungsrechtliche Justizgewährungsanspruch fordert daher vom Richter, den Rechtsstreit so zu behandeln, daß eine Verzögerung durch die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts nach Möglichkeit vermieden w i r d " 9 . Hier liefert das Bundesverfassungsgericht selbst die entscheidenden Argumente. Denn es wäre wirklich mit dem Justizgewährungsanspruch nicht zu vereinbaren, wenn ζ. B. ein Richter i m Zivilprozeß ohne vorhergehende Beweisaufnahme eine Norm, die ihm vielleicht schon lange aufgefallen war, dem Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung vorlegt, obwohl der Beklagte darauf hinzuweisen versucht, daß die Klage schon aus tatsächlichen Gründen keine Aussicht auf Erfolg habe und er dies auch beweisen könne. Der Beklagte hat in diesem Beispiel ein legitimes Interesse daran, durch relativ zügig vornehmbare Beweisaufnahme das Verfahren beenden zu können und nicht erst monatelang durch das schwebende Normenkontrollverfahren in der Beklagtenposition „festzusitzen". Das Kostenargument, das gegen eine vorrangige Beweisaufnahme ins Feld zu führen wäre, muß demgegenüber zurücktreten. Es sollte auch nicht überbewertet werden, da die Parteien ohnehin mit anfallenden Beweiskosten rechnen werden, wenn sie sich auf einen Prozeß einlassen. Das Problem kann jedoch offenbleiben, solange der Subsidiaritätsgedanke — wie schon bei der Verfassungsbeschwerde gefordert — lediglich die Auslegung bestehender Prozeß Voraussetzungen beeinflußt, die schon von ihrem Sinn und Zweck her das Bundesverfassungsgericht von Fach-

8 Bettermann, R N 359, 538. 9

BVerfG u. G G I , S. 323 (357); Knöringer,

BVerfG E 78, 165 (178). Zustimmend Schiaich, R N 144.

S. 320 f.; Schellhammer,

286

E. „Subsidarität der Verfassungsgerichtsbarkeit"?

gerichtsaufgaben befreien wollen. Dazu gehört nun einmal neben dem Begründungszwang 10 auch das Merkmal der Entscheidungserheblichkeit. Daher spielt das Subsidiaritätsprinzip mit seiner Entlastungswirkung bei der konkreten Normenkontrolle des Art. 100 I GG ohnehin nur eine theoretische Rolle. Etwas anders liegt es freilich mit der „Kehrseite" des Subsidiaritätsgrundsatzes in Gestalt der Vorabentscheidung analog § 90 I I 2 Variante 1 BVerfGG. Ob sie tatsächlich von der Wertung her in das Normenkontrollverfahren paßt, ist zwar vordergründig betrachtet eine Überlegung wert. Diese Ausnahme ist aber mit der gesetzlichen Regelung des konkreten Normenkontrollverfahrens und auch mit der kompetenzrechtlichen Grundkonzeption nicht so ohne weiteres in Einklang zu bringen 1 1 — vor allem, wenn man (argumentum e contrario) aus dem Fehlen der „grundsätzlichen Bedeutung" Folgerungen in Richtung auf die Unzuläsigkeit der Vorlage zieht 1 2 . Dies würde einen „tendenziell problematischen Versuch (darstellen), eine am Kriterium der 'Bedeutung der Sache' orientierte Fallselektion zu betreiben" 1 3 . Jedenfalls ist wohl nicht zu Unrecht schon von anderer Seite vermutet worden, daß das Bundesverfassungsgericht sich mit der Berufung auf den Subsidiaritätsgrundsatz und seinen Ausnahmetatbestand ein Instrument zu Vorlagen-Selektion bzw. einen „prozessualen Manövrierraum" schaffen wollte 1 4 .

