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German Pages 471 [484] Year 2002
Ingrid Strohschneider-Kohrs · Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung
INGRID STROHSCHNEIDER-KOHRS
Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung 3., unveränderte Auflage
MAX NIEMEYER VERLAG 2002
TÜBINGEN
1. Auflage 1960 2., durchgesehene und erweiterte Auflage 1977
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Strohschneider-Kohrs, Ingrid : Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung / Ingrid Strohschneider-Kohrs. - 3., unveränd. Aufl.. Tübingen: Niemeyer, 2002 Zugl.: München, Univ., Habil.-Schr., 1958 ISBN 3-484-10840-1 © Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2002 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Einband: Industriebuchbinderei Nädele, Nehren
VORWORT ZUR
NEUAUFLAGE
Diese Untersuchung über die romantische Ironie, 1957 der Münchener Fakultät als Habilitationsschrift eingereicht, 1960 im Max Niemeyer Verlag veröffentlicht und 1977 in zweiter Auflage gedruckt, wird hier in einem Neudruck vorgelegt. Dies Buch wird jetzt in der Form dargeboten, die 1977 in der zweiten Auflage mit einigen Ergänzungen und einem ausführlich argumentierenden Nachwort erschienen ist. Es mag kaum nötig sein, gesondert hervorzuheben, daß während der vielen Jahre seither Voraussetzungen und Möglichkeiten entstanden sind, die zu neuer Akzentuierung und zur Weiterführung der von mir dargelegten Probleme und Deutungsweisen herausfordern könnten. Hat doch offensichtlich die Thematik der literarischen Ironie - trotz der vielen und diversen Wege oder Ambitionen der neueren Literaturwissenschaft keineswegs an Interesse eingebüßt. Doch das spezielle Thema der romantischen Ironie< ist begreiflicher Weise für die in der Zwischenzeit vorwaltenden Intentionen dieser Wissenschaft, die in zunehmendem Maße außerliterarischen Gegebenheiten oder Zielvorstellungen zu folgen suchte, kaum von besonderer Attraktivität gewesen. Die oft und deutlich proklamierte Abkehr von philosophisch begründbarer und geistesgeschichdich orientierter Hermeneutik hat sicherlich daran teil, daß kaum ein nachhaltiger Dialog oder eine gründlich argumentierende Widerlegung meiner Deutung und der Ergebnisse meiner Untersuchung zu verzeichnen sind1. Neue Grundlagen aber - und damit vielfache Möglichkeiten zur Weiterführung und zu differenzierender Explikation meiner Untersu1
Zur Ubersicht über die wichtigste Sekundärliteratur der Zwischenzeit vgl. Anm. 2 in
meinem Nachwort von 1977; zur weltliterarischen Thematik die Artikel >Ironie< in: Histor. Wb. der Philosophie (1976); TRE 1987; Romantik-Handbuch
(S. 351ff.) 1994; u.a.; Detail -
untersuchungen in Zeitschriften sind hier ebensowenig anzuführen wie die Reihe der Darlegungen, in denen die »romantische Ironie < als Teil einer Vorgeschichte zu Themen der >Postmoderne< verstanden wird. - Fraglich wäre zudem, ob einige der Kapitel in Richard Rortys Buch Kontingenz,
Ironie und Solidarität (1989/1992), in denen - wenn auch in
kaum überzeugender Terminologie - über >Ironismus< oder >ironistische Theorie< zu lesen ist und auf eine >ironistische liberale Kultur< hingewiesen wird, in näheren Zusammenhang zu bringen sind mit der Kunsttheorie und Ironie-Konzeption der Romantik.
chung sind mit den außerordentlichen Editionsleistungen der letzten Jahrzehnte entstanden, - vornehmlich mit der mählichen Vervollständigung der Kritischen Friedrich Schlegel-Ausgabe; zudem auch mit den neuen Ausgaben aus dem Gesamtbereich der Romantik und dem der Philosophie des Deutschen Idealismus. Die genaueren, im Nachwort meines Buches mitgeteilten Erwägungen über die Aufnahme zusätzlichen Textmaterials in das relativ umfangreiche Schlegel-Kapitel sind nach wie vor von Belang. Es soll hier nicht in extenso wiederholt werden, daß mehr oder auch modifizierte Zitationen keineswegs wirklich gravierende Veränderungen für die Deutung der von Schlegel intendierten Ironie-Konzeption nach sich ziehen müßten. - Von größerem Gewicht, so darf gesagt werden, ist indes, daß die leitenden Problemgedanken, die die gesamte Untersuchung, also auch den Interpretationsteil, bestimmen, von unverändert essentieller Bedeutung sind. Gleichwohl läge mir durchaus daran, die für diese Problemgedanken möglichst knapp und prägnant gefaßte, auch mehrfach wiederholte Formulierung über die romantische Ironie als ein »Mittel der Selbstrepräsentation von Kunst< nochmals zu erläutern und präzisierend abzugrenzen, damit nicht neuerdings Mißverständnisse entstehen könnten. So wäre denn erneut darauf hinzuweisen, daß dies Diktum mit dem - vielleicht durchaus mißverstehbaren - Wort >Selbst-< keine willentlich artistische Selbstgenügsamkeit meint. Vielmehr versucht meine Formulierung genau die Art künstlerischer Reflexion zu umschreiben, die mit expliziter Benennung oder auch in deiktischen Sprach- und Gestaltungsverfahren die poetische Literarität als solche hervorhebt. Eben damit ist diese Ironie als ein Sinnzeichen des Bewußtseins von der Relativität der Kunsterscheinungen zu verstehen. Es sei nochmals unterstrichen - etwa auch anläßlich von Schlegels auffälligem Diktum über die Ironie als eine »epideixis der Unendlichkeit« - , daß damit ein Sinnzeichen von doppelt deiktischem Sinn zu denken ist: sowohl als Hinweiszeichen auf die als begrenzt oder >bedingt< erkannte Erscheinung oder >Relativität< des Kunstseins; nicht minder zudem als ein Hinweiszeichen auf den ein solches Wissen initiierenden Bezug zu >UnendlichemAutonomie< der Kunst zu verbinden gesucht. Über-
dies schien es mir damals für eine wenn auch nur kurze Erörterung im Nachwort angezeigt, auch auf die genauere Relation zwischen rhetorischer und romantischer Ironie einzugehen: auf mögliche Sinnentsprechungen und Verbindungen ebenso wie auf Abgrenzungsweisen. Nicht weniger wichtig, wenn nicht um Grade dringlicher denke ich mir gegenwärtig eine Erörterung, die der Historizität der romantischen IronieKonzeption gelten könnte - als eben der durchaus singulären intellektuellen Komponente und Kunsttheorie innerhalb der Literaturepoche der Romantik. Wäre doch sicherlich auch aufgrund neuer Briefeditionen aus den Jahrzehnten um 1800 mit neuartigen Differenzierungen auf Abgrenzungen einzugehen, die in meinen Darlegungen entweder nur implizit und in kurzen Hinweisen erwähnt sind oder aber durch die Quellentexte selbst zu Wort kommen. Zu denken wäre vornehmlich, so will mir scheinen, an eine präzise Erfassung jener Tendenzen oder Demarkationen, die als Gegenwendung, wenn nicht als dezidierte und explizite Abkehr zu erkennen sind gegen beides: gegen die harmonistisch-symbolische Kuns tauffas sung der Klassik; nicht weniger deutlich aber auch gegen die Traum- oder Rausch-geleiteten Vorstellungen von einer differenzlosen Identität oder einem >Absolutum< in Kunst- und Daseins-Utopien, wie sie schließlich auch aus philosophischen Entwürfen dieser Epoche hervorzugehen vermochten. - Es ist vermutlich aufgrund neu zugänglicher Texte und Kontext-Dokumente möglich, dieses Problemfeld historischer Gegebenheiten genauer zu erkunden, gerade da dies Terrain mit speziellen Fragestellungen und in umsichtiger Bearbeitung neu zu erschließen wäre. Voraussetzungen interdisziplinärer Forschung könnten einer solchen erneuten Annäherung und Erkundung von Problemen dieser epochalen Historizität zugute kommen. Liegen doch in diesen Voraussetzungen viele der Möglichkeiten, das Geflecht der Beziehungen oder Überschneidungen - anders formuliert: der Wechselwirkungen oder des >Wechselerweises< zwischen Traditions- und Innovations-Elementen deutlicher als bisher wahrnehmbar werden zu lassen. Auch Kunsttheorie und Kunsterscheinungen der Zeit könnten damit unter den ihnen eigentümlichen Signaturen sichtbarer oder prägnanter hervortreten. Wünschbar erschiene es mir, wenn für diese oder auch eine andere Art der Erkundung die vorliegende Untersuchung hilfreich und anregend sein könnte. München, September 2001
Ingrid Strohschneider-Kohrs
INHALT Einleitung
1 ERSTER TEIL : DIE THEORIE DER ROMANTISCHEN IRONIE
Ι. KAPITEL
Der Begriff der Ironie in der Konzeption Friedrich Schlegels .
1. Die dialektische Bestimmung der Ironie in Schlegels frühromantischen Fragmenten 2. Der Begriff der Ironie in Schlegels kunstphilosophischen Schriften der Jahrhundertwende 3. Der Begriff der Ironie in Schlegels Kunstkritik 4. Der Begriff der Ironie in Schlegels Alterswerk 5. Zusammenfassung II. KAPITEL
Die Aufnahme des Ironie-Begriffs in der älteren Romantik
1. 2. 3. 4. 5. 6.
Schelling Schleiermacher Novalis August Wilhelm Schlegel Krause Tieck
in.
KAPITEL
14 54 71 80 88 92 93 97 100 112 124 128
Exkurs zum Thema: Ironie uud Humor
147
1. Jean Paul 2. Schubert. E.T.A. Hoffmann IV. KAPITEL
7
147 155
Ausweitung und philosophische Begründung des Ironie-Begriffs 161
1. Adam Müller 2. Solger a) Die Grundgedanken b) Tätigkeit und ,Ubergang' in der künstlerischen Dialektik c) Die Ironie d) Das Künstler-Problem e) Kennzeichen der Ironie im gestalteten Kunstwerk f) Zusammenfassung und Vergleich
.
162 185 186 189 194 202 204 209
V. KAPITEL
Verurteilung des romantischen Ironie-Begriffs durch Hegel und Kierkegaard 215
vi. KAPITEL
Uberblick und Zusammenfassung
223
ZWEITER TEIL: DIE ROMANTISCHE IRONIE IN DER GESTALTUNG
Einleitung Ι. KAPITEL
241 Die romantische Ironie in der Sprachform kurzer Prosatexte
249
1. Novalis: „Monolog" 2. Friedridi Schlegel: „Über die Unverständlichkeit" H. K A P I T E L
Die romantische Ironie als Gestaltungsmöglichkeit Tiecks Lustspielen
250 273 in 283
1. Vorüberlegungen 2. Darstellungsformen und Spielintentionen 3. „Der gestiefelte Kater" a) Thema und Spielfeld b) Szenisdie Gestaltung und Bühnenmittel c) Ironie als Gestaltungsprinzip 4. „Die verkehrte Welt" und „Prinz Zerbino" : Einzelszenen und Spielprinzipien 5. Künstlerische Ironie und dramatische Form
283 286 296 296 302 314
in.
337
KAPITEL
Die romantis&e Ironie in der Erzählkunst
1. 2. 3. 4.
Ausdruck und Gestaltung in Brentanos „Godwi" Die Verwendung von Kunstmitteln des humoristischen Romans . Stil- und Strukturzüge von Hoffmanns Märchen Hoffmanns Capriccio: „Prinzessin Brambilla" a) Vorüberlegungen und These b) Unterscheidung von Erzählzusammenhängen c) Das Zusammenspiel der Erzählwelten d) Sonderformen der Darstellung e) Das Spiel mit der Erzählfiktion f) Kunstlehre, Verweisungen und Gestalteinheit 5. Die künstlerische Ironie in der Erzählkunst
IV. KAPITEL
320 333
.
Zusammenfassung und Ausblick: Die Ironie als Möglichkeit und Problem künstlerisdter Gestaltung
Quellen Darstellungen Nachwort Register
339 341 352 362 362 369 375 382 386 400 420
425 437 443 447 464
Dem Andenken an PAUL KLUCKHOHN
In Dankbarkeit weiß idi mich der Deutschen Forschungsgemeinschaft verpflichtet, die mir die Durchführung der vorliegenden Untersuchung durch ein Stipendium ermöglicht hat. Der Westdeutschen Bibliothek Marburg und der Stadtbibliothek Trier danke ich für die Erlaubnis zur Handschriftenbenutzung. — Dem Druck ist das Manuskript der Untersuchung zugrunde gelegt worden, das ich im Herbst 1957 der Philosophischen Fakultät der Universität München vorgelegt habe. Im Sommer 1958 hat die Philosophische Fakultät der Universität München diese Arbeit als Habilitationsschrift angenommen. — In Dankbarkeit gedenke ich der Gespräche und Anregungen, jeder Förderung, die diese Untersuchung erfahren durfte. Frankfurt, Herbst 1959.
I. Strohschneider-Kohrs
EINLEITUNG
Der Begriff >Ironie< ist vieldeutig. Er wird verwendet, um eine bestimmte psychische Verhaltensweise oder um eine eigenartige Stilphysiognomie literarischer Erscheinungen zu kennzeichnen. Die vorliegende Untersuchung richtet sich ausschließlich auf ein historisches Phänomen; sie sucht zunächst das aufzufinden und zu bestimmen, was in der deutschen Romantik mit dem Begriff der Ironie gemeint und postuliert worden ist. Damit ist der Bezirk und damit ist die Richtung des Fragens abgegrenzt. Denn es gibt in der Romantik eine Konzeption, die von der Ironie als einem philosophisch-ästhetischen Problem und von der Ironie als einer künstlerischen Möglichkeit handelt. Dies Problem und diese künstlerische Möglichkeit sind Gegenstand der Untersuchung: ein Gegenstand, der in einem betonten Sinne dem Bereich ästhetischen Denkens zugehört, sich den Kategorien dieses Denkens erschließen kann, sich aber bestimmten Arten psychologischen Fragens verwehrt. Diese Angaben stehen schon innerhalb eines hermeneutischen Zirkels: sie folgen den Bestimmungen der romantischen Ironie-Konzeption. Es muß der erste Schritt dieser Untersuchungen sein, die romantischen Texte, die von der Ironie handeln, aus dem ihnen eigenen geistig-geschichtlichen Zusammenhang zu erhellen. Es wird nicht nur, wenn auch an erster Stelle, der Blick auf Friedrich Sdilegels Ironie-Konzeption zu richten sein, sondern es werden die kritischen, ästhetischen und philosophischen Schriften all der Romantiker zu betrachten sein, deren Gedanken an der romantischen Konzeption der Ironie mitgearbeitet haben. Diese Betrachtung läßt sich leiten von der Frage nach dem Zusammenhang und der inneren geistigen Einheit oder auch Kontinuität der theoretischen Bemühungen dieser Epoche; will es doch scheinen, daß die romantische Ironie-Konzeption als eine eigenartige, in der Vielfalt aller einzelnen Aussagen doch einheitliche Antwort auf ästhetische Fragen gelten muß und sich als Dokumentation einer bestimmten Kunstauffassung von anderen
2
kunstphilosophischen Anschauungen der Goethezeit unterscheiden läßt. Der erste Teil dieser Untersuchung zielt also darauf, das in der Romantik mit dem Begriff der Ironie bezeichnete philosophisch-ästhetische Problem und die aus ihm abgeleiteten kunsttheorecischen Postulate in genauer Argumentation zu klären und abzugrenzen. Die romantische Theorie der Ironie nennt ein nicht unscharfes Postulat, eine nicht unklare Bestimmung von künstlerischen Gestaltungsmöglichkeiten. Die vorliegende Untersuchung fragt nun weiterhin danach, ob und in welchen Formen das mit der Ironie-Konzeption proklamierte Prinzip künstlerischer Gestaltung in romantischen Sprachkunstwerken verwirklicht worden ist. Diese Frage darf nicht dahin mißverstanden werden, als gelte es, bestimmte Dichtungen der Romantik aus einer Theorie abzuleiten; es wird vielmehr nach Entsprechungen zwischen der Ironie-Konzeption und bestimmten Erscheinungen der romantischen Dichtkunst gefragt. Geht doch diese Untersuchung von dem Gedanken aus, daß Theorie und Gestaltung der Ironie in der Romantik als zwei gleidiursprüngliche Dokumentationen zu verstehen sind, die aber von einer gleichgerichteten ästhetischen Intention zu sprechen vermögen. Eine Antwort auf die Frage nach der künstlerischen Gestaltung der romantischen Ironie läßt sich nur auf dem Wege der Interpretation von Einzelwerken gewinnen. Es kann nicht die Aufgabe dieser Untersuchung sein, eine möglichst große Anzahl romantischer Dichtungen mit einer formelhaften Benennung zu etikettieren; sondern es geht darum, die Sprachwerke, die in ihrer künstlerischen Gestaltung eine Entsprechung zum theoretisch postulierten Prinzip der Ironie erkennen lassen, so eindringlich wie möglich zu interpretieren. So sehr diese Interpretationen bemüht sein müssen, das dem jeweiligen Kunstwerk eignende Stil- und Strukturprinzip aufzufinden und zu deuten, so zielen sie doch auch darauf, das diesen Werken gemeinsame Prinzip umfassender zu verdeutlichen und eine Grundmöglichkeit künstlerischen Gestaltens überhaupt aufzuweisen. Das ist das Anliegen des zweiten Teils dieser Untersuchung: es soll auf dem Wege der Interpretation von Einzelwerken versucht werden, die Frage nach der Erscheinungsweise der romantischen Ironie in der künstlerischen Objektivation zu bestimmen, und es soll damit eine der Möglichkeiten künstlerischen Formens in ihrer grundsätzlichen Bedeutung vor den Blick rücken.
3
Um den Gang der Untersuchung nicht von vornherein mit der Voraussetzung des Ergebnisses zu belasten, wird hier bewußt auf eine Darstellung und kritische Sichtung der bisher in der Forschung vorgetragenen Auffassungen von der romantischen Ironie verzichtet. Es wird in der Argumentation der einzelnen Kapitel eine Auseinandersetzung mit diesen Auffassungen gegeben oder doch auf andere Deutungen verwiesen werden.