I I . Die Verfahren nach A r t . 93 I N r . 4 G G Allgemein wird auch bei Art. 93 I Nr. 4 GG von der subsidiären Bund-Länder-Streitigkeit (1. Fall), der subsidiären Länder-Streitigkeit (2. Fall)und der subsidiären Landes-Streitigkeit (3. Fall) gesprochen 1 . Und wirklich begegnet man in Art. 93 I Nr. 4 a. E. einem Rechtswegvorbe10 11 12 13 14

S o auch BVerfGE 68, 311 (316). Daher kritisch Benda/Klein,

R N 763.

S o i. E. geschehen in BVerfGE 42, 42 (50 ff.). Benda/Klein,

R N 781.

E . Klein, FS Zeidler I I , S. 1305 (1314).

1 Vgl. Pestalozza, VerfprozeßR, § 9 I V R N 23, § 10 I R N 1 f., § 11 I I I R N 20; Schiaich, R N 100. Siehe auch Bethge, D Ö V 1972, 336 (342). Benda/Klein, §§ 26 — 28 benutzen etwas andere Termini.

I I . Die Verfahren nach Art. 93 I Nr. 4 G G

287

halt, so daß sich ein Konkurrenzverhältnis zwischen Fachgerichtsbarkeit und Verfassungsgerichtsbarkeit ergibt. Die Bedeutung dieses Rechtswegvorbehaltes erschöpft sich allerdings nahezu 2 völlig in seiner Hinweisfunktion darauf, daß nichtverfassungsrechtliche Streitigkeiten nach § 40 I 1 (i. V. m. § 50 I Nr. 1) V w G O vor dem (Bundes-)Verwaltungsgericht zu klären sind 3 . Ein „ u l t i m a ratio"-Aspekt ist hingegen mit diesem Rechtswegverweis nicht verbunden. Demgegenüber ist das Problem der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde weitaus vielschichtiger, da es dort zu bewältigen gilt, daß beide Gerichtsbarkeiten Grundrechtsverletzungen bei gleichen Sachverhalts- und Rechtskonstellationen abhelfen sollen 4 und die Kompetenzabgrenzung über das Merkmal der (nicht-)verfassungsrechtlichen Streitigkeit nicht vorzunehmen ist: Die Verfassungsbeschwerde ist schließlich auch möglich, wenn eine „nicht-verfassungsrechtliche" Streitigkeit i m Sinne des § 40 I 1 VwGO vorliegt und daher eigentlich die Fachgerichte zuständig sind. Zum Beispiel handelt es sich bei der quantitativ überaus stark vertretenen Urteilsverfassungsbesch werde wegen Verletzung des Art. 103 I GG weder um eine prinzipale Normenkontrolle des formellen Gesetzgebers noch um eine Streitigkeit zwischen „am Verfassungsleben unmittelbar beteiligten Rechtsträgern" 5 . Hier führt das Subsidiaritätsprinzip bzw. das Rechtswegerschöpfungsgebot des § 90 I I 1 BVerfGG dazu, daß zunächst die Fachgerichte, aber anschließend — bei Vorliegen der entsprechenden Zulässigkeitsvoraussetzungen — auch das Bundesverfassungsgericht anrufbar ist. Man muß sich daher hüten, aus jeder — natürlich in verschiedenen Bereichen vorkommenden — Gerichtsbarkeitsabgrenzung einen Subsidiaritätsaspekt herauszuinterpretieren und dabei schon durch die Begriffsverwendung irreführende Parallelen zur Problematik der Verfassungsbeschwerde heraufzubeschwören. Man käme j a auch nicht auf den Gedanken bei Nichtvorliegen einer „öffentlich- rechtlichen" Streitigkeit den Zivilrechtsweg als „subsidiär" eröffnet anzusehen — dieser ist eben ein anderer Rechtsweg 6 . 2 I m Rahmen des 3. Falles ist Art. 93 I Nr. 4 G G allerdings auch noch gegenüber einem landesverfassungsgerichtlichen Verfahren subsidiär, vgl. BVerfGE 66, 107 (113); dazu Pestalozza, VerfprozeßR, § 11 I I I R N 20. 3

Benda/Klein,

R N 1026; Pestalozza, VerfprozeßR, § 10 I R N 2, § 11 I I I R N 19.