ERSTER TEIL DIE THEORIE DER R O M A N T I S C H E N I R O N I E
I. KAPITEL
DER BEGRIFF DER I R O N I E I N DER
KONZEPTION
F R I E D R I C H SCHLEGELS
Nidit erst die Romantik-Forschung, sondern schon Friedrich Sdilegel seihst hat den Terminus >romantische IronieObjektivität< aus dem >Studium< von 1795 . . . Diese Objektivität wird jetzt in den Geist des Dichters hineinverlegt. Die Ironie ist die Objektivität, die auf der unendlichen Individualität des Dichters beruht.« Weltansdi. S. 175; ebenso auch: Shakesp. — Probleme, S. 166. Doch M. Joadiimi gibt keine genauere Ableitung und damit keine überzeugende Begründung für diese Auffassung. —
10 und versteht sie nicht aus psychischen Bedingtheiten, sondern aus ästhetischen Prinzipien. Auch der aus Hegels Urteil über die romantische Ironie lange nachwirkende Begriff der Objektivität muß hier kurz erwähnt werden. Hegels Begriff meint ein »Substantielles«, das er als das »Menschliche des Geistes«, das »wahrhaft Bleibende und Mächtige« nennt 3 und als einen Weltgehalt bestimmt, der sich als vollendete Aussöhnung von Gegensätzen in der Affirmation des »Einen«, des Gesetzes der Vernunft offenbart. Die Kunst, die diesen Weltgehalt darstellt, hat nach Hegel Objektivität. — Es bedarf nun f ü r unseren Zusammenhang der Prüfung, welchen Sinn Schlegel mit dem Wort »Objektivität« verbindet. U n d weiterhin müssen wir f r a gen, ob Schlegel selbst in seinen ästhetischen Anschauungen und Postulaten mit Ausschließlichkeit von einer objektiven oder einer allein subjektiv bestimmten Kunst spricht, wie die o f t alternativ gerichteten Fragen in der Romantik-Forschung glauben machen wollen. Es sind also zwei, wohl aber eng miteinander verbundene Fragen, für die wir in Schlegels Studium-Aufsatz klärende Hinweise suchen: 1. Welchen Inhalt gibt Schlegel seinem Begriff der Objektivität? 2. Welche besonderen Fragen bilden sich in Schlegels ästhetischem Denken heraus in der Zeit, die seiner romantischen Kunstlehre und seinen ersten Versuchen, die Ironie als ästhetisches Prinzip zu bestimmen, voraufgeht? Um diese Fragen so knapp wie möglich zu skizzieren, müssen die aus den Enstehungsbedingungen des Studium-Aufsatzes erklärbaren Werturteile Schlegels, aber auch eine Reihe nicht unwichtiger Einzelprobleme beiseite bleiben 4 . Schlegel erkennt in der griechischen Kunst und Bildung das Prinzip der Objektivität; es gilt ihm als »vollkommene Organisazion« 5 . Er faßt den Begriff Objektivität in einem betont ästhetischen Sinne und bezeichnet mit diesem Begriff ein f ü r alle Kunst und jedes Kunstwerk gültiges und postulierbares »Gesetz innerer Möglichkeit« 6 , — ein Gesetz des inneren Maßverhältnisses, des Stils. »Objektivität der D a r stellung« 7 meint »innere Ubereinstimmung, ohne die eine Darstellung ' Hegel, Werke Bd. 20, S. 373. Es sind dies vor allem Fragen der geistesgesdiiditlich bedeutsamen Einflüsse, die in Schlegels ästhetischem Denken wirksam werden. Ausführlich darüber Enders, 1913. 5 7 Min. I, S. 139. Min. I, S. 166. β Min. I, S. 136. 4
11 sich selbst aufheben« würde 8 . Das Kunstwerk, das »eine kleine abgeschlossene Welt, ein in sich vollendetes Ganze seyn sollte«9, hat nach Schlegels Auffassung in seiner ästhetischen Autonomie nur ein einziges Gesetz, dieses aber strikte zu erfüllen: innere Gestaltung, vollkommene, »schöne Organisazion« 10 . Die näheren Bestimmungen, mit denen Schlegel dies prinzipiell gültige Gesetz charakterisiert, erhärten weiterhin den rein ästhetischen Sinn des Objektivitäts-Begriffes: die vollkommene Organisation zeigt sich in der Poesie als »Vollständigkeit der Verknüpfung« 11 ; »Styl bedeutet beharrliche Verhältnisse« 12 . »Das Gesetz des Verhältnisses der vereinigten Bestandtheile der Schönheit ist unwandelbar bestimmt« 13 ; in Verhältnissen »findet kein Mehr oder Weniger statt« 14 . »Objektivität ist der angemessene Ausdruck für dies gesetzmäßige Verhältnis des Allgemeinen und Einzelnen in der freyen Darstellung« 1 5 .
Wenn nun Schlegel eine Reihe von Formen der Desorganisation in der neueren Kunst beschreibt, — in dieser Kunst durch falsch verstandene Nachahmung oder Originalitätssucht das Ubergewicht eines Einzelnen und damit die Vernichtung der Objektivität erkennt; — wenn er für diese Erscheinungen den Begriff der Subjektivität einsetzt 16 , so bedeutet das nicht, daß Schlegel von vornherein dem Prinzip der neueren Kunst die Möglichkeit abspricht »Maßstab des ästhetischen Werths« 17 zu sein. Er sucht vielmehr, das Prinzip, das der Eigenart der intellektuellen, künstlichen, modernen Bildung entspricht, zu bestimmen und es an der höchsten Ausprägung der modernen Kunst, an Shakespeare, zu verstehen. Ihm ist auch die moderne Kunst »eine ganz grosse Hauptgattung« 18 , die ihre eigene Ursprünglidikeit besitzt. Als die »ursprüngliche Kraft« 19 , als das »lenkende Prinzip der künstlichen Bildung« nennt Schlegel »Selbstthätigkeit« 20 , den »Sdiwung der Freyheit« 21 , den »freyen Aktus des Gemüths« 22 . Nun liegt die 8
Min. I, S. 136. " Min. I, S. 135. 13 • Min. I, S. 150. Min. I, S. 135. 10 Min. I, S. 161. " Min. I, S. 133. 11 Min. I, S. 138. " Min. I, S. 135. 14 »Das Einzelne darf nicht Selbstzweck seyn (Subjektivität)« Min. I, S. 135. »Wider die Objektivität der Kunst wird verstoßen, wenn sidi bei dem Geschäft allgemein gültiger Darstellung, die Eigenthümlichkeit ins Spiel mischt, sich leise einsdileidit, oder offenbar empört; durdi SubjektivitätMin. I, S. 150. 17 Min. I, S. 165. " M i n . I . S . 116. 18 Min. I, S. 103. " Min. I, S. 118. " Min. I, S. 105. " Min. I, S. 98.
12
Schwierigkeit in Schlegels Formulierungen und in dem für ihn selbst sich erst langsam herausbildenden Gedanken darin, daß Schlegel den Begriff für das Prinzip der modernen Kunst: »das Interessante«, im Verhältnis zum Objektivitäts-Begriff vorwiegend privativ bestimmt 23 , dennoch aber auch für die moderne Kunst die Objektivität als gebotene Möglichkeit erkennt und als Gesetz postulieren will. Das Prinzip der Individualität schließt das Gesetz innerer Organisation keineswegs aus: »Auch der modernen Poesie würde ihre Individualität unbenommen bleiben, wenn sie nur das Griechische Geheimnis entdeckt hätte, im Individuellen objektiv zu seyn.«24 Die genauere, hier sich anbahnende Frage könnte lauten: entfaltet sich das Prinzip der modernen Kunst aus sich selbst und in sich selbst zu dem allgemeingültigen Gesetz der inneren Übereinstimmung mit sich selbst, — gelangt es zu einer eigenen ästhetischen Organisation, oder muß es seinen Eigencharakter hintan lassen, wenn Objektivität entstehen soll? Schlegel gibt auf diese Frage keineswegs eindeutige Antwort; er setzt vielmehr an nicht wenigen Stellen einen starren Begriff des Objektiven ein, das als alleiniger Höchstwert des Schönen wenn auch frei ergriffen, so dodi gleichsam fertig übernommen werden soll25. Mit solchen Gedanken umgeht Schlegel die eigentliche Konsequenz des von ihm formulierten ästhetischen Grundgedankens der inneren Organisation, die wie für die griechische Kunst so auch für das Prinzip der Moderne, für seine ihm zugehörige reine Entfaltung zu bedenken ist. Allerdings ist Schlegel dieser Konsequenz seiner Gedanken bereits nahe, wie die »Erschütterung«26, die starke Wirkung durch Schillers Anschauungen und die damit einsetzenden Umwertungen der modernen Kunst in der hinzugefügten Vorrede anzeigen. Wenn Schlegel im Studium-Aufsatz auch noch nicht die Anwendung des erkannten Grundgesetzes innerer Organisation für die moderne 23
Min. I, S. 95, 103 u. a. Min. I, S. 154. 25 So spricht Schlegel nicht von einer ruhigen Emanation der modernen Bildung, sondern fordert ein »gewaltsames« Ermannen, um zu »Versuchen des Objektiven« überzugehn. Min. I, S. 111. »Die Herrsdiaft des Interessanten ist durchaus nur eine vorübergehende Krise des Geschmacks: denn sie muß sich endlich selbst vernichten.« Min. I, S. 110. 24
28
Enders 1913, S. 260 und 380.
13
Kunst zu formulieren vermag, in der Erkenntnis des Prinzips der modernen Kunst und Bildung ist er sicher geworden. Er nennt ihre »Selbstkraft« 27 , »das freye Vermögen sich selbst eine bestimmte Richtung (zu) geben«28 und bezeichnet als die erste und innerste ihrer Bedingungen den »freyen Aktus des Gemüths«: »Dieser Aktus ist aber eben der ursprüngliche Quell, der erste bestimmende Anstoß der künstlichen Bildung, welcher also mit vollem Redit der Freyheit zugeschrieben wird.« 29 Es ist das gleiche Prinzip, das Schlegel am Ende des Studium-Aufsatzes als das von Fichte entdeckte »Fundament der Kritischen Philosophie« nennt; die Hervorhebung dieses Prinzips gibt ihm die Hoffnung, daß die Kantische Philosophie durch die »Möglichkeit eines objektiven Systems der praktischen und theoretischen ästhetischen Wissenschaften« ergänzt werden könnte 30 . Es bildet sich also im Studium-Aufsatz eine der Grundfragen von Schlegels ästhetischem Denken heraus: das Gesetz innerer Organisation auch für die moderne Kunst aus dem ihr innewohnenden Individualitätsprinzip zu bestimmen. In diesem Gedanken ist mehr als ein Frageansatz, es ist auch die »volle Kühnheit der Konsequenzen« 31 wahrnehmbar. Wie Schlegel in Goethe und Fichte die großen Zeichen seiner Zeit begreift, so ist es im Grunde die Polarität ihrer Anschauungen, die Schlegel — wie er es später mehr als einmal formuliert 32 — in seinen Fragen zum Austrag zu bringen strebt. Dieses außerordentliche Problem zeichnet sich schon in den Grundfragen des StudiumAufsatzes ab. Schlegel versucht hier im Fragebereich eines ästhetischen Problems die ihm zu einem nicht geringen Teil durch K. Ph. Moritz vermittelte Goethesche Idee eines »metaphysischen Organisationsgedankens im Kunstwerk« 33 mit Fichtes Idee und Prinzip der Bestimmung der Individualität durch Freiheit zusammenzudenken. Schlegels Gedanke über das »griechische Geheimnis«, »im Individuellen objektiv zu seyn«, versucht, die Prinzipien von Natur und Freiheit in einem ästhetischen Postulat zu verbinden; dieser Gedanke meint, « M i n . I , S . 117. » Min. I, S. 173. S1 Min. I, S. 119. Enders 1913, S. 107. » Min. I, S. 98. 31 Min. II, 390; Brief an Novalis 2. 12.1798. Auch das philosophische Problem: Fidite und Spinoza zu verbinden, steht in diesem Fragezusammenhang. Vgl. Kap. I, 2. s » Enders 1913, S. 377. 28
14
daß in das Prinzip des Individuellen, der Freiheit, der volle Begriff der inneren Organisation aufgenommen werden muß; er meint, daß sich in der modernen Kunst das Prinzip der Freiheit in seiner N a t u r als vollkommene Organisation entfalten soll. Das von Schlegel formulierte ästhetische Grundgesetz der Objektivität heißt, seinem Sinne nach auf die moderne Kunst übertragen, daß innere Organisation, Maßverhältnis, Stil aus der Freiheit als dem Prinzip der Individualität und künstlichen Bildung zu bestimmen wären. Diese weite, Schlegel fortan beschäftigende Grundfrage darf nicht in einem psychologischen Sinne umgedeutet werden; denn es geht Schlegel nicht um »Einzelnes« oder Subjektives, wie er im StudiumAufsatz formuliert, nicht um erlebnisbedingte Stimmungen und Inhalte im Kunstwerk, wie es sein Ironie-Postulat verdeutlicht, — sondern es geht ihm in seiner Frage um die Auffindung von Prinzipien für die Kunst, die eine in sich übereinstimmende Gestaltung ermöglichen. Es ist keineswegs so, daß die Konzeption der Ironie volle Antwort auf diese weite und komplexe Gesamtfrage Schlegels bedeutet; sie ist vielmehr nur Ausschnitt und Teilantwort. Aber die Konzeption der Ironie steht nicht außerhalb des hier genannten Zusammenhangs, und Schlegels Ironie-Begriff zeigt einige Bestimmungsmomente, deren Sinn erst vor dem Hintergrund der hier bezeichneten Probleme deutlich wird. 1. Die dialektische Bestimmung der Ironie in Schlegels frühromantischen Fragmenten. Das Wort >Ironie< erscheint in Schlegels theoretischen Schriften seit 1797. Schlegel erinnert an die »zarten Gewebe der Sokratischen Muse«, um eine bestimmte Darstellungsart zu charakterisieren, »deren Leichtigkeit nicht selten die Frucht der größten Kunst und Anstrengung ist« 34 ; er erinnert an die »Sokratische Ironie«, »auf die man anwenden könnte, was Plato vom Dichter sagt: Es ist ein zartes, geflügeltes und heiliges Ding« 35 . Nach Schlegels Meinung liegt diese »feinste Ironie« in Forsters Stil, der sich wie die Gesprächskunst des Sokrates einem groben Verstehen entziehe 38 . Schlegel rühmt an Forsters Schreibart nicht nur Weltbürgerlichkeit, den »geselligen Sinn und 54 35
Min. II, S. 133. Min. II, S. 131.
36
Min. II, S. 131.
15
Begeisterung für die höchste Mittheilung«, sondern er nennt Forster auch einen »Künstler im vollsten Sinn des Worts« 37 . Die der Charakteristik von Forsters Stil eingefügten Hinweise auf die Ironie lassen noch kaum einen besonderen Sinn dieses Worts erkennen 38 . Erst in den Kritischen Fragmenten und in den Notizheften Schlegels aus der Zeit von 1797 rückt das Wort in einen eigenen Fragezusammenhang und gewinnt einen von Schlegel neu bestimmten Inhalt. Es erscheint, vor allem in den Kritischen Fragmenten, in einem Umkreis von Gedanken, in denen Schlegel einige Kennzeichen des Sokratischen Geistes und zugleidi damit eine eigenartige Möglichkeit künstlerischen Ausdrucks zu bestimmen versucht. Schlegel spricht hier von besonderen inneren Bedingungen, die die Ironie als philosophische Haltung und als künstlerisches Vermögen kennzeichnen. Sein Nachdenken richtet sich auf eine im Innern der Kunst und des künstlerischen Schaffens bewegende und selbstbewegte Kraft, — auf die Ermöglichung freier künstlerischer Produktivität. Diese Gedanken — das bedarf vor der genaueren Erörterung der Lyceums-Fragmente durchaus der Erwähnung—stehen im Zusammenhang mit den im Studium-Aufsatz aufgeworfenen Problemen. Schlegel versucht, seine Vorstellungen von Genie, Geist und Individualität genauer zu differenzieren, und sucht nach näheren Bestimmungen für eine künstlerisch wirksame und sich selbst zu einem Ganzen organisierende Kraft der menschlichen Geistestätigkeit. So nennt er »das Streben nach dem Unendlichen« als die »herrschende Triebfeder in einer gesunden thätigen Seele«, aber er fordert 37
Min. II, S. 137. Allerdings sollten schon diese Hinweise und zudem die Tatsache, daß Schlegel im Forster-Aufsatz auch die tiefere Problematik von Genialität und Eigentümlichkeit behandelt, davor warnen, das Wort Ironie von den Fragen nach Art und Besonderheit der künstlerischen Tätigkeit abzulösen und mit dem Hinweis auf Schlegels Bemerkung über den »sokratischen Geist«, »welchen kein Philolog füglich entbehren kann«, (Min. I, S. 307) sogar als eine vornehmlich »philosophisch-historische Stimmung« zu deuten (Allemann, S. 57). Diese Deutung wird kaum bekräftigt durch Schlegels Bemerkung in den »Philosophie der Philologie« überschriebenen Fragmenten: »Es giebt auch eine eigne Ironie, die Wolf allein hat« (S. 63). Schlegel spielt hier doch anscheinend auf eine sehr besondere Methode Wolfs in der Philologie an. Ein klarer Aufschluß über das von Schlegel speziell Gemeinte ist wohl auch den anderen sehr verschlüsselten und nur andeutenden Hinweisen zu Wolf nicht abzugewinnen: »Wolfs Meinung, daß ihm der philosophische Geist so angewachsen sey« (S. 21). »Wolfs Prolegomena . . . die beste ψσ ραψ die existiert«. (S. 64) »Wolf ist der Physiolog der φλ«. (S. 65) u. a. 38
16 auch, daß dieses Streben mit dem »Vermögen der Harmonie« zusammenwirken müsse: »Setzt aber jenes Streben nach dem Unendlichen ohne das Vermögen der Harmonie in eine Seele . . . : und sie wird ewig die glückliche Vereinigung des Entgegengesetzten, ohne welche die größte, wie die kleinste Aufgabe der menschlichen Bestimmung nicht erfüllt werden kann, verfehlen.«39 Es ist ein — im Sinne des Studium-Aufsatzes — durchaus modernes künstlerisches Vermögen, das Schlegel an Forsters »Eigenthümlichkeit« zu verstehen versucht 40 , und sowohl im Jacobi- wie im ForsterAufsatz wird deutlich, daß Schlegel mit dem Begriff >Genie< die Vorstellung einer inneren lebendigen Einheit verbindet: »Was ist Genie anders, als die gesetzlich freie innige Gemeinschaft mehrerer Talente?«41 »Genie ist Geist, lebendige Einheit der verschiedenen natürlichen, künstlichen und freien Bildungsbestandtheile einer bestimmten Art.«42 In diesen Zusammenhang gehören auch einige der von Schlegel selbst nicht veröffentlichten Fragmente aus der Zeit von 1797; sie legen die Frage nahe, ob und in welcher Weise Schlegel auch den Begriff der Individualität aus seiner Vorstellung einer in sich differenzierten lebendigen Einheit neu zu fassen versucht: »Geist ist absolute Individualität.«43 »Originalität ist doppelte Individualität oder individuelle Genialität.«44 Diese so knappen Formulierungen geben an sich noch nicht viel Aufschluß; doch es verdeutlicht sich das Problem, daß sich für Schlegel die Vorstellungen innerer Differenzierung und Organisation eng mit seinem Begriff der Individualität verbinden. In diesen Gedanken liegt für unseren Zusammenhang zunächst nur eine Vorfrage; sie weist aber voraus in jenes Problem, das in den Lyceums-Fragmenten wiederkehrt nicht nur dort, wo Schlegel im 16. Fragment Genie »Sache der 3>
Min. II, S. 91.
40
Sdilegel erwähnt das Genialische in Forsters Sdiriften: »wo das Eigenthümlidic
zugleidi auch das Beste ist; wo alles lebt und audi im kleinsten Gliede der ganze Urheber sichtbar wird« (Min. II, S. 139). Dieses »Genialische« wird im ForsterAufsatz nicht mehr als ein Gegenbegriff zu >Genie< abwertend wie nodi im JacobiAufsatz genannt, sondern rückt mit der Bedeutung: Genie als »lebendige Einheit« und »Geist« zusammen. 41
Min. II, S. 88 .
45
4!
Min. II, S. 139.
« Neue Fragmente, S. 1300.
Neue Fragmente, S. 1302.
17 Freiheit« 45 nennt, sondern vor allem und ausführlicher dort, wo Schlegel in der genaueren Kennzeichnung des Ironie-Gedankens die Frage nadi einer Selbstbestimmung durch Freiheit und nach einem differenzierten inneren Verhalten für eine philosophische Haltung ebenso wie für die Ermöglichung künstlerisch-schöpferischer Tätigkeit stellt. Es ist genau der Punkt, an dem Schlegel die aus Fichtes Denken aufgenommenen Grundfragen und Begriffsstützen in sein kunsttheoretisches Denken herübernimmt. Mit den Aussagen der Lyceums-Fragmente über die Ironie wird jetzt eine bewegende und selbstbewegte Kraft für die freie geistig-künstlerische Produktivität erfragt; der im Studium-Aufsatz genannte »freye Aktus des Gemüths« als die erste Bedingung künstlicher Bildung und damit als Prinzip der modernen Poesie findet jetzt eine neuartig differenzierende Beleuchtung in den Gedanken, die für den Künstler ein Verhalten zu sich selbst und seinem eigenen Werk zu bestimmen versuchen. Im 42. Lyceums-Fragment46 nennt Schlegel die Philosophie als die »eigentliche Heimath der Ironie«. Er betont, daß er nidit die gewöhnliche »rhetorische« in der Polemik wirksame Ironie meint, sondern die »erhabne Urbanität der Sokratischen Muse«. Diese Ironie, »welche man logische Schönheit definiren möchte«, hat nach Schlegels Auffassung eine wesentliche Bedeutung auch für die Poesie. »Die Poesie allein kann sich audi von dieser Seite bis zur H ö h e der Philosophie erheben, und ist nicht auf ironische Stellen begründet, wie die Rhetorik. Es giebt alte und moderne Gedichte, die durchgängig im Ganzen und überall den göttlichen Hauch der Ironie athmen.« 47
»Poesie und Philosophie sollen vereinigt seyn« 48 : das ist eine Grundforderung, die in Schlegels Aussagen sehr oft wiederkehrt 49 und in ihrer genaueren und weitreichenden Bedeutung erst aus späteren Schriften voll erkennbar wird. In einem seiner Notizhefte betont Schlegel unmißverständlich gerade die spezifisch rationale, philosophische Komponente der Ironie: sie »ist ein philosophisches, kein poeti45
47 Min. II. S. 185. Min. II, S. 189. 48 « Min. II, S. 188/9. Lyceums-Fragment 115, Min. II, S. 200. 41 »Was sich thun läßt, so lange Philosophie und Poesie getrennt sind, ist gethan und vollendet. Also ist die Zeit nun da, beyde zu vereinigen.« Idee 108, Min. II, S. 301. »Poesie und Philosophie sollen sidi immer innigst durchdringen; das wird ganz neue Erscheinungen ergeben und die Erklärung mancher alten, bisher nicht verstandenen.« Behler, S. 171. 4
18
sches Vermögen«, beziehe sich auf »Witz und Vernunft« 50 . Als eben dieses philosophische Vermögen soll die Ironie in der Poesie wirksam werden. Und wie Sdilegel in anderen Lyceums-Fragmenten davon handelt, daß die Ironie — das philosophische Vermögen — in einem wesentlichen, noch genau zu fixierenden Sinne künstlerische Liberalität bewirke, so heißt es damit übereinstimmend in einem Hinweis, daß die Philosophie in der Kunst »absolute Liberalität bewirken« 51 soll. In Fragment 42 führt Schlegel mit einer zunächst frappierend zusammenfassenden Wendung an, worin er den besonderen Geist der durch die Ironie ausgezeichneten »alten und modernen Gedichte« sieht: »Es lebt in ihnen eine wirklich transcendentale Buffonerie. Im Innern, die Stimmung, welche alles übersieht, und sich über alles Bedingte unendlidi erhebt, audi über eigne Kunst, Tugend, oder Genialität: im Äußern, in der Ausführung die mimisdie Manier eines gewöhnlichen guten italiänisdien Buffo.« 52
Diese Schlußwendung des 42. Fragments hat Anlaß zu ausführlichen Erörterungen in der Forschung gegeben. Den Stein des Anstoßes bildete das Wort >Bufïo< und eine mit diesem Wort offenbar angezeigte Bedeutung der Ironie als Illusionsstörung im Kunstwerk. Man glaubte hier einen deutlichen Beleg dafür zu haben, daß Schlegel mit dem Wort von der mimischen Manier des Buffo auf einen willkürlich verfahrenden Künstler hinweise, der subjektivistisch sich selbst in seinem Werk zur Geltung bringen wolle und es mit seinem direkten Eingreifen zerstöre. Um diese Deutung zu entkräften, hat man versucht, den Schluß des Fragments als eine nur bildliche Wendung, und zwar als »drastische Metapher« 53 Schlegels, zu verstehen, die nicht buchstäblich genommen werden dürfe 54 . Denn, so lauten die Argumente, wie sollte sokratischer Geist identisch sein können mit der burlesken « Marburger Handschriften H e f t III, S. 52. 51 Marburger Handschriften H e f t I, S. 15. « Min. II, S. 189. 53 R. Immerwahr 1951, S. 189. 54 R. Immerwahr 1951, S. 180: »we have already learnt that Fr. Sdilegel's words are not always to be taken quite literally.« S. 189: »Such a figurative interpretation of the terms >buffo< and >buffoonery< is justifiable, first of all because a strictly literal one is impossible.« Auch in seiner Arbeit zu Tiecks Komödie vertritt Immerwahr die Auffassung, daß der Schlüssel zu diesem Problem in der bildlichen Ausdrucksweise Schlegels liege: S. 20.
19
Illusionszerstörung wie sie die commedia dell' arte zeigt 55 , überdies — wenn man den Kontext zu dem Wort >transcendental< bei Schlegel aufsucht — wie sollte die hohe Tranzendentalpoesie mit diesem Sinn von Illusionszerstörung in Verbindung zu denken sein 56 ? Mit solchen Argumenten sollte der Wortsinn unseres Fragmentes abgeschwächt werden, um auch der These, die Ironie sei Zeichen subjektivistischer Willkür, den Boden zu entziehen 57 . Es bedarf aber weder dieser Argumente noch der Abschwächung des Text-Sinnes, um die Auffassung von der Subjektivität der Ironie zu entkräften. Zunächst gibt Schlegel mit seiner Formulierung einen durchaus genau zu nehmenden Hinweis, der es nicht erlaubt, die Worte >transcendental< und >Buffonerie< auseinanderzulösen und mit ihnen einen Sinnwiderspruch zu konstruieren. Schlegel erläutert seine zusammenfassende Chiffre >transcendental Buffonerie« im nachfolgenden Satz nicht ungenau. Die Gegenüberstellung der nur mit dem logischen Zeichen des Doppelpunktes verbundenen Worte »im Innern : im Äußern« gibt unter Vermeidung fixierender Verben genau den Sinn wieder, den Schlegel im 22. Athenäums-Fragment für den Terminus transcendental· anführt: »was auf die Verbindung oder Trennung des Idealen und des Realen Bezug hat« 5 8 . Durchaus in diesem Sinne nennt Schlegel im 42. Fragment für die Ironie einerseits eine Stimmung, ein Verhalten des Dichters und anderseits eine besondere Art der Ausführung, eine Erscheinungsform: das eine ist Zeichen und Ermöglichung des anderen; Ideales und Reales sind miteinander verbunden. Ein Zweites ist die Frage nach der Bedeutung der Illusionsstörung selbst. Die Meinung, das Spiel mit der Täuschung, die Durchbrechung der Illusion sei ein sub55 R. Immerwahr 1951, S. 180: »The incongruity of a comparison between Socratic irony and a comic device performed by clowns in the commedia dell'arte was recognized even by Haym, but no one has tried to account for i t . . .« " R. Immerwahr 1951, S. 182: »What does transcendental poetry have to do with the violation of illusion?« — S. 182: »Clearly, the >buffoonery< of the 42. Lyc. Frgm. cannot be transcendental in the sense attributed to Pindar and G o e t h e , . . . and Dante . . . if it really denotes a burlesque clownishness.« 57 Audi Walzel wendet sidi gegen die Deutung der Ironie als Illusionsstörung: »Der Schluß des Fragments mag veranlaßt haben, daß Störung der Illusion vor anderem als eigentliche Auswirkung der romantischen Ironie angesehen wurde und w i r d . . . » — »Gegen solche Mißdeutung kann gar nicht genug der »unauflösliche Widerstreit des Unbedingten und Bedingten« aufgeboten werden, dann die »Stimmung, die sich über alles Bedingte unendlich erhebt«.« Walzel, Helicon 1938 S. 42. 58
Min. II, S. 207.
20 jektiv-willkürlicher Akt des Dichters, gilt keineswegs unbestritten. In einer solchen Deutung tritt offenbar der ästhetische Gesichtspunkt in der Dichtungsbeurteilung zurück zugunsten eines Dichtungsbegriffes, in dem die Erlebnisbedingungen und der Erlebnisausdruck als wichtigster Maßstab gilt. Einer solchen Auffassung muß — noch dazu an ungünstigen Beispielen — das Auftreten oder Mitreden eines Autors in seinem Werk als Selbstbezogenheit und Willkür erscheinen. Schlegel jedenfalls meint anderes und spricht von einer ästhetischen Bedeutung der Illusionsstörung in seinem Komödien-Aufsatz; es gibt für ihn eine »Rechtfertigung« für die Unterbrechung der Täuschung in »der N a t u r der komischen Begeisterung«; die Verletzung der Illusion vermag als »besonnener Muthwille« die Wirkung der Komödie nodi zu erhöhen 59 . Schlegel hat im 42. Lyceums-Fragment die >Manier des Buffo< wohl im vollen und konkreten Sinne gemeint und bewußt als Zeichen für die Erscheinung der Ironie genannt. Das wird bestätigt auch durch einen anderen Hinweis, in dem Schlegel wiederum einen ähnlich bestimmten literar-technischen Ausdruck verwendet, um die aus der gegenständlichen Darstellung sich herauslösende Ironie zu bezeichnen: »Ironie ist eine permanente Parekbase« 60 . »Im Äußern« also, in der Ausführung und Dichtungsform, das sagen der Hinweis auf den Buffo und das Vergleichsbild der Parekbase, kann die Ironie erscheinen als eine Durchbrechung und freie Behandlung der gegenständlichen Darstellung, — als ein Sich-Herauslösen aus den vordergründigen Darstellungsmitteln. Für die innere Durchbildung und den Geist eines Kunstwerks nennt Schlegel einen philosophisch bestimmten Gedanken: »die Stimmung, welche alles übersieht, und sich über alles Bedingte unendlich erhebt.« Diese Formulierung und ihr Sinn von souveräner Erhebung steht in keinem Gegensatz zu den möglichen >buffonisdien< Erscheinungsweisen in der äußeren Form. D a ß Schlegel der Formulierung: »sidi über alles Bedingte erheben« noch ergänzend hinzugefügt, was in strengem Sinne in diese Worte bereits voll eingeschlossen ist: »auch über eigne Kunst, Tugend, oder Genialität«, — das macht bedenken, d a ß es ihm um ein anderes als nur eine hohe, aber ruhende geistige Distanzhaltung gehe. Schlegel will anscheinend ein sehr besonderes Verhalten zu sich selbst, eine eigenartige Rückwendung auf das eigene Werk bestimmen und nachdrücklich betonen. Behler, S. 159.
21 Doch erst andere Fragmente führen bestimmter auf diesen Gedanken. Im 108. Lyceums-Fragment61 versucht Schlegel erneut, die Sokratische Ironie näher zu kennzeichnen62. Im ersten Satz fällt das sonst bei Schlegel für die Ironie kaum verwendete Wort, sie sei »Verstellung«, die doch nicht als Täuschung zu nehmen sei. Aber Schlegel gibt keine psychologisch beschreibende Ausführung über diese Begriffe; es geht ihm um ganz anderes. Die Hauptgedanken dieses Fragments richten sich auf die geistigen Bedingungen und die wesentlichen inneren Komponenten der Ironie. Zunächst erwähnt Schlegel, daß in der Ironie »alles Scherz und alles Ernst seyn« soll; ein Gedanke, der im Meister-Aufsatz und in der »Geschichte der Poesie der Griechen und Römer« mehrfach wiederkehrt. Aufschlußreicher ist es, daß Schlegel nun zur Bestimmung der Ironie eine Reihe von Gegensätzen nennt: in der Ironie soll »alles treuherzig offen, und alles tief verstellt« sein. »Sie entspringt aus der Vereinigung von Lebenskunstsinn und wissenschaftlichem Geist, aus dem Zusammentreffen vollendeter Naturphilosophie und vollendeter Kunstphilosophie.«
Diese Aussage über die Verbindung von konträren Komponenten, von denen offenbar je eine als eine natürliche, naturhafte Bestimmung gegen je eine der Bewußtheit steht, führt schon hier, noch bevor in den Athenäums-Fragmenten diese Frage deutlicher hervortritt, in die Nähe jenes anderen Lyceums-Fragments, in dem Schlegel eine Verbindung konträrer Kräfte für die Dichtung fordert:
n
Min. I I , S. 198/9.
81
D i e kurzen Andeutungen über die Ironie bei Lessing, Hemsterhuis und Hülsen
geben hier nicht viel Aufschluß über das von Schlegel Gemeinte. Allerdings lassen sich zur Auffassung von Lessings Ironie Hinweise aus Sdilegels
Lyceums-Auf-
satz von 1797 anführen: Das W o r t >Instinkt< erklärt sich damit, daß Schlegel von Lessing sagt, er sei sich seiner Ironie nicht >bewußt< gewesen (Min. I I , S. 155). — Die andere Feststellung im Lessing-Aufsatz: Lessing sei im Christianismus sogar bis zur Ironie gekommen
(Min. I I ,
S. 158), steht in Zusammenhang mit
Sdilegels
Nathan-Deutung. Dieses W e r k , »welches eine Unendlichkeit umfaßt« (Min.
II,
S. 161), enthalte eine »Polemik gegen alle illiberale Theologie« und sei doch in seiner Religionslehre nicht »rein skeptisch, polemisch, bloß negativ« (Min. I I , S. 162): diese Auffassung bestätigt durchaus Schlegels Gedanken von der Ironie als einer freien und bewußten Erhebung über den fixierten Inhalt. Für
Hülsens
»sokratische«
Art
hebt
Schlegel
im
295. Athenäums-Fragment
(Min. I I , S. 251) »dialektische Virtuosität« und »ruhige hohe Besonnenheit« hervor — : Besonderheiten, die dem im 108. Lyceums-Fragment verwendeten »Philosophie der Philosophie« in Schlegels Sinne durchaus entsprechen.
Wort
22 »In jedem guten Gedicht muß alles Absidit, und alles Instinkt seyn.« e s
Uber den formalen Charakter einer solchen für die Ironie bezeichneten Verbindung von Gegensätzen heißt es im 48. Lyceums-Fragment: »Ironie ist die Form des Paradoxen« 84 , wie auch eine Notiz Schlegels die »Paradoxie als conditio sine qua non« der Ironie nennt 65 . Die weiteren Ausführungen in Fragment 108 verwenden ebenfalls das Denkbild von den sich verbindenden Gegensätzen zur Kennzeichnung der Ironie; sie verharren aber nicht mehr bei einer fast additiven Aufreihung, sondern führen nun mit begründenden Wendungen in das innere Problem der für Entstehung und Bedeutung der Ironie konstitutiven Verbindung von Gegensätzen. Zunächst muß an dieser Stelle jener so oft als locus classicus für die Ironie zitierte, dodi selten genau genug erläuterte Satz betrachtet werden: »Sie ist die freyeste aller Licenzen, denn durch sie setzt man sich über sich selbst weg; und dodi auch die gesetzlichste, denn sie ist unbedingt nothwendig.« 6 ®
Was bedeutet hier die doppelte Bestimmung des Hauptworts: die Lizenz sei die freieste und doch zugleich notwendig? Was sagt das erste Satzgefüge, in dem der Gedanke in sich selbst zurückzulaufen scheint, da doch als Begründung dafür, die Lizenz als die freieste zu nennen, eben jene Tätigkeit erscheint, die wieder als durch die Lizenz ermöglicht gedacht wird? Dies ist wieder eine doppelt unterstreichende Formulierung, die die Möglichkeit einer freien Selbstbewegung hervorheben will. Es ist hier mit den Worten »sich über sich selbst wegsetzen« der gleiche Gedanke wie in Fragment 42 über die Ironie in dei Dichtung ausgesprochen: Erhebung über Bedingtes, audi über die eigne Kunst, das eigne Selbst. Auch Lyceums-Fragment 87 bezeugt, daß diese für die Ironie ausgesprochene Bedingung in der Dichtung sich auf Freiheit gründe: » . . . Es giebt Künstler, welche nidit etwa zu groß von der Kunst denken, denn das ist unmöglich, aber doch nicht frey genug sind, sich selbst über ihr Höchstes zu erheben.« 87 63
Lyceums-Fragment 23, Min. II, S. 185. Lyceums-Fragment 48, Min. II, S. 190. 65 Marburger Handschriften H e f t I, S. 66. Der volle Wortlaut ist: »Die Paradoxie ist für die Ironie die conditio sine qua non, die Seele, Quelle und Princip, was die Liberalität für den Urbanen Witz.« · · Min. II, S. 198. Illiberalität< bewahrt und »besonnenen« Ausdruck gewährleistet. Im ersten Teil des 37. Lyceums-Fragments steht das Wort >Selbstvernichtung< für diesen Sinn einer Bedingung für freie Selbstergreifung; es bezeichnet einen notwendigen Teilvorgang im dialektischen Prozeß, — untrennbar von dem zweiten mitbedingenden Vorgang: >SelbstschöpfungVernichtMoment< mit der Kategorie des Lächerlichen in Verbindung gebracht wird 100 , führt unter Vernachlässigung des eigentlich philosophischen Denkansatzes, den Schlegel offenkundig für seinen Ironie-Begriff aus»" B. Allemann S. 58. *· B. Allemann S. 57: »Was mit >Selbstvernichtung< gemeint ist, sagt ein anderes Athenäums-Fragment, das jenes Lyceums-Fragment über die beliebige Bestimmbarkeit, zum Teil wörtlich, wieder aufnimmt.« Die Heranziehung des 121. AthenaeumsFragments leistet dabei den unheilvollen Dienst, daß die darin für die Bestimmung von >Idee< und >Kritik< verwendeten Formulierungen Schlegels: »bald auf diesen bald auf jenen Theil seines Wesens frey Verzicht thun, und sich auf einen andern ganz beschränken« (Min. II, S. 222) — ohne kritische Unterscheidung auf die ganz anders und zwar unverkennbar dialektisch, philosophisch im Fichtesdien Sinne angeführten Termini »Selbstschöpfung und Selbstvernichtung« übertragen wird. — Hier rädit sich, daß Allemann eine Frage über den »Anreger« Fichte nur allzukurz abtut: diese Rückführung sei »längst geschehen und hilft nicht weiter« (S. 52). 100 Schlegel billige, so heißt es bei Allemann, »mit seinem Hinweis auf die Paradoxic als die conditio sine qua non der Ironie, ohne weiteres die logische Deutung
32 spricht, zu argen Mißdeutungen. — Schlegels Ironie-Begriff geht aus philosophischen Überlegungen hervor; unverkennbar sieht Schlegel in der Ironie ein »philosophisches Vermögen« 101 , das in der Kunst und im künstlerischen Schaffensprozeß praktisch wirksam werden kann und soll. Die bisher betrachteten philosophischen Fragen der Fragmente aus der Zeit von 1797 gelten vornehmlich gerade dichterischen und allgemeiner künstlerischen Phänomenen. In einem solchen Denkzusammenhang tauchen allerdings einige Probleme — zumindest der Terminologie und kategorialen Bestimmung auf, die nicht wenige Mißverständnisse veranlaßt haben. Diese Probleme liegen darin, daß mit Schlegels Ironie-Begriff einerseits die abstrakt-logischen Gedankenfolgen der Fichteschen Bewußtseinsphilosophie in konkret verstandene Bestimmungen einer künstlerischen Haltung gefaßt sind, und daß anderseits diese mit dem Ironie-Begriff postulierte künstlerische Haltung in Verbindung gesehen werden muß mit bestimmten Erscheinungsformen des objektivierten Kunstwerks. Ein Blick auf den hier noch unerörterten Schluß des 37. LyceumsFragments lehrt, welche Schwierigkeiten und scheinbar auch Widersprüchlichkeiten sich in der Explikation des Ironie-Begriffes bei Schlegel finden können. Schlegel fordert im 37. Fragment ein Verhalten des Künstlers zu sich selbst, das er als die dialektisch zu vollziehende Selbstbeschränkung bestimmt. Diese Selbstbeschränkung soll eine Form freier künstlerischer Gestaltung gewährleisten; sie bewahrt vor >eigensinniger< Selbstverfallenheit 102 . Das ist der Grundgedanke. Am Ende des Fragments spricht Schlegel von möglichen »Fehlern« des Künstlers und Schriftstellers. Dabei drängt er das zunächst in seiner inneren Dialektik genannte Problem
des Lächerlichen« (S. 60). Vgl. audi S. 68 und 7 9 : »Die Ironie . . . wie das Lächerliche überhaupt . . .«; S. 85: »Auffassung der Ironie und des Lädierlidien überhaupt als »auflösender« Phänomene.« Schlegels Aussagen über das Lächerliche aus dem Komödien-Aufsatz stehen durchaus gegen eine solche Deutung: »Die reine Lust ist selten lächerlich, aber das Lächerliche (sehr oft nichts anderes als die Lust am Schlechten) ist weit wirksamer und lebendiger.« (Min. I, S. 18). 101
Marburger Handschriften H e f t I I I , S. 52.