4

Siehe auch konkret für die Reichweite des § 40 I 1 V w G O Kopp, V w G O , § 40 R N 33a. 5 6

V g l . nur die zahlreichen Nachw. bei Kopp, V w G O , § 40 R N 32. Ähnlich auch Pestalozza, VerfprozeßR, § 10 I R N 2.

288

E. „Subsidarität der Verfassungsgerichtsbarkeit"?

I I I . Die sonstigen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht Vollends deutlich wird die Fragwürdigkeit einer Verallgemeinerung der Subsidiarität auf die gesamte Verfassungsgerichtsbarkeit vor allem aber nach einem kurzen Blick auf verschiedene Verfahren, die dem Bundesverfassungsgericht vom Grundgesetz ausschließlich zugewiesen werden: Organstreit (Art. 93 I Nr. 1 GG) und abstrakte Normenkontrolle (Art. 93 I Nr. 2 GG) zum Beispiel sind spezifische Verfahrensarten der Verfassungsgerichtsbarkeit. Eine Überschneidung von bundesverfassungsgerichtlichen Kompetenzen mit denen der Fachgerichtsbarkeit kommt unbestritten schon nach der Natur der Sache nicht in Frage 1 . Gleiches dürfte für die Verfahren der Entscheidung über die Grundrechtsverwirkung (Art. 18 GG), über die Verfassungswidrigkeit von Parteien (Art. 21 I I GG), die Richteranklage (Art. 98 II, V 3 GG) und die Bundespräsidentenanklage (Art. 61 I GG) gelten 2 . Wenn aber ein Großteil der Verfahren von vorneherein gar nicht vom Subsidiaritätsgedanken beeinflußt wird, ist es wohl eigentlich treffender, überhaupt nicht von „Subsidiarität der Verfassungsgerichtsbarkeit" zu sprechen. Vielmehr sollte (höchstens) bei den tatsächlich von diesem Problem betroffenen einzelnen Verfahren die Vorrangigkeit des Fachgerichtsschutzes betont werden.

Ergebnis Ob man von „Subsidiarität der Verfassungsgerichtsbarkeit" sprechen will, dürfte zwar Geschmacksache sein, wenn man sich auf den Standpunkt stellt, daß nur ihre Außerordentlichkeit im Rechtsschutzsystem „beschrieben" werden soll. In der Praxis wirkt sich der Begriff jedenfalls dann nicht nachteilig aus, wenn man mit ihm keine neuen Sachurteilsvoraussetzungen einführt. Die Verwender dieses Begriffes müssen sich aber darüber i m klaren sein, daß sie die Verfassungsgerichtsbarkeit mit einem guten Teil ihrer Aufgaben 1

Vgl. nur E. Klein, FS Zeidler I I , S. 1305 (1314 m. w. Nachw. in F N 52); Schiaich, R N 19. 2 V g l . zur „Abwesenheit" von Subsidiaritätsgesichtspunkten bei diesen Verfahren die Uberblicke bei Pestalozza, VerfprozeßR: § 3 (Grundrechtsverwirkung), § 4 (Verfassungswidrigkeit politischer Parteien), § 6 (Bundespräsidenten- und Richteranklage).

Ergebnis

289

i m Staatsganzen völlig unberücksichtigt lassen, bzw. falsche Vorstellungen erwecken. Die Verfassungsgerichtsbarkeit ist in ihrer Gesamtheit keineswegs prinzipiell eine „Notfall-Verfassungsgerichtsbarkeit", die nur Rechtsschutzdefizite der Fachgerichtsbarkeit ausgleichen soll 1 . Die Verfassungsgerichtsbarkeit trägt als eigenständiger, vollwertiger „Rechtsweg" — soweit man bei lediglich einer Instanz davon sprechen kann — in einer ganzen Anzahl von Verfahren unseren Rechtsstaat „primär" und ausschließlich mit. Diese Verfahren sind vielleicht nicht der quantitativ wichtigste Bestandteil des Rechtssystems, können es i m Einzelfall aber in qualitativer Hinsicht sein 2 . Daher muß man zu dem Ergebnis kommen, daß vielleicht einzelne Verfahren gegenüber fachgerichtlichem Rechtsschutz „subsidiär" sein mögen, nicht aber die Verfassungsgerichtsbarkeit insgesamt.