In Schlegels Notizheft heißt es gleichen Sinnes: »Liebhaberei macht einseitig«, die Philosophie solle dagegen in der Kunst »absolute Liberalität bewirken«. Marburger Handschriften H e f t I, S. 15. 102
33
der >Selbstbeschränkung< zurück zugunsten eines Gedankens über die einzelnen Stufen der künstlerischen Tätigkeit im praktischen Verstände: »Man muß mit der Selbstbesdiränkung nicht zu sehr eilen, und erst der Selbstsdiöpfung, der Erfindung und Begeisterung Raum lassen, bis sie fertig ist108. Drittens: man muß die Selbstbeschränkung nicht übertreiben.« Mit diesen Worten geht Schlegel aus dem umfassenden Paradoxon seines zugrundeliegenden Gedankens heraus; die erste umgreifende Bestimmung des Wortes >Selbstbeschränkung< ist verändert, da es Schlegel in der jetzt aufs Praktische gerichteten Ausführung — und das macht diesen Ubergang verständlich — um die Möglichkeiten des Kunstschaffens in einem zeitlichen Nacheinander geht. Für diese Schaffensstufen bedeuten ihm Begeisterung und Erfindung eine erste und wichtige Grundlage, auf die dann ein bewußter Vorgang der Selbstbeschränkung mit Maß (: ohne zu »übertreiben«) folgen soll. An einer Textstelle wie dieser wird deutlich ablesbar, wie Schlegel von dem abstrakten Problem bewußter Selbstbestimmung zu dem Gedanken eines künstlerisch-praktischen Verhaltens überzugehen versucht. In der philosophischen Bestimmung einer künstlerischen Haltung der >Selbstbeschränkung< löst Schlegel den Begriff der Selbstsdiöpfung nicht von dem ihm zugehörigen der Selbstvernichtung; in der dialektischen Verklammerung dieser Begriffe versucht er die aus Fichte übernommene Problematik in eine Formel zu fassen. Dort, wo Schlegel den Vorgang zeitlich beschreiben und als künstlerisches Verfahren konkret erläutern will, steht der Begriff >Selbstschöpfung< für eine erste Stufe im Schaffensprozeß, die der Modifizierung durch Bewußt-
103 Diese gerade für das praktische Verfahren deutliche Formulierung Schlegels: »der Selbstschöpfung, der Erfindung und Begeisterung Raum lassen« — weist nochmals darauf hin, daß man nicht, wie Allemann es tut, das Vermögen des kritischen Verhaltens (vgl. oben Anm. 99 und Fragment 121) mit dem Begriff der Selbstschöpfung identisdi setzen darf. — Allemann S. 57: es sei »ausgesprochen, worin die >Selbstsdiöpfung< besteht: »jetzt in diesem, jetzt in jenem Individuum sein Eins und Alles suchen und finden, und alle übrigen absichtlich vergessen«. Diese »fatigante Manœvre< stellt zweifellos die Haupttugend des Philologen und Historikers dar, der jederzeit ganz in einer ihm zunächst fremden Welt aufzugehen hat . . . « ; S. 71: »Die >Selbstschöpfung< aus dem Geiste der Ironie ist keine unbillige Forderung, sofern sie sich an den Kritiker richtet.« — Diese Auslegung Allemanns ist unhaltbar.
34 sein, Freiheit, durch Beschränkung bedarf 1 0 4 . Dieser Ubergang in Schlegels Gedanken muß wahrgenommen und mitvollzogen werden. Der für Schlegels Kunstlehre wichtige Gedanke lautet dahin, daß ein bewußtes künstlerisches Verhalten eine Modifizierung von Erfindung, Mitteilung und Darstellung ermöglicht. Der Begriff der Selbstbesdiränkung faßt das zusammen, was Schlegel für die Ironie mit den Worten >LizenzWillkürSelbsterhebung< postuliert: eine Haltung, die den Künstler durch den Bezug zu Unbedingtem vor Selbstbezogenheit oder Gegenstandsverfallenheit bewahrt und zu besonnenem Ausdruck führt. Es ist durchaus nachzuvollziehen, daß Schlegel die Selbstbeschränkung des Künstlers in Zusammenhang sieht mit einer bestimmten Erscheinungsweise und Form von Dichtung. Hier liegt der zweite gedankliche Ubergang in dem sehr komplexen Problem des Schlegelschen Ironie-Begriffs. Bedeutet die Ironie in der Haltung des Künstlers die dialektisch sich begründende Selbstbeschränkung, so kann diese Haltung in durchaus formal zu fassenden Eigentümlichkeiten der Dichtung ablesbar werden. Die Dichtung kann Zeichen einer bewußten Herauslösung aus der nur gegenständlich gebundenen oder nur expressiven, der sich »ausredenden« Darstellung besitzen. Schlegel nennt die »mimische Manier des Buffo« oder die »permanente Parekbase« als diese Zeichen einer künstlerischen Ironie. Die Notizen Schlegels aus der Zeit von 1797 zeigen, daß er versucht hat, das von ihm bedachte Prinzip der Ironie auch mit anderen literartechnischen Ausdrücken zu bezeichnen, oder doch die von ihm postulierte Ironie in Vergleich und Abgrenzung deutlicher zu charakterisieren. Diese Notizen müssen wohl als Versuche der vielfältigen Umschreibung und der Auffindung von Kategorien für die Ironie verstanden werden; sie ergänzen sich oder schränken sich gegenseitig ein, — stehen also niemals isoliert als volle Definitionen der Ironie. So lautet es — bezeichnend für den Versuch der Umschreibung und Abgrenzung: »Nichts ist verschiedener als Satire, Polemik und Ironie«;
104
Es wäre irreführend, diesen Gedanken noch mit den philosophischen Begrif-
fen des Empirisdien und Absoluten zu fixieren, wie es für die erstgenannte philosophische Dialektik berechtigt sein mag; vgl. Enders (Z. f. Ästh. 14, S. 282): »Die Selbstvernichtung (des Empirischen) ist nichts ohne die mit und aus ihr geborene Selbstschöpfung (des Absoluten).«
35
im darauffolgenden Satz aber: »Ironie ist überwundene Selbstpolemik und unendliche Satire im alten Sinne«105. An anderer Stelle: »Sokrates hat transcendental Satire«; an den Rand daneben schreibt Schlegel: »Ironie = Selbstparodie?«loe.
Daß Schlegel einen nicht gewöhnlichen Sinn von Parodie aussagen möchte, belegen andere Notizen: »Die Sokratische Ironie ist Wechselparodie, potenzine Parodie«107. »Parodie ist die absolut antithetische Poesie«108. »Parodie = Mischung des Entgegengesetzten = Indifferenz«108.
Auch diese Hinweise wollen die Ironie deuten als ein bewußtes künstlerisches Verhalten und Verfahren, das den Künstler und sein jeweiliges Werk aus dem Bedingten herauslöst und mit »Skepsis«110 begreift und beschränkt. Es sind die von Schlegel für die Ironie immer festgehaltenen Kategorien der Bewußtbeit und der in die Relation zum Unbedingten höherführenden Negation, die es begreiflich machen, daß Schlegel seinen Begriff von Ironie mit einem besonderen, zwar hohen und ursprünglichen aus der Anschauung der alten Sprachen und Literatur gewonnenen Sinn von Parodie, Satire und Skepsis in Beziehung zu bringen versucht. Die Kategorie besonderer Bewußtheit begründet es audi, daß Schlegel in seinen Notizen die Ironie mehrfach auch als eine Art des Witzes nennt. Im Sinne des 18. Jahrhunderts und der Romantik ist >Witz< dabei immer zu verstehen als eine hohe Form der Bewußtheit, als denkender Geist und spezifisch philosophisches Vermögen 111 . »Witz ist logisdi schön« — heißt es in 105 Marburger Handschriften H e f t I, S. 35. Im 117. Lyceums-Fragment hebt Schlegel für den »Geist der alten römischen Satire« den »liberalen Ton« hervor. Min. II, S. 200. 1M Marburger Handschriften H e f t I, S. 52. 107 Marburger Handschriften H e f t I, S. 36. 108 Marburger Handschriften H e f t I, S. 38. 1M Marburger Handschriften H e f t I, S. 38. 110 Über diese innere Verbindung zwischen Skepsis und Ironie heißt es bei Schlegel auch: »Die Moralphilosophie ist durchaus skeptisch, in ihr ist die Ironie zu Hause, aber die edite alte Skepsis der Akademiker . . . Das Wesen der Skepsis besteht im Schweben.« Behler S. 169. Aufsdilußreich auch das Wort über die potenzierende und zugleich beschränkende Bewußtheit in der Skepsis: »Wir sind nicht zufrieden zu wissen, wir wollen audi unser Wissen wieder wissen. Skepsis ist der Ursprung der Philosophie.« Behler S. 174. 111 »Der Witz hat ein größeres Gebiet als Kunst und als Wissenschaft.« Marburger Handschriften H e f t I, S. 64.
36
den Notizen von 1797 112 , und es ist nicht verwunderlich, d a ß Schlegel die Ironie, die er im 42. Lyceums-Fragment als »logische Schönheit definieren möchte« 113 , als eine »Witzart« charakterisiert: »Ironie und Parodie sind die absoluten Witzarten; der erste der ideale, der zweite der reale ...« »systematischer Witz = Ironie und Parodie«114. »Der romantische Witz ist der höchste. — Der satirische kommt ihm am nächsten, und ist ihm am ähnlichsten. Auch die sokratische Ironie gehört dazu«115. Für Schlegel zählen der »höhere philologische Witz und die Sokratische Ironie« zum »analytischen Witz«116. Urbanität ist ihm »moralischer Witz«, die Parodie nennt er poetischen, die Ironie philosophischen Witz117. Die Notiz: »Der arabeske Witz ist der höchste — Ironie und Parodie nur negativ« 118 gilt nicht der Abwertung der Ironie, sondern hier die Formulierung deutet nur vage an, was in diskursiver Darlegung deutlicher erschienen sein möchte — ist vermutlich eine differentia specifica für das verschiedenartige Erscheinen des Witzes in der Poesie zu geben versucht 119 . Der Ironie gehört das Moment der Negation, der Annihilation durchaus zu. Sie ist ein »philosophisches Vermögen« — oder wie Schlegel auch formuliert: »Ironie ist philosophisch witzig« 120 —, ein Vermögen, das durch die Kategorien derBewußtheit und höherführenden Negation bestimmt ist.
112
Marburger Handschriften H e f t I, S. 51. Min. II, S. 188. 114 Marburger Handsdiriften H e f t I, S. 64. 115 Marburger Handsdiriften H e f t I, S. 5. 116 Marburger Handschriften H e f t I, S. 52. 117 Marburger Handschriften H e f t II, S. 60. Die Ironie wird in diesen Notizen Schlegels auch unter den »Kategorien des Witzes« genannt: H e f t II, S. 24. 118 Marburger Handschriften H e f t I, S. 29. 119 Es stehen für Schlegel — was erst im »Gespräch über die Poesie< klarere Aussage findet — Poesie und Witz oder Bewußtsein in einer sehr besonderen Verbindung. Als Hinweis auf dieses Problem darf eine Notiz wie die folgende gelten: »Alle Form der Poesie ist witzig; nur w o die Materie wieder rein herrscht, darf sie fehlen. In Kosmogonien. —« Marburger Handsdiriften H e f t II, S. 94; oder die Idee 26: »Witz ist Erscheinung, der äußere Blitz der Fantasie.« Min. II, S. 291. — Auch die folgende Notiz gehört in diesen Zusammenhang: »Witz ist eben so unzertrennlich von Fantasie und hat seine Heimath ganz in der Poesie.« Marburger Handschriften H e f t II, S. 26. 113
120
Marburger Handsdiriften H e f t II, S. 94.
37 Alle die hier angeführten Umschreibungen für die Ironie aus Schlegels Notizen stehen in deutlicher Ubereinstimmung mit dem am glücklichsten gewählten literartechnischen Ausdruck für die Ironie in der Erscheinung: »eine permanente Parekbase«. Die Ironie, hervorgehend aus der von Schlegel postulierten Haltung des Künstlers: der Erhebung über sich selbst, ist ein künstlerisches Prinzip der Besonnenheit und einschränkenden, weil auf Unbedingtes weisenden Bewußtheit; sie ist ein Prinzip freier Gestaltung, das weder volles Interesse des Künstlers noch totale Objektivierung in gegenständlicher Darstellung zuläßt. Fassen wir die wichtigsten Bestimmungsmomente für den IronieBegriff aus der Zeit der Lyceums-Fragmente zusammen: Im Mittelpunkt der betrachteten Fragmente steht der Gedanke einer Erhebung über sich selbst, in der eine Relation zum Unbedingten offenbar wird: ein in Freiheit bestimmtes, also in sich gebundenes Verhalten des Menschen und Künstlers zu sich selbst und seinem Werk. Die innere Paradoxie im Verhältnis eines zugleich Handelnden und Behandelten ist als dialektischer Vollzug gedacht, in dem die einzelnen Handlungen, die Schlegel für den künstlerischen SchafTensprozeß »Selbstschöpfung und Selbstvernichtung« nennt, Selbstbeschränkung ermöglichen. Ein so bestimmtes philosophisches Vermögen wird in der Ironie als künstlerisch wirksam gedacht und postuliert. 1. So hat die Ironie Bedeutung für den Schaffensprozeß des Künstlers als bewußte und freie Selbsterhebung, in der der Künstler sich und sein Werk selbst ergreift und sich aus beidem gleichzeitig löst. — 2. Sie hat Bedeutung für den Ausdruck als solchen, da die in der Ironie zu vollziehende Selbstbeschränkung zu besonnenem Aussagewillen führt, der weder eine einseitige Bindung an das eigene Ich noch an den Gegenstand zuläßt. — 3. Und schließlich ist dementsprechend die Ironie in ihrer Erscheinung ablesbar als eine künstlerische Ausführung, die, wie der Buffo und die Parekbase, die gegenständlich gebundene Darstellung frei durchbricht. Die Lyceums-Fragmente zeigen mit der Übernahme Fichtescher Gedanken in ästhetische Fragen eine erste wichtige Bestimmung des Problems der Ironie; die bewußte und freie Selbstbestimmung erscheint gerade in ihrem Akt dialektisch zu verstehender Selbstvernichtung als eine Bedingung künstlerischer Spontaneität.
38 Hier kehrt in veränderter Form der im Komödien-Aufsatz ausgesprochene Gedanke wieder, daß eine Kraft in besonderer Steigerung sich selbst ergreift, sieht auf sich zurückwendet; zerstört ohne zu zerstören. Der allerdings wichtige Unterschied im Denken der LyceumsStjufe liegt darin, daß nun >SelbstvernichtungIronie< selbst nicht viel genannt, selten direkt expliziert ist, so wird die ihm innewohnende Problematik offenkundig voll aufgenommen. Sie erscheint in nicht wenigen philosophisch-ästhetischen Bestimmungen der romantischen Kunst. Gewiß ist die Ironie nicht
39 identisch. mit romantischer Kunst, sondern — um eine These vorwegzunehmen, die auch Walzel vertritt 122 , — sie erscheint als eines ihrer »Mittel«, ist erkennbar als ein inneres agens, eine der Bedingungen romantisch-poetischer Möglichkeit. Es öffnet sich damit audi für den Ironie-Begriff auf dieser Stufe von Schlegels kunsttheoretischem Denken ein vielfältiger Problembereich, aus dem für unseren Zusammenhang zunächst folgende Fragen wichtig sind: 1. wo und in welchem Sinne nennen die Athenaeums-Fragmente zu dem Ironie-Problem einer inneren Dialektik im künstlerischen Schaffen entsprechende und weiterführende Gedanken? 2. sind in den Athenaeums-Fragmenten bestimmte Gehalte und Relationen für diese innere Dialektik genannt? und werden 3. weitere Hinweise audi auf die praktische Bedeutung der sich als künstlerische Dialektik auswirkenden Ironie gegeben? In den Lyceums-Fragmenten wurde Ironie bestimmt als eine Erhebung über sidi selbst aus Freiheit, eine aus Selbstschöpfung und Selbstvernichtung resultierende Selbstbeschränkung, die Schlegel auch »unendliche Kraft« nennt. Die Erläuterung der in den AthenaeumsFragmenten mehrfach wiederkehrenden Wendung »bis zur Ironie« lautet nicht auf einen solchen einmaligen dialektisch sich begründenden Akt, sondern auf dessen »steten Wechsel«, auf eine sich fortzeugende dialektische Bewegung: »bis zur Ironie, oder bis zum steten Wechsel von Selbstsdiöpfung und Selbstverniditung« 123 . » . . . ein bis zur Ironie vollendeter Begriff, eine absolute Synthesis absoluter Antithesen, der stete sich selbst erzeugende Wechsel zwey streitender Gedanken« 184 .
Ähnliche Formulierungen verwendet Schlegel auch für den Begriff der Bildung: »Bildung ist antithetische Synthesis und Vollendung bis zur Ironie. — Bei einem Menschen, der eine gewisse Höhe und Universalität der Bildung erreicht hat, ist sein Inneres eine fortgehende Kette der ungeheuersten Revolutionen.« 125
1,1 ltJ 114 115
Min. I, S. 18. Walzel, Romantisches S. 87. Athenaeums-Fragment 51, Min. II, S. 211. Athenaeums-Fragment 121, Min. II, S. 222. Windischmann II, 2 S. 420; Datierung nach Enders und Haym: 1799.