1 D a s impliziert aber gerade der Subsidiaritätsbegriff, wie wohl auch Schiaich, 19 f. meint.

RN

2 V g l . ζ. B. die Nachw. bei Schiaich, R N 116 zu wichtigen Entscheidungen der abstrakten Normenkontrolle.

19 Wartnke

F. Zusammenfassung der wichtigsten Untersuchungsergebnisse 1.

Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde hat nach der Konzeption des Bundesverfassungsgerichts die Aufgabe, schon bei der Zulässigkeitsprüfung die Stellung der Verfassungsbeschwerde als „ultima ratio" und „außerordentlichen Rechtsbehelfs" durchzusetzen. Das Bundesverfassungsgericht will, daß der Beschwerdeführer erst Rechtsschutz bei den Fachgerichten sucht, bevor er Verfassungsbeschwerde erhebt.

2.

Bezweckt wird dabei vor allem Entlastung des Bundesverfassungsgerichts; aber es gilt auch, die jeweiligen Kompetenzbereiche von Exekutive, Fach- und Verfassungsgerichtsbarkeit voneinander abzugrenzen und zu wahren. Mangels leistungs- bzw. konsensfähiger Alternativen wird auch in Zukunft das Subsidiaritätsprinzip eines der Hauptwerkzeuge zur Arbeitsentlastung für das Gericht sein. Das gilt um so mehr, als nach der deutschen Wiedervereinigung mit einer weiter ansteigenden Verfahrensflut in Karlsruhe zu rechnen ist.

3.

Die dogmatische Verankerung des Subsidiaritätsprinzips durch das Bundesverfassungsgericht ist uneinheitlich. Das Gericht sieht den Subsidiaritätsgrundsatz gelegentlich „ i m Verfassungsrecht verankert". Dann wiederum stellt es auf § 90 I I 1 BVerfGG ab, während es vor allem früher die Nähe des Subsidiaritätsprinzips zum allgemeinen Rechtswegerschöpfungsgebot hervorgehoben hat. Gerade in neuerer Zeit beschränkt sich das Gericht jedoch darauf, auf seine ständige Rechtsprechung zu verweisen, ohne noch eine dogmatische Grundlage zu bemühen.

4.

Die Berufung auf eine „verfassungsrechtliche Verankerung" kann ebensowenig überzeugen wie die Anbindung des Subsidiaritätsgrundsatzes an Normen des geschriebenen einfachen Rechts. Einer solchen normativen Verankerung steht insbesondere entgegen, daß das Bundesverfassungsgericht selbst vor allem bezüglich des Rechtswegerschöpfungsgebotes gemäß § 90 I I 1 BVerfGG betont, daß das Subsidiaritätsprinzip in seinen Forderungen über diese Vorschrift deutlich hinausgehe.

F . Zusammenfassung der wichtigsten Untersuchungsergebnisse

291

Aber auch das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis steht aus strukturellen Gründen nicht zur Verfügung, wenn es darum geht, eine Rechtsgrundlage für den Subsidiaritätsgrundsatz zu finden. Insofern bleibt nur die Folgerung, die „Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde" als lückenschließendes Richterrecht zu qualifizieren, welches sich dann aber dementsprechend inhaltlich rechtfertigen muß. 5.

Das Bundesverfassungsgericht legt auf dem Hintergrund des Subsidiaritätsprinzips einerseits die Zulässigkeitsvoraussetzungen des „gegenwärtigen und unmittelbaren Selbstbetroffenseins", des Rechtswegerschöpfungsgebotes (§ 90 I I 1 BVerfGG) und des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses sehr streng aus. Dabei verändert das Gericht ζ. T . auch die überkommenen Inhalte dieser Zulässigkeitsvoraussetzungen, um sie in den Dienst des Subsidiaritätsgedankens stellen zu können. Andererseits hat es den „allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde" inzwischen zu einer eigenständigen Sachurteilsvoraussetzung erhoben, dessen Inhalt über die genannten anderen Zulässigkeitshürden — jedenfalls in der Art und Weise, wie das Bundesverfassungsgericht sie benützt — noch hinausgeht.