40 Wie Schlegel die Bestimmung des Menschen darin sieht, »das Unendliche mit dem Endlichen zu vermählen«, die »völlige Coincidenz« aber als »ewig unerreichbar« erklärt 126 , so tritt in seinen Gedanken das Problem einer sidi selbst erzeugenden Bewegung von Entgegensetzung und Synthesis immer deutlicher in den Vordergrund. Das »Unendliche« wird ihm vorstellbar als »Produkt sich ewig scheidender und mischender Kräfte« 1 2 7 ; »Universalität« hat für ihn »Harmonie« und »letzte Synthese« nicht als ruhende Vollendung, sondern als »ununterbrochne Kette innerer Revolutionen« 128 . Es geht Schlegel um die Bestimmung eines dynamischen Prinzips: einer über Gegensätze und Synthesis sich vollziehenden Lebensbewegung. Dieses Problem rückt beherrschend in jeden für ihn zu bedenkenden Begriff. Die Philosophie, die für Schlegel »nichts andres ist als der Geist der Universalität« 1 2 9 , erscheint ihm als das »Resultat zwey streitender Kräfte«, sie muß »sich immer von neuem organisiren und desorganisiren« 130 . Unter diesem Grundgedanken begreift Schlegel auch die Kunst, in der Philosophie und Poesie verbunden sein sollen. Im »steten Wechsel von Selbstschöpfung und Selbstvernichtung« konstituiert sich eine Poesie, die Schlegel die »progressive« nennt: »sie vernichtet sich w o h l o f t , aber sie selbst schöpft sich auch gleich wieder.«131
An dem aus dem Lyceums-Fragment wiederaufgenommenen Postulat einer Verbindung von Absicht und Instinkt betont Schlegel nun die innere Dialektik in jedem dieser Begriffe: »Absicht bis zur Ironie, und mit willkührlichem Schein von Selbstvernichtung« und » I n s t i n k t bis zur I r o n i e « sind ihm n a i v 1 8 2 .
Offenbar faßt Schlegel in den Begriff der Ironie eine konzentrierte Aussage über innere Selbstbewegung; in Annihilation und Bezug zum Unbedingten wirkt die Ironie hin auf »steten Wechsel von Selbstschöpfung und Selbstvernichtung«, auf unendliche Progression. Neue philosophische Sthriften, S. 368. Athenaeums-Fragment 412, Min. II, S. 277. 128 Athenaeums-Fragment 451, Min. II, S. 288. 1 2 9 Athenaeums-Fragment 220, Min. II, S. 238. 1 S 0 Athenaeums-Fragment 304, Min. II, S. 253. 131 Marburger Handschriften H e f t I, S. 12 auch S. 18. " 2 Athenaeums-Fragment 305, Min. II, S. 253. Eine ähnliche Formulierung: »Der coordinine Begriff zu N a i v ist wohl eigentlich correct; d. h. bis zur Ironie gebildet, wie Naiv bis zur Ironie natürlich.« Marburger Handschriften H e f t I, S. 62. 126
127
41
Was kann aber ein solcher Begriff innerer Dialektik für die Kunst bedeuten, wenn er nicht mehr »unendliche K r a f t « , sondern eine unaufhörlich fortgehende Bewegung meint; in welchem Sinn kann er überhaupt f ü r den Künstler und für das doch in sich abgeschlossene Kunstwerk relevant sein? In der Kunst kann innere Dialektik als eine sich fortzeugende Bewegung nicht als ein geradliniger Prozeß ad infinitum gemeint sein, sondern sie bedeutet f ü r Schlegel, was er in der »Philosophie der Philologie« mit dem Begriff der »Cyclisation« zu sagen versucht: »Die Cyclisation ist wie eine Totalisation von unten herauf.« 133 »Die Hauptsache ist die Ahndung des Ganzen. Dazu führt der Witz. — Durdi Anwendung der cyklisdien Methode muß man sehr bald dahin kommen.« 134
Das deutet auf zweierlei: die Bewegung ist als zu sich selbst zurückkehrend gedacht und trägt eine Beziehung auf Totalität in sich. Schlegel versteht die Totalisation als innere Unendlichkeit eines in sich abgeschlossenen Werkes: »Der Begriff einer bedingten, beschränkten Ganzheit ist keineswegs widersprechend.« 135 »Gebildet ist ein Werk, wenn es überall scharf begränzt, innerhalb der Gränzen aber gränzenlos und unerschöpflich ist, wenn es sich selbst ganz treu, überall gleich, und doch über sich selbst erhaben ist . . . Es muß durch alle drey oder vier Welttheile der Menschheit gewandert seyn, nicht um die Ecken seiner Individualität abzuschleifen, sondern um seinen Blick zu erweitern und seinem Geist mehr Freyheit und innre Vielseitigkeit und dadurch mehr Selbständigkeit und Selbstgenügsamkeit zu geben.« ise
In diesem Sinne eines im Innern sich durchbildenden Geistes ist im begrenzten Werk audi für die fortgehende Bewegung einer dialektischen Selbstergreifung eine Möglichkeit zu denken. Einige der Bestimmungen, die Schlegel f ü r die romantische Poesie ausspricht, lassen den Gedanken innerer Unendlichkeit als Zyklisation und innere Durchbildung anklingen: »Sie ist der höchsten und allseitigsten Bildung fähig; nicht bloß von innen heraus, sondern auch von außen hinein; indem sie jedem, was
133 1,4 135 136
Philosophie der Philologie S. 51. Philosophie der Philologie S. 53. Marburger Handschriften H e f t I, S. 17. Athenaeums-Fragment 297, Min. II, S. 252.
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ein Ganzes in ihren Produkten seyn soll, alle Theile ähnlich organisiert.«187 In diesem Sinne einer inneren sidi immer weiter durchbildenden Unendlichkeit nennt Schlegel das »eigentliche Wesen« der romantischen Dichtart: »daß sie ewig nur werden, nie vollendet seyn kann« 138 ; und sein Vergleich dieser Poesie mit dem, was »der Witz der Philosophie« ist, den er auch als das »Prinzip und Organ der Universalphilosophie«139 bezeichnet, trifft genau zu: beide führen auf »Ahndung des Ganzen«. Wir sind nur scheinbar von der Frage nach der Ironie abgerückt: treffen wir sie doch später in einer entscheidenden Aussage des 116. Athenaeums-Fragments über die romantische Poesie erneut an. In einem ersten Durchgang waren die Athenaeums-Fragmente zunächst danach zu befragen: ist eine innere sich fortzeugende Bewegung, die mit dem Begriff der Ironie als eines steten Wechsels von Selbstschöpfung und Selbstvernichtung von Schlegel bestimmt wird, überhaupt als eine in der Kunst denkbare Möglichkeit zu begreifen? Und die Antwort, nun nur auf den Ironie-Gedanken bezogen, kann lauten: es gibt eine innere Unendlichkeit nicht nur als »Kraft« 140 , sondern als ein Verhalten zu sich selbst, das als zyklische Bewegung der sich wiederholenden Selbstergreifung im Kunstwerk denkbar ist. Der Ironie-Gedanke erscheint in den Athenaeums-Fragmenten zunächst erweitert zum Gedanken einer dialektischen Selbstbewegung, die in sich einen Bezug auf Unendlichkeit trägt, ja diesen selbst herstellt. Es muß nun weiter gefragt werden, welche Bedingungen und agierenden Grundkräfte Schlegel in den Athenaeums-Fragmenten für die in der Dichtung und in der Dialektik der Ironie wirkende Bewegung nennt. In den Athenaeums-Fragmenten 51 und 305 versucht Schlegel offenbar, das >Naive< in einem von Schillers Begriff völlig gelösten Sinn zu bestimmen: »Das schöne, poetische, idealische Naive muß zugleich Absidit, und Instinkt seyn.«141 1,7
Athenaeums-Fragment 116, Min. II, S. 220. Athenaeums-Fragment 116, Min. II, S. 220/1 1M Athenaeums-Fragment 220, Min. II, S. 238. i « Lyceums-Fragment 37, Min. II, S. 188. 141 Athenaeums-Fragment 51, Min. II, S. 211. 138
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»Absicht bis zur Ironie . . . ist ebenso wohl naiv als Instinkt bis zur Ironie«142 »Naiv ist, was bis zur Ironie, oder bis zum steten Wechsel von Selbstsdiöpfung und Selbstvernichtung natürlich, individuell oder klassisch ist, oder scheint.«14' Diese Formulierungen, in denen nicht nur die Verbindung von Entgegengesetztem, sondern auch die jeweils hinzugefügte Wendung »bis zur Ironie« eine innere Dialektik als wichtiges Bestimmungsmoment anzeigen, machen bedenken, daß Schlegel das Naive als ein Ursprüngliches besonderer Art meint. Es ist deutlich, daß er dieses Ursprüngliche nicht als bewußtseinsfreie Natur und Naturhaftigkeit denkt, sondern sein Begriff schließt ein intellektuelles Vermögen mit ein. Die für das Naive integrante Komponente >Absicht< erklärt Schlegel auch: >Das Wesen der Absicht in diesem Sinn ist die Freyheit« 144 , eine Kategorie also, die auch in der mit der Wendung »bis zur Ironie« bezeichneten dialektischen Bewegung eine bestimmende K r a f t bedeutet. Das als Ursprünglichkeit gedachte Naive trägt also in Schlegels Vorstellung Freiheit als ein besonderes constituens in sich. Auch im Studium-Aufsatz nannte Schlegel den »f rey en Aktus des Gemüths« als einen »ursprünglichen Quell« 1 4 5 für eine bestimmte Kunstart, die nicht »erkünstelt; sondern aus den verborgenen Tiefen ihrer ursprünglichen K r a f t erzeugt« ist 148 . Auf die Frage, welche Philosophie »die angemessene für den Dichter sey«, antwortet Schlegel in den Athenaeums-Fragmenten:»Die schaffende, die von der Freyheit, und dem Glauben an sie ausgeht, und dann zeigt wie der menschliche Geist sein Gesetz allem aufprägt, und wie die Welt sein Kunstwerk ist« 147 . Nicht in Widerspruch mit dem Gedanken innerer Organisation, doch in Erweiterung seines ästhetischen Denkens betont Schlegel in den Athenaeums-Fragmenten auch, daß »Schönheit« nicht »bloß für einen gegebenen Gegenstand« »zu halten« sei, sondern — wie er jetzt formuliert — sie ist »eine der ursprünglichen Handlungsweisen des menschlichen Geistes; nicht bloß eine nothwendige Fikzion, sondern auch ein Faktum, nämlich ein ewiges transcendentales.« 148 In der Athenaeums-Fragment Athenaeums-Fragment 144 Athenaeums-Fragment 145 Min. I, S. 98. " · Min. I, S. 105. 147 Athenaeums-Fragment 148 Athenaeums-Fragment 143
305, Min. II, S. 253. 51, Min. II, S. 211. 51, Min. II, S. 211.
168, Min. II, S. 229. 256, Min. II, S. 246.
44 transcendentalen Ermöglichung des ästhetischen Faktums gilt für Schlegel das intellektuelle Vermögen der Freiheit als durchaus relevant. In ihm liegt ein entscheidender Grund, ein »ursprünglicher Quell« f ü r den ästhetischen Bereich; das freie spontane Vermögen bekundet sich aber im künstlerischen Schaffensprozeß nicht in einer einmaligen Handlung oder Setzung, sondern es wirkt in der Ironie im steten Wechsel von Selbstschöpfung und Selbst Vernichtung; und es wirkt modifizierend und formend auf ein Gegebenes, für das Schlegel »Erfindung und Begeisterung« 149 , »Fantasie« 150 , »Instinkt« oder ganz allgemein »Poesie« nennt. Das intellektuelle Vermögen der Ironie ist im ästhetischen Bereich ein vermittelndes agens, ist ein transcendentales synthetisierendes Vermögen, das eine Bedingung der Möglichkeit für das Faktum der ästhetischen Wirklichkeit bildet. Ihr spontanes Agieren zielt auf eine Synthesis von Entgegengesetztem, für die Schlegel im künstlerischen Schaff ensprozeß Ideales und Reales, Unbedingtes und Bedingtes nennt. Dieser die Lyceums- wie die Athenaeums-Fragmente durchziehende Grundgedanke über eine ursprüngliche und frei agierende G r u n d k r a f t wird nun von Schlegel in den ausführlichen Bestimmungen der romantischen Poesie im Athenaeums-Fragment 116 und mit einer genau zu untersuchenden Entsprechung auch im Athenaeums-Fragment 238 über die Transcendentalpoesie als transcendental-ästhetische Grundkraft nach ihrer auch im praktischen Verstände strukturbestimmenden Möglichkeit genannt. Es sei betont, daß jetzt nicht der volle Begriff der romantischen Poesie und der Transcendentalpoesie mit diesem Grundgedanken erörtert werden soll, sondern nur eine — gewiß aber entscheidende — innere Bedingung, eine bestimmende Mitte, deren Sinn und vermittelnde Funktion mit Schlegels Ironie-Begriff übereinstimmt; betont Schlegel doch: »In der Transcendentalpoesie herrscht Ironie.« 151 148
Lyceums-Fragment 37, Min. II, S. 188. Athenaeums-Fragment 250: »Fantasie ist zugleich Begeisterung und Einbildung.« Min. II, S. 244. 151 Marburger Handschriften H e f t I, S. 49. Auch andere der Notizen sind aufschlußreich für die Frage nach dem inneren Zusammenhang von Transzendentalpoesie und Ironie. Es heißt in den Marburger Handschriften H e f t I: »Zur Transcendentalpoesie gehört die Trennung des Positiven und Negativen, des Centralen und Horizontalen.« S. 63. — »Die Transcendentalpoesie soll unendlich potenzirt und und unendlich analysirt sein.« S. 53. 150
45
Schlegels Formulierungen im Mittelteil des 116. Athenaeums-Fragments erinnern an die in den Lyceums-Fragmenten erwähnte Paradoxic von der »Unmöglichkeit und Notwendigkeit einer vollständigen Mittheilung«; hier weist jetzt Schlegel auf verschiedene Möglichkeiten der Darstellung in der romantischen Poesie hin. Sie könne sich »in das Dargestellte verlieren«, und doch »giebt es noch keine Form, die so dazu gemacht wäre, den Geist des Autors vollständig auszudrücken.« Es scheint, als reflektiere Schlegel damit zunächst auf das in diesen Darstellungen Ausgedrückte, auf ihren Gehalt: das »Bild des Zeitalters« oder die Selbstdarstellung des Künstlers. Der diesen Überlegungen folgende Gedanke gewinnt einen anderen — möglicherweise aus der »allmählichen Verfertigung der Gedanken« beim Schreiben erwachsenden Aspekt: gelöst von möglichen Inhalten erscheint das Wie, die Weise der Darstellung, die weder vom Subjekt noch vom Objekt der Darstellung bestimmt ist, sondern zwischen beiden »schwebt«: »Und dodi kann audi sie am meisten zwischen dem Dargestellten dem Darstellenden, frey von allem realen und idealen Interesse den Flügeln der poetischen Reflexion in der Mitte schweben, diese flexion immer wieder potenziren und wie in einer endlosen Reihe Spiegeln vervielfachen.« 152
und auf Revon
In diesem Satz steckt mehr als ein Problem. Hier wird mit dem Terminus »poetische Reflexion« ein wichtiger Begriff genannt; die romantische Poesie, in der nun der ästhetischen Grundforderung aus dem Studium-Aufsätz entsprechend kein einzelnes »Interesse« herrscht, hat mit der poetischen Reflexion eine innere bewegende und bewegte Möglichkeit, die als Medium einer künstlerischen Freiheit erscheint. Mit der Potenzierung dieser Reflexion ist audi ein unendlicher zyklisch zu denkender Progreß angedeutet. Am Schluß dieses Fragments betont Schlegel für die romantische Poesie: »Sie allein ist unendlich, wie sie allein frey ist, und das als ihr erstes Gesetz anerkennt, daß die Willkühr des Dichters kein Gesetz über sich leide. « l s s
In dieser oft mißverstandenen Formulierung belegt die Verbindung der Worte >frei — Gesetz — Willkür< wie in Lyceums-Fragment 37, 158
Athenaeums-Fragment 116, Min. II, S. 220. ® Athenaeums-Fragment 116, Min. II, S. 221.
,s
46 daß diese Willkür nicht Ungebundenheit und Eigensinn sondern freie Selbstbestimmung meint. Ist diese Freiheit, so wie sie in Lyceums-Fragment 37 als Bedingung besonnenen Ausdrucks genannt wird, nun hier als das Vermögen zu verstehen, k r a f t dessen der Dichter weder dem Dargestellten, dem Objekt seiner Darstellung unterworfen, nodi in sich selbst als in das darstellende Subjekt blind gebunden ist? Zunächst spricht Schlegel nur von einem »Schweben« »auf den Flügeln der poetischen Reflexion« in der »Mitte« zwischen Darstellendem und Dargestelltem; und diese Worte allein geben noch keinen genauen Aufschluß über diese »Mitte« und die praktisch bedeutsame Funktion der poetischen Reflexion. Hier bringt wieder ein Rückgriff auf die Fichtesche Philosophie noch einige Klärung; denn unverkennbar sind diese Gedanken Schlegels den Fichteschen Begriffen und Analysen verpflichtet. Fichte erklärt die fortgehende Selbsttätigkeit der intellektuellen Anschauung durch die »Spontaneität der Reflexion selbst« als »Product der Einbildungskraft in ihrem Schweben«154-, sie ist als »ein unendliches Streben« 155 die »ins Unendliche hinausgehende Thätigkeit des Ich« 156 . Für die zugrunde liegende »ursprünglich synthetische Handlung des Ich« 157 in der intellektuellen Anschauung nennt Fichte die genaue innere Paradoxie: »denn ich bin ursprünglich weder das Reflectirende, nodi das Reflectirte, und keins von beiden wird durdi das andere bestimmt, sondern
idi bin beides in seiner Vereinigung.«158 Schlegels Begriffe der »poetischen Reflexion« und des »Schwebens« in einer Mitte lassen sich deutlicher verstehen wiederum als eine Ubertragung von Fichteschen Gedanken auf eine ästhetische Frage. Aber die praktisch ästhetische Bedeutung dieser Begriffe ist damit noch kaum fixierbar, da Schlegel der poetischen Reflexion wohl den Ort anweist, sie als Medium künstlerischer Freiheit andeutet, aber ihre wirkliche Funktion, ihr möglicherweise vereinigend-vermittelndes Agieren hier nicht näher bezeichnet. Das synthetisierende Vermögen 154 155 158 157 158
Fichte, Fichte, Fichte, Fichte, Fichte,
Werke Werke Werke Werke Werke
1, 1 S. 233: Grundlage der ges. Wiss. Lehre. I, 1 S. 261: Grundlage der ges. Wiss. Lehre. I, 1 S. 275: Grundlage der ges. Wiss. Lehre. I, 1 S. 141: Grundlage der ges. Wiss. Lehre. I, 1 S. 489: Zweite Einleitung i. d. Wiss. Lehre
47 in der Reflexion aber betont Novalis in einem ebenfalls deutlich auf Fidites Begriff der intellektuellen Anschauung bezogenen Fragment: »Das Genie sagt aber so dreist und sicher, was es in sich vorgehn sieht, weil es nidit in seiner Darstellung und also auch die Darstellung nicht in ihm befangen ist, sondern seine Betrachtung und das Betrachtete frei zusammen zu stimmen, zu einem Werke frei sich zu vereinigen scheinen. Wenn wir von der Außenwelt sprechen, wenn wir wirkliche Gegenstände schildern, so verfahren wir wie das Genie. . . . So ist also das Genie dies Vermögen, von eingebildeten Gegenständen wie von wirklichen zu handeln, und sie auch wie diese zu behandeln . . .« 15e Wir stoßen auf eine wesentlich unterscheidende Nuance in dieser und der Schlegelschen Formulierung: bei Novalis scheint die Synthesis bereits mit der Aktion des Reflexionsvorganges identisch zu sein, so daß das freie Zusammenstimmen von Betrachtung und Betrachtetem als eine den Gegenstand sich anverwandelnde Erkenntnis- und Schaffensmöglichkeit erscheint. Schlegels Gedanken verweilen dagegen an einer anderen Stelle und versuchen erneut zu differenzieren. Im Athenaeums-Fragment 116 bleibt er in der noch allgemeinen und abstrakten Ausdrucksweise, um mit den Worten »schweben« und »Mitte« eine der romantischen Poesie eignende Möglichkeit hervorzuheben. In dem anderen wichtigen Fragment 238 geht er in der Bestimmung der inneren poetisch-reflektorischen Tätigkeit nicht fort zu einer vollen Synthesis, sondern bezeichnet nun die zwei notwendig sich erhaltenden Spannungsmomente, die durchgehaltenen Antithesen in der Synthesis und damit in einer praktisch-ästhetischen Bedeutung die nebeneinander benennbaren Darstellungsbestandteile: das Dargestellte einerseits als »Product« und die Darstellung in ihrem Darstellen, »Produciren« selber; d. h. die poetische Reflexion soll sich als solche mitdarstellen. Der Ausdruck dafür: »Poesie der Poesie« erhellt den Sinn des Worts von der Potenzierung der poetischen Reflexion genau; die sich selbst reflektierende Reflexion ergibt den Fortgang zu einer endlosen Reihe von Spiegeln. Der Begriff der Potenzierung und das Bild von der Spiegelreihe enthalten implicite, was der Terminus »transcendental· meint: ein Verhalten zu sich selbst, in dem das Handelnde die Bedingungen seiner Möglichkeit einbezieht und zu nennen vermag.