6.

Es zeigt sich jedoch bei genauer Untersuchung, daß mit § 90 I I 1 BVerfGG — der unstreitig Ausdruck einer Kompetenzverteilung zwischen Fach- und Verfassungsgerichtsbarkeit ist — ein leistungsfähiger normativer Ausgangspunkt gegeben ist, m i t dem die Mehrzahl der Inhalte des Subsidiaritätsprinzips unmittelbar dogmatisch begründet werden können. Dies hat den Vorteil, daß auf praeter legem entwickelte Zulässigkeitshürden nicht zurückgegriffen werden muß, deren Existenz und Inhalte gleichermaßen umstritten sind. Darüber hinaus kann mit einer Rückführung der Subsidiaritätsgedanken auf das Rechtswegerschöpfungsgebot das (weitere) Aufweichen der Konturen der genannten Zulässigkeitsvoraussetzungen verhindert werden. Bei den Inhalten des Subsidiaritätsprinzips, die nicht mehr mit § 90 I I 1 BVerfGG in Einklang zu bringen sind, stellt sich hingegen bei eingehender Betrachtung heraus, daß diese schon aus inhaltlichen Gründen abzulehnen sind.

7.

Das Bundesverfassungsgericht setzt vor allem durch die Benutzung des Kriteriums des gegenwärtigen und unmittelbaren Selbstbetroffenseins bei den Normen Verfassungsbesch werden durch, daß diese unzulässig sind, wenn der Beschwerdeführer erst durch einen Vollzugsakt in sei-

292

F. Zusammenfassung der wichtigsten Untersuchungsergebnisse

nen Rechten betroffen ist und diesen fachgerichtlich hätte angreifen können. Diese Sachurteilsvoraussetzung vermischt Aspekte der Beschwerdebefugnis und der notwendigen Kompetenzabgrenzung. Sie ist daher schon seit den Anfangen der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung heftig kritisiert worden. Insbesondere das formale Abstellen auf Vollzugsakte wird modernen verhaltenssteuernden Gesetzen nicht mehr gerecht. 8.

Für die Beschwerdebefugnis ist auf § 90 I BVerfGG zurückzugreifen. Diese Vorschrift stellt klar, daß der Beschwerdeführer (nur) geltend machen muß, daß er (möglicherweise) in seinen Grundrechten verletzt ist. Dies reicht für den Ausschluß der Popularklage aus, so daß ein praeter legem entwickeltes Betroffenheitskriterium nur unnötig die Übersichtlichkeit der Zulässigkeitsvoraussetzungen beeinträchtigt. Eine Verweisung auf die Anfechtung etwa ergehender Vollzugsakte kann höchstens bei der Frage relevant werden, ob der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte nicht auch auf dem Rechtsweg beseitigen lassen kann. Ist dies möglich, versperrt § 90 I I 1 BVerfGG die unmittelbar eingelegte Normen Verfassungsbeschwerde.

9.

Das Bundesverfassungsgericht hat den Grundsatz aufgestellt, daß der Beschwerdeführer bei einer Verletzung durch ein Gesetz zunächst versuchen müsse, fachgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, wenn diese Möglichkeit effektiv und dem Beschwerdeführer zuzumuten sei. Diese Forderung wird auf der Grundlage des „über das Rechtswegerschöpfungsgebot hinausgehenden allgemeinen Subsidiaritätsprinzips" erhoben, das somit als eigenständiges Zulässigkeitsmerkmal zu berücksichtigen ist. Notwendig wird der Rückgriff auf den Subsidiaritätsgrundsatz nach der Auffassung des Gerichts, da nach herrschender Meinung § 90 I I 1 BVerfGG auf formelle Gesetze nicht anwendbar ist.

10. Diese Meinung ist aber weder durch den Wortlaut noch vom Sinn und Zweck des § 90 I I 1 BVerfGG her noch durch dessen Stellung im BVerfGG begründbar. Angesichts der Möglichkeiten, die der § 90 I I 1 BVerfGG selbst bietet, ist daher ein Rückgriff auf ein ungeschriebenes Zulässigkeitsmerkmal nicht erforderlich und somit schon aus methodischen Gründen abzulehnen: Vor allem ist die inzidente Normenkontrolle in Verbindung mit der möglichen Richtervorlage nach A r t . 100 I GG geeignet, die Verletzung durch ein verfassungswidriges Gesetz zu beseitigen. Daß der Fachrichter die Norm nicht selbst kassieren kann, spielt keine Rolle, da dies § 90 I I 1 BVerfGG gar nicht verlangt. An-

F . Zusammenfassung der wichtigsten Untersuchungsergebnisse

293

dererseits stellt die konkrete Normenkontrolle nach ständiger Rechtsprechung ohnehin nur ein „Zwischenverfahren" des fachgerichtlichen Verfahrens dar, so daß der Beschwerdeführer Rechtsschutz i m Rahmen des Rechtsweges erhält. Daß § 90 I I 1 BVerfGG auf Gesetze anzuwenden ist, steht auch nicht in Widerspruch zu A r t . 19 I V GG, da auch diese Vorschrift nahezu unstreitig die inzidente Normenkontrolle bei formellen Gesetzen einschließt. 11. Das Bundesverfassungsgericht legt auch das Rechtswegerschöpfungsgebot des § 90 I I 1 BVerfGG selbst auf dem Hintergrund des Subsidiaritätsprinzips sehr streng aus. Insbesondere verlangt das Gericht, daß der Beschwerdeführer zur Rechts wegerschöpfung alle seine verfassungsrechtlichen Bedenken schon in der Fachgerichtsbarkeit vorgetragen hat. Diese materielle Rügepflicht ist aber mit dem Grundsatz „iura novit curia", der alle Gerichtsbarkeiten beherrscht, nicht zu vereinbaren. Rechtsausführungen der Parteien werden in den Fachprozeßordnungen nicht verlangt und können daher auch nicht von der Blankettnorm des § 90 I I 1 BVerfGG gefordert werden. Dieser Inhalt des Subsidiaritätsprinzips muß somit abgelehnt werden. Eine Ausnahme läßt sich höchstens für die Revisionsinstanzen vertreten, da dort in eingeschränktem Maße — aber immerhin — Rechtsausführungen im Rahmen der Revisionsbegründungen erwartet werden. Diese Rügepflicht gehört dann allerdings zum Rechtsmittel „Revision" und ist damit Bestandteil des Rechtsweges, den es schon gemäß § 90 I I 1 BVerfGG zu erschöpfen gilt. Eine Berufung auf eine eigenständige Zulässigkeitsvoraussetzung „Subsidiaritätsprinzip" ist insofern nicht erforderlich. 12. In anderen Fällen verweist das Bundesverfassungsgericht den Beschwerdeführer, der den an sich eigenständigen Rechtsweg des vorläufigen Rechtsschutzes schon vollständig erschöpft hat, unter Berufung auf den Subsidiaritätsgrundsatz noch auf das fachgerichtliche Hauptsacheverfahren, bevor Verfassungsbeschwerde erhoben werden kann. Allerdings geht das Bundesverfassungsgericht zu Recht nur in denjenigen Fällen in der genannten Art vor, in denen i m Hauptsachverfahren die Verletzung des Beschwerdeführers noch beseitigt werden kann, weil der Beschwerdeführer Grundrechtsverletzungen geltend macht, die Probleme des Hauptsacheverfahrens betreffen. Vom Bundesverfassungsgericht wird in diesem Zusammenhang der § 90 I I 1 BVerfGG nicht angewendet, da (unstreitig) der Instanzenzug des vorläufigen Rechtsschutzes ein eigenständiger Rechtsweg und dieser schon erschöpft sei. Diese Argumentation übersieht, daß § 90 I I 1 BVerfGG nicht die Erschöpfung irgendeines Rechtsweges