1 5 9 Novalis, Schriften 2. Bd. S. 37/8; vgl. Athenaeums-Fragment 283, Min. I I , S. 250.
48
Was Schlegel im Athenaeums-Fragment 238 in Analogie zur kritischen Transcendentalphilosophie, die »das Producirende mit dem Product darstellt«, auch für die Poesie als ein kritisch-transcendentales Vermögen nennt, steht durchaus in Beziehung audi zu dem im Athenaeums-Fragment 116 bezeichneten Problem der romantischen Poesie. Die im Athenaeums-Fragment 238 getroffene schärfere Bestimmung des inneren Agierens und der Aufgabe einer mit dem Medium der poetischen Reflexion sich konstituierenden Poesie vermag die Bedeutung eines »Schwebens« in der »Mitte« zwischen dem Darstellenden und dem Dargestellten aufzuhellen. Die transcendentale Bestimmung, die Schlegel im Athenaeums-Fragment 238 der Poesie zuerkennt, macht offenbar diese »Mitte« selbst zum Anliegen der Poesie: D a ß Schlegel dieses Anliegen, das »Eins und Alles« der Transcendentalpoesie »das Verhältnis des Idealen und Realen« nennt 160 , widerspricht keineswegs der Formulierung im Athenaeums-Fragment 116, daß die romantische Poesie »frey von allem realen und idealen Interesse« sei; liegt doch im Transcendentalen als einer Verhältnisbestimmung keine Fixierung an die eine oder die andere Komponente dieses Verhältnisses vor; es ist per definitionem der Bezug selbst, frei von jedem einseitigen Interesse. Dadurch, daß eine Poesie diesen Bezug selbst zu ihrem Thema macht, wird der Charakter des »Schwebens« zwischen den Komponenten genauer ausgesagt; die »Mitte« als der O r t der poetischen Reflexion zwischen Darstellendem und Dargestelltem wird jetzt in ihrer funktionalen Bedeutung als eben der O r t des Vereinigens bestimmt in dem Sinne, für den Adam Müller später in Bezug zum Ironie-Begriff die Formulierung findet: in den Gegensätzen zugleich über den Gegensätzen sein. In der »künstlerischen« 161 , »poetischen Reflexion« werden in einem transcendentalen Vollzug die integran ten Teile zu einer Synthesis: einer Subjekt-Objektivität zusammengenommen, — aber so, daß beide Komponenten des künstlerischen Schaffens: das Geschaffene und der Schaffende erkennbar nebeneinander erscheinen. In diesem Gedanken einer Synthesis von nicht sich aufhebenden Antithesen unterscheidet sich Schlegels Begriff der poetischen Reflexion von dem GenieBegriff des Novalis. So gibt Athenaeums-Fragment 238 in der Tat einen genaueren Auf1 Athenaeums-Fragment 238, Min. II, S. 242. Athenaeums-Fragment 238, Min. II, S. 242.
1,1
49
schluß darüber, in welcher Weise die Poesie in der Mitte zwischen Darstellendem und Dargestelltem schweben kann; sie hat mit der Reflexion an beidem teil, ist in und zwischen beidem. Das kritischtranscendentale Vermögen soll die in der Sdiaffenssynthese sich vereinigenden Teile nebeneinander erscheinen lassen. Diese Poesie soll »in jeder ihrer Darstellungen sich selbst mit darstellen, und überall zugleich Poesie und Poesie der Poesie seyn«162. Das ist eine Forderung von eminent praktischer Bedeutung. Der Künstler soll in seinem Werk die Art und Prinzipien seines Schaffens bewußt selbst mit darstellen. Von der hohen Bedeutung des philosophischen, intellektuellen, »wissenschaftlichen« Vermögens für jenen Schaffensakt, der aus dem >Poetischen< Kunst bildet, spricht auch das Athenaeums-Fragment 255: »Je mehr die Poesie Wissenschaft wird, je mehr wird sie audi Kunst. Soll die Poesie Kunst werden, soll der Künstler von seinen Mitteln und seinen Zwecken, ihren Hindernissen und ihren Gegenständen gründliche Einsicht und Wissenschaft haben, so muß der Dichter über seine Kunst philosophiren.« l e s
Hier ist eine praktische Seite jener Verbindung von Poesie und Philosophie und der poetischen Reflexion genannt, die durchaus in die Forderung hineingehört, daß der Künstler ein kritisch-bewußtes und besonnenes Selbst-Ergreifen in seinem Werk leisten soll. In diesen Postulaten der Athenaeums-Fragmente kehrt durchaus der Gedanke aus den Lyceums-Fragmenten wieder, der Künstler solle sich über die eigene Kunst erheben und im Schein der Selbstvernichtung zu besonnener Selbstbeschränkung gelangen. Audi in der praktischen Bedeutung dieser Forderungen an den Künstler erscheint die der Ironie eigene Paradoxie: die Selbstdarstellung der Poesie in einem Werk, die bewußte Nennung des Schaffens, ja audi des Schaffenden vermögen eine ästhetische Bedeutung der Besonnenheit, reflektierender Distanz und recht verstandener dialektisch sich begründender künstlerischer Freiheit in sich zu tragen. Diese Fragen weisen ^eit voraus auf die erst später genau zu erörternden praktisch-ästhetischen Konsequenzen der Sdilegelschen Begriffe. 102
Athenaeums-Fragment 238, Min. II, S. 242. — Die anderen Gedanken des 238. Athenaeums-Fragments und ihr Bezug zu den Begriffen Schillers sollen hier nicht erörtert werden, da sie aus dem für unsern Zusammenhang wichtigen Zentralgedanken herausführen. Es wird eine Abgrenzung zu den Begriffen der Sdiillersdien Ästhetik in der Zusammenfassung des ersten Teils dieser Untersuchung gegeben. ,,s Athenaeums-Fragment 255, Min. II, S. 246.
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Es bedarf hier zunächst noch einer Zusammenfassung der H a u p t probleme aus den f ü r den Ironie-Begriff wichtigen Athenaeums-Fragmenten. Mit den in Athenaeums-Fragment 116 und 238 angetroffenen Aussagen über die transcendental-poetisdhe G r u n d k r a f t in der romantischen Poesie ist in genauer Entsprechung zum Begriff der Ironie eine das künstlerische Schaffen wesentlich bedingende innere Dialektik genannt. Schlegel bezeichnet f ü r den künstlerischen SchafFensprozeß ein wichtiges inneres agens: ein frei und spontan in der SelbstErgreifung sich bekundendes Vermögen. Der Ironie-Begriff bezeichnet dieses Vermögen nicht mehr nur wie in den Lyceums-Fragmenten als einmalige Erhebung über sich selbst, sondern als den »steten Wechsel von Selbstschöpfung und Selbstvernichtung«, in dem als »absolute Synthesis absoluter Antithesen« das Kunstwerk nun zusammen mit dem Geschaffenen auch das Schaffen in seiner Selbstaussage erscheinen lassen kann und soll. Wie die Hinweise auf die Parekbase und den Buffo bereits auf die in und mit der Ironie sich vollziehende Loslösung aus einer nur gegenständlich bestimmten Darstellungsart deuten, so wird in den Athenaeums-Fragmenten davon gesprochen, daß dietranscendentale G r u n d k r a f t , die identisch ist mit der künstlerischen Dialektik in der Ironie, sich selbst als die mitwirkende künstlerische Reflexion in einer Aussage von den Bedingungen, Prinzipien und der Art des Schaffens direkt im Werk expliziert. Wie steht dieser Gedanke einer Darstellung, die das Produzieren und das Produkt miteinander zeigt, in Beziehung zu der in den Athenaeums-Fragmenten gerade auch in und mit dem Ironie-Begriff ausgesagten Problematik einer unendlichen, zyklisch-progressiven Bewegung? In Schlegels bildlichem Ausdruck »einer endlosen Reihe von Spiegeln« liegt bereits eine Antwort. Die im Kunstwerk auch und zwar expliziert vorhandene Selbstdarstellung des Produzierens weist aus der Geschlossenheit der inneren Darstellung hinaus auf Bedingungen und Prinzipien dieses Werkes selbst; es trägt in sich einen Spiegel poetischer Reflexion. Diese die geschlossene Darstellung durchbrechenden und übersteigenden Aussagen stehen aber nicht nur zufällig mitten in der Darstellung, sie machen sie — in einer Rüdcspiegelung — auch begreifbar, oder verlangen bewußtes Bedenken dieses Werks als eben eine die ausgesagten Bedingungen einbeziehende und verwirklichende Darstellung. Das bedeutet in Verweisung und Rückverweisung eine innere Bewegung von »cyclischer Methode« k r a f t der im
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einzelnen Werk vorhandenen sich selbst ergreifenden künstlerischen Freiheit, der sich potenzierenden poetischen Reflexion. In diesem Sinne ist mit dem Begriff der Spiegelung, die sich praktisch in den Bestandteilen einer Darstellung und der Darstellung des Darstellens vollzieht, eine »absichtliche Durchbildung« in »praktischer Reflexion des Künstlers«1®4 gegeben, die eine innere, dialektisch-zyklisdie Unendlichkeit bewirkt. Die Ironie erscheint als ein agens, als eine bestimmte Mitte dieser künstlerischen Unendlichkeit. Zwei unserer anfangs gestellten Fragen sind beantwortet: die Aussagen der Athenaeums-Fragmente über eine künstlerisch wirksame Dialektik nehmen die Problematik des Ironie-Begriffes aus den Lyceums-Fragmenten voll auf und führen sie konsequent weiter. Auch die praktische Bedeutung des Ironie-Gedankens ist erneut und deutlicher zutage getreten und hat ein besonderes Formproblem der Dichtkunst zu bedenken gegeben. Die aus den Athenaeums-Fragmenten erörterten Gedanken: die Dialektik im künstlerischen Schaffensprozeß, der transcendentale Akt in seiner ästhetischen Bedeutung und die poetische Reflexion als synthetisierendes Vermögen, — diese Gedanken stehen offenkundig in Beziehung zu Schlegels Definition der Ironie als »logischer Schönheit«. Nicht unbegründet führte die Erörterung dieser »logischen Schönheit« und ihrer einzelnen Möglichkeiten auf ein Problem der künstlerischen Form. Denn die auf eine innere Unendlichkeit im begrenzten Werk führende zyklische Methode der Reflexion-Spiegelung und dialektischen Selbstergreifung ist eine Bewegung im Innern des Kunstwerks, die sich formal im Nebeneinander von Produkt und Produzierendem wiedererkennen lassen muß. — Damit ist eine besondere Darstellungsart und eine Methode künstlerischen Schaffens zur Sprache gekommen. Die Ironie ist ein wichtiges inneres und bewegendes Moment innerhalb der Kunst; sie ist aber nicht die Kunst als solche, nicht das künstlerische Schaffen in seiner ganzen Realität und in seinen vollen Bedingungen selbst. Denn wo immer Sdilegel von der Ironie spricht, nennt er sie zu und mit einem unauflösbar und unableitbar Gegebenen im künstlerischen Akt: Der Ironie-Begriff der Lyceums-Fragmente lautet auf eine freie Erhebung über die eigene Kunst, — eine Erhebung, die das in Begeisterung und Erfindung als einer ersten Schaffensstufe poetisch Gegebene modifiziert zu besonnenem, weder subjektivisti1,4
Athenaeums-Fragment 253, Min. II, S. 245.
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schem nodi gegenstandsverfallenem Ausdruck. Analog geben auch die Athenaeums-Fragmente zu erkennen, daß in der dialektischen, zyklischen Bewegung und in der auf künstlerische Unendlichkeit tendierenden Reflexion als einem transcendental-ästhetischen Vermögen ein schon Gegebenes bewegt und reflektiert wird: es steht diese »Poesie der Poesie« mit und neben der »Poesie« in einem künstlerischen Ganzen. Später, im »Gespräch über die Poesie« spricht Schlegel in einem erläuternden Hinweis auf den »großen Witz der romantischen Poesie« von einem »wunderbaren ewigen Wechsel von Enthusiasmus und Ironie« 165 . In dieser Formulierung scheint das Wort »Enthusiasmus« für das Gegebene der Poesie zu stehen, zu dem das philosophische Vermögen der Ironie modifizierend und in Wechselwirkung hinzutritt 166 . Die Ironie ist nicht die produktive Einbildungskraft selbst, sie wirkt nach Schlegels Vorstellung mit ihr zusammen; Ironie als freie Selbstbestimmung des Künstlers schafft nicht wie in Fichtes Denken die intellektuelle Anschauung in einem »actus purus« aus sich selbst Welt; sie ist auch nicht die umfassende weltschöpferische Tat des Genies, wie bei Novalis die »poetische Synthesis«167 gedacht ist. Sie erscheint als eine der Bedingungen, als nur eine unter anderen »Kategorien der Genialität« 108 , als eine besondere Art künstlerischen Schaffens und ist als solche Teil und mitwirkende Kraft an dem umgreifenden Ganzen einer im Kunstwerk erscheinenden ästhetischen Wirklichkeit. Wohl aber ist sie ein wesentlicher Teil, tief eingefügt in die Möglichkeit der 1115
Min. II, S. 361/2. Walzel (Poesie und Unpoesie, S. 138) meint, daß in diesem Hinweis Schlegels auf den »großen Witz der romantisthen Poesie« das Wort >Witz< gleichbedeutend sei mit Ironie. Dodi es darf kaum angenommen werden, — trotz großer Ähnlichkeit der genannten einzelnen Bestimmungsmomente (»Symmetrie von Widersprüchen-*; sein Erscheinen nicht in »einzelnen Einfallen, sondern in der Construction des Ganzen«: Min. II, S. 361) — daß Schlegel das Wort Ironie hier tautologisdi zur Erklärung von Ironie = Witz gebraucht. Es darf der Textstelle wohl nur entnommen werden, daß beide: Witz und Ironie eine verwandte Bedeutung und Funktion für das Ganze der Kunst besitzen. 1ββ
In den Notizheften stehen Hinweise, die diesen Zusammenhang ebenfalls klären helfen können: »Ironie, Energie, Enthusiasmus, Originalität, Universalität, Harmonie offenbar nur die Kategorien der Genialität.« Marburger Handschriften H e f t II, S. 58. In der Kunst treten diese Kategorien miteinander in Beziehung: »Nichts ist platter als die leere Form der Ironie ohne Enthusiasmus . . . « . Marburger Handschriften H e f t I, S. 65. 167
vgl. Hugo Kuhn, Z. f. phil. Forschung 5. «β Marburger Handschriften H e f t II, S. 58; s. o. Anm. 166.
53 Kunst und des künstlerischen Schaffens. — Wie darf diese Einfügung verstanden werden, — wie bestimmt Schlegel den Bezug der Ironie zu dem in der Kunst unauflöslich Gegebenen, das er mit dem Wort »Poesie« zu fassen bemüht ist? Was ist für Schlegel Poesie? Zur Bestimmung der Poesie an sich selbst bedurfte es für Schlegel eines neuen Denkansatzes. Die Lyceums- und Athenaeums-Fragmente geben nodi keine volle Auskunft, so daß audi die dritte unserer Fragen: welche gehaltlichen Bestimmungen, welche besonderen Relationen Schlegel für den Ironie-Begriff nennt, noch offen bleibt. In der bisherigen Stufe seines kunsttheoretischen Denkens nähert sich Schlegel dem, was er die Schönheit als ein »transcendentales Faktum« 1 6 9 nennt, von der Seite und von der einen Bedingung, die er als »eine der ursprünglichen Handlungsweisen des menschlichen Geistes« 169 bezeichnet. E r ergründet das intellektuelle Vermögen freier Selbstbestimmung in seiner Bedeutung für den Künstler und das künstlerische Sdiaffen. Dieses »eine Centrum« der Philosophie: die Idee der »Vernunft« 1 7 0 und Freiheit, die ihm von Fichte geklärte und neu akzentuierte Problematik einer spontanen Selbstergreifung macht er für sein ästhetisches Denken fruchtbar mit seinem Begriff der Ironie: dem Gedanken einer künstlerisch bedeutsamen und formbestimmenden Dialektik. — Das »Transcendentale« aber sagt eine Verhältnisbestimmung zweier Bedingungen, es hat, wie Schlegel sagt, Bezug auf die »Verbindung oder Trennung des Idealen und Realen« 1 7 1 . Die zweite, das »transcendentale Faktum« Schönheit mitbedingende Komponente des Realen, das in Schlegels Denken — anders als bei Novalis — nicht im schöpferischen Akt selbst liegt, nicht aus ihm erzeugt wird, findet volle Bestimmung erst in der nächsten Stufe von Schlegels Denken, in der er nun mit kunstphilosophisch gerichteten Fragen das Ganze einer universalen Weltbewegung im Begriff der Poesie: die Poesie als ein Weltelement zu denken versucht. — Für unseren Zusammenhang muß nun erfragt werden, welche Bedeutung in dieser oft als »Wendung« bezeichneten Denkstufe Schlegels, in seinen metaphysisch gerichteten Fragen nach Welt, Poesie und Kunst der Ironie zukommt. Die Frage anders gewendet: stehen das künstlerische Schaffen und mit ihm die Ironie in einer Relation zu " · Athenaeums-Fragment 256, Min. II, S. 246. " · Idee 117, Min. II, S. 302. 171 Athenaeums-Fragment 22, Min. II, S. 207.
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dem Weltelement Poesie, damit zum Ganzen der Welt; — erfüllen sie eine bestimmte Funktion innerhalb des Umgreifenden: Poesie? —
2. Der Begriff der Ironie in Schlegels kunstphilosophischen Schriften der Jahrhundertwende Schlegels Schriften um die Jahrhundertwende geben deutliches Zeugnis, wie sehr für ihn die eigentliche philosophische Problematik in den Vordergrund tritt. Bestärkt durch den Einfluß Schleiermachers und eine neue Zuwendung zur Philosophie Spinozas richten sich Schlegels Gedanken erneut auf jenen »objektiven Idealismus«, jene »Welt-Philosophie«, die ihm von Jugend an durch Hemsterhuis, H e r der, K. Ph. Moritz vertraut gewesen ist, — an deren Grundgedanken er auch in der Zeit des Fichte-Einflusses festgehalten hat 172 . Schlegel hält jedoch in seiner Zuwendung zur Welt-Philosophie, in deren Mittelpunkt ihm der Universums-Begriff rückt, auch an der Methode und den Prinzipien der kritischen Bewußtseinsphilosophie fest. Das ihn beschäftigende eigentlich philosophische Problem lautet auf eine Verbindung der beiden konträren Denkrichtungen; Schlegels Formel dafür heißt: »Fichte und Spinoza« oder auch »Goethe und Fichte« 173 . Gerade weil Schlegel sich von früh an über die Gegensätzlichkeit der Prinzipien in beiden philosophischen Anschauungen bewußt ist, kommt es in seinem Synthese-Versudi zu einer Vorstellung nicht der absoluten Identität, sondern der unauflöslichen Spannung der Gegensätze Idealismus und Realismus, N a t u r und Geist, Sein und Bewußtsein. Diese allgemein philosophische Problematik bildet den Hintergrund für Schlegels ästhetisches Denken dieser Zeit. Die Athenaeums-Beiträge, beginnend mit dem Aufsatz »Über die Philosophie« 174 , bekunden, in welch hohem Grade der Gedanke einer Spannung von Gegensätzen, die nicht in feindlichem Widerspruch zueinander stehen, aber audi 172 Dafür zeugt die immer mitgehende immanente Fidite-Kritik, deren volle Explikation in den von Windischmann edierten Kölner Vorlesungen erscheint: Wind. II, S. 420 ff. So z.B.: »Das πρώτον ψευδός liegt wohl darin, daß Fichte das Universum (Nicht-Ich), nicht zufrieden, es zu charakterisieren, motivieren will, ableiten.« W. II, S. 422. 1,3 Minor II, S. 390 und Brief an Novalis vom 2. 12. 1798: Novalis, Schriften 4. Bd. S. 249. 174 Schlegel selbst bezeichnet diese Schrift in einem Brief an Schleiermacher vom August 1798 als den Einsatz einer »neuen Epodie«: Jonas-Dilthey III, S. 90.
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nicht in einer Identitätsvorstellung aufhebbar sind, Schlegels ästhetisches Denken und die Einzelprobleme der Bestimmung von Kunst beeinflußt und befruchtet hat und zu reicher Entfaltung gedeihen läßt. In der Fülle der von Schlegel während dieser Zeit ausgebreiteten Probleme ist der Gedanke der Ironie nur einer und überdies ein nur selten erwähnter. Aber es ist für unsere Fragestellung von größter Wichtigkeit, daß auch jetzt in Schlegels philosophisch ausgreifenden Fragen und den weitesten Bestimmungen der ästhetischen Probleme der Begriff der Ironie nicht beiseite rückt oder nur zufällig mitgeht, sondern daß er in der bezeichneten Problematik wesentlich erhalten und zugehörig bleibt; in seinem bisherigen Sinn nicht geleugnet, sondern vertieft und in neue Zuordnung gebracht wird, — wie er anderseits auch zur Verdeutlichung des in diesen Schriften von 1799/1800 für die Kunst zu erfragenden Gedankenkreises fungieren kann. Die metaphysischen Probleme, die Schlegel in den Beiträgen des 2. und 3. Athenaeums-Bandes nennt: Die Unendlichheit des Endlichen, »die Göttlichkeit aller natürlichen Dinge« 175 , der »Gedanke des Universums und seiner Harmonie«17® — bezeichnen den Versuch Schlegels, eine letzte erschöpfende Ganzheit von Welt zu erfassen. Das ist Vorzeichen audi seines ästhetischen Denkens, das sich anschickt, die vormals (1796) ausgesprochene Ahnung: »die Göttlichkeit (Erscheinung der Allheit) ist der herrschende, höchste, königliche Τheil des Schönen*177 — in einzelnen Denkzusammenhängen zu entfalten. Hatte Schlegel in der vornehmlich durch Fichtes Denken bestimmten Stufe der Lyceums- und Athenaeums-Fragmente die Schönheit als »transcendentales Faktum« aus den Bedingungen einer »ursprünglichen menschlichen Handlungsweise« 178 zu erfassen versucht und damit die Problematik des künstlerischen Schaffens in seiner inneren Dialektik aufgezeigt, so nennt eine Formulierung aus dem »Gespräch über die Poesie« Inhalt und Richtung der jetzt vorwaltenden Gedanken: »Die höchste Schönheit, ja die höchste Ordnung ist denn doch nur die des Chaos, nämlich eines solchen, welches nur auf die Berührung der Liebe wartet, um sich zu einer harmonischen Welt zu entfalten.« 17 ·
>" Min. II, S. 335. " · Min. II, S. 324. 1,7 Neue philosophische Schriften, S. 377. 178 Athenaeums-Fragment 256, Min. II, S. 246. " · Min. II, S. 358.
56 Wie in den bisher aufgezeigten Gedanken über das künstlerische Schaffen und die poetische Reflexion in der romantischen Kunst immer die Frage nach einem Gegebenen als einer ersten G r u n d k r a f t noch offen geblieben und nur in Hinweisen auf Begeisterung, Erfindung, Phantasie oder die Poesie überhaupt noch der näheren Bestimmung harrt, so ist mit Schlegels Aussagen über die Poesie als eine Weltkraft, die auch unabhängig vom menschlichen Tun und künstlerischen Schaffen existiert, — mit Aussagen über jene »erste ursprüngliche« Poesie, »ohne die es gewiß keine Poesie der Worte geben würde« 180 , erneut die Frage gestellt, in welcher Weise die Kunst und das geschaffene Kunstwerk dieses Gegebene, den »unendlichen Geist der Poesie« in sich zu fassen vermögen, wie sie an der Poesie teilhaben und sie in ihrer Weise zur Erscheinung bringen können. In Schlegels Begriff der Kunst, genauer: der modernen, romantischen Kunst, gelten Philosophie, Bewußtsein, Geist, Idealismus als maieutische Prinzipien; das spezifisch intellektuelle Vermögen des Menschen gilt als mitbedingendes Korrelat in jenem Vorgang, in dem mit Teilhabe, Berührung und Wechselwirkung aus dem Umgreifenden: Poesie, ein Kunstwerk entsteht. Die »Kunst ist also nicht im vollen Sinne Schöpferin, sondern eigentlich nur Wiederschöpferin der Poesie« 181 . Dies ist eine vorgreifende Zusammenfassung; es sind jetzt Schlegels Gedanken im einzelnen zu nennen. Schon im letzten Athenaeums-Fragment fordert Schlegel, zunächst sehr allgemein und unbestimmt, für Universalität als »Wechselsättigung aller Stoffe und Formen« die von ihm so oft wiederholte Verbindung von Poesie und Philosophie 182 , die er mehrfadi auch als »Extreme« bezeichnet 183 und in den »Ideen« als Realismus und Idealismus verstanden wissen will. Welche Vorstellung eigentlich hinter diesen fast formelhaft verkürzten Aussagen steht, das verdeutlicht sich mit den breiter entfalteten Gedankengängen im Aufsatz »Über die Philosophie« und im »Gespräch«. — Schlegel spricht vom »Weltgeist« 184 der Poesie und der Philosophie; ihr Zusammenwirken wird als wichtige Bedingung für die Kunst und das Kunstwerk genannt:
180 ,81 182 183 184
Min. II, S. 339. Korff III, S. 287. Athenaeums-Fragment 451, Min. II, S. 288. Idee 96, Min. II, S. 299; auch Min. II, S. 325. Min. II, S. 325.
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»Nur in ihnen kann auch das einzelne Werk die Welt umfassen, und nur von ihnen kann man sagen, daß alle Werke, die sie jemals hervorgebradit haben, Glieder einer Organisazion sind.«186 »Poesie«: dieser Begriff meint in dieser Stufe von Schlegels Denken und in großer Nähe zu Schleiermachers Universums-Begriff der »Reden« ein umgreifendes Weltelement: »Von da ist alles ausgegangen, und dahin muß alles zurückfließen« 186 ; es sind »die inneren Mysterien aller Künste und Wisensdiaften ein Eigenthum der Poesie«187. Wohl hat der Mensch und Künstler teil an diesem Umgreifenden, der Poesie, die »tief in dem Menschen gewurzelt« ist 188 ; ein Teil des Weltdichters, »ein Funke seines schaffenden Geistes« lebt »in uns«189. »Ist nicht dieser milde Widerschein der Gottheit im Mensdien die eigentliche Seele, der zündende Funken aller Poesie?«1·0 In diesem Zusammenhang erscheint als die wichtigste Frage, »daß und wie die Poesie eine Kunst seyn und werden solle«191, und es bleibt ein »Wunder«, daß Poesie »überhaupt durch Menschenwitz und Menschenkunst aus der Tiefe ans Licht gelockt werden kann« 192 . Denn — zumindest für die neuere Zeit und die moderne Kunst — denkt Schlegel die Kunst nicht als einen unmittelbaren Ausdruck des Weltelements Poesie; wohl soll eigentlich »jedes Werk eine neue Offenbarung der Natur seyn«193; aber »neue Offenbarung« bedeutet nicht ein unmittelbares Verströmen der »heiligen Lebensfülle der bildenden Natur« 194 , dem der Künstler wie ein Medium sich nur passiv zu öffnen brauchte. Es bedarf eines geistigen Aktes. Für seine Zeit, die nicht mehr den »idealischen Zustand der Menschheit«195 kennt, beschreibt Schlegel ihn mit der Konzeption eines neuen »Mittelpunktes« 196 , der »Neuen Mythologie«. Dieses »künstlichste aller Kunstwerke« gilt es, »aus der tiefsten Tiefe des Geistes herauszubilden«; es soll »ein neues Bette und Gefäß für den alten ewigen Urquell der Poesie« sein196. In diesem Zusammenhang nun betont Schlegel deutlicher als sonst in seinen ästhetischen Schriften die Ursprünglichkeit und schöpferische Min. Min. »« Min. 188 Min. '»· Min. »·· Min. iM
II, S. II, S. II, S. II, S. II, S. II, S.
325. 364. 364. 369. 339. 361.
1,1
m ,M 1M 1M
Min. Min. Min. Min. Min. Min.
II, II, II, II, II, II,
S. S. S. S. S. S.
356. 357. 366. 371. 364. 358.
58 Eigenart des Geistes als von der N a t u r gewiß unterschieden, aber aus ihr schöpfend, sie wiederholend. Eine Analogie dafür, wie die neue Mythologie »sich nur aus der innersten Tiefe des Geistes wie durch sich selbst herausarbeiten« muß 197 , sieht Schlegel im »Idealismus«, der sogar »auf indirekte Art Quelle« der Mythologie ist: aus diesem »idealischen Ursprung« müsse sich ein »neuer Realismus« erheben 198 . Dabei unterstreicht Schlegel durchaus, daß der Idealismus sich auf dem »Wesen des Geistes« begründe, die Anerkennung seines »Selbstgesetzes« ist 199 ; und er betont, daß das »Höchste« »absichtlicher Bildung fähig« 200 sein müsse. Es ist also durchaus der Geist als Geist und betontermaßen die vom Idealismus hervorgehobene und erst eigentlich erkannte Tätigkeit des Geistes gemeint, wenn die Kunst und die neue Mythologie dem »alten ewigen Urquell der Poesie« ein neues »Gefäß« in »absichtlicher Bildung« 200 schaffen sollen. »Das ist der eigentliche Punkt, daß wir uns wegen des Höchsten nicht so ganz allein auf unser Gemüth verlassen. Freylich, wem es da trocken ist, dem wird es nirgends quillen; . . . Aber wir sollen uns überall an das Gebildete anschließen und auch das Höchste durch Berührung des Gleichartigen, Ähnlichen, oder bey gleicher Würde Feindlichen entwickeln, entzünden, nähren, mit einem Worte bilden.« 200
Denn wohl um Bildung201 geht es in Schlegels Begriff der »zur Kunst gewordenen Poesie«202, nicht um eine »chaotische Überhauptpoesie» 202 . »Berührung des Gleichartigen, Ähnlichen, oder bey gleicher Würde Feindlichen«: in diesem Gedanken liegt ein entscheidender Schlüssel f ü r das, was Schlegel als Verbindung von Poesie und Philosophie, Realismus und Idealismus, N a t u r und Geist fordert. Geist, Philosophie, Bewußtsein kennen eine Ursprünglichkeit, die der Berührung und Wiederschöpfung der N a t u r in Wechselwirkung mit ihr fähig ist, da der Geist das innerste Prinzip seines Selbstseins gefunden hat: »Die Philosophie gelangte in wenigen kühnen Schritten dahin, sich selbst und den Geist des Menschen zu verstehen, in dessen Tiefe sie den Urquell der Fantasie und das Ideal der Schönheit entdecken, und so die Poesie deutlich anerkennen mußte, deren Wesen und Daseyn sie bisher auch nicht geahndet hatte. Philosophie und Poesie, die höchsten Kräfte des Menschen . . . greifen nun in einander, um sich in ewiger Wechselwirkung gegenseitig zu beleben und zu bilden.« 208 1,7 188 1,9
Min. Min. Min. Min.
II, II, II, II,
S. 359. S. 360. S. 359. S. 361.
»> vgl. Min. II, S. 343, 355 u. a. Min. II, S. 355. Min. II, S. 353.
2M
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Wechselsättigung204, Wechselwirkung, Wechselerweis205: das ist die umgreifende Antwort, die Schlegel für sein Postulat der Verbindung von Idealismus und Realismus, Philosophie und Poesie findet. Es ist — in der Fragestellung gleich wie bei Novalis und Schelling und in der Beantwortung doch deutlich unterschieden — der Grundgedanke eines Real-Idealismus, in dem die beiden Komponenten nicht zu einer vorgegebenen Identität verschmelzen, sondern in ihrem spannungsreichen, schöpferischen, gerade die Kunst bestimmenden Zusammenwirken gedacht werden. Es bedarf in der Kunst »absichtlicher Bildung«, der »Bildung« überhaupt und »Absonderung«; aber gerade die geistigsten Hervorbringungen: Idealismus, Neue Mythologie, die romantische Poesie und ihr Witz 206 tragen ein »erstes Ursprüngliches« in sich, »was schlechthin unauflöslich ist, was nach allen Umbildungen noch die alte Natur und Kraft durchschimmern läßt« 207 . — Erst mit diesen Gedanken ist Schlegels Forderung nach Verbindung von Poesie und Philosophie voll expliziert und ihrem Inhalt nach erkennbar. Die Gedanken des »Gesprächs über die Poesie« enthalten eine Antwort auch auf die oben gestellte Frage: wie in der Kunst die Poesie als eine erste Grundkraft vorhanden sei und in Relation stehe zu dem Prozeß künstlerischen Schaffens, in dem die mit dem Ironie-Begriff bezeichnete Dialektik ihre Bedeutung hat. Es bleibt aber zu fragen, ob Schlegel diesen Begriff der Ironie unverändert beibehält, und ob er diesen Begriff in einer inneren Verbindung auch zu der genannten metaphysisch-kunstphilosophischen Problematik gedacht hat. In den »Ideen« gibt Schlegel eine Definition der Ironie, die sich nur schwer erschließt und für die der Umkreis der genannten metaphysisdi bestimmten Fragen wohl beachtet sein will. »Ironie ist klares Bewußtein der ewigen Agilität, des unendlich vollen Chaos.«208
Von den wenigen Auslegungen, die für dieses Fragment überhaupt gegeben wurden, ist mit Sicherheit diejenige als unhaltbar abzuweisen, die eine völlig ins Psychologische verkehrte Deutung ausspricht: »Die ewige Agilität eignet dem Menschen der Moderne, der im Chaos lebt. Indem er sein chaotisches Dasein ins Bewußtsein hebt, verhält er sich ironisch zu ihm.« 40 · IM m ÎM
Athenaeums-Fragment 451, Min. II, S. 288. Min. II, S. 86; audi Wind. II, S. 407, 410 u. a. Min. II, S. 361/2.
107
Min. II, S. 362. Idee 69, Min. II, S. 296. *·» P. Szondi, S. 406.
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60 Eine solche Auslegung verkennt und verstellt die Dimension, in der der eigentümlidie D e n k w e g Schlegels v e r l ä u f t , dessen sehr besonderes K o n t i n u u m auch a n den Begriffen dieses Fragments zu erkunden versucht werden sollte. Zumindest f ü r das Wort >Chaos< ist unschwer zu erkennen, daß Schlegel eine andere, höchst positive Bedeutung in diesen Begriff einschließt. Dies Wort meint in Schlegels Formulierungen dieser Zeit einen naturhaften Entstehungsgrund, ein ursprüngliches Element, dessen Seinsfülle auch den Menschen 2 1 0 und den Bereich des Ästhetischen mitbedingt 2 1 1 ; es steht in engster Verbindung zu Schlegels G e d a n k e n von Lebensfülle und Universum. Diesen Wortsinn betont auch H a y m in seiner Deutung dieses Ironie-Fragments; er sieht es in Verbindung mit Schlegels philosophischer Fragestellung. H a y m unterstellt aber seine Deutung g a n z der A u f f a s s u n g , Schlegels D e n k w e g gehe von Fichte zu Spinoza, und z w a r ausschließlich zu Spinoza: »Die ästhetische Theorie Schlegels . . . folgt der Wendung, die er inzwischen in seinen philosophischen Überzeugungen von Fichte zu Spinoza genommen hatte. . . . Statt des >Selbstgesetzes der Vernunft< die >Idee des UniversumsBedeutung s 1 7 9 Min. II, S. 169: Formulierung der Variante, die Minor abdruckt.
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In Sdilegels Wilhelm-Meister-Aufsatz erscheinen die Bestimmungsmomente seines sonst oft abstrakt formulierten Ironie-Postulats fast ausnahmslos wieder: die Verbindung von Ernst und Scherz274, von Poesie und Prosa 275 , die besonnene Selbstbeschränkung des Künstlers, seine freie Erhebung über das eigene Werk, in der ein »Schein von Selbstvernichtung«276 die Bedeutung des Ganzen, die Relation zum Unendlichen offenbart 277 . Als besonders wichtiges und eben an einem objektivierten Werk ablesbares Stilprinzip wird die Ironie genannt als eine Art der Darstellung, in der die Einzelheiten und Inhalte als allegorisch und zeichenhaft, in der Verweisung zu einem allgemeineren und höheren Sinn von Kunst kenntlich gemadit sind, so daß der Leser kraft dieser »Bedeutung« und Verweisung sidi zur Anschauung des Höheren und Unendlichen erheben kann. Gerade diese aus der inneren dialektischen Bestimmung der Kunst hervorgehende Relation, diese Verweisung und Tendenz auf einen höheren Sinn von Kunst überhaupt bedeutet ein außerordentlich wichtiges Kriterium für Schlegels Begriff der Ironie, der eben nicht auf Relativierung der Kunst tendiert, sondern die Kunst mit dem in ihr bewußt und gesondert angezeigten Bezug zu höherem Sinn, in ihrer direkt zu verdeutlichenden Relation zum Unendlichen zu bestimmen versucht. Man hat in einem ebenfalls aus der Zeit des Meister-Aufsatzes stammenden Text Schlegels: »Bruchstück des Hermesianax« 278 ein »Kompendium« der die Ironie ausmachenden Qualitäten sehen wollen279. Doch gerade das zuletzt genannte wesentliche Bestimmungsmoment wird hier nicht erwähnt: »Beym Horneros und Hesiodos, w o ihn Sage und Geschichte verließ«, sagt Schlegel über den Hermesianax, »hilft er sich . . . mit einer offensichtlichen Erdichtung. Es ist ihm freylich der heiligste Ernst, und er ist dabey mit ganzem Gemüthe: aber er lächelt denn auch wieder über seinen Gegenstand, über sich selbst, und die an seinem Stoff verübte Willkühr mit unschuldiger Sdialkheit und kindlicher Anmuth. Er weiß um seine Kunst, und über sie spottend gefällt er sidi doch mit ihr »« Min. II, S. 171. Min. II, S. 171, 175 Marburger Handschriften Heft I, S. 16. 177 In Andeutungen wird audi die Bedeutung der poetisdien Reflexion, die die Bedingungen des Darstellens in das Dargestellte hereinnimmt, erkennbar, — wenn dieser Gedanke auch nidit direkt expliziert wird: Min. II, S. 172, 175. 178 Min. I, S. 205-209. I7Í R. Immerwahr 1951, S. 189.