294

F . Zusammenfassung der wichtigsten Untersuchungsergebnisse

verlangt, sondern die Erschöpfung des „Rechtsweges gegen die Verletzung". Wenn aber der Beschwerdeführer Rechtsverletzungen rügt, die sich ausschließlich auf das Hauptsach verfahren beziehen, weil sie dort erst endgültig geklärt werden sollen, ist dieser „Rechtsweg gegen die Verletzung" noch gar nicht erschöpft, und § 90 I I 1 BVerfGG steht sehr wohl zur Verfügung. 13. Ebenfalls unter Berufung auf das Subsidiaritätsprinzip legt das Bundesverfassungsgericht die fachgerichtlichen Prozeßordnungen extensiv aus, um zu erreichen, daß möglichst viele Grundrechtsverletzungen schon in den dadurch verlängerten Instanzenzügen selbst behoben werden. Das hat allerdings für den Beschwerdeführer den Nachteil, daß er sich u . U . vom Bundesverfassungsgericht vorhalten lassen muß, er habe ein an sich gegebenes — wenn auch bis zu diesem Zeitpunkt sehr umstrittenes — Rechtsmittel unterlassen, so daß er den Rechtsweg nicht erschöpft habe. Das Bundesverfassungsgericht muß sich bei dieser Rechtsprechung vorhalten lassen, daß es kompetenzwidrig in die einfachen Verfahrensordnungen eingreift und es für den Beschwerdeführer überaus schwierig macht, zu erkennen, welche Rechtsmittel er noch einlegen muß. Rechtsstaatsadäquater dürfte es sein, die zuständigen Fachgerichte — i m Einzelfall das für den Beschwerdeführer konkret zuständige Fachgericht — darüber entscheiden zu lassen, welche Rechtsbehelfe zulässig sind und daher eingelegt werden müssen. 14. Das Bundesverfassungsgericht sollte sich hier einer größeren Zurückhaltung befleißigen. Gleichzeitig muß aber auch der Gesetzgeber davor gewarnt werden, durch eine Verschärfung und Verkürzung der Rechtsschutzmöglichkeiten in den Fachprozeßordnungen den Ausweichdruck auf das Bundesverfassungsgericht weiter zu erhöhen, das sich schon jetzt einer „Pannenjudikatur" erwehren muß. Stattdessen sollten die Möglichkeiten der Korrektur von Verstößen gegen A r t . 1031 GG durch die Fachgerichte selbst (insbesondere in der Zivilgerichtsbarkeit) verbessert werden. 15. Bei Verfassungsbeschwerden gegen gesetzgeberisches Unterlassen zeigt sich besonders deutlich die Abhängigkeit des zu erschöpfenden Rechtsweges gemäß § 90 I I 1 BVerfGG von der fachgerichtlichen Rechtsprechung. In neuerer Zeit hat sich nämlich insbesondere durch einen Richtungswechsel beim Bundesverwaltungsgericht die Möglichkeit eröffnet, durch verwaltungsgerichtliche (Feststellungs-)Klage die Verpflichtung eines Hoheitsträgers zum Erlaß einer untergesetzlichen Norm rechtskräftig aussprechen zu lassen. Damit ist für jeden potentiellen Beschwerdeführer jetzt ein Rechtsweg i. S. d. § 90 I I 1 BVerfGG