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und zeigt sie gern.« In diesem »Gemisch von Liebe und Witz, von schmachtender Hingegebenheit und geselliger Besonnenheit« liege ein »wunderbarer Zauber«280. Gewiß sind hier einige der Züge ironischer Haltung genannt: der bewußte Umgang mit der eigenen Kunst, die Verbindung von Gegensätzen; dodi handelt es sich im ganzen mehr um die Beschreibung von liebenswürdig anmutigem Spott, dem das entscheidende Kriterium der künstlerischen Ironie: die Erhöhung und Verweisung in einen unendlichen Sinn zu mangeln scheint, — dem das in der modernen, philosophisch bestimmten Kunst bewußt Hinweisende und Allegorische fehlt. Ein Bezug zu mehr als dem eignen Selbst des Autors wird hier auch mit dem »Lächeln über sich selbst« nicht angedeutet, vielmehr wird eine gewisse Selbstgefälligkeit hervorgehoben. Wir dürfen in dieser Textstelle nicht die Grundlage zu einer vollen und wesentlichen Bestimmung der Ironie sehen, soll nicht verwirrend wieder die Vorstellung selbstischer Willkür Oberhand gewinnen. Schlegels Äußerungen über die Ironie in seinem Aufsatz: »Uber die Unverständlichkeit« 281 stehen in einem gesonderten, nicht der Begriffsbestimmung dienenden Zusammenhang; an anderer Stelle sollen Gestaltung und Form dieses Aufsatzes nach ihrem Aussagesinn befragt werden 282 . Hier seien nur diejenigen auch aus der späteren Zeit stammenden Äußerungen Schlegels genannt, in denen er den Ironie-Begriff zur Dichtungs- oder Dichtercharakterisierung gebraucht. Es handelt sich zumeist um kurze Erwähnungen, die — wenn sie auch nicht sonderlich « « Min. II, S. 208. 8 8 1 s. II. Teil dieser Untersuchung. 8 8 2 Audi die Bemerkungen über die Ironie in dem offenbar der Fortführung der Lucinde zugehörigen Bruchstück: »Vom Wesen der Freundschaft« tragen für den Ironie-Begriff nichts bei, stehen aber auch seinem Sinn nicht entgegen: Im Gespräch zwischen Julius und Lorenzo heißt es: »Nicht der sinnliche körperliche Scherz ist mir zuwider; grade das Geistige, Zarteste, Besonnenste, das Heiligste was es hier giebt. Du hast selber das Wort genannt; die Ironie ist es die midi in der Musik der Freundschaft oft durch einen hellen Mißlaut gestört hat. L.: So wurde der T o n wohl zu oft angegeben, oder nicht an der richtigen Stelle. D a f ü r kann aber der T o n nichts. Doch D u magst Recht haben. U n d wer weiß ob das nicht die Ironie der Ironie ist, daß man sie am Ende doch auch nicht mag.« . . .»Nun wenn die Ironie nicht das eigentliche Wesen der Freundschaft ist, so mögen es die Götter wissen, was sie eigentlich ist, oder sie mag es selbst wissen, ich weiß es dann nicht. Jul.: Und sie weiß es auch, wenn ihr Wesen eins ist mit ihrem Streben.« Preuß. Jbb. 184, S. 41/2.
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aufschlußreich für den Ironie-Begriff sind, doch eine gewisse illustrierende Verdeutlichung dafür geben, welche dichtungsgeschichtlichen Zeugnisse für Schlegel überhaupt eine Frage nach der Ironie aufwerfen konnten. Wohl wünschte man, Schlegel hätte im letzten Abschnitt des »Gesprächs über die Poesie« seinen Ironie-Begriff für den Vergleich zwischen Gozzi und Goethes »Triumph der Empfindsamkeit« näher ausgeführt; es heißt hier nur, Goethe gehe »in Rücksicht der Ironie weit über ihn (Gozzi) hinaus« 283 . Offenbar ist damit auf die Durchbrechung der dramatischen Handlung am Ende des 5. Aktes in Goethes Spiel hingewiesen, wo über Einrichtung und Fortführung des Stücks im Stück selbst gehandelt wird: ein Darstellungszug, den Schlegel wie in seinem Hinweis auf den Buffo durchaus in seine Vorstellung von der Ironie in ihrer dichterischen Erscheinungsweise einschließt. — Die in der gleichen Schrift kurz darauffolgende Erwähnung der »Ironie der Reflexion« für Goethes »Elegien, Epigramme, Episteln und Idyllen«288 steht ohne Erläuterung. Ohne nähere Bestimmung verwendet Schlegel das Wort >Ironie< auch in der Besprechung von Boccaccios Werken 284 . Dagegen heißt es etwas deutlicher über Petrarca, er habe »sich selbst parodirt« 285 , — »er lächelt über seine Sentimentalität«28®: »Auch Petrarca hat romantische Ironie« 287 . In diesen knappen, aus der Zeit von 1797 stammenden Hinweisen steht der Ironie-Begriff wie in den Lyceums-Fragmenten für die bewußte Selbsterhebung des Künstlers und die Uberwindung sentimentalen, gefühlsgebundenen Ausdrucks durch einen besonderen Grad von Bewußtsein. Ausführlicher spricht Schlegel über Tiecks Frühwerke. Am >Lovell< hebt er wohl anerkennend ein inhaltliches Moment der Charakter-
M* Min. II, S. 380. Min. II, S. 396—414; 1803 im Aufsatz: »Nadiricht von einigen selteneren italienischen und spanischen Dichter werken«: »Die Teseide (Boccaz) hat nichts von der leichten Zierlichkeit, von dem mehr fröhlichen Ton scherzhafter Ironie, womit dort (Filostrato) der Liebeshandel des Troilus und der Cressida erzählt ist. Die Teseide ist durchaus ernsthaft, etwas trocken.« S. W. Bd. 8, S. 32. 185 Marburger Handschriften Heft I, S. 55. Marburger Handschriften Heft I, S. 38: »Selbst Petrarcha lächelt über seine Sentimentalität. Dodi sollte er noch weit fantastischer sein und ironischer.« !87 Marburger Handschriften Heft I, S. 48. 184
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Zeichnung hervor 288 , doch die künstlerische Gestaltung als solche scheint ihm mißlungen 289 .Nach Schlegels Urteil drängt sich im >Lovell< der Eindruck eines negativ Sentimentalen vor 290 . Es mangelt diesem Werk, so läßt sich Schlegels Meinung auffassen, an Besonnenheit, an künstlerischer Erhebung über den Gegenstand; es fehlt ihm an Ironie. Im >Sternbald< dagegen erkennt Schlegel »Sinn für Ironie«; in der »fantastischen Fülle und Leichtigkeit« dieses dem »Klosterbruder« ähnlichen Stils sieht er Klarheit und Transparenz; »der romantische Geist scheint angenehm über sich selbst zu fantasiren« 291 . Lassen sich diese Urteile auch nicht begrifflich scharf fixieren, so machen sie dodi deutlich, worin Schlegel einen der Ironie sich nähernden Stil, dagegen am >Lovell< eine sentimentale, künstlerische Unfreiheit als der Ironie widersprechend erkennt292. Schlegels Urteil über Jean Paul 293 steht, eng verbunden mit der Entstehung seiner Lehre über den Roman, in einem eigenen und nicht ganz eindeutigen Zusammenhang. Aus diesem ist hier nur so viel zu erwähnen, daß Schlegel — seine Meinung, der »strenge Künstler« hasse in Jean Paul das Zeichen »vollendeter Unpoesie294, mildernd — vornehmlich das humoristische Element, die zur
288
Min. II, S. 278: »So tief und ausführlich hat Tieck vielleicht noch keinen K a r a k t e r wieder dargestellt.« 289 Min. II, S. 278: »Das ganze Buch ist ein Kampf der Prosa und der Poesie, wo die Prosa mit Füßen getreten wird und die Poesie über sich selbst den H a l s bricht. Übrigens hat es den Fehler mancher ersten P r o d u k t e : es schwankt zwischen Instinkt und Absicht, weil es von beiden nicht genug hat.« 2,0
Min. II, S. 278: »Hier liegt der G r u n d , w a r u m die absolute Fantasie in diesem R o m a n auch von Eingeweihten der Poesie verkannt und als bloß sentimental verachtet werden mag, während dem vernünftigen Leser . . . das Sentimentale darin keineswegs zusagt und sehr furios dünkt.« Marburger Handschriften H e f t I, S. 63: »Im Lovell stellt die Fantasterei sich selbst dar.« 291 Min. II, S. 279. 282 D a ß Schlegel Tiecks Künstlerart als der Ironie nicht zugewandt erkennt, scheint auch aus der folgenden N o t i z zu sprechen: »Tieck — Selbstverniditung über Selbstschöpfung; es geht ihm mit dem Genie wie Kanten mit der V e r n u n f t . « (Marburger Handschriften H e f t I, S. 37.) Es ist möglich, d a ß sich diese Bemerkung auf den aufklärerisch-rationalen Tieck bezieht. 295 Athenaeums-Fragment 421, Min. I I , S. 279 ff.; Brief über den R o m a n Min. II, S. 367 f f . und Marburger Handschriften H e f t I S. 63: »Richters Devise: T o u t Jean Paul, toujours J. P., rien que J. P. W o Richter zu denken scheint, parodirt er doch eigentlich nur die Gedanken andrer.« m Athenaeums-Fragment 421, Min. I I , S. 280.
79 Empfindsamkeit erhobene Sentimentalität 295 , das Groteske und die Arabeske hervorhebt. Für unsere Frage darf kurz zusammengefaßt werden: so weit in Schlegels Begriffen die Arabeske als »romantisches Mziwrprodukt«296 von der Ironie als dem am Kunstwerk mitwirkenden intellektuellen, freien und besonnenen Vermögen entfernt ist, so weit scheint in Schlegels Gedanken die Romandiditung Jean Pauls von der künstlerischen Ironie entfernt. Abgesehen von kurzen formelhaften Erwähnungen der Ironie für den Don Quixote 297 , den Cid und die Rittergedichte298, verwendet Schlegel den Begriff in späterer Zeit mehrfach wieder zur Charakterisierung von Goethes Kunst — sowohl in seiner Goethe-Rezension von 1808 299 wie im zweiten Teil seiner »Geschichte der alten und neuen Literatur« von 18 1 2 300 . Da diese Erwähnungen aber keine näheren Bestimmungen des Begriffs erkennen lassen, ja ihn in der zuletzt ge2,5 Min. II, S. 369; Trierer Handschriften 1802, S. 22: »Klopstock, Schiller Jean Paul — alle in den nächsten Grundfehler der Deutschen gerathen in monoton erhaben sein sollende Affektation — und Sentimentalität.« Marburger Handschriften H e f t I, S. 66: »Humor ist theils sentimental, theils fantastisch.« Min. II, S. 374, 369, 362. S. W. Bd. 8, S. 147; andere Bemerkungen zum Don Quixote aus den Marburger Handschriften H e f t I: »Der D Q noch immer der einzige durchaus romantische Roman.« (S. 67). »D Q im hohen Grade Poesie der Poesie.« (S. 68). »Cervantes ist doch romantisdier als Shakespeare.« (S. 74). 1,8 S . W . Bd. 1, S. 239: 1812. *·· Die Erwähnungen der Ironie in dieser Goethe-Rezension der Heidelbergischen Jahrbücher klingen matt und unbestimmt im Vergleich zum Aufsatz von 1798, der dem Geheimnis der künstlerischen Darstellung nachgeht. Andersartige Fragen scheinen jetzt Schlegels Deutung zu leiten: »In dem weniger würdigen Sinn ist der Begriff der Bildung offenbar an einigen komischen Stellen des Meisters genommen; besonders da, wo das Mißlingen geschildert ist, welches dem Streben des liebenswürdigen Jünglings in der Schauspielerwelt zuteil werden mußte; und wenn der Genius des Worts die einzelnen Gestalten nicht immer bloß mit einer sanften Ironie zu umschweben, sondern schonungslos oft seine eigenen Hervorbringungen zu zerstören scheint, so ist dadurch der natürliche Erfolg jener Bildungsexperimente mit sich und mit anderen der Wahrheit gemäß dargestellt.« S. W. Bd. 8, S. 141. In der gleichen Rezension nennt Schlegel »die gleichmäßiger bereitete Wärme des Gefühls« in Hermann und Dorothea »eine sanftere Ironie« als im Meister (S. 146) und erwähnt das »Ironische« für Goethes Lieder (S. 126). 300 Hier nennt Schlegel f ü r Goethe das »Romantische« »die eigentlichste Sphäre dieses Diditers« (S. W. Bd. 2, S. 228); er betont in einem Vergleich mit Voltaire ( — audi in den Notizen von 1823 heißt es: »Goethe ein Deutscher Voltaire« Marburger Handschriften H e f t 1823, S. 43), daß »selbst der poetische Ubermuth
80 nannten Goethe-Charakteristik überdies in ein gewisses problematisches Licht rücken, so darf wohl gefragt werden, ob Schlegel in seiner Spätzeit mit dem Wort noch jene hohe und positive Vorstellung der künstlerischen Ironie verbindet, von der er in seiner Frühzeit gesprochen hat. Auf diese Frage gibt das letzte seiner Werke volle Antwort. Sie zeigt, daß Schlegel audi über eine Zeit der vornehmlich philosophischen und gegenständlich-wissenschaftlichen Arbeit, über eine Zeit tiefgreifender Lebensverwandlung den Begriff der Ironie in einem umgreifenden und hohen Sinne bewahrt hat und nochmals gründlich zu bedenken gibt.
4. Der Begriff der Ironie in Schlegels Alterswerk In seinem Spätwerk: »Philosophische Vorlesungen insbesondere über Philosophie der Sprache und des Wortes« 301 spricht Schlegel nochmals und zwar nachdrücklich und aus reifem Nachdenken über den Begriff der Ironie. In der wissenschaftlichen Literatur zu Schlegel und zur romantischen Ironie wird nicht selten der jetzt von Schlegel verwendete Ausdruck: »Ironie der Liebe« zitiert — mit gewisser Verwunderung oder Kritik, daß Schlegel dank seiner kombinatorischen Geistesart selbst diese Wortverbindung oder Formel zu setzen wagte. Selten wird der Hintergrund, der gedankliche Raum hinter diesen Worten Schlegels aufzudecken versucht. Schlegels Formulierung enthält alles andere als eine ungenaue, vielleicht poetisierende Veränderung des IronieGedankens; sie umgreift auch jetzt noch alle die im Ironie-Begriff denknotwendigen Widersprüche, sie enthält selbst die Kategorie der Annihilation; und es sind sehr genaue, gewichtige und auch systematisch erhellende Gedanken, die in dieser zunächst frappierenden Wen-
und die Ironie bei dem Deutschen erstlich poetischer, und dann gutmüthiger sich kund giebt, redlicher und ernster gemeint ist« (S. W. Bd. 2, S. 228). Dann aber fährt er fort: »Indessen wird dodi auch in unserem Dichter oft unter all der mannigfaltigen Bildung, der geistreichen Ironie und dem nach allen Directionen hinströmenden Witz fühlbar, daß es dieser verschwenderischen Fülle des mit Gedanken spielenden Geistes an einem festen innern Mittelpunkt fehlt.« (S. W. Bd. 2, S. 228/9.) S. W. Bd. 15.
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dung zusammenkommen, aber erst in sorgfältiger Interpretation sich erschließen302. Wie in seinen ersten Aussagen über die Ironie in der Lyceums-Zeit nennt Schlegel jetzt in seinem letzten Werk den Begriff der Ironie für die Lehr- und Darstellungsart des Sokrates eine Form »der höchsten geistigen Klarheit und Heiterkeit«, »wovon höchstens nur in einigen der ersten Dichterwerke etwas Ähnliches bemerkt wird.« 3 0 3 Diese Ironie ist, so sagt Schlegel, nichts » a n d e r s als das über die geheimen Widersprüche, g e r a d e in seinem innersten Streben nach d e m höchsten Ziele, sich selbst k l a r gewordene u n d zur H a r m o n i e gelangte Bewußtsein u n d D e n k e n . « 3 0 4 In ihrem »ursprünglichen S i n n e « , » s o wie sie in den Platonischen Werken gemeint u n d entwickelt ist« und in » d e r innersten S t r u k t u r dieser Werke . . . g e f u n d e n w i r d « , »bedeutet die Ironie eben nichts anderes, als dieses Erstaunen des denkenden Geistes über sich selbst, w a s sich so o f t in ein leises Lächeln a u f l ö s t ; und w i e d e r u m dieses Lächeln des Geistes, w a s aber dennoch einen tief liegenden Sinn, eine andre, höhere Bedeutung, nicht selten a u d i den erhabensten Ernst unter der heitern Oberfläche verbirgt, u n d in sich einschließt.« 3 0 5
Hier sind jene Bestimmungen der Ironie erneut genannt, von denen Schlegel auch in seiner frühen Zeit gesprochen hat: die Verbindung von Ernst und Scherz, — das freie und intellektuelle Vermögen einer Erhebung über sich selbst, entstanden aus dem Gefühl des Widerstreits von Unbedingtem und Bedingtem. Neu ist hier, daß Schlegel betont, die Ironie sei das »über die geheimen Widersprüche . . . sich selbst klar gewordene und zur Harmonie gelangte Bewußtsein«, während er sonst Spannung, Zwiespalt, antithetische Synthesis für die Ironie in ihrer dialektischen Bewegung hervorhob; das aber ist eine Akzentverlagerung, keine Sinnveränderung, wie sich noch bestätigen wird. Wie Schlegel in den Lyceums-Fragmenten die gemeine »rhetorische« im Polemischen wirksame Ironie von der »höheren« unterschied, er3 0 1 Deshalb kann jede nur ungefähre Andeutung und falsch gerichtete Fragestellung gerade für diese letzten Formulierungen Schlegels über die Ironie nicht scharf genug abgewiesen werden. — Außerordentlich irreführend wirkt eine nur lose Gedankenverbindung wie etwa bei Allemann: »Die Macht der Liebe ist die Einheit stiftende K r a f t , welche die Ironie von sich aus nicht aufzubringen vermag. Spät erst, in seiner letzten Vorlesung . . . versucht Schlegel eine Synthese in der Formel: >Ironie der LiebeSynthese