F . Zusammenfassung der wichtigsten Untersuchungsergebnisse

295

eröffnet, den es zu erschöpfen gilt, bevor er beim Bundesverfassungsgericht seinen Normerlaßanspruch geltend machen kann. Bei Ansprüchen auf Erlaß formeller Gesetze ist zwar auch heute noch keine verwaltungsgerichtliche Klage auf Normerlaß in der Hauptsache möglich (§ 4011 VwGO). Es besteht seit einiger Zeit aber die Möglichkeit, bei relativem Unterlassen des Gesetzgebers durch eine inzidente Normenergänzungsklage über Art. 100 I GG zum Bundesverfassungsgericht zu gelangen, so daß auch hier durch die Möglichkeit inzidenten Rechtsschutzes ein Rechtsweg i m Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG gegeben ist. Da bei absolutem Unterlassen des Gesetzgebers die Richtervorlage mangels vorlagefähigem Substrat ausgeschlossen ist, bleibt es bei dieser Fallgruppe dabei, daß fachgerichtlicher Rechtsschutz nicht effektiv wäre und unmittelbare Verfassungsbeschwerde (theoretisch) möglich ist. 16. Das Bundesverfassungsgericht mildert die Auswirkungen seiner Subsidiaritätsrechtsprechung durch einen Effektivitäts-, einen Zweck- und einen Zumutbarkeitsvorbehalt. Außerdem wendet es die normative Ausnahme vom Rechtswegerschöpfungsgebot, nämlich den § 90 I I 2 BVerfGG unmittelbar bzw. analog an, je nachdem, ob der (eng verstandene) § 90 I I 1 BVerfGG oder die eigenständige Zulässigkeitsvoraussetzung „Subsidiaritätsprinzip" zu korrigieren ist. Diese große Anzahl von sich überschneidenden, bzw. teilweise auch nicht unbedingt harmonierenden Ausnahmen erlaubt keine präzise Systematik. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, daß der Effektivitätsvorbehalt problemlos bei der Auslegung des „Rechtsweges" i m Sinne des § 90 I I 1 BVerfGG zu berücksichtigen ist, während Zweck- und Zumutbarkeitsvorbehalt durch einen richtig verstandenen § 90 I I 2 BVerfGG thematisch verbraucht werden. Da nach der hier vertretenen Konzeption allein das Rechtswegerschöpfungsgebot des § 90 I I 1 BVerfGG — und nicht ein allgemeiner Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde — den Beschwerdeführer an die Fachgerichte verweisen kann, stellt sich auch nicht die Frage nach direkter oder analoger Anwendung des § 90 I I 2 BVerfGG, da dieser immer i m unmittelbaren Wirkungskreis des § 90 I I 1 BVerfGG angewendet wird, d. h. also direkt. 17. Eine Übernahme der Subsidiaritätsgedanken auf die kommunale Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 I Nr. 4 b GG ist abzulehnen. Eine solche Vorgehensweise widerspricht der früheren Rechtsprechung, die

F. Zusammenfassung der wichtigsten Untersuchungsergebnisse

die Gemeinden bewußt nicht auf die Anfechtung von Vollzugsakten verwiesen hat, da gegen diese die Kommunalverfassungsbeschwerde als reine Normen Verfassungsbesch werde nicht eingesetzt werden kann. Wenn das Bundesverfassungsgericht in neuerer Rechtsprechung die Kommunen auf den Rechtsweg nach § 47 V w G O verweist, wenn diese Rechtsverordnungen angreifen wollen, übersieht es, daß gegen das abweisende OVG-Urteil keine Urteilsverfassungsbesch werde erhoben werden kann. Das Verhältnis der entgegenstehenden O V G Entscheidung zu der auf die Verfassungsbeschwerde ergehenden Bundesverfassungsgerichtsentscheidung bleibt ungeklärt, was sich insbesondere dann äußerst negativ auswirkt, wenn der Normgeber nach dem gewonnenen OVG-Prozeß schon (Vollstreckungs-)Maßnahmen eingeleitet und abgeschlossen hat. Einer „Heilung" dieser Nachteile ist auch nach einem Prozeßerfolg der Kommune durch § 79 I I BVerfGG ein Riegel vorgeschoben. Da zudem Kommunalverfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht ohnehin nur äußerst selten vorkommen, sollte von der Verweisung der Kommunen auf den Rechtsweg abgesehen werden. 18. Der Begriff „Subsidiarität der Verfassungsgerichtsbarkeit" lädt zu Fehlschlüssen ein und sollte daher möglichst vermieden werden. Die meisten Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht sind nicht „subsidiär", da kein aufzulösendes Konkurrenzverhältnis zu der Fachgerichtsbarkeit besteht.

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